Romische Jurisprudenz - Dogmatik, Uberlieferung, Rezeption: Festschrift Fur Detlef Liebs Zum 75. Geburtstag 9783428131631, 9783428531639, 9783428831630, 3428131630

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Romische Jurisprudenz - Dogmatik, Uberlieferung, Rezeption: Festschrift Fur Detlef Liebs Zum 75. Geburtstag
 9783428131631, 9783428531639, 9783428831630, 3428131630

Table of contents :
Detlef Liebs zum 75. Geburtstag
TABULA GRATULATORIA
Inhaltsverzeichnis
Klaus Adomeit/Susanne Hähnchen: Caveat emptor oder Käuferschutz um jeden Preis?
Lorena Atzeri: Submota conditione: una questione terminologica nella prima legge contro gli apostati di Teodosio I
Martin Avenarius: Sabinus und Cassius
Okko Behrends: Die Stipulation des vorklassischen und des klassischen Ius gentium und die Frage der zulässigen Sprachen
Cosimo Cascione: Addendum epistolare alla polemica Bonfante versus Croce (e Gentile)
Tiziana J. Chiusi: Zur Idee des "Universalismus" des römischen Rechts bei Livius
Simon Corcoran: "Softly and suddenly vanished away": The Junian Latins from Caracalla to the Carolingians
Michael Crawford: From Ionia to the Twelve Tables
Giuliano Crifò: Aspetti della legalità nell’esperienza romana
Alexander Demandt: Ein Prozeß Jesu fand nicht statt
Elio Dovere: Gli orizzonti dei libri iuris ermogenianei
Klaus M. Girardet: Libertas religionis
Andrzej Gulczyński: Fundamentum famae iustitia. Das Wiederaufleben der Lateinischen Sprüche
Günter Hager: Grenzen vertraglicher Haftung im englischen Recht
Tony Honoré: Duplicate texts and the compilation of the Digest
Éva Jakab: Chirographum in Theorie und Praxis
Wolfgang Kaiser: Besserlesungen in den Vulgathandschriften gegenüber Codex Florentinus und Basiliken?
Rolf Knütel: Papinian D. 31,77,31
Anne Kolb: Rechtspflege in der Provinz: Ein causidicus am Rande der Alpen
Christoph Krampe: Afrikan und Julian im Dialog über das Darlehen – D.17,1,34 pr. libro octavo quaestionum
Karl Kroeschell: König Otto I. und das Eintrittsrecht der Enkel
Luigi Labruna: Nota minima su Goethe, Schulz, Arangio-Ruiz, Croce e la traditio
Peter Landau: Der Traktat ‚Lex est commune preceptum‘ von Altzelle und sein Verfasser – ein Zeugnis gelehrten Rechts aus Deutschland im 12. Jahrhundert
Ulrich Manthe: Dubletten im Text der Collatio als Spuren der Redaktionstätigkeit
Remo Martini: Apotelesma ed ergon
Carla Masi Doria: A proposito di limiti e responsabilità nell’attività del magistrato giusdicente nella tarda repubblica, tra il cd. editto di ritorsione e l’abrogatio iurisdictionis
Stephan Meder: Wie "geschichtlich" ist die Historische Rechtsschule? Der römische Formularprozeß und die Forderungen zur Reform des Prozeßrechts um die Mitte des 19. Jahrhunderts
Cosima Möller: Die Zuordnung von Ulpian und Paulus zu den kaiserzeitlichen Rechtsschulen
Karin Nehlsen-von Stryk: "Der Ältere teilt, der Jüngere wählt". Ein altes Rechtssprichwort in den Händen gelehrter Juristen
Dieter Nörr: Minima prosopographica zu Celsus filius
Bernardo Santalucia: Cognitio custodiarum
Dietmar Schanbacher: Ulpians Lehre vom error in substantia und die stoische Ontologie
Martin J. Schermaier: Auctorem auctoris laudare?
Wolfgang Schuller: Vom Glanz des römischen Rechts
Harald Siems: Anmerkungen zur Entwicklung von Rückwirkungsverboten
Boudewijn Sirks: The Senatus Consultum Claudianum in 438 and after in the west
Marco Urbano Sperandio: Diocleziano e i ‹quattro editti› della ‹grande persecuzione›
Fritz Sturm: Ius gentium
Werner Suerbaum: Der römische Konsul als Richter
Andreas Wacke: Alte Sammlungen niederländischer Rechtssprichwörter
Wolfgang Waldstein: Zur naturgegebenen Gemeinschaft unter den Völkern in Liv. 5, 27, 6
Veröffentlichungen von Detlef Liebs
I. Selbständig erschienene Schriften
II. Aufsätze und Artikel in Zeitschriften, Lexika und Sammelwerken
III. Besprechungen, Nachrufe, Leserbriefe, Diskussionsbemerkungen
IV. Herausgegebene Schriften

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Römische Jurisprudenz – Dogmatik, Überlieferung, Rezeption Festschrift für Detlef Liebs zum 75. Geburtstag

Herausgegeben von Karlheinz Muscheler

Duncker & Humblot · Berlin

Römische Jurisprudenz – Dogmatik, Überlieferung, Rezeption Festschrift für Detlef Liebs zum 75. Geburtstag

Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Herausgegeben vom Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung der Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.

Neue Folge · Band 63

Römische Jurisprudenz – Dogmatik, Überlieferung, Rezeption Festschrift für Detlef Liebs zum 75. Geburtstag

Herausgegeben von Karlheinz Muscheler

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6704 ISBN 978-3-428-13163-1 (Print) ISBN 978-3-428-53163-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-83163-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Detlef Liebs zum 75. Geburtstag Am 12. Oktober 2011 vollendet Detlef Liebs sein 75. Lebensjahr. Die Glückwünsche seiner Freunde, Kollegen und Schüler, die mit dieser Festschrift überbracht werden, gelten einem der international renommiertesten deutschen Romanisten. Geboren in Berlin, studierte Liebs nach dem Besuch von Schulen in Anhalt, Schlesien, Hessen und Baden zunächst Jura und Griechisch in Freiburg, dann Jura und Geschichte in Göttingen. Zu seinen bevorzugten Lehrern in Freiburg gehörten Erik Wolf, Thilo Ramm, Hans-Heinrich Jescheck. In Göttingen schätzte er namentlich Rudolf Smend, Gerhard Leibholz, Franz Wieacker, Karl Michaelis, Helmut Plessner, Alfred Heuß und Jochen Bleicken. In Göttingen wurde Liebs Assistent bei Wieacker. Auf die Promotion 1962 mit einer Arbeit über „Hermogenians iuris epitomae“ folgte 1970, ebenfalls in Göttingen, die Habilitation mit der Schrift „Die Klagenkonkurrenz im römischen Recht. Zur Geschichte der Scheidung von Schadensersatz und Privatstrafe“. Noch 1970 erhielt Liebs einen Ruf auf das Ordinariat für Römisches Recht, Bürgerliches Recht und Neuere Privatrechtsgeschichte an der Universität Freiburg, ein Amt, das er bis zu seiner Entpflichtung im März 2005 innehatte. 1980 lockte ein Ruf nach Wien, die Attraktion Freiburgs behielt die Oberhand. In Freiburg hat Liebs eine intensive Lehrtätigkeit entfaltet, die hohe Ansprüche an die Studenten stellte. Den Teilnehmern seiner Digestenexegese sind die regelmäßigen Exkursionen nach Augst bei Basel (Augusta Raurica) in lebhafter Erinnerung. Mit dem rechtsgeschichtlichen Seminar gab es Exkursionen nach Avenche in der Schweiz, nach Ravenna und Aquileia, nach Lyon, nach Autun und – nicht zuletzt zur „Inschriftenjagd“ – nach Tunesien. Die Wissenschaft vom Römischen Recht ist wegen ihres Forschungsgegenstandes einer der internationalsten Zweige der Rechtswissenschaft. Liebs hat oft im Ausland vorgetragen, sei es in Österreich, Schweiz, Polen, Holland, Italien, Frankreich, Spanien, England oder den USA. Er hat 1976, schon einige Jahre selbst Lehrender, in Paris mehrere Monate bei Hans Georg Pflaum und André Chastagnol Epigrafik, bei Joseph Modrzejewski Papyrologie und bei Jean Gaudemet die Schriften der Kirchenväter studiert. 1984 / 85 war er Visiting Member der School of Historical Studies am Institute for Advanced Study in Princeton; 1989 Visiting Fellow am All Souls College in Oxford. Der Jubilar ist Corresponding Fellow der British Aca­

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Detlef Liebs zum 75. Geburtstag

demy in London (FBA) und Korrespondierendes Mitglied der philosophischhistorischen Klasse der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in ­München. Bleibende wissenschaftliche Verdienste hat sich Liebs durch seine Monographien zur Jurisprudenz der Spätantike erworben (Italien, 1987; Africa, 1993, 2.  Aufl. 2005; Gallien, 2002); auch der Erstling, die Dissertation, gehört schon diesem Themenkreis an. In allen diesen Schriften, die durch profunde Quellenkenntnis, akribische Detailtreue sowie zahllose Funde und neue Interpretationen glänzen, ficht der Autor gegen die unzulässigen Verallgemeinerungen in Savignys „Katastrophentheorie“ und Levys Theorie des weströmischen „Vulgarrechts“. Savigny hatte behauptet, westliche Rechtsschulen habe es außer in Rom nicht gegeben, und aus dem Fehlen regelrechter Schulen zog er den Schluss, die Rechtswissenschaft habe sich in Spätantike und Frühmittelalter nicht fortführen lassen, sie sei im Westen sozusagen untergegangen. Rhetoren hätten ein bisschen, ohne Verständnis für tiefere Zusammenhänge, Rechtslehre nebenher betrieben, und ansonsten seien allenfalls bescheidene Versuche zu konstatieren, sich durch Selbststudium das Nötigste anzueignen. Irnerius musste in einer solchen Sicht der Dinge die mittelalterliche Rechtswissenschaft gewissermaßen aus dem Nichts geschaffen haben. Nicht nur auf die Rechtswissenschaft, sondern auch auf das objektive Recht der Spätantike, die offiziellen Rechtstexte, bezog sich Levys Vulgarismustheorie: Der Unterschied zur Klassik liege in einem Denk- und Ausdrucksstil, dessen vulgarer Charakter in seiner Beeinflussung durch Volksmeinungen, in der Preisgabe von Distinktionen der klassischen Dogmatik (z. B. dem Ineinssetzen von dominium und possessio, Eigentum und Besitz) und in der geringeren geistigen Qualität seiner gesetzlichen und wissenschaftlichen Produkte sich zeige. Liebs besteht all dem gegenüber mit nie nachlassender Geduld auf Differenzierung, auf Differenzierung nach Region, Zeit und Sache. Seine Skepsis gegenüber einförmiger und oft vorschnell abwertender Charakterisierung des spätantiken westlichen Rechtswesens als vulgar und seine Suche nach Alternativen geht auf eine frühe Beschäftigung mit Levys Obligationenrecht zurück, dessen Aussagen aus den angegebenen Quellen zu oft nicht wirklich ableitbar sind. Keineswegs will er Levys verdienstvolles Aufspüren der Erscheinung Vulgarrecht überhaupt in Frage stellen. Er wendet sich nur gegen ihre räumliche Verallgemeinerung und ihre zu generell und zu früh, nämlich auch schon für die Nachklassik, angesetzte Herrschaft. So kann er, mit vielfältigen Nuancierungen und Schattierungen im Einzelnen, zeigen, dass es in der gesamten Spätantike, und zwar sowohl in Italien wie auch in Gallien und im römischen Africa, ständig ein mal größeres, mal kleineres unabhängiges Fachjuristentum mit Rechtsberatung, Rechtsunterricht (dies gegen Savigny) und eigenen juristischen Werken gab, dass selbst für Africa im mittleren



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3.  Jahrhundert auch für die Jurisprudenz kein dramatischer Niveauabfall festzustellen ist, der Betrieb vielmehr bis ins 5. Jahrhundert im Wesent­ lichen gleichmäßig weitergegangen zu sein scheint. So nebenbei fällt dabei auch die scharfsinnig bewiesene Zuweisung der pseudopaulinischen Sentenzen nach Africa und ihre in diesem Licht mögliche Neu-Rekonstruktion (Palingenesie) ab. Einem breiten Leserkreis ist Liebs bekannt geworden durch sein UTBLehrbuch zum Römischen Recht (mittlerweile in 6.  Aufl. 2004) und die „Lateinischen Rechtsregeln und Rechtssprichwörter“ (ebenfalls in 7.  Aufl. 2007). Das Lehrbuch führt die äußere Rechtsgeschichte und die Institutionengeschichte zusammen, konzentriert sich bei Letzterer auf wenige Gebiete, handelt diese dafür aber umso vertiefter ab, auch mit Blick auf das heutige Recht. Die „Rechtsregeln“ sind für den Juristen unserer Generation das Buch der Wahl bei Fragen zu deren Herkunft, Bedeutung, heutiger Geltung und ihrem Zusammenhang untereinander. Obwohl nicht für den Rechtshistoriker, sondern für den mit dem geltenden Recht befassten Juristen geschrieben, befriedigen sie doch deutlich tiefere Bedürfnisse als den oberflächlichen Wunsch nach gepflegter Bildungsrhetorik unter Juristen. Detlef Liebs repräsentiert wie nur wenige andere den klassischen Typus des geisteswissenschaftlichen Forschers. Wind zu machen ist seine Sache nicht. Ganz dem Gegenstand seines Forschens und Fragens hingegeben, auch dem kleinsten Detail seine volle Aufmerksamkeit widmend, eigenwillig und gerade darum unbestechlich im Urteil, schnell fertigen Theorien abhold, die Mühen historischer Quellenarbeit nicht scheuend, um-ständlich, wo es die Umstände erfordern und manch anderer trotzdem nicht viel Umstände machen würde, engagiert Partei ergreifend, wo Falsches den Platz beherrscht: So fasziniert er Leser und Zuhörer, so prägt er durch Vorbild seine Schüler. Wir wünschen ihm: Glück und ein langes Leben. Wir wünschen uns: Weiteres von ihm zu lesen und zu hören. 

Karlheinz Muscheler, Bochum  

TABULA GRATULATORIA zu Ehren von Detlef Liebs zum 12. Oktober 2011 Klaus Adomeit Hans Ankum Lorena Atzeri Martin Avenarius Ralph Backhaus Okko Behrends Mariagrazia Bianchini Marta Bueno Salinas Alfons Bürge Cosimo Cascione Tiziana Chiusi Simon Corcoran Michael H. Crawford Giuliano Crifò  † Alexander Demandt Wolfgang Ernst Robert Feenstra Klaus M. Girardet Andrzej Gulczynski Günter Hager Evelyn Höbenreich Alexander Hollerbach Tony Honoré Liselott Huchthausen Michel Humbert Éva Jakab Wolfgang Kaiser Hubert Kaufhold Rolf Knütel Anne Kolb Frank Kolb Christoph Krampe Karl Kroeschell Luigi Labruna

Peter Landau Aude Laquerrière-Lacroix Heiner Lück Klaus Luig Ulrich Manthe Remo Martini Carla Masi Doria John F. Matthews Stephan Meder Joseph Mélèze-Modrzejewski Cosima Möller Karlheinz Muscheler Hermann Nehlsen Karin Nehlsen-von Stryk Dieter Nörr Michael Peachin Bernardo Santalucia Dietmar Schanbacher Martin Schermaier Bruno Schmidlin Wolfgang Schuller Harald Siems Dietrich V. Simon Thomas Simon Boudewijn Sirks Marco Urbino Sperandio Werner Suerbaum Mario Talamanca  † Gerhard Thür Dieter Timpe Jürgen von Ungern-Sternberg Wulf Eckart Voß Andreas Wacke Wolfgang Waldstein

Inhaltsverzeichnis Klaus Adomeit / Susanne Hähnchen Caveat emptor oder Käuferschutz um jeden Preis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Lorena Atzeri Submota conditione: una questione terminologica nella prima legge contro gli apostati di Teodosio I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Martin Avenarius Sabinus und Cassius. Die Konstituierung der sabinianischen Schultradition in der Retrospektive und ihre vermuteten „Gründer“ im Wandel der Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Okko Behrends Die Stipulation des vorklassischen und des klassischen Ius gentium und die Frage der zulässigen Sprachen. Alle oder nur Lateinisch und Griechisch? . . . 57 Cosimo Cascione Addendum epistolare alla polemica Bonfante versus Croce (e Gentile) . . . . . 97 Tiziana J. Chiusi Zur Idee des „Universalismus“ des römischen Rechts bei Livius . . . . . . . . . . 105 Simon Corcoran “Softly and suddenly vanished away”: The Junian Latins from Caracalla to the Carolingians . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Michael Crawford From Ionia to the Twelve Tables . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Giuliano Crifò Aspetti della legalità nell’esperienza romana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Alexander Demandt Ein Prozeß Jesu fand nicht statt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Elio Dovere Gli orizzonti dei libri iuris ermogenianei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Klaus M. Girardet Libertas religionis. ‚Religionsfreiheit‘ bei Tertullian und Laktanz. Zwei Skizzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Andrzej Gulczyński Fundamentum famae iustitia. Das Wiederaufleben der Lateinischen Sprüche  . 227

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Inhaltsverzeichnis

Günter Hager Grenzen vertraglicher Haftung im englischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Tony Honoré Duplicate texts and the compilation of the Digest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Éva Jakab Chirographum in Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Wolfgang Kaiser Besserlesungen in den Vulgathandschriften gegenüber Codex Florentinus und Basiliken? Zur Genuinität der erneuten Inskription vor D. 3, 5, 30, 3 (Pap. 2 resp.) in den Handschriften des Digestum vetus . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Rolf Knütel Papinian D. 31,77,31 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Anne Kolb Rechtspflege in der Provinz: Ein causidicus am Rande der Alpen . . . . . . . . . 331 Christoph Krampe Afrikan und Julian im Dialog über das Darlehen – D.17,1,34 pr. libro octavo quaestionum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Karl Kroeschell König Otto I. und das Eintrittsrecht der Enkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Luigi Labruna Nota minima su Goethe, Schulz, Arangio-Ruiz, Croce e la traditio . . . . . . . . 371 Peter Landau Der Traktat ‚Lex est commune preceptum‘ von Altzelle und sein Verfasser – ein Zeugnis gelehrten Rechts aus Deutschland im 12.  Jahrhundert . . . . 379 Ulrich Manthe Dubletten im Text der Collatio als Spuren der Redaktionstätigkeit . . . . . . . . . 395 Remo Martini Apotelesma ed ergon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Carla Masi Doria A proposito di limiti e responsabilità nell’attività del magistrato giusdicente nella tarda repubblica, tra il cd. editto di ritorsione e l’abrogatio iurisdictionis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 Stephan Meder Wie „geschichtlich“ ist die Historische Rechtsschule? Der römische Formularprozeß und die Forderungen zur Reform des Prozeßrechts um die Mitte des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 Cosima Möller Die Zuordnung von Ulpian und Paulus zu den kaiserzeitlichen Rechtsschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455



Inhaltsverzeichnis

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Karin Nehlsen-von Stryk „Der Ältere teilt, der Jüngere wählt“. Ein altes Rechtssprichwort in den Händen gelehrter Juristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 Dieter Nörr Minima prosopographica zu Celsus filius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 Bernardo Santalucia Cognitio custodiarum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 Dietmar Schanbacher Ulpians Lehre vom error in substantia und die stoische Ontologie . . . . . . . . . 521 Martin J. Schermaier Auctorem auctoris laudare? Historisches und Vergleichendes zur „action directe“ im Kaufrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 Wolfgang Schuller Vom Glanz des römischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 Harald Siems Anmerkungen zur Entwicklung von Rückwirkungsverboten . . . . . . . . . . . . . . 591 Boudewijn Sirks The Senatus Consultum Claudianum in 438 and after in the west . . . . . . . . . 623 Marco Urbano Sperandio Diocleziano e i ‹quattro editti› della ‹grande persecuzione› . . . . . . . . . . . . . . 637 Fritz Sturm Ius gentium. Imperialistische Schönfärberei römischer Juristen . . . . . . . . . . . . 663 Werner Suerbaum Der römische Konsul als Richter. „Provokative“ Betrachtungen zum Bild des L. Iunius Brutus, cos. 509 v. Chr., in der antiken Geschichtsschreibung, in Vergils Aeneis und in deren ältesten deutschen Übersetzung durch Thomas Murner 1515 nebst Hinweisen auf einschlägige Buchillustrationen des frühen 16. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671 Andreas Wacke Alte Sammlungen niederländischer Rechtssprichwörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705 Wolfgang Waldstein Zur naturgegebenen Gemeinschaft unter den Völkern in Liv. 5, 27, 6 . . . . . . 731 Veröffentlichungen von Detlef Liebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 747

Caveat emptor oder Käuferschutz um jeden Preis? Von Klaus Adomeit / Susanne Hähnchen Habens gekauft, es freut sie baß. Eh mans denkt, so betrübt sie das.1 Johann Wolfgang v.  Goethe (um 1810)

Der verehrte Jubilar Detlef Liebs schreibt in seinem wunderbaren, viel gelobten Buch „Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter“ zu caveat emptor: „Der Käufer sei auf der Hut. Wenn nichts Besonderes vereinbart ist und auch sonst keine besonderen Umstände wie Arglist des Verkäufers eingreifen, hat der Käufer wegen Mängel der Kaufsache keine Ansprüche gegen den Verkäufer. Gilt im englischen Common law, heute weithin durchlöchert.“2 Es folgen Nachweise. In vielen frühen, wenig ausdifferenzierten Rechtsordnungen gilt die Regel, dass der Käufer (emptor) einer Sache diese mit all ihren Fehlern erhält und deshalb grundsätzlich keine Rechte geltend machen kann. Daher muss er sich vorsehen (cavere), sie also vorher am besten untersuchen. „Emptor debet esse curiosus“ – oder wie es deutsche Rechtssprichwörter ausdrücken: „Augen auf, Kauf ist Kauf“3, denn: „Wer die Augen nicht auftut, der tue den Beutel auf“ – waren dereinst prägnante Formeln. Der Hinweis von Liebs auf §  442 BGB4 ist allerdings seit der Schuldrechtsmodernisierung leider nicht mehr aktuell. Betrachtet man die heutigen deutschen Rechtsbehelfe des Käufers, insbesondere im Fernabsatz, so kann dieser vollkommen sorglos sein. Im Folgenden soll es um den Ursprung der Regelungen im römischen Recht und die heutige Situation im deutschen Recht gehen, wobei die zwingende Ausgestaltung dieser Regeln kritisiert und nach dem Grund des historisch betrachtet immer stärker zunehmenden Käuferschutzes gefragt wird. 1  Sprichwörtlich 2  Liebs,

nach der Insel-Ausgabe „Gesammelte Gedichte“. Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, 6. Aufl. 1998, S.  43  f.

Nr.  14. 3  Zu dieser Regel und ihren Ausnahmen im Augsburger Stadtrecht vgl. Mayer, Der Kauf nach dem Augsburger Stadtrecht von 1276 im Vergleich zum gemeinen römischen Recht (2009), S.  130  ff. 4  Zu emptor debet curiosus esse, Liebs, a. a. O., S.  72, Nr.  22.

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Klaus Adomeit  /  Susanne Hähnchen

I. Caveat emptor wird heute gerade im Zusammenhang mit dem modernen Verbraucherschutz manchmal pauschal als Grundsatz des römischen Rechts behauptet.5 Dabei wird jedoch übersehen, dass sich das römische Recht über einen langen Zeitraum entwickelt und verändert hat. Es ist bereits sehr zweifelhaft, ob diese Rechtsregel noch für das klassische römische Recht des ersten bis dritten Jahrhunderts nach Christus stimmt.6 Typisch für die ursprüngliche Regel ist zum einen die damals häufigere Identität von Verkäufer und Produzent, zum anderen das Umfeld des Kaufes. Die Parteien befanden sich auf einem Markt, d. h. der Käufer konnte (und musste) die Ware in Augenschein nehmen und der Preis war Verhandlungssache. Bald hatten sich aber verschiedene Rechtsbehelfe zugunsten des Käufers parallel nebeneinander entwickelt. Im altrömischen Recht gab es eine Sachmängelgewährleistung nur ausnahmsweise: Wenn nämlich ausdrücklich durch die Parteien vorgesorgt wurde. Das konnte generell durch ein Garantieversprechen (stipulatio) geschehen oder speziell beim Grundstückskauf, wenn bei der Übereignung durch mancipatio die Grundstücksgröße vom Verkäufer erklärt wurde (lex mancipio dicta) und sich später herausstellte, dass diese nicht zutraf. Die noch vom ursprünglichen BGB vorgesehenen Rechtsbehelfe der Wandlung (actio redhibitoria) und Minderung (actio quanti minoris) wurden wie wir wissen seit dem 2. oder sogar schon im 3.  Jahrhundert v.  Chr. in der Marktgerichtsbarkeit der kurulischen Ädilen entwickelt, also als Sonderrecht für Käufe von besonders wertvollen Gütern, nämlich Sklaven  und Zugtieren. Bei Käufen anderer Waren galt hingegen weiterhin – wie ja letztlich noch auf heutigen Wochenmärkten de facto – „Augen auf“. Von den Ädilen wurde die Haftung des Verkäufers auf eine ausdrückliche oder stillschweigende Garantie gestützt und war deshalb verschuldensunabhängig. Der Verkäufer war verpflichtet, bestimmte im Markt-Edikt aufgeführte Mängel, wie Krankheiten und Charakterfehler, anzuzeigen. Wenn sich 5  So Derleder, Warenwunschwelten und Verbraucherfrustrationsrechte, in: NJW  2008, S.  1643  ff. (1643) – der sodann den „Frust“ heutiger Käufer darüber beschreibt, dass „die Waren in der banalen eigenen Lebenswelt an Glanz verlieren“ – wenn man auf das Goethe-Zitat schaut, auch nicht ganz neu. Ahistorisch in Bezug auf caveat emptor auch Wagner, Zwingendes Privatrecht, in: ZEuP  2010, S.  243  ff. (274). 6  Vgl. zum Folgenden Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht (19.  Aufl. 2008) §  41, VI.; auch rechtsvergleichend Zimmermann, The Law of Obligations. Roman Foundations of the Civilian Tradition (1990 / 92), S.  305  ff. (307  f.).

Caveat emptor oder Käuferschutz um jeden Preis?



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dennoch später ein solcher Mangel zeigte, konnte der Käufer vom Verkäufer die Rückerstattung des Kaufpreises (binnen 6 Monaten) oder dessen Minderung (binnen eines Jahres) verlangen.7 Den Hintergrund des Ädilenedikts verortet man wohl zutreffend mindestens auch im geringen Ansehen von (betrügerischen) Sklavenhändlern, vergleichbar den Viehhändlern der deutschen Rechtsgeschichte, die man Rosstäuscher genannt hat8 oder den Gebrauchtwagenhändlern heute, also letztlich in einer sehr speziellen Materie. „Modern gesprochen dient das Edikt dem Verbraucherschutz.“9 Eine logische Parallele zum modernen Verbraucherschutz besteht auch hinsichtlich der Entstehung der Regelungen: Ursprünglich griff die mit Polizeigewalt ausgestattete Marktaufsicht ein – übrigens nicht nur in Rom10 –, heute der Gesetzgeber mit in der Regel (ebenfalls) zwingendem Recht. Stellte die Marktgerichtsbarkeit – wie der heutige Verbraucherschutz – zunächst „nur“ Sonderrecht dar, so sickerte das einmal Entwickelte auch in das allgemeine ius civile ein. Hier gab es dann die Haftung des Verkäufers für alle Sachmängel, nicht nur für Sklaven und Vieh11, klagbar mit der actio empti, zunächst nur für arglistiges Verschweigen, später in voller Angleichung an die ädilizischen Klagen.12 7  Ulpian

(1 ad ed. cur.) D.  21,  1,  19,  6. Von den aedilzischen Rechtsbehelfen zum modernen Sachmängelrecht, in: Nörr / Simon (Hrsg.) Gedächtnisschrift für W.  Kunkel (1984), S.  57 mit Hinweis auf die etymologisch gleiche Wurzel von „täuschen“ und „tauschen“, vgl. Wacke, Circumscribere, gerechter Preis und die Arten der List (dolus bonus und dolus malus, dolus causam dans und dolus incidens), unter Berücksichtigung der §§ 123, 138 BGB, in: ZRG RA  94 (1977), S.  184  ff. (S.  202 mit Fn.  78). 9  Kaser / Knütel (Fn.  6) §  41, Rn.  42. 10  Zur Regulierung frühneuzeitlicher Märkte, vor allem hinsichtlich der qualitativen Anforderungen an zu handelnde Waren, aber auch bezüglich der starken Preisbindung, vgl. Schmelzeisen, Polizeiordnungen und Privatrecht (1955), S. 391 ff.; zur Mängelhaftung beim Viehkauf, S.  449. Bemerkenswert die Formulierung auf S.  428 „Vorschriften  …, die den Verbraucher (!) gegen Irreführung schützen sollen“. 11  A. A. noch Honsell (Fn. 8), S. 53, S. 61. Die Verallgemeinerung des Edikts der Ädilen auf alle beweglichen und unbeweglichen Sachen in D.  21,  1,  1 pr. stammt zwar möglicherweise tatsächlich erst von Justinian. Sie könnte aber auch schon früher in der Beamtenkognition geschehen sein. Aber jedenfalls der Anwendungsbereich der klassischen, nicht nur für Marktkäufe geltenden allgemeinen Kaufklage (actio empti) ging schon früher auch hinsichtlich der Sachmängelgewährleistung über Sklaven- und Viehkäufe hinaus. Vgl. etwa Ulpian-Julian (32 ed.) D.  19,  1, 13 pr., wo ein mangelhafter Balken verkauft wurde oder bei Marcian (4  reg.) D.  18,  1,  45 ein seinerzeit offenbar viel diskutierter Fall: gebrauchte Kleidung wurde als neu verkauft. 12  Kaser / Knütel (Fn.  6) §  41, Rn.  45  f.; Zimmermann (Fn.  6) S.  321. 8  Honsell,

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Klaus Adomeit  /  Susanne Hähnchen

Das klassische römische Recht ließ den Käufer also keinesfalls schutzlos. Über den genauen Inhalt der Begriffe „cavere“ und „praedicere“ in diesem Zusammenhang streitet man sich bis heute.13 Caveat emptor kann jedoch schwerlich als eine Regel dieser Zeit oder des gemeinen Rechts betrachtet werden. Tatsächlich entstand sie in Opposition zum römischen Recht seit dem 16.  Jahrhundert in England, als man Aufklärungspflichten ablehnend gegenüberstand und meinte, der Käufer solle sich – ebenso wie der Verkäufer14 – selbst über den Wert der Sache informieren und sich bzw. seine Interessen durch Garantieversprechen absichern.15 „It is the fault of the buyer that he did not insist on a warranty“.16 Die für den Käufer ungünstige Regel „caveat emptor“ war dann seit dem späten 18.  Jahrhundert vorherrschend, wurde jedoch für den Kauf beweglicher Sachen seit Ende des 19.  Jahrhunderts gemildert und ist heute durch Gesetzes- und Richterrecht auf schmale Restbestände geschrumpft, nicht mehr nur „durchlöchert“, wie Liebs früher schrieb; für Grundstückkäufe gilt sie allerdings ungebrochen.17 II. Es ist wohl so, dass das römische Zivilrecht seine Leistung für das Kaufgeschäft damit erbracht hatte, eine causa für den Eigentumsübergang an der Kaufsache zu liefern. Dieser Haupteffekt prägt noch heute europäische Rechtsordnungen (Code civil, Código civil) und findet sein Gegenstück in der Ungerechtfertigten Bereicherung. Man weiß, wie fundamental der dominus-Begriff, vom bloßen Besitz genau unterschieden, für die römische Rechtsordnung war, übrigens in der vor kurzem noch aktuellen marxistischen Interpretation, zur Aufrechterhaltung eines „Sklavenhalterstaates“. 13  Ausführlich gegen die bisher h. M., welche Identität annahm (Stipulationszwang im Sonderrecht der Ädilen), Jakab, Praedicere und cavere beim Marktkauf (1997); zustimmend Ernst, Neues zur Sachmängelhaftung aufgrund des Ädilen­ edikts, in ZRG RA  116 (1999), S.  208; kritisch differenzierend dazu Kupisch, Römische Sachmängelhaftung: Ein Beispiel für die ökonomische Analyse des Rechts? in: TR  70 (2002), S.  21  ff.; dagegen zuletzt Jakab, Cavere und Haftung für Sachmängel. 10  Gründe gegen Berthold Kupisch, in: Jakab / Ernst (Hrsg.) Kaufen nach römischem Recht. Antikes Erbe in den europäischen Kaufrechtsordnungen (2008), S.  123  ff. 14  Dazu mit vielen Beispielen Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001), S.  823  ff. 15  Genauer zur Entwicklung in England Fleischer (Fn. 14), S. 66 f.; 821 ff. mwN. 16  Parkinson v. Lee, 2 East 314, 102 Eng. Rep.  389 (1802). Die älteste Entscheidung in diesem Sinne war Chandelor v. Lopus, Cro. Jac.  4, 79 (1603): „If there is no warranty, an action on the case does not lie, even though he is deceived: for caveat emptor.“ 17  Fleischer (Fn.  14), S.  469, 823, 827.



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Man muss sich bei romanistischen Studien daran gewöhnen, ungeschockt von verkauften Menschen und deren möglicher Behaftung mit Sachmängeln zu hören. Streitigkeiten über Sachmängel konnte man dann beinahe schon analog „casum sentit dominus“ scheitern lassen. Es waren die Ädilen als Inhaber der Marktpolizei, denen Streitigkeiten und Konflikte mit frustrierten Käufern so auf die Nerven gingen, dass Regeln zu schaffen waren,18 im Kern eigentlich öffentlich-rechtlicher Art. Diese zögernde Behandlung der Haftung für Sachmängel blieb bis in das gemeine Recht hinein bestehen und das BGB fand die wahrlich unpraktische Lösung, einen neuen Vertrag unter den Parteien über die Durchführung von Wandlung und Minderung zu verlangen. Nach orthodoxer Lehre musste der enttäuschte Käufer auf Zustimmung des Verkäufers auf Einigung klagen, was rechtspolitisch keinen Bestand haben konnte. Es war wohl an erster Stelle Folge der technischen Entwicklung, eine neue Sichtweise zu erzwingen. Produktion und Handel fielen auseinander, gegenüber Produktionsfehlern war der Verkäufer genauso hilflos wie der Käufer. Konsequenz war die richterliche Neuschöpfung von Produzentenhaftung, alsbald über die EG-Richtlinie von 1985 das Produkt-(besser Produzenten)haftungsgesetz, unter Verzicht auf das deliktsrechtliche Verschuldensprinzip. Überhaupt war es jetzt der Käufer, um den es den rechtspolitischen Bestrebungen zu tun war, unter der ungenauen und unschönen Bezeichnung „Verbraucher“.19 Der Ausgang dieser neuen Tendenz lag unerwarteterweise in den USA, mit dem Verbraucheranwalt Ralf Nader, mit der KongressBotschaft des Präsidenten Kennedy (1962) über Consumer’s Protection.20 Es wurde der „Schutz des Schwächeren“, in Deutschland bisher nur im Arbeitsrecht und im Recht der Wohnungsmiete bestimmend, allgemein jedem Privatkunden gegenüber jedem gewerblichen Anbieter gewährt. Geistesge18  So Franz Wiecker, der Lehrer von Liebs, in einer Vorlesung, an die sich der damalige Student Adomeit erinnert. 19  Noch weniger gelungen ist die „latinisierte“ Fassung des Verbrauchers, Adomeit, Niemals: „in dubio pro consumatore“, Glosse in: JZ  2006, S.  557: allenfalls kann der Verbraucher ein consumptor, jedoch kein consumator sein. Inhaltlich gegen den behaupteten Auslegungsgrundsatz Riesenhuber, Kein Zweifel für den Verbraucher, in: JZ  2005, S.  829  ff. 20  Genauer dazu Adomeit, Der Schutz des Schwächeren – arbeitsrechtliche Erfahrungen und zivilrechtliche Entwicklungen, in: Dauner-Lieb u. a. (Hrsg.) FS Konzen (2006), S.  1  ff. (3); ähnlich, wenn auch verkürzt Schmoeckel in HKK Band  II / 2 (2007) vor §§  312  ff., Rn.  92. Eine andere Linie, seit dem Abzahlungsgesetz von 1894, zieht Medicus, Wer ist ein Verbraucher?, in: Leser / Tamotsu (Hrsg.) FS Kitagawa (1992), S.  471  ff. (473  ff.), der aber auch schon im Anschluss an H.  P.  Westermann zu Recht die Vermengung von personalen und situationsbezogenen Elementen kritisierte (a. a. O., S.  481  ff.).

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schichtlich setze sich hier Bentham durch, der sehr demokratisch die Staats­ tätigkeit auf „das größte Glück der größten Zahl“21 verpflichtet hatte und den Goethe weitsichtig einen radikalen alten Narren nannte.22 Über den jetzt beherrschenden Termini „Verbraucher“ und „Unternehmer“ (vgl. aber anders zu verstehen in §  631 BGB) schwebt das Donnerwort des großen Flume „barer Unsinn“.23 Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie24 stammt von 1999, unsere Schuldrechtsreform 2001 / 02 nahm dies zum Anlass für eine grundlegende Umgestaltung des Kaufrechts.25 Das Interesse des Käufers an der Lieferung einer mangelfreien Sache wurde beim Verkäufer zur Hauptpflicht, deren Verletzung dann – wie bei der Nichtlieferung oder der Zu-spät-Lieferung, dem Leistungsstörungsrecht zugeordnet werden konnte. Hingenommen wurde eine große Einbuße an Rechtssicherheit: Da der Begriff des Sachmangels höchst komplex ist (vgl. §  434 BGB), kann man bei auftretenden Zweifeln niemals sagen, ob der Vertrag erfüllt ist. Sicherheit gibt erst der ungenutzte Ablauf der Gewährleistungsfristen. Auch sind die „Rechte des Käufers bei Mängeln“ (§  437 BGB)26 aus dem neuen Gesetzeswortlaut sogar für Rechtskundige schwer ermittelbar: Die genannte Vorschrift enthält elf Verweisungen, zum Teil mit Weiterverweisungen; die logische Struktur (etwa bei der Kopula „und“ nach Nr. 2) ist keineswegs stimmig. Unter der Geltung des alten BGB haben sich Generationen von Studenten beklagt, „ädilizische Rechtsbehelfe“ begreifen zu müssen – die heutige 21  Bentham, A Fragment on Government (1776) preface: „It is the greatest happiness of the greatest number that is the measure of right and wrong“. 22  Goethe bezeichnete Bentham als „höchst radikalen Narren“ und bemerkte: „In seinem Alter so radikal zu sein, ist der Gipfel aller Tollheit.“, zitiert nach Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, in: Johann Wolfgang Goethe. Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche, hrsg. von Chr. Michel, Bd.  12 (1999), S.  715. http: /  / de.wikipedia.org / wiki / Jeremy_Bentham – cite_note-1 23  Flume, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung, in: ZIP  2000, S.  1427  ff. (1428), u. a. mit der Erinnerung an Iavolen D.  50, 17, 202 omnis definitio in iure civili periculosa (Jede Begriffsbestimmung im positiven Recht birgt Gefahren in sich.). 24  RL 199 / 44 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufes und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. Nr.  L 171 vom 7.7.1999, S.  12–16. In den Erwägungsgründen 8 und 9 der RL wird der Grundsatz der Vertragsfreiheit betont, dennoch sollen nach EG 22 und vor allem Art.  7 der RL die Gewährleistungsrechte unabdingbar sein. 25  Einführender Überblick dazu Westermann, Das neue Kaufrecht, in: NJW 2002, S.  241  ff., zur Sachmangelhaftung S.  243  ff. 26  Baldus, Verbraucherschutz zwischen Vertrag und Nicht-Vertrag?, in: Kern (Hrsg.) FS Laufs (2006), S.  557  ff. (559): „Drehscheibennorm“.



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Rechtslage ist keineswegs eher transparent, wie die Zahl der dogmatischen Kontroversen und so vieler überraschender Entscheidungen zeigt. Es sind beim eigentlichen Verbrauchsgüterkauf, wo sich Privatkunde und gewerblicher Anbieter (consumer / business) gegenüberstehen, die Käuferrechte noch stärker hervorgehoben, und zwar als zwingendes Recht, § 475 BGB. Zeigen sich bei bestehendem Vertrag Mängel, so kann jeder Käufer seit der Schuldrechtsmodernisierung Nacherfüllung verlangen (§  439 BGB) sowie ggf. weitere, in § 437 BGB aufgeführte Rechte (Rücktritt, Minderung, Schadens- und Aufwendungsersatz) geltend machen. Beim Verbrauchsgüterkauf kann lediglich der Anspruch auf Schadensersatz ausgeschlossen oder beschränkt werden (§  475 Abs.  3 BGB).27 Der Verkäufer kann sich hingegen nicht auf eine Vereinbarung berufen, die von anderen Rechten abweicht oder die Verjährung vor Mitteilung des Mangels abkürzt (§  475 Abs.  1 S.  1 und Abs. 2 BGB). Aus der ursprünglich erforderlichen Vereinbarung der Gewährleistung (Garantieversprechen) ist also das krasse Gegenteil geworden. Es ist auch die Beweislastumkehr nach §  476 BGB weder mit Prinzipien des Zivil- noch des Zivilprozessrechts vereinbar. Die Beweislast ist nur dann umzukehren, wenn nach der Lebenserfahrung eine bestimmte Konstellation von Tatsachen typischerweise wahrscheinlich ist (etwa beim Auffahrunfall: der Hintermann fuhr falsch), wovon hier keine Rede sein kann. Im Gegenteil ist mit der Übergabe die Sache in den Herrschaftsbereich des Käufers gelangt, in der langen Zeit von sechs Monaten kann viel durch unsachgemäße Behandlung verdorben sein. Indem nicht nur die Gewährleistungsfrist verlängert, sondern auch noch die Beweislast umgekehrt wurde, hat man an einer Stelle gleich doppelt in das Vertragsverhältnis zugunsten des Käufers eingegriffen. Auch kommt dem auf Schutz des Schwächeren bedachten Gesetzgeber die Gefahr des Missbrauchs nicht in den Sinn, die bei jeder neuen Rechtsgewährung zu bedenken wäre. Es ist nicht geradezu ein „vae venditoribus!“ Devise der heutigen Rechtslage, aber es hat schon ein Paradigmenwechsel stattgefunden, weniger Zivilrecht, eher Sozialrecht. Die Zahl der Verkäufer und der Reichtum ihrer Angebote werden deswegen nicht schrumpfen. Wir kennen sogar noch viel weitergehenden Verbraucherschutz im Kaufrecht. Wird im Fernabsatz gekauft, hat der Käufer ein Reurecht, den Widerruf (§§ 312 b, d, 355 BGB), der zwar an eine Frist gebunden ist, aber sogar ohne Vorliegen von Sachmängeln die Lösung vom Vertrag bei bloßem Nichtgefallen ermöglicht. Dies ist sicherlich insoweit sinnvoll, als Anpreisungen in Ka27  Das will der neue RL-Vorschlag über die Rechte des Verbrauchers, KOM (2008) 614 endg, Art. 26–27, 43 allerdings auch ausschließen. Kritisch dazu Wagner, Zwingendes Privatrecht, in: ZEuP  2010, S.  243  ff. (269  ff.).

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talogen und im Internet oftmals nicht mit der Realität der gelieferten Ware übereinstimmen.28 Allerdings ist es für Verkäufer in der Praxis schwierig, eine den hohen Anforderungen der Gerichte genügende Widerrufsbelehrung zu verfassen. Darüber hinaus treffen den Verkäufer im Fernabsatz zahlreiche, kaum erfüllbare Anzeige- und Informationspflichten.29 III. Wie für das römische Recht gezeigt, entwickelten sich käuferschützende Gewährleistungsregeln zuerst gerade auf dem Markt, wo die gleichzeitige Anwesenheit der Parteien noch gegeben war. Die Ursache der staatlichen Einmischung muss also woanders zu suchen sein. Oft wurden naturrechtliche Vorstellungen (iustum pretium, laesio enormis), die römische bona fides bzw. das Prinzip von Treu und Glauben angeführt30, die jedoch auch in anderen Zusammenhängen kaum präzise Aussagekraft haben. Die diesbezüglichen Vorstellungen, was angemessen oder gerecht ist, sind doch sehr verschieden und warum sollte es nicht sachgerecht und manchmal im Sinne eines herzustellenden oder zu bewahrenden Gleichgewichts sein, Verkäufer gegenüber Käufern zu schützen? Es befremdet doch, dass die abstrakte Entscheidung von außen gerechter sein soll, als die von den Parteien konkret vereinbarte Gewährleistung. Tatsächlich können die Parteien (nur) frei die Vertragsgemäßheit bestimmen, was mit Bezug auf die zugrundeliegende Verbrauchsgüterkaufrichtlinie bereits oft kritisiert wurde.31 Dass der „Verkäufer … näher daran (ist), dieses Risiko zu tragen“32 ist eine mögliche Sichtweise, aber keine Begründung. Eine reine Feststellung 28  In diesem Sinne der 14.  Erwägungsgrund der Fernabsatzrichtlinie 97 / 7 / EG vom 20.5.1997, ABl.  1997 L 144 S.  19. 29  Schmoeckel in HKK Band  II / 2 (2007) vor §§  312  ff., Rn.  80  ff. stellt diese unter die Überschrift „Caveat emptor? Entwicklung der Informationspflichten“. 30  Zimmermann (Fn.  6), S.  308; Schmoeckel in HKK Band  II / 2 (2007) vor §§  312  ff., Rn.  83  ff. jeweils mwN. Detailliert zu Vorstellungen über Aufklärungspflichten und Vertragsgerechtigkeit bei den Spätscholastikern und in der modernen Naturrechtslehre Fleischer (Fn.  14) S.  39  ff., 47  ff. Jüngst zeitlich und räumlich breit vergleichend zu den generellen Schwierigkeiten Armgardt, Zur Dogmengeschichte der laesio enormis – eine historische und rechtsvergleichende Betrachtung, in: Riesenhuber / Karakostas (Hrsg.) Inhaltskontrolle im nationalen und Europäischen Privatrecht (2009) S.  3  ff. 31  Vgl. etwa Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts, in: AcP  200 (2000), S. 273 ff. (362 ff.). Dagegen etwa Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006, §  26 Rn.  752  ff. (755): die Unabdingbarkeit sei grundsätzlich „weniger spektakulär“, kritischer aber bzgl. der Unabdingbarkeit der Fristen bei gebrauchten Gütern (Rn.  756). 32  Honsell (Fn.  8), S.  55.



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ist es, dass die Entwicklung der Gewährleistungsregeln mit der allgemeinen Ausdifferenzierung der Kultur und des Handels einherging. Die historische Entwicklung dieses Rechtsgebiets ist eine immer weitere Entfernung von der verbindlichen Parteivereinbarung hin zu einer immer stärkeren Einmischung des Staates. Materialisierungstendenzen sind hier nicht erst seit dem Inkrafttreten des BGB zu beobachten.33 Auch wenn dieser Tendenz in jüngerer Zeit oft widersprochen wird34 – für das Gewährleistungsrecht kann man sie jedenfalls nicht anders sehen. Damit ist das grundsätzliche Problem – Privatautonomie oder Schwächerenschutz (und wer ist überhaupt der Schwächere: der Verkäufer oder die kaufende Rechtsanwältin?) – im Kern berührt, dass man nur nach seiner (rechtspolitischen) Haltung, nicht allgemeingültig lösen kann. Aber unabhängig davon, ob man eine eher liberale oder eher soziale Position vertritt – man sollte den Käufer jedenfalls nicht so weit schützen, dass es zu seinem Schaden ist. Selbst als informierter Verbraucher kann man heute nicht mehr zu Gunsten eines besseren Preises auf Gewährleistungsrechte verzichten.35 Dieser extreme Käuferschutz geht aber zu Lasten aller Käufer, da er vom Verkäufer auf den Preis umgelegt wird, d. h. auf alle Käufer verteilt wird. Er führt also zu einer Art Solidar- oder Versicherungssystem. Vielleicht gibt es keine bessere Erklärung für die Entwicklung, als dass sie dem allgemeinen Zeitgeist entspricht. Verbraucher werden als schwache, schutzbedürftige Wesen angesehen, wobei das Ganze entweder nicht ökonomisch zu Ende gedacht oder sogar bewusst die (nicht ganz neue) Vollkaskomentalität verstärkt wird. Über das Gewährleistungsrecht indirekt einen gerechten Preis (iustum pretium) erreichen zu wollen, erscheint jedenfalls wenig sinnvoll.

33  Allgemein dazu Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (1952), S. 18; Canaris (Fn. 31) passim. 34  Zuletzt Meder, Opposition, Legislation, Wissenschaft: zum 100.  Todestag von Gottfried Planck, in: JZ  2010, S.  474  ff. (470, 480) mwN: Das BGB habe die „sozialpolitische Aufgabe des Privatrechts nie geleugnet und Schwächere sehr wohl geschützt“. 35  Canaris (Fn.  31), S.  362; Adomeit, Das Günstigkeitsprinzip – jetzt auch beim Kaufvertrag, oder: der KfZ-Mechaniker von Canaris, in: JZ 2003, S. 1053 f. (1054); dazu und rechtsvergleichend mit Beispielen noch strikteren Verbraucherschutzes: Karampatzos, Haftungsfreizeichnungsklauseln im griechischen und deutschen Kaufrecht sowie im DCFR – Die Dichotomie zwischen Individual- und Verbrauchsgüterkauf, in: Riesenhuber / Karakostas (Hrsg.), Inhaltskontrolle im nationalen und Europäischen Privatrecht (2009), S.  173  ff.  (184). Vgl. auch Riesenhuber, EVR2  (2006) § 26 Rn. 759, der bezogen auf den einzelnen Vertrag von einer Zwangsversicherung des Verbrauchers spricht.

Submota conditione: una questione terminologica nella prima legge contro gli apostati di Teodosio I Di Lorena Atzeri I.  Dalla sua elevazione alla porpora, avvenuta nel gennaio del 379, trascorsero quasi due anni prima che Teodosio I riuscisse a insediarsi nel palazzo imperiale di Costantinopoli, dove fece ingresso soltanto il 24 novembre del 3801. Ma il nuovo sovrano d’Oriente non attese così a lungo per manifestare chiaramente e ufficialmente, agli abitanti della capitale in primis, il proprio orientamento religioso2: fervente seguace del credo niceno e fautore di Damaso, vescovo di Roma (anch’egli, come Teodosio, di origine spagnola), già da Tessalonica, dove aveva nel frattempo stabilito la sua base, l’imperatore intraprese una politica tesa a rafforzare la diffusione della fede di Nicea, che impose a tutti i cristiani come la ‹vera religione› cattolica e ortodossa. All’epoca della sua ascesa al trono, il nicenismo rappresentava, all’interno del cristianesimo, la corrente più debole: solo da pochi anni, grazie dapprima all’atteggiamento neutrale di Valentiniano I3, e poi all’azione 1  Su Teodosio I e il suo regno rinviamo all’ampia bibliografia citata da L. de Giovanni, Istituzioni scienza giuridica codici nel mondo tardoantico. Alle radici di una nuova storia (1a rist., Roma 2010), p. 237 nt. 202 ss. 2  Socr. HE V.6; Soz. HE VII.4; anche per questo aspetto rinviamo a de Giovanni, Istituzioni scienza giuridica cit., p. 241 ss. e alla bibliografia ivi citata; cfr. in particolare W. Enßlin, La politica ecclesiastica dell’imperatore Teodosio agli inizi del suo governo, in Nuovo Didaskaleion 2 (Catania 1948) pp. 5–35; Id., Die Religionspolitik des Kaisers Theodosius der Grosse (München 1955); H. Leppin, Von Constantin d. Gr. zu Theodosius II: Das christliche Kaisertum der Kirchenhistoriker Socrates, Sozomenus und Theodoret (Göttingen 1996); Id., Theodosius der Große. Auf dem Weg zu einem christlichen Imperium (Darmstadt 2003); R. Lizzi Testa, La politica religiosa di Teodosio I. Miti storiografici e realtà storica, in Atti dell’Accademia Nazionale dei Lincei. Classe di sc. mor., stor. e filol., Rendiconti, ser. IX,7,1 (1996), pp. 323–361; R. M. Errington, The Accession of Theodosius I, in Klio 78 (1996), pp. 438–453; Id., Christian Accounts of the Religious Legislation of Theodosius I, in Klio 79 (1997) p. 414 s.; J. Ernesti, ‹Princeps christianus› und Kaiser aller Römer. Theodosius d. Gr. im Lichte zeitgenössischer Quellen (Paderborn-München-Wien-Zürich 1998). 3  La tolleranza religiosa di Valentiniano è da lui stesso vantata in CTh. 9.16.9 (a.  371): Testes sunt leges a me in exordio imperii datae, quibus unicuique, quod

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congiunta dell’imperatore Graziano e di Ambrogio, nonché al pontificato di Damaso, esso aveva lentamente cominciato a guadagnare terreno in Occidente – ad eccezione, comunque, dell’Illirico, dove si era saldamente affermato l’arianesimo, e dei territori africani, in cui prevalevano il donatismo e, in misura minore, il manicheismo. Ma anche nei territori più ‹nicenizzati› le chiese cattoliche si trovavano comunque a coesistere con quelle ariane, il cui numero era talvolta preponderante rispetto alle prime. In Oriente, invece, dove più si erano fatti sentire gli effetti della politica tollerante – ma fondamentalmente antinicena – di Valente, era l’arianesimo ad aver posto salde radici, godendovi di un’ampia diffusione: nelle stesse chiese di Costantinopoli il clero ariano (e macedoniano)4 era ormai stabilmente insediato in via esclusiva da circa quarant’anni5, mentre – secondo alcune fonti – i seguaci del credo niceno, privi di un vescovo, erano ridotti a riunirsi all’interno di una piccola casa privata6. II.  Gli anni che vanno dal 380 al 383 sono particolarmente significativi dal punto di vista della politica religiosa perseguita dai sovrani delle due partes imperii, fra i quali era venuta a crearsi un’unità d’intenti mai registrata per il passato. L’azione combinata di Graziano e Teodosio sarà di fatto determinante per la piena affermazione dell’ortodossia nicena in tutto l’impero. Quanto a Teodosio, i suoi sforzi in questo campo vennero tutti concentrati nella restaurazione del nicenismo in Oriente, al fine di ottenere un allineamento con l’Occidente e realizzare un’unità religiosa che rafforzasse la stessa unità politica dell’impero7. Le principali aspirazioni del sovrano orientale possono essere così riassunte: definire un’unitaria formula di fede in cui tutti i cristiani potessero (o meglio: dovessero) riconoscersi, quale premessa per condurre (o ricondurre) ‹dissidenti› e persino oppositori all’interno di un’unica Grande Chiesa cattolica; delineare più chiaramente, animo inbibisset, colendi libera facultas tributa esset; testimone ne è anche Amm. 30.9.5. Sebbene non possa essere negato un suo moderato favore verso i cristiani (destinatari di numerosi benefici), Valentiniano rifiutò di lasciarsi coinvolgere in controversie dottrinali: ai vescovi che gli avevano chiesto l’autorizzazione a tenere un sinodo per discutere questioni di fede, Valentiniano rispose che la sua posizione di laico lo esimeva dall’occuparsi di tali problemi (Soz. HE VI.7.1–2). 4  Assieme agli eunomiani, i macedoniani costituivano una fazione ariana. 5  Sulla complessa situazione religiosa dell’impero all’epoca di Teodosio v. tra gli altri Ch. Pietri, Les dernières résistances du subordinatianisme et le triomphe de l’orthodoxie nicéenne (361–385), in AA. VV., Histoire du Christianisme des origines à nos jours, II. Naissance d’une Chrétienté (250–430) (Paris 1995), pp. 355–398. 6  Socr. HE IV.1.16. 7  Cfr. G. Barone Adesi, Primi tentativi di Teodosio il Grande per l’unità religiosa dell’impero, in AARC 3 (1979), pp. 47–55; R. M. Errington, Church and State in the First Years of Theodosius I, in Chiron 27 (1997), pp. 21–72.



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in via di esclusione, scismi ed eresie, per perseguirne la repressione8; determinare, infine, la definitiva scomparsa dei culti tradizionali romani dal panorama religioso dell’impero. Quanto all’attuazione della prima parte di questo programma, Teodosio era consapevole della necessità di gettare anzitutto alcune basi, soprattutto teologiche. Mostrando un approccio molto pragmatico alle intricate e spinose questioni di natura religiosa, egli emanò a questo scopo da Tessalonica, sul finire del febbraio 3809, la notissima Cunctos populos10, costituzione a carattere edittale il cui testo è espressamente indirizzato al populus urbis Constantinopolitanae, e con cui venne imposta ai sudditi (cristiani?)11 dell’impero la professione della religione cattolica. Questo provvedimento «monitorium et praeparatorium»12, una sorta di «programma della restaurazione nicena»13 che gli antichi storici della Chiesa hanno voluto mettere in diretta relazione con la grave malattia, il battesimo e la successiva guarigio8  Sull’immagine dell’eretico scaturente dalle costituzioni imperiali, in particolare quelle di Teodosio I, si veda ora M. V. Escribano Paño, La construction de l’image de l’hérétique dans le Code Théodosien XVI, in J.-N. Guinot / F. Richard (a cura di), Empire chrétien et Église aux IVe et Ve siècle: intégration ou «concordat»? Le témoignage du Code Théodosien (2008), pp. 389–412 e la letteratura ivi citata. 9  Il 27 febbraio, secondo Mommsen; (più correttamente) il 28 secondo O. Seeck, Regesten der Kaiser und Päpste für die Jahre 311 bis 476 n. Chr. (Stuttgart 1919, rist. 1964), p. 253. 10  CTh. 16.1.2 + 16.2.25 (=  C.I. 1.1.1 + 9.29.1): Cunctos populos … in tali volumus religione versari, quam divinum Petrum apostolum tradidisse Romanis religio usque ad nunc ab ipso insinuata declarat quamque pontificem Damasum sequi claret et Petrum Alexandriae episcopum virum apostolicae sanctitatis …. Si tratta di una costituzione oggetto di un numero infinito di studi. A titolo esemplificativo, indichiamo P. Barceló / G. Gottlieb, Das Glaubensedikt des Kaisers Theodosius vom 27. Februar 380. Adressaten und Zielsetzung, in K. Dietz / D. Hennig / H. Kaletsch (a cura di), Klassisches Altertum, Spätantike und frühes Christentum, Adolf Lippold zur 65. Geburtstag gewidmet (Würzburg 1993), pp. 409–423; J. Gaudemet, L’édit de Thessalonique. Police locale ou déclaration de principe?, in H. W. Pleket / A. M. F. W. Verhoogt (a cura di), Aspects of the Fourth Century A. D. (Leiden 1997), pp. 43– 51; M. V. Escribano Paño, El edicto de Tesalónica (CTh. 16.1.2, 380) y Teodosio: norma antiarriana y declaración programmática, in Cassiodorus 5 (1999), p. 35 ss.; L. de Giovanni, Chiesa e Stato nel Codice Teodosiano. Alle origini della codificazione nei rapporti Chiesa-Stato (4a ed., Napoli 2001). 11  Non è questa la sede per addentrarsi nel dibattito circa la portata della norma di Teodosio, se impositiva del credo niceno ai soli cristiani (di Costantinopoli?) o a tutti gli abitanti dell’impero. Sui termini della discussione cfr. A. Di Mauro Todini, Aspetti della legislazione religiosa del IV secolo (Roma 1990), p. 130 ss. 12  Gothofr., comm. ad h. l. 13  Pietri, Les dernières résistances cit., p. 387. Se è vero che la gran parte delle costituzioni degli imperatori tardoantichi costituisce la risposta a circostanze contingenti, non si può tuttavia negare ai primi provvedimenti di Teodosio in materia religiosa carattere volutamente programmatico.

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ne di Teodosio14, segna un punto di svolta nella politica religiosa imperiale del IV sec.: per la prima volta, un imperatore prende a legiferare su questioni teologiche senza alcuna previa deliberazione conciliare, elaborando inoltre in modo autonomo e indipendente una formula fidei cui conferisce, con legge, vincolatività e cogenza sul piano giuridico15. Secondo quanto disposto dall’editto di Tessalonica, per volontà imperiale era da ritenersi ortodossa la religione cristiana nella forma tràdita ai Romani dall’apostolo Pietro, e nelle linee di recente per essa definite da Damaso e Pietro II (a quel tempo vescovi, rispettivamente, di Roma e Alessandria)16, alle cui posizioni Teodosio conferisce in tal modo la massima autorevolezza17. La formula del credo (o ‹simbolo›) cattolico, compendio della fede cristiana, viene da Teodosio così fissata in modo pregnante: «ut secundum apostolicam disciplinam evangelicamque doctrinam patris et filii et spiritus 14  Socr. V.6; Soz. VII.4, i quali ravvisano anche un’influenza del vescovo di Tessalonica, Acholio, da cui Teodosio aveva ricevuto il battesimo. Malattia e guarigione andrebbero in realtà collocate, secondo gli studiosi, solo nella primavera del 380: cfr. Enßlin, Die Religionspolitik cit., p. 21 ss. 15  Su questo ed altri aspetti ancora Enßlin, Die Religionspolitik cit., p. 23 ss.; R.  M. Errington, Christian Accounts of the Religious Legislation of Theodosius I, in Klio 79 (1997), pp. 398–443. 16  Ai quali viene riconosciuto, così, il ruolo di depositari della fede ortodossa. Damaso era stato l’autore della lettera sinodale Confidimus quidem (PL XIII, coll. 347–349; Theod. HE II.22), elaborata ed approvata dagli altri partecipanti al termine del concilio di Roma (fine 371 – inizio 372), da lui stesso convocato all’inizio del suo pontificato. Oltre a contenere una riaffermazione del credo niceno, nella lettera si condannavano le determinazioni assunte nel concilio di Rimini del 359. L’epistola era stata inviata ai vescovi d’Oriente e dell’Illirico, che ne avevano approvato il contenuto – e quindi il dogma in essa esposto – nel concilio di Antiochia, tenutosi nell’autunno del 379 (pochi mesi prima, quindi, della Cunctos populos). Sui rapporti tra Damaso e Teodosio cfr. Ch. Pietri, Damase et Théodose. Communion orthodoxe et géographie politique, in J. Fontaine / Ch. Kannengiesser (a cura di), Epektasis. Mélanges patristique offerts au Cardinal J. Daniélou (Paris 1972), pp. 627–634. Quanto a Pietro, che era peraltro deceduto pochi giorni prima dell’emanazione della legge teodosiana, questi era stato accolto a Roma da Damaso quando, nel 375, fu esiliato da Valente, e poté ritornare ad Alessandria dopo la morte dell’imperatore orientale grazie a un decreto dello stesso Damaso. 17  Alla fine del 377, a seguito dell’accusa, avanzata dai vescovi orientali in una lettera enciclica, contro i vescovi Eustazio e Apollinare, in comunione con il pontefice romano, Damaso aveva convocato un concilio a Roma, a cui aveva partecipato anche il vescovo di Alessandria, Pietro, e formulato un’esposizione teologica, il cd. Tomus Damasi, in cui si riflettevano le decisioni dell’assemblea. In esso si trova esposto quel credo poi ufficialmente sostenuto da Teodosio, unitamente ad una lista di tesi eterodosse e alla condanna di ariani, eunomiani, fotiniani, apollinariani, macedoniani (cfr. Pietri, Les dernières résistances cit., p. 381). Damaso e Pietro sono espressamente indicati come gli autori della condanna dell’eresia apollinariana da Soz. HE VI.25.6.



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sancti unam deitatem sub parili maiestate et sub pia trinitate credamus». ‹Vera religione› cristiana, cioè cattolica e ortodossa, era dunque da considerarsi quella che si riconosceva nella formula nicena e nella fede nella trinità18. Solamente a coloro che avessero professato questo credo – in cui è ancora evitato ogni riferimento alla substantia19 – andava riservata la qualifica, il nomen, di christiani catholici20. Quei cristiani che, invece, non fossero pronti a condividerlo, giudicati dall’imperatore folli e pazzi, sarebbero stati stigmatizzati dall’infamia, con conseguente esclusione dalla società civile e dal godimento dei diritti civili e politici; le loro forme aggregative non avrebbero potuto fregiarsi del nome di ecclesiae, né godere, di conseguenza, del riconoscimento e dei privilegi per esse previsti dall’ordinamento21. Inoltre, chi avesse turbato la legge divina per ignoranza, oppure l’avesse violata e offesa per negligenza, sarebbe stato reo di sacrilegium22. Nel definire la formula dogmatica del cattolicesimo e nell’imporla ai suoi sudditi, Teodosio non si limitò a invocare la punizione divina su coloro che non vi avessero aderito (i reliqui): in quanto ispirato dalla divinità, egli si propose di assecondare quella punizione e di renderla, anzi, più efficace attraverso le sanzioni che era in suo potere infliggere23: una dichiarazione d’intenti del tutto in linea con la visione pratica dell’ex generale spagnolo. 18  Un particolare accento sull’unità della Trinità era comparso già nella lettera sinodale Confidimus quidem. 19  Sull’assenza di ogni specifico riferimento alla ‹consustanzialità al Padre›, uno dei punti più spinosi nella lotta fra il nicenismo e gli altri credo (in particolare quello ariano), riporta l’attenzione Barone-Adesi, Primi tentativi cit., p. 51, ipotizzando una consapevole volontà dell’imperatore di soprassedere su quella formula teologica per molti inaccettabile. Sull’ampiezza della formula, tale da «consentire l’adesione della grandissima maggioranza dei credenti», v. anche M. Bianchini, Per la storia dei rapporti tra cristianesimo e impero da Costantino a Teodosio I, in Serta Historica Antiqua 2 (1989), p. 250. Sulla complessa questione della natura di Cristo e sulle lotte scatenate in età antica dalla relativa discussione, si veda la recente sintesi di M. Clauss, Der Kaiser und sein wahrer Gott. Der Spätantike Streit um die Natur Christi (Darmstadt 2010). 20  CTh. 16.1.2.1: Hanc legem sequentes Christianorum catholicorum nomen iubemus amplecti, reliquos vero dementes vesanosque iudicantes haeretici dogmatis infamiam sustinere nec conciliabula eorum ecclesiarum nomen accipere. 21  Per fare alcuni esempi, dall’istituto del confugere ad ecclesiam alla manumissio in ecclesia, dai benefici economici alle esenzioni fiscali, etc. 22  CTh. 16.2.25: Qui divinae legis sanctitatem aut nesciendo confundunt aut neglegendo violant et offendunt, sacrilegium committunt. Sebbene l’inscriptio sia priva di destinatario, si tratta con ogni probabilità – in quanto emessa lo stesso giorno – di una parte della Cunctos populos, separata dai compilatori dal resto del testo e collocata sotto un diverso titolo. 23  CTh. 16.1.2.1: divina primum vindicta, post etiam motus nostri, quem ex caelesti arbitrio sumpserimus, ultione plectendos.

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Non v’è dubbio che, nell’ambito della stessa cristianità, le sollecitazioni ad aderire al cattolicesimo fossero dirette, anzitutto, ai membri del clero ariano e macedoniano, principale – sia pure implicito – bersaglio della costituzione. Nelle loro mani erano, difatti, quasi tutte le chiese d’Oriente, in particolare quelle di Costantinopoli, al punto che Gregorio di Nazianzo, da poco insediato nella capitale, dovette esercitare il suo ministero in un piccolo oratorio, attesa l’impossibilità di ottenere una vera e propria chiesa24. Seguendo un copione ormai recitato più volte nel passato, furono questa volta i vescovi ariani e macedoniani ad essere ‹invitati› dall’imperatore a confessare il credo niceno oppure a prepararsi per l’esilio, o quantomeno a lasciare i luoghi di preghiera che detenevano ormai da oltre quarant’anni, per consegnarli ai niceni25. Una volta insediatosi a Costantinopoli, nel gennaio 381, Teodosio non mancò di definire ancora una volta, con una nuova costituzione, l’autentica formula dogmatica, alla quale dichiarò espressamente la propria personale adesione26. Le parole di questo provvedimento, in un certo senso, chiariscono ulteriormente e completano il programma già esposto nella Cunctos populos, che appare ora integrato con un esplicito riferimento alla consustanzialità dello Spirito Santo27. Nel nuovo ‹simbolo imperiale› compare (o ricompare) difatti la parola ousía / substantia28, che costituiva il nodo su cui si erano divisi ariani e cattolici, e che – assieme al termine homooúsion /  consubstantialis – gli ariani erano riusciti a far espungere dal credo nel 24  Soz. HE VII.5.1. Il vescovo venne però personalmente accompagnato, il 27 novembre 380, dall’imperatore a prendere possesso della chiesa dei Santi Apostoli, lasciata dall’ariano Demofilo (Soz. HE VII.5.7). 25  Sebbene il testo pervenutoci della Cunctos populos non faccia parola di un tale ordine, esso è testimoniato da altre fonti: Socr. HE V.VII.4 s.; Soz. HE VII.5.5 (dove sono riportate anche le reazioni del vescovo ariano Demofilo). 26  CTh. 16.5.6 (10 gennaio 381): … Unius et summi dei nomen ubique celebretur; Nicaenae fidei dudum a maioribus traditae et divinae religionis testimonio atque adsertione firmatae observantia semper mansura teneatur … Is autem Nicaenae adsertor fidei, catholicae religionis verus cultor accipiendus est, qui omnipotentem deum et Christum filium dei uno nomine confitetur, deum de deo, lumen ex lumine: qui spiritum sanctum, quem ex summo rerum parente speramus et accipimus, negando non violat: apud quem intemeratae fidei sensu viget incorruptae trinitatis indivisa substantia, quae Graeci adsertione verbi ουσία recte credentibus dicitur. Haec profecto nobis magis probata, haec veneranda sunt  … 27  Anche la consustanzialità dello Spirito Santo, assieme a quella del Padre e del Figlio, era stata affermata per la prima volta nella lettera sinodale di Damaso Confidimus quidem: cfr. Pietri, Les dernières résistances cit., p. 373. 28  L’uso di entrambi i termini non è casuale: il termine substantia era reso in greco anche come hypostasis, e quest’ultima usata in Oriente per sostenere tesi diverse dal nicenismo: cfr. Pietri, Les dernières résistances cit., p. 363; 380 e passim.



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concilio di Rimini29. Nel richiamare esplicitamente la substantia, Teodosio mostra di aderire pienamente alle posizioni più intransigenti di Damaso, fautore della consustanzialità e dell’unità divina delle persone della Trinità, confermandole come la teologia ufficiale del cattolicesimo, religione dell’impero. Solo coloro che avessero professato la fides Nicaena erano da ritenersi veri christiani catholici, mentre viene ribadita la qualifica di eretici a quei (vescovi) cristiani che non vi avessero aderito. La nuova ingiunzione di consegnare le chiese ai vescovi di fede ortodossa30, tuttavia, costituisce traccia della tenace e perdurante resistenza ariana alla precedente costituzione, e testimonia della forte tensione ancora in atto tra le varie fazioni. III.  Gli inizi del regno di Teodosio furono segnati profondamente dalle preoccupazioni dottrinali. Nel breve arco temporale che va dal 381 al 383, furono ben tre i concili convocati a Costantinopoli dall’imperatore, nel desiderio di trovare, seguendo la propria strada, una soluzione definitiva alle divisioni interne alla comunità cristiana, ma anche nella crescente consapevolezza che non sarebbe stato facile raggiungere un punto d’intesa fra le varie correnti. Tali concili segnarono, però, anche un progressivo allontanamento dalla chiesa occidentale, di cui venne sistematicamente esclusa la partecipazione, e al contempo un’affermazione di autonomia decisionale da parte dei vescovi d’Oriente. E così, tra il maggio e il luglio del 381, pochi mesi dopo aver fissato quel secondo, più esplicito ‹simbolo› ed aver procurato – quantomeno nelle sue intenzioni – le basi per l’unità religiosa in tutte le province dell’impero, preoccupato ora di ricevere un riconoscimento formale da parte dei diretti interessati, Teodosio convocò un primo concilio31 finalizzato a far approvare il 29  Convocato da Costanzo II nel maggio 359, si trattò del più grande concilio tenuto in Occidente, in cui venne approvato il cd. ‹credo datato› (cioè con tanto di indicazione della data, che gli attirerà i commenti ironici del vescovo Atanasio: Socr. HE II.37.23; 31 ss.), sulla cui formula, dal carattere più indefinito, ariani e cattolici erano riusciti a trovare un’intesa. Formula ed espunzione erano state confermate anche in Oriente nel concilio di Costantinopoli, tenutosi l’anno seguente. 30  CTh. 16.5.6.3: … Qui vero isdem non inserviunt, desinant adfectatis dolis alienum verae religionis nomen adsumere … Ab omnium submoti ecclesiarum limine penitus arceantur, cum omnes haereticos inlicitas agere intra oppida congregationes vetemus ac, si quid eruptio factiosa temptaverit, ab ipsis etiam urbium moenibus exterminato furore propelli iubeamus, ut cunctis orthodoxis episcopis, qui Nicaenam fidem tenent, catholicae ecclesiae toto orbe reddantur. 31  Soz. HE VII.7–8. Sebbene definito nelle fonti posteriori quale concilio ecu­ menico, la partecipazione ad esso fu, in realtà, limitata ai soli vescovi orientali. Dei  suoi atti non sopravvivono che i canoni, menzionati in una lettera sinodale del 382, e la formula del credo, pervenuta in forma anch’essa indiretta in quanto fatta oggetto di recitatio nel corso del successivo concilio di Calcedonia (a. 451) e mes-

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credo niceno così come da lui stesso determinato32. Il concilio aveva inoltre lo scopo di organizzare – anche topograficamente – una nuova gerarchia episcopale e di far eleggere ufficialmente il vescovo della capitale d’Oriente. A conclusione dei lavori, il sovrano orientale emise una costituzione per dare concreta applicazione alle deliberazioni scaturite dal concilio33; costituzione in cui si delinea, per l’ennesima volta, il profilo dell’autentica fede del (vescovo) cattolico e, al tempo stesso, si reitera l’ordine, rivolto a quei vescovi che non si fossero riconosciuti in tale credo, di lasciare le chiese da loro occupate. A seguito delle proteste levatesi dai vescovi occidentali, a cui non furono comunicate le determinazioni assunte a Costantinopoli, sempre nel tentativo di dare una definizione ultimativa al credo cattolico, a quel concilio ne seguì un altro nel 38234 (anch’esso a partecipazione esclusivamente orientale), e un terzo l’anno successivo35, che tuttavia non portò, neanch’esso, la sperata concordia e unità. Resosi conto che le discussioni dottrinali, ancora una volta, non sarebbero approdate a una soluzione degli scismi, Teodosio volle risolvere il problema nello stile pragmatico che gli era proprio, invitando tutti i vescovi partecipanti a rilasciare ciascuno la propria professione di fede e ritirandosi per decidere d’autorità: l’ispirazione divina lo avrebbe guidato nella scelta di quelle più ‹ortodosse›36.

sa agli atti di quest’ultimo: Soz. HE VII.7–9; ACO II.1.2 p. 80; 128; Pietri, Les dernières résistances cit., p. 388 ss.; S. Destephen, L’idée de représentativité dans les conciles théodosien, in AnTard 16 (2008) 103–118, spec. 105 e nt. 12. Sul concilio costantinopolitano e le sue conseguenze cfr. Enßlin, Die Religionspolitik cit., p. 28 ss. 32  Cfr. A. M. Ritter, Das Konzil von Konstantinopel und sein Symbol. Studien zur Geschichte und Theologie des II. Ökumenischen Konzils (1965); R. Staats, Das Glaubenbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel. Historische und theologische Grund­ lagen (Darmstadt 1996). 33  CTh. 16.1.3 (30 luglio 381), indirizzata al proconsul Asiae Ausonio: Episcopis tradi omnes ecclesias mox iubemus, qui unius maiestatis adque virtutis patrem et filium et spiritum sanctum confitentur eiusdem gloriae, claritatis unius, nihil dissonum profana divisione facientes, sed trinitatis ordinem personarum adsertione et divinitatis unitate, quos constabit communioni [segue una lista di vescovi di provata fede nicena] … ut verae ac Nicenae fidei sacerdotia casta permaneant  … I vescovi che non fossero ‹entrati in comunione› con quelli menzionati, che avessero cioè dissentito dalla fede da questi ultimi ufficialmente professata, andavano considerati manifesti haeretici ed espulsi dalle loro chiese. Di alcuni giorni precedente era una costituzione – tematicamente connessa –, inviata al comes Orientis, che vietava, tra gli altri, ad ariani ed eunomiani di erigere chiese tanto nelle città quanto nelle campagne, pena la confisca degli edifici e degli stessi terreni su cui insistevano (CTh. 16.5.8, 19 luglio 381). 34  Menzionato unicamente da Theod. HE V.9. 35  Socr. HE V.10.6 ss. 36  Socr. HE V.10.22 ss.

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IV.  Ma le preoccupazioni dell’imperatore orientale in materia religiosa non erano unicamente rivolte alla definitiva formulazione della vera religio. Oltre che per l’imposizione del nicenismo e la lotta contro le eresie, il regno di Teodosio I si caratterizzò anche per la politica di repressione dei culti pagani – praticati ancora dalla maggior parte della popolazione –, in ripresa di quella lotta i cui presupposti erano stati gettati già da Costantino, e che, dopo essere stata inaugurata da Costanzo II37, era stata abbandonata a partire da Giuliano. Anche in relazione a questo obiettivo, tra i sovrani d’Oriente e d’Occidente sembrò manifestarsi una piena consonanza38. Al pari di Graziano, che nel 382 aveva anche ingaggiato un braccio di ferro con il senato romano, ordinando la definitiva eliminazione dell’altare dedicato alla Vittoria sito nella Curia, Teodosio prese a ritirare gradualmente l’appoggio imperiale (in forma di sovvenzioni, benefici, privilegi, esenzioni fiscali etc.) verso le religioni tradizionali romane39, rendendo manifesto il proprio disfavore nei loro confronti. Del paganesimo, tuttavia, l’imperatore si limitò inizialmente a vietare solamente determinate pratiche, consistenti nella celebrazione di sacrifici cruenti o a scopi divinatori e magici: quelle stesse, peraltro, che erano già state proibite anche dai suoi predecessori40. Fu solo nel 391, cioè nella fase terminale del suo regno, che Teodosio giunse a emanare un divieto assoluto nei confronti dei culti tradizionali41. Ciò nonostante, il nuovo clima favorevole al cattolicesimo e la palese ‹caduta in disgrazia› del paganesimo incoraggiarono ugualmente molti vescovi a prendere il sopravvento sui seguaci delle religioni tradizionali roma16.10.2 (a. 341), che vietava la celebrazione di sacrificia. segno di rottura dei legami con la religione tradizionale romana, tanto Graziano quanto Teodosio rinunciarono simbolicamente al titolo di pontifex maximus. Sebbene la storiografia antica collochi il gesto di Graziano all’inizio del suo regno (estate 367: Zos. Hist. nov. IV.36.3–5), alcune fonti testimoniano dell’uso di tale titolo ancora nel gennaio 379 (Auson. Gratiarum actio 35, 42 e 66). Avendo Teodosio effettuato la sua rinuncia al momento di salire sul trono, nel gennaio 379, è stato da alcuni ritenuto più probabile che i due imperatori abbiano dismesso il titolo quasi contemporaneamente. E comunque, la rinuncia di Graziano non dovette essere posteriore al 382 / 83, quando egli cominciò a manifestare un aperto disfavore verso il paganesimo: su tutto questo cfr. Ch. Pietri, Les succès: la liquidation du paganisme et le triomphe du catholicisme d’État, in AA. VV., Histoire du Christianisme des origines à nos jours cit., pp. 399–434 e spec. 401. 39  Alle quali molto membri dell’aristocrazia erano ancora legati. 40  CTh. 16.10.7 (21 dicembre 381), indirizzata al prefetto del pretorio d’Oriente, Floro; CTh. 16.10.8 (30 novembre 382), indirizzata a Palladio, dux Osroenae; CTh. 16.10.9 (25 maggio 385), destinata a Cinegio, prefetto del pretorio d’Oriente. Sebbene Teodosio non manchi di contrapporre le castae preces rivolte a Dio ai dira carmina indirizzati agli dèi pagani (CTh. 16.10.7), le sue disposizioni non costituiscono ancora un divieto generale verso le pratiche cultuali pagane. 41  CTh. 16.10.10 e 11. 37  CTh.

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ne, e ad ingaggiare una vera e propria ‹battaglia› che ebbe ad oggetto, in modo particolare, gli edifici adibiti al culto, spesso distrutti od occupati, anche con la violenza, da gruppi di fanatici cristiani42. Alle richieste provenienti da esponenti anche illustri del mondo pagano di fronte alle devastazioni messe in atto da monaci e vescovi, spesso con l’avallo – se non addirittura con l’attivo intervento – delle autorità civili43, Teodosio oppose una sorda indifferenza, e a nulla valsero gli argomenti del retore Libanio nella sua perorazione in difesa dei templi44. V.  Nel quadro, appena delineato, degli sforzi imperiali per il rafforzamento del cattolicesimo e la graduale repressione dei culti tradizionali, va iscritta la costituzione emessa da Teodosio il 2 maggio del 381 – in prossimità dell’apertura del primo concilio di Costantinopoli – e indirizzata a Eutropio, praefectus praetorio Orientis (o, come attualmente si ritiene più probabile, dell’Illyricum)45, provvedimento con cui, per la prima volta, veniva ad essere punita l’apostasia dei cristiani per il paganesimo46. Per contiguità temporale e identità del destinatario, tale costituzione va accostata ad un’altra, emessa pochi giorni dopo contro i manichei47, alla 42  Sul tema della violenza religiosa nel mondo antico cfr. Th. Sizgorich, Violence and Belief in Late Antiquity. Militant Devotion in Christianity and Islam (Philadelphia, Pennsylvania, 2009). Sul particolare aspetto della distruzione dei templi o della loro trasformazione in chiese, si vedano i contributi in J. Hahn / S. Emmel /  U. Gotter (a cura di), From Temple to Church: destruction and renewal of local cultic topography in Late Antiquity (Leiden 2008). La notizia, riportata da alcune fonti (Joh. Malalas, Chron. 13.27; Chron. Pasch. a. 397), secondo cui, già nel 379, Teodosio avrebbe fatto distruggere il tempio di Baal a Heliopolis, trasformandolo in una chiesa, sarebbe però smentita da altre fonti coeve e dalla mancanza di riscontri archeologici (J. Hahn / S. Emmel / U. Gotter, «From Temple to Church»: Analysing a Late Antique Phenomenon of Transformation, in Hahn / Emmel / Gotter, From Temple to Church cit., p. 1 ss. e spec. pp. 1–2). 43  Maggiormente colpiti dal fanatismo dei cristiani furono l’Egitto e la Siria, grazie anche all’appoggio di Cinegio, praefectus praetorio Orientis. 44  In essa, Libanio deplora la chiusura di molti templi e soprattutto la distruzione, nel 386, di quelli in Siria (R. Romano [ed.], Libanio, In difesa dei templi [Napoli 1982]). A tal proposito cfr. anche U. Criscuolo, La difesa dell’ellenismo dopo Giuliano: Libanio e Teodosio, in Koinonia 14 (1990), pp. 5–28. 45  Come accade di frequente, nella inscriptio è indicata solamente la carica, senza alcuna specificazione relativa alla prefettura. Mommsen (Proleg. p. CCLVIII), come già Gothofredo, ritiene si trattasse della prefettura d’Oriente (peraltro a carattere collegiale, in quanto già ‹condivisa› tra Neoterio e Floro). Studi più recenti, tuttavia, hanno creduto di doverla riferire più correttamente all’Illirico. Più precisi ragguagli sul tema in Di Mauro Todini, Aspetti della legislazione religiosa cit., p. 157 ss. (oltre alla letteratura ivi citata). 46  CTh. 16.7.1, su cui infra. 47  CTh. 16.5.7 (8 maggio). Il manicheismo, religione dal carattere gnostico e dalle pretese universalistiche fondata da Mani all’interno di ambienti giudeo-cristia-



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quale l’accomuna soprattutto l’adozione, nei confronti dei contravventori, del medesimo tipo di sanzione, consistente nella privazione – in forma ora più, ora meno ampia – della capacità testamentaria: un particolare che ha indotto la dottrina a ritenere i due provvedimenti come parte «dello stesso disegno politico, rifluito in un unico discorso normativo»48. Questa specifica compressione dei diritti civili, che spesso era legata all’infamia, comincia così ad essere usata quale arma per combattere non solo la ‹dissidenza› religiosa, ma anche la ‹diserzione› dal cristianesimo. La costituzione sui manichei, su cui non ci soffermeremo, stabiliva la loro totale incapacità nel disporre del proprio patrimonio per testamento o per qualsiasi altro atto di liberalità, in primis la donazione, nonché quella nel ricevere un’eredità, disponendo per tutti questi casi la confisca del patrimonio stesso. Essa prevedeva, inoltre, l’intrasmissibilità assoluta mortis causa del patrimonio, anche per via di successione legittima, attribuendo allo stesso natura giuridica di bona caduca. Un’unica eccezione era fatta al riguardo dei soli figli che avessero abbandonato il manicheismo e si fossero convertiti alla pura religio (senza dubbio il cattolicesimo), e che venivano per questo ammessi alla successione nei bona paterna e materna. Ai ni in Persia (la storica nemica di Roma), penetrò rapidamente nell’impero a partire dalla metà del III sec. d. C., diffondendosi soprattutto in Egitto e sulle coste del Nord-Africa. Esso fu immediatamente inviso al potere imperiale, che si sforzò di contrastarlo nonostante il (ed anzi: proprio a causa del) grande successo che stava ottenendo soprattutto negli strati più elevati della popolazione, particolarmente attratti dal suo aspetto ‹razionale›, dalla forte organizzazione e dal severo ascetismo, che conferivano al manicheismo un certo carattere élitario. La sua etica rigorosa e l’idea quasi ossessiva della purificazione dal peccato, però, si ritraducevano spesso in comportamenti antisociali, quali il rifiuto di svolgere ogni attività militare e il disprezzo verso la procreazione. Si trattava, come ben si può immaginare, di idee potenzialmente destabilizzanti per lo stesso ordine sociale romano, minacciato nelle sue fondamenta, nonché estremamente pericolose in un’epoca in cui l’elemento militare era, ancor più che in passato, di vitale importanza per l’esistenza stessa dell’impero. Le fonti registrano un primo provvedimento repressivo emesso da Diocleziano ad Alessandria nella primavera del 302 (o forse già nel 297) d. C. La costituzione dioclezianea, raccolta nel settimo (ma per Hänel si tratterebbe del XIV) libro del Codice Gregoriano sotto il titolo ‹De maleficis et manichaeis›, è stata poi trasfusa nella Collatio legum Romanarum et Mosaicarum (15.3.1–8). Va però detto che la stessa autenticità dell’editto, oltre che la sua precisa datazione, è stata messa in discussione dalla dottrina: ampi ragguagli in E.-H. Kaden, Die Edikte gegen die Manichäer von Diokletian bis Justinian, in Festschrift Hans Lewald (Basel 1953), pp. 55–68 (con indicazioni bibliografiche) e spec. p. 56 nt. 7. L’aspra lotta ingaggiata da Diocleziano contro il manicheismo conobbe, dopo di lui, una lunga pausa, interrotta solo da misure occasionali, per riacquistare vigore nel 372 con Valentiniano I (CTh. 16.5.3), che pure per le questioni religiose non aveva mai mostrato un particolare interesse. 48  Di Mauro Todini, Aspetti della legislazione religiosa cit., p. 160.

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manichei49 è inoltre inflitta una nota perpetua d’infamia, dalla quale, in sostanza, vengono fatte dipendere le anzidette incapacità50. Alle sanzioni, già particolarmente dure, viene per di più attribuito, in via eccezionale, un effetto retroattivo, a far data, probabilmente, dalla costituzione di Valentiniano sui manichei, per i quali essa aveva già disposto l’infamia51. VI.  La nostra attenzione si dirige, invece, all’altra costituzione: quella contro quei cristiani che, abbandonata la propria religione, fossero divenuti – o tornati ad essere – pagani. Non era la prima volta che l’atto di abbandono del cristianesimo veniva a costituire una fattispecie anche giuridicamente (penalmente) rilevante. Era già successo con Costanzo II, che aveva punito i cristiani convertiti al giudaismo con la confisca dei beni52. Teodosio fu, però, il primo a estendere tale divieto al paganesimo e ad adottare la sanzione dell’incapacità testamentaria. Dell’originaria costituzione, i compilatori di Teodosio II hanno estratto solo poche ma significative righe, che conferiscono al dettato imperiale carattere di lapidarietà, ma che, proprio per la loro stringatezza, lasciano aperto più di un problema interpretativo. Ne riportiamo di seguito il testo: CTh. 16.7.1 (a. 381). imppp. gr(ati)anvs, val(entini)anvs et theod (osivs) aaa. ad evtropivm p(raefectvm) p(raetori)o.  His, qui ex Christianis pagani facti sunt, eripiatur facultas iusque testandi et omne defuncti, si quod est, testamentum submota conditione rescindatur. dat. vi non. mai. const(antino)p(o)l(i) syagrio et evcherio conss. [A coloro che da cristiani sono divenuti pagani venga sottratto il diritto di fare testamento e, qualora ve ne sia uno, submota conditione venga annullato l’intero testamento del defunto].

Nella costituzione è sancita, nei confronti dei cristiani che avessero abbandonato la propria religione per aderire al paganesimo, la perdita della 49  E, con essi, gli encratiti, gli apotactiti, gli idroparastati e i saccofori: tutte sette associate al manicheismo. 50  sub perpetua inustae infamiae nota testandi ac vivendi iure Romano omnem protinus eripimus facultatem neque eos aut relinquendae aut capiendae alicuius hereditatis habere sinimus potestatem, totum fisci nostri viribus inminentis indagatione societur. 51  Il provvedimento di Valentiniano, che, in quanto indirizzato al praefectus urbis Romae Ampelio (CTh. 16.5.3), lascia supporre l’esistenza di problemi con questa setta religiosa nella stessa Roma, vietò le riunioni dei manichei, punendo con una gravis censio (non ulteriormente specificata) i doctores e con l’infamia i partecipanti, e disponendo inoltre la confisca degli edifici in cui le riunioni avevano luogo. 52  CTh. 16.8.7 (3 luglio 357 [352?]): Si quis lege venerabili constituta ex Christiano Iudaeus effectus sacrilegis coetibus adgregetur, cum accusatio fuerit com­ probata, facultates eius dominio fisci iussimus vindicari. La costituzione è stata poi  ripresa dai compilatori di Giustiniano e inserita sotto il titolo De apostatis (C.I.  1.7.1).



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capacità di disporre del proprio patrimonio per testamento (la testamenti factio attiva, per usare una terminologia in parte moderna) e la nullità del testamento stesso. A rafforzare e inasprire la privazione della capacità testamentaria, il legislatore aveva inoltre disposto la nullità non solo di ogni qualsiasi testamento eventualmente già redatto ed esistente (si quod est, da intendersi probabilmente con riferimento alla data dell’entrata in vigore della legge), ma, a giudicare dal riferimento al testamentum defuncti (un’espressione che lascerebbe pensare a una successione già aperta), addirittura di quelli già efficaci, attribuendo così alla privazione della capacità testamentaria effetti – come parrebbe – retroattivi. La costituzione non prevedeva, invece, né la privazione della testamenti factio passiva né, tantomeno, alcuna confisca dei beni: l’asserzione contraria di alcuni studiosi su quest’ultimo punto nasce evidentemente da un’errata interpretazione del termine facultas, di cui è sfuggito il senso endiadico rispetto a ius53. Inoltre, il divieto non interessava altre forme di liberalità inter vivos (donazioni etc.). Insomma, se paragonata a quelle previste per i manichei, la sanzione contro gli apostati appare, pur nella sua gravità, senz’altro più mite. Non sembra inoltre che, nel privare l’apostata della facultas iusque testandi, il legislatore abbia inteso con ciò comminare una più ampia intestabilitas, comprensiva cioè anche del più generale diritto di prestare (o ricevere) testimonianza. Sebbene il verbo testor sia impiegato in entrambe le accezioni, e la ridondanza dell’espressione facultas iusque testandi – un’endiadi peraltro non frequente nel linguaggio del legislatore tardoantico54 – possa suggerire una portata più ampia della stessa, il riferimento, immedia53  Sull’attribuzione al termine facultas (al sing.) del senso di ‹diritto, potere, permesso, licenza, facoltà›, e sulla sua equiparazione ai termini ius e potestas (o anche copia e licentia) non vi può essere alcun dubbio, attese le numerose testimonianze riscontrabili già in Gaio e, in misura ancora maggiore, nella letteratura giurisprudenziale classica. Conferme in G. Vidén, The Roman Chancery Tradition. Studies in the Language of Codex Theodosianus and Cassiodorus’ Variae (Göteborg 1984), p. 96 ss. Negli scritti dei giuristi, inoltre, appare chiara l’intercambiabilità delle espressioni ius (facultas, potestas) testamenti faciendi e ius testandi, a loro volta equivalenti a testamenti factio. Di una facultas testandi è inoltre menzione in CTh. 3.12.3; 16.5.7 (testandi … eripimus facultatem); 16.5.25; 16.7.6; 16.7.7.1. Erra pertanto la Giandomenici nell’affermare che, secondo il dettato della costituzione teodosiana, «Il cristiano fattosi pagano è sottoposto alla confisca dei beni» (corsivo nel testo: A. Giandomenici, Considerazioni sulle costituzioni contenute nella rubrica «De apostatis» nei codici Giustinianeo e Teodosiano, in Apollinaris 52 [1979] pp. 600–617, spec. p. 602). 54  Nelle costituzioni contenute nel Codice Teodosiano è possibile riscontrare solamente gli analoghi copia facultasque (CTh. 14.3.8) e pontificium facultatemque (CTh. 16.1.3).

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tamente seguente, al solo testamento ne circoscrive senza ombra di dubbio il senso. L’intento perseguito dall’imperatore con questa disposizione sembra essere duplice: da un lato, rendere irreversibile la scelta della religione cristiana; dall’altro lato, disincentivare l’assottigliarsi delle file dei cristiani ed evitare il corrispondente ingrossarsi di quelle dei pagani, prosciugando al contempo quella fonte di sostegno economico dei culti tradizionali costituita dai lasciti mortis causa, di particolare importanza dopo il venir meno delle sovvenzioni pubbliche. Quali le conseguenze di un tale provvedimento? Anzitutto l’impossibilità, per l’apostata tornato alla religione tradizionale romana, di disporre del proprio patrimonio secondo la sua libera volontà e di trasferirlo mortis causa a soggetti diversi da quelli chiamati a succedergli dalla legge. In secondo luogo, l’impossibilità di assumere tutte quelle altre disposizioni – diverse dall’istituzione d’erede e dai legati – che normalmente potevano essere accolte in un testamento: manomissioni, nomina di un tutore etc. Inoltre, la comminata piena nullità dei testamenti già esistenti poneva nel nulla, oltre che l’istituzione d’erede, anche tutte le ulteriori disposizioni in essi eventualmente contenute. Alla morte del cristiano divenuto (o tornato ad essere) pagano, pertanto, avrebbe dovuto aver luogo unicamente – mancando una diversa previsione normativa – la successione ab intestato, cioè quella legittima, senza neanche la possibilità, per il de cuius, di ripartire le quote tra gli heredes sui aut legitimi in misura diversa da quella prevista dall’ordinamento. Il patrimonio sarebbe stato così conservato, nella sua integrità, all’interno della famiglia, e comunque non confiscato dalle casse imperiali, come era stato invece disposto per i manichei e per i cristiani convertiti al giudaismo. Quali i soggetti colpiti dalla costituzione in esame? A ben guardare, pregiudicati dalla sanzione sono non soltanto i cristiani convertiti al paganesimo (privati del diritto di porre in essere uno degli atti più tipici e qualificanti del civis Romanus), ma anche, e soprattutto, i ‹potenziali› heredes extranei, cioè tutti quei soggetti, diversi dagli eredi legittimi, che, in quanto definitivamente esclusi da ogni possibilità di succedere, non avrebbero potuto beneficiare del testamento. La preferenza accordata ai legitimi aveva, insomma, il fine di impedire che il patrimonio dell’apostata, o anche una sua parte, potesse andare ad arricchire soggetti ‹non graditi› al legislatore. Ma pregiudicati risultano anche tutti gli eventuali destinatari delle ulteriori disposizioni testamentarie: legatari, schiavi manomessi etc. Com’è facile immaginare, il provvedimento di Teodosio dovette aprire un imponente contenzioso e porre, in sede applicativa, più di un problema interpretativo: una situazione della quale sembra testimoniare la successiva costi-



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tuzione del 38355, che in parte riprende quella in esame, puntualizzandola. Forse anche a causa della brevità dell’escerto, il disposto risulta difatti (quantomeno a noi) molto vago. Anzitutto, cosa doveva intendersi per ‹cristiani›: i soli battezzati o anche i catecumeni, cioè coloro che, in procinto di aderire al cristianesimo, si stavano preparando a ricevere il battesimo? E in che modo doveva essere accertato se un cristiano si era fatto pagano: bastava il compimento di soli ‹atti concludenti› (frequentazione di templi, offerte a divinità pagane, sacrifici etc.), da provarsi per testimoni? Oppure era necessaria una dichiarazione corrispondente, forse rilasciata dal vescovo? In quale sede, poi, andava fatto l’accertamento relativo all’avvenuto abbandono del cristianesimo per il paganesimo: dinanzi al giudice ordinario? In sede penale o civile (ciò che a sua volta implica la domanda: l’apostasia è qui configurata come un nuovo crimen)? Oppure davanti al vescovo? Rivestivano comunque i vescovi un qualche ruolo? E quale? Come si coordinavano l’accertamento di questo tipo di apostasia e il processo promosso dinanzi al giudice ordinario con la quaerela inofficiosi testamenti: il primo andava ad innestarsi sul secondo, oppure doveva essere condotto in via autonoma e preliminare? A chi erano riservate le azioni (penale e civile)? Queste erano perpetue oppure sottostavano a limiti temporali56? E, quanto alla retroattività della sanzione, fino a che limite era consentito risalire indietro nel tempo? Infine, la norma andava estesa anche alla fattispecie rappresentata dalla redazione di codicilli e ai fedecommessi, negozi per altri versi già quasi del tutto equiparati al testamento? E quale regime andava applicato per il caso in cui il soggetto sanzionato non avesse avuto eredi legittimi? Insomma, molti dovettero essere i problemi posti dalla concreta applicazione ed esecuzione del provvedimento normativo, e molti gli aspetti pratici che ancora ci sfuggono, e sui quali le fonti sono parche d’informazioni. VII.  La costituzione contiene un’espressione il cui significato non è sempre stato individuato nella letteratura in modo univoco: si tratta dell’ablativo assoluto submota conditione. Il primo tentativo di spiegazione risale a Gotofredo che, nel suo commentario, attribuisce ad essa il senso di ‹condizione personale› dei soggetti coinvolti, cioè il testatore e il beneficiato, anche in relazione ai vincoli familiari: «submota conditione, id est, (ut equidem accipio) nulla distinctione facta testantis, nulla eius, in cuius favorem testamentum conditur»; «hac 55  CTh. 16.7.2, che precisa ulteriormente le disposizioni del 381 introducendo una distinzione tra i christiani ac fideles (cioè battezzati) e i christiani et catechumeni tantum (i catecumeni), nei cui confronti era disposta un’incapacità più lieve. Un analogo provvedimento venne adottato – quasi contemporaneamente – anche da Graziano per l’Occidente (CTh. 16.7.3). 56  Quello per la querela inofficiosi testamenti era – lo ricordiamo – di cinque anni.

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leg[e] submota conditione, id est, distinctione nulla facta eius, in cuius commodum Apostata testatus fuerit sive is propinquus, sive coniux, sive benemeritus, sive filius»57. Nella sua interpretazione, tuttavia, egli sembra essere stato condizionato dalla presenza, nello stesso titolo De apostatis, delle disposizioni di una successiva costituzione di Teodosio sulla medesima materia, emessa nel 38358, nonché di altre costituzioni occidentali e orientali, contenute nello stesso tit. 16.7 del Codice Teodosiano, che differenziano, in effetti, la disciplina dell’apostasia introducendo, quanto ai testatori apostati, una distinzione tra battezzati e catecumeni; quanto invece agli eredi istituiti, una distinzione tra i sui aut legitimi, da un lato, e gli eredi estranei, dall’altro lato. E’ probabile, quindi, che proprio alla luce di queste successive precisazioni Gotofredo abbia inteso il sostantivo conditio come riferentesi a queste diverse ‹condizioni›. Ma, a prescindere dal vizio logico dell’argomentazione, che vorrebbe attribuire al legislatore la volontà di eliminare una distinzione che, in realtà, non sarà introdotta che qualche anno più tardi, contro l’interpretazione di Gotofredo sta il fatto che la sanzione di Teodosio colpisce in effetti soltanto la capacità del cristiano divenuto pagano di fare testamento, non anche quella di essere istituito erede59. La spiegazione del giurista, quindi, non sembra cogliere pienamente nel segno. Aderente al senso individuato da Gotofredo, anche se da quest’ultimo diverge nelle conclusioni, è, in tempi più recenti, la Baccari: «Che qui il termine conditio abbia riferimento a ‹condizione› in senso di status, e che modernamente potremmo dire in generale la ‹capacità›, non sembra da dubitare»60. Tuttavia, l’equazione tra conditio, status e capacità (di testare) è da ritenersi meno scontata di quanto si voglia far apparire. Inoltre, nella costituzione in esame la ‹capacità› di testare è chiaramente indicata con l’espressione facultas iusque testandi, che difficilmente sembra possa trovare un sinonimo in conditio. Anche questa soluzione, pertanto, non soddisfa appieno. L’espressione in esame è stata anche intesa da altri studiosi ora come «incondizionatamente»61, ora invece come un riferimento alle «circostanze»62. 57  Gothofr.,

ad h. l. 16.7.2. 59  Come colto già da M. P. Baccari, Gli apostati nel Codice Teodosiano, in Apollinaris 54 (1981) p. 555. 60  Ibid. 61  P. R. Coleman-Norton, Roman State and Christian Church. A Collection of Legal Documents to A. D. 535 (London 1966), p. 367: «unconditionally». 62  N. Q. King, The Emperor Theodosius and the Establishment of Christianity (Philadelphia 1960), p. 52: «in such circumstances, every testament of a dead person was to be rescinded». 58  CTh.



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Le moderne traduzioni mostrano, invece, di intendere l’espressione submota conditione come un riferimento all’annullamento dello stesso negozio (in aggiunta, quindi, a testamentum … rescindatur): già Pharr proponeva «by the annulment of its foundation»63, seguito in questa direzione dalle più recenti traduzioni francesi («avec annullation des stipulations»: MagnouNortier64; «l’acte étant annulé»: Rougé65). Premesso che quest’ultima interpretazione sembra, a nostro avviso, quella che più coglie nel segno, nessuno dei traduttori, tuttavia, ha argomentato la sua maggiore validità rispetto alle altre. Questo è ciò che si tenterà di fare nelle seguenti righe. VIII.  Va anzitutto osservato che, nel conservare la grafia conditione – si tratterebbe apparentemente dell’unico caso all’interno della sua edizione del Teodosiano, in cui è stata altrimenti adottata la grafia condicio – Mommsen sembra aver operato una scelta consapevole66. Nella tradizione manoscritta di questa fonte, difatti, e in generale nel latino medievale, sono riscontrabili le concorrenti varianti ortografiche condicio / conditio, frequentemente scambiate tra loro. Nelle edizioni moderne del Codice di Teodosio si è solitamente provveduto ad una ‹normalizzazione› della grafia: Sichardus (seguito secoli dopo da Hänel) ha ovunque adottato la grafia conditio, mentre Cuiacio ha preferito la forma condicio. Al termine condicio / conditio sono sottesi normalmente, in diritto romano, diversi significati: i due senz’altro più frequenti sono quello di ‹condizione personale› di un soggetto e quello di ‹condizione›, nel senso di elemento accidentale del negozio giuridico, seguiti dal meno comune significato di ‹potestà›67. 63  C. Pharr et  al., The Theodosian Code and Novels and the Sirmondian Constitutions. A translation (Princeton 1952), p. 465. 64  É. Magnou-Nortier, Le Code Théodosien livre XVI et sa réception au Moyen Âge (Paris 2002) (Sources canoniques n. 2), p. 313. 65  J. Rougé / R. Delmaire / F. Richard, Les lois religieuses des empereurs romains de Constantin à Théodose II (312–438) vol. I: Code Théodosien livre XVI (Paris 2005) (Sources Chrétiennes n. 497), p. 355. 66  Egli avverte difatti il lettore (nell’apparato critico ad h. l.) che «conditione] scripsi, libri et hoc et condicione admittunt». Su quello che ci appare essere il senso di tale scelta si dirà tra poco. Non siamo comunque d’accordo con l’osservazione di Delmaire, secondo cui «Mommsen corrige inutilement condicione pour écrire conditione» (Rougé / Delmaire / Richard, Les lois religieuses cit., p. 355 nt. 4). 67  H. E. Dirksen, Manuale latinitatis fontium iuris civilis Romanorum (Berolini 1837), p. 183 s. alla voce ‹conditio›; O. Gradenwitz et  al., Vocabolarium Iurisprudentiae Romanae, vol. I (Berolini 1903), col. 874 ss. alla voce ‹condicio›.

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In età tarda, tuttavia, comincia ad apparire nella legislazione imperiale il sostantivo conditio (questa la grafia più appropriata)68, quale derivato di condere (associato in particolare a donazioni e testamenti)69, per indicare la redazione o confezione di un negozio giuridico. Un esempio dell’uso di condicio / conditio in questa ultima accezione è rinvenibile in una ben nota costituzione di Costantino in tema di donazioni, recepita (e geminata) nel Codice Teodosiano, e successivamente accolta dai compilatori di Alarico II nel Breviarium, attraverso il quale ci è pervenuta: CTh. 8.12.1 [= BREV. 8.5.1] (3 feb. 316 [323]) imp. constantinvs a. ad maximvm p(raefectvm) v(rbi).  Donatio, sive directa sit sive mortis causa instituta, sive c o n d i c i o n i b u s faciendi ac non faciendi suspensa, sive ex aliquo notato tempore promissa, sive animo dantium accipientiumve sententiis, quantum ius sinit, cognominata, sub hac fieri debet observatione, ut quas leges indulgent actiones c o n d i c i o n e s pactionesque contineat, hisque penitus cognitis vel recipiantur, si conplacitae sunt, vel reiciantur, si sunt molestae; ita ut minorum defensores, si per eos donationum c o n d i c i o neglecta est, rei amissae periculum praestent. (etc.)  dat. iii non feb. rom(a) sabino et rvfino conss.

All’interno del testo, la parola condicio appare tre volte, tuttavia non sempre con lo stesso significato, come si argomenterà meglio tra breve. Del nostro estratto i compilatori di Teodosio hanno anche duplicato la sola parte finale, riportandola ratione materiae sotto il titolo De administratione et periculo tutorum et curatorum (CTh. 3.30): CTh. 3.30.2 [= BREV. 3.19.2] post alia:  Minorum defensores, si per eos d ­ onationum c o n d i c i o neglecta est, rei amissae periculum praestent.  et ­cetera.

Nella costituzione vengono anzitutto presi in considerazione i vari tipi di donazione. Atteso il contesto, è palese che, nell’espressione ‹donatio… condicionibus faciendi ac non faciendi suspensa, il termine condicio stia ad indicare un elemento accidentale della donazione, consistente in un’attività (in positivo o in negativo) alla quale viene subordinata l’efficacia (o la perdita di efficacia) del negozio. Lo stesso significato deve attribuirsi alle condiciones menzionate assieme alle actiones … pactionesque, in quanto elementi tutti previsti nell’atto, come esplicitamente affermato. Non sembra 68  Il Thesaurus linguae latinae riporta difatti conditio, siccome riscontrabile, in prevalenza, in fonti di età tardoantica (sinonimi ne sono creatio, factura, actus condendi), quale sostantivo autonomo rispetto a condicio (Thes. L. l. vol. IV col. 145). 69  L’uso del verbo condere in relazione al testamentum è attestato con discreta frequenza (conditum testamentum: CTh. 5.3.1; 16.5.7 pr.; Itpr. a CTh. 4.4.1; 4.4.6; 11.36.26; C.I. 1.3.20; condere testamentum: Itpr. a 4.4.7; [potestas] testamenti condendi: CTh. 16.7.2 pr. e 2).

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invece conformarsi a questa interpretazione la donationum condicio70, che appare piuttosto consistere in un atto da porre in essere da parte dei defensores minorum (cioè i tutori e i curatori), la cui eventuale omissione (si … neglecta est) comporterebbe una loro responsabilità patrimoniale. Ma alla migliore comprensione del senso di questa espressione giovano anzitutto le interpretationes visigotiche ai due frammenti ‹teodosiani› della costituzione di Costantino: Interpr. a CTh. 8.12.1 […] Minoribus vero si quid fuerit per donationem a quocumque oblatum sive conlatum, tutores vel curatores eorum debent studere, ne quid firmitati donationis desit. Quod si eorum neglegentia d o n a t i o a d e f f e c t u m p e r d u c t a n o n f u e r i t , ad eorum dispendium pertinebit, ita ut quidquid minores de donatione perdiderint, tutores vel curatores illis de propria facultate restituant. […]. Interpr. a CTh. 3.30.2 Si in his, quae minoribus donari possunt, per tutoris neglegentiam sive conludium d o n a t i o n i s s o l l e m n i t a s i n p l e t a n o n f u e r i t , id, quod minori deperierit, de proprio cogitur exsolvere.

La donationum condicio di cui si fa parola nella costituzione costantiniana è parafrasata dall’interprete visigotico ricorrendo, nel primo caso, al concetto di perducere donationem ad effectum, che implica, in modo abbastanza chiaro, il porre in essere le formalità della donazione, ossia la partecipazione al compimento dell’atto; nel secondo caso, introducendo il concetto di inplere la sollemnitas, con cui si allude, anche in questo caso, all’adempimento delle formalità necessarie per la valida conclusione del negozio. Per di più, lo stesso Mommsen segnala nell’apparato critico che, per l’interpretatio di CTh. 3.30.2, diversi manoscritti conterrebbero la versione sollemnitas vel condicio, lezione che anzi, in quanto più frequentemente testimoniata, era stata scelta da Hänel per essere inserita nel testo71, e che rende ancor più palese l’equazione proposta. Entrambe le espressioni, insomma – donatio ad effectum perducta e donationis sollemnitas inpleta, siccome equivalenti a donationum condicio –, riconducono alla realizzazione dell’atto di donazione, al compimenti degli adempimenti formali per esso previsti. Della costituzione costantiniana possediamo tuttavia anche la versione integrale – o comunque più ampia, e presumibilmente più vicina a quella 70  L’unica per la quale Mommsen riporta espressamente, nell’apparato critico, anche l’esistenza della variante conditio. 71  Cfr. apparato critico ad h. l.: «quod paene omnes codices habent»: G. Hänel, Codex Theodosianus (Bonnae 1842).

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originaria – trasmessa nei Vaticana Fragmenta: una circostanza che ci consente di istituire un confronto fra le due tradizioni e che amplia la prospettiva d’indagine. Da questo lungo testo estraiamo solamente la parte che qui interessa: Vat. Frag. 249.3–4 Itaque sive illa donatio directa sit, sive mortis causa instituta, sive c o n d i c i o n i b u s faciendi non faciendive suspensa, sive ex aliquo notato tempore promissa, sive ex animo dantium accipientiumve sententiis quantum ius sinit cognominata, eius haec prima observatio est, ut quas leges indulgent c o n d i c i o n e s pactionesque promantur, hisque penitus cognitis vel recipiantur, si complacitae sunt, vel rieciantur, si sunt molestae. Sed iure requisitis parendum erit nec denegabitur officium, quin simul spes abiciatur adipiscendi. 4. Inretiri sane c o n d i c i o n i b u s indefensos minores, quoniam praestare promissa difficile est, non placuit. Quorum tamen defensores, si forte per eos i n o b e u n d i s d o n a t i o n u m o f f i c i i s , quarum cura erit recepta, neglecta utilitas minoris probabitur et ita minor commodis spoliabitur, rei amissae periculum praestabunt (…).

Già ad un primo sguardo, fra le due tradizioni vi sono divergenze tali che rendono evidente l’intervenuta attività di parafrasi, ad opera quasi certamente degli stessi compilatori di Teodosio II. Come è noto, ad essi l’imperatore aveva attribuito facoltà, oltre che di tagliare, smembrare e ridurre il testo delle costituzioni selezionate, anche di modificarlo, al fine di renderne più chiaro il senso ed eliminare ogni ambiguità: ciò che dovette tradursi, probabilmente e occasionalmente, anche in un intervento di ‹ammodernamento› del linguaggio72. Ma procediamo per ordine. Nel testo restituito dai Vaticana Fragmenta, il termine condicio compare quattro volte: si tratta ora di determinare il significato di ciascuno di essi. Delle donazioni vengono anzitutto prese in considerazione le diverse fattispecie: dopo la menzione delle due forme di donazione (directa e mortis causa) ammesse dall’ordinamento, è presa in considerazione l’eventualità che ad essa sia stata apposta una condizione (condicio) sospensiva, positiva o negativa (sive condicionibus faciendi ac non faciendi suspensa), oppure un termine. E’ chiaro che qui condicio non può significare altro che la ‹condizione› nel senso di elemento accidentale del negozio giuridico. Poco più avanti, il legislatore impone all’interprete di valutare le actiones condiciones pactionesque eventualmente contenute nel negozio di donazio72  CTh. 1.1.6 (a. 435): Quod ut brevitatem constrictum claritate luc[e]at, adgressuris hoc opus et demendi supervacanea verba et a[di]ciendi necessaria et demutandi ambigua et emendandi incongrua tribuimus potestatem, scilicet ut his modis unaquaeque inlustrata constitutio e[mineat]. E dal senato romano la coppia imperiale è salutata, tra le altre, con l’acclamazione: Constitutionum ambiguum removistis (Gesta senatus 5).



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ne, confermandole o rigettandole a seconda che siano conplacitae o molestae. Anche in questo caso, condicio va senz’altro interpretato nel senso di ‹elemento accidentale›. E altrettanto può dirsi per quelle condiciones (quali elementi contenuti nel negozio) che hanno come scopo quello di inretire i minori privi di difesa (§ 4, tralasciato dai compilatori teodosiani). Per ultimo viene considerato il caso del defensor (minoris) che avesse trascurato di compiere le formalità richieste affinché potesse essere validamente posta in essere una donazione nell’interesse del pupillo: un’attività, quella della realizzazione dell’atto, che però troviamo espressa, a differenza della versione ‹teodosiana›, come in obeundis donationum officiis, e che è stata poi parafrasata in CTh. 8.12.1 = 3.30.2, verosimilmente dai compilatori di Teodosio II, in donationum condicio, evidentemente ritenuta meno ambigua, più ‹moderna›. Ciò costituirebbe una prova del maggior uso del termine conditio nella fase più matura del tardoantico. Come già le interpretationes visigotiche, anche il testo originario della costituzione di Costantino conferma, pertanto, che a questa ultima condicio (o, più propriamente: conditio) non vada attribuito il senso di ‹condizione› apposta alla donazione, bensì quello di (partecipazione alla) realizzazione del negozio, all’atto stesso del condere donationem. La scelta di Mommsen di adottare, in questo caso, la grafia condicio per entrambe le accezioni rende tuttavia meno immediatamente riconoscibile la distinzione. L’esame della costituzione costantiniana ha quindi suggerito la presenza, nel lessico giuridico tardoantico, del termine conditio come esprimente il compimento delle formalità dell’atto di donazione. E, attese le numerose analogie – anche formali, acquistate proprio a seguito della riforma di Costantino – tra l’atto di donazione e il testamento, quanto al loro regime giuridico (che venne anzi sempre più ‹unificandosi›), sembra legittima un’estensione di tale risultato dal campo delle donazioni a quello dei testamenti, dove, come si è visto più sopra, il verbo condere è frequentemente attestato come terminus technicus73. IX.  Torniamo così alla nostra costituzione sugli apostati. Alla luce delle considerazioni appena svolte, riteniamo ormai chiaro che, nell’espressione submota conditione, il termine conditio stia a significare la realizzazione del testamento, la sua confezione, l’adempimento delle formalità per esso prescritte. A nostro modo di vedere, quindi, (submota) conditione non conterrebbe alcun riferimento alla condizione, personale e / o religiosa, dei soggetti interessati: né del testatore né, tantomeno, dell’erede, o comunque del 73  Testamenti e donazioni appaiono, ad esempio, strettamente accomunati in CTh.  16.7.5: Si quis Manichaeus Manichaeave … condito testamento vel cuiuslibet titulo liberalitatis atque specie donationis  …

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beneficiario; non si riferirebbe alla ‹capacità› e neanche richiamerebbe generiche (o più specifiche) ‹condizioni›. E’ quindi da escludersi che la condizione personale (e religiosa), tanto dal lato attivo quanto dal lato passivo, dei soggetti colpiti dalla sanzione possa aver comportato, nel quadro della disciplina prevista in questo primo provvedimento di Teodosio  I, alcuna differenza. Resta ora da comprendere cosa intendesse l’imperatore nell’ordinare che la conditio dovesse essere submota. Su questo punto non sembrano esservi problemi: nelle fonti, e in particolare nella legislazione tardoantica, il verbo submoveo / summoveo74 richiama costantemente, se riferito a persone, l’idea di rimozione; se riferito ad atti di natura giuridica (anche normativa), a diritti e a posizioni giuridiche, l’idea di abrogazione, annullamento, invalidazione, eliminazione, soppressione75. L’ablativo assoluto submota conditione, pertanto, starebbe a rafforzare la previsione «testamentum rescindatur», ed esprimerebbe così in modo quasi plastico la volontà del legislatore, non solo di invalidare, rendendolo nullo e inefficace, il testamento del cristiano tornato al paganesimo, ma quasi di eliminare, sopprimere, porre nel nulla lo stesso atto della sua confezione (appunto la conditio [testamenti]); di sancirne così, in un certo senso, l’inesistenza anche sul piano materiale, oltre che su quello giuridico.

74  Lo

stesso Mommsen, nell’edizione del Teodosiano, oscilla fra le due grafie. esempi: CTh. 1.5.8; 1.5.12; 2.26.4; 11.30.23 e, in particolare, l’interpretatio a 3.12.3: donandi atque testandi facultate summota. 75  Alcuni

Sabinus und Cassius Die Konstituierung der sabinianischen Schultradition in der Retrospektive und ihre vermuteten „Gründer“ im Wandel der Wahrnehmung1 Von Martin Avenarius I. Ursprünge der sabinianischen Rechtsschule Der Rechtsunterricht des Prinzipats konzentrierte sich in Rom bekanntlich auf die beiden Rechtsschulen der Sabinianer und der Prokulianer. Dabei erwies sich das Weiterleben der durch den Hellenismus hervorgebrachten großen Traditionen der republikanischen Jurisprudenz nicht allein an spezifischen Methoden,2 sondern auch an der Konzentration auf individuelle Juristenpersönlichkeiten, deren Rechtsdenken das wissenschaftliche Profil beider Seiten schuf und fortbildete, sowie schließlich an der Neigung, die Schulen auf bestimmte Initiatoren zurückzuführen. In dieser Hinsicht hat Pernice vermutet, „dass die Schulweisheit der Proculianer sich den Labeo zum Stifter auserkor, in dessen Fussstapfen man zu wandeln meinte. Dadurch werden auch die Sabinianer veranlasst, sich nach einem älteren ebenbürtigen Schulhaupte umzusehen. Sie entdeckten ein solches glücklich in Capito, dessen politische Gegnerschaft zu Labeo die vortrefflichste Handhabe bot.“3

In dieser Darstellung ist die Selbstvergewisserung der Schulen über ihre jeweilige Tradition durch eine gewisse Beliebigkeit charakterisiert. Pernice 1  Ich freue mich, diesen Beitrag dem verehrten Freiburger Romanisten Detlef Liebs widmen zu dürfen, der sich in zahlreichen Arbeiten mit der Herausbildung der Rechtsschulen sowie deren präsumtiven Initiatoren befaßt und dabei auch die jeweiligen Bezeichnungen behandelt hat. Die hier entwickelten Überlegungen verdanken Liebs’ ausführlichen Analysen viel und beweisen deren Fruchtbarkeit auch insoweit, als ich die bekannten Quellentexte teilweise abweichend interpretieren möchte. Aus dem umfangreichen Schrifttum zu den Rechtsschulen kann ich wegen des begrenzten Raumes nur eine Auswahl zitieren. 2  Vgl. insbesondere die grundlegenden Arbeiten von Okko Behrends, zusammengestellt in dessen Aufsatzsammlung Institut und Prinzip, hrsg. von Martin Avenarius, Rudolf Meyer-Pritzl und Cosima Möller (2004), sowie im Überblick nun meinen Artikel Law Schools in der Encyclopedia of Ancient History (im Erscheinen). 3  Pernice, Alfred: Marcus Antistius Labeo, Bd.  1 (1873), S. 91 f.

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führte seinen Standpunkt nicht weiter aus, doch entwickelte er ihn ersichtlich vor dem Hintergrund der älteren, in der Tradition der historischen Rechtsschule etablierten Vorstellung, die beiden Rechtsschulen seien jeweils durch keinerlei methodische Traditionsmerkmale gekennzeichnet und voneinander unterschieden.4 Wenn diese Vorstellung auch inzwischen widerlegt ist, kann Pernice doch jedenfalls insoweit zugestimmt werden, als eine Lehrtradition wichtige Schritte ihrer Konstituierung oder Selbstvergewisserung als „Schule“ häufig erst im Rückblick vornimmt. Führt man die Überlieferung zu den Anfängen der Rechtsschulen in diesem Sinne auf die Retrospektive zurück, dann zeigt sich, daß offenbar zunächst Cassius als derjenige Jurist angesehen wurde, der den wichtigsten Beitrag zur Profilierung der Tradition und Festigung derselben zu einer Schule erbracht hatte, und erst später Sabinus. Pomponius’ Bericht, der Pernices Darstellung zugrundeliegt, enthält verschiedene Hinweise darauf, daß das überlieferte Bild von der Entstehung der Rechtsschulen jedenfalls teilweise aus zeitlichem Abstand entworfen wurde. Er bringt den Schulengegensatz der klassischen Zeit bekanntlich mit den beiden sectae um C. Ateius Capito und M. Antistius Labeo in Verbindung. Dabei führt er die origo der Cassiani auf Capito und die der Proculiani auf Labeo zurück.5 Aus der Distanz von einem Jahrhundert sah Pomponius die vermeintlichen Initiatoren also zwei Generationen vor den Namensgebern Cassius und Proculus.6 Angesichts dessen dürfte ein Hinweis auf die Bedeutung der retrospektiven Wahrnehmung für die Darstellung der Schultraditionen in Pomponius’ auffallend redundanter Ausdrucksweise liegen: Er beschreibt die Aufeinanderfolge zahlreicher Juristen der beiden Richtungen jeweils unterschiedslos als „successio“ und läßt die damit suggerierte, feststehende und übersichtliche Aufeinanderfolge der Schulhäupter für die sabinianische Tradition bereits mit Capito anfangen, also am Beginn 4  Vgl. statt aller Kaser, Max: Römische Rechtsgeschichte, 2.  Aufl. (1967, Ndr. 1986), S. 187. Zu den Ursprüngen dieser Vorstellung und ihrer Überwindung vgl. nur Behrends, Okko: Zum Beispiel der gute Glaube! Wie wirkt der „gute Glaube“ oder das „Vertrauensprinzip“ auf das Vertragsverhältnis und das Besitzrecht des Käufers? Ein Kontroversenbericht als Spiegel der Geschichte der römischen Rechtswissenschaft, in: Pascal Pichonnaz / Nedim Peter Vogt / Stephan Wolf (Hrsg.), Spuren des römischen Rechts. Festschrift für Bruno Huwiler (2007), S. 13–38 (13–16). 5  Pomponius lb. sg. ench. D. 1,2,2,47 f. u. 52; Wieacker, Franz: Römische Rechtsgeschichte, Bd.  2 (2006), S. 36; Baviera, Giovanni: Le due scuole dei giureconsulti romani (1898, Ndr. 1970), S. 15. Auf dieser Grundlage wird sogar die Vorstellung vertreten, Sabinus habe Capito bei dessen Tod im Jahre 22 n. Chr. in der Führung der Rechtsschule der Sabinianer (!) abgelöst; vgl. Giaro, Tomasz: Art. Sabinus II 5, in: DNP Bd.  10 (2001), Sp.  1191–1192 (1191). 6  Vgl. Jörs, Paul: Art. Cassiani, in: RE, 5. Halbbd. (1897), Sp. 1655–1656 (1655).



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des Prinzipats.7 Nun mag die Retrospektive dazu verleiten, die Dinge etwas zu vereinfachen, und so könnte sich in Pomponius’ Rückführung der beiden Rechtsschulen der klassischen Zeit auf augusteische Juristen vielleicht die „retrospektive Ungeduld“ des historischen Betrachters ausgewirkt haben, wie sie Jacob Burckhardt beschrieben hat:8 Pomponius nimmt Capito und Labeo und deren „sectae“ womöglich vereinfachend als Anfang einer Entwicklung in Anspruch, deren weiterer Verlauf ihm ja schon bekannt ist und ihn, dessen Text in eine Darstellung des hochklassischen Schulengegensatzes mündet, womöglich sogar mehr interessiert.9 Dieser Verdacht könnte dadurch genährt werden, daß sich Pomponius mit der Betonung der successiones bestimmter Juristen möglicherweise am Vorbild der griechischen διαδοχαί-Literatur orientiert hat.10 Diese beschrieb für die Philosophie und andere Gebiete die Geschichte bestimmter Schulen als Abfolge der Scholarchen und neigte gelegentlich dazu, die Anfänge in der Rückschau zu konstruieren.11 Pomponius’ Perspektive ist aber immerhin alternativlos: Eine Tradition ist nun einmal nicht an ihrem Beginn zu beobachten, sondern erst nach einiger Zeit, in der eine Kontinuität der methodischen oder anderweitig charakteristischen Nachfolge stattgefunden hat. Wenn wir angesichts dessen der Wahrnehmung bestimmter Schultraditionen aus der Sicht des 2.  Jahrhunderts mit der „kalten Dusche einer Historisierung“12 begegnen und fragen wollen, ob die Entwicklung im 1.  Jahrhundert nicht womöglich doch etwas differenzierter stattgefunden haben mag, finden wir einen ersten Hinweis in Pomponius’ Bezeichnung der frühesten unterschiedenen Gruppen als sectae: Eine secta definiert sich durch einen Schnitt, den formalen Gesichtspunkt der Abspaltung, hier also durch die Unterscheidung der einen von den anderen Juristen. Auf jeweils lb. sg. ench. D. 1,2,2,48–53. Jacob: Weltgeschichtliche Betrachtungen (1905), in: ders., Aesthetik der bildenden Kunst. Über das Studium der Geschichte, hrsg. v. Peter Ganz (2000), S. 528. 9  Dieter Nörr hat überzeugend darauf hingewiesen, daß Pomponius’ Darstellung keinem rein historischen Erkenntnisinteresse dient, sondern erkennbar im Dienst einer Auseinandersetzung mit dem Recht seiner Zeit steht; Pomponius oder „Zum Geschichtsverständnis der römischen Juristen“, in: ANRW II,15 (1976), S. 497–604. 10  Bretone, Mario: Storia del diritto romano (1989), S. 258; für die diadochaiWerke vgl. Engels, Johannes: Philosophen in Reihen – Die Philosophon anagraphe des Hippobotos, in: Michael Erler / Stefan Schorn (Hrsg.): Die griechische Biographie in hellenistischer Zeit (2007), S. 173–194. 11  Vgl. nur Praechter, Karl (Hrsg.): Friedrich Ueberwegs Grundriss der Geschichte der Philosophie, Bd.  1: Die Philosophie des Altertums (1967), S. 18 f. 12  Vgl. Liebs, Detlef: Franz Wieacker (1908 bis 1994) – Leben und Werk, in: Okko Behrends / Eva Schumann (Hrsg.), Franz Wieacker. Historiker des modernen Privatrechts (2010), S. 23–48 (42). 7  Pomponius

8  Burckhardt,

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spezifische, integrierende Merkmale der einzelnen Gruppen läßt der Ausdruck zunächst nicht schließen.13 Die Festigung der jeweiligen Zusammengehörigkeit durch die Herausbildung positiver Merkmale, also Eigenarten des Rechtsdenkens, die in Lehrer-Schüler-Verhältnissen weitergegeben wurden und die dadurch, wo Schulen nicht durch förmliche Gründungsakte errichtet worden waren, dieselben erst wahrzunehmen erlaubten,14 bildet also erst einen weiteren Entwicklungsschritt. In der Frage nach den Anfängen der Schulen hat man versucht, eine bestimmte historische Gründung zu ermitteln.15 Auch Liebs hat sich zu der Vorstellung von einer förmlichen Einrichtung bekannt und meint, dies sei erst in der Generation von Cassius und Proculus geschehen.16 Nun könnte immerhin ein bescheidener Hinweis auf eine förmliche Gründung gesehen werden, wenn man – mit Liebs17 – Plinius d. J. dahingehend verstehen will, daß dieser, indem er Cassius den princeps et parens der nach ihm benannten Rechtsschule nennt,18 denselben als „Stifter“, also als förmlichen Initiator bezeichnet.19 Im übrigen erfahren wir aus den Quellen aber nichts über einen historischen Gründungsakt, der die Schulen jeweils zu einem bestimmten Zeitpunkt „offiziell“ hätte auf den Plan treten lassen. Plausibler scheint daher die Annahme, daß sich die klassischen Rechtsschulen eher allmählich in dem Sinne etablierten, daß man nach einiger Zeit generationenübergreifende Lehrtraditionen beobachtete und deren – durch die principes geförderte und durch die Verleihung des ius respondendi gesteuerte – Verfestigung zu den späteren „scholae“ wahrnahm. 13  Während Fritz Schulz, Geschichte der römischen Rechtswissenschaft (1961), S. 142 auch mit secta immerhin eine Unterrichtsanstalt bezeichnet wissen will, wird dies (m. E. richtigerweise) bestritten von Cannata, Carlo Augusto: Qualche conside­ razione sull’ambiente della giurisprudenza romana al tempo delle due scuole, in: Cunabula iuris. Studi storici giuridici per Gerardo Broggini (2002), S. 53–99 (79). 14  Mit dieser Vorstellung dürfen wir die berühmte und sachlich überzeugende Feststellung Puchtas verbinden: „Nicht die Schulen machten die Controversen, sondern die Controversen machten die Schulen.“ Vgl. Puchta, Georg Friedrich, Cursus der Institutionen, 8. Aufl., hrsg. v. Paul Krüger, Bd.  1 (1875), S. 255. 15  Vgl. nur Schulz, Geschichte, S. 141; Honoré, Tony: Gaius (1962), S. 19; Stein, Peter: The Two Schools of Jurists in the Early Roman Principate, in: Cambridge Law Journal 31 (1972), S. 8–31 (10). 16  Liebs, Detlef: Rechtsschulen und Rechtsunterricht im Prinzipat, in: ANRW II,15 (1976), S. 197–286 (206). 17  Liebs, Rechtsschulen, S. 212. 18  Plinius, ep. 7,24,8 f. 19  Liebs gibt das mit parere beschriebene Bild sogar mit „Vaterschaft“ wieder; Rechtsschulen, S. 206. Einen Hinweis auf eine förmliche Gründung sehen hier ferner Jörs, Cassiani, Sp.  1655 sowie Karlowa, Otto: Römische Rechtsgeschichte, Bd.  1 (1885), S. 686, der als „Stifter“ allerdings Proculus und Sabinus bezeichnet.



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Nun berichtet nicht nur Pomponius, sondern begründen auch die weitergetragenen methodischen Merkmale der frühen spezifisch klassischen Rechtswissenschaft, daß von Servius ausgehend über Labeo und die beiden Nervae pater und filius eine Lehrtradition zu Proculus führte, während über eine konkurrierende Tradition zunächst nichts bekannt ist. Diese mußte erst hinzutreten, nämlich aufgrund eines Rückgriffs einzelner Juristen auf das vorklassische Denken.20 Man konnte insoweit eine sich von einem „Mainstream“ absetzende Sondertendenz wahrnehmen. Die Auffassung, die sabinianische Schule sei älter als die der Prokulianer,21 zieht diese Anfangsgründe der Traditionen offenbar noch nicht in Betracht, sondern stellt erst auf das zeitliche Verhältnis zwischen den vermuteten Schulgründern ab: Sabinus lebte etwas früher als Proculus. Die Vermutung, daß die bei Pomponius belegte Vorstellung von den auf die beiden augusteischen Juristen zurückgehenden Traditionen nicht vollständig der Wahrnehmung des 1.  Jahrhunderts entsprochen haben dürfte, wird unterstützt, wenn man auf Capitos und Labeos methodische Standpunkte sieht. Was von diesen bekannt ist, zeigt, daß die beiden Juristen den spezifischen Gegensatz, der sich auf die Dauer zwischen Sabinianern und Prokulianern herausbildete, keineswegs vorwegnahmen.22 Sabinus war nicht etwa auf einen traditionsbildenden Anschluß an einen bestimmten anderen Juristen festgelegt. In einzelnen Fragen folgte er vielmehr bald Servius, bald Labeo.23 Von Capito unterschied er sich dagegen, wie wir noch sehen werden, in der Ausrichtung des Rechtsdenkens grundsätzlich.24 Von den augusteischen Juristen aus betrachtet, liefen die für ihre Zeit belegten Anfänge des organisierten Rechtsunterrichts also nicht sogleich konsequent auf die Rechtsschulen der klassischen Zeit hinaus. Belegt ist immerhin die Wahrnehmung von Rechtsunterricht an bestimmten Plätzen, besonders bei dem palatinischen Apollotempel. Die Anspielung Juvenals,

20  Vgl. nur Behrends, Okko: Institutionelles und prinzipielles Denken im römischen Privatrecht (1978), in: ders., Institut und Prinzip, Bd.  1 (2004), S. 15–50 (22) und nun Ducos, Michèle: L’enseignement du droit dans le monde romain, in: L’enseignement supérieur dans les mondes antiques et médiévaux, hrsg. von Henri Hugonnard-Roche (2008), S. 13–28 (16). 21  Kunkel, Wolfgang: Die Römischen Juristen. Herkunft und soziale Stellung, 2. Aufl. (1967), Nachdruck mit einem Vorwort von Detlef Liebs (2001), S. 341. 22  Vgl. nur Behrends, Okko: Der Kommentar in der römischen Rechtsliteratur (1995), in: ders., Institut und Prinzip, Bd.  1 (2004), S. 225–266 (231); Karlowa, Römische Rechtsgeschichte, Bd.  1, S. 664. 23  Bremer, Franz Peter: Iurisprudentiae antehadrianae quae supersunt, Bd.  2 / 1 (1898), S. 322 f. 24  s. unten S. 52.

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daß sich jemand zum „iuris peritus“ Apollo begebe,25 bezieht sich, wie jedenfalls insoweit für den Adressaten unmißverständlich gewesen sein dürfte, auf die Konzentration juristischen Sachverstands bei diesem Heiligtum. Hier hatte Augustus, wie das am Ende des 4.  Jahrhunderts entstandene Juvenalscholion 1,128 berichtet, zur Förderung des Rechtsunterrichts eine juristische Bibliothek eingerichtet (ed. P. Wessner): aut quia iuxta Apollinis templum iuris periti sedebant et tractabant, quia ibi bibliothecam iuris civilis et liberalium studiorum in templo Apollinis Palatini dedicavit Augustus. Liebs hat sich dagegen ausgesprochen, daß der Apollotempel etwas mit den Rechtsschulen zu tun gehabt habe.26 Er meint, der spätklassische Scholiast habe die Dinge durcheinandergeworfen, denn in augusteischer Zeit habe das Respondieren keine Bücher erfordert. Selbst wenn dies zutreffen sollte, dürften allerdings für den Unterricht, die erstrangige Aufgabe einer Rechtsschule, Bücher gebraucht worden sein, wenn man nur an die erläuterten Normtexte, insbesondere die Zwölftafelliteratur denkt oder an das wachsende Angebot an Schulschriften, deren Erfolg auf einen entsprechenden Bedarf schließen läßt. Insofern bedeutete Augustus’ Maßnahme eine Förderung der Juristenausbildung. Wenn wir also durchaus mit Liebs vermuten wollen, daß die Darstellung noch nicht für die Sabinianer und Prokulianer zutrifft, dürfen wir doch davon ausgehen, daß sich das Juvenalscholion jedenfalls auf organisierten und örtlich bestimmbaren Rechtsunterricht bezieht.27 Womöglich haben wir es mit solchen stationes ius publice docentium aut respondentium zu tun, wie sie Gellius schildert.28 Sie sind zunächst nicht durch inhaltliche Tradition, sondern durch das äußere Merkmal des Ortes definiert. Hier dürften sich die für die augusteische Zeit belegten sectae konzentriert haben.29 Wenn Schultraditionen erst wahrgenommen werden, sobald ein historischer Abstand erlaubt, methodische oder sonst charakteristische Nachfolge zu beobachten, kann auch die Frage nach einer bestimmten Persönlichkeit Sat. 1,128. Rechtsschulen, S. 236 ff.; er räumt allerdings ein, daß der princeps die Juristenausbildung durch Einrichtung öffentlicher Gebäude mit Bibliotheken förderte; Römisches Recht, 6.  Aufl. (2004), S. 55. Daß weder das Juvenalscholion noch die bei Gellius genannten stationes ius publice docentium aut respondentium (s.  unten bei Fn.  28) etwas mit den Rechtsschulen zu tun gehabt hätten, meint Schulz, Geschichte, S. 143; vgl. Hirschfeld, Otto: Die kaiserlichen Verwaltungsbeamten bis auf Diocletian, 2. Aufl. (1905), S. 298 f. 27  Vgl. Tellegen, Jan Willem: Caius Cassius and the Schola Cassiana in Pliny’s Letter VII 24,8, in: SavZRG (Rom. Abt.) 105 (1988), S. 263–311 (283 f.). 28  Gellius, Noct. Att. 13,13. 29  Vgl. bereits Bruns, Carl Georg / Lenel, Otto: Geschichte und Quellen des römischen Rechts, in: Franz v. Holtzendorff / Josef Kohler (Hrsg.): Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., Bd.  1 (1904), S. 73–170 (134). 25  Juvenal, 26  Liebs,



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aufgeworfen und beantwortet werden, die am Beginn der Tradition so prägend war, daß sie dieselbe durch bestimmte Merkmale profilierte. Das Bestreben, Gründerpersönlichkeiten identifizieren zu wollen, ist Bestandteil der Selbstvergewisserung als Schule. Dies ist offenbar dem hellenistischen Einfluß geschuldet. Griechische Kultur neigt dazu, Stadtgründungen mythisch mit einem „ἥρως κτιστὴς“, einem Gründerheros zu verbinden, und ebenso wird manche τέχνη oder Lehre im Nachhinein auf einen κτιστὴς zurückgeführt,30 der zwar keine Heldenverehrung genießt, von Späteren aber gerühmt und zur Besinnung auf die Grundlagen der Tradition in Anspruch genommen wird. Da die maßgebliche Prägung einer Wissenschaftsrichtung stets eine schöpferische geistige Leistung ist, liegt es nahe, diese auf eine bestimmte Persönlichkeit zurückführen zu wollen. Diese Neigung findet unter den römischen Juristen besonders Ausdruck in den für die Rechtsschulen verwendeten Namen. Mit Recht hat Wieacker darauf hingewiesen, daß es sich bei den Bezeichnungen „Sabiniani“ und „Cassiani“ – ebenso wie im Falle der „Proculiani“ – um „nachmals akzeptierte Namen“ handelte.31 Dabei belegen die Bezeichnungen „Sabiniani“ und „Cassiani“, daß das Bemühen um die Identifikation eines Gründers im Falle der Sabinianer sogar zu verschiedenen Ergebnissen geführt hat, begegnen wir in den Quellen doch nicht nur zwei Namen für die Schule,32 sondern sogar drei präsumtiven Gründern: Neben Massurius Sabinus und C. Cassius Longinus wird ja auch noch Capito genannt. Mit Rücksicht auf den der Schule jeweils beigelegten Namen hat Liebs darauf hingewiesen, daß man eine ältere von einer jüngeren Benennungspraxis unterscheiden kann.33 Im Unterschied zu einer tradierten Vorstellung, nach der die Sabinianer, nachdem Cassius an ihre Spitze getreten war, „auch“ Cassianer genannt worden seien,34 hat Liebs auf Grundlage der Quellen genauer beschrieben, daß die „ältere Literatur“ den Ausdruck „Cassiani“ verwendet, nämlich Plinius d. J., Pomponius, der pseudo-ulpianische liber singularis regularum sowie Paulus, während die „jüngere“ von „Sabiniani“ spricht: Marcellus, Ulpian, Marcian, Justinian 30  Für das bekannte Beispiel Zenons von Kition als κτιστὴς der Stoa vgl. Diogenes Laertius, Synag. 2,120 und Athenaios, Deipnos. 8,345c. 31  Wieacker, Römische Rechtsgeschichte, Bd.  2, S. 36. 32  Die Verwendung der Bezeichnungen ist gelegentlich auf Interpolationen zurückgeführt worden. Vgl. insbesondere Schulz, Geschichte, S. 145. Da diese Vermutung allerdings auf überholten methodischen Grundannahmen beruht, soll sie hier nicht weiter verfolgt werden. 33  Liebs, Rechtsschulen, S. 197–286 (206) und ders., Ulpiani Regulae – Zwei Pseudoepigrafa, in: Romanitas – Christianitas. Untersuchungen zur Geschichte und Literatur der römischen Kaiserzeit. Johannes Straub zum 70. Geburtstag am 18. Oktober 1982 gewidmet, hrsg. v. Gerhard Wirth (1982), S. 282–292 (284 f.). 34  Krüger, Paul: Geschichte der Quellen und Litteratur des Römischen Rechts, 2. Aufl. (1912), S. 169.

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sowie der Talmud.35 Wir können dieser Beobachtung unter der – nicht nachprüfbaren – Voraussetzung zustimmen, daß die erhaltenen Quellen einigermaßen repräsentativ für den antiken Bestand an Äußerungen sind. Nun liefern die Belege keine trennscharfe chronologische Schichtung, vielmehr überschneidet sich der Sprachgebrauch teilweise zeitlich. Wenn Plinius Cassius den princeps et parens der schola Cassiana nennt, ist dies die früheste erhaltene Quelle, die überhaupt einen Schulnamen wiedergibt.36 Bei princeps et parens handelt es sich, worauf Liebs überzeugend hingewiesen hat, nicht um ein bloßes Hendiadyoin.37 Princeps dürfte vielmehr in klangvoller Weise das informelle Schuloberhaupt bezeichnen, während Plinius mit parens offenbar ausdrückt, daß Cassius aus seiner Sicht derjenige gewesen sei, der die Schule hervorgebracht (parere) und ihr anschließend vorgestanden habe. Plinius wurde etwa 61 n. Chr. geboren und steht Cassius damit zeitlich noch sehr nah, denn dieser starb 69 oder wenig später. Hier liegt ein wichtiger Hinweis darauf, daß „Cassiani“ ein in der Frühzeit der Schule verwendeter Name gewesen ist, wahrscheinlich also die zuerst geläufige Bezeichnung.38 Am Ende der Entwicklung, also in der spät- und nachklassischen Zeit, ist demgegenüber offenbar der Ausdruck „Sabiniani“ etabliert gewesen. Obgleich die Quellen, wie gesagt, für eine Zwischenzeit belegen, daß eine Zeitlang beide Bezeichnungen parallel verwendet wurden, scheint eine Entwicklungstendenz vom früheren Vorrang der Benennung „Cassiani“ zum späteren Überwiegen von „Sabiniani“ bestanden zu haben.39 Unter der Voraussetzung, daß sich die Rechtsschulen der klassischen Zeit erst langsam verfestigten, ist es nun möglich, aus den überlieferten Benennungen auf denjenigen Juristen zu schließen, der in der sabinianischen Tradition im Nachhinein jeweils als prägende Gestalt angesehen worden ist: Man kann offenbar beobachten, daß zunächst Cassius im Mittelpunkt der Wahrnehmung als erstes Schuloberhaupt stand, bevor er in dieser Hinsicht 35  „Cassiani“: Plinius, ep. 7,24,8, Pomponius lb. sg. ench. D. 1,2,2,52, Ps.-Ulpian lb. sg. reg. 11,28 sowie Paulus 6 ad leg. Iul. et Pap. D. 39,6,35,3 und 9 ad Sab. D. 47,2,18; „Sabiniani“: Marcellus bei Ulpian 32 ad Sab. D. 24,1,11,3, Ulpian Frag. Vat. 266, Marcian 3 inst. D. 41,1,11, Justinian Inst. 2,1,25 und C. 6,29,3 sowie der Talmud (5. / 6. Jhdt.; vgl. Liebs, Ulpiani Regulae, S. 285). 36  Plinius, ep. 7,24,8 f. 37  Liebs, Rechtsschulen, S. 212. 38  So auch Wenger, Leopold: Die Quellen des römischen Rechts (1953), S. 502; Schulz, Geschichte, S. 141. 39  Vgl. Cannata, Carlo Augusto: Lo splendido autunno delle due scuole, in: Pacte, convention, contrat. Mélanges en l’honneur di Professeur Bruno Schmidlin, hrsg. von Alfred Dufour / Ivo Rens / Rudolf Meyer-Pritzl / Bénédict Winiger (1998), S. 433– 462 (434); Paricio Serrano, Javier: La historia inacabada de Franz Wieacker, in: Foro. Revista de Ciencas Jurídicas y Sociales (Nueva época) 4 (2006), S. 201–210 (207).



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später durch Sabinus abgelöst wurde.40 Wir wollen den Gebrauch der beiden Namen also nach allem nicht auf unterschiedliche Vorstellungen von einem bestimmten, nur eben nicht sicher identifizierten Schulgründer zurückführen. Vielmehr werden wir versuchen, eine Erklärung der genannten Tendenz mit einem Wechsel der für die Wahrnehmung der zentralen Persönlichkeit maßgeblichen Kriterien sowie insbesondere mit der spezifischen Modernität von Sabinus’ Werk zu begründen. II. Gründe für die anfänglich vorrangige Wahrnehmung des Cassius Obgleich Plinius uns als früheste Quelle für die Verwendung eines bestimmten Namens für die sabinianische Schule entgegentritt, ist kaum anzunehmen, daß die Namensform „Cassiani“ erst in seiner Generation gebildet worden wäre. Plinius wird vielmehr, wie die Selbstverständlichkeit seiner Wortwahl vermuten läßt, eine bereits gebräuchliche Bezeichnung aufgegriffen haben. Sie geht auf den Wahrnehmungshorizont der ersten Beobachter einer sich verfestigenden Schultradition zurück, in der offenbar Cassius herausragte.41 Hierfür können mehrere historische Gründe angeführt werden. Als sich zu Beginn des Prinzipats auf Grundlage äußerlich wahrnehmbarer Merkmale wie bestimmter einzelner Unterrichtsstätten und Konzentration von Juristen auf einzelne sectae erst allmählich verschiedene Schulen verfestigten, konnten zeitgenössische Beobachter noch kaum beurteilen, welcher fachliche Beitrag auf die Dauer prägend und schulbildend sein würde. Daher liegt es nahe, daß jene Persönlichkeit im Vordergrund stand, deren öffentliche Wirkung besonders ausgeprägt war. In dieser Hinsicht geht die Bezeichnung „Cassiani“ mit dem überwältigenden Sozialprestige einher, über das Gaius Cassius im Vergleich zu anderen Juristen seiner Zeit verfügte. Dies zeichnete ihn insbesondere – worauf es hier ankommt – gegenüber Sabinus aus,42 der als bescheidener Aufsteiger aus der Provinz erst mit fast 50 Jahren in den Ritterstand gelangte und das ius respondendi bekam.43 40  Es ist daher nicht nötig, sich etwa auf einen „überzeugenderen“ Namen festzulegen; vgl. aber Stolfi, Emanuele: Die Juristenausbildung in der römischen Republik und im Prinzipat, in: Christian Baldus / Thomas Finkenauer / Thomas Rüfner (Hrsg.), Juristenausbildung in Europa zwischen Tradition und Reform (2008), S. 9–29 (22, Fn.  57). 41  Zur Biographie vgl. PIR II, 2.  Aufl. (1936), Nr.  501 und eingehend Nörr, Dieter: Zur Biographie des Juristen C. Cassius Longinus (1984), in: ders., Historiae iuris antiqui, Bd.  3 (2003), S. 1653–1674. 42  So schon richtig Schulz, Geschichte, S. 141. 43  Pomponius lb. sg. ench. D. 1,2,2,50; Kunkel, Die Römischen Juristen, S. 119 u. 342.

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Zwar war Sabinus als Jurist bekannt, und in einer auf ein allgemeines Publikum abzielenden Anspielung bei Persius steht er sogar gewissermaßen für den juristischen Autor schlechthin.44 Dies bedeutet allerdings nicht, daß man ihn als Leitfigur einer bestimmten Schule gesehen hätte. Auch drückt sich darin keineswegs besondere Wertschätzung von seiten der Nobilität aus, der die meisten Autoren juristischer Werke immer noch angehörten. Als politische Persönlichkeit schließlich hat Sabinus offenbar gar nicht gezählt.45 Seinen Aufstieg verdankte er womöglich der Protektion durch seine vornehmen und einflußreichen Schüler. Sein Vermögen war so bescheiden, daß er sich, was als bemerkenswert hervorgehoben wird, von seinen Hörern unterstützen lassen mußte.46 Cassius dürfte im Mittelpunkt dieser Unterstützer gestanden haben. Der schwerreiche Aristokrat, der nicht weniger Vermögen als juristische Begabung geerbt hatte – seine Mutter war Tochter des Q. Aelius Tubero und Enkelin des Servius Sulpicius Rufus47 –, wird von Tacitus der größte Jurist seiner Zeit genannt: ceteros praeeminebat peritia legum.48 Nun traten allerdings viele bekannte römische Juristen für ihre Zeitgenossen – und damit für die Autoren juristischer und nichtjuristischer Literatur – nicht einfach als „Nur-Juristen“ hervor, sondern als Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.49 Ihr Ansehen leitete sich, anders als es bei modernen Juristen regelmäßig der Fall ist, nicht in erster Linie aus ihrer Profession her, sondern zunächst aus ihrer sozialen Stellung und daneben auch aus ihrer juristischen Tätigkeit. Für Cassius galt dies in besonderem Maße. Geboren um 13 v. Chr. 44  Persius, Sat. 5,89–90: cur mihi non liceat, iussit quodcumque voluntas, excepto siquid Masuri rubrica vetavit. Vgl. das Scholion ad Pers. 5,90 (ed. O. Jahn): Hic Masurius Sabinus legis consultus fuit, cuius rubricam vocat minium, quo tituli legum annotabantur. Während die handschriftliche Überlieferung „Albinus“ liest (Commentum Cornuti edd. W. Clausen / J. Zetzel), kann die durch die ed. princeps gestützte Variante „Sabinus“ sachlich überzeugen. 45  Bauman, Richard A.: Lawyers and Politics in the Early Roman Empire (1989), S. 62; vgl. Paricio Serrano, Historia inacabada, S. 207. 46  Pomponius lb. sg. ench. D. 1,2,2,50 f.; Mratschek-Halfmann, Sigrid: Divites et praepotentes (1993), S. 144. 47  Pomponius lb. sg. ench. D. 1,2,2,51. Ausführlicher zu den bedeutenden Juristen in Cassius’ Verwandschaft Bauman, Lawyers and Politics, S. 76. Auf eine weitere Verbindung der Cassii mit Servius weist Detlef Liebs, Eine Enkelin des Juristen Servius Sulpicius Rufus, in: Sodalitas. Scritti in onore di Antonio Guarino, Bd.  3 (1984), S. 1455–1457. 48  Tacitus, Ann. 12,12,1; vgl. Bauman, Lawyers and Politics, S. 83–86; Mratschek-Halfmann, Divites, S. 115. 49  Ein Beispiel bietet Cervidius Scaevola, der in der Historia Augusta (Marcus 11,10) als ein Mann beschrieben wird, der speziell im Recht gebildet gewesen sei (praecipue iuris perito). Diese Beschreibung ist nur sinnvoll, wenn man den Betreffenden in erster Linie gerade nicht als Juristen wahrnimmt.



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in eine der noch fortbestehenden Familien des alten Adels und verheiratet mit einer Ururenkelin des Augustus,50 war er unter den Juristen der julischclaudischen Periode die dominante gesellschaftliche und politische Gestalt.51 Er bekleidete höchste Ämter und war förmlicher amicus mehrerer principes.52 Dies prägte seine öffentliche Wahrnehmung. Auch die wiederholte Hervorhebung als vir prudentissimus, iuris auctor in den Agrimensorentexten,53 in denen er als Experte für Wasserrecht zitiert wird, dürfte gerade nicht dadurch zu erklären sein, daß Cassius außerhalb der Rechtswissenschaft in erster Linie als bedeutender Jurist wahrgenommen wurde, sondern mit der Heranziehung von Spezialisten aus verschiedenen Gebieten in der Feldmeßkunst. Sogar Pomponius beschreibt mit den Worten „plurimum in civitate auctoritatis habuit“ gerade Cassius’ herausragendes allgemeines Ansehen.54 Ausschlaggebend für sein Bild in der Öffentlichkeit dürften Cassius’ familiäre Verbindungen, sein ererbtes Vermögen, seine Staats- und Priesterämter sowie sein Rang im Senat gewesen sein. Sabinus mußte hier aus zeitgenössischer Sicht im Schatten stehen. Es ist kein Zufall, daß Tacitus in den Annales Cassius behandelt, aber weder Proculus noch Sabinus auch nur erwähnt – „il silenzio è istruttivo“.55 Letzterer war zwar der juristische Lehrer des Cassius,56 doch allein die Eigenschaft, Lehrer zu sein, verschuf in der römischen Welt keine herausragende Stellung. Wir werden nun Gründe dafür entwickeln, daß Cassius als für seine Schule wichtigste Persönlichkeit in der späteren Wahrnehmung durch Sabinus abgelöst wurde. Dabei werden wir zunächst sehen, daß Cassius’ politische Rolle zwar eine Benennung der Schule nach seiner Person als bedenklich erscheinen lassen mochte, daß dies die Etablierung der Bezeichnung „Cassiani“ aber offenbar nicht verhinderte (III.). Allerdings verloren diejenigen Kriterien, die Cassius anfänglich als zentrale Persönlichkeit seiner Schule erscheinen ließen, im Laufe der Zeit an Bedeutung (IV.). Demgegenüber trat Sabinus langfristig in den Vordergrund durch sein Hauptwerk, die libri tres iuris civilis (V.).

Tacitus, Ann. 12,12,1. Schulz, Geschichte, S. 119 f.; Bauman, Lawyers and Politics, S. 76. 52  Crook, John A.: Consilium principis (1955), S. 157, Nr.  81. 53  Die Schriften der römischen Feldmesser, hrsg. v. Friedrich Blume / Karl Lachmann / Adolf A. F. Rudorff (1848, Ndr. 1967), S. 17 (Cassius Longinus, vir prudentissimus, iuris auctor); S. 124 (Cassius Longinus, prudentissimus vir, iuris auctor); S. 399 (Cassius Longinus, prudentissimus iuris auctor et iudex). 54  Pomponius lb. sg. ench. D. 1,2,2,51. 55  Bretone, Storia, S. 258. 56  Paulus 13 ad ed. D. 4,8,19,2 (magister suus). 50  Vgl. 51  Vgl.

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III. Die politische Problematik der Schulbezeichnung „Cassiani“ Die Verwendung des Namens „Cassiani“ erlaubte von Anfang an heikle Assoziationen. Gerade im Falle einer bedeutenden Persönlichkeit wie Cassius, der als Magistrat und Senator erheblichen politischen Einfluß nahm, mußte sich den Zeitgenossen die potentiell politische Dimension der Wortschöpfung aufdrängen. Die Verbindung eines Eigennamens mit dem Suffix „-anus“ ist zur Kennzeichnung von Anhängerschaft lange verbreitet gewesen: In der Republik hatten bekanntlich Mariani und Sullani, Miloniani und Caesariani an der politischen Auseinandersetzung teilgenommen;57 im Prinzipat kam es wiederholt zur Verfolgung von Christiani.58 Cassius exponierte sich nun öffentlich als Wortführer der aristokratischen, konservativen Opposition gegenüber dem princeps.59 Er trat für die traditionellen Elemente der republikanischen Staatsform ein, die zwar inzwischen die Versatzstücke der Prinzipatsordnung bildeten, im Kern aber ausgehöhlt waren. Daher mochte die Wahrnehmung von „Cassiani“ an eine politische Anhängerschaft denken lassen, nämlich an eine konservative Gegnerschaft zum Prinzipat. In diesem Zusammenhang hat Cannata die Gründe für die Ablösung der Schulbezeichnung „Cassiani“ durch das jüngere „Sabiniani“ gesehen: Er meint, nach Cassius’ Exilierung im Jahre 65 habe die Schule den Namenswechsel vorgenommen, um sich nicht den Haß Neros zuzuziehen.60 Daß Cassius die Vorstellung von einer politischen Anhängerschaft keineswegs fremd war, zeigt sich an der Überlieferung, nach der er das in seinem Haus aufgestellte Bildnis (imago) seines Großvaters, des Caesar-Mörders, mit der Inschrift „duci partium“ („Dem Parteiführer“) versehen hatte.61 Es handelt sich keineswegs nur um eine historische Mitteilung in dem Sinne, daß der Großvater eine republikanische Partei angeführt habe. Die imagines maiorum sind vielmehr Bestandteil der sacra pro familiis, also des Kults, in dem sich die römische Familie mit den verstorbenen Vorfahren vereinigt und in deren Tradition immer neu konstituiert.62 Cassius vollzog also im 57  Vgl. Leumann, Manu: Lateinische Laut- und Formenlehre, 5. Aufl. (1926–28, Neuausgabe 1977), S. 325 f. mit Nachweisen. 58  Tacitus, Ann. 15,44. 59  Kodrębski, Jan: Der Rechtsunterricht am Ausgang der Republik und zu Beginn des Prinzipats, in: Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt II / 15 (1976), S. 177–196 (193 f.). Vgl. Tacitus, Ann. 14,42. 60  Cannata, Splendido autunno, S. 434. 61  Tacitus, Ann. 16,7; vgl. Sueton, Nero 37,1; Cassius Dio, Rom. hist. 59,29,3. 62  Vgl. Flower, Harriet I.: Ancestor Masks and Aristocratic Power in Roman Culture (1996), die modernste umfassende Abhandlung zu den imagines, und jetzt Lahusen, Götz: Römische Bildnisse (2010), S. 205–216.



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Kult den Zusammenschluß mit dem verehrten Freiheitshelden und brachte so noch unter Nero sein Bekenntnis zur republikanischen Ordnung zum Ausdruck. Dies nahm, da die imagines im Atrium des Hauses präsentiert wurden,63 jeder von Cassius’ zahlreichen Besuchern wahr.64 Daß Cassius aktiv politisch opponiert hätte, folgt daraus zwar nicht,65 doch ließ sein Verhalten immerhin mehrfach ernsthafte Konflikte mit dem Kaiserhaus auftreten. Zu seiner Gefährdung dürfte ferner bereits zu Tiberius’ Regierungszeit seine Rolle als Mentor des L. Iunius Silanus beigetragen haben, eines möglichen Thronprätendenten, den Nero später ermorden ließ,66 sowie schließlich seine Nähe zu dem als Verschwörer hingerichteten L. Aelius Seianus.67 Das Kaiserhaus fühlte sich herausgefordert: Caligula ließ Cassius in Haft nehmen und soll ihn sogar mit dem Tode bedroht haben.68 Von Nero wurde er schließlich, wie erwähnt, unter dem Vorwurf einer Verwicklung in die Verschwörung des Piso nach Sardinien verbannt.69 Unter diesen Umständen dürfte es, wie Cannata grundsätzlich überzeugend vermutet hat,70 für Juristen riskant gewesen sein, sich oder jemand anderen den „Cassiani“ zuzurechnen. In Verhältnissen, in denen Karriere für Angehörige des Senatorenstandes notwendig bedeutete, daß der cursus honorum im öffentlichen Dienst durchlaufen wurde, mußte, wer es als Jurist zu etwas bringen wollte, mit einem Bekenntnis, den Cassianern anzugehören, vorsichtig sein. Allerdings hat all dies offenbar nichts daran geändert, daß innerhalb der Jurisprudenz Cassius als maßgebliche Persönlichkeit seiner Schule angesehen und benannt wurde. Denn gerade in dieser Zeit setzte sich die Bezeichnung „Cassiani“ durch.71 Die Quellenlage läßt darauf schließen, daß der Name 63  Vgl.

3,28.

Polybios, Hist. VI,53,1–54,3; Plinius, Nat. hist. 35,6; Seneca, de beneficiis

64  Neros Vorwürfe, Cassius strebe offenbar einen neuen Bürgerkrieg und einen Abfall vom Kaiserhaus an (Tacitus, Ann. 16,7), scheinen daher nicht ganz unverständlich. 65  Dagegen spricht immerhin sein zügiger Aufstieg in der Ämterhierarchie; vgl. Wieacker, Franz: Augustus und die Juristen seiner Zeit, in: TR 37 (1969), S. 331–349 (346). 66  Tacitus, Ann. 15,52,2 u. 16,8. 67  Seianus’ Adoptivvater Sextus Aelius Catus gehörte zu den Aelii Tuberones, der Familie von Cassius’ Mutter. Bauman, Lawyers and Politics, S. 77. Seianus wurde von Tiberius beschuldigt, ein Komplott gegen dessen Nachfolger Caligula geplant zu haben, und hingerichtet; Tacitus, Ann. 5,9; Sueton, Tiberius 61,5. 68  Sueton, Caligula 57,3; Cassius Dio, Rom. hist. 59,23. 69  Tacitus, Ann. 16,9; Sueton, Nero 37; Pomponius lb. sg. ench. D. 1,2,2,52. 70  Cannata, Splendido autunno, S. 434. 71  Kathleen M. T. Atkinson nimmt sogar an, die Schulen seien zuerst unter Nero benannt worden. Sie vermutet eine Wortschöpfung in Nachahmung des Ausdrucks „Augustiani“ für Anhänger des Kaiserhauses; The Education of the Lawyer in An-

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„Cassiani“ nach Neros Tod verbreitet war, was der Vermutung entgegensteht, daß er zuvor unterdrückt und ersetzt worden wäre. IV. Das Hervortreten des Sabinus gegenüber Cassius auf längere Sicht Wenn sich die Schulbezeichnung „Cassiani“ nicht dauerhaft allein behaupten konnte, muß dies auf andere Gründe zurückgehen. Nun ist der konkurrierende Name „Sabiniani“ erstmals für Ulpius Marcellus, also für das spätere 2. Jahrhundert belegt.72 Wir dürfen allerdings auch im Falle dieser Bezeichnung vermuten, daß sie schon einige Zeit vor der ersten überlieferten Erwähnung gebräuchlich war. Das Auftreten des neuen Namens bedeutet freilich nicht, daß dieselbe Rolle, die zunächst der eine Jurist ausgefüllt hatte, nun aufgrund derselben Kriterien einem anderen zugewiesen worden wäre. Der Gedanke, daß ein zunächst als prägende Persönlichkeit wahrgenommener Jurist später durch einen noch bedeutenderen abgelöst worden wäre, kann hier darum nicht überzeugen, weil die Benennung nach dem älteren Juristen erst derjenigen nach dem jüngeren folgte. Wir werden das Vordringen der jüngeren Bezeichnung anders erklären müssen. In dieser Hinsicht dürfen wir vermuten, daß diejenigen Gründe, die das bedeutende außerfachliche Prestige des Cassius als maßgeblich für dessen herausragende Stellung in seiner Schule hatten erscheinen lassen, mit der Zeit in den Hintergrund traten. Zwar konnte das symbolische Kapital, das er durch seine Leistungen und öffentlichen Verdienste gebildet hatte, unter den Bedingungen einer „meritokratischen“ Gesellschaftsordnung auch auf längere Sicht das Sozialprestige seiner Familie fördern,73 doch mußten Reichtum, hohe Ämter und juristische Fähigkeiten für später lebende, nicht der Familie angehörende Persönlichkeiten, die gerade Cassius’ wissenschaftliche Bedeutung im Verhältnis zu den Leistungen anderer Juristen beurteilcient Rome, in: The South African Law Journal 87 (1970), S. 31–59 (50–51). Vgl. aber oben bei Fn. 57. 72  Das Zitat bei Ulpian 32 ad Sab. D. 24,1,11,3 geht offenbar auf das 7. Buch von Marcellus’ Digesten zurück, die zur Zeit der divi fratres entstanden. Vgl. Lenel, Otto: Palingenesia iuris civilis, Bd.  2 (1889 / 1960, Ndr. 2000), Sp.  603; Fitting, Hermann: Alter und Folge der Schriften römischer Juristen, 2.  Aufl. (1908, Ndr. 1965), S. 60 f. 73  Zum Konzept des symbolischen Kapitals und dessen Übertragung auf die römische Oberschicht vgl. insbesondere Hölkeskamp, Karl-Joachim: Rekonstruktionen einer Republik. Die politische Kultur des antiken Rom und die Forschung der letzten Jahrzehnte (2004), S. 93–105; ders., Konsens und Konkurrenz. Die politische Kultur der römischen Republik in neuer Sicht, in: Klio 88 (2006), S. 360–396 (385–396).



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ten, auf die Dauer an Gewicht verlieren.74 Denn aus der zeitlichen Distanz werden Rechtslehrer weniger nach dem Status beurteilt, den sie unter ihren Zeitgenossen einnehmen; dem Urteil der Nachwelt liegt vielmehr zugrunde, was von ihnen greifbar bleibt, nämlich ihre Schriften. An die Stelle der Wahrnehmung des Sabinus in der Rolle eines provinziellen Aufsteigers und demgegenüber des Cassius mit seinem politisch-gesellschaftlichem Gewicht tritt nun die längerfristige Wirkung der jeweiligen juristischen Werke in der Verarbeitung und Kommentierung durch nachfolgende Juristen. V. Die beiden Darstellungen des ius civile und ihre Merkmale im Vergleich Nachdem Sabinus für die auf ihn unmittelbar folgende Generation noch im Schatten von Cassius gestanden hatte, wurde er im Verlauf der rechtsliterarischen Rezeption seines Werkes zu einem berühmten, mehrfach kommentierten Gelehrten. Die Identitätsstiftung, die mit der Benennung der eine Tradition kennzeichnenden Persönlichkeit einhergeht, wurde nun mit einer bestimmten geistigen Leistung verbunden. So bildeten den wichtigsten Faktor, der im Laufe der Zeit Sabinus gegenüber Cassius als maßgebend für die Herausbildung der Schultradition hervortreten ließ, Sabinus’ libri iuris civilis. Liebs hat den Erfolg dieses Werkes mit den Worten zum Ausdruck gebracht, es habe seinen Verfasser „für alle Zeit berühmt“ gemacht.75 Entsprechend wird der zeitliche Abstand auch eine Einordnung von Cassius’ literarischem Werk ermöglicht haben: Auch er hatte eine Darstellung des ius civile geschaffen. Sobald er in erster Linie als literarischer Jurist wahrgenommen wurde, trat das Verhältnis der Werke zueinander und damit Cassius’ Eigenschaft als Schüler des Sabinus deutlicher hervor.76 Hierzu trug besonders bei, daß Cassius öfters Sabinus zustimmte und dessen Lehren vermittelte.77 Die Palingenesie zu Cassius weist in dieser Hinsicht allein 51 Stellen auf, von denen die meisten entweder ausdrücklich angeben oder jedenfalls mit Rücksicht auf das LehrerSchüler-Verhältnis vermuten lassen, daß die Übereinstimmung auf eine Übernahme von Sabinus’ Lehren zurückgeht.78 Diese Wahrnehmung konnte sich natürlich erst mit der Verbreitung von Cassius’ Werk einstellen. Aus der Sicht späterer Juristen unterstrich Cassius’ ius civile also geradezu die Stellung des Atkinson, Education, S. 51. Detlef: Römisches Recht, 6. Aufl. (2004), S. 54. 76  Vgl. Paulus 13 ad ed. D. 4,8,19,2; Pomponius lb. sg. ench. D. 1,2,2,51. 77  Bremer, Iurisprudentiae antehadrianae, Bd.  2 / 1, S. 324 f. 78  Vgl. Paulus 13 ad ed. D. 4,8,19,2 (Cassius sententiam magistri sui bene excusat), Papinian 7 quaest. D. 8,1,4 pr. (idque et Sabinum respondisse Cassius rettulit et sibi placere) sowie Julian 15 dig. D. 19,1,24,1, wo Cassius die Meinung des Sabinus als zutreffend mitteilt (Cassius veram opinionem Sabini rettulit). 74  Vgl.

75  Liebs,

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Sabinus als Begründer der Lehrtradition und die des Cassius als einer von dessen Nachfolgern neben mehreren anderen. Hoch- und spätklassische Juristen konnten Sabinus daher regelmäßig als früheren Vertreter derselben Schultradition wahrnehmen, der auch Cassius zugerechnet wurde.79 So trat neben den älteren Namen „Cassiani“ die jüngere Bezeichnung „Sabiniani“, die sich langsam durchsetzen konnte. 1. Überlieferungsbefund und äußere Merkmale Im Prinzipat wurde die Werkgattung der libri iuris civilis neben dem erst durch Servius begründeten Ediktkommentar bis in die spätklassische Zeit fortgeführt. Sowohl Sabinus’ als auch Cassius’ libri iuris civilis wurden mehrfach literarisch ausgewertet und kommentiert. Dabei beobachten wir, daß zunächst Cassius’ Werk bearbeitet worden ist. So entstanden im ersten Jahrhundert, während also wahrscheinlich die Schulbezeichnung „Cassiani“ vorherrschte, die speziell an Cassius’ Darstellung orientierten Schriften wie Javolens libri ex Cassio und Aristos notae. Die Benutzung von Cassius’ Werk ist anschließend öfters belegt,80 und zahlreiche mittelbare Zitate aus seinen Schriften sind überliefert.81 Erst später entstanden demgegenüber Pomponius’ Sabinuskommentar sowie die von den severischen Juristen ­Ulpian und Paulus erarbeiteten, an Sabinus orientierten enzyklopädischen Gesamtdarstellungen des ius civile. Man sieht also auch an der zeitlichen Abfolge der literarischen Bearbeitungen, wie sich das Schwergewicht der fachlichen Rezeption langsam vom Werk des Cassius auf das des Sabinus verlagerte.82 Was den Umfang der jeweiligen Werke betrifft, so fällt auf, daß die libri iuris civilis des Sabinus im Vergleich zu anderen Werken derselben Gattung vergleichweise kurz sind. Q. Mucius’ Darstellung des ius civile hatte 18 Bücher umfaßt. Cassius’ Werk de iure civili, seine einzige sicher belegte Schrift, bestand aus mindestens 10,83 wahrscheinlich aber aus etwa 20 Büchern.84 Dagegen nennt der Index Florentinus für Sabinus die iuris civilion 79  Werden beide Juristen von Spätklassikern als Vertreter einer Lehrmeinung genannt, steht Sabinus grundsätzlich vor Cassius (Sabinus et Cassius putabant …), was der Vorstellung entgegensteht, erst Cassius sei der für die Benennung maßgebliche Schulgründer gewesen. Vgl. ferner Arrian, Epict. disc. 4,3,12, der stellvertretend für das menschliche Recht schlechthin die νόμοι … Μασουρίου καὶ Κασσίου nennt. 80  Julian 5 ex Minicio D. 40,12,30; Pomponius 3 ad Sab. D. 22,6,3,1; Papinian 7 quaest. D. 8,1,4 pr.; Marcian 4 reg. D. 1,8,8,2. 81  Vgl. Bremer, Iurisprudentiae antehadrianae, Bd.  2 / 1, S. 343. 82  Vgl. Atkinson, Education, S. 51. 83  Vgl. Ulpian 17 ad Sab. D. 7,1,70 pr. 84  Liebs, Rechtsschulen, S. 212 mit Fn.  99.



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βιβλία τρία. Daß Cassius’ libri iuris civilis damit deutlich umfangreicher waren als das entsprechende Werk des Sabinus, läßt sich ohne weiteres damit erklären, daß sich Sabinus bei der Stoffdisposition seines der Unterrichtstradition in deren Frühzeit zugrundeliegenden Werkes auf knappe drei Bücher beschränken konnte, während Cassius bereits einiges an zusätz­ lichem Lehrstoff einzuarbeiten hatte. Das bis zur spät- und nachklassischen Zeit überwiegende Interesse an Sabinus’ Werk findet auch im Überlieferungsbefund Ausdruck. Von ihm ist nämlich viel mehr überliefert als von Cassius, obgleich dessen Werk nicht nur jünger, sondern, wie gesehen, auch deutlich umfangreicher war als das des Sabinus. In den Digesten, die den erhaltenen Bestand an klassischen Juristenschriften bekanntlich weitgehend repräsentieren, sind immerhin elf Zitate aus Cassius’ libri iuris civilis enthalten, darunter drei durch die libri ex Cassio des sabinianischen Schuloberhaupts Javolen überlieferte,85 sowie ferner zahlreiche Cassius-Zitate in Texten anderer Juristen.86 Im Index Florentinus kommt Cassius nicht einmal als Autor vor, sondern nur – unter Javolen genannt – als exzerpierter Jurist. Demgegenüber wird Sabinus’ Werk hier immerhin noch genannt. Es wird in den Digesten allerdings nicht mehr direkt zitiert, sondern verdankt seine Überlieferung hauptsächlich den beiden großen Kommentaren von Ulpian und Paulus ad Sabinum, aus deren umfangreichem Stoff (51 bzw. 16 libri) ein erheblicher Teil des Textbestandes der Digesten entnommen ist. Dabei erlaubt es der Aufbau der Kommentierungen in vielen Fällen, den Sabinustext zu „isolieren“,87 der in die Kommentierungen „ziemlich wörtlich“ eingegangen ist.88 Wenn wir nach Gründen dafür fragen, daß sich gerade diese Darstellung des ius civile gegenüber dem entsprechenden Werk des Cassius auf die

85  Ob Javolen nur Cassius’ libri iuris civilis oder auch andere Werke dieses Juristen benutzte, kann nicht sicher festgestellt werden; vgl. Manthe, Ulrich: Die libri ex Cassio des Iavolenus Priscus (1982), S. 37. 86  Vgl. Lenel, Otto: Palingenesia iuris civilis, Bd.  1 (1889 / 1960, Ndr. 2000), Sp.  110–126. Hinzu kommen einzelne Texte, in denen spätere Juristen auf Cassius mit „Gaius noster“ Bezug nehmen; vgl. Behrends, Okko: Gaius noster, in: Festschrift für Rolf Knütel zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Holger Altmeppen / Ingo ­Reichard / Martin Josef Schermaier (2009), S. 77–102. 87  Vgl. Lenel, Palingenesia, Bd.  2, Sp.  1019, Fn.  3; Jörs, Paul: Art. Domitius 88, in: RE, 9. Hb. (1903), Sp.  1435–1509 (1441–1444); Rabel, Ernst: Eine neue Studie über Ulpian (1905), in: Gesammelte Aufsätze, Bd.  4 (1971), S. 1–8 (6); Schulz, Fritz: Sabinus-Fragmente in Ulpians Sabinus-Commentar (1906), S. 2–9 sowie die Rezension von Paul Koschaker, in: SavZRG (Rom. Abt.) 28 (1907), S. 454–455 (454). 88  Liebs, Detlef: Rez. R. Astolfi, I libri tres iuris civilis di Sabino, in SDHI 51 (1985), S. 562–567 (562).

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Dauer als traditionsbildend durchsetzte, kommen zunächst äußere Merkmale in Betracht. Nachdem sich Q. Mucius’ libri iuris civilis trotz ihrer herausragenden Bedeutung für eine Schulbildung kaum geeignet hatten, weil sie in einer Darstellung des Stoffes für ausgebildete Juristen bestanden, hatte Sabinus seine libri als Lehrwerk konzipiert.89 Schulz meint sogar, es sei überhaupt das einzige sabinianische Schulbuch vor Gaius gewesen.90 Zur Grundlage von Rechtsunterricht eignete sich Sabinus’ Werk sicherlich aufgrund seiner Kürze. Diese begünstigte ebenso seine Verbreitung, denn eine allgemeine Bekanntheit, wie sie Persius vermuten läßt,91 ist am ehesten bei einem kurzen Lehrwerk denkbar, ähnlich wie im Falle der relativ knapp gehaltenen Gaius-Institutionen, die in der Spätantike erhebliche Verbreitung fanden. Demgegenüber stand dem allgemeinen Erfolg von Cassius’ ius civile entgegen, daß es viel umfangreicher war und außerdem bestimmte praktisch zwar wichtige, für eine Einführung aber eher fernliegende Materien wie etwa das Wasserrecht enthielt. 2. Cassius’ ausgeprägter Konservatismus Ein weiterer Grund für den unterschiedlichen Erfolg der beiden Werke dürfte darin bestanden haben, daß einer ausgeprägten Rückwärtsgewandtheit, wie sie für Cassius belegt ist, eine Neigung zur Modernität bei Sabinus gegenüberstand.92 Im allgemeinen kann eine konservative Grundeinstellung für die ersten Juristen der sabinianischen Schule, die mit der vorklassischen Jurisprudenz der veteres eine alte Tradition aufgegriffen und weitergeführt hatten,93 nicht verwundern. Gerade Cassius ist nun für seine oftmals reaktionären Standpunkte bekannt. Auf seine allgemeine juristische Orientierung läßt der Bericht bei Tacitus, Ann. 14,42 schließen. Dort bekennt sich Cas­ 89  Liebs, Detlef: Rechtskunde im römischen Kaiserreich, in: Iurisprudentia Universalis. Festschrift für Theo Mayer-Maly, hrsg. v. Martin Josef Schermaier / Johannes M. Rainer / Laurens C. Winkel (2002), S. 383–407 (385); Schulz, Geschichte, S. 141 u. 186; Karlowa, Römische Rechtsgeschichte, Bd.  1, S. 667; vgl. Bauman, Lawyers and Politics, S. 66. 90  Schulz, Geschichte, S. 194. 91  s. oben Fn.  10. 92  Gian Luigi Falchi hat eine spezifische Modernität sabinianischer Methoden im Vergleich mit denen der Prokulianer feststellen wollen; Le controversie tra Sabiniani e Proculiani (1981), passim, zusammenfassend S. 262. Vgl. in diesem Sinne Liebs, Römisches Recht, S. 55. Demgegenüber beschränkt sich die hier verfolgte Fragestellung auf das Verhältnis zwischen Sabinus und Cassius und dabei auf einzelne Merkmale ihres Werkes. 93  Vgl. die Nachweise oben in Fn.  20.



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sius zu den „Einrichtungen und Gesetzen der Vorfahren“ (instituta et leges maiorum) und meint, ehemals sei für alle Angelegenheiten besser und zweckmäßiger gesorgt worden.94 Im übrigen erwägt er die Vorstellung, durch allzugroße Vorliebe für die alte Sitte (mos antiquus) seinem Rechtsstudium einen vornehmeren Anstrich geben zu können, was er also offenbar für möglich hält. Cassius zeichnete sich überdies durch Sittenstrenge (gravitas morum) aus.95 Diese Ausrichtung äußerte sich auch in einzelnen Rechtsansichten. So ist Cassius für eine von ihm selbst als traditionell wahrgenommene, ungewöhnliche Strenge gegenüber Sklaven bekannt geworden, nämlich z. B. durch sein Eintreten für eine konsequente Anwendung des SC Silanianum.96 Härte gegen Sklaven zeigte Cassius auch insoweit, als er befürwortete, daß der mit weniger als dreißig Jahren (gemäß der lex Aelia Sentia) durch Stabverleihung Freigelassene ohne Beteiligung des consilium im Sklavenstatus verbleiben müsse.97 Angesichts der Tendenz des Kaiserrechts zur Begünstigung der Rechtsstellung der Sklaven98 und zur Entscheidung in dubio pro libertate war Cassius’ restriktiver Standpunkt alles andere als zeitgemäß. Ein anderes Beispiel für Cassius’ Konservatismus bietet seine Lehre, daß die Wirkungen des Antritts eines Außenerben auf den Zeitpunkt des Erbfalls zurückbezogen werden müßten.99 Gaius referiert als Begründung offenbar in Cassius’ Sinn, daß die familia des Erben mit dem Zeitpunkt des Todes als religios belastet (funesta facta) anzusehen sei, auch wenn der Erbe erst nach einiger Zeit feststeht.100 Die religiosen Pflichten 94  Vgl. Bretone, Mario: Tecniche e ideologie dei giuristi romani, 2. Aufl. (1982, Ndr. 1984), S. 21. 95  Tacitus, Ann. 16,7,1. 96  Tacitus, Ann. 14,42; vgl. jetzt Spruit, Johannes Emil: Het Senatus consultum Silanianum: een zwarte bladzijde uit de Romeinse strafrechtsgeschiedenis, in: Festschrift für Rolf Knütel zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Holger Altmeppen / Ingo ­Reichard / Martin Josef Schermaier (2009), S. 1167–1190 (1167). 97  Ulpian 4 ad Sab. D. 40,7,2,1: Cassius negat: Julianus contra existimat, quae sententia verior habetur. In Ps.-Ulpian 1,12 dürfte insoweit mit Puchta die Emendation „Cassius“ für das überlieferte „Caesaris“ zu befürworten sein. Vgl. Puchta, Georg Friedrich: Civilistische Abhandlungen (1823), S. 167, Fn.  1; Avenarius, Martin: Der pseudo-ulpianische liber singularis regularum (2005), S. 184 f. 98  Vgl. Behrends, Okko: Prinzipat und Sklavenrecht. Zu den geistigen Grundlagen der augusteischen Verfassungsschöpfung (1980), in: ders., Institut und Prinzip, Bd.  1 (2004), S. 417–455. 99  Gaius 3 de verborum obligationibus D. 45,3,28,4. Auf dieser Grundlage meint Cassius, daß der Erbe aus dem einem Erbschaftssklaven während der Schwebezeit erteilten Stipulationsversprechen erwerben könne. Proculus hatte dies verneint, weil der Erbe zum Zeitpunkt des Versprechens noch extraneus gewesen sei. 100  Vgl. Behrends, Okko: Der Ort des ius divinum. Vom klassisch-republikanischen Rechtssystem des skeptischen Rationalismus zur Rechtsquellenlehre des religiös legitimierten Kaisertums, in: Bürgerliche Freiheit und Christliche Verantwor-

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binden nach dieser Auffassung sofort und sind mit der Vorstellung von einem Schwebezustand nicht zu vereinbaren. Cassius’ Lehre liegt das Prinzip der Verbindung von Vermögen und Kultverantwortung zugrunde, das die pontifices im vorklassischen Recht weitgehend verwirklicht hatten.101 Sie räumt den religiosen Verpflichtungen einen in klassischer Zeit keineswegs mehr selbstverständlichen Stellenwert ein. 3. Die spezifische Modernität von Sabinus’ libri iuris civilis An eine überkommene wissenschaftliche Tradition kann auf verschiedene Weise angeknüpft werden. So kann man z. B. rückwärtsblickend an den früheren Standpunkten und tradierten Ordnungsvorstellungen festhalten wollen, wie es Pomponius – bei aller Vereinfachung – für Capito berichtet. Möglich ist aber andererseits auch, auf die veränderten Bedingungen des Zeithorizonts Rücksicht zu nehmen und das tradierte Gedankengut zu erneuern, anzupassen und in modernisierter Form für die Zukunft zu bewahren. Diese Neigung dürfen wir – im Gegensatz zu Capito – für Sabinus vermuten. Er konzipierte seine libri iuris civilis, wie wir sehen werden, auch speziell im Vergleich mit Cassius in fortschrittlicher Weise. Die relative Modernität von Sabinus’ ius civile wird teilweise so erklärt, daß man die Reformpläne Caesars darin verwirklicht sieht.102 Dieser hatte, wie Sueton berichtet, das Zivilrecht nach einem bestimmten neuen modus überarbeiten und aus der übergroßen und verfließenden Masse von Gesetzen das Beste und Notwendigste in wenigen Büchern zusammenzustellen wollen (in paucissimos conferre libros).103 Nun besteht auch Sabinus’ Werk, wie gesehen, nur aus paucissimi libri, doch ist nicht anzunehmen, daß es etwa Caesars Reformpläne umgesetzt hätte. Es war vielmehr die von Servius begründete, spezifisch klassische Rechtswissenschaft, die dem „Verfließen“ des Rechts durch die Ordnung nach einem neuen modus begegnete,104 in tung. Festschrift für Christoph Link zum siebzigsten Geburtstag, hrsg. von Heinrich de Wall / Michael Germann (2003), S. 557–585 (558 f., Fn.  3); ders., Die allen Lebewesen gemeinsamen Sachen (res communes omnium) nach den Glossatoren und dem klassischen römischen Recht (1992), in: ders., Institut und Prinzip, Bd.  2 (2004), S. 599–625 (606, Fn.  17). 101  Vgl. Cicero, de legibus II,7,18 ff. 102  Bauman, Lawyers and Politics, S. 66. 103  Sueton, Divus Iulius 44,2. 104  Vgl. Sueton, Divus Iulius 44,2 (immensa diffusaque legum copia); Cicero, Brutus 41,153 (confuse). Vgl. nun Avenarius, Martin: Marc Aurel und die Dogmatik des römischen Privatrechts. Kaiserliche Rechtspflege im System der Rechtsquellen und die Ausfüllung von Gestaltungsspielräumen in einer Übergangszeit der Rechtsentwicklung, in: Dietrich Boschung / Marcel van Ackeren / Jan Opsomer (Hrsg.),



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dem sie die Herausbildung entscheidungstauglicher Regelungen auf Grundlage richtiger Differenzierung (distinguere) zum Ziel erhob.105 Die Modernität von Sabinus’ Werk – auch im Vergleich mit dem des Cassius – erweist sich demgegenüber sowohl an systematischen Merkmalen als auch an einzelnen dogmatischen Standpunkten, die sich auf Dauer durchsetzen konnten. Die jeweilige Stoffdisposition verlief in Sabinus’ und Cassius’ libri iuris civilis sicherlich nicht parallel. Offenbar begann Cassius’ ius civile wie das des Sabinus mit dem Testamentsrecht, wich aber dann erheblich davon ab.106 Trotz der Unsicherheit hinsichtlich der Rekonstruk­tion kann immerhin bei bestimmten Materien der jeweilige Aufbau der Werke miteinander verglichen werden. Dabei ergibt sich jeweils, daß die Darstellung des Sabinus in spezifischer Weise auf der Höhe der Zeit war. Einen wichtigen Beleg dafür bietet das Dotalrecht. Dieses weist sachliche Bezüge sowohl zum Recht der Gewaltverhältnisse an Personen als auch zum Obligationenrecht auf und ist daher in den verschiedenen Privatrechtssystemen unterschiedlich eingeordnet worden. Bei Cassius stand das Dotalrecht ebenso wie tutela und cura zusammen mit den Abschnitten „De his qui alieno iuri subiectae sunt“ und „De liberis hominibus“.107 Den systematischen Zusammenhang bildet also, wie insbesondere Javolens libri ex Cassio zeigen, das Recht der Gewaltverhältnisse.108 Diese Einordnung des Dotalrechts trug der manus-Ehe Rechnung, der in der mittleren Republik noch vorherrschenden Eheform, die das vorklassische Recht als Normalfall vorausgesetzt hatte. Im System des Sabinus ist das Dotalrecht demgegenüber nicht hierarchisch aufgefaßt und auf die manus-Ehe ausgerichtet. Es bildet vielmehr einen Bestandteil des Obligationenrechts: In den libri tres iuris civilis wurde die actio rei uxoriae nach der societas und dem mandatum behandelt und

Selbstbetrachtungen und Selbstdarstellungen. Der Philosoph und Kaiser Marc Aurel im interdisziplinären Licht (im Erscheinen). 105  Cicero, Brutus 41,152: ambigua primum videre, deinde distinguere, postremo habere regulam, qua vera et falsa iudicarentur et quae quibus propositis essent quaeque non essent consequentia. Zu dieser Bedeutung der ars iuris des Servius vgl. grundlegend Behrends, Okko: Die bona fides im mandatum. Die vorklassischen Grundlagen des klassischen Konsensualvertrags Auftrag (1993), in: ders., Institut und Prinzip, Bd.  2 (2004), S. 806–838 (811); ders., Art. Servius (1995), in: ders., Institut und Prinzip, Bd.  2 (2004), S. 980. 106  Vgl. Krüger, Geschichte der Quellen, S. 169. 107  Vgl. Voigt, Moritz: Über das Aelius- und Sabinus-System, wie über einige verwandte Rechts-Systeme (1875), S. 37. 108  Vgl. Lenel, Palingenesia, Bd. 1, Sp. 279 f. Entsprechendes gilt für die späteren Institutionenlehrbücher von Ulpian (Lenel, Bd. 2, Sp. 928), wohl auch Florentin und Marcian. Vgl. Schulz, Fritz: Die Epitome Ulpiani des Codex Vaticanus Reginae 1128 (1926), S. 12; Lenel, Bd.  1, Sp.  172 (Florentin), 653 (Marcian).

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vor der actio tutelae.109 Ausschlaggebend dafür war offenbar die schuldrechtliche Verantwortlichkeit des Ehemannes.110 Mit der Loslösung von dem Gewaltverhältnis trägt Sabinus der Rechtswirklichkeit seiner Zeit Rechnung, in der freiheitliche und individualistische Tendenzen an die Stelle hierarchischer Strukturen getreten und durch klassisches Rechtsdenken gefördert worden waren. Im Eherecht war die freie Konsensehe der Regelfall geworden, während die manus-Ehe nun die seltene Ausnahme bildete.111 Ein weiteres systematisches Merkmal in Sabinus’ ius civile liegt in der zusammenhängenden Behandlung von Dotalrecht und Ehegattenschenkung.112 Im älteren vorklassischen Recht waren die beiden Bereiche auf grundsätzlich verschiedene Zusammenhänge zurückgeführt und systematisch entsprechend behandelt worden. Jüngere Darstellungen verbinden die Ehegattenschenkung dagegen mit der res uxoria. Es handelt sich, wie die libri ad Sabinum belegen,113 um ein systematisches Merkmal des Sabinussystems.114 Die Zusammenstellung beider Bereiche ist insoweit praxisgerecht, als Rechtsfragen zu Ehegattenschenkungen typischerweise erst auftreten, wenn um die dos gestritten wird. Dies gilt sowohl für die allgemeine Frage nach Bestand oder Rückforderung einer Ehegattenschenkung als auch für den speziellen Zusammenhang der retentio propter res donatas, auf den die Thematik bei Pseudo-Ulpian 7,1-3 reduziert ist.115 Es handelt sich also um einen Modernisierungsschritt gegenüber dem älteren vorklassischen Recht. Sabinus’ einzelne Lehren haben nicht nur in vielen Fällen Zustimmung innerhalb der sabinianischen Schule gefunden. Sein ius civile enthielt vielmehr zahlreiche dogmatische Standpunkte, die sich über den Schulzusammenhang hinaus mittel- oder langfristig behaupten konnten und als deren Urheber noch in späterer Zeit Sabinus genannt wird. Die grundlegende 109  Vgl. Astolfi, Riccardo: I libri tres iuris civilis di Sabino, 2.  Aufl. (2001), S. 236–252; vgl. Luchetti, Giovanni: I „libri iuris civilis“ di Sabino, in: Archivio Giuridico „Filippo Serafini“ 207 (1987), S. 49–87 (73). Ähnlich Schulz, Geschichte, S. 188. Burkard Wilhelm Leist hatte sechs Teile der libri tres iuris civilis unterschieden, davon bestand der dritte Teil aus Ehe und Mitgift sowie Vormundschaft; Versuch einer Geschichte der Römischen Rechtssysteme (1850), Tafel I zu S. 44. Voigt, Aelius- und Sabinus-System, S. 36 unterschied in seiner abweichenden Konstruktion des Sabinus-Systems vier Teile. Von diesen umfaßt der erste das Erb- und Schuldrecht; im letzteren stehen dabei dos, tutela und cura. 110  Lenel, Otto: Das Sabinussystem (1892), S. 92 u. 101. 111  Kaser, Max: Das römische Privatrecht, Bd.  1, 2. Aufl. (1971), S. 324. 112  Vgl. Astolfi, Libri tres, S. 242 f. 113  Vgl. Lenel, Palingenesia, Bd.  1, Sp.  1271 (Paulus) und Bd.  2, Sp.  118 (Pomponius); Sp.  1138 (Ulpian). 114  Söllner, Alfred: Zur Vorgeschichte und Funktion der actio rei uxoriae (1969), S. 132, Fn.  20; Lenel, Sabinussystem, S. 64 f. u. 92. 115  Avenarius, Der pseudo-ulpianische liber singularis regularum, S. 264 u. 277.



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Bedeutung dieser Standpunkte erhellt bereits an wenigen Beispielen. So wird Sabinus als Urheber des Grundsatzes der Auslegung nach dem Gesamtzusammenhang eines Gesetzes genannt, den er am Recht der lex Aquilia entwickelt hatte.116 Celsus erhob den Grundsatz später zum Gebot.117 Sabinus leistete einen wichtigen Beitrag zur Verallgemeinerung des Grundsatzes, daß die Bedingungswirkungen für den Fall treuwidriger Vereitelung des Eintritts geschützt werden.118 Schließlich war er auch auch insoweit auf der Höhe der Zeit, als er dafür eintrat, die Stipulation in anderen Sprachen als Latein und Griechisch als gültig zu behandeln.119 Der Schritt über das diglossale System der Reichssprachen hinaus erlaubte es, dieses praktisch wichtige Instrument auch im Verkehr mit Nichtrömern anderer Sprachräume anzuwenden, und dies setzte sich langfristig durch (vgl. Inst. 3,15,1). VI. What’s in a name? Die vorstehend entwickelten Überlegungen lassen vermuten, daß die Bezeichnungen „Cassiani“ und „Sabiniani“ weder beliebig austauschbar verwendet wurden noch unterschiedliche Auffassungen von der Identität eines historischen Schulgründers verraten. Die jeweils zu unterschiedlichen Zeiten bevorzugten Namen lassen vielmehr darauf schließen, daß im Rückblick auf die Entwicklung der sabinianischen Rechtsschule zunächst Cassius und später – aufgrund veränderter Umstände und Kriterien – Sabinus als derjenige Jurist angesehen wurde, der den wichtigsten Beitrag zur Profilierung der Tradition und zur Festigung derselben zu einer Schule erbracht hatte.

116  Inst.

4,3,15. 8 dig. D. 1,3,24; vgl. Behrends, Okko: Gesetz und Sprache. Das römische Gesetz unter dem Einfluß der hellenistischen Philosophie (1995), in: ders., Institut und Prinzip, Bd.  1, S. 91–224 (159 und Fn.  61); Avenarius, Der pseudo-ulpianische liber singularis regularum, S. 168. 118  Vgl. Avenarius, Der pseudo-ulpianische liber singularis regularum, S. 210 mit Nachweisen. 119  Ulpian 48 ad Sab. D. 45,1,1,6: utrum hoc usque ad Graecum sermonem tantum protrahimus an vero et ad alium, Poenum forte vel Assyrium vel cuius alterius linguae, dubitari potest. et scriptura Sabini, sed et verum patitur, ut omnis sermo contineat verborum obligationem. Dazu jetzt ausführlich Behrends, Okko: Die Stipulation des vorklassischen und des klassischen Ius gentium und die Frage der zulässigen Sprachen. Alle oder nur Lateinisch und Griechisch? (in diesem Band). 117  Celsus

Die Stipulation des vorklassischen und des klassischen Ius gentium und die Frage der zulässigen Sprachen Alle oder nur Lateinisch und Griechisch? Von Okko Behrends I. Vorbemerkung Der Gedanke, zu Ehren von Detlef Liebs ein Thema aus dem Gebiet des Schulgegensatzes zu behandeln, lag angesichts seiner grundlegenden und zugleich viel Neues erschließenden Arbeiten zu den römischen Juristen in der Hauptstadt und den Provinzen und den in Rom zentrierten kaiserzeitlichen Respondierjuristen nahe1. Es kam hinzu, daß seit der Zeit, in der er in seiner grundlegenden Darstellung zu den Rechtsschulen und dem Rechtsunterricht im Prinzipat in der ihm eigenen wissenschaftlichen Liberalität, bevor ich überhaupt irgend etwas veröffentlicht hatte, registrierte, daß ich dem Gedanken näher getreten sei2, den Schulengegensatz auf philosophische Wurzeln zurückzuführen, viele arbeitsreiche Jahre vergangen sind und neben vielen Klärungen im Einzelnen auch ein klares Gesamtergebnis erarbeitet werden konnte. Daher ist es mein Wunsch, daß der Geehrte das Folgende auch als Zeichen und dankbaren Ausdruck einer aus gemeinsamer Schülerschaft bei Franz Wieacker hervorgewachsenen, nunmehr ein Leben lang bewährten Freundschaft entgegennehmen möge. Wir wissen jetzt – oder jeder, der ein Interesse an solchen Fragen hat und sich nicht, was auch konstatiert werden muß, gestützt auf methodische Vorentscheidungen weigert, entsprechende Nachweise zur Kenntnis zu nehmen3, 1  Ich nenne stellvertretend die Verjüngung und Auffrischung des Meisterwerks von Wolfgang Kunkel, Herkunft und soziale Stellung der Römischen Juristen (19672), in einem unveränderten, aber mit einem weiterführenden kritischen Vorwort ausgestatteten, 2001 unter dem griffigeren Titel „Die Römischen Juristen“ erschienenen Nachdruck. 2  Rechtsschulen und Rechtsunterricht im Prinzipat, Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II, 15 (1976) S. 197–286 (S. 279 Anm. 263). 3  Auf einen bemerkenswerten Fall dieser Art antwortet meine Replik „Das Schiff des Theseus und die skeptische Sprachtheorie. Die Rationalität der antiken römi-

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kann es jetzt wissen –, daß die kaiserzeitlichen Schulen in synchroner Konkurrenz wiederholen, was sich in der Republik diachron in der Abfolge zweier philosophisch geprägter Jurisprudenzen ereignet hatte, indem unter den Bedingungen des Prinzipats die Schule des Sabinus und Cassius die Tradition der vorklassischen, von der Rechtsphilosophie der Stoa geleiteten Jurisprudenz aufgriff, die ihre Lehren in großen Darstellungen des Ius Civile vertrat, während die von Nerva und Proculus gegründete Schule die Verteidigung der damit angegriffenen, jüngeren, humanistischen, von der skeptischen Akademie geprägten Tradition der klassischen Jurisprudenz übernahm, die von dem Studienkollegen Ciceros Servius Sulpicius Rufus über das neu redigierte und von ihm erstmals kommentierte Edikt zur Herrschaft gebracht worden war4. Daß der Prinzipat den auf diese Weise entstandenen Pluralismus im Recht nicht nur tolerierte, sondern durch das beiden hauptstädtischen Schulen in ihren maßgebenden Vertretern gewährten ius respondendi ex auctoritate principis auch anerkannte, erklärt sich dabei durch die Tatsache, daß der kompromißhafte Gedanke, der die in die Krise geratene klassische Republik unter einer außerordentlichen monarchischen, die Republik als Idee respektierenden Obergewalt wiederherstellte, selbst pluralistisch war und durch die Anerkennung eines wissenschaftlichen Pluralismus an geistiger Unangreifbarkeit nur gewinnen konnte. Denn eine nähere Analyse hat gezeigt, daß der Prinzipat mit der Verfassungspolitik der Res publica restituta einerseits das hohe personale Freiheitsprestige für sich in Anspruch nahm, das mit der in der Zeit des Übergangs von Sulla auf Pompejus in der professionellen Rechtswissenschaft zur vollständigen Herrschaft gelangten klassischen Jurisprudenz verbunden war, andererseits seine Ausnahmegewalt mit den geistigen Mitteln der älteren vorklassischen Jurisprudenz legitimierte5. Die folgende Untersuchung geht mit der Frage nach dem Streit über den Kreis der für die Stipulation zulässigen Sprachen einer engen, in einem rechtsdogmatischen Sinn auf die Geltungsbedingungen des Vertrags bezogenen Fragestellung nach, im Unterschied zu den Untersuchungen zum allgemeinen Problem der römischen Vertragssprache6. Sie beruht, insofern sie methodisch auf die rechtswissenschaftlichen, d. h. theoriegestützten Rechtsquellenlehren zurückgreift, auf einer bereits erzielten, zentralen Klarstellung. Diese betrifft schen Rechtssysteme und das romantische Rechtsbild Dieter Nörrs“, Index 37 (2009) S. 397–452. 4  Eine Zusammenfassung gibt meine Abschiedsvorlesung „Die geistige Mitte des römischen Rechts. Die Kulturanthropologie der skeptischen Akademie“ SZ 125 (2008) S. 25–107. Siehe auch meine Untersuchung „Das Geheimnis des klassischen römischen Rechts. Menschliche Freiheit und Würde in schützenden, friedlichen Wettbewerb erlaubenden Formen“, in: Byoung Jo Choe (Hrsg.), Law, Peace and Justice, A historical survey (2007) S. 7–72. 5  Siehe „Princeps legibus solutus“, Festschrift für Christian Starck (2007) S. 3–20.



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den theoretischen Begriff 6des ius gentium, in dessen Bereich die Stipulation, wie uns Gaius (III 93) mitteilt, von ihrer ältesten Form, der sponsio, abgesehen, gehört. Der Terminus ius gentium, der als Grundbegriff der rechtswissenschaftlichen Rechtsquellenlehre in der gegen Ende des 4. und mit Beginn des 3. Jh. einsetzenden Hellenisierung des römischen Rechts eine zentrale Rolle spielt, steht, wie das Folgende weiter7 bestätigen wird, für zwei theoretische Bedeutungen, je nachdem, welche der beiden rechtswissenschaftlichen Traditionen wir in den Blick nehmen. In der einen Theorie sind die gentes die von ihr allgemein für die Menschheitsgeschichte postulierten, später von der Staatenwelt zergliederten, ursprünglich nur nach Naturrecht lebenden Stämme der Menschheit, in der anderen sind es die Staatsvölker, die mit der – die Menschheit aus einem von soziobiologischen Instinkten beherrschten Naturzustand herausführenden – Staatengründung entstehen, die ein ius gentium hervorbringen, das ein allen Staatsvölkern gemeinsames Zivilisationsrecht darstellt. Von den präurbanenen gentes der eigenrömischen Geschichte handelt weder die eine noch die andere Theorie. II. Das vorklassische sekundäre Ius gentium des römischen Ius civile und die Zulässigkeit aller Sprachen Die erste Bedeutung findet sich in dem von der historischen Rechtsschule marginalisierten, für die Kenntnis der vorklassischen Rechtslehre aber zentralen Merkspruch der maiores8: „Was ius civile ist, ist nicht sofort ius 6  Siehe insofern zuletzt die Arbeit von Janez Kranjc, Sive per se sive per verum interpretem (Ulpian D. 45,1,1,6). Zum Problem der Vertragssprache im römischen Recht, Festschrift für Rolf Knütel zum 70. Geburtstag (2009) S. 601–616. 7  Vgl. die zusammenfassende Interpretation in dem Artikel „Che cos’ era il ius gentium antico?“, Behrends, Scritti ‚italiani‘ (2009, zuerst 2006) S. 435–468. 8  Dieser Spruch, den Cicero, der Schüler des Mucius augur und Mucius pontifex (vgl. seine Schrift Laelius sive de amicitia I 1), in seiner Altersschrift De officiis bewahrt, lautet in lateinischer Fassung, die an das Bekenntnis zu einer die Menschheit umfassenden, nach Stämmen und Staaten gegliederten Gesellschaft anschließt (III 17, 69): itaque maiores aliud ius gentium, alius ius civile esse voluerunt, quod civile, non idem continuo gentium, quod autem gentium, idem civile esse debet. Beseler, der als ein Wortführer der Inter­polationistik erkannte, wie wenig diese Nachricht mit den Grundannahmen seiner Methode übereinstimmte, erklärte es kurzerhand für unecht. Dagegen Max Kaser in seiner Altersmonographie „Ius Gentium“ [1993] S.14 mit Anm. 43, nachdem ich bereits zwei Jahre zuvor dieser methodisch willkürlichen Textkritik Beselers widersprochen hatte. Vgl. meinen Artikel „Das Werk Otto Lenels etc.“, Institut und Prinzip 2004, zuerst 1991, S. 298 ff. Den gleichen Gegensatz zwischen eigennützigem Zivilrecht und fremdnützigem Naturrecht beschreiben Cicero, de officiis III 5. 23, Quintilian, Inst. 12,2,3 (Kaser a. a. O. S. 18 f.) sowie Paulus 14 ad Sabinum D 1,1,11.

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gentium, aber was ius gentium ist, das muß ius civile sein.“ Die folgende Untersuchung beschäftigt sich mit dem ersten Teil des Merkspruchs, der das positive, nicht sofort (!) zu universalem ius gentium werdende ius civile behandelt, da sich in ihm das durch Interpretation zu einer allgemeingültigen Form erhobene Stipulationsrecht bewegt, nicht mit dem Naturrecht, auf das der zweite Teil verweist. Der Spruch faßt die Lehre zusammen, daß in geschichtlicher Zeit der Trieb des Menschen nach dem Besonderen und Eigenen zu Staatsgründungen geführt hat, die gerade auch die Naturstämme, z. B. nach damaliger Anschauung den Stamm der Griechen, gliederten und in ihnen verschiedene unabhängige Staaten entstehen ließen9. Da insofern ein allgemeiner Trieb überall besondere Formen hervorgebracht hat, kennt dieses System ein sekundäres ius gentium, das nicht sofort, aber unter Umständen kraft Interpretation aus dem jeweils besonderen ius civile der Staaten, z. B. dem ius Quiritium der Römer, als universales Recht herausgearbeitet werden kann. Daneben kennt es ein ursprüngliches naturrechtliches ius gentium10, das als solches im ius civile fortdauert. In der juristischen Tradition begegnet dieses zweifache ius gentium, das als ius civile gilt, in dem Geschichtsabriß des Pomponius als ius non scriptum, das durch die Interpretation der Zwölftafeln in Ergänzung der lex als ius civile der Römer gewonnen worden ist11, und zwar, wie uns Cicero in seiner Schrift De oratore mitteilt, als Ergebnis der Arbeit der prudentia, die er beim Mucius augur kennen gelernt hat12. 9  Vgl. von Arnim, Stoicorum Veterum Fragmenta III S. 323 S. 79 f.; näher in dem Artikel „Che cos’era il ius gentium antico?“ (oben Anm.7). 10  Vgl. Cicero, de officiis III 5,23 natura, id est iure gentium constitutum. Vgl. Kaser (o. Anm. 8) S. 18 f. 11  Pomponius liber singulari enchiridii D 1,2,2 §§ 5,6 Von diesem ius, quod sine scripto venit compositum heißt es, communi nomine appellatur ius civile. Es ist eine „gemeinsame“, keine besondere Benennung, weil sowohl das sekundäre ius gentium der Staatenwelt als auch das ursprüngliche naturrechtliche ius gentium (vgl. oben Anm. 8) den Namen ius civile trugen. Es ist ein Sprachgebrauch, dem Ulpian 1 institutionum D 1,1,6 pr für das klassische System entspricht, wenn er ein ius commune vorstellt, dem er sowohl das soziobiologische ius naturale als auch das zivilisationsrechtliche ius gentium zurechnet, um dann im anschließenden § 1 mit einem Hoc igitur auf den Unterschied zwischen ius non scriptum und ius scriptum hinzuweisen. Auch das klassische ius commune ist grundsätzlich ius non scriptum, kann aber, da im klassischen Recht des ius gentium die Schriftform grundsätzlich nur dem Beweis dient, auch in Schriftform auftreten. Vgl. unten Anm. 98. 12  Cicero, de oratore I 41, 193–45, 200 läßt dort seinen einstigen Mentor in der Rhetorik Licinius Crassus, nachdem er ihn zuvor das von Servius realisierte Reformprogramm hatte vorstellen lassen, in Gegenwart des Mucius augur, der nicht nur sein erster Lehrer im Recht (oben Anm. 8), sondern zugleich Schwiegervater des Crassus war, das hohe Lied der Zwölftafeln singen. In ihnen sind (in typischem Dualismus) alle Zweckmäßigkeiten und Rollen der Bürgerschaft systemati-



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Die Stipulation ist ein sehr anschaulicher Fall eines solchen ius civile non continuo ius gentium. Als eigenrömische, im Zwölftafelwortlaut erwähnte sponsio ist sie ius proprium geblieben, in allen anderen Formen des Wortwechsels ist sie, wie Gaius uns in den genannten Stellen ausführlich auseinandersetzt13, von der Jurisprudenz im Rahmen des ius civile als universales ius gentium anerkannt worden. In diese Tradition gehört nun ersichtlich die Überlieferung, daß nach Sabinus, dessen Rechtslehre den Dualismus des Merkverses getreu bewahrt14, nicht nur das Lateinische und Griechische erlaubt (wir werden diese Ansicht im zweiten Abschnitt als die klassische nachweisen), sondern jede Sprache geeignet sei – als Beispiele werden bedeutende Nachbarsprachen des lateinisch-griechischen Kulturkreises gesiert (descriptis omnibus civitatis utilitatibus ac partibus) und alle Fragen der Rechtsphilosophie enthalten. Daher sei das schmale Schriftwerk der Zwölftafeln den Bibliotheken aller Philosophen überlegen und Quelle eines ius civile, im Vergleich zu dem die Rechtsordnungen Spartas und Athens auf unglaubliche Weise lächerlich und ungegründet erschienen. Die Herkunft dieser „civilis scientia“ sei nach Scaevola nicht dem Redner eigen, sondern stamme „ex alio genere prudentiae“. Daß dies die providentielle Klugheit der stoischen Philosophie ist, hatte Mucius vorher verraten, als er gegen seinen Schwiegersohn, der das Recht aus der zivilisatorischen Kraft der Rhetorik ableitete, seine Stoiker, in seinen Worte die „Stoici nostri“, in Stellung brachte (I 10, 43). 13  Gaius III 92 Verbis obligatio fit ex interrogatione et responsione, veluti DARI SPONDES? SPONDEO, DABIS? DABO, PROMITTIS? PROMITTO, FIDEPROMITTIS? FIDEPROMITTO, FIDEIUBES? FIDEIUBEO, FACIES? FACIAM. 93. Sed haec quidem verborum obligatio DARI SPONDES? SPONDEO propria civium Romanorum est; ceterae vero iuris gentium sunt, itaque inter omnes homines, sive cives Romanos sive peregrinos, valent. Et quamvis ad Graecam vocem expressae fuerint, veluti hoc , etiam hae tamen inter cives Romanos valent [tamen], si modo Graeci sermonis intellectum habeat; et e contrario quamvis Latine enuntientur, tamen etiam inter peregrinos valet, si modo Latini sermonis intellectum habeant. at illa verborum obligatio DARI SPONDES? SPONDEO adeo propria civium Romanorum est, ut ne quidem in Graecum sermonem per interpretationem proprie transferri possit, quamvis dicatur a Graeca voce figurata. 14  Paulus 14 ad Sabinum D 1,1,11 Ius pluribus modis dicitur: uno modo, cum id quod semper aequum ac bonum est ius dicitur, ut est ius naturale. altero modo, quod omnibus aut pluribus in quaqua civitate utile est, ut est ius civile. Das hier vorausgesetzte ius naturale ist das des vorklassischen ius gentium (vgl. Cicero, de officiis III 5, 23 natura, id est iure gentium … constitutum). Es ist als Recht, das letztlich göttlicher Herkunft ist, von dem Recht, das Menschen und den (höheren) Tieren gemeinsam ist und als soziobiologisches ius naturale von Ulpian bewahrt und dem zivilisationsrechtlichen ius gentium entgegensetzt wird (Ulpian 1 institutionum D 1.1.1.3), in nicht überbietbarer Schärfe unterschieden. Dem Umstand, daß das eigennützige ius civile teils allen, teils den meisten nützt, entspricht für die Stipulation der Umstand, daß die sponsio nur den Bürgern und damit den meisten, die übrigen Wortformen allen Bewohner der Civitas, den Fremden wie den Bürgern, zur Verfügung steht. Vgl. oben Anm. 13.

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nannt, im Südwesten das Punische, im Südosten das Aramäische15  –, wenn nur die Kongruenz der Antwort und die wechselseitige Verständlichkeit gewahrt blieben. Denn diese Ansicht entspricht dem Umstand, daß ein Institut, das dem sekundären, aus einem besonderen ius civile herausgearbeiteten ius gentium angehört, universale Geltung hat. Die entsprechende Aussage des letzten Satzes ist in eine etwas ungewöhnliche und vielleicht nicht ganz ungestörte Form gekleidet, darum aber, wie die englische Übersetzung in Watson’s Pennsylvania Digest gut herausstellt, nicht unklar16. Ulpian 48 ad Sabinum D 45,1,1.6 Eadem an alia lingua respondeatur, nihil interest. Proinde si quis Latine interrogaverit, respondeatur ei Graece, dummodo congruenter respondeatur, obligatio constituta est: idem per contrarium. Sed utrum hoc usque ad Graecum sermonem tantum protrahimus an vero et ad alium, Poenum forte vel Assyrium vel cuius alterius linguae, dubitari potest. Et scriptura Sabini, sed et verum patitur, ut omnis sermo contineat verborum obligationem, ita tamen, ut uterque alterius linguam intellegat sive per se sive per verum interpretem.

Da die vorklassische Rechtsklugheit das Gesetz als Wahl des Richtigen und damit als einen nur zunächst auf seinen buchstäblichen Ausdruck begrenzten Willen definierte, das von der Vernunft gewollte Recht zu wählen (legere) und in Kraft zu setzen17, und in ihren Augen damit schon das Wort für Gesetz „lex“ der Interpretation die Aufgabe stellt, das von einer solchen 15  Vgl. zu dieser Identifikation des in der folgenden Stelle genannten „sermo Assyrius“ U. Manthe: Assyrius sermo: Ulp. D.45,1,1,6; Mélanges Fritz Sturm, I (1999) S. 357 ff. 16  Die von Ben Beinart, Susan Hart und Andrew Lewis verantwortete englische Übersetzung in der zweisprachigen Digestenausgabe, Philadelphia 1984, formuliert: „The writings of Sabinus, however, allow it to be true that all tongues can produce a verbal obligation, provided that both parties understand each other’s language, either of their own accord or by means of a truthful interpreter.“ Rolf Knütel, Zur Auslegung und Entwicklung der Stipulation, in: Ars iuris, Festschrift für Okko Behrends (2009) S. 223–257 konjiziert S. 245: „dubitari potest ex scriptura Sabini. Sed et verum putatur, ut“ und übersetzt: „Bezweifeln kann man aber nach dem, was Sabinus schreibt . Als richtig ist aber anerkannt, daß usw.“ Danach hätte Ulpian (insoweit wie in der englischen Übersetzung) mitgeteilt, daß sich die bei Sabinus vorgefundene Meinung in seiner Zeit durchgesetzt habe. Störend ist daran das „et“, da Sabinus sich dann, wenn man es, wie man doch wohl muß, mitübersetzt, nur „auch“ durchgesetzt hätte. 17  Cicero spricht als Schüler der beiden Mucii, des Augur und des Pontifex, wenn er zunächst die Gesetzesdefinition vorstellt, die als diejenigen des Chrysipp auch in das spätklassische Lehrbuch des Marcian aufgenommen worden ist (1 institutionum D 1,3,2), und daran die vorklassische Etymologie anschließt (de legibus I 6, 15): Itaque arbitrantur, prudentiam esse legem cuius ea vis sit, ut recte facere iubeat, vetet delinquere; eamque rem illi Graeco putant nomine a suum cuique tribuendo appellatam; ego nostro a legendo: nam ut illi aequitatis, sic nos (!) derectus vim in



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Normierung, die den Namen verdient, notwendig gemeinte Recht18 herauszuarbeiten, war eine Kodifikation wie die Zwölftafeln für diese Jurisprudenz Ausdruck des für jede civitas konstitutiven Willens, die jeweils in besonderer Weise gefaßten rechtlichen Zusätze (προσθήκαι)19 zum ursprünglichen Naturrecht, die das positive, Eigennutz und Freiheit schützende ius civile der ersten Hälfte des Merkspruchs ausmachen, in umfassender Weise in Kraft zu setzen. Dieser Jurisprudenz stellte sich daher die Aufgabe, das ius scriptum dieser Kodifikation, das als positiv gesetztes Recht nach seinem Buchstaben galt und als ius proprium civile eingeordnet war, durch das ius non scriptum in systematischer Vollständigkeit zu ergänzen und das Ergebnis als das aufgefundene vernünftige Recht dem gesetzten Recht an die Seite zu stellen. Daher hat, wie Cicero in der zitierten Schrift den Mentor seiner Anfänge Licinius Crassus ausführen läßt (vgl. bereits Anm. 12), die erwähnte prudentia des in diesem Teil des Dialogs anwesenden und angesprochenen Mucius augur bewirkt, daß sich in den Zwölftafeln alle Zweckmäßigkeiten und Rollen des ius civile fänden, daß jemand, der an der Philosophie interessiert ist, in dieser Kodifikation alle Gesetz und Recht betreflege ponimus et proprium tamen utrumque legis est. Das römische „wir“ bezieht sich auf die vorklassische Jurisprudenz. Vgl. oben Anm. 8. 18  Cicero, de legibus II 5,12 kleidet den notwendigen Bezug des Gesetzes auf ein kraft immanenter Vernunft immer schon geistig vorhandenes Recht in den die Radbruch’sche Formel vorwegnehmenden Gedanken, daß diejenigen, die den „Staatsvölkern“ (populis) gefährliche und ungerechte Gesetze in Geltung setzen, widersprüchlich handeln, nämlich am Ende nichts durchgebracht hätten, was den Namen „Gesetz“ verdient (quidvis potius tulisse quam leges) und hebt hervor, damit die bereits erwähnte Etymologie (oben Anm. 17) vollends durchsichtig gemacht zu haben: ut perspicuum esse possit in ipso nomine legis interpretando inesse vim et sententiam iusti et veri legendi. Diese Auffassung ordnet sich der stoischen Lehre ein, daß die civitates Produkte rechtlicher „Zusätze“ (προσθήκαι) zum alten Naturrecht sind, und zwar „Zusätze“, die bei aller Verschiedenheit von dem gleichen, der Vernunft des bürgerlichen Zeitalters entsprechenden Triebe getragen sind, nämlich ein Leben unter den Bedingungen der bürgerlichen Freiheit zu ermöglichen, das im Naturrecht so nicht möglich war. Vgl. StVF III S. 87 f. Ziff. 360 a. E. 19  Daß die Rechtsordnung der civitates, welche die nach Naturrecht lebenden Stämme gliedern, als solche erkennbare Zusätze (προσθήκαι) zur Natur waren, betont die Quelle StVF III S. 79 f. Ziff. 323 wiederholt und mit Nachdruck. Die älteste lateinische Lehnübersetzung war vermutlich das erst später technisch gewordene Wort „condicio“. In diesem anzusetzenden, älteren Sinn verwendet es Cicero, Topica 21, 82 Cognitionis sunt eae quarum est finis scientia, ut si quaeratur a naturane ius profectum sit an ab aliqua quasi condicione hominum et pactione. Zu der von Cicero formulierten Alternative muß man bedenken, daß die stoische Rechtslehre sie stehen läßt, indem ihrer Anschauung nach das Recht sowohl kraft Natur als auch kraft einer „gewissenen menschliche Lage“ gilt, nämlich kraft des in historischer Zeit bei allen auftretenden und darum durch Vereinbarung über eine entsprechende Rechtsordnung zu befriedigenden Bedürfnisses nach einer Lebensform, die das Besondere schützt.

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fenden Fragen beantwortet finde, daß dieses Gesetzbuch der Römer an Geltungskraft und Ergiebigkeit alle Bibliotheken der Philosophen übertreffe, daß ferner das ius civile der Römer im Vergleich das Recht der Spartaner (trotz Drakon und Lykurg) und der Athener (trotz Solon) in unglaublicher Weise ungegründet und fast lächerlich erscheinen lasse und schließlich selbst eine Rechtswissenschaft repräsentiere, die Juristen zu führenden Staatsmännern erhebe und (den Griechen mit ihren schlecht bezahlten Sachwaltern unbekannte) Gestalten von der geistigen Statur eines Sext. Aelius Paetus Catus, des Verfassers des ersten Kommentars der Zwölftafeln, hervorgebracht habe20. In dem Geschichtsabriß des Pomponius finden sich zwei widersprüchliche Nachrichten über den Beginn dieses ius non scriptum, zwischen denen aber die Wahl nicht schwer fällt, da er selbst einen klaren Fingerzeig gibt. Zunächst sagt er, daß die kreative Interpretation, die das ungeschriebene ius civile hervorgebracht habe, alsbald nach Inkrafttreten der Zwölftafeln begonnen habe21. Später aber betont er, daß ungefähr einhundert Jahre nach Inkrafttreten der Zwölftafeln eine Zäsur zu konstatieren sei, durch die die alte Form der Rechtsweisung des Pontifikalkollegiums, in der alljährlich ein Pontifex für die Privatstreitigkeiten abgestellt wurde, ein Ende fand, und zwar teils mit der emblematischen Figur des Appius Claudius Caecus, der mit seinem Protegé Gnaeus Flavius den weltlichen Juristen vorbereitete, teils mit der nicht weniger emblematischen Figur des Sempronius σοφός, Konsul 303 und erster plebejischer Pontifex (300), der durch sein Cognomen seine historische Rolle, der erste der mit Q. Mucius Scaevola p. m. (consul  95) endenden Reihe hellenistisch geprägter Pontifikaljuristen zu sein, deutlich vor sich her trägt22. Dieser durchaus spektakuläre Neuanfang 20  Der bereits oben Anm. 12 kurz interpretierte Text verdient als eine bedeutende zusammenhängende und ungemein verdichtete Aussage wiederholte sorgfältige Lektüre. Sie sei jedem angehenden Romanisten angelegentlich empfohlen. Der Text gewinnt dadurch zusätzlichen Rang, daß Cicero seinen Mentor aus der Zeit, als er mit Servius Sulpicius Rufus gleichzeitig Rhetorik und das in der Rhetorik gelehrte Recht studierte (Cicero, Brutus 41, 151), nicht nur die Jurisprudenz der maiores preisen, sondern auch die von der von ihm selbst repräsentierten philosophischen Rhetorik ausgehende Reform des Servius ankündigen läßt (De oratore I 42, 190). In der damit Licinius Crassus von Cicero beigelegten Haltung, die klares Unterscheidungsvermögen mit Toleranz verbindet, kündigt sich die Entscheidung des Prinzipats an, die beiden Rechtstraditionen der Republik in den beiden Schulen miteinander konkurrieren zu lassen. 21  Pomponius lg sg enchiridii D 1,2,2,5. 22  Pomponius lg sg enchiridii D 1,1,2,37: „Fuit maximae scientiae.“ Wieackers Frage (Römische Rechtsgeschichte [1988] S. 535): „War er überhaupt praktizierender Jurist?“ ist von der gleichen Tendenz getragen wie die oben Anm. 8 erwähnte Interpolationsbehauptung Beselers: In der von den Überzeugungen der Hi-



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erlebt nach mehreren Generationen einen ersten literarischen Höhepunkt in dem bereits erwähnten Zwölftafelkommentar des Sextus Aelius, der mit seiner Dreiteilung „Gesetzestext, Auslegung, Klagformulare“ die das ungeschriebene Recht hervorbringende produktive Interpretation in den Mittelpunkt stellte. Die Stipulation liefert nun ein besonders plastisches Beispiel für die Wahrheit des ersten Teils des Spruchs „Was bürgerliches Recht (ius civile) ist, ist nicht sofort Recht der menschlichen Stämme (ius gentium)“. Denn einesteils hat es die in den Zwölftafeln geregelte sponsio selbst nie zu einem ius gentium gebracht, sondern ist ein auf die Bürger beschränktes propium ius civile geblieben23, anderenteils hat die Stipulation in allen übrigen zugelassenen Formen schon früh den Durchbruch zu einem allen Menschen offenen, das ius civile über seinen Buchstaben hinausführenden ius gentium erreicht24. Wie angesichts des Alters der ersten hellenistischen Jurisprudenz zu erwarten, sind die neben die den Bürgern vorbehaltene Abschlußform SPONDESNE? SPONDEO tretenden Abschlußformen wie DABIS? DABO und FIDEPROMITTIS? FIDEPROMITTO in der Zeit des Plautus mit Selbstverständlichkeit in Gebrauch25. Plautus kennt auch den Begriff der die gesamte Menschheit gliedernden und verbindenden Gentes, der mit dem altquiritischen Sinn von Gens nichts zu tun hat, und verwendet ihn sowohl, um das römische Publikum darauf hinzuweisen, daß es inzwischen in der Welt der storischen Rechtsschule geprägten Romanistik war für substantielle Einflüsse hellenistischen Rechtsdenkens auf das römische Recht kein Raum. Die griechische Form des Cognomen machte Sempronius als Juristen verdächtig. 23  Gaius III 92: verborum obligatio DARI SPONDES? SPONDEO propria civium Romanorum est. Die Zwölftafelregelung der Sponsio bezeugt Gaius IV 17a. 24  Vgl. die Fortsetzung des vorherigen Textes Gaius III 92: ceterae vero (sc. verborum obligationes) iuris gentium sunt, itaque inter omnes homines, sive cives Romanos sive peregrinos, valent. Als erste Abschlußform erwähnt Gaius die Wechsel DABIS? DABO, als zweite und dritte die Wechselrede mit promittere, zunächst ohne, dann mit ausdrücklichem Hinweis auf das Treueprinzip der fides. 25  Vgl. die Szene im Pseudolus 1070 ff. BA(llio) roga me viginti minas gestio promittere SIMO nullumst periclum, quod sciam stipularier, /  ut concepisti verba: viginti minas. /  dabin? BA dabuntur. SIMO hoc quidem actumst hau male, deren Ergebnis Ballio später als Scherz abtun will (1214): quod promisi per iocum. Vgl. auch die Frage im gleichen Stück Pseudolus 536: PS(eudolus): dabin mi argentum . CALL(ipho) ius bonum orat Pseudolus; /  ‚dabo‘, auf deren Wirkung später verwiesen wird, sowohl im Vers 1068: BA minae viginti hodie quas aps te est instipulatus Pseudolus als auch im Vers 1241 SIMO promam viginti minas /  quas promisi Auf die Wechselrede mit promittere deutet die Szene im Rudens 1384 DA(emones) promisistin huic argentum? LA(brax) fateor. DA. Quod servo promisisti meum esse oportet, ne tu, leno, postules, /  te hic fide lenonia uti.

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gentes viel besonderes Recht (ius proprium) gibt26, als auch in dem Sinn, den der Terminus in der hellenisierten Pontifikaljuriprudenz annehmen mußte, nämlich als Bezeichnung einer Ordnung, deren Regeln nicht nur weltlich garantiert sind, sondern auch von den göttlichen Mächten gewährleistet werden, mit denen die Menschen nach stoischer Anschauung in den Civitates zusammenleben wie Kinder im elterlichen Hause, d. h. unter einer als naturgegeben akzeptierten geistigen Führung27. Daß die vorklassische Jurisprudenz und ihr folgend die Sabinianer alle Sprachen zuließen, also um in den Anfängen praktisch bedeutende Beispiele zu nennen, auch das oskische, etruskische und phoenizische zuließen und auch gestatteten, sobald wechselseitiges Verständnis gewährleistet war, daß in der einen Sprache gefragt, in der anderen versprochen wurde, war notwendige Folge des Umstands, daß auch das sekundäre ius gentium, das als ius non scriptum erst mit der Entstehung der civitates auftrat, genauso für alle – nunmehr in bürgerlichen Formen lebenden – Menschen galt wie das mit dem Menschengeschlecht gleich alte Naturrecht. Daher war es folge26  Vgl. den Prolog zur Casina 67 ff.: sunt hic inter se quos nunc credo (sc. ego, Plautus) dicere: ‚quaeso hercle, quid istuc est? serviles nuptiae? / servi uxorem ducent aut poscent sibi? / novom attulerunt, quod fit nusquam gentium‘ (!) /  at ego aiio id fieri in Graecia et Carthagini / et hic in nostra terra in Apulia; /  maioreque opere ibi serviles nuptiae / quam liberales etiam curari solent; / id ni fit, mecum pignus si quis volt dato / in urnam mulsi, Poenus dum iudex siet / vel Graecus adeo, vel mea caussa Apulus. Plautus breitet in diesem Prolog im direkten Gespräch mit seinem römischen Publikum ersichtlich persönliche rechtsvergleichende Kenntnisse aus. Er ist sich ihrer so sicher, daß er sogar mit einer Klärungsmöglichkeit durch einen Schiedsrichter scherzt, solange dieser nur aus den entsprechenden Rechtsgebieten kommt. Die bei Plautus häufige Redeweise ubi gentium, nusquam gentium u. ä. enthält gewiß nicht zufällig die gleiche, die bewohnte Welt nach gentes gliedernde Vorstellung wie der Terminus ius gentium. In den engen Verhältnissen der altlatinischen Gentes können sich diese Redeweisen nicht gebildet haben. 27  Im Prolog des Rudens tritt der Stern Arcturus als Bürger der von Juppiter beherschten Civitas der Himmlischen auf (1): Qui gentis omnis mariaque et terras movit, /  eiius sum civis civitate caelitum), der als Abgesandter des Himmelsgottes bei den Gentes über die Treue der Menschen wacht (9): qui est imperator divom atque hominum Iuppiter, /  is nos per gentis alios alia disparat /  qui facta hominum mores­ que, pietatem et fidem /  noscamus und alle diejenigen, welche die Treue nicht halten, Juppiter meldet. 14: quique in iure abiurant pecuniam, /  eorum referimus nomina exscripta ad Iovem. Juppiter ist hier der Wächter über das ius civile non continuo ius gentium, das überall als geltend postulierte eigennützige ius civile. Hierhin gehört auch die auf ein gebrochenes Stipulationsversprechen bezogene Frage des Kupplers (Rudens 1377) tun me pontifex peiiurio es? Zur Vorstellung, daß die Menschen die Städte in Gemeinschaft mit den Göttern wie Kinder die Häuser in Gemeinschaft mit ihren Eltern bewohnen, v. Arnim, StVF III Ziff. 334 S. 82,6–12. Vgl. unten Anm. 32.



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richtig, auch dessen Geltung auf die gesamte, in Naturstämme gegliederte Menschheit zu erstrecken. Dieses Denken kennt keine Ungleichheit unter den Stämmen28. Wie sich die den Römern vorbehaltene, sponsionsförmige Stipulation von ihren Anfängen, die in die präurbarne Siedlungszeit zurückreichen, über die Zwölftafeln, die ihr mit der iudicis postulatio eine neue, stadtbürgerliche Prozeßform zur Verfügung stellten29, zu der einfachen promissorischen Wechselrede entwickelt, ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Gewiß ist nur, daß die durch das Kongruenzprinzip zu einer Form erhobene Wechselrede nicht am Anfang steht. Das komplexe, ursprünglich auf Darlehensverhältnisse beschränkte Rechtsgeschäft, durch das der Schuldner in dem im „stipulari“ angedeuteten Haftungsgeschäft für den Fall der Nichtrückzahlung seine Freiheit einsetzte, diese aber bis zur Fälligkeit der in dem Gelöbnis des „spondere“ vereinbarten Leistung unter den Schutz der Rechtsordnung stellte – daher war nach vordezemviralem Recht gegen den Schuldner das Rechtsverfahren der manus iniectio zulässig, dessen Berechtigung wegen Freiheitsverlustes der Schuldner nicht mehr selbst, sondern nur mit Hilfe eines für ihn eintretenden vindex bestreiten konnte – stand, wie anzunehmen ist, nicht nur in der Phase der Durchsetzung, sondern schon in der Phase der Begründung unter der unmittelbaren Kontrolle des ältesten Trägers der Jurisdiktionsgewalt30. Auch wird es Zwischenstufen auf dem Wege von diesem Anfang zu dem Recht der einfachen Wechselrede gegeben haben. Späteren Forschungen sei die Frage vorbehalten, ob dem am Ende aus dem allgemeinen Vertragsrecht verbannten promissorischen Eid auf diesem Weg eine besondere Bedeutung zukam31. Im Rahmen dieser Untersuchung genügt die Feststellung, daß wir die Methode des „ius civile non continuo ius gentium“ auf das Zwölftafelinstitut der sponsio-stipulatio konsequent angewendet finden. Wir sehen einen Vertrag, der sich schon durch die „unnatürliche“, formale Wortkongruenz verlangende Abfolge von Frage und Antwort als ein „Zusatz“ zum stets mit 28  v. Arnim, StV F S. 84, 28 (Cicero, de legibus I 10, 28): Nec est quisquam gentis ullius, qui ducem nactus ad virtutem pervenire non possit. 29  Vgl. dazu meine Untersuchung „Der Zwölftafelprozeß. Zur Geschichte des römischen Obligationenrechts“ (1974). 30  Siehe den Rekonstruktionsversuch der ältesten Stipulation in meinem „Vindikationsmodell“, Institut und Prinzip I S. 354 ff. 31  Hinweise enthalten Cicero, de officiis III 29. 104 und vor allem 31, 111 nullum enim vinculum ad adstringendam fidem iure iurando maiores artius esse voluerunt. Indicant leges in duodecim tabuluas. Es könnte daher sein, daß das römische Recht die grundsätzliche Unverbindlichkeit des promissorischen Eides (vgl. Gaius III 96) nicht von Anfang an vertreten hat.

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natürlichen Verständigungen auskommenden Naturrecht zu erkennen gibt. Er weist zugleich als solcher folgerichtig zwei Spielarten auf, eine enge, die, da an das Zwölftafelwort spondere gebunden, den Quiriten vorbehalten geblieben ist, und eine offene, zahlreiche Versprechensworte zulassende, die in das sekundäre ius gentium aufgenommen worden ist. Da die stoische Theologie und diejenige ihres Wegbereiters Antisthenes, mit deren Gegenwart in Rom wir seit dem ersten plebejischen pontifex Sempronius σοφός in Rom zu rechnen haben, zwischen dem einen Gott und seinen jeweiligen in den Stadtstaaten verehrten Ausprägungen unterscheidet, ergibt sich auch, wie es zu denken ist, daß über die beiden Spielarten der Stipulation, einerseits die universale, andererseits die quiritsche, jeweils die moralische Kraft Juppiters wachte. Εs war, nicht zufällig in Analogie zum „ius civile non continuo ius gentium“, einmal der jeweils besondere Stadtgott der Bürgersstaates Roms oder der anderer Stadtstaaten, das andere Mal die universale, überall über die Verhältnisse wachsende Gottheit32. Der Formalismus der Wechselrede hält zugleich den Verbalvertrag auf der Seite des ius civile non continuo ius gentium, d. h. des eigennützigen Rechts, um dessentwillen nach vorklassischer Lehre die Rechtsordnungen der civitates als Zusätze zum Naturrecht ins Leben gerufen worden sind. Er ist in dieser Tradition einer der eigennützigen Verträge, die erfunden worden sind, damit ein jeder mit ihrer Hilfe sein eigenes Interesse verfolge33. Entspre32  Was insofern im Rudens-Prolog (oben Anm. 27) bereits anklang, expliziert das Fragment STVF I S. 43, 8 ff.: Antisthenes unum esse naturalem Deum dixit, quamvis gentes et urbes suos habeant populares. Eadem fere Zeno cum suis Stoicis. Der Sokratesschüler Antisthenes gilt als geistiger Anreger der stoischen Richtung, Diog. Laert. VI 14. Im gleichen Sinn unterscheidet noch die Theologie des pontifex maximus Q. Mucius Scaevola (vgl. Augustinus, De civitate die IV 27) zwischen dem, was die Philosophen geklärt haben, und dem, was von den verantwortlichen Staatsmännern („a principibus civitatis“) vertreten wird. In der Religion begegnet hier nicht zufällig die gleiche Schonung des Besonderen im prinzipiell Gleichen, die die Regel: quod ius civile, non continuo ius gentium im Recht fordert. Das Besondere öffnet sich in diesem Denken hin zum Universalen, löst sich aber nicht in ihm auf. Im Poenulus ist der von Hanno (1163) und seiner Sklavin (1123) angerufene Juppiter nicht die römische, sondern die entsprechende karthagische Gottheit. Zugleich kennt Hanno genau den Unterschied zwischen den Stadtgöttern, welche eine konkrete Stadt schützen (950: deos deasque veneror qui hanc urbem colunt) und dem Allvater Juppiter (1187: Juppiter, qui genu’ colis alisque hominum, per quem vivimu’ vitalem aevom / quem penes spes vitae sunt hominum omnium). 33  Ulpian 49 ad Sabinum D 45,1,38,17 inventae sunt enim huiusmodi obligationes ad hoc, ut unusquisque sibi adquirat quod sua interest. Der Hinweis begründet den Satz alteri nemo stipulari potest, mit der Feststellung: ut alteri detur, nihil interest mea. Die vorklassische Herkunft der auf diese Weise gerechtfertigten regula iuris bezeugt Q. Mucius Scaevola lb sg ὅρων D 50,1,17,4. Zu näheren Nachweisen, daß



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chend hat diese Obligation strikte Eigenschaften, die entsprechend dem Alter der vorklassischen Jurisprudenz schon Plautus als selbstverständlich registriert. Wer aus einer Stipulation klagt, unterliegt der (naturrechtlichen Klagen unbekannten) plus petitio34. Allein die Stipulation ist in der Lage, die dem Naturrecht fremden Vertragszinsen, den faenus, zu vereinbaren35. Ihre Struktur kennt keine unmittelbare Berücksichtigung von naturrecht­ lichen Rücksichtsprinzipien; um sie zur Geltung zu bringen, bedarf es ihr gegenüber der in integrum restitutio36. er im fremdnützigen Naturrecht des vorklassischen Dualismus nicht galt, vgl. meinen Aufsatz „Überlegungen zum Vertrag zugunsten Dritter“, Institut und Prinzip II (2004) S. 839–878 (zuerst in der Festschrift Sanfilippo [1984] S.1–58). 34  Auf sie bezieht sich der an den Bankier und Gläubiger (danista) gerichtete fromme Wunsch des Sklaven Trachalio (Mostellaria 632); velim quidem hercle ut uno nummo plus petas. Zuvor hatte er an seinen Herrn gewendet gesagt (651 ff.): absolve hunc quaeso … /  quattuor quadraginta illi debentur minae, et sors et faenus, worauf ihm der Bankier mit den bestätigenden Worten: tantumst, nihil plus peto sogleich das Stichwort lieferte. Zur Strenge und der (regelmäßig zum Verlust des Anspruchs führenden) Härte der plus petitio Cicero, pro Roscio comoedo 4,10 und Gaius IV 53a und 56. Bei den bonae fidei iudicia (Gaius IV 62), den Nachfolgern der vorklassischen Naturrechtsklagen, gab es keine plus petitio, da sie allesamt auf ein incertum gerichtet waren (Gaius IV 54). 35  Der in Geldnöten steckende Jüngling Argyrippus, der sich auf dem Forum bei Freunden, aber auch bei Geschäftsleuten um einen Kredit bemühen will, macht deutlich, daß es dafür zwei Formen gibt, einerseits das Freundschafts-, andererseits das Zinsdarlehen (Asiniaria 268): nam si mutuas non potero, certumst sumam faenore. Die letzteren bekommt man, wie Plautus, Curculio deutlich macht auf dem (470) „comitium“, von denen (473) „qui … stipulari solent“. Diese, die sich zinsbar Rückzahlung versprechen lassen, aber auch selbst zinsbare Einlagen annehmen, sind die Bankiers, die sich, wie weiter erwähnt wird (480): sub veteribus : ibi sunt qui dant quique acci­ piunt faenore. Daß nur die Stipulation Darlehenszinsen begründen konnte, blieb positives Recht. Vgl. Kaser, Röm. Privatrecht I2 (1971) S. 497 bei Anm. 34 und 531 bei Anm. 21. Den uralten Grundsatz formuliert African 8 quaestionum D 19,5,24: pecuniae quidem creditae usuras nisi in stipulationem deductas non deberi. 36  Der Kuppler Labrax spielt unmißverständlich auf sie an, wenn er im Hinblick auf sein einem Sklaven erteiltes Versprechen, das in dieser Szene als Stipulationsversprechen erscheint, herausfordernd nach einem geeigneten Kläger fragt (Plautus, Rudens 1380) cedo quicum habeam iudicem – der Sklave weist zutreffend auf seinen Herrn (1382): habe cum hoc) und zur Steigerung der Provokation die offenbar damals schon stereotype, da in keiner Weise durch den Sachverhalt nahegelegte Bemerkung hinzufügt, daß der Betreffende die Klage bleiben lassen könne, wenn er sich als Gläubiger das Versprechen arglistig hätte erteilen lassen oder er selbst als Versprechender noch minderjährig gewesen wäre (1381): ni dolo malo instipulatus sis sive etiamdum siem /  quinque et viginiti annos natus. Die Scheu gegenüber der Annahme, daß hier eine integrum restitutio gemeint ist – trotz der Tatsache, daß dieses Institut von Terenz, Phormio 451 ausdrücklich bezeugt wird, und trotz des Umstandes, daß die beiden Tatbestände noch im klassischen Edikt unter dem Titel De in integrum restitutionibus unmittelbar aufeinander folgen – erklärt sich aus der

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Es ist nun diese als Zusatz zum Natürlichen erkennbare Form, welche die Stipulation als eigennützigen Vertrag von den naturrechtlichen Verträgen trennt, die allesamt durch natürliche formlose Verständigung geschlossen werden, sowohl die Plautus in ihrer vorklassischen Form mit Selbstverständlichkeit geläufigen (in klassischer Zeit als Konsensualverträge des Zivilisationsrechts begegnenden) Verträge societas37, mandatum38, emptio venditio39 und locatio conductio40 als auch das (erst in klassischer Zeit zu einem formalen Realvertrag gewordene) mutuum41 und die (in klassischer Zeit mit den rechtsethisch legitimierten formulae in factum conceptae verTatsache, daß diejenigen, die so urteilen, von der Existenz der mit dem Ende des 4.  Jh. einsetzenden ersten hellenistischen Rechtswissenschaft Roms nichts wissen oder nichts wissen wollen. 37  Im Rudens geht die scharfsinnige Frage des klugen Sklaven Trachalio (1023): quo argumento socius non sum et fur sum? dahin, daß die naturrechtlichen Verhältnisse des vorklassischen Rechts nicht davon abhingen, ob die Beteiligten sich dem Gebot der Fremdnützigkeit unterordneten oder es verletzten. Eine solche naturrechtliche Norm bindet den Willen. In dieser Tradition sagt Ulpian 69 ad edictum D 43,16,1,15 unter Berufung auf Sabinus und Cassius (qui ratihabitionem mandato comparant) für den Fall, daß jemand eine Gewalttat nachträglich billigt: rectius enim dicitur in maleficio ratihabitionem mandato comparari. Das gleiche sagt das „immo magis“ bei Ulpian 10 ad edictum D 3,5,5, 5(3), d. h. das „erst recht“, mit dem gegen Labeo, der nur den bewußt fremdnützigen Geschäftsführer ein Schuldverhältnis begründen sieht, auch der bewußt eigennützigen Eingriffsgeschäftsführung diese Wirkung zugesprochen wird. 38  Im Mercator schwindeln sich Vater und Sohn wechselseitig an, indem sie beide, Demipho wie Charinus, behaupten, die schöne Sklavin, in die sie sich verliebt haben, im Auftrag eines alter ego, der sich vor ihren Augen in sie verguckt habe, gekauft zu haben; beim Vater war es ein Greis, beim Sohn ein Jüngling. (426) DE … senex est quidam qui illam mandavit mihi /  ut emerem – ad istanc faciem. CH. At mihi quidem adulescens, pater  /  mandavit ad illam faciem, ita ut illa est, emerem sibi. 39  In der Wechselrede zwischen dem Sklaven Tranio und seinem Herrn Theopropides tritt uns der Kauf der älteren frühklassischen Jurisprudenz deutlich entgegen (Mostellaria 696): de vicino hoc proxumo /  tuos emit aedis filius. TH. bonan fide? TR. Siquidem tu argentum reddituru’s, tum bona, /  si redditurus non es, non emit bona. Es ist noch die einfache fides, welche den Vertrag verbindlich macht. Sie wird zur „guten Treue“ durch Erfüllung. Daher sagt der angebliche Verkäufer, der Nachbar Simo, später zu Theopropides, der ihm arglos die vermeintliche Kaufgeldschuld mit den Worten (1021): minas tibi octoginta argenti debeo zur Kenntnis bringt: non mihi quidem hercle. verum, si debes, cedo [=  her damit!].  /  fides (!) servanda est, ne ire infitias postules. 40  Von einer Verdingung von Arbeit spricht der Koch in Plautus Aulularia 457 conductus fui; auf die damals noch orale Klagbarkeit weist die Antwort des Geizhalses Euclio hin (458): lege agito mecum. 41  Zum vorklassischen Vorläufer des klassischen Realdarlehens vgl. die grundlegende Arbeit von Byoung Ho Jung, Darlehensvalutierung im römischen Recht (2002) S. 158 f.



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sorgte) Leihe (commodatum)42 und Verwahrung (depositum)43. Die Übereignung des Geldes beim Darlehen oder die Übergabe bei Leihe und Verwahrung sind in vorklassischer Zeit keine Formen, sondern bilden die Art und Weise, in der diese natürlichen Vertragsverhältnisse mitmenschlichen Rechtsverkehrs nach ihrer Fremdnützigkeit verwirklicht werden. Geltungsgrund dieser Verträge war durchweg das der menschlichen Gesellschaft geforderte, im unmittelbaren oder mittelbaren Austauschen von Nützlichem bestehende prodesse. Dieses Naturgebot forderte, wie uns der Schüler des Mucius augur Cicero im ersten Buch seiner Schrift De officiis mitteilt, lediglich die Einhaltung der mit diesen Verträgen übernommenen fides44. Es war wohlgemerkt nicht die bona fides, die erst mit der die Ansätze der Vätergeneration zusammenfassenden Jurisprudenz des Q. Mucius Scaevola pontifex maximus ihre den Eigennutz in nicht unerheblichem Maße beanspruchende und von Cicero im dritten und letzten Buch der genannten Schrift nicht ohne deutliche Distanzierung beschriebene Herrschaft antrat45. Die gemeinsame Grundlage dieses dualistischen Vertragsrechts liefert der Begriff des negotium. Er ist zur Bezeichnung eines pflichtenhaltigen und 42  Die Terminologie gibt noch dem auch später für die Leihe bewahrten natürlichen utendum dare gegenüber dem im klassischen Edikt technisch gewordenen commodare die Führung (Ulpian 28 ad edictum D 13,6,1,1 erörtert es im Kommentar). Das zeigt die kleine, auf Täuschung des fremden Kaufmanns berechnete Szene zwischen dem die Rolle des Hausverwalters spielenden Leonida und dem Sklaven Libanus (Asinaria 444): LE: scyphos, quos utendos dedi Philodamo, rettulitne? LI non etiam. LE. hém non? Si velis, da, commoda homini amico. Siehe auch Aulularia 95–97, wo der Geizhals Euclio seine unfreie Haushälterin anweist, gegenüber Leihewünschen zu sagen, die entsprechenden Sachen seien gestohlen. Die Reziprozität ist hier bei der Leihe (wie beim Darlehen) die der positiven Fassung der Goldenen Regel, die unmittelbar auf die Hebung der sozialethischen Verhaltensstandards berechnet ist: „Was Du willst, daß man Dir tu, das tue Du auch für jeden andern.“ 43  Die Verwahrung erwähnt der Soldat Therapontigonus, wenn er zum Kuppler Lyco gewendet sagt (Curculio 535 f.): triginta minas  /  quas ego apud te deposivi. 44  Die von Cicero, de officiis I 7,22 beschriebene, unter dem Prinzip der einfachen Vertragstreue stehende naturrechtliche Verkehrsgesellschaft gehört zum Spruch der maiores in Cicero, de officiis III 17,69 und gibt wieder, was Cicero beim Q. Mucius Scaevola augur, seinem ersten Lehrer, gelernt hatte. 45  Die von der bona fides beherrschte Verkehrsgesellschaft, die Cicero, de officiis III 70, 70, aus seiner Lehrzeit bei Q. Mucius Scaevola p. m. kennt und mitteilt, beruht auf den Neuerungen, die auf Antipater von Tarsos zurückgehen. Sie zeigen sich, wenn Diogenes von Babylon gegen seinen Schüler Antipater daran festhält, daß der Verkäufer Baufälligkeit und Verseuchung eines Hauses verschweigen darf (de officiis III 13, 54). In gleicher Weise bestreitet Cicero im Namen der Ausbildung, die er bei Mucius augur (!) empfangen hatte, daß der Verkäufer grundsätzlich zur Mängelaufklärung verpflichtet sei, wie der von der neuen Naturrechtsinterpretation erfaßte Vater des Cato Uticensis als Geschworener entschieden hatte (III 16, 66 f.): huiusmodi reticentiae iure civili comprehendi non possunt.

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klagbaren und daher „unruhigen“ Verhältnisses der Sprache des Plautus vertraut46 und hat entsprechend dem Gesamtsystem zwei idealtypische Ausprägungen. In dem einen bezeichnet er die Betätigung des eigennützigen Willens, im anderen den der Fremdnützigkeit47. Kraft dieser Verbindung von eigennützigem Geschäft und Form ist die Stipulation von einem klaren Willenselement getragen, das für die Stipulation durch eine der vorklassischen Rechtswissenschaft zuzuschreibende Etymologie bekräftigt wird und seine jurisprudentielle Bedeutung durch den Ausschluß des Scherzgeschäfts beweist48. 46  Der Kuppler Labrax macht diese Bedeutung deutlich, wenn er fürchtet und dann auch tatsächlich erlebt, daß der Jüngling Plesidippus ihn wegen des durch die Zahlung eines Angelds bekräftigen Verkaufs vor Gericht bringen will. Er sagt erst ahnungsvoll (Rudens 554): nunc si me adulescens Plesidippus viderit, /  quo ab arrabonem pro Palaestra acceperam, /  iam is exhibebit hi mihi negotium und erlebt dann tatsächlich die Ladung vor Gericht (860): PL: age, ambula in ius: LA. quid ego deliqui? PL. rogas? /  quin arrabonem a me accepisti ob mulierem /  et eam hinc abduxti. Noch der hochklassische Sabinianer Gaius verwendet das Wort in der gleichen umfassenden Bedeutung, wenn er „negotium gerere“ sowohl für den Abschluß eines Konsensualvertrags (III 136) wie für die Stipulation verwendet (III 106) und die pflichtenhaltige „Unruhe“ auch in die Prozeßphase hinein andauern läßt. Vgl. Gaius IV 184 Cum autem in ius vocatus fuerit neque eo die finiri potuerit negotium. Technisch ist auch die Rede des Kupplers Dordalus, Persa 714 scit quid negoti gesserit, /  qui mihi furtivam meo periclo vendidit, /  argentum accepit, abiit. Vgl. zu diesem vorklassischen Zentralbegriff auch das im Text Folgende. 47  Pomponius bezeugt die zweifache Bedeutung in der Wendung (36 ad Quintum Mucium D 45,1,57): In omnibus negotiis contrahendis, sive bona fide sive non sint,. Daß Pomponius entsprechend seiner Stellung in der Entwicklungsgeschichte seiner (sabinianischen) Schule in der Stelle die vorklassische Unterscheidung einebnen will und das klassische Irrtumsrecht mitsamt der Theorie der Konsensualverträge auf die negotia bona fide contrahenda übertragen will, kann hier auf sich beruhen. 48  Zur Verbindung des eigennützigen negotium mit der Stipulationsform vgl. die folgende Anm. Die Etymologie bewahrt Varro, Ling. 6, 69–6,72, und zwar auf zwei Stufen, nämlich in der Weise, daß das „spondere“ erst vom willentlichen Reden abgeleitet wird (§ 69): Spondere est dicere ‚spondeo‘: a sponte, nam id valet a voluntate spondet enim qui dicit sua sponte: ‚spondeo‘. Wo es dann juristischer wird, wechselt die Etymologie den Blick und sieht auf den Fragenden und dessen Willen. Auf dessen Willen hin muß die Antwort erfolgen, weswegen (das ist ein genuin juristisches Argument) eine Scherzantwort wirkungslos bleibt. (§ 72): spondere quoque dixerunt [sc. iurisconsulti], cum ad spontem responderent, id est ad voluntatem rogatoris [!]. itaque qui ad id quod rogatur non dicit, non respondet, ut non spondet ille statim qui dixit ‚spondeo‘, si iocandi causa dixit, neque agi potest eum eo ex sponsu. Die Übereinstimmung dieser Etymologie, welche die Stipulation vom Gläubigerwillen erklärt, mit der Lehre, daß die Stipulation ein Vertragsinstrument, das zur Verfolgung eigener Interessen erfunden worden ist (oben Anm. 33) und insofern einer der eigennützigen Zusätze zum Naturrecht ist, ist evident. Daß es auf den Willen des Gläubigers ankommt, bekräftigt e contrario die Äußerung des



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Die Herrschaft des eigennützigen Geschäftswillens ist nicht unbegrenzt, sondern wird, falls nötig, im Rahmen des negotium mit den Mitteln der in integrum restitutio eingeschränkt, in der älteren vorklassischen Jurisprudenz generalklauselartig im Fall doloser Schädigung, in der jüngeren unter den Wertungen der bona fides49. In diesen Ausnahmefällen ist das Lebensverhältnis des negotium Austragungsort des Konflikts zweier Werte, des freiheitssichernden, in der Stipulation wirkenden Eigennutzes, und des das soziale Miteinander sichernden Werts des Schädigungsverbots. Im ungestörten Regelfall war es dagegen die Stipulation allein, die das negotium beherrscht und die in ihm bestehenden Pflichten prägt50, wobei das „negotium gerere“, das als Herstellung der Pflichtenlage gedacht ist, von beiden Seiten her gedacht war, von dem Gläubiger wie vom Schuldner, so sehr auch für die Stipulation die voluntas rogatoris (oben Anm. 48) im Mittelpunkt steht51. Demgegenüber geht es, wie die spezifisch sabinianische Tradition schon an einem einzigen Beispiel anschaulich zu machen erlaubt, in einem negotium des primären, d. h. naturrechtlichen ius gentium darum, durch Auslegung zu ermitteln, was unter dem Prinzip der Fremdnützigkeit und den Geboten der Rücksichtsnahme dem Vertragspartner geschuldet wird. Entscheidend ist

vor Julian tätigen Schulhaupts der Sabinianer Javolenus (10 epistularum D 45,1,108,1): nulla promissio potest consistere quae ex voluntate promittentis statum capit. 49  Zur älteren in integrum restitutio oben Anm. 36; die jüngere kennen wir, weil Mucius sie als Gouverneur von Asien in seinem Edikt verwendet hatte und Cicero sie als Gouverneur von Kilikien von ihm übernahm. Die bekannte Formel lautet (Cicero, ad Att. 6. 15): EXTRA QUAM SI ITA NEGOTIUM GESTUM EST UT EO STARI NON OPORTEAT EX FIDE BONA. Mit ihrer Hilfe konnte Cicero in Wuchergeschäfte hineinleuchten, die er mit dem einfachen Höchstzinssatz von 12 %, den er im Edikt angeordnet hatte (ibid. § 6), nicht erfassen konnte. 50  Daher sagt Paulus 72 ad edictum D 45,1,83 pr in dieser Tradition (das der klassischen Stipulation zugrundeliegende Verhältnis ist dagegen die „conventio“; vgl. u. Anm. 111 und 112): Inter stipulantem et promittentem negotium contrahitur. Die daran anschließende Folgerung: itaque alius pro alio promittens daturum facturum eum non obligatur: nam de se quemque promittere oportet gewinnt Sinn, wenn man sich klar macht, daß in diesem eigennützigen Verhältnis (oben Anm. 46) der Gefragte ad voluntatem rogatoris (oben Anm. 48) antworten muß. In diese Tradition gehört daher auch die Definition Pomponius 26 ad Sabinum D 45,1,5,1 Stipulatio autem est verborum conceptio, quibus is qui interrogatur daturum facturumve se quod interrogatus est responderit. (Die Stipulation ist ein Formular von Worten, durch die derjenige, der gefragt wird, verspricht, das zu geben und zu tun, was er gefragt wird). 51  Ein klarer Beleg für diese Selbstverständlichkeit bei Gaius III 108, wo in der Darstellung des Stipulationsrechts der Satz „Pupillus omne negotium recte gerit“ erläutert, daß dies für die erwerbende Seite des „stipulari“ uneingeschränkt gilt, dagegen für das „promittere“ die formelle Genehmigung des Vormunds erfordert.

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hier, was das Vertrauensprinzip unter den genannten Gesichtspunkten an Schutzwürdigkeit ergibt52. Auf diese Weise systematisch eingeordnet, gibt die Stipulation einen Eindruck von der innneren Kraft und Kohärenz der dualistischen, primäres und sekundäres ius gentium unterscheidenden Rechtsordnung des vorklassischen ius civile. Es ist das System, im Vergleich zu dem, wie Cicero seinen Mentor Crassus in der Perspektive des Mucius augur sagen läßt, jedes andere ius civile „inconditum ac paene ridiculum“ erschien und auf das sich der prinzipiengeleitete „magnus usus“ der vorklassischen Jurisprudenz bezog, der in den Geschäfts- und Prozeßgutachten stets die einzelnen, in ihm auftretenden Lebensverhältnisse erfaßte53. In ihm hatte die sponsio der Zwölftafeln den Stoff für die kongruente Wechselrede des ius proprium Romanorum geliefert. Alle anderen Formen der Wechselrede erfüllten dagegen die in der Formulierung „ius civile non continuo ius gentium“ liegende Verheißung, als universales Recht zu gelten. Das folgt einer methodischen Unterscheidung, die wir mutatis mutandis auch beim Litteralvertrag finden, der nach vorklassischer Tradition dort, wo er als Beweisvertrag gedeutet werden konnte, ebenfalls als sekundäres ius gentium galt54. Erkennt man so, wie alle Stipulationsformen außerhalb der sponsio dem sekundären ius gentium angehören, ist damit für diese Jurisprudenz auch die Sprachenfrage entschieden. Da die gentes dieses Merkspruches alle mensch52  Es genügt in diesem Zusammenhang, auf das in der vorklassischen Tradition naturrechtliche (Pomponius 21 ad Sabinum D 12,6,14; idem 9 var lect D 50,17,206) Bereicherungsrecht zu verweisen, wo es zur Schenkung auf den Todesfall heißt (Paul 6 ad lege Jul et Pap D 39,6,35,3), um die im Fall der Überlebens des Schenkers von den Sabinianern ohne Zögern gewährte condictio (nec dubitaverunt Cassiani) zu rechtfertigen: Qua parte se cogitat, negotium gerit, scilicet ut, cum convaluerit, reddatur sibi. Übereinstimmend noch Julian 39 digestorum D 12,6,33: is qui non debitam pecuniam solverit, hoc ipso aliquid negotii gerit. Ablehnend vom klassischen Standpunkt Gaius III 91. Näher dazu in meinem „Gaius noster“, Festschrift Rolf Knütel (2010) S. 77–102, S. 83 ff. 53  Cicero, Brutus 41, 152 erläutert sein „iuris civilis magnum usum et apud Scaevolam et apud multos fuisse“, indem er das, was die genannten Juristen leisteten, beschreibt als „ea quae confuse ab aliis [id est: ab eis] aut respondebantur aut agebantur“, d. h. mit ihrer auf die Lebensverhältnisse bezogenen, prinzipiell arbeitenden (das Adverb „confuse“ bedeutet der Sache nach „in verfließender, nicht tatbestandlich-regelhafter Weise“) Gutachten- und Kautelarpraxis. 54  Vgl. Gaius III 133. Ausführlich dazu in meinem Beitrag „Der Litteralvertrag, Geldtruhe (Arca) und Hausbuch (Codex accepti et expensi) im römischen Privatrecht und Zensus“, in: Mélanges Witold Wolodkiewicz, Au-delà des frontières I (2000) S. 57–112, insbesondere S. 98 ff., wo das Prinzip, daß das vorklassische ius civile die Tendenz hat, universale Regeln herauszuarbeiten, zum ersten Mal nachgewiesen worden ist, damals noch ohne Berücksichtigung des in der Formulierung „ius civile non continuo ius gentium“ enthaltenen Hinweises.



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lichen Stämme umfassen, die einst nur nach Naturrecht gelebt haben, nun aber zu der Lebensform der Bürgerstaaten übergegangen sind, gab es keinen Grund, irgendeine Sprache auszuschließen. Denn entscheidend war in dieser Tradition nur, daß für das Versprechen eine kongruente Form beachtet wurde, die sich als „Zusatz“ zur Natur erkennbar machte, und die Parteien einander in dem zugrundeliegenden Geschäft in der Weise verstanden hatten, daß der Gefragte in der Antwort dem Willen des Fragenden entsprach und ihm zur Geltung verhalf. Daß diese Grundsätze eine freiere Auslegung begünstigten als die klassische, die Sprachform betonende Denkweise, werden wir am Ende des folgenden Abschnitts kurz erörtern. III. Das klassische ius gentium und die Beschränkung der Sprachen auf Latein und Griechisch Das klassische Ius gentium beruht auf einer ganz eigenen Sichtweise. Es tritt als begrifflich kraft Rechtsvernunft in klaren Formen erkennbares Recht nach dem tragenden Mythos in dem Augenblick in allen zivilisierten Staaten in Kraft, in dem die Menschen den Naturzustand verlassen und nicht mehr allein nach den sozialen Instinkten des sie als Naturwesen beherrschenden soziobiologischen Naturrechts lebten. Das ius gentium dieser Lehre erscheint mit seinen Regelungen überall, wo die Menschen zu Gemeinwesen zusammentreten und sich damit zusätzlich spezifisch humanen Rechtsregeln unterstellen. Ulpian bewahrt uns in seinen Institutionen den darin begründeten Unterschied zwischen den naturalistischen Instinktgeboten und dem eingerichteten Recht der Zivilisation in begrifflicher Schärfe55. Cicero beschreibt den Mythos des Übertritts zur Staatlichkeit ausführlich in seiner nach den römischen Vorlesungen Philons entstandenen Jugendschrift De inventione56 und erläutert ihn im Alter in der dem jungen Juristen Trebatius gewidmeten Topica an dem Unterschied zwischen der Rechtsordnung, der aus instituta gebildeten institutio aequitatis, und der Natur, in welcher sich der Mensch ausschließlich aus eigener Kraft behaupten muß57. Die Menschen, die den 55  Ulpian

1 institutionum D 1,1,1 §§ 3–4; D 1,1,4; D 1,1,6 pr. de inventione I 1,2–2,4; siehe auch Cicero, de oratore I 8, 32–33 und pro Sestio 42, 90–42, 92; zur Präsenz des Philon in der Jugendschrift siehe nur das bereits von Philippson, RE (1939) s.v. Tullius Sp. 1104 f. richtig interpretierte Treuegelöbnis De inventione II 3, 9–10 und die dort zweimal wiedergegebene für das klassische Recht grundlegend gewordene Rechtstheorie. Vgl. dazu auch die folgende Anm. 57  Cicero, Topica 23, 90 Hi (sc. aequitatis loci) cernuntur bipertito, et natura et instituto, Natura partes habet duas, tuitionem sui et ulciscendi ius; institutio autem aequitatis tripertita est; una pars legitima, altera conveniens, tertia moris vetustate firmata. Die Konjektur in der Oxfordausgabe von Wilkins, die statt „tuitionem sui“ „tributionem sui cuique“ liest, ist verfehlt. In den rechtstheoretischen Formulierun56  Cicero,

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in dieser Sicht allein vom soziobiologischen ius naturale geregelten Naturzustand verlassen und civitates gründen, lassen mit diesem Schritt in den einzelnen gentes (Staatsvölker) das ius gentium entstehen. Unterscheidbare „gentes“ im neuen klassischen Sinn gibt es erst jetzt58. Die gens Romana entsteht hiernach mit der urbs condita59. Eine konsequente (eine eigene Studie verlangende) Fortentwicklung dieses klassischen, das Recht der Staatsvölker meinenden ius gentium erscheint in der späteren Beschränkung dieses Begriffes auf ein Völkerrecht, das nur noch die Staatengründung und den Verkehr der Staatsvölker untereinander regelt60. Im Rahmen dieses Rechts erklärt sich die Ansicht, die für die Frage der tauglichen Sprachen der Sache nach lehrte: „hoc usque ad Graecum sermonem tantum protrahimus“ und für deren Überwindung der Spätklassiker Ulpian in dem Fragment 48 ad Sabinum D 45,1,1,6 sich auf den kommentierten Text des Schulgründers Sabinus berufen mußte. Es bedarf allerdings näherer Betrachtung, wie wir uns die Genese dieser Ansicht vorzustellen haben. Stellt sie die Milderung einer älteren, ursprünglich nur das Latein zulassenden Ansicht dar oder galt sie in dieser Tradition von Anfang an? gen der Schrift De inventione II 22, 65 und II 53, 160 f. heißt die Selbstbehauptung „vindicatio“ und gehört zu dem „quod … quaedam innata vis adferat“ bzw. den „res a natura profectas“. Es hat daher seinen guten Grund, daß Cicero in der Rede pro Sestio (42, 90 f.) die klassische Rechtstheorie zur Rechtfertigung der Selbsthilfe anführt, während die Tatsache, daß Cicero dort die „civitates“ „conventicula hominum“ nennt, erklärt, warum er in der Topicastelle das zentrale „ius gentium“ (vgl. Cic. part. orat. 37, 130), das mit dem Zusammentritt zur Bürgerschaft entsteht, kurz die „pars conveniens“ des Rechts nennt. 58  So ist zu verstehen Hermogenian 1 iuris epitomarum D 1,1,5 Ex hoc iure gentium … discretae gentes. Vgl. auch Inst. I 2,2 ius autem gentium omni humano generi commune est. Nam usu exigente et humanis necessitatibus gentes humanae quaedam sibi constituerunt. Die handelnden „humanae gentes“ sind hier die Staatsvölker. 59  Die beiden einander zeitgenössischen Zeugnisse Vergil, Aen. I 37): Tanta molis erat Romanam condere gentem und Livius 1,7,3: condita urbs conditoris [sc. Romuli] nomine appellata verbinden sich in der Aussage, daß eine gens die Folge der Gründung eines Stadtstaates ist. 60  So Isidor, Etym. V, 6 auf die Frage QUID SIT IUS GENTIUM: Ius gentium est sedium occupatio, aedificatio, munitio, bella, captivitates, servitutes, postliminia, foedera pacis, induitae, legatorum non violandorum religio, conubia inter alienigenos prohibiat. Et inde ius gentium, quia eo iure omnies fere gentes utuntur. Die Begriffsfestlegung zieht, wie hier nur angedeutet sei, die Konsequenz daraus, daß das klassische soziobiologische ius naturale durch eine entsprechende Bedeutungserweiterung die privatrechtlichen Regeln des ius gentium und die Rechtsbehelfe der Rechtsethik der naturalis aequitas in sich aufgenommen hatte (vgl. Isidor V, 4). Dadurch blieb für den Terminus ius gentium nur noch seine im klassischen System dem ius publicum (Ulpian 1 inst D 1,1,1,2) angehörende Teilbedeutung „zwischenstaatliches Völkerrecht“ (oben Anm. 58) übrig.



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Eine eigene, weitere Frage ist, ob auch diese Lehre der Meinung war, daß für Frage und Antwort jeweils eine verschiedene Sprache zulässig war, so daß in ihrem Rahmen auf Griechisch gefragt und auf Latein geantwortet werden durfte und umgekehrt61. Es gilt hier mehrere Gesichtspunkte zu unterscheiden. Die in dieser Ansicht hervortretende Privilegierung der beiden klassischen Sprachen unserer Vorkultur hängt zunächst einmal mit der in der Tradition der philosophischen Rhetorik aufgekommenen Überzeugung zusammen, daß die Menschheit durch eine große Zweiteilung gekennzeichnet ist: Auf der einen Seite stehen Barbaren, auf der anderen Seite die zivilisierten Völker der Römer und Griechen. Wir finden sie bei dem kaiserzeitlichen Redelehrer Quinti­ lian, aber zugleich in einem lehrreichen, auf die Herkunft zurückverweisenden Zusammenhang, nämlich dort, wo es darum geht, was für Argumente sich unter der allgemeinen Kategorie „persona“ bereitstellen lassen. Es ist ein leitender Ordnungsgesichtspunkt, den wir nicht zufällig in ganz entsprechender Weise schon in Ciceros Jugendschrift De inventione finden, und zwar einschließlich des jene Unterscheidung liefernden Gesichtspunkts der natio62, dessen Ergiebigkeit zudem durch eine Rede Ciceros in rhetorisch regelgerechter Anwendung unter Beweis gestellt wird63. Quintilian, inst. orat. V 10,24 natio: nam et gentibus proprii mores sunt nec idem in barbaro, Romano, Graeco probabile est (Herkunftsvolk: Denn auch die Völker haben ihre eigenen Sitten, und es ist nichts dasselbe bei einem Barbaren, bei einem Römer und bei einem Griechen wahrscheinlich.) 61  Ulpian 48 ad Sabinum D 45,1,1,6 Eadem an alia lingua respondeatur, nihil interest. proinde si quis Latine interrogaverit, respondeatur ei Graece, dummodo congruenter respondeatur, obligatio constituta est: idem per contrarium. Ich gebe die Antwort auf die im Text gestellte Frage am Ende der Untersuchung. 62  Stoff für „argumenta a persona ducenda“ liefern nach Quintilian V 10, 23–31 die Aspekte: genus, natio, patria, sexus, aetas, educatio et disciplina, habitus, fortuna, condicio, animi natura, victus, affectus, facta, dicta. Nach Cicero, de inventione I 24, 34: personis has res adtributas putamus: nomen, naturam, victum, fortunam, habitum, affectionem, studia, consilia, facta, casus orationem, wo bei diesem die „natura“ in ihren Unterfällen die natio und die patria liefert: „natione, Graius an barbara; patria, Atheniensis an Lacedaemonius“. 63  Um Zeugen zu diskreditieren, attestiert er den zeitgenössischen Griechen vollständige Fremdheit gegenüber der Wahrheitspflicht vor Gericht (Cicero, pro Flacco 4,9): testimoniorum religionem et fidem numquam ista natio (!) coluit, totiusque huiusce rei quae sit vis, quae auctoritas, quod pondus, ignorant.Unde illud est: ‚da mihi testimonium mutuum‘? Num Gallorum, num Hispanorum putatur? Totum istud Graecorum est, ut etiam qui Graece nesciunt hoc quibus verbis a Graecis dici soleat sciant. Zuvor hatte Cicero die hohe kulturelle Begabung der Griechen gebührend gewürdigt.

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Die in dieser Systematik auffallende Zentralstellung der Person ist ein Herzstück der philosophischen Rhetorik, die in Rom mit Ciceros Jugendschrift De inventione (sie scheint nach einer neueren Untersuchung erheblich älter zu sein als die Schrift des auctor ad Herennium64) erstmals literarisch wird, und zwar, wie schon erwähnt, unter dem Eindruck der römischen Vorlesungen des Philon von Larissa, der als erster Philosoph der skeptischen Akademie nach dem Vorbild des Aristoteles die Rhetorik in sein Lehrprogramm aufgenommen hatte. Da er nicht nur Cicero, sondern auch den Rhetorikschüler und erst später zum Juristen gewordenen Servius Sulpicius Rufus unter seinen Hörern hatte65, geht auf seine Lehre auch die Zentralstellung der persona im Recht zurück, die nun auch für die klassische Theorie des Verbalvertrags grundlegend ist. Denn die in der Ausgangs­ bedeutung des Wortes „persona“, „Theatermaske“, liegende Deutung des Menschen von seinem „sprechenden Gesicht“ verbindet nicht nur die Werte der Gleichheit und Individualität, sondern betont nachdrücklich auch die Überzeugung dieser Lehre, daß der Mensch das, was er ist, seiner Fähigkeit zu sinnhaftem Sprechen verdankt66. Diese Sichtweise, welche die beiden antiken „Kulturnationen“ den übrigen „Barbaren“ gegenüberstellt, knüpft an die bekannte, früh bezeugte Überzeugung der Römer an, daß sie dadurch, daß sie die als wertvoll erkannten Gehalte der griechischen Kultur zu einem Teil ihrer eigenen Zivilisation gemacht haben, zu einem zivilisierten Volk geworden sind, das sich der Schwester­ nation im Osten am Ende kulturell gleichwertig fühlen durfte67. Für das Recht ist allerdings nun in der Art, wie auf Griechenland geblickt wurde, ein auffälliger Wechsel zu konstatieren, hin zu einer neuen, die in diesem Gebiet durchaus vorhandenen älteren Vorbehalte überwindenden Hochschätzung. In der Perspektive eines Q. Mucius Scaevola augur, die 64  Vgl. A. E. Douglas. Clausulae in the Rhetorica ad Herennium, Classical Quarterly 54 (1960) S. 65–78. 65  Cicero, Brutus 41, 151; 98, 306; Pomponius lb sg enchiridii D 1,2,2,43. 66  Zur Zentralstellung der Person vgl. meine oben Anm. 4 zitierten Schriften. Die zivilisatorische Bedeutung der von dem Begriff der „persona“ hervorgehobenen Sprachbegabung veranschaulicht in besonders eindringlicher Weise die Worte Ciceros, De oratore I 8,32 Quid esse potest magis proprium humanitatis, quam sermo facetus ac nulla in re rudis? Hoc enim uno praestamus vel maxime feris, quod conloquimur inter nos et quod exprimere dicendo sensa possumus. Es folgt der Mythos der Staatsentstehung durch Überredung zur Zivilisation. Vgl. oben Anm. 56 und die folgenden Anm. 87, 96 und 113. 67  Der Historiker Livus registriert (39, 8, 3): multas ad animorum corporumque cultum nobis eruditisisma gens invexit. Berühmt sind die poetischen Fassungen von Ennius (Gellius 17, 21, 45): Poenico bello secundo Musa pinnato gradu /  Intulit se bellicosam in Romuli gentem feram und Horaz, Epist. II 1, 156 Graecia capta ferum victorem cepit et artis /  intulit agresti Latio.



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Cicero seinen Schwiegersohn Licinius Crassus in seiner Gegenwart in der schon erwähnten, für die Kenntnis des älteren vorklassischen Rechts zentralen Passage des Dialogs De oratore einnehmen läßt, war das ius civile eines Solon oder Lykurg in unglaublicher Weise „ungegründet und fast lächerlich“. Es ist eine Ansicht, die sich auf das real existierende Recht Griechenlands bezieht und bei ihm aus der Sicht des anspruchsvoll systematisierten Rechts Roms den Mangel jeglicher rechtswissenschaftlicher Durchdringung konstatiert68. Ihr stimmt das von Diogenes Laertes kolportierte Wort des Aristoteles auf seine Weise zu: „Die Athener haben den Getreidebau und die Gesetze erfunden; allein das Getreide zwar wußten sie zu verwerten, nicht aber die Gesetze.“69 Insofern ist es im Zusammenhang mit der Rezeption der Rechtslehren der skeptischen Akademie in Rom ersichtlich zu einer Neubewertung des griechischen Rechts gekommen. In dem Geschichtswerk des nach Rom übergesiedelten griechischen Rhetors und Historikers Dionys von Halikarnaß findet sich sogar die Meinung, die er aus der Lektüre griechischer und lateinischer Historiker gewonnen haben will, daß die Römer in Wahrheit Griechen seien, daß ihr Latein ein erst später unter dem Einfluß benachbarter Barbaren verdorbenes Griechisch sei und sie daher seit der Gründung ihrer Stadt, d. h. als Staatsvolk, von Anfang an nach griechischer Weise gelebt hätten70. In der Tradition, die mit der von Licinius Crassus angekündigten und von Servius Sulpicius Rufus vollendeten neuen Systematisierung des römischen Rechts unter den Prämissen der aus Athen kommenden Lehren der skeptischen Akademie beginnt, lauten die Urteile ganz entsprechend. Athen, die Stadt, die Philon mit einer größeren Zahl führender Persönlichkeiten verlassen hatte, um für wenige entscheidende Jahre die Lehre der skeptischen Akademie in Rom zu vertreten – ein populare Politik betreibender Protegé des Mithridates hatte in Athen bis zur aufwendigen und zerstörerischen Rückeroberung durch Sulla die Macht ergriffen –, nennt 68  Daher heißt es bei Cicero, de oratore I 44, 197, mit Blick auf Sparta und Athen, daß „omne ius civile praeter hoc nostrum“ „inconditum ac paene ridiculum“ sei. Das sind starke Worte. 69  Leben und Meinungen berühmter Philosophen (Übersetzung Otto Apelt) Band I (1967)2 S. 249 (V 17). Was Cicero, pro Flacco 26, 62, sagt (vgl. die übernächste Anm.), kann man als einen aus der Schule des Philon stammenden ausdrücklichen Widerspruch gegen die Ansicht des Aristoteles deuten. 70  Vgl. Dionys I 89, wo der Historiker behauptet, aus der Lektüre vieler griechischer und römischer Autoren den Schluß ziehen zu können, daß man Rom von ihrem Ursprung her als eine griechische Stadt ( Ἡλλάδα πόλιν) anzusehen habe. Die Sprache sei, wie er aus der Siedlungsgeschichte darzutun versucht, von Hause aus griechisch und habe erst später barbarische Elemente aufgenommen. Ganz geprägt von der philosophischen Rhetorik seiner Zeit ist seine Überzeugung, daß (I 90) die Römer, beginnend mit der Zeit, als sie zu einem städtischen Leben zusammengetreten seien, nach griecher Art gelebt hätten (ἐκ παντὸς οὗ συνῳκίσθησαν χρόνου βίον Ἥλλενα ζῶντες).

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Cicero in seiner Rede pro Flacco nun ausdrücklich den Ursprungsort von „Recht und Gesetz“71. Zugleich hebt er sie als die Stadt hervor, die das Prestige der Griechen aufrecht halte, das schwer in Mitleidenschaft gezogen war, weil sich andere Griechenstädte zu Beginn des mithridatischen Krieges an der mit dem Namen der Vesper von Ephesos verbundenen, Römer und deren Bundesgenossen gleichermaßen treffenden Mordaktion nach Kräften beteiligt hatten72. Athen erscheint dagegen in der Rede mit ihrer Gesandtschaft als Repräsentantin der „vera atque integra Graecia“, zusammen mit anderen auf ihre Weise ebenfalls vorbildlich gebliebenen civitates wie die der Lacedaemonii73 und Massilia, deren Rechtseinrichtungen (instituta) Cicero besonders rühmt, als ein von den Fluten der Barbarei (fluctibus barbariae) umspülter, aber sich behauptender Vorposten der Zivilisation74. Es handelt sich ersichtlich um ein aus Dankbarkeit für seine geistigen Leistungen idealisiertes Athen, der Stadt, in der, wie Cicero es Crassus in dessen 71  In Bezug auf die im Prozeß aufgetretenen Gesandtschaften heißt es dort (Cicero, pro Flacco 26, 62): Adsunt, Atheniensis, unde humanitatis, doctrina, religio, fruges, iura, leges ortae atque in in omnis terras distributae putantur; de quorum urbis possessione propter pulchritudinem etiam inter deos certamen fuisse proditum est. (Es ist auch die Bürgerschaft Athens vertreten, von wo, wie man annimmt, Menschlichkeit, Gelehrsamkeit, Religiosität, Getreidebau, Recht und Gesetze ihren Ursprung haben und über den Erdkreis verbreitet worden sind; es ist überliefert, daß um den Besitz dieser Stadt um ihrer Schönheit willen auch unter Göttern [nämlich zwischen Athene und Poseidon] ein Streit stattgefunden hat). In Ciceros Perspektive ist die humanitas untrennbar verbunden mit dem ius humanum der skeptischen Akademie (Cicero, Part. Orat. 37, 129 [40, 139]), während die doctrina genauso untrennbar mit der perpolita transmarina doctrina bei Cicero, de oratore III 33, 135 verbunden ist, die dort als die Methode genannt wird, die der vorklassischen Rechtswissenschaft gefehlt habe und jene Bearbeitung des Rechts nach skeptischakademischer Weise ermöglicht hat. 72  Cicero sagt es unverblümt (ibid. 25, 60) revocarem animos vestros ad Mithidatici belli memoriam, ad illam universorum civium Romanorum per tot urbis uno puncto temporis miseram crudelemque caedem . nominis prope Romani memoriam non modo ex sedibus Graecorum verum etiam ex litteris esse deletam. 61 Liceat haec nobis, si oblivisci non possumus, at tacere, liceat mihi potius de levitate Graecorum queri quam de crudelitate; auctoritatem isti habeat apud eos quos esse omnino noluerunt? Nam, quoscumque potuerunt, togatos interemerunt, nomen civium Romanorum quantum in ipsis fuit sustulerunt. 73  Daher die Aufforderung Cicero ibid. 26, 61 Aspiciant hunc florem legatorum laudatorumque Flacci ex vera atque integra Graecia, dem dann u. a. das (§ 62) Adsunt Athenienes … und (§ 63) Adsunt Laecedaemonii … folgt. 74  Cicero ibid. 26, 63 Neque vero te, Massilia, praetereo , cuius ego civitatis disciplinam atque gravitatem non solum Graeciae, sed haud scio an cunctis gentibus anteponendam iure dicam; quae tam procul a Graecorum omnium regionibus, disciplinis linguaque divisa cum in ultimis terris cincta Gallorum gentibus barbariae fluctibus adluatur, sic optimatium consilio gubernatur ut omnes eius instituta laudare facilius possint quam aemulari.



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Todesjahr Jahr 91 v. Chr. sagen läßt, der Fremde bedeutende Dinge lernt, an denen die Bürger Athens selbst schon längst keinen Anteil mehr hatten75. Wenn daher in einem Fragment, das Justinian am ehesten aus Ulpians Institutionen entnommen haben wird76, Athen an erster Stelle als Paradigma für die klassische, zur Theorie der gens des ius gentium und der universitas singulorum gehörende Lehre77 genannt wird, daß eine Civitas nach der Einheit ihrer Bürger benannt wird, so dürfen wir das schon wegen des scharfen Bruchs mit der Ansicht der maiores der neuen skeptisch-rhetorischen Tradition zuordnen. Inst.1,2,1 Sed ius quidem civile ex unaquaque civitate appellatur, veluti Atheniensium: nam si quis velit Solonis vel Draconis leges appellare ius civile Atheniensium, non erraverit. Sic enim et ius, quo populus Romanus utitur, ius civile Romanorum appellamus.

Daß wir in der Art, in der hier Athen als Repräsentantin Griechenlands eine paradigmatische Rolle spielt, tatsächlich eine kontinuierliche Tradition vor uns haben, wird durch eine Beobachtung bestätigt, die Rudolf Hirzel in seiner Monographie über das Ius non scriptum gemacht hat. Er erkannte, daß das, was in den Institutionen Justinians zu dem Verhältnis der Rechtsordnungen Athens und Spartas gesagt wird – Athen verschriftlicht alles, Sparta nichts78 – von Cicero in der soeben ausgewerteten Stelle pro Flacco genauso gesagt wird, nur mit anderen reicheren Worten79. Es ist in der Tat 75  Cicero, de oratore III 11 43 Athenis iam diu doctrina ipsorum Atheniensium interiit, domicilium tantum in illa urbe remanet studiorum, quibus vacent cives, peregrini fruuuntur capti quodam modo nomine urbis et auctoritate. 76  Die sorgfältige Erörterung bei Antonio Zocco-Rosa, Iustiniani institutionum palingenesia I (1908) S. 60 ff. läßt das zumindest als recht naheliegende Möglchkeit erscheinen. 77  Vgl. zu der Theorie oben Anm. 58–60. Die Verbindung zu der auch den Bürgerrepubliken zugrundeliegenden Lehre von der universitas singulorum des klassischen Edikts ergibt sich über Gaius II 11, Ulpian 8 ad edictum D 3,4,2 und Alfenus 6 digestorum D 5,1,76. 78  Inst. 1,2,10 Et non ineleganter in duas species ius civile distributum videtur. Nam origo eius ab institutis duarum civitatium, Athenarum scilicet et Lacedaemonis fluxisse videtur; in his enim civitatibus ita agi solitum erat, ut Lacedaemonii quidem magis ea, quae pro legibus observarent, memoriae mandarent, Athenienes vero ea, quae in legibus scripta reprehendissent (B. invenissent), custodirent. 79  Rudolf Hirzel, Agraphos Nomos (1900) S. 71 Anm. 5 sagt zu Inst. 1,2,70: „Dasselbe nur wenig verschleiert durch die Fülle des rednerischen Ausdrucks sagt auch Cicero pro Flacco 62 f.“ Der Gegensatz wird bei Cicero in der Tat nur veranschaulicht und verdeutlicht. Bei den Athenern hätten neben allen anderen Formen der Kultur auch Recht und Gesetze ihren Ausgang genommen (26, 62: iura, leges ortae), bei den Spartanern sei dagegen die Rechtsordnung 700 Jahre unverändert geblieben sei, weil sie kraft einheitlicher Sitte gegolten habe (26, 63): Lacedaemonii,

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eine idealtypische Kontrastierung, die der römischen Rechtsordnung den ehrenvollen Platz der vernünftigen Mitte läßt – sie verschriftlicht, wo sie dies auf Beweis- und Publizitätsgründen zweckmäßig findet – und von der man mit guten Gründen annehmen darf, daß sie von Anfang an Teil der in Rom aufgenommenen Lehren des Philons gewesen ist80. Das ius gentium der skeptischen Akademie, dessen erste technische Erwähnung wir in der sorgfältig ausgearbeiteten ratio iuris der Einteilungen der Redekunst finden, die nach Ciceros Worten „e media illa nostra Academia“ stammte – die er deswegen auch mit seinem Sohn wie alles übrige auch noch auf griechisch zu behandeln gewohnt war –81, tritt uns damit als etwas vor Augen, in dem sich die zivilisatorische Führungsrolle Griechenlands auf einer ideellen Ebene erneuert, und zwar auf eine Weise, die ohne Rom, den Ort der geführten Kultur, in der diese Ideen realisiert werden, nicht möglich gewesen wäre. Es ist ein bewußtes Zusammenwirken zweier Kulturen, deren geistige und sprachliche Voraussetzungen gegeben waren und verteidigt wurden. Man erinnere sich der Entschiedenheit, mit welcher der Censor Licinius Crassus für Cicero auf einem auf griechisch zu erteilenden Rhetorikunterricht bestand, der selbstverständlichen Zweisprachigkeit Ciceros und Servius’ und des gewaltigen Erfolges der seit 88 natürlich in griechischer Sprache gehaltenen Römischen Vorlesungen Philons von Larissa82. Es war eine zivilisatorische Erneuerung, welche die Menschheit nicht auf stoische Weise in die Menschen, wie sie nun einmal sind, und in die ihnen möglichen, aber nicht nachweisbaren Idealgestalten der Weisen untercuius civitatis spectata ac nobilitata virtus non solum natura corroborata verum etiam disciplina putatur; qui soli toto orbe terrarum septingentos iam annos amplius unis moribus et numquam mutatis legibus vivunt. „Unis moribus“ ist wiederzugeben als „one unchanging custom“, entsprechend dem Sprachgebrauch in der Stelle pro Flacco 29, 70 tibi invideo quod unis vestimentis tam diu lautus es, die im Latin Oxford Dictionary für diese Bedeutung von „unus“ (s. v. 5 a) angegeben wird. 80  In der Ratio iuris. die in den Partitiones oratoriae 37, 130 als für Rom e media illa nostra Academia (40, 139) geschaffen vorgestellt wird, fällt denn auch ins Auge, daß sowohl das ius publicum als auch das ius privatum systematisch verteilt werden auf ein ius scriptum, das abgesehen vom Litteralvertrag nur aus Beweis- oder Publizitätsgründen verschriftlich ist (vgl. unten Anm. 98), und ein ius non scriptum, das als mos maiorum kraft Gewohnheit oder als ius gentium kraft Übereinkunft oder Quasi-Konsenses gilt. 81  Vgl. Partitiones oratoriae I 1 und 37, 129–131; 40 sowie 49, 139. 82  Vgl. Cicero, de oratore II 2,2. Philons seit 88 in Rom gehaltene Vorlesungen und die aus ihnen alsbald hervorgegangenen „Roman Books“ (vgl. Charles Brittain, The Last of the Academic Sceptics [2001] S. 64 ff.) waren beide in griechischer Sprache gehalten. Cicero und Servius (vgl. Cicero, Brutus 41,151 f.; 89, 306) sowie die vielen anderen Römer, die Philon damals (Plutarch, Cicero 3,1) „wegen seiner Redekunst bewunderten“ und „wegen seiner Lebensart liebten“, konnten ihm folgen, weil ihnen die Beherrschung dieser zweiten Sprache selbstverständlich war.



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teilte83, sondern, je nachdem, ob sie sich fähig erwiesen haben, die Segnungen des neuen ius gentium anzunehmen, in Gebildete und Ungebildete unterschied. Cicero, Partitiones oratoriae 26, 90 hominum esse duo genera, alterum indoctum et agreste, quod anteferat semper utilitatem honestati, alterum humanum et politum, quod rebus omnibus dignitatem anteponat. (Es gibt zwei Arten von Menschen, die eine kenntnislos und bäurisch, die gegenüber Ehre und Anstand stets dem Eigennutz den Vorrang gibt, die andere menschlich und zivilisiert, die die Würde über alles stellt.)

Die Stichworte dieses Textes (40, 139) „e media illa nostra Academia“, die den zivilisierten Menschen charakterisieren, weisen unmißverständlich auf das Recht als tragende Grundbedingung der Zivilisation. Dem Wert des Menschlichen und Humanen entspricht das ius humanum der ratio iuris84, dem Wert des Zivilisierten und geistig Gepflegten und Ausgefeilten (fr. ,poli‘, nl. ,beschaafd‘) die transmarina perpolita doctrina, die sie möglich gemacht hat85, der Hochschätzung der Würde entspricht die dignitas, deren Schutz das Ziel der Gerechtigkeitsidee des klassischen Rechts ist86, dem Ehrenhaften schließlich entspricht die Eigenschaft des Rechts, die in der Überredung zur Zivilisation dem auf dem Land verstreut lebenden Naturmenschen vor Augen gerückt wird, um in der Art des skeptisch gewordenen Platonismus der Akademie des Philon die in seiner Seele vorhandenen Anlagen zu einer höheren Lebensform zu wecken und zur Tätigkeit zu bringen87. 83  v.

Arnim, StVF I S. 216 Ziff. 52. partitiones oratoriae 37, 129. Das „humanum ius“ trägt in dieser Tradition in seinen beiden dort ebenfalls mitgeteilten natürlichen und bürgerlichen Ausprägungen den Namen „aequitas“ = Gleichheit. Vgl. damit Cicero, Topica 2,9; 4,23 und vor allem Ulpian 1 institutionum D 1,1,1,5 sowie idem 38 ad edictum D 47,4,1,1. 85  Von ihr spricht Cicero, wenn er De oratore III 33, 135 in Bezug auf Cato Censor, den er gerade als einen der großen vorklassischen Juristen vorgestellt hatte, sagt: Quid enim M. Catoni praeter hanc politissimam doctrinam atque adventiciam defuit. Cicero läßt Varro, den Anhänger der alten Akademie, von dem, was er in seinen Antiquitates schreibt, sagen: „limantur a me politius“. Vgl. Cicero, Academici 2,3. Die Lebensform, die durch den Zusammentritt zur Staatlichkeit beginnt, bezeichnet Cicero, pro Sestio 72, 92 als „vitam perpolitam humanitate“. 86  Cicero, de inventione II 53, 160: Iustitia est habitus animi communi utilitiate conservata suum cuique tribens dignitatem Näher dazu in meiner oben Anm. 4 zitierten Abhandlung „Das Geheimnis  …“. 87  Cicero, de inventione I 2,2 sagt von dem mythischen Redner, dessen Rede die zuvor verstreut lebenden Menschen „mild und zahm“ (mites et manusuetos) gemacht und zu einer vom Recht geordneten städtischen Lebensform geführt habe, daß er das tat, weil er erkannt hatte, welche Potentiale zu den größten Dingen in den Seelen der Menschen lägen (in animis inesset hominum), die es nur hervorzurufen und durch Unterrichtung zu stärken gelte. Daher habe er die in einem Ort 84  Cicero,

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Daß sich Griechen und Römer zu der zivilisierten Hälfte der Menschheit zählten, ist eine kulturelle Selbstverständlichkeit. Wenn Cicero in der gleichen Schrift (Partitiones oratores 34, 117) auch die Gleichwertigkeit der in beiden Kulturbereichen anzutreffenden Rechtsordnungen voraussetzt und aus Anlaß einer hier nicht interessierenden Regelung einerseits „von den Rechtseinrichtungen der Athener und Rhodier, hochgelehrter Menschen“ (de institutis Atheniensium Rhodiorum, doctissimorum hominum), und andererseits „von den Rechtseinrichtungen seiner eigenen auch sehr klugen Menschen“ (de nostrorum etiam prudentissimorum hominum institutis) spricht, dann drückt sich darin die spezifische Sichtweise der skeptischen Akademie aus. Daraus darf man nun aber nicht folgern, daß die skeptische Akademie ihren Menschheitsmythos nur auf diese beiden Kulturen angewendet hätte und die Stadtstaaten anderer Hochkulturen grundsätzlich ausgeschlossen wissen wollte, mochten auch deren Sprachen nach klassischer Auffassung für die Stipulation nicht zulässig sein. Das hätte nicht nur den syrischen Kulturkreis ausgeschlossen, zu dem immerhin auch die Pflanzstadt von Tyros, Karthago, gehörte, die Geburtsstadt des Kleitomachos, der die Lehren des Karneades an Philon weitergereicht hatte. Das hätte auch dem Prinzip des klassischen ius gentium widersprochen, dessen Regeln, soweit nicht ius proprium eingreift, grundsätzlich für alle zur Staatlichkeit gelangten Völker Geltung beanspruchen88. Die klassische Regel, die für die Stipulation neben dem Latein nur das Griechische zulassen will, gehört vor einen anderen Hintergrund. Das klassische ius gentium wollte trotz seines universalen Geltungsanspruchs kein abstraktes Weltrecht, sondern zugleich mit seinen Prinzipien die Existenz verschiedener, in ihrer Unterschiedlichkeit kooperierender Bürgerstaaten sichern. Daher forderte die klassische Konsensehe, die als Kerninstitut der Propagation der Bürgerschaft dem ius gentium angehört, in allen civitates im Interesse der Erhaltung der je besonderen Kultur des Stadtstaates grundsätzlich das Bürgerrecht der Eheleute und beschränkte die durch Gewährung von Conubium eingeführten Ausnahmen regelmäßig auf kulturell verwandte Nachbarstaaten89. Noch auffälliger ist, daß das vielleicht berühmteste Institut des klassischen ius gentium, der Geldkauf, in seiner Tatbestandlichkeit nur römische Währungen anerkannte und in fremden Währungen ein bloßes zusammengebrachten Menschen in ein jedes der dafür erforderlichen, die Nützlichkeit mit Anstand verbindenen Verhältnisse eingeführt (in unam quamque rem inducens utilem atque honestam) und sie schließlich dazu gebracht, zuzustimmen und ihre alte Lebensform aus freiem Willen („sua voluntate“) aufzugeben. 88  Vgl. unten insbesondere Anm. 96, 112, 113. 89  Ausführlich in meinem Artikel „Sessualità riproduttiva e cultura cittadina. Il matrimonio romano fra spiritualità preclassica e consensualismo classico“, in: Behrends, Scritti ‚italiani‘ (2009) S. 379–434.



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Tauschgut sah90. Dafür gibt es auch einen noch immer überzeugenden verallgemeinerungsfähigen Grund: Nur die Binnenwährung gewährleistet die mit dem Geld ermöglichte Marktrationalität der Vertragsparteien. Denn nur in ihrem Rahmen kann für alle Markteilnehmer Kenntnis oder leichte Erkennbarkeit der Marktpreise für gleiche oder vergleichbare Güter vorausgesetzt werden. Bei den dem Alltag unvertrauten fremden Währungen ist das nicht mit gleicher Grundsätzlichkeit möglich. Die Folge war eine klare Privilegierung der jeweiligen Binnenwährung. Da die klassische Sprachtheorie den Worten objektive Geltung zusprach, die ihnen von ihrem Ursprung her aufgeprägt war, Worte also mit Münzen verglich91, ist es folgerichtig, daß man in dieser Tradition auch sehr darauf achtete, die Sprache nicht zu mischen und sie jeweils in ihrer Reinheit zu sprechen. Cicero, der bekanntlich Griechisch auf eine Weise beherrschte, daß ein Redelehrer auf Rhodos, nachdem er dort von ihm eine Redeprobe auf griechisch gehört hatte, nach langem Schweigen tief bewegt äußerte, daß nun selbst in seiner Sprache die Führung in der Redekunst auf die Römer übergegangen sei92, betonte mit Nachdruck als sein Leitprinzip, im Lateinischen lateinisch und im Griechischen griechisch zu sprechen93. Wenn Aulus Gellius, der als Schüler des Skeptikers Favorinus und Verfasser der Attischen Nächte selbst zweisprachig war und sich in beiden Sprachen jeweils in reiner Form mitteilte, von einem Redner hervorhebt, daß er in beiden Sprachen hervorragte, dürfte dieser dasselbe beachtet haben94. Kein Wunder ist daher auch, daß in der lateinischen Fassung der klassischen ratio iuris, von der uns Cicero versichert, daß er sie mit seinem Sohn auch noch auf griechisch durchzugehen pflegte, kein einziges griechisches Wort stehen geblieben ist95. 90  Vgl. insofern in meiner Untersuchung „Der ungleiche Tausch zwischen Glaukos und Diomedes und die Kauf-Tausch-Kontroverse der römischen Rechtsschulen“ Institut und Prinzip I (2004, zuerst 2002) S. 643 und Cosimo Cascione, Consensus (2003) S. 393 ff. mit bestätigenden Hinweisen auf Volusius Maecianus, De distributione monetae 45: peregrinus nummus loco mercis und Plinius, Hist. nat. 33,46 hoc nummus ex Illyrico advectus mercis loco habetur. 91  Vgl. Das Schiff des Theseus (oben Anm. 3) S. S. 446; Quintilian 1,6,3: utendum sermone ut nummo, cui publica forma est. 92  Die Anekdote findet sich bei Plutarch, Cicero IV 5. 93  Cicero, Tusculanae disputationes I 8, 15 sagt dort, um zu erklären, daß er ein griechisches Zitat gleich übersetzt: scis enim me Graece loqui in Latino sermone non plus solere quam in Graeco Latine. Der Dialog Partitiones oratoriae, der Entlehnung aus dem griechischen Original (vgl. I 1) durchgehend vermeidet, ist dafür ein Beispiel. Im gleichen Sinn erinnert sich Cicero von seinem Mentor Licinius Crassus (I 1,2): quod vel pueri sentire poteramus, illum et Graece sic loqui, nullam ut nosse aliam linguam videretur. 94  Gellius XVII 5,3: rhetoricus quidem sophista, utriusque linguae callens. 95  Cicero, Part. orat. 1,1; 37,129 f.

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Für die klassische Stipulation würden alle diese Beispiele zunächst einmal die Annahme nahelegen, daß sie ursprünglich allein auf Latein zulässig war. Da wir nun aber positiv wissen, daß in der klassischen Tradition auch die griechische Sprache gestattet worden ist, sehen wir uns sofort vor die komplexere Frage gestellt, ob die klassische Lehre den Satz „hoc usque ad Graecum sermonem tantum protrahimus“ von Anfang gesprochen und gegen die vorklassische Ansicht gewendet gesagt hätte, daß sie zwar grundsätzlich keine fremden Sprachen, aber eben ausnahmsweise doch das Griechische zulassen wolle, oder ob wir annehmen müssen, daß eine ursprüngliche klassische Ansicht, die für die Stipulation des ius gentium in Rom nur Latein erlaubte, sich erst später der gegnerischen Schule jedenfalls insoweit geöffnet hätte, daß sie auch das Griechische zuließ. Ich bin überzeugt, daß die erste Alternative das Richtige trifft. Nur in der Zeit, in der die Rechtslehre der skeptischen Akademie rezipiert wurde, finden wir eine für das Recht maßgebende Führungsschicht, in der die Überzeugung gelebt wird, daß ein Römer, der griechisch spricht und versteht, sich in keiner fremden Sprache bewegt, sondern in einer solchen, die Teil seiner Zivilisation ist. Angesichts der Verfassungs- und Kulturgeschichte Roms, wie sie damals geglaubt wurde, war sie eine weitere eigene Sprache, deren Kenntnis auch bei Magistrat und Richter, die dem Vertrag zur Geltung verhelfen sollen, vorausgesetzt werden durfte. In dieser Perspektive erscheint daher die Zulassung des Griechischen nicht als Ausnahme von der grundsätzlich anzunehmenden Regel, daß ein Verbalvertrag des ius gentium die jeweilige Sprache der civitas verlangte, sondern als Konstatierung der Tatsache, daß die römische Kultur in den Augen dieser Theorie zweisprachig ist. Der schon erwähnte Vergleich mit der Münze erlaubt insofern eine einprägsame Pointierung: Während die griechische Münze, die dem Bereich von Markt und Wirtschaft angehört, in Rom eine fremde Währung darstellt, die den Kauf zum Tausch macht, hatte die griechische Sprache aus kulturellen Gründen für den Verbalvertrag des ius gentium Stipulation vollen Kurswert. Die Aufnahme des Griechischen war zwar in der Praxis naturgemäß dadurch erleichtert, daß vorher alle Sprachen zugelassen waren. Aber für die Theorie war entscheidend, daß in der von der skeptischen Akademie interpretierten civitas Roma die beiden Sprachen Latein und Griechisch kulturell gleichwertig waren. Die Stipulation erscheint damit nicht mehr wie in vorklassischer Zeit als ein Vertrag, dessen auffällige Form deutlich macht, daß er als ein Zusatz zum Naturrecht dem Eigennutz und damit dem Willen und dem Interesse des die Zusage erfragenden Versprechensempfängers dient, so daß, soweit dieser Form genügt war, beiderseitiges Verständnis vorausgesetzt, die gewählte Sprache gleichgültig war, sondern vielmehr als Ausdruck der in eine Regelung des Privatrechts hineinragenden Tatsache, daß die Befähigung des



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Menschen zum Recht und zur Rechtssetzung an die Sprache geknüpft ist, mit deren Hilfe die Menschen den Übertritt in die Zivilisation bewerkstelligen. Dabei war, was in diesem Mythos den Menschen in dieser Sicht unter allen Lebewesen auszeichnet, nicht einfach die abstrakte Sprachkompetenz, sondern die jeweilige Sprache, die ihn unter seinesgleichen zur Kommunikation befähigt.96 Im Fall Roms war diese Sprache nicht nur das Latein, sondern für jeden Wissenden, der mit dieser Rechtstheorie, ihrer Herkunft und der Rechtfertigung ihrer Durchsetzung vertraut war, mit gleicher Kraft und Reinheit das Griechische. Die Überredung zur Zivilisation war in dieser Perspektive wirksam, gleichgültig, in welcher der beiden Sprachen er sich sie vergegenwärtigte97. Die insofern das klassische Stipulationsrecht tragende Hochschätzung der sinnhaft gesprochenen Sprache tritt um so deutlicher hervor, wenn man erkennt, daß das ius gentium der skeptischen Rechtstheorie die Schriftform nur als Publikationsform und Beweismittel anerkennt und Regeln, die sie in Rom und bei den Peregrinen zum rechtlichen Tatbestandsmerkmal erheben, als ius proprium einordnet98. 96  Das, was der bereits zitierten Aussage Cicero, de oratore I 8, 32 Hoc enim uno praestamus vel maxime feris, quod conloquimur inter nos et quod exprimere dicendo sensa possumus folgt, läßt keinen Zweifel daran, daß die jeweilige Sprache gemeint ist, die eine bestimmte Menschenmenge durch ihre kommunikative und sinnfestlegende Kraft zur Staatsgründung geführt hat.§ 33: quae vis alia potuit aut dispersos homines unum in locum congregare aut a fera agrestique vita ad hunc humanum cultum civilemque deducere aut iam constitutis civitatibus leges iudicia iura describere. 97  Man bedenke, daß der Eingangsdialog zwischen Vater und Sohn in Cicero, Partitiones oratoriae I 1 CICERO (filius) Visne igitur, ut tu me Graece soles ordine interrogare, sic ego te vicissim isdem de rebus Latine interrogem? PATER Sane, si placet. Sic enim et ego te meminisse intellegam quae accepisti, et tu ordine audies quae requiris sich auch auf die ratio iuris bezieht, d. h. auf die Begriffe und Prinzipien, von deren Gültigkeit der Redner in der Überredung zur Zivilisation die versammelten Menschen überzeugte, und zwar in unseren Quellen in reinem Latein, von dem aber jeder Kenner wußte, daß es ein einem griechischen Original nachgeformtes Latein war. 98  Daher rührt die Klarheit, mit der bei Gaius III 134 die in der griechischen Welt so verbreiteten Schuldurkunden syngraphum und chirographum als genus obligationis proprium peregrinorum einordnet. Daß ihnen damit jegliche Affinität zum ius gentium bestritten wird, kehrt in der Haltung der bei Gaius III 133 durch Nerva vertretenen Schule der Prokulianer wieder, die folgerichtig auch den Litteralvertrag als Sonderrecht der Römer einordnet und nichts davon wissen will, daß, wie Sabinus und Cassius meinen, jedenfalls die novierend wirkende transscriptio a re in personam universales Recht darstellt. Da die klassische Rechtstheorie die Schriftlichkeit grundsätzlich nur als Beweismittel sieht, behandelt es das Ausmaß seiner Verbreitung, wie oben (Anm. 78 und dazugehöriger Text) gesehen, als eine Frage der kulturellen Tradition und der Zweckmäßigkeit.

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Der neuen Bedeutung der Sprache für die Stipulation entspricht weiter, daß uns im Unterschied zu der zum vorklassischen Recht gehörenden Etymologie, die das „spondere“ auf den Willen des Fragenden bezieht, eine konkurrierende Etymologie überliefert ist, in der das gleiche Wort auf die Grundbedeutung „Sprechen“ zurückgeführt wird und für das Recht entscheidender Wert auf das „respondere“ gelegt wird99. Zugleich besteht eine auffallende Ähnlichkeit mit einem Etymologiewechsel, die das Wort „lex“ (Gesetz) betroffen hat, von einer Verbindung mit „legere“ im Sinne des auf das Richtige verweisenden Wählens hin zur Bedeutung des Lesens der Text gewordenen Gesetzessprache100. Im Rahmen des klassischen ius gentium hat insofern die stipulatio des ius privatum in der lex, dem nicht minder universalen Institut des ius publicum, ein Gegenstück. Auch das Gesetz kommt nicht durch die Schriftform, sondern im Wege einer vom Volk bejahten Frage des Magistrats zustande. Es hat im klassischen Recht auf diese Weise nicht nur seinen uralten Vertragscharakter bewahrt, sondern wird in seinem Rahmen geradezu als sponsio der Gemeinde bezeichnet101. Die systematische Einordnung der Stipulation als Verbalvertrag des ius gentium, wie wir sie in den Institutionen des Gaius finden, ist in der dort begegnenden Fassung, einerseits strenge Stilisierung als kongruente Wechselrede, andererseits Öffnung hin zu den entsprechenden griechischen Formen auch für Römer, sofern sie die Sprache verstehen, als spezifisch klassisch einzuordnen102. Nach der Methode der klassischen Rechtstheorie gibt der Satz des Gaius „Verbis obligatio fit et interrogatione et responsione“ mitsamt den dazu gegebenen lateinischen und griechischen Beispielen die 99  Festus ed. Lindsay 462 Spondere antea ponebatur pro dicere, unde et respondere adhuc manet. Sed posta usurpari coeptum est d(e promissu ex interrogati)one alterius.Vgl. die folgende Anm. 102. 100  Vgl. Behrends, Gesetz und Sprache, Institut und Prinzip I S. 163. Das sich in diesen Etymologien ausdrückende Bemühen um die verba propria meint die ὀρθότης ὀνομάτων, die zu Beginn des Kratylos-Dialogs nicht weniger als viermal erwähnt wird. Vgl. dazu „Das Schiff des Theseus“ (oben Anm. 3) S. 442 ff. 101  Vgl. Gesetz und Sprache (oben Anm. 100) S. 163 ff.; ferner die Untersuchung „Der Vertragsgedanke im römischen Gesetzesbegriff“, in: Behrends / Starck (Hrsg.) Gesetz und Vertrag (2004) S. 9–90. 102  Gaius III 92 f. (ergänzt durch Theoph. 3,15,1). Verbis obligatio fit ex interrogatione et responsione. Die gleiche Betonung der Sprache auch schon beim Schüler der skeptischen Akademie Cicero, pro Caecina 2,3 Si quis quod spopondit, qua in re verbo se uno (!) obligavit, id non facit, maturo iudicio sine ulla religione iudicis condemnatur. Reinhard Zimmermann, Law of Obligations (1990) S. 68, zeigt eindrucksvoll, daß das in der Stipulationsform enthaltene Gebot, stets genau auf die Frage zu antworten, in vorbildlicher Weise das entsprechende, in den sokratischen Dialogen aufgestellte Gesetz der Dialektik (Aulus Gellius, Noct. Att. 16,2: legem … disciplinae dialecticae) verwirklicht.



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„regula“ an die Hand, die darüber entscheidet, ob das entsprechende Geschäft zustandegekommen ist, das dann in einem nächsten Gedankenschritt die daraufhin eintretende Rechtsfolge, das Hervortreten einer Obligation, bestimmt103. Das ist in diesem Fall die obligatio als res incorporalis, d. h. eine unkörperliche, körperliche Gegenstände durch Qualifizierungen verbindende Struktur104. Sie erzeugt über die Qualifikationen Gläubiger, Schuldner und gegenständlich bestimmter Leistungsinhalt die streng bestimmte einseitige Obligation, wie wir mit dem für die Methode des Servius Sulpicius Rufus typischen Natur-Norm-Dualismus in dem Ediktkommentar auftauchen sehen105. Die Obligation der Stipulation gehört als Institut („institutum“), als eine gedanklich in die Welt gestellte tatbestandliche Einrichtung des Rechts auf die gedankliche Ordnung erzeugende Normebene, und zwar als Geschöpf in der Regel des ius gentium und ausnahmsweise des ius proprium.106 Zugrun103  Daher lautet das Ergebnis der Tat des Servius, welche die bisherige „iuris scientia“ mit Hilfe der „ars“ der skeptischen Akademie bearbeitete (Cicero, Brutus 41, 152): postremo habere regulam qua vera et falsa iudicarentur et quae quibus propositis essent quaeque non essent consequentia. Institute, die regelrecht gebildet sind (vgl. Gaius III 142), sind „vera“ im Sinne dieses Satzes und haben Rechtsfolgen, die bei der Mitteilung des Rechtssystems meist, da sie die Verhältnisse qualifizieren, unter dem Gesichtspunkt des „quale“ erscheinen (Cicero, Partitiones oratoriae 37, 129: Topica 23, 90), aber auch unter dem Begriff der „consecutio“ gefaßt werden (Cicero, de oratore III 29, 113), der dem heutigen Denken in Rechtsfolgen näherliegt. 104  Vgl. Gaius II 14 Incorporales (res) sunt, quae tangi non possunt, qualia sunt ea, quae iure consistunt sicut obligationes quoquo modo contractae. Die Herkunft dieser Kategorie aus der skeptischen Theorie beweist Cicero, Topica 5, 27. 105  Ein klares Kontinuitätszeugnis liefert eine klassische Aufgabe der bekanntlich von Aquilius Gallus konzipierten und von Servius Sulpicius Rufus in das Edikt übernommenen exceptio doli, die als ein dem Recht gegenüberstehendes Prozeßmittel in factum konzipiert ist, und, wie Ulpian 76 ad edictum D 44,4,2 pr sagt, aus dem gleichen Grund wie die actio de dolo malo proponiert worden ist. Sie hat als ein Abwehrmittel, das Handeln im Recht rechtsethisch bewertet, die allgemeine Aufgabe zu verhindern (Paulus 71 ad edictum D 44,4,1,1): ne cui dolus suus per occasionem iuris civilis contra naturalem aequitatem prosit und zur wohl bekanntesten Anwendung die Abwehr der Klage aus der nicht valutierten Darlehensstipula­ tion (Gaius IV 116). Darauf bezieht sich denn auch der Hinweis in der ratio iuris Cicero Part. orat. 37, 129, daß ein einseitiges Rechtsverhältnis „ut dicitur, boni et aequi ratione defenditur“. Wird die Einrede erhoben, ist der Kläger in der Tat dazu gezwungen. 106  Darauf bezieht sich Hermogian 1 iuris epitomarum D 1,1,5 Ex hoc iure gentium obligationes institutae: exceptis quibusdam quae iure civili introductae sunt. Denn da, wie das Vorhergehende beweist, die „obligatio“ das einseitige Schuldverhältnis meint, denkt der Autor bei den Worten gewiß in erster Linie an die universale stipulatio und bei den Ausnahmen an die in dieser Sichtweise vom Zivilrecht eingeführte sponsio. Vgl. Gaius III 93.

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de liegt einem solchen Vertragsinstitut in der technischen Sprache dieser Tradition auf der rechtlichen Seite ein produktives rechtliches „inter se agere“ der Parteien, eine Terminologie, die besagt, daß eine menschliche Handlung nicht auf der Ebene des bloßen „factum“ bleibt, sondern ein ein Rechtsverhältnis hervorbringendes „actum“ darstellt107. Bei einem Scherzgeschäft fehlt es in dieser Tradition am produktiven rechtlichen „agere“, so daß der Wortwechsel folgenlos bleibt108. Hat das rechtliche Handeln Erfolg, dann entsteht eine strenge Obligation, die von Rechts wegen nur durch die genaueste Bewirkung des Leistungsprogramms erfüllt und damit durch Solution zum Erlöschen gebracht werden kann. Das ist aber nicht das letzte Wort, da sich die Parteien in dem Vertragsinstitut auch als natürliche Personen gegenüberstehen, deren Klagverfolgung nicht nur als „agere“ nach formalen Kriteren, sondern auch als ein schlichtes „facere“ bewertet wird. Wenn daher der Schuldner mit Einverständnis des Gläubigers anstatt der geschuldeten Leistung einer Geldschuld über 100 an Erfüllungs Statt eine Sache geleistet hat, dann ist zwar nach der klassischen Theorie die gleichwohl angestrengte Klage gültig erhoben, sie trifft aber, weil in der Klagerhebung ein „dolo malo factum“ enthalten ist, auf die klassische exceptio doli109. In gleicher Weise treten die Parteien einander auch beim Vertragsschluß nicht nur mit formellem „agere“, sondern auch im Modus des schlichten „facere“ gegenüber, weswegen es auch ein „dolo malo factum“ zum Zeitpunkt des Abschlusses der Stipulation gibt110. Das insofern bei 107  „Actum“ ist, wie Labeo in einem von Ulpian (11 ad edictum D 50,16,19) angeführten, systematisch gehaltenen Text ausführt, das „verbum generale“ des Vertragsrechts, da es nicht nur den einseitigen Verträgen wie der Stipulation zugrundeliegt. sondern auch dem „contr-actum“ der ultro citroque obligatio bzw. συνάλλαγμα der zweiseitigen Verträge, eine Sprachregelung, die über das von Pringsheim, SZ 76 (1961) S. 1–91, untersuchte „id quod actum est“ eindeutig auf Servius Sulpicius zurückführt. In dieser Tradition beschreibt Ulpian das vertragliche Handeln als „inter se agere“ (4 ad edictum D 2,14,1,3 inter se agunt) und Paulus in einem Proculus zitierenden Text (32 ad edictum D 17,2,65 pr u. § 1) die stipulatio ausdrücklich als eine actio (d. h. als eine rechtserzeugende Handlung). 108  Paulus 2 institutionum D 44,7,3,2 Verborum quoque obligatio constat, si inter contrahentes hoc agatur: nec enim si per iocum puta vel demonstrandi [intellectus, del. Mo.] causa ego tibi dixero ‚spondes‘? Et tu responderis ‚spondes‘, nascetur obligatio. Zu der in ihrer Sichtweise deutlich abweichenden vorklassischen Jurisprudenz vgl. Varro, ling. VI 72 oben Anm. 48. 109  Vgl. Gaius III 168. Zu der anders urteilenden vorklassisch-sabinianischen Tradition unten bei Anm. 119. 110  Zu den berühmten zwei Zeiten des dolus, in neulateinischer Terminologie dolus praesens sive generalis und dolus praeteritus sive specialis, vgl. Gaius IV 119 und Lenel, Edictum perpetuum (1927)3 S. 512: SI IN EA RE NIHIL DOLO MALO Ai Ai FACTUM SIT NEQUE FIAT. Zur Wertungsquelle der naturalis aequitas oben Anm. 105.



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Vertragsabschluß bewertete einfache menschliche Handeln liegt auch der conventio, der schlichten Übereinkunft, zugrunde, welche die natürliche Grundlage der klassischen Stipulation ist und um deretwillen die vertrag­ lichen Stipulationen in einer nicht zufällig spezifisch mit dem Edikt verbundenen Tradition den Namen „stipulationes conventionales“111 tragen. Diese schlichte Übereinkunft ist als Allgemeinbegriff auch im spezifischen pactum conventum enthalten112, das aber durch das zusätzliche, über die flüchtige Zusammenkunft hinausreichende Friedenselement sowohl zur Grundlage der Staatlichkeit, die in dieser Tradition im Zeichen des Gewaltverbots entsteht113, 111  Schon in der Art, in der Ulpian 7 disp D 45,1,52 pr die Kategorie der conventionales stipulationes den stipulationes praetoriae entgegensetzt, zeigt er, daß die Terminologie aus der das klassische Edikt begleitenden Theorie stammt. Die folgende Stelle eines postjulianischen Sabinianers spiegelt die Rezeption dieser Terminologie in seiner Schule wieder. Pomponius 26 ad Sabinum D 45,1,5 pr conventionales sunt, quae ex conventione reorum fiunt, quarum totidem genera sunt, quot paene dixerim rerum contrahendarum. (Die vertraglichen Stipulationen sind solche, die aufgrund einer Übereinkunft der Parteien zustande kommen. Von ihnen gibt es so viele Arten, fast möchte ich sagen, wie vertragliche Gegenstände.) Bezeichnend ist daher auch das gleichzeitig vorkommende vorklassische Element in dem anschließenden „pendent ex negotio contracto“ (sie hängen ab von dem zugrundeliegenden Rechtsgeschäft.). Vgl. dazu oben Anm. 50 und den dortigen Text. 112  Das „conveniens“ (Cicero, Topica 23,90) ist der Grundbegriff des ius gentium, der nicht nur die Staatengründung (vgl. die Anm. 114), sondern sowohl die conventio der Stipulation als auch die Konsensualverträge des pactum conventum umfaßt. Da die einfache Übereinkunft und das eine reziproke zweiseitige Regelung tragende pactum conventum etwas Verschiedenes sind, stellt Cicero, Part. Orat. 37, 130 stipulatio und pactum conventum nebeneinander. Und so wie aus dem durch zusätz­ liche dauerhaftere Friedlichkeit gekennzeichneten pactum conventum bei Vorliegen ihres Tatbestands die durch das Prinzip des iure praestare ausgezeichneten (Cic, de inventione II, 22,86) Konsensualverträge hervorgehen, wenn ihre Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, so aus dem einfachen convenire die Stipulation, jeweils durch transire in proprium nomen contractus. Die beides beschreibende, bei Ulpian 4 ad edictum D 2,14,1 §§ 2–4 vorliegende Systematik nutzt die darin liegende Möglichkeit, den ediktalen Begriff des pactum conventum zugunsten des verbum generale conventionis etwas zurücktreten zu lassen. Kennzeichnend für die Herkunft dieser Begrifflichkeit ist, daß das pactum conventum, das den Konsensulverträgen zugrundliegt, und die conventio, die u. a. die klassische Stipulation ermöglicht, im Rahmen des dualistischen Rechtssystem der ratio iuris (Cicero, Part. orat. 37, 129 f.) auf die Seite der von Ulpian im pr. erwähnten naturalis aequitas und damit des vom Prätor bewerteten Verhaltens, des factum, gehören, während die vom agere erzeugten Verträge Rechtsverhältnisse der civilis aequitas (vgl. Ulpian 38 ad edictum D 47,4,1,1) darstellen. 113  Das Prinzip der Überredung zur Zivilisation ist (Cicero, de inventione I 2,3) das „ad ius sine vi descendere“ und dass der Stärkere sich bereit findet, unter gleichen Regeln zu leben (se pateretur aequari). Daher ist der Zentralbegriff des klassischen Rechts die aequitas im Sinne der Rechtsgleichheit (Cicero, Topica 4, 23: Valeat aequitas, quae paribus in causis paria iura desiderat) und das Gewaltverbot programmatisch für seine vom Edikt her durchgesetzte Geltungsweise (Cicero, pro

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als auch zu der der Konsensualverträge wird114. Beide durch natürliches Handeln entstehende Übereinkünfte, die conventio wie das pactum conventum, stehen in der Staatlichkeit unter der Herrschaft der unter ihren Bedingungen in den Gemütern der Menschen belastbar hervortretenden ethischen naturalis aequitas, der natürlichen Gleichheit, die in beiden Beziehungen (allerdings mit verschiedenen Inhalten) die fides humana einfordert115. Die für die Stipulation grundlegende conventio unterscheidet sich vom pactum conventum dadurch, daß dessen dauerhafte Friedlichkeit und Kooperativität erst innerhalb der Staatlichkeit möglich ist, während die flüchtige conventio mit ihrer auf einseitigen Erwerb gerichteten Zielsetzung zugleich im Naturzustand wurzelt; man denke an den Tausch, dessen Übereinkunft sich auf die Ermöglichung zweier, durch Reziprozitätserwartung gewaltfrei gestellter Erwerbsakte beschränkt. Daher finden wir auch die Stipulation in der skeptischen ratio iuris vom pactum conventum, dem Grundverhältnis der KonSestio 42, 92 … inter hanc vitam perpolitam humanitate et illam immanem nihil tam  interest quam ius atque vis. Horum utro uti nolumus, altero est utendum. Vim volumumus exstingui; ius valeat necesse est, id est iudicia, quibus omne ius continetur.) 114  Die berühmten Worte im Kommentar zum Edikt De pactis conventis (Ulpian 4 ad edictum D 2,14,1,3): nam sicuit convenire dicuntur, qui ex diversis locis in unum locum colliguntur et veniunt, ita et qui ex diversis animi motibus in unum consentiunt, id est in unam sententiam consentiunt beschreiben mit ihrem faktischen Vergleich primär die Urversammlung, aus der das Gemeinwesen entsteht. Der rationale Konsens, der die Rechtsformen des ius gentium entstehen läßt, bezieht sich in der Stelle zunächst auf die Konsensualverträge, erzeugt aber auch auf die Grundform der Staatlichkeit, die das Bürgerrecht verleihende Civitas. Die Parallele mit der entsprechenden Schilderung in den oben (Anm. 56) wiedegegebenen Quellen (vgl. auch den Text) ist unübersehbar. Treffend bereits die Hinweise in der neuen Digestenübersetzung CIC II S. 224 Anm. 1. 115  Das macht Ulpian D 2,14,1 pr deutlich, der mit seinen Worten: Huius edicti aequitas naturalis est. Quid enim tam congruum fidei humanae quam ea quae inter eos placuerunt servare? nicht nur auf das pactum conventum, sondern auch auf das diesem als Allgemeinbegriff zugrundeliegende (§ 3) nomen generale „conventio“ blickt. Dass auch eine einseitige conventio diesen Werten unterliegt, bestätigt Ulpian zum Edikt De pecunia constituta (27 ad edictum D 13,5,1 pr): Hoc edicto praetor favet naturali aequitati: qui constituta ex consensu facta custodi, quoniam grave est fidem fallere. Daher gehört (vgl. Cicero de inventione I 2,2–3) zu dem „ius aequabile“, das die zur Zivilisation geführten Menschen lernen, auch das fidem colere. In der Darstellung Ciceros, de inventione II 22,65 (vgl. II 53, 160) heißt diese sozialethische Anlage im Menschen „Wahrhaftigkeit“ (veritas). Dass es sich aber nur um eine verschiedene Übersetzung des Gleichen handelt, zeigt Cicero, de officiis I 7, 23:„fides, id est dictorum conventorumque constantia et veritas“. Daß die Anforderung an die (klassisch stes das schlichte facere beanspruchende) „Treue“ in der Erfüllung der Vertragspflichten verschieden bestimmt wurde, zeigt der im Kontext der klassischen Jurisprudenz formulierte Satz (Alfenus 5 digestorum a Paulo epitomatorum D 19,2,31): in re quae utriusque causa contraheretur culpam deberi.



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sensualverträge, deutlich abgesetzt116 und nach Rechtsform und rechtsethischer Bewertung dort eingeordnet, wo es um einseitigen Erwerb geht, nicht dort, wo das Recht wechselseitige Pflichten ordnet117. Die natürliche Grundlage der Stipulation ist nach klassischer Lehre daher nicht das negotium, sondern die conventio, die einfache Übereinkunft, die auch gegeben ist, wenn Menschen zum Zwecke der Verwirklichung einseitiger Erwerbsinteressen zusammenkommen, im Unterschied zum „pactum conventum“, das wegen seiner hinzukommenden, auf Dauerhaftigkeit berechneten Friedlichkeit die Verständigungsgrundlage der Staatlichkeit, der zweiseitigen Verträge (oder auch des dauerhafteren oder endgültigen Entgegenkommen eines Gläubigers) ist. Im Verhältnis zu dieser Naturgrundlage erscheint auch das klassische Institut als eine Bereicherung der Natur, aber ganz anders als in vorklassischer Zeit. Dort war die Prostheke ein Zusatz zur Natur, der sich als solcher durch eine nicht natürliche Form zu erkennen gab und dem Ziel diente, den eigennützigen Willen des Fragenden zur Geltung zu bringen. Es war etwas, was in der Denkweise dieser Tradition, weil es Wirkung hatte und das negotium gestaltete, etwas Materiales und in dem Sinne etwas „Körperliches“ darstellte118. Und so, wie bei der Obligationsbegründung auch die Form 116  Da die Stipulation sowohl schriftlich abgefaßt wie unbeurkundet gelassen bleiben kann, wird sie in den der natura entgegengesetzten propria legis der ratio iuris Cicero, Partit. orat. 137, 130 (sie sind mit den bei Cicero, Topica 23,90, der natura entgegenge setzten instituta der institutio aequitatis bedeutungsgleich) zweimal berücksichtigt, einmal ausdrücklich als ius privatum „scriptum“ in der Sequenz „tabulae pactum conventum stipulatio“, zum anderen mittelbar in der Kategorie des ius non scriptum unter den Rechtsquellenbegriffen „consuetudo“ (sponsio als Institut des ius proprium) und conventa hominum (die stipulatio des ius gentium beruht klassisch auf einer conventio; vgl. oben Anm. 111 und 112). Die conventio erfaßt als nomen generale neben der Stipulation auch das näher qualifizierte, bei Vorliegen der Tatbestandsmerkmale die Konsensulverträge hervorbringende pactum conventum. Vgl. Pedius bei Ulpian 4 ad edictum D 2,14,1,3. 117  Die in der ratio iuris (Cicero, Partit. orat. 37, 130) auffallende, sowohl für die Natur- wie für die Normebene Geltung beanspruchende Unterscheidung der mit dem ius humanum identifizierten aequitas in eine streng formale Regelung, die notfalls durch das aequum et bonum gerechtfertigt werden muß (derecta veri et iusti et, ut dicitur, aequi et boni ratione defenditur) und eine andere, die sich auf Leistungen im Reziprozitätsverhältnis bezieht (ad vicissitudinem referendae gratiae pertinet), läßt sich für das Vertragsrecht alsbald am Unterschied zwischen der von einer schlichten conventio getragenen Stipulation (daß sie nach dem klassischen Edikt u. U. der materiellrechtlichen Verteidigung bedarf, zeigt die Überlieferung oben Anm. 105) und der aus dem pactum conventum emergierenden emptio venditio veranschaulichen. 118  Die voluntas des Stipulanten ist in dieser Denktradition auch ein bonum, da der Eigennutz mit dem Gemeinwohl korreliert (Cicero, de officiis III 16, 63). Daher gilt auch für den interessierten Willen das Argument (Seneca, epistulae morales

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vom Interesse des Berechtigten her gedacht und bestimmt wurde, so entschied auch über die Erfüllung der Wille des Berechtigten, wenn er sein Interesse neu zu definieren bereit war, nicht die strenge, formal unverrückbare Beachtung des Versprechensinhalts119. Es ist daher kein Wunder, daß die klassische Lehre auch bei der Prüfung der Frage, wann eine gültige Wechselrede vorliegt, an das Korrespondenzprinzip höhere, nämlich streng formale Anforderungen stellte Rolf Knütel hat gerade die Quellen untersucht und zutreffend für die spätklassische Zeit auf das Vordringen der freien Willensauslegung hingewiesen und auch auf die Möglichkeit einer Kontroverse aufmerksam gemacht. Sie ist in der Tat, auch ohne erneut in ausführliche Quellenexegesen einzutreten, handgreiflich: So besteht Gaius in seinem Institutionenlehrbuch, das von der grundsätzlichen Rezeption der klassisch ausgeformten Institute in seine Schule lebt, auf Nichtigkeit der Stipulation, wenn auf die Frage „Versprichst Du mir zehn Sesterzen?“ die Antwort „Ich verspreche dir fünf“ geantwortet wird, während Ulpian in seinem Sabinus-Kommentar nach dem Prinzip des „in maiore et minus“ eine Willensübereinstimmung feststellt120. Eine Reihe weiterer Entscheidungen aus der vorjulianischen Schule der Sabinianer, die ebenfalls auf die trotz Wortverschiedenheiten feststellbare materiale Übereinstimmung abstellen, lassen an der Herkunft dieser Lehre keinen Zwei117,  2): Quod bonum est, prodest; faciat autem aliquid oportet ut prosit; si facit, corpus est. Und daher ist auch der spezifische sabinianische, d. h. vorklassische (Paulus 54 ad edictum D 41,4,2,2) Grundsatz „plus est in re quam in existimatione mentis“ als Auslegungsprinzip so allgemein zu verstehen, wie er in den verschiedenen Anwendungen und Formulierungen auftritt. Vgl. Kaser, Röm. Privatrecht I S. 242 und 416 Anm. 20. 119  Die Auslegung nach der voluntas des Fragenden (vgl. oben Anm. 48) und die Idee, daß die Stipulation dem Eigeninteresse dient (oben Anm. 33), erklärt, warum der Gläubiger sein Interesse rechtswirksam neu konkretisieren kann. Die bekannte ipso iure Wirkung der datio in solutum ist denn auch gewiß keine Erfindung erst der Sabinianer (vgl. Gaius III 168), sondern von ihnen fortgeführtes vorklassisches Traditionsgut. 120  Vgl. Rolf Knütels Abhandlung „Zur Auslegung und Entwicklung der Stipulation“ (oben Anm. 16). Der Gegensatz zwischen Gaius III 103 (und Inst. 3, 195) einerseits: inutilis est stipulatio (wenn die Frage auf zehn, die Antwort auf fünf lautete), und Ulpian 48 ad Sabinum D 45,1,1,4 andererseits (für den Fall einer Frage auf zwanzig und einer Antwort auf zehn gilt: obligatio nisi in decem non erit contracta: licet enim oportet congruere summam, attamen manifestissimum est vigint et decem inesse) könnte schärfer nicht sein. Die in einer doppelten Negation daherkommende Äußerung macht deutlich, wie sehr diese Stellungnahme einer älteren gegenteiligen Position abgerungen worden ist. Gaius steht in der hier dokumentierten, späten, am Ende der Schulentwicklungen stehenden „Klassikerkontroverse“ (Knütel S. 251) für die Haltung der von Julian an das klassische Denken herangeführten sabinianischen Rechtsschule, Ulpian für die spätprokulianische Schule, die sich der vorklassischen Tradition geöffnet hat.



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fel121. Die massive Inkongruenz allerdings des Wortwechsels „Versprichst du mir  …?“ – „Warum nicht?“ ließ aber auch Ulpian, der an sich den vorklassischen Einflüssen gegenüber aufgeschlossen war, nicht ausreichen: Was er aufgrund dieses Wortwechsels (wahrscheinlich vermöge einer neuen Einordnung der conventio) entstehen ließ, war eine lediglich erfüllbare und als solche verbürgungsfähige, aber nicht selbständig haftungsbegründende naturalis obligatio. Der vorklassischen Form, welche die Wechselrede als ein Stück „Unnatürlichkeit“ verlangte und davon bei aller Fähigkeit, das Geschäft mit dem Blick auf das „ad voluntatem respondere“ auszulegen, nicht abwich, war mit der lässigen Gegenfrage „Warum denn nicht?“, die, so aufgeschlossen sie intoniert sein mochte, niemals den Rang einer Form erreichen konnte, nicht genügt, erst recht nicht dem sprachlich strengen, grundsätzlich volle Kongruenz fordernden Formprinzip des klassischen Rechts122. Der klassischen Strenge wegen wird man im übrigen auch anneh121  Das vorjulianische Schulhaupt der Sabinianer Javolen ist zunächst mit der spektakulären Entscheidung vertreten (6 ex posterioribus D 24,3,66,4; Knütel a. a. O. S. 227), daß eine Frage, die auf den als Mitgiftwert bezeichneten Betrag von 200 lautete, durch Interpretation auf 100 als dem wahren Mitgiftwert heruntergeführt werden könne. Daß er sich dabei auf Labeo berufen konnte, entspricht der Erfahrung, daß dessen Neuerungen im klassischen Recht immer wieder auf vorklassischen Anregungen beruhen. Weiter ist nach Javolen 6 epistularum D 45,1,106 das Versprechen eines Grundstücks unter einem auf mehrere Grundstücke passenden Namen und „sine ulla nota demonstrationis“ gültig (Knütel S. 232 f.), während der zur prokulianischen Tradition gehörende Papinian (4 responsorum D 23,3,69,4; Knütel S. 239 f.) eine Stipulation „fundo non demonstrato“ für ungültig erklärt. Die freiere Richtung hat sich durchgesetzt. Siehe Florentin 8 institutionum D 45,1,65,1: Es schade nach durchgedrungener Meinung (placet [!]) nicht, wenn die Sache, die, oder die Person, der versprochen werde, von den beiden Parteien verschieden bezeichnet, ebensowenig, wenn die Leistung in Denaren erfragt und in Sesterzen versprochen worden sei. Vgl. Knütel S. 250 Anm. 99. Übereinstimmend Pseudo-Paulus (5 sententiarum D 45,1,136 pr) für den Fall verschiedener Namen für die gleiche Sache: non infirmat obligationem. 122  Ulpian 48 ad Sabinum D 45,1,1,2 Si quis ita interrogatus (vgl. Knütel a. a. O. S. 244): „dabis?“ responderit „quid ni?, et is utique in ea causa est, ut obligetur: contra si sine verbis adnituisset, non tantum autem civiliter, sed nec naturaliter obligatur; et ideo recte dictum est non obligari pro eo nec fideissores quidem. Daraus, daß der nur zustimmend Nickende wegen der Wortlosigkeit nicht einmal „natürlich“ verpflichtet wird, folgt auch ohne die Emendation durch Einfügung des „non“, dass derjenige, der eine Bereitschaft signalisierende Gegenfrage stellt, lediglich „natürlich“ verpflichtet wird. Die daraufhin von Ulpian gezogene Rechtsfolge, daß damit auch die für einen „fideiussor“ genügende „naturalis obligatio“ wegfällt, entspricht dem, was schon von Gaius III 119a gelehrt wird, daß nämlich für einen fideiussor eine naturalis obligatio ausreicht. Entwicklungsgeschichtlich gesehen beruht die von Ulpian vorgetragene Ansicht anscheinend darauf, daß die conventio, welche die klassische Stipulation trägt, in der Zwischenzeit dem ius gentium unterstellt worden war (für Ulpian zeigt das seine Äußerung 4 ad edictum D 2,14, 7 pr), und daher auch einen defizitären, aber immerhin eine Übereinkunft bekundenen

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men, daß die von Ulpian mitgeteilte Regel, es schade nicht, wenn in der Wechselrede zwei Sprachen vorkommen, also auf Griechisch gefragt und auf Latein geantwortet wird oder umgekehrt123, eine späterere, unter vorklassischem Einfluß stehende Konzession ist. Das klassische Recht, das für die äußere Wortform formale Symmetrie einforderte und zu den geltungserhaltenden Auslegungen, wie sie die vorklassische, die Stipulation als Willensform behandelnde Tradition kannte, nicht fähig war, wird von den Parteien verlangt haben, sich jeweils für eine der beiden Sprachen zu entscheiden. Als Resümee können wir zu der Sprachenfrage Folgendes festhalten: In der älteren rechtswissenschaftlichen Tradition, welche die Wechselrede als universale zivilrechtliche, erkennbar unnatürlich stilisierte und daher als Zusatz zur Natur erkennbare Willensform auffaßte, die eine eigennützige, dem Fragenden dienende Obligation hervorbrachte, waren alle Sprachen erlaubt, in der jüngeren Tradition dagegen, die lehrte, daß eine solche Wechselrede dann und nur dann Geltung hat, wenn sie sich der innerhalb der jeweiligen Bürgerschaft gesprochenen Sprache bediente, und zugleich peinlich auf Kongruenz von Frage und Antwort achtete, wurden Latein und Griechisch von Anfang an als die beiden die römische Zivilisation gleichberechtigt tragenden Sprachen anerkannt.

Wortwechsel als natürliche Verbalobligation legitimieren konnte. Daß ­Julian in der Ausbildung der naturalis obligatio, der „natürlichen“ (nicht: naturrechtlichen), mit begrenzten Rechtswirkungen ausgestatten Verbindlichkeit eine bedeu­tende Rolle gespielt hat, ist bekannt. Vgl. Kaser, Röm. Privatrecht I2 S. 480 und Anm.  12. 123  Vgl. oben Anm. 61 und Anm. 16.

Addendum epistolare alla polemica Bonfante versus Croce (e Gentile) Di Cosimo Cascione È nota ai romanisti (e gode da tempo di una significativa letteratura1) un’aspra polemica che tra il 1917 e il 1919 contrappose fieramente Pietro Bonfante, accusato di un naturalismo che sentiva molto diverso dal proprio, ai maggiori filosofi dell’idealismo italiano, Benedetto Croce e Giovanni Gentile, allora, se non più saldamente uniti sotto il profilo filosofico2, ancora sodali in un progetto culturale condiviso e continuamente reso manifesto nelle pagine della rivista crociana La Critica3. Lo studio di quello scontro, da qualcuno addirittura inteso come una lotta per la supremazia culturale in Italia4, è stato fino ad ora condotto sulla base di quanto dai protagonisti pubblicato. Dall’epistolario intercorso tra Croce e Gentile emergono sette lettere che trattano del caso o almeno vi fanno cenno. Riprenderle dagli originari luoghi di pubblicazione e metterle, insieme, a disposizione della comunità degli studiosi può servire – forse – a dare un ulteriore (seppur minimo) contributo all’interpretazione di quella disputa. Di séguito le lettere sono cronologicamente ordinate5, numerate da I a VII, e corredate, in corpo minore, da un breve commento.

1  Frezza, in: SDHI. 25, 1959, p. 372 ss. = Scritti II, p. 272 ss.; Bretone, p. 275 ss.; Casavola, in: Labeo 5, 1959, p. 318 ss. = Sententia legum II, p. 84 ss.; De Gennaro, p. 15 ss., 113 ss.; Capogrossi Colognesi, in: QF. 17, 1988, p. 119 ss. = Modelli di stato e di famiglia3, p. 285 ss.; Cardinale, p. 287 ss.; Orestano, in: Bonfante, Lezioni di filosofia del diritto, p. x s. = Scritti IV, p. 2450 s.; Schiavone, p. 288 ss. Da ultimo, con ampi riferimenti: Basile, in SDHI. 76, 2010, p. 568 ss. Cfr. anche Paradisi, ad indicem, s.vv. Bonfante, P.; Croce, B.; e Bucci, nt. 85, p. 59 ss. 2  Per tutti: Galasso, p. 165 ss. 3  L’adesione convinta al fascismo di Gentile segnerà, poi, la fine della collaborazione e dei rapporti tra i due. Ma questa è una storia risaputa. 4  È la tesi sostenuta nel bel saggio di Aldo Schiavone cit. in bibliografia. 5  Mantengo i criteri nella datazione e nell’intestazione che risultano dalle edizioni utilizzate, cit. infra in ntt. 6 e 10, omettendo tutto quanto resta non inerente alla questione (comprese formule di saluto e firme).

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* *     * I. (Croce a Gentile)6 10 ottobre 1917 Caro Giovanni, […] Il Bonfante ha mandato una risposta alquanto sconclusionata alla tua recensione. Non sarà un ornamento per la Critica. Vorrei fartela leggere, perché tu vi apponga una breve postilla. Breve, sebbene lo scritto sia assai confuso. Se non ti trovo a Pisa, lo farò comporre e te ne manderò le bozze. Il mio indirizzo è Hôtel Fiorina, Torino. La prima lettera, di Croce, fa séguito alla reazione di Bonfante alla recensione che alla sua prolusione romana al corso di Storia del diritto romano del 20 gennaio 19177 Gentile aveva dato alle stampe ne: La Critica 15, fasc.  4, 1917, p. 254 ss. La risposta è inviata – per la pubblicazione – a Croce nella qualità di direttore della rivista; comparirà con il titolo: L’autonomia della scienza del diritto e i confini della filosofia, ibid. 16, fasc. 1, 1918, p. 51 ss.8. La richiesta a Gentile di aggiungervi una postilla mostra la politica editoriale della direzione: lo scritto di Bonfante, che «[n]on sarà un ornamento» per il periodico crociano, deve essere glossato da una penna che si faccia garante della linea della rivista. Croce – ovviamente – si rivolge a Gentile, che aveva dato inizio al dissidio con la recensione e che s’era proprio in quegli anni dedicato a un’impostazione generale della filosofia del diritto9. Gli aggettivi che qualificano la risposta di Bonfante («sconclusionata», «confus[a]») indicano chiaramente il giudizio negativo di Croce sulle posizioni del romanista e sul suo modo di esporle.

6  Croce,

Lettere a Giovanni Gentile (1896–1924), lett. nr.  792 p. 546. metodo naturalistico nella storia del diritto, in: Riv. it. di sociol. 21, 1917, p. 53 ss. = Scritti giuridici vari IV, p. 46 ss. 8  Uscirà anche, aumentata d’una premessa, in: Riv. it. di sociol. 22, 1918, p. 5 ss. = Scritti giuridici vari IV, p. 70 ss., ove è aggiunta anche una ulteriore postilla (p. 85 ss.); cfr. infra comm. a VI. 9  Con la pubblicazione, nel 1916, della prima edizione de I fondamenti della filosofia del diritto. Successive edizioni: Roma, 1923; Firenze, 1937; i Fondamenti sono quindi apparsi, come IV volume, nelle Opere complete di Giovanni Gentile, Firenze, 1961; rist. 1987, 2003. In merito alle distinte edizioni dell’opera si v. Pigliaru, p. 115 ss. 7  Il



Addendum epistolare alla polemica Bonfante versus Croce (e Gentile)

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II. (Gentile a Croce)10 All’Illustre Sig. Sen. Benedetto Croce Hôtel Fiorina Torino Roma, 15 ott. 17 Mio caro Benedetto, […] Vedrò sulle bozze la risposta del Bonfante e mi immagino che, siccome rimesterà le stesse cose della sua prolusione, ci sarà poco da aggiungere da parte mia. Mi pareva che fosse un po’ imbronciato quando fummo qui due giorni insieme in settembre per la Giunta Generale […] Gentile risponde a stretto giro di posta alla lettera I. Non ha ancora visto il testo di Bonfante: lo leggerà direttamente sulle bozze di stampa e in quell’occasione – dice – aggiungerà la sua postilla. Prevede, però, che la risposta ripeta quanto scritto nella prolusione recensita e dunque di non dover aggiungere molto nel commento richiestogli dal direttore, mostrando immediatamente non troppo ardore a continuare nella polemica. Invero, poi, la nota uscirà a firma di Croce: Filosofia e storia del diritto, in: La Critica 16, fasc.  1, 1918, p. 57 ss. = Pagine sparse2 I, Bari, 1960, p. 467 ss. Di qui si intuisce come Croce sia molto più interessato allo scontro culturale rispetto a Gentile, che pure l’aveva per dir così scatenato: il primo sarà toccato dai risvolti filosofici del problema e scenderà ancora sul campo della disputa, mentre il secondo pare più attento a posizionamenti personali. Già da questa lettera Gentile trasmette a Croce un’impressione, di aver colto qualche risentimento nel romanista, avendolo incontrato nel mese precedente in un’occasione ministeriale. Il suo livello d’interesse non muterà granché (pur prendendo toni più aspri) nel prosieguo dell’epistolario. Non è improbabile che la scarsa attenzione al profilo per Croce più rilevante sia un segno del distacco filosofico che sta maturando tra i due studiosi.

III. (Croce a Gentile)11 Napoli, 11 II. 18 Carissimo Giovanni, […] Sai che cosa ha detto il Bonfante della mia socratica dilucidazione? Con me non si è fatto vivo. Ma coloro che lo conoscono, mi dicono che sarà su tutte le furie. […] 10  Gentile, 11  Croce,

Lettere a Benedetto Croce V, lett. nr.  874 p. 157 s. Lettere a Giovanni Gentile, lett. nr.  802 p. 552 s.

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Croce, in un post scriptum a una lettera abbastanza lunga, appare ansioso di avere notizie su un’eventuale reazione di Bonfante alla sua nota cit. immediatamente supra in comm. a II. Evidentemente ne aveva già discorso con (o scritto a) comuni conoscenti: un altro elemento che fa palese l’interesse del filosofo napoletano per la questione.

IV. (Gentile a Croce)12 Roma, 22-2-1918. Mio caro Benedetto, […] Non ho mai incontrato il Bonfante (il quale, del resto, non mi saluta più da quando ha avuto la mia recensione). Ma so da uno studente, che frequenta l’Anzillotti – quell’incaricato di Filosofia del diritto che avrebbe il merito di non essersi mai occupato della materia! – che egli ora è imbestialito anche contro di te, e va raccontando un aneddoto dello Scialoja, secondo il quale tu, da giovane, avresti dato prova presso di lui all’università di non riuscire a capir niente di diritto, e perciò avresti abbandonato le auree vie della loro scienza privilegiata! […] La lettera denuncia alcuni tratti molto personali della vicenda. Bonfante avrebbe tolto il saluto a Gentile fin dalla lettura della recensione (dunque quando appariva «imbronciato» a settembre del 1917 già non salutava più il collega filosofo). Gentile apprende da uno studente (evidentemente della Facoltà di Giurisprudenza della Sapienza) e vi dà credito che Bonfante ormai sarebbe stato in rotta anche con Croce, sfogandosi col narrare un episodio risalente ai tempi degli studi di questo (com’è noto iniziati, ma non portati a termine nella Facoltà giuridica romana). Teste Vittorio Scialoja (cfr. infra comm. a V), personaggio che ha prodotto una rilevante tradizione aneddotica13, la carriera studentesca del futuro filosofo si sarebbe arenata «presso di lui», mostrando Croce «di non riuscire a capir niente di diritto». L’aneddoto, se vero, svelerebbe un dato importante della biografia crociana e cioè la fine della sua carriera di studente universitario. Accanto al nome di Anzillotti la curatrice dell’epistolario gentiliano aggiunge un [sic], ma confondendolo con Antonio Anzilotti (1885–1924), libero docente di Storia moderna a Firenze (cfr. ibid. lett. nr. 785 p. 13). Si tratta piuttosto del rinomato internazionalista Dioniso Anzilotti (1869–1950), dal 1911 ordinario a Roma, che insegnava di Filosofia del diritto per incarico, avendo iniziato la sua attività pubblicistica con saggi giusfilosofici14. Proprio l’assegnazione di tale insegnamento a questo docente rileva nella disputa, perché – conformemente all’idea di Bonfante – nel Consiglio di Facoltà che glielo attribuì il 12 luglio del 1917, lo studioso s’impegnò ad insegnare «teorie generali del diritto», sul punto: Bonfante, L’autonomia, in: Scritti giuridici IV, spec. p. 85 (ove «Anzillotti»!). 12  Gentile,

Lettere a Benedetto Croce V, lett. nr.  883 p. 171 ss. p. ix ss. 14  V., con indicazioni bibliografiche, Gaja, p. 123 ss. 13  Talamanca,



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V. (Croce a Gentile)15 Carissimo Giovanni, […] L’aneddoto del Bonfante mi ha riportato a tempi remoti, e mi ha fatto sorridere. Ho ricordato certe conversazioni di casa Spaventa in cui lo Scialoia, il Filomusi e gli altri sottilizzavano mal filosofando, e io con buon senso di ragazzo sostenevo che il diritto privato era diritto pubblico e simili eresie giuridiche. All’università poi ero muto come un pesce, e nel mio frigido silenzio potevo passare anche per un giurista in fieri. […] Croce non nega il racconto che emerge dalla lettera di Gentile. Reinterpreta il ricordo di Scialoja in modo molto diverso, attribuendo al romanista e al collega (Francesco) Filomusi Guelfi, civilista con interessi teorici, una cattiva attitudine di pensiero, che contrappone al proprio «buon senso di ragazzo». La lettera è interessante anche perché mostra una dimestichezza personale del giovane Croce con i professori della Facoltà giuridica, in «conversazioni» che si tenevano in casa Spaventa, dello zio cioè di Croce (Silvio, 1822–1893), presso il quale egli dimorava durante il soggiorno romano finalizzato alla frequentazione dell’Università. Nell’indice dei nomi delle lettere crociane a Gentile16 Scialoia [invero Scialoja] è registrato come Antonio (prenome che potrebbe rimandare sia all’economista [1817–1874], sia al navigazionista [1879–1962], ambedue fuori contesto rispetto alla questione), ma si tratta piuttosto del romanista Vittorio (1856–1933)17, maestro di Bonfante18.

VI. (Croce a Gentile)19 [28 gennaio 1919] Caro Giovanni, […] Avrai visto la risposta del Bonfante sulla Riv. ital. di sociol., che se la prende con te e con me. Non dice nulla, ma vi si mostra un vanitoso villanzone; ed io mi limito a scrivergli contro una trentina di righi, che lo faranno peggio imbestialire. […] La lettera è provocata dalla ristampa aumentata, nella rivista sociologica, della «risposta» bonfantiana (v. supra comm. a I e nt. 8)20. Croce è tranchant: il roma15  Croce,

Lettere a Giovanni Gentile, lett. nr.  804 p. 554. Lettere a Giovanni Gentile, p. 687. 17  Cfr. supra comm. a IV. 18  Sul discepolato di Bonfante presso Scialoja (ma anche presso Filomusi), per tutti: Capogrossi Colognesi, in: QF. 17, 1988, p. 111 ss. = Modelli di stato e di famiglia3, p. 285 ss. 19  Croce, Lettere a Giovanni Gentile, lett. nr.  837 p. 574. 20  Schiavone, p. 290 nt. 28 (da p. 289). 16  Croce,

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nista «non dice nulla», a suo parere. Non solo: aggiunge considerazioni sui modi di Bonfante (probabilmente per la ripubblicazione di un testo nella sua parte centrale già uscito ne La Critica) e annuncia un suo ulteriore intervento, che apparirà in: La Critica 17, fasc.  2, 1919, p. 128, con il titolo Una replica del prof. Bonfante = Pagine sparse2 I, p. 470 ss. Ad esso risponderà ancora Bonfante con il contributo Per la scienza del diritto, in: Riv. it. di sociol. 22, 1918, p. 347 ss. = Scritti giuridici vari IV, p. 90 ss.

VII. (Gentile a Croce)21 All’Illustre Sig. Sen. Benedetto Croce Via Trinità Maggiore 12 Napoli (Roma) I febbr. 1919 Carissimo Benedetto, […] Il Bonfante è persona intellettualmente screditatissima tra i suoi colleghi di giurisprudenza; e da me stesso messo più volte a posto, in Consiglio Superiore, in questioni giuridiche! D’un orgoglio, poi, puerile e ridicolo. La tua replica gli farà fare una malattia: pover uomo! […] L’ultima testimonianza è un ulteriore attacco personale di Gentile a Bonfante, che segue immediatamente la lettera precedente ed è probabilmente scritto dopo aver letto anch’egli l’articolo L’autonomia della scienza del diritto e i confini della filosofia cit. supra su nt. 8. Invero poco credibile (e smentita da una scuola rilevantissima e da vasta seria dottrina) la dichiarazione sul credito di Bonfante presso i colleghi giuristi. Il Consiglio menzionato è il Consiglio Superiore della Pubblica Istruzione, nel quale i due studiosi sedevano contemporaneamente. La parola conclusiva nella polemica spettò, com’è noto, a Bonfante, che ormai aveva individuato nel solo Croce il suo vero avversario22. Il tema rimarrà acceso fino al 1922–1923, da un intervento di Cammarata23, allora giovane filosofo del diritto, che provocherà ancora uno schiarimento di Bonfante24, uscito nella nuova Rivista internazionale di filosofia del diritto, diretta da Giorgio Del Vecchio (che dai quei primi numeri apriva il periodico ai romanisti, in particolare a Pietro de Francisci, di scuola bonfantiana). Del Vecchio probabilmente richiese egli stesso all’autorevole romanista l’articolo, che fuga i dubbi (invero legittimi) sugli intenti di Bonfante, che potevano sembrare volontà di annientamento della disciplina universitaria Filosofia del diritto. 21  Gentile,

Lettere a Benedetto Croce V, lett. nr.  912 p. 217. Per la scienza del diritto. II Replica a B. Croce, in: Riv. it. di sociol. 22, 1918, 347 ss. = Scritti giuridici IV, p. 90 ss. 23  Cammarata, p. 234 ss. 24  Bonfante, Filosofia del diritto e Scienza del diritto, in: RIFD. 3, 1923, p. 454 ss. = Scritti giuridici IV, p. 96 ss. Cfr. nello stesso volume Miceli, p. 160 ss.; Carnelutti, p. 184 ss.; Levi, p. 463 ss. 22  Bonfante,



Addendum epistolare alla polemica Bonfante versus Croce (e Gentile)

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* *     * Da poche epistole non si può ricostruire una storia, ma solo frammenti di una vicenda. Più intimi certo rispetto a quanto poi pubblicato, anche più smascherati. Di qui le asprezze, pure dei toni. E le miserie di certi giudizi. Se le lettere si rileggono insieme agli altri dati, ecco che forniscono una traccia, un epitesto privato25 di ciò che sarà edito, ove compaiono idee, progetti, bozze. Divengono così quadro, ambiente, contesto. E perciò, malgrado le sgradevolezze che possono rivelare, come tali devono essere dallo storico considerate e studiate. Bibliografia Basile, Raffaele: Influssi vichiani, sistemi ermeneutici e modelli storiografici tra primo e medio Novecento, in: SDHI. 76, 2010, p. 551 ss. Bonfante, Pietro: L’autonomia della scienza del diritto e i confini della filosofia, in: Riv. it. di sociol. 22, 1918, p. 5 ss. = Scritti giuridici vari IV. Studi generali, Roma, 1925, p. 70 ss. Bonfante, Pietro: Filosofia del diritto e Scienza del diritto, in: RIFD. 3, 1923, p. 454 ss. = Scritti giuridici vari IV. Studi generali, Roma, 1925, p. 96 ss. Bonfante, Pietro: Il metodo naturalistico nella storia del diritto, in: Riv. it. di sociol. 21, 1917, p. 53 ss. = Scritti giuridici vari IV. Studi generali, Roma, 1925, p. 46 ss. Bonfante, Pietro: Per la scienza del diritto. II. Replica a B. Croce, in: Riv. it. di sociol. 22, 1918, p. 347 ss. = Scritti giuridici vari IV. Studi generali, Roma, 1925, p. 90 ss. Bretone, Mario: Il naturalismo del Bonfante e la critica idealistica, in: Labeo 5, 1959, p. 275 ss. Bucci, Onorato: Germanesimo e romanità, Napoli, 2004. Cammarata, Angelo Ermanno: Su le tendenze anti filosofiche della giurisprudenza moderna in Italia, in: RIFD. 2, 1922, p. 234 ss. Capogrossi Colognesi, Luigi: A cent’anni dalle «res mancipi» di Pietro Bonfante, in: QF. 17, 1988, p. 111 ss. = Modelli di stato e di famiglia nella storiografia dell’ 8003, Roma, 1997, p. 253 ss. Cardinale, Marco: Metodologia storica ed autonomia della scienza giuridica: a proposito della polemica tra Pietro Bonfante e Benedetto Croce, in: Apollinaris 58, 1985, p. 287 ss. Carnelutti, Francesco: I giuristi e la filosofia, in: RIFD. 3, 1923, p. 184 ss.

25  Mi

riferisco alla nota tesi di Genette, spec. p. 366 ss.

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Casavola, Francesco Paolo: Cronaca di una Storia del diritto romano, in: Labeo 5, 1959, p. 305 ss. = Sententia legum tra mondo antico e moderno II. Metodologia e storia della storiografia, Napoli, 2001, p. 69 ss. Croce, Benedetto: Lettere a Giovanni Gentile (1896–1924), [cur.] Croce, Alda, [Introd.] Sasso, Gennaro, Milano, 1981. Croce, Benedetto: Filosofia e storia del diritto, in: La Critica 16, fasc.  1, 1918, p. 57 ss. = Pagine sparse2 I, Bari, 1960, p. 467 ss. Croce, Benedetto: Una replica del prof. Bonfante, in: La Critica 17, fasc.  2, 1919, p. 128 = Pagine sparse2 I, Bari, 1960, p. 470 ss. De Gennaro, Antonio: Crocianesimo e cultura giuridica italiana, Milano, 1974. Frezza, Paolo: A proposito della riedizione delle ‘Opere’ di Pietro Bonfante, in: SDHI. 25, 1959, p. 371 ss. = Scritti II, Roma, 2000, p. 271 ss. Gaja, Giorgio: Positivism and Dualism in Dionisio Anzilotti, in: EJIL. 3, 1992, p. 23 ss. Galasso, Giuseppe: Croce e lo spirito del suo tempo, Milano, 1990. Genette, Gérard: Soglie. I dintorni del testo, trad. it. Torino, 1989. Gentile, Giovanni: Lettere a Benedetto Croce V, [cur.] Giannantoni, Simona in: Gentile, Giovanni, Epistolario VII, Firenze, 1990. Gentile, Giovanni: I fondamenti della filosofia del diritto, Pisa, 1916; Roma, 19232; Firenze, 19373; quindi in: Opere complete IV, Firenze, 1961, rist. 1987, 2003. Levi, Alessandro: Teoria del diritto e filosofia del diritto, in: RIFD. 3, 1923, p. 463 ss. Miceli, Vincenzo: Sul fondamento critico della filosofia del diritto, in: RIFD. 3, 1923, p. 160 ss. Orestano, Riccardo: Prologo, in: Bonfante, Pietro: Lezioni di filosofia del diritto, Milano, 1986, vii ss. = Scritti IV. Sez. prima. Saggistica, Napoli, 1998, p. 2445 ss. Paradisi, Bruno: Apologia della storia giuridica, Bologna, 1973. Pigliaru, Antonio: Esercizio primo sulle varianti de «La filosofia del diritto», in: Vettori, Vittorio [cur.], Giovanni Gentile, Firenze, 1954, p. 115 ss. Schiavone, Aldo: Un’identità perduta: la parabola del diritto romano in Italia, in: Id. [cur.], Stato e cultura giuridica in Italia dall’Unità alla Repubblica, Roma-Bari, 1990, p. 275 ss. Talamanca, Mario: Un secolo di «Bullettino», in: BIDR. 91, 1988, p. ix ss.

Zur Idee des „Universalismus“ des römischen Rechts bei Livius*1 Von Tiziana J. Chiusi I. Zur Fragestellung Ob und wie man von „Universalismus“ und gar „ewiger Beständigkeit“ des römischen Rechts sprechen kann – diese Frage wird wohl nur vor dem Hintergrund des jeweiligen kulturellen Kontexts, in dem sie aufgeworfen wird, zu beantworten sein.1 Das römische Recht, wie allgemein die historischen Fächer, stellt sich oft als Feld der Auseinandersetzung verschiedener Geschichtsbilder und Weltanschauungen dar; schon das Wagnis der Verwendung so mit Vorverständnissen belasteter Kategorien wie „Universalismus“ und „ewiger Beständigkeit“, selbst wenn man sie in Anführungszeichen setzt, kann als Stellungnahme interpretiert werden.2 Jedenfalls sicher ist der Umstand, daß das historische Phänomen „römisches Recht“ existiert, d. h. das historische Ereignis eines Rechts, das während einer sehr langen Zeitspanne für unzählige Menschen maßgebend war und das dann eine prägende Rolle auf die Rechtsgeschichte der Welt ausgeübt hat.3 Ein Recht, das sich seit Beginn als allgemeingültig verstand; es reicht, an das ius fetiale zu erinnern, das als verbindlich für alle Völker *  Meinem sehr geschätzten Kollegen und lieben Freund Detlef Liebs, dessen Wohlwollen ich seit meinen ersten Tagen in Deutschland, im wunderschönen Freiburg, genießen durfte, seien die folgenden Seiten in herzlicher Zuneigung gewidmet. 1  Vgl. M. Mazza, Le maschere del potere, Napoli 1986, 216 ff. Zum Begriff der Roma aeterna s. R. Turcan, Rome éternelle et les conceptions gréco-romaines de l’éternité, in: Roma, Constantinopoli, Mosca. Atti del I Seminario internazionale di Studi Storici „Da Roma alla Terza Roma“, 21–23 aprile 1981, Napoli 1983, 7 ff. 2  Vgl. A. W. Ziegler, Die Idee vom ewigen Rom in der Geschichte, Neues Abendland 3, 1946, 6 ff. 3  Damit ist nicht nur das Phänomen des gemeinen Rechts und der Einfluß des römischen Rechts auf die europäischen Kodifikationen gemeint, sondern auch der durch die Kolonialgeschichte vermittelte Einfluß auf die außereuropäischen Kodifikationen und generell die juristische Denkstruktur eingeschlossen. 1 

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betrachtet wurde, oder an die fundamentale Rolle, die das ius gentium in der römischen Rechtspraxis innehatte.4 Die Zusammenführung von juristischen und im weiteren Sinne kulturellen fremden Erfahrungen mittels der interpretatio romana ist eine Eigenart der römischen Kultur, die, sozusagen „amöbenhaft“, all das, auf was sie trifft, zu inkorporieren versucht. Dies zeigt etwa die Assimilation von Zeus und Jupiter und die Einordnung der gesamten griechischen Götter unter die Gewalt des antiken Iupiter Capitolinus, oder die Toleranz gegenüber den Rechten und Rechtsbräuchen der eroberten Völkerschaften, die in das römische „System“ durch einen langsamen Prozeß der reziproken Wechselwirkungen inkorporiert wurden.5 Das Ergebnis ist das ius Romanum, einheitsstiftend durch seine Fähigkeit, sich auf die gesamte Welt auszuweiten, verschiedenen Anforderungen zu entsprechen, und gleichzeitig den Voraussetzungen seiner Entwicklung, der aequitas und der bona fides, treu zu bleiben.6 Sucht man nach den Faktoren, die eine solche Entwicklung ermöglichten, mag man unter anderen an den Respekt vor der Tradition, dem mos ­maiorum denken, der Zeichen einer spezifischen Mentalität ist. Nichts im römischen Recht wird abgeschafft, besser gesagt: man ersetzt nichts, statt dessen fügt man etwas hinzu, man paßt die juristischen Lösungen den besonderen Erfordernissen durch geduldige interpretatorische Arbeit an. Die Eigenart der römischen Rechtswissenschaft mag sich auch von diesem konstanten Bemühen um die Angleichung des Rechts an den Wandel der Zeiten unter Bewahrung des Hergebrachten herleiten, die im Diskurs der unterschiedlichen 4  Vgl. P. Catalano, Linee del sistema sovranazionale romano, Torino 1965, 29; ders., Aspetti spaziali del sistema giuridico-religioso romano. Mundus, templum, urbs, ager, Latium, Italia, ANRW II 16,1, Berlin 1978, 440 ff.; sowie statt aller M. Kaser, Ius gentium, Köln u. a. 1993. 5  s.  dazu T. J. Chiusi, Zur Vormundschaft der Mutter, SZ 111 (1994), 155 ff.; dies., Zur Wechselwirkung zwischen römischem Recht und provinzialen Rechten anhand von Dokumenten aus dem Archiv der Babatha, in: Th. Gergen (Hrsg.), Festschrift für Elmar Wadle zum 65. Geburtstag, Köln u. a. 2004, 1 ff.; dies., Babatha vs. the Guardians of her Son: a Struggle for Guardianship – Legal and Practical Aspects of P. Yadin 12–15, 27, in: R. Katzoff / D. Schaps (Hrsg.), Law in the Documents of the Judaean Desert, Leiden, Boston 2005, 105 ff. 6  H. Last spricht vom „ideal of inclusiveness“, s. H. Last, in: S. A. Crook / F. E. Adcock / M. P. Charlesworth (Hrsg.), Cambridge Ancient History, Bd.  11, 2.  Aufl. Cambridge 1954, 437. S.  dazu T. J. Chiusi, Die umfassende Dimension des römischen Privatrechts – Systemtheoretische Bemerkungen über eine Rechtsordnung, die keine „Grundrechte“ kennt, in: J. Neuner (Hrsg.), Grundrechte und Privatrecht aus rechtsvergleichender Sicht, Tübingen 2007, 11 ff., 21 ff.; dies., Der Fremde als Rechtsgenosse. Zur rechtlichen Stellung der Ausländer im römischen Recht, in: H. Müller-Dietz u. a. (Hrsg.), Festschrift für Heike Jung zum 65. Geburtstag, BadenBaden 2007, 65 ff., 69 ff., 74 ff.



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Meinungen der Juristen erreicht wird. Hier setzt die vieldiskutierte Frage an, ob das römische Recht instabil oder hyperstabil sei: wobei es instabil ist, als es oft aus widerstreitenden Meinungen besteht, während es hyper­ stabil ist, weil es in sich alle Positionen aufnimmt und daher nicht angegriffen werden kann.7 Im übrigen korrespondiert diese Haltung auch mit der römischen politischen Praxis, die bis zum Ende der Prinzipatszeit eine Abfolge von Eroberungen darstellt.8 Augustus selbst ist ein weiterer Beweis für die Kraft der interpretatio romana; ebenso wie Cäsar überzeugt von der Notwendigkeit einer Verfassungsänderung, jedoch sich gewisser Widerstände bewußt9, schuf er die eigenartige Regierungsform des Prinzipats und schenkte damit der Geschichte die spezifisch römische Form der Königsherrschaft.10 Es handelt sich also um ein Recht, das fähig ist, wandelnde Erfordernisse in sich aufzunehmen, und zwar auch über den Zusammenbruch des weströmischen Reiches 476 n. Chr. hinaus. So bezieht sich Justinian trotz der inzwischen erfolgten Adaptation hellenistischer Rechtsinstitute und -gebräuche bei seiner Kompilation ausdrücklich auf das ius romanum und ordnet seine Geltung in omne aevum an.11 Diese Verheißung wird durch die Renaissance der wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Digesten in Bologna seit dem 11.  Jh. eingelöst. Sie ermöglicht nämlich durch immerwährende Bezugnahme auf das römische Recht und die Beschäftigung mit seinen Instituten über das Mittelalter bis hin zur Pandektistik dessen weiteres Nachleben. Selbst in der modernen Diskussion über eine angebliche „Krise“ 7  Die Frage der (In-)Stabilität wurde von D. Nörr aufgeworfen, s. D. Nörr, Rechtskritik in der römischen Antike, München 1974, 16. 8  Die Notwendigkeit der Eroberungspolitik bzw. der Erweiterung des römischen Einflußbereichs für die Stabilität des Staates war Cäsar bewußt, der sich nach den Feldzügen im Westen dem Osten zuwandte, wohlwissend um die Unmöglichkeit einer friedlichen Koexistenz mit einem so großen Land wie Ägypten. Nachdem er von seinen Mördern gestoppt wurde, sollte Augustus das Problem auf der militärischen Seite lösen, aber die fehlende Vollendung der von Cäsar begonnenen Romanisierung des Westens kann als (Mit-)Ursache des Untergangs des römischen Reichs angesehen werden. Zu den kulturellen und philosophischen Wurzeln des sog. römischen Imperialismus s. M. Mazza (o. Anm.  1), 218 sowie immer noch grundlegend R. Heinze, Von den Ursachen der Größe Roms, Leipzig 1921. 9  Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht distanzierte sich Augustus nicht von Caesar, dessen überwältigende Präsenz im Leben des Staates D. Kienast, Augustus und Caesar, Chiron 31, 2001, 1 ff. richtig zeigt. 10  Zu der interpretatio romana, die sich auf das augustum augurium gründet, in Zusammenhang mit der Frage der Roma Aeterna s. C. Koch, Roma Aeterna, in Religio. Studien zu Kult und Glauben der Römer, Nürnberg 1960, 147 ff. 11  So Const. Tanta 12: Omni igitur romani iuris dispositione composita et in tribus voluminibus … perfecta …; 23: (leges … nostras) in omne aevum valituras …

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des römischen Rechts, die durch seine Entfremdung vom positiven Recht aufgrund der nationalen Kodifikationen verursacht wurde, ist letztendlich das Symptom eines wissenschaftlichen Ansatzes wiederzufinden, der gewohnt ist, das römische Recht als ewig gültig und sozusagen über Raum und Zeit hinaus beständig zu betrachten und nicht damit zurecht kommt, sich auf sein Studium als rein historische Disziplin zu beschränken.12 Wenn es allerdings, wie oben angedeutet, in der wissenschaftlichen Diskussion oft gerade die unterschiedlichen Geschichts- und Kulturbilder sind, die sich widerstreiten, dann könnte man dem vorgeschlagenen Interpreta­ tionsschlüssel entgegenhalten, daß die Toleranz gegenüber fremden Rechtsvorstellungen nur der Staatsraison diente, daß die „amöbenhafte“ Tendenz zur Inkorporation eher als „Imperialismus“ gedeutet werden könnte, daß die libertas vornehmlich ein Privileg für die in Rom herrschenden Schichten war und ebenso wie die Sklaverei mit dem Prinzip der aequitas nach heutigen Vorstellungen kollidiert.13 Man könnte noch anfügen, daß Justinian durch das ius romanum eine historische Legitimation der eigenen Macht suchte, dieses aber im Grunde genommen bereits selbst als etwas ihm Fremdes betrachtete.14 Die hier gewählte Prüfungsperspektive richtet sich auf das solitäre Geschichtswerk des Livius. Es geht darum, anhand signifikativer Lemmata wie mos maiorum, iura romana und vor allem ius romanum zu erhellen, wie Livius sich das Recht seiner Stadt vorstellte und es erlebte, ferner geht es darum, ob und in welcher Weise seine Sicht mit der Idee des „Universalismus“ erklärt werden kann. Warum gerade Livius? In erster Linie ist er einer der Autoren, bei dem sich der seltene Ausdruck ius romanum findet, der sozusagen als interpretatorischer Aufhänger benutzt werden soll. Ferner hat sich gerade zu seiner Zeit das Ideal des ewigen und universellen Roms realisiert; er ist also ge12  s.  statt aller nur R. Orestano, Introduzione allo studio storico del diritto romano, 2.  Aufl. Turin 1961, 574 ff.; P. Koschaker, Europa und das römische Recht, 4. Aufl. München 1966. 13  Zur Frage des „Imperialismus“ Roms s. J. Vogt, Orbis romanus. Ein Beitrag zum Sprachgebrauch und zur Vorstellungswelt des römischen Imperialismus, in: F. Taeger / K. Christ (Hrsg.), Orbis. Ausgewählte Schriften zur Geschichte des Altertums, Freiburg u. a. 1960, 151 ff. (ursprünglich 1929). Vgl. T. J. Chiusi, Die umfassende Dimension (o. Anm.  6), 11. 14  In diesem Sinne R. Orestano (o. Anm.  12), 514 ff.: „In fondo, lo stesso Giustiniano e i compilatori del VI sec. lasciarono trapelare in più luoghi della loro opera – nonostante il senso della continuità che avevano vivissimo – una confusa coscienza che la loro posizione non era più in tutto e per tutto d e n t r o lo ius R o m a n u m , ma in certa guisa distaccata ed esterna rispetto ad esso, in un rapporto tra presente e passato.“.



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rade unter diesem Aspekt eine besonders reizvolle Figur.15 Nun ist Livius kein Jurist und beschäftigt sich nicht spezifisch mit dem Recht. Doch im Hinblick auf eine derart ideologisch und weltanschaulich vorbelastete Frage wie die der „Universalität“ und „ewigen Beständigkeit“ des Rechts kann die Warte eines Historikers und Literaten aufschlußreicher sein als die eines zeitgenössischen römischen Juristen, der von seinem Selbstverständnis und seinem Aufgabenkreis her sich typischerweise nicht mit solchen Fragen beschäftigte, die für seine Tätigkeit keine Rolle spielten. Freilich muß Livius’ Bild vom Recht mit anderen als den gängigen juristischen Denkkategorien erfaßt werden oder, mit anderen Worten, in das ihm eigene geschichtliche und philosophische Bild der Welt und der Gesellschaft eingebettet werden. Unter dem Aspekt, daß jeder Mensch die Sorgen und Spannungen seiner Zeit reflektiert, wäre es folglich die erste Aufgabe, zumindest die für unseren Zweck wichtigsten Wesenszüge seiner Epoche festzuhalten. Freilich kann es im folgenden nicht darum gehen, die „Weltsicht“ des Autors Livius unter historischen und philologischen Gesichtspunkten umfassend zu analysieren; dafür fehlt dem Juristen die fachspezifische Kompetenz. Vielmehr soll mit diesem Rekonstruktionsversuch der „Ideologie“ eines homme des lettres der Frage nach Livius’ Romidee und der Funktion des Rechts in seiner Darstellung nachgegangen werden. Die dabei latente Gefahr der Übertragung eigener Vorurteile und Weltanschauungen auf die Vergangenheit kann durch das Bewußtsein ihrer Existenz zwar nicht gebannt, doch durch die Reflexion relativiert werden. II. Die ideologischen Grundlagen des Prinzipats 1. Der politische Entwurf Augustus’ und die pax Romana Als auctor novi status betrachtete sich Augustus und als solcher mußte er seinen Zeitgenossen erscheinen, die der dunklen Periode der Bürgerkriege entkommen waren.16 Ein Punkt der Stärke seines politischen Programms war insbesondere die concordia ordinum, die er selbst als Basis und mit­ entscheidenden Faktor seiner Macht betrachtete.17 Im Ergebnis entstand aus der cäsarianisch-augusteischen Staatsreform ein Gemeinwesen, das letztend15  Vgl. H. Hoch, Die Darstellung der politischen Sendung Roms bei Livius, Frankfurt 1951. 16  Vgl. den alten, aber immer noch beeindruckenden S.  Mazzarino, L’impero romano, Bd.  1, Bari 1973, 72 ff. sowie J. Bleicken, Augustus. Eine Biographie, Berlin 1998; W. Eck, Augustus und seine Zeit, München 1998. 17  Vgl. Res gestae divi Augusti, Mon. Anc. 34: per consensum universorum potitus rerum omnium … Dazu s. H. Schlange-Schöningen, Augustus, Darmstadt 2005.

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lich im Einklang mit der ciceronianischen Vorstellung der concordia ordinum steht, der Allianz der beiden oberen Klassen, des Senatorenstands und der Ritterschaft.18 Allgemein bekannt ist, daß das riesige wirtschaftliche Gefälle, das sich im Lauf der Bürgerkriege dramatisch verschärft hatte, zwischen den besitzenden Klassen – der Senatsoligarchie, den Rittern, den reichen Provinzialen – und dem Proletariat – bestehend aus den ehemaligen Bauern und dem von den Kriegen ruinierten „Mittelstand“ – zu einem Zustand voller unberechenbarer Faktoren führte.19 Die Angst vor dieser Unsicherheit hat sicher eine Rolle bei der Entscheidung für die neue Staatsform gespielt, die trotz allem im Widerspruch zum Ideal der republikanischen libertas stand und deren Kehrseite in der gebildeten Elite ein sibi displicere im Sinne Senecas hervorrief.20 Auf der anderen Seite lief die republikanische libertas, die ein Ideal der herrschenden Schichten gewesen war,21 jetzt auf die securitas hinaus, auf eine Sehnsucht nach pax, die weniger ein propagandistisches Motiv war als vielmehr ein deutliches und von allen sozialen Schichten einschließlich der städtischen Masse empfundenes Bedürfnis.22 Das Ideal der pax ist ein Kern des augusteischen ideologischen Programms. Die pax romana in der Welt stellt das Zeugnis der zivilisatorischen Mission Roms dar, aufgrund dessen sie „ewig“ ist; es ist die Stütze der Ideologie des tu regere imperio populos.23 18  S.  Mazzarino, Trattato di storia romana, Bd.  2, Catania 1956, 57 ff.; Th. Mommsen, Römisches Staatsrecht, Bd.  3.1, Nachdr. der 3. Aufl. Basel 1952, 466 ff. 19  Vgl. dazu K. Bringmann, Augustus, Darmstadt 2007. 20  Sen. dial. 9, 2, 7. 21  Dazu vgl. M. Mazza, Storia e ideologia in Livio, Catania 1966, 205: „La grande paura del rivolgimento sociale, con lo scardinamento dell’ordinamento schiavile su cui la società antica era fondata, unì le due classi che fino allora si erano aspramente combattute; ed il fronte comune si fece nel nome della libertas repubblicana, che era in realtà la libertas delle classi dominanti.“ s. auch F. Guizzi, Il Principato tra „Res Publica“ e potere assoluto, Napoli 1974, 73. F. De Martino, Storia della costituzione romana, Bd. 4.1, 4. Aufl. Neapel 1966, 24 ff. behauptet zudem, daß das Ideal der republikanischen Freiheit sich nicht mehr mit dem Interesse der plebs identifizierte; der Grund dafür liege in der Unfähigkeit der demokratischen Bewegung, die großen sozialen Herausforderungen zu bewältigen. In der Tat nahmen die Triumvirn und Augustus keine der großen Reforminitiativen der Vergangenheit wieder auf, vielmehr beschränkten sie sich darauf, durch Landzuweisungen und Koloniegründungen die Forderungen der Veteranen zu erfüllen. 22  M. Mazza, Storia (o. Anm.  21), 175 Anm.  25. 23  Vergil, 6, 851 ff. s. dazu S.  Grebe, Augustus’ divine authority and Vergil’s „Aeneid“, Vergilius 50, 2004, 35 ff. Zu der zivilisatorischen Mission Roms und der daraus entstehenden Verbindung mit der aeternitas Roms s. die Worte Ciceros, pro Mur. 22: haec (scil. rei militaris virtus) nomen populo romano, haec huic urbi aeternam gloriam peperit, haec orbem terrarum huic imperio coegit. Vgl. dazu M. Mazza, Le maschere (o. Anm.  1), 222 ff.



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Die große politische Intuition Augustus’ im Vergleich zu Cäsar, vielleicht beeinflußt durch seine Nähe zum Stoizismus, erweist sich darin, daß er sich selbst als tutor et procreator rei publicae24 präsentierte und dadurch den Verdacht der cupiditas regni von sich fernhielt.25 Im princeps sahen die Zeitgenossen alle Qualitäten verkörpert, die das Erbe der Väter bildeten: die ratio, die prudentia, die magnitudo animi, mit einem Wort die virtus als ideologisches Fundament des Glaubens an die Republik. Mit den Worten Ciceros: Debet enim constituta sic esse civitas, ut aeterna sit. itaque nullus interitus est rei publicae naturalis ut hominis, in quo mors non modo necessaria est, verum etiam optanda persaepe.26 Indem Augustus die alte Welt wieder aufleben lassen will, präsentierte er sich und wurde wahrgenommen als derjenige, der die salus rei publicae erreichen konnte. Selbst die Wahl des Namens Augustus, als Titel seines religiösen Charismas, als auch sein Rekurs auf die auctoritas, die den verfassungsrechtlichen Inhalt dieses Titels darstellte, sind Zeichen davon: beide, von augere abgeleitet, sind Ausdruck des Willens, im Zeichen der Kontinuität die alte und bereits anachronistische res publica in einem stabilen und dauerhaften politischen Organismus wachsen zu lassen, der das eigene imperium über die Völker dauerhaft bewahren kann.27 2. Die Zustimmung der Intellektuellen.  Livius und Augustus Wesentlich für das Verständnis des Prinzipates bzw. jener politischen und ideologischen Konstruktion, deren Autor und Ausdruck Augustus gleichzeitig war, ist das kulturelle Ambiente des augusteischen Roms. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, warum sich die Intellektuellen, unabhängig von aller Propaganda, mit den Idealen des Augustus identifizieren konnten.28 Bekanntlich hatte die mittlere Stoa durch Panaitios von Rhodos und den sogenannten „Scipionenkreis“, welchem er angehörte, große Wirkung in der 24  Vgl.

Cic., de re publ. 2, 51. M. Mazza, Le maschere (o. Anm.  1), 224 sowie J. Gagé, Le „Templum Urbis“ et les origines de l’Idée de „Renovatio“, in: A. Bemelmans (Hrsg.), Mélanges Franz Cumont, Brüssel 1936, 163. 26  Cic., de re publ. 3, 34. 27  s.  dazu E. Todisco, Il nome „Augustus“ e la „fondazione“ ideologica del principato, in: P. Desideri (Hrsg.), Antidoron. Studi in onore di Barbara Scardigli Forster, Pisa 2007, 441 ff. 28  Vgl. U. Knoche, Die geistige Vorbereitung der augusteischen Epoche, in: H.  Oppermann (Hrsg.), Römertum, 2. Auflage Darmstadt 1967, 209 ff. 25  Vgl.

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römischen Oberschicht ausgeübt.29 Durch Milderung der radikalen Tugendlehre der alten Stoa, nach welcher nur derjenige im Besitz der Tugend ist, der frei von Leidenschaften ist, der verschlossen gegenüber den Erfahrungen der Gemeinschaft ist, die ihn umgibt, der sich als Atom im Kosmos und Bürger des Universums fühlt, gab Panaitios den Römern genau das, was sie gerade suchten.30 Der Mensch des Panaitios ist ein Individuum, das im Bemühen nach der Verwirklichung der vier Kardinaltugenden sapientia, iustitia, magnitudo animi und temperantia zu einer moralischen Lebensführung neigt, die im römischen Konzept der virtus vollkommenen Ausdruck findet. Diese vier sozialen Tugenden setzen notwendigerweise eine organisierte Gemeinschaft voraus. Somit läuft die Ethik des Panaitios auf eine konkrete politische Einstellung hinaus, die dem aristokratischen Weltbild der römischen Oberschicht entsprach und auf theoretischer Ebene das archaische Konzept der virtus der patres substantiierte. Die Verteidigung der Sklaverei, die Konzeption des Reiches als gerecht und dem Naturgesetz entsprechend, da es gut sei, daß die Besseren die Schwächeren leiten, und schließlich die inhaltliche Rechtfertigung des status quo drücken auf politisch-sozialer Ebene die psychologischen und ethischen Haltungen der römischen Aristokratie aus.31 So wird das Bild eines civis romanus entworfen, der, wie Mucius Scaevola, von sich sagen kann: et facere et pati fortia romanum est32, das in großartiger Weise durch Camillus, Scipio, Cincinnatus und alle anderen ­livianischen Helden verkörpert wird und fester Bestandteil des römischen Selbstverständnisses wird: Rom ist nämlich aufgrund der eigenen moralischen Stärke und durch die Gunst der Götter dazu berufen, das imperium zu errichten. Hinzu kommt, wie oben gesagt, die Sehnsucht nach Frieden und Eintracht nach der schrecklichen Zeit der Bürgerkriege sowie die Idee des einheitlichen Kaiserreiches, die in der pax Romana ihre historisch-politische Verwirklichung findet.33 29  Vgl. nur M. A. Levi, Il tempo di Augusto, Florenz 1951, 183 oder E. Paratore, Profilo della letteratura latina, Bologna 1972, 101 und E. Norden, Die römische Literatur, 6. Aufl. Leipzig 1961, 9 ff. 30  s. M. Mazza, Le maschere (o. Anm. 1), 218 ff.; ders., Storia (o. Anm. 21), 139; A. Schmekel, Die Philosophie der mittleren Stoa, Hildesheim, New York 1974 (urspr. Berlin 1892), 61 ff.; M. Pohlenz, Antikes Führertum. Cicero de Officiis und das Lebensideal des Panaitios, Neue Wege zur Antike 2 / 3, Leipzig 1934, 33 ff. 31  Vgl. M. Mazza, Storia (o. Anm.  21), 129 ff. sowie W. Capelle, Griechische Ethik und römischer Imperialismus, Klio 25, 1932, 86 ff. 32  Liv. 2, 12, 9. 33  s. T. J. Chiusi, Das Bild des Fremden in Rom, in: K. M. Girardet / U. Nortmann (Hrsg.), Menschenrechte und europäische Identität. Die antiken Grundlagen, Stuttgart 2005, 62 ff.



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Hierin liegen die Gründe für die Zustimmung der Intellektuellen zur augusteischen Politik: Augustus wird als Vermittler der höchsten Traditionen des Römertums, der Tugenden der patres angesehen. Es wäre vereinfachend, eine solche „Konsensstimmung“ nur der klugen politischen Propaganda zuzuschreiben (obwohl diese selbstverständlich existierte, man denke nur an Maecenas). Werke wie die Aeneis oder das carmen saeculare lassen sich keinesfalls als Produkte einer Propagandamaschinerie abtun, sie wurden inspiriert von dem ethischen Glauben an das imperiale Schicksal Roms, an die zivilisatorische Mission der Römer. Auch Livius läßt sich in diesen Rahmen einordnen, selbst wenn seine Ansprüche an das und vielleicht auch seine Nähe zum Regime etwas anders sind als die der beiden Dichter.34 In erster Linie ist er Historiker und versucht daher, die Hintergründe des römischen Erfolgs zu erörtern, nicht nur ihn zu feiern. Zweitens ist er stärker als Vergil und Horaz der republikanischen libertas verbunden. Damit wird die vieldiskutierte Frage des Verhältnisses zwischen Livius und Augustus angesprochen, genauer gesagt, inwieweit er mit der augusteischen Ideologie einverstanden war.35 Ohne in diese Diskussion wirklich einsteigen zu wollen: Livius stammte aus Padua, einer Stadt, die nicht nur stolz auf ihre Ursprünge war, sondern auch auf ihren blühenden Handel, den die Bürgerkriege ruiniert hatten. Ihre reicheren Bewohner mußten mit ansehen, wie ihr Land von dem Antonius-Parteifreund Asinius Pollio an die Veteranen verteilt wurde.36 34  Vgl. dazu A. Rostagni, Da Livio a Virgilio e da Virgilio a Livio, in: Opuscoli accademici della Facoltà di Lettere dell’Università di Padova, serie liviana, Padova 1942. 35  Hingewiesen sei auf H. Dessau, Geschichte der römischen Kaiserzeit, Band 1, Berlin 1924, 77. Er interpretiert praef. 9 f. (donec ad haec tempora quibus nec vitia nostra nec remedi pati possumus perventum est) als Anspielung auf die augusteische Ehegesetzgebung und als verhüllte Billigung seiner Politik. Auch bei der Episode des Konsuls Cornelius Cossus habe der Historiker im Dienst der Politik Augustus’ gestanden. Zudem hat man in den Heldenbeschreibungen, besonders von Romulus und Camillus, die Anspielung auf den princeps sehen wollen, vgl. dazu A. Scheithauer, Romanum imperium a Romulo exordium habet. Das Bild des Romulus bei Cicero, Dyonis von Halikarnass, Livius und Plutarch, in: A. Haltenhoff (Hrsg.), Hortus litterarum antiquarum. Festschrift für Hans Armin Gärtner zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2000, 495 ff. und H.-G. Nesselrath, Die gens Iulia und Romulus bei Livius (Liv. I,1–16), WJA 16, 1990, 153 ff., E. Burck, Livius und Augustus, ICS 16, 1991, 269 ff. sowie U. Walter, Marcus Furius Camillus, in: K.-J. Hölkeskamp / E. Stein-Hölkeskamp (Hrsg.), Von Romulus zu Augustus. Große Gestalten der römischen Republik, München 2000, 58 ff. Zum Verhältnis von Livius zu Augustus s. M. A. Levi, Tito Livio e gli ideali augustei, in: Il tribunato della plebe, Milano 1978, 161 ff. 36  Asinius Pollio ist der Autor des berühmten Vorwurfs der patavinitas, wahrscheinlich stehen hinter der formalen Kritik tiefere Gründe: die Zugehörigkeit zur

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Nun machte sich Octavianus bekanntlich zum Sprecher der italischen possessores. Dies könnte neben der soeben erwähnten ideologisch-politischen Übereinstimmung auch auf der Ebene der praktischen Interessen eine gewisse Nähe von Livius zu Augustus rechtfertigen. Leider sind gerade die Augustus betreffenden Bücher der „Geschichte“ nicht überliefert. Man könnte die Definition von Tacitus, die Livius als eloquentiae ac fidei praeclarus in primis: Cn. Pompeium tantis laudibus tulit ut Pompeianum eum Augustus appellaret37 bezeichnet, heranziehen sowie die subscriptio der Perioche des 121.  Buchs, qui editus post excessum Augusti dicitur, um über die Haltung von Livius zu Augustus zu spekulieren. Mindestens erwähnenswert ist die in der Literatur vertretene Meinung zum vermeint­ lichen „Pompeianismus“ von Livius. Diese bringt ihn in Verbindung zum senatorenfreundlichen republikanischen und daher tendenziell „pompeianischen“ Ambiente der Familie der Claudier und zu ihrer latenten Opposi­tion gegenüber einigen monarchistischen Aspekten der Herrschaft von Augustus.38 Die These, daß die subscriptio in dem Sinne zu interpretieren ist, daß dieses Buch deswegen nicht zu Lebzeiten des Augustus veröffentlicht wurde, weil es nicht dessen offizieller Darstellung entsprach, bewegt sich schon auf dem gefährlichen Feld der Spekulation.39 III. Livius’ Weltanschauung 1. Der Historiker Livius Livius wird als Verewiger der romanitas betrachtet. Bei der Beschreibung seines Stils werden normalerweise sein religiöser Geist, seine ethische Haltung, seine die Stadt preisenden Absichten hervorgehoben. Diese Charakteristika lassen die Mängel verzeihen, die ihm ansonsten zur Last gelegt werden: Das Fehlen von Gewissenhaftigkeit bei der Auswahl und Überprüfung der Quellen, die Parteilichkeit seines Urteils, das Fehlen präziser Informationen über Orte, Völker, Gebräuche, ein gewisses Desinteresse für die Frage der Glaubwürdigkeit der Quellen.40 Selbst wenn man sich dem anschließen will, kommt man nicht darum herum, diese methodologische Partei des Antonius und gerade die Konfiszierungen, die Pollio in der Region Padua ins Werk setzte, vgl. E. Paratore, Profilo (o. Anm.  29), 229. 37  Tac. ann. 4, 34. 38  M. Mazza, Storia (o. Anm.  21), 192. 39  M. Mazza, Storia (o. Anm.  21), 198 ff. 40  In diesem Sinne G. De Sanctis, Problemi di storia antica, Bari 1932, Kapitel 5 „Livio e la storiografia antica“; C. Giarratano, Tito Livio, Roma 1937, 43 f.; E. Paratore, Profilo (o. Anm.  29), 225 ff.



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Einstellung von Livius analysieren zu müssen, denn sie spiegelt seine Art und Weise wider, die eigene historiographische Tätigkeit zu begreifen.41 In diesem Zusammenhang ist die praefatio besonders aussagekräftig.42 Schon in den ersten Zeilen gibt es einen wichtigen Hinweis: Utcumque erit, iuvabit tamen rerum gestarum memoriae principis terrarum populi pro virili parte et ipsum consuluisse.43 Livius hält das eigene Volk für das größte unter allen; was er beabsichtigt, ist, seinen Beitrag zur Verherrlichung von dessen Größe und zur Verewigung des Andenkens an Rom zu leisten. Er weiß um die Übel seiner Zeit und wünscht sich, von diesen den Blick abwenden zu können: ut me a conspectu malorum quae nostra tot per annos vidit aetas … avertam,44 doch anders als z. B. Sallust will er weniger die Ursachen der aktuellen Krise begreifen als die Gründe für den Aufstieg Roms und die Konsolidierung seiner Herrschaft darstellen. Für Livius, der in der Epoche der res publica restituta zu schreiben begann, zählt nicht so sehr der heuristische Wert der Geschichte als der „didaktische“.45 Wenn er daher auch weiß, daß die Geschichtsschreibung aus den historischen Fakten entsteht und nicht aus Mythen oder Fabeln besteht, hält er es trotzdem nicht für notwendig, die Glaubwürdigkeit der traditionellen Überlieferung zu problematisieren, denn auch sie widerspiegelt durch das miscendo humana divinis die Erfolgsgeschichte Roms, deren Teil sie selbst ist: Quae ante conditam condendamve urbem poeticis magis decora fabulis quam incorruptis rerum gestarum monumentis traduntur, ea nec adfirmare nec refellere in animo est.46 Es ist folglich nicht wichtig, ob die Tradition glaubwürdig ist oder nicht; indem sie die Sitten der Väter, die typischen Tugenden der Römer zeigt, gibt sie gerade das wieder, was Livius preisen will: ad illa mihi pro se quisque acriter intendat animum, quae vita, qui mores fuerint, per quos viros quibusque artibus domi militiaeque et partum et auctum imperium sit.47 41  Vgl. C. Marchesi, Livio e la verità storica, in: Opuscoli accademici della Facoltà di Lettere dell’Università di Padova, serie liviana, Padua 1942; B. Feichtinger, Ad maiorem gloriam Romae. Ideologie und Fiktion in der Historiographie des ­Livius, Latomus 51, 1992, 3 ff. 42  s.  G. Funaioli, Il proemio alle storie di Tito Livio, in: Opuscoli accademici della Facoltà di Lettere dell’Università di Padova, serie liviana, Padua 1942; S.  Koster, Tibi tuaeque rei publicae. Zur praefatio des Livius, in: C. Müller-Goldingen /  K. Sier, ΛΗΝΑΙΚΑ. Festschrift für Carl Werner Müller zum 65.  Geburtstag am 28.  Januar 1996, Stuttgart 1996, 253 ff. 43  Liv. praef. 3. 44  Liv. praef. 5. 45  Anders als z. B. Polybios. Vgl. D. Musti, Polibio e l’imperialismo romano, Neapel 1978, 16 ff. 46  Liv. praef. 6. 47  Liv. praef. 9.

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Man hat behauptet, Livius’ Geschichte sei die endgültige Geschichte Roms.48 In der Tat pflegte er einerseits noch die Ideale der Republik und hatte andererseits dazu schon die Distanz der Nachfahren. Daraus entstand eine „moralistische“ Geschichte: Der Sieg ist der Verdienst der virtus des Anführers, die Niederlage ergibt sich, wenn die Opfer vor der Schlacht nicht richtig erbracht wurden. Sie ist eine Geschichte, die sich an der stoisch geprägten Weltanschauung der römischen Oberschicht, welcher Livius angehörte, orientierte und die es ihr jetzt ermöglichte, nicht nur mit Augustus zusammenzuleben, sondern ihn sogar als ihren Vertreter zu sehen.49 2. Vita, mores, viri, artes domi militiaeque Für Livius ist die Geschichte Roms das Ergebnis der untrennbaren Binomie von virtus und fortuna der Bürger. Sie darzustellen durch die Schilderung der sozialen, kulturellen und moralischen Errungenschaften, die Roms Herrschaft begründet und gemehrt haben, ist die Aufgabe, die er sich selbst gesetzt hat: Quae vita, cui mores fuerint, per quos viros quibusque artibus domi militiaeque et partum et auctum imperium sit.50 Mit vita ist hier gemeint, nicht Biographien zu erzählen, sondern dem Leben der römischen Gemeinschaft mit all den es in einem bestimmten historischen Zeitpunkt prägenden Werten nachzugehen. Dieses Konzept der vita, das an Varros De vita populi romani denken läßt, besteht aus den mores, den viri, den artes. Es vermittelt die Spiritualität und die humanitas Livius’. An erster Stelle stehen die mores, die religiösen, moralischen, bürgerlichen Sitten der Väter, die sich auf die individuelle virtus gründen und auf die pietas, sowohl in den Beziehungen der Bürger untereinander als auch in denen zu fremden Staaten.51 Der virtus-Begriff hat sicherlich seine kulturellen Wurzeln in der stoischen Moral, wie sie von Panaitios in Rom vermittelt wurde, sowie in Polybios’ Theorie der Vollkommenheit der römischen Verfassung. Doch unzweifelhaft entspricht er auch dem traditionellen, archaischen virtus-Verständnis der maiores, das die römischen mores seit jeher mit Leben erfüllt hatte. Der Mut und die Selbstlosigkeit im Kriege, die Achtung der Gesetze 48  G.

De Sanctis, Problemi (o. Anm.  40). Strothmann, Augustus – Vater des res publica. Zur Funktion der drei Begriffe restitutio – saeculum – pater patriae im augusteischen Principat, Stuttgart 2000. 50  Liv. praef. 9. 51  Vgl. dazu C. Tsitsiou-Chelidoni, „Ecquando communem hanc esse patriam licebit?“ (Liv. III 67, 10). Livius’ Geschichte als einheitsstiftender Faktor, in: G. Urso (Hrsg.), Patria diversis gentibus una? Unità politica e identità etniche nell’Italia antica del convegno internazionale. Cividale del Friuli, 20–22  settembre 2007, Pisa, 2008, 197 ff. 49  M.



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und die Hingabe gegenüber der res publica im Frieden stellen die grundlegenden Merkmale der virtus dar. Hinzu kommt das Streben nach Ruhm, dieses allerdings nur als Ergebnis einer ausschließlich zum Wohl der Stadt vorgenommenen Handlung. Wer angeklagt werden könnte, das eigene Interesse dem des Vaterlandes vorzuziehen, wem man die affectatio regni vorwerfen könnte, der würde gegen die Gesetze der Gemeinschaft verstoßen, jene Gesetze, die, indem sie allen gewähren, nach den gemeinsam getroffenen Beschlüssen regiert zu werden, die Garantie der Freiheit sind.52 Neben der virtus steht die pietas, die eine Ausprägung jener darstellt.53 Sie bedeutet Ergebenheit gegenüber den Göttern und Respekt der allen Menschen gemeinsamen und daher unter dem Schutz der Götter stehenden Prinzipien. Es handelt sich um jene Normen des ius gentium, die die Unverletzlichkeit der Gesandten, die Redlichkeit auch gegenüber Feinden, die Einhaltung des gegebenen Worts betreffen. Auf die pietas läßt sich vielleicht vom ideologischen Standpunkt aus auch die politische Praxis des parcere subiectis zurückführen. Die mores bzw. das mos maiorum sind aus der alltäglichen Praktizierung von virtus und pietas entstanden; diese werden von den viri verkörpert, von denen Livius in seiner praefatio spricht. Die viri sind auch die Vermittler zwischen mores und artes, die deren Realisierung auf einer konkreten Ebene darstellen. Es genügt, an Camillus zu denken, ebenso tapfer im Krieg wie weise im Frieden;54 an Cincinnatus, der nicht einen Augenblick zögerte, dem Ruf des Vaterlandes in Gefahr zu folgen;55 an Quintus Fabius Maximus, der sich nicht um die törichten Ängste seiner Mitbürger kümmert und fortfährt, das zu tun, was besser für Rom ist – ein typisches Beispiel der Standhaftigkeit im Guten oder im Schlechten;56 an Scipio, bei dessen Beschreibung Livius klar seine Idee der Binomie virtus ac fortuna durchscheinen läßt, d. h. die Vorstellung, daß die Tugend der Einzelnen immer mit dem Glück als Ausdruck des Wohlwollens der Götter einher geht;57 und schließlich an den höchst mutigen 52  Liv.

4, 15, 3; 2, 1, 1; 37, 54, 24; 2, 3, 3 ff.; s. hierzu auch unten III 3, Seite 119. T. Köves-Zulauf, „Virtus“ und „pietas“, in: AAntHung 40, 2000, 247 ff., der an Hand von Beispielen des Livius zeigt, wie virtus und pietas als Begriffspaar nicht abstrakt-theoretisch erörtert werden, sondern immer bestimmten Personen zugeschrieben werden. 54  Liv. 5, 28, 1 ff.; vgl. E. Burck (o. Anm.  35), der meint, Livius habe in Camillus die Figur von Augustus in den Ereignissen des 31–27 v. Chr. gesehen, sowie U.  Walter, (o. Anm.  35). 55  Liv. 3, 26, 6. 56  Liv. 24, 11, 7 ff. 57  Liv. 26, 18–20, 6; 26, 41–51; 27, 17–20, 8; 28, 1–10, 7; 28, 12, 10–38, 11; 28, 40–45, 21; 29, 1, 1–18; 29, 24, 4–27, 15; 29, 29, 1–3; 30, 3, 1–17, 14; 30, 29, 1–38, 4; 30, 44, 12–45, 7. 53  Vgl.

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Scaevola,58 an Horatius Cocles,59 an die Jungfrau Clelia;60 an Verginius, den Vater der unglücklichen Verginia, der gegenüber dem eklatanten Machtmißbrauch und der Verletzung der aequitas, Grundlage des imperium, durch den Dezemvir Appius Claudius, keinen anderen Weg zur Bewahrung der Freiheit der eigenen Tochter sah, als sie zu töten.61 Es ist eine Galerie der exempla, eine Serie von Heldenbiographien, durch die sich eine Synthese zwischen moralischer Welt und politischer Handlung vollzieht.62 Eine solche politische Handlung stellen die artes als Ausdruck der römischen Praxis dar. Die Militärdisziplin, die Legionsorganisation, die strategische Kampftechnik – das sind die artes des Krieges –; der politische Scharfsinn, die diplomatische Praxis sowie die Organisation der Stadt und der eroberten Gebiete, das Recht – das sind die artes des Friedens, wobei das Recht im Rahmen der artes insoweit eine grundlegende Bedeutung besitzt, als es einen der Faktoren bildet, aus denen et partum et auctum imperium sit. Das römische Reich ist also für Livius das Werk herausragender tugendhafter (virtus) Persönlichkeiten (viri), gewollt und begünstigt durch die Götter (fortuna) innerhalb einer starken Gemeinschaft, die vom mos maiorum inspiriert und unterstützt wird und konkret durch das ius organisiert ist. 3. Roma caput orbis terrarum und die libertas ihrer Bürger Am Anfang seiner „Geschichte“ läßt Livius Romulus folgende emblematischen Worte sagen: Abi, nuntia … Romanis, caelestes ita velle ut mea Roma caput orbis terrarum sit; proinde rem militarem colant sciantque et ita posteris tradant nullas opes humanas armis Romanis resistere posse.63 Die Götter wollen, daß Rom das Haupt der Welt sei, so sollen die Römer die Kriegskunst pflegen; sie müssen sich dessen bewußt sein und es an die Nachfahren weitergeben, daß keine menschliche Macht ihnen jemals widerstehen können wird. Weiter sagt Livius anläßlich der Errichtung des Jupiter-Tempels: Inter principia condendi huius operis movisse numen ad indicandam tanti imperii molem traditur deos … Hoc perpetuitatis auspicio accepto, secutum aliud 58  Liv.

2, 12, 1. 2, 10, 1. 60  Liv. 13, 6–11. 61  Vgl. Liv. 3, 48, 5. 62  M. Mazza, Storia (o. Anm.  21), 128. 63  Liv. 1, 16, 7. Zur Figur Romulus’ in der antiken Literatur s. A. Scheithauer (o. Anm.  35). Skeptisch zu der Ansicht, Livius habe in Romulus die Figur von Augustus als ebenfalls diviner Erneuerer gesehen, H.-G. Nesselrath, (o. Anm.  35). 59  Liv.



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magnitudinem imperii portendens prodigium est … Quae visa species haud perambages arcem eam imperii caputque rerum forte portendebat …64 Die Götter selbst kündigen durch die Sendung von Vorzeichen, die auf die Ewigkeit hindeuten, die Größe eines so weit ausgedehnten Reiches an. Wunderschön und äußerst bezeichnend sind die Worte, die er über die jungen Menschen schreibt, die sich an ein Leben unter der Willkür eines Königs zurücksehnen, die ihnen Privilegien gewähren könnte, während sie mit der Unterordnung unter die Gesetze, die keine Privilegien dulden und keine Rücksicht nehmen, nicht zurecht kommen: Eam tum, aequato iure omnium, licentiam quaerentes, libertatem aliorum in suam vertisse servitutem inter se conquerebantur: regem hominem esse, a quo impetres, ubi ius, ubi iniuria opus sit; esse gratiae locum, esse beneficio; et irasci et ignoscere posse; inter amicum atque inimicum discrimen nosse; leges rem surdam, inexorabilem esse, salubriorem melioremque inopi quam potenti; nihil laxamenti nec veniae habere, si modum excesseris; periculosum esse in tot humanis erroribus sola innocentia vivere.65 Kurz zuvor, gerade zu Beginn des zweiten Buches, heißt es: Liberi iam hinc populi Romani res pace belloque gestas, annuos magistratus, imperiaque legum potentiora quam hominum peragam66 und auch sonst wird das Volk als frei bezeichnet, weil es inter iura legesque lebt,67 während die Gesetze den dominorum imperia gegenübergestellt werden.68 Somit wird klar, welche Rolle Livius den Gesetzen in einer Gesellschaft beimißt und welche Idee der libertas dem zugrundeliegt. Auf dieser Konzeption der Gesetze als Garant der Freiheit des Einzelnen, auf diesem Gespür für das Recht als einigenden, unverzichtbaren Faktor für das Leben der Gesellschaft beruht die Stärke Roms, gründet sich für Livius die imperiale Mission Roms. 4. Zu einigen Verwendungen des Terminus ius Livius ist kein Jurist. Tatsächlich gebraucht er manche juristischen Termini gelegentlich laienhaft und scheint an rechtlichen Ereignissen im technischen Sinn nicht besonders interessiert zu sein.69 Trotzdem hat er zum 64  Liv.

1, 55, 3–6. 2, 3, 3 f. 66  Liv. 2, 1, 1. 67  Liv. 4, 15, 3. 68  Liv. 37, 54, 24. 69  Dazu vgl. C. S.  Tomulescu, La valeur juridique de l’histoire de Tite Live, Labeo 21, 1975, 295 ff.; H. Tejero, El pensamento jurídico de Tito Livio, in: Revista de la Facultad de Derecho Univ. Madrid, 12, 1968, 363 ff. 65  Liv.

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Recht grundsätzlich jene für die Römer typische Haltung, die sie sich als „Volk des Rechts“ definieren lässt.70 Das läßt sich anhand einer Untersuchung der Stellen, in denen Livius das Wort ius verwendet, zeigen. Aus der „Geschichte“ geht hervor, daß ius das menschliche Gesetz bezeichnet, ebenso wie fas das göttliche. Ohne das ius würden die Unordnung und die Vorherrschaft des Stärkeren wie in der Tierwelt herrschen. Deswegen gründet es sich auf ein moralisches Gebot: die aequitas. Ius ist somit sowohl Synonym der Gerechtigkeit, als auch der sozialen Organisation als auch des gemeinschaftlichen Lebens, das sich nach festbestimmten Kriterien richtet. Unmittelbar nach der Gründung der Stadt vollzieht daher Romulus die heiligen Zeremonien und beeilt sich, Gesetze zu diktieren, denn er weiß, daß diese das Volk einigen und im Zaum halten: Rebus divinis rite perpetratis vocataque ad concilium multitudine, quae coalescere in populi unius corpus nulla re praeterquam legibus poterat, iura dedit …71 Wenn Romulus sich anfangs auf wenige wesentliche Normen beschränkt hat, die die Beziehungen zwischen seinen noch rohen Bürgern regelten, dann erkennt wenig später der weise Numa, der gerade zu diesem Zweck von den Göttern als König erkoren wurde, die Notwendigkeit, die Stadt auf der Basis des Rechts neu aufzubauen, um sie stark zu machen: Qui regno ita potitus urbem novam conditam vi et armis, iure etiam legibusque ac moribus de integro condere parat.72 Das ius civile, das Recht der Bürger, ist Ausdruck ihrer Freiheit und ihrer aktiven Teilnahme am Leben der Gemeinschaft.73 Neben das ius civile tritt das ius gentium, das Recht, das die Beziehungen mit und zwischen fremden Menschen regeln soll, weil es von Prinzipien geleitet wird, die für alle gültig sind.74 Wenn also der Dezemvir Appius, der Verginias Tugend gefährdet hatte, als römischer Bürger verlangen konnte, an die Volksversammlung zu appellieren (se communi iure civitatis civem Romanum die dicta postulare ut dicere liceat, ut iudicium populi Romani experiri)75, genießen auch die Laurentier, ein fremdes Volk, das uneingeschränkte Recht, sich auf das ius gentium zu berufen. So können sie von König Titus Tatius Genugtuung für die von dessen 70  V. Arangio-Ruiz, Storia del diritto romano, 7.  Aufl. Neapel 1957, 350; F. Schulz, Prinzipien des römischen Rechts, München, Leipzig 1934, 79 ff. 71  Liv. 1, 8, 1. Vgl. T. J. Chiusi, Die umfassende Dimension (o. Anm.  6), 11 ff. 72  Liv. 1, 19, 1. 73  Liv. 22, 60, 15; vgl. dazu die berühmte Definition des ius civile bei Gai. inst. 1.1. 74  Vgl. nur Gai. inst. 1.1: quae naturalis ratio inter omnes homines constituit, id apud omnes populos peraeque custoditur vocaturque ius gentium, quasi quo iure omnes gentes utuntur. Zu diesem vieldiskutierten Themenbereich vgl. nur M. Kaser, Ius gentium (o. Anm.  4), 5 ff. 75  Liv. 3, 56, 10.



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Verwandten begangenen Mißhandlungen ihrer Gesandten verlangen: Propinqui regis Tati legatos Laurentium pulsant, cumque Laurentes iure gentium agerent, apud Tatium gratia suorum et preces plus poterant.76 Die Bedeutung des ius gentium läßt sich auch bei der Episode der Verschwörung erkennen, die die Tarquinier anzuzetteln versuchten, um die Königsmacht in Rom wieder zu erlangen. Offiziell sollten ihre Gesandten die Rückerstattung von Gütern verlangen, in Wirklichkeit war ihre Aufgabe, Unruhe zu stiften. Trotz dieses unredlichen und für Gesandte unwürdigen Verhaltens soll das ius gentium auf sie Anwendung finden. Folglich werden zwar die römischen Teilnehmer der Verschwörung bestraft, die Überbringer der Botschaft aber respektiert: Proditoribus extemplo in vincla coniectis, de legatis paululum addubitatum est; et quamquam visi sunt commississe ut hostium loco essent, ius tamen gentium valuit.77 Die Geltung des ius gentium wird durch die Götter garantiert; seine Verletzung kann nichts anderes als eine poena nach sich ziehen. Ein Beispiel bietet die Ansprache von Camillus an die Römer, die nach dem unglück­ lichen Krieg gegen die Gallier nach Veii übersiedeln wollen. Er führt die Niederlage auf die Verletzung des ius gentium zurück, die die römischen Gesandten begangen haben, indem sie die Waffen während einer Gesandtschaft erhoben haben: Quid haec tandem urbis nostrae clades nova? Num ante exorta est … quam gentium ius ab legatis nostris violatum, quam a nobis cum vindicari deberet eadem negligentia deorum praetermissum?78 Auf die Untersuchung von Begriffen wie ius divinum, ius belli, ius suffragii, ius praedae oder ius nuptiarum braucht man im Rahmen dieser Fragestellung nicht einzugehen.79 Nur zwei Bedeutungen von ius seien noch hervorgehoben. In einer wird ius, Recht, als Synonym von Gerechtigkeit verwendet. Abgesehen vom typischen reddere ius und reddere iura im Sinn der Gewährung von Rechtsschutz,80 wird ius zur Bezeichnung dessen verwendet, was geschuldet ist bzw. was jemandem obliegt, sowie daß eine Handlung richtig, d. h. mit vollem Recht erfolgt ist. Ein Beispiel: 30 Tage nach der Erhebung von Forderungen, auf die das gegnerische Volk nicht einging, erklärte ihm der pater patratus den Krieg mit einer bestimmten Formel. Nach der Anrufung der Götter sagte er: ‚ego vos testor populum illum‘ – quicumque est, nominat – ‚iniustum esse neque ius persolvere; sed de istis rebus in patria maiores natu consulemus, quo pacto ius nostrum 76  Liv.

1, 14, 1. 2, 4, 7. 78  Liv. 5, 51, 7. 79  Liv. 1, 20; 34, 16 (ius divinum); 1, 1 (ius belli); 38, 36 (ius suffragii); 38, 34 (ius praedae); 4, 9 (ius nuptiarum). 80  Liv. 3, 33, 8; 1, 41; 31, 29. 77  Liv.

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adipiscamur‘.81 Auffälligerweise wird im Hinblick auf das Ausbleiben des Geforderten sic et simpliciter gesagt: neque ius persolvere, womit das als richtig Erachtete (also die geforderte Leistung) vollständig mit dem Recht identifiziert wird. Auffällig ist auch, daß der Krieg nur dann als rechtmäßig erachtet wird, wenn dieses ritualisierte Verfahren eingehalten ist. Die andere interessante Bedeutung von ius ist, daß es im Sinne von Macht, Autorität, Regierung verwendet wird. So berichtet Livius in dem entsprechenden Abschnitt von der Unzufriedenheit der plebs mit dem interregnum: dadurch würde ein Anführer durch hundert ersetzt. Die Patrizier, wohlwissend, daß sie der plebs etwas zugestehen mußten, entschieden, nicht mehr an Macht (ius) abzugeben als zu behalten: Cum sensissent ea moveri patres, offerendum ultro rati quod amissuri erant, ita gratiam ineunt summa potestate populo permissa ut non plus darent iuris quam detinerent.82 Als er die Notwendigkeit erörtert, die Dauer der höchsten Ämter zum Schutz der Freiheit zu reduzieren, sagt er: maximam autem eius (sc. libertatis) custodiam esse, si magna imperia diuturna non essent et temporis modus imponeretur, quibus iuris imponi non posset.83 Cato, wetternd gegen die schlechten Gewohnheiten der römischen Frauen, die durch den Verfall der Autorität und des Ansehens der Ehemänner verursacht worden sind, läßt er ausrufen: Si in sua quisque nostrum matre familiae Quirites, ius et maiestatem viri retinere instituisset …84 In diesem Sinne erwähnenswert ist die Verwendung von ius am Anfang der „Geschichte“. Livius berichtet von der Allianz zwischen Aeneas und Latinus, die durch die Heirat von Aeneas mit Lavinia um so enger werden sollte. Turnus, der König der Rutuler, dem Lavinia vorher versprochen war, erklärte deswegen den Trojanern und den Aboriginern den Krieg. Er wurde besiegt, aber die Sieger verloren Latinus. Aeneas, der infolgedessen Anführer der beiden Völker wurde, beschloß, die Allianz der beiden Völker durch einen einheitlichen Namen zu bekräftigen. Livius schreibt: Aeneas adversus tanti belli terrorem ut animos Aboriginum sibi conciliaret nec sub eodem iure solum sed etiam nomine omnes essent, Latinos utramque gentem appellavit.85 Mit iure drückt Livius die Herrschaft des Aeneas über beide Völker aus und gleichzeitig ihre künftige Zugehörigkeit zu derselben Rechtsordnung; in ähnlicher Weise benutzt er später Aetolorum iuris86 für den ätolischen Bund. Diese Identifikation von politischer Organisation und 81  Liv. 82  Liv. 83  Liv. 84  Liv. 85  Liv. 86  Liv.

1, 32, 10. 1, 17, 8. 4, 24, 4. 34, 2, 1. 1, 2, 4. 38, 11, 9.



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Recht als Band zwischen den Bürgern zeigt, was nach Livius das Fundament der Macht sein mußte und wie diese ausgeübt werden mußte.87 Neben diesen vielfachen Verwendungen von ius läßt sich eine grundsätzliche Einheit der Bedeutungen für iura feststellen. Iura sind zum einen die einzelnen Rechte der Bürger, die von den Gesetzen garantiert und geregelt werden.88 Zum anderen bezeichnet das Wort auch die Sammlungen der Normen, die Gesamtheit der Gesetzgebung. So gab z. B. Romulus in der eingangs erwähnten Passage juristische Normen;89 die Zwölftafelgesetzgebung wird condenda nova iura genannt90 und Canuleius fragt rhetorisch: Quis dubitat quin … nova … iura gentium hominumque instituantur?91 5. Zu einigen Verwendungen des Terminus mos Neben der bereits oben angesprochenen Bedeutung von mos als bürger­ liche Sitte der Väter sei für die vorliegende Fragestellung die wiederkehrende Verwendung von mos neben ius oder instituta betont, die zeigt, daß es in bestimmtem Zusammenhang als Quelle des Rechts betrachtet wird, die normative Kraft hat.92 So heißt es in Bezug auf die Ereignisse, die zu den Zwölf Tafeln führten: Cum de legibus conveniret, de latore dantum discreparet, missi legati Athenas Sp. Postumius Albus, A. Manlius, P. Sulpicius Camerinus, iussique inclitas leges Solonis discribere et aliarum Graeciae civitatium instituta mores iuraque noscere;93 Hannibal läßt er vor seinen Mitbürgern fordern: Militares artes, quas me a puero fortuna nunc privata nunc publica docuit, probe videor scire; urbis ac fori iura, leges, mores vos me oportet doceatis;94 und im Kapitel über Lucius Tarquinius und Tullia 87  Vgl. Cic., de re publ. 1, 25, 39. Dazu T. J. Chiusi, Die umfassende Dimension (o. Anm.  6), 4 f. 88  Liv. 3, 34; 3, 56; 3, 57; 9, 20; 30, 37; 34, 32. 89  Liv. 1, 8, 1. 90  Liv. 3, 33, 5. 91  Liv. 4, 4, 4. Zur Carnuleius-Rede s. H.-A. Gärtner, The beginnings of Rome in Roman literture, in: Studies in Chinese and Western classical civilizations. Essays in honour of Prof.  Lin Zhi-chun on his 90th  birthday, Changchun, 1999, 299 ff. 92  Für die Bedeutung von mos als Sitte der Väter bzw. Gewohnheitsrecht vgl. auch Liv. 4, 30, 11: Datum inde negotium aedilibus, ut animadverterent ne qui nisi Romani di neu quo alio more quam patrio colerentur sowie Liv. 9, 46, 6: Coactusque consensu populi Cornelius Barbatus pontifex maximus verba praeire, cum more maiorum negaret nisi consulem aut imperatorem posse templum dedicare. Liv. 30, 2, 5: cum more tradito a patribus potestatem interrogandi si quis quid vellet, legatos praetor fecisset. 93  Liv. 3, 31, 8. 94  Liv. 30, 37, 9.

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sagt er: Forte ita inciderat ne duo violenta ingenia matrimonio iungerentur, fortuna, credo, populi Romani, quo diuturnius Servi regnum esset consti­ tuique civitatis mores possent.95 Im Kapitel über die Vorteile der militärischen Disziplin dient die Klage über den mangelnden Respekt gegenüber den Institutionen und Fundamenten der Rechtsordnung Roms, unter denen auch die mores maiorum aufgelistet sind, auch dazu, eine Definition der Freiheit ex negativo zu liefern: Quoniam ea demum Romae libertas est, non senatum, non magistratus, non leges, non mores maiorum, non instituta patrum, non disciplinam vereri militiae;96 bei der Behandlung des Königtums von König Ancus Marcius wünschen sich die Bürger, daß der neue König auch die mores neben den Einrichtungen seines Vorgängers übernehmen würde: … civibus otii cupidis et finitimis civitatibus facta spes in avi mores atque instituta regem abiturum.97 Schließlich listet Livius auch hinsichtlich Numa die mores im selben Atemzug mit ius und leges auf: Qui regno ita potitus urbem novam conditam vi et armis, iure eam legibusque ac moribus de integro condere parat.98 Interessanterweise ist der Ausdruck mos romanum, ebenso wie ius romanum nicht häufig belegt.99 6. Der Ausdruck ius romanum bei Livius Die Lemmata ius romanum, iure romano sind in der Diskussion der römischen Juristen nicht belegt.100 Für sie dürfte in der Tat kaum Anlaß bestanden haben, sich des Ausdrucks ius romanum zu bedienen, da es ihre Aufgabe war, konkrete Streitfälle zwischen Einzelnen einer Lösung zuzuführen. Vielmehr ist bei ihnen die Rede von ius civile, ius civile Romanorum, ius proprium civium Romanorum oder geradewegs von ius nostrum101, um das eigene Recht gegenüber anderen Rechten zu betonen. Im Gegensatz dazu kommen diese Ausdrücke bei Livius an aufschlußreichen Stellen vor. 95  Liv.

1, 46, 5. 5, 6, 17. 97  Liv. 1, 32, 2. 98  Liv. 1, 19, 1. 99  s. Liv. 39, 16, 8: Omnem disciplinam sacrificandi praeterquam more romano abolerunt. 100  Nur einmal kommt der Ausdruck iure romano bei Ulp. / Pomp. D. 6.1.1.2 vor hinsichtlich der potestas, d. h. der typisch römischen Ausformung der Gewalt des Vaters über die Kinder. Formen von ius romanum sind in Kaiserkonstitutionen ab dem 4. Jh. gelegentlich bezeugt. 101  Papinian 4 resp. D. 26. 2. 26pr. 96  Liv.



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Das dürfte nicht überraschen: er interessiert sich, wie gesagt, nicht für rechtstechnische Fragen, er muß keine praktischen Probleme lösen. Vielmehr will er ein Epos erzählen, die urbs Roma als eine politische und moralische Konstruktion verherrlichen. Seine Begrifflichkeit ist wegen ihrer Abstraktion und Feierlichkeit geeignet, den Zeitgenossen und den Nachfahren, den wirklichen Adressaten seines Werks, jene moralische Welt zu vermitteln, die es verherrlichen will. Die erste und in der historischen Abfolge früheste Stelle findet sich bei der Bewerbung des Tarquinius Priscus für das Königsamt. Dort sagt Tarquinius, um die Stimmung des Volks für sich einzunehmen: se ex quo sui potens fuerit Romam cum coniuge ac fortuna omnibus commigrasse; maiorem partem aetatis eius qua civilibus officiis fungantur homines, Romae se quam in vetere patriae vixisse.102 Seine Verdienste gegenüber dem römischen Volk liegen darin, daß er sich, sobald er sein eigener Herr wurde, dafür entschieden hat, nach Rom mit seiner Ehefrau und all seiner Habe überzusiedeln, daß er in Rom einen größeren Teil seines Lebens verbracht habe als in seiner alten Heimat, und zwar gerade die Jahre, in denen Menschen öffentliche Ämter wahrzunehmen pflegen. Somit glaubt Tarquinius, den Beweis für seine Hingabe und Treue zu Rom erbracht zu haben und sich daher civis romanus nennen zu können. Sodann sagt er: domi militiaeque sub haud paenitendo magistro, ipso Anco rege, romana se i­ ura, romanos ritus didicisse,103 in Krieg und Frieden habe er bei einem so beachtlichen Lehrer wie König Ancus selbst die römischen Rechtsnormen und die römischen Riten erlernt. Den Plural iura gebraucht Livius hier wie allgemein in der „Geschichte“ im Sinne von Rechtsnormen. Seine Verwendung anstelle von ius erklärt sich hier dadurch, daß an dieser Stelle Tarquinius das Volk davon überzeugen will, daß er ein guter König sein wird, da er das rechtliche Instrumentarium beherrscht, sich seiner bedienen und es respektieren wird. Im übrigen leuchtet ein, daß Tarquinius als Nicht-Römer – der es für nötig hielt, sich gerade deswegen am Beginn seiner Rede auf die beiden anderen fremden Könige unter seinen Vorgängern, Tatius und Numa, zu berufen – von iura romana anstatt von nostra spricht. Abstraktion und Feierlichkeit finden sich dagegen beim Bericht über die Ereignisse, die zu den Zwölf Tafeln führten.104 Bei der Schilderung der Aufgaben der Dezemvirn, die Recht sprechen und Gesetze zusammenstellen sollten, wird Livius’ Ton ernst: sie wollten iura aequasse und das Ergebnis ihrer Arbeit dem Urteil des römischen Volks vorlegen, damit es Gesetze 102  Liv.

1, 35, 4. 1, 34, 5. 104  Liv. 3, 34, 6 f. 103  Liv.

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besitzen werde, die durch den consensus omnium bestätigt wurden.105 Dann fährt er fort: qui106 (sc. leges) nunc quoque, in hoc immenso aliarum super alias acervatarum legum cumulo, fons omnis publici privatique est iuris. Vulgatur deinde rumor duas deesse tabulas quibus adiectis absolvi posse velut corpus omnis romani iuris. Die zwölf Tafeln bildeten somit noch zur Zeit Livius’ die Quelle allen öffentlichen und privaten Rechts; nach der Fertigstellung der ersten zehn Tafeln verbreitete sich das Gerücht, daß nur zwei Tafeln noch fehlten, nach deren Vollendung man davon sprechen könne, daß eine Art Corpus des gesamten römischen Rechts zusammengestellt worden sei. Eigentlich könnte verwundern, daß Livius trotz der Umbrüche, die die Prinzipatsverfassung mit sich gebracht hatte, noch immer den Zwölf Tafeln eine derart prominente Rolle beimißt. Doch entspricht das sowohl dem augusteischen ideologisch-restaurativen Programm, das Livius teilt, als auch der vom princeps intendierten Darstellung seiner verfassungsrechtlichen Rolle. Es liegt ein Hauch des Sakralen in den Zwölf Tafeln, weil dort das Band beginnt, das die Stadt einigt im gemeinsamen Streben nach der utilitas civitatis. Wären diese als eine Art Gesetzbuch mit allen Normen, Gebräuchen, Verhaltensweisen der noch jungen Stadt, nicht schriftlich aufgezeichnet worden, hätten sich die Ungerechtigkeiten ergeben können, welche nach Livius’ Überzeugung die Eintracht und daher Roms Stärke unterminieren hätten können. Die von der Formulierung corpus iuris romani implizierte Selbstreflexion über die Stellung des eigenen Rechts in der Geschichte könnte als Indiz von Livius’ Interpretation der Bestimmung Roms gedeutet werden: Aus diesen Normen, Gebräuchen, Verhaltensweisen hat sich das römische Recht entwickelt, mit dem Rom die Welt regiert und nach Livius’ Weltanschauung ewig regieren wird. Dies bestätigt auch der letzte Passus, der erwähnt werden soll.107 Themen sind hier die Ausdehnung Roms in den Süden Italiens sowie der politische Einfluß und der Respekt, welchen sich die Stadt allmählich erwerben sollte. Gerade in dieser Epoche, berichtet Livius, wurden Präfekten und Normen für die Stadt Capua gegeben. Er unterstreicht, daß die Capuaner selbst darum gebeten hatten, um dem erbärmlichen Zustand abzuhelfen, den die dortigen inneren Zwistigkeiten verursacht hatten. Sodann heißt es: Et postquam res Capuae stabilitas romana disciplina fama per socios vulgavit Antiatibus quoque, qui se sine legibus certis, sine magistratibus agere 105  Nach a. A. wie etwa W. Waldstein / M. Rainer, Römische Rechtsgeschichte, 10. Aufl. München 2005, § 10 Rn.  5 handelt es sich bei den 12 Tafeln in Wahrheit um eine lex data, die ohne Mitwirkung des Volkes zustande kam. Für die erzählerische Absicht Livius’ ist dieser Streit um die historische Wahrheit nicht wesentlich. 106  Andere Lesart: quae. 107  Liv. 9, 20, 10.



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quaerebantur, dati ab senatu ad iura statuenda ipsius coloniae patroni; nec arma modo sed iura romana late pollebant. Offenbar mußte die Interven­ tion Roms Capua aus der Not geholfen haben, denn unter den Verbündeten hatte sich die Meinung verbreitet, daß es Capua infolge der römischen Disziplinarmaßnahmen wieder gut ging. Das Motiv der Disziplin als Grundprinzip der Ordnung und damit der Stärke eines jeden Volkes, insbesondere aber des römischen, ist für Livius charakteristisch. Gerade diese Besonderheit hat den römischen Erfolg geprägt und gefördert, so daß Livius am Ende der Passage stolz kommentieren kann, daß sich nicht nur die römischen Waffen, sondern auch das römische Recht weit verbreiteten. Die Macht Roms wurde nicht nur von den Legionen geschaffen, von jener militärischen Herrschaft, die Romulus selbst als unvermeidbar und von den Göttern gewollt prophezeit hatte, sondern im gleichen Maß von den Rechtsnormen, die auf Grundlage der aequitas das Leben der Stadt regeln und die concordia aller cives sichern. Somit wird das Recht als Fundament der Stadt und ihres Erfolgs verstanden. Wenn sich dann die Stadt als „universal“ versteht, wie zur Zeit Livius’, dann ist es auch ihr Recht, das somit zur Grundlage der concordia der Welt werden kann, zum wahren Motor der einheitsstiftenden pax Romana. Vor diesem Hintergrund stellt die Verleihung des Bürgerrechts an alle Reichsbewohner durch die constitutio Antoniniana (212 n. Chr.) einen nachvollziehbaren, in der Linie der augusteischen Ideologie (und Livius’ Weltanschauung) liegenden Schritt dar.108 Verbindet man diese ideologisch-politische Konzeption des römischen Rechts als Fundament der Stadt mit der Prophezeiung von der Dauerhaftigkeit der römischen Herrschaft, die Livius dem Romulus in den Mund legt, ist es folgerichtig zu glauben, daß für Livius die Ewigkeit der Herrschaft Roms auch die Ewigkeit seines Rechts impliziert. Man mag es eher zu den Glücksfällen der Historie rechnen, daß sich in der Geschichte des römischen Rechts und seiner Metamorphose zum Fundament der europäischen Rechtswissenschaft dieser Teil der ideologischen Vision des Livius auf ganz anderem, von ihm nicht voraussehbarem Wege doch irgendwie realisiert hat.

108  s.

T. J. Chiusi, Der Fremde als Rechtsgenosse (o. Anm.  6), 75 f.

“Softly and suddenly vanished away”: The Junian Latins from Caracalla to the Carolingians1 By Simon Corcoran I hope that the topic of this paper will be a pleasing tribute to the honorand of this volume and to the range of his scholarly interests, focusing as it does on a theme central to mainstream Roman law, namely slaves and freedmen, but also travelling in time from the third century on into the early middle ages.2 The Junian Latins are familiar to Roman legal scholars and historians.3 Much about their legal position under the Principate is well-known, not of course from the Digest (as we shall see), but to a large extent from the good fortune of the survival of Gaius’s Institutes as well as some other pre-Justinianic sources.4 However, while the general legal outlines are clear, the detail is often obscure and disputed, while the implications for social reality are even more vexed and raise questions rather than provide answers. The problem is that, outside the normative legal sources, Latins are largely invisible. Explicit references are few. Inference and deduction often uncertain. While something can be made of the epigraphic evidence under the Principate,5 for the Dominate we are largely bereft. Nonetheless, I would like to survey and discuss what we know or can guess about Latins in the empire through late antiquity and the early middle ages. The leaping off point is Caracalla’s sweeping enfranchisement of 212, the Constitutio Antoniniana, which granted universal Roman citizenship.  Suddenly Roman law was the law of everyone, even if it would take more than 1  The quotation comes from the penultimate line of Lewis Carroll’s The Hunting of the Snark (1876). 2  I should like to thank the following for helpful advice and information: Henrik Mouritsen, Dominic Rathbone, Alice Rio and Ulrike Roth. 3  Full and detailed discussion for the Principate can now be found in Mouritsen (2011). 4  Primarily the Epitome Ulpiani, Pauli Sententiae and the little tract on manumission from Pseudo-Dositheus. The relevant passages are discussed in turn by Balestri Fumagalli (1985). 5  For a recent view of the difficulties involved in using inscriptions, see Mouritsen (2007).

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an emperor’s edict to turn new theoretical citizens into active users of Roman legal norms. What was the position of Junian Latins at this point? I provide here an outline of the background.6 Slaves formally freed under Roman law, that is by one of the three legally recognized methods, by census (censu), by rod (vindicta), or by will (testamento), were endowed with Roman citizenship.  Many slaves, however, were freed by more informal means, for instance by letter (per epistulam) or among friends (inter amicos), which did not assure the slave a secure freedom. In the later Republic the urban praetor would act to protect the de facto liberty of such a freedman, who in strict Civil Law was still a slave. This changed under Augustus. As is well known, the first princeps was much concerned with both the numbers and quality of the Roman citizenry,7 and laid down complex rules to limit promiscuous manumissions, which might either diminish a man’s property for his heirs or release into the citizen body a mass of unaudited freedmen. Thus the Lex Fufia Caninia (2BC) limited manumission by testament, while the Lex Aelia Sentia (AD4) placed age restrictions for both master and slave upon manumission inter vivos. A third law, the Lex Junia, is undated, and since its date has often been a point of dispute, I assume for the sake of argument that it was prior to the other two. Under its provisions, the uncertain position of informally freed slaves was regularized. Those, whom previously the praetor had protected, had their free status assured for their lifetime, and, while still denied Roman citizenship, they acquired the name of Latins. In death, however, it was as if they had never been manumitted and their property immediately reverted to their patrons, whose inheritance rights in relation to their Roman citizen freedmen, although still privileged, were more limited. Latins could not make (nor take under) a will nor could their children succeed to their property on intestacy. All this, therefore, redounded to the advantage of the former master. Yet at least the informally freed slave now had a properly defined status. The Lex Junia proved to be only the starting point for the development of Latin status during the Principate. While the Lex Aelia Sentia placed restrictions on manumission, the legal result of contravening the law at least as regards slaves under 30 was to give liberty, but only as a Latin. This law also provided that a slave who had been put in chains or formally punished would be ineligible for anything more than bare freedom as a “surrendered alien”, dediticius, a term which, as we shall see, travels a very similar road through Roman legal history to Latin. Nonetheless, the Lex Aelia Sentia allowed a Latin, created by its operation, to upgrade to full citizen status 6  Still of great use for the legal details of what follows is the discussion in Buckland (1909), ch.  23. 7  Treggiari (1996).



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by observing legal formalities of marrying and producing a child who lived to one year (anniculi probatio), of which procedure there is famously only a single documented example.8 In due course, such upgrading was made achievable by other means and was extended to those informally freed under the Lex Junia. The importance of this concession to the freed Latins should not be underestimated. It is one of the conspicuous features of slavery that it is a permanent state, and, once entered upon, there is no automatic termination other than by death.9 In practice manumissions may become regular and even expected, serving as a useful incentive for slaves to work hard in a system, in which otherwise they would have no stake. But all this is by the owners’ will and usually for their advantage. By contrast, the Lex Aelia Sentia and later measures put into the Latins’ hands the opportunity to upgrade their status to full Roman citizenship. It is true that the simplest way was for the patron to reiterate the manumission in full formal fashion, a process which remained under patronal control. It has been suggested in a recent and carefully argued paper that this was perhaps the most important way in which Latin status operated.10 The incentive of freedom made slaves work hard for their master, in particular amassing enough peculium to purchase their liberty. However, having gained freedom only as a Latin (especially if under 30), there was a continued incentive to amass even more to induce the patron to reiterate their manumission in full formal manner once they were over 30. Nonetheless, the fact that there were other avenues independent of the patron is no small concession, albeit that many of these can only have been available in reality to a few wealthier Latins in or near Rome.11 Marriage and procreation, however, were a means that should have been within the capacity of most Latins and which could be performed in despite of the patron’s will. Given the lack of agency typical of those within the servile class and the stigma still attaching to the freed, this independence of action is quite remarkable. Here it was not a slave master offering freedom to a fertile slave woman who had increased his wealth,12 but the Roman state offering an incentive irrespective of the patron’s opinion. Unfortunately, this leaves us with a problem, as we try to repopulate the Roman empire and imagine its demographic realities at the time of Caracalla’s edict. Aside from the general issue of slave numbers, the pattern of 8  Tab.

Herc. 5 and 89 (AD 60 and 62); re-edited by Camodeca (2006). the famous definition “Slavery is the permanent, violent domination of natally alienated and generally dishonoured persons” (Patterson (1982), p.  13). 10  Roth (2010). 11  For the list of ways, see Gaius, Inst. I, 28–35; Epitome Ulpiani III, 1–6. 12  Columella I, 8, 19. 9  Thus

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manumission frequency (rural versus urban, formal versus informal) is impossible to quantify. There is also the question of how likely informally freed Latins were to gain their upgrade. Most important, perhaps, is whether Latins status was intrinsically heritable or not. If Latins, who produced freeborn children, were able to upgrade their families routinely by anniculi probatio or by other means, there should be few hereditary Latins. If this was not the case, and if informal manumission was common, more common indeed than formal, we have to imagine that there must have been a sizeable and permanent, even growing, population of freeborn Latins.13 This, briefly, is the background at the time of the Constitutio Antoniniana. The detailed provisions of this measure remain ill-understood.14 One question is whether Caracalla included the Latins in his grant of citizenship.  The Giessen papyrus text appears to exclude the dediticii from the gift, but it is not certain whether these were a class of provincial subject or encompassed rather freedmen dediticii, the group perhaps least likely to have been intended beneficiaries of the measure.15 If freedmen dediticii needed to be explicitly excluded from the terms of the edict, the natural corollary is that Latins were implicitly included. Since they could gain full citizenship by beneficium principis anyway, there seems no reason for Caracalla to have limited his grandiose generosity in this ultimate act of imperial beneficence. Further, if there existed a sizeable freeborn Latin population in Italy or in other places where Roman citizenship was the norm before 212, and this was not upgraded by Caracalla, its numbers could only increase more rapidly now that Roman manumission legislation would be operative throughout the empire. It is very hard to believe that there could be so many Latins and that they could leave so little trace. My assumption, which can hardly be proved on current evidence, is that Caracalla’s edict must have upgraded all existing Latins, freed or freeborn. It seems unlikely that Caracalla would have overly worried about unilaterally altering the claims of the patrons of freedmen Latins, any more than about the effect his edict had upon the relationship between peregrine patrons and freedmen.16 Emperors seldom at 13  I take the view that Junian Latins are in effect the only Latins existing in the early third century, and accept the idea that citizens of municipia with ius Latii were not in fact Latins. See Gardner (2001). 14  P. Giess. 40; Ulpian at Digest I, 5, 17; Dio Cassius LXXVII, 9, 5; cf. Justinian, Novel LXXVIII, 5. 15  Kuhlmann (1994), p.  217–239 does not restore dediticii in his new edition of the edict, but this is not universally accepted (Buraselis (2007), p.  6). 16  By an edict of Trajan, upgrade by beneficium principis without patronal consent meant that any children lost the inheritance, but remained citizens (Gaius, Inst. III, 72).



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this period issued such wide-ranging enactments and we simply do not know if his officials drew up detailed provisions for implementation. Is the Giessen text all there ever was? In practice, no doubt, those, for whom the amounts at stake mattered enough and to whom the legal change offered the chance of a significant increase of their claims or reduction in their obligations, would have gone to law to test how far any existing agreements or rights between patron and freedman were deemed to have been retrospectively revised by the change in citizenship.  Probably governors would be inclined to uphold any agreement already entered into unless deemed “contra bonos mores”.17 Even if all existing Latins were made into full citizens, the operation of the previous statutory manumission rules was unaltered, so that now across the entire empire more freedman Latins would come into existence. There is no sign, however, that these new Latins were the progenitors of a significant class of freeborn Latins. As already stated, Latins are almost entirely invisible outside the normative legal texts, whose attention focuses upon freedmen Latins in particular. As said above, it is very hard to believe that Latins could be numerous and yet leave so little trace. Between the various means of upgrade, including the perhaps recent rule that a freeborn Latin women, who gave birth three times, would acquire citizenship (discussed below), this must have meant, as it probably did before 212, that Latin status was not to any significant extent hereditary, at least de facto. Given that freeborn Latins would in practice have much the same legal capacities as Roman citizens, it is not clear how they were distinguishable in a world with a largely uniform legal system. The fact that Gaius spends some considerable space discussing how error as to a spouse’s status could be remedied, usually in favour of granting Roman citizenship to all concerned, suggests how difficult it was to be certain about a person’s status.18 Outside those wealthy and prominent enough for others to care (e. g. that they did not hold inappropriate office), the mass of poorer Latins probably did not need to upgrade, but merged silently with the general population. After all, the key divisions that really did matter were now rather different; for instance those between honestiores and humiliores. Was it of much significance whether an indebted tenant was a citizen or a Latin, especially as the rights of landowners over coloni of various types became so extensive in the later empire? The Latins who mattered were the freedmen Latins, the succession to whose property was their patron’s right. Most of the sur17  Paramone agreements typical in the Greek east were not entirely dissimilar from the agreements for operae under Roman law. See Waldstein (1986), p. 92–109. 18  Gaius, Inst. I, 67–75. Gaius’s Institutes, of course, continued to be read and studied until the sixth century.

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viving references to Latins in our sources from Caracalla to the Carolingians should be read as either explicitly or implicitly relating to the freed, not the freeborn. As we move into the third century beyond Caracalla’s edict, we can see at least one Latin produced as a result of the emperor’s legislation. There exists a rare example of a manumission inter amicos from Egypt, which must have made the freed slave a Latin. In a bilingual Latin and Greek text, enacted at Hermopolis in AD221, M. Aurelius Ammonion, presumably a beneficiary of Caracalla’s generosity, frees for a price (2,200 dr.) his verna Helena, about 34 years of age.19 Although the term is not used, Aurelia Helena became a Latin, one of the few who can be identified with some certainty in the third century (or after). The legal rules regarding Latins remained largely unchanged. For instance, considerable detail on the complexities of manumission, status and succession is contained in the so-called Epitome of Ulpian, which ought at least to be post-Caracalla, and in its current form may be much later.20 Perhaps the most interesting but unfortunately corrupt passage is one in which a female Latin, probably freeborn (ingenua), who has given birth three times, can upgrade to full citizenship in accordance with a senatusconsultum.21 This is an exceptionally rare reference to a freeborn Latin, and provides a much easier and less bureaucratic passage to citizenship than anniculi probatio. Given the fact that a freeborn Latin woman would not have spent her earliest child-bearing years producing slaves for her master, as might a Latin freedwoman (Helena above was already 34 when freed), the chances of upgrading would have been strong, and this would further reduce the extent to which there was a hereditary freeborn Latin class. The other work to contain information on Latins is the Sententiae of Paul, a pseudonymous work from c. 300,22 which, although incompletely reconstruct­ 19  P.

Amherst Lat. = Fontes Iuris Romani Anteiustiniani III, no.  11. (1997), p. 207–208. Latins appear in the following places in the Epitome: I, 5; 10; 12; 16; III, 1–6; V, 4; 9; VII, 4; XI, 16; 19; XVII, 1; XIX, 4; XX, 8; 14; XXII, 3; XXV, 74. Dediticii at Epitome I, 5; 11; 14; VII, 4; XX, 14; XXII, 2. For the most recent commentary (although preferring a rather early date), see Avenarius (2005). 21  Epitome III, 1, emending “vulgo” to “ingenua” from Pauli Sententiae (Liebs) IV, 8(9), 8 (although deriving from the Breviary Paulus IV, 9, 1), as done by Muirhead (1880), p.  368. This is very much against the preferences of other editors, as discussed in Avenarius (2005), p.  221–224. Legally significant senatusconsulta are almost unknown after Severus, which must provide a terminus post quem for this change. See the list in Talbert (1984), p.  438–458 (the sc in question is no.  207). 22  Liebs (2005) 46–50. 20  Liebs



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ed,23 contain a number of chapters which discuss Latins and the implications of their status.24 It is in this that we get the clear statement from which to emend the Epitome Ulpiani that a freeborn Latin woman can upgrade by giving birth three times.25 Private rescripts survive plentifully for the third century, and, as the recipients reflect a good cross-section of the empire’s citizens, with a reasonable gender balance and texts addressed to freedmen and even occasionally slaves, attempts have been made to extract some social history from them, since they represent real litigation and authentic legal situations.26 Unfortunately, we can gain from these no insight into the real lives of Latins. Most of the rescripts have been transmitted to us as a result of their collection into the Gregorian and Hermogenian Codes of the 290s.27 Since neither code actually survives,28 we are dependent upon the reuse of their material in the Justinian Code. Justinian’s abolition of Latinity (discussed below) means that rescripts explicitly referring to issues of Latin status will either have been excluded entirely or otherwise emended, rendering Latins invisible. Thus we have lost a potentially rich source for the lives of Latins. Moving into the fourth and fifth centuries, general Latin invisibility continues, but the fact that several legal works survive independent of Justinianic editing does at least give us a few glimpses of the normative position. The classical juristic texts were still being copied,29 read, taught, and excerpted, so that the legal category must still have been understood by the legally trained.30 However, in all the surviving legislation over two centufollow the alternative reconstruction of the Sententiae in Liebs (1996). (Liebs) II, 23(21a), 1 (freeborn Latin woman); II, 38(27), 6 [Frag. Vat. 172]; IV, 9(10), 3; IV, 11(12), 1 and 6 (this last mentions dediticii). 25  Sententiae (Liebs) IV, 8(9), 8, deriving from the Breviary Paulus IV, 9, 1. Note also the clear contrast with the previous section, where a Latin freedwoman gets the ius liberorum (Liebs (1996), p.  199). For other connections between the Epitome and the Sententiae, see Liebs (2005) p.  90–91. 26  I briefly discussed this for Diocletian’s reign at Corcoran (2000) p.  95–122. See now Connolly (2010); also Evans Grubbs (2000). 27  Liebs (1987), p.  134–143; Corcoran (2000), ch.  2. 28  Some fragments probably from the Gregorian Code have recently been identified. See Corcoran and Salway (2010). 29  Best attested, of course, are the Institutes of Gaius, not only the fifth- century Verona palimpsest, but also the Egyptian fragments from Oxyrhynchus (P. Oxy. XVII, 1203; 3rd century) and Antinoopolis (PSI XI, 1182; 4th century). 30  Thus the Fragmenta Vaticana (early fourth century) cite Ulpian on Latins and tutela (Frag. Vat. 193, 221) and Papinian’s responsa (Frag. Vat. 259). The author of the Collatio (c.390) cites Paulus referring to those who can be killed if taken in adultery (Coll. IV, 3, 3–4; both Latins and dediticii). The Scholia Sinaitica are fifthcentury lectures on Ulpian’s Ad Sabinum, in which Latins and tutela are discussed 23  I

24  Sententiae

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ries only one emperor seems to have been much interested in the status, and indeed to have made active use of it. That emperor is Constantine, who seems to have been peculiarly aware of issues of status, which the unkind might attribute to the rumours about his mother’s background.31 Constantine, therefore, regulates whom not just senators, as under the old Augustan rules, but all honestiores may marry, barring them from a long list of the unsuitable including freed and freeborn Latins (“liberta vel libertae filia, sive Romana facta seu Latina”).32 In reality the emperor’s motivation may have been an attempt to rein in a marriage free-market created after his abolition of the provisions of the Lex Papia Poppaea, and reflects also traditional elite concerns about inter-status relationships. Further, it was almost certainly at least in part a response to a particularly notorious recent case of usurped status, that of the son of Licinianus.33 We are fortunate that the fuller Theodosian Code version of this law has survived, albeit by the slender route of the now burnt Turin palimpsest,34 since relying on the Justinian Code version alone would have left us without Latins and the son of Licinianus.35 Constantine also uses Latinity elsewhere as both reward36 and punishment.37 Further, he found a generous use for it when he tampered, as he did on several occasions, with the rules of the Senatusconsultum Claudianum, so that the children of a woman cohabiting with a fiscal slave remained free, but her children became, not slaves as before, but Latins subject to the patronal rights of the father’s master (i. e. the emperor).38 (Schol. Sin. 45 and 54). The anonymous (perhaps Ulpian’s) Fragmenta Berolinensia de iudiciis 1–2 mention Latins and dediticii (FIRA II, p.  625–626; Liebs (1997), p.  177). Note also the Autun Gaius commentary (Frag. August. 14). 31  For Constantine’s legislation on personal status, see Dupont (1937) and Evans Grubbs (1995). 32  CTh IV, 6, 3 (336). The only other emperor to mention Latins is Marcian in his response to Constantine’s law. He confirms the place of Latins in Constantine’s list (Marcian, Nov. IV, 1 and 3). Strictly interpreted, a second-generation freeborn Latin women would be an acceptable senatorial spouse. 33  Evans Grubbs (1995), p.  283–294. 34  Krüger (1880), p. 29–30, giving also the end of CTh IV, 6, 2 (336), which also mentions the son of Licinianus. It seems unlikely that he was a son of the emperor deposed in 324. See Corcoran (1993), p.  117. 35  CJ V, 27, 1; cf. Justinian’s version of Marcian’s Novel at CJ I, 14, 9 and V, 5, 7. 36  CTh IX, 24, 1, 4 (326): an informing slave is given Latin status, a Latin becomes a Roman citizen. For a full discussion of this law, see Evans Grubbs (1989). 37  CTh II, 22, 1 (320). This obscure text seems to presume a Roman freedman is reduced to Latin status, although it is not made clear why this might happen. Discussed by Falchi (1990). 38  CTh IV, 12, 3 (320), part of the same edict as CTh II, 22, 1 of the previous note. See Evans Grubbs (1995), p.  263–277 for the bewildering and conflicting changes in the SC Claudianum rules in the fourth century. Note that the children of



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These few cases comprise all the explicit references to Latins surviving in Constantine’s laws. Such awareness of Latin status presumably reflects the legal knowledge of whichever palatine magistri dealt with legislation at these various points (320, 326, 336) in Constantine’s reign. No other reference to Latins survives for any other fourth or fifth century emperor, aside from the isolated case of Marcian’s fourth Novel, itself a response to problems raised by Constantine’s marriage rules. Constantine, however, had a far-reaching effect upon manumission law, which in the long run probably did more than anything to reduce the incidence of Latin status. In a series of three laws he set out the rules for manumission in church or by clerics.39 The first law does not survive, although presumably it applied initially only in Constantine’s territories in the west. The second law was issued to Protogenes, Bishop of Serdica, probably in response to a request shortly after Constantine seized the Balkans from Licinius (316), while the third was issued to Hosius of Cordoba in 321.40 Constantine’s dispositions have two prongs, one establishing rules for manumission conducted publicly in church before the bishop, which gives citizenship, the second relaxing many of the formal requirements for clergy wishing to free their own slaves. Since the first text does not survive, and the second only as edited into the Justinian Code,41 the exact development of Constantine’s legislation on this point is not entirely clear. It is certainly tempting, in view of the explicit mention of Roman citizenship in the Hosius letter but not in that to Protogenes, to wonder whether church manumission originally led only to Latin status, perhaps in contrast to the privileges of the clergy.42 Manumissions in church may have been taking place for many years already, resembling both the long tradition of temple manumissions in the Greek east, which had continued after Caracalla’s edict, as well as Roman informal manumission (inter amicos, even in convivio).43 Such manumissions would have given Latin status. Initially, therefore, Constantine may have done little more than confirm the existing situation by a woman cohabiting with her own slave are granted “nuda libertas”. Since this text must be primarily directed to women of rank, the phrase probably denotes only their exclusion from her former high status, and does not mean they were degraded to be dediticii. 39  Fabbrini (1965) 48–89. 40  1) Sozomen, Hist. Eccl. I, 9, 6; Harries (1986), p.  48–49; 2) CJ I, 13, 1; 3) CTh IV, 7, 1 (from the Breviary) = CJ I, 13, 2. 41  Corcoran (2008), p.  92–93 on the fate of the church manumission laws in the imperial codes. 42  Fabbrini (1965), p.  54–60 rejects the idea of “Junian” manumission in any fashion being read into CJ I, 13, 1. 43  Fabbrini (1965), p.  150–193.

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clarifying the minimum procedural requirements and removing any legal ambiguity in previous practice. Hosius perhaps hoped for much more, and the letter may have reflected back to him the details of his own request and now enabled manumission in church to confer full citizenship.  This letter was sufficiently clear that it alone was later taken into the Breviary of Alaric. However, Sozomen, who seems to have had all three laws before him, does not see them as dealing with anything other than Roman citizenship.  Irrespective of this debate, the overall effect of Constantine’s laws is clear. First and most importantly, manumission in church, which had been akin to other informal methods giving Latin status, now counted as formal manumission conferring Roman citizenship.  Secondly, clergy could now grant liberty with citizenship to their own slaves with the legal technicalities much simplified. Since there is no specific mention of age restrictions as under the Lex Aelia Sentia, or number restrictions as under the Lex Fufia Caninia, it is not known how far, if at all, the manumission powers granted in Constantine’s letters implicitly allowed derogation from them, at least for the clergy. Nonetheless, on any interpretation, Constantine had taken the first steps, whether he intended to or not, in undoing the limitations of the Augustan manumission laws. The longer term effects of this change were surely very great. With the establishment of a Christian dynasty, and a continuing sequence of Christian emperors thereafter, the growing Christianization of the empire meant that church manumission will have become ever easier and more readily available. The practical difficulties which may have impeded formal manumission were no longer an excuse not to grant full citizen status. Irrespective of one’s view of the demography of slave numbers in late antiquity or changes in forms of dependence or exploitation of labour, the mechanisms that favoured the creation of many Latins would now no longer automatically do so. We saw above a clear case of informal manumission operating to create a Latin in Egypt after Caracalla’s edict. We do have some later manumission documents, but none can be seen clearly to create a Latin. Indeed the problem is that the forms of manumission used are not easy to categorize. An example of this can be seen in a copy of a deed of manumission from Kellis, in the western desert of Egypt.44 In the year 355 Aurelius Valerius writes to his slave Hilaria and frees her “because of my exceptional Christianity, under Zeus, Earth and Sun” and allows her to take her peculium. He also acts through the priest Psekes. So here we have an explicitly Christian 44  P. Kellis Gr. 48. For the issues and references to other manumission documents, see the editor’s discussion: Worp (1995), p.  140–143. For another problematic manumission from the same year, see Porten (1996), p.  438–440, D18 (P. Edmonstone).



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manumission, although using also an old pagan religious manumission formula.45 If it is taken as a manumission per epistulam, it should give Latin status, and Hilaria’s peculium taken into freedom would revert to Aurelius Valerius on her death. However, does the involvement of the priest suggest this is some form of church manumission, thus conferring full citizenship? There is no clear evidence in the fragmentary part of the text that anyone other than Psekes is involved as witness or anything else, so that neither the public nor documentary requirements for manumission in church have apparently been observed. It remains unclear, therefore, what type of manumission Aurelius Valerius has in fact performed, or at least believes he has performed. There is, however, one source who gives us a glimpse of Latinity at work in the later empire. In his diatribe against greed, as he castigates parents who bequeath property rather than eternity to their children, Salvian of Marseilles makes an analogy with masters of slaves.46 They grant to some slaves freedom with Roman citizenship, letting them take away their peculium with them, which they can dispose of as they wish, by donation while alive, or by will if dying. The freedmen gain a perpetuum ius. By contrast, slaves who deserve less well do not get Roman citizenship, but “the yoke of Latin liberty.” They live as freedmen, but even if they have children can leave them nothing. The bad father likewise orders his sons, just as Latin freedmen, “to live as if ingenui, but to die as slaves.” Salvian is a great polemicist, and he cannot be taken as an impartial reporter.47 But there seems no particular reason to doubt that his chosen parallel would have had little force, if there were not still freedmen Latins in his mid-fifth century Gaul. That masters could be motivated to grant full freedom and indeed peculium to some, while to others giving with one hand and taking back with the other through grants of Latin status, is entirely believable. This does not, of course, give us any idea how common manumission with Latinity was. However, it is reasonable to assume that as long as turning a slave into a Latin was considered of benefit to the master, there would always be owners who chose that option, whether for financial reasons, or simply (as Salvian suggests) because some slaves had not deserved so well. And we cannot ignore the possibility that there will still have been manumissions which fell foul of the old Augustan restrictions and so created Latins rather than Romans, even if that was not the master’s intention. Whatever the actual frequency of Latin manumission, the end of Latin status in the empire was quite emphatic. Justinian’s first major legal inter45  E. g.

P. Oxy. IV, 722 (AD91). Ad Ecclesiam III, 31–34 (Lagarrigue (1971), p.  262–264). 47  See the judicious comments of Wickham (2005), p.  62–64. 46  Salvian,

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vention of his reign was to recompile the three existing codes of imperial constitutions (Gregorian, Hermogenian, Theodosian) together with later enactments into a single code bearing his name, which was published in April 529. However, with the appointment of Tribonian to the quaestorship in the autumn of that year, legal activity moved into an even higher gear.48 Tribonian must in essence have conducted a wide-ranging review of current law, especially focusing on some vexed legal questions that had remained disputed among the classical jurists. By means of a series of enactments known as the Fifty Decisions (Quinquaginta Decisiones) issued over the period from the summer of 530 to the spring of 531,49 and indeed by further laws passed subsequently, many areas of law were remodelled or tidied up.  It was also as part of this activity of legal reform that the project to read, edit and recompile the writings of the jurists into the Digest was undertaken. One striking result of this was that most of the provisions of the Augustan manumission legislation were swept away. Indeed, even before the issue of the first edition of the Code, the restriction on numbers freed by will under the Lex Fufia Caninia had been abolished in 528.50 Next in 530 came the abolition of the status of dediticius (deriving from the Lex Aelia Sentia).51 This is specifically attributed to the initiative of Tribonian as part of the Fifty Decisions, and, since the status is regarded as having fallen into desuetude and being an empty name, the measure appears principally a matter of tidying-up.  Its most important effect will have been to render obsolete any discussions of dediticii in the writings of the jurists or in the first Code.52 The provision that formal manumission could only be given to a slave over 30 was also abolished.53 The longest surviving enactment came in November 531, also on the initiative of Tribonian, although not part of the Fifty Decisions.54 This was the law which dealt with Junian Latin status. Castigating the status as “imperfect liberty tottering with unsteady footsteps” ,55 and giving some typically Tribonianic historical background including identifying the three key enactments from which most of the features of Latinity stemmed (the Lex Junia, the senatusconsultum Largianum and an edict of Trajan), Justinian rules that no grant of liberty will henceforth give Latin status.56 He then goes on to enumerate and describe 48  Corcoran

(2008), p.  98–99. Ruggeri (1999). 50  CJ VII, 3, 1; cf. Justinian, Inst. I, 7. 51  CJ VII, 5, 1; cf. Justinian, Inst. I, 5, 3. 52  Scheltema (1984), p.  3. 53  CJ VII, 15, 2. 54  CJ VII, 6, 1; cf. Justinian, Inst. I, 5, 3  ; III, 7, 4 55  CJ VII, 6, 1, pr.: imperfecta Latinorum libertas incertis vestigiis titubans. 56  CJ VII, 6, 1, pr.-1b. 49  Russo



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those various “informal” methods, which previously conferred Latinity, but will now give Roman citizenship.57 This includes the situation where masters try to confer only Latinity by the formal methods!58 This is followed by a general statement that any other situations which might in the past have created Latinity will now be entirely ineffective, leaving the slave in bondage.59 Finally, it is made clear that, while all future manumissions are to be governed by the new law, this will not be retrospective for the estates of already freed Latins, which are to be subject to the old law, thus passing entirely to the patron, and excluding the freedman’s children.60 Reading this law closely, it is clear that the focus is entirely on manumission and the creation of freedman status. There is indignance at a status whereby someone was at death both free and slave simultaneously, or having lived as if free was snatched away to death and slavery at the same time.61 Nowhere is there any suggestion that there are freeborn Latins. Nor indeed is there any explicit statement that the law functions as an instant upgrade for existing Latins, freed or freeborn. But since Latin status is to be expunged as a class of liberty and any references in existing legal texts or laws are to be taken to mean Roman citizenship, this is hardly compatible with the continued existence of even freeborn Latins. In any case, the law as it survives, although it reads as complete, may nonetheless have been edited from its full form when it entered the Code. That a complete upgrade took place is clear from the Institutes, promulgated only two years later in November 533. All people are either free or slave. Slaves are of one condition only; the free of two, namely freeborn or freed, neither of which is further subdivided.62 There is no room here for freeborn Latins. Indeed, although it is not stated in the Code constitution, the Institutes regard freedman Latinity as itself rather rare.63 There is no reason to think that this is wrong. This is probably the longer term effect of two centuries of manumissions in church significantly tipping the balance in favour of manumissions as more routinely conferring Roman citizenship rather than Latinity. Thus Latin status in the empire, even if already limited and moribund, came to an end in 531, although it was perhaps many years before the last patron took over the estate of the last freedman, who had already been of 57  CJ

VII, 6, 1, 1c-11a. VII, 6, 1, 6. One wonders if this was prompted by any real cases. 59  CJ VII, 6, 1, 12. 60  CJ VII, 6, 1, 13. 61  CJ VII, 6, 1, 1b. This matches the sentiments of Salvian noted above. 62  Just. Inst. I, 3–5. 63  Just. Inst. I, 5, 3. 58  CJ

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Latin status in 531, under the terms of the earlier law. Some knowledge of Latin status as a historical curiosity remained in the legal texts. The editing of texts for the Digest meant that any passages referring to Latin status, or indeed the dediticii, will have been either excluded or emended, and no reference to either appears anywhere in the Digest.64 In the Institutes, Latins are mentioned only in relation to their abolition.65 The same applies to the Code, or rather to the revised Code of 534, where Latins occur only in the long law of abolition.66 There do exist, however, some parallel passages in the pre-Justinianic material, which give an idea of the editing process which must have taken place between the two Code editions.67 Further, Justinian continued to legislate about freedman status and, in his Novel of 539 granting all freedmen notional free-birth (ingenuitas), he places this in the context of his earlier reforms of manumission law and the abolition of Latinity.68 The creation of Greek teaching materials for the law-school syllabus meant that discussion of Latins survived to some extent on into the later Byzantine period. Theophilus, himself one of the co-authors of the Institutes,69 discusses Latins in his Greek lecture course on the same prepared for the Constantinople law-school probably in 533 / 4.70 Thalelaeus lectured on the Code and also produced a literal word-for-word translation 64  I am not aware of any parallel passages in pre-Justinian sources which demonstrate this. 65  Just., Inst. I, 5, 3; III, 7, 4. These passages effectively replaced the extensive discussions of status, marriage and succession in Gaius’s Institutes Book I and III. 66  CJ VII, 6, 1. 67  References to Latins are removed at CJ V, 5, 7 (from Marcian, Nov. 4, 3); CJ V, 27, 1 (from CTh IV, 6, 3); CJ VII, 13, 3 (from CTh IX, 24, 1, 4). CTh II, 22, 1 may have already been excluded from the first edition of the Code, for which CJ VI, 7, 2 was sufficient: Falchi (1990). For general discussion of the differences between the two Code editions, see Corcoran (2008). 68  Nov. LXXVIII, pr. The later summaries do not mention the abolition of Latinity: Athanasius, Epitome Novellarum XVIII, 2 (Simon and Troianos (1989), p. 434); Theodore, Breviarium Novellarum 78 (Zachariae von Lingenthal (1843), p.  78). 69  The sole reference to the Lex Junia Norbana (Just. Inst. I, 5, 3), the basis for dating the Lex Junia to AD19, may be an over-historicizing error on the part of one of the authors of the Institutes, Tribonian, Dorotheus or Theophilus. The latter kept the term Junia Norbana in his Greek lecture course: Theophilus, Paraphrasis Institutionum I, 5, 3 (Lokin et  al. (2010), p.  34–35). See comments by Balestri Fumagalli (1985), p.  203. 70  Theophilus, Paraphrasis I, 5, 3; I, 8, pr.; III, 7, 4 (Lokin et al. (2010), p. 34–41, 58–59 and 566–569). It is probably from Theophilus’s use of the term that dediticius appears in some Byzantine lexica. See Burgmann (1984), p.  22 Δ6  and (1990), p.  266 Δ11. There are also scholia on the relevant passages in some of the later manuscripts (esp.  Par. Gr. 1366), although these are fairly slight (on the basis of consulting Alexander Falconer Murison’s draft edition of the Paris scholia: UCL Special Collections MS ADD 22, Scholia Theophilina p.  16–17, 19 and 159).



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of the relevant law abolishing Latin status.71 However, when the Basilica was produced in the reign of Leo VI, it included no references to Latins and its abbreviated reference to the Code law taken from Theodore of Hermopolis’s Breviary of the Code simply states that all slaves lawfully freed in any manner are considered Romans.72 This did not, however, stop at least one scholiast from copying into his Basilica manuscript Thalelaeus’s entire version of Justinian’s abolition law. Nonetheless, Justinian’s definitive act of legislation marked a clear and formal end to Latin status. The position in territories which had slipped from the imperial grasp is rather more opaque. Successor kings took over much of the apparatus of Roman law at least for their Roman subjects. In Italy, there is no sign of Latins in the Edict of Theoderic (edited out of Ed.  Theod. 19; cf. CTh IX,24,1) nor in any other Italian evidence. In any case, the reconquest meant that Justinian’s reforms were applied in Italy and any vestigial Latin status should have disappeared. However, some knowledge that Latins had once existed would survive for anyone who knew the Justinian Code73 or the Institutes.74 Matters were different, of course, where Justinian’s writ never ran. There is one reference to Latins in the Lex Romana Burgundionum.75 This is not a general exposition of manumission rules. Rather, it mentions 71  Basilica scholia XLVIII, 14, 1, 2 (ed. Scheltema, Ser. B vol. VII p.  2964–70). Thalelaeus’s text only survives as scholia in a single Basilica manuscript (Par. Gr. 1349). Throughout it refers to the Lex Junia as Lex Julia and in most instances to the Edict of Hadrian, not Trajan. For a similar error, note the Leiden version of Pseudo-Dositheus, although that may be due to the Lex Julia et Papia mentioned in the same work: Pseudo-Dositheus, De manumissionibus 2; 6; 7; 8; 12 (Flammini (2004), p.  94–99). See Balestri Fumagalli (1985), p.  157–158. 72  Basilica XLVIII, 14, 1 (ed. Scheltema / van der Wal, Ser. A vol. VI p.  2240); Basilica scholia XLVIII, 14, 1, 1 (ed. Scheltema, Ser. B vol. VII p.  2964); Scheltema (1972), p.  27. 73  The seventh-century Summa Perusina VII, 6, 1 (Patetta (1900), p.  219–220) gives the title from the Code, but its summary of Justinian’s law nowhere uses the word Latinus nor explains what the libertas Latina of the title was. Summa VIII, 51, 1 contains a bizarre reference to a master’s right to the child of an ala or latina, but this is not in Justinian’s original (CJ VIII, 51, 1), which mentions an ancilla or adscripticia, and it would go too far to suggest this reflected the earlier form of the text from the Gregorian Code! That presumably mentioned only the ancilla, while the phrase “vel adscripticiae” must be a Justinianic interpolation into Alexander’s rescript. See Weiss (1915), p. 173 n. 1; also Broggini (1969), p. 139–140. 74  Probably not from Novel LXXVIII, since the Epitome of Julian, the principal means by which Justinian’s Novels were known in the early medieval period does not mention Latinity (Epit. Jul. Const. LXXII, kp 258); it does occur at Authenticum LXXIX, pr., but this collection was not much known until rather later. 75  LRB XLIV, 5.

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the duty of a freedman to support a needy patron. It then goes on to say that a master who invites his slave to dine with him (in convivio), thereby frees him with Latin status; but that this does not apply when the master is so poor that he dines with his slaves anyway! The Burgundian legal texts survived the fall of the separate Burgundian kingdom in 534, but although manumission after Roman fashion continued to be recognized, there is nothing to show that Latins were a reality.76 The presence of Latins is slightly more extensive in the Breviary of Alaric (506). The principal passage is that at the beginning of the Gaius epitome, which sets out modes of manumission and statuses of freedmen, including both Latins and dediticii,77 and there are some further details in the Pauli Sententiae on manumission of jointly-owned slaves or slaves held as pledges,78 as well as the statement that a Latina ingenua can upgrade by giving birth three times.79 Some scholars have seen the use of ingenua here as a sign of the terminological looseness of the early medieval period, where ingenua often simply means free.80 But the usage of the Breviary Gaius is clear, stating that there is only one class of ingenuus but three of libertus. The Paulus passage is explicit that the Latin women has not been manumitted and so clearly is freeborn, and there seems no good reason to doubt that this reflects also the original Sententiae, as was assumed above.81 The other Breviary examples are Constantine’s references to Latin status as reward or punishment, where this aspect of the original text is reflected also in the interpretationes.82 When we look for the presence of Latins in the Visigothic kingdom outside the Breviary, we look in vain. Partly this is lack of suitable literary and documentary evidence. Isidore of Seville mentions both Latins and dediticii, although his aetiology is somewhat confused.83 Certainly he knows more than could have been gleaned from the Breviary alone, so that, if not using Gaius directly, he must have used some legal miscellany or other source fuller than the Breviary.84 He is important also as his work was widely read and copied outside Spain. The only Visigothic manumission formulae to Burgundian texts, see Liebs (2002), p.  163–166 and 176–179. Gaius, Epitome I, 1–4. 78  Breviary Paulus IV, 11, 1 plus interpretatio (Latin); IV, 11, 6 (dediticius). 79  Breviary Paulus IV, 9, 1. 80  Conrat (1907), p.  97. 81  Liebs (1996), p.  199. 82  Breviary CTh IX, 19, 1 plus interpretatio; Breviary CTh II, 22, 1 plus interpretatio. 83  Isidore, Etym. IX, 4, 49–51. 84  Laistner (1921). 76  On

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survive make no mention of Latins.85 Indeed, they talk of making the manumitted slave an ingenuus et civis Romanus.86 This is not the law of the Breviary, but, by a strange coincidence, reflects the position in the empire after Justinian’s Novel LXXVIII (539). This collection of formulae, datable to the early seventh century, probably originated from Cordoba, which had previously been independent of royal control for over twenty years from about 550 until reconquered by Leovigild in 572. Imperial intervention in Spain began around the same time as the revolt of Cordoba, but the area reconquered never extended much beyond Cartagena and probably never as far as Cordoba.87 It seems unlikely that the imperial presence provided the conduit for Justinian’s legislation to have some effect in Spain, so that the change in the use of ingenuus is an independent development. Although the Spanish church seems to have been highly legalistic and knowledgeable about its Roman legal heritage, it always derived this from the Breviary. It is no surprise that Isidore does not include Justinian in his list of great legislators, which stops with Theodosius II.88 The will of Vincent, Bishop of Huesca, dating to c.575, includes several manumissions.89 These are described in a variety of ways, the recipient becoming either civis Romanus, ingenuus, or just liber. There is no easy answer (and I do not claim to have one) as to whether this is simply stylistic variation or instead implies that different forms of freedom were being granted perhaps to recipients of differing original status (e. g. Latins having manumission reiterated). The formulae, as noted above, use civis Romanus and ingenuus in conjunction. In Spain as in Gaul and elsewhere, the force of ingenuus is lost and it is often little more than a synonym for liber. The ease of ecclesiastical manumission means that Vincent should have had ­little difficulty in granting full Roman citizenship.  Indeed the problem that bishops had with manumission was rather different. Unless they were dealing with their own personal slaves, they were not supposed to free church slaves without proper agreement and could be forced to make good any losses,90 and even the provisions of a will could be overturned as happened 85  Formulae Visigothicae edited by Zeumer (1886), p.  572–595; Liebs (2002), p.  196–199. For some later Spanish examples, see the details in Rio (2009), p.  186. 86  Formulae Visigothicae 2–6 (Zeumer (1886), p.  576–578). 87  On the revolt, see Collins (2004), p.  48–49, allowing for the possibility of an imperial connection. 88  Isidore, Etym. V, 1. Even in his Chronicle, Isidore has little to say of Justinian: Chron. 397–400 (CCSL 112, p.  192–195). For Isidore and Roman law, see Walters (1993), p.  201–202 and 211–212. 89  Corcoran (2003). For a good discussion of the issues raised, see Diáz (1998). 90  Codex Euricianus ch.  306; Lex Visigothorum V, 1, 2–4. On rules for dealing with deceased bishops’ property, see Stocking (2000), p.  38–41.

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to that of Ricimir of Dumium at the tenth Council of Toledo in 656.91 A further issue is that a church, if it did manumit, was a patron who could not die, and the idea of such permanent control exercised over church freedmen extended to their children. In the end this affected the freedmen of lay patrons as well. Thus control was only lost if specifically abjured in the manumission document (as the formulae attest). In the end, under the unified legal system created by the Lex Visigothorum after 654, freedman status became hereditary, so that a permanently subject class was created.92 In its own way, therefore, the Visigothic kingdom abolished any vestiges of the Augustan freedman statuses. In the Frankish kingdoms, however, the Merovingian rulers did not issue any new codes for their Roman subjects, with the result that the Breviary of Alaric, either in its full form or as further epitomized, enjoyed a long afterlife. Yet it is hard to see that the presence of freedmen Latins and dediticii in the Breviary or its derivatives had any reality outside their pages.93 Even Church Councils, which often reflect the Breviary law, show no concern with this particular distinction.94 In any case, the Lexicon of bondage becomes very fluid. The fact that Latin was the typical language of normative texts and legal documents across a wide area with different and evolving social systems and ties of dependence means that terms such as servus, colonus and others are protean.95 It does not appear, however, that the terms Latini or dediticii were either needed in their original senses or were imaginatively recycled. Glossaries take dediticius as referring to surrendered barbarians,96 the alternative late antique meaning of this term.97 One place where the survival of some Roman-style norms is supposed to have been strongest and most long-lasting is in Churraetia, where an abbreviation of the Breviary, the Lex Romana Curiensis, was made in the eighth century, although it is not unaffected by Germanic legal influences.98 Almost all the passages where Latins or dediticii had appeared in the Breviary are repeated in some form in the LRC,99 but, despite 91  Canellas

López (1979), p.  133. (1980). 93  For manumission in Gaul, see Grieser (1997), p.  135–157. 94  Council of Macon II (585) Canon 7 (MHG Legum III, 1, p.  167–168) recognizes manumission in church, by will, by letter and by “long time”, but without suggesting these might (for non clerics) confer different statuses. 95  Davies (1996); Hammer (2002). However, the late Roman language related to the “colonate” is hardly much clearer. 96  Hessels (1890), p.  40 D15; Lindsay (1917), p.  127. 97  CTh VII, 13, 16. For issues surrounding barbarians as dediticii, see for instance Wirth (1997); Halsall (2007), p.  152–153; Kerneis (2009). 98  See most recently Siems (2008); also Liebs (2002), p.  230–235. 99  LRC II, 20; IX, 19, 1. 92  Claude



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a boiled down and not entirely inaccurate reproduction of the manumission rules and statuses from the Breviary Gaius (ingenuus is used both in its strict and early medieval senses), we have no evidence that these were ever used in practice.100 In theory, anyone with some knowledge of the legal texts in ­Rhaetia or other places where there was some Breviary presence could have known what Latins were, but charters show no knowledge of them and any general awareness of them cannot have lasted long after, say, the sixth cen­ tury.101 This can perhaps be demonstrated not so much from the charters, but from the Frankish formulae manuscripts, which mostly date to the Carolingian period. These formulae are best attested in areas where Roman legal survivals seem to be weakest and were put together precisely because of a dearth of actual charters to serve as models. The scribes, however, do not simply copy mechanically, but tend to mix and match and adapt. Indeed, this is the reason why scholars have for so long found Zeumer’s MGH formulae volume so unsatisfactory, as it attempted to suggest collections and texts that were more stable and fixed than was in reality the case. The formulae, which seem so arid, are in fact a potentially rich source. That they can be used in imaginative ways to illustrate issues around slavery and dependence has recently been demonstrated with great effectiveness by Alice Rio.102 It is in the formulae that we see the Latins disappear. Of all the many surviving formulae, in only one is there any reference to Latins at Formulae Arvernenses 3. This is in fact a charter of manumissio in ecclesia and gives full Roman citizenship without further obligation, but in a rather obscure sentence it mentions that liberty is being given in accordance with Roman law (presumably as set out in the Breviary Gaius I, 1), which allows for three grades of liberty “Latina, dolitia (sic!), et cives Romana”.103 This formulae collection, with its material sourced ultimately from the Auvergne (the manumission is located in Clermont-Ferrand) and with a strong Roman flavour, is often taken as being extremely early and reflecting sixth century events, although other interpretations are possible.104 In any case, it is not itself proof that Latin manumission actually existed in Merovingian, let alone Carolingian, Gaul. The closest to such evidence occurs in an early ninth-century manuscript of the so-called Formulae Turonenses (War100  LRC XXII, 1, 1–4; Meyer-Marthaler (1968), p.  106–107. For a near contemporary manumission charter granting ingenuitas, see Chartae Latinae Antiquiores I, 106 (784; from St. Gall). 101  Flach (1907), p.  414. 102  E. g. Rio (2006), (2008) and (2009), ch.  9. 103  Zeumer (1886), p.  30. 104  Briefly discussed at Rio (2009), p.  80–81. See also Jeannin (2005).

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saw UB 1).105 The chapter index lists one formula as “Ingenuitas Latina”, but no such formula in fact exists at the relevant point in the main text.106 Clearly the source for this manuscript must have contained a manumission formula for Latin status, but the scribe in the end saw no point in copying it. This is the clearest proof that, whatever references to Latins still survived in normative texts such as the Breviary and its derivatives, or in other older texts that might still be copied (e. g. the Epitome of Ulpian, known from a single late ninth-century manuscript), true Latin status no longer existed in the Carolingian world, but had softly vanished away long before. Bibliography Avenarius, Martin: Der pseudo-ulpianische Liber Singularis Regularum, Göttingen, 2005. Balestri Fumagalli, Marcella: Lex Iunia de manumissionibus, Milan, 1985. Broggini, Gerardo: Index Interpolationum quae in Iustiniani Codice inesse dicuntur, Cologne and Vienna, 1969. Buckland, William W.: The Roman Law of Slavery, Cambridge, 1909. Buraselis, Kostas: ΘΕΙΑ ΔΩΡΕΑ. Das göttlich-kaiserliche Geschenk: Studien zur Politik der Severer und zur Constitutio Antoniniana, Vienna, 2007. Burgmann, Ludwig: Das Lexikon ἀδετ, in: Fontes Minores VI, Frankfurt-am-Main, 1984, p.  19–61. Burgmann, Ludwig: Das Lexikon αὐσηθ, in: Fontes Minores VIII: Lexica Iuridica Byzantina, Frankfurt am Main, 1990, p.  249–337. Camodeca, Giuseppe: Per una riedizione dell’archivio ercolanese di L. Venidius Ennychus. II, in: Cronache Ercolanesi 36, 2006, p.  189–211. Canellas López, Angel: Diplomatica Hispano-Visigoda, Saragossa, 1979. Claude, Dietrich: Freedmen in the Visigothic kingdom, in: James, Edward (ed.), Visigothic Spain. New Approaches, Oxford, 1980, p.  159–188. Collins, Roger: Visigothic Spain 409–711, Malden MA and Oxford, 2004. Connolly, Serena: Lives Behind the Laws. The World of the Codex Hermogenianus, Bloomington and Indianapolis, 2010. Conrat, Max: Der westgothische Paulus. Eine rechtshistorische Untersuchung, Amsterdam, 1907. 105  On the Formulae Turonenses see Rio (2009), p.  112–117. For their Breviary parallels, see Liebs (2002), p.  241–247; cf. Walters (1993), p.  212–213. On the Warsaw ms, see Rio (2009), p.  113 and 270–271. 106  Formulae Turonenses cap.  35; Zeumer (1886), p.  134; cf. 155 and 159–160 (the replacement texts).



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From Ionia to the Twelve Tables By Michael Crawford The aim of this paper is simple: it is to look at the Twelve Tables in two contexts alien to the thinking of most Romanists, and thereby, first, to remove one objection to the kind of reconstruction of their content that emerges most naturally from the commentary of Gaius, second, to observe that their prescriptive approach has to be seen in the context of an Italian and a Mediterranean koine, in honour of a Romanist who has illuminated the history of Roman law precisely by finding new contexts for it. In doing so, I take a number of points as uncontroversial: (1) that the content of the Twelve Tables was diffused from 334 BC onwards in part by being used in the composition of the ‘charters’ of the Latin colonies, ‘charters’ for which the inscribed Lex Spoletina, Lex Lucerina, Lex Osca of Bantia,1 and ‘archaic’ sections of the Lex Coloniae Genetiuae, for instance, provide evidence, but which are attested also by the documents to which the men of Ostia clearly had access when during the Second Punic War they complained to Rome about the infringement of what they believed to be their rights; (2) that even if we did not have the narrative of our sources concerning the addition of a further two tables to an original ten, we would infer on internal grounds from what can be established about the content of Tables XI–XII that they were a different kind of animal from Tables I–X;2 (3) that in wondering whether the content of the Twelve Tables had been thought into a shape we should not pre-judge what that shape might have been ( I return to this point below); and (4) that to present the Twelve Tables as if they were a text with a tradition, is to study them blindfold.3 1  Note that the commentary in Roman Statutes drew on the Twelve Tables eight times. 2  See Roman Statutes, p.  560. 3  So most recently E. Courtney, Archaic Latin Prose (Atlanta 1999) pp.  13–26 (the formulation that Courtney bizarrely supposes insulting, p. 17, was suggested by John Crook in a desire to be helpful to Romanists); D. & A. Flach, Das Zwölftafelgesetz (Darmstadt 2004). I am in full agreement with the words of O. Diliberto, in M.  Humbert (ed.), Le Dodici Tavole. Dai Decemviri agli Umanisti (Pavia 2005) pp. 217–38, ‘Una palingenesi aperta’, at pp. 219–20: ‘Sono esistiti diversi testi delle Dodici Tavole, a seconda degli ambienti culturali e delle epoche storiche’.

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A longer discussion is necessary of the argument of M.  T. Fögen that a text of the Twelve Tables was invented by Cicero and others.4 She fails to consider the possibility that parts of the Twelve Tables could be later inventions, but not the whole, and thus throws the baby out with the bath-water, on the basis that VI, 7, and XII, 5, in the conventional order, are inventions; yet these two clauses were rejected in Roman Statutes, on the basis of an analysis of the nature of the evidence for them, completely different in kind from that for other clauses. What she regards as a knock-down argument, namely that nothing of what conventionally appears as Table X, from Cicero and Pliny, is cited by Roman jurists, is in fact worthless: nothing of what Cicero or Pliny says is of any relevance whatever to Roman private law. Let us start with the epigraphic evidence for legislation in the archaic Greek world. To read that magnificent work, Nomima,5 is to realise that the way in which legislative texts were inscribed in archaic Greece was often very specific to the place and community concerned: to take two examples, on Crete, display occurred when such texts were inscribed on the walls of buildings (see below), at Olympia, on bronze tablets, the latter with seven examples. The former practice seems to have been true of Delphi (Nomima I, 71; II, 97), the latter of Sikyon (Nomima I, 75), of Locrian communities (Nomima I, 43, 44), of Sicily (Nomima I, 01: Caltagirone; I, 18: Casmenae), perhaps also of Magna Graecia, and it is unfortunate that we have as far as I know no evidence for the practice of Etruria or Carthage.6 The survival rate on Crete is indeed presumably the consequence of using walls of buildings for display. As far as Rome is concerned, the use of bronze for legislation seems to be a new feature of the world after C. Gracchus, along with the process of diffusion of such texts in Italy, although both had of course existed for senatus consulta much earlier: it is not simply that no earlier case than the Lex repetundarum is known, but it is clear that the engraving of the Lex repetundarum and the Lex agraria was experimental, with their long lines covering the whole of the vast width of the tablet, that probably led to an 4  E. g., in M. Witte & ead. (edd), Kodifizierung und Legitimierung des Rechts in der Antike und im Alten Orient (Wiesbaden 2005) pp.  45–70, ‘Das römische Zwölftafelgesetz. Eine imaginierte Wirklichkeit’. I draw attention also to an article that should be compulsory reading for anyone interested in the text of the Twelve Tables: R. Coleman, in H. Rosén (ed.), Aspects of Latin (Innsbruck 1996) pp.  403– 21, ‘Conditional clauses in the Twelve Tables’. 5  H. van Effenterre & F. Ruzé, Nomima I-II (Rome 1994–5). 6  It is unfortunate that the ‘cippo di Tragliatella’ was inscribed sequentially, not simultaneously, on its two surviving sides: G. Colonna, SE 71 (2005) pp.  83–109, ‘Il cippo di Tragliatella’.



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irremediable mistake in the engraving of the Lex repetundarum, as opposed to the later use of a series of narrow columns with short lines (see below). I do not know, any more than others, where Polybius found his copy of the three treaties between Rome and Carthage: he makes it clear that neither Philinos nor anyone else knew about them, and his objection to the terms of an agreement offered by Philinos is that they could not have existed, since they were in contradiction with the terms that, according to the treaties, did exist (III, 26, 1–4). I do not think that Polybius had any evidential base for his claim that the three treaties were preserved on chalkomata in the tamieion of the agoranomoi, whatever that may have been. The net of Nomima is drawn very wide, and in the calculations that follow I have excluded legal documents such as the letter on lead from Emporion (Nomima II, 74), contracts, defixiones, offerings to gods, tesserae, marks of ownership, epitaphs, weights, honorific decrees, wills, requests to oracles, treaties, grants of privileges, judgments, manumission lists, accounts, boundary markers, kerukeia, all of which may have legal import, but are not legislative texts. I have also excluded a rag-bag consisting of the Athenian archon-list (I, 89), the Cyrene foundation-decree (I, 41), the letter of Gadatas (I, 50), the Spartan rhetra from literary sources, a dancingprize (II, 99) and a text of after 400 BC from Ephesos (II, 14), as well as the 409 / 8 BC copy of the laws of Drakon (I, 02) and a Hellenistic copy of a text from Dreros (I, 48). There are on this basis 76 archaic Greek legislative texts to be considered, of which fourteen have already been accounted for above. Of the 33  from Crete, 32 were certainly or probably inscribed on buildings or walls, one on a pillar (I, 63). The thirteen cases in the Peloponnese show no clear pattern, with a mix of buildings, bronze tablets and stelai, Athens and Eretria two buildings, two stelai, Thessaly one probable building, two stelai (for  II, 19 see the drawing in IG IX, 2, 1226), Thasos one probable building, one stele. The most distinctive piece of inscribing is the well-known law regulating the functioning of a boule, from Chios or Erythrai, inscribed boustrophedon on a stele, vertically on three sides, horizontally on the fourth side (I, 61; Meiggs & Lewis 8: 575-550 BC), in one case indicating the beginning of a new clause by failing to continue the boustrophedon. What is then very striking is that the stele continues to be the only medium in later texts from Ionia and neighbouring Caria, unsurprisingly with modernised layout, with all texts inscribed horizontally from left to right: two from Teos, I, 104 (Meiggs & Lewis 30: c.  470 BC), probably on one side each of two stelai, and I, 105 (P. Herrmann, Chiron 11 (1981) pp. 1–30: c.  450 BC), on four sides of one stele; three from Erythrai, I, 106 (Ivon-

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Erythrai 2: before 454 BC), on three sides of one stele; I, 84 (IvonErythrai 1: c. 400 BC), on one side of one stele; I, 85 (IvonErythrai 17: c. 400 BC), on one side of one stele; one from Halicarnassus, I, 19 (B. Virgilio, Epigrafia e storiografia (Pisa 1988) pl. IX: c.  450 BC), on one side of one stele. Turning to the west, two inscriptions come to mind, that from Tortora, with an inscription in an early Italic language in the Achaean script,7 and the so-called lapis niger, both containing pieces of legislation.  The Tortora stele is inscribed vertically on three sides, with one side in my view deliberately left blank, but with part of the text inscribed across the top. The lapis niger is inscribed vertically on all four sides and one flattened corner; the top is lost (see below). Quite apart from the astonishing visual similarity between Chios / Erythrai on the one hand and Tortora and Rome on the other hand, all three inscriptions use the same trick, of breaking the boustrophedon sequence in order to indicate the beginning of a new clause. Given that Euboic Cumae is rather close to Rome, and was certainly in contact in the archaic period, and Ionian Velia is rather close to Blanda, it becomes hard to avoid supposing that both Rome and Tortora learnt how to inscribe legislative texts from their Ionian contacts: the Achaean script was perhaps already embedded in the area of Tortora. So I would argue that when the XII Tabulae were displayed in 450 BC, they looked physically like the lapis niger and the Tortora stele; each tabula was in fact both the ‘support épigraphique’ and the ordering principle, and their understanding has been vitiated by the image of scholars of the tabulae as something like the preserved tablet of the Lex de imperio Vespasiani, with its short lines and impeccable layout, wholly inappropriate to imagining an archaic layout.8 The spectacular monumentality of a complex of twelve stelai, some very large indeed, may indeed as readily explain the embedding of the name as twelve neat little bronze tablets that one could put conveniently in a box. Each tabula contained a group of leges, or rules;9 and their sizes were determined by what had to be put on them. As the Tortora stele shows, a four-sided stele is also very easy to leave partly blank. Such a structuring 7  M. H.

Crawford (ed.), Imagines Italicae (London 2010) Blanda 1. Wieacker, Römische Rechtsgeschichte (Munich 1988) pp.  293–5, cites the alternative views of the ancient sources, wood or bronze, and opts for stone on the basis of a comparison with the lapis niger and Greek practice in general; but Greek practice was not uniform. The stories in the ancient sources are uncritically accepted by E. Meyer, Legitimacy and Law in the Roman World (Cambridge 2004) p.  26: see my review, CR, forthcoming. There is naturally no independent evidence for what tabula might have meant in the middle of the fifth century BC. 9  Roman Statutes, pp.  559–60. 8  Fr.



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of the engraving process is in no way incompatible with the existence of an internal logic. We just have not to impose modernising ideas on the ways in which the Romans might have ordered material, of which the most catastrophic example probably remains the claim of E.  G. Hardy in his commentary on the Lex Coloniae Genetiuae, that religious matters did not include games. And almost all of the English students I have taught have found it deeply counter-intuitive that furtum should form part of the law of obligations. And different Romans of course thought their law into different shapes at different periods: Scaevola created one shape; it may be that the Lex de Gallia Cisalpina preserves traces of another shape; the Praetor’s Edict has its structure; Gaius, for teaching purposes, invented another; the Digest has another; and, centuries on, the Basilica have yet another. What is striking, however, is that the means of citation of material known to practitioners, however ordered, namely by the first words of a rule, or lex (see above), remained essentially unchanged from Cicero and the Twelve Tables to nineteenth-century scholars and the Digest. O. Diliberto is in my view entirely right (n. 3, pp. 225–7), to draw attention to the fact that four out of five fragments of Book IV of Gaius’ commentary on the Twelve Tables relate to the protection of landed property, an entirely coherent category in an archaic society; I continue to hold that the last fragment relates to a rule prohibiting a coetus (Roman Statutes, Tabula VIII, 14–15), and would not wish to follow Diliberto in relating this rule also to the protection of landed property: I see no reason to suppose that each Tabula contained only one category of material, and think that a good case is weakened by forcing the evidence. But I would with Diliberto (pp.  231–4) attach importance to the coherence of the sequences of measures mentioned by Aulus Gellius; and repeat that Cicero twice gives us what look like partial lists of contents of the Twelve Tables, that confirm the modern order, as revised according to the principles established by Diliberto and followed in Roman Statutes.10 For the non-survival of copies on stone of the Twelve Tables, I should not even want to invoke the Gallic sack: the pell-mell development of the city is enough. But why were they never re-inscribed? Leaving aside the fact that re-inscription is relatively rare both in the Greek and in the Roman worlds, such cases as the elogium of Duillius and the Lex parieti faciendo being both Imperial in date, re-inscribing the XII Tables would have been peculiarly useless. They circulated, from an unknown but early date, along 10  Roman Statutes, p.  567; see also my review of M. Humbert (ed.), Le Dodici Tavole (n. 3), in JRS 90 (2010) pp.  255–6.

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with the texts of the legis actiones that had to be adopted and some commentary; they were used to create the rules by which Latin and Roman colonies lived; and they were no doubt copied and re-copied on papyrus. The language was modernised, with the loss of final  / d / , rhotacisation, the differentiation of  / c /  and  / g / ; whole words that had changed meaning, such as hostis, were kept, perhaps embedded after 334 BC in the charters of Latin colonies, and travelled with their explanation. In fact, the language of the texts evolved in use, only becoming set in aspic with the arrival of the jurists of the late Republic and their erudite concern with fixity. It is not surprising that the memory of their original display disappeared as their content became the centre of the functioning of the Roman Republican world.11 The lapis niger indeed provides a striking parallel: its top was broken off and it was invisible after 80 BC, its memory barely preserved by Varro, whose interest is known to us only because he is cited by the scholiasts on Horace and also underlies part of Festus, 184 L;12 but the content of one of the rules of the lapis niger was known to Cicero, de div. II, 77, and in force in his own day.13 So we are in my view in the fifth century BC in a world of borrowing of approaches to inscribing legislative texts; but we are also in a world of borrowing and creation of alphabets, of the Etruscan and – probably independently – the Sabine alphabets; of the Umbrian, Faliscan and Latin alphabets, on the basis of the Etruscan alphabet, with the alphabet of the lapis niger still preserving archaic  / h /  and  / q / .14 Given these very precise and identifiable borrowings, we should look with new eyes at ‘some quite precise parallels between certain specific provisions of the Twelve Tables and some Athenian legislation’,15 of the mythical mother city of the Ionian Dodekapolis.16 11  I have a much less optimistic view of what happened after c. AD 200 than O. Diliberto, in: M. Humbert (ed.), Le Dodici Tavole (n. 3) pp. 481–501, ‘La palingenesi decemvirale: dal manoscritto alla stampa’: late Roman sources seem to me to engage with the Twelve Tables in a completely different way from sources up to Gellius, Festus and Gaius. For different takes on the process, see L. Franchini, La desuetudine delle XII Tavole nell’età arcaica (Milan 2005); A. Flach, Fortgeltung des Zwölftafelrechts (Frankfurt am Main 2004). 12  ILLRP (1957) 3; F. Coarelli, in LTUR IV (1999) pp.  295–6. 13  G. Dumézil, Archaic Roman Religion (Chicago 1970) pp.  84–8. 14  See M. H. Crawford (ed.), Imagines Italicae (London 2010) pp.  9–10. 15  Roman Statutes, pp.  560–1; R. Martini, Labeo 45 (1999) pp.  20–37, ‘XII Tavole e diritto greco’, offers a very long list of Athenian and Gortynian (!) parallels, but does not attempt to establish any kind of criteria of plausibility. 16  A comparative study of the Twelve Tables, the laws of Gortyn and Deuteronomy is of course a different kind of enterprise: see D. Liebs, in L. Burckhardt



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The Tortora inscription is also remarkable for the presence of the future imperative, characteristic of Latin legislative texts from the Twelve Tables onwards; de[datu] is restored with considerable probability in Imagines Italicae (n.  14) Asculum Picenum 3, the termination actually attested in Superaequum 2 with haligatu. By way of contrast, the lapis niger seems to use the future indicative or the present subjunctive (see n.  12); but the use of the future imperative in the archaic period by an Italic community to the south of Campania and by probably Sabine communities to the north east of Rome should remove any lingering doubts about the plausibility of the presence of the future imperative in the Twelve Tables. In other words, Rome in 450 BC was a Mediterranean city, standing between Greece and Italy, as she probably always had and certainly always would.

et  al. (edd.), Gesetzgebung in antiken Gesellschaften (Berlin & New York 2007) pp.  87–101, ‘Die Zwölf Tafeln im Vergleich mit griechischen und israelitischen Kodifikationen’.

Aspetti della legalità nell’esperienza romana Di Giuliano Crifò 1.  È indubbiamente vero, come è stato detto dall’Onorato, antico amico e insigne collega1, che nelle leggi costantiniane «begegnen uns erstmals Orgien der Brutalität, die das ganze Mittelalter hindurch Schule machen sollten»: un giudizio, sulla specifica qualità della repressione penale2, che neppure l’apologetica potrà negare3. Qui, però, non mi occuperò del personale modus operandi di Costantino e dunque per esempio di caratterizzazioni d’ordine psicologico, bensì della possibile novità di quella politica. Parto perciò dall’idea che la politica criminale sia un aspetto qualificato della politica sociale e che oggetto dello studio sia l’applicazione dei mezzi di contrasto della criminalità in via di prevenzione e di contenimento. Il diritto penale ne è uno strumento di cui si occupano ovviamente il giurista positivo e il pratico. Ma molto ha da dire in proposito lo storico del diritto, specie sotto il particolare punto di vista della esperienza giuridica romana, anche se in tal caso il compito è reso difficile dal fatto che non è sicuro che si possa correttamente parlare di un ‹diritto penale› romano. Si tratta di un dubbio ampiamente diffuso in dottrina, nonostante l’esistenza di una normazione penalistica (non solo in senso stretto4) così come di una riflessione scientifica sulla materia criminale, dovuta alla dottrina dei 1  D. Liebs, Unverholenene Brutalität in den Gesetzen der ersten christlichen Kaiser in Römisches Recht in der europäischen Tradition … Symposion aus Anlass des 75. Geburtstag von Franz Wieacker, hrsg. O. Behrends / M. Diesselhorst / W. E. Voss, Ebelsbach 1985, 89 ss., 92. 2  Cfr. Liebs, o. c., 94 ss. per l’analisi della relativa normazione costantiniana presente nel Codice Teodosiano (CTh. 9.18.1, 16.8.1, 9.15.1, 9.16.2, 9.16.1, 9.24.1, 9.8.1, 9.7.2, 9.9.1) poi riversata nel Codice giustinianeo. Per altre indicazioni v. p. es. m. Profili del diritto criminale romano tardo antico in Diritto romano e identità cristiana. Definizioni storico-religiose e confronti interdisciplinari a c. di A. Saggioro, Roma 2005, 81 ss. 3  V. p. es. M. Lenain de Tillemont, Histoire des Empereurs  …, IV, éd. de Venise, Venise MDCCXXXII, 272 ss. 4  A cominciare, a parte le leges regiae, dalle leggi sulla provocatio ad populum e da quelle istitutive delle varie quaestiones perpetuae. V. in proposito già J. Bleicken. Lex publica. Gesetz und Recht in der römischen Republik, Berlin/New York 1975, 113 ss., 146 ss.

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giuristi e rispecchiata nell’attività imperiale, legata questa sia al caso concreto (molti sono i rescritti imperiali relativi a fattispecie criminali) sia generalizzante. Il complesso normativo così formatosi, richiamato ampiamente e sistematicamente nel corpus iuris civilis, è divenuto la base dei successivi sviluppi fino all’età moderna. Sono dati di fatto che hanno un valore oggettivo. Ma, a parte ciò, a dare una risposta positiva circa l’esistenza comunque di un ‹diritto penale› romano può valere anche la consapevolezza della specialità della materia. Tale consapevolezza è in effetti resa evidente nelle Institutiones giustinianee in cui, confinatane alla fine, in un capitolo de publicis iudiciis, la disciplina, ne viene dichiarata la sua totale dissimiglianza e mancanza di punti di contatto con la disciplina di diritto privato e più propriamente la grande diversità sia per la fonte sia per l’esercizio5. Si potrebbe anche essere indotti a ricavarne un giudizio di marginalità sostanziale dato che le Institutiones ne fanno ivi stesso una esposizione rapidissima, alla mano e come un indice, summo digito et quasi per indicem, dice Giustiniano, ma si sbaglierebbe: giacché è lo stesso imperatore che per una conoscenza più approfondita rinvia6 al Digesto, e, noi possiamo dire, all’intero Corpus iuris. Tuttavia, per l’intera materia che riguarda illeciti privati e pubblici, con le relative sanzioni e gli strumenti processuali che vi si riferiscono, non si trova mai, nella documentazione offerta dalle fonti, una espressione come ‹ius poenale› o ‹ius criminale›7. E però questo dato può essere davvero rilevante, solo per chi creda che se manca la parola manchi anche la cosa, un errore gnoseologico dal quale siamo stati liberati, e sul quale non mi soffermo. D’altra parte, se caratteristica del diritto penale è certamente la legalità’8, non si vede perché non dovrebbe considerarsi autentico ordinamento giuridico, configurabile in senso proprio come diritto penale, almeno l’insieme normativo processuale e sostanziale avutosi a partire dal II secolo a. C., quando, rispetto al processo comiziale retto da quella garanzia della vita e della libertà del cittadino che è la provocatio ad populum, viene specificamente avviata la procedura delle quaestiones, poi divenuta quella del processo criminale ordinario. Vero è anche che, se la qualità di ‹diritto penale› dipende da quel principio, essa mancherebbe prima, in assenza di 5  Inst.

I. IV.18 pr. I. IV.18.12. 7  Il solo caso è sembrato, ma a seguito di una erronea interpretazione, quello di CTh. 9.7.7 (C. 9.9.32): «civilis actio criminali iure postponatur». 8  Espressa dal principio ’nullum crimen sine lege, nullum crimen sine poena. Cfr. G. Vassalli, Nullum crimen sine lege in Giurisprudenza italiana XCI, 1939, 4 ss.; Id., in Nov.Dig.It., XI, Torino 1965, 493 ss.; G. Marini, Nullum crimen in ED XXVIII, Milano 1978, 950 ss.; G. Vassalli, Nullum crimen nulla poena sine lege in Diz. sc.penal. VIII, Torino 1994, 278 ss. 6  Inst.



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quel principio ma, va detto, anche dopo, quando la procedura delle quaestiones verrà dapprima accompagnata e poi soppiantata in età imperiale dal processo straordinario della cognitio9. Per non dire che se il principio su cui il diritto penale si regge è, come è, quello della legalità, quest’ultima, nella sua formalizzazione concretatasi nel corso del tempo, è caratterizzata non solo dalla tassatività dei titoli di reato ma anche dal divieto di analogia e da quello della retroattività della norma penale. Saremmo però ciechi se non considerassimo che la repressione penale è ovviamente riferita alle condizioni reali della società, varia con il suo variare e che, nel corso dei secoli, esistono momenti diversi della storia politica e sociale romana, sicché non è immaginabile una tale plurisecolare continuità di quel che sarebbe il diritto penale. Ma a questo proposito c’è una ragione di dubbio ancora più forte, legato al fatto che l’ambito di un vero e proprio diritto penale è comunque molto ridotto, giacché, all’interno delle singole epoche, accanto ad una giurisdizione ‹statale›, che può considerarsi generale, esistono, fin dall’inizio o sviluppatesi in seguito, altre forme di intervento anche giurisdizionale, familiare, religiosa, militare, fiscale, ognuna delle quali ha i suoi peculiari aspetti e problemi, nella determinazione di che cosa sia illecito e di che tipo siano le sanzioni e così via. Ma soprattutto sappiamo che accanto alla giurisdizione è non solo attiva ma prevalente la coercitio, vale a dire il potere discrezionale con il quale magistrati titolari di comando puniscono in via straordinaria, fuori cioè dell’ambito delimitato dalla legislazione penale in senso stretto, stabilendo ammende, ordinando l’arresto e l’incarceramento, procedendo a pignoramenti, confische, fustigazioni, vendite in schiavitù, esecuzioni capitali: un insieme di interventi che la dottrina a partire da Mommsen riconduce nella sfera, ben distinta da quella della giurisdizione, dei poteri di polizia. «Ciò che nei rapporti internazionali è la guerra – ha detto Mommsen10 – all’interno (scil. della città) è il diritto pubblico di coercizione e di pena  … Nella coercitio sono ricomprese tutte le misure preventive e coercitive del magistrato a difesa dell’ordine pubblico. L’indeterminatezza e l’arbitrio naturale che vi si mescola appartengono alla sua propria essenza. Il diritto punitivo del magistrato si rivolge invece contro quelle offese della comunità, per cui i magistrati secondo i principi vigenti sono obbligati a chiamare il colpevole in giudizio … La coercizione deve agire sulla volontà del renitente, la pena prendere vendetta sul delinquente; perciò l’incarceramento è mezzo di coercizione, non è mezzo di pena … e perciò via via che emer9  V. di recente S. Giglio, Il problema dell’iniziativa nella ‹cognitio› criminale. Normative e prassi da Augusto a Diocleziano, Torino 20092. 10  Disegno del diritto pubblico romano, trad. Bonfante, II ed. a cura di V. Arangio-Ruiz, Milano 1943, 268.

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ge l’elemento giuridico11 … emerge il procedimento penale». La sostanza è correttamente individuata dal Mommsen12, gli sviluppi invece possono essere discussi, in specie quelli collegati, nella dottrina di Mommsen, ad una certa idea della provocatio ad populum così come quelli legati, nella dottrina di un altro maestro come Kunkel, all’idea di una ‹giustizia poliziesca›, non come procedimento sommario nei confronti di illeciti di modica rilevanza bensì come procedimento d’ufficio per i delitti comuni, a carattere compensatorio della mancanza di un apparato repressivo istituzionalizzato di polizia13. Discorsi comunque che riguardano in specie l’età repubblicana e che non vanno qui approfonditi14. 2.  C’è una idea di fondo, la cui sintesi efficace è offerta dalle massime riferite e ricostruite da Cicerone, De leg. 3.3.6: «Iusta imperia sunto, isque cives modeste ac sine recusatione parento. Magistratus nec oboedientem et noxium15 civem multa, vinculis verberibusque coherceto, ni par maiorve potestas populus prohibessit, ad quos provocatio esto». Il punto è chiaro, il buon cittadino deve obbedienza al potere costituito, e non conta qui discutere i limiti costituzionali di tale potere. La coercitio è cosa dunque del potere, funzione già esercitata istituzionalmente, – anche se in casi di emergenza non sono mancati episodi e possibilità di interventi privati più o meno autorizzati  –, da magistrati (nonché, nella propria sfera di sorveglianza cultuale, dal pontefice massimo) i quali variamente sovrintendono alla sicurezza in città, alla vigilanza esercitata anche con ronde notturne, in specie contro gli incendi, alla sorveglianza delle carceri e delle esecuzioni capitali, alla distruzione di libri proibiti, al controllo delle offese al pudore e dell’incetta di derrate, intervenendo contro truffatori, vagabondi e fuggitivi, registrando pregiudicati, lenoni, meretrici, attori, astrologi ecc. e avviando se del caso le indagini opportune16. 11  Il

corsivo è mio. discusse alcune affermazioni o il senso in cui esse sono fatte, a cominciare da quella relativa ad una ‹obbligazione› del magistrato a chiamare in giudizio il colpevole, obbligazione che non terrebbe conto del fatto che nel processo comiziale vale piuttosto il principio inquisitorio e certo non si può parlare di obbligatorietà dell’azione penale; che ‹colpevole› è chi sia dichiarato tale a seguito del processo e così non di delinquente ma di imputato sarebbe da parlare; e infine che troppo drastica è la riduzione alla vendetta della funzione della pena. 13  W. Nippel, Aufruhr und ‹Polizei› in der römischen Republik, Stuttgart 1988, 36. 14  Cfr. W. Kunkel, Staatsordnung und Staatspraxis der römischen Republik. Zwt. Abschn. Die Magistratur (W. Kunkel u. R. Wittmann), München 1995, 149 ss. 15  Il testo riporta ‹innoxium› (‹innocente›, ‹non rimproverabile›), il che è normalmente considerato privo di senso (da ultimo Kunkel, o. c., 150 n. 191) e corretto nel contrario ‹noxium› (noxius indicherebbe il cittadino nocivo, colpevole). Salva invece la lezione tradita F. Cancelli, Cicerone. Le Leggi, Milano 1969, 265 n. 2, che pensa a un prefisso in- illativo o intensivo. 12  Vanno



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Molto di ciò si riassume in età augustea nelle funzioni e nell’attività del praefectus urbi, un non magistrato che però riceve potere giurisdizionale in connessione con l’ordine pubblico, aggiunto a specifico potere di polizia sui luoghi di spettacoli, i mercati, i pesi e misure, le associazioni illegali, i banchi di moneta, sulla conservazione degli elenchi di famosi e notati, mentre il controllo sui rischi di incendio viene affidato al prefetto dei vigiles. Analogamente funzioni di polizia sono esercitate in provincia e non occorre qui dilungarsi sugli aspetti concreti di questi interventi in epoca successiva e fin a Giustiniano17. 16

Va detto che tutta questa attività non manca di tradursi positivamente anche in interventi e modifiche della disciplina del diritto privato, fin dalle promesse in specie edittali pretorie ed edilizie. Ma appare chiaro, da tutto questo ambito della coercitio, che si ha a che fare con quel che normalmente si considera sottoposizione a un regime di polizia, vale a dire di amministrazione interna volta a garantire ordine e sicurezza e con ciò il benessere della popolazione, anche se nel corso dei tempi il prevalere dello scopo di mantenere e sviluppare la tranquillità è realizzato solo nel senso della pubblica sicurezza, una attività amministrativa di polizia avente in primo luogo carattere di prevenzione – va ripetuto – e ben distinta dall’attività giurisdizionale in cui si realizza il diritto penale diretto in primo luogo alla punizione del delitto18. Dunque, due modi, come si è detto, in uno dei quali si interviene su vicende legate a misure di prevenzione, dunque per definizione non collegate a un delitto commesso e ad una relativa norma incriminatrice: momento non meno importante di quello strettamente penalistico per cogliere la sostanza della politica criminale romana ma forse anche, forzando un poco le cose ma stando fermi alla storicità dei fatti, per affermare che anche senza principio di legalità e senza legge si può parlare di diritto penale. Tanto più, poi, se una conclusione del genere si fa valere anche per l’oggi, posta quella dottrina che, grazie in specie a un collegamento con l’art. 25 della Costituzione italiana e segnatamente il suo comma 319, consentisse di far rien16  Cfr. G. Purpura, sv. Polizia (diritto romano) in ED. XXXIV, Milano 1985, 101 ss e, p. es., C. Cascione, Tresviri capitales. Storia di una magistratura minore, Napoli 1999, 85 ss., con attenta valutazione dell’attività svolta (controllo sociale, polizia giudiziaria, custodia carceris  …). 17  Cfr. Purpura, o. c., 104 ss. e, p. es., L. Paparriga-Artemiadi, Εỉρηνάρχης τῆς Μ. Ασίας estr. Athena 2003, con bibl. 18  Cfr. F. L. Knemeyer, sv. Polizei in Geschichtliche Grundbegriffe 4, Stuttgart 1978, 875 ss., 876, 882, 890. 19  «Nessuno può essere distolto dal giudice naturale precostituito per legge. Nessuno può essere punito se non in forza di una legge che sia entrata in vigore prima del fatto commesso. Nessuno può essere sottoposto a misure di sicurezza se non nei

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trare nella legge penale (ed oggi, a differenza che in Roma, legge e diritto si sovrappongono) anche le misure di prevenzione. 3.  Ma torniamo alla esperienza romana. Vi manca, come è noto, il principio della separazione dei poteri e quanto alla legge pubblica essa è solo una tra le varie fonti di produzione del diritto, sicché va distinto tra una realtà normativa ed una realtà legislativa e questo anche in ordine al controllo sociale, alla prevenzione e alla punizione. Quel che però unisce e permette di affermare che la coercitio rientrava nel diritto penale è dato dal momento sanzionatorio, sia esso tale per ragione di legge sia esso applicazione discrezionale del potere di comando. È questione, certamente, del principio di legalità, per il quale occorre che sia una legge a predisporre alla sanzione penale: legge come struttura che preveda un conflitto reale e generale, che intende risolvere questo conflitto in via generale e impersonale, con tutte le caratteristiche della norma in senso proprio e che nel caso della norma penale, che colpisce la persona e i beni, va circondata da maggiori garanzie. Senza preesistenza di legge penale, dunque, come potrebbe dirsi che si è ancora nell’ambito del diritto penale quando si tratta della coercitio? Intanto, occorre sottolineare ancora una volta la essenziale differenza tra normazione e legislazione che in Roma ha carattere costituzionale, concreto20, il che permette di ritrovare anche fuori di una specifica norma legislativa il presupposto legittimante l’esercizio del potere punitivo (e a maggior ragione di quello di prevenzione). Se ne può vedere anche il riflesso che si opera sul problema nei casi di eccezione. Vale poi un’altra considerazione. Si è detto molto autorevolmente che l’uso in sé della forza non è uno scandalo per la storia. La violenza può infatti trovare una giustificazione come extrema ratio o anche come fatto tecnico necessario. Mi soffermerò più in là su questo profilo della necessità. Certo è però che la violenza, come diceva Erasmo da Rotterdam, è una lesione della pace e violare la pace è un crimine che richiede di esser punito. A Roma, le forme più antiche di violazione della pace pubblica, la pace cioè della comunità cittadina, sono il tradimento e il parricidio, sanzionati con la morte. Sempre a Roma esiste e si applica il principio fondamentale che non può aversi sanzione penale se non a seguito di una condanna subita in un regolare processo. Poniamo ancora in sintesi l’idea di casi previsti dalla legge». Cfr. F. C. Palazzo, Legge penale in Dig disc. penal. VII, Torino 1993, 338 ss., 340. V. anche D. Petrini, La prevenzione inutile. Illegittimità delle misure praeter delictum, Napoli 1996, passim. 20  Già così caratterizzabile nella distinzione (Cic., De leg. 2.4.8) tra la lex come aeternum quiddam e la lex quam di humano generi dederunt: … ratio mensque sapientis ad iubendum et ad deterrendum idonea.



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fondo che il potere punitivo è attributo della sovranità e il fatto che non c’è processo penale se non in presenza di un reato, cioè un illecito valutato dalla coscienza sociale come tale da mettere in pericolo le condizioni fondamentali della convivenza. In un momento più antico l’illecito (il delitto) è considerato come una offesa che autorizza alla vendetta da parte della vittima e dei suoi e questo finché non si concepisce come riservata sempre più allo stato la suprema ed esclusiva tutela dell’ordine sociale21. Ma, come si è detto, coesistono due modi per garantire ordine pubblico e punizione dei delitti, comunque non antitetici, neppure sotto il profilo delle garanzie costituzionali, se gli imperia sono iusta e se intervengono i criteri della par maiorve potestas e della provocatio ad populum, dunque un criterio di validità ma in connessione ancor più profonda con il criterio della efficacia, secondo quando dichiara Paolo in D. 1.21.5.1, ‹iurisdictio sine modica coercitione nulla est›. Del resto, iurisdictio e coercitio hanno quella base comune che proviene dalla più alta antichità e per la quale è esemplare un celebre passo dell’orazione di Cicerone in favore di Sestio Roscio Amerino, XLII, 91–92: «Quis … ignorat homines… tantumque haberent quantum manu ac viribus per caedem ac vulnera aut eripere aut retinere potuissent? Atque inter hanc vitam perpolitam humanitate et illam immanem nihil tam interest quam ius atque vis. Horum utro uti nolumus, alterum est utendum. Vim volumus extingui, ius valeat necesse est, id est iudicia, quibus omne ius continetur. Iudicia displicent aut nulla sunt; vis dominetur necesse est. Hoc vident omnes … Milo et vidit et fecit, ut ius experiretur, vim depelleret. Altero uti volui, ut virtus audaciam vinceret; altero usus necessario est, ne virtus ab audacia vinceretur»22. Quanto alla pena, essa ha in primo luogo funzione di espiazione di male con altro male o retribuzione, dunque di ‹soddisfazione per equivalente›, compenso mediante corrispettivo in natura o per equipollenti, di sostituzione di un bene con un altro bene, è, sì, vendetta (Mommsen), ma non illimitata. Se ne richiede infatti una commisurazione sia alla gravità dell’illecito – la ‹quantità politica›, cioè di rapporto con l’entità del torto come tale, di cui parlava il Carrara23 –, sia al pericolo sociale che il reato rappresenta per la comunità. È questo pericolo che giustifica la difesa sociale e assegna alla pena una funzione di prevenzione (generale e speciale) e insiees. ai sensi della lex Iulia de adulteriis. distanza di duemila anni la stessa idea sarà espressa ad es. da F. Fanon che dirà che il colonialismo «est la violence à l’état de nature et il ne peut s’incliner que devant une plus grande violence». Da qui, anche quella decolonizzazione armata che non ha escluso come sappiamo il terrorismo, un fenomeno che esisteva anche a Roma (oltre, sub 4). 23  Citato da E. Betti, Il processo come strumento di giustizia in Ann. Fac. giur. Bari, 17, 1962, 3 ss. 21  P.

22  A

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me di emenda destinata a rieducare il colpevole alla vita di relazione24. Occorre un accertamento di imputabilità del torto, cioè di colpevolezza. A ciò è destinato il processo penale. In esso entrano in conflitto l’interesse pubblico e l’interesse privato. Quello, pubblico, alla difesa sociale contro un reato imputabile, è preminente rispetto all’interesse del singolo alla vita, alla libertà o al godimento di diritti. L’interesse individuale è subordinato, ma esso è assistito dal diritto fondamentale dell’imputato incolpevole a un processo dotato di una serie di garanzie destinate a rendere possibile ed assicurare la scoperta della verità. C’è il diritto alla difesa, ‹diritto inviolabile in ogni stato e grado del procedimento›25. Occorrono le prove. E se è vero che a lungo, per scoprire la verità, ci si è serviti della tortura giudiziale, non va dimenticato che anche nella disciplina della tortura non mancavano neppure delle garanzie, ad es. ‹impuberes non torquentur, terreri tantum solent›26 o quella della non reiterazione della tortura, per non dire della graduazione stessa della tortura, di cui il primo grado è la territio realis, che si distingue da quella verbalis (quando reo praesentatur carnifex cum torturae instrumentis, ita tamen ut carnifex reum apprehendere non debeat) e che si ha invece, quando ‹reus spoliatus, ligatur et funi applicatur›27. Ma una cosa è un diritto penale normale, retto da principi fondamentali a tutti noti, disciplina di una repressione ordinata di atti di violenza, ricondotti a figure tipiche di reato per le quali è predeterminata la misura della sanzione, sono prestabilite le regole del processo, è garantita la difesa dell’imputato con i gravami e i gradi di giurisdizione, ecc., altra cosa è il controllo della violenza per dir così disordinata, come mancanza, potremmo dire, di rispetto per l’ordine, maleducazione, bullismo ecc., altra cosa ancora la difesa contro una violenza legata a forme di criminalità politica. Anche in tali casi può aversene la formalizzazione come delitti, ed esiste naturalmente la categoria del delitto politico così come la stessa violenza è assunta con proprio titolo di reato, privata e pubblica, appunto nel crimen vis con le relative sanzioni a seguito di processo. Ma c’è una ampia gamma di atti, comportamenti di diversa intensità e pericolosità che, non formalizzati in titoli di reato come delitti, suscitano comunque l’esigenza di un controllo in 24  Esplicitamente Cost. it., art. 27 co. 3: «Le pene non possono consistere in trattamenti contrari al senso di umanità e devono tendere alla rieducazione del condannato». 25  Cost. it., art. 24 co. 2. V. per prime indicazioni G. Filippetta, Legalità delle pene e dei reati e giusto processo in I diritti costituzionali a c. di R. Nania / P. Ri­dola, Torino 2001, 403 ss., 411 ss. 26  Ulp. D. 29.5.1.33, D. 29.5.14, 48.18.10. 27  Cfr. P. Fiorelli, La tortura giudiziaria nel diritto comune, I, Milano 1953, 238 ss.



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vista di una prevenzione della possibile o probabile delittuosità –, misure appunto di polizia nei confronti ad es. di chi sia sospettato, diffidato, ammonito … – o che, invece, occasionati in situazioni di emergenza, richiedono appunto misure di emergenza, di più alta qualità politica e per le quali non manca oggi28 chi sostiene la possibilità di usare la tortura a fini preventivi nei casi in cui si può provare l’incombenza di un attacco terroristico, dunque non il fatto ma la sua minaccia. 4. La lezione della storia può essere utile per decidere quanto si sia qui oltre la legge penale. In questa ultima rientrano norme attuali, sulla scorta delle quali riferirsi a fenomeni egualmente presenti in Roma antica29. Così, casi di bande armate sono frequentissimi in Roma, in tempi diversi e con caratteri diversi: bande di giovani patrizi30, bande di schiavi31, di congiurati (Catilina), di oppositori politici (Clodio) ecc. Il caso dei Baccanali è esemplare sotto ogni punto di vista32, ma non è il solo33 così come ricorrono casi di nefarii coetus, nocturni coetus, di incendiarii, di offensori del publicus pudor34. La reazione è egualmente varia, ma stravolta essa stessa 28  A. Dershowitz. Cfr. M. Goldoni, La Repubblica delle emergenze. Il dibattito sui poteri eccezionali nel costituzionalismo americano in Materiali per la storia del pensiero giuridico 35, 2005, 425 ss., 441: una recente analisi in questo campo che può servire a cogliere profonde analogie con l’esperienza romana, dalla dittatura alla tortura alle proscrizioni nonché sulla sospensione dell’habeas corpus ecc. V. in specie sul bill of attainder (criticato nell’Esprit des lois XII.9 da Montesquieu, come ‹un velo della libertà›, E. Betti, Il bill of attainder. Nota critica sulla retroattività in RDCo 44, 1946, 34 ss., imperniata sulla opportunità di tener distinti i profili politici e quelli giuridici. 29  Esempi per avviare il discorso sono l’art. 18 Cost. it. (I cittadini hanno il diritto di associarsi liberamente, senza autorizzazione, per fini che non sono vietati ai singoli dalla legge penale. Sono proibite le associazioni segrete e quelle che per­ seguono, anche indirettamente, scopi politici mediante organizzazioni di tipo militare) su cui v. M. Ruotolo, Le libertà di riunione e di associazione in I diritti costituzionali cit. (n. 25), 469 ss., 507 s.; e p. es. l’art. 306 cod. pen. it. (Banda armata, formazione e partecipazione); 270 (Associazioni sovversive); 270 bis (Associazioni con finalità di terrorismo anche internazionale o di eversione dell’ordine democratico) ecc. 30  A. Lintott, La violenza nella lotta degli ordini in Terror et pavor. Violenza, intimidazione, clandestinità nel mondo antico a c. di G. Urso, Pisa 2006, 16 ss. 31  R. Orena, Rivolta e rivoluzione. Il bellum di Spartaco nella crisi della repubblica e la riflessione storiografica moderna, Milano 1984; L. Canfora, Spartaco, Marx e Mommsen in Terror cit., 223 ss. (Spartaco ‹partigiano›). 32  Cfr. A. Luisi, La terminologia del terrorismo nella vicenda dei Baccanali del 186 a. C. in Terror cit., 145 ss. 33  Cfr. J. J. Caerols, Sacrificuli ac uates ceperant hominum mentes (Liv. 25.1.8): religión, miedo y politica en Roma in Terror cit., 89 ss. 34  Cfr. J. M. Pailler, Bacchanalia. La répression de 186 a. C. à Rome et en Italie, Roma-Paris 1988, 346; A. Kneppe, Metus temporum. Zur Bedeutung von Angst in

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di fronte agli assassinii giudiziari35, alle proscrizioni sillane e triumvirali con arbitrii di ogni tipo, vendette personali, clandestinità dei perseguitati, alla produttività della delazione36 e della tortura, là dove si viola la costituzione e si ricorre agli strumenti dell’emergenza come il senatusconsultum ultimum. Là dove è comunque possibile parlare della coercitio, in ragione della sua funzione di prevenzione, può apparire giustificata anche la considerazione forse paradossale dei cristiani visti come «una organizzazione terroristica nel senso moderno del termine»37. In effetti, di recente si è studiato, specialmente per Roma38, il problema dell’esistenza del terrorismo. Si tratta di progetti eversivi, violenze con effetti intimidatori, clandestinità ecc., atti ricostruiti appunto come casi di terrorismo, p.es., le stragi di Romani avvenute in segreto in Beozia nel 196 a. C.39 L’accezione è anche specificata nel senso di «metodo di lotta adottato da gruppi o da movimenti che operano nella clandestinità, al di fuori della responsabilità … degli stati e delle forze politiche organizzate e che si propongono di rovesciare con atti di violenza (attentati, assassini, rapimenti) l’ordine costituito e di minare la convivenza seminando il terrore  …». Non molto di più si ricava da dichiarazioni ufficiali40 o dalle molte norme specifiche che si sono cominciate a introdurre nella legislazione penale dei vari Stati. In ogni caso, il riferimento che si trova alla eversione dell’ordine – oggi, naturalmente democratico –, dunque la forma di stato, Politik und Gesellschaft der römischen Kaiserzeit des 1. und 2. Jhrdts n. Chr., Stutt­ gart 1994, 307 ss. (con riferimento a profili sociologici del pudore legati ai lavori di N. Elias). 35  In senso diverso, un assassinio ‹giudiziario› è stato anche quello compiuto nell’ 89 a. C. da cavalieri indebitati nei riguardi di un pretore che pretendeva che si osservasse il diritto. 36  Cfr. A. Giovannini, Terrorismo e antiterrorismo a Roma in Terror cit., 289 ss., 293. 37  Di paradosso parla Giovannini, Terrorismo cit., 300, che argomenta molto bene in proposito, riferendosi anche (ivi, 294) all’art. 260 ter del codice penale svizzero sulle associazioni criminali. 38  Ma, p. es. in rapporto ai più vari ambienti, dalla Grecia al mondo atzeco, v. gli studi raccolti in Organised Crime in Antiquity by K. Hopwood, London 1998. 39  Liv. XXXIII.29: latrocinium, una espressione su cui v. p. es. Paparriga-Artemiadi, Εἰρηνάρχῆς τῆς Μ. Ασίας cit., 12 s. 40  In effetti, nella convenzione di Ginevra del 16 novembre 1937 della Società delle Nazioni per la prevenzione e la repressione del terrorismo, si legge che l’espressione ‹atti di terrorismo› equivale a fatti criminali diretti contro uno stato e il cui scopo è quello di provocare il terrore presso determinate persone, gruppi di persone o pubblico. Non diversamente l’odg delle Nazioni Unite del 23 settembre 1972 o l’Übereinkommen del Consiglio d’Europa del 27 gennaio 1977. Cfr. R. Walther, sv. Terror. Terrorismus in Geschichtliche Grundbegriffe VI, Stuttgart 1990, 323 ss.



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consente la qualificazione altamente politica del terrorismo e il collegamento con gli elementi ideologici propri di queste forme di azione, non ultimi quelli espressi41 nel discorso di Robespierre del 5 febbraio 1794: «Se lo sforzo del governo popolare in tempo di pace è la virtù, la forza del governo popolare in tempo di rivoluzione è a un tempo la virtù e il terrore. La virtù senza la quale il terrore è cosa funesta; il terrore, senza il quale la virtù è impotente. Il terrore non è altro che la giustizia pronta, severa, inflessibile. Esso è comunque una emanazione della virtù». Qui terrorismo è dunque applicazione della violenza nell’interesse e a protezione dello stato42, una idea della violenza assolutamente presente anche in Roma come l’altra idea della necessità43, che si traduce immediatamente nella massima salus publica suprema lex. Massima che interviene nei casi di emergenza a dare una patente di costituzionalità – quella legittimità eccezionale che conferma la regola44 – a misure come il senatoconsulto ultimo o la dichiarazione di hostis rei publicae, ma che permette anche lo sfruttamento di situazioni di emergenza, la loro manipolazione, l’effettuazione di colpi di stato e comunque di cambiamenti dell’ordinamento. Ora, è certamente attuale, nei vari momenti della storia di Roma, questo problema della eversione dell’ordine politico, economico, sociale, religioso e, più specificamente, del ricorso alla violenza e al terrore45. Gioverà indicarne qui alcuni aspetti per mostrare quale sia stata la risposta di fronte alla minaccia, anche distinguendo tra risposte tradotte in normazione repressiva retta dal principio di legalità, da un lato, e risposte che da un altro lato e fin quando non vengono legalizzate potrebbero farsi rientrare nell’ambito dell’obbedienza dovuta dal cittadino verso chi ha o assume di avere quel potere46. Riprendo le mosse partendo dalla paura, metus. Se ne occupa specificamente il diritto come è noto, in rapporto ai vizi della volontà negoziale, intervenendo con l’editto pretorio quod metus causa gestum erit, ratum non 41  In connessione con la novità del termine ‹terroriste›, allora introdotto da F. N. Babeuf, ivi, 348 n. 128. 42  Walther, op. cit., 336 ss. 43  Cfr. V. Angiolini, Necessità ed emergenza nel diritto pubblico, Padova 1986. 44  Un problema ben noto alla retorica antica e sul quale è attualmente concentrata l’attenzione della filosofia politica. 45  Non è mancato chi ha interpretato il formarsi della costituzione repubblicana come niente altro che il prodotto di lotte politiche caratterizzate dal ricorrente uso della violenza: cfr. Lintott, La violenza cit., 19. 46  Cfr. nuovamente Cic. De leg. 3.3.6. Non è poi senza rilievo richiamarsi qui alla profonda revisione del principio di legalità e dunque di un’idea di legislatore «unico depositario delle regole per costituire l’unica cerniera del circuito democratico-rappresentativo»: P. Salvatore, I nuovi orizzonti del principio di legalità in Ritorno al diritto: i valori della convivenza 5 / 2007 (Legalità e illegalità le due facce del pluralismo a c. di G. Berti), 123 ss., 131.

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habebo47 contro la violenza morale, uno stato di soggezione psicologica indotta dalla minaccia (ab extrinseco) o da uno stato oggettivo di pericolo (ab intrinseco). Si parla anche di assenza dovuta a paura di chi sia ‹iusto timore mortis vel cruciatus corporis conterritus›, dove però non è sufficiente un qualsiasi terror48; di estorsione di denaro ‹mortis aut verberum terrore›49, di concussione, ‹ablatum terrore›50 così come si parla di ‹militaris terror› da evitare nell’amministrazione delle province51 o di terror armorum52. Metus. comunque, nelle varie espressioni dello stoicismo a cui si rifà Cicerone parlando delle passioni, è la paura, nella specie ‹accidia› della fatica che si dovrà affrontare; paura come timor, timore di un male che si avvicina; paura come spavento (pavor), che sconvolge la mente; paura come costernazione (exanimatio), conseguenza dello spavento; paura come sbigottimento (conturbatio) che sconvolge i pensieri; paura come apprensione (formido), paura permanente e già, per quanto ci riguarda, derivato dal verbo terreo, terrere, quell’altra specifica manifestazione della paura che è terror, paura che sbigottisce e causa l’impallidire, il tremito e il battere di denti: definiunt terrorem metum concutientem, ex quo fit, ut pudorem rubor, terrorem pallor et tremor et dentium crepitus consequatur53. Paura è anche quella che si collega a situazioni di emergenza. È il momento della decretazione d’urgenza, dello stato di eccezione e della sospensione delle garanzie costituzionali, delle forme di dittatura, un insieme di fatti che trovano una illustrazione impressionante nella crisi della repubblica: si decreta il tumultus, i magistrati possono chiamare alle armi in modo irrituale, si sospende qualsiasi attività socialmente rilevante, per qualche studioso è il diritto stesso a esser sospeso, con il risultato di eliminare qualsiasi limite al momento del comando e dell’obbedienza. Quel che è in gioco è la salus publica54 e con questa la libertas, più tardi la in specie E. Betti, Istituzioni di diritto romano I, Padova 1947², 165 ss. D. 4.6.3. 49  Ulp. D. 4.2.3.1. 50  Ulp. D. 47. 13.1. 51  C. 12.60(61),1, a. 395 (CTh. 8.8.6). 52  Ulp. D. 43.16.3.5. Questi testi possono molto bene illustrare la tesi (p. es., J.  Thornton, Terrore, terrorismo e imperialismo. Violenza e intimidazione nell’età della conquista romana in Terror cit., 157 ss.; F. Hinard, La terreur comme mode de gouvernement (au cours des guerres civiles du Ier siècle a. C.), ivi, 247 ss.) che il terrorismo sia stato propriamente il metodo mediante il quale i romani, latrones gentium, hanno costruito l’impero. 53  Cicerone, Tusc. disp. 4.8.19. 54  Si è ad es. ricordato che «le leggi della necessità, dell’autoconservazione, della salvezza del nostro paese quando si trovi in pericolo costituiscono un’obbligazione più elevata rispetto a una stretta osservanza delle leggi scritte» (Jefferson, 1810: cfr. Goldoni, La Repubblica cit., 413 e n. 26). 47  V.

48  Ulp.



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securitas55. Resta però sullo sfondo l’ordine di idee che spingeva Beccaria a porre la domanda su quale sia il fine ultimo delle pene, rispondendo: «Il terrore degli altri uomini». Il che può forse anche spiegare quella realtà che, assunta in Costantino una connotazione particolarmente rigorosa, ma non meno terrorizzante di quella tirannica, ad es., di un Massimino Trace, è stata così efficacemente discussa da Detlef Liebs.

55  Cfr. Kneppe, Metus cit., 217 ss. Si parla di Roma antica ma si può dar conto dei ‹poteri di emergenza› in età moderna e della loro disciplina, tanto costituzionale quanto extra costituzionale e concludere niente affatto retoricamente che è di noi stessi che si parla quando si parla dell’esperienza romana.

Neminem scriptorum, quantum ad historiam pertinet non aliquid esse mentitum scripsit Vopiscus

Ein Prozeß Jesu fand nicht statt Von Alexander Demandt Im Unterschied zu allen übrigen Religionen, die in der frühen römischen Kaiserzeit verbreitet waren, hat sich das Christentum auf zeitgeschichtliche oder für zeitgeschichtlich gehaltene Vorgänge gegründet. Die Christen beriefen sich auf Zeugen für Leben und Lehre Jesu und namentlich auf Berichte über seine Passion unter Tiberius mit der Kreuzigung durch Pontius Pilatus. Zur Beglaubigung der Geschichtlichkeit der Hinrichtung erscheint der Name des Statthalters bis heute im Glaubensbekenntnis. Dieser Sachverhalt hat seit Reimarus und Lessing die historische Kritik herausgefordert, die wissen will, „wie es eigentlich gewesen“. Lessing mußte sich 1778 gegen den Vorwurf wehren, durch historische Kritik den christlichen Glauben zu untergraben. Er erklärte: „Bei mir bleibt die christliche Religion die nämliche, nur daß ich die Religion von der Geschichte der Religion will getrennt wissen.“1 Er trifft die immer erforderliche Unterscheidung zwischen Genesis und Geltung, die für alle Bereiche der Kultur zu beachten ist. Denn die oft banalen oder gar anstößigen Umstände, unter denen höchste Kunstwerke geschaffen wurden, besagen nichts über deren Qualität. Eine historische Untersuchung der Evangelien, unserer wichtigsten Quelle, muß mithin statthaft sein, stellt jedoch besondere Anforderungen angesichts des religiösen Charakters dieser Texte. Sie waren von gläubigen Verfassern für gläubige Leser geschrieben, zum gottesdienstlichen Gebrauch bestimmt und hatten daher über die Mitteilung von Tatsachen hinaus heilswichtige Erfordernisse zu erfüllen, die mit dem historischen Bericht eine schwer entwirrbare Gemengelage bilden. Die überwiegende Tendenz der immensen Literatur zum Thema geht dahin, von ihm so viel wie irgend möglich gegen Einwände zu verteidigen und durch vielfältige Zusatzannahmen als historische Quellen zu retten. Ohne jede apologetische Tendenz wird die Frage nur ausnahmsweise behandelt. Wesentliche Aufschlüsse bietet ein Buch, das von den Historikern ignoriert oder doch nicht gebührend zur Kenntnis genommen wurde, wohl 1  G.

E. Lessing, Axiomata (1778). In: Ders., Gesammelte Werke IX, 1856, 235.

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weil es einer anderen Fakultät entstammt. Es ist das Standardwerk des Marburger Theologen Rudolf Bultmann. Er hat in seiner 1921 zuerst erschienenen, später überarbeiteten ‚Geschichte der synoptischen Tradition‘ die Entstehung der drei älteren Evangelien kritisch untersucht und bei Markus, Matthäus und Lukas Stelle für Stelle nach ihrer Herkunft, ihrer Funktion und ihrer Verläßlichkeit befragt. Zwar ging es ihm primär darum, zu ermitteln, was „als christliche Gemeindetradition verständlich“ ist, und nur sekundär darum, was bezüglich der Biographie Jesu als geschichtlich gelten kann (291). Dennoch ist Bultmanns Erkenntnisinteresse durchaus historisch, da er das Zustandekommen der synoptischen Evangelien aufhellen, sozu­ sagen den Wachstumsprozeß der Texte rekonstruieren will. Gewissermaßen unabsichtlich bleibt bei diesem „formgeschichtlichen“ Vorgehen ein historisches Substrat als Residuum übrig, wenn erkannt ist, was aus darstellerischen Gründen unterschiedlicher Art in den jeweiligen, auf ein Ereignis zurückgehenden Text gelangt sein dürfte. Wir nähern uns dem Geschehen, indem wir die Zusätze als Abstriche werten. Bultmann wählt ein Verfahren, das ebenso bei der historisch-kritischen Auswertung von Herodot, Livius und anderen antiken Texten unerläßlich ist. Auch dafür werden Wunderberichte und Wanderlegenden, Vorzeichen, Prophezeiungen und Träume, aber auch Dubletten, unwahrscheinliche Zufälle und erkennbare Zutaten des jeweiligen Autors oder seiner Gewährsmänner ausgesondert. Dazu zählen insbesondere wörtliche Reden, die nicht mitgeschrieben wurden und bei denen nicht vorstellbar ist, wie sie hätten überliefert werden können. In den Passionsberichten ist demgemäß zunächst alles das als ungeschichtlich anzusehen, was den Naturgesetzen widerspricht, sodann das in Frage zu stellen, was im engsten Kreise oder gar hinter verschlossenen Türen stattgefunden haben soll: das letzte Abendmahl, das Nachtgeschehen in Gethsemane sowie die nächtlichen Verhandlungen im Palast des Hohen Priesters und die im Richthaus des Pilatus. Drittens ist auszusondern, was aus kompositorischen oder religiösen Gründen in den Text eingedrungen sein könnte. Das sind vor allem Züge, „damit die Schrift erfüllet würde“, also Übernahmen aus dem Alten Testament. Hier ist der Theologe gefragt. Bultmann zerlegt die Texte in Schichten und nimmt als Grundlage dieser Stratigraphie einen „kurzen Bericht geschichtlicher Erinnerung von Jesu Verhaftung, Verurteilung und Hinrichtung“ an (298). Hinzukommen sodann zahlreiche „Einzelgeschichten“, Aussprüche Jesu, Nachrichten und Begebenheiten, die in der Regel ohne Zusammenhang weitererzählt wurden, großenteils historisch, nicht selten fiktiv. Die Entscheidung über diese Motive ist von Fall zu Fall zu treffen. Ihre ursprünglich isolierte Überlieferung ergibt sich daraus, daß sie bei den Evangelien an unterschiedlicher Stelle in die Ereignisfolge eingegliedert sind oder Handlungsstränge unmotiviert



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unterbrechen, und nicht „organisch“, wie Bultmann schreibt, plaziert sind. Dazu rechnet er das, was schon bei Paulus an Aussagen von oder über Jesus steht, weiterhin den Stoff der Logienquelle Q, die von Matthäus und Lukas neben dem Markustext benutzt wurde, und das Sondergut, was je nur ein Evangelium bietet. Offenbar haben die Autoren das Grundgerüst der Faktenfolge mit diesen Versatzstücken nach eigenen Vorstellungen ausgestattet. Dabei hat der jeweils jüngere Evangelist seine Erzählung gegenüber den älteren bereichert und verschönert, in der Regel legendär ausgestaltet, mitunter auch um Einzelheiten gekürzt. Ganz deutlich ist das bei Johannes, dem jüngsten Evangelisten, der sehr eigenständig mit dem vorgefundenen Erzählgut verfahren ist und sich von den Synoptikern durch größere Ausführlichkeit und eine eigene Theologie abhebt. Die legendäre Ausgestaltung der Berichte setzt sich in der nachbiblischen Literatur fort, und zwar nach denselben Prinzipien, die in der synoptischen Tradition wirksam sind. Durch die Ausgliederung der Zusätze schmilzt die ursprüngliche, ereignisnahe Überlieferung arg zusammen. „Fragt man sich“, schreibt Bultmann, „ob das, was bleibt, einen geschlossenen Zusammenhang bietet, so ist das Ergebnis recht negativ“ (300). Dies gilt erst recht für die anzunehmende Faktenbasis. Er unterscheidet in den Passionsberichten vier Kategorien von sekundären Zügen (304 ff.). Es sind zum ersten solche, die apologetisch motiviert sind, die orthodoxen Juden belasten und die Römer begünstigen. Damit sollte der Vorwurf der Staatsfeindlichkeit abgewehrt werden. Apologetisch motiviert sind laut Bultmann ebenso die Weissagung vom Verrat des Judas und von der Jüngerflucht, die Grabeswache und die freiwillige Selbsthingabe Jesu. All dies betrachtet Bultmann zu Recht als unhistorisch. Als zweite Kategorie nennt er novellistische Motive, die der Erzählung literarischen Reiz verleihen, sie eindrucksvoll ausgestalten. Ein Musterfall: In Bethanien murren über die Verschwendung der Salbe bei Markus (14,3 ff.) „einige“, bei Matthäus (26,6 ff.) die „Jünger“, bei Johannes (12,1 ff.) ist es Judas. Jesu anschließend berichtete Vorhersage seines Todes und der weltweiten Verkündung des Evangeliums, was die Auferstehung voraussetzt, erweist die Episode als Legende. Novellistik prägt dann die Gethsemane-Geschichte mit dem effektvollen Judaskuß. Gemäß Paulus (1.  Kor. 15,5) erschien der Auferstandene den Zwölfen, also unter Einschluß von Judas. Paulus wußte offenbar nichts vom Verrat, wenn wir seine Erwähnung der paradosis1 wörtlich als „Übergabe“ oder „Auslieferung“ verstehen. Die Einsetzungsworte des Abendmahls „In der Nacht, da er (von Judas) verraten ward“ sind irreführend. Es müßte heißen: „In der Nacht, da er (von Gott für uns) dahingegeben ward“, wie Luther den Paulustext im Römerbrief zutreffend verdeutscht. 1  1.

Kor. 11,23 wie Röm. 4,25 und 8,32 sowie Mt. 27,2.

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Sollte Jesus tatsächlich verraten worden sein, so wurde der Verräter, wie sich aus Johannes (13,18) ergibt, erst im Hinblick auf Psalm 41,10 zum Tischgenossen Jesu und damit zur dramatischen Figur stilisiert. Sie wurde in Stufen gesteigert. Bei Markus (14,11) wurde dem Verräter Geld versprochen, bei Matthäus (26,14 f.) fordert er es, und zwar dreißig Silberlinge, wie es beim Propheten Sacharja (11,12) vorausgesagt ist. Lukas (22,3 und 31) läßt Satanas in Judas fahren, und Johannes macht darüber hinaus Judas zu einem Dieb (12,6) und gleichfalls zu einem Werkzeug des Teufels (13,2; 27). Der bei Matthäus (27,5) erzählte Selbstmord wird bei Lukas (Apg. 1,18) um unappetitliche Einzelheiten erweitert. Vermutlich handelt es sich, wie Bultmann überzeugend nahelegt (294), um eine Ursprungslegende für den „Blutacker“ Hakeldama, dessen Name von Matthäus (27,5) und Lukas (1,18) auf verschiedene Art mit Judas verbunden wurde. Die Legendenbildung wucherte später weiter bis zu Papias von Hierapolis und Jacobus de Voragine, so daß anzunehmen ist, daß bereits Markus Erzählgut und keine Realgeschichte bietet. Bultmann (290) erklärt auch die Einlage mit der Verleugnung des Petrus (Lk. 22,54 ff.) für „legendarisch und literarisch“. Von wem hätte diese Episode, wäre sie geschichtlich, überliefert sein können? Novellistische Zutaten sind natürlich die Zeichen und Wunder bei der Sterbeszene, wie sie in der antiken Historiographie allgemein wichtige Ereignisse zu begleiten und in kosmischen Zusammenhang zu stellen pflegen. Daß Wandermotive auf „Märchenhelden“ übertragen werden – so die Findung des Reittiers beim Einzug nach Jerusalem (Mk. 11,1 ff.) – verbindet die Jesusgestalt, wie Bultmann (244; 281) ausführt, mit König Salomon, Alexander dem Großen und Harun al Raschid in Tausendundeiner Nacht. Parainetischen Zwecken, d. h. zu ethischen Aufforderungen dienen Jesus zugeschriebene Worte wie das „Wachet und betet“ in Gethsemane, das Verbot des Widerstandes an Petrus „Stecke dein Schwert in die Scheide!“, weiterhin die Bitte für die Henker bei der Kreuzigung „Vater vergib ihnen  …“ und die Verheißung des Paradieses als Belohnung des guten Schächers für sein spätes Bekenntnis entsprechend dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, wo der zuletzt eingestellte den gleichen vollen Lohn erhält wie alle anderen (Mt. 20,1 ff.). Am wichtigsten sind die dogmatischen Motive unter den Zugaben. Dazu zählt die schon Paulus (1. Kor. 11,23 ff.) bekannte Kultlegende von der Einsetzung des Herrenmahles. Eine älteste Tradition von einem Festmahl, bei dem Jesus auf ein solches im nahen Gottesreich hinweist, liegt mög­ licherweise dem Bericht über die Vorbereitung zum letzten Passahmahl zugrunde, das von den Judenchristen beibehalten wurde, während bei den griechisch geprägten Heidenchristen der paulinischen Richtung daraus die



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Eucharistie mit Brot und Wein anstelle des Osterlamms wurde. Die führende Stellung des Petrus in der Urgemeinde dürfte der Grund für die Rolle sein, die ihm später nicht nur in der Passion zugeschrieben wurde. Überdeutlich ist schließlich das Interesse der Evangelisten daran, daß Jesus als der seit Bileam (4.  Mose 24,17) verheißene Messias gekreuzigt wurde. Dies zeigt sich in zahlreichen Geschehnissen, die nach den Prophetien oder prophetisch gedeuteten Passagen des Alten Testaments gestaltet wurden. Nicht die Wunder, die auch Zauberer vollbringen können, sondern die angeblich eingetretenen Weissagungen sind noch bei Augustinus ausschlaggebend für die Messianität Jesu. Bultmanns Hinweis auf das manifeste Interesse der Jünger und der Evangelisten an der Messianität Jesu, seiner Eigenschaft als Christos, steht, wie er zeigt, im Gegensatz zur Logienquelle, wo Jesus lediglich als Buß- und Endzeitprophet erscheint (256; 267). Bei Paulus (Röm. 1,3) ist Jesus dem Fleische nach ein Sohn Josephs aus dem Samen Davids2 und ein Sohn Gottes nach dem Geist der Heiligkeit, was Markus (1,11; 9,7) durch die Verklärung konkretisiert. Die Paulus noch unbekannte Jungfrauengeburt ist bei den Evangelisten bereits Glaubensgut, ausgestaltet durch die Verlegung der Geburt Jesu von Nazareth nach Bethlehem, wo ihn die Weisen aus dem Morgenland angebetet haben sollen (Mt. 2,1 ff.). Lukas liefert die wunderschöne Weihnachtsgeschichte (2,1 ff.), und Johannes (10,30) befördert Jesus zum alter ego Gottvaters. Wenngleich für den Skeptiker aus den Evangelien keine eindeutige Auskunft über das Selbstverständnis Jesu zu gewinnen ist, so ist doch offenkundig, wie sehr seine Anhänger wünschten, daß er der Messias wäre. Und dieser Glaube ist eine Tatsache, er war ja dann der Grund für die Popularität Jesu, die ihn sowohl beim Synhedrion als auch bei Pilatus verdächtig gemacht hat. Welche Sympathie Jesus bei den Massen genoß, zeigte sich, als er den Skandal der Tempelreinigung inszenierte, ohne daß die Behörden einzuschreiten wagten. Was bei Bultmanns Seziertechnik als caput mortuum historicum übrig bleibt, läßt er in der Schwebe. Doch darf als geschichtlich gelten, was nach der Sachlogik der Ereignisfolge stattgefunden haben muß, und das, was von so zahlreichen Zeitgenossen wahrgenommen wurde, daß unschwer zu erklären ist, wie die Kunde davon zu den Synoptikern gelangen konnte. Das abgespeckte Gerippe an Fakten geht dabei über den von Bultmann angenommenen „Grundbericht“ kaum hinaus. Der Einzug nach Jerusalem war gewiß nicht so feierlich, wie die aus Versatzstücken des jüdischen und hellenistischen Adventus-Zeremoniells bestehende Beschreibung behauptet. Woher kannte man Jesus in Jerusalem, 2  Mt.

1,16; Lk. 3,23.

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bevor er dort das Wort ergriff? Immerhin mögen seine Anhänger, wie Bultmann (281) vermutet, eine gewisse Zeremonie entfaltet haben. Das Aufsehen erregende Schlüsselereignis war die Tempelreinigung, verbunden mit der täglichen Bußpredigt. Unstreitig ist dann die Verhaftung Jesu durch die Tempeldiener und das Interesse des Hohen Priesters Kaiphas an der Beseitigung des charismatischen Reformators, der die Fastengebote, die Sabbatheiligung und die Speisetabus mißachtete und damit das mosaische Gesetz in Frage stellte, auf dessen Anerkennung die Macht und das Ansehen der Ältesten und Schriftgelehrten beruhten. Daß der Fall Jesu im Palast des Hohen Priesters zur Sprache kam, ist mehr als wahrscheinlich, doch was dort im einzelnen während der angeblichen Nachtsitzung geschehen ist und gesagt wurde, konnten die Evangelisten kaum wissen. Was sie berichten, ist eine um mögliche historische Details angereicherte Glaubenslegende. Zentral dabei ist das Messiasbekenntnis Jesu vor dem Hohen Rat. Hier bieten die Evangelisten das für den Glauben unentbehrliche authentische Zeugnis für die Messianität Jesu aus dessen höchsteigenem Munde, das schlechthin fundamentale Dokument des christlichen Glaubens. Es ist unwahrscheinlich, daß einer aus dem Kreise der anwesenden Gegner Jesu dessen Worte dem im Hof am Feuer sitzenden Petrus erzählt haben sollte, so daß sie in die christliche Überlieferung gelangen konnten. Vielleicht hat deswegen Johannes noch einen weiteren, ungenannten Jünger hinzugefügt, in dem der Leser Johannes selbst vermuten soll. Mit Grund hält Bultmann (290) die Szene überhaupt für eine Ausgestaltung der bloßen Erinnerung an die Beratung im Synhedrion am Morgen nach der Verhaftung, wie Markus (15,1) berichtet. Zweifelsfrei ist hingegen die Verurteilung durch Pilatus und die Kreuzigung auf Grund des Jesus angelasteten Aufruhrs. Nichts spricht gegen die Geschichtlichkeit der Überlieferung, daß der von Jesus erhobene oder ihm nur angedichtete Anspruch, König der Juden zu sein, das todeswürdige Delikt darstellte. Die Zeit kennt mehrere messianische Führergestalten, die mit den Römern in Konflikt geraten sind, selbst solche mit dem Anspruch auf die Königswürde, so den Sklaven Simon, den Hirten Athronges und den Zeloten Menahem aus Galiläa3. Die Tafel am Kreuz, von Bultmann (293) bezweifelt, ist glaubhaft, obschon auch hier eine Steigerung vorliegt. Markus (15,26) erwähnt nur den Inhalt, später wird der Wortlaut erweitert und die Schrift dreisprachig. Immerhin gibt es Parallelen zu einer derartigen Beschilderung von Verbrechern, die zur Hinrichtung geführt wurden4. Schließlich konnte die Tafel von vielen gesehen werden, so daß die Erinnerung an sie lebendig bleiben konnte. 3  Tac. 4  Dio

Hist. V  9; Jos. Ant. XVII  10,7; ders. Bell. II  17,8 f. LIV 3,7; Suet. Cal. 32; ders., Domitian 10.



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Mehr als zweifelhaft ist, daß sich Pilatus die Zeit für ein Verhör genommen und ein Verfahren durchgeführt hat, so wie es die Evangelisten beschreiben. Ob die Berichte, so wie wir sie lesen, einen regelrechten Strafprozeß darstellen5 – diese Formalie mag ein Jurist entscheiden. Dagegen spricht, daß außer dem Delikt des angemaßten Königstitels auf der Tafel nichts Schriftliches erwähnt wird: keine Vorladung, keine Anklage, kein Protokoll, auch kein Dolmetscher, kein Verteidiger, kein Beratergremium (consilium), keine Urteilsverkündung. Was bleibt, ist der von Johannes (19,13) erwähnte Richtstuhl (bēma). Er aber ist sekundär, ein notwendiges Requisit der unhistorischen antijüdischen Massenszene vor dem Prätorium mit dem Wortwechsel zwischen Pilatus und den Juden und so wie dieser aus der Geschichte zu streichen. Vor der rechtshistorischen Deutung des Evangeliums sollte die historische Vorfrage lauten, was denn von dem, was wir lesen, tatsächlich stattgefunden hat. Und hier können, ja müssen wir auf dem von Bultmann gewiesenen Weg weitergehen. Dieser Weg führt zu dem Resultat, daß Pilatus den in flagranti festgenommenen Volkshelden, in dem die jüdischen Behörden nicht ohne Grund einen Friedensstörer sahen, ohne förmliche Verhandlung durch bloßen Machtspruch hat hinrichten lassen. Da Pilatus offenbar nicht versuchte, auch der Jünger habhaft zu werden, kann er die von Jesus ausgehende Bedrohung der römischen Herrschaft nicht sehr hoch eingeschätzt haben. Die Evangelisten dürften durchaus Recht haben mit ihrer Ansicht, daß Pilatus jenen unbewaffneten Prediger aus Galiläa für harmlos gehalten hat. Vermutlich hätte er sich, so wie wenig später seine Kollegen Sergius Paulus in Paphos, Junius Gallio in Korinth und Porcius Festus in Caesarea6, um das Judengezänk nicht weiter gekümmert, wenn Kaiphas im Einvernehmen mit den übrigen Schriftgelehrten nicht insistiert und mit dem Jesus anhängenden kapitalen Königstitel den hinreichenden Rechtsgrund geliefert hätte. Über die quaestio iuris wurde die quaestio facti vernachlässigt. So wie die Römer sich in den Provinzen stets mit der einheimischen Führungsschicht gutstellten7, so dürfte auch das Todesurteil über Jesus eine Gefälligkeit des Statthalters gegenüber der jüdischen Behörde gewesen sein. Auf eine solche Zusammenarbeit zwischen Pilatus und Kaiphas deutet der Zugriff des Pilatus auf den Tempelschatz für den Bau der Wasserleitung, da Fremde das Tempelareal nicht betreten durften8, vielleicht auch das Massaker an den Samaritanern (Jos. Ant. XVIII  4,1), die den Ortho5  Rosen

1990, 55 ff.; Liebs 2007, 100. 13,7; 18,12; 25,1 ff. 7  J. Deininger, Der politische Widerstand gegen Rom in Griechenland 217 bis 86 v.  Chr., 1971, 264  f. 8  Josephus BJ. II  9,4; ders., Ant. XVIII 3,2; Demandt 1999, 91. 6  Apg.

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doxen stets verhaßt waren, und die gewiß nicht zufällig gleichzeitige Amtsenthebung beider Männer im Jahre 37 durch den Legaten Vitellius (Jos. Ant. VII  4,3). * Die historisch-kritische Analyse der Prozeßberichte führt schrittweise zu einer Minderung des glaubwürdig Überlieferten. Als redaktionelle Zutaten wurden erkannt die Vermehrung der Tempeldiener, die Jesus verhafteten, um eine römische Kohorte von 500 Mann bei Johannes: die Einzhelheiten bei der Verhandlung im Synhedrion, sowie alle Versuche des Statthalters, Jesus loszulassen: seine Überstellung an Herodes Antipas9, das AmnestieAngebot an die Juden, die Ecce-Homo-Szene nach der bei Johannes umgedeuteten Geißelung und die von ihm erzählten langen Wechselgespräche zwischen dem Präfekten und der aufgeputschten Menge vor dem Prätorium, die dem Römer Furcht eingeflößt haben soll. Woher kannte der Evangelist dessen Gefühle? Ein Vertreter der römischen Militärmacht mußte eine Demonstration nicht fürchten. Dennoch könnte eine solche stattgefunden haben. Massenauftritte der Juden vor den römischen Behörden kennt man. Die turba Judaeorum hatte Pilatus selbst schon erlebt (Jos. Ant. XVIII 3,1). Sie ist mehrfach bezeugt, vom 1. Jahrhundert v.  Chr. bei Cicero (Pro Flacco 66 f.) und Horaz (serm. I 4,143) bis zum 2. Jahrhundert n. Chr. bei Marc Aurel (Ammian XXII 5,4 f.). Judenfeindlicher Tendenz entspringt die Überlieferung, daß die Volksmenge den Tod Jesu gefordert habe. Wie bei anderen Gelegenheiten dürfte es vielmehr um Begnadigung gegangen sein. Naheliegend ist die Annahme einer Versammlung der Anhänger Jesu vor dem Prätorium, um durch acclamatio in Sprechchören seine Freilassung zu erreichen. Hier könnte der Ursprung der Barabbas-Legende liegen. „Barabbas“ heißt „Sohn des Vaters“, sein Name soll nach einer Textvariante zu Matthäus 27,16 „Jesus Barabbas“ gelautet haben. Das wurde in der kanonisierten Version unterdrückt, nachdem aus Barabbas ein Räuberhauptmann geworden war, denn die Akklamation war ja vergebens10. Die Einzelheiten des Gerichtsverfahrens Jesu vor dem Statthalter sind mithin sämtlich unsicher oder sicher unhistorisch. Was vorerst bleibt, ist einzig das Verhör. In diesem Gespräch wiederholt Jesus an höchster Stelle sein dogmatisch so wichtiges Messiasbekenntnis. Dessen Zeugniswert bestätigt der pseudopaulinische Brief an Timotheus (1.  Tim. 6,13). Um Jesus zum Sprechen zu bringen, bedurfte es der Frage des Statthalters. Doch gab es für ihn einen Grund, sie zu stellen? Sie wäre nur dann sinnvoll gewesen, 9  Ehling 10  Bond

2010. 1998, 200; Liebs 2007, 97  f.



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wenn damit dem Angeklagten Gelegenheit geboten werden sollte, seine Schuld zu bestreiten und einen Freispruch zu erzielen. Aber hätte Pilatus Jesus begnadigt, wenn dieser die Anmaßung des Königstitels als Verleumdung durch die Juden zurückgewiesen hätte? Gewiß nicht! Dennoch ist jene Annahme zunächst nicht völlig abwegig, da aus dem von Plinius11 beschriebenen Christenprozeß hervorgeht, daß auf Leben und Tod angeklagte Christen freikamen, sobald sie ihren Glauben sichtbar abschwörten. Da diese Rechtslage zwar zur Zeit des Johannes unter Trajan gegeben war, kaum aber bei Markus unter den Flaviern und erst recht nicht unter Tiberius, läßt sich die angebliche Frage des Statthalters so nicht motivieren. Wie aber sonst? Konnte er eine Selbstbeschuldigung des Angeklagten erwarten? Jesus wußte, daß sein zustimmendes „Du sagst es“ die Kreuzigung zur Folge haben mußte. Pilatus hätte mithin ebensogut fragen können: „Willst du gekreuzigt werden?“ Welche Ironie! Indem Jesus mit seiner Antwort auch diese implizite Frage bejahte, erweist er sich als der Christus, „der sich selbst für unsere Sünden hingegeben hat, daß er uns errette von dieser gegenwärtigen argen Welt“, so Paulus (Gal. 1,4). Der Kerngedanke des Christentums, die Bereitschaft zum Opfertod, liegt in diesem Wort, das gemäß den Evangelisten mit sy legeis dem Präfekten übersetzt wurde. Hier spricht doch der paulinische Sohn Gottes, der sich freiwillig ans Kreuz hat nageln lassen, um die sündige Menschheit zu erlösen12, nicht aber der historische Sohn Josephs. Um die zu Recht erwartete Unglaubwürdigkeit des Selbstopfers abzumildern, wurde das Gethsemane-Gebet, das ja niemand mitgehört hat, Jesus in den Mund gelegt und seine Stärkung durch den Engel hinzugefügt. Die Versionen des Dialogs Jesu mit Pilatus bei den Evangelisten zeigen die übliche Klimax. Bei Markus (15,2  f.) und Matthäus (27,11 ff.) fragt Pilatus Jesus zweimal in Anwesenheit der Hohen Priester, ob Jesus der König der Juden sei. Bei Lukas (23,1 ff.) kommen ausführliche Beschuldigungen der Juden hinzu, sodann die Episode mit Herodes Antipas, die nach Psalm 2,2 gestaltet ist, sowie eine dreimalige Unschuldserklärung des Landpflegers. Johannes (18,28 ff.) bereichert die Szene um Wechselreden des Pilatus mit den Juden und um ein philosophisches Gespräch mit Jesus hinter verschlossenen Türen über das Problem: Was ist Wahrheit? Diese Frage des Richters an den Beschuldigten muß der Leser an den Autor stellen, der die Wahrheit seines Berichtes feierlich beteuert, da er in klarer Selbsterkenntnis mit Zweiflern rechnet (Joh. 21,24). Sie fragen schließlich auch nach den Überlieferungswegen. Woher könnte der Evangelist von dem Wortwechsel Kunde erhalten haben? Sollte Pilatus als Verbannter in Lyon, ep. X  96 f.; Liebs 2007, 115 ff. 2,20; Eph. 5,2.

11  Plinius 12  Gal.

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wohin ihn die Legenda Aurea versetzt, Memoiren abgefaßt und sich des Gesprächs mit dem kleinen „Wanderprediger“13 erinnert haben? Und wenn, dann wären die Erinnerungen in Latein geschrieben und dem Evangelisten schon darum unzugänglich gewesen. Zwar verstand jeder gebildete Römer Griechisch, aber Latein lernten nur solche Griechen, die eine staatliche Verwaltungsposition anstrebten oder im Militär Karriere machen wollten. Dazu gehörten die Evangelisten nicht. Nachdem das Messiasbekenntnis vor dem Statthalter als dogmatische Interpolation im Interesse der Christologie erkannt ist, dürfen wir das Gespräch als solches historisch ad acta legen. Von einem tatsächlich durchgeführten Prozeß Jesu bleibt nichts übrig als die Nachricht, daß Jesus ins Prätorium gebracht wurde (Mk. 15,16), ehe man den Gegeißelten nach Golgatha führte. So wie die Begebenheiten vor dem Urteil, so sind auch die Folgeereignisse theologisch ausgestaltet und novellistisch erweitert worden. Geißelung und Verspottung durch die Soldaten als Teil der Strafe dürften historisch sein, selbst wenn sie nur aus dem, was üblich war, erschlossen wurden. Die Verlosung der Kleider wurde nach Psalm 22,19 eingefügt, die Verspottung nach Psalm 22,8, die Essigtränkung nach Psalm 69,22, der letzte Ausruf nach Psalm 22,2. Bei Markus schreit Jesus noch einmal wortlos, Lukas und Johannes bieten Worte. Die beidseitig angeordneten Schächer sind bei Markus ungläubig, ehe sie nach gut und böse differenziert werden und Namen erhalten14. In einer Textvariante zu Matthäus (27,38) heißen sie Zoathan und Chammata. Als Zeugen unter dem Kreuz werden eine unbestimmte Zuschauermenge, darunter ein heidnischer, spontan bekehrter Centurio und, nach der Flucht der Jünger, die „Weiber aus Galiläa“ aufgeboten, sowie –  im Johannesevangelium15 evident fingiert – der namenlos mystifizierte Jünger, den Jesus „lieb hatte“, der Konkurrent von Petrus, nämlich Johannes Zebedaei, unter dessen vertrauenheischender Maske der unbekannte Autor das vierte Evangelium geschrieben und sich als Augenzeuge eindringlich empfohlen hat16. Dahinter verbirgt sich die Spannung zwischen dem griechisch-paulinischen „Johannes“ und den Anhängern des führenden Judenchristen Petrus. Kultlegenden sind schließlich alle mit der Auferstehung verbundenen Berichte: die Wächter am Grab, das Verschwinden der Leiche, der Gang nach Emmaus, weiterhin der Paulus (Gal. 2,7 f.) noch unbekannte Taufbefehl und die Himmelfahrt. Der fehlende Schluß des Markusevangeliums, der die 13  Liebs

2007, 100. 23,39 ff.; Bultmann 338. 15  Joh. 19,26 vgl. 13,23; 20,2; 21,7; 21,20. 16  Meyer 1924.

14  Lk.



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Escheinung des Auferstandenen in Galiläa erzählte (Mk. 16,7), wurde gestrichen, nachdem sich die bei Lukas17 fixierte Überlieferung von der Erscheinung in Jerusalem durchgesetzt hatte18. Insgesamt zeigt die Geschichte der synoptischen Tradition, wie das Bild von Jesus als Messias, das bei Johannes fertig vorliegt, langsam gewachsen ist und dabei die als historisch gebotene Erzählung geprägt hat. Der Historiker wird mithin bei dem Urteil über den Prozeß Jesu einerseits die Entstehung der neutestamentlichen Quellen berücksichtigen und andererseits die Jesusbewegung in den Zusammenhang mit den religiösen und politischen Bewegungen in Palästina einordnen. Jesus war ja nicht die einzige messianische Gestalt, die mit der römischen Besatzungsmacht in Konflikt geraten ist. Wie die Römer mit diesen Unruhestiftern umzugehen pflegten, erfahren wir von Flavius Josephus. Sie haben mit ihnen nicht viel Federlesens gemacht. Quinctilius Varus, der spätere Gegner des Arminius, hat als Legat in Syrien 4 v.  Chr. zweitausend jüdische Insurgenten in Jerusalem kreuzigen lassen (BJ. II  75). Pilatus veranstaltete ein Blutbad unter Galiläern, die zum Opfern nach Jerusalem gekommen waren, wie Lukas (13,1 ff.) meldet, ließ im Jahre 36 einen Zug von religiös begeisterten Samaritanern zusammenhauen und auch die Anführer unter den Gefangenen hinrichten (Ant. XVIII  4,1). Der Procurator Cuspius Fadus verurteilte 44 n.  Chr. die Unruhestifter Annibas und Tholomaeus zum Tode (Jos. Ant. XX 1) und ließ im folgenden Jahr den Propheten Theudas, der mit großer Anhängerschar über den Jordan gekommen war, köpfen; unter seinem Nachfolger wurden die Zelotenführer Jakobus und Simon gekreuzigt (Ant. XX  5,1 f.), der Procurator Felix ließ den Hohen Priester Jonathan ermorden (Jos. Ant. XX  8,5). Von keinem dieser Männer wird ein Verfahren erwähnt, so daß nicht anzunehmen ist, daß Pilatus einen Einzeltäter wie jenen inspirierten Zimmermann aus Nazareth eines ordent­ lichen Strafprozesses gewürdigt hat. Josephus hielt Auftritt und Ende Jesu in Jerusalem keines Wortes für Wert, obschon er die Steinigung des Jakobus erwähnt, des „Bruders von Jesus, dem sogenannten Christos“. Diese Tat trug bei zur Absetzung des verantwortlichen Hohen Priesters Hannas im Jahre 62 n.  Chr.19 Wie unspektakulär die Jesusaffäre war, bestätigt Tacitus (Hist. V 9). In seinem Exkurs über Judaea bemerkt er lakonisch: sub Tiberio quies. Alles, was die Evangelisten über Jesus berichten, diente der Verherrlichung des Sohnes Gottes und der Erbauung der Gläubigen. Die Passionsberichte sind keine Geschichtsschreibung, sondern „Frohe Botschaft“ und darüber hinaus Weltliteratur. 17  Lk.

24,9 ff.; Apg. 1,4. 308  f. 19  Jos. Ant. XX  9,1. Das Testimonium Flavianum XVIII  3,3 ist ein christlicher Einschub. 18  Bultmann

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Literatur Blinzler, J.: Der Prozeß Jesu, 1969. Bond, H.: Pontius Pilatus in History and Interpretation, 1998. Bultmann, R.: Geschichte der synoptischen Tradition, 1921 / 1957. Demandt, A. (Hg.): Macht und Recht. Große Prozesse der Geschichte, 1990. – Hände in Unschuld. Pontius Pilatus in der Geschichte, 1999. Ehling, K.: Auch eine Frage des Protokolls? Überlegungen zur Feindschaft / Freundschaft zwischen Herodes Antipas und Pontius Pilatus (Lk. 23,12). In: Biblische Notizen 146, 2010, 101 ff. Liebs, D.: Vor den Richtern Roms. Berühmte Prozesse der Antike, 2007. Meyer, Ed.: Sinn und Tendenz der Schlußszene am Kreuz im Johannesevangelium, Sb. AdW, Berlin 23, 1924, 157 ff. Rosen, K.: Rom und die Juden im Prozeß Jesu (um 30 n.  Chr.). In: Demandt 1990, 39 ff. Schweitzer, A.: Geschichte der Leben Jesu Forschung, 1913 / 1933. Theissen, G. / März, A.: Der historische Jesus, 1996.

Gli orizzonti dei libri iuris ermogenianei Di Elio Dovere*

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1.  – Lo studioso che qui giustamente si onora è stato il primo, dopo un ingiustificato silenzio della ricerca durato quasi cent’anni, a occuparsi con visione d’assieme, a metà degli anni ’60 del secolo scorso, dei Libri iuris epitomarum del giurista Ermogeniano1. La meticolosa e attenta valutazione generale da lui effettuata dell’opera epiclassica – un contribuito prezioso nel solco di quell’indirizzo della ricerca che allora, come proprio di recente è stato notato, privilegiando «il pensiero dei giuristi e le loro individualità» rappresentava una vera e propria «curvatura tematica» della tradizionale linea scientifica giusromanistica2 – non approdò a valutazioni particolarmente entusiaste della personalità dell’antico autore, nonostante l’apprezzamento sia per i contenuti intrinseci di molti fra i testi giustinianei delle Epitomi, sia per taluni aspetti generali dell’opera medesima3. Al contrario, coloro che dopo di lui hanno avuto modo di penetrare profondamente i materiali ermogenianei (in qualche caso anche accostandosi a essi indirettamente, indagando cioè su tracce diverse dell’esperienza giuri*  È con gioia autentica che partecipo alle onoranze per il professor Detlef Liebs: la sua alta figura di studioso infaticabile illumina le mie ricerche sull’esperienza giurisprudenziale romana fin dal momento in cui, venticinque anni fa, mi avvicinai ai frammenti dei Libri iuris epitomarum di Ermogeniano. 1  D. Liebs, Hermogenians iuris epitomae. Zum Stand der römischen Jurisprudenz im Zeitalter Diokletians (Göttingen 1964); adde H. E. Dirksen, Ueber des Hermogenianus Libri iuris epitomarum, in: F. D. Sanio (a cura di), H. E. Dirksen, Hinterlassene Schriften zur Kritik und Auslegung der Quellen römischer Rechtsgeschichte und Alterthumskunde 2 (Leipzig 1871; rist. 1973), e prima J. Finestres y de Monsalvo, In Hermogeniani JCti Iuris Epitomarum Libros VI Commentarius 1–2 (Cervera 1757). Qui, tenuto conto dello scopo del presente contributo – lumeggiare talune misconosciute caratteristiche del segno letterario ermogenianeo –, la bibliografia sulle questioni coinvolte sarà taciuta onde lasciare spazio esclusivo ai rilievi concernenti il tratto scientifico giurisprudenziale epiclassico (bibl. aggiornata è nel libro di Serena Connolly cit. infra nt 5: p.  245  ss.). 2  Così F. P. Casavola, Come ricordare Luigi Amirante, in: E. Dovere (a cura di), Munuscula. Scritti in ricordo di Luigi Amirante (Napoli 2010) p.  41 ss., qui p.  44. 3  Tale opinione, presente nella monografia citata ma anche negli studi su altre opere dell’epoca epiclassica, credo rimanga invariata: D. Liebs, recens. in: Gnomon 80, 2008, p.  755  s. 1 

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dica d’età tetrarchica4) sono apparsi convinti di un diverso, maggiore spessore culturale del giurista e, in particolare, di sue buone qualità scientifiche5. E questo tenendo conto del diritto condensato nei 6 libri iuris come pure per gli scopi stessi, benché ipotetici, dell’epitome6: una breve elaborazione metatestuale del ius d’autore degli anni del principato tanto singolare da rappresentare davvero un unicum, in positivo7, nell’intera realtà giuridicoletteraria dell’antica Roma8. In verità, grazie ai risultati di una serie parcellizzata di ricerche condotte nel tempo su singoli brani dei libri epitomarum9, l’impressione è che la 4  Penso spec. a M. U. Sperandio, Codex Gregorianus. Origini e vicende (Napoli 2005), spec. 139  ss. e 241  ss. 5  Cfr. A. Cenderelli, Ricerche sul «Codex Hermogenianus» (Milano 1965); S. Connolly, Lives Behind the Laws: The World of the Codex Hermogenianus (Bloomington & Indianapolis 2010). Postulato primo di quest’ultima notazione rimane un dato oggi alquanto condiviso in dottrina, ovvero l’identificazione fra l’Ermogeniano del Codex e l’autore dei Libri iuris epitomarum; da ultimo M. Varvaro, Riflessioni sullo scopo del Codice Ermogeniano, in: Annali dell’Università di Palermo 49, 2004 (Studi con Bernardo Albanese 3), che cito dal web: www.archaeogate.org/iura/rivista/220/annali-del-dipartimento-di-storia-del-diritto-universit.html (un contributo sul quale sarebbero esprimibili più critiche: per es. la bibliografia di riferimento assolutamente troppo risalente). 6  Cfr. E. Dovere, De iure. L’esordio delle Epitomi di Ermogeniano2 (Napoli 2005; rist. 2007); adde A. Castro Sáenz, recens. in: Annaeus 2, 2005 (ma 2007), p. 528 s.; L. Loschiavo, «De iure repetere iuvat», in: Rivista di diritto romano 6, 2006 (online) e in: Studia et documenta historiae et iuris 73, 2007, p. 403 ss.; L. De Giovanni, Istituzioni, scienza giuridica, codici nel mondo tardoantico. Alle radici di una nuova storia (Roma 2007) p.  167  s. e p.  172; A. Cenderelli, recens. in: Iura 55, 2004–05 (ma 2008), p.  220  ss. (nonché infra nt.  48). 7  Sul punto cfr. il mio Ermogeniano, Origene, Sedulio: attività parafrastica tra età ‹epiclassica› e Tardoantico, in: Cassiodorus 6–7, 2000–01, p.  161  ss. 8  Assumere l’onere esplicito e annunciato (Hermog. 1 iur. ep.  D. 1.5.2: infra nt. 13) di realizzare un’epitome della precedente produzione scientifica appare compito anomalo se raffrontato alla testimonianza lasciataci dai tradizionali tipi letterari privilegiati dai prudentes romani. Potrebbe essersi trattato, però, di un atteggiamento omogeneo con lo spirito del tempo improntato a rifuggire la ‹scena› lavorando quasi solo sulle orme altrui: per es., nel caso delle Epitomi, benché con guizzi di novità formali e di sostanza, prevalentemente all’ombra dei maiores severiani; nel caso delle contemporanee raccolte di constitutiones dietro lo scudo della interpretatio dei prìncipi; nella quotidianità della produzione del nuovo ius all’interno anonimo degli scrinia. 9  Sia concesso rinviare solo alla mia esperienza: Ermogeniano e la nozione di consuetudo, in: Studia et documenta historiae et iuris 62, 1996, p. 125 ss. (= Nozione, formazione e interpretazione del diritto dall’età romana alle esperienze moderne. Ricerche Gallo 1 [Napoli 1997] p.  229  ss.); Sistema e ragioni culturali nei Libri iuris epitomarum di Ermogeniano, in: Studia et documenta historiae et iuris 63, 1997, p.  107  ss. (= Gerión 16, 1998, p.  395  ss.); «Hereditas personam dominae sustinet». Giacenza ereditaria e tradizione romanistica, in: Studia et documenta hi-



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rigida prospettiva allora scelta da Detlef Liebs per esaminare il lavoro ermogenianeo (in qualche maniera ancora sulla scia della tradizione ottocentesca10), ovvero l’individuazione degli scritti giurisprudenziali ‹lavorati› e ‹metabolizzati› per l’epitome, sembrerebbe aver forse impedito di apprezzare appieno taluni aspetti del tutto personali delle posizioni scientifiche dell’autore prescelto, e dunque caratteristiche magari pregevoli dell’opera intesa nella sua totalità. Insomma, nonostante l’ampiezza del dato testuale messo a contributo per l’indagine «zum Stand der römischen Jurisprudenz im Zeitalter Diokletians» (in pratica due terzi dei resti delle Epitomi), il fatto di aver esegeticamente selezionato quasi soltanto i segni epitomatòri che sembravano suggerire radicamenti testuali nel periodo adrianeo-severiano non avrebbe consentito l’esame minuzioso di altri interessanti luoghi di questi libri iuris, e specialmente di quei frammenti frutto probabile, invece, di una reale indipendenza di pensiero. Proprio laddove, cioè, la voce ‹giustinianea› del giurista genera il sospetto di essere stata preservata autentica sia rispetto ai suoi modelli, sia rispetto alle insinuanti manipolazioni tardoantiche e protobizantine essa sarebbe rimasta silente nelle pagine del moderno studioso11. Eppure, a dispetto delle persistenti e gravi incertezze interpretative causate dallo stato dei materiali disponibili – non si può certo dimenticare non solo la frammentarietà letteraria del dettato pervenutoci, cioè la sua irrimediabile selezione e segmentazione a fini sistematici, ma pure l’alta probabilità del lavorio effettuato su di esso tra Costantino e Giustiniano –, oggi pare non impossibile esprimere più d’una considerazione sull’opera nel suo complesso. Per quanto interlocutorie, soggette come sempre, nel lungo tempo della ricerca, a verifiche e perciò a possibili conferme o a eventuali smentite, esse devono molto proprio allo sforzo critico offerto da Detlef storiae et iuris 70, 2004, p. 13 ss.; Ius gentium e riflessione epiclassica, in: Annaeus 1, 2004, p.  163  ss.; Appunti sulle leges d’età epiclassica, in: Studi economico-giuridici Cagliari 59, 2001–02 (ma 2004), p.  411  ss. (= Archivio giuridico «Filippo Serafini» 225, 2005, p. 263 ss.); Hereditas centro di imputazione «in multis partibus iuris», in: Annaeus 2, 2005, p. 3 ss. (= Minima Epigraphica et Papyrologica 9, 2006 [Studia Amelotti], p.  287  ss.); CI. 4. 34. 9: giacenza ereditaria, depositum per servum, legittimazione processuale, in: F. M. d’Ippolito (a cura di), Φιλία. Scritti Franciosi 2 (Napoli 2008) p.  739  ss.; Interpretatio e necessaria mitigatio. Riflessioni su ipotesti ermogenianei, in: κοινωνια 33, 2009, p.  75  ss. (= Homenaje Guzmán Brito [in corso di stampa]). 10  Cfr. Dirksen, Ueber des Hermogenianus Libri iuris epitomarum cit., p.  492. 11  Va tuttavia osservato come il forte impegno profuso da Liebs si sarebbe senz’altro rivelato prezioso; grazie pure ad altri interventi incidentalmente riguardanti il giurista, esso avrebbe consentito agli studiosi di muovere passi più sicuri nel tentativo di bene inquadrare la realtà del diritto nel momento dell’incontro tra l’ultima età del principato e i tratti d’avvio dell’evo tardoantico.

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Liebs; senza le sue conclusioni sulla generale attitudine del tardo giurista alla riscrittura semplificante d’una porzione della giurisprudenza ‹classica› e, assieme, alla ricomposizione sintetica delle contrastanti opinioni di molti tra gli autori del principato severiano, non sarebbe esternabile alcuna valutazione seriamente fondata del ruolo ipotizzabilmente tenuto dalle Epitomi nell’esperienza giuridica di passaggio tra i secoli III e IV. 2.  – Nella prospettiva d’un taglio della ricerca tutto teso a cogliere le specificità dei Libri iuris epitomarum, e massime con una fruttuosa disposizione all’ascolto degli spunti originali dell’opera (non solo, quindi, delle parti più chiaramente ipertestuali), il rilevante significato della composizione ermogenianea emerge senz’altro. Se è vero che essa rappresenta una testimonianza esplicita dello stato del diritto nel pieno della monarchia tetrarchica più o meno sostanziata (ma non solo) da un precipitato del ius severiano, è altrettanto vero che il suo dettato svela pure i tratti non poco significativi di un’esperienza scientifica in più sensi formalmente ben diversa da quella, per quanto diversificata, della ponderosa produzione letteraria accumulatasi nel corso del lunghissimo periodo postadrianeo. Infatti, poste da parte le esuberanti controversie rinvenibili nei volumina selezionati nel corso dell’attività epitomatoria, di frequente Ermogeniano si sarebbe di fatto rifiutato di farsi eco delle vistose complicazioni dottrinali del passato; superando la varietas di pensiero che arrivava dalla mole delle opere messe a contributo, spesso l’epitome avrebbe esibito utili ‹aggiustamenti› di problemi anticamente dibattuti, quasi fornendo per essi un sorta di originale punto di arrivo. È invero chiarissima la generale caratteristica dell’opera a presentarsi come semplificazione letteraria d’una importante sezione dei pregressi e talora intricati materiali d’autore, segno, appunto, dell’estrema capacità del giurista di ricomporre sinteticamente, facendo «scomparire il ius controversum»12 («post magnas varietates» come testualmente ripetuto), le contrastanti opinioni dei prudentes dei secoli precedenti. Altrettanto evidente appare la capacità di generalizzazione diffusa nel dettato epitomatorio; e questo non solo nelle partizioni in apparenza culturalmente più supportate13, laddove per esempio si riscontra persino l’enun12  Cfr. Hermog. 5 iur. ep. D. 41.8.9: Pro legato usucapit, cui recte legatum relictum est: sed et si non iure legatum relinquatur vel legatum ademptum est, pro legato usucapi post magnas varietates optinuit; Id. 2 iur. ep.  D. 44.7.32: Cum ex uno delicto plures nascuntur actiones, sicut evenit, cum arbores furtim caesae dicuntur, omnibus experiri permitti post magnas varietates optinuit. Tra: M. Talamanca, La clausola derogatoria da Aristone ad Ermogeniano, in: Studi Nicosia 8 (Milano 2007) p.  155  ss., qui p.  228. 13  Cfr., per es., Hermog. 1 iur. ep. D. 1.5.2: Cum igitur hominum causa omne ius constitutum sit, primo de personarum statu ac post de ceteris, ordinem edicti per-



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ciazione esemplare di princìpi autoritativi14, ma anche di fronte a questioni minute e di non facile soluzione dogmatica sul piano tecnico15. Pure in tali casi le Epitomi attestano una buona disposizione ad affrontare senza infingimenti scientifici taluni problemi tralatizi, nel concepire efficacemente e in modi parzialmente nuovi alcune figure giuridiche tradizionali, nel saper coniugare attraverso le soluzioni più adatte le non facili esigenze della sistemazione dogmatica con le necessità insorgenti dalla prassi. Peraltro, tali caratteristiche dei libri epitomarum parrebbero trovare aliunde un discreto corroboramento, quasi un’indiretta ma palese conferma, grazie all’abilità manifestata dal giurista nello gestire diversamente la propria scientia a seconda dei contesti letterari di manovra, appunto autorali con i libri delle Epitomi oppure cancellereschi con il poderoso libro del Codice e, prima ancora16, con l’elaborazione e la stesura dell’eccezionale numero di rescritti poi confluiti nella predetta raccolta17. In via d’esempio basti pensare ai modi dell’approccio al tema della giacenza ereditaria, usualmente tormentato dalla riflessione giurisprudenziale del prinpetui secuti et his proximos atque coniunctos applicantes titulos ut res patitur, dicemus. Recenziori sul passo G. Melillo, Personae e status in Roma antica (Napoli 2006) p.  7  ss.; nonché, ma totalmente disinformato, S. Tafaro, Centralità dell’uomo (persona), in: Studi Nicosia 8 cit., p.  97  ss.; adde infra nt.  48. 14  Cfr. Hermog. 1 iur. ep.  D. 48.19.42: Interpretatione legum poenae molliendae sunt potius quam asperandae. 15  Cfr. Hermog. 6 iur. ep.  D. 41.1.61: Hereditas in multis partibus iuris pro domino habetur adeoque hereditati quoque ut domino per servum hereditarium adquiritur. in his sane, in quibus factum personae operaeve substantia desideratur, nihil hereditati quaeri per servum potest. ac propterea quamvis servus hereditarius heres institui possit, tamen quia adire iubentis domini persona desideratur, heres exspectandus est. Usus fructus, qui sine persona constitui non potest, hereditati per servum non adquiritur. 16  Sarebbe utile aggiungere altro a quanto detto supra nt.  5 circa il tema della identificazione tra autore dell’epitome e ‹codificatore tetrarchico›; la questione, però, anche per il confronto con la non poca letteratura accumulatasi, porterebbe qui troppo lontano. È veridico che Epitomi e Codice siano stati prodotti dallo stesso personaggio, sebbene con uno scarto di pochi anni e, com’è ovvio, con atteggiamenti scientifici differenti (cfr. Dovere, CI. 4. 34. 9: giacenza ereditaria cit.); peraltro, più o meno analoghi potrebbero essere stati gli scopi profondamente insiti nella produzione di tali opere (e meritevoli ancora di ulteriori indagini, magari meno super­ficiali di quelle anche recentemente apparse), tutti coerenti con le esigenze di ‹sistemazione› in primis sollecitate, oltre che dalla realtà costituzionale e amministrativa romana decisamente avviatasi verso il mondo del dominato, pure, se non soprattutto, dal nuovo sistema di trasmissione della cultura scritta grazie alla diffusione di codices in luogo dei tradizionali volumina (cfr. ora sintetiche pagine in Sperandio, Codex Gregorianus cit., p. 307 ss., con esame di tutta la migliore bibliografia). 17  Infra § 3, spec. nt.  35.

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cipato alla disperata ricerca d’una risposta tecnicamente soddisfacente sul piano dogmatico18: nell’epitome un ottimo esempio di proficuo incontro tra empirismo sistematico e ricerca teorica (hereditas in multis partibus iuris pro domino habetur19); nel Codex, viceversa, quasi un’affermazione assertiva (cum hereditas personam dominae sustineat20) implicitamente e indirettamente rispondente a precise e ineludibili esigenze di sistema perché prodromiche agli ivi ipotizzati sviluppi giurisdizionali (apud rectorem provinciae petere potestis). L’hereditas ‹quasi domina› registrata sia nelle Epitomi sia nel Codice Ermogeniano si potrebbe dunque identificare come la sintesi efficace di un unico, personale e tecnicamente ben supportato tentativo di soluzione scientifica, formalmente diverso a seconda delle sedi materiali (epitome e Codex) e delle circostanze (attività letteraria d’autore e servizio rispondente nel nome del princeps): in buona sostanza, il prodotto apprezzabile di una sola contemporanea tensione a un tempo pragmatica e di sistema. Questa giurisprudenza condensata nei libri epitomarum, talora in bilico tra nuove soluzioni e anonima memoria del passato (mai distratta, peraltro, né formalmente21 né sostanzialmente nei riguardi di quanto constitutum dai prìncipi22), avrebbe guardato a orizzonti prospetticamente ampi e, in con18  Cfr. Iavol. 7 ep.  D. 28.5.65 (64); Gai. 3 de verb. obligat. D. 45.3.28.4; Ulp.  4 disp.  D. 41.1.33.2; Flor. 11 inst. D. 30.116.3; Ulp.  4 de cens. D. 41.1.34. Si tratta di un tema, d’altra parte (ancora vivo per i giusromanisti: R. Martini, Πρόσωπον e persona: notazioni semantiche, in: Scritti Amirante cit. p.  219 ss.), che neanche nel nostro diritto positivo ha trovato adeguata soluzione dogmatica (e oggi è del tutto ‹dimenticato›: L. Peppe, Il problema delle persone giuridiche in diritto romano, in: Studi Martini 3 [Milano 2009] p.  69  ss.): sembra che per esso vi sia stata una sorta di vera e propria elusione codicistica: cfr. il capo VIII del II libro del Codice Civile, rubricato Dell’eredità giacente, art. 528. 19  D. 41.1.61 pr. (supra nt.  15). 20  CI. 4.34.9 (a. 293): Cum hereditas personam dominae sustineat, ab hereditario servo, priusquam patri vestro successeritis, res commendatas secundum bonam fidem ab eius qui susceperat successoribus apud rectorem provinciae petere potestis. L’accostamento tra questo testo e quello dell’epitome già trascritto (supra nt.  15) spingerebbe a immaginare un incontro tra la sofisticata conoscenza del pensiero dei prudentes e la pratica concretezza dell’impiego di esso, da parte del magister libellorum, nell’informare e corroborare l’attività interpretativa quotidiana del sovranorispondente. 21  Cfr. i riferimenti formali contenuti in Hermog. 1 iur. ep.  D. 40.1.24.1: Sed et si testes non dispari numero tam pro libertate quam contra libertatem dixerint, pro libertate pronuntiandum esse saepe constitutum est; Id. 6 iur. ep.  D. 49.14.46.5: Ut debitoribus fisci quod fiscus debet compensetur, saepe constitutum est: rell.; ibid. D. 44.3.13: In omnibus fisci quaestionibus exceptis causis, in quibus minora tempora servari specialiter constitutum est, viginti annorum praescriptio custoditur. 22  Cfr. Hermog. 5 iur. ep.  D. 47.10.45: De iniuria nunc extra ordinem ex causa et persona statui solet. et servi quidem flagellis caesi dominis restituuntur, liberi



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temporanea, sostanzialmente minuti. Pur nata, come appare evidente, da esigenze concrete ma su spinte culturali alte23, essa badava non poco alla realtà lontana dell’impero e ai sempre possibili contrasti tra gli indirizzi unitari perseguiti dal Centro e le profonde, permanentemente vive, esigenze pluralistiche sollecitate dalla vastissima periferia provinciale24: intendeva muoversi utilitaristicamente su un piano di netta generalità, e là dove possibile giocare sul terreno dei princìpi, offrendo indicazioni sicure e uniformi ai rappresentanti istituzionali periferici talora, forse, troppo sollecitati dalle diverse esigenze giuridiche locali25. Proprio alla Periferia, dunque, con significativa ricorrenza ed essenzialità di riferimento avrebbe badato l’autore delle Epitomi trattando di temi strettamente connessi con le tanto vaste prerogative dei numerosi governatori provinciali. Anche soltanto formalmente – ma si sa bene come tale tratto possa essere di estremo significato per l’esegeta storico-giurista – nei Libri iuris epitomarum sarebbe talora sembrato superfluo aggiungere lo specificante provinciae nell’indicare il praeses, soggetto istituzionalmente operante nel contesto presupposto e ivi vertice dell’imperium, della cui attività giusto allora l’epitome si stava occupando; e questo, forse non a caso, anche in taluni brani per i quali non è sembrato possibile individuare alcun ipotesto ‹classico›26. Su un certo modello presente negli utimi studiosi severiani, e massime in Elio Marciano, referente ovviamente tacito ma privilegiato nei libri epitomarum, alcuni escerti, mostrando l’attenzione speciale rivolta al mondo periferico (penso, per esempio, a 3 iur. ep. D. 49.1.26, 5 iur. ep. D. vero humilioris quidem loci fustibus subiciuntur, ceteri autem vel exilio temporali vel interdictione certae rei coercentur; sui cui collegamenti con CI. 10.32.4 di Diocleziano v. ora F. Grelle, Diocleziano e i figli dei decurioni, in: Scritti Amirante cit. p.  129 ss. (= κοινωνια 33, 2009, p.  85  ss.), qui p.  130 s. (ove a ragione si difende l’autenticità del testo). 23  Cfr. il testo che è supra alla nt.  13: al di là dell’impianto sistematico annunciato nel frammento (ordinem edicti perpetui secuti …) e delle indubbie assonanze istituzionali gaiane (primo de personarum statu ac post de ceteris  … dicemus), non si può affatto negare il colto retroterra, filosoficamente sincretistico, presupposto dal brano. 24  Cfr. Hermog. 1 iur. ep. D. 1.3.35: Sed et ea, quae longa consuetudine comprobata sunt ac per annos plurimos observata, velut tacita civium conventio non minus quam ea quae scripta sunt iura servantur. 25  Cfr. il testo che è supra nt.  14: ivi l’epitome, quasi autoritativamente (poenae molliendae sunt), richiamava l’operatore giudiziario a un intervento non formalistico, preventivamente giustificato, di temperamento della poena legis; e questo, magari (ricordando il vicino frammento in D. 1.3.35), giusto per bilanciare localmente, in qualche provincia lontana, la presenza di una diversa ma troppo severa consuetudo. 26  Cfr. per es. Hermog. 3 iur. ep.  D. 49.1.26: infra nt. 27.

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39.4.10 pr., 6 iur. ep. D. 49.14.46.227), rivelano un’estrema e consapevole disponibilità, appunto già solo dal punto di vista meramente formale, a muoversi all’interno dell’ampia struttura burocratica senza mancare affatto di interesse esplicito per la sfaccettata realtà giuridica delle provinciae28. Sintomi inequivocabili e ancor più concreti di tale sensibilità per l’orizzonte ‹lontano› dell’impero e per i modi della sua amministrazione ordinaria possono pure essere intesi, con altri tratti improntati anch’essi a un’attenta e solida praktische Jurisprudenz, i numerosi frammenti in cui l’epitome lasciava spazio ai temi municipali29, come pure, per esempio, là dove era precisa menzione dei munera, il cui carico malamente tollerato dalla società dell’epoca di certo veniva fatto gravare, come sappiamo bene, particolarmente sugli ambienti e sui ceti non metropolitani30. Non a caso, perciò, a dispetto del nocciolo dei contenuti epitomatòri naturalmente tuttora in gran parte ancorato al mondo dei due secoli non appena trascorsi, l’ordito di questi libri iuris sarebbe stato informato anche dalle pulsioni d’una nuova strutturazione della realtà fortemente premente e, forse, in qualche modo assai più consapevole del tendenzialmente impe27  Rispettivamente: a) Ad imperatorem causam remissam partibus consentientibus praeses, si ad eius notionem pertinet, audire potest; b) Vectigalia sine imperatorum praecepto neque praesidi neque curatori neque curiae constituere nec praecedentia reformare et his vel addere vel deminuere licet; c) Quod a praeside seu procuratore vel quolibet alio in ea provincia, in qua administrat, licet per suppositam personam comparatum est, infirmato contractu vindicatur et aestimatio eius fisco infertur: nam et navem in eadem provincia, in qua quis administrat, aedificare prohibetur; non per tutti questi escerti è stata proposta una identificazione ipotestuale: cfr. Liebs, Hermogenians cit., p.  48, 93  s., 105. 28  Cfr. pure Hermog. 2 iur. ep.  D. 1.18.10: Ex omnibus causis, de quibus vel praefectus urbi vel praefectus praetorio itemque consules et praetores ceterique Romae cognoscunt, correctorum et praesidum provinciarum est notio. Ultima sintesi sull’universo provinciale dioclezianeo è in L. Di Paola, in: Ead.-C. Neri (a cura di), Storia di Roma. L’età tardoantica 2 (Roma 2010) p.  382  ss. 29  Cfr. Hermog. 1 iur. ep.  D. 50.1.23: Municeps esse desinit senatoriam adeptus dignitatem, quantum ad munera …; ibid. D. 50.2.8: Decurionibus facultatibus lapsis alimenta decerni permissum est  … 30  Cfr. Hermog. 1 iur. ep.  D. 50.1.16: Sed si emancipatur ab adoptivo patre, non tantum filius, sed etiam civis eius civitatis, cuius per adoptionem fuerat factus, esse desinit; ibid. D. 50.4.1: Munerum civilium quaedam sunt patrominii, alia personarum  … Personalia civilia sunt munera defensio civitatis  …; ibid. D. 50.4.17: Sponte provinciae sacerdotium iterare nemo prohibetur. Immunis ab honoribus et muneribus civilibus si decurioni creato filio  …; ibid. D. 50, 5, 11: Sunt munera  … de quibus neque liberi neque aetas nec merita militiae nec ullum aliud privilegium iure tribuit excusationem  …; frammenti, com’è probabile, neanche tutti derivati dagli autori severiani (cfr. Liebs, Hermogenians cit., p.  71  s.; Cenderelli, Ricerche cit., p.  229  s.; ma anche S. Corcoran, The Empire of the Tetrarchs. Imperial Pronouncements and Government AD 284–3242 [Oxford 2000, ed. accr.] p.  115 nt.  172).



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rante universalismo giuridico romano: un contesto ideologicamente ecumenico, quello del diritto d’età tetrarchica, che per esempio di fronte alle molteplici spinte localistiche richiedeva uno sforzo di uniformità in qualche caso necessariamente realizzato con categorie sistematiche tradizionalissime ora, però, opportunamente ‹reinventate› (iure gentium introducta bella, discretae gentes, regna condita, dominia distincta, agris termini positi, aedificia collocata, commercium …31). 3.  – L’orizzonte delle Epitomi, del resto, non avrebbe potuto che essere ad amplissimo raggio, ovvero rispettoso da un lato, com’è naturale, della sostanza scientifica dei grandi auctores dei lontani decenni ma attento, al tempo stesso, soprattutto alle esigenze giuridiche poste dalle molteplici realtà dell’impero dislocate dappertutto, e comunque per la gran parte geograficamente distanti dai grandi uffici produttivi di diritto. Nonostante il permanere dell’impossibilità di essere meglio informati sul contenuto integrale dell’epitome grazie una seria lettura lineare di ciò che essa accoglieva – non è inutile rimarcare una volta di più tutte le complicazioni, a latere di quelle solitamente presentate dal Digesto, implicite nella natura metatestuale dell’opera32 –, già il ruolo pubblico tenuto da Ermogeniano nel principato tetrarchico, associato al suo ancor’oggi percepibile background culturale, non poteva che aver agevolato, e quasi naturalmente, tale attenzione per le diversificate richieste dell’impero. Il fatto che ormai, a prescindere dalle ineliminabili incertezze sulle connotazioni prosopografiche del personaggio33, appaia irragionevole dubitare della presenza del giurista all’interno del quadro più elevato dell’apparato burocratico nello scorcio del III secolo induce senz’altro a supporre nel nostro autore interessi scientifico-pratici davvero ulteriori34, e con essi una 31  Cfr. Hermog. 1 iur. ep.  D. 1.1.5: Ex hoc iure gentium introducta bella, discretae gentes, regna condita, dominia distincta, agris termini positi, aedificia collocata, commercium, emptiones venditiones, locationes conductiones, obligationes institutae: exceptis quibusdam quae iure civili introductae sunt. 32  Verifica recente di queste complicazioni è quella di Talamanca, La clausola derogatoria cit., p.  218  ss. spec. nt.  166. 33  Si tratta di incertezze tali da aver indotto qualcuno ad accantonare la questione dell’eventuale rapporto esistente fra i pochi Ermogeniani più o meno coevamente attestati in età dioclezianea (indicazioni nella nt.  seguente): cfr. Corcoran, The Empire of the Tetrarchs cit., p.  87; letteratura nel mio De iure cit., p.  14  ss. 34  Per la presenza tetrarchica di Ermogeniano (riproduzioni sono infra a nt.  41) cfr. la stele di Brescia pubblicata in: AE, 1987, 456 (ove è presente un Aurelio E.); la Passio Sancti Sabini (ove è menzione di un Eugenio E.) per la cui versio più breve, ma al contempo più credibile, cfr. C. Baronio, Annales ecclesiastici 2 (Incipit ab exordio Traiani imperatoris, et perducitur usque ad imperium Costantini) (Romae 1594) p.  711. Adde Sedul., Pasch. op.  2 ep.  ad Macedonium: Hümer 172.8–13 (=  PL 19.547B):  … nam si aut saeculares adsecuti aut divinis videbuntur libris instructi, debent exempla veterum recensere nec similia lacerare conentur iniuste. cognoscant Hermogenianum, doctissimum iurislatorem, tres editiones sui operis

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particolare capacità di cogliere con buona precisione lieviti e fermenti solitamente sentiti con minore prontezza nelle sedi centrali del potere, quali senza alcun dubbio erano certune sezioni delle cancellerie dei prìncipi35. Di sicuro, vista la mole impressionante delle diverse centinaia di rescritti poi pervenutici grazie al Codex, il lavoro istituzionalmente svolto come magister libellorum dioclezianeo nel biennio 293–294 deve essere stato una non comune fonte di conoscenza delle tantissime istanze sociali limitanee dell’impero e, di conseguenza, un ineguagliabile strumento d’informazione sulle connesse problematiche giuridiche frequentemente focalizzate, visto lo specifico scrinium coinvolto, sul momento dell’incontro patologico tra i contrastanti interessi dei litigiosi cives36. E quale palestra migliore di questo inesauribile collettore istituzionale delle difficoltà periferiche per un burocrate dalla robusta consapevolezza della pregressa scienza, e soprattutto conscio, proprio grazie al proprio spessore culturale e alla vasta esperienza accumulantesi nell’amministrazione, dell’essenziale compito assegnatogli di anonimo legislator37: un efficiente creatore di soluzioni tecnicamente corconfecisse, cognoscant peritissimum divinae legis Origenem, tribus nihilominus editionibus prope cuncta quae disseruit aptavisse. 35  Ciò non vuol certo significare l’assenza di un atteggiamento parzialmente simile già presso parte della giurisprudenza precedente (cfr., per es., L. De Giovanni, Giuristi severiani. Elio Marciano [Napoli 1994; rist.]); la vera novità ermogenianea appare senza alcun dubbio la progettuale visione d’assieme delle generali necessità giuridiche dell’amministrazione-impero sfociata prima nel Codex e poi nelle Epitomi. Senza comunque poter datare con precisione gli eventi, è bene ricordare qui come la più recente dottrina abbia ormai ragionevolmente stabilito che, una volta pubblicato il Codex (negli anni immediatamente precedenti lo spirare del III secolo), Ermogeniano abbia poi redatto i libri epitomarum all’inizio del decennio successivo; bibl. recenziore è in apparatu a Sperandio, Codex Gregorianus cit., passim e p.  225  s.; Connolly, Lives Behind the Laws cit., p.  39  ss. (qualche argomento in questo senso in Dovere, De iure cit., p.  95  ss.). 36  L’esame stilistico e intrinseco dei numerosissimi rescritti di tale biennio, quelli del Codex Hermogenianus (i parcellizzati interessi provinciali emergono ora con chiarezza da Connolly, Lives Behind the Laws cit., p.  66  ss.), rendono persuasi dei compiti svolti da Ermogeniano come magister libellorum di Diocleziano; rinvio alla letteratura che è nel mio De iure cit., p.  13  ss.; adde, con bibliografia, Sperandio, Codex Gregorianus cit., p. 156 ss.; B. Salway, Equestrian Prefects and the Award of Senatorial Honours from Severus to Constantine, in A. Kolb (a cura di), Herrschaftsstrukturen und Herrschaftspraxis: Konzepte, Prinzipien, und Strategien der Administration im römischen Kaiserreich. Akten der Tagung an der Universität Zürich 2004 (Berlin 2006) p.  111  ss., qui p.  129  s.; ora Connolly, Lives Behind the Laws cit., p.  34  ss. e p.  39  ss. 37  È noto come ancora con Giustiniano fosse in uso tale appellativo per gli antichi prudentes; fonti in G. Valditara, Gai 3, 218 – I. 4, 3, 15 e l’evoluzione del concetto di «legislator», in: Id., Studi di diritto pubblico (Torino 1999) p.  89  ss. (= Nozione, formazione e interpretazione del diritto 2 cit., p.  481  ss.), p.  122.



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rette e funzionali non solo allineate col ius del passato ma, ove possibile, anche scientificamente nuove (come nel richiamato caso, per esempio, della vicenda giudiziaria provinciale tutta preliminarmente fondata sul dato della hereditas che ‹personam dominae sustineat›). Peraltro, se è verosimile che a partire da una certa data l’attività burocratica ermogenianea sarebbe poi stata svolta non più presso Diocleziano, l’Augusto senior, bensì al servizio dei prìncipi d’Occidente (chissà che l’allora improvvisa caduta della produzione rescrivente orientale non vada imputata, oltre che forse alle ragioni ora immaginate dagli studiosi, pure al ‹trasferimento› dell’esperto e sapiente Ermogeniano38), si può anche intuire come dovesse essere esteso, per forza di cose, l’ordinario contesto operativo di quest’uomo di diritto: secondo una prassi non ancora divenuta inconsueta in età epiclassica39, alternando la propria attività amministrativa tra le due partes imperii, dopo qualche passaggio istituzionale (e geografico) che purtroppo continua a rimanere del tutto oscuro40, il Nostro sarebbe stato prima a capo dell’ufficio orientale a libellis e poi, giusto a cavaliere tra i due secoli, promosso per l’Occidente alla carica di praefectus praetorio41. Il non incredibile percorso burocratico del giurista, geograficamente altalenante perché descritto prima negli scrinia di una delle partes imperii e poi in quelli dell’altra, l’Occidente di Massimiano (infine, forse, ancora presso gli officia orientali dipendenti da Licinio42) – un modello, questo, di forte impegno amministrativo in qualche maniera non sconosciuto, così di primo 38  Cfr. Sperandio, Codex Gregorianus cit., spec. p. 296 ss.; si guardi ancora Cenderelli, Ricerche cit., p.  193. 39  Oltre che alle tradizionali opere generali (bibl. in Dovere, De iure cit., p. 13 s.) rinvio a P. Porena, Le origini della prefettura del pretorio tardoantica (Roma 2003) p.  103  ss. 40  Per la presenza beritese del personaggio: D. Liebs, Die Jurisprudenz im spätantiken Italien (260–640 n.  Chr.) (Berlin 1987) p.  36  ss.; Connolly, Lives Behind the Laws cit., p.  39 con bibl. 41  A Roma, nell’a. 304, il prefetto Eugenio E. avrebbe individuato lo strumento giuridico tecnicamente opportuno perché il principe potesse reprimere i cristiani: Ex quo factum est, ut Eugenius Hermogenianus Praefectus Praetorio retulerit in Senatu de persecutione in Christianos decernenda. Decernitur in Senatu persecutio  … Rescriptumque dedit Maximianus ad Venustianum Augustalem Tusciae his verbis: Ex suggestione patris nostri Hermogeniani P. P. apud nos claruisse cognosce; è a Brixia, invece, che è stata ritrovata la stele, forse degli anni conclusivi del sec. III, con la menzione del prefetto Aurelio E.: [F]lavio V[al(erio)] / Constan[tio] / fortissim[o ac] / nobiliss(imo) C[aes(ari)] / [I]ul(ius) Asclepio[dot(us] / u(ir) c(larissimus) et Aur(elius) Her[mo] / genianus u(ir) [c(larissimus)] / praef(ecti) prae[t(orio)] / de(uoti) n(umini) m(aiestati)q(ue) eius (supra alla nt. 34 le indicazioni documentarie di tali testimonianze). 42  Cfr. Dovere, De iure cit., p.  14; cfr. ancora Connolly, Lives Behind the Laws cit., p.  39.

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acchito, anche al nostro mondo industriale globalizzato –, potrebbe non solo corroborare l’ipotesi che oggi tende a identificare ‹gli Ermogeniani› auctores documentariamente testimoniati per il principato tetrarchico (‹codificatore› ed epitomatore), ma finanche confortare le ragioni delle intraviste aperture del personaggio sul versante provinciale. Aperture prima ancora culturali, va ribadito, sia verso nuove esigenze di organizzazione e rapida conoscenza della testualità interpretativo-normativa imperatoria sia, con modalità formali del tutto diverse43, a favore di un’utile diffusione sintetica dell’imprescindibile ma forse, almeno in certi contesti meno acculturati, troppo ingombrante e frastagliato ius giurisprudenziale44: risposte, dunque, quelle di Ermogeniano probabilmente addirittura divenute improcrastinabili per i bisogni interni degli officia, e massime per le molte sedi lontane, nel momento di quello che con non poca ragione si è definito «il riordino tetrarchico»45. D’altronde, l’argomento ‹culturale› talora sollevato in dottrina nell’esaminare alcuni passaggi dei frammenti delle Epitomi, e prima d’ogni altra cosa le notazioni riguardanti il latino non privo di grecismi impiegato dal giurista 43  Le difformità tra Codex ed Epitomi (in parte ovvie, ma non sempre scontate come per es. nel caso della rispettiva organizzazione formale), che nel passato hanno fatto pensare a due distinti autori, tra le altre cose trovavano radici, secondo il mio parere, anche nei tempi assai diversi richiesti per la gestazione delle due opere: assai celere la prima, con poco spazi cronologici per ripensamenti di sistema, come giustamente ha concluso la dottrina (per tutti cfr. Cenderelli, Ricerche cit., p.  13  ss. e p.  236  ss.); ben meditata l’altra, com’è evidente dallo studio dei frammenti superstiti, per le stesse necessità inerenti la natura metatestuale del complessivo lavoro epitomatorio. 44  Esempio di tale attività epitomatoria Hermog. 1 iur. ep.  D. 5.1.53 (Vix certis ex causis adversus dominos servis consistere permissum est: id est si qui suppressas tabulas testamenti dicant, in quibus libertatem sibi relictam adseverant. item artioris annonae populi Romani, census etiam et falsae monetae criminis reos dominos detegere servis permissum est, praeterea fideicommissam libertatem ab his petent: sed et si qui suis nummis redemptos se et non manumissos contra placiti fidem adseverent.  liber etiam esse iussus si rationes reddiderit, arbitrum contra dominum rationibus excutiendis recte petet. sed et si quis fidem alicuius elegerit, ut nummis eius redimatur atque his solutis manumittatur, nec ille oblatam pecuniam suscipere velle dicat, contractus fidem detegendi servo potestas tributa est): un quadro di tutte le eccezioni, civilistiche e penalistiche, al principio generale vietante al servo di consistere adversus dominum. 45  Varvaro, Riflessioni cit., p.  16; non si può tuttavia condividere, di questa parte della dottrina, la non nuova visione del Codice Ermogeniano (interessanti spunti di riflessione, tuttavia da verificare, sono ora in Connolly, Lives Behind the Laws cit., p.  140  ss. e p.  153) come sistemazione normativa ufficiosamente pilotata dall’alto (ibid. p.  9 e p.  12); si tratta di un’ipotesi che, miope nell’ignorare la forte personalità scientifica del giurista, sulla base di modernizzanti prospettive codicistiche inevitabilmente conduce a intravedere inesistenti intenti «di natura politica e propagandistica».



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nel suo lavorio di elaborazione testuale46, sembra pur esso tornare perfettamente coerente nel discorso che qui si conduce sulle suggestioni derivanti dalla non modesta ricchezza prospettica dell’opera e del suo autore. La visione nitida dell’apparato amministrativo/giusdicente periferico e di conseguenza, tra le varie questioni problematiche su di esso prementi, pure quella della necessità di un tentativo d’una uniforme e permanente formazione di coloro che a esso afferivano non avrebbe potuto che pragmaticamente indirizzare il Nostro: un giurista, com’è lecito supporre, perfettamente a suo agio nei diversi ambiti dell’imperium non soltanto per la prolungata esperienza dei meccanismi burocratici e per la precisa percezione delle relative asperità funzionali, ma anche per una disinvolta capacità (grazie al proprio bagaglio di conoscenze47, non soltanto giuridiche48) di ampia comunicazione bilingue. 46  Cfr. su segnalazione di Liebs, Hermogenians cit., p. 106, Hermog. 1 iur. ep. D. 35.2.38: Communes servi in utriusque patrimonio connumerantur. Cuius usus fructus alienus est, in dominio domini proprietatis connumeratur, pignori dati in debitoris …, e 50.1.16: Sed si emancipatur ab adoptivo patre, non tantum filius, sed etiam civis eius civitatis, cuius per adoptionem fuerat factus, esse desinit, Id. 4 iur. ep.  D. 32.22.1: Miles in eum ex militari delicto capitali dicta sententia, permittente eo in ipsa sententia qui damnavit  … 47  Non è revocabile in dubbio il fatto che il Nostro fosse un originario grecoloquente poi divenuto latinoscrivente: T. Honoré, Hermogenianus on Privity and Agency in Contract, in: Estudios de Historia del Derecho Europeo. Homenaje Martínez Díez 1 (Madrid 1994) p.  91  ss. (rielaborazione di Hermogenianus on privity and the scope of the law of contract, in: Current Legal Problems 44, 1991, p.  135  ss.), qui p.  91. Pensare in greco ma poi scrivere in latino, la lingua degli scrinia, avrebbe condotto l’epitomatore, non solo a riservare un rispetto speciale per il dettato delle fonti giurisprudenziali, ma anche a rendere poi in una discreta lingua ‹classica› (cfr. già W. Kalb, Roms Juristen, nach ihrer Sprache Dargestellt [Leipzig 1890; rist. Aalen 1975], p.  97  s. e p.  144), di formazione evidentemente per lo più quasi solo libresca, il frutto della propria attività; cfr., per es., Hermog. 1 iur. ep. D. 50.4.1.1: Patrimonii sunt munera rei vehicularis, item navicularis: decemprimatus: ab istis enim periculo ipsorum exactiones sollemnium celebrantur (su cui è essenziale Cenderelli, Ricerche cit., p.  231 e p.  240). 48  Piuttosto che tentar di ‹scolorire› la grecità culturale di Ermogeniano, come qualcuno ha creduto che altrove io avessi intenzione di fare (R. Martini, A proposito di Ermogeniano fra grecità e romanità, in: Studia et documenta historiae et iuris 68, 2002, p.  561, spec. p.  565), a me sembra che le connotazioni d’origine non romane del Nostro debbano essere rimarcate come un tratto ulteriore, positivo e perfettamente coerente con l’ideale vicinanza del giurista ai ‹classici› allora epitomati (cfr. Dovere, Ermogeniano e la nozione di «consuetudo» cit.), della sua sfaccettata personalità scientifica (si pensi solo agli echi filosofici che, con buona volontà, possono ancora cogliersi in 1 iur. ep.  D. 1.5.2: Cum igitur hominum causa omne ius constitutum sit  …; apprezzamento recente di tale passaggio è in R. Quadrato, Hominum gratia, in: Id., Gaius dixit. La voce di un giurista di frontiera [Bari 2010] p.  399  ss. [= Studi Martini 3 cit., p.  273  ss.], qui p.  401  s.).

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Orbene, solo da posizioni culturalmente alte, singolarmente aperte e orgogliosamente consapevoli per un autore sarebbe stato possibile scegliere la poco gratificante funzione, ma utilissima per gli scrinia e in specie per le propaggini lontane di essi, d’epitomare una gran parte del ius del principato, i preziosi e abbondanti resti letterari della passata riflessione giuridica: un compito tanto socialmente efficace, assieme a quello (grazie al Codex) di sistematico e capillare diffusore della prassi interpretativa cancelleresca, da divenire assai dopo, in epoca teodosiana di imperante ius principale, finanche una sorta di elevatissmo paradigma scientifico-letterario sia fuori dal mondo del diritto (per il poeta Sedulio49) sia dentro di esso, e persino al suo punto apicale (per Teodosio II, primo codificatore imperiale50). 4.  – Negli anni della tetrarchia, in buona sostanza, «era ormai giunto il momento di trarre delle ‹sintesi›, di estendere la conoscenza del diritto da un ristrettissimo ceto di specialisti a un pubblico molto più vasto, di ‹popolarizzare›, per così dire, un patrimonio giuridico complesso e disperso tra una miriade di fonti e di archivi, il più delle volte difficilmente consultabili[, tanto che] i giuristi si po[ser]o al servizio di tali esigenze»51. Ebbene, se in linea generale ciò è senza alcun dubbio vero – si pensi soltanto, giusto per esempio, alla più o meno coeva redazione delle Pauli Sententiae e alla loro diffusa fortuna, a vari livelli, in prosieguo di tempo52 –, per i ‹prodotti› ermogenianei pare necessario concludere con osservazioni di senso motivazionale in parte diverso. È davvero improbabile che l’attenzione scientifica del Nostro potesse essere in qualche misura sollecitata dalle pur esistenti urgenze pratico-giuridiche (e di sicuro ancor prima culturali) degli ambienti esterni all’apparato burocratico come quelle, per esempio, dei tanti operatori forensi capillarmente presenti nel territorio dell’imperium, e certo più di molti altri assai vicini, massime in provincia, ai vari cognitores locali53. L’idea che dalla lettura delle Epitomi si trae, granché non dissimile peraltro dalle suggestioni provenienti dai tituli del Codex coevo, è che le preoccupazioni di Ermo49  Mi riferisco qui, naturalmente, al passo dell’Opus Paschale di Sedulio:  … cognoscant Hermogenianum, doctissimum iurislatorem  … (supra nt.  34) e all’esegesi che altrove ne ho proposto: cfr. supra nt.  7. 50  Cfr. la celeberrima CTh. 1.1.5: Ad similitudinem Gregoriani atque Hermogeniani codicis cunctas colligi constitutiones decernimus. 51  De Giovanni, Istituzioni, scienza giuridica, codici cit., p.  168. 52  Da ultimo, cfr. l’ottimo lavoro di I. Ruggiero, Immagini di ius receptum nelle Pauli Sententiae, in: Scritti Martini 3 cit., p.  425  ss. (ov’è bibliografia), qui conclusivamente utile spec. p.  455  ss.; adde Ead., Ricerche intorno alle Pauli Sententiae (Dissertazione di Dottorato dattilo, 2010) p.  41  s. 53  Su cui la recente e informata ricognizione di S. Barbati, I iudices ordinarii nell’ordinamento giudiziario tardoromano, in: Jus 54, 2007, p.  67  ss.



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geniano fossere tutte progettualmente indirizzate a concretizzare l’attività epitomatoria, e prima di essa quella di sistemazione dei rescripta54, esclusivamente a vantaggio funzionale, massime per gli adempimenti di tipo giurisdizionale, del proprio ambito di appartenenza, quello dell’amministrazione burocratica inclusiva sia dei più lontani praesides sia, per tanti aspetti, dell’itinerante princeps e del suo nutrito staff di esperti55. Solo pensando pragmaticamente, perché ben noti, agli imbarazzi di chi all’esercizio della giustizia doveva quotidianamente provvedere lontano dal Centro (e trattavasi comunque di un Centro più che spesso davvero ‹mobile›56) poteva ap­ parire assolutamente indispensabile oggettivare sùbito, a ridosso della diffusione del Gregoriano57, l’unica linea interpretativa certa e unitaria ormai accessibile del diritto, ovvero quella costantemente tracciata nelle cancellerie58; e in quest’ottica erano immediatamente fruibili, perché nella materiale, personale disponibilità dell’ex-magister libellorum, non semplici exempla litterarum bensì tutti gli originali delle numerosissime constitutiones del biennio 293–29459. Così pure, sull’onda di analoghe motivazioni, ma cultu54  Solo in un passaggio di Ermogeniano vi è la testimonianza, forse qui significativa, dell’inclusione tra le excusationes temporanee di quella di administrans dei beni principali: 2 iur. ep. D. 27.1.41 pr. (Administrantes rem principum ex indulgentia eorum, licet citra codicillos, a tutela itemque cura tempore administrationis delata excusantur). 55  Cfr. Connolly, Lives Behind the Laws cit., p.  47  ss. 56  Cfr. ora il foltissimo elenco delle locations note dei rescripa ermogenianei (specialmente Sirmio e Nicomedia, ma anche Eraclea, Bisanzio, Adrianopoli, Serdica, Filippopoli, ecc.) tutto concentrato presso Connolly o. ult. cit., p.  176  ss. 57  Pur non essendo questa la sede per analizzare le questioni concernenti i rapporti tra le due raccolte ‹tetrarchiche› di constitutiones – troppo spesso forzatamente collegate, in dottrina, sulla base di idee preconcette improvvidamente proiettate sugli operatori dell’età epiclassica (ultimo Varvaro, Riflessioni cit., passim; cfr. supra nt.  45) –, va ribadito come l’opinione qui riassunta neghi fondamento a quelle ipotesi, benché diffusissime, che attribuiscono all’Ermogeniano natura complementare al Gregoriano (contra cfr. ora Sperandio, Codex Gregorianus cit., spec. p.  197  ss. e p.  287  ss.), e per esso, comunque, una basilare ispirazione non autonoma dell’autore bensì ufficiosamente politica, dunque principale. 58  Cambiando il molto che vi è da cambiare, si pensi qui a certe assonanze, sintomo del persistere di taluni problemi ancora nel sec. V, presenti in una fonte ufficiale relativa alla capillare, ‹provinciale›, distribuzione del Codice Teodosiano: Plures codices fiant habenti officiis.  … Codices conscripti ad provincias dirigantur.  … In officiis suis singulos codices habeant. (Gesta senatus Romani 5). 59  Non è necessario motivare qui alcune caratteristiche del Codex (nei limiti in cui, naturalmente, l’assenza dell’originale consenta oggi di effettuare notazioni particolareggiate) – per esempio la percepibile eccezionale rapidità della sua pubblicazione, l’evidente non eccessiva organicità dell’opera, il troppo ristretto spazio temporale da essa ‹coperto› – con ragioni relative alla presunta impossibilità sopravvenuta, da parte del giurista (magari per trasferimento ad altro incarico; cfr. Cenderelli, Ricerche cit., p.  16  ss.), di continuare la propria attività (Liebs, Hermo-

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ralmente più radicate e poi operativamente più coltivate ed elaborate perché attinenti a una lunghissima, contrastante, profonda riflessione, appunto quella dei prudentes, appariva senz’altro più che utile effettuare un lavoro di selezione letteraria sui relativi volumina e poi stendere, sulla base di uno schema formale conosciutissimo onde favorirne la circolazione (ordinem edicti perpetui60), quasi un prontuario del ius prodotto negli anni migliori del principato: un diritto solitamente consultabile, per il vero, ma in maniera sparsa e non sempre da chiunque e dappertutto, e talora, per le sue contraddizioni interne, difficilmente amalgamabile al fine di essere reso produttivo sul piano della pratica amministrativa e giudiziaria61. Ermogeniano, perciò, avrebbe idealmente riservato le proprie fatiche soltanto a un uso interno, all’impiego da parte dei membri degli uffici e in particolare di coloro che, non sempre con consapevolezza culturale e comunque senza guida sicura e uniforme, operavano quotidianamente lontano dagli indirizzi di Palazzo62. Leggere e studiare, riassumere e ‹metabolizzare›, in qualche modo aggiornare e poi recintare, non a caso esplicitamente concludendo «post magnas varietates», il debordante pensiero dei grandi prudentes e, là dove possibile, offrire anche princìpi-guida con tutta l’autorevolezza del colto, esperto, notissimo funzionario organico ai centri del potere ancora oggi identifica una personale opzione a un tempo culturalmente pregevole e operativamente pratica63. genians cit., p. 23 ss.); potrebbe essere stata una precisa opzione d’autore, per quanto in linea con la tendenza stabilizzatrice dioclezianea e quindi non ostacolata, anche se solo di mero collazionatore di rescripta (tuttavia, si ricordi, raccolti proprio sotto il nome del giurista e magari già via via messi assieme durante gli anni 293–294), quella di rendere sùbito consultabili a tutti i giudici gli orientamenti interpretativi imperiali del ius (in realtà, più o meno in gran parte probabilmente frutto già dello stesso lavorio ermogenianeo), e questo eventualmente anche a scapito della qualità scientifica dell’insieme. 60  Cfr. ancora Hermog. 1 iur. ep.  1.5.2:  … ordinem edicti perpetui secuti et his proximos atque coniunctos applicantes titulos ut res patitur, dicemus. 61  È qui il caso di puntualizzare come io condivida l’ipotetica successione cronologica delle opere in questione (cfr. supra nt.  34) sinteticamente proposta da Sperandio, Codex Gregorianus cit., p.  383  ss. 62  Liebs, parzialmente seguito da altri (Cenderelli, Ricerche cit., p. 241 s.), aveva pensato a una diffussione ‹interna› delle Epitomi allo scopo di garantire la riaffermazione del ius Romanorum a scapito dell’impiego dei vari diritti locali: Hermogenians cit., p.  107  ss. 63  L’autorevolezza dell’autore-epitomatore-burocrate (e il dato vale anche nel considerarne l’attività da ‹codificatore›) non avrebbe certo implicato un carattere men che privato delle Epitomi (come pure del Codex; ma cfr. Varvaro, Riflessioni cit., p.  10, p.  12  s.), salvo tuttavia l’alone di particolare ‹credibilità› dell’opera (cfr. Dovere, Interpretatio e necessaria mitigatio cit.) di fatto in qualche maniera calata dall’alto, seppure al suo interno, della gerarchia amministrativa medesima.



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Grazie alle apprezzabili caratteristiche scientifiche dell’autore e alla concreta sensibilità che probabilmente ne orientò l’ideazione e poi la composizione, nel loro insieme le Epitomi non possono che apparire, a chi vi si avvicini con sguardo non condizionato dal peso delle tante e marcate personalità autorali promananti dagli altri resti giurisprudenziali giustinianei64, come il prodotto letterario perfetto di un versatile Rechtsgeber (iurislator) proficuamente e miratamente operante al margine cronologico estremo della romana scientia iuris65. Non può certo disconoscersi, invero, come Ermogeniano avesse senz’altro la volontà di rendere meglio intellegibile il diritto dei tempi suoi66, seppur compendiosamente ma con spessore d’intenti e ampiezza d’orizzonti, a quell’apparato cui socialmente e istituzionalmente apparteneva e del quale, com’è naturale che fosse, non ignorava limiti, condizionamenti, bisogni. Da qui, dunque (dopo il Codex), con minuta organicità di strutturazione al suo interno67, una pragmatica summa d’una buona quota dell’ordinamento resa disponibile per l’uso dei ‹suoi› uffici e informata da forte impegno critico, ricorrente indipendenza di giudizio, seria autonomia scientifica d’autore.

64  Un esempio in tal senso è stato F. Wieacker, Le droit romain de la mort d’Alexandre Sévère à l’avènement de Dioclétien (235–284 apr. J.-C.), in: Revue historique de droit français et étranger 49, 1971, p.  201  ss., qui p.  220. 65  Il fatto che le Epitomi, dopo la pubblicazione, avrebbero poi avuto una ‹storia› tanto silenziosa da ricomparire soltanto nel laboratorio giustinianeo non ne minimizza affatto la presumibile larga diffusione, ma appunto tutta interna all’amministrazione, in età epiclassica; d’altra parte, il vasto utilizzo effettuatone dai compilatori del VI secolo (si tratta di più di un centinaio di frammenti) mostra ancora la continuità dell’apprezzamento burocratico dell’opera in epoca protobizantina. 66  Nelle Epitomi sono talora ripetuti, per esempio, inequivoci riferimenti alla stretta contemporaneità del diritto; cfr. Hermog. 5 iur. ep.  D. 48.15.7: Poena pecuniaria statuta lege Fabia in usu esse desiit; Id. 1 iur. ep.  D. 40.2.23: Manumissio per lictores hodie domino tacente expediri solet, et verba sollemnia licet non dicantur, ut dicta accipiuntur. 67  Va ancora sottolineato, in questa direzione, il faticoso apporto rappresentato dal voluminoso libro del Codex e la larghissima copia di provvedimenti principali, com’è evidente nella diretta disponibilità materiale del ‹codificatore›, sistematicamente suddivisi con minuzia all’interno di esso; per il gran numero di tituli ermogenianei del Codice cfr. la palingenesia proposta da Cenderelli, Ricerche cit., p. 143 ss. (adde ivi p. 13 ss.). Ugualmente va ricordato l’elevato numero di tituli in cui presumibilmente i 6 libri iuris epitomarum sarebbero stati suddivisi: cfr. Liebs, Hermogenians cit., p.  116; differentemente O. Lenel, Palingenesia iuris civilis 1 (Lipsiae 1889; L. E. Sierl [a cura di], rist. Graz 1960; L. Capogrossi Colognesi [a cura di], rist. anast. Roma 2000), p.  265  ss.

Libertas religionis ‚Religionsfreiheit‘ bei Tertullian und Laktanz Zwei Skizzen Von Klaus M. Girardet I. Tertullian Wohl im Jahre 197 hat Tertullian sein bekanntes Werk mit dem Titel ‚Apologeticum‘ veröffentlicht.1 Hier findet sich der offenbar früheste erhaltene Beleg für das Selbstverständnis des Christentums als religio.2 Und in dieser Schrift erscheint zum ersten und einzigen Male in der lateinischen Literatur der Antike auch der Ausdruck libertas religionis.3 Auf den ersten Blick kann der Gedanke der Religionsfreiheit als eine bemerkenswerte Innovation im antiken Denken erscheinen4, und in gewisser Weise trifft das auch zu. Es fragt sich aber, ob Tertullian tatsächlich, wie die Forschung zumeist annimmt, angesichts der immer wieder von Diskriminierung und lokaler Verfolgung gekennzeichneten Lage des Christentums5 Toleranz zum 1  Zu Tertullian: Timothy D. Barnes, Tertullian. A Historical and Literary Study. Oxford 21985; Hermann Tränkle, HLL 4, 1997, § 474. Q. Septimius Florens Tertullianus, hier zu apol. 444–449. – Eberhard Heck, MH ΘEOMAXEIN oder: Die Bestrafung des Gottesverächters. Frankfurt 1987, 42  ff., zu apol. bes. 49–53. 2  Tert. apol. 16, 14: religio nostra. Dazu Maurice Sachot, Origine et trajectoire d’un mot: religion. Rev. de philosoph. ancienne 21, 2003, 3–32, hier 14  f. 3  Tert. apol. 24, 6. – Siehe u. a. Bernhard Kötting, Religionsfreiheit und Toleranz im Altertum. Opladen 1977, 21 f.; Peter Garnsey, Religious Toleration in Classical Antiquity. In: William J. Sheils (Hg.), Persecution and Toleration. Oxford 1984, 1–27, hier 14 f.; Hubert Cancik, Die frühesten antiken Texte zu den Begriffen ‚Menschenrecht‘, ‚Religionsfreiheit‘, ‚Toleranz‘. In: Klaus Martin Girardet / Ulrich Nortmann (Hg.), Menschenrechte und europäische Identität. Die antiken Grundlagen. Stuttgart 2005, 94–104, hier 97–100; Joseph Streeter, Religious Toleration in Classical Antiquity and Early Christianity. In: Geoffrey E. M. de Sainte Croix, Christian persecution, martyrdom, and orthodoxy, Hg. Michael Whitby / Joseph Streeter. Oxford 2006, 229–251, hier 233–235. – Vgl. Rodrigue Bélanger, Le plaidoyer de Tertullien pour la liberté religieuse. StRel 14, 1985, 281–291 (nicht sehr aufschlußreich). 4  So Garnsey (wie Anm.  3) 14  ff.; vgl. auch Bélanger (wie Anm.  3) 289: „idées qui sont nouvelles au temps de Tertullien“.  5  Joseph Vogt, RAC 2, 1954, 1159–1208, s. v. Christenverfolgung I (historisch); William H. C. Frend, Martyrdom and Persecution in the Early Church. (Oxford

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allgemeingültigen Prinzip erhoben6, ob er so etwas wie allgemeine Reli­ gionsfreiheit, so etwas wie einen Pluralismus der Religionen gefordert oder doch jedenfalls ins Auge gefaßt hat. Begegnen wir bei ihm erstmals einer christlichen Begründung der Forderung nach religiöser Toleranz7, und das müßte dann ja auch christliche Toleranz gegenüber den Paganen, den Juden, den Ketzern bedeuten? Nur wenige neuere Autoren haben bereits ernste Bedenken geäußert.8 Tertullian schreibt (apol. 24, 5): „Mag der eine (unseren) Gott verehren, der andere Jupiter; mag der eine seine bittflehenden Hände zum Himmel (sc. der Christ), der andere sie zum Altar der (Göttin) Fides erheben; … mag der eine seinem Gott seine Seele weihen (sc. der Christ), der andere das Leben eines Bockes“; wer aber, so fährt er fort, die mit diesen Worten gekennzeichnete libertas religionis, die Religionsfreiheit, die freie Entscheidung für diese oder jene Religion, wegnimmt und die optio divinitatis untersagt, die freie und freiwillige Wahl einer Gottheit, macht sich einer Form von irreligiositas9 schul1965) Grand Rapids 1981; Karl-Heinz Schwarte, Intention und Rechtsgrundlage der Christenverfolgung im Römischen Reich. Eine entwicklungsgeschichtliche Skizze. In: Dagmar Stutzinger (Hg.), Spätantike und frühes Christentum (Ausstellungskatalog Liebieghaus). Frankfurt 1983, 20–33. 6  Siehe nur Jean Lecler, Geschichte der Religionsfreiheit im Zeitalter der Reformation, Bd.  I. Stuttgart 1965, 95: er fordere „Religionsfreiheit für jeden, weil die Religion eine Angelegenheit des Gewissens und des Willens ist“, er begründe den „Grundsatz der Religionsfreiheit“; Garnsey (wie Anm.  3) 16: Toleranz als „general principle“, „it does seem to be a breakthrough“; ebd. 25  f.; Bélanger (wie Anm.  3) 289: „le principe même de la tolérance religieuse“. Vgl. auch Harold A. Drake, Lambs into Lions: Explaining Early Christian Intolerance. P+P 153, 1996, 3–36, hier 9 f.; Michael Fiedrowicz, Apologie im frühen Christentum. Die Kontroverse um den christlichen Wahrheitsanspruch in den ersten Jahrhunderten. Paderborn 2000, 61  f. zu Tertullian: das in apol. 24, 6 und Scap. 2, 2 „formulierte Prinzip allgemeiner Religionsfreiheit“; Otfried Höffe, Toleranz. Zur politischen Legitimation der Moderne. In: Rainer Forst (Hg.), Toleranz. Frankfurt 2000, 60–76, hier 62. 7  So z. B. Perry Schmidt-Leukel, Ist das Christentum notwendig intolerant? In: Forst (wie Anm.  6) 177–213, hier 186; vgl. Höffe (wie Anm.  6) 62; Fiedrowicz, Apologie (wie Anm.  6) 61  f. 8  Streeter (wie Anm.  3) 234; Maijastina Kahlos, Forbearance and Compulsion. The Rhetoric of Religious Tolerance and Intolerance in Late Antiquity. London 2009, 23: „It is important not to read second- and third-century appeals anachronistically as declarations of universal freedom of religion and toleration. Instead, it seems that Christian apologists … were interested only in securing the rights of their own group“. Zur Debatte um die Terminologie (‚Toleranz‘) vgl. Streeter (wie Anm.  3) 231  ff.; Kahlos (wie oben) 5–8. – Leider hat Henrike Maria Zilling, Tertullian. Untertan Gottes und des Kaisers. Paderborn 2004, die Problematik der libertas religionis nicht behandelt (vgl. den Stellenindex 231  ff.; der Begriff und mögliche Übersetzungen kommen auch im Register nicht vor). 9  Begriff von Tertullian geprägt? So vermutet Heck, MH (wie Anm.  1) 50 mit Anm.  29.



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dig10, d. h. eines Verstoßes gegen das Prinzip ‚religiositas‘. Und dieses Prinzip verlangt nach Tertullian (a. a. O.), daß es jedem freigestellt sein muß, zu verehren, was er will, und daß niemand gezwungen wird, zu verehren, was er nicht will. Alle Menschen, so der Autor an anderer Stelle des Werkes, haben im römischen Reich das Recht (ius) der freien Wahl eines Kultes, mit Ausnahme der Christen, die doch den einen wahren Gott verehren.11 Denn den Christen wird die libertas religionis einerseits dadurch verweigert bzw. weggenommen, daß das nomen Christianum grundsätzlich strafbar ist12, andererseits durch Versuche der Behörden, ‚geständige‘ Christen, d. h. solche Menschen, die ihr Christsein nach entsprechender Anzeige bei den Behörden eingestanden haben, durch Androhung der Todesstrafe und bzw. oder mittels Folter zum Opfer an die Götter oder den Kaiser13 und damit, aus christlicher Sicht, zur Apostasie zu nötigen14; dies wohl auch in der Absicht, Todesurteile zu vermeiden.15 Aber worauf gründet sich der hier erstmals formulierte bzw. dokumentierte Gedanke, daß religiositas die libertas religionis, die freie optio divinitatis verlangt, daß Freiwilligkeit die proprietas religionis sei, das für ‚Religion‘ konstitutive Merkmal? Im Kontext der Apologie findet sich dazu keine klare Aussage. Allenfalls könnte man an den Rekurs Tertullians auf den allgemeinen, etwas banalen Erfahrungssatz denken, daß niemand, auch nicht ein Mensch (wie etwa der Kaiser) – geschweige denn eine Gottheit – , von jemandem gegen dessen Willen verehrt werden will.16 10  Tert. apol. 24, 6: Videte enim, ne et hoc ad irreligiositatis elogium concurrat, adimere libertatem religionis et interdicere optionem divinitatis, ut non liceat mihi colere quem velim, sed cogar colere quem nolim. 11  Tert. apol. 24, 9: nos soli arcemur a religionis proprietate; 10: apud vos quodvis colere ius est praeter deum verum. 12  Tert. apol. 2 und 4, 4; 38  f.: das Christentum als illicita factio / coitio. – Zur Strafbarkeit des Christseins siehe aus der Fülle der Literatur (siehe auch oben Anm.  5) u. a. Antonie Wlosok, Die Rechtsgrundlagen der Christenverfolgungen der ersten zwei Jahrhunderte (1959 / 1971). In: dies., Res humanae – res divinae. Kleine Schriften. Heidelberg 1990, 116–136; Friedrich Vittinghoff, „Christianus sum“ – Das „Verbrechen“ von Außenseitern der römischen Gesellschaft. Historia 33, 1984, 331–356. 13  Siehe z. B. Polykarp: mart. Polyc. 8, 2; 9, 2  f.; 10–12; acta mart. Scilit. 3, 5.  – Gehorsam / Ungehorsam gegen ein Opferedikt: acta Iustini 1, 1; 2, 1; 5, 4  ff. 14  Siehe etwa Tert. apol. 2, 10  ff.; 21, 28; 27, 1  f.; 28, 1  f. 15  Tert. Scap. 3, 4: Folter mit dem Ziel, Christen a proposito suo excidere; ebd. 4, 3: Beispiele für mildes Verhalten von Statthaltern (u. a. Verzicht auf Opferzwang nach Folter); 5, 1: seitens eines Statthalters Verweigerung der ‚Beihilfe zum Selbstmord‘. 16  So Tert. apol. 24, 6: nemo se ab invito coli volet, ne homo quidem. – Garnsey (wie Anm.  3) 16 weist auf einen ähnlichen Gedanken bei Flavius Josephus hin: c. Apion. II 73.

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Eine deutlichere Antwort auf die Frage nach geistigen Grundlagen der Forderung nach Religionsfreiheit, verstanden als Freiwilligkeit der reli­ giösen Entscheidung, gibt eine Passage in der 212 entstandenen Schrift Tertullians ‚ad Scapulam‘, einer Art ‚offenem Brief‘, gerichtet an den römischen Provinzstatthalter in Karthago mit Namen (Tertullus) Scapula.17 Im Geiste seiner berühmt gewordenen These, die anima auch der Paganen sei naturaliter Christiana18, behauptet der Autor, die Christen verehrten den einen Gott, „den ihr alle von Natur kennt“ (quem omnes naturaliter nostis).19 Indessen gelten, außer einem höchsten Gott, auch die übrigen Wesen, die von den Christen Dämonen genannt werden, den Paganen als Götter (a. a. O.). „Dennoch“, so Tertullian, ist es für jeden eine Sache menschlichen Rechts20 und naturgegebener Vollmacht (humani iuris et naturalis potestatis), kultisch zu verehren, was er für richtig hält, und niemandem schade oder nütze die Religion eines anderen. Daraus aber folge (ebd.), daß es nicht Eigenschaft von Religion sei, Religion zu erzwingen: Religion müsse vielmehr freiwillig (sponte), dürfe nicht unter Gewaltdrohung (vi) angenommen werden, wie ja auch Opferhandlungen nur von einem bereitwilligen Geist (ab animo libenti) gefordert werden.21 Daher werden die Paganen ihren Göttern nichts zugute kommen lassen, wenn sie Christen zum Opfern zwingen; denn die ‚Götter‘ werden von Widerwilligen (ab invitis) keine Opfer haben wollen (a. a. O.), weshalb ein erzwungenes Opfer sinnlos sei.22 Diese Argumentation gegenüber dem paganen Statthalter ist also nicht spezifisch christlich; sondern Tertullian beruft sich, wie zu sehen war, für seine Forderung nach Religionsfreiheit bzw. Freiwilligkeit der religiösen 17  Tränkle

(wie Anm.  1) 451  f. zu Scap. – Heck, MH (wie Anm.  1) 102  ff. apol. 17, 6; siehe auch bereits Tert. ad nat. I 8, 9  f. 19  Tert. ad Scap. 2, 1 f.: nos unum Deum colimus, quem omnes naturaliter nostis, ad cuius fulgura et tonitrua contremiscitis, ad cuius beneficia gaudetis. Ceteros et ipsi putatis deos esse, quos nos daemonas scimus. (2) Tamen humani iuris et naturalis potestatis est unicuique quod putaverit colere; nec alii obest aut prodest alterius religio. Sed nec religionis est cogere religionem, quae sponte suscipi debeat, non vi, cum et hostiae ab animo libenti expostulentur. Ita etsi nos compuleritis ad sacrificandum, nihil praestabitis diis vestris: ab invitis enim sacrificia non desidera­ bunt. 20  Zu humanum ius s. u. bei Anm.  23. 21  Text in Anm.  19. 22  Bemerkenswerterweise fehlen die Aussagen Tertullians in der Deklaration des 2.  Vatikanischen Konzils vom 7.12.1965 zur Libertas religiosa: Acta Apostolicae Sedis 58, 1966, 929–946, hier 936 Anm.  8 (Zitate der Kirchenväter, beginnend mit Laktanz). Tertullian gilt nicht unumstritten als ‚Kirchenvater‘. Das ist möglicherweise auch der Grund, weshalb das Konzil für seine Deklaration nicht den tertullianischen Ausdruck libertas religionis, sondern den Titel libertas religiosa gewählt hat. – Zur Debatte um Tertullian als Schismatiker und Häretiker siehe das entsprechende Kapitel bei Barnes, Tertullian (wie Anm.  1) 130  ff.; Zilling (wie Anm.  8) 45–56. 18  Tert.



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Entscheidung auf menschliches Recht (humanum ius), wie es im römischen Reich allen außer den Christen zugestanden wird23, und die Natur des Menschen (naturalis potestas).24 Grundlage der Argumentation ist hier offenbar die Philosophie der Stoa. Denn nach der stoischen Ethik muß eine Handlung, um sittlich wertvoll zu sein, einer freien Entscheidung entspringen; eine erzwungene Handlung kann nicht sittlich gut sein.25 Es stellt sich nun aber die Frage, ob mit dem auf menschliches Recht und die menschliche Natur gegründeten Ruf nach libertas religionis mehr gemeint sein kann und soll als der Ruf nach Freiheit für die in paganer Umwelt angegriffene christliche Religion. Wird also, wie man in der Forschung mehrheitlich glaubt, grundsätzlich Religionsfreiheit gefordert, sozusagen ein Pluralismus der Religionen im Sinne des modernen Ideals der religiösen Toleranz?26 Zugespitzt gefragt: gilt aus der Sicht Tertullians z. B. auch für einen Christen, der freiwillig zum Paganismus oder zum Judentum übertritt, einen Apostaten also, oder für einen christlichen Ketzer die libertas religionis mit dem Recht auf freie optio divinitatis? Und müßte nicht für den eventuellen Fall eines dereinstigen christlichen Reichsregiments Religionsfreiheit auch für die Paganen gelten? Man sollte meinen, daß genau dies, da es in der logischen Konsequenz der Argumentation mit der im römischen Reich geltenden Rechtslage27 und der Natur des Menschen liegt, der Intention Tertullians entspricht. Das ist aber nicht der Fall. In apol. 24, 1 f. wird nämlich den Paganen vorgehalten, daß sie und nicht etwa die Christen sich des crimen laesae religionis bzw. der irreli23  Mir erscheint sehr zweifelhaft, daß hier ‚Menschenrecht‘ gemeint sein sollte; so aber z. B. Jean Lecler / Marius-François Valkhoff, Les premiers chrétiens défenseurs de la liberté religieuse, Bd.1. Paris 1969, 12 (f.): „l’idee d’une liberté religieuse générale qui serait elle-même comme un droit de l’homme“; Konrad Hilpert, Die Menschenrechte, Geschichte, Theologie, Aktualität. Düsseldorf 1991, 123  f.; Elizabeth D. Digeser, The Making of a Christian Empire. Lactantius and Rome. Ithaca / London 2000, 112; Cancik (wie Anm.  3) 98, 104. Das ius der nichtchristlichen Römer: s. o. bei Anm.  11. – Zur Frage nach Menschenrechten im antiken, auch frühchristlichen, Denken vgl. Klaus Martin Girardet, Menschenrechte, europäische Identität, antike Grundlagen – Einführung in die wissenschaftliche Problematik. In: ders. / Nortmann (wie oben Anm.  3) 19–37. 24  Vgl. auch Tert. spect. 2, 5: die Paganen non penitus deum norunt nisi naturali iure, non etiam familiari etc., wohl entsprechend R 2, 14. 25  Stoa: Cancik (wie Anm.  3) 98  f. – Tertullian und Stoa: Tert. anim. 20, 1 (Seneca saepe noster). 26  Siehe die oben in Anm.  6 und 7 genannten Autoren. Dazu auch z. B. Kötting (wie Anm.  3) 21  f.; Lecler / Valkhoff (wie Anm.  23): „l’idee d’une liberté religieuse générale“. – Ähnlich Digeser, Making (wie Anm.  23) 112 (Anschluß an Garnsey, wie Anm.  3); Peter Garnsey / Caroline Humfress, The Evolution of the Late Antique World. Cambridge 2001, 205. 27  Zu humanum ius s. o. bei Anm.  23.

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giositas schuldig gemacht haben. Denn wenn, so Tertullians Überzeugung, die Götter mit Sicherheit nicht existieren, hat die pagane Religion mit ihren Kulthandlungen keine Grundlage, sie zielt ins Leere; wenn somit die pagane Religion in Wahrheit nicht existent ist, eben weil keine Götter, sondern nur Dämonen verehrt werden, dann kann man den Christen auch nicht vorwerfen, daß sie durch Kultverweigerung die römische Religion verletzen.28 Umgekehrt sind daher diejenigen des Verbrechens der Irreligiosität und der Verletzung von Religion schuldig, die die Religion des einzigen, des wahren Gottes bekämpfen: die Bekämpfung der vera religio veri dei ist das crimen verae irreligiositatis29, und dafür werden die Paganen im Jüngsten Gericht von Gott auf entsetzliche Weise bestraft werden.30 Die Paganen und nicht die Christen sind somit die irreligiosi31, und nicht das Christentum, sondern der Paganismus ist Nicht-Religion, ist superstitio.32 Mit anderen Worten: es gibt auf der Welt überhaupt nur eine einzige ‚wahre‘ Religion, d. h. eine Religion, die diesen Namen verdient – das Christentum.33 Und in der Tat: für die Christen gilt der Ausspruch Jesu: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich“ (Joh 14, 6).34 Wegen seiner massiven Distanzierung von den Paganen und deren theologisch begründeter Verdam28  Tert. apol. 24, 1: si … non sunt dei pro certo, nec religio pro certo est; si religio non est, quia nec dei, pro certo, nec nos pro certo rei sumus laesae religionis. – Nichtexistenz der paganen Götter auch z. B. in apol. 10, 2  ff.; 11  ff.; 22  f. (‚Götter‘ als Dämonen). – Vgl. Guy G. Stroumsa, Tertullian on idolatry and the limits of tolerance. In: Graham N. Stanton / Guy G. Stroumsa (Hg.), Tolerance and Intolerance in Early Judaism and Christianity. Cambridge 1998, 173–184. 29  Tert. apol. 24, 2: at e contrario in vos exprobratio resultabit, qui mendacium colentes veram religionem veri dei non modo neglegendo, quin insuper expugnando, in verum committitis crimen verae irreligiositatis. 30  Tert. spect. 30. 31  Siehe auch Tert. apol. 29, 4  f. – Vgl. Stroumsa, Tertullian (wie Anm.  28) 176: „For Tertullian, Roman religion is a cult not of gods, but of demons, which does not even deserve the name of religion“. 32  Z. B. Tert. apol. 25, 12  f.: der von dem frührömischen König Numa Pompilius erfundene Staatskult als curiositas superstitiosa; dann auch Tert. adv. Marc. I 13, 4; V  4, 5; pall. 4, 10; pud. 5, 1; spect. 9, 5. – Umkehr des Vorwurfs, der den Christen gemacht wurde: siehe Laurens Franciscus Janssen, ‚Superstitio‘ and the persecu­ tions of the Christians. VChr 33, 1979, 131–159; Dieter Lührmann, Superstitio – Die Beurteilung des frühen Christentums durch die Römer. ThZ 42, 1986, 193–213. Siehe auch Denise Grodzynski, Superstitio. Revue des Études Anciennes 76, 1974, 36–60; Michele R. Salzman, ‚Superstitio‘ in the Codex Theodosianus and the Persecution of Pagans. VChr 41, 1987, 172–188. Wichtig Sachot (wie Anm.  2) 9  ff., 14–20. – Paganismus als idololatria: Tert. idol.; dazu Stroumsa, Tertullian (wie Anm.  28) 176  ff. 33  So auch treffend Sachot (wie Anm.  2) 14  ff.; ähnlich Stroumsa, Tertullian, zit. oben in Anm.  31. 34  Vgl. auch Arnob. adv. nat. II 65.



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mung wird Tertullian gelegentlich als einer der kompromißlosen „hard-liners“ bezeichnet35 und als ein Autor, dessen Forderung nach Religionsfreiheit eine „fundamental ambivalence“36 eigen sei. Das Wort religio hat sich bei Tertullian als Synonym für ‚Christentum‘ erwiesen, und nur für dieses wird, da die Paganen die (vera) religio veri dei bekämpfen, libertas religionis gefordert. Auf andere Religionen, die es ja aus der Sicht Tertullians gar nicht gibt, ganz abgesehen davon, daß die Existenz des Paganismus nicht, wie die des Christentums, bedroht war, erstreckt sich diese Forderung nicht.37 Hat Tertullian im übrigen die Frage erörtert, ob den Andersgläubigen nach einem eventuellen politischen Umschwung, durch den die Christen zur bestimmenden Kraft im Reich geworden sein könnten, die freie optio divinitatis erhalten bleiben sollte? Wenn ich richtig sehe, hat er sich dazu nicht geäußert.38 Sicher erscheint nur, daß er sich nicht einmal vorstellen konnte, daß jemals bis ans Ende der Tage ein Kaiser Christ sein39, daß je ein christliches Reichsregiment entstehen könnte. Bis dahin – also bis ans Ende aller Tage – , so sein Rat an die Mitchristen: „Laßt uns mit allen (sc. Paganen) zusammenleben; laßt uns mit ihnen Freude haben auf Grund unserer gemeinsamen Natur, aber nicht im Aberglauben; gleich sind wir, indem wir alle eine Seele haben, aber nicht auf Grund der Denkweise; Mitbesitzer der Welt sind wir, nicht aber des Irrtums“40. Diesen Rat gab er in der Ge­ 35  Kahlos

(wie Anm.  8) 24. Tertullian (wie Anm. 28) 173 f., 181: die Ambivalenz mache erklärlich, „why a real conception of religious tolerance did not develop in late antique Christianity“. 37  Vgl. Richard Klein, Toleranz und Intoleranz in heidnischer und christlicher Sicht, dargestellt am Toleranzedikt des Kaisers Galerius vom Jahre 311. In: Jubi­ läums-Jahresbericht d. Neuen Gymnasiums Nürnberg, Wiss. Beilage. Nürnberg 1978 / 79, 133–152, hier 142  f.: „Die Antwort (sc. auf die Frage, ob in der Konzeption Tertullians noch Platz für umfassende Toleranz sei) kann nur lauten, daß die Exklusivität der christlichen Lehre für eine andere Religion und für eine nichtchristliche Lebensform keinen Platz mehr bietet. Der absolute Wahrheitsanspruch des deus christianus und der Glaube an seine unumschränkte Machtvollkommenheit machen es unmöglich, den heidnischen Bräuchen noch irgendein Existenzrecht zu gewähren“. 38  Vgl. aber eine rabiate Aussage wie die in idol. 6 f.: Christen, die als Handwerker Götzenbilder herstellen, sollten die Hände abgeschlagen werden; ebd. 9: Lob für die Verjagung von Astrologen aus Rom und Italien. 39  Tert. apol. 21, 24: „Die Kaiser hätten an Christus geglaubt, wenn entweder die Kaiser nicht für diese Zeit (sc. für die Existenz des Imperiums) notwendig wären, oder wenn auch Christen hätten Kaiser sein können“ (Caesares credidissent super Christo, si aut Caesares non essent necessarii saeculo, aut si et Christiani potuissent esse Caesares). 40  Tert. idol. 14, 5: convivamus cum omnibus; conlaetemur ex communione naturae, non superstitionis; pares anima sumus, non disciplina, compossessores mundi, non erroris. 36  Stroumsa,

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wißheit, daß die Paganen dem endzeitlichen Strafgericht Gottes verfallen sind.41 Wie steht es schließlich mit der Glaubensfreiheit von Ketzern, d. h. von Christlich-Heterodoxen?42 Grundsätzlich gilt aus der Sicht Tertullians, daß Christen nicht die Freiheit haben, nach eigener Entscheidung theologisch Neues bzw. ‚Anderes‘ einzuführen oder aufzugreifen43. Ketzer sind für ihn keine Christen mehr44, sind wie Skorpione Ungeziefer, betreiben Giftmischerei und verdienen das Anathema.45 Dissens, Schisma, Häresie, Apostasie sind nicht durch Wahrnehmung eines Rechts auf freie optio divinitatis bzw. auf libertas religionis legitimiert; sie sind vielmehr wie der Paganismus Werk des Teufels46, sind47 vom Übel, sind Verrat an der Wahrheit, Rebel­lion gegen Christus, sind fleischliche Sünden, bereiten ewigen Tod, sind grundsätzlich verwerflich. Für sie kann und darf es keine Duldung, keine ‚Toleranz‘, keine Religionsfreiheit geben48 – ihre Glaubensrichtungen sind nicht ‚Religion‘. Auch hier muß allerdings die Frage offenbleiben, ob Tertullian je daran gedacht hat, im Fall entsprechender Möglichkeiten die faktische Freiheit von Häretikern einzuschränken oder zu beseitigen. Aber man wird doch wohl sagen müssen, daß eben dies in der Konsequenz seines Denkens liegt. Unter den obwaltenden Umständen jedoch kann es nur geistig-geist­ liche Auseinandersetzung, Widerlegung, Falschheitsbeweis49 und geistliche Strafen50 geben, wie beim Paganismus mit der Gewißheit der endzeitlichen Bestrafung durch Gott. Paganismus und Häresie also haben in Tertullians Denken nicht den Rang von religio. Prinzipiell besitzen sie daher keinen Anspruch auf libertas religionis. Dies macht den Schluß unausweichlich, daß der Apologet entgegen 41  s. o.

Anm.  30. Siehe auch z. B. Tert. idol. 1. bereits Claude Rambaux, Tertullien face aux morales des trois premiers siècles. Paris 1979, 73  f. 43  Tert. praescr. haer. 6, 1: nobis … nihil ex nostro arbitrio inducere licet … 3: nec eligere quod aliquis arbitrio suo induxerit; ebd. 38. Wahrheitskriterium ist die von den apostolischen Kirchen garantierte Überlieferung: ebd. 21, 32 f., 36 f. (u. ö.). 44  Tert. praescr. haer. 37, 2. Die konkreten Ketzereien: ebd. 30; 33  f.; 41  f. 45  Scorp. 1. 46  Tert. praescr. haer. 40. 47  Tert. praesc. haer. 1–6 u. ö. Siehe auch Tert. adv. Marc. I 5, 5; ders., Scorpiacae passim. 48  Vgl. Tert. Scorp. 2, 1: es sei nicht angemessen, Häretiker zu pflichtgemäßer Bereitschaft zum Martyrium zu ermuntern, sondern man müsse sie dazu ‚antreiben‘; hartnäckiger Widerstand müsse gewaltsam beseitigt, dürfe nicht durch Reden aufgehoben werden – ad officium haereticos compelli, non inlici, dignum est. duritia vincenda est, non suadenda. 49  Tert. praescr. haer. 35; 39, 1  f. u. ö. 50  So z. B. Tert. praescr. haer. 16. 42  Vgl.



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erstem Anschein nicht als geistiger Vater einer spezifisch christlichen Idee von Toleranz, Pluralismus der Religionen, allgemeiner Religionsfreiheit verstanden werden kann. II. Laktanz Der Ausdruck libertas religionis ist, wie gesagt, in der Antike weder vor noch nach Tertullian bezeugt. Aber es gibt mit dem christlichen Gelehrten Laktanz, der ebenfalls aus Nordafrika stammt und der in den ersten Jahrzehnten des 4.  Jahrhunderts geschrieben hat, einen Autor, der in Kenntnis der Werke Tertullians51 und ähnlich wie sein Lehrer Arnobius von Sicca52 intensiv für staatlichen Gewaltverzicht und die Freiheit der religösen Entscheidung plaidiert hat.53 Seine Ausführungen zu diesem Thema54 sind vor dem dunklen Hintergrund der diokletianischen Christenverfolgung (303 bis 311 bzw. 313)55 entstanden. Seit Voltaires „Traité sur la tolérance“56 werden sie immer wieder gewürdigt. Das 2. Vatikanische Konzil hat sie in seiner Deklaration ‚De libertate religiosa‘ vom 7. Dezember 1965 an die Spitze der Kirchenväterzitate gestellt57, man hat sie als „un manifeste pour la liberté de la religion“58 und als „the most elaborate and eloquent (erg.: plea 51  Lact.

inst. div. V  1, 23; 4, 3. Arnob. adv. nat. II 64 f.: Gedanke der Freiwilligkeit (libertas voluntatis), unter Hinweis auf Plat. pol. 617e; sodann adv. nat. III 7; IV 36, 3; V 29, 2; VI 27, 2: gegen Zwang der Paganen. – Joseph Vogt, Toleranz und Intoleranz im constantinischen Zeitalter: der Weg der lateinischen Apologetik. Saeculum 19, 1968, 344–361, hier 347–350; Antonie Wlosok, HLL 5, 1989, § 569. Arnobius: aber keine direkte Abhängigkeit (367); dies., Zur lateinischen Apologetik der constantinischen Zeit. Gymna­ sium 96, 1989, 133–148 = Res humanae (wie Anm. 12) 217–232, hier 139 ff. = 223 ff. 53  Vogt, Toleranz (wie Anm.  52) 350–355; Heck, MH (wie Anm.  1), 192  ff.; Antonie Wlosok, HLL 5, 1989, § 570. L. Caecilius Firmianus Lactantius; dies., Lateinische Apologetik (wie Anm.  52) 136  ff. = 220  ff. 54  Vor allem inst. div. V  19, 9–24; 20, 7–10; epit. 47–50. 55  Zur Verfolgung: Alexander Demandt, Die Spätantike. München 22007, 69  ff. Vgl. Elizabeth D. Digeser, Lactantius, Eusebius, and Arnobius: Evidence for the Causes of the Great Persecution. StudPatr 39, 2006, 33–46; D. Vincent Twomey / Mark Humphries (Hg.), The Great Persecution. Dublin / Portland 2009. 56  Kap. XV. Vgl. François Jacob, Voltaire et Lactance. In: Jean-Yves Guillaumin / Stéphane Ratti (Hg.), Autour de Lactance: hommages à Pierre Monat. Besançon 2003, 53–61, hier 54  f. 57  Lateinischer Text in den Acta Apostolicae Sedis 58, 1966, 929–946, hier 936 Anm.  8. Tertullian ist diese Ehre nicht zuteil geworden: s. o. Anm.  22. – Zu der Deklaration, ihrer Vorgeschichte und ihrem Zustandekommen siehe nur Konrad Hilpert, Die Anerkennung der Religionsfreiheit. Stimmen der Zeit 12, 2005, 809–819. 58  Michel Perrin, La ‚révolution constantinienne‘ vue à travers l’oeuvre de Lactance. In: L’idée de révolution. Fontenay 1991, 81–94, hier 88. 52  Siehe

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for religious freedom) surviving from antiquity“ bezeichnet.59 Hat Laktanz also, anders als ca. hundert Jahre vor ihm Tertullian, einem Pluralismus der Religionen das Wort geredet? Sollte nach seiner Ansicht im römischen Imperium allgemeine Religionsfreiheit herrschen, war religiöse ‚Toleranz‘, war eine Pluralität von gleichberechtigten Religionen die aus christlicher Quelle geschöpfte60 Idealvorstellung des gelehrten Apologeten61? Die Christen, eine kleine religiöse Minderheit von derzeit vielleicht 5 bis höchstens 10 Prozent der Reichsbevölkerung62, hatten seit 303 jahrelang unter verschiedenartigen Verfolgungsmaßnahmen schwer zu leiden, die reichsweit durch das vierköpfige Kaiserkollegium, die beiden Augusti Diokletian und Maximian und die beiden nachgeordneten Caesares Konstantius (I.) und Galerius, befohlen worden waren: Zerstörung der kirchlichen Versammlungsräume bzw. -gebäude, Beschlagnahme von Gemeindeeigentum, Verbrennung der heiligen Schriften und Geräte, Verhaftung der Kleriker, allgemeines Opfergebot, Folterungen, Hinrichtung bei Opferverweigerung, etc.63 Das Christentum war aus paganer Sicht ein „gottloser und kindischer Aberglaube“, eine inpia et anilis superstitio.64 Da dessen Anhänger gegen59  Bowen / Garnsey in Lactantius, Divine Institutions. Übersetzt mit Einleitung und Noten von Anthony Bowen / Peter Garnsey. Liverpool (2003) 2007, 46 zu Lact. inst. div. V  19  f. Siehe auch Lecler (wie Anm.  6) 96  f.; Harold A. Drake, Constantine and the Bishops. The Politics of Intolerance. Baltimore 2000, 211 zu Lact. inst. div. V  19  f.: „His was a clear-cut statement of the principle of religious toleration. Digging deep into the wellsprings of Christian thought, Lactantius here developed a case for toleration of other beliefs which puts the lie to modern assumptions about the roots of Christian intolerance“; Digeser, Making (wie Anm.  23) 109  f.; Höffe (wie Anm.  6) 62; Michael Fiedrowicz, „Freiwillig um Unsterblichkeit kämpfen“. Christliche Einflüsse in der Religionspolitik Kaiser Konstantins. In: ders. / Gerhard Krieger / Winfried Weber (Hg.), Konstantin der Große. Der Kaiser und die Christen – die Christen und der Kaiser. Trier 22007, 11–30, meint (im Anschluß an Digeser): „Die logische Konsequenz“ aus den Gedanken des Laktanz zur Religionsfreiheit sei „die Toleranz der christlichen Religion“ (18  f.). 60  So Drake (zit. in Anm.  59). 61  Vgl. bereits, mit gewichtigen Gegenargumenten, Klein, Toleranz (wie Anm. 37) 143  f.; Jochen Walter, Pagane Texte und Wertvorstellungen bei Lactanz. Göttingen 2006, 306–319: „Lactanz – ein Vorkämpfer für Toleranz?“. 62  Klaus Martin Girardet, Der Kaiser und sein Gott. Das Christentum im Denken und in der Religionspolitik Konstantins des Großen. Berlin 2010, 13  f. 63  Schwarte, Intention (wie Anm.  5) 30  ff.; ders., Diokletians Christengesetz. In: Rosmarie Günther / Stefan Rebenich (Hg.), E fontibus haurire, FS Heinrich Chantraine. Paderborn 1994, 203–240; vgl. zuletzt Simon Corcoran, The empire of the ­tetrarchs. Imperial pronouncements and government AD 284–324. Oxford 22000, 179  ff.; Kahlos (wie Anm.  8) 31  ff. – Quellen: Peter Guyot / Richard Klein, Das frühe Christentum bis zum Ende der Verfolgungen Bd.  I. Darmstadt 1993, 178  ff. 64  So Lact. inst. div. V  2, 7 (Formulierung eines paganen Philosophen am Hofe Diokletians; vgl. Lact. mort. pers. 16, 4); Christentum als superstitio seit Tacitus,



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über den Staatsgöttern Kultverweigerung übten, sollte es um der religiösen, für die Gunst der Götter notwendigen kultischen Einheit des Imperiums willen65 vernichtet werden.66 In dieser Situation hat Laktanz zwischen den Jahren 304 und 310 / Anfang 311 sein siebenbändiges Werk ‚institutiones divinae‘ – ‚Göttliche Unterweisungen‘ – verfaßt.67 Religion, so der Autor, ist das Reich der Freiheit, der Freiwilligkeit, der Willensfreiheit. Gott – der Gott der Christen – hat den Menschen mit dem liberum arbitrium begabt (II 8, 4), mit der Fähigkeit und dem Recht zu freier Willensentscheidung. In der Verfolgungssituation jedoch stehen sich necessitas und voluntas, religiöser Zwang von Seiten des Staates und freie Entscheidung der Christen für ihren Glauben, unversöhnlich gegenüber68, nicht anders als Mordlust (carnificina) und Gottesliebe (pietas), Gewalt (vis) und Wahrheit (veritas), Grausamkeit (crudelitas) und Gerechtigkeit (iustitia).69 Der Christ verteidigt seine „wahrhaftige und wohlfundierte Freiheit“ (vera et solida libertas), Christ zu sein, gegen den von den Behörden ausgeübten Religionszwang, er wahrt den freiwilligen Entschluß (voluntas), bei seinem Glauben zu bleiben, gegen die libido aliena, die Willkür der paganen Verfolger70, die „gegen menschliches und alles göttliche Recht“ (contra ius humanitatis und contra fas omne) Zwang und Gewalt anwenden.71 Wenn es um Wahrheit, Glaube, Religion geht, „sind Gewalt und Entehrung wirkungslos, weil Religion nicht erzwungen werden kann – nicht mit Schlägen, sondern mit Worten muß man vorgehen, damit der freie Wille zur Geltung kommt“.72 Durch Blutvergießen, Folter, Strafe ann. XV 44, 3; Sueton, Nero 16, 2; Plinius, ep. X 96, 8  f. – Literatur zu superstitio oben in Anm.  32. 65  Vgl. Joseph Vogt, Zur Religiosität der Christenverfolger im Römischen Reich. Heidelberg 1962; Mark Humphries, The mind of the persecutors: ‚By the gracious favour of the gods‘. In: Twomey / Humphries (wie Anm.  55) 11–32. 66  Beginn am 23. Februar 303, den terminalia (Fest des Gottes Terminus, zuständig für Grenzen, Begrenzungen z. B. von Feldern): … ut quasi terminus imponeretur huic religioni (Lact. mort. pers. 12, 1). 67  Heck, MH (wie Anm.  1) 186  ff.; Wlosok, Lactantius (wie Anm.  53) 385–391; Stefan Freund, Laktanz, Divinae institutiones, Buch 7: De beata vita. Berlin 2009, 3–13 („Biographischer und historischer Rahmen“) und 14–21 (Übersicht über den Inhalt der sieben Bücher). – Zum Thema Religionsfreiheit bei Laktanz zuletzt Kahlos (wie Anm.  8) 49–55. 68  V  13, 14  f. 69  V  19, 17  ff. 70  V  13, 17–19. 71  V  19, 7. 72  V  19, 11: non est opus vi et iniuria, quia religio cogi non potest; verbis potius quam verberibus res agenda est, ut sit voluntas. In der Übersetzung läßt sich das Wortspiel verbis / verberibus nicht nachahmen.

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wird religio nicht, wie die Paganen meinen, verteidigt, sondern besudelt und verletzt: nihil est enim tam voluntarium quam religio – „nichts nämlich ist in solchem Maße eine Sache der Freiwilligkeit wie Religion“ (V 19, 23). In seiner Kurzfassung (‚epitome‘) der ‚institutiones divinae‘ hat Laktanz die eindrucksvolle Formulierung gefunden: „einzig und allein die Religion ist es, in der die Freiheit ihr Domizil aufgeschlagen hat. Vor allem anderen nämlich ist sie eine Sache des freien Willens, und es kann niemandem der Zwang auferlegt werden, kultisch zu verehren, was er nicht will“.73 So macht denn der Opferzwang das Opfer wertlos, und die paganen Götter, die den Zwang fordern, „dürfen allein deswegen nicht verehrt werden, weil sie auf diese Weise verehrt werden wollen“74. Überdies hat die Verfolgung nur den Effekt, daß sich das Christentum, die religio dei, immer weiter ausbreitet, statt zu verschwinden.75 Laktanz fordert also unter Berufung auf menschliches und göttliches Recht (ius humanitatis, fas omne) vom römischen Staat Gewaltverzicht und Anerkennung des individuellen Rechts auf religiöse Selbstbestimmung, und zwar nicht allgemein theoretisch und abstrakt, sondern, während die diokletianische Verfolgung wütet, zu Gunsten der angegriffenen christlichen Religion. Ist darüber hinaus sein Ziel auch ein Pluralismus gleichberechtigter Religionen?76 Geht er gar so weit, das Christentum dem römischen Reich „als Koalitionspartner“ anzubieten, „der eine Rückkehr zum ‚Aureum Saeculum‘“ ermöglicht77? Die Fragen können nach meiner Ansicht nur negativ beantwortet werden. Schon das Bild des Apologeten von dem cultus bzw. den cultus deorum, 73  Lact. epit. 49, 1  f.: religio sola est, in qua libertas domicilium collocavit. (2) res est enim praeter ceteras voluntaria nec imponi cuiquam necessitas potest, ut colat quod non vult. – Zu Lact. epit. (wohl zwischen 315 und 320 entstanden) siehe Wlosok, Lactantius (wie Anm.  53) 391  f. 74  Lact. inst. div. V  20, 5  ff.: propter hoc solum colendi non sunt, quod sic coli volunt. 75  V 19, 9; 22, 18 ff. Vgl. in gleichem Sinne bereits Tert. apol. 50, 13: semen est sanguis Christianorum; Scap.  5. 76  So die oben in Anm.  58  ff. genannte Forschungsliteratur. 77  So Fiedrowicz, Freiwillig (wie Anm.  59) 20, mit Berufung auf Lact. inst. div. V  8, 8–9; zu dieser Passage s. u. bei Anm.  105  f. Vgl. auch Digeser, Making (wie Anm.  23) 56–63: Zielvorstellung des Laktanz, hier bes. 59: „In modifying contemporary political thinking, he created a constitution for a provisional golden age, a system under which Christians – and other monotheists – could live as full citizens and under which polytheists would have nothing to fear“; ebd. 140: inst. div. enthalte eine „vision of monotheists and Christians as allies“. Siehe dagegen jedoch allein schon V  7, 1  f.; 8, 3. – Zur Problematik der Vorstellung von einem ‚paganen Monotheismus‘ (u. a. Digeser, a. a. O. 6  f. mit Anm.  14) vgl. Girardet, Der Kaiser und sein Gott (wie Anm.  62) 23  f.



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den zu Unrecht so genannten religiones, den paganen Kulten78, spricht eine deutliche Sprache. Der cultus deorum ist „ungerecht und gottlos“ (iniustus atque impius) und trägt die Schuld an allen mala auf Erden79: lernt doch endlich, schreibt Laktanz in dramatischer Wendung an die Paganen (V 8, 5), „falls ihr noch einen Rest Verstand besitzt, daß die Menschen deshalb schlecht und ungerecht sind, weil (erg.: viele) Götter verehrt werden, und daß alle Übel aus dem Grund die menschlichen Dinge von Tag zu Tag mehr belasten, weil (erg.: der eine einzige) Gott, der Schöpfer dieser Welt und deren Lenker, völlig vernachlässigt wird; weil man entgegen dem, was göttliches Recht ist, gottlose Religionen angenommen hat; schließlich weil ihr Gott nicht einmal von einigen wenigen Menschen (sc. den Christen) verehren laßt“. Daher sind die Paganen gegenüber Gott als dem Vater aller „gleichsam treulose und aufständische Kinder“ (tamquam perfidi atque rebelles liberi).80 Laktanz erhebt den Anspruch, mit seinem Werk alle paganen ‚Religionen‘ argumentativ vollständig vernichtet (dissolutis religionibus universis), ihre absolute Nichtigkeit dargetan und die Haltlosigkeit aller philosophischen Disziplinen erwiesen (convictis philosophiae disciplinis) zu haben81, d. h. dem Paganismus polytheistischer ebenso wie philosophischhenotheistischer Ausrichtung (falsa sapientia) jegliche Grundlage entzogen zu haben. Angesichts solcher und der Fülle anderer ähnlicher Aussagen82 erweist sich die Vorstellung, der Autor der ‚institutiones divinae‘ habe sich 78  Vgl. Jean-Claude Frédouille, Lactance historien des religions. In: Jacques Fontaine / Michel Perrin (Hg.), Lactance et son temps. Paris 1978, 237–251; Concetta Aloe Spada, L’uso di religio e religiones nella polemica antipagana di Lattanzio. In: Ugo Bianchi (Hg.), The Notion of „Religion“ in Comparative Research. Rome 1994, 459–463; Claude Rambaux, Christianisme et paganisme dans le livre I des Institutions divines de Lactance. REL 72, 1994, 159–176; Jeremy M. Schott, Christianity, Empire, and the Making of Religion in Late Antiquity. Philadelphia 2008, Kap. 3: „Vera Religio and Falsae Religiones: Lactantius’s Divine Institutions“ (79– 109), hier bes. 96  ff.: religio – religiones; der Autor hat das Thema libertas aber nicht behandelt. 79  V  8, 11. Siehe auch Lact. epit. 38, 3: die verbrecherischen und gottlosen Götterkulte, die durch heimtückisches Wirken der Dämonen in die Welt gekommen sind – scelerati atque impii deorum cultus per insidias daemonorum inrepserunt. 80  V  8, 11. Dazu Lact. epit. 48, 4: die Verfolger (defensores falsorum deorum) sind adversus verum deum rebelles. 81  III 30, 9: dissolutis religionibus universis et omnibus, quaecumque in earum defensionem dici vel solebant vel poterant, refutatis (sc. durch Bücher I – II), deinde convictis philosophiae disciplinis (sc. durch Buch III), ad veram nobis religionem sapientiamque veniendum est (sc. mit dem nächsten Buch IV). – Buch I: De falsa religione; Buch II: De origine erroris; Buch III: De falsa sapientia. – Vgl. Schott (wie Anm.  78) 101  ff.: das Scheitern der Philosophen. 82  Siehe nur z. B. III 2–7: völliges Scheitern aller paganen Philosophie; V  1, 10 f.: die paganen Intellektuellen – die philosophi, oratores, poetae – sind perniciosi, ihre doctrina ist inanis; VII 26, 8: inanis philosophia.

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„in a typically apologetic search for common ground“ an die Nicht-Christen gewandt83, als unhaltbar. Laktanz hat sich in erster Linie an verunsicherte Mitchristen gewandt. Er wollte mit seinem Werk „unseren Leuten Sicherheit geben“ (nostros … confir­ mabimus), insbesondere denjenigen Christen, die schwankend geworden sind, weil sie mit paganer Literatur zu tun haben (nutant enim plurimi ac maxime qui litterarum aliquid attigerunt); denn diese sei süß und verführerisch, aber „vergifteter Honig“: mella sunt haec venena tegentia (V 1, 9 f.; dazu auch VII 2  ff.). Die Paganen jeglicher Couleur aber haben, so Laktanz, ein falsches Verständnis dessen, was religio ist, und, indem sie Gewalt anwenden, auch ein falsches Verständnis der Verteidigung von religio (V 19, 21). Der cultus deorum verdient den Namen religio nicht: „er darf nicht als wahre religio beurteilt werden“ (non est illa vera religio iudicanda); denn er kennt nur Kultriten (ritus colendi) ohne – und auch das richtet sich zugleich gegen die pagane philosophische Religiosität – Weisheit und Suche nach Wahrheit (sapientia und inquisitio veritatis) und ist daher überhaupt nicht religio (IV 3, 1  f.).84 Gemessen an der Definition: „Religion ist Kultus des Wahren, Aberglaube des Falschen“ (religio veri cultus est, superstitio falsi), erweisen sich die dem Götterdienst Ergebenen (cultores deorum), die sich für religiosi halten, tatsächlich als superstitiosi (IV 28, 11)85; ihr cultus erweist sich als superstitio, der christliche cultus hingegen als religio, und nicht die Christen, die den ‚Götter‘-dienst ablehnen, sondern die Paganen sind inreligiosi (V 20, 2)86, die tatsächlich nur Dämonen (IV 27, 14) oder einst auf Erden wandelnde Menschen verehren, die fälschlich für Götter gehalten werden.87 Wenn schließlich Gewaltlosigkeit und Freiwilligkeit das für religio konstitutive Merkmal sind, erweist sich auch durch die Gewaltanwendung der Anhänger des cultus deorum bzw. der religiones, daß die Paganen keine religio haben: eine Religion, die Opfer erzwingt, ist sublata bzw. nulla, ist beseitigt und nichtig (V 19, 23). Paganer Götterkult und Opfer sind Frevel (nefas: V 18, 13), sind Mord an den Seelen und eine nicht sühnbare Untat (inexpiabile facinus)88, und sie tra83  Drake,

Constantine and the Bishops (wie Anm.  59) 208. das christliche Verständnis: IV 4, 2  f. – Vgl. Ernst Feil, Religio. Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs vom Frühchristentum bis zur Reformation Bd.  1. Göttingen 1986, 60–64 zu Laktanz. 85  Dazu auch IV 28, 16: superstitiosi … qui multos ac falsos deos colunt. nos autem religiosi, qui uni et vero deo supplicamus. 86  V  19, 26: Gegenüberstellung von dei cultus und paganen religiones; ebd. 19, 29 ff.: Gegenüberstellung von superstitio der Paganen und religio der Christen. Siehe auch vorige Anmerkung. 87  Dazu I 8  ff. Siehe z. B. Rambaux, Christianisme (wie Anm.  78) passim. 88  V  19, 1: die Paganen sind et suarum et alienarum interfectores animarum, Götter- bzw. Dämonenkult und Bekämpfung des Christentums sind ein inexpiabile facinus. 84  Demgegenüber



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gen die Schuld daran, „daß die Menschen schlecht und ungerecht sind“ (homines … malos et iniustos esse: V 8, 5). Auf der anderen Seite steht das Christentum, das einen kompromißlosen Exklusivitätsanspruch erhebt. Nur dieses nämlich ist, im Kontrast zu den falsae superstitiones und der falsa sapientia, die vera religio (II 9, 11  f.) und damit allein religio.89 Denn es sind nach Laktanz allein die Christen, die das sacramentum verae religionis empfangen haben, und ihnen allein ist die „Wahrheit von Gott her geoffenbart“ (veritas revelata divinitus: I 1, 19).90 Die ‚institutiones divinae‘ sind verfaßt ad inlustrandam veritatem religionemque (epit. 1, 1), und mag es auch einige wenige Pagane, wie z. B. Platon, Cicero, Seneca, gegeben haben, die mit ihren Erkenntnissen gelegentlich der christlichen veritas nahegekommen sind, so haben sie diese aber letztlich eben doch verfehlt.91 Charakteristisch ist der Umgang des Laktanz mit der berühmt gewordenen, allein durch ihn überlieferten Definition von Recht und Gesetz, die Cicero – der Romanae philosophiae princeps (iust. div. I 17,3) – naene divina voce gegeben habe (VI 8, 6–9 = Cic. rep. III 33): das sei tatsächlich die maßgebliche Definition der lex dei, doch formuliert von einem homo longe a veritatis notitia remotus (ebd. 10; vgl. auch II 11,15–17; de ira dei XI 9 f.). So etwas wie eine Konvergenz von Paganismus / Henotheismus und Monotheismus bzw. Christentum oder eine Art Synkretismus ist unter solcher Voraussetzung aus der Sicht des Laktanz vollkommen unmöglich92: es gibt nicht mehrere Wege ad caelum, sondern nur einen einzigen, den des Glaubens an den einen einzigen Gott der Christen.93 Wo der Grundsatz gilt: „an keiner anderen Gottesverehrung 89  IV 3 passim: cultus deorum ist nicht vera religio (sondern superstitio) und damit überhaupt nicht religio. 90  Siehe zu veritas auch II 6, 7 bis 7, 6 (nos qui verum invenimus). V  21, 1: veritas allein bei den Christen, dies (und nicht christliche Kultverweigerung) als wahrer Grund für den Haß der Paganen. Siehe auch epit. 47, 1: nur das Christentum ist domicilium veritatis; ebd. 50, 2  ff.: veritas allein bei den Christen. 91  I 5, 28. Dann z. B. auch VII 2–7. 92  I 19, 1  f. Dazu auch Ablehnung aller auctores terrenae huiusce philosophiae (I 1 17  f.); Lact. epit. 47, 1: Aufforderung an die Paganen zu radikaler Absage an Philosophie, die vor Gott nur Dummheit ist, und zur Übernahme „der wahren Weisheit, das heißt der (christlichen) religio“, um so zu Erben der Unsterblichkeit zu werden (philosophiam, quae apud deum stultitia est, pro nihilo computent, sed vera sapientia id est religione suscepta fiant immortalitatis heredes). – Vgl.­ Kahlos (wie Anm.  8) 54  f.: „Lactantius on exclusivism and the impossibility of syncretism“. 93  VI 3, 1 und 10; 4; 7, 1–9; vgl. auch VII 27, 5: Christus als von Gott geschickter dux, der den ‚Weg der Gerechtigkeit‘ bahnen sollte (qui nobis iustitiae viam panderet); VII 27, 7: iter virtutis – via perditionis et fraudis. – Willi Rordorf, Un chapitre d’éthique judéo-chrétienne, ,les deux voies‘. RecSR 60, 1972, 109–128;

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und Anbetung darf man festhalten als an derjenigen, die sich an den einen einzigen Gott richtet“94, kann nur das Christentum den berechtigten Anspruch erheben, religio zu sein, da es den einen einzigen Gott verehrt. Dem entspricht die Definition von religio, die Laktanz der Definition ­Ciceros entgegengesetzt hat: „Unter der Bedingung nämlich sind wir geschaffen, daß wir Gott, unserem Schöpfer, den ihm zukommenden und gebührenden Gehorsam erweisen, allein ihn (als Gott aner-)kennen, ihm Folge leisten. Durch dieses Band der Frömmigkeit sind wir an Gott gebunden und mit Gott verbunden (hoc vinculo pietatis obstricti deo et religati sumus). Davon (sc. von religare) ist das Wort religio abgeleitet, nicht, wie Cicero es erklärt hat, von relegere, d. h. sorgfältig beachten“ (sc. die Vorschriften der cultus deorum).95 Nur die Bindung an den einen einzigen Gott also ist religio, und da es allein die Christen sind, die sich an diesen einen Gott gebunden haben, ist auch allein das Christentum religio und leben allein die Christen im Sinne der göttlichen Schöpfungsordnung.96 Wo der Satz gilt: „Religion ist Kultus des Wahren, Aberglaube des Falschen“ (religio veri cultus est, superstitio falsi: IV 28, 11), sind superstitiosi diejenigen, „die viele und falsche Götter verehren“ (qui multos ac falsos deos colunt), während „wir aber religiosi (sind), die wir den einen und wahren Gott anbeten“ (nos autem religiosi, qui uni et vero deo supplicamus: IV 28, 16).97 Aus der Erkenntnis wiederum, daß die cultus deorum, die paganen religiones falsch, also nicht religio sind (und die dei der Paganen keine dei, sondern Dämonen), folgt erneut die Einsicht, daß nur das Christentum religio ist.98 Theologisch gesehen besitzt die superstitio des Paganismus somit – mag sie nun polytheistisch oder philosophisch-henotheistisch ausgerichtet sein99 – als gottwidrig kein Existenzrecht100, und nicht nur die Verfolger, sondern auch die Paganen insgesamt sind dem furchtbaren Strafgericht des Rächergottes der Christen am Tag des Jüngsten Gerichts verfallen: „welche Strafen hat jemand verdient, der vor seinem wahren Herrn und Vater geflohen ist, wenn nicht Kahlos (wie Anm.  8) 53  f.; Gábor Kendeffy, Lactantius on the Function of the Two Ways. StPatr 46, 2010, 39–44. 94  I 20, 21: religio ac veneratio nulla alia nisi unius dei tenenda est. 95  IV 28, 1 ff. mit Zitat von Cic. nat. deor. II 71 f. – Antonie Wlosok, Römischer Religions- und Gottesbegriff in heidnischer und christlicher Zeit. A&A 6, 1970, 39–53 = Res divinae (wie Anm.  12) 15–34. Vgl. auch Schott (wie Anm.  78) 105  f. 96  Siehe auch VII 6 zum unaufhebbaren Kontrast zwischen christlicher und paganer Lebens- und Weltauffassung. 97  VII 26, 11: die Christen sind als einzige auf der Welt religiosi. 98  V  4, 8. 99  s. o. bei Anm.  81  f. und 92. 100  V  18, 14–16.



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solche, die Gott selbst festgesetzt hat, der für ungerechte Geister ewiges Feuer bereitet hat, entsprechend dem, was er selbst durch seine Propheten den Gottlosen und Aufständischen androht“?101 Das läßt die von vielen Forschern behauptete Toleranz des Autors bzw. Allgemeingültigkeit seiner Idee der Religionsfreiheit schon höchst fraglich erscheinen.102 Die hier angeführten Aussagen des Laktanz zeigen in aller Klarheit, daß es dem Apologeten in der aktuellen Verfolgungssituation ebenso wie schon Tertullian um die Freiheit der einzigen existierenden religio, des Christentums, vom Zwang zum Götterkult geht und daß es aus seiner Sicht zwischen Christentum und Paganismus kein Verhältnis der Gleichwertigkeit geben kann. Im Zentrum steht seine Forderung nach Gewaltverzicht auf Seiten derer, die derzeit die Macht haben, Gewalt anzuwenden, d. h. der herrschenden Paganen. An die Stelle von Gewalt und Zwang sollte nach seinem Wunsch geistige Auseinandersetzung mit den Christen treten. Wenn die paganen Intellektuellen (docti homines ac diserti) dazu bereit wären, dann, so die Überzeugung des Laktanz, „würden innerhalb kurzer Zeit die falschen Religionen verschwinden und jegliche Philosophie zusammenbrechen“ (evanituras brevi religiones falsas et occasuram omnem philosophiam), da alle – dank christlicher Überzeugungskraft – zu der Gewißheit gelangen würden, daß das Christentum die einzige religio und gleichermaßen die einzige vera sapientia ist (V 4, 8).103 Man befände sich dann in einem christlichen Gemeinwesen104, sozusagen in einer civitas Christiana.105 Diese wäre von allen moralischen und sonstigen Mängeln frei (V 8, 6–9), und das wäre der aureus humanarum rerum status (V 8, 8), d. h. ein dem sprich101  V 18, 16. Siehe auch unten bei Anm. 109. – Heck, MH (wie Anm. 1) 199 ff.; Walter (wie Anm. 61) 314 f. – Zum Bild der Endzeit bei Laktanz (VII 14–26) siehe Freund (wie Anm.  67) 387  ff.; ders., Laktanz und die Johannesoffenbarung. StPatr 46, 2010, 45–52. 102  Vgl. Christoph Schäublin, Christliche humanitas – christliche Toleranz. MH 32, 1975, 209–220, hier 218 Anm. 50 zu Lact. epit. 49, 1 f. und ähnlichen Aussagen (z. B. inst. div. VI 9, 10): … „ist … die christliche allein die ‚wahre‘ Religion? Und ‚wohnt‘ die Freiheit nirgends als in ihr? Ja sind am Ende bloß die Christen ‚wahre Menschen‘ (sc. wegen inst. div. III 10, 1; IV 1, 10; IV 10, 4)? Vielleicht ist Laktanz damit etwas zuviel Konsequenz zugemutet, doch liegen derartige Folgerungen ganz in der Richtung seines – im Grunde intoleranten – Denkens“. Vgl. auch Schott (wie Anm.  78) 101: „Christians …, as the devotees of the true highest God, are the only authentic humans“. 103  Kahlos (wie Anm. 8) 55: „Lactantius asserts that Christianity is both the only religio and the only true wisdom“. – Siehe auch VII 26, 8: nostra sapientia gegen inanis philosophia. 104  Vgl. hierzu Kahlos (wie Anm.  8) 52: „The ultimate destination in his vision of forbearance is the Christian state“. 105  Vogt, Toleranz (wie Anm.  52) 353.

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wörtlichen Goldenen Zeitalter angenäherter Idealzustand, in welchem es nur noch Christen, aber keine Paganen mehr gibt.106 Doch Laktanz meint, die paganen Intellektuellen werden es nicht wagen, sich darauf einzulassen. Statt Terror auszuüben, sollten die Christengegner nur einmal versuchen, das Christentum argumentativ zu widerlegen und ihre dei verbal statt brachial zu verteidigen, damit ihnen nicht, wie es tagtäglich geschehe, die bisher Göttergläubigen davonlaufen und zu den Christen übergehen (V 19, 8 f.). Nicht nur die Intellektuellen, sondern auch die pontifices minores und maximi, die flamines, die augures, die sacerdotes und antistites religionum sollen die Christen mit ihren Argumenten doch einmal auf geistigem Kampfplatz herausfordern (10). Oberstes Gebot sind hier Gewaltverzicht und freie Willensentscheidung (11), wie sie bei den Christen als selbstverständlich gelten, die niemanden gegen seinen Willen festhalten (13). Dabei sollen die Paganen christlichem Beispiel folgen, indem sie vernunftgemäß belehren, beweisen, erklären (12). Am Ergebnis einer solchen gedachten Auseinandersetzung hegt Laktanz keinen Zweifel (13–17): auch die paganen ‚Religionshüter‘ werden ihre amentia und stultitia offenbaren und sich der Lächerlichkeit preisgeben (14). Da sie das selber wissen, werden sie den geistigen Kampf nicht wagen (18  f.)107, „damit sie nicht von unseren Leuten ausgelacht und von ihren Leuten verlassen werden“ (ne et a nostris derideantur et a suis deserantur). Aus diesem Grund wird es zu der an sich wünschenswerten und prinzipiell möglichen civitas Christiana als dem aureus humanarum rerum status ohne Andersgläubige nicht kommen. Den Christen bleibt angesichts dessen und der paganen Gewalttätigkeit nichts anderes übrig als die tolerantia malorum et laborum (VII 5, 15): nicht ‚Toleranz‘, sondern das tapfere Ertragen allen Übels und aller Mühsal, und die patientia, das geduldige Aushalten der paganen Feindseligkeit, Verfolgung und Gewalttätigkeit.108 Gewaltsamen Widerstand gegen die iniuria des Staates werden sie nicht leisten (VI 17, 24 f.); sondern sie vertrauen einzig darauf, daß am dereinstigen dies iudicii Gott als der Rächer für pagane Verachtung Gottes und für Unrecht an den Christen die verdienten Strafen verhängen wird (V 20, 9  f.)109, und 106  Diese Passage habe ich bei Digeser, Making (wie Anm.  23) nicht gefunden; das Buch besitzt keinen Stellenindex, und unter dem Stichwort ‚Golden Age‘ (198) findet sich im Register kein Hinweis auf die oben zitierte Stelle. 107  Vgl. auch schon V  1, 1–6. 108  V  7, 5  f.; 22, 2  ff.; VI 18, 18  ff.; 18, 29  f. – Kahlos (wie Anm.  8) 51  ff. 109  Zu iudicium dei auch z. B. II 17, 1  ff.; IV 4, 5: … neque cultores deorum poenam sempiternae mortis effugient; V  18, 13–16; 23 passim; VI 4, 5: aeterna poena für die Anhänger der religiones; VII 14, 3; 20, 5; 21, 3–5; 26, 6  f.; 27, 15; epit. 52, 9 und 10; 54, 3; 67, 8: poena, supplicia für die Paganen – ad perpetua tormenta damnati et aeternis ignibus traditi; de ira dei 16, 5; 17, 6  ff. und 15  ff.; 18, 3; 20, 3  f. – Doch diesseitige Strafen bereits für die Christenverfolger: inst. div.



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eben diese Strafandrohung Gottes ‚beflügelt‘ nach Laktanz im übrigen neben anderem besonders intensiv auch den Willen, sich dem christlichen Glauben zuzuwenden: praeterea ultio consecuta, sicut semper accidit, ad credendum vehementer inpellit (V 22, 23). Es kann nunmehr folgendes festgehalten werden: Laktanz geht ebenso wie Tertullian nicht von einer Pluralität von Religionen aus, sondern von der Existenz nur einer einzigen religio, des Christentums, und für diese bzw. dieses fordert er angesichts der Verfolgungen Gewaltlosigkeit und die Freiheit der Entscheidung, die Achtung der Freiheit des Willens, dem Gott der Christen als dem einzigen Gott anzuhängen. Als Vorbild stellt er den Paganen das Verhalten der Christen vor Augen: sie verteidigen ihren Glauben nicht durch Gewalt, sondern durch Leidens- und Todesbereitschaft110; sie üben niemandem gegenüber Glaubenszwang aus; sie werben für ihre Sache durch Belehrung und Überzeugungsversuche. Der Paganismus ganz gleich welcher Art ist nicht religio, sondern gottwidrige superstitio, zu der es für Christen keine geistige Annäherung oder Anähnelung gibt. Für die Paganen und insbesondere natürlich für die gewalttätigen Verfolger hat der Apologet nur tiefste Verachtung übrig: sie alle werden über kurz oder lang, spätestens am Jüngsten Tag, dem Strafgericht Gottes anheimfallen. Gleiches gilt für die Ketzer (IV 30), die nicht mehr als Christen gelten können (30, 10)111, und auch die Juden sind zur ewigen Bestrafung vorgesehen (ad aeterna supplicia destinati: VII 1, 25). Die Frage ist nun, ob Laktanz sich zur Abfassungszeit seiner ‚institutiones divinae‘112 im Gegensatz zu Tertullian eine Zukunft vorgestellt hat, in der die Christen womöglich unter einem christlichen Kaisertum zur stärksten Kraft im römischen Reich geworden sein könnten. Denn dann – und nur dann – könnte eine Situation entstehen, in der sich erweisen würde oder müßte, ob seine Idee der religiösen libertas auch für Andersgläubige gelten sollte, d. h. ob sie entsprechend der vorherrschenden Forschungsansicht Allgemeingültigkeit besitzt, ob also die „logische Konsequenz“ aus den Gedanken des Laktanz „die Toleranz der christlichen Religion“ ist.113 VII 27, 12–14 (2. Anrede an Konstantin); dann auch die Schrift ‚de mortibus persecutorum‘ (dazu Heck, MH [wie Anm.  1] 208  ff.; Wlosok, Lactantius [wie Anm.  53] 394–398). 110  V  19, 22: defendenda … religio est non occidendo, sed moriendo, non saevitia, sed patientia; 24: recta … ratio est, ut religionem patientia vel morte defendas. 111  Die in IV 30, 14 angekündigte Schrift gegen Ketzer hat Laktanz offenbar nicht mehr verfaßt. 112  Also bis kurz vor Erlaß des Duldungsediktes des Kaisers Galerius im April 311 (Lact. mort. pers. 34  f.), das die Verfolgung beendete. Vgl. oben Anm.  67. 113  Forschung: oben Anm. 58 f.; Zitat: Fiedrowicz (oben Anm. 59). Vgl. dagegen Klein, Toleranz (wie Anm.  37) 143  f.: bei Laktanz liege „der Schluß nicht fern, daß

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Wie gezeigt114, findet man in seinem Werk die Idealvorstellung des aureus humanarum rerum status in Gestalt einer civitas Christiana; in dieser gibt es allerdings keine Paganen (und wohl auch keine Ketzer und Juden) – hier würde sich die Frage nach Religionsfreiheit und ‚Toleranz‘ also gar nicht stellen. Aber die Möglichkeit, daß Rom zu einer solchen civitas werden könnte, betrachtete Laktanz als vollkommen unrealistisch. Läßt demgegenüber das Bild, das er in Buch VII seiner ‚institutiones divinae‘ vom Gang der Weltgeschichte gezeichnet hat, Raum für ein christliches Kaisertum und einen christlich dominierten römischen Staat, in dem es auch Pagane, Ketzer und Juden gibt, so daß die Frage aktuell werden könnte, wie Christen sich gegenüber Nichtchristen verhalten sollten? In Analogie zur biblischen Schöpfungswoche von sechs Tagen und einem siebenten als Ruhetag Gottes (Genesis 1 f.) umfaßt die Menschheitsgeschichte insgesamt sieben Millennien, da ein Gottestag nach menschlichem Maß 1000 Jahre bedeutet (Ps 90, 4).115 Laktanz glaubte, im sechsten Mil­lennium zu leben, und zwar in dessen Endphase. Bis zur Wiederkunft Christi und dem Beginn des siebenten Millenniums vergehe nur noch „kurze Zeit“ (VII 14, 16: post breve tempus; 25, 6: brevi), und zwar maximal 200 Jahre116, innerhalb deren sich auch der Untergang Roms abspielen soll.117 Die Zeit bis zum Ende des römischen Reiches und Kaisertums aber ist geprägt nicht etwa durch allmähliche Christianisierung, sondern durch die ständige Zunahme von alles beherrschender Bösartigkeit (14, 10 f.: malitia praevalente atque dominante) und Nichtswürdigkeit (nequitia) bis zum höchsten Grad von Widerrechtlichkeit und Bosheit (iniquitas et malitia usque ad summum gradum: 15, 7  ff.), begleitet vom Niedergang von Recht und Gesetz (8), so daß Dreistigkeit und Gewalt von allem Besitz ergreifen werden (audacia et vis omnia possidebunt: 9), mit der Folge von Aufruhr, Bürgerkriegen (10)118 sowie allerlei caelestes plagae (15, 5). Die Gegenwart und die Zeit bis zum Ende des sechsten Mil­ lenniums sind Zeiten von iniuriae, proscriptiones etc. (22, 11 ff.), und schließlich tritt auch noch der Antichrist auf.119 Für die Christen, die plebs dei bzw. in einem imperium christianum an die Duldung eines anderen Bekenntnisses und selbst an ein reibungsloses Zusammenleben mit Andersgläubigen nicht mehr zu denken ist. Eine Toleranz in irgendeiner Form, ob formal oder inhaltlich, erscheint damit … ausgeschlossen“; Kahlos (wie Anm.  8) 55: „There are no prospects for either plurality or syncretism in Lactantius’ religious universe“. 114  s. o. bei Anm.  107  f. 115  VII 14, 7–11. Hierzu und zu den anderen Stellen in Buch VII siehe den ausgezeichneten Kommentar von Freund (wie Anm.  67) 390  ff. 116  VII 25, 3  ff.; Freund (wie Anm.  67) 567  ff. 117  VII 15, 11; auch 15, 18  f. und 25, 6  ff. 118  Einzelheiten in VII 16  f. 119  VII 17, 2  ff. mit 19, 6. Dazu Freund (wie Anm.  67) 470  ff., 498  ff.



Libertas religionis

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den iustus et cultor dei populus, ist das eine Zeit der gravis servitus mundi (15, 4 f.), des Leidens und der Verfolgung (17, 6 und 10 f.) mit einer einzigen positiven Aussicht, der Aussicht auf den endzeitlichen Lohn (27, 3) im siebenten Millennium. Für die gestellte Frage ergibt sich aus diesem düsteren Zukunftsbild, daß bis zum Untergang Roms die Eventualität eines christlichen Kaisertums, eines christlichen Imperiums und damit die Problematik von Religionsfreiheit für Nichtchristen bis zum Ende des sechsten Millenniums auch nicht einmal ansatzweise in den Blick kommt. Diese Grundkonzeption von Buch VII ist unmittelbar nach Fertigstellung des Werkes allerdings durch die völlig unerwartete Konstantinische Wende (311 / 12) obsolet geworden. Das dürfte einer der Gründe gewesen sein, weshalb Laktanz angefangen hat, an einer 2. Auflage zu arbeiten (die dann nicht zum Abschluß gekommen ist). Ein anderes Bild vermittelt aber zum Schluß nun doch die Darstellung des siebenten Millenniums. Dieses ist das ‚Tausendjährige Reich‘ der iustitia, das regnum sanctum, das imperium caeleste des zum zweiten Mal auf die Erde gekommenen Christus, das wahre Goldene Zeitalter.120 Christus, so Laktanz, ist Befreier, Richter, Rächer, König, Gott121; er hat den Antichrist, den Teufel besiegt und in Gefangenschaft gesetzt.122 Die verstorbenen „Gerechten, die es von Anfang an gab“ (24, 2), werden jetzt wieder zum Leben erweckt, und es wird eine civitas sancta organisiert (24, 6; 26, 1), in der die gerade Auferweckten unter dem königlichen Regiment Christi als gerechte Amtsträger fungieren (24, 3). Die Regierten in dieser Bürgerschaft aber sind diejenigen Christen, die das Enddrama des sechsten Millenniums überlebt haben, und – überlebende Pagane (24, 3 f.).123 Erst in dieser Situation endet die Herrschaft von Bosheit, Gottlosigkeit und Paganismus, und die Götterbilder, die Tempel, die Weihgeschenke werden verbrannt (19, 8 f.). Gegen Ende des siebenten Millenniums kommt es dann noch zu einem Aufstand der Paganen unter Führung des befreiten Antichrist; der Aufstand endet mit dem definitiven Untergang des Paganismus, der physischen Vernichtung der Paganen durch Gott, gefolgt von einer letzten allgemeinen Auferstehung und Bestrafung der Nichtchristen durch „ewige Qualen“ (cruciatus sempiterni), das Brennen in ewigem Feuer (VII 26, 1–7).124 120  VII 19, 2  ff.; 24, 5 (imperium); 26, 1 (regnum); 24, 7  ff. (aureum saeculum). – Freund (wie Anm.  67) 490  ff., 544  ff., 551  ff. – Walter (wie Anm.  61) 314  f. bezeichnet dieses Millennium als „Jenseits“; bei Laktanz spielt sich jedoch alles auf der Erde ab in einer gesteigerten positiven Form von Diesseitigkeit. 121  VII 19, 4: liberator et iudex et ultor et rex et deus. 122  VII 19, 6: Antichrist; 24, 5: Teufel in Ketten gelegt. Dazu Freund (wie Anm.  67) 498  ff., 549  f. 123  Vgl. VII 16, 14: die Kämpfe am Ende des sechsten Millenniums überlebt ein Zehntel der Menschheit, von den Christen ein Drittel. 124  Freund (wie Anm.  67) 578  ff.

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Den Paganen wird also nach diesem Zukunftsbild am Beginn des siebenten Millenniums die Kultfreiheit, die Möglichkeit zur Praktizierung des Götterkultes gewaltsam weggenommen. Von zwangsweisen Bekehrungen und von christlichen Bekehrungsversuchen nach Maßgabe des von Laktanz so nachdrücklich herausgestellten Gedankens gewaltfreier christlicher Überzeugungsarbeit125 ist jetzt mit keinem Wort mehr die Rede. Die Paganen existieren also ohne Kultfreiheit weiter, bis der Aufstand am Ende der Zeiten zu ihrer Auslöschung und damit zum Verschwinden des Paganismus als solchen führt. Das ‚Tausendjährige Reich‘ als Goldenes Zeitalter ist für Laktanz aber nicht irgendein unverbindlicher Mythos, sondern, an der Johannesapokalypse orientiert, eine fest geglaubte künftige Realität, geradezu das Ziel des christlichen Lebens, von dem her die irdische Existenz in der Gegenwart einen Sinn erhält. Das letzte Millennium ist somit die einzige Zeit, in der für den Apologeten die reale Möglichkeit einer christlich dominierten Herrschaft besteht. Aus der Tatsache, daß zu dieser Zeit die Kultfreiheit der Nichtchristen mit Gewalt aufgehoben wird und die Paganen vernichtet werden, muß der Schluß gezogen werden, daß, entgegen der verbreiteten Forschungsmeinung, der Freiheitsgedanke des Apologeten keine Allgemeingültigkeit besitzt: wie schon Tertullian, so kann auch Laktanz nicht als Begründer des Prinzips Religionsfreiheit gelten.

125  s. o.

bei Anm.  103  ff.

Fundamentum famae iustitia. Das Wiederaufleben der Lateinischen Sprüche Von Andrzej Gulczyński Das Rathaus in Poznań (Posen) gehört zu den bedeutendsten Denkmälern aus der Renaissancezeit in Polen. Grundsätzlich wurde es auch in allen seinen Epochen mit unterschiedlichen Inschriften geschmückt. Wie wichtig die Ideen sind, die man auf Lateinisch darstellen kann, muss man nicht tiefer begründen. Dank dem Jubilar sind aber nicht nur in Deutschland, sondern auch in Polen verschiedene lateinische Sentenzen leichter verständlich1. In der langen Geschichte des Rathauses wurden die Wände des Gebäudes mehrmals mit Inschriften geschmückt. Bis heute sind einige original erhalten geblieben, andere aber sind uns lediglich aus schriftlichen Überlieferungen bekannt2. Das Rathaus wurde 1945 stark beschädigt, aber in den nächsten Jahren wiederaufgebaut. Es wurde allerdings beschlossen, dass es nicht mehr Sitz der Stadtverwaltung sein solle, sondern Sitz des Historischen Museums der Stadt. Sehr wichtig war der obere Teil in der Fassade des Rathauses, die Attika, die als corona muralis bezeichnet wird. Das war eine Mauer mit drei Türmen, was oft bei Stadtwappen auftrat. So ist es auch im Fall Posen3. Dieses Bauelement war mit Inschriften bedeckt4. Und eben um dieses Fragment der Fassade handelt es sich in diesem Beitrag. Im Jahre 1999 begann wieder eine komplette Renovierung. Die Fassade wurde ganz neu bemalt und mit neuen Inschriften versehen. Bei vielen Vorschlägen habe ich die Auszüge aus den Rechtstexten, die tatsächlich 1  Detlef Liebs (unter Mitarbeit von Hannes Lehmann, Praxedis Möhring, Gallus Strobel), Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, 7.  Auflage, München 2007, S.  11–16. 2  Siehe Andrzej Gulczyński, Rechtliche Inschriften am Posener Rathaus, Forschungen zur Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde, Bd.  24: 2007, S.  85– 116. 3  Jerzy Kowalczyk, Fasada ratusza poznańskiego. Recepcja form układu Serilia i antyczny program, Kronika miasta Poznania 2004, Heft  2, S.  68. 4  Kowalczyk, Fasada, S.  68.

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früher in der Stadt verwendet wurden, vorbereitet. Diese lagen in verschiedenen Sprachen vor, und zwar auf Lateinisch, Deutsch und Polnisch. Deutsche und polnische Texte wurden aber überhaupt nicht diskutiert, weil – wie begründet wurde – in der Vergangenheit auf den Häusern nur Lateinische Sentenzen vorlagen. Das Programm der Inschriften wurde von dem Posener Historiker Jacek Wiesiołowski vorgeschlagen und von einer Kommission angenommen. Die Vorschläge der Inschriften sind erst während der einzelnen Etappen der Renovierungsarbeiten entstanden, weil die Konzeption voraussetzte, dass die Inschriften gleichmäßig eine ganze Fläche erfüllen werden5. Nur die Vorderfassade enthält keine Inschriften im oberen Teil. Die Flächen sind heute anders als in den siebziger Jahren aufgeteilt. Allerdings ist der Anfangspunkt, von dem aus man die Inschriften lesen kann, weiterhin die sehr gut sichtbare Südfassade geblieben. Früher waren dort zwei Sätze in polnischer Sprache aus der Präambel der Verfassung der Volksrepublik Polen vom 22.  Juli 1952 zu sehen. Alle anderen Inschriften waren damals aus historischen Quellen entnommen. Sie sollten also auf die historischen Wurzeln der Werte des sozialistischen Staates, wozu Republik und Demokratie gehörten, aber auch auf die neuen Grenzen hinweisen. In heutiger Zeit betrifft der erste Satz der Inschriften die Gründung der Stadt Posen, ihre Geschichte und ihre Bedeutung in der Geschichte Polens. [1.1]  POLONIA IN POZNANIA PRIMO FIDEM RECEPIT VNDE DICITVR POZNAN QVASI SE RECOGNOSCENS FIDELEM.

Dieser Satz stammt aus der schlesischen Chronik „Chronicon PolonoSilesiacum“6. Sie entstand in Schlesien im 13.  Jh. und beschreibt u. a. die Anfänge Polens. In diesem Spruch wurde eine der Möglichkeiten der Entstehung des Namen Poznań aufgeführt. Das lateinische Wort cognitio entspricht dem polnischen Wort poznanie und deutet auf die Entstehung des Stadtnamens Poznań hin, nämlich als Erkenntnis des christlichen Glaubens. Posen ist tatsächlich mit der Entstehung des polnischen Staates eng verbunden7 und nimmt einen besonderen Platz bei der Einführung des Christentums in Polen ein. Hier war der Sitz der polnischen Herrscher und seit 5  Jacek Wiesiołowski (Inskrypcje na attyce ratusza, Kronika miasta Poznania 2004, Heft  2, S.  398) schreibt, dass er zufällig die Posener Inschriften in einem Werk von Nathan Chyträus gefunden hat. Man muss aber klar sagen, dass diese Arbeit schon früheren Forschern des Rathauses nicht fremd war (siehe z. B. Kowalczyk, Fasada, S.  78). 6  Chronicon Polono-Silesiacum, Monumenta Germaniae Historica, Bd.  19: 1894, S.  558. 7  Alexis Perer Vlasto, The Entry of the Slavs into Christendom. An Introduction to the Medieval History of the Slavs, Cambridge 1970, S.  113–116, 353.



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968 residierte in Poznań der erste Bischof, der für das neugetaufte Land verantwortlich war. Aus diesen Grund wurde der Posener Dom in die Würde einer Basilica Minor erhoben (1962) und über dem Eingang wurde der lateinische Spruch geschrieben: Prima sedes episcoporum Poloniae. Diese Herleitung des Stadtnamens ist aber heute nicht so populär wie eine andere, die besagt, dass die drei Gründer der Slawischen Nationen: Lech, Czech und Rus sich hier zufällig getroffen und „sich kennengelernt“ (polnisch: poznali się) hätten. Ein weiterer Teil dieses Feldes betrifft die Gründung der Stadt Posen, die im Jahre 1253 auf dem linken Wartheufer auf der Grundlage des Magdeburgischen Rechts gegründet wurde8. Kurz danach entstand der große Marktplatz, in dessen Mitte das Rathaus gebaut wurde9. Das Rathaus selbst wird schon im Jahre 1310 als domus consulum zum ersten Mal in den Akten erwähnt. [1.2]  PRIMO CIVITAS POZNANIENSIS EST LOCATA PER ILLVSTRES DVCES ET DOMINOS PRZEMISLAVM ET BOLESLAVM FRATRES VTERINOS ANNO DOMINI MILLESIMO CC QVINQVAGESIMO TERCIO.

Dieser Satz stammt aus der ältesten Stadtchronik, von Bernard von Pyzdry aus dem Jahr 141710. Im Rathaus befindet sich auch eine alte Inschrift von 1508, die diese Thematik betrifft. Während des Umbaus des Rathauses in den Jahren 1910–1913 wurde ein zertrümmerter Balken gefunden. Seine lateinische Inschrift besagt, dass die polnischen Herzöge Premislaus und Boleslaus die Stadt im Jahre 1253 gegründet haben. Die Inschrift lautet: PRZEMISL ET BOLESLAUS POLONIE DUCES CIVITATEM LOCAVERU[n]T 1253 150811. Sowohl diese Inschrift als auch die äußere Inschrift [1.2] weisen auf die Lokation der Stadt nach dem Magdeburgischen Recht hin, anders als die 8  Victor Friese, Zur Gründungsurkunde von Posen (1253). Ein Beitrag zur Geschichte des Magdeburgischen Rechts, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Bd.  26: 1905 (GA), S.  91–164; die neueste kritische Ausgabe der Gründungsurkunde: Przywileje miasta Poznania XIII-XVIII wieku / Privilegia civitatis Posnaniensis saeculorum XIII-XVIII, wydał / edidit Witold Maisel, Poznań 1994, S.  3–11. 9  Julius Kohte, Verzeichnis der Kunstdenkmäler der Provinz Posen, Bd.  2, Die Kunstdenkmäler des Stadtkreises Posen, Berlin 1896, S. 67–77; Walter Bettenstaedt, Das Rathaus in Posen und seine Herstellung in den Jahren 1910–1913, Posen 1913; Magdalena Warkoczewska, Das Nationalmuseum in Poznań. Das Rathaus. Museum für Geschichte der Stadt Poznań, Poznan 1988. 10  Die Chronik der Stadtschreiber von Posen, Hrsg. Adolf Warschauer, Posen 1888, S.  1; Abbildung in: Kronika poznańskich pisarzy miejskich [Chronik der ­Posener Stadtschreiber], bearb. Jacek Wiesiołowski, S.  3. Über Bernard von Pyzdry siehe: Witold Maisel, Bernard z Pyzdr, in: Wielkopoolski Słownik Biograficzny, Warszawa-Poznań 1981, S.  50. 11  Siehe: Gulczyński, Rechtliche Inschriften, S.  87–89.

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heutige Inschrift [1.1], die auf die ältere Geschichte des Ortes Poznań neben dem Dom abzielt. Das zweite Feld ist der Herkunft der Macht gewidmet: [2.1]  OMNIS POTESTAS A DEO. ITAQVE QVI RESISTIT POTESTATI DEI ORDINATIONI RESISTIT ET DAMNATIONEM SIBI ACQVIRIT. VIS AVTEM NON TIMERE POTESTATEM, BONVM FAC, SI AVTEM MALVM FECERIS TIME, NON ENIM SINE CAVSA GLADIVM PORTAT. [2.2]  GRATIAS AGAMVS DOMINO DEO NOSTRO.

Die ersten Sätze stammen aus dem Brief des Heiligen Paulus an die Römer (13,1), in dem erklärt wurde, dass alle Gewalt von Gott komme. Man muss also Gutes tun, um nicht in die ewige Verdammnis zu kommen. Hier wurde auch das Schwert der Gerechtigkeit erwähnt, das bei Widerspruch verwendet werden konnte. Dieser Spruch war z. B. auf der Burg in Brieg in Schlesien angebracht. Sicherlich war er damals auch oft auf mehreren Rathäusern zu sehen, weil dies von einem bekannten Krakauer Juristen, Bartłomiej Groicki, empfohlen wurde12. Groicki (um 1534–1605) absolvierte 1558 die Universität in Krakau, wo er u. a. römisches Recht bei Piotr Ruiz de Moros studiert hat. Seit 1559 war er für über 20 Jahre als Schriftführer am Obergericht des Magdeburgischen Rechts auf dem Krakauer Schloss (Ius Supremum Magdeburgensis Castro Cracoviensis) tätig. Aus dem Zusammenschmelzen des sächsischen-magdeburgischen, polnischen und römischen Elements entstand im 16.  Jh. der polnische Zweig des Magdeburger Rechts, der eben von Groicki als ius municipal Polonicum bezeichnet wurde13. Durch seine vielfach wiederaufgelegten Bearbeitungen des Stadtrechts wurde er in Polen berühmt. Das waren vor allem: Artykuły Prawa magdeburskiego [Artikel des Magdeburger Rechts], 1558; Porządek sądów i spraw miejskich prawa magdeburskiego [Gerichtsordnung und städtische Angelegenheiten des Magdeburger Rechts], 1559; Tytuły prawa magdeburskiego [Titel des Magdeburger Rechts], 1567; Obrona sierot i wdów [Verteidigung der Waisen und Witwen], 1605; Ustawa płacej u sądów w prawie magdeburskim [Gesetz über die Entlohnung bei Gericht nach Magdeburger Recht], 1559. Er bereitete auch 1567 eine polnische Version der Constitutio Criminalis Carolina von 1532 [Postępek praw cesarskich Karola V. cesarza] vor. In seinen Schriften berief er sich auf das Corpus iuris civilis und auf die 12  Bartłomiej Groicki, Porządek sadów i spraw miejskich prawa magdeburskiego w Koronie Polskiej [Gerichtsordnung und städtische Angelegenheiten des Magdeburger Rechts in Polen, 1559], Neuausgabe Warszawa 1953, S.  233. 13  Lesław Pauli, Polnisches Recht, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechts­ geschichte, Hrsg. Adalbert Erler, Ekkehard Kaufmann, Dieter Werkmüller, Bd. 3: ­Berlin 1984, Sp. 1807–1814.



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juristische Literatur u. a. von Paul de Castro, Johannes de Ferraris und Bartolus de Saxoferrato, Dietrich von Boxdorf, Melchior Kling, Wolfgang Loss14. Die Bücher Groickis hatten eine große Bedeutung in der polnischen Rechtspraxis, sie waren auch in Osteuropa bekannt. Wegen des Fehlens einer Kodifikation wirkten sie als Rechtsquellen15. In der Renaissancezeit sind Inschriften an Rathäusern populär geworden, deswegen hat auch Groicki in seinem Buch (1558) über die Gerichtsordnung und städtischen Angelegenheiten des Magdeburger Rechts einige Vorschläge gegeben, die sicherlich in mehreren Städten verwendet wurden16. Als zweiter Spruch in dieses Feld [2.2] wurde ein Vorgebet (Lasset uns danken dem Herrn unserem Gott) benutzt, das nach den zeitgenössischen Vorschlägen als Zusammenfassung der beiden ersten Felder dienen sollte17. Das nächste Feld betrifft die Bürger sowie Ratsherren und andere Machthabende. [3.1]  OPTIMA CIVITATVM EST QVAE VIROS BONOS HABET. [3.2]  TYRANNVS FACIT QVOD PLACET, REX QVOD HONESTVM EST. [3.3]  VBI EST TEMPERATA POTESTAS, IBI REGNVM EST DIVTVRNVM. [3.4]  INICIVM SAPIENTIAE TIMOR DOMINI. [3.5]  O FOELICES RESPVBLICAE SI IMPERENT DOCTI AVT SAPIENTIAE STVDEANT ILLARVM RECTORES.

Der erste Gedanke kommt von Pythagoras von Samos und wurde in einer Sammlung der Sentenzen von Andreas Eborensis aus dem 16.  Jahrhundert überliefert18. Solche Sammlungen waren sehr populär und konnten auch beim Bau des Posener Rathauses verwendet worden sein. Eine sehr wichtige Sammlung hat Nathan Chyträus (1543–1598) herausgegeben, ein deutscher evangelischer Theologe, Poet und Philologe. 1564 erhielt Chyträus in 14  Wacław Uruszczak, in: Michael Stolleis (Hrsg.), Juristen. Ein biographisches Lexikon. Von der Antike bis zum 20.  Jahrhundert, München 1995, S.  256; Heiner Lück, Über den Sachsenspiegel. Entstehung, Inhalt und Wirkung des Rechtsbuches, 2. Auflage, Dössel 2005, S.  77–79. 15  Aleksander Zajda, Deutsche Einflüsse in der altpolnischen juristischen Terminologie als Widerspiegelung der Rezeption des Magdeburger Rechts, in Rechts- und Sprachtransfer in Mittel- und Osteuropa. Sachsenspiegel und Magdeburger Recht. Internationale und interdisziplinäre Konferenz in Leipzig vom 31. Oktober bis 2. No­vember 2003, S.  289–304; Grzegorz Maria Kowalski, Bartłomiej Groicki. Prawnik polskiego odrodzenia. Wystawa w 400-setną rocznicę śmierci, Kraków 2005. 16  Groicki, Porządek, S.  229–233. 17  Wiesiołowski, Inskrypcje na attyce, S.  399. 18  Sententiae, et exempla ex probatissimis quibusque scriptoribus collecta, et per locos communes digesta, per Andream Eborensem Lusitanum. Et ne oneroso volumine grauaretur lector, totum opus in duos diuisum est tomos: quorum alter senten­ tias, alter exemplarefert, Venetiis 1572; 2. Auflage: Paris 1575.

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Rostock eine Professur für lateinische Sprache und in den Jahren 1565–1567 hat er eine Studienreise durch Europa geführt, um die lateinische Sprache zusammenzutragen. Sein Buch umfasst auch die Inschriften aus Poznań19. Die oben zitierten Verse 3.2 und 3.3 hat Chyträus „in curia“ gesehen20. Nach J. Wiesiołowski wurden diese Inschriften von einem Haus der Adelsfamilie Czarnkowski abgeschrieben21. Meiner Meinung nach ist mit „in curia“ allerdings das Rathaus gemeint. Beide Verse wurden zudem bei Erasmus von Rotterdam, in seinem umfangreichen Werk, der Sammlung von antiken Weisheiten und Sprichwörtern „Adagia“, überliefert. Sie knüpfen inhaltlich an die „Politik“ von Aristoteles an [3.2]. Die weitere Sentenz [3.4] stammt aus der Bibel (Eccl. 1,14). Der Vers, der den Anfang der Weisheit als die Gottesfurcht anerkennt, wurde mehrmals wiederholt. Auf der ältesten bildlichen Darstellung des Heiligen Benediktus (in der Hermes-Katakombe in Rom aus dem 6. / 7.  Jahrhundert) hält der Heilige als Attribut ein offenes Buch in der rechten Hand. Die linke Seite des aufgeschlagenen Buches trägt die eben erwähnte Inschrift22. Wir finden diesen Spruch auch auf einem gotischen Krummstab des Benediktinerstiftes St. Peter in Salzburg aus dem XV.  Jahrhundert wieder23 sowie in der Bibliothek der Abtei des Prämonstratenser-Ordens am Strahovské nádvoři im Prager Stadtteil Hradčany. Auch an weltlichen Gebäuden ist dieser Spruch wiederzufinden: so etwa an dem Rathaus in Basel24. Im Übrigen ist er auch das Motto der Universität in Aberdeen. Der letzte Satz spiegelt den noch heute wichtigen Wunsch, dass die Machthaber über Klugheit verfügen sollen [3.5]. Die von Platon kommende Idee wurde in der „Adagia“ von Erasmus von Rotterdam weitergetragen. Wir kennen sie etwa auch vom alten Rathaus in Lwówk Śląski (Löwenberg in Schlesien)25. 19  Nathan Chyträus, Vaviorum in Europa intinerum deliciae, Herborn 1594, S.  207–210. 20  Ibtelan, S.  208. 21  Wiesiołowski, Inskrypcje na attyce, S.  399. 22  Joachim Wollasch, Benedictus aabas Romensis. Das römische Element in der frühen benediktinischen Tradition, in: Tradition als historische Kraft, Interdisziplinäre Forschungen zur Geschichte des früheren Mittelalters, Hrsg. Norbert Kamp und Joachim Wollasch; unter Mitwirkung von M. Balzer, K.  H. Krüger und L. von Padberg, Berlin / New York 1982, S.  135. 23  Karl Lind, Ueber den Krummstab. Eine archäologische Skizze, Wien 1863, S.  53. 24  Die Kunstdenkmäler des Kantons Basel-Stadt: Bd.  6: Casimir H. Baer, François Maurer, Rudolf F. Burckhardt, Linus Birchler, Die Altstadt von Kleinbasel, Profanbauten, S.  600. 25  Mieczysław Zlat, Lwówek, Wrocław-Warszawa-Kraków 1961, S.  102–103.



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Das letzte Feld auf der Südfassade enthält neben Inschriften auch ein stilisiertes Staatswappen aus der Renaissancezeit26. [4.1]  VBI PRAESES ERIT PHILOSOPHVS, IBI CIVITAS ERIT FOELIX. [4.2]  QVOT MORES HOMINIVM TOTIDEM RESPVBLICA. [4.3]  NIHIL IN REBVS HVMANIS DIFFICILIVS QVAM BENE IMPERE. [4.4]  NON BENE PRO TOTO LIBERTAS VENDITVR AVRO.

Inhaltlich stellen diese Anweisungen dar, dass die Klugheit der Regierenden Glück verspricht [4.1] und wie wichtig gute Eigenschaften des Menschen in der ganzen Gesellschaft sind [4.2]. Gleichzeitig wird deutlich, wie schwer es ist, gut zu befehlen [4.3]. Und schließlich wurde unterstrichen, dass Freiheit viel mehr wert ist als alle materiellen Güter (wie das hier erwähnte Gold) [4.4]. Der erste Satz stammt aus der Ethik von Aristoteles, der zweite von Plato. Der dritte Satz übernimmt den Gedanken von Kaiser Diocletianus27, der von Erasmus von Rotterdam überliefert wurde. Sie sind uns auch aus dem Rathaus in Lwówek Śląski (Löwenberg in Schlesien) bekannt28. Der letzte Satz wurde von Chyträus übernommen und war sicherlich auf einem Haus auf dem Markt in Poznań vorhanden29. Dieser Spruch war den damaligen polnischen Poeten bekannt (Klemens Janicjusz, Mikołaj Rej) und wurde auch in anderen Städten Europas verwendet: etwa in Dubrovnik auf einer Steininschrift an der Festung Sankt Laurentius und auf dem Ostentor in Dortmund. Der Gedanke über die Freiheit als höchstes Gut wurde aber auch ganz in der Nähe des Rathauses erwähnt, und zwar auf dem Pranger. Auf dem Schaft der Säule sind die Sentenzen aus dem VI. Buch, Vers 620–622, der Eneide des Virgilius gehauen: VENDIDIT HIC AVRO PATRIAM (Dieser hat das Vaterland für das Gold verkauft)30. Das fünfte Feld war dem Frieden gewidmet [5.1]  PAX OPTIMA RERVM. [5.2]  PACEM AMANTES DEVM QVI EST AVTOR PACIS AMANT. [5.3]  DVLCE BELLVM INEXPERTIS. 26  Zenon Piech, Rekonstrukcja orła z elewacji północnej ratusza, Kronika miasta Poznania 2004, Heft  2, S.  437–444. 27  Originell klingt aber dieser Satz: Nihil difficilius quam bene imperare (Flavius Vopiscus, Divus Aurelianus, XLIII. 1). 28  Zlat, Lwówek, S.  102. 29  Chyträus, Variorum, S.  209. 30  Siehe: Andrzej Gulczyński, Pranger in Polen. Stand und Forschungsperspektiven, in: Dieter Pötschke (Hrsg.), Stadtrecht, Roland und Pranger, Berlin 2002, S.  375.

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[5.4]  QVI DESIDERAT PACEM PRAEPARET BELLVM. [5.5]  FOELIX CIVITAS QVE TEMPORE PACIS BELLA NVTRIT. [5.6]  NISI DOMINVS CVSTODIERIT CIVITATEM, FRVSTRA VIGILAT QVI CVSTODIT EAM. [5.7]  PAX INIQVISSIMA BELLO IVSTISSIMO PRAEFERENDA. [5.8]  QVANTO MAIOR EST FORTVNA TANTO MINVS EST SECVRA. [5.9]  PRAECIPITIS CONSILII COMES EST POENITENTIA.

Der bekannte Spruch, dass Frieden das höchste aller Güter sei [5.1], stammt aus der „Punica“ (XI, 595) von Silius Italicus (um 25–um 100), der ein römischer Konsul und Dichter war. Diesen Satz hat auch Erasmus von Rotterdam wiederholt (Adagia, IV, I, 1), insbesondere ist er aber als Motto des Westfälischen Friedens bekannt. Auch die nächsten Worte erklären, was der Frieden bedeutet, und zwar, dass der ungerechteste Frieden besser sei, als der gerechteste Krieg [5.7], und weiter, dass man den Frieden wie Gott lieben solle, weil er Schöpfer des Friedens ist [5.2]. Verdammt wurden die Unerfahrenen, für die der Krieg süß war, der Erfahrene dagegen fürchtete im Herzen sehr sein Nahen [5.3], wie der griechischer Dichter Pindar (522 v.  Chr.–nach 445 v.  Chr.) geschrieben hat (Fragmentum 110). Weitere Sätze betreffen die Vorbereitung zum Krieg. „Wer Frieden wünscht, bereitet den Krieg vor“ [5.4] stammt aus dem Vorwort „De re militari“ (Lib. 3) des römischen Kriegstheoretikers Flavius Vegetius Renatus (um 400 n.  Chr.). Die folgende Inschrift besagt, dass eine Stadt glücklich sei, die sich in der Friedenszeit auf einen Krieg vorbereite [5.5]. Eine ganz ähnliche Inschrift wurde auf der Waage angebracht: Felix civitatis que tempore pacis cogitat bell [um]31. Zum Vergleich: eine verwandte Inschrift befindet sich im / am Breslauer Rathaus. Dieser Spruch hat zwei Anfänge und zwei Endungen, deswegen kann man ihn auf vier Weisen lesen: Felix / Infelix – civitas, que tempore pacis – timet / bella nutrit32. Eine aus der Bibel stammende Warnung (Psalmen 127,1) findet sich in [5.6] wieder. Sie zeigt, dass echten Schutz nur Gott garantiert, da ohne Gottes Bewahrung der Hüter vergeblich über die Stadt wacht. Zu dieser Gruppe kann man auch eine weitere Inschrift rechnen. „Je größeres Glück uns Fortuna bringt, desto weniger ist es gewiss“, lesen wir 31  Siehe Gulczyński, Rechtliche Inschriften; Bettenstaedt, Das Rathaus in Posen, S.  95; Jacek Wiesiołowski, Inskrypcje renesansowe na rynku poznańskim, Kronika Miasta Poznania, Heft  2, S.  149; Kowalczyk, Fasada, S.  66. 32  Mieczysław Zlat, Ratusz wrocławski, Ossolineum, Wrocław-Warszawa-KrakówGdańsk 1976, S.  121–122.



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in einem weiteren Satz [5.8], der aus Aristoteles „Ethica Nicomachea“ (Lib.  VIII, cap. 1, 1155a, 10–11) entnommen wurde33. Und schließlich folgt eine Warnung, dass voreiligen Ratschlag eine Strafe begleitet [5.9]. Dieser Satz ist vermutlich auf Livius zurückzuführen. Einzelne Sätze sind von Andreas Eborensis (5.1, 5.2, 5.4) und Nathan Chyträus (5.7, 5.8, 5.9) übernommen, ein Spruch stammt aus der „Adagia“ von Erasmus von Rotterdamm [5.3]. Die von Chyträus übernommenen Inschriften sind bereits früher in Poznań verwendet worden, und zwar im Tor des alten königlichen Schlosses: „in arcis posnaniensis porta“ (5.8)34, und „in foro“, wobei man aber nicht genau weiß, wo das war. Wie J. Wiesiołowski vermutet, könnte ein Satz [5.9] auf dem Rathaus geschrieben worden sein, weil auf diesem Haus insgesamt 12 Inschriften waren35. Wie aber oben bereits geschildert, wurde das Rathaus von Chyträus als „curia“ bezeichnet. Einige Inschriften sind bereits früher verwendet worden, und zwar im Rathaus in Münster [5.1]. Bis zum zweiten Weltkrieg trug der massive Sturz über der Tür zum alten Ratssaal (heute Friedenssaal genannt) die Inschrift „Pax Optima Rerum“. Jener besaß einen massiven Aufbau in Dreiecksform mit einer Breite von 2  m und einer Höhe von 1,37  m. Auch nach dem Wiederaufbau des Rathauses nach dem 2. Weltkrieg wurde eine Inschrift über dem Tor zum Friedenssaal angebracht. Im Friedenssaal befindet sich eine gusseiserne Ofenplatte, die im Mittelfeld ein Kissen mit Krone und Zepter zeigt. Darüber sind drei Tauben zu sehen. Die Inschrift lautet: „Anno 1648. Pax optima rerum, 24. Oct.“ Interessant ist auch, dass das Motto der Christian-Albrecht-Universität in Kiel diesen Spruch enthält. Andere Inschriften waren am Rathaus in Breslau [5.5] und auf dem Schloss in Brieg [5.6] angebracht. Der nächste Satz weist auf das einstimmige Zusammenleben der Bürger hin. [6.1]  PVLCHRITVDO CIVITATIS CONCORDIA. [6.2]  IN CIVITATE CONCORDIA IDEM EST QVOD HARMONIA IN MVSICA. [6.3]  SI INCOLAE BENE MORATI SVNT, BENE MVNTIVM EST OPPIDVM. [6.4]  VT VIRTVS CIVIVM SIC FLOREAT VRBIS FORTVNA. [6.5]  CONCORDIA PARVAE DILABVNTVR.

RES

CRESCVNT,

DISCORDIA MAXIME

[6.6]  QVOD COMMODAVIT FORTVNA, TOLLET, QVOD MVTVAVIT FORTVNA REPETIT. Wiesiołowski, Inskrypcje na attyce, S.  400–401. Variorum, S.  207. 35  Wiesiołowski, Inskrypcje na attyce, S.  401. 33  Vgl.

34  Chyträus,

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[6.7]  QVOD PARAVERIT VIRTVS RETINEBIS, [6.8]  INVIDIAM VIRTVTE SVPERA. [6.9]  ANTIDOTVM VITAE PATIENTIA.

„Übereinstimmung in der Stadt soll ihr Ruhm einbringen“ [6.1], das bedeutet soviel – wie St. Augustin unterstreicht (De civitate Dei 2.21) – wie Harmonie in der Musik [6.2]36. Aus „De bello Iugurthino“ (10, 6) vom römischen Geschichtsschreiber und Politiker Gaius Sallustius Crispus (86 v.  Chr.–um 34 v.  Chr.) stammt ein weiterer Satz: „Durch Eintracht wächst das Kleine, durch Zwietracht zerfällt das Größte“ [6.5]. Die zweite Idee auf diesem Feld sind die guten Sitten. Der Wunsch, dass die guten Gewohnheiten der Bürger die beste Verteidigung der Stadt bilden [6.3], ist auf die „Persa“ (Actus IV, 554) von Titus Maccius Plautus (um 250 v. Chr.–um 184 v. Chr.) zurückzuführen. Die dritte Idee ist die der Bürgertugenden. Wie die Tugend der Bürger, so blühe das Glück der Stadt [6.4], sagt man in einem Spruch, weiter wird unterstrichen, dass, was durch Tugenden erlangt wird, erhalten bleibt [6.7] und schließlich wurde empfohlen, dass Gehässigkeit mit Tugendhaftigkeit zu besiegen sei [6.8]. Die Sprüche 6.7 und 6.8 bilden einen Satz, ursprünglich waren das aber zwei Sätze37. Im Gegensatz zur Tugendhaftigkeit bringt Fortuna keine beständige Zukunft. „Was der Zufall (Fortuna) ändert, ist nicht sicher und kann sich (wieder) ändern“ [6.6]. Dieser Satz stammt von Seneca oder Publilius Syrus38. Vor allem aber braucht man Geduld, was der beste Lebensbalsam ist [6.9]. Als Muster haben zu den heutigen Inschriften die Überlieferungen von Andreas Eborensis [6.2, 6.3] gedient, des Weiteren auch die Rathäuser in  Ziębice (Münsterberg in Schlesien) [6.1, 6.4], Lwówek [6.3] und Basel  [6.5]. Weitere Sprüche konnte man schon mit Sicherheit früher in Posen  sehen [6.6 – 6.9], im 16.  Jahrhundert hatte Nathan Chyträus sie abgeschrieben. Einige Sprüche kann man auch in anderen Städten finden. Der Satz über das gute Zusammenleben der Bürger [6.1] wurde in Levoča (Slowakei) angebracht, wo auch dieser Spruch in der Präambel der Stadtverfassung eingeführt wurde. Auch die Inschrift über die Bürgertugenden [6.4] war am 36  Siehe auch Elizabeth I, Translations, 1544–1589, Hrsg. Janel M. Mueller, ­Joshua Scodel, Univ. of Chicago Press, Chicago 2009, S.  384. 37  Chyträus, Variorum, S.  209. 38  Seneca, Epistulae morales IV, 59, 180: Quod non dedit fortuna, non eripit oder Publilius Syrus, M 44: Minimum eripit fortuna, cui minimum dedit; Wiesiołowski, Inskrypcje renesansowe, S.  148.



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Rathaus in Münsterberg in Schlesien präsent. Dieser Spruch war zudem in Syców (Groß Wartenberg, bis 1888 Polnisch Wartenberg) in eine Marmortafel gehauen und über der Tür zum Rathaus angebracht. Das erste Feld auf der Südwand ist mit Inschriften bedeckt, die tatsächlich in Posen vorhanden waren und aus dem Werk von Nathan Chyträus stammen: [7.1]  VERACI CREDITVR ET MENTIENTI, MENDACI NON CREDITVR ET IVRATO. [7.2]  SI AD NATVRAM VIVES, NVNQVAM ERIS PAVPER, SI AD OPINIONEM NVNQVAM ERIS DIVES.  NATVRA ENIM EXIGVVM DESIDERAT, OPINIO AVTEM IMMENSVM. [7.3]  ILLAM SENEX RETINEBO FIDEM IN QVA PVER SVM NATVS.  [7.4]  SENECTVS LAVDABILIS DVOBVS QVASI SCIPIONIBVS NITITVR: RECORDATIONE VITAE HONESTAE ANTEACTAE ET SPE VITAE MELIORIS. 

Alle Sätze enthalten moralische Hinweise für die Bürger sowie auch für die machthabenden Leute. Eine Warnung, dass man dem Wahrheitsliebenden auch glaubt, wenn er lügt, dagegen dem Lügner nicht geglaubt wird, sogar wenn er unter Schwur steht [7.1]39, befand sich auf einem Haus am Posener Markt. Vermutlich ist er auf Ciceros De divinatione zurückzuführen. Auf einem anderen Haus wurde eine längere Inschrift angebracht [7.2]. Der Anfang wurde von Lucius Annaeus Senecas Ad Lucilium Epistulae Morales entnommen. Im zweiten Buch lesen wir – mit Hinweisen auf Epikur – dass, wer naturgemäß lebt, nicht so arm sei; lebte er aber nach Wahnvorstellungen, so würde er niemals reich sein (Lib.  2, XVI, 7). Der zweite Satz ist aber ein bisschen abgeändert, bei Seneca lautet er: Exiguum natura desiderat, opinio immensum (Lib.  2, XVI, 8). Der nächste Spruch weist auf Erhaltung des Glaubens von der Geburt bis zum Greisenalter hin [7.3]40. Eine ganz ähnliche Inschrift kennen wir von dem Grabmal des Posener Bürgermeisters Piotr Szchedel (gest. 1584)41. Es ist also möglich, wie J. Wiesiołowski vermutet, dass Chyträus diesen Satz aus Szchedels Haus abgeschrieben hat42. Meiner Meinung nach wurde diese Inschrift eher von einem Grabmal abgeschrieben. Die Inschriften, die wir aus der alten Pfarrkirche kennen, enthalten nur biographische Elemente, 39  Chyträus,

Variorum, S.  208. S.  209. 41  Napisy nagrobne ze starej fary w „Monumenta Sarmatarum“ Szymona Starowolskiego, bearb. Jacek Wiesiołowski, übersetz. Rafał Wójcik, Kronika miasta Poznania, 2003, Heft 3, S.  110. 42  Wiesiołowski, Inskrypcje na attyce, S.  402. 40  Ibidem,

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keine Fragmente z. B. aus der Bibel. Man kann den Inhalt mit dem Brief des Apostels Paulus an Timotheus (2. Tim, 4,7) vergleichen. Dazu steht dieser Satz in Chyträus Sammlung neben einem anderen und dazu auf deutsch: Wer hie auff erden gute tag wil han Der nem sich Christi nicht vil an Denn wer die Christu recht bekent Muβ das Creutz tragen biβ ans end43.

Diese Inschrift wurde heute nicht auf dem Rathaus angebracht, aber sie deutet eben auf die Verbindung mit dem Tod hin. Das bestätigt, dass sich die in der Nähe abgedruckten Inschriften früher auf Grabmälern befanden. Der letzte Spruch unterstreicht, dass das Erreichen eines rühmenswerten Alters auf zwei Stützen basiert: dem Bewusstsein eines guten Lebens und der Hoffnung auf ein besseres Leben [7.4]44. Nach dem Tod natürlich! Also handelt es sich hierbei vermutlich auch um eine Grabinschrift. Der folgende, 10 Sentenzen umfassende Satz stammt aus dem Werk von Chyträus und bildet die Inschriften von alten Posener Häusern ab: [8.1]  SAPIENTIA VITAE CVSTOS.  [8.2]  ORNATVS VITAE TEMPERANTIA. [8.3]  AMICOS FECIT BENEVOLENTIA. [8.4]  FVNDAMENTVM FAMAE IVSTITIA. [8.5]  NON SAPIAS PLVS QVAM NECESSE EST. [8.6]  BONORVM LABORVM FRVCTVS GLORIOSVS.  [8.7]  SVAVISSIMVS POST LABOREM FRVCTVS. [8.8]  MORS ET TEMPVS VORANT OMNIA. [8.9]  AERIS ALIENI COMES MISERIA. [8.10]  SAT HABET FAVTORVM, SEMPER QVI VIVIT BENE.

Diese Sentenzen betreffen die Tugenden: Weisheit, Mäßigung und Gerechtigkeit [8.1, 2, 4]; es fehlt also die Tapferkeit. Wichtig sind die Werte wie Freundschaft und das Wohlwollen [8.3]. Weiter finden wir Ratschläge: „denke nicht mehr als nötig“ [8.5] und eine Warnung, dass das Elend der Begleiter der Schulden ist [8.9]. Zwei Sätze betreffen die Belohnung nach guter Arbeit [8.6, 8.7.], zwei weitere erinnern daran, dass der Tod und die Zeit alles verschlingen [8.8], und dass, wer gut lebt, immer Anhänger hat [8.10]. Vermutlich sind diese Inschriften auf Grabplatten gefunden worden. 43  Chyträus, 44  Ibidem,

Variorum, S.  209. S.  210.



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Ein Satz [8.4.] stammt aus Ciceros Werk De Officiis (Liber Secundus, XX, 69: Fundamentum enim perpetuae commendationis et famae est iustitia, sine qua nihil potest esse laudabile), ein weiterer [8.5.] ist hingegen ein Fragment aus der Bibel (Liber Ecclesiastes 7,17). Die Hinweise für heutige Richter und Ratsherren zeigen die alten Ideen des Gerichtswesens und der Rechtsprechung. [9.1]  IVSTITIA EST PRAECLARISSIMA VIRTVTVM. [9.2]  RECTE IVDICATE FILII HOMINVM. [9.3]  PRIMVM QVEARITE REGNVM DEI ET IVSTITIA EIVS. [9.4]  NON ACCIPIES MVNERA, QVIA EXCOECANT OCVLOS SAPIENTIVM ET DEPRAVANT CAVSAS IVSTORVM. [9.5]  VTILITAS PVBLICA PRIVATAE EST SEMPER PRAEFERENDA.

Diese Sprüche weisen auf die Gerechtigkeit als die höchste der Tugenden [9.1] hin und empfehlen, dass die Richter gerecht urteilen sollen [9.2]; sie zeigen als Beispiel das Königreich Gottes sowie auch seine Gerechtigkeit [9.3]45, enthalten die Warnung vor der Korruption [9.4], zeigen auch den Ratsherren und Richtern, dass öffentlicher Nutzen immer wichtiger als privater ist [9.5]. Als Quelle haben hier die „Ethic“ von Aristoteles [9.1] und die Bibel gedient. Satz 9.2 stammt aus den Psalmen 58, 2, Satz 9.4 dagegen aus 5. Moses, 16, 19. Einige der Verse waren von B. Groicki empfohlen worden [9.2, 9.4]46, andere wurden bereits früher auf anderen Rathäusern verwendet, und zwar in Genf [9.1], Basel [9.3] und Köln [9.3 und 9.5]. Auf dem nächsten Feld sind an Richter gerichtete Hinweise gemalt. [10.1]  AVDITE ILLOS ET IVDICATE EOS IVSTE, SIVE CIVIS SIT ILLE, SIVE PEREGRINVS.  NON AGNOSCETIS PERSONAS IN IVDICIO, ITA PARVVM AVDIETIS VT MAGNVM, NEC REVEREAMINI CVIVSQVE PERSONARVM, QVIA DEI IVDICIVM EST. [10.2]  MALEFICOS NON PATIARIS VIVERE SVPER TERRAM.

Beide Sätze wurden von B. Groicki empfohlen und stammen aus der Bibel47, der erste Satz aus dem Deuteronomium 1, 16–17, der zweite in 45  Über die Verantwortlichkeit des Richters vor Gott siehe: Andreas Wacke, Rechtsprechen im Angesicht des Jüngsten Gerichts – nach Gemälden und Inschriften in Ratsstuben und Gerichtssälen, Forschungen zur Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde, Hrsg. Louis Carlen, Bd.  24: 2007, S.  46–53; Stefan Altensleben, Eine unbekannte Inschrift im Rathaus der alten Bergstadt Marienberg, Ebendort, 24: 2007, S.  71–76. 46  Groicki, Porządek, S.  231. 47  Ibidem, S.  231.

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Exodus 22, 17. Im ersten Satz empfiehlt man dem Richter die gleiche gerechte Betrachtung, ob es ein Bürger, ein Pilger, ein Nachbar oder Fremder sei. Sie sollten auch keine Angst vor der Beurteilung aller Personen haben, weil sie im Namen Gottes urteilten. Im zweiten Satz folgt eine Empfehlung für Richter, dass sie die Missetäter auf der Welt nicht leben lassen sollten. Das letzte Feld grenzt schon an die Hauptfassade an: [11.1]  NON EST ENIM APVD DOMINVM DEVM NOSTRVM INIQVITAS NEC PERSONARVM ACCEPTTIO, NEC CVPIDO MVNERVM. [11.2]  VIDVAE ET PVPILLO NON NOCEBITIS, SI LAESERIS EOS VOCIFERABVNTVR AD ME ET EGO AVDIAM CLAMOREM EORVM ET INDIGNABITVR FVROR MEVS PERCVTIAMQVE VOS GLADIO ET ERVNT VXORES VESTRAE VIDVAE ET FILII VESTRI PVPILLI.

Auch diese zwei Sprüche wurden von B. Groicki empfohlen48, beide sind der Bibel entnommen. Das erste stammt aus dem Zweiten Buch der Chronik (Paralipomenon, 19, 6–7) und betrifft einen Befehl, den König Josafat dem neuberufenen Richter gegeben hat. Der zweite Satz stammt aus Exodus 22, 21–2349. Dieser Text wurde mit Sicherheit schon 1550 in einer längeren Fassung auf das Rathaus gemalt und wurde nach dem Kriege an einem anderen Platz abgebildet50. Hier wurden wieder die Ideen der Gleichheit wiederholt und die besondere Sorge Gottes um die Waisen und Witwen. Wer die Rechte der Waisen und Witwen verletzen wird, wird von Gott mit dem Schwert der Gerechtigkeit getötet. Latein war eine internationale Sprache. Heute spricht man lieber andere Sprachen, internationale Dokumente sind auch in der Regel nicht lateinisch. In einigen Bereichen aber lebt diese Sprache. Wie früher, so auch heute, dient sie der Übermittlung besonders wichtiger Mitteilungen. Waren die alten Posener des Lateins mächtig51, waren die Inschriften überhaupt von der Straße aus lesbar? Sicherlich konnten gut ausgebildete Bürger die Attikaschrift lesen. Die meisten wussten aber nur, dass dort oben kluge Sprüche in der lateinischen Sprache angebracht sind. Das konnten aber auch die gebildeten Gäste lesen, die oft nach Posen gekommen waren. Die Verse auf der Attika haben also vor allem als Schmuck gedient und wurden zur Über48  Ibidem,

S.  229–230. S.  231. 50  Gulczyński, Inschriften, S.  90. 51  Siehe Andreas Wacke, Lateinisch und Deutsch als Rechtssprachen in Europa, NJW 1990, 877 ff.; In den deutschen Städten wurde sicherlich auch die deutsche Sprache verwendet. Den heutigen Forschungsstand in diesem Bereich stellt Stephan Altensleben dar: Vergessene Botschaften: Über spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Inschriften zur Herrschafts- und Rechtskultur, Signa Iuris, 1: 2008, Hrsg. Gernot Kocher, Heiner Lück, Clausdieter Schott, S.  29–49. 49  Ibidem,



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mittlung besonders wichtiger Mitteilungen genutzt, die aber nicht immer und von allen Leuten gelesen werden konnten. Die Kenntnis des Lateins nimmt immer stärker ab, was natürlich vor und während der Renovierungsarbeiten in den letzten Jahren bekannt war. Aber heute wird diese Sprache auch ähnlich verwendet wie früher, und zwar bei besonders wichtigen Mitteilungen oder bei außergewöhnlichen Gelegenheiten. Neue Gebäude des polnischen obersten Gerichts wurden auch mit Inschriften, die vor allem aus dem römischen Recht stammen, geschmückt52. In dem 2010 eröffneten Gebäude der Juristischen Fakultät in Posen (Collegium Iuridicum Novum) wurden auch lateinische Sprüche zur Zierde angebracht. Alle solche Inschriften sind, wenn sie neu entstehen, nicht nur Zeichen der Kultur, sondern können auch einem didaktischen Zweck dienen. Anders aber ist es im Fall der Attika am Posener Rathaus, weil hier ursprünglich die Inschriften bereits vorhanden waren. Sie leben also nach Renovierungsarbeiten wieder auf. Wir wissen aber nicht in welcher Gestalt, und wir sind nicht sicher, mit welchem Inhalt sie vorher vorhanden waren. Der Vorschlag für die Auflösung dieses Rätsels ist aber interessant. Das Konzept der alten Inschriften ist grundsätzlich bekannt und an diese Gedanken knüpfen auch heutige Verse an. Man kann zusammenfassen, dass das folgende Ideen waren: gerechtes Gericht, Bürgertugend der Bewohner, Verteidigungsfunktion der Stadt, gutes Regieren von klugen Menschen. Mit diesen Ideen sind auch folgende Werte verbunden: Gerechtigkeit, Weisheit, Frömmigkeit, Übereinstimmung, Freiheit, Frieden, Festigkeit im Glauben und Beibehaltung der Bürgertugenden. Als Grundlage dient die Annahme, dass alle Macht von Gott kommt, man muss immer an Gott und schließlich an das Jüngste Gericht denken. Bedeutend sind auch die guten Gewohnheiten aller Bürger und die Klugheit der Machthabenden. Wichtig ist auch das Brandmarken von Korruption und fehlender Erfahrung bei der Machtausübung. Das ist leider ein ganz präsentes Problem. Andere Verse zeigen auch, dass das Glück oder der Zufall keine beständige Erlösung bringen. Richtig wurde auch unterstrichen, dass Posen seit den Anfängen des polnischen Staates existiert, nicht erst seit der Gründung nach deutschem Recht, was besonders unter der Preußischen Herrschaft hervorgehoben war. Grundsätzlich sind auf der Attika keine Rechtstexte angebracht. Die oben genannten Ideen der Rechtausübung, der Rechtsprechung und der Machtausübung im Allgemeinen könnten als Präambel dienen. Kurze moralische Belehrungen, die manchmal naiv scheinen, sind aber auch wichtig im heutigen Leben. 52  Agnieszka Kacprzak, Jerzy Krzynówek, Witold Wołodkiewicz, Regulae Iuris. Łacińskie inskrypcje na kolumnach sądu Najwyższego Rzeczypospolitej Polskiej, Hrsg. Witold Wołodkiewicz, Warszawa 2006.

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Attika des Rathauses in Poznań (Posen) mit den Inschriftenfeldern 3 und 4 (Foto: A. Gulczyński)

Eine sehr wichtige Grundlage für die ganze Sammlung ist die Wahl der griechischen und römischen Kultur und die Hervorhebung der Einigkeit mit Europa. Zu diesem Thema gehört auch die Zugehörigkeit zur christlichen Welt und das Betonen, dass die Macht von Gott stammt. Heute wird das vor allem von anderen Ideen unterbrochen, wie z. B. der Demokratie. Das spiegelt auch den heutigen Zustand in Polen wider, wo Gott und Kirche leider als politisches Instrument (z. B. bei den Wahlen oder Diskussionen) missbraucht werden. Es wurde Latein ausgewählt, weil es das Bündnis mit der europäischen Kultur zeigt und diese Sprache (ausschließlich?) in Hausinschriften vorkam. Das wurde im Grundsatz auch für die Renaissancezeit in Posen bestätigt, wobei es aber auch Ausnahmen geben konnte. Alle Inschriften sind in der Originalfassung dargestellt. Einzelne von ihnen sind griechischen und römischen Quellen entnommen. Einige stammen aus der Bibel, und zwar aus dem Alten Testament. Einige dieser Quellen sind schon an anderen Plätzen im Rathaus präsent. Für die Attika wurden die Verse aus alten Sammlungen von Erasmus von Rotterdam und Andreas Eborensis, die möglicherweise auch in Posen verwendet wurden, benutzt. Besonders wichtig ist die Sammlung von Nathan Chyträus, der die tatsächlichen Inschriften aus dem Posen des 16.  Jahrhun-



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derts abgeschrieben hat (warum so wenig?). Andere hat der bedeutendste polnische Jurist aus dem 16.  Jahrhundert empfohlen. Es ist auch möglich, dass er selbst Posener Inschriften als Muster übernommen hatte. Und schließlich sind einige Verse von schlesischen Denkmälern übernommen, was vermutlich besonders nett für den Jubilar ist. Möglicherweise hat er in seiner Kindheit diese Denkmäler gesehen.

Grenzen vertraglicher Haftung im englischen Recht Von Günter Hager I. Einführung Dem Wissenschaftler des römischen Rechts, der meinen unkundigen Fragen stets ebenso kundig wie geduldig Antwort gibt, dem Nachbarn und Freund und dem gemeinsamen Kirchenbesucher seien diese Zeilen gewidmet. Doch hier stocke ich schon. Vermag ein einzelner Beitrag so viele Aufgaben zu erfüllen? Er vermag es nicht. So kann ich nur Bemühen versprechen. Im Haftungsrecht stellt sich zunächst die Frage nach den Haftungsvoraussetzungen. Kaum ist diese Problematik gelöst, taucht sogleich die Frage nach den Haftungsgrenzen auf. Beides hängt zusammen: Je einfacher die Eröffnung der Haftung ist, desto notwendiger deren Limitierung. Ein Beispiel für das Zusammenspiel beider Komplexe gibt das englische Vertragsrecht ab. Der strikten Vertragshaftung steht eine Begrenzung der Haftung durch die remoteness rule gegenüber. Danach ist der Ersatzanspruch des Vertragsgläubigers auf den Schaden begrenzt, den die Parteien bei Vertragsschluss voraussehen konnten (contemplation rule, Voraussehbarkeits­regel). Die contemplation rule hat eine lange Tradition1: Über Dumoulin, Pothier und den Code civil (Art.  1150 C. civ.) ist sie zunächst nach Amerika und von dort aus nach England gelangt. Das deutsche Recht hat sich bekanntlich gegen die Voraussehbarkeitsregel entschieden, aber dem Gläubiger eine Pflicht auferlegt, auf außergewöhnlich hohe Schadensrisiken hinzuweisen (§ 254 Abs. 2 S. 1 BGB).2 Ungeachtet dessen finden sich auch im deutschen Recht Ansätze zur Begrenzung der Haftung auf den voraussehbaren Scha1  Hierzu König, Voraussehbarkeit des Schadens als Grenze vertraglicher Haftung (zu Art. 82, 86, 87 EKG), in: Das Haager Einheitliche Kaufgesetz und das Deutsche Schuldrecht, Kolloquium zum 65.  Geburtstag von Ernst v. Caemmerer, Hrsg. Hans G. Leser und W. Frhr. Marschall von Bieberstein, 1973, 75. 2  Siehe König, Voraussehbarkeit des Schadens als Grenze vertraglicher Haftung (zu Art. 82, 86, 87 EKG), in: Das Haager Einheitliche Kaufgesetz und das Deutsche Schuldrecht, Kolloquium zum 65.  Geburtstag von Ernst v. Caemmerer, Hrsg. Hans G. Leser und W. Frhr. Marschall von Bieberstein, 1973, 75, 89  ff.

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den.3 Hierher gehört insbesondere die von Rabel in die Diskussion gebrachte Schutzzwecklehre, nach der die Reichweite der verletzten Pflicht den Haftungsumfang bestimmt.4 Im internationalen Recht hat sich die Erfolgsgeschichte der contemplation rule fortgesetzt. Denn auch das CISG und der DCFR haben diese Regelung aufgegriffen (Art.  74 S.  2 CISG; Art. III. – 3:703 DCFR).5 In jüngster Zeit hat eine viel beachtete Entscheidung des House of Lords6 die Diskussion wieder belebt und zu einer gerade aus kontinentaler Sicht bemerkenswerten Wende im englischen Vertragsrecht geführt. Eine erneute Befassung mit der contemplation rule erscheint deshalb geboten. II. Die contemplation rule im englischen Recht7 1. Entwicklung der Rechtsprechung Im Folgenden sollen die großen Urteile zur contemplation rule vorgestellt werden, von Hadley v.  Baxendale bis zu The Achilleas. Ziel ist es, für die anschließenden theoretischen Erwägungen eine hinreichende faktische Basis zu schaffen. Ausgangspunkt ist der Fall Hadley v. Baxendale8: In der Mühle des Klägers war eine Kurbelwelle gebrochen. Sie musste an den Hersteller gesandt werden, um als Muster für die Herstellung einer neuen Kurbelwelle zu dienen. Der Mühlenbesitzer übergab die Kurbelwelle dem Beklagten, einem Frachtführer. Anstatt diese, wie versprochen, am nächsten Tag dem Hersteller auszuliefern, traf sie dort erst nach fünf Tagen ein, weil der Frachtführer am Ende des Transports vertragswidrig einen Kanal benutzte statt der Bahn. 3  Schlechtriem, Voraussehbarkeit und Schutzzweck einer verletzten Pflicht als Kriterium der Eingrenzung des ersatzfähigen Schadens im deutschen Recht, in: Recht in Ost und West, 1988, 505, 507, 512. 4  Rabel, Das Recht des Warenkaufs, Bd. 1, 1957, 496. 5  Zum CISG siehe die Monographie von Faust, Die Voraussehbarkeit des Schadens gemäß Art.  74 Satz 2 UN-Kaufrecht (CISG), 1996. 6  Transfield Shipping Inc v. Mercator Shipping Inc (The Achilleas) [2009] 1 A. C. 61 (HL). 7  Hierzu Treitel / Peel, The Law of Contract, 12. ed., London 2007, 20-083 – 093; gründliche Analyse der contemplation rule in der anglo-amerikanischen Gerichtspraxis bei König, Voraussehbarkeit des Schadens als Grenze vertraglicher Haftung (zu Art.  82, 86, 87 EKG), in: Das Haager Einheitliche Kaufgesetz und das Deutsche Schuldrecht, Kolloquium zum 65.  Geburtstag von Ernst v. Caemmerer, Hrsg. Hans G. Leser und W. Frhr. Marschall von Bieberstein, 1973, 75, 100  ff. 8  (1854) 9 Exch. 341 = 156 E.R. 145; zur Deutung der Entscheidung unter dem Gesichtspunkt des Wandels der ökonomischen Verhältnisse und des Gerichtssystems in der Mitte des 19.  Jahrhunderts siehe Danzig, Hadley v. Baxendale: A Study in the Industrialization of the Law, in: Baird, Contracts Stories, 2007, 1  ff.



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Folglich wurde der Stillstand der Mühle um fünf Tage verlängert. Der Mühlenbesitzer verlangte vom Frachtführer Schadensersatz in Höhe von £  300, was nahezu das 150fache der Fracht war. Die jury sprach £  50 zu. Der Frachtführer rügte mit Erfolg vor dem Court of Exchequer die Unterweisung der jury. Alderson B. entwickelte die maßgeblichen Grundsätze: „Where two par­t­ies have made a contract which one of them has broken, the damages which the other party ought to receive in respect of such breach of contract should be such as may fairly and reasonably be considered either arising naturally, i. e. according to the usual course of things, from such breach of contract itself, or such as may reasonably be supposed to have been in the contemplation of both parties, at the time they made the contract, as the probable result of the breach of it“.9 Der Stillstand der Mühle war keineswegs eine natürliche Konsequenz des Vertragsbruches. So hätte der Kläger über eine Ersatzkurbelwelle verfügen oder sich eine solche beschaffen können. Ebenso wenig war der Stillstand der Mühle vom Beklagten bei Vertragsabschluss in Erwägung zu ziehen. Ihm fehlten die notwendigen Informationen. Der Beklagte konnte sich deshalb nicht durch eine Haftungsbegrenzungsklausel schützen. Um diesen Vorteil dürfe er nicht gebracht werden. Alderson B. bezog sich nicht ausdrücklich auf die foreseeability, hatte diese aber wohl im Sinn.10 Die Folgerechtsprechung stellte dann ausdrücklich auf die foreseeability ab. So kam es einhundert Jahre später im Laundry-case zu einer Umformulierung der contemplation rule11: Eine Wäscherei und Färberei hatte von einer Ingenieurfirma einen Dampfkessel gekauft, um ihr Geschäft auszudehnen. Die Lieferung verzögerte sich von Juni bis November. Die Wäscherei und Färberei verlangte als Schadensersatz ihren entgangenen Gewinn. Umstritten war die Höhe der Ersatzpflicht. Richter Asquith formulierte die Regel, dass der Geschädigte nur einen solchen Schaden verlangen könne, „as was at the time of the contract reasonably foreseeable as liable to result from the breach“.12 Was voraussehbar sei, hänge von dem Wissen der Parteien, jedenfalls der vertragsbrüchigen Partei ab. Die Kenntnis des normalen Verlaufs der Dinge werde jedem Schädiger zugerechnet. Dies entspreche der ersten Regel in Hadley v. Baxendale. Hinzutreten könne die Kenntnis spezieller Umstände von der Art, 9  Hadley

v. Baxendale (1854) 9 Exch. 341, 354 = 156 E.R. 145, 152. Hadley v. Baxendale – Foreseeability: a Principle Beyond Its Sellby Date?, (2007) 23 Journal of Contract Law 120, 121. 11  Victoria Laundry (Windsor) v. Newman Industries [1949] 2 K. B. 528. 12  Victoria Laundry (Windsor) v. Newman Industries [1949] 2 K. B. 528, 539. 10  Tettenborn,

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dass der Vertragsbruch einen größeren Schaden verursachen würde. Entsprechend der zweiten Regel sei dann auch dieser Schaden ersatzfähig. Auf den konkreten Fall angewandt, führten diese Regeln zu dem Ergebnis, dass die Ingenieurfirma der Wäscherei und Färberei zwar den Gewinn ersetzen musste, der üblicherweise erzielt wird, nicht aber den Gewinn, der auf außergewöhnlich lukrativen Verträgen mit der öffentlichen Hand beruhte und den die Wäscherei und Färberei im Fall rechtzeitiger Lieferung des Dampfkessels erzielt hätte; denn von diesen Verträgen hatte die Ingenieurfirma keine Kenntnis. Mit der foreseeability rule war eine objektive, vom Vertrag gelöste Abgrenzungsformel entwickelt worden, die eine hohe Nähe zum Erfordernis der foreseeability im Deliktsrecht aufwies. Genau diese Parallelisierung von Vertrags- und Deliktsrecht wurde dann in Heron II ausdrücklich aufgegeben13: Aufgrund einer Charterparty war Zucker von Constanza nach Basrah zu transportieren. Die Charterer beabsichtigten, den Zucker nach der Ankunft in Basrah zu verkaufen. Die Eigentümer des Schiffes hatten hiervon keine aktuelle Kenntnis, aber sie wussten, dass die Charterer Zuckerhändler waren und dass in Basrah ein Zuckermarkt war. Die Eigentümer verletzten die Charterparty, indem sie einen Umweg machten, was zur Folge hatte, dass das Schiff in Basrah neun oder zehn Tage zu spät ankam. Während dieser Zeit sank der Zuckerpreis. Die Charterer verlangten als Schadensersatz den Preisverlust. Sie waren vor dem Schiedsgericht erfolgreich. Richter McNair sprach dagegen den Charterern als Schadensersatz nur die Zinsen auf den Wert des Zuckers während der Verzögerung zu. Der Court of Appeal stellte den Schiedsspruch wieder her. Das House of Lords bestätigte die Entscheidung. Die fünf Richter gelangten zwar zum gleichen Ergebnis, doch mit unterschiedlichen, subtilen Kriterien. Die Aussage der Entscheidung bleibt damit schwierig. Klar trat freilich das House of Lords der Auffassung entgegen, dass für die Haftungsbegrenzung im Vertrags- und Deliktsrecht der gleiche Maßstab gelte.14 Lord Reid führte aus, dass im Deliktsrecht der Schädiger für jeden Typ von Schaden hafte, der vernünftigerweise voraussehbar sei, selbst in einem ungewöhnlichen Fall; in einer vertraglichen Beziehung könne eine Partei, die sich gegen ein ungewöhnliches Risiko schützen wolle, die andere Partei hierauf hinweisen.15 13  Koufos 14  Koufos

v. C. Czarnikow Ltd. (The Heron II) [1969] 1 A. C. 350. v. C. Czarnikow Ltd. (The Heron II) [1969] 1 A. C. 350, 385, 411,

15  Koufos

v. C. Czarnikow Ltd. (The Heron II) [1969] 1 A. C. 350, 385, 386.

425.



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Essenz dieser Überlegung Lord Reids war, dass im Hinblick auf ungewöhnliche Folgen eines Vertragsbruchs regelmäßig eine vertragliche Regelung getroffen werde, dass es dagegen eine Härte darstellen würde, eine Haftung für derartige Folgen anzuordnen, wenn mangels Kenntnis der Risiken eine vertragliche Regelung unterblieben sei.16 Daraus folgt dann ganz zwangsläufig eine Verschärfung der Voraussehbarkeitsregel im Vertragsrecht. Voraussehbarkeit verlangt hier einen höheren Grad von Wahrscheinlichkeit.17 Bei der Umschreibung des Wahrscheinlichkeitsgrades bedienten sich die Lordrichter in Heron II ganz unterschiedlicher Formulierungen. Eine gewisse Prominenz erlangte die Formulierung Lord Reids: „The crucial question is whether, on the information available to the defendant when the contract was made, he should, or the reasonable man in his position would have realised that such loss was sufficiently likely to result from the breach of contract to make it proper to hold that the loss flowed naturally from the breach or that loss of that kind should have been within his contemplation“.18 Eine wichtige Präzisierung der foreseeability rule brachte der Fall Jackson v. Royal Bank of Scotland plc.19 Der Kläger importierte von einem Exporteur in Thailand Beißspielzeug für Hunde. Er verkaufte das Spielzeug einem Kunden, der wie er eine Bankverbindung mit der beklagten Royal Bank of Scotland unterhielt. Durch Versehen eines Bankangestellten gelangte die Rechnung des thailändischen Exporteurs nicht an den Kläger, sondern an den Kunden. Der große Profit des Klägers wurde dadurch offenbar. Dies stellte einen Bruch der Pflicht zur Vertraulichkeit dar. Als Folge trat der Kunde in eine direkte Vertragsbeziehung zu dem thailändischen Exporteur. Der Kläger verlangte von der Bank seinen entgangenen Gewinn. Der Richter ging davon aus, dass ohne Vertrauensbruch der Kunde weitere vier Jahre mit dem Kläger kontrahiert hätte und sprach den entgangenen Gewinn für diesen Zeitraum zu. Der Court of Appeal begrenzte den Schaden auf ein Jahr, weil die Bank den weitergehenden Schaden nicht voraussehen konnte. Das House of Lords qualifizierte dies als Fehlanwendung der foreseeability rule und führte aus: Wenn der test of remoteness erfüllt sei, dann gebe es, vorbehaltlich einer vertraglichen Regelung, keine willkürliche Grenze für den Schadensumfang.20 16  So Lord Hope in Transfield Shipping Inc v. Mercator Shipping Inc (The Achilleas) [2009] 1 A. C. 61, 73 para.  32 (HL). 17  Treitel / Peel, The Law of Contract, 12.  ed., London 2007, 20-085. 18  Koufos v. C. Czarnikow Ltd. (The Heron II) [1969] 1 A. C. 350, 385. 19  [2005] 1 W. L. R. 377. 20  Jackson v. Royal Bank of Scotland plc. [2005] 1 W. L. R. 377, 388 per Lord Hope.

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Eine Neuorientierung kündigt sich im SAAMCO case an.21 Der Fall betraf freilich nicht die Bestimmung des Haftungsumfangs, sondern die vorgelagerte Frage der Bestimmung der duty. Die Kläger hatten die beklagten Grundstücksschätzer damit beauftragt, Grundstücke zu bewerten, die als Sicherheit für Darlehen dienen sollten. Die Beklagten überbewerteten die Grundstücke erheblich. Die Darlehen wurden daraufhin gewährt, was nicht geschehen wäre, wenn die Kläger den wahren Wert der Grundstücke gekannt hätten. Die Darlehensnehmer stellten später die Zahlungen ein. Inzwischen waren die Grundstückspreise stark gefallen, was den Schaden der Kläger erheblich vergrößerte. Sie verlangten von den Beklagten Schadensersatz. Sie stützten sich auf negligence und Vertragsbruch. Der Court of Appeal sprach den Klägern den gesamten Schaden zu, nämlich die Differenz zwischen dem Darlehen und den erhaltenen Rückzahlungen, denn die gesamte Transaktion wäre bei korrekter Bewertung unterblieben („no-transaction“ case). Unterschieden wurde der Fall, dass bei korrekter Bewertung eine geringere Summe als Darlehen gegeben worden wäre („successful transaction“ case). Dann bestünde der Schaden des Darlehensgebers nur in der Differenz zwischen dem tatsächlich erlittenen Verlust und dem, was er verloren hätte, wenn er die geringere Summe als Darlehen gegeben hätte. Die Beklagten waren vor dem House of Lords erfolgreich. Das Argument der Kläger, der Geschädigte sei durch den Schadensersatz so weit wie möglich in die Lage zu versetzen, als sei der Vertrag erfüllt worden, wurde von Lord Hoffmann, der als einziger ein begründetes Urteil abgab, zurückgewiesen.22 Zunächst sei zu klären, für welche Art von Schadenstyp der Kläger ersatzberechtigt sei. Im Hinblick auf die vertragliche Haftung würden sich die Natur und der Umfang der Haftung nach der verletzten Pflicht bestimmen. Dies sei eine Frage der Auslegung der Vereinbarung „as a whole in its commercial setting“.23 Im Hinblick auf die deliktische Haftung komme es in vergleichbarer Weise auf den Zweck der verletzten duty an. Die Reichweite der vertraglichen und deliktischen Pflichten sei hier gleich. Aus der Anknüpfung an die verletzte Pflicht folgte für den konkreten Fall, dass die Beklagten nicht für den Schaden haften mussten, der Folge des Preisverfalls auf dem Grundstücksmarkt war, dies allerdings nicht deshalb, weil der Schaden unvorhersehbar gewesen wäre, sondern deshalb, weil er außerhalb des Pflichtenkreises lag, den die Beklagten übernommen hatten. Die Entscheidung zeigt 21  South Australia Asset Management Corp v. York Montague Ltd. [1997] A. C. 191 (HL). 22  South Australia Asset Management Corp v. York Montague Ltd. [1997] A. C. 191, 211 (HL). 23  South Australia Asset Management Corp v. York Montague Ltd. [1997] A. C. 191, 212 (HL).



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deutlich, wohin die Entwicklung geht. Nicht die Voraussehbarkeit, sondern der Vertrag bestimmt die Reichweite der Haftung. Was der SAAMCO case für die Bestimmung des Pflichtenbereichs vorgezeichnet hat, setzt der Fall The Achilleas für die Bestimmung des Haftungsumfangs fort24: Das Lastschiff Achilleas wurde im September 2003 für eine Tagesrate von US$ 16,750 verchartert. Letzter Tag der Rückgabe war der 2.  Mai 2004. Am 20.  April kündigten die Charterer die Rückgabe des Schiffes zwischen dem 20.  April und dem 2.  Mai an. Am nächsten Tag schlossen die Eigentümer mit einem anderen Charterer einen Folgevertrag über vier bis sechs Monate zu einer Tagesrate von US$ 39,500. Letzter Tag der Überlassung des Schiffes war der 8.  Mai. Ohne Verschulden der Charterer verzögerte sich die Rückgabe des Schiffes bis zum 11.  Mai. Die Folgecharterer waren deshalb zu einem Vertragswiderruf berechtigt. Sie einigten sich aber mit den Eigentümern am 5. Mai, gegen eine Reduktion der Tagesrate auf US$ 31,500, den Widerruf nicht auszuüben. Die Eigentümer verklagten die Charterer wegen verspäteter Rückgabe auf Schadensersatz und verlangten für die Mindestlaufzeit des Folgechartervertrages die Differenz zwischen der ursprünglichen höheren Rate und der späteren niedrigeren, die sie akzeptieren mussten. Diese belief sich auf US$ 1,364,584 37. Die Charterer waren nur bereit, für die Überschreitung der Vertragszeit, also für neun Tage, die Differenz zwischen der Charterrate und dem höheren Marktpreis zu bezahlen. Diese belief sich auf US$ 158,301 17. Die Schiedsrichter sprachen in ihrer Mehrheit den Eigentümern den vollen entgangenen Gewinn zu gemäß der ersten Regel von Hadley v. Baxendale. Der Schiedsspruch wurde aufrechterhalten vom Commercial Court25 und vom Court of Appeal26. Das House of Lords hob die Entscheidung einstimmig auf. Aufmerksamkeit verdient insbesondere das Urteil Lord Hoffmanns27, dem Lord Hope weithin folgt.28 Lord Hoffmann eröffnet seine rechtlichen Erwä24  Transfield Shipping Inc v. Mercator Shipping Inc (The Achilleas) [2009] 1 A. C. 61 (HL); eine knappe, aber übersichtliche Analyse des Falles gibt Gordon, Hadley v. Baxendale revisited: Transfield Shiping Inc v. Mercator Shipping Inc, (2009) 13 Edin. L.R. 125. 25  Transfield Shipping Inc v. Mercator Shipping Inc (The Achilleas) [2007] 1 Lloyd’s Rep. 19. 26  Transfield Shipping Inc v. Mercator Shipping Inc (The Achilleas) [2007] 2 Lloyd’s Rep. 555. 27  Transfield Shipping Inc v. Mercator Shipping Inc (The Achilleas) [2009] 1 A. C. 61, 65 (HL). 28  Transfield Shipping Inc v. Mercator Shipping Inc (The Achilleas) [2009] 1 A. C. 61, 71 (HL).

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gungen mit einer Grundsatzfrage: Ist die Regel, dass eine Partei den vorhersehbaren Schaden verlangen kann, eine „external rule of law“, die den Parteien auferlegt wird, oder ist es eine „prima facie assumption about what the parties may taken to have intended“, die zwar in der Mehrheit der Fälle gelte, aber doch widerlegt werden könne?29 Lord Hoffmann favorisiert die Lösung, die auf den Parteiwillen abstellt.30 Der Umfang der vertraglichen Haftung fuße auf der Interpretation des Vertrages als Ganzes. Maßgeblich sei, für welche Art oder für welchen Typ von Schaden die vertragsbrüchige Partei „ought fairly to be taken to have accepted responsibility“.31 Im Folgenden sei dieser Lösungsansatz als Vertragslösung bezeichnet. Der Konzeption Lord Hoffmanns steht Lord Walker insoweit nahe, als seiner Auffassung nach der Umfang der Haftung nicht einfach eine Frage der Wahrscheinlichkeit sei, sondern eine Frage „of what the contracting parties must be taken to have had in mind, having regard to the nature and object of their business transaction“.32 Für den konkreten Fall bedeutete dies, dass der Ersatzanspruch der Eigentümer begrenzt wurde auf die Differenz zwischen Vertragspreis und Marktpreis für die Zeit der Überschreitung der vertraglichen Laufzeit. Diese Daten seien beiden Parteien bekannt gewesen. Der Folgevertrag gehe dagegen die Charterer nichts an. Für Verluste aus dem Folgechartervertrag hätten sie keine Verantwortung übernommen.33 Baronesse Hale bringt den Kern der neuen Konzeption von Lord Hoffmann auf den Punkt, wenn sie ausführt, dass es nach diesem Ansatz nicht nur darauf ankomme, „whether the parties must be taken to have had this type of loss within their contemplation…, but also whether they must be taken to have had liability for this type of loss within their contempla­ tion  …“.34 Entscheidend sei die Übernahme einer „legal responsibility“. Baronesse Hale zeigt gegenüber dem neuen Ansatz Zurückhaltung.35 Die 29  Transfield Shipping Inc C. 61, 67 para.  9 (HL). 30  Transfield Shipping Inc C. 61, 68 para.  12 (HL). 31  Transfield Shipping Inc C. 61, 68 para.  15 (HL). 32  Transfield Shipping Inc C. 61, 86 para.  78 (HL). 33  Transfield Shipping Inc C. 61, 71 para.  23, 26 (HL). 34  Transfield Shipping Inc C. 61, 90 para.  92 (HL). 35  Transfield Shipping Inc C. 61, 91 para.  93 (HL).

v. Mercator Shipping Inc (The Achilleas) [2009] 1 A. v. Mercator Shipping Inc (The Achilleas) [2009] 1 A. v. Mercator Shipping Inc (The Achilleas) [2009] 1 A. v. Mercator Shipping Inc (The Achilleas) [2009] 1 A. v. Mercator Shipping Inc (The Achilleas) [2009] 1 A. v. Mercator Shipping Inc (The Achilleas) [2009] 1 A. v. Mercator Shipping Inc (The Achilleas) [2009] 1 A.



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contemplation rule bediene sich eines faktischen Kriteriums. Fragen der Risikoübernahme würden dagegen auf einem weiteren Feld von Faktoren und Werturteilen beruhen. Was in diesem Fall Klarheit und Sicherheit bringen könne, könnte in einem zukünftigen Fall leicht auf Kosten der Gerechtigkeit gehen. Lord Rodger folgte der tradierten Sicht und operierte mit der foreseeabi­ l­ity rule. Der Schaden müsse voraussehbar gewesen sein „as a likely result“; entscheidender Punkt sei, dass eine Partei, jenseits besonderer Kenntnisse, nur solche Schäden bedenke, „which will generally happen in the ordinary course of things if the breach occurs“.36 Hierfür müsse sie haften. Dahinter stehe der Gedanke, dass für andere, nicht bedachte Schäden keine Möglichkeit der vertraglichen Vorsorge gegeben sei. Die Einbuße des lukrativen Folgechartervertrags wurde von Lord Rodger nicht als gewöhnliche Folge eingestuft. Denn dieser Schaden beruhe auf den besonders schwankenden Marktbedingungen. Folglich verneinte Lord Rodger eine Haftung. 2. Analyse der Rechtsprechung Im englischen Recht konkurrieren heute zwei Ansätze, die Haftung des Schuldners zu begrenzen, die foreseeability rule und die Vertragslösung. a) Foreseeability rule Die traditionelle Auffassung bedient sich der foreseeability rule. Es handelt sich um eine Regel des objektiven Rechts. Maßgebend ist, ob der Typ des Schadens wahrscheinlich war oder eine ernsthafte Möglichkeit darstellte. Dies ist ein faktisches Kriterium. Die foreseeability rule operiert nur mit zwei Elementen, dem Schadenstyp und der Wahrscheinlichkeit.37 Die Entscheidungsbasis ist schmal. In der Literatur werden leere semantische Diskussionen befürchtet.38 Lord Hoffmann spricht von „meagre concepts“39. Eine solche unbestimmte Regelung produziere Rechtsunsicherheit.40 In 36  Transfield Shipping Inc v. Mercator Shipping Inc (The Achilleas) [2009] 1 C. 61, 78 para.  52 (HL). 37  Hoffmann, The Achilleas: custom and practice or foreseeability?, (2010) Edin. L.R. 47, 52. 38  Kramer, The new test of remoteness in contract, (2009) 125 L.Q.R. 408. 39  Hoffmann, The Achilleas: custom and practice or foreseeability?, (2010) Edin. L.R. 47, 57. 40  Hoffmann, The Achilleas: custom and practice or foreseeability?, (2010) Edin. L.R. 47, 51.

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Grenzfällen führe sie zu Schwierigkeiten, wie der wiederholt herangezogene Taxifahrer-Fall zeige41: Der Kunde eines Taxifahrers macht diesen darauf aufmerksam, dass er ein bedeutendes Geschäft einbüßen wird, wenn er nicht pünktlich an sein Ziel gelangt. Gleichwohl verfährt sich der Fahrer. Haftet er auf den entgangenen Gewinn? Gewiss nicht. Wie soll dies aber die foreseeability rule begründen? Die schmale Basis der foreseeability rule hat die Auffassung befördert, dass die rule nicht inflexibel gehandhabt werden dürfe, sondern durch normative Elemente ergänzt werden müsse.42 Ziel sei ein gerechtes Ergebnis. Als maßgebliche Kriterien werden dabei aufgeführt: Das Verschulden des Beklagten, ein Missverhältnis zwischen Verlust und Gewinn, die Handelspraxis und die Möglichkeit des Versicherungsschutzes, die Chance des Schuldners, die Haftung zu begrenzen.43 Eine in diesem Sinne normativierte foreseeability rule weist eine hohe Nähe zur Vertragslösung auf, der wir uns nun zuwenden wollen. b) Vertragslösung Die insbesondere von Lord Hoffmann verfochtene Vertragslösung fragt, für welche Art von Schäden der Schuldner eine Haftung übernommen hat.44 Hierbei kommt es nicht darauf an, was die Parteien real gewollt haben. Typischerweise haben die Parteien das Problem gerade nicht bedacht. An die Stelle der realen Partei tritt die vernünftige Partei. Aufgabe des Gerichts ist es, den Vertragsinhalt zu ermitteln. Dies geschieht im Wege der Vertragsinterpretation und der Vertragsergänzung. Die wiederum auf Lord Hoffmann zurückgehende moderne Lehre von der Vertragsinterpretation stellt stärker auf den Vertragszweck und das gesamte Hintergrundwissen der Parteien ab: „Interpretation is the ascertainment of the meaning which the document would convey to a reasonable person having all the knowledge which would reasonably have been available to the parties in the situation in which they were at the time of 41  Hoffmann, The Achilleas: custom and practice or foreseeability?, (2010) 14 Edin. L.R. 47, 53. 42  Peel, Remoteness re-visited, (2009) 125 L.Q.R. 6, 10, 11; Robertson, The basis of the remoteness rule in contract, (2008) 28 Legal Studies 172, 188  ff. 43  Robertson, The basis of the remoteness rule in contract, (2008) 28 Legal Studies 172, 191  ff. 44  Hierzu grundlegend Kramer, An Agreement-Centred Approach to Remoteness and Contract Damages, in: Cohen / McKendrick, Comparative Remedies for Breach of Contract, 2005, 249; Ders., The new test of remoteness in contract, (2009) 125 L.Q.R. 408, 410  ff.; ähnlich Tettenborn, Hadley v. Baxendale – Foreseeability: a Principle Beyond Its Sell-by Date?, (2007) 23 Journal of Contract Law 120, 134  ff.



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the contract“.45 In England spricht man von einem „objective approach to the construction of contracts“.46 Im deutschen Recht entspricht diesem Ansatz die objektive Vertragsauslegung.47 Der Inhalt des Vertrages wird nicht nur durch die objektive Vertragsinterpretation bestimmt, sondern auch durch implied terms.48 Dabei unterscheidet das englische Recht terms implied in law und terms implied in fact. Terms implied in law gelten für alle Verträge eines bestimmten Typs, sofern die Parteien sie nicht ausdrücklich ausgeschlossen haben. Bei der Einfügung einer solchen Klausel lassen sich die Gerichte von policy Erwägungen und damit auch von Gesichtspunkten der reasonableness und fairness leiten.49 Terms implied in fact sollen einen konkreten Vertrag begradigen. Bei der Einfügung einer solchen Klausel stellt sich den Gerichten die Frage, „wheth­ er such a provision would spell out in express words what the instrument, read against the relevant background, would reasonably be understood to mean“.50 Die vernünftigen Parteierwartungen sind zu befriedigen. Im deutschen Recht entspricht den terms implied in law und den terms implied in fact im Groben die ergänzende Vertragsauslegung51, wobei noch hinzu­ zufügen wäre, dass die Vertragsergänzung sowohl einen bestimmten Vertragstyp betreffen kann (man nähert sich dann dem dispositiven Recht) als auch einen konkreten Vertrag. Lord Hoffmann qualifiziert die Haftungsbegrenzung in The Achilleas als term implied in law für den time charter Vertrag.52 Folge der objektiven Vertragsinterpretation und der Vertragsergänzung durch implied terms ist eine Ausdehnung des Argumentationsfelds. Gewiss spielt die foreseeability eine gewichtige Rolle, aber eben nur als Indikator einer Risikoübernahme.53 Besonderes Gewicht kommt den von den Parteien 45  Investors Compensation Scheme Ltd. v. West Bromwich Society, [1998] 1 W. L. R. 896, 912. 46  Hoffmann, The Achilleas: custom and practice or foreseeability?, (2010) 14 Edin. L. R. 47, 60. 47  Hierzu Kötz, Vertragsrecht, 2009, Rn. 65  f. 48  Hierzu Treitel / Peel, The Law of Contract, 12.  ed., London 2007, 6-028 – 6-046. 49  Treitel / Peel, The Law of Contract, 12.  ed., London 2007, 6-042. 50  Attorney-General of Belize v. Belize Telecom Ltd. [2009] 1 W. L. R. 1988, 1994 para.  21 per Lord Hoffmann (PC). 51  Hierzu Kötz, Vertragsrecht, 2009, Rn. 68  ff.; dort auch zur Vertragsergänzung aus rechtsökonomischer Sicht (Rn. 77  ff.). 52  Hoffmann, The Achilleas: custom and practice or foreseeability?, (2010) 14 Edin. L.R. 47, 60. 53  Kramer, An Agreement-Centred Approach to Remoteness and Contract Damages, in: Cohen / McKendrick, Comparative Remedies for Breach of Contract, 2005,

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mit dem Vertrag verfolgten Zwecken, also den geschützten Interessen, zu.54 Hinzutreten normative Faktoren, wie sie uns bereits im Rahmen der normativierten foreseeability rule begegnet sind, nämlich die Mitteilung relevanter Daten, das Fehlen von Freizeichnungsklauseln, der Vertragspreis, insbesondere das Verhältnis des Preises zur Höhe des Risikos, die Möglichkeit des Versicherungsschutzes, der Aufwand des Schuldners zur Verhütung des Vertragsbruchs, die Kenntnis der Marktbedingungen.55 Die Verbreiterung der Argumentationsbasis erlaubt es, den Fall in all seinen Facetten offen zu diskutieren.56 Die Würdigung der normativen Faktoren liegt freilich bei den Gerichten.57 Nun wird deutlich, worauf die Vertragslösung hinausläuft: Im Gewand des Verständnishorizontes der vernünftigen Partei wird der richterliche Entscheidungsspielraum erweitert. c) Vergleich zwischen der foreseeability rule und der Vertragslösung Zu klären bleibt, ob und inwieweit die foreseeability rule und die Vertragslösung zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Analysieren wir deshalb die relevanten Fallgestaltungen. Unstreitig haftet der Schuldner für solche Schäden, die durch seinen Vertragsbruch gewöhnlich verursacht werden. So haftete im Laundrycase der vertragsbrüchige Verkäufer für den Verlust des üblichen Geschäftsgewinns. Denn den gewöhnlichen Lauf der Dinge muss der Schuldner kennen. Vorbehaltlich einer entgegenstehenden Regelung entspricht dies auch dem Willen der Parteien. Foreseeability rule und Vertragslösung koinzidieren. Beruhen Schäden auf besonderen Umständen, die nur dem Geschädigten bekannt sind, entfällt eine Haftung, wenn der Geschädigte den Schädiger auf diese Umstände nicht hingewiesen hat. Die Wissensasymmetrie hat zur Folge, dass der Schaden unersetzt bleibt. Der Schaden ist für den Schuldner unvorhersehbar. Der Schuldner hat hierfür keine Verantwortung übernom249, 272; Ders., The new test of remoteness in contract, (2009) 125 L.Q.R. 408, 412. 54  Tettenborn, Hadley v. Baxendale – Foreseeability: a Principle Beyond Its Sellby Date?, (2007) 23 Journal of Contract Law 120, 134 ff. („ ,instrumental promises‘ theory“). 55  Siehe Kramer, The new test of remoteness in contract, (2009) 125 L.Q.R. 408, 412  ff. 56  Ebenso im Hinblick auf die Schutzzwecklehre Schlechtriem, Voraussehbarkeit und Schutzzweck einer verletzten Pflicht als Kriterium der Eingrenzung des ersatzfähigen Schadens im deutschen Recht, in: Recht in Ost und West, 1988, 505, 517. 57  Robertson, The basis of the remoteness rule in contract, (2008) 28 Legal Studies 172, 196.



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men. Die Bejahung einer Haftung wäre insoweit unfair, als dem Schuldner nicht die Möglichkeit offen stand, besondere Vorsorge zu treffen. So erklärt sich zwanglos die Entscheidung Hadley v. Baxendale. Der Grund des entgangenen Gewinns, nämlich der Stillstand der Mühle, war dem Frachtführer nicht bekannt. Deshalb kam auch eine Haftungsübernahme durch den Frachtführer nicht in Betracht. Folglich entfiel eine Haftung. Genauso lag es im Victoria Laundry case, soweit es um die Haftung für den Verlust der lukrativen öffentlichen Aufträge ging. Wiederum stimmen foreseeability rule und Vertragslösung überein. Am schwierigsten liegen die Fälle, in denen auf der einen Seite keine Partei ein Sonderwissen hat, in denen aber auf der anderen Seite zweifelhaft ist, ob der Schaden auf dem gewöhnlichen Lauf der Dinge beruht. Jetzt tritt der Unterschied zwischen der foreseeability rule und der Vertragslösung deutlich hervor. Nehmen wir als Beispiel den Achilleas-Fall. Die Frage war, ob die Eigentümer als Schaden den Verlust verlangen können, der sich daraus ergab, dass sie aufgrund der verspäteten Rückgabe des Schiffes genötigt waren, die im Folgechartervertrag zunächst ausgehandelte hohe Tagesrate zu reduzieren. Im Hinblick auf diese Ereignisse bestand zwischen den Parteien keine Wissensasymmetrie. Es kam also darauf an, ob die Entstehung des Schadens dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge entsprach. Die foreseeability rule ist in dieser Konstellation auf die Frage beschränkt, ob der Eintritt dieses Schadenstyps hinreichend wahrscheinlich war. Das Schiedsgericht, der Richter und der Court of Appeal haben die Frage bejaht. Lord Rodger sah die Dinge genau entgegengesetzt.58 Die Vertragslösung ermöglicht ein weiteres Ausgreifen. So konnten Lord Hoffmann und Lord Hope ihre Urteile auch auf die Gesichtspunkte stützen, dass der Schaden der Kläger im Allgemeinen in der Differenz von Charterrate und höherer Marktrate während der Überziehung der Vertragszeit bestehe und dies beiden Parteien bekannt war, dass dagegen die Beklagten über den Folgevertrag keine Kontrolle hatten und sie hiervon nichts wussten.59 Andere relevante Gesichtspunkte wären, dass der Vertragsbruch der Charterer diesen nicht vorgeworfen werden konnte, dass der Schaden außer Verhältnis zum Gewinn stand und in der Branche als nicht ersatzfähig angesehen wurde.60

58  Nach Kramer, The new test of remoteness in contract, (2009) 125 L.Q.R. 408, 409, ist diese Schlussfolgerung „unconvincing“. 59  Transfield Shipping Inc v. Mercator Shipping Inc (The Achilleas) [2009] 1 A.C. 61, 71 para.  23; 74 para.  34 (HL). 60  O’Sullivan, Damages for lost profits for late redelivery: how remote is too remote?, (2009) 68 C.L.J. 34, 37.

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III. Fazit Im modernen englischen Recht setzt sich zunehmend der Gedanke durch, die Grenzen der vertraglichen Haftung aus dem Vertrag, verstanden als objektive Ordnung vernünftiger Parteien, zu entwickeln. Die Vertragslösung verdrängt die traditionelle foreseeability rule. Sie ermöglicht eine umfassende Fallanalyse. Die methodischen Instrumente, den Vertragsinhalt zu bestimmen, sind die objektive Vertragsinterpretation und die Vertragsergänzung durch implied terms. Die Interpretationsmacht liegt bei den Gerichten. Die Vertragslösung fügt sich damit in die moderne Tendenz einer wachsenden Richtermacht ein.61 Wie sollen die Gerichte mit dieser Freiheit umgehen? Nahe liegt der Gedanke, die richterliche Rechtsfindung einer Leitidee zu unterstellen. Leitidee des Vertragsrechts ist die Privatautonomie. Es sind die Parteien selbst, denen die Rechtsordnung die Freiheit verliehen hat, ihre Interessen zu verfolgen, denen angesonnen wird, sich selbst zu schützen. Es gilt das Prinzip der Selbstverantwortung. Die Idee der Privatautonomie hilft freilich in den Fällen nicht weiter, in denen es an einer konkreten Parteivereinbarung fehlt. Eben deshalb greifen die Gerichte in diesen Fällen auf die objektive Vertragsinterpretation und die Vertragsergänzung durch implied terms zurück. Gleichwohl sollte man den Gedanken der Privatautonomie auch hier nicht völlig diskreditieren. Ziel und Zweck des Vertrages, sowie die von den Parteien verfolgten Interessen leisten doch eine gewisse Orientierungshilfe.62 Freilich taucht bei dieser Überlegung hinter der konkreten Partei schon wieder die vernünftige auf. Unabhängig von dem begrenzten Nutzen der Idee der Privatautonomie in der besprochenen Konstellation sei noch ergänzend angemerkt, dass die Idee der Privatautonomie in der Moderne ganz allgemein gewisse Erosionen hat hinnehmen müssen. In wachsendem Maße wird den Parteien eine Verantwortung füreinander durch das objektive Recht auferlegt. Neben das Prinzip der Selbstverantwortung tritt das Prinzip der Fremdverantwortung, der Verantwortung für den Partner. In Deutschland wird diese Wende als Materialisierung des Vertragsrechts bezeichnet.63 Ergebnis ist wiederum ein Zuwachs an richterlicher Entscheidungsmacht. 61  Hierzu aus deutscher Sicht Rüthers, Rechtstheorie, 4.  A. 2008, Rn.  815a  ff.; Hirsch, Auf dem Weg zum Richterstaat?, JZ 2007, 853; G. Hager, Rechtsmethoden in Europa, 2009, 283  ff. 62  Kramer, An Agreement-Centred Approach to Remoteness and Contract Damages, in: Cohen / McKendrick, Comparative Remedies for Breach of Contract, 2005, 249, 259  ff. 63  Hierzu Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts, AcP 200 (2000), 273, 276  ff.; G. Wagner, Materialisierung des Schuldrechts unter dem Einfluss von Ver-



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Die Limitierung der Gerichte muss deshalb auf andere Weise gefunden werden, aber auf welche? Mit dieser Frage überschreiten wir die Thematik des vorliegenden Beitrags und sehen uns mit einer Grundfrage des modernen Rechts konfrontiert. Einmal mehr zeigt sich eine immer wieder gemachte Erfahrung. Jedes Rechtsproblem, und sei es noch so schlicht, verweist letztlich auf die Grundlagen des Rechts. Die hier propagierte Lösung lässt sich auf die einfache Formel bringen: An die Stelle der Leitidee tritt die Rechtsmethode. Die Unsicherheit auf inhaltlicher Ebene muss durch Strenge auf formaler Ebene kompensiert werden. Die klassischen Interpretationsmethoden helfen freilich angesichts eines wachsenden Fallrechts nicht weiter. M.E. kann die Limitierung des richterlichen Entscheidungsspielraums nur in einer entwickelten Fallrechtsmethode liegen, wie sie das römische Recht und das common law in einer langen Tradition vorgezeichnet haben. Einige Grundstrukturen seien vorgestellt. Ausgangspunkt ist eine konkrete Auseinandersetzung mit vergleichbaren Altfällen, den Präjudizien. Stets geht es um die Feststellung von Übereinstimmung und Differenz zwischen Altfall und Neufall. Die Übereinstimmung, die Analogie, sichert Kontinuität, die Differenz, das distinguishing, zwingt zur Neuorientierung. Ein Übermaß an Analogie führt zu einer undifferenzierten Einheit, ein Übermaß an distinguishing zu einer überdifferenzierten Vielheit. Unabdingbar ist die sorgfältige Sachverhaltsanalyse. Gerade an einer solchen Fallanalyse gebricht es auf dem Kontinent nach wie vor. Die Ablösung vom Sachverhalt birgt tiefreichende Gefahren in sich. Wo der Sachverhalt herrschen sollte, übernimmt der Leitsatz das Regiment. Es entstehen inhaltslose, realitätsferne Prinzipien. Recht wird starr. Es verliert seine Lebendigkeit. Lassen wir dem Recht die Buntheit des Falles, zu unserer Freude und zum Nutzen des Rechts. Der Fall weist aber auch in die Zukunft, auf kommende Fälle. Jetzt gerät der Rechtsanwender in ein Dilemma. Auf der einen Seite setzt das Gebot der richterlichen Zurückhaltung ein. Der Einzelfall darf nicht zu viel entscheiden, muss zukunftsoffen sein. Auch hier spielt die Leitsatzkultur eine verhängnisvolle Rolle. Leitsätze drohen aufgrund ihrer Abstraktheit zu weit zu geraten. Auf der anderen Seite muss der Fall einem Prinzip genügen. Andernfalls droht das Versinken in purer Faktizität. Im Prinzip des Falles zeichnen sich bereits schemenhaft die Konturen einer Fallgruppe ab. Die Einzelfälle verlängern sich sodann in ihrer Aufeinanderfolge zur Typizität einer konkreten Fallgruppe. Die schemenhaften Konturen verfestigen fassungsrecht und Europarecht – Was bleibt von der Privatautonomie? in: U. Blaurock / G. Hager (Hrsg.), Obligationenrecht im 21.  Jahrhundert, 2010, 13, 18  ff.

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sich. Damit gelangen wir zu einer höheren Stufe der Verallgemeinerung. Fallrecht hat ein narratives Element. Die Geschichte wird fortgesponnen. Es ist eine Erzählung, die nie an ihr Ende gelangt. Die Erzählung wird freilich zusammengehalten durch ein vereinheitlichendes Prinzip. Sind wir damit nicht wieder ganz nahe am römischen Recht, dem die Liebe des Jubilars gilt? Gewiss – dies sollte uns aber nicht beunruhigen, denn auch hier gilt der Satz Goethes: „Alles Gescheidte ist schon gedacht worden, man muss nur versuchen es noch einmal zu denken“.64 Hieran wollen wir arbeiten.

64  Goethe,

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Sämtliche Werke, I. Abt. Bd. 13, Sprüche in Prosa, Aphorismen, 1.

Duplicate texts and the compilation of the Digest By Tony Honoré It is a pleasure to celebrate a landmark in the life of my friend Detlef Liebs, to whom I owe a very great debt. He must count as the most accomplished and wide-ranging Roman legal historian of his generation. This paper concerns an aspect of the compilation of Justinian’s Digest. My concern with this work is of long standing and an overview is now avail­able.1 Efforts to investigate the compilation of the Digest go back in one way or another to Friedrich Bluhme’s 1820 article on the regular sequence of inscriptions in the Digest titles, a sequence that is especially visible in D 50.16 and 50.17.2 This includes the phenomenon of duplicate texts (leges geminae / geminatae), on which Bluhme also compiled, in the same year, a special study.3 Duplicate texts tell us something about how the Digest commissioners worked, and especially about the different attitudes of the three committees towards excerpting texts for the Digest. ‘Duplicate texts’, taken widely, are instances of copying, intentional or unintentional, of an author by an editor or later author. They include copies that are not identical with the original or with one another. As an example of the wide use of the term, Olivier Verrey’s 1973 thesis concerned duplicate texts with two authors.4 A duplicate text with two authors is one copied by a later author from an earlier. Such copying was and is common and deserves study.5 The present essay however concerns only texts by the same author, from the same work (opus) and the same book (liber). These texts appear twice 1  Honoré,

Tony: Justinian’s Digest. Character and Compilation (Oxford 2010). Friedrich: Die Ordnung der Fragmente in den Pandektentiteln.  Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Pandekten, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Heft  4, 1820, S.  257–471. 3  In his inaugural dissertation: Dissertatio de geminatis et similibus quae in Digesten inveniuntur capitibus (1820). 4  Verrey, Olivier: Leges geminatae à deux auteurs et compilation du Digeste (1973), reviewed by C.Krampe, Savigny Zeitschrift 93 (1976) 369–380. 5  Wieacker, Franz: Textstufen klassischer Juristen (1960) 184f n.  39: ‘indirekten geminatae’. 2  Bluhme,

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in the Digest in substantially similar though not always identical form.6 The reason for not including duplicates attributed to different authors or different works by the same author is that, to throw light on the compilation of the Digest, the intentional copying by the compilers of a text they excerpted or edited is a more remarkable phenomenon.7 It is true that, quite apart from duplications from different authors, those from different works of the same author occur in the Digest in at least four cases when one text is excerpted from the Papinian mass and other from the Appendix.8 Three of the four are duplicated in the same title. These duplications are significant because they show two things about the compilation of the Digest (i) the Appendix was separate from the three original masses. Had it been part of one of these, for instance the Papinian mass, the author’s two works would have been read together as part of a group in that mass and the duplication would have been noticed and avoided9 (ii) the editors of certain titles overlooked the duplication of texts from different masses that occurred in the title they were editing. This points to haste on the part of the editors of certain books of the Digest. I. Intentional duplication Intentional duplication by the compilers raises different issues. It may be assumed, with Bluhme,10 that the three collections of works known as the Sabinian, edictal and Papinian masses11 which make up the bulk of the Digest titles were read and excerpted by the commissioners, divided for that purpose into three committees.12 I have elsewhere tried to show that the works to be read and excerpted were allocated to the three masses on the basis of four criteria: authorship, subject-matter, literary genre and number of books.13 These criteria would not have been adopted unless the object was to ensure that the works of a given author, those dealing with a given subject-matter, or those belonging to a given literary genre, were read by 6  Bluhme, 7  Bluhme,

Ordnung (1820) S.  344 n.  78; below fn.  36–40. Ordnung (1820) S.  18 insisted on the intentional character of these

duplicates. 8  D 20.5.11 (Scae.  1 resp.) = 20.5.14 (Scae.  6 dig.); 15.1.54 (Scae.  1 resp.) = 15.1.58 (Scae.  5 dig.); 32.93 pr. (Scae 3 resp.) = 32.38.4 (Scae.  9 dig.); 10.2.41 (Paul 1 decr.) = 37.14.24 (Paul imp. sent. 1). 9  On the character of the Appendix see Verf. (2010) Kap. 5. 10  Bluhme (1820) S.  55–60. 11  The names go back to Bluhme (1820) S.  266. 12  Bluhme, (1820) S.  262, 270–281: Ausschüsse, Vereine. 13  Verf. (2010) Kap. 2, 3.



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the same group of commissioners, who could then compare texts and select the best. This was specially important as regards works dealing with the same subject-matter, such as the praetor’s edict, adultery, fideicommissa or the lex Iulia et Papia. But it was also important for their morale that the members of the three committees had, as it were, their own authors. Thus the Sabinian committee had Julian, the edictal committee Modestinus and the Papinian committee Papinian. The criteria for allocating works to the committees presuppose that the commissioners were divided into groups charged with reading a defined list of works. The groups charged with reading the Sabinian, edictal and Papinian masses constituted the three initial committees. The Appendix works, though at first allocated to one of these three committees, were in the end hived off and read by an ad hoc group. The composition of this group is unknown but it cannot have been one of the original three committees.14 The committee or commissioner who read a particular work decided in some cases, at the time of reading and excerpting a text, that it should be duplicated. The duplication occurred despite the instruction in Deo auctore that no similar or contradictory texts should if possible be included.15 Duplicate texts are ‘similar’ to one another, even when not edited in exactly the same form. But the phrase ‘secundum quod possibile est’ (if possible) left a margin of appreciation, and on occasion it was hardly possible to avoid duplication. This was true of some texts that were needed both for one of the general titles16 that end book 50 of the Digest and also for an earlier, more specific title. When the Digest was promulgated C. Tanta /  Dedōken recognised that the compilation might be criticised on the ground that it occasionally contained similar texts. These exceptions are either due, it says, to human frailty or, as regards some brief repetitions, to considerations of utility. They are useful exceptions, intentionally made when the text concerns two different subjects or when to excise part of a text would have made the rest confusing.17 14  Verf. (2010) Kap. 5. Two of the six senior commissioners perhaps read the Appendix works, while the other four proceeded to edit the Digest book by book. From about book 20 all six will have been available for editing. In each case advocates may have assisted. 15  C Deo auctore (15 Dec. 530) 4: Iubemus igitur vobis … libros ad ius Romanum pertinentes et legere et elimare, ut ex his omnis materia colligatur nulla (secundum quod possibile est) neque similitudine neque discordia derelicta, sed ex his hoc colligi quod unum pro omnibus sufficiat. 16  D 50.16: De verborum significatione; 50.17: De diversis regulis iuris antiqui. 17  C Tanta 14: Si quis autem in tanta legum compositione … simile forsitan raro inveniatur, nemo hoc vituperandum existimet, sed primum quidem inbeccilitati hu-

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The committee or commissioner reading the work from which the duplicate text is taken, will also, in these instances, have had to decide to which two titles the text should be allotted. The existence of duplications that appear in different titles implies that the commissioners had available from the start a list of available titles.18 This list could be and was modified as the excerpting and editing advanced, but it served the excerpters from the start as a first step towards assigning texts to the Digest titles in which they would ultimately appear. Though C. Deo auctore does not expressly require a list of projected titles to be available in advance, and indeed Bluhme thought that a complete list in advance of excerpting was ‘unthinkable’,19 there must have been from the start a provisional list of titles. Otherwise texts could not have been classified into titles ‘according to our Codex and on the analogy of the perpetual edict as you may think best’20 at the time of excerpting. It would have been an exercise to be undertaken later, after the material excerpted for the Digest had been collected. That would have delayed the project, which Justinian was keen to have completed before the end of his third consulship.21 The simpler method was to mark each text for a title or titles as it was excerpted. Sometimes there was no appropriate title in the edict or Codex, but one could be found in the work excerpted. Occasionally, when there was doubt about the proper title for a fragment, the matter may have been left for later consideration.22 But that cannot have been the normal procedure. Later on, some titles were amalgamated and others subdivided. In practice the final list of titles, apart from those reflecting the edict or Codex, owed much to the rubrics in Ulpian’s commentary ad edictum,23 and manae, quae naturaliter inest, hoc inscribat … Deinde sciat, quod similitudo in quibusdam et his brevissimis adsumpta non inutilis est, et nec citra nostrum propositum hoc subsecutum: aut enim ita lex necessaria erat, ut diversis titulis propter rerum cognationem applicari eam oporteat, aut, cum fuerat aliis diversis permixta, impossibile erat eam per partes detrahi, ne totum confundatur. 18  Soubie, A: Recherches sur les origines des rubiques du Digesta (1960) S.  96, citing, Rotondi, Giovane: Scritti giuridici (1922) Heft I S.  189,486 ‘un schema preventivo dei titoli’. 19  Bluhme (1922) S.  278: ‘undenkbar’. 20  C Deo acutore 4: Cumque haec materia summa numinis liberalitate collecta fuerit, oportet eam pulcherrimo opere extruere et quasi proprium et sanctissimum templum iustitiae consecrare et in libris quinquaginta et certos titulos totum ius digerere, tam secundum nostri codicis quam edicti perpetui imitationem, prout hoc vobis commodius esse patuerit … 21  In 533 AD: C. Tanta 23: bene autem properavimus in tertium nostrum consulatum et has leges edere. 22  Bluhme (1820), S.  297. 23  Bluhme (1820), S.  283.



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to a lesser extent ad Sabinum,24 with additions to cater for the more general titles at the beginning and end of the Digest. II. Duplication at the excerpting stage Intentional duplications of a text from the same author, work and book, of which there are about 63,25 may have been decided on at either the excerpting or the editorial stage of the commissions’ work. To begin with the excerpting stage, in 34 of these texts one duplicate occurs in book 50.1726 and in 7 one occurs in book 50.16.27 These titles are both general, in the sense that they are not confined to a particular branch of the law but concern words and rules of law generally. There are five others that occur in other titles that may have been regarded as general: three in D 5.1 (De iudiciis),28 one in 1.3 (De legibus et senatusconsultis),29 and one in 50.13 (De obligationibus et actionibus).30 Hence in 46 out of 63 duplicates one version of the text occurs in what clearly is or may have been regarded as a general title. In none of these 46 does the special title belong to the same book as the general title.31 So, if the editing was done book by book (as is probable), the duplication of these texts is unlikely to have occurred at the editorial stage. Indeed the fact that 34 of the 46 duplications one of which occurs in a general title belong to the list of works read and excerpted by the edictal committee32 is a strong argument for their having been duplicated at the excerpting stage. 24  Soubie

(1960), S.  97. below under authors at fn.  65–74. Bluhme (1820) S.  344–5 counts only 49, because he omits a number of duplications in which the editing has produced variations, so that the two Digest versions are similar rather than identical. 26  D 50.17.28 = 23.3.33; 50.17.44 = 14.4.9.2; 50.17.47.1 = 17.2.20; 50.17.48 = 24.2.3; 50.17.70 = 1.16.6 pr.; 50.17.72 = 22.1.49; 50.17.81 = 17.1.56 pr.; 50.17.85 pr. = 23.3.70; 50.17.88 = 45.1.127; 50.17.103 pr. = 2.4.21; 50.17.115 pr. = 3.6.2; 50.17.119 = 4.7.4.1; 50.17.126 pr. = 5.3.13.8; 50.17.130 = 44.7.60; 50.17.137 = 11.7.14.1; 50.17.141 pr. = 45.1.78 pr.; 50.17.144.1 = 41.2.8; 50.17.145 = 42.8.6.9; 50.17.150 = 43.8.2.42; 50.17.152.1 = 43.16.1.12; 50.17.152.2 = 43.16.1.14; 50.17.153 = 41.2.8; 50.17.156.1 = 43.18.1.4; 50.17.156.2 = 43.19.3.2; 50.17.157 pr. = 43.24.11.7; 50.17.159 = 44.2.14.2; 50.17.173 pr. = 42.1.19.1; 50.17.173.3 = 44.4.8 pr.; 50.17.183 = 4.1.7 pr.; 50.17.192.1 = 28.4.3; 50.17.195 = 35.1.52; 50.17.197 = 23.2.42; 50.17.207 = 1.5.25; 50.17.211 = 2.11.7. 27  D 50.16.26 = 41.3.10.2; 50.16.76 = 40.12.19; 50.16. 94 = 31.21; 50.16.101.3 = 32.81 pr.; 50.16.104 = 27.1.2.7; 50.16.167 = 32.55.1; 50.16.168 = 45.1.127. 28  D 5.1.6 = 3.1.1.5; 5.1.10 = 4.4.21; 5.1.13 = 10.3.2. 29  D 1.3.6 = 5.4.3. 30  D 50.13.6 = 44.7.5.4. This text may have been duplicated at the editorial stage: below fn.  43. 31  Above fn.  26–30. 32  Below fn.  77. 25  Listed

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In these instances the committee or commissioners excerpting the text must have taken the view that, as the text not only fitted the immediate context but had a more general bearing, it was necessary to include it twice in the Digest. On the whole duplication was rare, though there may have been some texts duplicated at the excerpting stage whose duplication was rejected at the editorial stage. Even in the title De diversis regulis iuris antiqui only a minority of texts, 34 out of 211, were duplicated. Hardly any of these duplications could have been made when the general titles were edited, because in that case the editor of the general title would have had to call to mind a suitable text in a more specific title, find the text and copy it for the general title. In De verborum significatione and De Diversis regulis iuris antiqui this would have meant going back to a title already edited, perhaps long before. Even if permissible, this would have caused delay at a stage when it was urgent to finish on time. It follows that the titles 50.16 and 50.17 on the meaning of words and on rules of ancient law must have featured in the provisional list of titles available to the commissioners when they began their work of reading and excerpting. These were the main slots for texts that possessed a general rather than a specific importance.33 In many instances of duplication the version in the general title looks like an exact copy34 or slightly shorter version35 of that in the specific title. In others the original has been shortened,36 rephrased,37 made more explicit,38 or put in a more categorical form in the general title.39 In a 33  Soubie,

(1960), S.  160: ,valeur générale‘. duplicates: D 1.3.14 = 50.17.141 pr. (where consequentia is a misprint for consequentias); 5.4.3 = 1.3.6; 14.4.9.2 = 50.17.44; 22.1.49 = 50.17.72; 23.3.70 = 50.17.85 pr.; 4.4.8 pr. = 50.17.173.3; 4.1.7 pr. = 50.17.183; 23.2.42 pr. = 50.17.195; 31.21 = 50.16.94; 35.1.52 = 50.17.197; 1.5.25 = 50.17.207; 23.3.33 = 50.1 7.28. 35  Fifteen duplicates: D 5.1.10 = 4.4.21 (without autem is); 50.16.101.3 = 32.81 pr. (without recte); 50.17.28 = 23.3.33 (without hoc enim); 50.17.47.1 = 17.2.20 (without nam); 50.17.81 = 17.1.56 pr. (without etenim); 50.17.88 = 45.1.127 (without enim); 50.17.103 pr = 2.4.21 (without tamen); 50.17.115 pr = 3.6.2 . (without quin etiam); 50.17.126 pr. = 5.3.13.8 (without enim); 50.17.144.1 = 45.1.78 pr (without quia); 50.17.145 = 42.8.6.9 (without enim); 50.17.150 = 43.8.2.42 (without etenim); 50.17.156.1 = 43.18.1.4 (without nam); 50.17.192.1 = 28.4.3 (without sed); 50.17.211 = 2.11.7 (without nam). 36  D. 50.17.152.1 = 43.16.1.12 (twelve words shortened to deiecit et qui mandat); 50.17.152.2 = 43.16.1.14 (eight words shortened to in maleficio ratihabitio mandato comparatur); 50.16.26 = 41.3.10.2 (twenty-one words reduced to eleven). 37  D. 50.16.76 = 40.12.19; 50.16.167 = 32.55.1, 7–10 (reference to Ofilius omitted); 50.17.156.2 = 43.19.3.2. 38  D 50.17.159 = 44.2.14.2 (ex pluribus causis instead of amplius quam semel). 39  D. 5.1.6 = 3.1.1.5 (seven words reduced to four, with reference to the senatorial order omitted); 50.17.48 = 24.2.3 (six words omitted, with reference to repu34  Twelve



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number of cases the text has been edited slightly differently in the two titles in which it appears, though the substance is the same.40 We must remember that not only had the committee or commissioner reading the original to decide that it should be duplicated, but each duplicated text had to be edited twice, once by the editor of the specific title and a second time by the editor of the general title. These editors might be different commissioners and neither might be the same as the one who had originally duplicated the text. So a difference between the two versions of a duplicated text may sometimes be explained by their having been differently edited for the specific and general titles. Thus, in one case what looks like a shortened version in the general title may be an exact copy of the original, the word omitted having been put in by the editor of the more specific title to make it read more coherently.41 There may be other duplicates in which this explains the apparent omission of a word or phrase in the general title.42 In another instance, concerning the judge who makes the case his own, the text belongs naturally to the more general title De obligationibus et actionibus, where it forms part of a discussion by Gaius of the obligations that came to be termed quasi-contrasts and quasi-delicts. The text reappears, with some extra material, presumably to give content to the final element in the oddly diation in anger removed); 50.17.173 pr. (non totum quod habeant extorquendum est, sed et ipsarum ratio habenda est, ne egeant) = 42.1.19.1 (nec totum quo habet extorquendum ei puto: sed et ipsius ratio habenda est, ne egeat, with reference to donation omitted). 40  D 32.7.2 (vel si quod) = 34.3.14 (idem est et si); 4.7.4.1 (neque enim) = 50.17.119 (non); 42.1.6 pr. (eatenus, qua) = 42.1.8 (eatenus, quatenus); 43.24.11.7 (nam ad quaedam) = 50.17.157 pr. (ad ea); 1.16.6 pr. (nec enim potest quis) = 50.17.70 (nemo potest); 32.56 (in numero) = 50.16.168 (in numerum); 10.3.2.1 (in tribus duplicibus iudiciis) = 5.1.13 (in tribus istis iudiciis … et); 3.2.4.4 (praevaricator autem est … ex altera) = 47.15.1 (praevaricator est … ex adversa); 20.1.4 (Contrahitur hypotheca per pactum conventum … nec ad rem pertinet … licet testationes in scriptis habitae non sunt) = 22.4.4 (In re hypothecae nomine obligata ad rem non pertinet.. licet testatio sine scriptis habita est); 50.17.130 (de eadem pecunia) = 44.7.60 (de eadem re); 24.3.24.4 (Si vir … si quidem voluit) = 24.3.62 (Quod si vir … cum voluit); 41.2.8 (Quemadmodum) = 50.17.153 (Ut igitur); 27.1.2.7 (hē de prosēgoria) = 50.16.104 (hē tōn teknōn prosēgoria); 37.13.1 pr. (omnes igitur omnino … qui eius sunt gradus … testabuntur … sive praeses quis sit provinciae sive legatus) = 29.1.44 (rescripta principum ostendunt omnes omnino … qui eius sunt condicionis … testari …. sive praeses sit provnciae sive quis alius). 41  D 50.17.47.1 = 17.2.20 (without nam, which may have been inserted in 17.2.20 to make the text run on coherently from 17.2.19). 42  E.g. D 5.1.10 = 4.4.21; 50.17.115 pr. = 3.6.2.

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named title De variis et extraordinariis cognitionibus et si iudex litem suam fecisse dicetur.43 Not all the duplications concern a text inserted in two titles one of which is specific and the other general. In some the duplicated text was regarded as relevant to two specific titles and was inserted in each. An example is the explanation of the term praevaricator, which is inserted in the title on praevaricatio also in that on infamia.44 There are ten more duplications of this sort, making in all eleven in which the two titles are both specific but belong to different books of the Digest.45 In some of these one version is shorter46 or more general47 than the other. There are two more which belong to different titles from the same book. These may be duplicates made either at the excerpting or the editorial stage if the task of editing, as is probable,48 was assigned book by book.49 III. Editorial duplication Other duplicates, perhaps six in all, have apparently been inserted not at the excerpting but the editorial stage. They include three texts that occur 43  D 44.7.5.6 = 50.13.6 (without in factum actione, et in quantum de ea re a ­ equum religioni iudicantis visum fuerit, poenam sustinebit); Bluhme (1820), S.  305–306. 44  D 3.2.4.4 (Qui notantur infamia) = 47.15.1 (De praevaricatione). 45  D. 1.10.1.2 (De officio consulis) = 40.2.20.4 (De manumissis vindicta); 7.4.28 (Quibus modis usus fructus vel usus amittitur) = 33.2.13 (De usu et usu fructu et reditu et habitatione et operis per legatum vel fideicommissium datis); 11.7.6.1 (De religiosis et sumptibus funerum) = 1.8.7 (De divisione rerum et qualitate); 20.1.4 (De pignoribus et hypothecis) = 22.4.4 (De fide instrumentorum); 23.2.34.3 ( De ritu nuptiarum) = 1.9.9.(De senatoribus); 29.3.1.1 (Testamenta quemadmodum aperiantur inspiciantur et describantur) = 2.15.6 (De transactionbius); 32.7.2 (De legatis et fideicommissis) = 34.3.14 (De liberatione legata); 37.13.1 pr. (De bonorum possessione ex testamento militis) = 29.1.44 (De testamento militis); 41.2.10.2 (De acquirenda vel amittenda possessione) = 19.2.46 (Locati conducti); 48.7.7 (Ad legem Iuliam de vi privata) = 4.2.13 (Quod metus causa gestum erit). 46  D. 40.2.20.4; 33.2.13. 47  D 23.2.34.3 (omitting removal from the senate); 41.2.10.2 (not likening a nominal lease to a donation). 48  Book 43 has 33 titles, whereas book 17 has two, so that to allocate the editing by title would have made the amount of material in each allocation very variable. On the other hand allocation by book, though books vary in length, would have been less variable. There are books which seem to have had the same editor or editors throughout, since all the titles begin with the same mass, though this is not always the one with most texts: books 8, 20, 33 and 45. C. Omnem 4 boasts that in book 20 titles begin with a reading from Papinian.  49  Below fn.  60–62.



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twice in the same title. These cannot have been duplicated by the excerpters, who will not have marked two excerpts of the same text for the same title. In the title on partnership the editor framed a long passage about shared expenses which included an opinion of Julian that, if medical expenses were incurred by a partner in the course of a journey on partnership business, they should be shared by the partners.50 The editor repeats the substance of this text, differently worded, at a later point in the title, in order to limit an opinion of Labeo, cited by Pomponius,51 that distinguishes between expenses incurred because the partnership exists and those incurred in pursuance of partnership objects. Only the latter are to be shared.52 The repetition is perhaps meant to make sure that Julian’s view prevails. In the title on the recovery of dowry there is a text of Ulpian that deals with the case when a husband manumits dotal slaves with his wife’s consent. If his wife wishes to make him a gift, he is not liable to her for any condition imposed on the slave as the price of giving him his freedom.53 This part of the text, which comes from the Sabinian mass, is repeated towards the end of the title and inserted in the edictal mass, where it is contrasts with an opinion of Papinian, also inserted in the edictal mass, that deals with manumission by the husband without the wife’s consent,54 and a text of Paul that makes the point that the slave is no longer part of the dowry because, when a donation to manumit is permissible, permission to manumit is like a donation.55 Ulpian’s view about the law when the wife agreed to the manumission needed to be repeated to make clear that Papinian’s opinion only applied when the husband manumitted the slave without his wife’s consent. In the title on final and interlocutory judgments and their effect56 a text of Ulpian early in the title limits judgment against a person who has earned a stipend for armed military service to the amount he is able to pay.57 This text from the edictal mass is repeated later in the same title as 50  D 17.2.52.4: sed et si quid in medicos impensum est, pro parte socium agnoscere debere rectissime Iulianus probat. 51  D 17.2.60 (Pomp. 12 Sab.). 52  D 17.2.61: Secundum Iulianum tamen et quod medicis pro se datum est recipere potest, quod verum est. 53  D 24.3.24.4 = 24.3.62, 64 pr. 54  D 24.3.61. 55  D 24.3.63 (Paul 2 Iul. Pap.). 56  De re iudicata et de effectu sententiarum et de interlocutionibus. 57  D 42.1.6 pr: Miles, qui sub armata militia stipendia meruit, condemnatus eatenus, qua facere potest, cogitur solvere.

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an example of persons who are liable only ‘so far as they are able to pay’.58 Here the second instance puts the point in a more general context in the same title. In these three instances the duplication can perhaps be attributed to the editor of the title, who decided that it could properly be used twice in that title. That does not explain the duplication of a text in the title on dowry. In that title two versions of a text from Iavolenus on Labeo’s posteriora are included in close proximity.59 As the first states, Labeo took the view that when a woman’s debtor promised to pay the debt to her future spouse as a dowry, the woman could nevertheless sue to recover the debt before marriage. The debtor would not then be liable to the husband. Iavolenus disagrees, since the obligation of the debtor was suspended until its cause (the marriage) is settled. The second text reads as a revised and shortened version of the first. In it Labeo is not mentioned, and it is simply stated that the woman cannot sue to recover the debt before marriage. In this instance it is possible that the editor of the title intended to replace the first text by the second (simpler and shorter) version. Perhaps he forgot to strike out the first version. Both texts belong to the Appendix, which comes at the end of this long title, but between them are inserted two texts, one of Papinian from the Papinian mass and one of Proculus from the edictal mass, concerned with a different topic, the provision of a dowry for a daughter. Two more duplicates were perhaps added at the editorial stage. They both occur in the same book but in different titles. In one the principle stated by Ulpian that the right to use a sum of money can be lost only through death and capitis deminutio occurs twice in the same form. Once it explains a text of Paul.60 In the other the rule expressed is that in interdicts fruits are generally taken into account from the time when the interdict is issued, not before.61 If we assume that the editorial unit was a book, as seems likely,62 the editor or editors of books 7 and 43 could have duplicated these texts to make the reasoning clearer. 58  D 42.1.18, reading quatenus instead of qua, and by way of giving a further example of D 42.1.16 (Ulp. 63  ed.) which deals with the general topic of people who are liable to the extent that they can pay. 59  D 23.3.80 = 23.3.83. 60  D 7.9.7.1 (Usufructuarius quemadmodum caveat) = 7.5.10 pr. (De usufructu earum rerum quae usu consumuntur vel minuuntur): quoniam pecuniae usus aliter amitti non potest quam his casibus. 61  D 43.1.3 (De interdictis sive extraordinariis actionibus, quae pro his competunt) In interdictis exinde ratio habetur fructuum, ex quo edita sunt, non retro = 43.16.2.40 (De vi et vi armata) ex die, quo quis deiectus est, fructuum ratio habetur, quamvis in ceteris interdictis ex quo edita sunt, non retro computantur. 62  Above fn.  49, 60–62.



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In these instances when the duplicates have been differently edited most can be accounted for by the wish in the later more general version to provide a shorter text or one that reads better. Others appear in the same title or book, and there the difference is to be accounted for by the editor’s view of what was appropriate in the particular context in the title or book he was editing. But in two cases a text that appears early in the Digest seems to be a shortened copy of one that appears later.63 These may also have been added at the editorial stage, but in that case there must have been a few retrospective insertions in early books that had already been edited. This looks improbable, but there seem also to have been a couple of unexplained insertions of Appendix texts in early Digest books already edited.64 If all commissioners were working in the same room of the palace, neither is impossible. IV. The authors duplicated The number of duplicated texts comes to about 63. Of these nearly half (31) are texts of Ulpian,65 just under a quarter (15) texts of Paul.66 Eight other authors, Callistratus (1),67 Celsus (1),68 Gaius (4),69 Iavolenus (2),70 63  D 2.15.6 = 29.3.1.1 (with reference to iudex omitted); 1.8.7 = 11.7.6.1 (adapted to modify the text of Marcianus at 1.8.6). 64  Verf. (2010) S.  32. 65  D 3.1.1.5 = 5.1.6 (6  ed.); 3.2.4.4 = 47.15.1 (6  ed.); 5.1.10 = 4.4.21 (10  ed.); 4.7.4.1 = 50.17.119 (13 ed.); 5.3.13.8 = 50.17.126 pr. (15 ed.); 41.3.10.2 = 50.16.26 (16  ed.); 50.17.130 = 44.7.60 (18  ed.); 11.7.6.1 = 1.8.7 (25  ed.); 11.7.14.1 = 50.17.137 (25  ed.); 14.4.9.2 = 50.17.44 (29  ed.); 17.2.20 = 50.17.47.1 (31  ed.); 17.2.52.4 = 17.2.61 (31  ed.); 24.3.24.4 = 24.3.62 (33  ed.); 37.13.1 pr. = 29.1.44 (45  ed.); 42.8.6.9 = 50.17.145 (66  ed.); 42.1.6 pr. = 42.1.18 (66  ed.); 43.8.2.42 = 50.17.150 (68  ed.); 43.16.1.12 =50.17.152.1 (6  ed.); 43.16.1.14 = 50.17.152.2 (69  ed.); 43.16.1.40 = 43.1.3 (69  ed.); 41.2.10 = 19.2.46 (69  ed.); 43.19.3.2 = 50.17.156.2 (70  ed.); 43.18.1.4 = 50.17.156.1 (70  ed.); 43.24.11.7 = 50.17.157 pr. (71  ed.); 7.9.7.1 = 7.5.10 pr,. (79  ed.); 32.7.2 = 34.3.14 (1 fid.); 1.5.25 = 50.17.207 (1 leg. Iul. Pap.); 1.10.1.2 = 40.2.20.4 (2 off. cons.); 1.16.6 pr. = 50.17.70 (1 off. proc.); 32.55.1 = 50.16.167 (25 Sab.); 23.3.33 = 50.17.28 (36 Sab.). 66  D 2.4.21 = 50.17.103 pr. (1  ed.); 3.6.2 = 50.17.115 pr. (10  ed.); 24.2.3 = 50.17.48 (35  ed.); 40.12.19 = 50.16.76 (51  ed.); 1.3.14 = 50.17.141 pr. (54  ed.); 45.1.78 pr. = 50.17.144.1 (62  ed.); 41.2.8 = 50.17.153 (65  ed.); 2.11.7 = 50.17.211 (69 ed.); 44.2.14.2 = 50.17.159 (70 ed.); 42.1.19.1 = 50.17.173 pr. (6 Plaut.); 44.4.8 pr. = 50.17.173.3 (6 Plaut.); 33.2.13 = 7.4.28 (13 Plaut.); 5.4.3 = 1.3.6 (17 Plaut); 23.3.70 = 50.17.85 pr. (6 quaest.); 32.56 = 50.16.168 (4 Sab.). 67  D 48.7.7 = 4.2.13 (5 cogn.  ). 68  D 31.21 = 50.16.94 (20 dig.). 69  D 10.3.2 = 5.1.13 (7  ed. prov.); 29.3.1.1 = 2.15.6 (17  ed. prov.); 20.1.4 = 22.4.4 (1 form. hyp.); 44.7.5.4 = 50.13.6 (3 rer. cott.). 70  22.1.49 = 50.17.72 (3 post. Lab.); 23.3.80 = 23.3.83 (6 post. Lab.).

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Marcellus (2),71 Modestinus (4),72 Papinian (2)73 and Cervidius Scaevola (1)74 also have duplicated texts. The most prominent Digest authors, Ulpian and Paul, who provided just over 40 and 17 percent of the Digest material, have a slightly higher percentage (48 and 23 percent respectively) of duplicated texts. Some prominent authors, such as Julian and Pomponius, did not provide any. V. The reasons for duplication Since Justinian sought to avoid repetitions in the Digest, why were over sixty texts duplicated? Some 46 of these, we saw, provide material for general titles, for instance those on rules of ancient law or the meaning of words. These topics were of interest to classical lawyers, since Aelius Gallus wrote a monograph on the meaning of words pertaining to law75 and several well-known authors composed books of regulae, which brought together principles of law or maxims.76 The two titles that end the Digest are not, therefore, a post-classical invention. They reflect a greater interest, perhaps specially in the law schools, in the abstract formulation of the law and, from the point of view of style, in pithy maxims. They could be said to reflect academic concerns. This seems borne out by the fact that, of the 46 duplicates that occur in a general title, 34 were excerpted by the edictal committee,77 8 by the Sabinian 71  D

4.1.7 = 50.17.183 (3 dig.); 28.4.3 = 50.17.192.1 (29 dig.). 27.1.2.7 = 50.16.104 (2 excus.); 35.1.52 = 50.17.195 (6 diff.); 32.81 pr. = 50.16.101.3 (9 diff.); 23.2.42 = 50.17.197 (1 rit. nupt.). 73  D 17.1.56 pr. = 50.17.81 (3 resp.); 23.2.34.2 = 1.9.9 (4 resp.). 74  D 45.1.127 = 50.17.88 (5 quaest.). 75  De verborum quae ad ius pertinent significatione 1 – a work attributed to the edictal mass (BK 178). 76  In the Sabinian mass Neratius 15 reg., Ulpianus 7 reg., Scaevola 4 reg., Paul 1 reg., Marcianus 5 reg., Paul 7 reg., Pomponius 1 reg., Ulpianus 1 reg. (BK 36–40, 42–46); in the edictal mass Modestinus 10 reg., Licinnius Rufinus 12 or 13 reg. (BK 139,175); in the Papinian mass Gaius 3 reg. and 1 reg. (BK 223,224). 77  D. 1.3.6 (Paul 17 Plaut.); 5.1.6 (Ulp. 6  ed.); 5.1.10 Ulp. 10  ed.); 5.1.13 (Gai. 7  ed. prov.); 50.16.26 (Ulp. 6  ed.); 50.16.76 (Paul 51  ed.); 50.16.94 (Cels. 20 dig.); 50.16.101.3 (Mod. 9 diff.); 50.16.104 (Mod. 2 excus.); 50.17.103 pr. (Paul 1  ed.); 50.17.115 pr. (Paul 10  ed.); 50.17.119 (Ulp. 13  ed.); 50.17.126 pr. (Ulp. 15  ed.); 50.17.130 (Ulp. 18  ed.); 50.17.137 (Ulp. 25  ed.); 50.17.141. pr. (Paul 54  ed.); 50.17.144.1 (Paul 62  ed.); 50.17.145 (Ulp. 66  ed.); 50.17.150 (Ulp. 68  ed.); 50.17.152.1 (Ulp. 69  ed.); 50.17.152.2 (Ulp. 69  ed.); 50.17.153 (Paul 65  ed.); 50.17.156.1 (Ulp. 70  ed.); 50.17.156.2 (Ulp. 70  ed.); 50.17.157 pr. (Ulp. 71  ed.); 50.17.159 (Paul 70  ed.); 50.17.173 pr. (Paul 6 Plaut.) ; 50. 17.173.3 Paul 6 Plaut.); 50.17.183 Marc. 3 dig.); 50.17.192.1 (Marc. 29 dig.); 50.17.195 Mod. 7 diff.); 72  D



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committee,78 3 by the Papinian committee,79 and one as part of the Appendix.80 The edictal committee duplicates for the general titles 23 texts from the edictal commentaries of Ulpian, Paul and Gaius, whereas the Sabinian committee duplicates only 6 texts from the commentaries ad Sabinum and on the edict. The edictal committee also duplicates texts of Celsus, Marcellus and Modestinus, two of whom certainly and the third probably are authors whose basic mass is the edictal.81 The Sabinian committee, on the other hand, does not duplicate a single text of Julian, though Julian was regarded as in some ways the greatest classical author and the Sabinian was his basic mass.82 This difference in the approach of the excerpting committees is to be expected if, as I have argued elsewhere, the edictal committee was headed by a law professor (Theophilus), the Sabinian and Papinian committees by two ministers (Tribonian and Constantinus).83 In a number of instances the rule (regula) that appears in Digest 50.17 seems to have been formulated in a more abstract way than the text from which it was apparently derived.84 It is consistent with the suggested out50.17.197 (Mod. 1 rit. nupt.); 50.7.207 (Ulp. 1 leg. Iul. Pap.); 50.17.211 (Paul 69  ed.). 78  D. 50.13.6 (Gai. 3 rer. cott); 50.16.167 (Ulp. 29  ed.); 50.16.168 (Paul 4 Sab.). 50.17.28 (Ulp. 30 Sab.); 50.17.44 (Ulp. 29  ed.); 50.17.47.1 (Ulp. 31  ed.); 50.17.48 (Paul 35  ed.); 50.17.70 (Ulp 1 off. proc.). 79  D 50.17.81 (Pap. 3 resp.); 50.17.85 pr. (Paul 6 qu.); 50.17.88 (Scae.  5 qu.). 80  D. 50.17.72 (Iav. 3 post. Lab.). F. Bluhme, who counts fewer genuine duplications, gives figures of 34 for the edictal mass, 12 for the Sabinian and 3 for the Papinian: above fn.  2, S.  345. 81  Verf. (2010) Kap. 3 fn.  170–230. 82  Index auctorum I; C. Tanta 18; Verf. (2010) Kap.3 fn.  50–57. 83  Verf. ((2010) Kap. 2 fn.  75–82. 84  E. g. D 50.16.76: ‘Dedisse’ intellegendus est etiam is, qui permutavit vel compensavit: cf. 40.12.18.1–19 … vel permutavit vel compensavit eo nomine (nam et is dedisse intellegendus est); 50.17.137: Qui auctore iudice comparavit, bonae fidei possessor est: cf. 11.7.14.1 sed si adita fuerit postea hereditas, res emptori auferenda non est, quia bonae fidei possessor est et dominium habet, qui auctore iudice comparavit; 50.17.152.1: Deiecit et qui mandat: cf. 43.16.1.12 deiecisse autem etiam is videtur qui mandavit; 50.17.152.2 In maleficio ratihabitio mandato comparatur: cf. 43.16.1.14 rectius enim dicitur in maleficio ratihabitionem mandato comparari; 50.17.156.2 Cum quis in alii locum successerit, non est aequum eo nocere hoc, quo adversus eum non nocuit, in cuius locum successit: cf. 43.24.11.7 cum enim successerit quis in locum eorum, aequum non est nos noceri hoc, quod adversus eum non nocuit, in cuius locum successimus; 50.17.173 pr. In condemnatione personarum, quae in id quod facere possunt damnantur, non totum quod habeat extorquendum est, sed et ipsarum ratio habenda est, ne egeant: cf. 42.1.19.1 is quoque, qui ex causa donationis convenitur, in quantum facere potest condemnatur et quidem is solus deducto aere alieno … immo nec totum quod habet extorquendum ei puto, sed et ipsius ratio habenda est, ne egeat.

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look of the edictal committee that in D 50.16 there are 158 texts from the edictal mass, against 62 from the Sabinian mass and 14 from the Papinian. In D 50.17 there are 111 texts from the edictal mass against 71 from the Sabinian and 28 from the Papinian. The balance is somewhat different if we look at the texts duplicated not in titles one of which is general but in two titles each of which is special. Here we find five duplications by the edictal committee85 against three by the Sabinian86 and two by the Papinian committee.87 The edictal committee has more duplications, but not overwhelmingly more. On the whole duplicated texts, like the general titles with which the Digest ends, reflect the concerns of the edictal committee. These were more academic and less oriented towards practice than those of the other committees. In some ways the Digest reflects the difference between imperial administration of the law and teaching.

85  D. 3.2.44 (Ulp. 6  ed.); 7.4.28 (Paul 3 Plaut.); 37.13.1 pr. (Ulp. 55  ed.); 41.2.10.7 (Ulp. 69  ed.); 48.7.7 (Call. 5 cogn.  ). 86  D. 11.7.6.1 (Ulp. 25  ed.); 20.1.4 (Gai. 1 form. hyp.); 29.3.1.1 (Gai. 17  ed. prov.). 87  D 23.2.34.3 (Pap. 4 resp.); 32.7.2 (Ulp. 1 fid.).

Chirographum in Theorie und Praxis Von Éva Jakab Der verehrte Jubilar widmete sein Lebenswerk der Erforschung der römischen Rechtswissenschaft. Neue Erkenntnisse und Zusammenhänge zeichnen seine Arbeiten aus, die mit der für ihn typischen Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit die Quellen auswerten. Neben den berühmten Persönlichkeiten der Jurisprudenz interessierten ihn schon immer auch die namenlosen „Lohnarbeiter“, die nomikoi, nomographoi, Schreiber1. Diese nicht immer mustergültig gebildeten „Rechtskenner“ verdienten ihr Brot im Rechtsleben: Sie zeichneten auf Wunsch von kleinen Kunden alltägliche Rechtsgeschäfte auf. Dabei stützten sie sich auf bewährte Formulare, die von Generation zu Generation tradiert wurden. In diese Welt der „kleinlichen Rechtswissenschaft“ will mein Beitrag den Leser entführen: In dem (notwendig) kurz gehaltenen Rahmen wird ein Problem angeschnitten, das eine viel längere Ausführung bräuchte. I. Das Thema Das griechische Wort cheirographos bedeutet nach den Wörterbüchern „written with the hand, holograph, manuscript – a document wholly in the handwriting of its author“2. In der Papyrologie versteht man darunter einen Urkundentyp, der Rechtsgeschäfte im Briefformat dokumentiert. Urkunden in Briefform sind bereits auf Tontäfelchen aus Mesopotamien überliefert3. Noch mehr Belege liefern die demotischen und griechischen Papyri aus Ägypten. All diese Urkunden wurden dem üblichen Schema der privaten Korrespondenz nachgebildet. Der Text beginnt mit einem Gruß: „A grüßt B“. Anschließend folgt ein formloser, kurzer, subjektiv (in der ersten Person) stilisierter 1  D. Liebs, Esoterische römische Rechtsliteratur vor Justinian, in: Akten des 36.  Deutschen Rechtshistorikertages, hg. von R. Lieberwirth / H. Lück, Bern 2008, 40–79 stellt weniger bekannte Werke der Jurisprudenz dar, die überwiegend die Bedürfnisse der Alltagspraxis bedienten. 2  H.  G. Liddell / R. Scott, A Greek-English Lexicon, Oxford 1996. 3  Im September 2008 fand an der Accademia Americana in Rom eine Tagung zum Thema „The Letter. Legal Documents in the Ancient World“ statt. Der Tagungsband ist im Druck.

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Bericht, worin der Autor (der Schuldner) dem Adressaten (dem Gläubiger) gegenüber seine Verpflichtung anerkennt, etwas zu zahlen, zu geben usw. Diese Deklaration gilt in allen Rechtskreisen und in jeder Sprache als rechtlich bindend und einklagbar. Das cheirographon war in der hellenistischen Welt weit verbreitet. Seine Popularität dürfte mit der Flexibilität des Inhalts und der Unkompliziertheit und Kostengünstigkeit seiner Anfertigung zusammenhängen. Man konnte dadurch auf die teure Mitwirkung eines Notars verzichten, zu dem man eventuell auch noch eine zeit- und kostspielige Reise hätte unternehmen müssen. Den Bedürfnissen der alltäglichen Praxis, insbesondere im Kreditwesen, konnte man auch mit diesem kurzen, formlosen Schreibchen Genüge tun. Peregrine Geschäftsleute dürften die Idee des Sich-Verpflichtens mittels eines Briefes bereits früh nach Rom gebracht haben4. Geschäftsbriefe juristischen Inhalts werden schon bei Plautus zitiert5, die vorliegende Untersuchung wird sich jedoch auf die klassische Periode des römischen Rechts beschränken. Das chirographum war im 2. Jh. n.  Chr. bereits so verbreitet, dass Gaius es in seinen Institutionen6 als selbstverständliche Einrichtung definieren und in das geschlossene System der römischen Verträge eingliedern wollte (Gai. 3, 134): Praeterea litterarum obligatio fieri videtur chirographis et syngraphis, id est, si quis debere se aut daturum se scribat, ita scilicet, ut, si eo nomine stipulatio non fiat. Quod genus obligationis proprium peregrinorum est7.

Gaius untersucht ab dem Abschnitt 3, 89 den Aspekt, wann eine Obligation wirksam entsteht, also mit welchem Akt jeweils die Klagen auf Erfülbereits L. Wenger, Die Quellen des römischen Rechts, Wien 1953, 736. gute Untersuchung bietet Ph. Leitner, Hellenistische Bankurkunden. Bank und Zahlungsanweisung im ptolemäischen Ägypten und im republikanischen Rom, Diss. iur. Graz 2007; ders., Die plautinischen Komödien als Quellen des römischen Rechts, in: E. Cantarella / L. Gagliardi (Hrsg.), Diritto e Theatre in Grecia e a Roma, 2007, 69–93. 6  Zu Gaius und sein Werk s. D. Liebs, Jurisprudenz, in: HLL 4 (1997) § 426.191 ff. Zur Elementarliteratur vgl. D. Liebs, ANRW II 15 (Berlin u. a. 1976) 229 ff.; s. auch H.  L.  W. Nelson / U. Manthe, Studia Gaiana VIII. Gai Institutiones III 88–181. Die Kontraktobligationen. Berlin 1999, 26  ff. 7  Gai. 3,134: „Ferner ist es herrschende Meinung, dass eine Verpflichtung aus Schriftakt durch Chirographa und Syngrapha entsteht; das heißt, wenn jemand schreibt, dass er schulde, oder schreibt, dass er zahlen werde – selbstverständlich nur dann, wenn in jener Angelegenheit keine Stipulation stattfindet. Diese Art der Obligation gehört dem Sonderrecht der Peregrinen an.“ Übersetzung nach U. Manthe, Gaius Institutionen, Darmstadt 2004, 275. 4  So

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lung erzeugt werden. Bekanntlich gliedert er die Kontraktobligationen in vier Gruppen ein: re, verbis, litteris, consensu. Beim Litteralkontrakt (Entstehung einer Obligation, einer Verpflichtung aus Schriftakt) kommt er auf das chirographum zu sprechen. Der praxisorientierte Jurist ist in diesem Abschnitt vor allem an den römischen nomina transscriptitia interessiert; er betont, dass diese nur unter römischen Bürgern eine strengrechtliche Klage begründen können. Bei Nichtbürgern kann jedoch die mangelnde Rechtswirkung der Eintragungen im „Kassenbuch“ durch chirographa und syngrapha (ebenfalls durch Schrift) ersetzt werden. Die Wendung ius proprium peregrinorum dürfte m. E. den Gegensatz zu den nomina transscriptitia als ius proprium Romanorum hervorheben wollen. Viele Autoren sehen hier jedoch eine scharfe Gegenüberstellung: „War die vorklassische Jurisprudenz der Ansicht, dass die nuda ratio der transscriptio a persona in personam Reservatrecht der Quiriten war, so werden sie auch umgekehrt die Ansicht geteilt haben, dass die abstrakten Schuldversprechungen, die sie in den Griechenstädten beobachteten, Reservatrecht dieser Peregrinengemeinden blieb“8. Ich finde hingegen, dass der Text keinen Hinweis darauf gibt, dass das chirographum als Urkundentyp den Peregrinen vorbehalten gewesen wäre. Unten werden wir sehen, dass die epigraphischen, literarischen und juristischen Quellen seit der jüngeren Republik die starke Präsenz der chirographa in der römischen Geschäftspraxis überzeugend belegen. Das spricht entschieden dagegen, dass es sich hier um ein „Reservatrecht“ der Peregrinen ginge. Es ist wohl kaum denkbar, dass alle chirographa, die unter Römern auf tabulae überliefert sind oder von denen in den Juristenschriften berichtet wird, contra legem ausgestellt worden wären. Gaius scheint hier viel mehr darauf abgestellt zu haben, dass gewisse Schriftakte, die unter den Peregrinen verbreitet sind, ebenso eine obligierende Wirkung erzeugen wie der römische Litteralkontrakt. Mit dieser Eingliederung in das römische Vertragssystem folgt Gaius eigentlich der hellenistischen Rechtsauffassung, die der Urkunde konstitutive Wirkung bzw. unwiderlegbare Beweiskraft verleiht9. Gaius zeigt damit die 8  O. Behrends, Der Litteralvertrag zwischen klassischem und vorklassischem Rechtsdenken, in: Mélanges W. Wolodkiewicz, Warszawa 2000, 102. Ähnlich auch H. Honsell (Th. Mayer-Maly / W. Selb), Römisches Recht, 4. Aufl., Berlin u. a. 1987, 252 und M. Kaser / R. Knütel, Römisches Privatrecht, 18. Aufl., München 2005, 203: „Der nichtrömische Litteralkontrakt durch Errichtung eines Schuldscheins (chirographum, genauer: eigenhändige Schuldurkunde  …), also ohne stipulatio, gilt nach römischer Auffassung als den Peregrinen vorbehalten (Gai. 3,134)“. 9  Zur Diskussion über die Dispositiv- und Beweisurkunde s. H. J. Wolff, Das Recht der Griechischen Papyri Ägyptens in der Zeit der Ptolemäer und des Prinzipats II, München 1978, 141 ff.; H.-A. Rupprecht, Untersuchungen zum Darlehen im Recht der graeco-ägyptischen Papyri der Ptolemäerzeit, München 1967, 138 f.; anders H. Küh-

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Durchlässigkeit der Grenzen zwischen römischer und hellenistischer Alltagspraxis. Er gliedert die konstitutive Wirkung der hellenistischen Urkunde in das römische Vertragssystem als „Litteralobligation“ (Verpflichtung aus Schriftakt) ein10. Das einzige gemeinsame Merkmal der ‚römischen‘ und ‚peregrinen‘ Litteralobligation11 ist die Entstehung der Klagbarkeit durch die Schrift. Der Schriftakt wird als Voraussetzung, als causa obligationis hervorgehoben. Die Ausführung des bindenden Schriftaktes erfolgt aber in den zwei Arten der Litteralobligation jeweils von der anderen Partei: Bei den nomina transscriptitia wirkt die Eintragung der Schuld in den rationes des Gläubigers obligierend, während beim chirographum die Schrift des Schuldners verpflichtet12. Gaius’ Eingliederung des chirographum neben die nomina transscriptitia dürfte auf den üblichen Inhalt und den typischen Verwendungsbereich verweisen: das Kreditwesen. Offenbar hatte Gaius chirographa vor Augen, wodurch nomina, Schuldforderungen, mit einer Klage auf certa pecunia begründet werden. Er beschränkt seine kurz gehaltene Erwähnung auf die Entstehung der Obligation; das Formular und die nähere Definition der Begriffsmerkmale bleiben in seinen Institutionen unbehandelt. II. Die modernen Definitionen Bevor wir auf die Quellen näher eingehen, empfiehlt es sich, einen Blick auf die modernen Definitionen zu werfen. Wie fasst die moderne Wissenschaft des römischen Rechts das chirographum auf? In seinem kürzlich erschienenen Band über die Tabulae Pompeianae beschreibt J.  G. Wolf den Urkundentyp wie folgt: „Das chirographum war die Erklärung einer Person, nämlich des Ausstellers der Urkunde, und bestimmt, gegen ihn zu beweisen, dass er diese Erklärung abgegeben hat. Die Erklärung war subjektiv, in der 1. Person gefasst und musste vom Aussteller eigenhändig niedergeschrieben werden. Die Beweiskraft des chirographum beruhte auf dieser Eigenhändigkeit: sie garantierte, dass die Niederschrift des Ausstellers war  …“13. nert, Zum Kreditgeschäft in den hellenistischen Papyri Ägyptens bis auf Diokletian, Diss. Freiburg i. Br. 1965, 38; neulich auch G. Thür, Marginalien zum fiktiven Darlehen, in: Fschr. R. Knütel, hg. von H. Altmeppen al., Heidelberg 2009, 1269. 10  Ähnlich fasst den Text auf Manthe, (o. Anm.  6) 216; zu den hellenistischen Urkunden s. Thür, (o. Anm.  9) 1270  ff. 11  Ius proprium Romanorum fasse ich also als „das eigene Recht der Römer“ auf, das den peregrinen Rechten (als Phänomene des ius gentium) gegenübergestellt wird. 12  Die abweichende Urkundenform der Syngraphe soll hier ausgeklammert bleiben. 13  J.  G. Wolf, Neue Rechtsurkunden aus Pompeji. Tabulae Pompeianae Novae. Lateinisch und Deutsch, Darmstadt 2010, 21.



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Wolfs komplexe Definition führt bewusst eine lange Tradition weiter und fasst die herrschende Meinung korrekt zusammen. Wird das chirographum in neueren Hand- und Lehrbüchern zum römischen Recht überhaupt erwähnt, trifft man auf ähnliche Deutungen. Sie gehen grundsätzlich auf Leo­ pold Wengers umfassendes Werk über „Die Quellen des römischen Rechts“ zurück, worin er die Grundsteine einer Urkundenlehre legte, welche die Vorstellungen allgemein bis heute beherrscht14. Er teilt die Privaturkunden in zwei Gruppen: die objektiv und subjektiv gefasste Urkunde. In die letzte stuft er das chirographum ein als „subjektiv stilisierte Erklärung“15, in dem „der Erklärende seine rechtsgeschäftliche Erklärung selbst in der Ich-Form eines Bekenntnisses“ abgebe16. Ergänzend fügt er noch hinzu, dass die Erklärung „in Briefform mit dem Briefgruß  … abgegeben“ werden könne, „doch ist die Briefform fürs Chirographum nicht wesentlich. Auch eine unterschriftliche Erklärung in subjektiver Form unter einer objektiv gehaltenen Dispositivurkunde wäre ein Chirographum  … “17. Da er auf jede Einschränkung bezüglich Formular, Zeugen usw. verzichtet, stellt er damit auf ein sehr breites Bedeutungsfeld ab. Nach dieser Definition würde etwa eine in der ersten Person beurkundete Stipulation auch als chirographum durchgehen. Eine so ausgedehnte Definition würde die Grenzen des Urkundentyps völlig verwischen. Gegen diese Weite des Begriffs profilieren sich bereits die Standardwerke unserer Disziplin. Von Max Kaser wird die Urkunde als „zeugenlose, eigenhändig geschriebene und durch die Handschrift beweiskräftige, subjektiv (in der 1. Person) gefasste Erklärung“ definiert18. Honsell nimmt eher Bezug auf die Urkundenpraxis und hebt folgende Charakteristika hervor: eine „zeugenlose Beurkundungsform, deren Echtheitsgewähr in der Hauptsache in der Handschrift des Schreibers lag und die darum wie ihr hellenistisches Vorbild als ‚handschriftliche Urkunde‘  … bezeichnet wurde“19. Die herrschende Lehre zählt also zu den begriffswesentlichen Elementen eines jeden chirographum die subjektive Formulierung, die Eigenhändigkeit und den Verzicht auf die Mitwirkung von Zeugen. Im Folgenden soll geprüft werden, ob ein genauerer Blick auf das Quellenmaterial diese Definition bestätigt. 14  Wenger,

(o. Anm.  4) 734–841. (o. Anm.  4) 736. 16  Wenger, (o. Anm.  4) 736. 17  Wenger, (o. Anm.  4) 736 Anm.  14. 18  M. Kaser, Das Römische Privatrecht I2, München 1971, 234; ebenso ­Kaser / Knütel, (o. Anm.  8) 51. 19  Honsell, (o. Anm.  8) 110. 15  Wenger,

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Zunächst müssen wir aber den Gegenstand unserer Untersuchung noch einschränken. Blättert man in den Digesten, trifft man auch chirographa, in welchen Verpflichtungen übernommen werden, die nach ius civile nicht klagbar sind20; solche Belege würde ich hier als chirographa im „weiteren Sinne“ ausklammern. In anderen Texten bedeutet das Wort chirographum bloß ein eigenhändig geschriebenes Schriftstück; es wird als Synonym für manu sua scribere verwendet21. Dokumente dieser Art können allerlei Vertrags- oder Urkundentypen präsentieren. Wegen des untechnischen Sprachgebrauchs scheiden sie in der vorliegenden Untersuchung ebenfalls aus. Im Folgenden haben nur solche chirographa Relevanz, die ein gefestigtes Formular zeigen und dadurch klagbare Verpflichtungen erzeugen22. III. Exkurs: Vergleich mit der graeco-ägyptischen Urkundenpraxis Vor der Exegese der römischen Quellen empfiehlt es sich, einen Blick auf die cheirographa in den griechischen Papyri aus Ägypten zu werfen. Das übliche Formular beginnt hier immer mit der Grußform; der Text wird üblicherweise vom Schuldner ausgestellt, der Adressat ist der jeweilige Gläubiger. Anschließend wird der rechtsgeschäftliche Inhalt zusammengefasst, beginnend mit dem Verbum homologoo („ich anerkenne“). Die Datierung steht etwa im 2. Jh. n.  Chr. immer am Ende des Urkundentextes23. In den meisten cheirographa wurde auf die Mitwirkung von Zeugen verzichtet; die Assistenz einer Amtsperson (eines Notars oder Schreibers) war keineswegs erforderlich. Im Vergleich mit anderen Urkundentypen (etwa mit der Doppelurkunde mit sechs Zeugen oder mit der agoranomischen Urkunde mit der garantierenden Unterschrift des staatlichen Notars) fällt sogleich die Unkompliziertheit der Formulierung und die erleichterte (und wohl auch billigere) Art der Anfertigung auf. Hans Julius Wolff bietet eine sorgfältig überlegte Definition für diesen Urkundentyp: Im cheirographon bekannte „der Aussteller selbst mittels bindender Schrift, dass er die durch dieses bezeugte Verfügung getroffen hatte oder die in ihr gekennzeichnete Verbindlichkeit eingegangen war … Der Deklarant stellte entweder mit direkten Worten … oder indirekt mittels Anerkenntnisses das Vorliegen eines bestimmten Sachverhaltes fest; hieran schloss sich, wenn der Charakter des Geschäfts es erforderte, ein in der 1. Person des Futurs ge20  Siehe

etwa D. 30,103 Julian oder D. 2,14,47,1 Scaevola. etwa D. 2,14,47,1 Scaevola. 22  s. etwa D. 30,44,5 Ulpian; D. 38,4,7 Scaevola; Paul. Sent, 5,25,5. 23  Wolff, (o. Anm.  9) 107  ff. 21  So



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haltenes Leistungs- oder Garantieversprechen …“24. Wolff hebt die juristisch relevanten Charakteristika hervor und stellt (der verbreiteten Definition des römischen Rechts ähnlich) auf die eigenhändige Schrift als rechtlich bindendes Element ab (causa obligationis). Von den römischrechtlichen Standardwerken abweichend schränkt Wolff selbst seine strikte Definition weiter unten ein: Manche cheirographa seien von einer fremden Hand ausgestellt und vom Schuldner erst in der hypographe bestätigt25. Vor kurzem wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Quellen keine Belege dafür lieferten, dass je ein cheirographon in einem Prozess für unwirksam erklärt worden wäre, weil es vom Schuldner nicht eigenhändig ausgestellt worden sei26. Gerichte und Behörden nahmen selbstverständlich darauf Rücksicht, dass ein großer Anteil der Bevölkerung überhaupt nicht schreiben konnte oder nicht ausreichend gebildet war, um eine Urkunde selbst aufzusetzen27. Uri Yiftach-Firanko hat nachgewiesen, dass in der graeco-ägyptischen koine die Eigenhändigkeit niemals ausdrücklich zu einer rechtlichen Voraussetzung (essentialia negotii) erklärt worden sei28. Ganz im Gegenteil, viele Belege aus dem 2. Jh. n.  Chr. zeigen, dass das cheirographon-Formular mit großer Vorliebe auch von Schreibern und in deren Büros benützt wurde29. In diesen Büros hatte gewiss nicht die Partei, sondern ein Schreiber das Schriftstück angefertigt. Die Hilfsperson mußte aber nicht einmal unbedingt ein Professioneller gewesen sein; es kam auch ein Bekannter oder eine Vertrauensperson in Betracht30. Das Formular war so verbreitet, dass – nach Yiftachs Angaben – im römischen Oxyrhynchos 85 von insgesamt 254 Rechtsurkunden (ein Drittel) diese Form aufweisen31; inhaltlich dokumentieren sie überwiegend Darlehensgeschäfte32. 24  Wolff,

(o. Anm.  9) 107, 203. (o. Anm.  9) 107  f. 26  U. Yiftach-Firanko, The Cheirographon and the Privatization of Scribal Activ­ ity in Early Roman Oxyrhynchos, in: Symposion 2007, hg. von E. Harris / G. Thür, 326. 27  H.  C. Youtie, ZPE 17 (1975) 211  ff.; diese Erscheinung hob bereits Wenger hervor, s. oben bei Anm.  16. 28  Yiftach-Firanko, (o. Anm.  26) 327  ff. 29  Dasselbe ist bei den tabelliones ab dem 4.  Jh. zu beobachten; vgl. YiftachFiranko, (o. Anm.  26) 327  ff. 30  s. etwa P.  Gren  f. II 17 (136 v.  Chr.); vgl. dazu Yiftach-Firanko, (o. Anm.  26) 328. 31  Die Funde zeigen aber starke regionale Unterschiede; im Arsinoites sind bloß 7.8 % der Urkunden als cheirographa ausgestellt; Yiftach-Firanko, (o. Anm.  26) 328  f. 32  Yiftach-Firanko, (o. Anm. 26) 329 ff. untersucht auch den Wechsel des Formulars in der Spätantike. 25  Wolff,

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Auch in den Papyri aus der römischen Provinz Arabia sind cheirographa reichlich überliefert: Sie sind jedoch oft spätere griechische Übersetzungen eines nabatäischen Originals33, deshalb sind sie überwiegend von Profes­ sionellen angefertigt. Sie folgen in vieler Hinsicht dem oben beschriebenen griechischen Schema (Briefformat, Grußform, homologoo) mit der Ausnahme, dass die Datierung (nach den römischen Herrschern) am Anfang des Textes steht. Inhaltlich überliefern sie verschiedene Rechtsgeschäfte: Verwahrungsverträge34, Darlehen35, Zession36, Verkauf der Ernte auf dem Halm37 oder Empfangsbestätigung38. Am sonderbarsten ist vielleicht P. Yadin 11, ein Darlehen zwischen einem römischen centurio und einem Einheimischen jüdischer Herkunft. Es handelt sich um eine Doppelurkunde mit Innen- und Außenschrift; sie ist auf Griechisch im Namen des Schuldners in der ersten Person formuliert, obwohl der Schuldner dieser Sprache offenbar nicht mächtig war, weil seine hypographe von einer fremden Hand geschrieben wurde (Z. 29 / 30). Am Ende finden wir zusätzlich noch sieben signatores. Dieses Schriftstück aus dem Alltag zeigt, dass strikte Systematik oder Begriffsbildung in der Welt der Geschäftspraxis häufig fehlschlagen. Der Autor (der gewiss ein professioneller Schreiber war) kombiniert hier frei die Elemente der römischen und griechischen Urkundenpraxis, die nach unseren Lehrbüchern antagonistische Gegensätze bilden würden. Die Untersuchungen von Yiftach-Firanko zu den griechischen Papyri aus dem ptolemäischen und römischen Ägypten und die Beispiele aus dem Babatha-Archiv liefern jedenfalls überzeugende Belege, dass die Eigenhändigkeit in der griechisch-hellenistischen Praxis kein zwingendes Merkmal der cheirographa war. Die Frage, die zu unserem Quellenmaterial zurückführt, liegt nahe: Waren die chirographa in Rom immer und unbedingt eigenhändig geschrieben? Die moderne Wissenschaft setzt das in den oben zitierten Definitionen als selbstverständlich voraus. Selbst Wenger bemerkte bereits in einer versteckten Fußnote, dass „das Wort cheirographon nicht immer wörtlich genommen“ werden dürfe: „auch der Analphabet, für den ein anderer den Unterschrift-Satz schreibt, vollzieht de iure ein Chirographum“39. Wenger dehnt also aufgrund des papyrologi33  H. Cotton / W. Eck, ZPE 138 (2002) 182; s. dazu neulich auch J. G. Oudshoorn, The Relationship between Roman and Local Law in the Babatha and Salome Komaise Archives. General Analysis and Three Case Studies on Law of Succession, Guardianship and Marriage, Leiden 2007, 157. 34  P. Yadin 5, 17. 35  P. Yadin 11. 36  P. Yadin 20. 37  P. Yadin 21, 22. 38  P. Yadin 27. 39  Wenger, (o. Anm.  4) 736 Anm.  14.



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schen Befundes seine Definition etwas aus: Die Eigenhändigkeit sei bei einem Analphabeten nicht verlangt. Damit nennt er eine einzige Ausnahme, die er aber wohl restriktiv auslegt. Kunkel ging einen Schritt weiter: Der Schreiber des chirographum könne „der Erklärende selbst, aber auch ein Dritter sein“40. Er strich also die Eigenhändigkeit aus der Definition, jedoch ohne auf die Problematik näher einzugehen, wozu auch ein Lehrbuch keine Möglichkeit bot41. Seit Wenger und Kunkel sind in großer Anzahl neue Urkunden aus dem Imperium Romanum veröffentlicht worden. Zu Recht kann man also die Frage stellen: Was sagen die Quellen zu diesem Problem? IV. Die lateinischen Urkunden Gaius scheint in dem oben zitierten Abschnitt seiner Institutionen die Eigenhändigkeit zu suggerieren: si quis debere se aut daturum se scribat. Ein Blick in das gängige Formular wird jedoch zeigen, dass er damit eher auf den präzisen Wortlaut und auf das übliche Formular hingewiesen haben dürfte. Um den Übergang von der Praxis in den Provinzen (Ägypten, Arabia) in die des italischen Kernlandes anschaulich zu gestalten, fangen wir mit einem griechischen Text an, der in Puteoli (Campanien) im Jahre 38 n.  Chr. ausgestellt wurde (TPSulp. 78)42: „Ich, Menelaos … habe geschrieben, dass ich erhalten habe von Primus, Sklaven des Publius Attius Severus, tausend Denare aus einer besiegelten naulotike, und ich werde sie zurückgeben (zahlen) gemäß der naulotike, die ich mit ihm errichtet habe …“.

Das Schriftstück stammt aus dem Archiv der Sulpizier, zeigt also die Urkundenpraxis, die in Alltagsgeschäften im Umfeld einer antiken Bank üblich gewesen sein dürfte43. Der Sachverhalt ist wie folgt: Der griechische Schiffer (naukleros) Menelaos stellte einen Schuldschein für seinen Latein sprechenden Geschäftspartner in griechischer Sprache aus. Menelaos stammte aus der kleinasiatischen Stadt Keramos44; er ging im Hafen von Puteoli 40  P.

Jörs / W. Kunkel / L. Wenger, Römisches Recht, 3. Aufl., Berlin 1949, 100. Ausnahmen in der ägyptischen Praxis kannte (und anerkannte) natürlich auch bereits Kaser, (o. Anm.  18) 234: „In Ägypten wurden auch Chirographa unter griechischem Einfluss zuweilen von dritter Hand geschrieben und von den Parteien oder von Zeugen oder beiden unterschrieben.“ Er bezieht sich dabei auf FIRA III Nr. 121 und Nr. 131, Darlehen- bzw. Kaufurkunden von römischen Soldaten. 42  Das Studium wird hier auf das Archiv der Sulpizier beschränkt. Bei den Texten folge ich G. Camodeca, Tabulae Pompeianae Sulpiciorum. Edizione critica dell’archivio puteolano dei Sulpicii, Roma 1999. 43  s. dazu É. Jakab, Vectura pro mutua: Überlegungen zu TP 13 und Ulp.  19, 2, 15, 6, SZ 117 (2000) 259–263. 44  H. Ankum, ‚Tabula Pompeiana 13: Ein Seefrachtvertrag oder ein Darlehen?‘ IVRA 29 (1978 [1981]) 159; Camodeca, (o. Anm.  42) 178. 41  Die

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offenbar seinen Geschäften nach. Sein Partner war ein gewisser Primus, der dem Sklavenstand angehörte; er ließ durch die Kasse der Bank an Mene­laos tausend denarii auszahlen. Der Sklavenname Primus verrät nichts über seinen Träger; wir wissen nicht einmal, ob er im Rahmen seines Sondervermögens (peculium) oder für seinen Herrn, Publius Attius Severus45, handelte. Die Bank der Sulpizier dürfte am Geschäft lediglich als Zahlungsstelle beteiligt gewesen sein46. Menelaos verspricht, dass er die erhaltenen tausend Denare zurückzahlen werde; die Festsetzung einer Frist oder von Zinsen fehlt aber im Dokument. Es fehlt auch der ausdrückliche Hinweis auf ein Darlehen; allein die bestätigte Rückzahlungspflicht zeigt das Recht des Primus zur Rückforderung. Als causa der empfangenen Zahlung wird eine „besiegelte naulotike“, ein Frachtvertrag, genannt. Menelaos dürfte die tausend Denare als Frachtlohn erhalten haben47. Die Beurkundung als Darlehen erleichterte jedoch die Rückforderung, wenn der Transport nicht erfolgreich durchgeführt wird48. Ab Z. 12 folgt die Bestellung eines Bürgen, in lateinischer Sprache, von einer anderen Hand geschrieben. Quintus Aelius Romanus, der auf Tab.  II pag.  4 als erster Zeuge angeführt wird, schreibt den Text der fideiussio für Marcus Barbatius Celer, weil dieser des Schreibens nicht mächtig ist. Es ist noch bemerkenswert, dass auch die Spuren von sieben signatores gut auszunehmen sind – obwohl chirographa (den Definitionen nach) ohne Zeugen angefertigt sein sollten. Für unser zentrales Thema kann Folgendes festgestellt werden: Offenbar bedeutete es in Puteoli des 1. Jhs. kein Problem, dass jede Partei ihre eigene Sprache benützte49. Es ist anzunehmen, dass der Bürge den griechischen 45  Der Name seines dominus ist auch als Händler auf Transportamphoren überliefert, vgl. Camodeca, (o. Anm.  42) 178. 46  K. Verboven, L’organisation des affaires financières des C. Sulpicii de Pouzzoles (Tabulae Pompeianae Sulpiciorum), CCG 11 (2000), p. 161 ff.; K. Verboven‚ The Sulpicii from Puteoli and usury in the early Roman Empire, TR 71 (2003), p.  10. 47  Zum umstrittenen Inhalt der Urkunde vgl. auch D. Gofas, Encore une fois sur la Tabula Pompeiana 13, in: Symposion 1993, hg. von G. Thür, Köln 1994, 251–266; G. Thür, Die Aestimationsabrede im Seefrachtvertrag, in: Symposion 1993, 267–271; J.  G. Wolf, Aus dem neuen pompejanischen Urkundenfund: Die Naulotike des Menelaos – Seedarlehen oder Frachtvertrag? in: St. Talamanca, 2003, 440  ff.; H. Ankum, Noch einmal: Die naulootike des Menelaos in TP 13 (= TPSulp.  78). Ein Seedarlehen oder Seefrachtvertrag? In: Roman Law as Formative of Modern Legal Systems. Studies in honour of W. Litewski, Krakau 2003, 15–23. 48  So etwa Ulpian D. 19,2,15,6; s. dazu Jakab, (o. Anm.  43) 263  ff. 49  Zum Gebrauch von Fremdsprachen im juristischen Kontext s. A. Wacke, Gallisch, Punisch, Syrisch oder Griechisch statt Latein? Zur schrittweisen Gleichberechtigung der Geschäftssprachen im römischen Reich, SZ 110 (1993) 14–59; A. Bürge, Sprachenvielfalt und Sprachgruppen im Rechtsleben der Stadt Rom – Gedanken zu



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Haupttext verstanden hat (oder der Inhalt ihm übersetzt und erklärt wurde). Für die eigene Obligation zog er trotzdem die eigene Sprache vor (und damit die Sprache der Sulpicii, also der sozialen und geschäftlichen Umgebung). Menelaos bediente sich hingegen seiner Muttersprache – sein chirographum wurde auf Griechisch geschrieben – obwohl er in Puteoli und mit Lateinisch sprechenden Partnern kontrahierte. Die Zweisprachigkeit und der Gebrauch einer Fremdsprache in Campanien dürfte ein starkes Indiz dafür sein, dass Menelaos diese Urkunde tatsächlich eigenhändig verfasste50. Andererseits fällt auf, dass das Formular mit dem der griechischen cheirographa aus Ägypten keineswegs identisch ist. Hiervon abweichend steht hier das Datum (nach den römischen Konsuln) am Anfang des Textes und nicht am Ende. Ebenso wird die Briefform vernachlässigt; man vermisst vor allem die im griechischen Formular unentbehrliche Grußform. Anstatt des Verbums homologoo (ich anerkenne) benützt Menelaos egrapsa (ich habe geschrieben). Dem griechischen Muster ähneln aber die subjektive Stilisierung und die ausdrückliche Erklärung, etwas zu schulden. Die Abweichungen sprechen dafür, dass Menelaos in seiner griechischen Muttersprache einem römischen Formular folgte. Da der Mustertext nicht aus dem griechisch-hellenistischen Milieu stammt, können wir ausschließen, dass Menelaos ein ihm aus seiner Heimat vertrautes Formular vorziehen wollte. Es liegt eher nahe, dass die Sulpicii, die professionellen argentarii oder faeneratores waren51, in ihrer Schreiberstube das gängige Formular in mehreren Sprachen, zumindest neben dem Lateinischen auf Griechisch, bereithielten. Diese Vermutung wird durch den Vergleich mit dem lateinischen Formular bestätigt (TPSulp. 50, 35 n.  Chr.): M(arcus) An[tonius M(arci) f(ilius)] M[a]ximus [scripsi] me accepi[sse et deber]e C(aio) Sul[pi]cio Fau[sto HS] ∞ ∞ n(ummum), [quae ab eo mutua] et n[umerata a]cc[epi] [e]aq[ue HS ∞ ∞] nummu[m, q(uae) s(upra) s(cripta) s(unt), p(roba) r(ecte) d(ari)] stip[ulat]us est C(aius) Su[lpicius Faustus spopo]ndi eg[o] M(arcus) Anton[ius Maximus  …]52. D. 14,3,11,3 und zum Umgang mit Fremdsprachen im heutigen bürgerlichen Recht, in: Fschr. Fritz Sturm I, hg. von J.-F. Gerkens al., Liége 1999, 53–63. 50  Ähnlich dürfte es in TPSulp.  115 gewesen sein: Der Text der stark fragmentarischen tabula ist zwar lateinisch, er wurde aber mit griechischen Buchstaben geschrieben. 51  Zur Diskussion s. etwa J. Andreau, Banking and Business in the Roman World, Cambridge 1999, 50 ff.; P. Gröschler, Die tabellae-Urkunden aus den pompeianischen und herkulanensischen Urkundenfunden, Berlin 1997, 38  ff. 52  TPSulp.  50: „Ich, Marcus Antonius  … habe geschrieben, dass ich erhalten habe und schulde dem C. Sulpicius Faustus Sesterzen 2.000, die ich von ihm, als Darlehen zugezählt, empfangen habe; und diese 2.000 Sesterzen, die oben geschrieben sind, in geprüfter Münze und richtig zu geben hat sich C. Sulpicius Faustus versprechen lassen und habe ich, Marcus Antonius, versprochen  …“. Übersetzung

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Marcus Antonius Maximus53 erklärt, dass er von Caius Sulpicius Faustus zweitausend Sesterzen als Darlehen empfangen hat. Auf den ersten Blick fällt die große Ähnlichkeit mit dem griechischen cheirographon des Mene­ laos auf. Ein wesentlicher Unterschied liegt darin, dass hier auf die Mitwirkung eines Bürgen verzichtet wurde; anstatt dessen fügt der Schuldner seinem chirographum noch eine beurkundete Stipulation an. Die Wendung accipere et debere ist eine neue Variante im Text, die wir in der griechischen Version nicht finden54. Die lateinische Terminologie zeigt deutlich, dass hier mehrere causae obligationis dokumentiert wurden, die wahlweise verschiedene Klagen ermöglichen55: Der Text bestätigt zunächst die numeratio, die Zuzählung in baren Münzen, in die Hände des Schuldners. Der terminus technicus Darlehen (mutuum) ist im römischen Recht eng aufzufassen: Es bezeichnet nur die unmittelbare Zuzählung von vertretbaren Sachen, wodurch der Schuldner verpflichtet wird, die gleiche Menge in gleicher Art und Güte zurückzuzahlen (Gattungsschuld). Beide Rechtsgründe – chirographum und numeratio – erzeugen also je eine Klage. Dem folgt noch, ebenfalls subjektiv stilisiert, die Beurkundung einer Stipulation, woraus eine weitere strengrechtliche Klage auf die Rückforderung entstand. Das Beweisprogramm in einem künftigen Prozess mußte – je nach der gewählten Klage – unterschiedlich aufgebaut werden: Wurde aus dem mutuum geklagt, mußte die Zuzählung der Darlehensvaluta (numeratio = Traditio = Eigentumsübertragung) bewiesen werden; wurde aus dem Chirographum geklagt, mußte der geschriebene Schuldschein vorgelegt werden; wurde aus der Stipulation geklagt, mußte die mündlich ausgeführte Frage und die übereinstimmende Antwort bezeugt werden56. Für den modernen Rechtshistoriker könnte die freie Mischung der Urkundenformen und Anspruchsgrundlagen problematisch erscheinen: Der nach P. Gröschler, Die Konzeption des mutuum cum stipulatione, TR 74 (2006) 261–287. 53  Es ist auffällig, dass der Schuldner neben seinen tria nomina auch sein Patrocinium anführt. 54  Die Wendung kommt übrigens auch in griechischen Urkunden mit starker Anlehnung an das römische Formular vor, s. etwa P. Yadin 11, Z. 2–3. 55  Zum Thema s. É. Jakab, Vertragspraxis und Bankgeschäfte im antiken Puteoli: TPSulp. 48 neu interpretiert, in: Pistoi dia ten technen. Bankers, Loans and Archives in the Ancient World, Studies in Honour of R. Bogaert, hg. von K. Verboven / K. Vandorpe / V. Chankowski, Stud. Hell. 44, Leuven 2008, 328  f. 56  Auch in diesem Text werden weder eine Rückzahlungsfrist noch Zinsen erwähnt. Eine mögliche Erklärung dafür dürfte darin liegen, dass die jeweils fälligen Zinsen in der Alltagspraxis am Monatsanfang gezahlt werden mußten: Der Schuldner wurde dadurch mittelbar zur pünktlichen Leistung gezwungen, weil der Gläubiger bei Verzug sofort das ganze Kapital samt Zinsen einklagen konnte; vgl. Gröschler, (o. Anm.  51) 152  ff.



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Text setzt als chirographum ein, dem aber sogleich – an das Formular der testatio angelehnt – eine Stipulation mit Zeugen angehängt wird. In der modernen Theorie werden chirographa und testationes gerne gegenübergestellt57. Im gut dokumentierten Rechtsleben des antiken Puteoli findet man jedoch zahlreiche Dokumente, die das Formular mit einer Stipulation kombinieren. Das chirographum-Formular wird in der Bank der Sulpizier mit großer Vorliebe verwendet. Wir begegnen ihm in Darlehensgeschäften58, Quittungen59, in einer Empfangsbestätigung aus einem Frachtvertrag60, in Quittungen aus Versteigerungen61 und Verpachtungen von Lagerhäusern62. Aus den 95 gut erhaltenen Urkunden des Bankhauses zeigen 31, also beinahe ein Drittel, diese Beurkundungsform. Ein rascher Vergleich der Inhalte innerhalb des Archivs zeigt, dass chirographa vor allem bei Darlehen und sonstigen Geldgeschäften verwendet wurden. Die wenigen erhaltenen Kaufurkunden sind alle als traditionelle testationes abgefasst (TPSulp. 42–44), also als objektiv, in der dritten Person stilisierte und von Zeugen bestätigte Berichte über das vollzogene Rechtsgeschäft63. Die Beurkundung in Form eines chirographum mit anschließender Stipulation war bei den Sulpiziern ebenfalls sehr häufig. Wir finden diese Praxis in allen Darlehensurkunden64, in den Quittungen65 und in diversen weiteren Geschäften66. Aber wie steht es mit der Eigenhändigkeit, die unsere zentrale Frage bildet? Eine rasche Untersuchung zeigt, dass wir auch in Puteoli Dokumente finden, die von fremder Hand ausgestellt wurden (TPSulp. 98, Tab. I pag. 2, Z. 4–7): Q(uintus) Poblicius C+[– – – scripsi rogatu] et man[datu – – – Philocomi] coram  ips[o, quod is negaret se] litteras sc[ire, eum accepisse?] ab C(aio) 57  So etwa Kaser / Knütel, (o. Anm.  8) 50  f.; ähnlich auch Jörs / Kunkel / Wenger, (o. Anm.  40) 99  f. 58  TPSulp.  50–57, 66–69. 59  TPSulp.  70–77. 60  TPSulp.  78. 61  TPSulp.  78, 81, 100–103. 62  TPSulp.  45–46. 63  s. dazu W. Kunkel, Epigraphik und Geschichte des römischen Privatrechts, in: Vestigia. Beiträge zur Alten Geschichte, B.  17: Akten des VI.  Internationalen Kongresses für Griechische und Lateinische Epigraphik, München 1972, 218  ff. 64  TPSulp.  50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57 mutua cum stipulatione; TPSulp.  66, 67, 68, 69 pecunia debita in stipulatione deducta. 65  TPSulp.  70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77 alle apochae. 66  TPSulp.  45, 46.

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Sulpici[o – – – HS – – –] millia [nummum – – –] sibi quem[– – –] eius stipu[latus est? – – –]  …67.

Anstatt der eigenhändigen Schrift wurde hier die Beurkundung durch dritte Hand, durch einen Vertreter, ausgeführt, weil der Schuldner nicht schreiben konnte. Es ist bemerkenswert, dass der rechtsgeschäftliche Inhalt dem entsprechend korrekt in dritter Person formuliert wurde: Das traditionelle Formular in „Ich-Form“ wurde umgestellt. Es handelt sich hier um die Ausnahme des Analphabetismus, die bereits L. Wenger nannte68. Auch Lucius Patulcius Epaphroditus springt in TPSulp. 82 für jemanden als Schreibkraft ein (Tab. I pag. 2, Z. 4–7): L(ucius) Patulcius Epaphroditus scrips[i] rogatu et mandatu Patu[lc]iae Erotidis libertae meae, coram ipsa eam accepisse ab C(aio) Sulp[i]cio [Ci]nnamo  …69.

Die Namen sprechen für sich und erzählen eine runde Geschichte. In der Bank der Sulpizier erschien eine Dame, um ein Darlehen abzuheben; sie war aber keine freigeborene Römerin, sondern die Freigelassene ihres Begleiters. Der Text behauptet nicht, dass Patulcia des Schreibens nicht mächtig wäre – das chirographum wurde trotzdem von einer fremden Hand, von ihrem Pa­ tron, ausgestellt. Es ist die Bestätigung über den Empfang der dargeliehenen Summe, die der Patron für sie mit bindender Schrift anerkennt – übrigens korrekt in der dritten Person formuliert. TPSulp. 98 und 82 zeigen, dass in derartigen Fällen auch der Text rasch geändert wurde70: Anstatt der typischen (und in den Definitionen vorausgesetzten) Ich-Form wurde sofort die dritte Person verwendet. Neben den oben dargestellten zwei Urkunden kennt man noch weitere drei die von einer fremden Hand geschrieben wurden71. Jedenfalls haben wir mit TPSulp. 82 ein chirographum vor uns, das ohne einen direkten Bezug auf den Analphabetismus von fremder Hand geschrie67  TPSulp.  98: „Ich, Q. Poblicius C. habe geschrieben auf Bitten und im Auftrag des Philocomus, in seiner Gegenwart, weil er nicht schreiben kann, dass er empfangen hat  …“. 68  Es ist bemerkenswert, dass im Archiv der Sulpizier dieser Grund insgesamt nur in zwei Urkunden genannt wird. 69  TPSulp.  82: „Ich, L. Patulcius Epaphroditus habe geschrieben auf Bitten und im Auftrag der Patulcia Erotis, meiner Freigelassenen, in ihrer Gegenwart, dass sie empfangen hat  …“. 70  Wie wir oben gesehen haben, ignoriert das griechische Formular den Umstand, dass die Eigenhändigkeit fehlt. Nur die hypographe verrät, dass der Text nicht vom Schuldner selbst verfasst wurde. 71  In TPSulp.  45, 46 schreiben den Text des chirographum Sklaven auf Geheiß ihres dominus. In TPSulp.  58 stammt der fragmentarische Text von einem Sklaven, der für seine Herrin handelt, aber die Urkunde im eigenen Namen schreibt. Die Tatsache, dass manche Urkunden von einer fremden Hand geschrieben wurden, sieht bereits Wolf, (o. Anm. 13) 29 – ohne jedoch auf das Problem näher einzugehen oder seine Definition zu ändern.



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ben wurde. Nebenbei sei bemerkt, dass kein chirographum im Archiv der Sulpizier überliefert ist, das von einer Frau geschrieben worden wäre. Vermögende Damen nahmen üblicherweise mit Hilfe von Vertretern (Sklaven, Freigelassenen, procuratores oder bloß mithilfe der Bank) am Geschäftsleben teil. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass im Archiv der Sulpicii mehrere Belege überliefert sind, die gegen die notwendige Eigenhändigkeit eines chirographum sprechen. Es fällt weiterhin auf, dass diese Dokumente immer korrekt angeben, dass der Text nicht vom Schuldner niedergeschrieben wurde. Als Grund für die Fremdhändigkeit wird der Analphabetismus nur in zwei Dokumenten genannt72. Weitere, vielleicht soziale, Gründe können das Geschlecht (Kreditgeschäfte der Frauen) oder der höhere soziale Stand des Schuldners gewesen sein. In diesen Fällen wird die Formulierung des Textes sogleich in die dritte Person Singular umgestellt. All das spräche dafür, dass die sonstigen chirographa (die in der Ich-Form lauten) eigenhändig vom Schuldner geschrieben worden seien – aber darauf werden wir sogleich noch zurückkommen. Ein weiteres interessantes Merkmal ist die Mehrsprachigkeit: Das Formular lag offenbar nicht nur auf Lateinisch, sondern zumindest auch auf Griechisch vor. Diese Phänomene und die zahlreichen sprachlichen Fehler in Texten im Vulgärlatein73 deuten an, dass der Text von einem Bankangestellten diktiert oder von einem vorgelegten Mustertext flüchtig abgeschrieben wurde74. Ein anschauliches Beispiel liefert dafür TPSulp. 115, wo der lateinische Text in griechischen Buchstaben wiedergegeben wird75: Hier liegt das Diktat auf der Hand. Das durch Überlegungen gewonnene Bild wird durch eine bemerkenswerte Erscheinung bestätigt: Analysiert man die Handschriften in den erhaltenen tabulae, fällt auf, dass die Innen- und Außenschrift oft von unterschiedlicher Hand ausgeführt wurden. Das weist darauf hin, dass die Täfelchen häufig vom Bankpersonal vorbereitet und zum Teil auch schon geschrieben wurden. Man dürfte also ähnlich vorgegangen sein, wie es Yiftach-Firanko für die Schreiberbüros im römischen Ägypten nachgewiesen hat: Die Professionellen 72  TPSulp.  78,

98. den sprachlichen Fehlern vgl. J. G. Wolf, Urkunden in Vulgärlatein aus den Jahren 37–39 n.  Chr., Abh. der Heid. Ak. Phil.-hist. Kl., Heidelberg 1989, 44  ff. 74  Die Vorlage dieses Manuskripts bildete meinen Vortrag auf der oben (Anm.  3) genannten Tagung in Rom, 2008. In seinem 2010 erschienenen Buch kommt Wolf  – unabhängig von meinen Forschungen – zu ähnlichen Schlüssen, s. Wolf, (o. Anm.  13) 21. 75  Zum Text s. J.  G. Wolf, Graeca leguntur, ZPE 45 (1982) 245–253, neu abgedruckt Ders., Aus dem neuen pompejanischen Urkundenfund, Berlin u. a. 2010, 48–61. 73  Zu

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fertigten die tabulae an und schrieben überwiegend den Text. Sie waren gewiss geübter und flinker als die Kunden, die unterschiedlichen Alters und sozialen Standes waren. Das Bild wird noch präziser durch die Beobachtung, dass in den oben erwähnten Dokumenten in Vulgärlatein allein die Innenschrift der Triptycha die grobe Sprache zeigt. Die Außenschrift ist sauber und in tadellosem Latein geschrieben. Das führt zu dem Ergebnis, dass die Eigenhändigkeit, wenn überhaupt, allein bei der Innenschrift erwartet wurde. V. Das chirographum in den Juristenschriften In den Schriften der klassischen römischen Juristen (wie sie uns in den Digesten Justinians überliefert sind) wird das chirographum in überraschend vielen Stellen thematisiert. Die Untersuchung kann auch hier keine Vollständigkeit anstreben, bloß einige Sachverhalte seien hervorgehoben. Modestin zitiert das bereits in Puteoli bekannte Formular (D. 22,1,41,2): Ab Aulo Agerio Gaius Seius mutuam quandam quantitatem accepit hoc chirographo: ‚ille scripsi me accepisse et accepi ab illo mutuos et numeratos decem, quos ei reddam kalendis illis proximis cum suis usuris placitis inter nos  …‘76.

Herennius Modestinus77 stellt hier den Text einer ihm vorgelegten Urkunde in anonymisierter Fassung dar: Gaius Seius und Aulus Agerius sind typische Blankettnamen, die anstatt der konkreten Personennamen angeführt werden. Der Jurist dürfte seine „Kunden“ nicht öffentlich haben nennen wollen. Im Sachverhalt geht es um ein Darlehensgeschäft mit einer in der Urkunde nicht bezifferten Zinsabrede. Modestin wurde darüber gefragt, ob aufgrund dieser Urkunde (chirographum) vom Schuldner überhaupt Zinsen verlangt werden können78. Uns interessiert vor allem das korrekt zitierte Formular, das außer dem Zinsfuß alle juristisch relevanten Elemente enthält: Die Bestätigung des Empfangs eines gewissen Geldbetrags, die Bezeichnung der causa numera­ tionis (mutuum) und die deklarierte Rückzahlungspflicht, die hier mit einer 76  D. 22,1,41,2: „Gaius Seius hat von Aulus Agerius einen bestimmten Geldbetrag als Darlehen mit dem folgenden Chirographum erhalten: ‚Ich, der und der, habe geschrieben, dass ich erhalten habe und erhielt von dem und dem zehn (Goldstücke) als Darlehen zugezählt, die ich ihm zurückgeben werde am kommenden Ersten des und des Monats mit den zwischen uns vereinbarten Zinsen‘  …“ Die Übersetzungen aus den Digesten folgen überwiegend der Ausgabe O. Behrends / R. Knütel / B. Kupisch / H.  H. Seiler, Corpus Iuris Civilis (Text und Übersetzung), Bd. II–IV, Heidelberg 1995–2005. 77  Zur Laufbahn s. W. Kunkel / D. Liebs, Die römischen Juristen. Herkunft und soziale Stellung, 2. Aufl., Nachdruck 2001, 259. 78  Modestin verneint es: Der Schuldner könne nicht dazu gehalten werden, weil die Höhe der vereinbarten Zinsen aus dem Schriftstück nicht hervorgehe. Zu dem Problem der unbestimmten Zinsabreden s. Gröschler, (o. Anm.  51) 156  ff.



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genauen Frist festgehalten wurde. Modestin deutet in keiner Weise an, dass es auf die Eigenhändigkeit der Schrift ankommen würde. Auch die in Puteoli verwendete Kombination von chirographum und Stipulation wird in den Entscheidungen der Juristen besprochen (Paulus D. 12,1,40): ‚Lucius Titius scripsi me accepisse a Publio Maevio quindecim mutua numerata mihi de domo et haec quindecim proba recte dari kalendis futuris stipulatus est Publius Maevius, spopondi ego Lucius Titius‘79.

Offenbar geht es um ein gängiges Formular in Kreditgeschäften, die nicht nur im Bankhaus der Sulpizier Anwendung fand. Der erste Teil enthält ein typisches chirographum; die Wendung ex domo kommt in Darlehensurkunden öfter vor und soll die Zuzählung in barem Geld, ohne Mitwirkung einer Bank bezeichnet haben80. Für das vorliegende Thema ist relevant, dass die anschließende Stipulation ebenfalls subjektiv stilisiert ist (wie wir es bereits bei den Sulpicii beobachtet haben). Schließlich betrachten wir noch eine Entscheidung des Herennius Modestinus, welche die zentrale Frage der Eigenhändigkeit berührt (D. 20,1,26,1): Pater Seio emancipato filio facile persuasit, ut, quia mutuam quantitatem acciperet a Septicio creditore, chirographum perscriberet sua manu filius eius, quod ipse impeditus esset scribere  …81.

Der berühmte Jurist bespricht den wahrscheinlich nicht seltenen Fall, dass ein pater familias anlässlich seiner Kreditgeschäfte die Hilfe seines erwachsenen, emanzipierten Sohnes in Anspruch nimmt. Der Vater hatte mit dem Gläubiger Septicius – vielleicht handelte es sich um einen Bankier – vereinbart, dass er bei ihm eine bestimmte Summe Geldes als Darlehen aufnehmen werde. Septicius bestand offenbar darauf, dass beim Empfang der Darlehensvaluta (nach handelsüblicher Praxis) ein chirographum ausgestellt werde. Der Jurist teilt komprimiert mit, dass der Vater am Schreiben gehindert gewesen sei; als Ursache dafür käme Krankheit oder Abwesenheit in Frage. Die Fortführung des Textes macht eindeutig, dass der Sohn mandante patre manu sua perscripsit, er hat also das chirographum zwar eigenhän79  D. 12,1,40: „Ich, Lucius Titius, habe geschrieben, dass ich erhalten habe von Publius Maevius fünfzehn Goldstücke als Darlehen, von zu Hause mir zugezählt; und Publius Maevius hat (in Stipulationsform) gefragt, ob diese fünfzehn in guter Münze und rechtmäßig an einem künftigen (bestimmten) Monatsersten zurückgezahlt werden und ich habe zugestimmt  …“. 80  Camodeca, (o. Anm.  42) 154. 81  D. 20,1,26,1: „Ein Vater, der ein Darlehen vom Gläubiger Septicius aufnehmen wollte, überredete ohne Schwierigkeiten seinen aus der Hausgewalt entlassenen Sohn Seius dazu, dass der Sohn einen Schuldschein (Chirographum) eigenhändig ausstellte, weil er selbst am Schreiben gehindert war  …“.

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dig, aber bloß im Auftrag des Vaters (nicht im eigenen Namen) ausgestellt. Modestin wurde darüber gefragt, ob ein dem Sohn gehörendes Haus, das auf Bitte des Vaters im Schriftstück als Pfand erwähnt wurde, bloß aufgrund des eigenhändig – vom Sohn – geschriebenen Schriftstücks, ohne einer zusätzlichen Verpfändungsurkunde, heraus verlangt werden könne. Das pfandrechtliche Problem kann hier ausgeklammert bleiben82. Uns interessiert allein die Tatsache, dass Seius das chirographum für seinen Vater schrieb. Septicius, der Gläubiger, nahm keinen Anstoß darauf, dass das chirographum über die Hauptschuld von fremder Hand geschrieben wurde. Modestin erwägt auch nur den problematischen Pfandanspruch, die mangelnde Eigenhändigkeit des chirographum löst überhaupt keine Zweifel aus. Modestins Fall zeigt, dass die allgemein anerkannte und sehr verbreitete Definition des chirographum als „eigenhändig geschriebener Schuldschein“ präzisiert werden muss. Es ist denkbar und galt offenbar als selbstverständlich, dass das chirographum im Auftrag des Schuldners auch von fremder Hand geschrieben werden konnte. Das Schriftstück erzeugt auch in diesem Fall die Obligation zwischen den in der Urkunde schriftlich als Schuldner und Gläubiger festgelegten Parteien. VI. Zusammenfassung Zusammenfassend kann Folgendes festgestellt werden: Das chirographum erschien bereits in der republikanischen Zeit als eigenständiger Urkundentyp in den römischen Quellen. Im juristischen Kontext wird es als selbständige Anspruchsgrundlage angesehen, die insbesondere im Kreditwesen mit großer Vorliebe verwendet wurde. Eine gewiss noch zu vertiefende Prüfung des Urkundenmaterials und der Juristenschriften hat zu dem Ergebnis geführt, dass die lateinischen chirographa ein festes Formular zeigen (scripsi me accepisse). Sie wurden überwiegend subjektiv formuliert, vom Schuldner in Ich-Form eigenhändig geschrieben. Es sind jedoch auch Belege für chirographa erhalten, die stellvertretend von einem Dritten und dementsprechend in der 3.  Person ausgestellt wurden. Die im Schrifttum verbreitete Definition erfasst zweifelsohne die überwiegende Tendenz, kann aber durch ihre dogmatisch-systematisierende Strenge zu Verzerrungen und Missverständnissen führen. Es wurden keine Belege dafür gefunden, dass die Eigenhändigkeit der Schrift ein zwingendes Element (essentiale negotii) gewesen wäre. Irreführend ist ferner die strikte Trennung zwischen chirographa und testationes. Die beiden Urkundentypen wurden in der Rechtspraxis des Alltags oft kombiniert. 82  s. dazu etwa M. Kaser, SZ 78 (1961) 203  ff.; A. Wacke, SZ 91 (1974) 262  ff.; die Handschrift des Sohnes wird als „stillschweigende Verpfändung“ gewertet.

Besserlesungen in den Vulgathandschriften gegenüber Codex Florentinus und Basiliken?* Zur Genuinität der erneuten Inskription vor D. 3, 5, 30, 3 (Pap. 2 resp.) in den Handschriften des Digestum vetus Von Wolfgang Kaiser I. D. 3, 5, 30 (Pap. 2 resp.) nach der Edition Mommsens In D. 3, 5, 30, einem Exzerpt aus dem zweiten Buch der Responsen Papinians, in das eine nota Ulpians integriert ist1, beginnen die Handschriften des Digestum vetus nach dem Ende der nota und vor dem Wiederbeginn der Responsen ein neues Digestenfragment, das eine vollständige Inskrip­ tion einleitet. Mommsen übernahm die Textanordnung der Vulgathandschriften freilich nicht in seine Digestenedition. D. 3, 5, 30 lautet nach ed. mai. 1, S. 105, 34–106, 17 (Hervorhebung der nota Ulpians vom Verf.): Papinianus libro secundo responsorum. Liberto vel amico mandavit pecuniam accipere mutuam: cuius litteras creditor secutus contraxit et fideiussor intervenit: etiamsi pecunia non sit in rem eius versa, tamen dabitur in eum negotiorum gestorum actio creditori vel fideiussori, scilicet ad exemplum institoriae actionis. * Abgekürzt werden zitiert: Digesta Iustiniani Augusti, ed. Th. Mommsen, 2 Bde., Berlin 1868–1870 (=  ed. mai. mit Band-, Seiten- und Zeilenangabe); Basilicorum libri LX, Series A (Textus), edd. H. J. Scheltema / N. van der Wal / D. Holwerda, 8 Bde., Groningen u. a. 1955–1988 (=  BT mit Band-, Seiten- und Zeilenangabe); Basilicorum libri LX, Series B (Scholia), edd. H. J. Scheltema / N. van der Wal / D. Holwerda, 13 Bde., Groningen u. a. 1953–1985 (= BS mit Band-, Seiten- und Zeilenangabe). 1  s. zu den notae klassischer Juristen nur die Zusammenstellung bei D. Liebs, Rechtsschulen und Rechtsunterricht im Prinzipat, in: H. Temporini (Hg.), Aufstieg und Niedergang der Alten Welt II, Bd. 15, Berlin / New York 1976, S. 196–286, 218–219 sowie die Nachweise bei ders., Jurisprudenz, in: K. Sallmann (Hg.), Die Literatur des Umbruchs. Von der römischen zur christlichen Literatur 117 n. Chr. bis 284 n. Chr. (HdA 8, 4), München 1997, S. 83–217 passim. Zusammenfassend J. Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, Freiburg i. Br. 1980, S. 23–29 sowie die Rezension hierzu von D. Liebs, in: IURA 32 (1981 [1984]), S. 280–290.

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1.  Inter negotia Sempronii, quae gerebat, ignorans Titii negotium gessit: ob eam quoque speciem Sempronio tenebitur, sed ei cautionem indemnitatis officio iudicis praeberi necesse est adversus Titium, cui datur actio. idem in tutore iuris est. 2.  Litem in iudicium deductam et a reo desertam frustratoris amicus ultro egit, causas absentiae eius allegans iudici: culpam contraxisse non videbitur, quod sententia contra absentem dicta ipse non provocavit. Ulpianus notat: hoc verum est, quia frustrator condemnatus est: ceterum si amicus, cum absentem defenderet condemnatus, negotiorum gestorum aget, poterit ei imputari, si cum posset non appellasset. 3.  Qui aliena negotia gerit, usuras praestare cogitur eius scilicet pecuniae, quae purgatis necessariis sumptibus superest. 4.  Libertos certam pecuniam accipere testator ad sumptum monumenti voluit: si quid amplius fuerit erogatum, iudicio negotiorum gestorum ab herede non recte petetur nec iure fideicommissi, cum voluntas finem erogationis fecerit. 5.  Tutoris heres impubes filius ob ea, quae tutor eius in rebus pupillae paternae gessit, non tenetur, sed tutor proprio nomine iudicio negotiorum gestorum convenietur. 6.  Quamquam mater filii negotia secundum patris voluntatem pietatis fiducia gerat, tamen ius actoris periculo suo litium causa constituendi non habebit, quia nec ipsa filii nomine recte agit aut res bonorum eius alienat vel debitorem impuberis accipiendo pecuniam liberat. 7.  Uno defendente causam communis aquae sententia praedio datur: sed qui sumptus necessarios ac probabiles in communi lite fecit, negotiorum gestorum actionem habet.

Das zweite Buch der Responsen Papinians handelt von der negotiorum gestio2. Das principium betrifft den Regress des Gläubigers oder des Bürgen, wenn der Geschäftsherr einen Dritten mit der Aufnahme eines Darlehens beauftragt hatte. § 1 behandelt einen Irrtum des Geschäftsführers über den Geschäftsherrn3. Der zweite Paragraph erörtert die Haftung des Geschäftsführers, der für eine säumige Streitpartei einen bereits begonnenen Prozess fortführte, freilich nach Prozessverlust nicht die zweite Instanz anrief. § 3 hält fest, dass ein Geschäftsführer, der im Rahmen der Geschäftsführung Geld erlangte, dieses zu verzinsen hat, freilich abzüglich der notwendigen Auslagen. Die weiteren Paragraphen betreffen die Erstattung der Kosten für ein Grabmonument, die den Geldbetrag, den der Erblasser für dessen Errichtung ausgesetzt hatte, überstiegen (§ 4), die Haftung des Erben eines Vormunds (§ 5), die Prozessführung einer Mutter für ihren Sohn (§ 6) sowie den Regress eines Miteigentümers, der der Klage eines Dritten, die das gemeinsame Grundstück betraf, allein entgegentrat (§ 7)4. dazu O. Lenel, Palingenesia iuris civilis, Bd. 1, Leipzig 1889, Sp. 885 Nr. 414. den Paragrapheneinteilungen in den Digestenausgaben s. nur W. Kaiser, Art. Digesten (Überlieferung), in: Der Neue Pauly 13 (1999), Sp. 845–852, 850. 2  s.

3  Zu



Besserlesungen in den Vulgathandschriften

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Von Ulpian annotiert ist – jedenfalls in der Überlieferung der Digesten  – nur der zweite Paragraph5. Papinian verneint im geschilderten Fall ein Verschulden des Geschäftsführers (dieser haftet daher nicht mit der actio negotiorum gestorum contraria6). Ulpian merkt an, dass Papinians Entscheidung zutreffe, da hier der Säumige selbst verurteilt worden sei. Anders sei aber zu entscheiden, wenn der Geschäftsführer von vornherein den Prozess für einen Abwesenden übernommen und bei einer Verurteilung nicht die zweite Instanz angerufen habe. 4

Die nota Ulpians reicht von hoc verum est bis non appellasset. Ab Qui aliena spricht erneut Papinian7, dessen Ausführungen sich bei Mommsen unmittelbar an die nota anschließen. Es bleibt hiernach also dem Leser überlassen, festzustellen, wo die nota aufhört und die Responsen wieder einsetzen. Diese Textgestalt bezeugt, wie eingangs schon erwähnt, nur ein Teil der Digestenüberlieferung. II. Zur Überlieferung von D. 3, 5, 30 1. Der Codex Florentinus Digestorum Im Codex Florentinus Digestorum8, der einzigen vollständig erhaltenen spätantiken Digestenhandschrift9, folgt der Text Papinians ohne besondere 4  s. zu der jeweiligen juristischen Problematik des Principium und der folgenden Paragraphen nur die Ausführungen und Nachweise bei H. Seiler, Der Tatbestand der negotiorum gestio im Römischen Recht, Köln / Graz 1968, S. 337, Register s. v. D. 3, 5, 30 sowie bei G. Finazzi, Ricerche in tema di negotiorum gestio, Bd. 1: Azione pretoria ed azione civile, Napoli 1999, S. 436, Register s. v. D. 3, 5, 30, Bd. 2, 1: Requisiti delle actiones negotiorum gestorum, Napoli 2003, S. 642, Register s. v. D. 3, 5, 30, Bd. 2, 2: Obbligazioni gravanti sul gestore e sul gerito e resonsabilità, Napoli 2006, S. 378, Register s. v. D. 3, 5, 30. 5  s. zu den Noten Ulpians und Paulus’ zu Papinian ausführlich B. Santalucia, Le note pauline ed ulpianee alle „Quaestiones“ ed ai „Responsa“ di Papiniano, in: BIDR 68 (1965), S. 49–146 (dort S. 52 Fn. 14 eine Zusammenstellung der notae, die noch in den Digesten erhalten sind), zur vorliegenden Stelle s. dort S. 104–107; Liebs, Jurisprudenz (o. Fn. 1), S. 154–155 (Paulus), 179 (Ulpian). 6  s. hierzu nur z. B. Finazzi, Ricerche 2, 1 (o. Fn. 4), S. 78–79. 7  s. etwa nur Santalucia (o. Fn. 5), S. 106. 8  Von der Handschrift liegen zwei Faksimileausgaben vor: Iustiniani Augusti Digestorum seu Pandectarum codex Florentinus olim Pisanus phototypice expressus, Roma, 1902–1910 sowie Iustiniani Augusti Pandectarum codex Florentinus, curavv. A. Corbino / B. Santalucia, 2 Bde., Florenz 1988. Hier wurde die ältere Ausgabe benutzt. 9  s. zu der Handschrift nur W. Kaiser, Schreiber und Korrektoren des Codex Florentinus, in: ZRG RA 118 (2001), S. 133–219 (dort S. 135 auch zu den Mängeln der neueren Faksimileausgabe); ders., Zum Aufbewahrungsort des Codex Florentinus in Süditalien, in: F. Theisen / W. E. Voss (Hgg.), Glosse, Summe, Kommentar. Juristi-

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Kennzeichnung unmittelbar auf die nota Ulpians. Im Codex Florentinus schrieb Manus I die Bücher 1–410. Die Korrektur teilten sich hingegen zwei der drei Hauptkorrektoren der Handschrift (Korrektor 1 und 2). D. 3, 5 korrigierte der Korrektor 211, der über ein Vergleichsexemplar der Digesten verfügte, das mit der Vorlage der Manus I nicht identisch war12. Cod. Flor., Bd. 1, f. 67rb / 9–11. 28–3613:  9 10 11 … 28 29 30 31 32 33 34 35 36

sches und Rhetorisches aus Kanonistik und Legistik (Osnabrücker Schriften zur Rechtsgeschichte 2, 1), Osnabrück 2000, S. 95–124; ders., Zur Herkunft des Codex Florentinus. Zugleich zur Florentiner Digestenhandschrift als Erkenntnisquelle für die Redaktion der Digesten, in: A. Schmidt-Recla / E. Schumann / F. Theisen (Hgg.), Sachsen im Spiegel des Rechts, Köln, Weimar 2001, S. 37–55; R. Röhle, Neue Lesarten zum Text des Codex Florentinus, in: ZRG RA 122 (2005), S. 62–90; A. Ciaralli, Materiali per una storia del diritto in Italia Meridionale. „Kleine Ergänzungen“ alla storia del Codex Florentinus, in: V. Colli / E. Conte (Hgg.), Iuris historia. Liber amicorum Gero Dolezalek, Berkeley 2008, S. 17–35; F. Bartol Hernández, Suntne Codicis Florentini librarii graeci aut latini?, in: SDHI 74 (2008), S. 713–735 (ohne Heranziehung moderner Literatur). 10  s. zur Tätigkeit der Manus I Kaiser, Schreiber und Korrektoren (o. Fn. 9), S. 137, 143–149. – Zu den sonstigen spätantiken Digestenfragmenten s. Kaiser, Art. Digesten (o. Fn. 3), Sp. 846. 11  Zur Korrektorenverteilung für D. 1–4 s. Kaiser, Schreiber und Korrektoren (o. Fn. 9), S. 172, zum Korrektor 2 ebenda S. 193–196. 12  s. dazu Kaiser, Schreiber und Korrektoren (o. Fn. 9), S. 188. 13  Diese und die folgenden Abbildungen sind dem Exemplar der Faksimileausgabe Roma, 1902–1910 (o. Fn. 8) entnommen, die sich am Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung in Freiburg befindet.



Besserlesungen in den Vulgathandschriften

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Transkription: Papinianus libro secundo responsorum |10 liberto uel amico mandauit pecuniam |11 accipere mutuam cuius litteras creditor … |28

uidebitur quod sententia contra ab |29sentem dicta ipse non prouocauit ulpi anus notat hoc uerum est quia frust |31strator condemnatus est ceterum |32 si amicus cum absentem defenderet |33 condemnatus negotiorum gestorum |34 aget poterit imputeari si cum posset |35 non appaellasset qui aliena negotia ge |36 rit usuras praestare cogitur eius sci |30

Vom Korrektor 2 stammen die Verbesserungen in Z. 29 (procauit zu prouocauit), Z. 31 (fru|stator zu fru|strator) sowie Z. 34 (imputeri zu imputari). Zwei weitere Korrekturen in Z. 35 (appallasse zu appellasset) rühren nicht mehr vom Korrektor 2 her, sondern von einer anderen spätantiken Hand, die im Bereich von D. 2, 9–4, 4, 11 gelegentlich kleinere Korrekturen anbrachte (Emendator 114). Diese Hand war erst nach dem Korrektor 2 tätig, ein Vergleichsexemplar der Digesten hatte sie nicht vorliegen15. Im Codex Florentinus ist der Wiederbeginn der Responsen bei Qui aliena negotia (§ 3) nicht durch eine Wiederholung der Inskription zu D. 3, 5, 30 oder zumindest die Nennung des Namens von Papinian kenntlich gemacht. Die Inskription dürfte schon in der Vorlage der Manus I gefehlt haben (s. dazu unten S. 319). Da auch der Korrektor 2 den nahtlosen Übergang von der nota Ulpians zum Papinianstext unbeanstandet ließ, obgleich er Fehler in dem Fragment verbesserte, dürfte auch in seinem Exemplar die Inskription gefehlt haben16. In der Gestalt des Codex Florentinus ging D. 3, 50, 30 in zahlreiche Digestenausgaben17 über. Sie findet sich erstmalig in der Ausgabe von L. Torelli aus dem Jahre 155318, in jüngerer Zeit etwa in den Editionen von 14  Zum Emendator 1 s. Kaiser, Schreiber und Korrektoren (o. Fn. 9), S. 204, dort S. 205–207 auch zu den drei weiteren nachweisbaren spätantiken Händen. 15  s. Kaiser, Schreiber und Korrektoren (o. Fn. 9), S. 203. 16  Vorausgesetzt freilich, dass er die Korrektur vermittels eines fortwährenden Abgleichs mit seinem weiteren Digestenexemplar durchführte und nicht nur bei ihm auffallenden Textfehlern seine Vergleichshandschrift konsultierte. Zur Methode der Korrektoren s. Kaiser, Schreiber und Korrektoren (o. Fn. 9), S. 173–176. 17  Zur Entwicklung der Digestenausgaben s. nur den Überblick bei Kaiser, Art. Digesten (o. Fn. 3), Sp. 848–851; am ausführlichsten immer noch E. Spangenberg, Einleitung in das Römisch-justinianeische Rechtsbuch, Hannover 1817, 645– 929. 18  s. Digestorum seu Pandectarum libri quinquaginta ex Florentinis Pandectis repraesentati, Florentiae 1553 (Nachdruck Frankfurt a. M. 2004), S. 87–88 (D. 3, 5, 31). Zur Ausgabe s. das Vorwort von H. J. Troje zum Nachdruck sowie Kaiser, Art. Digesten (o. Fn. 3), Sp. 849–850.

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Wolfgang Kaiser

G. Gebauer und E. Spangenberg19, von J. L. W. Beck20, der Gebrüder Kriegel21 sowie in der kritischen Edition Mommsens, der hierauf basierenden Stereotypausgabe22 und der Mailänder Digestenausgabe23. 2. Die Handschriften des Digestum vetus Hingegen bilden die Handschriften des Digestum vetus in D. 3, 5, 30 nach der nota Ulpians (… si cum posset non appellasset) eine neue lex, der eine Inskription voransteht, die derjenigen zu Beginn des Fragments entspricht. Sie findet sich bereits in den vier Haupthandschriften des Digestum vetus, die Mommsen für seine Edition heranzog: Hss. Paris BN lat. 4450 (s. XI3 / 4 vel s. XIex)24, Vat. lat. 1406 (s. XI2)25, Padua Bibl. univ. 941 (s. XII)26 und Leipzig UB 873 (s. XII–XIII)27. Den handschriftlichen Befund veranschaulicht ein Ausschnitt aus der Hs. Paris BN lat. 4450: Hs. Paris BN lat. 4450, f. 31r / 37–38. 44–48:



19  s. G. Gebauer / G. Spangenberg, D. Iustiniani sacratissimi principis Digestorum seu Pandectarum iuris enucleati ex omni veteri iure collecti libri L ad Pandectas Florentinas fideliter expressi et cum editione Norica et vulgata accurate collati, Göttingen 1776, S. 65 (D. 3, 5, 31). 20  s. J. L. W. Beck Corpus iuris civilis, Bd. 1, 1, Leipzig 1825, S. 261–262 und die Editio stereotypa, Bd. 1, Leipzig 1829, S. 96 (jeweils als D. 3, 5, 31). 21  A. und M. Kriegel, Digestorum domini Iustiniani libri L, 8.  Aufl., Leipzig 1858, S. 108 (D. 3, 5, 31). 22  s. die 1. bis 10. Auflage der editio stereotypa (1872–1905) zu D. 3, 5,30; auch Krüger behielt die Mommsensche Textkonstitution bei den von ihm verbesserten Stereotypausgaben bei, s. nur z. B. die 11.–14. Auflage (1908–1922). 23  s. Digesta Iustiniani Augusti, libri I–XXVIII, edd. P. Bonfante / C. Fadda / C. Ferrini / S. Riccobono / V. Scialoja, Mailand 1908, S. 14 (D. 3, 5, 31). 24  s. zur Datierung Ch. Radding / A. Ciaralli, The Corpus Iuris in the Middle Ages. Manuscripts and Transmission from the Sixth Century to the Juristic Revival, Leiden 2007, S. 169–210, 197, 205. 25  s. zur Datierung Radding / Ciaralli (o. Fn. 24), S. 198. 26  s. zur Datierung G. Dolezalek / H. van der Wouw, Verzeichnis der Handschriften zum römischen Recht, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1972, ad loc.



Besserlesungen in den Vulgathandschriften 27

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Transkription:

Papinianus libro secundo responsorum Liberto uel amico mandauit pecuniam accipere mutuam cuius |38 litteras creditor secutus contraxit et fideiussor in­teruenit etiam si pecunia non sit in rem … quod sententia contra absentem dicta ipse non prouocauit Ulpianus notat hoc verum quia frustra |45tora condempnatus est ceterum si amicus cum absentem defenderet condempnatus negociorum gestorum |46 aget poterit ei imputari si cum posset non apellasset |47 Papinianus libro sexto responsorum Qui aliena negocia gerit usuras prestare cogitur |48 eius scilicet pecunię quę purgatis necessariis sumptibus superest  … a 

Von zweiter Hand zu frustator verschlechtert.

Entsprechend lautet die lex in der Hs. Vat. lat. 1406 ff. 29v / 20–38. Die erneute Inskription schließt sich hier in der Zeile an das Ende der nota an: Hs. Vat. lat. 1406 f. 29v / 29: imputari si cum posset non appellasset Papinianus libro sexto responsorum Qui aliena negocia gerit

Auch in der Hs. Padua Bibl. univ. 941 kehrt in D. 3, 5, 30 (f. 33va / 39– vb / 26) die Inskription vor § 3 wieder, freilich ohne Buchangabe. Hs. Padua Bibl. univ. 941 f. 33vb / 4–7: |4 … imputari si cum posset non ap|5pellasset – vacat – |6 Papinianus libro responsorum Qui aliena negotia |7 gerit …

Ebenso schiebt die Hs. Leipzig UB 873 in D. 3, 5, 30 (ff. 21vb / 30– 22ra / 18) vor § 3 eine Inskription (mit zutreffender Buchangabe) ein. Hs. Leipzig UB 873 f. 21vb / 47–49: |47 … im|48putari si cum posset non apellasset Papinianus |49 libro II responsorum Qui aliena negocia gerit …

Anders als der Codex Florentinus machen die Vulgathandschriften also den Wiederbeginn der Responsen durch eine erneute Inskription kenntlich und verselbständigen damit den Folgetext zu einer eigenen lex. Die fehlerhafte Buchangabe (sexto statt secundo) in den Hss. Paris BN lat. 4450 und Vat. lat. 1406, die untereinander eng verwandt sind28, lässt sich am einfachsten mit einer Verlesung von II zu VI erklären. Entsprechende Fehler sind anderweitig bezeugt29. 27  s. zur Handschrift Dolezalek / van der Wouw (o. Fn. 26), Bd. 1, ad loc. Die ff. 15–102 stammen aus dem zwölften Jahrhundert. 28  s. dazu nur ed. mai., p. XXXXVIII. 29  s. etwa ed. mai. 1, S. 108, 26 (D. 3, 5, 41): Für trigensimo secundo lesen die Hss. Paris BN lat. 4450 und Leipzig UB 873 XXXU.

300

Wolfgang Kaiser

Die frühen Drucke des Digestum vetus weisen die Inskription vor D. 3, 5, 30, 3, mit der eine neue lex einsetzt, ebenfalls auf. Dies gilt beispielsweise für das Digestum Vetus, das im Jahr 1476 bei Heinrich Claym in Perugia erschien30, ebenso für den Druck des Jahres 1488 von De Tortis in Venedig31. Auch Haloander behält die Inskription bei32. Mommsen weist zwar die variierende Lesung der Vulgathandschriften in der Editio maior nach (ed. mai. 1, S. 106, 3), nahm sie aber nicht in den Text auf. In den Stereotypausgaben sowie der Mailänder Digestenausgabe ist die Variante gar nicht mehr verzeichnet. 3. Die Basiliken und ihre Scholien Aus der Antecessorenliteratur steht für D. 3, 5, 30 einmal die Summe des älteren Anonymus zur Verfügung (Bas. 17, 1, 30), freilich in der Fasssung, wie sie der Basilikentext aufweist33. In einer abweichenden Version der Summe, die Burgmann und Stolte bekanntmachten34, ist D. 3, 5 leider nicht enthalten. Die in den Scholien zu der Stelle überlieferte Antezessorenliteratur erfasst nur einen Ausschnitt der Stelle, nämlich D. 3, 5, 30, 4 (Grabmonument)35.

30  s. das Digestum vetus, Perugia 1476 f. 85rb–va, freilich mit zweimal unrichtigem Juristennamen. Zu D. 3, 5, 30 heißt es Pomp(onius) statt Papinianus, vor D. 3, 5, 30, 3 Pau(lus) statt Papinianus. Zu diesem Druck s. Spangenberg, Einleitung (o. Fn. 17), S. 663 Nr. 15. Das Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek München (Sign.: 2 Inc.c.a. 472 l) ist als Vollfaksimile im Internet zugänglich. 31  s. das Digestum vetus, Venedig 1488 ff. 66vb–67rb (jeweils Papinianus); dazu s. Spangenberg, Einleitung (o. Fn. 17), S. 678 Nr. 41. Die Ausgabe ist als Nachdruck zugänglich unter dem Titel: Accursii glossa in Digestum Vetus (Corpus glossatorum juris civilis 7), Torino 1969. 32  Digestorum seu Pandectarum libri quinquaginta, Nürnberg 1529 (Nachdruck Frankfurt a. M. 2005), S. 127 (jeweils Papinianus). Zu der Ausgabe s. Kaiser, Art. Digesten (o. Fn. 3), Sp. 849 sowie die Einleitung von H. J. Troje zu dem Nachdruck Frankfurt a. M. 2005. 33  s. zum älteren Anonymus nur P. Pieler Byzantinische Rechtsliteratur, in: H. Hunger, Die hochsprachliche profane Literatur der Byzantiner, Bd. 2 (HdA 12, 5, 2), München 1978, S. 341–480, 423. 34  B. H. Stolte, The Digest Summa of the Anonymus and the Collectio Tripartita, or the Case of the Elusive Anonymi, in: Subseciva Groningana 2 (1985), S. 47–58 sowie N. van der Wal / B. Stolte, Collectio Tripartita. Justinian on Religious and Ecclesiastical Affairs, Groningen 1994, p. XXVIII–XXXIII; L. Burgmann, Neue Zeugnisse der Digestensumme des Anonymos, in: Fontes minores 7 (1986), S. 101–116. 35  s. BS 3, S. 1033, 9–26.



Besserlesungen in den Vulgathandschriften

301

Bas. 17, 1, 30, 1 fin.–3 init. (BT 855, 2–9); D. 3, 5, 30, 1 fin.–3 init: … περὶ τοῦ ἀζημίου ἀσφάλειαν. 2. Τοῦ ἐναγομένου μετὰ προκάταρξιν ἀπολειφθέντος ὁ ἑκουσίως εἰσιὼν καὶ τὴν ἀπόλειψιν αὐτοῦ δικαιολογούμενος οὐ δοκεῖ ἀμέλειαν πλημμελεῖν μὴ ἐγκαλεσάμενος τὴν κατ’αὐτοῦ ψῆφον ὁ γὰρ ἀπολειφθεὶς κατεδικάζετο. Εἰ μέντοι τις διεκδικῶν τὸν ἀπόντα κατεκρίθη καὶ οὐκ ἐξεκαλέσατο, εἶτα κινεῖ τὴν περὶ διοικήσεως ἀγωγήν, ἐγκαλεῖται, εἰ δυνάμενος οὐκ ἐξεκαλέσατο. 3. Ὁ διοικητὴς τῶν περιττευόντων χρημάτων …

Für Bas. 17, 1, 27–31 fehlen Juristennamen, zuvor und danach sind sie in diesem Titel überwiegend zu finden36. Dass D. 3, 5, 30, 1–7 in den Basiliken nur ein einziges Kapitel bildeten, belegt die Synopsis maior37. Syn. mai. Δ II 2 führt D. 3, 5, 30, 4 als § 6 des 30. Kapitels der Basiliken an, Syn. mai. Δ XXXVI 16 D. 3, 5, 30, 3 als § 5 des 30. Kapitels38. Beide Paragraphen liegen hinter der Wiederholung der Inskription, die die Vulgathandschriften vor D. 3, 5, 30, 3 aufweisen39. Die Synopsis maior zitiert zudem zwei Kapitel der Basiliken, die einem D. 3, 5, 30 vorangehenden bzw. nachfolgenden Digestenfragment entsprechen, mit Kapitelziffern, die bestätigen, dass Bas. 17, 1, 30 nicht in zwei Kapitel aufgeteilt war40. Die nota Ulpians ist in der Summe des Anonymus nicht abgesetzt, sie schließt sich vielmehr nahtlos an die Paraphrase des Papinianstextes an (ὁ γὰρ ἀπολειφθεὶς κατεδικάζετο – οὐκ ἐξεκαλέσατο = quia frustrator condemnatus est – non appellasset). 36  So für Bas. 17, 1, 4. 6–11. 13. 15–26 und hiernach für Bas. 17, 1, 32–38. 42–43. 45. 37  s. C. E. Zachariae von Lingenthal, Synopsis Basilicorum, in: Ius Graeco-Romanum, Bd. 5, Leipzig 1869 sowie den Nachdruck bei J. Zepos / P. Zepos, Ius Graecoromanum, Bd. 5, Athen 1931. 38  s. Syn. mai. Δ II 2: 2. Καὶ κεφ. λ’ θέμ. ς΄, ἐν ᾧ φησι· Τοῖς ἀπελευθέροις δῆλον ποσὸν κατελείφθη πρὸς κατασκευὴν μνημείου· δαπανήσαντες πλέον οὐκ ἔχουσιν ἀπαίτησιν (ed. Zepos, S. 157) sowie Syn. mai. Δ XXXVI 16: Ἐν δἐ τῷ λ’ κεφ. θέμ. ε΄ Ὁ διοικητὴς τῶν περιττευόντων χρημάτων μετὰ τὴν ἀναγκαίαν δαπάνην δίδωσι τόκον (ed. Zepos, S. 229). 39  Auch der Tipukeitus liefert keine Hinweise, dass mit D. 3, 50, 30, 3 einmal ein neues Kapitel begann, s. F. Dölger, Μ. Κριτοῦ τοῦ Πατζῆ Τιπούκειτος sive librorum LX Basilicorum summarium, Bd. 2: Libri XIII–XXIII, Roma 1929, S. 57. 40  So führt Syn. mai. Δ II 1 Bas. 17, 1, 26 (D. 3, 5, 26) als κεφάλαιον κς’ an (ed. Zepos, S. 147) und Syn. mai. Γ IX 4 Bas. 17, 1, 32 als κεφάλαιον λβ’ (ed. Zepos, S. 155). Danach schwanken freilich die Zählungen. Für Bas. 17, 1, 33 (D. 3, 5, 33) variiert die Ziffer in den Handschriften bei dem Zitat in Syn. mai. Δ II 3 zwischen κεφάλαιον λε’ und λβ’ (ed. Zepos, S. 158 mit Fn. 1). Bas. 17, 1, 36 (D. 3, 5, 36) zitiert Syn. mai. Α XLV 1 als κεφ. λδ’ bzw. Δ XXXVI 17 als κεφ. λε’, Bas. 17, 1, 37 (D. 3, 5, 37) erscheint in Syn. mai. Δ XXXVI 18 als κεφ. λς’. Der numerische Abstand entspricht daher für Bas. 17, 1, 26 und 32 jedenfalls der Fragmentenanordnung im Codex Florentinus. Für die folgenden Stellen bleibt die Zählung zumindest überwiegend um eine Ziffer hinter dem Codex Florentinus zurück.

302

Wolfgang Kaiser

Für Mommsen bestätigt die Überlieferung in den Basiliken den Textbefund im Codex Florentinus (s. ed. mai. 1, S. 106, 3). Gemäß seinen Edi­ tionsprinzipien nimmt er daher die variiende Lesung der Vulgaten nicht in den Text auf41. III. Versuch einer Neubewertung 1. Zu den Besserlesungen der Handschriften des Digestum vetus a) Zum textkritischen Wert der Vulgathandschriften Die mittelalterlichen Digestenhandschriften gehen auf einen Archetypus zurück42. Sie sind mit dem Codex Florentinus durch zahlreiche errores coniunctivi verbunden43. Die Handschriften weisen aber auch verschiedentlich einen besseren Text als der Codex Florentinus auf, so etwa wenn sie Textlücken, die der Codex Florentinus enthält, zutreffend schließen44. Deutlich wird dies besonders in D. 17: Hier blieben D. 17, 1, 27–D. 17, 2, 27 (Cod. Flor., Bd. 1, ff. 245ra / 4–250rb / 13) im Codex Florentinus unkorrigiert45; die Handschriften des Digestum vetus verzeichnen zahlreiche Besserlesungen, die nicht durch Konjektur zu finden sind46. Ob diese Besserlesungen damit zu erklären sind, dass eine Abschrift des Codex Florentinus mit einem weiteren Digestenexemplar verglichen oder 41  s.

hierzu ed. mai., p. LXXII, LXXVI. dazu Th. Mommsen, Über die kritische Grundlage unseres Digestentextes, in: Jahrbuch des Gemeinen Rechts 5 (1862), S. 407–448, 431 (=  ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2: Juristische Schriften 2, Berlin 1905, S. 107–140, 127); ed. mai., p. LXIV–LXV. Zu einer Textversetzung zu Beginn des Digestum novum s. E. Ricart Marti, La tradicion manuscrita del digesto en el occidente medieval, a traves del estudio de las variantes textuales, in: AHDE 57 (1987), S. 5–206, S. 162–167. 43  s. dazu nur ed. mai. 1, p. LXVI–LXVIII. Die These von P. Pescani, die Vulgathandschriften und der Codex Florentinus gingen auf eine gemeinsame Vorlage zurück haben J. Miquel sowie E. Ricart Marti als unbegründet erwiesen, s. nur Ricart Marti, (o. Fn. 42), S. 35–42 sowie zu den textkritischen Arbeiten von J. Miquel das Schriftenverzeichnis in: J. Linares / T. de Montagut / E. Ricart / V. Sansón, Liber amicorum Juan Miquel. Estudios romanísticos con motivo de su emeritazgo, Barcelona 2006, S. 17. 44  s. dazu Mommsen, Über die kritische Grundlage (o. Fn. 42), S. 417–427 (S. 117–133); ed. mai., p. LXVIII–LXXI. Der genaue Umfang der Verbesserung ist freilich umstritten, s. nur H. U. Kantorowicz, Die Entstehung der Digestenvulgata. Ergänzungen zu Mommsen, Weimar 1910, S. 41–58. 45  s. dazu nur Kaiser, Schreiber und Korrektoren (o. Fn. 9), S. 173, 181. 46  s. nur die kursiv gesetzten Textpassagen in der Editio maior im Bereich von D. 17, 1, 27–D. 17, 2, 27. 42  s.



Besserlesungen in den Vulgathandschriften

303

– umgekehrt – eine unvollständige Digestenhandschrift anhand einer Abschrift des Codex Florentinus aufgefüllt wurde, ist für die hier verfolgte textkritische Fragestellung unerheblich47. Zur Vereinfachung wird die traditionelle Auffassung einer Nachvergleichung einer Abschrift des Codex Florentinus anhand eines weiteren Digestenexemplars zugrundegelegt. b) Besserlesungen im dritten Buch der Digesten Im dritten Buch der Digesten weisen die Vulgathandschriften eine Reihe von Besserlesungen gegenüber dem Codex Florentinus auf48. D. 3, 3, 26 (ed. mai. 1, S. 88, 40) Cod. Flor., Bd. 1, f. 59ra / 44–34: Paulus libro octauo ad edictum in causae ei soluere paratus sit

Der Korrektor, der noch in der Zeile darüber eine Verbesserung anbrachte, ließ den Text unverändert. Eine mittelalterliche Hand unterstrich in causae und schrieb darüber: nisi dominus. In den Handschriften des Digestum vetus beginnt das Exzerpt hingegen zutreffend mit nisi dominus: Hs. Paris BN lat. 4450 f. 25v / 44: Paulus libro VIII ad edictum Nisi dominus ei soluere paratus sit

Entsprechend lautet der Text in den Hss. Vat. lat. 1406 f. 24v / 35, Padua Bibl. univ. 941 f. 28rb / 20 und Leipzig UB 873 f. 16v / 6. Der Anonymustext in Bas. 8, 1, 26 bestätigt die Ergänzung der mittelalterlichen Handschriften49. D. 3, 3, 58 (ed. mai. 1, S. 94, 31) Cod. Flor., Bd. 1, f. 62ra / 8–9: … potest exigere aliud prou alio permutare Hs. Paris BN lat. 4450 f. 27v / 36: … potest exigere nouare aliud pro alio permutare

Exigere novare aliud pro alio permutare lesen auch die übrigen Handschriften (Hss. Vat. lat. 1406 f. 26v / 1–2, Padua Bibl. univ. 941 f. 30ra / 40 und Leipzig UB 873 f. 18va / 8). Die Basiliken bestätigen die Richtigkeit von novare50. 47  Zu der Theorie von Radding (o. Fn. 24), S. 192–195 s. bereits kritisch die Rezension von W. Kaiser, in: Rg 11 (2007), S. 182–185, 185. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Thesen von Radding ist geplant. 48  s. zu den ersten drei der folgenden Beispiele bereits ed. mai., p. LXX Fn. 2. Mommsen führt noch D. 3, 3, 68 (ed. mai. 1, S. 95, 25) an. Doch ist hier das im Codex Florentinus fehlende non nur in einer der vier Handschriften des Digestum vetus vorhanden. Daher ist dieses Beispiel hier nicht aufgenommen. 49  s. Bas. 8, 2, 26: εἰ μὴ (=  nisi) καταβάλῃ αὐτῷ (BT 417, 19). 50  s. Bas. 8, 2 57: Paulu. Ὁ γενικῶς ἐπιτραπεὶς διοικεῖν καὶ ἀπαιτεῖν δύναται καὶ μετατιθέναι καὶ ἀνταλλαγὴν ποιεῖν (BT 426, 10).

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Wolfgang Kaiser

D. 3, 5, 18 pr. (ed. mai. 1, S. 103, 20) Cod. Flor., Bd. 1, f. 66ra / 36–38: … etiam si in peculio nihil habuit et sibi postea soluere debet in eodem actu …

Der Korrektor 2 bemerkte zwar die Textstörung bei et si, freilich ohne sie zu beseitigen. Vielmehr verbeseserte er et si postea solvere debet nur zu et sibi postea solvere debet. Der Wortausfall dürfte daher auch sein Exemplar betroffen haben. Die hochmittelalterlichen Handschriften besitzen hingegen die hinter et ausgefallenen Worte postea habuit: Hs. Vat. lat. 1406 f. 29r / 1–2: … et si nihil habuit et si postea habuit et si postea habuit sibi postea soluere debet in eodem actu … Hs. Padua Bibl. univ. 941 f. 32vb / 38–40: … et si nichil habuit et si postea habuit sibi postea soluere debet in eodem actu … Hs. Leipzig UB 873 f. 21ra / 42–43: … et si nihil habuit et si post habuit sibi postea soluere debet in eodem actu … In der Pariser Handschrift weicht die Wortreihenfolge etwas ab, s. Hs. Paris BN lat. 4450 f. 30v / 7–8: … etiam si in peculium nichil habuit et si postea habuit soluere debet sibi postea in eodem actu …51

Den Vulgattext bestätigt die Anonymusparaphrase in Bas. 17, 1, 1852. Sogar in D. 3, 5, 30 besitzt die mittelalterliche Überlieferung jedenfalls eine Besserlesung gegenüber dem Codex Florentinus53, so in § 4 (am Ende; ed. mai. 1, S. 106, 6): Cod. Flor., Bd. 1, f. 67rb / 42–44. … ab herede non rectetur “petetur” |43 de iure fideicommissi cum uolun|44tas finem erogationis fecerit  …

Die unzutreffende Präposition de, die weder der Korrektor 2 noch der Emendator 1 verbesserten, ersetzen die Handschriften des Digestum vetus richtig durch nec: 51  Eine zweite Hand veränderte durch übergesetzte Striche die Reihenfolge zu postea sibi soluere debet, s. dazu bereits ed. mai., p. LXX. 52  s. Bas. 17, 1, 18: Καίτοι ἐχρῆν αὐτὸν φυσικὸν ὄντα χρεώστην καὶ τῇ διοικήσει ἐπιμένοντα καταβαλεῖν ἑαυτῷ, εἰ καὶ τότε μὲν οὐκ εἶχε πεκούλιον, ὕστερον δὲ ἔσχεν ὥσπερ ὁ ἐν τῷ διοικεῖν … (BT 852, 5). 53  Zu Beginn der nota Ulpians lesen die Hss. Vat. lat. 1406 f. 29v / 27, Padua Bibl. univ. 941 f. 33vb / 1, Leipzig UB 873 f. 21vb / 45 von erster Hand: et verum est, der Codex Florentinus, Bd. 1, f. 67rb / 30 sowie die Hs. Paris BN lat. 4450 f. 31r / 44 nur verum est (in der Hs. Paris 4450 von zweiter Hand zu et verum est verbessert), s. ed. mai. 1, S. 105, 42. Wie dieses Auseinanderfallen in der Vulgatüberlieferung zu erklären ist, sei hier nicht weiter untersucht.



Besserlesungen in den Vulgathandschriften

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Hs. Paris BN lat. 4450 f. 31r / 50–v / 1: |50 … ab herede non recte petetur nec iure fideicommissi cum uoluntas finem erogacionis ||v / 1 fecerit …

Ebenso lesen die Hss. Vat. lat. 1406, Padua Bibl. univ. 941 und Leipzig UB 87354. Bei dem letzten Beispiel könnte es sich auch um eine glückliche Konjektur handeln, die bereits der Archetyp der Digestum vetus-Handschriften aufwies. Die Verbesserungen bei D. 3, 3, 26, D. 3, 3, 58 und D. 3, 5, 18 pr. sind freilich nicht mehr durch eine Konjektur zu erklären. Sie rühren aus einer anderen Digestenhandschrift her. c) Die erneute Inskription bei D. 3, 5, 30, 3 Da sich in D. 3, 3 sowie in D. 3, 5 Besserlesungen der Vulgaten finden, kann auch die erneute Inskription vor D. 3, 5, 30, 3 ohne weiteres Anspruch auf Authentizität erheben. Die nachweislichen eigenmächtigen Verbesserungen in den vier Handschriften des Digestum vetus beschränken sich auf die Veränderung von Wörtern oder die Einfügung von Partikeln55. Die einzige größere Ergänzung in den Vulgaten bei D. 8, 4, 1, die Mommsen mit der Heranziehung der Institutionen Justinians erklären möchte, ist in Wirklichkeit eine genuine Besserlesung56. Bezeugt ist zudem in den Handschriften des Digestum vetus nur der unrichtige Neubeginn von leges, etwa wenn innerhalb eines Digestenfragments ein Jurist zitiert wird. Solche unzutreffenden leges sind nicht selten. Teils sind sie allen vier Handschriften gemeinsam57, teils nur einigen von ihnen58. Die Hinzufügung einer Inskription ist aber nicht mehr anderweitig belegt. 54  s. die Hss. Vat. lat. 1406 f. 29v / 32, Padua Bibl. univ. 941 f. 33vb / 12, Leipzig UB 873 f. 22ra / 5. 55  s. ed. mai., p. LXVIII. 56  Die von Paul Krüger betreuten Stereotypausgaben der Digesten bieten ab der 12. Auflage (1911) D. 8, 4, 1 (Ulp. 2 inst.) in der Fassung der Vulgata. Der Zusatz nisi qui habet praedium nec quisquam debere nisi qui habet praedium, den Mommsen, ed. mai. 1, S. 264, 10, noch als Ergänzung aus den Institutionen ansah (Inst. 2, 3, 3), wird durch die Anonymusparaphrase von D. 8, 4, 1 in Bas. 58, 4, 1 (rekonstruiert) bestätigt (Οὐδεὶς δουλείαν ἔχειν ἢ χρεωστεῖν δύναται εἰ μὴ ὁ ἔχων ἀκίνητον; BT 2637, 7–8). 57  s. etwa ed. mai. 1, S. 148, 25: Bei D. 4, 7, 4, 2 beginnen alle vier Handschriften mit Pedius libro nono eine neue lex; S. 153, 21: Bei D. 4, 8, 21, 5 beginnt mit Papinianus libro tertio quaestionum eine neue lex etc. 58  s. nur ed. mai. 112, 24 (Paris 4450, Padua 941); 115, 4 (Paris 4450, Vat. lat. 1406, Leipzig 873); 116, 36 (Paris 4450, Leipzig 873); 121, 35 (Paris 4450, Vat. lat. 1406, Leipzig 873) etc.

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Hinzu kommt noch eine weitere Erwägung: Für die Einfügung einer Inskription bestand gar keine praktische Veranlassung. Zudem steht die Inskription genau an der richtigen Stelle bei dem Wiederbeginn des Papiniantextes. Aber ein Wissen darum, wie sich die notae zum annotierten Text verhalten, kann man für die Zeit um die Mitte des elften Jahrhunderts nicht annehmen. Der gesamte Befund für D. 3, 5 spricht daher dafür, dass sich die Inskription vor D. 3, 5, 30, 3 in der Vergleichshandschrift befand. Um zu beurteilen, ob sie genuiner Textbestandteil sein kann, ist nunmehr die äußere Gestalt der notae und ihr Verhältnis zum Folgetext zu untersuchen. 2. Die äußere Form der notae a) Annotierte Werkausgaben von Juristen Die Schriften der klassischen Juristen wurden vielfach bereits von ihren zeitgenössischen oder späteren Kollegen annotiert. Die notae waren den Werken selbst beigeschrieben59, ihr Verfasser trat namentlich hervor60. Werke von Papinian annotierten gleich drei zeitgenössische oder wenig spätere Juristen: Ulpian, Paulus und Marcian. Die notae von Ulpian und Paulus zu den Werken Papinians allgemein erklärte Kaiser Konstantin in einem Gesetz vom 28. September 321 explizit für kraftlos61, was allerdings nicht zu einem Verschwinden entsprechender Papinianausgaben führte. Dies belegen einmal die Reste einer spätantiken Handschrift der Responsen Papinians mit den kombinierten Noten von Ulpian und Paulus (s. sogleich). Zum anderen setzt die Verwertung der notae für die Arbeit an den Digesten, die Justinian in Const. Deo auctore § 6 ausdrücklich zulässt62, die Verfügbarkeit annotierter Handschriften Papinians voraus. Nur aus Const. Deo auctore § 6 ist bekannt, dass auch die notae Marcians zu Papinian „kraftlos“ waren63. Rastätter (o. Fn. 1), S. 30–39. Liebs, Rechtsschulen und Rechtsunterricht (o. Fn. 1), S. 218. 61  s. C.Th. 1, 4, 1 (a. 321). Zu diesem Gesetz sowie der wenige Jahre später erlassenen Konstitution Konstantins über die Geltung der Pauli Sententiae wird ein Beitrag des Verf. in ZRG RA 129 (2012) erscheinen. 62  s. Const. Deo auctore § 6: … et ideo ea, quae antea in notis Aemilii Papiniani ex Ulpiano et Paulo nec non Marciano adscripta sunt, quae antea nullam vim obtinebant partim propter honorem splendidissimi Papiniani, non statim respuere, sed, si quid ex his ad repletionem summi ingenii Papiniani laborum vel interpretationem necessarium esse perspexeritis, et hoc ponere legis vicem obtinens non moremini … (ed. mai. 1, p. XXIIII*, 22). 63  Die notae Marcians erwähnen weder das Gesetz Konstantins vom Jahre 321 noch die umfangreiche oratio ad senatum Valentinians III. aus dem Jahre 426, die 59  s. 60  s.



Besserlesungen in den Vulgathandschriften

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b) Das Erscheinungsbild der notae in den Fragmenten einer spätantiken Handschrift der Responsen Papinians Außerhalb der Digesten überliefern notae von Ulpian und Paulus die Fragmente einer zweikolumnigen spätantiken Pergamenthandschrift der Responsen Papinians, die heute in Berlin und Paris aufbewahrt werden64. Die Handschrift in BR-Unziale entstand nach Lowe im sechsten Jahrhundert (dann vor 533)65. Die Fragmente überliefern Bruchstücke aus dem fünften und neunten Buch der Responsen, jeweils mit kombinierten notae von Ulpian und Paulus66. Die Reihenfolge von Ulpian und Paulus wechselt, daher wurden die beiden Notenapparate erst nachträglich vereinigt67. Die separat erhaltenen notae zu den Responsen Papinians zeugen auch von deutlicher Kritik an den Entscheidungen Papinians68. Die Fragmente sind der einzige unmittelbare Zeuge für das äußere Erscheinungsbild eines annotierten Juristenwerks. Die notae sind nach dem sich mit den Rechtsquellen, darunter auch dem Juristenrecht, beschäftigt. Letztere wiederholt nur das konstantinische Verbot der notae von Ulpian und Paulus (dieser Teil der oratio ist in C.Th. 1, 4, 3 überliefert). Worauf die „Nichtgeltung“ der Noten Marcians beruht, ist daher streitig, s. dazu nur A. Dell’Oro, Elio Marciano e la legge delle citazioni, in: Scritti in ricordo di Ferdinando Salvi, Bologna 1960, S. 159–176; Santalucia (o. Fn. 5), S. 145 Fn. 256; A. Guareschi, Le note die Marciano ai „de adulteriis libri duo“ di Papiniano, in: Index 21 (1993), S. 453–488 (mit zahlreichen Literaturnachweisen S. 470 Fn. 2) sowie Liebs, Jurisprudenz (o. Fn. 1), S. 203. s. jetzt ausführlich zu Marcian D. Liebs, Älius Marcian. Ein Mittler des römischen Rechts in die hellenistische Welt, in: ZRG RA 128 (2011), S. 39–81. 64  s. P. Berlin, Papyrussammlung Nr. 6762+6763 (Fragmente des fünften Buchs) sowie P. Paris, Louvre E. 7153 (Fragmente des neunten Buchs). Den Fragmenten sind zudem griechische Scholien beigeschrieben. Die Berliner Fragmente sind ediert von P. Krüger, Neue Bruchstücke aus Papiniani liber V responsorum, in: Monatsberichte der königlich preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1880, S. 363–369 (mit Apographum), die Pariser von R. Dareste, Textes inédits de droit romain, in: RHDFE 7 (1883), S. 361–385 (ebenfalls mit Apographum); Lenel, Palingenesia 1 (o. Fn. 2), Sp. 903–904, Nrn. 523–530 (Berliner Fragmente), Sp. 926 Nrn.  623–626 (Pariser Fragmente). Beide Fragmente vereinigt die Ausgabe von P.  Krüger, Papiniani responsorum fragmenta Berolinensia et Parisiensia, in: Collectio librorum iuris anteiustiniani, Bd. 3, Berlin 1890, S. 285–296 sowie diejenige von J. Baviera, Aemilii Papiniani ex libris responsorum et quaestionum fragmenta, in: FIRA Bd. 3, Firenze 1968, S. 437–445. 65  s. E. A. Lowe, Codices Latini Antiquiores, Bd. 8: Germany: Altenburg / Leipzig, Oxford 1959, Nr. 1042 sowie ders., Codices Latini Antiquiores. Supplement, Oxford, 1971, Nr. **1037 (S. 25, nach Nr. 1735). 66  s. zu den Fragmenten etwa Santalucia (o. Fn. 5), S. 53–56, 109–129; Liebs, Jurisprudenz (o. Fn. 1), S. 121–122. 67  s. Liebs, Jurisprudenz (o. Fn. 1), S. 155. 68  s. nur Liebs, Jurisprudenz (o. Fn. 1), S. 122.

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annotierten Responsum69 fortlaufend in den Papiniantext eingefügt, beginnen aber jeweils in einer neuen Zeile. Zudem steht ihnen in Rot der Name des Verfassers voran70, dessen Anfangsbuchstabe durch Ekthesis aus der Kolumne herausragt. Nach dem Ende der nota schließt sich in einer neuen Zeile ohne Wiederholung des Autorennamens der Papiniantext an, dessen Beginn die Ekthesis des Anfangsbuchstabens kennlich macht (dies begegnet auch ansonsten im Papiniantext bei neuen Sinnabschnitten)71. Das äußere Erscheinungsbild verdeutlicht das Apographum von Krüger für Fragment 6 der Bruchstücke aus dem fünften Buch der Responsen72.

In Z. 20 endet Papinian, es folgen die beiden notae von Paulus und Ulpian, die durch eine neue Zeile und Ekthesis des Namens abgesetzt sind (Z. 21–27)73. Mit Filius setzen sich die Responsen Papinians fort. In dieser Form dürften sich den Kompilatoren auch die übrigen spätantiken Handschriften mit annotierten Juristenwerken präsentiert haben (unabhängig davon, ob es sich um Ausgaben mit kombinierten notae handelte oder nicht).

Krüger, Neue Bruchstücke (o. Fn. 64), S. 367. sichtbar auf dem Apographum bei Dareste (o. Fn. 64), S. 366; zur Rötung der – gewöhnlich abgekürzten – Namen s. auch Krüger, Neue Bruchstücke (o. Fn. 64), S. 368. 71  2. z. B. nur Krüger, Neue Bruchstücke (o. Fn. 64), Tafel 2 (nach S. 368). Es handelt sich um das erste Fragment des Berliner Teils der Handschrift, s. zum Text Krüger, Papiniani responsorum fragmenta (o. Fn. 64), S. 287–288. Die Absätze beginnen mit Tutores, Post mortem, Tutor und Post. 72  2. Krüger, Neue Bruchstücke (o. Fn. 64), Tafel 1 (nach S. 368). 73  s. zum Text nur s. Krüger, Papiniani responsorum fragmenta (o. Fn. 64), S. 291, 5–13. 69  s.

70  Gut



Besserlesungen in den Vulgathandschriften

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c) Das Erscheinungsbild der notae in den Digesten Die Digesten enthalten die notae teils nur noch aus zweiter Hand als Zitate in Juristenschriften74 oder aber als selbständige Bemerkungen, die der Name des annotierenden Juristen, gefolgt von notat, einleitet. Nur letztere kommen als Vergleichsmaterial für D. 3, 5, 30 in Betracht. Im Codex Florentinus, dem einzigen spätantiken Zeugen in all diesen Fällen75, ist diesen notae gemeinsam, dass der Verfassernamen (anders als der Name des exzerpierten Juristen zu Beginn des Fragments) weder durch Rötung hervorgehoben ist76 noch in einer neuen Zeile steht. Die notae schließen sich in der Zeile an den annotierten Text an. Sie leitet lediglich der Verfassername, gefolgt von notat ein. Hierbei ist notat sicher ein Zusatz der Kompilatoren, wie sich aus dem Erscheinungsbild der notae in den Berliner und Pariser Fragmenten der Responsen Papinians ergibt. Da die Vulgathandschriften die neue lex bei D. 3, 5, 30, 3 wie bereits D.  3, 5, 30, pr.–2 mit Papinianus libro secundo responsorum inskribieren, scheiden für einen Vergleich zunächst alle Belege aus, in denen zwar ein Juristenexzerpt mit einer nota endet, das folgende Fragment aber aus einem anderen Buch des annotierten Werks77 oder von einem anderen Juristen herrührt78. In den Fällen, in denen sich nach der nota dasselbe Buch fortsetzt, ist der Befund unterschiedlich.

74  s. nur die Nachweise in: Vocabularium Iurisprudentiae Romanae, Bd. 4, 1, 1: Nam – numen, Berlin 1914, s. v. noto, Sp. 284–286. 75  Die übrige Digestenüberlieferung enthält keine Fragmente mit notae. 76  Freilich sind auch die Juristennamen zu Beginn eines Fragments im Codex Florentinus nicht durchgehend gerötet, s. Kaiser, Schreiber und Korrektoren (o. Fn. 9), S. 142. Zur sonstigen spätantiken Überlieferung, die keinen Farbwechsel für die Juristennamen aufweist, s. Kaiser, Art. Digesten (o. Fn. 3), Sp. 846. 77  s. z. B. D. 19, 1, 23: Iulianus libro tertio decimo digestorum. Si quis servum – restitutu iri. Marcellus notat: illa praestare – adquisiturus non esset. 24: Iulianus libro quinto decimo digestorum. Si servus …; D. 33, 1, 9: Papinianus libro septimo responsorum. Fundus – petetur. Paulus notat: hoc admittendum est et in aliis rebus hereditariis, ut et in eas legatarius mittatur. 10: Papinianus libro octavo responsorum. Seio amico … 78  Beispiele passim, s. z. B. D. 1, 21, 1: Papinianus libro primo quaestionum. Qui mandatam – mandata iurisdictione. Paulus notat: et imperium, quod iurisdictioni cohaeret, mandata iurisdictione transire verius est. 2. Ulpianus libro tertio de omnibus tribunalibus. Mandata iurisdictione …

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aa) Bildung einer neuen lex Öfter wurde die Fortsetzung des Textes zu einer eigenen lex verselbständigt: (1) D. 26, 7, 28–29 (Cod. Flor., Bd. 1, f. 369ra / 15–34). Ed. mai. 1, S. 765, 18–27). Marcellus libro octavo digestorum. Tutor pro pupillo – non compelli. Ulpianus notat: non sufficit optulisse, nisi et deposuit obsignatam tuto in loco, Marcellusa libro occtavo digestorum. maximeque heredem – usuras postulare. a

idem F2.

D. 26, 7, 29 schließt sachlich unmittelbar an den Text in lex 28 vor Beginn der nota an79. Die Inskription schreibt den Namen des Marcellus aus, obwohl bereits das vorangehende Fragment von ihm stammt. Der Korrektor 580 verbesserte demgemäß marcellus zu idem. Die Wiedergabe von D. 26, 7, 28–29 in Bas. 37, 7 hat sich leider nicht erhalten81. (2) D. 26, 8, 12–13 (Cod. Flor., Bd. 1, f. 375rb / 6–24). Ed. mai. 1, S. 775, 44–776, 4: Iulianus libro vicensimo primo digestorum. Si servus communis tuus et Titii a pupilla tua te auctore aliquam rem per traditionem acceperit, tota ad Titium pertinebit. Marcellus notat: nam quodcumque ad omnes dominos non potest pertinere, id pro solido ad eum, cui adquiri potest, pertinere veteres comprobaverunt. Iulianusa libro vicensimo primo digestorum. Impuberes tutore – ut condictione teneantur. a

idem F2.

D. 26, 8, 13 setzt die annotierte Stelle nicht unmittelbar fort82. Lex 13 weist in der Inskription den gleichen Fehler auf wie zuvor D. 26, 7, 29: Der Juristenname ist erneut ausgeschrieben, nicht zu idem verkürzt. Der Korrektor 5 emendierte zu idem. Auch hier fällt die Überlieferung in den Basiliken aus83. Lenel, Palingenesia 1 (o. Fn. 2), Sp. 606 Nr. 107 (D. 26, 7, 28 + 29). Korrektor 5 s. Kaiser, Schreiber und Korrektoren (o. Fn. 9), S. 173, 199–201. 81  Zu Bas. 37, 7 s. BT 1667–1637. 82  s. Lenel, Palingenesia 1 (o. Fn. 2), Sp. 372 Nrn. 321, 322. 83  Zu Bas. 37, 8 s. BT 1674–1675. 79  s.

80  Zum



Besserlesungen in den Vulgathandschriften

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(3) D. 40, 2, 4–5 (Cod. Flor., Bd. 2, ff. 219vb / 34–220ra / 36): Ed. mai. 2, S. 425, 14–34: Iulianus libro quadragesimo secundo digestorum. Si pater – recte manumittit. Paulus notat: sed si pignori obligatum sibi minor viginti annis manumitti patiatur, recte manumittitur, quia non tam manumittere is quam non impedire manumittentem intellegitur. Iulianusa eodem libroa. An apud se – me idem suasi. a-a

Iulianus – libro von F2 getilgt.

Die erneute Inskription in D. 40, 2, 5, die neben dem ausgeschriebenen Juristennamen Buch und Werk nicht nennt, sondern zu libro eodem verkürzt, ist in dieser Form in den Digesten nicht möglich. Der Korrektor 2 tilgte sie vollständig. Solche Inskriptionen, bei denen die Buch- und Werkangabe nicht spezifiert, sondern nur mit libro eodem gekennzeichnet ist, kommen jedoch noch andernorts im Codex Florentinus vor84. Auch an diesen Stellen wurden sie vom jeweiligen Korrektor gestrichen85. Dabei handelt es sich bei den verkürzten Inskriptionen nicht um Textkorruptelen, die ein Schreiber aus Unachtsamkeit beim Abschreiben verursachte, sondern um Überbleibsel aus dem Redaktionsstadium der Digesten86. Nach der Streichung durch den Korrektor würde sich D. 40, 2, 5 unmittelbar an die nota des Paulus anschließen. Dass es freilich möglich gewesen wäre, statt die Inskription zu tilgen, Buch- und Werkangabe zu ergänzen87, zeigt der Befund in Bas. 48, 2, 4–5: Auch das Digestenexemplar des Anonymus wies wie der Codex Florentinus von erster Hand zwei gesonderte leges, nicht eine fortlaufende lex auf. Bas. 48, 2, 4–5 (BT 2162, 11–2163, 2): Iulianu. Εἰ ὁ πατὴρ ἐπιτρέψει τῷ υἱῷ ἐλευθερῶσαι καὶ ἀποθάνῃ, ὁ δὲ ἀγνοῶν ἐλευθερώσει, ἔρρωται· εἰ δὲ μετεμελήθη, κἂν μήπω ἔγνω, οὐκ ἔρρωται. Κἂν ὁ ἐλευθερῶν οἰκέτην νομίζῃ αὐτὸν ἀλλότριον, ἢ ὁ ἐλευθερούμενος ἢ ἑκάτεροι, ἔρρωται ἡ ἐλευθερία. Ὁ ἥττων τῶν εἴκοσι ἐτῶν οὔτε ἐπίκοινον δοῦλον δύναται ἄνευ εὐλόγου αἰτίας ἐν ζωῇ ἐλευθεροῦν εἰ δὲ καὶ εἰς ἐνέχυρον λάβῃ δοῦλον, δύναται συναινεῖν τῇ ἐλευθερίᾳ αὐτοῦ. Iulianu. Ὁ ἄρχων δύναται παρ’ ἑαυτῷ ἐλευθεροῦν τὸν ἴδιον δοῦλον. 84  s. die Zusammenstellung bei W. Kaiser, Digestenentstehung und Digestenüberlieferung, in: ZRG RA 108 (1991), S. 330–350, 345–347. 85  s. Kaiser, Digestenentstehung und Digestenüberlieferung (o. Fn. 84), S. 345– 346. 86  s. hierzu schon Kaiser, Digestenentstehung und Digestenüberlieferung (o.  Fn. 84), S. 345–346. 87  Eine Parallele bietet auch der Befund zu D. 4, 3, 16–18 im Codex Florentinus, wo auf libro eodem jeweils die vollständige Buch- und Werkangabe folgt, s. Kaiser, Digestenentstehung und Digestenüberlieferung (o. Fn. 84), S. 346.

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Die nota des Paulus ist in der Summa des Anonymus nicht mehr als solche erkennbar, sondern in den Text integriert (εἰ δὲ καὶ εἰς ἐνέχυρον λάβῃ δοῦλον, δύναται συναινεῖν τῇ ἐλευθερίᾳ αὐτοῦ). In den Fällen, in denen die Kompilatoren nach dem Ende einer nota beim Wiedereinsetzen des Ausgangstextes eine neue lex bildeten, mussten sie hierfür auch erneut eine Inskription erstellen. Die Möglichkeit, die Fortsetzung durch eine neue Zeile kenntlich zu machen, stand ihnen nicht offen. Bei der Neubildung der Inskription handelt es sich also um eine redaktionelle Maßnahme. In den Fällen, in denen im Codex Florentinus für die Fortsetzung des annotierten Werkes erneut eine Inskription zu finden ist, entspricht deren Fassung von erster Hand nicht den Kriterien, die in den Digesten ansonsten für Inskriptionen gelten. So ist in allen drei Beispielen der Juristenname ausgeschrieben, obwohl er bereits in der vorangehenden Inskription erscheint und daher idem lauten müsste. Im letzten Fall ist zudem die Inskription nur vorläufig: Sie hätte entweder gar nicht mehr vorhanden sein dürfen oder, wahrscheinlicher, mit der zutreffenden Buch- und Werkangabe aufgefüllt werden müssen. bb) Wiederholung des Namens des annotierten Juristen Eine weitere Möglichkeit, den Wiederbeginn des annotierten des Textes anzuzeigen, besteht darin, nach dem Ende der nota lediglich den Juristennamen zu wiederholen und auf die Bildung eines neuen Fragments (mit Inskription) zu verzichten. Diese Vorgehensweise ist ebenfalls bezeugt. Der wiederholte Name ist im Codex Florentinus nicht gerötet. Auch in diesen Fällen stellt aber der Einschub des Namens einen Zusatz der Kompilatoren dar. D. 18, 1, 72 (Cod. Flor., Bd. 1, f. 261ra / 30–rb / 9). Ed. mai. 1, S. 524, 13–23: Papinianus libro decimo quaestionum. Pacta conventa, quae – constitit ex pretio. Paulus notat: Si omnibus integris manentibus de augendo vel deminuendo pretio rursum convenit, recessum a priore contractu et nova emptio intercessisse videtur. Papinianus. Lege venditionis illa facta – quae non habuit locum. D. 22, 1, 1 (Cod. Flor., Bd. 1, f. 312ra / 3–28). Ed. mai. 1, S. 634, 5–16: Papinianus libro secundo quaestionum. Cum iudicio bonae fidei – iudicatum exigere. Paulus notat: Quid enim pertinet ad officium iudicis post condemnationem futuri temporis tractatus? Papinianus. Circa tutelae restitutionem – non praestabit usuras.



Besserlesungen in den Vulgathandschriften

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D. 30, 92 (Cod. Flor., Bd. 2, f. 21rb / 27–va / 14). Ed. mai. 2, S. 26, 30–27, 8): Iulianus libro trigensimo octavo digestorum. Si fundum – restitui deberi. Marcellus notat: Si fundum restituere malit heres, audiendum existimo. Iulianus. Si Titio – non summoveretur. D. 37, 6, 3 (Cod. Flor., Bd. 2, f. 155vb / 40–156rb / 27). Ed. mai. 2, S. 294, 24–295, 17): Iulianus libro vicensimo tertio digestorum. Praetor non sub condicione – conferre debeat. Paulus notat: puto conferendum esse exacta cautione, ut victus sicut hereditatem, ita et quae collata sunt praestet. Iulianus. Quotiens contra tabulas – possessionem accipiat. D. 38, 2, 42 (Cod. Flor., Bd. 2, ff. 174vb / 29–175ra / 28). Ed. mai. 2, S. 336, 9–31: Idem (Papinianus W. K.) libro tertio decimo quaestionum. Filius, qui – non obliteraretur. Paulus notat: Ei, qui alio iure venit – filius venire possit. Papinianusa. Castrensium bonorum – habere potuit. a

Mit Papinianus beginnt im Codex Florentinus, Bd. 2, f. 174vb / 44 zu Unrecht eine neue lex, s. ed. mai. 2, S. 336, 16. Der Korrektor hat dies nicht berichtigt, obgleich er kurz zuvor und kurz danach den Text verbesserte.

Die Bildung einer neuen lex innerhalb von D. 38, 2, 42 dürfte ein Schreiberfehler sein. Ähnliche Versehen begegnen öfter im Codex Florentinus88. Zu D. 18, 1, 72, D. 22, 1, 1 und D. 38, 2, 42 weist auch die Basilikenüberlieferung nur ein Kapitel auf; D. 30, 92 ist nicht mehr überliefert89. Innerhalb der Kapitel sind die Juristennamen nicht mehr vorhanden. Hingegen weicht zu D. 37, 6, 3 der Befund in den Basiliken ab: Der Text, der im Codex Florentinus als ein Fragment firmiert, war in dem Digestenexemplar des Anonymus auf zwei leges verteilt, wobei die erste lex den Beginn von D. 37, 6, 3 einschließlich der nota des Paulus umfasste (D. 37, 6, 3 pr.–1; Bas. 41, 7, 3), die zweite den Wiederbeginn des Juliantextes bis zu dessen Ende (D. 37, 6, 3, 2–6; Bas. 41, 7, 4)90. Bas. 41, 7, 3 ist mit Ἰulianũ inskribiert (BT 1880, 8), Bas. 41, 7, 4 mit Ἰdém. Hier könnte nur 88  So beginnt die Florentiner Handschrift etwa in D. 4, 8, 17 gleich dreimal zu Unrecht eine neue lex, mit Iulianus libro quarto digestorum scribit (ed. mai. 1, S. 152, 6), mit Pomponius libro trigensimo quaerit (S. 152, 10) und mit Celsus libro secundo digestorum scribit (S. 152, 13), s. Cod. Flor., Bd. 1, f. 90ra / 37, rb / 1. 33. Weitere Beispiele finden sich passim im Apparat der Editio maior. 89  s. für D. 18, 1, 72 nur Bas. 19, 1, 72 (BT 922, 20–26; rekonstruiert), für D. 22, 1, 1 Bas. 23, 3, 1 (BT 1117, 5–17) und für D. 38, 2, 42 Bas. 49, 4, 42 (BT 2306, 15–2307, 2). Für D. 30, 92 ist die Überlieferung in Bas. 44, 1, 92 (BT 1979, 25– 1980, 2) zu fragmentarisch, um ein Urteil zu ermöglichen. 90  s. zu der Textgestalt der Basiliken die Nachweise im Apparat zu BT 1880, 15.

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Wolfgang Kaiser

ein Fehler vorliegen, wie er auch im Codex Florentinus zu finden ist: Wegen des Juristennamens innerhalb des Textes begann das Digestenexemplar des Anonymus an dieser Stelle zu Unrecht eine neue lex. Ebenfalls möglich ist aber, dass das Exemplar des Anonymus in der Textverteilung vom Codex Florentinus abwich und für die Fortsetzung der Digesten Julians eine neue lex mit vollständiger Inskription begann, wie dies auch im Codex Florentinus bezeugt ist (s. oben S. 310). cc) Unmittelbarer Anschluss des Textes an die nota Schließlich gibt es noch zwei Fälle, in denen sich der Ausgangstext ohne Kenntlichmachung unmittelbar an die nota anschließt: D. 35, 2, 56 (Cod. Flor., Bd. 2, f. 114vb / 2–115ra / 8). Ed. mai. 2, S. 212, 18–213, 2: Idem (= Marcellus W. K.) libro vicensimo secundo digestorum. Cum quo de peculio – pleniorem faciet hereditatem. Scaevola notat: quid ergo, si idem servus defuncto et alii dena debuit et una decem habuit? augetur scilicet et his hereditas, decem, quae defuncto naturaliter debebantur, in hereditate manentibus. Is, qui in bonis – heredi futuro providere.

Mit Is, qui in bonis beginnen wieder die Digesten des Marcellus. D. 46, 5 8 (Cod. Flor., Bd. 2, f. 369ra / 21–32). Ed. mai. 2, S. 725, 39–42: Papinianus libro quinto quaestionum. Paulus notat: qui sub condicione institutus est, adgnita bonorum possessione cogitur substituto in diem cavere longiorem: praetor enim beneficium suum nemini vult esse captiosum et potest videri calumniose satis petere, quem alius antecedit. Cum sub contrariis condicionibus Titio et Maevio legatum sit, utrique cavetur, quia uterque ex voluntate defuncti sperat legatum.

Das Exzerpt setzt bereits mit einer nota des Paulus ein, jedoch ist das (erstmalige) Erscheinen des annotierten Textes mit Cum sub contrariis nicht kenntlich gemacht. d) Bewertung Nach dem Befund im Codex Florentinus kommen also für die Fortsetzung des annotierten Textes drei Möglichkeiten in Betracht: Bildung einer neuen lex, Wiederholung nur des Juristennamens sowie keine Kennzeichnung der Fortsetzung. Der Befund in den Vulgaten bei D. 3, 5, 30, 3 entspricht dabei dem ersten Modell. Doch bleibt die Frage offen, wie sich das Fehlen der Inskription im Codex Florentinus sowie in der Basilikenüberlieferung erklären lässt.



Besserlesungen in den Vulgathandschriften

315

3. Das Fehlen von Inskriptionen im Codex Florentinus Parallele Befunde im Codex Florentinus zeigen, dass auch in anderen Fällen, in denen die Kompilatoren erneut Inskriptionen bilden mussten, die Neubildung versehentlich unterbleiben konnte. Die Beispiele betreffen die Unterbrechung einer längeren lex eines Juristen durch den Einschub eines kürzeren Fragments eines anderen Juristen91, das zudem masseversetzt ist92. In D. 29, 5, 3–5 unterbricht ein Fragment aus Papinianus, 6 resp. (Papiniansmasse) einen Auszug aus Ulpianus, 50 ed. (Sabinusmasse), der sich wegen des Einschubs des masseversetzten Papinianexzerpts auf zwei leges (3. 5) verteilt. Im Codex Florentinus fehlt von erster Hand zu Beginn von D. 29, 5, 5 (Fortsetzung von Ulpian, 50 ed.) die Inskription. Der Ulpiantext schließt sich unmittelbar an das eingefügte Papinianfragment an. Der Korrektor 5 fügte jedoch auf f. 437vb / 33 nach den Worten querellam intervenisse (ed. mai. 1, S. 900, 20) die zutreffende Inskription ein (Ulpianus libro quinquagesimo ad edictum). Cod. Flor. I f. 437ra / 8–10. vb / 19–37:



91  Zu den Beispielen s. bereits Kaiser, Zur Herkunft des Codex Florentinus (o. Fn. 9), S. 44–47. 92  Zur Reihenfolge der Fragmente in den Digestentiteln s. nur D. Mantovani, Digesto e masse bluhmiane, Milano 1987, S. 9–73.

316 Transkription:

← Ulpianus libro quinqagesimo ad edictum

Wolfgang Kaiser Cod. Flor., Bd. 1, f. 437ra / 8–10: Ulpianus libro quinquagensimo ad edictum |9 si quis in graui ualetudine adfectus opem |10 domino ferre non potuerit subueniendum … f. 437vb / 19–37: propterea adire hereditatem institutus |20 non potuerit |21 Papinianus libro sexto responsorum qui |22 postumo heredes instituerat non na |23tis postumis uxorem secundo loco scri|24psit heredem cum familia necatus |25 diceretur uxor diem suum obierat he|26redes mulieris actione ex con­ stitu|27tione sibi dari postulabant eos ita demum|28 audiendos esse respondi si mulier quam|29 in utero nihil a gestare constabat pro|30pter senatusconsultum hereditatem |31 adire noluit alioquin praegnatae ea |32 defuncta nullam ­iniuriae querellam |33 interuenisse → necessarios heredes pu|34to edicto compraehendi si semissceant |35 hereditati nec bonorum possessione |36 peti praetor permittit et ego puto ad omnes |37 bonorum possessiones hoc edictum per

In Z. 33 setzt mit necessarios heredes puto wieder der Ediktskommentar Ulpians ein93, freilich ohne die zugehörige Inskription. Hier liegt ein redaktioneller Fehler vor: Die Bildung einer neuen Inskription, die der Einschub des Exzerpts aus den Responsen Papinians nötig machte, war unterblieben. Dabei war der Fehler nicht allen Handschriften gemeinsam: Während die Inskription in der Vorlage des Schreibers fehlte, war sie im Vergleichsexemplar des Korrektors 5 vorhanden94. Die Basilikenüberlieferung ist für D. 29, 5, 3–5 leider nur fragmentarisch erhalten95. D. 37, 4 setzt mit einem längeren Auszug aus Ulpianus, 39 ed. ein (Sabinusmasse), auf den ein kurzes Exzerpt aus Hermogenianus, 3 iur. epit. (Papiniansmasse) folgt. Hiernach setzt sich das 39. Buch des Ediktskommentars Ulpians wieder fort, freilich nach der äußeren Form von erster Hand in unmittelbarem Anschluss an das eingeschobene Hermogenianfragment. Eine Inskription fehlt. Sie wurde erst vom Korrektor 5 an der richtigen Stelle hinzugefügt (vor non tantum autem ipsi emancipati).

O. Lenel, Palingenesia iuris civilis, Bd. 2, Leipzig 1889, Sp. 737, Nr. 1244. Vergleichsexemplar des Korrektors 5 s. Kaiser, Schreiber und Korrektoren (o. Fn. 9), S. 201. 95  s. zu Bas. 35, 16 BT 1637–1641. 93  s.

94  Zum



Besserlesungen in den Vulgathandschriften

317

Cod. Flor., Bd. 2, f. 147rb / 3–5. va / 3–10.



Transkription:

Cod. Flor., Bd. 2, f. 147ra / 3–5: Ulpianus libro trigensimo nono ad |4 edictum in contra tabulas bonorum|5 possessione liberos accipere debemus …

← Ulpianus libro tri gesimo nono ad edictum

f. 147va / 3–10: quae seruum efficit restitutus sit |4 nihilo minus admittetur (aliter non) |5 Hermogenianus libro tertio iuris epi|6tomarum idemque est et si pater poe|7nae et seruus efficiatur et postea res|8 ­tituatur → non tantum autem ipsi e|9mancipati admittuntur ad ­bonorum |10 possessionem uerum etiam hi quo

Auch hier fehlte in der Schreibervorlage vor non tantum autem, dem Wiederbeginn von Ulpianus, 39 ed. die Inskription. Im Exemplar des Korrektors war sie vorhanden und er trug sie nach. Der Fehler war daher nicht in allen Exemplaren der Digesten gleichermaßen anzutreffen. Im Basilikentext entsprechen D. 37, 1–3 ebenfalls drei separate Kapitel96. Im nächsten Beispiel dürfte der Fehler umgekehrt im Exemplar des Korrektors zu suchen sein. In D. 23, 3, 7–9 unterbricht ein kurzes Exzerpt aus Callistratus, 2 quaest. (l. 8; Papiniansmasse) einen Auszug aus Ulpianus, 31 Sab. (l. 7. 9; Sabinusmasse). Der Codex Florentinus bietet von erster Hand zu allen drei leges die zugehörigen Inskriptionen. Jedoch strich der Korrektor 5 die Inskription bei Fortsetzung des Ulpiantextes in D. 23, 3, 9. Sie fehlte in seinem Exemplar: 96  s.

Bas. 40, 3, 1–3 (BT 1790, 4–1792, 2).

318

Wolfgang Kaiser

Cod. Flor. I f. 327ra / 41–42. rb / 26–34:



Transkription: Cod. Flor. I f. 327ra / 41–42: Ulpianus libro trigesimo primo ad sabinum |42 dotis fructum ad maritum pertinere debe … f. 327rb / 26–34: uind factum doti enim destinata non debe|27bunt uindicari |28 Callistratus libro secundo quaestionum |29 sed nisi hoc euidenter actum fuerit eden|30dum est hoc agi ut statim res sponsi fiant et |31 nisi nuptiae secutae ­fuerint reddantur |32 (Ulpianus libro trigensimo primo ad Sabinum) |33 si ego seiae res dederoit ut ipsa suo nomine in |34 dotem det efficientur eius licet non in dotem

Die Streichung der Inskription zeigt, dass sie der Korrektor 5 in seinem Exemplar nicht vorfand. Da es sich hier wie in den beiden zuvor dargestellten Fällen, in denen die Inskription von erster Hand fehlt, um die Fortsetzung einer lex nach einem masseversetzten Einschub handelt, dürfte das Fehlen der Inskription im Exemplar des Korrektors auf einem redaktionellen Versehen beruhen. Der Fehler war freilich nicht in alle Digestenexemplare gelangt. Die Überlieferung in den Basiliken weist ebenfalls drei separate Kapitel auf (einschließlich der Juristennamen)97. Bei dem Einschub eines masseversetzten Fragments können auch noch andere Versehen unterlaufen. So ist in D. 29, 1, 7–9 die eingeschobene lex 8 in der Vorlage des Codex Florentinus zu früh in lex 7 inseriert worden. Der Korrektor berichtigte dies98. 97  s.

Bas. 29, 1, 3–5 (BT 1444, 24–1446, 11).



Besserlesungen in den Vulgathandschriften

319

Die Parallelbefunde zeigen, dass redaktionelle Maßnahmen der Kompilatoren nicht in alle Digestenhandschriften gleichermaßen gelangten99. Auch die Divergenz zwischen dem Fehlen einer Inskription nach D. 3, 5, 30, 2 im Codex Florentinus und der Anonymusparaphrase einerseits und ihrem Vorhandensein in den Vulgathandschriften andererseits kann daher in die Zeit der Redaktion der Digesten zurückreichen: Die Bildung einer neuen Inskription nach dem Ende der nota Ulpians, deren Möglichkeit andere Beispiele belegen (s. oben S. 310), war in manchen der Handschriften, die der Verbreitung der Digesten zugrundelagen, unterblieben. Es existierten von vornherein Digestenhandschriften mit unterschiedlicher Textgestalt in D. 3, 5, 30. 98

4. Die Genuinität der Inskription vor D. 3, 5, 30, 3  in den Handschriften des Digestum vetus Die erneute Inskription von D. 30, 5, 30, 3 in den Handschriften des Digestum vetus stellt keinen textfremden Einschub dar, sondern hat, wie andere Besserlesungen in den Vulgaten, ihren Ursprung in dem Exemplar der Digesten, mit dem die Abschrift des Codex Florentinus verglichen wurde100. Die Bildung einer separaten lex für die Fortsetzung des Textes nach dem Ende einer nota ist eine Vorgehensweise, die parallel bezeugt ist (s. oben S. 310–311). Das Fehlen der Inskription im Codex Florentinus und im Digestenexemplar des älteren Anonymus beruht nicht auf einem Schreiberversehen, sondern auf einem redaktionellen Fehler bei der Herstellung der Digesten. Bei einer Edition der Digesten wäre daher die Inskription in den Text aufzunehmen und D. 3, 5, 30, 3–7 zu einer lex zu verselbständigen (z. B. D. 3, 5, 30a). Folgt man der hier vorgetragenen Argumentation, so wäre in textkritischer Hinsicht die Erkenntnis gewonnen, dass bei der Konstituierung des Digestentextes in der Tat auch Fälle möglich sind, in denen die Vulgathandschriften gegen die Lesungen von Codex Florentinus und Basiliken (nebst Scholien) den richtigen Text aufweisen.

98  s. dazu näher Kaiser, Zur Herkunft des Codex Florentinus (o. Fn. 9), S. 43–44. Dort S. 54–55 auch zu D. 35, 2, 50, 1–52 (hier hat eine Textkürzung durch die Kompilatoren nicht alle Exemplare der Digesten erreicht). 99  Zu einem Erklärungsmodell hierfür s. Kaiser, Zur Herkunft des Codex Florentinus (o. Fn. 9), S. 56–57. 100  Legt man die These von Radding (o. Fn. 47) zugrunde, dann wäre dieses Fragment bereits Teil des verkürzten Digestenexemplares gewesen, das anhand einer Abschrift des Codex Florentinus aufgefüllt wurde.

Papinian D. 31,77,31 Von Rolf Knütel I. Vorbemerkung Die wenn auch langsamer als erhofft, aber doch unverdrossen fortgeführte neue deutsche Übersetzung des Corpus iuris civilis wird von Detlef Liebs, dem wir uns seit langem in freundschaftlicher Kollegialität verbunden wissen, mit wacher Aufmerksamkeit und, wie seine sehr eingehende Rezension im letzten Jubiläumsband unserer Zeitschrift zeigt, mit förder­ licher Kritik und bedenkenswerten Anregungen verfolgt1. Dies ist Anlaß, in die Reihe der Gratulanten mit einer kleinen Frucht zu treten, die sich bei der Arbeit für Band V ergeben hat und für die bislang zurückgestellte Diskussion dieses letzten Textes aus Buch  31 eine Grundlage bieten soll. II. Der Gläubiger als Erbe Wie die Quellen überliefern, kam es gelegentlich und dann eher unter Verwandten vor, daß ein Schuldner seinen Gläubiger zum Erben einsetzte – oder ihm ein Vermächtnis zuwendete – und ihm zugleich auferlegte, seine Forderung mit der Erbschaft zu verrechnen. Papinian, der sich mit diesem Sachverhalt mehrfach befaßt hat, stellt ihn zum Beispiel in D. 31,77,7 wie folgt dar: Cum pater fideicommissum praediorum ex testamento matris filiae deberet, eandem pro parte ita heredem instituit, ut hereditatem fideicommisso conpensaret  …2. Soweit ersichtlich hat sich mit dieser Fallgruppe, die er als „erbrechtliche Kompensationen“ bezeichnet, bislang im Zusammenhang und in angemessener Einläßlichkeit zuletzt Gustav Kretschmar befaßt, in einer gehaltvollen, 1  Detlef Liebs, Besprechung zu Corpus Iuris Civilis. Text und Übersetzung, Bd.  IV (Digesten 21–27), Heidelberg 2005, SZ 125 (2008) 714–721. Daß die Herausgeber dennoch an manchen ihrer Erkenntnisse und Gewohnheiten festzuhalten (und z. B. weiterhin den Geburtsvorgang bei Stuten und Kühen – mit G. Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Gütersloh 1996, S. 1745 s. v. werfen [„Die Kuh hat ein Kalb geworfen“] – mit Werfen zu bezeichnen) geneigt sind, versteht sich. 2  Vgl. Phil. C. 6,24,6 (a. 246): Si compensandi debiti gratia uxor maritum fecit heredem …; Ter. Clemens D. 31,53 pr. Weitere im Folgenden.

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aber nicht sonderlich übersichtlichen und wohl auch wegen des Publikationsortes leider nahezu unbekannt gebliebenen Abhandlung von 18923. Ihm boten die noch heute maßgeblichen Ausführungen des Cujaz zum fr. 77,31 die wesentliche Grundlage4. Bei unserem Versuch, Papinians auch in diesem Fall sehr eindrucksvolle und lehrreiche Entscheidung in D. 31,77,31 darzulegen, können wir weitgehend an die Untersuchungen dieser Autoren anknüpfen. Daß der Gläubiger seine Forderung mit der Erbschaft verrechnen, sich aus oder mit dieser bezahlt machen soll, läßt sich als Auflage, modus, einordnen5, die mit dem Erwerb der Erbschaft, sei es durch Erbantritt, sei es (beim Hauskind) durch Unterlassung des abstinere, der Ausschlagung, erfüllt wird. Auch mag man mit Dernburg den Vorgang dadurch veranschaulichen, daß der Gläubiger „die Erbschaft gleichsam an Zahlungs Statt“ annimmt6; wichtiger ist jedoch, daß die Forderung in dem Augenblick durch Konfusion erlischt, in dem der Gläubiger Erbe wird. III. Das Gutachten Papinians D. 31,77,31 Papinianus libro octavo responsorum Titio fratri suo Maevius hereditatem Seii, a quo institutus erat, post mortem suam restituere rogatus eodem Titio herede scripto petit, ut moriens Titius tam suam quam Seii hereditatem Sempronio restitueret. cum ex fructibus medio

Maevius wurde gebeten, nach seinem Tod die Erbschaft des Seius, der ihn zum Erben eingesetzt hatte, seinem Bruder Titius herauszugeben. Maevius setzte den Titius zum Erben ein und verlangte von ihm, bei seinem Tod sowohl seine Erbschaft wie auch die des Seius dem Sempronius herauszugeben. Da Titius in der Zwischenzeit aus den gezogenen Nutzungen den aus dem Fideikommiß ge-

3  Gustav Kretschmar, Erbrechtliche Kompensationen. Ein Beitrag zur Lehre von den Vermächtnissen und der Lex Falcidia, in: Festgabe für Rudolf von Jhering zum 6.  August 1892 gewidmet von der Giessener Fakultät, Leipzig 1892, Neudruck ­Aalen 1973, S. 1–108; im folgenden zitiert als Kretschmar. Er war zuletzt (ab 1877) Ordinarius für römisches Recht in Gießen und ist nicht zu verwechseln mit seinem Sohn Paul Kretschmar, der (als Extraordinarius) von 1903–1909 ebenfalls in Gießen wirkte und auch mit einer Studie zur Kompensation hervorgetreten ist (Über die Entwicklung der Kompensation im römischen Rechte, Leipzig 1907); zu ihm s. den Nachruf von Heinrich Siber, SZ 63 (1943) 528  ff. 4  Cujaz hat zwei weithin übereinstimmende Exegesen zu fr.  77,31 verfaßt, s. Jacobi Cuiacii, Opera ad Parisiensem Fabrotianam Editionem, Prato 1836 ff., Bd. 4, 1837, Sp.  2347–2350 (im Kommentar zu Papinians Responsen) und Bd.  7, 1839, Sp.  2015–2019 (in den Recitationes solemnes zum 31.  Buch der Digesten). 5  Kretschmar, S.  21. 6  Heinrich Dernburg, Die Einrechnung in den Antheil des Erben bei der quarta Falcidia und Trebelliana, AcP 47 (1864), 298; Andreas Wacke, Die Rechtswirkungen der lex Falcidia, in: D. Medicus / H.  H. Seiler (Hrsg.), Studien im römischen Recht (Max Kaser zum 65.  Geburtstag), Berlin 1973, S.  229 Fn.  108.



Papinian D. 31,77,31

tempore perceptis fideicommissi debitam quantitatem Titius percepisset, aeris alieni loco non esse deducendum fideicommissum respondi, quo­ niam ratione conpensationis percepisse debitum videbatur. plane si ea lege Maevius Titium heredem instituat, ne fideicommissum ex testamento Seii retineat, Falcidiam ­compensationi sufficere, sed iniquitate7 occurrere. pru-­ dentius autem fecerit, si ex testamento fratris hereditatem repudiaverit et intestati possessionem acceperit: nec videbitur dolo fecisse, cum fraudem excluserit.

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schuldeten Betrag erlangt hatte, habe ich gutachtlich entschieden, das Fideikommiß dürfe nicht als Schuld abgezogen werden, weil anzunehmen sei, daß Titius das Geschuldete im Wege der Verrechnung erlangt hatte. Setzt Maevius freilich Titius mit der Bestimmung zum Erben ein, daß er das Fideikommiß aus dem Testament des Seius nicht abziehen soll, so stehe zur Verrechnung das falzidische Viertel zu Gebote; dies laufe jedoch auf eine Unbilligkeit hinaus. Er würde aber klüger handeln, wenn er die testamentarische Erbfolge nach seinem Bruder ausschlagen und den Nachlaßbesitz aufgrund gesetzlicher Erbfolge annehmen würde. Er würde dadurch auch ersichtlich nicht arglistig gehandelt haben, weil er damit eine Benachteiligung ver­eitelt.

Der Text, in dem ein Gutachten Papinians wiedergegeben wird, besteht aus drei Teilen, dem Grundfall und zwei Erweiterungen. Im Ausgangsfall sind zwei Erbfälle eingetreten. Zunächst setzte Seius, dessen Erbschaft wir mit 160 veranschlagen wollen, als Alleinerben den Maevius ein, belastete ihn aber mit einem nach seinem Tod zu erfüllenden Erbschaftsfideikommiß zugunsten von dessen Bruder Titius. Später machte Maevius, dessen eigene Erbschaft ohne die des Seius 600 wert sein möge, Titius zum Alleinerben, erlegte ihm jedoch ein Universalfideikommiß sowohl hinsichtlich der Erbschaft des Seius als auch hinsichtlich der eigenen auf, wonach Titius die Erbschaften nach seinem Tod dem Sempronius herausgeben sollte. Nach Papinian hat Titius den wegen des Fideikommisses geschuldeten Betrag durch die zwischenzeitlich gezogenen Früchte erhalten. Das Fideikommiß sei als Schuld nicht mehr abzuziehen, denn Titius habe das Geschuldete ratione compensationis erlangt. – Auf die beiden Erweiterungen (plane si rell.) werden wir später eingehen (VI, VII).7 IV. Die Befriedigung des mit Universalfideikommiß beschwerten Gläubigers im Normalfall Der geschuldete Betrag ergibt sich aus dem von Seius angeordneten Fideikommiß, dessen Erfüllung Titius von Maevius verlangen konnte. Mit dem Erbantritt des Titius müßte diese Schuld allerdings durch Konfusion 7  So

die Hss. D, E, I, C, K bei Theodor Mommsen, Digesta, ed. maior, ad h.l.

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erloschen sein (Paul. D. 36,1,61 pr.; Scaev. D. 36,1,82). Dessen ungeachtet spricht Papinian von einem geschuldeten Betrag (debita quantitas; debitum). Dies erklärt sich daraus, daß die erloschenen Forderungen, die der Erbe gegen den Erblasser hatte, gegenüber Ansprüchen von Legataren und Fideikommissaren als Abzugsposten weiterhin berücksichtigt wurden8. Für die Ermittlung der falzidischen Quart war dies sehr wichtig, wie sich alsbald erweisen wird. Ihren Grund wird diese Berücksichtigung darin finden, daß der Erbe für die Forderungen der Gläubiger des Erblassers als dessen Gesamtrechtsnachfolger ebenso wie dieser einzustehen hat. Die Vermächtnisse und Fideikommisse schuldet er hingegen nicht als Gesamtrechtsnachfolger – den Erblasser trafen diese Verbindlichkeiten ja nicht –, sondern aufgrund des Erbschaftserwerbs9 und deshalb grundsätzlich auch nur, soweit nach der Tilgung der Schulden, mithin auch seines „Schuldpostens“, noch Mittel zur Erfüllung der freigiebigen Zuwendungen des Erblassers übrig sind10. Was den Umfang des genannten Schuldpostens angeht, ist davon auszugehen, daß Maevius von der Erbschaft des Seius die falzidische Quart, die nach dem SC Pegasianum auch bei Universalfideikommissen einbehalten werden konnte (Gai. 2,254), vereinnahmt hat. Demzufolge beliefe sich der Betrag nach unserem Beispiel auf 120. Da Maevius keine Kompensationsanordnung getroffen hat11, müßte Titius nach der gewöhnlichen Berechnung von der Erbschaft des Maevius12 zunächst diesen Schuldposten abziehen und von den verbleibenden 480 die Quart absetzen13, so daß er insgesamt 240 hätte und Sempronius 360 erhielte. Zu dieser Abwicklung kommt es jedoch nicht. V. Der Sonderfall: Befriedigung aus den Nutzungen Eine Komplikation ergibt sich daraus, daß Titius von Maevius mit dem weiteren Fideikommiß beschwert worden ist, auch die Erbschaft des Seius dem Sempronius herauszugeben, mithin ihm einen Betrag in Höhe des 8  Vgl. etwa Bernhard Windscheid / Theodor Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Aufl., Frankfurt / M. 1906, Bd.  3, §  665 Fn.  4a, S.  705. 9  Inst. 3,27,5 führt als Verpflichtungsgrund an: quasi ex contractu debere intellegitur, was nicht mehr als ein durch den Systematisierungsversuch veranlaßter Notbehelf ist. 10  Vgl. Kretschmar, S.  44  ff. 11  Wie in dem vergleichbaren Fall Pap. D. 35,2,15,3, dazu Kretschmar, S.  17  ff., 30  f., 35  f. – s.  zudem u. VI. 12  Also 600; darin mag das Viertel aus der Erbschaft des Seius enthalten sein. 13  Vgl. Alex. C. 6,50,6 pr. (a. 223); C. 6,50,8,1 (a. 233), vgl. Cujaz, Bd.  4, Sp.  2348; Bd.  7, Sp.  2016.



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Rechnungspostens von 120 auszuzahlen (wenn man die Möglichkeit beiseite läßt, daß Titius konkrete Gegenstände der Erbschaft des Seius herausgeben könnte). Für die Beschwerung des Titius mit dem Fideikommiß ist jedoch Voraussetzung, daß ihm vom Erblasser Maevius aus dem Nachlaß oder auch durch Schenkung von Todes wegen etwas hinterlassen worden ist, mit oder aus dem er die fideikommissarische Bitte erfüllen kann14. Eine Zuwendung, die eine Grundlage für die fideikommissarische Bitte des Maevius bieten könnte, liegt grundsätzlich nicht darin, daß Maevius mit der Erbeinsetzung dem Titius auch die Erbschaft des Seius verschafft hat. Denn diese Erbschaft schuldete er dem Titius bereits aus dem von Seius angeordneten Fideikommiß. Die Erfüllung einer bestehenden und im Todeszeitpunkt des Maevius auch fälligen Verbindlichkeit wäre mithin keine besondere Zuwendung und erlaubte keine Beschwerung des Gläubigers mit einem Fideikommiß15. Allerdings konnte Maevius, wie dargetan, von der Erbschaft des Seius die Quart einbehalten. Er hätte demnach dem Titius nur in Höhe eines Viertels dieser Erbschaft ein Fideikommiß zugunsten des Sempronius auferlegen können. Für alldas ist jedoch Voraussetzung, daß die Verbindlichkeit des Maevius aus dem Fideikommiß noch nicht erfüllt war, und eben diese Voraussetzung verneint Papinian. Er nimmt also nicht an, dadurch daß Titius die Erbschaft des Maevius angetreten und damit zugleich die des Seius erlangt hat, sei die Verbindlichkeit oder (wegen der Konfusion besser) der Schuldposten gleichsam durch Zweckerreichung getilgt. Das wird sich daraus erklären, daß Titius einen Anspruch auf die uneingeschränkte Überlassung der (um die Quart verkürzten) Erbschaft des Seius hatte, Maevius sie ihm aber, wie sich aus seinen testamentarischen Anordnungen ergab, nur unter Beschwerung des Titius mit dem Fideikommiß zugunsten des Sempronius, also nur auf Zeit verschaffen wollte. Infolgedessen müßte der Schuldposten bis zum Tod des Titius bestehen geblieben sein und erst von diesem Zeitpunkt oder vom Antritt der Erbschaft des Titius ab erlangte die Frage praktische Bedeutung, ob der Erbe des Titius das dem Titius von Maevius hinsichtlich der Erbschaft des Seius auferlegte Fideikommiß zu erfüllen hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Titius offensichtlich schon lange Jahre die Früchte aus der Erbschaft des Maevius (mitsamt der des Seius) ziehen können. Dazu war er als Erbe und Eigentümer zwar berechtigt; 14  s.  etwa Gai. 2,261 (sed hoc solum observandum est, ne plus quisquam rogetur aliis restituere quam ipse ex testamento ceperit); Ulp. D. 32,1,6; Inst. 2,24,1. 15  Cujaz, Bd.  7, Sp.  2016 verweist für die Aussage: debitor creditori frusta legat aut frustra eum heredem instituit in eo quod debet auf Pap. D. 31,67 pr. (non constituit quod datur, quasi creditori relictum); vgl. auch dens., Bd.  4, Sp.  2348 sowie Paul. D. 31,82 pr.; Inst. 2,20,14.

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doch lag es in der Hand des Erblassers zu bestimmen, ob sie ihm auch unentgeltlich zustehen sollten. Ohne einen begründenden Hinweis zu geben, geht Papinian davon aus, daß die Früchte dem Titius nicht unentgeltlich zufallen sollen, jedenfalls insoweit nicht, wie der zu seinen Gunsten bestehende Schuldposten reicht. Da die von Titius in der Zeit bis zu seinem Tod gezogenen Nutzungen in ihrem Wert den aus dem Fideikommiß geschuldeten Betrag erreicht hatten – ein Umstand, der sich vermutlich aus der Gutachtenanfrage ergab –, konnte der Jurist annehmen, Titius habe in Form der Nutzungen ratione compensationis den ihm geschuldeten Betrag erhalten. Die aus dem eher formalen Grund der Konfusion aufgehobene Forderung war damit auch materiell erloschen, und zwar schon vor dem Erbfall, wie sich aus dem Plusquamperfekt percepisset ergibt. Da die Forderung des Titius zur Zeit des Erbfalls nicht mehr bestand, Titius kein Fideikommissar mehr war, liegt in seiner Erbeinsetzung eine letztwillige Zuwendung, die es rechtfertigt, ihn als den Empfänger durch Fideikommiß zu beschweren, im konkreten Fall also mit der Pflicht zur Herausgabe des Zugewendeten, mithin der Erbschaft des Maevius, die die von Seius stammende umschließt. Mit dieser Lösung gelingt es Papinian, den letztwilligen Anordnungen des Maevius zur Wirksamkeit zu verhelfen und zugleich die Interessen des Titius oder seines Erben zu berücksichtigen. Bleibt man bei unseren Beispielszahlen, so erweist sich die Lösung auch für Titius als die günstigere: Als bloßer Fideikommissar hatte er Anspruch auf 120, als Erbe des Maevius erlangt er ein Gesamtvermögen von 720 (600+120). Zwar muß er dieses bei seinem Tod dem Sempronius restituieren; doch kann er in seiner Eigenschaft als Erbe davon die Quart einbehalten16, so daß seinem Erben 180 verbleiben. Um eine compensatio im technischen Sinn handelt es sich, wie klarzustellen bleibt, in unserem Fall nicht. Denn es wird nicht etwa gegen die Forderung des Titius mit einer Forderung des Maevius aufgerechnet; vielmehr dient eine Zuwendung dazu, dem Empfänger zum Ausgleich eine Forderung zu nehmen. In erbrechtlichen Zusammenhängen ist diese Sonderform einer compensatio nicht selten17. VI. Die erste Erweiterung: Verrechnung mit der Quart In der ersten Variation weist Papinian auf die Rechtslage für den Fall hin, daß Maevius den Titius mit der Bestimmung zum Erben einsetzt, daß er das 16  Was ein Gesamtfideikommissar, der mit der Herausgabe der Erbschaft beschwert ist, nicht könnte, Ulp. D. 35,2,47,1; D. 36,1,23,5; Maec. D. 35,2,32,4. 17  Sie bildet den Gegenstand von G. Kretschmars Abhandlung (s. o. Fn.  1).



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Fideikommiß aus dem Testament des Seius nicht „retinieren“ soll: Dann stehe die [Quart nach der lex] Falcidia für die Verrechnung zu Gebote18. Doch ergebe sich, schränkt Papinian ein, eine Ungerechtigkeit19. Der Schlüssel zum Verständnis dieser Hinweise liegt im Verb retinere, das in diesem Zusammenhang die Bedeutung von „abziehen“, „einen Abzug vornehmen“ hat20. Papinian hat also, wie schon seine Eröffnung mit plane si vermuten läßt, eine andere Art von „Kompensation“ vor Augen. Da Maevius dem Titius in der testamentarischen Nebenbestimmung untersagt hat, seine Forderung aus dem Erbschaftsfideikommiß des Seius abzuziehen, ist die gewöhnliche Abrechnung, wie sie oben (IV.) dargelegt wurde, verschlossen: Titius kann nicht vorweg seine Forderung abziehen und dann die Quart einbehalten; vielmehr muß er seine Verrechnung im Rahmen der Quart 18  So zur Übersetzung des Verbs sufficere Hermann Gottlieb Heumann / Emil ­Seckel, Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts, 11.  Aufl., Graz 1971 (=  Nachdr. der 10. Aufl., Jena 1907), S.  567 s.v. sufficere 3 zum fr.  77,31 mit dem Hinweis: „interp.?“. 19  Wegen des unpassenden Ablativs iniquitate will Mommsen, ed. maior ad h.l., emendieren: sed iniquitate] et iniquitati; er versteht den Hinweis also dahin, es werde mit der Verrechnung im Rahmen der Falcidia der Ungerechtigkeit begegnet, sie werde verhindert. So auch die Mommsen folgende niederländische Übersetzung, Bd. 4, 1997, S. 593 (L. de Ligt / J. E. Spruit). Aber das wird der Sache nicht gerecht (s. im Text). Mit den bei Mommsen zu Z. 30 angeführten Hss. sowie Haloander, Cujaz (Bd. 4, Sp. 2350; Bd.  7, Sp.  2018); Dig. Mil. u. a. empfiehlt sich die Verbesserung in iniquitatem, die wohl auch paläographisch näher liegt, weil ein Strich über dem e übersehen worden sein könnte. – Die heftigste Interpolationenkritik zu plane si rell. hat (sich an der Verwendung von lex in diesem Zusammenhang störend) überraschenderweise ein so besonnener Forscher wie Alfred Pernice geübt in: Labeo. Römisches Privatrecht im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit, Bd. 3 Abt. 1 in 1. Aufl. [Teil E], Halle 1892, Neudr. Aalen 1963, S. 19 Fn. 2: „Diese Erweiterung und Verschiebung des Rechtsfalles gegenüber dem Anfange des Gutachtens ist nicht im Stile der Responsen Papinians. Die Ausdrucksweise ist so ungeschickt, dass man durch die verschiedensten Konjekturen zu helfen versucht hat. Es soll gesagt werden: nur die Falcidia kann abgezogen werden und das ergibt eine Unbilligkeit. Es wird gesagt: die Falcidia steht für die Aufrechnung zu Gebote, aber (sie) tritt der Unbilligkeit entgegen. Daraus wäre nun der Schluss: so verstösst der Erbe nicht [S. 20] gegen das Edikt si quis omissa causa, wenn er ausschlägt und als gesetzlicher Erbe antritt. Tatsächlich wird indes gesagt: er wird aber klüger handeln auszuschlagen. Freilich ist das wahr; darauf kommt es aber nicht an. Das Ganze ist Gerede der Kompilatoren“. Auf diese Weise wird der Text jedoch geradezu mutwillig mißverstanden. Überdies ist es auch in Responsen keineswegs selten, daß Variationen erwogen und Verfahrenshinweise gegeben werden, sei es wegen Unklarheiten in der Anfrage, sei es um die Problematik (zumal in einer publizierten Version) auszuleuchten. – Fehl geht die Verdächtigung bei Hugo Krüger / Max Kaser, SZ 63 (1943) 167: „wohl [quoniam –], …“ unter Berufung auf Gerhard v. Beseler, SZ 51 (1941) 61, dem es um fr. 77,33 (nicht 31) geht. 20  Vgl. nur H. G. Heumann / E. Seckel, Handlexikon, S. 516 s.v. retinere 3, ferner Kretschmar, S.  66.

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vornehmen21 und darf seine Forderung auch nicht mit sonstigen Vorteilen der Erbschaft zum Ausgleich bringen; von den Früchten ist in dieser Variation deshalb nicht mehr die Rede. Greifen wir auf die Zahlen unseres Beispiels zurück, so erlangt Titius nicht insgesamt 240 (wie bei der gewöhn­ lichen Abrechnung), sondern das Viertel von den 600, also 150, und nicht mehr, denn mit diesen 150 ist seine Forderung auf 120 verrechnet. Dies ist offenbar die Situation, die Papinian vor Augen hat und zu der er treffend bemerkt, daß sich eine Ungerechtigkeit ergibt; denn mit dieser „Kompensation“ wird Titius um seine Forderung gebracht oder – anders gesehen – die Quart wird ihm nahezu genommen. Demgegenüber könnten sich Zweifel daraus ergeben, daß die Lex Falcidia zugunsten des Erben zwingendes Recht war. Zu einem Fall, in dem der Erblasser dafür gesorgt hatte, daß seine Schwester, die Erbin, einem Dritten eine Vertragsstrafe versprach, wenn sie von der Falcidia Gebrauch machen würde, sagt Papinian selbst im 13.  Buch seiner Responsen: privatorum cautione legibus non esse refragandum constitit et ideo sororem iure publico retentionem habituram et actionem ex stipulatu denegandam (D. 35,2,15,1)22. Die zwingende Natur schloß es jedoch nicht aus, daß der Erbe auf die Quart an einer ihm angefallenen Erbschaft verzichtete23, und sie hinderte den Erblasser auch nicht, dem Erben auf indirektem Wege die Quart zu kürzen oder sogar ganz zu nehmen, wie das soeben in der ersten Abwandlung unseres fr. 77,31 deutlich wurde und wie es sich auch zeigt in D. 35,2,15,4 Papinianus libro nono responsorum Cum fideicommissum, ex voluntate matris a patre moriente debitum, filio pater hereditate sua, quam in filium conferebat, compensari voluit: quod filio debetur, si ratio Falcidiae poni coeperit, fini quadrantis, quem ex bonis patris cum effectu percepit, compensabitur atque ita superfluum aeris alieni dodranti tantum detrahetur.

Nach dem letzten Willen der Mutter schuldete der Vater bei seinem Tod dem [dann gewaltfreien] Sohn ein Fideikommiß. Der Vater bestimmte, daß es mit seiner Erbschaft, die er dem Sohn zuwendete, verrechnet werden sollte. Wenn man damit beginnt, die Berechnung der Falcidia anzustellen, wird das, was dem Sohn geschuldet wird, bis zur Grenze des Viertels, das er aus dem Nachlaß des Vaters tatsächlich erlangt hat, verrechnet und dann wird das, was von der Schuld darüber hinausgeht, von den drei Vierteln abgezogen werden.

21  Ebenso Christian Friedrich Glück / Christian Friedrich Mühlenbruch, Pandecten, Bd.  43, Erlangen 1843, S.  468 Fn.  22; Kretschmar, S.  66. – Zu einer über die Quart hinausgehenden Forderung s. sogleich bei Pap. D. 35,2,15,4. 22  Dazu etwa Max Kaser, Über Verbotsgesetze und verbotswidrige Geschäfte im römischen Recht, Wien 1977, S.  90; s. ferner Pap. D. 35,2,15,8; Scaev. D. 35,2,27; Gord. C. 6,50,11 (a. 243) sowie Marcell. D. 39,5,20,1, dazu Andreas Wacke, Die Rechtswirkungen der lex Falcidia, in: Dieter Medicus / Hans Hermann Seiler (Hrsg.), Studien im römischen Recht (Max Kaser zum 65. Geb.), Berlin 1973, S.  227, 229. 23  A. Wacke, S.  227  ff.



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Auch hier liegt eine Kompensationsanordnung des Erblassers vor, die von Papinian in ihrer Wirksamkeit nicht angezweifelt, vielmehr ohne weiteres in ihrer Wirkweise dargestellt wird: Nur soweit die Forderung des Erben über seine Quart hinausgeht, kann sie von den drei Vierteln abgezogen werden. Der Erbe erhält folglich den vollen Betrag seiner Forderung aus dem (zureichenden) Nachlaß, hat jedoch nichts von seiner Quart, die zur Kompensation verwendet worden ist24. Hinzuweisen ist auch auf D. 35,2,12 Papinianus libro trigesimo quaestionum Si debitor creditore herede instituto petisset ne in ratione legis Falcidiae ponenda creditum suum legatariis reputaret, sine dubio ratione doli mali exceptionis apud arbitrum Falcidiae defuncti voluntas servatur.

Hatte der Schuldner bei der Erbeinsetzung seines Gläubigers verlangt, er solle gegenüber den Vermächtnisnehmern seine Forderung nicht zur Anrechnung bringen, wenn die Berechnung nach der Lex Falcidia angestellt wird, so wird ohne Zweifel aufgrund der Einrede der Arglist der Wille des Verstorbenen bei dem über die Falcidia erkennenden Richter gewahrt.

Das Fragment gibt zugleich Hinweise zum Verfahren. Bei dem arbiter wird es sich um einen vom Magistrat auf Antrag eingesetzten (Hilfs-)Richter handeln, der den Bestand und Wert des Nachlasses zu ermitteln, die in Betracht kommenden Abzugsposten festzustellen und die Quart zu errechnen hatte – wozu sich offensichtlich häufig Streit ergab25. Die exceptio, von der Papinian spricht, ist schwerlich im technischen Sinn zu verstehen, sondern eher als Hinweis auf das weitreichende richterliche Ermessen, dem Einwendungen nach Art der exceptio doli inhärent sind26. Als dolos wurde die Widersprüchlichkeit angesehen, daß der Erbe, obwohl er die Erbschaft übernommen hatte, sich nicht gewillt zeigt, dem ihn verpflichtenden Wunsch des Erblassers zu entsprechen. In der Sache zeigt auch das fr.  12, daß der Erblasser in den Kompensationsfällen den Erben auf die – als solche immerhin unangetastete – Quart beschränken27 und ihm damit seine Forderung nehmen konnte. Überdies bestätigt der Text, daß es in der Hand des Erblassers lag zu bestimmen, auf welchem der beiden unterschiedlichen Wege die Verrechnung der Forderung des Erben erfolgen sollte. Selbstverständlich wurde seine Entscheidung auch dadurch beeinflußt, ob er den Vermächtnisnehmern oder Fideikommissaren möglichst viel zuwenden wollte. Demgegenüber blieb es dem Erben unbezu fr.  15,4 bei Kretschmar, S.  20  ff. Kretschmar, S. 70 f. (der auf Ulp. D. 35,3,1,6; Marcell. D. 35,2,55; Carac. C. 6,47,2,2,a. 212, und Pauli sent. 3,8,2 hinweist); A. Wacke, S.  222; Peter Kieß, Die confusio im klassischen römischen Recht, Berlin 1995, S.  124. 26  Vgl. Kretschmar, S. 71 f.; A. Wacke, S. 229 A. 108; P. Kieß, Confusio, S. 124. 27  Vgl. H. Dernburg (o. Fn.  6), S.  298. 24  Weiteres 25  Vgl.

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nommen, die Erbschaft (als Hauserbe) auszuschlagen oder (als Außenerbe) nicht anzutreten. Ist damit dargetan, wie die gegenüber dem Ausgangsfall abweichende Kompensation in der ersten Fallabwandlung des fr.  77,31 zu verstehen ist, so ist auch ohne weiteres begreiflich, daß Papinian diese Verrechnung als ungerecht bezeichnet: Sie hat die Aushöhlung der Quart und damit eine Verkürzung des Erbenschutzes zur Folge. VII. Die zweite Erweiterung Damit wird auch der Schlußteil des § 31 ohne weiteres verständlich. Papinian weist darauf hin, der Erbe würde klüger handeln, wenn er (als Bruder des offenbar kinderlosen Maevius)28 die testamentarische Erbfolge zurückwiese und den Nachlaß nach der gesetzlichen Erbfolge annähme. An sich würde ihm dies nicht helfen, weil der Prätor mit seinem Edikt Si quis omissa causa  … (D. 29,4) der List, calliditas, derjenigen entgegentritt, die nach Ablehnung des testamentarischen Erwerbs die Erbschaft als gesetzliche Erben in Besitz nehmen, ad hoc, ut eos circumveniant, um also diejenigen zu hintergehen, denen nach dem Willen des Verstorbenen etwas geschuldet werden könnte, wenn die Erbschaft nicht ohne Testament in Besitz genommen worden wäre (Ulp. D. 29,4,1 pr.). Danach würde Sempronius auch in diesem Falle von Titius die Herausgabe der Erbschaft des Maevius (mitsamt der des Seius) mit einer utilis actio verlangen können. Papinian schließt diese Möglichkeit jedoch aufgrund einer teleologischen Reduktion der ediktalen Anordnung, wie sie sich auch bei Celsus und Marcellus findet29, aus: Der Prätor will einem arglistigen Handeln die Wirkung nehmen, das darauf zielt, Vermächtnisnehmer und Fideikommissare zu schädigen. Von Titius wäre jedoch nicht anzunehmen, daß er in dieser Weise arglistig gehandelt hat, weil es ihm nur darum ging, die ungerechte Benachteiligung auszuschließen, die Maevius ihm zuzufügen gedachte. Damit wird zugleich deutlich, weshalb Papinian in der ersten Erweiterung die Ungerechtigkeit der dort erörterten Kompensation betont hat, bildete dies doch die Grundlage für die elegante Argumentation, mit der er seine Erörterung des Falles abschließt30. Cujaz, Bd.  4, Sp.  2550. D. 29,4,6,8 i.f. (neque enim interdictum est, ut quis omittat hereditatem, si sine fraude id fiat); Marcellus-Ulp. D. 29,2,42 pr. (nec enim videtur voluisse fraudare edictum, qui sibi prospicit, ne oneribus patris pupilli hereditas implicaretur), vgl. auch Cujaz, Bd.  7, Sp.  2019; Kretschmar, S.  67  ff. 30  P.S. Mein Manuskript hat Berthold Kupisch veranlaßt, sein Bemühen um ein besseres Verständnis der „nicht besonders kompliziert“ Rechtsfragen diskussionslos zu publizieren, SZ 128 (2011) 381 ff. – Hiob 13,5. 28  Vgl.

29  Celsus-Ulp.

Rechtspflege in der Provinz: Ein causidicus am Rande der Alpen Von Anne Kolb Das Römische Reich stellt aus unserer Perspektive eine einzigartige historische Formation dar, die trotz regionaler und kultureller Unterschiede vor allem im Hinblick auf ihre politische Führung, Armee und Administration als Einheit wahrgenommen wird. Dabei ist jedoch nicht zu vernachlässigen, dass in diesem Riesenreich, auf dessen Territorium sich heute über 30 moderne Staaten befinden, die ökonomischen und sozialen Bedingungen für die Mehrzahl der geschätzten 50–80 Millionen Bewohner sehr heterogen waren. Dies gilt überdies für deren persönlichen Rechtsstatus sowie für die Rechtsordnung, die für den einzelnen Reichsbewohner jeweils maßgeblich war. Denn das Imperium Romanum, das durch die sukzessive Eroberung von Königreichen, Poleis und Völkern der Mittelmeerwelt entstanden war, bildete einen Vielvölkerstaat mit ebenso vielfältigen Rechtssystemen. Diese behielten bis zum Jahr 212 zwar formell ihre Gültigkeit, so dass bis dahin jeder frei geborene Nicht-Römer nach dem Recht seines Volkes oder Stadtstaates lebte, doch gewann das römische Recht schon lange vorher an Bedeutung, da Herrscher, Magistrate und kaiserliche Beauftragte in den Provinzen nach römischem Recht Entscheide fällten; daneben trugen Bürgerrechtsverleihungen, Kolonisierung und Munizipalisierung ebenso zu dessen Verbreitung bei.1 In den provinzialen Gemeinden, die entweder nach römischer Verfassung neu gegründet wurden oder durch eine Statuserhöhung eine solche erhielten, herrschte die Rechtsordnung der Römer.2 Daher erfüllten die dort amtierenden städtischen Magistrate, die römische Bürger waren, ihre Jurisdiktion nach römischem Recht. Dementsprechend waren lokale Anwälte, Sachwalter oder Rechtsvertreter nötig, die über Kenntnisse des römischen Rechts1  Zur Entwicklung von Reichsrecht und Volksrecht siehe jüngst Liebs (2009); grundlegend Mitteis (1891), S. 85–208; zusammenfassend Kaiser (2003), Sp.  303– 306. Für Hinweise und Kritik danke ich Jens Bartels, Benjamin Hartmann, Anna Willi (alle Zürich), Christina Kokkinia (Athen) sowie Joachim Fugmann (Konstanz). 2  Zusammenfassend zu den Kolonien: Galsterer (1997), S. 76–85; zu den Munizipien Galsterer (2000); zum ius Latii Galsterer (1999), S. 1172–1174.

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bzw. Prozesswesens verfügten. Allerdings waren diese Rechtsvertreter in aller Regel keine ausgebildeten römischen Juristen (iuris periti oder iuris consulti), sondern Sachwalter bzw. Gerichtsredner (advocati, causidici, patroni), die weder eine spezifische Ausbildung noch ein Studium des römischen Rechts genossen hatten.3 Obwohl Rechtsstreitigkeiten offenbar einen nicht unbedeutenden Teil des alltäglichen Lebens auch der einfachen Bevölkerung ausmachten,4 besitzen wir überwiegend nur allgemeine oder schlaglichtartige Informationen darüber: Die normativen Texte von Juristen und Kaisern sowie die Hinweise im philosophischen, historiographischen oder weiterem literarischen Schrifttum lassen grob Werdegang und Tätigkeitsfeld der Rechtsbeistände erkennen.5 Allein in Ägypten gewährt eine Reihe von Papyri Einblicke in einzelne Prozesse und Verfahrensweisen.6 Das Bild bereichern schließlich die epigraphischen Zeugnisse, die immer wieder Erkenntnisse über Personen, Funktionen wie überhaupt über das Vorhandensein einfacher Rechtsbeistände in den Gemeinden des Reiches ermöglichen. Das folgende Beispiel bildet einen weiteren Mosaikstein für die Provinzen im Westen des kaiserzeitlichen Imperium Romanum. Das Grabmonument des Lucius Aurelius Repertus Ein Grabmonument aus der Umgebung von Genf, das bereits im 16.  Jh. an der Straße zwischen Genf und Versoix gefunden wurde, liefert den folgenden Text: D(is) M(anibus) / L(ucio) Aur(elio) Reperto iuven[i] / erudito causidico / bis civi(tatibus) Vallinsae (!) / et Equestri defun[c] / to annorum XVIII[I] / filio pientissimo / Aurel(ius) Respe[c]tus / pater ponendum / curavit. 3  Zur Unterscheidung, die gelegentlich in Frage gestellt wird, siehe schon Mitteis (1891), S. 189–196; Friedländer (1922), S. 183–189; Kunkel (1967), S. 325–330; Schulz (1961), S. 128–129, 140, 341–342; Crook (1995), S. 39–46, 187; Kaser / Hackl (1996), S. 219; Wieling (1998), S. 419–421; Liebs (2002a), S. 23–24; Liebs (2005), S. 16; Brundage (2008), S. 23–24. Siehe zu den römischen Juristen bes. Kunkel (1967); Liebs (1997); Liebs (2002a); Liebs (2005), bes. zur Ausbildung siehe unten Anm. 15; Jones (2007). 4  Darauf deuten Aussagen wie von Martial 2,90,9–10 sit mihi verna satur, (…), sit sine lite dies hin oder evtl. Formeln in Grabinschriften wie z. B. CIL VI 12133 dolus malus abesto et iuris consultus, welche zumindest die Abneigung gegen Juristen erkennen lassen, siehe mit weiteren Zeugnissen Nörr (1974), S. 52–54; vgl. auch allg. den ergiebigen Quellenbefund der Papyri in Bezug auf das Rechts- und Prozesswesen in Ägypten bei Lewis (1983), S. 185–195; Parsons (2009), S. 248–249; vgl. ferner unten Anm. 6. 5  Vgl. oben Anm. 3. 6  Crook (1995), S. 58–118; Heath (2004).



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Das Grabmonument des Lucius Aurelius Repertus (Foto: Anne Kolb)

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Den Manen. Für Lucius Aurelius Repertus, den gebildeten jungen Mann, der zweimal – (sowohl) für die Vallensische und (auch) die Equestrische Gemeinde  – als Rechtsvertreter (aufgetreten ist), verstorben im Alter von 19 Jahren, den treusten Sohn, hat Aurelius Respectus, der Vater, (den Grabstein) aufstellen lassen.7

Nach dem Tod seines 19-jährigen Sohnes stattete der Vater Aurelius Respectus dessen Grab mit einem im heutigen Zustand schmucklosen, aber mächtigen Grabstein (152 × 54 × 42 cm) aus, der jedoch ursprünglich die Form eines verzierten Grabmonuments, entweder einer Giebelstele oder eines Altars, gehabt hatte.8 Beide Monumenttypen sind in Genf und Umgebung wie auch sonst im römischen Reich überaus gut bezeugt, liefern jedoch keine klaren Hinweise für die zeitliche Einordnung des Grabsteins. Solche können aber dem Grabtitulus entnommen werden, der aufgrund von Namen und Titeln am ehesten in das 2. oder 3. Jh. gehört: Der Familienname von Vater und Sohn, beides Aurelii, spricht für eine Datierung nach der Mitte des 2. Jh., genauer vielleicht nach dem Jahr 212, als Kaiser Caracalla allen frei geborenen Reichsbewohnern das römische Bürgerrecht verlieh und damit das Recht, seinen Gentilnamen (Aurelius) zu tragen.9 Dies unterstreichen auch die Nachnamen, die auf den Neubürgerstatus ihrer Träger hindeuten: Das Cognomen Repertus ist selten und kommt nur im Umfeld von Provinzialen oder Freigelassenen vor. Die Parallelen reichen, soweit datierbar, vom frühen 1. bis zum späten 2. Jh.10 Vergleichbares gilt für das viel häufigere Cognomen des Vaters Respectus.11 Ferner spricht das fehlende Praenomen des Vaters für die Zeit nach dem 2. oder 3. Jh. In dieselbe Zeit weisen die Bezeichnungen der beiden Gemeinden Martigny (forum Claudii Vallensium) und Nyon (colonia Equestris): So sind die Orte in der Inschrift anstelle des exakten, ihrem Rechtsstatus XIII 5006 = RIS I, Nr.  45 = Maier (1983), S. 134 Nr.  101. ergab jüngst eine Autopsie, die im September 2010 im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Forschungsprojektes „Römische Inschriften aus der Schweiz: Neufunde und Neubearbeitungen seit 1916. Supplementband zum Corpus Inscriptionum Latinarum, CIL XIII“ von mir gemeinsam mit meinen oben genannten Mitarbeitern (Anm. 1) durchgeführt worden ist, im Musée d’Art et d’Histoire in Genf. Der Stein zeigt im oberen sowie unteren Drittel ringsherum Meisselspuren, welche darauf hindeuten, dass Steinmaterial abgeschlagen worden ist. An der Oberkante der Rückseite sind noch die beiden Eck-Akrotere in ihrem Umriss sowie eine Abschrägung des Steins nach oben deutlich zu erkennen. 9  Zur Constitutio Antoniniana siehe zuletzt Buraselis (2007), zu den Aurelii S. 94–120. 10  Kajanto (1965), S. 355; Lörincz / Redö (2002), S. 26; siehe ferner AE 1969 / 70, 578 (Baltchik, Moesia inferior); AE 2003, 1218 (Köln, Germania inferior); AE 2005, 977 (Saint-Estève-le-Pont, Gallia Narbonensis); CIL III 13547 (Schierenhof, Raetia); CIL V 1444 (Aquileia, Venetia et Histria, Regio X); CIL VI 35814 (Rom). 11  Kajanto (1965), S. 355; Lörincz / Redö (2002), S. 26–27. 7  CIL

8  Dies



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entsprechenden Titels beide summarisch mit dem Terminus civitas bezeichnet, der sich seit Ende des 2. Jh. in zunehmenden Maße zur üblichen Bezeichnung für eine Gemeinde – egal welchen Rechts – entwickelte12. Der Werdegang des causidicus Der Grabtitulus charakterisiert Lucius Aurelius Repertus zunächst als „gelehrten“ jungen Mann, der eine Ausbildung bzw. Unterricht genossen hatte (eruditus). Damit ist seine Bildung herausgestellt – ein Phänomen, das in römischen Grab- oder Ehreninschriften immer wieder zu finden ist und auf die gesellschaftliche Wertschätzung von Bildung schließen lässt.13 Lucius Aurelius Repertus dürfte eine rhetorische Ausbildung genossen haben, bevor er die Tätigkeit des Gerichtsredners ausübte. Denn trotz seines jugendlichen Alters hatte er bis zu seinem Tod bereits zweimal als causidicus, Redner vor Gericht, fungiert. Im römischen Bildungssystem stellte der Besuch des Rhetorikunterrichts, die als dritte mögliche Ausbildungsstufe auf den obligatorischen Elementarunterricht sowie die anschließende Ausbildung beim Grammatiklehrer folgte, zumeist den Abschluss der höheren Bildung dar.14 So konnte ein junger Mann nach dem Erwerb rhetorischer Fähigkeiten im Alter von 18 oder 20 Jahren entweder direkt als Rechtsbeistand tätig werden oder noch ein fachwissenschaftliches Studium der Jurisprudenz, das zudem einen Aufstieg in den Staatsdienst ermöglichen konnte, beginnen.15 Solche Schulen zur Ausbildung von Fachjuristen existierten außerhalb Roms offenbar nicht vor dem 2. Jahrhundert und entwickelten sich in den Provinzen verstärkt erst nach dem Jahr 212.16 Der verstorbene 19-jährige Lucius Aurelius Repertus jedoch dürfte – wie für einen Gerichtsredner damals üblich – keine zusätzliche Ausbildung in einer Rechtsschule genossen haben. Schließlich befähigten ihn seine rheto12  Langhammer

(1973), S. 23–24. Verwendung von eruditus in Grabinschriften siehe z. B. AE 1971, 322 (Brigetio, Pannonia superior); ILAlg I 1363–1364 (beide aus Thubursicu Numidarum, Africa proconsularis); zur Erwähnung von Bildung in provinzialen (griechischen) Inschriften und ihrer sozialen Achtung siehe am Beispiel Makedoniens Bartels (2008), S. 176–177, 186–187; zu den Indikatoren von Bildung zählte dort auch „kundige Weisheit in den Gesetzen der Römer“ nach I. Beroia 97. 14  Zum römischen Schulwesen und Studium siehe zusammenfassend mit der älteren Literatur die Beiträge von D. Bormann, C. Kunst, K. Vössing, R. Klein, in: Christes / Klein / Lüth (2006), S. 101–124, 136–155. 15  Zur Juristenausbildung Liebs (1976); Wieling (1998); Liebs (2002b); Liebs (2008). 16  Liebs (2002b). 13  Zur

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rischen Studien, die er möglicherweise in seiner Heimat durchgeführt hatte, zur Ausübung seines Berufs. Denn aus der Grabinschrift des im Alter von 16 Jahren verstorbenen Exomnius Macrinus Rusticus (aus Villette bei Aime) ist bekannt, dass im Wallis damals offenbar höhere, eben rhetorische Bildung genossen werden konnte, denn er hatte dort studiert: in studiis Valle Poenina.17 Der Unterricht fand für gewöhnlich entweder bei einem erfahrenen Redner bzw. Anwalt oder auch in einer Schule statt. Ob aber dafür im römischen Martigny ein eigenes Auditorium existierte, wie schon lange aus einer Renovationsinschrift gefolgert wurde,18 muss doch sehr fraglich bleiben. Da die Inschrift keinerlei Aussage zur Nutzung des Hörsaals sowie des zugehörigen Baukomplexes liefert, kann die Verwendung für den Unterricht zwar nicht ausgeschlossen werden. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es sich bei dem Auditorium in seiner primären Funktion um ein Lokal für Gerichtsverhandlungen vor dem Statthalter und Magistraten handelte. Denn ein Provinzstatthalter als Bauherr – wie hier der Procurator Titus Coelius [- - -] nianus – kümmerte sich wohl in besonderem Maße um Bauvorhaben, die seinen Bedürfnissen dienten.19 Prinzipiell vertrat ein causidicus die streitenden Parteien als Sachwalter oder Beistand vor Gericht oder einer Schiedsstelle, indem er den Rechtsfall (causa) präsentierte,20 d. h. sein Auftritt als Redner war von Relevanz, was in der Kaiserzeit ebenso für advocati, patroni und oratores galt.21 Auch die epigraphischen Quellen zeigen in zwei Varianten zum Titel eines causidicus deutlich diese Rednerfunktion mit der Formulierung: causas egit und causa17  CIL XII 118 (p. 804) = ILAlp 1, 36 (Axima, Alpes Graiae): D(is) M(anibus) / L(uci) Exomni Macrini Rustici fili(i) hic Bri / gantione geniti annorum XVI in studi(i)s / valle Poenina vita functi reliquis eius / [huc] delatis Nigria Marca mater fili[o] / [pient]issimo et sibi uiua faciendum / curavit. 18  Siehe Collart (1941) und Stähelin (1948), S. 491 zur Bauinschrift, welche die Renovation eines Bauwerks mit beheizbarem Hörsaal nach einem Brand bezeugt: AE 1945, 124 = RIS III, Nr.  273 = Walser (1986), S. 33–34 Nr.  12 (Forum Claudii Vallensium, Alpes Poeninae): Fabri[cam fun]ditus [erutam] / cum [portic]u et tabe[rnis] / vi ig[nis consu]mpta [r]estituit / in qua au[dit]orium [h]ypo / caustum a solo exstruxit / Titus Coe[li]us [- - -]nianus / [vir] [eg]re[gi]us [pr]ocu[rato]r / [Aug]ust(orum) nostr(orum). Trotz fehlender eindeutiger Grabungsbefunde oder anderer Zeugnisse erweitert zuletzt Wiblé (2009), S. 112 (ohne jegliche Belege) die These zur Existenz einer Art von Universität des Wallis in Martigny. 19  Vgl. zu den Provinzhauptstädten zusammenfassend Haensch (2006), S. 150; zum Prokurator siehe Thomasson (1984), Sp.  68 Nr.  13. 20  Gai. Dig. 1,2,1 causas dicentibus; Quint. Inst. Or. 12,3,2; 12,1,25; Apul. Apol. C. 48: patronos litigatorum causidicos nominari, quod cur quaeque facta sint expediant. 21  Tac. Dial. 1,1: horum autem temporum diserti causidici et advocati et patroni et quidvis potius quam oratores vocantur; TLL III, 1912, 703–704; grundlegend zur Definition Kubitschek (1894); Kaser / Hackl (1996), S. 219; Paulus (1997).



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rum orator.22 Daher war juristische Fachkompetenz für diese Berufe weder nötig noch üblich. Falls die Kenntnisse eines Rechtsbeistands nicht ausreichten, war es ebenso gängig, sich zusätzlich fachliche Unterstützung bei einem Rechtskundigen (wie einem pragmaticus) einzuholen.23 Stand, Ansehen und Aufgaben von Gerichtsrednern im Imperium Romanum Was lässt sich den Zeugnissen über Stand, Ansehen und konkrete Funktion der Gerichtsredner entnehmen? Aus welchen Bevölkerungsschichten stammten diese? Bestand eine Korrelation zwischen der Aufgabe und der sozialen Herkunft? Wie im Fall des alpenländischen causidicus, zeigen auch die Belege aus Rom, Norditalien Pannonien und Germanien römische Bürger.24 Lediglich zwei dieser Rechtsvertreter waren Mitglieder des Stadtrates oder Inhaber zusätzlicher Ehrenämter in ihren Gemeinden und zählten somit zur lokalen Elite.25 Eben dieses Bild von römischen Bürgern als Prozessredner, die sicherlich eine rhetorische Ausbildung genossen hatten, zeigt sich, wenn man die Quellenbasis durch Bezeichnungsvarianten bzw. Äquivalente zum causidicus erweitert: Dazu gehören die beiden erwähnten Stadtrömer mit den Tätigkeitsumschreibungen causarum orator und causas egit.26 Sehr ähnlich formuliert die Grabinschrift des römischen Bürgers Lucius Calpurnius Flamininus aus Nordafrika, der sein Grab noch zu Lebzeiten errichtet hatte: oravi causas felix.27 Dies gilt ebenso in Spanien für einen eifrigen Rechts22  CIL VI 9241 (p. 3469, 3895) = Dessau 7746: D(is) M(anibus) / hic iacet Helpidius fatis / extinctus iniquis egregius iuvenis / causarum orator honestus qui / vixit ann(os) XXX; CIL VI 9242 (p. 3895) = Dessau 7745: D(is) M(anibus) / L(ucius) Mettius Otacilia / nus causas egit an / nis XXXVIII et Mar / cia Damalis femi / na incomparabi / lis f(aciendum) c(uravit) Rogatus. 23  Diese Praxis bezeugt Quint. Inst. Or. 12,3,2: ipse litigantium auxiliator egebit auxilio. Zum pragmaticus siehe bes. Nörr (1965); zu provinzialen pragmatici siehe z. B.: AE 1998, 1001a (Augusta Vindelicorum, Raetia); CIL XIII 7061. 7064 (Mogontiacum, Germania superior); CIL III 10531 (Aquincum, Pannonia). 24  CIL VI 9240 (Rom); AE 1976, 549 (Aquincum, Pannonia inferior); CIL V 5894 = Dessau 6732 (Mediolanum, Transpadana); CIL XIII 7063 (Mogontiacum, Germania superior). 25  CIL V 5894 = Dessau 6732 (Mediolanum, Transpadana); CIL XIII 7063 (Mogontiacum, Germania superior). 26  Dies gilt für das Zeugnis CIL VI 9241 (p. 3469, 3895) = Dessau 7746 (evtl. 3.  Jh.?, wohl trotz der Einnamigkeit); CIL VI 9242 (p. 3895) = Dessau 7745, s. o. Anm. 22. 27  CIL VIII 3506 (p. 1742) = CLE 1236 = Dessau 7747 (Lambaesis, Numidia): D(is) M(anibus) s(acrum) / L(ucius) Calpurnius / Flamininus / vivus sibi fecit /

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vertreter, der von den Mitgliedern des ordo decurionum der römischen Kolonie Barcino durch Statuten geehrt wurde.28 Genaueres über die konkreten Inhalte bzw. Art der Streitfälle lassen freilich weder diese Inschriften noch die bisher fünf bekannten epigraphischen Monumente für causidici erkennen. Von diesen Zeugnissen bleibt bei den vier Beispielen aus Rom, Norditalien, Germanien und Pannonien das Geschäftsfeld völlig offen.29 Dagegen zeigt sich im vorliegenden Fall wie auch bei einem weiteren, dass die causidici hier die Vertretung einer Gemeinde übernommen hatten.30 Es handelt sich folglich nicht um ein Plädieren zugunsten einer oder mehrer Beklagter, sondern um ein Geschäft mit politischem oder administrativem Hintergrund, da die Gemeinde als Körperschaft vertreten wurde. Demnach dürfte diese Funktion mehr Gewicht und Bedeutung innerhalb der Bürgerschaft gehabt haben als die Prozessrede für eine Privatperson. Diese besondere Stellung spiegelt sich bei dem causidicus der Stadt Mediolanum deutlich in seinem Sozialstatus wider: Er war Mitglied des Stadtrates. Diesem Gemeindevertreter entsprechen in Aufgabe und überwiegend auch im Rang wohl die aus Inschriften bekannten advocati publici oder advocati rei publicae sowie auch dem ordo decurionum entstammende actores publici.31 oravi causas felix / dum tertia non lux / coniugium et natos / omne decus rapuit / vixit annis LXXV. 28  CIL II 415* = IRC 4, 109 = IRC 5, p. 114 = HEp 5, 130 (Barcino, Hispania citerior): C(aio) Pub(licio) Meli[ss]o / [II]IIIIvir(o) ob causas / uti[lita]tesq(ue) pub(licas) / fidelit(er) et cons / tant[er] defens(as) / ordo Barcin(onensium) / p(ecunia) p(ublica). 29  CIL VI 9240 (p. 3469, 3895, Rom): Aeternae animae / L(uci) Aeli Terti causidici / quae in h[o]spitio fuit con / dicione [- - -] annis / XXx[- - -]i / cuiu[s- - -]I / perv[- - -] / aram [- - -] dul / cissimo [fi]li[o fecit] Aelius / Tertius pater hunc Placen / tia habet patria quem Roma / creavit marmoreo posi / tum solio aramque sacra / vit in hortis Alli Filetiani / carissimi amici curante / L(ucio) Aelio Coma patruo filio / innocentissimo; CIL XIII 7063 (Mogontiacum, Germania superior):
L(ucio) Sextio Pervinco dec(urioni) civita / tis Auderiensium causidico Aceptia / Aerepta coniugi sanctissimo f(aciendum) c(uravit); AE 1976, 549 (Aquincum, Pannonia inferior): Sex(to) Lucanio N[- - -] / causidico qui v[ixit annos] / XXVIII Lucanius F[- - -]; CIL V 5894 = Dessau 6732 (Mediolanum, Transpadana) s. u. Anm. 30. 30  CIL V 5894 = Dessau 6732 (Mediolanum, Transpadana): Eudromi  /  /  Eudromi  /  /  Eudromi  /  /  D(is) M(anibus) / C(ai) Valeri / Petroniani / decur(ionis) pontif(icis) sacerd(otis) / iuven(um) Med(iolaniensium) causidic(i) / quinq(uies) gratuit(o) legation(ibus) urbic(is) / et peregrin(is) pro re p(ublica) sua funct(i) / vixit ann(os) XXIII mens(es) VIIII d(ies) XIIII / C(aius) Valerius Eutychianus / VIvir Aug(ustalis) pater / fil(io) incompar(abili) et sibi  /  /  Constanti Eudromi. 31  Siehe Liebenam (1900), S. 301–302; bes. zu den actores publici als Prozessvertreter der Gemeinden, die aus Rechtstexten sowie vor allem einer Inschrift aus Histonium bekannt sind, siehe zuletzt Weiß (2004), 67–69 und unten Anm. 35; für



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In vergleichbarer Weise agierten in den östlichen Provinzen des Reiches ekdikoi oder syndikoi als Gemeindevertreter, bevor sich aus diesen gelegentlich eingesetzten Fürsprechern reguläre Gemeindeämter entwickelten.32 Welche konkreten Aufgaben aber waren an die Vertretung einer Gemeinde geknüpft? Hierzu geben die Inschriften in aller Regel wenig Aufschluss, da zumeist nur durch die Funktionsbezeichnung eine abgeschlossene Prozessvertretung konstatiert wird. Prinzipiell scheint es jedoch sinnvoll dabei von drei Ebenen der anwaltlichen Betätigung in der Gemeindevertretung auszugehen: 1.  Auf lokaler Ebene konnte für die Gemeinde eine Prozess- oder Geschäftsvertretung gegenüber einzelnen Bürgern oder Körperschaften33 nötig sein, etwa bei Baurechtsfragen, Weide- oder Wassernutzungsrechten, Servituten, städtischen munera usw. Bei den tradierten Fällen handelt es sich um solche, welche die städtischen Finanzen betrafen. Ein derartiger — ursprünglich gemeindeinterner — Rechtsstreit ist aus der Korrespondenz des jüngeren Plinius bekannt, als er Provinzgouverneur in Pontus-Bithynia war: Plinius berichtete dem Kaiser, dass der Anwalt der Stadt Amisos (ecdicus Amisenorum civitatis) von einem Bürger Gelder zurückforderte, welche dieser vor 20 Jahren von derselben Gemeinde erhalten hatte.34 Die lokale advocati publici: CIL VIII 2775 (p. 1739) (Lambaesis, Numidia): 
D(is) M(anibus) / M(arci) Valeri Vale / riani advocati / Karthag(iniensis) vix(it) an(nos) XXXV / Valeria Saturnina / mater fil(io) piissimo / fecit h(ic) s(itus); CIL VIII 4602 (Diana, Numidia): C(aio) Iulio L(uci) fi / lio Quirin(a) / Kapitoni / [a]d[v]o[c]ato / fid[issi] mo / res publi / ca Dianensium / d(ecreto) d(ecurionum); CIL VIII 4604 (Diana, Numidia): Corchivio / Paulino fl(amini) p(er)p(etuo) / advocato fi / delissimo rei / publicae ex de / creto splen / didissimi or / dinis Dianen / sium ob merita; CIL XI 2119 (Clusium, Etruria, Regio VII): Q(uinto) Gellio / Villiano / IIvir(o) / advocato po / puli ordo / ob adsidua / eius in hanc / rem public(am) / merita; CIL XI 5416 = ERAssisi 62 (Asisium, Umbria, Regio VI): D(is) M(anibus) / C(aio) Scaefio / C(ai) f(ilio) Sulpiciano / patrono mu / nicipi(i) et colle[g(iorum)] / III IIIIvir(o) i(ure) d(icundo) q(uin)q(uennali) / q(uaestori) II advoc(ato) rei p(ublicae) / Setoria Olympias / co / niugi incom / parabili b(ene) m(erenti); CIL XI 414 = Dessau 6656 (Ariminum, Aemilia, Regio VIII): 
C(aio) Galerio C(ai) f(ilio) An{n}(iensis) / Iuliano eq(uo) p(ublico) / quaestori du(u)mviro / curatori Sa[e]sinatium / curatori Solonatium / flamini patron(o) col(oniae) Aug(ustae) / Arim(inensium) advoc(ato) public(o) / amantissimo decurion(i) / amantissimo civium / splendidissimus ordo / Ariminensium / meritis fidei / bonitati innocen / tiaeque eius  /  /  Megethi Megethi; CIL V 3336 = Dessau 1453 (Verona, Venetia et Histria, Regio X): C(aio) Calvisio / C(ai) f(ilio) Pob(lilia) / Statiano / populi / advocato / ab epistulis / Latinis / Augustor(um) / Veronens(es) / patrono. 32  Siehe Liebenam (1900), S. 303–304; Magie (1950), S. 648–649, 1517–1518; weitere Literatur bei Kolb (2004), S. 115 Anm. 3; Fournier (2007); vgl. zu den Inhabern städtischer Ämter mit diesen Titeln Dmitriev (2005), S. 213–216. 33  Vgl. den ekdikos einer Körperschaft bei Kolb (2004). 34  Plin. ep. 10, 110, dazu Burton (2004), S. 325.

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Angelegenheit war dem Plinius vorgetragen worden, offenbar weil sie die von ihm systematisch zu prüfenden Gemeindefinanzen betraf. Mit seinem Schreiben an den Kaiser wollte sich Plinius dann seine Entscheidung in diesem Fall, da sie die Rechtsprechung Traians betraf, nochmals bestätigen lassen. Einen anderen Fall bezeugt eine ausführliche Inschrift aus Norditalien: Mit Hilfe eines actor waren (im Jahr 19) Streitigkeiten der Gemeinde Histonium mit einem privaten Grundbesitzer über Grundstücksgrenzen beigelegt worden.35 2.  Auf regionaler Ebene war die Vertretung einer Gemeinde in einem Streitfall mit einer oder mehreren anderen Gemeinden von Bedeutung. Hierbei dürften wohl primär Grenzfragen eine Rolle gespielt haben; denn von den Grenzen bzw. der Größe des Gemeindegebiets hingen Erträge aus städtischem Grundbesitz, Steuereinnahmen bzw. Zahlungen sowie auch Dienstleistungsverpflichtungen (wie z. B. die vehiculatio) ab. Solche Dispute wurden häufig von Statthaltern, kaiserlichen Legaten oder anderen Beauftragten des römischen Staates entschieden, vermutlich aber erst dann, wenn die Gemeinden untereinander keine Einigung erzielt und deshalb einen Vertreter Roms um Hilfe gebeten hatten.36 Eine Reihe von Inschriften, welche eine durchgeführte Grenzziehung (terminatio) zwischen städtischen Territorien dokumentieren, betonen durch die Formel ex auctoritate / iussu imperatoris den kaiserlichen Auftrag hinter dem Handeln der Amtsträger: Diese Fälle lassen daher vermuten, dass sich Gemeinden im Einzelfall, je nach der Bedeutung der Angelegenheit, direkt mit ihrem Anliegen an den Kaiser 35  CIL IX 2827 = Dessau 5982 (Histonium, Samnium, Regio IV): C(aius) Helvidius Priscus arbiter / ex conpromisso inter Q(uintum) / Tillium Eryllum procurato / rem Tilli Sassi et M(arcum) Paquium Aulanium / actorem municipi(i) Histoniensium u / trisq(ue) praesentibus iuratus sententiam / dixit in ea verba q(uae) inf(ra) s(cripta) s(unt) / cum libellus vetus ab actoribus Histoniensium / prolatus sit quem disideraverat Tillius / Sassius exhiberi et in eo scriptum fuerit / eorum locorum de quibus agitur fa / ctam definitionem per Q(uintum) Coelium Gal / lum M(arco) Iunio Silano L(ucio) Norbano Balbo / co(n)s(ulibus) VIII K(alendas) Maias inter P(ublium) Vaccium Vitulum / auctorem Histoniensium fundi Heriani / ci et Titiam Flaccillam proauctorem Til / li Sassi fundi Vellani a(ctum) e(sse) in re praesenti / de controversia finium ita ut utrisq(ue) / dominis tum fundorum praesentibus / Gallus terminaret ut primum palum / figeret a quercu pedes circa undec / im abesset autem palus a fossa neque / apparet quod pedes scripti essent / propter vetustatem libelli interrupti / in ea parte in qua numerus pedum / scri(p)tus videtur fuisse inter fos / sam autem et palum iter commune{m} / esset cuius prop(r)ietas soli Vacci Vituli esset / ex eo palo e regione ad fraxinum notatam pal / um fixum esse a Gallo et ab eo palo e regione ad / superciliu(m) ultimi lacus Serrani in partem sinisterio / [rem d]erectam finem ab eodem Gallo; siehe dazu Mommsen (1855), S. 484–487; Liebenam (1900), S. 301–302; Weiß (2004), S. 68. 36  Zusammenfassend zur Termination mit der älteren Literatur siehe Kolb (2003), Sp.  89–90 und bes. Wesch-Klein (2004), S. 142–144; systematisch Burton (2000).



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gewandt haben.37 So dokumentiert auch eine Inschrift aus dem Alpenraum die Grenzfestlegung zwischen der Gemeinde Vienna (Vienne) in der Provinz Gallia Narbonensis und Forum Claudii Ceutronum (Aime-en-Tarentaise), dem Statthaltersitz der Provinz Alpes Poeninae et Graiae.38 Auf diese Grenzziehung scheinen sich die Funde von vier Grenzsteinen der Region zu beziehen, deren Aufstellung im Gelände sicherlich auf Veranlassung der lokalen Autoritäten erfolgt sein dürfte, obwohl dies die knappen Inschriften der Grenzmarkierungen nicht erkennen lassen.39 3.  Auf überregionaler Ebene waren immer wieder direkte Verhandlungen der Gemeinden mit dem Statthalter oder dem Kaiser erforderlich. Dabei konnte es sich um recht unterschiedliche Belange handeln – angefangen bei kultischen und wirtschaftlichen Fragen oder aber wieder solche mit Bezug zu Steuern, munera oder den städtischen Finanzen.40 In diesen Bereich gehörten auch grössere Bauvorhaben der Gemeinden, die wegen des Finanzvolumens dem Statthalter zur Prüfung und Genehmigung vorgelegt werden mussten.41 In solchen Fällen wurden sicherlich Gemeindevertreter aktiv. Spezifische Aufgaben, die mit Reisen aus der Provinz nach Rom verbunden waren, hatten offenbar zwei hispanische Rechtsvertreter übernommen: So vertrat ein Bürger aus Iuliobriga, den die Provinz Hispania citerior mit einer Statue in der Provinzhauptstadt Tarraco ehrte, offenbar den Provinzial­ landtag in Rom.42 In einem anderen Fall gelangte ein Kohortenpräfekt, ein römischer Ritter, der auch alle Gemeindeämter absolviert hatte, durch seine Aufgabe ebenfalls vermutlich nach Rom, wo er die Gemeinde Ebora viel37  Eck (1990); vgl. Burton (2000), S. 213, der daneben auch die Möglichkeit in Betracht zieht, dass die Formel lediglich einen Verweis auf die mandata des Funktionsträgers bietet. 38  CIL XII 113 (p. 805) = Dessau 5957 = ILN V / 2, 546 (Passy, Gallia Narbonensis): Ex auctoritat[e] / Imp(eratoris) Caes(aris) Vespasian[i] / Aug(usti) pontificis max(imi) / trib(unicia) potest(ate) V co(n)s(ulis) V / desig(nati) VI p(atris) p(atriae) / Cn(aeus) Pinarius Cornel(ius) / Clemens leg(atus) eius pro pr(aetore) / exercitus Germanici / superioris inter / Viennenses et Ceutronas / terminavit. 39  ILN V / 2, 543–544 (La Giettaz oder Cordon, Gallia Narbonensis). 545 (Cordon, Gallia Narbonensis). 546 (Passy, Gallia Narbonensis): nur auf zweien dieser Steine hat sich die Inschrift „Fines“ erhalten; ebenfalls Gemeindegrenzen markiert die mächtige Grenzsäule CIL XIII 6619 (p. 102) = Dessau 9377 (Miltenberg, Germania superior). 40  Siehe Liebenam (1900), S. 303–304; Burton (2004). 41  Kolb (1995); Burton (2004), S. 326–327. 42  CIL II 4192 (p. LXXVIII, 972) = Dessau 6926 = RIT 330 (Tarraco, Hispania citerior): C(aio) Annio L(uci) f(ilio) / Quir(ina) Flavo / Iuliobrigens(i) / ex gente Canta / brorum / provincia Hispa / nia citerior / ob causas utilita / tesque publicas / fideliter et con / stanter defensas.

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leicht beim Senatorenstand (aput ordinem [ampliss(imum)]) vertrat.43 Damit vergleichbar scheint die Mission eines bereits erwähnten decurio aus Mailand, der als causidicus im Interesse seiner Gemeinde fünfmal auf eigene Kosten Gesandtschaften nach Rom und zu peregrinen Gemeinden unternommen hatte (quinquies gratuito legationibus urbicis et peregrinis pro r.p. sua functus).44 Überlegungen zur Funktion des Lucius Aurelius Repertus Wie könnte sich also die Aufgabe des Lucius Aurelius Repertus gestaltet haben? Seine Jugend und soziale Stellung bzw. sein Ansehen in den beiden Gemeinden, wo er ansonsten keine Ämter oder Ehrenstellungen inne hatte, sprechen auf den ersten Blick für eine nicht besonders große Bedeutung seiner Aufgabe, da jemand ohne Alter und Rang wohl kaum das nötige Gewicht für Verhandlungen mit dem Kaiser oder dem Statthalter hatte. Daher ist zunächst eher an eine gemeindeinterne, lokal begrenzte Funktion zu denken. Aus der Inschrift geht jedoch hervor, dass er die zwei Gemeinden (Colonia Iulia Equestris und Forum Vallensium), die in unterschiedlichen Provinzen lagen, aber in derselben angrenzenden Region, zweimal (bis) vertreten hatte; das bedeutet wohl, dass er für sie gleichzeitig in derselben Angele43  CIL II 18* = HEp 4, 1057 = HEp 14, 439 (Ebora, Lusitania): L(ucio) Voconio L(uci) f(ilio) / Quir(ina) Paullo aed(ili) q(uaestori) / IIvir(o) VI flam(ini) Romae / divorum et Augg(ustorum) / praef(ecto) coh(ortis) I Lusitan(orum) [et coh(ortis)] / I Vettonum [c(enturioni)] leg(ionis) III I[talicae] / ob causas [utilitates]q(ue) publi] / cas aput ordin(em) [ampliss(imum)] / fideliter et const[anter] / defensas legat[ione qua gr] / [atuita Romae pro r(e) p(ublica) sua funct(us) est] / Lib(eralitas) Iul(ia) / Ebora / publice in foro. Auch zwei weitere Ritter wurden in den Ehreninschriften mit ähnlichen Formulierungen bedacht, jedoch scheint es sich in beiden Fällen nicht um eine lokale, sondern eine zentralstaatliche Aufgabe zu handeln: Sie dürften beide als advocatus fisci agiert haben: AE 1888, 132 = AE 1976, 252b (Bellunum, Venetia et Histria, Regio X): [I]thaci / M(arco) Carmi / nio M(arci) fil(io) / Pap(iria) Puden / ti equo pub(lico) / sacerdoti Lau(rentium) Lav(inatium) electo / ad causas fisci / tuendas in pro / vincia Alpium Ma / ritimarum patro / no rei publ(icae) Ter / gestinorum pa / trono pleb(is) urb(anae) / patrono colleg(ii) dendrophor(orum) et / fabr(orum) cur(atori) rei p(ublicae) Man / tuanor(um) cur(atori) rei p(ublicae) / Vicetinor(um) patro / no Catubrinorum / Iunia Valeriana / marito rarissi / mo l(ocus) d(atus) d(ecreto) d(ecurionum)  /  /  Ithaci; CIL VIII 9249 (p. 974) (Rusguniae, Mauretania Caesariensis): Licinio Q(uinti) f(i)li(o) uir(ina) Donato dec(urioni) patriae / Rusguniens(i)um tum ad causas fiscales / tuendas in provinciam Baicam beneficio / studiorum prima aetate iuventutis electo / [in]deque pro meritis actibus ad defensionem / populi a{u}rea Saturni in sacrum urbem / promoto Valeria Victorina pr(ovinciae). 44  CIL V 5894 = Dessau 6732 (Mediolanum, Transpadana), siehe oben Anm. 30.



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genheit aufgetreten ist. Obwohl sich bisher keine klaren Gemeinsamkeiten bzw. Interessen des römischen Nyon und Martigny ausmachen lassen, scheint es sich um ein regionales Geschäft und daher vielleicht um Grenzstreitigkeiten der Gemeinden mit Grundbesitzern oder – wahrscheinlicher – mit der nächstgelegenen größeren Gemeinde, Vienne gehandelt zu haben. Denn sowohl die Colonia Iulia Equestris wie das Forum Vallensium hatten gemeinsame Grenzen mit der Colonia Vienna (Vienne). Wie das aufgezeigte Beispiel der Grenzfestlegung zwischen der Colonia Vienna und Forum Claudii Ceutronum (Aime-en-Tarentaise) durch Gnaeus Pinarius Cornelius Clemens zeigt, hatten diese Gemeinden zu Beginn des Jahres 74 ihre Grenzstreitigkeiten – in schwer zugänglichem, weil bergigem Gelände – durch den römischen Legaten klären lassen. Da unsere Inschrift wohl mindestens 100 Jahre später zu datieren ist, kann sie sich nicht auf diesen Fall beziehen. Dennoch könnte es damals vielleicht erneut zu Gebietsstreitigkeiten gekommen sein, welche die Kolonie Vienne in diesem Fall mit der Kolonie Nyon und Forum Claudii Vallensium auszufechten hatte. Der causidicus Lucius Aurelius Repertus scheint jedenfalls die Vertretung beider Gemeinden trotz seiner Jugend mit großem Erfolg durchgeführt zu haben, wie noch heute der im Grabmal ausgedrückte Stolz des Vaters bezeugt. Bibliographie Bartels, J., Städtische Eliten im römischen Makedonien, Berlin 2008. Brundage, J. A., The medieval origins of the legal profession: canonists, civilians and courts, Chicago / London 2008. Buraselis, K., Theia Doreia – das göttlich-kaiserliche Geschenk. Studien zur Politik der Severer und zur Constitutio Antoniniana, Wien 2007. Burton, G. P., The Resolution of Territorial Disputes in the Provinces of the Roman Empire, Chiron 30, 2000, 195–215. Burton, G. P., The Roman imperial state, provincial governors and the public finances of provincial cities, 27 B.C. – A.D. 235, Historia 33, 2004, 311–342. Christes, J. / Klein, R. / Lüth, C. (Hrsg.), Handbuch der Erziehung und Bildung in der Antike, Darmstadt 2006. Collart, P., Inscriptions latines de St-Maurice et du Bas-Valais, ZSAK 3, 1941, S. 1–24. Crook, J. A., Legal advocacy in the Roman world, London 1995. Dmitriev, S., City Government in Hellenistic and Roman Asia Minor, Oxford 2005.

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Afrikan und Julian im Dialog über das Darlehen – D.17,1,34 pr. libro octavo quaestionum Von Christoph Krampe I. Afrikan und Julian Die römische Jurisprudenz in der Provinz Africa ist durch Inschriften bezeugt. Aber für den klassischen Juristen Africanus gibt es keine epigraphischen Nachweise1. Der vollständige Name Sextus Caecilius Africanus ist aus Ulpians Ediktskommentar bekannt2. Gellius gibt in seinen Noctes Atticae ein Streitgespräch zwischen dem aus Arles stammenden Philosophen Favorinus und dem Juristen Sextus Caecilius über das Zwölftafelrecht wieder3. Auch wenn hier das cognomen unerwähnt bleibt, ist Africanus mit diesem Juristen wahrscheinlich identisch. Das cognomen deutet auf afrikanische Herkunft, der Name Caecilius vielleicht auf die Caecilii in der Region von Thuburbo Minus4. Mit Julian könnte ihn schon die afrikanische

1  Detlef Liebs, Die römische Jurisprudenz in Africa im 4.  Jh. n. Chr., in: Institutions, société et vie politique dans l’Empire Romain au IVe siècle ap. J.-C., Actes de la table ronde autour de l’œuvre d’André Chastagnol (Paris, 20–21 janvier 1989), édités par Michel Christol, Ségolène Demougin, Yvette Duval, Claude Lepelley et Luce Pietri, Collection de l’École Française de Rome 159, Palais Farnese 1992, S.  201  ff.; ders., Römische Jurisprudenz in Afrika, in: SZ 106, 1989, S.  210  ff.; ders., Römische Jurisprudenz in Africa, 2.  Aufl., Berlin 2005, S.  15, Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen N. F. (FRA), 44. 2  Ulpianus 32 ed. D.25,3,3,4; dazu Hermann Buhl, Salvius Julianus, Heidelberg 1886, S. 67 ff.; Theodor Mommsen, Über Julians Digesten, in: Z. f. Rechtsgeschichte 9, S.  92  f. = Juristische Schriften II, 2, Berlin 1905, 2. Aufl., Berlin / Zürich / Dublin 1965, S. 15; Fritz Schulz, Geschichte der römischen Rechtswissenschaft, Weimar 1961, S.  124  f., 291  f.; Wolfgang Kunkel, Die Römischen Juristen, Herkunft und soziale Stellung, Unveränderter Nachdruck der 2. Aufl. von 1967 mit einem Vorwort von Detlef Liebs, Köln 2001, S. 172 f.; A. Arthur Schiller, Roman Law, The Hague, Paris / New York 1978, S.  342  ff.; Álvaro d’Ors, Las Quaestiones de Africano, Pontificia Università Lateranense, Roma 1997, S.  9, 14  f. 3  Noctes Atticae 20,1; Franco Casavola, Giuristi Adrianei, Napoli 1980, S. 75 ff., 86  ff.; dazu Ch. Krampe, TRG 52, 1984, S.  165  ff. 4  Liebs, Ist unter den römischen Juristen mit einem zweiten Cäcilius zu rechnen?, in: SZ 107, 1990, S.  371  f.

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Herkunft verbunden haben. Afrikan war Zeitgenosse und jüngerer Kollege Julians, wohl auch dessen Schüler5. Den wissenschaftlichen Austausch der beiden Juristen belegt die erwähnte Ulpianstelle. Ulpian kommentiert das senatus consultum Plancianum und ein weiteres senatus consultum de agnoscendo partu aus der Zeit Hadrians und fragt, wie zu verfahren ist, wenn streitig ist, ob die auf Anerkennung klagende Kindsmutter Ehefrau gewesen ist. Ulpian hält insoweit ein Vorverfahren für erforderlich und verweist auf ein Responsum Julians an Afrikan: D.25,3,3,4 Ulpianus libro trigesimo quarto ad edictum Et quid sit, si an uxor fuerit disceptetur? Et Iulianus Sexto Caecilio Africano respondit locum esse praeiudicio.

An anderer Stelle zitiert Ulpian eine quaestio Afrikans aus einem Werk epistulae „bei Julian“6: D.30,39 pr. Ulpianus libro vicesimo primo ad Sabinum Cum servus legatus in fuga vel longinquo absens exigatur, operam praestare heres debet, ut eam rem requirat et praestet, et ita Iulianus scribit. Nam et sumptum an in hanc rem facere heres deberet, Africanus libro vicesimo epistularum apud Iulianum quaerit putatque sumptum praestandum. Quod et ego arbitror sequendum.

Es geht um den Umfang der Leistungspflicht des Erben, wenn der Legatar einen Sklaven herausverlangt, der auf der Flucht oder seit langem abwesend ist. Ulpian folgt zunächst dem, was Julian schreibt: Der Erbe muss sich bemühen, den Sklaven aufzuspüren und zu leisten. Zur Begründung verweist Ulpian auf die quaestio Afrikans im 20.  Buch der Briefe bei Julian und macht sich die offenbar im Zusammenhang mit dieser quaestio geäußerte Auffassung Afrikans zu eigen, der Erbe müsse insoweit Aufwendungsersatz leisten (Africanus libro vicesimo epistularum apud Iulianum quaerit putatque sumptum praestandum. quod et ego arbitror sequendum). Ein Werk epistulae mit mindestens 20 Büchern ist weder für Afrikan noch für Julian anderweitig nachgewiesen. Aber beide Ulpian-Zitate lassen einen juristischen Dialog erkennen, vielleicht eine briefliche Korrespondenz. 5  Elmar Bund, Salvius Iulianus, Leben und Werk, in: ANRW (hg. von H. Temporini), II.15, Berlin 1976, S.  408  ff., 439  f. 6  Ulpianus 20 Sab. D.30,39 pr.; s. dazu Sigmund Wilhelm Zimmern, Geschichte des Römischen Privatrechts bis Justinian I, 1, Heidelberg 1826, S.  351; Mommsen (Fn.  2); F. P. Bremer, Die Rechtslehrer und Rechtsschulen im Römischen Kaiserreich, Berlin 1868, S.  49; Otto Karlowa, Römische Rechtsgeschichte I, Leipzig 1885, S.  714; Paul Krüger, Geschichte der Quellen und Litteratur des Römischen Rechts, 2. Aufl., München und Leipzig 1912, S.  194  ff.; Wilhelm Kalb, Roms Juristen nach ihrer Sprache dargestellt, Leipzig 1890, Nachdr. Aalen 1975, S.  70  f. Anm. 2; d’Ors (Fn. 2), S. 11 f.; Franz Wieacker, Römische Rechtsgeschichte II, aus dem Nachlass hg. von J. G. Wolf, München 2006, S.  102; dazu Liebs, Göttinger Gelehrte Anzeigen, 2008, S.  99  ff.



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Das Hauptwerk Afrikans sind die auf neun Bücher verteilten Quaestiones7. In zahlreichen Stellen folgt einer Problemstellung mit einem Verb in der 3.  Person, u. a. ait, inquit, putat, respondit, dixit, existimavit, negavit, die Aussage des Juristen. Hier ist als Subjekt oftmals nicht der in der Inskription angegebene Africanus, sondern Iulianus hinzuzudenken. In manchen Texten folgen der Julianischen Aussage eigenständige Afrikanische Gedanken, beispielsweise zur Haftung des locator im Falle der Enteignung (publicatio) des Pachtgrundstücks8. Insbesondere durch respondit werden gutachtliche Stellungnahmen (responsa) des iurisconsultus eingeleitet9. Sie sind in den Juristenschriften verarbeitet, und zwar nicht nur in den gleichnamigen Responsa, sondern auch in Werken mit anderem Titel10. Dazu gehören auch Afrikans Quaestiones. II. D.17,1,34 pr. Africanus libro octavo quaestionum11 In einem Fragment aus dem 8. Buch dieses Werks ist das Darlehen (mutuum) als Realvertrag und mit ihm das Schuldvertragssystem des klassischen römischen Rechts fallbezogen auf den Prüfstand gestellt: D.17,1,34 pr. Der im Studienbuch von Detlef Liebs erläuterte Text ist nicht nur an der AlbertLudwigs-Universität Freiburg im Breisgau fester Bestandteil anschaulicher Vermittlung des klassischen römischen Vertragsrechts12. 7  Otto Lenel, Palingenesia iuris civilis I, 1889, Sp. 25–36 f.; ders., Afrikans Quästionen, in: SZ 51, 1931, S.  1  ff.; d’Ors (Fn.  2), S.  33–455. 8  Afr. 8 quaest. D.19,2,33; dazu Andreas Wacke, Dig. 19,2,33: Afrikans Verhältnis zu Julian und die Haftung für höhere Gewalt, in: ANRW II., S. 461 ff.; Hans Ankum, Afrikan Dig. 19,2,33: Haftung und Gefahr bei der publicatio eines verpachteten oder verkauften Grundstücks, in: SZ 97, 1980, S.  157  ff.; Martin Pennitz, Der „Enteignungsfall“ im römischen Recht der Republik und des Prinzipats, Wien 1991, S. 218 ff. (Forschungen zum Römischen Recht, 37); Elmar Bund, Untersuchungen zur Methode Julians, Köln 1965, S. 8 f. und passim; ders., Salvius Iulianus (Fn. 5), S. 439 f. 9  Cicero, De Oratore 1, 48, 212. 10  Liebs, Die juristische Literatur, in: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft III, Römische Literatur, hg. von Manfred Fuhrmann, Frankfurt am Main 1974, S.  195  ff., 198; ders., Römische Rechtsgutachten und „Responsorum libri“, in: Gregor Vogt-Spira (Hg.), Strukturen der Mündlichkeit, Tübingen 1990, S.  83  ff. 11  Lenel, Palingenesia (Fn.  7), Sp.  25  f., Africanus Nr. 92; ders., Afrikans Quästionen (Fn.  7), S.  1  ff., 39; d’Ors (Fn.  2), Nr. 92a, S.  359  ff. 12  Liebs, Römisches Recht, 6.  Aufl., Göttingen 2004, S.  295  f.; vgl. auch Alan Watson, The Digest of Justinian, Philadelphia, Pennsylvania 1985, S.  490 ad h. l.; O. Behrends / R. Knütel / B. Kupisch / H. H. Seiler (Hrsg.), Corpus Iuris civilis III, Heidelberg 1999, S.  384; niederländische Ausgabe: J. E. Spruit / R. Feen­stra / K. E. M. Bongenaar (Hrsg.), ’s-Gravenhage 1996, S.  370; Herbert Hausmaninger, Casebook zum römischen Vertragsrecht, 6.  Aufl., Wien 2002, S.  12  f., 379  f.; Nikolaus Benke / Franz-Stefan Meissel, Übungsbuch zum römischen Schuldrecht, 3.  Aufl., Wien

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D.17,1,34 pr. Africanus libro octavo quaestionum. Qui negotia Lucii Titii procurabat, is, cum a debitoribus eius pecuniam exegisset, epistulam ad eum emisit, qua significaret certam summam ex administratione apud se esse eamque creditam sibi se debiturum cum usuris semissibus: quaesitum est, an ex ea causa credita pecunia peti possit et an usurae peti possint. respondit non esse creditam: alioquin dicendum ex omni contractu nuda pactione pecuniam creditam fieri posse.

Der Geschäftsführer des Lucius Titius hat diesem, nachdem er von dessen Schuldnern Geld eingezogen hatte, einen Brief geschrieben, in dem er ihm anzeigte, eine bestimmte Summe befinde sich auf Grund seiner Verwaltungs­ tätigkeit bei ihm und er betrachte sich diesbezüglich als Darlehensschuldner zu sechs Prozent Zinsen. Es wurde gefragt, ob auf Grund dieses Sachverhalts die Darlehensklage erhoben werden kann und ob die Zinsen eingeklagt werden können. Er (Julian) hat geantwortet, es liege kein Darlehen vor. Sonst müsste man ja sagen, aus jedem Vertrag könne durch bloße Vereinbarung ein Darlehen entstehen.

nec huic simile esse, quod, si pecuniam apud te depositam convenerit ut creditam habeas, credita fiat, quia tunc nummi, qui mei erant, tui fiunt: item quod, si a debitore meo iussero te accipere pecuniam, credita fiat, id enim benigne receptum est.

Vergleichbar sei auch nicht der Fall, dass du bei dir in Verwahrung gegebenes Geld vereinbarungsgemäß als Darlehen erhalten sollst. Denn dann werde es zum Darlehen, weil die Geldstücke von meinem Eigentum in deines übergehen. Ebenfalls nicht vergleichbar sei, dass ein Darlehen dann zustande kommt, wenn ich dich ermächtige, von meinem Schuldner Geld zu empfangen. Denn dies ist aus Wohlwollen anerkannt.

His argumentum esse eum, qui, cum mutuam pecuniam dare vellet, argentum vendendum dedisset, nihilo magis pecuniam creditam recte petiturum: et tamen pecuniam ex argento redactam periculo eius fore, qui accepisset argentum.

Dafür diene als Argument, dass ebenso wenig derjenige zu Recht die Darlehensklage erhebe, der ein Gelddarlehen gewähren wollte und dem Empfänger Silber zum Verkauf gegeben hat. Dennoch werde das aus dem Verkauf des Silbers erzielte Geld auf Gefahr dessen gehen, der das Silber empfangen hat.

et in proposito igitur dicendum actione mandati obligatum fore procuratorem, ut, quamvis ipsius periculo nummi fuerint13, tamen usuras, de quibus convenerit, praestare debeat.

Auch im vorgelegten Fall sei also zu sagen, dass der procurator aus der Mandatsklage mit der Maßgabe haften werde, dass er, obwohl die Geldstücke auf seine Gefahr gelaufen sind, dennoch die vereinbarten Zinsen zahlen müsse.

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1996, S.  51; Jan Dirk Harke, Römisches Recht, München 2008, S.  164, Rdnr.  3; Max Kaser / Rolf Knütel, Römisches Privatrecht, 19.  Aufl., München 2008, S.  214, Rz. 4 (§ 39). 13  So die Florentina. Mommsen, Digesta I, 2. Aufl., Berlin 1962, S. 490 ad h. l., schreibt fierent. Doch das der consecutio temporum entsprechende fuerint ist zu lesen in Iustiniani Augusti Pandectarum Codex Florentinus, curaverunt Alessandro Corbino – Bernardo Santalucia, Firence 1988, Bl. 245 v: . So schon Cuiacius, Ad Africanum Tractatus IX, in: Opera omnia I, Paris 1658, Sp. 1507.



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1. Sachverhalt, Quaestio, Responsum Der Aufbau der Stelle ist durch das Responsenschema bestimmt14: Sachverhalt – Quaestio – Responsum. Der Geschäftsführer des Lucius Titius hat seinem Auftraggeber, nachdem er von dessen Schuldnern Geld eingezogen hatte15, per Brief angezeigt, bei ihm befinde sich auf Grund seiner Verwaltungstätigkeit eine bestimmte Summe, die er als Darlehen zu sechs Prozent Zinsen schulden möchte. Es folgt die Quaestio, ob auf Grund dieses Sachverhalts die Darlehensklage erhoben werden kann und ob die Zinsen eingeklagt werden können. Wie erwähnt, legt das Prädikat respondit nahe, dass Afrikan ein Responsum Julians wiedergibt16. Es betrifft zunächst die Frage nach der Darlehensklage17. Sie wird mit einem argumentum ad absurdum verneint: Sonst könnte ja aus jedem Vertrag durch ein pactum ein Darlehen entstehen18! Sodann werden zur weiteren Begründung dieses Teilergebnisses drei Vergleichsfälle gebildet19, zwei zur Abgrenzung und einer zur Bekräftigung. 14  Vgl. Carsten Zülch, Der liber singularis responsorum des Ulpius Marcellus, Berlin 2001, S.  18  ff. (FRA, 37); dazu Liebs, SZ 120, 2003, S.  243  ff. 15  D’Ors (Fn.  2), S.  360 Anm.  900; zum procurator vgl. auch Giovanni Finazzi, Ricerche in tema di negotiorum gestio I, Napoli 1999, S.  68  f. mit Anm.  139; Fabian Klinck, Zur Bedeutung des Wortes procurator in den Quellen des klassischen Rechts, in: SZ 124, 2007, S.  25  ff. 16  Mommsen (Fn.  2), S.  93 = Juristische Schriften II, S.  15; Bund, Methode Julians (Fn.  8), S.  92  f.; Theo Mayer-Maly, argumentum, in: SZ 125, 2008, S.  270; Liebs (Fn.  12); anders Henri Hulot, Corps de droit civil romain II, Metz 1804, réimpr. Aalen 1979, S.  484: J’ai répondu. 17  Ulrich von Lübtow, Die Entwicklung des Darlehensbegriffs im römischen und im geltenden Recht, Berlin 1965, S.  22  ff., 23; Stefan Weyand, Der Durchgangserwerb in der juristischen Sekunde, Systemdenken oder Problemdenken im klassischen römischen Recht, Göttingen 1989, S.  133 Anm.  331; dazu Dietmar Schanbacher, Gnomon, 64, 1992, S.  618  ff.; d’Ors (Fn.  2), S.  360; Byoung-Ho Jung, Darlehensvalutierung im klassischen römischen Recht, Göttingen 2002, S.  107  ff. (Quellen und Forschungen zum Recht und seiner Geschichte, hg. von O. Behrends und W. Sellert, 9); dazu Dietmar Schanbacher, SZ 121, 2004, S.  613  ff.; Fabian Klinck, Erwerb durch Übergabe an Dritte nach klassischem römischen Recht, Berlin 2004, Schriften zur Rechtsgeschichte, 116, S.  238  ff.; Mayer-Maly (Fn.  16), S.  270. 18  Max Kaser, Zur Methode der römischen Rechtsfindung, Göttingen 1962, S. 53, 59 mit Anm.  45; Bund, Methode Julians (Fn.  8), S.  92  f.; von Lübtow (Fn.  17), S. 24; Mario Bretone, Tecniche e ideologie dei giuristi Romani, 2. ed., Napoli 1982, S.  198; Finazzi (Fn.  15), S.  245 Anm.  140; Mayer-Maly (Fn.  16), S.  269; Alfons Bürge, Geld und Naturalwirtschaft im vorklassischen und klassischen römischen Recht, SZ 99, 1982, S.  133  f., erklärt das argumentum ad absurdum wirtschaftlich: Unmöglichkeit der Schaffung von Buchgeld bei noch nicht vorhandenem Giro-Verkehr. 19  Bund, Methode Julians (Fn.  8), S.  93, 196.

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Nicht vergleichbar sei ein pactum, das verwahrte Geld solle ein Darlehen sein (Verwahrungsdarlehen), und ein pactum, die Darlehenssumme solle vom Schuldner des Darlehensgebers eingezogen werden (Anweisungsdarlehen), ersteres, weil mein Geld vereinbarungsgemäß in dein Eigentum übergeht20, letzteres, weil dies aus Wohlwollen anerkannt ist21. Für den Ausgangsfall diene aber das Verkaufsdarlehen als Argument: Auch wer ein Gelddarlehen gewähren wollte und dem Empfänger Silber zum Verkauf gegeben hat22, könne ja nicht die Darlehensklage erheben23. Dennoch werde das aus dem Verkauf des Silbers erzielte Geld auf Gefahr dessen gehen, der das Silber empfangen hat24. Damit ist die Antwort auf die für den vorliegenden Fall bisher offen gebliebene zweite Frage nach dem Zinsanspruch vorbereitet: Der procurator hafte aus der actio mandati mit der Maßgabe, dass er, obwohl die Geldstücke auf seine Gefahr gelaufen sind, dennoch die vereinbarten Zinsen zahlen müsse. 2. Mandat, Zinsen, Gefahrtragung Mit der Mandatsklage kann Lucius Titius vom procurator demnach nicht nur Herausgabe der von den Schuldnern eingezogenen Gelder, sondern auch die brieflich zugesagten Zinsen verlangen. Das zwischen Lucius Titius und seinem Geschäftsführer begründete, die Einziehung von Schuldforderungen umfassende Mandat bleibt nämlich bestehen und wird durch das pactum nicht in ein Darlehen umgewandelt. Hätte der Jurist das mutuum bejaht, hätte er folgerichtig den Zinsanspruch verneinen müssen. Denn mit der 20  Hannu Tapani Klami, „Mutua magis videtur quam deposita“, in: Commentationes Humanarum Litterarum 44, Helsinki 1969 / 70, Societas Scientiarum Fennica, S.  108  f. 21  Dazu Felix Wubbe, Benigna interpretatio als Entscheidungskriterium, in: Festgabe Herdliczka, München / Salzburg 1972, S.  302  f.; Finazzi (Fn.  15), S.  245  f. mit Anm.  140, 142; Liebs (Fn.  12): „besonderes Entgegenkommen (gegenüber den Erfordernissen des Geschäftsverkehrs)“. 22  Bisweilen contractus mohatrae genannt. Doch der aus dem arabischen mukhâtarah (Gefahr, Wagnis) ins mittelalterliche Latein entlehnte Begriff mohatra meint den Kauf mit Rückkauf zur Vermeidung eines Darlehens mit unzulässigen Zinsen. S.  Joseph Schacht, An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964, S.  78  f. Für D.17,1,34 pr. hält Mayer-Maly (Fn.  16), S.  270, für möglich, „der Passus über den dort gar nicht sogenannten contractus mohatrae könnte spätere Zutat sein“. 23  Scharlach, Das jus singulare im Römischen Recht, in: AcP 62, n. F. 12, 1879, S.  455  f., bezieht das Argument nur auf den unmittelbar vorangehenden Anweisungsfall. Doch der Plural his verweist, wie die abschließende Schlussfolgerung zeigt, auf alles Vorangehende, insbesondere auch auf den Ausgangsfall. 24  Max Kaser, Die Verteilung der Gefahr beim sogenannten „contractus moha­ trae“, in: Synteleia Arangio-Ruiz I, 1964, S. 74 ff. = Ausgewählte Schriften II, 1976, S.  303  ff.



Afrikan und Julian im Dialog über das Darlehen

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Realvertragsnatur wäre es nicht vereinbar, wenn der procurator aufgrund einer brieflichen Vereinbarung dem Lucius Titius eine Geldsumme schuldete, die er nicht erhalten hat. Die Zinsabrede hätte vielmehr, wie Afrikan ebenfalls im 8.  Buch der Quästionen unter der Rubrik de mandato klarstellt25, mittels Stipulation mündlich bekräftigt werden müssen, hätte also die Anwesenheit der Parteien erfordert. Besteht aber weiterhin das auf formlosem Konsens beruhende mandatum, so ist dazu eine ebenfalls formlose Nebenabrede wirksam26. Die Verzinsungsabrede widerspricht offenbar nicht der notwendigen Unentgeltlichkeit des Mandats, sondern vermeidet eine mandatsfremde Bereicherung des procurator. Denn die Nutzung des Geldes cum usuris semissibus entspricht dem üblichen Ausgleich in Höhe von hälftigen Zinsen pro Monat. Nach den Umständen des Falles erscheint dies nicht als Gegenleistung, sondern als Bestandteil der Zusatzabrede zu dem bereits bestehenden, insgesamt nach bona fides zu beurteilenden Mandat27. Indessen heißt es in einem Auszug aus Ulpians Ediktskommentar, in einem bonae fidei iudicium sei, jedenfalls auch auf Seiten des Klägers, ein pactum unter der Voraussetzung enthalten, dass es dem Vertrag sogleich gefolgt ist28. Deshalb hält von Lübtow29 in der Afrikanstelle die Aussage zur nachträglichen Zinsabrede für unecht und vertritt die Auffassung, Julian habe gerade im Gegenteil die actio mandati verneint. Doch in der Begründung des Zinsanspruchs liegt die besondere Stoßrichtung des Responsum30. Dass die eingezogenen Gelder im Normalfall an Lucius Titius abzuführen sind, sei es aus Darlehen, sei es aus Mandat, versteht sich, ist aber bei zwischenzeitlichem Verlust oder Diebstahl ein Gefahrtragungsproblem. 25  Africanus libro octavo quaestionum D.19,5,24 = Lenel (Fn.  7), Africanus Nr. 93: respondit pecuniae quidem creditae usuras nisi in stipulationem deductas non deberi; dazu Karlheinz Misera, Julian-Afrikan D.19.5.24, Ein Beitrag zu „agere praescriptis verbis“, in: Sodalitas, Scritti Guarino, S.  2591  ff.; Peter Groeschler, Il ‚mutuum cum stipulatione‘ e il problema degli interessi, in: Quaderni Lupiensi di Storia e Diritto, a cura di Francesca Lamberti, Lecce 2009, S.  109  ff., 118; ders., Darlehensvalutierung und Darlehenszins in den Urkunden aus dem Archiv der Sulpizier, in: Festschrift R. Knütel, hg. von H. Altmeppen, I. Reichard, M. J. Scher­ maier, Heidelberg 2010, S.  399; vgl. auch Papinian bei Ulpian 31 ed. D.17,1,10,4. 26  s.  auch insoweit Julian / Afrikan zum Fall von Afr. 8 quaest. D.19,5,24: verum in proposito videndum, ne non tam faenerata pecunia intellegi debeat, quam quasi mandatum inter eos contractum. Dazu Misera (Fn.  25), S.  2596  ff., insbesondere auch unter Einbeziehung von D.17,1,34 pr. 27  Gai. 3, 155. 28  Ulpianus libro quarto ad edictum D.2,14,7,5: solemus enim dicere pacta conventa inesse bonae fidei iudiciis. Sed hoc sic accipiendum est, ut si quidem ex continenti pacta subsecuta sunt, etiam ex parte actoris insint. 29  von Lübtow (Fn.  17), S.  53  f. 30  Liebs (Fn.  12), S.  296.

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Doch der argumentative Aufwand, mit dem das Darlehen verneint wird, führt zum Verzinsungs-pactum als Zusatzabrede zum Mandat. Ein ex continenti-Grundsatz muss der actio mandati nicht entgegenstehen. Denn im Falle des Einverständnisses des Lucius Titius folgte die Zinsabrede zwar nach Begründung, aber doch während der fortdauernden Mandatsbeziehung31. In der Sache berücksichtigt das Gutachten den Parteiwillen. Mit dem Brief des Geschäftsführers ist zwar eine „Darlehens“-Anfrage formuliert. Doch wenn der procurator für die eingezogenen Geldstücke nicht nur wie ein Darlehensnehmer die Gefahr tragen, sondern für die Nutzung auch sechs Prozent Zinsen zahlen soll, dann wird beides nur in der Rechtsform des mandatum ermöglicht und gerade nicht durch das mutuum. Daher hält der Jurist mit seinem argumentum ad absurdum gegen ein Darlehen nuda pactione nicht nur vordergründig am überkommenen Vertragssystem fest. Er erkennt vielmehr, dass es sich im vorliegenden Fall bewährt und zur interessengerechten Problemlösung führt. 3. Ein „Vereinbarungsdarlehen“ Das Responsum ist ein Beleg gegen ein Darlehen nuda pactione in hochklassischer Zeit. Bejaht wird das Vereinbarungsdarlehen dagegen in der Spätklassik in Ulpians Ediktskommentar32: 31  D’Ors

(Fn.  2), S.  360 Anm.  900; Finazzi (Fn.  15), S.  244  ff., 247 Anm.  146. Schwarz, Die Grundlage der condictio im klassischen römischen Recht, Münster / Köln 1952, S.  287; von Lübtow, Ulpians Konstruktion des sogenannten Vereinbarungsdarlehens, in: Synteleia Arangio-Ruiz, 1964, S.  1212  ff.; ders., Darlehensbegriff (Fn.  17), S.  66  ff.; Wieacker, Die juristische Sekunde. Zur Legitimation der Konstruktionsjurisprudenz, in: Existenz und Ordnung. Festschrift Erik Wolf, Frankfurt am Main, S.  424 = Kleine Juristische Schriften, hg. von M. Diesselhorst, Göttingen 1988, S.  80 (Göttinger rechtswissenschaftliche Studien, 40); Giuseppina Sacconi, Ricerche sulla delegazione in diritto romano, Milano 1971, S.  7  f. mit Anm. 19; Horst Heinrich Jakobs, S. 208 ff.; Max Kaser, Das römische Privatrecht I, 2.  Aufl. 1971, S.  531, S.  13 mit Anm.  12; ders., Römische Rechtsquellen und ­angewandte Juristenmethode, 1986, S. 281, 289; Okko Behrends, Institutionelles und prinzipielles Denken im römischen Privatrecht, in: SZ 95, 1978, S.  193 Anm.  11 = Institut und Prinzip, Ausgewählte Aufsätze I, hg. von M. Avenarius, R. Meyer-Pritzl, C. Möller, Göttingen 2004, S.  19 Anm.  11; ders., Der Schlüssel zur Hermeneutik des Corpus Iuris Civilis. Justinian als Vermittler zwischen skeptischem Humanismus und pantheistischem Naturrecht, in: Martin Avenarius (Hg.), Hermeneutik der Quellentexte des Römischen Rechts, 2008 (Rheinische Schriften zur Rechtsgeschichte, 7), S. 284 Anm. 185, 286 Anm. 189; Werner Flume, Rechtsakt und Rechtsverhältnis, Paderborn 1990, S.  71  f. mit Anm.  38; Felix Wubbe, Ius singulare quid sit, in: Ars boni et aequi, Festschrift Wolfgang Waldstein, hg. von M. J. Schermaier und Z. Végh, Stuttgart 1993, S. 454 f.; Jan Dirk Harke, Argumenta Iuventiana, Berlin 1999, 32  Fritz



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D.12,1,15 Ulpianus libro trigensimo primo ad edictum Singularia quaedam recepta sunt circa pecuniam creditam. Nam si tibi debitorem meum iussero dare pecuniam, obligaris mihi, quamvis meos nummos non acceperis. Quod igitur in duabus personis recipitur, hoc in eadem persona recipiendum est, ut, cum ex causa mandati pecuniam mihi debeas et convenerit, ut crediti nomine eam retineas videatur mihi data pecunia et a me ad te profecta.

Ulpian verweist für anerkannte Besonderheiten beim Darlehen zunächst auf den Fall, dass ich meinen Schuldner ermächtige, dir Geld zu geben. In dieser Hinsicht besteht Übereinstimmung mit dem zweiten Vergleichsfall von D.17,1,34 pr. Doch abweichend davon beurteilt Ulpian wie das Anweisungsdarlehen nunmehr auch das Vereinbarungsdarlehen. Was für zwei Personen gelte, sei auch für dieselbe Person anzuerkennen: Auch dann, wenn du mir aus Mandat Geld schuldest und vereinbart wird, dass du es als Darlehen behältst, sei dies so anzusehen, als sei das Geld zu mir und dann von mir zu dir gelangt. In beiden Fällen bejaht Ulpian die für das Gelddarlehen erforderliche datio nummorum, obwohl das Geld nicht vom Darlehensgeber, sondern von dessen Schuldner zum Darlehensnehmer geflossen ist. Indessen macht es nach Auffassung des Spätklassikers keinen wesent­ lichen Unterschied, ob die in Wirklichkeit nicht vorliegende datio des Darlehensgebers selbst durch eine datio dessen Schuldners mit vorheriger Ermächtigung des Darlehensgebers ersetzt wird oder ob der Darlehensgeber die Vereinbarung mit seinem Mandatar trifft, der das Geld von dem Dritten bereits eingezogen hat. Demgegenüber bleibt es in der Afrikanstelle beim Erfordernis der Hingabe durch den Darlehensgeber, sei es auch in der Va­ riante einer Zahlung dessen Schuldners an den zur Schuldeinziehung ermächtigten Darlehensnehmer mit vorheriger Darlehensabrede. Friedrich Carl von Savigny hat den Gegensatz der beiden Quellen mit der fortschreitenden Entwicklung einer Rechtsregel erklärt, die zwar noch nicht zur Zeit Afrikans, wohl aber zur Zeit Ulpians vollendet gewesen sei33. Die neuere Textkritik verneint bisweilen eine „Antinomie“ für die klassische Zeit und hält den Ulpiantext für in nachklassischer Zeit verfälscht34. Das Afrikan-Fragment dient bei einem solchen Erkenntnisinteresse als „historiS.  91 (FRA, 33); Fabio Marino, D.41,4,2,16 di Paolo: un caso di ius singulare, in: Index 27, 1999, S.  398  f. Anm.  64; Jung (Fn.  17), S.  109; Schanbacher (Fn.  17), S. 621 ff.; Sonja Heine, Condictio sine datione, Berlin 2006, S. 43 Anm. 85, S. 105 Anm.  194 (FRA, 53); Gerhard Thür, Marginalien zum fiktiven Darlehen, in: Festschrift R. Knütel (Fn.  25), S.  1279. 33  Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts I, Berlin 1840, S.  281 Anm. s; Bernhard Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts II, Frankfurt a. M., S.  363 Anm.  10, 11 mit Nachw. 34  Gerhard Beseler, Juristische Miniaturen, Leipzig 1929, S. 114; ders., Romanistische Studien, TR 10, 1930, S.  205, vermutet, die klassische Auffassung sei in der Afrikan-Stelle enthalten, Ulpian habe wie Afrikan das Darlehen geleugnet.

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sches Material“ (Savigny) für die Ausbildung eines das Vereinbarungsdarlehen betreffenden Rechtssatzes. III. Das Responsum des iurisconsultus Doch in einer historischen Deutung des Auszuges aus den Quästionen Afrikans steht das Responsum des iurisconsultus im Mittelpunkt. Es ist keine allgemeine Stellungnahme zum Vereinbarungsdarlehen, sondern ein Responsum zur Quaestio eines Konsulenten. 1. Actio mandati: Geld auf Risiko des procurator, dennoch Zinsen Die Antwort auf die Zinsfrage unter Einbeziehung der Gefahrtragung ist in einem eigentümlichen Konsekutiv- und Konzessivsatz formuliert: Im vorliegenden Fall müsse man sagen, dass der procurator mit der Mandatsklage haften werde, so dass er, obwohl die Geldstücke auf dessen Gefahr gehen, dennoch die vereinbarten Zinsen leisten muss (et in proposito igitur dicendum actione mandati obligatum fore procuratorem, ut, quamvis ipsius periculo nummi fuerint, tamen usuras, de quibus convenerit, praestare debeat35). Eine solche sprachliche Fassung setzt voraus, dass es sich im Regelfall anders verhält: Das mutuum geht auf Gefahr des Empfängers, führt aber nicht zur Zinszahlungspflicht. Demgegenüber geht das aufgrund eines Mandats Erlangte grundsätzlich auf Risiko des Mandanten. Hier aber geht beides zu Lasten des Empfängers. Der Mandatar trägt nicht nur die Gefahr, sondern muss auch die vereinbarten Zinsen zahlen36. Das scheinbar paradoxe Ergebnis37 ist im vorliegenden Fall interessengerecht, weil der Mandatar die eingezogenen Gelder für sich auf Zeit nutzen will. Die mandatsgerechte Zinsabrede enthält demnach auch eine mandatsatypische Gefahrtragungsvereinbarung. Dem entspräche es, wenn das konzessive Verhältnis von Gefahrtragung und Zinszahlung umgekehrt formuliert wäre: Obwohl der procurator als Mandatar die Zinsen zahlen muss, trägt er doch wie ein Darlehensnehmer die Gefahr38. Der anders akzentuierte Satz bedarf nicht etwa der Kor35  Mommsen (Fn.  13), S.  490 Anm.  4, erwägt eine Versetzung des ut: ‚procuratorem, quamvis ipsius periculo nummi fierent: ut tamen‘. 36  Philipp Eduard Huschke, Die Lehre des Römischen Rechts vom Darlehn, Stuttgart 1882, Nachdr. Amsterdam 1965, S. 62, wie hier (s. Fn. 13) auf der Grundlage von fuerint (nicht fierent). 37  Liebs (Fn.  12), S.  296. 38  Ernst Rabel, Grundzüge des römischen Privatrechts, 2. Aufl., Darmstadt 1955, S.  102 Anm.  2.



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rektur39, passt er doch zur Quaestio und zum Responsum, welche den Darlehens- und den Zinsanspruch zum Gegenstand haben. Im zweiten Teil des Responsum ist daher nicht die Gefahrtragungs-, sondern die Zinsfrage zur Hauptaussage erhoben. Im Schlusssatz der Stelle ist der von respondit abhängigen Hauptaussage des iurisconsultus, der procurator müsse die Zinsen zahlen, der Satz quamvis ipsius periculo nummi fuerint in der Vorvergangenheit, also im Konjunktiv Perfekt, untergeordnet, im Sinne von „obwohl die Münzen auf dessen Gefahr gelaufen sind“40. 2. Vertragsberatung vor Vertragsschluss Auffällig ist allerdings, dass zu Beginn des Sachverhalts zwar eine briefliche Anzeige des Geschäftsführers, nicht aber das Einverständnis des Lucius Titius mitgeteilt wird. Es fehlt ein Antwortbrief. Andererseits aber beruht der ganze Traktat auf der Unterstellung eines formlosen Konsenses. Bereits in der doppelten quaestio nach Darlehen und Zinsen wird dies hinreichend deutlich. Das argumentum ad absurdum verweist ausdrücklich auf eine nuda pactio. Und die Vergleichsfälle sind wie der Ausgangsfall Grenzfälle einer mutui datio und nicht des für das Zustandekommen eines Darlehens selbstverständlich ebenfalls erforderlichen Konsenses. Daher liegt auch im Ausgangsfall das Problem in der mutui datio und nicht in einem Darlehen mittels einseitiger brieflicher significatio des procurator41. Dass in der Sachverhaltsschilderung von einer Zustimmung des Lucius Titius keine Rede ist42, auch nicht von einer schon vorab erteilten generellen Ermächtigung43 oder aufgrund stillschweigenden Einverständnisses44, lässt sich vielmehr plausibel erklären, wenn man sich in die Interessenlage des Konsulenten Lucius Titius nach Erhalt des Briefes seines Geschäftsführers und in die Lage des von ihm konsultierten Juristen versetzt. Einmal unter39  Im Ergebnis wie hier d’Ors (Fn.  2), S.  360 Anm.  901; Jung (Fn.  17), S.  114, Anm.  299. Anders, aber auf der Grundlage von fierent, Mommsen (Fn.  13); Lenel, Afrikans Quästionen (Fn.  7), S.  39, hält die Passage quamvis – tamen für unecht. Vgl. auch Rabel (Fn.  38), S.  101 Anm.  4; von Lübtow (Fn.  17), S.  22, 54. 40  Anders das zeitlich gleichgeordnete fierent Mommsens, das vielleicht durch die fieri-Prädikate fiat und fiunt veranlasst ist, s. oben Fn.  13. 41  Wubbe (Fn.  21), S.  303  f. 42  Anders Benke / Meissel (Fn.  12), S.  51: „(Lucius Titius) erklärt sich einverstanden“; Jung (Fn. 17), S. 108 mit Anm. 278: Annahme des Angebots, „wahrscheinlich brieflich oder durch Boten des Lucius Titius“. 43  Klinck (Fn.  17), S.  239  f.; anders aber Hausmaninger (Fn.  12), S.  379. 44  Cuiacius (Fn.  13), Sp.  1507.

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stellt, dass Lucius Titius mit dem Inhalt des Briefes durchaus einverstanden ist, dann wird er dennoch gut daran tun, zunächst juristischen Rat einzuholen. Denn er muss damit rechnen, dass wie in den Vergleichsfällen die Darlehensfrage bejaht wird und folgerichtig Zinsen nicht verlangt werden können. Aber mit einer gutachtlichen Stellungnahme des iurisconsultus abgesichert, kann Lucius Titius solche Bedenken hintanstellen und seine Zustimmung zur entgeltlichen Nutzung der eingezogenen Gelder ohne Risiko erklären und etwa in einem Antwortbrief auf den Weg bringen. Die gutachtliche Stellungnahme des Juristen dient also der Beratung vor Erteilung des Einverständnisses. Sie dient der näheren Ausgestaltung der zwischen Lucius Titius und seinem Geschäftsführer bestehenden Mandatsbeziehung und der darauf gegründeten actio mandati. Das respondere umfasst hier also auch die Vertragsberatung (cavere) und das mögliche Prozessieren (agere)45. 3. Quaestiones und Responsa Indessen geht das in den Quaestiones Afrikans literarisch verarbeitete Responsum über den dem Konsulenten erteilten Rat weit hinaus. Schon das argumentum ad absurdum, vor allem aber auch die Vergleichsfälle passen eher in eine fachjuristische Problemerörterung, sei es zur Vorbereitung des Responsum an den Konsulenten, sei es zur nachträglichen Aufbereitung. Das Fragment lässt daher wie in den oben zitierten Ulpianstellen den vorangehenden Gedankenaustausch zwischen Julian und Afrikan erkennen46. In D.17,1,34 pr. wäre dann mit dem unpersönlichen quaesitum est nicht nur die quaestio des Konsulenten, sondern auch die Anfrage Afrikans bei Julian zum Ausdruck gebracht. Und mit respondit wäre zunächst Julians Antwort an Afrikan gemeint, insoweit aber auch indirekt das Responsum für Afrikans Konsulenten. Der überlieferte Afrikan-Text ist weitgehend in indirekter, von respondit abhängiger Rede wiedergegeben, enthält aber in den Prädikaten fiunt und receptum est auffällige Übergänge in den Indikativ47. Es sind Begründungen für die Sonderfälle einer gelockerten mutui datio beim Verwahrungsdarlehen und beim Anweisungsdarlehen. Wenn es im Responsum heißt, diese Fälle seien mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar, darf man annehmen, 45  Wieacker,

Römische Rechtsgeschichte I, München 1988, S.  557  ff. 32 ed. D.25,3,3,4; Ulp. 21 Sab. D.30,39 pr.; s. oben S.  1  f. 47  Huschke (Fn.  36), S.  61, korrigiert est zu esse. Vincenzo Giuffrè, Mutuo (storia), in: Enciclopedia del diritto, Milano 1977, S.  433 Anm.  90, korrigiert videatur zu videtur. Anders Wieacker, Die juristische Sekunde (Fn.  32): Mit videatur werde der Durchgangserwerb „angedeutet“. Zu dieser Theorie vgl. Kaser, Rechtsquellen (Fn.  32), S.  281; Weyand (Fn.  17), S.  133  f. 46  Ulp.



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dass sie anders als das dann folgende Verkaufsdarlehen bereits in der Quaestio angeführt waren. Ist Afrikan der Anfragende und gibt er ein Julia­ nisches Responsum mit einem argumentum ad absurdum zum vorgelegten Fall wieder, konnte Afrikan in seinen Quaestiones die für die abweichenden Sonderfälle allgemein anerkannten Begründungen, beim Verwahrungsdarlehen qui mei erant, tui fiunt und benigne receptum est beim Anweisungsdarlehen, kaum in indirekter Rede als Bestandteil des zunächst an ihn gerichteten Responsum Julians formulieren. Auch dies spricht für eine Wieder­gabe mit eigenständigen, Afrikan selbst zuzuschreibenden Zusätzen48. Wer dem folgt, erkennt in der in den Quaestiones erstellten erweiterten Fassung49 das offenbar einverständliche Ergebnis eines Dialogs Afrikans mit Julian.

48  S.  oben S.  1; s. Bund, Salvius Iulianus (Fn.  5), S.  440; Wieacker (Fn.  6), S.  102. 49  Bund, Methode Julians (Fn.  8), S.  93 Anm.  75, hinsichtlich des Anweisungsdarlehens; dagegen Jung (Fn.  17), S.  107 Anm.  277.

König Otto I. und das Eintrittsrecht der Enkel Von Karl Kroeschell Aus den ersten Regierungsjahren Ottos I. berichtet der Mönch Widukind von Corvey in seiner Sachsengeschichte folgenden Vorfall: … De legum quoque varietate facta est et contentio, fueruntque qui dicerent, quia filii filiorum non deberent computari inter filios hereditatemque legitime cum filiis sortiri, si forte patres eorum obissent avis superstitibus. Unde exiit edictum a rege, ut universalis populi conventio fieret apud villam quae dicitur Stela; factumque est, ut causa inter arbitros iudicaretur debere examinari. Rex autem meliori consilio usus noluit viros nobiles ac senes populi inhoneste tractari, sed magis rem inter gladiatores discerni iussit. Vicit igitur pars, qui filios filiorum computabant inter filios, et firmatum est, ut aequaliter cum patruis hereditatem dividerent, pacto sempiterno  …1

Das geläufige Verständnis dieser Nachricht spiegelt sich in der Übersetzung, die seit 1852 praktisch unverändert bis heute tradiert wird.2 Sie lautet: … Auch über die Verschiedenheit der Gesetze entstand ein Streit; einige behaupteten, daß die Söhne der Söhne nicht unter die Söhne gerechnet und das Erbe rechtlicherweise nicht mit den Söhnen teilen dürften, wenn zufällig ihre Väter schon bei Lebzeiten des Großvaters mit Tode abgegangen wären. Deshalb ging ein Gebot vom König aus, daß eine allgemeine Versammlung des Volkes bei der Pfalz 1  Text nach: Paul Hirsch / Hans E. Lohmann (Hrsg.), Widukind von Corvey, Rerum gestarum Saxonicarum libri tres (MGH Script.rer.Germ.in us. schol. 60 (5. Aufl. 1935) II,10. – Den gleichen Text bieten die Ausgaben von Albert Bauer / Reinhold Rau, Quellen zur Geschichte der sächsischen Kaiserzeit (Ausgewählte Quellen zur Geschichte der deutschen Kaiserzeit. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe VIII, 1971, S.  1–183): Die Sachsengeschichte des Widukind von Corvey, hier S.  94 ff., und von Ekkehard Rotter / Bernd Schneidmüller, Widukind von Corvey, Res gestae Saxonicae. Die Sachsengeschichte (Reclam Nr.  7699, 1981), hier S.  116 ff. – Vgl. auch den Abdruck der Stelle bei Karl Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte 1, bis 1250 (1972; 13. Aufl. 2008) S.  149 f. Nr.  35. 2  Es handelt sich um die Übersetzung von Reinh. Schottin, die zuerst 1852 in Bd. VI der von Wilhelm Wattenbach herausgegebenen „Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit“ und dann, bearbeitet durch Paul Hirsch, 1931 als Bd. XXXIII der 2. Gesamtausgabe dieser Reihe erschienen war. Vgl. dazu die Einleitung der Ausgabe von Bauer / Rau S. 9. Meine eigene Übersetzung von 1972 weicht sachlich in einigen Punkten hiervon ab (Dorf Steele; Lohnkämpfer).

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Steele stattfinden sollte, und es wurde entschieden, daß die Sache durch Schiedsrichter geprüft werden solle. Der König aber befolgte einen besseren Rat und wollte nicht, daß edle Männer und die Ältesten des Volkes unehrenhaft behandelt würden, vielmehr befahl er, die Sache durch einen Zweikampf zur Entscheidung zu bringen. Dabei siegte nun die Partei, welche die Söhne der Söhne unter die Söhne rechnete, und es wurde festgesetzt, daß sie gemäß der bisher stets geltenden Ordnung nach gleichem Maße mit den Oheimen das Erbe teilen sollten  …

Es wird sich zeigen, daß an diesem Bilde mancherlei Korrekturen anzubringen sind. Zeit und Ort des Geschehens Man ist sich darüber einig, daß die Versammlung von Steele3 im Frühjahr 938 stattfand, also im zweiten Jahr nach Ottos Königserhebung in Aachen, die Widukind (vielleicht als Augenzeuge einer späteren Krönung) so anschaulich zu schildern wußte.4 Eine am 18. Mai 938 in Steele ausgestellte Urkunde des Königs für den Bischof von Osnabrück belegt seine Anwesenheit.5 Da dieser Tag ein Freitag war, der Donnerstag nach Mitte Mai aber wohl ein üblicher Gerichtstag war,6 könnte das placitum in Steele am Tag zuvor, also am 17. Mai, stattgefunden haben. Eine Pfalz in Steele als Ort des Gerichtstags ist allerdings nicht nachweisbar.7 Steele ist nicht einmal als Königsgut bezeugt, sondern gehörte zum (möglicherweise ältesten) Besitz des schon in der Karolingerzeit gegründeten Damenstifts Essen8. Die Abgaben aus Steele gingen an den Haupthof Eickenscheidt (im Südosten Essens gelegen)9, der mit dem im Norden gelegenen Viehof das Rückgrat der Essener Grundherrschaft bildete10. Es lag nahe, daß der König auf das servitium der Abtei zurückgriff, die nachmals 3  Zu den Vorgängen von Steele ausführlich Robert Jahn, Der Hoftag König Ottos I. bei Steele im Mai 938, in: Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen 56 (1938) S.  7–90; zu Zeit und Ort S.  58 ff. 4  Widukind II 1–2. 5  MGH.D. O I Nr.  20. 6  Jahn S.  59 verweist hierfür auf die bei Georg Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte Bd. VIII (1878) S.  50 zusammengestellten Beispiele. 7  Jahn S.  70 ff. 8  Über den Stiftsgründer Altfrid, später (851–874) Bischof in Hildesheim, und seine Verwandtschaft vgl. Reinhard Wenskus, Sächsischer Stammesadel und fränkischer Reichsadel (Abhandl.d.Akad.d.Wiss. in Göttingen, Phil.-hist.Kl., 3.  Folge Nr.  93, 1976) S.  106 f., 303. 9  Die „Eickenscheidter Fuhr“ ist hier der alte Verbindungsweg zwischen Essen und Eickenscheidt. 10  Vgl. hierzu die in altsächsischer Sprache verfaßte Essener Heberolle bei Kroeschell (wie Anm.  1) S.  112 Nr.  25 sowie Jahn S.  72 ff. (auch zur Überlieferungsgeschichte des Textes).



König Otto I. und das Eintrittsrecht der Enkel

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wiederholt von Äbtissinnen aus dem Kaiserhaus geleitet wurde (mit sprechenden Namen: Mathilde, Sophia, Theophanu). Ein großartiges Zeugnis dieser „Königsnähe“ ist die an die Aachener Pfalzkapelle Karls des Großen erinnernde, um 1050 errichtete Westapsis des Essener Münsters. Konkret muß man den Ort der Versammlung wohl auf dem freien Feld zwischen Eickenscheidt und Steele suchen, wo genug Platz war für die Zelte der Fürsten und Großen des Reiches mit ihrem kriegerischen und sonstigen Gefolge.11 Der Gegenstand des Konflikts Streit war entstanden de legum varietate – „über die Verschiedenheit der Gesetze“, wie die gängige Übersetzung sagt12. Spätestens seit den Forschungen von Gerhard Köbler sollte es allerdings klar sein, daß man lex im Mittelalter nicht einfach mit „Gesetz“ wiedergeben kann13. Während ius schon seit der Spätantike zunehmend die (subjektive) Berechtigung meinte, nahm lex immer mehr die Bedeutung des tatsächlich geübten (objektiven) Rechts an. „Verschiedenheit der Rechte“ wäre also eine bessere Übersetzung14. Die Verschiedenheit der Rechte bezog sich auf ein bekanntes Rechtsproblem, das Widukinds Bericht sehr klar beschreibt. Es geht um das Eintrittsrecht der Enkel bei der Erbfolge. Wenn beim Tode eines Erblassers einer seiner Söhne bereits verstorben war, aber seinerseits Söhne hinterließ: sollten sie den Erbteil ihres Vaters erhalten, der ihm zugekommen wäre, wenn er noch lebte, oder müßten sie neben den Brüdern ihres Vaters leer ausgehen? In Steele setzte sich die Auffassung durch, die das Eintrittsrecht anerkannte, und sie gilt auch noch in unserem heutigen Erbrecht – freilich nicht nur für die Söhne von Söhnen, also im Mannesstamm, sondern ganz allgemein für Abkömmlinge15. 11  So

einleuchtend Jahn S.  89 f. übersetzen „über die Änderung von Gesetzen“ – variatio

12  Rotter / Schneidmüller

delectat! 13  Gerhard Köbler, Das Recht im frühen Mittelalter. Untersuchungen zu Herkunft und Inhalt frühmittelalterlicher Rechtsbegriffe im deutschen Sprachgebiet (1971). Vgl. aber auch schon Karl Kroeschell, Recht und Rechtsbegriff im 12. Jahrhundert, in: Probleme des 12. Jahrhunderts (Vorträge und Forschungen Bd.  XII (1968) S.  309–335; jetzt in: ders., Studien zum frühen und mittelalterlichen deutschen Recht (1995) S.  277–309. 14  Jahn S.  16 ff. spricht von „Rechtsauffassungen“, was vielleicht der treffendste Ausdruck ist. 15  § 1924 Abs.  3 BGB: „An die Stelle eines zur Zeit des Erbfalls nicht mehr lebenden Abkömmlings treten die durch ihn mit dem Erblasser verwandten Abkömmlinge (Erbfolge nach Stämmen).“

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Karl Kroeschell

Bei dem Gerichtstag von Steele ging es allerdings wohl nicht um die abstrakte Frage des Eintrittsrechts. Vielmehr dürfte ein konkreter Erbstreit den Anlaß gegeben haben. Im deutschen Recht des Mittelalters lassen sich viele Beispiele dafür finden, daß ein konkreter Rechtsstreit mittels abstrakter Urteilsfragen und -sprüche betrieben wurde. Es sei etwa an den Fall des Grafen Udo von Stade erinnert, der (wohl 1104) in einer Goslarer Reichsversammlung Heinrichs IV. fragte, ob er seinen Hörigen überall ergreifen könne, wo er ihn finde. Als dies bejaht worden war, nahm er seinen dort anwesenden entwichenen Ministerialen Ulrich durch Halsschlag als seinen Eigenmann in Anspruch. „Der Kaiser war darüber sehr erregt und man lief zu den Waffen  …“16. Für die sog. „Reichsweistümer“ des 13. Jh. hat Bernhard Diestelkamp schon vor längerer Zeit gezeigt, daß auch ihnen trotz abstrakter Frage und Antwort konkrete Konflikte zugrunde lagen17. Wer freilich die Parteien des in Steele verhandelten Rechtsstreits waren, wissen wir nicht. Gerd Althoff hat an den Konflikt im Hause der Billunger erinnert, bei dem die Brüder Wichmann und Egbert ihren Oheim Hermann Billung als „Räuber ihres väterlichen Erbes“ (paternae hereditatis raptorem) jahrelang befehdeten18. Freilich hat sich dieser Streit erst lange nach Steele zugetragen, und Widukind stellt keine Verbindung her. Hagen Keller wiederum hat einen anderen Fall mit dem unseren in Verbindung bringen wollen, den Widukind unmittelbar vor dem Bericht über Steele referiert19. Der Einfachheit halber gebe ich hier nur die Übersetzung: Auch starb um diese Zeit Graf Siegfried, dessen Markgrafschaft Thankmar beanspruchte, weil er mit ihm verwandt war. Es war nämlich seine Mutter, mit der König Heinrich den Thankmar zeugte, die Tochter von Siegfrieds Mutterschwester. Als sie [die Markgrafschaft] aber durch königliche Schenkung dem Grafen Gero zufiel, war Thankmar darüber sehr verstimmt. 16  Vgl. den Bericht der Annales Stadenses (mit Übersetzung) bei Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte 1 (wie Anm.  1) S.  187 f. Nr.  44. 17  Bernhard Diestelkamp, Reichsweistümer als normative Quellen?, in: Recht und Schrift im Mittelalter, hrsg. von Peter Classen (Vorträge und Forschungen XXIII, 1977) S.  281–310. 18  Widukind III 23–29 und 50–69. Dazu Gerd Althoff, Geschichtsschreibung in einer oralen Gesellschaft. Das Beispiel des 10. Jahrhunderts, in: Ottonische Neuanfänge, hrsg.von Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter (2001) S. 151–169, hier S.  165. 19  Widukind II 9. Dazu Hagen Keller, Reichsstruktur und Herrschaftsauffassung in ottonisch-frühsalischer Zeit, in: Frühmittelalterliche Studien 16 (1982) S. 74–128; jetzt in: ders., Ottonische Königsherrschaft (2002) S. 51–90, hier S. 70. – Ders., Die Idee der Gerechtigkeit und die Praxis königlicher Rechtswahrung im Reich der Ottonen, in: La Giustizia nell’Alto Medioevo (sec. IX-XI), Settimane Spoleto XLIV (1997) p.  91–131; jetzt in: Ottonische Königsherrschaft (wie oben) S.  51–90, hier S.  39 mit Anm.  24.



König Otto I. und das Eintrittsrecht der Enkel

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Thankmar war ein älterer Halbbruder Ottos I. aus einer später kirchlich annullierten Ehe. Die erbrechtliche Konstellation dieses Falles unterscheidet sich jedoch von der des Steeler Streits ganz wesentlich. Dort ging es um die Erbfolge im Mannesstamm, während hier nur eine ausschließlich durch Frauen vermittelte Seitenverwandtschaft vorlag20. Gewiß könnte man sagen, daß beide Fälle den gleichen Strukturwandel im mittelalterlichen Adel widerspiegeln: die zunehmende Betonung der agnatischen Verwandtschaft, also des Mannesstamms, der dann nachmals zum Träger von Namen, Wappen und Rang wurde21. Freilich ist es erst das Auge des Historikers, das hier langfristige Tendenzen entdeckt, die den Zeitgenossen gewiß nicht bewußt sein konnten. Die Personen, deren Erbstreit die Entscheidung von Steele ausgelöst haben könnte, bleiben jedenfalls für uns noch immer namenlos. Römisches Recht Allerdings hat bei den neueren Versuchen, das Geschehen von Steele richtig einzuordnen, ein Gesichtspunkt bisher noch keine Rolle gespielt – der Umstand nämlich, daß das Eintrittsrecht der Enkel aus dem römischen Recht kommt. Es handelt sich nicht um eine Spielart einheimischen Rechts wie etwa die unterschiedliche Vererbung des Heiratsguts bei den Westfalen einerseits, den Ostfalen und Engern andererseits, von der c.47 der Lex Saxonum berichtet22. So braucht uns auch die offene Frage nicht zu beschäftigen, ob man im ältesten „germanischen“ Recht einen engeren Erbenkreis annehmen muß23, was dazu führen müßte, daß den Enkeln des Erblassers nicht nur dessen Söhne, sondern womöglich auch noch sein Vater und seine Brüder vorgingen. 20  Vgl.

hierzu die Graphiken auf den beiden folgenden Seiten. Wandel beobachtete wohl zuerst Karl Schmid. Ich erinnere an seine Aufsätze: Zur Problematik von Familie, Sippe und Geschlecht, Haus und Dynastie beim mittelalterlichen Adel, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 105 (1957) S.  1–62, und: Über die Struktur des Adels im früheren Mittelalter, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 19 (1959) S.  1–29. 22  Dazu zuletzt Karl Kroeschell, „recht unde unrecht der sassen“. Rechtsgeschichte Niedersachsens (2005) S. 21. Unlängst hat Peter Landau daran erinnert, daß Widukind von Corvey diese Unterschiede gekannt hat – womöglich aus der Corveyer Handschrift der Lex Saxonum (Thietmar von Merseburg im Zusammenhang der Überlieferung von Lex Saxonum und Lex Thuringorum, in: ZRG.GA 124, 2007, S. 296–300). Die entsprechende Stelle (Widukind I 14) benennt das Problem mit den gleichen Worten wie der Bericht über Steele: De legum vero varietate nostrum non est in hoc libello disserere, cum apud plures inveniatur lex Saxonica diligenter descripta. 23  Zu Karl von Amiras Lehre von einem engeren und weiteren Erbenkreis vgl. Karl Kroeschell, Söhne und Töchter im germanischen Erbrecht, in: Studien zu den germanischen Volksrechten. Gedächtnisschrift für Wilhelm Ebel (1982) S.  87–116; jetzt in: ders., Studien (wie Anm.  12) S.  35–64, hier S.  35 f. 21  Diesen

366

Karl Kroeschell † Erblasser

Söhne

Enkel

Eintrittsrecht der Enkel Steele 938, Widukind II 10

Als allgemeine Regel ist das Eintrittsrecht ein Erzeugnis der spätrömischen Kaisergesetzgebung, nämlich der Novelle 118 des Kaisers Justinian aus dem Jahre 543. Sie ersetzte das komplizierte Gefüge der miteinander verschränkten zivilen und prätorischen Erbfolgeordnung24 durch die übersichtliche Dreigliederung der gesetzlichen Erben in die Deszendenten, Aszendenten und Kollateralen. Bei den Deszendenten findet sich die fortan maßgebliche Formulierung des Eintrittsrechts: … sic tamen ut si quem horum descendentium filios relinquentem mori contigerit, illius filios aut filias aut alios descendentes in proprii parentis loco succedere … tantam de hereditate morientis accipientes partem, quanticumque sint, quantam eorum parens si viveret habuisset: quam successionem in stirpes vocavit antiquitas25.

Wie man im ottonischen Sachsen von diesem römischen Rechtsinstitut Kenntnis erlangt haben mag, wissen wir nicht. Es gibt keine Hinweise darauf, daß man die griechisch und lateinisch abgefaßten Novellen selbst gekannt haben könnte. Allerdings gab es eine lateinische Kurzfassung, die sog. Epitome Juliani26, und sie war jedenfalls im Karolingerreich bekannt. die Übersicht bei Kroeschell, Söhne und Töchter (wie vor. Anm) S. 39–41. ed. Rudolf Schoell / Wilhelm Kroll (1895), Nov. CXVIII c.I, S.  567 f. 26  Der entsprechende Text lautet hier: …sic tamen, ut si contigerit unum ex descendentibus personis decedere, liberi ab eo relicti locum ipsius obtineant, et tantum capiant, quantum pater ipsorum, si vivus esset, accepturus fuisset, quam 24  Vgl.

25  Novellae,



König Otto I. und das Eintrittsrecht der Enkel

Erwin comes senior

N.N.

König Heinrich I.

367

N.N.

N.N.

N.N.

Hiltigart

Thietmar

Sigifridus comes, † 937

Gero

Hatheburg

Thankmar

Thankmars Anspruch 937, Widukind II 9

Der Text findet sich z. B. in einer Sammelhandschrift, die an der Hofschule Ludwigs des Frommen entstanden sein könnte27; freilich führt auch von hier aus einstweilen keine Spur nach Sachsen. Andererseits hat aber schon der merowingische Frankenkönig Childebert 596 in seinem austrasischen Teilreich das Eintrittsrecht einführen wollen28; der Text seiner Decretio geht auf ein Märzfeld zurück, das 594 in Andernach abgehalten wurde29. Für seine Abfassung zeichnete als Rekognoszent der referendarius Asclepiodotus verantwortlich, der zuvor im burgundischen Teilreich die Kanzlei von Childersuccessionem veteres leges in stirpes vocant  … Epitome Juliani, ed. Gustav Hänel (1873) cap. CIX S.  134 f. 27  Zu dieser Handschrift vgl. jetzt Wolfgang Kaiser, Die Epitome Juliani. Beiträge zum römischen Recht im frühen Mittelalter und zum byzantinischen Rechtsunterricht (2004) S.  30 ff. 28  Decretio Childeberti, in Capitularia Regum Francorum I, ed. Alfred Boretius (1883) Nr. 7; mit deutscher Übersetzung auch in: Pactus Legis Salicae II 2, ed. Karl August Eckhardt (Germanenrechte NF., 1956) S.  440 ff. 29  Ita, Deo propicio, Antonaco Kalendas Martias anno XX regni nostri [§1] convenit, ut nepotes ex filio vel filia mortuo patre vel matre ad aviaticas res cum avunculus vel amitas sic venirent, tamquam si mater aut pater vivi fuissent.

368

Karl Kroeschell

berts Oheim Guntram geleitet hatte30. Vermutlich ist ihm diese Rezeption justinianischen Rechts zu verdanken. In anderen Regionen des Frankenreichs ist hiervon freilich wenig zu spüren. Die Formelsammlung des Mönchs Marculf enthält das Formular einer Urkunde, durch die ein Großvater seinen Enkeln den Erbteil ihrer verstorbenen Mutter zuwendet31, mit der ausdrücklichen Begründung, daß sie anderenfalls von Rechts wegen neben deren Brüdern leer ausgehen würden (dum et per lege cum ceteris filiis meis, abunculos vestris, in alode mea accedere minime potueratis). Ob sich nun bei den Franken ein Miterbrecht der Enkel auf gesetzgeberischem Wege oder durch einen Wandel der Erbsitte durchsetzte: in Sachsen könnte man hiervon leicht durch nachbarliche oder gar verwandtschaftliche Kontakte32 erfahren haben33. Gerichtlicher Zweikampf Wer des Mordes oder eines anderen schweren Verbrechens beschuldigt wurde, mußte damit rechnen, daß gegen ihn die Kampfklage erhoben wurde34. Die Möglichkeit, sich als unbescholtener Mann durch einen Eid mit Eidhelfern von dem Schuldvorwurf zu „reinigen“, war ihm damit verlegt. So geschah es dem Grafen Thietmar aus dem sächsischen Herzogshause der Billunger, der am 30. September 1048 von seinem eigenen Lehnsmann Arnold in Pöhlde am Harz im gerichtlichen Zweikampf erschlagen worden war35. Er war eines Mordanschlags auf Kaiser Heinrich III. bezichtigt worden; den Kampf hätte er nur verweigern können, wenn der Kläger geringeren Standes als er selbst gewesen wäre. 30  Zu ihm vgl. jetzt Detlef Liebs, Römische Jurisprudenz in Gallien (2. bis 8.  Jahrhundert), Freiburger Rechtsgesch. Abhandl. NF Bd.  38 (2002) S.  72–75. 31  Epistola, cum in loco filiorum nepotes instituuntur ab avo: Formulae Marculfi II 10, in: Formulae, ed. Karl Zeumer, MGH. LL. 1886) S.  82. 32  Über verwandtschaftliche Verbindungen zwischen sächsischen und fränkischen Adelsfamilien in karolingisch-ottonischer Zeit vgl. zusammenfassend Wenskus (wie oben Anm.  8) bes. S.  473 f. 33  Die historische Entwicklung des Eintrittsrechts in Deutschland – über den Sachsenspiegel und die Reichsabschiede des 16. Jhs. bis zu den neuzeitlichen Kodifikationen – muß hier nicht weiter verfolgt werden. Die beste Übersicht bietet noch immer Otto Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts Bd.V (1. / 2.  Aufl. 1885) S.  94 ff. Weitere Literatur bei Christoph Becker, Art. Eintrittsrecht, in: HRG Bd.  1 (2. Aufl. 2004) Sp.  1305 f. 34  Zur Kampfklage vgl. Julius Wilhelm Planck, Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter. Nach dem Sachsenspiegel und verwandten Quellen, Bd.  1 (1879) S.  787 ff. 35  Vgl. Kroeschell, „recht unde unrecht der sassen“ (wie Anm.  22) S.  30.



König Otto I. und das Eintrittsrecht der Enkel

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Wie aber konnte es dazu kommen, daß ein erbrechtlicher Streit durch gerichtlichen Zweikampf entschieden werden mußte? Auf diese Frage hatte schon 1886 Julius Wilhelm von Planck eine Antwort zu geben versucht36, der Autor des eben zitierten Buches über „Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter“. Seine Lösung des Problems ist um so überzeugender, als sie auch gewisse scheinbare Widersprüche in Widukinds Bericht zu beheben vermag. Offenbar gab es nicht nur über das Eintrittsrecht der Enkel gegensätzliche Meinungen. Auf dem Gerichtstag von Steele war man vielmehr auch über das Verfahren uneinig. Allerdings ist nicht zu sehen, wie eine Entscheidung „durch Schiedsrichter“ zu einer unehrenhaften Behandlung der Edlen und Alten des Volkes führen könnte37. Beachtet man mit Planck die parallelen Wendungen inter arbitros und inter gladiatores, so zeigt sich, daß dies bei Widukind auch gar nicht steht. Die Alternative lautet nicht „durch Schiedsrichter“ oder „durch Zweikampf“, sondern: Zweikampf zwischen den Urteilern38 oder zwischen Lohnkämpfern. Vermutlich war es in der Erbrechtsfrage zu einer Urteilsschelte gekommen39. Dem eingebrachten Urteilsvorschlag mußte der Schelter seinen eigenen Vorschlag entgegenstellen, was nach mittelalterlicher Auffassung zum Zweikampf zwischen den beiden Urteilern führen mußte. Im Königsgericht gehörten wohl beide zu den „Edlen und Alten des Volkes“, sodaß eine Niederlage für den Unterlegenen einen erheblichen Ansehensverlust bedeutete. Unter gewissen Bedingungen, etwa bei hohem Alter eines Beteiligten, war aber eine Vertretung durch Lohnkämpfer möglich. Auch hierüber kam es aber offenbar zu einem zwiespältigen Urteil40. Nun lag es bei dem Richter, hier also dem König, welches der beiden Urteile er „ausgeben“ und damit in Kraft setzen wollte. Wenn unlängst mit einer gewissen Verwunderung festgestellt wurde, Widukind habe diese Entscheidung des Herrschers be36  Julius Wilhelm von Planck, Der Bericht Widukinds über das Kampfurtheil auf dem Reichstag zu Steele, in: Sitzungsberichte der philosophisch-philologischen und historischen Classe der k.b. Akademie der Wissenschaften zu München, Jg. 1886 (München 1887) S.  155–180. 37  So aber immer noch Keller, Idee der Gerechtigkeit (wie Anm.  19) S.  39 mit Anm.  26. Dagegen überzeugend bereits Jahn (wie Anm.  3) S.  49. 38  Daß die arbitri hier nicht die gewählten Schiedsrichter des kanonischen Rechts sind, sondern die Urteiler im Königsgericht, zeigte schon Planck, Bericht Widukinds (wie Anm.  36) S.  170 f. 39  Planck, Bericht Widukinds (wie Anm.  36) S.  168 f. Ebenso schon Ernst Theodor Gaupp, Kritische Beleuchtung einiger neueren, das Alter des Sachsenspiegels betreffenden Ansichten, in: ders., Germanistische Abhandlungen (1853) S.  127 Fn.  1. 40  Planck, Bericht Widukinds (wie Anm.  36) S.  173.

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Karl Kroeschell

richtet, ohne sie zu bewerten41, so mag dies daran liegen, daß der Chronist als Zeitgenosse wußte, was ein Richter in einem solchen Falle zu tun hatte, während wir Heutigen es uns erst von einem gelehrten Rechtshistoriker wie Planck erklären lassen müssen. Nach Widukinds Bericht hat der König also das Urteil ausgegeben und damit bestätigt (firmatum est), welches das Eintrittsrecht der Enkel anerkannte. Den zentralen Satz Widukinds (factumque est  …) könnte man nach alledem etwa folgendermaßen übersetzen: Und es geschah, daß ein Urteil gefunden wurde, daß die Sache zwischen den Urteilern ausgetragen werden müsse. Der König aber, der nicht wollte, daß edle Männer und die Ältesten des Volkes unehrenhaft behandelt würden, folgte dem besseren Urteil und befahl, daß die Sache lieber zwischen Lohnkämpfern entschieden werden solle42.

Was bedeutet dann aber der abschließende Ablativus absolutus: pacto sempiterno? Gewiß nicht, wie die herkömmliche Übersetzung im Einklang mit der geläufigen Deutung der Nachricht sagt: „gemäß der bisher stets geltenden Ordnung“43. Hätte es eine solche anerkannte Ordnung gegeben, wäre der Konflikt ja gar nicht erst entstanden. So bleiben also zwei Möglichkeiten. Entweder wurde in Steele beschlossen, daß die nun gefundene Lösung auch künftig gelten solle; dies würde allerdings ein gesetzgeberisches Selbstverständnis voraussetzen, das man für die ottonische Zeit kaum annehmen kann44. Oder aber die an dem konkreten Streitfall beteiligten Erben wurden verpflichtet, durch einen dauerhaften Vertrag eine entsprechende Erbteilung vorzunehmen45. Hier (wie auch sonst so oft) dürfte die anspruchslosere Lösung die bessere sein. Die Ansicht freilich, daß ein Fall königlicher Hofgerichtsbarkeit mit Ladung, Urteilern und Beitritt des Königs zum Urteil „in der Ottonenzeit gar nicht belegt“ sei46, bedarf gewiß der Korrektur.

41  Althoff,

Geschichtsschreibung (wie Anm.  18), hier S.  165 Anm.  42. dazu schon den Übersetzungsvorschlag von Jahn (wie Anm.  3) S.  16. 43  Auch die Übersetzung bei Rotter / Schneidmüller (wie Anm.  1) spricht von der „immerwährenden Ordnung“. 44  Vgl. hierzu die Befunde von Hermann Krause, Königtum und Rechtsordnung in der Zeit der sächsischen und salischen Herrscher. in: ZRG germ. Abt.  82 (1965) S.  1–98. 45  So Planck, Bericht Widukinds (wie Anm.  36) S.  179. 46  Gerd Althoff, Königsherrschaft und Konfliktbewältigung im 10. und 11. Jh., in: Frühmittelalterliche Studien 23 (1989) S.  265–290, hier S.  281 Anm.  62; jetzt in: ders., Spielregeln der Politik im Mittelalter (1997) S.  23–56, hier S.  43 Anm.  62. 42  Vgl.

Nota minima su Goethe, Schulz, Arangio-Ruiz, Croce e la traditio Di Luigi Labruna Laßt fahren hin das allzu Flüchtige! Ihr sucht bei ihm vergebens Rath; In dem Vergangnen lebt das Tüchtige, Verewigt sich in schöner That. Und so gewinnt sich das Lebendige Durch Folg’ aus Folge neue Kraft, Denn die Gesinnung die beständige Sie macht allein den Menschen dauerhaft.

Molti li avranno riconosciuti. Sono i versi di Goethe che Fritz Schulz, «un tecnico dei più ammaliziati, ma anche un pensatore che sa[peva] trarre alla luce e formulare egregiamente le linee direttive inespresse del pensiero giuridico degli antichi», segnò col solo nome dell’autore, in testa al capitolo dedicato nei Prinzipien, alla «Tradition».1 Molto tribolò su di essi Vincenzo Arangio-Ruiz (cui si deve, tra l’altro, il giudizio su Schulz che ho appena riportato) nella sua fatica di scrupoloso traduttore e curatore dell’edizione italiana2 dell’opera tedesca3: lavoro «che l’alto valore e il limpido stile dell’originale [schulziano] rendeva singolarmente piacevole».4 1  Schulz, Prinzipien, p. 57 ss., che riporta talune parole dei versi, qui citati secondo l’ed. Witte del 2008 (v. infra nt. 16), con qualche variante grafica non di rilievo, derivante con ogni evidenza dall’edizione da lui utilizzata ma non indicata: Allzuflüchtige, Rat, Tat. 2  Schulz, Principii. Dell’opera è stata effettuata una ristampa anastatica dalla Casa Editrice Le Lettere, Firenze, 1995. 3  «La sola che avevo a disposizione nell’inverno e la primavera del 1943». Arangio-Ruiz, Avvertenza del traduttore: in Schulz, Principii, p.  xi. 4  Quel «lieve lavoro» – scrisse nel 1946 – «servì dapprima a scaricarmi il cervello, oppresso dal ben diverso sforzo che m’imponeva l’ultima mano da dare ai miei Negotia» poi «divenne negli ultimi mesi un agevole mezzo per tenermi legato agli studii pur fra le incalzanti occupazioni politiche». Arangio-Ruiz lavorò alla traduzione quando, «nel turbinio della guerra», era impegnato a Napoli, nella clandestinità, nel Comitato di liberazione nazionale che si era costituito «con la rappresentanza di tutti i partiti antifascisti, per i primi contatti con gli Alleati, e per discu-

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Luigi Labruna

Il grande romanista napoletano non riusciva infatti ad individuare il luogo goethiano da cui Schulz aveva tratto la citazione e (di conseguenza) inutilmente cercava una «degna» traduzione italiana di quei versi per non darne lui stesso – diceva – «una banale» in prosa. Lo testimoniano due lettere manoscritte sue a Benedetto Croce,5 di cui sono venuto a conoscenza per la cortesia di un nostro giovane allievo, Valerio Minale che, col consenso della Fondazione che del filosofo abruzzese-napoletano porta il nome,6 sta curando, per il Mulino, una edizione dell’epistolario («emozionante», anticipa) intercorso tra i due studiosi da lui reperito e ordinato presso l’«Istituto Italiano per gli Studi storici».7 Si tratta di un episodio minimo, per certi versi divertente ma per altri scoraggiante, comunque istruttivo («un giuoco, ma un giuoco serio, molto serio» avrebbe detto il vecchio Goethe), che non poco fa intendere del modo di lavorare, di essere e di rapportarsi fra loro di personaggi ormai mitici, di intellettuali universalmente ritenuti sapienti ma, evidentemente diversamente attenti, se non diversamente scrupolosi, che pure hanno fatto la storia della nostra e di altre discipline. «Dopo averli invano cercati nel Faust» – scrive il 26 marzo 1946 da Roma, corso Trieste 51, Arangio-Ruiz al Senatore8 – «mi sono rivolto al prof. Bonaventura Tecchi9 dal quale fino a stamane non avevo avuto risposta. Senonché, tornando questa sera a casa, ho trovato una lettera del Tecchi: tere sull’indirizzo istituzionale, politico ed amministrativo da dare allo Stato, dopo la sconfitta» (Zeuli, in: Guarino / Labruna [curr.], Synteleia I, p. 30 s.). L’Avvertenza del traduttore, da cui ho tratto le citazioni nel testo e qui nelle note, è datata «Roma, 31 marzo 1946»: cfr. Schulz, Principii, p.  xi. Accurata bibliografia arangiana è nella citata Synteleia I, p.  xix  ss. Adde Arangio-Ruiz, Scritti di diritto romano, Id., Studi epigrafici, e la raccolta dei suoi Scritti politici. Per la bibl. essenziale su di lui, da ultimo: Santini. 5  Autore tra l’altro, come si ricorderà, di importanti studi su Goethe: ad es. Croce. Non cito la sterminata e notissima bibliografia crociana. Su natura e caratteristiche dei «carteggi» tra il filosofo – «un italico Altvater?», «un grande intellettuale?», «un regista occulto», «un colto borghese di grande potere e prestigio (anche perché senatore)? – e gli esponenti della «migliore cultura italiana della prima metà del Novecento», si v. le lucide ed intelligenti notazioni di Petrucci, p.  164  ss. 6  In particolare, del suo Segretario generale dr.ssa Marta Herling. 7  Sono 62 documenti che vanno dal 1924 al 1952: v. Minale. 8  In Minale, Doc. 52. 9  Letterato e filologo, saggista e narratore (1896–1968) in gioventù direttore del «Gabinetto Vieusseux» di Firenze, quindi lettore di italiano in Università mitteleuropee, poi ordinario di letteratura tedesca a Padova e infine alla Sapienza di Roma. Direttore dell’Istituto italiano di studi germanici, a partire dal 1963 fu socio corrispondente dell’Accademia dei Lincei. «Goethe» – è stato detto – «è autore chiave nell’esperienza letteraria di Tecchi». Tra i suoi numerosi saggi: Sette liriche di ­Goethe e Goethe scrittore di fiabe.



Nota minima su Goethe, Schulz, Arangio-Ruiz, Croce e la traditio

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il quale mi scrive che i versi appartengono alla Trilogie der Leidenschaft, e precisamente alla sua terza parte, Ausshönung (in verità, in una edizioncina Reclam che io posseggo dei Gedichte di Goethe la Trilogia e la relativa Ausshönung ci sono, ma i versi che m’interessano no: forse perché certi componimenti saranno dati per estratti anziché nell’intero testo, cosa che ignoravo). Il Tecchi aggiunge che un suo conoscente, il prof. Giovanni Necco,10 ha tradotto forse tutta la Trilogia, ma forse anche la sola seconda parte (elegia di Marienbad): mi promette di far ricerche in proposito ma non sa quanto tempo queste potranno richiedere. Ecco la situazione nella quale mi sono permesso di chiedere il Vostro aiuto: sempre che non Vi riesca difficile o comunque fastidioso». Non conosciamo la risposta di Croce. Sia Valerio Minale che io l’abbiamo inutilmente cercata. Non è alla Fondazione Croce, non l’hanno il figlio Gaetano né gli altri eredi di Vincenzo Arangio-Ruiz, non l’ha il genero di Arangio, il professor Antonio Guarino. Perduta o smarrita, chi sa. Anche per questo riferisco qui l’episodio, nella speranza che qualche lettore possa aiutare a reperirla. Quella risposta certamente ci fu. Risulta dalla seconda lettera manoscritta che, sempre grazie a Valerio Minale, conosco.11 È datata Roma 19 aprile 1946 e, a differenza della precedente (scritta su tre facciate di due fogli bianchi), è su carta recante in alto a sinistra, a stampa, lo stemma del Regno affiancato, a destra e sinistra, da Fasci littori e sovrastante la scritta «Camera dei Fasci e delle Corporazioni» su cui è sovrapposto un timbro con 10 righe di cancellatura del vecchio emblema a fianco dello stemma sabaudo nuovamente libero dai Fasci, sovrastante la scritta maiuscola «Camera dei Deputati». Questo il breve testo: «Illustre e caro Senatore, grazie della Vostra preziosa informazione relativa ai versi di Goethe che m’interessavano. Seguirò in pieno il Vostro consiglio. Mi è grata l’occasione di presentarVi i più vivi auguri per la Pasqua imminente. Con devoto affetto Vostro V. ArangioRuiz». Quale fosse il consiglio di Croce non sappiamo. Né dal tenore del ringraziamento arangiano è possibile capire se il filosofo avesse o meno riconosciuto l’opera di Goethe alla quale quei versi appartenevano. Propenderei per il no, dato che l’esito dello scambio di lettere è nella traduzione (non sgradevole, 10  Germanista (1895–1961), autore di vari saggi e traduzioni, tra cui: Il carteggio di Goethe con una bimba / Bettina Brentano von Arnim; Realismo e idealismo nella letteratura tedesca moderna: caratteristiche e saggi da Goethe a Carossa, e di una fortunata e diffusa Storia della letteratura tedesca. 11  In Minale, Doc. 53.

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ma niente di più) dei versi che Arangio ha utilizzato a p.  74 della edizione italiana dei Principii senza indicare però l’esatta provenienza né dell’una né degli altri. Come del resto fece la traduttrice in inglese dell’opera schulziana e dei versi di Goethe, Marguerite Wolff, che li riportò a p. 83 dei Principles segnandoli anche lei – come aveva fatto l’autore nell’edizione originale – con il solo nome del grande poeta tedesco e nulla più.12 Di chi sia la traduzione italiana dei versi in questione utilizzata dall’Arangio-Ruiz non so. Ma una cosa è sicura. Nonostante il parere autorevole del celebre Tecchi, quei «tiefempfundenen Versen»13 non appartengono (e con tutta evidenza non potevano appartenere innanzi tutto per ragioni metriche: ed è strano che i dòtti protagonisti di questa storia, Tecchi in testa, non lo abbiano immediatamente notato) alle sestine della Ausshönung, l’epilogo della così detta Trilogia della passione, vero e proprio testamento lirico del vecchio Goethe,14 composto nel divampare della violenta pena amorosa per la giovane Ulrica de Levetzowa finalmente «disacerbata» dalle splendide arti della Szymanowska che l’avevano appunto «riconciliato con se stesso e la vita». Essi (peraltro ora noti alla storiografia sul poeta ed i suoi rapporti con il diritto romano in quanto ripresi da Karl-Heinz Below nel 1954 in uno specifico saggio sul tema15) aprono, in realtà, lo Zwischengesang («Ernst, männlich, bedeutend») di un ben diverso canto di Goethe: il framassonico Zur Logenfeyer des dritten Septembers 1825 composto per le celebrazioni ufficiali, nella Loggia Anna Amalia di Weimar, del cinquantesimo anniversario di governo del suo amico e protettore Granduca Carlo Augusto di Sassonia-Weimar-Eisenach16 e quindi musicato in una cantata piuttosto celebre da Hummel. 12  Schulz,

Principles, l.c. nel testo. Below cit. infra in nt.  15. 14  Cfr. Mittner, p.  971. 15  Below, p.  268 s., che così li cita [con l’indicazione filologica (ivi 269 nt.  1) «So … I, 3, 68», che indica, cfr. ivi p.  230 «A. u. L.», Schubart-Fikentscher, Goethes Werke] a conclusione del suo interessante, seppur non di rado troppo enfatico, saggio: «Mit 80 Jahren, am Ausgang eines reich begnadeten Daseins, legt der Dichter ein Bekenntnis zu Savigny, zur historischen Rechtsschule und damit zu den unvergänglichen überzeitlichen Werten des römischen Rechts ab, zur Idee des ius bonum et aequum, das nicht nur eine Summe von Normen ist, die auf logisch-deduktivem Wege gewonnen werden, um wirtschaftliche Erfordernisse zu erfüllen, sondern zugleich auch immer die Wahrung eines ethischen Postulats sein soll. Die Worte Goethes von den aeternitas des römischen Rechts sind für die Romanisten ein verpflichtendes Vermächtnis, darüberhinaus eine beglüchende, dankbar entgegengenommene Verheissung. Jenem Gedanken hat Goethe in poetischer Form dichterischen Ausdruck verliehen in tiefempfundenen Versen, die durch Zelter, seinen Freund, der ihm im Leben verbunden war und 1832 nach wenigen Wochen gramerfüllt in den Tod folgte, eine wundervolle Vertonung empfangen haben: …». 16  Ho sottomano anche io un’edizioncella Reclam curata da Bernd Witte: Goethe, Gedichte, molto più recente non solo ma evidentemente molto più completa di quel13  Cfr.



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È sorprendente che nel 1934 Fritz Schulz abbia utilizzato come «motto» di un suo capitolo dei Prinzipien proprio un canto framassonico, sia pure tacendone la natura. Citò quei versi ignorandone egli stesso il carattere? Non credo, dato che – come tra l’altro mi ha dimostrato con copia di appropriate citazioni la mia antica amica Gudrun Sturm17 – quei versi, con l’indicazione del titolo del canto cui appartengono, fanno parte da sempre del «deutches Bildengut» e furono cantati da un coro durante la cerimonia funebre di Goethe.18 Lasciate andare quel che è troppo fugace, Inutilmente gli chiedereste aiuto: nel passato vive il bene che è stato, e si eterna nella bellezza dell’azione. la posseduta da Arangio. Il canto in questione è inserito nella sezione Späte Lyrik 1820–1832 a p.  466  ss. I versi 13-20 dello Zwischengesang citati da Schulz sono nell’ed. Witte a p.  467; le relative Anmerkungen a p.  1072  ss. 17  Che molto ringrazio per le sua acute osservazioni e che – dopo aver ascoltato la mia relazione su «Scientia rerum» – «scientia iuris»: tradere, traditio, svolta nel corso del Convegno internazionale di diritto romano di Copanello 2010 in cui ho anticipato quanto qui ho esposto – mi ha trasmesso le utili notizie che riporto nella nota che segue. 18  «Nach meiner Heimkehr nach Echandens» – mi ha scritto Gudrun Sturm e riporto testualmente la sua lettera mantenendo i criteri di citazione da lei utilizzati – «habe ich sogleich nach den von Fritz Schulz zitierten, mir vertrauten Versen Goethes gesucht. Ich bin dann auch gleich in einer Anthologie fündig geworden, die wir in der Schule verwendeten: Deutsche Dichtung der Neuzeit. Für die Oberstufe höherer Schulen. Ausgewählt von Ernst Bender, Verlag G. Braun, Karlsruhe, ohne Jahr (von mir gekauft 1954); angeführt mit der Überschrift: Laßt fahren hin das allzu Flüchtige! (S. 118). Das Gedicht enthält dort noch eine dritte Strophe: ‹So löst sich jene große Frage  /   Nach unserm zweiten Vaterland  /   Denn das Beständige der ird’schen Tage  /   Verbürgt uns ewigen Bestand›. Im Buch Goethe für die Jugend. Eine Einführung in Goethes Leben und Werke von Ernst Reisinger, 3. unveränderte Aufl. 1948, Ebner-Verlag, Ulm, steht (S.  225  f.): ‹Beim Begräbnis (i. e. Goethes) sang ein Chor in der Komposition Zelters die Verse Goethes: Zur Logenfeier des 3. September 1825 (es folgen alle 3 Strophen)›. Derselbe Hinweis findet sich in dem zu Beginn des 20.  Jh. in ‹jedem gebildeten Bürgerhaus› stehenden Werk von Albert Bielschowsky, Goethe. Sein Leben und seine Werke, 2 Bände, 30.  Aufl., München 1917, C.  H Beck’sche Verlagsbuchhandlung, Bd.  2, S.  681  f.: ‹In der Grabkapelle sang ein Chor die von Goethe gedichteten, von Zelter komponierten Verse: (es folgen alle 3 Strophen)›. Es fehlt der Hinweis auf den freimaurerischen Ursprung. Alle 3 Teile ‹Einleitung›, ‹Zwischengesang› und ‹Schlussgesang› fand ich unter der Überschrift ‹Zur Logenfeier des 3. September 1825› in: Wolfgang von Goethe, Sämtliche Werke, 5 Bde, Verlagsanstalt für Literatur und Kunst, Leipzig / Wien, ohne Jahr (dürfte der äußeren Erscheinung nach in den 20er Jahre des 19. Jh. erschienen sein), Bd. 1, S.  377  f. Erstaunlich eigentlich, dass Fritz Schulz 1934 (!) ein freimaurerisches Lied als Motto seinem Kapitel ‹Tradition› voranstellte. Dass er den freimaurerischen Hintergrund verschwieg, ist verständlich. Oder war er sich – weil er die Verse auswendig kannte – dessen gar nicht bewusst?».

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Luigi Labruna

E così ciò che è vitale si acquista di trapasso in trapasso nuova forza; perché lo spirito, quando è costante esso solo rende l’uomo durevole.

Questa, ad ogni buon conto, la versione italiana riprodotta da Vincenzo Arangio-Ruiz dei versi di Goethe che precedono l’incipit del capitolo schulziano dedicato alla «Tradizione»: «una grande potenza nella vita romana», scrisse, presente «con particolare evidenza nella vita giuridica».19 Un patrimonio, non solo scientifico, di altissimo valore che da giuristi abbiamo il dovere di rispettare. Senza limitarci a custodirlo. Proponendoci di innovarne e perpetuarne lo spirito vitale, per consentirne, a nostra volta, la traditio alle nuove generazioni. Nella cosciente persuasione che la migliore tradizione si serve solo rinnovandola.20 Bibliografia Arangio-Ruiz, Vincenzo: Scritti di diritto romano, [curr.] Labruna, Luigi / Biondo, Brunella / Buti, Ignazio, Napoli, 1974–77. Arangio-Ruiz, Vincenzo: Scritti politici con presentazione di Bobbio, Norberto, Roma, 1985. Arangio-Ruiz, Vincenzo: Studi epigrafici e papirologici, [cur.] Bove, Lucio, Napoli, 1974. Below, Karl-Heinz: Goethe in seinem Verhältnis zum Römischen Recht, in: L’Europa e il diritto romano. Studi in memoria di Paolo Koschaker II, Milano, 1954, p.  229  ss. Bender, Ernst [cur.]: Deutsche Dichtung der Neuzeit, Karlsruhe, s. d. Bielschowsky, Albert: Goethe. Sein Leben und seine Werke I–II, 30.  Aufl., München, 1917. Croce, Benedetto: Goethe. Con una scelta di liriche nuovamente tradotte, I–II, Bari, 1919; 19595. von Goethe, J. Wolfgang: Gedichte. Studienausgabe, Herausgegeben von Witte, ­Bernd, Stuttgart, 2008. von Goethe, J. Wolfgang: Sämtliche Werke I–V, Verlagsanstalt für Literatur und Kunst, Leipzig / Wien, s. d. Labruna, Luigi: «Scientia rerum» – «scientia iuris»: tradere, traditio, in: Mélanges en l’honneur de Michel Humbert, Paris, 2011, in corso di pubbl. Minale, Valerio Massimo [cur.]: Carteggio Croce – Arangio-Ruiz con una prefazione di Labruna, Luigi, Bologna, in corso di pubbl. 19  Schulz, 20  Di

Principii, p.  74. questo, altrove. Da ultimo: Labruna.



Nota minima su Goethe, Schulz, Arangio-Ruiz, Croce e la traditio

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Mittner, Ladislao: Storia della letteratura tedesca. Dal pietismo al romanticismo (1770–1820), Torino, 1964. Necco, Giovanni: Il carteggio di Goethe con una bimba / Bettina Brentano von Arnim, Milano-Roma, 1932. Necco, Giovanni: Realismo e idealismo nella letteratura tedesca moderna: caratteristiche e saggi da Goethe a Carossa, Bari, 1937. Necco, Giovanni: Storia della letteratura tedesca, Milano, 1959. Petrucci, Aldo: Scrivere lettere. Una storia plurimillenaria, Bari, 2008. Reisinger, Ernst: Goethe für die Jugend. Eine Einführung in Goethes Leben und Werke, 3.  unveränderte Aufl., Ulm, 1948. Santini, Paola: Postilla a Labruna, Luigi: Rileggere i Maestri. Vincenzo ArangioRuiz, in: Teoria e storia del diritto privato 3, 2010, p.  20  ss. Schubart-Fikentscher, Gertrud [cur.]: Goethes Werke herausgegeben im Auftrage der Grossherzogin Sophie von Sachsen, Weimar, 1890, Reihe I, B. III. Schulz, Fritz: I principii del diritto romano, [cur.] Arangio-Ruiz, Vincenzo, Firenze, 1946, rist. 1995. Schulz, Fritz: Principles of Roman law. Translated from a text revised and enlarged by the author, by Wolff, Marguerite, Oxford, 1936. Schulz, Fritz: Prinzipien des Römischen Rechts. Vorlesungen, München-Leipzig, 1934. Tecchi, Bonaventura: Goethe scrittore di fiabe, Torino, 1966. Tecchi, Bonaventura: Sette liriche di Goethe, Bari, 1949. Zeuli, Domenico: Da Bellavista a Salerno, in: Guarino, Antonio / Labruna, Luigi [curr.]: Synteleia V. Arangio-Ruiz I, Napoli, 1964, p.  27  ss.

Der Traktat ‚Lex est commune preceptum‘ von Altzelle und sein Verfasser – ein Zeugnis gelehrten Rechts aus Deutschland im 12.  Jahrhundert Von Peter Landau I. Die Vokabularien gelehrten Rechts im 12.  Jahrhundert Die Vokabularien von Begriffen des römischen und des kanonischen Rechts sind wertvolle frühe Zeugnisse für die europäische Verbreitung der Kenntnisse im gelehrten Recht während des 12.  Jahrhunderts. Sie sind allerdings nur selten in der rechtshistorischen Forschung untereinander verglichen und angemessen gewürdigt worden; im Grunde können in diesem Zusammenhang nur drei große Rechtshistoriker genannt werden: Max Conrat, Emil Seckel und neuestens André Gouron.1 Da auch ein neueres Überblickswerk wie Hermann Langes „Römisches Recht im Mittelalter“ in dem der Zeit der Glossatoren gewidmeten ersten Band kaum auf diese Literatur eingeht2, dürfte es notwendig sein, zunächst die heute bekannten Werke aus dem 12.  Jahrhundert zu nennen und einige Hinweise zum Forschungsstand zu geben. 1. Die ‚Epitome exactis regibus‘ Das nach diesem Incipit benannte Werk ist entsprechend einem grundlegenden Aufsatz von Gouron heute noch in 86 Handschriften überliefert. Von ihnen findet man zwölf in Frankreich, elf in England, 46 in Bibliotheken von Brüssel bis nach St. Petersburg und Budapest sowie in Skan1  Conrat (Cohn) Max, Geschichte der Quellen und Literatur des römischen rechts im frühen Mittelalter I (Leipzig 1891, ND Aalen 1963), 618–624. Seckel, Emil, Beiträge zur Geschichte beider Rechte im Mittelalter I (Tübingen 1898), besonders S. 196, Anm.  163. Gouron, André, Un vocabulaire juridique anglais (manuscrit Vatic. Regin. Lat. 435), in: „Panta rei“. Studi dedicati a Manlio Bellomo II (Roma 2004), 517–533; auch in: ders., Pionniers du droit occidental au Moyen Âge, Aldershot 2006, no. XII. 2  Lange, Hermann, Römisches Recht im Mittelalter I: Die Glossatoren (München 1997). Lange behandelt S. 421–425 von den in meinem Beitrag diskutierten Werken ausschließlich die ‚Epitome exactis regibus‘.

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dinavien.3 Die erste Druckausgabe erschien bereits 1472 in Segovia4; die heute benutzte kritische Edition verdanken wir Max Conrat 1884, der in seiner umfassenden Einleitung gleichzeitig die Theorien Fittings von der Kontinuität des Rechtsstudiums in Italien seit der Spätantike überzeugend widerlegte.5 Gouron konnte 2002 festhalten, dass kein juristisches Werk vor Azo einen vergleichbaren Erfolg wie die ‚Epitome exactis regibus‘ verzeichnen konnte.6 Er lieferte zudem wertvolle Vergleiche zwischen der Epitome und sonstigen anonymen Vokabularien sowie anderen Werken dieser Epoche und bestimmte die Entstehungszeit auf den Zeitraum zwischen 1155 und 1175, vorzugsweise um 1160, da die Codexsummen des Roge­ rius und des Placentinus noch nicht benutzt wurden.7 Die verwendeten Quellen seien alle der Provence zuzuordnen; jedoch sei die Epitome in der anglo-normannischen Schule entstanden, und zwar wahrscheinlich in der Normandie im Kloster Bec.8 2. Der ‚Libellus de verbis legalibus‘ Diese anonyme Schrift war eine Quelle der ‚Epitome‘. Das Werk ist ausschließlich durch ein Kompendium juristischer Schriften in MS Turin Bibl. Naz. D. v. 19 überliefert und wurde von Fitting 1876 ediert.9 Gouron ist es gelungen, als Autor dieses Werks den Grammatiker und Juristen Aubert von Béziers zu entdecken10. Zeitlich gehört die Schrift in die 50er Jahre des 12.  Jahrhunderts.11

3  Grundlegend Gouron, André, Un grande ancêtre anglo-normand: L’Epitome ‚Exactis regibus‘, Initium 7 (2002), 79–98; auch in: ders., Pionniers (wie Anm.  1), no. X. 4  Gouron, Un grand ancêtre (wie Anm.  3), 80 mit Anm.  4. 5  Conrat, Max, Die Epitome exactis regibus (Berlin 1884). Die Einleitung mit dem Titel ‚Studien zur Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter‘ umfasst 353 Seiten! 6  Gouron, Un grand ancêtre (wie Anm.  3), 79. 7  Gouron, Un grand ancêtre (wie Anm.  3), 97. 8  Gouron, Un grand ancêtre (wie Anm.  3), 98. Eine Abfassung im Kloster Bec um 1160 sei auch damit zu vereinbaren, dass der Verfasser die Tres libri noch nicht gekannt habe, von denen eine Handschrift 1163 nach Bec gelangte. 9  Edition von Fitting in: Fitting, Hermann, Juristische Schriften des früheren Mittelalters (Halle 1876, ND Aalen 1965), 181–205. 10  Gouron, André, Le ‚grammairien enragé‘: Aubert de Béziers et son œuvre (ms. Turin, Bibl. Naz. D. v. 19), Index 22 (1994), 447–471; hier S. 449–451. Auch in: ders., Juristes et droits savants: Bologne et la France médiévale (Aldershot 2000), no. XVIII. 11  Zur Datierung Gouron, Le ‚grammairien‘ (wie Anm.  10), 451.



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3. Der Traktat ‚De significatione verborum legalium‘ Auch diese Schrift ist nur in dem genannten Turiner Manuskript überliefert;12 einzelne Teilstücke wurden von Conrat ediert.13 Nach Gouron wurde auch dieses Werk von Aubert verfasst.14 4. Der Traktat ‚De verbis quibusdam legalibus‘ Das ausschließlich in dem Kompendium der Turiner Handschrift überlieferte Werk wurde 1892 von Patetta ediert.15 Es stammt ebenfalls von Aubert von Béziers und ist wegen der Datierung des Turiner Kompendiums wohl vor 1156 einzuordnen16. 5. Die ‚Excerpta Codicis Vaticani Reg. 435‘ Bei diesem Vokabularium handelt es sich um eine ausschließlich in dem Manuskript der Vatikanischen Bibliothek überlieferte Schrift. Der Text wurde 1892 von Patetta ediert17 und neuestens zum ersten Mal von Gouron genauer mit den anderen frühen juristischen Vokabularien verglichen.18 Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass der Verfasser der ‚Excerpta‘ die drei Schriften des Aubert (Nr. 2, 3 und 4) als Quellen herangezogen hat.19 Er stellt auch wenige Übereinstimungen mit der „Epitome exactis regibus“ fest, lässt jedoch die Frage einer ‚filiation‘ der ‚Excerpta‘ von der ‚Epitome‘ ausdrücklich offen.20 Er kann andererseits nachweisen, dass die ‚Excerpta‘ der anglo-normannischen Schule zuzuweisen sind, hauptsächlich wegen der Verwendung des Wortes ‚Saisina‘ in diesem Werk.21 Der Verfasser müsse ein Kanonist gewesen sein, da die Schrift von einer ‚coloration canonique‘ geprägt sei.22 Als Autor komme wegen einer Verweisung auf das Common 12  Gouron, Le ‚grammairien‘ (wie Anm. 10), 470. Die Schrift steht in der Turnier Handschrift auf fol. 84v–85v. 13  Conrat, Geschichte (wie Anm.  1), 623, Anm.  2 und 3. 14  Gouron, Le ‚grammairien‘ (wie Anm.  10), 452. 15  Edition von Federico Patetta, in: Gaudentius, Augustus (Hrg.), Scripta Anecdota Glossatorum II (Bononiae 1892), 129–132. 16  Gouron, Le ‚grammairien‘ (wie Anm.  10), 449–451. 17  Patetta in: Gaudentius, Scripta (wie Anm.  15) 132–137. 18  Gouron, Un vocabulaire (wie Anm.  1), 517–533. 19  Gouron, Un vocabulaire (wie Anm.  1), 518 f. 20  Gouron, Un vocabulaire (wie Anm.  1), 520. 21  Gouron, Un vocabulaire (wie Anm.  1), 522. 22  Gouron, Un vocabulaire (wie Anm.  1), 521.

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law ein englischer Kanonist in Frage.23 Gouron gibt ferner einen Hinweis auf die Übernahme einer Definition der Gerechtigkeit als ‚naturae tacita conventio in adjutorium multorum inventa‘, die ‚forgotten definition of justice‘ nach Stephan Kuttner24, die zuerst in der rheinischen Kanonistenschule um 1170 auftaucht.25 Dieser Umstand führt mich zu der Vermutung, man könne vielleicht dem vielseitigen englischen Universalgelehrten Gérard Pucelle die Excerpta zuschreiben, was jedoch noch näher überprüft werden müsste. Jedenfalls ist wegen der Abhängigkeit einer Definition in diesem Werk von einer Dekretale Alexanders III. aus dem Jahre 1175 (JL 12489) eine Entstehungszeit der ‚Excerpta‘ um 1180 anzunehmen.26 6. Die sog. ‚Expositio terminorum usitaciorum iuris utriusque‘ Dieses Vokabularium ist als Appendix zu den Exceptiones Petri in einer Prager Handschrift enthalten, die zuerst von Schulte und darauf von Fitting genauer beschrieben wurde.27 Außerdem findet man den Text in der Editio princeps der Exceptiones Petri in Straßburg 1500 auf der Grundlage einer anderen Handschrift.28 Die neueste Beschreibung des Prager Manuskripts stammt von Gouron.29 Eine kritische Edition der ‚Expositio‘ verdanken wir Fitting.30 Als Autor der legistischen und kanonistischen Schriften des Prager Manuskripts, das u. a. die älteste Abbreviatio des Gratianischen Dekrets mit dem Incipit ‚Quoniam egestas‘ enthält, hat Gouron einen Juristen Elzéar (Helisarius) de Sauve aus Avignon entdeckt. Elzéar ist als Jurist bzw. ‚grammaticus‘ in der Provence von 1150 bis 1194 bezeugt und könnte die „Expositio“ in den fünfziger oder sechziger Jahren geschrieben haben.31 23  Gouron,

Un vocabulaire (wie Anm.  1), 522. Un vocabulaire (wie Anm.  1), 522. 25  Vgl. die klassische Studie von Kuttner, Stephan, A Forgotten Definition of Justice, Studia Gratiana 20 (=  Mélanges Gérard Fransen II, Roma 1976), 75–109; auch in: ders.: The History of Ideas and Doctrines of Canon Law in the Middle Ages (2London 1992), no. V. Vgl. hierzu meine Studie ‚Die Kölner Kanonistik des 12.  Jahrhunderts (=  Kölner rechtsgeschichtliche Vorträge H. 1, Badenweiler 2008), 31. 26  Gouron, Un vocabulaire (wie Anm.  1), 523. 27  Schulte, Johann Friedrich, Über drei in Prager Handschriften enthaltene Canonen-Sammlungen Sitzungsberichte Ak. Wien. Phil.-hist.Kl. 57 (1867), 221–229. Fitting, Juristische Schriften (wie Anm.  9), 7–13. 28  Hierzu Fitting, Juristische Schriften (wie Anm.  9), 13 f. 29  Gouron, André, Le manuscrit de Prague, Metr. Knih.I.74: à la recherche du plus ancien décrétiste à l’Ouest des Alpes, ZRG Kan. Abt. 83 (1997), 223–248; auch in: Gouron, Pionniers (wie Anm.  1), no. I. 30  Fitting, Juristische Schriften (wie Anm.  9), 151–165. 31  Gouron, Le manuscrit (wie Anm.  29), 235–248. 24  Gouron,



Der Traktat ‚Lex est commune preceptum‘ von Altzelle

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7. Die Exzerpte ‚Quatuor sunt quae a mandato‘  des MS Paris B.N. 4422 Der Text dieser Schrift wurde auszugsweise von Jacques Flach 1890 ediert.32 In der Pariser Handschrift erscheint sie in der Nachbarschaft der sog. Stintzingschen Formeln, die außerdem auch in der Prager Handschrift und einer weiteren in Leiden (Ms D’Ablaing 1) überliefert sind.33 Die Stintzingschen Formeln wurden in der Forschung generell mit einem Entstehungsort in Mittelitalien, vielleicht in Rom, in Verbindung gebracht und meist auf das 11.  Jahrhundert datiert.34 Gouron gelang auch in diesem Fall eine wesentliche Korrektur, da er den Ursprung der Formeln im Rhônetal um 1147 nachweisen konnte.35 Man wird auch die Abfassung der Exzerpte „Quatuor“ in der Provence suchen müssen, und zwar wegen der Benutzung einer Kanonessammlung in einem kanonistischen Milieu.36 Die Ergebnisse dieses Überblicks lassen sich wie folgt zusammenfassen. Die Mehrzahl der Vokabularien (Nr. 2, 3, 4, 6, 7) stammt aus der Provence, zwei Werke (Nr. 1, 5) sind der anglo-normannischen Schule zuzuordnen. Bei Nr. 5 wäre auch ein Ursprung in Köln zu diskutieren; Autor war aber jedenfalls ein Engländer (Gérard Pucelle?). Könnte es aber nicht auch ein Vokabularium geben, dessen Ursprung in Deutschland sich zweifelsfrei feststellen ließe? II. Der Traktat „Lex est commune preceptum“ Im Rahmen von Studien zu den juristischen Handschriften der Bibliothek des Zisterzienserklosters Altzelle habe ich mich in den letzten Jahren wiederholt mit dem Manuskript Leipzig Stadt- und Universitätsbibliothek 1242 beschäftigt, das aus dem Kloster im Muldetal 1545 nach Leipzig gelangte.37 32  Flach, Jacques, Études critiques sur l’histoire du droit romain au moyen âge avec textes inédits (Paris 1890, ND Hildesheim 1985), 132–144. 33  Zu den Stintzingschen Formeln vgl. Conrat, Geschichte (wie Anm.  1), 545– 547. Fowler-Magerl, Linda, Ordo iudiciorum vel ordo iudiciarius (Ius commune. Sonderhefte 19, Frankfurt / M. 1984), 153–154. 34  Vgl. den Überblick bei Fowler-Magerl (wie Anm.  33). 35  Gouron, André, Sur les formules dites de Stintzing, RSDI 62 (1989), 39–54; auch in: ders., Droit et coutume en France au XIIe et XIIIe siècles (Aldershot 1993), no. V. 36  Gouron, Sur les formules (wie Anm.  35), 45. zur Benutzug des Dekrets des Ivo von Chartres und Gratians vgl. Flach, Etudes (wie Anm.  32), 142–144. 37  Hierzu vgl. vor allem meine Studie, Die juristischen Handschriften der Bibliothek des Zisterzienserklosters Altzelle, in: Mario Ascheri / Gaetano Colli (Hrgg.), Manoscritti, editoria e biblioteche dal medio evo all’età contemporanea. Studi offer-

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Es ist eine Sammelhandschrift des 13.  Jahrhunderts aus insgesamt drei ursprünglich voneinander unabhängigen Teilstücken. Teil I, der hier ausschließlich behandelt werden soll, bringt drei juristische Schriften der zweiten Hälfte des 12.  Jahrhunderts: 1. die ‚Rhetorica ecclesiastica‘ aus Hildesheim38, 2. den fragmentarisch überlieferten Ordo ‚etiam testimonia removentur‘, der 1984 von Fowler-Magerl ediert wurde39, und 3. das Vokabularium „Lex est commune preceptum“, dessen Text in dieser Detlef Liebs gewidmeten Studie zum ersten Mal veröffentlicht werden soll. Edition des Traktats „Lex est commune preceptum“ (MS Leipzig 1242, fol. 27v–29r). „Lex est commune preceptum virorum prudentium consulto, delictorum, que sponte vel ignorantia contrahuntur coercio, communis rei publice sponsio.40: Hec diffinitio assignatur secundum iuris civilis acceptionem. Alia: lex est quod populus romanus magistratu senatorio interrogante tamquam consule constituit.41 Hec assignatur secundum legem XII tabularum. § Plebiscitum est quod plebs plebeio magistratu interrogante tamquam tribuno constituit.42 § Iurati legibus nichil de lege addere vel auferre poterant, solum imperatoribus hec licuit. § Interrogatur lex cum constituitur, abrogatur, cum prorsus deletur, derogatur, cum aliquod eius capitulum abicitur, subrogatur, cum altera in locum eius substituitur. § Privilegium est quod contra tenorem communis iuris aliqua utilitate introductum est equitate suggerente. ti a Domenico Maffei I (Roma 2206), 447–459, hier S. 457–459. Vorher bereits Landau, Peter, Der Entstehungsort des Sachsenspiegels. Eike von Repgow, Altzelle und die anglo-normannische Kanonistik, DA 61 (2005), 73–101, S. 90–96. 38  Zum Ursprung der ‚Rhetorica ecclesiastica‘ in Hildesheim um 1160 vgl. Fowler-Magerl, Ordo (wie Anm.  33), 45–56. Ergänzend Landau, Peter, Die ‚Rhetorica ecclesiastica‘ – Deutschlands erstes juristisches Lehrbuch im Mittelalter, in: Theisen Frank / Voß, Wulf Eckhart (Hrsg.) Summe – Glosse – Kommentar (Osnabrücker Schriften zur Rechtsgeschichte 2.1, Osnabrück 2000), 125–139. Verfasser war u. U. ein Hildesheimer Scholaster Bertholdus, der vielleicht mit dem Verfasser der Summa Coloniensis identifiziert werden kann. 39  Edition von Fowler-Magerl, Ordo (wie Anm.  33), 264–272, vgl. auch die Angaben auf S. 56 f. 40  Vgl. ‚De verbis quibusdam legalibus‘, ed. Patetta (wie Anm.  15), 129: „Lex est commune preceptum, virorum prudentium consultum, delictorum, quae sponte vel ignorantia contrahuntur, cohercitio, communis rei publicae sponsio.“ 41  ‚De verbis quibusdam legalibus‘, ed. Patetta (wie Anm.  15): „Lex est quod populus Romanus, senatorio magistratu disponente, cum consulibus constituebat …“ 42  ‚Expositio terminorum‘, ed. Fitting (wie Anm. 30), 164: „Plebiscitum est quod plebs plebeio magistratu interrogante, veluti tribuno, constituebat.“



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§ Possessio animo et corpore acquiritur. Animo, id est voluntate, corpore, id est presentia. Nulli enim dominium rei ceditur nisi traditione, solo animo retinetur.43 Ecclesia vero solo animo acquirere potest. Si enim titulum traditionis acceperit, etiam si corpore non affuerit dominium possessionis illi ceditur. Testamentum est ultima rerum dispositio, que ad quempiam heredem transmitti possunt.44 § Matrimonium est maris et femine coniunctio (MS: coniugio) individuam vite consuetudinem continens, divini et humani iuris communicatio.45 § Sponsalia sunt mentio vel repromissio futurarum nuptiarum46 que fiunt cum uterque puer sc. et puella VII annos transegerint. Set notandum quod post sponsalia licet discedere nec vocantur nuptie vel matrimonium sponsalia futurarum nuptiarum. Unde etiam ut firmior sit sponsio, sacramentum intercedit iuramenti et dantur sepe utrimque pignora. Nuptie ergo alie prohibite, alie permisse.47 Prohi­ bite alie secundum ius naturale, alie secundum ius civile. Secundum ius naturale, quia non contrahuntur nuptie inter illos qui minores sunt XII annis, vel frigidi, vel emaculati, natura sc. refragante. Que vero secundum ius civile prohibite sunt, alie sunt prohibite lege parentele, alie lege affinitatis, alie ratione honestatis48. Lege parentele, sicut pater non ducit filiam, avus neptem, proavus proneptem, et sic per singulos gradus consanguinitatis secundum rectam lineam procedentes, in quibus quantumcumque extendantur.49 Lex consanguinitatis perpetuo observatur. Nam secundum eam que ex transverso ordinatur cognationis lineam, que inter fratres et sorores, et eam que secundum illorum descensionem producitur consanguinitatem, 43  Ähnlich Summa Trecensis, ed. Fitting, Hermann, Summa Codicis des Irnerius (Berlin 1894), 241: „Quod et in violenta seu clandestina possessione iuris est: nam et he possessiones animo acquiruntur precedente corporali actu  …“. 44  Ähnlich ‚Excerpta Codicis Vaticani‘, ed. Patetta (wie Anm.  17), 132: „Testamentum est quasi testatio mentis, id est ultimum elogium, vel ultimus sermo, vel ultima voluntas, qua quis de rebus suis disposuit“. 45  ‚Expositio terminorum‘, ed. Fitting (wie Anm.  30), 163: „Nuptiae sive matrimonium est viri et mulieris coniunctio individuam consuetudinem vite continens.“ „Libellus de verbis legalibus“, ed. Fitting (wie Anm. 9), 200: „Nuptie sive matrimonium est viri et mulieris legalis coniunctio individuam continens vite consuetudinem.“ ‚Epitome exactis regibus‘, ed. Conrat (wie Anm.  5), 41: „Matrimonium est coniunctio maris et femine individuam vite consuetudinem continens.“ 46  ‚Expositio‘, ed. Fitting (wie Anm.  30), 163: „Sponsalia sunt mentio et repromissio futurarum nuptiarum“. Ebenso Libellus, ed. Fitting (wie Anm.  9), 200: ‚Epitome‘, ed. Conrat (wie Anm.  5), 40: „Sponsalia enim sunt futurarum nuptiarum mentio et repromissio.“ Summa Trecensis, ed. Fitting (wie Anm.  43), 136: „Sponsalia quidem a spondendo dicta sunt. Mentio enim sunt et repromissio futurarum nuptiarum.“ 47  Summa Trecensis, ed. Fitting (wie Anm.  43), 140: „Nuptie vero quedam prohibentur, quedam permittuntur.“ 48  Ähnlich Summa Trecensis, ed. Fitting (wie Anm.  43), 140: „Ratione quoque affinitatis seu honestatis prohibentur“. 49  Ähnlich Summa Trecensis, ed. Fitting (wie Anm.  43), 140: „Prohibetur … ratione sanguinis ut inter ascendentes et descendentes, et hoc usque in infinitum“.

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prohibentur quidem, set non perpetuo. Nam et legali disciplina et ecclesiastica auctoritate conceduntur secundum illam lineam nuptias contrahere infra VIIo gradu. Lege etiam affinitatis prohibentur. Est autem affinitas personarum regularitas ex parte mulierum nobis coniunctarum.50 Nemo enim privignam suam ducere potest, licet non sit consanguinea, nec privignus novercam, et sic de similibus. Ratione etiam honestatis prohibentur, sicut si pater tuus aliquam sibi uxorem desponsavit, illam ducere prohiberis. Propter ho­ nestatem etiam filiolam tuam quam de fonte levasti ducere te prohibet honestas. Si etiam aliquam in filiam adoptasti, ducere vetaris eam quasi lege consanguinitatis, quia iam quasi in filiam recepta est, nec decens videtur, ut illam ducas quia amore filie amplecteris. § Adoptio est iuris civilis constitutio51, qua affectione precedente filios nobis legitimos constituimus. Adoptio autem alias adoptio, alias arrogatio. Adoptio est, quando eos, qui sub parentum iure naturalium sunt, adoptamus nobis. Arrogatio est, quando eos qui sui iuris sunt, adoptamus, quibus sc. parentes non sunt, quod nisi ex consensu principis vel summi pontificis non fit.52 Debet enim animadvertere iudex que persona adoptet vel adoptetur. Si enim sit prodigus qui adoptare vult, non concedet iudex. Res enim pupilli consumeret. Si etiam in aliquo infamis est, non concedet iudex. Considerabit ergo in adoptione utilitatem et honestatem. Debet autem qui adoptat eum qui adoptatur XVIII annis procedere.53 Ridiculum enim esset filium patre in etate maiorem esse. § Femine adoptare non possunt cum nec etiam filios naturales in potestate habeant, nisi forte ex gratia principis ob reverentiam et honestatem matrone alicuius ipsi concedatur adoptare, cum suos amiserit in acie pro re publica.54 50  ‚De verbis quibusdam legalibus‘, ed. Patetta (wie Anm.  15), 131: „Affinitas est regularitas personarum ex nuptiis nobis coniunctarum, omni carens parentela. ‚Excerpta Codicis Vaticani‘, ed. Patetta (wie Anm.  17), 132: „Affinitas est personarum regularitas nulla parentela coniunctarum  …“. 51  ‚Libellus de verbis legalibus‘, ed. Fitting (wie Anm.  9), 191: „Adoptio est constitutio iuris civilis qua quis aliene potestati ut heres subicitur.“ 52  Ähnlich Summa Trecensis, ed. Fitting (wie Anm. 43), 302: „Qui vero sui iuris sunt per principem arrogantur, dum tamen si inpubes sit, causa cognita arrogatio permittatur.“ 53  Summa Trecensis, ed. Fitting (wie Anm.  43), 303: „Sed in arrogatione et in adoptione hoc spectandum est ut maior pater sit quam filius: plena enim pubertate: id est decem et octo annis precedere debet. Pro monstro quidem ut maior sit filius quam pater, ideoque adoptio imitatur naturam.“ Hierzu vgl. auch Roumy, Franck, L’adoption dans le droit savant du XIIe au XVIe siècle (Bibliothèque de droit privé 279, Paris 1998), 158. 54  Summa Vindobonensis, ed. Palmieri, Giovanni Baptista, Wernerii Summa Institutionum, in: Scripta Anecdota Glossatorum I. Additiones (Bononiae 1914), 14: „Femine quoque adoptare prohibentur, cum nec naturales in potestate habeant, nisi in solatium liberorum amissorum in acie, hoc eis a Principe permittatur.“ Brachylogus iuris civilis, I.X.6, ed. Böcking, Eduard (Berolini 1829), 17: „Item feminae ­ado­ptare non possunt, nisi ad solatium amissorum liberorum“. Hierzu vgl. auch Roumy (wie Anm.  53), 152.



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§ Exilium alias deportatio, alias relegatio, alias aque et ignis interdictio. Deportabantur, qui ius civis perdebant, nec his patebat reditus, nisi forte ex pietate principis, si quando pro triumphi leticia decretum reducendi deportatos daret. Relegabantur, qui ad tempus constitutum cum spe reducendi exulabatur, horum bona non publicabantur nec potestatem in liberos amittebant. Deportatis quoque qui potestatem in liberos amiserant, si ex gratia principis revocabantur, eadem potestas reddebatur. Deportati vero alii servi pene constituebantur, sc. vel secare marmora vel venas metallorum scrutari, alii bestiis subiciebantur, quique sc. pro immanitate sceleris. Aque et ignis interdictio satis quoque expellebat eos quibus hec vetabantur et illis participare non licuit.55 § Postliminium a postlimine dictum. Sicut enim limen terminus domus est, sicut terminum imperii limen vocare possumus. Unde et capti ab hostibus quasi extra limen erant, set reversi quasi post illud limen quod exierant recepti sunt, quare et omne ius suum in urbe receperunt. Nam lex Cornelia que legem postliminii adinvenit, fingit eos semper in urbe fuisse.56 § Tutela est ius ac potestas in capite libero instituta ad tuendum eum, qui se propter etatem defendere nequit, ex civili iure data et concessa.57 Tutela autem vel est testamentaria que fit in morte patris, per testamentum eius, alias legitima, quando quis lege agnationis in tutela succedit, alias dativa, que iudex facere debet58. Ex officio enim suo providere debet pupillis et orphanis, ut secundum hoc quod videt pupillo utile aliquem sibi constituat tutorem. Unde et tutores (? recte: iudices!) quasi tutores dicuntur. Dantur autem usque ad XIIII annum, curatores autem usque ad XXV.59 Tutores autem principale ius habent in personam, secundarium in res, curatores vero principale in res, secundarium in personam60. 55  Ähnlich ‚Epitome‘, ed. Conrat (wie Anm.  5), 56: ‚Relegare est aliquem in insulam mittere, ut ibi ob aliquod delictum moram faciat per quinquennium. Deportare est in perpetuum exilio dampnare. ‚Excerpta Codicis Vaticani‘ ed. Patetta (wie Anm. 17), 137: „Relegatio fit ad tempus, deportatio fit in perpetuum. ‚Tractatus criminum‘ saeculi XII, ed. Minnucci, Giovanni (Archivio per la storia del diritto medioevale e moderno 2, Bologna 1997), 57: „Exilii pena afficiuntur qui ad tempus vel in perpetuum relegantur.“ 56  Summa Trecensis, ed. Fitting (wie Anm.  43), 304: „Lex enim Cornelia fingit eum qui captus est semper in civitate fuisse  …“. 57  Ähnlich Summa Trecensis,ed. Fitting (wie Anm.  43), 157: „Pupillis tutores a parentibus quorum in potestate sunt testamento dantur. Item si parentes in tutoribus dandis cessaverint, leges succedunt et agnatos ad tutelam vocant … item deficientibus testamentariis et legitimis a iudice tutores dandi sunt, qui dativi appellantur.“ 58  Ähnlich Summa Trecensis ed. Fitting (wie Anm.  43), 157: „Equuum quippe est, ut iudices seu magistratus provideant his, qui in ea causa sunt, ut se sua tueri non possunt, et ideo tutores et curatores pupillis et adultis dare debent.“ 59  ‚Expositio‘, ed. Fitting (wie Anm.  30), 159: „Curator adiungitur fideli tutori non idoneo, curator datur a XIIII annis usque ad XXV.“ 60  Ähnlich ‚Epitome‘, ed. Conrat (wie Anm.  5), 27: „Datur autem curator persone principaliter, scilicet ad ipsam tuendam. Sed secundario rerum administratio pertinet ad ipsum. Curator vero datur principaliter patrimonio, id est, rebus agendis et procurandis et negotiis gerendis.“

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§ Diminutio capitis est prioris status commutatio. Est autem maxima, media, minima.61 Maxima cum quis in perpetuum deportatur, servus pene iudicatus civitate ac libertate amissa.62. Vel cum quis se vendi patitur pro premii participatione. Media, cum fit ignis et aque interdictio vel in insulam relegatio63. Minima cum retenta li­bertate et civitate per adoptionem alii (!) familie subicitur, et hec tutelam adimit.64 § Agnati proprie dicuntur hii qui ex parte patris descendunt. Cognati qui sive de patre sive de matre descendunt. Ubi autem successionis est emolumentum, tutele pondus esse debet. § Pupillus sine auctoritate tutoris promittere nichil potest quin ad irritum devocetur. Promitti vero pupillo aliquod potest stipulatione, et promissor pupillo ad solvendum obligatus est, etiamsi tutoris desit auctoritas. Stipulatio autem est verborum conceptio, qua nobis aliquod dari fierive interrogamus: Sic promittis te hoc daturum65. Resp: promitto. Ideo autem sine tutore nichil promittere sive dare pupillus potest, quia placuit conditionem eorum meliorem eis facere licere, deteriorem vero non. Si quis vero dicat, quod sicut sine tutore nichil promittere potest, sic etiam nichil sibi promitti, quare promissor sit obligatus, auctoritate respondemus: Quod favore aliquorum introductum est, nullo tempore ad lesionem. Exempli gratia:66 Si idem filius patris familias propria voluntate hereditatem vendere disposuisset, et illa, ut minori precio emere posset, dolum supradictum interponeret, contractus non solveretur, set quod dolo gestum esset, purgaretur, ita ut, quod illi de precio deesset, refunderetur. Simile intelligendum est de metu. Si enim causam dat pacto, irritum fit, si intervenit, contractus non expellitur, set quod metus fieri coegit, emendatur. Quod si omnia supradicta, que sc. pacta dissolvunt, abfuerint, novissima tamen pacta priora elidunt. Nam novissima pacta servari debere iuris ratio dictat. Verbi gratia: Si tibi C solidos dare promisi, teneor, set si postea promittis te non repetere, posterius priori preiudicat. Et si adhuc paciscimur, ut repetas, novissimum semper prius pactum elidit, et repetes. Viso de pacto in genere, sc. Einteilung ‚Epitome‘. ed. Conrat (wie Anm.  5), 88 f. ed. Conrat (wie Anm.  5), 89: „Maxima capitis diminutio est ‚cum civitas amittitur nec libertas retinetur, ut cum quis deportatur aut in metallum dampnatur aut servus efficitur.“ 63  ‚Expositio‘, ed. Fitting (wie Anm.  30), 158: „De relegatione. Relegari in insulam id est quinquennio, mitti in insulam id est perpetuo, id est XXX annis.“ 64  ‚Epitome‘, ed. Conrat (wie Anm.  5), 88: „Minima capitis diminutio est, cum quis neque civitatem amittit neque libertatem, sed circa se patitur status mutationem, ut cum, qui sui iuris est, incipit alieno iuri per adoptionem vel arrogationem subiectus esse.“ 65  ‚De verbis quibusdam legalibus‘, ed. Patetta (wie Anm.  15), 130: „Stipulatio est verborum conceptio ex quibus is, qui interrogatur, daturum vel facturum quod interrogatus est promittit.“ 66  Ab hier Übereinstimmung mit ‚etiam testimonia removentur‘, ed. Fowler-Magerl (wie Anm.  39), 270, Z. 29. 61  Dieselbe

62  ‚Epitome‘,



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quod sit, qualiter infirmetur, nunc ad divisiones et sic ad species eius accedamus. Pactum igitur aliud publicum, aliud privatum. Publicum, quod statuitur inter reges seu gentes, aliquo federe convenientes. Privatum vero, quod ad utilitatem singulorum spectat. Cuius quidem varie sunt species, unde etiam diversa et specialia sortitur nomina. Est enim venditio, emptio, locatio, conductio, mutuum, depositum, societas, et nomina ceterorum contractuum. Si ergo actioni specialia fuerint nomina, ad generale recurrendum non est. Sicut si tibi venditione et emptione obligatus essem, his nominibus specialibus in actione utendum foret, non generali nomine, sc. quod me tibi pacto obligatum dicerem. Si autem specialia defuerint nomina, recurritur ad generale, ad hoc sc. quod appellatur actio prescriptis verbis. Nam ideo sic appellabatur, quia cum specialia nomina nondum adhuc imposita essent contractibus, is qui acturus erat, ante pretorem veniebat, a quo qualiter acturus esset verbis prescriptis, informabatur. De quibus si in actione sillabam etiam omittebat, a causa cadebat. Formabatur autem actio prescriptis verbis in hunc modum: facio ut facias, do ut des, facio ut des, do ut facias. His ita consi­ deratis ordinem iudiciorum intueamur. Non enim passim et temere quis in ius vocari debet. Primo itaque is, qui intendit, sacramentum prestare debet de calumnia. Calumnia autem est secundum animi scientiam quemlibet iniuste in iudicium vocare. Secundo is, qui excipit, sacramentum prestabit item de calumnia. Advocati quoque, qui utrimque patrocinantur, sacramentum prestabunt de calumnia. Formam itaque sacramentorum singulorum advertamus. Intendens sacramentum sic faciet quod videlicet in causam adversarium ducat, ideo quia iustam causam habere se existimat, et quod in tota causa testes sive probationes non adducat, quas fide veri carere sciat. Is vero, qui defendit, iurabit, quod in contradictionem veniat, quia iuste adversario resistere existimet, et quod in tota causa is, que vere ab accusante dici cognoverit, non contradicat. Hii vero, qui patroni utrorumque esse debent, formam hanc sacramenti habebunt, quod neque leges neque argumenta in tota causa adducant, nisi que ad causam pertinere cognoscant, et quod nulla industria contra actionem protrahant. Iudicibus a sacramento parcimus, quorum officium est audire, cognoscere, quod probatum vel non probatum sit, et quod dictum vel non dictum sit. Sepe etiam ab utrisque quaerere, si quod cause sue addere velint, et sacrosancta evangelia coram se vel crucis signum habere, ut metu moneatur si quidem recte non iudicaverit, quod a domino iudicetur, tandem pronunciare, hoc est sententiam dare. Si autem intendens sacramentum prestare noluerit, a causa cadet, et tenetur ad expensas rei restituendas et iudex eum secundum intuitionem boni et equi pena, qua visum fuerit, multabit. Si autem sacramentum prestiterit causa eius audietur. Quod si is qui excipit, sacramentum prestare renuerit, restituet (om. Ordo) et expensarum tenetur. Ad iudicis partem, ergo illam videlicet, que ultima est, quod est pronunciare, accedamus. Pronunciare, ut diximus, est sententiam vel iudicium promulgare singulis quidem probationibus auditis et utraque parte, accusantis sc. et accusati presente. Si enim altera pars defuerit, frivola erit sententia nisi manifestum sit, quod pro contumacia defuerit. Scriptis ergo iudex pro tribunali sedens id est in loco iu. (‚iudicii‘ Ordo)67 [ad lesionem] (cf. oben vor ‚Exempli gratia‘) eorum introductum videri volumus. Nam ad fa67  Ende der Übereinstimmung mit ‚etiam testimonia removentur‘, ed. FowlerMagerl (wie Anm.  39), 272, Z. 12.

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vorem pupillorum introductum est, ne absque tutore promittatur, quod nulla in causa eis obesse debet. Quicquid ergo ad commodum eorum provenit, sine tutore facere possunt. Si quid incommodi provenire potest, sine tutore facere irritum est. § Que fiunt a furioso vel infante, ultionem non merentur, quorum alterum innocentia consilii, alterum fati infelicitas tuetur. § Filii nondum emancipati heredes proprii sui vocantur. Emancipati possessionum possessores, sicut extranei dicuntur. § Qui amico negligenti rem suam custodiendam commiserit, de se queri debet. § Conductores alias sunt rerum mobilium, alias rerum immobilium. Conductores rerum immobilium alias coloni, alias inquilini. Coloni sunt qui predium alienum colunt.68 Coloni autem alias partiarii, qui vel quartam vel terciam vel quilibet partem retinentes reliqua dominis concedunt. Alias conductores, qui certa mercede concedunt XII solidos vel simile quod dantes, cetera retinentes. Conductores vero rerum mobilium sunt, qui vectigalia imperatorum exigunt, quorum alias exactores, qui totum representabant, alias conductores, qui prescriptum aliquod sc. mille talenta plusve minusve representantes, cetera sibi retinent. Tale erat officium pu­ blicanorum. § Concutere est occasione officii iniuncti aliquod ab aliquo iniuste extorquere. § Calumnia est cum animi scientia iniusta accusatio. Crimen concussionis sicut crimen repetundarum reputatur. Dicitur enim de his qui presides provinciarum sunt, ne ultra prescriptum quid exigant.“

III. Die Quellen von ‚Lex est commune preceptum‘ Die in meiner Edition des Traktats angegebenen Parallelstellen aus sonstigen Werken der juristischen Literatur des 12.  Jahrhunderts ermöglichen einige Schlussfolgerungen für die Quellen von ‚Lex est commune preceptum‘. Zunächst fallen zahlreiche Übereinstimmungen mit der Summa Trecensis auf. Diese erste Codexsumme, verfasst in der Provence von dem Juristen Géraud,69 war an vielen Orten in Frankreich und Deutschland bekannt70. Sie gehört zweifellos zu den Quellen unseres Traktats. An zweiter Stelle sind die Werke ‚Libellus de verbis legalibus‘ und ‚De verbis quibus68  ‚Epitome‘, ed. Conrat (wie Anm.  5), 43: „Colonus est qui colendi agri causa predium habet.“ 69  Die Identifizierung des Géraud als Autor der Summa Trecensis verdanken wir André Gouron. Vgl. Gouron, André, L’auteur et la patrie de la Summa Trecensis, Ius commune XII (1984), 1–38; auch in: Gouron, André, Études sur la diffusion des doctrines juridiques médiévales (London 1987), no. III. Zusammenstellung der älteren Hypothesen zum Autor bei Lange, Glossatoren (wie Anm.  2), 403–405. 70  Zusammenstellung der fünf Handschriften bei Gouron, André, L’élaboration de la Summa Trecensis, in: Sodalitas. Scritti in onore di Antonio Guarino III (Neapel 1985), 3681–3696; auch in: Gouron, Études / (wie Anm.  67), no. IV.



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dam legalibus‘ zu nennen, die von Aubert von Béziers stammen und durch das Turiner Kompendium überliefert sind. Auch hier sind zahlreiche Übereinstimmungen zu verzeichnen. Das gleiche gilt für die ‚Expositio terminorum usitaciorum iuris utriusque‘ des Elzéar de Sauve, ein weiteres provenzalisches juristisches Vokabularium. Die Hauptquellen von ‚Lex est commune preceptum‘ waren folglich Produkte der provenzalischen Autoren des römischen Rechts im 12. Jahrhundert. Jedoch muss zusätzlich auch die weit verbreitete ‚Epitome exactis regibus‘ als Quelle von ‚Lex est commune preceptum‘ genannt werden; der Traktat aus Altzelle stand somit auch unter dem Einfluss der anglo-normannischen Schule des 12.  Jahrhunderts. Der Ursprung des hier edierten Traktats muss in Altzelle gesucht werden. Das ergibt sich aus der weitgehenden Übereinstimmung des Textes mit dem Ordo ‚etiam testimonia removentur‘. Zur Erläuterung der Maxime ‚Quod favore aliquorum introductum est, nullo tempore ad lesionem eorum introductum videri volumus‘ schaltet der Traktatverfasser ‚exempli gratia‘ einen längeren Exkurs ein, den er wortwörtlich aus ‚etiam testimonia removentur‘ übernimmt. Der Exkurs umfasst etwa ein Drittel des Textes von ‚Lex est commune preceptum‘. Da er dort mitten in einen Satz eingeschoben wird, der sich am Ende des Exkurses fortsetzt, kann kein Zweifel bestehen, dass ‚Lex est commune preceptum‘ aus ‚etiam testimonia removentur‘ geschöpft hat und es sich nicht umgekehrt verhalten kann. Da nun ‚etiam testimonia removentur‘ wahrscheinlich in Altzelle verfasst wurde, was ich an anderer Stelle ausgeführt habe71, können wir auch für das Vokabularium eine Entstehung in Altzelle annehmen. Da das Kloster 1175 gegründet wurde72 und sicher nicht sofort literarisch produktiv war, gelangen wir zu dem Ergebnis, die Entstehung der beiden römisch-rechtlichen Schriften nach 1180 anzusetzen und jedenfalls vor 1200, da das kanonische Recht noch wenig berücksichtigt ist. Die Bezüge zum Eherecht in ‚Lex est commune preceptum‘ weisen jedoch darauf hin, dass das Vokabularium in einem kanonistischen Milieu geschrieben wurde, was ohnehin für die legistische Literatur in Deutschland und Frankreich während des 12.  Jahrhunderts generell zutrifft. Die beiden inhaltlich teilweise übereinstimmenden Schriften könnten in Altzelle um 1185 von demselben Verfasser geschrieben worden sein. Lässt sich aber vielleicht sogar der Autor ermitteln?

meine Arbeit ‚Die juristischen Handschriften‘ (wie Anm.  37), 457 f. vgl. Beyer, Eduard, Das Cistercienserstift und Kloster Alt-Zelle in dem Bisthum Meißen. Geschichtliche Darstellung seines Wirkens im Innern und nach Außen (Dresden 1855), 28. 71  Vgl.

72  Hierzu

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IV. Abt Matthäus als Autor der juristischen Literatur von Altzelle Vor dem bedeutenden Abt Ludeger, der ab 1209 an der Spitze des Klosters stand, hatte Altzelle von 1187 bis 1209 als dritten Abt Matthäus, der vorher Prior des Zisterzienserklosters war.73 Matthäus wird 1185 in einer Urkunde des Bischofs Martin von Meißen als Zeuge erwähnt.74 Die Bischofsurkunde regelt die Rechtsverhältnisse der Kolonen und der Forenser von Löbnitz; die Datierung ist durch die Erwähnung des berühmten Pfingstfestes Barbarossas von 1184 in der Urkunde möglich.75 Dieses im sächsischen Urkundenbuch gedruckte Diplom fällt dadurch auf, dass darin eine Fülle juristischer Begriffe verwendet wird. Bischof Martin spricht von ‚iusticiam concessimus‘, gebraucht die Begriffe ‚contractus‘, ‚conventio‘, ‚rei compositio‘ und ‚controversia‘.76 Die Forenser und Kolonen sollen nur dreimal jährlich im Vogteigericht erscheinen77. Die königliche Bannleihe ist bekannt, da bei schweren Straftaten Forenser und Kolonen ‚sub regio banno‘ sich verantworten sollen.78 Auch die Abgaben der Kolonen werden genau geregelt79, was an die Ausführungen über die Kolonen am Ende von ‚Lex est commune preceptum‘ erinnert. 73  Zum Abt Matthäus vgl. Beyer (wie Anm.  72), 63 und 519–525: Matthäus war Prior von Altzelle vor 1187; vgl. Kunde, Holger, Vaterabt und Tochterkloster, in: Schattkowsky, Martina / Thieme, André (Hrgg), Altzelle, Zisterzienserabtei in Mitteldeutschland und Hauskloster der Wettiner (Schriften zur sächsischen Landesgeschichte 3, Leipzig 2002), 39–67, hier S. 60. 74  Codex diplomaticus Saxoniae Regiae I / A, Bd. 2 (Leipzig 1889), Nr. 512, S. 353–355. Hier S. 354 unter den Zeugen: „Matheus prior de Cella sancte Marie.“ Verweisung auf diese Urkunde auch in: Graber, Tom, Urkundenbuch des Zister­ zienserklosters Altzelle. Erster Teil 1162–1249 (Codex diplomaticus Saxoniae II / 19, Hannover 2006), 14 f. (Nr. 8). 75  Urkunde Nr. 512 (S. 355): „Quo etiam tempore dominus Fridericus imperator duos filios suos Moguntie militaribus balteis gloriose precinxit.“ 76  Urkunde Nr. 512: „Sepenumero fit, ut de contractu, de conventione sive de cuiuspiam rei compositione oratur controversia, que non orietur vel orta facile sopiretur, si acte rei testes vel litterarum haberentur monumenta … Forensibus itaque quam Hallenses, colonis quam illi de Burch habent, quia eam elegerunt, iusticiam concessimus  …“ 77  Urkunde Nr. 512: „statuentes, ut tam forenses quam coloni non amplius quam ter in anno coram advocato in iudicio stare cogantur  …“ 78  Urkunde Nr. 512: „De maioribus autem excessibus, sicut de latrocinio, de furto, de sanguine effuso, de rapina et de alia his simili violentia sub regio banno respondere cogantur.“ 79  Urkunde Nr. 512: „De quolibet autem colonorum manso omnium, que in eo elaborata fuerint recta decima tam in agris quam in altilibus, preterea scocciis, sed et in nocte nativitatis sancte Marie virginis nobis et nostris successoribus duo dabuntur solidi, qua quoque die de qualibet curia in foro VI nobis sunt solvendi denarii.“



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Die Urkunde ist nach meiner Kenntnis singulär für die Verbreitung der Terminologie des gelehrten Rechts in der Mark Meißen um 1185. Unter den zahlreichen Zeugen begegnen zunächst der Propst und einige Kanoniker von Wurzen; ferner Laien und Ministeriale des Bischofs von Meißen.80 Dazwischen ist jedoch in der Zeugenreihe ‚Matheus prior de Cella sancte Marie‘ eingeschoben. Da es im 12.  Jahrhundert durchaus vorkommt, dass ein Zeuge den Text der Urkunde entwirft, in der er genannt wird81, schließe ich, dass diese Urkunde von Matthäus formuliert wurde, der eigentlich mit den Rechtsfragen von Löbnitz und dem Inhalt der Urkunde nichts zu tun hatte. Prior Matthäus wurde offenbar zur Ausarbeitung des Textes der Urkunde als Experte herangezogen. Er muss über ungewöhnliche Rechtskenntnisse verfügt haben und kommt daher auch primär als Autor für die juristischen Werke aus Altzelle in Frage. Juristische Sachkunde bei Abt Matthäus lässt sich auch aus einem zweiten Grunde vermuten. Im Jahre 1198 verstieß König Ottokar I. von Böhmen seine Gemahlin Adela, eine Tochter des Markgrafen Ottos des Reichen von Meißen, nach etwa zwanzigjähriger Ehe. Adela hatte während der Ehe 10 Kinder geboren.82 Ottokar schloss eine zweite Ehe, aus der u. a. sein Nachfolger Wenzel I. hervorging.83 Adela wandte sich an Papst Innozenz III., der 1199 eine Kommis­ sion von drei delegierten Untersuchungsrichtern einsetzte, bestehend aus Erzbischof Ludolf von Magdeburg, der in Paris studiert hatte84, aus dem Abt des Benediktinerklosters Bürgel und schließlich aus Abt Matthäus von Altzelle. Die Urkunde mit der Einsetzung der drei Untersuchungsrichter vom Oktober 1199 ist im Register Innozenz’ III. erhalten.85 Das Verfahren 80  Urkunde Nr. 512: „testes autem hii sunt. Erborto prepositus de Worzin, eiusdem ecclesi canonici Burchardus … Matheus … Siboldus de Burglin. Laici. Tammo de Lyzowe.“ 81  Unter den Urkunden Kaiser Friedrichs I. ist DF I. 669 ein Privileg für Fonte Avellana, das von dem Kanzleiangehörigen Burkhard verfasst wurde, der auch in der Zeugenliste auftaucht: „Huius testes sunt … Burcardus, qui scripsit privilegium“. Folglich ist bei einer Kaiserurkunde von 1177 der Urkundenschreiber gleichzeitig Zeuge. Vgl. Appelt, Heinrich, Die Urkunden Friedrichs I. 1168–1180 (MGH Diplomata X / III, Hannoverae 1985), 179–181 (Nr. 669). 82  Zu Adela und ihrer Eheaffäre vgl. Winkelmann, E., Art. Adela, Königin von Böhmen, ADB 1 (1875), 48 f. 83  Zu Ottokar I. vgl. Zemlicka, J., Art. Otakar I. Premysl, Lex MA VI (1993), 1553. 84  Zu Erzbischof Ludolf von Magdeburg, vgl. Kintzinger, M., Art. Ludolf, Erzbischof von Magdeburg, Lex MA V (1991), 2166 f. 85  Die Urkunde Innozenz’ III. ist Po. 850. Sie ist gedruckt bei Hageneder / Maleczek / Strnad (Hrgg.), Das Register Innozenz’ III; Bd. 2 (Rom / Wien 1979), 343–345 (Nr. 179). Neuester Druck bei Graber, Tom (Hrg.), Urkundenbuch des Zisterzienserklosters Altzelle I: 1162–1242 (Hannover 2006), 31 f., Nr. 18 (= Codex diplomaticus Saxoniae II / 19).

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wurde vor dem Tod der Adela 1211 niemals abgeschlossen. Die Einsetzung des Abts Matthäus durch den Papst zur Untersuchung des offenbar komplizierten Eherechtsfalls ist nur verständlich, wenn der Papst bei dem Abt von Altzelle besondere Rechtskenntnisse voraussetzte. In meiner Studie zur Entstehung des Sachsenspiegels habe ich 2005 ausgeführt, dass Eike von Repgow sein großes Werk in Altzelle verfasst haben muss, da er nur dort die von ihm verwandte Literatur benutzen konnte und zudem selbst in zwei Urkunden für Altzelle als Zeuge genannt wird86. Meine These hat Anerkennung gefunden87, wurde aber auch mit dem Argument in Zweifel gezogen, die von Eike herangezogenen Werke könnte der sog. Spiegler auch in Magdeburg benutzt haben.88 Das ist allerdings vor allem für die Chronik des Widukind von Corvey nicht überzeugend, die um 1220 im Umkreis Eikes nur in Altzelle verfügbar war.89 Ich möchte daher entschieden an meiner These vom Ursprung des Sachsenspiegels in Altzelle festhalten. Da Eike nach allgemeiner Ansicht etwa um 1180 geboren war90, könnte er Elementarkenntnisse im gelehrten Recht bei Matthäus von Alt­zelle um 1200 erworben haben. Vermutlich war der gelehrte Abt der juristische Lehrer des Verfassers des Sachsenspiegels und verdient deshalb auch einen ehrenvollen Platz in der deutschen Rechtsgeschichte.

86  Landau, Peter, Der Entstehungsort des Sachsenspiegels. Eike von Repgow, Altzelle und die anglo-normannische Kanonistik, DA 61 (2005), 73–101. 87  Nach Lück, Heiner, Über den Sachsenspiegel (2Dössel / Saalkreis 2005), 12 und 23, ist eine Benutzung der Bibliothek von Altzelle durch Eike wahrscheinlich. Vgl. auch Graber, Tom / Schattkowsky, Martina, Die Zisterzienser und ihre Bibliotheken (Leipzig 2008), 9 f., mit zustimmender Bezugnahme auf meine Altzelle-These. 88  So Bertelsmeier-Kierst, Christa, Kommunikation und Herrschaft, Zum volkssprachlichen Verschriftlichungsprozeß des Rechts im 13.  Jahrhundert (Zeitschrift f. deutsches Altertum und deutsche Literatur, Beiheft 9, Stuttgart 2008), 91 f. Die Autorin meint, dass ich Magdeburg als führendes geistiges Zentrum in meine Über­ legungen hätte einschließen sollen; auch müsse man skeptisch sein, ob zwischen 1220 und 1235 bereits alle Werke in der Bibliothek von Altzelle verfügbar gewesen seien, die ich als Quellen des Sachsenspiegels angeführt habe. 89  In Altzelle wurde um 1220 die einzige Handschrift von Widukinds Chronik geschrieben (MS Dresden, Sächsische Landesbibliothek J 38), die im mitteldeutschen Raum nachweisbar ist; vgl. Landau (wie Anm.  86), 85 mit Anm.  56. Im Sachsenspiegel findet man auch das Eintrittsrecht der Enkel im Falle des Vorversterbens eines Sohnes, das Eike offenbar aus Widukinds Schilderung des Gottesurteils von Steele 938 übernommen hat. In diesem Sinne auch Springer, Matthias, Fragen um das altsächsische Recht, in: Lück, Heiner / Puhle, Matthias / Ranft, Andreas (Hgg.), Grundlagen für ein neues Europa. Das Magdeburger und Lübecker Recht in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Quellen und Forschungen zur Geschichte SachsenAnhalts 6, Köln / Weimar / Wien 2009), 283–304, hier S. 304. 90  Zum ungefähren Geburtsjahr Eikes statt aller Lück (wie Anm.  87), 25.

Dubletten im Text der Collatio als Spuren der Redaktionstätigkeit Von Ulrich Manthe I. Ist die Collatio von ihrem Verfasser abgeschlossen worden? 1.  Die Niederschrift der Mosaicarum et Romanarum legum collatio, wie die Lex Dei, quam praecepit Dominus ad Moysen in der rechtshistorischen Literatur meist genannt wird,1 wurde am Ende des 4. Jhdts. n. Chr. beendet2 und ist in 3 Handschriften des 9. / 10. Jhdts.3 überliefert: B (Berol. 269), V (Vercell. 122), W (Vindob. 2160). Nach Schulz4 gehen die 3 Handschriften auf einen Archetyp α zurück; α war Vorlage für B und den Hyparchetyp β (von dem V und W abstammen) und dürfte im 8. Jhdt. geschrieben worden sein, also gut 300–400 Jahre nach der Abfassung der Collatio. Für die Existenz von Zwischenhandschriften vor α gibt es keine Anhaltspunkte.

1  In diesem Beitrag bleibe ich bei der gängigen Bezeichnung „Collatio“, die auch der hochverehrte Jubilar in seinem für R. Herzog / P. L. Schmidt (Hrsg.), Handbuch der lateinischen Literatur der Antike (HLL) VI §  643.3 vorgesehenen Beitrag (den er mir liebenswürdigerweise zugänglich machte) verwendet. In den Codices finden sich folgende Bezeichnungen: Cod. B fol. 157v (Text): Incip(it) lex d(e)i quam d(eu)s precepit ad Mo; Cod. V fol. 13v col. b (Index): Incipit capitula Legis Quod Precepit d(eu)s ad mosen; fol. 162v col. a (Text): Incipit legem d(e)i quod precepit d(omi)n(us) ad moysen; Cod. W fol. 162v col. b (Index): Incipit Legem D(e)i quod precoepit d(omi)n(u)s ad moysen. V (Text) und W geben wohl den ursprünglichen Namen wieder; B und V (Index) schreiben unrichtig ds = deus statt dns = dominus. Zum Namen vgl. M. Schanz, Geschichte der römischen Literatur IV 1, 19142, 360; D. Liebs, Die Jurisprudenz im spätantiken Italien (260–640 n. Chr.), 1987, 162 f.; Liebs, HLL §  643.3. 2  Liebs, Jurispr. Italien 167. 3  Zuletzt W. Kaiser, Die Epitome Iuliani, 2004, 92–95, 123 f., 154. 4  F. Schulz, The Manuscripts of the Collatio legum Mosaicarum et Romanarum, in: BIDR 55-6 „post-bellum“ (=  NS. 14-5) (1951) 49–69, auch in: Symbolae ad jus et historiam pertinentes Julio Christiano van Oven dedicatae, Hrsg. M. David et  al. (Leiden 1946) 313–332. Zustimmend F. Wieacker, Textstufen klassischer Juristen, 1959, 233 Fn. 50; H. L. W. Nelson / U. Manthe, Gai Institutiones III 1–87, 1992, 9 ff.; Kaiser, Epitome 169.

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Wahrscheinlich ist das Werk vom jüdisch gebildeten5 und vielleicht mit dem Ambrosiaster (= Isaak?) identischen6 „Collator“ (wie ich den Verfasser der Einfachheit halber nenne) gar nicht zu Ende geschrieben worden. 2.  Im Text finden sich mehrere Dubletten, also Kombinationen zweier fast synonymer Textelemente. Dubletten entstehen entweder zufällig, indem erklärende Glossen irrtümlich hineinkopiert werden, oder absichtlich, um zwei alternative Ausdrucksmöglichkeiten bis zur endgültigen Entscheidung zu bewahren.7 Die Dubletten, von denen dieser Beitrag handelt, gehen wahrscheinlich nicht auf den Kopisten von α, sondern mit größerer Wahrscheinlichkeit auf den Collator selbst zurück und zeigen, dass er das Manuskript noch nicht endgültig redigiert hatte. 3.  Ferner endet der überlieferte Text nach 15 strafrechtlichen mit einem einzigen privatrechtlichen Titel (Erbrecht).8 Ob damit der Originaltext der Collatio endete, ist unsicher. Die gemeinsame Vorlage von V und W (β) endete mitten in coll. 16,7,2 (bonorum possessiones), da W mit diesen Worten und einem Explicit abschließt, während V schon vorher mitten in coll. 16,3,13 (hereditas pertineri) ohne Explicit abschließt (in β fehlte also coll. 16,7,2 med. – 16,9,3, als W von β kopierte, und es fehlten in β auch die vorhergehenden Blätter ab coll. 16,3,13, als V von β kopierte). Sowohl in V als auch in W folgen nach dem jeweils letzten Paragraphen der Collatio sofort neue Texte auf derselben Seite, woraus sich ergibt, dass keine Blätter von V oder W verloren gegangen sind, sondern Blätter von β. B schließt mit coll. 16,9,3 (ipse tribuit) ab, auf derselben Seite beginnt sofort ein neuer Text. Da der Collatiotext in B ohne Explicit endet, lässt sich nicht feststellen, ob α wirklich mit coll. 16,9,3 endete. Es ist also möglich, dass der Originaltext noch einige weitere Titel enthielt; mangels irgend welcher Anhaltspunkte liegt aber die Vermutung näher, dass der Collator mit coll. 16,9,3 abbrach. 4.  Wenn die Collatio nie vollendet worden ist, erklärt es sich, dass sie nicht veröffentlicht wurde. Mikat hielt es allerdings für denkbar, dass die Väter des 3. Konzils von Orléans 538 bei der Abfassung ihrer Beschlüsse 5  U. Manthe, Collatio 6,7 pr. isdem abstipulantibus, in: Ars Iuris, Festschrift für Okko Behrends zum 70. Geburtstag, Hrsg. M. Avenarius u. a., 2009, 351–370. 6  Manthe, Wurde die Collatio vom Ambrosiaster Isaak geschrieben? in: Festschrift für Rolf Knütel zum 70. Geburtstag, Hrsg. H. Altmeppen u. a., 2009, 737– 754. 7  Sehr hilfreich für den Juristen (der sich wie der Theologe mit der Textkritik verbindlicher Texte beschäftigt) ist E. Tov, Der Text der hebräischen Bibel, Handbuch der Textkritik, 1997; zu Dubletten: Tov 198. 8  H. L. W. Nelson, Überlieferung, Aufbau und Stil von Gai Institutiones, 1981, 113; Liebs, Jurispr. Italien 172; Liebs, HLL §  643.3 (oben Fn.  1).



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die Zusammenstellungen der Lex Dei gekannt hätten,9 was bedeutet, dass ihnen eine Ausgabe dieses Textes vorlag. In der Tat zitiert ein Canon des Konzils eine Lex Domini (nicht Dei!) als Quelle des Verbotes des Beischlafes mit Stiefmutter, -tochter oder Schwägerin. Doch unterscheiden sich die Wortlaute von c. 11(10) quia in lege Domini manifesto legitur: „maledictus, qui dormierit cum uxore patris sui, cum privigna, vel sorore uxoris suae“, et reliqua his similia10 und coll. 6,7,1 Maledictus, inquit, dixit Moyses, qui concubuerit cum uxore patris sui sowie coll. 6,7,7 maledictus, qui concubuerit cum sorore uxoris suae doch sehr: Der Canon gebraucht dormire (wie die Vulgata Dt. 27,20 qui dormit cum uxore patris sui), während die Collatio concumbere verwendet. Auch sind es nicht dieselben Tatbestände: In der Collatio werden der Beischlaf mit der Ehefrau des Vaters11 und mit der Schwester der Ehefrau12 verflucht, nicht aber der mit der Tochter der Ehefrau (privigna „Stieftochter“); dieser ist auch im Pentateuch nicht explizit verboten.13 Näher liegt c. 12 des Dekretale einer römischen Synode aus der Zeit des Papstes Damasus (366–384) an die Bischöfe Galliens; dort heißt es: nam lex dicit: „maledictus qui cum uxoris suae sorore dormierit“14; ähnlich coll. 6,7,7 maledictus, qui concubuerit cum sorore uxoris suae. Aber auch hier gebraucht der Canon dormire, die Collatio concumbere; auch ist die Wortstellung anders. Mikat vermutete für c.  12 des Dekretale und coll. 6,7,7 eine gemeinsame Vorlage (LXX15 oder Vetus Latina?); an anderer 9  P. Mikat, Die Inzestverbote des Dritten Konzils von Orléans (538), Vorträge Rhein.-Westf. Ak. Wiss., Geisteswiss. G 323, 1993, 39–40: „Es könnte also daran gedacht werden, daß den Konzilsvätern bei der Abfassung ihrer Beschlüsse diese Zusammenstellungen der Lex Dei bekannt gewesen sind. Der Eindruck verstärkt sich, da sowohl in der Lex Dei als auch in c. 11(10) die Verfluchungen aus Dtn 27,16–26 aufgenommen sind beziehungsweise auf sie angespielt wird.“ Vgl. Kaiser, Epitome 102 Fn.  482; 171 Fn.  788. 10  MGH Legum sectio, Concilia I, ed. F. Maassen, 1893, 77,6–8; Mikat, Inzestverbote Orléans 20 Fn.  21. 11  Coll. 6,7,1 aus Dt. 27,20; ferner coll. 6,1,1 aus Lev. 20,11; vgl. auch Lev. 18,8. 12  Coll. 6,7,7 aus Dt. 27,23b in der LXX-Rezension, die in LXX-Cod. B überliefert ist (hierzu unten Fn.  65); der Vers fehlt in der hebräischen und lateinischen Bibel; vgl. auch Lev. 18,18. 13  Lev. 20,14 regelt den Fall, dass jemand eine Frau nimmt und ihre Mutter (LXX: γυναῖκα καὶ τὴν μητέρα αὐτῆϚ), also den Beischlaf mit der Mutter der Ehefrau; würde er eine Frau nehmen und ihre Tochter, so wäre es Beischlaf mit der Stieftochter. Praktisch ist es natürlich dasselbe. 14  Canones Synodi Romanorum ad Gallos episcopos = Papst Siricius ep. 10 (Migne, PL 13, 1181–1194), c.  12 (PL 13, 1189 B); Mikat, Inzestverbote Epaon 878. 15  Mikat, Die Inzestverbote des Konzils von Epaon (1970), in: P. Mikat, Reli­ gionsgeschichtliche Schriften, Hrsg. J. Liedl, 1974, II 869–888, 878 sprach von der Vorlage von coll. 6,7,7 als von einer „bisher nicht identifizierte[n] SeptuagintaVersion“; zur Sachlage vgl. unten VI 4.

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Stelle bezog er diese weniger weit gehende Vermutung auch auf die eben genannte Ähnlichkeit von c.  11(10) Orléans und coll. 6,7,1 / 7.16 Dem stimme ich zu; für eine direkte Verbindung der Canones mit dem Text der Collatio gibt die Textähnlichkeit aber zu wenig her.17 Eine Benutzung der Collatio ist daher vor Hincmar von Reims18 nicht mit Gewissheit nachweisbar. Es scheint mithin, dass der Collatiotext nicht im Umlauf war und das Originalmanuskript erst im 8. Jhdt. vom Auftraggeber des Archetyps α aufgefunden worden ist. II. Coll. 1,11,2–3 vel res verba rescripti19 1.  Die ältere Emendation velis rescribere verba rescripti20 hat gute Gründe für sich: Velis rescribere gebrauchte man in der Bitte an einen Juristen um ein Gutachten: coll. 4,8 Papinianus eodem libro singulari et titulo … velis mihi rescribere: nam scire cupio. respondit … Bei solchen Anfragen verwendete man auch etwas weniger höflich den Imperativ rescribe.21 Ge16  Mikat, Inzestverbote Orléans 26; ähnlich Mikat, Zu den konziliaren Anfängen der merowingisch-fränkischen Inzestgesetzgebung, in: Überlieferung, Bewahrung und Gestaltung in der rechtsgeschichtlichen Forschung [Festschr. Ekkehard Kaufmann], Hrsg. S. Buchholz u. a., 1993, 213–228, 220. 17  Auch die Anklänge von c. 11(10) Orléans an einige andere Stellen der Collatio (Mikat, Inzestverbote Orléans 38 f.) zeigen, dass der Canon seine Formulierungen nicht unmittelbar aus dem Collatiotext übernommen hat. 18  Hincmar, De divortio Lotharii regis et Theutbergae reginae (ed. L. Böhringer, MGH Legum sectio, Concilia IV, Suppl. I, 1992) capitulatio resp. 12 (S.  103,4–6 Böhringer) Legant aequi iudices primi libri legis Romanae capitulum sextum de stupratoribus et septimum de incestis ac turpibus nuptiis et cetera, quae Christina iura depromunt; resp. 12 (S.  178,2–3 B.) Unde et leges Romanae decernunt in capitulis de stupratoribus [coll.  5], quod legens quisque inveniet; resp. 12 (S.  185,2–4 B.) sicut in primo libro legis Romanae capitulo VI de stupratoribus [coll.  5] et in capitulo VII de incestis et turpibus nuptiis [coll.  6] praecipitur et in ceteris, quae Christiana iura depromunt, iusti iudices legere possunt. Zum Datum (860 n. Chr.) vgl. Böhringer 63–65: zur Benutzung der Collatio vgl. Th. Mommsen, in: Collectio librorum iuris anteiustiniani, edd. P. Krueger et  al. III, 1890, 112; Nelson, Überlieferung 105 Fn.  2; Liebs, Jurispr. Italien 187; Liebs, HLL §  643.3 T 1 (oben Fn.  1); Böhringer 82. 19  Codd. BVW, also auch α. 20  Pithou bei Mommsen, Collectio. III  141,14; Cui. Obs. 14,4; F. Blume, in: Lex Dei, Corpus Iuris Romani Anteiustiniani, 1835–1844, 305–386, 326; P. E. Huschke, Iurisprudentiae anteiustinianae quae supersunt, 18865, 645–705 (=  18611, 528–590) 651; B. Kuebler, Iurisprudentiae anteiustinianae reliquiae II 2, 1927, 325–394, 334. Der gemeinsame Fehler vel res verba rescripti erweist den Archetyp α, Schulz, BIDR 55–56, 56 = Symb. van Oven 319; Nelson / Manthe, Gai Institutiones III 1–87, 10 f. 21  Ein Konsulent an Pomponius: Pomp. 18 epist. D. 12,2,42 pr. … quid tibi placet, rescribe mihi.



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wöhnlich aber wurde der Wunsch durch velim, peto, rogo22 ausgedrückt. Der Text von coll. 1,11,2–3 könnte daher gelautet haben: (2) Verba consultationis et rescripti ita se habent: „Inter Claudium, optime imperator, et Evaristum cognovi … velis rescribere (oder: velim rescribas)“. (3) Verba rescripti: „Poenam Mari Evaristi recte, Taurine, moderatus es …“. Die Konjektur velis rescribere setzt zunächst voraus, dass vel res für velis rescribere oder velim rescribas stehen kann: Im Codex Veronensis des Gaius und in den Fragmenta Vaticana wird velim, velis nie abgekürzt; ū steht meist für vel „oder“;23 ū = velis wäre schon sehr ungewöhnlich. R steht im Cod. Ver. sehr häufig für res, nur ein einziges Mal für respondebat;24 rescribere wird nie, rescrip- wird im Cod. Ver. (wenn überhaupt) Rscrip oder ähnlich abgekürzt,25 in den Fragm. Vat. kommt R oft für rescrip vor.26 Die Sigle R für respond(ere) oder gar rescrib(ere) ist sonst nicht belegt. Man könnte höchstens annehmen, dass der Schreiber des Archetyps α (8. Jhdt.) in seiner Vorlage ein unkorrektes ūR für velis rescribere oder respondere vorfand, was er schulgemäß als vel res wiedergab. Bedenken gibt es aber auch in stilistischer Hinsicht: Einen Respondierjuristen bat man mit velis rescribere um Auskunft (nicht mit velis respondere), dessen Antwort wurde mit respondere bezeichnet. Der Kaiser respondierte nicht, er reskribierte, konstituierte oder sprach (dixit, Marc. 29 dig. D. 28,4,3); rescribere wäre in einer Anfrage an den Kaiser korrekt. Aber unsere Quellen belegen für die Bitte an den Kaiser nicht velim, sondern rogo, so bei Plinius gegenüber Trajan27 und im consilium principis gegenüber dem Kaiser Mark Aurel im Jahre 166: Dig. 28,4,3 Marc. 29 dig. 22  Proc. 8 epist. D. 41,1,56,1 … rogo, quid sentias scribas mihi. Proculus respondit …; Cels. 11 dig. D. 27,8,7 … rogo rescribas … respondit; Pomp. 9 epist. et var. lect. D. 4,4,50 Iunius Diophantus Pomponio suo salutem … tu quid de eo putas velim rescribas. respondit: …; Marc. 15 dig. D. 36,1,46,1 … rogo respondeas … respondi …; Pap. sing. de adult. D. 48,5,12,5 … cuius opinionem an tu probes, rogo maturius mihi scribas. respondit …; Paul. 11 quaest. D. 31,83 Latinus Largus. … rogo ergo, quid de hoc existimes rescribas. respondi …; Paul. 12 quaest. D. 40,13,4 Licinnius Rufinus Iulio Paulo … peto itaque plenissime instruas. respondit: …; Paul. 15 quaest. D. 45,3,20,1 … peto rescribas. Paulus … 23  Vgl. Gu. Studemund, Gaii institutionum commentarii quattuor, Apographum, 1874, 309; Mommsen, Iuris anteiustiniani fragmenta quae dicuntur Vaticana, 1860, 388 ū = vel (passim) = ver (passim). 24  Studemund, Apographum 193,22 Riusfeci = respondebat ius feci, Gai. inst. 4,16 (Studemund 298). 25  Z.  B. S.  2,22 Rscripto Stud. = rescripto, Gai. inst. 1,7; Studemund, Apographum 298. In den Notae Lugdunenses (Notarum laterculi, ed. Mommsen bei Keil, Gramm. lat. IV, 1864, 265–352, 611–613) findet sich S. 280 Rt = rescriptum, S. 312 R = rescrip. 26  Mommsen, Fragm. Vat. 387 R = res (passim) = rescrip (28mal). Bei Probus bedeutet ūR = urbs Romana: Prob. notae iuris 2,18; Prob. Einsidl. 20.

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…. 27Vibius Zeno28 dixit: „Rogo, domine imperator, audias me patienter: de legatis quid statues?“ Antoninus Caesar dixit … In einer Anfrage an Kaiser Hadrian (coll. 1,11,2 verba consultationis) wäre velis rescribere wohl fehl am Platze gewesen. 2.  Daher ist Mommsens29 Erklärung von coll. 1,11,3 vel res verba rescripti überzeugender: doppelte Auflösung von ūR. Die Sigle ū steht im Cod. Ver. fast immer für vel, einmal für verb,30 in den Fragm. Vat. für vel und ver.31 R kürzt zwar nicht rescriptum ab, aber immerhin rescrip.32 ūR = vel res wäre die nahe liegende Auflösung, vom Sinn gefordert ist allerdings verba rescripti. Jemand fand in seiner Vorlage die Abkürzung ūR und löste sie (vorläufig) zweimal auf, nämlich sowohl schulgemäß (vel res) als auch nach dem geforderten Sinn konjizierend (verba rescripti), ohne sich endgültig zu entscheiden. Der Schreiber von α kommt kaum in Frage. Wenn er ein ūR in seiner Vorlage gefunden hätte, hätte er es einfach mit vel res aufgelöst (für verba rescripti hätte er ūaRti erwarten müssen); es ist unwahrscheinlich, dass ein mechanisch vorgehender Abschreiber an der Auflösung vel res gezweifelt und aus eigenem Antrieb die Alternative verba rescripti hinzugefügt hätte. Schulz33 schrieb die doppelte Auflösung einem Glossator zu, der ūR im Manuskript der Collatio gefunden habe. Dass jemand in der Zeit zwischen Herstellung des Ur-Manuskripts und Abschrift α die Handschrift glossiert hätte, ist grundsätzlich denkbar. Die Konstruktion einer zusätzlichen Person (Glossator) ist aber dann überflüssig, wenn die Textgestalt dem Collator selbst zugeschrieben werden kann. In coll. 1,11,2–3 kann man sich gut vorstellen, dass der Collator selbst in seiner Vorlage34 das unkorrekte ūR statt ūaRti vorfand und sowohl die schulgemäße Auflösung vel res als auch seine Konjektur verba rescripti nebeneinander setzte. Die beiden Varianten hat der Schreiber von α vorgefunden. 27  Plin. ep. 10,27 in futurum, quid servari velis, rogo rescribas; 10,43,4 te, domine, rogo ut quid sentias rescribendo aut consilium meum confirmare aut errorem emendare digneris; 10,108,1 quid habere iuris velis …, rogo, domine, rescribas. 28  Vielleicht Mitglied des consilium principis, J. Crook, Consilium Principis, Cambridge 1955, 188; F. Amarelli, Consilia principum, Napoli 1983, 168 Fn.  81. 29  Mommsen (nach Bynkershoek), Collectio III 141,14, ferner 122, 124; M. Hyamson, Mosaicarum et Romanarum legum collatio, Oxford 1913, 6,19; 180 ad 62,24. 30  S. 138,8 Stud.: ūalegispapiae = verba legis Papiae, Gai. inst. 3,47; Studemund, Apographum 309. 31  Oben Fn. 23. 32  Oben Fn. 25. 33  Schulz, BIDR 55–56, 56 = Symb. van Oven 319. 34  Einer Handschrift von Ulp. de off. proc.; in D. 48,8,4,1; 48,19,5,2 ist der Text nur knapp referiert worden, Wieacker, Textst. 391.



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III. Coll. 4,10 non dubitantur non ambigitur Cod. B fol. 164v

7non

dubitantur: non am 8bicitur. sed si deponat tractas. non hisqu(a)e aliquid eius 9honestimo calori p(er)mittetur. ambigitur. sic dicit. non 10dubitantur

Cod. V fol. 168v col. b

15non 16dubitantur

non ambi

17gitur

Cod. W fol. 170r col. a

3non

dubitant(ur) no(n) ambigit(ur)

1.  Nach Mommsen35 fand der Schreiber von B im Text seiner Vorlage (α) non ambigitur und eine erklärende Randglosse non dubita[n]tur36 vor und fügte die Glosse ein. Doch warum wurde dann non dubitantur vor non ambigitur eingesetzt? Die umgekehrte Reihenfolge non ambigitur non dubitantur wäre zu erwarten.37 In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle schreibt der Schreiber nämlich erst den Text ab und wendet sich dann der Randglosse zu, die er nach dem glossierten Wort einfügt.38 Wenn aber der Schreiber vor dem Schreiben des glossierten Wortes auf die Glosse blickt und feststellt, dass die Glosse die richtigere Variante ist, wird er diese und nicht mehr das im Text gefundene Wort einfügen; diese gewiss häufigen Fälle sind in den Codices ohne Kenntnis der Vorlage nicht mehr feststellbar. Wenn der Schreiber vor dem Schreiben des glossierten Wortes die Glosse ansieht und meint, die Glosse ergänze den Text, wird er die Glosse zusätzlich zum glossierten Wort einfügen. Nur in diesem Fall muss er entscheiden, ob er sie vor oder nach dem glossierten Wort einfügt; manchmal ist seine Entscheidung falsch.39 35  Mommsen,

Collectio III 123. der Vorlage von α stand gewiss der Singular dubitatur; α schrieb versehentlich dubitātur = dubita(n)tur. 37  F. Schulz, Die biblischen Texte in der Collatio legum Mosaicarum et Romanarum, in: SDHI 2, 1936, 20–43, 32 Fn.  29, meinte, die Reihenfolge in Cod. B sei non ambigitur non dubitantur. 38  Vgl. L. Havet, Manuel de critique verbale (1911) 279 §  1133A. 39  Zum Beispiel in coll. 12,7,7: in α stand servus quae idem conductores coloni ad fornacem obdormissent – Ulp. 18 ad ed. D. 9,2,27,9 servus coloni ad fornacem obdormisset. Der Collator hatte, wie ich vermute, in seiner Handschrift von Ulp. 18 ad ed. die Textworte servus coloni ad fornacem obdormisset und eine Randbemer36  In

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2.  In coll. 4,10 ergänzen40 sich non dubitatur und non ambigitur nicht, sondern sind augenscheinlich Varianten. Am deutlichsten kann man erkennen, wie der Schreiber von B vorging. Er schrieb das im Archetyp α vorgefundene non ambigitur in seinen Text nach non dubitatur; er dürfte daher zunächst davon ausgegangen sein, dass non ambigitur das non dubitantur ergänzte (dachte er bei dubitantur vielleicht an dubitanter?). Nach zwei weiteren Zeilen erkannte er, dass nur einer der zwei in seiner Vorlage α vorgefundenen Ausdrücke non dubitantur und non ambigitur richtig sein konnte, und fügte nachträglich (nach sed si – permittetur) seine Entscheidung ein: „ambigitur, so sagt er, nicht dubitantur.“ Der Umstand, dass der Schreiber von B die Verbesserung erst recht spät eintrug, deutet sehr darauf hin, dass er non dubitantur im Text von α und non ambigitur als (Rand-?) Glosse vorfand, so dass er daraus erkennen konnte, dass non ambigitur die Korrektur war. Wenn non ambigitur in α noch als Glosse erkennbar war, so wurde es vom Schreiber des Hyparchetyps β  wahrscheinlich schon in den Text aufgenommen, weil die Schreiber von V und W die beiden Ausdrücke non dubitantur non ambigitur einfach aneinander reihten, also das aus der Glosse entstandene Glossem nicht als solches erkannten. Was folgt daraus für den Schreiber von α? In α stand non ambigitur als Glosse, wie B wahrscheinlich macht. Es gibt keinen Anlass zu der Annahme, der Schreiber von α habe non ambigitur aufgrund eines Nachvergleichs mit einer zweiten Handschrift der Collatio eingetragen; eine zweite Handschrift gab es nicht. Folglich fand er non ambigitur schon als Randglosse in dem ihm vorliegenden Originalmanuskript vor. Hätte er sich für eine Variante entschieden, so würden wir nur diese vorfinden; da er sich nicht entschied, dürfte er mit großer Wahrscheinlichkeit erst dann auf die Glosse geblickt haben, als er das Textwort schon geschrieben hatte; daraufhin übertrug er die vorgefundene Randglosse an seinen Rand. kung zu coloni, nämlich qui idem conductor est, vorgefunden. Die Bemerkung ist richtig, da der erste Fall des Fragments (nur ein Sklave hat den Brand fahrlässig verursacht) von der actio locati handelt, während der zweite Teil (ein Sklave hat das Feuer angezündet, ein zweiter Sklave fahrlässig bewacht) sich der actio legis Aquiliae zuwendet. Diese Glosse schrieb der Collator gewissenhaft nur an den Rand, um später zu entscheiden, ob sie zum Originaltext Ulpians gehöre. Der Schreiber von α fügte die Glosse falsch nach servus ein; Mommsen, Collectio III 178, erkannte dies nicht und bezog qui idem conductor est auf servus; das gilt zwar gewiss für α, aber doch nicht für das Original der Collatio. Fantasievoll Huschke5 686; richtig Blume, Corp. Iur. 365; Kuebler, Iurispr. 373; merkwürdig Wieacker, Textstufen 240: „unheilbar“. Ein anderes Beispiel für die Einfügung einer Randglosse am falschen Ort bietet Nov. Test. 2 Tim. 4,19, hierzu B. M. Metzger, A Textual Commentary on the Greek New Testament (Stuttgart 19942) 581. Vgl. auch Tov, Text hebr. Bibel 232 mit weiteren Beispielen. 40  Wie coloni und qui idem conductor est, oben Fn.  39.



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3.  Wer aber hat non dubitatur mit non ambigitur verbessert? Von einem späteren Benutzer des Originalmanuskripts kann non ambigitur nicht stammen – was hätte ihn dazu bringen können, das gebräuchliche dubitare durch das selten gewordene (und in den romanischen Volkssprachen verschwundene) ambigere zu erläutern? Ambigere ist nicht Erläuterung, sondern Korrektur. Es kann nur der Collator selbst gewesen sein, der erst non dubitatur in den Text und dann das richtige41 non ambigitur an den Rand schrieb. Hierfür gibt es zwei mögliche Erklärungen: a)  Er fand in verschiedenen Handschriften von Pap. sing. de adult. sowohl non dubitatur als auch non ambigitur vor. Als Fehler eines mechanischen Abschreibers von Pap. sing. de adult. im 3. oder 4. Jhdt. ist aber eine Verschreibung von ambigitur zu dubitatur oder umgekehrt nur mit Mühe erklärbar. b)  Es war ein eigener Abschreibefehler des Collators. Er kompilierte Texte, die er schon recht gut kannte; beim Abschreiben verfuhr er nicht mechanisch wie ein Kopist von Texten, die ihn geistig nicht berühren, sondern mitdenkend und im Geiste mitformulierend. In einer solchen Situation kann es geschehen, dass man unbewusst stilistische Eingriffe vornimmt – man macht ja oft die Erfahrung, dass man eine Vorlage, die man gut zu kennen glaubt, beim Abschreiben ungewollt verfälscht,42 und dies mag auch dem Collator hier unterlaufen sein. Dann fügte er non ambigitur am Rande ein, ohne non dubitatur deutlich zu tilgen. 4.  Die Stelle aus Pap. sing. de adult. ist nur hier überliefert. Papinian gebrauchte sowohl (non) dubitare43 als auch (non) ambigere44 immer mit dem AcI, so dass sich aus dem Sprachgebrauch nicht erkennen lässt, was Papinian wirklich geschrieben hatte; aber da non ambigitur die Korrektur ist, stand wahrscheinlich non ambigitur in der Papinian-Handschrift, die der Collator nachverglich.

41  Blume,

Corp. Iur. 337. der Meister der Genauigkeit Studemund schrieb Apographum pag. 119,9 (=  Gai. inst. 2,254) es(se)t h(ere)ditatem; es ist aber ganz deutlich zu lesen: es(se)t h(e)reditatem, vgl. [A. Spagnolo,] Gai codex rescriptus in Bibliotheca Capitulari ecclesiae cathedralis Veronensis, distinctus numero XV (13), phototypice expressus, Leipzig 1909, fol.  98v; den Fehler entdeckte R. G. Böhm, Gaiusstudien III, 1969, 6. 43  Pap. 8 quaest. D. 13,5,25,1; 27 quaest. D. 46,1,49,2; 19 quaest. D. 31,67,10 (Zitat aus einem Testament); sing. de adult. D. 48,16,11. Andere Juristen benutzten anstelle des AcI auch quin, vgl. H. Leipold, Über die Sprache des Juristen Aemilius Papinianus, Progr. Passau 1890 / 91, Passau 1891, 7. 44  Pap. 2 quaest. D. 22,1,1,3; 2 def. D. 48,19,41, Leipold 52. 42  Selbst

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IV. Coll. 6,1,1 Quicumque concubuerit cum muliere uxore patris sui Smits und Schulz45 fanden als ähnlichsten Text eine Vetus-Latina-Version bei Sabatier:46 Lev. 20,11 cum uxore patris qui dormierit;47 dieser Text mit einem ziemlich anderen Wortlaut war aber kaum die genaue Vorlage für die Collatio. Mulier bezeichnete in der klassischen Juristensprache eine Frau meist im Hinblick auf ihr Geschlecht;48 uxor meinte immer die Ehefrau.49 Die Glossarien unterschieden die beiden Wörter.50 Die Umgangssprache verwendete aber längst auch mulier für die Ehefrau,51 und nur dieses Wort ist in den romanischen Sprachen erhalten.52 Man darf annehmen, dass der Collator zuerst muliere schrieb, dann aber das richtigere53 Wort uxore54 als Alternative in sein Manuskript eintrug.55 Schulz56 hielt muliere für eine 45  Nicolaas Smits, Mosaicarum et Romanarum legum collatio, Proefschrift Groningen 1934 (Haarlem 1934) 53; Schulz, SDHI 2, 29. Neuerdings untersuchte R. Frakes, The Lex Dei and the Latin Bible, in: Harvard Theol. Rev. 100, 2007, 425– 441 die Vetus-Latina-Vorlagen der Collatio; auf die in diesem Beitrag behandelten Stellen geht er nicht ein. 46  P. Sabatier, Bibliorum sacrorum latinae versiones antiquae seu vetus Itala 1 (Remis 1743), zitiert nach Schulz, SDHI 2, 23 Fn.  10. Zum heute begrenzten Wert der Sabatier-Edition siehe Frakes, HTR 100, 432 Fn.  47. 47  Vulgata: qui dormierit cum noverca sua … 48  H. Heumann / E. Seckel, Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts, 197111, sv. mulier; selten für eine verheiratete Frau: Pomp. 6 ad Qu. Muc. D. 7,4,22; Afr. 2 quaest. D. 34,2,2; Ulp. 44 ad Sab. D. 34,2,23,2. 49  Heumann / Seckel sv. uxor; VIR V 1611,51–1612,2. 50  Beispielsweise Herm. Leidensia, CGlL (Goetz) III 11,31 γινη mulier αλωχοϚ uxor = G. Flammini (ed.), Hermeneumata pseudodositheana Leidensia, 2004, Nr. 614 γυνή mulier, Nr. 615 ἄλοχοϚ uxor; Ps.-Philox., CGlL II 131,17 = GlL (Lindsay) II 232 MU 12 mulier γυνή; Ps.-Philox., CGlL II 212,53 = GlL II 291 UX 1 uxor γυνή, γαμετή, [μοχοϚ] ; Ps.-Cyr., CGlL II 261,25 γαμετη uxornupta uxormarita; Ps.-Cyr., CGlL II 265,47 γυνη mulier. Zu Ps.-Philoxenus und Ps.-Cyrillus siehe Manthe, Das Fortleben des Gaius im oströmischen Reich, in: OIR 12 (2008) 23–43, 32–34. 51  In einem Testament: Scaev. 3 resp. D. 32,93,1 „Semproniae mulieri meae reddi iubeo.“ 52  W. Meyer-Lübke, Romanisches etymologisches Wörterbuch, 19353, Nr. 5730 sv. mulier; uxor (Nr.  9106) findet sich romanisch nur noch sehr vereinzelt. 53  Ambrosiaster (oben Fn.  6) gebrauchte uxor patris, comm. ad 1 Cor. 5,10 (CSEL 81 II 57,17); ad 2 Cor. 2,7,2 (CSEL 81 II 207,2–3), aber auch noverca, ad 1 Cor. 5,2 (CSEL 81 II 53,4). 54  Uxorem BVW statt uxore dürfte auf den Schreiber von α zurückgehen. In der Parallelstelle coll. 6,7,1 steht cum uxore  V, cum uxorem BW, also in α wohl auch cum uxorē = uxore(m). 55  Hyamson, Mos. et Rom. legum coll. 85 fasste uxore patris sui harmonisierend als Apposition zu muliere auf; für eine Apposition fehlt die biblische Textgrundlage. 56  Schulz, SDHI 2, 29–30. Schulz emendierte die Bibeltexte in der Collatio so lange, bis sie den Vetus-Latina-Texten, die er als Vorlagen ansah, glichen, wie er



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spätere Randglosse,57 was voraussetzt, dass es einen frühmittelalterlichen Benutzer gab. Diese Annahme ist nicht erforderlich, da die Dublette auch dem Collator selbst zugeschrieben werden kann. V. Coll. 6,7,1 maledictus inquit dixit Moyses 1.  Schulz58 hielt dixit (Prädikat zu Moyses) für eine Randglosse zu inquit, die in den Text eingedrungen sei. Dies setzt voraus, dass inquit Prädikat zum Subjekt Moyses (und nicht Prädikat zum Subjekt lex divina) ist (also: Das göttliche Gesetz sagt so: „Moyses sagte [sagte]: ‚Verflucht, wer der Frau seines Vaters beigelegen hat.‘“) und ein spätlateinischer Benutzer das in der frühromanischen Volkssprache verschwindende Wort inquit durch dixit erläuterte; das ist möglich. Aber an allen anderen Stellen schrieb der Collator von vornherein Moyses dicit,59 und daher ist es, wenn man dem Textverständnis Schulz’ folgt, eher wahrscheinlich, dass der Collator selbst das ihm entfahrene schriftsprachliche inquit (Moyses)60 vor der Veröffentlichung des Textes durch das volksnähere und sonst von ihm gebrauchte dixit ersetzte. 2.  Ich glaube aber, dass hier gar keine Dublette vorliegt. Huschke und Mommsen61 behielten in ihrem Text inquit dixit bei: lex diuina sic dicit: Maledictus, inquit, dixit Moyses, qui concubuerit cum uxore patris sui. Durch die Zeichensetzung (inquit in Kommata, bei Huschke ist inquit auch zusätzlich gesperrt) machten sie deutlich, wie sie den Text (wohl richtig) verstanden: lex divina sic dicit (Hauptsatz) leitet die Oratio recta 1 dixit Moyses ein, und inquit nimmt dicit des Hauptsatzes wieder auf; dixit Moyses wiederum leitet die Oratio recta 2 maledictus, qui … ein, also: Das selbst unbefangen einräumte, SDHI 2, 42: „Die Aehnlichkeit tritt erst dann in voller Deutlichkeit zu Tage, wenn man die Texte der Coll. wie die Paralleltexte gehörig emendiert hat und wenn man sich diejenigen Aenderungen wegdenkt, die der Verfasser der Coll. an seiner Vorlage vorgenommen hat.“ 57  In coll. 4,1 steht mulierem proximi sui; das dürfte auch auf die Urschrift des Collators zurückgehen, eine Korrektur zu uxorem unterblieb hier. Sehr fantasievoll Schulz, SDHI 2, 28: Der Collator habe uxorem geschrieben und eine Glosse mulierem habe uxorem völlig verdrängt. 58  Schulz, SDHI 2, 32; ebenso Kuebler, Iurispr. 354. 59  Moyses dicit: coll. 1,1; 1,5; 2,1; 3,1; 4,1 (W: dixit BV); 5,1; 6.1; 7,1; 8,1; 9,1 (V: om. BW); 10,1 (B: dixit VW); 11,1; 12,1; 13,1 (BV: dixit W); 14,1; 15,1; Scriptura divina sic dicit: coll. 16,1. 60  Die Nachstellung des Subjekts nach inquit ist die übliche, A. Szantyr, Lateinische Syntax und Stilistik, 1972, 402. 61  Huschke, Iurispr.5 669; Mommsen, Collectio III 160,27 = Hyamson, Mos. et Rom. legum coll. 90.

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göttliche Gesetz sagt so: „Moyses sagte (sagt es): ‚Verflucht, wer …‘.“ Inquit ist bei diesem Textverständnis ‚abundantes‘ Prädikat zum Subjekt lex divina, indem es dicit wiederholt. Ein solcher Gebrauch von inquit ist im Spätlatein nicht selten62; freilich formulierte der Collator in den anderen Sätzen, die er selbst in der Collatio verfasst hat, nicht abundant, z. B. coll. 16,1: Scriptura divina sic dicit: Filiae Salfad eqs. ohne inquit. Dann wäre inquit zu tilgen. Doch findet sich beim Ambrosiaster63 ebenfalls abundantes inquit, comm. ad Rom. 13,6 (CSEL 81 I 421) dicit Danihel profeta: Dei est enim, inquit, regnum. VI. Drei griechische Übersetzungen von Dt. 27,23 htntw 1. Coll. 6,7,3–4 gibt den Text von Dt. 27,23a zweimal wieder64; coll. 6,7,3 entspricht der Lesart des LXX-Codex Vaticanus (B)65, coll. 6,7,4 der des LXX-Codex Alexandrinus (A)66. Coll. 6,7,7 geht auf einen nur in LXXCodex B (und nicht in der hebräischen und lateinischen Bibel) vorhandenen Satz Dt. 27,23b zurück.67 Coll. 6,7

LXX Dt. 27 (Cod. A)

(3) Maledictus qui concubuerit cum nuru sua … (4) Maledictus qui concubuerit cum socru sua … (7) Maledictus, qui concubuerit cum sorore uxoris suae …

LXX Dt. 27 (Cod. B) (23a) Ἐπικατάρατος ὁ κοιμώμενος μετὰ νύμφης αὐτοῦ …

(23a) Ἐπικατάρατος ὁ κοιμώμενος μετὰ πενϑερᾶς67 αὐτοῦ … (23b) Ἐπικατάρατος ὁ κοιμώμενος μετὰ ἀδελφῆς γυναικὸς αὐτοῦ …

62  Schon klassisch: Seneca ep. 83,12 in hanc rem locutus est ipse: „ego“ inquit „…“; Szantyr 418 mwN. 63  Oben Fn. 6. 64  Wellhausen bei Mommsen, Collectio III 161 ad Dt. 27,23. Unten Fn.  78. 65  Cod. Vat. gr. 1209; saec. IV: F. G. Kenyon, The Text of the Greek Bible, London, 19753, 43 f.; in der Textgestaltung ursprünglicher als Cod. A; vgl. E. Tov, Die griechischen Bibelübersetzungen, in: ANRW II 20 / 1, 1987, 121 ff., 164; Tov, Text hebr. Bibel 116; M. Tilly, Einführung in die Septuaginta, 2005, 14. 66  Cod. Brit. Libr. Royal 1 D. V-VIII; saec. V: Kenyon, Text 42 f.; Tov, ANRW II 20 / 1, 164. 67  So auch A. Rahlfs, Septuaginta, ed. minor, 1935 (Ndr. 1979).



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Der Verfasser der lateinischen Übersetzung, die die Vorlage für coll. 6,7,3.4.7 war, hatte den griechischen Text von Dt. 27,23 in drei Varianten vor sich: νύμφηϚ, ἀδελφῆϚ γυναικὸϚ (Cod. B) und πενϑερᾶϚ (Cod. A). Er fertigte für jede der drei Varianten eine Übersetzung an. Alle Übersetzungen wurden in die Collatio aufgenommen. Der Befund kann auf zweierlei Weisen erklärt werden: a)  Der Collator fand verschiedene Vetus-Latina-Handschriften vor und glaubte irrig, alle Varianten stünden in der Bibel – er muste aber doch wissen, dass die lateinischen Pentateuchhandschriften entweder nurus, socrus oder soror uxoris hatten, nicht alle Ausdrücke. b)  Der Collator fand verschiedene Vetus-Latina-Handschriften vor und hatte sich noch nicht entschieden, welche Variante die richtigere war, und nahm daher einstweilen alle Varianten in sein Manuskript auf.68 Das halte ich für wahrscheinlicher. 2.  Die Varianten in LXX Dt. 27,23a νύμφηϚ (Cod. B) und πενϑερᾶϚ (Cod. A) könnten folgendermaßen entstanden sein: Das Hebräische unterscheidet die Verschwägerung über den Ehemann von der Verschwägerung über die Ehefrau durch verschiedene Bezeichnungen. Die Ehefrau bezeichnet die Eltern ihres Ehemannes mit Wörtern der Wurzel hm: hām, hāmōt69 „Schwiegervater, Schwiegermutter“;70 die Eltern des Ehemannes bezeichnen die Ehefrau mit kallā71 „Schwiegertochter“. Der Ehemann bezeichnet die Eltern seiner Ehefrau mit der Wurzel htn: hoten, hotänät „Schwiegervater, Schwiegermutter“;72 die Eltern der Ehefrau nennen den Ehemann hātān „Schwiegersohn“.73 Die Wurzel hm dient zur Bezeichnung der Eltern des Ehemanns durch die Ehefrau; die Wurzel htn dient zur Bezeichnung der 68  Auch im Neuen Testament gibt es dieses Phänomen: In der Vetus-Latina-Hs. b (Cod. Capitul. Bibl. Veron. VI (6), saec. V; Kenyon, Text 150) folgen zwei mögliche Übersetzungen desselben Textes Nov. Test. Io. 5,39 aufeinander, Eusebii Vercellensis Evangelium cum variis versionis Italicae exemplaribus collatum, Migne, PL 12, 141–838, 387 (Ndr. der Ausgabe von Bianchini 1749). Vgl. M. Black, An Aramaic Approach to the Gospels and Acts, Oxford 19542, 54 f., 208; B. Metzger, Der Kanon des Neuen Testamentes, 1993, 165 Anm.  8. 69  Aus drucktechnischen Gründen transkribiere ich die hebräischen Wörter vereinfacht: h = Het; plene geschriebene Vokale sind überstrichen; die Spirantisierung von bgdkpt ist nicht bezeichnet. 70  W. Gesenius / F. Buhl, Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, 191015, 235b sv. hām; 237b sv. hāmōt. 71  „Ehefrau des Sohnes, Braut“; mit unklarer Etymologie, vgl. Gesenius / Buhl 344a sv. kallā (z. B. Gen. 11,31, LXX νύμφη); J. Wellhausen, Die Ehe bei den Arabern, in: Nachr. Ges. Wiss. Göttingen (1893) 431–481, 446. 72  Partizipia zu htn „Eltern der Ehefrau sein“, Gesenius / Buhl 265b–266a sv. htn. 73  Gesenius / Buhl 266a sv. hātān.

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Eltern der Ehefrau durch den Ehemann sowie reziprok zur Bezeichnung des Ehemannes durch die Eltern der Ehefrau. Im Griechischen werden dagegen πενϑερὸϚ und πενϑερὰ undifferenziert für beide Richtungen gebraucht; nur Schwiegertochter (νύμφη) und Schwiegersohn (γαμβρόϚ) haben auch im Griechischen eindeutige Richtungen.74 Im hebräischen Text von Dt. 27,23 steht htntw (vokalisiert: hotantō) „seine Schwiegermutter (=  Mutter seiner Ehefrau)“.75 LXX Cod. A πενϑερᾶϚ,76 coll. 6,7,4 socru sind also richtig; LXX Cod. B νύμφηϚ,77 coll. 6,7,4 nuru hingegen falsch. Wie konnte es in der LXX zur Verwechslung von Schwiegermutter und Schwiegertochter kommen, wo doch der hebräische Text eindeutig78 ist? Die Bedeutung von hebr. htntw ergibt sich nur dann mit Sicherheit, wenn das Wort vokalisiert (hotantō) ist, und die Vokalzeichen des hebräischen Bibeltextes wurden erst nach 500 n. Chr. normiert.79 Der Übersetzer des in Cod. B vorhandenen Textes (νύμφηϚ) hatte nur den Konsonantentext htntw vor sich und las ihn nicht als hotantō „seine Schwiegermutter = Mutter seiner Ehefrau“, sondern als *hatnatō, was er unrichtig als „seine Schwiegertochter = Ehefrau seines Sohnes“ verstand. In der Tat könnte man zu hebr. hātān „Ehemann der Tochter“ nach grammatischen Regeln ein Femi74  Wie im Deutschen, welches Schwiegertochter und -sohn zwar nach dem Geschlecht des Schwiegerkindes, nicht aber nach dem Geschlecht des eigenen Kindes (für beide Linien: „Schwieger-“) unterscheidet. Bei Schwiegerkindern liegt natürlich immer nur eine Richtung vor, während Schwiegereltern in zwei Richtungen existieren können. 75  Das Wort htnt „Mutter der Ehefrau“ ist bibelhebräisch nur hier (in der Form htntw mit dem Possessivsuffix der 3. Pers. Sing. mask.) belegt; die nicht belegte Grundform würde *hotänät „Mutter der Ehefrau“ (Femininum zu hoten „Vater der Ehefrau“) lauten; Gesenius / Buhl 266a sv. htn. 76  LXX πενϑερὰ steht nur in Dt. 27,23a für die „Mutter der Ehefrau“, hebr. *hotänät; in Mi. 7,6 sowie in Ruth (1,14 und passim) bezeichnet πενϑερὰ die „Mutter des Ehemannes“, hebr. hāmōt. 77  „Schwiegertochter“, J. Lust / E. Eynikel / K. Hauspie, A Greek – English Lexicon of the Septuaginta II, Stuttgart 1996, 319b sv. νύμφη. 78  Julius Wellhausen (1844–1918) bei Mommsen, Collectio III 161 ad Dt. 27,23 hielt das hebräische Wort htntw für zweideutig („uocabulum Hebraicum significationis ambiguae“); daraus seien die beiden Übersetzungen in LXX Cod. A (πενϑερᾶϚ) und B (νύμφηϚ) zu erklären. Tatsächlich aber ist htntw „die Mutter seiner Ehefrau“ eindeutig und war nur für den Übersetzer des in Cod. B überlieferten Textes zweideutig, wie wir sahen. Das fand Wellhausen drei Jahre nach dem Erscheinen von Mommsens Collatio-Ausgabe (1890) selbst heraus: Die Ehe bei den Arabern (1893) 446 (gemeinsemitisches Wort hm für die Eltern des Ehemannes). Ob er zu dieser Untersuchung durch die Anfrage Mommsens (oben Fn.  64) angeregt worden war? 79  Tov, Text hebr. Bibel 24; ein Zeitzeuge des ausgehenden 4. Jhdts.: Hieron. epist. 73,8,2, CSEL 55, 21 … cum vocalibus in medio litteris perraro utantur Hebraei et pro voluntate lectorum ac varietate regionum eadem verba diversis sonis atque accentibus proferantur.



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ninum *hatanā „Schwiegertochter“ bilden, welches mit dem Possessivsuffix der 3. Pers. Sing. mask. (-ō) *hatnatō „seine Schwiegertochter“ lauten und im Konsonantentext htntw geschrieben würde; damit wäre die Ehefrau des Sohnes gemeint. Aus semantischen Gründen ist aber *hatanā nicht möglich, da die Wurzel htn nur zur Bezeichnung der Eltern der Ehefrau durch den Ehemann (hoten „Vater der Ehefrau“) und reziprok des Ehemannes durch die Eltern der Ehefrau (hātān „Ehemann der Tochter“) gebraucht werden kann; die Ehefrau des Sohnes ist aber die zu hm „Eltern des Ehemannes“ reziproke Person und heißt kallā. Die Textform νύμφηϚ des Cod. B geht mithin auf einen Übersetzer zurück, dem die Semantik der hebräischen Sprache nicht vollkommen geläufig war.80 3.  Ähnlich kann man (wenn auch nur sehr tentativ) Dt. 27,23b ἀδελφὴ γυναικὸς (Cod. B) = soror uxoris erklären. Hebr. htntw könnte auch (wieder als *hatnatō vokalisiert) als „seine Schwägerin = Schwester seiner Ehefrau“ verstanden werden. Der Ehemann nennt die Verwandten seiner Ehefrau mit der Wurzel htn; die soror uxoris gehört zu dieser Gruppe und könnte daher (theoretisch) *hatanā heißen. Diese Übersetzung von htntw wäre daher nicht von vornherein als unrichtig abzuweisen, wenn nicht das Bibelhebräische die Schwester der Ehefrau anders bezeichnen würde.81 4.  Der hebräische Text Dt. 27,23, der nur die Mutter der Ehefrau behandelte, ist mithin von LXX Cod. A richtig wiedergegeben, in LXX Cod. B in zwei Varianten: Dt. 27,23a „Ehefrau des Sohnes“ (semantisch jedenfalls falsch) und Dt. 27,23b „Schwester der Ehefrau“ (semantisch möglich).82 Für die Vorlage von LXX Cod. B denkt man natürlich an Aquila aus Sinope in Pontus, der zum Judentum konvertiert war und im 2. Jhdt. n. Chr. mit dem Übereifer eines Bekehrten die hebräische Bibel in ein allzu wörtliches Griechisch (κατ᾽ ἀκρίβειαν) übersetzte – dass ihm hierbei zuweilen Fehler unterliefen, verwundert nicht.83 In der Tat hatte die Übersetzung des Aquila 80  Schon in der Mišnā wurden die Verschwägerungsbezeichnungen nicht mehr genau gebraucht: Mišnā, Jebamot 1,1, ed. H. Albeq, Šišē sidrē Mišnā („Die 6 Ordnungen der Mišnā“), Tel Aviv 1988, III 17,3: statt hotantō „seine Schwiegermutter (=  Mutter seiner Ehefrau)“ heißt es hamōtō (eigentlich „seine Mutter des Ehemannes“!); richtig Mišnā, Jebamot 15,4, Albeq III 67,13 hamōtā „ihre Schwiegermutter (Mutter ihres Ehemannes)“; vgl. M. Jastrow, A Dictionary of the Targumim, the Talmud Babli and Yerushalmi, and the Midrashic Literature, New York 1926, 476b sv. hamōt. 81  In Lev. 18,18 heißt sie einfach „Schwester (ahōt) der Frau“; ebenso Mišnā, Jebamot 1,1, Albeq III 17,4; Jastrow, Dictionary 39b sv. ahōt. 82  Die lateinische Bibel kennt nur die Schwiegermutter. Rahlfs, Septuaginta folgte in Dt. 27,23a dem Cod. A und fügte Dt. 27,23b nach Cod. B an; W. Kraus / M. Karrer (Hrsg.), Septuaginta Deutsch, 2009, 205 tilgten Dt. 27,23b. Mikat (oben Fn.  15) erkannte, dass soror uxoris nicht auf die gängige LXX-Version zurückgeht. 83  Manthe, Festschr. Behrends (oben Fn.  5) 353 f. Fn.  8.

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genau hier: νύμφηϚ.84 Der Collator hatte lateinische Fassungen vor sich, die drei Varianten wiedergaben, und nahm alle Varianten in den Text von coll. 6,7,3.4.7 auf, ohne sich sofort zu entscheiden, welche die richtigere sei. VII. Coll. 13,1,1 patres tui vel principes Coll. 13,1,1 patres tui vel principes gibt Übersetzungen der Lesarten zweier LXX-Codices wieder: Dt. 19,14: πατέρες (B85) und πρότεροι (A86); beide Lesarten stehen für hebr. ri’šonīm „Vorfahren“;87 πρότεροι steht allerdings dem hebräischen Wort näher.88 Wäre principes ein Glossem,89 so hätte der Abschreiber beim Übertragen der Randglosse seiner Vorlage in den Text nicht vel eingefügt. Auch hier ist es am wahrscheinlichsten, dass der Collator selbst zwei verschiedene Übersetzungen einsah und einstweilen beide Varianten in seinem Manuskript eintrug; vel zeigt an, dass er sich noch nicht sicher war, welches Wort richtig war. VIII. Coll. 15,1,1–2: Zwei Übersetzungen von Dt. 18,10–11 1.  Auch für Dt. 18,10–11 lagen dem Collator zwei Übersetzungen vor, die er beide als coll. 15,1,1–2 in das Manuskript einfügte, ohne sich sofort zu entscheiden, welche die bessere war. Mommsen90 wies die 2. Übersetzung einem Interpolator zu. Eine ausführliche Analyse dieses sehr merkwürdigen und bedeutsamen Textes, die den Rahmen dieses Beitrages sprengen würde, ergibt, dass coll. 15,1,2 eine Bearbeitung der in coll. 15,1,1 wiedergegebenen Übersetzung von Dt. 18,10–11 ist; beide Übersetzungen zeugen von Kenntnis des israelitischen Zauberwesens und gehen, wie mir scheint, wohl auf denselben Verfasser zurück. Einem „Interpolator“ kann man diese gelehrte Arbeit kaum zuschreiben – es müsste ein Hebraist des frühen Mittelalters gewesen sein, den man vergeblich suchen würde. Vielmehr war der Verfasser der Übersetzungen ein jüdisch gebildeter Gelehrter der Spätantike, 84  Origenes, Hexaplorum quae supersunt, ed. B. de Montfaucon (1713), in: PG 15 (1857) 892; Josef Reider / Nigel Turner, An Index to Aquila, Leiden 1966, führen die Stelle Dt. 27,23 nicht auf. 85  Oben Fn.  65; Rahlfs’ Text folgt Cod. B. 86  Oben Fn.  66. 87  Wellhausen bei Mommsen, Collectio  181 ad Dt. 19,14 wies auf die beiden Lesarten in den Handschriften der LXX und der Vetus Latina hin. 88  Vgl. auch Lev. 26,45 berīt ri’šonīm „Bund mit den Vorfahren“ – LXX τῆς διαϑήκης τῆς προτέρας. 89  So Schulz, SDHI 2, 38. 90  Mommsen, Collectio III  ad 185,6 unter Berufung auf Wellhausen.



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der die sibyllinischen und vielleicht auch die chaldäischen Orakel91 kannte.92 Wenn der Collator die Übersetzungen nicht einfach übernommen hat (was man nicht ausschließen kann), muss er selbst einige Kenntnisse der hebräischen und der griechischen Sprache gehabt haben. 2.  Ich beschränke mich auf ganz wenige Beobachtungen: Coll. 15,1,1 nec divinus, apud quem sortes tollas schließt sich eng an den hebräischen Text von Dt. 18,10 an, der von den hebräischen Losorakeln spricht. Coll. 15,1,2 auguriator folgt der LXX. Coll. 15,1,1 qui dicunt, quid conceptum habeat mulier gibt LXX ἐγγαστρίμυϑος „Bauchredner“ wörtlich (und falsch) wieder: „solche, die sagen, was die Frau als Leibesfrucht (im Bauch) trägt“. Coll. 15,1,2 nec pythonem habens in ventre[m] „wer einen Python im Bauche hat“ zeigt, dass der Übersetzer nun wusste, dass Python ein anderer Ausdruck für „Bauchredner“ war.93 Das war im frühen Christentum bekannt.94 Coll. 15,1,1 quoniam fabulae seductoriae sunt „da das ja verführerische Märchen sind“ hat keinen Anhalt im LXX-Text und kann daher nicht aus einer Vetus-Latina-Übersetzung stammen. Ein Hinweis auf Dt. 18,10 findet sich auch im jüdischen 3. Buch der Sibyllinischen Weissagungen (1. Jhdt. v. Chr.)95, und zwar in der Weissagung zur Zukunft der Israeliten, den Nachkommen Abrahams aus Ur in Chaldäa (Gen. 11,31): or. Sib. 3,218–22696: (218) „Es gibt eine Stadt im Lande Ur der Chaldäer, / woraus ein Geschlecht der gerechtesten Menschen entstammt; / (220) diesen liegen immer gute Gesinnung und schöne Werke am Herzen. / Denn sie sorgen 200 n. Chr., S. I. Johnston, Oracula Chaldaica, in: DNP 9, 2000, 1–2. der Ambrosiaster (oben Fn.  6) hatte sich mit Astrologie und Weissagung befasst, comm. ad 1 Cor. 2,12, CSEL 81 II 28; quaest. 115, CSEL 50, 318–349; quaest. 117,5, CSEL 50, 353; Manthe, Fs. Knütel (oben Fn.  6) 743. Er kannte das in coll. 15,2,1 erwähnte SC 17 n. Chr. über die Verbannung der mathematici: quaest. 115,63, CSEL 50, 340 qui mathematicos urbe Roma prohibuerunt. 93  Python ist zunächst die delphische Schlange, sodann der Bauchrednergeist, schließlich metonymisch der Bauchredner selbst: Plut. de def. orac. 9, p.  414 E wie die Bauchredner, welche früher Euryklesse (Plat. Sophist. p. 252c), jetzt aber Pythonen genannt werden. 94  Reiches Material bei Foerster, sv. πύϑων, in: G. Friedrich (Hrsg.), (Kittels) Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament VI, 1959, 917–920. In Nov. Test. Act. 16,16 hat ein Mädchen einen Python-Geist; die von König Saul 1 Sam. 28,7 befragte Totenbeschwörerin ist in LXX 1 Regn. 28,7 eine ἐγγαστρίμυϑος, in Vulg. 1 Sam. 28,7 eine mulier habens pythonem. 95  J. J. Collins, The Development of the Sibylline Tradition, in: ANRW II 20 / 1, 1987, 421 ff., 431; J.-D. Gauger, Sibyllinische Weissagungen, 20022, 440 ff.; M. Sehlmeyer, Sibyllini libri, in: DNP. 11, 2001, 501 f. 96  Gauger 76 f.; Übersetzung von mir. 91  Um

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sich nicht um den Kreislauf der Sonne und den Lauf des Mondes / und nicht um gewaltige97 Dinge in der Erde, / und nicht um die Tiefe des wildfunkelnden Okeanosmeeres, / nicht um Zeichen von Gliederzuckungen und um Vögel von Vogelflugdeutern, / (225) nicht um Wahrsager, um Giftmischer, gewiss nicht um Zauberliedsänger, / nicht um Täuschungen98 der törichten Märchen der Bauchredner.“ (226) οὐ μύϑων μωρῶν ἀπάτας ἐγγαστεριμύϑων nennt die fabulae seductoriae (ἀπάται) der Bauchredner. Quoniam fabulae seductoriae sunt ist keine christliche Übersetzung, sondern eine Erläuterung aus jüdischem Hintergrund. IX. Unfertiges Manuskript der Collatio? Die doppelte Auflösung einer Abkürzung in coll. 1,11,3 (oben II) könnte man noch einem Schreiber zuschreiben. Dass es aber der sorglose Schreiber des Archetyps α war, der die Dubletten in coll. 4,10 (non dubitantur non ambigitur; oben III), 6,1,1 (muliere uxore; oben IV), 6,7,1 (inquit dixit; oben V)99 und 13,1,1 (patres tui vel principes; oben VII) hervorbrachte, ist unwahrscheinlich. Ein späterer Bearbeiter der Handschrift ist denkbar, scheidet aber jedenfalls wegen coll. 15,1,1–2 (oben VIII) aus: Die zweite Übersetzung des schwierigen Textes Dt. 18,10–11 ist nicht im frühen Mittelalter entstanden. Alle Dubletten stammen mit größerer Wahrscheinlichkeit vom Collator selbst, der fleißig Varianten sammelte – auch die drei Übersetzungen ein und desselben Verses Dt. 27,23 (htntw „seine Schwiegermutter“; oben VI) und die zwei Übersetzungen von Dt. 18,10–11 (oben VIII). Er bemühte sich um Verbesserung seines Manuskripts, hat aber seinen Plan nicht zu Ende führen können; das Privatrecht wurde nur zum Teil bearbeitet, und die notwendige Schlussredaktion fehlt.100 So blieb das unvollendete Manuskript, von dessen Benutzung sich in der spätantiken und frühmittelalterlichen Literatur kein Hinweis gefunden hat, wahrscheinlich verborgen, bis es im 8. Jhdt. wieder aufgefunden wurde. 97  Hier besteht ein Zusammenhang mit den chaldäischen Orakeln, Frgm. 107,1–2 Kroll = É. des Places, Oracles chaldaïques, Paris 1971, 92 f., 165 f. „Setze dir nicht die gewaltigen Grenzen der Erde in deinen Kopf; denn eine Pflanze der Wahrheit gibt es nicht auf der Erde.“ 98  Hier besteht vielleicht ein Zusammenhang mit or. Chald. Frgm.  107,8–9 Kroll = des Places 93 „Das sind alles Spielereien, Unterstützungen der Täuschung beim Kauf.“ 99  Falls überhaupt eine Dublette vorliegt, oben V 2. 100  PS 5,23,1 steht zweimal in der Collatio (1,2,2 = 8,4,1), ohne dass der Collator die Lex geminata bei der Endredaktion beseitigt hat; ferner hat er die Kreuzigungsstrafe zwar in coll. 14,3,6 als obsolet bezeichnet, sie aber in den beiden Stellen sowie in coll. 14,2,2 noch nicht gestrichen, hierzu Manthe, Fs. Knütel 746.

Apotelesma ed ergon Di Remo Martini 1.  Come sanno tutti quelli che si sono occupati più da vicino della locatio operis romana, i termini da me utilizzasti per dare un titolo alla breve nota che dedico volentieri all’amico Liebs, s’incontrano in un abbastanza famoso frammento di Paolo, il quale li metteva in bocca a Labeone. Quest’ ultimo avrebbe detto infatti che quando si parla di locatio operis, per opus si deve intendere quello che i greci chiamavano apotélesma e non érgon, specificando che si sarebbe trattato di un qualcosa (corpus) portato a termine (perfectum) grazie all’opera svolta (ex opere facto)1. Si veda D.50,16,5,1 (Paul. 2 ad ed.): Opere locato conduco, his verbis significari Labeo ait id opus quod Graeci ἀποτέλεσμα vocant non ἔργον id est ex opere facto corpus aliquod perfectum2.

Che anche Labeone facesse uso di termini greci per chiarire il suo pensiero non fa certo meraviglia, considerando altre testimonianze, fra cui quella famosa di D.50,16,19, in cui compare per la prima volta un termine greco che avrebbe avuto un notevole sviluppo nella dogmatica giudica fino ai nostri tempi e cioè sunállagma.3 Di quest’ultimo termine in dottrina si è 1  Avverto che per le parole greche nell’ambito del discorso mi è parso sufficiente traslitterarle con accento tonico solo quando esso possa apparire utile, specie per la prima volta, mentre ho naturalmente lasciato i caratteri greci quando si tratta di citazione di testi. 2  Se anche gli studiosi che si sono occupati più o meno espressamente di questo testo non sono pochi – fra essi, in particolare, Amirante a più riprese [in BIDR 62 (1959), 78 s., e poi in Labeo 13 (1967) 56], nonché Thomas, in polemica con Amirante [cfr.RIDA 18 (1971) 674], quelli che si sono interessati dei termini greci utilizzati da Labeone sono invece pochissimi, e cioè il Biscardi nel lavoro citato poco più avanti alla nt.  5 e su cui è imperniato il mio discorso, nonché prima di lui il Wubbe, Opus selon la définition de Labéon, in TR 50 (1982), 241–251, al quale avremo modo di fare qualche richiamo nelle note successive. 3  Altri termini greci appaiono citati da Labeone in diversi frammenti del Digesto (ricordati da Wubbe, Opus, cit.,243 nt.  4), anche se di essi sono solo tre quelli appartenenti alla sfera giuridica, come hubris a proposito del concetto di iniuria in Coll.2,51, katoché per possessio in D.41,2,1 pr., adúnatos per condicio impossibilis in D.28.7.20 pr. (su questi passi io stesso avevo avuto modo di soffermarmi breve-

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moltissimo discusso anche di recente4, ma qui basterà dire che, in qualsiasi modo esso debba interpretarsi, in effetti il suo impiego ricorre abbastanza frequentemente in testi greci relativi alla materia dei contratti, mentre per il termine apotelesma anche il Biscardi, che se ne era espressamente occupato in un articolo del 1989, non aveva potuto far riferimento ad alcuna fonte che implicasse problematiche giuridiche5. Non per niente egli, a proposito di D.50,16,5,1 aveva parlato di un semplice confronto fra «due vocaboli della lingua greca»6. C’è di più. Sempre il Biscardi aveva concluso la sua ricerca ritenendo di dover escludere (non senza rincrescimento) la possibilità che si era proposto di verificare circa la configurabilità in diritto greco di qualcosa di simile alla locatio operis dei Romani. A me, invece, ma non sono il solo, è sembrato che si potesse innanzitutto parlare di appalto per certe epigrafi relative ai lavori pubblici di Atene e non solo di Atene7, e in secondo luogo che non fosse difficile riconoscere mente in Terminologia greca nei testi dei giuristi romani, in Scientia iuris e linguaggio nel sistema giuridico romano, Milano 2001,137–154). 4  Da ultimo si veda E. Stolfi, Introduzione allo studio dei diritti greci, Torino 2006, 160ss, con ampi richiami bibliografici a p.  236 ss. 5  Cfr. A. Biscardi, Quod Graeci apotelesma vocant, in Labeo, 35 (1989), 163–171. Anche Wubbe – la cui interpretazione di D.50,16,5,1 mi parrebbe in ogni caso difficilmente condivisibile, volendo egli (contro la communis opinio da lui stesso ricordata a p. 244 nt. 14), intendere la finale «id est – perfectum» come illustrazione del termine ergon anziché apotelesma – ha potuto richiamare solo delle testimonianze (a p. 245) tutte quante estranee al campo giuridico, per ricavarne poi che apotelesma sarebbe stato un concetto ‹più ristretto di ergon, più semplice e soprattutto più astratto› (e ciò sebbene fra le poche fonti citata ci sia anche Filone Aless. Contempl., 5, in cui apotelesma appare anche al Wubbe come ‹concetto concreto› con riferimento al sole, la luna e gli altri astri, quali prodotti degli elementi terra, aria etc.: apotelesma ton stoicheion). 6  Cfr. Quod Graeci cit., 170: «Labeone prende a prestito due vocaboli della lingua greca ἔργον e ἀποτέλεσμα messi a confronto l’uno con l’altro ...» (il seguito del discorso alla successiva nt.  13). 7  Cfr. R. Martini, Lavori pubblici e appalto nella Grecia antica, in I rapporti contrattuali con la Pubblica Amministrazione nell’esperienza storico-giuridica, Atti del Convegno Torino 17–19 ottobre 1994, Napoli 1997, 35–53, dove accanto all’assegnazione di lavori all’asta a titolari di vere e proprie imprese (ergonai o ergonesai), si accenna altresì, sempre per i lavori pubblici, a rapporti instaurati con semplici artigiani, come ad es. a p.  44: «Anche se da parte di qualcuno si usa parlare di ‹piccoli imprenditori›, in realtà questi misthotai – come era stato affermato già alla fine dell’800 – sono essenzialmente degli artigiani, a ciascuno dei quali viene affidato un certo lavoro che può consistere nello squadrare dei blocchi di marmo o nello scannellare delle colonne o nel murare qualche migliaio di mattoni, così come già nelle epigrafi dell’Eretteo, dove risultavano affidati anche altri compiti più tecnici, come lo scolpire determinate figure dei fregi o dipingere delle pareti».



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un tipico ‹Werkvertrag› (in contrapposto al ‹Dienstvertrag›) in qualche passaggio di Demostene (per la Corona 122) e di Senofonte (Mem.III,1,2)8, e soprattutto in diversi paragrafi delle Leggi di Platone, dove se ne detta una minuta regolamentazione giuridica9. Tale regolamentazione – come avevo già notato – potrà anche essere da attribuire in maggiore o minore misura alla fantasia creativa dello stesso Platone, dato il carattere dell’opera dove la troviamo illustrata, ma non può essere messa in dubbio la realtà sottostante, da lui implicitamente richiamata, dei contratti con gli artigiani (demiurgói), i quali – come si legge – avrebbero provveduto verso un corrispettivo che si qualifica mercede (misthós) a realizzare svariati lavori (erga) oltreché a produrre strumenti ed arnesi (órgana)10. Il bello (o meglio il brutto) è però che in tutte le testimonianze, sia quelle epigrafiche che le altre, si parla a tutte lettere sempre e solo di ergon per riferirsi all’oggetto del contratto, utilizzando inoltre dei composti con tale sostantivo per indicare tanto il committente quanto l’assuntore del lavoro11. Stando così le cose sembrerebbe dunque che, nonostante tutto, avesse ragione il Biscardi nel ritenere – come già anticipato – che Labeone si fosse limitato ad un confronto «fra parole della lingua greca», compiendo pertanto una mera operazione linguistica senza alcun riferimento a concetti giuridici greci. 2.  Nel mio studio sul contratto d’opera già richiamato io avevo tuttavia avuto modo di fare a proposito di D.50,16,5,1 due piccole notazioni incidentali, sulla quali, a circa quindici anni di distanza, potrebbe essere utile ritornare, per verificarne il fondamento e chiarirne meglio il significato e la portata. Cominciamo dalla prima, brevissima, a proposito del fatto che nelle fonti greche – come ripetuto anche poco fa – si parlava solo di ergon. A questo riguardo avevo infatti aggiunto fra parentesi «e non di apotelesma, come vorrebbe far credere Labeone»12. Il che, oggi come oggi, mi parrebbe ine8  Anche se si tratta di considerazioni del tutto incidentali, facendosi un paragone con chi avesse affidato la realizzazione di statue in base a un contratto e poi si fosse trovato a riceverle (komizomenos) sfornite delle caratteristiche convenute (nel testo di Demostene) o, viceversa, avesse accettato l’incarico (in quello di Senofonte) di realizzare lui delle statue, senza esserne tecnicamente capace, nei quali casi sono effettivamente adoperate espressioni caratteristiche per riferirsi a quello che noi chiameremmo il locatore (ekdedokós) e soprattutto al conduttore (ergolabón). 9  Cfr. R. Martini, Sul contratto d’opera nella Atene classica, in Symposion 1995, Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte (Korfu, 1–5 September 1995), Köln-Weimar- Wien 1997, 49–55. 10  Cfr. ancora Sul contratto d’opera, cit, 50. 11  Come già esemplificato per quanto attiene il conduttore alla precedente nt.  8. 12  Sul contratto d’opera, cit., 51.

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satto e da correggere, almeno con la sostituzione del verbo «vorrebbe», allusivo ad una effettiva intenzione di Labeone, con il verbo «potrebbe» relativo ad una possibilità obiettiva di interpretare così il discorso labeoniano, della qual cosa non mi sembrerebbe potersi dubitare. La seconda notazione più importante era stata fatta a piè di pagina in stretta connessione alla prima (cfr. nt.  13). Avevo infatti soggiunto che Labeone «tuttavia non aveva forse tutti i torti» parlando appunto di apotelesma, se si considera l’uso del verbo apotelein fatto da Platone in diversi passaggi, a proposito del contratto degli artigiani. In un’ ulteriore nota sempre a piè di pagina (nt. 17) avevo del resto riferito testualmente uno di quei passaggi platonici in cui, a proposito dell’inadempimento da parte dell’artigiano, lo si configurava riferendosi esplicitamente al caso che costui non avesse portato a termine il lavoro nel tempo stabilito (921a: ἂν δἡ τις δημιουργω ν εἰς χρόνον εἰρημένον ἔργον μὴ ἀποτελέση). E a proposto di questo discorso si potrebbe aggiungere forse qualche altra considerazione. 3.  Ritornando al Biscardi si dovrà mettere in luce come egli avesse fatto un utilissimo richiamo ai Basilici e più specificamente alla summa di D.50,16,5,1 in B. 2,2,5,1, e ad uno scolio al riguardo citato da Scheltema. La summa è la seguente: Ἐν τῃ του ἔργον μιστώσει τὸ ἀποτέλεσμα θεωρειται.

Mentre nello scolio si legge: Φησὶν ὁ νόμος ὅτι κἂν τοσούτου ποσου τὸ ἕργον ποιήσῃ ὁ ἐργολάβος οὔπω δὲ πληρώσας αὐτό, οὐ δοκει τι ποιησαι. ἐν γὰρ τῆ της ἐργουπληρώσεως μισθώσει τὸ ἀποτέλεσμα θεωρειται.

Per quanto riguarda la summa è già molto significativo che il discorso di Labeone – circa il fatto che quando si parla di locatio operis il termine opus sarebbe stato equivalente a quello greco apotelesma e non a ergon, intendendosi per apotelesma un corpus realizzato grazie al lavoro svolto – sia stato sintetizzato parlandosi di locazione (o meglio, per dirla con Biscardi, di ‹messa a mercede›) direttamente del lavoro (místhosis tou ergou), per la quale quello che conta, quello a cui si deve guardare è l’apotelesma. Andrà sottolineato che, mentre nel sintagma latino ‹opere locato conducto› il termine opus è oggettivamente ambiguo e viene appunto spiegato da Labeone con riferimento al greco apotelesma in contrapposizione a ergon, usando invece il greco, si fa tranquillamente riferimento al lavoro come oggetto della locazione (mistosis tou ergou), pur mettendo chiaramente in



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luce, come già detto, che in questo contratto quello che conta è il compimento del lavoro stesso13. Circa lo scolio poi è interessante constatare come tutto il discorso alquanto più articolato ruoti sempre intorno al concetto chiave della necessità che l’opera venga portata a termine dall’assuntore, dichiarandosi espressamente che è come se costui non avesse fatto nulla, se non conclude l’opera intrapresa, quand’anche si trattasse di un lavoro di notevole importanza, ed arrivando perfino a parlare non tanto di locazione di un lavoro, come nella summa, ma di ‹locazione del compimento di un lavoro›, che è un’ardita costruzione concettuale fatta sulla base del discorso labeoniano e realizzata con riferimento al verbo locare inteso in senso traslato ma non troppo, mediante altresì un efficace impiego del verbo pleroō e del sostantivo plerōsis (completare e completamento) come chiari sinonimi di apotelein e apotelesma. Non è difficile accorgersi dunque come da parte degli interpreti bizantini la citazione del termine greco apotelesma, fatta da Labeone almeno apparentemente in chiave meramente terminologica, parlando di locatio operis, fosse stata riutilizzata in chiave sostanziale, per riferirsi ad una caratteristica essenziale di questo contratto. Di fronte, però, a questa rielaborazione cui si è felicemente prestato in epoca più tarda il discorso di Labeone, si potrebbe supporre che il medesimo fosse stato generato da un’operazione uguale e contraria, essendo ben potuto nascere dalla lettura di testimonianze, come quella di Platone, in cui a proposito dell’inadempimento da parte dell’assuntore di un contratto d’opera si affermava, con impiego del verbo apotelein, che ciò si sarebbe verificato qualora l’opera stessa non fosse stata portata a termine nel tempo stabilito. 4.  Se le cose stanno così, mi parrebbe possibile concludere nel senso che Labeone non avesse fatto dunque una mera considerazione linguistica con un semplice confronto fra «due parole della lingua greca», come pensava il mio maestro Biscardi, dal quale in questo momento e su questo punto do13  Come del resto appariva messo in luce già dal Biscardi in riferimento direttamente al testo di D.50.16.5,1, considerando il discorso che si era iniziato a riferire alla nt.  4: «Labeone prende a prestito due vocaboli della lingua greca ἔργον e ἀποτέλεσμα messi a confronto l’uno con l’altro; l’opus locatum conductum è un quid novi rispetto all’ opus in quanto tale. Di guisa che il conductor non avrà adempiuto alla propria obbligazione fino a quando la casa da costruire (villa od insula aedificanda), la statua da scolpire, gli anelli o i vasi da lavorare o il trasporto della merce affidatagli (merx vehenda) non saranno un’opera interamente eseguita secondo le condizioni pattuite, tanto è vero che è soltanto il collaudo (probatio, adprobatio operis) che trasferisce il risultato dal conduttore al locatore».

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vrei dissentire (mentre altre volte specie negli ultimi tempi sono intervenuto a difendere decisamente le sue tesi14). Si potrebbe credere, al contrario, che anche qui il grande giurista classico avesse avuto presente la configurazione giuridica greca di una misthosis avente si ad oggetto un ergon ma in cui quel che rilevava, come scriveva Platone, sarebbe stato il portare a termine l’opera, l’ apotelein, il che corrisponde del resto perfettamente al perficere dello stesso Labeone (corpus aliquod perfectum), ben interpretato dagli scoliasti del tempo di Giustiniano parlando di pleroō e di plerōsis. E tutto ciò, mentre mi conforta per aver notato tempo fa – come già detto – ancorché in maniera veloce e un po’ impressionistica, che Labeone non avrebbe avuto forse tutti i torti a parlare di apotelesma di fronte all’ uso di apotelein in testimonianze platoniche, mi consente di aggiungere, per quanto riguarda la tematica della locatio nel mondo romano, che forse avevo visto giusto anche molto più tempo prima, quando sempre da D.50,16.5.1 avevo ricavato l’impressione che il termine locare avesse «subito una profonda evoluzione, astraendosi al punto da potersi considerare oggetto di esso che originariamente vuole soltanto significare collocare, porre, nientemeno che il risultato della attività di trasformazione o manipolazione da parte del conduttore», come si legge appunto a tutte lettere nello scolio sopra riferito. Solo che allora non avevo saputo cogliere in questo una posizione del tutto indipendente e autonoma di Labeone nei confronti degli altri giuristi, che continuavano e avrebbero continuato a discutere – come ci attestano Pomponio che si rifaceva a Sabino in D.18,1,20 e Gaio 3,147 che citava i plerique e rispetto ad essi la tesi singolare di Cassio Longino – se si potesse avere locazione di un opus, ubi corpus ipsum non detur ab eo cui id fieret15.

14  Addirittura contro Talamanca, parlando appunto Di un preteso aspetto trascurato dal Biscardi, in Labeo 48 (2002), 259–263 e nei confronti della Cursi, ritornando Sull’espediente processuale della fictio civitatis, in Studi Nicosia, V, Milano 2007, 225–237. 15  Cfr. Martini, «Mercennarius». Contributo allo studio dei rapporti di lavoro in diritto romano, Milano 1958, 19 s.

A proposito di limiti e responsabilità nell’attività del magistrato giusdicente nella tarda repubblica, tra il cd. editto di ritorsione e l’abrogatio iurisdictionis* Di Carla Masi Doria Tràdito nel titolo 2.2 dei Digesta giustinianei sotto la rubrica quod quis­ que iuris in alterum statuerit, ut ipse eodem iure utatur, il cd. «editto di ritorsione», che pure di tanto in tanto ha suscitato qualche interesse, non ha ricevuto dalla storiografia l’attenzione che probabilmente merita. Basti pensare, per fare solo un esempio, che mi sembra indicativo, al fatto che, pur essendo questo editto ancora centrale nell’esposizione giustinianea della iurisdictio, nel principale ‹reference book› del diritto processuale civile romano, lo splendido manuale di Zivilprozessrecht di Max Kaser, rielaborato ed aggiornato da Karl Hackl1, non ricorre alcun riferimento che lo esamini specificamente, o in connessione con altri argomenti2. A livello di una prima informazione scientifica, resta dunque alquanto misterioso. La scarna storiografia moderna che se ne è occupata, tralasciando una serie di brevi richiami al suo contenuto, che compaiono ad esempio in tema di attività giurisdizionale pretoria e municipale, di tentativo nel reato, di teoria dell’interpretazione, di obligatio naturalis3, si limita in sostanza a due articoli pubblicati nella prima metà del Novecento, nei quali da una parte Henri Levy-Bruhl4 sosteneva di ravvisare nell’editto in questione un esempio di *  Dedico al caro Collega Detlef Liebs il testo, corredato da note essenziali, della relazione tenuta il 31 gennaio 2009 presso l’Università degli Studi di Roma Tor Vergata, nell’ambito della Tavola rotonda su «Responsabilità: precontrattuale, contrattuale, extracontrattuale, magistratuale». 1  Kaser / Hackl, Das römische Zivilprozeβrecht. 2  Nel manuale privatistico di Kaser, Das römische Privatrecht I, p. 610 nt. 11, si trova solo un brevissimo cenno con riguardo al taglione (su cui si v. infra), oltre ad un sintetico richiamo specifico di D.  2.2.3.7, Ulp. 3 ad ed., pure assai scarno, relativo all’obbligazione naturale. 3  Tra i vari cenni in letteratura, sui diversi temi si cfr., ad es., De Martino, p. 151 s., 172 ss.; Torrent, p. 103 ss.; Buti, p. 181 nt. 151; Genin, p. 266 ss.; Cornioley, p. 243 ss.; Behrends, p. 201 ss. 4  Levy-Bruhl, p. 67 ss.

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sopravvivenza della legge del taglione nel diritto romano classico, mentre dall’altra Erich Genzmer5, connettendolo alla teoria della giustizia dello stoicismo lo negava, e ad un recente breve saggio di Marié Sixto6 che, riprendendo e ampliando alcuni spunti di Rafael Domingo7, affronta l’esame di punti specifici del titolo D.  2.2, in particolare la datazione dell’editto, il peculiare riferimento al novum ius che in esso ricorreva, il momento nel quale si poteva verificare la cd. ritorsione. Il tema connette sotto il profilo generale della responsabilità del magistrato giusdicente una serie di problemi storici e giuridici particolarmente rilevanti. Penso al rapporto con la storia del più generale editto pretorio del I secolo a. C.8, dagli sconvolgimenti che risultarono dalla dittatura sillana alle tensioni emergenti nelle Verrine di Cicerone, alla promulgazione della Lex Cornelia del 67 a. C., che come è noto disponeva che il pretore dicesse diritto ex suis edictis9. Come si è detto, il principio che sottende all’editto è stato avvicinato al taglione, – con un esercizio di primitivismo tipico di una certa romanistica francofona della prima metà del Novecento – ma anche alla massima evangelica10 (e – invero – già stoica e veterotestamentaria) scolpita da Alessandro Severo (per esplicita influenza giudaico-cristiana) nel dictum «quod tibi fieri non vis, alteri ne feceris»11. Si è discusso inoltre, in linea con un ­movimento che ha coinvolto per decenni, fino alla metà del secolo appena trascorso, praticamente tutta la romanistica, delle interpolazioni contenute nei frammenti del titolo D. 2.2. Poi anche dell’eventuale natura penale dell’editto. Ciò che in questa sede più interessa è però solo una rapida presentazione del contenuto delle disposizioni pretorie e l’esame dei punti che toccano più direttamente la questione della responsabilità magistratuale. Si può partire dalla ricostruzione di Otto Lenel, sia pure su alcuni punti discussa: EP.3 tit. II § 8 (p. 58 s.). Quod iure utatur. 5  Genzmer,

quisque iuris in alterum statuerit, ut ipse eodem

p. 122 ss.; cfr. Waldstein, p. 94 ss. p. 943 ss. 7  Domingo, p. 72 ss. 8  Per tutti si v. almeno Watson, The Development, p. 105 ss.; Mantovani, p. 75 ss. 9  Da diversi punti di vista: Palazzolo, La propositio, p. 2427; Id., L’edictum «de albo corrupto», p. 601 nt. 28; Metro, p. 500 ss.; Pinna Parpaglia, passim. 10  Mt. 7.12; Lc. 6.31. 11  SHA. 51.8. Si v. Mayer-Maly, p. 47 ss. (ove a p. 51 cit. di D. 2.2.1.1); de Churruca, p. 296 ss., con ulteriori richiami alle fonti. 6  Sixto,



Limiti e responsabilità nell’attività del magistrato giusdicente

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Qui magistratum potestatemve habebit, si quid in aliquem novi iuris statuerit sive quis apud eum qui magistratum potestatemve habebit, aliquid novi iuris optinuerit, quandoque postea adversario eius postulante ipsum eodem iure uti oportebit, praeterquam si quis eorum quid contra eum fecerit, qui ipse eorum quid fecisset12. In sostanza sono previste due ipotesi, per l’individuazione delle quali si può seguire lo schema fornito da Pugliese13: «1. che un magistrato esercitante la iurisdictio abbia adottato nei riguardi di qualcuno un provvedimento non previsto dal ius civile o dall’editto; 2. che un privato abbia ottenuto da un magistrato un provvedimento della stessa specie. E dispone per entrambe le ipotesi che, trovandosi successivamente il magistrato o il privato ad essere parti di una controversia, sia adottato nei loro confronti lo stesso provvedimento». La formula leneliana è poi chiusa da un’eccezione di autodifesa dell’editto su cui si tornerà. Ovviamente il primo punto in questione è la portata del novum ius. Per ora, ancora basandoci sulla piana interpretazione di Pugliese14, si può pensare ad un provvedimento non previsto dal ius civile o dall’editto. La tradizione giurisprudenziale ora in D.  2.2, che si compone di quattro frammenti, tratti dai commentari edittali di Ulpiano, Paolo e Gaio, possiede una testualità di rilevante interesse. A partire dalla laudatio edicti ulpianea15, nella quale in modo del tutto peculiare la summa aequitas è connessa con l’indignatio iusta nel principium del primo testo per passare al binomio novum ius, che connota l’attività contestata al magistrato, e che si sostanzia, nel prosieguo del discorso ulpianeo, in un iniquum ius (sul punto tornerò tra breve). 12  Il testo edittale è ricostruito da Lenel, p. 58, basandosi sostanzialmente sul titolo 2.2 dei Digesta, che contiene passi di Ulpiano dal terzo libro ad edictum, Paolo dal terzo libro ad edictum, e Gaio dal primo ad edictum. 13  Pugliese, Il processo civile, p. 178 s. 14  Pugliese, Il processo civile, p. 178 s. 15  D.  2.2.1 (Ulp. 3 ad ed.). Hoc edictum summam habet aequitatem, et sine cuiusquam indignatione iusta: quis enim aspernabitur idem ius sibi dici, quod ipse aliis dixit vel dici effecit? 1. Qui magistratum potestatemve habebit, si quid in aliquem novi iuris statuerit, ipse quandoque adversario postulante eodem iure uti debet. Si quis apud eum, qui magistratum potestatemque habebit, aliquid novi iuris optinuerit, quandoque postea adversario eius postulante eodem iure adversus eum decernetur: scilicet ut quod ipse quis in alterius persona aequum esse credidisset, id in ipsius quoque persona valere patiatur. 2. Haec autem verba: «quod statuerit qui iurisdictioni praeest» cum effectu accipimus, non verbo tenus: et ideo si, cum vellet statuere, prohibitus sit nec effectum decretum habuit, cessat edictum. Nam statuit verbum rem perfectam significat et consummatam iniuriam, non coeptam. Et ideo si inter eos quis dixerit ius, inter quos iurisdictionem non habuit, quoniam pro nullo hoc habetur nec est ulla sententia, cessare edictum putamus: quid enim offuit conatus, cum iniuria nullum habuerit effectum?

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Al dolus ius dicentis nel secondo brano del titolo16 che qualifica in modo tecni­camente preciso la valutazione dell’attività ingiuriosa (consummata iniuria è la rappresentazione dell’effetto dell’attività del magistrato). Il dolus consisterebbe nella consapevolezza di utilizzare un diritto nuovo, non adeguato alla situazione di fatto. I passi riportati nei Digesta contengono, insomma, una serie di spunti particolarmente stimolanti nell’ottica di una ricerca sulla responsabilità del magistrato nel diritto romano. In questa sede solo rapidamente posso fare riferimento ad alcuni di essi, ripromettendomi di tornare sulla questione in modo più diffuso e approfondito. Un primo problema tocca la natura e il contenuto dell’atto magistratuale contemplato nell’editto17. Con riguardo alla tipologia, in letteratura si è dibattuto tra il riferimento ad un edictum (repentinum) e un decretum. La terminologia costante nel titolo D. 2.2 (con l’utilizzazione del verbo statuo) sembra far pensare piuttosto ad interventi decretali in aliquem, ad esempio le espressioni nel primo brano del titolo18: … adversus eum decernetur … (D.  2.2.1.1), … nec effectum decretum habuit … (D.  2.2.1.2). La definizione del contenuto sta nella qualificazione del ius prodotto attraverso questa attività magistratuale. Per due volte si rappresenta come novum ius quanto stabilito dal magistrato. È da notare che – nella letteratura giuridica – questo ritmo (prima l’aggettivo, poi il sostantivo) non è consueto19. In seguito, come si è detto, per una volta la qualificazione è iniquum ius20. In storiografia, al fine di spiegare la ritorsione, è diffusa l’equivalenza novum = iniquum da Levy-Bruhl21 in poi. Tenendo presente la forte caratterizzazione dell’aggettivo novus, -a, -um, che, in una società conservatrice come quella romana, sta ad indicare un momento di eversione delle regole date22. La perfetta corrispondenza di novum ad iniquum invero negherebbe ogni evoluzione decretale del diritto pretorio. È chiaro dunque che la connotazione del ius come iniquum spiega fattispecie particolari, rispetto alle quali è possibile pensa16  D.  2.2.2 (Paul. 3 ad ed.). Hoc edicto dolus debet ius dicentis puniri: nam si adsessoris imprudentia ius aliter dictum sit quam oportuit, non debet hoc magistratui officere, sed ipsi adsessori. 17  Da ultima Sixto, p. 950 s. 18  Così Metro, spec. p. 522 e nt. 102. 19  Ma non è precisa l’osservazione di Sixto, p. 944, che a quanto pare ne sostiene l’unicità, cfr. D.  5.3.3. (Gai. 6 ad ed. prov.) … novo iure … 20  D. 2.2.3 pr. Si quis iniquum ius adversus aliquem impetravit, eo iure utatur ita demum, si per postulationem eius hoc venerit: ceterum si ipso non postulante, non coercetur. Sed si impetravit, sive usus est iure aliquo, sive impetravit ut uteretur licet usus non sit, hoc edicto puniatur. 21  Cit. supra in nt. 4. 22  Per tutti si v. le limpide pagine di Spagnuolo Vigorita, p. 25 ss. Cfr. D’Ors, p. 228.



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re ad una «ritorsione». La descrizione di Ulpiano mette insieme la visione rea­listica del rapporto tra editto e fattispecie e un inquadramento che appare un po’ moralistico. Certo, il richiamo generale e pervasivo all’aequitas nella protheoría ulpianea pesa in un’interpretazione non positiva del novum ius, e fa pensare che in generale il novum ius dovesse essere (inteso come) iniquum. Il magistrato che dovesse subire l’applicazione di un novum ius non iniquo, non ne avrebbe infatti sofferto. D’altra parte quanto sappiamo dalla storia dell’editto ci mostra la sua forza innovativa: è proprio l’aequitas, più volte ­richiamata nelle laudationes edictorum che fa maturare un diritto proposto dal magistrato e diffusamente avvertito come corrispondente alle esigenze della società e dunque applicabile. Punto ulteriore della discussione storiografica sul tema è stato il riconoscimento dei soggetti cui la previsione edittale era dedicata. Un primo dubbio da chiarire sta nell’identificazione nei magistrati23 o negli ex magistrati24. La norma invero mi sembra riferirsi ai magistrati: gli ex magistrati che non esercitano la funzione sono sottoposti in tutto e per tutto al diritto comune. Non mi pare aver senso pensare che per loro si dovesse recuperare un diritto esercitato in casi di specie nel passato (e come lo si conosceva ancora, con quali mezzi lo si sarebbe conosciuto). Peraltro la formulazione cadere in edictum appare sempre riferita a soggetti attualmente nell’esercizio della magistratura. La terminologia sembra essere chiara. A mio avviso ci sono due punti dirimenti che giocano a favore del fatto che si tratti di magistrati nell’esercizio delle loro funzioni. In primo luogo il tenore testuale di D.  2.2.3.4 in cui si legge a proposito del filius familias magistrato e della corrispondente posizione del pater (del quale è negata la responsabilità): si filius meus in magistratu hoc edictum incidit … E nel testo gaiano, l’ultimo del titolo25, l’eccezione che tutela il magistrato che si adoperi per difendere l’editto mostra come sia proprio il magistrato ad incorrere nella «pena» dell’editto medesimo. Si è anche posta la questione se i magistrati implicati fossero i pretori, e corrispettivamente i governatori provinciali26, ovvero i magistrati municipali (almeno originariamente)27. Premesso che certamente si trattava di soggetti che esercitavano la iurisdictio, la individuazione della prima emanazione della clausola in un’operazione di controllo svolta dal praetor nei 23  Pugliese,

Il processo civile, p. 180 s. p. 165 s. nt. 222. 25  D. 2.2.4 (Gai. 1 ad ed. prov.). Illud eleganter praetor excipit: «praeterquam si quis eorum contra eum fecerit, qui ipse eorum quid fecisset»: et recte, ne scilicet vel magistratus, dum studet hoc edictum defendere, vel litigator, dum vult beneficio huius edicti uti, ipse in poenam ipsius edicti committat. 26  Pugliese, Il processo civile, p. 180. 27  Da ultima Sixto, p. 956 ss. 24  Albanese,

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confronti dei magistrati municipali, proposta soprattutto da Domingo e Sixto28 sembra limitativa e non immune da problemi. Perché proprio la giuris­ dizione pretoria (e provinciale), potenzialmente la più eversiva e pericolosa,  come dimostrano in quel torno di tempo le vicende di Verre e la lex Cornelia, sarebbe rimasta immune da questo limite? L’idea di una restrizione originaria dell’ambito di applicazione si connette con una linea cronologica che parte dalla presunta emanazione dell’editto nel 79 a. C. (sulla quale infra nel testo) e si completa nel 67, con il plebiscito corneliano, dedicato invece all’attività dei pretori giusdicenti. Il dato materiale che consentirebbe l’individuazione dei magistrati contemplati nel provvedimento edittale sta nella dizione qui iurisdictioni praeest di D.  2.2.1.2 (Ulp. 3 ad ed.), che mostrerebbe un ambiente tipicamente municipale29. Ma se ciò è vero, pure è vero che l’espressione, nel lessico dei giuristi, non esclude affatto il riferimento ai pretori giusdicenti e ai governatori provinciali, come mostrano numerose fonti30. Tra l’altro, nulla sappiamo, sul punto, a proposito della storia del nostro editto e la locuzione potrebbe ben costituire una «Verallgemeinerung» successiva rispetto al momento d’origine. Insomma, il punto è assai spinoso e – come altri relativi all’editto in questione – meritevole di ulteriore attenzione storiografica. La riduzione dello spettro dell’applicazione originaria alle realtà locali31, peraltro, si basa su un’interpretazione forse un po’ rigida su due diversi punti. Il primo è rinvenire un ostacolo insormontabile nel divieto di in ius vocare i magistrati cum imperio (e dunque, in particolare, i pretori giusdicenti). Tra i diversi testi significativi a questo proposito si veda il notissimo D.  2.4.232. Com’è evidente33, questo limite, pur assai significativo, non era 28  Domingo

p. 71 ss.; Sixto, spec. p. 956 ss. p. 957, con riferimenti. 30  Cfr. ad esempio D. 1.3.12 (Iul. 15 dig.): dizione generale; D. 2.1.10 (Ulp. 3 ad ed.): contesto provinciale; D.  2.5.2 pr. (Paul. 1 ad ed.): dizione generale, che si affianca a praetor; D. 3.1.1.2 (Ulp. 6 ad ed.): dizione ancora generale, che certamente comprende i pretori giusdicenti; D.  5.1.1 (Ulp. 2 ad ed.): idem; D.  5.1.2 pr. (Ulp. 3 ad ed.): idem. 31  Sixto, p. 956, segue così Domingo, ma anche (non esplicitamente, non so se con consapevolezza) un’interpretazione che risale ai Glossatori: si v., nell’opera di Accursio, la gl. qui magistratus ad 2.2.1, e cfr. Staszkow, p. 610 nt. 34. 32  In ius vocari non oportet neque consulem neque praefectum neque praetorem neque proconsulem neque ceteros magistratus, qui imperium habent, qui et coercere aliquem possunt et iubere in carcerem duci: nec pontificem dum sacra facit: nec eos qui propter loci religionem inde se movere non possunt: sed nec eum qui equo publico in causa publica transvehatur. Praeterea in ius vocari non debet qui uxorem ducat aut eam quae nubat: nec iudicem dum de re cognoscat: nec eum dum quis apud praetorem causam agit: neque funus ducentem familiare iustave mortuo facientem. 33  Si v. in particolare le ricerche di Licandro sulla responsabilità magistratuale. 29  Sixto,



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insormontabile34. Infatti è ampiamente attestata la possibilità che il magistrato giusdicente cum imperio si sottoponesse alla giurisdizione di un collega, come mostrano le fonti35. Ed esistevano strumenti di controllo sociopolitico per far sì che tale sottoposizione si verificasse volontariamente ovvero per costrizione da parte di un imperium maggiore. Peraltro anche nelle comunità municipali i magistrati giusdicenti durante la loro carica godevano di una certa immunità processuale36. Una questione ulteriore è quella della datazione37. Problema quanto mai rilevante, perché incide sui rapporti dell’editto con la lex Cornelia38. La storiografia pare ormai indirizzata a riconoscere l’origine dell’editto nella pretura di Cn. Octavius, sulla base dell’elogio tributatogli, a quanto pare, da Cic. ad Q. fratrem 1.1.7.2139. Sul punto è però necessaria cautela. In primo luogo perché la tradizione manoscritta del passo ciceroniano e riporta C. oltre che Cn.40, il che riconduce secondo qualcuno l’editto a Caio Ottavio pretore nel 61 a. C., cioè al padre di Ottaviano Augusto41. Poi perché la pretura di Cnaeus Octavius è databile al 79 a. C. solo sulla base del suo consolato del 7642. Inoltre, perché tale datatzione fa cadere l’esercizio della sua magistratura in un anno ancora in gran parte caratterizzato dal potere dittatoriale di Silla (e non «próximo» alla dittatura di Silla, come afferma Sixto43). Il che sembra cozzare un po’ con i suoi provvedimenti contro i Sullani homines. Infine perché nella tradizione ciceroniana – a differenza della redazione giulianeo-giustinianea – nell’editto di Ottavio il riferimento appare essere, esclusivamente a dei privati ex magistrati e non (anche) a dei magistrati nell’esercizio delle loro funzioni.

Sixto, p. 961, mostra di sapere. esempio D.  2.1.14 e 36.1.13.4 e cfr. Masi Doria, Spretum imperium,

34  Come 35  Ad

p. 307 ss. 36  Se – come pare – si può (e si deve) riferire ad essi e non ai magistratus populi Romani D.  5.1.48 (Paul. 2 resp.), testo sul quale si è soffermato il collega C. Cascione nella sua relazione al seminario citato supra in nt. *. 37  Si v. Albanese, p. 165 s. nt. 222; Mantovani, p. 79 e nt. 70; Domingo, p. 66 s. con ulteriore bibliografia, da ultima Sixto, p. 946 ss. 38  Cfr. Sixto, p. 946 ss., con ampia bibliografia nell’apparato di note. 39  … cogebantur Sullani homines, quae per vim et metum abstulerant, reddere; qui in magistratibus iniuriose decreverant, eodem ipsis privatis erat iure parendum. 40  Cfr., per tutti, le edizioni di Watt, p. 28 in app.; Shackleton Bailey, p. 26 in app. Entrambi gli editori optano per Caius. 41  Sull’identificazione dei personaggi si v. la bibliografia citata in Sixto, p. 947 ntt. 11, 12; adde: Labruna, Vim fieri veto, p. 14 s. con nt. 36; Bauman, p. 554 ss. 42  Broughton, p. 83, 92. 43  P. 148, cfr. anche Domingo, p. 68 s.

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D’altra parte una certa anelasticità interpretativa si rinviene anche nel non riconoscere pienamente la ratio dell’editto quod quisque, fortemente teso a che il novum ius di rottura della tradizione non fosse statuito dal magistrato romano giusdicente. Le modalità – poi – dell’eventuale (ma solo eventuale) effettiva operatività della norma contro i pretori (norma che costituiva – lo ricordiamo – una forte barriera, una vera e propria autolimitazione alla loro attività) sono da rintracciare, con ogni probabilità negli strumentari costituzionali che consentivano la sottoposizione ad una par potestas per l’esercizio della giurisdizione. Stava nei rapporti tra imperia e potestates la capacità di muovere l’invitus e di condurlo a sopportare la iurisdictio contro se stesso. Le tracce che si conservano nella tradizione giurisprudenziale appaiono, giuridicamente, neutre, senza mostrare attenzione alla casistica e in un contesto in cui l’editto si è cristallizzato. Ma queste dinamiche nascono e si sviluppano in età repubblicana quando i rapporti tra magistrati sono pervasi da una profonda politicità «civile», rispetto alla quale erano centrali i rapporti tra imperia e i poteri tribunizi. La controversialità costituzionale dei magistrati poteva avere effetti anche dirompenti, come si evince – ad esempio – nelle contentiones de iure publico e nei casi più volte attestati di ordini di carcerazione di magistrati cum imperio44. Il ricorso (o la minaccia di un ricorso) alla par maiorve potestas o ai tribuni della plebe poteva costituire deterrente significativo per l’inverarsi di quell’aequitas che è ratio dell’editto, sconsigliando al magistrato giusdicente di provvedere con atti che avrebbero potuto provocare una sua responsabilità politica e giuridica45. Proprio ripensando alla casistica dei rapporti tra magistrati in età repubblicana, si può provare a mettere in connessione l’«editto di ritorsione» con un caso di abrogatio iurisdictionis risalente al 77 a. C., che ho in passato analizzato sotto profili diversi46, tramandato nei facta et dicta memorabilia di Valerio Massimo, sotto la rubrica relativa ai testamenti rescissi, interessante anche per i suoi risvolti privatistici. La connessione si può rinvenire nella necessità di porre limiti ai poteri giurisdizionali pretorii: non è un caso che la datazione di questo fatto stia nella forbice cronologica che la storiografia propone per l’origine dell’editto quod quisque iuris in alterum statuerit, ut ipse eodem iure utatur. Val. Max. 7.7.6. Quid, Mamerci Aemili Lepidi consulis quam grave decretum! Genucius quidam Matris magnae Gallus a Cn. Oreste praetore urbis impetraverat ut restitui se in bona Naevi Ani iuberet, quorum possessionem secundum tabulas testamenti ab ipso acceperat. Appellatus Mamercus a 44  Cerami, spec. p. 165 ss.; Masi Doria, Spretum imperium, p. 240 ss.; Cascione, p. 161 ss. 45  Disamina dei problemi e fonti in Pugliese, Il processo civile, p. 177 ss. 46  Masi Doria, Bona libertorum, p. 84 ss.; Spretum imperium, p. 270 ss.



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Surdino, cuius libertus Genucium heredem fecerat, praetoriam iurisdictionem abrogavit, quod diceret Genucium amputatis sui ipsius sponte genitalibus corporis partibus neque virorum neque mulierum numero haberi debere. Conveniens Mamerco, conveniens principi senatus decretum, quo provisum est ne obscena Genucii praesentia inquinataque voce tribunalia magistratuum sub specie petiti iuris polluerentur. Il factum ricordato da Valerio Massimo descrive un processo svoltosi a Roma nella tarda repubblica. All’autore interessa soprattutto, forse, l’ambiguo e scandaloso carattere della vicenda. Sottolinea infatti all’inizio la gravitas, dell’intervento del console del 77 a. C., il patrizio Emilio Lepido. Poi si addentra nel caso. Nevio Anio, liberto di un tal Surdinus, aveva istituito erede Genucio, sacerdote del culto della Magna Mater47. Costui, avendo ottenuto dal pretore urbano Gneo Oreste la bonorum possessio secundum tabulas, chiedeva di entrare in possesso dei beni ereditari, verosimilmente attraverso l’interdictum quorum bonorum48. Surdino, in qualità di patrono del testatore, verosimilmente indignato per il trattamento successorio, oltrepassando la giurisdizione del pretore si rivolge direttamente al console Mamerco Emilio Lepido49. L’appellatio contra interdictum conduce, con terminologia pregnante, all’abrogatio iurisdictionis. Il console, con proprio decreto – tale da essere ricordato da Valerio Massimo nei suoi «Fatti e detti memorabili»  –, praetoriam iurisdictionem abrogavit, decidendo nettamente contro il sacerdote della Magna Mater e perciò in definitiva a favore del patrono. La ragione di questa decisione – quella, almeno, che immediatamente emerge dalla fonte – risiedeva nella menomazione fisica tipica dei «galli»50 – così erano chiamati i sacerdoti del culto di Cibele –, i quali usavano amputarsi i genitali: una simile persona non era considerata né uomo né donna, ma un essere equivoco dall’obscena praesentia e dall’inquinata vox. Per questo doveva essere escluso dai tribunali51, se Valerio Massimo, attento certo più al dato 47  Sul culto della Magna Mater sotto i profili che qui interessano si v. almeno Dalla, p. 42 ss.; Sabbatucci, p. 148 ss.; d’Ippolito, p. 29 ss., con ampio ragguaglio bibliografico a p. 65 ss. 48  A questo strumento pretorio farebbe infatti riferimento Valerio Massimo utilizzando l’espressione «restitui se in bona» secondo Savigny, p. 493 nt. u. Cfr. Lefevre, p. 103; Kunkel / Wittmann, p. 210 e nt. 385. 49  Sul console del 77 a. C. si v. Cic. de off. 2.58, cfr. Klebs, p. 564; Broughton, p. 88. 50  Fest. s. v. «Gallos» [84 L.]. Galli, qui vocantur Matris Magnae comites, dicti sunt a flumine cui nomen est Gallo; quia qui ex eo biberint, in hoc furere incipiant, ut se privent virilitatis parte …; cfr. Cumont, p. 674 ss.; Dalla, p. 43 s.; Canobbio, p. 449 ss. 51  Ancora Valerio Massimo ricorda un altro caso di rapporto tra voce e tribunale (8.3.2), è quello noto ai romanisti, di Carfania, la quale inusitatis foro latratibus

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eclatante, riesce a cogliere nella pienezza della sua giuridicità la motivazione del console Emilio. Tale esclusione equivale in sostanza alla perdita della ­capacità di agire e di conseguenza della capacità di ereditare52. Evidentemente la considerazione sociale diffusa vedeva in questa attività decretale del pretore giusdicente una sorta di iniquità, giustificata nelle fonti con una serie di riferimenti negativi in relazione alla persona, alla posizione sociale del «gallo», lo si è visto. Quindi la concessione della bonorum possessio secundum tabulas configura in tal caso un ius iniquum, oltre che novum. Non perché si desse il possesso dei beni secondo la volontà testamentaria del de cuius (il sistema era entrato ormai nello strumentario del pretore53, ed inoltre secondo il ius civile il liberto sarebbe stato teoricamente libero di preterire il patrono con il testamento54), ma perché tale volontà era indirizzata in un modo clamorosamente nuovo, eversivo dell’ordine sociale, favorendo un personaggio rispetto al quale evidentemente si poteva dubitare della capacità. Qui il adsidue tribunalia exercendo muliebris calumniae notissimum exemplum fuit; cfr. Labruna, p. 167 ss. 52  Così Voigt, p. 166 nt. 19. Per Bonfante, p. 280, si tratterebbe di un «decreto eccezionalissimo», determinato dall’orrore suscitato a Roma per l’apparizione di tali spontanee amputazioni sull’esempio dei culti orientali. Secondo Dalla, p. 205 ss., il passo non può essere addotto a dimostrazione dell’esistenza di un principio giuridico che «negasse agli evirati il diritto di succedere per testamento». Watson, The Law of Succession, p. 76, propone due ipotesi: o la possibile esistenza di un editto che negava la bonorum possessio a chi si fosse «self emasculated», oppure una decisione arbitraria del console in base ad una disapprovazione «of priestly castration». Configura l’episodio come un caso di indegnità Eck, p. 16 nt. 1; ma si v. Nardi, p. 63 nt. 4. Inquadra il testo di Val. Max. 7.7.6 in generale in un caso di ingratitudine del testatore Manning, p. 66. 53  Per tutti, Masi Doria, Bona libertorum, p. 93 ss. 54  Cfr. Gai 3.40–41. Olim itaque licebat liberto patronum suum impune testamento praeterire. Nam ita demum lex XII tabularum ad hereditatem liberti vocabat patronum, si intestatus mortuus esset libertus nullo suo herede relicto. Itaque intestato quoque mortuo liberto, si is suum heredem reliquerat, nihil in bonis eius patrono iuris erat  … 41. Qua de causa postea praetoris edicto haec iuris iniquitas emendata est. Sive enim faciat testamentum libertus, iubetur ita testari, ut patrono suo partem dimidiam bonorum suorum relinquat, et si aut nihil aut minus quam partem dimidiam reliquerit, datur patrono contra tabulas testamenti partis dimidiae bonorum possessio… Al massimo, dopo le riforme pretorie, sarebbe spettata al patrono una bonorum possessio contra tabulas dimidiae partis. Sull’introduzione di questo peculiare «Pflichtteilsrecht» del patrono anche in connessione con il brano di Valerio Massimo discusso nel testo (7.7.6), si v. Masi Doria, Bona libertorum, p. 90: «il testo non può essere addotto per dimostrare l’inesistenza della bonorum possessio contra tabulas liberti nel 77 a. C. … il patrono Surdino non aveva il minimo interesse a farne richiesta. Cercando di inficiare l’ultima volontà del testatore e sostenendo l’incapacità dell’erede istituito, non avrebbe ottenuto solo la dimidia pars, ma l’intera hereditas come erede iure civili ab intestato».



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caso viene risolto attraverso una dinamica costituzionale scatenata dall’intervento del patrono a difesa dei suoi interessi: con una abrogatio iurisdi­ ctionis del pretore da parte del console. Siamo nel 77 a. C.: il contesto storico, pur non potendo essere precisi, è come si è accennato quello dell’introduzione del cd. «editto di ritorsione». Si potrebbe immaginare dunque che sotto la vigenza dell’edictum quod quisque, il pretore che aveva emanato il decreto a favore di Genucio, in una successiva controversia, rivestendo il ruolo del patrono le cui ragioni erano state inficiate dal testamento di un liberto e dalla richiesta di un «gallo» della Magna Mater, avrebbe dovuto a sua volta subire la ritorsione. Certamente un console come Mamerco l’avrebbe costretto a subirla. E dico ciò per spiegare a me stessa la portata dell’editto, perché il decretum di attribuzione della bonorum possessio in quella determinata contingenza evidentemente non era ben accetto nella coscienza sociale e in specie nel sentimento del console suo conlega maior. Il novum ius sulla fattispecie, prodotto dal pretore con quella attribuzione, poteva appunto sembrare, per lo standard indotto dalle idee diffuse nel ceto dominante di quel tempo, iniquum. Allo stesso tempo l’aequitas suggerisce «per prima cosa la creazione di norme nuove»55. È un equilibrio precario, in cui svolge un ruolo determinante l’accettazione sociale. È questo il motivo per cui il caso di Genucio mi è parso sintomatico. Quando la riforma pretoria costruisce una soluzione integrabile nel sistema ecco la corrispondenza inversa rispetto a quella da cui si è partiti nell’analisi del nostro editto. Si verifica così la costituzione del ius ex aequo et bono, stigmatizzata nel noto passo della Rhetorica ad Herennium in cui il novum ius corrisponde alla veritas ed alla utilitas communis, cioè a criteri di valutazione sociale: 2.13.20. Ex aequo et bono ius constat quod ad veritatem et utilitatem communem videtur pertinere … Ex eo vel novum ius constitui convenit ex tempore et ex hominis dignitate. «Il riferimento alla dignitas hominis – è stato scritto56 – ci fa intendere che il novum ius non può non tenere conto delle gerarchie sociali, né essere disomogeneo rispetto al tempo in cui la norma è creata». E in tali casi – ne è testimone Ulpiano proprio a proposito della clausola in questione – «sono detti equi gli editti con cui i pretori modificarono il ius civile»57. A ben pensare si tratta di un intricato e intrigante viluppo di tradizione, equità, iniquità, innovazione58. Voci, p. 10. p. 86. 57  Così ancora Voci, p. 10, sull’editto quod quisque. Cfr. Gallo, p. 20; Waldstein, p. 94 ss. 58  Sul ruolo di tale clausola edittale nell’ambito della dialettica tra innovazione e conservazione del diritto pretorio si v. Pugliese, I pretori, p. 161. 55  Così

56  Masiello,

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Wie „geschichtlich“ ist die Historische Rechtsschule? Der römische Formularprozeß und die Forderungen zur Reform des Prozeßrechts um die Mitte des 19. Jahrhunderts Von Stephan Meder I. Einleitung Rechtsgeschichte und geltendes Recht sind im modernen Wissenschaftsund Lehrbetrieb zwei unterschiedliche, voneinander weitgehend getrennte Disziplinen. Rechtshistoriker bedienen sich anderer Methoden und verfolgen andere Erkenntnisinteressen als Juristen, die im geltenden Recht arbeiten. Gleichwohl ist nach wie vor umstritten, ob rechtshistorische Forschung nicht auch für die Privatrechtsdogmatik nützlich oder gar unentbehrlich sei. Dies bejahen vor allem die Anhänger der vor rund 200 Jahren gegründeten Historischen Rechtsschule.1 Sie suchen „jeden gegebenen Stoff bis zu seiner Wurzel zu verfolgen“, ihn „zu durchschauen, zu verjüngen und frisch zu erhalten“. Ziel ist es, „streng historisch“ die dem Recht „inwohnende Einheit“, sein „System“, seine „Prinzipien“ und seine „Wirklichkeit“ zu erkennen.2 Mit der Ausrichtung auf die Gegenwart verbindet sich die Ablehnung der bis zur Gründung der neuen Schule herrschenden „antiquarischen“, „eleganten“ oder „gelehrten“ Richtung, die geschichtliche Vorgänge nach einer äußeren Ordnung nur einfach hat „zusammenstellen“ wollen.3

1  Ob das Erscheinen von Savignys „Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ im Jahre 1814, die Errichtung der Berliner Humboldt-Universität 1810 oder Savignys Berufung an die bayerische Universität Landshut 1808 die Wende vom Natur- oder Vernunftrecht zur „Geschichtlichen Rechtswissenschaft“ bedeutet, mag hier dahinstehen. 2  Vgl. Friedrich Carl v. Savigny, Vom Beruf unsrer Zeit (Fn. 1), S. 117 f., 140; ders., Über den Zweck dieser Zeitschrift, in: Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft, Bd. 1 (1815), S. 1–17, 2 f. 3  Im Hintergrund steht die Kritik des Begriffs „Aggregat“ und dessen Ablösung durch das „System“ (dazu näher Stephan Meder, Mißverstehen und Verstehen. ­Savignys Grundlegung der juristischen Hermeneutik, 2004, S. 177–181).

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Den Versuchen einer Verbindung von Geschichte und Gegenwart ist allerdings schon früh widersprochen worden.4 Die Kritiker erblicken hier eine unzulässige Kategorienvermengung und befürchten eine durch die Bedürfnisse der Gegenwart verzerrte Wahrnehmung der Vergangenheit. So liegt es nahe, den Anhängern der älteren Historischen Schule ein im Kern „ungeschichtliches Denken“ zu attestieren.5 Hier liegt auch der Grund, warum etwa Franz Wieacker die „eigentliche Entdeckung der Rechtsgeschichte“ erst um 1880 sehen will, „als die späte Pandektenwissenschaft mit der Privatrechtskodifikation selbst die römischen Quellen zu verabschieden begann“.6 Zur Überprüfung dieser Kritik seien im Folgenden einige Stellungnahmen von Autoren aus dem Kreis der Historischen Rechtsschule zur Verbindung von vergangenem und geltendem (oder künftigem) Recht der genaueren Betrachtung unterzogen. Namentlich die romanistischen Prozessualisten haben sich hierzu eingehender geäußert, als nach dem Fund des Gaius im Jahre 1816 durch Barthold Georg Niebuhr neue Erkenntnisse über den Prozeß der klassischen Epoche gewonnen wurden. Ihr wissenschaftliches Interesse galt vor allem dem römischen Formularverfahren, das mit den Forderungen der Prozeßrechtsreformer in der Zeit um 1848 besonders gut zu harmonieren und damit als Vorbild hervorragend geeignet schien. Vorab 4  Zuerst wahrscheinlich durch Rudolf v. Jhering, der bereits in seinem wissenschaftlichen Frühwerk (1844–1852) immer wieder die Frage nach dem Verhältnis von Rechtsgeschichte und Rechtsdogmatik aufgeworfen hat. Dazu jetzt grundlegend: Christoph-Eric Mecke, Rudolf von Jhering, Anonym publizierte Frühschriften und unveröffentlichte Handschriften aus seinem Nachlaß (2010), z. B. S. 69 („das praktische Interesse erschwert sehr die ungetrübte Verfolgung des historischen Gesichtspunkts“) oder S. 70 (da die Rechtshistoriker auch praktisch-dogmatischen Zwecken dienen müssen, können sie sich „nicht mit völliger wissenschaftlicher Freiheit […] ihrer Aufgabe hingeben, die Geschichte des Rechts […] um ihrer selbst willen“ darzustellen). 5  Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Historische Rechtsschule und das Problem der Geschichtlichkeit des Rechts, in: Collegium Philosophicum. Studien Joachim Ritter zum 60. Geburtstag (1965), S. 9–36, 16. Noch schärfer ist die Kritik von Ernest Metzger, der in seiner Studie über Roman Judges, Case Law, and Principles of Procedure nicht nur von „anachronism“, sondern mit Blick auf die Romanisten der Historischen Schule sogar von „bad anachronism“ spricht (in: Law and History Review, Vol. 22, 2004, S. 243–275, 243 f.). 6  Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, 2. Auflage (1967), S. 416–430, 419 f. („tief ungeschichtlich“ der Versuch, „das römische Recht“ in den „Dienst der Dogmatik des geltenden Rechts“ zu stellen). Auch dieser Gedanke findet sich bereits beim frühen Jhering, nach dessen Auffassung „gerade die größten Verehrer des römischen Rechts […], die von der wahren Mission desselben überzeugt sind, den Tag mit Freude begrüßen“ sollten, „wo dieses Recht seine praktische Gültigkeit in allen Staaten eingebüßt haben wird“ (vgl. die Nachweise bei Christoph-Eric Mecke, Rudolf von Jhering, Fn. 4, S. 152).



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bedarf es aber noch einer kurzen Schilderung der Unzulänglichkeiten des damaligen Rechtszustands und der zu seiner Überwindung formulierten Reformansätze. Stein des Anstoßes war insbesondere der „gemeine Prozeß“, vor dessen Hintergrund die romanistischen Prozessualisten ihre Auffassungen entwickelt haben. II. Die Unzulänglichkeiten des „gemeinen Prozesses“ als Ausgangspunkt Die Wurzeln des „gemeinen Prozesses“ liegen im römisch-kanonischen Prozeßrecht des Mittelalters, im Statutarrecht der oberitalienischen Städte und in einer durch gelehrte Richter geprägten Gerichtspraxis.7 Die Gesetzgebung des Alten Reichs hat das Verfahren zum Kameralprozeß ausgebildet, der die partikularen Prozeßrechte auf zum Teil sehr unterschiedliche Weise beeinflußte. Der gemeine Prozeß ist also kein einheitliches Phänomen. Doch gibt es eine Reihe charakteristischer Merkmale, zu denen vor allem die Schriftlichkeit, Nichtöffentlichkeit, Mittelbarkeit, Parteiherrschaft sowie eine strenge Gliederung und Formalisierung einzelner Verfahrensabschnitte gehören. Im übrigen herrscht im gemeinen Prozeß die „Verhandlungsmaxime“, deren Anwendung freilich eng an das Prinzip der Schriftlichkeit gebunden ist.8 Daß sich das Verfahren überwiegend in schriftlichen Formen bewegte, kommt etwa im Satz „quod non in actis non est in mundo“ zum Ausdruck. Daraus darf aber nicht gefolgert werden, daß mündliches Vorbringen im gemeinen Prozeß generell ausgeschlossen war. Die Parömie sagt vielmehr nur, daß das Urteil nicht berücksichtigen darf, was nicht Gegenstand der Verhandlung gewesen ist. Dieser Bindung des Richters an die vorgetragenen Tatsachen entspricht der Ausschluß nicht eingeführter Fakten: Dem Richter 7  Vgl. den Überblick bei: Martin Ahrens, Prozessreform und einheitlicher Zivilprozess. Einhundert Jahre legislative Reform des deutschen Zivilverfahrens vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis zur Verabschiedung der Reichszivilprozessordnung (2007), S. 12–43. Eingehender: Susanne Lepsius, Von Zweifeln zur Überzeugung. Der Zeugenbeweis im gelehrten Recht ausgehend von der Abhandlung des Bartolus von Sassoferrato (2003); Karin Nehlsen-v. Stryk, Der römisch-kanonische Zivilprozeß in der gesellschaftlichen Realität des 13. Jh., in: FS Sten Gagnér (1991), S. 313–326; Winfried Trusen, Der Inquisitionsprozeß. Seine historischen Grundlagen und frühen Formen, in: SZ (KA) 74 (1988), S. 168–230. 8  Der Begriff „Verhandlungsmaxime“ ist erst nach der Wende zum 19. Jahrhundert aufgekommen (vgl. Nikolaus Thaddäus Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses in einer ausführlichen Erörterung seiner wichtigsten Gegenstände, Bd. I, 2. Auflage, 1804, S. 183). Speziell zur Unterscheidung zwischen „Reichskammerprozeß“ und „gemeinem Prozeß“: Robert Wyness Millar, The Formative Principles of Civil Procedure (1923), S. 6.

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war es im gemeinen Prozeß, wenn überhaupt, nur in engen Grenzen möglich, durch Fragen ungenaue, unklare, unvollständige oder widersprüchliche Ausführungen der Parteien näher aufzuklären. Neben der Nichtöffentlichkeit gehören das Übergewicht schriftlicher Formen und die Restriktionen beim Fragerecht zu den Hauptpunkten jener Einwände, welche die Prozeßrechtsreformer nach der Wende zum 19. Jahrhundert gegen das gemeinrechtliche Verfahren vorgebracht haben.9 III. Reformansätze unter dem Einfluß des französischen Rechts In Frankreich hatten Mündlichkeit und Gerichtsrede traditionell ein stärkeres Gewicht als im Alten Reich.10 So schrieb bereits die zur Beschleunigung des Verfahrens erlassene Ordonannce de Villers-Cotterêts von 1539 vor, daß die Verhandlung mündlich erfolgen und das Gericht Widersprüche durch eine Konfrontation der Aussagen überprüfen soll. Diese Aussagen wurden zwar auch schriftlich festgehalten, doch kam es für das Urteil auf den Inhalt, nicht auf die Niederschrift an. Auch in dem nach dem Zusammenbruch des Ancien régime 1806 verkündeten Code de procédure civile gehörte neben der Öffentlichkeit die Mündlichkeit zu den Grundpfeilern des Verfahrens. Eine dem gemeinrechtlichen Schriftverfahren vergleichbare Pflicht zur richterlichen Zurückhaltung im mündlichen Termin existierte nicht, so daß einem lebendigen Austausch der Argumente vor Gericht keine formalen Hindernisse im Wege standen. Nach der Auflösung des Alten Reichs (1806) gerieten die deutschen Staaten immer stärker in den Sog der französischen Herrschaft. In den Jahren der Okkupation kam es in vielen Gebieten zu einer näheren Bekanntschaft mit dem französischen Recht. Auch nach dem Zusammenbruch der napoleonischen Herrschaft blieb der Code de procédure civile in den Rheinprovin9  Auf Grund der Nichtöffentlichkeit, Schriftlichkeit und Mittelbarkeit hat die Gerichtsrede im gemeinrechtlichen Verfahren eine vergleichsweise geringe Rolle gespielt. Die neuere juristischer Rhetorik pflegt diese Merkmale als „rhetorikrepugnante“ Elemente zu kennzeichnen, soweit dadurch die Möglichkeiten jener Parteivertreter beschnitten werden, die ihre rednerischen Fähigkeiten vor Gericht zum Einsatz zu bringen suchen, vgl. Gregor Kalivoda, Juristische Rhetorik. Systematische, historische und interdisziplinäre Aspekte der forensischen Beredsamkeit, in: Kent D. Lerch, Recht verhandeln. Argumentieren, Begründen und Entscheiden im Diskurs des Rechts (2005), S. 321–342, 329. 10  Vgl. nur Martin Ahrens, Prozessreform und einheitlicher Zivilprozess (Fn. 7), S. 44–82; Mathias Schmoeckel, Benedikt Carpzov und der sächsische Prozeß, in: SZ (GA), 126 (2009), S. 1–37; Werner Schubert, Das französische Recht in Deutschland, in: SZ (GA) 94 (1977), S. 129–184, 162–169.



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zen in Geltung. Der Grund für das anhaltende rechtspolitische und wissenschaftliche Interesse am französischen Prozeßrecht lag vor allem in den Mängeln der alten gemeinrechtlichen Prozeßtradition: Der geheime und schriftliche Prozeß vor einem ständisch privilegierten oder von der Obrigkeit ernannten Richter konnte den Anforderungen an eine moderne bürgerliche Rechtsverfassung nicht genügen. Gefordert wurde nun vor allem ein öffentlich-mündliches Verfahren, das auf den Ideen der Gleichheit aller Bürger und einer von der Administration unabhängigen Rechtsprechung aufbaut. Vor diesem Hintergrund erscheint es nur folgerichtig, wenn sich die in Deutschland erhobenen Reformforderungen am Vorbild des französischen Verfahrens orientierten. Die Einflüsse französischen Rechts beschränkten sich nicht auf das Zivilrecht. In Frankreich waren noch im Revolutionsjahr von 1789 Öffentlichkeit und Mündlichkeit auch im Inquisitionsprozeß wiederhergestellt worden.11 Nur zwei Jahre später wurde das Geschworenengericht und mit ihm die Lehre von der sogenannten „intime conviction“ eingeführt, wonach letztlich die subjektive Überzeugung des Geschworenen bei der juristischen Entscheidungsfindung den Ausschlag geben soll. Schon bald wurden auch in Deutschland Forderungen nach einer Einrichtung von Schwurgerichten laut. Von juristischen Laien glaubte man, eine größere Unabhängigkeit der Meinungsbildung erwarten zu können. Dabei berief man sich auf die Lehre vom „Totaleindruck“ des Laien – eine in Deutschland vor allem in der Zeit um 1848 einflußreiche Variante der französischen Lehre von der „intime conviction“ mit durchaus eigenen Akzenten. Die Anhänger der Lehre vom „Totaleindruck“ haben im Urteil des Laien geradezu ein „Palladium der bürgerlichen Freiheit“ gesehen. Einem beamteten Richter wollten sie dagegen nicht gestatten, nach seiner „freien“ Überzeugung zu entscheiden. Begründet haben sie dies mit der Gefahr von Willkürakten und der Annahme eines fundamentalen Unterschieds zwischen der Tätigkeit des Berufsrichters und der des Geschworenen: Während der Berufsrichter durch eine reflexive Tätigkeit zu Gewißheit und Überzeugung gelange, geschehe dies bei Geschworenen durch eine rein anschauliche Tätigkeit – eben durch den „Totaleindruck“ von der mündlichen Verhandlung.

11  Weder in Frankreich noch in Deutschland ist der Inquisitionsprozeß damals öffentlich und mündlich geführt worden (vgl. Gerhard Walter, Freie Beweiswürdigung. Eine Untersuchung zu Bedeutung, Bedingungen und Grenzen der freien richterlichen Überzeugung, 1979, S. 68).

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IV. Die neue Rechtsquellenlehre der Historischen Schule und ihre Auswirkungen auf das Prozeßrecht Diese wenigen Schlaglichter mögen genügen, um den Stand der Diskussion in jener Zeit zu skizzieren, als die Historische Schule sich anschickte, in Deutschland herrschend zu werden. Den Anstoß zur Gründung dieser Schule gab bekanntlich der Kampf gegen das Naturrecht, das von der Vorstellung ausging, daß eine allgegenwärtige, über der Gesellschaft stehende Autorität ihre zur Regelung des sozialen Lebens erdachten Normen von oben her ausbreitet. Dagegen meint die Historische Schule, das Recht entstehe unabhängig von einem dominierenden Willen, gleichsam von unten herauf aus der Gesellschaft.12 Im 1814 zwischen Thibaut und Savigny geführten Kodifikationsstreit sind diese bis heute spannungsreich gebliebenen Grundpositionen erstmals in aller Schärfe aufeinander getroffen. Savigny bestreitet bekanntlich, daß alles Recht aus Gesetzen entstehe und Rechtswissenschaft lediglich den Inhalt der Gesetze zum Gegenstand habe. Das Recht friste „kein Dasein für sich“, sondern sei das „Leben der Menschen selbst, von einer besonderen Seite aus gesehen“. Es werde „nicht durch die Willkür eines Gesetzgebers“, sondern „durch innere, stillwirkende Kräfte“ der Gesellschaft erzeugt. Der naturrechtlichen Annahme, die Kodifikation sei ausschließliche Rechtsquelle, hält die Historische Schule ihre Idee von einem System der Quellenmehrheit entgegen, in welchem neben der Gesetzgebung vor allem das Gewohnheitsrecht und die Wissenschaft eine Rolle spielen.13 Savignys Freund und Schüler Moritz August von Bethmann-Hollweg (1795–1877) hat diese Ideen in der von Zeitgenossen als Programmschrift empfundenen Einleitung zu seinem „Grundriß über den gemeinen Civilprozeß“ im Jahre 1821 erstmals auf die Prozeßrechtslehre angewendet.14 12  Vgl. hierzu und zum folgenden den Überblick bei Stephan Meder, Rechtsgeschichte, 3. Auflage (2008), S. 270–296. 13  Was allerdings die Mißstände im Prozeßrecht anbelangt, so ist Savigny der Meinung, daß diesen am besten durch Gesetzgebung abzuhelfen sei, Vom Beruf unsrer Zeit (Fn. 1), S. 40, 130 f. (dort auch zu den Unzulänglichkeiten im einzelnen). 14  Moritz August von Bethmann-Hollweg, Grundriß zu Vorlesungen über den gemeinen Civilprozeß, mit einer Vorrede über die wissenschaftliche Behandlungsart desselben (1821), S. I–XXXVIII (verwendet wurde die 2. Auflage von 1825, wo die Vorrede von 1821 unverändert abgedruckt ist). Daß Bethmann-Hollweg hier „als der Erste ein sorgsam durchdachtes und mit voller Klarheit entwickeltes Programm über die historische Behandlungsart des gemeinen deutschen Prozesses aufstellte“, hat vor allem Julius Wilhelm von Planck (1817–1900), Cousin des BGB-Verfassers Gottlieb Planck (1824–1910) und Vater des Physikers und Nobelpreisträgers Max Planck (1858–1947) hervorgehoben (Über die historische Methode auf dem Gebiet des deutschen Civilprozesses, 1889, S. 12). Siehe auch den Überblick über die Lehren



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Bethmann-Hollweg kritisiert die auf Gesetzgebung fixierte Lehre der vorangegangenen Epoche und betont die Anteile von Wissenschaft und Rechtsprechung an der Rechtserzeugung.15 Johann Baptist Sartorius verdichtet 1844 dieses Programm zu einer Lehre des Gewohnheits- und Juristenrechts, wobei er dem Gerichtsgebrauch die Kraft gibt, auch Reichsgesetze aufzuheben.16 In eine ähnliche Richtung zielt die Rechtsquellenlehre, die Wilhelm Wetzell 1854 in seinem „System des ordentlichen Civilprozesses“ formulierte.17 Das Thema führt zum Vergleich mit dem römischen Recht und zur lebhaft diskutierten Frage, ob nicht auch im Wege des Formularprozesses neues Recht erzeugt wurde.18 Bethmann-Hollweg beanstandet aber nicht nur die Rechtsquellenlehre des Natur- bzw. Vernunftrechts, sondern leistet auch eine bemerkenswerte Analyse dessen, was wir heute als „demokratische Legitimation“ von Rechtsetzung bezeichnen würden.19 Er meint, die Idee der Gesetzgebung dürfe nicht auf eine Willensentscheidung des Staates reduziert werden und betont den großen Anteil, den innere und stillwirkende Kräfte des Volkes, entweder durch Laien oder ihre Repräsentanten, an der legislativen Ordnung nehmen. vom Prozeß der Historischen Schule bei Knut Wolfgang Nörr, Wissenschaft und Schrifttum zum deutschen Zivilprozeß im 19. Jahrhundert, in: Ius Commune 1983, S. 141–199 (wieder abgedruckt in: ders., Iudicium est actus trium personarum, 1993, S. 189–247). 15  Bethmann-Hollweg, Grundriß (Fn. 14), S. XIX–XXIV: Gesetzgebung spricht „entweder nur aus, was bisher schon gegolten hatte, oder sie bestimmt dies näher und modificirt es“ (S. XXI). 16  Johann Baptist Sartorius, Die Erzeugung und Bedeutung des Gewohnheitsrechtes im Civilprozesse, in: AcP 27 (1844), S. 81–103. 17  Georg Wilhelm Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses (1854), 3. Auflage (1878), S. 8 f. (Wetzell betont den Charakter von Wissenschaft als Rechtsquelle, wobei „Rechtslehrer“ und „Practiker“ auf gleicher Stufe stehen). 18  Siehe etwa D. August Wilhelm Heffter (1796–1880), System des römischen und deutschen Civil-Proceßrechts (1825), 2. Auflage (1843), S. 40; August Sigismund Schultze (1833–1918), Privatrecht und Process in ihrer Wechselbeziehung. Grundlinien einer geschichtlichen Auffassung des heutigen Civilprocessrechts. Zugleich ein Beitrag zur Lehre von den Rechtsquellen insbesondere zur Lehre vom sogenannten Gewohnheitsrecht (1883), S. 358, 588–594. Wenige Jahre später hat dann Moriz Wlassak (1854–1939) resümiert, daß es nicht an „zahlreichen gelegentlichen Bemerkungen über die freie Stellung“ fehle, „die dem Gerichtsherrn in Rom eingeräumt war. So hat man namentlich häufig den Prätor verglichen mit dem heutigen Richter. Dabei ergab sich die Formel: der moderne Richter sei den Gesetzen unterworfen, der römische Gerichtsmagistrat dagegen erhebe sich vermöge seines Imperiums über die Lex“ (Römische Processgesetze. Ein Beitrag zur Geschichte des Formularverfahrens, 1888, S. 1 f.). 19  Vgl. die Ausführungen in seiner mehr als vierzig Jahre nach Erscheinen des „Grundrisses“ (Fn. 14) publizierten Schrift „Der römische Civilprozeß“, Bd. I: Legis Actiones (1864), S. 15–18.

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Die Form des Gesetzes sei allerdings eine „abstracte und unorganische“, sie reduziere das Gesetz auf Regel und Gebot, woraus für die Juristen die Aufgabe erwachse, die unterbrochene Verbindung mit den gesellschaftlichen Kräften und dem Leben im Wege der Interpretation wiederherzustellen.20 Von diesen Überlegungen aus gelangt Bethmann-Hollweg zu der entscheidenden Frage: Wie kann „die Befähigung zur Urteilsfällung dem Gericht gesichert werden?“ Einen wichtigen Beitrag liefern hier gewiß die Juristen, doch lassen sich die Beziehungen von Fall und Norm durch Wissenschaft und Interpretation nicht vollständig determinieren. „Über das im Volksbewußtsein lebende Recht“ können „streng genommen“ nicht die Juristen, sondern „nur Glieder des Volks“, d. h. „Schöffen“ oder „Geschworne“, also Laien „vollgültiges Zeugnis abgeben“. Ihrer „Mitwirkung beim Urtheil“ bedürfe es wie „der Volksvertretung bei der Gesetzgebung“.21 Bethmann-Hollweg zieht hier eine in der Forschung bislang nicht hinreichend gewürdigte und insbesondere für Rechtstheorie und Rechtsquellenlehre durchaus folgenreiche Parallele zwischen Gerichtsverfassung und Legislative. Auf beiden Ebenen soll über eine Mitwirkung von „Volksvertretern“ sichergestellt werden, daß die Kräfte der Gesellschaft an der Rechtsbildung hinreichend beteiligt sind. Eine solche „Mitwirkung beim Urtheil“ ist auch aus dem Grund erforderlich, weil die auf legislativer Ebene idealiter vorhandene Verbindung von Recht und Gesellschaft durch die abstrakte Form des Gesetzes entkoppelt wurde.22 Mit einer schlichten syllogistischen Operation oder Subsumtion des Falles unter Normen würde der Richter Gefahr laufen, an dem „im Volksbewußtsein lebenden Recht“ vorbeizujudizieren. Die Gerichte wenden die Normen im Prozeß also nicht nur an, sondern produzieren sie auch selbst und bilden damit eine eigenständige Rechtsquelle: „Für diesen Zweig der Rechtsübung als Rechtsquelle haben wir keinen anderen Ausdruck als den nicht ganz bezeichnenden Gerichtsgebrauch (usus fori)“.23 BethmannHollweg sieht im Prozeß also nicht nur ein Element der Rechtsschöpfung und im Gerichtsgebrauch eine Rechtsquelle, sondern erörtert auch die durch diesen Befund aufgeworfene Legitimationsproblematik.

20  Bethmann-Hollweg, Der römische Civilprozeß I (Fn. 19), S. 16. Näher zu diesem Verständnis von Gesetzgebung: Stephan Meder, Gottlieb Planck und die Kunst der Gesetzgebung (2010), S. 37–48. 21  Bethmann-Hollweg, Der römische Civilprozeß I (Fn. 19), S. 17 f. 22  Vgl. dazu den Nachweis vorstehend bei Fn. 20. 23  Bethmann-Hollweg, Der römische Civilprozeß I (Fn. 19), S. 18.



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V. Das „Römische Gerichtswesen“ als Vorbild des modernen Prozesses Bethmann-Hollweg hatte bereits in seiner Einleitung von 1821 auf die besonderen Umstände der historischen Prozeßrechtsforschung hingewiesen. Das Problem sah er darin, daß im Prozeßrecht nicht in gleicher Weise wie im Zivilrecht auf Quellen des römischen Rechts zurückgegriffen werden kann.24 Allerdings hat die Entdeckung „des unverstümmelten Gaius“ 1816 durch Niebuhr dazu geführt, daß „über das Prozessrecht der klassischen Zeit ein ganz neues Licht sich verbreitete“.25 Daß der Fund neuer, „bis dahin nicht benutzter“ Quellen den entscheidenden Anstoß gab, diese „mit den bisherigen wissenschaftlichen Leistungen im Felde des bürgerlichen Verfahrens in Verbindung [zu] bringen, was ihnen schon in anderen Zweigen der Rechtswissenschaft zu Theil geworden war“, hat auch Heffter betont.26 Besondere Schubkraft dürfte dieser Anstoß noch dadurch erhalten haben, daß das Formularverfahren der klassischen Epoche den rechtspolitischen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts viel besser zu entsprechen schien als etwa der nachklassische Kognitions-, der mittelalterliche römisch-kanonische Prozeß oder das gemeinrechtliche Verfahren. 1. ‚Liberalistisches‘ versus ‚etatistisches‘ Prozeßverständnis Daß der römische Richter Laie war, mußte nicht nur auf Grund der aktuellen Forderungen zur Einführung von Geschworenengerichten, sondern auch aus rechtsquellentheoretischen Gründen auf Interesse stoßen. Außerdem war der römische Prozeß öffentlich und mündlich und der Richter frei in der Würdigung der Beweise.27 Vor allem im Beweisverfahren habe sich 24  Bethmann-Hollweg, Grundriß zu Vorlesungen über den gemeinen Civilprozeß (Fn. 14), S. II f. Siehe auch seine Versuche über einzelne Theile von der Theorie des Civilprozesses (1827), S. VI–VIII, 1 (zum Verhältnis von Quellen und System sowie der vor allem durch den Fund des Gaius veränderten Quellenlage). 25  Planck, Über die historische Methode auf dem Gebiet des deutschen Civilprozesses (Fn. 14), S. 11. 26  System des römischen und deutschen Civil-Proceßrechts (Fn. 18), S. V f. Über Heffter, der 1815 in Berlin Vorlesungen bei Savigny und Eichhorn gehört und später in Bonn, Halle und Berlin gelehrt hat, sagt Planck, er habe noch stärker als Bethmann-Hollweg die römisch-rechtlichen Grundlagen des geltenden Prozeßrechts betont (Über die historische Methode auf dem Gebiet des deutschen Civilprozesses, Fn. 14, S. 14). Auf den programmatischen Charakter dieser Aussagen ist nachstehend unter dem Stichwort „Kontinuitäten zwischen römischem und modernem Prozeßverständnis“ noch zurückzukommen (V 2). 27  Darin, daß das römische Recht kaum Regeln über den Beweis enthält, bewährt sich „der praktische Sinn der Römer von neuem“. Weil im römischen Recht

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die Verhandlung, „welche ganz in den Händen der kunstgeübten Redner lag“, zu „längeren zusammenhängenden Vorträgen“ ausgedehnt:28 „Denken wir uns alle diese Verhandlungen auf öffentlichem Markte oder in Gerichtshallen, zu welchen jeder Bürger freien Zutritt hatte, also vor den Augen und unter lebhaftem Antheile des Volks die Magistrate ihr Imperium üben und in den Gerichten der Judices die glänzendsten Talente ihre Beredsamkeit entwickeln, so gewinnen wir ein höchst anziehendes Bild des Römischen Gerichtswesens, worin unsre Vorstellung von dem vollendeten Zustande des bürgerlichen Rechts erst ihre Ergänzung findet.“29

Als Gegenbild nennt Bethmann-Hollweg das Kognitionsverfahren der späteren Kaiserzeit. Die republikanischen Formen mochten mit dem „despotischen Charakter der ganzen Verwaltung“, welche „alles in die Hände der Staatsbeamten legte“, nicht „verträglich erscheinen“: „In dem Verfahren zeigt sich dieselbe Charakterlosigkeit, die wir in dem bürgerlichen Recht dieser Zeit bemerken und bei dem Mangel bestimmter Formen ist der Willkühr des Richters viel eingeräumt. Ganz verschwunden ist jener Grundsatz des alten Rechts, daß der Magistrat in Civilsachen nicht direkt zwingend „die faktische Entscheidung fast allein von der Überzeugung des Richters“ abhängt, „ist es nicht die Obrigkeit, welche über das Faktum urtheilt, sondern ein von den Partheyen gewählter Privatrichter, während der Magistratus nur den allgemeinen Rechtssatz aufstellt. Hierdurch schien die Privatfreiheit hinreichend gesichert, und man hielt es nicht für nöthig, ja nicht für möglich, den Judex in der faktischen Beurtheilung der Sache durch Rechtsregeln einzuengen“ (BethmannHollweg, Versuche über einzelne Theile der Theorie des Civilprozesses, Fn. 24, S. 253 f.). Daß das römische Prozeßrecht den Gesichtspunkt der Freiheit des Privatrechts in idealer Weise realisiert, ist auch von anderen Autoren wiederholt betont worden, vgl. nur Heffter, System des römischen und deutschen Civil-Proceßrechts (Fn. 18), S. 7; ders., „Über die Juristische Intelligenz, ihre Bedeutung und Repräsentanten in der Rechtsverwaltung, insbesondere über das Collegial-System“, in: AcP 13 (1830), S. 48–95, 59, 66. 28  Bethmann-Hollweg, Gerichtsverfassung und Prozeß des sinkenden Römischen Reichs. Ein Beitrag zur Geschichte des Römischen Rechts bis auf Justinian (1834), S. 18. 29  Bethmann-Hollweg, Gerichtsverfassung und Prozeß (Fn. 28), S. 18 f. Im 19. Jahrhundert entwickelt sich eine in Deutschland bislang kaum vorhandene Literatur zu Rhetorik, Beredsamkeit und Gerichtsrede, wobei neben dem römischen auch der französische Prozeß als Vorbild dient. Am Anfang steht die an Kants Ästhetik anknüpfende, aus entscheidungstheoretischer Perspektive noch heute lesenswerte Schrift von D. Karl Salomo Zachariä, Anleitung zur gerichtlichen Beredsamkeit (1810); einen guten Überblick über die folgende Literatur gibt Hermann Ortloff, Die gerichtliche Redekunst (1887), S. V–X. Unzutreffend daher Fritjof Haft, der meint, die juristische Rhetorik habe im 19. Jahrhundert keinen Platz finden können, weil „der Rechtspositivismus“ in dieser Zeit „den Begriff des Positiven nicht auf das eigentlich ‚positiv‘ greifbare Anliegen des Rechts – die sozialen Konflikte –, sondern statt dessen auf die Rechtsnormen anwandte“ (Juristische Rhetorik, 8. Auflage, 2009, S. 9 f.).



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einzuschreiten, sondern nur die Handlungen der Partheien durch seinen Rechtsspruch zu autorisieren habe.“30

Dem hier kritisierten ‚etatistischen‘ Verfahren tritt das ‚liberalistische‘ Modell mit dem Postulat gegenüber, daß Parteiinteressen dem Staat fremd seien und jede Einmischung eine Gefährdung richterlicher Objektivität bedeuten könne.31 Dieses Modell begreift den Prozeß als einen Rechtskampf der Parteien, wo bestimmte Regeln oder Formen zwar zu beachten, Interventionen des Richters aber weitgehend ausgeschlossen sind. Der Richter agiert hier vor allem als ein Schiedsrichter, dessen Aktivität sich im wesentlichen darauf beschränkt, die Handlungen der Parteien zu „autorisieren“. Sein Urteil erschöpfe sich nicht in „scharfsinniger logischer Operation, der Subsumtion der festgestellten Tatsachen unter das Gesetz und der korrekten Schlußfolgerung“, wogegen „der naive Sinn, der sogenannte gesunde Menschenverstand, das natürliche Gefühl energisch reagiern“. Vom Richter werde vielmehr verlangt, sich „in die Seele“ der Parteien und das „allgemein Menschliche“ des Falles zu versetzen, das dem Laien oft besser als dem beamteten Richter zugänglich ist.32 2. Kontinuitäten zwischen römischem und modernem Prozeßverständnis Wie Bethmann-Hollweg betont auch der in Berlin, Bern und zuletzt in Bonn lehrende Pandektist Julius Baron (1834–1898) die Aktualität der römischen Gerichtsverfassung. Einen Unterschied zur modernen Rechtsordnung will er darin sehen, daß „dem Römischen Geschworneninstitut die moderne Unterscheidung der sogenannten Thatsachen- und Rechtsfragen“ noch unbekannt war und in Rom der Laie daher nicht nur über Tat-, sondern auch über Rechtsfragen zu entscheiden hatte.33 Ansonsten würden aber 30  Bethmann-Hollweg, Gerichtsverfassung und Prozeß (Fn. 28), S. 31, 33 f. Als Gegenmodell zum Verfahren im „republikanischen Rom“ wird auch der an das Kognitionsverfahren anknüpfende römisch-kanonische Prozeß mit seiner „von den Päpsten geforderten Schriftlichkeit der Verhandlungen“ und einer „höchst formellen und steifen Zergliederung des Verfahrens“ verstanden. Die „mittelalterliche ProceßTheorie“ habe „bannale Formen für jeden processualischen Schritt“ erfunden, „zerlegte den Proceß in zehn Zeiten“ und „führte dadurch Weitläufigkeiten, Verwickelungen und Chicanen in Unzahl herbei“, vgl. Heffter, System des römischen und deutschen Civil-Proceßrechts (Fn. 18), S. 410 f. 31  Einen guten Überblick über die Vorstellungen zum Prozeß im 19. Jahrhundert bietet Peter Böhm, Der Streit um die Verhandlungsmaxime, in: Ius Commune 1978, S. 136–159, 150–155. 32  Adolf Wach, Schöffen oder Geschworene, Deutsche Juristen-Zeitung 1905, S. 84–92, 85. 33  Julius Baron, Institutionen und Civilprozeß (1884), S. 354. Diesen Unterschied hatte auch schon Puchta hervorgehoben (vgl. den Nachweis unten VI bei Fn. 55).

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schon bei den Römern die meisten jener Vorteile zur Geltung kommen, auf welche sich die modernen Forderungen nach einer Mitwirkung von Laien an der Rechtspflege berufen: „Das Wesen des Geschworneninstituts besteht darin, daß die Beurtheilung von Rechtsstreitigkeiten nicht durch staatliche Beamte sondern durch Männer erfolgt, welche unmittelbar aus dem Volke hervorgehen. In dieser Einrichtung sind zwei Vortheile enthalten: 1. es werden dadurch gewisse Bürger (in der Republik die höheren Stände, in der Kaiserzeit auch die mittleren) zur Theilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten herangezogen, und zwar nicht in der Weise des bloßen Stimmgebens sondern in derjenigen einer gründlichen geistigen Thätigkeit; 2. es wird dadurch dem Recht der Charakter der Volksthümlichkeit erhalten; denn der Geschworne bringt ohne Bedenken die im Volke lebenden Rechtsideen bei seinem Urtheil zur Anwendung.“34

Diese Meinung teilt auch der Straf- und Völkerrechtler Carl Ludwig von Bar (1836–1913), der sich allerdings weniger auf das französische Prozeßverständnis als auf die „Merkwürdigkeit“ beruft, daß die „römischen Vorschriften“ mit dem englischen und nordamerikanischen Verfahren „im Großen und Ganzen“ übereinstimmen.35 Auch er betont die Notwendigkeit einer Beteiligung des Volkes am Gerichtswesen und verbindet die allgemeine Verständlichkeit des Prozesses mit dem Begriff des „Nationalen“: „National ist aber nicht der gemeinrechtliche Proceß. Wäre er es, so müßten auch andere überwundene Zustände Deutschlands, welche ihn entstehen ließen, ein nationales Gut sein. Wenn wir also zur Annahme rein römischer Vorschriften und der so merkwürdig im Großen und Ganzen damit übereinstimmenden Vorschriften des englischen und nordamerikanischen Processes uns entschließen, so zerstören wir nichts Nationales; denn national kann nur etwas in seinen Hauptzügen wenigstens allgemein Verständliches sein, und dies ist der gemeine Civilproceß, dies Geheimniß der Juristen, nicht, vor welchem alle Uneingeweihten mit dem gerechtfertigten Grauen vor fremdartigen Formeln und ungeheuerem Zeit- und Kostenaufwande sich vorsichtig zurückziehen. National kann vielmehr nur jenes freie, öffentliche, allgemein verständliche Verfahren werden, das in Rom bestand und heut zu Tage noch in England und Nordamerika gilt.“36

Wie Bethmann-Hollweg, Baron oder von Bar ist der Puchta-Schüler Georg Wilhelm Wetzell (1815–1890) ebenfalls der Auffassung, daß das Studium des römischen Rechts nicht nur dem Verständnis der Vergangenheit, sondern 34  Julius Baron, Institutionen und Civilprozeß (Fn. 33), S. 354. Siehe hierzu auch die Ausführungen von Bethmann-Hollweg vorstehend IV unter dem Stichwort „demokratische Legitimation“. 35  Carl Ludwig von Bar, Recht und Beweis im Civilprozesse. Ein Beitrag zur Kritik und Reform des deutschen Civilprozesses (1867). Eine Parallele zwischen dem Prozeß im „republikanischen Rom“ und der englischen Gerichtsbarkeit zieht auch Heffter in seiner Schrift „Über die Juristische Intelligenz“ (Fn. 27), S. 66. 36  von Bar, Recht und Beweis im Civilprozesse (Fn. 35), S. X.



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auch des geltenden Rechts zuträglich sein kann. Es erscheint daher konsequent, wenn Wetzell die Frage nach der Kontinuität „zwischen der Vergangenheit unseres nationalen Rechtslebens und dessen gegenwärtigem Zustand“ in den Blick faßt und dabei feststellt, daß „das römische Recht die Grundlage unseres Processes“ bildet, „welcher durch die späteren Quellen nur modificirt, nicht vollkommen umgestaltet worden ist.“37 Mit den „späteren Quellen“ meint Wetzell den Einfluß „deutscher Rechtselemente auf die Gestaltung der heutigen Praxis“, welchem freilich „nicht der geringste Eintrag geschehen“ soll: „Wir Romanisten sind gewiß in dieser Beziehung vollkommen unbefangen, und freuen uns der Resultate, welche ein tieferes Studium des alt-deutschen Processes geliefert hat, nicht weniger, als der Reisende eines Landsmanns, der ihm in weiter Fremde begegnet. Aber täuschen darf man sich darüber nicht, daß diese Resultate einen unmittelbaren Gewinn für die Gegenwart nicht geben.“38

Warum nur das Studium des römischen, nicht aber auch des „alt-deutschen Processes“ einen „unmittelbaren Gewinn für die Gegenwart“ bedeutet, hatte Bethmann-Hollweg bereits 1827 herausgearbeitet: Im altgermanischen Recht war die Entscheidungsfreiheit des Richters durch den Formalismus der Beweismittel sehr stark eingeengt, während bei den Römern „die faktische Entscheidung fast allein von der Überzeugung des Richters“ abhing.39 Weitere Schwierigkeiten resultieren für die Germanistik daraus, daß in der Rezeptionszeit viele Quellen, die auf deutsche Einflüsse schließen lassen, mit römischem Recht vermischt wurden. Um über die wirklichen Anteile der verschiedenen Rechtskulturen „ins Klare zu kommen, müssen wir allerdings den alt-deutschen Proceß aus seinen reinsten Quellen kennen, und zwar nicht bloß in allgemeinen Zügen, sondern gerade in dem ihn von dem römischen unterscheidenden eigenthümlichen Charakter, dürfen aber dann doch bei jenen Juristen nicht seine ursprünglichen Formen und Verbindungen erwarten, sondern deutsche Gedanken in römischen Ausdruck gekleidet, oder deutsche Regeln in neue Beziehungen gesetzt.“40 37  Wetzell,

System des ordentlichen Civilprocesses (Fn. 17), S. XIV f. System des ordentlichen Civilprocesses (Fn. 17), S. XV. 39  Bethmann-Hollweg, Versuche über einzelne Theile der Theorie des Civilprozesses (Fn. 24), S. 253. 40  Wetzell, System des ordentlichen Civilprocesses (Fn. 17), S. XV. Zu den Diskussionen, ob entweder im römischen oder germanischen Verfahren „der Grundtypus des heutigen deutschen Prozeßrechts“ zu finden sei: Planck, Über die historische Methode auf dem Gebiet des deutschen Civilprozesses (Fn. 14), S. 16–20. Eine unabhängige Position vertrat der an der „Juristenfacultät zu Leipzig“ lehrende Germanist Friedrich August N. Nietzsche (1795–1833). Er meinte, der heutige Prozeß sei weder römisch noch germanisch, sondern habe sich „der Hauptsache nach selbst entwickelt“ (zu den Einzelheiten von Nietzsches Position: Planck, a. a. O., S. 15–17). 38  Wetzell,

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3. Vom „frischen Eindruck“ des Judex zur Lehre vom „Totaleindruck des Laien“ Die Grundlage eines reformierten Verfahrens muß also auch für Wetzell der römische Prozeß bilden. Dessen Anziehungskraft rührt, wie bereits angedeutet, vor allem daher, daß hier die im gemeinen Prozeß nur schwach ausgeprägten Elemente der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit schon voll vorhanden waren. Hinzu kommen der geringe Grad an Formalisierung, die richterliche Freiheit bei der Würdigung von Beweisen und die erstaunliche Schnelligkeit des Verfahrens. All diese Merkmale hängen zusammen und bedingen einander. Sie ermöglichen es dem judex, sich einen „frischen Eindruck“ von den Umständen zu machen – und damit eine anspruchsvolle Form der Urteilsbildung, die seit den Freiheitskämpfen unter dem Stichwort vom „Totaleindruck des Laien“ in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt war: „Die gesammte Verhandlung muß auch jetzt an Einem Tage durchgeführt werden, damit bei dem Mangel schriftlicher Aufzeichnung das Urtheil unter dem frischen Eindruck des Gehörten ergehe; ist dies nicht möglich, so wird vom Geschwornen die Ampliatio ausgesprochen, und in einem neuen Termin […] die Verhandlung von Neuem begonnen, namentlich das thatsächliche Material nochmals entwickelt. Dann aber konnte der Geschworne unter dem frischen Eindruck der mündlich vor ihm abgeführten Verhandlung urteilen. Mündlichkeit und Unmittelbarkeit des Verfahrens verbanden sich schon da miteinander […] Die Unmittelbarkeit des Verfahrens wurde [in größeren Sachen] leicht durch eine alles Wesentliche von Behauptungen und Beweisen rekapitulierende Anwaltsrede gewahrt.“41

Ähnlich zieht Bethmann-Hollweg eine Linie zwischen Mündlichkeit der Gerichtsrede, Unmittelbarkeit, freier richterlicher Überzeugungsbildung und Schnelligkeit des Verfahrens: „Der Zweck dieser äußersten Zeitbeschränkung lag […] überwiegend wohl darin, daß aus der zusammenhängenden, lebendigen und im Bewußtsein zu überschauenden Entfaltung der Sache, wie sie das gedrängte Plaidoner Einer Sitzung gewährt, die wahrste Überzeugung des Richters sich bildet, weshalb ja auch unsre Geschworenengerichte annährnd denselben Grundsatz befolgen.“42 41  Baron,

Institutionen (Fn. 34), S. 425. Der römische Civilprozeß I (Fn. 19), S. 184. Wichtigstes Ziel der Forderungen nach einer Beteiligung von Laien an der Rechtspflege war, wie bereits angedeutet, die Vermeidung von Willkürakten. Dementsprechend ist immer wieder betont worden, daß gerade der römische Prozeß wirksame Vorkehrungen gegen diese Gefahr geschaffen habe – vgl. dazu auch Anton Stabel (1806–1880), Einige Blicke in die Gegenwart und Zukunft der bürgerlichen Rechtspflege Badens, 1844, S. 14 f. Davon, daß das Urteil im römischen Verfahren den romanistischen Prozessualisten der Historischen Schule Anlaß gegeben hat, nach der Überzeugungsbildung des Richters und dem Verhältnis von staatlichen und gesellschaftlichen 42  Bethmann-Hollweg,



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4. Der Streit um die „demokratische Prozeßtheorie“ Als weiteres Beispiel für die Frage nach den Verbindungen von Vergangenheit und Gegenwart oder Zukunft sei abschließend noch kurz an die Kontroverse über die sogenannte „demokratische Prozeßtheorie“ erinnert, die ebenfalls bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückführt. Den Ausgangspunkt bildet die Teilung des römischen Zivilprozesses in zwei scharf getrennte Abschnitte, und zwar die Einleitung des Verfahrens durch den Prätor und seine Durchführung einschließlich Beweisaufnahme und Urteil durch einen oder mehrere „Privatrichter“. Der Streit kreist im wesentlichen um die Frage nach den ursprünglichen Motiven und Zwecken dieser Gliederung des Verfahrens.43 Die Anhänger der „demokratischen Theorie“ nehmen an, die Zweiteilung sei zur Verwirklichung demokratischer Ideale eingeführt worden, was vor allem in der Beteiligung von Laien bei der Rechtsfindung zum Ausdruck komme. Die Verfahrensteilung diene der Bürgerfreiheit, weil der nicht an staatliche Weisungen gebundene Volksrichter unbefangener urteile als ein staatlicher Funktionär. Für die Unparteilichkeit der Rechtspflege sorge der römische Zivilprozeß auch dadurch, daß die Parteien den Richter in Form eines politisch unabhängigen Privatmanns mehr oder weniger frei haben wählen dürfen. Erst in der Kaiserzeit habe der Kognitionsprozeß mit seinem an obrigkeitliche Weisungen gebundenen Beamtenrichter den altbewährten „Privatrichter“ im Sinne eines Garanten des Volkes abgelöst. Ebenso sei die für das Formularverfahren charakteristische Zweiteilung mit der zunehmenden Intervention der Kaiser in die Rechtspflege allmählich beseitigt worden. Vor allem unter den Bedingungen des absoluten Kaisertums habe die freie Rechtsfindung der klassischen Epoche einer politisch lenkbaren und damit einer möglicherweise parteiischen „Kabinettsjustiz“ weichen müssen.44 Die Gegner dieser Lehre geben zu bedenken, daß die ältere römische Staatsauffassung von demokratischen Idealen weit entfernt gewesen sei. Solche Ideale können daher nicht der wahre Grund für die Einführung der Zweiteilung des Verfahrens gewesen sein, zumal die Richter ursprünglich gar nicht aus den Reihen des Volkes, sondern aus der Nobilität und damit Anteilen an der Rechtsprechung zu fragen, zeugen auch die Ausführungen von Heffter, Über die Juristische Intelligenz (Fn. 27), S. 48–95, z. B. S. 53. 43  Vgl. den Überblick über die verschiedenen Auffassungen bei Franz Wieacker, Römische Rechtsgeschichte, Erster Abschnitt (1988), § 22 I (S. 432–435); Max Kaser, Karl Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2. Auflage (1996), § 6 I (S. 44–48). 44  Die „demokratische Theorie“ wird allgemein auf Rudolf von Jhering zurückgeführt. Als prominente Vertreter gelten vor allem Theodor Mommsen, Moriz Wlassak oder Leopold Wenger (vgl. die Nachweise bei Kaser / Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, Fn. 43, S. 48; Wieacker, Römische Rechtsgeschichte I, Fn. 43, S. 434).

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aus jener sozialen Schicht hervorgegangen seien, der auch die politische Führung übertragen war. Erst in späterer Zeit sei der Zweiteilung „ein demokratisches Motiv unterlegt“ worden.45 Für die Frage nach den ursprünglichen Gründen und Motiven der Zweiteilung lasse sich daraus aber nichts ableiten. Auf Einzelheiten dieser Kontroverse braucht nicht näher eingegangen zu werden. Hier interessiert nur der Haupteinwand, auf den die Gegner der „demokratischen Prozeßtheorie“ sich stützen. Sie meinen, daß diese „Theorie“ das römische Verfahren aus der Perspektive des modernen Prozesses betrachtet, ihren Anhängern also eine durch die Interessen der Gegenwart bestimmte Wahrnehmung der Vergangenheit und damit „Ungeschichtlichkeit“ vorzuwerfen sei. So heißt es etwa bei Franz Wieacker: „Theodor Mommsen sah in der Beteiligung amtloser Bürger am Gericht eine demokratische Rechtsschutzgarantie gegen die Willkür der Oberämter, welche die Plebejer der römischen Oligarchie abgenötigt hätten; bedeutende Prozeßhistoriker […] waren geneigt, ihm hierin zu folgen. Gewiß war hier bei Mommsen ein gesunder Sinn für die Vorteile einer genossenschaftlichen Rechtspflege unter freien Bürgern und für die Schwächen jedes beamteten Richtertums mit im Spiel; doch ist heute leicht einzusehen, daß hier auch der alte Achtundvierziger sprach, der im Geschworenengericht das echte Volksgericht sah.“46

VI. Ungeschichtlichkeit der Historischen Schule? Nach dem Fund des Gaius standen die romanistischen Prozessualisten vor der „Merkwürdigkeit“, daß der römische Formularprozeß mit den Forderungen der Reformer „im Großen und Ganzen“ übereinstimmte.47 Gemeinsamkeiten zwischen Vergangenheit und Zukunft erblickten sie nicht nur darin, 45  Vor allem durch Cicero (vgl. die Nachweise bei Kaser / Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, Fn. 43, S. 48), der vielleicht nur aus einer Not (Mangel an Beamten, Entlastung der Prätoren) eine Tugend (Selbstvergewisserung der Demokratie) machen und gar nicht zeigen wollte, „wie es eigentlich gewesen ist“ (vgl. unten VI bei Fn. 48). 46  Franz Wieacker, Vom Römischen Recht, 2. Auflage (1961), S. 95. Auf ein ähnliches Argument beruft sich Kaser im Zusammenhang mit der Frage, ob dem Prätor die Einsetzung eines Privatrichters durch Gesetz (lex Aebutia) vorgeschrieben worden sei: Hier handele es sich um einen Gedanken, „der nicht vom römischen Verfassungsdenken, sondern von modernen gesetzesstaatlichen Vorstellungen bestimmt wird“ (Max Kaser, Prätor und Judex im römischen Zivilprozess, in: TRG 32 [1964], S. 329–362, 333). Diese Feststellung hat programmatischen Charakter: In seiner umfassenden Darstellung des römischen Prozesses sucht Kaser „der römischen Wirklichkeit näher“ zu kommen, als es die „lange Zeit herrschende ‚privatistische‘ Theorie“ vermocht hätte (so schon im Vorwort zur 1. Auflage seines „Römischen Zivilprozeßrechts“, 1966, S. V). 47  Vgl. die Formulierungen bei Carl Ludwig von Bar vorstehend V II (Note 35).



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daß im römischen Formularprozeß die im gemeinen Recht nur schwach ausgebildeten Elemente der Mündlichkeit, Rhetorik und Unmittelbarkeit schon voll vorhanden waren, sondern auch im geringen Grad an Formalisierung, in der Freiheit des Richters bei der Würdigung der Beweise, der Öffentlichkeit und erstaunlichen Schnelligkeit des Verfahrens. In allen diesen Merkmalen sahen sie die Voraussetzung für eine anspruchsvolle Form der Urteilsbildung, wobei der Umstand, daß der Richter „Laie“ war, besondere Anziehungskraft ausübte. Damit stellt sich die Frage, ob die „modernen“ Elemente des antiken Verfahrens nicht einfach nur die Ideale jener Autoren widerspiegeln, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts ihr eigenes Justizwesen zu reformieren suchen. Daß Historiker unparteiisch über die Vergangenheit berichten wollen, ist ein klassischer und nach wie vor weit verbreiteter Topos. Erinnert sei hier nur an die berühmte Aussage von Leopold von Ranke (1795–1886) aus dem Jahre 1824, er wolle „bloß zeigen, wie es eigentlich gewesen ist.“48 Andererseits würde heute kaum noch jemand bezweifeln, daß Historiker Kinder ihrer Zeit sind und Geschichte an den Standort des Betrachters gebunden ist. Der Glaube, daß Geschichte außerhalb jeder Kontinuität mit der Gegenwart stehe und die Vergangenheit einfach abbilden oder reproduzieren könne, wäre naiver Realismus. Zwar ist es anachronistisch, unsere Werte auf fremde Zeiten anzuwenden und Vergangenheit daran zu messen. Ein gewisser Anachronismus wird sich aber nicht vermeiden lassen, weil eine standortfreie Betrachtung vergangener Ereignisse nicht nur unmöglich, sondern auch gar nicht erstrebenswert ist. Einer der Hauptgründe für die Unvermeidlichkeit des Anachronismus liegt in der Unvollständigkeit der Überlieferung. Unvollständig sind vor allem unsere Kenntnisse über das römische Prozeßrecht, die sich auch nach dem Fund des Gaius nur auf wenige Quellen, Überreste oder Fragmente stützen können. Der Streit über die „demokratische Theorie“ gibt ein gutes Beispiel für die Probleme, die mit einem Hineintragen eigener Vorstellungen in die Vergangenheit verbunden sein können: Existierte in der ältesten Zeit einmal ein einheitliches Verfahren? Was waren die ursprünglichen Motive für die Einführung der Zweiteilung? Derartige Fragen führen zurück in die Anfänge der alt­ römischen Periode und damit in einen quellenlosen Raum, wo sichere Antworten so gut wie ausgeschlossen sind. Den Gegnern der demokratischen 48  Vgl. hierzu und zum folgenden: Hendrik Richard Hoetink, Über anachronistische Begriffsbildung in der Rechtsgeschichte, SZ (72) RA (1955), S. 39–53 = Les Notions Anachroniques dans l’ Historiographie du Droit, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 23 (1955), S. 1–20. Thomas Nipperdey, Neugier, Skepsis und Erbe. Vom Nutzen und Nachteil der Geschichte für das Leben, in: ders., Nachdenken über die deutsche Geschichte, 2. Auflage (1991), S. 7–23; ders., Kann Geschichte objektiv sein? In: Nachdenken über die deutsche Geschichte, a. a. O., S. 264–283.

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Lehre ist darin zuzustimmen, daß wir über die Gründe der Zweiteilung kaum etwas wissen und ihre Einführung aus demokratischen Motiven höchst unwahrscheinlich ist. Davon zu unterscheiden wäre die Frage, ob es nicht gerechtfertigt ist, vom Standort des Reformjuristen aus hervorzuheben, daß Zweiteilung und Formularverfahren, unabhängig von ihrer Entstehung, mit demokratischen Idealen besonders gut harmonieren. Daß die romanistischen Prozeßhistoriker eigene Vorstellungen auf den römischen Formularprozeß anwenden, wenn sie dessen Vorzüge gegenüber dem gemeinen Prozeß loben, ist für sich genommen nicht verwerflich, zumal auch heute noch die Ansicht vorherrscht, daß Mündlichkeit, Öffentlichkeit oder Unparteilichkeit zu den Merkmalen des antiken Verfahrens gehören. Gewiß wäre es unzulässig, den Römern moderne Beweggründe oder Bewußtseinszustände zuzuschreiben, ihnen etwa zu unterstellen, sie wären für Mündlichkeit oder Öffentlichkeit in der Weise eingetreten, wie die Reformjuristen im 19. Jahrhundert gegen das schriftliche und geheime Verfahren kämpfen. Derartige Behauptungen wären als vitiöser Zirkel – oder wie Hoetink sagen würde – als unzulässige „kausal-psychologische Erklärung“ zu qualifizieren.49 Denn Mündlichkeit kann in solchen frühen, weitgehend oral geprägten Rechtskulturen ebenso wenig als Produkt bewußter Entscheidung betrachtet werden wie etwa die Öffentlichkeit, Unmittelbarkeit oder kurze Dauer des Verfahrens.50 Allerdings ist derartiges, soweit ersichtlich, von den romanistischen Prozessualisten auch nicht behauptet worden.51 49  Hendrik Richard Hoetink, Über anachronistische Begriffsbildung (Fn. 48), S. 39, 46, 48, 50. 50  Diese Zusammenhänge sind zum Teil auch in der zeitgenössischen Literatur schon erkannt worden, vgl. etwa F. G. Leue, Ideen zu einer Gerichts- und Prozeßordnung für Deutschland (1861), S. 71–80, 72 („Mühseligkeit des Schreibens“ und „Schwerfälligkeit des Prozeßganges“). Adolf Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozesses (1885), S. 129–133, 132 (Ausschluß der „unmittelbaren Wahrnehmung des Streit- und Beweismaterials“ durch die Schrift). Die moderne Oralitätsforschung wirft ein neues Licht auf die Zusammenhänge von Mündlichkeit, Öffentlichkeit, Unmittelbarkeit und Dauer des Verfahrens. Zu den Merkmalen von Oralität gehören etwa die Präsenz der Beteiligten und ein operativer Bezugsrahmen, der wenig abstrakt und situativ ist, „Unmittelbarkeit“ also gewährleisten kann. Vor allem aber stellt sich für orale Kulturen die Frage des Gedächtnisses oder wie sie erinnern, anders als unter Bedingungen der Literalität. Ohne eine Niederschrift des Verhandelten ist ein Zerreißen des Prozesses in mehrere, zeitlich weit auseinanderliegende Verhandlungen eher unwahrscheinlich. Wo eine schriftliche Aufzeichnung nicht oder nur selten vorkommt, erinnern Gesellschaften vor allem mit Hilfe von Ritualen und Wiederholung. Es würde daher kaum überraschen, wenn der römische Prozeß an einem Tag durchgeführt und, falls dies nicht möglich war, „das thatsächliche Material in einem neuen Termin nochmals entwickelt“ werden müßte (vgl. die Formulierungen von Julius Baron, Fn. 41; zur Frage, ob die Ein-Tages-Regel überhaupt existiert hat: Ernest Metzger, Fn. 5, S. 265–270). Das modern anmutende „Bedürfnis“ nach rascher Entscheidung oder „Unmittelbarkeit“ folgt also vor allem aus der



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Nach wie vor sind viele Fragen umstritten, welche die romanistischen Prozeßhistoriker schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts aufgeworfen haben. So wird noch heute darüber diskutiert, ob die Römer das Urteil als Mittel zur Rechtsfindung anerkannt haben,52 inwieweit Richter (und Rhetoren) auch Rechtsfragen erörtert haben53 oder unter welchen Voraussetzungen der „iudex privatus“ für die Folgen eines ungerechten Urteils einstehen mußte.54 Eine Berücksichtigung der modernen Oralitätsforschung würde – trotz Mündlichkeit, Rhetorik, Unmittelbarkeit oder Schnelligkeit des Formularverfahrens – gewiß eine größere Distanz zum heutigen Recht erkennen lassen, als dies um die Mitte des 19. Jahrhunderts angenommen wurde. 51

Gleichwohl dürfen die Autoren der älteren Historischen Schule nicht eines naiven Anachronismus oder gar der „Ungeschichtlichkeit“ bezichtigt werden. Eine solche Bewertung wäre selbst „ungeschichtlich“, weil sie verkennen würde, wie groß das Spektrum der um die Mitte des 19. Jahrhunderts vertretenen Auffassungen tatsächlich gewesen ist, und zu wenig berücksichtigen würde, daß es immer auch Autoren gab, welche die Unterschiede zwischen antikem und modernem Rechtsdenken besonders hervorgehoben haben.55 „Ungeschichtlich“ wäre eine solche Bewertung vor strukturellen Mündlichkeit früher Rechtskulturen (dazu näher Stephan Meder, Ius non scriptum. Traditionen privater Rechtsetzung, 2. Auflage 2009, S. 21–46). 51  Anders offenbar Ernest Metzger, Roman Judges (Fn. 5), nach dessen Ausführungen die romanistischen Prozessualisten gemeint hätten, „that certain principles ‚unconsciously‘ determined Roman procedure“ (S. 263). Die dazu in den Fn. 98 und 99 angeführten Belege beziehen sich aber nicht auf Primärquellen bzw. direkte Aussagen der romanistischen Prozessualisten. Insbesondere der Hinweis auf Robert Wyness Millar (The Formative Principles of Civil Procedure, Fn. 8, S. 5–6) vermag diese Behauptung nicht zu stützen. 52  Ernest Metzger, Roman Judges (Fn. 5), S. 243, 250–260. 53  Z. B. Olga E. Tellegen-Couperus, The Role of the Judge in the Formulary Procedure, in: Legal History, Vol. 22 (2001), S. 1–13; siehe auch die Nachweise vorstehend V 2 bei Fn. 33. 54  Roberto Scevola, La Responsabilitá del iudex privatus (2004). 55  Großen Wert auf Differenzen legt etwa Puchta, wo es heißt: „Es wäre […] ein Irrthum, wenn man die römischen Judices mit den heutigen Geschwornen vergleichen, und sich vorstellen wollte, sie seien bloß mit der Untersuchung des Factischen beschäftigt gewesen, die Rechtssätze seien ihnen durch das Verfahren in iure vorgezeichnet worden […] Der Magistrat entschied allerdings über die allgemeine rechtliche Begründung des Anspruchs, indem er die Klagen und Einreden zuließ, und das Judicium ordnete, aber selbst bei der allereinfachsten Klage, der auf eine bestimmte Geldsumme, konnte sich noch mancher Anlaß zu rechtlichen Fragen im Judicium finden, noch mehr war dieß der Fall bei den Klagen, in welchen durch die Anweisung, zu untersuchen, was eine Partei der andern ex fide bona zu leisten habe, dem Richter ein weites Feld rechtlicher Erwägungen geöffnet war, und eben so bei dinglichen Klagen, z. B. der rei vindicatio, wo der Richter nur im allgemeinen angewiesen war, zu untersuchen, ob der Kläger Eigentümer sei, wo also die ganze Rechts-

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allem aber deshalb, weil sie den speziellen Kontext außer Acht lassen würde, in dem die Historische Schule ihre Ideen ursprünglich entwickelt hat, und zwar den Kampf gegen das Natur- bzw. Vernunftrecht, das – nach den Worten Savignys – „die historische Behandlung vorzugsweise vernachlässigt“ hat.56 VII. Schlußbemerkung Historiker sind Kinder ihrer Zeit. Wenn sie sich mit der Vergangenheit befassen, so treffen sie eine Auswahl. Sie haben ein bestimmtes Interesse an einem Thema, und es ist nicht ungewöhnlich, daß dieses Interesse mit praktischen Rücksichten zusammenhängt. Wonach Historiker suchen, was sie fragen oder welche Antworten sie geben, hängt von ihrem Standort in der Gegenwart, von einem bestimmten Bezugsrahmen ab, in dem die Quellen mit Begriffen, Kategorien oder Definitionen verknüpft, rekonstruiert und bewertet werden. Für die romanistischen Prozessualisten war dies die neue Lehre von der geschichtlichen Rechtsentstehung, auf deren Grundlage die Historische Schule eine Rechtsquellentheorie formuliert hat, die gegen den Etatismus des aufgeklärten Absolutismus gerichtet war und in entscheidenden Punkten gerade heute wieder zu überzeugen vermag. In diesem Kontext ist ihr Interesse nicht nur am wissenschaftlichen Recht und insbesondere am römischen Formularprozeß, sondern auch an Begriffen und Kategorien wie Mündlichkeit, Öffentlichkeit, Unmittelbarkeit oder Schnelligkeit des Verfahrens zu verstehen. Wer meint, der Historiker könne auf Quellen oder Fakten als objektive oder „reine Gegenstände“ zurückgreifen, dem mag ein solches Vorgehen freilich höchst selektiv oder gar „ungeschichtlich“ vorkommen. Andererseits sind die Aussagen der Rechtshistoriker aber auch wissenschaftliche Aussagen, sie sind nicht einfach subjektiv, sondern müssen sich an „Wirklichkeit“ messen lassen und stellen insoweit den Anspruch, „Wahrheit“ über die Vergangenheit zu vermitteln. Sie haben sich vor dem Hineintragen moderner Vorstellungen in die Vergangenheit selbst dann zu hüten, wenn dies im Grunde unvermeidbar ist. Zurückhalten müssen sich Historitheorie der einzelnen Erwerbsarten in Frage kommen konnte“ (Georg Friedrich Puchta, Cursus der Institutionen, 8. Auflage, Bd. I, 1875, § 153, S. 435; ähnlich schon in der 1. Auflage, Bd. II, 1842, § 153, S. 22). Ein weiteres Beispiel bildet die Kontroverse über die Lehre vom „Totaleindruck des Laien“. Nicht wenige Autoren haben ungeachtet der Diskussionen über die Prozeßreform vor einer Überschätzung der Vorteile einer Beteiligung von Laien in der Rechtspflege gewarnt (vgl. nur Savig­ny, Vom Beruf, Fn. 1, S. 90 und S. 114 f.). Siehe auch vorstehend V 2 bei Fn. 33. 56  Dies übersieht vor allem die Kritik von Ernest Metzger, Roman Judges (Fn. 5), die nicht zuletzt auch aus diesem Grund überzogen erscheint.



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ker vor allem mit „kausal-psychologischen Erklärungen“, wie Hoetink überzeugend ausgeführt hat. Solche Erklärungen finden sich bei den romanistischen Prozessualisten aber, wenn überhaupt, nur selten, und die Kritik des jungen Jhering, die differenzierte Argumentation Puchtas oder der Streit um die „demokratische Theorie“ mögen als Beispiele dafür dienen, daß sich die Historische Schule dieser Gefahren schon früh bewußt, insoweit also keineswegs naiv war.57 Jhering ist gewiß darin zuzustimmen, daß eine allzu starke Ausrichtung an praktischen Zwecken den Rechtshistoriker in seiner wissenschaftlichen Freiheit beeinträchtigen kann. Und Wieacker hat überzeugend dargelegt, daß die Pandektenwissenschaft diese Freiheit in vollen Zügen erst genießen konnte, als sich angesichts des Kodifikationsprojekts römische Quellen und geltendes Recht zu entkoppeln begannen.58 Die von Jhering prognostizierte „ungetrübte Verfolgung des historischen Gesichtspunkts“ war freilich nicht von langer Dauer. Sie ist durch eine ungeahnte Enthistorisierung des geltenden Rechts, Legitimationskrise des Fachs „Rechtsgeschichte“ und Auflösung oder Umwidmung insbesondere der romanistischen Lehrstühle rasch an ihre Grenzen gestoßen. Nicht zuletzt auch aus diesem Grund wird noch heute so lebhaft darüber diskutiert, ob und inwieweit rechtshistorische Forschung für die Privatrechtsdogmatik nützlich oder sogar unentbehrlich sei.

57  Insbesondere ist zu bezweifeln, daß die Anhänger der „demokratischen Theorie“ eine „kausal-psychologische“ Erklärung im Sinne Hoetinks gegeben haben. Dagegen spricht schon, daß Jhering, der vermeintliche Urheber dieser „Theorie“, bereits in jungen Jahren vor den Gefahren einer Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart bzw. Rechtsgeschichte und Dogmatik so eindringlich gewarnt hat (vgl. vorstehend I bei Fn. 4 und 6). Das Thema bedürfte einer selbständigen Untersuchung anhand der Texte. 58  Vgl. die Nachweise vorstehend I (bei Fn. 4–6).

Die Zuordnung von Ulpian und Paulus zu den kaiserzeitlichen Rechtsschulen Von Cosima Möller I. Vorbemerkungen Ich hoffe, mit den nachstehenden, eher skizzenhaften Überlegungen das Interesse des Jubilars wecken zu können, weil er sich in seinem grundlegenden Artikel zu den Rechtsschulen und zum Rechtsunterricht im Prinzipat, der 1976 in dem Sammelwerk Aufstieg und Niedergang der römischen Welt erschienen ist, auch zum „weiteren Schicksal“ der Rechtsschulen der Sabinianer und der Prokulianer geäußert hat.1 Liebs knüpfte daran an, dass in der Literatur weitgehend Einigkeit darüber herrschte, dass es nach Julian, also etwa seit der 2.  Hälfte des 2. Jhs. n.  Chr., keinen Schulengegensatz mehr gegeben habe. Bei diesem Urteil, das Liebs als Vorurteil entlarvte, spielte der Mangel an ausdrücklicher Überlieferung zu dem Schulengegensatz nach den Gaius Institutionen (160 / 161 n.  Chr.) und dem Enchiridion des Pomponius (etwa Mitte des 2. Jhs. n.  Chr.) eine Rolle. Gaius berichtet in seinem Anfängerlehrbuch von zahlreichen Schulkontroversen und Pomponius listet in seinem Werk, das in Auszügen in die Digesten Justinians aufgenommen wurde,2 von der Schulgründung zu augusteischer Zeit durch Labeo und Capito an die Schulhäupter bis in seine Zeit auf. Die Überzeugungskraft einer solchen Auffassung speiste sich aber auch aus der Annahme, dass Julian die Streitigkeiten entschieden habe und seine überragende Autorität dazu geführt habe, dass seine Rechtsauffassung den Sieg davontrug. Dieser herrschenden Meinung, die sich im übrigen vom Ergebnis her bis heute gehalten hat, stellte Liebs die Untersuchung aller in der Überlieferung genannten Streitfragen zwischen Sabinianern und Prokulianern oder zwischen einzelnen Vertretern der Rechtsschulen gegenüber. Aus der Auflistung der 64 Kontroversen und ihrer Belege, die er nach Personenrecht, Sachen1  Liebs, Detlef, Rechtsschulen und Rechtsunterricht im Prinzipat, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II, 15, hrsg. von Hildegard Temporini, 1976, S.  197  ff., 282–284. 2  D. 1,2,47–53 Pomponius lb.  sg. enchiridii.

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recht, Obligationenrecht und Prozessrecht geordnet hat, entnahm Liebs auch für die spätklassischen Juristen Paulus und Ulpian eine Sammlung von Stellungnahmen. Eine einheitliche Linie für eine Schulzuweisung ergab sich daraus nicht. Die von Liebs durchgeführte statistische Auswertung führte dazu, Paulus der prokulianischen Rechtsschule und Ulpian der sabinianischen Rechtsschule zuzuordnen. Gegen diese Zuweisung bestehen nicht nur im Ergebnis Bedenken, sondern auch von der Methode her. Daraus lassen sich zugleich Besonderheiten einer Schulzugehörigkeit in der Spätklassik ableiten. II. Aspekte der Rechtsschulenzugehörigkeit in der Spätklassik Die Stellungnahmen von Ulpian und Paulus zu den Kontroversen der Rechtsschulen sind in einer Phase der römischen Rechtswissenschaft niedergelegt, in der es bereits unter Celsus und Julian zur Annäherung der Schulen, zu der sog. Schulenkonvergenz, gekommen war. Diese Annäherung zeigt sich insbesondere in der Übernahme mancher institutioneller Festlegungen der prokulianischen Rechtsschule durch Julian und damit ihre Übernahme in die postjulianische sabinianische Schule. Ein prominentes Beispiel will ich im folgenden kurz beleuchten, nämlich die notwendige Entgeltlichkeit des Kaufs. Die Annäherung von Seiten der prokulianischen Rechtsschule vollzieht sich insbesondere dadurch, dass Celsus Argumentationen aus der bona fides in einer prinzipiellen Weise in seine, also die prokulianische Rechtsschule, integriert. Zentrale dogmatische Vorgaben der eigenen Schultradition werden mit Korrektiven versehen. Das gilt zum Beispiel für die Orientierung des Besitzbegriffs am Faktischen, wie wir sie von den Prokulianern als erste naturgemäße Einordnung der Beziehung zwischen Person und Sache kennen.3 Diese wird zugunsten der Anerkennung einer possessio iuris eingeschränkt. Auch dafür werde ich ein Beispiel präsentieren. Das zweite Bedenken gegen eine statistische Auswertung von Stellungnahmen zu Streitfragen ergibt sich aus der Überlegung, dass nicht alle dogmatischen Positionen, die man den Rechtsschulen deutlich zuordnen kann, in eine klare Kontroverse münden. Häufig stellen sich Probleme nur in der einen Rechtsschule, während sie in der anderen unter einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet werden. Dafür werde ich ein Beispiel aus 3  Vgl. nur D. 41,2,1 pr. und §  3 Paulus lb.  54 ad ed. unter Bezugnahme auf Labeo und D. 41,2,3 pr.-§  1 Paulus lb.  54 ad ed unter Bezugnahme auf Ofilius und Nerva.



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dem Bereich der lex Aquilia anführen. Man erfaßt also durch die Sammlung aller offensichtlichen Streitfragen nicht alle dogmatischen Kontroversen. Schließlich scheint mir die Entscheidung von Grundfragen besonders hilfreich für die Positionsbestimmung der spätklassischen Juristen. Dazu zähle ich die Frage der anerkannten Rechtsquellen, insbesondere das Verständnis vom Naturrecht. In der prokulianischen Schule begegnet Naturrecht als ein Recht, das in Form eines ius naturale die Menschen mit den Tieren verbindet, weil es auf die Grundausstattung an Instinkten Bezug nimmt. Es ist Ulpian, der in dieser Tradition von einer Unterscheidung zwischen ius naturale und ius gentium berichtet, die sich daraus ergibt, dass das Naturrecht allen Lebewesen gemeinsam ist, das Völkergemeinrecht dagegen nur den Menschen untereinander.4 Bei den veteres und der sabinianischen Rechtsschule trifft man dagegen auf ein grundlegend anderes Verständnis von Naturrecht. Das ius gentium wird naturrechtlich im Sinne der stoischen Philosophie interpretiert und enthält normative Vorgaben. Bei der letztgenannten Thematik der Rechtsquellen wird erkennbar, dass ich die philosophischen Einflüsse auf die Juristen der Republik und das Nachwirken in den kaiserzeitlichen Rechtsschulen für ermittelbar bzw. für nachgewiesen halte. Liebs konnte in seinem Beitrag zu den Rechtsschulen auf die neueren Forschungen zu dieser Thematik nur erst hinweisen.5 Doch können die inzwischen vorgelegten Ergebnisse zu einer besseren Ausleuchtung der Rechtsschulenzugehörigkeit der beiden Spätklassiker Ulpian und Paulus beitragen.6 III. Die kaiserzeitlichen Rechtsschulen Es soll vor einer näheren Befassung mit der gerade entwickelten Thematik nicht der Hinweis versäumt werden, dass nach wie vor in der Romanistik keine Einigkeit darüber herrscht, welchen Charakter die Rechtsschulen der 4  D. 1,1,1,3–4 Ulpianus lb. 1 inst. und dazu Avenarius, Martin, Der pseudo-ulpianische liber singularis regularum, Göttingen 2005, S.  88. 5  Liebs, Rechtsschulen und Rechtsunterricht im Prinzipat, s. Fn. 1, S. 279 Fn. 263. Kurz darauf wurde der Aufsatz von Okko Behrends, Institutionelles und prinzipielles Denken in der Savigny-Zeitschrift 95 (1978), S. 187 ff. veröffentlicht. Dort sind die philosophischen Einflüsse anhand von Grundfragen und Einzelproblemen dargestellt. 6  S. insbesondere die Untersuchungen von Okko Behrends, für die auf die Auswahl von Aufsätzen in den beiden Bänden Institut und Prinzip, Göttingen 2004 (hrsg. von Avenarius, Meyer-Pritzl und Möller) hingewiesen sei, ergänzt um die neuere Abhandlung Die geistige Mitte des römischen Rechts, SZ 125 (2008), S. 25 ff. Vgl. ebenfalls Cosima Möller, Die Servituten. Entwicklungsgeschichte, Funktion und Struktur der grundstücksvermittelten Privatrechtsverhältnisse im römischen Recht. Mit einem Ausblick auf die Rezeptionsgeschichte und das BGB, Göttingen 2010.

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Prinzipatszeit hatten. Bei Waldstein / Rainer liest man, dass innerhalb der Schulen zwar eine bestimmte wissenschaftliche Tradition gepflegt wurde, dass es sich aber bei den Kontroversen nur um Meinungsunterschiede in Einzelfragen gehandelt habe, keinesfalls um Unterschiede in der juristischen Arbeitsweise oder im Denken.7 Wieacker hat dagegen den Charakter der Rechtsschulen als Unterrichtsanstalten hervorgehoben und außerdem beklagt, dass sichere Kriterien für die Entscheidung der Frage fehlten, ob es lediglich pragmatische oder auch prinzipielle Gründe für den Schulengegensatz gegeben habe.8 Seine Würdigung der Ergebnisse von Behrends, die einen philosophischen Einfluß auf die Juristen in unterschiedlichen Traditionen der Rechtsschulen aufgezeigt haben – stoische Einflüsse bei den Vorklassikern und den Sabinianern und Einflüsse der Philosophie der skeptischen Akademie bei dem Cicero-Freund Servius und seinen Schülern sowie den Prokulianern – bleibt daher vage.9 Liebs ist in seinem instruktiven und vielgelesenen Einführungslehrbuch bei der Einschätzung aus dem Aufsatz zu den Rechtsschulen im Prinzipat geblieben. Er attestiert den Schulen verschiedene Grundauffassungen, Rechtswissenschaft zu betreiben.10 Dabei erklärt er Labeo und die Prokulianer für methodenbewusster. Ihre Ergebnisse seien sicherer ableitbar. Die Sabinianer neigten Liebs zufolge eher zu eingefahrenen Lösungen, aber auch zur Berücksichtigung wirtschaftlicher und sozialer Bedürfnisse. Diese Beobachtungen lassen sich durch die Forschungsergebnisse von Behrends vertiefen und konkretisieren, zugleich aber auch in philosophische Zusammenhänge stellen. Diesem Unterfangen dienen die folgenden Ausführungen. Dabei wird eine begründete Neuzuordnung von Ulpian und Paulus zu den kaiserzeitlichen Rechtsschulen angestrebt. IV. Repräsentative Streitfragen Die Haltung der beiden spätklassischen Juristen soll anhand repräsentativer Streitfragen untersucht werden. Dabei wird zu beachten sein, in welcher Weise Ulpian und Paulus an Schultraditionen anknüpfen und wie diese zuzuordnen sind. 7  Waldstein, Wolfgang / Rainer, Michael, Römische Rechtsgeschichte, 10.  Aufl., 2005, S.  202; ähnlich Kunkel, Wolfgang / Schermaier, Martin, Römische Rechts­ geschichte, 13. Aufl., 2001, S.  151  ff. 8  Wieacker, Franz, Römische Rechtsgeschichte II, hrsg. von J. G. Wolf, München 2006, S.  37. 9  Wieacker, Römische Rechtsgeschichte II, hrsg. von J.  G. Wolf, München 2006, S.  38. 10  Liebs, Römisches Recht, 6. Aufl. Göttingen 2004, S.  55.



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1. Tausch-Kauf-Kontroverse In D. 18,1,1 pr. schildert Paulus im 33. Buch seines Ediktkommentars in einem wirtschaftsgeschichtlichen Abriß die Entwicklung vom Tausch zum Kauf. Das Tauschen wird als der Urfall des Kaufens dargestellt. Origo emendi vendendique a permutationibus coepit. Es ist notwendig zu tauschen, wenn es noch keinen Wertmesser gibt, mit dessen Hilfe man auf ein passendes Tauschgut verzichten und eine Menge eines neutralen Gegenwertes erhalten kann. Es ist ein typisches Bedürfnis, einen Tauschpartner zu finden, um nutzlose Gegenstände gegen nützliche einzutauschen. Dieses Bedürfnis läßt sich nicht immer leicht befriedigen, weil es häufig an dem geeigneten Tauschpartner fehlt. Dem Problem ist abgeholfen, wenn ein Stoff zur Verfügung steht, der als Zahlungsmittel kraft seiner öffentlichen Prägung anerkannt ist. Der Kauf ist von Paulus als ein Vertrag beschrieben, der durch die Vereinbarung eines Preises seinen besonderen Charakter erhält. Es bedeutet einen zivilisatorischen Vorteil, dass die nutzlosen und die begehrten Gegenstände nicht mehr unmittelbar getauscht werden müssen, sondern durch das Vorhandensein von Münzgeld zwei voneinander unabhängige Kaufgeschäfte getätigt werden können. Diese Position entspricht der klassischen, von Servius begründeten Vertragslehre, der zufolge beim Kauf der Konsens der Parteien erforderlich ist. Dieser Konsens muß sich auf einen anerkannten Vertragstyp und damit beim Kauf auf den Vertrag über den Austausch von Ware und Entgelt beziehen.11 Doch nun folgt in § 1 gleichsam die Kehrseite der Medaille. Denn Paulus führt in eine berühmte Streitfrage ein, indem er die Schwierigkeiten mit der Anerkennung eines Tauschs als gültigem Vertrag, aus dem Obligationen erwachsen, darstellt. Ist das Münzgeld nicht, seit es vorhanden ist und als Wertmesser eingesetzt werden kann, zu einem notwendigen Bestandteil des Kaufvertrags geworden? Oberhäupter der kaiserzeitlichen Rechtsschulen im 1. Jh. n. Chr. werden mit ihren Rechtsauffassungen angeführt. Sabinus und Cassius, Oberhäupter und Schulgründer der sabinianischen Rechtsschule, vertraten die Auffassung, dass auch beim Tausch zweier Gegenstände ein Kauf vorliege. Nerva und Proculus, Schulgründer bzw. eines der Oberhäupter der prokulianischen Rechtsschule, waren der Ansicht, es handele sich um einen Tausch.12 11  Möller, Grundlagen des römischen Vertragsrechts, in: Deutschland und Japan im rechtswissenschaftlichen Dialog, hrsg. von Kunig und Nagata, Köln 2006, S.  71  ff., S.  78  ff.; Meyer-Pritzl, Pactum, conventio, contractus. Zum Vertrags- und Konsensverständnis im klassischen römischen Recht, Mélanges Schmidlin, hrsg. von Dufour et alteri, 1998, S.  99  ff. 12  Vgl. zu dieser Schulkontroverse Behrends, Le due giurisprudenze Romane, Index 12 (1983–84), 189  ff., 199.

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Der Fall, den Paulus zur Illustration einführt, ist denkbar einfach und trägt den Charakter eines Schulfalls wie auf einem Schild vor sich her. Tausche Toga gegen Tunika. Die praktische Relevanz der Streitfrage zeigt sich bei der Klagbarkeit, also der Durchsetzbarkeit einer Vereinbarung über den Tausch von zwei Gegenständen. Denn in dem Vertragssystem, das sich im 1.  Jh. n.  Chr. durchgesetzt hatte, galt nicht etwa in umfassender Weise der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Dieser Grundsatz galt bezüglich der Abschlußfreiheit. Im Hinblick auf die Inhaltsfreiheit gab es Schranken. Es gab einen numerus clausus der Verträge. Dieses System eines geschlossenen Kreises anerkannter Verträge geht auf Servius Sulpicius zurück, der ein Freund Ciceros war und die Jurisprudenz im 1.  Jh. v.  Chr. auf eine neue wissenschaftliche Grundlage gestellt hat.13 Er war dabei geleitet vom Einfluß der Philosophie der skeptischen Akademie, der insbesondere in der Rhetorik wirkte. Servius war zunächst Rhetor und hatte sich erst in einem zweiten Anlauf entschieden, das Jurastudium nachzuholen. Seiner Lehre zufolge konnten nur institutionell anerkannte, klar definierte Vertragstypen die Grundlage für Verpflichtungen nach dem ius sein. Ein solcher Vertrags­ typ war der Kauf, bei dem klare Pflichtenprogramme für Käufer und Verkäufer feststanden. Der Käufer war zur Bezahlung des Kaufpreises und damit zur Übereignung der Münzen verpflichtet. Der Verkäufer mußte dem Käufer an der verkauften Sache einen ungestörten Besitz verschaffen. Am Ende von § 1 führt Paulus genau diesen Punkt als Begründung dafür an, daß er sich auf die Seite der prokulianischen Auffassung schlägt. Man könne die Vertragsparteien nicht als Käufer und Verkäufer auseinanderhalten, wenn nicht auf der einen Seite ein Kaufpreis vereinbart sei. Darin liege gerade beim Tausch das Problem. Höchst interessant ist nun, dass diese Streitfrage auch unter Rückgriff auf Homer ausgetragen wird. Sabinus habe sich, so berichtet uns Paulus, auf den großen Dichter berufen und Zitate aus der Ilias und der Odyssee herangezogen. Der Handel, bei dem die Achaier Wein erwerben, indem sie dafür Erz, Eisen, Häute, Rinder oder Sklaven hingeben, wird von Sabinus als Beispiel eines gültigen Rechtsgeschäfts angeführt, von Paulus hingegen als Tausch gekennzeichnet und damit nicht als Beispiel eines Kaufvertrages akzeptiert. Nicht besser ergeht es dem Beispiel des Rüstungstauschs zwischen Glaukos und Diomedes, der als Ergebnis einer Verwirrung der Sinne des Glaukos dargestellt wird, weil hier eine goldene gegen eine eherne Rüstung hingegeben wurde. Paulus führt die Erzählung aus der Odyssee vom Erwerb der Sklavin Eurykleia als ein Beispiel an, bei dem man eher in Zweifel geraten könnte, ob nicht ein Vertrag mit einer Gegenleistung, die 13  Behrends, Art. Servius Sulpicius Rufus, in: Juristen, hrsg. von Stolleis, München 1995, S.  562  f.



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nicht in Geld besteht, also ein Warentausch, als Kaufvertrag einzuordnen sei. Laertes hatte 20 Rinder für die Sklavin gegeben und damit eine Art Rinderwährung als Gegenleistung eingesetzt. Aus diesen Beispielen kann man ersehen, dass sich hellenistische Einflüsse auch in literarischen Rückgriffen bei den kaiserzeitlichen Rechtsschulen zeigen. Der Einfluß Homers auf die antike Bildungstradition wird auch spät noch bei Justinian sichtbar, der in der Einleitungskonstitution zu den Digesten von Homer als dem pater omnis virtutis spricht, was die moderne Übersetzung mit „Vater aller Bildung“ treffend wiedergibt.14 Die Beispiele zeigen aber in der Auseinandersetzung um die Anerkennung der Klagbarkeit des Tausches noch ein weiteres. Sie sind argumentativ nicht für die Position der sabinianischen Rechtsschule ausgewertet, sondern von Paulus in einer tendenziösen Verkürzung wiedergegeben. Es geht in den Beispielen, so wie die Quelle sie uns präsentiert, nicht um die Erzwingbarkeit des Tausches, sondern darum, ob Tauschgeschäfte deswegen als Kauf anerkannt werden könnten, weil die Gegenleistung sich als Wertmesser verstehen läßt, gleichsam als Währungsersatz auf einer früheren wirtschaftsgeschichtlichen Stufe. Es wird also bereits mit der Brille der prokulianischen Kauflehre ein Blick auf die angeführten Homer-Stellen geworfen. Einer möglichen Beweisführung fehlt daher von Anfang an die Überzeugungskraft. Man könnte die Interpretation in den Zusammenhang der sabinianischen Rechtsschule dann gut einordnen, wenn man davon ausginge, dass Sabinus die Vorgabe der Servius-Konzeption akzeptiert und daher Beispiele anführt, bei denen die Gegenleistung als einer Zahlung von Geld vergleichbar eingeordnet werden kann. Ein Bruch ergibt sich mindestens bei der Stelle des Rüstungstauschs. Die Wertdiskrepanz hebt einen Aspekt ans Licht, der argumentativ für die Prokulianer bedeutsam ist: Die Vereinbarung eines Preises als Ausdruck einer Rationalitätskontrolle. Bei einem Tauschgeschäft besteht die Gefahr, dass versäumt wird, wirtschaftliche Überlegungen anzustellen. Wie aber kann man sich die Argumentation der Sabinianer vorstellen? Ohne die Rolle des Geldes als Rationalitätsfaktor zu verkennen, ist diese Rolle nicht als zentral für die Verbindlichkeit vertraglicher Abreden in Austauschverhältnissen anerkannt. Die Sabinianer greifen auf die Lehren der vorklassischen Juristen zurück, deren letzter und bedeutender Vertreter Quintus Mucius der Lehrer Ciceros war.15 Die vorklassischen Juristen sind 14  Constitutio Omnem §  11 und dazu Behrends, Der ungleiche Tausch zwischen Glaukos und Diomedes und die Kauf-Tausch-Kontroverse der römischen Rechtsschulen, Historische Anthropologie 10 (2002), 245  ff., 250  f. (= ders., Institut und Prinzip, Band II, Göttingen 2004, S.  629  ff., 634  f.). 15  Behrends, Art. Quintus Mucius Scaevola, in: Juristen, hrsg. von Stolleis, München 1995, S.  444  f.

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von der stoischen Philosophie beeinflußt und unterscheiden das strenge, den jeweiligen bürgerlichen Gesellschaften eigene Recht, das ius civile i. e. S., von dem ius gentium, dem Völkergemeinrecht, das sie naturrechtlich bestimmen. In diesem naturrechtlich geprägten Bereich werden Nähe- und Pflichtenverhältnisse in unterschiedlichen Formen hergestellt. Wenn sich nach dem Prinzip von Treu und Glauben, der bona fides, aus einem rechtsgeschäftlichen Handeln eine Verbindlichkeit ergibt, werden dafür durch interpretative Erweiterung Formen des Rechtsschutzes zur Verfügung gestellt. In einer berühmten Stelle in Ciceros Schrift de officiis wird Mucius zitiert, der eine lange Liste von klagbaren Rechtsverhältnissen aufführt, in denen das Prinzip der bona fides wirkt, durch das die menschliche Gesellschaft zusammengehalten werde.16 Auf der Grundlage eines derart prinzipiellen Ansatzes ist es nicht sinnvoll, zwischen Tausch und Kauf in rechtserheb­ licher Weise zu unterscheiden. Vielmehr kann jede Form des Güteraustauschs zur Erhaltung des Beziehungsgeflechts der menschlichen Gesellschaft beitragen.17 In diesem Zusammenhang erscheint auch der Rüstungstausch zwischen Glaukos und Diomedes, wie Behrends in einem Aufsatz gezeigt hat, in einem anderen Licht18. Er ist Ausdruck für Großherzigkeit im Rahmen der Gastfreundschaft, bei der im Hinblick auf Gaben und Gegengaben nicht auf die Wertdifferenz gesehen wird19. Bei Beantwortung der Frage, welche Rückschlüsse aus dieser Überlieferung für die Schulenzugehörigkeit des Paulus gezogen werden können, ergibt sich ein für die Spätklassik typisches Bild. Paulus argumentiert auf der Basis der prokulianischen Ansicht. Das erklärt sich aus dem Umstand, dass Julian die notwendige Entgeltlichkeit des Kaufs aus der prokulia­nischen Rechtsschule übernommen hat. Doch setzt er sich intensiv mit der Argumentation der Altsabinianer auseinander. Er verfaßt seine Darstellung aber bereits auf der Grundlage des von Julian gefundenen Kompromisses, der die Entgeltlichkeit des Kaufes anerkannte.20 Ich komme daher zu einem ande16  Cicero,

de officiis, III,17,70. die Formulierung von Behrends, Der ungleiche Tausch, Hist. Anthro­ pologie 10 (2002), S.  260 und zum Vertragsrecht in der vorklassischen Jurisprudenz Möller, Grundlagen des römischen Vertragsrechts, s. Fn.  11, S.  71  ff., S.  75  ff. 18  Zu den daran geknüpften Diskussionen in der Philosophie Platons und Aristoteles s. Behrends, Der ungleiche Tausch, Fn.  14, S.  254–260. 19  Behrends, Der ungleiche Tausch, Fn.  14, S.  266. 20  Im Kaufrecht verbleiben auch dann noch genügend markante Unterschiede zwischen den Schulen, die insbesondere bei der Leistungsfähigkeit der Vertragsklage eine Rolle spielen. In der sabinianischen Rechtsschule wurde gerade auch von Ju­lian auf die prinzipiell und damit produktiv verstandene bona fides eine Reihe von ­Nebenpflichten wie auch die Möglichkeit einer vertraglichen Rückabwicklung gestützt. So für die Nebenpflichen auch Liebs, Römisches Recht, 6.  Aufl., Göttingen 17  Vgl.



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ren Ergebnis als Liebs, der die Frage, ob der Tausch ein Unterfall des Kaufes sei, als Streitfrage Nr. 41 behandelt hat, und Paulus’ Stellungnahme als die eines Prokulianers einordnet.21 Paulus erweist sich vielmehr als Spätsabinianer. 2. Besitz an Servituten Anhand des Besitzbegriffes lassen sich die komplizierten Schultraditionen ebenfalls zeigen. Das soll beispielhaft anhand der Frage geschehen, ob ein Besitz an Grundstücksrechten dogmatisch möglich ist oder nicht. Für die unterschiedlichen Antworten der römischen Juristen spielt die Schulzugehörigkeit eine entscheidende Rolle, aber auch die Phase der Meinungsbildung in der Rechtsschule. Besonders klar erkennbar ist die Ablehnung eines Besitzes an Servituten durch Servius und seine Schüler, da sie den Besitz als ein factum betrachten. Ein solches handgreifliches factum ist die Ausübung der Servituten nicht. Die natürliche Grundlage der Servituten ist vielmehr ein usus, dem aber kein rechtlicher Schutz zuteil wird.22 Daraus ergeben sich für die Servituten weitere Konsequenzen. Aus der Unmöglichkeit des Besitzes an einer Servitut folgt zugleich, dass diese nicht im Wege der traditio übertragen werden kann, weil eine körperliche Übergabe, wie sie nach klassischem Recht erforderlich ist, ausscheidet. Außerdem folgt daraus, dass die Servituten schon aus dogmatischen Gründen nicht der Ersitzung zugänglich sind.23 Es ist daher immer eine Bestellung durch mancipatio oder in iure cessio nötig. Es ist also durchaus auf den ersten Blick plausibel, wenn Liebs bei der Darstellung der Streitfrage 4: Kann man ein Recht an einem Grundstück besitzen? als Gegner dieser Möglichkeit Labeo anführt und als Befürworter eine rechtsschulenübergreifende Liste von Javolen (Sabinianer), Celsus (Prokulianer) und Ulpian (Zuordnung offen) erstellt.24 Doch diese Befürworter bedürfen einer differenzierten Betrachtung. 2004, S.  267. Die Prokulianer, die mit den Vertragsklagen nur das Leistungsprogramm abgedeckt sahen, bevorzugten für die Rückabwicklung eine bereicherungsrechtliche Klage. Zu diesen Fragen Möller, Grundlagen des römischen Vertragsrechts, s. Fn. 11, S. 86 ff.; dies., Pflichten im römischen Vertragsrecht, in: Akten des 36. Deutschen Rechtshistorikertages, hrsg. von Lieberwirth und Lück, Baden-Baden 2008, S.  281–300. 21  Liebs, Rechtsschulen und Rechtsunterricht, s. Fn.  1, S.  260. 22  Möller, Die Servituten, s. Fn.  6, S.  229  f., zum philosophischen Hintergrund S.  222  ff. und zur hochklassischen Perspektive S.  230  ff. 23  Zur Interpretation des Ersitzungsverbots der lex Scribonia vor diesem Hintergrund s. Möller, Die Servituten, s. Fn.  6, S.  235  ff. 24  Liebs, Rechtsschulen und Rechtsunterricht im Prinzipat, s. Fn.  1, S.  246.

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Im Zusammenhang der Frage, ob eine traditio einer Servitut zur Erfüllung eines Kaufvertrages ausreichen kann, nennt Javolen, Schuloberhaupt der sabinianischen Rechtsschule und der Lehrer Julians, als Ersatz für die auch nach seiner Ansicht nicht mögliche Besitzübertragung die Ermöglichung eines usus iuris.25 Die Ausübung des eingeräumten Rechts, der usus, wird der Wirkung nach dem Besitz, der possessio, gleichgestellt; er wird damit als analoge Besitzform erfaßt. Entscheidend für diesen Ansatz ist das vorklassische Konzept des usus, das einen Servitutenbesitz zuließ. Der Besitzbegriff der Vorklassiker ist nämlich weit gefaßt, weil eine naturrechtliche Nutzungslage bereits ausreicht, um den begründeten Schutz der Rechtsordnung auf den Plan zu rufen.26 Ist Gegenstand des Besitzes eine Nutzungslage, die einer zivilrechtlich anerkannten Servitut entspricht, so ist diesen Juristen zufolge auch eine Ersitzung möglich. Von diesen unterschiedlichen Ausgangslagen her treffen wir in den Quellen auf unterschiedliche Konzepte einer Annäherung. So zeigt sich bei Celsus vom Ausgangspunkt einer Ablehnung des Besitzes an Servituten eine Neuorientierung dadurch, dass die Servitutenausstattung eines Grundstücks gewissermaßen als eine den natürlichen Eigenschaften vergleichbare Größe aufgefaßt und damit als ius besitzbar gemacht wird. Daher spricht Celsus von einer possessio iuris.27 In den aussagekräftigen Stellen, die von Paulus stammen, geht es dagegen um die Verrechtlichung der tatsächlichen Verhältnisse. Dabei kann er sich auf die durch Julian begründete Mittelmeinung als Ausgangspunkt stützen, der zufolge Servituten zwar einerseits als unkörperliche Rechtsverhältnisse nicht besessen werden können, andererseits aber einen rechtlich faßbaren Inhalt haben, der besessen werden kann.28 Daher ist es Julian möglich, die usucapio libertatis, also die Ersitzung der Lastenfreiheit von einer Servitut, dann anzuerkennen, wenn es um Gebäudeservituten geht.29 Die klassische Denkweise zeigt sich darin, dass Julian nicht mehr wie die vorklassischen Juristen den Begriff der possessio auf den usus erstreckt, sondern für die possessio grundsätzlich einen körperlichen Gegenstand, hier ein Gebäude, fordert. Für die Gebäudeservituten ergibt sich daraus eine Konzession, weil mit dem Besitz des Hauses zugleich die Nutzungslage, in der sich dieses Haus befindet, als besessen angesehen werden 25  D. 8,1,20 Iavolenus lb.  5 ex post. Labeonis und dazu Möller, Die Servituten, s. Fn.  5, S.  318  ff. 26  Möller, Die Servituten, s. Fn.  6, S.  185  ff. 27  D. 43,19,7 Celsus lb.  25 dig. und dazu Möller, Die Servituten, s. Fn.  6, S.  336  f. 28  Möller, Die Servituten, s. Fn.  6, S.  322. 29  D. 8,2,32,1 Iulianus lb.  7 dig.



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kann – intellegatur possessionem habere.30 Über den Besitz an einem servitutenwidrig veränderten Gebäude kann dann auch die Freiheit von der Servitut, zum Beispiel einer Aufstützservitut (servitus tigni immittendi), ersessen werden. Diese Vorklärungen helfen dabei, die Position von Paulus und Ulpian im Zusammenhang mit der Besitzfrage bei den Servituten einzuordnen. So ergibt sich für Paulus eine Anknüpfung an die von Julian begründete, bereits von Javolen vorbereitete Mittelmeinung, indem auch er anerkennt, dass ein Besitz an Servituten in Zusammenhang mit einem Gebäude möglich ist, nämlich insofern als der Gebäudebesitz auch der Aufrechterhaltung der Servitut dient.31 Andererseits erkennt man bei Ulpian die Schultradition der prokulianischen Schule, und zwar in der Form, wie sie durch die Öffnung des Celsus bei der Anerkennung einer possessio iuris verändert worden ist. Ulpian führt die Ansicht des Celsus weiter, indem er nicht nur einen servitutenerhaltenden Besitz anerkennt, sondern es sogar für möglich erklärt, dass eine Servitut zusammen mit einem Gebäude ersessen werden kann.32 Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass Ulpian eine größtmögliche Erweiterung bei der Anwendung von prätorischen Rechtsmitteln vornimmt, die dem Schutz formlos bestellter oder durch lange Ausübung begründeter Servituten dienen.33 Er bedient sich dabei typisch prokulianischer Mittel, da in dieser Rechtsschule Lücken des Zivilrechts nicht durch Auslegung, sondern durch das Honararrecht gefüllt werden. Zur Begründung stützt er sich auch auf Argumentationen, die der vorklassischen Tradition entstammen. Auch bei der Frage, ob ein Besitz an einem Grundstücksrecht möglich ist, zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass Ulpian als Spätprokulianer und Paulus als Spätsabinianer anzusehen ist. 3. Haftung nach der lex Aquilia  bei nicht unmittelbarer Schädigung Liebs hat aus dem Bereich der lex Aquilia die Frage herausgestellt, ob mehrere für den Tod eines fremden Sklaven haften, wenn sie ihn beide unabhängig voneinander tödlich verwundet haben. Die unterschiedlichen 30  Möller,

Die Servituten, s. Fn.  6, S.  327  f. 8,2,20 pr. Paulus lb.  15 ad Sab. und dazu Möller, Die Servituten, s. Fn.  6, S.  341  f. 32  D. 41,3,10,1 Ulpianus lb.  16 ad ed. mit den Erläuterungen bei Möller, Die Servituten, s. Fn.  6, S.  347. 33  Möller, Die Servituten, s. Fn.  6, S.  346 und S.  353  ff. 31  D.

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Ansichten von Julian und Celsus sind prominent überliefert.34 Julian ließ – auch aus rechtspolitischen Gründen – den Erst- und den Zweittäter wegen Tötung nach dem ersten Kapitel der lex Aquilia haften. Nach Celsus, dem sich Ulpian insoweit anschließt, haftet der erste Täter dagegen nur wegen Verletzung und der zweite allein wegen Tötung. Ulpian folgt der Auffassung des Celsus, schlägt sich also auf die Seite des Schuloberhaupts der prokulianischen Rechtsschule. In diesem Punkt gewinnt man den Eindruck, dass Ulpian der prokulianischen Ansicht zuneigt. Dieser Eindruck lässt sich verfestigen, wenn man keinen unmittelbaren Schulengegensatz heranzieht, sondern weitere Überlieferung zur lex Aquilia bei Ulpian betrachtet und eine zentrale Unterscheidung herausstellt, nämlich die Unterscheidung nach einer unmittelbaren und einer lediglich mittelbaren Schädigung fremden Eigentums. Servius hat die unmittelbare körperliche Schadenszufügung zum Tatbestandsmerkmal der Klage aus der lex Aquilia erhoben und in diesen Fällen einer mittelbaren Schädigung eine actio in factum gewährt – so wie es Liebs ganz grundsätzlich für die servianisch-prokulianische Position festgehalten hat, der es entspreche, das, was im Rahmen der alten zivilrechtlichen Institute abgelehnt worden sei, kraft Honorarrechts unter Rechtsschutz zu stellen.35 Ulpian hat die offenbar vieldiskutierten Fälle in seinem Ediktskommentar ausführlich wiedergegeben.36 Schon für die Schüler des Servius ist belegt, dass sie in diesen Fällen mittelbarer Schädigung keine direkte actio legis Aquiliae gewährt, sondern auf die actio in factum zurückgegriffen haben. Bei Gaius ist das Fehlen einer unmittelbaren Schädigung ebenfalls als Hindernis für eine direkte Klage aus der lex Aquilia thematisiert. Aber als Anhänger der sabinianischen Rechtsschule hält Gaius in diesen Fällen actiones utiles für die geeigneten prozessualen Hilfen.37 Die Überlieferung aus den Werken des Paulus zeigt ein markant anderes Bild. Ruft man sich die Argumentation in dem Baumschneiderfall D. 9,2,31 lb.  10 ad Sabinum in Erinnerung, so wird eine Diskussion zur Unmittelbarkeitsthematik von Paulus gar nicht eröffnet. Er hat vielmehr die Rechtsansicht des Quintus Mucius bewahrt, der zufolge ein Baumausschneider dann für den Tod eines unter dem Baum vorbeigehenden fremden Sklaven nach 34  D. 9,2,51, 1 und 2 Iulianus 86 dig. und D. 9,2,11,2 und 3 sowie 21 § 1 Ulpianus 18 ad ed. 35  Liebs, Rechtsschulen und Rechtsunterricht, s. Fn.  1, S.  281  f. 36  D. 9,2,9 pr. Ulpianus 18 ad ed. (Labeo), § 2 (Neraz), § 3 (Ofilius). Sei es, dass die Hebamme die Arznei, die giftig ist, nur bereit stellt oder dass der Sklave eingesperrt und ohne Nahrung gelassen wird oder dass ein Sklave vom Pferd zu Tode stürzt, weil es scheu gemacht worden ist. In allen Fällen gibt es eine actio in factum, der Ulpian zustimmt. §  6 werden diese und weitere Überlegungen auch auf Entscheidungen des Celsus gestützt. 37  Gaius Inst. 3,219.



Zuordnung von Ulpian und Paulus zu den Rechtsschulen

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der lex Aquilia haften muß, wenn er sich in vorwerfbarer Weise unsorgfältig verhalten hat. Eine solche Haftung wegen Fahrlässigkeit bzw. wegen einer unterlassenen Warnung entspricht zwar dem Prinzip der bona fides und damit dem Vertrauensschutz. Eine streng tatbestandliche Auslegung der lex Aquilia ist damit allerdings nicht vereinbar. Paulus übernimmt ersichtlich die Grundauffassung des Mucius, die er in dem von ihm kommentierten Zivilrecht des Sabinus vorgefunden haben wird. Ein besonderer Akzent wird dadurch gesetzt, dass bei der Erörterung durch Sabinus und Paulus Unterscheidungen nach dem Gelände getroffen werden, über das der getötete Sklave seinen Weg genommen hatte. Jeder öffentlich genutzte Weg ist nach Ansicht des Paulus in dieser Konstellation Grundlage für eine lex AquiliaHaftung.38 Auch in diesem Punkt erweist es sich, dass Paulus der sabinianischen Tradition zugeordnet werden kann und Ulpian in der Schultradition der Prokulianer steht. V. Schlussbetrachtung Unbestritten bleibt es das Verdienst des Jubilars, auch für die spätklassische Zeit eine Fortdauer der Schulengegensätze angenommen und plausibel gemacht zu haben. Dafür spricht schon, daß die Spätklassiker die Rechtsstreitigkeiten sprachlich nicht als etwas Vergangenes dargestellt haben. Die noch von Justinian beklagte Vielzahl der Streitigkeiten ist keineswegs schon durch Julian befriedet worden. Das zeigen nicht zuletzt die berühmten Julian-Ulpian-Antinomien bei der iusta causa traditionis und zum Anweisungsdarlehen. Liebs ging noch von „unterschiedlichen fachlichen Grundauffassungen“ aus und erklärte es für allein wahrscheinlich, dass diese Themen auch die spätklassischen Ritterjuristen unmittelbar angingen.39 Ergänzt man die fachlichen Grundauffassungen um die von der neueren Forschungsrichtung nachgewiesenen philosophischen Einflüsse und konzeptionellen Unterschiede, so erhält die Grundannahme von Liebs weitere Unterstützung. Die Zuweisung von Ulpian und Paulus aber sollte nach meiner Auffassung revidiert werden.40 Ulpian steht in der Traditionslinie von Servius, 38  Vgl. zum Baumschneiderfall Möller, Die Rolle der Unterscheidung von via publica und via privata im römischen Deliktsrecht, in: Ars Iuris, Festschrift für Okko Behrends, hrsg. von Avenarius, Meyer-Pritzl und Möller, Göttingen 2009, S.  421– 444, S.  436  ff. 39  Liebs, Rechtsschulen und Rechtsunterricht im Prinzipat, s. Fn.  1, S.  283  f. 40  s.  dazu schon Behrends, Der Kommentar in der römischen Rechtsliteratur, in: Text und Kommentar. Archäologie der literarischen Kommunikation IV, hrsg. von

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Proculus und Celsus,41 während Paulus die juristische Erbschaft der vorklassischen Juristen und der sabinianischen Rechtsschule angetreten hat. Dass er gelegentlich als Prokulianer erscheint, hängt mit der Übernahme prokulianischer Grundpositionen in die sabinianische Rechtsschule seit Julian zusammen.

Assmann und Gladigow, München 1995, S. 423 ff., S. 457 ff. für die postjulianische sabinianische Rechtsschule und insbesondere Paulus sowie ders. a. a. O., S.  458  f. für die prokulianische Rechtsschule nach Celsus und insbesondere Ulpian. Der Aufsatz ist ebenfalls abgedruckt in der Sammlung Institut und Prinzip, Band I, hrsg. von Avenarius, Meyer-Pritzl und Möller, Göttingen 2004, S.  225  ff. 41  So auch Avenarius, Der pseudo-ulpianische liber singularis regularum, s. Fn. 4, S.  142, der auf diese Weise die Schrift jedenfalls der Juristentradition nach treffend unter dem Namen des Ulpian überliefert findet.

„Der Ältere teilt, der Jüngere wählt“. Ein altes Rechtssprichwort in den Händen gelehrter Juristen Von Karin Nehlsen-von Stryk Die Regel „major dividat, minor eligat“ ist bereits in einigen literarischen Quellen der Antike bezeugt, nicht aber in antiken Rechtstexten1. Dagegen entstammt der älteste Beleg für das Mittelalter einem Rechtsbuch, und zwar dem Sachsenspiegel: „Swar twene man en erve nemen scolen, de eldere scal delen unde de jungere scal kesen“2.

Sicherlich gehört der Satz: „Der Ältere wählt, der Jüngere teilt“ zu den bekanntesten der ca. 100 Rechtssprichwörter des Sachsenspiegels. Freilich ist hiermit noch wenig zur rechtspraktischen Bedeutung dieser Regel gesagt, bedenkt man die heute allgemein verbreitete skeptische Einschätzung von Rechtssprichwörtern3 sowie mittelalterlichen Rechtsbüchern als unmittelbaren Zeugnissen gelebten Rechts. So wird der Sachsenspiegel keineswegs mehr unbesehen als Aufzeichnung von praktiziertem Gewohnheitsrecht, sondern zumindest partiell als literarisches Produkt angesehen4. Dies gilt gerade auch für unser Rechtssprichwort. Allgemein wird heute angenommen5, daß es der berühmten Schrift des Hl. Augustinus „De civitate Dei“ 1  Vgl. die Nachweise bei Liebs, Detlef: Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, 7. Aufl., München 2007, S. 129. 2  Sachsenspiegel Landrecht III 29 § 2 (Ausgabe von Karl August Eckhardt, ­Monumenta Germaniae historica. Fontes iuris germanici antiqui. N.S. I / 1, 3. Bearb. 1955). 3  Vgl. z. B. Kaufmann, Ekkehard: Art. „Rechtssprichwort“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG) Βd.  4, 1986, Sp. 365. 4  Vgl. z. B. Landau, Peter: Der Entstehungsort des Sachsenspiegels. Eike von Repgow, Altzelle und die anglo-normannische Kanonistik, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters, Jg. 61, 2005, S. 73–101, bes. S. 82 ff., ferner Schumann, Eva: Zur Rezeption frühmittelalterlichen Rechts im Spätmittelalter, in: BerndRüdiger Kern, Elmar Wadle u. a. (Hg.), Humaniora. Medizin-Recht-Geschichte, Festschrift für Adolf Laufs zum 70.  Geburtstag, S. 337–386, bes. S. 350 ff., 363 ff. 5  Janz, Brigitte: Rechtssprichwörter im Sachsenspiegel, Frankfurt / M. 1989, S. 423; Foth, Albrecht: Gelehrtes römisch-kanonisches Recht in deutschen Rechtssprichwörtern, Tübingen 1971, S. 184; von Voltelini, Hans: Der Ältere teilt, der

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entstammt6. Und in der Tat läßt der überragende Einfluß, den die Schriften des Augustinus vom Frühmittelalter an auf das geistig-kulturelle Leben des gesamten Mittelalters ausgeübt haben, es als nahezu sicher erscheinen, daß unser Sprichwort über Augustinus seinen Weg ins Mittelalter gefunden hat. In seiner Schrift „De civitate Dei“ berichtet Augustinus nun über die Landteilung zwischen Abraham und Lot im Alten Testament, wobei Abraham dem jungen Lot die Wahl beläßt (Genesis 13,5–11). Vielleicht sei daher, fährt Augustinus fort, die pacifica consuetudo des „maior dividat, minor eligat“ unter den Menschen entstanden. Unser Rechtssprichwort im Sachsenspiegel könnte also sehr wohl eine literarische Anleihe darstellen, müßte also keineswegs gelebtes Recht widerspiegeln. Überraschend stieß ich indessen in den Observationes practicae des Reichskammergerichtsassessors Andreas Gaill v. J. 1578 auf die Bemerkung, daß der Teilungsmodus, wonach der ältere Bruder teilt, der jüngere wählt, „ex generali quadam … consuetudine“ in Deutschland verbreitet sei7. Meine Neugier war geweckt, meine Suche nach einschlägiger Sekundärliteratur aber ­erfolglos. Die einzige Literaturgattung, in der das Sprichwort regelmäßig ­Erwähnung fand, waren Rechtssprichwörtersammlungen8. Und das einzige moderne Werk, in dem ihm einige Seiten gewidmet sind, ist denn auch das Buch von Brigitte Janz, Rechtssprichwörter im Sachsenspiegel, v. J. 19899. Das früheste mittelalterliche Zeugnis für unser Sprichwort ist in der Tat der Sachsenspiegel10. Ob nun freilich die Teilungsregel des Augustinus erst über den Sachsenspiegel in die Rechtswelt gelangt ist oder bereits hier und da befolgt wurde, wissen wir nicht. Immerhin findet sich in dem Stadtrecht von Münster, das zwischen 1209 und 1214 an Bielefeld mitgeteilt wurde, Jüngere wählt, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung, Βd.  36, 1915, S. 478. 6  Sancti Aurelii Augustini, De civitate Dei, libri XI–XXII (Corpus Christianorum. Series latina Βd. 48: Aurelii Augustini opera, pars XIV / 2, Turnhoult 1955, lib. XVI, cap. 20: „Hinc fortassis effecta est inter homines pacifica consuetudo, ut, quando terrenorum aliquid partiendum est, maior dividat, minor eligat“. 7  Observationum practicarum libri duo, Köln 1608, lib. II, obs. 116, Nr.  14. 8  Vgl. die Nachweise der Rechtssprichwörtersammlungen bei Schmidt-Wiegand, Ruth: Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, München 1996, S. 30; Maihold, Harald: „Der Sohn antwortet für den Vater nicht“, in: forum historiae iuris, Artikel vom 9. Okt. 2000, S. 1–7; Graf, Eduard / Dietherr, Mathias: Deutsche Rechtssprichwörter, ND Aalen 1975 der 2. Ausgabe Nördlingen 1869, S. 215 Nrr. 207, 208. 9  Janz (s. A. 5) S. 423–433. Vgl. ferner die knappe Erwähnung bei Foth (s. A. 5) S. 184. 10  Jacob Grimm: Deutsche Rechtsalterthümer, Βd.  I, 4. Ausg., Leipzig 1899, Rn. 480, erwähnt als ältesten und zugleich einzigen frühmittelalterlichen „Beleg“ die Teilung des Reiches durch Ludwig den Frommen gemäß der Schilderung des fränkischen Geschichtsschreibers Nithard.



„Der Ältere teilt, der Jüngere wählt“

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der Rechtssatz, daß nach dem Tod der Mutter die ältere Tochter teilen und die jüngere wählen solle – es geht hier um die weibliche Sondererbfolge in die Gerade11. Jedenfalls verbreitete sich die Teilungsregel vom Sachsenspiegel aus alsbald in andere Rechtsquellen, so in den Deutschenspiegel, den Schwabenspiegel und von dort ins Freisinger Rechtsbuch, und vor allem in die Quellen des sächsischen wie auch magdeburgischen Rechts des 14.  Jh.12. Wenn wir Autoren des 16. bis 18.  Jh. glauben dürfen13, war sie in diesem Zeitraum – wenngleich nie flächendeckend und außerdem in mancherlei Abwandlungen – in beträchtlichen Teilen des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation in Übung. Bezeugt ist sie aber auch in französischen Coutumes14 sowie etwa im Gerichtsgebrauch des Dauphiné15 und Savoyens16. Hervorgehoben wird stets – auch noch Ende des 18.  Jh. – die natürliche Billigkeit dieser Teilungsform, die jeder Übervorteilung wehre und dazu führe, daß keiner sich beklagen könne, denn keiner werde durch den anderen geschädigt, sondern allenfalls durch sein eigenes Tun17. 11  Diestelkamp, Bernhard (Hg.): Elenchus fontium historiae urbanae, Βd.  1, Leiden 1967, Nr.  111, Art. 11: „Si moritur mulier habens filias, senior debet partiri et junior eliget“. Zu erwähnen ist ferner der bereits bei Rudolf von Sydow: Darstellung des Erbrechts nach den Grundsätzen des Sachsenspiegels, Berlin 1828, S. 319 f., A. 1000, zitierte Teilungsvertrag zwischen den Brüdern Otto und Ludwig Grafen von Ravensberg vom 1. Mai 1226 (Westfälisches Urkundenbuch, Βd.  III: Die Urkunden des Bistums Münster, Münster 1872, Nr.  229): Graf Ludwig nimmt die Teilung vor und Graf Otto wählt. Auf das Altersverhältnis der beiden Brüder wird allerdings nicht hingewiesen. 12  Glossenliteratur zum Sachsenspiegel (z. B. die Buchsche Glosse), Richtsteig Landrechts, Sächsisches Weichbildrecht, Meißener Rechtsbuch, Erfurter Statuten v. 1306, Berliner Stadtbuch, Brünner Schöffenbuch, Rechtsweisung Magdeburg an ­Görlitz v. J. 1304, das Heergerät betreffend. Einige weitere Belege s. bei Stobbe, Otto: Handbuch des Deutschen Privatrechts, Βd. V, 1. u. 2. Aufl., Berlin 1885, § 283. 13  Vgl. z. B. Johann Friedrich Eisenhart’s Grundsätze der deutschen Rechte in Sprüchwörtern, 3.Ausg. Leipzig 1823 (1. Ausg. 1759), Nr.  XVI, § 3, S. 310, sowie die hier behandelten Autoren Andreas Gaill, Joachim Mynsinger von Frundeck, ­Carpzov und Georg Beyer. 14  André-M.-J.-J. Dupin / Edouard Laboulaye: Institutes coutumières d’Antoine Loysel, Βd.  I, Paris 1846, Nr.  350: „Qui demande partage, fait les lots; et coutumièrement l’ainé lotit et le puiné choisit“. 15  Vgl. Guido Papa (Guy Pape, Präsident des Parlement des Dauphiné): Decisiones, Genf 1667, Quaestio 289. 16  Codex Fabianus, Definitionum forensium et rerum in sacro Sabaudiae Senatu tractarum ultima et posthuma editio, Genf 1659 (1. Ausg. 1612), in Codicem lib. 3, 25. Antonius Faber (1557–1624) war Präsident des Senats von Savoyen. 17  Bereits Ambrosius: De Abramo (Sancti Ambrosii episcopi Mediolanensis opera, Βd.  2 / II, Mailand, Rom 1984), lib. 1, cap. 3, hatte die – ebenfalls auf dem Beispiel Abraham / Lot beruhende – Teilungsregel „firmior dividat, infirmior legat (=  eligat)“

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Wenden wir uns nun aber, wie im Titel angekündigt, den gelehrten deutschen Juristen zu, die unser Rechtssprichwort traktiert haben. Die Reihe eröffnet kein Geringerer als Hieronymus Schürpf (Schurff) (1481–1554) aus Wittenberg, einer der profiliertesten Juristen der Reformation18. Als enger Freund und entschiedener Anhänger Martin Luthers begleitete er ihn als Rechtsbeistand i. J. 1521 auf den berühmten Reichstag zu Worms. Wir befinden uns also im 16.  Jh. und damit in der Zeit der Vollrezeption des römischen Rechts – das kanonische Recht war im Rahmen der kirch­ lichen Gerichtsbarkeit schon früher nach Deutschland gelangt. Die früheste gelehrte Auseinandersetzung mit unserer Teilungsregel findet sich nun in einem Consilium des Hieronymus Schürpf19, der übrigens als erster deutscher Jurist in der Lage war, bereits zu seinen Lebzeiten den Druck seiner Consiliensammlung zu veranlassen20. Dies ermöglicht zugleich eine zeit­ liche Terminierung unseres Consilium auf die Zeit vor 1545. Der Rechtsfall, über den Schürpf zu gutachten hatte, ist geradezu ein Schulbeispiel. Drei Brüder, die Grafen F., H. und F. von D., sind 15 Jahre lang nach dem Tod des Vaters in Erbengemeinschaft verblieben. Der Jüngste von ihnen begehrt anläßlich seiner Heirat die Teilung, und zwar in der Form, daß der Älteste die Grafschaft und sonstigen väterlichen Güter in drei gleiche Teile aufteilen solle und er (als Jüngster) dann einen der Teile wählen werde. Der mittlere Bruder ist mit diesem Teilungsmodus einverstanden. Der Älteste dagegen trägt unter Berufung auf das ius commune vor, daß keinesfalls das Wahlrecht stets dem Jüngeren zustehe, sondern das Los entscheiden solle. Gegen unsere Rechtsregel wird also das gemeine Recht ins Feld geführt. Für einen Juristen des 16.  Jh. bedeutet dies an sich zwingend die Anwendamit begründet, „ne habeat, quod queratur; electioni suae non poterit calumniari. Non residebit occasio resiliendi cui datur eligendi optio nec divisor gravatur; nam quo prudentior eo cautior, ut nec in divisione circumscribatur nec in electione fraudetur“. Vgl. ferner z. B. die ausführliche Stellungnahme bei Emanuel Gonzalez Tellez (gestorben 1649 in Salamanca): Commentaria perpetua in singulos Textus quinque librorum Decretalium Gregorii IX, T. III, Lyon 1715 (1. Ausg. 1673), lib. 3, Tit. 29, cap.1; Georg Beyer (s. unten A. 67) § 10; Eisenhart (s. oben A. 13) Nr.  XVI, § 1; Carpzov (s. unten S. 461, A. 40), Def. 2, Nr.  8; Samuel Stryk: Specimen usus moderni Pandectarum, Halle 1723, Lib. X, Tit. II, § 2; Pütter (s. unten A. 84) S. 449 f., der die Teilungsregel sogar aus der „Natur der Sache“ begründet sieht – ein zu seiner Zeit sehr beliebtes Argument. 18  Zu Leben und Werk dieses Juristen vgl. Schaich-Klose, Wiebke: D. Hieronymus Schürpf, Diss.iur. Tübingen, Trogen 1967. 19  Hieronymus Schurpff: Consiliorum seu responsorum iuris centuria prima, Frankfurt 1575 (1. Ausg. 1545), Cons. 71. 20  Vgl. Roderich Stintzing / Ernst Landsberg: Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Βd.  I / 1, München, Leipzig 1880, S. 524.



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dung der Statutenlehre21: der Lehre nämlich, die von den italienischen Juristen zum Verhältnis zwischen einheimischem und d. h. partikularem Recht und gemeinem Recht entwickelt worden war. Die Statutenlehre ging vom Vorrang des jeweils spezielleren Rechts aus – sei es nun Gesetz oder Gewohnheit –, weshalb dem gemeinen Recht als quasi universellem Recht von vornherein nur subsidiäre Geltung zukam. Diese erstaunliche Begünstigung des partikularen Rechts wurde durch ebendiese Statutenlehre jedoch wirkungsvoll zugunsten des gemeinen Rechts relativiert: erstens durch den Grundsatz der engen Auslegung partikularen Rechts, dessen Lückenhaftigkeit hierdurch noch deutlicher fühlbar wurde, und zweitens und vor allem durch den prozessualen Kunstgriff, daß die Partei, die sich auf partikulares Recht berief, dieses nicht nur selbst in den Prozeß einführen, sondern auch dessen Geltung gleich einer Tatsache beweisen mußte. Die Partei, die sich auf gemeines Recht stützte, hatte dagegen den bedeutenden Prozeßvorteil der sog. fundata intentio auf ihrer Seite, also die Vermutung für die Gültigkeit und Anwendbarkeit der von ihr herangezogenen Rechtssätze22. Überraschenderweise ist in dem Consilium von Schürpf mit keinem Wort von dieser Konkurrenzproblematik zwischen gemeinem und partikularem Recht die Rede. Vielmehr formuliert Schürpf als Ausgangsfrage, welcher Teilungsmodus nach dem gemeinen Recht der richtigere sei. Für diesen Ansatz vermag er immerhin eine bedeutende Autorität zu zitieren, den mailändischen Juristen Jason de Mayno (1435–1519)23, dessen Ausführungen er weitestgehend folgt. Neben Bartolus, Baldus und Paulus de Castro gehörte Jason de Mayno als letzter bedeutender Vertreter des mos italicus zu den großen Autoritäten in Deutschland24. 21  Vgl. z. B. Coing, Helmut: Europäisches Privatrecht, Βd.  I, München 1985, S. 106 f.; Hermann Lange / Maximiliane Kriechbaum: Römisches Recht im Mittelalter, Βd.  II, München 2007, S. 235 ff. 22  Vgl. vor allem die kompakte, klare Darstellung bei Luig, Klaus: Universales Recht und partikulares Recht in den ‚Meditationes ad Pandectas‘ von Augustin Leyser (1980), in: ders.: Römisches Recht, Naturrecht, Nationales Recht, Goldbach 1998, S. 109–130, 109 f.; ferner – ausschließlich auf der Basis gelehrter Literatur – Brie, Siegfried: Die Stellung der deutschen Rechtsgelehrten der Rezeptionszeit zum Gewohnheitsrecht, in: Festgabe für Felix Dahn, Breslau 1905, S. 129–164, und Wiegand, Wolfgang: Studien zur Rechtsanwendungslehre der Rezeptionszeit, Ebelsbach 1977. Ein deutlich differenzierendes und relativierendes Bild der Statutenlehre zeichnet Oestmann, Peter: Rechtsvielfalt vor Gericht, Frankfurt / M. 2002, anhand der reichskammergerichtlichen Rechtsprechung und deren Entwicklung vom 16. zum 18.  Jh. 23  Jason de Mayno: Lectura preclarissima super nodoso titulo ‚de actionibus‘ Institutionum, 1533, § quaedam actiones (I.4,6), Nr.  62 ff. 24  Vgl. z. B. Wieacker, Franz, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. Göttingen 1967, S. 134.

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Schürpf stellt nun die zwei gegensätzlichen Meinungen über die Form der Erbteilung innerhalb des gemeinen Rechts dar. Nach der ersten Meinung, die von der herrschenden Lehre der Legisten vertreten wird, hat im Streitfall die Erbteilung officio judicis, also durch den Richter, zu erfolgen, entsprechend der actio familiae erciscundae des römischen Rechts25. Wird über die Zuteilung der gerichtlich gebildeten Erbteile keine Einigkeit erzielt, kann der Richter das Los entscheiden lassen. Bartolus und Baldus als Hauptvertreter der Legistik verwahren sich zugleich entschieden gegen Versuche, aus dem römischen Recht oder aus Augustinus die zivilrechtliche Geltung der Teilungsregel „maior dividat, junior eligat“ herleiten zu wollen. Betont wird vielmehr das Prinzip der „aequalitas“ unter den geschwisterlichen Miterben, unabhängig von Alter und Geschlecht, wonach keinem ein Vorrecht – wie etwa das Wahlrecht des Jüngeren – einzuräumen sei26. Die Gegenmeinung aber vertreten die Kanonisten. In erster Linie berufen sie sich auf den Beschluß eines nordafrikanischen Konzils v. J. 41827 aus den Dekretalen Gregors IX., die 1234 promulgiert wurden und den zweiten Teil des Corpus Iuris Canonici bilden: Es geht um die Wiedereingliederung von abtrünnigen Bischöfen, die von den ketzerischen Donatisten zum katholischen Glauben zurückkehren. Da ihre Bistümer an rechtgläubige Bischöfe vergeben worden sind, kann die Wiedereingliederung nur durch Teilung des Bistums erfolgen. Die Teilung soll der Bischof vornehmen, der das Bistum länger verwaltet hat – sozusagen der maior – und der andere Bischof soll wählen28. Dieser Teilungsmodus wurde von den Kanonisten ohne weiteres auf die Teilung unter Brüdern übertragen, allerdings in der Weise, daß nicht der an Jahren ältere, sondern der in der Verwaltung der Erbschaft erfahrenere Bru25  Vgl.

D.10,2. Baldus de Ubaldis: Commentaria omnia, Venedig 1599 (Meisterwerke des Europäischen Rechts: Baldus de Ubaldis, Goldbach 2004), Vol. V, Tit. De communi dividundo, l. Si maior (C.3,37,4), Nr. 1: „unde licet consuetudo (ut refert Augustinus de Civitate Dei) sit, quod maior faciat portiones et minor optet: tamen de iure nulla debet esse inter eos praelatio dividendi, vel optandi, sed in omnibus debet aequalitas servari, ut hic et sic debet optio brevium, vel sortis felicitate contingere, non praerogativa personae“. 27  Es handelt sich um das Konzil von Karthago vom 1. Mai 418, can. 118 mit dem Titel: „De Dioecesibus, qualiter eas dividant inter se episcopi. Tam catholici, quam qui ex Donati parte conversi sunt“, in: Conciliae Africae a. 345 – a. 525, bearb. von Charles Munier (Corpus Christianorum. Series Latina, Βd.  149), Turnhout 1974, Registri Ecclesiae Cartaginensis excerpta, S. 224. 28  Liber Extra, lib. III, Tit. 29 „De parochiis, et alienis parochianis“, cap.1: „ut ille dividat, qui amplius temporis in episcopatu habet, et minor eligat“, in: Corpus iuris canonici, hg. v. Emil Friedberg, T. II, 1879 (ND 1959) S. 554. 26  Vgl.



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der als „maior“ anzusehen sei29. Schürpf übernimmt mit umfangreicher Begründung diese kanonistische Auffassung – vermutlich fiel die Umdeutung des „maior“ in dem zu begutachtenden Fall nicht ins Gewicht, weil der Älteste der drei gräflichen Brüder auch die Erbschaft am längsten verwaltet hatte30. Nur wenige Jahrzehnte später bezeugen die beiden Hauptvertreter der Kameralistik Joachim Mynsinger von Frundeck und der bereits erwähnte Andreas Gaill die hohe praktische Bedeutung und Verbreitung des Teilungsgrundsatzes „maior dividat, iunior eligat“. Ihr Zeugnis ist besonders wertvoll, da sie, über Jahre selbst Assessoren des Reichskammergerichts, in ihren „Observationes“ auf der Basis der gemeinrechtlichen Lehren die kammergerichtliche Rechtsprechung zu den verschiedensten Rechtsfragen dargestellt haben, so auch zum Problem der brüderlichen Erbteilung. Wie bereits Schürpf, den beide anerkennend zitieren, geht es auch ihnen ausschließlich um die Verortung dieser Regel innerhalb des Rechtsquellensystems. Mynsinger vertritt nun aber die gänzlich andere Position des Reichskammergerichts31. Die Teilungsregel bezieht sich nunmehr klar auf den älteren und den jüngeren Bruder, wird eindeutig dem partikularen Recht zugeordnet und ist vom Reichskammergericht in dieser Form inhaltlich gebilligt worden. Wo die Regel durch Statut oder Gewohnheit eingeführt ist, muß sie strikt befolgt werden, d. h. ein Bruder kann nicht gegen den Willen des anderen die gemeinrechtliche Erbteilung fordern. Das Reichskammergericht hat also entsprechend der herrschenden Meinung der Legisten entschieden. Dieselbe Auffassung vertritt Gaill, wenngleich seine einleitende Formulierung „generali quadam et in Camera approbata consuetudine“32 vereinzelt zu Mißverständnissen Anlaß gegeben hat33. 29  Vgl. z. B. Henricus de Segusio Hostiensis: Commentaria in Libr. III, Tit. 29 „de parochiis, et alienis parochianis“, v. J. 1270 / 71 (Venedig 1581, ND Turin 1965) cap.  1, Nr.  4. 30  Vgl. auch Johann Fichard: Consiliorum Tomus II, Frankfurt 1590, fol. 260r263r, der ebenfalls in einem Gutachten über die Frage zu entscheiden hatte, nach welchem Modus die Erbteilung, die einer der vier gräflichen Brüder begehrte, vonstatten gehen solle. Auch Fichard rechnet – unter Berufung auf die Kanonisten – die Teilungsregel „Der Ältere teilt, der Jüngere erbt“ dem gemeinen Recht zu, obgleich er bereits Mynsingers Stellungnahme kennt, beruft sich aber außerdem auf die Regelung des Sachsenspiegels, da der Erbfall sich in sächsischem Gebiet zugetragen hat. Fichards Gutachten stammt vom 5. Februar 1568, ist aber erst 1590 im Druck erschienen und daher von den Kameralisten Mynsinger und Gaill nicht zur Kenntnis genommen worden. 31  Joachim Mynsinger von Frundeck: Singularium observationum imperialis Camerae Centuriae VI, Wittenberg 1657 (Erstdruck 1563), Cent. IV, obs. 37. 32  Vgl. oben A. 7. 33  Die gemeinrechtliche Lehre hatte in der Tat den Begriff der consuetudo notoria entwickelt, die entsprechend dem Grundsatz: „notoria non indigeant probatione“

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Wenden wir uns aber nun dem sächsischen Rechtsgebiet zu, das angesichts der Ausstrahlung des Sachsenspiegels nicht nur die dichteste Kontinuität unserer Rechtsregel aufweist, sondern auch durch die Fülle seiner einheimischen gelehrten Literatur die sonstigen Territorien des Reichs weit hinter sich läßt. Die fortschreitende Verflechtung von sächsischem und gemeinem Recht in Literatur und Praxis führte zur Ausbildung des sog. „Gemeinen Sachsenrechts“, d. h. des gemeinrechtlich weitergebildeten sächsischmagdeburgischen Rechts34. Das Gebiet des gemeinen Sachsenrechts umfaßte zur Zeit seiner größten Ausdehnung Sachsen, Thüringen, Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg, große Teile Niedersachsens, Teile Holsteins und Schlesien. Dem gemeinen Sachsenrecht gingen, der Statutenlehre entsprechend, lokale, regionale und territoriale Statuten und Gewohnheiten vor, jedoch bildete es die nächste subsidiäre Rechtsebene, hatte also Vorrang vor der allgemeinsten Rechtsordnung, dem jus commune. Insofern war auch das Gebiet des sächsischen Rechts durch Rechtsvielfalt gekennzeichnet, die sich zudem mit zunehmender territorialer Gesetzgebung ständig verstärkte. Auch das Gemeine Sachsenrecht selbst – ein ohnedies schillernder und im einzelnicht bewiesen werden mußte, vgl. Brie (A. 22) S. 161, Wiegand (A. 22) S. 101 ff. Nicht selten wird auch von consuetudines generales oder universales gesprochen, die nicht des Beweises bedürfen, vgl. Oestmann (A. 22) S. 608 f., 612, 632, sowie Luig, Klaus: Institutionenlehrbücher des nationalen Rechts im 17. und 18. Jh. (1970), in: ders.: Römisches Recht, Naturrecht, Nationales Recht, Goldbach 1998, S. 361– 394, 368, und ders.: Die Anfänge der Wissenschaft vom deutschen Privatrecht, in: Jus Commune, Βd.  I, 1967, S. 195–222, 200. Beispiele solcher Gewohnheiten werden allerdings in der Sekundärliteratur wie in der gemeinrechtlichen Literatur kaum jemals angeführt. Wenn überhaupt, so wird der Mannesvorzug im Erbrecht genannt (s. auch unten A. 53). Obwohl Gaill seine Aussage über die „generali quadam et in Camera approbata consuetudine“ wenige Sätze später im Sinne der Statutenlehre relativiert – die Gewohnheit, daß der ältere Bruder teilt, der jüngere wählt, ist nur dort einzuhalten, wo sie in Übung ist („si vero aliter consuetudine receptum est“), ist seine Äußerung von einigen Autoren im Sinne einer generell nicht beweisbedürftigen Gewohnheit interpretiert worden, vgl. z. B. Nicolaus Betsius, De Statutis, Pactis et Consuetudinibus familiarum illustrium et nobilium (Erstdruck 1611), cap. IV, § 10, der allerdings nur das Gaill-Zitat unkommentiert wiedergibt. Der Herausgeber der Betsius-Ausgabe v. J. 1699, Johann Schilter, der vielbeachtete Vorläufer der Wissenschaft vom deutschen Privatrecht, leitet daraus in seiner Anmerkung zu § 10 ab, daß Betsius die Regel, daß der Ältere der Brüder teilt und der Jüngere wählt, zu Recht nicht auf die sächsischen Gebiete beschränke, sondern sie der Gewohnheit ganz Deutschlands zuteile. Vor allem aber ist in diesem Zusammenhang Georg ­Beyer zu nennen, vgl. unten S. 454. Demgegenüber hat Heinrich von Rosenthall: Tractatus et synopsis totius juris feudalis, 1721, Βd.  I, cap. VII, concl. 17 Nr.  15, ausdrücklich klar gestellt, daß das Reichskammergericht niemals ausgesprochen habe, daß es sich bei der Teilungsregel um eine consuetudo universalis handle, sondern sie lediglich dort, wo sie in Übung sei, als gültig angesehen. 34  Vgl. Lück, Heiner: Art. „Gemeines Sachsenrecht“, in: HRG, Βd.  II, 2.  Aufl. 2009, Sp. 77–84.



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nen stets umstrittener Begriff – war durch zahlreiche Kontroversen belastet. Dem dringenden Reformbedarf half – durchaus nicht zufällig – Kursachsen ab als das Territorium, das dem Sachsenrecht traditionell in besonderem Maße verpflichtet war. Kurfürst August von Sachsen erließ auf der Basis von Fakultätsgutachten aus Wittenberg und Leipzig die vielbeachteten Kursächsischen Konstitutionen v. J. 157235. Sie stellen im wesentlichen gesetzliche Entscheidungen der zahlreichen Kontroversen dar und gewährleisteten auf diese Weise die Einheitlichkeit der Rechtsprechung. So verwundert es nicht, daß unsere Teilungsregel, die in Glossen36, Differentienliteratur37 und Gerichtspraxis38 überlebt hatte, als Teil des Gemeinen Sachsenrechts ebenfalls in die Kursächsischen Konstitutionen gelangte39. Von hier ist es nur ein kleiner Schritt zu einem der prominentesten Vertreter des Usus modernus Pandectarum Benedikt Carpzov (1595–1666) und dessen zivilistischem Hauptwerk „Jurisprudentia forensis Romano-Saxonica secundum ordinem constitutionum D. Augusti Electoris Saxoniae“ v. J. 163840: formell ein Kommentar zu den Kursächsischen Konstitutionen, inhaltlich jedoch eine Darstellung des römisch-sächsischen Gemeinrechts auf der Basis der Spruchpraxis des berühmten Leipziger Schöffenstuhls41. Wenn hier von den sächsischen Juristen allein Carpzov behandelt wird, so nicht nur seiner herausragenden Bedeutung wegen, sondern auch, weil er 35  Zu den kursächsischen Konstitutionen vgl. vor allem Schletter, Hermann Theodor: Die Constitutionen Kurfürst August’s von Sachsen v. J. 1572, Leipzig 1857, als die ausführlichste und auch heute noch maßgebende Untersuchung; ferner die Edition der Kursächsischen Konstitutionen in: Quellen zur Neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands, hg. v. Wolfgang Kunkel und Hans Thieme, bearb. v. Franz Beyerle, Βd.  I / 2, Weimar 1938, S. 255–318, mit informativem Anmerkungsapparat S. 371–391. 36  Vgl. z. B. die Buch‘sche Glosse zu Sachsenspiegel Landrecht III 29 § 2, in: Glossen zum Sachsenspiegel-Landrecht. Buch’sche Glosse (Monumenta Germaniae historica, Fontes iuris germanici antiqui. N.S. VII), hg. v. Frank-Michael Kaufmann, Teil 2, Hannover 2002, S. 1103. 37  Vgl. z. B. Benedict Reinhard, Ludwig Fachs, Differentiarum aliquot iuris civilis et saxonici Liber, 2. Ausg. Köln 1569 (Erstdruck Köln 1567), Diff. XXXI. 38  Hier genügt es, auf die zahlreichen bei Benedict Carpzov wiedergegebenen Schöffensprüche zu verweisen. Vgl. S. 464. 39  Kursächsische Konstitutionen P. III, const. XV. 40  Benutzt wurde die Ausgabe v. J. 1721, Leipzig, S. 814–831 (Kommentierung von P. III, const. XV). 41  Vgl. zu diesem Werk vor allem Stintzing / Landsberg (A. 20), Βd.  I / 2, S. 84 ff.; ferner Lipp, Martin: Das privatrechtliche Wirken Benedikt (II.) Carpzovs im Kontext der europäischen Zivilrechtswissenschaft, in: Wittenberg. Ein Zentrum europäischer Rechtsgeschichte und Rechtskultur, hg. v. Heiner Lück u. Heinrich de Wall, Köln/ Weimar/Wien 2006, S. 245–272.

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auf der Grundlage der sächsischen Jurisprudenz42 und Spruchpraxis eine Summe zieht, eine Summe zudem – und dies mag zum Erfolg seiner Schrift beigetragen haben –, die auch komplexe Kontroversen knapp zusammenfaßt und definitive Rechtssätze formuliert. Der Erbteilung in der sächsischen Gerichtspraxis widmet Carpzov nicht weniger als 57 Definitionen. Da es ihm um das gemeine Sachsenrecht geht, bilden regelmäßig die „gesetzliche Vorschrift“ Sachsenspiegel Landrecht III 29 § 2 und deren gelehrte Interpretation den Schwerpunkt, während die Kursächsische Konstitution eher beiläufig – bestätigend oder ergänzend – miterwähnt wird. Außerdem wird jede der 57 Definitionen durch zumindest einen, meist mehrere Schöffensprüche untermauert. Vom sicheren Boden des gemeinen Sachsenrechts aus kann Carpzov die grundsätzliche Geltungsproblematik beiseite lassen. Nur beiläufig bemerkt er noch, daß die sächsische Teilung „maior dividit, junior eligit“ aus der Kanonistik herrühre43. Im Zentrum steht vielmehr die dogmatische Ausgestaltung der sächsischen Teilung, und hier wiederum das Bemühen um Festlegung ihrer vielfach umstrittenen tatbestandlichen Grenzen. Vorweg sei bemerkt, daß die vertragliche Teilungsvereinbarung unter den Miterben stets Vorrang hatte vor der gesetzlichen Teilungsregelung, sei es nun die gemeinrechtliche oder die vom Sachsenspiegel vorgesehene sog. sächsische Teilung. Umstritten war dagegen bereits der Vorrang testamentarischer Teilungsanordnungen, d. h. insbesondere die Frage, ob dem jüngeren Sohn testamentarisch das Wahlrecht entzogen werden konnte44. Die kursächsische Konstitution P. III, const. XV hat diese Streitfrage zugunsten des Testaments entschieden. Die gesetzliche Erbteilung gelangte also erst zur Anwendung, wenn weder ein Teilungsvertrag noch testamentarische Anordnungen vorlagen. Sodann erhob sich die weitere Frage, wo die Abgrenzungslinie zwischen der sächsischen und der gemeinrechtlichen Erbteilung verlief, wie weit also die tatbestandlichen Grenzen der sächsischen Teilung zu ziehen waren. 42  Vor allem zieht Carpzov den weithin bekannten Rechtsanwalt und Konsulenten Matthias Berlich (1586–1638), „einen der bedeutendsten Praktiker seiner Zeit“, heran. Bei Stintzing / Landsberg (A. 20), Βd.  I / 1, S. 737, findet sich auch das unter den sächsischen Juristen gängige Sprichwort: „Nisi Berlichius berlichizasset, Carpzovius non carpzoviasset“. Durchgehend zitiert Carpzov aber auch Daniel Moller, Andreas Rauchbar, Matthias Coler, Hartmann und Modestinus Pistoris, um nur einige zu nennen. 43  Carpzov (A.40) Def. 2. 44  Carpzov, Def. 21.



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Pragmatisch stellt Carpzov die – an sich subsidiäre – gemeinrechtliche Erbteilung als Grundregel voran und erörtert anschließend den spezielleren Tatbestand der sächsischen Teilung45. Bereits hier wird das methodische Ziel des Usus modernus deutlich, die Pluralität der Rechtsquellen zu einer kongruenten gemischtrechtlichen Ordnung zusammenzuführen46. Sodann trifft Carpzov die knappe Feststellung, daß die sächsische Teilung den Spezialfall zweier Miterben betreffe47 – der Sache nach ein Paukenschlag, denn die wohl am heftigsten umstrittene und nahezu fundamentale Streitfrage, ob die sächsische Teilung auch für mehr als zwei Miterben eingreife, war durch die Kursächsische Konstitution nicht beigelegt. Schließlich hatte diese lediglich den Wortlaut des Sachsenspiegels wiederholt und auf die „landübelichen Rechte“ verwiesen. Und in der Tat stellt auch Carpzov nicht auf den Wortlaut („zwei Mannen“) ab. Vielmehr legt er dar, daß die Zahl „zwei“ in den sächsischen Rechtsquellen ohne weiteres für den Plural schlechthin stehen könne. Er beruft sich vor allem darauf, daß durch „communi usu et consuetudine“ die sächsische Teilung auf zwei Miterben beschränkt worden sei. Ich zitiere hier einmal einen der von Carpzov angeführten Schöffensprüche wörtlich48: „Ist Lucas Roßberg Todes verfahren, und hat vier Söhne und eine Tochter, nebens einer Erbschafft … nach sich verlassen, etc. So hat er solche seine Verlassenschaft auf seine 5 Kinder zugleich bracht und verfället, und es hat sich der Jüngste keines juris optionis oder Kührgerechtigkeit anzumassen. Es wäre dann des Orts durch eine beständige Gewohnheit eingeführet, und über Rechtsverwehrte Zeit unverbrüchlich also gehalten worden, daß auch in dem Fall, wann mehr denn zween Söhne verhanden, dem Jüngsten die Kühr-Gerechtigkeit gebühre, dessen genösse er billig, etc.“ (Juli 1595)

Innerhalb dieser einschneidenden Vorwegbeschränkung auf den Fall zweier Miterben werden dann wieder erweiternde Auslegungen praktiziert: Sachsenspiegel Landrecht III 29 wird dahin interpretiert, daß es für die Zweierzahl ausschließlich auf den Zeitpunkt der Erbteilung ankomme49 – wie dies die Kursächsische Konstitution ausdrücklich festgehalten hat (P.III, const. XV, Abs.1). Da Erbengemeinschaften oft über lange Zeit fortgeführt wurden, konnten Todesfälle, Abfindungen gegen Erbverzicht etc. durchaus zu der erforderlichen Zweierzahl im Zeitpunkt der Teilung geführt haben. 45  Carpzov,

Def. 1.

spricht Carpzov etwa vom „Judicium familiae erciscundae Saxonicum, quo major dividit, minor eligit“ (Def. 5). 47  Carpzov, Def. 1 und 11. 48  Carpzov, Def. 11. 49  Carpzov, Def. 12. 46  Bezeichnenderweise

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Auch weitere Zweifelsfragen sieht man in erweiterndem Sinn entschieden: So soll die sächsische Teilung nicht nur für den Bauernstand, sondern ebenso für den Bürger- und Adelsstand gelten, wie aus der allgemeinen Formulierung „zwei Mannen“ des Sachsenspiegels abgeleitet wird50. Aus dem gleichen Grund soll die sächsische Teilung nicht nur den Fall zweier Brüder, sondern überhaupt zweier Miterben, also sämtlicher erbberechtigter Verwandten einschließlich Aszendenz und Seitenverwandten erfassen51. Besonders aufschlußreich für die komplexe Verflechtung des sächsischen mit dem gemeinen Recht ist die Frage der Erbenstellung weiblicher Verwandter. Sie sollen nach der gemeinrechtlichen Interpretationsregel, daß die männliche Ausdrucksform grundsätzlich die weibliche einschließe, ebenfalls von der Regelung des Sachsenpiegel Landrecht III 29 erfaßt sein52. Wie Carpzov dann aber sofort präzisiert, ist damit nur der Fall gemeint, daß zwei Frauen miteinander erben. Wie aber verhält es sich, wenn etwa Sohn und Tochter miteinander erben – immerhin hatte der mittelalterliche Sachsenspiegel bestimmt, daß neben Söhnen Töchter nicht erben53. Die Kursächsische Konstitution (P. III, const. XV, Abs.2) hatte hier zu einer völlig neuen Regelung gefunden: In diesen Fällen hatte stets die Frau zu teilen, auch wenn sie die Jüngere war, und dem Mann kam stets das Kürrecht zu. Carpzov verteidigt vehement die Allgemeingültigkeit dieser singulären Lösung mit dem „favor agnationis“, also dem Vorrecht des Mannesstamms, und der „conservatio familiae“54: Es scheint allerdings, daß diese Regelung im großen und ganzen kursächsisches Territorialrecht geblieben und entgegen Carpzovs Bestreben nicht in den Rang des gemeinen Sachsenrechts aufgestiegen ist. Die stets umstrittene Frage, ob Sachsenspiegel Landrecht III 29 auch für Lehen gelte, bejaht Carpzov kurzerhand mit der Interpretationsregel, daß das sächsische Recht auch Lehen erfasse, sofern nicht eine lehnrechtliche Gewohnheit entgegenstehe55. Zweifel erregte ferner die Frage, ob das Wahlrecht des Jüngeren erblich war. Entsprechend dem gemeinrechtlichen Grundsatz, daß ein persönliches Privileg sich nicht vererbe, vertritt Carpzov die Nichtvererblichkeit des 50  Carpzov,

Def. 3. Def. 5. 52  Carpzov, Def. 6. 53  Ssp LdR I 17 § 1. Als Beispiel einer consuetudo notoria zitiert Brie (A. 22) S. 161, A. 154, ein Consilium von Oldendorp, wonach in Hessen die Gewohnheit, daß nur die Männer zur Erbfolge in Immobilien berufen sind, da manifest, keines Beweises bedurft habe. 54  Carpzov, Def. 7. 55  Carpzov, Def. 8. 51  Carpzov,



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Optionsrechts – wie dies auch bereits die Kursächsische Konstitution (P. III, const. XV, Abs.1) entschieden hatte. Das gleiche, ergänzt Carpzov, gelte für die Teilungsbefugnis des Älteren56. In klar typisierter Kasuistik legt er prägnant die Konsequenzen für die Grenzlinie zwischen sächsischer und gemeinrechtlicher Teilung dar: Ist einer der beiden Söhne unter Hinterlassung von Kindern vor der Teilung, aber nach dem Vater verstorben, so findet zwischen dem überlebenden Sohn und seinen Neffen die Teilung nach gemeinem Recht statt, denn weder das Options- noch das Teilungsrecht konnten die Neffen erben57. Ist dagegen der jüngere Sohn vor dem Vater verstorben, so beerben seine Kinder unmittelbar den Großvater, sie treten also „ex propria persona“ in das Optionsrecht ein, das sonst ihrem Vater zugekommen wäre58. Die sächsische Teilung findet zwischen dem überlebenden älteren Bruder als Teilendem und seinen Neffen, die als Stamm erben und aus diesem Grund als eine Person gelten, als Wählenden statt. Stirbt aber der ältere Sohn vor dem Vater, so müssen seine Kinder nicht etwa teilen, sondern sie dürfen als die Jüngeren wählen, und ihr Onkel muß teilen: in puncto Alter ist kein Raum für Fiktion59. Eine weitere Grenze für die sächsische Teilung ergibt sich aus der Erbschaft selbst. Besteht sie nur in einem Erbschaftsgegenstand, der nicht sinnvoll geteilt werden kann, z. B. eine Apotheke oder eine entsprechende Liegenschaft, so muß nach gemeinem Recht geteilt werden60. Die Ausführungen Carpzovs zu weiteren dogmatischen Problemen der Erbteilung, etwa zur Bestandskraft der einmal getroffenen Wahl, zur Relevanz der laesio enormis, und anderes mehr muß ich hier beiseite lassen61. Führt man sich nochmals vor Augen, daß sämtliche Definitionen Carp­ zovs Probleme aus der sächsischen Gerichtspraxis behandeln, so wird man 56  Carpzov,

Def. 13. Def. 14. 58  Carpzov, Def. 15. 59  Carpzov, Def. 16. 60  Carpzov, Def. 34. 61  Carpzov, Def. 45–57. Aus Raumgründen kann hier auch nicht das Verhältnis des gemeinen Sachsenrechts zu lokalen Statuten oder Gewohnheiten behandelt werden, das sich wiederum nach der Statutenlehre richtet: „Cessat modus partitionis in jure Saxonico praescriptus, ut scilicet major dividat, minor eligat, iis in locis, ubi statuto vel consuetudine alia divisionis forma est introducta“ (Def. 24). Als Beispiel behandelt Carpzov sehr ausführlich das sog. gewohnheitsrechtliche Jus optionis, das vielerorts in bäuerlichen Kreisen üblich gewesen sei: das jüngste Sohn hat das Recht, zwischen dem väterlichen Hof oder Entschädigung in Geld zu wählen (Def. 25 ff.). 57  Carpzov,

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an der hohen praktischen Relevanz der Teilungsregel „maior dividit, junior eligit“ nicht zweifeln können. Zugleich dürfte der Blick auf die zahlreichen Streitfragen um die tatbestandlichen Grenzen dieser Teilungsregel gezeigt haben, wieviel juristischer Anstrengung es bedurfte, um nur einen Rechtssatz des einheimischen Rechts zu präzisieren und in dem komplexen systematischen Gefüge des sächsischgemeinen Mischrechts zu verorten. Deutlich wird auch die Wandlung des Sachsenspiegels vom mittelalterlichen Landrechtsbuch zum „Gesetz“ des gemeinen Sachsenrechts, das die mittelalterlichen Rechtskreise überwunden hat, also grundsätzlich auch im Bereich des Stadtrechts und Lehnrechts Anwendung fand. Mit Georg Beyer, dem Schüler des großen Aufklärers und Naturrechtlers Christian Thomasius (1665–1714), betreten wir eine neue Welt, die Welt der beginnenden Wissenschaft vom jus germanicum, d. h. vom deutschen Recht, insbesondere: vom deutschen Privatrecht62. Bereits Hermann Conring hatte gegen Mitte des 17. Jh. nicht nur die verbreitete Überzeugung, das römische Recht sei durch kaiserliches Gesetz eingeführt worden – die sog. Lotharische Legende – widerlegt, sondern auch dargetan, daß das römische Recht ebenso wie das einheimische nur kraft praktischer Anwendung gelte63. Konsequenterweise hatte er eine Darstellung des gesamten in Deutschland tatsächlich praktizierten Rechts gefordert, wobei er das deutsche Gewohnheitsrecht gleichberechtigt neben das römische Recht stellte – in klarer Absage an die Statutenlehre. Wenngleich das einheimische Recht nun zunehmend Beachtung fand, wird man das Fanal zur Etablierung des deutschen Rechts als eigener Wissenschaftsdisziplin doch in der Vorlesung von Christian Thomasius erblicken dürfen64, die er unter dem Titel „Institutiones juris Germanici“ seit 1701 in Halle hielt. Das Verdienst indessen, die erste Darstellung des deutschen Privatrechts gegeben zu haben, wurde bereits im 18.  Jh. und wird auch heute Georg Beyer zuerkannt65, der den von Thomasius eröffneten Weg weiter verfolgte. 62  Zu Georg Beyer vgl. vor allem Stintzing / Landsberg (A. 20) III / 1, S. 137 f., sowie Schäfer, Frank L.: Juristische Germanistik, Frankfurt / M. 2008, S. 93, 103 ff. 63  Vgl. z. B. Schäfer (A. 62) S. 59 ff. 64  Vgl. Luig: Die Anfänge (A. 33) S. 208, aber auch Schäfer (A. 62), S. 85. 65  Vgl. vor allem Luig, K.: Art. „Deutsches Privatrecht“, in: HRG 10. Lief. (2009) Sp. 993–1003, bes. 995, ferner ders., Die Anfänge (A. 33) S. 208 ff. Als Autoren des 18.  Jh., die Georg Beyer die erste Darstellung des deutschen Privatrechts zuschreiben, hebt Luig, ebd. S. 208 A. 48, besonders Justus Friedrich Runde (1741–1807) und Johann Heinrich Christian von Selchow (1732–1795), aus dem 19.  Jh. Karl Friedrich Gerber (1823–1891) hervor. Vgl. ferner Schlosser, Hans: Grundzüge der Neueren Privatrechtsgeschichte, 10. Aufl., Heidelberg 2005, S. 158.



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Es handelt sich um die posthum i. J. 1717 gedruckte Vorlesung, die Beyer seit 1707 in Wittenberg ausschließlich über deutschrechtliche Institute gehalten hatte66. Eben dieser Georg Beyer, im übrigen keine prominente Gestalt der Wissenschaftsgeschichte, hat nun eine rund 20-seitige Dissertation über das Rechtssprichwort „Major dividit, minor eligit“ verfaßt, die ebenfalls posthum (1723) zusammen mit weiteren Arbeiten zum jus germanicum herausgegeben worden ist67 und noch im 19.Jh. zitiert wurde68. Viel Raum widmet Beyer der Herkunft des Rechtssatzes. Hatte Carpzov diese Teilungsform noch knapp als kanonistischer Abkunft bezeichnet, so erörtert Beyer nun die verschiedenen literarischen Belege aus der griechischen wie römischen Antike – auch Augustinus und die Abraham-Lot-Erzählung fehlen nicht –, die seiner Ansicht nach sämtlich nicht beweisen, daß es irgendwann einmal einen Rechtssatz diesen Inhalts gegeben habe69. Auch das stets zitierte Kapitel aus den Dekretalen Gregors IX. über die Teilung eines Bistums weist er wegen des evident anderen Sachverhalts zurück70. Überhaupt sei es müßig, Gewohnheiten in Rechtstexten suchen zu wollen, da die ältesten Gewohnheiten der Völker außergerichtlicher Natur seien. Und wenig sinnvoll sei es erforschen zu wollen, wann zuerst eine solche Gewohnheit gerichtlich relevant geworden sei. Das sächsische und das alemannische Recht – wofür Beyer lediglich den Sachsenspiegel samt sächsischem Weichbildrecht und den Schwabenspiegel anführt –, die ganz Deutschland im 13. und 14.  Jh. beherrscht hätten, belegten diese Teilungsform als gerichtliche wie außergerichtliche Gewohnheit71. Ebenso wie Rom sich bei der Erbteilung an den richterlichen arbiter gehalten habe, so Germania an das arbitrium des Jüngeren72. Aus der Nichtexistenz eines antiken Rechtssatzes ist in Verbindung mit drei mittelalterlichen – noch dazu textlich voneinander abhängigen – Rechtsbüchern unversehens eine eigenständige Gewohnheit ganz Deutschlands geworden, die dem römischen Recht Luig: Die Anfänge (A. 33) S. 208 ff., sowie Schäfer (A. 62) S. 103 ff. Beyer, Dissertatio XII juris germanici, in qua proverbium juridicum ‚Major dividit, minor eligit‘ examinatur, in: ders., Dissertationes et opuscula, Leipzig 1723, S. 296–317. 68  Vgl. z. B. Christian Gottlieb Haubold: Lehrbuch des Kgl.-Sächsischen Privatrechts, Leipzig 1820, § 355, der allerdings diese Dissertation von Georg Beyer bereits als Druck in Wittenberg 1712 erschienen sowie in der obengenannten posthumen Sammelausgabe zitiert, und Karl Joseph Anton Mittermaier: Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, Βd.  II, Regensburg 1847, § 468, A. 7. 69  Beyer, (A. 67) Cap. I. 70  Beyer, ebd. Cap. I § 8. 71  Beyer, ebd. Cap. I § 11 und § 13. 72  Beyer, ebd. Cap. I § 2. 66  Vgl.

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gegenüber tritt. In der fraglosen Überschätzung der Rechtsbücher als Zeugnis flächendeckend praktizierten Rechts über Jahrhunderte hinweg entspricht Beyer indessen den methodischen Standards seiner Zeit. Im übrigen verfolgt Beyer mit seinen Ausführungen ein höchst praktisches Ziel: es geht ihm um den beweisrechtlichen Rang dieser angeblich in ganz Deutschland geübten Gewohnheit73, und damit zugleich um die von germanistischer Seite zunehmend geforderte Geltungsvermutung zugunsten des einheimischen Rechts. Allerdings scheint sich Beyer hinsichtlich unseres Rechtssatzes argumen­ tativ im Rahmen der Statutentheorie und ihrer Lehre von der nicht beweisbedürftigen consuetudo universalis oder generalis zu bewegen74. Auch seine nachdrückliche Berufung auf Gaills mißverständliche Äußerung „ex gene­ rali quadam Germaniae … consuetudine“ legt diese Interpretation seiner Ausführungen nahe75. Mit bewegten Worten reklamiert Beyer, daß in ganz Deutschland die Vermutung für unsere Teilungsregel streite, mit Ausnahme der Territorien, die explizit unter Abschaffung des vaterländischen Rechts das gemeine Recht eingeführt hätten, wie etwa die Mark Brandenburg76. Hart geht er mit den Juristen ins Gericht – aus seiner Perspektive keineswegs zu Unrecht –, die zwar diese Teilungssitte überall in Deutschland in Übung gesehen hätten, aber die Monumente, aus denen sie Rechte und Sitten der Deutschen hätten erfahren können, entweder nicht kannten oder sie verachteten oder nicht wagten, sie zu zitieren, vielmehr überall herumstöberten, ob sie nicht irgendeine Stelle des römischen oder kanonischen Rechts fänden, die als Vorwand für diese Gewohnheit taugen könnte. Dieses Theater spiele sich auch heute noch an gewissen Lehrstühlen und bei Gericht ab, sei nun aber begleitet vom Gelächter derjenigen, die die vaterländischen Sitten ein wenig genauer betrachtet hätten77. Im einzelnen handelt Beyer, außerordentlich zitatenreich, mehr oder weniger dieselben dogmatischen Streitpunkte ab, die wir bei Carpzov vorgefunden haben. Freilich läßt er keine Gelegenheit ungenutzt, der Teilungsregel „maior dividit, junior eligit“ einen breiteren Geltungsbereich gegenüber dem gemeinen Recht zu verschaffen. So verneint er besonders heftig 73  Beyer, Cap. I § 12: „Atque hinc forte decidi poterit principalis quaestio: an consuetudo, quae minori jus optandi tribuit, extra Saxoniam in dubio valere praesumatur?“. 74  Vgl. oben A. 33. 75  Beyer, Cap. I § 12. 76  Beyer, Cap. I § 13. Gemeint ist die Konstitution des Kurfürsten Joachim I. v. J. 1527, vgl. Stobbe, Otto: Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Βd. 2, Braunschweig 1864 (ND 1965), S. 208 A. 5. 77  Beyer, Cap. I § 13.



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und durchaus mit guten Gründen die Begrenzung der Regel auf zwei Erben und attackiert Carpzov, der sich lediglich auf die „Observanz“ berufen habe, jenes Idol und juristische Gespenst („idolum istud et spectrum juridicum“), bei dessen Erwähnung die meisten Juristen verstummten und erbebten78. Die bei Carpzov nur kurz erwähnte lehnrechtliche Problematik wird hingegen kenntnisreich und differenziert behandelt79. Insgesamt aber ist die polemische Aufbruchsstimmung mit vaterländischen Untertönen hin zu einem deutschen Recht selbst am Beispiel unseres einen Rechtssatzes unverkennbar. Es ist keine Frage, daß dieser neue Ansatz zunächst nur die akademische Welt, diese allerdings zunehmend beschäftigte. 1711 waren in Kiel und 1727 in Tübingen die ersten Lehrstühle für Deutsches Recht geschaffen worden und zum Zentrum dieser Disziplin wurde die „modernste deutsche Hochschule des 18.Jh.“, die 1737 gegründete Universität Göttingen80. Immerhin läßt sich verfolgen, daß in diesen Jahrzehnten selbst vor dem Reichskammergericht zunehmend mit allgemeinen deutschen Rechtssätzen argumentiert wurde. Oestmann spricht von einer „Modewelle“, die um die Mitte des 18. Jh. ihren Höhepunkt erreicht habe, und bemerkt treffend: „Mit mittelalterlichen deutschen Rechtsquellen wurde umso stärker argumentiert, je länger das MA zurücklag“81. Nach dem Befund der von Oestmann untersuchten Prozesse fanden diese Bemühungen allerdings nicht die Gegenliebe der Reichskammergerichtsassessoren, die sie mit großer Regelmäßigkeit scheitern ließen82. Die Universität Göttingen wurde schon erwähnt. Ein Glücksfall will es, daß ihr wohl berühmtester Jurist, ein Vertreter des deutschen Rechts und vor allem Staatsrechts, unserem Rechtssatz ebenfalls einen Beitrag gewidmet hat: es handelt sich um Johann Stephan Pütter (1725–1807). Robert von Mohl schreibt über ihn: „Jeder Anfänger weiß, daß er unter den größesten Kennern und Förderern des Reichsstaatsrechts genannt wird; daß seine Aussprüche in ganz Deutschland mit einer fast abergläubigen Anerkennung befolgt wurden; daß während fast zweier Menschenalter demjenigen, welcher ihn nicht als Lehrer gehabt hatte, die höhere Weihe des Rechtsgelehrten und Staatsmannes zu fehlen schien“83. Pütters Erörterung „Ueber das so 78  Beyer,

Cap. II § 5. Cap. III §§ 3–5. 80  Vgl. Kroeschell, Karl: Deutsche Rechtsgeschichte Βd.  3, 3.  Aufl. Wiesbaden 2001, S. 104. 81  Vgl. Oestmann (A. 22) S. 343. 82  Ebd. S. 633 f. 83  Zitiert nach Gerd Kleinheyer / Jan Schröder (Hg.): Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, 5. Aufl. Heidelberg 2008, S. 345. 79  Beyer,

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genannte Kührrecht bey brüderlichen Erbtheilungen“ befindet sich in seinem Werk „Erörterungen und Beyspiele des Teutschen Staats- und Fürstenrechts“ v. J. 179384. Anlaß der Abhandlung war die Anfrage eines adligen Hauses aus den Braunschweig-Lüneburgischen Landen, ob von zwei Brüdern, die ein väterliches Lehngut unter sich zu teilen hatten, einer gegen den Willen des anderen darauf dringen könne, daß der ältere teilen und dem jüngeren die Wahl überlassen müsse. Es war somit allein über die Geltung des Rechtssatzes zu entscheiden. Wie Pütter einführend bezeugt, wurde dieser Teilungsmodus, da im Sachsenspiegel verankert, nach verbreiteter Ansicht als „allgemeines Teutsches Gewohnheitsrecht“ angesehen – Beyers Thesen hatten also offensichtlich Schule gemacht. Erst als er selbst näher nachgeforscht habe, habe er herausgefunden, daß der Verfasser des Sachsenspiegels, wie auch in anderen Fällen, „nicht sowohl aus ursprünglich Teutschen Rechtsquellen geschöpft, als vielmehr solche Rechtssätze, die eigentlich aus dem päpstlich-kanonischen oder Römisch-Justinianischen Gesetzbuch oder aus den Glossatoren beider Rechte herzuleiten waren, vor Augen gehabt“ habe85. Mit großer Klarheit werden nochmals die kanonistischen Quellen erörtert und der vorsichtige Schluß gezogen, daß das Kürrecht „offenbar“ aus dieser kanonistischen Meinung herrühre und auch daraus erst in den Sachsenspiegel eingeflossen sei, also kein ursprüngliches deutsches Gewohnheitsrecht sei86. Nicht weniger präzis interpretiert er die Stellungnahmen von Mynsinger und Gaill im Sinne der Statutenlehre87: das Kürrecht des Jüngeren besteht nur da, wo es in besonderen Verordnungen oder Gewohnheiten begründet ist. Dies aber sei in den Braunschweig-Lüneburgischen Landen nicht mehr der Fall, da dort das ehemals geltende Sachsenrecht durch neuere Gesetze abgeschafft worden sei. Mit Pütter endet das Ancien Régime und auch die Geschichte unserer Teilungsregel. Wie wir gesehen haben, war es angesichts der Rechtsvielfalt des Alten Reichs die vordringliche Aufgabe der Juristen, unsere Teilungs­ regel innerhalb der verschiedenen Rechtsebenen zu verorten. Versuchte Schürpf noch, die Regel dem gemeinen Recht zuzuweisen unter Berufung auf die kanonistische Lehrmeinung, so etablierte sich entsprechend der Rechtsprechung des Reichskammergerichts die Auffassung, daß sie dem partikularen Recht zugehöre und ihre Geltung daher grundsätzlich zu bewei84  Johann Stephan Pütter: Neunte Erörterung ueber das so genannte Kührrecht bey brüderlichen Erbtheilungen, in: Erörterungen und Beyspiele des Teutschen Staats- und Fürstenrechts, Βd.  I, Göttingen 1793, S. 447–456. 85  Pütter, ebd., S. 448. 86  Pütter, ebd., S. 455. 87  Pütter, ebd., S. 452–454.



„Der Ältere teilt, der Jüngere wählt“

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sen sei. Hiergegen tritt Georg Beyer als Exponent der beginnenden Wissenschaft vom deutschen Privatrecht an, während Pütter sich wiederum zur traditionellen Verortung des Rechtssatzes bekennt und am Ende des Ancien Régime eindrucksvoll die aktuelle Präsenz einer Jahrhunderte umschließenden juristischen Tradition dokumentiert. Das 19.  Jh. kann im wesentlichen als Nachspiel charakterisiert werden. Am ausführlichsten wird die Teilungsregel noch in den Lehrbüchern zum sächsischen Privatrecht88, in engem Anschluß an Carpzov, behandelt – schließlich wurde die sächsische Teilung erst durch das Sächsische Bürgerliche Gesetzbuch v. J. 1863 derogiert. Vorgesehen war nunmehr die Teilung durch Los, mit der Besonderheit indessen, daß der Älteste teilt und der Jüngste zuerst das Los zieht89 – und zwar keineswegs zufällig, wie die Motive eigens klarstellen: „In § 350 (=  § 339) hat man das sogenannte Kürrecht beibehalten, weil dasselbe bereits in dem alten Sachsenrechte begründet und in dem Rechtsbewußtsein des Volkes tief eingewurzelt ist“90. In den allgemeinen Darstellungen des deutschen Privatrechts spielt, soweit sie zeitbezogen sind, das Kürrecht nur noch eine Schattenrolle91. Mehr Zuwendung erfährt der Rechtssatz in den rechtshistorisch ausgerichteten Lehrwerken des deutschen Privatrechts92. Er wird nunmehr gern als „sehr alt“ oder „uralt“ bezeichnet und im Lichte des Ausspruchs von Jacob Grimm in seinen Rechtsalterthümern wiedergegeben93: „Statt des loßes galt von 88  Vgl. z. B. Haubold (A. 68) § 355; Carl Friedrich Curtius: Handbuch des in Chursachsen geltenden Civilrechts, T. II, 2. Aufl. Leipzig 1807, § 938. 89  § 339 des Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen: „Die Art und Weise einer Theilung der gemeinschaftlichen Sache hängt zunächst von der Uebereinkunft aller Miteigenthümer ab. Wählen sie das Loos, so macht der den Lebensjahren nach älteste Miteigenthümer die Theile, die anderen ziehen, je der jüngste zuerst“. 90  Vgl. Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen, Dresden 1860 (ND 1986), Motive S. 688. 91  Vgl. z. B. Georg Beseler: System des gemeinen deutschen Privatrechts, Βd.  1, 4.  Aufl. Berlin 1885, § 139: „Bei der Erbtheilung kommt nach einigen, besonders sächsischen Rechtsquellen das s. g. Kührrecht vor, indem unter mehreren Miterben der ältere die Theile macht und der jüngere wählt. Doch scheint diese Einrichtung schon nach älterem Rechte mehrfach beschränkt gewesen zu sein, was auch da, wo sie noch vorkommt, in verschiedener Weise der Fall ist“; ferner Mittermaier (A. 68): „Als Überbleibsel einer alten Sitte: Der Ältere theilt, der Jüngere wählt, hat sich an mehreren Orten das Kührrecht erhalten“. Ähnlich auch Carl Friedrich Wilhelm von Gerber, System des Deutschen Privatrechts, 6. Aufl., Jena 1858, § 252. 92  Vgl. z. B. Otto Stobbe: Handbuch des deutschen Privatrechts, Βd.  5, 1. u. 2.  Aufl. 1885, § 283; Andreas Heusler: Institutionen des Deutschen Privatrechts, Βd.  2, 1886, § 181. 93  Vgl. z. B. Heinrich Gottfried Gengler: Das Deutsche Privatrecht, 4. Aufl. 1892, § 181; Heinrich Siegel: Das Deutsche Erbrecht nach den Rechtsquellen des Mittel-

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alter zeit her die auskunft, daß der ältere theilte und der jüngere wählte, weil theilen dem reiferen verstande zusagte, wählen der unschuld der jugend“94. Der Weg in den poetisch umhauchten traulichen Schatz alter deutscher Rechtssprichwörter war angetreten.

alters, Heidelberg 1853, § 65; Rudolf Hübner: Grundzüge des deutschen Privatrechts, 5. Aufl. Leipzig 1930 (1. Aufl. 1908), S. 749 f. 94  Grimm (A. 10) Rn. 480.

Minima prosopographica zu Celsus filius Von Dieter Nörr 1.  Neue Quellen und bisher nicht beachtete Fakten erlauben es, die Biographie des Iuventius Celsus filius in einigen Punkten zu ergänzen und gängige Hypothesen zu überprüfen1. Eine fragmentarische Ehreninschrift für den Juristen aus Sentinum ist seit längerer Zeit bekannt; der folgende Lesetext (nach ann. ép. 1978, 292) verzichtet auf die Angabe von Ergänzungen und Abbreviaturen2: Publio Iuventio Publii filio Velina tribu Celso Tito Aufidio Hoenio Severiano, consuli, sodali Titiali, legato procpraetore (sic) Imperatoris Caesaris Nervae Traiani Optimi Augusti Germanici Dacici  … Aus der Inschrift erfahren wir, daß Celsus pater ebenfalls das Praenomen Publius trug, daß die Iuventii Celsi zur tribus Velina gehörten und daß Celsus filius Mitglied der sodales Titiales (Titii) war3. Die Angaben des Textes werden durch Militärdiplome präzisiert4. Celsus war legatus pr. pr. Thrakiens vor dem Sommer des Jahres 114, Suffektkonsul im Jahre 115. Daraus folgt die Datierung der Inschrift zwischen Sommer 115 und Sommer 117. Doch verbietet ihr fragmentarischer Charakter Spekulationen über die Karriere des Juristen vor seiner Statthalterschaft5. 1  Vgl. aus der reichen Literatur nur E. Diehl, Iuventius 13, RE X 2, 1919, 1363 f.; W. Kunkel, Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen, 2. Aufl 1967 (Nachdruck mit Vorwort von D. Liebs, 2001), 146 f. (s. auch 137 f.); R. Bauman, Lawyers and Politics in the Early Roman Empire, 1989, 221 ff.; V. Scarano Ussani, Empiria e dogmi, 1989, 85 ff.; zuletzt D. Liebs, Hofjuristen römischer Kaiser bis Justinian, SB BayAdW 2010, 33 ff. Vgl. auch die Listen von G. De Cristofaro bei F.  Casavola, Giuristi Adrianei, 1980, 280 ff. 2  Die Inschrift wird erwähnt von Liebs, Vorwort (A.1), IX (mit in „Hofjuristen“ aaO) und besprochen von Scarano Ussani, Empiria (A.1), 85 f. – Nicht gesehen habe ich die Erstpublikation von G. Paci, Ann. Fac. Lett. e Filol. di Macerata 9, 1976, 377 ff. 3  Vgl. zu diesen nur St. Weinstock, Titii sodales, RE VI A 2, 1937, 1538 ff.; weitere Lit. in DNP 11, 2001, 666. – Zur religiösen Bedeutung der Mitgliedschaft s. nur W. Eck, Religion und Religiosität in der soziopolitischen Führungsschicht  …, in: (Hg. W. Eck), Religion und Gesellschaft in der römischen Kaiserzeit (Kollo­ quium F. Vittinghoff), 1989, 15 ff. (32 ff.). 4  s. u. 2 u. 3; vgl. auch die Titulierung Trajans als „optimus“ (seit 114).

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Zur Herkunft der Iuventii hatte Kunkel keine verläßlichen Daten gefunden. Ihre Zugehörigkeit zur tribus Velina erlaubt es, die Möglichkeiten einzugrenzen. Große Teile des Picenum waren dieser tribus zugewiesen6; das umbrische Sentinum liegt nahe der Grenze zum Picenum. Im übrigen bestätigt ein Ziegelstempel mit dem Namen eines P. Iuventius Annianus (ann.ép. 1978, 293) die von Kunkel vermutete enge Beziehung der Iuventii zu Fanum Fortunae. 5

Ein von D. Mantovani erschlossenes biographisches Element sei wenigstens erwähnt7: Es gibt gute Indizien für Beziehungen des Juristen zu Quintilian oder zu dessen Umkreis. 2.  Weitere Aufschlüsse brachten einige neu veröffentlichte Militärdiplome. Sie erlaubten vor allem die bereits erwähnte Datierung seines Suffektkonsulats (mit dem an erster Stelle genannten (nicht näher bekannten) L. Iulius Frugi) in die Monate Mai bis August des Jahres 1158. Celsus war möglicherweise der erste senatorische Statthalter der von Trajan eingerichteten (kaiserlichen) Provinz Thrakien; seine Amtszeit war bisher nur vage festgelegt9. Als solcher befehligte er Auxiliartruppen. Ob er – etwa als Militärtribun – militärische Erfahrungen gesammelt hatte, ist unbekannt, aber nicht auszuschließen10. Angehörigen von in Thrakien befindlichen Auxiliareinheiten gilt ein Militärdiplom vom 15. Juli 11411. Die entscheidenden Worte lauten: … (pedi5  Zur üblichen Karriere zwischen Prätur und Statthalterschaft s. nur W. Eck, Beförderungskriterien innerhalb der senatorischen Laufbahn  …, in: ANRW II 1, 1974, 161 ff. (181 ff.). 6  s. nur A. N. Sherwin-White, Roman Citizenship, 2. Aufl. 1973, 206. 7  I giuristi, il retore e i api, in: (Hg. D. Mantovani, A. Schiavone) Testi e problemi del giusnaturalismo romano, 2007, 323 ff. (369 ff.). 8  Vgl. zuletzt W. Eck, A. Pangerl, Chiron 38, 2008, 363 ff.; s. auch dies., ZPE 152, 2005, 234 ff.; Chiron 35, 2005, 49 ff. 9  Vgl. nur Kunkel, Herkunft (A.1), 146: zwischen 107 und 117. – Die erste Statthalterschaft einer neu eingerichteten oder reorganisierten Provinz galt anscheinend als rühmenswert; vgl. G. Alföldy, Die römische Gesellschaft, 1985, 358 f. (1980). 10  Das Problem wird vor allem im Falle des Salvius Iulianus diskutiert, dem als Statthalter von Untergermanien Legionen und Auxiliartruppen unterstanden. Ausschließen kann man ein Militärtribunat nur dann, wenn man mit Sicherheit zu erwarten hätte, daß in der Beschreibung der Karriere (wie sie die Inschrift von Pupput für Julian bringt) unbedingt auch der Militärtribunat auftreten mußte. Zum Problem vgl. nur Eck, Beförderungskriterien (A.5), 176 A.2. 11  RMD I 14; s. auch – außer A.8 – RMD IV 227; E. J. Paunov, M. M. Roxan, ZPE 119, 1997, 269 ff.; Eck, Chiron 12, 1982, 109 ff.; Eck, Pangerl, Zum administrativen Prozeß  …, in: (Hg. H. Börm u. a.), Monumentum et instrumentum inscriptum (FS P. Weiß), 2008, 99 f.



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tibus et equitibus)  …, qui … sunt in Thracia sub Statilio Maximo dimissis honesta missione per Iuventium Celsum  … Das Diplom bietet einen terminus ante quem für die Statthalterschaft des Celsus, jedoch kein präzises Datum für Antritt und Ende der (zumeist dreijährigen) Statthalterschaft (Ende Juni 113 oder 114). Problematisch (aber den Spezialisten zu überlassen) ist der Hinweis, daß Angehörige der Auxiliartruppen zwar von Celsus entlassen worden waren, sich aber noch bei seinem Nachfolger befanden12. Ein längerer Zeitraum ist unwahrscheinlich, so daß sich das spätere Datum anbietet. Das würde auch zu den üblichen Karriereregeln passen: Übernahme des (Suffekt-)Konsulats unmittelbar nach der Statthalterschaft in einer kaiserlichen Provinz13. Damit stimmt schließlich auch überein, daß sein Nachfolger T. Statilius Maximus wohl nicht – wie früher angenommen – im Jahre 115, sondern erst im Jahre 117 zum Suffektkonsulat gelangte14. 3.  Durch mehrere Militärdiplome wird der zweite Konsulat des Celsus im Jahre 129 bestätigt15. Er war consul ordinarius zusammen mit dem weit älteren, aber erst an zweiter Stelle genannten Patrizier und Konsul von 95 n. Chr. L. Neratius Marcellus16. Sein Vorrang gründete wahrscheinlich auf der Regelung des ius liberorum in der lex Iulia de maritandis ordinibus (Gell. NA 2.16.4 sq.). Der gleichnamige consul ordinarius von 163 dürfte ein Sohn oder (wahrscheinlicher) ein Enkel des Juristen gewesen sein17; Nachkommen des Marcellus sind nicht bezeugt. Daß Celsus entgegen der von Gellius erwähnten Praxis dem Marcellus nicht freiwillig 12  Vgl. G. Alföldy, ZPE 36, 1979, 233 ff. (241 ff.); Lit. bei B. Lörincz, Nennung und Funktion der Statthalter  …, in: (Hg. W. Eck, H. Wolff), Heer und Integrationspolitik, 1986, 378 f. 13  s. nur Eck, Beförderungskriterien (A.5), 199 f. 14  Vgl. H. M. Cotton, W. Eck, ZPE 138, 2002, 173 ff.; Eck, Pangerl, Chiron 35, 2005, 49 ff. (52). – Zu den Statthaltern Thrakiens im zweiten Jahrzehnt des 2. Jhds. s. auch N. Sharankow, ZPE 151, 2005, 237 ff. 15  s. nur Eck, Pangerl, Chiron 36, 2006, 222 ff.; vgl. auch die Liste der Diplome vom 18. Februar und vom 22. März 129 bei W. Eck, P. Holder, A. Pangerl, ZPE 174, 2010, 197. 16  Er war bekanntlich Bruder des Juristen Neraz, der wiederum zusammen mit Celsus Vorsteher der Prokulianer war. – Zu Marcellus vgl. nur E. Groag, Neratius 9, RE XVI 2, 1935, 2542 ff., und die Angaben in DNP 8, 2000, 844. Zur Frage, ob der nach HA Hadrian 15.4 von Hadrian in den Tod getriebene Marcellus mit dem Konsul von 129 identisch ist, s. – außer Groag, 2544 – J. Fündling, Kommentar zur Historia Augusta IV (Hadrian), 2006, II 745 ff. Selbst wenn man die Frage bejahte, wäre der Tod des (anscheinend noch 130 bezeugten) Marcellus nicht der Grund für die auffällig frühe Beendigung seines nur einmonatigen Konsulats. Vgl. auch seine Erwähnung in dem u. bei A.24 besprochenen Dokument. 17  s. nur DNP 6, 1999, 117.

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den Vorrang abgetreten hatte, paßt zu dem, was man von seinem Charakter zu wissen glaubt. Marcellus wurde bereits im Februar 129 von dem auch in den Militärdiplomen (und im sog. SC Iuventianum) genannten Q. Iulius Balbus ersetzt (dessen Figur für uns schattenhaft bleibt18). Die Gründe hierfür sind unbekannt. Celsus amtierte mindestens noch im März 129. 4.  Der Prokonsulat des Celsus in der Provinz Asia ist durch eine der proskynesis-Inschriften der Laodikeer (Phrygien) für den Apollon von Klaros bezeugt19. Mittels einer scharfsinnigen Kombination der konsularischen Fasten, der eponymen Prytanien in Klaros und der Anzahl der Gesandtschaften des Paidonomen Beryllos hatte Chr. Habicht die Fasten der Statthalter von Asia der Jahre 123 / 4–132 / 3 zu rekonstruieren versucht20. Für Celsus schlug er das Jahr 129 / 130 vor; für 127 / 8 fehlt ein Kandidat. Wie erwähnt, ist Celsus noch im März 129 in Rom als amtierender Konsul bezeugt. Da der Prokonsul von Asia dort in der Regel im Mai eintraf21, müßte Celsus bald danach aus Rom abgereist sein. Eine Kumulation von Konsulat und Prokonsulat erscheint als ebenso ausgeschlossen (arg. Cass. Dio 53.14.1) wie ein ganzjähriger Konsulat. Daher müßte auch Celsus im Frühjahr 129 durch einen (bisher unbekannten) Suffektkonsul ersetzt worden sein. Bereits diese kurze Erzählung verweist auf eine der Eigentümlichkeiten, die die Hypothese Habichts zwar nicht widerlegt, aber doch schwächt. Soweit ich es überblicke22, wäre Celsus der einzige consul ordinarius, der in seinem Konsulatsjahr einen konsularischen Prokonsulat (von Asia oder Afri­ ca) übernommen hatte – und das nicht in Nachfolge seines zweiten (a.129), sondern seines ersten Konsulats (a.115); zwischen dem ersten Konsulat und dem Prokonsulat von Asia und Africa galt als Regel ein zeitlicher Abstand von ca. 15 Jahren23. 18  s.

nur PIR, Iulius, 199 und 200. Macridy, Altertümer von Notion, in: Jahresheften des Österr. Archäol. Inst. 1905, 167. Vgl. auch die Iuventiani in SEG XXXVII 967 (Herakleia Salbake, Zeit Hadrians). 20  Pergamon VIII 3, 1969, 55 ff.; zustimmend Eck, Chiron 13, 1989, 167; Eck, Pangerl, Chiron 35, 2005, 51 ff. 21  Cass. Dio 60.17.3; vgl. G. Alföldy, Konsuln und Senatorenstand unter den Antoninen, 1977, 211 A.27. 22  s. nur Eck, Beförderungskriterien (A.5), 223; s. auch die Listen bei Alföldy, Konsuln (A.21), 327 ff. 23  s. Eck, Beförderungskriterien (A.5), 221; vgl. auch Habicht, Pergamon (A.20), 58; Alföldy, Konsuln (A.21), 110 ff., 114 f. („Ausreißer“ einerseits bis zu 13, andererseits bis zu 19 Jahren (Salvius Iulianus)). 19  Th.



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Auffällig ist weiterhin die Datierung eines (erst seit 2008 bekannten, von Chr. P. Jones24 kommentierten) offiziösen Dokuments. Vereinfacht: Hadrian hatte auf seiner zweiten Orientreise während eines Aufenthalts in Apameia kurz nach dem 16.  Juli 12925 eine Entscheidung in einer (nicht mehr feststellbaren) Rechtssache gefällt. In einem Libell bittet eine Partei um die Erlaubnis, den Vortrag des Gegners (?) und die kaiserliche Entscheidung kopieren zu dürfen; der acceptus-Vermerk datiert vom 23. Juli. Das Ersuchen wird durch (ausgehängtes) Reskript positiv beschieden; die Abschrift der Petition und des Reskripts sowie des gegnerischen Vortrags und der kaiserlichen Entscheidung erfolgt am 25. Juli26 „[Pop]lioi Ioubentioi Kels[oi L.(?)Neratioi Markelloi t]oi b’ hypatois“. Der Name des Celsus und die Iterationsziffer (die sich nach dem ergänzten Wortlaut nur auf Marcellus bezieht) lassen erkennen, daß nach den consules ordinarii des Jahres 129 datiert wird, obwohl im Juli 129 für den zweiten Konsul mit Sicherheit, für den ersten Konsul (Celsus) mit höchster Wahrscheinlichkeit ein Suffektkonsul amtierte. Das ist auffällig, da man in der hier interessierenden Epoche wenigstens in amtlichen Dokumenten in der Regel noch die Suffektkonsuln berücksichtigte27. Zwar hat das Dokument anscheinend die Form einer privaten testatio. Doch bezieht sie sich auf Abschriften amtlicher Dokumente, die in einer Stadt (Laodikeia in Ly­ kien?)28 hergestellt wurden, in der sich die den Kaiser begleitende Kanzlei (a commentariis) befand. Mehr noch irritiert, daß im Zeitpunkt der Herstellung des Dokuments – bei einer Datierung des Prokonsulats des Celsus ins Jahr 129 / 130 – der gewesene consul ordinarius sich bereits in Asia befand (vielleicht in Begleitung des Kaisers), die Tatsache eines Suffektkonsulats (und eine entsprechende Datierung) sich also geradezu aufdrängte. Zuzugeben ist allerdings, daß auch bei Verschiebung der Statthalterschaft des Celsus in ein anderes Jahr das Rätsel der Datierung nach den consules ordinarii des Jahres 129 nicht gelöst wäre.

24  Chiron

29, 2009, 445 ff. Hadrian in Apameia s. auch H. Halfmann, Itinera principum, 1986, 193. 26  Vgl. die Parallelen in FIRA I 82 (I. Smyrna 597); FIRA I 106. Zum Verfahren s. nur D. Nörr, SZ 98, 1981, 20 ff. (=  Historiae Iuris Romani II, 2003, 1342 ff.; s. auch III, 2344). Vgl. im übrigen etwa Liebs, Reichskummerkasten, in: (Hg. A. Kolb) Herrschaftsstruktur und Herrschaftspraxis, 2006, 137 ff.; N. Scheuerbrandt, Kaiserliche Konstitutionen und ihre beglaubigten Abschriften, 2009, sowie die Lit. bei Jones (A.24). Grundlegend noch immer U. Wilcken, Hermes 55, 1920, 1 ff. 27  Vgl. vor allem Eck, Consules ordinarii und consules suffecti, in: Epigrafia (Actes A. Degrassi) CEFR 143, 1991, 15 ff.; letzthin etwa K. Dietz, Eine griechische Inschrift  …, in: FS P. Weiß (A.11), 79 ff. 28  s. IGRR IV 1033. 25  Zu

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Ein letztes Problem sei wenigstens angedeutet. Für Habicht war ein Schlüssel für die Datierung der Prokonsulate in Asia die Reihenfolge der Konsulate der jeweiligen Kandidaten und – damit zusammenhängend – der Zeitraum zwischen den beiden Ämtern (14–15 Jahre). Das genaue Datum des ersten Konsulats des Celsus (a.115) konnte ihm noch nicht bekannt sein. Doch hatte er richtig gesehen, daß sein Kandidat für das Jahr 128 / 129 L. Hedius Rufus Lollianus Avitus als Suffektkonsul des Jahres 114 dem Celsus zeitlich und damit gleichsam auch im Anspruch auf den Prokonsulat vorging. Wie erwähnt, fehlt in der Reihe der Prokonsuln von Asia nach Habicht bisher nur der Amtsträger für das Jahr 127 / 8; somit käme allein dieses Jahr als Alternative für Celsus in Betracht. Als Prokonsul Asiens in diesem Jahr würde Celsus nicht nur dem Lollianus vorgezogen; vielmehr verkürzte sich auch der Zeitraum zwischen dem ersten Konsulat des Celsus und dem Prokonsulat auf 12 Jahre. Man könnte fragen, ob hier nicht die mit Regelmäßigkeiten operierende prosopographische Methode an ihre Grenzen stößt. Salopp ausgedrückt: Lollianus Avitus ist (für uns) ein nobody29; der consul iterum Celsus gehört zu den hervorragendsten Mitgliedern seines Standes. Wie man im übrigen auch den Prokonsulat des Celsus datieren will, um „Unregelmäßigkeiten“ kommt man nicht herum: Gegen das Datum 127 / 8 spräche die Zurücksetzung des Lollianus Avitus und der relativ kurze Zeitabstand zwischen dem ersten Konsulat des Celsus und seinem Prokonsulat, gegen das Datum 129 / 130 die Übernahme des Prokonsulats im Jahre des zweiten Konsulats. 5.  Mit dem Namen des Celsus ist das sog. Senatusconsultum Iuventianum (zur Haftung des Erbschaftsbesitzers) verknüpft. Bekanntlich ist diese Bezeichnung nicht „römisch“, sondern modern. Dem entspricht es, daß sich die römischen Juristen – abgesehen von der bei Ulp. D.5,3,20,6 unkorrekt überlieferten Eingangsformel (s. u.) – für die Rolle des Celsus bei der Abfassung des Senatsbeschlusses nicht interessierten. Da es aber als unvorstellbar erscheint, daß ein (auch) von dem Konsul Celsus eingebrachtes SC „fachjuristischen“ Inhalts ohne dessen maßgebliche Beteiligung zustande kommen konnte, besteht die Versuchung, seinen Inhalt – in welcher Weise auch immer – dem Juristen zuzuschreiben30. Konsequenterweise müßte man ihn dann auch für die inhaltlichen Schwächen des SC verantwortlich machen. 29  s.

DNP 7, 1999, 428. beispielsweise M. Kaser, SZ 98, 1981, 140 ff.; M. Müller-Ehlen, Hereditatis petitio, 1998, 316 f.; F. Wieacker, Römische Rechtsgeschichte II, 2006, 98; M.  Kaser / R. Knütel, Römisches Privatrecht, 19.  Aufl. 2008, 382 f.; Liebs, Hofjuristen (A.1), 341; ausführlich F. González Roldán, Il senatoconsulto Q. Iulio Balbo et P. Iuventio Celso consulibus factum nella lettura di Ulpiano, 2008, 386 ff. passim. – Soll Ähnliches auch für das in Diocl. CJ 7,9,3 „Iuventio Celso iterum et 30  Vgl.



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Der Anlaß dieser Zeilen verbietet eine gründliche Erörterung31. Ein konkreter Rechtsstreit (aerarium oder fiscus gegen Erbschaftsbesitzer i. S. bona Rustici) gelangte im Wege des Kognitionsverfahrens an das Kaisergericht. Hadrian überweist den Fall – mit entsprechenden Vorgaben (libellus, oratio)32 – an den Senat. Der Senatsbeschluß enthält anscheinend nicht nur die Entscheidung des konkreten Falles, sondern auch gewisse, hier nicht zur erörternde allgemeine Regelungen. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt33 wurden die Regeln des SC auf die private hereditatis petitio erstreckt. Ausgehend von der Einleitung des SC34 kann es in dieser biographischen Skizze nur darum gehen, den vermeintlichen Einfluß des Celsus auf den Inhalt des „SC Iuventianum“ in Frage zu stellen. Die in der Florentina überlieferte Einleitung zum SC entspricht mit Sicherheit nicht dem ursprünglichen Text. Wenn sie hier mit den üblichen Korrekturen wiedergegeben wird, so in der Gewißheit, daß auch damit der „Urtext“ nicht zu erreichen ist. Den Gründen für die fehlerhafte Überlieferung ist hier ebenso wenig nachzugehen, wie der Frage, ob sie als Indiz für inhaltliche Überlieferungsmängel verwendet werden darf35. D.5,3,20,6: … Pridie idus Martias Quintus Iulius Balbus et Publius Iuventius Celsus Titus Aufidius Hoenius Severianus consules verba fecerunt de his, quae imperator Caesar divi Traiani Parthici filius divi Nervae nepos Traianus Hadrianus Augustus optimus maximusque princeps pater patriae quinto nonas Martias quae proximae fuerunt libello complexus esset, quid fieri placeat, de qua re ita censuerunt. Neratio Marcello consulibus“ (Januar 129 ?) erwähnte SC gelten; bei Marcellus fehlt das „iterum“. Vgl. zu dieser umstrittenen Konstitution nur die Angaben bei T. Giménez-Candela, IURA 32, 1981 (1984), 45 f. 31  Vgl. – außer Kaser / Knütel (A.30) – die Angaben bei P. Jörs / W. Kunkel / W. Selb, Römisches Recht, 4. Aufl. 1987, 545 f.; aus letzter Zeit etwa F. Arcaria, Senatus censuit, 1992, 223 ff.; Müller-Ehlen, Hereditatis petitio (A.30), 46 ff., 315 ff. u. ö.; González R., senatoconsulto (A.30). 32  s. Paul. 20 ad ed. D.5,3,20; 40 pr. – Ohne weitere Diskussion gehen wir mit der h. L. (s. nur die Angaben bei Müller-Ehlen, Hereditatis petitio (A.30), 346 A.2 und bei González R., senatoconsulto (A.30), 373 ff.) davon aus, daß sich die von Paulus zitierte oratio auf den in Ulp. 15 ad ed. D.5,3,20,6 sq. zitierten libellus und das SC bezieht. 33  Das früheste sicher zu datierende Zeugnis ist CJ 3,31,1 (a.170). 34  Vgl. zu den Formalien nur Th. Mommsen, Staatsrecht (Nachdruck 1963) III 2, 1007 ff.; E. Volterra, Senatus Consulta, Scritti Giuridici V, 1993, 193 ff. (217 f.) (zuerst in: NNDI 16, 1969, 1047 ff.). 35  Zum Verhältnis von diplomatischer (Un-)Genauigkeit und inhaltlicher Richtigkeit zuletzt A. Eich, in: (Hg. R. Haensch) Selbstdarstellung und Kommunikation, 2009, 267 ff. (vor allem zu den Inschriften). – Für Überlieferungsmängel in den Tagesdaten (etwa wenn in Ziffern geschrieben) gibt es keine ausreichenden Indizien.

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Offensichtlich fehlerhaft ist die Reihung der Konsuln; der consul ordinarius (iterum!) Celsus müßte dem Suffektkonsul Q. Iulius Balbus vorangehen36. Unübersehbar sind die Ungenauigkeiten bei der (gegenüber der Florentina bereits berichtigten) Kaisertitulatur. Ihre korrekte Form findet sich beispielsweise in Militärdiplomen gerade vom März 12937: Imperator Caesar divi Traiani Parthici filius divi Nervae nepos Traianus Hadrianus Augustus pontifex maximus tribunicia potestate XIII consul III pater patriae. Anderes ist eher auffällig als verdächtig. Das gilt etwa für die Wendung, mit der auf die oratio Hadriani verwiesen wird38: … de his, quae Imperator … libello complexus esset; üblicher ist die Wendung „oratione in senatu recitata“ (o. ä.)39. Doch fehlt es nicht an Parallelen: libello per quaestorem recitato (Suet. Aug. 65.2); hi (sc. candidati principis) solis libris principalibus in senatu legendi vacant (Ulp. l. sing. de off. quaest. D.1,13,1,2). Angesichts des zur Zeit Hadrians noch üblichen Verfahrens40 wird man sich auch nicht daran stören, daß der Text der oratio41 nicht identisch ist mit dem Text des Senatsbeschlusses. So läßt sich auch kaum sagen, wie eng die (bindenden) Vorgaben für das künftige SC waren. Offen bleibt schließlich, in welcher Form der libellus dem Senat zur Kenntnis gebracht wurde; die Verlesung durch einen in Rom weilenden quaestor Caesaris ist vorstellbar. Das eigentliche Problem liegt im Datum des libellus (3. März 129), das überdies nur 11 Tage vor der relatio der Konsuln im Senat liegt (14. März 129). Zu dieser Zeit befand sich Hadrian in Griechenland (wahrscheinlich 36  Mit gewisser Kühnheit könnte man dieses „Versehen“ als Indiz für das erwähnte Desinteresse der juristischen Tradition an der Mitwirkung des Celsus interpretieren. 37  s. nur Eck, Pangerl, Chiron 36, 2006, 221 ff.; Abkürzungen sind aufgelöst. – Da Hadrian in dieser Epoche nicht den Titel „optimus“ trug, kann die entsprechende Konjektur Mommsens kaum zutreffen. Das folgende „maximus“ läßt an den pontifex maximus denken. Mit diesem Titel konnten (spätestens) die Kompilatoren nichts mehr anfangen; Ähnliches mag für andere Teile der Titulatur gelten. 38  s. nochmals Paul. D.5,3,22; 40 pr. h. t. 39  Vgl. die Belege bei Heumann / Seckel s. v. recitare 1; dazu etwa noch Ulp. D.27,9,1. 40  s. nur D. A. Musca, Labeo 31, 1985, 7 ff.; F. Arcaria, Oratio Marci, 2003, 149 ff. (mit Lit.). – Unplausibel ist die bisweilen vertretene Auffassung (s. nur González R., senatoconsulto (A.30), 396 ff.), daß Hadrian die Entscheidung dem freien Ermessen des Senats überlassen hatte. Vgl. nur den Inhalt der oratio bei Paul. D.5,3,22; 40 pr., sowie die in Ulp. D. 5,3,20,6 überlieferte kurze Frist zwischen libellus und SC. 41  Paul. D.5,3,22: … ‚Dispicite, patres conscripti, num sit quid aequius possessorem non facere lucrum et pretium, quod ex aliena re perceperit, reddere, quia potest existimari in locum hereditariae rei venditae pretium eius successisse et quodammodo ipsum hereditarium factum.‘



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in Athen). Er hatte seine zweite Reise in den Osten des Reiches wohl im Spätsommer 128 angetreten (und kehrte wahrscheinlich erst im Winter 132 / 3 nach Rom zurück)42. In Griechenland befand sich auch ein Teil des Hofstaats (comites, amici, sicherlich auch ein quaestor Caesaris43, Kanzleipersonal44); (vor allem) für die Beurteilung von Rechtsfragen verfügte der Kaiser über ein „Reisekonsilium“45. Man darf unterstellen, daß dieses – etwa im Januar oder Februar – an der Beratung des Falles der bona des Rusticus und der daraus folgenden Vorlage zum sog. SC Iuventianum beteiligt war. Die weitere Rekonstruktion hängt ab vom Verständnis der Datierung des libellus auf den 3. März. Genauer: Bezieht sich das Datum auf die Tätigkeit der den Kaiser begleitenden „Reisekanzlei“ oder (in Analogie zu den Militärdiplomen) auf diejenige der in Rom verbliebenen „Restkanzlei“46? Da das Verfahren vor dem Kaiser stattfand, wird man in erster Linie bei der (wohl in Athen befindlichen) „Reisekanzlei“ ansetzen müssen; dafür spricht vor allem auch der Wortlaut von D.5,3,20,6. Voraussetzung ist allerdings, daß der libellus – in einer für Reisen ungünstigen Jahreszeit – innerhalb der genannten Zeitspanne (3. März bis 14. März) nicht nur von Athen nach Rom gelangen konnte. Zu berücksichtigen ist überdies die für die Verfertigung der Relation der Konsuln und des Textes des Senatsbeschlusses notwendige Zeitdauer; diese konnte wiederum von der „Selbständigkeit“ des SC im Verhältnis zu den im Libell formulierten kaiserlichen Vorgaben abhängen. Trotz Fehlens brauchbarer „statistischer“ Daten und Unkenntnis der konkreten Situation (Art der Übermittlung, Reiseweg, Wetterverhältnisse etc.) 42  s. Halfmann, Itinera (A.25), 203 ff.; zur Rückkehr nach Rom vgl. jetzt W. Eck / P. Holder / A. Pangerl, ZEP 174, 2010, 197. 43  Mommsen, Staatsrecht I, 179 A.88. 44  Vgl. nur Halfmann, Itinera (A.25), 90 ff. (105 ff.); zu den comites ebda. 92 ff. (und die Liste der bezeugten comites 245 ff.). Zur Kanzlei vgl auch o. bei A.28. 45  s. W. Kunkel, Consilium, consistorium, Kleine Schriften, 1974, 403 ff. (423 ff.) (zuerst im Jahrbuch für Antike und Christentum 11 / 12, 1968 / 9, 230 ff.); Einzelfälle zuletzt bei V. Wankerl, Appello ad principem, 2009, 72 ff., 207, 236 f. u. ö. Zum consilium Hadrians s. auch J. Crook, Consilium principis, 1955, 56 ff.; Liebs, Hofjuristen (A 1), 331 ff. 46  Deren Existenz wird etwa durch die Ausstellung von Militärdiplomen (s. etwa Eck, Pangerl, Chiron 38, 2008, 369 f. (auch zur Datierung)) oder die Veröffentlichung von Reskripten (s. nur Nörr, Reskriptenpraxis (A.26), 33 ff. erwiesen. Infolge der Abhängigkeit von Regierung und Zentralverwaltung von der Person des Kaisers dürften sich aber die wesentlichen Tätigkeiten auf die „Reisekanzlei“ konzentriert haben. s. auch F. Millar, The Emperor in the Roman World, 1977 (2. Aufl. 1992), 269 ff.; er betont zurecht unser mangelndes Hintergrundswissen (259 ff.). Doch dürfen wir sicherlich davon ausgehen, daß ein kontinuierlicher Kontakt zwischen der jeweiligen kaiserlichen „Residenz“ und der urbs Roma bestand; Einzelheiten sind kaum faßbar. Vgl. dazu Halfmann, Itinera (A.25), 151 ff.

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läßt sich m. E. die Hypothese vertreten, daß der kaiserliche Kurierdienst (tabellarii, frumentarii?) unter günstigen Umständen und bei Benutzung aller gegebenen Hilfsmittel (etwa des cursus publicus) die kombinierte Schiffs- und Landreise von Athen (über Korinth, Patras (oder Naupaktos) und Brindisi) nach Rom in etwa 7–8 Tagen hätte bewältigen können. Um Indizien zu nennen: Bei Einsatz von Kurieren (Stafetten) wäre eine Reisegeschwindigkeit von 10 römischen Meilen (ca. 15  km) in der Stunde zu erreichen; die Entfernung Rom–Brindisi beträgt ca. 560 km. Bei der Schif�fahrt rechnet man mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 100–150 Seemeilen am Tag47. Mißtraut man diesem Vorschlag, so bleibt es bei einer winterlichen Landund Seereise ungewisser Dauer. Was mit der kaiserlichen „Äußerung“ (oratio) in der römischen Kanzlei im einzelnen geschah, ist ungewiß. Gewiß wäre nur, daß sie als Libell mit Datum vom 3. März 129 an den Senat gelangte. Zu betonen ist, daß diese Interpretation mit dem Text von fr.20,6 nur mühsam zu vereinbaren wäre; ihm zufolge ist es der nicht in Rom weilende Hadrian, der am 3. März agierte. Wo bleibt bei diesen (hypothetischen) Verfahrensabläufen ein Platz für die Einwirkung des Celsus auf den Inhalt des heute nach ihm benannten Senatsbeschlusses? Als consul ordinarius des Jahres 129 (und Relator des SC) befand er sich in Rom48; seine (vorherige) Mitgliedschaft im kaiserlichen Reisekonsilium ist so gut wie ausgeschlossen. Andere Überlegungen würden in spekulative Erzählungen einmünden: (etwa) Briefwechsel zwischen Hadrian und Celsus; amici des Celsus im Konsilium, die seine Ansichten vertraten; (im unwahrscheinlichen Falle einer „ergebnisoffenen“ oratio principis) rasch zugreifende Einwirkung nicht nur auf die (keineswegs perfekte) Formulierung des Senatsbeschlusses, sondern auch auf seinen Inhalt. Brauchbare Indizien lassen sich aus diesen Spekulationen nicht gewinnen. Um den (gleichsam als notwendig unterstellten) Einfluß des Celsus zu beweisen, verweist man demgegenüber auf Texte zum (arglistigen) Erbschaftsbeklagten, qui liti se optulit (Cels. 4 dig. D.5,3,45; Ulp. (Cels. 4 dig.) 15 ad ed. D.5,3.13,13); aus ihnen soll sich die von Celsus vertretene und im SC Iuventianum verwirklichte Haftungssystematik49 erschließen 47  Eindeutige Angaben für die genannte Reiseroute habe ich nicht gefunden. Reiches Material findet sich immerhin bei L. Friedlaender, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms, 8. Auflage 1910, 22 ff., 33 ff.; weitere Angaben (mit Lit.) im Kl. Pauly 5,1975, 1245 (s. v. Viae publicae); DNP 10, 2001, 858 (s. v. Reisen); 11, 2001, 165 (s. v. Schiffahrt); umfassend A. Kolb, Transport und Nachrichtenverkehr im Römischen Reich, 2000, 308 ff., 321 ff. 48  Zum Problem vgl. nur Eck, Pangerl, Chiron 32, 2002, 431. 49  Vgl. vor allem D.5,3,20,6c.



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lassen50. Die Quellen zum liti se offerre sind vieldeutig; entsprechend vielfältig ist ihre Interpretation in der modernen Literatur. Soweit ich es übersehen kann, würde eine (hier nicht angebrachte) neuerliche Diskussion vielleicht Akzente anders verteilen, aber kaum neue Gesichtspunkte zu Tage fördern. Im Falle des se liti offere wurden anscheinend folgende Rechtsmittel diskutiert: die Klage aus der dolus-Klausel der cautio iudicatum solvi51 (oder pro praede litis et vindiciarum?), die (subsidiäre) a. de dolo und schließlich die hereditatis petitio; nur bei letzterer ließe sich ein (lockerer) Zusammenhang mit dem SC Iuventianum vorstellen. Auszugehen ist von dem (nach Kaser52 unheilbaren) Celsus-Text 4 dig. D.5,3,45: Qui se liti optulit, cum rem non possideret, condemnatur, nisi si evidentissimis probationibus possit ostendere actorem ab initio litis scire eum non possidere: quippe isto modo non est deceptus: et qui se hereditatis petitioni optulit ex doli clausula tenetur: aestimari scilicet oportebit, quanti eius interfuerit non decipi. Dem ersten Eindruck folgend könnte sich der erste Teilsatz auf die hereditatis petitio beziehen; wer sich in Kenntnis seines fehlenden Besitzes auf den Prozeß einläßt, wird verurteilt. Allerdings kann man nicht ausschließen, 50  Vgl. dazu nur Müller-Ehlen, Hereditatis petitio (A.30), 316 f. und vor allem Kaser, SZ 98, 1981, 140 ff. und González R., senatoconsulto (A.30), 177 ff., 389 ff. (jeweils mit reicher Lit.). s. im übrigen auch J. Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, Diss. Freiburg / Br. 1981, 246 ff.; M. Pennitz, Der „Enteignungsfall“ im römischen Recht der Republik und des Prinzipats, 1991, 287 ff. und die bei M. Kaser / K. Hackl, Das Römische Zivilprozeßrecht, 2. Auflage 1996, 252 und bei L. ter Beek, Dolus I, 1999, 551 zitierte Lit. – Kein brauchbares Indiz für die Einflußnahme des Celsus auf das SC bietet m. E. der umstrittene (s. nur Kaser / Hackl a. a. O. 224 A.36) Celsus-Text bei Paul. 57 ad ed. D.42,4,7,18; so aber Gonzáles R. a. a. O. 389 f. Die Verschärfung der „Vollstreckung“ gegen den Erbschaftsbesitzer, qui dolo malo fecit, quominus possideret, hat mit der in D.5,3,20,6c enthaltenen „Haftungsvorschrift“ nur die Ähnlichkeit des Wortlauts gemeinsam. Zu berücksichtigen wären im übrigen die entsprechenden Klauseln in der a. ad exhibendum und in den interdicta quorum bonorum, quod legatorum, quem fundum. Zu einer ähnlichen Klausel im Noxalverfahren (Ulp. D.9,4,21,2; Paul. (Iul.) D.2,9,2,1) vgl. nur H.-D. Spengler, Studien zur interrogatio in iure, 1994, 85 ff., 89 ff. – Für unser Thema nicht einschlägig ist Paul. 21 ad ed. D. 6,1,27,3; dazu Pennitz a. a. O. 293 ff.; González R. a. a. O. 216 ff. 51  Vgl. Gai. 27 ad ed. prov. D.4,3,39: Si te Titio optuleris de ea re quam non possidebas in hoc ut alius usucapiat, et iudicatum solvi satisdederis: quamvis absolutus sis, de dolo malo tamen teneberis: et ita Sabino placet. 52  SZ 98, 143. – Nach deceptus habe ich ein Satzzeichen eingefügt; s. auch ter Beek aaO (A 50).

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daß Celsus mit dem (höchst umstrittenen) „condemnatur“ auf eine andere Klage (etwa die a. de dolo) verweisen wollte. Die Ausführungen zur Beweislast werden wegen des „formelhaften Superlativs“ zumeist als kompilatorische Zutat betrachtet53. Dann folgt abrupt die Haftung aus der clausula doli. Die letzten Worte könnten sich auf eine von der hereditatis petitio abweichende aestimatio beziehen („Vertrauensschaden“)54. Alles deutet auf eine Textverkürzung; Rekonstruktionsversuche wären von vorherigen interpretatorischen Enscheidungen abhängig. Ähnliches könnte man von dem Ulpian-Text 15 ad ed. D.5,3,13,13 behaupten, dem allerdings größerer Beweiswert zugesprochen wird: Non solum autem ab eo peti hereditas potest, qui corpus hereditarium possidet, sed et si nihil. et videndum, si non possidens optulerit tamen se petitioni, an teneatur. et Celsus libro quarto digestorum scribit ex dolo eum teneri: dolo enim facere eum qui se offert petitioni. quam sententiam generaliter Marcellus apud Iulianum probat: omnem qui se offert petitioni, quasi possidentem teneri. Ulpian bejaht die Möglichkeit der hereditatis petitio gegen einen Beklagten, der keinen Erbschafsgegenstand besitzt. In diesem Zusammenhang wendet sich der Text der (Streit-?)Frage zu, ob der petitioni se offerens haftet. Celsus (4 dig) hatte die Haftung ex dolo bejaht. Marcellus stimmt dem (in den notae zu Julian) generaliter (also auch bezogen auf die rei vindicatio ?)55 zu; jeder, der sich der petitio anbietet, haftet, als ob er besäße. Relativ eindeutig ist allein die Interpretation der nota des Marcellus (deren Begründung mit dem „quasi-Besitz“ man nicht ohne weitere Indizien dem Celsus zuschreiben darf); wer sich (dolos) auf die petitio einläßt, haftet so, als ob er Besitzer wäre. Die Parallele (Anspielung) oder Analogie zum quasi possidere im SC Iuventianum (D.5,3,20,6c) liegt nahe. Im übrigen läßt sich – wie wiederum die ungelösten modernen Streitfragen zeigen – keine interpretatorische Sicherheit gewinnen. Das gilt nicht nur für die Auffassung Julians, sondern gerade auch für das Verständnis der Worte des Celsus: ex dolo eum teneri. Wenn man an sie ohne weitere Vorverständnisse herangeht, so lassen sie sich auf die clausula doli der cautio, auf die a. de dolo oder (eher nachrangig) auf die hereditatis petitio beziehen. Im Ergebnis ist es nicht völlig auszuschließen, daß bereits Celsus eine Haftung des liti se offerrens aus der hereditatis petitio bejahte; eine gewis53  s. nur Th. Mayer-Maly, Evidenz im Denken der römischen Juristen, in: Daube Noster, 1974, 225 ff. (226). – Vgl. Paul. 2 ad Plaut. D.6,1,26. 54  Vgl. das (Steph. ? –) Scholion synarpages zu D.5,3,13,13 (Bas. 42,1,13,13) (Heimbach IV 199; Scheltema B VI 2518). 55  Vgl. Ulp. (Marcellus) 70 ad ed. D.6,1,25.



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se Nähe (aber auch nicht mehr) zur Haftung aus dem SC Iuventianum wäre damit gegeben. Doch ist die Basis für eine solche Vermutung brüchig; andere Interpretationen haben zumindest keine geringere Wahrscheinlichkeit für sich. Der Rechtshistoriker braucht sich in dergleichen Aporien nicht – wie es allzu häufig geschieht – für eine der möglichen Lösungen zu entscheiden. Nimmt man allerdings die (durch gewagte Hilfshypothesen kaum widerlegbaren) Indizien hinzu, die auf Grund der historischen Situation einen Einfluß des Celsus bei der Entstehung des Senatsbeschlusses (fast) ausschließen, so mag man weiterhin von einer „iuventianischen“ Haftung sprechen; doch sollte man sie nicht ohne die größten Vorbehalte mit einer „celsinischen“ gleichsetzen. 6.  Geht man davon aus, daß die dem sog. SC Iuventianum vorausgehenden Verhandlungen im Winter 128 / 9 in Athen geführt wurden, so stellt sich die Frage nach dem Personenkreis, der an der Festlegung des Inhalts der oratio (des libellus) Hadrians beteiligt war56. Zum „Reisekonsilium“ Hadrians dürfte zumindest zu gewissen Zeiten Julian gehört haben; seine Mitwirkung ist zwar nicht zu beweisen, aber auch nicht schlechthin unmöglich57. Nach der Inschrift von Pupput (Dessau 8973) war Julian quaestor Hadriani58; als solcher erhielt er ein doppeltes salarium. Da die in Rom befindlichen Magistrate kein Salär erhielten59, kann es sich nur um die Verdoppelung des „Reisegeldes“ handeln. Daß zumindest einer der quaestores Cae56  s.

auch o. bei A.43. Lit. zur Biographie Julians ist überaus reichhaltig; s. nur die Angaben bei Liebs, Handbuch der lateinischen Literatur der Antike IV, 1997, 101 f.; ders., Hofjuristen (A 1), 36 ff. (mißverständlich 38 A, 138). Neu publizierte Militärdiplome bestätigen seine Statthalterschaft der Germania inferior im Jahre 152 (Eck, Pangerl, ZPE 148, 2004, 259, 264 ff.). – Nachträge zu Nörr, Drei  Miszellen zur Lebens­ geschichte des Juristen Salvius Julianus (Daube Noster, 1974, 233 ff. = Historiae (A.26) II, 877 ff.) in Historiae III, 2338. Zum Problem des 2. Konsulats vgl. auch Nörr, SZ 113, 1996, 647 f. (Rez. ANRW II 34, 2); der Hinweis auf Euarestos ist zu streichen. Für das Jahr 175 sind keine Militärdiplome (die die Streitfrage entscheiden könnten) zu erwarten. 58  Zu den quaestores Caesaris vgl. nur Mommsen, Staatsrecht II 2, 569 f.; G. Wesener, RE XXIV, 1963, 818 (s. v. quaestor); Eck, Beförderungskriterien (A.5), 178 ff. und die (vor allem prosopographische) Studie von M. Cébeillac, Les ‚quaestores principis et candidati‘ aux Ier et IIème siècles de l’Empire, 1972. Speziell zu Julian s. Nörr, Drei Miszellen (A.57), 242 ff. – Man mag es als charakteristisch für den „Zeitgeist“ der Regierung Hadrians ansehen, daß ein hoher Magistrat nicht nur den Philosophenbart annimmt (Aelius Aristeides or. 48 K (=  Hieros logos II), 9 (Julian in der Figur des bärtigen Äskulap)), sondern sich auch wegen des doppelten Salärs rühmen läßt. 59  s. nur Mommsen, Staatsrecht I, 302 ff; A. Rosenberg, RE I A 2, 1920, 1847 (s. v. salarium); DNP 10, 2001, 1245 (s. v. salarium). – Zum hier nicht einschlägigen Salär der adsessores (consiliarii) s. Kunkel, Consilium (A.45), 427 f. 57  Die

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saris den Kaiser auf Reisen begleitete, wäre auch ohne dieses Zeugnis zu vermuten. Julian selbst spricht an einer bekannten Stelle (1 ad Urs. Fer. D.46,3,36) davon, daß er in Alexandria gewesen war; es liegt nahe, seinen Aufenthalt mit dem Aufenthalt Hadrians in Ägypten (Sommer 130 bis Frühjahr 131) in Verbindung zu bringen. Wie erwähnt60, dauerte die zweite Orientreise Hadrians vom Spätsommer 128 bis (wahrscheinlich) in den Winter 132 / 3. In eines dieser Jahre dürfte die Quaestur Julians zu setzen sein61, ob gerade in die Zeit der Reise nach Ägypten, läßt sich nicht sagen; er könnte dort auch als comes Hadrians gewesen sein. Nicht feststellbar ist weiterhin, ob Julian sich an der ganzen, mehrjährigen Reise Hadrians beteiligt hatte. Von den bisher einzigen bezeugten comites Hadrians auf dieser Reise, den Brüdern Caesernii, wissen wir, daß sie sich gleichsam alternierten62. Die erwähnten Daten machen im übrigen die Ediktsredaktion während der Quaestur Julians überaus unwahrscheinlich63. Zurück in das winterliche Athen des Jahres 128 / 9. Möglicherweise befand sich Julian dort in der Begleitung Hadrians – in welcher Funktion auch immer. Doch wäre eine Hypothese des Inhalts, daß er an der zum SC Iuventianum führenden Beratung beteiligt war (oder gar dessen Inhalt maßgeblich bestimmt hatte), sehr spekulativ. Zweifelhaft ist allerdings, ob man sein späteres Verhalten in Bezug auf das SC als Argument für eine verneinende Antwort heranziehen darf. Bekanntlich wurden die Normen des SC in einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt64 vom Kognitionsverfahren auf die zivile, den strengeren Regeln des Formularprozesses unterliegende ­hereditatis petitio übertragen. Wenn man sich nicht mit vagen Anspielungen begnügen will65, so findet sich bei Julian – aus welchen Gründen auch 60  s. o.

bei A.43. Quellen wissen nichts davon, daß der Kandidat sich bei der Vorbereitung der Wahl oder bei Amtsantritt in Rom befinden mußte. – Iterationen oder Verlängerungen sind bei den quaestores Caesaris anscheinend nicht belegt. Zu den Besonderheiten bei den Provinzialquaestoren s. nur Mommsen, Staatsrecht II 1, 258 f. – Andere Reisen Hadrians (s. nur das Itinerar bei Halfmann, Itinera (A.25), 117 ff.) dürften wegen des zu vermutenden Lebensalters des Juristen ausscheiden; die Quaestur konnte man üblicherweise nicht vor dem 25. Lebensjahr erreichen. 62  s. nur Alföldy, Konsuln (A.21), 347 ff. 63  Oder will man glaubhaft machen, daß Julian das Edikt auf der Reise (etwa mit Hilfe der Statthalterarchive oder der Bibliotheken in Athen oder Alexandria) redigierte? – Nach A. Birley, Hadrian der rastlose Kaiser, 2006, 94 verläßt Julian wegen der Ediktsredaktion im Jahre 131 den Kaiser, um allein nach Rom zurückzukehren; vgl. aber C. Tanta 18. 64  Vgl. nochmals – als frühestes sicheres Zeugnis – CJ 3,31,1 (a.170). 65  Vgl. Ulp. (Iul.) D. 5,3,33,1 und Iul. 55 h. t. (s. aber auch Ulp. 20,4 h. t.) mit dem Wortlaut der oratio (Paul. D.5,3,22) oder die Benutzung des Wortes praedo in 61  Die



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immer66 – von dieser Erweiterung keine brauchbare Spur67. Jedoch mußte, wer letztere ablehnte – etwa, weil er die dem SC Iuventianum eigentümliche Vermischung von Passivlegitimation und Haftung nicht mitmachen wollte –, nicht ein Gegner der ursprünglichen Regelung sein. 7.  Es darf offen bleiben, ob der hier nur angedeutete prozessuale Aspekt nicht einer Vertiefung bedürfte68. Im übrigen ist festzuhalten, daß es zwar ein – mißverständlich so genanntes – SC Iuventianum gibt, aber kein „SC Celsinum“. Während der Vorbereitung der oratio (des libellus), die zum Senatsbeschluß führte, befand sich Hadrian mit seinem Konsilium in Griechenland (Athen); es ist schwer vorstellbar, daß Celsus dort hätte Einfluß nehmen können. Zugespitzt: eine Mitwirkung des den Kaiser begleitenden quaestor Caesaris Julian (vgl. nochmals das salarium) liegt immer noch näher als die des abwesenden consul ordinarius Celsus. Das bisher Gesagte ergibt sich aus seit langem bekannten Quellen. Aus Texten, die erst in den letzten Jahrzehnten zugänglich wurden, fällt Licht auf die von Celsus bekleideten Ämter und auf seine Herkunft. Eingegrenzt wird die Zeit seiner thrakischen Statthalterschaft (vor dem Sommer 114), festgelegt das Jahr seines ersten (Suffekt-)Konsulats (a.115). Demgegenüber ist seine Statt­ halterschaft in Asia gerade im Jahre 129 / 130 zwar diskutabel, aber nicht zweifelsfrei: Celsus war consul (ordinarius) in den ersten Monaten des Jahres 129; die Übernahme des Prokonsulats im Jahre des Konsulats wäre beispiellos.

Iul. 54 dig. D.46,3,34,9 (in Verbindung mit Ulp. (Cass.,Iul.) D.5,3,31,5). Besonders problematisch ist der Hinweis Julians (64 dig. D.4,2,18 in Verbindung mit Gai. inst. 2,155) auf eine Konstitution des Antoninus Pius; s. dazu nur S. Schipani, Responsabilità del convenuto per la cosa oggetto di azione reale, 1971, 179 A.1; P. MüllerEiselt, Divus Pius constituit, 1982, 309. 66  s. nur E. Bund, Salvius Iulianus …, ANRW II 15, 1976, 432 ff. – Der Hinweis auf die Gegnerschaft zwischen Celsus und Julian (s. etwa Kaser, SZ 72, 1955, 107) geht von der unbeweisbaren Tatsache einer direkten Einwirkung des Celsus auf den Inhalt des sog. SC Iuventianum aus. 67  Dazu zuletzt ausführlich Müller-Ehlen, Hereditatis petitio (A.30), 219 ff. passim; dort auch (350 ff.) eine sorgfältige Erörterung der Frage, warum Ulpian trotzdem immer wieder auf Julian zurückgegriffen hatte. – Problematisch zum Verhältnis der Digesten Julians zum SC González R., senatoconsulto (A.30), 113 ff. (127). 68  Vgl. nur Gai. inst. 4,88  sq. und Müller-Ehlen, Hereditatis petitio (A.30), 19 ff.

Cognitio custodiarum Di Bernardo Santalucia 1.  Il tema della cognitio custodiarum – la ‘cognizione’ magistratuale relativa agli imputati sottoposti a carcerazione preventiva – è stato per lungo tempo trascurato dagli studiosi del diritto criminale romano, e solo in questi ultimi tempi ha incominciato a ricevere da parte di qualche autore l’attenzione che merita. I dati e le testimonianze delle fonti ad essa attinenti sono stati accuratamente raccolti e discussi, di recente, da Valerio Marotta1; su alcuni passi è poi tornato, con acuti rilievi, Fabio Botta2; e ultimamente Alexander Nogrady, nell’ambito di una più ampia indagine sui libri ‘criminalistici’ del De officio proconsulis di Ulpiano, ha dedicato al tema alcune fugaci, ma non per questo meno rilevanti, osservazioni3. L’orientamento di questi Autori, pur con sfumature diverse, è nel senso di escludere che la cognitio custodiarum costituisse un vero e proprio processo. Vi è chi ravvisa in essa un mero interrogatorio degli imputati detenuti4: dunque niente più che un atto d’istruzione avente lo scopo di fornire al giudicante elementi utili per la decisione della causa. Altri invece ritengono che la cognitio custodiarum avesse il carattere di un procedimento preliminare volto all’accertamento degli addebiti rivolti agli imputati5: procedimento che avrebbe tuttavia rappresentato «qualcosa di più d’una mera fase preparatoria»6, dato che poteva anche concludersi con l’immediato proscioglimento dell’imputato riconosciuto innocente. Alla fase dibattimentale si sarebbe pervenuti solo nel caso che l’indagine preliminare avesse appurato l’esistenza, a carico del reo, di sufficienti indizi di colpevolezza.

1  Marotta, Mandata, p. 168 ss.; cfr. anche Id., L’elogium, p. 79 ss.; Id., Ulpiano I, p.  197 s. 2  Botta, L’iniziativa, p.  301 ss. 3  Nogrady, Strafrecht, p.  110. 4  Nogrady, Strafrecht, loc. cit. 5  Marotta, opp. locc. citt. Nello stesso senso Botta, L’iniziativa, p.  301 ss., 309 nt.  74. 6  Così Marotta, L’elogium, p.  95.

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Le opinioni ora accennate mi sembrano tuttavia trovare non lievi ostacoli nei dati offerti dalle nostre fonti. Una più approfondita analisi dei testi attinenti all’argomento mostra, a mio avviso, come la cognitio custodiarum non si lasci configurare né come una semplice indagine istruttoria (interrogatorio), né come un procedimento preliminare di accertamento della reità. Essa presenta, al contrario, i caratteri di un vero e proprio processo extra ordinem, solo differente dal processo cognitorio ordinario per talune modificazioni procedurali rese necessarie dallo stato di carcerazione degli imputati. Tenterò nelle pagine che seguono di evidenziare, attraverso una revisione critica delle testimonianze pervenuteci, i dati che a mio parere autorizzano questa conclusione. 2.  Per l’esatta individuazione della natura e della funzione della cognitio custodiarum è opportuno anzitutto leggere D. 48. 18. 18. 10 = P. S. 5. 16. 16 (Paul. 5 sent.) Custodiae non solum pro tribunali sed et de plano audiri possunt atque damnari. D. 48. 2. 6 (Ulp. 2 de off. proc.) Levia crimina audire et discutere de plano proconsulem oportet et vel liberare eos, quibus obiciuntur, vel fustibus castigare vel flagellis servos verberare.

Nel primo testo si afferma che i processi relativi a persone che si trovavano in stato di detenzione potevano svolgersi sia nelle forme consuete della cognitio pro tribunali, cioè mediante pubblica udienza tenuta dal governatore con l’assistenza del suo consilium, sia de plano, informalmente, senza le solennità richieste per il processo ‘ufficiale’7. Quest’ultima procedura – sottolinea Ulpiano nel secondo passo – era ritenuta particolarmente opportuna8 nel caso di delitti di lieve entità9. Celere e pratica, essa consentiva al governatore di rimettere immediatamente in libertà coloro che risultavano innocenti e di infliggere ai colpevoli, più che una pena propriamente detta, una castigatio disciplinare: di regola la battitura con i bastoni per i liberi e quella con le sferze per gli schiavi10. 7  Su tali cognitiones e il regime giuridico relativo Mommsen, Strafrecht, p. 361 s.; Dell’Oro, I libri, p.  129 s.; Nörr, Interloqui, p.  1507; Lovato, Il carcere, p.  46; Zanon, Le strutture, p.  83 ss. 8  E’ probabile che nei mandata imperiali fossero enunciate delle direttive al riguardo. 9  Esempi in D. 1. 16. 9. 3 (Ulp. 2 de off. proc.): De plano autem proconsul potest expedire haec: ut obsequium parentibus et patronis liberisque patronorum exhiberi iubeat: comminari etiam et terrere filium a patre oblatum, qui non ut oportet conversari dicatur, poterit de plano. Similiter et libertum non obsequentem emendare aut verbis aut fustium castigatione. 10  La condanna era sbrigativamente inflitta per libellum, anziché per decretum, come si può argomentare da D. 1. 16. 9. 1 (Ulp.  2 de off. proc.): Ubi decretum



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I due passi sono di notevole importanza per la questione che ci interessa. Essi escludono la possibilità di ravvisare nella cognitio custodiarum un mero ‘esame preliminare’ degli imputati in stato di custodia preventiva o un puro e semplice interrogatorio degli stessi. Il governatore, come è agevole rilevare, non si limitava ad audire i detenuti, ma era altresì legittimato a damnare quelli di loro che riteneva colpevoli: esercitava, vale a dire, quella tipica facoltà di cognoscere et statuere che era propria di ogni giudicante extra ordinem11. La sua attività non si esauriva nella verifica preliminare degli addebiti o nello svolgimento di funzioni istruttorie, ma si estendeva sino al potere di decisione della causa. Il che configura, in modo inequivocabile, una cognitio nel senso proprio del termine. 3.  Nella stessa direzione è preziosa la testimonianza di D. 48. 3. 11 (Cels. 37 dig.) Non est dubium, quin, cuiuscumque est provinciae homo, qui ex custodia producitur, cognoscere debeat is, qui ei provinciae praeest, in qua provincia agitur. 1. Illud a quibusdam observari solet, ut, cum cognovit et constituit, remittat illum cum elogio ad eum, qui provinciae praeest, unde is homo est: quod ex causa faciendum est.

Non può esservi dubbio – rileva Celso – che gli imputati detenuti, di qualunque provincia siano, rientrino nella competenza territoriale del governatore della provincia nella quale si è proceduto all’arresto12. Qualche gonecessarium est, per libellum id expedire proconsul non poterit: omnia enim, quaecumque causae cognitionem desiderant, per libellum non possunt expediri. Il passo, nell’originale ulpianeo, si connetteva al brano che abbiamo citato alla nota precedente, poiché i §§ 2 e 3 di D. 1. 16. 9 vanno invertiti (cfr. Krüger, Dig. ad h. l.). Sul punto Martini, Il problema, p.  47 ss. 11  V. ampiamente Lemosse, Cognitio, p.  132 ss., 136. Ai testi citati si aggiunga Ed. Aug. ad Cyr. IV. 65 (FIRA I n. 68, p.  409): διαγεινώσκειν κ[αὶ] ἰστάναι. 12  Così è da intendere la frase in qua provincia agitur. Di diverso avviso Sherwin-White, Roman Society, p.  29, secondo il quale agitur «either means ‘where the man is active’ as contrasted with cuiuscumque est provinciae, or ‘where the crime is being done’». Sulle sue orme Marotta, Multa, p.  284, che ritiene preferibile la prima delle due spiegazioni (‘ove l’uomo è attivo’ = nella provincia in cui abita). Ma il testo di Macro richiamato a conforto (D.48. 3. 7 [2 de off. praes.]: Solent praesides provinciarum, in quibus delictum est, scribere ad collegas suos, ubi factores agere dicuntur, et desiderare, ut cum prosecutoribus ad se remittantur: et id quoque quibusdam rescriptis declaratur) appare tutt’altro che probante. Se infatti in esso le parole ubi factores agere dicuntur effettivamente significano ‘ove si dice che il criminale viva’, ciò è solo per il fatto che il verbo agere è usato all’attivo. Invece nel testo che qui ci occupa tale verbo ricorre nella forma passiva e quindi, come giustamente nota Talamanca, Pubblicazioni, p.  823 (cfr. anche Id., L’eristica, p.  630 ss., in replica a Marotta, ‘Ineptiae’ antoniniane, p.  215), non può che indicare «un’ attività processuale, il portare il crimine alla cognizione del governatore, quali che siano i momenti che giustificano l’adizione di un governatore diverso da quello del domicilio». Interpretazione che trova conferma nel § 1, ove si considera

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vernatore – egli aggiunge  –, fatta la cognizione del crimine e pronunciata la sentenza, suole rimettere il condannato, con il resoconto scritto degli atti di causa (cum elogio), al governatore della provincia in cui questi ha il suo domicilio. Ma ciò – puntualizza il giurista – può ammettersi solo in presenza di giustificati motivi13. Notevole, ai fini della questione che qui ci occupa, è soprattutto la seconda parte del testo. Vi si legge che il governatore dinanzi al quale compare il reo in stato d’arresto cognoscit et constituit, prende conoscenza del crimine ed emana la sentenza. E’ appena necessario rilevare la perfetta corrispondenza tra tale espressione e l’audire atque damnare di D. 48. 18. 18. 10, che abbiamo già esaminato più sopra. Del frequente uso di constituere nel senso di ‘emettere una decisione’, ‘pronunciare una sentenza’ offrono ampia testimonianza i passi giurisprudenziali registrati nel VIR14: tra i quali merita di essere soprattutto richiamato D. 6. 1. 38 – appartenente allo stesso giurista e alla stessa opera da cui è tratto il brano che qui si esamina –, ove troviamo adoperato il verbo in questione nell’identica accezione in cui ricorre nel nostro testo: bonus iudex varie ex personis causisque constituet15. Quanto al merito, non deve sorprendere che il governatore della provincia nella quale il reo era stato catturato e giudicato usasse talora rimettere quest’ultimo al governatore della provincia ove abitava16. Poteva accadere, per esempio, che a carico del reo fosse pendente, nella città d’origine, un del tutto eccezionale l’invio del reo al governatore della provincia in cui è domiciliato. Nello stesso ordine di idee Miglietta, L’invio, p. 115 ss., e ora Nogrady, Straf­ recht, p. 99. Sulla deformante interpretazione bizantina del passo, Garbarino, Osservazioni, p.  81 ss. Dal punto di vista sostanziale va osservato che, pur essendo la competenza territoriale solitamente determinata con riferimento al luogo in cui il delitto era stato commesso (cfr., p.  es., D. 1. 18. 3 [Paul. 13 ad Sab.]; D. 48. 2. 22 [Pap.  15 resp.]; D. 48. 3. 7 [Macer 2 de off. praes.], cit. più sopra), la sottoposizione del reo alla cognitio del governatore del luogo in cui era stato catturato era ritenuta pienamente legittima e godeva dell’ approvazione imperiale. Cfr. C. 3. 15. 1 (Sev. et Ant., a. 196): Quaestiones eorum criminum, quae legibus aut extra ordinem coercentur, ubi commissa vel inchoata sunt vel ubi reperiuntur qui rei esse perhibentur criminis, perfici debere satis notum est. 13  Le parole ex causa sono immotivatamente ritenute un’aggiunta posteriore da Mommsen, Strafrecht, p.  357 nt.  1. 14  VIR III s. v. constituo III A, p.  948. Il riferimento del verbo alla pronuncia della sentenza è giustamente sottolineato da Garbarino, Osservazioni, p.  82; cfr. anche Miglietta, L’invio, pp.  121,123. 15  D. 6.1.38 (Cels. 3 dig.): In fundo alieno, quem imprudens emeras, aedificasti aut conseruisti, deinde evincitur: bonus iudex varie ex personis causisque constituet. Cfr. Garbarino, Osservazioni, p.  82 nt.  44. 16  V. su questo punto Miglietta, L’invio, p.  121.



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processo per un altro delitto17, oppure che sembrasse opportuno far svolgere l’esecuzione nel luogo ove il reo aveva compiuto le sue malefatte, affinchè di essa avessero conoscenza diretta tutti i concittadini che erano stati vittime dei suoi crimini18. A questa e ad altre evenienze consimili faceva molto probabilmente riferimento la frase quod ex causa faciendum est, con cui si conclude il frammento celsino. 4.  I risultati sin qui ottenuti trovano piena conferma nelle modalità di svolgimento della celebre cognitio contro Paolo di Tarso, il cui ricordo ci è conservato nei capitoli 24–26 degli Atti degli Apostoli19. I fatti sono noti. Arrestato nel 58 d. C. a Gerusalemme dai soldati della coorte romana di stanza nella città, Paolo fu in seguito trasferito a Cesarea20, per rispondere davanti al procurator Augusti delle accuse di turbamento dell’ordine pubblico e di profanazione del Tempio avanzate nei suoi confronti dai Giudei. La cognitio condotta dal governatore – o più precisamente dai due governatori, Antonio Felice e Porcio Festo, che si succedettero nella carica durante la prigionia dell’ Apostolo – è descritta negli Atti in modo dettagliato: il che ci permette di farci un’idea abbastanza chiara del suo carattere. Alcuni punti, in particolare, meritano di essere sottolineati. Il governatore dirige il dibattimento dall’alto del suo tribunal (ἐπὶ του βη  ματος)21, affian22 cato dal consilium ; la rappresentanza processuale delle parti lese è affidata a un avvocato23; sono pronunciate arringhe d’accusa e di difesa24; il reo, 17  Cfr. D. 48. 2. 7. 5 (Ulp. 7 de off. proc.): Cum sacrilegium admissum esset in aliqua provincia, deinde in alia minus crimen, divus Pius Pontio Proculo rescripsit, postquam cognoverit de crimine in sua provincia admisso, ut reum in eam provinciam remitteret, ubi sacrilegium admisit. Sul testo Nogrady, Strafrecht, p. 96 ss., 100. 18  D. 48. 19. 28. 15 (Call. 6 de cogn.): Famosos latrones in his locis, ubi grassati sunt, furca figendos compluribus placuit, ut et conspectu deterreantur alii ab isdem facinoribus et solacio sit cognatis et adfinibus interemptorum eodem loco poena reddita, in quo latrones homicidia fecissent. Nonnulli etiam ad bestias hos damnaverunt. Sul testo Bonini, I libri, p.  104 ss.; Wacke, Die Zwecke, p.  216 ss. 19  Su questo famoso processo v. soprattutto Tajra, The Trial, p.  109 ss., 135 ss.; Omerzu, Der Prozeß, p.  421 ss., 474 ss. Per i profili giuridici, da ultimi Santalucia, Praeses provideat, p.  69 ss.; Ravizza, L’appello, p.  113 ss. 20  Il comandante della coorte ritenne infatti troppo pericoloso trattenere l’Apostolo nel carcere di Gerusalemme (situato nell’ antica fortezza di Erode, ora ribattezzata fortezza Antonia, in onore di Marco Antonio: cfr. Pavón Torrejón, La cárcel, p.  155 ss.), essendogli giunta notizia che alcuni fanatici avevano ordito una congiura per ucciderlo (cfr. Act. 23. 15–25). 21  Act. 25. 6 (processo dinanzi a Festo). 22  Act. 25. 12 (processo davanti a Festo). 23  Act. 24. 1 (processo davanti a Felice). 24  Act. 24. 2-21 (processo davanti a Felice).

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al termine del dibattimento, appella all’imperatore25. Sono informazioni degne di rilievo. Non vi è nulla, in esse, che faccia pensare a un’ ‘inchiesta preliminare’; al contrario, tutto induce a ritenere che Paolo sia stato sottoposto a un vero e proprio processo, a una regolare cognitio pro tribunali condotta dal governatore nella sua veste di giudice supremo della provincia. Decisiva, al riguardo, è la notizia che la cognizione si concluse con l’appellatio ad Caesarem dell’Apostolo: ciò implica, come è evidente, l’esercizio da parte del governatore di un’attività giudicante e non di una mera attività di carattere istruttorio o para-istruttorio. Contro queste considerazioni non mi sembra avere gran peso il fatto che in Act. 24.8 l’attività del governatore sia designata col verbo ἀνακρίνειν, nel quale vorrebbe cogliersi un riferimento all’ἀνάκρισις del processo attico, che, come è noto, costituiva una fase preliminare rispetto a quella dibattimentale26. E’ sufficiente una rapida scorsa alle fonti per rendersi conto che il sostantivo ἀνάκρισις e il verbo ἀνακρίνειν, nell’epoca di cui discorriamo, hanno ormai perduto il loro originario significato tecnico, e designano in generale ogni indagine, inchiesta, interrogatorio a cui una persona sia sottoposta, sia in sede processuale che extraprocessuale. In particolare, negli Atti degli Apostoli tali termini ricorrono in quattro passi, oltre a quello sul quale ci siamo or ora soffermati, ma neppure una volta in relazione a un’inchiesta preliminare. Più precisamente, essi designano: in Act. 4.9 l’interrogatorio a cui furono sottoposti gli Apostoli Pietro e Giovanni davanti al Sinedrio; in Act. 25.26 l’indagine sulle responsabilità di Paolo sollecitata da Festo ad Agrippa II al fine di acquisire maggiori elementi per il suo rapporto all’imperatore; in Act. 28.18 l’interrogatorio subito da Paolo dinanzi al tribunale del governatore a Cesarea27; in Act. 12.19, infine, la materiale ricerca (!) dell’Apostolo Pietro ad opera degli uomini di Erode Agrippa. Possiamo pertanto concludere che le notizie forniteci dagli Atti intorno alla cognitio contro Paolo di Tarso confermano e rafforzano le conclusioni precedentemente enunciate28. 25  Act.

25. 10 (processo davanti a Festo). L’elogium, p.  93 ss. L’Autore rileva che il brano in cui si menziona l’ἀνακρίνειν è verosimilmente di natura glossematica, tuttavia la cosa non ha alcuna incidenza sostanziale, trattandosi di una glossa molto antica, databile intorno alla metà del II secolo. Ma egli incorre in un’ imprecisione. La glossa di cui si tratta ha inizio con le parole κὰι κατά del § 6 e termina con le parole ἐπί σε del § 8 (cfr. Barrett, Atti II, p.  1269); dell’ἀνακρίνειν si parla invece nella frase finale del § 8, la cui autenticità è fuori di discussione. 27  Interrogatorio che, come abbiamo veduto nel testo, ebbe luogo in sede dibattimentale, e non in sede di indagine preliminare (cfr. anche il successivo § 13, ove Paolo ricorda di avere proposto appello all’imperatore). 26  Marotta,



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Pur configurando un vero e proprio processo, la cognitio custodiarum presentava talune singolarità che la differenziavano sensibilmente rispetto alle cognitiones criminali ordinarie. 285. 

Un primo testo che viene in considerazione al riguardo è D. 2. 12. 9 (Ulp. 7 de off. proc.) Divus Traianus Minicio Natali rescripsit ferias a forensibus tantum negotiis dare vacationem, ea autem, quae ad disciplinam militarem pertinent, etiam feriatis diebus peragenda: inter quae custodiarum quoque cognitionem esse.

Ulpiano ci trasmette il ricordo di un rescritto di Traiano a Minicio Natale (all’epoca legatus Augusti pro praetore della Pannonia superiore)29 con cui l’imperatore aveva stabilito che nel periodo delle feriae era lecito sospendere la sola attività giudiziaria ordinaria e non anche la trattazione delle cause concernenti la disciplina militare: fra le quali – egli puntualizzava – devono ritenersi comprese anche le cognitiones relative a detenuti30. Il provvedimento verosimilmente tendeva a combattere la prassi, diffusa tra i governatori provinciali, di considerare, sotto il profilo dei tempi processuali, le cognitiones custodiarum alla stessa stregua degli altri processi, senza tener conto del pregiudizio derivante ai detenuti da un eccessivo prolungarsi della custodia preventiva31. Per accelerare i tempi di celebrazio28  E’ interessante notare che la procedura seguita nei confronti di Paolo è identica a quella che sarà successivamente prescritta dagli imperatori nei loro mandata ai governatori provinciali. Il ricordo di essa ci è conservato in un celebre testo di Macro (2 de publ. iud.) riportato in D. 48. 3. 6: gli ufficiali di polizia (il testo menziona specificamente gli irenarchi, ma è chiaro che le disposizioni valgono per tutti coloro che nelle città sono preposti all’ordine pubblico), quando catturino dei malfattori, debbono interrogarli e quindi inviarli, cum elogio, al governatore della provincia; il quale, cum … ἀνάκρισιν faceret, dovrà procedere a un nuovo interrogatorio ed eventualmente invitare gli ufficiali che hanno eseguito l’arresto a comparire in giudizio per confermare quanto si legge nel loro rapporto. Il raffronto con il testo degli Atti non lascia dubbi sul fatto che col termine ἀνάκρισις si intenda anche qui indicare un’attività di carattere giudiziale e non una semplice indagine preliminare. Di ciò si era reso perfettamente conto l’ignoto glossatore medievale utilizzato da Dionigi Gotofredo nella sua edizione del Digesto (ad h. l.), il quale annota: ἀνάκρισιν id est, quaestionem seu inquisitionem. Sul testo di Marciano v., in vario senso, Marotta, Multa, p.  292 ss.; Id., Mandata, p.  166 ss.; Id., L’elogium, p.  72 ss.; Zanon, A proposito, p.  169 ss.; Id., Le strutture, p.  113 ss.; Santalucia, Accusatio, p.  318 ss.; Botta, L’iniziativa, p.  299 ss.; Rivière, Les délateurs, p.  277 ss.; Nogrady, Strafrecht, p.  28 ss.; Giglio, Il problema, p.  26 ss. 29  Groag, s. v. Minicius (18), p.  1828 ss.; Mantovani, Il bonus praeses, p.  238 nt.  132 (con altra lett.). 30  Sul testo v. ora Nogrady, Strafrecht, p.  106 ss. 31  Le fonti ricordano a più riprese le condizioni disumane dei carcerati (Philostr. vita Apol. 7. 26), gli abusi dei guardiani (Passio Perpetuae et Felicitatis 3. 6), le morti in prigione (Eus. hist. eccl. 5. 1. 27–28; Passio Montani et Lucii 2. 1). V.

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ne di tali procedimenti, Traiano ritenne opportuno equiparare, col rescritto ora menzionato, le cause relative a detenuti alle cause quae ad disciplinam militarem pertinent, le quali, coinvolgendo la difesa dello stato, dovevano essere trattate con la massima sollecitudine, anche nei dies feriati32. Tale ‘militarizzazione’ delle cognitiones custodiarum costituiva un’indubbia forzatura: ma essa rispondeva all’esigenza di un sollecito accertamento giudiziario della sussistenza, in capo agli imputati detenuti, di responsabilità penalmente sanzionabili. In conseguenza del provvedimento traianeo, i governatori33 inaugurarono la consuetudine di visitare con una certa frequenza le carceri delle varie città della provincia34, per esercitare in maniera più spedita la giustizia nei confronti dei detenuti, anche al di fuori delle sessioni giudiziarie (conventus)35 che essi tenevano una volta l’anno nei principali centri locali36. Quando si trattava di crimini di lieve entità, procedevano de plano e liberavano l’accusato senza indugio se risultava innocente (o dopo avergli fatto infliggere una moderata dose di bastonate se risultava colpevole)37; quando invece il delitto era grave e necessitava di un’istruttoria approfondita, disponevano il prolungamento della carcerazione in attesa di sottoporre il detenuto a un formale processo pro tribunali in sede di conventus. da

Così mi sembrano doversi intendere le sintetiche informazioni offerteci

ampiamente Neri, I marginali, p.  431 ss. Qualche cenno anche in Lanata, Gli atti, p.  69 nt.  111. I mandata imperiali invitavano i governatori ad intervenire energicamente nei confronti dei magistrati locali che avessero posto con leggerezza in libertà i detenuti. Cfr. D. 48. 3. 10 (Ven. Sat. 2 de off. proc.): Ne quis receptam custodiam sine causa dimittat, mandatis ita cavetur: ‘Si quos ex his, qui in civitatibus sunt, celeriter et sine causa solutos a magistratibus cognoveris, vinciri iubebis et his, qui solverint, multam dices. Nam cum scierint sibi quoque molestiae futurum magistratus, si facile solverint vinctos, non indifferenter de cetero facient’. Sul testo Lovato, Il carcere, p.  44. 32  Sui delicta militum e la loro persecuzione, cfr. D. 49. 16. 2 pr. (Arr. Men. 1 de re mil.): Militum delicta sive admissa aut propria sunt aut cum ceteris communia. Unde et persecutio aut propria aut communis est. Proprium militare est delictum, quod quis uti miles admittit; D. 49. 16. 6 pr. (Id. 3 de re mil.): Omne delictum est militis, quod aliter, quam disciplina communis exigit, committitur: velut segnitiae crimen vel contumaciae vel desidiae. Per le diverse questioni, v. Giuffrè, La letteratura, p.  87 ss. 33  Spesso coadiuvati dai loro legati: cfr. in seguito, § 7. 34  Raccolta completa delle testimonianze a noi pervenute sulle carceri cittadine nelle diverse città dell’ impero in Pavón Torrejón, La cárcel, p.  135 ss. 35  Diversamente Marotta, Mandata, p.  168, il quale ritiene che la cognitio custodiarum avesse ordinariamente luogo nei giorni del conventus. 36  Cfr. Burton, Proconsuls, p.  97 ss. 37  Come abbiamo veduto sopra, § 2.



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D. 48. 1. 12. 1 (Mod. 3 de poenis) Et feriatis diebus custodias audiri posse rescriptum est38, ita ut innoxios dimittat et nocentes, qui duriorem animadversionem indigent, differat39.

E’ da notare che talvolta i magistrati cittadini (o gli officiales preposti alla custodia dei detenuti, se si trattava di un carcere militare) preferivano non attendere l’arrivo del governatore e disporre l’immediata traduzione dell’accusato, cum elogio, nella sede governatoriale. Questa pratica, che abbiamo già riscontrato nel caso di Paolo di Tarso40, è ampiamente attestata negli Atti dei Martiri41. Essa consentiva di evitare – come avvenne per Paolo – che il detenuto potesse correre qualche pericolo in conseguenza della sua prolungata permanenza nella prigione locale o che, con la complicità o per negligenza dei custodi, riuscisse ad evadere42. 6.  Anche per un altro aspetto le cognitiones custodiarum si distaccavano, sotto il profilo processuale, dalle cognizioni criminali ordinarie. A differenza di queste ultime, che, come sappiamo, erano tenute in sede di conventus, e quindi in giorni fissi dell’anno43, le cognitiones custodiarum il più delle volte non erano tenute nel corso di tali assise, in giorni prefissati, ma alle date di volta in volta stabilite, con ampia discrezionalità, dal governatore. Poteva dunque accadere che l’arrivo improvviso del governatore nel luogo in cui gli imputati erano detenuti impedisse agli stessi la predisposizione di mezzi adeguati per esercitare il loro diritto di difesa, costringendoli a pre38  Si tratta, naturalmente, del rescritto di Traiano a Minicio Natale richiamato in D. 2. 12. 9. 39  Secondo Marotta, Mandata, p. 170, il differat andrebbe inteso nel senso che il governatore doveva rinviare a un’udienza successiva della stessa sessione giudiziaria (conventus) i detenuti sui quali gravassero pesanti indizi di colpevolezza. Ma questa interpretazione non mi sembra accettabile. Non si vede infatti per qual motivo si dovesse rinviare la questione a un’altra udienza della stessa sessione, quando non vi era nulla che impedisse di prenderla in esame subito. Ben si spiega, invece, il rinvio qualora la cognitio de plano non potesse trovare applicazione a causa della gravità del crimine imputato al detenuto e apparisse quindi opportuno rimettere il caso alla data del conventus, per una formale cognitio pro tribunali. 40  Sopra, § 4. Cfr. anche D. 48. 3. 6, di cui ci siamo occupati alla nt.  28. 41  Cfr. p.  es. Passio Mariani et Iacobi 9. 1; Passio Agapes Irenes et Chiones 2. 1 e 3. 1; Passio Marcelli centurionis 2. 2 e 3. 1. 42  Cfr. D. 47. 18. 1 (Ulp.  8 de off proc.): De his, qui carcere effracto evaserunt, sumendum supplicium divi fratres Aemilio Tironi rescripserunt. Saturninus etiam probat in eos, qui de carcere eruperunt sive effractis foribus sive conspiratione cum ceteris, qui in eadem custodia erant, capite puniendos: quod si per neglegentiam custodiam evaserunt, levius puniendos. 43  Non può condividersi l’opinione di Wlassak, Provinzialprozess, p.  35 nt.  54, che nelle province vi fossero anche dei tribunali stabili, che amministravano la giustizia nell’intervallo fra un conventus e l’altro: contro di essa, con osservazioni decisive, Burton, Proconsuls, p.  99.

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senziare al giudizio senza prima conoscere le specifiche accuse loro rivolte e senza avere la possibilità di contrapporre a chi li accusava prove e argomenti a dimostrazione delle proprie ragioni. Per scongiurare una simile evenienza fu introdotta, probabilmente per opera di mandati imperiali, la regola di cui ci conserva il ricordo D. 48. 18. 18. 9 = P. S. 5. 16. 15 (Paul. 5 sent.) Cogniturum de criminibus praesidem oportet ante diem palam facere custodias se auditurum, ne hi, qui defendendi sunt, subitis accusatorum criminibus obprimantur: quamvis defensionem quocumque tempore postulante reo negari non oportet, adeo ut propterea et differantur et proferantur custodiae.

Tutte le volte che il preside si reca in una delle città della provincia da lui amministrata per cognoscere de criminibus deve dare tempestiva notizia della data del suo arrivo, sì da consentire agli imputati detenuti la preparazione della difesa. Oltre a ciò, egli è tenuto a garantire il diritto di difesa in ogni fase del processo, concedendo a quanti gliene fanno richiesta il tempo necessario per un’efficace preparazione della stessa, anche a costo di dover prolungare a tal fine i tempi della carcerazione44. Questo orientamento ‘garantistico’ (che peraltro non sappiamo se sia stato sempre osservato nella prassi) trova riscontro in un’altra regola a cui il governatore era tenuto ad attenersi quando doveva processare dei detenuti: quella di prendere opportune misure per assicurare la pubblicità dei giudizi. L’imposizione ai governatori di un siffatto onere di pubblicità costituiva una singolarità della cognitio custodiarum: nulla del genere era richiesto nei processi criminali ordinari. E si comprende facilmente perché. In occasione del conventus i governatori di regola esercitavano la giustizia pro tribunali, in un luogo aperto a tutti (di solito nel foro cittadino)45, ed essendo la data di tale assise di pubblica conoscenza, chiunque lo volesse era posto in condizione di assistere al processo. Diversamente avveniva per le cognitiones custodiarum. Come si è accennato più sopra, non doveva essere raro il caso che il governatore giungesse del tutto inaspetta­ tamente nel luogo in cui si trovavano gli imputati in stato di custodia preventiva, e prendesse cognizione della loro causa de plano, senza le formalità del rito ordinario, solitamente nell’ambiente chiuso di un secre44  Va ricordato, al riguardo, che uno dei fondamentali doveri dei governatori nell’esercizio dell’attività giudiziaria era appunto quello di assicurare la difesa in giudizio degli accusati, concedendo loro di scegliersi un avvocato o nominandone, se necessario, uno d’ufficio. Cfr. i puntuali ammonimenti di Ulpiano in D. 1. 16. 9. 5 (2 de off. proc.), su cui Dell’Oro, I libri, p.  130 ss. 45  Testimonianze in Lanata, Gli atti, p.  133.



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tarium46. Ciò valeva certo ad accelerare il procedimento, ma non forniva idonee garanzie di imparzialità e di rispetto della legge da parte del rappresentante imperiale. Per evitare che tale cognitio fosse totalmente sottratta al controllo pubblico, fu dunque introdotta la regola che il governatore dovesse ammettere una rappresentanza cittadina nei locali in cui amministrava la giustizia: D. 48. 1. 12 pr. (Mod. 3 de poenis) Custodias auditurus tam clarissimos viros quam patronos causarum, si omnes in civitate provinciae quam regit agunt, adhibere debet47.

La disposizione, che con ogni probabilità rispecchia le direttive imperiali in materia, aveva chiaramente lo scopo di garantire la pubblicità del processo. Il magistrato doveva invitare ad assistere alla cognitio i notabili locali e gli avvocati che risiedevano nella città48. Il cui intervento peraltro non consisteva, come è stato supposto49, nel coadiuvare il governatore nella decisione della causa quali membri del suo consilium, ma in una semplice prestazione di testimonianza. Essi sedevano come spettatori per tutta la durata del processo, offrendo, con la loro presenza, la garanzia che da parte del governatore non si commettessero irregolarità od arbitrii. 7.  Un’ ulteriore deviazione della cognitio custodiarum rispetto alle regole del procedimento ordinario è ravvisabile nella circostanza che, relativamente ad essa, al governatore era eccezionalmente consentito affidare ai legati il compito di esercitare (entro certi limiti) l’ ufficio di giudice. La ragione non è difficile a comprendersi. La molteplicità degli impegni amministrativi spesso non permetteva al governatore di recarsi personalmente nelle varie città della provincia per processare i detenuti: era dunque inevitabile che per attendere a tale incombenza egli si avvalesse, il fin delle volte, dei propri legati. Vi era, tuttavia, una difficoltà, e cioè che la giurisdizione criminale, il cui esercizio derivava al magistrato dalla titolarità dell’imperium, non era su46  Degni di particolare rilievo al riguardo sono gli Hermeneumata di Sponheim (Dionisotti, From Ausonius, pp.  104–105, ll.  73–75), dai quali si trae la conferma che il giudizio pro tribunali era solitamente adottato per i crimini più gravi, mentre quello in secretario era riservato alle cause di minor importanza. Sul punto, da ultimo, con osservazioni persuasive, Grelle, Iudices, p.  187 ss. 47  Il testo è così restituito da Mommsen, Dig. ad h. l.: Custodias auditurus in civitate provinciae quam regit tam clarissimos viros quam patronos causarum omnes, si in civitate agunt  … 48  La convocazione dei primi costituiva verosimilmente un atto di cortesia nei confronti delle élites locali, quella dei secondi una manifestazione di disponibilità al controllo della procedura da parte di persone esperte di diritto. 49  Marotta, Mandata, p.  169 s.

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scettibile di delega. Per dare una soluzione al problema fu dunque necessario attenuare, in qualche misura, la rigidità dei principii in materia. Ma al riguardo non tutto è chiaro. Leggiamo D. 1. 16. 6 pr. (Ulp. 1 de off. proc.) Solent etiam custodiarum cognitionem mandare legatis, scilicet ut praeauditas custodias ad se remittant, ut innocentem ipse liberet. Sed hoc genus mandati extraordinarium est: nec enim potest quis gladii potestatem sibi datam vel cuius alterius coercitionis ad alium transferre50 nec liberandi igitur reos ius, cum accusari apud eum non possint.

Il testo, nella sua stesura attuale, non è un modello di logica. Esso inizia col dire che la cognitio custodiarum era solitamente demandata ai legati, i quali avevano il compito di interrogare i detenuti e di rimettere al governatore quelli di loro che apparissero innocenti, in modo che provvedesse egli stesso a liberarli. Prosegue poi affermando che questo tipo di mandato è da considerarsi straordinario, poiché di regola non è consentito trasferire a un’altra persona la potestas gladii né l’esercizio di poteri coercitivi: e quindi neppure il diritto di liberare gli accusati, dato che essa non può conoscere delle accuse mosse a loro carico. E’ appena necessario rilevare che la seconda parte del testo è inconciliabile con la prima. In essa, infatti si riconosce che la delega della cognitio custodiarum ai legati comprendeva anche il diritto di liberare i detenuti. Appunto in ciò stava la sua straordinarietà. La prima parte invece contraddice a questa affermazione, poiché vi si dice che il legato, interrogati i detenuti, non può rimettere in libertà quelli di loro che egli ritenga innocenti, in quanto la loro liberazione può essere decretata solo dal governatore. Il testo è palesemente corrotto. Ciò peraltro non significa che esso sia irrecuperabile. Non vi è dubbio che fra le due parti del passo quella che dà maggior affidamento è la seconda, contro il cui contenuto non può essere avanzata alcuna seria riserva. La forma è ineccepibile. Quanto alla sostanza, la delega del ius liberandi è correttamente presentata come un’eccezione al principio della non delegabilità del potere di repressione penale, principio che trova riscontro in testi di indiscussa classicità51. Al contrario, la prima parte presenta tracce innegabili di rimaneggiamento. Basti rilevare la sconcordanza fra le forme verbali (solent, remittant … liberet) e l’uso di termi50  Il brano nec enim-transferre è riportato anche in D. 50. 17. 70, con la sostituzione di nemo a nec enim. 51  Cfr. D. 1. 21. 1. 1 (Pap.  1 quaest.): Qui mandatam iurisdictionem suscepit, proprium nihil habet, sed eius qui mandavit iurisdictione utitur. Verius est enim more maiorum iurisdictionem quidem transferri, sed merum imperium quod lege datur non posse transire: quare nemo dicit animadversionem legatum proconsulis habere mandata iurisdictione.



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ni affatto ignoti alle fonti (praeauditas). Ma più che a glosse o ad interpolazioni, delle quali sarebbe difficile fornire una sufficiente motivazione, mi sembra plausibile pensare a delle mende dipendenti dalla tradizione manoscritta del passo. I tentativi di restituzione non sono mancati. Huschke ha proposto di leggere aut innocentes anziché ut innocentem; Schulting di sostituire ipsi liberent a ipse liberet52. Tali suggerimenti hanno trovato seguito presso la critica più recente53, e anche a mio parere essi appaiono sostanzialmente condivisibili, riuscendo a rendere soddisfacente il senso del passo. Nell’originale ulpianeo probabilmente si diceva che i legati ai quali era stata delegata la cognitio custodiarum dovevano interrogare i detenuti e poi rinviarli al governatore per il giudizio (praeauditas54 custodias ad se remittant); se però l’interrogatorio avesse rivelato che costoro erano innocenti, i legati erano autorizzati a rimetterli essi stessi in libertà (aut innocentes ipsi liberent)55. In altri termini, la delega della cognitio custodiarum attribuiva ai legati il diritto di procedere personalmente a una limitata cognitio de plano (comprensiva, cioè, della sola facoltà di liberare, non anche della facoltà di damnare). La cognitio pro tribunali (o la cognitio de plano relativa ad imputati non palesemente innocenti) rimaneva invece riservata al governatore. Dig. ad h. l. vero la critica più recente, mentre accoglie senza esitazioni l’emendamento di Schulting, tende a glissare su quello di Huschke (cfr. Spagnuolo Vigorita, Imperium mixtum, pp.  120, 146; Marotta, L’elogium, p.  79 e nt.  35; Id., Ulpiano I, p.  196 ss.; Botta, L’iniziativa, p.  301 e nt.  51; elusiva Fanizza, L’amministrazione, p.  94 ss.). Mi sembra tuttavia difficile non tener conto della correzione proposta. Se si vuol dare un senso al passo, senza dover ricorrere a un’interpretazione forzata della frase praeauditas custodias ad se remittant, entrambi gli emendamenti appaiono indispensabili (sulla loro portata sostanziale, v. più avanti, nel testo). Una diversa spiegazione del passo ulpianeo è proposta da Jones, The Criminal Courts, p. 118, secondo il quale «in the case of Roman citizens, the legate was entitled only to hold a preliminary investigation, and must send up all the prisoners to the proconsul». Ma tale assunto è estremamente opinabile, poiché nel frammento di cui si parla non è fatta alcuna distinzione fra cittadini e non cittadini. La spiegazione di Jones – depurata del suo riferimento ai cives – è stata recentemente ripresa da Lovato, Il carcere, p.  45 e da Nogrady, Strafrecht, p.  110, i quali ritengono che i legati, interrogati i detenuti, dovessero rimetterli in ogni caso al governatore per il giudizio. Questa interpretazione del testo mi sembra, tuttavia, difficilmente conciliabile (nonostante Lovato, loc. cit.) con l’asserita straordinarietà della delega in materia di cognitio custodiarum. 54  Ma la terminologia usata da Ulpiano era probabilmente diversa. 55  Nello stesso ordine di idee D. 1. 16. 11 (Ven. Sat. 2 de off. proc.): Si quid erit quod maiorem animadversionem exigat, reicere legatus apud proconsulem debet: neque enim animadvertendi coercendi vel atrociter verberandi ius habet. 52  Cfr.

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Ulpians Lehre vom error in substantia und die stoische Ontologie Von Dietmar Schanbacher I. Terminologisches Die Quellen sprechen einmal1 vom error in substantia2, häufiger vom error in materia3, und meinen damit dasselbe4. Sie sprechen vom error in materia und vom error in qualitate5 und scheinen auch damit dasselbe zu meinen6. Die Wörter substantia, materia und qualitas erscheinen in diesem Zusammenhang als gleichbedeutend7. Ihre Verbindung hat im Wortgebrauch der stoischen On1  F. C. v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts III, Berlin 1840 (Neudruck Frankfurt / Main 2008), S. 278  f. 2  Ulp.28 ad Sab.D 18,1,9,2 sed in substantia error sit. Als ein ferner Widerhall des ulpianischen error in substantia mutet der Substanzirrtum (erreur sur la substance même de la chose) des Art.1110 Code civil an; s. K. Zweigert / H. Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. Tübingen 1996, S. 412  ff.; U. Hübner /  V. Constantinesco, Einführung in das französische Recht, 4.  Aufl. München 2001, S. 162 (Erweiterung auf den Irrtum über wesentliche Eigenschaften (erreur sur les qualités substantielles). 3  Marcell. / Ulp.28 ad Sab.D 18,1,9,2 etsi in materia sit erratum; Ulp.28 ad Sab.D 18,1,9,2 i. f. quotiens in materia erratur. Vgl. auch die Glosse in Ulp.28 ad Sab.D 18,1,11pr. vel si in materia erratur (s. u. Anm.  124). 4  F. C. v. Savigny (o. Anm.  1) S. 279 („ganz gleichbedeutend“). A. A. J. G. Wolf, Error im römischen Vertragsrecht, Köln Graz 1961, S. 121 f. (keine Synonyme; materia meine die stoffliche Beschaffenheit, substantia das Sobeschaffensein des Stoffes). 5  Ulp.28 ad Sab.D 18,1,14 si in materia et qualitate ambo errarent. 6  A. A. F. C. v. Savigny (o. Anm.  1) S. 287  f. (qualitas meine nur die mehr oder weniger gute Beschaffenheit), S. 288 Anm. (u) (materia meine Stoff, qualitas Güte). Im Armbandfall Ulpians (Ulp.28 ad ed.D 18,1,14) soll es nur um die Beschaffenheit oder Güte gehen (a. O.). Das trifft jedoch nicht zu (s. u. III.3.). Desweiteren a. A. u. a. M. J. Schermaier, Materia. Beiträge zur Frage der Naturphilosophie im klassischen römischen Recht, Wien u. a. 1992, S. 135, 148, 153, 161 (materia meine stoffliche Beschaffenheit, qualitas Eigenschaften). Die Gleichsinnigkeit im gegebenen Zusammenhang ergibt sich jedoch aus Ulp.28 ad Sab.D 18,1,14 Quid tamen dicemus, si in materia et (!) qualitate ambo errarent; auch aus [Paul.]33 ad ed. D 19,1,21,2 de qualitate autem dissentiamus (was mutmaßlich auf D 18,1,9,2 sed in substantia error sit und etsi in materia sit erratum zu beziehen ist; s. u. unter III.4.). 7  So schon J. Cuiacius, Comment. in Tit. I. de contrah.empt. Lib. XVIII. Digest., Opera omnia, Lutetiae Parisiorum 1658 (Neudruck Goldbach 1996) Sp.  733C; dann

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tologie, auf welcher Ulpians Lehre vom error in substantia8 fußt, ihr Gegenstück. Dort werden die Termini ὑποκείμενον (substantia9), ὕλη (materia10) und ποιότης (qualitas11) auch gleichsinnig gebraucht12. οὐσία, welches Wort in Ulp.28 ad Sab.D 18,1,9,2 hervorsticht, meint in der stoischen Seinslehre das πρῶτον ὑποκείμενον13. II. Begriffliches Die für den error in substantia von Ulpian gegebenen Beispiele: Essig wird ‚als Wein‘ verkauft; Bronze wird ‚als Gold‘ verkauft; Blei oder sonst etwas dem Silber Ähnliches wird ‚als Silber‘ verkauft14, wobei in den letzteren Fällen naheliegend an ‚Hausgerät‘ gedacht sein wird15, und die all dies zusammenfassende Formel ‚Etwas ist als etwas anderes verkauft worden‘16 zeigen, was gemeint ist. Gemeint ist (so würde man heute sagen) die R. Zimmermann, The Law of Obligations. Roman Foundations of the Civilian Tradition, Cape Town 1990 (Neudruck München 1993) S. 593. 8  Ulp.28 ad Sab.D 18,1,9,2; 11; 14. 9  Sen.ep.58,15 = Chrysipp frg.332 SVF II p.  117.28–33. 10  Cic.ac.1,27 sed subiectam putant omnibus sine ulla specie atque carentem omni illa qualitate…materiam quandam. Diese Passage enthält stoische Lehre; P. Steinmetz, Die Stoa, in H. Flashar (Hg.), Die Philosophie der Antike (in Ueberwegs Grundriß) Bd. 4,2, Basel 1994, S. 950. Zwar ist sie Teil eines Varro zugeschriebenen Berichts über die Naturlehre des Peripatos und der Älteren Akademie (Cic.ac.1,24 ff.; vgl. 17; 19). Der diesem Bericht zugrunde liegenden Lehre des Antiochos von Askalon geht es jedoch darum, die Übereinstimmungen zwischen Peripatos, Älterer Akademie und Stoa herauszustellen; P. Steinmetz S. 947  ff. 11  Cic.ac.1,24 sed quod ex utroque, id iam corpus et quasi qualitatem quandam nominabant. Auch dies ist stoische Lehre; P. Steinmetz (Anm. 10) S. 950. Cic.ac.1,25 macht die Übertragung explizit: qualitates igitur appellari quas ποιότητας Graeci vocant, quod ipsum apud Graecos non est vulgi verbum sed philosophorum. Zu vergleichen ist ferner Sen.ep.112,2 nec in qualitatem eius naturamque transibit; 118,15 in istis enim eadem qualitas est; quamvis augeantur, manet. 12  Chrysipp frg.374 SVF II p.  125.30–42 (ὑποκείμενον = ὕλη); Chrysipp frg.762 SVF II p.  214,30–32 ([δεύτερον] ὑποκείμενον =  ποιότης). Zenon sprach – im äolischen Dialekt – von κοιόν statt von ποιόν und meinte damit die ποιότης: Zenon frg.100 SVF I p.  28.7–8. 13  Diogenes Laertius 7,150 = Chrysipp frg.316 SVF II p.  114,16–18; Chrysipp frg.762 SVF II p.  214.30–32. 14  Ulp.28 ad  Sab.D 18,1,9,2 ut puta si acetum pro vino veneat, aes pro auro vel plumbum pro argento vel quid aliud argento simile; Ulp.28 ad Sab.D 18,1,14 ut puta si et ego me vendere aurum putarem et tu emere, cum aes esset … si autem aes pro auro veneat  … 15  F. C. v. Savigny (o.  Anm.  1) S. 278 Anm. (a). A. A. J. G. Wolf (o.  Anm.  4) S. 117 (ein Stück Erz wird für ein Stück Gold verkauft). 16  Ulp.28 ad Sab.D 18,1,9,2 aliud pro alio venisse videtur.



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Artabweichung. Der verkaufte Gegenstand weicht in der Art von den insofern bestehenden Vorgaben des Kaufs ab; oder anders gewendet: die Vorgaben des Kaufs zur Art des Kaufgegenstandes werden durch diesen nicht erfüllt. Quellen- und zugleich wirklichkeitsnah fasste von Savigny17 „diese Anwendungen“ in der berühmten Formel18 zusammen: „Der Irrthum über eine Eigenschaft der Sache ist ein wesentlicher, wenn durch die irrig vorausgesetzte Eigenschaft, nach den im wirklichen Verkehr herrschenden Begriffen, die Sache zu einer anderen Art von Sachen gerechnet werden müsste, als wozu sie wirklich gehört“19. Im englischen Recht ist ein – gemeinsamer – Irrtum dann erheblich, wenn er, wie Lord Atkin in der ‚Jahrhundertentscheidung‘20 Bell v. Lever Brothers Ltd. aus dem Jahre 1932 darlegte, besteht „as to the existence of some quality which makes the thing without the quality essentially different from the thing it was supposed to be“21 – eine erstaunliche Parallele a) zu v. Savignys Formel und b) letztlich zu Ulpians Doktrin22.

17  F.

C. v. Savigny (o. Anm.  1) S. 283. Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II. Das Rechtsgeschäft. 3. Aufl. Berlin u. a. 1979, S. 444. 19  Weitergehend (und wie es scheint zu weitgehend) W. Flume (o.  Anm.  18) S. 436: In den Entscheidungen der römischen Klassiker handle es sich darum, „daß ein Gegenstand als ein solcher einer bestimmten Beschaffenheit verkauft wird und nicht von dieser Beschaffenheit ist“. Ähnlich auch M. J. Schermaier (o.  Anm.  6) S. 148 u. ö. (Irrtum über die stoffliche Beschaffenheit). v. Savigny unterscheidet hingegen die Artabweichung (o. Anm.  1) S. 283 von der bloßen Beschaffenheitsabweichung, „von welcher nie ein wesentlicher Irrthum abhängt“, (o. Anm.  1) S. 288. 20  H. Fleischer, Zum Verkäuferirrtum über werterhöhende Eigenschaften im Spiegel der Rechtsvergleichung, in: Störungen der Willensbildung bei Vertragsschluss (hg. von R. Zimmermann), Tübingen 2007, S. 35, 43. 21  Lord Atkin in Bell. v. Lever Brothers Ltd. (1932) AC (HL) 161, 218. S. Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law. Draft Common Frame of Reference (DCFR) Vol. I (hg. Chr. v. Bar, E. Clive), München 2009, II.-7: 201; Note 11, p.  467. 22  Es kommt bei den Konsensualobligationen und so beim Kauf nicht an auf die verborum oder scripturae proprietas; es genügt der Konsens der Beteiligten (Gai.3,136). Der Ansatz zur Lösung der Frage, ob etwas Gegenstand des Kaufs geworden ist, muß daher ontologisch sein. Handelt es sich um einen Gegenstand der gewollten Art? Beim Vermächtnis hingegen ist der Gebrauch des suum nomen gefordert (Serv. / Cels.19 dig.D 33,10,7,2). Der Ansatz zur Lösung der Frage, ob etwas Gegenstand des Vermächtnisses geworden ist, kann daher onomasio- und semasiologisch sein. Wird etwa Kunstessig ‚als Wein‘ verkauft, ist der Kauf nichtig (Ulp.28 ad Sab.D 18,1,9,2). Ein Vermächtnis, in dem Kunstessig als ‚Wein‘ zugewandt wird, kann hingegen gültig sein (s. u. Anm. 66). 18  W.

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III. Geschichtliches 1. Anfänge, Entwicklung und schließlicher Stand  der Diskussion um den error in substantia Die Quellen zum error in substantia führen den Betrachter zurück bis in die Zeit des Augustus. In diese Zeit fällt der Beginn der Erörterung eines dem Fall des error in substantia gewissermaßen ‚vorgelagerten‘ Falles, ‚vorgelagert‘ jenem Fall insofern als seine Lösung die Lösung jenes Falles vermittelte23. Der Spätklassiker Marcian24 berichtet von einer Entscheidung des Trebaz, die sich in den libri posteriorum des Labeo fand, zu dem Fall eines Kaufs zugerichteter Kleider (vestimenta interpola) ‚als neu‘ (pro novis). Nach Trebaz war dem Käufer, falls er von der Zurichtung nichts wußte (si ignorans interpola emerit), das Interesse zu leisten (ita emptori praestandum quod interest). Man zögert, diesen Fall als einen Fall der Artabweichung anzusprechen. Der Unterschied zwischen zugerichteten und neuen Kleidern liegt nicht auf derselben Ebene wie etwa der zwischen Bronze und Gold oder Blei und Silber etc.25. Man wird in zugerichteten Kleidern einerseits, neuen Kleidern andererseits nicht verschiedene Arten von Kleidern sehen26. Man zögert aber auch, diesen Fall als einen Fall der Mangelhaftigkeit der Kaufsache anzusprechen27. Der Unterschied zwischen zugerichteten 23  Die eigentliche Erörterung des Falles des error in substantia setzt, soweit ersichtlich, erst in der Hochklassik ein, mit Julian und Marcellus (s. im folgenden). F.  C. v. Savigny (o.  Anm.  1) S. 295  ff. setzt die Erörterung des Falles des error in substantia allerdings früher an: „Aus der älteren Zeit hat sich denn auch noch ein Zeugnis für die Meynung erhalten, nach welcher der Kauf eines messingnen Gefäßes für ein goldenes den Vertrag ebenso wenig ungültig machen soll, wie der Kauf getragener Kleider, die man für neu hält  …“ (S. 295); „…  Das Einfachste ist aber wohl, die Äußerung des Labeo, ebenso wie die des Marcellus, zu der älteren, nunmehr verworfenen Meynung zu zählen“ (S. 297). 24  Marci.4 reg.D 18,1,45 Labeo libro posteriorum scribit, si vestimenta interpola quis pro novis emerit, Trebatio placere ita emptori praestandum quod interest, si ignorans interpola emerit. Quam sententiam et Pomponius probat, in qua et Iulianus est, qui ait, si quidem ignorabat venditor, ipsius rei nomine teneri, si sciebat, etiam damni quod ex eo contingit: quemadmodum si vas aurichalcum pro auro vendidisset ignorans, tenetur, ut aurum quod vendidit praestet. 25  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2. 26  F. C. v. Savigny (o. Anm.  1) S. 285 Anm. (s) „Denn ein wesentlicher Irrthum ist gewiß nicht vorhanden, da hier der Vertrag als wirksam vorausgesetzt wird, und da alte und neue Kleider gewiß nicht verschiedener sind als guter und verdorbener Wein oder als feines und schlechtes Gold“. 27  So jedoch u. a. (wie es scheint unter dem Einfluß des sog. subjektiven Fehlbegriffs) M. J. Schermaier, Auslegung und Konsensbestimmung, SZ 115 (1998) S. 235, 239  ff.; 248 Anm.  50, 258.



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und neuen Kleidern gleicht nicht dem Unterschied zwischen dem schadhaften Balken (tignum vitiosum) und einem einwandfreien Balken oder dem zwischen krankem Vieh (pecus morbosum) und gesundem Vieh28. Man wird in zugerichteten Kleidern nicht mangelhafte neue Kleider sehen29. Zugerichtete Kleider sind danach weder von anderer Art als neue noch mangelhafte neue Kleider. Der Fall läßt sich insofern nicht zuordnen30. Und doch hat er Ähnlichkeit mit beiden Fällen; er liegt in der Nähe der Fälle der Artabweichung und des Mangels31. Die Nähe zum Fall der Artabweichung erklärt, wie Marcian dazu kommt, der Erörterung des Kleiderfalles, zu dem sich Labeo und Pomponius zustimmend, Julian zustimmend und differenzierend geäußert haben, eine eigene Stellungnahme zu einem Fall der Artabweichung beizufügen, zu dem Fall nämlich des Verkaufs eines Messinggefäßes‚ als golden‘ (vas32 aurichalcum pro auro vendidisset)33. Marcian überträgt die auf Trebaz zurückgehende, von Labeo und Pomponius gebilligte, von Julian näher ausgestaltete Lösung des Kleiderfalles auf den Messingfall (quemadmodum si). Der Verkäufer haftet in diesem Fall, so Marcian, war er unwissend (ignorans) auf die ‚Leistung des verkauften Goldes‘ (tenetur, ut aurum quod vendidit praestet). Hier nimmt Marcian, indem er den unwissenden Verkäufer nur auf den Wert des Goldes haften läßt, Julians Dif28  Jul. / Ulp.

32 ad ed. D 19,1,13pr. Kleider als ‚mangelhafte neue Kleider‘? Ähnlich seltsam mutet es an, wenn im historischen Haakjöringsködfall des Reichsgerichts (RG, Urt. v. 8.6.1920, RGZ 99,147) nach dem sog. subjektiven Fehlerbegriff das gelieferte Haifischfleisch als ‚mangelhaftes Walfischfleisch‘ angesprochen wird (D. Medicus, Bürgerliches Recht, 18.  Aufl. Köln u. a.  1999, Rz.  330). Vom Standpunkt des geltenden Rechts, das dem subjektiven Fehlerbegriff folgt (D. Medicus, Bürgerliches Recht, 21.  Aufl. Köln u. a. 2007, Rz.  285) sind derartige Fälle freilich heute dem Mangelrecht zuzuordnen. Wie auch etwa der Fall, daß ein nur vergoldeter Ring ‚als golden‘ verkauft wird; s. H. Kötz / A. Flessner, Europäisches Vertragsrecht I, Tübingen 1996,  S. 266  f. 30  A. A. W. Flume (o. Anm.  18) S. 437, 438 mit Anm.7 (mit Zuordnung zur ‚Beschaffenheitsvereinbarung‘) [s. jed. o. Anm.  19]. 31  Da eine Artabweichung kein Mangelfall und ein Mangelfall keine Artabweichung ist, ist eine Überschneidung von Irrtumsrecht und Mangelrecht ausgeschlossen. A. A. M. J. Schermaier (o.  Anm.  27) S. 235  ff., 284 (der Fall Marcians [ebd. S. 239  ff.] ist jedoch kein Mangelfall). Ausgeschlossen ist damit auch, daß die in klassischer Zeit (angeblich) unzulängliche Mängelhaftung des Verkäufers den Anstoß zu Ulpians Lehre vom error in substantia gegeben habe (so W. Flume [o. Anm. 18] S. 437) und darüber hinaus zu deren Beschränkung (s. o. H. H. Jakobs, D.18,1,11 nach Überwindung der Interpolationistik, SZ 125 [2008] S. 375, 406  ff.). 32  Vgl. F. C. v. Savigny (o. Anm. 1) S. 296 Anm. (i); Mommsen ad h. l.; Georges, Hdw.I s. v. aurichalcus, Sp.735. 33  Cic.de off.3,23,92 erwähnt den umgekehrten Fall des Verkaufs eines goldenen Gegenstandes in der Annahme, er sei aus Messing: Muß der Käufer, der dies weiß, dies dem Verkäufer anzeigen? 29  Zugerichtete

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ferenzierung auf. Daraus ergibt sich, wie er entschieden hätte in dem Fall, daß der Verkäufer davon wußte, daß es sich nur um ein Messinggefäß handelte. Der wissende Verkäufer hätte auch auf Ersatz weiterer Schäden gehaftet. An diesem Punkt stellt sich die Frage, wie denn ein Verkäufer, der weiß, daß es sich bei dem Gefäß um ein Messinggefäß handelt, dieses ‚als golden‘ verkaufen kann. Offensichtlich steht seine Kenntnis von der Anders­ artigkeit des Gefäßes der Einigung nicht im Wege. Der Messingfall schließt zwei Konstellationen ein. Für beide Konstellationen ist davon auszugehen, daß der Käufer nicht wußte, daß es sich nur um ein Messinggefäß handelte. So hatte Trebaz im Kleiderfall vorausgesetzt, daß der Käufer nichts von der Zurichtung der Kleider wußte (si ignorans interpola emerit). Fall (a). Auch der Verkäufer wußte nicht, daß es sich um ein Messinggefäß handelte; in dieser Konstellation lag ein zweiseitiger Irrtum von Verkäufer und Käufer hinsichtlich der Art des Kaufgegenstandes vor. Der Kauf war gültig34. Fall (b). Nur der Verkäufer wußte, daß es sich nur um ein Messinggefäß handelte; in dieser Konstellation lag ein einseitiger Irrtum des Käufers hinsichtlich der Art des Kaufgegenstandes vor. Der Kauf war gültig35. Im einen (a) wie im anderen Fall (b) war der Kauf des Messinggefäßes ‚als goldenes‘ nach Marcian gültig36. Der vorliegende error in substantia ist nach Marcian weder als zweiseitiger Irrtum von Verkäufer und Käufer (a) noch als einseitiger Irrtum des Käufers (b) schädlich37. Ulpian hingegen hätte den Kauf des Messinggefäßes ‚als golden‘ für nichtig angesehen. Der vorliegende error in substantia wäre für ihn sowohl als (a) zweiseitiger Irrtum von Verkäufer und Käufer als auch als (b) einseitiger Irrtum des Käufers schädlich gewesen (sogl.)38. Die Lehre Marcians hat einen Vorläufer in Marcellus, die Lehre Ulpians hat ihren Vorläufer in Julian. Mit Julian und Marcellus, in der Zeit der Hochklassik, beginnt, soweit ersichtlich, die eigentliche Erörterung des Falles des error in substantia. Julian vertritt im Fall des Verkaufs eines versil34  Zur

begrenzten Haftung des Verkäufers s. o. erweiterten Haftung des Verkäufers s. o. 36  F. C. v. Savigny (o.  Anm.  1) S. 297 will dies offen lassen „…  Ob Marcian diese Meynung billigte, oder vielleicht in der nicht mitexzerpierten Fortsetzung der Stelle widerlegte, läßt sich nicht ausmachen“. 37  Nicht behandelt wird von Marcian eine dritte Konstellation, nämlich der Fall, daß nur der Käufer wußte, nicht aber der Verkäufer, daß das Gefäß nur aus Messing war; vgl. Cic.de off. 3,23,92 (o. Anm.  33). 38  Ulpian entscheidet anders als Marcian. A. A. scheinbar M. J. Schermaier (o. Anm.  27) S. 244 (Marcian scheine Ulpian zu widersprechen). 35  Zur



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berten Tisches ‚als massiv silbern‘ (pro solida) durch einen unwissenden Verkäufer (imprudens) an einen ebenfalls unwissenden Käufer (ignorans) den Standpunkt, der Kauf sei nichtig, der Kaufpreis kondizierbar39. Nach Julian ist ein zweiseitiger error in substantia schädlich, ohne daß dieser Ausdruck oder ein entsprechender (o. I.) für ihn schon belegt wäre40. Marcellus spricht dann davon, daß hinsichtlich der Materie geirrt werde (etsi in materia sit erratum)41. Er ist der Ansicht, daß ein Kauf ungeachtet eines error in substantia42 zustandekomme43, wobei er, wie der ulpianische Kontext zeigt, von einem einseitigen Irrtum des Käufers ausgeht (b). Ulpian entscheidet im Ausgangspunkt wie Julian, nähert sich in Einzelfällen jedoch dem Standpunkt des Marcellus derart an, daß, wäre ihm der Fall des versilberten Tisches vorgelegt worden, er nicht mit Julian gegen den Kauf, sondern gegen Julian für den Kauf entschieden hätte44. 2. Die Lehre Ulpians Ulpian entscheidet im Ausgangspunkt wie Julian45. Es frage sich dann, so Ulpian, ob ein Kauf zustande komme, wenn zwar hinsichtlich des Kaufgegenstandes nicht geirrt werde, doch hinsichtlich der Substanz, wie etwa wenn Essig ‚als Wein‘ verkauft wird, Bronze ‚als Gold‘, Blei oder etwas 39  Jul.3 ad Urs.Fer. D 18,1,41,1  Mensam argento coopertam mihi

ignoranti pro solida vendidisti imprudens: nulla est emptio pecuniaque eo nomine data condicetur.  40  A. A. M. J. Schermaier (o.  Anm.  27) S. 261, 265, 286 (der Kaufgegenstand habe nicht existiert; Julian habe Konsens und Wirklichkeit einander gegenübergestellt) [doch gerade von Julian stammt der Satz non consentiunt qui errent, Ulp.2 de omn.trib.D 2,1,15]. Wieder so aber M. J. Schermaier, SZ 125 (2008) S. 826, 829. 41  Marcell. / Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2. 42  Die Ausdrücke error in substantia und error in materia sind gleichbedeutend (o. I.). 43  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2 Marcellus scripsit libro sexto digestorum emptionem esse et venditionem, quia in corpore consensum est, etsi in materia sit erratum. 44  Schon die Glosse weist darauf hin, daß Ulp.28 ad Sab. D 18,1,14 (vergoldetes Armband) und Jul.3 ad Urs.Fer. D 18,1,41,1 (versilberter Tisch) nicht zusammenstimmen; s. gl. nulla est emptio ad D 18,1,41,1. 45  Ulp.28 ad Sab.D 18,1,9,2 Inde quaeritur, si in ipso corpore non erratur, sed in substantia error sit, ut puta si acetum pro vino veneat, aes pro auro vel plumbum pro argento vel quid aliud argento simile, an emptio et venditio sit. Marcellus scripsit libro sexto digestorum emptionem esse et venditionem, quia in corpus consensum est, etsi in materia sit erratum. Ego in vino quidem consentio, quia eadem prope οὐσία est, si modo vinum acuit: ceterum si vinum non acuit, sed ab initio acetum fuit, ut embamma, aliud pro alio venisse videtur. In ceteris autem nullam esse venditionem puto, quotiens in materia erratur.

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anderes dem Silber Ähnliches ‚als Silber‘46. Nach Ulpian ist der error in substantia schädlich, der Kauf nichtig; so wenn Kunstessig ‚als Wein‘ verkauft wird, Bronze ‚als Gold‘, Blei oder etwas Silberähnliches ‚als Silber‘. Denn in diesen Fällen ‚scheint etwas als etwas anderes verkauft worden zu sein‘. Dies bezieht sich, wie es scheint, auf Fälle des error in substantia in Form einseitigen Irrtums des Käufers (Fall [b])47. Denn48 Ulpian wirft hernach eigens die Frage auf49: ‚Was werden wir sagen, wenn hinsichtlich der Materie und der Qualität beide irrten?‘ Als Beispielsfall nennt Ulpian den Fall, daß Verkäufer und Käufer meinen, der Kaufgegenstand sei aus Gold, während er in Wirklichkeit aus Bronze ist. Dies ist der Fall des error in substantia in der Form (a) des zweiseitigen Irrtums von Verkäufer und Käufer. Ihn behandelte Ulpian nicht anders als den Fall (b) des einseitigen Irrtums des Käufers50. Wird Bronze ‚als Gold‘ verkauft, so ist der Kauf ungültig51. Bemerkenswert ist, daß es nicht nur im Fall des zweiseitigen error in substantia (a), sondern auch im Fall (b) des einseitigen so ist, daß Bronze ‚als Gold‘ verkauft wird. Faßt man nun den Fall (a) des zweiseitigen error in substantia von Verkäufer und Käufer ins Auge, so gewinnt man den Eindruck, der Grund für die Nichtigkeit des Kaufs liege in der Verfehlung des Kaufgegenstandes. Faßt man den Fall (b) des einseitigen error in substantia des Käufers ins Auge, gewinnt man hingegen den Eindruck, der Grund für die Nichtigkeit 46  Wenn so gefragt wird, verbietet sich die Annahme (M. J. Schermaier [o. Anm. 6] S. 154 – allerdings eine „treffliche Einsicht“ H. H. Jakobs [o. Anm. 31] S. 398 zufolge), daß die Einigung über die Substanz als Teil der Einigung über den Kaufgegenstand betrachtet und daß (M. J. Schermaier [o. Anm. 27] S. 287) der error in substantia als error in corpore eingestuft worden sei. 47  (1) F. C. v. Savigny (o.  Anm.  1) S. 293 Anm. (c) [294]. A. A. (2) J. G. Wolf (o. Anm.  4) S. 120 (es sei belanglos, ob beide das Erz für Gold hielten oder ob nur der Käufer in diesem Irrtum war; die Entscheidung betreffe beide Alternativen); R. Zimmermann (o.  Anm.  7) S. 592 („Whether the vendor was labouring under the same mistake, we do not know. Ulpian seems to regard that as immaterial“). A. A. (3) W. Ernst, Irrtum – ein Streifzug durch die Dogmengeschichte, in: Störungen der Willensbildung bei Vertragsschluss (hg. von R. Zimmermann), Tübingen 2007, S. 1, 9, 17, 19 (regelmäßig beiderseitiger Irrtum). 48  F. C. v. Savigny a. O. (Anm.  47). 49  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,14 Quid tamen dicemus, si in materia et qualitate ambo errarent? Ut puta si et ego me vendere aurum putarem et tu emere, cum aes esset? Ut puta coheredes viriolam, quae aurea dicebatur, pretio exquisito uni heredi vendidissent eaque inventa esset magna ex parte aenea? Venditionem esse constat ideo, quia auri aliquid habuit. Nam si inauratum aliquid sit, licet ego aureum putem, valet venditio: si autem aes pro aurum veneat, non valet. 50  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2. 51  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,14 i. f.



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des Kaufs liege im mangelnden Konsens der Beteiligten52. Ulpian behandelt beide Fälle53, und er behandelt beide Fälle gleich, und zwar sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung54. Das Ergebnis lautet: Der Verkauf ist ‚nichtig‘55 oder ‚gilt nicht‘56, die Begründung etwa (konkret): Bronze ist ‚als Gold‘ verkauft worden57, oder (abstrakt): ‚Etwas ist als etwas anderes verkauft worden‘58. Was damit gemeint ist59, rückt näher in den Blick, wenn man die soeben genannten Erwägungen (Verfehlung des Kaufgegenstandes; mangelnder Konsens) verbindet60. In beiden Fällen, dem Fall des zweiseitigen Irrtums von Verkäufer und Käufer (a) und dem Fall des einseitigen 52  M. Kaser, Römisches Privatrecht I, 2.  Aufl. München 1971, S. 238 „Ob sich nur eine Partei irrt oder beide, ist unerheblich. Irren beide übereinstimmend, so scheitert der Vertrag zwar nicht an einem Dissens, aber daran, daß sich der Vertrag auf ein anderes Objekt als das in Wirklichkeit vorhandene bezieht“; oder R. Zimmermann (o.  Anm.  7) S. 596 „…  examples of a common mistake. In these instances, the invalidity of  the contract cannot have been based on a lack of consensus, for both parties were entirely ad idem. They had the same idea about the substance of the object. But it was a common misconception. Their consensus related to a differ­ ent object: aliud pro alio venisse videtur. In their agreement the parties were supposed to identify the object of the transaction. In this they had failed. They had identified an object that did not in fact exist“. – J. G. Wolf (o.  Anm.  4) S. 117  f. nimmt eine Verfehlung des Kaufgegenstandes in allen Fällen an („Das Erz ist nur scheinbar der Kaufgegenstand … Tatsächlich existiert die Kaufsache, ‚das Stück Gold‘ nicht“ [S. 118]). Als eine ‚Fortentwicklung‘ dieser sog. ‚Identifikationstheorie‘ wird (von M. Kaser / R. Knütel, Römisches Privatrecht, 19. Aufl. München 2008. § 8 Rz. 23) angesprochen die These J. D. Harkes, wonach der Grund für die Nichtigkeit des Kaufs in der subjektiven Verfehlung des objektiven Geschäftsinhalts liege (J. D. Harke, Si error aliquis intervenit – Irrtum im klassischen römischen Vertragsrecht, Berlin 2005, S. 60  ff.; 353). Es ist jedoch nicht die „Realität der ausgewählten / ausgesuchten Sache“ (J. D. Harke a. O.), wodurch sich dieser bestimmt, vielmehr die ausdrückliche Vereinbarung etwa, es werde der (bronzene) Gegenstand ‚als goldener‘ verkauft. Als einen solchen stellen ihn sich Verkäufer und Käufer, stellt ihn sich der Käufer vor. Der ‚objektive Geschäftsinhalt‘ wird daher von Verkäufer und Käufer bzw. vom Käufer nicht verfehlt. 53  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2;14. 54  In Ulp.28 ad Sab. D 18,1,14 argumentiert Ulpian sogar mit Fall (b) für Fall (a). 55  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2 nullam esse venditionem puto. 56  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,14 non valet. 57  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2 veneat, aes pro auro; Ulp.28 ad Sab. D 18,1,14 si autem aes pro auro veneat. 58  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2 aliud pro alio venisse videtur. 59  Als bloße ‚Kurzformel‘ (H. H. Jakobs [o. Anm. 31] S. 422 Anm. 105) läßt sich der Satz aliud pro alio venisse videtur nicht abtun. Aliud pro alio venire „appears to indicate that the purchaser’s error is not spontaneus, but has been induced by the seller“, meint R. Zimmermann (o. Anm.  7) S. 593. 60  Für eine Verbindung beider Gedanken schon Th. Mayer-Maly, Bemerkungen zum Aspekt der Konsensstörung in der klassischen Irrtumslehre, in: Mélanges Philippe Meylan Vol. I, Lausanne 1963, S. 241, 251.

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Irrtums des Käufers (b) wird einerseits der Kaufgegenstand verfehlt; in beiden Fällen befinden sich die Beteiligten andererseits aber auch in einem Dissens. Daß der Kaufgegenstand durch den Verkauf des bronzenen Gegenstandes ‚als goldenen‘, durch den Verkauf von ‚etwas als etwas anderes‘ verfehlt wird – und zwar in allen Fällen durch beide Beteiligte61 – liegt auf der Hand. Nicht hingegen ohne weiteres der Dissens der Beteiligten. Denn die Beteiligten sind sich in allen Fällen einig, was die Art des Kaufgegenstandes angeht. Der bronzene Gegenstand wird ‚als goldener‘ verkauft62, oder ‚etwas wird als etwas anderes verkauft‘63. Einigkeit unter den Beteiligten über die Art des Gegenstandes besteht auch im Fall (b) des einseitigen Irrtums des Käufers64. In diesem Fall65 verkauft der Verkäufer den bronzenen Gegenstand wider besseres Wissen ‚als goldenen‘. An seiner Kenntnis von der Andersartigkeit des Kaufgegenstandes scheitert die Einigung nicht. Oder: Der Verkäufer verkauft Kunstessig wider besseres Wissen ‚als Wein‘66. An seiner Kenntnis von der Andersartigkeit des Kaufgegenstandes scheitert die Einigung nicht. Ungeachtet seines Wissensvorsprungs richtet sich auch der Wille des Verkäufers (konkret) auf den Verkauf des Bronzegegenstandes ‚als golden‘, auf den Verkauf des Kunstessigs ‚als Wein‘ oder (abstrakt) auf ‚etwas anderes‘. Wie im Fall Marcians67 fragt man sich: Wie ist das möglich? Steht nicht das bessere Wissen einem solchen Willen entgegen? Of61  Treffend die Einschätzung W. Flumes (o. Anm. 18) S. 436, 438: Es handle sich „nicht um die Berücksichtigung eines einseitigen Irrtums entgegen dem Vertrag“; es gehe „nicht um die Beachtung eines Irrtums entgegen dem Kaufvertrag“. Es geht vielmehr, so wird man sagen, um die Berücksichtigung von mit dem Vertrag einhergehender Irrtümer (a) beider Beteiligter, (b) eines Beteiligten, des Käufers. Der error in substantia ist ‚geschäftlicher Irrtum‘, allerdings nicht hinsichtlich einer ‚Eigenschaft‘ (W. Flume; o. Anm. 19), vielmehr hinsichtlich der Art des Kaufgegenstandes. 62  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2 veneat, aes pro auro; Ulp.28 ad Sab. D 18,1,14 si autem aes pro auro veneat. 63  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2 aliud pro alio venisse videtur. 64  A. A. M. J. Schermaier (o. Anm.  6) S. 130 (für jeden der Beteiligten für sich gesehen werde ‚etwas für etwas anderes verkauft‘). Anders ders. und zweifelnd (o. Anm. 27) S. 263 [für beide Beteiligte werde ‚etwas als etwas anderes verkauft‘]. 65  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2. 66  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2 si acetum pro vino veneat. Der Kauf ist nichtig. Es ist bemerkenswert, daß ein Testament entsprechenden Inhalts dagegen gültig ist. Wird nämlich ‚Wein‘ vermacht, so kann in dem Vermächtnis Essig, und zwar auch Kunstessig enthalten sein. Es kommt entscheidend auf den Testatorwillen an, der bei Verwendung mehrdeutiger Worte den Ausschlag gibt; Ulp.20 ad Sab. D 33,6,1. Diese Doktrin ist von Servius begründet worden; s. Cels.19 dig. D 33,10.7,2 und D. Schanbacher, Zum Einfluß der stoischen Sprachtheorie auf die römische Jurisprudenz: D 33,10,7,2 (Cels.19 dig.), in: Fs. f. R. Knütel, Heidelberg 2009, S. 1025  ff. 67  Marci.4 reg. D 18,1,45.



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fensichtlich nicht. Besteht auch Einigkeit unter den Beteiligten über die Art des Kaufgegenstandes, so besteht doch gleichwohl ein Dissens, und zwar sowohl im Fall (a) des zweiseitigen Irrtums von Verkäufer und Käufer als auch im Fall (b) des einseitigen Irrtums des Käufers. Auch im Fall des zweiseitigen Irrtums von Verkäufer und Käufer (a) besteht Dissens über die Art des Kaufgegenstandes, obgleich auch im Fall des einseitigen Irrtums des Käufers (b) Einigkeit über die Art des Kaufgegenstandes besteht – ein dreifaches Paradox. Der error in substantia ist, ob zweiseitig (a) oder einseitig (b) Dissens hinsichtlich der Substanz68. Error ist Dissens. Die Gleichstellung ist quellenmäßig69, jedoch, aus neuerer Sicht, schwer verständlich70. Die Gleichstellung gilt auch für den 68  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2 si in ipso corpore non erratur (=  Konsens über den Kaufgegenstand), sed in substantia error sit (=  Dissens hinsichtlich der Substanz); quia in corpus consensum est (= Konsens über den Kaufgegenstand), etsi in materia sit erratum (= Dissens hinsichtlich der Materie). Vgl. (mit mutmaßlichem Bezug auf Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2) [Paul.] 33 ad ed. D 19,1,21,2 cum in corpore consentiamus (=  Konsens über den Kaufgegenstand), de qualitate autem dissentiamus (=  Dissens hinsichtlich der Qualität). 69  Pomp.36 ad Quint.Muc. D 44,7,57 In omnibus negotiis contrahendis, sive bona fide sint sive non sint, si error aliquis intervenit, ut aliud sentiat puta qui emit aut qui conducit, aliud qui cum his contrahit, nihil valet quod acti sit. Et idem in societate quoque coeunda respondendum est, ut, si dissentiant aliud alio existimante, nihil valet ea societas, quae in consensu consistit. Die Stelle erinnert an Cic.de off.3,17,70. Vielleicht knüpfte Pomponius an Darlegungen des Quintus Mucius zur bona fides an, wie sie dort von Cicero berichtet werden. J. G. Wolf (o.  Anm.  4) S. 70 verwirft den schönen Text leider als völlig unbrauchbar („Klassisches ist … diesem Fragment nicht mehr zu entnehmen“). – Wenn error und dissensus aber gleichbedeutend sind, was hat dann Ulpian dazu veranlaßt, in Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2, ja schon in § 1, den Ausdruck zu wechseln? Mit dem Übergang auf die error-Terminologie in § 2, der in § 1 und § 2 am Anfang vorbereitet wird, nimmt Ulpian einen neuen, zusätzlichen Gedanken auf, den Gedanken einer einseitigen Fehlvorstellung in § 2, einer zweiseitigen Fehlvorstellung in Ulp.28 ad Sab. D 18,1,14; der Dissensgedanke bleibt. 70  Wie kann es zu Irrtum und Dissens kommen? Nach F. C. v. Savigny (o.  Anm.  1) S. 265  f. irrt jeder der Beteiligten über den Willen und die Erklärung des anderen; und nur wenn man beide als ein gemeinschaftlich wollendes Subjekt künstlich zusammenfasse, könne man einen Irrtum annehmen (mit Bezug auch auf Ulp. 28 ad Sab. D 18,1,9pr.; 2: S. 266 Anm. (g)). Nach B. Windscheid / Th. Kipp, Lb. d. Pandektenrechts I, 9.  Aufl. Frankfurt / M. 1906 (Neudruck Aalen 1984) S. 394  f. irrt einer der Beteiligten über den von der Gegenseite erklärten Willen, was eine mit der Willenserklärung der Gegenseite nicht übereinstimmende Willenserklärung hervorrufe (mit Bezug auch auf Ulp. 28 ad Sab. D 18,1,9pr.; 2: S. 395 Anm.  1).

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error in corpore. Der error in corpore71 ist, im Fall des Kaufs, Dissens hinsichtlich des Kaufgegenstandes72. Im fundus-Beispiel73 etwa kommt gerade darin, daß die Beteiligten nur glauben74, der Kauf komme – aus Sicht des Käufers: über den fundus Cornelianus, aus Sicht des Verkäufers: über den fundus Sempronianus – zustande, der Dissens in corpore zum Ausdruck. Man wird den error in corpore besser nicht – wie es jedoch üblich ist – als ‚Irrtum‘ über den Kaufgegenstand ansprechen. Der error in corpore ist kein Irrtum im heutigen Sinn (vgl.§119 BGB). Man wird vielmehr zurückgehen auf einen weiteren Sinn von error (‚Abirren vom rechten Wege‘)75, um den error in corpore als ‚Abirren‘ des rechtsgeschäftlichen Willens ‚vom rechten Wege‘, was den Kaufgegenstand angeht, zu deuten. Der error in substantia ist nun, ob zweiseitig (a) oder einseitig (b), Dissens hinsichtlich der Substanz. Daß zumal im Fall des zweiseitigen Irrtums von Verkäufer und Käufer (a) ein Dissens vorliegen soll, will zwar nicht ohne weiteres einleuchten76. Es ergibt sich dies jedoch aus einer Eigentümlichkeit des von Ulpian verwendeten Konsensbegriffes, wonach der Konsens der Beteiligten einen zutreffenden äußeren Bezug auf die Wirklichkeit er71  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2 si in ipso corpore non erratur (Kauf). Vgl. Ulp.5 ad Sab. D 30,4pr. sed si in corpore erravit (Vermächtnis). 72  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2 … si in ipso corpore non erratur … quia in corpus consensum est; pr. In venditionibus et emptionibus consensum debere intercedere palam est: ceterum sive … dissentient sive … sive in quo alio, emptio imperfecta est … quia in corpore dissensimus, emptio nulla est … nam cum in corpore dissentiatur, apparet nullam esse emptionem. 73  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9pr. si igitur ego me fundum emere putarem Cornelianum, tu mihi te vendere Sempronianum putasti. 74  Diesen Irrtum könne man nicht als error in corpore bezeichnen, meint J. G. Wolf (o.  Anm.  4) S. 45. Der Text (Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2) bezeichnet ihn aber so J. G. Wolf kontert interpolationenkritisch (S. 45  ff.): Die Beurteilung in corpore erratur stamme nicht von Ulpian, vielmehr aus einer nachklassischen Irrtumslehre; und die Worte quia in corpore dissentiamus (Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9pr.) seien ein nachklassischer Zusatz. Da auch das Sklavenbeispiel unecht sein soll (J. G. Wolf S. 71 Anm.  151 [71  f.], 139), bleibt als angeblich authentischer Text nur übrig si [igitur] ego me fundum emere putarem Cornelianum, tu mihi te vendere Sempronianum putasti…emptio nulla est (S. 72). Die Nichtigkeit des Kaufs sei nicht Folge von Irrtum und Dissens (so die ‚nachklassische Irrtumslehre‘), vielmehr die Folge einer mangelnden Identifizierung der Kaufsache (S. 45 ff.; 72 f.; 99 f.; 135 f.) [s. o.  Anm.  52]. J. D. Harke (o.  Anm.  52) S. 22  f., 348  ff. und ders., Römisches Recht, München 2008, § 5 Rz. 1 ff. sucht durch die Voraussetzung eines ‚objektiven Geschäftsinhalts‘ zu helfen (fragw.) [vgl.  krit. M. J. Schermaier, SZ 125(2008) S. 826  ff.]. 75  Georges, Hdwb. I s. v. error II) B) Sp.2458. 76  H. H. Jakobs (o. Anm.  31) S. 405 Anm. 70: es lasse „sich nicht hinwegreden, daß in diesen Fällen nicht der Konsens fehlt, sondern zu diesem der ‚passende Gegenstand‘“.



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fordert (wirklichkeitsabhängiger Konsensbegriff)77. So umfaßt der error nominis oder Dissens in nomine auch den praktischen Fall der gemeinschaftlichen versehentlichen Falschbezeichnung78. Die Bildung dieses Konsensbegriffes muß in eine Zeit fallen, zu der in Rom noch nicht die stoische Einsicht rezipiert war, daß ‚Gegenstand‘ (τυγχάνον), ‚Bezeichnendes‘ (σημαῖνον) und ‚Bezeichnetes‘ (σημαινόμενον) zu unterscheiden sind79 (das heute sog.‘semiotische Dreieck‘80) und wird mit dem Aufkommen der Konsensualobligationen überhaupt zusammenfallen. Es entspricht archaischem Denken, diese Dinge nicht zu trennen. Gegenstand, Bezeichnendes und Bezeichnetes werden in eins gesetzt. Wirklichkeit, Wort und Begriff werden nicht gesondert. Der Kaufgegenstand wird als Teil des Kaufs verstanden. Demgemäß äußert Pomponius: ‚Weder Kauf noch Verkauf können ohne eine Sache, die verkauft werden soll, begriffen werden‘81. Mit diesem Diktum erweist sich Pomponius als Anhänger des wirklichkeitsabhängigen Konsensbegriffes82. Von Pomponius führt eine Spur zu Quintus Mucius83. 77  Eine Eigentümlichkeit, die schon M. J. Schermaier (o. Anm.  6) S. 129  f. aufgefallen ist; s. dann dens. (o. Anm. 27) S. 250, 258, 280 ff. Aus einer Verbundenheit von Erkennen und Wollen (M. J. Schermaier, Europäische Geistesgeschichte am Beispiel des Irrtumsrechts, ZEuP 1998, S. 60, 69 f.) ist dieser Konsensbegriff jedoch nicht abzuleiten. Denn wie Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2 und Marci.4 reg.eod.45 zeigen, bestand eine solche nicht. Der Wille des Verkäufers, Bronze ‚als Gold‘ zu verkaufen wird durch die Kenntnis dessen, daß es sich um Bronze handelt, nicht ausgeschlossen (s. o.). 78  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,1. Error nominis (oder Dissens in nomine) ist beim Kauf unschädlich. Beim Vermächtnis wird unterschieden; s. Ulp.5 ad Sab. D 30,4pr. mit Fällen des error in nomine (nicht, wie J. D. Harke [o. Anm. 52] S. 37 ff. meint, des error in corpore). Der error in nomine ist beim Vermächtnis in Fällen, in denen es nicht um Eigennamen geht, schädlich. Denn beim Vermächtnis gilt es das suum nomen zu verwenden. (s. o. Anm.  22). 79  Chrysipp, fr.166 SVF II p.  48.13–26; M. Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung I, 3. Aufl. Göttingen 1964, S. 39; II S. 22; K. v. Fritz, Art. Zenon von Kition, RE X A, München 1972, Sp.97.49–98.58; P. Steinmetz (o. Anm. 10) S. 532  f. 80  H. Lorenz, Art. Semiotik, in Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie (hg. von J. Mittelstraß) 3, Stuttgart / Weimar 2004, S. 781. 81  Pomp.9 ad Sab. D 18,1,8pr. Nec emptio nec venditio sine re quae veneat potest intellegi. – Es entspricht im Grunde diesem Konsensbegriff, wenn nach dem Draft Common Frame of Reference Fälle der anfänglichen Unmöglichkeit und der Nicht­ existenz der verkauften Sache ‚behandelt werden wie andere Irrtümer‘; s. DCFR (o. Anm. 21) Art. II.-7: 201, Comment H., p. 462 („Cases of initial impossibility and the non-existence of a thing sold are treated in the same way as other mistakes“). 82  Daß es Pomponius hier gar nicht um Konsens gehe (so M. J. Schermaier [o. Anm.  27] S. 262  f., 269, 274), trifft nicht zu. Kauf ist Konsens. 83  Den wirklichkeitsabhängigen Konsensbegriff erst seit der späten Hochklassik und der Spätklassik anzusetzen (M. J. Schermaier [o.  Anm.  27] S. 265  f., 281, 285  ff.), erscheint als nicht plausibel.

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Das ius civile des Quintus Mucius hat Pomponius mehrfach Anlaß gegeben, sich zu Fragen des Konsenses zu äußern84. Der wirklichkeitsabhängige Konsensbegriff begegnet auch bei Papinian. Im Fall eines Grundstücks, das wegen seines Baumbestandes (etwa seiner Ölbäume) gekauft wird, werde gesagt85: Sind die Bäume vom Sturm umgeworfen worden oder vom Feuer verbrannt worden, so ist ein Kauf des Grundstücks nicht abgeschlossen (emptionem fundi non videri esse contractam). Paulus hingegen gibt sich als Anhänger eines wirklichkeitsunabhängigen Konsensbegriffes zu erkennen, wenn er im Fall einer nicht mehr vorhandenen Kaufsache den Konsens bejaht, doch den Kauf für nichtig erklärt86. Über Paulus gelangt man zu Sabinus, Cassius und Nerva87. Sie alle erweisen sich als Anhänger eines wirklichkeitsunabhängigen Konsensbegriffes, wenn sie den Kauf eines abgebrannten Hauses zustandekommen lassen, ihn jedoch für gegenstandslos erklären (nihil venisse)88. Auch Marcian folgt einem wirklichkeitsunabhängigen Konsensbegriff89. 3. Ulpians Differenzierungen Ulpian nähert sich in Einzelfällen dem Standpunkt des Marcellus. Marcellus ist der Meinung, daß ein Kauf zustandekomme, wenn unter den Beteiligten Konsens über den Kaufgegenstand bestehe, ungeachtet eines error in substantia90. Ulpian91 stimmt Marcellus für den Weinfall ausdrücklich zu (ego in vino quidem consentio), wenn nur der Wein sauer geworden ist (si modo vinum acuit)92, 93. Die Reichweite der Zustimmung Ulpi84  Pomp.13 ad Quint.Muc. D 18,1,12; Pomp. 13 ad Quint.Muc. D 19,2,52; Pomp. 36 ad Quint.Muc. D 44,7,57 (o. Anm.  69). 85  Pap.10 quaest. D 18,1,58. 86  Paul. 5 ad Sab. D 18,1,15pr. Unklar dazu M. J. Schermaier (o.  Anm.  27) S. 264  f. 87  Paul. 5 ad Plaut. D 18,1,57pr. 88  A. A. M. J. Schermaier (o. Anm.  27) S. 267 (sie hätten „keinen Vertrag entstehen lassen“). 89  Marci. 3 reg. D 18,1,44. A. A. M. J. Schermaier (o.  Anm.  27) S. 274 („kein Vertrag“). 90  s. o. unter III.1. bei Anm. 41, 42, 43. 91  Nicht etwa (vgl. J. D. Harke [o.  Anm.  52] S. 59 Anm. 140) der Käufer dem Verkäufer. 92  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2. In Cato de agr. 148,1 sagt der Verkäufer von Wein aus dem Faß zu, daß er Wein verkaufe, der weder einen Essigstich habe noch kahmig sei: Quod neque aceat neque muceat, id dabitur; vgl. J. G. Wolf (o.  Anm.  4) S. 128 ff.; 131 Anm.73 („‚Essigstich‘ und ‚Kahmigwerden‘ sind noch heute gefürchtete Weinkrankheiten  …“). Cic. de off. 3,23,91 äußert sich über den Fall des Verkaufs gärenden Weines (vinum fugiens), und er fragt: Muß, wer wissentlich gären-



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ans ist jedoch begrenzt. Sie beschränkt sich auf das Ergebnis der Lösung des Marcellus (Zustandekommen des Kaufs94); sie schließt deren Begründung nicht mit ein (bei Konsens über den Kaufgegenstand schade ein error in substantia nicht). Die Annahme des Marcellus, ein error in substantia sei unschädlich, teilt Ulpian nicht, auch nicht für den Weinessigfall95. Insofern hält er vielmehr am Standpunkt Julians fest. Der error in substantia ist schädlich, der Kauf im Falle eines error in substantia nichtig. Der error in substantia besteht darin, daß (konkret) Kunstessig96 ‚als Wein‘, Bronze ‚als Gold‘, Blei oder Silberähnliches ‚als Silber‘ verkauft wird oder (abstrakt) ‚etwa als etwas anderes verkauft wird‘, oder in der Artabweichung (o.II.). Wenn Ulpian nun im Ergebnis Marcellus folgend, in der Begründung bei Julian bleibend den Kauf im Weinessigfall zustandekommen läßt, so nur, weil er in diesem Fall einen error in substantia verneinen kann. Der Weinessig ist zwar ‚als Wein‘, doch damit gleichwohl nicht ‚als etwas anderes‘ verkauft worden; es fehlt an der Artabweichung. Der Weinessig ist, so Ulpian, ‚fast dasselbe Wesen‘ (quia eadem prope οὐσία est)97. Ulpian läßt das ‚Wesen‘ der Sache deren Artzugehörigkeit bestimmen. Das ‚Wesen‘ des Weinessigs ordnet diesen dem Wein zu. Dies, zumal die Verwendung des griechischen Wortes οὐσία läßt an eine philosophische Reminiszenz denken. Doch sind die Stellungnahmen insofern gelegentlich eher zurückhaltend. So läßt F. C. v. Savigny die Artzurechnung durch die irrig vorausgesetzte Eigenschaft lebensnah „nach den im wirklichen Verkehr 93

den Wein verkauft, dies sagen? Die Frage gehört, so Cicero, zu den kontroversen Rechtsfällen der Stoiker: Haec sunt quasi controversa iura Stoicorum. 93  H. H. Jakobs (o.  Anm.  31) S. 422 Anm. 105 bezweifelt die Authentizität der Unterscheidung. An οὐσία est könne ‚ohne Verlust‘ in ceteris autem angeschlossen werden (a. O.). Dies erscheint aber doch als sehr zweifelhaft. ‚Anstößigkeiten‘ (a. O.) wird hier nur finden, wer sie sucht. So bleibt der Gegensatz (autem) der Schluß­fälle zum Weinessigfall über die dazwischentretende ‚Kunstessigpassage‘ hinaus erhalten. 94  Die Folge ist das Einsetzen weinkaufrechtlicher Regeln. Zu Essig umgeschlagener Wein ist mangelhafter Wein (J. G. Wolf [Anm. 4] S. 132 ff.; a. A. M. J. Schermaier [o. Anm.  6] S. 155  ff. [untergegangener Wein]). 95  A. A.  M. J. Schermaier (o.  Anm.  6) S. 162 (Sonderfall; Ausnahme von der Regel, daß ein error in substantia die Nichtigkeit des Vertrages zur Folge hat). 96  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2 ceterum si vinum non acuit, sed ab initio acetum fuit, ut embamma. Überspitzte Kritik bei J. G. Wolf (o. Anm.  4) S. 124. Embamma (ἔμβαμμα): eine Brühe zum Eintunken, die Tunke (Georges, Hdwb. I s. v. embamma Sp.  2398); Essigbrühe (Heumann / E. Seckel, Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts, Jena 1907, s. v. Embamma S. 169). Es wird auch in Ulp.23 ad Sab. D 33,6,9,1 erwähnt (a. O.). 97  Nachklang in der ‚wesentlichen Eigenschaft‘ des § 119 II BGB; W. Flume (o. Anm.  18) S. 438.

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herrschenden Begriffen erfolgen“98, und meint W. Flume99 „Die Klassiker werden die Abgrenzung nicht auf Grund der Reflexionen über das ‚Wesen‘ vorgenommen, sondern in der konkreten Beurteilung der Einzelfälle entschieden haben, ob aliud pro alio venisse videtur“100. Doch es kommen Zweifel auf, verfolgt man die Ergebnisse, zu denen die ulpianische Doktrin führt. Wird etwa Weinessig ‚als Wein‘ verkauft, so kommt der Kauf zustande. Wird dagegen Kunstessig ‚als Wein‘ verkauft, so ist der Kauf nichtig101. Dabei kann „feiner, künstlich bereiteter Essig“ „weit kostbarer sein als geringer Wein, und selbst der umgeschlagene, also gewiß sehr schlechte Wein soll kein Gegenstand eines wesentlichen Irrthums seyn“102. Zumal Julians strikte Lösung103 muß nicht in jedem Fall überzeugen. „Bey einem Bildwerk von Benvenuto Cellini wird Niemand das Hauptgewicht darauf legen, ob es von Silber oder übersilbert ist“104. Damit rückt die Möglichkeit einer philosophischen Reminiszenz in den Blick. Die Worte substantia, materia und qualitas finden in der stoischen Ontologie ihr Gegenstück in den Termini ὑποκείμενον, ὕλη und ποιότης (o.  I.). Das ‚erste Zugrundeliegende‘ (πρῶτον ὑποκείμενον) ist der ‚unqualifizierte Stoff‘ (ἄποιος ὕλη)105, das was Aristoteles den Körper dem Vermögen nach (δυνάμει σῶμα) nennt106, auch ‚erster Stoff‘ (πρῶτη ὕλη)107, auch108 ‚Wesen‘ (οὐσία)109. Das ‚zweite Zugrundeliegende‘ (δεύτερον ὑποκείμενον) ist der ‚qualifizierte Stoff‘ (ὕλη ποιά)110, die ‚der Wirklichkeit nach seien98  F.

C. v. Savigny (o. Anm.  1) S. 283 (s. o. II.). Flume (o. Anm.  18) S. 438. 100  Für philosophischen Einfluß u. a. (auf die angeblich nachklassische Textgestalt) J. G. Wolf (o. A. 4) S. 139  ff. (neuplatonische Schulphilosophie; prope); O. Behrends, Institutionelles und prinzipielles Denken im römischen Privatrecht, in: Institut und Prinzip. Ausgewählte Aufsätze I (hg. von M. Avenarius u. a.) Göttingen 2004, S. 15, 30  ff. (aus 1978) [Prohabilismus der Neuen Akademie; prope]; M. J. Schermaier (o.  Anm.  6) S. 131  ff., 144  ff., 303 (platonisch-aristotelisches Katego­ rienverständnis; prope). Skeptisch und ablehnend wieder J. D. Harke (o. Anm.  52) S. 18, 44 ff. Mit prope fügt sich der Text nicht etwa der angesprochenen philosophischen Anschauung; er geht zu ihr vielmehr auf Distanz (u. Anm. 118). 101  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2. 102  F. C. v. Savigny (o. Anm.  1) S. 281  f. 103  Jul. 3 ad Urs.Fer. D 18,1,41,1. 104  F. C. v. Savigny (o. Anm.  1) S. 280 Anm. (i). 105  Chrysipp frg.374 SVF II p.  125.30–33. 106  Chrysipp frg.374 SVF II p.  125.33. 107  Chrysipp frg.374 SVF II p.  125.38–39. 108  Vgl. kritisch J. G. Wolf (o.  Anm.  4) S. 143 (vergröbernde Gleichsetzung) [s.  jed. sogl. Anm. 109]. 109  Zenon frg.87 SVF I p.  24.27–32; Chrysipp frg.316 SVF II p.  114.16–21. 110  Chrysipp frg.376 SVF II p.  126.9. 99  W.



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den und gemachten Körper‘ (τὰ ἐνεργείᾳ ὄντα σώματα καί πεποιώμενα)111 oder das ‚Eigene‘ (ποιόν)112 oder die Qualität (ποιότης)113. Gerade die Bronze (χαλκός) begegnet – neben Sokrates – in den Stoikerfragmenten als Beispiel des δεύτερον ὑποκείμενον114. Das ‚zweite Zugrundeliegende‘, der qualifizierte Stoff, das ‚Eigene‘ oder die Qualität zeichnet sich dadurch aus,‘daß sie bei den Körpern die Scheidung (διαφορά) der ‚ersten Substanz‘ (οὐσία) ist, eine Scheidung, die nicht für sich und abgelöst besteht, sondern in einen Begriff und eine Besonderheit ausläuft, und die nicht durch Zeit oder Kraft in Erscheinung tritt, sondern durch die aus ihr selbst stammende Eigentümlichkeit, gemäß welcher ein ‚Eigenes‘ (ποιόν) entsteht‘115. So ist das ‚Eigene‘ (ποιόν) alles Geschiedene, wie etwa der Weise, der auch im strengsten Sinne ποιός ist116. Die Qualität (ποιότης) Bronze zu sein, scheidet im Bronzefall den betreffenden Gegenstand vom Kaufgegenstand, der aus Gold sein soll. Es ist, so gesehen, in der Tat ‚etwas als etwas anderes verkauft worden‘, wie Ulpian in Bezug auf den Kunstessigfall sagt (aliud pro alio venisse videtur), was sich jedoch auch auf die diesem gleichbehandelten Fälle der Bronze, des Bleis, des dem Silber Ähnlichen beziehen läßt. Im Weinessigfall ist es anders117. Dort mißlingt die Scheidung an der Qualität (ποιότης). Die ‚erste Substanz‘ (οὐσία) ist, so Ulpian, fast (prope)118 dieselbe119. Man kann auch sagen: sie ist in derselben Weise 111  Chrysipp

frg.794 SVF II p.  220.15–16. frg.374 SVF II p.  125.34. 113  Zenon frg.100 SVF I p.  28.7–8; Chrysipp frg.390 SVF II p.  128.26–46; 129.1–8. 114  Chrysipp frg.374 SVF II p.  125.34–36. 115  Chrysipp frg.378 SVF II p.  126.19–23. 116  Chrysipp frg.390 SVF II p.  128.26–46; 129.1–8. 117  Vgl. Sen.ep.118,15: Auch Wein bleibt der Qualität nach Wein, ob er in der Flasche oder im Faß enthalten ist. 118  Ein – ironischer – Vorbehalt?! Es soll wohl eine gewisse Distanz zur Philosophie ausgedrückt werden, wie sie auch aus der bekannten Stelle Ulp.1 inst. D 1,1,1,1 spricht? So wird auch Ulp.24 ad ed.D 10,4,9,3 zu verstehen sein. Ein metallener Pokal ist eingeschmolzen worden (veluti si ex scypho massa facta sit). Aristotelisch gesehen ist damit sein ‚Wesen‘ (im Sinn des aus Stoff und Form Zusammengesetzten: Arist.Met.VII,3,1029a 1–5) untergegangen. Ulpian: Durch die Formänderung ist das ‚Wesen der Sache‘ ‚fast‘ untergegangen (nam mutata forma prope interemit substantiam rei). Ohne einen solchen Vorbehalt beschreibt Sext.Emp. adv. math. 10,329 den Vorgang des Umschlagens von Wein: Wein verschwindet, Essig entsteht, während dieselbe Substanz bestehen bleibt. 119  Nämlich – Wasser. οὐσία ist gleichbedeutend mit dem πρῶτον ὑποκείμενον (Chrysipp frg.762 SVF II p.  214.30–32). Das πρῶτον ὑποκείμενον, die ἄποιος ὕλη ist, was Aristoteles als ‚dem Vermögen nach vorhandenen Körper‘ (δυνάμει σῶμα) bezeichnet (Chrysipp frg.374 SVF II p.  215.32–33). Im Weinfall ist es nun nach 112  Chrysipp

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differenziert120. Mit dieser Begründung schließt sich Ulpian im Weinessigfall, im Ergebnis, Marcellus an; von dessen Prämisse (der error in substantia sei unschädlich) aber hält er sich fern. Der ulpianische error in substantia ist, stoisch gesprochen, ein Irrtum über das δεύτερον ὑποκείμενον; sein error in materia ist, stoisch gesprochen, ein Irrtum über die ὕλη ποιά; sein error in qualitate ist, stoisch gesprochen, ein Irrtum über die ποιότης (oder das ποιόν)121. In den anderen Fällen, dem Kunstessigfall, dem Bronzefall und dem Blei(…)fall, lehnt Ulpian die Ansicht des Marcellus (der Kauf komme zustande) ab. ‚In den anderen Fällen, meine ich, ist der Verkauf nichtig, weil hinsichtlich der Substanz geirrt wird‘ (in ceteris autem nullam esse venditionem puto, quotiens in materia erratur)122. Die Begründung besteht in einem Absurditätsargument123. ‚Was werden wir sagen, wenn der Käufer blind war?‘ (Alioquin quid dicemus, si caecus emptor fuit124). ‚Werden wir sagen: sie125 waren über den Kaufgegenstand einverstanden‘ (in corpus eos consensisse dicemus?) [126 und dies genügen lassen? Nein; wir werden den Konsens auch hinsichtlich der substantia fordern: der blinde Käufer bliebe sonst ungeschützt. Ein blinder Käufer wird zwar nicht ohne weiteres einverstanden sein:] ‚Und inwieweit ist einverstanden wer nicht sieht? (et quemadmodum consensit qui non vidit?). Er wird, wird ihm etwa ein GegenAristoteles nicht etwa der Wein, der dem Vermögen nach Essig ist, sondern das Wasser (Arist.Met. VIII,5,1044b.31–1045a.6); vgl.  J. G. Wolf (o. Anm.  4) S. 145  ff. 120  Ein – fehlerhafter – Bezug des Wortes οὐσία auf die ‚zweite Substanz‘ (so der Einwand von J. G. Wolf [o. Anm. 4] S. 142 f. gegen eine Deutung im Sinne der stoischen Seinslehre) wird so vermieden. 121  M. J. Schermaier (o. Anm.  6) S. 153  f. wendet ein: Nachdem man sich über den Kaufgegenstand geeinigt habe, sei dieser dem  δεύτερον ὑποκείμενον nach bestimmt. Tatsächlich ist es so. Doch stellt sich der Käufer etwas anderes als δεύτερον ὑποκείμενον vor. 122  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2 i. f. 123  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,11pr. 124  Was folgt, kann nicht authentisch sein. Es scheint sich um zwei, jeweils mit vel eingeleitete Glossen zu handeln. Eine erste Glosse (A) will daran erinnern, daß es um den error in materia gehe: vel si in materia erratur. Des Hinweises auf den Zusammenhang mit dem error in materia hätte es nicht bedurft (so H. H. Jakobs [o. Anm.  31] S. 417)? Aus Sicht des Verfassers schon. Eine zweite Glosse (B) will dem blinden Käufer den in der Prüfung von Materien unerfahrenen Käufer zur Seite stellen: vel in minus perito discernendarum materiarum. Die Bemerkung ist inkonzinn, jedoch möglich (…  quid dicemus … in minus perito etc.). A. A. H. H. Jakobs, S. 418  ff. (für nachklassische Einfügung des ganzen Stückes und späteren Kopistenfehler). 125  Eos: Verkäufer und Käufer. 126  Das in eckige Klammern Gesetzte ist hinzuzudenken.



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stand ‚aus Gold‘ angeboten, sich darauf und auf einen entsprechend hohen Kaufpreis nicht ohne weiteres einlassen. Läßt er sich aber darauf ein, so soll er, ist der Gegenstand wider Erwarten nicht aus Gold, sondern nur aus Bronze, nicht verpflichtet sein127. Noch in einem anderen Fall nähert sich Ulpian dem Standpunkt des Marcellus. Marcellus ist der Meinung, daß ein Kauf zustandekomme, wenn unter den Beteiligten Konsens über den Kaufgegenstand bestehe, ungeachtet eines error in substantia. Dabei denkt Marcellus, wie es scheint, an den Fall (b) des einseitigen Irrtums des Käufers. Ulpian erörtert nun128 den Fall, daß ein für golden geltendes Armband im Zuge einer Erbauseinandersetzung ‚zu einem exquisiten Preis‘ an einen Miterben verkauft wird, und es sich hernach als großenteils aus Bronze bestehend herausstellt129. Das Armband gilt als golden; daß es von Gold sei, wird allseits angenommen. Ungeachtet des allseitigen Irrtums läßt Ulpian den Kauf zustandekommen (venditionem esse constat). Denn auch der einseitige Irrtum des Käufers sei unschädlich (nam si inauratum aliquid sit, licet ego aureum putem, valet venditio). Auch in diesem Fall übernimmt Ulpian die Entscheidung des Marcellus im Ergebnis (der Kauf kommt zustande), nicht aber in der Begründung (ein error in substantia sei unschädlich). Die Annahme des Marcellus, ein error in substantia sei unschädlich, teilt Ulpian nach wie vor nicht. Insofern hält Ulpian am Standpunkt Julians fest. Der error in substantia ist schädlich, der Kauf im Falle eines error in substantia nichtig. Doch schränkt Ulpian nunmehr den Begriff des schäd­ lichen error in substantia ein. Der error in substantia besteht von Hause aus 127  Daraus allein, daß jeder Käufer, zumal ein blinder, sich über die Materie des Kaufgegenstandes Gedanken machen wird (H. H. Jakobs [o.  Anm.  31] S. 396  f., 419  f.) folgt nicht schon, daß er sich solche machen muß und erst recht nicht, daß solche dann auch zutreffen müssen. Ulpians Argument (a. O.) kann dies allein – ein ‚naturalistischer Fehlschluß‘ – nicht gewesen sein. 128  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,14 (o. Anm.  49). 129  Als bloß vergoldet. Dagegen F. C. v. Savigny (o.  Anm.  1) S. 279 Anm. (b) (Goldlegierung). A. A. auch M. J. Schermaier (o.  Anm.  6) S. 121  f., 128 und ders. (o. Anm.  27) S. 261 mit Anm. 11, 268 (Goldlegierung; deshalb bloßer error in qualitate, deshalb kein Widerspruch zu Julian). Jedoch spricht der Text deutlich für bloße Vergoldung (magna ex parte aenea; quia auri aliquid habuit; inauratum). Heumann / E. Seckel (o. Anm. 96) s. v. Inaurare 2) S. 255 (M. J. Schermaier, zuletzt a. O.) führt allein Ulp.28 ad Sab. D 18,1,14 als Beleg für die (angebliche) Bedeutung ‚mit Gold vermischen‘ auf (wo die Bedeutung gerade in Frage steht). Ansonsten bedeutet inaurare lediglich ‚mit Gold überziehen‘ (Heumann / E. Seckel s. v. Inaurare 1); Georges, Hdwb. II s. v. inauro Sp.135; Oxford Latin Dictionary [1994] s. v. inauro S. 861  f.). – Man wird vielleicht an den ‚Goldenen Reiter‘ denken, ein in Über­ lebensgröße ausgeführtes Denkmal des sächsischen Kurfürsten Friedrich August I. auf dem Neustädter Markt in Dresden, einen mit Gold überzogenen Bronzeguß; s. F. Stimmel, Stadtlexikon Dresden, Dresden 1998, S. 159  f.

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darin, daß (konkret) etwa Bronze ‚als Gold‘ verkauft wird oder (abstrakt) ‚etwas als etwas anderes‘, in der Artabweichung (o.II.). Wenn nun Ulpian, im Ergebnis Marcellus (der Kauf kommt zustande) in der Begründung Ju­ lian folgend (ein error in substantia schadet), den Verkauf des vergoldeten Armbands zustandekommen läßt, so wiederum nur, weil er in diesem Fall einen error in substantia verneinen kann. Dies ist möglich, weil sich, wie im Armband edles und unedles Metall verbinden, so in der Vorstellung der Beteiligten Richtiges und Falsches zusammenfinden (ideo, quia auri aliquid habuit) und auf diese Weise kein ‚reiner‘ error in substantia vorliegt. Auf einen solchen aber beschränkt Ulpian nunmehr sein Nichtigkeitsurteil130. Da es im Armbandfall an einem ‚reinen‘ error in substantia fehlt, kommt der Kauf zustande. Im Weinessigfall gelangt Ulpian ohne eine Veränderung des Begriffs des error in substantia zum Zustandekommen des Kaufs, indem er vielmehr bei der Artbildung unterscheidet. Im Fall des vergoldeten Armbands gelangt Ulpian zum Zustandekommen des Kaufs hingegen über die Veränderung des Begriffs des error in substantia selbst. Auch im Falle eines versilberten Tisches hätte Ulpian den Kauf zustandekommen lassen, gegen Julian131. 4. Abschließendes zum Stand der Diskussion Wie schon die Hochklassik (Julian, Marcellus), so ist auch die Spätklassik in der Frage der Schädlichkeit des error in substantia uneins. Ulpian hält den error in substantia für schädlich; Marcian dagegen nicht (o.III.1.). Paulus wird Ulpian zur Seite zu stellen sein, wenn er, anders als in anderen Fällen (aliter132) für Gültigkeit eines Kaufs eintritt, bei dem der Käufer von einem größeren Goldgehalt ausgeht133. Dies entspricht der Entscheidung Ulpians im Armbandfall134. Die in den Digesten Paulus (33 ad ed.) zugeschriebene Stelle D 19,1,21,2135, die in auffälliger Form (Quamvis supra 130  Error in qualitate (M. J. Schermaier [o. Anm. 4) S. 148) ist nichts anderes als error in materia oder error in substantia. 131  Jul.3 ad Urs.Fer. D 18,1,41,1. 132  Zu denken ist sicherlich an Fälle des ‚reinen‘ Substanzirrtums, wie sie in Ulp.28 ad Sab. D 18,1,9,2 behandelt werden; s. F. C. v. Savigny (o. Anm.  1) S. 300 Anm. (u) [300  f.]. 133  Paul.5 ad Sab. D 18,1,10. Allerdings folgt Paulus einem wirklichkeitsunabhängigen Konsensbegriff (Paul.5 ad Sab. D 18,1,15 pr.) [s. o. III.2.]. Er muß daher die Fälle der Artabweichung als Fälle eines äußeren Mangels aufgefaßt haben. 134  Ulp.28 ad Sab. D 18,1,14. 135  R. Zimmermann (o.  Anm.  7) S. 594 Anm. 44 (594  f.) („notoriously difficult fragment“).



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diximus  …136), indem sie die Unschädlichkeit eines Qualitätsdissenses und das Zustandekommen des Kaufs propagiert, den Standpunkt des Marcellus137 aufnimmt, steht zu Paul.5 ad Sab. D 18,1,10 in Widerspruch und wird kaum authentisch sein138. Der am Ende erwähnte Fall des Kaufs der ‚Zitrusholztische‘ (veluti si mensas quasi citreas emat, quae non sunt)139 scheint in die Reihe der ulpianischen Fälle des error in substantia zu passen. 5. In der Diskussion ausgesparte Gebiete Ulpians error in substantia ist Dissens in substantia in einem Sinne, wie er sich aus dem von Ulpian zugrundegelegten vorklassischen wirklichkeitsabhängigen Konsensbegriff ergibt (o.III.2.). Die Anbindung des ulpianischen Begriffes des error in substantia an diesen aus der Zeit der Einführung der Konsensualobligationen überkommenen Konsensbegriff erklärt möglicherweise die Beschränkung von Ulpians Lehre auf den Kauf; sie erfaßt nicht die Stipulation und nicht die Verpfändung140. Sie erfaßt nicht die Stipula­ tion, die zu jener Zeit noch ohne Konsens auskam141. Sie erfaßt nicht die Verpfändung, die sich erst nach Einführung der Konsensualobligationen, um die Wende des 3. / 2. Jh. v. Chr., als ein ursprünglich griechisches Rechtsphänomen, in Rom einbürgerte142. 136  Die konzessive Verknüpfung ist nicht einsichtig; so schon J. Cuiacius (s. F. C. v. Savigny [o. Anm.  1] S. 288 Anm. (v)); v. Savigny versucht sie zu retten (S. 288). 137  A. A. M. J. Schermaier (o. Anm. 6) S. 148, 148 und (o. Anm. 27) S. 252 (den Standpunkt Ulpians; Unschädlichkeit eines error in qualitate) [doch ist der error in qualitate nichts anderes als der error in substantia; o. I.]. 138  Der Verdacht ist alt; s. F. C. v. Savigny (o. Anm.  1) S. 287. 139  Für Zitrusholztische wurden unglaubliche Preise gezahlt; s. Plin.n.h.13,15; F. C. v. Savigny (o.  Anm.  1) S. 287 Anm. (t); R. Zimmermann (o.  Anm.  7) S. 594 Anm.  44 (595). 140  Paul.9 ad Sab. D 45,1,22 (Stipulation); Paul.9 ad Sab. D 47,2,20pr. und (mit leichtem Zögern) Ulp.40 ad Sab. D 13,7,1,2 (Verpfändung). Naheliegend ist freilich eine praktische und handfeste Erklärung (‚Bronze ist besser als nichts‘); s. F. C. v. Savigny (o. Anm.  1) S. 300 (zur Stipulation); 301 (zur Verpfändung). Für W. Flume (o.  Anm.  18) S. 437 Anm. 6 entfällt in diesen Fällen der praktische Anlaß für das Nichtigkeitsurteil (Freistellung des Käufers von der Kaufpreiszahlungspflicht). W. Ernst (o. Anm.  47) S. 13 betont den ‚aktsbezogenen Ansatz‘ der römischen Juristen als die Voraussetzung dafür, daß sie den error in substantia bei der Stipulation und bei der Verpfändung für unbeachtlich erklären konnten. 141  Anders zur Zeit des Pedius (1. / 2.  Jh. n. Chr.); s. Ulp.4 ad ed. D 2,14,1,3; M. Kaser / R. Knütel (o. Anm.  52) § 38 Rz.  3 und F. C. v. Savigny (o. Anm.  1) S. 300  f. (‚streng buchstäbliche Natur der Stipulation‘). 142  D. Schanbacher, Zu Ursprung und Entwicklung des römischen Pfandrechts, SZ 123 (2006) S. 49  ff.

Auctorem auctoris laudare? Historisches und Vergleichendes zur „action directe“ im Kaufrecht Von Martin J. Schermaier I. Vertragliche Ansprüche in der Käuferkette? 1. Die europäische Diskussion Seit mehreren Jahren wird auf europäischer Ebene überlegt, ob man dem Verbraucher, der von einem Händler eine neu hergestellte Sache kauft, vertragliche Ansprüche gegen den Hersteller zubilligen soll, falls die Sache mangelhaft ist. Schon im Grünbuch und in den Entwürfen zur Richtlinie über bestimmte Aspekte des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter („Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie“1) wurde ein vertrag­ licher Anspruch des Verbraucherkäufers gegen den Hersteller gefordert2. Auch im Vorfeld des Vorschlags für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher3 war die Einführung einer Haftung des Herstellers für Sachmängel erwogen worden4. Weder in die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie noch in den Richtlinienentwurf über Verbraucherrechte ist eine solche Haftung des Herstellers aber schließlich aufgenommen worden. Schon in der Produkthaftungsrichtlinie5 hatte man ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Verbraucher den Hersteller nicht wegen Schäden an der Sache selbst in Anspruch nehmen könne, sondern nur für im deutschen Recht so genannte „Mangelfolge­schäden“6. Die unmittelbare Verantwortlichkeit des Her1  Richtlinie

1999 / 44 / EG in ABl. L 171 vom 7.7.1999, S. 12. „Grünbuch über Verbrauchsgütergarantien und Kundendienst“ vom 15.11. 1993, KOM (1993) 509 endg., S. 86 f.; weitere Hinweise bei Martin Ebers / Andre Janssen / Olaf Meyer, Comparative Report, in: dies. (eds.), European Perspectives on Producers’ Liability. Direct Producer’s Liability for Non-conformity and the Sellers’ Richt of Redress, München 2009, 3 ff. 3  KOM (2008) 614 endg. 4  Nähere Hinweise bei Ebers / Jannsen / Meyer (Fn.  2), 5. 5  RL 1985 / 374 / EWG in ABl. 1985 L. 210, S. 29. 6  Art. 9 Produkthaftungs-Richtlinie: „Der Begriff ‚Schaden‘ im Sinne des Artikels  1 umfasst a) den durch Tod und Körperverletzungen verursachten Schaden; b) 2  Vgl.

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stellers für die Mangelfreiheit seiner Produkte lässt sich offenbar weder deliktsrechtlich noch vertragsrechtlich einfach begründen7. Auch blieb man angesichts der durchaus heterogenen Struktur der nationalstaatlichen Mängelrechte vorsichtig: Den Hersteller aus dem letzten, mit dem Verbraucher als Käufer geschlossenen Vertrag in Anspruch zu nehmen, könnte gegen den allgemein akzeptierten Grundsatz verstoßen, Verträge dürften nicht zu Lasten Dritter geschlossen werden. Ansprüche auf den ersten Kaufvertrag zu stützen, mit dem der Hersteller die Sache in den Handel bringt, ist zwar etwa nach französischem Recht möglich, birgt aber zahlreiche Unwägbarkeiten für den letzten Käufer, weil sein Anspruch von der Gestaltung jenes ersten Vertrags abhängig wäre. Ein deliktischer Anspruch schließlich bringt dem Käufer häufig nicht das, was er haben möchte: eine mangelfreie Sache. Auch würde eine europäische Richtlinie, die deliktische Ansprüche wegen mangelhafter Leistung bei Verbraucherkäufen vorsieht, etwa in Frankreich – wegen des Prinzips des „non-comul“8 – schwierige Konkurrenzfragen auslösen. 2. Die „action directe“ im modernen Kaufrecht Einige Mitgliedstaaten9 sind dem in der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie unausgesprochenen Vorschlag gleichwohl gefolgt und statuieren seit einigen Jahren einen von einer besonderen Garantie unabhängigen Anspruch des Verbrauchers gegen den Produzenten auf Nachbesserung, Nachlieferung oder Schadensersatz, wenn das vom Händler erworbene Produkt mandie Beschädigung oder Zerstörung einer anderen Sache als des fehlerhaften Produktes  …“. 7  Für eine „Dritte Spur“ der Haftung zwischen Delikt und Vertrag (Haftung aus „Marktbeziehung“) votiert daher Michael Hassemer, Heteronomie und Relativität in Schuldverhältnissen. Zur Haftung des Herstellers im europäischen Verbrauchsgüterkauf, Tübingen 2007. 8  Zum Prinzip des „non-comul“ etwa Boris Starck / Henri Roland / Laurent Boyer, Obligations, vol. 2: Contrat, 5ème ed., Paris 1995, 758 ff.; Murad Ferid / Hans Jürgen Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, Bd. 2: Schuldrecht (Die einzelnen Schuldverhältnisse), Sachenrecht, 2. Aufl., Heidelberg 1986, 452 ff. (Rn. 2 O 41–51); Walter van Gerven / Jeremy Lever / Pierre Larouche (eds.), Cases, Materials and Text on National, Supranational and International Tort Law [Ius Commune Casebooks for the Common Law of Europe], Oxford / Portland 2000, 32 ff.; Reinhard Zimmermann, Law of Obligations. Roman Foundations of the Civilian Tradition, Oxford 1996, 906; Simon Whittaker, Privity of Contract and the Law of Tort: the French Expe­ rience, Oxford Journal of Legal Studies 15 (1995), 327 ff. 9  Außerdem die Türkei, vgl. den Länderbericht von Yeşim M. Atamer, Third Persons’ Liability for Non-conformity in Sales Contracts and Sellers’ Right of Redress in Turkey, in: Ebers / Janssen / Meyer (Fn.  2), 579, 586 ff.



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gelhaft ist10. Das skandinavische Kaufrecht sieht solcherart Verbraucherschutz schon seit den 70er-Jahren vor11, und dieser direkte Anspruch gegen den Hersteller oder weitere Händler wurde später in verschiedener Weise auf andere Käufer ausgedehnt. Die französische Rechtsprechung bekannte sich bereits12 1884 zu einer „action directe“13 des Käufers gegen den Vorverkäufer. An der Leitentscheidung14 war bemerkenswert, dass der erste Käufer insolvent wurde und der zweite nicht nur Sachen, sondern auch Lieferansprüche auf solche Sachen gegen den Verkäufer erworben hatte. Nach deutschem Recht hätte man bezüglich letzterer einen Forderungskauf gesehen und in der Lieferung des Verkäufers an den zweiten Käufer die Erfüllung des vom ersten Käufer zedierten Anspruchs. Im französischen Recht aber ist eine Forderungszession ohne Verständigung des Schuldners oder notarielle Urkunde nicht möglich (vgl. Art. 1690 CC); außerdem hätte die Zessionslösung dazu geführt, Mängelansprüche wegen bereits beim Erstkäufer vorhandener Sachen und solche wegen vom Verkäufer erst zu leistender Sachen verschieden zu beurteilen. Daher wohl mied die Cour de Cassation diesen Weg und gewährte dem Zweitkäufer direkte Mängelan10  Das gilt etwa für das spanische und das portugiesische Recht, vgl. die Länderberichte von Paulo Mota Pinto, Direct Producers’ Liability and the Sellers’ Right of Redress in Portugal (491 ff.) und Susana Navas Navarro, Direct Liability of the Producer and the Seller’s Right of Redress in Spain (515 ff.), in: Ebers / Janssen /  Meyer (Fn.  2). 11  Zum norwegischen (Verbraucher-) Kaufrecht vgl. K. Lilleholt (461, 463 ff.), zum schwedischen Eva Lindell-Frantz, Direct Producer’s Liability and the Seller’s Right to Redress According to Swedish Law, in: Ebers / Janssen / Meyer (Fn.  2), 547, 552 ff. 12  Zur Ausbildung dieser Lehre etwa Eduard Wahl, Vertragsansprüche Dritter im französischen Recht unter Vergleichung mit dem Deutschen Recht dargestellt an Hand der Fälle der action directe, Berlin / Leipzig 1935, 21 ff. und Christophe Jamin, La notion d’action directe, Paris 1991, 21 ff. 13  Zur „action directe“ außer den in Fn.  12 Genannten, etwa Jochen SchmidtSalzer, Produkthaftung im französischen, belgischen, deutschen, schweizerischen, englischen, kanadischen und US-amerikanischen Recht, Berlin 1975, Rn. 46 ff.; Jacques Ghestin / Bernard Desché, Traité des contrats: La vente, Paris 1990, 896 ff. (Rn. 849 ff.); Ferid / Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht II (Fn.  8), 134 ff. (Rn. 2 G 651 ff.); Sabine Schulz, Die französische action directe. Modell für einen Gewährleistungsdurchgriff im deutschen Kaufrecht?, Frankfurt 1999; Jochen Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, Berlin 2001, 35 ff.; Martin Köhler, Die Haftung nach UN-Kaufrecht im Spannungsverhältnis zwischen Vertrag und Delikt, Tübingen 2003, 103 ff.; Hassemer, Heteronomie (Fn.  7), 172 ff.; Filippo Ranieri, Europäisches Obligationenrecht. Ein Handbuch mit Texten und Materialien, 3. Aufl., Wien / New York 2009, 1682 f. 14  Cass. civ. 12.11.1884, Recueil Dalloz 1885, 357; zu älteren Entscheidungen, die bereits in diese Richtung deuteten, Jamin, Action directe (Fn.  12), 21 ff.

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sprüche gegen den Verkäufer. Diese Ansprüche sind aber keine besonderen, gar neu in der Person des Zweitkäufers entstandenen, sondern leiten sich ab von den dem Erstkäufer zustehenden Behelfen. Die Cour de Cassation ging also von einer stillschweigenden Zession dieser Ansprüche aus, weil nämlich „la vente d’une chose comprend tous ses accessoires et notamment les actions que le vendeur a pu acquérir à son occasion“15. Damit gelang es zumindest, Mängelansprüche bezüglich direkt gelieferter und schon beim ersten Käufer befindlicher Sachen gleich zu behandeln. Der vom Letztkäufer in der Berufung angemahnte Weg über Art. 1166 CC, ­wonach der Gläubiger Forderungen des Schuldners gegen Dritte geltend machen kann, soweit es sich nicht um solche handelt, „qui sont exclusivement attachés à la personne“, konnte mit dieser Lösung umgangen werden. Damit mied man auch die Frage, ob Mängelansprüche aus Kaufverträgen überhaupt „höchstpersönliche Forderungen“ sind. Gleichwohl ist der Streit, welcher der beiden Wege zuverlässiger und dogmatisch korrekter ist, um die action directe im Mängelrecht zu begründen, bis heute nicht verstummt16. Das belgische und luxemburgische Recht folgten dem französischen Mutterrecht, während das niederländische Recht, auch vor der Neukodifikation (1990), einen direkten Anspruch des Letztkäufers gegen vorausgehende Verkäufer ablehnte17. Bemerkenswert ist, dass Dänemark offenbar unabhängig vom Einfluss des Code Civil dieselbe Rechtsfigur entwickelt hatte: Schon 1832 befürwortete Anders Ørsted eine direkte Klage des Letztkäufers und begründete dies damit, der letzte Verkäufer trete ihm seine Mängelrechte stillschweigend ab, sie gingen wie Zubehör auf den neuen Käufer über18. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Ørsted sowohl die Lösung als auch die Konstruktion einer direkten Klage des Käufers aus der französischen Literatur kannte, wo sich – wie wir sehen werden – im 18. Jahrhundert einige Autoren für eine solche direkte Klage einsetzten. Es kann aber auch sein, dass Ørsted ein praktisches Bedürfnis dafür sah oder umgekehrt dem Vertragsbrauch seiner Zeit Rechnung tragen wollte. Was auch immer seine 15  Cass.

civ. 12.11. 1884, Recueil Dalloz 1885, 357, 358. Jamin, Action directe (Fn.  12), 204 ff., 225 ff.; Schulz, Action directe (Fn.  13), 28 ff.; Bauerreis, Action directe (Fn.  13), 61 ff. 17  So Bram Duivenvoorde / Ewoud Hondius, Recours and Direct Action in the Netherlands: a Dutch Treat?, in: Ebers / Janssen / Meyer (Fn.  2), 445, 455 ff. 18  Anders Sandøe Ørsted, Haandbog over den danske og norske Lovkyndighed, vol. 5, København 1832, 138 f.; dazu Vibe Ulfbeck, Kontrakters relativitet. Det direkte ansvar i formueretten, København 2000, 168 ff.; dort 236 ff. zum neueren dänischen Kaufrecht; zu Ørsted außerdem Mortem M. Fogt, Direct Liability of Previous Seller, Supplier and Producer in Danish Law, in: Ebers / Janssen / Meyer (Fn.  2), 223, 249 f. 16  Vgl.



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Quelle war, jedenfalls macht Ørsteds Lösung deutlich, dass die „action directe“ keine französische Besonderheit ist. Warum aber taucht der direkte Gewährleistungsanspruch des Käufers gegen den Produzenten in Dänemark und Frankreich auf und nicht auch in anderen europäischen Ländern – wenn doch, wie man immer wieder hört, das „Gemeine Recht“ des Mittelalters und der Neuzeit keine Grenzen kannte? Wer eine Antwort sucht, muss die Quellen konsultieren. II. Ein erster Blick in die Quellen und zwei Überraschungen Als erste Überraschung beim Blick in die Quellen erlebt man, dass die Drittberechtigung im Rahmen der Gewährleistung nicht für Sachmängel, sondern für Rechtsmängel diskutiert wird. Das scheint erklärbar, wenn man auf die Herkunft beider Rechtsinstitute achtet: Das ädilizische Mängelrecht konzentriert sich auf den konkreten, zwischen zwei Parteien geschlossenen Kaufvertrag: Für die Haftung des Verkäufers ist entscheidend, ob er die im Edikt genannten Mängel angezeigt oder bestimmte Eigenschaften zugesichert hat19, für den Anspruch des Käufers, im Rahmen der actio quanti minoris, ist entscheidend, welcher Kaufpreis vereinbart wurde. Dieses zweipersonale Verhältnis liegt zwar auch der Rechtsmängelhaftung zugrunde, doch griff das Verfahren, jedenfalls im alten Recht, darüber hinaus: Der vom Berechtigten verklagte Käufer wandte sich an seinen Verkäufer und ersuchte ihn um Beistand (auctoritas) im Prozess. Seine dingliche Berechtigung bewies man, ehe die Ersitzungszeit abgelaufen ist, am besten damit, dass man die Sache von einem berechtigten Vormann erworben hat. Das galt für den Käufer ebenso wie für den um Beistand ersuchten Verkäufer. Konnte die Kette von Gewährsleuten einjährigen oder – bei Grundstücken – zweijährigen Besitz nachweisen, war die dingliche Berechtigung dargelegt. Die Gewährleistung für Rechtsmängel war ursprünglich also „Gewährleistung“ im engen Sinne; es ging nicht um die Haftung des Veräußerers, sondern darum, den Besitz des Erwerbers zu sichern. Dieser Befund gilt nicht nur für das römische, sondern auch für das mittelalterliche und früh19  Zur ädilizischen Mängelhaftung beim Sklaven- und Viehkauf Eva Jakab, Prae­ dicere und Cavere beim Marktkauf. Sachmängel im griechischen und römischen Recht, München 1997, 97 ff.; kritisch dazu Berthold Kupisch, Römische Sachmängelhaftung: Ein Beispiel für die ökonomische Analyse des Rechts?, TR 70 (2002) 21 ff. und dagegen wieder Eva Jakab, Cavere und Haftung für Sachmängel. Zehn Argumente gegen Berthold Kupisch, in: Jakab / Ernst (Hg.), Kaufen nach Römischem Recht, Berlin / Heidelberg 2008, 123 ff.; im Überblick Max Kaser, Das römische Privatrecht, 1. Bd.: Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht, 2. Aufl., München 1971, 558 ff.; Zimmermann, Law of Obligations (Fn.  8), 305 ff.

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neuzeitliche Recht. Allerdings ist der Gewährleistungsgedanke bereits in den klassischen Quellen weitgehend vom Haftungsgedanken überlagert. Dies ist, wie wir sehen werden, verantwortlich für das Spannungsverhältnis, in dem die Diskussion des Gemeinen Rechts verläuft. Die zweite Überraschung erlebt man, wenn man nach Quellenbelegen für die im Gemeinen Recht geführte Diskussion sucht. Alle Belege, die für oder gegen eine Drittberechtigung im Gewährleistungsrecht herangezogen werden, erweisen sich – bei historischer Betrachtung – als untauglich. Auch hier nimmt der zweite Blick der Beobachtung ihre Brisanz: Einerseits zwang die Autorität der Quellen die europäischen Juristen dazu, ihre Entwürfe aus dem Corpus Iuris zu begründen. Der Wunsch als Vater des Gedanken zeugte dabei allerdings kleinere und größere Umdeutungen der klassischen Quellen. Andererseits beobachten wir vor allem im Hochmittelalter eine subtile, nicht aus Begründungszwängen resultierende Neukonstruktion des römischen Rechts. Das zeitgenössische Verständnis vom richtigen Handeln und einem gerechten Interessenausgleich ließ die mittelalterlichen Juristen Schlüsselbegriffe des römischen Rechts anders verstehen, als sie – nach unserem heutigen Verständnis – gemeint waren. III. Römisches Recht 1. Von der auctoritas zur Eviktionshaftung Die in Mittelalter und Neuzeit herangezogenen Quellen zur Rechtsmängelhaftung legen, wenn man nur danach sucht, tatsächlich den Gedanken nahe, die Gewährleistungshaftung greife mitunter über einen konkret geschlossenen Vertrag hinaus. Zwar gibt es nur wenige solcher Texte und auch nur solche, in denen Erst- oder Zweiterwerber besonders schutzwürdig erscheinen, dennoch ist auch hier der Unterschied zum Sachmängelrecht auffällig. Um diese Texte einordnen zu können, bedarf es eines kurzen Blicks auf das römische Recht der Gewährleistung wegen Rechtsmängel. Dieses bildet, wie bekannt, kein homogenes Institut, sondern ist Produkt einer viele hundert Jahre dauernden Entwicklung. Seine Wurzeln vermutet man heute im Zwölftafelrecht. Ausgehend von dem bekannten usus-auctoritas-Satz20 lässt sich, unter Beiziehung zahlreicher literarischer und juristischer Zeugnisse, Folgendes rekonstruieren21: Zunächst kommt es darauf an, 20  Z. B.

bei Cic. top. 4,23; pro Caecin. 19,45. alten römischen Rechtsmängelhaftung etwa Ernst Rabel, Die Haftung des Verkäufers wegen Mangels im Rechte, Bd. 1: Geschichtliche Studien über den Haftungserfolg, Leipzig 1902, 5 ff.; Max Kaser, Eigentum und Besitz im älteren römischen Recht, Köln / Weimar 1942 (= 2.  Aufl., 1956), 30 ff., bes. 59 ff.; ders., Neue 21  Zur



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dass der Vormann dem von einem Dritten in Anspruch Genommenen im Prozess beisteht, ihn also unterstützt, sein (besseres) Recht zu beweisen. Versagte der Beistand oder unterblieb er gar, kam es zu dem, was wir heute Gewährleistungshaftung nennen: Der Erwerber konnte den auctor auf Ersatz des doppelten seinerzeit gezahlten Kaufpreises in Anspruch nehmen (actio auctoritatis)22. Diese Auktoritätshaftung galt nur für Kaufgeschäfte, die mit mancipatio durchgeführt wurden. Bei anderen Übereignungsformen bildete man diese Haftung mit einem Vertragsstrafeversprechen nach23; in der klassischen Zeit konnte man nach und nach auch mit der actio empti sein Interesse daran, dass die Sache nicht evinziert wurde, ersetzt verlangen24. Spätestens hier geht es in erster Linie um die Haftung des Veräußerers und nicht um seinen Beistand im Eviktionsprozess. Gleichwohl beließ man es auch in der klassischen Zeit dabei, dass der in Anspruch Genommene seinem Vormann die Klageerhebung anzeigen musste (denuntiare25; auctorem laudare26). Doch diente die denuntiatio nicht mehr dazu, den Beistand des Vormannes einzuholen, sondern dazu, ihm anzukündigen, dass die Haftung schlagend werden könnte. Sie ist nur mehr Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Vormannes aus der Strafstipulation oder der actio empti27. Zwar war es auch in klassischer Zeit möglich, dass der Vormann den Prozess übernahm. Der Unterschied zur alten Auktoritätshaftung wird aber auch an der prozessualen Situation deutlich: Der auctor im Legisaktio­ nenprozess tritt an Stelle des Beklagten in den Prozess ein28, der benannte Studien zum altrömischen Eigentum, SZ 68 (1951), 131, 135 ff.; ders., Altrömisches Eigentum und „usucapio“, SZ 105 (1988), 122 ff.; im Überblick ders., Das Römische Privatrecht I (Fn.  19), 132 f.; A. M. Prichard, Auctoritas in Early Roman Law, LQR 90 (1974), 378 ff.; F. J. Casinos Mora, La noción romana de auctoritas y la responsabilidad por auctoritas, Valencia 2000; idem, auctoritas rerum decemviralis, RIDA 50 (2003), 47 ff. 22  Die Bezeichnung als actio auctoritatis ist quellenmäßig nicht bezeugt, doch durch Paul. sent. 2,17,3 (auctoritatis … obligatur) recht wahrscheinlich. 23  Dazu etwa Rolf Knütel, Stipulatio ponae. Studien zur römischen Vertragsstrafe, Köln / Weimar 1976, 37 ff., 159 ff., 238 ff., 335 ff. 24  Zum klassischen Recht etwa Kaser, Das Römische Privatrecht I (Fn.  19), 553 ff.; Zimmermann, Law of Obligations (Fn.  8), 293 ff.; Wolfgang Ernst, Rechtsmängelhaftung, Tübingen 1995, 7–119. 25  Etwa in D.  21,2,39,1 (Iul. 57 dig.); 49 (Gai. 7 ad ed. prov.); 51,1 (Ulp. 80 ad ed.); 53,1 (Paul. 77 ad ed.); 55,1 (Ulp. 2 ad ed. aedil.); 56,4–5 (Paul. 2 ad ed. aedil.); 62 1 (Cels. 27 dig.) etc. 26  So noch in D.  21,2,63,1 (Mod. 5 resp.); D.  19,1,6,5 (Pomp. 9 ad Sab.). 27  Vgl. etwa D. 21,2,53,1 (Paul. 77 ad ed.); D. 21,2,56,4–5 (Paul. 2 ad ed. aedil.). 28  Dazu Kaser, SZ 105 (1988), 122, 134; Max Kaser / Karl Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 2. Aufl., München 1996, 98 f.

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Vormann wird im Formularprozess – wenn überhaupt – als procurator in rem suam tätig, also auf Grund eines zwischen Beklagtem und Gewährsmann vereinbarten mandatum29. Im Kognitionsprozess kommt es zu der noch heute bekannten Nebenintervention des Vormanns30. Diese Entwicklung des Einstehens für Rechtsmängel vom Gewährleistungs- zum Haftungsproblem darf nicht verwechselt werden mit der immer noch schwelenden Diskussion31 darüber, ob die römische Rechtsmängelhaftung bereits eine Haftung wegen Nichterfüllung war oder noch Eviktionshaftung. Zur Auktoritätshaftung kommt es, wenn der Beistand im Eviktionsprozess ausblieb oder erfolglos war; die Vertragshaftung setzt lediglich daran an, dass die Sache evinziert wurde. Beide Perspektiven beginnen beim verlorenen Prozess; deswegen, so könnte man sagen, geht es in beiden (zunächst) um die Eviktion. Dennoch unterscheiden sie sich: Das Versagen des auctor unterbricht die Besitzgeschichte, von der ich hoffte, sie sei stärker, als die meines Gegners. Nach Mayer-Maly32 war es gar Zweck des Auktoritätsprozesses, den „Urheber eines Rechtsmangels“ aufzudecken33. Die Haftung ist die Folge des vom auctor verweigerten oder verlorenen Prozesses. Sie „bestraft“ ihn, weil die Veräußerung einer fremden Sache wie ein furtum (am Kaufpreis) geahndet wurde34. Bei der Haftung aus der stipulatio duplae oder gar aus der actio empti geht es von vornherein um die Haftung des Veräußerers, um Schadens- bzw. Interesseersatz. Gewährschaft im strengen Sinne ist nicht beabsichtigt. Zwar ist der Schritt von der Auktoritätshaftung zur Strafstipulation oder zur Interessehaftung eine Voraussetzung dafür, die Rechtsverschaffung als Vertragsziel zu begreifen. Doch durchsetzen kann sich dieser Gedanke wohl erst später, als man das interesse des Käufers nicht mehr auf das habere licere beschränkte35. Der Gewährschaftsgedanke wurde von der Haftung 29  Deutlich wird das in D.  21,2,21,2 (Ulp. 29 ad Sab.); D.  21,2,66,2 (Pap. 28 quaest.). 30  Vgl. D. 49,1,4,3 (Macer 1 appell.); w.H. bei Kaser, Das römische Privatrecht I (Fn.  19), 554 und bei Kaser / Hackl, Zivilprozessrecht (Fn.  28), 484. 31  Zuletzt Ernst, Rechtmängelhaftung (Fn.  24) schon in der Einleitung (S. 1–4) und vor allem 7 ff.; dagegen mit starken Argumenten Andreas Wacke, in seiner Rezension zu Ernst, SZ 120 (2003), 266 ff. 32  Theo Mayer-Maly, Studien zur Frühgeschichte der usucapio II, SZ 78 (1961), 221, 243. 33  Unter Hinweis auf Plaut. Trinummus 217 f.: quod si exquiratur usque ab stirpe auctoritas, unde quidquid auditum dicant,  … 34  Zur deliktischen Natur der actio auctoritatis Kaser, Das Römische Privatrecht I (Fn.  19), 133 (m.w.H.). 35  Solange das interesse Grund und Maß für ein Geldurteil war, also unter der Herrschaft des Formularprozesses, ist eine solche Entwicklung in der Tat schwer



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wegen Eviktion wohl schon abgelöst, als die formulare rei vindicatio das Legisaktionenverfahren verdrängte. Das passt in die Zeit der hohen Republik: Die Denunziation an den Vormann und die Einbeziehung womöglich weiterer Vormänner lässt sich nur in einer dörflichen oder kleinstädtischen Gemeinschaft vorstellen, nicht in einem über den halben Mittelmeerraum reichenden Wirtschaftssystem. Was, wenn der nächste auctor fehlte, etwa weil er verreist oder erbenlos verstorben war? Es ist wenig wahrscheinlich, dass man dem Beklagten verweigert hatte, den Vormann seines Verkäufers als auctor zu benennen36. Doch war es jedenfalls ausgeschlossen, dass dieser auctor auctoris ihm auch haftete, wenn der Beweis misslang. 2. Einige Texte Tatsächlich überliefern uns die klassischen Juristentexte keine Entscheidungen, wonach die Inanspruchnahme des Vormannes seines Vormannes möglich gewesen wäre. Doch fehlt es nicht an Konstellationen, die einem solchen „Sprungregress“ ähnlich sind. Dabei lassen sich zwei Gruppen von Texten feststellen: zum einen solche, in denen ein anderer als der unmittelbare Vertragspartner wegen Eviktion in Anspruch genommen werden kann, zum anderen solche, die einem Dritten, also nicht dem, bei dem die Sache evinziert wurde, ermöglichen, Eviktionsansprüche zu stellen. Typisch für die erste Gruppe ist der Fall des Verkaufs einer Pfandsache durch den Pfandgläubiger, die dem Schuldner nicht gehörte. Beim Käufer wird sie evinziert. Soll dieser sich an den Pfandgläubiger halten, an seinen Vertragspartner also, oder muss er sich an den Pfandschuldner wenden? Die Antwort auf diese Frage ist eindeutig: Der Pfandschuldner haftet wegen Eviktion. Unterschiedlich sind nur die Strategien, mit denen man eine solche Klage begründet: Ulpian meinte, der Pfandgläubiger sollte dem Käufer die actio pigneraticia in personam abtreten37. Tryphonin sprach dem Käufer eine eigene actio utilis zu38. Beide Entscheidungen gehen davon aus, dass der Pfandgläubiger nicht haftet, weil er – was üblich war – die Haftung für Rechtsmängel ausgeschlossen hatte. So kommen die römischen Juristen mit vorstellbar; auf den Unterschied zwischen quod interest (bei der actio empti) und dem quanti ea res est (bei der actio ex stipulatu) spielt auch an Ernst, Rechtmängelhaftung (Fn.  24), 114. 36  Kaser rechnet mit der Heranziehung der Manzipationszeugen, SZ 105 (1988), 134 mit Anm. 64. 37  D.  21,2,38 (Ulpian 2 disp.); dazu zuletzt Ingo Reichard, Die Frage des Drittschadensersatzes im klassischen römischen Recht, Köln / Weimar / Wien 1993, 160 ff., 169 ff. und 200 ff. 38  D. 20,5,12,1 (Tryph. 8 disp.); dazu etwa Reichard, Drittschadensersatz (Fn. 37), 201 ff.

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der Haftung des Pfandschuldners ohne konstruktiven Aufwand zu dem Ergebnis, das man auch heute erreichte: Der Pfandgläubiger verkauft mit Ermächtigung und in Vertretung des Pfandschuldners. Zu dieser Gruppe von Entscheidungen passt auch D.  21,2,59 (Pomp. 2 ex Plaut.): Jemand hatte vom Nichteigentümer gekauft und wurde später in einem Legat verpflichtet, die Sache an einen Dritten zu leisten; bei diesem wird sie evinziert. Kann der Legatar gegen den Erben oder gegen dessen Verkäufer vorgehen? Der Erbe, davon geht die Entscheidung aus, soll vom Legatar nicht in Anspruch genommen werden können; seine Verbindlichkeit ist mit der Leistung der fremden (Spezies-) Sache erloschen. Dahinter dürfte die Wertung stehen, dass der Erbe für die vermachte Sache keine Gegenleistung erhielt. Damit bleibt der Rückgriff auf den Vormann des Erben, der allerdings – so Pomponius – nur dann in Anspruch genommen werden kann, wenn der Erbe dem Legatar seine Klage gegen den Verkäufer abtritt. Zur zweiten Gruppe gehören vor allem Fälle, in denen eine Dotalsache evinziert wird39. Ein besonderes, unter Umständen schützenswertes Interesse daran, dass die Mitgift beim Ehemann verbleibt, kann man bei der Frau oder bei dem vermuten, der die Mitgift bestellt hat. Soll nun der Besteller, im Eviktionsfall, einen Anspruch gegen den Veräußerer haben, auch wenn er dem Ehemann nicht haftet40? Zwei einschlägige Entscheidungen bejahen dies41 und argumentieren mit dem Interesse der Frau oder ihres Vaters, dass sie mulier dotata sei42. Eine ähnliche Konstellation finden wir in dem Fall, dass ein Nichteigentümer an einen von zwei Gesamtgläubigern leistet, die im Innenverhältnis Ausgleich vereinbart haben: Kann dann der eine Gläubiger ein schützenswertes Interesse daran haben, dass beim anderen nicht evinziert wird? Scaevola43 bejahte diese Frage für den Fall, dass der Gläubiger, bei dem evinziert wurde, die Sache im Auftrag des anderen in Empfang nahm und sie ihm auf Grund des Auftragsverhältnisses herausgeben sollte. Sollte er sie aber wie ein Geschenk behalten dürfen, fehlte es, so der Jurist, am Interesse des anderen, gegen den Veräußerer wegen Eviktion vorzugehen. Der Text lässt den schon von der Glosse gezogenen44 Schluss 39  Ausführlich dazu Hans Ankum, Eviktion von Dotalsachen im klassischen römischen Recht, BIDR 100 (1997), 49 ff. 40  Die Voraussetzungen, unter denen dem Ehemann Ansprüche gegen den Besteller der dos zustehen, schildert lehrbuchhaft C. 5,12,1 (a. 201). 41  D.  21,2,22,1 (Pomp. 1 ex Plaut.); D.  21,2,71 (Paul. 16 quaest.). 42  Zur sozialen Rolle der Dotation jetzt Jakob Fortunat Stagl, Favor dotis. Die Privilegierung der Mitgift im System des römischen Rechts, Wien / Köln / Weimar 2009, 8 ff., zu den vorerwähnten Texten 278 ff. 43  D.  45,1,131,1 (Scaev. 13 quaest.). 44  Gl. liberari a.h.l.: ex donatione enim non tenetur de evictione, nisi ex dolo quia sciens promisit rem alienam, vel pacto.



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zu, dass ein Schenkgeber als Gewährsmann jedenfalls ausscheidet. Weil er nicht in Anspruch genommen werden kann, soll er auch keine Gewährleistungsansprüche gegen seinen Vormann haben. Alle diese Entscheidungen, so sieht man trotz des kurzen Referats, haben nichts mit unserer Frage zu tun, ob nämlich nach Eviktion der auctor auctoris in Anspruch genommen werden kann. Es geht in den Texten nicht um den „Sprungregress“, weil der unmittelbare Vormann nicht in Anspruch genommen werden konnte; vielmehr geht es um die Verteilung des Haftungsinteresses in einem drei- oder mehrpersonalen Verhältnis. Dafür geben regelmäßig die bestehenden schuldrechtlichen Verbindungen unter den Parteien den Ausschlag. Interessant ist immerhin, dass neben dieser Ab­ wägung von Zweierbeziehungen auch – vor allem in den Fällen der Eviktion von Dotalsachen – das Verhältnis aller Beteiligten zueinander eine Rolle spielt. IV. Rechtspraxis in Mittelalter und Neuzeit Ehe wir uns dem Gelehrten Recht zuwenden, soll das Umfeld etwas aufgehellt werden, in dem die Rezeption des römischen Rechts stattfand. Immer schon kam es vor, dass jemand fremde Sachen veräußerte und dies beim Käufer oder erst bei einem seiner Rechtsnachfolger ans Licht kam. Quid iuris? Wenn man Vertrags- und Prozesspraxis des Mittelalters und der Neuzeit erkundet, stellt man rasch fest, dass die Rezeption römischen Rechts seit dem Spätmittelalter offenbar wenig Einfluss auf die Entscheidung dieser Frage hatte. Vielmehr scheint es umgekehrt zu sein, dass die besonderen Lösungen der notariellen Praxis und des Prozessrechts die Deutung der römischen Quellen beeinflusst haben. 1. Gewährschaft und Gewährenzug Ernst Rabel hat in seiner Habilitationsschrift ausführlich geschildert, wie die mittelalterliche und neuzeitliche Rechtspraxis der Eviktionshaftung vom Gewährschaftsgedanken dominiert war45. Dieser hat das Rechtsdenken der Nichtjuristen ebenso wie die dogmatischen Modelle der Juristen bis in die Kodifikationszeit hinein geprägt. So galt in den mittelalterlichen Volksrechten der, der fremdes Gut besaß, als Dieb oder Räuber, und nur die Benennung seines Gewährsmannes konnte ihn von diesem Deliktsvorwurf lösen46. 45  Rabel,

Haftung des Verkäufers (Fn.  20), bes. 166 ff. Strauch, Viglysing und Lysing, in: Reallexikon der germanischen Altertumskunde 32 (2006), Sp. 364, 369, stellt das auch für das nordische Recht fest. 46  Dieter

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Dabei blieb es auch in den spätmittelalterlichen Stadt47- und Landrechten48. In einem Zwischenverfahren wurde dann untersucht, ob der Gewährsmann zu Recht besessen und veräußert hatte49. Nach älteren, vor allem italienischen und französischen Quellen, kam es überhaupt dazu, dass der Prozess gegen den eintretenden Gewährsmann fortgesetzt wurde50. Blieb der Gewährsmann aus oder versagte er mit dem Eigentumsbeweis, so musste er dem Berechtigten die Diebstahlsbuße leisten, dem Käufer den Kaufpreis erstatten51. Auch nach der Rezeption blieb es bei der Vorstellung, dass es Pflicht des Gewehren sei, dem auf Herausgabe in Anspruch Genommenen beizustehen52; erst in zweiter Linie, wenn der Beistand versagte, kam es zur Haftung des Veräußerers wegen Eviktion. Noch im Codex Theresianus, einem der Vorläufer des ABGB53, heißt es: Cod. Theres. Theil III, cap. IX 9, § XII, n. 191: Die Gewährsverbindlichkeit hat zweierlei Wirkungen, als erstens, daß der Gewährsmann den Besitzer wider die Ansprüche eines Dritten bei Gericht auf eigene Unkosten vertreten, schirmen und verteidigen müsse und zweitens, daß derselbe, wann ohnerachtet seiner vorgebrachten Behelfen die angestrittene Sache einem Dritten zugesprochen würde, den Besitzer schadlos zu halten schuldig seie. 47  Vgl. etwa das Augsburger Stadtrecht von 1276, Art. 34; dazu Markus Antonius Mayer, Der Kauf nach dem Augsburger Stadtrecht von 1276 im Vergleich zum gemeinen römischen Recht, Berlin 2009, 156 ff. 48  Als Beispiel s. das Bayrisch Landsz Recht Puch, Augsburg 1495 (die Ausgabe kann eingesehen werden unter http: /  / mdz10.bib-bvb.de / ~db / 0002 / bsb00025533 / ima ges / index.html), cap. XVI, art. 9: „Wer angesprochen wirt umb eigen des er nit gesessen ist ein iar und mer bey nucz und gewer on all recht ansprach der mag sich des wol verantwurten mit seim geweren ob er in gehaben mag. Mit andvest mit brieffen mit erbschafft und mit gewere der ims geben hat, die soll im geholffen sein. Mit fürpfanden und mit allen den rechten das er geniessen mag.“ Der Kontext macht klar, dass Eviktion und Diebstahlsklage, Privat- und Deliktsrecht miteinander verwoben sind. 49  Nachweise bei Rabel, Haftung des Verkäufers (Fn.  20), 171 f., 232 f. 50  Nachweise bei Adolf Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts, 1. Bd., Leipzig 1885, 656 f. und Rabel, Haftung des Verkäufers (Fn. 20), 223 ff. Den Eintritt des Gewähren in den Prozess scheint vorauszusetzen Guilelmus Durandus, Speculum iuris, Frankfurt 1512, lib. IV, part. III, De evictionibus, n. 5 (S. 243 der Ausg.): Et nota, quod emptor debet venditori denuntiare ut eum defendat. 51  Quellen und weitere Hinweise bei Rabel, Haftung des Verkäufers (Fn.  20), 169 ff. 52  So heißt es etwa bei Johannes Voet, Commentarius ad Pandectas, tom. I, 6. ed., Den Haag 1734, ad D. 21,2, n. 22 (S. 928 f.): denunciationis adhibendae duo fines sunt, alter, ut certior fiat autor, alter, ut jam certior factus aliquid faciat, seu defensionem suscipiat,  …; weitere Hinweise bei Rabel, Haftung des Verkäufers (Fn.  20), 219. 53  Vgl. Philipp Harras v. Harrasowsky, Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, 3. Bd., Wien 1884, 163.



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Wie nach Gemeinem Recht wohl üblich54, soll auch nach dem Codex Theresianus der Gewährsmann, der sich auf den Streit einlässt, den begonnenen Prozess „im eigenen Namen und auf seine Unkosten“55 weiterführen. Dabei bleibt auch der Entwurf Horten (1786)56. Es wird dem naturrechtlichen Einfluss zu verdanken sein, dass im Entwurf Martini (1797) davon nicht mehr die Rede ist57. Vielmehr finden sich hier zwei wesentliche Änderungen: Einerseits wird die Gewährleistung als Schlechtleistung eingestuft, die den Verkäufer ersatzpflichtig macht; andererseits werden die Gewährleistungsregeln für Rechts- und Sachmängel vereinheitlicht58. Dasselbe, und zwar beinahe wortgleich, normieren die §§ 922 ff. ABGB (1811). Im ancien droit gilt ebenso wie im alten österreichischen Recht die Pflicht des Verkäufers zur „défense“ des Käufers als erste und wichtigste. Erst wenn die Verteidigung im Prozess misslingt, kommt es zum Schadensersatz. Typisch dafür sind die Ausführungen Dumoulins59: In contrarium arguitur quod obligatio defendendi sit principalis, imo principalior, quia ut est primum caput evictionis, ita est primaria obligatio, qua tenetur venditor emptori. Obligatio vero ad interesse et restitutionem pretii, cum non seuccedat nisi in prioris defectum, secundaria est, et potius videtur accessoria.

Obwohl auch Pothier60 bei dieser Auffassung bleibt, hat sich im Code civil (Artt. 1626, 1630) doch die klassische römische und naturrechtliche Auffassung durchgesetzt, dass der Verkäufer sogleich Rückabwicklung und 54  So etwa Wolfgang Adam Lauterbach, Collegium theoretico-practicum, pars II (a libro vigesimo Pandectarum usque ad digestum novum), Tübingen 1706, ad D.  21,2, n.  38: venditor autem, lite mota, suo sumptu emptorem defendere tenetur. 55  Cod. Theres. Theil III, cap. 9, § XII, n.  200. 56  Vgl. Entwurf Horten, III 9 §§ 80 ff., bes. § 87: „Die Verbindlichkeit zur Gewährleistung schließet allezeit die Verbindlichkeit in sich, den Kaufer wider die von einem Dritten in Betreff des verkauften Gutes bei Gerichte angebrachte Ansprüche auf eigene Unkosten zu vertreten  …“; abgedruckt bei v. Harrasowsky (Fn.  53), Bd.  4, Wien 1886, 392 f. 57  Die Gewährleistungsregeln finden sich hier nicht mehr im Kauf-, sondern im Tauschrecht; der Tausch gilt Naturrechtlern als Prototyp entgeltlicher Veräußerung; vgl. bei v. Harrasowsky (Fn.  53), Bd. 5, Wien 1886, 175 ff. 58  Entwurf Martini III 5 § 11: „Bei allen Tauschgeschäften liegt den sich vertragenden Personen ob, einander die Gewähr zu leisten, das ist, dafür gut zu stehen, dass die übertragene Sache oder das eingeräumte Recht, so wie die Natur des Geschäfts oder die getroffene Verabredung es mit sich bringen, gebraucht und benutzt werden könne“. 59  Carolus Molinaeus, Extricatio labyrinthi dividui et individui, pars II, n. 493 (in: Caroli Molinaei … omnia quae extant opera, Paris 1581. tom. III, p. 187). 60  Robert Joseph Pothier, Traité de contrat de vente, in: M. Dupin (ed.), Oeuvres de Pothier, vol. 2, Paris 1823, n. 103 (S. 45): „L’objet immédiat et primitif de l’action de garantie est la prise de fait et cause pour l’acheteur“; vgl. dazu auch Rabel, Haftung des Verkäufers (Fn.  20), 220 ff.

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Schadensersatz verlangen kann. Immerhin vermerkt Art. 1640 noch, dass den Verkäufer keinerlei Verbindlichkeiten treffen, wenn er nachweisen kann, dass sein Beistand im Prozess gegen den Dritten erfolgreich gewesen wäre. Unklar ist, ob die Einstandspflicht des Veräußerers schon auf Grund des Vertrags oder nur auf Grund besonderer Zusage bestand. Dem eindeutigen, von Rabel61 in den Vordergrund gestellten „tous vendères doit warandir“, das sich in der Coutume de Picardie findet62, hat G. Partsch widersprochen63: Die mittelalterlichen Urkunden Spaniens und Südfrankreichs zeigten vielmehr, dass die Garantenstellung des Veräußerers zugesichert werden musste. Das mag für den romanischen Teil Europas zutreffen; hier wirkte die vulgarrechtliche Praxis der (durch Urkunde festgehaltenen) stipulatio duplae weiter. Im Bereich des „droit coutumier“ und überhaupt in Mittelund Nordeuropa scheint die Gewährschaft, jedenfalls bei Grundstückskäufen, üblich gewesen zu sein. In Österreich hat sich die Praxis einer besonderen Zusicherung erst im späten 16. Jahrhundert etabliert64. Auch im Oberbayerischen Landrecht von 1346 (Art. 192) heißt es, dass der Verkäufer Gewährschaft leisten müsse, „er hab ims gehaizzen oder nicht“65. Und noch Grotius berichtet, dass in Holland, jedenfalls für Grundstückskäufe, die Gewährschaft auch ohne vertragliche Zusicherung zu leisten war66. 2. Sprungregress? Wird der Verkäufer als defensor in Anspruch genommen, muss es ihm gestattet sein, auch seinerseits den Vormann zu benennen und so weiter. Dieser Grundsatz verschob, je nach prozessualer Gestaltung, die Beklagtenrolle vom einen auf den anderen Veräußerer. Aus Sicht des die Gewährschaft begehrenden ersten Beklagten, des vom Dritten in Anspruch genommenen Besitzers, musste es gleichgültig sein, ob ihm sein Verkäufer oder dessen 61  Rabel,

Haftung des Verkäufers (Fn.  20), 168. Ange Ignace Marnier, Ancien coutumier inédit de Picardie contenant les coutumes notoires, arrèts et ordonnances, Paris 1840, 113. 63  Gottfried Partsch, Zur Entwicklung der Rechtsmängelhaftung des Veräußerers nach mittelalterlichen südfranzösischen und spanischen Quellen, ZRG (GA) 77 (1960), 87 ff. 64  Zahlreiche Hinweise bei Rabel, Haftung des Verkäufers (Fn.  20), 202 ff. 65  Vgl. die Ausgabe von Hans Schlosser / Ingo Schwab, Oberbayerisches Landrecht Kaiser Ludwigs des Bayern von 1346. Edition, Übersetzung und juristischer Kommentar, Köln / Weimar / Wien 2000, 113; ähnlich – allerdings ohne ausdrück­ lichen Hinweis auf fehlende Zusicherung – das Augsburger Stadtrecht von 1276, Nachtrag III zu Art. 75; dazu Mayer, Der Kauf (Fn.  47), 160 f. 66  Hugo Grotius, Inleidinge tot de Hollandsche Rechtsgeleerdheid (1631), Ausg. Oxford 1953 (Nachdr. Aalen 1977), lib. III, cap. XIV, n.  8 (S. 361 der Ausg.). 62  Vgl.



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Gewährsmann beistand. Tatsächlich lassen sich verschiedentlich Belege dafür finden, dass man dem Käufer den „Sprungregress“ gestattete. Regelmäßig geht es darum, dass der unmittelbare Gewähre verarmt (heute würde man sagen: insolvent) oder nicht auffindbar ist. Rabel hat auf den Entwurf einer niederösterreichischen Landesordnung (1657) hingewiesen67 und auf das wesentlich prominentere Beispiel des ALR I 11, § 150: Ist jedoch der unmittelbare Verkäufer in Konkurs versunken; oder hat er die königlichen Lande verlassen oder ist sein Aufenthalt unbekannt; so steht dem Käufer frei, sich an dessen Vormann zu halten, und diesen zu seiner Vertretung aufzufordern.

Doch schon bei Bartolus findet sich der Hinweis, dass der Käufer den insolventen Verkäufer überspringen, und dessen Vormann den Streit verkünden kann, und – falls sein Beistand ausbleibt oder misslingt – gegen ihn, so als wären dem Käufer die Ansprüche seines Verkäufers abgetreten, auch mit der actio empti vorgehen kann. Allerdings betont Bartolus, dass dies zwar zeitgenössischer Praxis, nicht aber der Quellenlage entspreche68. Doch selbst für das spätere Gemeine Recht lassen sich Stimmen vernehmen, die den Sprungregress zumindest bei Insolvenz des Gewährsmannes zulassen wollen69. 3. Vertragliche Übernahme der Gewährschaft Parallel zur Möglichkeit, im Prozess den Vormann seines Vormannes zu benennen, kannte die Vertragspraxis das vertragliche Versprechen des Verkäufers, auch denjenigen, an die der Käufer weiter veräußert, Gewährschaft zu leisten. Vor allem finden sich Schenkungsurkunden mit einer solchen Erweiterung der Gewährschaftspflicht. Um den donator bei Entwehrung haftbar zu machen, musste die Gewährschaft besonders zugesagt werden; dabei wurde mitunter zugleich versprochen, den Nachfolgern (successores) des Beschenkten einzustehen. So lesen wir in Urkunden des 10. Jahrhunderts folgende Klausel: 70

Rabel, Haftung des Verkäufers (Fn.  20), 246 mit Anm. 3. de Saxoferrato, Commentaria in secundam partem Digesti novi, in: Opera omnia, tom. 6, Venedig 1590, ad D.  45,1,131, n. 6 (fol. 49 r.): …  quod et hodie procedit, si proximus auctor non est solvendo. 69  Etwa Johann Christian von Quistorp / Georg Walter Vincent Wiese, Rechtliche Bemerkungen aus allen Theilen der Rechtsgelahrtheit, besonders für practische Rechtsgelehrte, Bd. 2, Leipzig 1798, 180 f.; unentschieden Rudolf v. Holzschuher, Theorie und Casuistik des gemeinen Civilrechts. Ein Handbuch für Praktiker, 3. Bd., Leipzig 1858, 350, der zur Denunziation an den Vormann und den Vormann des Vormannes rät; vgl. auch Karl Matthiae, Controversenlexikon des römischen Zivilrechts, Leipzig 1856, 365. 67  Vgl.

68  Bartolus

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ut … in omni tempore ab omni homine, et in omni loco ubi vobis vestrisque successoribus necesse fuerit stare me una com heredibus meis, et defendere promitto vobis vestrisque successoribus …70.

Auf einer Kaufurkunde aus dem 6. Jahrhundert lässt sich bereits eine ähnliche Haftungszusage an die Erben und Nachfolger des Käufers finden71. Vorbild wiederum dafür könnte die römisch-antike Urkundenpraxis gewesen sein, für die sich ähnliche Formen nachweisen lassen72. Auch im 13. Jahrhundert findet sich, ebenfalls in einer Kaufurkunde, eine solche Klausel: Der Verkäufer verspricht für Defension einzustehen nicht nur dem Käufer, sondern auch seinen Erben und cui dederint73. Gleiches gilt für südfranzösische Urkunden, in denen der Verkäufer zusagt, ut nos et nostri prefatam elemosinam nobis datam vobis et successoribus semper ab omnibus hominibus defendamus sicut nostra nobis defendimus, ut eam in pace et quiete haber et possidere valeatis74. Davon zu unterscheiden ist die bei Bartolus referierte Klausel in Schenkungsverträgen, mit denen der Schenkgeber alle gegenwärtigen und zukünftigen Rechte, die ihm die Sache betreffend zustehen, an den Beschenkten abtritt75. Eine solche Klausel erübrigt ein besonderes Gewährschaftsversprechen des Veräußerers und verweist den Beschenkten auf Ansprüche gegen dessen Vormann. Allerdings sind solche Klauseln recht unterschiedlich ver70  Vgl. Gaetano Marini, I papiri diplomatici raccolti ed illustrati, Rom 1805, Nr. 102 (S. 161) aus dem Jahr 961 und Nr. 105 (S. 165) aus dem Jahr 984; beiden Urkunden lag offenbar dasselbe Formular zugrunde. Anders – aber in der Sache gleich – formuliert Nr. 106 (S. 167) aus dem Jahr 998. 71  Marini, Papiri diplomatici (Fn. 70), Nr. 120 Z. 48 f. (S. 184) aus dem Jahr 572. 72  Vgl. jetzt Thomas Finkenauer, Vererblichkeit und Drittwirkung der Stipulation im klassischen römischen Recht, Tübingen 2010, 75 ff. mit Hinweis insb. auf Siebenbürgische Wachstäfelchen. Für das klassische Recht allerdings verneint Finkenauer die Möglichkeit, dass ein gegenüber dem Käufer abgegebene Sicherungsversprechen für den Fall der Eviktion auch vom Käufer des Käufers geltend gemacht werden konnte (dort S. 93 f.). 73  Vgl. Hans v. Voltelini, Die Südtiroler Notariats-Imbreviaturen des 13. Jahrhunderts I, [Acta Tirolensia 2], Innsbruck 1899 (ND 1973); dazu schon Rabel, Haftung des Verkäufers (Fn.  20), 245. 74  Die Urkunde ist abgedruckt bei Paul Guillaume, Chartes de Durbon, quatrième monastère de l’ordre des Chartreux diocèse de Gap, Paris 1893, Nr. 38; zitiert nach Partsch, ZRG (GA) 77 (1960), 124 Anm. 112. 75  Bartolus, Commentaria in secundam partem Digesti novi (Fn. 68), ad D.  45,1,131,1, n. 6 (fol. 49 r): Sed si instrumentum donationis esset pingue, sicut fieri consuevit, ut donavit rem et omne ius sibi competens, vel competiturum in re, vel eius occasione, faciens eum procuratorem in rem suam etc. tunc talis donatarius posset illi primo venditori denunciare et re evicta de evictione agere; ähnlich ders., Commentaria in secundam partem Digsti veteris, in: Opera omnia, tom. 2, Venedig 1590, ad D. 21,2,22,1, n. 2 (fol. 139 v.). Dazu auch Wahl, Vertragsansprüche Dritter (Fn.  12), 34 f.



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fasst und lassen daher einen großen Spielraum für die Auslegung. Die von Bartolus referierte Klausel lautete darauf, dass der Schenkgeber omne ius sibi competens vel competiturum abtritt. Bartolus selbst interpretiert dies dahin, dass der Veräußerer Ansprüche gegen seinen Vormann zediere. Deutlicher ist die Klausel, die Paulus de Castro überliefert, wonach die Sache cum omnibus iuribus et actionibus übertragen werde76. Sowohl der Hinweis auf die Vertragspraxis als auch ihre Einordnung müssen allerdings vor dem Hintergrund des von Bartolus und Paulus verfolgten Anliegens bewertet werden. Die Glosse77 lehrte, dass der Schenkgeber nur dann für Eviktion hafte, wenn er absichtlich eine fremde Sache geschenkt oder aber Gewährschaft versprochen habe. Liegt weder das eine noch das andere vor, hafte er nicht und könne daher auch selbst keine Ansprüche gegen seinen Gewährsmann richten. Gleichwohl sei es möglich, wie D.  21,2,59 bezeugt, dass der Schenkgeber seine Ansprüche gegen den ersten Veräußerer an den Beschenkten abtrete. Diese Möglichkeit hatten auch die Postglossatoren im Blick, und es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass sie in ihrem Sinne interpretierten, was die Praxis aus anderen Gründen entwickelt hatte. Ähnlich fraglich ist, ob man die schon im 6. Jahrhundert nachweisbare Klausel in Kaufverträgen78, dass der Verkäufer dem Käufer die Sache übergebe omnique jure, proprietateque sua, sicuti a venditore possessus est, dahin deuten kann, dass auch Ansprüche gegen den Vorbesitzer abgetreten würden79. Die Antwort hängt davon ab, ob man solche Ansprüche als mit der Sache verbundenes Recht, als rechtliches Zubehör ansieht. Eine solche Deutung klingt konstruiert und recht modern und ist eher dem 18. und 19. Jahrhundert als dem Mittelalter zuzutrauen. Mit den an der Sache hängenden „Rechten“ waren vor allem Dienstbarkeiten oder die Stellung des Verkäufers als Erbpächter gemeint, aber kaum persönliche Forderungen, von denen noch die Glossatoren sagen, dass sie ossibus inhaerent80. Das bestätigt etwa Huber, wenn er eine solche Vertragsklausel81 lediglich daraufhin befragt, ob sie die 76  Paulus Castrensis, In primam Digesti novi commentaria, Venedig 1575, ad D.  45,1,131, n. 3. 77  Gl. liberari ad D.  45,1,131,1: ex donatione enim non tenetur de evictione, nisi ex dolo quia sciens promisit rem alienem, vel pacto. 78  Vgl. Marini, Papiri diplomatici (Fn.  70), Nr. 113 (S. 172) aus dem Jahr 504. 79  So aber Rabel, Haftung des Verkäufers (Fn.  20), 244 Anm. 5. 80  Azo, Summa codicis, Basel 1552, ad C. 4,10, n. 19 (Sp. 305): nam etsi aliquis velit eam omnino a se separare per cessionem, non potest, adeo inhaeret ossibus eius; zu dem Sprichwort (nomina ossibus inhaerent) Zimmermann, Law of Obligations (Fn.  8), 58 ff. 81  Ulrich Huber, Praelectiones juris civilis, tom. III, Leipzig 1735, ad D.  21,2, n. 10 (S. 1087 der Ausg.) zitiert die Klausel: vendere cum „juribus, commodis ac servitutibus ad eam rem spectantibus“.

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Haftung des Verkäufers ausschließen könne. Anlass war für ihn die Überlegung, ob, wer zusichert die Sache „mit allen ihren Rechten“ zu übergeben, eventuell bestehende Rechtsmängel darin mitgeteilt seien. 4. Zusammenfassung Insgesamt aber, das zeigen alle diese Zeugnisse, ist der „Volksgeist“, ist das in der Vertrags- und Prozesspraxis lebende Rechtsdenken vom Gewährschaftsgedanken geprägt. Der, dem die Sache von einem Dritten streitig gemacht wird, sucht nicht ausschließlich, ja vielleicht nicht einmal vorrangig bei seinem Vertragspartner Ersatz, sondern beruft sich auf seinen Vormann, der ihm – wenn nötig wieder mit dessen Vormann – im Prozess beistehen soll. Die (wenn möglich: verbriefte) Kette von Gewährsmännern bietet Sicherheit und sie erleichtert, wenn der Beistand fehlt oder versagt, die Geltendmachung von Ersatzansprüchen. Die Verweigerung des Beistands oder das Versagen im Prozess mindern die Hemmung, jemandem vorzuwerfen, er habe eine fremde Sache veräußert. Umgekehrt erleichtert es den Geschäftsabschluss, wenn der Verkäufer verspricht, auch gegenüber den Rechtsnachfolgern des Käufers zu haften. Sich auf jemanden berufen zu können, lenkt von der eigenen Verantwortung ab und erhöht doch die eigene Verlässlichkeit. Dies ist keine Besonderheit der Gewährschaftshaftung, sondern eine durchaus menschliche Erfahrung, die verschiedene soziale Verhaltensweisen prägt. V. Gelehrtes Recht 1. Vertragsbegriff und Haftung In den Grundzügen bewahren auch die römischen Quellen den Zusammenhang zwischen der Haftung des Verkäufers (aus der stipulatio duplae oder der actio empti) und dem Misserfolg im Eviktionsprozess. Die Quellen reden vom auctor und sie kennen die Streitverkündung an den Vormann. Gleichwohl konzentrieren sie sich auf die vertragliche Haftung wegen Nichterfüllung und dies ist auch der Ansatz, dem das Gelehrte Recht seit den Glossatoren folgt: Der Vertrag und die durch ihn gegründete Verbindlichkeit ist der Ausgangspunkt aller Diskussionen über die Gewährleistungshaftung. Das hat verschiedene Gründe. Der Satz pacta sunt servanda setzte sich nicht nur im kanonischen Recht als Rechtssatz durch82. Auch die Zivilrechtler sahen sich mit der moraltheo82  Dazu zuletzt aufschlussreich Peter Landau, Pacta sunt servanda. Zu den kanonistischen Grundlagen der Privatautonomie, in: Mario Ascheri et  al. (Hg.), „Ins



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logischen Forderung konfrontiert, Verträge wie zugesagt zu erfüllen: Vertragsbruch ist Sünde83. Dadurch trat, womöglich stärker als im klassischen Recht, der Gedanke der vertraglichen Haftung in den Vordergrund: Nicht die Gewährsleute haben dafür einzustehen, dass ich als Käufer die Sache behalten kann, sondern mein Verkäufer und Vertragspartner. Er schuldet Übereignung84 und haftet, wenn mir die Sache entwehrt wird. Zu diesem Verständnis der Vertrags- oder Versprechensbindung trat eine neue dogmatische Figur der „rechtlichen Handlung“, die das Konzept des Vertrags selbst wesentlich veränderte. Der consensus wird seit dem Mittelalter gedacht als Summe zweier Einzelwillen, einzelner Handlungen, die im Einverständnis zueinander finden85. Erst als man im reformierten und aufgeklärten Naturrecht beginnt, die menschliche Handlung zum Nukleus aller recht­ lichen Veränderung zu machen86, wird dieses Denken auch in der Terminologie (actus, facta humana, facta licita, actus iuridicus, Rechtsgeschäft) transparent87. Besonders deutlichen Ausdruck findet es in der naturrecht­ lichen promissio-Lehre88. Die neuzeitliche Vertragslehre achtet daher viel stärker als die antike und auch stärker als die mittelalterliche auf die Her-

Wasser geworfen und Ozeane durchquert“. Festschrift für Knut Wolfgang Nörr, Köln / Wien 2003, 457 ff.; Martin Schermaier, Debet homo facere quod in se est? Vertragstreue und nachträgliche Leistungserschwerung zwischen Recht und Moral, in: B. J. Choe (Hg.), Law, Peace and Justice: A Historical Survey, Seoul 2007, 191 ff. 83  Dazu genügt ein Blick zu Thomas, STh. II-II qu. 88, art. 3 resp.: Respondeo dicendum quod ad fidelitatem hominis pertinet ut solvat id quo promisit: unde secundum Augustinum, fides dicitur ex hoc quod fiunt dicta. 84  Der Streit darüber, ob der Verkäufer Eigentumsverschaffung schuldet, zieht sich im Gelehrten Recht bis ins 19. Jahrhundert, vgl. noch Bernhard Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2, 8.  Aufl., Frankfurt 1900, § 389 Anm. 8a (S.  609 der Aufl.). 85  Zum Konsensbegriffs der römischen Antike zuletzt Martin Schermaier, Anachronistische Begriffe, oder: „Nichtrömisches“ im römischen Irrtumsrecht, in: P. Pichonnaz (ed.), Autour du droit des contrats. Contributions de droit romain en l’honneur de Felix Wubbe, Zürich / Basel 2009, 49 ff. (mit weiteren Hinweisen). 86  Das ergibt sich etwa (wenn auch mittelbar) aus der Feststellung Pufendorfs: Nam quaevis promissio vim accipit ex potestate promittentis, neque ultra extenditur; seu nemo sese potest valide obstringere ulterius, quam ipsi ets potestate (Samuel Pufendorf, De jure naturae et gentium, Frankfurt / Leipzig 1759, Nachdr. Frankfurt 1967, lib. III, cap. VII, § VI, S. 411 der Ausg.). 87  Zu dieser begrifflichen Entwicklung vgl. etwa Martin Schermaier, in: Zimmemann / Rückert / Schmoeckel (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. 1, Tübingen 2003, Vor § 104, Rn. 2 ff. 88  Dazu und zu weiteren Zusammenhängen Klaus-Peter Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs im 16. bis 18. Jahrhundert, München 1985, bes. 135 ff.

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kunft des Konsenses als Produkt zweier Handlungen89. In dieser Perspektive verstärkt sich der Glaube an die „Relativität“ eines durch Vertrag ­geschaffenen Schuldverhältnisses90. Nur die Personen, deren freiwillige Handlungen zum Vertragsschluss, zur „Vereinigung mehrere Willen“91 geführt haben, sollen davon betroffen sein. Ein solches Vertragsverständnis muss der Vorstellung, dass jemand (auch) den Vormann seines Vertragspartners in Anspruch nehmen könne, äußerst skeptisch begegnen. 2. Das Gemeine Recht zwischen Quellentreue und Praxisnähe Auch die mittelalterlichen und neuzeitlichen Juristen, die das Gewährleistungsrecht aus den römischen Quellen rekonstruierten, sahen darin keine Fälle von Sprungregress entschieden. Dennoch deuten zwei Sätze, die die Glossatoren den Quellen ablesen, in diese Richtung: Der eine Satz wird aus D. 21,2,59 gewonnen: Der Vermächtnisnehmer, bei dem die Sache evinziert wird, soll sich – so Pomponius – die Klage des Erben gegen den Veräußerer abtreten lassen, um ihn selbst wegen Eviktion in Anspruch zu nehmen. Die Frage, die Pomponius nicht beantwortet, ob nämlich der Erbe gezwungen werden kann seine Klagen abzutreten, bejahen die Glossatoren wie selbstverständlich: Was mir nicht mehr nützlich ist, aber einem anderen helfen kann, muss ich herausgeben92. Als Beleg dafür dient der Schlusssatz von D.  21,2,38: cui enim non aequum videbitur vel hoc saltem consequi emptorem, quod sine dispendio creditoris futurum est? Mit dieser etwas rhetorischen Frage begründet Ulpian, dass der Gläubiger, der die Pfandsache verkauft, dem Käufer die actio pigneraticia (in personam) gegen den Schuldner abtreten müsse, wenn die Sache bei ihm evinziert wird. Auch hier zieht die Glosse die Konsequenz, dass jemand eine Klage abtreten müsse, wenn sie zwar nicht ihm, aber einem anderen nützlich ist93. Dieser naturrechtlich klingende Satz begründet, was man heute in Deutschland mit der Figur 89  Ein schönes Beispiel dafür ist der u. bei Fn.  115 wiedergegebene Text aus Glücks Pandektenkommentar. 90  Zur „Relativität von Schuldverhältnissen“ Ralf Michaels, in: Schmoeckel /  Rückert / Zimmemann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. II / 1, Tübingen 2007, Vor § 241, Rn. 21 f., 44, 68 ff.; Franz Dorn, ebd., § 241 Rn. 6 ff.; zum „Vertragsprinzip“, der zweiten Seite der Medaille „Relativität“, Andreas Thier, in: Schmoeckel / Rückert / Zimmemann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. II / 2, Tübingen 2007, § 311 I, Rn. 1 ff. 91  So die Formulierung bei Friedrich Carl v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  III, Berlin 1840, 309. 92  Gl. nisi cessae ad D.  21,2,59. 93  Gl. quod sine dispendio ad D.  21,2,38: … Item no(tat) hic, quod cogitur quis cedere, quod est sine suo damno.



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der „Drittschadensliquidation“ bewältigt94: Die Klage soll dem zugestanden werden, der ein Interesse an ihrer Durchsetzung hat. Eine solche Billigkeitserwägung – um den Verletzten zu schützen oder die Verletzung zu sanktionieren – kann in verschiedenen dogmatischen Konstruktionen eingesetzt werden, auch dazu, dem Letzterwerber einen Anspruch gegen den ersten Veräußerer zu verschaffen: Haftet der letzte Veräußerer nicht, weil er die Sache ohne Gegenleistung weitergegeben hat, soll der Erwerber gegen den Vormann des Veräußerers vorgehen können, weil dieser ja – mangels eigenen Interesses – seine Klage an ihn abtreten muss. Die Glosse spricht diese Konsequenz nicht ausdrücklich aus, doch ergibt sie sich zwangsläufig aus einem zweiten Satz, der den Quellen abgelesenen Regel, dass der, der unentgeltlich veräußert, dem Erwerber nicht wegen Eviktion haftet. Er haftete nur, wenn er wusste, dass er eine fremde Sache verschenkte, oder wenn er zugesichert hatte, dass sie nicht evinziert würde95. Dieser Satz, dass der Schenkgeber nicht mit der Eviktionshaftung belastet sei, wird rasch zur herrschenden Ansicht. Man findet ihn bei Odo­ fredus96 ebenso, wie bei Bartolus97 und später bei Donellus98 oder Voet99. Das Argument, der Schenkgeber müsse seine Ansprüche gegen seinen Vormann abtreten, weil die Schenkung den Gewährenzug unterbreche, ist vor allem in der mittelalterlichen Literatur greifbar, wird aber nie ausdrücklich formuliert. Dennoch ist die Nähe zu der von Bartolus geschilderten Vertragspraxis100 unübersehbar. An einem zu D. 21,2,59 diskutierten Randproblem lässt sich zeigen, dass der Wunsch, dem letzten Erwerber einen eigenen Anspruch gegen den Vor94  Treffend formuliert von Andreas von Tuhr, Eigenes und fremdes Interesse bei Schadenersatz aus Verträgen, Grünhuts Zeitschrift für das Privat- und Öffentliche Recht der Gegenwart 25 (1898) 529, 567: „Wenn der Gläubiger zu einem dritten in einem Rechtsverhältniss steht, vermöge dessen das Interesse an der Leistung des Schuldners statt beim Gläubiger bei diesem dritten entstanden oder nachträglich auf den dritten übergegangen ist, so kann der Gläubiger den Schuldner zur Entschädigung des dritten anhalten“. 95  Gl. liberari ad D.  45,1,131,1. 96  Odofredus, Praelectiones in Secundam Digesti Veteris partem, Lyon 1552 (Nachdr. Bologna 1968), ad D. 21,2,71 (fol. 148 r.). 97  Bartolus, Commentaria in secundam partem Digsti veteris (Fn.  75), ad D.  21,2,22, n. 2 (fol. 139 v.); Bartolus argumentiert, auch dem Schenkgeber stehe keine Klage zu, weil er das habere licere nicht wegen der Eviktion, sondern wegen der Schenkung verloren habe. 98  Hugo Donellus, Commentarium ad titulum de evictionibus et duplae stipula­ tione, in: Opera omnia, tom. X, Lucca 1776, cap. VII, n. 7 (Sp. 1364). 99  Voet, Commentarius I (Fn.  52), ad D.  21,2, n. 13 (S. 926); dazu schon Wahl, Vertragsansprüche Dritter (Fn.  12), 34 f. 100  Dazu o. bei und in Fn.  75.

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mann seines Veräußerers zu geben, Vater der Zessionspflicht war. Jemandem war eine Sache vermacht worden, die der Erbe vor dem Erbfall von einem Nichtberechtigten erworben hat; nachdem der Erbe geleistet hat, wird die Sache beim Legatar evinziert. Die Glosse versteht den Text dahin, dass das Vermächtnis sich auf eine Spezies, nicht auf eine Gattung bezog, weshalb der Erbe selbst nicht wegen Eviktion haftete101. Deswegen, so setzt man voraus, stehe auch dem Erben gegen seinen Veräußerer kein Anspruch zu. Nun bemerkt allerdings Pomponius im Schlusssatz, dass der Legatar wegen Eviktion klagen könne, wenn er quodam casu hypothecas habeat. Vermutlich sind damit Sachen gemeint, die der Veräußerer dem Erben zur Sicherung der Ansprüche aus der Garantiestipulation verpfändet hatte. Die Glosse bezieht den Satz aber auf die Verpflichtung des Erben, eigene Eviktionsansprüche abzutreten: Der Erblasser habe den Erben verpflichtet, seine Ansprüche gegen den Vormann abzutreten, wofür die Erbschaftsgegenstände als Sicherheit dienten102. Noch bei Bartolus liegt der Sprungregress auf der Waage, obwohl er ihn ebensowenig wie die Glosse ausdrücklich befürwortet. Er kommt, als er D.  21,2,22 und D.  45,1,131 kommentiert, auf die Frage zu sprechen, ob dann, wenn der Schenkgeber dem Beschenkten nicht haftet, der Beschenkte den Vormann des Schenkgebers in Anspruch nehmen könne. Fast erwartet man, dass Bartolus die Frage bejaht, weil er (ad D.  21,2,22,1) zunächst103 differenziert, ob sich der Schenkgeber ein Recht an der Sache vorbehält (wie jemand, der eine dos bestellt oder ein Lehen vergibt) oder ob die Leistung solutionis causa erbracht wird. Im Fall der ohne eigenes Interesse vorgenommenen Schenkung meint Bartolus resignierend, stehe weder dem Schenkgeber noch dem Beschenkten zu, die Gewährschaft des Vormannes (des Schenkgebers) in Anspruch zu nehmen. Beinahe erleichtert fügt er aber an, dass beurkundete Schenkungsverträge ohnehin gewöhnlich die Klausel enthielten, dass der Schenkgeber seine Ansprüche gegen den Vormann an den Beschenkten abtrete. Gleiches geschehe regelmäßig bei Kaufverträgen. Damit werde, so heißt es an anderer Stelle104, ein circuitus vermieden, der Umweg nämlich, dass der Käufer zuerst den Verkäufer und dann dieser wieder seinen Vormann in Anspruch nehmen müsse. Sei allerdings nichts casus zu D.  21,2,59: … quia in specie fuit legata. zu D.  21,2,59: quia testator meus mihi iniunxit ut cederem: quo casu teneor cedere et bona haereditaria ob id sunt hypothecata; Gl. hypothecas ad D.  21,2,59: tacitas scilicet in rebus defuncti qui haeredem rogavit cedere actiones> unde haeres habet necesse cedere. 103  Bartolus, Commentaria in secundam partem Digsti veteris (Fn.  75), ad D.  21,2,22, n. 1–2 (fol. 139 v.). 104  Bartolus, Commentaria in secundam partem Digsti novi (Fn.  68), ad D.  45,1,131, n. 6 (fol. 49 r.). 101  Vgl.

102  Casus



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vereinbart, könne der letzte Erwerber vom auctor auctoris nur als Geschäftsführer oder Zessionar Gewährschaft verlangen; im Übrigen – wie wir schon erwähnt haben105 – dann, wenn sein unmittelbarer Vormann insolvent ist. Außer dieser einen Ausnahme, in der der Entwehrte den auctor auctoris in Anspruch nehmen kann, macht auch Bartolus der Praxis keine Zugeständnisse. Allerdings lobt er sie dafür, just jene Schwierigkeiten zu vermeiden, die sich aus den Quellen unweigerlich ergeben. Ganz anders das Bild bei Voet, der uns einen umfangreichen Kommentar zum Eviktionsrecht hinterlassen hat106. Zwar behandelt auch er ausführlich und in allen Facetten die Frage, ob und wann bei unentgeltlicher Verfügung ein Eviktionsanspruch besteht, doch erwähnt er aus der Vertragspraxis sich ergebende Ausnahmen nicht. Vielmehr heißt es klar und allgemein, dass zwar die Erben eines Erwerbers Eviktionsansprüche hätten, wenn dem Erblasser solche zustanden, nicht aber die Einzelrechtsnachfolger, sofern ihnen nicht von ihrem Vorgänger solche Ansprüche abgetreten wurden107. Es ist deswegen beinahe selbstverständlich, dass auch die Ausnahme des insolventen Gewährsmannes fehlt. Was für Voet gilt, gilt auch für andere Juristen des 17. Jahrhunderts, etwa für Huber und Lauterbach: Nur in den aus den Quellen bekannten Ausnahmen befürwortet man eine Abweichung vom ­linearen Gewährenzug108. Im Übrigen soll nur jeder seinen unmittelbaren Vormann in Anspruch nehmen können. Noch zurückhaltender verfuhren die Humanisten; sie beschränkten sich auf die Exegese der Quellen und vermieden überhaupt Anklänge an die praktische Handhabung des Gewährleistungsrechts109.

105  Oben

Fn.  68. Commentarius I (Fn.  52), ad D.  21,2 (S. 915 ff.). 107  Voet, Commentarius I (Fn.  52), ad D.  21,2, n. 17 (S. 927): Agunt de evictione non emtores tantum aliique his similes, qui ex causis superius recensitis rem nacti rursus per sententiam amiserunt, sed et heredes eorum; non item successores particulares, quales secundi emtores, nisi iis ab emtore primo actio cessa(t) sit. 108  Zu den Ausnahmen bei der dos-Bestellung und beim Pfandverkauf nimmt man durchwegs Stellung, vgl. etwa Voet, Commentarius I (Fn. 52), ad D. 21,2, n. 11 (S. 925) zur dos und n. 19 (S. 928) zum Pfandverkauf; Lauterbach, Collegium theo­ retico-practicum II (Fn.  54), n. 17–18 (S. 181 f.); Huber, Praelectiones III (Fn.  81), n. 5 (S. 1085 f.). 109  Beispielhaft dafür ist die – im Übrigen äußerst feinsinnige – Exegese, die Cujaz zu D. 21,2,71 anfertigte, vgl. Iacobus Cuiacius, Recitationes postumae ad Iulii Pauli iurisconsulti libros Quaestionum XXV, in: Opera postumora, tom. 2, Paris 1658, 1189 ff.; in ganz anderem Stil, aber ebenfalls beschränkt auf die Auslegung der Quellen, Hugo Donellus, Commentaria de iure civili, lib. XIII, cap. II, n. 8 ff., in: Opera Omnia, tom. 3, Lucca 1768, Sp. 778 ff. 106  Voet,

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3. Weder Gewährenzug noch Sprungregress:  die deutsche Pandektistik Die Zurückhaltung der Humanisten ist bedingt durch ihren methodischen Ansatz, die Freilegung des klassischen Rechts. Die zeitgenössische Literatur des Usus modernus, des Vernunftrechts110 und später der Eleganten Jurisprudenz aber bleibt dabei, die Gewährleistung wegen Rechtsmängel als zweistufiges Verfahren zu schildern: Zuerst muss der Erwerber dem Veräußerer die Inanspruchnahme durch den Dritten anzeigen (denunciatio), um diesem die Möglichkeit zu geben, ihn im Prozess zu vertreten. Erst wenn die Gewährleistung versagt, kann der Erwerber den Veräußerer in Anspruch nehmen111. Erst gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts verliert die Defensionspflicht an Bedeutung112. Damit wird, zumal in Deutschland, der in der prozessrechtlichen Literatur vertretenen Auffassung, die Denunziation könne sich mitunter an den Vormann des Vormanns richten113, der Boden entzogen. Die Darstellung bei Glück, die noch zwischen Denunziation und Haftung differenziert, markiert diesen Wendepunkt. Während er die Denunziation an den vorhergehenden Veräußerer dann befürwortete, wenn „der nächste Auctor ausser Stand ist, den Denuncianten zu vertreten“114, schloss er für den Anspruch des Käufers auf Interesseersatz einen Sprungregress dezidiert aus115: Ist die evincirte Sache successive durch mehrere Hände gegangen, so sind zwar mehrere Auctoren vorhanden, welche aus ihrer eignen Handlung haften; allein man muß hier den entferntern Auctor von dem nächsten unterscheiden. Derjenige nämlich, welchem die Sache evincirt worden ist, klagt zunächst gegen seinen Auctor, und dieser muß sich dann wieder an seinen eignen Auctor halten. Gegen den entferntern findet die Klage darum nicht Statt, weil der Evictus mit demselben in keinem Contractsverhältniß steht, und Klagen aus Contracten nur persönliche Klagen sind. Will man, mit Uebergehung seines Auctors, sogleich gegen den ent­ ferntern klagen, so muß man sich die Klage von seinem Auctor cediren lassen; …

Diese Sätze bleiben auch das Credo der deutschen Pandektenliteratur116, die die Möglichkeit eines „Sprungregresses“ mitunter ausdrücklich ab110  Vgl.

schon o. 4 b. etwa Johannes Althusius, Dicaeologicae libri tres totum et universum ius, quo utimur, methodice complectentes, Frankfurt / M. 1649 (Nachdr. Aalen 1967), lib.  I, cap. LXXV, n. 21 (S. 259). 112  Dazu Rabel, Haftung des Verkäufers (Fn.  20), 250 ff. 113  Vgl. o. Fn.  69. 114  Christian Friedrich Glück, Ausführliche Erläuterungen der Pandecten nach Hellfeld, ein Commentar, Bd. 20, Erlangen 1819, Bd. 20, 409. 115  Glück, Erläuterungen (Fn.  114), 425 f. 116  Vgl. etwa Windscheid, Pandekten II (Fn.  84), § 391 Nr. 4 (S. 632 der Aufl.); zu der Frage, ob der zweite Verkäufer seinerseits Ansprüche wegen Eviktion gegen 111  Vgl.



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lehnt117. Immerhin ist in solcher Ablehnung die Opposition zur zeitgenössischen Praxis oder auch nur zu einem laienhaften Rechtsempfinden ausgedrückt. Auch sollte man nicht vergessen, dass noch das ALR bei Insolvenz oder Abwesenheit des unmittelbaren Vormannes den Sprungregress zuließ118 und dass sich gleichzeitig in Frankreich seine Renaissance ankündigte. Nicht nur der Sprungregress, auch seine prozedurale Heimat, die denunciatio an den Vormann, verschwinden in der Pandektistik. Sie wird entweder nur mehr beiläufig119 oder gar nicht mehr120 erwähnt. Wird sie erörtert, dann nur um auszuführen, dass der Verkäufer bei unterbliebener Streitverkündung nicht wegen Entwehrung haftet121. Hier, in der auf den römischen Quellen bauenden Literatur, verlieren sich die Spuren des ursprünglichen (man kann auch sagen: volkstümlichen) Verständnisses der Gewährschaft. Im Vordergrund steht die Haftung des Verkäufers wegen Nichterfüllung. 4. Die Renaissance des Sprungregresses in Frankreich Bis in die Zeit des späten Naturrechts verläuft die Entwicklung in Frankreich parallel zu jener in Deutschland. Weder Barbeyrac noch Domat befürworteten den Sprungregress gegen einen früheren Verkäufer in der Gewährschaftsreihe. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wendet sich das Blatt allerdings zugunsten einer „action directe“ des letzten Erwerbers. In einer späten, von Louis-François de Jouy, Avocat au Parlement (de Paris), besorgten und von ihm ergänzten Ausgabe von Domats Hauptwerk „Les loix civiles dans leur ordre naturel“ aus dem Jahr 1777 etwa liest man Folgendes122: den ersten Verkäufer hat, wenn die Sache beim zweiten Käufer entwehrt wird, noch unten 4. 117  So etwa Heinrich Dernburg, Pandekten, 2. Bd., 3.  Aufl., Berlin 1892, §§ 99 Nr. 2 (S. 269 f. der Aufl.). 118  Zu ALR I 11, § 159 o. 4 b. 119  Typisch insoweit Friedrich Ludwig v. Keller, Pandekten. Vorlesungen, 2. Aufl., Leipzig 1867, § 330 I 3 (S. 63): „Um den Vorwurf ungeschickter Proceßführung zum Voraus abzuschneiden, hat der Käufer das Mittel der Litisdenunciation …“. 120  Julius Baron, Pandekten, Leipzig 1872, § 288 (S. 591 ff.); Windscheid, Pandekten II (Fn.  84), § 391 (S. 625 ff.). 121  Ausführlich etwa Dernburg, Pandekten II (Fn. 117), § 99 (S. 266 f.) dort Anm. 13 in Auseinandersetzung mit Windscheid, Pandekten II (Fn.  84), § 391 Anm. 12. 122  Jean Domat, Les loix civiles dans leur ordre naturel,, le droit public et levum delectus, nouvelle édition, revue, corrigée et augmentée … du Supplément aux Loix Civiles, de M. De Jouy, Avocat au Parlement, rangé à sa place dans chaque article, Paris 1777, lib. I, tit. 2, sect. 10, § 29; in der zweiten von Domat selbst besorgten Auflage (Paris 1695, Nachdr. 1745) fehlt ein entsprechender Passus. Dazu auch

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La demande en garantie peut être formée tant par l’acquéreur que par les représentants, soit à titre universel, soit à titre particulier; ainsi l’héritier de l’acquéreur, ou son donataire, aura le même droit que lui; un second acquéreur auroit aussi le même droit, comme exerçant les droit du premier acquéreur. Cette demande doit aussi avoir lieu tant contre le vendeur que contre ses héritiers ou légatairs uni­ versels.

Die Begünstigung des Erben ebenso wie die des Beschenkten hat, wie wir gesehen haben, Vorläufer. Dass aber auch ein Käufer direkte Ansprüche gegen den ersten Veräußerer haben soll, ist in den Quellen ohne Vorbilder. Die ersten beiden Ausnahmen kennt auch Pothier, allerdings versucht er ihnen eine tragfähige Begründung zu geben. Dabei setzt er bei dem Interesse des Erstverkäufers an, von seinem Käufer nicht wegen Rechtsmängel in Anspruch genommen zu werden. Jeder verkaufe, argumentiert Pothier, eine Sache unter der Voraussetzung, dass sie weder dem Käufer noch den Nacherwerbern evinziert werde123: C’est pourquoi, si je vous ai vendu un héritage, que vous l’ayez revendu à Pierre, et que Pierre en soit évincé, vous aurez action de garantie contre moi, comme si c’était vous-même qui en fuissez évincé; car je vous l’ai vendu pour vous et tous vos ayans-cause; je me suis engagé de vous en faire jouir, vous et tous vos ayanscause; et vous avez intérêt que je défende Pierrre de cette eviction, dont vous êtes vous-même tenu de la garantir.

Dennoch bleibt auch Pothier dabei, dass der letzte Verkäufer (B) dem letzten Käufer (C) seine Ansprüche abtreten müsse, damit dieser gegen den ersten Verkäufer (A) vorgehen könne. Im Vordergrund steht dabei aber immer das Interesse der Vormänner daran, dass bei den Rechtsnachfolgern nicht evinziert wird. Das demonstriert Pothier an einer Kette von Veräußerungen, an deren Ende eine Schenkung an C steht: Weil der Schenkgeber (B) vom Beschenkten (C) nicht in Anspruch genommen werden könne, hafte auch A nicht wegen Eviktion. B könne gegen A nur vorgehen, wie Pothier aus D. 21,2,71 abliest, wenn er ein Interesse daran habe, dass bei C nicht evinziert werde. Ein solches Interesse habe er aber nur, wenn er dem C hafte. Würde B dem C allerdings mit der Schenkung auch alle Rechte abtreten, die sich auf die Sache beziehen, könne C selbst gegen A vorgehen. Auch dafür sei ein eigenes Interesse des B daran, dass bei C nicht evinziert wird, maßgeblich. Doch wie sieht dieses Interesse des B im Eviktionsfall aus? Diese Frage beantwortet Pothier nicht eindeutig. Er meint nur, soweit B verpflichtet sei, dem C die mit der Sache verbundenen Rechte und Klagen abzutreten, habe er auch ein Interesse daran, dass bei C nicht evinziert Wahl, Vertragsansprüche Dritter (Fn. 12), 28 ff.; allerdings übersieht Wahl, dass nicht Domat selbst, sondern sein Bearbeiter die „action directe“ befürwortete. 123  Pothier, Contrat de vente (Fn.  60), n. 98 (S.  43 f.).



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werde124. Warum und in welchen Fällen B verpflichtet sein könne, seine Klagen an C abzutreten, klärt Pothier nicht; dafür genügt ihm ein Hinweis auf D. 21,2,59, aus welchem Text schon die Glosse abgelesen hatte, dass B (dort der Legatar) verpflichtet sei, dem Nachmann Ansprüche gegen den Vormann abzutreten. Auch in Pothiers Diskussion geht es darum, was die modernen deutschen Juristen als „Drittschadensproblem“ kennen: Zwar könnte B eine Kaufklage gegen A anstellen, doch liefe sie leer, weil er durch den Kauf der fremden Sache und die darauf erfolgte Eviktion bei C keinen Schaden erlitten hat. Der Beschenkte C erleide durch die Eviktion einen Schaden, den er nur mit der Klage des B gegen A durchsetzen könne. Aber, so will man einwenden, hat C überhaupt einen Schaden erlitten? Muss er nach der Eviktion der geschenkten (oder vermachten) Sache nicht sagen: „Wie gewonnen, so zerronnen“? Pothiers Ausführungen sind an diesem Punkt gerade deshalb unscharf, weil er zwar auf das „Interesse“ des letzten Verkäufers achten will, es ihm aber doch nur darum geht, dass der erste in der Kette, der erste also, der die fremde Sache in Umlauf gebracht hat, haften soll. In Pothiers Ausführungen ist aber eine weitere Besonderheit wichtig: Wenige Kapitel später (n. 149) stellt er die Frage, ob der letzte Käufer (C) dem Erstkäufer (B) die Ablösung seiner Ansprüche gegen den Erstverkäufer (A) anbieten könne. Selbstverständlich, meint Pothier, immerhin scheint doch B mit der Sache auch seine Rechte und Klagen zu verkaufen125: (…); car lorsque je vends une chose à quelqu’un, je suis censé lui vendre et transporter tous les droits et actions qui tendent à faire avoir cette chose, et par conséquent l’action ex empto, que j’ai contre mon vendeur, ut praestet rem habere licere; cela paraît renfermé dans l’obligation que je contracte moi-même envers lui praestandi ei rem habere licere.

Diese Überlegung nimmt den Gedanken der action oblique126 vorweg, wonach der Gläubiger die Ansprüche des (insolventen) Schuldners geltend machen kann, die nicht mit dessen Person verbunden sind. Doch begründet 124  Pothier, Contrat de vente (Fn.  60), n. 98 (S. 44): „Mais si par l’acte de donation que vous avez faite de cette chose à Pierre, vous lui aviez cédé tous vos droits et actions, par rapport à cette chose, ce qui comprend ceux résultants de l’obligation de garantie que j’ai contractée envers vous, il y auroit lieu en ce cas à l’action de garantie que Pierre, comme étant à vos droits, pourroit former contre moi: car vous avez intérêt en ce cas l’éviction que soufrre Pierre donne lieu à l’action de garantie, en tant que vous êtes obligé à lui céder cette action c’est ce qui résulte de la loi 59,  ff. de evict. (…)“. 125  Pothier, Contrat de vente (Fn.  60), n. 149 (S. 64). 126  Art. 1166 CC: „Néanmoins, les créanciers peuvent exercer tous les droits et actions de leur débiteur, à l’exception de ceux qui sont exclusivement attachés à la personne“.

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Pothier diesen Zusammenhang korrespondierender, zwischen verschiedenen Personen an derselben Sache bestehender Forderungen wieder mit dem Interesse der beteiligten Parteien: Das Interesse des rem habere licere, für das A dem B einsteht, ändere sich nicht dadurch, dass die Sache an C veräußert wird. Es werde daher in den Kaufvertrag mit C einbezogen. Auch an dieser Stelle klingt die Begründung, aus unserer modernen Sicht, etwas seltsam: C ist doch in aller Regel nur daran interessiert, dass B für das rem habere licere einsteht. Er (B) und nicht ein Vorverkäufer soll ihm bei Entwehrung haften. Dieses Haftungsinteresse an die Sache zu binden, die durch mehrere Hände geht, wie Pothier überlegt, ist offenbar dem Gewährschaftsgedanken geschuldet und der unterschwellig vorhandenen Überzeugung, dass der erste Verkäufer jedenfalls haften soll. Pothiers Zeitgenossen, wie LouisFrançois de Jouy, könnte diese Begründung dazu bewogen haben, ohne Weiteres von einem direkten Anspruch des letzten Verkäufers gegen den ersten Verkäufer wegen Rechtsmängel auszugehen127. Es ist dann nicht verwunderlich, dass Lehre und Rechtsprechung im 19. Jahrhundert denselben Pfad eingeschlagen haben128. Dabei ist bemerkenswert, dass die frühen Autoren129 ebenso wie die Gerichte130 die Analogie zu Art. 1166 bemühten: Wenn es dem Gläubiger zusteht, Forderungen des Schuldners geltend zu machen, soll dies auch und besonders für Ansprüche wegen Mängel einer Sache gelten, die in einer Verkäuferkette durchgereicht wurden131. Tatsächlich half in diesem frühen Stadium dogmatischer Begründung aber auch der Gedanke weiter, dass Ansprüche gegen den Vormann als Akzessionen der Sache weitergereicht wurden132 – so wie Pothier aber auch Ørsted empfohlen hatten. 127  Allerdings ist bemerkenswert, dass sowohl d’Espeisses (Œuvres de M. An­ toine d’Espeisses, avocat et jurisconsulte de Montpellier, vol. I, Lyon 1750, 63 und 55) als auch Du Rousseaud de la Combe (Recueil de jurisprudence civile, du païs de droit écrit et coutumier par ordre alphabetique, Paris 1769, „éviction“ n. 24 ff., S. 214) der Differenzierung von Pothier folgen. 128  Teilweise unter ausdrücklicher Berufung auf Domat und Pothier, so etwa Raymond-Théodore Troplong, Le droit civil expliqué suivant l’ordre des articles du code: De la vente, 5. Aufl., Paris 1856, n. 437 (S. 541, Fn. 2). 129  Etwa Alexandre Duranton, Cours de droit français suivant le code civil, tom. 18, Paris 1834, n. 275; Troplong, Droit civil expliqué (Fn.  128), n. 437 (S. 539 ff.); weitere Hinweise bei Jamin, Action directe (Fn.  12), 19 f. 130  Etwa Bordeaux 4.2.1831, Recueil Sirey 1831 II 138 f. (zu einem Eviktionsfall). 131  Weitere Nachweise bei Wahl, Vertragsansprüche Dritter (Fn.  12), 21 Fn. 5, und jetzt Jamin, Action directe (Fn.  12), 19 ff. 132  So argumentierte etwa Troplong, Droit civil (Fn.  128), 541: „Enfin, chaque vendeur est censé avoir transféré la chose à son acquéreur com omni sua causa, c’est-à-dire avec tous les droit qui pouvaient lui compéter de ce chef: le dernier



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5. Von der Rechtsmängel- zur Sachmängelgewährleistung Die „action directe“ im Sachmängelrecht hat eine verhältnismäßig junge Geschichte, die sich – so lässt unsere Untersuchung vermuten – auf dem ­Boden dogmatischer Figuren ausgebildet hat, die ursprünglich den Gewährenzug bei der Rechtsmängelhaftung rechtfertigten. Aus deutscher Sicht ist nicht nur die Figur des „Sprungregresses“ bemerkenswert, sondern auch die Transplantation einer im Rechtsmängelrecht entstandenen Rechtsfigur in das Sachmängelrecht. Im BGB 1900 waren Rechts- und Sachmängel ganz verschieden geregelt; im BGB 2002 sind sie immerhin institutionell unterschieden, wenn auch in den Rechtsfolgen einander weitgehend angeglichen. Das gilt auch für den Code civil, der zwar von einer einheitlichen Einstandspflicht („garantie“) des Verkäufers ausgeht (Art. 1625), aber besondere Regeln für Rechts- und Sachmängel formuliert (Artt. 1626 ff.). Insofern folgt der Code civil, gestützt auf Pothiers „Traité de la vente“, dem Gemeinen Recht. Domat hatte die Einstandspflicht wegen Entwehrung und Sachmängel noch unter den „engagemens du vendeur envers l’acheteur“ angeführt133, die entsprechenden Rechtsbehelfe allerdings schon getrennt abgehandelt134. Immerhin ist hier die naturrechtliche Tradition, die – seit Grotius135 – das Mängelrecht als einheitliches Rechtsproblem auffasst, noch spürbar136: Ob die Sache mit Rechten eines Dritten belastet war, gar einem Dritten gehörte, oder ob sie nicht von der Beschaffenheit war, die der Käufer erwarten durfte, alle diese Mängel berührten die im Vertrag angestrebte Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung. Der vereinbarte Austausch der Leistungen wird durch beide Arten der Nicht­ erfüllung gestört. Die bei Pothier und in der Pandektistik wieder aufgerichtete Hürde zwischen Rechts- und Sachmängelhaftung war schon vorher überschritten worden, und so mussten die französischen und dänischen Juristen des 19. Jahrhunderts wohl keine neue Begründung dafür suchen, die hier ­entwickelten Argumente dort einzusetzen. Vielmehr erscheint, aus der Perspektive der naturrechtlichen Tradition137, der Schritt von der Rechts- zur Sachmängelhaftung als durchaus konsequent. acquéreur est donc tacitement et nécessairement subrogé à tous les droits en garantie de ceux qui ont possédé la chose avant lui, et dont il résume les droits en sa personne“. 133  Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, ed. Paris 1695 (Fn.  122), lib.  I, tit. II, sect. II in fine. 134  Lib. I, tit. II, sect. X und XI. 135  Hugo Grotius, De jure belli ac pacis libri tres, ed. Utrecht 1773, lib. II, cap.  XII, §§ 8 ff. 136  Im Überblick dazu Walter-Jürgen Klempt, Die Grundlagen der Sachmängelhaftung des Verkäufers im Vernunftrecht und Usus modernus, Stuttgart 1967, 32 ff. 137  Diese Tradition lebte etwa in Preußen (I 5 § 317 ff. ALR; vgl. aber auch I 11 §§ 135 ff. ALR) und in Österreich (§§ 922 ff. ABGB) weiter.

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VI. Ergebnis und Ausblick Die europäischen Spuren der „action directe“ sind verwischt und nur mehr in Umrissen zu erkennen. Wenn wir überhaupt mit historischen Vorläufern rechnen dürfen, dann finden wir sie im Gewährenzug des altrömischen Rechts und des mittelalterlichen Gewohnheitsrechts. Die Suche nach dem Betrüger, nach dem Urheber des zwischen Besitzer und Eigentümer ausgebrochenen Streits steht hinter diesem Gewährschaftsgedanken – aber auch die Rechtfertigung des letzten Veräußerers, seine Reinigung von dem Vorwurf, die verkaufte Sache gestohlen oder unterschlagen zu haben. Solche an der Grenze von Straf- und Zivilrecht liegenden Vorstellungen, in denen es weniger um den Interessenausgleich inter partes als um die Wahrung des Rechtsfriedens in einer überschaubaren Gemeinschaft geht, passen kaum in die Formen des modernen Zivilrechts. Gleichwohl scheinen sie das Rechtsgefühl nicht nur der Laien sondern auch der Juristen zu prägen. Die Suche nach dem Urheber enttäuschter Vorstellungen ist ebenso wie die Ablenkung vom eigenen Versagen bewährter Mechanismus bei der Bewältigung sozialer Konflikte. Auch dem Sachverhalt, um den es in der französischen Leitentscheidung zur „action directe“ ging, lag eine solche Konstellation zugrunde: der Verkäufer verwies darauf, dass schon sein Lieferant mangelhaft geleistet hatte. Es verlangt einige dogmatische Anstrengung, diesen Einwand mit den dogmatischen Figuren des deutschen Schuldvertragsrechts zu erfassen: Soll der Verkäufer sich dadurch aus der Affäre ziehen, dass er seine Ansprüche gegen den Dritten abtritt? Soll der Käufer überhaupt mit dem Anspruch des Verkäufers seinen Schaden gegen den Dritten geltend machen? Oder soll der Dritte dem Käufer haften, weil sein mit dem Verkäufer geschlossener Vertrag Schutzwirkungen für den Käufer entfaltet? Man sieht sofort: „Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte“ und „Drittschadensliquidation“ sind nicht nur gekünstelte und außerdem komplizierte Rechtsfiguren, sondern auch alleine dazu geschaffen, die Vertragsgrenzen zu überwinden. Sie wiederholen die seit dem Mittelalter in verschiedenen Formen und mit verschiedenen Begründungen ausgeführten Ausweichmanöver. Die Inanspruchnahme des Vormannes erzwingt Ausweichmanöver deshalb, weil sich die zivilrechtliche Tradition seit der römischen Klassik an Ansprüche innerhalb des Vertrags gebunden sieht. Deshalb ließe sich die Geschichte der „action directe“ auch, mit anderem Vorzeichen, als Geschichte der Relativität des Schuldverhältnisses beschreiben. Eine solche dogmengeschichtliche Untersuchung wäre indes bedeutend aufwendiger als die rein institutionengeschichtliche. Die „action directe“ ist nur eine von vielen denkbaren Ausnahmen des Relativitätsprinzips und sie weist zudem nur mittelbar auf seine ideengeschichtlichen Grundlagen hin: auf die Wand-



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lung des Vertragsbegriffs in Moraltheologie und Kanonistik, auf die Neukonstruktion des Konsensbegriffs im Mittelalter oder auf die handlungstheoretische Begründung der Rechtsgeschäftslehre im reformierten Naturrecht. Zumindest ist die Vermutung plausibel, dass das Relativitätsprinzip im Verlauf der Rezeption römischen Rechts an Bedeutung gewann. Diese mit aller Vorsicht formulierte These findet eine gewisse Bestätigung darin, dass der mos Italicus dem Gewährenzug und damit auch dem Sprungregress noch gewisse Bedeutung beimaß. Hier konnte sich ein offenbar praktisches Bedürfnis gegenüber der dogmatisch-systematischen Lehre durchsetzen. Die schärfere Konturierung des Vertragsbegriffs erzwang es später, im Humanismus, Naturrecht und Usus modernus, die Rechtsmängelhaftung innerhalb der Vertragsbeziehungen abzuwickeln. Auch dies gilt indes nur für „the law of the books“. In der Vertrags- und Prozesspraxis hat sich die Vorstellung, auf den Vormann des Veräußerers greifen zu können, vital erhalten. So kennzeichnet die „action directe“ das französische Recht (und nicht nur den Code civil) einmal mehr als volksnah und pragmatisch. Nicht ganz vergessen sollte man auch I 11 § 150 ALR, das die Inanspruchnahme des Vormannes bei Eviktion noch zuließ. In der theorielastigen deutschen Diskussion des 19. Jahrhunderts blieben solche Zugeständnisse an die Praxis allerdings unbeachtet. In Dänemark und Frankreich aber hat die „action directe“ nationale Nischen auch im „law of the books“ besetzt und in manchen europäischen Ländern schließlich, wie wir eingangs bemerkten, auch Anerkennung durch den Gesetzgeber gefunden. Ob das Modell der „action direct“ auch taugt, um den europäischen Verbraucher besser zu schützen, kann unsere Untersuchung aber nicht beantworten. Dafür müsste zuerst die Frage geklärt werden, ob der Verbraucherkäufer eines solchen Schutzes überhaupt bedarf. Um den „Bösen“ zu finden, der für den Mangel schließlich verantwortlich ist, gibt es heute andere Mittel und Wege. Die „Reinigung“ vor dem Vorwurf, die Kaufsache gestohlen, unterschlagen oder verschlechtert zu haben, kann man heute getrost dem Regressweg überlassen. Sollte dem Verbraucherkäufer also nur das Risiko der Insolvenz des Einzelhändlers abgenommen werden? Das dürfte kaum der archimedische Punkt sein, um das Dogma von der Relativität des Schuldverhältnisses auszuhebeln.

Vom Glanz des römischen Rechts Von Wolfgang Schuller Dis manibus Leo Raape (1878–1964)

I. Sprache Der Glanz1, der vom römischen Recht ausgeht, beruht zu einem nicht geringen Teil auf seiner Sprache. Was es mit dieser Sprache, der lateinischen Sprache, im allgemeinen auf sich hat, ist auf Deutsch kaum je prägnanter geschildert worden als durch Heimito von Doderer.2 In seinen beiden großen Romanen „Die Strudlhofstiege“ und „Die Dämonen“ spielt das Latein eine bedeutende Rolle, daraus nur ein Beispiel. In der „Strudlhofstiege“ charakterisiert er eine seiner männlichen Figuren zunächst dadurch, daß dieser Rittmeister von Eulenfeld ironisch-selbstironisch in seine Äußerungen eine Fülle von trivialen lateinischen Redewendungen einflicht (oder sagen wir: von Redewendungen, die damals als trivial empfunden wurden, heute kennt man sie wohl kaum noch). Aber als es darum geht, einen komplizierten Sachverhalt auseinanderzusetzen, gelingt das dem Rittmeister in vollendeter Weise, womit er bewies, „daß die Umständlichkeiten der deutschen Sprache, ja vielleicht jeder abendländischen Sprache überhaupt, nur derjenige meistert, dem der klare und ordnende Glanz römischer Prosa schon aus der Tiefe von mindestens ein paar Generationen heraufdringt, darin sich dieses Licht hat brechen und die es hat durchsetzen können.“3

1  Der Beitrag ist die überarbeitete Fassung der anlässlich meiner Emeritierung am 6.  Februar 2004 gehaltenen Abschiedsvorlesung. Detlef Liebs hatte mich durch seine Anwesenheit geehrt, und obwohl ich den Text von allzu Elementarem gereinigt habe, wird er mir hoffentlich verzeihen, dass dem Anlass entsprechend einiges stehenbleiben musste – auch er lässt es sich ja angelegen sein, ab und zu Aussenstehenden einen Eindruck vom römischen Recht zu verschaffen. Immerhin sei mir gestattet, aus Raumgründen auf sehr einfache lexikalische Hinweise zu verzichten. 2  Wolfgang Schuller, Latein (und Griechisch) in Heimito von Doderers Romanen „Die Strudlhofstiege“ und „Die Dämonen“, in: Herbert Heftner und Kurt Tomaschitz, Ad fontes!, Festschrift für Gerhard Dobesch, Wien 2004, S.  907–913. 3  Heimito von Doderer, Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre, München 1969 (zuerst 1951), S.  877.

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Auf das Recht bezogen hat ähnliches der große Römischrechtler Fritz Schulz so ausgedrückt: „Vor allem aber ist es die Sprache der juristischen Literatur bis zum Ausgang der klassischen Jurisprudenz, in der der römische Wille zur Einfachheit, Einheitlichkeit und Unmannigfaltigkeit seinen glänzenden Ausdruck findet.“4 Nicht erst heute wird das so gesagt, auch die römischen Juristen selbst waren sich der Kraft ihrer Sprache bewusst. Wieder nur als Beispiel will ich das an dem Adjektiv elegans mit seinem Adverb eleganter vorführen. Damit wurde nicht das gelobt, was Fritz Schulz zutreffend hervorgehoben hatte, sondern darüber hinaus das, was auch wir heute mit „elegant“ bezeichnen würden. Zwar kann es auch einfach mit „zutreffend“ oder „scharfsinnig“ wiedergegeben werden, aber wenn es in anderem, durchaus auch rechtlichem Zusammenhang von Frauen heißt, je schicker und weltläufiger sie seien, umso mehr verwendeten sie Kosmetik – quo elegantiores sint et mundiores, unguuntur feminae5 –, dann heißt elegans eben auch elegant. Und so dann auch von Juristen: Eleganter Pomponius ait – Celsus eleganter tractat – eleganter Pomponius quaerit – eleganter Papirius Fronto dicebat, oder vom Praetor: Illud eleganter praetor excipit oder ganz abstrakt von einem gedanklichen Prozess: ideo elegans est illa distinctio, quod … Eine der berühmtesten, schönsten und zudem noch zutreffenden Formulierungen des römischen Rechtsdenkens ist ebenfalls schon in römischer Zeit mit dem Prädikat „elegant“ versehen worden. Sie stammt von dem Juristen P. Iuventius Celsus, steht gleich am Anfang der Digesten und prangt heute in leicht veränderter Orthographie über dem Portal des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg: Ius est ars boni et aequi.6 Aus der überreichen Fülle weiterer eleganter, knapper, prägnanter Rechtssätze – manche noch heute fast sprichwörtlich – soll jetzt eine kleine Auswahl folgen. Ich habe sie zum Teil, natürlich, Detlef Liebs‘ klassischer Sammlung7 entnommen, zum Teil habe ich sie aber auch noch aus dem Unterricht des verehrungswürdigen Leo Raape im Ohr – buchstäblich im Ohr, denn es ist auch ihr Klang als gesprochenes Wort, der ihre Faszination ausmacht. Vor allem sind es ihre oft peremptorische Zuspitzung auf das Wesentliche und ihr antithetischer Bau, die sie mir unvergesslich gemacht haben. Auf eine inhaltliche Erläuterung muss hier natürlich verzichtet werden, daher können die Sätze aber auch in alphabetischer Reihenfolge auf4  Fritz

Schulz, Prinzipien des römischen Rechts, Berlin 1954 (zuerst 1934), S. 55. D. 34, 2, 21, 1. 6  Ulp. D. 1, 1, pr: ut eleganter Celsus definit, ius est ars boni et aequi. 7  Detlef Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, München 2007, 7. Aufl. 5  Pomp.



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geführt werden, wodurch ihr ästhetischer Charakter vielleicht noch mehr hervortritt:8 Casum sentit dominus. Coactus voluit sed voluit. Da mihi factum, dabo tibi ius. Falsa demonstratio non nocet. Fur semper in mora. Melior est conditio possidentis.9 Minima non curat praetor. Nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet. Nemo pro parte testatus, pro parte intestatus decedere potest.10 Non ex regula ius sumatur, sed ex iure quod est regula fiat. Prior tempore potior iure. Qui tacet consentire videtur. Scire leges non hoc est verba earum tenere sed vim ac potestatem. Servitus in faciendo consistere nequit. Ubi rem meam invenio, ibi vindico. Ultra posse nemo obligatur. Vim vi repellere licet.11

Zum Abschluss dieser Kaskade noch ein kleines, wahrlich elegantes Wortspiel. Im Codex Iustinianus findet sich ein Gesetz des Kaisers Leo vom Jahre 469, mit welchem er den kirchlichen Ämterkauf, also die Simonie, bekämpfte. Der betreffende Satz lautet: Non pretio, sed precibus ordinetur antistes.12 Mir war dieser Satz im Zuge meiner früheren Korruptionsforschungen aufgefallen, nicht nur deshalb, weil er die schon damals existierende Simonie und den Kampf gegen sie deutlich zeigt, auch nicht nur deshalb, weil einer meiner Vorfahren als Antistes am Großmünster in Zürich diese Würde gewiss precibus und nicht pretiis erlangt hatte – sondern auch weil das laute Aussprechen dieses Satzes ad aures demonstriert, dass pretio und precibus mit einem einheitlichen Zischlaut ausgesprochen wurden, woraus dieses elegante Wortspiel einen Teil seines Witzes zog. Die Fähigkeit der lateinischen Sprache zur prägnanten Formulierung von Rechtssätzen – natürlich nicht nur von ihnen – zeigt sich dann gerade auch darin, dass das spätere nichtantike Europa in dieser Tradition fortfuhr. Eine 8  Sie finden sich fast alle in fast immer demselben Wortlaut bei Detlef Liebs und werden daher hier ebenfalls meist nicht eigens nachgewiesen. 9  Ausgerechnet im Bahnhof Karlsruhe hatte ich meinen Sitzplatz gegenüber einem neu Eingestiegenen zu verteidigen, der behauptete, meinen Platz reserviert zu haben, wobei mir dieser Satz versehentlich entschlüpfte. 10  Leicht gekürzt aus I. 2, 14, 5: neque enim idem ex parte testatus et ex parte intestatus decedere potest. 11  Ulp. D. 43, 16, 27: Vim vi repellere licet Cassius scribit. 12  CJ 1, 3, 30, 4.

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der berühmtesten dieser Regeln wurde sogar erst zu Beginn des 19.  Jahrhunderts geprägt und besagt, dass niemand wegen einer Tat bestraft werden darf, die zum Zeitpunkt ihrer Begehung nicht mit Strafe bedroht und daher gar kein Verbrechen war – nullum crimen, nulla poena sine lege. Diese so klassische klingende, aber neuzeitliche Satz, dessen Inhalt allerdings der Antike nicht völlig ungeläufig war,13 wurde im 20. Jahrhundert in doppelter und miteinander verschränkter Weise aktuell. Zum einen bekämpften ihn die beiden staatsterroristischen Regimes in Deutschland14 und anderswo, um ungehindert ihre Gegner verfolgen zu können, und zum anderen beriefen sich deren jeweilige Täter umgekehrt dann auf seine uneingeschränkte Gültigkeit, wenn sie selbst für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen wurden15. II. Juristensprache Nun hat aber die Prägnanz der lateinischen Juristensprache auch etwas damit zu tun, dass sie eben eine Juristensprache ist. So umständlich, haarspalterisch und entsetzlich trivial eine solche Sprache sein kann, so grandios ist sie, wenn sie – was immer der Fall sein sollte – peinlich genau auf die Sache bezogen ist und alles weglässt, was nicht dazugehört. Ich habe einmal die Sachverhaltsschilderungen zusammengestellt, die der Bundesgerichtshof in Strafsachen bei den sogenannten Mauerschützenprozessen seinen Entscheidungen zugrundegelegt hat. Es gibt kaum eindrucksvollere Darstellungen der furchtbaren Geschehnisse an der Mauer und an den Sperranlagen der Zonengrenze als diese kühlen und nur auf das Rechtserhebliche abstellenden Beschreibungen der bloßen Tatsachen.16 13  Wolfgang Schuller, Nulla poena sine lege in der römischen Republik, in: Dietrich Murswiek, Ulrich Starost und Heinrich A. Wolff (Hgg.), Staat – Souveränität – Verfassung. Festschrift für Helmut Quaritsch zum 70.  Geburtstag, Berlin 2000, S.  683–691. 14  Roland Freisler forderte ein Recht, „das den Richter anweist, aus dem Geiste des Rechts zu entscheiden, wenn der Wortlaut des Gesetzes versagt“ (Roland Freisler in: Franz Gürtner und Roland Freisler, Das neue Strafrecht, Berlin o. J. (1936), S. 74, und Hilde Benjamin erklärte, die Schauprozesse der frühen DDR lehrten, dass „ein Verbrechen nicht deshalb straflos bleibt, weil ein passendes Gesetz zu fehlen scheint“ (Das Oberste Gericht der Deutschen Demokratischen Republik im Kampf gegen Spionage und Sabotage, Neue Justiz 1952, S.  244). 15  Redaktion „Neue Justiz“ (Hg.), Der Politbüro-Prozeß, Baden-Baden 2001, passim. – Ein in mehrfacher Hinsicht instruktiver Sonderfall ist Carl Schmitt, Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz „Nullum crimen, nulla poena sine lege“ herausgegeben, mit Anmerkungen und mit einem Nachwort versehen von Helmut Quaritsch, Berlin 1994. 16  Siehe Wolfgang Schuller, Der reine Sachverhalt. Die Verbrechen an der DDRGrenze in der Schilderung des Bundesgerichtshofs, Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat Nr.  12, 2002, S.  191–200; umgekehrt stellten sich bei einer von



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Recht lebt von der und in der Sprache, aber gerade deshalb ist es nicht einfach, in Bezug auf das Recht denken und sprechen zu können. Es erfordert spezielle Fähigkeiten auf verschiedenen Ebenen. Zum einen müssen die Lebenssachverhalte, die rechtlich geregelt werden sollen, geistig so durchdrungen werden, dass allgemein geltende Rechtssätze gebildet werden können. Die Bildung dieser Rechtssätze dann ist nur in einer Sprache möglich, die so genau auf die Bedeutung der Worte und der aus ihnen gebildeten Sätze achtet, dass sie, in einem umgekehrten Prozess, auf die konkreten, in ihrer gesamten Erscheinungsform oft höchst unterschiedlichen Lebenssachverhalte angewandt werden können. Diese Lebenssachverhalte, die Fälle, müssen zum Zweck der Analyse so von allem Zufälligen befreit werden, dass das Entscheidende – das Rechtserhebliche – herauspräpariert wird, damit die Rechtssätze zur Anwendung kommen können; gleichzeitig muss aber darauf geachtet werden, dass sie nicht zum Zwecke der Subsumtion zurechtgeschnitten werden dürfen und dass nichts Wesentliches unberücksichtigt bleibt. Wenn man sich dann klarmacht, dass bei diesem Teil des Vorgangs die Rechtssätze ihrerseits richtig verstanden werden müssen, dann ist klar, dass hier höchst komplizierte hermeneutische Vorgänge vorliegen, die hier nicht weiter nachgezeichnet werden können. Worauf es hier ankommt ist, dass eine spezifische Genauigkeit der Sprache und des Denkens erforderlich war, die in der gesamten Antike nur von den römischen Juristen aufgebracht wurde. Sie charakterisiert die römische Rechtswissenschaft. III. Schlankheit Zum Glanz des römischen Rechts trug eine Eigenschaft bei, die ich Sparsamkeit oder Schlankheit nennen möchte. Sie betrifft zum einen die Knappheit und Prägnanz der Ausdrucksweise, von der schon die Rede war. Zum anderen tritt sie durch den Ablauf des römischen Zivilprozesses der republikanischen Zeit zutage, der noch bis in die Kaiserzeit hinein weiterlebte. Die Tätigkeit des Praetors bestand nämlich nicht darin, dass er die jeweiligen und oft komplizierten und langwierigen Prozesse selbst führte. Seine Aufgabe war die, festzustellen, ob die Rechtsordnung für den Anspruch, den der Kläger erhob, eine Rechtsgrundlage habe. Wenn das der Fall war, überwies er die Sache mittels einer die Fallgestaltung umschreibenden Formel – auf die wir noch kommen werden – an den iudex, den Richter, der zusammen mit seinem consilium den Fall verhandelte und das Urteil sprach; dieser war einer der iuris periti, der Rechtskundigen, die ebenfalls gleich mir vorgenommenen nicht publizierten gutachtlichen Äußerung zu Teilen der Rechtsprechung über die IM-Tätigkeit des früheren brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe erstaunliche handwerkliche Mängel und mangelnde Präzision bei der Beschreibung der Sachverhalte heraus.

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noch genauer vorgestellt werden. Wenn es aber keine Rechtsgrundlage gab, wurde die Klage abgewiesen, es sei denn, der Praetor schuf eine neue Klagemöglichkeit, und auch das kommt gleich zur Sprache. Jedenfalls bewirkte die Zweiteilung des Verfahren, obwohl aus anderen Ursachen entstanden, dass der Zivilprozess zügig verlief. Mit Schlankheit meine ich aber noch etwas Drittes, nämlich die Tatsache, dass sich die Römer dessen bewusst waren, dass sich die menschliche Lebenswelt zu einem nicht geringen Teil der rechtlichen Regelung entzieht, dass vieles, womöglich das meiste, nicht rechtlich geregelt werden kann, darf und daher auch nicht wurde. Das handgreiflichste Zeugnis dafür ist das Clientelsystem oder besser genannt das Bindungswesen. Man kann es, ideal­typisch, so skizzieren: Die Gesellschaft der römischen Republik war durchzogen von gegenseitigen, im Grundsatz hierarchisch aufgebauten Verpflichtungsverhältnissen zwischen Patronen oben und Clienten darunter, einschließlich zahlreicher vermittelnder, auch horizontal wirkender Instanzen. Diese gegenseitigen Verpflichtungen – in den einander korrespondierenden Begriffen beneficium und officium greifbar – machten einmal das Funktionieren der sehr knapp konstruierten republikanischen Verfassung überhaupt erst möglich, und weiter betrafen sie das gesamte gesellschaft­ liche und auch wirtschaftliche Leben und waren, was in unserem Zusammenhang entscheidend ist, nicht justiziabel – eine Verletzung solcher aus dem Bindungswesen erwachsender Verpflichtungen hatte keine rechtlichen, wohl aber gesellschaftliche Folgen, die nicht selten gravierender waren. Es würde sich lohnen, einmal eine Zusammenstellung von Lebenssachverhalten zu machen, die nicht rechtlich, sondern durch soziale Konventionen in diesem Sinne geregelt waren. IV. Wissenschaft Im römischen Recht wurde begründet, es wurde unterschieden und es wurde gestritten – das römische Recht war eine Rechtswissenschaft. Es gab Rechtsregeln, die von den dazu befugten Instanzen erlassen wurden, also von der Volksversammlung, in bestimmter Weise vom Senat und in starkem Maße vom Gerichtsmagistrat, vom Praetor. Jeder einzelnen Rechtssetzung gingen intensive, abwägende Überlegungen und Diskussionen voraus, und vor allem wurden das Recht und die Rechtsprechung selbst kritisch betrachtet und öffentlich, auch literarisch, diskutiert, woraus dann wieder verbesserte oder neue Regelungen erwachsen konnten.17 Die das taten, waren 17  Weil Problemdiskussionen dieser Art für jede Wissenschaft konstitutiv sind – eine notwendige, nicht hinreichende Bedingung –, gab es in der DDR, in der freie Diskussion nicht stattfand, keine Wissenschaft vom Recht.



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Rechtskundige, iuris periti, freilich die ganze Republik über keine Berufsjuristen, sondern vornehme Angehörige des Senatorenstandes, die sich aus innerer Neigung mit der intellektuellen Durchdringung des Rechts beschäftigten; seit der Kaiserzeit waren es dann professionelle Rechtsgelehrte – ihre Biographien verdanken der Forschertätigkeit von Detlef Liebs viel Aufhellung –, aber noch zweihundert Jahre später hatten glanzvolle Juristen wie Papinian, Ulpian und Paulus höchste Staatsämter inne. Diese iuris periti wurden nun auf eine sozusagen praktische Weise wissenschaftlich tätig, so paradox das klingen mag. Der jährlich wechselnde Rechtsprechungsmagistrat, der Praetor, war nur in seltenen Fällen wirklich rechtskundig, aber dieses Manko wurde dadurch ausgeglichen, dass ihm iuris periti in zweierlei Weise zu Hilfe kamen. Zum einen dadurch, dass sie den Praetor berieten, indem auf Grund ihrer Ratschläge der Praetor festlegte, nach welchen Rechtsvorschriften der jeweilige Fall im konkreten Prozessgeschehen abgeurteilt werden sollte. Zum anderen überwies der Praetor dann den Fall mit einer solchen Maßgabe, der traditionsgeheiligten, feststehenden formula, Formel, an ein ad hoc zusammengestelltes Gericht unter Leitung eines iudex, der ebenfalls ein iuris peritus war. Wenn nun im Zuge der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Weiterentwicklung der bisherige Rechtszustand unzulänglich geworden war und dazu führte, dass immer mehr Klagen abgewiesen werden mussten, obwohl die materielle Gerechtigkeit ein Stattgeben erfordert hätte, entschloss sich der Praetor eines Tages auf Rat der Rechtskundigen, die Klage doch zuzulassen, indem er eine neue Formel schuf. Dazu musste die Fallgruppe generalisierend in der eben charakterisierten Weise analysierend beschrieben werden, damit sie dem iudex als Grundlage dafür dienen konnte, wonach der konkrete Prozess zu führen war. Die so entstandene neue Formel wurde dann meistens von den nachfolgenden Prae­ toren übernommen und ging so in die Gesamtheit des römischen Rechts ein. Diese Tätigkeit des Beschreibens rechtserheblicher Lebenssachverhalte in einer solchen Formel ist nichts anderes als aus der Praxis erwachsene wissenschaftliche Tätigkeit in wiederum praktischer Absicht. Es ist von besonderem Reiz, diese sprach- und rechtsästhetischen „Wunderwerke“, wie Leo Raape sie genannt hat, zu analysieren oder sie womöglich auch zu rekonstruieren. Natürlich wurden sie schriftlich fixiert, aber sie wurden im konkreten Verfahren auch gesprochen, vom Praetor, und wohl auch deshalb hat er den Ehrennamen viva vox iuris civilis erhalten. Dass die Beschäftigung mit dem römischen Recht aber endgültig zu einer Wissenschaft wurde, ist allerdings wahrscheinlich den Griechen zu verdanken, das heisst der griechischen Philosophie. Die römische Expansion im Ostmittelmeergebiet hatte nämlich nicht nur dazu geführt, dass die römi-

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schen Senatoren, die in ihrer Eigenschaft als Heerführer Städte eroberten und Provinzen verwalteten, sich in ganz spezifischer Weise als kunstsinnig erwiesen, indem sie massenhaft Kunstwerke raubten und nach Rom transportierten. Es fand vielmehr bei den feinsinnigeren von ihnen eine Begegnung mit griechischen Philosophen und der griechischen Philosophie statt, auch in Rom selbst, und seit dieser Zeit des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass die Durchdringung des Rechtsstoffes als einer methodischen Wissenschaft durch Kategorien- und Begriffsbildung vom griechischen philosophischen Denken angestoßen wurde. Freilich nur angestoßen: Dass über das praktisch anzuwendende Recht überhaupt in geordneter Weise nachgedacht wurde, das war ja im Zusammenhang mit dem Formularprozess schon vorher der Fall gewesen und hat in späterer Zeit trotz der Anhebung des Niveaus durch die Griechen nie zu einem zusammenhängenden System wie in der griechischen Philosophie geführt. Zwei Begriffe zur Erläuterung. Zur Wissenschaft gehört die Begriffsbildung, und entsprechend leisteten die römischen Juristen einiges in Definieren und im Aufstellen von abstrahierenden Regeln: regulariter definiendum est; Iulianus regulariter definit; Nos generaliter definiemus; Catoniana regula sic definit, … Allerdings war man sich – und gerade das gehört zur Wissenschaft – der Gefährlichkeit solcher Abstraktionen bewusst: Omnis definitio in iure civili periculosa est: rarum est enim, ut non subverti posset18. Aber auch der wunderbare Satz des Celsus vom Recht als Kunst des Guten und Angemessenen war eine Definition, denn Ulpian führt ihn mit den Worten ein ut eleganter Celsus definit19. Ein weiterer Hauptbegriff einer jeden Wissenschaft, eines ihrer Handwerkszeuge auch im römischen Recht ist die Unterscheidung, die distinctio. Zahllos sind die Unterscheidungen in den Digesten anzutreffen, und häufig werden sie ausdrücklich benannt, oft dadurch, dass ein Problem vorgestellt und dann durch eine mit dem Namen des Urhebers versehene distinctio der Lösung zugeführt wird: Labeo distinguit et Pomponius probat; Pomponius autem videtur adquiescere distinguentibus; mihi videtur Nervae distinctio verissima; distinctio suptilior adhibenda est; haec distinctio convenit; hac distinctione uti; ideo elegans est illa distinctio. Eine Besonderheit der römischen Gesellschaft und damit auch der Rechtswissenschaft waren Begriff und Praxis der Autorität. Die auctoritas, mit einer etwas anderen Begriffsnuance, entstammte dem römischen aristokratischen Denken und war ein zentraler Begriff des römischen öffentlichen Lebens; in 18  Iav.

D. 50, 17. 202. Fn.  6.

19  Oben



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seinem Rechenschaftsbericht schrieb Augustus, er habe zwar nie mehr politische Befugnisse als seine jeweiligen Amtskollegen gehabt, wohl aber habe er sie alle an Autorität überragt – auctoritate omnibus praestiti20. Im Rechtsleben wirkte sie sich zum einen bei der Rechtsschöpfung aus. Wenn der Praetor, wie eben geschildert, neues Recht schaffen konnte, ohne dass eigens Gesetze gegeben wurden, dann geschah das zwar kraft seiner Amtsgewalt, des imperium, erging aber auch wegen der Autorität, wenn nicht des Praetors in Person, der eher selten selbst ein Jurist war, so doch seiner Berater, und war zudem jeweils so makellos durchdacht und sachgerecht, dass es der auctoritas nicht nur des jeweiligen Praetors, sondern auch des Amtes selbst immer mehr hinzufügte. Ait praetor, der Praetor spricht, so wurden von ihm erlassene Rechtssprüche oft in feierlicher Form eingeleitet. Zum anderen kam auch bei der rechtswissenschaftlichen Diskussion die Autorität ins Spiel. Es wurde nicht immer alles immerzu nach jeder Richtung hin durchdiskutiert, sondern das Fingerspitzengefühl der römischen Juristen wusste, wann man aufzuhören hatte und vor allen Dingen, wann es genügte, sich auf bereits Gedachtes zu berufen beziehungsweise auf den, der die entscheidende Denkarbeit geleistet hatte. Dass das mehr war als ähnliche – nur teilweise unerlässliche – Bräuche heutzutage oder gar als die Bezugnahme auf die „höchstrichterliche Rechtsprechung“ oder die „herrschende Meinung“ geht daraus hervor, dass Cicero seinen Spaß damit trieb. M. Tullius Cicero war kein iuris peritus, kannte sich aber als Redner und Anwalt doch so sehr im Rechtsleben aus, dass er sich aus eigener Kenntnis darüber lustig machen konnte. Das häufige, aber vielleicht schon zu einer überflüssigen Manier gewordene Sichberufen auf Autoritäten hört sich bei ihm so an: In einem Brief an den Juristen C. Trebatius Testa stellt er diesem die Nützlichkeit einer guten Beziehung zu Caesar vor Augen und bekräftigt das damit, dass er sagt: „So sieht das auch Q. Cornelius, wie ihr Juristen das in euren Büchern zu schreiben pflegt“21; und bald darauf schreibt er ihm, der sich im Dezember 54 v.  Chr. im kalten Gallien aufhielt, er möge sich mit einem guten Ofen versehen, denn derselben Ansicht seien Mucius und Manilius: quam ob rem camino luculento utendum censeo (idem Mucio et Manilio placebat)22. Cicero verdanken wir eine weitere Ironisierung gewisser Seiten des juristischen und rechtswissenschaftlichen Betriebs. In seiner Rede für Murena aus dem Jahre 63 v. Chr. spottete er über Umständlichkeiten der juristischen Sprache und des Zivilprozesses, jedoch tat er das deshalb, weil ein Prozess20  Res

gestae Divi Augisti, 34. epistulae ad familiares 7, 17, 3: hoc, quem ad modum vos scribere soletis in vestris libris, idem Q. Cornelio videbatur. 22  Ibid. 7, 10, 2. 21  Cicero,

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gegner der berühmte – und Cicero sehr befreundete – Jurist Ser. Sulpicius Rufus war, gegen den auf diese Weise Stimmung gemacht werden sollte. Bei näherem Hinsehen handelte es sich eben doch genau um das, was wir als Errungenschaften bezeichnen würden: präzise Sprache, genaues Hinsehen auf die Sachverhalte und Berechenbarkeit des Verfahrens. Aber dann war es doch auch Cicero, der in seinem Dialog De oratore von 55 v.  Chr. durch den Mund des L. Licinius Crassus, Consul 95 v.  Chr., das Hohelied der Rechtswissenschaft singen ließ: Das Rechtsstudium gewähre einen ­wunderbaren Reiz und Genuss – mira quaedam in cognoscendo suavitas et  delectatio – , und welch ehrenvollere Betätigung könne es für das Alter geben als die Erläuterung des Rechtes – senectuti vero … quod honestius potest esse perfugium quam iuris interpretatio?23 V. Juristische Entdeckungen Nur Formal-Stilistisches ist es aber natürlich nicht gewesen, was den Glanz des römischen Rechts ausmacht; untrennbar damit verbunden ist selbstverständlich das Inhaltliche, das materielle Recht, falls man beides überhaupt so scharf voneinander trennen kann. Die römischen Juristen haben Rechtsgedanken entwickelt oder Rechtsfiguren überhaupt erst entdeckt, auf die man anderswo nicht gekommen ist und die bis heute zum Kernbestand der neuzeitlichen Rechtsordnungen gehören. Das geschah nicht aus heiterem Himmel oder durch bloßes Nachdenken, sondern das war tief in der römischen Gesellschaft und ihrer geschichtlichen Entwicklung begründet. Schon in die ausschließlich bäuerliche Frühzeit gehört die Einrichtung, daß nicht nur Personen, sondern auch Grundstücke gewissermaßen Rechte an anderen Grundstücken haben konnten: Wenn ein Grundstück so ungünstig gelegen ist, dass es nur dadurch betreten werden kann, dass man über ein anderes Grundstück geht, kann natürlich dem Eigentümer persönlich dieses Recht eingeräumt werden, aber praktischer ist es womöglich, dass der jeweilige Eigentümer eines solchen eingeklemmten Grundstücks dieses Recht bekommt und dass der jeweilige Eigentümer des fremden Grundstücks das dulden muss. In einem weiteren Schritt kann man dann auch davon abstrahieren und nun sagen, dass das eingeklemmte Grundstück selbst dieses Recht gegenüber dem anderen Grundstück hat, dieses also damit belastet ist, dem berechtigten Grundstück zu dienen – die Grunddienstbarkeit, servitus, war geboren und wurde immer weiter ausgestaltet, bis auf den heutigen Tag.

23  1,

193. 199.



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Im Zweiten Punischen Krieg, also im letzten Drittel des 3.  Jahrhunderts v.  Chr., stand der karthagische Feind jahrelang in Italien, mit der Folge, dass die Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden hoffnungslos durcheinandergerieten und dass ein ebenso unentwirrbares Chaos von Gewalt und Gegengewalt eintrat. Um in den daraus resultierenden Rechtsstreiten klare Verhältnisse schaffen zu können, verfügte der Praetor, dass derjenige, der ein Grundstück im Augenblick im Besitz hatte, diesen Besitz bis zu einer endgültigen Entscheidung über das Eigentum ungestört innehaben dürfe – der rechtlich erhebliche, mit Rechtswirkungen ausgestattete Begriff des Besitzes, possessio, war durch diese historische Situation und die römische Geisteskraft geboren. Dann wurde dieser Begriff immer weiter ausgestaltet und sozusagen vergeistigt bis zu dem Gedanken, dass es keineswegs nur auf das bloße physische Haben ankomme, sondern dass auch noch ein Willenselement hinzukommen müsse – apiscimur possessionem corpore et animo, neque per se corpore aut per se animo.24 Ein zentraler Begriff der römischen Gesellschafts- und daher auch der Rechtsordnung war die fides; sie wird oft mit dem deutschen Wort Treue wiedergegeben, bedeutet aber eher Verlässlichkeit oder Sichverlassenkönnen. Während in Roms Frühzeit Rechtsgeschäfte nach strengen formalen Regeln abliefen, wurde das mit den komplexer werdenden Wirtschaftsbeziehungen unter Römern und Nichtrömern25 immer unpraktischer und führte zu immer mehr schwer und oft nur ungerecht zu entscheidenden Rechtsstreitigkeiten, wenn Beteiligte Formfehler begingen. Wieder schaffte der Praetor Abhilfe. Er ging dazu über, solche Streitigkeiten nicht nach den Formvorschriften, sondern danach zu entscheiden, inwieweit sie der fides entsprächen. Aber das geschah nun nicht in der Weise, dass irgendwie und nach subjektivem Rechtsempfinden geurteilt wurde, sondern aus der fides wurden ihrerseits ausdifferenzierte Rechtsregeln abgeleitet, die dann den größten Teil des römischen Vertragsrechts ausmachten und weiterhin grundlegend geblieben sind – bis hin zu § 242 BGB, der „Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte“ zum tragenden Grundsatz des Rechtsverkehrs erklärt. VI. Rechtsstellung der Frau An einem konkreten Rechtsgebiet, dem der Rechtsstellung der Frauen, lässt sich schließlich vielleicht am anschaulichsten demonstrieren, dass dem römischen Recht Eigenschaften innewohnen, die das Wort Glanz rechtferti24  Paul.

D. 41, 2, 3, 1. Wieacker, Römische Rechtsgeschichte, Erster Abschnitt, München 1988, S.  441–443. 25  Franz

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gen. Die römische gesellschaftliche und staatliche Ordnung teilte mit fast allen entsprechenden Ordnungen der Weltgeschichte die Tatsache, dass Frauen, überschlagsartig gesagt, im rechtlichen und erst recht im politischen Leben schlechter gestellt waren als Männer. Jedoch gab es bei den Römern charakteristische Modifikationen dieses Tatbestandes, die eine kurze Darstellung wert sind. Beginnen wir mit dem Akt, mit dem eine Frau ein selbstständiges Rechtssubjekt wurde. Töchter und Söhne standen unter der patria potestas ihres Vaters, was bedeutete, dass sie keinerlei eigene Rechte hatten, auch keine Vermögensrechte. Im Lauf der Zeit schien es immer unpraktischer, dass Senatoren erwachsene Söhne hatten, die womöglich schon Heere kommandierten oder Provinzen verwalteten, rechtlich aber immer noch, bestenfalls, im Kinderstatus verharrten und keinen einzigen Sesterz ihr eigen nennen konnten. Dem half man dadurch ab, dass man von einer Rechtsvorschrift Gebrauch machte, die eigentlich für einen ganz anderen Zweck vorgesehen gewesen war. Im archaischen Zwölftafelgesetz aus dem 5.  Jahrhundert v. Chr. findet sich eine Bestimmung – Tafel 4, 2 – die den Missbrauch eines an sich sinnvollen Verkaufsrechts verhindern sollte, das der Vater an dem Sohne hatte. Wenn ein Sohn dreimal verkauft wurde – und nach seiner Freilassung durch den Käufer immer wieder in die väterliche Gewalt zurückgefallen war –, dann wurde er nach dieser Vorschrift frei, sui iuris, eigenen Rechts; dem Vater wurde also gewissermaßen strafweise die patria potestas entzogen.26 Wenn der Sohn nun absichtlich freigelassen werden sollte, machte man sich diese Bestimmung zunutze und verkaufte den Sohn dreimal, wenn auch nur zum Schein. Dadurch kam er, ohne jeden pönalen Beiklang, aus dem bisherigen Zustand frei, und weil der auch mancipium hieß, nannte man den ganzen Vorgang emancipatio. Was nun, wenn eine Tochter emanzipiert, das heißt sui iuris werden sollte? Dieses Bedürfnis entstand mit der sozialen Entwicklung, die die Frau selbständiger werden ließ, immer häufiger, aber es gab nirgendwo eine Bestimmung, die man – und sei es auf Grund einer zweifelhaften Analogie – hätte anwenden können. Die Logik sagt einem, dass ein Mädchen dann eben nicht emanzipiert werden konnte. Nicht so die römischen Juristen; sie waren in diesem Fall ausnahmsweise unlogisch. Sie schlossen aus dem Fehlen einer Bestimmung, dass dann ein Mädchen eben nicht dreimal, sondern nur einmal zum Schein verkauft zu werden brauchte, um frei zu werden. Ich fürchte erstens, dass dieser Schluss als Schluss nicht besonders glänzend zu nennen ist, und dass er zweitens nicht einmal aus großer Frauenfreundlichkeit gezogen wurde, sondern wohl eher deshalb, 26  Gai. 1, 132: SI PATER FILIUM TER VENUM DUIT, FILIUS A PATRE LIBER ESTO.



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weil eine Tochter nicht so wichtig war. Es wird aber noch anderes zur Sprache kommen. Eine Frau sui iuris war, wie wir heute sagen, rechtsfähig; sie konnte Trägerin von Rechten und Pflichten sein. Freilich hatten die Römer keinen besonderen Begriff für die Rechtsfähigkeit und demgemäß auch keinen Parallelbegriff für die Geschäftsfähigkeit, also für die Fähigkeit, die Rechte auszuüben. Wohl aber kannte man die Sache selbst, nämlich den Unterschied zwischen beiden. War die Frau nämlich sui iuris, konnte sie große Vermögen in Geld und Sachwerten haben, und das war ein genau so selbstverständlicher Lebenssachverhalt wie bei Männern; wir wissen ja von vielen reichen Frauen. Allerdings war sie nur beschränkt geschäftsfähig, denn sie brauchte für ihre geschäftliche Tätigkeit die Genehmigung eines tutor, wörtlich übersetzt eines Beschützers, nach der heutigen Terminologie eines Vormunds. Ja – auch die Römerin sui iuris der Republik stand trotz aller Rechtsfähigkeit unter Vormundschaft, aber bevor Erregung einsetzt, sei schnell hinzugefügt, dass die Rechtswirklichkeit diesen tutor nur sehr selten in Aktion sah, dass er schon während der Republik kaum noch in Erscheinung trat und in der Kaiserzeit ganz abgeschafft wurde. Jedenfalls kann an diesem Beispiel gezeigt werden, dass die Römer der Sache nach den Unterschied zwischen Rechts- und Geschäftsfähigkeit sehr wohl kannten und mit präzisen Rechtsfolgen ausstatteten. Es gab zwei weitere rechtliche Einschränkungen für Frauen. Die erste geschah durch die lex Voconia von 169 v.  Chr. und bestimmte, dass Frauen der obersten Vermögensklasse nicht zu Erbinnen eingesetzt werden konnten.27 Auch hier ist man in der Versuchung, sich über Frauenfeindlichkeit zu empören. Genaues Hinsehen zeigt aber erstens, dass diese Einschränkung ja nur die Frauen aus den allerreichsten Familien betraf und zweitens, dass Frauen Vermächtnisse erhalten konnten, wenn auch nicht so viel, dass die Bestimmung damit umgangen worden wäre. Es war also nicht so, dass eine Frau dieser Vermögensklasse im umgangssprachlichen Sinne „nichts erben“ konnte, sie konnte lediglich nicht die rechtliche Position eines Erben einnehmen; zu den Gründen sogleich. Vorher noch die andere Einschränkung, die des Senatus consultum Vellaeanum aus dem 1.  Jh. n.  Chr. Es untersagte unterschiedliche Formen des Einstehens für jemand anderen durch Frauen, vor allem die Bürgschaft.28 Hier hält sich die spontane Empörung schon deshalb in Grenzen, weil Bürgschaften ja wirklich gefährlich sind und es nur von Vorteil für Frauen gewesen sein konnte, derartige riskante Transaktionen nicht unternehmen zu können. 27  Gai.

28  Ulp.

2, 274. D. 16, 1, 2, 1.

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Wir fragen nach den Begründungen für beide Rechtsinstitutionen. Für die lex Voconia müssen wir selbst nach Gründen suchen; womöglich sollte vermögensgefährdender Frauenluxus eingeschränkt werden, insbesondere weil die Vermögen der obersten Oberschicht gerade in dieser Zeit durch besonders heftige politischen Kämpfe gefährdet waren.29 In den anderen Fällen hören wir von den Römern selbst, was sie als Ursachen für diese Regeln ansahen. Der Wortlaut des SC Vellaeanum meint, solche von Männern betriebenen Geschäfte seien nicht aequum, also nicht angemessen für Frauen30, und der spätere Jurist Ulpian billigt das mit der Begründung, so etwas sei Frauen propter sexus imbecillitatem nicht zuzumuten, also wegen der Schwäche des weiblichen Geschlechts31. Solche väterlich-wohlwollende Töne kann man auch sonst vernehmen. So wurde die Vormundschaft über Frauen damit begründet, dass sie wegen ihres Leichtsinns oft getäuscht würden, quia levitate animi plerumque decipiuntur32. Auch das klingt ja, je nach dem, was man heraushört, sympathisch-fürsorglich oder unerträglich paternalistisch; aber die römischrechtliche Forschung hat gezeigt, dass das Entscheidende all dieser Bestimmungen wirklich auch die Schutzfunktion gewesen war – nicht, weil die Römerinnen schwach, leichtsinnig oder allzu gutmütig gewesen wären, sondern weil die gesellschaftlichen Verhältnisse so beschaffen waren, dass trotz allen beträchtlichen Gleichziehens mit den Männern die römischen Frauen quantitativ eben doch einfach weniger Geschäftserfahrung hatten als die Männer und dass deshalb ihr Vermögen besonders gefährdet war. Zu unserer Beruhigung hören wir aber schließlich von den Römern selbst durchaus Kritik an solchen Begründungen mit einem angeblichen weiblichen Charakter. Zur Behauptung, die Frauen wiesen eine besondere levitas animi auf, sagt der kaiserzeitliche Jurist Gaius, von dem wir diese Nachricht haben, diese Begründung sei magis speciosa quam vera, eher großartig klingend als zutreffend.33 Später übte der Jurist Paulus sogar Kritik daran, dass Frauen keine öffentlichen Ämter bekleiden konnten, was umso eindrucksvoller ist, als dieser Ausschluss ja bis in das 20.  Jahrhundert n.  Chr. eine Selbstverständlichkeit war. Paulus meinte, die Frauen hätten genau so viel Urteilskraft wie Männer, und das Fernhalten von öffentlichen Ämtern gebe es nicht deshalb, weil sie keine Urteilskraft hätten – non quia non habent iudicium –, sondern nur, weil das eben von früher überkommen sei,

Arnd Weishaupt, Die Lex Voconia, Köln u. a. 1999. D. 16, 1, 2, 1. 31  Ibid. § 2. 32  Gai. 1, 190. 33  Ibid. 29  Zuletzt 30  Ulp.



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quia receptum est34. Ja, es gibt sogar einen besonders frauenfreundlichen Satz aus römischem Juristenmund, der angesichts der die ganze Weltgeschichte hindurch herrschenden Doppelmoral im geschlechtlichen Verhalten überraschend sein mag. Es war abermals Ulpian, der es tadelte, dass von Frauen eheliche Treue verlangt wurde, von Männern aber nicht: periniquum videtur esse, ut pudicitiam vir ab uxore exigat, quam ipse non exhibeat35. Glanz des römischen Rechtsdenkens. VII. Schluss Neben Inhaltlichem ist es wohl vor allem die Wissenschaftlichkeit gewesen, welche denjenigen, die im Italien des 12.  Jahrhunderts die Digesten wiederentdeckten, wie eine glanzvolle Offenbarung erschienen ist. Das hat mit dazu beigetragen, dass durch die Arbeit dieser italienischen Juristen und die der nachfolgenden Generationen in West- und Mitteleuropa das römische Recht zur Grundlage aller unserer europäischen Rechte geworden ist – wobei das verblüffende und etwas unheimliche Faktum nicht unerwähnt bleiben soll, dass es sich nur um eine einzige Handschrift handelte, die aus der Antike erhalten geblieben war und die diese Wirkung entfalten konnte36. Es ist, wieder neben Inhaltlichem, diese Wissenschaftlichkeit, die bewirkt, dass heute wieder, bei den Bemühungen um ein europäisches, ja sogar auch um ein chinesisches Zivilrecht, das römische Recht in die Betrachtung einbezogen wird; wie mir scheint, nicht aus gutmütiger Herablassung oder um diesen alten Dingen die pflichtmäßige Reverenz zu erweisen, sondern wirklich deshalb, weil es zum Verständnis des Heutigen und zur Schaffung von Neuem von Nutzen ist.37 Diese überzeitliche wissenschaftliche Durchdachtheit und die anderen Eigenschaften, die ich skizziert habe, machen gewiss nicht den, das heißt den gesamten Glanz des römischen Rechts aus, aber doch etwas von ihm – von einem Glanz, der zum Schluss einen gerade 76  Jahre alt Gewordenen einem jetzt 75 Jahre alten Kollegen und Freund zurufen lässt: Senectuti vero celebrandae et ornandae quod honestius potest esse perfugium quam iuris interpretatio?

34  D.

5, 1, 12, 2. 48, 5, 14, 5. 36  Wolfgang Schuller, Einführung in die Geschichte des Altertums, Stuttgart 1994, S.  134  f. 37  Dazu Wolfgang Schuller, Zwischen Volksgeist und Gesetzgebung. Friedrich Carl von Savigny, in: Annette M. Baertschi und Colin G. King, Die modernen Väter der Antike. Die Entwicklung der Altertumswissenschaften an Akademie und Universität im Berlin des 20.  Jahrhunderts, Berlin / New York, 2009, S.73–86. 35  D.

Anmerkungen zur Entwicklung von Rückwirkungsverboten Von Harald Siems Grundsätzliche Rechtsprobleme, die auf ständig wiederkehrenden Konflikten beruhen und zu allen Zeiten den Fachverstand herausgefordert haben, verdienen das besondere Interesse rechtshistorischer Forschung. Sie laden ein zum Vergleich zeitspezifischer Interessengegensätze mit ihren politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Umständen. Man kann hoffen, in den jeweils gefundenen Problemlösungen wesentliche Elemente des Rechtes der Zeit und seiner Handhabung anzutreffen, und es mag sogar gelingen, sich wandelnde Gerechtigkeitsbedürfnisse und Wertvorgaben aufzudecken. Ein Rechtsproblem, dessen Lösung in den letzten 2000  Jahren immer wieder eine juristische Herausforderung darstellte, ist die Rückwirkung von Rechtsnormen. Es betrifft die Erfahrung, dass neue Konflikte oder Ordnungsbedürfnisse auftauchen, für deren Erledigung im überkommenen Regelungsvorrat mit der jeweils beherrschten Methode keine Norm zu finden ist. Eine derartige Situation kann sich in allen Rechtsbereichen ergeben – vom Strafrecht über Formvorschriften für Rechtsgeschäfte bis hin zu Amtspflichten für Kleriker etwa. Gravierende Missstände erfordern dann häufig nicht nur künftige Unterbindung, sondern auch die Behebung einer bereits eingetretenen Fehlentwicklung. Sogar eine strafrechtliche Sanktion kann unausweichlich erscheinen und das mitunter in einer Vielzahl von Fällen. Die entsprechende Regelung muss allerdings erst geschaffen werden, mithin auf bereits Vorgefallenes zurückwirken. Damit stehen sich unverzichtbare Steuerungsaufgaben eines Normgebers und Schutzbedürfnisse Einzelner, die auf den bisherigen Rechtszustand vertrauen, oder sich zumindest im Nachhinein nicht normkonform verhalten können, gegenüber. Eine Überwindung dieser Spannungslage ist in der europäischen Rechtsentwicklung bekanntlich durch Rückwirkungsverbote mit unterschiedlichen Einschränkungen gesucht worden.1 – In jüngerer Zeit haben Rechtshistori1  Aus der Literatur mit beachtlichen Quellenangaben: Affolter, Friedrich: Geschichte des intertemporalen Privatrechts, Leipzig 1902; Roubier, Paul: Les conflits de lois dans le temps (Théorie de la non-rétroactivité des lois), Bd. 1, Paris 1929,

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ker2 mehrfach den Schwerpunkt in der Entwicklung zum Rückwirkungsverbot im Bereich der mittelalterlichen Kanonistik gesehen, hier soll sich durch Baldus (!) das strafrechtliche Rückwirkungsverbot verfestigt haben.3 GegenS. 63–97 (unveränderter ND, Ders.: Le droit transitoire, 2.  Aufl. 1960, S. 30–51); Van Hove, A.: De legibus ecclesiasticis, Mechelen – Rom 1930, S. 17 ff.; ders.: De retrotractione vel non legum in iure canonico, in: Ephemerides Theologicae Lova­ nienses, 12. Bd., 1935, S. 551–578; Folmer, G. J. Ph.: Le droit privé transitoire ou intertemporel au moyen-âge, in: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis, 11, 1932, S. 285–331; Petroncelli, Mario: Il principio della non retroattività delle leggi in diritto canonico, Mailand 1931; Frison, Basil M.: The Retroactivity of Law (The Catholic University of America, Canon Law Studies No. 231), Washington D.C. 1946; Canzoneri O. P., P. E.: L’elaborazione e la formulazione del principio della non-retroattività nelle varie legislazioni, in: Angelicum 28, 1951, S. 254–282; ders.: Il problema delle non-retroattività delle leggi nella antica letteratura canonistica fino a Giovanni D’Andrea, in: Angelicum 28, 1951, S. 363–379; ders.: Il problema della non-retroattività delle leggi nei commentatori medioevali del Diritto Romano fino a Balbo, in: Angelicum 29, 1952, S. 290–309; ders.: Il problema della non-retroattività delle leggi nei commentatori delle Decretali del Quattrocento, in: Angelicum 30, 1953, S. 63–82; Lefebvre, Ch., in: Le Bras, G. / Ch. Lefebvre / J. Rambaud: L’âge classique 1140–1378. Sources et théorie du droit (Histoire du Droit et des Institutions de l’Eglise en Occident, Bd. VII), Paris 1965, S. 437 ff.; Broggini, Gerardo: La retroattività della legge nella prospettiva romanistica, in: Studia et documenta historiae et iuris, 32, 1966, S. 1–62; Schöckel, Gerhard: Die Entwicklung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots bis zur Französischen Revolution, 1968. Zu einem Spezialproblem: Lefebvre-Teillard, Anne: L’effet rétroactif de la légitimation en droit canonique médiéval, in: Le temps et le droit (Actes des Journées Internationales de la Société d’Histoire du droit), Nice 2000, S. 25–35. 2  Landau, Peter: L’evoluzione della nozione di „legge“ nel diritto canonico classico, in: „Lex et iustitia“ nell’ utrumque ius: radici antiche e prospettive attuali (Utrumque ius, 20; Atti del VII colloquio internazionale romanistico-canonistico, hrsg. von Ciani, A. / G. Diurni), 1989, S. 263–280, hier: S. 270–275; ders.: Die Bedeutung des kanonischen Rechts für die Entwicklung einheitlicher Rechtsprinzipien, in: Die Bedeutung des kanonischen Rechts für die Entwicklung einheitlicher Rechtsprinzipien, hrsg. von Scholler, H. (Arbeiten zur Rechtvergleichung, Bd. 177), 1996, S. 23–47, hier: S. 33; ders.: Der Einfluß des kanonischen Rechts auf die europäische Rechtskultur, in: Europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte. Ergebnisse und Perspektiven der Forschungen, hrsg. von Schulze, R. (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Bd. 3), 1991, S. 39–57, hier: S. 45; ders.: Das Register Papst Gregors I. im Decretum Gratiani, in: Mittelalterliche Texte. Überlieferung – Befunde – Deutungen, hrsg. von Schieffer, R. (MGH Schriften, Bd. 42), 1996, S. 140 mit der überraschenden Behauptung, Bernhard habe Compilatio I 1,1,2 unmittelbar dem Register Gregors entnommen, während vom gleichen Verf. bisher eine Entnahme über die Coll. Parisiensis II vertreten wurde. Thier, Andreas: Zeit und Recht im „ius commune“ – Entwicklungsstufen des Rückwirkungsverbotes in der Kanonistik, in: „Panta rei“. Studi dedicati a Manlio Bellomo, hrsg. von Condorelli, O., 5. Bd., Rom 2004, S. 383–406. 3  Thier, A. (wie Anm. 2), S. 404 ff. Die fraglose Beschlagnahme von Baldus allein für die Kanonistik ist eine verblüffende „Entdeckung“. Immerhin zeigen seine Querverweise (Baldi, in decret. vol. comm., Venedig 1595, zu X 1, 2, 2



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über der stark herausgestellten Leistung der mittelalterlichen Kanonistik für die europäische Rechtskultur wird der Beitrag des römischen Rechts und der Legistik deutlich geringer bewertet. Als zentraler Anstoß für ein uneingeschränktes Rückwirkungsverbot ist wiederholt die Dekretale Cognoscentes „entdeckt“ worden, die ihre Ausformung in der Collectio Parisiensis II (1177–79) durch Bernhard von Pavia erhielt, von ihm dann in die Collectio Lipsiensis und die Compilatio  I (1188–1190) übernommen wurde und schließlich in den Liber Extra4 gelangte.

Cognoscentes Rn. 15 verweist auf seine Bearbeitung von C. J. I, 14, 7) und die Argumentation mit Rechtssätzen aus beiden Bereichen, dass Baldus in seinem legistischen und kanonistischen Werk insgesamt wahrgenommen werden wollte. – In der Sache fehlt der Annahme, Baldus habe ein grundsätzliches Rückwirkungsverbot für Strafgesetze aufgestellt, eine tragende Begründung aus dessen Argumentationsgang insgesamt. Zwar versucht Baldus in Strafsachen Rückwirkungen zu vermeiden und erklärt für den Fall gesetzlicher Strafverschärfung bei Totschlag nur das Delikt für ius naturale, bei dem ein Rückwirkungsverbot und ignorantia iuris nicht greifen, die Strafe hingegen sei positives Recht mit der Folge, dass Rückwirkungsverbote und ignorantia iuris zum Tragen kommen können, was Baldus aber nicht extra bemerkt (Baldus zu X 1, 2, 17 Rn. 17). Allerdings hält Baldus am Prinzip fest, dass der Gesetzgeber Rückwirkungen anordnen kann: Lex potest disponere nominatim de praeterito et pendenti … in dubio disponit de futuro (Baldi, in primum Cod. Lib. Com., Venedig 1599, zu C. J. I, 14, 7 Summarium No. 1 und Rn. 1 und 2; ders., Comm. zu X 1, 2, 13 Rn. 1 und 7). Wie ist vor diesem Hintergrund der allein angeführte „Beweis-Text“ für ein Rückwirkungsverbot von Strafgesetzen zu verstehen? Constitutio habet oculos ad subiectam materiam. unde si subiecta materia est de praeterito respicit circa preteritum, si de futuro respicit in futurum. unde si disponit de pena imponenda, intellegitur de futuris. si autem de indulgentia vel dispensatione, intellegitur de factis praeteritis ne instruatur materia delinquendi (Baldus zu X 1, 2, 2 Rn. 13). Dass Baldus hier auf der Grundlage von Dig. I, 3, 22 argumentiert, darf nicht ausgeblendet werden. Die Formulierung legt nahe, dass Baldus an Gesetze denkt, die nicht nominatim eine Rückwirkung anordnen. Baldus sagt das selbst: Si lex loquatur verbis trahibilibus in praeteritum et futurum, trahitur ad illum tempus, quod consonat naturae negotii, ut indulgentia ad praeterita, poenae et statuta ad futura (Baldus zu X 1, 2, 13 Rn. 18; entsprechend zu X 1, 2, 2 Rn. 10). Wieder greift er auf Dig. I, 3, 22 zurück. Wenn also nichts nominatim bestimmt ist und sonst keine Ausnahmen vom Rücktrittsverbot vorliegen (ius naturale; Wiederholung oder Interpretation früheren Rechts), dann denkt Baldus anscheinend an eine Wirkung von Strafbestimmungen für die Zukunft. Doch bedarf das genauerer Überprüfung. 4  Collectio Parisiensis II, tit. 3 De novis statutis, ed. Friedberg, Emil: Die Canones-Sammlungen zwischen Gratian und Bernhard von Pavia, 1897, S. 33; Collectio Lipsiensis XLIX, 1, ebenda, S. 125; Compilatio I lib. I tit. 1 c. 2, ed. Friedberg, Emil: Quinque Compilationes Antiquae, 1882, S. 1; X 1, 2, 2 ed. Friedberg, Emil: Decretalium Collectiones (Corpus iuris canonici, pars secunda), 1879, Sp. 7 f. – Zu Bernhard von Pavia: Viglieno, C.: Il vescovo e canonista Bernardo de Pavia: profilo biografico, in: Bolletino della Società Pavese di Storia Patria, N. S. 95, 1995, S. 91–141; Kéry, L., in: Medieval Church Law (wie Anm. 142) S. 229–251.

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Auf eine solche auf die Kanonistik zentrierte Betrachtungsweise ist nicht weiter einzugehen, zumal A. Gouron5 sich dazu deutlich geäußert hat. – Allerdings hätte die Suche nach der Bedeutung der Kanonistik für die Schaffung eines uneingeschränkten Rückwirkungsverbotes in der europäischen Rechtskultur es nahegelegt, den Zusammenhang und das jeweilige Verständnis der folgenden Rechtstexte, die immerhin auch das geltende Kirchenrecht betreffen, zu untersuchen: 1. Codex Justinianus I, 14, 7 (a. 440). Leges et constitutiones futuris certum est dare formam negotiis, non ad facta praeterita revocari, nisi nominatim etiam de praeterito tempore adhuc pendentibus negotiis cautum sit. 2. Liber Extra I, 2, 13 Dekretale Gregor IX Quoniam constitutio apostolicae … quum leges et constitutiones futuris certum sit dare formam negotiis, non ad praeterita facta trahi, nisi nominatim in eis de praeteritis caveatur. 3. Codex iuris canonici von 1918, c. 10 = Codex iuris canonici von 1983, c. 9. Leges respiciunt futura, non praeterita, nisi nominatim in eis de praeteritis caveatur.

Ein Fortwirken römischrechtlicher Formulierungen bis zu den normae generales des geltenden Kirchenrechts ist kaum übersehbar. Das uneingeschränkte Rückwirkungsverbot der von Bernhard geformten Dekretale Cognoscentes (X 1, 2, 2): Rem quae culpa caret, in damnum vocari non convenit. Quoties vero novum quid statuitur, ita solet futuris formam imponere, ut dispendiis praeterita non commendet; ne detrimentum ante prohibitionem possint ignorantes incurrere, quod eos postmodum dignum est vetitos sustinere.

gehört dagegen nicht zu den normae generales des Codex von 1918 und des Codex von 1983. Die Suche nach dem „Gründungsheros“ eines Rechtssatzes wie dem des Rückwirkungsverbotes darf weiter reichende Fragen nicht verdrängen: I.  Wie hat der ursprüngliche Verfasser selbst seinen Text verstanden? II. In welchem wissenschaftlichen Diskurs haben Zeitgenossen das Problem der Rückwirkung behandelt und wie wurde die Aussage der Dekretale ­Cognoscentes aufgenommen? III.  Wie hebt sich die in den Anfängen des gelehrten Rechts gefundene Handhabung der Rückwirkungsfrage von Problemerfassungen und Lösungsansätzen in vorausgegangener Zeit ab? – Zu dem sich öffnenden weiten Beobachtungsfeld kann nur durch einzelne An5  Gouron, André: Le droit romain a-t-il été la „servante“ du droit canonique?, in: Initium 12, 2007, S. 231–243.



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merkungen hingeführt werden. Die relevanten Quellen sind seit längerem bekannt. I. Das frühe Gelehrte Recht ist in seinen Problemerörterungen stark vom aufgefundenen antiken Rechtsstoff bestimmt. Zur Rückwirkungsfrage boten insbesondere griffige Sentenzen des römischen Rechts Anknüpfungspunkte. Ein Ulpian-Fragment der Digesten war schon Ende des 11.  Jahrhunderts zugänglich und wurde von Ivo von Chartres wiederholt aufgegriffen: Cum lex in praeteritum quid indulget, in futurum vetat.6 Aus dem Jahre 393 gelangte ein Gesetz der Kaiser Valentinianus, Theodosius und Arcadius in den Codex Theodosianus. Dieses uneingeschränkte Rückwirkungsverbot: Omnia constituta non praeteritis calumniam faciunt, sed futuris regulam ponunt7 hat das Breviarium Alarici von 506 übernommen und mit der Interpretatio: Omnes leges non ea, quae anteriore tempore acta sunt, damnant, sed in futurum observanda constituunt8 versehen, doch fehlt das Gesetz im Codex Justinianus. Wirkungsvoller – wohl wegen der Aufnahme in den Codex Justinianus I, 14, 7 – war das bereits zitierte Gesetz von 440, das für den Fall ausdrücklicher Anordnung eine Rückwirkung von Gesetzen zuließ.9 Am Ende des 5.  Jahrhunderts formulierte Kaiser Anastasius unter Aufgreifen des Textes von 393 wiederum ein uneingeschränktes Rückwirkungsverbot: … conveniat leges futuris regulas imponere, non praeteritis calumnias excitare.10 Entsprechend diesen kontroversen Aussagen finden sich Gesetze, die eine Rückwirkung anordnen,11 und solche, die dies ausdrücklich ablehnen.12 Von diesen Texten hatte das Gesetz von 440 (C. J. I, 14, 7) mit dem eingeschränkten Rückwirkungsverbot die nachhaltigste Wirkung. Man spürt sie bereits in einer Formulierung der Dekretale Cognoscentes (futuris, formam), die Bernhard von Pavia einem Brief Gregors d. Gr. an den Bi6  Dig. I, 3, 22 erscheint bereits in der „Brittischen Dekretensammlung“; Conrat, M.: Der Pandekten- und Institutionenauszug der Brittischen Dekretalensammlung Quelle des Ivo, Berlin 1887, S. 8. Ivo, Decretum XVI, 192, MPL 161, 942; Ivo, Epistola 203, MPL 162, 208 (dort fälschlich als C. J. I, 14, 7 identifiziert). 7  C. Th. I, 1, 3. 8  Lex Romana Visigothorum, C. Th. I, 1, 3, ed. Haenel, Gustav, 1848 (ND 1962), S. 16. 9  s. o. im Text nach Anm. 5. 10  C. J. X, 32 (31), 66 (65), 1 a. E. (a. 497–499). 11  Z. B.: C. J. I, 2, 23; I, 54, 4; IV, 32, 27; Const. Tanta c. 23. 12  Z. B.: C. J. IV, 35, 23, 3; VI, 55, 12; VII, 6, 1, 13.

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schof Fortunatus von Neapel aus dem Jahre 599 entnahm.13 In diesem Brief ging es dem Papst darum, Missstände im Handel mit christlichen Sklaven abzustellen. Dennoch verneint er die rückwirkende Anwendung, da die Betroffenen in Unkenntnis seines späteren Verbotes gewesen seien und daraus keinen Nachteil haben dürften. Der mit Kenntnis von C. J. I, 14, 7 eröffnete Weg, eine Rückwirkung anzuordnen, wird von Gregor d. Gr. bewusst nicht gewählt. – Aus dem langen Brief des Papstes sind unterschiedliche Teile in c. 73 des Konzils Meaux-Paris 845 und von Amolo († 852) abgeschrieben worden, nicht jedoch die Passage zum Rückwirkungsverbot.14 Vollständig soll der Brief in der Collectio Anselmo dedicata15 und der Collectio duodecim partium16 enthalten sein. Der Akt der Normbildung ist anscheinend erst eine Leistung Bernhards. Durch nuancierte Auslassungen wird der Brief Gregors aller konkreten Falleinkleidungen beraubt und ohne Umstellungen zu einer kompakten Sentenz verdichtet.17 Dabei entsteht der Obersatz: Rem quae culpa caret, in damnum vocari non convenit.

Darauf folgt der Schluss für die Geltung von Normen in der Zukunft: Quoties vero novum quid statuitur, ita solet futuris formam imponere, ut dispendiis praeterita non commendet.

Bernhard endet mit einer Begründung zum Schutz der ignorantes: ne detrimentum ante prohibitionem possint ignorantes incurrere, quod eos postmodum dignum est vetitos sustinere.

Der zweite wichtige Schritt zur Normbildung liegt in der sachlichen Einordnung. Der komprimierte Text hätte sich unter eine Überschrift wie etwa de ignorantia iuris oder constitutio, an et quando liget ignorantem bringen lassen, so dass die Rückwirkungsproblematik nicht unmittelbar aufscheinen würde.18 In der Coll. Paris. II wählt Bernhard De novis statutis als Rubrik, 13  JE 1629; Brief IX. 104 edd. Ewald, P. / L. M. Hartmann: Gregorii papae registrum epistolarum, MGH Epp. II., 1899, S. 111 f. 14  Ed.: Hartmann, W.: Die Konzilien der Karolingischen Teilreiche 843–859, MGH Concilia III, 1984, S. 121. Amulonis epistola seu liber contra judaeos ad ­Carolum regem c. 50, MPL 116, Sp. 177 f. 15  Besse, J.-C.: Histoire des textes du droit de l’église au moyen-âge de Denis à Gratien, 1960, S. 44, septima pars, Gregorius 16. 16  Müller, J.: Die Überlieferung der Briefe Papst Gregors I. im Rahmen der Collectio duodecim partium, in: Licet praeter solitum. L. Falkenstein zum 60. Geburtstag, hrsg. von Kéry, L. / D. Lohrmann / H. Müller, 1998, S. 17–31, hier: S. 30, Nr. 120. 17  Die Bearbeitung Bernhards ist erkennbar in der Edition Friedbergs, Decretalium Collectiones, X 1, 2, 2 (wie Anm. 4). Die entfallenen Teile sind kursiv gesetzt. 18  Innocentii quarti commentaria super libros quinque decretalium, Frankfurt 1570, setzt Cognoscentes (X 1, 2, 2) unter die Überschrift: Constitutio, an et quan-



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vielleicht durch statuitur des Textes angeregt, und setzt damit den Akzent allgemein auf die Wirkung von Normen, was sich in De constitutionibus der Compilatio I und des Liber Extra fortsetzt.19 Es scheint, als könne man in der Abfolge der Textentwicklung die Geburtsstunde des uneingeschränkten Rückwirkungsverbotes nacherleben. – Aber wie hat Bernhard selbst seinen Text verstanden? War er sich des prinzipiellen Charakters seiner Aussage bewusst, und vertrat er tatsächlich ein uneingeschränktes Rückwirkungsverbot? Immerhin relativiert der Gebrauch von … solet … seinen Grundsatz. Anhaltspunkte zum Verständnis können weitere Schriften Bernhards geben. In seiner auf die Jahre vor 1198 datierten Summa Decretalium gibt Bernhard zum Titel De constitutionibus allgemeine, schulmäßige Erläuterungen und Definitionen.20 Erst gegen Ende spricht er über das Verhältnis älterer zu neueren Konstitutionen und stützt sich dabei auf zwei Digestenstellen.21 Es hätte sich angeboten, auf Cognoscentes und die Rückwirkungsfrage einzugehen, zumal den von Bernhard zitierten Stellen Dig. I, 3, 22 direkt vorausging, so dass sich die Thematik aufdrängte.22 Doch übergeht er diesen Komplex und lässt keinen Erklärungsbedarf erkennen. Aufschlussreich sind erhaltene Glossae und Casus Bernhards. Cognoscentes erläutert er in der Glosse zu formam] Ar. constitutiones tantum dare formam futuris negotiis, ut de qualit. et aet. praefic. A nobis.23 Der letzte Teil verweist auf Compilatio I 1, 8, 7.24 Der Stelle liegt ein Brief Alexanders III. an den Bischof von Durham aus den Jahren 1179–1181 zugrunde, in dem der Papst gestützt auf einen Beschluss des III. Laterankonzils Amtsvoraussetzungen für Kleriker festlegt, eine Rückwirkung aber ablehnt.25 Wichtiger ist der erste Teil constitutiones tantum dare formam futuris negotiis. Damit wird C. J. do liget ignorantem und lässt damit das Spezifikum der Rückwirkung aus. Siehe dazu unten im Text bei Anm. 82. 19  s. o. Anm. 4. 20  Bernardi Papiensis summa decretalium, ed. Laspeyres, Ernst Adolph Theodor, 1860, S. 2 f. 21  Praeiudicat autem constitutio posterior anteriori wird auf Dig. I, 3, 26 gestützt. Posteriores tamen secundum priores intelliguntur, si eis contrariae non inveniantur ist Dig. I, 3, 28 entnommen. 22  s. o. im Text bei Anm. 6. 23  Bernardi glossae, ed. Laspeyres (wie Anm. 20), S. 323. 24  Ed. Friedberg, Compilationes Antiquae (wie Anm. 4), S. 4 f. 25  JL 14348; WH 207 Teil c. Der Brief ist enthalten in der Sammlung: Appendix concilii Lateranensis, pars XXV c. 4, ed. Mansi XXII, Sp. 366. Zur Verbreitung Friedberg, Canones-Sammlungen (wie Anm. 4), S. 175. Zur Sammlung, Duggan, Charles: Decretal Collections from Gratian’s Decretum to the Compilationes antiquae: The Making of the New Case Law, in: The History of Medieval Canon Law in the Classical Period, 1140–1234, hrsg. von Hartmann, W. / K. Pennington, 2008, S. 277 ff.

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I, 14, 7, also das Gesetz von 440 zitiert, wenn auch die dort gegebene Möglichkeit, Rückwirkung anzuordnen, nicht genannt wird. Die Glossierung zu formam knüpft an die Gemeinsamkeit (futuris, formam) des Briefes Gregors d. Gr., der Dekretale Cognoscentes und C. J. I, 14, 7 an und zeigt, dass Bernhard dieses Gesetz als anregende Vorlage erkannt hatte. Die Glosse lässt sein Verständnis vom Verhältnis beider Normen erkennen. Cognoscentes äußert sich nicht dazu, dass Rückwirkung gesetzlich verfügt werden kann. Durch das Heranziehen von C. J. I, 14, 7 wird die Vereinbarkeit beider Regelungen nahegelegt, und so kann man auch bei Cognoscentes eine Rückwirkungsanordnung hinzudenken. Ein solches Verständnis von Cognoscentes lässt von vornherein keinen Gegensatz zur späteren Dekretale Quoniam constitutio apostolicae Gregors IX., die sich eng an C. J. I, 14, 7 anlehnt, aufkommen, so dass beide ohne Widerspruch im gleichen Titel des Liber Extra stehen können (X 1, 2, 2 und 13). Das sich abzeichnende Verständnis Bernhards vom Rückwirkungsverbot wird deutlicher in seinen nach 1198 abgeschlossenen Casus decretalium.26 Zunächst wird die Aussage von Cognoscentes knapper und damit strikter gefasst: Non infligatur poena, ubi culpa non reperitur; nova vero constitutio futuris formam imponat nec puniat ante commissa. Sodann nennt der Casus als Beispiel die Festlegung von Amtsvoraussetzungen für Kleriker durch das III. Laterankonzil, deren Rückwirkung abgelehnt wird unter Hinweis auf 26  Bernardi et Ricardi casus decretalium zu Cognoscentes, ed. Laspeyres (wie Anm. 20), S. 328: C. 2. Cognoscentes etc. Non infligatur poena, ubi culpa non reperitur; nova vero constitutio futuris formam imponat nec puniat ante commissa. Casus. Quaedam nova constitutio nuper a sede Apostolica emanavit; erant autem quaedam prius facta, quibus constitutio ista contradicere videbatur. Quaeritur, numquid occasione sequentis constitutionis ipsa sint revocanda. Resp. quod non; v. g. ut subiiciamus exemplum, a novo Lateranensi concilio canonem constat esse promulgatum, ut minoribus XXV annis ecclesiarum regimen nullatenus committatur, erant autem plures, quibus iam ante ipsum concilium fuerant regimina ecclesiarum commissa; quaerebatur ergo, num occasione sequentis canonis essent ipsis ipsa regimina auferenda, et resp. quod non, ut habes hic et infra de aetate et qualit. praefic. c. ult.; qui enim legem praevenit, in legem non commisit, ut C. XXXII. qu. 4 Dixit (c. 3). – in damnum vocare non convenit: Unde versus: „qui caruit culpa, careat me iudice poena“. – ut multa praeterita: i. e. perfecta. – non commodet: i. e. non faciat patr. dispendium i. e. damnun, scil. quod debeat retractari; similis locatio commodo memoriae; et haec vera sunt, nisi expressius etiam de praeteritis statuatur, ut Cod. De constit. Leges (L. 3). Bernhard benutzte die Casus des Ricardus Anglicus und entwickelte sie inhaltlich fort. Kuttner, Stephan: Repertorium der Kanonistik (1140–1234), 1937, S. 398 f.; Figueira, Robert C.: Ricardus de Mores and his Casus decretalium: the birth of a canonistic genre, in: Proceedings of the Eigth International Congress of Medieval Canon Law, San Diego 1988, ed. Chodorow, 1992, S. 169–187.



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den in Compilatio I 1, 8, 7 bewahrten Brief Alexanders III.27 Zusätzlich ist C. 32 q. 4 c. 3 zitiert. Die dort zur Entschuldigung der Polygamie Abrahams angeführte Behauptung Non ergo in legem conmisit Abraham, sed legem prevenit löst Bernhard vom Fall Abrahams und verdichtet sie zu einer allgemeingültigen Sentenz: … qui enim legem praevenit, in legem non commisit.28 Damit ist das Rückwirkungsverbot erneut festgeschrieben. Umso mehr überrascht der Abschluss: Während haec vera sunt das Vorausgehende bekräftigt, folgt die Einschränkung … nisi expressius etiam de praeteritis statuatur  … aus C. J. I, 14, 7. Nach Bernhard steht die Dekretale Cognoscentes im Regelungsrahmen des Gesetzes von 440. Die Anordnung der Rückwirkung wird nicht einmal als Problem benannt. Die Einschränkung der zuvor formulierten strengen Grundsätze erscheint so selbstverständlich, als hätte sie seit jeher bestanden. Weitere Hinweise zu Bernhards Beurteilung des Rückwirkungsproblems könnten seine Bearbeitungen einschlägiger Kanones bieten. Der schon erwähnte Text C. 32 q. 4 c. 3 erschien als Argumentationshilfe des Casus zu Cognoscentes. Der Kanon, eine ursprüngliche Abhandlung des Ambrosius,29 zielt auf Befreiung Abrahams vom Vorwurf des adulterium durch den Hinweis, er habe ante legem Moysi, et ante evangelium gelebt. Darauf folgt: Pena criminis ex tempore legis est, que crimen inhibuit, nec ante legem nulla rei dampnatio est, sed ex lege. Non ergo in legem conmisit Abraham, sed legem prevenit. Die intensive Behandlung der Stelle durch die Dekretisten hat R. Weigand herausgearbeitet und dazu auch zwei Glossen Bernhards aufgefunden.30 Diesem ist die bei Ambrosius angelegte Argumentation zugunsten Abrahams aus dem Rückwirkungsverbot allerdings verwehrt, da die Dekretisten inzwischen erkannt hatten, dass Ehebruch schon vor dem Gesetz Moses verboten war. Bernhard beurteilt Abrahms Verhalten: … prevenisset legem Moysi et evangelium, non tamen legem domini … Bei einem Verstoß gegen die lex domini ist weder das Rückwirkungsverbot betroffen, noch kommt ignorantia iuris als Entschuldigung in Betracht. – Ein anderes Mal zeigt Bernhard keine Bedenken, einen Brief Alexanders III. an den 27  s. o.

Anm. 25. Verallgemeinerung und damit die Ablösung vom Fall Abrahams war geboten, seitdem bewusst wurde, dass Abraham zwar nicht gegen das Gesetz Moses, wohl aber gegen das Gesetz des Herrn gehandelt hatte. Dazu sogleich im Text. 29  Ambrosius, De Abraham I 4 (23), ed. Schenkl, C., Sancti Ambrosii opera, pars prima (CSEL XXXII, 1), 1897, S. 517 f. 30  Weigand, Rudolf: Die Naturrechtslehre der Legisten und Dekretisten von Irnerius bis Accursius und von Gratian bis Johannes Teutonicus, 1967, S. 407–427, hier Glosse Nr. 734, 749, S. 416, 422. – Zu den Dekretglossen Bernhards, s. ders.: The Development of the Glossa ordinaria to Gratian’s Decretum, in: Hartmann / Pennington, History (wie Anm. 25), S. 74 f. 28  Die

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Erzbischof von Salerno mit einem rückwirkenden Wucherverbot in die Compilatio I aufzunehmen.31 In seiner Summa decretalium ist der Titel XV De usuris ausführlich bearbeitet, ohne dass die angeordnete Rückwirkung thematisiert würde. Wucherverbote des Alten und Neuen Testaments werden genannt, aber nicht argumentativ ausgewertet.32 – Schwieriger ist Bernhards Umgang mit den Amtsvoraussetzungen für Kleriker. Das III. Laterankonzil hat eine entsprechende Regelung mit Rückwirkung geschaffen, die Bernhard in die Compilatio I 1, 4, 16 aufnahm und die dann später in den Liber Extra gelangte.33 Ebenfalls in die Compilatio I 1, 8, 7 übernommen hat er den Brief Alexanders III. an den Bischof von Durham, der auf die fragliche Anordnung des Laterankonzils zu den Amtsvoraussetzungen Bezug nimmt, eine Rückwirkung allerdings ablehnt.34 Den letzten Text hat Bernhard in seiner Glosse zu Cognoscentes zitiert und in seinen Casus dazu ausgeschrieben.35 Disparat erscheint seine Glosse iam promoti] zum Konzilskanon selbst in Compilatio I 1, 4, 16, wenn er zur dort angeordneten Rückwirkung auf den Brief Alexanders III. Compilatio I 1, 8, 7 verweist, wo Rückwirkung gerade verneint wird.36 Vorausgehend sagt er aber klarstellend: quod constitutio trahitur ad praeterita. Mit diesen Worten drückt sich dann später auch die Glossa ordinaria zum Liber Extra aus.37 Wenn auch ohne ausdrückliches Zitat von C. J. I, 14, 7 argumentiert Bernhard entsprechend dieser Regel, die dann in der Dekretale Gregors IX. Quoniam constitutio apostolicae in X 1, 2, 13 Bestandteil des Kirchenrechts wird. Gesetzlich angeordnete Rückwirkung bereitet Bernhard kein Problem, er geht ganz selbstverständlich von dieser Gestaltungsmöglichkeit des Normgebers aus. Entsprechende Regelungen übernimmt er in seine Sammlungen, obwohl er das Instrument gezielter Auslassungen beherrscht. Fehlt ein Hinweis auf die Möglichkeit, Rückwirkung anzuordnen, wie in Cognoscentes, oder ist er nicht deutlich genug, wie bei Compilatio I 1, 4, 16, so ergänzt Bernhard unbefangen aus C. J. I, 14, 7. Durchgängig argumentiert er auf der Grundlage kanonistischer und legistischer Texte, wobei seine Fähigkeit, 31  JL

14093. Compilatio I 5, 15, 5 = X 5, 19, 5. summa (wie Anm. 20), S. 239 zu 5, 15 § 13. 33  Concilium Lateranense III, a. 1179 c. 3, ed. Mansi XXII, Sp. 218 f.; Conciliorum oecumenicorum decreta, edd. Alberigo, J. et alii, 3. Aufl. 1973, S. 212 f. – Compilatio I 1, 4, 16 = X 1, 6, 7. 34  s. o. Anm. 25. 35  s. o. Anm. 25, 26. 36  Bernardi glossae (wie Anm. 23), S. 323 Nr. 5: c. 16 De electione (I. 4) iam promoti] iam electi et investiti, scil. tempore concilii, et est ar. quod constitutio trahitur ad praeterita, ar. ut infra de aetate praefic. A nobis. 37  X 1, 6, 7 promovendis] Habes hic quod constitutio trahitur ad praeterita. de hoc dictum est supra de consti. c. ulti. (=  X 1, 2, 13)  … 32  Bernardi



Anmerkungen zur Entwicklung von Rückwirkungsverboten

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aus Vorlagen durch Verallgemeinerung und Kürzung eingängige, stringente Sentenzen zu formen, zum Tragen kommt. Von diesem Befund souveräner Material- und Problembeherrschung Bernhards ist kurz zur Dekretale Cognoscentes zurückzukehren. Es lässt sich fragen, warum er bei der Komposition dieses Textes nicht sogleich die Möglichkeit, Rückwirkung anzuordnen, ergänzt hat. Auch leuchtet die aus der Vorlage übernommene Argumentation mit dem Schutz der ignorantes nicht ohne weiteres ein. Immerhin fällt auf, dass Bernhard in seiner Summa, in Glossen und Casus diesen Gesichtspunkt nicht wieder aufgreift. Das liegt nahe, denn Rückwirkung und Vertrauensschutz sind grundsätzlich zu trennen. Lehnt man die Rückwirkung von Gesetzen ausnahmslos ab, so gelten sie auch nicht für die Vergangenheit. Ein Schutzbedürfnis für vor der Normsetzung handelnde ignorantes entsteht nicht, da sie nicht Normadressaten sind. Erst wenn Rückwirkung und damit Geltung für frühere Vorgänge möglich ist, ergibt sich das Problem, ob und wie Betroffene, die sich auf das künftige Gesetz nicht einstellen konnten, zu schützen sind. Dann mag die Figur der ignorantia iuris mit ihren Ausdifferenzierungen als brauchbares Instrument erscheinen. Von daher ist präziser zu fragen, ob Bernhard bei Abfassung von Cognoscentes die Rückwirkungsproblematik unzureichend verstanden haben sollte, oder ob er Ausnahmen vom Rückwirkungsverbot – etwa im Bereich von ius naturale, bei Interpretation früheren Rechts oder ausdrücklicher Anordnung – bereits mitbedachte und für diese Fälle einen Hinweis auf ignorantia iuris dienlich empfand. Hält man letzteres für wahrscheinlicher – wofür die Wendung … solet (!) futuris formam imponere  … spricht – bleibt zu erklären, warum er derartige Ausnahmen in Cognoscentes nicht angemerkt hat. Hier ist an Bernhards Vorgehen zu erinnern, allein durch gezielte Kürzungen zu komprimieren und strikte Aussagen zu schaffen, nicht jedoch zu ergänzen. Seine Vorlage, der Brief Gregors d. Gr., bot keine Einschränkung der Rückwirkung. Eine Übernahme des ignorantiaGesichtspunktes mochte sich angesichts der in Legistik und Kanonistik der Zeit intensiven Diskussion zur ignorantia iuris angeboten haben.38 Doch 38  Reiches Quellenmaterial ist ausgewertet durch Kuttner, Stephan: Kanonistische Schuldlehre von Gratian bis auf die Dekretalen Gregors IX., 1935, S. 163–175, bes. 172 ff.; Cortese, Ennio: Errore (diritto intermedio), in: Enciclopedia del diritto XV, 1966, S. 236–246; ders.: Ignoranza (diritto intermedio), in: Enciclopedia del diritto XX, 1970, S. 8–13; Winkel, Laurens: Vorbemerkungen zum Thema Rechtsirrtum in der mittelalterlichen Jurisprudenz, zugleich ein Thema aus der Geschichte der Rechts­ ideologie, in: Ius Commune XIII, 1985, S. 69–82. Jetzt auf breiter Quellengrundlage: Roumy, Franck: L’ignorance du droit dans la doctrine civiliste des XIIe–XIIIe siècles, in: Cahiers de recherches médiévales (XIIIe–XVe s.), vol. VII, 2000, S. 23– 43; ders.: Les distinctions et les sommes des glossateurs relatives à l’ignorance du droit, in: Rivista internazionale di diritto comune, 14, 2003, S. 119–154 (=  „Panta rei“. Studi dedicati a Manlio Belomo, Bd. 4, 2004, S. 467–489). – Abhandlungen des

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sind diese Überlegungen nur ein Deutungsversuch zu Bernhards Verständnis von Cognoscentes. Zur näheren Profilierung der Ansicht Bernhards sind zeitgenössische Aussagen zur Rückwirkungsfrage heranzuziehen. II. Das Aufgreifen der Rückwirkungsfrage durch Bernhard von Pavia steht nicht vereinzelt. Es gibt Anzeichen, dass die Thematik schon seit längerem aktuell und kontrovers behandelt wurde. In einem Brief an den Bischof Lesiardus von Soissons (1108–1127) betreffend veruntreute Kirchengüter zitiert Ivo von Chartres a. E.: Lex enim sic de praeterito indulget, ut in posterum prohibeat, und er fügt an: Pauca scribo quia non ignoranti legem respondeo. Vale.39 Das Zitat stammt aus den Digesten.40 Die anschließende Höflichkeitsfloskel könnte hinsichtlich der Bekanntheit der Stelle durchaus Realitätsbezug haben. Der Digestentext findet sich bereits in der „Brittischen Dekretalensammlung“,41 Ivo übernimmt ihn in sein Dekret42 und er wird zu einem klassischen Referenztext in der Rückwirkungsfrage.43 Ende des 11. Jahrhunderts bestand also bereits Interesse daran. Das deckt sich mit einem Hinweis vom Ende der 1170er Jahre auf eine schon länger anhaltende intensive Behandlung der Rückwirkungsproblematik. Eine Glosse des Melendus zu D. 82 c. 2 lautet: Omnis prohibitio in futurum extenditur, non retrotrahitur ut multis argumentis probatum est. M.44 Dass Verbote nur für die Zukunft wirken, ist für Melendus eine ausdiskutierte Frage (probatum est), und das bereits zu einer Zeit, als Bernhard erst tätig zu werden beginnt. Es muss also einiges vorausgegangen sein, eine kontroverse Auseinandersetzung, die jene angebliche Vielzahl von Argumenten gegen die Rückwirkung von Verboten erbrachte. Gelehrten Rechts zu ignorantia iuris erarbeiten immer feinere Differenzierungen nach der Qualität des betroffenen Rechts, nach Kenntnis, Kenntnisfiktionen, pflichtwidriger Unkenntnis und bezüglich Entschuldigungsgründen. Für die Frage der Zulässigkeit einer Rückwirkung von Gesetzen wird die Rechtsfigur der ignorantia iuris anscheinend nicht instrumentalisiert. 39  Ivo, epistola 203, in: MPL 162, Sp. 208. 40  Dig. I, 3, 22; s. o. Anm. 6. 41  s. o. Anm. 6. 42  Ivo, Decretum XVI, 192, in: MPL 161, Sp. 941 f. 43  Siehe: Azo, Brocardica aurea, Neapel 1568, Rubrica XVIII, S. 58 (Nachdruck: Corpus glossatorum iuris civilis, Bd. 4, 1967). Zu Baldus, s. o. Anm. 3. 44  Weigand, Rudolf: Die Glossen zum Dekret Gratians. Studien zu den frühen Glossen und Glossenkompositionen, Teil III und IV (Studia Gratiana Bd. 26), 1991, S. 622.



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Aussagen für und gegen eine Rückwirkung von Gesetzen konnten bei antiken Rechtstexten anknüpfen.45 Ein Gesetz Justinians von 541 mit einer 40jährigen Verjährung zugunsten kirchlicher Einrichtungen ist über die Epitome Juliani46 in die Lex Romana canonice compta,47 die Excerpta Bobiensia48 und zu Hinkmar von Reims49 gelangt mit der Anordnung: Haec autem constitutio et in praeteritis temporibus locum habet, nisi quaedam causae amicali transactione vel iudicali sententia sopitae sint. – Die mehrfach genannte Stelle C. J. I, 14, 7 mit Rückwirkungsmöglichkeit für den Fall ausdrücklicher Anordnung ist Gregor d. Gr. bekannt.50 Die wohl dem 7. Jahrhundert angehörende Summa Perusina zum Codex Justinianus macht daraus Causa, quae non est finita, sub presente lege finiatur,51 was wohl auf eine Anwendung des z. Z. der Entscheidung geltenden Rechts hinausläuft und abgeschlossene Fälle unberührt lässt. Nicht theoretische Überlegungen, sondern Beispiele der Praxis finden sich in den Libri feudorum. Gegen die Belehnung mit Kirchengütern wendet sich ein decretum Papst Urbans II. in sancto synodo, das auf 1095 datiert wird.52 Urban verfügt nur für die Zukunft, nicht für vergangene Fälle, 45  s. o.

Anm. 6–12. Juliani, const. 104 (cap. 366), ed. Haenel, Gustav: Juliani epitome latina novellarum Justiniani, 1873 (ND 1965), S. 122 (= Nov. 111,1). Zu inhaltlichen und den Überlieferungsproblemen: Kaiser, W.: Zur hundertjährigen Verjährung zugunsten der römischen Kirchen, in: ZRG KA 85, 1999, S. 60–103. 47  Lex Romana canonice compta c. 108, ed. Mor, C. G., 1927, S. 77. 48  Excerpta Bobiensia c. 81, ed. Mor, C. G.: Bobbio, Pavia e gli „Excerpta ­Bobiensia“, Contributi alla Storia dell’ Università di Pavia, 1925, S. 110 f. 49  Böhringer, Letha: Der eherechtliche Traktat im Paris. Lat. 12445, einer Arbeitshandschrift Hinkmars von Reims, in: DA 46, 1990, S. 18–47, hier: S. 32. 50  s. o. im Text nach Anm. 5 und Anm. 13. 51  Adnotationes codicum domini Justiniani (Summa Perusina), I 14, Lex 8. Idem a. ad. Senatum [7], ed. Patetta, Federico, in: BIDR 12, 1900, S. 19. – s. auch Faksimileausgabe Handschrift Perugia Bib. Cap. 32, Florenz 2008, fol. 13 v. Zur Datierung der Summa: Liebs, D.: Die Jurisprudenz im spätantiken Italien, 1987, S. 276 ff.; Kaiser, W.: Die Epitome Iuliani, 2004, S. 339 f., 346. – Zur Datierung der überliefernden Handschrift und weiterer Manuskripte des Codex epitomatus: Dolezalek, G. / A. Ciaralli: Codices Justiniani Epitome Beinecke and Summa Perusina (11th century), in: Ius romanum – ius commune – ius hodiernum, Studies in Honour of Eltjo J. H. Schrage, ed. Dondorp, H. u. a., 2010, S. 75–100, m. w. Nw., bes. Anm. 4–8. – Zum Codex Justinianus im frühen Mittelalter: Radding, C. /  A. Ciaralli: The Corpus Iuris Civilis in the Middle Ages, 2007, S. 133–168; Corcoran, S.: After Krüger: observations on some additional or revised Justinian Code headings and subscriptions, in: SZ 126, 2009, S. 423–439; s. a. ders.: a. a. O., S. 401–421. 52  Laspeyres, E. A. Th.: Über die Entstehung und ältere Bearbeitung der Libri feudorum, 1830, S. 158 f. 46  Epitome

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quod autem ante datum fuerat firmiter permanere debet.53 Die Bestimmung ist mit C. J. I, 14, 7 in Verbindung gebracht worden,54 doch fehlt es an signifikanten Übereinstimmungen. Gedankliche Nähe zur Codexstelle lässt sich bei einem Gesetz Barbarossas von 115455 vermuten, das ebenfalls in die Libri feudorum gelangte.56 Es ging darum, die Entfremdung von Lehen aufzuhalten. In dieser Sache war bereits Kaiser Lothar tätig geworden und hatte 1136 durch ein Gesetz,57 das auch Teil des Libri feudorum wurde,58 illicita commercia untersagt und den Verlust von precium und beneficium angedroht. Über den zeitlichen Geltungsanspruch war nichts gesagt. Wenn Barbarossa in seinem Gesetz feststellt: imperator Lotarius tantum in futuro cavens und er deshalb anordnet: ad pleniorem regni utilitatem providens … omnes huiusmodi illicitas alienationes hactenus perpetratas hac presenti sanctione cassamus et in irritum deducimus, so spiegelt sich darin die aktuelle Handhabung der Rückwirkungsfrage ganz im Sinne von C. J. I, 14, 7. Da sich Kaiser Lothar zur Geltung nicht geäußert hatte, wurde sein Gesetz als in die Zukunft gerichtet interpretiert: in futuro cavens. Wollte man Altfälle der Vergangenheit erfassen, bedurfte es einer ausdrücklichen Anordnung, und diese lieferte Barbarossa durch sein Gesetz von 1154. Der juristische Beraterkreis des Kaisers hatte sogar weiter gedacht und auch eine Ersitzung ausgeschlossen: nulla temporis prescriptione impediente; quia quod ab initio de iure non valuit, tractu temporis convalescere non debet. Die Abstützung durch einen Text der Regulae iuris offenbart die legistische Zurüstung.59 C. J. I, 14, 7 wird selbstverständlich beachtet. Seine Geltung erscheint fraglos und bedarf keiner argumentativen Absicherung. Der zentrale Text zum Rückwirkungsproblem C. J. I, 14, 7 findet schon früh die Aufmerksamkeit der Glossatoren. Eine Glosse aus den Anfängen, die Pescatore dem Irnerius zuweist, nennt zu de praeterito] C. J. I, 53, 1 53  Ed. Lehman, Karl: Consuetudines feudorum, I. Compilatio antiqua, 1892, tit. II § 6, S. 12; ders.: Das langobardische Lehnrecht, 1896, Consuetudines feudorum. Textus compilationis antiquae et recensionis vulgatae. Antiqua tit. II § 6 = Vulgata lib. I tit. 6 pr., S. 92. Beide Schriften sind nachgedruckt durch Eckhardt, K. A.: Bibliotheca rerum historicarum, Neudrucke 1, Consuetudines feudorum 1971. 54  Cujacius, Jacobus: De feudis libri quinque, lib. 1 tit. 1, in: Ders.: Opera, Bd. 8, Prati 1859, Sp. 593. 55  Constitutio „Imperialem decet solertiam“, a. 1154 Dec. 5, ed. Weiland, L: MGH Constitutiones I, 1893, Nr. 148, S. 207. 56  Consuetudines feudorum, Vulgata lib. II tit. 54 (55), ed. Lehmann, Das langobardische Lehnrecht (wie Anm. 53), S. 180 ff. 57  Constitutio „Imperialis benivolentie proprium“, a. 1136 Nov. 6, ed. Weiland (wie Anm. 55), Nr. 120, S. 175 f. 58  Consuetudines feudorum, Vulgata lib. II tit. 52, ed. Lehmann, Das langobardische Lehnrecht (wie Anm. 53), S. 175 f. 59  Dig. L, 17, 29.



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§ 4, wo bezüglich verbotener Geschäfte höherer Beamter Rückwirkung angeordnet ist.60 Eine zwischen Schriften der Quattuor doctores überlieferte Abbreviatio Codicis verkürzt den Text um den Vorbehalt ausdrücklicher Anordnung, so dass Gesetze allein eine Wirkung für die Zukunft haben.61 Eine Johannes Bassinus zugeschriebene Lectura zu C. J. I, 14, 7 erörtert die Bedeutung von negotia und bestimmt für den Fall, dass während anhängender appellatio eine lex nova promulgiert wird, eine Entscheidung nach altem Recht.62 So sieht es dann auch Azo in seiner Lectura zur Stelle.63 Vacarius nimmt in den Liber pauperum Dig. I, 3, 22 und C. J. I, 14, 7 auf.64 Eine Wirkung dieses Materials dürfte in dem Satz Leges tam praeteritis quam futuris negociis formam dare der Brocardica Dunelmensia vorliegen.65 Im Bereich der Kirche dauert das frühe Interesse an der Rückwirkungsfrage, das bei Urban II. bereits aktiv umgesetzt und von Ivo auf Dig. I, 3, 22 gestützt wird,66 an. Die ins Decretum Gratiani gelangte Abhandlung des 60  Pescatore, Gustav: Die Glossen des Irnerius, 1888, S. 95. Zur Problematik der Zuweisung von Y-Glossen an Irnerius siehe: Dolezalek, Gero: Repertorium manuscriptorum veterum Codicis Iustiniani, 1. Bd., 1985, S. 465 f., bes. Anm. 11; Fried, Johannes: … „auf Bitten der Gräfin Mathilde“. Werner von Bologna und ­Irnerius, in: Europa an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert, hrsg. von Herbers, Klaus, 2001, S. 170–201, bes. S. 194 ff. 61  Abbreviatio codicis, ed. Palmerius, J. B.: BIMAE I, Additiones, 1914, S. 249 rechte Spalte. Zum Überlieferungszusammenhang in der Handschrift Grenoble, 391,2 siehe Dolezalek, Gero: Verzeichnis der Handschriften zum Römischen Recht bis 1600, 1. Bd., 1972. 62  Aus der Handschrift Neapel, Branc. IV. D. 4, fo. 32 va, mitgeteilt von Cortese, Ennio: La norma giuridica. Spunti teorici nel diritto comune classico, 2. Bd., 1964 (ND 1995), S. 409. L. Leges et constitutiones, etc. Hanc legem quidam intellexerunt quod loquatur in iudiciis, et dicunt quod negotia vocat hic iudicia. Sed io[annes] b[assianus] dicit hoc esse falsum. Nec enim quod in lege dicitur, non ad facta preterita, etc., de iudiciis intelligitur dixisse, immo de negotiis omnibus: nam, si post inceptum iudicium et terminatum, appellatione pendente lex nova fuerit promulgata, iudex qui appellationi preest non debet secundum novam legem pronuntiare, sed secundum veterem, ut in aut. cum de appellatione cognoscitur. – s. a. Meijers, E. M.: Sommes, lectures et commentaires (1100 à 1250), in: Ders.: Etudes d’histoire du droit, 3. Bd., 1959, S. 211–260, bes. S. 245 ff. 63  Azonis ad singulas leges XII librorum codicis iustinianei commentarius, Paris 1557 (ND 1966, Corpus Glossatorum juris civilis III), S. 43. 64  The Liber Pauperum of Vacarius, ed. de Zulueta, F. (Publications of the Selden Society, vol. 44), 1927, S. 12 ff., lib. I. tit. 8, s. a. Glosse zu C. J. I, 14, 7. – Zum Meinungsstand über Vacarius: Landau, Peter: The Origins of Legal Science in England in the Twelfth Century: Lincoln, Oxford and the Career of Vacarius, in: Readers, Texts and Compilers in the Earlier Middle Ages. Studies in Medieval Canon Law in Honour of Linda Fowler-Magerl, hrsg. von Brett, M. / K. G. Cushing, 2009, S. 165–182. 65  Brocardica Dunelmensia 101, ed. van de Wouw, Hans, in: ZRG RA 108, 1991, S. 234–278, hier: S. 272. 66  s. o. bei Anm. 39 und 52.

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Ambrosius zur Entschuldigung Abrahams vom Vorwurf des adulterium fand über den Kreis der Kanonisten hinaus Verbreitung.67 Petrus Lombardus übernimmt daraus den Satz Non ergo in legum commisit Abraham si legem praevenit.68 Es sind jene Worte, die Bernhard von Pavia in seinem Casus zu Cognoscentes so griffig umformulierte.69 Die um 1169 redigierte Summa Coloniensis thematisiert das Problem: Legem de faciendis dari, non ad facta revocari. Considerandum est quod, cum leges instituuntur, de futuris dari tantum debent, non de preteritis. Vnde auctoritas: ‚Leges et constitutiones certum est formam futuris dare negotiis, non ad preterita reuocari, nisi aliquid expresse de preterito et adhuc lite pendente cautum fuerit.‘ Contingit enim aliquando causam pendentem pragmatice santionis causam existere.70 Die maßgebliche auctoritas ist C. J. I, 14, 7 unverkürzt. Die damit gegebene Eindeutigkeit – keine Rückwirkung außer bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung – wird nicht immer in gleicher Weise ausformuliert. Die auf 1186 datierte Summa Lipsiensis bezieht sich wiederholt auf C. J. I, 14, 7. Je nach Darstellungszusammenhang wird der Text vollständig71 oder um den Ausnahmetatbestand verkürzt wiederge­ geben.72 Über das 12. Jahrhundert hin hat das Problem der Rückwirkung von Gesetzen Interesse gefunden und Auswirkungen in der Praxis gehabt. Die Regelung C. J. I, 14, 7 ist präsent, wenn sie auch nicht stets ausdrücklich zitiert wird, so berücksichtigt man sie doch der Sache nach. Die unterschiedliche Wiedergabe – teils verkürzt auf den Grundsatz, teils mit dem Ausnahmetatbestand der angeordneten Rückwirkung – erscheint zufällig und nicht als Ausdruck eines Prinzipienstreites. Jedenfalls wird ein solcher nicht thematisiert und der Volltext von C. J. I, 14, 7 ist auch zu sehr bekannt, als dass sich durch Auslassung eine inhaltliche Manipulation vornehmen ließe. Durch die weite Verbreitung wurde Bernhard von Pavia auf die Rückwirkungsproblematik geradezu gestoßen und dürfte C. J. I, 14, 7 als Vorlage Gregors d. Gr. für seinen Brief von 59973 erkannt haben. Wenn Bernhard, statt sich mit C. J. I, 14, 7 zu begnügen, aus Teilen des Briefes 67  s. o.

bei Anm. 29, 30. Petri Lombardi sententiae in IV libris distinctae, lib. IV dist. 33 cap.  1, 7, Grottaferrata 1981. 69  s. o. bei Anm. 28. 70  Summa ‚Elegantius in iure divino‘ seu Coloniensis, edd. Fransen, G. / S. Kuttner (MIC, ser. A: Corpus Glossatorum vol. 1), 1. Bd., 1969, S. 7. 71  Summa ‚Omnis qui iuste iudicat‘ sive Lipsiensis, edd. Weigand, R. / P. Landau /  W. Kozur (MIC, ser. A: Corpus Glossatorum vol. 7), 1. Bd., 2007, S. 75, Z. 18 ff. zu: D. 23 c. 1. 72  Wie Anm. 71, S. 117, Z. 25 f. zu: D. 21 c. 1; S. 350, Z. 54 zu D. 82 c. 2. 73  s. o. bei Anm. 13. 68  Magistri



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die Dekretale Cognoscentes formt,74 so lässt sich vermuten, dass er den Grundsatz des Rückwirkungsverbotes von Gesetzen nicht nur auf ein antikes Kaisergesetz, sondern auch auf die hohe Autorität eines Papstes stützen wollte. Einen inhaltlichen Gegensatz zu C. J. I, 14, 7 und der dort genannten Ausnahme sah Bernhard ausweislich seiner Bearbeitungen zu Cognoscentes75 nicht. Die Vereinbarkeit von Cognoscentes mit der Anordnung einer rückwirkenden Geltung ist auch nach Bernhard von Pavia gesehen worden. Bekannt ist die Aussage Raimunds von Peñafort in seiner um 1220 entstandenen Summa de iure canonico: Item constitutio non trahitur ad praeterita, sed tantum ad futura. Fallit in duobus casibus, in quibus trahitur etiam ad praeterita. Unus cum fit constitutio super iure naturali. Alius cum hoc exprimitur in ipsa constitutione.76 Die griffige Sentenz mag durch die bereits vorliegende Dekretale Cognoscentes der Compilatio I angeregt sein mit den schon von Bernhard benannten Ausnahmen. So ergibt sich, dass Raimund im Liber Extra unbefangen Cognoscentes und die Dekretale Quoniam constitutio apostolicae Gregors IX., die am Ende C. J. I, 14, 7 wörtlich zitiert, im gleichen Titel einstellen konnte, ohne einen Gegensatz zu schaffen.77 Der damit hergestellte Regelungsgleichlauf beider Dekretalen wurde in den kanonistischen Bearbeitungen zu Cognoscentes aufrecht erhalten, bei Innocenz IV.,78 Hostiensis,79 Johannes Andreae80 und Panormitanus.81 Tritt die Dekretale Gregors IX. Quoniam constitutio apostolicae (X 1, 2, 13) in der Rückwirkungsfrage zunehmend als sedes materiae hervor, so werden bei Cognoscentes verstärkt Probleme der Promulgation, der Kenntnis und der ignorantia iuris behandelt.82 Der Sachdiskurs über die immer weiter ausdif74  s. o.

bei Anm. 17. bei Anm. 20 ff. 76  S. Raimundus de Pennaforte: Summa de iure canonico pars I tit. 5 c. 7, ed. Ochoa, X. / A. Diez (Universa Bibliotheca Iuris), Rom 1975, S. 10. 77  X 1, 2, 2 und 13 (Potthast 9526). 78  Innocentii quarti commentaria (wie Anm. 18), zu: X 1, 2, 2, S. 2: … nisi sit expressum in iure, quod praeterita respiciat. Dazu werden C. 10 q. 1 c. 2 und C. J. I, 14, 7 angeführt. 79  Hostiensis in primum decretalium librum commentaria, Venedig 1581, zu: X 1, 2, 2 Rn. 3, S. 7 vb Futuris] verweist auf X 1, 2, 13. Ders.: Summa, Lyon 1537, zu: de constitutionibus Rn. 21, S. 6 va. 80  Joannis Andreae in primum decretalium librum novella commentaria, Venedig 1581, zu: X 1, 2, 2 Rn. 15 und 17, S. 12 va. 81  Panormitani prima in primum decretalium, Lyon 1555, zu: X 1, 2, 2 Rn. 1, S. 17 rb. 82  Henrici Boich (=  Bohic) in quinque decretalium libros commentaria, Venedig 1576, zu: X 1, 2, 2, S. 5 f.; Baldi in decretalium volumen commentaria, Venedig 1595, zu: X 1, 2, 2 Rn. 5 ff., S. 11 vb f.; Antonii de Butrio super prima primi decreta75  s. o.

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ferenzierten Rückwirkungsprobleme wird von Legisten und Kanonisten übergreifend geführt, wie z. B. die miteinander verknüpften Kommentierungen des Baldus zu Codex und Liber Extra83 und die Orientierung des Panormitanus84 an Bartolus85 bzgl. Rückwirkung im Deliktsbereich zeigen. Neben der Ausnahme vom Rückwirkungsverbot im Fall ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung gab es im Gelehrten Recht weitere Modifizierungen des Prinzips, die hier ohne nähere Erörterung nur knapp genannt werden sollen. Das betrifft schon die Interpretation überkommener Gesetze, die zwangsläufig von einem späteren Standpunkt aus geschieht und Rückwirkung entfalten kann.86 Ausgehend von antiken Rechtstexten87 gelangten Placentinus und Rogerius in ihren Codex-Summen zur Parallelität von Rechtssetzungs- und Interpretationsbefugnis des Kaisers oder derer, denen er dies gestattete.88 Namentlich in Fällen der dubitatio und obscuritas von Gesetzen, worunter auch Gerechtigkeitszweifel fielen, sollte die interpretatio principis Erhellung bringen,89 die damit den Inhalt auch verändern lium commentarii, Venedig 1578, zu: X 1, 2, 2 Rn. 8 ff., S. 11 ra ff.; Felini Sandei in V. lib. decretalium, Basel 1567, zu: X 1, 2, 2 Rn. 4, 7 ff., Sp. 69 ff.; Pauli Laymanni jus canonicum, 1. Bd., Dillingen 1667, zu: X 1, 2, 2 Rn. 1, 3–7, S. 8–10. Nicht mehr bearbeitet ist Cognoscentes trotz Vorgehens in der Legalfolge beim „auctor probatus“ Prospero Fagnani, Commentaria in primum librum decretalium, Venedig 1697. – Vgl. demgegenüber die sich intensivierende Erörterung der Rückwirkungsprobleme im Rahmen von X 1, 2, 13 bei Panormitanus, a. a. O., zu: Quoniam constitutio apostolicae bes. Rn. 3 f., 8–13, S. 41 r–42 v; Felinus Sandeus, a. a. O., zu: Quoniam constitutio apostolicae insgesamt, Sp. 331–352. 83  s. o. Anm. 3. 84  Panormitanus (wie Anm. 81) zu: X 1, 2, 13 Rn. 12. 85  Expolita commentaria Domini Bartoli de Saxoferrato super prima. ff. veteris, Venedig 1526, zu: omnes populi (Dig. I, 1, 9), bes. Rn. 37 ff., 48 ff., S. 9 rb–15 ra, bes. S. 12 vb. 86  Vgl. den verbreiteten Grundsatz: consuetudo erit optima legis interpres, hier aus Rogerii summa codicis XII, 9, ed. Palmerius, J. P.: Scripta anecdota glossatorum (Bibliotheca iuridica medii aevi), 1. Bd., Bologna 1913, S. 56. 87  C. J. I, 14. Zum Beispiel C. J. I, 14, 9: … si quid vero in isdem legibus latum fortassis obscurius fuerit, oportet id imperatoria interpretatione patefieri, duritiamque legum nostrae humanitati incongruam emendari. 88  Placentini summa codicis, Mainz 1536, tit. 14, S. 17: Porro hodie solus Imperator, vel is cui Imperator permisit, potestatem habet condendi iura, et interpretandi. – Zur interpretatio principis eingehend und mit umfangreichem Quellenmaterial: Cortese, E.: La norma giuridica (wie Anm. 62), 2. Bd., S. 363–469. 89  Placentinus (wie Anm. 88): Siquid ergo in legibus obscure dictum inveniatur, ad principem referatur ut dilucidet, siquid durum similiter ut mitiget: haec ita si principis sit copia. – Rogerius (wie Anm. 86) Rn. 9, S. 56: cum dubitatio oritur inter ius scriptum et equitatem, idest cum queritur an ius scriptum sit equum, solius Principis est interpretatio, vel cui concessit. – Zum Topos der obscuritas vgl. Auctoritas Alarici von 506: … ut omnis legum Romanarum et antiqui iuris obscuritas



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konnte. – Als weitere Ausnahme vom Rückwirkungsverbot nennen neben Legisten gerade auch Kanonisten den Bereich des ius naturale.90 Hier wird von unveränderlicher und zeitloser Geltung ausgegangen,91 die sich bei neuerlicher Normierung nur aktualisiert. Neue Konstitutionen, die lediglich Sätze des Naturrechts konkretisieren, gelten selbstverständlich schon in der Vergangenheit, so dass ein Rückwirkungsproblem gar nicht erst entsteht. Ein Schutz Betroffener durch das Institut der ignorantia iuris greift in diesen Fällen kaum, da alle Erwachsene das ius naturale kennen sollen.92 Bedeutung erlangt diese Sichtweise im Strafrecht. Wenn etwas lege natu­rali verboten ist, wie z. B. Diebstahl, dann gebietet diese lex auch, Diebstahl zu bestrafen, und es gilt: iuris naturalis ignorantia nocet.93 Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, gegen elementare Störungen und Gefährdungen hochrangiger Güter, deren Schutz zum ius naturale gehört, vorzugehen, auch wenn entsprechende Spezialnormen erst noch geschaffen werden müssen. Es bleibt zu ergänzen, dass sich unabhängig vom ius naturale Aussagen finden, die einen Wertvorrang der Rechtsdurchsetzung vor individuellen adhibitis sacerdotibus ac nobilibus viris in lucem intelligentiae melioris deducta resplendeat et nihil habeatur ambiguum …, edd. Mommsen, Th. / P. M. Meyer: Theodosiani libri XVI, Bd. I / 1, 1905, S. XXXIII; Liutprandi leges, de anno quinto prologus: … quod forsitan antea videvatur obscuro, nunc omnibus luce clarius enetiscat, ed. Bluhme, F: Edictus Langobardorum, MGH LL in fol. IV, 1868, S. 110. 90  Raimundus, Summa de iure canonico, oben im Text bei Anm. 76; X 1, 2, 13 gl. Futura] … nisi sit constitutio iuris naturalis, quae etiam respicit praeterita.; X 5, 19, 5 gl. Sive post] … constitutio retrotrahitur … quia crimen istud ante illam constitutionem prohibitum erat utroque testamento … hoc enim divinum fuit praeceptum.; Innocenz IV, Commentaria (wie Anm. 18), S. 2 v zu: X 1, 2, 2 Dispendiis] nisi sit iuris constitutio naturalis; Hostiensis Commentaria (wie Anm. 79), zu: X 1, 2, 13 Rn. 4, S. 11 va: nisi ad ius naturale, ius divinum pertineat … vel nisi concordet cum iure antiquo p. quod id praecipiatur. 91  Weigand (wie Anm. 30), bes. S. 361–394; ders.: Das göttliche Recht. Voraussetzung der mittelalterlichen Ordnung, in: Chiesa, diritto e ordinamento della ‚Societas Christiana‘ nei secoli XI e XII, 1986, S. 113–137. 92  Gratian d. p. C. 1 q. 4 c. 12 § 2: Item ignorantia iuris alia naturalis, alia civilis. Naturalis omnibus adultis dampnabilis est  …; Bulgari de iuris et facti ignorantia summula, edd. Kantorowicz, H. / W. W. Buckland: Studies in the Glossators of the Roman Law, 1938 (ND 1969 with addenda et corrigenda by P. Weimar), S. 244 ff.; Rogerius (wie Anm. 86) XIV, 5, S. 58 b: ignorantia iuris naturalis nemini subvenitur. nam neminem permissum est ignorare ius naturale  …; Placentini summa codicis (wie Anm. 88) tit. XVIII, S. 22: Ius naturale ignorat, qui non novit se debere patrem pauperem procurare, captivum redimere, hic non excusatur: dummodo pervenerit ad annos discretionis; Liber iuris Florentinus III § 7, ed. Conrat, M: Das Florentiner Rechtsbuch, 1882, S. 30–35. – Lit.: s. o. Anm. 38. 93  Summa codicis Beroliniensis (Berlin, SB lat. fol. 271; fol. 155 ra–158 rb; Mitte 12. Jh.), lib. I tit. VII, 17 f., ed. Loschiavo, L: Summa codicis Berolinensis (Ius commune, Sonderheft 89), 1996, S. 180: Nam quia lege naturali prohibitum est furtum admittere, eadem lege preceptum est furtum punire.

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Schutzbedürfnissen aussprechen. So soll sich die Notwendigkeit eines Normgehorsams gegenüber ignorantia iuris durchsetzen: non ignorantia iuris nocet set necessitas observantie, heißt es in der Summa Londiniensis,94 und Vacarius präzisiert die Aussage weiter: … observancie necessitas, que ipsis legibus inest.95 Mit der utilitas regni macht Barbarossa ein höherrangiges Gut geltend, um die von ihm angeordnete Rückwirkung des Verbotes, Lehen zu entfremden, zu legitimieren.96 Insgesamt lässt sich sagen, die Behandlung der Rückwirkung von Gesetzen im frühen Gelehrten Recht geht von überkommenen römischen Rechtstexten aus und verläuft keineswegs in getrennten Bahnen für die Legistik und die Kanonistik. Erst im Zusammenspiel der juristischen Konstruktionen wird deutlich, welche Ausdifferenzierung in den Geltungsansprüchen von Normen einerseits, und hinsichtlich des Schutzes Betroffener durch mögliche Entschuldigung wegen ignorantia iuris andererseits gelingt. Selbst die Formulierung eines grundsätzlichen Rückwirkungsverbotes geschieht im Bewusstsein, daß eine gegenteilige Anordnung durch Gesetz möglich ist. Im Falle von Unklarheit kann der Gesetzgeber selbstverständlich durch nachträgliche Interpretation eingreifen. Schließlich wird die Rückwirkungsfrage völlig verdrängt, wenn sich die neu gesetzte Norm als Ausprägung von Naturrecht darstellen lässt und damit bereits ewige Geltung beansprucht. III. Versucht man die Leistung des Gelehrten Rechts in der Rückwirkungsfrage zu profilieren, so bietet sich ein Vergleich zu vorausgegangenen Problembehandlungen an. Der stets aufzulösende Konflikt liegt im Vertrauen der Betroffenen auf bestehendes Recht einerseits und andererseits in der Notwendigkeit, Missstände und Regelungsdefizite auch für die Vergangenheit zu beheben. Die gedankliche Erfassung des Problems steht unter erheb­ lichen Voraussetzungen. Zunächst muss es die Vorstellung neu gesetzten Rechts geben. Soweit Recht als bereits bestehend und nur als fallweise artikulierungsbedürftig empfunden wird, oder als stets geltendes römisches, göttliches oder Naturrecht erscheint, ist die Rückwirkungsfrage nicht viru94  Summa codicis Londinensis (London, BM Royal 15. B. IV; fol. 104 v–106 va; frühes 13. Jh. nach Kantorowicz / Buckland, wie Anm. 92, S. 43 Anm. 6a), Nr. 42, ed. Loschiavo, Summa codicis Berolinensis (wie Anm. 93), Appendice I, S. 203. 95  Vacarius, Liber pauperum (wie Anm. 64), lib. I tit. 9, gl. zu: Dig. 22, 6, 8: Sed in omnibus his casibus solus error iuris non nocet, sed quedam observancie necessitas, que ipsis legibus inest; s. a. gl. zu: Dig. 22, 6, 9 pr. und gl. zu: C. J. 1, 18, 12, S. 21 f. 96  s. o. bei Anm. 58 f.



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lent. Weiterhin muss die Notwendigkeit eines Aktes der Ingeltungsetzung bewusst werden. Das ist mehr als reiner Durchsetzungswille. Der Geltungsbeginn, die Zeitschranke zum früheren Rechtszustand muss erkennbar werden.97 Das legt Schriftrecht und standardisierte Texte nahe, um Eindeutigkeit zu schaffen. Diese so modern erscheinenden Vorgaben erhielt das frühe Mittelalter angeliefert durch den ersten Titel des Breviarium Alarici: Lex Romana Visigothorum, C. Th. I, 1, 1: Si qua posthac edicta sive constitutiones sine die et consule fuerint deprehensa, auctoritate carent. Interpretatio: Quaecumque leges sine die et consule fuerint prolatae, non valeant. Lex Romana Visigothorum, C. Th. I, 1, 2: Perpensas serenitatis nostrae longa deliberatione constitutiones nec ignorare quemquam, nec dissimulare permittimus. Interpretatio: Leges nescire nulli liceat, aut quae sunt statuta contemnere. Lex Romana Visigothorum, C. Th. I, 1, 3: Omnia constituta non praeteritis calumniam faciunt, sed futuris regulam ponunt. Interpretatio: Omnes leges non ea, quae anteriore tempore acta sunt, damnant, sed in futurum observanda constituunt.98

Damit waren immerhin einige Elementaraussagen vorhanden, wenn auch deren Realisierung unter den Bedingungen des Frühmittelalters Umsetzungsakte erforderlich machte. Eine Datierung die et consule war nicht mehr möglich, wurde aber in den Epitomae des Breviars fortgeschrieben.99 – Die angeordnete Gesetzeskenntnis erweitert die Lex Romana Curiensis um die Befolgung von Urteilen und mag darin einem praktischen Bedarf 97  Zum Publikationserfordernis für das Inkrafttreten von Kaisergesetzen in der Spätantike siehe die unterschiedlichen Bewertungen von Kreuzsaler, C.: Aeneis ­tabulis scripta proponuntur lex, in: Selbstdarstellung und Kommunikation, hrsg. von Haensch, R. (Vestigia 61), 2009, S. 209–248; Kaiser, W.: Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens von Kaisergesetzen unter Justinian, in: ZRG RA 127, 2010, S. 172–201. – Für das ostgotische Italien vgl. das Edictum. Athalaricus rex, a. 533 / 534 und die Publikationsanordnungen: Cassidori senatoris variae IX 18 und IX 19 und 20, ed. Mommsen, Th., MGH AA 12, 1894, S. 282–285. 98  Lex Romana Visigothorum, ed. Haenel, Gustav, 1849, S. 16. 99  Ed. Haenel (wie Anm. 98), S. 17.

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nachkommen.100 Der Breviartext selbst findet das gesteigerte Interesse Hinkmars von Reims. In Verbindung mit der von ihm oft zitierten Anordnung Papst Coelestins I.: Nulli sacerdoti suos liceat canones ignorare101 wird die Kenntnis und Einhaltung der leges von ihm immer wieder gefordert.102 – Das Rückwirkungsverbot des Breviars stößt allerdings auf unterschiedliche Resonanz. Während die verbreitete Epitome Aegidii es auf die knappe Formel: Leges non praeterita damnant, sed futura constituunt103 bringt, wird das Regelungsanliegen von anderen Epitomae104 nicht mehr erfasst. Immerhin ist der Breviartext bei Hinkmar von Reims wohl zweimal zitiert.105 Das Problem der ignorantia iuris dürfte dem Frühmittelalter hingegen kaum durch die Breviarliteratur vermittelt worden sein. Zwar gelangte aus dem Codex Gregorianus der Satz: Proinde quum iuris ignorantiam excusare facile non possis  … in das Breviar, doch geht die Aussage bereits bei Abfassung der Interpretatio verloren.106 Allerdings erhielt man aus anderen antiken Texten Anhaltspunkte zur Bewertung fehlender Rechtskenntnis eines Täters. Im rhetorischen Schrifttum wurde dies nicht unter den Begriffen ignorantia oder error iuris abstrakt behandelt, sondern in einer prozessualen Situation zum Zwecke der Verteidigung. Zur Entschuldigung des Täters konnte als purgatio Unkenntnis, imprudentia, ignorantia vorgebracht wer100  Lex Romana Curiensis I, 1, 2: Leges nescire nulli homini liceat, et que secundum lege est iudicatum, omnis homo sciat, ut hec custodire debeat, ed. MeyerMarthaler, E., 2. Aufl. 1966, S. 23. 101  Coelestin I. Brief 5, MPL 50, Sp. 436; JK 371. 102  Hinkmar, de ordine palatii, cap. III, Zeile 138 ff., edd. Gross, Th. / R. Schieffer, MGH Fontes iuris germanici antiqui i. u. s. [III] 1980, S. 46; Hincmari ad episcopos regni admonitio altera. Pro Carolomanno rege apud Sparnacum facta, cap. XIII (s. a. cap. IX), MPL 125, Sp. 1015; Douzy a. 871, Antwort der Bischöfe auf das Schreiben Hadrians II., cap. VI, ed. Hartmann, W., MGH Concilia IV, 1998, S. 555 Zeile 11 ff.; Hinkmar, de presbiteris criminosis, cap. VII, ed. Schmitz, G., MGH Studien und Texte, 34. Bd., 2004, S. 96; Hincmari epistola XXXII, ad Joannem Papam, c.  24, MPL 126, Sp. 242; in den Handschriften Paris lat. 12445 und Berlin Philipps 1741 nach Conrat, M.: Ueber eine Quelle der römischrechtlichen Texte bei Hinkmar von Reims, in: NA 24, 1899, S. 355 f. Anm. 4; ders.: Hinkmariana im Cod. Paris Sangerm. 12445, in: NA 35, 1910, S. 769 Anm. 1. 103  Ed. Haenel (wie Anm. 98), S. 17. 104  Epitome Guelpherbytana: Legem in futurum tantum valere et quae ante acta fuerunt damnat; ed. Haenel (wie Anm. 98), S. 17; Lex Romana Curiensis I, 1, 3: Hec lex anteriores leges non vetat, sed et in presenti et in futuro confirmat, ed. Meyer-Marthaler (wie Anm. 100), S. 23. 105  Hincmari epistola XXXII (wie Anm. 102); Devisse, J.: Hincmar et la loi, 1962, S. 49. 106  Lex Romana Visigothorum, C. Greg. VIII (IV), 1, ed. Haenel (wie Anm. 98), S. 448.



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den.107 Cicero nennt hierfür das Beispiel, dass gestrandete Seeleute für ihre Rettung der Diana ein Opfer bringen und dabei gegen ein ihnen unbekanntes Gesetz verstoßen. Die Darlegungen zur purgatio wegen Unkenntnis wurden fortgeschrieben bis hin zu Alkuin.108 Die zitierten Texte aus dem ersten Titel der Lex Romana Visigothorum: De constitutionibus principum et edictis erscheinen als Nachhall antiker Rechtskultur, doch weist ihre Aufnahme in das Gesetzbuch auf inhaltliche Akzeptanz hin. Das lässt fragen, ob es für die Probleme der Gesetzesgeltung entsprechende Regelungen in der Lex Visigothorum gab. Dieses Gesetz für die westgotische Bevölkerung bindet die Richter streng an die lex scripta.109 Der Geltungsanspruch war an das Gesetzbuch in seiner aktuellen Fassung gebunden. Ältere Exemplare durften bei Gericht nicht vorgelegt werden und es drohten hohe Strafen.110 Das brachte Probleme bei noch nicht erledigten früheren Fällen, die nach dem neuen Gesetzbuch zu entscheiden waren.111 Später fügt deshalb König Ervig dem Verbot, ältere Gesetzesfassungen vorzulegen, eine Ausnahmeregelung an, derzufolge zur 107  Lausberg, H.: Handbuch der literarischen Rhetorik, 3.  Aufl. 1990, §§ 187 ff; Martin, J.: Antike Rhetorik, 1974, S. 41; Hohmann, H.: Purgatio, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, 7. Bd., 2005, Sp. 479 ff. 108  Rhetorica ad Herennium lib. II, 26, ed. Nüßlein, Th., 2. Aufl. 1998, S. 82 ff.; Cicero, De inventione II, 31, ed. Nüßlein, Th., 1998, S. 254 ff.; M. Fabi Quintiliani institutionis oratoriae lib. 7, 4, 14, ed. Winterbottom, 2. Bd., 1970, S. 397 verwendet den Begriff ignorantia; C. Chiri Fortunatiani artis rhetoricae lib. I, 16, ed. Halm, C., Rhetores latini minores, 1863, S. 93 f.; Victorini explanationum in rhetoricam ­Ciceronis lib. I, 11.27; II, 31, ed. Halm, a. a. O., S. 191, 225 und 286 f.; Martiani Capellae de nuptiis Philologiae et Mercurii lib. V, 458, ed. Willis, J., 1983, S. 159 f.; Isidori etymologiarum sive originum lib. II, 5, 8, ed. Lindsay, W. M., 1911; Alcuini dialogus de rhetorica c. 15, ed. Halm, a. a. O., S. 532. 109  Lex Visigothorum II, 1, 13, ed. Zeumer, K.: Leges Visigothorum, MGH LL. nat. Germ. I, 1902, S. 60 Rubrik: Ut nulla causa a iudicibus audiatur, que in legibus non continetur. Darüber entscheidet der König und ergänzt das Gesetz. 110  Lex Visigothorum II, 1, 11, ed. Zeumer (wie Anm. 109), S. 58 f. Das Gesetz König Reccesvinths: Ne excepto talem librum, qualis hic, qui nuper est editus, alterum quisque presumat habere. Nullus prorsus ex omnibus regni nostri preter hinc librum, qui nuper est editus, adque secundum seriem huius amodo translatum, librum legum pro quocumque negotium iudici offerre pertemtet. Quod si presumserit, XXX libras auri fisco persolvat. Iudex quoque, si vetitum librum sibi postea oblatum disrumpere fortasse distulerit, predicte damnationis dispendio subiacebit. 111  Lex Visigothorum II, 1, 14, ed. Zeumer (wie Anm. 109), S. 61 (Recc.): Ut terminate cause nullatenus revolvantur, relique ad libri huius seriem terminentur, adiciendi leges principibus libertate manente. Quecumque causarum negotia incoata sunt, nondum vero finita, secundum has leges determinare sancimus. Illas autem, que iam iuste determinate sunt, resuscitare nullatenus patiamur  … Zu den umstrittenen antiken Vorlagen siehe Zeumer, K: Geschichte der westgothischen Gesetzgebung, in: NA 24, 1899, S. 72 ff.

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Beurteilung früherer Rechtsfälle ältere Texte bei Gericht herangezogen werden können.112 Direkt gegen eine Rückwirkung von Gesetzen spricht sich König Wamba aus: … nos tamen non preterita ordinamus, sed futura disponimus,113 und verwendet den auch in römischen Rechtstexten gebrauchten praeterita … futura Gegensatz.114 Rechtskenntnis wird wie im Breviar gefordert: Quod nulli leges nescire liceat.115 Ungelöst blieb bei der strengen Gesetzesbindung das Problem eines Regelungsdefizits, wenn z. B. ein strafwürdiges Verhalten im Gesetz nicht direkt unter Strafe gestellt war. Die Westgoten wollen bei ihren Prinzipien bleiben und das Rückwirkungsverbot nicht grundsätzlich aufgeben. König Chindasvind schafft allerdings eine besondere Strafe für jene, die in genauer Kenntnis der Gesetze dort nicht erfasste Untaten begehen. Ihnen drohen 100  Peitschenhiebe und Decalvation und das soll sogar rückwirkend geltend.116 – Man stößt auf seine Grenzen. Im langobardischen Italien gab die Gesetzgebungstechnik, das Edikt Rotharis durch angehängte, datierte Novellen fortzuentwickeln, wiederholt Gelegenheit, sich grundsätzlich zur Geltung zu äußern.117 Bereits Rothari hatte verfügt, dass allein durch die Autorität des notarius Ansoald bestätigte Exemplare glaubwürdig sind.118 Zugleich wird die Geltung durch eine Übergangsregelung festgelegt. Abgeschlossene Angelegenheiten sollen nicht 112  Direkt im Anschluss an den in Anm. 110 wiedergegebenen Text von Lex Visigothorum II, 1, 11 ergänzt Ervig: Illos tamen a damno huius legis inmunes esse iubemus, qui preteritas et anteriores leges non ad confutationem harum legum nostrarum, sed ad conprobationem preteritarum causarum proferre in iudicio fortasse voluerint. 113  Lex Visigothorum IV, 5, 6, ed. Zeumer (wie Anm. 109), S. 203; s. a. IV, 5, 7, S. 206. 114  s. o. bei Anm. 6 ff. 115  Lex Visigothorum II, 1, 3 Rubrik, ed. Zeumer (wie Anm. 109), S. 46, vgl. oben bei Anm. 97. 116  Lex Visigothorum VI, 4, 5, ed. Zeumer (wie Anm. 109), S. 267: Ut qui alteri ea intulerit, que legibus non tenetur, illa recipiat, que fecisse convincitur. Non minoris est noxe legum statuta nescire, quam sciendo prava conmittere. Quapropter quicumque actenus vel post haec inlicita perpetrans aut leges nescire se dixerit, aut in cuiuspiam damno vel periculo illa presumsit seu presumserit excogitare vel agere, que dicat legibus non contineri, adque ideo se non posse reatui subiacere, huius rei convictus presumtor ea continuo pericula, ignominia, tormenta adque cruciatum vel damna sustineat, que alii intulit vel inferanda molitus est, adque insuper C publice flagellorum verberibus cesus ad perennem infamiam deformiter decalvetur. 117  Die folgenden Ausführungen stützen sich auf Meyer, Ch. H. F.: Maßstäbe frühmittelalterlicher Gesetzgeber. Raum und Zeit in den Leges Langobardorum, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs, Jg. 2007, S. 141–187. 118  Edictus Rothari 388 a. E., ed. Bluhme (wie Anm. 89), S. 90.



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wieder aufgerollt werden. Nicht Beendetes und nach dem 22. November 643 Entstandenes wird nach dem Edikt zum Abschluss gebracht.119 Diese Entscheidung causae quae iudicatae et fenitae sunt, non revolvantur findet sich auch bei Grimowald und wird in Prologen und Epilogen der Novellen Liutprands mit Varianten oft genug wiederholt.120 Vielleicht glaubte man mit der Anweisung zum Ruhenlassen entschiedener Angelegenheiten die Rückwirkungsfrage erledigt zu haben. Doch gab es jene Fälle, die vor dem neuen Gesetz entstanden, aber noch nicht entschieden waren. Sie wären nach neuem Recht zu behandeln, das insoweit zurückwirken würde. Im Epilog zu den Gesetzen des 10. Regierungsjahres erweckt Liutprand dagegen den Eindruck, als sollten diese Fälle nach früherem Recht entschieden werden, entsprechend consuetudo und Edikt.121 Deutlich sagt er später zur Geltung seiner Novellen des 15. Jahres: … si deinceps causa emerserit, sic deveat fieri terminata, sicut nunc statuere visi sumus; quae antea emerserunt, sic determinentur, sicut anterior institutio fuit.122 Damit ist Rückwirkung ausgeschlossen, es gilt das frühere Recht aus der Zeit des zu beurteilenden Falles. Liutprand hat an dieser Stelle nicht nur eine Formulierung abgewandelt, sondern sich grundsätzlich gegen Rückwirkung von Gesetzen entschieden.123 Das wird erkennbar im Falle einer mulier libera, die einen servus zum Mann nimmt und noch nicht entsprechend dem Edikt verurteilt wurde. Die Sache war also noch nicht abgeschlossen. Liutprand verfügt in seiner Novelle, dass diese mulier libera eine ancilla palatii werden soll, und regelt damit rückwirkend einen früheren Vorgang durch Rothari 388 a. A., ebenda: causae que fenitae sunt, non revolvantur. Prolog, ed. Bluhme (wie Anm. 89), S. 91; Liutprand, Epilog des 1. Jahres, S. 109: Quae autem terminate et per divisionem decisae non sunt, in eo ordine deliberentur et maneant, sicut modo decrevimus  …; Liutprand, Epilog des 5. Jahres, S. 113: Quae … finitae et statutae sunt, sic permaneant; Liutprand, Epilog des 14. Jahres, S. 141: quae … finita et statuta sunt … sic maneant. 121  Liutprand, Epilog des 10. Jahres (wie Anm. 89), S. 120: … qualis cumque causae se antea emerserunt aut factae sunt, in eo ordine finiantur et maneant, sicut anterior fuit consuetudo, vel qualiter in antiquo edicti corpore contenetur. 122  Ed. Bluhme (wie Anm. 89), S. 146. 123  Spätere Formulierungen betonen allein die künftige Geltung der Novellen: Prolog des 19. Jahres (wie Anm. 89), S. 155: … si amodo … intentio excreverit sicut statuimus, ita finiantur; oder nennen den Bestand von statuta: Prolog des 17.  Jahres, S. 150: quod antea statuta sunt minime revolvantur. Häufig begründet Liutprand seine Novellengesetzgebung mit der Beseitigung von Unklarheit (dubium, dubietas und error) für die Richter und folgt damit antiken Vorgaben, s. o. im Text bei Anm. 89, dazu: Prolog des 12. Jahres, S. 128; Prolog des 14. Jahres, S. 147; Prolog des 22. Jahres, S. 169; Prolog des 23. Jahres, S. 171 f.: … ut amodo nulla sit iudicibus nostris, qui iudicare debent, qualiscumque dubietas, sed firmiter possint decernere. Die Klärung rechtlicher Zweifelsfragen für die iudices war in die Zukunft gerichtet. 119  Edictus

120  Grimowald,

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ausdrückliche gesetzliche Anordnung.124 Das entspricht im Prinzip C. J. I, 14, 7125 – dem Rückwirkungsverbot mit der Ausnahme einer gesetzlichen Anordnung. Wenn Liutprand für den Ausnahmefall Rückwirkung gesetzlich anordnet, so erweist sich, dass er im Grundsatz Rückwirkung ablehnt. Aufschlussreich ist Liutprands Behandlung eines Dorfüberfalls. Da das Delikt im Gesetz nur für Männer als Täter gefasst war, hatten diese ihre Frauen den Überfall durchführen lassen. Der König und seine Fachleute können sich nach eingehenden methodischen Überlegungen nicht zur Analogie entschließen und schaffen auch kein Ergänzungsgesetz mit Rückwirkung.126 Sie übernehmen die westgotische Regelung König Chindasvinds gegen jene Leute, die vom Gesetz nicht erfasste Untaten begehen: Die Frauen werden geschoren und ausgepeitscht.127 – Immerhin gibt es aus dem Langobardenreich sogar einen Nachweis, dass das Rückwirkungsverbot in der Praxis gehandhabt wurde. Aus einer Urkunde des 8. Jahrhunderts erfahren wir von einem Statusprozess aus dem zweiten Viertel des 8. Jahrhunderts in der Gegend von Como.128 Ein gewisser Lucius behauptet u. a., durch Freilassung am Altar den Status eines Freien erlangt zu haben, und legt eine Urkunde König Cunincperts (†  700) vor. Der Richter weist ab, da König Liutprand erst später die Möglichkeit einer Freilassung am Altar dem langobardischen Edikt angehängt habe. Eine Rückwirkung dieser Norm wird nicht einmal erwogen. Für das fränkische Gallien ergibt sich ein anderes Bild hinsichtlich der Rückwirkung von Gesetzen als im Langobarden- und Westgotenreich. Angesichts der von D. Liebs aufgezeigten, intensiven handschriftlichen Verbreitung von Codex Theodosianus, Breviar und Breviarliteratur in Gallien129 muss davon ausgegangen werden, dass deren Aussagen zu Datierung, Kennt124  Liutprand, Epilog des 10. Jahres, ed. Bluhme (wie Anm. 89), S. 120. Es geht um die rückwirkende Anwendung von Liutprand 24, S. 118, auf Edictus Rothari 221, S. 53. Verständnisschwierigkeiten ergeben sich daraus, dass die Unterschiede zwischen Ro. 221 und Liutpr. 24 in der praktischen Anwendung kaum erkennbar sind. So schon die langobardischen Juristen in der Expositio zum Liber Papiensis zu Ro. 221, ed. Boretius, A., MGH LL in fol. IV, 1868, S. 349 ff. 125  s. o. im Text nach Anm. 5. 126  Liutprand 141 (wie Anm. 89), S. 170 f. Vgl. Adsimilare. Die Analogie als Wegbereiterin zur mittelalterlichen Rechtswissenschaft, in: Europa an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert. Beiträge zu Ehren von W. Goez, hrsg. von Herbers, K., 2001, S. 142 ff., bes. 164 f. 127  s. o. Anm. 116. 128  Schiaparelli, L.: Codice diplomatico langobardo, 1. Bd., 1929, Nr. 81, S. 235– 238. – Siehe dazu Liutprand 23, a. 721 (wie Anm. 89), S. 118. 129  Liebs, D.: Römische Jurisprudenz in Gallien (2. bis 8. Jahrhundert), 2002, insbes.: Zweites Kapitel. Verfügbarkeit der römischen Rechtstexte bis zum 9.  Jh., S. 95–121.



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nis und versagter Rückwirkung von Gesetzen130 dort bekannt waren, und so wurden sie im 9. Jahrhundert auch von Hinkmar von Reims argumentativ herangezogen.131 Spuren praktischer Umsetzung des Rückwirkungsverbots haben sich hingegen kaum finden lassen. Im Pactus pro tenore pacis aus der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts wird Räubern künftig die in der Lex Salica nicht genannte Todesstrafe angedroht.132 Die Decretio Childeberts von 596 befasst sich mit inzestuösen Ehen und verfügt bei einer Heirat mit der Frau des Vaters Todesstrafe, de praeterita coniunctionibus wird ein emendare durch den Bischof angeordnet.133 Wie immer man die Texte interpretieren soll, ein Rückwirkungsverbot als Prinzip drückt sich in ihnen nicht aus. Zum Bereich von Rechtsgeltung und Rechtsdurchsetzung erfährt man erst Näheres aus den karolingischen Kapitularien. Karl d. Gr. verlangt, dass die iudices das Recht erlernen und nach der lex scripta gerechte Urteile fällen.134 Die Kapitularien sollen bekannt gemacht und befolgt werden.135 Die Befehle zur Verbreitung der Kapitularien notfalls durch Vermittlung von Texten lassen ein akutes Problem der Zeit erkennen.136 Anscheinend kam es 130  s. o.

im Text bei Anm. 98. Anm. 102, 105. 132  Pactus pro tenore pacis domnorum Childeberti et Chlotarii regum ‚Decretio Childeberti regis‘ … Id ergo decretum est …, ut apud quemcumque post interdictum latrocinium conprobatur, vitae incurrat periculum, ed. Eckhardt, K. A.: Pactus legis Salicae, MGH LL nat. Germ. IV, 1, 1962, S. 250 als „Capitulare II“ zur Lex Salica. Zur Quelle: Woll, J.: Untersuchungen zu Überlieferung und Eigenart der merowingischen Kapitularien, 1995, S. 13 ff. 133  Decretio Childeberti I § 2: … ut nullus incestuosum sibi sociari coniugio, hoc est nec fratri suo uxorem nec uxore suo sororem nec uxorem patruo aut parenti consanguineos. Uxorem patris si quis acciperit, mortis periculum incurrat. Et de praeteritis coniunctionis, qui incesti esse videntur, per praedicatione episcoporum iussimus emendari, ed. Eckhardt (wie Anm. 132), S. 267 als „Capitulare VI“. s. a. Eckhardt, W. A.: Die Decretio Childeberti und ihre Überlieferung, in: ZRG GA 84, 1967, S. 1–71; Woll (wie Anm.  132), S. 36 ff. 134  Admonitio generalis c. 63, ed. Boretius, A., MGH Capitularia regum Francorum, I 22, c. 63, S. 58: Primo namque iudici diligenter discenda est lex a sapientibus populo conposita, ne per ignorantiam a via veritatis erret. – Capitulare missorum generale a. 802, c. 26, Cap. I 33, c. 26, S. 96: Ut iudices secundum scriptam legem iuste iudicent, non secundum arbitrium suum. 135  Siehe den Bericht über die Bekanntmachung durch den Comes Stephanus in Paris, Cap. I, S. 112. – Zum Durchsetzungsdruck gegenüber Unwilligen, die sich hinter fehlender Kenntnis und Zustimmung verschanzten, siehe die Anweisung Karls  d. Gr. an seinen Sohn Pippin, Cap. I 103, S. 211 f: … admonemus tuam amabilem dilectionem, ut per universum regnum tibi a Deo commissum ea nota facias et oboedire atque inplere praecipias  … 136  Capitula per missos cognita facienda a. 803–813, Cap. I 67, c. 6, S. 157: Quicumque ista capitula habet, ad alios missos ea transmittat qui non habent, ut nulla excusatio de ignorantia fiat. 131  s. o.

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vor, dass man sich auf fehlende Kenntnis – ignorantia – berief, um die Nichtbefolgung von Anordnungen zu entschuldigen. Dem tragen Kapitularien durch die Anweisung nota faciunt ne de ignorantiam se excusare valeant Rechnung.137 Das ist keine Äußerung zur Rückwirkungsfrage und lässt auch nicht erkennen, was konkret den Geltungsanspruch auslöste. Es zeigt sich allerdings, dass ignorantia einen Entschuldigungsgrund bei nicht normkonformem Verhalten bot. Bekanntmachung schaffte Sicherheit für den Betroffenen über das, was von ihm verlangt wurde, und war für die Durchsetzung unverzichtbar. Diese Erfahrung hatten bereits gallische Konzilien des 6.  Jahrhunderts gemacht und das Verlesen der canones zur Vermeidung einer Entschuldigung wegen ignorantia gefordert.138 In den Regelungen zur Bekanntmachung wird ein Problembewusstsein für Normdurchsetzung und den Schutz Betroffener spürbar. Damit waren allerdings die Rückwirkungsfragen nicht zu beantworten. Wie konnte und musste man reagieren, wenn es für geschehene Untaten und bereits andauernde Konflikte noch keine Normen gab? Solcher Situationen war man sich durchaus bewusst. In seiner Schrift de ordine palatii berichtet Hinkmar von Reims, dass zum Hofe gedrängt wird mit Streitigkeiten, für die das welt­ liche Recht keine Regelungen bereithält, sagt aber nicht, wie dann genau verfahren wird.139 Schon im Rahmen des Aufzeichnungsvorganges war die Unvollständigkeit der leges bemerkt worden und man suchte zu ergänzen.140 Unbefangen bedient man sich aus bereitliegenden fremden Rechtstexten. Typischerweise konnten sich dabei Rückwirkungen ergeben: bei den Streitigkeiten, die mangels Rechtsstoff zum Hofe gebracht wurden, wie z. B. auch bei der Übernahme fremder Formvorschriften.141 Die sich daraus entwickelnden Schwierigkeiten werden nicht angesprochen.

137  s. o. Anm. 135, 137. Edictum Pistense a. 864, Cap. II 273, c. 25, S. 231: Quae omnia omnibus citissime a missis nostris et comitibus nota fiant, ne de ignorantia se excusare valeant. s. a. Cap. II 271, S. 301. 138  Concilium Matisconense a. 583, c. 9: … In quibus diebus cannones legendos esse speciali definitione sancimus, ut nullus se fateatur per ignorantiam deliquisse, ed. Maassen, F., MGH Conc. I, 1893, S. 157; ed. de Clerq, C.: Concilia Galliae a. 511 – a. 695, CCSL 148 A, 1963, S. 225. Concilium Aurelianense a. 541, c. 6: … statuta canonum legenda percipiant, ne se ipsi vel populi, quae pro salute eorum decreta sunt, excusint postmodum ignorasse, ed. Maassen, S. 88; ed. de Clerq, S. 133. 139  Hinkmar, de ordine palatii, cap. V (21) (wie Anm. 102), S. 70 ff., Zeile 350 ff. 140  Siehe den Gesetzgebungsbericht im Prolog der Lex Baiuvariorum: … addidit quae addenda erant  …, ed. v. Schwind, E.: Lex Baiwariorum, MGH LL nat. Germ. V, 2, 1962, S. 202; der Bericht Einhards zur Gesetzgebung Karls d. Gr.: … cogitavit quae deerant addere, Vita Karoli Magni, ed. Waitz, G., MGH SS rer. Germ. in usum scholarum, 1911, S. 33.



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Das Problem dürfte sich für die Zeitgenossen anders dargestellt haben, nämlich primär als Gewinnung von Normen zur Bewältigung neu bewusst gewordener Konflikte. Unter dem Gesichtspunkt der necessitas sind in der Kirche Aufgabe und Berechtigung zur Schaffung von Normen grundsätzlich reflektiert worden.142 Für Hinkmar berechtigt die necessitas rerum zur Normgebung. So sind die decreta catholicorum pro tempore et ratione atque necessitate prolate.143 Darin liegt Legitimation und auch der Auftrag. Schwindet die necessitas, so soll auch das von ihr Hervorgebrachte enden.144 Aliae necessitates rerum, quae solent mutare regulas diversarum rerum, sagt Abbo von Fleury, um das Nebeneinander von canones sibi contradicentes zu erklären.145 Nach Deusdedit gilt bzgl. des Papstes: quod necessitate cogente novas instituat leges.146 Angesichts der Schwierigkeiten, überhaupt benötigte Regelungen zu entwickeln, tritt das Problem der ignorantia iuris zurück. Vielleicht liegt eine solche Erfahrung dem Satz der Summa Londiniensis non ignorantia iuris nocet set necessitas observantie zugrunde.147 Konfliktbewältigung und Beherrschung eines Großreiches erfordern zunächst Normunterwerfung. In der Zeit Karls d. Gr. dürfte das eingeleuchtet haben angesichts ständigen Einsatzes der Kapitularien zur Durchsetzung von Reformen. 141

IV. Die vorausgegangene sehr lückenhafte Quellenauswertung hat zu unterschiedlichen Rechtszuständen geführt, die der Rückwirkung von Gesetzen in spezifischer Weise Raum boten oder versagten. Übergreifend ist zunächst 141  Lex Baiuvariorum XVI, 16 (wie Anm. 140), S. 442 übernimmt eine westgotische Regelung zur Form schriftlicher Vereinbarungen. Die Nichteinhaltung dieser Form durch vorausgegangene Verträge konnte noch lange relevant werden. 142  Kortüm, H.-H.: Necessitas temporis. Zur historischen Bedingtheit des Rechtes im frühen Mittelalter, in: ZRG KA 79, 1993, S. 34–55; Roumy, F.: L’origine et la diffusion de l’adage canonique Necessitas non habet legem (VIIIe–XIIIe s.), in: Medieval Church Law and the Origins of the Western Legal Tradition. A Tribute to K. Pennington, hrsg. von Müller, W. P. / M. E. Sommar, 2006, S. 301–319. 143  Hinkmar von Reims: Opusculum LV capitulorum (55-Kapitel-Werk) c. 20, ed. Schieffer, R.: Die Streitschriften Hinkmars von Reims und Hinkmars von Laon 869–871, MGH Concilia IV, Suppl. 2, 2003, S. 212–225. 144  Hinkmar (wie Anm. 143), S. 214. 145  Abbo von Fleury: Collectio canonum c. 8, MPL 139, Sp. 48. 146  Die Kanonessammlung des Kardinals Deusdedit, ed. Wolf von Glanvell, V., 1905, S. 10. – Bekanntlich auch: Dictatus papae c. VII: Quod illi soli licet pro temporis necessitate novas leges condere  …, ed. Caspar, E.: Das Register Gregors  VII., MGH Epp. sel. II, 1, 1920, S. 203. 147  s. o. Anm. 94.

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festzuhalten, dass für die Entstehung von Rückwirkungsverboten das angeblich erstmalige Auftauchen eines zentralen Rechtstextes oder der Ausspruch eines „frühen Entdeckergenies“ unerheblich sind. Entscheidend sind vielmehr die Rechtszustände, auf die ein solcher Text oder Ausspruch stößt. Das erweist sich darin, dass in den drei Beobachtungsfeldern, 1.  den mediterran-antik geprägten Reichen der Westgoten und Langobarden, 2.  dem Frankenreich und 3. dem Gelehrten Recht, am Ausgangspunkt einschlägige römische Rechtstexte bereits verbreitet und bekannt waren. Dennoch waren die Entwicklungen höchst unterschiedlich. Das lenkt die Aufmerksamkeit auf die Spezifika der drei Rechtsbereiche. Unter dem Blickwinkel der Rückwirkung von Gesetzen lassen sich die jeweiligen Textgrundlagen und das juristische Personal vergleichen. 1.  Für die germanischen Erobererreiche der Westgoten und Langobarden gab der Überrest antiker Kultur auch auf dem Gebiet des Rechts wichtige Anstöße für die weitere Entwicklung. Dem südgallisch-spanischen Westgotenreich bot das Breviar mit der umgebenden Literatur eine weitgehend alle Lebensbereiche abdeckende Versorgung mit römischen Rechtstexten. Entsprechend waren Ende des 6. Jahrhunderts im langobardischen Italien weite Teile des justinianischen Gesetzeswerkes vorhanden, wenn auch nur Einiges benutzt wurde. Hier gewinnbare Anregungen und die Einsetzbarkeit von Bildungseliten hatten Einfluss auf die eigene Gesetzgebung. Diese zeigt bei Westgoten und Langobarden trotz großer Unterschiede einige markante Gemeinsamkeiten: Datierung der Gesetze, Verpflichtung auf die lex scripta und Sicherung standardisierter Texte waren durchgehaltene Prinzipien. Mit der Fortentwicklung des Rechts befasste Fachleute waren sich der Problematik neugeschaffener Normen bewusst. Übergangsregelungen werden verfeinert, eine Rückwirkung von Gesetzen grundsätzlich abgelehnt. Die strenge Bindung an die lex scripta wurde trotz Kenntnis der Analogie auch in der ausweglosen Situation von Regelungslücken durchgehalten. Dabei zeigt der hilflos-skurrile Ausweg über den Straftatbestand des Begehens einer nicht sanktionierten Untat die methodischen Leistungsgrenzen auf. 2.  Für das Frankenreich ergibt sich eine völlig andere Situation im Hinblick auf Recht, Schrift und Zeit. Dabei müssen zu Beginn des 6.  Jahrhunderts mindestens in Südgallien Breviartexte und wohl auch frühes westgotisches Recht vorhanden gewesen sein, die Orientierungshilfe hätten geben können. Das Erscheinungsbild der Lex Salica weicht ab, schon eine Datierung fehlt. Sich über drei Jahrhunderte erstreckende Redaktionsstufen in stark variierenden Handschriften waren gleichzeitig im Umlauf. Textsicherheit fehlte, rekonstruierte Textstufen sind selbst in der modernen Forschung umstritten. Die Frage nach der zeitlichen und inhaltlichen Geltung stößt bei der Lex Salica auf einen ungeeigneten Gegenstand. Die Problematik einer Rückwirkung von Gesetzen konnte nicht wahrgenommen werden angesichts



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eines Gewirrs unterschiedlicher Textfassungen mit offenem Geltungsanspruch. Die mit der Schaffung der Lex Salica betrauten fränkischen electi bleiben schemenhaft und eine Spezialisierung von dauerhaft am salischen Recht arbeitenden Fachleuten vergleichbar den langobardischen iudices hat es wohl nicht gegeben. Regelmäßige Normsetzung findet sich im Bereich der Kapitularien, doch fehlt es auch hier oft genug an exakter Datierung, und die Durchsetzung in einem Großreich steht schon vor dem kaum überwindbaren Problem der Bekanntmachung. Ein im 9.  Jahrhundert zunehmendes Interesse an Rechtsfragen zeigt sich bei Hinkmar von Reims, der eine Rechtsquellenlehre entwickelt, die Rückwirkungsproblematik aber nicht behandelt. Zahlreiche rechtliche Streitigkeiten in dieser Zeit führen zu Gutachten, Streitschriften und massigen Fälschungen. Ein sich selbst tragender Diskurs fundamentaler Rechtsfragen gelingt allerdings nicht. Das rechtliche Argument erscheint oft als beliebiges Mittel in Machtfragen. 3.  Das Gelehrte Recht konnte auf einer stabileren Textgrundlage aufbauen. Die Legistik hat das justinianische Werk schon bald vollständig zur Verfügung und stand damit vor der Herausforderung, dessen juristischen Reichtum zu erschließen und in der eigenen Gegenwart zu realisieren. Neues Recht, insbesondere Gesetze mittelalterlicher Herrscher und Städte, brachten fruchtbare Harmonisierungsaufgaben im Verhältnis zum ius commune. – Die Kanonistik hatte im Decretum Gratiani eine aktuelle, bereits juristisch aufbereitete Basis, zu der die Dekretalengesetzgebung als ius novum trat. Dekretalensammlungen gaben Anstoß zur dynamischen Entwicklung des Kirchenrechts. Träger des Fortschritts in Legistik und Kanonistik waren ausgebildete Juristen. Rechtsschulen institutionalisierten einen methodengetragenen Diskurs, der Argumente und Ideen mit Personen und Schriften verband und so Lehrgebäude über die Zeiten in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung hielt. Die Ansiedlung von Problemen auf Grundtexten als sedes materiae bündelte die Diskussionsbeiträge. Problemverdichtung zu eingängigen Sentenzen führte zu Begriffen und deduktionsfähigen Obersätzen. Reale Erfahrung alten und neuen Rechts und methodische Zurüstung erlaubten Legisten und Kanonisten ein Aufbrechen der komplexen Rückwirkungsproblematik. Bezüglich des Geltungsbeginns wurde differenziert zwischen Inkraftsetzung, Publikation, Kenntnis und Kenntnisfiktion. Bei dem durch Auslegung zu ermittelnden zeitlichen Geltungsanspruch hat man beim Fehlen entsprechender Anordnung vom Regelungsanliegen her unterschieden nach Wirkung für die Zukunft, Gegenwart oder Vergangenheit. Zum ius naturale wird nach der Reichweite des Universalitätsanspruchs gefragt. Rückwirkungen und Rückwirkungsverbote können nach Regelungsgegen-

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ständen und Rechtsbereichen getrennt bewertet werden. Ein bei Rückwirkung zu erwägender Schutz Betroffener über ignorantia iuris berücksichtigt  die betroffene Rechtsmaterie und individuelles Schutzbedürfnis. Kurz: Im Gelehrten Recht wird seit den Anfängen des 12. Jahrhunderts das Problemarsenal zur Rückwirkung von Gesetzen für die folgenden Zeiten erarbeitet.

The Senatus Consultum Claudianum in 438 and after in the west By Boudewijn Sirks I. The senatus consultum Claudianum of 52 AD stated that free women who cohabited with slaves against the wish of the latters’ masters, were to be slaves of those masters too, and if there were children, these, otherwise freeborn, as well.1 It led later on to interpretations and adaptations, and seven of these are known in constitutions preserved in the title on the senatus consultum in the Theodosian Code, viz. in CTh 4.12 Ad Senatus Consultum Claudianum. Book 4 has been transmitted fragmentarily, but there are two remnants of it which have texts of this title. A volume in the Vatican Library, Vat.reg.lat. 520, being a collection of loose leaves, has a leave (fo. 95), written in the 11th–12th century, with the rubric and constitution 1, the last line and an interpretation of 2, and the constitutions 3 and 5–7.2 The constitutions 1, 3 and 5–7 have an interpretation as well. Further, now lost palimpsested fragments of the Code in the Turin Library, written at the end of the 7th or in the 8th century, had several (unnumbered) constitutions dealing with this senatus consultum: the last line of constitution 3, the constitutions 4, 5, 6 and 7. These did not carry an interpretation.3 In the transmitted copies of the Breviarium Alaricianum, which contains an extract of the Theodosian Code, there is no title on the senatus consultum Claudianum. It was on the basis of these elsewhere transmitted texts 1  See Sirks, A. J. B., Der Zweck des Senatus Consultum Claudianum von 52  n. Chr., in: ZSS Rom. Abt. 122 (2005), p. 138–149. 2  Mommsen, Th., Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis edidit adsumpto apparatu P. Kruegeri, Vol. I pars prior Prolegomena, Berlin 1905, p. LXXXVI–LXXXVII. Since the constitutions neatly fill up both sides and the date of and interpretatio to CTh 4.12.2 has been added in the margin, it is well possible that it concerns an extract from the Code and not part of a complete code. Apparently the copyist had forgotten constitution 2 but considered the interpretatio sufficiently informative. If it concerned a complete copy of the Code, this omission would be less likely. 3  Mommsen, p. XXXIX–XLII.

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that Haenel restored a title on the senatus consultum Claudianum in his Lex Romana Visigothorum4 and Mommsen in his Theodosian Code. Haenel did this presumably because these interpretations – i. e., the interpretations of Vat.reg.lat. 520 – are similar to those of the Breviarium Alaricianum.5 But in itself this is no cogent argument: other Turin fragments and the ms. Vat. reg.lat. 886, both being copies of the Code, have interpretations too, although the style of the latter is different from those of the Breviarium. Further, although it is generally assumed that the Alarician compilers added the interpretations, they supposedly did not compose these or all of them themselves.6 Why there is no title on the senatus consultum in their code is unknown. Perhaps the Alarician compilers, when they compiled their code in 506, did not feel a need for the finesses of the texts in the Theodosian Code? One might suggest this if there was an alternative source for the senatus consultum which would have served practice, yet that is not the case. The Breviarium contains an extract of the Pauli Sententiae: in the modern edition of these Sententiae several rules on the senatus consultum are recorded in title 2.21a. But this title was later recovered and did not form part of the Pauli Sententiae as included in the Breviarium Alaricianum. The Alarician compilers seem to have left out both the title and this part of the Pauli Sententiae on purpose. Likewise there is no trace of the senatus consultum in approximately contemporaneous collections as the Edictum Theoderici or the Lex Romana Burgundionum. With the Theodosian Code the situation is, of course, different. Since as far as we know the Breviarium had nothing on the senatus consultum, fo. 95 must have been copied from a Theodosian Code with interpretations. As regards the Turin fragment, it is clear that we have here the last part of the title, with the first part having been on the preceding now lost leaf. On the top of the leaf is written “Lib IIII” and “T XIIII”. Mommsen assumed a mistake here and attributed the number XII to the title. The other ms. has only the rubric and no number. That the texts are on both sides of a page, filling these, makes it in this context plausible that it was copied as such and did not form part of an entire copy of the Code (see also note 2). If so, the fact that constitution 4 was not copied would less be attributable to 4  Haenel, G., Lex Romana Visigothorum, Leipzig 1848, repr. Aalen 1962, p. 118 (Breviarium Alaricianum Ch 4.11). 5  He does not say why, but he records that both Baudi de Vesme and Maubeuge were of the opinion that this title was not included in the Breviarium (Haenel, p. 118, a)). 6  Liebs, Detlef, Römische Jurisprudenz in Gallien (2. bis 8. Jahrhundert), Berlin 2002, p. 118, 148–156 for the Interpretationes Codicis Theodosiani; p. 109, 166–176 for the Breviarium Alaricianum; p. 106 for the Summaria Codices Theodosiani; p. 98 note 31 for the Turin fragments.



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a defect in the code used and more to the choice or mistake of the copyist. He apparently merely forgot constitution 2 since he corrected this partially. II. The fact that the mentioned Late Antique works did not contain anything on the senatus consultum is, however, strange. It is difficult to conceive that in a society where slavery existed, such a sanction against the cohabitation between a free woman and a slave would not have been considered useful. Such unions would likely make slaves less obedient, since they would have children who were, although illegitimate, freeborn.7 Further, in the east in any case the senatus consultum had been extended to marriages between coloni adscripticii and women, not subjected to this or a comparable condicio.8 Thus we see an extension to cases of free persons of a different public law standing. It remained in existence there until Justinian abolished it in 531–534 (CJ 7.24.1). This might be an argument to explain why the Alarician compilers did not include the senatus consultum: they might have been on the same track and, so to speak, progressive. If so, then their initiative was short lived, since a year after the Breviarium was promulgated the Franks attacked the Visigothic kingdom, and they conquered it definitively in 531. But the extension in the east shows that its concept could be extended and thus, and even if the border between slavery and villeinage had become obscure, there would still have been application for the senatus consultum for low statuses other than slavery. That the rule itself indeed not go into abeyance has been observed by Arjava, who refers to the Appendix legis Romanae Visigothorum 1.18, which, although perhaps composed before 506, was nevertheless considered to be of sufficient use to be appended later on to the Breviarium. It deals with the claim to inheritance of a person, according to the senatus consult a freedman, to his mother’s estate.9 Further, Liebs gives a short survey of the continuity of the senatus consultum in the Frankish period, mentioning, i. a., the Formula Andecavensis 59 (Angers, 6th century) and the Formula Marculfi 29 (see below).10 It 7  See

Sirks, note 1. A. J. B., The Colonate in Justinian’s Reign, in: Journal of Roman Studies XCVIII (2008), p. 127–128. 9  Arjava, Antti, Women and Law in Late Antiquity, Oxford 1996, 223–224 and note 124. He carefully merely suggests a continuation of the rule of the senatus consultum. Liebs, p. 115, considers this possible older than the Breviarium. He supposes (p. 141–144) that an actual case was the reason to compose it, and it is not impossible, that this was done in the middle of the 5th century. 10  Liebs, p. 191: the collection of formulae (not always anonymised contract deeds) is a supplement to a Breviar-epitome. The formulae 58–60 were added in 598 8  Sirks,

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is the example of a document which prevents that the woman who marries a slave will be subjected to servitium herself, as well as her children: Nos enim illi et coniux mea illa. Dum non est incognitum, qualiter aliqua femena nomine illa servo nostro nomen illo ad coiugium copulavit, et modo nos bona volumtate convenit, ut, quamdiu quidam in coiugio sunt copolati, ipsa femena per nos non debiat esse declinatam in servicio, et agnacio, se ex ipsis procreata fuerit, ad ingenuetatem capitis eorum debiant permanere ingenui; si quoque, ut se eis necessitas fuerit, ad servicio caput eorum inclinatur, non ei detur licencia nisi ad nos, ad heredis nostris propinquioris; et peculiare, quod stante coniugio laborare potuerit, ipsa femena tercia parte exinde habeat absque nostra repeticione vel eredum nostrorum. Deinde in hanc epistola nobis intimare convenit, se nos ipsi aut heredis vel propinqui nostri seu quislibet opposita persona, quis ad traditis convenencias ipsa femena conmodolare voluerit aut contra epistola hec agere, cui timptator fuerit, soledus tantus conponat, et nihil vindicit et quod repetit, et hec epistola omni tempore firma permaneat. Thus a free woman who married a slave (marriages were most likely in these days Christian and consequently a slave could now marry) would become enslaved unless the owner of the slave agreed not to use this right. That is precisely the arrangement of the senatus consultum. A document could be drawn up to prove that she had this allowance so that she and her children remain ingenui, what in these days meant: not subjected in a way such as slaves. What the Roman sources do not tell is that conditions could be set: if there is a need, she and her children must perform services and she may keep one-third for herself and cede two-thirds of what she earns during the marriage. According to Liebs this division corresponded with Frankish law.11 It is not impossible that before 438 or 476 such conditions were practised as well. As such they were possible: everybody could promise to perform services and the master could have enslaved her, so he could have refrained from this as well under conditions set. Application of the rule would have otherwise enriched the slave owner with a woman slave and probably slave children, if the woman did not want to leave her man, so some compensation would not be out of place. And that was not impossible, nor that she would go such lengths to stay with him.12 What preor 599. They were drawn up in Angers. His overview of the senatus consultum for Angers on p. 195–196, for the Formulae Marculfi on p. 201. 11  Liebs, p. 196. 12  As Justinian says in CJ. 6.40.2.1: Cum enim mulieres ad hoc natura progenuit, ut partus ederent, et maxima eis cupiditas in hoc constituta est, quare scientes prudentesque periurium committi patimur? If they were prepared to perjure for this, they might as well be prepared to become enslaved in order to remain with their man.



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cisely servitium legally implied in those days is not certain, but it was certainly not a state of freedom; more likely, as follows from this and other formulas, a status in which one had to follow orders and could not freely dispose of property: in short, much alike, if not identical, to classic Roman slavery. A deed of 573 confirms that such a formula was indeed used in practice.13 Also the Formula Marculfi 29 (Francia, around 700)14 is such a draft for the prevention of slavery in the case of such a union. It mentions two possibilities: a union out of free will and the case of the woman being abducted by the slave. In such a case she would have no choice than to marry her abductor, since she would otherwise lose her honour.15 But the punishment for abduction would be death,16 and so the document refers to intermediation and an amicable agreement between, apparently, the owner of the slave and the family of the woman: her children will remain free. In case that she voluntarily marries the slave, she and her offspring would normally become enslaved, but for God and to redeem his sins the master promises to let her children remain free. These must stay on the lands of the master and his descendants, they may have a peculium, and they must pay every year what free men pay.17 It implies that these children were like 13  Liebs, p. 195 note 352, mentions Wemple, S. F., Women in Frankish society, Philadelphia 1981, p. 71–72. Wemple cites a deed by Abbott Aredius of Attigny and his mother Pelagia, donating the slave Valentianus to the monks of Tours: et ipse quatuor arpennos vineae colat monachis, et nihil amplius. Uxor sua Subfronia et filios, si habuerint, in libertate permaneant. Nota bene, that the operae of Valentianus are specified and limited. 14  Liebs, p. 199. 15  See Evans-Grubbs, J., Law and family in Late Antiquity: the emperor Constantine’s marriage legislation, Oxford 1995, p. 62, 13ff, 187. Some central sources: the Decl. pseudoquintilian. 280 and 286, Sen. contr. 3 and Calp. Flac. 41. On these Langer, Vera Isabella, Declamatio Romanorum, Frankfurt am Main 2007, p. 65–70, 308–314. Either it was supposed she had gone voluntarily, or she had been raped: both unattractive alternatives. Evans-Grubbs, however, also mentions the possibility that lovers avoided in this way unwanted forced marriages: Evans-Grubbs, J., Abduction Marriage in Antiquity: A Law of Constantine and its Social Context, in: Journal of Roman Studies LXXIX (1989) p. 59–83. It is not impossible that a woman, loving a slave, would have forced her family in this way to accept the union. 16  Thus making an interesting, perhaps challenging choice for the woman: see Decl. pseudoquintilian. 280. 17  Formula Marculfi 29: Carta de agnatione, si servus ingenua trahit. Igitur ego in Dei nomen illed ille femina. Illut non habetur incognitum, qualiter servus meus nomen ille te absque parentum vel tua voluntate rapto scelere in coniugium sociavit, et ob hoc vitae periculum incurrere potuerat, sed intervenientes et mediantes amicis vel bonis hominibus, convenit inter nos, ut, si aliqua procreatio filiorum horta fuerit inter vos, in integra ingenuetate permaneant. Et si voluntaria servo accipit dicis:

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coloni adscripticii, whose property was also called peculium. This resembles the rule of CTh 4.12.3, where the children of free women and fiscal slaves become Latins (ut servorum liberi et liberarum spurii Latini sint, qui, licet servitutis necessitate solvantur, patroni tamen privilegio tenebuntur; but there the woman remained free). Further, there is no mention of the woman remaining free. Again this would not have been impossible under the rule: the master had a right to enslave her. It would be different, it seems, if she had been abducted. Yet here she could have claimed punishment for the slave and there would have been no need to enter marriage. But why not claim freedom for herself as well? Or was this so obvious it did not need to be mentioned? We do not know. A third example is the Carta Senonica 6 (Seine region, 8th century).18 Here the children remain completely free, the woman apparently not. Omnibus non habetur incognitum, qualiter servo meo nomen illo voluntaria secuta es et accipisti maritum. Sed dum te ipsa et agnationem tuam in meo inclinare potueram servitio, sed propter nomen Domini et remissionem peccatorum meorum, propterea presente epistolam in te mihi conplacuit conscribendam, ut, si aliqua procreatio filiorum aut filiarum inter vos horta fuerit, penitus nec nos nec heredis nostri nec quislibet persona ullo umquam tempore in servitio inclinare non debeamus, sed integra ingenuitatis, tamquam si ab utrisques parentibus ingenuis fuissent procreati, omni tempore vite sue permaneant, peculiare concesso, quodcumque laborare potuerint; et sub integra ingenuitate super terra nostra aut filiorum nostrorum, absque ullor preiudicio de statu ingenuitatis eorum, conmanere debeant et redditus terre, ut mos est, pro ingenuis annis singulis desolvant et semper in integra ingenuitate permaneant, tam ipse quam et posteritas illorum. Si quis vero, quod futurum esse non credimus, nos ipsi aut aliquis de heredibus nostris vel quicumque contra hanc cartolam venire temtaverit, aut eam infrangere voluerit, inferat tibi aut eredibus tuis aurie libras tantas, argento pondo tanta, et quod repetit vindicare non valeat, sed presens cartola ingenuitatis omni tempore firma permaneat, stipulatione subnexa. Actum illo. 18  Also mentioned by Liebs, p. 195 note 352; Carta Senonica 6: Carta agnationem. Femina illa ille. Omnibus non habetur incognitum, qualiter tibi per voluntate tua servo iuris meo nomen ille ad coniugium sociavit uxorem, unde te vel procreatione tua in servitio inclinare potueram. Sed mihi prepatuit voluntas plenissima, ut tale aepistola agnatione in te fieri et adfirmare rogavi, ut, se aliqua procreatione filiorum aut filiarum ex te nate vel procreate fuerint, sub integra ingenuitate cum omni peculiare eorum valeant [permanere, et quod], Christo propitio, laborare potuerint, cessum habeant et nulli heredum hac proheredum meorum nullum impendeat servitium nec litemonium vel patronatus obsequium nisi soli Deo, cui omnia subiecta sunt. Testamentum etiam faciendi, defensione vero vel mundeburde aecclesiarum aut bonorum hominum, ubicumque se eligere voluerit, licentiam habeat ad conquirendum. Si quis vero, quod nec fieri credo, si ego ipse aut ullus de heredibus vel quislibet ulla opposita persona, qui contra hanc aepistola agnatione venire conaverit, inferat ei, cui litem intulerit, ista tota servante, una cum socio fisco auri untias tantas esse multando, et presens agnatio omni tempore firma permaneat.



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Thus the Formulae provide us with insight in the transitions and tribulations of the Roman law in the Germanic kingdoms, as Detlef Liebs, to whom I dedicate this contribution with great pleasure, has sketched in his Römische Jurisprudenz in Gallien. Though difficult material, they can provide us with much more information on this law. Liebs has argued and demonstrated on basis of these and other texts not only that in the Visigothic and Frankish kingdoms slavery of woman and children would be the customary outcome of such unions and consequently that the rule of the senatus consultum continued to exist, but furthermore that in general the Roman law continued to exist but was also adapted to new circumstances.19 Is it possible that the Visigoths wanted to abolish the rule of the senatus consultum in 506 but that afterwards under the Franks, after 531, the old law continued to be applied, as other parts of the Theodosian Code as well? The insertions of ecclesiastical constitutions show that such a continued application of the constitutions of the Theodosian Code, not transmitted through the Breviarium, was possible and done. As to ms. Vat. reg. 520, it is not comprehensible why someone would have wanted to copy a complete Theodosian Code in the 11th or 12th century, since in that period the Breviarium Alaricianum was supplanted in the “pays du droit écrit” with Justinian’s codification. But the continuing application of the senatus consultum, be it in a slightly different context (i. e., for other, different forms of social dependency), may explain why in that period somebody found it worthwhile to copy this title from the Theodosian Code, which as a result has provided us with a late text tradition of it. But these three formulae also present different possibilities of what could happen. Are we confronted here with three different regional customs? Or rather with different formulae, from which one could choose, which were transmitted independently but were generally available everywhere? Further, the status of the children could vary too. They could be completely free, but if not, their status was rather undefined: free but subjected. A precursor of villeinage? It is clear that already these three texts present a fascinating view on a society in which received law and new societal structures mingle and where people mastered new situations with old formulas. But they also may provide us with a view on the cautelary practice in the Roman Empire previous to the 6th century. We know that masters did not have to enslave the women and it is not impossible that in such a case the woman asked for a testimonial. We may not exclude the possibility of a continuity here in drafts used, but have to consider that these may have been changed in the course of time. 19  Liebs, p. 191–201, part. 195 and note 352 on the senatus consultum, with more texts and literature.

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III. In this way fragments of the original Code, and a late copy of the title on the senatus consultum, have, notwithstanding the position of the Alarician compilers, saved for us the text of CTh 4.12. And this brings us to the theme of this contribution, a discussion of the title in the Code itself and its composition. Taking the text as included by Mommsen in the Code for a starting point, the title seems at first sight to contain repetitions. Constitution 1 says that if women are forced to cohabit with slaves, there is no contubernium and consequently no application of the senatus consultum; otherwise they will lose their freedom, as will their children. Constitution 2 prescribes, according to the interpretation, the presence of seven Roman citizens as witnesses at the third denouncement. Constitutio 3 renders the ius vetus regarding fiscal slaves, apparently containing a special ruling and which we shall discuss more extensively below. Constitutio 4 states that if a woman enters after “this statute” a contubernium with a slave, and she has not been formally warned, she will lose her freedom according to the “old law”. Constitutio 5 declares all enactments issued in violation of the senatus consultum for void and confirms that if a free woman has demeaned herself by a cohabitation with a procurator, actor privatus or somebody of servile condition, she will lose her freedom but only after having been formally warned thrice. This is not valid for cohabitation with fiscal or municipal slaves. Constitutio 6 repeats the sanction of the senatus consultum for women who let themselves being led by lust to enter a relationship. Constitution 7 warns all provincials that three formal warnings are required. Thus one wonders why constitution 5 is necessary, whether constitution 7 is not a repetition of constitution 5 and, implicitly, of constitution 2; and whether constitution 4 is not in contradiction with the senatus consultum and repealed by the posterior constitution 5. Yet the title is more complicated than that. We should first of all look at it with the eyes of its composers and take the entire title as an ensemble, composed in 438 to represent the state of the law as formulated, in supplement to previous collections (such as the Gregorian and Hermogenian Codes, and the legal writings such as the Pauli Sententiae, falsely attributed to Paul),20 and consequently as a whole in as much as this is possible (then, in the other components the references to the senatus consultum have been 20  See for these now D. Liebs, Die pseudopaulinischen Sentenzen. Versuch einer neuen Palingenesie, ZSS Rom. Abt. 112 (1995), 151–171; id., Die pseudopaulinischen Sentenzen II. Versuch einer neuen Palingenesie, Ausführung, ZSS Rom. Abt. 113 (1996), 132–242; id., Römische Jurisprudenz in Africa mit Studien zu den pseudopaulinischen Sentenzen, Berlin 2005 (2nd ed.), 41–128, with his dating the ms. on 46–50: after the Hermogenian Code of 295, but before Constantine’s acknowl-



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disposed of; the only exception are texts, transmitted independently of the Corpus iuris). The title covered generally valid constitutions over the period 311–437 and supplemented the senatus consultum itself and other constitutions issued after that on the subject, as, e.g, comprised in the Pauli Sententiae. These were known to the compilers. A supplementary interpretation of the senatus consultum is constitution 1, issued for the entire empire, which states that the cohabitation should be entered voluntarily on the part of the woman. A forced cohabitation cannot make the senatus consultum effective. The following is a summary of the senatus consultum which the compilers presumably left since it did not hurt and had the advantage of being a short statement of the senatus consultum in as far as valid. It concerns women sui iuris, since PS 2.21a.10 says that if a father orders his daughter in potestate to live with a slave, the senatus consultum applies. On the other hand, if she did this against his will, a denuntiation had no effect (PS 2.21a.9). Constitution 2 is an addition to an element of the senatus consultum, namely the formal warning. It appears that there had to be three warnings (thus also PS 2.21a.17) and for the third warning it was required that seven Roman citizens were present as witnesses. Considering the possibility that a woman could be forced into cohabitation, it is not surprising that there could be doubts whether the procedure as prescribed had been followed. In this context the question, how the senatus consultum gained its effect, is important. Did the woman automatically become a slave after the third formal warning? Or did she have still some time after this before the owner of her slave “husband” could consider or claim her as his slave? And if she was wronged, did the woman have to find an adsertor libertatis and start a causa liberalis? It would be very onerous on her part. Or did the owner have to start a vindicatio in servitutem and claim her, in which case he would have to prove that she had entered voluntarily the cohabitation and had been warned three times? In that case the moment of the judge’s decision would be decisive. The phrase competenti legum severitate vindictam consequantur can be read in two senses: “they will get vengeance with the applicable severity of the statutes”, or as “they will gain their freedom through the applicable strictness of the statutes”. Since the purpose of the constitution is to help the women, the latter interpretation is the right one, while we must read competenti severitate legum, a not unusual turning of words in Late Latin prose, as competentione severa legum, “through strict application of the law”. It could still refer to a strict application of the senatus consultum and subsequent constitutions, which prohibit application edgement in 328. I shall notwithstanding Liebs’ correct designation refer to these as the Pauli Sententiae and keep to the established numbering.

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in cases of forced cohabitation. As to the question of the procedure, constitution 2 suggests an answer. If the woman were at once enslaved and had to start herself a causa liberalis, the requirement of seven Roman citizens as witnesses could help her: if the slave owner had not fulfilled this requirement, she would be declared free; but if the slave owner had to start a vindicatio in servitutem, the requirement would protect the woman better since only if the slave owner had done accordingly she could be declared a slave. The requirement is evidently meant to protect women for unjustified enslavement – it was issued three years after constitution 1 on abusive application of the senatus consultum – but since it is more onerous to the slave owner it would work better in the case of a vindicatio in servitutem. This tallies with PS 2.21a.17, which states that the governor has to adjudicate her by decrete in order to effectuate her slavery. Constitution 3 presents a deviation from the senatus consultum and it cannot be an accident that here the emperor refers to ius vetus and not to the senatus consultum as such. Previously there was no distinction made between women who knowingly and willingly entered a cohabitation with fiscal slaves and those who were misled by ignorance or their youth: both categories were enslaved. Two changes are now – anno 320 – introduced (and it is an innovation, not a confirmation of a previously existing practice). First, the consequences in the case of women who knowingly and willingly cohabit are mitigated. They retain their freedom and remain ingenuae, while their children no longer become slaves but become Latini. The mention of the privilegium patroni must refer to the right quodammodo peculii iure which the manumitter had in the case of Junian Latins and not to the rights to operae or obsequium, because the Junian Latins were equated to freeborn Latini coloniarii (Gai. 3.56). Thus her children would also be freeborn. They would be citizens of their mother’s home town, have the ius commercii but, not being Roman, not be citizens of Rome. Regarding the other category of women, those misled by their youth or ignorance, the ius vetus would not be applicable anymore. The new rules are declared applicable to other categories of imperial slaves: those tied to the fundi patrimoniales, emphyteuticarii and rei privatae. But the ius antiquum was apparently also applicable to towns, because here the new rules were not to be applied. Thus the senatus consultum Claudianum had been adapted for imperial and public slaves. As to the ius novum, it seems that the second ruling was nevertheless applied to towns, since PS 2.21a.14 states that a mulier ingenua who was ignorant of the slave’s status is not enslaved as long as she, after discovering her mistake, withdraws from the union. Constitution 4, issued some years later, is also a case of this particular application of the senatus consultum since it confirms a rule of the ius antiquum. A woman loses her freedom if she enters a contubernium (scil.



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with a public slave), although not having been warned (also PS 2.21a.14). And constitution 5 mentions that the requirement of a formal warning was not existing here (it mentions it as the reverse of the preceding phrases). That is understandable. How would one have to do this? The formal owner was in these cases the town itself or rather its citizens, represented by the council or the functionaries, and the emperor or his procurators. It might be hard to prove that a warning had taken place. Whatever the case may have been, here the simple fact of cohabitation sufficed for enslavement and, evidently, an excuse was not accepted and remained so in the case of municipal slaves. Constitution 4 has only servi but within the context of constitution 3 and the mention of ius antiquum it was clear to a reader in 438 that it did not concern slaves of private persons. Still, constitution 5, issued in Rome, was included, which made this even more clear, in a positive way. Compared with the original senatus consultum it would indeed have been a repetition, but put next to the ius vetus for slaves of the emperor and the towns it is not. And not only that. It mentions the application of the senatus consultum to other categories than simple private and public slaves. It confirms that the three denunciations remain necessary in the case of procuratores, actores privati and alii condicionis servilis polluti. If these were slaves the constitution would not have been necessary and there is also no reason why the rule of the ius vetus might not be considered applicable here. It must therefore have concerned persons in a situation, free but alike to that of fiscal slaves. A constitution, issued around the same time (CTh 10.20.3 of 365, while constitution 5 dates from 362), concerns the application of the senatus consultum to unions between free women and gynaecearii, the silk weavers in the imperial weaving mills. They are joined to the condicio of their husbands if they prefer, after the formal warning, to stick to the vilitas of their contubernii. Here we have an example of those who are servilis condicionis polluti. The reference to the procuratores and actores privati must have concerned similar persons, very presumably coloni originarii who, when tilling in own management land of their estate owners, could be considered actores. The remoteness between them and their masters must have made an application without formal warning desirable and perhaps a rule to this purpose had in fact been issued, but now repealed. Thus the constitution deals with a matter, different from the original senatus consultum and different from the ius vetus of constitution 3. Constitution 6 states that whenever a woman enters a relation with a slave out of sexual motive (libidinosa indicates wantoness), she herself as well as her children will become enslaved. The mention of various forms of enslavement indicate that this was not the situation originally envisaged by the senatus consultum, but that it concerns here an extended application,

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viz. to women who did not want to enter a steady relationship as if marriage with a slave, but had an affair or a living-apart-together relationship, in any case a relationship which was considered as merely based on sexual lust. According to the interpretation the quintessence of this constitution was that her children became enslaved as well. Apparently the purport of the constitution was not understood, or, probably more likely, it was too obvious, since the idea that she was “punished” for wantoness may not have been so strange for contemporaries, but that her children were “punished” as well would be extraordinary. In any case there is no doubling of constitution 1, although it seems so at first sight. The last constitution, 7, makes it once more clear to the provincials of the east that three denunciations are required if free women cohabiting with slaves are to be enslaved under the senatus consultum. It would follow implicitly from constitution 2 that in the entire empire three warnings were prescribed in the case of slaves of private owners, and, in any case in the west, also in the case of free people cuilibet servili condicione polluti. But constitution 2 may have emphasised the requirement of the seven witnesses21 and in that context the inclusion of constitution 7 was not superfluous but a confirmation that in spite of this and the special rules for public and imperial slaves, in the case of private slaves the cohabiting women had still to warned thrice. We reflected occasionally on the moment of issue of a constitutions for a better understanding of its meaning. Only in the case of constitution 1 and 3 we have other fragments of the original constitution, following Seeck’s reconstructions. In the case of constitution 1 it is CJ 6.1.3, dealing with punishing slaves who fled to the barbarian side of the border. The context with constitution 1 is not clear, if not for the rather meagre connection that both mention slaves. Constitution 3, on the other hand, is joined by Seeck with CTh 3.2.1, 8.16.1, 11.7.3, CJ 6.9.9, 6.23.15 and 6.37.21.3.22 Of these CJ 6.9.9, 6.23.15 and 6.37.21 deal with the law of succession, CTh 3.2.1 (=  CJ 8.34.3) with pledges, CTh 8.16.1 (=  CJ 8.57.1) with lifting the sanctions on celibacy (thus dealing with the law of succession), CTh 11.7.3 21  At least, this follows from the interpretation; unfortunately we do not have the original text. But the comparison with the other interpretations, which catch the quintessence well, makes it very likely that the thrust of the constitution was not about the requirement of three denuntiations. 22  Of these Krüger adds in his edition of Justinian’s Code only CJ 8.34.3, 8.57.1 and 10.19.1. They are not mentioned in Seeck, O., Regesten der Kaiser und Päpste, Stuttgart 1919, p. 169, but Seeck nevertheless the same date for them in his register. He does not add them since they were taken from the Theodosian Code and inserted into Justinian’s Code. They are therefore noted under their original place in the Theodosian Code.



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(=  CJ 10.19.2) with the tax levy. Hence a “mixed bag”, not unusual in the imperial legislation. It is not possible to make a link between constitution 3 and any of these fragments and there seems nothing to gain from the reconstruction as regards the law. As regards interaction between the constitutions in the title and with others, due to the not too far temporal distance between constitutions 1 and 2, it does not seem to far-fetched to assume the wish in that period to counteract a fraudulent application of the senatus consultum. What this may have caused, lies beyond the scope of this contribution. Regarding constitution 3, here the wish to improve the situation of the women is evident. This may have been caused by the absence of the requirement of denunciation, which must have resulted in a rather abrupt application of the senatus consultum. But in the case of imperial slaves it went further. One wonders whether the slaves themselves profited from this, knowing that their children would be freeborn. Did a wish to incite these slaves to better performance and more dedication lie behind this? Or was it merely to raise their status by privilege, implicitly raising by that the status of the emperor? Or was it an adaptation to their being the emperor’s slaves and thus already socially distinguished? With constitution 4 it seems reasonable to assume some connection with constitution 3, as clarification of it. Regarding constitution 5 we could refer to the almost simultaneously issued CTh 10.20.3. The above examination shows that when carefully read, the seven constitutions of the restored title on the senatus consultum Claudianum do not present duplicates or repetitions. True, a constitution may have more text than its essential rule, but the compilers will have been careful not to strike too much. Otherwise a rule might become incomprehensible unless being rewritten. However, though editing and making the text more understandable was allowed, rewriting, was not.23 For a reader in 438 and onwards the title would have provided the information needed to supplement his knowledge of the senatus consultum Claudianum from earlier sources such as the writings of the jurist, the Gregorian and Hermogenian Codes, and the Pauli Sententiae (which deals with various situations). It would show how and to which extent the imperial administration upheld those rules or had changed them (all mentioned sources being from before the beginning of the fourth century). The interpretations support this view.

23  CTh 1.1.6 pr. says: Quod ut brevitate constrictum claritate luceat, adgressuris hoc opus et demendi supervacanea verba et adiciendi necessaria et demutandi ­ambigua et emendandi incongrua tribuimus potestatem, scilicet ut his modis ­unaquaeque inlustrata constitutio emineat.

Diocleziano e i ‹quattro editti› della ‹grande persecuzione› Di Marco Urbano Sperandio 1. – E’ stato osservato che Eusebio, «when describing ‹the martyrdom of our own time›, does not reproduce the anti-Christian ordinancies of the Tetrarchs, though he quotes in full the decrees of Galerius, Maximinus, Licinius, and Constantine in behalf of the Church. (…) The Christian traditon, quite naturally, preserved documents which attested ‹the gracious and favoring interposition of God›, and did not care to retain the memory of the imperial legislation against Christians»1. Pur ovviamente consapevoli dell’estrema difficoltà di restituire il testo degli editti della ‹grande persecuzione› dioclezianea – il primo dei quali non appare mai riferito nella sua interezza2 – gli studiosi mostrano, tuttavia, una decisa convergenza di vedute circa il tenore delle disposizioni con cui, a partire dal 24 febbraio 303 d. C., l’impero dei tetrarchi avrebbe costretto la chiesa all’ultima, drammatica ‹prova di forza›3. 1  E. J. Bickerman(n), Pliny, Trajan, Hadrian and the Christians, in: «RFIC», 96 (1968), 290–291 [= Id., Studies in Jewish and Christian History, III, Leiden, 1986, 152]. 2  T. D. Barnes, The Constantinian Settlement, in: H.  W. Attridge / G. Hata, Eusebius, Christianity, and Judaism, Detroit, 1992, 635–657; spec.  639–640; 654 nt.  16 [= Id., From Eusebius to Augustine. Selected Papers 1982–1993, Aldershot, 1994, 635–657; spec.  639–640; 654 nt.  16], osserva che che le disposizioni dell’editto del 24 febbraio 303 d. C. «are nowhere reported fully»; K.-H. Schwarte, Diokletians Christengesetz, in: R. Günther / S. Rebenich, ‹E fontibus haurire›. Beiträge zur römischen Geschichte und zu ihren Hilfswissenschaften, Paderborn / München / Zürich, 1994, 203–240; spec. 216–217, scrive che «Euseb nicht den Wortlaut des (…) ­Edikts wiedergibt, sondern den Inhalt aus dem Gedächtnis (oder aus unvollständigen Aufzeichnungen) skizziert». 3  Th. Bernhardt, Diokletian in seinem Verhältnisse zu den Christen. Eine geschichtliche Untersuchung, Bonn, 1862, 1–62; O. Hunziker, Zur Regierung und Christenverfolgung des Kaisers Diocletianus und seiner Nachfolger 303–313, in M. Budinger, Untersuchungen zur römischen Kaisergeschichte, II, Leipzig, 1868, 115– 286; A.J. Mason, The Persecution of Diocletian. A Historical Essay, Cambridge, 1876; J. Belser, Zur diokletianischen Christenverfolgung, Tübingen, 1891, spec. 59– 107; P. Allard, Histoire des persécutions. IV, 1–2, La persécution de Dioclétien et le triomphe de l’église3, Paris, 1908 (rist. Roma, 1971); H. M. Gwatkin, Early Church

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L’opinione assolutamente dominante ritiene, infatti, che gli editti della ‹grande persecuzione› fossero quattro: il primo, promulgato a Nicomedia il 23 febbraio del 303 d. C., ma pubblicato il giorno seguente, ‹mirava a impedire ai cristiani di riunirsi per celebrare il culto. A questo riguardo gli History, II, London, 1909, 323–364; G. Costa, v. Diocleziano, «DE», II, Roma, 1922, 1792–1909; spec.  1856–1862; G. Costa, Religione e politica nell’impero romano, Torino, 1923, 140–142; 183–202; 288–299; N.H. Baynes, Two Notes on the Great Persecution, in «ClQ», 18 (1924), 189–194; A. von Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten4, Leipzig, 1924, 508–510; K. Stade, Der Politiker Diokletian und die letzte große Christenverfolgung, Wiesbaden, 1926, spec.  157–176; H. Florin, Untersuchungen zu diocletianischen Christenverfolgung, Giessen, 1928; A. Ehrhard, Die Kirche der Märtyrer, München, 1932, 88–90; M. Gelzer, Der Urheber der Christenverfolgung von 303, in: Festschrift E. Vischer, Basel, 1935, 35–44 [= Id., Kleine Schriften, II, Wiesbaden, 1963, 378–386]; H. Lietzmann, Geschichte der alten Kirche, III: Die Reichkirche bis zum Tode Julians, Berlin, 1938, 42–57; N.  H. Baynes, The ‹Great Persecution›, in: The Cambridge Ancient History. XII: The Imperial Crisis and Recovery A.D. 193–324, Cambridge, 1939, 646–677 [= N.  H. Baynes, La grande persecuzione, in: Univer­sità di Cambridge. Storia antica. XII.2. Crisi e ripresa dell’impero, trad. it. Milano, 1970, 811–839]; W. Ensslin, v. Valerius Diocletianus, in: «PW», VII A2, 1948, 2419–2495; spec. 2479–2487; K. Bihlmeyer / H. Tuechle, Storia della Chiesa. I. L’antichità cristiana13, trad. it. Brescia 1955 (rist. 2000), 117–121; W. Seston, A propos de la ‹Passio Marcelli centurionis›. Remarques sur les origines de la persécution de Diocletien, in: Mélanges M. Goguel, Neuchâtel – Paris, 1950, 239–246 [= Id., Scripta varia, Rome, 1980, 629–246]; J. Voigt, v. Christenverfolgung (historisch), in: «RAC», II, 1954, 1192–1198; G.E.M. De Ste. Croix, Aspects of the ‹Great Persecution›, in: «HThR», 47 (1954), 75–113 [= Id., Christian Persecution, Martyrdom and Orthodoxy, (edited by M. Whitby and J. Streeter) Oxford, 2006, 35–79]; G. Ricciotti, Le fonti storiche della persecuzione dioclezianea, in: «Orpheus», I (1954), 59–67; W. Seston, v. Diocletianus, in: «RAC», III, 1957, 1036–1053; spec.  1045–1052; H. Grégoire, Les pérsecutions dans l’empire romain2, Bruxelles, 1964, 76–88; M. Sordi, Il Cristianesimo e Roma, Bologna, 1965, 333–359; W.  H.  C. Frend, Martyrdom and Persecution in the early Church, Oxford, 1965, 477–535; C. Lepelley, L’empire romain et le christianisme, Paris, 1969, 52; M. Meslin, Le Christianisme dans l’empire romain, Paris, 1970, 86–91; W. Speyer, v. Büchervernichtung, in: «JAC», 13 (1970), 123–152; spec.  131–132; 139–140; A.H. M. Jones, Il tardo impero romano (284–602 d. C.), I, trad. it. Milano 1973, 103–109; A. Donini, Storia del cristianesimo, Torino, 1975, 231–234; J. Molthagen, Der römische Staat und die Christen im zweiten und dritten Jahrhundert2, Göttingen, 1975, 101–120; T.D. Barnes, Sossianus Hierocles and the Antecedents of the ‹Great Persecution›, in: «HStCP», 80 (1976), 239–252; L.D. Bruce, A Note on Christian Libraries during the ‹Great Persecution›, 303–305 A.  D., in: «Journal of Library History», 15 (1980), 127–137; W. Speyer, Büchervernichtung und Zensur des Geistes bei Heiden, Juden und Christen, Stuttgart, 1981, 76–79; 127–129; T.D. Barnes, Constantine and Eusebius, Cambridge Mss., 1982, 148–163; P. Keresztes, From the Great Persecution to the Peace of Galerius, in: «VCh», 37 (1983), 379–399; G. Fernandez, Causas y consecuencias de la gran persecuciòn, in: «Gerión», 1 (1984), 235–247; W.  H.  C. Frend, Prelude to the Great Persecution: The Propaganda War, in: «JEH», 38 (1987), 1–18; W.  H.  C. Frend, The Rise of Christianity, Philadelphia, 1984, 456–563; S. Mitchell, Maximuns



Diocleziano e i ‹quattro editti› della ‹grande persecuzione›

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articoli prevedevano la demolizione delle chiese, il sequestro e la distruzione dei libri sacri e degli arredi liturgici, l’interdizione totale delle riunioni di culto. La seconda parte colpiva le persone. I cristiani perdevano il diritto di legittimazione processuale: gli appartenenti alle classi privilegiate perdevano il loro rango, i liberti membri dell’amministrzione imperiale erano ridotti in schiavitù›. Il secondo editto, ‹risalente alla primavera o forse all’inizio dell’estate del 303, prese di mira i capi delle chiese considerati responsabili di alcune sommosse politiche che si erano verificate nella Melitene e in Siria. Furono incarcerati vescovi, preti e lettori›. Il terzo editto prevedeva ‹la libertà per i cristiani che avessero abiurato, mentre gli altri avrebbero dovuto subire mille torture›. Il quarto editto di persecuzione ‹datato al gennaio o al febbraio del 304 (…) prescriveva in tutto l’impero un sacrificio generale›4. 2. – Alla luce delle fonti, l’opinione tradizionale5 appare, però, tutt’altro che sicura: Lattanzio – che pure fu testimone oculare degli eventi descritti nel de mortibus persecutorum6 – parla, infatti, di un solo editto e non acand the Christians in A.D. 312: A New Latin Inscription, in: «JRS», 78 (1988), 105– 124; spec.  111–112; P.  S. Davies, The Origin and Purpose of the Persecution of AD 303, in: «JThS», 40 (1989), 66–94; W. Portmann, Zu den Motiven der diokletianischen Christenverfolgung, in: «Historia», 39 (1990), 212–248; D. Woods, Two Notes on the ‹Great Persecution›, in: «JThS», 43 (1992), 128–134; H. Chadwick, The Early Church, London, 1993, 121–124; J. Zeiller, L’ultima persecuzione, in: J. Lebreton / J. Zeiller, Storia della Chiesa. II. Dalla fine del II secolo alla pace costantiniana (313)3, trad. it. Cinisello Balsamo, 1995, 633–663; F. Kolb, Chronologie und Ideologie der Tetrarchie, in: «Antiquité Tardive», 3 (1995), 21–31; spec. 27; P. Siniscalco, Il cammino di Cristo nell’impero romano2, Roma  / Bari, 1996, 92–96; B. Bleckmann, v. Diocletianus, in: «Der Neue Pauly Enzyklopädie der Antike», III, 1997, 584; S. Corcoran, The Empire of the Tetrarchs. Imperial Pronouncements and Government AD 284– 3242, Oxford, 2000, 179–182; D. Woods, ‹Veturius› and the Beginning of the diocletianic Persecution, in: «Mnemosyne», 2001 (54), 587–591; E. DePalma Digeser, An Oracle of Apollo at Daphne and the Great Persecution, in: «ClPh», 99 (2003), 57–77; M. Sordi, I Cristiani e l’impero romano2, 2004, 161–171; G. E. M. De Ste. Croix, The Fourth Edict in the West and the Date of the Council of Elvira, in: Id., Christian Persecution, cit., 79–98; J. Aniol, Die Christenverfolgung unter Diokletian, München, 2006; K. Baus, Le origini, in: H. Jedin, Storia della Chiesa, trad. it. Milano, 2006, 503–512; L. De Giovanni, Istituzioni scienza giuridica codici nel mondo tardoantico. Alle radici di una nuova storia, Roma, 2007, 153–160; A. Luijendik, Papyri from the ‹Great Persecution›: Roman and Christian Perspectives, in: «JECS», 16 (2008), 341– 369; V. Twomey / M. Humphries (ed.), The ‹Great Persecution›. The Proceedings of the Fifth International Patristic Conference, Maymooth 2003, Dublin, 2009. 4  Cfr. per tutti J. Moreau, La persecuzione del cristianesimo nell’impero romano, trad. it. Brescia, 1977, 109–111. 5  Cfr. L. S. Lenain de Tillemont, Mémoires pour servir à l’histoire ecclésiastique, V, Paris, 1698, 20–22; 36–38; 49–53. 6  A. Wlosok, L. Caecilius Firmianus Lactantius, in: R. Herzog / P.  L. Schmidt (Hrsg.), Handbuch der lateinischen Literatur der Antike. V. Restauration und Erneu-

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cenna mai ad altri: cfr. Lact. mort. pers. 13, 1–2: postridie propositum est edictum, quo cavebatur (…) quod edictum quidam etsi non recte, magno tamen animo deripuit; né depone in senso contrario l’espressione in mort. pers. 14,1 edicti legibus, la quale indica semplicemente le ‹disposizioni› dell’editto di Nicomedia, che non sembravano a Galerio sufficienti7. Lattanzio dice, invece, molto chiaramente, che tali disposizioni furono prese da Diocleziano e Galerio senza consultare né Massimiano né Costanzo Cloro, ai quali furono spedite litterae perché prendessero gli stessi provvedimenti8: si tratta, evidentemente, di scripta ad edictum, ossia ‹lettere di accompagnamento›9, il cui ‹stretto rapporto› con l’editto di Nicomedia è stato solo di rado valutato a dovere10. Lattanzio attesta inoltre che, nell’editto del 24 febbraio 303 d. C., era prescritto anche l’obbligo di sacrificare agli dei, come risulta da mort. pers. 15,5: et ne cui temere ius diceretur, arae in secretariis ac pro tribunali positae, ut litigatores prius sacrificarent atque ita causas suas dicerent, sic ergo ad iudices tamquam ad deos adiretur. L’espediente di porre altari nelle aule giudiziarie e davanti al tribunale, affinchè i litiganti prima sacrificassero e poi esponessero le loro ragioni, non può non essere posto in relazione alle disposizioni edittali relative alla perdita di capacità processuale dei cristiani11; ma l’obbligo di sacrificare non era affatto limitato a coloro che adivano i tribunali, poiché Lattanzio afferma che ‹tutti› erano obbligati a sacrificare (mort. pers. 15,4: nec minus in ceterum populum persecutio rung 284–374 n. Chr., München, 1989, 375–404; spec. 397. Cfr. pure A. Søby Christensen, Lactantius the historian. An analysis of the ‹De mortibus persecutorum›, Kopenhagen, 1980, 25; T.D. Barnes, Lactantius and Constantine, in: «JRS», 63 (1973), 29–46; spec. 40: «He was in Nicomedia when the ‹Great Persecution› began (early 304) and (…) remained there for at least two years». 7  Lact. mort. pers. 14, 1: Sed Caesar non contentus est edicti legibus; aliter Diocletianum aggredi parat. 8  Lact. mort. pers. 15, 6: Etiam litterae ad Maximianum atque Constantium commeaverant, ut eadem facerent: quorum sententia in tantis rebus expectata non erat. 9  P. Kussmaul, ‹Edictum› und ‹scripta› – ‹Constitutiones ad edictum› – ‹Exemplum›, in: «MH», 43 (1986), 138–144; D. Liebs, Kaiserliche Verlautbarungen, in: R. Herzog / P. L. Schmidt (Hrsg.), Handbuch der lateinischen Literatur der Antike. V. Restauration und Erneurung 284–374 n.  Chr., München, 1989, 57: «Ausführungs­ bestimmungen». 10  Schwarte, Diokletians Christengesetz, cit., 214 sostiene giustamente «daß mithin alles direkt oder indirekt über den Inhalt der litterae Gesagte zugleich Aufschluß über den Edikt selbst gibt›». Contra, ma senza decisivi argomenti, W. Lohr, Some Observations on Karl-Heinz Schwarte’s ‹Diokletians Christengesetz›, in: «VCh», 56 (2002), 77 nt.  9. 11  Schwarte, Diokletians Christengesetz, cit., 214; Luijendik, Papyri from the ‹Great Persecution›, cit., 360–363, su P. Oxy. XXXI 2601.



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violenter incubuit. (…) nam iudices per omnia templa dispersi universos ad sacrificia cogebant). Per riferire i due passi citati rispettivamente al quarto editto (mort. pers. 15,4) e al primo editto (mort. pers. 15,5), Jacques Moreau deve sostenere che «Lactance ne rapporte pas les événements dans leur suite chronologique»12, mentre è piuttosto evidente che i due passi si riferiscano alla stessa circostanza, vale a dire l’applicazione dell’editto di Nicomedia13: in breve, poiché Lattanzio «non parla che di un solo editto, cioè di quello del 24 febbraio 303»14, l’idea dei ‹quattro› editti di persecuzione è del tutto estranea all’autore del de mortibus persecutorum, e riposa interamente sulla testimonianza di Eusebio di Cesarea. Ma, ancora una volta, si tratta di una testimonianza estremamente problematica, dato che, nella Storia ecclesiastica, Eusebio non accenna in alcun modo al ‹quarto› editto; egli ne parla soltanto nei Martiri di Palestina, e la cosa è già di per sé sorprendente, considerato il rapporto tra le due opere. 3. – Si ritiene, infatti, che Eusebio avesse approntato – prima del 303 d. C., cioè prima della ‹grande persecuzione› – una Storia ecclesiastica in sette libri, cui avrebbe fatto seguire, nel 311 d. C., una trattazione dettagliata dei Martiri di Palestina; successivamente, forse nel 313 / 314 d. C., egli avrebbe rifuso i Μάρτυρες nella‘Ιστορία, la quale avrebbe così presentato nove libri, cioè i sette libri della ‹prima edizione›, più una versione ‹breve› dei Martiri di Palestina preceduta da una sorta di prefazione nell’ottavo libro, più un nono libro, relativo alla persecuzione di Massimino Daia. Questa ‹seconda edizione› della Storia ecclesiastica sarebbe stata seguita, nel 315 d. C., da una ‹terza edizione›, in dieci libri, caratterizzata da un rifacimento dell’ottavo libro, e poi da una ‹quarta›, nel 325 d. C., resasi necessaria dopo la damnatio memoriae di Licinio. Una ‹quinta› edizione,

12  J. Moreau, Lactance. De la mort des persécuteurs, II, Paris, 1954 (ret. 2006), 288. Per F. Millar, The Emperor in the Roman World2, London, 1992, 574 nt.  49 «the fourth edict (…) may be implicit in Lactantius, De mort. pers. 15, 4». 13  Sordi, Il cristianesimo e Roma, cit., 348, ritiene che, in mort. pers. 15,4, Lattanzio si riferisse al primo editto, non al quarto: «questa strage tumultuaria si verificò però soltanto a Nicomedia: il primo editto, l’unico che era stato fino a quel momento emesso, non implicava ancora, formalmente, la condanna a morte dei cristiani. Le lettere imperiali lo diffusero per tutto l’impero». Ma cfr. D. Liebs, Die Jurisprudenz im spätantiken Italien (260–640 n.  Chr.), Berlin, 1987, 46–47. 14  F. Kolb, L’ideologia tetrarchica e la politica religiosa di Diocleziano, in: G. Bonamente / A. Nestori, I Cristiani e l’Impero nel IV secolo. Colloquio sul Cristianesimo nel mondo antico. Atti del Convegno di Macerata 17–18 dicembre 1987, Macerata, 2004, 17–44; spec.  18.

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dopo la primavera del 326 d. C., avrebbe provveduto alla cancellazione di Crispo, figlio di Costantino, dagli ultimi due capitoli15. Sebbene il problema delle ‹edizioni› della Storia Ecclesiastica sia suscettibile di diverse interpretazioni16, è indubbio che Eusebio abbia rifuso nella ‘Ιστορία una delle due ‹versioni› dei Martiri di Palestina, la ‹lunga› – che sopravvive soltanto in alcuni frammenti greci17, mentre il testo completo è conservato in una traduzione siriaca18 – o, più probabilmente, la ‹breve›, la quale – trasmessa da alcuni manoscritti come appendice dell’VIII e del X libro della Storia Ecclesiastica – sembrerebbe essere «eine Vorarbeit» della versione ‹lunga›19: in ogni caso, la ragione per cui il primo storico della chiesa parli del ‹quarto› editto in entrambi le versioni dei Martiri di Palestinα, ma non vi accenni mai nella Storia ecclesiastica, dove invece si parla degli altri ‹editti›, rimane un mistero. Né, a ben guardare, è poi pacifico che i provvedimenti della persecuzione dioclezianea ricordati da Eusebio avessero tutti natura edittale. Il ‹primo› editto è riportato tanto nella Storia ecclesiastica20, quanto nei Martiri di Palestina21: il contenuto è praticamente identico, tuttavia, Euse15  T. D. Barnes, The Editions of Eusebius’ Ecclesiastical History, in: «GRBS», 21 (1980), 191–201; spec. 193 ss. [= Id., Early Christianity and the Roman Empire, London, 1984]; Id., Some inconsistencies in Eusebius, in: «GRBS», 25 (1984), 470–475; Id., Constantine and Eusebius, cit., 148–150. 16  Cfr. E. Schwartz, Griechische christliche Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte, IX.3, Berlin, 1909, XLVII–LXI; G. Bardy, Eusèbe de Césarée. Histoire Ecclésiastique, IV2, Paris, 1971, 121–135; R.  M. Grant, Eusebius as Church Historian, Oxford, 1980, 10–21; W. Burgess, The Dates and Editions of Eusebius’ Chronici Canones and Historia Ecclesiastica, in: «JThS», 48 (1997), 471–504. 17  H. Delehaye, De Martyribus Palaestinae longioris libelli fragmenta, in: «AB», 16 (1897), 113–139. 18  W. Cureton, History of the Martyrs in Palestine, London / Paris, 1861. 19  Così R. Laqueur, Eusebius als Historiker seiner Zeit, Berlin / Leipzig, 1929, 8; 30–33 Cfr. pure B. Violet, Die Palästinischen Märtyrer des Eusebius von Cäsarea, Leipzig, 1896, 168; E. Schwartz, v. Eusebios, in: «PW», VI.1, 1907, 1407–1408; J. Moreau, v. Eusebius von Caesarea, in: «RAC», VI, 1966, 1070. La migliore edizione dei Martiri è quella curata da E. Schwartz, Griechische christliche Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte, IX.2, Berlin, 1908, 907–950. 20  Eus., hist. eccl. VIII 2, 4: ἔτος τοῦτο ἦν ἔννεαϰαιδέϰατον τῆς Διοϰλητιανοῦ βασιλείας, Δύστρος μήν, λέγοιτο δ’ ἂν οὗτος Μάρτιος ϰατὰ ‘Ρωμαίους, ἐν ὧ ι τῆς τοῦ σωτηρίου πάϑους ἑορτῆς ἐπελαυνούσης ἥπλωτο πανταχόσε βασιλιϰὰ γράμματα, τὰς μὲν ἐϰϰλησίας εἰς ἔδαφος φἑρειν, τὰς δὲ γραφὰς ἀφανείς πυρὶ γενὲσϑαι προστάττοντα, ϰαὶ τοὺς μὲν τιμῆς ἐπειλημμἑνους ἀτίμους, τοὺς δ’ ἐν οἰϰἑτιαις, εἰ ἐπιμἑνοιεν τῇ τοῦ Χριστιανισμοῦ προθέσει, ἐλευθερίας στερεῖσθαι προαγορεύοντα. 21  Eus. mart. Pal. Praef., 1: ἔτος τοῦτο ἦν ἐννεαϰαιδέϰατον τῆς Διοϰλητιανοῦ βασιλείας, Ξανϑιϰὸς μήν, λέγοιτ’ ἂν ’Απρίλλιος ϰατὰ ’Ρωμαίους, ἐν ὧ ι τῆς τοῦ σωτηρίου πάθους έορτῆς ἐπιλαμβανούσης, ἡγείτο μὲν Φλαυιανὸς τοῦ τῶν



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bio parla di γράμματα (mart. Pal. Praef.,1), ovvero di βασιλιϰὰ γράμματα (hist. eccl. VIII,2,4), che sarebbero stati ‹diffusi dappertutto nel mese di ‹dystre, cioè marzo secondo il calendario romano, all’approssimarsi della festa della passione del Salvatore› (hist. eccl. VIII,2,4) ovvero ‹nel mese di Xantico, cioè aprile secondo il calendario romano, nel quale cadeva la festa della passione del Salvatore› (mart. Pal. Praef.,1). L’evidente confusione delle date è stata variamente spiegata22: pochi, tuttavia, hanno rilevato che il termine βασιλιϰὰ γράμματα, più che riferirsi agli ‹editti›, sembra indicare propriamente le litterae. Eusebio parla, infatti, in mart. Pal. III, 1 – cioè a proposito del ‹quarto› editto – di βασιλιϰὰ γράμματα che avrebbero disposto sacrifici e libagioni agli idoli in virtù di un ϰαθολιϰὸν πρόσταγμα. E’ ovvio che, se quest’ultimo termine indica l’‹editto›, βασιλιϰὰ γράμματα non possono essere, di nuovo, ‹editti›; evidentemente, deve trattarsi di ‹lettere›23. Ma, allora, anche i γράμματα di cui Eusebio parla in hist. eccl. VIII 2, 5 e mart. Pal. Praef., 2 – ‹non molto tempo dopo [il ‹primo› editto], apparvero altri γράμματα, che ordinavano in primo luogo di mettere ovunque ai ferri tutti i capi della chiesa, poi di costringerli con ogni mezzo a sacrificare›24 – potrebbero essere ‹lettere› imperiali, non già ‹editti›. Contro questa conclusione è stato, però, osservato che Eusebio, tornando a parlare dei provvedimenti contro i capi della chiesa in hist. eccl. VIII, 6, 8 e VIII, 6, 10, sembra stabilire un’equivalenza tra πρόσταγμα βασιλιϰόν e Παλαιστίνων ἔθνους, ἥπλωτο δ’ ἀθρόως πανταχοῦ γράμματα, τὰς μὲν ἐϰϰλησίας εἰς ἔδαφος φέρειν, τὰς δὲ γραφὰς ἀφανεῖς πυρὶ γενὲσθαι προστάττοντα, ϰαὶ τοὺς μὲν τιμῆς ἐπειλημμένους ἀτίμους, τοὺς δὲ ἐν οἰϰετίαις, εἰ ἐπιμένοιεν τῇ τοῦ Χριστιανισμοῦ προθέσει, ἐλευθερίας στερίσϰεσθαι προαγορεύοντα. 22  Schwarte, Diokletians Christengesetz, cit., 221 nt. 44, che ritiene le le due date non in contrasto, perché hist. eccl. VIII, 2, 4 (marzo 303) sarebbe «nicht ausdrück­ lich auf Palästina bezogen»; Lohr, Some Observations, cit., 86 nt. 43; Corcoran, The Empire, cit., 179, pensa invece a una confusione delle due date, sicché l’editto sarebbe stato «promulgated in Palestine, Dystros / March or Xanthicos / April». Cfr., però, Laqueur, Eusebius, cit., 18 ss., anche con riferimento alla differente dicitura βασιλιϰὰ γράμματα nella Storia Ecclesiastica e γράμματα nei Martiri di Palestina. 23  Cfr. H.J. Mason, Greek Terms for Roman Institutions. A Lexicon and Analysis, Toronto, 1974, 126 ss., il quale rende γράμματα con «letters» e πρόσταγμα con edictum. 24  Eus. hist. eccl. VIII, 2, 5: ϰαὶ ἡ μὲν πρώτη ϰαθ ἡμῶν γραφὴ τοιαύτη τις ἦν· μετ’ οὐ πολὺ δὲ ἑτέρων ἐπιφοιτησάντων γραμμάτων, προσετάττετο τοὺς τῶν ἐϰϰλησιῶν προέδρους πάντας τοὺς ϰατὰ πάντα τόπον πρῶτα μὲν δεσμοῖς παραδίδοσθαι, εἶϑ’ ὕστερον πάσῃ μηχανῇ θύειν ἐξάναγϰάζεσθαὶ Eus. mart. Pal. Praef., 2: ϰαὶ ἡ μὲν τῶς πρῶτης ϰαθ’ ἡμῶν γραφῆς τοιαύτη τις ἦν δύναμις· μετ’ οὐ πολὺ δὲ ἑτέρων ἐπιφοιτησάντων γραμμάτων, προσετάττετο τοὺς τῶν ἐϰϰλησιῶν προέδρους πάντας πανταχῇ πρῶτον μὲν δεσμοῖς παραδίδοσθαι, εἶϑ’ ὕστερον πάσῇ μηχανῇ θύειν ἐξάναγϰάζεσθαι.

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τὰ πρῶτα γράμματα25: ‹Non molto tempo dopo, poiché alcuni, nella regione detta Melitene, e poi altri, in Siria, avevano cercato di impossessarsi dell’impero, giunse un editto imperiale (πρόσταγμα βασιλιϰόν) che ordinava di gettare in carcere e in catene i capi della Chiesa›26. ‹Le prime lettere (τὰ πρῶτα γράμματα) furono seguite da altre lettere, secondo cui coloro che erano in carcere potevano tornare in libertà, se avessero sacrificato›27. Eusebio chiama ‹le prime lettere› ciò che dovrebbe costituire precisamente il ‹secondo› editto di persecuzione: occorre dunque concludere che le espressioni da costui usate non possano essere d’aiuto per individuare il tipo di provvedimento imperiale28? Il fatto è che, in hist. eccl. VIII,2,5 e mart. Pal. Praef.,2, Eusebio contrappone nettamente il ‹primo› editto – che chiama ἡ πρώτη γραφή – alle ‹altre lettere diffuse successivamente› (ἐτέρων ἐπιφοιτἡσαντων γραμμάτων), le quali ‹ordinavano in primo luogo di mettere ovunque ai ferri tutti i capi della chiesa, poi di costringerli con ogni mezzo a sacrificare›. Ma poiché l’arresto dei capi della chiesa doveva già essere previsto nell’editto del 24 febbraio 303 d. C.29, le ‹altre lettere diffuse successiva25  Schwarte,

Diokletians Christengesetz, cit., 217 nt.  31. hist. eccl. VIII, 6, 8: Οὐϰ εἰς μαϰρὸν δ’ ἑτέρων ϰατὰ τὴν Μελιτηνήν οὕτω ϰαλουμένην χῶραν ϰαὶ αὖ πάλιν ἄλλων ἀμφὶ τὴν Συρίαν ἐπιφυῆναι τῇ βασιλείᾳ πεπειραμένων, τοὺς πανταχόσε τῶν ἐϰϰλησιῶν προεστῶτας εἱρϰαταῖς ϰαὶ δεσμοῖς ἐνεῖραι πρόσταγμα ἐφοίτα βασιλιϰόν. G. Bardy, Eusèbe de Césarée. Histoire Ecclésiastique: Livres VIII – X et les martyrs en Palestine. Texte grec, traduction et notes, Paris, 1967,14 ntt. 9; 11 ritiene che Eusebio, in VIII 6,8 si riferisca al «deuxième édit de persécution. L’occasion de ce décret aurait été, entre autres, la tentative d’usurpation di tribune Eugène, proclamé empereur par les soldats d’une cohorte occupée aux travaux du port de Séleucie». Dei ‹torbidi› di Siria – non anche di quelli di Melitene ­– parla, in effetti, Libanio, senza fare, però, il minimo accenno ai cristiani: alcuni soldati impiegati in lavori del porto di Seleucia si erano improvvisamente ammutinati, proclamando imperatore il loro comandante Eugenio e marciando su Antiochia, senza riuscire a impossessarsene per la resistenza della popolazione civile; invece di mostrare gratitudine per la popolazione di Antiochia e Seleucia, Diocleziano ne giustiziò i decurioni, responsabili del mantenimento dell’ordine pubblico, cfr. Lib. or. XIX, 45; XX, 17–18; XI, 159–162, su cui J.  H.  W.  G. Liebeschutz, Antioch – City and Imperial Administration in the Later Roma Empire, Oxford, 1972, 103; M. Francesio, L’idea di città in Libanio, Stuttgart, 2004, 67. 27  Eus. hist.eccl. VIII, 6, 10: Αὖθις δ’ ἑτέρων τὰ πρῶτα γράμματα ἐπιϰατειληφότων, ἐν οἶς τοὺ ϰαταϰλείστους θύσαντας μὲν ἐᾶν βαδίζειν ἐπ’ ἐλευθερίας. 28  Corcoran, The Empire, cit., 180. 29  Cfr. Lact. mort. pers. 15, 2: Furebat ergo imperator iam non in domesticos tantum, sed in omnes (…). Comprehensi presbyteri ac ministri et sine ulla probatione aut confessione damnati cum omnibus suis deducebantur. Moreau, Lactance, II, cit., 286: «Les presbyteri et les ministri sont ici les prêtres et les diacres». Nota 26  Eus.



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mente› risultano «two measures which are conventionally, though misleadingly, known as the second and third persecuting edicts»30, tanto più che, per liberare i membri del clero che avessero sacrificato, un apposito editto non era affatto indispensabile31. In breve, si può ipotizzare che l’editto di persecuzione fosse uno solo, assai verosimilmente diffuso nelle province attraverso successive litterae / γράμματα32, le quali ne avrebbero costituito soltanto delle «Ausführungsbestimmungen»33. Molthagen, Der römische Staat und die Christen, cit., 108 nt.  42, che «Laktanz erwähnt das 2. und 3.  Edikt Diokletians nicht». 30  T.  D. Barnes, From Toleration to Repression: The evolution of Constantine’s Religious Policies, in: «Scripta classica israelica», 21 (2002), 189–208; spec.  193. Enßlin, v. Valerius (Diocletianus), cit., 2486, secondo cui «war das sog. Zweite Edikt faktisch wohl nur eine weitere Ausführungsbestimmung». 31  Stade, Der Politiker Diokletian, cit., 170: «Die bisherige Praxis wurde beibehalten, Christen, die geopfert hatten, freizulassen». Per De Ste. Croix, Aspects, cit., 76; Jones, Il tardo impero romano, I, cit., 105; Barnes, Constantine and Eusebius, cit., 151; Corcoran, The Empire, cit., 181; A.  K. Bowman, Diocletian and the first tetrarchy, A.D. 284–305, in: A. K. Bowman / P. Garnsey / A. Cameron (ed.), The Cambridge ancient History2, XII: The Crisis of the Empire, A.D. 193–337, Cambridge, 2005, 86, il ‹terzo› editto andrebbe identificato con l’amnestia concessa da Diocleziano per i vicennalia, su cui cfr. W. Seston, L’amnistie des ‹vicennalia› de Dioclétien d’après P. Oxy. 2187, in: «CE», 43 (1947), 333–337. Diversamente Baynes, La ‹grande persecuzione›, cit., 830 («Diocleziano (…) concesse la tradizionale amnistia per i criminali comuni, ma restava ancora insoluto il problema del clero cristiano imprigionato. Con un terzo editto si ordinò di costringere costoro al sacrificio, dopo di che essi sarebbero stati liberati»); Ehrhard, Die Kirche, cit., 90 («Laktanz, der die Feier erwähnt, sagt nicht davon. (…) Was aber die fragliche Amnistie m. E. ausschließt, das ist die Tatsache, daß wenige Monate nach der Feier der Vicennalia, (…) etwa in Marz 304, ein viertes allgemeines Edikt erlassen wurde, das die Verfolgung durch allgemeinen Opferbefehl auf die ganze Christenheit ausdehnte»); Keresztes, From the Great Persecution, cit., 383 («The Christian clergy were obviously excepted from the benefits of the amnesty, and this have been done through what we call the third edict»); Moreau, La persecuzione, cit., 111 («il terzo editto precedette di poco la celebrazione del ventennale di Diocleziano»); De Giovanni, Istituzioni scienza giuridica codici, cit., 154 («Nel terzo (…) si dava libertà a coloro che si decidessero a sacrificare, in seguito all’amnistia concessa per i vicennalia da Diocleziano»). Indeciso G. Clarke, Third-Century Christianity, in: Bowman / Garnsey / Cameron (ed.), The Cambridge ancient History2, XII, cit., 653–654, il quale ritiene comunque che «this order, like its immediate predecessor, appears to have been applied in the east only». A uno ‹smembramento› del ‹secondo› editto in due editti operato da Eusebio pensa Schwarte, Diokletians Christengesetz, cit., 218, i cui argomenti non convincono Löhr, Some Observations, cit., 81. 32  Kolb, L’ideologia tetrarchica, cit., 18–19; Schwarte, Diokletians Christengesetz, cit., 215. 33  Stade, Der Politiker Diokletian, cit., 162.

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Questa conclusione non spiega, però, né perché Eusebio parli del ‹quarto› editto solo nei Martiri di Palestina, né perché, in quel contesto, egli contrapponga così nettamente un ‹editto› alle ‹lettere› imperiali: una possibile soluzione sembra, tuttavia, emergere da una lettura attenta del Περὶ τῶν ἐν Παλαυστίνῃ μαρτυρησάντων. 4. ­– ‹Nel corso del secondo anno› – si legge in mart. Pal. III,1 – ‹la guerra che si mosse contro di noi divenne più violenta, quando il governatore della provincia era Urbano. Per la prima volta furono diffuse lettere imperiali, nelle quali si ordinava – in forza di un editto generale – a tutti e in qualunque città, di sacrificare e fare libagioni agli idoli›34. Gli studiosi hanno da sempre scorto in questo passo un chiaro, anche se unico, riferimento al ‹quarto› editto di persecuzione, senza poterne però precisare né la paternità, né l’ambito di applicazione, né la data di emanazione. Secondo Norman Hepburn Baynes, ‹durante la sua visita in occidente Diocleziano fu colto da grave malattia e al ritorno a Nicomedia sembra che per qualche tempo fosse malato di mente: si disse addirittura che era morto. Durante l’infermità dell’augustus, Galerio colse l’occasione per bandire il quarto editto sanguinario che prescriveva a tutti, uomini, donne e bambini, di fare sacrificio e libagione, pena la morte. Il dies traditionis, il giorno della consegna dei libri sacri, fu sostituito dal dies thurificationis, il giorno dell’offerta di incenso›. Addirittura, Galerio avrebbe ‹imposto questa politica a Massimiano, l’augustus dell’occidente, con la minaccia di muovere contro di lui con le truppe che recentemente avevano sgominato la Persia. Galerio voleva mettere il suo augustus davanti al fatto compiuto. E la risposta di Diocleziano a questa sfida fu l’abdicazione sua e del suo collega d’occidente›35. Tuttavia, poiché l’ipotesi di una ‹infermità› di Diocleziano – di cui Galerio, effettivo autore del ‹quarto› editto36, avrebbe approfittato – è stata revocata in dubbio37, mentre un intervento di Galerio volto a inasprire la persecuzione è attestato da Lattanzio solo dopo l’abdicazione di Diocleziano 34  Eus. mart. Pal. III, 1: Δευτέρου δ’ ὲτους διαλαβόντος ϰαὶ δή σφοδρότερον ἐπιταθέντος τοῦ ϰαθ’ ἡμῶν πολὲμου, τῆς ἐπαρχίας ἡγουμένου τηνιϰάδε Οὐρβανοῦ, γραμμάτων τοῦτο πρῶτον βασιλιϰῶν πεφοιτηϰότων, ἐν οἶς ϰαθολιϰῷ προστάγματι πάντας πανδημεὶ τοὺς ϰατὰ πόλιν θύειν τε ϰαὶ σπένδειν τοῖς εἰδώλοις ἐϰελεύετο. 35  Baynes, Two Notes on the Great Persecution, cit., 193; Id., La grande persecuzione, cit., 830–831 36  Frend, Martyrdom, cit., 493–494; Moreau, La persecuzione, cit., 111; Keresztes, From the ‹Great Persecution›, cit. 384; Ch. Colpe, v. Christenverfolgung, in: «DKP», I, 1964, 1163; Liebs, Die Jurisprudenz, cit., 45, il quale non esclude, però, la paternità dioclezianea. 37  De Ste. Croix, Aspects, cit., 108–109; Davies, Origin and Purpose, cit., 74.



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e Massimiano, avvenuta il primo maggio del 305 d. C.38, vi è chi preferisce ascrivere la paternità del ‹quarto› editto a Diocleziano39: ma perché mai costui si sarebbe risolto a richiedere un sacrificio di massa, dopo essersi fermamente opposto a Galerio, che già nell’editto del 24 febbraio 303 d. C. avrebbe voluto comminare il fuoco a quanti si fossero rifiutati di sacrificare40? E, soprattutto, perché emanare, all’inizio del 304 d. C., un ‹quarto› editto che, obbligando tutti al sacrificio, estendeva di fatto la persecuzione, quando era stato da poco emanato un ‹terzo› editto di amnistia? Un riferimento all’obbligo generale di sacrificare si legge in una fonte talmudica, Aboda Zara V, 4: ‹Quando l’imperatore Diocleziano venne qui [= in Palestina], decretò che sacrifici fossero offerti da tutti i popoli, eccetto che dai Giudei›41. Ma questo provvedimento – che pone problemi di datazione42, di paternità43 e, addirittura, di autenticità44 – è stato a torto identificato col ‹quar38  Cfr. Lact. mort. pers. 21, 3: Et quia aperte iubere non poterat, sic agebat, ut et ipse libertatem hominibus auferret. In primis honores ademit. Torquebatur ab eo non decuriones modo, sed primores etiam civitatum, egregii ac perfettissimi viri, et quidem in causis levibus atque civilibus. Si morte digni viderentur, cruces stabant, sin minus, compedes parati; 21, 7: dignitatem non habentibus poena ignis fuit. Id exitii primo adversus Christianos promiserat datis legibus, ut post tormenta damnati lentis ignibus urerentur. 22, 1: Quae igitur in Christianis excruciandis didicerat, consuetudine ipsa in omnes excercebat. 22, 2: Nulla penes eum levis, non insulae, non carceres, non metalla, sed ignis, crux, ferae in illo erant cottidiana et facilia. Lattanzio parla di queste misure ‹prese per la prima volta contro i cristiani› da Galerio, dopo che costui ebbe preso il posto di Diocleziano: cfr. Lact. mort. pers. 21, 1. Per quanto concerne l’espressione adversus Christianos (…) datis legibus, osserva Moreau, Lactance, II, cit., 326 nt.  12 che «Galère a donc dû émettre des rescrits prescrivants aux juges l’application de ce mode de supplice», cioè i summa supplicia. Cfr. Liebs, Die Jurisprudenz, cit., 80–81. 39  Enßlin, v. Valerius (Diocletianus), cit., 2486; Voigt, v. Christenverfolgung, cit., 1196; Molthagen, Der römische Staat und die Christen, cit., 110; R. Rees, Diocletian and the Tetrarchy, Edinburgh, 2004, 64. 40  Lact. mort. pers. 11, 8: Traductus est itaque a proposito, et quoniam nec amicis nec Caesari nec Apollini poterat reluctari, hanc moderationem tenere conatus est, ut eam rem sine sanguine transigi iuberet, cum Caesar vivos cremari vellet qui sacrificio repugnassent. 41  Cfr. G.  A. Wewers, Aboda Zara: Götzendienst (Übersetzung des Talmud Yerushalmi, Bd.  IV, 7), Tübingen, 1980, 160. 42  T. D. Barnes, The New Empire of Diocletian and Constantine, Cambridge Mss., 1982, 50 nt.  25, che situa la presenza di Diocleziano in Palestina o nel 286 o tra il 296 e il 302 d. C. Discussione del problema in L.  I. Levine, R. Abbahu of Caesarea, in: J. Neusner (ed.), Christianity, Judaism and other Graeco-Roman Cults. Studies for M. Smith, IV, Leiden, 1975, 74 nt.  90. 43  A. Marmostein, Dioclétien à la lumière de la littérature rabbinique, in: «REJ», 97 (1934), 19–43; spec.  26. 44  Cfr. L. I. Levine, Caesarea under Roman Rule, Leiden, 1975, 111, contro i dubbi di autenticità.

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to› editto di persecuzione45, perché «die Zeitangabe ‹als Diokletian hier her (nach Palästina) kam›, ist übrigens ungenau, da dieser Kaiser nur während des persischen Krieges in Syrien war 297–298»46. Che poi il ‹quarto› editto rappresentasse «eine Wiederholung des decianischen Opfergebote»47 è certo possibile, ma – a differenza di quanto attestato per i libelli di Decio48 – non vi è, significativamente, alcuna traccia di ‹certificati› relativi al ‹quarto› editto di persecuzione49. Si è perciò affermato che esso sarebbe stato promulgato a Roma, alla fine di aprile 304 d. C., da Massimiano Erculio, in occasione dei ludi saeculares50; ma, avessero o meno i giochi secolari avuto effettivamente luogo51, tanto non può certo dedursi dalla celeberrima epistula di Massimiano contenuta negli atti della passione di San Sabino52, in cui Detlef Liebs – 45  S. Lieberman, The Martyrs of Caesarea, in: «Annuaire de l’Institut de Philologie et d’Histoire Orientales et Slaves», 7 (1939–1944), 395–446; spec.  403–404. 46  H. Graetz, Geschichte der Juden, IV2, Leipzig, 1865, 302 nt.  2, pur propenso a scorgere nel provvedimento il ‹quarto› editto dioclezianeo. 47  Così Molthagen, Der römische Staat und die Christen, cit., 109. 48  P.  M. Meyer, Die ‹Libelli› aus der decianischen Christenverfolgung, Berlin, 1910; L. Faulhaber, Die ‹Libelli› in der Christenverfolgung des Kaisers Decius, in: «ZKTh», 43 (1919), 439–466; 617–656; J.R. Knipfing, The ‹Libelli› of the Decian Persecution, in: «HThR», 16 (1923), 345–390; P. Roasenda, Decio e i ‹libellatici›, in: «Didaskaleion», 5 (1927), 31–68; A. Bludau, Die ägyptischen ‹Libelli› und die Christenverfolgung des Kaisers Decius, in: «Römische Quartalschrift», Supplementheft 27, (1931), 1–79; P. Keresztes, The Decian ‹libelli› and contemporary literature, in: «Latomus», 34 (1975), 761–781; J.  B. Rives, The Decree of Decius and the Religion of Empire, in: «JRS», 89 (1999), 135–154; R. Selinger, The Mid-Third Century Persecutions of Decius and Valerian2, Frankfurt a. M., 2004, 11–82. 49  Clarke, Third-Century Christianity, in: Bowman / Garnsey / Cameron (ed.), The Cambridge ancient History2, XII, cit., 654 ritiene che «certificates could be issued, but not generally (as appears to have been the case in Decius’ order), only as a mean of protection for their possessor against further molestation from enforcing officials». 50  Mason, The Persecution of Diocletian, cit., 210–222; Gwatkin, Early Church History to AD 313, II, cit., 336–339. 51  A. Paqualini, Massimiano ‹Herculius›. Per un’interpretazione della figura e dell’opera, Roma, 1979, 76–77: «Nello stesso anno 304 (…) Massimiano avrebbe celebrato i giochi secolari, o almeno ne avrebbe avuto l’intenzione. In realtà questi ludi non furono mai celebrati e nemmeno vagheggiati dall’Augusto». Ma cfr. Liebs, Die Jurisprudenz, cit., 46 e nt.  92. 52  Ex suggestione patris nostri Hermogeniani praefecti praetorio apud nos claruisse cognosce. Quia iusta religio occultari non debet, ut saeculum nostrum nostra promulgatione laetetur, ideo monemus, ubicumque Christiani inventi fuerint vacuam superstitionem colentes, aut sacrificare cogantur diis aut capitis poenam subeant, facultatibusque nudati quae fisci viribus socientur. Vale parens carissime. Data



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avendone sostenuto con molti argomenti ‹la non provata inautenticità›53 – scorge piuttosto una ‹lettera di accompagamento›, con cui Massimiano attuava nella propria pars imperii il ‹quarto› editto di persecuzione54. Non sorprende, allora, che anche l’ambito di applicazione del ‹quarto› editto sia oggetto di dubbi radicali da parte degli studiosi, i quali sostengono che esso sarebbe stato in pratica applicato solo nella parte orientale dell’impero55, ovvero in tutto l’impero56 ovvero da nessuna parte57. In realtà, prove sicure di sacrifici imposti ai cristiani sotto minaccia di pena capitale sia hanno in testi epigrafici, fonti letterarie e in diversi acta martyrum relativi alla ‹grande persecuzione› dioclezianea: la svalutazione preconcetta loro riservata sembra dipendere proprio da una lettura acritica di Eus. mart. Pal. III, 1, la quale induce a considerare inventato ogni riferimento al sacrificio, contenuto in documenti precedenti il gennaio / febbraio 304 d. C., data presunta del ‹quarto› editto di persecuzione. Com’è noto, la datazione del ‹quarto› editto – il quale avrebbe fatto «scorrere torrenti di sangue»58 – viene comunemente posta agli inizi del 304 d. C.59, sulla base del processo contro Agape, Irene, Chione e compagni, conclusosi a Tessalonica il 1 aprile del 304 d. C. Gli acta60 che lo hanno trasmesso non contengono, peraltro, alcuna esplicita menzione del ‹quarto› editto, ma solo un generico riferimento alla ‹esposizione di tanti editti, cui pridie Kalendas Maias. Il testo – pubblicato da C. Baronio, Annales ecclesiastici, II, Roma, 1590, 711 – è qui riproposto secondo le correzioni e le integrazioni di Liebs, Die Jurisprudenz, cit., 38. 53  Liebs, Die Jurisprudenz, cit., 39–41; spec.  50: «Die Konstitution aus der Passio Sancti Sabini läßt sich also nicht schlagend als unecht erweisen». 54  Liebs, Die Jurisprudenz, cit. 48–50. 55  De Ste. Croix, Aspects, cit., 87: «the persecution in the west was carried out under E1, and (…) E4 could not have been enforced to any significant extent». Così pure H. Chadwick, The early Church, London / New York / Toronto, 1993, 121 – «in practise limited to the East»; Clarke, Third-Century Christianity, in: Bowman / Garnsey / Cameron (ed.), The Cambridge ancient History2, XII, cit., 654: «The evidence is not compelling that this edict, certainly issued throughout the east, was ever promulgated in the west: if it was, it cannot have been enforced sistematically». 56  Keresztes, From the ‹Great Persecution›, cit., 397; Frend, Martyrdom, cit., 493. 57  Moreau, La persecuzione, cit., 115. 58  Zeiller, L’ultima persecuzione, cit., 646. 59  De Ste. Croix, Aspects, cit, 77 e nt.  16; Davies, Origin and Purpose, cit., 74 e nt.  48; Corcoran, The Empire, cit., 182 nt.  50. 60  P. Franchi de’ Cavalieri, Nuove note agiografiche. I. Il testo greco originale degli atti delle SS. Agape, Irene e Chione, Roma, 1902, 15–19; R. Knopf / G. Krüger / G. Ruhbach, Ausgewählte Märtyrerakten4, Tübingen, 1965, 95–100; H. Musurillo, The Acts of the Christian Martyrs, Oxford, 1972, 280–293; G. Lanata, Gli atti dei martiri come documenti processuali, Milano, 1973, 209–217.

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andavano unite così gravi minacce›61: Agatone, Agape, Irene, Chione, Cassia, Filippa ed Eutichia vengono accusati di ‹non voler mangiare le carni sacrificali›62, di ‹rifiutarsi di sacrificare›63, di non voler ‹condividere il cibo sacrificale›64 di ‹aver disprezzato gli ordini dei nostri signori, gli imperatori e i Cesari, ostinandosi nell’empio nome dei cristiani e rifiutando (…) l’abiura che era stata loro ordinata›65, di ‹aver nascosto scritti e pergamene›66. Dopo aver condannato al rogo Agape e Chione con l’accusa di ‹aver nutrito opinioni contrarie al divino decreto dei nostri signori Augusti e Cesari› e di ‹venerare il culto dei cristiani, vano, antiquato e odioso a tutte le persone pie›, il governatore Dulcizio convoca il giorno seguente Irene, alla quale dice: ‹tu hai deliberatamente conservato fino a oggi tante pergamene e libri e tavolette e codici e pagine degli scritti degli empi cristiani che vissero un tempo (…), quindi è necessario che tu abbia la tua parte di punizione. Ma è possibile offrirti l’opportunità di un trattamento benevolo, cosicché, se tu acconsentissi a riconoscere ora almeno gli dei, andresti esente da ogni pericolo e da ogni punizione. Cosa dici dunque? Adempi all’ordine dei nostri imperatori e Cesari, e sei pronta a mangiare oggi stesso le carni sacrificali e a sacrificare agli dei?›67 Preso atto del rifiuto di Irene, il governatore Dulcizio prosegue l’interrogatorio con una serie di domande relative all’omessa consegna delle scritture68: evidentemente, il processo s’impernia sull’accusa di non aver consegnato le sacre scritture – come stabilito ‹l’anno scorso, quando fu diffuso per la prima volta tale ordine dei nostri signori, gli imperatori e Cesari›69 – ossia per aver 61  4.3: ἐπειδὴ δὲ ἀπονοίᾳ τινὶ χρησάμεναι ἀπὸ τοσούτου χρόνου ϰαὶ τοσαύτης παραγγελίας γενομένης ϰαὶ τοσούτων διαγμάτων προτεϑέντων, τηλιϰαύτης ἀπειλνῆς ἐπηρτημένης. 62  3.1: μή βούλεσϑαι ἱερόϑυτον φαγεῖν. 63  6.3: Εἰρήνην, ἐπειδὴ οὐϰ ἡϑέλησεν (…) ϑῦσαι. 64  3.4: ὁ ἡγεμὼν εἶπεν τῶν ἱερῶν μεταλαβεῖν ϑέλείς; Κασσία εἶπεν· οὐ ϑέλω. 65  4.3: ϰατεφρονήσατε τῆς ϰελεύσεως τῶν δεσποτῶν ἡμῶν τῶν βασιλέων ϰαὶ Καισάρων, ἐπιμένουσαι τῷ ἀνοσίῳ ὀνόματι τῶν Χριστιανῶν, ἔτι τε μήν (…) ἀρνἡσασϑαι. 66  5.2: διφϑέρας ϰαὶ βιβλία ϰαὶ πιναϰίδας ϰαὶ ϰωδιϰέλλους ϰαὶ σελίδας γραφῶν τῶν ποτε γενομένων Χριστιανῶν τῶν ἀνοσίων ἐβουλήϑης ἄχρι ϰαὶ τῆς σήμερον φυλάξαι. 67  5.1: τοσαύτας διφϑέρας ϰαὶ βιβλία ϰαὶ πιναϰίδας ϰαὶ ϰωδιϰέλλους ϰαὶ σελίδας γραφῶν τῶν ποτε γενομένων Χριστιανῶν τῶν ἀνοσίων ἐβουλήϑης ἄχρι ϰαὶ τῆς σήμερον φυλάξαι, (…) ὅϑεν ἀνάγϰη ἐπιϰεῖσϑαι μέν σοι τὰ τῆς τιμωρίας. ἔστι δὲ ἐνδοῦναί σοι μέρος φιλανϑρωπίας οὐϰ ἄϰαιρον ὥστε, εἰ βουληϑείης νῦν γ’ οὖν ϑεοὺς ἐπιγινώσϰειν, εἶναί σε ἀϑῷαν ϰινδύνου παντὸς ϰαὶ ϰολάσεως. τί οὖν λέγεις; ποιεῖς τὴν ϰέλευσιν τῶν βασιλέων ἡμῶν ϰαὶ Καισάρων ϰαὶ ἑτοίμη εἶ ἱερόϑυτον φαγεῖν σήμερον ϰαὶ ϑῦσαι τοῖς ϑεοῖς. 68  5.3; 5.4; 5.5; 5.7. 69  5.5: ‘ὁ ἡγεμὼν εἶπεν· Τῷ περυσινῷ ἔτει, ἡνίϰα ἡ τηλιϰαύτα ϰέλευσις αὐτῶν τῶν δεσποτῶν ἡμῶν τῶν βασιλέων ϰαὶ Καισάρων πρῶτως ἐφοίτησεν.



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disatteso quanto disposto nell’editto del 24 febbraio 303 d. C., mentre l’invito a sacrificare viene presentato come ‹l’opportunità di un trattamento in qualche misura benevolo›, un mezzo per andare ‹esente da ogni pericolo e da ogni punizione›. In ogni caso, l’obbligo di sacrificare – e il conseguente martirio in caso di rifiuto – non è certo una novità introdotta agli inizi del 304 d. C.: Ottato di Milevi scrive, infatti, che sub persecutore Floro Christiani idolorum cogebantur ad templa (…). Sub Floro dicebatur ut negaretur Christus et idola rogarentur70; Valerio Floro, terribile persecutore dei cristiani d’Africa, risulta essere stato sostituito al governo della Numidia da Aurelio Quinziano già al tempo dei vicennalia di Diocleziano (17 settembre o 20 novembre 303 d. C.)71: Floro obbligò dunque i cristiani di Numidia a sacrificare ben prima che il ‹quarto› editto di persecuzione venisse emanato72. E se i dies thurificationis – i terribili ‹giorni dell’incenso›, in cui i cristiani di Milevi subirono il martirio sub praeside Floro per essersi ri70  Opt. de schism. Donat. III, 8, 2: Alia persecutio quae fuit sub Diocletiano et Maximiano. 3. Quo tempore fuerunt et impii iudices bellum christiano nomini inferentes, ex quibus (…) Anullinus, in Numidia Florus. (…) Saeviebat bellum Christianis indictum, in templis daemoniorum diabolus triumphabat, immundis fumabant arae nidoribus, et qui ad sacrilegia venire non poterat ubicumque tus ponere cogebatur. 4. Omnis locus templum erat ad scelus, inquinabantur prope morientes senes, ignorans polluebatur infantia, a matribus parvuli portabantur ad nefas, parentes incruenta parricidia facere cogebantur, alii cogebantur templa Dei vivi subvertere, alii Christum negare, alii leges divinas incendere, alii thura ponere (…). 5. Sub persecutore Floro Christiani idolorum cogebantur ad templa (…). Sub Floro dicebatur ut negaretur Christus et idola rogarentur (…). 6. (…) Et dubios martyres posse eos esse qui non sint vel ad sacrificia provocati vel ad immunda incensa vel negationem nominis Dei. Cfr. pure Aug. contra Cresc. 3, 27, 30: Secundus Donato Masculiano dixit: dicitur te tradidisse. Donatus respondit: scis, quantum me quaesivit Florus, ut turificarem, et non me tradidit deus in manibus eius, frater. 71  CIL VIII 4764: Multis XXX (tricennalibus) vestris, dd.nn. nnnn Diocletiane et Maximiane aeterni Augg. et Constanti et Maximiane nobb. Caess. Ob felicissimum diem XX (vicennalium) vestrorum victorias fecit ordo mun(icipiti) nostri, regente p(rovinciam) N(umidiam) vestra(m) Aurel. Quintiano v.p. Arcum Pompeus Donatus fl(amen) p(erpetuus) et Sittius Frontinianus p(onti)f(ex) de suo fecerat. Cfr. H.-G. Kolbe, Die Statthalter Numidiens von Gallien bis Konstantin (268–320), München, 1962, 53–54. 72  P. Monceaux, Enquête sur l’épigraphie chrétienne d’Afrique, IV. Martyrs et reliques, in: Memoires présentées par divers savants à l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres, XII, 1, 1908, 161–339; spec.  265; Kolbe, Die Statthalter, cit., 51, secondo cui «die Ereignisse in Milev und der Beginn der turificatio (…) als Folge nicht erst der vierten, sondern bereits des dritten Edikts verstanden werden». Anche G.E.M. De Ste. Croix, The Fourth Edict in the West and the Date of the Council of Elvira, in: Id., Christian Persecution, cit., 79–98; spec. 86 osserva che lo spargimento d’incenso richiesto da Floro ebbe luogo «at a time before the fourth edict was in operation».

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fiutati di sacrificare73 – non hanno alcuna relazione col ‹quarto› editto di persecuzione, è lecito ipotizzare che l’obbligo generale di sacrificare fosse già previsto dall’editto del 24 febbraio 303 d. C., giusta quanto si apprende da Lattazio. Del resto, che l’obbligo di sacrificare fosse in vigore già nel 303 d. C., risulta pure dagli atti del processo intentato, una decina d’anni dopo i fatti, al vescovo Felice di Abthugni, reo di aver ‹consegnato le scritture›, tradendo così la sua funzione: Ottato di Milevi ricorda non solo che un tal Massimo, il membro più anziano della comunità di Cartagine, avrebbe deposto davanti al tribunale che giudicava il discusso vescovo, dicendo cum persecutio esset indicta christianis, id est, ut sacrificarent et quascumque scripturas haberent incendio traderent, ma pure che il duumvir di Abthugni, Alfio Ceciliano, avrebbe disposto – probabilmente nella primavera del 303 d. C. – il ‹sacrificio generale sulla base di un ordine proconsolare›74. Risultano perciò attendibili una serie di passiones dei martiri d’Africa, in cui il riferimento al sacrificio è stato assai sbrigativamente ritenuto una «addition (…) almost de rigueur»75. Così, nella passione di Crispina di Tagora, martirizzata a Teveste il 5 dicembre del 304 d. C.76, il proconsole Anullino invita la donna a sacrificare – secundum legem datam a dominis nostris Diocletiano et Maximiano piis Augustis et Constantio et Maximo nobilissimi Caesaribus – osservando che ‹tutta l’Africa ha già sacrificato, come sai›77: quest’ul73  CIL VIII 6700: Tertiu idus Iunias depositio cruoris sanctorum marturum, qui sunt passi sub praeside Floro in civitate Milevitana in diebus turificationis, inter quibus hic Innoc[en]s est ipse in pace. 74  Acta purgationis Felicis, in Corpus Optati, CSEL, XXVI, Wien, 1893, 198: erat tunc temporis magistratus Alfius Caecilianus (…) et quoniam eius temporis officium incumbebat, ut ex iussione proconsulari omnes sacrificarent et, si quis scripturas haberent, offerrent, secundum sacram legem. Cfr. Liebs, Die Jurisprudenz, cit., 47–48; Y. Duval, Chrétiens d’Afrique à l’aube de la paix constantinienne. Les premiers écho de la grande persécution, Paris, 2000, 234; 255–263; Frend, Martyrdom, cit., 500. 75  De Ste. Croix, Aspects, cit., 92. 76  P. Monceaux, Les Actes de sainte Crispine, martyre de Théveste, in: Mélanges G. Boissier, Paris, 1903, 383–389; G. Ricciotti, L’era dei martiri, Roma, 1953, 112–114; G. Boccanera, Crispina, in: «Bibliotheca Sanctorum», IV, Roma, 1964, 309–311; K. Rosen, Passio sanctae Crispinae, in: «JAC», 40 (1997), 106–125; Fontaine, Passio sanctae Crispinae, in: Herzog / Schmidt, Handbuch der lateinischen Literatur der Antike, V, cit., 526–527. Per il testo, cfr. P. Franchi de’ Cavalieri, Nuove note agiografiche, 8, Roma, 1902, 22–35; G. Lazzati, Gli sviluppi della letteratura sui martiri nei primi quattro secoli, Torino, 1956, 147–150; Musurillo, The Acts, cit., 302–309; J.  L. Maier, Le dossier du donatisme, I, Berlin, 1987, 105–112. 77  I.1: Diocletiano nouies et Maximiano Augustis consulibus, die nonarum decembrium aput coloniam Thebestinam in secretario pro tribunali adsidente Anullino proconsule, commentariense officium dixit: Thagorensis Crispinam quae



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tima affermazione non appare affatto una «rhetorical exaggeration»78, tanto più che, al rifiuto di Crispina, la sententia del proconsole dispone la pena capitale per la donna quae diis nostris sacrificare noluit79. Conservata in un solo manoscritto pubblicato nel 189080, la passione del veterano Typasius è il ‹singulare risultato di un amalgama fra atti autentici, digressioni storiche e pure leggende›81; gli atti del martirio – che sarebbe avvenuto a Ticavis (oggi El Kherba), nella Mauretania Caesariensis, l’11 gennaio di un anno imprecisato, per aver Tipasio rifiutato il richiamo alle armi legem dominorum nostrorum principum contempsit, si iusseris, audiatur. 2. Anullinus proconsul dixit: Inducatur. Ingressa itaque Crispina, Anullinus proconsul dixit: praecepti sacri cognouisti sententiam? Crispina respondit: Quid praeceptum sit nescio. 3. Anullinus dixit: Ut omnibus diis nostris pro salute principum sacrifices, secundum legem datam a dominis nostris Diocletiano et Maximiano piis Augustis et Constantio et Maximo nobilissimi Caesaribus. Crispina respondit: Numquam sacrificaui nec sacrifico nisi uni et uero Deo et Domino nostro Iesu Christo filio eius, qui natus et passus est. 4. Anullinus proconsul dixit: Amputa superstitionem et subiuga caput tuum ad sacra deorum Romanorum. (…) 7. Anullinus proconsul dixit: Caput tibi amputari praecipio, si non obtemperaueris praeceptis imperatorum dominorum nostrorum, quibus deseruire cogeris subiugata: quod et omnis Africa sacrificia fecit, nec tibi dubium est. (…). Su Gaio Annio Anullino, cfr. S. Lancel, Le proconsul Anullinus et la grande persécution en Afrique en 303–304 ap. J.-C., in: «CRAI», 143 (1999), 1013–1022. 78  Così De Ste. Croix, Aspects, cit., 92. 79  IV.1: Anullinus dixit: Quid pluribus sufferimus impiam christianam? acta ex codice, quae dicta sunt, relegentur. Et cum relegentur, Anullinus proconsul sententiam [dedit], de libello legit: Crispina in superstitione indigna perdurans, quae diis nostris sacrificare noluit, secundum Augustae legis mandata caelestia gladio eam animaduerti iussi. Secondo De Ste. Croix, Aspects, cit., 92 «it is difficult to believe that an aristocrat like Anullinus would have begun his formal written sentence with a a nominativus pendens; and (…) the clause which follows (…) may well be a later attempt (…), betraying the handiwork of a clumsy compiler». 80  C. Smedt, ‹Passiones Tres Martyrum Africanorum: Ss. Maximae, Donatillae, et Secundae, S. Typasii veterani et S. Fabii vexilliferi›, in: «AB», 9 (1890), 107–134. 81  P. Monceaux, Etude critique sur la Passio Tipasii Veterani, in: «Revue archéologique», 4 (1904), 267–274; spec.  274. Cfr. pure P. Monceaux, Histoire littéraire de l’Afrique Chrétienne, III, Paris, 1905, 126–132; G. D. Gordini, v. Tipasius, in: «LThK», X, Freiburg i.B., 1965, 203; Pasqualini, Massimiano ‹Herculius›, cit., 65–66, che pone il martirio nel 298 d. C.; J. Helgeland, Christians and the Roman Army from Marcus Aurelius to Constantine, in: «ANRW» II. 23.1, Berlin / New York, 1979, 785–787; J. Fontaine, Passio Typasii Ticauensis in Mauretania, in: Herzog / Schmidt, Handbuch der lateinischen Literatur der Antike. V, cit., 523–524; D. Woods, A Historical Source of the Passio Typasii, in: «VCh», 47 (1993), 78–84; Id., An Unnoticed Official: The Praepositus Saltus, in: «ClQ», 44 (1994), 245–251; W.M. Gessel, v. Tipasius, in: «LThK», X3, Freiburg i.B., 2001, 48; A. Dearn, The ‹Passio S. Typasii› as a Catholic Construction of the Past, in: «VCh», 55 (2001), 86–98; A. Moraitis, v. Typasius, Heiliger, Veteran, in: «Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon», XXIII, 2004, 1519–1524.

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ordinato dall’Augusto Erculio – affermano che l’imperatore Massimiano edictum per Africam misit, ut demolirentur ecclesiae, incenderentur divinae legis codices, turificarent sacerdotes et populi, atque revocarentur ad militiam veteranii (Pass. Typ. 4); sebbene l’obbligo di sacrificare venga richiamato più volte (in Pass. Typ. 5, l’ufficiale che porta Tipasio davanti al dux lo accusa di non aver sacrificato agli dei, sicut praeceptum est) si è detto che, nella «curious Passion of Typasius (…), the question of sacrifice is incidental»82: al contrario, nel testo dell’editto attribuito a Massimiano, l’obbligo di turificare, esplicitamente previsto per clero e cristiani comuni, appare significativamente disposto insieme alla demolizione delle chiese e al rogo delle sacre scritture, vale a dire come una delle disposizioni del ‹primo› editto di persecuzione. Infine, nella passione di Giulio (27 maggio 304 d. C.?), il governatore Massimo richiama il veterano all’osservanza dei ‹sacri precetti imperiali che impongono di sacrificare agli dei›83. Nella persecuzione contro i cristiani, il ruolo svolto da Massimiano dovette perciò essere considerevole, e «non è un caso che (…) l’ambiente in cui questi santi conobbero il martirio sia spesso occidentale»84; tuttavia, i martiri d’Italia85, 82  De

Ste. Croix, Aspects, cit., 111. Praeses dixit: Numquid ignoras praecepta regum, qui iubent immolare diis? (…) 2.1 Maximus praeses dixit. Quid enim grave est turificare et abire? Iulius respondit: Non possum praecepta diuina contemnere et infidelis apparere Deo meo (…). 2.4: Maximus praeses dixit: (…) immola ergo diis persuasus a me (…) 3.1: Maximus dixit: Nisi fueris regalis praeceptis devotus et sacrificaueris, caput tuum amputabo (…). 3.7: sic Maximus praeses dedit sententiam, dicens: Iulius, nolens praeceptis regalibus adquiescere, capitalem accipiat sententiam. Cfr. Knopf / Krüger / Ruhbach, Ausgewählte Märtyrerakten, cit., 105–106; Musurillo, The Acts, cit., 260–265. H. Delehaye, Saints de Thrace et martyrs de Mésie, in: «AB», 31 (1912), 161–300; J.  M. Sauget, v. Giulio, in: «Bibliotheca Sanctorum», VI, Roma 1965, 1231–1233; Fontaine, Passio sancti Iuli veterani, in: Herzog / Schmidt, Handbuch der lateinischen Literatur der Antike, V, cit., 529–530. 84  Pasqualini, Massimiano ‹Herculius›, cit., 132–144. 85  A. Amore, v. Marcellino, in: «Bibliotheca Sanctorum», VIII, Roma, 1967, 651–653; V. Monachino, v. Marcellino, in: «Enciclopedia Cattolica», VIII, 1952, 10–11; A. Amore, Il preteso ‹lapsus› di papa Marcellino, in: «Antonianum», 32 (1955), 411–426; E.  H. Röttges, ‹Marcellinus-Marcellus›. Zur Papstgeschichte der diokletianischen Christenverfolgungszeit, in: «ZKTh», 78 (1956), 385–420; E. Reichert, v. Marcellinus, in: «Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon», V, 1993, 769. Per R. Farina, La persecuzione in Italia, nota * in: Zeiller, L’ultima persecuzione, cit., 647–648, il preteso lapsus di papa Marcellino «l’aver egli consegnato cioè ai persecutori i libri sacri, è una storiella divulgata dai donatisti, ai danni pure degli allora presbiteri Marcello, Milziade e Silvestro (…). La diceria fu sempre più insistentemente propagata, tanto che a Roma, non sapendo cosa fare, si ricorse all’espediente di affermare che Marcellino aveva riscattato la sua caduta col martirio; e si compose la passio, alla fine del V secolo, ripresa e trasmessa dal Liber Pontificalis e poi dai martirologi, nei quali tra l’altro non si parla di consegna di 83  1.4:



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di Spagna86, di Sicilia87 e di Sardegna88 non furono, come suole ripetersi, vittime del ‹quarto› editto, ma dell’editto pubblicato a Nicomedia il 24 febbraio 303 d. C., diffuso nell’impero attraverso litterae e ‹applicato volentieri da Massimiano, uomo non certo clemente›89. Nell’altra metà dell’impero, la situazione non è affatto diversa: Eusebio scrive, infatti, che Romano, diacono ed esorcista nella chiesa di Cesarea, ‹al tempo della distruzione delle chiese, vide una folla di uomini con donne e bambini recarsi in massa a sacrificare agli idoli e, considerando tale spetta-

libri, ma di offerta di incenso agli idoli». Su Sant’Agnese – che sarebbe stata martirizzata, per Zeiller, L’ultima persecuzione, cit., 647 nt.  44, «tra il quarto editto e l’abdicazione di Diocleziano» – cfr. P. Franchi de’ Cavalieri, S. Agnese nella tradizione e nella leggenda, in: Scritti agiografici, I, Città del Vaticano, 1962, 293–381; II, Città del Vaticano, 1962, 337–340; E. Schäfer, v. Agnes, in: «RAC», I, 1950, 184–186. 86  T. Moral, v. Vincenzo, in: «Bibliotheca Sanctorum», XII, Roma, 1969, 1149– 1155; Zeiller, L’ultima persecuzione, cit., 649; B. De Gaiffier, ‹Sub Deciano praeside›. Etude de quelques passions espagnoles, in: «AB», 72 (1954), 378–396. 87  Lanata, Gli atti dei martiri, cit., 225 osserva, in riferimento al martirio di Euplo di Catania, avvenuto il 12 agosto 304 d. C., che «la base legale del processo è da vedere nel primo editto di Diocleziano, non necessariamente nel quarto, perché l’espressione ἐως ἀν ὑποσχήται θύειν τοῖς ϑεοῖς (…) può basarsi su una prassi generalizzata, e significare semplicemente qualcosa come ‹finché non accetti di ripudiare il cristianesimo›». 88  Cfr. A. Mastino, Storia della Sardegna antica2, Nuoro, 2009, 457–478; spec. 459, il quale nota che le passiones di Saturninus (Saturnus) di Cagliari, Ephysius di Nora, Luxurius di Forum Traiani, Gavinus, Protus e Ianuarius di Turris Libisonis, Simplicius di Olbia appartengono tutte alla persecuzione dioclezianea, sebbene le composizioni agiografiche relative non possono datarsi anteriormente all’VIII secolo e quella di Efisio debba essere considerata del tutto leggendaria. Peraltro, il martirio di Saturnino avrebbe avuto luogo a Carales il 23 novembre 303 d. C. – «non in forza dell’ancora inesistente quarto editto, ma per una spontanea e tumultuosa iniziativa del populus di pagani caralitani» – mentre Simplicio, Proto e Gianuario, membri del clero olbiese e turritano, sarebbero stati messi a morte dal governatore Barbarus «rispettivamente il 15 maggio e il 27 ottobre 303 (sicuramente, dunque, prima del quarto editto, databile al 304); la pena capitale comminata a Gavino, si intenderebbe come condanna per l’insubordinazione militare, dato che questi aveva messo in libertà Proto e Gianuario». Solo il martirio di Luxurius a opera di Delfio potrebbe datarsi al 21 agosto 304, «ma non si può avere alcuna certezza per carenza assoluta di puntuali riferimenti cronologici». Sulla figura del praeses Barbarus, che governò la Sardegna nel 303 / 304 d. C., cfr. P. Meloni, L’amministrazione della Sardegna da Augusto all’invasione vandalica, Roma, 1958, 237–240; P.G. Spanu, ‹Martyria Sardiniae›. I santuari dei martiri Sardi, Oristano, 2000, 141–142. 89  Lact. mort. pers.15, 6: Etiam litterae ad Maximianum atque Constantium commeaverant, ut eadem facerent; quorum sententia in tantis rebus expectata non erat. Et quidem senex Maximianus libens paruit per Italiam, homo non adeo clemens.

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colo insopportabile, animato da zelo religioso, li rimproverò ad alta voce›90. Per questo motivo, egli fu ‹gettato in carcere e vi rimase a soffrire per lungo tempo. Senonché, per la circostanza dei vicennalia dell’imperatore (…), si proclamò la liberazione dei prigionieri. Ma lui (…) fu strangolato e, come aveva desiderato, ebbe l’onore del martirio›91. Evidentemente, l’episodio della ‹folla di uomini, donne e bambini che si accalca per sacrificare agli idoli› (πλέιους άνδρας άμα γυναξὶν ϰαὶ τέϰνοις σωδηρὸν τοῖς εἰδώλοις προσιόντας τε ϰαὶ θύοντας) non ha alcuna relazione col ‹quarto› editto, e, anzi, precede di molto l’emanazione del ‹terzo›: il riferimento eusebiano al ‹tempo della distruzione delle chiese› rimanda senza alcun dubbio all’editto del 24 febbraio 303 d. C. Sembra dunque assodato che «ein allgemeines Opferedikt bereits Bestandteil der ersten der beiden hist. eccl. VIII,2,4 und mart. Pal. Praef. 1 vorgestellten Gesetze gewesen sein muß»92, ma ben difficilmente Eusebio, parlando in mart. Pal. III, 1 di un ‹editto generale› (ϰαθολιϰὸν πρόσταγμα), può aver alluso a un provvedimento del governatore provinciale93, perché lo storico della chiesa – affermando che in Palestina furono diffuse ‹lettere imperiali, nelle quali si ordinava, in forza di un editto generale, a tutti e in qualunque città, di sacrificare e fare libagioni agli idoli› – sembra decisamente far riferimento a epistulae principis che accompagnano un edictum imperiale: di quale ϰαθολιϰὸν πρόσταγμα si tratta? Richard Laqueur aveva notato che Eusebio si serve, in mart. Pal. III,1, quasi delle stesse espressioni impiegate poco oltre in mart. Pal. IV,8, per descrivere i provvedimenti presi contro i Cristiani da Massimino Daia ‹nel terzo anno della persecuzione›, subito dopo la fine della prima tetrarchia: ‹lettere del tiranno apparse allora per la prima volta con cui si ordinava che tutti (…) offrissero sacrifici e libagioni agli idoli›94, indicate nella moderna mart. Pal. II, 1. mart. Pal. II, 2. 92  Schwarte, Diokletians Christengesetz, cit., 220–221. 93  Schwarte, Diokletians, cit., 220, secondo cui «der Statthalter Urbanus zu Beginn seiner Amszeit durch ein eigenes Edikt das allgemeine Opfergebot eingeschärft hat». 94  Eus. mart. Pal. IV, 8 (versione ‹lunga›): Δευτέρας τοίνυν ϰαθολιϰῆς ἐπαναστάσεως ϰατὰ τὸ τρίτον ἔτος τοῦ ϰαθ’ ἡμᾶς διωγμοῦ γενομένης, γραμμάτων Μαξιμίνου τότε πεφοιτηϰότων, δι’ ὦν ἐϰέλευσεν πανδήμεὶ πάντας μετ’ ἐπιμελείας ϰαὶ σπουδῆς τῶν ϰατὰ πόλιν ἀρχόντων θύειν ϰαὶ σπένδειν τοῖς δαίμοσιν, ϰήρυϰες μὲν αὐτίϰα ϰατὰ πάσας τὰς πόλεις ἄνδρας [τε] ἅμα γυναιξίν ϰαὶ τέϰνοις ἐπὶ τοὺς τῶν ἐἰδώλων οἴϰους ἀπαντᾶν ἐβόων. Eus. mart. Pal. IV, 8 (versione ‹breve›): Δευτέρας γάρ τοι ϰαθ’ ἡμῶν γενομένης ἐπαναστάσεως ύπὸ Μαξιμίνου τρίτῳ τοῦ ϰαθ’ ἡμᾶς ἔτει διωγμοῦ γραμμάτων τε τοῦ τυράννου τοῦτο πρῶτον διαπεφοιτηϰότων, ῶς ἄν πανδημεὶ πάντες ἅπαξ ἁπλῶς μετ’ ἐπιμελείας ϰαὶ σπουδῆς τῶν ϰατὰ πόλεις 90  Eus. 91  Eus.



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storiografia ora come ‹lettere›95, ora come ‹primo› editto di Massimino Daia96. ‹In modo del tutto evidente› – osservava il filologo tedesco – ‹è indicato in entrambi i passi lo stesso ordine, in base al quale tutti gli abitanti delle città erano obbligati a sacrificare, ed entrambe le volte si parla di un ordine dato τοῦτο πρῶτον. Questa precisazione sarebbe stata in mart. Pal. IV, 8 completamente priva di senso, se mart. Pal. III, 1 fosse stato già scritto. Risulta chiaro, perciò, che c’è stato un solo provvedimento con questo contenuto e che i due passi non sono compatibili tra loro. Anzi, il testo mostra che l’uno è stato scritto come calco dell’altro, cioè come consapevole correzione, e questo evidentemente perché Eusebio si è accorto successivamente che la sua originaria datazione della persecuzione generale era sbagliata e doveva essere anticipata, per potervi ricomprendere i martirî di Timoteo, Agapio, Tecla e altri, i quali non potevano discendere dal πρόσταγμα emesso contro i capi della chiesa. Ma per tale persecuzione generale Eusebio non aveva a disposizione ulteriore materiale, e ciò spiega benissimo la singolare datazione δευτέρου ἐτους διαλαβόντος (nel corso del secondo anno)›97. In effetti, non solo i primi martiri palestinesi del ‹quarto› editto – Timoteo, Agapio, Tecla e sei altri cristiani98 – si sottraggono a ogni sicura datazione, ma neppure è chiaro cosa Eusebio intenda con ‹secondo anno di ἀρχόντων θύοιεν ϰηρύϰων τε ϰαθ’ ὅλης τῆς Καισαρέων πόλεως ἄνδρας ἄμα γυναιξὶν ϰαὶ τέϰνοις ἐπὶ τοὺς τῶν εἰδώλων οἴϰους ἐξ ἡγεμοϰινοῦ ϰελεύσματος ἀναβοωμένων ϰαὶ πρὸς τοῦτοις ὀνομαστὶ χιλιάρχων ἀπογραφῆς ἕϰαστον ἀναϰαλουμένων ἀφάτῳ τε ϰλύδωνι ϰαϰῶν τῶν πανταχόσε συγϰεχυμένοι. 95  Cfr. Mitchell, Maximinus and the Christians, cit., 112. 96  Cfr. P. Guyot / R. Klein, Das frühe Christentum bis zum Ende der Verfolgungen.I: Die Christen im heidnischen Staat, Darmstadt, 1993, 183; 411. Com’è noto, in Eus. mart. Pal. IX, 2, si menzionano ulteriori ‹lettere› di Maximinus – note come il «secondo editto» di Massimino (cfr. A. Marcone, La politica religiosa: dall’ultima persecuzione alla tolleranza, in: A. Momigliano / A. Schiavone, Storia di Roma, III / 1, Torino, 1993, 223–245, spec.  238) ovvero come il «so-called Fifth Persecution Edict, if it was and edict» (cfr. Corcoran, The Empire, cit., 185) – le quali ‹si diffusero di nuovo dappertutto›. Esse ‹comandavano di ricostruire con maggior cura possibile i templi degli idoli, che erano crollati, e di curare che tutti, senza eccezione, uomini, donne, servitori, bambini, lattanti, sacrificassero e facessero libagioni›. Barnes, Constantine and Eusebius, cit., 153 pone tali γράμματα nell’autunno del 309 d. C., ma si chiede R.M. Grant, The Religion of ‹Maximinus Daia›, in: J. Neusman (ed.), Christianity, Judaism and other Graeco-Roman Cults. Studies for M. Smith, IV, Leiden, 1975, 143–166; spec.  146 nt.  18, «how different could the events have been?». 97  Laquer, Eusebius, cit., 86–88. 98  Eus. mart. Pal. III, 1–4.

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persecuzione›99: oltretutto, nei ‹Martiri di Palestina›, egli sembra contare gli anni di persecuzione a partire dal 305 d. C.100 99  Secondo Baynes, Two Notes on the Great Persecution, cit., 189; 191, il martirio di Timoteo di Gaza, Agapio, Tecla e sei altri in Cesarea (Eus. mart. Pal. III, 1) avrebbe avuto luogo il 24 marzo del 305 d. C., sicché «there is no certain date for the application of the Fourth Edict in the provinces directly subject to Diocletian before March 24, 305». Contra, Davies, Origin and Purpose, cit., 75 , secondo cui «the date is unsopportable», essendosi gli eventi svolti lungo un arco temporale che va dal martirio di Timoteo (non databile con precisione), a quello successivo di Agapio, Tecla e sei altri martiri volontari, che sarebbe avvenuto il 24 marzo 305 d. C., sicché «the use of the fourth edict in Diocletian’s provinces was certainly non delayed as late as 24 march 305, and we have no positive evidence that it was delayed at all». Per Barnes, Constantine and Eusebius, cit., 151; 356 nt.  27 Agapio sarebbe stato martirizzato il 21 maggio 304 d. C., gli altri otto il 24 marzo 305 d. C.: Timoteo, Agapio e Tecla «were clearly accused of disobeyng the fourth edict – and they are the only Christians of Palestine whom Eusebius’ account of 304 / 305 names as suffering under that edict». Lawlor / Oulton, Eusebius, I, cit., 327; II, cit., 324 leggono Adar (cioè ‹marzo›) in luogo di Iar (cioè ‹maggio›) e datano il martirio di Timoteo al 21 marzo 305 d. C. Naturalmente, tutto dipende da cosa Eusebio intenda con ‹secondo anno di persecuzione›; si danno, com’è noto, due possibilità: (a) l’anno di persecuzione va da aprile ad aprile, a partire quindi dall’aprile del 303 d. C., mese della pubblicazione del ‹primo› editto in Palestina: cfr. G. W. Richardson, The Chronology of Eusebius. Addendum, in: «ClQ», 18 (1925), 96–100; (b) il ‹primo› anno di persecuzione va dall’aprile del 303 d. C. al 31 dicembre del 304 d. C., il ‹secondo anno di persecuzione› comincia il 1° gennaio 305 d. C.: cfr. H.  J. Lawlor, The Chronology of Eusebius’ Martyrs of Palestine, in: «Hermathena», 15 (1908), 177–201 [= Id., Eusebiana. Essays on the Ecclesiastical History of Eusebius Bishop of Caesarea, Oxford, 1912, 179–210]. Ora se da un lato il computo sub (b) si espone all’obiezione – peraltro avanzata dallo stesso Lawlor, The Chronology, cit., 188 e nt.  2 – che «the first ‹year› must therefore have been a period not of twelve, but of at least twenty months. (…) In other words, a considerable part of 303 is reckoned by Eusebius as belonging to 304», dall’altro il computo sub (a) non è in grado di spiegare quanto si legge in Eus. hist. eccl. VIII, 13, 10, ove l’abdicazione di Diocleziano e Massimiano è posta ‹prima della fine del secondo anno di persecuzione› (οὐπω δ’ αὐτοῖϚ τῆς τοίασδε ϰινἡσεως δεύτερον ἐτος πεπλήρωτο), mentre essa avvenne il 1° maggio 305 d. C.: per Richardson, The Chronology, cit., 99, Eusebio, «writing some eight or ten years after the event, antedated the abdication». 100  H. M. Gwatkin, Notes on some chronological Questions connected with the Persecution of Diocletian, in: «English Historical Review», 13 (1898), 499–502, spec.  501, osservava che, nella versione ‹breve› dei ‹Martiri di Palestina›, Eusebio aggiunge in quattro occasioni il giorno della settimana alla data del martirio – cfr. Eus. mart. Pal. I, 1; IV, 15; VI, 1; VII, 1 – fornendo «an impossible date every time»; tuttavia, le quattro indicazioni sono errate se gli anni di persecuzione vengono computati a partire dal 303 d. C., ma sono corrette «if we may take it that Eusebius is not counting from the first edict in 303, but from the accession of Maximin Daza, 1 may 305»: Barnes, Constantine and Eusebius, cit., 356 nt.  21, pur giustamente rigettando la soluzione di J.-P. Rey-Coquais, Le calendrier employé par Eusèbe de Césarée dans les Martyrs de Palestine, in: «AB», 96 (1978), 55–64; spec. 57, il quale pensava a un’interpolazione effettuata da un amanuense che impiegava il



Diocleziano e i ‹quattro editti› della ‹grande persecuzione›

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In breve, il ‹quarto› editto di persecuzione dovrebbe essere identificato con il il ‹primo› editto Massimino Daia, emesso nel ‹terzo anno di persecuzione› e comunemente ritenuto «una estrema estensione del quarto editto»101. Si deve però notare che, anche per quanti credono alla storicità del ‹quarto› editto di persecuzione, il provvedimento di Massimino Daia non poteva essere una mera «estensione» del precedente, e doveva anzi essere ‹il primo del suo genere durante l’intera persecuzione›102; d’altra parte, sebbene non sia da escludere che il Cesare Massimino potesse emanare propri editti103, è decisamente improbabile che costui, già nel 305 / 306 d. C., assumesse l’iniziativa isolata di una nuova persecuzione104: ascrivendo il ϰαθολιϰὸν calendario antiocheno, si limita a osservare che «the days of the week (…) are a secondary element in these four dates, added carelessly by Eusebius as he revised». 101  Cfr. Marcone, La politica religiosa, cit., 236. Così già Mason, The Persecution of Diocletian, cit., 205 nt. 2: «a republication of the fourth edict in a more stringent form». 102  De Ste. Croix, Aspects, cit., 98: «there can be little doubt that the edict of 306 was the first of its kind during the whole persecution, and not merely during Maximin’s reign. Eusebius (…) when recording E4 (…) does not mention any instructions such as he quotes Maximin as giving in 306 (…) and the steps taken in 306 to prepare register would not have been necessary had they been taken a year or two previously. Eusebius also speaks of the roll-call as if they were unprecedented». 103  Corcoran, The Empire, cit., 270 nota che, dopo il 305 d. C., «edicts are (…) produced by both Augusti and Caesars». 104  Cfr. Allard, Histoire des persécutions. IV,2, cit., 37: «On ne peut douter que le deux souverains ne se fussent mis d’accord pour recommencer de concert les hostilités, ou plutôt que Galère n’ait été le véritable auteur de la reprise de la persécution»; Moreau, La persecuzione, cit., 118. Si noti che Galerio, nel suo ‹editto di tolleranza› del 30 aprile 311 d. C., parla di una iussio con la quale i cristiani venivano obbligati ‹a conformarsi agli istituti degli antichi› (Lact. mort. pers. 34.3: denique cum eiusmodi nostra iussio extitisset, ut ad veterum se instituta conferrent). Per Löhr, Some Observations, cit., 91 ss., Galerio si sarebbe riferito alla iussio di Diocleziano, senza peraltro chiamarla edictum appunto perché quello del 24 febbraio 303 d. C. sarebbe stato non già un ‹editto›, ma una sacra littera, «a legal order by the emperor (…) given in letters (…) to prefects or other high ranking officials like governors (…), in turn expected to draw up edicts in accordance with the imperial letter and to see to their publication». Contro questa conclusione, sta però il fatto che Lattanzio si riferisce al provvedimento dioclezianeo qualificandolo espressamente ‹editto› (cfr. Lact. mort. pers. 13.1: postridie propositum est edictum, quo cavebatur …), mentre Eusebio traduce iussio con πρόσταγμα, cioè appunto ‹editto› (cfr. Eus. hist. eccl. VIII, 17, 8: ύφ’ ἡμῶν προστάγματος παραϰολουθἡσαντος); tuttavia, poichè Galerio parla di nostra iussio, ovvero ύφ’ ἡμῶν προστάγματος παραϰολουθἡσαντος, potrebbe trattarsi di un provvedimento emanato proprio da Galerio, il quale ne sottolinea l’estrema severità (cfr. Lact. mort. pers. 34.3: multi periculo subiugati, multi etiam deturbati, su cui cfr. Moreau, Lactance, II, cit., 392–393: pena capitale e bando). E a conclusioni ancora più radicali dovrebbe giungersi, se si ammettesse – con R.M. Grant, The Case against Eusebius, or, Did the Father of Church History Write History?, in: «Studia Patristica» [TU 115; Berlin:

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πρόσταγμα di cui parla Eus. mart. Pal. III, 1 a Galerio – il quale, divenuto Augusto, prese ‹per la prima volta› terribili misure legislative contro i cristiani (cfr. Lact. mort. pers. 21, 3) – si potrebbe scorgere nei βασιλιϰὰ γράμματα le litterae con cui Massimino, l’‹acerrimo nemico della religione del Dio dell’universo› ne ordinava ai governatori provinciali d’Oriente l’esecuzione. Lo stesso Massimino, nella lettera del 312 d. C. al prefetto del pretorio Sabino, sembra alludere alle proprie litterae, quando dice di aver dato ‹ordine ai singoli giudici, che nessuno di essi in seguito prendesse misure crudeli contro gli abitanti delle province, ma che piuttosto con maniere blande ed esortazioni li richiamassero al culto degli dei›. Evidentemente Massimino vedeva nel sacrificio una possibilità per i cristiani di evitare i rigori della persecuzione: ‹Sin quando dunque in ossequio ai miei ordini sono state osservate dai giudici le istruzioni loro impartite, nessuno delle contrade d’Oriente fu esiliato o vessato; anzi, per il fatto che furono eliminate le maniere dure, i renitenti furono richiamati alla religione dei numi›105. Sebbene si sia voluto scorgere nel preteso ‹quarto› editto una ‹svolta› nella politica imperiale di persecuzione106 o, addirittura, l’abbandono del principio traianeo conquirendi non sunt per il principio inquisitorio107, nei Akademie, 1975], 413–421; Id., The Transmission of Eusebius H.E. VIII 17, 3–5, in: J. Dummer (Hrsg.), Texte und Textkritk: Eine Aufsatzsammlung [TU 133; Berlin: Akademie, 1987], 179–185 – che il cd. ‹editto di tolleranza› di Galerio è, in realtà, di Massimino Daia (ma contro questa «bizarre theory» di una falsificazione a opera di Eusebio, cfr. Barnes, The Constantinian Settlement, cit., 655 nt.  38). 105  Eus. hist. eccl. IX, 9a, 2–3, su cui cfr. H. Castritius, Studien zu Maximinus Daia, Kallmünz, 1969, 69–70. Grant, The Religion of ‹Maximinus Daia›, cit., 162 pone i provvedimenti di Massimino nel 305 d. C., C. Castello, Massimino Daia legislatore pagano, in: Studi in onore di F. De Marini Avonzo, Torino, 1999, 83–90; spec.  89, nel 306 d. C. 106  Cfr. Frend, Martyrdom, cit., 498: «from forcible persuasion to outright repression». 107  Cfr. De Ste. Croix, Aspects, cit., 79–83. Ma, sull’introduzione della ‹ricerca d’uffico› dei cristiani, le opinioni differiscono di molto, risultando chiamati in causa Marco Aurelio, Settimio Severo, Massimino il Trace, Decio e Valeriano: cfr. M. Sordi, La ricerca d’ufficio nel processo del 177, in: Les martyrs de Lyon (177). Lyon 20–23 septembre 1977, Paris, 1978, 179–184; [= Ead., Impero romano e Cristianesimo. Scritti scelti, Roma, 2006, 363–368]; D. Liebs, Umwidmung. Nutzung der Justiz zur Werbung für die Sache ihrer Opfer in den Märtyrerprozessen der frühern Christen, in: W. Ameling (Hrgs.), Märtyrer und Märtyrerakten, Stuttgart, 2002, 19–46 (articolo rielaborato nel 2007: «Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg», 1–29; spec.  11); Moreau, La persecuzione, cit., 74; S. Mazzarino, Trattato di Storia Romana, II, Roma, 1956, 319; Id., L’impero romano, II4, Roma / Bari, 1990, 492; O. Giordano, I Cristiani nel terzo secolo. L’editto di Decio, Messina, s.d. (ma 1966), 17 nt.  26; C.  J. Haas, Imperial Religious Policy and Valerian’s Persecu-



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fatti – costituendo ancora nel 304 d. C. ‹un mezzo per andare esenti da ogni pericolo e punizione›, nel 305 / 306 d. C. una ‹misura blanda› – l’obbligo di sacrificare, sancito dall’editto del 24 febbraio 303 d. C., rimaneva fondamentalmente ciò che era stato dal momento della sua introduzione da parte di Plinio, ‹un mezzo per fare apostati, non martiri›108. Del resto – è stato giustamente osservato – «Diokletian wollte das Christentum vernichten, nicht die Christen»109.

tion of the Church, A.D. 257–260, in: «Church History», 52 (1983), 133–144; spec.  133; K.-H. Schwarte, Die Christengesetzgebung Valerians, in: W. Eck (Hrsg.), Religion und Gesellschaft in der römischen Kaiserzeit. Kolloquium zu Ehren von Fr. Vitting­hoff, Köln / Wien, 1989, 103–163; spec.  119. 108  G.E.M. De Ste. Croix, Why were the Early Christians Persecuted?, in: «Past & Present», 26 (1963), 6–38; spec.  20 [= Id., Christian Persecution, cit., 105–154; spec.  128]. Cfr. pure R.M. Grant, Sacrifices and Oaths as required to Early Christians, in: Kyriacon. Festschrfit J. Quasten, I, Münster, 1970, 12–17. 109  Seston, v. Diocletianus, cit., 1051.

Ius gentium Imperialistische Schönfärberei römischer Juristen Von Fritz Sturm I. Cicero Mit den Begriffen ius civile, ius gentium und dem Verhältnis beider setzt sich Cicero in einer ganzen Reihe von Stellen auseinander,1 deren Auslegung schon Ströme von Tinte fließen ließ.2 Zuletzt äußerten sich im deutschen Schrifttum Max Kaser3 und Okko Behrends4, der sich schon seit längerem mit dem Begriffspaar beschäftigt.5 Beide heben besonders auf eine Stelle aus De officiis ab. Cicero, De officiis 3,17,69: … Societas est enim (quod etsi saepe dictum est, dicendum est tamen saepius), latissime quidem quae pateat, omnium inter omnes, interior eorum, qui eiusdem gentis sunt, proprior eorum, qui eiusdem civitatis. Itaque maiores aliud ius gentium, aliud ius civile esse voluerunt: quod civile, non idem continuo gentium, quod autem gentium, idem civile esse debet.  …

Ius civile – so Kaser und Behrends – ist das Recht, das für cives Romani gilt und ius praetorium einschließt. Ius civile kann sich mit ius gentium decken, braucht es aber nicht. Ius gentium ist der weitere Begriff, welcher für Behrends im Sinne der Stoa als solidarisches Naturrecht der menschlichen Gesellschaft zu verstehen ist. Es gilt überall, in Rom ebenso wie in Athen, gestern, heute und morgen. Niemand kann sich ihm entziehen, denn es entspricht menschlicher Vernunft6 und ermöglicht allen Menschen, sich 1  Außer der gleich zu erörternden Stelle aus De officiis vgl. de off. 3,5,23; part. or. 37,130; Tusc. disp. 1,13,30; de harusp. resp. 14,32; pro Roscio Am. 49,143; de oratore 1,13,56; de re publica 1,2,2. 2  Vgl. Gabrio Lombardi, Sul concetto di „ius gentium“ (Rom 1947) 61  ff. 3  Ius gentium (Köln 1993) 14  ff. 4  Che cos’era il „ius gentium“ antico?, in: Luigi Labruna, Tradizione romanistica e costituzione (Neapel 2006) 481  ff. (483  ff.). 5  Die Wissenschaftslehre im Zivilrecht des Q. Mucius Scaevola pontifex maximus, Nachr. Akad. Wiss. Göttingen, phil.-hist. Kl. 1976 Nr.  7, 265  ff. 6  A. von Arnim, Stoicorum Veterum Fragmenta III (Leipzig 1903) 80 Nr.  325.

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in der Welt frei zu bewegen. Wer rechtstreu ist, darf sich überall niederlassen, wird zum Kosmopoliten.7 II. Gaius 1.  Der Gegensatz von ius civile und ius gentium wird auch bei Gaius thematisiert. Die Hauptstellen lauten: Gaius I 1: Omnes populi, qui legibus et moribus reguntur, partim suo proprio, partim communi omnium hominum iure utuntur: nam quod quisque populus ipse sibi ius constituit, id ipsius proprium est vocaturque ius civile, quasi ius proprium civitatis; quod vero naturalis ratio inter omnes homines constituit, id apud omnes populos peraeque custoditur vocaturque ius gentium, quasi quo iure omnes gentes utuntur. populus itaque Romanus partim suo proprio, partim communi omnium hominum iure utitur.8 Gaius (rer. cott. 2) D. 41,1,1 pr.: Quarundam rerum dominium nanciscimur iure gentium, quod ratione naturali inter omnes homines peraeque servatur, quarundam iure civili, id est iure proprio civitatis nostrae. et quia antiquius ius gentium cum ipso genere humano proditum est, opus est, ut de hoc prius referendum sit. Gaius III 154: … Sed haec quidem societas, de qua loquimur, id est quae nudo consensu contrahitur, iuris gentium est; itaque inter omnes homines naturali ratione consistit. Gaius III 154a: Est autem aliud genus societatis proprium civium Romanorum.  …

Weit stärker als Cicero legt Gaius den Ton auf den Gegensatz zwischen ius civile und ius gentium. Ius civile bedeutet für ihn ius proprium civitatis, das er in III 154a und anderen Stellen9 ius proprium civium Romanorum nennt. Dass sich ius civile mit ius gentium decken kann, wird nicht gesagt. Gaius begnügt sich festzustellen, dass Rom nicht nur eigenes Recht anwendet, sondern auch ius gentium, nämlich Recht, das seine Entstehung menschlicher Vernunft verdankt und deshalb generelle Geltung beanspruchen kann und solche auch besitzt. 2.  Bemerkenswert, dass Gaius III 93 selbst die stipulatio dem ius gen­ tium zuordnet und nur die sponsio für ius proprium civium Romanorum hält. 7  Stoicorum

Veterum Fragmenta III (o. Fn.  6) 82 Nr.  336. Inst. Iust. 1,2,1 und Gai. (1 inst.) D. 1,1,9, wo allerdings der Schlusssatz wegfiel. 9  I 55; I 108; II 65. 8  Paralleltexte



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Gaius III 93: Sed haec quidem verborum obligatio dari spondes? spondeo propria civium Romanorum est; ceterae vero iuris gentium sunt, itaque inter omnes homines, sive cives Romanos sive peregrinos, valent. et quamvis ad Graecam vocem expressae fuerint  …

III. Paulus 1.  Zwei Fragmente aus dem Ediktskommentar des Juristen Paulus stellen ius civile und ius gentium zwar nicht gegenüber, qualifizieren aber Rechtsfiguren, die mit actiones civiles bewehrt sind, als ius gentium. Paul. (33 ed.) D. 18,1,1,2: Est autem emptio iuris gentium, et ideo consensu peragitur et inter absentes contrahi potest et per nuntium et per litteras. Paul. (34 ed.) D. 19,2,1: Locatio et conductio cum naturalis sit et omnium gentium, non verbis, sed consensu contrahitur, sicut emptio et venditio.

Weshalb sind Miete und Pacht, warum der Kauf Rechtsfiguren des ius gentium? Weil sie consensu, nicht verbis zustande kommen. IV. Ulpianus Ulpian qualifiziert ebenso wie Paulus und ordnet den Konsensualvertrag locatio conductio dem ius gentium zu. Ulp. Inst. 1,210: Locatum quoque et conductum ius gentium induxit. Nam ex quo coepimus possessiones proprias et res habere, et locandi ius nancti sumus et conducendi res alienas: et is, qui conduxit, iure gentium tenetur ad mercedem exsolvendam.

Parallel zur Qualifikation, die die stipulatio bei Gaius erfährt, wird auch die acceptilatio als Rechtsfigur des ius gentium eingestuft. Ulp. (48 Sab.) D. 46,4,8,4: … et servus accepto liberari potest, et tolluntur etiam honorariae obligationes, si quae sunt adversus dominum. quia hoc iure utimur, ut iuris gentium sit acceptilatio: et ideo puto et Graece posse acceptum fieri, dummodo sic fiat, ut Latinis verbis solet: ἔχεις λαβὼν δηνάρια τόσα; ἔχω λαβών.

10  Fragmentum Vindobonense (Girard / Senn / Villers, Textes de droit romain I [7. Aufl. Paris 1967] 450).

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V. Marcianus und Hermogenianus Auf derselben Linie liegen die Äußerungen Marcians und Hermogenians. Marcian. (…) D. 48,22,15 pr.: Ὁ περιοριζόμενος τὴν πολιτείαν ἀπολλύει, οὐ μὴν τὴν ἐλευθερίαν· καί τῶν μὲν ἰδικῶν νόμων τῆς πολιτείας στερεῖται, τοῖς ἐθνικοῖς δὲ κέχρηται· ἀγοράζει γὰρ καὶ πωλεῖ, μισθοῖ καὶ μισθοῦται καὶ καταλάσσει καὶ δάνειον πράττει καὶ τὰ λοιπὰ τὰ παραπλήσια …11 Hermog. (1 iur. epit.) D. 1,1,5: Ex hoc iure gentium introducta bella, discretae gentes, regna condita, dominia distincta, agris termini positi, aedificia collocata, commercium, emptiones venditiones, locationes conductiones, obligationes institutae: exceptis quibusdam quae iure civili introductae sunt.

VI. Das Rätsel und seine Lösung 1.  Die Aussagen dieser Juristen überraschen, ja geben uns Rätsel auf: Nur Rom, keine andere Stadt und kein anderes Land kannte Verträge, die durch förmliche Frage und Antwort zustande kamen oder aufgehoben werden konnten.12 Nur in Rom, nirgendwo sonst gab es Konsensualverträge. Es gehört ja gerade zu den Großleistungen der römischen Jurisprudenz, diese zugelassen und ausgestaltet zu haben.13 Wie kommen Früh- und Spätklassiker dazu, solche typisch römische Figuren, die es anderswo gerade nicht gab, dem ius gentium zuzuweisen, sie als ius gentium zu qualifizieren? 2.  Den römischen Juristen ging es bei Fixierung von ius gentium nicht darum, römische und fremde Rechtsfiguren zu vergleichen und auf die 11  Mommsen übersetzt: Deportatus civitatem amittit, libertatem retinet et iure civili caret, gentium vero utitur. itaque emit vendit, locat conducit, permutat, fenus exercet aliaque similia  … 12  Vincenzo Arangio-Ruiz, L’application du droit romain en Egypte après la Constitution Antoninienne, Bull. Inst. d’Egypte 29 (1946 / 47) 83  ff. (121  ff.); Mario Talamanca, Lineamenti di storia del diritto romano (2. Aufl. Mailand 1989) 512  f.; ders., „Ius gentium“ da Adriano ai Severi, in: La codificazione del diritto dall’antico al moderno, Atti (Neapel 1998) 191  ff. 13  Fritz Pringsheim, The Greek Law of Sale (Weimar 1950) 87  f.; Vincenzo Arangio-Ruiz, La compravendita in diritto romano (2.  Aufl. Neapel 1954) 55; Hans Julius Wolff, Die Grundlagen des griechischen Vertragsrechts, SZ 74 (1957) 26  ff. (70  f.) = Erich Bernecker (Hrsg.), Zur griechischen Rechtsgeschichte (Darmstadt 1968) 482  ff. (531  f.); György Diósdi, Contract in Roman Law from the Twelve Tables to the Glossators (Budapest 1981) 26  ff.; Gábor Hamza, Comparative Law and Antiquitiy (Budapest 1991) 238; Mario Talamanca, Bspr. von Kaser, Ius gentium, IURA 44 (1993) 272  ff. (295).



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Waagschale zu legen. Fremdes Recht interessierte sie überhaupt nicht.14 Sie verliehen fremdem Recht keine Identität und begnügten sich, wenn auch selten, mit dem Hinweis, hier gehe es um aliud ius civitatis.15 3.  Die genannten Stellen lassen sich auch nicht mit Mario Talamanca16 und Cosimo Cascione17 als unterschiedliche Akzentuierung des Gegensatzes von ius civile und ius gentium begreifen. Bei der stipulatio werde der normativdogmatische Gehalt dieses Gegensatzes betont und ausgedrückt, dass dieses technische Instrument des ius civile auch von Nichtbürgern eingesetzt werden konnte; bei Konsensualkontrakten gehe es um ein soziologisch-deskriptives Anliegen. Man reihe Rechtsfiguren auf, deren Verbreitung in der „Ökumene“, nicht aber deren Struktur und Mechanismus beschrieben werden sollte. Mit dieser phantasiereichen Dichotomie vermag ich mich nicht zu befreunden. Talamanca zieht mit Cascione Gegensätze aus dem Zauberhut, für die sich in unseren Quellen nicht der geringste Anhalt findet. 4.  Entscheidend für die römischen Juristen war Ausgrenzung, Abschottung, Beschränkung des eigenen Rechts. Mit ius civile bezeichnet werden sollten Normen, auf die sich nur römische Bürger, nicht aber Fremde berufen durften. Diese Abschottung führte aber nicht wie in archaischer Zeit zum Ausschluss Fremder vom Rechtsverkehr18. Im Eigeninteresse sollten auch Fremde vor römische Gerichte – praetor peregrinus und praeses proviniae – gezogen und dabei römische Rechtsbehelfe eingesetzt werden können. Diese Behelfe, die man dann umgekehrt auch Peregrinen selbst zur Verfügung stellen mußte, waren ureigenes römisches Recht. Dass man sie ius gentium nannte, war Schönfärberei. Hinter dem wohlklingenden Ausdruck stand blanker Imperialismus, der Wille, eine spezielle Schicht eigenen Rechts weltweit durchzusetzen.19 5.  Diese Haltung tritt weniger deutlich in den Gaiusstellen hervor, in denen von ius proprium civium Romanorum die Rede ist,20 als in der Defi14  Die sporadischen und ziemlich oberflächlichen Hinweise des Juristen Gaius (Inst. I 55; I 193; I 197; II 40; III 96; III 120) bilden eine Ausnahme; vgl. Wolfgang Kunkel, Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen (Weimar 1952) 201. 15  So z. B. in Gaius III 120. 16  Lineamenti (o. Fn.  12) 512  f. und „Ius gentium“ (o. Fn.  12) 211  f. 17  Consensus (Neapel 2003) 353. 18  Hierzu Fritz Sturm, Exclusivisme et personnalisme dans l’Antiquité classique et à l’époque barbare. Réception ou évolution parallèle?, in: Nozione, formazione e interpretazione del diritto dall’età Romana alle esperienze moderne, Ricerche dedicate a Filippo Gallo II (Neapel 1997) 337  ff. (338  ff.). 19  Mit gleicher Rücksichtslosigkeit verfahren heute die USA. 20  Vgl. Fn.  9.

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nition der abalienatio, die Cicero einem republikanischen Juristen entlehnt haben dürfte.21 Cicero, Top. 5,28: Abalienatio est eius rei quae mancipi est aut traditio alteri nexu aut in iure cessio inter quos ea iure civili fieri possunt.

6.  Widerspricht dem Gesagten aber nicht die bekannte Definition der obligatio? Inst. 3,13 pr.: Obligatio est iuris vinculum, quo necessitate adstringimur alicuius solvendae rei secundum nostrae civitatis iura.

Der Ausdruck secundum nostrae civitatis iura, dessen Echtheit sogar bestritten wurde,22 scheint auf den ersten Blick auch auf einen Ausschluss Fremder anzuspielen, von dem im römischen Rechtsleben zumindest seit Schaffung der Peregrinenprätur überhaupt nicht die Rede sein konnte. Man darf aber nicht den Zusammenhang aus den Augen verlieren, in dem unsere Stelle steht. Inst. 3,13,1: Omnium autem obligationum summa divisio in duo genera diducitur: namque aut civiles sunt aut praetoriae. civiles sunt, quae aut legibus constitutae aut certe iure civili comprobatae sunt. praetoriae sunt, quas praetor ex sua iurisdictione constituit, quae etiam honorariae vocantur.

Die Wendung iura civitatis darf nicht mit dem Ausdruck ius proprium civium Romanorum gleichgesetzt werden. Gemeint ist vielmehr, dass die Quelle jeder obligatio auf römischem Gesetz oder römischer Jurisdiktionsgewalt beruht, die bekanntlich nicht nur dem praetor urbanus, sondern auch dem praetor peregrinus zustand, und ius civile generell fortbildete.23 7.  Steht der hier versuchten Deutung aber nicht die Tatsache entgegen, dass der Gegensatz von Römern und Fremden nach Erlass der constitutio Antoniniana im Jahr 212 n.  Chr. im Rechtleben zu völliger Bedeutungslosigkeit herabsank und damit auch der Begriff des ius gentium verblasste?24 Ius civile galt ja fast ausnahmslos.25 Paulus und Ulpian schrieben ihre WerFritz Sturm, Abalienatio (Mailand 1957) 70  f. von Arnoldo Biscardi, Secundum nostrae civitatis iura, Studi Senesi 63 (1951) 40  ff. 23  Pap. (2 def.) D., 1,1,7,1: Ius praetorium est, quod praetores introduxerunt ­adiuvandi vel supplendi vel corrigendi iuris civilis gratia  … 24  Kaser (o. Fn.  3) 119, 145. 25  Bis zur einsetzenden Völkerwanderung bestanden peregrini im wesentlichen aus Randgruppen, über deren Bedeutung wir wenig wissen; vgl. Sturm (o. Fn.  18) 350; Talamanca, „Ius gentium“ (o. Fn.  12) 215  f. 21  Vgl. 22  So



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ke ja nicht sämtlich vor diesem entscheidenden Jahr. Und später schrieben auf jeden Fall Marcian und Hermogenian.26 8.  Die imperialistische Schönfärberei, die Gebrauch und antiker Deutung des Ausdrucks ius gentium zugrundeliegt, hatte in der Zeit, in der Cicero und Gaius schrieben, durchaus Sinn, spiegelt sie doch die in archaischer Zeit bestehende Ausgrenzung Fremder wider, die als Personalismus in ihrer Zeit noch mit den Händen zu greifen war.27 Hoch- und Spätklassiker schleppen den Gegensatz von ius civile und ius gentium als überkommenen Topos mit. Vertrautes streifen Juristen nur ungern ab, besonders wenn damit überkommene Strukturen zu rechtfertigen sind. Der Rechtshistoriker weiß ihnen dafür Dank. Auf seiner Entdeckungsreise helfen ihm Leitfossilien.

26  Genaueres lässt sich freilich nicht sagen. Paulus und Ulpian waren ja schon unter Septimius Severus (193–211 n.  Chr.) assessores des praefectus praetorio Papinian und unter Alexander Severus (222–235 n.  Chr.) gleichzeitig praefectus praetorio. Aelius Marcianus dürfte hingegen erst nach Caracalla schriftstellerisch hervorgetreten sein (vgl. Paul Krüger, Geschichte der Quellen und Litteratur des Römischen Rechts [München 1912] 251). Er soll ja sogar ein Handbuch des römischen Rechts für die griechischen Neubürger verfasst haben (vgl. Leopold Wenger, Die Quellen des römischen Rechts [Wien 1913] 521). Hermogenian ist Spätklassiker und wohl in die zweite Hälfte des 3. oder in das beginnende 4. Jh. n. Chr. zu verweisen. 27  Fritz Sturm, Le principe romain de la personnalité des lois. Sa portée et ses limites, in: Cahiers 11 / 12 du Centre de recherches en histoire du droit et des institutions (Brüssel 1999) 21  ff.

Der römische Konsul als Richter „Provokative“ Betrachtungen zum Bild des L. Iunius Brutus, cos. 509 v. Chr., in der antiken Geschichtsschreibung, in Vergils Aeneis und in deren ältesten deutschen Übersetzung durch Thomas Murner 1515 nebst Hinweisen auf einschlägige Buchillustrationen des frühen 16. Jahrhunderts Von Werner Suerbaum I. Die Notwendigkeit, dieses Thema zu behandeln Zu römischen Konsuln der älteren und mittleren Republik, die als Verfasser oder Kommentatoren von Gesetzen gelten, hat Detlef Liebs das Nötige in dem von mir herausgegebenen „Handbuch der lateinischen Literatur der Antike Bd. 1: Die archaische Literatur …“ (HLL 1, München 2002) gesagt.1 Zu römischen Konsuln, die literarische Werke verfasst haben, vor allem solche historischer Art, haben sich schon viele meiner literarhistorischen Kollegen geäußert, also etwa (um nur solche konsularischen Autoren zu nennen, zu denen auch ich selber etwas publiziert habe) zu Cato Censorius (cos. 195), Cicero (cos. 63), Caesar (cos. 59 v. Chr.), Tacitus (cos. 97 n. Chr.), Plinius minor (cos. 100). Allerdings handelt es sich hierbei immer um gewesene Konsuln (consulares), denn im Amtsjahr selber scheint niemand die Zeit für eine literarische Beschäftigung gehabt zu haben. Selbst Cicero hat die Reden, die er als amtierender Konsul im Jahre 63 v. Chr. gehalten hat (nicht nur die vier gegen Catilina), erst drei Jahre später im Rückblick (und mit Rück-Sicht) gesammelt publiziert. (Wer denkt da nicht an einen Professor, der in der Regel auch nicht gerade als amtierender Dekan, um so mehr aber als Emeritus vielleicht nicht geradezu literarische, aber doch wissenschaftliche Publikationen verfasst?) Althistoriker haben allzu oft das Thema traktiert „Der römische Konsul (oder besser: ein bestimmter römischer Konsul) als geschichtlicher Akteur“. Wenn Konsuln als legislato1  Da der genannte Herausgeber von HLL 1, trotz gewisser grundsätzlicher Bedenken (vgl. HLL 1, S. 454 f.), die vom Jubilar verfassten Abschnitte zur Rechts„literatur“ (HLL 1, § 110, S. 65–79 und § 194–195, S. 560–574) aufgenommen hat, mag es der ausgleichenden Gerechtigkeit (aequabilitas) dienen, wenn er in dieser Festschrift zu Wort kommt, obwohl er nicht Rechts-, sondern Literarhistoriker ist.

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rische2, literarische und historische Akteure bereits gewürdigt sind, was bleibt da noch zu behandeln? Offensichtlich: „Der römische Konsul als Richter“. Dieses Thema hat allerdings einen Nachteil: Es dürfte eigentlich gar nicht existieren. Denn der römische Konsul ist gar kein Richter. Jedenfalls nicht, wenn er domi, zu Hause in Rom, amtiert. Wenn er allerdings als Heerführer im Felde steht (militiae), ist er auch ein Richter mit theoretisch unbeschränkten Rechten (ius vitae necisque).3 Im Rom der Republik aber richten nicht die Konsuln, jedenfalls nicht endgültig. Für Prozesse und Urteile in Strafsachen waren zwar auch die Magistrate (ab der Mitte des 2. Jh. v. Chr. jedoch Kammern von Geschworenengerichten, die quaestiones perpetuae) zuständig, aber deren Urteil war sozusagen vorläufig: es konnte dagegen Berufung (provocatio) an das Volk eingelegt werden. Die letzte Entscheidung traf dann eine Volksversammlung (comitium). In der Entwicklung der Strafgerichtsbarkeit in der römischen Republik zeichnet sich die Tendenz ab, die autoritative und endgültige Entscheidung eines Einzelnen, ehedem des Königs, dann seines Nachfolgers als Inhaber des imperium, also des Konsuls, zu beschränken zugunsten einer Mitwirkung des Volkes und darüber hinaus zu ersetzen durch eine Urteilsfindung durch eine Mehrzahl von Geschworenen. Mit dem Thema „Der Konsul als Richter“ ist also das der Provocatio ad populum eng verbunden. Aber wie immer in der Geschichte gibt es wirkliche oder scheinbare Ausnahmen von der Regel, dass ein Konsul kein Richter ist und wenn doch, dass Provocatio ad populum gegen sein Todesurteil statthat. Über den ältesten Ausnahmefall will ich handeln, über das Auftreten des Begründers der römischen Republik und Konsuls im Jahre 509 v. Chr. als Richter über seine Söhne. Auf den zweiten, noch berühmteren spektakulären Fall oder besser scheinbaren Parallelfall, dass ein Konsul ein Todesurteil an einem römischen Bürger ohne die Möglichkeit einer Provocatio ad populum vollzieht, nämlich das Auftreten des Konsuls Cicero am 5. Dezember 63 v. Chr. gegenüber den fünf in Rom verhafteten, des Hochverrats überführten Catilinariern, kann ich nur hinweisen.4 2  Nicht der Konsul war allerdings der Gesetzgeber in der Res publica Romana, sondern das Volk: Leges wurden von den männlichen Stimmbürgern in streng geregelten Versammlungen (comitia, später auch in concilia plebis) beschlossen, doch nur auf Antrag eines Magistrats, meist eines Volkstribunen, aber auch eines Konsuls. Nach diesem jeweiligen Initiator wurde das Gesetz benannt. 3  Einen besonders drastischen Fall des cos. 192 v. Chr., „das Verbrechen des L. Flamininus als Spektakel und Exempel“, habe ich unter dem Titel „Sex und Crime im alten Rom. Von der humanistischen Zensur zu Cato dem Censor“, WJA 19, 1993, 85–109 untersucht. 4  Detlef Liebs, Vor den Richtern Roms. Berühmte Prozesse der Antike, München 2007, behandelt unter seinen 16 Fällen leider weder den „Konsul Brutus als Richter“



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II. Der Konsul Brutus lässt 509 v. Chr. seine beiden Söhne hinrichten: die historische Überlieferung und das Problem der fehlenden Provocatio ad populum Das berühmteste Beispiel für meinen Titelbegriff „Der Konsul als Richter“ und das Vorspiel für den Hauptteil meiner Ausführungen, die über Vergil und die älteste deutsche Aeneis-Übersetzung handeln, bietet (wenn wir der in diesem Punkte einstimmigen historischen Überlieferung glauben wollen) gleich der erste römische Konsul überhaupt: L. Iunius Brutus im Jahre 509 v. Chr.5 (509 v. Chr.) noch etwa den Prozess (?) gegen die Catilinarier vor dem Senatsgericht (?), an dem im Jahre 63 v. Chr. der Konsul Cicero beteiligt war und hat deshalb an sich auch keinen Anlass, sich Gedanken über die in beiden Fällen eigentlich angebrachte Provocatio ad populum zu machen. Trotzdem weist Liebs’ Sachindex überraschender Weise das Stichwort „Provokationsrecht“ auf. Die eine der beiden angegebenen Stellen (S. 113 und auch S. 20) ist nicht recht einschlägig, denn wenn der Apostel Paulus, civis Romanus, im J. 60 n. Chr. von einem Gericht in Caesarea an Rom, also an den Kaiser Nero, appelliert, kann man das nicht provocatio ad populum nennen; damals hatte der Kaiser bereits die „Volksgerichtsbarkeit“ ersetzt. Die andere Stelle, S. 14–20, auf Livius 1,22–26 fußend (der um 25 v. Chr. schreibt), gehört in den Prozess gegen den einen überlebenden der drei mythisch-historischen Horatier, der, angeblich um 670 v. Chr. unter dem dritten römischen König Tullus Hostilius, seine Schwester getötet hat, weil sie einen gefallenen Feind aus der latinischen Konkurrenzstadt Alba Longa, einen von ihm getöteten Curiatier, betrauert hatte. Er wurde von einem vom König eingesetzten Sondergericht von Duoviri zum Tode verurteilt, und zwar seltsamer Weise nicht wegen parricidium (Mord an engsten Verwandten), sondern wegen perduellio (Hochverrat, also wegen eines gravierend den Staat berührenden Verbrechens). Der König selber rät laut Livius dem Horatier zur provocatio ad populum, zum Appell an die Volksversammlung als Berufungsinstanz. Diese spricht den Horatier frei, vor allem, weil der Vater für ihn eintritt; der Vater vollzieht nur eine symbolisch-religiöse Ehrenstrafe an seinem einzigen überlebenden Kind, dem mörderischen Sohn. 5  Diesen Brutus habe ich persönlich, als zuständig für den Bereich VII (§ 175 ff.) „Literarische Redekunst“ in HLL 1, aus dem „Katalog der bezeugten (römischen) Redner bis ca. 78 v. Chr.“ (§ 176) und überhaupt aus diesem „Handbuch der lateinischen Literatur der Antike Bd. 1“ ausgestoßen, obwohl er in Ciceros Brutus, einer Schrift, die für die Geschichte der römischen Beredsamkeit biblischen Rang hat (übrigens nach einem anderen Brutus betitelt ist), als erster römischer Redner aufgeführt ist (Brut. 53), jedoch ohne Belege, nur per coniecturam. Cicero vermutet, dieser Brutus, cos. 509, habe seine historischen Errungenschaften (u. a. Vertreibung der tyrannischen Königssippe, Neugestaltung der Verfassung des Freistaates) niemals ohne persuasive Redekunst durchsetzen können. Dass Brutus auch seine eigenen Söhne zum Tode verurteilt hat, wird in diesem kleinen Katalog seiner Leistungen von Cicero nicht erwähnt. Nun ja, offenbar ist es nach diesem Richterspruch nicht zu einer provocatio ad populum gekommen, bei der Brutus seine (eventuellen) rednerischen Qualitäten vielleicht hätte einsetzen müssen, um seinen Urteilsspruch zu verteidigen. – In Ciceros De re publica ist eine eventuelle Erwähnung des Richt-

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Dieser Brutus hat als Konsul im ersten Jahr der römischen Republik seine beiden Söhne zum Tode verurteilt, weil sie sich in Rom in das Komplott hatten hineinziehen lassen, den vertriebenen letzten König, Tarquinius Superbus, wieder in Rom zu etablieren und damit die Monarchie wieder einzuführen. Das wurde als Hochverrat betrachtet, obwohl sie (nach der Darstellung des Livius 2,4–5) ergriffen wurden, bevor es zu konkreten Aktionen kam. Der Konsul Brutus ließ seine Söhne durch einen Liktor öffentlich enthaupten; er selbst schaute zu (nach Livius: seine Bewegung zeigend, nach anderen noch späteren Quellen, so bei Dion. Hal. ant. Rom. 5,8,6 und Plutarch Pobl. 6,3: unbewegt). Ob dies alles, trotz der im Kern einhelligen Überlieferung, wirklich im buchstäblichen Sinne als historisch zu betrachten ist, sei dahingestellt. Man darf nicht vergessen, dass die Geschehnisse vom Anfang der römischen Republik erst frühestens etwa 300 Jahre später in Rom schriftlich fixiert worden sind. L. Iunius Brutus kommt in den erhaltenen Fragmenten des griechisch schreibenden ältesten römischen Historikers Fabius Pictor (der um 200 v. Chr. gestorben sein wird) nicht vor. Seine ältesten Erwähnungen finden sich bei Postumius Albinus (cos. 151; er wird seine historia scripta Graece um 150 v. Chr. verfasst haben) in frg. 2 P. (eine Art Etymologie seines Namens, ein Testimonium bei Macr. Sat. 3,20,5) und bei dem griechischen Historiker Polybios 3,22,1 (eine bloße Datierung mit dem Konsul Brutus; wohl nach 146 verfasst); eine im engeren Sinne politische Aktion des Brutus, nämlich dass er seinen Konsulatskollegen L. Tarquinius Collatinus im J. 509 zur Abdankung gedrängt hat, wird erst von L. Calpurnius Piso frg. 19 P. (bei Gell. 15,29; Piso war cos. 133) berichtet. Man könnte argwöhnen, dass auch die Geschichte von dem Vater, der die eigenen Söhne der Staatsraison opfert, wie manches andere aus der Gründungsgeschichte Roms, der Zeit der Könige und der Anfänge der römischen Republik, erfunden ist: Im Handeln des Brutus, der Amt und Staat über Vaterschaft und Familie stellt, wird die ideale Wertordnung der res publica Romana an einem Extremfall konkurrierender Werte anschaulich gemacht. Aber wie so oft in der Geschichte kommt es nicht darauf an, was wirklich geschehen ist, sondern darauf, was man glaubte (oder glauben sollte), es sei geschehen. Dass der Konsul Brutus seine eigenen Söhne im Interesse des Staates zum Tode verurteilt hat, galt, so lange wir die römische Überlieferung überblicken können, als historische Tatsache, als eine der großen exemplarischen Handlungen, die die Gründungsgeschichte der römischen Republik ausmachen. Allenfalls konnte man das Verhalten des Brutus unterschiedlich beurteilen.6 spruches des Brutus gegen seine Söhne in der großen Überlieferungslücke zwischen rep. 2,52 und 2,53 ff. untergegangen.



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Die Nachwelt stand diesem Entschluss des Brutus, die eigenen Söhne der Staatsräson zu opfern, also die Ansprüche des Vaterlandes über die Verpflichtungen eines Vaters zu stellen, mit einer Mischung aus Bewunderung oder Mitleid und aus Entsetzen gegenüber (besonders deutlich bei Dion. Hal. ant. Rom. 5,8,1). Bei mir kommt noch eine weitere Emotion hinzu: Verwunderung über die fehlende rechtliche Absicherung dieses Urteilsspruches – eine strafabwendende provocatio ad populum fand offensichtlich nicht statt. Darüber soll zunächst die Rede sein. 6

Berechtigte das Konsulsamt Brutus wirklich dazu, die Todesstrafe ohne weiteres, ohne den Erfolg einer provocatio ad populum abzuwarten, vollziehen zu lassen? Wenn ich „wirklich“ sage, meine ich aber nicht die tatsächliche Situation im Jahre 509 v. Chr., sondern diejenige, die sich spätere, mindestens 450 Jahre nach dem Ereignis schreibende Autoren vorstellten. Wenn man Cicero De re publica 2,53–55 (verfasst zwischen 54 und 51 v. Chr.) glauben will, hat erst der Konsul des folgenden Jahres 508, P. Valerius Poblicola7, die provocatio ad populum gegen eine von einem Magistrat verhängte Todesstrafe oder eine minder scharfe Ahndung (coercitio) eingeführt, und zwar durch ein vom Volk beschlossenes Gesetz (rep. 2,53) ne quis magistratus civem Romanum adversus provocationem necaret neve verberaret. Allerdings behauptet der Sprecher im Dialog, Scipio Aemilianus im J. 129 v. Chr., im gleichen Atemzug, eine solche Berufungsmöglichkeit gegen ein Todesurteil habe es schon in der Königszeit gegeben: rep. 2,54 provocationem autem etiam a regibus fuisse declarant pontificii libri. Danach wäre also Brutus in dem Umsturzjahr 509 auch als Konsul (als Vater ohnehin) in seiner Machtausübung nicht eingeschränkt gewesen. – Nach der Darstellung des Livius in 2,4,4 (wohl um 25 v. Chr. verfasst) haben die beiden Konsuln (neben Brutus war das, nach der Abdankung seines durch seinen Namen diskreditierten L. Tarquinius Collatinus, der Consul suffectus P. Valerius Poplicola) die jungen römischen Verschwörer verhaftet und sie 6  Ich habe diese skeptischen Sätze zur Historizität des von Brutus ausgesprochenen Todesurteils über seine Söhne und dessen Vollstreckung formuliert, noch bevor ich die entmythisierenden, erstaunlich selbstsicheren Darlegungen von Karl-Wilhelm Welwei kennenlernte: Lucius Iunius Brutus. Zur Ausgestaltung und politischen Wirkung einer Legende, Gymnasium 108, 2001, 123–135, (zuvor schon: L. Iunius Brutus – ein fiktiver Revolutionsheld, in: K.-J. Hölkeskamp / E. Stein-Hölkeskamp (Hrsg.), Von Romulus zu Augustus. Große Gestalten der römischen Republik, München 2000, 48–57). Welwei verweist praktisch die ganze Brutus-Gestalt in den Bereich der Legende und leitet bestimmte ihrer Züge von der unterschiedlichen historischen Interessenlage ihrer römischen Erfinder ab. 7  Poblicola (dem Plutarch eine seiner Parallelbiographien gewidmet hat) war zwar schon 509, neben Brutus, consul suffectus, da aber hier rep. 2,53 sein nachgewählter Kollege Spurius Lucretius erwähnt wird, muss es sich um 508 handeln.

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dann offenbar (laut 2,5,4, wo aber kein Subjekt genannt ist) zum Tode verurteilt. – In der ausführlichen griechischen Darstellung des Dionysios aus Halikarnassos über die römische Frühgeschichte (ant. Rom. 5,8 f.; seit 7  v. Chr. veröffentlicht; Dionysios lebte seit ca. 29 v. Chr. in Rom) fällt der Konsul Brutus das Todesurteil über seine beiden Söhne und lässt sich auch nicht durch Stimmen aus dem Volke umstimmen, die Mitleid nicht mit den jungen Söhnen, sondern mit ihm haben. Er lässt das Urteil durch den Liktor durch Enthauptung vollstrecken und ist selbst dabei zugegen, vergießt aber keine Träne, während alle anderen Augenzeugen weinen. Danach verurteilt er auch zwei weitere überführte junge Hochverräter zum Tode. Dagegen legt aber sein Mitkonsul, der bei Dion. Hal. zu dieser Zeit noch L. Tarquinius Collatinus ist, nach vergeblichen Bitten sein Veto ein. Diese beiden Hochverräter sind nämlich seine Neffen. Daraufhin beruft Brutus eine Volksversammlung und fordert Collatinus in einer langen „wörtlichen“ Rede auf, von seinem Konsulamt zurückzutreten. Collatinus lässt sich schließlich auch dazu bewegen. Brutus lässt P. Valerius (Poblicola) als Ersatzkonsul, als ersten consul suffectus der römischen Geschichte, nachwählen. Dann verurteilen Brutus und Poblicola gemeinsam alle Verschwörer zum Tode und lassen das Urteil vollstrecken. Der Verfasser dieser Version bringt also ebenfalls keine Provocatio ad populum ins Spiel; er ist vor allem daran interessiert, die Verdrängung des L. Tarquinius Collatinus aus dem Konsulat (und die Nachwahl des Poblicola) gerechtfertigt erscheinen zu lassen. – Erst bei der jüngsten erhaltenen ausführlichen Darstellung spielt eine Provocatio ad populum eine gewisse Rolle, in der (wohl um 100 n. Chr. verfassten) Vita des Poblicola Plutarchs (Pobl. 7).8 Danach hat Brutus das Urteil nur über 8  Dass Plutarch, der seine Parallelviten nach 96 n. Chr. begonnen hat, in seiner Vita des Valerius Poplicola auf älteren Quellen fußen muss, ist selbstverständlich. In der Forschung, die von Barbara Scardigli, Die Römerbiographien Plutarchs, München 1979, 27–29 und in Scritti recenti sulle vite di Plutarco (1974–1986), Quaderni del GFF 8, Ferrara 1986, 7–59, hier 54 f., überblickt wird, dominiert die Meinung, dass Plutarch nicht, jedenfalls nicht direkt, von den erhaltenen Quellen Livius oder Dion. Hal. abhängt, sondern von dem jüngeren (im 1. Jh. v. Chr. schreibenden) Annalisten Valerius (!) Antias, der die Bedeutung des Valerius (!) Poblicola steigern wollte. In der Tat erscheint es im Hinblick speziell auf die provocatio ad populum ausgeschlossen, dass etwa erst Plutarch selber, der in der Kaiserzeit schreibt, als sie nicht mehr möglich war, ihre Rolle im J. 509 / 508 v. Chr. eingeführt hätte. Jener unbekannte Annalist, der bereits für die ersten Jahre der Republik die provocatio ad populum ins Spiel brachte (dass es sich dabei um eine historisch verlässliche Überlieferung handelt, wird man bezweifeln dürfen oder gar müssen), wollte offenbar das „demokratische“ Element in der römischen „Mischverfassung“ betonen. In dieser Tendenz steht er Ciceros Analyse und Rekonstruktion der röm. Verfassung im 2.  Buch von De re publica nahe. – Bibliographie zu Cicero, Livius, Dion. Hal. und Plutarch als Quellen der röm. Geschichtsschreibung bei Suerbaum, HLL 1 (Anm. 1), 348 ff.



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seine eigenen Söhne gefällt und vollstrecken lassen, die Verfolgung der restlichen Hochverräter jedoch seinem Mitkonsul L. Tarquinius Collatinus überlassen. Als dieser nun aber geneigt war, den anderen Angeklagten eine Frist zur Verteidigung einzuräumen, da verlangte das Volk, Brutus zurückzurufen. Der nun erklärte (laut Plut. Pobl. 7,3), für seine Söhne sei er der zuständige Richter gewesen; über die anderen Angeklagten aber hätten die freien Bürger zu entscheiden; wer wolle, könne ja in der Volksversammlung reden und die Mehrheit auf seine Seite bringen. Es trat aber niemand für die Verschwörer ein; sie wurden ohne Diskussion einstimmig vom Volk zum Tode verurteilt und enthauptet. Bei Plutarch also finden wir eine Version des Hergangs, die in römischen Augen stimmig wirken musste: Brutus hat nicht als Konsul, sondern als Vater, aufgrund seiner patria potestas, gegen die es keine Berufungsmöglichkeit gibt, seine Söhne zum Tode verurteilt; über die anderen Hochverräter ist das gleiche Urteil von der Volksversammlung selber (oder, wenn man so will, bei drohender Vertagung der Entscheidung durch den anderen Konsul, aufgrund einer provocatio ad populum) gefällt worden. Diese Lösung hätte auch einem Cicero gefallen, der in De re publica (bes. rep. 2,53 f.) so großes Gewicht auf das uralte, angeblich sogar schon in der Königszeit geltende Recht der provocatio ad populum legte, die sich gegen eine vom König oder einem Beamten verhängte Strafe an Leib und Leben richtete.9 Sie schützte nicht nur den betroffenen 9  Es verdient Beachtung und Hochachtung, dass derselbe Cicero, der als Consul im J. 63 den in Rom verhafteten Catilinariern nicht die Chance eröffnet hat, sich gegen die drohende Todesstrafe mit einer Procovatio ad populum zu wehren (auf die näheren Umstände und die rechtlichen Schwierigkeiten dieser Verhandlung im Senat am 5.12.63 v. Chr. – vgl. Jürgen von Ungern-Sternberg, Das Verfahren gegen die Catilinarier oder: Der vermiedene Prozess, in: U. Manthe / J. v. Ungern-Sternberg (Hrsg.), Grosse Prozesse in der römischen Antike, München 1997, 85–99, 204–206 – kann ich hier nicht eingehen), etwa ein Jahrzehnt später in De re publica der Institution der Provocatio ad populum in seinem Überblick über die römische Verfassungsgeschichte einen wichtigen Rang zuspricht (Hauptstelle rep. 2,53 f.). Cicero behält diese Appellmöglichkeit an das Volk auch in seinem Entwurf eines idealen Staatsrechts in der Zwillingsschrift De legibus bei. Im 3. Buch von De legibus tritt Cicero futurisch als Gesetzgeber für einen idealen römischen Staat und seine Organe auf, greift dabei aber faktisch auf die historische römische „Mischverfassung“, als sie noch intakt war, zurück (also auf rep. 2,53 f.). Auch künftig soll laut leg. 3,6 faktisch das Recht der provocatio ad populum gegenüber Strafmaßnahmen eines Beamten (magistratus) gelten, denn das Volk hat die (endgültige) Entscheidung über eine pekuniäre oder leibliche Bestrafung (per populum multae poenae certatio est). Erhalten ist mit Cic. leg. 3,6 nur der Wortlaut des eigentlichen ‚Gesetzes‘ innerhalb des Blockes leg. 3,5–11 mit solchen Gesetzestexten. Ab leg. 3,12 folgt jeweils eine nähere, oft umfangreiche Erklärung dieser Gesetzestexte. Leider ist die Erläuterung der in 3,6–9 formulierten ‚Gesetze‘ und damit auch der Bestimmungen zur Geltung oder Einschränkung der provocatio ad populum in einer größeren handschriftlichen Lücke zwischen leg. 3,17 und leg. 3,18 verloren gegangen.

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einzelnen Bürger, sondern bildete ein entscheidendes demokratisches Element in der „Mischverfassung“, die der römische Staat (angeblich) darstellte. Diese Überlegungen zur Rechtsgrundlage des Auftretens eines Konsuls Brutus als Richter im Jahre 509 v. Chr. haben einen Sinn nicht nur unter der keineswegs selbstverständlichen, vielmehr dubiosen Voraussetzung, dass die detaillierte Überlieferung über die Vorgänge bei der Vertreibung des letzten der etruskischen Könige, die über Rom herrschten, durch Brutus gegen Ende des 6. Jh.s v. Chr., die zugleich die Begründung der römischen Republik bedeutet, authentisch ist. Für einen Philologen, wie ich es bin, ist es nicht entscheidend, ob die überlieferte Geschichte von der Verurteilung der Söhne des Brutus durch ihren Vater samt dessen ungerührtem Zusehen bei ihrer Auspeitschung und Hinrichtung historisch „wahr“ ist. Berichtet wird sie uns vor allem durch Livius 2,4–5, erst rund 500 Jahre später, danach noch ausführlicher von Dionysios aus Halikarnassos in seinen griechischen antiquitates Romanae 5,7–11 (bes. in 5,8) und durch Plutarch in Kap. 6 der Vita jenes Poblicola, der mit bzw. nach Brutus in den Jahren J. 509 und 508 Konsul war. (Plutarch bringt in 6,4 einen zwiespältigen Kommentar zum Verhalten des Brutus.) Wichtig ist vielmehr, dass die Geschichte vom Konsul Brutus, der seine eigenen Söhne als Hochverräter zum Tod verurteilt hat, von den späteren Römern als autoritativ geltende Geschichte betrachtet wurde. Sie braucht nicht wahr zu sein. Ein radikaler Skeptiker könnte (z. B.) umgekehrt den Verdacht haben, dass (z. B.) die ganze Geschichte um die Hinrichtung der Söhne des Brutus auf Befehl des ersten Konsuls, der ihr Vater war, ein erfundener Teil des Gründungsmythos der römischen Republik ist, der die Maxime einschärfen soll, dass das Interesse der res publica libera auch das äußerste Opfer von seinen höchsten Sachwaltern verlangen kann, die Hinrichtung der eigenen Söhne. Dass gerade der Begründer der res publica Romana für ihre Erhaltung auch die kostbarste res privata, eben seine Söhne, sterben lässt, ist doch von einer geradezu programmatischen Vorbildlichkeit! Wenn es einem Philologen schon gegenüber antiken Historikern wie Cicero, Livius, Dionysios aus Halikarnassos oder Plutarch erlaubt ist, sich immanent auf die von diesen gestaltete geschichtliche Welt (ohne Rücksicht auf die Frage nach ihrer Historizität) einzulassen, dann um so mehr gegenüber einem römischen Epiker wie Vergil. Auch gegenüber einem Dichter, der nach modernen Maßstäben von einer mythischen fiktionalen Welt erzählt, sind juristische Fragestellungen „erlaubt“. Damit habe ich jetzt auf verschlungenen Pfaden mein „juristisches“ Hauptthema erreicht: Der Konsul, insbesondere der Konsul Brutus als Richter – bei Vergil (und bei Thomas Murner).



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III. Juristische Probleme bei Vergil (Vorbemerkung) Mein Hauptarbeitsgebiet ist nämlich seit längerer Zeit nicht die archaische römische Literatur (obwohl ich das dafür einschlägige Handbuch „HLL  1“ herausgegeben und zu etwa zwei Dritteln auch verfasst habe) und schon gar nicht der Bereich der in der archaischen Periode der lateinischen Literatur entstandenen Rechtstexte (die eben Detlef Liebs in HLL 1 behandelt hat), sondern Vergil, zumal die Aeneis. Rechtsprobleme in der Aeneis pflegt ein Historiker des römischen Rechts nicht zu behandeln, denn (a) ist der Stoff der Aeneis (nach heutigen Maßstäben) fiktional, allenfalls mythhistorisch, und (b) spielt er in einer geradezu prähistorischen Epoche, nach antiker Auffassung (wenn man sie in moderner Terminologie wiedergibt) im 12. Jh. v. Chr. Außerdem könnte es scheinen, als ob es in der Aeneis gar keine rechtlichen Probleme gäbe, die es sich im Ernst zu untersuchen lohnen würde – allenfalls in ironischer oder parodistischer Weise, wie das in einer vielleicht 1933 entstandenen, aber erst 1968 postum veröffentlichten Schrift der preußische Amtsrichter (1916–1933 in Gifhorn) Ernst von Pidde (1877–1966) für ein Werk der Neuzeit getan hat, das fast ebenso berühmt ist wie die Aeneis: Wagners Musikdrama Der Ring des Nibelungen im Lichte des deutschen Strafrechts. Frankfurt, 1968.10 Gerade ich sollte wissen, wie wenig Beachtung die rechtlichen Aspekte in der Aeneis (anders als etwa solche in der römischen Komödie eines Plautus oder Terenz) gefunden haben, denn ich habe ehedem (1981) eine erschöpfende Bibliographie zu Vergil verfasst.11 Darin sind zum Stichwort „Recht“ S. 130 ganze zwei Aufsätze aufgeführt: Das ist zum einen eine Miszelle zu einer angeblichen Anspielung Vergils in Aen. 5,385 (wo es darum geht, dass der Trojaner Dares, der zunächst erfolglos zu einem Boxkampf herausfordert, kampflos den ausgelobten Preis fordert) auf das Verfahren der ductio iussu praetoris.12 (Nur gut, dass Aeneas als Kampfrichter 10  Von Piddes Werk gibt es auch eine 2., vermehrte und bearbeitete Auflage, Hamburg 1979; dazu eine Neuausgabe, 1. Auflage. München (Ullstein-Taschenbuch) 2003., 80  S., 8 Bildtafeln. – Ich nehme an, dass in dieser Tradition Piddes auch Wolfgang Schild schreibt, zumal der Publikationsort eine juristische Festschrift, also ein für Abseitiges offenes Forum, ist: Siegfrieds Tötung des Fafner. Strafrechtliches zu Wagners „Ring des Nibelungen“. In: Justizprüfungsamt bei dem Oberlandesgericht Hamm (Hrsg.), Juristenausbildung mit Herz und Verstand, Festgabe für Heinrich Flege. Hamm 2008, S. 65–100 (non inspexi). 11  W. Suerbaum: Hundert Jahre Vergil-Forschung: Eine systematische Arbeitsbibliographie mit besonderer Berücksichtigung der Aeneis, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt (ANRW) II 31,2, Berlin/New York 1981 (doch nur bis ca. 1975 reichend), 3–358. 12  Ich habe natürlich „ductio iussu praetoris“, mit Anführungszeichen, bei Google eingegeben und 234 Antworten erhalten. Zu meiner großen Überraschung war die

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ihm den Siegespreis, einen Stier, nicht vorschnell zuerkennt – Dares wird von einem sich dann doch noch einfindenden Kontrahenten furchtbar zusammengeschlagen.) – Der Titel des anderen Aufsatzes klingt umfassender: Filippo Stella Maranca: Il diritto romano e l’opera di Virgilio, hat aber den Nachteil, in der längst eingestellten Zeitschrift Historia (Milano) 4, 1930, 577–605 erschienen zu sein.13 Immerhin ist mir eine Zusammenstellung der von ihm behandelten Aeneis-Stellen bekannt. Wenn ich mir diese Liste betrachte, so frage ich mich (entsprechend meiner unter meinen literarhistorischen Fachkollegen berüchtigten Tendenz, mich weniger über das zu wundern, was da gesagt bzw. untersucht wird, als über das, was nicht gesagt bzw. untersucht wird), warum sich denn Stella Maranca oder die antiken römischen Juristen oder womöglich die modernen juristischen Romanisten nicht auch oder nicht besser mit wesentlich wichtigeren juristischen AeneisProblemen beschäftigt haben, als sie an den genannten Aeneis-Stellen vermutlich vorliegen bzw. vorzuliegen scheinen.14 Ich selber würde andere juristische Fragen in der Aeneis als wichtiger betrachten. Um nur zwei zu nennen, ohne sie hier behandeln zu wollen: (a) War das Verhältnis zwischen Aeneas und Dido in Carthago eine Ehe (conubium) oder nicht – in den Augen der beiden beteiligten Akteure und ihrer Umwelt, nach der juristischen Auffassung der Zeitgenossen des Dichters Vergil, nach der Einschätzung späterer antiker römischer Interpreten? (b) Hat Aeneas „Recht“ (ich schreibe dass Wort absichtlich mit großem R) daran getan, ganz am Ende des Epos seinen Widersacher Turnus zu erschlagen – ist er dadurch entschuldigt, dass es sich um einen Feind handelt, wird erste Auskunft ein Verweis auf eben diese meine eigene Vergil-Bibliographie von 1981, die offenbar ohne mein Wissen digitalisiert worden ist. Aus Protest habe ich deshalb die anderen 233 Antworten, teils auf Russisch verfasst, nicht durchgesehen. 13  Aus G. Mambelli, Gli studi Virgiliani nel secolo XX, Vol. 2, Firenze 1940, No. 3116 (S. 478) geht hervor, dass es bei Stella Maranca um die Beschäftigung vorjustinianischer römischer Juristen mit folgenden Stellen der Aeneis geht: XII 777–779; VII 204, 678; I 260, 279, 580, 576; VI 842; IX 41; VIII 675, 670; XII 399, 836 (und um einige weitere in seinen Georgica und Eklogen.). 14  Ich habe probeweise einmal die aus dem 1. Aeneis-Buch genannten Stellen aufgeschlagen – mit enttäuschendem Ergebnis: (a) Zu Aen. 1,260 magnanimum Aenean; neque me sententia vertit fällt mir mir kein juristisches Problem ein. (b) Bei 1,279 imperium sine fine dedi. Quin aspera Iuno sehe ich eigentlich auch keinen wirklichen Grund, an Jupiters Verheißung eines grenzenlosen Imperium Romanum juristisch zu mäkeln. (c) Welches juristische Problem besteht, wenn 1,580 Achates / et pater Aeneas iamdudum erumpere nubem / ardebant Aeneas und sein Begleiter Achates die sie tarnende Wolke verlassen wollen, um Dido sichtbar entgegenzutreten, entschleiert sich mir nicht. (d) Auch für Didos vorausgehenden Worte 1,576 atque utinam … / adforet Aeneas! Equidem per litora certos / dimittam fällt mir nicht ein, welches juristische Problem ihren Wunsch behindern könnte. – Vielleicht aber sieht ein Jurist mehr Probleme als ein Literaturwissenschaftler.



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seine Tat dadurch negativ qualifiziert, dass er im Affekt tötet, beeinflusst umgekehrt ein „heiliger“ Zorn die Bewertung der Tat positiv, ist es strafrechtlich von Bedeutung, dass Aeneas gegenüber Turnus vorgibt, nicht er, Aeneas, töte ihn, sondern der bereits tote Pallas (Verg. Aen. 12,948 f.: Pallas te hoc volnere, Pallas immolat et poenam scelerato ex sanguine sumit), ist die Qualifizierung seiner Tat durch Aeneas selber als Rache oder als Bestrafung für die juristische Würdigung von Belang usw. usw. All diese Fragen lassen offenbar die Juristen unbehandelt und offen.15 Nicht aber die Literarhistoriker; sie diskutieren, als Philologen ohne wirkliche Sachkenntnis, so eminent juristische Fragen. Gerade ein Jurist (zumal ein emeritierter) sollte also sehen, dass die Aeneis ein weites und keineswegs endgültig abgeerntetes Feld für juristische Probleme ist. Als Philologe will ich mich hier darauf beschränken, ein einziges juristisch-linguistisches Teilproblem der Aeneis zu behandeln. Das ist das Verständnis des verfassungsrechtlichen Begriffes consul in der Aeneis (publiziert nach 19 v. Chr.) und in ihrer ältesten deutschen Übersetzung durch Thomas Murner (publiziert 1515). IV. Zwei Konsuln in Vergils Aeneis Was tut ein Konsul in Vergils Aeneis? Ich habe den Satz absichtlich doppeldeutig formuliert. (a) Was hat ein Konsul in einem Epos zu suchen, das (nach der traditionellen Sagen-Chronologie) gegen Anfang des 12. Jh.s v. Chr. und damit lange vor der Begründung des Konsulats in Rom im J. 509 v. Chr. spielt, also zu einer Zeit, als Rom als solches noch nicht einmal existierte? (b) Wenn trotzdem ein Konsul in Vergils Aeneis erscheint, was tut er dort? Nun, das Wort consul kommt trotz der scheinbar „zeitlichen“ Unmöglichkeit (Problem a) zweimal in der Aeneis vor. Es ist aber nicht so, dass der Begriff etwa antizipatorisch-anachronistisch für einen italischen Fürsten der Frühzeit oder in Analogiebildung für irgendeinen nichtrömischen Amtsträger verwendet würde (etwa für die beiden „Suffeten“ im Carthago in historischer Zeit – in der Aeneis ist die Verfassung des quasi-historischen Carthago in ihren Anfängen eindeutig monarchisch: es herrscht dort uneinge15  Nein, doch nicht ganz. Ein Freund schickt mir den Artikel des Rechtsanwalts Dr. Christian Reiter „Recht in Vergils Aeneis“ zu, der in der Neuen Juristischen Wochenschrift (einer Zeitschrift, die nicht gerade zur Pflichtlektüre eines Latinisten gehört) 11, 2008, 704–711 erschienen ist. Darin ist in der Tat S. 706–708 das Thema „Ehe- und Sakralrecht in der Dido-Tragödie“ (mit der Fage: „Waren Dido und Aeneas verheiratet?“) und S. 709 f. „Das ius fetiale: Völker-, Staats- und Kriegsrecht in der Aeneis“ (allerdings nicht direkt die Tötung des Turnus) behandelt.

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schränkt die Königin Dido). Vielmehr sind es tatsächlich zweimal römische Konsuln, die consul genannt werden. Das ist möglich, weil es sich beide Male um Vorblicke aus der Zeit der epischen Handlung in die „Zukunft“, in die Zeit des Erzählers und Autors Vergil, handelt. 1. Der Konsul Brutus in Verg. Aen. 6,819 Das erste Vorkommen des Wortes consul in der Aeneis, in 6,819, betrifft gerade den ersten Inhaber des Konsulats in Rom und den Begründer der römischen Republik, für deren Verfassung eben die Verteilung der höchsten Macht auf zwei Beamte konstitutiv war. Vergil erwähnt Brutus in der Aeneis innerhalb der sog. Heldenschau, des prophetischen Ausblicks auf künftige große Männer der römischen Geschichte. (Ihre Seelen warten zur Zeit der epischen Handlung, also im 12. Jh. v. Chr., in der Unterwelt auf ihre dereinstige Wiedereinkörperung.) Große Römer von Romulus bis Augustus werden von Anchises seinem Sohn Aeneas vorgestellt, aber nicht in strikt chronologischer Abfolge. Brutus wird mit folgenden Versen (Aen. 6,817– 823) charakterisiert (die Verben stehen im Futur, da es sich um eine Prophezeiung handelt): vis et Tarquinios reges animamque superbam ultoris Bruti fascisque videre receptos? consulis imperium hic primus saevasque securis accipiet, natosque pater nova bella moventis  ad poenam pulchra pro libertate vocabit, infelix, utcumque ferent ea facta minores: vincet amor patriae laudumque immensa cupido.

In der Übersetzung von Johannes Götte (zuerst 1958, hier nach 41979): Willst du auch sehn der Tarquinierfürsten stolzes Gebaren und die Macht, die Brutus, der Rächer, wiedererobert? Konsulsgewalt wird er als erster empfangen und scharfe  Beile, der Vater wird einst die aufruhrstiftenden Söhne  strafen müssen zum Schutz der jungen, strahlenden Freiheit,  unglückselig, mag seine Tat auch rühmen die Nachwelt:  Vaterlandsliebe jedoch triumphiert und maßlose Ruhmgier.

Brutus, der nach der Vertreibung der Könige aus der Familie der Tarquinier als erster die Machtbefugnisse (imperium) eines Konsuls erhält und als deren Symbol wieder (wie zuvor die römischen Könige) die „grausamen“ Beile (in den Rutenbündeln) führen darf, wird seine Söhne der Strafe überantworten, im Interesse der Freiheit, eines positiven Wertes (pulchra pro libertate). Trotzdem nennt Vergil ihn (durch Anchises) „unglücklich“; denn „siegen wird (bei Brutus) seine Liebe zum Vaterland und seine ungeheure Ruhmsucht.“ Das ist eine zwiespältige Stellungnahme Vergils zur Tat des Brutus: Brutus ist



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in einem tragischen Dilemma. Auf der einen Seite steht der (bei Vergil gar nicht ausdrücklich genannte, aber durch die Iuxtapositio natosque pater angedeutete) amor patris erga filios, auf der anderen Seite der offenbar ehrenvolle amor patriae (aus pulchra pro libertate kann man ergänzen:) liberae. Die Entscheidung des Brutus für das Vaterland wird von Vergil allerdings durch das zusätzliche Motiv des Brutus, maßlos nach Ruhm zu streben, relativiert.16 Und auch das Urteil der Nachwelt über Brutus ist in Vergils Augen nicht eindeutig positiv. Der utcumque …-Satz bedeutet offenbar: „wie auch immer – meinetwegen bewundernd – die Nachfahren die Tat des Brutus aufnehmen werden, ich – Anchises / Vergil – nenne ihn unglückselig“. Die Formulierung bei Vergil lässt erkennen, dass das Urteil der Nachwelt über Brutus durchaus zwiespältig war und dass Vergil (bzw. sein Sprecher) den Brutus mindestens als in einem tragischen Konflikt verfangen bemitleidete, seine Entscheidung offenbar eher ablehnte als billigte. Über die Berechtigung des Brutus, das Todesurteil über seine Söhne zu fällen und vollziehen zu lassen, reflektiert Vergil nicht. Seine Wortwahl und der Kontext weisen aber eher darauf, dass Brutus diese Macht nicht aufgrund seiner väterlichen Gewalt (patria potestas, die im Extremfall in der Tat bis zur Tötung der Söhne gehen konnte) ausübte, sondern aufgrund seines Amtes, des consulis imperium. 2. Der Konsul in Verg. Aen. 7,613 (und Augustus 27 v. Chr.?):  Das Öffnen der Kriegspforten Das zweite Vorkommen des Begriffes consul in der Aeneis, in 7,613, betrifft nicht, wie im ersten Fall Aen. 6,819, einen individuellen Konsul, sondern den römischen Amtsträger generell. Auch hier handelt es sich um einen futurischen Ausblick aus der Zeit, von der erzählt wird, nämlich der Zeit der Auseinandersetzung der einheimischen Latiner (unter König Latinus) mit den als Invasoren betrachteten am Tiber gelandeten flüchtigen Trojanern (unter ihrem Führer Aeneas), in die Zeit, während der Vergil seinen Lesern davon erzählt. Im Kontext von Aen. 7,613 geht es (7,601–622) um die Öffnung der beiden Pforten des Janus-Tempels, der geminae Belli portae (7, 607) als Zeichen des Kriegsbeginns. Dieser Ritus bestand laut Vergil bereits damals im archaischen Latium, wurde später von Alba Longa 16  Nach einer möglichen, aber nicht zwingenden Interpretation bezieht sich nicht nur fascisque receptos, sondern auch animamque superbam auf Bruti und nicht als echtes, nämlich beiordnendes Hendiadyoin auf die Tarquinier (im Sinne von animam superbam Tarquiniorum regum; dann würde man hinter superbam interpungieren). Bei einer solche Auffassung würde Vergil offenbar in kritischer Absicht dem Brutus zusätzlich zur laudum immensa cupido auch noch superbia zuschreiben.

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(der Vaterstadt Roms) und schließlich von Rom übernommen, wo er noch heute (nunc 7,602) geübt werde. (In Wahrheit könnte es sich um eine antiquarische Erfindung erst des 2. Jahrhunderts v. Chr. handeln.)17 Sicher bezeugt ist die Erneuerung des Ritus durch Augustus. Nach seinem Selbstzeugnis in Res gestae 13 hat Augustus den Tempel des Ianus Quirinus, der nach der Überlieferung in der gesamten römischen Geschichte nur zweimal geschlossen worden sei, in der eigenen Regierungszeit allein dreimal auf Beschluss des Senates geschlossen: Ianum Quirinum, quem claussum esse maiores nostri voluerunt, cum per totum imperium populi Romani terra marique esset parta victoriis pax, cum, priusquam nascerer, a condita urbe bis omnino clausum fuisse prodatur memoriae, ter me princepe senatus claudendum esse censuit. Die beiden ersten Schließungen unter Augustus, die Vergil noch miterleben konnte, waren 29 und 25 v. Chr., die dritte Schließung unter Augustus ist nicht sicher bestimmbar. (Die beiden einzigen von Augustus erwähnten früheren Schließungen des Ianus-Tempels werden von Livius 1,19,2 f. zum einen unter dem zweiten römischen König Numa Pompilius und zum anderen im J. 235 nach Abschluss des 1. Punischen Krieges durch den Konsul T. Manlius Torquatus angesetzt.) Auffällig (aber von den Forscher nicht gewürdigt) ist, dass in den sonstigen antiken Quellen immer nur von dem Schließen des Ianus-Tempels als Zeichen des allgemeinen im Imperium Romanum durch Siege gesicherten Friedens gesprochen wird, nicht aber, wie hier bei Vergil, von dem Öffnen dieser Belli portae. Logischerweise kann das nur nach einer der ganz wenigen Schließungen des Janus-Tempels geschehen sein. Vergil konnte also zwischen 29 und 25 v. Chr. eine Öffnung des Janus-Tempels bei Ausbruch eines neuen Krieges miterleben. Meines Erachtens fand sie am ehesten beim Auszug des Augustus im J. 27 zur Befriedung Spaniens und Galliens statt, also vor der in der suetonischen Vergil-Vita VSD 31 erwähnten expeditio Cantabrica. Ob Vergil nach der zweiten Schließung des Janus-Tempels unter Augustus im J. 25 (nach dem Cantabrer-Krieg) noch eine weitere Wiedereröffnung sehen konnte, ist unklar. (Eigentlich hätte der Ianus-Tempel bereits im selben Jahre 25 wieder geöffnet werden müssen: wegen des Feldzugs gegen Arabia Eudaemon unter C. Aelius Gallus.) Nur bei Vergil hören wir, wer den Ritus der Öffnung der Belli Portae vollzog. Das wäre eigentlich, sagt Vergil in Bezug auf die epische Situation (im 12. Jh. v. Chr.), die Aufgabe und das Recht des Königs Latinus gewesen; der aber verweigert sich, weil er den Krieg gegen Aeneas und seine Trojaner ablehnt. An seine Stelle setzt sich die Göttin Juno und bricht mit eigener Hand die Riegel der Belli portae auf. Bei dieser Gelegenheit nun wirft Vergil aus der epischen Hand17  Vgl. dazu den großen Spezial-Kommentar zu Verg. Aen. VII von Nicholas Horsfall, Leiden u. a. 2000, ad 7,602.



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lungszeitebene einen Seitenblick, einen aitiologischen Vorblick auf die Verhältnisse in römischer Zeit. Da wurde diese Funktion, im Kriegsfall die Pforten des Janus-Tempels zu öffnen, nach entsprechendem Senatsbeschluss übernommen vom consul selbst und zwar in spezieller Gewandung. (Da es sich um einen sakralen Akt handelte, wäre auch ein Kultfunktionär, wie etwa einer der offenbar schon seit der römischen Königszeit bei der Kriegserklärung in ritueller Funktion tätigen Fetialen in Frage gekommen.) Der Konsul ruft (laut Vergil) bei dieser Gelegenheit zum Kampf auf; die wehrfähige Mannschaft akklamiert, die Hörner schmettern. Die sich auf diesen Ritus beziehenden Verse der Aeneis 7,611–615 lauten (das Bezugswort sind die geminae Belli portae von 7,607): has, ubi certa sedet patribus sententia pugnae, ipse Quirinali trabea cinctuque Gabino  insignis reserat stridentia limina consul; ipse vocat pugnas, sequitur tum cetera pubes,  aereaque adsensu conspirant cornua rauco.

In der Übersetzung von Johannes Götte (zuerst 1958, hier nach 41979): Wenn die Väter der Stadt sich fest entschieden zum Kampfe, hebt der Konsul selbst in der alten Tracht des Quirinus und im gabinischen Gurt den Riegel der knarrenden Schwelle, selbst ruft auf er den Kampf, dann folgt die übrige Mannschaft, eherne Hörner schmettern darein mit heiserem Beifall.

Da wir keine älteren antiquarischen Quellen über die Funktion des Konsuls bei der Öffnung der Belli portae als diese Vergil-Stelle haben, darf man vielleicht annehmen, dass Vergil den Ritus dieser Kriegseröffnung, der nunc (7,601) in Rom geübt wird, aus eigener Anschauung schildert.18 Der Konsul, der zwischen 29 und 25, am ehesten im Jahre 27 den Janus-Tempel öffnete, war gewiss Augustus persönlich19: er war von 31 bis 23 v. Chr. durchgehend einer der beiden consules ordinarii (speziell im J. 27 war Imp. Caesar Divi f. zum 7. Mal Konsul); Augustus war aber nicht gleichzeitig Pontifex maximus (was er erst 12 v. Chr. wurde). Natürlich war die altertümliche Tracht, die er bei dieser Gelegenheit trug, wohlüberlegt; für die Inszenierung des Ritus waren vermutlich Kultspezialisten herangezogen worden. Die letzte Öffnung des Janus-Tempels lag ja schon mehr als 200 Jahre zurück.20 Ein eventuell dafür einschlägiger Bericht des Livius ist mit 18  Ähnlich denkt Horsfall, Komm. ad Aen. 7,612; mit Kritik an einem nicht näher definierten „Pomathios, 149“ (gemeint ist J.-L. Pomathios, Le pouvoir politique et sa représentation dans l’Énéide de Virgile, Bruxelles 1987). 19  Horsfall, Komm. ad Aen. 7,612: „perhaps“. 20  Nach der Schließung im J. 235 muss er m. E. im J. 229 zu Beginn des 1.  Illy­ rischen Krieges wieder geöffnet worden sein; Konsuln waren 229 L. Postumius Albinus II und Cn. Fulvius Centumalus.

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der ganzen 2. Dekade seines Werkes verloren. Es ist wahrscheinlich, dass solch singuläre sakrale Akte wie die von 235 (Schließung) und vermutlich 229 (Öffnung der Belli portae) in den Annales pontificum erwähnt waren. Jedoch ist es grundsätzlich zweifelhaft, ob auch nähere Einzelheiten wie etwa die exzeptionelle Gewandung des Konsuls authentisch überliefert wurden. Ich vermute aber, dass bei Vergil ein verlässliches (indirektes) Zeugnis über jenen gewiss von Augustus vollzogenen Staatsakt der Kriegseröffnung vermutlich im J. 27 v. Chr. vorliegt. Sie erfolgte (laut Aen. 7,611 patrum sententia und auch laut Augustus’ eigenen Res gestae 19 senatus censuit) durch den Konsul auf Beschluss des Senates. V. Der Konsul als „Richter“ in der ältesten deutschen Aeneis-Übersetzung durch Thomas Murner (1515)21 1. Zur Problematik der Wiedergabe antiker Institutionen  in einer Übersetzung, die auf Verständlichkeit  für die Zeitgenossen zielt Vergil, der die Aeneis im ersten Jahrzehnt der Alleinherrschaft des Augustus in Rom schrieb (von etwa 29–19 v. Chr.), hatte keine besonderen Probleme, seinen Zeitgenossen die relativ primitive Sozialstruktur jener weit über 1000 Jahre zurückliegenden Heroenzeit darzustellen, in der sein Epos direkt nach dem Ende des Trojanischen Krieges in der östlichen Mittelmeerwelt, in Karthago und in Italien spielte. Vergil vermeidet es, anachronistisch jüngere oder gar augusteische Institutionen direkt in die Zeit des Epos zu übertragen. (In den Aitiologien wird zwar eine Institution der episch-heroischen Zeit als Wurzel oder Vorstufe einer solchen in der Gegenwart des Dichters hingestellt, etwa für das Troja-Spiel, aber es wird eben nicht schlicht eine Institution der Gegenwart bereits in episch-heroischer Zeit vorausgesetzt.) Es gibt in der Aeneis z. B. zwar eine legio (aber nicht im Sinne einer bestimmten militärischen Einheit mit bestimmten Untergliederungen), aber keinen centurio. Es kommt in der Aeneis zwar, wie wir gese21  Bei diesem Kapitel handelt es sich um einen Teil meines Vortrages vor dem internationalen FIEC-Kongress am 7.8.2009 in Berlin mit dem Titel „Die beiden ersten Formen einer Eindeutschung von Vergils Aeneis“, und zwar um den sprachlich ausgerichteten Teil. Er bezieht sich auf die älteste deutsche Aeneis-Übersetzung durch Thomas Murner, Straßburg 1515. Die noch ältere erste Form einer „Eindeutschung“ von Vergils Aeneis besteht in dem Zyklus von 138 Holzschnitten, die das lateinische Epos in der Ausgabe von Sebastian Brant, Straßburg 1502, in altdeutscher, gotischer Manier illustrieren; dieser zweite Teil des Vortrags ist hier weggelassen. In diesem Kapitel habe ich, dem ursprünglichen Vortragscharakter entsprechend, auf genaue Nachweise verzichtet.



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hen haben, zweimal ein consul vor; aber das ist in beiden Fällen eben wirklich ein römischer consul aus (quasi-)historischer Zeit. Schwieriger hatte es gerade für das Gebiet gesellschaftlicher Strukturen ein Übersetzer, der mehr als 1.500 Jahre nach Vergil dessen lateinische Begrifflichkeit für römische Institutionen einem deutschen Publikum in deutscher Sprache verständlich machen will. Dies will ich für die älteste deutsche Aeneis-Übersetzung, die Straßburg 1515 von Thomas Murner veröffentlichte,22 am Beispiel seiner Wiedergabe der beiden Belege für consul illustrieren. Im Vorgriff sei gesagt, dass uns dabei einmal der Konsul als „Richter“ begegnen wird. Doch will ich zur Einleitung zunächst einige allgemeine Überlegungen zur Übersetzungs-Problematik voraus­ schicken. Der zweite Nobelpreis für Literatur ist im Jahre 1902 laut offizieller Begründung „dem gegenwärtig größten lebenden Meister der historischen Darstellungsform, mit besonderer Berücksichtigung seines monumentalen Werkes ‚Römische Geschichte‘“, das damals bereits fast 50 Jahre vorlag, verliehen worden, also an Theodor Mommsen. Ein eindrucksvolles Mittel seiner gerühmten „historischen Darstellungsform“ war zweifellos seine Ersetzung römischer politisch-sozialer Fachbegriffe, die als Fremdwörter solche deutschen Leser verunsichert hätten, die im 19. Jh. kein Gymnasium besucht hatten, durch deutsche Entsprechungen aus der Sprache seiner Gegenwart. Bei Mommsen wurden etwa Konsuln zu Bürgermeistern, ein Prokonsul zu einem Landvogt (ein Titel, der heute, 150 Jahre später, praktisch unverständlich ist), Legaten zu Generälen, Alen zu Schwadronen (was inzwischen nicht mehr zeitgenössisch, sondern antiquiert klingt, da Schwa­ 22  Das im Folgenden hauptsächlich besprochene Werk VP 1515F, also die deutsche Übersetzung der Aeneis durch Thomas Murner, (mit denselben Holzschnitten wie in VP 1502), Straßburg 1515, sowie auch die anonyme leicht veränderte Wiederholung dieser Aeneis-Übersetzung Worms 1543 (VP 1543B) und auch VP 1502, die lateinische Ausgabe der Opera Vergilii durch Sebastian Brant, Straßburg 1502 (mit den Originalen der Holzschnitte in VP 1515F) sind beschrieben und darüber hinaus vollständig digitalisiert (auf der DVD 1) bei: Werner Suerbaum: Handbuch der illustrierten Vergil-Ausgaben 1502–1840. Geschichte, Typologie, Zyklen und kommentierter Katalog der Holzschnitte und Kupferstiche zur Aeneis in Alten Drucken. Mit besonderer Berücksichtigung der Bestände der Bayerischen Staatsbibliothek München und ihrer Digitalisate von Bildern zu Werken des P. Vergilius Maro sowie mit Beilage von 2 DVDs, Hildesheim-Zürich-New York 2008, 684 S. = Bibliographien zur Klassischen Philologie 3 (die beiden DVDs umfassen rund 8,5 Gigabyte und bieten unter ca. 6000 Digitalisaten etwa 4000 Vergil-Illustrationen). – Alle diese auf meine Initiative angefertigten Digitalisate sind Eigentum der Bayerischen Staatsbibliothek München (BSB). Sie sind im Internet frei zugänglich. Man kann auf sie über den OPAC der BSB zugreifen und findet sie dort innerhalb von „Digitales Angebot“ unter „Buchillustrationen zu Vergil“.

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dronen real nicht mehr existieren). Mommsens Bestreben war es, „die Alten lebendig zu machen, sie von dem phantastischen Kothurn, auf dem sie der Masse des Publikums erscheinen, in die reale Welt … zu versetzen.“ Er hat dabei vielleicht nicht gerade dem Volk aufs Maul geschaut, wie Luther für seine Bibelübersetzung, sondern eher in die Zeitung. Aber seine Methode der Übersetzung antiker Sachverhalte in die Gegenwart war die gleiche wie die Luthers: die der Entfremdung. Entfremdung bedeutet: fremde (zum Beispiel: antike) Sachverhalte sprachlich der Erfahrungswelt des gegenwärtigen Publikums anzunähern. Das Gegenteil wäre Verfremdung: nicht nur sachlich, auch sprachlich wird die fremde Welt in ihrer Fremdheit belassen. Das kann so weit gehen, dass bestimmte lateinische Begriffe einfach auf Latein wiederholt werden, da sie angeblich unübersetzbar seien. Besonders weit verbreitet ist diese Übung bei deutschen Klassischen Philologen für sogenannte Wertbegriffe wie virtus oder libertas. Je vorsichtiger ein Latinist ist, desto makkaronischer werden seine deutschen Sätze durch lateinische Wörter abgesichert. Die Begriffe „Verfremdung“ und „Entfremdung“ sind zwei Schlüsselbegriffe für eine Analyse von Übersetzungen. Seit Goethe und Schleiermacher unterscheidet man zwei Arten des Übersetzens: die Entfremdung des fremden Textes (A), bei dem dieser der Zielsprache (B) möglichst nahe gebracht wird, oder aber das verfremdende Übersetzen, bei dem die Fremdheit des zu übersetzenden Textes A auch in der Zielsprache, dem Text B, absichtlich spürbar bleibt. Nach Schleiermacher kann entweder der Schriftsteller, sprich Verfasser des Originaltextes, in Ruhe gelassen und stattdessen der Leser ihm entgegen bewegt werden (das Prinzip der Verfremdung) oder aber umgekehrt wird der Leser in Ruhe gelassen und der fremde Schriftsteller ihm entgegen bewegt (das Prinzip der Entfremdung). Das Prinzip der Entfremdung könnte man in die Formel fassen: so deutsch wie möglich, das Prinzip der Verfremdung umgekehrt in die Maxime: so deutsch wie nötig, so lateinisch wie möglich. Uns Heutigen erscheint die Anwendung des Verfremdungs-Prinzips eher fremd. Auf dem wichtigsten Gebiet der Übersetzung überhaupt, nämlich für die Bibelübersetzung, wimmelt es von Übersetzungen, die „das Neue Testament übersetzt in die Sprache unserer Zeit“ oder ähnlich betitelt sind, also das Entfremdungs-Ziel verfolgen. Aber auch heutzutage ist die verfremdende Übersetzung nicht tot. Noch in den Jahren seit 1970 ist eine Übersetzung des Neuen Testamentes entstanden, die tatsächlich nach dem Motto vorgeht: „So griechisch wie möglich, so deutsch wie nötig.“ Bei der Übersetzung eines solchen heiligen Textes, der in einer fremden Sprache kanonisiert ist und dessen Übersetzung in eine Nationalsprache vor der Reformation sogar lange Zeit von der Kirche verboten war, ist das Prinzip der Verfremdung



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besonders naheliegend. Aber durchgesetzt hat sich mit Martin Luther und verstärkt in den letzten Jahrzehnten eine Richtung, der es nicht auf das griechische oder lateinische Wort, sondern auf den damit gemeinten Sinn und die Verständlichkeit für den Leser ankommt. Wenn ein Klassiker von europäischer Geltung und Schulautor wie Vergil erstmals ins Deutsche übersetzt wird, wie es 1515 der Franziskaner Thomas Murner für die Aeneis getan hat, ergeben sich die gleichen Probleme. Man darf erwarten, dass das in Murners Vorwort ausgesprochene Bestreben, den Text Vergils „vom lateinischen Tod zum deutschen Leben“ zu erwecken, zu einer entfremdenden Übersetzung führt. Das ist auch tatsächlich der Fall. Das Entscheidende aber ist, dass Murner, der seine gelehrten Schriften auf Latein verfasst hat und sogar ein vom Kaiser gekrönter poeta laureatus war, sich aber als geistlicher Prediger, wie es gerade bei den Franziskanern üblich war, deutsch und ausgesprochen volkstümlich ausdrückte, offenbar die Aeneis popularisieren wollte. Murner sagte sich offenbar: bisher konnte die Aeneis nur ein doctus, ein Gebildeter, der eine Höhere Schule besucht hat, verstehen, da sie auf Latein und in Hexametern verfasst ist; meine deutsche Übersetzung der Aeneis, die in volkstümlichen gereimten Knittelversen verfasst ist, kann aber auch ein indoctus verstehen. Dieser Gedanke, den ich Murner unterstelle, steht nicht in der Einleitung zu seiner deutschen Aeneis-Übersetzung von 1515. Ich entnehme ihn der Vorrede zu einer lateinischen Ausgabe der Opera Vergilii von 1502, und dort bezieht er sich auf die beigegebenen Bilder. Der Herausgeber dieser Straßburger Vergil-Ausgabe von 1502, der berühmte Verfasser des zuerst auf Latein erschienenen „Narrenschiffs“ (von 1494) und Stadtschreiber von Straßburg, Sebastian Brant, schreibt den über 200 beigegebenen Holzschnitten, von denen sich 138 auf die Aeneis beziehen, die Wirkung zu, dass ein ungebildeter, also nicht-Latein-kundiger Leser zwar nicht den lateinischen Text, aber diese Bilder „lesen“ und daraus dann offenbar den Inhalt der Aeneis rekonstruieren könne. In der Tat ist es möglich, in diesen 138 Holzschnitten die komplette äußere Handlung der Aeneis wiederzuerkennen – wenn man diese schon vorher gekannt hat. „Man sieht nur, was man weiß“, man erkennt nur, was man wiedererkennt. Das könnte ich für die 138 Holzschnitte von 1502, von denen 108 in der ersten deutschen Übersetzung von 1515 wiederholt sind, demonstrieren; doch das ist jetzt nicht mein Anliegen. Mir geht es vielmehr darum, dass in Gestalt der Holzschnitte von 1502 eine erste Umsetzung des antiken Originals ins Deutsche vorliegt, und zwar in Bildern. Die zweite, jüngere Umsetzung ist textueller Art, es ist die Übersetzung der Aeneis durch Murner in einen oberdeutschen Dialekt, publiziert ebenfalls in Straßburg und bei demselben Verleger Grüninger, aber 13 Jahre später.

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Diese beiden ältesten Formen der Umsetzung der Aeneis ins Deutsche, die ältere piktorale von 1502 und die etwas jüngere, von denselben Bildern unterstützte textuelle von 1515, sind Eindeutschungen in einem prägnanten Sinne: sie übertragen die Handlung der Aeneis, die zur Zeit des Augustus erzählt wird, aber im 12. Jh. v. Chr. spielt, in die Gegenwart eines Deutschlands zu Beginn des 16. Jhs. In den Holzschnitten ist das Ambiente nichtmediterran, nicht-archaisch, nicht-myth-heroisch, die Handlung spielt vielmehr in einer spätgotischen, mitteleuropäischen, um nicht zu sagen deutschen Welt unter Rittern, Bürgern und Bauern, mit einem Worte: Jetzt, in der Gegenwart Sebastian Brants. Der deutsche Text Thomas Murners ist nicht so dezidiert entfremdet, aber auch er verfolgt das Prinzip der Entfremdung. Wenn man sich überlegt, auf welchem Felde sich eine Verfremdung oder aber Entfremdung am deutlichsten zeigen dürfte und wenn man sich dabei an Theodor Mommsen und seine „noblen“ Ruhmredner erinnert, kommt man auf das Gebiet der politisch-sozialen Terminologie. Wie mag denn Murner Begriffe wie consul, proconsul oder legatus wiedergegeben haben? Hat etwa Mommsens consul-Wiedergabe mit „Bürgermeister“ in Murner einen unbekannten Vorläufer?23 Die Wiedergabe der politisch-sozialen und auch militärischen Terminologie des aus einer anderen Kultur und einer anderen Zeit stammenden Originals ist das vielleicht schwierigste Feld bei einer Übersetzung. Wie soll man einen bestimmten historischen Begriff aus dem Bereich des Staatswesens, etwa das lateinische Wort „Konsul“ für die beiden höchsten Wahlbeamten der römischen Republik, in einer späteren Zeit wiedergeben, wo es ganz andere staatliche oder städtische Strukturen gab, wo es zwar immer noch die Funktion eines oder mehrerer höchster Gewaltenträger geben mag, diese aber nicht dieselben Befugnisse haben, wie die römischen Konsuln (mindestens in der mittleren Phase der Republik) sie hatten? Für eine Übersetzung der Aeneis ist das Problem allerdings nicht besonders virulent. Denn die Aeneis spielt in einer Zeit und in Gesellschaften, 23  Wir werden sehen: nein. Aber es gibt für die Übersetzung consul = Bürgermeister einen noch älteren Vorgänger (als Murner in VP 1515F) in Gestalt der ebenfalls (wie VP 1515F und VP 1502) bei Johann Grüninger in Straßburg im Jahre 1507 erschienenen sogenannten Livius-Übersetzung (die nach heutigen Maßstäben nicht einmal eine Livius-Paraphrase, sondern allenfalls eine Römische Geschichte auf der Grundlage des Livius ist): die „Römische history uß T. Livio“, zuerst Mainz 1505 bei Schöffer publiziert. Der Verfasser Bernhard Schöfferlin (bzw. sein Fortsetzer Ivo Wittig), der innerhalb dieser volkssprachigen Römischen Geschichte streckenweise faktisch doch als erster deutscher Livius-Übersetzer tätig ist, gibt die Einsetzung von Konsuln in Liv. 2,1 mit „Bürgermeistern“ wieder (z. B. bereits im ‚Register‘ p. ,XI‘ v, vielmehr p. II v., zu dieser Passage). – Zu deren Bebilderung s. unten Kap.  VI.



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etwa der der trojanischen Flüchtlinge, der von einer Königin gegründeten und regierten Stadt Karthago oder eines italischen Stammes wie dem der Latiner, deren staatliche Ordnung von einem König geprägt wird. Neben dem König mochte es, wie im Falle der Latiner, auch eine Art Senat geben, aber generell waren in diesen myth-heroischen Gesellschaften staatliche Funktionen – vom König abgesehen – wenig ausgeprägt. Die Stellung etwa des Aeneas in der Gesellschaftsstruktur der Exiltrojaner ist terminologisch von Vergil ebenso wenig fixiert (er wird z. B. von verschiedenen Sprechern, nämlich vom epischen Erzähler, von einer Figur des Epos oder aber in einer Selbstbezeichnung, als rex, als dux, als ductor oder als pater bezeichnet), wie es die Befugnisse und Obliegenheiten seiner Stellung sind.24 Aeneas ist offenkundig der Anführer oder, wenn man sich den Begriff im Deutschen überhaupt in politischem Zusammenhang zu benutzen traut, der Führer der aus Troja entkommenen Trojaner, der Aeneaden. Er tritt in vielen Funktionen auf, etwa als Kommandant eines Schiffes oder einer Flotte, als Gründer von Städten, als Priester, als Stifter von Kulten, als Fürsorger, als Feldherr, als Vorkämpfer. Aber es gibt für ihn keinen wirklich treffenden Terminus, der all diese Funktionen zusammenfassen würde. Am ehesten passt eben doch rex. Und auch bei den Völkern oder Stämmen, die außer den Trojanern in der Aeneis eine Rolle spielen, gibt es so gut wie keine sachlich und terminologisch fixierten Ämter, deren deutsche Übersetzung und Umsetzung in die Welt Anfang des 16. Jh.s größere Probleme bereiten würde. Schwieriger als Thomas Murner hatte es nur wenige Jahre später Martin Luther bei seiner epochemachenden Bibelübersetzung (seit 1522, zunächst des Neuen Testaments aus dem Griechischen unter Heranziehung auch der lateinischen Übersetzung des Erasmus von Rotterdam und der bisher kanonischen des Hieronymus in Gestalt der Vulgata). Luther bot z. B. bei der Wiedergabe von Lucas 3,1 folgende Reihe von Zeitangaben für das Auftreten Johannes des Täufers im Jahre 29 n. Chr.: „in dem 15. Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius, da Pontius Pilatus Landpfleger in Judaea war und Herodes Vierfürst in Galilaea  …“ Was ein Kaiser ist, konnte sich damals und kann sich auch heute noch der Mann auf der Straße vorstellen. Aber was mag ein „Landpfleger“ und gar ein „Vierfürst“ sein? Was „Landpfleger“ angeht, so gab es im Mittelalter offenbar tatsächlich in Deutschland ein solches Amt in einigen Fürstentümern unterhalb des Fürsten selbst. Heute weiß das so gut wie niemand; man hält den Begriff einfach für ein veraltetes Synonym für „Statthalter“. Ein Latein-Kundiger wird eher vermuten, dass Luther eine Art Lehnübersetzung des lateinischen Begriffes procu24  Vgl. dazu wegweisend Markus Schauer, Aeneas dux in Vergils Aeneis. Eine literarische Fiktion in augusteischer Zeit, München 2007 = Zetemata 128.

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rator bot. Das kann aber nicht stimmen, weil zwar in der lateinischen Übersetzung durch Hieronymus procurante Pontio Pilato steht, aber im griechischen Urtext, von dem Luther ausgeht, viel un-terminologischer hegemoneúontos Pontíou Pilátou.25 Das Beispiel „Landpfleger“ zeigt, dass sich sogar die Begriffe Verfremdung und Entfremdung im Hinblick auf ein und dasselbe Wort wandeln können. Zu Luthers Zeit bedeutete „Landpfleger“ eine Entfremdung, vielleicht eine Art Übersetzungslehnwort für procurator, eher die Einführung eines zeitgenössischen Analogbegriffes aus der deutschen Lebenswelt. Heutzutage wirkt derselbe Ausdruck „Landpfleger“ aber als Verfremdung, als ein altertümlicher Ausdruck, von dem man nicht recht weiß, was er bedeutet. Dasselbe gilt heute und, fürchte ich, auch schon zur Lutherzeit für den Begriff „Vierfürst“. Soweit meine geschichtlichen Kenntnisse reichen, hat es in Deutschland nie einen „Vierfürsten“ gegeben, nicht einmal in dem an Duodezfürsten reichen Gebiet von Thüringen.26 Nur jemand, der des Griechischen kundig ist, erkennt in „Vierfürst“ die wörtliche Übersetzung des originalen „Tetrarchen“ im griechischen Originaltext bei Lukas.27 Und auch 25  Genau genommen lautete der korrekte Titel des Pilatus, im Jahre 29 n. Chr., wie uns zwei neuere Inschriften einigermaßen zweifelsfrei lehren, gar nicht procurator Iudaeae (diesen Titel führten die aus dem Ritterstand stammenden Statthalter von Iudaea erst seit 44 n. Chr.; sie waren dem senatorischen Statthalter von Syrien unterstellt), sondern praefectus Iudaeae. 26  „Duodezfürst“ ist übrigens ein treffenderer Ausdruck als „Vierfürst“. Denn er bezeichnet, entsprechend dem lateinischen Grundwort duodecima sc. pars, einen Fürsten, der über „ein Zwölftel“ eines Gebietes herrscht. (Allerdings könnte man auch duodecim als Ausgangsbegriff vermuten; dann würde man sich vorstellen, dass in einem bestimmten, an sich geschlossenem Gebiet 12 Fürsten herrschen.) Die partitive Bedeutung von Tetrarch (die an sich dem griechischen Kompositum nicht unbedingt entspricht, das man eher als „Herrschaft von Vieren“ auffassen würde) war offenbar die ursprüngliche und auch zur Zeit Jesu übliche Bedeutung (allenfalls in einer zum Titel abgeschwächten Bedeutung, denn an der Ausgangsstelle Luc. 3,1 werden nur drei, nicht vier, Tetrarchen im Bereich des heutigen Palästina genannt). Sachlich richtiger wäre es darum gewesen, wenn Luther nicht „Vierfürst“, sondern „Viertelfürst“ oder noch besser, da präziser, „Viertelsfürst“ übersetzt hätte. 27  In dem im Internet (ohne nähere Angaben) zugänglichen Aufsatz von KaungEun Choi, Das Fremdwort in der Bibelübersetzung Luthers (nach 1991, Paginierung S. 383–399), ist (obwohl bei einer Suchaktion „Vierfürst“ nicht erscheint) S. 392 die Gleichung Tetrarch – Vierfürst im Kapitel 2.2 ‚Fremdwort → Einheimisches Wort‘ ohne weiteren Kommentar erwähnt. – In der derzeit im Aufbau befindlichen OnlineVersion von Grimms Deutschem Wörterbuch habe ich „Vierfürst“ nicht gefunden. Das Stichwort ist aber in der Originalfassung enthalten. Diesem „Vierfürst“-Artikel im GDW glaube ich entnehmen zu können, dass Luthers Übersetzung des Neuen Testamentes in der Tat die ältesten Belege für dieses Wort enthält. (Im GDW ist bei Hinweisen auf Bücher der Bibel, z. B. auf Luc. 3,1, immer die Übersetzung Luthers gemeint, auch wenn „Luther“ nicht hinzugesetzt ist. Die davor aufgeführten Belege



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im Altertum war dieser politische Herrschaftsbegriff selten. Schwerlich werden die Leser des 16. Jh.s bei „Vierfürst“ an jene Tetrarchen gedacht haben, die in der Spätantike um 300 n. Chr. für nur ein Dutzend Jahre zu Viert als Augusti und Caesares das Imperium Romanum regierten. Sie werden sich am ehesten aus der Aufzählung der Herrscher zur Zeit des Auftretens Johannes’ des Täufers in Palästina im Kontext bei Luc. 3,1 zusammengereimt haben, dass Vierfürst wohl ein Herrscher über ein Viertel einer Region sein müsse (und nicht, was ja das Wort möglicherweise auch bedeuten könnte: über vier Gebiete), obwohl hier im Evangelium nur drei Vierfürsten genannt sind (die von Galiäa, von Ituräa und Trachonitis, von Abilene). Was sich heute ein Durchschnittsdeutscher unter „Vierfürst“ vorstellen mag, kann der interessierte Leser durch Umfrage bei seinen Bekannten ermitteln. Ich vermute: am ehesten ‚Herrscher über vier Gebiete‘. Es zeigt sich auch hier, dass die „wörtliche“ Lehnübersetzung Luthers, „Vierfürst“ statt „Tetrarch“, keine wirkliche Übertragung eines fremden historischen Sachverhalts in die damalige deutsche Volkssprache war und keine wirk­ liche Entfremdung sein konnte, weil die gemeinte Sache fremd war. Und heute ist es nicht anders.28 sind offenbar chronologisch spätere Stellen, an denen sich Begriffsbestimmungen finden.) – Bei Wikipedia existiert kein Artikel „Vierfürst“, man wird nur auf den „ähnlichen“ Begriff „Hierfür“ verwiesen (klingt merkwürdig, wie eine Weisheit von Karl Valentin, ist aber wahr). – Bei Google habe ich die Suche nach Erhellendem zu „Vierfürst“ abgebrochen, nachdem ich unzählige Male immer nur wieder auf eine Übersetzung von Luc. 3,1 stieß. 28  Ich habe tatsächlich eine kleine Umfrage bei Bekannten verschiedener Bildungsstufen gemacht und ihnen dabei folgende Doppelfrage gestellt: „Ich stelle aus erkenntnistheoretischem wissenschaftlichem Interesse Leuten, die ich kenne, zwei Fragen zum Begriff ‚Vierfürst‘ (Nachschlagen ist verboten!): (a) In welchem Zusammenhang sind Sie dem Begriff ‚Vierfürst‘ schon begegnet? (b) Was stellen Sie sich unter einem ‚Vierfürsten‘ vor?“ Das (natürlich nicht wirklich repräsentative) Ergebnis war: Fast alle hatten (obwohl sie Christen waren) angeblich noch nie den Begriff „Vierfürst“ gehört. Überwiegend stellten sie sich unter einem Vierfürsten einen Herrscher vor, dem vier Gebiete unterstanden oder der vier Aufgaben zu verwalten hatte. Niemand kam auf die Idee, dass er nur ein „Viertel“ beherrschte. Nicht einmal die Vorstellung vom Mitglied eines Viererkollektivs von Herrschern der Vergangenheit, in Analogie zu „Kurfürst“, wurde evoziert. Immerhin brachte ein Hochgebildeter den Begriff „Duodezfürst“ in Spiel und nannte die spätrömischen Tetrarchen. Das war aber ein Spezialist für die Spätantike. – Wie könnte man die Stelle im LucasEvangelium heute „volkstümlicher“, also entfremdeter, wiedergeben? In „Die Volxbibel 3.0“, Neues Testament frei übersetzt von Martin Dreyer, München (Pattloch) 2008 lese ich: „Wir schreiben das fünfzehnte Regierungsjahr vom (!) römischen Kaiser Tiberius. Pilatus hatte in dieser Zeit als Vertreter der Besatzungsmacht das Sagen in Judäa. Herodes Antipas war der Chef über ganz Galiläa, sein Bruder Philippus regierte in Ituräa und Trachonitis, und Lysanias war der Chef in Abilene.“ Diese Übersetzung zeigt, dass „Volxnähe“ am ehesten durch unterminologische Wiedergabe von politischen Funktionen (also durch so vage Begriffe wie „regierte“ oder

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2. Brutus, der Begründer des Konsulats, bei Thomas Murner Nach diesem vergleichenden Seitenblick auf Übersetzungsprobleme für Luther bei seiner Übersetzung der griechischen Bibel zurück zu den geringeren Problemen Murners bei der Wiedergabe politischer Ämter in der Aeneis. Denn in der Aeneis gibt es so gut wie keine Funktionstitel, wenn man von der Vielzahl von Königen absieht. Es sind im wesentlichen Könige (und auch Königinnen), die jeweils die Spitze der Gesellschaftspyramide bilden. Ihr Verhältnis zu einem Rat oder zu anderen Königen derselben Region (etwa das des Königs Latinus zum concilium magnum von Aen. 11,234 oder zu Turnus, dem König der Rutuler) bleibt unklar. Die Aeneis Vergils ist zwar in einer Zeit geschrieben, als es Amtsbezeichnungen wie consul, praetor oder quaestor mit präzisen Aufgabenfeldern und Befugnissen gab, aber sie behandelt eine Zeit, in der das nicht der Fall war. Die Aeneis spielt in einer Zeit und in Gesellschaften, in der staatliche Funktionen – vom König abgesehen – wenig ausgeprägt waren. Das gilt sowohl für die trojanischen Aeneaden wie für Karthago wie für die italischen Stämme einschließlich der Latiner. Die Führungs-Stellung etwa des Aeneas in der Gesellschaftsstruktur der Exiltrojaner ist von Vergil weder in Hinsicht auf seine Befugnisse und Obliegenheiten noch in Hinsicht auf deren Terminologie fixiert.29 Eine signifikante Ausnahme von der Regel, dass in der Aeneis keine römische Amtsbezeichnung in unhistorischer Wiese innerhalb der epischen Handlung antizipiert wird, die wenige Jahre nach dem Trojanischen Krieg angesiedelt ist, gibt es aber doch. Es kommt zwar in der Aeneis in der Tat kein Proconsul vor, und die nicht seltenen legati sind immer ‚Gesandte‘ und nie ‚Generäle‘, aber es ist zweimal von einem consul die Rede. Da die epische Handlung der Aeneis fast 7 Jahrhunderte vor der Begründung des Konsulats in Rom spielt, könnte man meinen, es handele sich um einen Anachronismus. Aber wir haben in Kapitel IV 1 und IV 2 gesehen: an beiden Stellen fällt der consul-Begriff innerhalb von futurischen Vorgriffen auf „war Chef in“) erreicht wird. Aber auch im griechischen Original wird fast derselbe Begriff für die Herrschaft des Kaisers Tiberius (hegemonia) und des Präfekten von Iudäa Pontius Pilatus (hegemoneuon) verwendet. – Die lateinische Übersetzung des Hieronymus, die Vulgata, ist für Luc. 3,1 sachlich etwas präziser als das griechische Original: sie bietet die temporalen Ablative anno quintodecimo imperii (für Tiberius), dreimal tetrarcha (für Herodes, Philippus, Lysanias) und einmal procurante (für Pilatus; dabei ist zu bedenken, dass Pilatus und alle Statthalter Iudäas von 6 bis 41  n. Chr. zwar den Titel Praefectus führten, aber seit 44 in der Tat den Titel Procurator; mithin hießen also die Statthalter zu der Zeit, als die Evangelien entstanden, in der zweiten Hälfte des 1.  Jh.s n. Chr., wirklich procuratores). 29  Vgl. dazu Schauer, 2007 (Anm. 24).



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die künftige römische Geschichte. Vergils Sprachgebrauch ist also „korrekt“. Aber wie übersetzt Thomas Murner in VP 1515F die beiden consul-Erwähnungen Vergils? Zum ersten Mal fällt bei Vergil der consul-Begriff Aen. 6,819 in der „Heldenschau“ bei der Vorstellung jenes Brutus, der die Monarchie in Rom gestürzt und die Republik begründet hat (der etablierten Chronologie entsprechend im Jahre 509 v. Chr.). Von ihm lässt Vergil seinen Sprecher Anchises sagen, er werde als erster consulis imperium … saevasque secures erhalten. Bei der Wiedergabe dieser Begriffe stand der Übersetzer Thomas Murner also vor der Aufgabe, sie seinem deutschen Publikum verständlich machen zu müssen. Murner bietet für den oben in Kapitel IV 1 zitierten lateinischen Originaltext von Aeneis 6,817–823 folgende deutsche Übersetzung (VP 1515F, p. XC verso; digitalisiert aus BSB Res. 2 A.lat.a. 349 komplett, bsb00002565): Wiltu Tarquinisch künig sehen Bruti der ein rache thet Er stifft zum erst uff den rat Der ein vatter hat sein kind Mit irem tod ließ peen erfüllen Deßhalben ein unselig man Nam lieb fürwar des vatterland Und des lobs unmüssig bgir.30

die hoffertige seel erspehen wie er den gwalt entpfangen het die grymmen bühel entpfangen hat als sie uffrierig worden sind umd der schonen freiheit willen wils doch die letsten nemmen an in dem vatter uberhand

Einem Leser, der seit mehreren Jahrzehnten in jenem allemannischen Sprachgebiet wohnt, in dem Murner 500 Jahre zuvor zu Hause war, braucht man das sicher nicht in das moderne Deutsch des 21. Jahrhunderts zu übersetzen, auch wenn er (wie D. Liebs) in Berlin geboren ist. Ich als (ebenfalls) gebürtiger Preuße nehme an, dass die Verse (in nach wie vor antiquierter Ausdrucksweise, aber modernisierter Orthographie) etwa folgendes bedeuten: Willst du den tarquinischen König sehen, / die stolze Seele erspähen, Brutus, der Rache tat, / als er die Gewalt empfangen hat? Er stiftete erstmals den Rat (= Senat), / hat die grimmigen Bündel empfangen, der hat (als) ein Vater seine Kind(er), / als sie aufrührig geworden sind, mit ihrem Tod Buße erfüllen lassen / um der schönen Freiheit willen. Deswegen ein unseliger Mann, / dieweil (?) es doch die letzten annehmen. (Es) nahm(en) fürwahr Liebe zum Vaterland / in dem Vater überhand und des Lobs unmäßige Begierde. 30  In der anonymen leicht bearbeiteten Neuauflage der Aeneis-Übersetzung Murners in der Ausgabe Worms 1543 (VP  1543B, BSB-Digitalisat von A.lat.a. 2312. hier 308–309) gibt es an signifikanten Abweichungen nur das (in der Tat dem Vergil-Text nähere und verständlichere) Ersetzen von bühel durch beiel, also der Bündel sc. der Fasces durch die darin steckenden Beile, die Verstärkung von sein kind zu sein eigne kind und die Ersetzung von wils durch weils.

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Man sieht sofort, dass dies eine freie Übersetzung der lateinischen Verse ist, die trotzdem dem damaligen Leser des frühen 16. Jahrhunderts nicht voll verständlich sein konnte (was soll sich dieser unter „grymmen bühel“ vorstellen, zumal Murner diesen Rutenbündeln die Beile genommen hat?) und auch manchem Leser des 21. Jh.s Rätsel aufgibt (was soll man unter „die letsten“ verstehen?). Für das spezielle Problem, die Art der Wiedergabe des im lateinischen Original in 6,819 vorkommenden Begriffs „Konsul“ (consulis imperium), gepaart mit den Begriffen fasces und saevae secures, versagt die Übersetzung: Thomas Murner verwendet nicht das Fremdwort „Konsul“; er vermeidet jedweden Ersatzbegriff für „Konsul“. Er nennt zwar die Embleme seiner „Gewalt“ (imperium, dabei aber consulis übergehend), nämlich (allerdings kaum verständlich) „die grimmigen Bündel“ (faktisch übersetzt Murner nicht saevasque securis, sondern saevasque fasces), und fügt sogar, über den Aeneis-Text hinausgehend (!), hinzu, Brutus habe den Senat („Rat“) gestiftet. Aber er benennt diese Gewalt, das Konsulat, nicht konkret. Er umschifft das Übersetzungsproblem für consul, indem er jedem konkreten Terminus ausweicht 3. Die Öffnung des Janus-Tempels: durch den Konsul bei Vergil,  durch den „Richter“ bei Thomas Murner Das aber ist anders bei Thomas Murners Übersetzung der zweiten (oben in Kapitel IV 2 lateinisch zitierten) Aeneis-Stelle 7,611–615, wo bei Vergil der Konsul den Ritus der Öffnung der Belli portae vollzieht (VP 1515F, p. CIII verso, BSB 2565–0206): has, ubi certa sedet patribus sententia pugnae,  ipse Quirinali trabea cinctuque Gabino insignis reserat stridentia limina consul,  ipse vocat pugnas, sequitur tum cetera pubes,  aereaque adsensu conspirant cornua rauco Janus thet an der thüren huot,   wa der römsch rat kriegen thuot und schon der sententz geben ist,   so kumpt der richter schon gerist mit eim scepter wie ein küng   als Rhomulus vor zeiten ging und thuot zuorück ein mantel tragen   den er mit fleiß hat umbgeschlagen. Die grusam porten offnet er   verkündt dem volck die krieges   mere.

Janus hält an der Tür Wacht, wenn der römische Senat Krieg anfängt und schon sein Votum abgegeben ist, dann kommt der Richter schon gegangen mit einem Szepter wie ein König, wie Romulus vor Zeiten ging, und trägt am Rücken einen Mantel, den er absichtlich umgeschlagen hat. Die grausamen Pforten öffnet er, verkündet dem Volk die Kriegsbotschaft.



Der römische Konsul als Richter Da folgt die iugent im all nach,   d’ richter in trummeren stach31

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Da folgt ihm die Jugend alle nach, der Richter in die Trompeten stach.

Bevor ich näher darauf eingehe, dass und warum wohl Murner an dieser Stelle das lateinische consul mit Richter wiedergegeben hat (und zwar sogar zweimal: zunächst in der vierten Zeile für Aen. 7,613 den lateinischen Begriff consul des Originals direkt; darüber hinaus noch ein weiteres Mal in der letzten Zeile meines Zitats, wo Murner in Aen. 7,615 nicht die Blas­ instrumente zum Subjekt eines intransitiven Verbums macht, sondern durch die erneute Nennung von Richter ein persönlich agierendes menschliches Subjekt einführt), einige Beobachtungen zu seiner Umsetzung der ganzen Passage von 5 Hexametern in 9 Knittelverse. Schon rein quantitativ ist auffällig, dass Murner für die Wiedergabe des ersten Verses 7,611 has, ubi certa sedet patribus sententia pugnae, zwei Knittelverse gebraucht, für die des nächsten 7,612 ipse Quirinali trabea cinctuque Gabino (zuzüglich der Worte insignis und consul aus 613) ganze fünf und dann die folgenden drei lateinischen Hexameter in nur zwei deutschen Knittelversen abmacht. Murner hat also auf die Wiedergabe des sachlich schwierigen Verses über die Gewandung des Konsuls bei seiner rituellen Öffnung der Pforten des Janus-Tempels größere Sorgfalt verwendet. Ich glaube nicht, dass die beiden Ausdrücke Quirinali trabea gekoppelt mit cinctuque Gabino selbst für einen guten Lateinkenner unmittelbar verständlich sind (schließlich ist die Sache als solche, die Öffnung des JanusTempels bei Kriegsbeginn, auch nur an eben dieser Stelle überliefert). Auch ich, ein Lateinprofessor, muss mir nähere Informationen in einem Kommentar holen. Dazu greife ich zu einem Kommentar, den auch Murner benutzt haben wird und der gerade für religionsgeschichtliche Realien bei Vergil die beste Quelle ist (mit deren Qualität in dieser Hinsicht allenfalls die fast gleichzeitig um 400 n. Chr. entstandenen Saturnalia des Macrobius konkurrieren können): zu Servius. Murner konnte 1515 Servius nur in der Version des sog. Vulgat-Servius kennen (nicht auch die Version des Servius Danielis), die vielen Vergil-Ausgaben seit Beginn des Buchdrucks im 15. Jh. beigegeben war. Wahrscheinlich hatte Murner auch die große Vergil-Ausgabe cum quinque vulgatis commentariis (so der Titel) vor sich, die Sebastian Brant Straßburg VP 1502 in demselben Verlag Grüningen hatte erscheinen lassen und aus der die meisten Holzschnitte zur Aeneis (auch die Pictura 31  Ich habe zur Vorsicht nachgeschaut, ob in der anonymen deutschen AeneisÜbersetzung Worms 1543 (VP 1543B), die faktisch eine leicht überarbeitete Neuausgabe jener von Thomas Murner, Straßburg 1515 (VP 1515F) ist, an unserer Stelle (BSB-Digitalisat von A.lat.a. 2312 zu 354–355) signifikante Änderungen vorgenommen worden sind. Ich habe aber nur unbedeutende orthographische oder stilistische Abweichungen festgestellt (am bedeutendsten noch 1543 wo der Roemisch rhat statt 1515 wa der römsch rat).

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84, in der die Szene des Aufstoßens der Belli portae durch Juno – aber natürlich kein römischer Konsul – abgebildet ist) in die deutsche Übersetzung der Aeneis von Thomas Murner VP 1515F übernommen worden sind. In dem Kommentar des Servius kann ich und konnte Murner lesen (ad Aen. 7,612; in VP 1502 p. CCCIIII recto, BSB-Digitalisat 1879–00623), dass es laut einer Spezialschrift Suetons De genere vestium drei Arten von trabeae gebe. Hier handle es sich um die trabea der römischen Könige, die purpurfarben sei, doch mit einer Beimischung von Weiß. Murner hat immerhin die Beziehung auf die Könige aus Servius übernommen, konkret die auf König Romulus wohl aus dem Attribut Quirinali erschlossen. Was eine „Gabinische Gürtung“ (cinctus Gabinus) sei, hat Murner richtig aus Servius gelernt, der schreibt: Gabinius cinctus est toga sic in tergum reiecta, ut una eius lacinia a tergo revocata hominem cingat. Die bei Servius ebenfalls kolportierte aitiologische Erklärung, warum eine solche Kleidung und Gürtung ausgerechnet auf die Einwohner von Gabii zurückgeführt wird, hat Murner verständlicher Weise nicht berücksichtigt und auf ein unerklärtes und damit faktisch unverständliches „Gabinisch“ verzichtet.32 – Da Murner das Spezialgewand des Funktionärs, der die Belli portae öffnet, nur mit einem bloßen „Mantel“ wiedergibt, hat er ihm zusätzlich, über den Vergil-Text hinaus, ein bekannteres Amtssymbol verliehen, ein Szepter.33 Insgesamt wird man sagen dürfen, dass Murner bei der Wiedergabe des Aufzugs jenes Funktionärs, der den Ritus der Kriegseröffnung in der Aeneis vollzieht, ganz geschickt Verständnisschwierigkeiten des Lesers vermieden hat, durch Vereinfachung (Mantel) und Erweiterung (Szepter). Wie eine „wörtliche“, aber kaum verständliche Übersetzung der Aeneis-Stelle 7,612 f. aussieht, bezeugt etwa die von Johannes Götte (seit 1958): „…  hebt der Konsul selbst in der alten Tracht des Quirinus und im gabinischen Gurt den Riegel der knarrenden Schwelle“.

Das Entscheidende in meinem Zusammenhang aber ist, dass Murner diesen Funktionär, der bei Vergil consul heißt (und von Götte mit „Konsul“ übersetzt wird), hier mit „Richter“ wiedergegeben hat. Wie kommt er dazu? 32  In VP 1502 ist außer Servius noch ein weiterer Kommentator mit der Sigle C, also Dominico Calderini, zitiert, der zusätzlich behauptet: consul ergo indicturus bellum ad Ianualem portam subsequentibus militibus accedebat. Von dort begab sich nach C. der Konsul zum Templum Bellonae am Circus Maximus und schleuderte eine Lanze. Das wird allerdings sonst von den Fetialen berichtet. 33  Möglicherweise hat Murner die Vorstellung eines Szepters aus der sprachlich und sachlich ähnlichen Stelle Aen. 7,187 f. über eine Statue des Picus, des Latinus’ Großvater, am Palast des Latinus entlehnt, ipse Quirinali lituo parvaque sedebat / succinctus trabea laevaque ancile gerebat / Picus, wo lituus der von Picus geführte Stab eines Augurs ist; vgl. dazu das Kapitel 5,8 bei Gellius, der diese Stelle bespricht.



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Ich sehe zwei Erklärungsmöglichkeiten, warum Murner, um das Fremdwort „Konsul“ zu vermeiden, stattdessen „Richter“ eingesetzt hat. Zum einen könnte es sich bei „Richter“ um einen Begriff aus der Ämterwelt einer spätmittelalterlichen Reichsstadt wie Straßburg handeln (dessen Verfassung für viele andere Reichsstädte vorbildlich war), also um den Inhaber eines Amtes, das mindestens in gewisser Hinsicht funktional dem eines römischen Konsuls entsprach. Darüber habe ich aber, trotz Bemühung, keine hinreichenden Erkenntnisse gewinnen können, was umgekehrt zeigt, wie schwierig es für einen Menschen des 21. Jahrhunderts ist, sozialpolitische Verhältnisse des beginnenden 16. Jh.s zu rekonstruieren. Mir scheint, dass derjenige Amtsträger, der in einer Reichsstadt richterliche Funktionen, in Vertretung des Kaisers, ausübte, nicht „Richter“, sondern „Vogt“ hieß. Außerdem gibt es die Schwierigkeit, dass ein römischer Konsul weder in der konkret angesprochenen Situation, bei dem religiösen Ritus einer Öffnung des Janustempels, noch im allgemeinen eine richterliche Funktion hatte (außer wenn er als Kriegsherr im Felde stand). Deshalb bezweifle ich, dass Murner den Begriff „Consul“ durch „Richter“ deshalb ersetzt hat, weil er darin einen analogen Begriff aus der zeitgenössischen Lebenswelt des beginnenden 16. Jh.s sah.34 Vielmehr glaube ich eher, dass der gebildete Franziskaner-Mönch Thomas Murner auf einen Begriff des Alten Testamentes zurückgegriffen hat, nämlich auf die Richter in Iudaea, von denen im „Buch der Richter“ erzählt wird. Das sind dort, nach der Rückkehr aus Ägypten und der Landnahme in Palästina, die Anführer der Juden (oder genau genommen der 12 Stämme Israels), die Vorläufer der jüdischen Könige, die anschließend mit Saul beginnen. Diese Richter (die bekanntesten sind Gideon, Simson und – als letzter – Samuel) haben keine erkennbare juristische Funktion, sondern eine politisch-militärische Führungskompetenz. Darin eben ähneln sie den römischen Konsuln. VI. Wie stellte man sich einen römischen Konsul Anfang des 16. Jh.s vor? Ich hatte eigentlich beabsichtigt, zum Schluss einige bildliche Gestaltungen des Sujets „Der Konsul Brutus im Jahre 509 v. Chr. als Richter seiner Söhne“ vorzulegen. Aber dann sah ich, dass sich bereits der Kollege Peter Grau, der ähnlich wie ich an Illustrationen zu antiken Geschichten und Gestalten interessiert ist, dieser reizvollen Aufgabe angenommen hat.35 Des34  Eine Art Gegenprobe bietet die Übersetzung des einzigen Belegs für iudex in  der Aeneis Vergil (6, 430 nec … sine iudice sedes – faktisch bezogen auf den Totenrichter Minos) durch Thomas Murner. Er übersetzt „korrekt“ (VP 1515F, p.  LXXXIIII r, BSB-Digitalisat 2562–00167) „nit on richter“. 35  Peter Grau, Brutus infelix (Verg. Aen. 6,822) – Zur Brutus-Gestalt in der darstellenden Kunst, in: St. Freund / M. Vielberg (Hrsgg.), Vergil und das antike

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halb beschränke ich mich hier darauf, zwei Buchillustrationen vom Beginn des 16. Jh.s (also aus dem Umkreis Thomas Murners) vorzustellen, für die ich speziellere Kenntnisse habe. Wie mag man sich im Straßburg um 1500 einen römischen Konsul vorgestellt haben? Diese Frage lässt sich anschaulich, nämlich mit einem Bild, beantworten. Genau genommen mit zwei Bildern, die eben Brutus, den Konsul von 509 v. Chr., zeigen. Eine der beiden Passagen, an denen ein römischer Konsul in der Aeneis genannt wird, ist in dem Zyklus der Holzschnitte, mit denen Sebastian Brant seine lateinische Straßburger Vergil-Gesamtausgabe von 1502 (VP 1502) geschmückt hat, berücksichtigt. Es kann natürlich nicht jene Szene aus dem VII. Aeneis-Buch sein, in der die Belli portae des Janus-Tempels geöffnet werden: denn dort agiert ja Juno, und Vergil weist nur in einem Seitenblick darauf hin, dass eigentlich zur Zeit der Handlung der König Latinus und zur Zeit der römischen Republik der Konsul (der Kommentator Servius, der natürlich weiß, dass es immer zwei Konsuln gab, weist übrigens Aen. 7,614 darauf hin, dass es sich um den als ersten gewählten der beiden Konsuln handele) diesen Ritus zu vollziehen habe. Aber auf jenem Holzschnitt Pictura 124 in VP 1502, der den Hauptteil der „Heldenschau“ in Aen. VI illustriert und der auch in die Ausgabe von Murners Aeneis-Übersetzung Straßburg VP 1515F, unverändert von denselben Epos. Festschrift Hans Jürgen Tschiedel, Stuttgart 2008 (Altertumswissenschaft­ liches Kolloquium 20), 493–506. Grau sammelt und bespricht eine lange Reihe von Bildzeugnissen zu Brutus und auch speziell zum Motiv „Brutus als Richter“. Er geht auch ausführlich und einfühlsam S. 503–506 auf das wohl berühmteste Beispiel ein, auf das Gemälde von 1789 des Neoklassizisten Jacques-Louis David (1748–1825) im Louvre, das nicht den Augenblick des Todesurteils oder seiner Vollstreckung gestaltet, sondern einen späteren, sozusagen familiären Moment: „Die Liktoren bringen Brutus die Leichen seiner Söhne“. Vgl. dazu in dem Katalog von Ekkehard Mai und Anke Repp-Eckert, Triumph und Tod des Helden. Euro­ päische Historienmalerei von Rubens bis Manet, Mailand u. a. 1987, 109 eine schwarz-weiße Abb. und S. 372 f. eine schwarz-weiße Wiedergabe einer Entwurfsskizze, auf der die Liktoren die Köpfe der beiden Söhne aufgespießt haben, nebst Interpretation. Wenn man unter „Google-Bilder“ die Stichworte „Brutus, sons“ eingibt, erhält man über 20.000 Hits und bereits unter den 64 ersten kann man Davids Gemälde (oder Teile davon) 32mal aufrufen, und auch die Entwurfsskizze fehlt dort nicht. – Besonders aufschlussreich für die selektive Rezeption des Brutus finde ich, dass Grau S. 500 unter der Überschrift „Brutus als Richter – Vertreter der Gerechtigkeit“ etliche bildliche Darstellungen seit dem 14. Jh. anführen kann, in denen Brutus als Modell des guten Richters oder in einem sog. ‚Gerechtigkeitsbild‘ auftreten kann. – Die andere abstrakte Konzeption ‚Brutus als Begründer der Republik‘ ist offenbar ganz selten belegt (Grau S. 498 verweist dafür auf ein französisches Tafelservice aus dem Anfang des 19.  Jh.s in der Münchener Residenz nach Kupferstichvorlagen von S. D. Mirys.)



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Druckstöcken gedruckt, übernommen ist,36 findet sich auch unter den vielen, meist mit Namensbändern kenntlich gemachten Figuren (ich zähle außer den drei innerepischen Betrachtern Anchises, Eneas und Sibylla in der Mitte auf dem ganzseitigen Bild noch weitere 47 Personen) der von Vergil erwähnte Brutus. Er erscheint in der obersten Reihe, rechts von der Mitte, gleich zweimal (jeweils durch Namensband identifiziert), sozusagen in seine doppelte Funktion aufgespalten: Der erste Brutus wendet sich nach links mit einem Schwert gegen einen Tarquinier-König (sein Namensband weist ihn fälschlich als Tarquinius Priscus aus, es müsste gegen das des weiter links stehenden Tarquinius Superbus ausgetauscht werden) – der ultor. Der zweite, rechts neben dem ersten stehende Brutus schaut unbewegt zu, wie ein Mann (ein Liktor) ein riesiges Schwert schwingt, mit dem er bereits dem einen Sohn des Brutus den Kopf abgeschlagen hat und nun auch den zweiten, kniend betenden, köpfen will. So also, mit einem mantelartigen Gewand und einem Barett bekleidet (eine ähnliche Tracht erscheint auch bei anderen abgebildeten Römern der Heldenschau), dachte man sich offenbar einen römischen Konsul und konkret den Konsul Brutus als ‚Richter‘ im J. 509 v. Chr.37 Es gibt aber noch eine weitere Quelle für das Aussehen eines antiken römischen Konsuls, wenn man ihn mit den Augen eines Rhein-Anwohners zu Beginn des 16. Jh.s betrachtet. Das ist eine nicht poetische, sondern im engeren Sinne historische Darstellung der römischen Frühgeschichte (von Romulus und Remus bis zum Ende des 2. Punischen Krieges), die erstmals Mainz 1505 von Johann Schöffer mit Holzschnitten geschmückt publiziert worden ist. Das Werk wurde dann erneut Straßburg 1507 bei Grüninger (dem Verleger auch von VP 1502 und VP1515F) gedruckt.38 Erst in jüngerer Zeit ist erkannt worden, dass es sich bei dieser „Römische Historue uß Tito Livio gezogen“ nicht um eine wirkliche Livius-Übersetzung oder auch nur Livius-Paraphrase handelt, sondern um eine weitgehend auf Livius, aber nicht allein auf ihm fußende Nacherzählung der römischen Frühgeschichte durch Bernhard Schöfferlin (1436 / 38–1501), weitergeführt durch Ivo Wittig.39 36  Beide Werke, VP 1502 und VP 1515F, sind aufgrund meiner Initiative als komplette Digitalisate, einschließlich aller Holzschnitte, bei der BSB München greifbar; vgl. oben Anm. 22. 37  Natürlich kommt hier nicht der Spezialornat (beschrieben von Serv. Aen. 7,612, unter Berufung auf Suetonius in libro de genere vestium) in Frage, den der Konsul beim Ritus der Öffnung der Belli portae trägt. 38  Auch dieses Werk ist von der BSB München vollständig einschließlich der Holzschnitte digitalisiert: die Erstausgabe Mainz 1505 unter der Signatur Rar. 2086, die Ausgabe Straßburg 1507 unter der Signatur 2 A.lat.b. 460. 39  Bahnbrechend war die Untersuchung von Walther Ludwig, Römische Historie im deutschen Humanismus. Über einen verkannten Mainzer Druck von 1505 und

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Die beiden Ausgaben der Römischen Historie Schöfferlins von 1505 und von 1507 haben eine unterschiedliche Bebilderung. Ich beginne mit der jüngeren von Straßburg 1507, die der Verleger Grüninger zum großen Teil neu hat illustrieren lassen. Dieser hatte zuvor schon VP 1502 mit Holzschnitten ausstatten lassen (und wird dieselben zum größten Teil auch in Murners Aeneis-Übersetzung VP 1515F wiederholen).40 Er hätte also für die Illustrierung der Episode (ab p. XXVII r) ‚Brutus als Richter seiner Söhne‘ in der Neuausgabe der Römischen Historie von 1507 eine Auskoppelung des dafür einschlägigen oberen Teils aus dem vielfigurigen Holzschnitt der Pictura 124 in VP 1502, zur „Heldenschau“ in Aen. VI veranlassen können, den ich eben beschrieben habe. Aber er tut dies nicht, sondern lässt – wie häufig – ad hoc eigens für diese Szene einen neuen Holzschnitt anfertigen.41 Unter der Kapitelüberschrift „Wie etlich iunge burger zu Rom ein anschlag hetten den küng Tarquinium widerund heimlich ynzulassen / do sollicher anschlag geöffnet ward / wurden sie gefangen und strencklich gericht“ sieht man 1507 p. XXVII r (Digitalisat Nr. 55 aus BSB 2 A.lat.b. 461) auf dem Holzschnitt links einen auf einem Teppich kniend betenden jungen Mann, neben dem ein Ritter (der wohl den Henker darstellen soll) bereits die Hand am Schwert hat; dahinter steht ein vornehmes Paar. Die rechte Seite wird von einer Menschengruppe eingenommen, die aus vier vornehm gekleideten meist jüngeren Leuten besteht, die von einem fünften ebenfalls jüngeren bartlosen Mann mit Barett, der ein Szepter trägt und wie den angeblich ersten deutschen Geschichtsprofessor, Hamburg 1987 = Berichte J. Jungius-Gesellschaft der Wiss. Hamburg, Jg. 5, 1987, Heft 1, 80  S. Ludwig hat als erster gezeigt, dass die Originalausgabe Mainz 1505 nicht als Livius-Übersetzung zu betrachten ist, sondern als eine selbständige, aus eigener Quellenkompilation erwachsene Römische Geschichte bis zum Ende des 2. Punischen Krieges aus der Feder des Humanisten Bernhard Schöfferlin. (Außerdem beweist Ludwig, dass Schöfferlin, da bereits 1501 gestorben, nicht der erste Inhaber des ersten, erst 1504 eingerichteten deutschen Geschichtslehrstuhls gewesen sein kann.) W. Ludwig erwähnt nur (S. 21) den Widmungsholzschnitt an König (den späteren Kaiser) Maximilian (I.) , geht aber sonst mit keinem Wort auf die Illustrierung dieses Textes eingeht. – Vgl. ferner Carla Winter, Humanistische Historiographie in der Volkssprache: Bernhard Schöfferlins ‚Römische Historie‘, Stuttgart–Bad Cannstatt 1999. 40  Einiges zur Bebilderung dieser Römischen Historie nach Livius von 1507, die zum Teil aus der Vergil-Ausgabe VP 1502 übernommen (und deshalb mit der in der deutschen Aeneis-Übersetzung VP 1515F teilweise identisch ist), bei Suerbaum, Handbuch illustrierter Vergil-Ausgaben, 2008, S. 155 f. (dort spreche ich noch schlicht von „Livius-Übersetzung“, hatte kein Digitalisat zur Verfügung und benutzte das Zwillingsexemplar der BSB mit der Signatur Res / 2 A.lat.a. 459). 41  Grüninger übernimmt in der Römischen Historie nach Livius von 1507 die ganze Pictura 124 zur Heldenschau von VP 1502 an ganz anderer Stelle, auf p. CXXXVII v als „Bild“ – d. h. digitalisierte Seite, nicht etwa Seite mit Bild – Nr. 276, zu einer Szene mit der Überschirft „Von beredung ettlicher künig“, nämlich wie Scipio die Könige Massinissa und Syphax auf die Seite der Römer zieht, Liv. 28,17.



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ein Fürst wirkt,42 angeführt wird. Es soll zwar zweifellos die Verurteilung der Brutus-Söhne durch ihren Vater und die sich anbahnende Vollstreckung der Enthauptung dargestellt sein, aber es gibt so viele auffällige bildliche Abweichungen von dem im Text erzählten Hergang (so wird nur 1 Sohn hingerichtet; der „Richter“ ist nicht, wie sonst ein „Bürgermeister“ = Konsul, als bärtiger alter Mann dargestellt), dass es sich vermutlich um eine Sekundärverwendung eines für einen anderen Zusammenhang geschaffenen Bildes handelt. In der Tat wird in dieser Römischen Historie von 1507 derselbe Holzschnitt nochmals auf p. CXLIIII r (Digitalisat Nr. 289) verwendet, diesmal besser zum Kontext, nämlich Liv. 29,3 (Scipio läßt den keltiberischen Fürsten Mandonius hinrichten), passend. Man muss wohl erschließen, dass Grüninger 1507 für das „Urteil des Brutus“ in Sekundärverwendung auf jenen anderen, nur vage passenden Holzschnitt zurückgegriffen hat. Jedenfalls hat er nicht den einschlägigen Holzschnitt der Originalausgabe der Römischen Historie von 1505 übernommen.43 Diese Erstausgabe Mainz 1505 bot einen zu dieser Szene einen zweigeteilten Holzschnitt mit der ausführlicheren, auch den Namen des Brutus enthaltenden Überschrift „Wie etlich iunge burger zu rome under den waren Junij Bruti des burgermeisters und andrer süne / eyn anschlag hetten den küng Tarquinium widerumd heymlich gen Rom inzulassen / do sollicher anschlag geöffnet / und sie gefangen / wurden sie strencklich gericht in angesicht ires lyblichen vatters / der sie selbst zu dem tode verurteylt“. Man sieht auf dessen linken Hälfte (1505 p. XXII r; BSB-Digitalisat Nr. 69 aus Rar. 2086), wie ein Soldat einer Gruppe von vier Ratsherren, darunter offenbar dem bärtigen Brutus, Anzeige macht. (Das ist aber kein individuell auf Brutus zugeschnittenes Bild, obwohl man ihn gern in dem bärtigen Mann erkennen möchte. Es handelt sich vielmehr um einen Bildtypus, der in dieser Ausgabe von 1505 immer dann herangezogen wird, wenn ein Bote dem Senat eine Nachricht überbringt. So finden sich Dubletten zu diesem „Brutus“-Bild Nr. 69 auch als Bild 42, 100, 112, 116, 144.) Auf der 42  Grau, 2008 (Anm. 35), 496 f. erwähnt diesen Typus unter den wenigen mittelalterlichen Miniaturen oder Holzschnitten in Druckausgaben, die er für „Brutus als Richter“ bringt, nicht. 43  Das Verhältnis der Illustrierung in der Straßburger Ausgabe der Römischen Historie von 1507 zu der Originalausgabe Mainz 1505 (die letztere wird Mainz 1514 wiederholt) genauer zu klären, ist eine harte Arbeit. Ich habe sie auf mich genommen, doch ist hier nicht der Ort, die Ergebnisse vorzulegen. – Mit den Holzschnitten in der Römischen Historie von 1505 beschäftigen sich, wie ich Winter, 1999 (s. o. Anm. 39), S. 1 f. entnehme, Walter Röll, Gutenberg-Jahrbuch 1990, 89–177, hier 100 ff., und Erwin Pokorny, Der Beginn deutscher Livius-Illustrationen, Diss. masch. Wien 1990 (offenbar noch heute unpubliziert).

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rechten Hälfte des Holzschnittes von 1505 ist dargestellt, wie das Urteil an den Verschwörern vollstreckt wird: vier halbnackte Gefangene (und eine zuschauende Frau?) stehen neben einem Büttel, der sie mit einem Rutenbündel auspeitschen wird; der zweite Büttel im Vordergrund hat bereits einen Hochverräter enthauptet und zückt das Schwert gegen einen zweiten, der kniet. Man soll wahrscheinlich denken, dass es sich bei diesen zuerst Hingerichteten um die beiden Söhne des Brutus handeln. Der Vater ist aber, trotz der Überschrift, nicht als Zuschauer sichtbar; die Hinrichtungsszene spielt in freier Landschaft. Auch dies ist kein wirklich individuelles Bild; jedenfalls wird es bereits auf dem ebenfalls zweigeteilten Holzschnitt des Digitalisats Nr. 61 gebraucht, wo es die Hinrichtung von Senatoren durch den tyrannischen König Tarqunius Superbus illustrieren soll.44 VII. Der Jurist als Richter Innerhalb dieses Aufsatzes ist viel vom consul als Richter (und in einer Anmerkung vom iudex als Richter) die Rede gewesen. Außerhalb dieses Aufsatzes gibt es noch einen anderen Richter: den iurisconsultus Detlef Liebs. Dieser Jurist entscheidet, als Leser, nicht gerade über Leben und Tod des Autors, aber als Sach-Experte über die Qualität seines Textes. Vielleicht wird er nicht als consul walten und die Pforten des Krieges aufstoßen wollen, sondern sich wie König Latinus von feindlicher Aktivität distanzieren und andere seine Funktion übernehmen lassen. Ich verzichte auf eine provocatio ad populum.

44  Als (indirektes?) Vorbild dieser Komposition darf man übrigens eine Miniatur in einer Augustinus-Handschrift, Paris ca. 1475, zu civ. 3,16 betrachten (Den Haag, Mermanno Museum), die bei Grau, 2008 (Anm. 35), 497 abgebildet ist. Dort ist in einer Simultanszene gestaltet, was in der Ausgabe der Römischen Historie von 1505 auf zwei getrennte Bilder aufgeteilt ist (so offenbar, wie ich Grau entnehme, auch in einer Straßburg 1574 bei Rihel gedruckten Livius-Ausgabe).

Alte Sammlungen niederländischer Rechtssprichwörter Von Andreas Wacke* I. Einführender Literaturbericht: Antonius Matthaeus  II., sein Übersetzer Kramp, sein Kommentator Van Hasselt 1. Detlef Liebs, der verdientermaßen durch diese Festschrift geehrte Fachkollege und Freund, machte sich besonders durch seine erfolgreiche, in wiederholten Auflagen herausgebrachte Sammlung lateinischer Rechtssprichwörter einen Namen.1 Die sprichwörtlichen Rechtsprinzipien gehören zum kostbarsten Gut aus der reichen Hinterlassenschaft des römisch-gemeinen Rechts. Solche Sammlungen gibt es daher in vielen modernen Spra*  Dr. iur., Dr. h. c. mult., em. o. Professor für Römisches Recht, Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht; E-Mail: [email protected] – Laurens Winkel (Rotterdam) danke ich für sachverständige Lektüre meines Typoskripts und nützliche ergänzende Hinweise. Ausgewählte Bibliographie: – Anonym: „een Rechtsgeleerde“ [nämlich Willem Lucas Kramp, s. u. Fn.  10], Zinspreuken („Sinnsprüche“) by de Nederlandse regtsgeleerden gebruikelijk, van Antonius Matthaeus  …, na des Schryvers dood uitgegeven, in het neederduitsch overgezet (Amsteldam 1775), 109 Textseiten. – A. Foth, Gelehrtes römisch-kanonisches Recht in deutschen Rechtssprichwörtern (Tübingen 1971). – Harrebomée, Spreekwoordenboek der Nederlandsche taal: siehe unten Fn.  18. – van Hasselt, Jan(us) Jaco(bus), Annotationes ad Antonii Matthaei paroemias: s.  unten Fn.  11. – D.  Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter (7.  Aufl. München 2007); siehe unten Fn.  1. – Matthaeus, Antonius II: Antonii Matthaei paroemiae belgarum jurisconsultis usitatissimae (Ultraiecti / Utrecht 1667; verbesserte Neuausgabe 1694) [Universitätsund Landesbibliothek Bonn, Sign. Sav2667]. – Pagenstecher: s. unten Fn.  13. – Roland, Henri / Boyer, Laurent, Adages du droit français (3. ed. Paris 1992). – Schmidt-Wiegand, Ruth, Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter (München 1996; aktualisierte Neuausgabe 2002). – Wander, Deutsches Sprichwörter-Lexikon: siehe unten Fn.  19. 1  D. Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter (7.  Aufl. München 2007); rezensiert von R.  Zimmermann, Juristenzeitung 1992, 521 f.

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chen.2 Anlässlich einer Lehrtätigkeit in Danzig entdeckte ich zum Beispiel im polnischen Zweig des C.  H. Beck-Verlages in ganz ähnlicher Aufmachung eine von drei polnischen Romanisten veranstaltete Sammlung, die sich die Ausgabe von Detlef Liebs offensichtlich zum Vorbild nahmen.3 2. Aufmerksam machen möchte ich im Folgenden auf frühe Sammlungen niederländischer Rechtssprichwörter, die unter den reichen Schrifttumsangaben weder bei Liebs noch im Parallelwerk über deutsche Rechtssprichwörter von Ruth Schmidt-Wiegand genannt werden. Hinweise auf die seltenen niederländischen Werke erhielt ich kürzlich zufällig über das Internet anlässlich meiner Beschäftigung mit der Parömie Erfenis is geen winste.4 Gibt man diese Wendung bei Google ein, so findet sie sich zitiert bei Johannes Wilhelmus Wessels (1882–1936) in seiner History of the Roman-Dutch Law (Grahamstown 1908), dessen von Michael H.  Hoeflich herausgebrachte Neuausgabe (2005) als Volltext im Internet gespeichert ist. Unter den Quellen des römisch-holländischen Rechts nennt Wessels die Sammlung des niederländischen Juristen deutscher Abstammung Antonius Matthaeus (1601–1654). Er gehörte einer kinderreichen Dynastie dreier gleichnamiger Juristengenerationen an und wird allgemein als „Antonius Matthaeus  II.“ gekennzeichnet.5 Geboren im Jahre 1601 in Herborn, war er seit 1634 Professor für Strafrecht in Utrecht und ist dort schon 1654 mit nur 53 Jahren 2  Eine Sammelbesprechung bei A. Wacke, Lehrmaterialien zum Juristenlatein in Europa und Südafrika, SZ 109 (1992) S. 563–585; dazu M.  Rainer, Iura 44 (1993) 558 f.; Fortsetzung in: A. Wacke, Neue Lehrmaterialien zum Juristenlatein, in: Orbis Iuris Romani 4 (Trnava 1998) 264–267; weiter Wacke, Sprichwörtliche Rechtsprinzipien und europäische Rechtsangleichung, OIR 5 (1999) 174–213. – Auf Spanisch sind zu erwähnen Rafael Domingo / Beatriz Rodríguez-Antolín, Reglas jurídicas y aforismos (Pamplona 2000), Neuausgabe unter dem Titel Principios de Derecho global, 2003; in anderer Aufmachung (nämlich nach Rechtsgebieten geordnet) gleichfalls R.  Domingo (coordinador), Textos de Derecho romano (Pamplona 2002) S. 301–352. 3  Burczak / Dębiński / Jońca, Łacińskie sentencje i powiedzenia prawnice [Lateinische Sentenzen und rechtliche Ausdrücke], Wydawnictwo C.  H.  Beck, Warszawa 2007, 306 Seiten. Unter zahlreichen nichtjuristischen lateinischen Sprüchesammlungen ragt hervor: Czesław Michalunio SJ, Dicta: Zbiór łacińskich sentencij przysłów i powiedzeń (Wydawnictwo WAM, Kraków 2008): auf 630 Seiten Lexikonformat enthält das Volumen 13.000 lateinische Sentenzen mit polnischen Übersetzungen und Quellenangaben. 4  A. Wacke, „Erfenis is geen winste“ – nämlich bei Errungenschaftsgemeinschaften, in: Rena van den Bergh / Gardiol van Niekerk (editors), Libellus ad Thomasium, Essays in Roman Law, Roman-Dutch Law and Legal History in Honour of Philip J.  Thomas, Fundamina 16, Editio specialis (Pretoria, UNISA, 2010) 551–562. 5  Leben und Werke aller drei Juristen mit dem Namen Antonius Matthaeus beschreibt M.  Ahsmann, in: M.  Stolleis (Hrsg.), Juristen. Ein biographisches Lexikon (München 1995) 414 ff. Eine Monographie über Matthaeus II. verfasste Felix Schlüter, Antonius Matthaeus aus Herborn, der Kriminalist des 17.  Jh., Rechtslehrer Ut-



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gestorben. Außer einem bedeutenden Werk De criminibus6 verfasste er unter anderem eine ausführlich kommentierte Sammlung gebräuchlicher Rechtssprichwörter. Diese Paroemiae Belgarum iurisconsultis usitatissimae7 charakterisierte Wessels lobend mit folgenden Worten: [It] „is a short sketch of the essential differences between the Roman law and the Roman-Dutch law. Matthaeus selects some of the best-known maxims of our law, such as ‚Man en wyf hebben geen verscheiden goed;‘ ‚Erfenis is geen winste;‘ ‚Meubelen hebben geen gevolg,‘ & c., and then explains the origin of the maxim and the manner in which it is applied. To the student of the history and development of the Roman-Dutch law these maxims are of the greatest value, for the work is full of historical and antiquarian research. To the student of the law as it actually obtained in the Netherlands the work is also important, for Mat­ thaeus has always been regarded as an accurate exponent of the law as recognised by the courts in his day.“8

Eine andere, gleichfalls von Matthaeus kommentierte Parömie analysierte kürzlich Reinhard Zimmermann, nämlich „Blutige Hand nimmt kein Erbe“.9 Zimmermann entdeckte auch eine über ein Jahrhundert später (nämlich 1775 in Amsteldam – heute Amsterdam) anonym herausgekommene Übersetzung der Paroemiae ins Niederländische („neederduitsch“ genannt) „von einem Rechtsgelehrten“. Sie trägt den Titel Zinspreuken („Sinnsprüche“) by de Nederlandse regtsgeleerden gebruikelijk. Den ungenannten Übersetzer identifizierte Zimmermann als Willem Lucas Kramp.10 Die niederländische Version konnte ich allerdings in keiner deutschen Fachbibliothek ermitteln. Laurens Winkel (Rotterdam) fand sie freundlicherweise für mich unter den rechts (Breslau 1929, Neudruck Keip, Frankfurt / M. 1977), 120 Seiten, im Institut für Deutsche und Rheinische Rechtsgeschichte in Bonn, Sign. H7  119. 6  Eingehend gewürdigt von M. van de Vrugt, „Antonius Matthaeus II“, in: T.  J. Veen en P. C. Kop (Hrsgg.), Zestig Juristen: Bijdragen tot een beeld van de geschiedenis der Nederlandse rechtswetenschap (Zwolle 1987) 166–170. Lateinischer Text mit synoptischer englischer Übersetzung: A.  Matthaeus, On Crimes, A  commentary on Books XLVII and XLVIII of the Digest, edited and translated into English by M.  L. Hewett / B.  C. Stoop (3 Bände Juta, Kenwyn, 1994–96). 7  ‚Belgica‘ war die damals gebräuchliche Bezeichnung für die gesamten Niederlande, auch die nördlichen, heute niederländischen Provinzen umfassend, zurückgehend auf antiken Sprachgebrauch, wie auf seit dem 17.  Jh. verbreiteten Landkarten in Gestalt des Leo Belgicus, des Niederländischen Löwen eingetragen. In den antiken Rechtsquellen begegnet Belgica ein einziges Mal in Fr. Vat.  223, wo eine epistula Hadrians an den Juristen und legatus Belgicae Claudius Saturninus zitiert wird. 8  Sir Johannes Wilhelmus Wessels (1382–1936), History of the Roman-Dutch law, (Grahamstown 1908) neu hrsgg. von Michael H. Hoeflich (2005) p.  296 f. Textversion auch im Internet über Google lesbar. 9  R.  Zimmermann, De bloedige hand en neemt geen erffenis, in: Festschrift Rolf Knütel (Heidelberg 2009) 1469–1491. Die deutsche Fassung der Regel nennt u. a. Wander II S. 295 Nr. 42. 10  Zimmermann 1476 Fn.  50 mit weiteren Nachw.

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alten Drucken in der Universitätsbibliothek Amsterdam. Als Gebühr für eine Fotokopie verlangte die Bibliothek freilich den exorbitant hohen Betrag von fast 400  Euro; deshalb verzichtete ich darauf (auf Winkels Anraten). Zimmermann verschaffte mir liebenswürdigerweise eine von ihm in Stellenbosch angefertigte Fotokopie des Kapitels über das sechste „Zinspreuk“ (S. 127–151); und wie sich anhand dieser Stichprobe ergab, folgt Kramps Übersetzung ziemlich genau dem lateinischen Original. Außerdem enthält sie nach Van Hasselt S. 2 noch einige eigene Bemerkungen des Übersetzers. Eine Sammlung mit dem attraktiven Titel „Die gebräuchlichsten Rechtssprichwörter“ erweckt gespannte Erwartungen. Zu meiner Freude konnte ich das lateinische Original der Paroemiae usitatissimae in der Universitätsbibliothek Bonn ausfindig machen. Dorthin gelangte es zusammen mit anderen Werken vor einigen Jahrzehnten aus dem Nachlass von Friedrich Carl von Savigny. Das Werk wurde posthum von seinem Sohn Antonius Matthae­ us  III. (1653–1710) herausgebracht. Beim Öffnen des Buchdeckels ergab sich allerdings zu meiner nicht geringen Enttäuschung, dass Matthaeus nur neun (9!) Regeln behandelt – eine jede freilich mit staunenswerter Detailkenntnis und Ausführlichkeit. Diese neun spreekwoorden gebe ich im Folgenden mit kurzen eigenen Bemerkungen wieder: 1. Een wyf maeckt geen bastaert. „Kein Kind ist seiner Mutter Kebskind“: Schmidt-Wiegand s. v. Kebskind S. 194 f., auch S. 200. Nul n’est bâtard de sa mère. Filius naturalis ventrem sequitur: Liebs Nr. F  34. Im Verhältnis zu seiner Mutter hatte das uneheliche Kind stets die Stellung eines ehelichen, §  1705 BGB a. F. Ausgeschlossen war nur sein gesetzliches Erbrecht nach dem Vater: Bâtards ne succèdent point, Roland / Boyer Nr. 31. – Gilt heute nur noch subsidiär für das elterliche Sorgerecht der Mutter, falls nicht beide Eltern eine gemeinsame Sorgeerklärung abgaben, §  1626a Abs.  2 BGB. 2. Man ende wyf hebben geen verscheyden goet. Mann und Weib haben kein gezweites Gut zu ihrem Leib (bei ihrem Leben): Sachsenspiegel LdR  I 31§  1. Schmidt-Wiegand s. v. Gut S. 149. Die von Hugo Grotius in seiner Inleidinge ausführlich erörterte Gütergemeinschaft gilt noch heute in den Niederlanden als gesetzliches Ehegüterrecht. Wegen der Schulden s.  unten II Nr. 5. 3. Erfenis is geen winste Erben ist kein Gewinn. Seit Eisenhart (1759) bis Schmidt-Wiegand (S. 92 s. v. Erbe, mit zahlreichen Nachweisen) in naiver Weise (etwas verächtlich) so gedeutet: Eine Erbschaft zu machen lohne sich nicht wegen der Haftung für die Schulden, wegen der Beschwernisse der Nachlassabwicklung und etwaiger Scherereien der Auseinandersetzung mit Miterben. Dieser Sinn wäre nur ein Trost für einen enttäuschten Erbanwärter oder ein Abraten vor Erbschleicherei. Vergessen wurde



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die schon von Antonius Matthaeus II. gegebene richtige Deutung, bezogen auf Errungenschaftsbeteiligungen, deren Kernsatz lautet: Hereditas in quaestu non numeratur. Die auf D.  17,2,7–13 zurückgehende lateinische Fassung wäre den gängigen Regelsammlungen hinzuzufügen. Bei der Teilung von Gewinnen bleiben unentgeltliche Zuwendungen Dritter unberücksichtigt, weil sie kein Entgelt für eigene Mühewaltung darstellen, überdies nur dem Erben persönlich zufallen sollen. Ebenso für die Zugewinngemeinschaft §  1374 Abs.  II BGB. Ausführlich Wacke, wie Fn.  4; kürzer schon ders., Juristische Arbeitsblätter 1981, 476 f. 4. Een jaer rente is hondert jaer rente. Een jaer lossinge is hondert jaer lossinge. Ein Jahr Rente bedeutet hundert Jahre Rente, ein Jahr Gelöstsein hundert Jahre Gelöstsein. Lossinge = lösen (entsprechend der Grundbedeutung von solvere), losbinden, entlassen, auch eine Ladung löschen. Eine gewisse Übersteigerung des auf das Faktum der Zahlung oder Nichtzahlung gestützten Vertrauensschutzes. Van Hasselt S. 68–70. 5. Niemant kan geven ende houden. Niemand kann geben und behalten; Van Hasselt S. 71–81. Donner et retenir ne vaut: Art. 894 Code civil. Roland / Boyer Nr. 96. Kein Schenkungsvollzug ohne Aushändigung. Ein Besitzkonstitut ist für die Schenkung kein vollwertiges Übergabesurrogat: Wacke, AcP 201 (2001) 256–274. 6. De bloedige hant en neemt geen erfenis. Blutige Hand nimmt kein Erbe. Wer vorsätzlich den Tod des Erblassers herbeiführte (oder dies versuchte), verwirkt gemäß §  2339 Abs.  I. Nr. 1 BGB sein Erbrecht (Rechtsgedanke des §  162 Abs.  II BGB). Er ist indigne à succeder gemäß Art.  727 Code civil. Muss für den unblutigen Giftmord ebenfalls gelten. Häufiges Sujet zahlreicher Kriminalromane, in denen dem Motiv cui bono? zufolge nach dem Täter geforscht wird. Bei unvorsätzlicher Tötung ergeben sich schwierige Abgrenzungsprobleme; praktische Fälle behandelt ausführlich R.  Zimmermann, wie Fn.  9. Adde Wander II S. 295 Nr. 42. Entstammt entgegen Foth S. 189 f. schon dem römischen Recht. 7. Meubelen hebben geen gevolge. Mobilia non habent sequelam, Liebs Nr. M 59. Res mobilis res vilis. Ursprung des Fahrniserwerbs vom Nichtberechtigten, präzisiert durch das spätere Zusatzerfordernis des guten Glaubens. HRG (2. Aufl.) Artt. Anefang (D.  Werkmüller, 2.  Lief. 2005), Guter Glaube (T. Repgen), Hand wahre Hand (W. Ogris, 11. Lief, je 2010). Das Niederländische BW von 1838 übernahm in Art. 2014 die Regel des Art. 2279 Code civil: En fait de meubles, la posession vaut titre; klarer Art.  3:86 des BW von 1992. In Frankreich auch Beschneidung des Verfolgungsrechts des Pfandgläubigers: Meubles n’ont pas de suite par hypothèque, Art.  2119 Code civil; Roland / Boyer Nr. 213.

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Andreas Wacke 8. Het naeste lyf. De man voor ’t wyf. De oudste op der straaten.

„Der nächste Verwandte, der Mann vor der Frau, der älteste auf der Straße.“ Betraf die Sukzession im Lehnswesen: Van Hasselt S. 87–99. Sinngleiche Varian­ ten dort S. 16, u. a. mit dem Zusatz: …  ziet men het Leen behouden. 9. Prescriptie van een derdendeel van hondert jaren gaet voor alle segel ende brief. Der Ablauf eines Drittels von hundert Jahren hat den Vorrang vor Siegel und Brief. Abweichend vom römischen Recht genügten nach niederländischer Gewohnheit grundsätzlich 33 Jahre für die Verjährung, ohne das Erfordernis von bona fides und titulus: Van Hasselt S. 100 ff.

Diese neun niederländischen Parömien erläuterte Matthaeus in lateinischer Sprache mit bewundernswerter Akribie in perfekter Untergliederung so, als ob es Rechtssätze wären (ähnlich heutigen Kommentaren zu modernen Gesetzesvorschriften). Seine zahlreichen Allegationen offenbaren eine profunde Belesenheit. Aber welchen Zweck hatte die Sammlung? Und enthält sie wirklich „die gebräuchlichsten“ Rechtsregeln? Die wichtigsten sind es kaum. Die streng wissenschaftlichen Erläuterungen der wenigen aufgenommenen dürften für den praktischen Richter zu ausführlich gewesen sein. Und als Ratgeber oder Fundgrube für alle Fälle war ihre geringe Anzahl andererseits kaum ausreichend. Manche Rechtsmaterien sind gar nicht vertreten; ganz fehlt z. B. das Obligationenrecht. Was die Praxis benötigt hätte, wäre ein Nachschlagewerk gewesen, ein Leitfaden, jeweils mit knappen Erläuterungen von Sinn und Anwendungsbereich. Dazu eignete sich das gelehrte Werk des Matthaeus jedoch nicht. 3. Ein Gefühl des Ungenügens wegen der kargen Anzahl dürfte auch Van Hasselt empfunden haben. Jan(us) Jacob(us) Van Hasselt11 verfasste 1780 (mehr als ein Jahrhundert nach der Erstausgabe) Annotationes ad Antonii Matthaei Paroemias belgarum jurisconsultis usitatissimas. Das Frankfurter 11  Van Hasselt, Annotationes ad Antonii Matthaei paroemias belgarum jurisconsultis usitatissimas (Neomagi / Njimegen 1780) [Max Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt, Sign. NL  13  g  55]. – Derselbe J.  J. Hasselt kommentierte zwei Jahre früher ein anderes Werk desselben Matthaeus über den Adelsstand: Notae et observationes ad Antonii Matthaei De nobilitate etc. (1777), 189  pp., digitalisiert durch Google im Internet. Über Van Hasselts Leben und Wirken war sonst nichts in Erfahrung zu bringen. Nach Laurens Winkel (brieflich) war er „ein eher unbedeutender Jurist aus dem 18.  Jh. (Lebensdaten etwa 1717–1783, nach dem Katalog der Univ.Bibl. Amsterdam).“ Laut Winkel gibt es noch heute eine Patrizierfamilie Van Hasselt, die vermutlich aus der Kleinstadt Hasselt in Overijssel stammt. Eine Herkunft aus der gleichnamigen Hauptstadt der belgischen Provinz Limburg hält Winkel für unwahrscheinlich.



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Max Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte übersandte mir davon großzügigerweise binnen kurzer Zeit eine Fotografie als pdf-Datei. Der Hauptteil seines Werkes enthält auf 90 Druckseiten (S. 18–109, also durchschnittlich 10  Seiten pro regula) mit immenser Sorgfalt Punkt für Punkt angemerkte Ergänzungen zu Matthaeus, mit langen Zitatenreihen aus der zeitgenössischen Literatur. Gelegentlich wird auch auf besondere Ortsgewohnheiten hingewiesen. Sprachlich wechselt Van Hasselt ständig (von einem Satz zum anderen) zwischen lateinisch und niederländisch hin und her. Diesem zweisprachigen Milieu entstammen nach Ferdinand Elseners plausibler Vermutung12 die Übersetzungen zahlreicher lateinischer Parömien in die Volkssprache. Diesen Hauptteil im Folgenden beiseitelassend, interessieren wir uns besonders für Van Hasselts Einleitung (introductio, S. 1–17). Außer einem Bericht über vorher erschienenes Schrifttum enthält sie etwa einhundert Sprichwörter zumeist rechtlichen Inhalts in niederländischer Sprache, davon die meisten in Reimform. Ihnen werden wir uns im nächsten Abschnitt zuwenden. Als zuvor erschienene Werke über Rechtsparömiologie nennt Van Hasselt zunächst die erwähnte, fünf Jahre früher herausgekommene anonyme Übersetzung von Matthaeus ins Niederländische (o.  Fn.  10). Weiter zählt er 14  spreekwoorden auf, die unter dem Vorsitz von Arnold Alexander Pagenstecher im Jahre 1671 zu Groningen defendiert und in seine Sylloge dissertationum von 1713 aufgenommen wurden.13 Bei Jacob Cats kommen ebenfalls Rechtsregeln vor,14 wie Van Hasselt erwähnt. Van HasWacke, OIR 5 (1999) S. 185 ff., 192 f. Alexander Arnold, Ad paroemias Belgicas (Bremae, Saurman 1713) [Max Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt, Sign. Dt  19  Ag  48]. Dieser Pagenstecher (1659–1716) entstammte einer zahlreichen und bedeutenden Gelehrtenfamilie um Steinfurt im Münsterland. Er studierte die Rechte in Jena, Leipzig und Prag, promovierte 1680 und war seit 1686 Professor in Duisburg, seit 1694 in Groningen; wissenschaftlich u. a. in eine Kontroverse mit seinem Zeitgenossen Bynkershoek verwickelt. Länge und Gewicht seiner Erläuterungen der Parömien sind allerdings recht unterschiedlich. Über Pagenstecher siehe R.  Feen­ stra, Der juristische Unterricht in Steinfurt im 17. Jahrhundert und die an niederländische Universitäten berufenen Steinfurter Professoren der Rechte, mit einem besonderen Beitrag über A. A. Pagenstecher, in: Symposium 400 Jahre Hohe Schule Steinfurt, 18. und 19.9.1988, Schloss Burgsteinfurt, Leitung H.  Holzhauer [und] R.  Troelner [= Steinfurter Schriften Nr. 17], Steinfurt 1991, S. 36–73. Bibliographie von A. A.  P.: S. 74–113. [Lit.-Hinw. von L. Winkel]. 14  Jacob Cats (1577–1660), Politiker und Dichter. Nach dem Studium der Rechte in Leiden und Orléans Rechtsanwalt in Middelburg, machte er sich seit 1636 als raadspensionaris (Verwaltungschef) der Provinz Holland und West-Friesland verdient um die Wiederherstellung kriegszerstörter Deiche. Als beliebter Barockdichter oft schon zu Lebzeiten ins Deutsche übersetzt. Vgl. Hendrik Smilde, Jacob Cats in Dordrecht: leven en werken gedurende de jaren 1623–1636 (Groningen 1938), 12  Siehe

13  Pagenstecher,

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selts Hauptquelle ist jedoch Johan van Nyenborgh (1612–1670?),15 aus dessen Regel-Rymen in de Rechten er kommentarlos über 70  Reimsprüche abdruckt, mit denen wir uns gleich beschäftigen werden. Schließlich verweist Van Hasselt S. 17 lobend auf Johann Nicolaus Hertius,16 De paroemiis iuris Germanici libri tres, in seinen Commentationes et opuscula II (Frankfurt 1737). Ein frühes Interesse der Niederländer an Sprichwörtern als Form der Volkspoesie ergibt sich aus Pieter Bruegels bildlichen Darstellungen.17 Die umfassende niederländische Sprichwörtersammlung in drei Bänden stammt von Pieter Jacob Harrebomée.18 Vergleichbar ist sie dem fünfbändigen deutschen Kompendium von K.  F.  W. Wander.19 333  S.; Domien ten Berge, De hooggeleerde en zoetvloeiende dichter Jacob Cats (s’Gravenhage 1979), 279  S.; bes. Marinus van den Broek, De spreekwoorden van Jacob Cats (Antwerpen 1998), 179  S. 15  J. van Nyenborgh, (die Schreibweise variiert), sprachkundiger Kaufmann aus kinderreicher Familie, seinerzeit gern gelesener moralisierender Reim-Dichter. Seine „Regel-Rymen in de Rechten“ sind enthalten in seinem Werk: Tooneel der Ambachten [d. h. Schaubühne der Gewerbe] of den winkel der handtwerken en konsten (Groningen 1654, neu 1670): Nieuw Nederlandsch Biografisch Woordenboek [NNBW], hrsg. P.  J. Blok en P.  C. Molhuysen, II S. 2007 f. 16  Über Hertius siehe W.  Sellert, in HRG 2. Aufl. 12.  Lief. (2010) Sp.  991 f. 17  Dazu Wilhelm Fraenger, Das Bild der „Niederländischen Sprichwörter“: Pieter Bruegels verkehrte Welt (2. Aufl. Amsterdam 1999); allgemein schon Hoffmann von Fallersleben (Hrsg.), Altniederländische Sprichwörter nach der ältesten Sammlung (Hannover 1854). Die niederländische Aussprache von ‚Bruegel‘ ähnelt dem deutschen Wort ‚Prügel‘ (mit weichem P und gehauchtem g). 18  Harrebomée, P.(ieter) J.(acob), Spreekwoordenboek der Nederlandsche taal of verzameling van Nederlandsche Spreekwoorden en spreekwoordelijke uitdrukkingen van vroegeren en lateren tijd (3 Teile Utrecht 1856–1870; Faksimile Nachdruck, van Hoeve, Amsterdam 1980) [UB Köln, Lesesaal L 6470; auch im Internet, 2008 digitalisiert durch die Digitale Bibliotheek voor de Nederlandse Letteren]. P.  J. Harrebomée (Utrecht 1809–1860) war ein niederländischer Sprachforscher; seine Trilogie enthält ca. 42.500 zegswijsen en spreekwoorden. – Wander, Deutsches SprichwörterLexikon I (1867) berücksichtigte gemäß seines Quellenverzeichnisses S. XXXVI die Teile 1 und 2 des niederländischen Parallelwerkes. 19  Wander, Karl Friedrich Wilhelm, Deutsches Sprichwörter-Lexikon (5 Bände, Leipzig 1867–1880, Neudrucke 1964 und 1987), auch als CDRom erhältlich sowie im Internet gespeichert. Der bei Hirschberg im schlesischen Riesengebirge geborene und dort wirkende Wander (1803–1879) war ein standespolitisch engagierter Volksschullehrer und liberaler Reformpädagoge. Wegen seiner Aufrufe zur Gründung einer Allgemeinen deutschen Lehrervereinigung und zur Abschaffung der geistlichen Schulaufsicht wurde er mehrfach seines Amtes enthoben und emigrierte zeitweilig in die USA. Sein monumentales Lexikon bleibt ein unentbehrliches Standardwerk für die Sprichwortforschung. Seine Vorrede in Band  1 enthält ein ausgedehntes Referat über seine Sammelmethode; in Band 5 bringt Joseph Bergmann einen ausführlichen Nachruf.



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II. Van Hasselts Liste niederländischer Rechtssprichwörter Die wichtigsten der von Van Hasselt in seiner Einleitung angeführten niederländischen Rechtsparömien seien im Folgenden angeführt und, soweit erforderlich, kurz erläutert. Van Hasselt selbst gab für sie keine Erklärungen. Seine Aufzählung ist tumultuarisch; eine Anordnung nach sachlichen Kriterien ist nicht erkennbar. Er führt sie offenbar in der zufälligen Aufeinanderfolge an, wie er sie in den von ihm genannten Schriften vorfand. Aus Rücksicht auf den Leser ordne ich sie der Übersichtlichkeit halber in der Reihenfolge an, wie ein deutscher Jurist sie aus gebräuchlichen Gesetzessammlungen gewohnt ist, um zwischen den isolierten Aphorismen ein geistiges Band herzustellen. Zur besseren Orientierung ist eine Nummerierung hinzugefügt. Wiederholungen gleichsinniger Parömien wurden getilgt. Fortgelassen wurden einige wenige, heute kaum noch verständliche Regeln. Überwiegend sind es gereimte Zweizeiler, die sich auf Deutsch nur selten in Reimform wiedergeben lassen. 1. Allgemeiner Teil: Personen, Rechtsgeschäfte 1. Een boer in de marckte, Een boer in de karcke. Ein Bauer auf dem Markte – ein Bauer in der Kirche. Ein Bauer bleibt ein Bauer. Ein Bauer bleibt bei seiner Art. Wat en Bûr is, dat blîft ein: Wander s. v. Bauer Nr. 159, 160, 167, 99; Ein Hork (Bauer) bleibt ein Horke: Wander s. v. Hork. Auch wenn er sich für den sonntäglichen Kirchgang mit dem feinen Rock herausputzt; könnte auch als resignierende Feststellung der Unübersteigbarkeit von Standesschranken gedeutet werden (entgegen sozialer Mobilität). Vgl. L’abito non fa il monaco; L’habit ne fait pas le moine; Die Kutte macht keinen Mönch: SchmidtWiegand s. v. Mönch S. 241. Aber auch eine Prinzessin bleibt, was sie ist (nach H.  C. Andersens Eventyr „Die Prinzessin auf der Erbse“). Gegensatz: Donna è mobile; die Wankelmütigkeit bezieht sich auf ihre Stimmungslage. 2. Men stelt geen wyf Tot Ampts bedryf. Man bestellt kein Weib zu Amtsgeschäften. Entspricht Ulpian D.  50,17,2pr.: Feminae ab omnibus officiis civilibus vel publicis remotae sunt… E.  Höben­ reich / G.  Rizelli, Scylla: Fragmente einer juristischen Geschichte der Frauen im antiken Rom (Wien / Köln 2003) 61 ff. Zur Frage: Römische Frauen in juristischen Berufen? siehe A.  Wacke, OIR 12 (2008) 78 ff. Zur Übernahme einer Vormundschaft s. u. Nr. 48 a. E. 3. Een stom, een doof, een kind Sich nergens to verbind. Ein Stummer, ein Tauber oder ein Kind kann sich zu nichts verpflichten. Seit dem Jahre 2002 siehe aber unten Nr. 53!

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Andreas Wacke 4. Dat voor vrese is gedaan kan naa Rechten niet bestaan.

Was aus Furcht (Drohung) geschah, kann vor den Rechten nicht bestehen. Vgl. §  123 BGB. Einschränkend aber: 5. Onnutte vrees of ydele waan En brengt geen rechte onschuld aan. Unnötige Furcht oder eitler Wahn bringen keine rechte Entschuldigung an. Vani timoris justa excusatio non est. Vanus metus restitutionem non parit: Liebs Nr. V  2–3. „Gegründete Furcht“ ist nötig, die auch einen sehr standhaften Menschen (homo constantissimus) einschüchtern kann: D. 4,2,4–7pr.; Heumann / Seckel, Handlexikon s. v. metus. 6. ’t Bedrog alleenlyck schaat De geen, die het begaat. Betrug schadet allein dem, der ihn beging. Bußklagen wegen dolus und aus anderen Delikten waren nach gefestigter Regel passiv unvererblich: Gaius 4,112. 7. De woorden, en den sin daar van, Mag men in ’t Recht merken an. Den Worten und ihrem Sinn soll das Gericht nachspüren. § 133 BGB. Ebenso der schöne Reim: 8. Men moet meest sien Op het gemien. Man muss vor allem auf das Gemeinte schauen. 9. Dat eenmaal is geschiet, Mag men niet doen te niet. Quod rite perfectum est, infieri nequit. 10. Al dat tegens recht is gedaan, En mag te geener tyd bestaan. Was gegen das Recht ist geschehen, darf zu keiner Zeit bestehen. Ab initio nullum, semper nullum: Liebs Nr. A  4, N  119. Zur behebbaren Nichtigkeit jedoch A.  Wacke, Ex post facto convalescere im römischen und im modernen Recht, in: Mélanges W.  Wołodkiewicz II (Varsovie 2000) S. 1025 ff. 11. Het geheel Vervat het deel. Das Ganze umfasst auch den Teil. Plus minus continet. In toto et pars continetur: Gaius D. 50,17,113; Liebs Nr. J 129. In maiore minus inest: R. Backhaus, SZ 100 (1983) 136–184; Liebs Nr. J  64. Beispielsweise kann nach Abweisung der Klage auf Herausgabe einer Erbschaft wegen der Rechtskraft nicht erneut mit Singular­ klagen auf Herausgabe einzelner Erbschaftsgegenstände geklagt werden: Ulpian D.  44,2,7pr.  ff.



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2. Obligationenrecht 12. Belofte maakt schuld. Gelöbnis verpflichtet. Zusagen macht Schuld: Foth S. 12 Fn.  31. Vgl. Pacta sunt servanda. John Barton, Towards a general law of contract (Berlin 1990). Einseitiges Gelöbnis verpflichtet nach der skandinavischen løfte-Theorie. 13. In ’t geen dat onmogelyk is, Bestondt noyt verbintenis. Zu dem, was unmöglich ist, besteht keine Verbindlichkeit. Impossibilium nulla obligatio: D.  50,17,185 Liebs Nr. J  21. §  306 BGB (bis 2002). A l’impossible nul n’est tenu: Roland / Boyer Nr. 17. Zur behebbaren Nichtigkeit jedoch Wacke (wie Nr. 10) 1038 ff. 14. Het geen ieder een zal gelden, Daar moet elk zyn stem toe melden. Wenn ein jeder schulden soll, muss er selber zugestimmt haben. Kein Vertrag zu Lasten Dritter. 15. Een verdrag der debiteuren Kan den crediteur niet keuren. Ein Vertrag unter den Schuldnern, darum braucht sich der Gläubiger nicht zu scheren, der geht ihn nichts an. Vgl. zur Schuldübernahme §  415 BGB. 16. Daar geen eysch is gedaan, Wird geen versuim verstaan. Wenn keine Klage erhoben ist, wird kein Versäumnis angenommen. Kein Verzug ohne Klage, Nulla mora sine petitione, D.  50,17,88 = 45,1,127 a. E. Liebs Nr. N  158. Klageerhebung ersetzt heute die Mahnung, §  286 Abs.  1 S. 2 BGB. Bei sofortigem Anerkenntnis des Beklagten treffen jedoch die Prozesskosten den Kläger: §  93 ZPO. 17. Geen goede trouw en hout het staant, Dat men een saeke tweemaal maant. Keine gute Treue erlaubt es, dass man eine Sache zweimal einfordert. De eadem re ne bis sit actio. Ne bis in idem. Liebs Nr. B 7, N 6. Rechtsvergleichend Sophie Sepperer, Der Rechtskrafteinwand in den Mitgliedstaaten der EuGVO (Tübingen 2010). 18. Assignatie (auch: Overwysinge) is geen betalinge. Anweisung ist keine Bezahlung. §  788 BGB. Anders: Qui delegat, solvit: Liebs Nr. Q  43. Bei Hasselt S. 13 auch: Afflag is goede betalinge.

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Andreas Wacke 19. Elk een hem selven schaat, t ’Geen hy versuymt of laat.

Einem jeden persönlich schadet seine Säumnis oder Verspätung. Mora sua cuilibet est nociva. Unicuique sua mora nocet: Liebs Nr. M  68, U  23, A  86. Für Gesamtschuldner siehe §  425 Abs.  2 BGB. 20. Huyr gaat voor koop. Miete geht vor Kauf. De Hure is faster dan de Kop: ausführlich Pagenstecher S. 484–500. E.  Schrage, Koop breekt geen huur (Deventer 1984). Kauf bricht nicht Miete, präziser: Übereignung bricht nicht des Mieters Besitz. Reiche Quellenangaben bei Foth S. 79 ff., Schmidt-Wiegand s. v. Kauf S. 191 f. Vom BGB übernommen in §  571, heute §  566 BGB. Gilt gemäß §§  1056, 2135 BGB bei Vermietung durch Nießbraucher oder Vorerben auch für die vorzeitige Beendigung des Rechts des Vermieters; dazu (auch rechtshistorisch und vergleichend) A.  Wacke, Miete und Pacht vom Nießbraucher oder Vorerben etc., Festschrift J.  Gernhuber (Tübingen 1993) 489–527. Anders Liebs Nr. E  21 (mit Lit.): Emtio tollit locatum. Einschränkend jedoch Wacke a. a. O. S. 506 ff.: Brach Verkauf die Miete nach römischem Recht? 21. Een borge kan niet zyn verbonden Tot meer als de hooftsom word bevonden. Ein Bürge kann nicht haften auf mehr als die Hauptsumme ausmacht. Akzesso­ rietät der Bürgschaft, §  767 BGB. 22. Den Principaal word eerst gedaagt, Eer men over de borge klaagt. Der Hauptschuldner wird zunächst belangt, ehe man gegen den Bürgen klagt. Einrede der Vorausklage, beneficium excussionis personalis, von Justinian Nov.  4 geschaffen und zum Schutze des Bürgen erforderlich; §  771 BGB. Dass gemäß §  239 Abs.  2 BGB nur bei Verzicht auf diese Einrede ein Bürge als tauglich gilt, gehört abgeschafft. Für Privatbürgschaften sollte die Einrede selbstverständliches ius cogens sein. Die Vorausklage ist zumal Kreditinstituten durchaus zuzumuten. Kaufleuten steht die Einrede kraft Gesetzes nicht zu, § 349 HGB. 23. Een Vrouw kan haar niet onderwinden Voor haar Man sich te verbinden. Keine Frau soll sich unterstehen, für ihren Mann eine Bürgschaft einzugehen. Interzessionsverbot nach dem Senatus consultum Velleianum, abweichend vom römischen Recht hier allerdings personell beschränkt auf Bürgschaften zugunsten des Ehemannes. 24. Niemand werd meer gebaet, Dan als hy is beschaet. Niemand wird über das hinaus entschädigt, als er geschädigt wurde. Berei­ cherungsverbot beim Anspruch auf Schadensersatz führt zur Vorteilsausgleichung.



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25. Niemant moet zyn gebaat, By ’tgeen een ander schaat. Schadensersatz soll keinen anderen schädigen. Vgl. die folgende Nr. 26. 26. Het is vooral het beste goet, Diens winst niemand schade doet. Es ist vor allem das beste Gut, dessen Gewinn niemandem schaden tut. Eigene Vermögensvermehrungen, die nicht auf Kosten anderer gehen, sind freilich selten; etwa die Nutzung von Naturkräften, die Urproduktion in Landwirtschaft und Bergbau, die wertsteigernde Vergrößerung eines Mietshauses. Bewerkstelligen lässt sich dies heute meist nur durch den Einsatz von Arbeitskräften und Maschinen, also auf der Basis von Austauschverträgen. Durch deren Abschluss verspricht sich jede Vertragspartei Gewinn, keine fühlt sich mithin geschädigt. Der zweifelhafte Sinn der Aussage ließe sich nur als Handlungsmaxime begreifen: Eigenes Gewinnstreben soll andere nicht schädigen (z. B. durch deren Ausbeutung). 27. Renten van onrecht gewin, Daar en stemt het recht niet in. Zinsen von ungerechtem Gewinn zu fordern, gestattet das Recht nicht. 28. Wie sich onder den draf mengt, die eeten de swynen. Wer sich unter den Trester mengt, den fressen die Schweine. Ndl. draf = der beim Keltern der Trauben bleibende Rückstand, das an die Schweine verfütterte Abfallprodukt. Sinngleiche Variante: Die sig onder de semelen mengt, word van de verckens gevreten (Van Hasselt S. 16 f.). Prinzip der Selbstverantwortung, des Handelns auf eigene Gefahr: „Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.“ Ein jüngstes Beispiel: Urlauber in Kenia werden durch Hinweisschilder davor gewarnt, die frei lebenden Affen zu füttern. Ein Hotelgast nahm vom Frühstücksbuffet eine Banane mit in den Garten. Ein Affe sprang ihn von hinten an, entriss ihm die Banane und biss ihn dabei in den Finger. Seine Schadensersatzklage auf 4.000 Euro Schmerzensgeld blieb vor einem Kölner Gericht erfolglos (Kölner StadtAnzeiger, 28.10.2010 S. 27). – Damit verwandt ist: 29. Schade, die men selver doet, Men nyemand aantyen moet. Schaden, den man selber anrichtet, darf man keinem anderen anlasten. Ein Mitverschulden des Geschädigten reduziert seinen Ersatzanspruch oder schließt ihn aus, §  254 BGB. 30. Niemand hinckt aan een andermans seer. Niemand hinkt an der Verwundung eines anderen. Von Pagenstecher in ausführlicher Erörterung S. 500–508 auf die Gefahrtragung beim Dienstvertrag bezogen, wenn der Dienstverpflichtete schuldlos an der Erbringung seiner Dienstleistung verhindert wird. Als Rechtsprichwort jedoch heute vergessen. Man könnte daran

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denken, dass in Gegenwart eines Hinkenden kein Gesunder hinken soll (der Hinkende würde sich verspottet fühlen). Einige Parallelen mit Belegen (jedoch ohne Erklärung) bei Wander II s. v. hinken S. 666 f. Nr. 5, 9–11; etwa „Keiner hinkt an eines anderen Fuß.“ Einleuchtender ist ein (im Schrifttum freilich nicht belegter) Bezug auf die Höchstpersönlichkeit, Unübertragbarkeit und Unvererblichkeit des Anspruchs auf Schmerzensgeld (§  847 Abs.  1 S. 2 BGB a. F.); deutlich in der Verallgemeinerung: „Fremde Wunde schmerzt nicht“. Hinken hat Folgen für das Fortkommen (schon im rein physischen, aber auch im wirtschaftlichen Sinne), kann ein Dauerschaden sein. Dritte sind ersatzberechtigt nur, soweit sie regressberechtigt sind, weil sie als Unterhaltsverpflichtete Heilungskosten gezahlt haben (arg. §  843 Abs.  4 BGB). „Niemand hinkt von fremdem Schaden“ (Wander a. a. O.). 31. De hond byt den steen en niet die hem werpt. Der Hund beißt den Stein, aber nicht den, der ihn warf. Beiläufig-distanzierend behandelt von Pagenstecher S. 519 f. Wie wäre es beim Speer? M. E. eine naivvordergründige Betrachtung der causa proxima, unter Außerachtlassung der causa remota. Anstifter und mittelbare Täter dürfen nicht verschont werden. Vgl. Nr. 73. 32. Een gans blaast wel, maar byt niet. Eine Gans faucht wohl, beißt aber nicht. „blaast“ auch: pusten, prahlen, sich großtun, aufschneiden, viel Wind machen. Vgl. Bellende Hunde beißen nicht. 33. Ick lat myn hanen uit, Elck bewaar syne hennen. Ich lasse meinen Hahn heraus, ein jeder hüte seine Hennen. Varianten nach Wander II s. v. Hahn Nr. 30, 245: Der Hahn ist los, man gebe auf die jungen Hühner Acht. Ist vielleicht typisch niederländisch, vgl. Harrebomée I 267: Man, pas op uwe kippen, want mijn haan is los. Rhythmisch besser: Ik stuur mijne hanen uit, elk wachte zijne hennen. Betrifft offenbar die Abgrenzung nach Gefahrenbereichen. Der Hahn fliegt über den Zaun, er lässt sich nicht festbinden wie ein Hund. Er ist auch nicht gefährlich. Wer nicht will, dass seine Hennen mit ihm Umgang haben, muss dies selbst verhindern. Lässt sich allegorisch auch auf junge Mädchen beziehen. Gilt besonders für eine läufige Hündin. Eine Haftung des Tierhalters scheidet aus, wenn ein männliches Tier nur seinem natürlichen Triebe folgt. – Andere Fälle: Schmidt-Wiegand Art. Hühnerrecht, Hühnerfreiheit, HRG I Sp.  254 f.: Bis zur Wurfweite vom Haus durfte man seine Hühner herauslassen, ohne dass sie als schädlich galten. – E.  Höbenreich, „Trittst du mein Huhn, wirst du mein Hahn“, OIR 9 (2004) 5 ff.: beschreibt die Statusminderung bei der Eingehung einer standesungleichen Ehe. 34. ’t Is reden, dat het voordeel blyf By hem, die volgt het ongeryf. Es gibt Gründe, dass der Vorteil bleibt bei dem, den die Unannehmlichkeit (ongeryf) trifft. Commodum eius esse debet, cujus est periculum: Liebs Nr. C  41. Zusammenfall von „Last und Lust“. Gleichsinnig:



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35. Die de last valt te deel, Krygt ’t voordeel ook geheel.

3. Sachenrecht 36. Geen merder recht man overgeeft, Dan als men selfs verkregen heeft. Nicht mehr Rechte übergibt man, als man selbst bekommen hat. Nemo plus iuris ad alium transferre potest, quam ipse habet: Ulpian D.  50,17,54; Liebs Nr. N  63. Für den Erbschaftserwerb ebenso unten Nr. 57. 37. Pand is sekerder als hand. Pfand ist sicherer als Hand(schlag). Ohne Pfand borgt niemand im Land. Wer borgt ohne Bürgen oder Pfand, der hat einen Wurm im Verstand. Ebenso: 38. Een Pand, Op Hand Grypt stand. Ein Sachpfand ist auch sicherer als eine Bürgschaft. Plus cautionis in re est quam in persona: Pomponius D. 50,17,25; Liebs Nr. P 44. Kennzeichnet den Vorteil des Realkredits gegenüber dem Personalkredit. 39. Het ingebragte Huisraad Voor de huur t’onderpand staat. Der eingebrachte Hausrat (suppellex) unterfällt bei der Miete dem Pfandrecht: konkludent (tacite) begründetes Einbringungspfand des Vermieters an den invecta et illata des Mieters. D.  20,2,2–6, bes. 4pr.; BGB §  559. 40. Die eerst komt, Die maalt het eerst. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Sachsenspiegel LdR II  59 §  4. Prior tempore, potior iure. Caracalla C. 8,17,3. Liebs Nr. P 98, Q 72. Schmidt-Wiegand s. v. mahlen S. 230 f.; A.  Wacke, Jurist. Arbeitsblätter 1981, 94–98. Gleichsinnig: 41. Die eerst komt, heeft het best En meer rechts als de lest. Persönlichkeiten höherer Stände genießen bei der Bedienung in der öffentlichen Kundenmühle kein Vorrecht: 42. ’t Recht siet geen persoon aan, Die eerst komt zal vorgaan.

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Andreas Wacke 43. Een ieder mag syn huis wel na syn sin vermaken, Als by maar syn gebuur niet komt te na te raken.

Ein jeder darf sein Haus nach seinem Sinn gestalten, doch darf es an das seines Nachbarn nicht allzu nahe heranragen. Materielle Baufreiheit, begrenzt durch den Schutz der Nachbarn. J. M. Rainer, Bau- und nachbarrechtliche Bestimmungen im klassischen römischen Recht (Graz 1987), bes. Kap.  8 S. 242 ff.: Beschränkung der Baufreiheit; teilw. krit. Rez. W.  Simshäuser, SZ 110 (1993) 710 ff., 723 ff. 44. Sonder besit kann gien Verjaringe geschien. Ohne Besitz kann keine Ersitzung beginnen. Ein iustum initium possessionis war für die longi temporis praescriptio Voraussetzung: M.  Kaser, Das römische Privatrecht I (2. Aufl. 1971) S. 424 m. Fn.  70.

4. Familienrecht 45. Een kusjen is maar een afvegen. Ein Küsschen ist nur ein Abwischen. Pagenstecher S. 508–514. Wander II Küssen Nr. 1 mit Parallel-Belegen. Auch Wander s. v. Kuss“ Nr. 23: abwischen … „kann aber das Feuer im Herzen nicht löschen“. Zum bekannteren Spruch „Einen Kuss in Ehren kann niemand verwehren“ ausführlich Wander Kuss Nr. 16 f. – Lit.: D. R. Moser, Art. Kuss, HRG II (1. Aufl. 1978) 1320 ff. mit reichen Lit.-Angaben (auch zwei englischen Abhandlungen zum römischen Recht); W.  Straetz, Der Verlobungskuss und seine Folgen, 1979; H.  J. Wieling, Kuß, Verlobung und Geschenk, in: Status Familiae, Festschrift A.  Wacke (München 1961) 541 ff. 46. Niet de byslaap, maar ’t besluyt, Maakt van een lieve Maagt de Bruid. Nicht der Beischlaf, sondern der Beschluss, macht aus einem lieben Mädchen eine Braut. Nuptias non concubitus, sed consensus facit: Ulpian D.  50,17,30 = D.  35,1,15, Liebs Nr. C  67. 47. Die de man trouwt, trouwt ook de schulden. Wer den Mann heiratet, heiratet auch die Schulden. Gütergemeinschaft: oben I Nr. 2. Auch der Mann die Schulden der Frau. 48. Die tienmaal seven jaeren telt, Mag tot geen voormond zyn gestelt. Wer zehnmal sieben Jahre zählt, soll nicht zum Vormund bestellt werden. Das 70. Lebensjahr entspricht dem Gemeinen Recht: Windscheid, Pandekten III (1906) §  435 Fn.  24. Der Code civil (Art.  433 a. F.) verkürzte auf 65, das preuß. ALR II  18 §  208 auf 60 Jahre. Sechzigjährige können ablehnen, auch nach §  1786 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Abhängig vom Lebensalter des Mündels kann eine Vormundschaft viele Jahre dauern, und die Lebenserwartung älterer Kandidaten für das Amt nimmt ab. Art. 428 Code civil n. F. stellt bei der Berücksichtigung des Alters



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auf die Zumutbarkeit im Einzelfall ab. Eine Frau konnte die Übernahme einer Vormundschaft nach § 1786 Nr. 1 BGB (gültig bis zum Jugendwohlfahrtsgesetz von 1922) ohne Angabe von Gründen ablehnen; vgl. o.  Nr. 2. 49. Veel koks verzouten den bry. Viele Köche versalzen den Brei. „Versalzen“ ist konkreter als „verderben“ (in der bekannteren deutschen Version). Eine Erfahrungsregel: Allzu viele Leute sollen sich nicht einmischen. Von Pagenstecher S. 520 auf die Bestellung zu vieler Vormünder bezogen, deren Meinungsverschiedenheiten für den Mündel nachteilig sein können. Windscheid III §  443; Kaser, RP I (2. Aufl.) S. 362; Esteban Varela Mateos, De contutoribus (Madrid 1979). Die Beschränkung auf e i n e n Tutor ist einfacher: Ulpian D. 26,7,3,6. Ein das Mündelvermögen nicht verwaltender Vormund hieß Ehrenvormund, tutor honorarius. – Andererseits sagt man „Viele Hände bereiten schnell ein Ende“. Zur Abgrenzung Wacke, Europäische Spruchweisheiten, OIR 5 (1999) S. 202.

5. Erbrecht 50. Het naaste bloed, Erft doden goet. Das nächste Blut erbt (kraft Gesetzes) des Toten Gut. Schmidt-Wiegand s. v. Blut S. 52 f. mit zahlreichen Quellen und Parallelen. „Das Gut rinnt wie das Blut.“ 51. Het goet moet dan weêr gaan, Al waar het komt van dan. „Das Gut nimmt wieder den Weg, den es gekommen ist“. Paterna paternis, materna maternis: Liebs Nr. P  15; G.  Wesener, Sondervermögen und Sondererbfolge im nachklassischen römischen Recht (bona materna, bona paterna etc.), in: Iuris Professio. Festgabe für M. Kaser zum 80. Geburtstag (Wien / Köln 1986) 331–346. Gegensatz: „Es stirbt kein Gut zurück (sondern vorwärts)“: Foth S. 12 Fn.  33. La loi ne considère ni la nature ni l’origine pour en regler la succession, Art.  732 Code civil. 52. Soo lang als men leeft, Men syn vrye wil heeft. Solange wie man lebt, behält man seinen freien Willen. Ambulatoria est voluntas defuncti usque ad vitae supremum exitum: Ulpian D.  34,4,4; Liebs Nr. A  89. Jederzeitige Widerruflichkeit letztwilliger Verfügungen, §  2253 BGB. Erbverträge bilden die Ausnahme, in Rom waren sie nicht anerkannt. 53. Een Testament kan niet bestaan Van die haar goed verquisten gaan, En die sinneloos rasend syn of blindt En die doof stom onmondig bint. Ein Testament kann nicht bestehen von denen, die ihr Gut verschwenden werden, die sinnenlos rasend sind oder blind und die taub, stumm (taubstumm?) oder

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unmündig sind. Lit.: Chr. Baldus, Libre albedrío en el Derecho contractual romano, in: Seminarios Complutenses 19 (Madrid 2006) 25–63, zur capacidad para testar S. 46 ff. Zum furiosus Gaius 3,106. Zum prodigus die beiden von Baldus S. 49 f. zitierten Monographien von P.  Domíngez Tristán (Barcelona 2001) und F.  Pulitanò (Milano 2002), ferner Josef Trompetter, Die Entmündigung wegen Verschwendungssucht in geschichtlicher Entwicklung (Diss. Köln, Frankfurt a. M. 1996), 142 S. Über die caeci, surdi und muti Axel Küster, Blinde und Taubstumme im römischen Recht (ebenfalls von mir betreute Diss. Köln, Böhlau 1991), rezensiert von V.  Carro, Index 23 (1995) 538–557. – Taubblinde Personen (wie die US-amerikanische Sozialreformerin Helen Keller, 1880–1968) sind seit dem Behindertengleichstellungsgesetz [BGG] vom 24.7.2002 (BGBl. I S. 1467) nicht mehr faktisch testierunfähig. Die auf das Gesetz gestützte Kommunikationshilfenverordnung erlaubt bei der Errichtung eines notariellen Testaments die Verständigung mittels eines Gebärdensprachdolmetschers oder Kommunikationsassistenten. „Mündlich“ muss der letzte Wille vor dem Notar seitdem nicht mehr erklärt werden, § 2232 BGB n. F. Taktil wahrnehmbare Gebärden nennt man ‚Lormen‘, nach ihrem Schöpfer Hieronymus Lorm (Pseudonym von Heinrich Landesmann, 1821–1902), einem produktiven österreichischen (böhmischen) Schriftsteller, seit dem 16.  Lebensjahr taub und fast blind, 1881 völlig erblindet. Das von ihm entwickelte Handtast-Alphabet wurde posthum von seiner Tochter veröffentlicht und ist noch heute in Gebrauch: Brockhaus-Enzyklopädie 17 (2006) S. 161 f. mit Abb. Der BGB-Gesetzgeber von 1896 konnte es noch nicht kennen. Die Verständigungsart nennt man (verbal) ‚lormen‘, analog gebildet zu ‚morsen‘, nach dem von Samuel Morse seit 1837 entwickelten Morse-Alphabet. Die Umsetzung in Blindenschrift verbalisierte man bislang nicht zu ‚braillen‘ (nach ihrem Erfinder, dem Pariser Blindenlehrer Louis Braille, 1809–1852). Wichtig ist die Testiermöglichkeit für derart mehrfach Behinderte vor allem, wenn sie unter Ausschluss des gesetzlichen Verwandten-Erbrechts ihren Lebensgefährten einsetzen wollen. 54. Onterving sonder schult Geen regt lydt nog gedult. Enterbung ohne Verschulden erlaubt weder das Recht, noch ist es zu dulden. Ein Grund zur Entziehung des Pflichtteils muss vorliegen, §  2333 BGB. Bei grundloser Enterbung hielt man den Testator für „nicht bei rechten Sinnen“ (color insaniae): Kaser (wie Nr. 44) S. 710. 55. Schoon dat men maakt al veel legaten, Het vierde erfdeel moet men laten. Man mag noch so viele Vermächtnisse anordnen, ein Viertel muss man als Erbteil (unangetastet) lassen. Das Pflichtteilsrecht nach der lex Falcidia. A.  Wacke, Art. Pflichtteilsrecht, HRG III Sp.  1737–42. 56. Een Vriend tot in den tienden graad Een ervenis nae recht aanvaart.



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57. Een erve heeft het recht verworven, Dat gehad heeft den verstorven. Ein Erbe hat das Recht erworben, welches hatte der Verstorbene. vgl. Nr. 19. 58. Van vergift en quade saken Mag men geen erfdeeling maken, Die met onëer zyn besmet, Worden tot geen staat geset. Zauberbücher und Gifte waren von der Erbteilungsklage ausgenommen und zu vernichten, D.  10,2,4,1.

6. Prozessrecht 59. Alle, die een saak aangaan, Moet men voor ’t Recht eisschen gaan. Alle, die eine Sache beanspruchen, müssen damit vor Gericht ziehen. Verbot der Selbsthilfe. 60. Dat voor ’t recht niet ingebracht is, Daar over geeft men geen vonnis. Was vor Gericht nicht anhängig gemacht wurde, darüber spricht man kein Urteil. Wo kein Kläger, da kein Richter. Nemo iudex sine actore: Liebs Nr. N 57; SchmidtWiegand s. v. Kläger S. 206 f. Kein Zivilprozess beginnt von Amts wegen. Giu­ seppe Chiovenda, Principii di diritto processuale civile (Napoli 1928, mehrfach nachgedruckt) §  47 S. 723 ff. 61. Men moet geen actie maken, Van ongerechte saken. Man soll keine Klage anstellen aus ungerechten Sachen. – Übereinstimmend: 62. Een quaat verdrag Niet volstaan mag. Einen schändlichen Vertrag muss man nicht erfüllen. – Ebenso: 63. Geen quaê gwoont Een saak verschoont. 64. Een Rechter niet behoort Verwysen onverhoort. Ein Richter darf nicht unverhört (jemanden verurteilen oder) die Klage abweisen. In zahlreichen Sprachen anerkanntes prozessuales Grundrecht aller rechtsstaat­ lichen Verfahrensordnungen: Wacke, Art. Audiatur et altera pars, HRG 2.  Aufl. 2.  Lief. (2005) 327 ff.

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Andreas Wacke 65. Niemand mag sig Rechter maken in syn eigen doen en saken.

Niemand darf sich zum Richter machen in seinen eigenen Taten und Sachen. Nemo iudex in sua (propria) causa: Liebs Nr. N  56. Schmidt-Wiegand s. v. Klage S. 205. 66. Een oordeel boven het gebied Gevelt, en gelt voor Recht niet. Ein über das Gebiet (den Streitgegenstand?, den Gerichtssprengel?) hinausgehendes Urteil gefällt und gilt nicht als Recht. 67. Een gedwongen eed, is God leed. Ein erzwungener Eid ist Gott leid. Gezwungener Eid soll nicht binden: Foth S. 59, 65 (bezüglich des römischen Rechts bedenklich). 68. Dat men niet bewysen kan, Daar mag men wel swygen van. Was man nicht beweisen kann, davon möge man eher schweigen. Unbeweisbare Behauptungen sind so wenig relevant wie gar nicht aufgestellte. Sie gelten als nicht vorgebracht. Betrifft bes. aus der Luft gegriffene, ins Blaue hinein aufgestellte Behauptungen. 69. In twyfelachtigheyt volgt men waarschynlyckheyt. In der Zweifelhaftigkeit folgt man der Wahrscheinlichkeit (Anscheinsbeweis). 70. In keur en twyfelheyt Het lot het verschil scheyt. Beim Wählen und bei Zweifeln gibt das Los den Ausschlag. „Das Los stillt den Hader“: Wander III s. v. Los Nr. 2; A.  Erler, Art. Los, HRG III (1978) Sp.  41 ff.; §§  659 Abs.  2, 752 je a. E. BGB mit §  2042 Abs.  2 BGB. 71. Een Rechter kan in geene dingen Parthien tot verdrag bedwingen. Ein Richter kann den Parteien keinen Vergleichsabschluss aufdrängen (etwa durch Drohung). Er muss entscheiden. Eine ewige Wahrheit – trotz der zumal heute für wichtig erklärten Mediation. Vgl. aber A.  Wacke, „Besser ein magerer Vergleich als ein fetter Prozeß“. Anwaltsblatt 1991, 601–606 (mit zahlreichen ähnlichen Sentenzen).



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7. Strafrecht 72. Sonder aanklag Men nymand veroordelen mag. Ohne Anklage darf man niemanden verurteilen. Vgl. Nr. 60, 64. 73. Al wie misdoet, Ook zelver boet. Missetaten muss ein jeder persönlich büßen. Keiner darf straffrei ausgehen. 74. Onwetentheyt Maakt schuldigheyt. Unwissenheit schafft Schuldhaftigkeit (Verschulden). Mit Unkenntnis kann man sich nicht herausreden. Erkundungspflicht: nach Gesetzen und faktisch nach unerlaubtem Tun eines Untergebenen (Konnivenz). Ausnahmen galten für Unmündige, Bauern (s. u. Fn.  29), Frauen, Soldaten: Foth S. 66 ff. Siehe auch sogleich Nr. 75. 75. Onschuldig is alsulck een man, Die ’t weet, doch niet beletten kan. Unschuldig ist ein solcher Mann, der davon weiß, es aber nicht verhindern kann. Eine Frage der Zumutbarkeit. 76. Als d’aanklager niet bewyst, Men den gedaachten vrywyst. Wenn der Ankläger nicht beweist, wird der Vorgeladene freigesprochen. In dubio pro reo. Vgl. Nr. 68. 77. Die vlieden onverwacht Die blyft van schuld verdacht. Wer grundlos flieht, der bleibt der Schuld verdächtig. Flüchtig Mann – schuldig Mann: Schmidt-Wiegand s. v. fliehen S. 104 f. Homme de fuit – homme culpable. Fatetur facinus, qui judicium fugit: Liebs Nr. F  18. Eine rechtsstaatliche Justiz vorausgesetzt. Die Schuldvermutung ist unbegründet, wenn jemand aus Furcht vor einem Terrorurteil aus einem totalitären Staat flieht.

8. Rechtsphilosophische Maximen 78. Daar ’t Recht te gronde gaat ontstaat alle onraat. Wenn das Recht zugrunde geht, entsteht lauter Unrat. 79. Het Ryk, daar geen recht word gedaan, Sal van ’t een Volck op ’t ander gaan.

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Andreas Wacke 80. In de Rechtveerdigheyt de bron der deugden leyt.

In der Rechtschaffenheit (oder in der Gerechtigkeit) liegt der Brunnen der Tugend. Ähnlich: 81. Rechtvaardigheyt Elck ’t syn toeleyt. 82. De Rechten en de Wetten ’t Geweld, onrecht, beletten. Die Rechte und die Gesetze verhindern Gewalt und Unrecht. 83. In ’t allerhoogste recht Dikmaals het grootste onrecht legt. Im allerhöchsten Recht liegt oft das größte Unrecht. Allzuviel Recht ist Unrecht. Aus dem antiken Sprichwort Summum ius, summa iniuria übersetzt: Foth S. 173 f.; Liebs Nr. S  79.

III. Zum Abschluss eine antike Bauernregel (ein vulgo dictum) Abschließend in seiner Einleitung weist Van Hasselt S. 17 darauf hin, dass sich Sprüche rechtlichen Inhalts auch in der Bibel fänden;20 zweitens begründeten insbesondere zuweilen schon die antiken römischen Juristen ihr Votum mit Hilfe eines volkstümlichen Sprichworts. Van Hasselt erwähnt den Schlusssatz des folgenden Prokulus-Zitats. Mit der Exegese dieser Stelle will darum auch ich meinen Beitrag beenden. Ihr atypischer Wortgebrauch gestaltet eine wörtliche Übersetzung schwierig. Vorschlagen möchte ich eine sinngerechte Übertragung: D.  32,79,1 (Celsus libro nono digestorum): His verbis: ‚quae ibi mobilia mea erunt, do lego‘ nummos ibi repositos, ut mutui darentur, non esse legatos Proculus ait: at eos quos praesidii causa repositos habet, ut quidam bellis civilibus factitassent, eos legato contineri. et audisse se rusticos senes ita dicentes pecuniam sine peculio fragilem esse; peculium appellantes, quod praesidii causa seponeretur. Von diesen Worten: „Was sich dort an beweglichen Sachen von mir befinden wird, gebe und vermache ich“, werden, wie Prokulus sagt, nicht die dort zu dem Zweck verwahrten Gelder umfasst, dass sie zu Darlehen ausgegeben werden sollen. Jene Gelder jedoch, die er zur Sicherheit aufbewahrt, wie es Einige während der Bürgerkriege zu tun pflegten, sind im Vermächtnis enthalten. Und er (Prokulus) habe alte Bauern sagen hören, Geld ohne gesonderte Aufbewahrung sei vergänglich: ‚Sondergut‘ (peculium) nannten sie nämlich, was man als Schutzvorkehrung zur Seite legt. 20  Vgl. allg. Heinz Schäfer, Biblische Redensarten und Sprichwörter; ders., Biblischer Zitatenschatz (beide Stuttgart 1984 / 2004).



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Entschieden werden zwei einander entgegengesetzte Fälle; der erste betrifft einen Bankier, der zweite spielt in bäuerlichen Kreisen. Ihre gemeinsame Grundaussage ist, dass für Gegenstand und Umfang eines Sach- oder Geldvermächtnisses nicht der zufällige Todeszeitpunkt entscheidend sein darf, zu dem sie sich körperlich an der im Testament bezeichneten Stelle befinden.21 Ausschlaggebend ist vielmehr ihre vom Testator auf Dauer beabsichtigte Zweckbestimmung.22 Darum sind nach Satz  1 von Darlehensschuldnern eingenommene (zurückgezahlte) Gelder nicht vermacht, wenn sie der Testator wieder ausleihen wollte; sie gehören zum Geschäftsvermögen des Bankiers und werden seinen Darlehensforderungen (also unkörperlichen Sachen) gleichgestellt. Vermacht ist nach Satz  2 jedoch die auf die hohe Kante gelegte „eiserne Ration“, welche zur Überbrückung von Notfällen und Krisenzeiten auf längere Zeit angespart wurde. Zur veranschaulichenden Bekräftigung für den zweiten Satz zitierte Prokulus das Sprichwort aus bäuerlichen Kreisen Pecunia sine peculio fragilis est. ‚Peculium‘ nannten die ergrauten Landwirte (in atypischem Sprachgebrauch) nämlich, quod praesidii causa seponeretur, also das vorsorglich zum Überleben in Hungersnöten Bestimmte, und als solches vom regelmäßigen Haushaltsgeld abgezweigte, getrennt Angesparte. Zugrunde liegt das Motto: „Spare in der Zeit, so hast du in der Not“. Vorsorgliches Ansparen genügt aber noch nicht: Die Rücklage muss als eiserne Reserve durch Trennung vom gewöhnlichen Münzvorrat gekennzeichnet sein, welcher zur Bestreitung der laufenden Haushaltskosten vorgesehen ist. Die Gelder müssen also in einem besonderen Behältnis aufbewahrt werden (in einer Schatulle oder separaten arca), am besten versiegelt. Um diesen Notvorrat anzugreifen, bedarf es dann eines speziellen Entschlusses (des Hausherrn oder beider Eheleute), der zum Ausdruck bringt, dass die Not so weit fortgeschritten ist, dass sie den Anbruch erforderlich macht. Ohne räum­ liche Trennung kann man das Haushaltsgeld nämlich auch in guten Zeiten restlos bis zum Bodensatz ausgeben. Ohne peculium ist also auf pecunia „kein Verlaß“.23 21  ‚ibi‘ heißt es in der Quelle. Der genaue Ort ergab sich aus dem hier weggelassenen Zusammenhang der Vermächtnisanordnung, etwa im Landhaus oder eher in den Geschäftsräumen, vielleicht in einem bestimmten Behältnis. 22  Das Element der dauernden Zweckbestimmung kommt als Auslegungskrite­ rium in mehreren Quellen zum Ausdruck, etwa auch in Afrikan D. 32,64; siehe H. J. Wieling, Testamentsauslegung im römischen Recht (München 1972) 31 („Man will ausschließen, daß Zufälligkeiten den Inhalt des Legats beeinflussen“); zur Stelle S. 77 f., 128; A. Wacke, Pecunia in arca, OIR 8 (Trnava 2003) 71, 93 ff. 23  So Th. Mayer-Maly, Rusticitas, in: Studi C. Sanfilippo I (Milano 1982) 307, 335. Fragilis heißt hier mithin „brüchig“, vergänglich, leicht hinfällig, eine unsichere Sache.

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Peculium kann nach dieser Stelle folglich (im untechnischen Sinne) auch ein Sondergut sein, das sich in der faktischen Verfügungsgewalt des Hausherrn selbst befindet.24 Das in Tuberos Definition des Sonderguts herausgestellte Charakteristikum der Trennung vom gewöhnlichen häuslichen Wirtschaftsgeld (quod servus domini permissu separatum a rationibus dominicis habet: ebenfalls Celsus, bei Ulpian D.  15,1,5,4) begegnet aber auch hier.25 Der Umfang dieses „Sondervermögens in eigener Hand“ richtet sich nach der Bestimmung (destinatio) der Eheleute oder jedenfalls des Hausherrn und Testators. Im Schrifttum wird dieses praesidii causa Zurückgelegte oft verniedlichend als ‚Notgeld‘ oder ‚Spargroschen‘ bezeichnet.26 Es muss sich aber um eine Geldmenge handeln, mit der man eine gewisse Hunger- und Krisenzeit überstehen kann, welche also etwa dem Betrage zur Deckung eines Mundvorrats (penus: D.  33,9) entspricht. Dies war jedenfalls weitaus mehr als nur „ein Äpfelchen gegen den Durst“, wie man völlig untertreibend auf Niederländisch sagt.27 Der Schlusssatz beweist, dass der berühmte Proculus, der Gründer und Vorsteher der Rechtsschule, die seinen Namen trägt, doch den persönlichen Kontakt zu bäuerlichen Schichten nicht verloren hatte und sein Gutachten zuweilen auf eine bäuerliche Lebensweisheit stützte.28 Rusticitas als Eigen24  Ausnahmsweise kann vom Testator mit ‚peculium‘ nach D.  36,1,17pr. sogar das ganze (kleine) eigene Vermögen gemeint sein, so wie manch einer in devoter Bescheidenheit sich selbst als „meine Wenigkeit“ bezeichnet. Im technischen Sinne kann freilich ein Hausvater ein peculium ebensowenig haben wie ein Hauskind oder Sklave ein patrimonium: D.50,16,182. 25  Ähnlich wurde das von der Mitgift getrennte Eigengut der Ehefrau (von den Galliern?) nach D.  23,3,9,3 ebenfalls (untechnisch) ‚peculium‘ genannt. 26  Etwa in der niederländischen Übersetzung von Spruit (Zutphen 1997): … „dat geld zonder een spaarpotje kwetsbaar was“; ‚spaarpotje‘ noemden zij dan, wat als voorzorgsmaatregel opzij werd gelegd: „Sparbüchse nannten sie, was als Vorsorgemaßregel beiseite gelegt wird.“ Im Italienischen wird peculio noch heute so verstanden. In der spanischen Übersetzung von A. d’Ors kommt die Trennung vom übrigen Vermögen deutlicher zum Ausdruck: entendiendo por ‚peculio‘ lo que se apartaba por precaución. (apartar = trennen, vgl. ‚apartamento‘). In der in Vorbereitung befindlichen deutschen Digestenübersetzung (hrsgg. von R. Knütel et alii) wird das praesidii causa Zurückgelegte mit „persönlicher Reserve“ wiedergegeben. „Persönlich“ findet im lateinischen Original aber keine Entsprechung. Des Testators persönlicher Bedarf ist mit seinem Tode entfallen. Bei der Auslegung des Vermächtnisses ist jedoch zu berücksichtigen, dass er seinen mitzuversorgenden Angehörigen ihren Notbedarf nicht entziehen wollte. 27  „appeltje voor de dorst“: so J. J. Brinkhof, Een studie over het peculium in het klassieke Romeinse recht (Proefschrift Nijmegen, Meppel 1978) 82. Die Wendung entspricht der deutschen „sich einen Notgroschen zulegen“. Die Haltbarkeit eines Apfels ist jedoch zeitlich begrenzt. Eine „eiserne Ration“ ist von längerer Dauer. 28  C. Krampe ließ in seiner Dissertation über Proculi epistulae (Karlsruhe 1970) bei der Textwiedergabe S. 95 den Schlusssatz fort. Auf dieses „zweite Bein der Be-



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schaft ist den römischen Rechtsquellen zufolge oft ein Grund, um Nachsicht zu üben,29 weil Landleute zumal unter den beschwerlichen antiken Verkehrsverbindungen nicht so leicht Rechtsrat einholen konnten.30 Als Gegenstück gibt es aber auch eine gewisse Bauernschläue. Unsere von den Sammlungen lateinischer Sentenzen vernachlässigte31 Parömie Pecunia sine peculio fragilis est ist keine typische (meist auf das Wetter bezügliche) Bauernregel,32 sondern eine besonders an schwäbische Parsimonie gemahnende33 allgemein menschliche Klugheitsregel. „Sprichwörter sind Schmetterlinge, einige werden gefangen, andere fliegen fort.“34 An Versuchen, ein Rechtsprinzip in einprägsame Worte zu fassen, hat es zumal in vorkodifikatorischen Zeiten viele gegeben. Eine Menge davon ist fortgeflogen. Einige ihrer Form nach weniger bekannte Exemplare haben wir eingefangen und hier vorgestellt. Dem Inhalt nach stießen wir (wie kaum anders zu erwarten) auf viele bekannte Regeln aus dem römischholländischen Recht.

gründung“ könnte in der Tat verzichtet werden. Konkrete Anschaulichkeit, von der die oft kargen römischen Rechtsquellen ohnehin viel ärmer sind als die deutschen, sollten wir aber nicht außer Acht lassen. Gegen die Verdächtigung des Schlusssatzes durch Beseler mit Recht beiläufig Krampe S. 20 f. 29  Die einschlägigen Fragmente interpretierte exzellent Mayer-Maly (wie Fn. 23). Auch nach deutschen Rechtsquellen galt die Regel: „Bauern brauchen ihr Recht nicht zu wissen“: Schmidt-Wiegand s. v. Bauer S. 43. Grundsätzlich war aber Rechtsunkenntnis schädlich, s. o. II Nr. 74. 30  Zur (nicht häufigen) iuris consulti copia nach D. 22,6,9,3 siehe A. Wacke, Von copia zur Kopie. Copiam habere und copiam sui facere in den Digesten, in: Rena van den Bergh (Editor), Ex iusta causa traditum. Essays in honour of Eric H. Pool. Editio specialis der Zeitschrift Fundamina (University of South Africa, 2005) 385– 403, 393 ff. 31  Mayer-Maly S. 335. 32  Reiche Beispiele und Literaturnachweise im aufschlussreichen Artikel ‚Bauernregeln‘ in der Brockhaus-Enzyklopädie III (21.  Aufl. Mannheim 2006) Sp.  378 ff. – Vgl. auch Brigitte Janz, „Dan nach Sprichwortten pflegen die Bauren gerne zu sprechen“: Überlegungen zur Rolle von Rechtssprichwörtern im spätmittelalterlichen Gerichtsverfahren, in: Proverbium 9 (1992) 81–105, weiterer Abhandlungen von Janz zitiert Liebs (Fn.  1) S. 15 Fn.  8. 33  Vgl. Florentinus D. 15,1,39: Peculium et ex eo constistit, quod parsimonia sua quis paravit  … Der Aspekt des Ersparten passt gut zum peculium an unserer Stelle. 34  In zahlreiche Sprachen übersetztes Motto der Internet-Zeitschrift DeProverbio. com. In deren Vol.  2 Nr. 2 werden auf S. 4 Fn.  15 a. E. unter vielen Angaben von älteren Rechtssprichwörter-Sammlungen die von Matthaeus und van Hasselt zitiert.

Zur naturgegebenen Gemeinschaft unter den Völkern in Liv. 5, 27, 6 Von Wolfgang Waldstein Livius berichtet im Zusammenhang mit der Belagerung von Falerii für das Jahr 394 v. Chr. in 5, 27, 1–15 über ein bemerkenswertes Ereignis, bei dem in 5, 27, 6 auf eine societas … quam ingeneravit natura Bezug genommen wird. Diese relativ frühe Bezugnahme auf ein dem Menschen vorgegebenes Recht erfolgt in einer Weise, die dieses Recht als ganz selbstverständlich dem Menschen bekannt erscheinen lässt. Die Unkenntnis oder Missachtung dieses Rechts kann, wie der Text bei Livius zeigt, zu Schändlichkeiten und Verbrechen führen. Um den Text in seiner Bedeutung würdigen zu können, muss zunächst 1. der Kontext etwas ausführlicher vorgeführt werden, in dem die societas … quam ingeneravit natura steht. Hierauf möchte ich 2. auf einige Texte bei Cicero eingehen, in denen ebenfalls auf diese societas Bezug genommen wird. Cicero behandelt jedoch darüber hinaus die naturgegebene Rechtsgrundlage dieser societas, nämlich das Naturrecht, sehr ausführlich. Schließlich möchte ich 3. kurz aufzeigen, welche Rolle dieses Recht, das als allgemein bekannt angesehen wurde, für die Entwicklung der römischen Rechtswissenschaft seit dem zweiten Jahrhundert v. Chr. gespielt hat. I. Die Belagerung von Falerii und die societas natura Im Jahre 395 v. Chr. wurde der Krieg Roms gegen Falerii dem Militärtribunen M. Furius Camillus übertragen. Unter seinem Kommando erfolgte „die Einschließung der Stadt und die Befestigung der Stellungen“1. Zunächst schildert Livius die Schwierigkeit der Belagerung, die wenig Hoffnung auf eine rasche Lösung gab2. Er sagt sogar: „Und es schien, als würde die Mühe ebensolange dauern wie bei Veji“. Wie Livius berichtet, wurde Veii „zehn Sommer und Winter ununterbrochen belagert“3. Man kann sich daher vorstellen, was für Camillus die Befürchtung bedeuten musste, dass es bei 1  Liv.

5, 26, 9. 5, 26, 3–10. 3  Liv. 5, 22, 8. 2  Liv.

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Falerii ähnlich lang werden könnte. Nun berichtet Livius weiter, dass diese Befürchtung begründet war, „hätte nicht das Schicksal dem römischen Feldherrn Gelegenheit gegeben, seine Vorzüge auf militärischem Gebiet, die man schon kannte, unter Beweis zu stellen, und ihm zugleich einen raschen Sieg beschert“4. Das Ereignis, das zum raschen Sieg führte, hängt mit einer Gewohnheit der Falisker zusammen, „ein und denselben Mann als Lehrer und Begleiter zu verwenden, und mehrere Jungen wurden gleichzeitig, …, der Obhut eines einzigen anvertraut. Die Kinder der angesehensten Familien unterrichtete, …, ein Mann, der sich durch sein Wissen auszuzeichnen schien. Er hatte im Frieden damit begonnen, die Jungen zum Spielen und Trainieren vor die Stadt zu führen, hatte diese Gewohnheit auch während der Kriegszeit nicht unterbrochen und führte die Jungen dabei bald kürzere, bald weitere Strecken vom Stadttor weg. Als sich die Gelegenheit ergab, ging er unter mancherlei Spielen und Gesprächen weiter fort als gewöhnlich und brachte die Kinder zwischen die Posten der Feinde und dann in das römische Lager ins Feldherrnzelt zu Camillus.“ Es ist bemerkenswert, dass Livius schon diese Tat für sich als schändlich bezeichnet. Und er sagt weiter: „Dort (vor Camillus) fügte er seiner schändlichen Tat noch schändlichere Worte hinzu: Er habe Falerii den Römern in die Hände gespielt, da er diese Jungen, deren Väter dort die wichtigsten Leute im Staat seien, in ihre Gewalt gegeben habe“. Er erwartete sich offenbar reiche Belohnung von den Römern dafür, dass er ihnen die Möglichkeit gab, die Übergabe der Stadt durch diese Geiseln zu erpressen. Die Reaktion des Camillus war jedoch eine andere. Er antwortete: „Du bist nicht zu einem dir ähnlichen Volk und Feldherrn gekommen, du Schurke mit deinem schändlichen Geschenk. Wir haben mit den Faliskern keine Gemeinschaft, wie sie aus Abkommen zwischen Menschen zustande kommt; aber die Gemeinschaft, die die Natur beiden Völkern mitgegeben hat, besteht und wird bestehen“ (Nobis cum Faliscis, quae pacto fit humano, societas non est: quam ingeneravit natura utrisque, est eritque. Sunt et belli sicut pacis iura, iusteque ea non minus quam fortiter didicimus ger5ere6). Camillus hat diesem „schändlichen Geschenk“ dann die gebührende Antwort erteilt. „Völlig entblößt, die Hände auf den Rücken gebunden, übergab er ihn … den Jungen, damit sie ihn nach Falerii zurückführten, und gab ihnen Ruten, mit denen sie den Verräter unter Hieben in die Stadt treiben sollten“7. 4  Liv.

5, 26, 10. Text der zweisprachigen Ausgabe der Sammlung Tusculum irrtümlich genere. 6  Liv. 5, 27, 6. 7  Liv. 5, 27, 9 in der Übersetzung von Hillen, H. J., Sammlung Tusculum 1991. 5  Im



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Livius berichtet dann, welche Wirkung dieses Vorgehen des Camillus bei den Faliskern ausgelöst hatte: „Bei diesem Schauspiel kam es zunächst zu einem Volksauflauf, dann wurde von den Beamten wegen des ungewöhnlichen Vorfalls der Senat einberufen, und es trat ein solcher Umschwung der Stimmung ein, dass bei ihnen, die eben noch, von Haß und Zorn wie von Sinnen, fast lieber wie Veii untergehen als wie Capena Frieden schließen zu wollen, die ganze Bürgerschaft Frieden forderte. Die Redlichkeit der Römer, die Gerechtigkeit des Feldherrn wurde auf dem Forum und im Senatsgebäude gepriesen, und mit Zustimmung aller brachen Gesandte, die Falerii übergeben sollten, zu Camillus ins Lager auf und von dort mit Erlaubnis des Camillus zum Senat nach Rom. Sie wurden in den Senat geführt und sagten dort, wie es heißt, folgendes: ‚Senatoren, von euch und eurem Feldherrn durch einen Sieg bezwungen, den weder ein Gott noch ein Mensch euch neiden möge, ergeben wir uns euch, weil wir glauben, – das Schönste, was es für einen Sieger gibt – daß wir unter eurer Herrschaft besser leben werden als nach unseren Gesetzen. Der Ausgang dieses Krieges liefert dem Menschengeschlecht zwei heilsame Beispiele: Ihr habt Redlichkeit im Kriege einem sofortigen Sieg vorgezogen; wir, durch eure Redlichkeit herausgefordert, haben euch den Sieg freiwillig zuerkannt‘ “8. Wie weit diese Schilderung historischen Tatsachen entspricht, braucht hier nicht erörtert zu werden. Das Wichtige, das dieser Text bezeugt, ist jedenfalls die Überzeugung, dass ein Handeln, das dem von Natur gegebenen Recht widerspricht und damit unredlich und schändlich ist, auf keinen Fall in Frage kommt, auch wenn es noch so nützlich wäre. Vielmehr kann auch in schwierigsten Situationen ein redliches Verhalten sogar dadurch, dass der Gegner durch die Redlichkeit herausgefordert ist, zu einem weit besseren Ergebnis führen als der Einsatz schändlicher Mittel durch die mögliche Erpressung. Für Camillus wäre es in der schwierigen, Zeit und Opfer fordernden Belagerung überaus nützlich gewesen, die Übergabe der Stadt mit Hilfe der Geiseln zu erpressen. Der fundamentale Widerspruch mit der natürlichen Ordnung, die alle Völker verbindet, hatte jedoch damals die Kraft, eine Verletzung dieser Ordnung als schändlich erkennen zu lassen, was eine Handlung gegen diese Ordnung für Camillus ausschloss. Die Bedeutung dieses Verhaltens des Camillus würdigen die Falisker daher durchaus richtig, wenn sie sagen: „Der Ausgang dieses Krieges liefert dem Menschengeschlecht zwei heilsame Beispiele: Ihr habt Redlichkeit im Kriege einem sofortigen Sieg vorgezogen; wir, durch eure Redlichkeit herausgefordert, haben euch den Sieg freiwillig zuerkannt“. Wieviel menschliches Leid könnte der Menschheit erspart bleiben, wenn die für alle Zeiten dem ganzen „Menschengeschlecht“ gelieferten heilsamen 8  Liv.

5, 27, 13.

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Beispiele befolgt würden. Stattdessen gehören die schändlichen und verbrecherischen Taten der Entführung und Erpressung zum Zwecke der eigenen Bereicherung oder aus politischen Gründen bis heute zum Alltag. Selbst die heute kodifizierten Menschenrechte haben nicht die Kraft, schändlichste Entführungen und Erpressungen zu verhindern. Daher ist auch wichtig, was Livius weiter berichtet: „Camillus erntete bei seiner Rückkehr in die Stadt, nachdem er die Feinde durch seine Gerechtigkeit und Redlichkeit bezwungen hatte, weit größeres Lob als damals, da ihn weiße Pferde im Triumphzug in die Stadt gezogen hatten“9. Aber gleich die Fortsetzung des Berichts bringt ein Gegenbeispiel. Der Senat wollte (nach dem Krieg gegen Veii) unverzüglich das im Krieg gemachte Gelübde einlösen, wonach ein goldener „Krater als Weihegeschenk aus der Beute von Veii nach Delphi“ gebracht werden sollte10 „Die Gesandten L. Valerius, L. Sergius und A. Manlius, die den goldenen Mischkrug als Geschenk für Apollon nach Delphi bringen sollten, wurden auf einem Kriegsschiff ausgeschickt, aber nicht weit von der Meerenge von Sizilien von liparischen Seeräubern aufgebracht und nach Liparae verschleppt. Die Bürgerschaft hatte die Gewohnheit, Beute aufzuteilen, als sei sie auf einer Piratenfahrt im Dienst des Staates gewonnen worden.“ Aber dann geschieht etwas, das dem Vorbild des Camillus entspricht. Livius sagt weiter: „Doch zufällig hatte in diesem Jahr ein gewisser Timasitheos das höchste Amt inne, ein Mann, der den Römern ähnlicher war als seinen Landsleuten. Er hatte Achtung vor dem Gesandtentitel, dem Geschenk und dem Gott, dem es überbracht werden sollte, sowie vor dem Anlaß des Geschenks und erfüllte auch die Menge, die fast immer dem leitenden Mann ähnlich ist, mit der geziemenden Scheu, behandelte die Gesandten als Staatsgäste, geleitete sie unter dem Schutz seiner Schiffe nach Delphi und brachte sie wohlbehalten nach Rom zurück. Auf Senatsbeschluß wurde mit ihm Gastfreundschaft geschlossen, und er erhielt im Namen des Staates Geschenke“11. Hier hatte sogar eine ganze Bürgerschaft die Gewohnheit, Piratenfahrten als im Dienst des Staates durchzuführen und dann die „Beute aufzuteilen“. Ein Mann, der gegen diese Gewohnheit rechtlich dachte, vermochte jedoch, diese Mentalität der Seeräuberei zu durchbrechen und rechtmäßig zu handeln. Mentalitäten, die, wenn es dem eigenen vermeintlichen Nutzen dient, das Recht missachten, sind leider ständiger Bestandteil der Menschheitsgeschichte und auch heute nicht zu verhindern. Auch feierlich kodifizierte Menschenrechte vermögen daran nichts zu ändern. Vielmehr geht man sogar so weit, ein Menschenrecht auf Abtreibung 9  Liv.

5, 28, 1. Gundel, H. G., Der Kleine Pauly 5 (1975), Sp. 839. 11  Liv. 5, 28, 1–5. 10  Dazu



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zu postulieren, und das heißt auf Tötung ungeborener Kinder. Das Ausmaß der Folgen dieser Mentalität ist längst unvorstellbar. Auf diesem Hintergrund sind die ebenfalls in der ganzen Menschheitsgeschichte bezeugten Bemühungen, die Beachtung der dem Menschen vorgegebenen Rechte zu sichern, Zeugnisse wahrer Menschlichkeit. Unter diesen Zeugnissen ist zweifellos eines der bedeutsamsten das Ciceros. Bei aller „Vielschichtigkeit“, die man ihm nachsagen kann und auch nachgesagt hat, sind doch von ihm Werke erhalten, die auch für heute noch höchst aktuell sind. Daher möchte ich gerade im Zusammenhang mit der societas … quam ingeneravit natura einige Texte von Cicero in Erinnerung rufen, die auch für die Entwicklung der römischen Rechtswissenschaft bedeutsam sind. II. Bezugnahmen auf die humani generis societas bei Cicero Es kann hier natürlich nicht darum gehen, die Auffassungen Ciceros in dieser Frage auch nur annähernd mit einem Anspruch auf Vollständigkeit darzustellen. Nur an Hand einiger Texte soll gezeigt werden, wie selbstverständlich die Auffassung vom Bestehen einer von Natur begründeten humani generis societas angenommen wurde. Cicero bezeugt diese Ordnung der Natur, wenn er sagt: „Den Nächsten also um etwas zu kürzen und als Mensch durch des Mitmenschen Nachteil den eigenen Vorteil zu mehren, ist mehr gegen die Natur als der Tod, als die Armut, als der Schmerz, als das übrige, was dem Körper oder den äußeren Dingen zustoßen kann. Denn zum ersten hebt es die menschliche Lebensgemeinschaft und Gesellschaft auf. Wenn wir nämlich die Haltung einnehmen, daß ein jeder seines Vorteils wegen den anderen beraubt oder verletzt, muß mit Notwendigkeit die Gesellschaft des Menschengeschlechtes, die besonders der Natur gemäß ist, auseinandergerissen werden“ (Si enim sic erimus adfecti, ut propter suum quisque emolumentum spoliet aut violet alterum, disrumpi necesse est eam, quae maxime est secundum naturam, humani generis societatem.)12. Auf diese societas nimmt Cicero mehrfach Bezug. Im Zusammenhang mit üblichen Geschäftspraktiken sagt er etwa: „So sollst du ein Haus zum Verkauf ausschreiben, eine Tafel gleich einem Netz aufstellen, [sollst das Haus wegen seiner Fehler verkaufen] und einer soll arglos hineinlaufen? Obwohl dies, wie ich sehe, wegen der Entstellung der Gewohnheiten weder nach der Sitte für schimpflich gilt noch durch das Gesetz oder bürgerliche Recht verpönt ist, ist es doch durch das Gesetz der Natur verboten. Es besteht nämlich eine Gesellschaft – ich habe es schon oft gesagt, es muß aber doch 12  Cic. off. 3, 21. Zitierweise gemäß Thesaurus linguae Latinae, bei der die durchlaufende alte Kapitelzählung ausgelassen und nur der § zitiert wird.

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noch öfters gesagt werden –, die sich am weitesten erstreckt, aller untereinander, …“13. Das ganze 3. Buch von De officiis enthält eine Fülle überaus wichtiger Aussagen. In off. 3, 23 setzt Cicero das, was „von Natur“ ist, mit dem ius gentium gleich. Cicero sagt dort: Neque vero hoc solum natura, id est iure gentium, sed etiam legibus populorum … constitutum est. Karl Büchner übersetzt in der Ausgabe der Sammlung Tusculum ius gentium mit „Menschenrecht“. Was die Römer mit ius gentium bezeichnet haben, ist ein Recht, von dem sie annahmen, dass es bei allen Völkern in gleicher Weise im Gebrauch ist. Ulpian definiert es in D. 1, 1, 1, 4 folgendermaßen: Ius gentium est, quo gentes humanae utuntur. Das ist nicht „Menschenrecht“ im heutigen Sinne. Die neue Digestenübersetzung bezeichnet es als „Völkergemeinrecht“ und sagt, es „ist das Recht, das die menschlichen Völkerschaften befolgen“. Ulpian führt dann den Unterschied zum ius naturale darauf zurück, dass dieses für alle Lebewesen gilt, also auch für Tiere, während das ius gentium nur für Menschen gilt. Vielfach werden jedoch die Begriffe ius naturale und ius gentium bedeutungsgleich gebraucht. Eine auffallende Parallele zu dieser Aussage Ciceros ist ein Text von Paulus, der in D. 50, 17, 84, 1 sagt: Is natura debet, quem iure gentium dare oportet, cuius fidem secuti sumus14. Die Texte zeigen eine bemerkenswerte Kontinuität in der Auffassung von natura debere im Verhältnis zum ius gentium. Es hat sich gezeigt, dass nach dieser Aussage des Paulus praktisch alle Kontrakte des entwickelten Rechtes, die von Hermogenian D. 1, 1, 5 dem ius gentium zugeordnet werden, ein natura debere als Verpflichtungsgrund haben. Damit erweist sich das natura debere als der eigentliche Motor in der Entwicklung des Obligationenrechts. Der Text von off. 3, 23 – 24 verdient es, hier im Zusammenhang wiedergegeben zu werden. Cicero sagt dort gemäß der Übersetzung von Karl Büchner: „Aber nicht allein von Natur, das heißt durch Menschenrecht, sondern auch durch die Gesetze der Völker, die in einzelnen Staaten das Gemeinwesen ausmachen, ist es auf dieselbe Weise bestimmt, dass es nicht erlaubt sein soll, des eigenen Vorteils wegen dem anderen zu schaden. Darauf nämlich zielen die Gesetze, das wollen sie, daß die Verbindung der Bürger (civium coniunctionem) unversehrt sei. Die, welche sie trennen, halten sie durch Todesstrafe, Verbannung, Gefängnis, Buße in Schranken.  /  Und das bewirkt noch viel mehr die Vernunft der Natur 13  Cic. off. 3, 68 f. Zu den Problemen des ganzen Textes off. 3, 67–70 vgl. Waldstein, Wolfgang: Cicero, Servius und die „Neue Jurisprudenz“, IVRA 44 (1993 [Pubbl. 1996]), S. 128–139. 14  Dazu ausführlich Waldstein, Natura debere, ius gentium und natura aequum im klassischen römischen Recht, in: Annali del Seminario Giuridico della Università di Palermo 52 (2007–2008), S. 437 f. und 441 f.



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selber, die das göttliche und menschliche Gesetz ist. Wer ihr gehorchen will – alle aber werden ihr gehorchen, die gemäß der Natur leben wollen –, wird es nie dahin kommen lassen, daß er Fremdes begehrt, und das, worum er den anderen gekürzt hat, sich hinzunimmt. (24) Denn viel mehr ist der Natur gemäß Erhabenheit und Größe der Seele und ebenso Freundlichkeit, Gerechtigkeit, Großzügigkeit als Genuß, als Leben, als Reichtum. Dies geringzuschätzen und für nichts zu achten im Vergleich zum allgemeinen Nutzen (utilitate communi eigentlich dem Gemeinwohl), ist das Wesen einer großen und erhabenen Seele, den anderen aber zu verkürzen des eigenen Vorteils wegen, ist mehr gegen die Natur als Tod, als Schmerz, als das übrige derselben Art.“

Der Text ist von einer erschreckenden Aktualität. Gerade erlebt die Welt im Großformat die katastrophalen Folgen, die das rücksichts- und verantwortungslose Sehen auf den eigenen Nutzen für die ganze Menschheit mit sich gebracht hat. Dem hat die Welt die Wirtschaftskrise und dazu die Ölkatastrophe im Golf von Mexico zu verdanken. Das alles wird noch überboten durch die Unverschämtheit der verantwortlichen Manager, die sich aus den zur Rettung der Banken bereitgestellten Steuermitteln als Belohnung für das von ihnen herbeigeführte Desaster mit Millionenbeträgen bedienen. Und das wird als Erfüllung von Vertragspflichten anerkannt, obwohl diese Manager selbst die Erfüllung dieser Pflichten unmöglich gemacht hatten. Der Steuerzahler muss das nun bezahlen. Das lässt die Verträge der Manager als solche zu Lasten Dritter erscheinen, die rechtlich nichtig sind. Aber das fällt offenbar den Verantwortlichen nicht einmal auf. So weit ist man heute von dem entfernt, was „der Natur gemäß“ ist. Das Gemeinwohl kann jedoch nur auf der Grundlage des von Natur Gerechten verwirklicht werden. Dazu sagt Cicero: communis utilitatis derelictio contra naturam est; est enim iniusta (das Aufgeben des Gemeinwohls ist gegen die Natur, denn es ist ungerecht)15. Anschließend sagt Cicero, es ist die lex ipsa naturae, quae utilitatem hominum conservat et continet (Es ist „das Gesetz der Natur selber, das den Nutzen des Menschen bewahrt und umfaßt“)16. Die Selbstverständlichkeit, in der Camillus von jenen iura gesprochen hat, die auch die societas … quam ingeneravit natura einschließen, wird durch Cicero vielfältig bestätigt. Ich kann hier nur einen Text herausgreifen, der besonders konzis ist und alles sagt. Das ist ein Text aus seinem Werke über die Gesetze (De legibus). Wegen der Schwierigkeit der deutschen Übersetzung muss ich zunächst den lateinischen Originaltext wiedergeben. In leg. 1, 42 sagt Cicero: est enim unum ius, quo devincta est hominum societas, et quod lex constituit una; quae lex est recta ratio imperandi atque off. 3, 30. Hier folge ich nicht der Übersetzung von Büchner. off. 3, 31; Übersetzung von Büchner, wobei „Nutzen“ im weiteren Sinne als das „Wohl“ zu verstehen ist. 15  Cic. 16  Cic.

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prohibendi; quam qui ignorat, is est iniustus, sive est illa scripta uspiam sive nusquam. Das Hauptproblem in diesem Text wie in vielen anderen ist die Übersetzung von ratio. Es ließe sich durch zahlreiche Texte zeigen, dass ratio im Zusammenhang des Textes nicht einfach mit „Vernunft“ übersetzt werden darf. Man braucht nur das Stichwort ratio in einem Lexikon aufzuschlagen, um zu sehen, wie viele Bedeutungen ratio haben kann. Bei Heumann / Seckel17 kommt die Bedeutung „Vernunft“ erst als letzte unter 7). Ich meine, dass in leg. 1, 42 wie in vielen anderen ratio mit „Ordnung“ zu übersetzen ist. So würde also der zitierte Text lauten: „Es gibt nämlich ein einziges Recht, durch das die Gemeinschaft der Menschen gebunden ist und das ein einziges Gesetz begründet, ein Gesetz, welches die richtige Ordnung im Befehlen und Verbieten ist. Wer dieses nicht kennt, der ist ungerecht, ob es irgendwo geschrieben ist oder nirgendwo.“ Cicero bestätigt hier, dass der Mensch nicht nur fähig ist, dieses Gesetz unabhängig davon, ob es irgendwo geschrieben ist, zu erkennen, sondern dass er auch schon dadurch ungerecht ist, dass er es nicht kennt. In rep. 5, 3–5 sagt Cicero, dass die „lange Friedenszeit des Numa … für diese Stadt (scil. Rom) die Mutter des Rechts und der Gottesfurcht“ war. „Er war auch Gesetzgeber  …“. Nachdem er schildert, was der Staatsmann wie ein „Verwalter“ wissen muss, sagt Cicero: „so soll dieser unser Lenker sich freilich bemühen, das Recht und die Gesetze kennenzulernen, ihre Quellen soll er auf jeden Fall erkennen, … damit er gleichsam das Gemeinwesen und in ihm auf gewisse Weise Verwalter sein kann“. Dann folgt eine Aussage, deren deutsche Übersetzung von Büchner meines Erachtens nicht zutreffend ist. Daher will ich zunächst den lateinischen Text wiedergeben, der lautet: summi iuris peritissimus, sine quo iustus esse nemo potest, … Büchner übersetzt summi iuris mit „Prinzipien des Rechts“. Für mich besteht kein Zweifel daran, was Cicero hier mit summum ius meint. Es ist das, wovon er in leg. 1, 19 sagt: „Den Anfang aber der Begründung des Rechts wollen wir von jenem höchsten Gesetz (ab illa summa lege) nehmen, das allezeit vorher entstanden ist, ehe irgendein Gesetz geschrieben oder überhaupt ein Staat gegründet worden ist.“ Auch diesen Text hat Büchner übersetzt, und zwar nach meiner Überzeugung richtig. Und, wie schon bemerkt, sagt Cicero in leg. 1, 42: „Wer dieses (Gesetz) nicht kennt, der ist ungerecht, ob es irgendwo geschrieben ist oder nirgendwo.“ In leg. 2, 11 nennt er dieses Gesetz auch ausdrücklich summa lex. Bei der Übersetzung von summi iuris in rep. 5, 5 mit „Prinzipien des Rechts“ ließ sich Büchner wohl mehr durch die vorherrschende Meinung als durch die Auffassung Ciceros leiten. Dass der Mensch fähig ist, dieses Gesetz zu erkennen, wird auch durch die Geschichte der Menschheit selbst 17  Handlexikon

zu den Quellen des römischen Rechts

111971.



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bestätigt. Ein besonders prominentes Beispiel für das Erkennen dieses Gesetzes ist die Antigone des Sophokles18. Aber selbst das moderne österreichische Strafgesetzbuch von 1974 bestimmt im § 9 Abs. 2: „Der Rechtsirrtum ist dann vorzuwerfen, wenn das Unrecht für den Täter wie für jedermann leicht erkennbar war.“ Es wird also sogar von einer an sich von ­positivistischen Prämissen beherrschten Rechtsordnung anerkannt, dass der Mensch grundsätzlich fähig ist, Unrecht von Recht zu unterscheiden, auch wenn er die geschriebenen Gesetze nicht kennt. Eine besonders bemerkenswerte Aussage zum Naturrecht findet sich in Ciceros Werk über den Staat, De republica 3, 33: „Das wahre Gesetz ist gewiß die richtige, mit der Natur im Einklang stehende Ordnung, die über alle ausgebreitet, unwandelbar und ewig ist“19. „Diesem Gesetz etwas von seiner Gültigkeit zu nehmen, ist Frevel, ihm irgendetwas abzudingen, unmöglich, und es kann ebensowenig als Ganzes außer Kraft gesetzt werden. Wir können aber auch nicht durch den Senat oder das Volk von diesem Gesetz gelöst werden, … noch wird in Rom ein anderes Gesetz sein, ein anderes in Athen, ein anderes jetzt, ein anderes später, sondern alle Völker“20 wird zu allen Zeiten ein einziges, ewiges und unveränderliches Gesetz umschließen (continebit) „und einer wird der gemeinsame Meister gleichsam und Herrscher aller sein: Gott! Er ist der Erfinder dieses Gesetzes, sein Schiedsrichter, sein … ‹Gesetzgeber›21, wer ihm nicht gehorcht, wird sich selber fliehen und das Wesen des Menschen verleugnend wird er gerade dadurch die schwersten Strafen büßen, auch wenn er den übrigen Strafen, die man dafür hält, entgeht“22. Es ist erstaunlich, wie klar Cicero hier sieht, was folgt, wenn man Gott „nicht gehorcht“. Besonders bemerkenswert ist auch, dass Cicero in diesem Text in einer polytheistischen Umgebung von Gott, deus, im Singular spricht. So auch in leg. 2, 8, wo Cicero den Marcus sagen lässt: „Dies also ist, wie ich sehe, die Meinung der weisesten Männer gewesen, daß das Gesetz weder im Geiste der Menschen ausgedacht wurde noch irgendein Beschluß von Völkern ist, sondern etwas Ewiges, das die gesamte Welt 18  Dazu Waldstein, Ins Herz geschrieben. Das Naturrecht als Fundament einer menschlichen Gesellschaft, 2010, S. 32 f. 19  Für diesen Teil konnte ich keiner der verschiedenen Übersetzungen folgen. In diesem Zusammenhang bedeutet ratio zweifellos Ordnung. 20  Bis hierher die Übersetzung von Büchner, weiter kann ich ihr nicht folgen. 21  Büchner übersetzt das Wort lator bei Cicero mit „Antragsteller“. Prinzipiell kann das Wort dies bedeuten. Es bedeutet aber auch Gesetzgeber. Im Kontext kann es nur das bedeuten, denn Gott kann nicht als „Antragsteller“ eines Gesetzes auftreten. Bei wem sollte er das „beantragen“? 22  Übersetzung des ersten Satzes von mir, der Fortsetzung von Büchner, Sammlung Tusculum 1987.

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regiere in der Weisheit des Befehlens und Verhinderns. So sagten sie, daß jenes Gesetz als Anfang und Ende der Geist Gottes sei, der alles mit Vernunft erzwingt oder verbietet“23. Zusammenfassend kann man sagen, dass die von Camillus geäußerte Überzeugung vom Bestehen einer societas … quam ingeneravit natura bei Cicero eine breite Ausfaltung findet. Dabei wird in leg. 1, 19 die summa lex als jenes Recht erkannt und dargestellt, „das allezeit vorher entstanden ist, ehe irgendein Gesetz geschrieben oder überhaupt ein Staat gegründet worden ist“. Ciceros Aussagen zum Naturrecht stehen im Zusammenhang mit der seit dem zweiten Jahrhundert v. Chr. von der römischen Rechtswissenschaft aus der griechischen Philosophie rezipierten Auffassung vom Naturrecht. Bei der im nächsten Abschnitt folgenden Darstellung der natura als Grundlage der vertraglichen Verpflichtung im römischen Recht wird es zum besseren Verständnis notwendig sein, zunächst einen Blick auf die Rezeption des Naturrechts durch die römische Rechtswissenschaft zu werfen. Dabei kann es sich nur um einen kursorischen Blick handeln. III. Die natura als Grundlage der vertraglichen Verpflichtung im römischen Recht Okko Behrends hat das große Verdienst, den Einfluss des „sozialen Naturrechts“ des Stoikers Antipater von Tarsos auf die Juristen des zweiten Jahrhunderts vor Christus aufgezeigt zu haben. Er sagt wörtlich: „Die Tragweite der Wendung des Antipater von Tarsos zu einem sozialen Naturrecht liegt nun darin, daß sie kein auf Athen beschränktes, philosophie-geschichtliches Ereignis blieb, sondern alsbald nach Rom drang und dort, wie im Folgenden zu zeigen, vor allem auf die Jurisprudenz wirkte. Über diesen Weg hat die Lehre des Antipater eine außerordentliche Folgewirkung gehabt, die in Teilbereichen bis auf den heutigen Tag anhält“24. Man wird diesen Prozess der Rezeption der Naturrechtslehre freilich nicht auf Antipater allein zurückführen können, aber Behrends hat zweifellos seine wichtige Rolle in diesem Prozess mit Recht hervorgehoben. Cicero hat im Jahre 44  v. Chr. seine Schrift über die Pflichten (De officiis) ein Jahr vor seiner Ermordung verfasst. Sie ist an seinen Sohn Marcus gerichtet, der damals in Athen bei Cratippus Philosophie studierte. In der Einleitung zu dieser Schrift sagt er zu seinem Sohn: „Wenn du aber unseres liest, das sich nicht von Büchner. Gracchus und die Juristen seiner Zeit – die römische Jurisprudenz ­gegenüber der Staatskrise des Jahres 133 v. Chr., in: Das Profil des Juristen in der europäischen Tradition, Symp. Wieacker, Hrsg. von Luig, K. und Liebs, D. 1980, S. 53. 23  Übers.

24  Tiberius



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sehr von den Peripatetikern (der platonischen Akademie) abhebt, da wir ja beide Sokratiker und Platoniker sein wollen, so brauche über die Dinge selber dein eigenes Urteil – hindere ich dich doch da gar nicht“ (off. 1, 2). Hier macht Cicero klar, in welcher philosophischen Tradition er steht. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sind für die gesamte geistige Entwicklung in Europa maßgeblich geworden. Es werden auch römische Juristen des ausgehenden 2. und des beginnenden 1. Jhts. v. Chr., die auf dem Bildungsstand Ciceros standen, die Werke der großen Philosophen besonders durch die Übermittlung der Stoa mehr oder weniger gekannt haben. Daher kann vor allem auch die Naturrechtslehre des Aristoteles25 auf verschiedenen Wegen so wie Cicero auch die Juristen erreicht haben. Und Antipater selbst war, nach den spärlichen Resten zu urteilen, die von seinen Werken überliefert sind, zweifellos auch mit der älteren Philosophie ebenso wie mit der griechischen Literatur vertraut. Dies bezeugt Cicero etwa in div. 1, 39 in dem, was er über die Träume sagt: „Bei ihrer Behandlung verfuhr Chrysipp, indem er viele unbedeutende Belege sammelte, gleich wie Antipater“. Bei dem Beispiel geht es um „die Mutter des Dionysios, des Tyrannen von Syrakus“. Zahlreiche Hinweise auf Antipater enthält auch das Werk von Lothar Spahlinger26. Von dem Juristen P. Rutilius Rufus, der 118 v. Chr. Prätor war, bezeugt Cicero27, dass er ein doctus vir et Graecis litteris eruditus, Panaetii auditor und prope perfectus in Stoicis war. Sein Lehrer Panaitios von Rhodos war zwar auch Schüler des Antipater, hatte aber auch andere Lehrer. Rutilius hat auch als Prätor 118 v. Chr. als erster römischer Jurist ein einschneidendes Edikt gegen die Ausbeutung freigelassener Sklaven erlassen, das zweifellos von der Kenntnis des stoischen Naturrechts inspiriert war28. Insgesamt ist das Bild jedoch sehr fragmentarisch. Ich hatte selbst vor, eine genaue Untersuchung der Frage durchzuführen, was aus den Quellen über den verzweigten Weg des Einflusses der griechischen Philosophie auf die römische Rechtswissenschaft zu entnehmen ist. Die von der Akademie der Wissenschaften in Mainz mit Nachdruck erbetene Arbeit über die Operae libertorum einerseits und der nachfolgende Ruf an die Lateran Universität mit allen Begleiterscheinungen andererseits haben die Ausführung 25  Dazu Waldstein, Zur juristischen Relevanz der Gerechtigkeit bei Aristoteles, Cicero und Ulpian, in: Der Gerechtigkeitsanspruch des Rechts, Festschrift für Theo Mayer-Maly zum 65. Geburtstag (1996), S. 23–39. 26  Tulliana Simplicitas, Zu Form und Funktion des Zitats in den philosophischen Dialogen Ciceros, Göttingen 2005. 27  Cic. Brut. 114. 28  Zu dem Edikt ausführlich Waldstein, Operae libertorum, Untersuchungen zur Dienstpflicht freigelassener Sklaven (in: Forschungen zur antiken Sklaverei Bd. 19), Stuttgart 1986, S. 131–153.

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dieses Projektes schließlich unmöglich gemacht. So bin auch ich gezwungen, mich auf fragmentarische Kenntnisse zu stützen. Eine societas natura in dem Sinne, wie sie Camillus und Cicero kannten, ist bei den römischen Juristen nicht belegt. Gaius spricht zwar in dem berühmten Text inst. 3, 149 von der natura societatis, aber das impliziert keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der societas natura. In D. 1, 1, 3 spricht jedoch Florentinus davon, dass inter nos cognationem quandam natura genuit. Die neue Digestenübersetzung29 sagt, dass „die Natur unter uns so etwas wie eine Verwandtschaft begründet hat“. Dazu wird auf „Seneca, Ad Lucilium 95, 52“ verwiesen30. Dieser wichtige Text handelt zwar nicht von einer societas … quam ingeneravit natura, aber er sagt doch, dass diese Verwandtschaft „uns gegenseitige Liebe eingepflanzt und uns zum Leben in der Gesellschaft befähigt“ hat. Wenn man dabei an Ciceros Aussage in leg. 1, 43 denkt, wo er sagt, „daß wir von Natur geneigt sind, die Menschen zu lieben, was die Grundlage des Rechtes ist“, so wird klar, dass diese Aussagen auch die menschliche Gesellschaft als solche betreffen und somit auch die societas natura und insgesamt die rechtliche Ordnung. Auf die Verwandtschaft von Natur führt Florentinus konkret das Recht auf Selbstverteidigung zurück, weil es im Hinblick auf diese Verwandtschaft „frevelhaft ist, wenn ein Mensch dem anderen nach dem Leben trachtet“ (consequens est hominem homini insidiari nefas esse). Und Ulpian berichtet in D. 43, 16, 1, 27: Vim vi repellere licere Cassius scribit idque ius natura comparatur. Damit wird das Recht auf Selbstverteidigung, das Florentinus auf die natürliche Verwandtschaft aller Menschen zurückführt, direkt auf das Naturrecht zurückgeführt. Was jedoch für die societas natura noch direkter spricht, ist der Umstand, dass die societas als Gesellschaftsvertrag zu den iuris gentium conventiones31 gezählt wird. Paulus erklärt dazu in D. 50, 17, 84, 1, dass derjenige von Natur schuldet, der nach ius gentium zu leisten verpflichtet ist32. Damit erscheint auch der rechtliche Gesellschaftsvertrag, der durch menschliche Vereinbarung begründet wird, im Grunde als eine societas natura. Die Tragweite der Aussage des Paulus über das natura debere ist lange Zeit nicht beachtet worden. Max Kaser hat in seinem Buch über das Ius gentium Gaius D. 4, 5, 8 noch als eine „dunkle Stelle“ bezeichnet und 29  Corpus Iuris Civilis, Text und Übersetzung II, Digesten 1–10, hrsg. von Behrends, O. / Knütel, R. / Kupisch,B. / Seiler, H. H. 1995. 30  Nach der Zitierweise des ThlL: epist. 95, 52. 31  Ulp. D. 2, 14, 7 pr.-1. 32  Dazu Waldstein, Naturrecht S. 131–133.



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gesagt, dass er sich: „um deren Deutung … bereits mit verschiedenen Ergebnissen bemüht“ hat33. Er hat jedoch später erkannt, dass zur Erklärung dieses Textes Gaius inst. 1, 158 „herangezogen werden“ könnte. Es sind hier nicht die Details zu wiederholen, die ich in einem anderen Zusammenhang ausführlich behandelt habe34. Ich möchte hier nur wiedergeben, was Kaser nach einem lebenslangen Ringen um die richtige Erkenntnis seinerseits in seiner Schlußbetrachtung zum ius gentium im privatrechtlichen Sinne gesagt hat: „Es beruht auf der aus der griechischen Philosophie hervorgegangenen und von der römischen Jurisprudenz übernommenen Naturrechtslehre. Nach ihr sind im Grundsatz allen Menschen ohne Unterschied der Rasse oder Nationalität die entscheidenden Wesenszüge des Menschentums gemeinsam. Daraus folgt, daß auch gewisse Rechtsgedanken und viele daraus abgeleitete Einrichtungen und Rechtssätze allen Menschen übereinstimmend mitgegeben sind. Aus diesen Erscheinungen hat die römische Rechtsbildung dann ein ‚Recht‘ – hauptsächlich Privatrecht – ‚aller Völker‘ (‚ius gentium‘) geschaffen, das alle freien Menschen bindet. Damit war es auch auf Nichtrömer anwendbar und hat zugleich auf das ius civile Romanorum ergänzend und weiterbildend eingewirkt“35. Gerade das römische Vertragsrecht gehört zu den ganz großen Leistungen der römischen Rechtswissenschaft. Die von Kaser angeführten Beispiele zeigen, dass die Aussage des Paulus in D. 50, 17, 84, 1 eine umfassende Bedeutung hat. Wenn man die Aussage von Hermogenian in D. 1, 1, 5 ernst nehmen darf – woran ich nicht zweifle –, dann waren durch das ius gentium eingeführt: commercium, emptiones venditiones, locationes conductiones, obligationes institutae: exceptis quibusdam quae iure civili introductae sunt („Handelsverkehr, Kauf, Miete, Pacht, Dienst- und Werkverträge und weitere Schuldverhältnisse  …, mit Ausnahme einiger Rechtsverhältnisse, die das Zivilrecht eingeführt hat“36. Die „einigen“ (quibusdam), die durch ius civile eingeführt wurden, sind faktisch nur das nexum37, der Verbalkontrakt der stipulatio, die dotis dictio (Gaius inst. 3, 95 a), das eidliche Versprechen der operae des Freigelassenen gegenüber dem Patron (Gaius inst. 3, 96 in Verbindung mit Gaius epit. 2, 9, 4) und der Litteralkontrakt (Gaius inst. 3, 128). Demnach hat sich das gesamte übrige Obligationenrecht aus einem iure gentium dare oportet entwickelt, das in einem natura debere begründet ist. Dies wird durch die alte Digestenübersetzung zu D. 50, 17, 84, 1 meines Erachtens treffend ausgedrückt: „§ 1. Derjenige schuldet in Folge einer 33  Kaser,

Max: Ius gentium (1993). Annali Palermo 52 (oben Anm. 14), S. 431–460. 35  Ius gentium S. 165. 36  Corpus Iuris Civilis, Text und Übersetzung II 93. 37  Dazu Kaser, Das römische Privatrecht I, 21971, S. 166–168. 34  Vgl.

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­ atürlichen Verbindlichkeit (natura), welcher nach dem bei allen Völkern n geltenden Recht Etwas geben muss, und dessen Redlichkeit wir vertraut haben“38. Diese Übersetzung entspricht der Aussage Ciceros in off. 1, 23: Fundamentum autem est iustitiae fides, id est dictorum conventorumque constantia et veritas. In diesem Sinne umfasst die fides den gesamten, nicht vom ius civile geprägten Bereich des menschlichen commercium. Sie kann daher nicht auf das reduziert werden, was Kaser einmal meinte: „‚Fidem sequi‘ steht technisch für ‚kreditieren‘“39. Kaser selbst hat in Ius gentium Nr. 47 im Zuammenhang mit den „Conventiones iuris gentium“ die pacta ausführlich behandelt40. Auch hier gilt, was Ulpian in D. 2, 14, 1 pr. über das edictum de pactis sagt: Huius edicti aequitas naturalis est. quid enim tam congruum fidei humanae, quam ea quae inter eos placuerunt servare? In der Nr. 48 behandelt Kaser noch gesondert die „Contractus iuris gentium“41 und in der Nr. 49 „Innominatkontrakte. Precarium“42. Das alles muss demnach zum Bereich dessen gehören, was Paulus in D. 50, 17, 84, 1 dem natura debere zuordnet. Dies zeigt die außerordentlich große Bedeutung des Naturrechts für die Entwicklung des römischen Vertragsrechts. Ungeachtet dieser und vieler anderer Tatsachen konnte ein so angesehener Romanist wie Alan Watson in seiner an sich sehr berechtigten Kritik eines Buches von Donald R. Kelley43 noch 1991 folgendes behaupten: „Natural law plays no active role in Roman private law. Slavery is the one institution that is said to be contrary to natural law but to be part of the ius gentium. But no conclusions, not even the slightest, are drawn from this44. … The significance of natural law in the Roman legal sources is precisely its total lack of significance. Philosophers developed theories of natural law, but the jurist, Ulpian (who is accepted by Justinian), defines natural law as the law that humans share with other animals. But, as has often been observed since, this is not law at all, but instinct. Why, then, did jurists choose this definition? Precisely to make the idea of natural law meaningless, to cut out any relevance of philosophical notions of the nature of law. The approach to law of the Roman jurists was entirely – let me stress, entire­ 38  Deutsche Übersetzung des Corpus Iuris Civilis 4 / 2, Pandecten 46–50, Übersetzt von Robert Schneider, unter der Redaction des Professor Dr. C. E. Otto, Leipzig 1832. 39  Kaser, Ius gentium S. 156 Anm. 636. 40  Ius gentium S. 134–141. 41  Ius gentium S. 142–149. 42  Ius gentium S. 149–152. 43  The Human Measure, Social Thought in the Western Legel Tradition, Harvard University Press 1991. Dazu auch Waldstein, ZRG 110 (1993), S. 781–790. 44  Das ist objektiv nicht richtig. Ich will aber den Absatz hier nicht unterbrechen. Nach dem zitierten Absatz gebe ich dazu eine Erklärung.



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ly – positivist“45. Zu der Behauptung, dass aus der Erkenntnis der Naturrechtswidrigkeit der Sklaverei nicht die geringste Konsequenz gezogen wurde, muss ich folgendes bemerken: Aus der Erkenntnis, dass nach Naturrecht ursprünglich alle Menschen frei geboren wurden, wurde immerhin die bemerkenswerte rechtliche Konsequenz gezogen, die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in jene Geburtsrechte einzuführen, die nach Naturrecht allen Menschen zustanden (natalibus restitutio). Sie konnte vom Kaiser gewährt werden und gab dem freigelassenen Sklaven gegen das positive Recht das naturrechtlich begründete Recht eines Freigeborenen zurück (Marcian. D. 40, 11, 2). Sie ist in der damaligen historischen Situation in ihrer prinzipiellen Bedeutung, wie ich meine, nicht hoch genug einzuschätzen. Selbst ein Forscher vom Range Max Kasers hatte sein Leben lang, genau gesagt bis zu seinem Buch über das ius gentium (1993), Schwierigkeiten, zur Erkenntnis der Bedeutung des Naturrechts im römischen Recht durchzudringen. Das allgemeine „Meinungsklima“ ließ es fast nicht zu, die einschlägigen Quellenaussagen als das zu nehmen, was sie aussagen. Daher hat auch der Durchbruch Kasers zu den in seinem Buch Ius gentium gewonnenen Erkenntnissen sehr große Bedeutung für die angemessene Beurteilung der Rolle des Naturrechts in der Entwicklung des römischen Vertragsrechts. * Ich widme diese kleinen Überlegungen zur Frage der societas … quam ingeneravit natura dem verehrten Jubilar mit allen besten Wünschen und in dankbarer Erinnerung an die Gastfreundschaft in Freiburg. Der Jubilar hat mir einen Beitrag über Franz Wieacker46 zugesandt, an dessen Ende offenbar ein von ihm verfasstes Gedicht bezogen auf Wieacker steht. Weil ich denke, dass einige Zeilen dieses Gedichtes auch irgendwie auf meine Überlegungen passen, indem sie, wie ich glaube, zeigen können, worin „die uns damals über“ waren, erlaube ich mir, sie hier wiederzugeben: Eine Bombe von Atom kannte man noch nicht in Rom. Trotzdem kann man auch aus fernen Zeitepochen manches lernen. Denn in mancherlei, mein lieber, waren die uns damals über!

45  Rechtshistorisches

Journal 10 (1991), S. 433. Wieacker, Historiker des modernen Privatrechts, Hrsg. von Behrends, O. und Schumann, E., Göttingen 2010, S. 48. 46  Franz

Veröffentlichungen von Detlef Liebs I. Selbständig erschienene Schriften   1. Hermogenians iuris epitomae. Zum Stand der römischen Jurisprudenz im Zeitalter Diokletians = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-Historische Klasse, Dritte Folge, Nr.  57, Göttingen 1964, 137  S.   2. Reurecht des Käufers „an der Haustür“?. Die Möglichkeiten des geltenden Rechts, die grundsätzliche Problematik eines besonderen Reurechts und seine Ausgestaltung im einzelnen, Göttingen 1970, 53  S.   3. Die Klagenkonkurrenz im römischen Recht. Zur Geschichte der Scheidung von Schadensersatz und Privatstrafe, Göttingen 1972, 295  S.   4. Gemeinsam mit Manfred Fuhrmann: Fälle aus dem römischen Recht. Text und Kommentar. Ausgewählt und erklärt = ratio 5, Bamberg 1974, 40 u. 96  S.   5. Römisches Recht. Ein Studienbuch = UTB 465, Göttingen 1975, 306 S., 2. verbesserte Aufl. 1982, 3. erneut verbesserte Aufl. 1987., 4. wiederum verbesserte Aufl. 1993, 311  S., 5. überarbeitete Aufl. 1999, 314  S., 6. vollständig über­ arbeitete Aufl. 2004, 313  S.   6. Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter. Zusammengestellt, übersetzt und erläutert, München 1982, 277  S.; 2. durchgesehene Aufl. 1982; 3. überarbeitete Aufl. 1983, 279 S.; 4. überarbeitete Aufl. 1986; 5. verbesserte Aufl. 1991; 6. vollständig neu bearbeitete und verbesserte Aufl. 1997, 300 S.: 7. vollständig überarbeitete und verbesserte Aufl. 2007, 303  S.   7. Die Jurisprudenz im spätantiken Italien (260–640 n. Chr.) = Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen, Neue Folge, 8, Berlin 1987, 308  S.   8. Gemeinsam mit Manfred Fuhrmann: Exempla Iuris Romani. Römische Rechtstexte zweisprachig = dtv 9243, München 1988, 223 S., 2. durchges. Aufl. 1988.   9. Römische Jurisprudenz in Africa mit Studien zu den pseudopaulinischen Sentenzen = Antike in der Moderne 3, Berlin 1993, XV u. 225 S. u. 6 Abb.; 2. Aufl. = Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen, Neue Folge, 44, Berlin 2005, 156  S. 10. Römische Jurisprudenz in Gallien (2. bis 8. Jahrhundert) = Freiburger Rechtsgeschichtl. Abhandl. N. F. 38, Berlin 2002, 332  S. 11. Vor den Richtern Roms. Berühmte Prozesse der Antike, München 2007, 253  S. 12. Hofjuristen der römischen Kaiser bis Juastinian, München 2010, 213  S.

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II. Aufsätze und Artikel in Zeitschriften, Lexika und Sammelwerken

(geordnet nach der Zeit der Fertigstellung, nicht des Erscheinens) 1. Gaius und Pomponius, in: Gaio nel suo tempo – Atti del simposio romanistico, Neapel 1966,  S. 61–75. 2. Artt. Hermogenianus, Imaginarius, Immiscere se, Iudicium u. Iulius B 14 = Paulus, in: Der Kleine Pauly – Lexikon der Antike, Bd.  2, Stuttgart 1967, 1083 f., 1371, 1374, 1504–7 u. 1550 f. 3. Variae lectiones – Zwei Juristenschriften, in: Studi in onore di Edoardo Volterra, Bd.  5, Mailand 1971, 51–88. 4. Die Herkunft der „Regel“ bis de eadem re ne sit actio, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Romanistische Abteilung 84, 1967, 104–32. 5. Damnum, damnare und damnas. Zur Bedeutungsgeschichte einiger lateinischer Rechtswörter, ebd. 85, 1968, 173–252. 6. Die römische Klagenkonsumption, ebd. 86, 1969, 169–92. 7. Contrarius actus. Zur Entstehung des römischen Erlaßvertrags, in: Sympotica Franz Wieacker sexagenario Sasbachwaldeni a suis libata, Göttingen 1970, 111–53. 8. Gemischte Begriffe im römischen Recht, in: Index. Quaderni camerti di studi romanistici 1, 1970, 143–77. 9. Römische Provinzialjurisprudenz, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, hg. Hildegard Temporini, Tl. 2, Bd.  15, Berlin 1976, 288–362. 10. „Fahrlässige Täuschung“ und Formularvertrag, in: Archiv für die civilistische Praxis 174, 1974, 26–54. 11. Ulpiani opinionum libri VI, in: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 41, 1973, 279–310. Überarbeitete Fassung: http: /  / www.freidok.uni-freiburg.de / volltexte /  5085 /  12. Die juristische Literatur, in: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Bd.  3: Die römische Literatur, hg. Manfred Fuhrmann, Frankfurt a. M. 1974, 195–208; span. Übers. Madrid 1985. 13. Der Sieg der schönen Rutiliana. Lex commissoria displicebat, in: Festschrift für Max Kaser zum 70. Geburtstag, München 1976, 373–89. 14. Rechtsschulen und Rechtsunterricht im Prinzipat, in: wie Nr.  9,  S. 197–286. 15. Nachrichten aus Banasa über Taruttienus Paternus und Cervidius Scaevola, in: wie Nr.  4., Bd.  93, 1976, 291–297; u. 94, 1977, Abb. nach S.  358. 16. Privilegien und Ständezwang in den Gesetzen Konstantins, in: Revue interna­ tionale des droits de l’antiquité, 3. sér., Bd.  24, 1977, 297–351. 17. Töchter klassischer Juristen. Eine sozialgeschichtliche Studie, in: Festschr. f. Ernst v. Caemmerer, Tübingen 1978, 21–44. Stark erweiterte und verbesserte Fassung: www.freidok.uni-freiburg.de / volltexte / 3510 / 



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18. Ämterkauf und Ämterpatronage in der Spätantike. Propaganda und Sachzwang bei Julian dem Abtrünnigen, in: wie Nr.  4, Bd.  95, 1978, 158–86. 19. Alexander Severus und das Strafrecht, in: Bonner Historia-Augusta-Colloquium 1977 / 78, Bonn 1980, 115–47. 20. Rechtliche Würdigung von Paul Valérys Cimetière marin, in: Text und Applikation = Poetik und Hermeneutik, Bd.  9, München 1981, 259–62. 21. Bereicherungsanspruch wegen Mißerfolgs und Wegfall der Geschäftsgrundlage, in: Juristenzeitung 1978, 697–703. 22. Anmerkung zum Urteil des OLG Hamm v. 15. Jan. 1979, in: Juristenzeitung 1979, 441 f. 23. Nichtliterarische römische Juristen der Kaiserzeit, in: Das Profil des Juristen in der europäischen Tradition. Symposion aus Anlaß des 70. Geburtstages von Franz Wieacker, Ebelsbach 1980, 123–98. 24. Der Schutz der Privatsfäre in einer Sklavenhaltergesellschaft. Aussagen von Sklaven gegen ihre Herren nach römischem Recht, in: Bullettino dell’Istituto di Diritto Romano „Vittorio Scialoja“, Bd.  83, 1980, 147–89. 25. Strafrechtliches in der Tacitusvita, in: wie Nr. 19, 1979–81, Bonn 1983, 157–89. 26. Rhythmische Rechtssätze. Zur Geschichte einiger lateinischer Rechtsregeln, in: Juristenzeitung 1981, 160–64. 27. Das ius gladii der römischen Provinzgouverneure in der Kaiserzeit, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 43 (=  Gedenkschrift für Hans-Georg Pflaum), 1981, 217–23. 28. Ulpiani regulae. Zwei Pseudepigrafa, in: Romanitas Christianitas. Untersuchungen zur Geschichte und Literatur der römischen Kaiserzeit, Johannes Straub zum 70. Geburtstag, Berlin 1982, 282–92. 29. Eine Enkelin des Juristen Servius Sulpicius Rufus, in: Sodalitas. Scritti in onore di Antonio Guarino, Neapel 1984, Bd.  3, 1455–1457. 30. Juristen als Sekretäre der römischen Kaiser, in: wie Nr.  4, Bd.  100, 1983, 485–509. 31. OM 13, 1 und das Reskriptwesen in der Historia Augusta, in: wie Nr.  19, 1982 / 83, Bonn 1985, 221–37. 32. Die eigentliche Bedeutung von actum agere und actum est, in: Festschrift für Heinz Hübner zum 70. Geburtstag, Berlin 1984, 101–20. 33. Unverhohlene Brutalität in den Gesetzen der ersten christlichen Kaiser, in: ­Römisches Recht in der europäischen Tradition. Symposion aus Anlaß des 75. Geburtstages von Franz Wieacker, Ebelsbach 1985, 89–116. Verbesserte und erweiterte Fassung: www.freidok.uni-freiburg.de / volltexte / 3184 /  34. Zur Laufbahn Ulpians, in: wie Nr.  19, 1984 / 85, Bonn 1987, 175–83. 35. Promulgationslokale im spätantiken Rom, in: Satura Roberto Feenstra sexagesimum quintum annum aetatis complenti ab alumnis collegis amicis oblata, Freiburg / Schweiz 1985, 215–28.

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36. The History of the Roman Condictio up to Justinian, in: The Legal Mind. Essays for Tony Honoré, Oxford 1986, 163–83. 37. Recht und Rechtsliteratur, in: Handbuch der lateinischen Literatur der Antike, hg. Reinhart Herzog u. Peter Lebrecht Schmidt, Bd. 5: Restauration und Erneuerung. Die lateinische Literatur von 284 bis 374 n. Chr., hg. Reinhart Herzog, München 1989, 55–73; französ. Übersetzung (Nouvelle histoire de la littérature latine V), dir. G. Nauroy, Turnhout 1993, 61–82. 38. Die hartnäckige Wohltäterin, in: Estudios de derecho romano en honor de ­Alvaro d’Ors, Pamplona 1987, Bd.  2, 727–34. 39. Römische Jurisprudenz in Africa, in: wie Nr.  4, Bd.  106, 1989, 210–47. 40. Römische Rechtsgutachten und „Responsorum libri“, in: Strukturen der Mündlichkeit in der römischen Literatur, hg. Gregor Vogt-Spira, Tübingen 1990, 83–94. Überarbeitete und erweiterte Fassung: http: /  / www.freidok.uni-freiburg. de / volltexte / 5088 /  41. Die römische Jurisprudenz in Africa im 4. Jh. n. Chr., in: Institutions, société et vie politique dans l’Empire Romain au IVe siècle après J.-C. Actes de la table ronde autour de l’œuvre d’André Chastagnol Paris, 20–21 janvier 1989, hg. M.  Christol u. a., Rom 1992, 201–17 und planches VIII f. 42. Ist unter den römischen Juristen mit einem zweiten Cäcilius zu rechnen? in: wie Nr.  4, Bd.  107, 1990, 371 f. 43. Hermogenians Prätorianerpräfektur inschriftlich bezeugt, ebd., 385 f. 44. Jurisprudenz, in: wie Nr. 37, Bd. 4: Die Literatur des Umbruchs. Von der römischen zur christlichen Literatur 117 n. Chr. bis 284 n. Chr., hg. Klaus Sallmann, München 1997, 83–217; édition française, dir. François Heim, Turnhout 2000, 92–248. 45. Das Gesetz im spätrömischen Recht, in: Das Gesetz in Spätantike und frühem Mittelalter. 4. Symposion der Kommission „Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart“ der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, hg. W. Sellert, Göttingen 1992, 11–27. 46. Die im spätantiken Gallien verfügbaren römischen Rechtstexte. Literaturschicksale in der Provinz zwischen dem 3. und 9. Jh., in: Recht im frühmittelalter­ lichen Gallien. Spätantike Tradition und germanische Wertvorstellungen, hg. Harald Siems u. a., Köln 1995, 1–28. 47. Landraub und Gerechtigkeit in Rom 384 n. Chr. (Symmachus, Relatio 28), in: Gerechtigkeit und Geschichte. Beiträge eines Symposions zum 65. Geburtstag von Malte Dießelhorst, hg. O. Behrends u. R. Dreier, Göttingen 1996, 90–106; frühere Fassung: Landraub eines Großgrundbesitzers 384 n. Chr. (Symmachus, Relatio 28), in: Aspects of the fourth century A. D. Proceedings of the symposium Power & Possession: State, Society, and Church in the Fourth Century A. D. held on the occasion of the fifth anniversary of the interdisciplinary debating society AGAPE Leiden, 3–5 Juni 1993, hg. H. W. Pleket u. A. M. W. F. Verhoogt, Leiden 1997, 97–114. Erreichbar auch unter: http: /  / www.freidok.unifreiburg.de / volltexte / 5082 / 



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48. Die pseudopaulinischen Sentenzen. Versuch einer neuen Palingenesie, in: wie Nr.  4, Bd.  112, 1995, 151–71, u. 113, 1996, 132–242. 49. Die ersten bekannten römischen Juristen in Gallien und Spanien, in: Collatio iuris romani. Études dédiées à Hans Ankum à l’occasion de son 65e anniversaire, hg. R. Feenstra u. a., Amsterdam 1995, 257–60. 50. Art. Jurisprudenz, in: Reallexikon für Antike und Christentum 19, 2001, 603–38. Erweiterte und verbesserte Fassung: http: /  / www.freidok.uni-freiburg.de / voll texte / 3218 /  51. Die Juristenwelt bei Sidonius Apollinaris. Römische Juristen 420 bis 500 n. Chr. im südlichen Gallien, in: Mélanges de droit romain et d’histoire ancienne. Hommage à la mémoire de André Magdelain, Paris 1998, 259–73. 52. Römische Juristen der Merowinger, in: Wirkungen europäischer Rechtskultur. Festschrift für Karl Kroeschell zum 70. Geburtstag, München 1997, 635–66. 53. Das Gallierbild der Historia Augusta, in: Historiae Augustae Colloquium Bonnense, hg. G. Bonamente u. K. Rosen, Bari 1997, 161–70; verbesserte Fassung: Die Rechtsgesinnung der Gallier in der Historia Augusta, in: A bonis bona discere. Festgabe für János Zlinszky, hg. v. Orsolya Marta Péter u. Béla Szabó, Miscolc 1998, 231–40. 54. Roman law, in: The Cambridge Ancient History XIV Late Antiquity: Empire and Successors A. D. 425–600, Cambridge 2000, 238–59.  55. Recht, in: Res Romanae. Begleitbuch für lateinische Lektüre, Neue Ausgabe, hg. Herbert Krefeld, Berlin 1997, 46–54; Ausgabe 2008: 47–56. 56. Römisches Recht in Africa im 2. Jh. n. Chr. nach der Apologie von Apuleius, in: Literatur und Recht. Literarische Rechtsfälle von der Antike bis in die Gegenwart, hg. Ulrich Mölk, Göttingen 1996, 25–36. Erweiterte Fassung: http: /  /  www.freidok.uni-freiburg.de / volltexte / 3182 /  57. Strafprozesse wegen Zauberei. Magie und politisches Kalkül in der römischen Geschichte, in: Große Prozesse der römischen Antike, hg. Ulrich Manthe u. Jürgen von Ungern-Sternberg, München 1997, 146–58 u. 210–13. 58. Artt. Callistratus, Celsus le fils, Droit romain – Enseignement du droit, Julien (Droit romain), Labéon, Marcellus, Marcianus, Neratius, Nerva, Papinien, Paul, Pomponius, Proculus, Sabinus, Sententiae Pauli (Droit romain), Ulpien, in: Dictionnaire de l’Antiquité, hg. J. Leclant, Paris 2005, S. 392, 436, 730 f., 1193, 1223, 1332, 1333, 1443 f., 1519, 1520, 1637, 1664 f., 1770, 1811, 1926, 2000, 2237 f. 59. Öffentliches und Privatstrafrecht in der römischen Kaiserzeit, in: Hoheitliches Strafen in der Spätantike und im frühen Mittelalter, hg. Jürgen Weitzel, Köln 2002, 11–25. Zugänglich auch unter: http: /  / www.freidok.uni-freiburg.de / voll texte / 5083 /  60. Anmerkung zum Urteil des BGH vom 25. Sept. 1997, in: Juristenzeitung 1998, 408–10.

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61. Die vorsullanischen lateinischen Rechtstexte, Archaische Rechtsbücher u. Die vorklassischen juristischen Fachschriften, in: Handbuch (wie Nr. 37), Bd. 1: Die archaische Literatur von den Anfängen bis Sullas Tod. Die vorliterarische ­Periode und die Zeit von 240 bis 78 v. Chr., hg. Werner Suerbaum, München 2002, 65–79 u. 560–74. 62. Abstraktion im Neueren Gemeinen Recht, in: El dret comú i Catalunya. Actes del X Simposi Internacional Barcelona, 2–3 de juny de 2000: La superació d’una sistemàtica: el Dret patrimonial, hg. A. Iglesia Ferreirós, Barcelona 2001, 119–35; auch in: Orbis iuris Romani. Journal of Ancient Law Studies 7, 2002, 59–75; u.: http: /  / www.freidok.uni-freiburg.de / volltexte / 6080 /  63. Das Testament des Antonius Silvanus, römischer Kavallerist in Alexandria bei Ägypten, aus dem Jahr 142 n. Chr., in: Festschrift für Weddig Fricke, Freiburg i. Br. 2000, 113–28. Zugänglich auch unter: http: /  / www.freidok.uni-freiburg. de / volltexte / 5131 /  64. Zu Überlieferung und Entstehung des Breviarium Alaricianum, in: Atti dell’Accademia Romanistica Costantiniana XIV, Neapel 2003, 653–71. 65. Artt. Lex Romana Burgundionum u. Lex Romana Visigothorum, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, 2. Auflage, XVIII, Berlin 2001, 322–26. 66. Sklaverei aus Not im germanisch-römischen Recht, in: wie Nr.  4, Bd.  118, 2001, 286–311. Zugänglich auch unter: http: /  / www.freidok.uni-freiburg.de / voll texte / 5086 /  67. Ein Bildnis des Pandektenjuristen Taruttienus Paternus, in: wie Nr.  4, Bd.  119, 2002, 348–51. 68. Rechtskunde im römischen Kaiserreich. Rom und die Provinzen, in: Iurisprudentia universalis. Festschrift für Theo Mayer-Maly zum 70. Geburtstag, hg. Martin J. Schermaier u. a., Köln 2002, 383–407. Zugänglich auch unter: http: /  / www.freidok.uni-freiburg.de / volltexte / 5101 /  69. Umwidmung. Nutzung der Justiz zur Werbung für die Sache ihrer Opfer in den Märtyrerprozessen der frühen Christen, in: Märtyrer und Märtyrerakten = Altertumswissenschaftliches Kolloquium 6, hg. Walter Ameling, Stuttgart 2002, 19– 46. Zugänglich auch unter: http: /  / www.freidok.uni-freiburg.de / volltexte / 3183 /  70. Mein Ulpian, in: Altera Ratio. Klassische Philologie zwischen Subjektivität und Wissenschaft. Festschrift für Werner Suerbaum zum 70. Geburtstag, hg. Markus Schauer u. Gabriele Thome, Stuttgart 2003, 74–81. 71. Die Römer und unser Recht, in: Jahrbuch des Gymnasiums Hohenbaden (Januar 2001 bis Mai 2003), Baden-Baden 2003, 10–23. 72. Die Juristensippe der Marci Junii Bruti, in: Festschrift für Peter Schlechtriem zum 70. Geburtstag, hg. Ingeborg Schwenzer u. Günter Hager, Tübingen 2003, 107–17. Zugänglich auch unter: http: /  / www.freidok.uni-freiburg.de / volltexte /  6082 /  73. Artt. Salvio Juliano u. Gayo, in: Juristas universales, hg. Rafael Domingo, Madrid 2004, Bd.  1: Juristas antiguos, 172–4 u. 179–84.



Veröffentlichungen von Detlef Liebs

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74. Nachklassische römische Rechtsliteratur, in: Antike Rechtsgeschichte – Einheit und Vielfalt, hg. G. Thür, Wien 2005, 27–42. 75. Ein römischer Jurist in Vence um 200 n. Chr., in: wie Nr.  4, Bd.  121, 2004, 339 f. 76. Verfassungs-, rechts- und sozialgeschichtliche Eigenheiten der Spätantike, in: Fides humanitas ius. Studi in onore di Luigi Labruna, Bd.  5, Neapel 2007, 2857–77. Zugänglich auch unter: www.freidok.uni-freiburg.de / volltexte / 6084 /  77. Römischrechtliche Glut für ein Bischofsgericht in Burgund. Die Epitome Parisina der Lex Romana Visigothorum, in: Atti dell’Accademia Romanistica Costantiniana XVI, Neapel 2007, 63–83. Zugänglich auch unter: http: /  / www.freidok.uni-freiburg.de / volltexte / 6083 /  78. Mommsens Umgang mit den Quellen des römischen Strafrechts, in: Theodor Mommsens langer Schatten. Das römische Staatsrecht als bleibende Herausforderung für die Forschung, hg. W. Nippel u. B. Seidensticker, Hildesheim 2005, 199–214. Zugänglich auch unter: http: /  / www.freidok.uni-freiburg.de / volltexte /  5084 /  79. Art. Homicida, homicidium, in: Augustinus-Lexikon Bd.  3, Basel 2006, 379 f. 80. Artt. Codex Theodosianus u. Edictum Theodorici, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Bd. 1, Berlin 22007 (Lfg. 4: 2006, u. 5: 2007), 868–70 u. 1184 f. 81. Reichskummerkasten. Die Arbeit der kaiserlichen Libellkanzlei, in: Herrschaftsstrukturen und Herrschaftspraxis – Konzepte, Prinzipien und Strategien der Administration im römischen Kaiserreich, hg. A. Kolb, Berlin 2006, 137–52. Zugänglich auch unter: http: /  / www.freidok.uni-freiburg.de / volltexte / 3374 /  82. Der ungeliebte Jurist in der römischen Welt, in: wie Nr. 4, Bd. 123, 2006, 1–18. Zu­gänglich auch unter: http: /  / www.freidok.uni-freiburg.de / volltexte / 5090 /  83. Fiktives Strafrecht in der Historia Augusta, in: Historiae Augustae Colloquium Bambergense, hg. Giorgio Bonamente u. Hartwin Brandt, Bari 2007, 259–77. Zugänglich auch unter: http: /  / www.freidok.uni-freiburg.de / volltexte / 6081 /  84. Das Verbot von Mischehen im germanisch-römischen Recht, in: Atti dell’Accademia Romanistica Costantiniana XVII in onore di Giuliano Crifò, Rom 2010, I 622–28, mit kürzerer italienischer Fassung: Il divieto di matrimoni misti nel diritto germanico-romano,  S. 617–21. 85. Die Zwölf Tafeln im Vergleich mit griechischen und israelitischen Kodifikationen, in: Gesetzgebung in antiken Gesellschaften: Israel, Griechenland, Rom, hg. L. Burckhardt, K. Seybold u. J. v. Ungern-Sternberg, Berlin 2007, 87–101. 86. Konstantin als Gesetzgeber, in: Konstantin der Große. Geschichte – Archäologie – Rezeption. Internationales Kolloquium vom 10.–15. Oktober 2005 …, hg. A. Demandt u. J. Engemann, Trier 2006, 97–107. 87. Recht und Gesetzgebung, in: Imperator Caesar Flavius Constantinus. Konstantin der Große – Ausstellungskatalog, hg. A. Demandt u. J. Engemann, Trier 2007, 190–94.

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Veröffentlichungen von Detlef Liebs

  88. Esoterische römische Rechtsliteratur vor Justinian, in: Akten des 36. Deutschen Rechtshistorikertages Halle an der Saale 2006, hg. R. Lieberwirth u. H. Lück, Baden-Baden 2008, 40–79.   89. Die Rolle der Paulussentenzen bei der Ermittlung des römischen Rechts, in: Hermeneutik der Quellentexte des Römischen Rechts, hg. M. Avenarius, Köln 2008, 157–75.   90. Konflikte zwischen römischen und germanischen Rechtsvorstellungen in der Spätantike, in: Von den Leges Barbarorum bis zum ius barbaricum des Nationalsozialismus. Festschrift für Hermann Nehlsen zum 70.  Geburtstag, hg. Hans-Georg Hermann u. a., Köln 2008, 99–117.   91. Roman vulgar law in late antiquity, in: Aspects of law in late antiquity dedicated to A. H. M. Honoré on the occasion of his sixtieth year of his teaching in Oxford, hg. Boudewijn Sirks, Oxford 2008, 35–53.   92. Das Verbot von Mischehen im germanisch-römischen Recht, in: Atti (wie Nr.  77) XVII, 2009, 608–14.   93. Zur Geschichte der Volksrechte im römischen Reich, in: Studi in onore di Remo Martini II, Mailand 2009, 449–72.   94. Bellum iustum in Theorie und Praxis, in: Ars iuris. Festschrift für Okko Behrends zum 70. Geburtstag, hg. Martin Avenarius u. a., Göttingen 2009, 305–18.   95. Nerva filius – Selbstmord auf Wunsch des Kaisers? in: Festschrift für Rolf Knütel zum 70. Geburtstag, hg. Martin Schermaier u. a., Heidelberg 2009, 651–65.   96. Die Schenkung von Todes wegen im römischen Recht, in: Festschrift für Dieter Leipold zum 70. Geburtstag, hg. Rolf Stürner u. a., Tübingen 2009, 1013– 25.   97. Juristenausbildung in der Spätantike, in: Juristenausbildung in Europa zwischen Tradition und Reform, hg. Ch. Baldus, Th. Finkenauer u. Th. Rüfner, Tübingen 2008, 31–45.   98. Gleiches Recht für alle, in: epoc Geschichte Archäologie Kultur 3 / 2008, 38–45.   99. Ewiges Gedenken durch freigelassene Sklaven. Römisches Recht und römische Sitten, in: Leben nach dem Tod. Rechtliche Probleme im Dualismus: Mensch – Rechtssubjekt, hg. Andrzej Gulczynski, Graz 2010, 49–65. 100. Die Strafbarkeit des Arminius nach römischem Recht, in: Imperium – Varus und seine Zeit. Beiträge zum internationalen Kolloquium des LWL-Römermuseums am 28. und 29. April in Münster, 2010, 37–45. 101. P. Alfenus Varus. Eine Karriere in Zeiten des Umbruchs, in: wie oben Nr.  4, Bd.  127, 2010, 32–52. 102. Una breve introduzione alle formulae franche e visigote, in: http: /  / www.raven nacapitale.unibo.it / convegni / atti / 13-14-05-2010-atti.html 103. Amanuenses e notarii nei formulari franchi dal VI all’VIII secolo, in: wie soeben Nr.  101.



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104. Älius Marcian. Ein Mittler des römischen Rechts in die hellenistische Welt, in: wie oben Nr. 4, Bd. 128, 2011, 39–82. 105. Der Prozess Jesu – Ergänzungen zu Mayer-Maly 2003, in: Gedächtnisschrift für Theo Mayer-Maly, hg. F. Harrer u. T. Pfeifenberger, Salzburg 2011, 307–23. 106. Vor den Richtern Roms – Rechtsprechung, Gesetze, Strafen, in: G. Schmid­ huber u. R. Schiavone (Hgg.), Gefährliches Pflaster. Kriminalität im Römischen Reich. Ausstellungskatalog des LVR-Archäologischer Park Xanten 2011, 255–67.

III. Besprechungen, Nachrufe, Leserbriefe, Diskussionsbemerkungen   1. Bespr. v. Roberto Bonini, I libri de cognitionibus di Callistrato – Ricerche sull’elaborazione giurisprudenziale della cognitio extra ordinem I, in: wie oben B Nr.  9, Bd.  34, 1966, 254–66.   2. Das antekapierte Besitzkonstitut, in: Juristenzeitung 1972, 751.   3. Bespr. v. Gottfried Schiemann, Pendenz und Rückwirkung der Bedingung, in: Revue historique de droit français et étranger, 4. sér., Bd.  55, 1977, 103 f.   4. Bespr. v. Michael Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, in: ebd.  S. 104 f.   5. Bespr. v. Regina Ogorek, Die Entwicklung der Gefährdungshaftung im 19. Jh., in: ebd. S.  344 f.   6. Bespr. v. Karl Hackl, Praeiudicium im klassischen römischen Recht, in: wie oben B Nr.  4, Bd.  94, 1977, 462–71.   7. Zum Begriff ‚Kunst‘ im Recht, in: wie oben B Nr.  20, S.  203–5.   8. In memoriam Hans-Georg Pflaum, in: wie oben B Nr.  4, Bd.  97, 1980, 555–7.   9. Zur Korruption im Altertum, in: Korruption im Altertum – Konstanzer Symposion Oktober 1979, München 1982, S. 22, 49, 83 f., 87 f., 131, 158 f., 160 f., 174, 175, 199, 209, 210, 212, 213, 214 u. 238. 10. Bespr. v. Hein Leopold Wilhelm Nelson, Überlieferung, Aufbau und Stil von Gai Institutiones, in: Gnomon 55, 1983, 113–24. 11. Bespr. v. Tony Honoré, Emperors and Lawyers, in: Hist. Ztschr. 236, 1983, 651–3. 12. Nachruf auf Hans Julius Wolff, in: Juristenzeitung 1983, 815. 13. Hans Julius Wolff zum Gedenken, in: Freiburger Universitätsblätter, Heft 81, 1983, 6 f. 14. Bespr. v. Jürgen Rastätter, Marcelli notae ad Iuliani digesta, in: IVRA – Rivista internazionale di diritto romano e antico 32 = 1981, 1984, 280–90. 15. Bespr. v. Tony Honoré, Ulpian, in: wie oben Nr.  10, Bd.  56, 1984, 441–50.

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16. Die Familienrichter möchten ihre Macht behalten. Leserbrief, in: Süddeutsche Zeitung 1984, Nr.  81 = 5. April, S.  15. 17. Das Kind als Objekt. Leserbrief, in: DIE ZEIT 1985, Nr.  39 = 20. Sept., S. 48. 18. Bespr. v. Hermann-Josef Horstkotte, Die Theorie vom spätantiken „Zwangsstaat“ und das Problem der „Steuerhaftung“, in: wie oben Nr. 10, Bd. 58, 1986, 275–8. 19. Bespr. v. Riccardo Astolfi, I libri tres iuris civilis di Sabino, in: Studia et documenta historiae et iuris 51, 1985, 73–78. 20. Fehlplanen und Abwerten, in: Rechtshistorisches Journal 7, 1988, 434–6. 21. Zu Recht und Rechtswissenschaft unter Kaiser Claudius, in: Die Regierungszeit des Kaisers Claudius (41–54 n. Chr.). Umbruch oder Episode?, Mainz 1994,  S. 158, 316 u. 319. 22. Bespr. v. Hein L. W. Nelson und Ulrich Manthe, Gai Institutiones III 1–87, in: wie oben B Nr.  4, Bd.  111, 1994, 709–11. 23. Nachruf auf Franz Wieacker, in: wie oben Nr.  10, Bd.  67, 1995, 473–77. 24. Über den unerträglichen Karakter einer Besprechung, in: wie oben Nr.  20, Bd.  14, 1995, 607–13. 25. Der ferne Held. Vorbegegnungen 1957 bis 1967, in: Ein ABC der Begegnungen mit Manfred Fuhrmann. Gesammelt zur Feier des 23. Juni 1995, hg. Astrid Seele, o. O. o. J. (Konstanz 1995), 25–28. 26. Bespr. v. Hinrich Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, 3. Aufl., München 1998, in: Juristenzeitung 1998, 946. 27. Bespr. v. Joachim Migl, Die Ordnung der Ämter, in: wie oben B Nr. 4, Bd. 116, 1999, 341–4. 28. Bespr. v. Hans-Jörg Roth, Alfeni Digesta, in: wie oben B Nr.  4, Bd.  117, 2000, 519–25. 29. Bespr. v. Tony Honoré, Law in the Crisis of Empire 379–455 A.D., ebd., 529–34. 30. Bespr. v. Boudewijn Sirks, Food for Rome. The legal structure of the transportation and processing of supplies for the imperial distribution in Rome and Constantinople, in: wie oben Nr.  1, Bd.  69, 2001, 361–7. 31. Bespr. v. Summaria Antiqua Codicis Theodsiani. Réédition avec les gloses publiées dans Codicis Theodosiani fragmenta Taurinensia, par A. J. B. Sirks, in: wie oben B Nr.  4, Bd.  118, 2001, 496–501. 32. Vorwort zu: Wolfgang Kunkel, Die Römischen Juristen. Herkunft und soziale Stellung, Nachdruck Köln 2001,  S. V–XV. 33. Bespr. v. Carsten Zülch, Der liber singularis responsorum des Ulpius Marcellus, in: wie oben B Nr.  4, Bd.  120, 2003, 243–62.



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34. Bspr. v. Walter Selb u. Hubert Kaufhold, Das Syrisch-römische Rechtsbuch. Bd.  1: Einleitung. 2: Texte und Übersetzungen, und 3: Kommentar, Wien 2002, in: wie oben B Nr.  4, Bd.  121, 2004, 559–74. 35. Bespr. v. Sigrid Mratschek, Der Briefwechsel des Paulinus von Nola – Kommunikation und soziale Kontakte zwischen christlichen Intellektuellen, Göttingen 2002, in: wie oben B Nr.  4, Bd.  122, 2005, 287–91. 36. Bespr. v. Wolfgang Kaiser, Die Epitome Iuliani – Beiträge zum römischen Recht im frühen Mittelalter und zum byzantinischen Rechtsunterricht, Frankfurt am Main 2004, in: wie oben B Nr.  4, Bd.  123, 2006, 400–12; leicht veränderte Fassung in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 257, 2005, 238–52. 37. Bespr. v. Elio Dovere, De iure. L’esordio delle Epitomi di Ermogeniano. Seconda edizione emendata, riscritta e aggiornata. Prefazione di Franco Casavola, Neapel 2005, in: Gnomon 80, 2008, 755 f. 38. Manfred Fuhrmann (23.6.1925–12.1.2005), in: wie oben B Nr.  4, Bd.  123, 2006, 525–28. 39. Bespr. v. Hermeneumata Pseudodositheana Leidensia, hg. G. Flammini, München u. Leipzig 2004, in: wie oben B Nr.  4, Bd.  124, 2007, 473–76. 40. Bespr. v. Corpus Iuris Civilis, Text und Übersetzung, Bd.  IV Digesten 21–27. Gemeinslchaftl. übers. u. hg. R. Knütel, B. Kupisch, H. H. Seiler, O. Behrends, Heidelberg 2005, in: wie oben B Nr.  4, Bd.  125, 2008, 714–21. 41. Elmar Bund (13.3.1930–18.4.2008), in: wie oben B Nr.  4, Bd.  126, 2009, 657–61; vollständige Bibliografie in: http: /  / www.jura.uni-freiburg.de / rgesch1 42. Bespr. v. Kostas Buraselis, ΘΕΙΑ ΔΩΡΕΑ. Das göttlich-kaiserliche Geschenk. Studien zur Politik der Severer und zur constitutio Antoniniana, Wien 2007, in: wie oben B Nr.  4, Bd.  126, 2009, 509–14. 43. Bespr. v. Franz Wieacker, Römische Rechtsgeschichte II, München 2006, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 260, 2008, 99–123. 44. Franz Wieacker (1908 bis 1994) – Leben und Werk, in: Franz Wieacker. Historiker des modernen Privatrechts, hg. O. Behrends u. E. Schumann, Göttingen 2010, 23–48. 45. Bespr. v. Adriaan J. Boudewijn. Sirks, The Theodosian Code. A study, Friedrichsdorf 2007, in: wie oben B Nr.  4, Bd.  127, 2010, 516–39. 46. Bespr. v. Caroline Humfress, Orthodoxy and the courts in late antiquity, in: wie oben B 4, Bd.  127, 2010, 504–13. 47. Bespr. v. Klaus M. Girardet, Kaisertum, Religionspolitik und das Recht von Staat und Kirche in der Spätantike, Bonn 2009, in: wie oben B 4, Bd. 128, 2011, 744–46. 48. Bespr. v. Sebastian Schmidt-Hofner, Regieren und Gestalten. Der Regierungsstil des spätrömischen Kaisers am Beispiel der Gesetzgebung Valentinians I., München 2008, in: wie oben B 4, Bd. 128, 2011, 665–76.

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IV. Herausgegebene Schriften 1. Sympotica Franz Wieacker sexagenario Sasbachwaldeni a suis libata, Göttingen 1970, 227  S. 2. Gemeinsam mit Okko Behrends, Malte Dießelhorst, Joseph Georg Wolf u. Christian Wollschläger: Festschrift für Franz Wieacker zum 70. Geburtstag, Göttingen 1978, 506  S. 3. Gemeinsam mit Elmar Bund, Karl Kroeschell, Joseph Georg Wolf, Karin Nehlsen-von Stryk u. Wolfgang Kaiser: Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Neue Folge, Berlin 1978 ff., bisher 58 Bde. 4. Gemeinsam mit Klaus Luig: Das Profil des Juristen in der europäischen Tradi­ tion. Symposion aus Anlaß des 70. Geburtstages von Franz Wieacker, Ebelsbach 1980, IX u. 447  S. 5. Gemeinsam mit Joseph Modrzejewski: Symposion 1977. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte = Akten der Gesellschaft für griechische und hellenistische Rechtsgeschichte, Bd.  3, Köln 1982, 446  S. 6. Carl August Gottschalk, Versuch über den Iunius Mauricianus. Ein Beytrag zur Litterair-Geschichte und Hermeneutik des Römischen Rechts, in: Labeo 39, 1993, 56–89. 7. Wolfgang Kunkel, Die römischen Juristen. Herkunft und soziale Stellung, durchgesehener Nachdruck des 1952 und 1967 unter dem Titel „Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen“ erschienenen Werks mit Vorwort (s. oben C. 32), Köln 2001, XXI u. 415  S.