Die Gerichtsorganisation Israels im deuteronomischen Gesetz 9783666538476, 3525538472, 9783525538470

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Die Gerichtsorganisation Israels im deuteronomischen Gesetz
 9783666538476, 3525538472, 9783525538470

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V&R

JAN CHRISTIAN GERTZ

Die Gerichtsorganisation Israels im deuteronomischen Gesetz

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Wolfgang Schräge und Rudolf Smend 165. Heft der ganzen Reihe

Die Deutsche Bibliothek-

CIP-Einheitsaufnahme

Gertz, Jan Christian: Die Gerichtsorganisation Israels im deuteronomischen Gesetz / Jan Christian Gertz. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1994 (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments; H. 165) Zugl.: Göttingen, Univ., Diss., 1993/94 ISBN 3-525-53847-2 NE: GT

© 1994 Vandenhoeck & Ruprecht, 37070 Göttingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde am Rechner der Vereinigten Theologischen Seminare der Universität Göttingen auf Microsoft Word 5.0 (©1989 Microsoft Corp.) und Logos 5.0 (© 1989 Dr. D. Trobisch) geschrieben. Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen.

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1993/94 vom Fachbereich Theologie der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde sie durchgesehen und an einigen Stellen geringfügig überarbeitet. Zu danken habe ich vor allen anderen meinem Doktorvater Prof. Dr. Dr. h.c. L. Perlitt. Er hat die Arbeit angeregt, sie und ihren Verfasser mannigfach gefördert. Für ihr Interesse und ihre Kritik danke ich ferner allen Teilnehmern des alttestamentlichen Doktorandenkolloquiums in Göttingen, besonders Herrn Prof. Dr. R. Smend, D.D. h.c., der das Zweitgutachten schrieb. Ihm und Herrn Prof. Dr. W. Schräge sowie dem Verlag bin ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe FRLANT zu Dank verpflichtet. Für seine hilfreiche Kritik im Vorfeld der Veröffentlichung bin ich auch Herrn Prof. Dr. E. Otto dankbar. Ermöglicht wurde die Arbeit durch eine Repetentenstelle der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers. Der Freund und Kollege Ulrich Lüders hat sich zusammen mit meiner Frau Beate Gertz und mit Herrn Rechtsanwalt G.-R. Diekmann, dem ich auch für manchen juristischen Hinweis dankbar bin, der Mühe des Korrekturlesens unterzogen. Meine Frau hat schließlich auch die Druckvorlage und das Register erstellt. Ihr möchte ich die Arbeit widmen. Göttingen, im Juli 1994

Jan Christian Gertz

Inhalt Vorwort

5

1. Einleitung

9

2.

Richtergesetz und Zentralgericht (Dtn 16,18-17,13)

28

2.1 Problemstellung 2.2 Literarische Analyse von Dtn 16,18-17,13 2.2.1 Literarische Analyse von Dtn 16,18-20 2.2.2 Literarische Analyse von Dtn 16,21-17,7 2.2.2.1 Dtn 17,2-7 2.2.2.2 Dtn 16,21-17,2 2.2.3 Literarische Analyse von Dtn 17,8-13 2.2.4 Zusammenfassung der literarischen Analysen 2.3 Die Bestimmungen zur Gerichtsorganisation des dt Grundbestandes von 16,18-17,13 2.3.1 Die kultische Gerichtsbarkeit am Zentralheiligtum 2.3.2 Die profane Gerichtsbarkeit in den Provinzstädten 2.3.2.1 Die geforderte Institution 2.3.2.2 Institutionsgeschichtliche Einordnung 2.4 Zusammenfassung

72 72 82 82 86 96

3.

98

Die Aufgaben der Richter in der Rechtspflege

28 33 33 42 45 52 59 71

3.1 Problemstellung 3.2 Dtn 25,1-3 3.2.1 Literarische Analyse 3.2.2 Literar- und institutionsgeschichtliche Einordnung 3.3 Dtn 19,15-21 3.3.1 Straftatbestand und Strafmaß des kasuistischen Rechtssatzes Vv.16.19a 3.3.2 Der vorgeschriebene Verfahrensweg - V.17f. 3.3.3 Die redaktionelle Verbindung von V.15 und V.16ff 3.4 Zusammenfassung

98 98 98 102 104

4.

117

Die Asylstadtbestimmung (Dtn 19,1-13)

4.1 Problemstellung 4.2 Literarische Analyse 4.3 Die Überarbeitung der Asylgesetzgebung des Bundesbuches im dt Gesetz 4.3.1 Strafrechtliche Bestimmungen 4.3.2 Institutionsgeschichtliche Einordnung

105 107 113 116

117 118 127 127 130

8

Inhalt

4.3.3 Verfahrensrechtliche Bestimmungen 4.3.3.1 Die Einrichtung von Asylstädten in den Vv.2a.3b 4.3.3.2 Rechtsfolgebestimmung und Begründung in den Vv.5b.6 4.3.3.3 Der Fall des vorsätzlich handelnden Täters in V.llf. 4.4 Die literarische Nachgeschichte 4.4.1 Num 35,9-34 4.4.1.1 Textanalyse 4.4.1.2 Veränderungen gegenüber Dtn 19,1-13 4.4.2 Josua 20 4.4.3 Dtn 4,41-43 4.5 Zusammenfassung

134 134 135 138 140 141 141 144 151 155 156

5.

Richter und Älteste (Dtn 21,1-9)

158

5.1 5.2 5.3 5.4 5.5

Problemstellung Literarische Analyse Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des dt Grundbestandes Die gesamtisraelitische Perspektive des dt Grundbestandes Zusammenfassung

158 158 166 171 172

6. Die Ältestengerichtsbarkeit im dt Gesetz

173

6.1 Problemstellung 6.2 Literarischer Zusammenhang und Kontexteinbindung der Gesetze zur Ältestengerichtsbarkeit 6.3 Der Fall des ungehorsamen Sohns (Dtn 21,18-21) 6.3.1 Literarische Analyse 6.3.2 Rechts- und literarhistorische Einordnung 6.4 Die Verweigerung einer Leviratsehe (Dtn 25,5-10) 6.4.1 Literarische Analyse 6.4.2 Rechts- und literarhistorische Einordnung 6.5 Der Fall der beschuldigten Braut (Dtn 22,13-21) 6.5.1 Literarische Analyse 6.5.2 Rechts- und literarhistorische Einordnung 6.6 Die Ältesten Israels im Dtn und die Ältestengerichtsbarkeit im dt Gesetz

173 175 180 180 182 193 193 197 207 207 214

7.

226

Die Gerichtsorganisation Israels im dt Gesetz

222

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis

234

Stellenregister

252

1. Einleitung Die vorliegende Untersuchung zur Gerichtsorganisation Israels im dt Gesetz soll das von den einschlägigen Texten vorausgesetzte Verhältnis von Rechtsprechung und Gemeinwesen ermitteln. Sie fragt, ob die Darstellung des Gerichtswesens im dt Gesetz eine bestimmte Organisation des Gemeinwesens erkennen läßt und - wenn ja - ob diese einem bestimmten Zeitraum der Geschichte Israels zugeordnet werden kann. Es geht also darum, unter Zuhilfenahme rechts- und institutionsgeschichtlicher Fragestellungen einen thematisch begrenzten Teil der Bestimmungen des dt Gesetzes historiographisch und quellenkritisch einzuordnen. Der forschungsgeschichtliche Ausgangspunkt1 für einen solchen Versuch ist nach wie vor W. M. L. de Weites "Dissertatio critico-exegetica" von 1805 und vor allem der erste Band seiner "Beiträge zur Einleitung in das Alte Testament" aus dem Jahre 1806. In ihm untermauert de Wette die schon lange vor ihm vertretene Gleichsetzung des Dtn mit dem nach 2 Reg 22f unter Josia aufgefundenen Gesetzbuch.2 Im Gegensatz zu seinen 1

Der folgende Überblick zur Dtn-Forschung will keine Vollständigkeit anstreben. Er soll lediglich den Rahmen einer historischen Untersuchung zum dt Gesetz abstecken. Nach wie vor ist hierfür namentlich die Forschung des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jh. maßgeblich. Die Auseinandersetzung mit Forschungsergebnissen zu Einzelproblemen erfolgt im Zusammenhang der eigenen Analyse. Zur Geschichte der Dtn-Forschung vgl. Baumgartner, ThR 1 (1929), 7-25, der die wichtigste Literatur bis 1928 rezensiert; Loersch, Dtn (1967), die die Forschung bis zur Formulierung der These eines dem Dtn zugrunde liegenden Bundesformulars darstellt, sowie Preuß, Dtn (1982), der einen Großteil der bis 1980 erschienen Literatur erfaßt. Vgl. ferner Nicholson, Dtn (1967), der ausgesprochen forschungsgeschichtlich orientiert ist. Zur Erforschung des Verhältnisses von Dtn und 2 Reg 22f, das im Rahmen dieser Arbeit - der "Reformbericht" in 2 Reg 23 geht weder auf die Administration noch auf das Gerichtswesen ein - nicht untersucht werden soll, vgl. auch Dietrich, VT 27 (1977), 13-18; Spieckermann, Juda (1982), 17-30; Lohfink, BEThL 68 (1985), 24-48. Zur Geschichte der Forschung zum Gerichtswesen des antiken Israel vgl. Niehr, BZ 31 (1987), 206-227. 2 Vgl. de Wette, Beiträge Bd. 1,168ff.265ff. In der "Dissertatio critico-exegetica" geht es zunächst um den Nachweis, daß das Dtn nicht-mosaischer Herkunft ist. Die Verbindung des Dtn mit Josia wird eher beiläufig erwähnt (vgl. ders., Dissertatio critica, 164f Anm. 5). Smend, de Wette, 36, nennt als Vorgänger Hieronymus (Comm. in Ez ad 1,1); Chrysostomus (In Mt hom. 9); Prokop von Gaza (Comm. in IV Reg 22); Th. Hobbes (Leviathan XLII) sowie (mit Verweis auf J. Hempel, ZAW 51 (1933), 299 Anm. 1) G. E. Lessing (Hilkias).

10

Einleitung

Vorgängern vertritt er aber die These, daß dieses Gesetzbuch nicht aus mosaischer Zeit stamme, sondern erst kurz vor seiner Auffindung um 620 v. Chr. entstanden sei.3 Neben dieser Verankerung der Entstehung des Dtn in der Geschichte des spätvorexilischen Staates Juda sind folgende Beobachtungen de Weites für die weitere Forschung am dt Gesetz wegweisend: Mit der Feststellung, daß das als josianisches Gesetzbuch identifizierte Dtn in seinem Umfang nicht notwendig mit dem vorliegenden kanonischen Buch übereinstimme, eröffnet er die bis heute nicht abgeschlossene Diskussion über den Umfang nachjosianischer bzw. nachdtn Erweiterungen des Dtn.4 Ferner findet er in der dt Gesetzgebung, deren offenkundig "correctorische[r] Charakter" nur beiläufig erwähnt wird, neben neuen Gesetzen, "die ein neuer Zustand der Dinge mit sich geführt hatte", auch solche Gesetze, die "abgeändert [sind], wie sie eine spätere Zeit abgeändert hatte"5. Somit ist bereits bei de Wette die Frage nach der Verwendung eventuell überarbeiteten älteren vorjosianischen bzw. vordtn Materials im dt Gesetz angesprochen. Darüber hinaus macht er auf den eigentümlichen Charakter der dt Gesetzgebung aufmerksam, wie er nicht nur in den Einleitungsreden in Dtn 1-11, sondern auch in dem eigentlichen Gesetzeskorpus in Dtn 12-26 zu Tage trete: "Und in der Gesetzgebung ist eine gewisse moralische Tendenz hervorgetreten, wir hören nicht mehr die Juristen in ihrer einfachen, gebietenden und bestimmenden Sprache die Gesetze auslegen, sondern wir glauben einen Moralisten, einen Prediger zu hören, der uns die Beobachtung der Gesetze ans Herz legt, und uns durch religiöse Beweggründe dazu zu bewegen sucht."6 Eine epochemachende Neuformulierung haben de Weites Thesen, die sich in der Folgezeit fast allgemein durchgesetzt haben, durch A. Kuenen, Κ Η. Graf und J. Wellhausen erfahren.7 Auf Anregung von E. Reuss, L.

3

Vgl. de Wette, Beiträge Bd. 1, 168ff.265ff. Zweifel an der Aufrichtigkeit Hilkias werden schon vor de Wette im 18. Jh. unter Deisten und Rationalisten laut. Hierzu vgl. Paul, BEThL 68, 9-12. De Wette gebührt aber das Verdienst, seine Zweifel an der mosaischen Autorschaft des Dtn zu einer tragfähigen wissenschaftlichen Hypothese entwickelt zu haben. 4 Vgl. die Fußnote bei de Wette, Beiträge Bd. 1,176f. Nach de Wette sind die Nachträge allerdings auf die Rahmenkapitel beschränkt. Vgl. ders., Einleitung, 198f. 5 De Wette, Beiträge Bd.l, 280. 6 A.a.O., 275f (Hervorhebung im Original gesperrt). Zu Dtn 1-11 vgl. a.a.O., 276ff; zu Dtn 12ff vgl. a.a.O., 279f. 7 Kuenen, Godsdienst (1869-70); Graf, Bücher (1866); ders., AWEAT 1 (1869); Wellhausen, Composition, 1-208 (1885; erstmals 1876-77 in JdTh 21 u. 22); ders., Prolegomena (1878 als Geschichte Israels I).

Einleitung

11

George und W. Vatke8 sehen sie anders als de Wette nicht mehr das Dtn, sondern die später zu datierende priesterschriftliche Gesetzgebung als Schlußpunkt der Entstehungsgeschichte des atl. Gesetzes an. Die religionsgeschichtliche Bedeutung des Dtn hat dadurch freilich nicht abgenommen. Besonders deutlich zeigt dies die Rekonstruktion der atl. Religions- und Literaturgeschichte durch Wellhausen.9 Danach dokumentiert das Dtn, insofern es die okkasionelle und partikulare Form der prophetischen Religion zu einem das ganze Leben umfassenden Gesetz durchrationalisiert, den Übergang von der israelitischen Religion zum Judentum. Seiner Herkunft nach gehört es somit für Wellhausen noch eindeutig in die Geschichte der prophetischen Religion, es "krönt die Arbeit der Propheten"10. Andererseits gilt Josias Versuch, mit dem (Kern des) Dtn "eine bestimmt formulirte schriftliche Thora zum Reichsgesetz zu erheben"11, als eine wesentliche Voraussetzung der späteren Gesetzesreligion. Es handele sich um den folgenreichen ersten Schritt, "um der Theokratie eine kodifizierte Grundlage zu geben und das Volk des heiligen Wortes in ein Volk der heiligen Schrift zu verwandeln"12. So sei selbst das prophetische Reformanliegen langfristig nur auf dem Gebiet der Kultkritik geschichtsmächtig geworden. Durch die von ihr hervorgerufene Kultzentralisation habe sie nämlich - entgegen der ursprünglichen Intention - die Grundlagen der nachexilischen Hierokratie geschaffen.13 Da die Normierung der Religion im Dtn die geschichtlich notwendige Voraussetzung für ihren Fortbestand nach dem Verlust der sie tragenden Staatlichkeit sei14, komme die prophetische Reformation mit dem Dtn "schließlich gerade durch das Exil zum Ziel"15 und erlange das Dtn erst in exilischer (in der Gola) und in nachexilischer Zeit (in Juda) seine rechte Wirkung.16 Dennoch ist nach Wellhausen die dt Gesetzgebung noch deutlich von der priesterschriftlichen Gesetzgebung der nachexilischen Gesetzesreligion unterschieden. Hierfür verweist Wellhausen vor allem auf die jeweiligen institutionellen Voraussetzungen der Gesetzgebung: "Israel ist im Deuteronomium ... zwar ein 8

Vgl. Wellhausen, Prolegomena, 4f mit Anm. 1. Außer den in Anm. 7 genannten Arbeiten Wellhausens vgl. ferner ders., Geschichte, insbes. 127-138; ders., Religion, 24ff. 10 Ders., Geschichte, 129. 11 Ders., Prolegomena, 402. 12 Ders., Geschichte, 129; ähnlich in ders., Prolegomena, 408; vgl. ferner a.a.O., 402. 13 Vgl. ders., Geschichte, 131f. 14 Die geschilderte innere Entwicklung der israelitischen Religion und Wirkungsgeschichte des Dtn ist somit nach Wellhausen maßgeblich durch äußere politische Ereignisse beeinflußt, und zwar vor allem durch den Verlust der Staatlichkeit und die Exilierung. 15 A.a.O., 141f. 16 Vgl. a.a.O., 141ff; ders., Composition, 358. 9

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Einleitung

frommes Volk, aber doch ein Volk, ein bürgerliches Gemeinwesen - in Q ist es eine Kirche, eine Gemeinde, die rein aufgeht in den geistlichen Angelegenheiten"17. Auch die sogenannten Ämtergesetze in Dtn 16,18-18,22 weisen wohl für Wellhausen auf staatliche Verhältnisse hin, da er sie als "eine Art Verfassungsgesetz (welches freilich das Bestehende voraussetzt und wenig daran ändert)"18 bezeichnet. Daß sie seiner Ansicht nach durch nachträgliche Korrekturen an die nachexilischen Verhältnisse angeglichen werden mußten19, bestätigt diese Einschätzung. Die Titulatur "Reichsgesetz"20 für den Kern des Dtn, die sicher auch als pointierter (und wertender) Gegenbegriff zum nachexilischen Priesterkodex gewählt ist21, bezieht sich demnach nicht nur auf die offizielle Anerkennung und Einführung des dt Gesetzes durch Josia. Vielmehr hat sie auch inhaltliche Anknüpfungspunkte im dt Gesetz. Die Einsicht in die vorausgesetzten institutionellen Bedingungen der Abfassungszeit des Dtn hat auch Konsequenzen für die Herausarbeitung seines Grundbestandes. Das zum Reichsgesetz erhobene Programm der prophetischen Reformpartei ist nach Wellhausen ausschließlich in dem eigentlichen Gesetzeskorpus in Dtn 12-26 zu suchen22, ohne mit diesem identisch zu sein. Das dt Gesetz, das aus neuen Bestimmungen sowie (zu einem großen Teil) aus aktualisiertem älteren Material bestehe23, sei nämlich durch seine späteren Editoren überarbeitet und auch ergänzt worden.24 Zu den Nachträgen gehören nach Wellhausen hauptsächlich solche Bestimmungen, denen "die Anschauung eines wirklichen jüdischen Reiches ... schon gänzlich zu fehlen [scheint]" und deren "unpraktische[r]

17

A.a.O., 202. Mit Q ist an dieser Stelle der "Priesterkodex" gemeint. A.a.O., 357. 19 Vgl. a.a.O., 357f. 20 Sie begegnet bei Wellhausen erstmals in der "Geschichte Israels I" von 1878 (418 = Prolegomena, 402) und wird in ders., Geschichte, 129, beibehalten. Der Sache nach findet sie sich schon in der Bemerkung, daß "unter Josia das Buch der Thora aufgefunden und feierlich als Gesetz publicirt" worden sei (JDTh 22 (1877), 458 = Composition, 187). 21 Der kirchliche Priesterkodex ist das ausgeführte Bild der heiligen Verfassung des Judentums. Vgl. ders., Prolegomena, 420 u.ö. Zur Wertung und Gegenüberstellung von "profan" und "heilig", von "staatlich" und "kirchlich" bei Wellhausen vgl. Perlitt, Vatke und Wellhausen, 216-233. 22 Vgl. Wellhausen, Composition, 188ff. 23 Vgl. ders., Geschichte, 131: "Die sozialen und moralischen Forderungen [sc. des Dtn] ... waren seit lange gepredigt und eben so lange überhört." Ferner ders., Prolegomena, 33.401. Zu den Vorlagen zähle auch das Bundesbuch, das durch das Dtn ersetzt werden solle. Vgl. ders., Composition, 201f. Ahnlich schon Kuenen, Einleitung, §13,32. S.u. S. 18 Anm. 63. 24 Vgl. Wellhausen, Composition, 192. 18

Einleitung

13

Idealismus... dem Gesetze selbst total [widerspricht]"25. Das von vornherein auf öffentliche Geltung angelegte Gesetz26 sei nämlich "kein Hirngespinst eines müßigen Kopfes, sondern ebenso entstanden aus geschichtlichem Anlaß, wie in den Verlauf des geschichtlichen Prozesses wirksam einzugreifen bestimmt"27. Somit wird der Pragmatismus, wie er dem dt Gesetz insgesamt bescheinigt wird, zum sachlichen Kriterium für die Ausscheidung späterer Ergänzungen. Für die Rekonstruktion der im dt Gesetz vorausgesetzten Organisation des Gerichtswesens sind schließlich noch folgende Beobachtungen Wellhausens wichtig: So macht er auf die Bemühungen des dt Gesetzgebers um eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung aufmerksam.28 Ferner weist er darauf hin, daß im dt Gesetz die Gerichtsbarkeit in den Provinzstädten zumeist "geborenen Richtern, d[en] Ältesten," obliegt, obwohl nach Dtn 16,18 die "Richter ... gesetzte Beamte [sind]"29. Wie sich dieses Nebeneinander von Gerontokratie und Bürokratie in der Rechtsprechung erklärt, und in welchem Verhältnis Älteste und Richter stehen, erörtert Wellhausen jedoch nicht. Zu einer völlig anderen Einschätzung der Entstehungsbedingungen des Dtn gelangt G. Hölscher in seiner fundamentalen Kritik an der de WetteWellhausenschen These.30 Insbesondere in seinem Beitrag "Komposition und Ursprung des Deuteronomiums" bemüht er sich um den Nachweis, daß der Kern des Dtn nicht mit dem Gesetzbuch Josias gleichzusetzen sei, sondern aus nachexilischer Zeit stamme. Dieser Kern, der aus methodologischen Gründen nicht im Vergleich mit 2 Reg 22f, sondern Dtn-immanent auf literarkritischem Weg erhoben wird31, finde sich im Grundbestand der singularischen Stücke von Dtn 6-28.32 Seine nachexilische Ent25

Ebd., zu den Kriegsgesetzen in Kap. 20 und zu 15,4f. Vgl. ders., Prolegomena, 402. 27 A.a.O., 34. 28 Vgl. ders., Composition, 358. 29 A.a.O., 357. 30 Hölscher, Geschichte, bes. 130-134; ders., FS Gunkel, 158-213; ders., ZAW 40, 161255. Alle drei Arbeiten sind 1922/23 entstanden. Neben der Kritik an der üblichen Datierung des Dtn ist für seine Gegenthese die differenzierte historische Wertung von 2 Reg 22f entscheidend. Diese gesteht der josianischen Reform (neben anderen Reformen von Asa über Josaphat bis zu Hiskia) Historizität zu, nicht aber ihrer Initiierung durch ein Gesetzbuch. Vgl. ders., FS Gunkel, 212; ders., Geschichte, 90-100. Vgl. auch die Darstellung bei Spieckermann, Juda, 19f, dessen eigene Position nicht zuletzt Ergebnis der Auseinandersetzung mit Hölscher ist. 31 Vgl .Hölscher, ZAW 40,189-191. 32 Zur Abgrenzung des "Urdtn" vgl. die Zusammenfassung der Analyse des Dtn a.a.O., 225ff. 26

14

Einleitung

stehung beweise der fiktive geschichtliche Hintergrund der Rahmenkapitel, der "das Spiegelbild der Lage Israels im Exil"33 sei, sowie der utopische, gänzlich realitätsferne Charakter der dt Gesetzgebung. In ihr zeige sich "der unpraktische Idealismus der priesterlichen Schule, der das ganze Gesetz beherrscht und unbekümmert um die Wirklichkeit seine Konstruktionen in die Luft baut"34. Hieraus folge, daß das Dtn nicht unter den Bedingungen eines existierenden Staatswesens entstanden sein könne. Es sei vielmehr als Programm einer Neuordnung Israels nach dem Exil zu verstehen.35 Dieses greift nach Hölscher aber auch auf älteres Material zurück. So rechnet er die Gesetze, nach denen die Rechtsprechung den Stadtältesten obliegt, zu den Vorlagen des dt Gesetzgebers. Diese hält er für "Rechtssätze des alten Laienrechts"36, die durch ihren Inhalt zeigen, "daß sie im wesentlichen der vorexilischen Praxis entstammen"37. Andererseits werden die Gesetze, die Richter erwähnen, dem dt Gesetzgeber zugeschrieben.38 Sie sind demnach Zeugnisse eines nachexilischen Programms. Da aber nach Hölscher das dt Gesetz wegen seiner Realitätsferne auch in nachexilischer Zeit niemals verwirklicht worden ist, dürfte ihre institutionsgeschichtliche Verankerung - wie die des dt Gesetzes insgesamt kaum möglich sein.39 Für eine Rekonstruktion der im dt Gesetz vorausgesetzten Organisation des Gerichtswesens bedeutet dies, daß Hölscher die Äußerungen zum Gerichtswesen, die auf den dt Gesetzgeber selbst zurückgehen, in keinen rechtshistorischen Bezug zu den Äußerungen stellen kann, die dem dt Gesetzgeber bereits vorgelegen haben. Somit läßt sich nach Hölschers eigenen Ausführungen der Schluß vom ideologischen Charakter des Dtn auf seinen nachexilischen Ursprung historisch weder verifizieren noch falsifizieren. Das ist sicher ein wesentlicher Grund dafür, daß sich Hölscher nicht allgemein durchgesetzt hat40: Es ist derselbe utopische und realitätsferne Charakter des dt Gesetzes, der gegen die vorexilische Entstehungszeit angeführt wird und der zugleich seine historische Verankerung in nachexilischer Zeit von vornherein un33

A.a.O., 229. Ders., Geschichte, 132. Das ist nicht nur sachlich, sondern auch fast wortwörtlich die Gegenposition zu Wellhausen. S.o. S. 13 die Zitate bei Anm. 25 und 27. Vgl. ferner Hölscher, ZAW 40, 227ff sowie 184 (zu Dtn 14,22-27), 186f (zu Dtn 15,19-23; 16,1-17), 193 (zu Dtn 13), 195 (zu Dtn 15,1-3.7-11), 196f (zu Dtn 15,12-15.18), 207f (zu Dtn 20). 35 Vgl. a.a.O., 227-230; ders., Geschichte, 132. 36 Ebd. 37 Ders., ZAW 40, 227. 38 Vgl. a.a.O., 217. Hinsichtlich Dtn 25,1-3 ist Hölscher in dieser Zuordnung allerdings unsicher. 39 Vgl. a.a.O., 227f.252f. 40 Vgl. aber Kaiser, Einleitung, 130ff. 34

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möglich macht. Daß es aber in vorexilischer Zeit gleichfalls realitätsferne Utopien gegeben hat, ist nicht a priori auszuschließen.41 Da in der weiteren Forschung der programmatische Charakter eines vielleicht sogar gegen die ursprüngliche Intention zum Staatsgesetz erhobenen Dtn stärker betont wurde, hat Hölschers Position aber auch eine gewisse Korrektur der Wellhausenrezeption herbeigeführt.42 Das gilt ebenso für seine methodologischen Überlegungen zur Rekonstruktion der literarischen Entstehungsgeschichte des Dtn. Vor allem hat er der Ansicht, zur Erklärung der literarischen Probleme des Dtn sei am ehesten eine Ergänzungs- und keine Urkundenhypothese heranzuziehen, zu weitgehender Anerkennung verholfen.43 Am Ende der Debatte um das Dtn in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts, aus der hier lediglich die Position Hölschers referiert wurde, haben sich die entstehungsgeschichtlichen Eckdaten der de Wette-Wellhausenschen These behauptet.44 Für eine rechts- und institutionsgeschichtliche Einordnung der Gerichtsorganisation im dt Gesetz ergibt sich hieraus folgendes: Ist das Gerichtswesen Gegenstand überarbeiteter oder neugeschaffener Bestimmungen, die dem josianischen Reichsgesetz zuzurechnen sind, dann geben diese die Verhältnisse der josianischen Zeit wieder. Sollten die Bestimmungen aber nicht mehr zur Durchführung gelangt sein, so beinhalten sie zumindest solche Institutionen, die dem Gesetzgeber unter den Bedingungen der josianischen Zeit als praktikabel erschienen sind. Sofern es sich aber um älteres und nicht überarbeitetes Material handelt, spiegelt es die Verhältnisse der Entstehungszeit des Dtn, d.h. der späten Königszeit in Juda vor der josianischen Reform. Weiterhin ist zu fragen, ob die Darstellung der Gerichtsorganisation in diesem Fall nicht eine genauere historische Einordnung des Dtn ermöglicht. Die im Zusammenhang der de Wette-Wellhausenschen These erwogenen Datierungen reichen von einem "Vorreformator" Hiskia (725-697 41 Diesen Einwand erheben schon Greßmann, ZAW 42, 335 u.ö.; Budde, ZAW 44, 206f; Baumgartner, ThR 1, 23. 42 Vgl. u.a. Budde, ZAW 44, 180; Noth, Gesetze, 58-67. Bereits Wellhausen vertritt die Ansicht, daß das josianische Reichsgesetz zugleich ein prophetisches Reformprogramm gewesen sei. S.o. S. llff. 43 Hierzu vgl. Hölscher, ZAW 40, 176-179. Für eine Urkundenhypothese hat sich nach Wellhausen (vgl. zusammenfassend: Composition, 193) vor allem Steuemagel, Dtn, lOff und passim, ausgesprochen. Eine Ergänzungshypothese haben vor Hölscher u.a. bereits Kuenen, Einleitung, §7, sowie Bertholet, Dtn, XIX, vertreten. Eine vermittelnde Position nimmt Hempel ein. S.u. S. 16. 44 An dieser Stelle sei nochmals ausdrücklich auf die Sammelrezension von Baumgartner, ThR 1, 7-25, hingewiesen, in der die wichtigsten Kontrahenten der Debatte vorstellt werden.

16

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v.Chr.) über das assyrische Besatzungsregime zur Zeit Manasses und seines Sohnes Amon (696-642/641-640 v.Chr.) bis zum Vorabend der Reform unter Josia (639-609 v.Chr.).45 Sie umfassen damit einen Zeitraum großer politischer Umwälzungen. Es ist durchaus möglich, daß sich diese innenpolitisch auf die Organisation der Verwaltung und des Gerichtswesens ausgewirkt haben. Ein solcher Prozeß müßte dann auch aus dem dt Gesetz erkennbar sein. Die Rekonstruktion der institutionellen Voraussetzungen könnte somit zur Bestätigung und günstigstenfalls sogar zur Präzisierung der entstehungsgeschichtlichen Eckdaten der de Wette-Wellhausenschen These beitragen. Sie wird aber dadurch erschwert, daß die literarhistorische Einordnung ihrer Quellengrundlage hinsichtlich der Einzeltexte ebenso unsicher wie umstritten ist. Die breite Anerkennung der Verbindung der formgebenden Grundschicht des dt Gesetzes mit den Ereignissen einer josianischen Reform schließt nämlich weder eine umfangreiche Vorgeschichte der einzelnen Texte noch eine lange Nachgeschichte späterer Redaktionen aus. Die literarische Vorgeschichte der im dt Gesetz zusammengestellten Texte hat erstmals J. Hempel in seiner 1914 erschienenen Arbeit "Die Schichten des Deuteronomiums" monographisch behandelt. In ihr gelangt Hempel, ähnliche Überlegungen von R. Kittel weiterführend46, zu dem Ergebnis, daß im dt Gesetz drei Quellen verarbeitet sind.47 Die älteste von ihnen gehe zum Teil auf vorjahwistische Traditionen zurück und sei spätestens in salomonische Zeit zu datieren.48 Sachlich stehe sie dem Bundesbuch, Ex 34 und Lev 17-20 nahe.49 Unter Hiskia sei sie vom Verfasser des josianischen Dtn im Hinblick auf die Zentralisationsidee überarbeitet und um zwei weitere Quellen ergänzt worden.50 Hempels Frage nach den literarischen Vorlagen des Dtn wurde 1930 von F. Horst weiterverfolgt.51 Als Grundlage von Dtn 12-18 nimmt er einen Dekalog mit fünf Gesetzespaaren an, die um dtn "Legalinterpretationen" erweitert sind.52 45

Vgl. Preuß, Dtn, 26-33, mit Literaturangaben zu den einzelnen Datierungsvorschlä-

gen. 46

Vgl. Kittel, Geschichte Bd. I2, 257ff. In der 3. Aufl. schließt sich Kittel weitgehend der Position Hempels an. Vgl. ders., Geschichte Bd. I3,283-293. 47 Vgl. Hempel, Schichten, 253. 48 Vgl. a.a.O., 254. 49 Vgl. ebd. 50 Vgl. a.a.O., 258f. 51 Horst, Privilegrecht. 52 Vgl. zusammenfassend a.a.O., 150-154.

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Im Gegensatz hierzu vertritt G. v. Rad in seinen "Deuteronomium-Studien" von 1947 die Ansicht, daß das als "Laieninterpretation des Gesetzes"53 zu verstehende Dtn, dessen Verfasser in levitischen Kreisen zu suchen seien54, die verschiedenartigsten Materialien aufnehme. So fänden sich im dt Gesetz alte apodiktische Reihen55 und verschiedene Formen konditionaler Gesetze56; ferner paränetische Gesetze, bei denen keine älteren Vorlagen zu erkennen seien57, und solche Gesetze, die alte kultische Bräuche aufnähmen. Hierzu zählten auch die Kriegsgesetze, die "sehr alte Normen aus dem Heiligen Krieg" aktualisierten.58 Die Texte, die Angaben zum Gerichtswesen enthalten, verteilen sich auf das gesamte Spektrum dieser Formen. Traditionsgeschichtlich weist dieses sehr unterschiedliche Material nach v. Rad vor allem auf spezifisch nordisraelitische Traditionen.59 Diese Herleitung des Dtn aus der Predigt levitischer Kreise, die vor allem auf nordisraelitische Traditionen zurückgriffen, ist für einen langen Abschnitt der Dtn-Forschung repräsentativ.60 In der Folgezeit ist die literarische Vorgeschichte des Dtn dann nochmals eingehend von R Merendino (Das deuteronomische Gesetz, 1969), G. Nebeling (Die Schichten des deuteronomischen Gesetzeskorpus, 1970) und M. Seitz (Redaktionsgeschichtliche Studien zum Deuteronomium, 1971) untersucht worden. Die Arbeiten unterscheiden sich im methodischen Ansatz61 und kommen in der literarischen Analyse zu sehr kontro53

V. Rad, Dtn-Studien, 9. Vgl. a.a.O., 46f; Dtn, 16ff. 55 Hierzu zählen z.B. Dtn 16,19.21-17,1; 22,5a.b.9-ll; 23,1-4.8. Vgl. ders., Dtn-Studien, 12-14. 56 A.a.O., 14f, unterscheidet er konditionale Gesetze, die "durch Umsetzung in den deuteronomischen Du-Stil dem Ganzen angepaßt sind, außerdem aber nur mit kleinen homiletischen Floskeln durchsetzt sind" (so Dtn 21,22f; 22,6-7.8; 23,22-24.25-26; 24,1012.19) von "reinen Konditionalgesetzen ..., also juristischen Formulierungen, ohne alle homiletische Durchdringung" (so Dtn 21,15-17.18-22; 22,13-29; 24,1-4; 25,1-3; 25,5-10). 57 Es handelt sich u.a. um Dtn 13,1-6.7-19; 17,14-20; 18,9-22; 19,1-13. Vgl. a.a.O., 15. 58 A.a.O., 15. Ferner nennt er Dtn 21,1-9; 26,1-11. 59 Vgl. a.a.O., 47f; ders., Dtn, 16ff. 60 So vertritt Bentzen, Reform, insbes. 58-111, die Ansicht, daß der Schwerpunkt der "deuteronomistisch-levitischen Reformbewegung" ursprünglich in Israel liegt. Nach 722 v. Chr. sei er unter Aufnahme spezifisch judäischer Traditionen nach Juda übergegangen. Vgl. ferner Horst, Privilegrecht, 153f; Wright, VT 4, 325-330, sowie Lindblom, Erwägungen, insbes. 44-56. Für ihn sind vormals kultisch ungebundene Leviten, die das Recht beanspruchen, am Zentralheiligtum als vollwertige Priester anerkannt zu werden, die Verfasser des dt Reformprogramms. Dieses habe einen deutlich nordisraelitischen Einschlag. Zur nordisraelitischen Herkunft vgl. vor allem Welch, Code, inbes. 38.76.190ff und passim; Galling, FS Bertholet, 176-191; ders., ThLZ 76,133-138; Λ/ί, Heimat, 250-275; Clements, VT 15, 300-312; Nicholson, Dtn, 58-82; Weinfeld, BEThL 68, 83ff. 61 Vgl. hierzu Nebeling, Schichten, 17-21. 54

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versen Ergebnissen.62 Einig sind sie sich lediglich darin, daß die vorliegende Gestalt des dt Gesetzes auf einen vielschichtigen literarischen Entstehungsprozeß zurückgehe. So arbeitet Nebeling eine durchlaufende vordtn Schicht heraus, die die Grundlage des dt Gesetzes bilde. Sie enthalte wohl durchweg vorstaatliche Anordnungen und sei wahrscheinlich zur Zeit der altisraelitischen Amphiktyonie zusammengestellt worden. In zwei weiteren vordtn und einer in sich geschichteten dtn-dtr Schicht sei sie ergänzt und überarbeitet worden. Nach Merendino ist eine vordtn Sammlung des zum Teil bereits in kleineren Zusammenstellungen vorliegenden vordtn Materials durch eine vordtn sowie eine dtn Redaktion überarbeitet worden. Die dtn Redaktion sei nicht vor der Reform Josias anzusetzen. Schließlich unterscheidet Seitz eine dtn Sammlung des zum Teil bereits vereinigten vordtn Materials sowie ihre dtn und ihre dtr Redaktion. In jüngster Zeit werden bei der Rekonstruktion der Vorgeschichte des dt Gesetzes wieder verstärkt dessen Verbindungen zum Bundesbuch, das zum Teil als direkte literarische Vorlage angesehen wird, herangezogen.63 So vertritt E. Otto in mehreren Beiträgen die Ansicht, daß das vordtr Dtn in 12-26 eine aktualisierende Neufassung des Bundesbuches sei. Diese habe auch andere, teilweise bereits schon zu Teilsammlungen verbundene, vordtn Materialien verarbeitet.64 Diese Auffassung wird für einen Teilbereich des dt Gesetzes durch B. Levinson bestätigt, der in seiner Monographie "The Hermeneutics of Innovation" von 1991 herausgearbeitet hat, daß Dtn 12 und 16,1-17 eine Exegese des Bundesbuches unter dem Leitgedanken der Kultzentralisation seien.

62

Dies belegen eindrücklich die Zusammenfassungen der Analysen bei Merendino, Gesetz, 398-408; Nebeling, Schichten, 250-261; Seitz, Studien, 303-311. Dort auch zum folgenden. 63 Schon Kuenen, Einleitung, §13,32 (vgl. §9,3), betrachtet Dtn 12-26 als "eine bedeutend erweiterte und veränderte Ausgabe des Bundesbuches". Vgl. ferner Driver, Dtn, iii-xix. Anders Steuernagel, Dtn, 39f, der das dt Gesetz weder für eine Neuformulierung des Bundesbuches noch für dessen Ersatz hält. Gemeinsamkeiten seien auf die partielle Benutzung des gleichen Materials durch die jeweiligen Sammler des Bundesbuches und des dt Gesetzes zurückzuführen. Dies erwägt auch v. Rad, Dtn, 9. Vgl. ferner Merendino, Gesetz, 401f; Carmichael, Laws, 53-67. Nebeling, Schichten, 266 mit Anm. 1101 u.ö., geht von einer gemeinsamen Grundlage seiner vordtn Schicht Α des dt Gesetzes und des Bundesbuches aus. Beherzigenswert ist die Mahnung bei Driver, Dtn, vii, die allseits angeführten Parallelen zwischen beiden Rechtssammlungen (vgl. u.a. die Tabellen bei Preuß, Dtn, 104-106; Driver, Dtn, iv-vii) in jedem einzelnen Fall zu prüfen. Zur Forschungsgeschichte des Verhältnisses von Bundesbuch und Dtn vgl. Levinson, Hermeneutics, 78-114. 64 Vgl. Otto, FS Herrmann, 290-306 (1991); ders., Rechtsreformen (1992); ders., FS Lohfink, 260-278 (1993).

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Die Nachgeschichte der späteren Redaktionen des dt Gesetzes stellt sich der Forschung nicht weniger vielgestaltig dar. Die literarische Einordnung des Hauptteils dieser Redaktionen geht auf die 1943 von M. Noth in seinen "Überlieferungsgeschichtlichen Studien" begründeten These eines die Bücher Dtn bis 2 Reg umfassenden dtr Geschichtswerkes zurück. Noth selbst ist allerdings noch der Meinung, daß der eine Verfasser des dtr Geschichtswerkes das dt Gesetz "im wesentlichen bereits in der Form, in der es uns heute in Dtn. 4,44-30,20 vorliegt"65, seinem Werk eingefügt hat. In der weiteren Forschung setzt sich jedoch immer mehr die Überzeugung einer womöglich vielschichtigen dtr Bearbeitung des dt Gesetzes durch. Dabei ist zu beobachten, daß der Anteil der als dtr erkannten Passagen ständig zunimmt. Nach Merendino beschränkt er sich noch auf einige (Teil-)Verse. Im Gegensatz dazu scheinen dem Forschungsüberblick von H. D. Preuß aus dem Jahre 1982 zufolge die dtr Schichten oftmals diejenigen zu sein, in denen erstmals eine mit dem vorliegenden Text verwandte Textgestalt hervortritt.66 Nach Preuß ist das Dtn daher vor allem als Programm der dtr Schule zu verstehen. Ähnliches hat N. Lohfink bereits 1971 für die sogenannten Ämtergesetze in Dtn 16,18-18,22 vertreten, die in ihrer vorliegenden Gestalt als dtr Verfassungsentwurf für die nachexilische Zeit aufzufassen seien.67 Dieser Ansicht hat sich u.a. G. Braulik angeschlossen, der die Entstehung des dt Gesetzes als sukzessive Ergänzung von drei Gesetzesblöcken beschreibt.68 Demnach sind das vorexilische "Privilegrecht" in Dtn 12,2-16,17 und der exilische "Verfassungsentwurf in Dtn 16,18-18,22 um das "Straf- und Zivilrecht" in Dtn 19-25 erweitert und nach der Abfolge des Dekalogs angeordnet worden. Der Anlaß für die "massive Erweiterung des legislativen Materials" seien "konkrete Bedürfnisse der exilischen und nachexilischen Gemeinden"69 gewesen, womit allerdings noch keine Entscheidung über die Entstehungszeit der Einzelgesetze getroffen ist.70 Damit erfährt Hölschers Interpretation bei allen Unterschieden (auch hinsichtlich der Datierung) zumindest für Teile des dt Gesetzes eine bemerkenswerte Renaissance. In dem Maße, in dem eine Abgrenzung des dt Gesetzes von seinen späteren dtr Redaktionen wie von seinen vorgegebenen Materialien unsicherer wird, gerät auch die historische Verankerung eines solchen Gesetzbu65

Noth, ÜSt, 16. Preuß, Dtn. Vgl. außer der Schichtentabelle (a.a.O., 46-61) den Literaturbericht zu Dtn 12-25 (a.a.O., 103ff). 67 Lohfink, SBAB 8,305-323. 68 Zuletzt: Braulik, Gesetze (1991). 69 Vgl. ders., Dtn, 12 (Hervorhebung von B.). 66

70

Vgl. ders., Gesetze, 116.

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ches zunehmend in Schwierigkeiten. Das ist Anlaß genug für den Versuch, mit der Untersuchung der institutionellen Voraussetzungen der einzelnen Texte in der historischen Einordnung des Dtn wieder an Boden zu gewinnen. Im Hinblick auf die Rekonstruktion der literarischen Vorlagen des dt Gesetzes kann eine solche Untersuchung auch zur Überprüfung der Ergebnisse dienen, da sich die herausgearbeiteten vordtn Materialien und Sammlungen in vordtn Zeit institutionell einordnen lassen müßten. Das ist vor allem dort geboten, wo im Rückgriff auf die Ergebnisse der Gattungsgeschichte vorschnell vom Alter der Gattung auf den historischen Ort des Einzeltextes geschlossen wird. Ferner muß nach dem Grund für die Verwendung älteren oder gar ältesten Materials in der dt Gesetzgebung gefragt werden. Geht diese auf institutionelle Kontinuität zurück oder handelt es sich um einen Versuch, frühere Verhältnisse zu restituieren? Bereits 1854 geht E. Riehm in seiner Untersuchung über "Die Gesetzgebung Mosis im Lande Moab", in der "nur aus den im Deut, sich findenden Spuren der Zeitverhältnisse des Verfassers und aus der vorausgesetzten oder gebotenen Gestaltung der religiösen Institute die Abfassungszeit des Buches ermittelt werden" soll, ausführlich auf das Gerichtswesen ein.71 Er bewertet es als "wohlgeordnet und einem in der Bildung fortgeschrittenen Staate ganz angemessen"72. Dies mache die Professionalisierung der Rechtspflege durch Einsetzung von Gerichten, die sachgemäße Zuständigkeit der städtischen Magistrate in Familiensachen sowie die Existenz eines Obergerichts für schwierige Rechtsfälle deutlich. Das Obergericht werde vom dt Gesetzgeber als bereits bestehend vorausgesetzt und verdanke sich, wie die Gerichte in den einzelnen Städten, der in 2 Chr 19 erwähnten Rechtsreform Josaphats. Die dt Gesetzgebung läßt nach Riehm also die Gerichtsordnung eines Staatswesens erkennen, deren Einführung historisch sicher eingeordnet werden kann. Die erneute Forderung des dt Gesetzes, nach 2 Chr 19 längst amtierende Richter einzusetzen, lasse sich als Erneuerung der mancherorts vielleicht in Vergessenheit geratenen Institution oder als rhetorisches Mittel erklären. In diesem Fall solle die Befehlsform die Maßnahmen Josaphats sanktionieren und als Anknüpfungspunkt für Ermahnungen an die Richter dienen. Auch nach G. Chr. Machhob' Beitrag "Zur Geschichte der Justizorganisation in Juda" von 1972 gehen die dt Anordnungen zur Einsetzung von Richtern und zum zentralen Obergericht rechtshistorisch auf das von

71 Riehm, Gesetzgebung, 5. Zum Gerichtswesen vgl. a.a.O., 61-65.86-89. Dort auch zum folgenden. 72 A.a.O., 64.

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Josaphat eingeführte staatliche Gerichtswesen zurück.73 Im Gegensatz zu Riehm stellt er jedoch charakteristische Änderungen der bestehenden Gerichtsorganisation im dt Gesetz fest74: Daß im Gegensatz zu 2 Chr 19 die Bestallung der Richter durch das Volk und nicht durch den König erfolgt, interpretiert er als Leugnung königlicher, d.h. staatlicher Jurisdiktionskompetenz. Auch orientiere sich der Aufbau des Gerichtswesens im dt Gesetz nicht an staatlichen Verhältnissen, sondern an einer Stammesorganisation. Aus diesem Grund seien die Richter für Stämme und nicht mehr für staatliche Verwaltungsbezirke zuständig. Ebenso mache die fehlende volle Jurisdiktionskompetenz des Obergerichts deutlich, daß für den dt Gesetzgeber das Gerichtswesen keine staatliche Angelegenheit mehr sei. Ob diese Auffassung, die sich nach Machholz in eine "Gesamttendenz des Dtn" einfügt75, nur Programm oder nachstaatliche Realität ist, bleibt unerörtert.76 Zuletzt hat 1992 R Albertz in seiner "Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit" die dt Darstellung des Gerichtswesens aus den in 2 Chr 19 erwähnten Ereignissen hergeleitet. Seine Rekonstruktion geht weit über die seiner Vorgänger hinaus: Das Jerusalemer Obergericht sei für die Abfassung des Bundesbuches verantwortlich, und damit bereits die institutionelle Voraussetzung der hiskianischen Reform.77 Für die "verschiedenen Trägergruppen" der josianischen Reform sei es vollends zum "institutionelle[n] Zentrum"78 geworden. Albertz hält es sogar für wahrscheinlich, daß das Obergericht, das nicht zufällig erstmals in einem Gesetzeskorpus erwähnt werde und in dem hohe Staatsbeamte an die Stelle der früheren Laienrichter träten, für die gesamte dt Reformgesetzgebung verantwortlich ist. Anders als noch in der hiskianischen Reform be73

Machholz, ZAW 84,320.334. Hinsichtlich der Historizität des in 2 Chr 19 Berichteten beruft sich Machholz auch auf Knierim, ZAW 73,146-171, der Ex 18 für eine Ätiologie der Rechtsreform Josaphats hält. Vgl. auch Albright, FS Marx, 61-82. 74 Machholz, ZAW 84,320.335-338. Dort auch zum folgenden. 75 A.a.O., 338. 76 Vgl. aber Kaiser, Einleitung, 133, der aus Machholz" Beobachtungen folgert, daß das Königtum in Juda nicht mehr existiert. Ahnlich schon Hölscher, ZAW 40, 197. Machholz' Position hat Boecker, Recht, 32-40, weitgehend übernommen. Vgl. ferner Wilson, JQR 74, 243-246. 77 Vgl. Albertz, Religionsgeschichte, 280-290. Die Historizität der Rechtsreform Josaphats werde "entgegen zuweilen geäußerter Zweifel ... durch die Texte Ex 18,13-27; Dtn 1,9-18; 17,8-13 gestützt, die eine ähnliche Veränderung der Gerichtsbarkeit aus der Frühzeit begründen wollen" (a.a.O., 286 Anm. 169). Auch Crüsemanit, VT.S 40, 35ff, vermutet in dem Jerusalemer Obergericht den institutionellen Hintergrund des Bundesbuches, datiert dieses aber in die Zeit Josaphats. 78 Albertz, Religionsgeschichte, 317-321 (Zitate: 317). Dort auch zum folgenden.

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schränke sich das Obergericht dabei nicht auf eine Neuordnung kultischen und bürgerlichen Rechts, vielmehr emanzipiere sich das ehemals königliche Gericht vom Königtum und beanspruche das Recht zur Reform des gesamten Staatswesens. Um sein Vorhaben umsetzen zu können, berufe sich das Gericht auf die jenseits der zu verändernden Institutionen liegende Autorität Moses. Auch Alberte' weitgehende Rekonstruktion der institutionellen Voraussetzungen der josianischen Reform gründet auf der nur in 2 Chr 19 erwähnten Rechtsreform Josaphats. Zweifel an deren Historizität äußert bereits Wellhausen.19 Sie sind nach dem Erscheinen von Machholz' Beitrag zum Thema durch mehrere Arbeiten zur chron. Geschichtsschreibung und Analysen des chron. Sondergutes erhärtet worden.80 Eine institutionsgeschichtliche Einordnung der dt Darstellung des Gerichtswesens sollte daher nicht mehr von 2 Chr 19 ausgehen. Schon seit C. Steuemagel (Das Deuteronomium, 11900 u. 21923) setzt sie denn auch vielfach bei den inneren Gesetzmäßigkeiten der dt Reformgesetzgebung ein.81 Nach Steuernagel ist die dt Anordnung, in allen Städten Richter einzusetzen und in schwierigeren Fällen ein zentrales Obergericht anzurufen, eine unmittelbare Konsequenz der Kultzentralisation. Die Abschaffung der lokalen Heiligtümer, die zugleich Gerichtsstätten gewesen seien, beschränke die Möglichkeit priesterlicher Rechtspflege auf das Zentralheiligtum und erfordere zum Ausgleich eine professionelle örtliche Gerichtsbarkeit. Deren Einrichtung könne an mancherorts bestehende 79

Vgl. Wellhausen, Prolegomena, 186. Zur chron. Geschichtsschreibung vgl. grundsätzlich Willi, Chronik; Welten, Geschichte; speziell zur "Rechtsreform Josaphats" u.a. v. Rad, Geschichtsbild, 60-63; Welten, a.a.O., 5f.142.184f; den., Art. Josaphat, 242f; Mosis, Untersuchungen, 70f.l75-178; Strübind, Tradition, insbes. 134-141.145-147 (zu 2 Chr 17,7-9) und 171-176 (zu 2 Chr 19,4-11), dessen Untersuchung sich ausschließlich der chron. Darstellung der Regierungszeit Josaphats widmet. Seine literarische Analyse kommt zu dem Ergebnis, "daß es sich in diesen Sondergut-Abschnitten [sc. 2 Chr 17+19] aller Wahrscheinlichkeit nach um eine Schöpfung des Chronisten selbst handelt" (a.a.O., 141). Vgl. ferner Rüterswörden, Gemeinschaft, 15-19. Sein Vergleich von 2 Chr 19,4-11 mit Ex 18; Dtn 1,9-18; 16,18ff zeigt, daß Dtn 1,9-18 in 2 Chr 19 verarbeitet wird. Demnach setzt 2 Chr 19 die dtr Einleitung des Dtn voraus und gehört in die literarische Nachgeschichte von Dtn l,9ff und 16,18ff (und Ex 18). Die Annahme einer sonst im AT nicht rezipierten Quelle ist unbegründet. Die Erzählung knüpft an den Namen Josaphats, JHWH ist Richter, an. So bereits Wellhausen, Prolegomena, 186. Vergleichbares findet sich in den chron. Darstellungen über Saul (1 Chr 10,13f) und Salomo (2 Chr 8,16). Vgl. Willi, Chronik, 170.185; Rüterswörden, a.a.O., 19 Anm. 62. Sie dient dem Nachweis des Zusammenhangs vom "»Suchen« Jahwes und seines Willens und dem Bemühen um gerechtes Gericht einerseits und der Festigung und Bewahrung der Gemeinde durch Jahwe andererseits" (Mosis, Untersuchungen, 177). 81 Vgl. Steuemagel, Dtnl, 62ff; ders., Dtn, 115ff. 80

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Verhältnisse anknüpfen, da sich bereits in voijosianischer Zeit wegen der zunehmenden Komplexität der Rechtsfragen an einigen Orten Berufsrichter etabliert hätten. Somit kommt nach Steuemagel durch die landesweite Ausdehnung dieser Institution mit der dt Reformgesetzgebung gleichzeitig ein rechtshistorischer Prozeß zum Abschluß.82 Ähnlich urteilt M. Weinfeld in seiner Arbeit "Deuteronomy and the Deuteronomic School" von 1972, in der er von einer weitgehenden Säkularisierung der Rechtspflege spricht, da durch die Kultzentralisation die kultische Rechtsprechung zurückgedrängt würde.83 Wie zuvor A. Alt hält er eine solche säkulare Tendenz für die dt Gesetzgebung insgesamt für charakteristisch.84 Wird infolge der Kultzentralisation die priesterliche Gerichtsbarkeit durch profane Berufsrichter abgelöst, so stellt sich die Frage, weshalb die Kompetenzen der Priester in rechtlichen Angelegenheiten, die nicht am Zentralheiligtum zu regeln sind, auf profane Berufsrichter übergehen und nicht auf die bereits bestehende laikale Torgerichtsbarkeit. Wieso fordert das dt Gesetz die Einsetzung von Richtern in allen Toren? Auf dieses Problem sind zuerst M. Weber und F. Horst eingegangen. So hat Weber in seiner Abhandlung "Agrarverhältnisse im Altertum" von 1909 betont, daß die Kultzentralisation eine gewaltige politische Machtverschiebung zugunsten der hauptstädtischen Priesterschaft bezeuge, mit der zugleich eine staatliche und soziale Neuordnung - einschließlich des Gerichtswesens - erfolgt sei.85 So hat auch nach Weber die Abschaffung der lokalen Heiligtümer zur Einrichtung weltlicher Gerichte geführt. Dieser Vorgang sei seinerseits der "Anstoß zur Entstehung von Anfängen einer rechtsprechenden Bureaukratie"86 gewesen. Somit ginge im vorexilischen Juda, wie andernorts im Alten Orient, die Theokratisierung des Gemeinwesens mit seiner Bürokratisierung einher. Mit Bürokratisierung beschreibt Weber die Herausbildung einer Herrschaftsstruktur. Für den Bereich des Gerichtswesens bedeutet dies, daß die Rechtsprechung aufgrund

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Ähnlich bereits Dillmann, Dtn, 316f. Vgl. Weinfeld, Deuteronomic School, 233-236. Ferner ders., IEJ 23, 233. Hier erläutert Weinfeld, was unter "secular trends" und insbesondere unter der Aussage "Israelite judiciary had undergone a process of secularization" (ders., Deuteronomic School, 236) zu verstehen sei: "The secular tendency in this respect is, in our opinion, expressed not by removing the priests from the judicial institutions but by disposing of sacral media in judgment." 84 Vgl. .4ft, Heimat, 254. 85 Weber, Agrarverhältnisse, 89f. 86 A.a.O., 90. 83

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berechenbarer Regeln und durch den Fachmann erfolgt.87 Mit Theokratisierung ist die Entwicklung der Theokratie als Prinzip des Geltungsgrundes von Herrschaft, die Ausbildung der Theokratie als Herrschaftsform gemeint.88 Es handelt sich somit um zwei Aspekte eines herrschaftssoziologischen Gesamtzusammenhanges. Eine entwicklungsgeschichtliche Priorität eines der beiden Aspekte ist nicht zu erkennen. Da Weber die Theokratisierung des Gemeinwesens als Folge politischer Umbrüche und eines durch diese hervorgerufenen wachsenden Einflusses religiöser Stimmungen begreift, wird am ehesten der Theokratisierung eine Priorität in der Genese zukommen.89 Auch nach F. Horst regeln die dt Anordnungen zum Gerichtswesen, auf wen die Gerichtsbarkeit der lokalen Heiligtümer übergeht.90 Wie Steuemagel ist er der Ansicht, daß die Einsetzung von Richtern keine prinzipielle Neuerung darstelle, sondern daß im Rahmen der Reform eine mancherorts bestehende Gerichtsverfassung im ganzen Land obligatorisch gemacht werden solle. Dies habe aber mit den religionsreformerischen Bestrebungen gar nichts zu tun. Vielmehr ziele diese Maßnahme von vornherein auf die administrative Vereinheitlichung des Staates. Somit wird dieser Teilaspekt der von Weber genannten Bürokratisierung neben der Kultzentralisation zum selbständigen Motiv der dt Reformgesetzgebung. Beide Motive sind nach Horst als "Forderungen eines bestimmten innerpolitischen Willens der Jerusalemer ... Hauptstadt zu werten".91 Eine entwicklungsgeschichtliche Priorität der administrativen oder der kultischen Reformziele vertritt Horst nicht. Im Gegensatz zu Horst bezieht sich M. Sekine in seinen "Beobachtungen zu der josianischen Reform" aus dem Jahre 1972 ausdrücklich auf Weber. Er vertritt die These, "dass Josia von Anfang an seinen Staat militärischbürokratisch aufbauen wollte"92. In der Durchführung der These wird der von Weber genannte Zusammenhang von Bürokratisierung und Theokratisierung so gedeutet, daß sich die Reformmaßnahmen zweckrational an der Durchsetzung der Bürokratisierung orientierten. Hingegen wird die Theokratisierung anders als bei Weber nicht als Ausbildung eines bestimmten

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Vgl. hierzu ders., WuG, 562f. Theokratie ist nach Weber die priesteramtliche Form der Hierokratie, in der der Priester als Priester auch die höchste weltliche Macht ausübt. Zur Theokratie vgl. ders., a.a.O., 688ff. 89 Vgl. Weber, Agrarverhältnisse, 89. 90 Horst, Privilegrecht, 129-131. 91 A.a.O., 131. 92 Sekine, VT 22, 362. Er bezieht sich auf Weber, Agrarverhältnisse, 89f. 88

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Herrschaftstyps, sondern als "leitende Idee" aufgefaßt.93 Hierunter versteht Sekine im Hinblick auf die josianischen Reformmaßnahmen ein "theokratisches Ideal", dessen Mittelpunkt die Kultzentralisation bildet. Dieses sei der zur Durchsetzung der Bürokratisierung notwendige theologische Stabilisierungsfaktor gewesen.94 Die Theokratisierung hat somit nach Sekine offenkundig eine Tendenz zum ideologischen Überbauphänomen und ist entwicklungsgeschichtlich eindeutig nachgeordnet. Zuletzt ist H. Niehr 1987 in seiner Darstellung der "Rechtsprechung in Israel" ausführlich auf den Zusammenhang zwischen Kultreform und einer damit verbundenen Reform der Administration eingegangen.95 Anders als die meisten seiner Vorgänger ist er der Ansicht, daß die aufgrund der Konzentration priesterlicher Gerichtsbarkeit erfolgte Einsetzung von weltlichen Richtern keine landesweite Ausdehnung einer mancherorts bestehenden Institution sei. Vielmehr seien im Rahmen der josianischen Reform erstmals in der israelitischen Rechtsgeschichte - die Belege für Richter in Jes und Mi datiert Niehr in die nachexilische Zeit96 - auf lokaler Ebene beamtete Richter eingesetzt worden. Diese institutionelle Neuerung habe offenbar die Ältestengerichtsbarkeit zurückdrängen sollen. Letztere habe ihrerseits in der Königszeit die Jurisdiktionskompetenz des pater familias beschränkt und sich zum Ortsgericht der Vollbürger entwickelt.97 Auch für diese rechtshistorische Entwicklung in vorjosianischer Zeit wird das dt Gesetz als Quellengrundlage herangezogen, da es der atl. Hauptbeleg für eine Ältestengerichtsbarkeit ist.98 Damit tritt bei Niehr ein Hauptproblem der Rekonstruktion der im dt Gesetz vorausgesetzten Gerichtsorganisation besonders deutlich hervor: Sämtliche referierten Beiträge gehen davon aus, daß im dt Gesetz verschiedene Formen der Gerichtsorganisation erwähnt werden, und zwar eine Richterrechtsprechung und eine Ältestengerichtsbarkeit. Es ist daher zu untersuchen, in welchem Verhältnis Älteste und Richter zueinander stehen und welche Aufgaben ihnen in der Rechtsprechung jeweils zukommen. Erweisen sich Richterrechtsprechung und Ältestengerichtsbarkeit als unvereinbar, wie es eigentlich in der Konsequenz der von Niehr 93

Sekine, VT 22,362. A.a.O., 365. 95 Niehr, Rechtsprechung, 87-101. 96 Vgl. ders., Herrschen, 162-164. 97 Vgl. ders., Rechtsprechung, 50-54.63-66. 98 Als Beleg für eine Ältestengerichtsbarkeit gelten außer Dtn 19,1-13 (vgl. Jos 20); 21,1-9; 21,18-21; 22,13-21; 25,5-10 noch 1 Reg 21,Iff; Rt 4,2ff; Esr 10,14. Vgl. Buchholz, Älteste, 56 mit Anm. 9, der ausdrücklich auf die Beweislast hinweist, die den dt Texten auferlegt ist. 94

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vertretenen Ablösung der Ältesten durch beamtete Richter läge, so ist zu fragen, ob es für das Nebeneinander von unvereinbaren institutionellen Voraussetzungen literarhistorische Gründe gibt. In diesem Fall sind grundsätzlich zwei Lösungsansätze denkbar: Da die Richterrechtsprechung im Zusammenhang mit der Kultzentralisation steht, erwägt schon 1910 A. F. Puukko, ob die Gesetze, in denen die Rechtsprechung den Ältesten obliegt, nicht erst nachträglich dem dt Gesetz hinzugefügt wurden, und zwar selbst dann, wenn sie rechtshistorisch ältere Verhältnisse wiedergeben." Im Gegensatz dazu vertritt J. Buchholz in seiner Arbeit "Die Ältesten Israels im Deuteronomium" von 1988 die Ansicht, daß die Ältestengerichtsbarkeit im dt Gesetz zu dessen vordtr Grundbestand gehöre.100 Hingegen sei die Richterrechtsprechung durchweg auf dtr Ergänzungen zurückzuführen.101 So setze die Berufung von Richtern ebenso wie die Nennung eines Richters am zentralen Obergericht das dtr Bild der Richterzeit voraus, das den Richtern die politische und kultische Führung des Gemeinwesens zuweise. Es handele sich um den Versuch, auf den Verlust der staatlichen Ordnung mit dem Rückgriff auf fiktive vorstaatliche Verhältnisse zu reagieren, indem diese in praktikable Vorschriften umgewandelt würden. Desgleichen spiegelten die übrigen Belege für Richter im dt Gesetz keine vorexilischen Verhältnisse. Sie seien aber auch kein juristischer Rück- und literarischer Vorgriff auf das dtr Bild der Richterzeit. Vielmehr bezeugten sie eine exilisch-nachexilische Neuregelung der Gerichtsorganisation. Diese bedeute einen Bruch mit der bisherigen Praxis sakraler Rechtsfindung am (Zentral-)Heiligtum und der Ältestengerichtsbarkeit. Vermutlich gehe sie auf die Initiative der Perser zurück. Das entspreche nachexilischen politischen Verhältnissen. Zudem deute dies Ex 18,13ff an, da nach diesem theologischen Traktat über die Gerichtsreform der entscheidende Anstoß durch Moses ausländischen Schwiegervater erfolgt sei. Dieses grundsätzliche Bestreiten eines Zusammenhangs zwischen Kultzentralisation und Richterrechtsprechung macht deutlich, daß außer einer genauen Beschreibung der Aufgaben der Richter und der Ältesten sowie einer Abgrenzung der beiderseitigen Befugnisse auch eine erneute literarische Analyse der Quellen zum Gerichtswesen notwendig ist. Sollten sich dabei einzelne Texte als dtr erweisen, so bleibt zu untersuchen, in99

Puukko, Dtn, 237. Vgl. Buchholz, Älteste, 55-75. 101 Vgl. a.a.O., 85-99. Dort auch zum folgenden.

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wieweit diese zur Rekonstruktion des Gerichtswesens herangezogen werden können. Schließlich handelt es sich nicht um dtr Redaktionen einer eigenständigen Rechtssammlung. Vielmehr ist der literarische Kontext des dtr überarbeiteten Gesetzes das paränetisch erweiterte und dtr edierte Dtn, das in den Gesamtzusammenhang des DtrG eingebunden ist. Es wird daher im Einzelfall zu prüfen sein, ob tatsächlich Anordnungen mit Gesetzeskraft vorliegen. Erst dann kann der Versuch erfolgen, auf die oben formulierte Frage nach dem Verhältnis von Rechtsprechung und Gemeinwesen eine Antwort zu geben.

2. Richtergesetz und Zentralgericht (Dtn 16,18-17,13) 2.1 Problemstellung Für die Rekonstruktion der im dt Gesetz vorausgesetzten Gerichtsordnung sind die gesetzlichen Bestimmungen in 16,18-17,131 von grundlegender Bedeutung. Es handelt sich um den ersten Abschnitt einer Anzahl von Texten, in denen prozeßrechtliche und gerichtsorganisatorische Fragen nicht nur am Rande erwähnt werden, sondern den eigentlichen Gegenstand der gesetzlichen Bestimmung ausmachen. Anders als straf- und zivilrechtliche Gesetze, denen es um die Definition des Tatbestandes und die Festlegung der Rechtsfolge geht, gewähren diese Texte einen unmittelbaren Einblick in die Organisation des Gerichtswesens. Darüber hinaus enthält der Abschnitt mit 16,18 die programmatische Forderung, außer Gerichtssekretären (οήβε?)2 auch Richter (D"itastz?) in allen Städten einzusetzen. Mit dem Titel eines Richters führt er eine Amtsbezeichnung in das dt Gesetz ein, die dort im folgenden mehrfach in prozeßrechtlichen und gerichtsorganisatorischen Bestimmungen belegt ist. Die genaue Bestimmung des Aufgabenbereichs des so bezeichneten Amtes ist die Voraussetzung für die Verhältnisbestimmung zu der Gruppe der Stadtältesten ("pyn "ορτ), die im dt Gesetz ebenfalls im Rahmen des Gerichtswesens genannt werden. Im vorliegenden Textzusammenhang eröffnet der Abschnitt 16,18-17,13 zugleich eine Zusammenstellung von Bestimmungen, die sich vorwiegend mit den Autoritäten des Gemeinwesens befassen. Diese sogenannten Ämtergesetze des Dtn in 16,18-18,22 handeln außer vom Gerichtswesen und den daran beteiligten Amtspersonen noch vom König-, Priester- und Prophetentum: In 17,14-20 werden die Einsetzung des Königs, die Beschränkung seiner Macht und seine Bindung an das priesteramtlich verwaltete Gesetz geregelt; 18,1-8 setzt den Unterhalt der Priester fest; 18,9-22 verbietet nichtisraelitische kultische sowie mantische Praktiken und verweist Belegangaben aus dem Dtn erfolgen in eindeutigem Kontext grundsätzlich ohne "Dtn". 2 Zur Bedeutung von "1BÜ s.u. S. 82ff.

Problemstellung

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Israel auf JHWH, der seinem Volk als ständige Gabe einen Propheten verheißt, der das Gesetz auslegt. Schon diese grobe Inhaltsangabe macht deutlich, daß unter den Begriff Ämtergesetz sehr unterschiedliche Themen subsumiert werden. Gleichwohl hat Wellhausen in 16,18-18,22 "eine Art Verfassungsgesetz"3 gesehen, dem staatliche Verhältnisse zugrundeliegen.4 Für die Rekonstruktion der im dt Gesetz vorausgesetzten Gerichtsordnung und deren institutionsgeschichtliche Einordnung ist es natürlich nicht unwesentlich, ob die Bestimmungen zum Gerichtswesen in 16,18-17,13 von vornherein Bestandteil einer solchen Zusammenstellung von Gesetzen über die Autoritäten des Gemeinwesens - wenn es sich denn genau genommen um Gesetze handelt - gewesen sind. Bereits Steuernagel hat dies bestritten.5 Seiner Ansicht nach ist 16,18-18,22 kein einheitlich konzipierter Gesetzesblock. Vielmehr handele es sich um das Ergebnis redaktioneller Ergänzungen zu 16,1817,13*. Zur Begründung weist er auf die Voranstellung der Gerichtsbarkeit vor die "hervorragenderen Ämter"6 hin. Außerdem stellt er fest, daß Königs-, Priester- und Prophetengesetz den sachlichen Zusammenhang zwischen 16,18-17,13 und den Bestimmungen in 19,Iff auseinanderreißen, in denen ebenfalls prozeßrechtliche und gerichtsorgamsatorische Fragen erläutert werden. Auch Lohfink hält die Zusammenstellung von 16,18-18,22 für redaktionell. Dennoch bleibe zu erwägen, ob die Bestimmungen dieses Textabschnitts nicht "von einem bestimmten Stadium ihrer Geschichte an zusammengehören und von da an für ihre Leser ein einziges Aussagensystem bilden sollten"7. Dieses Stadium sei mit Beginn der Exilszeit gegeben. Zu diesem Zeitpunkt habe die für 16,18-18,22 maßgebliche dtr Redaktion den Abschnitt als "Verfassungsentwurf" und zugleich kritische Stellungnahme zu den "Verfassungsverhältnissen der Königszeit"8 gestaltet. Daß Lohfink die vorliegende Textfolge von 16,18-18,22 völlig zu Recht als frühestens dtr einordnet, zeigt sich daran, daß sich für das Königs- und das Prophetengesetz keine vordtr Textgestalt nachweisen läßt: Das Königsgesetz in 17,14-20 setzt mit einem temporal-konditionalen Satzgefüge ein.9 Dessen Vordersatz in V.14 stellt den ganzen Abschnitt 3

Wellhausen, Composition, 357. Vgl. o. S. 12. 5 Vgl. Steuemagel, Dtn, 115. 6 Ebd. 7 Lohfink, SBAB 8, 311. 8 A.a.O., 314. 9 In der Analyse von 17,14-20 folge ich Bultmann, Fremder, 145ff. Danach liegt der Grundbestand (in Anlehnung an Foresti, Ter 39,104-127) in 17,14.15aba.l6a.l7.20aab vor. 4

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Richtergesetz und Zentralgericht (Dtn 16,18-17,13)

unter das Vorzeichen eines nach der zukünftigen Landnahme zu erwartenden Wunsches Israels nach einem König. Der Nachsatz in V.15 gibt diesem (antizipierten) Begehren statt und enthält die für das Gesetz konstitutive Aufforderung, in diesem Fall einen König einzusetzen. Vorderund Nachsatz bilden eine syntaktische Einheit, für deren literarkritische Trennung sich keine Gründe anführen lassen. Vielmehr ist V.15aa kein selbständiger Gebotsanfang und setzt V.14 folglich voraus. Von der Einsetzung des Königs in V.15ao sind wiederum die in der 3. Pers. Sing, formulierten Bestimmungen über die Beschränkung seiner Macht in V.16f abhängig. Die historisierende Eingangsklausel in V.14 gehört somit zum Grundbestand des Königsgesetzes.10 Gleichartige Eingangsklauseln sind im dt Gesetz noch in 12,20; 19,8 (am hi mit JHWH als Subjekt und l^m als Objekt), in 12,29; 19,1 (mn hi mit JHWH als Subjekt und c r u n als Objekt) und in 18,9; 26,1 (812 qal Partizip mit nns / 2. Pers. Sing, von Nil) belegt. Sämtliche Belege dieser "historisierenden Gebotseinleitung"11 stellen einzelne Bestimmungen und damit das gesamte dt Gesetz in den Rahmen einer mosaischen Gesetzesverkündigung im Lande Moab unmittelbar vor der Landnahme. Diese fiktive historische Verankerung des dt Gesetzes setzt den "narrativen Kontext des DtrG"12 voraus. Sie kann demnach selbst frühestens dtr sein.13 Hieraus folgt, daß die Bestimmungen 10 Vgl. außer Bultmann, Fremder, 146f, noch Seitz, Studien, 232; Rüterswörden, Gemeinschaft, 54f; Foresti, Ter 39, 105f; Lohfink, ThLZ 113, 427. Gegen Merendino, Gesetz, 180f.l85. 11 Seitz, Studien, 71 Anm. 51, 95-101. 12 Lohfink, FS Wolff, 91. 13 Vgl. ebd; ferner Foresti, Ter 39, 56-61, der dies für sämtliche Belege dieser und verwandter Gebotseinleitungen nachgewiesen hat, sowie Achenbach, Israel, 127-132. Er hält 6,10-13 für den literarischen Ursprungsort der (sekundären) historisierenden Gebotseinleitungen im dt Gesetz und 6,10-13 seinerseits für eine Radikalisierung des dtr Textes Jos 24, vgl. a.a.O., 176-185. Daß er die historisierenden Gebotseinleitungen dennoch als dtn bezeichnet, ist m.E. inkonsequent. Anders Rüterswörden, Gemeinschaft, 54-58, gefolgt von Zobel, Prophetie, 112f.l94 mit Anm. 7. Nach Rüterswörden ist es folgewidrig, "die Historisierung des Deuteronomiums für deuteronomistisch und die Erwählungsformel für deuteronomisch zu halten" (a.a.O., 58). Das Impf, in der Maqöm-Formel "[T^N ΠΊΓΡ ΊΠ2 1 "IBS üipü(n) ist aber kein Hinweis auf eine dem dt Gesetz unausgesprochen zugrundeliegende und nur an Stellen wie 17,14 ausdrücklich genannte mosaisch-moabitische Perspektive. Es hat vielmehr die rhetorische Funktion, "das Neue der Monopolisierung des Jerusalemer Staatstempels jetzt auf eine göttliche Erwählung zurückzuführen und gegen die Tradition geltend zu machen" ('Bultmann, Fremder, 152 Anm. 119; Hervorhebung von B.). Daß auch die verschiedenen Formen der Landgabesätze im dt Gesetz (meist f>~IN + "TON + ΓΠΓΡ + |Π3 + "b) eine zukünftige Landnahme ansprechen, weist auf deren dtr Herkunft hin und ist ebenfalls kein Argument für eine vordtr Verfasserschaft einzelner historisierender Gebotseinleitungen.

Problemstellung

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des dt Gesetzes, in denen sich die historisierende Gebotseinleitung nicht aus dem Grundbestand herauslösen läßt, selbst frühestens dtr Herkunft sind. Dies gilt außer für 17,14-20 und 26,1-II14 auch für das Prophetengesetz in 18,9-22.15 Den konstitutiven Kern des Prophetengesetzes bildet die Aussage von V.14.15a(+b?), daß Israel anstelle der ihm verbotenen mantischen Praktiken die Verheißung eines Propheten als ständige Gabe JHWHs zugesagt ist.16 Dieser Kern greift mit dem Hinweis auf die π^νπ D"1 u n in V.14a auf die Erwähnung der Völker in V.9b zurück.17 Die Wendung αππ ••'Tin in V.9b bezieht sich ihrerseits auf die in 17,14 genannten i m α ' Ί ΐ η " ^ inrmo. 18 Das Verbot in V.9b, die Greuel (msnn) der Völker zu erlernen, schließt asyndetisch an die historisierende Gebotseinleitung in V.9a an. Ein Grund für eine literarische Trennung der beiden Teilverse ist nicht zu Vgl. zu Rüterswörden ferner Lohfink, ThLZ 113, 425-430. Anders jetzt Reuter, Kultzentralisation, 213-226. 14 In 26,1-11 ist die grundlegende Aufforderung von V.2, sich mit den Erstlingsgaben des Ackerbodens an das Zentralheiligtum zu begeben, durch das einleitende perf. cons, mit der historisierenden Gebotseinleitung in V.l syntaktisch eng verbunden. Will man nicht mit Merendino, Gesetz, 347f, einen verlorengegangenen "Urtext" von V.2 postulieren, so gibt es für eine literarkritische Scheidung zwischen V.l und V.2 keinen Grund. Auch wenn möglicherweise in 26,5-10 älteres Material verarbeitet worden ist (vgl. Lohfink, SBAB 8,263-290; Kreuzer, Frühgeschichte, 149-182; aber auch Römer, Väter, 57-70, der die Vv.5-10 für dtr hält; hierzu Lohfink, Väter, 103), so handelt es sich bei 26,1-11 um einen dtr Anhang zum dt Gesetz. Vgl. Preuß, Dtn, 144ff. Anders Otto, FS Lohfink, 263; ders., Rechtsreformen, der die Vv.2 .5a .10-13 als vordtr Grundbestand von Dtn 26 ansieht. 15 In 12,20 eröffnet die historisierende Gebotseinleitung nicht das Zentralisationsgesetz, sondern dessen Fortführung in 12,20-28 . Sie steht in Konkurrenz zu V.21 ( Ό "Dlpan "|Οΰ ΡΠ~Ρ), der die Freigabe der Profanschlachtung sachlich angemessen begründet und wie diese keinen Zusammenhang mit den in V.20 genannten historischgeographischen Veränderungen erkennen läßt. V.20 ist demnach sekundär. Vgl. bereits Steuemagel, Dtn, 97f. Die historisierende Gebotseinleitung in 12,29 gehört zu 12,29-31, einem Abschnitt über die Gefährdung Israels durch die Kultpraktiken der Völker. Dieser geht auf eine dtr Redaktion zurück, der die Einbindung des Dtn in das DtrG bereits vorgegeben ist und deren Interesse vor allem dem Gegensatz Israels zu den Völkern und deren Göttern gilt. Vgl. Smend, Entstehung, 73. 19,1.8 sind gegenüber dem dt Grundbestand der Asylstadtbestimmung sekundär. S.u. S. 118ff. 16 Das gilt unbeschadet der oft erwogenen Möglichkeit, daß in den Vv.10-12* älteres Material vorliegt. So u.a. Steuemagel, Dtn, 100.121; Seitz, Studien, 235-239.243, die diese Verse aber zugleich wegen ihrer sachlichen Nähe dem Verfasser von 12,29-31 (dtr!) zuweisen. Zum Propheten- und damit zum Ämtergesetz wird der Abschnitt jedenfalls erst durch die Vv.l4.15a(+b). Zur Diskussion um eine Ausscheidung von V.15b aufgrund des Numeruswechsels vgl. Rüterswörden, Gemeinschaft, 85; Foresti, Ter 39,136. 17 Vgl. Merendino, Gesetz, 196. 18 Vgl. Rüterswörden, Gemeinschaft, 82; Lohfink, ThLZ 113, 428; Zobel, Prophetie, 194, die hier von einer "Ferndeixis" sprechen. Anders Seitz, Studien, 205 Anm. 326, und Foresti, Ter 39,128, für die das ΠΠΠ CP Tin aus 18,9b in der Luft hängt.

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Richtergesetz und Zentralgericht (Dtn 16,18-17,13)

erkennen.19 Zusammen mit V.12 bilden sie einen Rahmen um die Vv.lOf, in denen eine asyndetisch einsetzende Verbotsreihe das Verbot von V.9b entfaltet. Diese Verbotsreihe dient als Negativfolie für das in V.15 genannte Prophetenamt20, dessen positive Beschreibung sich in den Vv.16-22 findet. Mit Ausnahme von V.21P wird auch dieser Abschnitt von vornherein zum Grundbestand des Prophetengesetzes gehört haben.22 Neben der zum Grundbestand gehörenden historisierenden Gebotseinleitung in V.9a und dem Rückbezug auf 17,14 in V.9b weist auch die Rede von einem "Propheten wie mir" ("> joa... K 1 ^) in V.15a auf die Vorstellung einer mosaischen Gesetzesverkündigung hin. Somit gehört in den beiden Bestimmungen der Ämtergesetze, die mit einer historisierenden Gebotseinleitung beginnen, die Einbindung in den Rahmen der dtr Fiktion einer mosaischen Gesetzesverkündigung im Lande Moab zu deren Grundbestand. Königs- und Prophetengesetz sind folglich als dtr einzuordnen.23 Erweist sich damit die vorliegende Textfolge von 16,18-18,22 als Ergebnis dtr Ergänzungen des dt Gesetzes, so bleibt zu untersuchen, ob die Bestimmungen über das Gerichtswesen ebenfalls erst dtr Ursprungs sind oder ob sich für sie ein vordtr Grundbestand nachweisen läßt.

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Vgl. Merendino, Gesetz, 192; Rüterswörden, Gemeinschaft, 82; Lohfink, ThLZ 113, 428· Zobel, Prophetie, 194. Vgl. u.a. Preuß, Dtn, 138; Rüterswörden, Gemeinschaft, 80. 21 Zu V.21f vgl. Hossfeld, Propheten, 142f; Rüterswörden, Gemeinschaft, 87f; Foresti, Ter 39, 136-138. Anders Zobel, Prophetie, 202ff. Er rechnet die Vv.16-22 zu einer einzigen Redaktionsstufe des Prophetengesetzes. 22 Es besteht kein Grund, zwischen V.15 und den Vv.16-20* eine literarkritische Scheidung vorzunehmen. Vgl. zuletzt Foresti, Ter 39, 133-138; Lohfink, ThLZ 113, 428; Otto, Rechtsreformen. Anders Rüterswörden, Gemeinschaft, 85-87, gefolgt von Zobel, Prophetie, 200-204. Sie führen die in der Forschung nahezu unbestrittene dtr Herkunft der Vv.16-20 und eine Glättung von "ρΠΝ(η) ( l ) 3 1 p ö in V.15 zu ΟΓΡΠΝ l i p n in V.18 an. Sofern 18,915 wegen der historisierenden Gebotseinleitung für dtr gehalten wird, ist der Nachweis dtr Herkunft von 18,16-20 kein Kriterium für eine literarkritische Scheidung. Der Ausdruck 0ΓΡΠΝ l~lpü in V.18 weist ebenfalls nicht auf verschiedene Verfasser hin. Er erklärt sich vielmehr hinreichend aus der Tatsache, daß nach der Aufnahme von 5,25 in V.16b die Vv.l7f eine JHWH-Rede aus 5,28b.31 paraphrasieren, in der Mose dem Volk gegenübergestellt und so aus der Gruppe der Brüder herausgenommen wird. Zum Verhältnis von 5,25.28b.31 und 18,16b.l7f vgl. Foresti, Ter 39,148-151. 23 Die literarische Einordnung wird durch sachliche Beobachtungen zu beiden Gesetzen bestätigt. Vgl. zu 17,14-20 jetzt Bultmann, Fremder, 145-157; zu 18,9-22 vgl. u.a. Preuß, Dtn, 138; Lohfink, ThLZ 113, 428, sowie den erneuten Nachweis dtr Herkunft der m.E. zum (dtr) Grundbestand gehörenden Vv.16-20 bei Rüterswörden, Gemeinschaft, 85-87.

Literarische Analyse von Dtn 16,18-17,13

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2.2 Literarische Analyse von Dtn 16,18-17,13 2.2.1 Literarische Analyse von Dtn 16,18-20 Der Abschnitt beginnt mit der programmatischen Forderung, Richter (QitaaE?) und Gerichtssekretäre (D"nB») in allen Städten (τη»® - 1 ?^) einzusetzen. In V.18a folgt als Näherbestimmung zu "|"n»ErV>33 ein Relativsatz mit Landgabeformel (i"? fri3 tti^n m m im). Der wortstatistische Befund weist ihn als Zusatz aus: Die partizipial formulierte Variante (meist: "TON + πιπ 1 + fru (Partizip) + '"?) der für die dtn/dtr Literatur charakteristischen Landgabesätze ist im AT an 48 Stellen belegt. Davon entfallen 22 auf das dt Gesetz, 17 auf die Rahmenkapitel und nur 9 auf andere dtr und nachdtr Texte.24 Das übliche (und inhaltlich korrekte) Bezugswort ist mit 23 Belegen ρκ(η). 25 Die synekdochisch für befestigte Ortschaften gebrauchte Pluralform von ίϊβ mit dem Suffix der 2. Pers. Sing, mask, ist für den Sprachgebrauch des dt Gesetzes typisch. Von 27 atl. Belegen gehören 26 dem Dtn, und davon allein 21 dem dt Gesetz an.26 Obwohl demnach die partizipiale Landgabeformel und die Ortsangabe -ρ~ι»Β zu den signifikanten Ausdrücken des Dtn gehören und im Dtn entsprechend breit belegt sind, beziehen sich beide außer in 16,18a nur noch in 16,5b und 17,2a aufeinander. In 16,5b steht die Landgabeformel im Kontext der Maqöm-Formel (•prftK m m i n r mpan; V.6a), die das Gegenstück zu τ η » » in V.5ba bildet. Diese Verbindung der dt Maqöm-Formel mit der dtr Perspektive einer mosaischen Gesetzesverkündigung vor der Landnahme, wie sie dem Landgabesatz zugrunde liegt, findet sich im dt Gesetz nur noch in dem dtr Abschnitt 26,1-11 (V.lf).27 In 16,5f wird sie jedoch das Ergebnis einer dtr Erweiterung sein, da der Grundbestand des Festkalenders in 16,1-17 zu den vordtr Zentralisationsgesetzen gehört. Für eine dtr Erweiterung in V.5bß spricht auch die ähnliche Formulierung von 12,17f ( " i m -i®»a τη»Ε?η ·?3ΐό ^ain s1?), die ohne Landgabesatz gebildet ist. Zudem paßt der Hinweis auf eine Übereignung der Städte durch JHWH in V.5 inhaltlich nur schwer zu "piVü, da der Ausdruck hier nicht ausschließlich als Ortsangabe zu verstehen ist. Vielmehr wird er "unter dem 24

1,20.25; 2,29; 3,20; 4,1.21.40; 5,16.31; 7,16; 11,17.31; 12,9; 13,13; 15,4.7; 16,5.18.20; 17,2.14; 18,9; 19,1.2.10.14; 20,16; 21,1.23; 24,4; 25,15.19; 26,1.2; 27,2.3; 28,8; 32,49.52; Ex 20,12 (= Dtn 5,16); Lev 14,34; 23,10; 25,2; Num 13,2; 15,2; Jos 1,2.11.15. 25 Gefolgt von Π?31Ν (4,40; 5,16 (par. Ex 20,12); 21,1.23; 25,15); Τ η ϊ ϋ (16,5.18; 17,2); -Ρ» (13,13; 20,16); "ΠΰΝΠ ΊΠ (1,20); n"?n J (12,9); D i l i (19,1); D^QP (7,16). 26 Zu Tn»E? s.u. S. 79. Die Ausnahme ist Ex 20,10 (= Dtn 5,14). 27 S.o. S. 30f Anm. 13 u. 14.

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Richtergesetz und Zentralgericht (Dtn 16,18-17,13)

Gesichtspunkt, daß das Passah vordtn ein Sippenritus war ..., hier [dem akkadischen] babt(m) entsprechend auch die genealogische Konnotation der Sippen haben"28. Auch 17,2a ist kein Beleg für eine ursprüngliche Verbindung beider Wendungen, da der zu dem dtr Abschnitt 17,2-7 gehörende Vers von 16,18 abhängig ist.29 Die Verbindung von "ρ~ι»Ε? mit einer anderen Form der Landgabeformel ist überhaupt nicht belegt. Den sekundären Charakter der Verbindung zeigt auch 15,7a. Hier ist dieselbe Variante der Landgabeformel mitsamt ihrem üblichen Bezugswort pH nachträglich an "ιϊβ angehängt worden.30 Dieser Befund spricht dafür, daß auch in 16,18a der relativische Landgabesatz nachgetragen ist.31 Analog zu den historisierenden Gebotseinleitungen in 17,14 und 18,9 soll er die Bestimmungen zum Gerichtswesen in 16,18-17,13 in die dtr Fiktion eines mosaischmoabitischen Dtn einbinden. Er ist demnach dtr Herkunft. Ein weiteres literarkritisches Problem in V.18a besteht in der Wendung "nach deinen Stämmen" (t>ö3® mit distributivem b). Die Konstruktion von fn3 mit zweifachem + Objekt ist syntaktisch problematisch.32 Es ist möglich, sie als Bestandteil des redaktionellen Landgabesatzes aufzufassen.33 Sie wäre dann als Erläuterung des l"? zu verstehen. Dagegen spricht aber, daß B3B sonst nie in einem Landgabesatz vorkommt und es für eine vergleichbare Erläuterung des f*? keine Belege gibt. Die Wendung "pölü1? wird daher zum Hauptsatz gehören.34 Daß sie im vorliegenden Textzusammenhang durch den relativischen Landgabesatz vom restlichen Hauptsatz getrennt wird, ist ein weiteres Indiz für dessen sekundären Charakter.35 Setzt ViaiE1? den Hauptsatz in V.18aa fort, so bedeutet dies, daß in V.18a die Gliederung Israels nach Stämmen inhaltlich unverbunden neben der Gliederung nach Städten steht (-pans'? [...] -p-iser^an). Aus diesen Gründen wird "ptaiE?1? als Glosse anzusehen sein.36 28

Otto, Art. "1ΪΟ, 377f. S.u. S.45ff zu 17,2-7. 30 Vgl. Steuernagel, Dtn 1 , 56 (anders Dtn, 109); Hölscher, ZAW 40, 194 Anm. 1; Horst, Privilegrecht, 91 Anm. 197; Merendino, Gesetz, 111; Seitz, Studien, 170; Foresti, Ter 39, 8. 31 Vgl. Steuemagel, Dtn 1 , 62 (anders Dtn, 115); Seitz, Studien, 227.242 Anm. 479; Foresti, Ter 39, 8. Gegen Riiterswörden, Gemeinschaft, 14; Reuter, Kultzentralisation, 175. 32 Vgl. Riiterswörden, Gemeinschaft, 14. 33 Vgl. die Übersetzung von V.18 bei v. Rad, Dtn, 78. Dieses Verständnis könnte auch der Auslassung des Landgabesatzes und der Wendung "pEälEib in 11 QTem 51,11 zugrunde gelegen haben. 34 So auch Riiterswörden, Gemeinschaft, 14. 35 Vgl. Foresti, Ter 39, 9f. 36 Vgl. zuletzt Riiterswörden, Gemeinschaft, 14; Foresti, Ter 39, 9. Anders Merendino, Gesetz, 153f (gefolgt von Niehr, Herrschen, 146ff), der "fi ... -ρ-ΐ»ΕΓ^3:ΐ für eine 29

Literarische Analyse von Dtn 16,18-17,13

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Die Auffassung, daß die Amtsträger Israels einer Stammesgliederung entsprechend einzusetzen sind, findet sich im Dtn außer in 16,18 nur noch an eindeutig dtr Stellen.37 Sie ist nicht von der "dtr Fiktion des nach Stämmen gegliederten Volkes bei der Landnahme"38 zu trennen, die für das Dtn vor allem in den Kapiteln 1-3 belegt ist und dort die dtr Landnahmeerzählung in Jos vorbereitet, die nach DtrH auf die Verteilung des ganzen Landes unter alle Stämme zielt (Jos 11,2339). Für die Herleitung des nachgetragenen "pani!^» in V.18 sind die Belege für diesen Aussagezusammenhang in 1,9-18 von besonderem Interesse. Das Teilstück der mosaischen Eröffnungsrede des DtrG40, in dem an die Entlastung Moses durch die Errichtung einer militärischen Hierarchie und die Einsetzung von Richtern erinnert wird, nimmt außer auf Ex 18,13-27* auch auf Dtn 16,18f Bezug.41 Die Vorstellung, Israel sei ein nach Stämmen organisiertes Gemeinwesen, ist in l,13.15ab belegt. In 1,15b wird sie durch die Wendung DD ^ aits'? D^itac? ausgedrückt. Diese Nennung einer gesamtisraelitischen Größe als letztes Glied einer sonst absteigenden Hierarchie (in»! anran "nun rma "ηκη "no om1?» ο·>»»~ι ans ιηκι

dtn Ergänzung des vordtn Grundbestandes hält und " ρ β Ι ΐ Λ zum Grundbestand von V.18 rechnet. Seine Beweisführung ist inkonsequent, wenn er (zu Recht) auf die seltene und andernorts redaktionelle Verbindung von T 1 "15)12? und Landgabeformel hinweist, daraus dann aber folgert, daß beide zusammen nachgetragen sind. Davon abgesehen kommt das Suffix der 2. Pers. bei tS2E?/Volksstamm sonst - vielleicht mit Ausnahme von 12,14 (vgl. aber Nebeling, Schichten, 35; Foresti, a.a.O., 10 Anm. 15a, die "ptälB "ΤΠΝ1 als Zusatz betrachten) - nur in dtr Texten vor, weswegen eine dtr Verfasserschaft auch in V.18aß naheliegt. Vgl. 1,13.15; 5,23; 12,5; 18,5; 29,9; 31,28; Jos 7,14; 23,4; 1 Sam 10,19. 37 l,13.15ab.23; 5,23; 29,9 (textkritisch unsicher aber nach Hossfeld, Dekalog, 239, Anlaß für eine Interpolation in 5,23) sowie in den Einleitungen zu Moselied und Mosesegen in 31j28; 33,5. 38 Perlitt, Dtn, 67, zu 1,13. 39 Mit Smend, FS v. Rad, 500, rechne ich Jos 11,16-20.23 zu den resümierenden Stücken der Landnahmeerzählung des DtrH. 40 1,9-18 werden wegen der Unterbrechung von Aufbruchsbefehl (V.7) und Aufbruch (V.19) häufig als Zusatz angesehen. Vgl. Mittmann, Dtn, 24ff.l64; Buchholz, Älteste, 98; Foresti, Ter 39,19f; Bultmann, Fremder, 132. Doch wird man im Kontext theologischer Interpretation und Verknüpfung vorgegebener Stoffe nicht zuviel an erzählerischer Stringenz erwarten dürfen. Zudem stellt das einleitende Ν1ΠΠ ΠΪ1 das Berichtete in den Zusammenhang der Horebereignisse (vgl. V.6) und damit an den in der Vorlage Ex 18,13ff vorgegebenen Ort. Auch ist die Wendung Κ1 ΠΠ Πΰ^ ein in Dtn 1-3 breit belegtes Stilmittel des mosaischen Rückblicks (1,9.16.18; 3,18.21.23). Vgl. Perlitt, Dtn, 57ff; Mayes, Dtn, 118. Hingegen ist V.ll nachgetragen. Vgl. u.a. Hölscher, ZAW 40, 163 Anm 1; Mittmann, a.a.O., 24: Perlitt, a.a.O., 57.64. 41 Num ll,ll-17.24b-30 gehört wie 1,9-18 in die Rezeptionsgeschichte von Ex 18,13ff, ohne daß sich eine literarische Abhängigkeit zu 1,9-18 nachweisen ließe. Vgl. Perlitt, Dtn, 59.

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Richtergesetz und Zentralgericht (Dtn 16,18-17,13)

l,15apb) ist sachlich nicht motiviert42 und macht auch syntaktisch den Eindruck eines Nachtrags43. Zudem fehlt sie in der entsprechenden Reihe in Ex 18,21. Die D"nt3i2 werden in 1,9-18 nicht noch einmal genannt. Vermutlich sind sie aus 16,18 übernommen worden, um so neben den Richtern auch die zweite Amtsbezeichnung aus 16,18 bereits in 1,9-18 einzuführen. Hingegen hat die Gliederung Israels nach Stämmen in 1,15b ihren Ursprung kaum in der Glosse "ptttE?1? in 16,18ap. Vielmehr wird die Erwähnung der Stämme in 1,15b durch DD"1 BIB1? in 1,13 veranlaßt sein. Die Wendung ist in 1,13 (wie der Vers insgesamt44) nicht ohne weiteres aus dem Kontext herauszulösen. Der auf "(ungefähre) Korrespondenz von Befehl und Ausführung bedacht[e] Nachtrag"45 ·Έ?ΝΤΓΙΝ Dmane? in 1,15a setzt sie jedenfalls voraus. Demnach greift l,15bß auf l,13( + 15a; taao) und auf 16,18a (ΊΒ®) zurück. Die so entstandene Verbindung von CPitats und D-1 earns in 1,15b hat dann ihrerseits in 16,18aß die Einfügung des "penis'? veranlaßt. DD-1 DIE;1? CN-IISKN mt2?Y;

V.18b schließt gut an "ρινΕΤ^ι in V.18aa an.46 Subjekt des Satzes sind die TR-itaen D^BSE? aus V.18aa. Der Vers nennt die Aufgabe der in V.18aa geforderten Institution. Ihre Vertreter sollen das Volk mit gerechtem Urteil richten (p-HTBBtra Ο»ΓΓΠΝ nasiBi). In V.19 folgt ein "Richterspiegel", der aus einer Reihe von drei Prohibitiven besteht. Die Ermahnungen des Richterspiegels beziehen sich auf die in V.18b beschriebene Aufgabe der Richter und Gerichtssekretäre. Für die Verbote der Rechtsbeugung (V.19aa), des Ansehens der Person im Gericht (V.19aß) und der Bestechung (V.19b) läßt sich umfangreiches und nicht nur alttestamentliches Vergleichsmaterial anführen.47 Weit mehr als eine rein sachliche Parallele findet sich in den zum Teil bis in den Wortlaut übereinstimmenden Formulierungen des Bundesbuches in Ex 23,6.8: 16,19aa

42

taaiga πβΓτκ1?

Ex 23,6

eaipa ntan

Vgl. Mittmann, Dtn, 25. Vgl. Perlitt, Dtn, 72. 44 So mit Perlitt, a.a.O., 66ff. Anders Mittmann, Dtn, 25f, der l,13f ausscheidet. 45 Perlitt, Dtn, 70. 46 Vgl. auch 11 QTem 51,11. 47 Vgl. zu V.19aa: Am 2,7; 5,15; Prov 17,23; 18,5; Threni 3,35; Dtn 10,17; 24,17; 27,19; 1 Sam 8,3; Jes 10,2; zu V.19aß: Prov 18,5; 24,23; 28,21; Dtn 1,17; Lev 19,15a; Hi 32,21a; zu V.19b: Jes 1,23; 5,23; Mi 3,11; Prov 17,23; Ps 15,5; Ez 22,12; Dtn 10,17; 1 Sam 8,3; Dtn 27,25; vgl. ANET, 415, sowie die bei Weinfeld, Dtn, 140f, zitierten hethitischen und ägyptischen Dienstanweisungen. 43

Literarische Analyse von Dtn 16,18-17,13

16,19aß 16,19b

37

• ">33 Τ>3Π K"?

trap npfi'S1?'! 0103Π - " r » T i y

"ΓΠΡΠ Ό

Ex 23,8

ΓΙΡΠ Κ1? "ΙΠΡΊ DTipS 1 1 Γ 1ΠΡΠ Ό

p y i ü ·η:π η*?ρι ι Insbesondere die nahezu völlige Übereinstimmung von 16,19b mit Ex 23,8 spricht für eine literarische Beziehung beider Verbotsreihen.48 Literarhistorische Priorität kommt hierbei Ex 23,6.8 zu. Der Verfasser von 16,19 hat nämlich bewußt aus Ex 23,1-8 ausgewählt und nur die Verbote übernommen, die sich wirklich auf die in 16,19 angesprochenen Richter und Gerichtssekretäre beziehen lassen.49 Das erklärt die Auslassung von Ex 23,1.2.(4.5.)7.50 Nicht übernommen wurde aus Ex 23,6 die Wendung •CPin -[3 ins. Damit wird das Verbot der Rechtsbeugung ausgeweitet - ein Anliegen, das im Bundesbuch im Ansatz durch das Gebotspaar Ex 23,3+6 48 Gegen Rüterswörden, Gemeinschaft, 21f. Er hält den D-Satz in V.19b für ein nachgetragenes "Sprichwort, das im Umlauf war". Daß sich der "'D-Satz nur auf "ΙΠΒ npn Nb 1 bezieht, ist kein Grund für seine Ausscheidimg. Auch Ex 23,8b begründet nur das unmittelbar vorangehende Verbot. 49 Anders Schwienhorst-Schönberger, Bundesbuch, 385-388 (gefolgt von Reuter, Kultzentralisation, 175), der Ex 23,8 für eine von Dtn 16,19 abhängige dtr Verbindung des dtr Verses Ex 23,9 mit der durch Ex 23,7bß abgeschlossenen Reihe Ex 23,1-7 hält. Ex 23,8 solle diese Reihe aufbrechen, um deutlich zu machen, "wo der Fremde nach V.9 nicht unterdrückt werden soll, nämlich im Gerichtsverfahren" (a.a.O., 387). Hierzu habe der dtr Redaktor von Ex 23,9 auf Dtn 16,19b zurückgegriffen und damit zugleich ein besonderes dtr Anliegen der Reihe Ex 23,1-7 hinzugefügt. Dagegen spricht: 1. Dtn 16,19bß und Ex 23,8 weichen leicht voneinander ab. Die Abweichung läßt sich gut als Angleichung von Dtn 16,19 an Dtn 1,13.15 erklären, hingegen läßt sich kein Grund für eine entgegengesetzte Änderung anführen (s.u.). 2. Sollte Ex 23,8 ein vom dtr Verfasser von Ex 23,9 frei formuliertes Verbot sein, wäre dtr Phraseologie zu erwarten. Das ist nicht der Fall, wie insbesondere der Begründungssatz zeigt (vgl. Ex 23,8b mit Ex 23,9b). Eher ist bei Ex 23,8 an weisheitlichen Hintergrund zu denken. So ist H"?D neben Ex 23,8 par. ausschließlich in weisheitlichen Texten belegt (Prov 13,6; 19,3; 21,12; 22,12; Hi 12,19; vgl. Prov 11,3; 15,4). Aus diesem Grund rechnet Otto, Rechtsbegründungen, 48, Ex 23,8 wohl zu Recht zu einer Ex 23,lb.7ba umfassenden Überarbeitungsschicht. Diese "reagiert aus weisheitlicher Sicht auf die Störungen der Ortsgerichtsbarkeit durch wirtschaftliche Übermacht" (ebd.). 3. Es handelt sich bei Ex 23,8 um kein genuin dtn/dtr Anliegen (vgl. die genannten sachlichen Parallelen). 4. Das Motiv für die Einfügung von Ex 23,8 überzeugt m.E. nicht: Es ist fraglich, ob ein Prohibitiv mit Begründungssatz geeignet ist, eine abgeschlossene Reihe "aufzubrechen", und ob es nötig ist, Ex 23,8 anzufügen, damit deutlich wird, daß es in Ex 23,9 um Rechtsprechung geht. Das geht aus Ex 23,7 wesentlich deutlicher hervor. 50 Ex 23,1.2.7 sind an die Prozeßparteien gerichtet, Ex 23,4f fordert zur Feindesliebe auf. Gegen Rüterswörden, Gemeinschaft, 21. Die Reihenfolge von V.19aab und Ex 23,6.8 entspricht sich dann auch ohne die von Halbe, Privilegrecht, 434f; ders., BEThL 68, 63ff, vorgenommenen Umstellung von Ex 23,7+8.

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Richtergesetz und Zentralgericht (Dtn 16,18-17,13)

ausgedrückt wird: Der Kleinbauer (bi) soll nicht begünstigt, der grundbesitzlose Israelit ( ] i "ΊΝ) nicht benachteiligt werden. Der Verfasser von 16,19 faßt somit beide Verbote in einem einzigen zusammen.51 Er erreicht damit und durch den Verzicht auf Benennung bestimmter sozialer Gruppen die größtmögliche Allgemeingültigkeit seiner Forderung nach Unparteilichkeit in der Rechtsprechung.52 Eine weitere geringfügige Veränderung ist in dem Begründungssatz 16,1%ργ (ορΉΧ n n Qiosn Ό"1» η» - 1 tnon ό ) gegenüber Ex 23,8b festzustellen. Sie enthält zugleich einen Hinweis darauf, wie es zu der Verbindung der aus Ex 23,6.8 übernommenen Verbote mit dem Verbot, die Person bei Gericht anzusehen (V.19aß), gekommen ist: Statt des DTipB in Ex 23,8b heißt es in 16,19bß Π"Ό3Π 3 ·>». Das Adjektiv npa ist im AT nur noch in Ex 4,11 belegt, und zwar wie in Ex 23,8 im Zusammenhang mit n y. Es wird mit cpaan ( 1 y) in 16,19 ausgerechnet durch einen Begriff ersetzt, der im Dtn außer in 4,6 und dem poetischen Text 32,6 nur noch in 1,13.15, also innerhalb des dtr Seitentextes zu 16,18f, belegt ist.53 In 1,13.15 dient nan der Charakterisierung der Häupter des Volkes. In 16,19 bezieht sich D^üDn O^y auf die nach 16,18 einzusetzenden Richter und Gerichtssekretäre. In beiden Fällen bezeichnet Dan somit eine Tugend, die bei führenden Persönlichkeiten Israels vorausgesetzt wird. In 16,19 weist ferner das Verbot von V.19aß, die Person anzusehen, auf 1,918 hin. Es findet sich fast wortgleich in l,17aa: 16,19aß:

d o s τ ο η κ1?

l,17aa:

bsbüi d o s ηΌΓΠίό

Eine literarische Verbindung zwischen 1,17 und 16,19aß sowie zwischen 1,13.15 und der genannten Veränderung in 16,19ΐ>βγ gegenüber der Vorlage im Bundesbuch liegt demnach nahe. In 1,13 eröffnet 03Π eine Reihe mit "p 2 und y"T\ deren Dreigliedrigkeit die Schilderung der drei Lasten Moses in 1,12b aufgreift. Da Diaan ("O^y) in 16,19 das ursprüngliche • T i p s seiner Vorlage verdrängt hat, hingegen Dan in 1,13(.15) gut in den Kontext eingebunden ist, geht der Gebrauch von αηπ auf 1,13 zurück. Die Änderung in 16,19b ist folglich durch 1,13 veranlaßt. Damit ist außer für die Glosse "ptäliz;1? in V.18a auch für V.19 eine wechselseitige Beeinflussung von 1,9-18 und 16,18-20 aufgezeigt worden. Die Reihe der Prohibitive in V.19 ist thematisch und formal einheitlich 51

Gegen Rüterswörden, Gemeinschaft, 21. Otto, FS Lohfink, 272, versteht die Zusammenfassung von Ex 23,3.6 in Dtn 16,19 als soziale Zuspitzung unter weisheitlicher Perspektive. 53 Die Wurzel 03Π findet sich im Dtn noch in 4,6; 32,6.29; 34,952

Literarische Analyse von Dtn 16,18-17,13

39

und weist keine literarischen Spannungen auf, aufgrund derer einer der Prohibitive als sekundär ausgeschieden werden könnte. Beide Beobachtungen eröffnen grundsätzlich zwei Möglichkeiten für die noch ausstehende literarhistorische Einordnung des Prohibitive in V.19ap und damit der ganzen Reihe: 1. Der Verfasser von 16,19 hat den Prohibitiv in V.19ap selbständig formuliert und mit den aus Ex 23,6.8 übernommenen Prohibitiven in V.19aab gerahmt. Der Verfasser von 1,17 hat dann aus dieser Reihe lediglich 16,19ap übernommen. Zugleich wurde die Begründung in 16,19b an 1,13.15 angeglichen (D^oan •>: •>» statt CPnpD wie in Ex 23,8b). Der Verfasser von 16,19* kann in diesem Fall durchaus mit dem Verfasser von 16,18* identisch sein. Es bleibt aber ungeklärt, warum der Verfasser von 1,17 aus einer thematisch und formal einheitlichen Reihe nur den mittleren Prohibitiv ausgewählt und die traditionelleren Elemente ausgelassen hat.54 Dies spricht für die nachfolgend geschilderte Möglichkeit. 2. Der Verfasser von 16,19 hat aus Ex 23,6.8 die Verbote in V.19aab und aus 1,17 das Verbot in V.19aß übernommen und sie zu einer Reihe verbunden. Gleichzeitig hat er die Begründung in 16,19b an 1,13.15 angeglichen. 16,19 setzt damit außer Ex 23,6.8 auch Dtn 1,9-18 voraus. Die Einarbeitung des Verses ist dann gegenüber 16,18* sekundär, da dieser Vers seinerseits 1,9-18 vorgelegen hat.55 Für diese Möglichkeit, nach der dem Verfasser von 16,19 alle drei Prohibitive vorgelegen haben, spricht auch eine syntaktische Auffälligkeit. Die Reihe in V.19 ist in der 2. Pers. Sing, formuliert. Grammatikalisch betrachtet beziehen sich die Prohibitive damit auf diejenigen, die Richter und Gerichtssekretäre einsetzen sollen. Inhaltlich gefordert ist aber, daß die Ermahnungen den Richtern und Gerichtssekretären selbst gelten. Zudem ist die 3. Pers. Plur. durch die Beschreibung der Aufgaben der Richter und Gerichtssekretäre in V.18b auch grammatikalisch vorgegeben. Sollte 16,18f von einem einzigen Verfasser stammen und dieser den Prohibitiv in V.19aß selbständig formuliert haben, dann wäre in V.19aß eher die 3. Pers. Plur. und in V.19aab eine entsprechende Änderung der Vorlage zu erwarten.56 Eine inhaltliche und syntaktische Konsequenz kann natürlich auch von einem Ergänzer erwartet werden, es sei denn, es handelt sich bei allen drei Prohibitiven um übernommenes Material. Die Reihe 54

Mittmann, Dtn, 33. Anders zuletzt Otto, FS Lohfink, 27 u.ö. 56 Die Umformulierung der 2. Pers. Plur. von 1,17 in die 2. Pers. Sing, in 16,19aß läßt sich bei einer Einarbeitung in die vorgegebenen Verbote aus Ex 23,6.8 leicht nachvollziehen. 55

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Richtergesetz und Zentralgericht (Dtn 16,18-17,13)

der drei Prohibitive ist aus diesen Gründen als Nachtrag 201 16,18aa anzusehen, der außer auf Ex 23,6.8 auch auf 1,17 zurückgreift.57 In V.20 folgt ein Gebot mit Begründung. Es richtet sich wie die Prohibitive in V.19 an die 2. Pers. Sing. mask. Die Formulierung des Gebotes in V.20a greift die Wurzel ptx aus den Vv. 18b. 19b auf und faßt die negativen Aussagen von V.19 in einer positiv formulierten emphatischen Aufforderung zusammen. Den Verboten richterlicher Amtsvergehen in V.19 wird so die Aufforderung zur fortwährenden korrekten Amtsführung gegenübergestellt.58 Verbotsreihe und Aufforderung enden jeweils mit einer Begründung. In V.19b macht sie auf die schädlichen Auswirkungen der Miß-

57

Eine gänzlich andere literarische Herleitung von 16,(18+)19 vertritt Buchholz, Älteste, 88ff. Danach soll durch die Anordnung in 16,18f ein Amtsmißbrauch, wie er nach dtr Historiographie unter den Samuelsöhnen zur Zerstörung der von JHWH eingesetzten "richterlichen" Ordnung geführt hat (1 Sam 8), verhindert werden. Entsprechungen von 16,19 zu der Auflistung der Vergehen der Samuelsöhne in 1. Sam 8,3 führen zu der Annahme: "Dtn 16,18f schaltet die Ursachen (!) aus, die in 1 Sam 8,1-3 zu einem Niedergang der Richterzeit führten" (a.a.O., 88; Hervorhebung von B.). 16,18f ist demnach auf 1 Sam 8,3 hin formuliert worden und setzt folglich 1 Sam 8,1-3 voraus. Somit ist die Bestimmimg 16,18f nicht dtn, sondern dtr. "Sie reagiert auf die mit dem Zusammenbruch von 587 v.Chr. erfolgte Auflösung der staatlichen Ordnung" (a.a.O., 90). Die Entsprechungen von 16,19 und 1 Sam 8,3 können m.E. die allein auf ihnen ruhende literarhistorische Beweislast dieser Herleitung aber nicht tragen: 1. Die Reihenfolge der Vergehen in 1 Sam 8,3 und der Prohibitive in 16,19 ist unterschiedlich. Dem Vorwurf »S1H ΉΠΝ Τ C3 1 in 1 Sam 8,3 entspricht kein Prohibitiv in 16,19 und dem Prohibitiv D O S ~ΙΌΓ1 Ν1? kein Vorwurf in 1 Sam 8,3. Sollte 16,19 mit Blick auf 1 Sam 8,3 formuliert worden sein, bliebe ungeklärt, warum es zu dieser Vertauschung der Reihenfolge, sowie der gegenseitigen Auslassung und Hinzufügung gekommen ist. 2. Insbesondere die Formulierung der Verbotsreihe in 16,19 in der 2. Pers. Sing, und die damit verbundene syntaktische Schwierigkeit, daß sich die Prohibitive grammatisch auf diejenigen, die Richter und Gerichtssekretäre einsetzen sollen, und nicht auf diese selbst beziehen, spricht gegen die Annahme, 16,19 sei auf 1 Sam 8,3 hin formuliert worden. Dann wäre der Verfasser von 16,19 durch seine Vorlage nämlich nicht an die 2. Pers. Sing, gebunden gewesen, weswegen die Formulierung von 16,19 durch einen Verfasser, der nach Buchholz die Ausübung der richterlichen Tätigkeit an eine präzise Rechtsvorschrift knüpfen will, schlichtweg unverständlich bliebe. 3. Buchholz begründet nicht, warum das Abhängigkeitsverhältnis zwischen 16,18f und 1 Sam 8,3 gerade so und nicht umgekehrt ist. Gerade weil aus den genannten Gründen anders als bei Ex 23,6.8 und Dtn 1,17 - bei 1 Sam 8,3 in der Tat nur von Entsprechungen, nicht aber von unmittelbarer literarischer Abhängigkeit gesprochen werden kann, ist für den Fall literarischer Abhängigkeit zwischen 1 Sam 8,3 und 16,18f die von Veijola, Königtum, 68 mit Anm. 112, vertretene Erklärung des Verhältnisses vorzuziehen. Danach hat sich DtrH bei der Darstellung der Vergehen der Samuelsöhne an den Wortschatz von 16,19 angelehnt. Auf Ex 23,6.8 geht Buchholz nicht ein. Das Stilmittel der geminatio drückt wie in 2,27 die Stetigkeit der Handlung aus; vgl. Gesenius/Kautzsch, Grammatik, §133k.

Literarische Analyse von Dtn 16,18-17,13

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achtung eines der Verbote aufmerksam, in V.20b weist sie auf die positiven Folgen einer korrekten Amtsführung hin. Da sich die formalen Unterschiede zwischen der Prohibitivreihe in V.19 und dem Gebot in V.20 durch die Verwendung vorgegebenen Materials in V.19 erklären lassen, spricht nichts gegen die Annahme, daß die Korrespondenz von Negation und Affirmation in V.19f auf einen Verfasser zurückgeht.59 Nach V.20b ist die Befolgung der Ver- und Gebote die Voraussetzung von Leben und Landnahme ( " I D S p-iKrrns NE?-pi ΓΡΠΓΙ ΊΝΑ1?; V^Ob).60 Diese Vorstellung einer durch fortwährenden Gebotsgehorsam bedingten Landgabe widerspricht der Perspektive des redaktionellen Landgabesatzes in V.18aß.61 Nach V.18aß sind die Richter und Gerichtssekretäre in Städten einzusetzen, die JHWH Israel geben wird. Die Einsetzung von Richtern und Gerichtssekretären und damit deren korrekte Amtsführung ist der ausstehenden Landgabe zeitlich und sachlich nachgeordnet. Nach V.20b hingegen handelt es sich nicht um die Bekanntgabe eines Gesetzes, das erst nach Abschluß der Landgabe in Kraft tritt, sondern um die erneute Verkündung bereits geltenden Rechts, dessen Befolgung Bedingung der Landgabe ist. Die Vorstellung einer Einsetzung von Richtern schon vor Beginn der Landnahme findet sich auch in der dtr "Erinnerung" durch Mose an eine ausdrücklich schon vom Horeb her geltende Rechtsordnung zur Amtsausübung von Richtern in 1,16 (tonn n»a D3 •'Bairns nissi ΊΒΝ1?; vgl. 1,9). Es ist daher gut möglich, daß sich der Verfasser von V.19 auch in V.20 an l,16f orientiert. Der Grundbestand von 16,18-20 liegt demnach in 16,18aab vor ηκ ΊΒΒΒΊ - P - I S Ü R I O I T?~INN n-NAIZN D^BSB). Nachgetragen sind der Landgabesatz und die Gliederung Israels nach Stämmen (-pönEft) in V.18aß sowie V.19f. Die Ergänzung des vants'? in V.18ap und des V.19 ist von dem dtr Seitentext zu 16,18-20 in 1,9-18 beeinflußt, die Perspektive von V.20b setzt ihn erzähllogisch voraus. Wahrscheinlich gehen die Vv.19+20 auf einen Ergänzer zurück. Daß dieser auch das "ptanü1? in V.18ap eingetragen hat, ist zumindest nicht von vornherein auszuschließen. In V.19 hat der Redaktor außer auf 1,17 auch auf Ex 23,6.8 zurückgegriffen. Die Rezeption des Bundesbuches läßt sich folglich nicht auf die formgebende Grundschicht des dt Gesetzes beschränken, sondern sie findet auch in dessen späteren Redaktionen statt. ( P I X BSBO D»N

5 9 Bereits Steuemagel, Dtn, 115, weist V.19 und V.20 einer Redaktionsstufe zu. Vgl. ferner Hölscher, Z A W 40,197 Anm. 1; Seitz, Studien, 242 Anm. 479; Foresti, Ter 39,10-12. 6 0 Vgl. 4,1; 5,33; 8,1; 30,19. 6 1 So zuletzt auch Rüterswörden, Gemeinschaft, 22f; Foresti, Ter 39,10.

42

Richtergesetz und Zentralgericht (Dtn 16,18-17,13)

2.2.2 Literarische Analyse von Dtn 16,21-17,7 Auf den Richterspiegel und die Ermahnung zur korrekten Amtsführung in 16,19f folgen in 16,21-17,1 drei weitere Prohibitive, diesmal aus dem Bereich des Kultwesens. In 17,2-7 schließt sich ein in der direkten Anrede der 2. Pers. Sing. mask, formulierter kasuistischer Rechtssatz an. Seine Protasis schildert ein strafrechtlich relevantes kultisches Vergehen und greift damit den in den Prohibitiven angesprochenen Themenbereich auf. Die gerichtsorganisatorischen Fragen von 16,18(+ 19f) stehen erst wieder in 17,8-13 im Mittelpunkt des Interesses.62 Daß 16,21-17,7 somit den thematischen Zusammenhang von 16,18(+19f) und 17,8-13 "empfindlich stören"63, hat schon früh Anstoß erregt. Dies gilt auch für die große formale, inhaltliche und terminologische Verwandtschaft von 17,2-7 mit 13,2-19.64 Dieser Textabschnitt enthält drei kasuistische Rechtssätze. Sie sind wie 17,2-7 in der direkten Anrede der 2. Pers. Sing. mask, formuliert und befassen sich ebenfalls mit strafrechtlich zu ahndenden Fällen der Apostasie. 13,2-6.7-12 behandeln zwei Fälle der Verführung zum Abfall von JHWH, das Gesetz in 13,13-19 die bereits erfolgte Apostasie. Vom Straftatbestand her steht 17,2-7 damit 13,13-19 am nächsten. Zudem enthält dieses Gesetz wie 17,2-7 ausführlichere verfahrensrechtliche Angaben (13,15). In allen vier Gesetzen wird Apostasie mit der Wendung "anderen Göttern nachlaufen und dienen" (-|·?π + 13» + οήπκ CPn"?N; 13,3.7.14; 17,3) definiert. Darüberhinaus lassen sich für 13,2-19 und 17,2-7 weitere stilistische und bis in die Wortfolge reichende terminologische Entsprechungen aufweisen: 17,2*

"plpa ssa·»—3 nan in V.9aa und V.lOb (ητ>) sowie V.ll (ητ>; mmn) von Anfang an zusammengehören. Stammen sie von einem Verfasser, dann ist D"1 l"?n in V.9aa eine nachträgliche Ergänzung. 173 Anders u.a. Bertholet, Dtn, 55, der ΠΠΠΓ1 als priesterliche Einzelweisung versteht. Dieser (ältere?) Gebrauch des Wortes ist im Dtn sonst nicht belegt und liegt aufgrund des Kontextes auch hier schwerlich vor. 174 Ausgehend von dem spät-dtr mosaischen Auftrag zum levitischen Priestertum in 10,8f (vgl. hierzu Achenbach, Israel, 371-373) erwähnen durchweg späte Texte Π"11 *?Π Ο"13Π3Π (17,18; 18,1; 24,8; 27,9) und "Ol D13Π3Π (21,5; 31,9). Mit Ausnahme von 18,1; 21,5 handeln sie von der Thora-Unterweisung der Leviten (vgl. auch 31,25; 27,14ff). 18,lf(+5.7b) ist ein Nachtrag zum Priestergesetz in 18,3f.6(außer '?K-®''~bDa).7a.8a (Sing.), der die Erwählung der Leviten zum Priesteramt programmatisch voranstellt und kontextbedingt nur von ihrem (Opfer-)Anteil spricht. Zu 21,5 s.o. S. 61. Hiervon sind Äußerungen der Grundschicht des dt Gesetzes zu unterscheiden, die die Auswirkungen der Kultzentralisation auf die um ihre Einkünfte gebrachte levitische Priesterschaft an den lokalen Heiligtümern zum Gegenstand haben. Außer "dem Leviten in deinen Ortschaften" ("1ΉΒΕΠ ^ "Ι^Π; 12,18f u.ö.), der - teils zusammen mit Fremdling, Witwe und Waise - dem Schutz der Gemeinschaft anempfohlen wird, gehört hierzu auch die Erwähnung des Leviten in 18,6. Sie soll sicherstellen, daß der Levit, "wenn er sich - zeitweilig oder dauerhaft - aus dem lokalen Milieu löst, in Jerusalem am Tempel seinen Dienst fortsetzen bzw. wiederaufhehmen darf, sofern es nur im Namen Jahwes (v.7a) geschieht" (Bultmann, Fremder, 47f). 175 Vgl. auch 10,8f; 31,25. 176 Vgl. Perlitt, Bundestheologie, 126f.

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Richtergesetz und Zentralgericht (Dtn 16,18-17,13)

Der Partizipialsatz zu fron in V.12a führt ein beträchtliches sprachliches Ungleichgewicht in der Gehorsamsforderung gegenüber Priester und Richter herbei. Sachlich ist er nicht von der Einfügung des D"1 l^n in V.9a zu trennen. Seine Formulierung (ViftK mrp~riN DE? mc1? nasn) entspricht weitgehend der Wortwahl von 10,8 und 18,5: ( m π " > Ja1?) na»"? ( D i e Wurzel m» ist darüber hinaus im Dtn noch in 18,7a und in 21,5 belegt. Auch an diesen Stellen gilt der Dienst JHWH. Alle genannten Belege für mo beziehen sich auf Leviten und sind mit Ausnahme von 18,7a frühestens dtr Herkunft. Dieser Befund legt es nahe, daß auch der Verfasser des Partizipialsatzes in V.12a bei |Π3Π an einen levitischen Priester gedacht hat - entweder weil er die Apposition in V.9aa vorfand, oder weil er, was m.E. der Fall ist, mit ihrem Urheber identisch ist. Der apodiktische Rechtssatz in V.12aba greift über die Vv.10b.ll hinweg die Gehorsamsforderung gegenüber den zuständigen Autoritäten von V.lOa wieder auf und verweist mit ÜB auf das in den Vv.8b.10a genannte Zentralheiligtum. Formal gehört er nicht mehr in das konditionale Satzgefüge des kasuistischen Rechtssatzes. V.12a schildert demnach keinen Unterfall zu V.8a. Vielmehr macht die apodiktische Formulierung deutlich, daß es sich um eine von der konkreten Fallkonstellation in V.8a unabhängige allgemeine strafrechtliche Norm handelt. Sie enthält mit der Androhung der Todesstrafe bei Ungehorsam eine grundsätzliche Beschreibung der Autorität der im Rahmen einer verfahrensrechtlichen Bestimmung erwähnten Gerichtsbarkeit am Zentralheiligtum. Sachlich steht die in V.12aba aufgestellte Norm in keinem Widerspruch zum Grundbestand der verfahrensrechtlichen Bestimmung. Sie geht auf denselben Verfasser zurück.177 Auf den apodiktischen Rechtssatz folgt dtn/dtr Formelgut. Die Bi'artaFormel in V.12bß und die Aufforderung in V.13, den Vollzug eines aufgrund von V.12aba erfolgten Todesurteils um der Abschreckung willen ganz Israel bekanntzugeben, sind nicht zu trennen: Die Wendung IK-Pi lyaizr (nsrr'ja'i) (V.13a) folgt stets auf ein (Todes-)Urteil, und sie steht immer im Zusammenhang mit einer Bi'arta-Formel.178 Für die Vv.l2bß.l3 besteht die zentrale Aussage des Abschnitts nicht mehr in der verfahrensrechtlichen Lösung des in V.8a geschilderten Problems, sondern in der Einschärfung des Gehorsams. Das spricht dafür, daß sie die paränetische Ergänzung der Bestimmung in den Vv.10b.ll voraussetzen. Obwohl die Anredesituation des Abschnitts in V.12bß beibehalten wird, handelt es sich somit um einen Nachtrag. 177 178

Anders u.a. Seitz, Studien, 203; Mayes, Dtn, 269. So 13,(6+)llf; 19,19f ("ΠΉΚΒίΠΊ); 21,21

Literarische Analyse von Dtn 16,18-17,13

71

Der Grundbestand von 17,8-13 liegt demnach in 17,8a*b.9a*b.l0a und in 17,12a*ba vor.179 Frühestens dtr Nachträge sind die Aufzählung möglicher Fälle in V.8a ( η η »u1? » u p m pi 1 ? r v p n Di1? o r p i n m ) ; die Apposition D1i'?n in V.9a; die Forderung nach Gesetzesobservanz in den Vv.10b.ll; der Partizipialsatz zu 1Π3Π in V.12a (DE? ΠΊΕ?1? lavn •pn^N m m - n s ) und das Formelgut in V. 12bß. 13. 2.2.4 Zusammenfassung der literarischen Analysen Die Analyse von 16,18-17,13 hat ergeben, daß die vorliegende Textgestalt des Abschnitts das Ergebnis eines mehrschichtigen Redaktionsprozesses ist. Den dtr Redaktionen des dt Gesetzes hat ein Grundbestand vorgelegen, der die Anordnung enthält, Richter und Gerichtssekretäre einzusetzen (16,18), sowie die verfahrensrechtliche Bestimmung, sich bei Rechtsfällen, in denen die Urteilsfindung der Ortsgerichtsbarkeit zu schwierig ist, die Gerichtsbarkeit des Zentralheiligtums aufzusuchen (17,8-13): 16,18aab

P U R E S » » O»RRNN IBSBI

[...] -P-ISB-^AN "I"?~INRI A'NEIN B^CDSB

17,8a* 17,8b 17,9a* 17,9b 17,10a

17,12a* 17,12btt

eatsm·?** ικ[...] iron-1™ »n® ·>η^> ι π τ η nom—wx ϋηκπι [...] Kinn ιζηκπ nai

In 16,18a ist der Landgabesatz nachgetragen. Er stellt das dt Gesetz zur Gerichtsorganisation in den Rahmen der dtr Fiktion einer mosaischen Gesetzesverkündigung im Lande Moab am Vorabend der Landnahme. Weitere Nachträge in 16,18-20 sind die Glosse vanish in V.18a sowie V.19f. Sie setzen den dtr Seitentext zu 16,18-20 in 1,9-18 voraus und gehen wahrscheinlich auf einen Verfasser zurück. Ergänzungen zu 17,8-13 stellen die Verantwortung der Leviten und die Bedeutung der Thora-Unterweisung heraus. Hierzu gehören außer der Apposition D"1 i^n in V.9a und dem Partizipialsatz zu fron in V.12a die Beispielreihe in V.8a sowie die Forderung nach Gesetzesobservanz in den 179

S.u. die Textrekonstruktion des Grundbestandes von 16,18-17,13.

72

Richtergesetz und Zentralgericht (Dtn 16,18-17,13)

Vv.10b.ll. Ebenfalls sekundär ist das dtn/dtr Formelgut in den Vv.lZbß.13. Der Abschnitt 16,21-17,7 ist eine spät-dtr Einfügung in 16,18(+ 19f) und 17,8-13. Er greift auf 12,2-7.29-31 und 13,2-19 zurück.

2.3 Die Bestimmungen zur Gerichtsorganisation des dt Grundbestandes von 16,18-17,13 Die institutions- und literarhistorische Einordnung des dt Grundbestandes von 16,18-17,13 setzt mit der verfahrensrechtlichen Bestimmung in 17,8-13 ein, da diese auch Hinweise zur Beantwortung der schwierigen rechts- und literarhistorischen Fragen zu 16,18 enthält. 2.3.1 Die kultische Gerichtsbarkeit am Zentralheiligtum Zur Klärung der literarkritischen Probleme in 17,8-13 hat es sich als notwendig herausgestellt, auf die Interpretation der verfahrensrechtlichen Aussagen des Abschnitts vorzugreifen. Dies hat zu folgenden Ergebnissen geführt180: Die Vorschrift geht von der Existenz einer Gerichtsbarkeit in den einzelnen Ortschaften und am Zentralheiligtum aus. Rechtsfälle, die für die profane Rechtsfindung der Ortsgerichte zu schwierig sind, sollen an das Zentralheiligtum überwiesen werden, um dort mit Hilfe der Möglichkeiten kultischer Rechtsfindung entschieden zu werden. Die kultische Beweisführung ist Aufgabe der Priester. Juristische Fragen, der Urteilsspruch und die Feststellung der Tatfolgebestimmung fallen hingegen in die Zuständigkeit eines Richters. Das Urteil des Gerichts ist rechtsverbindlich. Da nur solche Fälle überwiesen werden, in denen die Ortsgerichtsbarkeit kein Urteil sprechen kann, handelt es sich bei der Gerichtsbarkeit am Zentralheiligtum um keine Berufungsinstanz. Für die institutions- und literarhistorische Einordnung des Abschnitts stellt sich nun die Frage, worin für den dt Gesetzgeber der konkrete Anlaß der Formulierung dieser verfahrensrechtlichen Bestimmung besteht. Er besteht mit Sicherheit nicht in der Möglichkeit, die mit den herkömmlichen Mitteln der Ortsgerichtsbarkeit nicht zu lösenden Rechtsfälle an die kultische Gerichtsbarkeit zu überweisen. Dem Bundesbuch zufolge ist dies

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S.o. S. 63ff.

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nämlich eine - wenn auch selten belegte181 - längst bekannte Verfahrensweise im atl. Prozeßrecht. Die kultische Gerichtsbarkeit wird im Bundesbuch im Zusammenhang des Depositenrechts in Ex 22,6-14 erwähnt.182 Ex 22,6f schildert den Fall, daß einem Depositar anvertrautes Gut durch einen Dritten gestohlen wird (V.6a). Dieser Tatbestand wird in zwei entgegengesetzten Unterfällen entfaltet. Nach V.6b bestehen über den Tathergang und die Rechtslage keine Zweifel: Der Dieb wird gefaßt und überfüliit (sxn ni).183 Dem Diebstahlsgesetz in Ex 22,3 entsprechend hat der Täter den zweifachen Ersatz für das gestohlene Gut zu leisten. Nach V.7aa kann der Diebstahl dagegen nicht aufgeklärt werden. Der Tathergang ist somit für das Gericht nicht zweifelsfrei rekonstruierbar. Es ist möglich, aber anders als in V.6b nicht durch die Überführung des Diebes zu beweisen, daß das Depositum durch einen Dritten gestohlen wurde. In diesem Fall findet Ex 22,11 Anwendung, und der Depositar muß das gestohlene Gut ersetzen. Es ist aber auch denkbar, daß sich der Depositar selbst an dem ihm anvertrauten Gut vergriffen hat, so daß er als Dieb nach Ex 22,3 den doppelten Ersatz zu leisten hat.184 Vor dem Hintergrund 181 Der kultische Eid zum Nachweis der Unschuld des Beklagten ist in Ex 22,7.8.10; Lev 5,20-26; 1 Reg 8,31f belegt. Ein Probeordal wird in Num 5,11-31 erwähnt. Es soll ebenfalls die Unschuld nachweisen und ist mit der Ablegung eines kultischen Eides verbunden (Vv.19.21). Zur Unterscheidung von Eid und Ordal vgl. Frymer-Kensky, Ordeal, 4349. Die Verantwortlichkeit der Priester für das Losorakel geht aus Ex 28,30 hervor, sein Verfahren wird in Jos 7,10-26; 1 Sam 14,36-42 (die Durchführung liegt bei Josua bzw. Saul) geschildert. Das Losorakel ermittelt den unbekannten Täter aus den anwesenden Personen. Es ist in atl. Rechtstexten nicht belegt (zu Ex 22,8 s.u. S. 75 Anm. 191). Hinweise auf eine kultische Gerichtsbarkeit finden sich auch in den Situationsschilderungen einiger Gebete des Psalters (vgl. Ps 7,4.15; 27,12; 63,10.12b). Ob hieraus geschlossen werden darf, daß es sich um Gebete einzelner Beklagter anläßlich eines kultischen Gerichtsverfahrens handelt, ist zweifelhaft. Vgl. hierzu Janowsld, Rettungsgewißheit, 6-10, und die dort genannte Literatur. 182 Zur gegenwärtigen Debatte um die literarische Integrität von Ex 22,6-14 vgl. Otto, Rechtsbegründungen, 14-19; Schwienhorst-Schönberger, Bundesbuch, 193-211; Osumi, Kompositionsgeschichte, 123-127.131f. 183 Zu NXö ni vgl. Dempster, RB 91,199: "The verb tits' emphasizes the discovery of the criminal who is caught with the condemning evidence in this context... either the criminal being caught in flagrante delicto or being discovered in possession of the evidence." (Hervorhebung von D.) 184 Für die Annahme, daß Unterschlagung unter das Diebstahlsgesetz in Ex 22,3 zu subsumieren ist, lassen sich gute Gründe anführen: Nach Ex 22,11 leistet der Depositar bei Diebstahl des Depositums durch einen Dritten Schadensersatz. Der nach Ex 22,7 bei einer unbewiesenen Anschuldigung wegen Unterschlagung vorgesehene assertorische Unschuldseid des Depositars ist daher nur dann notwendig und sinnvoll, wenn bei Unterschlagung ein anderer, und zwar höherer Ersatz zu leisten ist. Da nichts anderes verlautet und es im atl. Recht keinen Anhaltspunkt für eine Differenzierung der Straftatbestände des

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eines in jeder Hinsicht ungeklärten Tathergangs wird ein derartiger Vorwurf gegen den Depositar wegen des damit verbundenen materiellen Vorteils für den Eigentümer des gestohlenen Gutes regelrecht provoziert.185 Für diesen Fall, der mit den Mitteln profaner Gerichtsbarkeit kaum zu lösen ist, bestimmt die Apodosis, daß sich der Depositar zum Heiligtum begibt (ατ^κη - ^« m r r ^ s i ηρ3Ί; V.7aß).186 Dort soll sich klären, ob sich der Depositar am Depositum vergriffen hat (inyn η ^ η ι i t n1?© N^cm; V.7b). Da sich die Rechtsfolge bei Schuld und Unschuld des Depositars aus der Anwendung der einschlägigen Bestimmungen in Ex 22,6-14 ohne Schwierigkeiten ermitteln läßt, wird darauf verzichtet, den Rechtssatz auf einen bestimmten Prozeßausgang festzulegen.187 Ex 22,7 eröffnet - vom jeweiligen Ausgang des Verfahrens unabhängig - lediglich die grundsätzliche Möglichkeit der kultischen Rechtsfindung beim nicht nachweisbaren Vorwurf der Unterschlagung des Depositums durch den Depositar. Ex 22,8 dehnt die Möglichkeit, die kultische Gerichtsbarkeit anzurufen, über das Depositenrecht hinaus auf alle Fälle von Eigentumsdelikten (PüS-nm-^D-1?») aus. Der Rechtssatz erörtert im Anschluß an Ex 22,6f, wie zu verfahren ist, wenn der Eigentümer seine Klage damit begründet, das gestohlene Gut befinde sich im Besitz des Beklagten, dieser hingegen die Wahrheit dieser Identifizierung bestreitet.188 Zeugen oder Urkunden zur Klärung der Besitzverhältnisse sind offensichtlich nicht vorhanden.189

Diebstahls und der Unterschlagung gibt, ist davon auszugehen, daß bei nachgewiesener Unterschlagung Ex 22,3 Anwendung findet. Vgl. auch CH §§122-126 und hierzu Otto, ZSRG.R 105, 6-10. 185 Mit Otto, Rechtsbegründungen, 17; ders., ZSRG.R 105, 23. 186 Daß in Ex 22,7( + 8) nicht an Hausgötter gedacht ist, hat Loretz, Bib. 41,167-175, hinreichend begründet. 187 Vgl. Otto, ZSRG.R 105, 19.24: "Die Rechtssätze legen sich gegenseitig aus und gewinnen darin ihre den einzelnen Rechtssatz übergreifende Systematik ... Die rechtssatzübergreifende Systematik, die erfordert, den einzelnen Rechtssatz als Teil des Ganzen der Sammlung der Rechtssätze in Ex 22,6-14 zu interpretieren, verhindert ein überproportionales Anwachsen der Zahl der Gesetze." Die von Knierim, Hauptbegriffe, 167, geäußerte Vermutung, durch den sekundären V.8 sei der urprüngliche Schluß von V.7, der eine Gesetzesformulierung beinhaltet habe, verdrängt worden, erübrigt sich demnach. 188 Vgl. Otto, Rechtsbegründungen, 17f, der ebenfalls auf den zweifachen Aspekt des Rechtssatzes als Fortführung zu Ex 22,6f und als grundsätzliche Reglung aufmerksam macht. Anders Knierim, Hauptbegriffe, 160-171, der V.8 als sekundäre Ergänzung zu V.6f versteht, die lediglich den Tatbestand von V.6a verallgemeinern soll. So auch Giesen, Eid, 121-123. 189 Letzteres wird nicht ausgeführt, kann aber aus dem weiteren Verfahren und aus Ex 22,6f.9f geschlossen werden. Daß der Verfasser von Ex 22,8 nur das zum Verständnis Nötigste mitteilt, zeigt sich schon daran, daß das Bestreiten der Richtigkeit des Beweises durch den beschuldigten Depositar nicht erwähnt, aber zwingend vorausgesetzt ist: An-

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Auch in diesem Fall soll die Sache vor die Gottheit gebracht werden. Wird der Beklagte durch die Gottheit(en)190 für schuldig erklärt (ützn hi), hat er Ex 22,3 entsprechend den doppelten Ersatz für das abhanden gekommene Gut zu leisten.191 Über die Verfahrensweise der kultischen Rechtsfindung werden in Ex 22,7.8 keine Einzelheiten mitgeteilt. Sie läßt sich aber aus den Angaben des salomonischen Tempelweihgebetes in 1 Reg 8,3 lf und aus Ex 22,9f rekonstruieren. 1 Reg 8,3 lf schildert, daß einem Angeklagten ein Schwur auferlegt wird und sich dieser deswegen in das Heiligtum vor den Altar begibt. Es folgt die Bitte, JHWH möge den Schuldigen für schuldig (SETI hi) und den Gerechten für gerecht erklären. Diese Bitte entspricht eindeutig der Situation in Ex 22,8, wonach der Beklagte im Heiligtum durch die Gottheit(en) für schuldig (respektive unschuldig) erklärt wird. Es liegt also nahe, auch für Ex 22,8 von einem Schwur des Beklagten im Heiligtum als Unschuldsnachweis auszugehen. Lautet das Urteil der kultischen Rechtsfindung auf schuldig, dann war der Beklagte offensichtlich nicht bereit, vor der Gottheit im Heiligtum seine Behauptung zu wiederholen.192 Daß auch in Ex 22,7 der Beklagte verpflichtet wird, sich zum Heiligtum zu begeben, um wie in Ex 22,8 einen Schwur zu leisten, damit dieser ihn vom Vorwurf der Unterschlagung befreit, zeigt Ex 22,9f. In dem Rechtssatz geht es um folgenden Sachverhalt: Ein Depositar macht bei Beschädigung oder Verlust eines ihm anvertrauten Tieres Gründe geltend, die ihn

dernfalls gäbe es keinen Streitfall, in dem der Beklagte schuldig oder unschuldig gesprochen werden könnte. 190 Vielleicht ist nach Gesenius/Kautzsch, Grammatik, §§124h.l45i, IS"1 BT 1 singularisch zu übersetzen. Vgl. Holzinger, Exodus, 89; Otto, ZSRG.R 105,16. Anders u.a. Jepsen, Bundesbuch, 7; Noth, Exodus, 149. Sam bietet mit dem Sing. 1 "Ό"Ρ eine dogmatische Korrektur. 191 Zu Recht weist Knierim, Hauptbegriffe, 154f, darauf hin, daß es in V.8 nicht um die Feststellung der Schuld des Beklagten (Eigentumsdelikt) oder des Klägers (falsche Aussage) geht. Dies zeigt der Kontext, in dem es stets um die Schuld des Beklagten und seine Ersatzleistung gegenüber dem Kläger geht. Außerdem setzt die Apodosis in V.8a eindeutig voraus, daß dem Kläger tatsächlich Eigentum verloren gegangen ist (ΓΠ3Ν -Ι ?3 -Ι ?Ϊ), und zwar aufgrund eines Eigentumsdelikts (SBS). Sollte sich die Beschuldigung als falsch erweisen, hätte der Kläger somit den dreifachen Verlust. Das ist - trotz der zu beobachtenden Verstärkung der Sanktionsfunktion des Rechts (vgl. Otto, Rechtsbegründungen, 22ff.61ff) - angesichts einer auf Schadensausgleich bedachten Rechtsprechung unwahrscheinlich. Da der mutmaßliche Täter also bereits feststeht und nicht mehr aus der Gruppe der Anwesenden ermittelt werden muß, kommt als kultisches Beweismittel ein Losorakel nicht in Betracht. 192

Ein solcher Fall ist für die altorientalische Rechtspraxis belegt in ANET, 545 (Nr. 11). Vgl. ferner San Nicolo, Art. Eid, 313.

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ausweislich der in V.lObß genannten Rechtsfolge (o·?©"1 s^l) von der Haftung befreien. Die Protasis des Rechtssatzes ist weitgehend parallel zu Ex 22,6f aufgebaut. Auf die einführende Angabe, daß es sich bei dem Streitgegenstand um ein Depositum, bei Kläger und Beklagtem um Depositor und Depositar handelt (iqü1? > Depositum < lns-r1?« ΤΓΡ_"α; Vv.6aa.9a), folgt die Schilderung des Schadensfalls (Vv.6aß.9b). Daß dieser Fall wie Ex 22,7.8 für die profane Rechtsfindung zu schwierig ist und daß er aus diesem Grund mit Hilfe kultischer Beweismittel zu klären ist, zeigt die ausdrückliche Erwähnung des Fehlens von Beweisen in der Beschreibung des Tatbestandes (run ρ Ν; V.9b).193 Die Apodosis bestimmt in V.lOa, daß der Streitfall durch einen JHWH-Schwur entschieden werden soll (mrp Die Umschreibung des von dem Beklagten zu leistenden Schwures entspricht wortwörtlich der Angabe des Grundes für die Verpflichtung des Beklagten in V.7b, ein Heiligtum aufzusuchen (π^Β "insn rDN^an i r ; Vv.7b.10ap). In V.lOb wird festgelegt, daß der erfolgte assertorische Unschuldseid prozeßentscheidenden Charakter hat. Die von dem Beklagten angeführten Gründe für eine Befreiung von der Haftung gelten durch den Schwur als bewiesen, er hat keinen Ersatz zu leisten. Der Verfahrensablauf in Ex 22,9f stimmt demnach mit Ex 22,8 und 1 Reg 8,3 lf überein: Auf die Anklage folgt die Verpflichtung des Beklagten, mit Hilfe eines Schwures seine Unschuld nachzuweisen. Der Schwur hat prozeßentscheidenden Charakter, nur daß in Ex 22,8 das Urteil auf schuldig und in Ex 22,10 auf unschuldig lautet194, während in 1 Reg 8,3 lf an JHWH appelliert wird, ein gerechtes Urteil herbeizuführen. Die wörtliche Aufnahme von V.7b zur Umschreibung des JHWH-Schwures in V.lOap zeigt einerseits, daß auch nach V.7 das Heiligtum aufgesucht werden soll, um einen Schwur als Unschuldsnachweis abzulegen. Andererseits macht sie deutlich, daß auch V.10 davon ausgeht, daß dieser Eid, selbst wenn das nicht explizit gesagt wird, an dem Ort abzulegen ist, der öffentlich dafür bestimmt ist, d.h. die Eidstätte ist das Heiligtum der Gottheit, die als Eideszeuge angerufen wird.195 Hierfür spricht auch der Vergleich mit der üb193

Sehr wahrscheinlich ist dabei mit Π8"1 | "'S nicht nur das Fehlen von Augenzeugen, sondern jedes augenfälligen Beweises gemeint, da der Depositar dem Unterfall in Ex 22,12 zufolge auch dann von der Haftung befreit ist, wenn er durch Vorlage des getöteten Tieres nachweisen kann, daß das ihm anvertraute Tier durch wilde Tiere gerissen wurde. 194 Zum Verhältnis von Ex 22,8 und Ex 22,10 ist nochmals auf die gegenseitige Interpretation der Rechtssätze hinzuweisen. S.o. S. 74 mit Anm. 187. 195 Anders u.a. Knierim, Hauptbegriffe, 166; Giesen, Eid, 118-123; Schwienhorst-Schönberger, Bundesbuch, 200-205. Sie halten den JHWH-Schwur in Ex 22,10 für einen Reinigungseid. Diesen habe der Beschuldigte vermutlich vor dem Ortsgericht abgelegt. Hinge-

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rigen altorientalischen Rechtspraxis, in der der prozeßentscheidende assertorische Unschuldseid - anders als im germanischen Recht - in den meisten Fällen an einem sakralen Ort und vor einer Gottheit im Beisein von Priestern abgelegt wird.196 So überweisen nach altbabylonischen Prozeßurkunden seit Hammurapi weltliche Richter dann ein Verfahren an die Tempelgerichte, wenn ein assertorischer Eid oder ein anderes kultisches Beweisverfahren durchzuführen ist. Die von den weltlichen Richtern zu unterscheidenden delegierten Tempelrichter haben bei der Ablegung eines Eides die Aufgabe von Eidesstabern.197 Da nichts anderes gesagt wird, ist im Kontext des Bundesbuches davon auszugehen, daß für die Abnahme des assertorischen Unschuldseides die Priester an den lokalen Heiligtümern zuständig sind198, an denen nach Ex 21,6 auch andere Aufgaben der Rechtspflege wahrgenommen werden. Das Bundesbuch stimmt also mit den Ausführungen des dt Gesetzes in 17,8-13 grundsätzlich darin überein, daß für die profane Gerichtsbarkeit nicht zu klärende Rechtsfälle an die kultische Gerichtsbarkeit zu überweigen gehen sie für Ex 22,7.8 von einem Gottesurteil in Form eines Fluchordals aus, in dem der Beschuldigte seine Unschuld beteuert und zum Nachweis eine Selbstverfluchung für den Fall des Meineides auf sich nimmt. Ein Reinigungseid ist aber nichts anderes. Eine Unterscheidung zwischen Reinigungs- und assertorischem Unschuldseid mit prozeßentscheidenden (genaugenommen: die Beweislage unzweifelhaft festlegenden) Charakter ist daher nicht gerechtfertigt. Vgl. Lang, TThQ 161, 97-105. Ferner Frymer-Kensky, Ordeal, 44. Sie unterscheidet zwei Arten der Eidesleistung im altorientalischen Gerichtsverfahren, den prozeßentscheidenden Reinigungseid und die nicht prozeßentscheidende beeidete Zeugenaussage. Letztere ist im AT nicht belegt. Für einen Reinigungseid außerhalb des Heiligtums lassen sich auch nicht die JHWHSchwüre in 2 Sam 21,7; 1 Reg 2,43 anführen, so Schwienhorst-Schönberger, Bundesbuch, 202. Es handelt sich um promissorische Eide, die selbstverständlich nicht an ein Heiligtum gebunden sind. Nach Giesen, Eid, 121, ist die Bindung des Reinigungseides an ein Heiligtum unwahrscheinlich, "zumal die Urteilsverkündung unmittelbar nach der Ablegung des Reinigungseides erfolgt und ein zweifacher Wechsel: Gerichtsort - Heiligtum - Gerichtsort zu umständlich ist". Der folgerichtig für Ex 22,8 ebenfalls anzunehmende zweifache Wechsel stört Giesen jedoch nicht. Zudem ist angesichts der kurzen Entfernungen zwischen lokaler Gerichtsstätte und lokalem Heiligtum ein zweifacher Wechsel des Verhandlungsortes völlig unproblematisch. Vielleicht wird auch die ganze Verhandlung an das lokale Heiligtum verlegt, so daß das Gericht das Urteil dort unmittelbar nach Klärung der Beweislage fällen kann. Schwierigkeiten können sich erst dann ergeben, wenn die kultische Gerichtsbarkeit auf das Zentralheiligtum beschränkt ist. Für diesen Fall sieht der dt Gesetzgeber aber die Überweisung des ganzen Prozesses an die kultische Gerichtsbarkeit vor. S.u. S. 81. 196 Vgl. Falkenstein, Gerichtsurkunden I, 65; Lautner, Entscheidung, 59f; Gamper, Gott als Richter, 62f; San Nicolo, Art. Eid, 305-315, insbes. 306.308.311 (zu MAG §47).312. 197 Vgl. Lautner, Entscheidung, 81f mit Anm. 240. 198 Vgl. auch Noth, Exodus, 149; Loretz, Bib. 41,169f; Phillips, Criminal Law, 136; Niehr, Rechtsprechung, 89f; Otto, Rechtsbegründungen, 36; Lang, TThQ 161,103.

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sen sind. Es lassen sich jedoch auch bemerkenswerte Unterschiede feststellen. Zunächst fällt auf, daß die Beschreibung des Tatbestandes in 17,8a* so abstrakt wie möglich formuliert ist. Im Gegensatz zu Ex 22,6-14 wird auf jede weiterführende Konkretisierung des Falls verzichtet. Dies hat zur Folge, daß mit der Definition des Tatbestandes noch keine Entscheidung über die anzuwendende Form der kultischen Rechtsfindung gefallen ist. Ferner werden in Ex 22,6-14 alternative Fallkonstellationen angeführt, aus denen hervorgeht, welche profanen Beweismittel nicht angewendet werden können (Ex 22,6b. 12; vgl. Ex 22,9b), so daß eine kultische Beweisführung notwendig ist. Eine derartige Alternative fehlt in 17,8a. Stattdessen wird nur das verfahrensrechtlich entscheidende formale Kriterium genannt, daß der Fall für das Ortsgericht zu schwer ist. Durch diese Reduktion auf eine formale Beschreibung des Tatbestandes gelingt es dem dt Gesetzgeber, eine Regel mit dem größtmöglichen Grad der Allgemeinheit und Verbindlichkeit aufzustellen: Die Vorschrift gilt ohne Ausnahme für jeden Fall, der mit den Mitteln profaner Gerichtsbarkeit an den Ortsgerichten nicht entschieden werden kann. Eine derartige Regel resultiert sicher nicht aus der Umformung von Gerichtsurteilen in Gesetze, sondern ist Ausdruck einer systematischen Gesetzgebung. Der für die institutions- und literarhistorische Einordnung von 17,8-13 ausschlaggebende Unterschied betrifft die Bezeichnung des aufzusuchenden Heiligtums. Das Bundesbuch spricht völlig undifferenziert vom JHWH-Schwur ( m m n»2ü; Ex 22,10) oder davon, daß der Beschuldigte sich der Gottheit nähern (•ΤΙ'ΡΚΓΓ^Κ ΓΡ2Π-,?»:Ι a i p n ; Ex 22,7) oder der Streitfall vor die Gottheit gebracht werden solle (—in a n DTi^n ti> on"1 JE, Ex 22,8). Hingegen ist dem dt Gesetz zufolge jede Rechtssache, die die in 17,8a angeführte Bedingung erfüllt, an das eine legitime JHWHHeiligtum zu überweisen (-pn1?*? m m i n n i m Dipan-1?« m":»i nnpi in; 17,8b; vgl. V.lOa). Es ist offensichtlich, daß die damit intendierte Beschränkung der kultischen Gerichtsbarkeit auf das Zentralheiligtum eine Folge der Zentralisationsforderung von Kap. 12 ist: Da mit der Kultzentralisation die lokalen Heiligtümer wegfallen, kann eine kultische Gerichtsbarkeit nur noch am Zentralheiligtum ausgeübt werden. "War bisher das Priestergericht in Jerusalem ein, wenn auch sicherlich besonders angesehenes, aber doch eben nur ein geistliches Gericht neben anderen gewesen, so wurde es jetzt mit einem Schlage das einzige."199 Daß mit der Zentralisationsforderung von Kap. 12 der literarhistorische Ausgangspunkt und in deren Durchführung womöglich der institu199

(Statt vieler:) Hempel, Schichten, 212 (Hervorhebung im Original gesperrt).

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tionsgeschichtliche Aiüaß für die Formulierung von 17,8-13 gegeben ist, macht die Verwendung der Ortsangabe τ>Ί»Ε?(α) und der Maqöm-Formel deutlich. Die synekdochisch für befestigte Ortschaften gebrauchte Pluralform von IS» mit dem Suffix der 2. Pers. Sing. mask, ist für den Sprachgebrauch des dt Gesetzes typisch. Mit Ausnahme von Ex 20,10 (= Dtn 5,14) ist sie nur im Dtn belegt. Von den 26 Belegen im Dtn finden sich 21 im dt Gesetz.200 Dort bezeichnet der Ausdruck in Bestimmungen, die in einem sachlichen Zusammenhang mit der Zentralisationsforderung stehen und dies durch die Maqöm-Formel ausdrücken, die einzelnen Ortschaften im Unterschied zum Ort des Zentralheiligtums.201 In diesen Texten geht es jeweils um Veränderungen im kultischen Bereich, die sich aus der Kultzentralisation ergeben. Der literarhistorische Ausgangspunkt dieser Verwendung der Ortsangabe ist der dt Grundbestand der Bestimmung zur Kultzentralisation in Kap. 12202, in dem der legitime JHWH-Kult auf das Zentralheiligtum beschränkt ( m m i m i -ibn Dipai; V.14) und infolgedessen die profane Schlachtung in den einzelnen Ortschaften (_