Die Geschichte Israels in der Sicht des Lukas: Apg 7,2b-53 und 13,17-25 im Kontext antik-jüdischer Summarien der Geschichte Israels 9783666538797, 3525538790, 9783525538791

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Die Geschichte Israels in der Sicht des Lukas: Apg 7,2b-53 und 13,17-25 im Kontext antik-jüdischer Summarien der Geschichte Israels
 9783666538797, 3525538790, 9783525538791

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V&R

Für Petra

JOACHIM JESKA

Die Geschichte Israels in der Sicht des Lukas Apg 7,2b-53 und 13,17-25 im Kontext antik-jüdischer Summarien der Geschichte Israels

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Dietrich-Alex Koch und Matthias Köckert 195. Heft der ganzen Reihe

Mit 10 Abbildungen

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Jeska, Joachim: Die Geschichte Israels in der Sicht des Lukas; Apg 7,2b-53 und 13,17-25 im Kontext antik-jüdischer Summarien der Geschichte Israels / Joachim Jeska. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2001 (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments; H. 195) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 2001 ISBN 3-525-53879-0

© 2001 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen http://www.vandenhoeck-ruprecht.de Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindearbeiten: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort „ Was uns beschäftigt, ist nicht die bezifferbare Zeit. Es ist vielmehr ihre Aufliebung im Geheimnis der Vertauschung von Uberlieferung und Prophezeiung, welche dem Worte .Einst' seinen Doppelsinn von Vergangenheit und Zukunft und damit seine Ladung potentieller Gegenwart verleiht. " (Thomas Mann, Joseph und seine Brüder, Bd. 1, Die Geschichten Jaakobs. Der junge Joseph, Stockholm 1948, 34f.)

Die vorliegende Untersuchung wurde im Januar 2001 von der EvangelischTheologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Für den Druck habe ich sie geringfügig überarbeitet. Mein besonderer Dank gilt meinem theologischen Lehrer und Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dietrich-Alex Koch, der mir während einer unserer zahlreichen neutestamentlich-archäologischen Exkursionen die Möglichkeit eröffnet hat, in der so sehr geliebten Disziplin der neutestamentlichen Exegese wissenschaftlich zu arbeiten. Er hat mir als seinem Assistenten ein großes Maß an Vertrauen entgegengebracht, viel Freiraum für die Arbeit an meiner Dissertation gewährt und ihr Entstehen stets mit kritischem Interesse begleitet. Zudem hat er eine Atmosphäre geschaffen, die konstruktives Arbeiten sehr befördert hat. Herrn Prof. Dr. Folker Siegert danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens und die darin enthaltenen Hinweise. Ihm habe ich darüber hinaus zu danken, daß ich während meiner Assistentenzeit am Projekt der griechisch-deutschen Edition von Schriften des Josephus mitarbeiten konnte. Ebenso gilt mein Dank Prof. Dr. Martin Rese, Prof. Dr. Jens-Wilhelm Taeger und Prof. Dr. Alfred Suhl, die mir immer wieder Anregungen mit auf den Weg gegeben und Mut gemacht haben. Zahlreiche Hinweise, konstruktive Rückfragen und ertragreiche Diskussionen verdanke ich meinen Münsteraner Kolleginnen und Kollegen, die auch die Last des Korrekturlesens auf sich genommen haben, Jan Dochhorn (dem insbesondere fur die Hilfen im Äthiopischen zu danken ist), Dr. Jürgen U. Kalms, Susanne Schewe und Dr. Manuel Vogel. Darüber hinaus habe ich Martin Dorn, Dipl.-Theol. Martin Faßnacht, Dipl.-Theol. Stefan Lücking, PD Dr. Angelika Reichert, Dr. Martin Schewe und Dr. Martin Schmidl zu danken. Mit ihnen allen im Dokto-

6

Vorwort

randenkolloquium zu diskutieren und sich in der regelmäßig tagenden Arbeitsgruppe „NT in Team" auszutauschen, hat zu vielerlei Klärungen und Präzisierungen gefuhrt. Dazu haben mir auch Prof. Dr. Rainer Albertz und die alttestamentlichen Kollegen Dr. Dirk Schwiderski (der zudem einen Teil der Korrekturlast auf sich nahm) und Dr. Ingo Kottsieper verholfen. Konstruktive Diskussionen mit Prof. Dr. Nikolaus Walter (Naumburg/S.), Prof. Dr. Günter Stemberger (Wien) und den Mitgliedern des „Sector for New Testament and Jewish Studies" der „Netherlands School for Advanced Studies in Theology and Religion" (NOSTER), vor denen ich während einer Tagung in Soesterberg (NL) meine Arbeit vorstellen durfte, - besonders Prof. Dr. Jan Willem van Henten, Prof. Dr. Henk Jan de Jonge, Prof. Dr. Marten J. J. Menken und Prof. Dr. Wim J. C. Weren - haben erheblich zur Konzeption und Gestaltung dieses Buches beigetragen. Diese Dissertation konnte natürlich nicht entstehen ohne die ganz anders geartete, aber ungemein wichtige Begleitung, Unterstützung und Ermunterung der Menschen, die mir besonders nahe stehen. Meiner über alles geliebten Petra habe ich mehr zu verdanken als in Worte zu fassen ist - sie hat immer wieder überau? uneigennützig dafür gesorgt, daß ich Freiraum zum Arbeiten hatte, nicht zwischenzeitlich den Boden unter den Füßen verlor und über der Beschäftigung mit der lukanischen Theologie „geerdet" blieb. Darüber hinaus hat sie so manche versteckte Fehler im Manuskript entdeckt. Ihr ist dieses Buch in liebevoller und dankbarer Zuneigung gewidmet. Für die Vermittlung eines wachen Verstandes, die stetige Förderung von frühester Kindheit an, die Gewährung so manchen Freiraumes sowie das Mitfühlen und die finanzielle Unterstützung danke ich darüber hinaus meinen geliebten Eltern Liesel und Günter Jeska. Mit großem Interesse und durch finanzielle Zuwendungen hat auch mein Onkel Gerhard Jeska das Entstehen dieser Arbeit begleitet. Für einen großzügigen Druckkostenzuschuß ist der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers zu danken. Zudem sei auch der Vereinigten EvangelischLutherischen Kirche Deutschlands für einen Druckkostenzuschuß gedankt. Abschließend danke ich meinem Doktorvater und Prof. Dr. Matthias Köckert für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der „Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments" sowie Dipl.-Theol. Heike Lohr und Renate Hartog vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen für die gute und freundliche Betreuung. Münster, im Mai 2001

Joachim Jeska

Inhalt 5

Vorwort Abkürzungen

12

I. Einleitung

13

1. Probleme der Forschung und Fragestellung 2. Aufbau der Untersuchung 3. Vorklärungen 3.1 Kriterien zur Textauswahl und Merkmale von Summarien der Geschichte Israels 3.2 Zum Terminus .Summarium der Geschichte Israels' Exkurs: Zum Terminus ,Summarium' in der neutestamentlichen Exegese 3.3 Zur Terminologie der Formen der Schriftverwendung II. Zur Forschungsgeschichte: Die Einbeziehung antik-jüdischer Summarien der Geschichte Israels in der bisherigen Exegese von Apg 7,2b-53 und 13,17-25 1. Verweise auf antik-jüdische Summarien der Geschichte Israels 1.1 Einfache Verweise 1.2 Verweise mit kurzen Ausfuhrungen Exkurs·. Verweise auf andere Vergleichstexte 2. Längere Ausführungen zu antik-jüdischen Summarien der Geschichte Israels 2.1 Die traditionsgeschichtliche Rückfrage 2.2 Die Rückfrage nach Aufbau und Funktion von Summarien der Geschichte Israels 2.3 Die Verbindung von traditionsgeschichtlicher Frage und der Rückfrage nach Aufbau und Funktion der Summarien der Geschichte Israels

13 16 17 17 22 23 26

28 28 28 30 32 33 33 36

38

8

Inhalt Exkurs: Untersuchungen antik-jüdischer Summarien der Geschichte Israels unter Ausschluß von Apg 7,2b-53 und 13,17-25 3. Schlußfolgerungen

III. Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften 1. Einführung in die Texte 1.1 Summarien der Geschichte Israels in Ansprachen 1.1.1 1 Sam 12,8-13 1.1.2 Ps 7 8 , 5 - 7 2 / Ψ 77,5-72 1.1.3 Jdt 5,6-19 1.1.4 IMakk 2,52-60 1.1.5 CD II,17b-IV,12a 1.1.6 Josephus, Bell 5,379-412 1.1.7 Josephus, Ant 3,86-87 1.1.8 4Esr 14,29-33 1.2 Summarien der Geschichte Israels in Gebeten 1.2.1 Dtn 26,5aß-10a 1.2.2 Neh 9,6-31 / 2 Ε σ δ 19,6-31 1.2.3 3Makk 2,4-12 1.2.4 3Makk 6,4-8 1.2.5 4Esr 3,4b-33 1.3 Summarien der Geschichte Israels in Hymnen oder Liedern 1.3.1 Ps 105,7-44/Ψ 104,7-44 1.3.2 Ps 106,7-46/Ψ 105,7-46 1.3.3 Ps 135,5-12 / Ψ 134,5-12 1.3.4 Ps 136,4-25 / Ψ 135,4-25 1.3.5 Sir 44,3-50,21 1.3.6 Weish 10,1-11,1 1.3.7 LibAnt 32,1b—11 1.4 Summarien der Geschichte Israels in Visionen 1.4.1 lHen 85,3-90,38 1.4.2 lHen 93,3b-10; 91,11-17 1.4.3 syrBar 56,2-74,4 1.4.4 Sib 111,248-294 1.5 Summarien der Geschichte Israels in Prophetischen Reden oder Gottesreden 1.5.1 Ez 20,5aß-29 1.5.2 Jos 24,2aß-13

40 42 44 44 44 45 46 47 48 51 53 55 56 57 58 59 61 63 64 65 66 67 68 69 70 71 73 74 75 77 79 80 82 82 84

Inhalt 1.5.3 LibAnt 23,4b-l 1 2. Aktualisierungen in Summarien der Geschichte Israels 2.1 Aktualisierende Notizen innerhalb der Vergangenheitsdarstellung 2.2 Aktualisierungen als Fortführung der Vergangenheitsdarstellung 2.2.1 Ausblick in die narrative Gegenwart 2.2.2 Ausblick in die Zukunft 3. Wechsel zwischen Solidarisierung und Distanzierung 3.1 Wechsel ohne polemische Implikationen 3.2 Wechsel mit polemischen Implikationen 4. Verwendung und Gestalt von Summarien der Geschichte Israels 4.1 Summarien der Geschichte Israels ohne größere literarische Kontexte 4.2 Summarien der Geschichte Israels in größeren literarischen Kompositionen 4.2.1 lSam 12 4.2.2 Jdt 5 4.2.3 Bell 5 4.2.4 Jos 24 und Dtn 26 5. Schlußfolgerungen

9 85 86 86 91 91 92 94 95 97 98 99 102 102 106 109 113 115

IV. Vergleich von Apg 7,2b-53 und 13,17-25 mit den antik-jüdischen Summarien der Geschichte Israels 119 1. Zur Kohärenz der Stephanusrede 119 1.1 Argumente gegen die Kohärenz und Überlegungen zur Scheidung zwischen Tradition und Redaktion 119 Exkurs ·. Zur traditionsgeschichtlichen Frage nach einem Summarium der Geschichte Israels als Vorlage von Apg 7,2b-53 und 13,17-25 120 1.1.1 Unterscheidung zwischen ,neutralen' und polemischen Teilen 125 1.1.2 Bruch zwischen Apg 7,50 und 7,51 128 1.1.3 Apg 7,51-53 als Anklage oder Scheltrede 130 1.1.4 Unvollständiger Schluß 132 1.1.5 Wechsel zwischen Solidarisierung und Distanzierung 135 1.1.6 Schriftauslegung 136 1.2 Argumente fur die Kohärenz 138 1.3 Schlußfolgerungen 141

10

Inhalt 2. Aktualisierungen 142 2.1 Aktualisierende Notizen innerhalb der Vergangenheitsdarstellung... 142 2.2 Aktualisierung als Fortführung der Vergangenheitsdarstellung 145 2.3 Schlußfolgerungen 146 3. Wechsel zwischen Solidarisierung und Distanzierung 148

V. Analyse und Interpretation vonApg 7,2b-53 1. Summarium der Geschichte Israels 1.1 Vergangenheitsdarstellung (Apg 7,2b-50) 1.1.1 Von der Theophanie des Abraham bis zum Kindermord (Apg 7,2b-19) 1.1.2 Von der Geburt des Mose bis zum Bau des Tempels (Apg 7,20-50) 1.2 Aktualisierung (Apg 7,4.7.38.51-53) 2. Funktion innerhalb der Stephanusgeschichte 3. Funktion im Gesamtaufriß des lukanischen Doppelwerkes 4. Schlußfolgerungen

154 156 156 156 166 183 189 194 214

VI. Analyse und Interpretation von Apg 13,17-25 221 1. Summarium der Geschichte Israels 221 1.1 Vergangenheitsdarstellung (Apg 13,17-22) 221 1.1.1 Von der Erwählung bis zur Landgabe (Apg 13,17-20a) 221 1.1.2 Von den Richtern bis zu David (Apg 13,20b-22) 224 1.2 Aktualisierung (Apg 13,23-25) 229 2. Funktion innerhalb der Episode im pisidischen Antiochia 231 Exkurs: Die Hörerschaft des Paulus im pisidischen Antiochia 234 3. Funktion im Gesamtaufriß des lukanischen Doppelwerkes 246 4. Ausblick: Zum Verhältnis zwischen Apg 7,2b-53 und Apg 13,17-25..249 4.1 Forschungspositionen 249 4.1.1 Betonung der Ähnlichkeit 250 4.1.2 Betonung der Differenzen 251 4.2 Ein neuer Deutungsversuch: Die Kontextbezogenheit der beiden Summarien der Geschichte Israels 252 VII. Erträge 1. Antik-jüdische Summarien der Geschichte Israels 2. Lukanische Summarien der Geschichte Israels

254 254 257

Inhalt 2.1 Die lukanischen Summarien der Geschichte Israels als kohärente Texte 2.2 Die Kontextbezogenheit der lukanischen Summarien der Geschichte Israels und ihre lukanische Verfasserschaft Anhang: Weiterfiihrende Überlegungen zum Verhältnis zwischen der Tierapokalypse und den lukanischen Summarien der Geschichte Israels 1. Vergleich der Geschichtsbetrachtung in lHen 89,10-53 mit Apg 7,2b-53 und 13,17-25 Exkurs: Zur griechischen Übersetzung des Buches der Traumvisionen 2. Die lukanische Darstellung der Geschichte Israels als Auseinandersetzung mit Teilen der Henoch-Überlieferung? 2.1 Der Stammbaum Henochs in lHen 37,1 als Vorlage des lukanischen Stammbaums Jesu 2.2 Elia und Jesus 2.3 Henoch, Jesus und der Menschensohn Exkurs: Zur Entstehung und Datierung von lHen 70f. Exkurs : Weitere Überlegungen zum Zusammenhang zwischen lHen 37-71; 85-90 und dem lukanischen Doppelwerk 3. Schlußfolgerungen

11

257 259

272 274 277 279 279 283 286 292 296 298

Tabellarische Übersicht über die antik-jüdischen Summarien der Geschichte Israels

300

Abbildungsverzeichnis

301

Literaturverzeichnis

302

I.Quellen II. Hilfsmittel III. Sekundärliteratur Register.

302 307 308 330

Abkürzungen Die verwendeten Abkürzungen richten sich nach: SCHWERTNER, Siegfried M.: Theologische Realenzyklopädie. Abkürzungsverzeichnis, 2., überaib. und erw. Aufl., Berlin u.a. 1994 Den Abkürzungen der biblischen Bücher wird zugrunde gelegt: ÖKUMENISCHES VERZEICHNIS DER BIBLISCHEN EIGENNAMEN NACH DEN LOCCUMER RICHTLINIEN, h g .

von den Deutschen Bischöfen, dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und dem Evangelischen Bibelwerk, Stuttgart 1971 In Analogie zu dem dort gewählten System werden die außerkanonischen friihjUdischen und frühchristlichen Schriften, deren Abkürzungen dem Verzeichnis von Schwertner folgen, ebenfalls mit arabischen Zahlzeichen numeriert. Über das Abkürzungsverzeichnis von Schwertner hinaus werden folgende Abkürzungen verwendet: Bar dtrGB Kol. s.E. SGI lHen Ψ 1-2Βασ

apokryphes Baruchbuch deuteronomistisches Geschichtsbild Kolumne seines Erachtens Summarium der Geschichte Israels (s. dazu 1.3.1-2, S. 17-26) 1. Henochbuch (u.a. überliefert als äthiopisches Henochbuch) Psalm nach der LXX-Zählung und in der LXX-Fassung 1. und 2. Samuelbuch (in der LXX-Fassung)

2Εσδ

Teil der kanonischen Bücher Esr / Neh (in der LXX-Fassung)

Verkürzte Angaben der Summarien der Geschichte Israels SGI werden in Aufzählungen oder einfachen Verweisen nur mit Kapitelzählung angeführt. Wird also z.B. in einer Aufzählung Neh 9 genannt, so wird dabei nicht auf das ganze Kapitel hingewiesen, sondern nur auf das SGI in Neh 9,6-31. Vgl. zur Übersicht über die Abgrenzungen aller SGI die Tabelle im Anhang, S. 300.

Zitierweise Auf Sekundärliteratur wird jeweils mit dem Nachnamen des Verfassers und einem Titelstichwort, in der Regel mit dem ersten Substantiv des Titels, verwiesen.

I. Einleitung

1. Probleme der Forschung und Fragestellung Die exegetische Debatte der letzten einhundert Jahre über die Stephanusrede (Apg 7,2b-53) und den Beginn der Paulusrede im pisidischen Antiochia (Apg 13,17-25), zwei knappe Überblicke über Ereignisse und Gestalten der Geschichte Israels, ist durch zwei Fragestellungen wesentlich bestimmt. Zum einen wendet man sich einzelnen Motiven der Geschichtsdarstellung zu und fragt nach der traditionsgeschichtlichen Herkunft, indem man Einzelvergleiche mit antikjüdischen Texten vornimmt.1 Zum anderen fragt man nach dem Verhältnis zwischen den Geschichtsrückblicken, die innerhalb von Reden vorliegen, und dem Gesamtzusammenhang der Apostelgeschichte. Dabei werden zwei Möglichkeiten diskutiert: (1) Man geht davon aus, daß die Geschichtsrückblicke relativ unverbunden im Kontext stehen und fragt deshalb nach einer Teil- oder Gesamtvorlage der beiden Texte2 oder (2) man versucht mit Argumenten aus den lukanischen Schriften selbst die lukanische Verfasserschaft zu erweisen.3 Kennzeichen der bisherigen Debatte ist, daß die Nähe der Summarien der Geschichte Israels (SGI)* von Apg 7 und 13 zu antik-jüdischen SGI immer wieder gesehen, aber nie systematisch in die Untersuchungen einbezogen wird. Daher soll in dieser Arbeit - auch um über die Aporie der bisherigen Diskussion hinauszugelangen - eine systematische Untersuchung aller antik-jüdischen SGI vorgenommen werden, um so eine hinreichend gesicherte Basis für die Analyse und Interpretation von Apg 7 und 13 zu

1 Zu vielen Motivkomplexen liegen bereits Studien vor. Vgl. z.B. Saito, Mosevorstellungen; Wieser, Abrahamvorstellungen; Levison, Portraits of Adam; Öhler, Elia. Daneben gibt es Arbeiten, in denen zwar verschiedene Motive der Geschichte Israels behandelt werden, die sich aber auf einen Text beschränken, z.B. Spilsbury, Image of the Jew (hier steht kein Einzelmotiv im Zentrum, sondern die Darstellung des Josephus in den Antiquitates). 2 Exemplarisch sei auf die viel beachtete Untersuchung von Dibelius aus dem Jahr 1944 hingewiesen (Dibelius, Reden 143-146). Zu weiteren Vertretern und den grundlegenden Argumenten s.u. IV.1.1, S. 119-138. 3

So verfährt Kilgallen in seiner 1976 publizierten Dissertation (Kilgallen, Speech). Auf die zunehmende Zahl von Exegeten, die ähnlich verfahren, wird weiter unten verwiesen - s. IV. 1.2, S. 138-141. 4

Zu diesem Terminus s.u. 1.3.2, S. 22-26.

14

Einleitung

gewinnen. 5 D i e systematische Erfassung aller antik-jüdischen SGI soll Antworten auf folgende zentrale Fragen der Exegese von A p g 7 und 13 ermöglichen: (1) Handelt

es sich bei den lukanischen

SGI um kohärente

Gesamtentwürfe?

Eine Antwort auf diese Frage ist wichtig, da die Scheidung zwischen Tradition und Redaktion in ganz erheblichem Maß die Erforschung von A p g 7 und 13 im 20. Jahrhundert bestimmt hat. Dabei haben die im Detail sehr unterschiedlichen Ergebnisse erwiesen, daß das Herauslösen traditioneller Elemente aus der Stephanusrede oder dem Beginn der Paulusrede im pisidischen Antiochia überaus schwierig ist. A u s diesem Grund ist in jüngerer Zeit einerseits die Forderung nach einer sinnvollen Kriteriologie erhoben, 6 andererseits sind der literarkritische Ansatz und die redaktionsgeschichtliche Fragestellung vehement kritisiert und zur .Sackgasse' erklärt7 oder als zu hypothetisch abgewiesen worden. 8 In der folgenden Untersuchung soll ein A u s w e g aus diesem Forschungsdissens gesucht werden. Der literarkritische Ansatz wird dabei nicht beiseite geschoben. Vielmehr sollen auf der Grundlage einer systematischen Erfassung der antik-jüdischen SGI die Argumente der Forscher hinterfragt werden, die zwischen Tradition und Redaktion zu scheiden versuchen. Lassen

5 Eine solche Untersuchung der antik-jüdischen SGI im Hinblick auf die Stephanusrede ist verschiedentlich zum Desiderat erhoben, aber noch nicht vorgenommen worden. Vgl. die Anregung des Judaisten Günter Stemberger aus dem Jahr 1976: „Eine Untersuchung der Geschichtsrückblicke in der gesamten jüdischen Literatur würde vielleicht unsere Frage [sc. nach der Vorlage der Stephanusrede] einer Lösung näherführen; doch geht eine solche Aufgabe natürlich über den Rahmen dieses Aufsatzes hinaus." (Stemberger, Stephanusrede 174). Vgl. auch die zwanzig Jahre jüngere Darstellung des Befundes von Brehm, Vindicating 266: „Unfortunately, none of the typical approaches to Stephen's speech take adequate account of its traditio-historical background in the summaries of Israelite history, like the confession of sin led by the Levites (or Ezra) in Neh. 9.5-37." 6 Hahn, Stand 190: „Verstärkt hat sich ... das Bestreben durchgesetzt [sc. in der Erforschung der Apostelgeschichte zwischen 1980 und 1985], die von Lukas verarbeiteten Traditionen genauer in den Blick zu bekommen. Hier wird weiterzuarbeiten sein; vor allem ist eine brauchbare Kriteriologie immer noch ein Desiderat." 7

White, Composition 222: „Few redaction critics seem to be able to agree as to the meaning of what Luke eventually put together as Stephen's speech. It would seem that the presuppositions and applications of redaction criticism have lead many down a dead-end street." White merkt aber an, daß die redaktionsgeschichtliche Arbeit gezeigt habe - und das sei ihr Verdienst - , daß Lukas der „composer of the speech material in Acts" sei. 8 Lampe, Abraham 226 Anm. 60: „In spite of decades of investigation on the formation of the Stephen speech, scholars are still unable to identify adequately the .presumed' sources from a tradition-redaction point of view." Vgl. die programmatische Verabschiedung von der Quellenfrage bezüglich der Stephanusrede in dem voluminösen Kommentar von Bossuyt/Radermakers, Témoins 2, 232: „Nous n'approfondirons pas cette quête des sources, aussi intéressante qu'elle puisse être, car elle demeure largement hypothétique."

Probleme der Forschung und Fragestellung

15

sich die Strukturen vermeintlicher Brüche an kohärenten antik-jüdischen SGI aufzeigen, so muß keine literarkritische Lösung gesucht werden. (2) Welche Funktion haben die lukanischen SGI im jeweiligen näheren und weiteren Kontext? Die Frage nach der Funktion der lukanischen Texte hat bislang aufgrund der Dominanz der literarkritischen Frage wenig Beachtung gefunden. Es ist deshalb keineswegs überraschend, wenn auch in der jüngeren Literatur behauptet wird: „Die Funktion solcher Überblicke [sc. SGI] für Lukas ist eine unbeantwortete Frage."' Eine Untersuchung der Funktionen antik-jüdischer SGI und die jeweilige Verbindung zwischen Inhalt und Funktion kann entscheidende Hilfen für die Funktionsbestimmung von Apg 7,2b-53 und 13,17-25 geben.10 (3) Entstammen die lukanischen SGI der Beschäftigung mit einem anderen SGI als Vorlage oder gehen sie auf den selbständigen Umgang des Lukas mit den biblischen,Leittexten'" zurück? Diese Frage hat die exegetische Forschung stets beschäftigt und man ist zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gekommen.12 Auf der Grundlage der Antworten, die die beiden ersten Fragekomplexe erbracht haben, kann sinnvoll erörtert werden, ob Lukas die beiden SGI für ihren jeweiligen Kontext konstruiert und ob er dabei auf ein bestehendes antik-jüdisches SGI zurückgegriffen hat.

9 So Jervell, Apostelgeschichte 354 Anm. 458 in Bezug auf den Beginn der Paulusrede im pisidischen Antiochia; vgl. Kurth, Stimmen 158 Anm. 2. Dagegen lehnt Thiessen in seiner Basler Dissertation von 1998 die Frage nach der Funktion von Apg 7 im Kontext des lukanischen Doppelwerkes entschieden ab, da er sie für die geschlossen überlieferte Rede des historischen Stephanus hält, die dem Lukas, der s.E. die Apostelgeschichte als Reisebegleiter des Paulus um 62/63 n.Chr. verfaßt habe (Thiessen, Stephanusrede 1-9), schriftlich vorgelegen habe. Es sei demnach „nicht zu fragen, was Lukas mit der Rede sagen wollte ..., sondern was Stephanus seinen jüdischen Zuhörern sagen wollte" (Thiessen, Stephanusrede 33; vgl. 20-25; 217-220). 10

Dadurch wird einer Verlegenheitsauskunft wie der von Räisänen gewehrt. Der finnische Exeget führt die Stoffzusammenstellung der Stephanusrede auf das .Pflichtgefühl' des Lukas zurück: „Lukas hat sich verpflichtet gefühlt, hier solche Materialien zu sammeln, mit denen er im Grunde nicht viel anzufangen wußte" (Räisänen, Hellenisten 1486). " Zur Definition dieses Begriffs s.u. 1.3.1, S. 17f. 12 Man vgl. in dieser Frage z.B. die Aussagen von Traugott Holtz und seinem Schüler Eckart Reinmuth. Während Holtz in seiner Habilitation (1968) zu zeigen versucht, daß Lukas keine selbständige Kenntnis vom Pentateuch gehabt habe (Holtz, Untersuchungen 169f.), schlußfolgert Reinmuth aus seiner Beschäftigung mit der Genesisrezeption in Apg 7,2-17 (1997): „Auch für Lukas ist vorauszusetzen, daß seine Wiedergabe der Abrahamgeschichte sich nicht lediglich der eigenen Interpretation der entsprechenden Genesis-Texte, sondern zugleich und primär ihrer biblischen und frühjüdischen Rezeption verdankt" (Reinmuth, Beobachtungen 563; vgl. 569).

16

Einleitung

Obwohl also in dieser Arbeit Texte herangezogen werden, die wie die lukanischen Summarien der Geschichte Israels Bezug auf biblische Motive nehmen, sollen keine traditionsgeschichtlichen Erörterungen einzelner Motive der lukanischen SGI vorgenommen werden. Für derartige Untersuchungen wäre nämlich eine Beschränkung auf die antik-jüdischen SGI methodisch nicht gerechtfertigt. Um die Traditionsgeschichte einzelner Motive verfolgen zu können, müßten vielmehr auch andere Texte herangezogen werden, in denen diese Motive benutzt werden. In einer adäquaten Analyse müßten daher einzelne Motive aufgegriffen und alle relevanten Texte diskutiert werden, nicht aber nur die Verwendung innerhalb von SGI. Eine Untersuchung zu den antik-jüdischen SGI insgesamt kann daher einzelne motivgeschichtlich orientierte Studien nicht ersetzen.

2. Aufbau der Untersuchung Die drei Grundfragen führen zu folgender Gliederung der Arbeit: Im einleitenden ersten Teil soll anhand von Vorklärungen dargestellt werden, was ein SGI prinzipiell auszeichnet, welche Texte für die Untersuchung in Frage kommen und warum die Bezeichnung Summarium der Geschichte Israels gewählt wird. In einem Forschungsüberblick über die Einbeziehung antik-jüdischer SGI in die Exegese von Apg 7,2b-53 und 13,17-25 wird anschließend deutlich werden, wie notwendig die systematische Erfassung aller antik-jüdischen SGI ist (II. Teil). In Teil III stehen mit der Erörterung der einzelnen antik-jüdischen SGI zuallererst sinnvoll abgrenzbare Textabschnitte im Vordergrund. Deren Verankerung und Funktion im Kontext wird ebenso untersucht wie die Abhängigkeiten zwischen Inhalt und Funktion und die typischen Merkmale. Den weitaus meisten Raum werden die Analysen der lukanischen SGI einnehmen. In einem Vergleich mit den antik-jüdischen SGI (IV. Teil) werden zunächst die bereits angesprochene Argumente gegen die Kohärenz der Stephanusrede geprüft. Im Anschluß daran folgen Erwägungen über zwei fiir SGI typische Elemente (Aktualisierung und Solidarisierung/Distanzierung). Dann können auf der Grundlage der Untersuchungsergebnisse der Paralleltexte die lukanischen SGI analysiert und interpretiert werden (V. und VI. Teil). Dabei werden eingangs die besonderen Profile der SGI in Apg 7,2b-53 und 13,17-25 herausgearbeitet. Von dem jeweiligen Befund her wird nach der Funktion der Texte in ihrem Kontext gefragt. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, eine Verhältnisbestimmung zwischen den beiden lukanischen SGI vorzunehmen, ehe die Erträge sämtlicher Analysen gebündelt werden (VII. Teil). In einem Anhangskapitel soll abschließend der Beobachtung der besonderen

Vorklärungen

17

Nähe der lukanischen SGI zur Tierapokalypse in lHen 85-90 nachgegangen werden.

3. Vorklärungen 3.1 Kriterien zur Textauswahl und Merkmale von Summarien der Geschichte Israels In dieser Arbeit sollen Summarien der Geschichte Israels aus dem antiken Judentum untersucht werden. Gegenstand sind folglich alle uns überlieferten SGI von den alttestamentlich-kanonischen Texten bis hin in das frühe zweite Jahrhundert n.Chr. Wenn die gesamte rabbinische Literatur ausgeklammert wird, so geschieht das zum einen aufgrund der historisch-kritischen Erkenntnis, daß die relevanten rabbinischen Texte nicht vor dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert entstanden sind und zum anderen, da die Rabbinen kaum auf SGI zurückgegriffen oder eigene SGI entwickelt haben.13 Unter .Geschichte' wird dabei das vergangene Geschehen verstanden, wie es in den verschiedenen Texten wiedergegeben wird. Es geht also nicht um eine kritische Bewertung oder gar Rekonstruktion der in den Summarien der Geschichte Israels dargestellten Ereignisse, sondern um das jeweilige Bild, das von den Ereignissen entworfen wird. In antik-jüdischen Summarien der Geschichte Israels wird in knapper Form auf kanonische Erzähltexte der Schriften vom Buch Genesis bis zu dem 2. Königebuch zurückgegriffen. Diese ausfuhrlichen Erzähltexte werden im folgenden als biblische Leittexte bezeichnet und verschiedentlich herangezogen, um die besondere Stoffauswahl und Gestaltung der summarischen Darstellungen deuten

13 Eine Ausnahme stellt die Interpretation des Hohenliedes dar. Vgl. dazu Stemberger, der in einem Aufsatz aus dem Jahr 1993 auf die Auslegung des Hohenliedes in der rabbinischen Literatur eingeht und aufzeigt, wie sich schon in der Mischna und in halakhischen Midraschim Ansätze zur Interpretation des Hohenliedes auf die Geschichte Israels finden lassen. Damit zeigt er eine mögliche Art des Umgangs der Rabbinen mit der Geschichte Israels auf. Eine Ausweitung dieser frühen Auslegung des Hohenliedes sei dann in Levitikus Rabba zu erkennen und vollends ausgeführte SGI seien in den Pesiqtot PesK 5 und PesR 15 zu entdecken; vgl. auch Hoheslied Rabba zu Hld 2,8-13. Hier findet sich dann eine Darstellung der Geschichte von der Schöpfung über die Zeit in Ägypten und Babylonien bis zur Endzeit. Einen ähnlichen Inhalt hat auch der Targum Hld, der den Versuch macht, „das Hld auf eine kontinuierliche Geschichte Israels vom Auszug aus Ägypten und der Wüsten Wanderung bis zur Landnahme (bis 3,6) zu deuten, dann die Geschichte im Land bis zum Exil, dem Wiederaufbau des Tempels und der Wiederherstellung der Souveränität Israels in hasmonäischer Zeit zu schildern (bis 7,1), um schließlich mit einem Ausblick auf die Zukunft zu enden" (Stemberger, Midraschim 318f.).

18

Einleitung

zu können. Der Konzentration auf SGI liegt die Erkenntnis zugrunde, daß nicht nur in ausfuhrlichen Schilderungen, sondern auch in knappen Texten die Intentionen eines Verfassers im Umgang mit den Stoffen deutlich werden.14 Durch die Beschränkung ist nämlich ein Autor gezwungen, sich zu fragen, - was er berichten möchte und was nicht; - was er sehr knapp darstellt oder was er ausführlicher berichtet und schließlich - wie er das Material anordnet. Folgende Merkmale begegnen in antik-jüdischen SGI besonders häufig und können daher ihrerseits zur Beurteilung eines Textes als Geschichtssummarium verwendet werden. (1) Reihenbildung Es erfolgen Aufzählungen einzelner Geschichtsereignisse oder -taten bzw. Gestalten der Geschichte. (2) Reduktion Kanonische Erzähltexte werden verkürzt wiedergegeben, wobei die Länge nicht fest definierbar ist. (3) Zeitstufe Die Darstellung ist im Präteritum gehalten. Eine Ausnahme bilden die SGI innerhalb von Visionsberichten und -deutungen, in denen wegen der Redesituation die Zeitstufe des Futur gewählt wird. (4) Handlungsträger Der Gott Israels, einzelne Personen oder das gesamte Volk Israel sind die Handelnden. (5) Umfang Grundsätzlich kann die betrachtete Geschichte die Zeit von der Weltschöpfung bzw. von Adam an bis hin zu den eschatologischen Ereignissen umfassen. Ein Text wird allerdings nur berücksichtigt, wenn er - analog zu den lukanischen SGI - mindestens die Geschichte Israels von Abraham bis zum Tempelbau unter Salomo enthält. Ist die Geschichtsdarstellung paradigmatisch ausgerichtet, werden also zu einem klar definierten Zweck verschiedene Beispiele aneinandergereiht, so sollten mehrere der wichtigsten Ereignisse der Geschichte

14

Den SGI ist demgemäß mehr Aufmerksamkeit zuzubilligen als sie gewöhnlich erhalten. Vielfach konzentriert man sich nämlich auf ausführliche Reden und Erzählungen, die - so schließen viele Exegeten - in besonderer Weise die Daistellungsabsicht eines Autors verdeutlichen (so z.B. für LibAnt: Reinmuth, Pseudo-Philo 7; vgl. aber seine jüngeren Ausführungen Uber die summierende Wiedergabe geschichtlicher Ereignisse in LibAnt 1-8. Hier verweist er auf die nicht referierten Passagen - Reinmuth, Beobachtungen 557f.).

Vorklärungen

19

Israels erscheinen: die Väterzeit/Abraham; der Ägyptenaufenthalt; der Exodus; die Wüstenzeit/der Sinai; die Landnahme; der Tempelbau/die Tempelzerstörung; das Exil.15 (6) Aktualisierungen Summarische Darstellungen der Geschichte Israels setzen sich zusammen aus einer Vergangenheitsdarstellung und einem Ausblick auf die Gegenwart (Aktualisierung), in der nicht selten eine aus der Vergangenheitsdarstellung gewonnene Erkenntnis auf die Gegenwart übertragen wird. In manchen Texten wird darüber hinaus auch die Zukunft dargestellt. (7) Einbettung in einen größeren Kontext Summarien der Geschichte Israels stehen nicht isoliert von jeglichem Kontext. Daher ergibt sich die Frage der Abgrenzung: Ein SGI beginnt jeweils dort, wo auf geschichtliche Ereignisse konkret eingegangen wird. Eine Einleitungsnotiz wie etwa die Einführung einer direkten Rede oder auch eine Höraufforderung gehört demnach nicht zum SGI. Das Ende ist dadurch markiert, daß im Anschluß an die berichteten Ereignisse oder an eine Aktualisierung Handlungsanweisungen wie etwa eine Gebetsbitte oder eine Lobaufforderung erteilt werden.16 Besonders die Merkmale 1; 2; 6 und 7 unterscheiden SGI von nichtsummarischen Darstellungen der Geschichte Israels wie den uns überlieferten Beispielen der .rewritten bible': die Antiquitates des Josephus; das Jubiläenbuch; lQGenAp und der Liber Antiquitatum Biblicarum als Gesamtwerk. Bei ihnen handelt es sich jeweils um eine Erzählung „that follows Scripture but includes a substantial amount of supplements and interpretative developments". 17 Diese Texte sind

15 Ein Text wie Josephus, Bell 5,379-412, in dem nicht alle diese Ereignisse, wohl aber eine repräsentative Auswahl, Erwähnung finden, gehört zu den zu untersuchenden Texten. Ein Text wie Dtn 9,7-29 gehört aber nicht dazu, weil hierin nahezu ausschließlich das Sinai/Horebgeschehen zusammengefaßt wird. 16 Daraus ergeben sich z.B. folgende Abgrenzungen: Apg 7,2b-53; Apg 13,17-25; Dtn 26,5aß-10a; Jos 24,2aß-13; Bell 5,379-412. 17 Vermes, in: Schürer, History III/l, 326. Vgl. zur Bezeichnung dieser Texte als .rewritten bible' auch Vermes, Scripture 67-126. Vgl. die Erwägungen von P. S. Alexander, der die „prinicipal characteristics of the .rewritten Bible' genre" herausarbeitet (Alexander, Retelling 116-118, Zitat: 116): (1) Die Texte sind Erzählungen (.narratives'), die eine chronologische Ordnung erkennen lassen. Es handelt sich nicht um theologischen Abhandlungen. (2) Sie sind „free-standing compositions which replicate the form of the biblical books on which they based". Zitate aus der Bibel werden nicht hervorgehoben, es werden z.B. keine Zitateinleitungen verwendet (a.a.O. 116).

20

Einleitung

deshalb auch nur bedingt mit den lukanischen SGI vergleichbar. Sie können allenfalls fur die Frage nach der traditionsgeschichtlichen Herleitung einzelner Motive herangezogen werden und sind deshalb nicht Gegenstand dieser Arbeit. Demgegenüber sind paradigmatisch ausgerichtete summarische Darstellungen der Geschichte Israels dann unter die SGI zu rechnen und hier zu untersuchen, wenn sie die oben erwähnten Kriterien erfüllen. Aufgrund des Kriteriums 5 werden nur Texte einbezogen, in denen wesentliche Ereignisse oder Gestalten des oben festgelegten Umfangs der Geschichte Israels benannt werden. Sir 44-50, IMakk 2, 3Makk 2 und 6 sowie Weish 10 sind deshalb zu untersuchen. Weil der Stofíumfang anderer paradigmatischer Reihen - die im folgenden kurz genannt werden sollen - zu gering ist, können diese hier nicht herangezogen werden: (1) Reihen mit Beispielen von Geretteten In der pseudo-philonischen Predigt D e Jona (cap. 25), § 9 1 - 9 5 werden in einem Gebet Noah, Abraham, Exodus, Daniel und Jona erwähnt. In 4Makk

16,18-23

werden in einer Rede der ,Mutter der sieben Söhne' Abraham, Isaak, Daniel, Hananja, Asarja und Misael erwähnt (vgl. 4Makk 1 8 , 1 1 - 1 3 ) . In 1QM XI werden Gestalten der Geschichte aufgezählt, die auf Gott als Kämpfer und nicht auf Waffen vertraut haben: David gegenüber Goliath und den Philistern sowie andere Könige. (2) Reihen mit Beispielen von Geistbegabten In der pseudo-philonischen Predigt De Sampsone cap. 25 werden Abraham, Joseph, Simeon/Levi, Juda und Simson erwähnt. (3) Reihen mit Beispielen von Fürbittenden In 4Esr 7 , 1 0 6 - 1 1 1 werden Abraham, Mose, Josua, Samuel, David, Salomo, Elia und Hiskia erwähnt. (4) Reihen mit Beispielen von Gottlosen In Sir 1 6 , 5 - 1 4 werden in einer weisheitlichen Mahnung das Volk Israel in der Wüste, die Riesen der Vorzeit, die Mitbürger Lots und die Kanaanäer erwähnt.

(3) Die Texte wollen die biblischen Ausgangstexte nicht ersetzen oder verdrängen, weisen vielmehr explizit oder implizit auf die Existenz der biblischen Texte hin. (4) Sie decken „a substantial portion of the Bible" ab und sind „centripetal: they come back to the Bible again and again". So werden Legenden in biblische Geschichte eingebettet und nicht als einzelne Teile ausgeschmückt - anders als z.B. im Buch der Giganten, das deshalb zu einer anderen Gattung gehört (a.a.O. 117). (5) Die Texte folgen dem biblischen Text „in proper order, but they are highly selective in what they represent". Sie lassen aus, kürzen ab oder schmücken aus (a.a.O. 117). (6) Ihre Intention ist es, eine interpretierende Lesung der Bibel zu bieten. (7) Sie führen nur zu einer „single interpretation on the original", so daß der Ausgangstext „monovalent" behandelt wird - anders als in philonischen oder rabbinischen Kommentaren zur Bibel, in denen der Ausgangstext „polyvalent" behandelt wird (a.a.O. 117). (8) Die Texte lösen auch Aporien der biblischen Texte auf. (9) Sie nutzen außerbiblische mündliche und schriftliche Quellen, so daß sie exegetisch und eisegetisch arbeiten.

21

Vorklärungen

Aus ähnlichen Gründen wie die voranstehenden paradigmatischen Reihen sind auch die Gebete in Esr 9,6-15; Neh 1,5-11; Dan 9,4-19 und Bar 1,15-3,8 auszuklammern, da die in ihnen erscheinenden Rückbezüge auf die Geschichte allzu spärlich, nicht zusammenhängend und stark eklektisch sind. Von den zu behandelnden SGI unterscheiden sie sich durch ihre unzusammenhängende Auswahl .typischer' Geschichtsereignisse. Auch das Gebet, das Josephus in Ant 4,40-50 wiedergibt, kann nicht einbezogen werden, da hier zwar ein Summarium von Ereignissen der Geschichte Israels vorliegt, aber eines, in dem lediglich Ereignisse aus dem Leben des Mose erwähnt werden (vom Dornbusch bis zur Gesetzesgabe). Freilich könnte Hebr 11 in die Untersuchung einbezogen werden, die Konzentration auf antik-jüdische SGI als Vergleichstexte verlangt aber, daß dieser dritte neutestamentliche Text, der ein Summarium der Geschichte Israels genannt zu werden verdient, ausgeschlossen bleibt. Die Sichtung der alttestamentlich-kanonischen und frühjüdischen Literatur auf der Grundlage oben genannter Kriterien fuhrt zu der folgenden Tabelle von siebenundzwanzig Summarien der Geschichte Israels: Prophetische Rede/ Gottesrede

Ansprache

Gebet

Hymnus / Lied

Visionsbericht / -deutung

lSam 12,8-13

Dtn 26,5aß-10a

Ps 105,7-44 / Ψ 104,7-44

lHen 85,3-90,38

Ez 20,5aß-29

Ps 78,5-72 / Ψ 77,5-72

Neh 9,6-31 / 2Εσδ 19,6-31

Ps 106,7-46 / Ψ 105,7-46

lHen 93,3b10; 91,11-17

Jos 24,2aß-13

Jdt 5,6-19

3Makk 2,4-12

Ps 135,5-12 / Ψ 134,5-12

syrBar 56,2-74,4

LibAnt 23,4b-l 1

IMakk 2,52-60

3Makk 6,4-8

Ps 136,4-25 / Ψ 135,4-25

Sib 111,248-294

CD II.17b-IV.12a

4Esr 3,4b-33

Sir 44,3-50,21

Bell 5,379-412

Weish 10,1-11,1

Ant 3,86-87

LibAnt 32,lb-l 1

4Esr 14,29-33

Abb. 1 Tabellarische Übersicht der antik-jüdischen Summarien der Geschichte Israels

22

Einleitung

Die SGI sind dabei nach den Textgattungen geordnet, innerhalb derer sie zu finden sind, da die SGI in einer bestimmten Gattung besondere gemeinsame Merkmale aufweisen.18 So stellt sich die Frage, ob das Summarium der Geschichte Israels eine eigene Textgattung ist. Man hat die , kürzere oder ausgefiihrtere Rekapitulation der Geschichte Jahwes mit Israel' als das entscheidende Merkmal der „Gattung der Geschichtssummarien" definieren wollen." Doch hat man wegen der Verwendung von SGI innerhalb verschiedener Textgattungen auch vorgeschlagen, den Terminus .Geschichtssummarium' nicht als Gattungsbegriff zu benutzen, „sondern als Bezeichnung für alle die Texte, die unabhängig ihres gattungs- und formgeschichtlichen Charakters eine wie auch immer geartete Darstellung und Aufzählung geschichtlicher Ereignisse, in unserem Fall der Geschichte Israels, bieten".20 In jüngerer Zeit hat sich im Bereich der alttestamentlichen Exegese Dietmar Mathias ausfuhrlich dem Problem der Definition eines ,Geschichtssummariums' genähert und es abgelehnt, von einer Gattung zu sprechen.21 Blickt man auf die obige Übersicht über die siebenundzwanzig zu untersuchenden SGI, so stellt man fest, daß es sich um summarische Darstellungen der Geschichte Israels innerhalb verschiedener Textgattungen handelt. Ein SGI ist also keine selbständige literarische Textgattung und könnte als solche tradiert und verwendet werden, sondern SGI sind in Ansprachen, Gebeten, Hymnen/Liedern, Visionsberichten/Visionsdeutungen sowie Prophetischen Reden/Gottesreden zu finden. Es handelt sich bei dem Summarium der Geschichte Israels folglich nicht um eine Textgattung, sondern um ein Struktur element}2 3.2 Zum Terminus ,Summarium der Geschichte Israels ' Sprach Anton Jirku 1917 in Bezug auf die hier in Betracht gezogenen Texte noch von „lehrhaften Darstellungen der ältesten Geschichte",23 so ist es spätestens Gerhard von Rad, der den Terminus .Geschichtssummarium' verwendet. Er

18

Vgl. die näheren Ausführungen unten in III.l, S. 44-86

" Von Rad, Weisheit 348. 20

Reese, Geschichte 1, der allerdings nicht auf genauere Merkmale eingeht. Schon Anton Jirku hatte 1917 darauf aufmerksam gemacht, daß .lehrhafte Darstellungen der ältesten Geschichte Israels „in den verschiedensten Schriftgattungen" zu finden seien (Jirku, Geschichte 13). 21

Mathias, Geschichtstheologie 31-34; 208. Er sieht - nicht zuletzt wegen „zeitindependenter Gemeinsamkeiten" der verschiedenen Geschichtssummarien - in dem SGI einen „Topos". Nach seiner Definition erfüllen SGI die Anforderungen, die an einen „Topos sprachlicher Wirkmittel" und einen „Topos der Argumentation" gestellt werden (a.a.O. 208). 22

Vgl. Mathias, Geschichtstheologie 207.

23

Jirku, Geschichte 16.

Vorklärungen

23

benutzt allerdings in seiner „Theologie des Alten Testaments" im Rahmen des Kapitels zu den „ältesten Darstellungen der Heilsgeschichte" verschiedene Begriffe, wie „geschichtlicher Rückblick" oder „(hymnisches) Geschichtssummarium".24 In der Folge setzt sich in der Exegese alttestamentlicher und frühjüdischer Schriften der Terminus ,Geschichtssummarium' durch. So bezeichnet Günter Reese in seiner bei Gerhard von Rad angefertigten Heidelberger Dissertation von 1967 die Geschichtsdarstellungen von lHen 85-90; 93,3-10; 91,12-17; AssMos 2-10 und 4Esr 3,4-27 (und 4Esr 14,28-35) als ,Geschichtssummarien' und Karlheinz Müller wendet in einem viel beachteten Aufsatz aus dem Jahr 1973 den Terminus ,Geschichtssummarium' auf eine Vielzahl alttestamentlicher, frühjüdischer und rabbinischer Texte an.25 In der neutestamentlichen Exegese hat sich die Verwendung des Begriffs nicht so früh und nicht so deutlich durchgesetzt wie im alttestamentlichen Bereich, was zum einen darauf zurückzufuhren ist, daß es im Neuen Testament sehr viel weniger derartige Texte gibt, zum anderen aber wohl hauptsächlich daher rührt, daß der Begriff .Summarium' für Texte anderen Inhalts belegt ist.

Exkurs: Zum Terminus , Summarium ' in der neutestamentlichen Exegese Unter einem .Summarium' wird in der neutestamentlichen Exegese (besonders in der Exegese des Markusevangeliums und der Apostelgeschichte) die Generalisierung von typischen Ereignissen oder Einzelfallen verstanden, welche als redaktionelle Arbeit des Verfassers eine Brücke im Erzählfluß des Gesamtwerkes bildet. Die Merkmale und Funktionen dieser Summarien sind in der formgeschichtlichen Forschung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausgearbeitet worden. Karl Ludwig Schmidt zeigt 1919, daß z.B. der „Sammelbericht" Mk 3 , 7 - 1 2 die summarische Darstellung des Evangelisten ist, „also ein künstliches Produkt, dessen Existenz durch schriftliche Fixierung gesichert ist".26 Martin Dibelius erweist 1923, daß die „Sammelberichte"

24 Aus forschungsgeschichtlichen Gründen wird hier auf die erste Auflage von 1957 zurückgegriffen: von Rad, Theologie 1, 1. Aufl., 127-134. 25 Reese, Geschichte und K. Müller, Geschichte; vgl. zu beiden Werken die Ausführungen im Rahmen der Forschungsgeschichte unten II.2.3, S. 28f. Für die jüngere alttestamentliche Forschung vgl. z.B. Mathias, Geschichtstheologie; Kreuzer, Frühgeschichte und Römer, Israels Väter. Freilich muß betont werden, daß neben dem Terminus Geschichtssummarium auch der des .Geschichtsrückblicks' benutzt wird (vgl. nur Kreuzer, Frühgeschichte 255 mit 256 und Römer, Israels Väter 320 mit 322f.). 26

33f.).

Schmidt, Rahmen 104-108, Zitat: 105; vgl. seine Ausführungen zu Mk l,14f. (a.a.O.

24

Einleitung

als „Überleitungen und Verbreiterungen" dienen, also den Einzelfall generalisieren. 27 Es handele sich um „verallgemeinernde Zustandsschilderung" und folglich um „pragmatische Zwischenbemerkungen des Schriftstellers", der dadurch eine kontinuierliche Entwicklung aufzeigen wolle. 28 Den Konsens beschreibt Philipp Vielhauer 1975, wenn er in Bezug auf die Summarien im lukanischen Doppel werk feststellt, daß diese „im Gefolge des Mk" zur „Herstellung des Zusammenhangs" des Gesamtwerks dienen. Sie würden für Verallgemeinerungen ebenso verwendet wie für die Ausfüllung .größerer Zeiträume'. 2 5 Hans Conzelmann nennt die Summarien zu Recht „ein hervorragendes Mittel der Interpretation". 30 Der Terminus Summarium hat sich fur diese Formelemente heute durchgesetzt, lediglich die einheitliche Herleitung lukanischer Summarien aus der im Markusevangelium verwendeten Form wird kritisch hinterfragt. 3 ' Einen Versuch der Abgrenzung dieser Summarien gegenüber knappen Geschichtsdarstellungen hat Ulrich Wendel in der neuesten Arbeit zu den Summarien der Apostelgeschichte 1998 vorgelegt. Er definiert die „summarische Form" als die Schilderung durativer oder iterativer Ereignisse und wendet sich dagegen, „Geschichtsabrisse" als Summarien zu bezeichnen, möchte vielmehr hierfür den Begriff der „Epitome" verwenden. Als Unterscheidungsmerkmale dienen ihm das Schildern von Einzelereignissen und von aufeinanderfolgenden verschiedenen Ereignissen. Beides finde sich in Summarien nicht.32 Wendel weist deutlich darauf hin, daß man in der neutestamentlichen Exegese unter einem Summarium etwas anderes versteht als die Stephanusrede und den Beginn der Paulusrede im pisidischen Antiochia. Zudem beschreibt er die terminologische Verwirrung in der neutestamentlichen Forschung. Seine Definitionsbemühungen sind auf diesem Hintergrund berechtigt. Trotz-

27 Dibelius, Stilkritisches 15. Das gelte für das Markusevangelium (z.B. Mk 3,10-12) ebenso wie für die Apostelgeschichte, in der dieses Element „noch bewußter" eingesetzt werde als bei Markus (z.B. Apg l,13f.; 2,43^7; 4,32-35; 5,12-16 - a.a.O. 15f.) 28 Dibelius, Stilkritisches 16. Vgl. auch die Ausführungen von Henry J. Cadbury aus dem Jahr 1933: Zweck eines Summariums sei die Generalisierung und die Auffüllung einer .Lücke', „which is felt when a continuous narrative is to be made out of detached scenes". Insofern seien die Summarien die jüngsten Stücke der Evangelien und zeigten in besonderer Weise die editorischen Motive der Evangelisten (Cadbury, Summaries 393). 29

Vielhauer, Geschichte 394f., Zitate: 394.

30

Conzelmann, Apostelgeschichte 9.

31

So zeigt Sterling, daß das Markusevangelium als Vorlage für einige Summarien im Lukasevangelium und eventuell auch in der Apostelgeschichte fungiere, meint aber: „the Marcan summaries are insufficient as models for the longer summaries in Acts" (Sterling, Athletes 686). Schon Plümacher und Mitchell hätten zu Recht auf einige thematische Verbindungen zu griechischen philosophischen Gruppenbeschreibungen aufmerksam gemacht (a.a.O. 686-688). Sterling selbst zieht besonders Philo und Josephus heran und behauptet, es gebe literarische Traditionen: Inhaltlich würden „well-known topoi" verwendet, um bestimmte Gruppen und ihr Leben vorzustellen (a.a.O. 693). Formal würden für drei der herausragenden Summarien in der Apostelgeschichte griechische Beschreibungen religiös-philosophischer Gruppen als Modelle dienen (a.a.O. 693-695). 32

Wendel, Gemeinde 13-16.

Vorklärungen

25

dem bleibt es sinnvoll, auch Darstellungen aufeinanderfolgender Ereignisse das Prädikat summarisch zuzusprechen, insofern es sich um kurz zusammengefaßte Darstellungen ausfuhrlicherer Schilderungen handelt (vgl. das Merkmal 2 - Reduktion). Wie bezeichnen deutschsprachige Neutestamentier die summarischen Darstellungen der Geschichte Israels? Am häufigsten werden die Termini „Geschichtsrückblick"33 und „Geschichtsabriß"34 verwendet, doch begegnen auch die Begriffe „Geschichtssummarium"35, „Summarium der Geschichte Israels"36 und „heilsgeschichtliches Summarium"37. Bis heute kann jedoch von einer einheitlichen Bezeichnung anders als in der alttestamentlichen Exegese nicht gesprochen werden. In der englischsprachigen neutestamentlichen Exegese findet sich ebenfalls ein breites Spektrum an Begrifflichkeiten. Nebeneinander werden „historical survey"38, „survey of history"3', „review of OT history"40, „recital of Israel's history"41, aber auch Termini wie „historical summary"42 oder „summary of Israelite history" 43 verwendet, ohne daß sich ein einzelner Terminus durchsetzen könnte. Gleiches gilt für die französischsprachige neutestamentliche Exegese. Auch hier werden nebeneinander verschiedene Begrifflichkeiten benutzt: „le résumé d'histoire"44, „le raccourci d'histoire"45 und „le récit de l'histoire d'Israël"46.

33

Dschulnigg, Rede 195 u.ö.; doch benutzt er auch - wenngleich sehr selten - den Terminus Geschichtssummarium (a.a.O. 197). 34

Holtz, Untersuchungen 101; 131; doch benutzt er synonym auch „Geschichtsrückblick" und „Geschichtsüberblick" (ebd.). Als Geschichtsabriß bezeichnet Alf. Weiser, Apostelgeschichte 1,180 die antik-jüdischen SGI, während er eine der Vorlagen der Stephanusrede ein Geschichtssummarium nennt (a.a.O. 179). 35 Wilckens, Missionsreden [1974] 217 Anm. 1 (in Bezug auf eine der Vorlagen der Stephanusrede) und a.a.O. 221 (hinsichtlich Apg 13,17ff.). Vgl. Steck, Israel 266 Anm. 6; 268 Anm. 11 (in Bezug auf eine der Vorlagen der Stephanusrede) und Löning, Stephanuskreis 87, der die Stephanusrede als „Geschichtssummarium" bezeichnet. 36

Wilckens, Missionsreden [1974] 209 bezeichnet so die Stephanusrede.

37

Alf. Weiser, Apostelgeschichte 2, 325 (in Bezug auf Apg 13,17-22).

38

Litke, Knowledge 290.

39

Soards, Speeches 156.

40

Barrett, Commentary 1, 336 und 623 („review of the OT").

41

Dunn, Acts 179 und Fitzmyer, Acts 364.

42

Richard, Acts 143; Römer/Macchi, Luke 185.

43

Brehm, Vindicating 266 u.ö.

44

Bogaert, Apocalypse 1, 88 (in Bezug auf syrBar 56-74).

45

Simon, Aspects 230.

46

Bossuyt/Radermakers, Témoins 2, 235 (aber nur in Bezug auf Apg 7,2-34; in 7,35-50 erkennen sie die Interpretation dieses „récit" [a.a.O. 235f.; 245]).

26

Einleitung

Was für Schlußfolgerungen ergeben sich aus diesem Überblick über die Forschungslage? (1) Es ist unmöglich, die beiden hier zu untersuchenden lukanischen Texte und ihre Parallelen in der antik-jüdischen Literatur lediglich als ,Summarien' zu bezeichnen, wie es noch Ethelbert Stauffer tat.47 (2) Auch die in der alttestamentlichen Exegese zu Recht verwendete Bezeichnung ,Geschichtssummarium' ist in der neutestamentlichen Diskussion nicht sinnvoll, da sie zu unspezifisch ist. (3) In der Bezeichnung der Texte ist vielmehr zum einen auf das wichtigste strukturelle Merkmal (summarische Darstellung) und zum anderen auf das wichtigste inhaltliche Merkmal (und dieses in zweifacher Hinsicht - chronologisch [Geschichte] und soziologisch [Israel]) hinzuweisen. Daher erscheint der Terminus Summarium der Geschichte Israels als sinnvoll, der der Einfachheit halber mit drei Buchstaben abgekürzt werden soll: SGI. Es bleibt zu hoffen, daß die folgende Untersuchung einen Beitrag zur Durchsetzung dieses Begriffs in der neutestamentlichen Exegese leisten kann. 3.3 Zur Terminologie der Formen der Schriftverwendung In Summarien der Geschichte Israels wird in unterschiedlicher Weise auf die biblischen Leittexte zurückgegriffen. Da als Grundlage in einigen, besonders den lukanischen SGI, nicht der hebräische, sondern der griechische Text dient,48 wird im Rahmen der Untersuchungen neben dem hebräischen Text stets auch der Text der Septuaginta einbezogen. Da die verschiedenen Formen der Schriftverwendung Teil der Analysen sind, muß eingangs definiert werden, was unter einem Zitat, einer Paraphrasé, einer Anspielung oder der Verwendung der Sprache der Schrift verstanden wird:49 47

Stauffer, Theologie 325-328 (Beilage VII); s.u. Forschungsgeschichte Π.1.2, S. 30f. * Vgl. Litke, Knowledge 380-399, der auch auf die Benutzung hebraisierender LXXRezensionen hinweist. Vgl. auch Fitzmyer, Acts 91 und D.-A. Koch, Art. Schriftauslegung 458; 463f. I 4

49

Die Definition dieser vier Formen entspricht der Vorklärung von D.-A. Koch, Schrift 11-20. Versuche, nur zwischen zwei oder drei Formen zu unterscheiden haben Porter und Bock vorgelegt: Stanley E. Porter möchte zwischen zwei grundlegenden Formen differenzieren: (a) quotation: „formal correspondence with actual words found in antecedent texts"; man müsse sich lediglich darüber verständigen, wieviel Wörter ein solches Zitat mindestens aufzuweisen habe; (b) allusion: „the material not found in quotation"; „Allusions ... could refer to the nonformal invocation by an author of a text... that the author could reasonably have been expected to know". Porter

Vorklärungen

27

(1) Zitat Problemlos sind Texte mit Einleitungsformulierungen als Zitate erkennbar, schwierig wird es, wenn eine eindeutige Einleitungsformulierung fehlt. In diesem Fall müssen zwei Kriterien erfüllt werden: a) Es muß hinreichend deutlich sein, „daß der Verfasser hier bewußt einen ihm vorgegebenen Wortlaut reproduziert".50 b) Der Leser muß den Wortlaut als übernommen erkennen können.51 (2) Paraphrase Eine Paraphrase ist „die freie Wiedergabe eines fremden Textes", die Möglichkeiten zu Straffung und Interpretation bietet.52 (3) Anspielung Als Anspielung kann die Verwendung einer einzelnen traditionellen Formulierung gelten, „die jedoch völlig in die eigene Darstellung integriert ist". Sie hat Verweischarakter ohne breit ausgeführten Rückverweis.53 (4) Verwendung der Sprache der Schrift Hierbei handelt es sich um die „Übernahme einzelner Wörter und Begriffe" sowie die Verwendung des Stils der Schrift, „d.h. die Verwendung von in der Schrift vorgegebenen syntaktischen Strukturen". Oft ist allerdings der Übergang zwischen (3) und (4) kaum fixierbar.54

schlußfolgert: „With these two basic definitions in mind, it appears that much of the material under discussion could be usefully discussed." (Porter, Use 95). Darrell L. Bock unterscheidet zwischen Zitat, Anspielung und Idee: (a) quotation: „A passage ... either... introduced by a formula citation or... a substantial reproduction (more than a phrase) of a passage"; (b) allusion: „a verbal or material parallel to a specific OT passage"; (c) idea: „a parallel concept or motif out of the OT in general" (Bock, Proclamation 47; Hervorhebungen im Original). 50

D.-A. Koch, Schrift 13.

51

D.-A. Koch, Schrift 13-15 benennt dafür sechs Merkmale. Anders nun Wilk, Bedeutung 9, der in Abgrenzung gegenüber D.-A. Koch nur solche Zitate als „Zitate im eigentlichen Sinn" anerkennen möchte, die durch Zitationsformeln als solche gekennzeichnet sind. 52

D.-A. Koch, Schrift 15.

53

D.-A. Koch, Schrift 17.

54

D.-A. Koch, Schrift 17.

II. Zur Forschungsgeschichte: Die Einbeziehung antik-jüdischer Summarien der Geschichte Israels in der bisherigen Exegese von Apg 7,2b-53 und 13,17-25 Fragt man nach der Einbeziehung antik-jüdischer Summarien der Geschichte Israels in die Exegese der Stephanusrede und der Paulusrede im pisidischen Antiochia, dann zeigt sich ein breites Spektrum, das von einfachen Verweisen auf die Vergleichstexte bis hin zu längeren Erörterungen einzelner oder mehrerer Summarien der Geschichte Israels reicht. Im folgenden Forschungsüberblick werden für die verschiedenen Möglichkeiten der Einbeziehung von SGI in die Interpretation von Apg 7,2b-53 und Apg 13,17-25 exemplarisch einige der wichtigsten exegetischen Arbeiten des 20. Jahrhunderts vorgestellt. So wird deutlich werden, daß die systematische Erfassung aller antik-jüdischen SGI ein dringendes Desiderat darstellt.

1. Verweise auf antik-jüdische Summarien der Geschichte Israels 1.1 Einfache Verweise Der einfache Verweis - zumeist ohne jegliche Diskussion - auf antik-jüdische SGI als Parallelen der lukanischen SGI ist die häufigste Art, diese Texte in die Exegesen von Apg 7 und 13 einzubeziehen.1 Da es sich hierbei um eine in der Forschungsgeschichte sehr konstante Art der Bezugnahme handelt, sollen in chronologischer Ordnung exemplarisch vier Kommentare2 und zwei Einzeluntersuchungen genannt werden.

1 Freilich muß bedacht werden, daß in knapperen Kommentaren - aber auch in Aufsätzen häufig aus Platznot ausführliche Erörterungen nicht möglich sind. 2 Die Erörterungen zu Apg 13,17-25 in den Kommentaren entbehren in der Regel jeglichen Hinweises auf antik-jüdische SGI. Es gibt aber auch Kommentare, in denen weder zu Apg 7 noch zu Apg 13 irgendein Hinweis auf antik-jüdische SGI gemacht wird (z.B. Witherington, Acts).

Verweise

29

HANS CONZELMANN weist bei der Analyse der Stephanusrede in seinem Kommentar (2. Aufl. 1972) auf die lange Tradition des Nachzeichnens der „Geschichte zur Belehrung und Warnung für die Gegenwart" hin: auf das Dt (sie!); Jos 24; Ez 20; Neh 9; Ps 105; Bell 5; Pseudoclementinen Recognitiones l. 3 MATTHÄUS FRANZ-JOSEF BUSS kommt nur ganz am Rande seiner Arbeit über die „Missionspredigt des Apostels Paulus im Pisidischen Antiochien" (1980) auf die antik-jüdischen SGI zu sprechen. Im Zusammenhang seiner Widerlegung der Lövestam-These, nach der 2Sam 7 im Hintergrund von Apg 13,17-23 stehe, betont er, daß ein Text wie Dtn 26,5-9 größere Nähe zu dem lukanischen SGI aufweise als 2Sam 7. Dennoch schlußfolgert er, daß sich zu Apg 13,17-23 „strikte literarische Parallelen ... weder im AT noch in der jüdisch-rabbinischen Literatur aufweisen" lassen.4

In seinem Kommentar verweist WALTER SCHMITHALS ( 1 9 8 2 ) nur im Zusammenhang mit Apg 7 auf „ähnliche erinnernde Überblicke" im Alten Testament (Ps 1 0 5 ; Jos 2 4 ; Ez 2 0 ) und in der frühjüdischen Literatur (Sir 4 4 - 5 0 ; IMakk 2).3 Ebenso verweist JOSEF ZMIJEWSKI in einem Aufsatz über die Stephanusrede (1986) auf den .Traditionsstrom gleichwertiger oder ähnlicher heilsgeschichtlicher Abrisse' (Dtn 6; 26; Jos 24; Neh 9; IMakk 2; Ps 78; 106; 136; Weish 10; Sir 44-50) und stellt fest, diese .Abrisse' seien „gerade für die hellenistische Synagogenpredigt typisch gewesen".6 In einem der neuesten Kommentare zur Apostelgeschichte von JOSEPH A. FITZMYER (1998) findet sich lediglich der Verweis darauf, daß die Stephanusrede „imitates summaries of such history [sc. der Geschichte Israels in den Erzählungen über Abraham, Joseph, Mose und das erwählte Volk] found in Joshua 24, Ezek 20:5-44; Neh 9:7-27; and Psalms 78 and 105".7 Auch hält Fitzmyer CD II-IV für vergleichbar, er stellt aber lediglich fest, all diese SGI würden verschiedenen literarischen Zwecken dienen. So werde das mit polemischen und anklagenden Elementen versehene SGI in Apg 7 „for instruction and warning" verwendet.8

3

Conzelmann, Apostelgeschichte 57.

4

Buss, Missionspredigt 48f., Zitat: 49.

5

Schmithals, Apostelgeschichte 70.

6

Zmijewski, Stephanusrede 94, der die These von Klaus Kliesch zur Entstehung der Stephanusrede aus dem heilsgeschichtlichen Credo rezipiert (s. dazu unten II.2.1, S. 34f.). 7 8

Fitzmyer, Acts 364.

Fitzmyer, Acts 364. Im Rahmen seiner Erörterungen zur Paulusrede im pisidischen Antiochia verweist er nicht auf antik-jüdische SGI, sondern nur auf den grundlegenden Gegensatz und einige einzelne Differenzen zu Apg 7 (a.a.O. 507f.).

30

Forschungsgeschichte

JACOB JERVELL weist in seinem Kommentar (1998) auf vergleichbare antikjüdische SGI nur in Anmerkungen hin und verzichtet dabei auf inhaltliche Ausführungen.® In Bezug auf Apg 13 stellt er generalisierend fest: „Wer die Geschichte Israels erzählt, sowohl positiv als auch kritisch, bekennt sich zum Gottesvolk."10

1.2 Verweise mit kurzen Ausfithrungen Von diesen einfachen Verweisen sind solche Bezugnahmen zu unterscheiden, in denen die Verfasser an eine Nennung der Vergleichstexte kurze Ausführungen anschließen. Wieder soll - da es sich um eine recht konstante Art der Einbeziehung antik-jüdischer SGI in die Exegese von Apg 7 und 13 handelt - in chronologischer Ordnung exemplarisch auf sieben Studien hingewiesen werden. Im dritten Teil seiner Theologie des Neuen Testaments (4. Aufl. 1948) über die ,Glaubensformeln der Urkirche' kommt ETHELBERT STAUFFER auf die SGI zu sprechen und definiert dabei „eine kursorische Aufzählung von Ereignissen oder Gestalten der Heiligen Geschichte" als ,Summarium'." In einer Beilage listet er eine beträchtliche Anzahl von SGI des Alten Testaments, der Apokryphen und Pseudepigraphen zum Alten Testament, des Neuen Testaments, der außerneutestamentlich-urchristlichen und patristischen Literatur auf und ordnet diese in einer Verquickung von (hauptsächlich) inhaltlichen Faktoren und formalen Kategorien nach (1.) Gottestaten in (a.) Ich-Form, (b.) Du-Form und (c.) Er-Form sowie nach (2.) Gottesmännern als (a.) Gottesfürchtigen und -feinden bzw. (b.) Konfessoren und Märtyrern.12 Apg 7 bezeichnet er als „Verfolgerstreitrede" und billigt dieser „nur summarienhafte Elemente oder Ansätze" zu, Apg 13 findet1 keine Erwähnung und Einordnung.13 Abgesehen von einigen einführenden Notizen erfolgt eine Diskussion der einzelnen Texte im Rahmen der „Theologie des Neuen Testaments" freilich nicht, Stauffer leistet aber wertvolle Arbeit durch

9

Zur Stephanusrede: Jervell, Apostelgeschichte 232 Anm. 683 (fehlerhaft sind in seiner Aufzählung von fünfzehn antik-jüdischen SGI wohl die Hinweise auf Ps 10 und Jdt 5,6-18,1) und 248 Anm. 741. Zu dem SGI der Paulusrede im pisidischen Antiochia weist Jervell ohne näheren Angaben darauf hin, daß Lukas „alttestamentliche und jüdische Vorbilder" gehabt habe (a.a.O. 367). 10

Jervell, Apostelgeschichte 248.

" Stauffer, Theologie 217. Seine Definition der SGI als .Summarien' hat sich aber wegen der Verwendung dieses Begriffs in der neutestamentlichen Exegese nicht durchgesetzt (s.o. 1.3.2, S. 22-26). 12 Stauffer, Theologie 325-328 (Beilage VII: .Summarien'). 13 Stauffer, Theologie 301 Anm. 777. Er ordnet diesen Text unter (2.b) ein. Im übrigen gilt ihm Hebr 11 als „das einzige Summarium, das uns aus der Urkirche vollständig erhalten ist" (a.a.O. 218).

Verweise

31

das Zusammentragen des Materials. Nicht zuletzt aus diesem Grund wird auch in späteren Publikationen (häufig) auf Stauffer Bezug genommen.14 HARTWIG THYEN verweist in seiner Arbeit über den Stil der jüdischhellenistischen Homilie (1955) im Rahmen einer traditionsgeschichtlichen Erörterung der Ursprünge von .Geschichtsüberblicken' auf antik-jüdische SGI. Als Beispiele nennt er Ps 78; 105; 106; Weish 10; Jdt 5; Sir 44-50; Neh 9 sowie Apg 7 und 13.15 Thyen fuhrt diese SGI auf die palästinisch-jüdische Literatur zurück und betrachtet demzufolge die Synagoge Palästinas als „Urheberin dieser Geschichtsüberblicke". Erst in der Diaspora sei dann der ursprünglich auf das Volk ausgerichtete Charakter derartiger Texte aufgegeben und es seien stärker einzelne Fromme in das Zentrum gerückt worden.16 MARCEL SIMON benennt in einer Arbeit über Stephanus ( 1 9 5 8 ) Ps 1 0 5 ; 1 0 6 ; Jos 24; Neh 9 und Jdt 5 als Parallelen der Stephanusrede und arbeitet dabei einen großen Unterschied zwischen diesen alttestamentlichen Texten und Apg 7 heraus. Dieser bestehe darin, daß Apg 7 zwar „the same pattern", aber „a very different emphasis" habe. Der „sharp contrast" zeige sich in der Grundausrichtung, die bei den alttestamentlichen SGI optimistisch sei, während in der Stephanusrede die Juden scharf attackiert würden.17

In einem Aufsatz über Abraham im lukanischen Doppelwerk (1966) stellt NILS A. D A H L die These auf, daß Apg 7 dasselbe Schema von Geschichtstheologie wie das gesamte lukanische Doppelwerk aufweise, nämlich das Schema „prooffrom-prophecy". Von dieser These aus gelangt Dahl - ohne eingehendere Erörterungen der antik-jüdischen SGI - zu dem Schluß, daß Lukas von existierenden Summarien der Geschichte Israels keinen Gebrauch gemacht habe: „I know of no other recapitulation of biblical history in which the idea of successive fulfillment of prophecies is so prominent, whereas this is a favorite theme of Luke's."18 SIMON LEGASSE erörtert in seiner Monographie über die Stephanusepisode (1992) kurz, ob CD II-IV eine Vorlage für Apg 7 dargestellt haben kann, kommt aber zu einem negativen Ergebnis. Schließlich versucht er zu zeigen, daß die Stephanusrede eine Komposition des Lukas ist."

14

Z.B. Reese, Geschichte 2 Anm. 3; K. Müller, Geschichte 73 Anm. 1; Kliesch, Credo 50 mit Anm. 373; Dschulnigg, Rede 209 Anm. 6. 15

Thyen, Stil 111. Er zieht also lediglich kanonisches Material heran.

16

Thyen, Stil 112.

17

Simon, St Stephen and the Hellenists 40f., Zitate: 41. Als .leading idea' der Stephanusrede erkennt Simon die Aussage von Apg 7,51. 18

Dahl, Story 147.

" Légasse, Stephanos 175f.

32

Forschungsgeschichte

Ebenfalls nur kurze Erwägungen zu den antik-jüdischen SGI stellt W A Y N E D. L I T K E in seiner Dissertation über die Kenntnis der Septuaginta bei Lukas (1993) an. Er greift auf die Auflistung von Holtz (1968)20 zurück und kommt zu dem Ergebnis, daß es eine lange Tradition der summarischen Darstellung der Geschichte Israels gab. Der Verfasser von Apg 721 habe sie aber nicht zum Vorbild gehabt - weder strukturell noch thematisch, so daß lediglich festzuhalten bleibe: „It appears, rather, that the speech of Stephen is dependent only on the general form of the historical survey genre." Immerhin sei auch eine uns unbekannte Quelle denkbar, aber diese wäre dann fur die Zwecke des Lukas stark überarbeitet worden.22 In einem der neuesten Kommentare (1994) listet C H A R L E S K. B A R R E T T im Rückgriff auf Conzelmann und Maddox antik-jüdische SGI auf und stellt fest, daß diese nicht alle von gleichem Wert für die Exegese der Stephanusrede seien. Nach einer kurzen, aber für Kommentare ungewöhnlich ausführlichen Diskussion von Ps 105; Neh 9; Jos 24; Ez 20; Bell 5 und Pseudoclementinen Recognitiones 1 schlußfolgert er, daß der Vergleich dieser Texte dazu führe, daß die polemischen Teile in Apg 7 nicht einer Tradition abgesprochen werden könnten, zumal sie keineswegs alle in einem spezifisch christlichen Sinn polemisch seien.23

Exkurs: Verweise auf andere Vergleichstexte Einen etwas anderen W e g schlägt LUKE TIMOTHY JOHNSON in seinem Kommentar (1992) ein. Zwar lehnt er nicht explizit die Vergleichbarkeit antik-jüdischer SGI mit der Stephanusrede ab. Er führt einen solchen Vergleich aber nicht durch, sondern sieht in Apg 7 ein Beispiel von „biblical retellings" innerhalb des Judentums und fuhrt als Vergleichstexte dementsprechend Jubiläen; l Q G e n A p ; CD; Artapanos; LibAnt und die Antiquitates des Josephus an, also nicht-summarische Darstellungen der Geschichte Israels. 24 GREGORY E. STERLING beschreitet einen ähnlichen Weg, wenn er bei seinen Erörterungen über frühjüdische und frühchristliche Geschichtsschreibung (1992) im Zusammenhang mit Apg 7 nicht auf antik-jüdische SGI verweist, sondern auf die jüdisch-hellenistischen Historiographen Artapanos und Pseudo-Eupolemos. Auch

20

S.u. II.2.1, S. 34.

21

Litke, Knowledge 376 favorisiert die lukanische Verfasserschaft.

22

Litke, Knowledge 289f„ Zitat: 290.

23

Barrett, Commentary 1, 336f.

24 Johnson, Acts 120. Zu den Problemen eines Vergleichs zwischen den lukanischen SGI und .rewritten bibles' s.o. 1.3.1, S. 19f.

Längere Ausführungen

33

bei diesen Texten handelt es sich aber um nicht-summarische Darstellungen der Geschichte Israels. Auf der Basis kurzer Erwägungen schlußfolgert Sterling, daß der Autor des lukanischen Doppelwerkes „was familiar with the treatments of the OT attested in the Hellenistic Jewish historians".25

2. Längere Ausführungen zu antik-jüdischen Summarien der Geschichte Israels Nur wenige Exegeten gehen ausfuhrlicher auf die antik-jüdischen Summarien der Geschichte Israels und ihr Verhältnis zu den lukanischen SGI ein. Unterschieden werden kann dabei zwischen rein traditionsgeschichtlich ausgerichteten Erörterungen und solchen Untersuchungen, in denen Vergleiche zwischen Aufbau und Funktion der SGI vorgenommen werden. Schließlich ist auf Arbeiten hinzuweisen, in denen beiden Themenkomplexe behandelt werden. 2.1 Die traditionsgeschichtliche

Rückfrage

Die erste maßgebliche Monographie zu den antik-jüdischen Summarien der Geschichte Israels publizierte A N T O N JIRKU im Jahr 1917. Er bezeichnet darin die alttestamentlichen, apokryphen, neutestamentlichen und patristischen SGI allesamt als „lehrhafte Darstellungen der ältesten Geschichte Israels"26 und schlägt eine quantitative Gliederung vor. Apg 7 ist s.E. ein Beispiel für die erste Kategorie, nämlich der „lehrhaften Darstellungen in breiter Form",27 während Apg 13 unter

25 Sterling, Historiography 363-365, Zitat: 365. Für den Aufweis einer literarischen Abhängigkeit hält er die Belege nicht geeignet. In einem 1999 veröffentlichten Vortrag aus dem Jahr 1997 („Opening the Scriptures". The Legitimation of the Jewish Diaspora and the Early Christian Mission) geht Sterling näher auf das Abhängigkeitsverhältnis von Apg 7 mit der hellenistisch-jüdischen Literatur ein. Er vergleicht Stellen der Stephanusrede, die nicht aus der LXX erklärbar sind, mit hellenistisch-jüdischen Schriften (Pseudo-Eupolemos; Philo; Josephus; Demetrios; Tragiker Ezechiel; Artapanos; KJeodemos Malchas). Zu diesem Zweck hat er auch eine umfangreiche Synopse beigegeben (Sterling, Opening 218-225). Es geht ihm zentral um Motivanalogien, von denen er acht diskutiert (Sterlin, Opening 208-211). Auf dieser Basis präzisiert er die Ausführungen von 1992 dahingehend, daß der Verfasser der Apostelgeschichte (den er auch für den Verfasser von Apg 7 hält) hellenistisch-jüdische Traditionen mindestens über die Berufung Abrahams, die ägyptische Karriere des Mose und „retellings of Israel which concentrated on the history of the Jews in Egypt" kenne. Letzteres schlußfolgert Sterling aus dem Vergleich mit Artapanos (Sterling, Opening 210-212, Zitat: 212). 26

Jirku, Geschichte 12; 13 und 16. Vgl. auch den Titel seiner Arbeit: „Die älteste Geschichte Israels im Rahmen lehrhafter Darstellungen". 27

Jirku, Geschichte 37-40.

34

Forschungsgeschichte

die zweite Kategorie fällt: „lehrhafte Darstellungen in zusammengefaßter Form".28 Das Ziel der Arbeit von Jirku ist allerdings weniger die Rückfrage nach den einzelnen Texten und ihrer jeweiligen Funktion, als vielmehr eine überlieferungsgeschichtliche Analyse, die Folgerungen für die Entstehung des Pentateuch ermöglicht. Die Diskussion der einzelnen Texte fällt deshalb sehr knapp aus, das Verdienst Jirkus ist allerdings in erster Linie die Sichtung und Zusammenstellung des Materials und der Vergleich einzelner Motive der SGI mit den biblischen Leittexten des Pentateuch.2® Jirku ist insofern einer der Vorläufer der motivgeschichtlichen Herangehensweise an die SGI. In seiner 1968 veröffentlichten Habilitationsschrift listet TRAUGOTT HOLTZ zwanzig SGI aus dem alttestamentlich-kanonischen sowie außerkanonischfrühjüdischen Bereich und dem Neuen Testament auf.30 Nach kurzem Referat der Stellen und ihrer groben Inhalte faßt er zusammen, es handele sich um „Stücke sehr verschiedenen Charakters und unterschiedlicher Herkunft", gemeinsam sei ihnen aber die Ausrichtung auf die Frühgeschichte Israels. Diese habe folglich „im religiösen Bewußtsein der alttestamentlich-jüdischen Gemeinde eine besonders hervorgehobene Rolle gespielt": Im Rückbezug auf die frühe Geschichte habe sich das Volk Israel seines Gottesverhältnisses vergewissert, weshalb SGI traditioneller Bestandteil bestimmter Glaubensaussagen geworden seien.31 Bedingt sei dieser Rückbezug durch den ,Bundesgedanken', und der Sitz im Leben der SGI sei demgemäß im ,Bundesformular' zu erkennen.32 Freilich ist es schwierig, den Bundesgedanken als Zentrum der Stephanusrede zu bezeichnen und Holtz gesteht zu, daß es auch außerhalb des Bundesformulars Rückbezüge auf die frühe Geschichte Israels gegeben habe. In diesen Horizont zeichnet er die Stephanusrede ein.33 Einen ähnlichen Weg beschreitet K L A U S KLIESCH in seiner Bonner Dissertation (1975), in der er die hinter Apg 7,2-53 und 13,17-22 stehende Tradition herauszuarbeiten versucht. Er diskutiert die Parallelen in einem Abschnitt über die „Form der Tradition" auf mehr als zehn Seiten, wobei er „eine umfassende

28

Jirku, Geschichte 5 lf.

29

Dieses stellt den Hauptteil der Arbeit dar (Jirku, Geschichte 104-156).

30

Holtz, Untersuchungen 100-109.

31

Holtz, Untersuchungen 100-102, Zitate: 102.

32

Holte, Untersuchungen 103-105 im Rückgriff auf Quell und Baltzer.

33

Holtz, Untersuchungen 105. Man beachte seine vorsichtigen Formulierungen: Es .scheint', daß es auch außerhalb des Bundesformulars Rückbezüge auf die Geschichte gegeben habe. „In diesen Horizont dürfte auch die Stephanusrede Act 7 ... hineingehören. Wieweit in dieser der Bundesgedanke bewußt eine Rolle gespielt hat, ist schwer zu sagen."

Längere Ausführungen

35

Darstellung" derartiger Texte und damit die Aufbereitung dieses Stoffs zum Desiderat erklärt.34 Er selbst liefert eine funfseitige Tabelle, in der er dreiundfünfzig alttestamentlich-kanonische, frühjüdische, rabbinische und frühchristliche Vergleichstexte auflistet und kurze Angaben über deren Inhalte macht.35 Diese Auflistung hat allerdings nur den Zweck, „aufzuzeigen, wieweit die vergleichbaren Texte gefächert sind"36 und zu demonstrieren, daß „die Tradition der Apostelgeschichte insofern keinen Sonderfall darstellt".37 Bei seiner Ergebnisformulierung geht Kliesch nur kurz auf die Charakteristika der Texte ein, um grundsätzlich zu scheiden zwischen Texten, die mit den lukanischen SGI nicht vergleichbar sind, da sie .geschichtliche Ereignisse prinzipiell analog werten',38 und Texten die vergleichbar sind, da sie „die Taten Gottes in der Geschichte des Volkes Israel bekennen".39 Kliesch schlußfolgert, daß ,das kleine geschichtliche Credo' Dtn 26,5b-9 aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung (Erinnerung an Gottes Handeln in Geschichte zum Zwecke des Bekennens) der „aufschlußreichste Text" für die Tradition in der Apostelgeschichte ist.40 Kliesch geht allerdings noch weiter, indem er zu zeigen versucht, daß beide lukanischen SGI einen „fest formulierten Text über das Handeln Gottes in der Geschichte des alten Gottesvolkes" als Grundlage haben,41 eine Grundlage, die er in Anlehnung an Dtn 26,5b-9 als „heilsgeschichtliches Credo" bezeichnet, das er schließlich zu rekonstruieren versucht.42

34

Kliesch, Credo 50-61, Zitat: 52.

35

Kliesch, Credo 54-58.

36

Kliesch, Credo 53.

37

Kliesch, Credo 59.

38

Kliesch, Credo 59, der dabei auf eine Formulierung von Karlheinz Müller zurückgreift. Nahezu alle Vergleichstexte außerhalb des hebräischen Kanons gehören s.E. in diese Rubrik. 39

Kliesch, Credo 60. Als Beispiele nennt er Dtn 26,5b-9; Num 20,15f.; Jos 24 und lSam

12,8. 40 Kliesch, Credo 60f. Gräßer, Acta-Forschung (1977) 41 hat darüber geurteilt: „Das ist ein erstaunlich allgemeines Kriterium für eine so kühn behauptete konkrete Analogie!" 41 42

Kliesch, Credo 110.

Kliesch, Credo 110-125, Zitat: 114 (im Original hervorgehoben). Kliesch rekonstruiert sogar den griechischen Wortlaut dieses heilsgeschichtlichen Credo (a.a.O. 45^47), das er im übrigen auch als Grundlage aller Reden in der Apostelgeschichte betrachtet (vgl. a.a.O. 175ff.). Die Thesen von Kliesch sind nur begrenzt rezipiert worden. Eine Ausnahme stellt Zmijewski dar, der bereits in einem Aufsatz von 1986 die Lösung von Kliesch für „am überzeugendsten" hält (Zmijewski, Stephanusrede 89f., Zitat: 89) und dieses Urteil in seinem Kommentar aus dem Jahr 1994 wiederholt. Er betrachtet das .heilsgeschichtliche Credo' als die „wesentliche Traditionsgrundlage" der Reden in der Apostelgeschichte (Zmijewski, Apostelgeschichte 496-499, Zitat: 496).

36

Forschungsgeschichte

In einem Aufsatz über Lukas als „Disciple of the Deuteronomistic School" (1995) vergleichen THOMASRÖMER und JEAN-DANIEL MACCHI die Stephanusrede aufgrund des von ihnen herausgearbeiteten deuteronomistischen Stils mit Jos 24. Sie weisen dabei einerseits auf Ähnlichkeiten hin: Beide SGI behandeln die Geschichte von den Anfängen Israels bis zu Josua; in beiden SGI ist die Verwendung des Begriffs , Vater/Väter' unter anderem wegen des Bruchs zwischen dem idealen Vater Abraham und den ambivalenten Vätern des Exodus identisch. Andererseits benennen sie auch Differenzen: In Apg 7 werden die Richter nicht erwähnt und David sowie Salomo werden nur recht knapp abgehandelt.43 Schließlich machen sie auf der Grundlage der Beobachtungen an Jos 24 Lösungsvorschläge für einzelne .Probleme' der Exegese von Apg 7, z.B. in Bezug auf „the stress in Acts 7.16 on Shechem": Wie Jos 24 ein Appell für die Abkehr der ,Protosamaritaner' vom Gottesdienst ihrer Väter und für die Bekehrung zur wahren Gottesverehrung sei, so markiere Apg 7 durch die Distanzierung von dem Verhalten der Väter den Wendepunkt in der Gottesverehrung Israels.44

2.2 Die Rückfrage nach Aufoau und Funktion von Summarien der Geschichte Israels Seine Arbeit zur Stephanusrede (1967) beginnt RAINER STORCH mit einer kurzen Einführung in geschichtliche Abrisse', und er nennt viele Vergleichstexte aus der kanonischen, aber auch außerkanonisch-frühjüdischen Literatur (Bell 5; Sib III; LibAnt 19).45 Zwar stellt er fest, daß die SGI „den Schlüssel zum Verständnis der Stephanusrede geben",46 aber die Ergebnisse seines Vergleichs sind dann doch sehr pauschal: Apg 7 sei kein Sonderfall und die Aufgabe aller SGI sei ,Begründung und Beweis'.47 In seiner Einzelexegese verweist er dann auch nur je und je auf verwandte Motive „in den Geschichtsabrissen",48 führt aber keine systematischen Vergleiche durch.

43

Römer/Macchi, Luke 182-186.

44

Römer/Macchi, Luke 185f„ Zitat: 185. Sie greifen dabei auf die Analysen von E. Blum zurück. 45 Storch, Stephanusrede 5-10. SGI innerhalb von Visionen wie in lHen und syrBar schließt er aus, da sie sich s.E. der Zukunftsschau widmen und vorhersagen wollen (a.a.O. 8). 46

Storch, Stephanusrede 9.

47

Storch, Stephanusrede 6-10.

48

Z.B. Storch, Stephanusrede 14; 35.

Längere Ausführungen

37

PETER DSCHULNIGG beginnt einen Aufsatz über die vorlukanische Einheit von Stephanusrede und Martyrium (1988) mit einer Erörterung antik-jüdischer SGI.49 Er beschränkt seine Analysen auf alttestamentlich-kanonische Texte einschließlich Jdt 5 und teilt diese in zwei Typen auf. Den „aretalogischen Geschichtsüberblikken" Ps 105; 136; Dtn 26 und Jos 24 stehen s.E. die „paränetischen Geschichtsrückblicke" Ps 78; 106 und Ez 20 gegenüber. Apg 7 ist nach dieser Klassifizierung „fast in reiner Form" ein Beispiel der zweiten Kategorie, was sich besonders ab dem Mose-Teil zeige. 50 Wie alle Vertreter dieses zweiten Typs zeige auch die Stephanusrede die Intention, „Israel wieder auf den wahren Weg Gottes mit seinem Volk zurückzubringen", allerdings werde auch eine Distanz zum „bundesbrüchigen Israel" deutlich.51 Letztlich erweise der Vergleich mit den antik-jüdischen SGI, daß die Stephanusrede kohärent sei.52 In einem Aufsatz mit dem anspruchsvollen Titel: „Appropriating the History of God's People: A Survey of Interpretations of the History of Israel in the Pseudepigrapha, Apocrypha and the New Testament" (1993) beschreitet HOWARD CLARK KEE einen anderen Weg. Er vergleicht nicht die SGI frühjüdischer und neutestamentlicher Schriften, sondern jeweils ganze Bücher, sein Aufsatz verdient aber hier erwähnt zu werden, da es sich um Schriften handelt, die wegen ihrer SGI auch in dieser Arbeit herangezogen werden: Sir, Weish, lHen und Apg. Für ausführliche Analysen bleibt freilich nur sehr wenig Raum. Kee schlußfolgert, daß zwar alle Verfasser dasselbe Material bearbeiteten, aber daß sie „interpret the stories in ways they serve their own distinctive ends in their own specific time and cultural circumstances". 33 Nicht das biblische Material also sei entscheidend, sondern „the life-world of assumptions and values which are operative in the minds of interpreters and their intended readers".54 Diese Erkenntnis ist zweifellos richtig, wenngleich sie nicht bewußt auf der Analyse von SGI basiert, sondern auf dem Umgang mit biblischem Material überhaupt.

49

Dschulnigg, Rede 196-199. Dschulnigg, Rede 198. Neh 9 und Jdt 5 sind Beispiele für eine Mischform. 51 Dschulnigg, Rede 199. 52 Dschulnigg, Rede 206: „Aber auch diese eröffnenden Abschnitte [sc. der Abraham- und der Joseph-Teil] des Geschichtsrückblicks sind im Rahmen vergleichbarer atl. Vorbilder und im Blick auf die Gesamtanlage der Rede durchaus angemessen und bereits auf ihre leitende Absicht zugeschnitten." 53 Kee, Appropriating 63. 54 Kee, Appropriating 64. 50

38

Forschungsgeschichte

2.3 Die Verbindung von traditionsgeschichtlicher Frage und der Rückfrage nach Aufbau und Funktion der Summarien der Geschichte Israels In seiner Dissertation über die Komposition der Stephanusepisode (1978) geht E A R L R I C H A R D über zehn Seiten auf antik-jüdische SGI ein. Zunächst verweist er auf die Liste der SGI bei Holtz (1968) und auf die Ergebnisse von Simon (1958),55 will aber gegenüber diesen beiden Exegeten mehr Gewicht auf Form und Stil legen.56 Er schlußfolgert, daß es zwar inhaltlich und motivlich etliche Parallelen gebe, aber: „From a structural point of view the Stephen speech is independent of presently known historical summaries." Die nächste Parallele ist seiner Meinung Jdt 5,6-18, aber im Vergleich zeige sich auch hier, daß Apg 7 von diesem Text unabhängig sei.57 So kommt er zu dem Fazit, daß der Verfasser der Stephanusrede „direct use of the Greek version of Hebrew history" gemacht habe.58 In der neuesten Monographie zu den Reden der Apostelgeschichte (1994) diskutiert M A R I O N L. S O A R D S im Anschluß an die Analysen aller Reden deren traditionsgeschichtliche Hintergründe.59 Dabei geht er zunächst auf griechischrömische Geschichtsschreibung ein, ehe er die großen Reden des deuteronomistischen Geschichtswerkes in der LXX heranzieht. Aus dem Bereich der antikjüdischen SGI geht Soards ausführlicher auf Neh 9,6-38 und IMakk 2,49-68 ein. Im Anschluß an eine siebenseitige Tabelle zu den Analogien zwischen Neh 9 und Apg 4; 7 und 13 stellt er fest, daß es etliche formale und inhaltliche „similarities" gebe, daß die SGI aber verschiedene Funktionen aufwiesen. Soards schlußfolgert, es gebe „sufficient parallels to suggest some relationship between Ezra's prayerspeech and at least the three speeches in Acts noted above [sc. Apg 4; 7 und 13]".60 Bezüglich IMakk 2 fällt das Urteil anders aus. Zwar habe die Rede des

55

Zu Holtz s.o. II.2.1, S. 34; zu Simon s.o. Π.1.2, S. 31.

56

Richard, Acts 141-143.

57 Richard, Acts 143. Für seine These führt er vier kurze Belege an: Jos 24,4; Ψ 104,16f.; Neh 9,9; Jdt 5,7. lOf. (a.a.O. 144f.). Für motivliche Anlehnungen verweist er außerdem auf AssMos 1,14; TestXII; Jub l,2.22f.27f.; 12,22f.; 14,13f.; 46-48; CD; TPsJ heran (a.a.O. 147-150). 58

Richard, Acts 149. Insgesamt zeigt Richard in seiner Dissertation, daß Apg 6,1-8,4 eine von Lukas geschaffene Einheit und „an integral part of the book of Acts" sei (a.a.O. 358). So könne gefolgert werden, daß Lukas selbst auf die LXX zurückgegriffen habe: „It is in fact his own composition based upon the OT narratives" (a.a.O. 266). 59 Soards, Speeches 134-161: „The Speeches in Acts and Ancient Literature". Soards hat diesen Abschnitt seiner Monographie auch in EThL 70 (1994), 65-90 veröffentlicht: „The Speeches in Acts in Relation to other pertinent Ancient Literature". 60

Soards, Speeches 147-155, Zitat: 155. Bezüglich der literarischen Abhängigkeit ist

Längere Ausfuhrungen

39

Mattathias ebenso wie Neh 9 eine grundsätzlich andere Funktion als die lukanischen SGI, sei aber hinsichtlich des Inhalts durchaus mit Apg 7 und 13 vergleichbar. Soards findet allerdings anders als im Fall von Neh 9 trotz sorgfaltiger Untersuchung „little that is actually comparable to the surveys of history in Acts".61 A L A N H . BREHM widmet in einem Aufsatz aus dem Jahr 1997 den Exegesen von antik-jüdischen SGI erhöhte Aufmerksamkeit. Programmatisch beklagt er eingangs die Nicht-Einbeziehung von antik-jüdischen SGI für die Exegese der Stephanusrede.62 Deshalb zieht er für seine Analysen neun alttestamentlichkanonische SGI (einschließlich LXX) heran: Jos 24; Neh 9; Ps 78; 105; 106; Ez 20; Weish 10-19; Sir 44-50; Jdt 5. Zugleich bestreitet er die Vergleichbarkeit von Ps 136; IMakk 2; CD Ilf.; 4Esr 14 und Ant 3 mit Apg 7, da diese „are either shorter than Stephen's speech or lack its extensive scope".63 Kurz skizziert Brehm die s.E. sehr ähnliche Stoffauswahl der SGI und zeigt auf, daß dieser .pattern' für verschiedene Zwecke eingesetzt werden könne.64 Als engste Parallele der Stephanusrede gilt ihm wegen der Masse der ähnlichen Stoffe und ihrer Intention Neh 9,6-37: Er erkennt wörtliche und konzeptionelle Parallelen, möchte allerdings eine direkte Abhängigkeit nicht behaupten.65 So zeige der Vergleich, daß (a) die Rede auf der Basis biblischer SGI wie Neh 9 gestaltet sei und (b) die Rede einschließlich Apg 7,51-53 kohärent sei und (c) das Thema der Rede eine Kritik an jüdischen Führern sei.66 Insofern passe die Rede in den Kontext, denn „it serves as a counter accusation in reply to Jewish leaders' accusations against Stephen".67 In der auf diesen

Soards vorsichtig. Er stellt fest, „that Ezra's prayer may have provided inspiration for elements of certain speeches in Acts - especially Acts 7, but also Acts 4 and 13" (a.a.O. 156). 61 Soards, Speeches 156. Insgesamt kommt er in Bezug auf alle von ihm untersuchten Reden der Septuaginta zu dem Schluß, daß „despite these noticeable similarities, the Septuagint materials are still different from the speeches in Acts; for there is nothing controversial about the repetition of history in the Septuagint" (a.a.O. 156f.) und noch einmal anders formuliert: „there is no truly apologetic dimension to the Septuagint speeches, whereas one detects such a tone in almost all the speeches in Acts" (a.a.O. 157). 62 Brehm, Vindicating 266: „Unfortunately, none of the typical approaches to Stephen's speech take adequate account of its traditio-historical background in the summaries of Israelite history". 63

Brehm, Vindicating 274, Zitat: Anm. 19.

64

Brehm, Vindicating 274f.

65

Brehm, Vindicating 275f. - Brehm verweist dabei auf das gleiche Ergebnis bei Soards

(s.o.). 66

Brehm, Vindicating 276.

67

Brehm, Vindicating 277.

40

Forschungsgeschichte

Vergleich folgenden Einzelexegese der Stephanusrede, die den größten Teil seines Aufsatzes einnimmt, gibt es kaum weitere Verweise auf antik-jüdische SGI.68

Exkurs: Untersuchungen antik-jüdischer Summarien der Geschichte unter Ausschluß von Apg 7,2b-53 und

Israels

13,17-25

Im folgenden werden exegetische Untersuchungen zu den antik-jüdischen Summarien der Geschichte Israels dargestellt, in denen die lukanischen SGI nicht einbezogen werden. Trotzdem soll auf sie exkursartig hingewiesen werden, da sie für die Diskussion der SGI durchaus wichtig sind. GÜNTER REESE bietet in seiner Heidelberger Dissertation (1967) Analysen der .Geschichtssummarien' von lHen 85-90 und 93,3-10; 91,12-17 sowie AssMos 2-10 und 4Esr 3,4-27 (im kurzen Vergleich mit 4Esr 14,28-35). Er beschränkt sich auf den Bereich der apokalyptischen Literatur, da er den avisierten Texten hohe Bedeutung für das Verständnis von Apokalyptik überhaupt beimißt.69 Reese untersucht die jeweiligen Geschichtsbilder und kommt trotz erkennbarer Unterschiede zu dem Schluß, daß man in allen vier Texten versuche, den „Standort Israels als Volk seines Gottes in der Gegenwart zu bestimmen und seine Hoffnung auf eine heilvolle Vollendung der Geschichte zu begründen".70 Da ihn auch die traditionsgeschichtliche Einordnung der Texte und der Verfasser interessiert, fragt er unter anderem danach, wie die verschiedenen Überlieferungen verarbeitet werden.71 Seinen Analysen zu den apokalyptischen SGI stellt er eine kurze Einführung in Sir 44-50; Sir 16,6-10; Weish 10 und IMakk 2,49-68 voran, in der er herausarbeitet, inwiefern sich diese Texte von den kanonischen SGI unterscheiden: Jene SGI stehen s.E. nicht mehr in dem Verstehenshorizont von Verheißung und Erfüllung, sie sind .heilsgeschichtlich entleert', konzentrieren sich auf einzelne Gestalten und fassen die Geschichte als Kette gleichrangiger Episoden.72 Auf einer breiteren Textbasis beschäftigt sich KARLHEINZ MÜLLER (1973) mit den wichtigsten SGI aus dem frühjüdischen und rabbinischen Bereich73 und bietet

68 Brehm, Vindicating 277-296. Er verweist allerdings auf Motivanalogien außerhalb von SGI (279f.: JosAs; 279-282: TestXII; 293f: Sib IV). 69

Reese, Geschichte 2. Er betont, „daß diese Texte bisher noch nicht für sich untersucht worden sind", vielmehr nur „ausschnittsweise" betrachtet wurden (a.a.O. 3). 70

Reese, Geschichte 150. Vgl. zu den Differenzen der vier SGI die Zusammenfassung

a.a.O. 152f. 71

Reese, Geschichte 3, wenngleich er auf traditionsgeschichtliche Fragen nur „annähernd

und unter Vorbehalt" antworten möchte. 72

Reese, Geschichte 5-20: .Voruntersuchung' (vgl. auch die Ergebnisformulierung a.a.O.

150). 73 K. Müller diskutiert rabbinische Geschichtsrückblicke in der talmudischen Haggada und der synagogalen Gebetsliteratur (K. Müller, Geschichte 92-99).

Längere Ausfuhrungen

41

damit eine der wenigen Gesamtbetrachtungen dieser Texte. Eingangs stellt Müller in Bezug auf die alttestamentlich-kanonischen SGI fest, diese würden alle denselben ,Grundansatz' aufweisen, daß nämlich Israel auf das Bekenntnis der .Einmaligkeit und Kontingenz göttlicher Geschichtstaten' Reue zeige oder in eben jenen Gottestaten den Grund für Hoffnung auf zukünftiges Heil sehe.74 In Kurzanalysen diskutiert Müller dann frühjüdische SGI, die s.E. von diesem Grundansatz in verschiedenen Belangen abweichen. In Sir 44-50; IMakk 2,49-68; 3Makk 2,3-12; 6,2-9 Weish 10 und Sir 16,6-10 würden geschichtliche Ereignisse .prinzipiell analog' gewertet, d.h. die zusammenhängende Darstellung der Geschichte werde zugunsten der „Würdigung der herausragenden Männer der Vergangenheit" aufgegeben. 75 Demgegenüber würden lHen 85-90 und AssMos 2-10 das alttestamentlich-heilsgeschichtliche Denken fortfuhren, 76 während in lHen 93,3-10; 91,12-17 und CD II,14-IV,12 mit der Vergangenheit Israels gebrochen werde.77 Schließlich würde in 4Esr 3,4-27; 14,28-35 und syrBar 53-74 mit der Betonung der „uranfänglichen Determination der Zeiten durch Gott" die „Irrelevanz der zurückliegenden Geschichte Israels" aufgewiesen. 78 In seiner Wiener Habilitationsschrift über die „Frühgeschichte Israels in Bekenntnis und Verkündigung des Alten Testaments" ( 1 9 8 9 ) führt SIEGFRIED KREUZER eine Untersuchung der „sogenannten Credotexte bzw. Geschichtssummarien" 79 aus den Büchern Genesis bis Josua durch (Gen 15; Ex 3; Num 20,15f.; Dtn 6; 26; Jos 24). Nur am Rande vergleicht er diese mit Geschichtstraditionen der Propheten des 8. Jh. und zieht .Geschichtspsalmen' heran. In besonderem Maße geht es ihm um die Überlieferungs- und Traditionsgeschichte des Alten Testaments, schließlich möchte er zu Aussagen über die Pentateuchentstehung gelangen.80 Zur Auffassung von der Geschichte stellt er abschließend fest, es gehe in den SGI „nicht um Geschichte an sich, sondern immer zugleich um die aktuelle Bedeutung der Geschichte".81 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt DIETMAR M A T H I A S , der sich in seiner Habilitationsschrift (1993) den SGI innerhalb der Psalmen widmet. Er analysiert Ps 78; 105 und 106 im Blick auf ihre literarische Struktur und Geschichtstheologie. 82 Dabei stellt er fest, daß in der Forschung zu wenig nach den jeweiligen Funktionen 74

K. Müller, Geschichte 74.

75

K. Müller, Geschichte 75-77, Zitat: 75.

76 K. Müller, Geschichte 77-82. Müller verwahrt sich damit gegen den s.E. zu pauschalen Vorwurf, im Frühjudentum werde das ,heilsgeschichtliche Reden von der Vergangenheit preisgegeben' (a.a.O. 77). 77

K. Müller, Geschichte 82-85.

78

K. Müller, Geschichte 86-92, Zitate: 86.

79

Kreuzer, Frühgeschichte 1.

80

Kreuzer, Frühgeschichte 1; vgl. 257f. Im übrigen handelt es sich dabei um eine Frage, die oft in alttestamentlichen Untersuchungen von SGI gestellt wird. 81 82

Kreuzer, Frühgeschichte 256. Wichtig sei also die .Gegenwartsbedeutung' von Geschichte.

Zwar werden Ps 135 und 136 nicht explizit analysiert, der Verfasser verweist aber darauf, daß er diese Texte in seine grundlegenden Überlegungen einbezogen und sie auch in einem Aufsatz gebührend gewürdigt hat (Mathias, Geschichtstheologie 14f.).

42

Forschungsgeschichte

und Intentionen von SGI gefragt worden ist und versucht zu zeigen, daß die SGI der Psalmen verschiedene Deutungsmodelle von Geschichte präsentieren, die auf die Intentionen der unterschiedlichen Verfasser zurückzuführen sind.83

3. Schlußfolgerungen Mit Hilfe von Verweisen auf antik-jüdische SGI - in der Regel reduziert auf alttestamentlich-kanonische Beispieltexte - als Parallelen zu den lukanischen SGI wird in der exegetischen Literatur häufig die prinzipielle Ähnlichkeit, selten auch die Unähnlichkeit der lukanischen Texte mit diesen .Vorbildern' festgehalten. Man beschränkt sich dabei oft darauf, auf die Vergleichbarkeit der Form (.pattern') sowie intentionale Unterschiede hinzuweisen. Während in Spezialuntersuchungen zu Summarien der Geschichte Israels gewöhnlich kein Bezug auf die lukanischen SGI genommen wird (anders JIRKU),84 lassen sich einige Kommentare, Aufsätze und Monographien zur Stephanusrede oder zur Paulusrede im pisidischen Antiochia finden, in denen antik-jüdische SGI mehr oder weniger ausfuhrlich erörtert werden. Die Ausfuhrungen zeichnen sich dadurch aus, daß hier nicht nur pauschal auf verschiedene Vergleichstexte hingewiesen wird, sondern daß einzelne SGI als besonders nahe Parallelen erwiesen werden. Hierbei wird nicht mehr nur auf Formanalogien verwiesen, sondern es werden auch inhaltliche Elemente miteinander verglichen. Besonderes Augenmerk gilt den Motiven der SGI, die nicht unverändert aus den biblischen Leittexten übernommen worden sind. In diesem Sinne werden Dtn 26 (KLIESCH), Jdt 5 (RICHARD), Neh 9 (SOARDS und BREHM), IMakk 2 (SOARDS) und Jos 24 (RöMER/MACCHI) diskutiert und man behauptet jeweils, diese seien die nächsten Parallelen. Dabei wird die Frage gestellt, ob der jeweilige Text als Vorlage der lukanischen SGI gedient haben kann. Obwohl einige der Exegeten die Parallelen für überaus nah und Inspirationen' für denkbar halten, möchte keiner eine literarische Abhängigkeit behaupten. Bemerkenswert ist, daß einige der Autoren die antik-jüdischen SGI für .Schlüsseltexte' zum Verständnis der lukanischen SGI halten und umfassende Untersuchungen zum Desiderat erklären (STORCH, KLIESCH und BREHM), daß sie selbst aber ihre Forderungen nicht einlösen. Der Aufsatz von BREHM ist ein typisches

83 84

Mathias, Geschichtstheologie 44f.; 207-209.

S.o. S. 40-42 den Exkurs „Untersuchungen antik-jüdischer Summarien der Geschichte Israels unter Ausschluß von Apg 7,2b-53 und 13,17-25". Dabei handelt es sich in der Regel um alttestamentliche oder judaistische Arbeiten.

Schlußfolgerungen

43

Beispiel fur diese Vorgehensweise: Der eingeforderte Vergleich fuhrt zur Diskussion einzelner SGI, die Masse der Texte wird aber nicht adäquat erfaßt. Resultat einer solchen Beschäftigung ist nicht selten eine (synoptische) Tabelle, in der die Analogien und Differenzen zwischen einigen antik-jüdischen SGI und den lukanischen SGI (meistens der Stephanusrede) festgehalten werden.85 Auswertungen dieser Synopsen sind aber entweder nur sehr grundsätzlich gehalten oder werden gar nicht vorgenommen. So zeigt der Forschungsüberblick, daß die systematische Erfassung und Untersuchung der antik-jüdischen SGI - ihrer Stoffauswahl und -anordnung, ihrer typischen Elemente und jeweiligen Besonderheiten sowie ihrer Funktion in einem größeren Kontext - fur die Exegese von Apg 7,2b-53 und Apg 13,17-25 ein Desiderat der Forschung ist.86

85 Brehm, Vindicating 298f.; vgl. auch Soards, Speeches 148-154; Kliesch, Credo 54-58 und - ausgehend von Jos 24 - Anbar, Josué 102-105. 86

Die Forderung von Günter Stemberger aus dem Jahr 1976 (Stemberger, Stephanusrede 174 - vgl. oben 1.1, S. 13f. mit Anm. 5) ist noch nicht eingelöst worden.

ΙΠ. Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

1. Einführung in die Texte

Im ersten Abschnitt dieses Teils sollen die antik-jüdischen SGI kurz vorgestellt und charakterisiert werden. Einführend wird erörtert, wie die SGI von ihrem jeweiligen Kontext abgegrenzt sind und auf ihn Bezug nehmen. Im Zentrum stehen Ausführungen über Stoffumfang und Inhalt der verschiedenen Geschichtsdarstellungen, wobei Besonderheiten hervorgehoben werden. Schließlich wird daraufhingewiesen, ob die einzelnen SGI als kohärente Texte betrachtet werden können. Die SGI sind in dieser Einführung nach den Gattungen geordnet, in denen sie zu finden sind (Ansprache; Gebet; Hymnus/Lied; Visionsbericht/Visionsdeutung und Prophetische Rede/Gottesrede), da die SGI in einer bestimmten Gattung besondere gemeinsame Merkmale aufweisen. Das gilt für die Verbindung zwischen Kontext und Inhalt der Geschichtsdarstellung ebenso wie für die Funktion von SGI.

1.1 Summarien der Geschichte Israels in Ansprachen Acht der Texte, in denen Summarien der Geschichte Israels verwendet werden, sind Ansprachen (lSam 12; Ps 78; Jdt 5; IMakk 2; CD II-IV; Bell 5; Ant 3; 4Esr 14). In ihnen wendet sich ein jüdischer Sprecher einem jüdischen Auditorium zu,1 das aus nur wenigen Personen, einem Teil des Volkes Israel oder dem ganzen Volk besteht. Die Geschichtsdarstellung wird dabei eingesetzt, um Gottes Güte, Größe und Macht zu demonstrieren und die Hörer zum richtigen Handeln anzuleiten und anzuspornen. SGI in Ansprachen haben demzufolge einen betont mahnenden Charakter. Diese Zielsetzung bedingt ebenso die Stoffauswahl wie 1 Eine Ausnahme ist Jdt 5, wo der Nicht-Jude Achior vor Nicht-Juden die Geschichte Israels summarisch darstellt.

Einführung in die Texte

45

die Stellung der Ansprache im Kontext. Charakteristisch für die SGI innerhalb von Ansprachen ist der erkennbare Perspektivwechsel, den der Sprecher gegenüber seinen Hörern in Bezug auf die Geschichte vornimmt: In der Regel solidarisiert er sich bei der Vergangenheitsdarstellung mit seinen Hörern, distanziert sich aber von ihnen bei der Bezugnahme auf Gegenwart oder Zukunft.2 Ebenso charakteristisch für SGI in Ansprachen ist es, daß .Kurzaktualisierungen' in der Vergangenheitsdarstellung verwendet werden.3 Die Schriftverwendung ist allerdings unterschiedlich. Während einige SGI recht wörtliche Anspielungen auf die biblischen Leittexte aufweisen (lSam 12; Jdt 5; IMakk 2; CD II-IV) und in drei Texten sogar Zitate erscheinen (in lSam 12 und IMakk 2 ohne Einleitung; in CD II-IV mit Einleitungsformel), sind die SGI des Josephus (Bell 5; Ant 3) weiter von den Leittexten entfernt.

1.1.1

1 Sam

Kritische Hebräischer

12,8-13

Editionen Text:

ELLIGER, KARL/RUDOLPH, WILHELM

(Hg.): Biblia Hebraica Stuttgar-

tensia, 2., verb. Aufl., Stuttgart 1984, 463. Griechischer

Text:

RAHLFS, ALFRED

(Hg.): Septuaginta. Id est Vetus Testamentum

graece iuxta L X X interpretes, Bd. 1, Leges et Historiae, 9. Aufl., Stuttgart 1971, 522; SWETE,HENRYB. (Hg.): The Old Testament in Greek according to the Septuagint, Bd. 1, Genesis - IV Kings, 3. Aufl., Cambridge 1901, 5 6 6 - 5 6 7 .

Zwischen dem Bericht über die Entstehung des Königtums in Israel (lSam 8-11) und der Darstellung von Sauls Kriegen (lSam 13-15) wird geschildert, daß der Prophet und Richter Samuel" programmatisch Abschied nimmt, nachdem er seine Führungsrolle niedergelegt hat (lSam 12):5 Samuel führt das Volk nach Gilgal, um das Königtum Sauls zu erneuern (lSam 11,14f.), worauf er in einen Dialog mit dem Volk über seine vergangenen Taten tritt, an dessen Ende seine

2

Nur in CD Π-IV wird eine dauerhaft distanzierende Position deutlich.

3

Lediglich Jdt 5 und Ps 78 bilden Ausnahmen.

4

Er ist sowohl .Prophet des Herrn' (lSam 3,20) als auch .Richter Israels' (lSam 7,6.15).

5

In der Endgestalt ist das erste Samuelbuch „ein Produkt der exilisch-nachexilischen Zeit" (Niehr, Samuelbücher 155; vgl. Smend, Entstehung 120-125: lSam 12 ist Produkt des nachexilischen deuteronomistischen Nomisten.), die Datierung des SGI in lSam 12 hängt aber davon ab, ob man den Text der deuteronomistischen Redaktion zuweist (so z.B. Mommer, der die Rede für eine „Neuschöpfung des dtr Bearbeiters" hält [Mommer, Samuel 123; vgl. 199]) oder für ein älteres selbständiges Überlieferungsstück erachtet, das vorexilischen Ursprungs ist (so z.B. Stoebe, Buch 235-237, der den Text der .Mizpatradition' zuweist).

46

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

Unschuld bezeugt wird (lSam 12,1-5). Im Anschluß hält der alte Samuel seine .Abschiedsrede' vor dem Volk Israel, in der er das Volk für dessen Königswunsch massiv kritisiert (lSam 12,6-17). Dieses reagiert mit Furcht, so daß Samuel es beschwichtigen muß, ehe er Mahnungen ausspricht (lSam 12,18-25). In der Abschiedsrede ist ein Summarium der Geschichte Israels zu finden (lSam 12,8-13), das bei Jakob in Ägypten einsetzt und bis in die Gegenwart von Erwählung und Einsetzung Sauls zum König reicht. Im Zentrum steht das Verhalten des Volkes, es werden aber auch einzelne Gestalten der Geschichte Israels benannt, die als Werkzeuge bzw. Abgesandte Gottes vorgestellt werden. So wird Gott über die Einsetzung von Mose und Aaron bzw. die Rettung aus Ägypten identifiziert (lSam 12,6). Wichtigstes Ereignis der Frühgeschichte ist der Exodus, von dem direkt in die Zeit der Richter und die Gegenwart des Redners .gesprungen' wird. Das SGI stellt einen kohärenten Entwurf dar, was jedoch für das gesamte zwölfte Kapitel des ersten Samuelbuches nicht wahrscheinlich ist.6

1.1.2

Ps 78,5-72 /Ψ

77,5-72

Kritische Editionen Hebräischer Text: ELLIGER, KARL/RUDOLPH, W I L H E L M (Hg.): Biblia Hebraica Stuttgartensia, 2., verb. Aufl., Stuttgart 1984, 1159-1162. Griechischer Text: RAHLFS, ALFRED (Hg.): Psalmi cum Odis, Septuaginta. Vetus Testamentan Graecum, Bd. 10, ed. auctoritate Societatis Litterarum Gottingensis, 2., durchges. Aufl., Göttingen 1967, 211-218. Die Gattung von Ps 78 ist schwer zu bestimmen.7 Die Einleitung (Ps 78,1-4) deutet daraufhin, daß es sich um die Weisung (ΓΠίΠ) eines Sprechers8 handelt, der ,sein Volk' zum Hören auffordert (Ps 78,1), um ,Rätsel der Vorzeit' zu verkünden (Ps 78,2). Demzufolge handelt es sich bei Ps 78 in der Tat um eine .Ansprache', die freilich poetischen Charakter hat und insofern eine Sonderrolle

6

Vgl. dazu die Ausführungen unter III.4.2.1, S. 102-105.

7

Die Datierung des Psalms ist in der Forschung umstritten. Vorgeschlagen wir der enorme Zeitraum vom 10. Jh. v.Chr. bis in die makkabäische Zeit (vgl. Mathias, Geschichtstheologie 69f., der selbst für eine nachexilische Entstehung plädiert. Anders Seybold, „Wir" 144-148, der hinter dem Plural der Asaph-Psalmen eine exilische Gemeinschaft von Laien erkennt und diese nördlich von Jerusalem verortet. 8 Zwar beginnt der Psalm singularisch (Ps 78, lf.), aber schon in 78,3 wechselt der Numerus in die erste Person Plural. Vgl. dazu die Überlegungen in Bezug auf die Gruppe, die diese Psalmen abgefaßt hat bei Seybold (s.o. Anm. 7).

Einführung in die Texte

47

innerhalb der Ansprachen, die in dieser Arbeit behandelt werden, einnimmt. 9 Das in dieser Ansprache zu findende Summarium der Geschichte Israels (Ps 78,5-72) umfaßt die Zeit vom Exodus bis hin zu David und dem Bau des Tempels. Im Mittelpunkt stehen die guten Taten und Gaben Gottes zugunsten des Volkes Israel sowie die Treulosigkeit des Volkes. Dementsprechend werden mit Ausnahme Davids (Ps 78,70-72) keine Personen erwähnt. Zwar wird insgesamt ein Geschichtsschema aufgezeigt, aber dieses hat keine so deutlich zyklische Struktur wie etwa das deuteronomistische Geschichtsschema im Richterbuch.10 Charakteristisch ist die Voranstellung der Aktualisierung (Ps 78,5-11), in der die Funktion der Geschichtsdarstellung thematisiert wird: Die Weitergabe der , Weisung' an Kinder und Kindeskinder, damit diese Gott und seine Treue nicht vergäßen und sich nicht den ,Vätern' gleichstellten. Ps 78 ist im großen und ganzen ein kohärenter Text, wenngleich einige Verse oder Kola spätere Erweiterungen eines Grundtextes zu sein scheinen."

1.1.3

M

5,6-19

Kritische Edition Griechischer Text:12 H A N H A R T , ROBERT (Hg.): Iudith, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum, Bd. 8,4, ed. auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis, Göttingen 1979, 73-76. Jdt 5 ist Teil des zweiten Abschnitts des Judithbuches (Kap. 4-7), in dem strukturell die ,Achse' des gesamten Buches13 verläuft und wo sich deutlich

' Der Text ist deshalb als ,Lehrdichtung' (so H.-J. Kraus, Psalmen 703, der auf den .lehrhaften Akzent' aufmerksam macht) und .Lehrepos' (so Mathias, Geschichtstheologie 70-72, der darauf hinweist, daß „sich für die poetische Erzählung von Geschichte der Begriff .Epos' anbietet" [a.a.O. 72]) bezeichnet worden. 10 Ein .Schreien' des Volkes zu Gott wird beispielsweise nur in Ps 78,34f. erwähnt (vgl. Mathias, Geschichtstheologie 108f.). 11

Mit Mathias, Geschichtstheologie 49, der selbst wenige Teile als Zusätze erweist (z.B. Ps 78,9-11); vgl. sein Fazit a.a.O. 68f. 12

Deutsche Übersetzung: ZENGER, ERICH: Das Buch Judit, in: Kümmel, Werner Georg u.a. (Hg.): Historische und legendarische Erzählungen, JSHRZ1/6, Gütersloh 1981,471^t74. 13

Das Judithbuch ist am Übergang zwischen dem zweiten und ersten vorchristlichen Jahrhundert verfaßt: Rost, Einleitung 40f. legt sich nur auf 300 v.Chr. als terminus post quem fest. Zenger, Judit 431 nimmt eine Entstehung zwischen 150 und 76 v.Chr. an und Moore, Judith 67-70 verweist genauer auf das Ende der Regierungszeit des Johannes Hyrkan. Das theologische Profil des Verfassers ist der fiktiven Erzählung (Zenger, Judit 436 sieht im Judithbuch einen .Roman') nicht zu entnehmen (vgl. Mittmann-Richert, Erzählungen 85). Die Schrift war ur-

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

48

dessen „spannungsreiche Antithetik" zeigt: Der Gott Israels steht dem Holophemes als ,Herr' und Nebukadnezar als ,Gott' gegenüber.14 Dieser Abschnitt des Buches beginnt mit einer Schilderung der Not der Israeliten, die sich vor der Entweihung (βεβήλωσις) und Zerstörung des Tempels in Jerusalem furchten und Maßnahmen zu dessen Schutz ergreifen (Jdt 4,1-15). Von den ,Kriegsmaßnahmen' der Israeliten wird dem Holophernes, dem Oberbefehlshaber des assyrischen Heeres (άρχιστράτηγος δυνάμεως Ά σ σ ο ύ ρ - J d t 5,1) berichtet, woraufhin dieser seinen Beraterstab aus Moabitern, Ammonitern und den .Satrapen' der Küste zusammenruft, um sie nach den Israeliten zu befragen (Jdt 5,1-4). In einer umfangreichen Ansprache geht der Nicht-Jude Achior, der ή γ ο ύ μενος aller Ammoniter aus dem Ostjordanland auf diese Frage ein, indem er Herkunft und Geschichte der Israeliten schildert (Jdt 5,5-21). In dieser Rede ist ein Summarium der Geschichte Israels zu finden, das die Zeit von der Herkunft aus Chaldäa (also indirekt von Abraham an, der nicht genannt wird) bis zur Gegenwart des Volkes Israel nach der Rückkehr aus der .Diaspora', der Inbesitznahme Jerusalems und der Ansiedlung im Bergland umfaßt (Jdt 5,6-19). Die Geschichtsdarstellung - ein kohärenter Entwurf - ist durch den wechselhaften Prozeß von Erwerb und Verlust des Landes Kanaan durch das Volk Israel strukturiert, und das zentrale Thema ist der Aufweis der Macht des Volkes Israel durch Hinwendung zum .Gott des Himmels'. 15

1.1.4

IMakk 2,52-60

Kritische Edition Griechischer Text:16 K A P P L E R , W E R N E R (Hg.): Maccabaeorum liber I , Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum, Bd. 9,1, ed. auctoritate Societatis Litterarum Gottingensis, Göttingen 1936, 60-61.

sprünglich hebräisch oder sogar aramäisch verfaßt, die überlieferten hebräischen Manuskripte sind aber „mehr oder weniger freie Nacherzählungen" der LXX-Fassung (Zenger, Judit 430). Eine von der LXX unabhängige aramäische Vorlage der hebräischen Manuskripte hält Moore, Judith 100-103 für möglich. 14

Mit Zenger, Judit 432f., Zitat: 433: Die .Achse' verläuft zwischen Kap. 5 und 6.

15

Inhalte, Aufbau und Zielsetzung werden unten ausführlich diskutiert (s.u. III.4.2.2, S. 106-109). 16 Deutsche Übersetzung: SCHUNCK, KLAUS-DIETRICH: 1. Makkabäerbuch, in: Kümmel, Werner Georg u.a. (Hg.): Historische und legendarische Erzählungen, JSHRZ1/4, Gütersloh 1980, 307.

Einfuhrung in die Texte

49

Das erste Makkabäerbuch ist eine historiographische Schrift,17 in der die Geschichte der Makkabäer von der Zeit unter Antiochus IV. Epiphanes bis hin zu Johannes Hyrkan geschildert wird.18 Auf die Beschreibung der Taten des Antiochus IV. (IMakk 1,11-68) folgt der Bericht über den Widerstand, den der in Modem wohnende Priester Mattathias entfacht (IMakk 2). Das zweite Kapitel schließt mit der Schilderung von dessen Tod und Begräbnis, und ab dem dritten Kapitel steht die Weiterfuhrung des Widerstands unter dem Sohn und Nachfolger Judas Makkabäus im Vordergrund. Der Abschnitt über Mattathias beginnt mit dessen Absichtserklärung, samt seinen Söhnen von der λατρεία πατέρων nicht abfallen (IMakk 2,19), sondern weiterhin èv διαθήκη πατέρων ήμών wandeln (IMakk 2,20) und νόμος καΐ δικαιώματα nicht übertreten zu wollen (IMakk 2,21). Seine Vorstellung, nach dem Gesetz handeln zu wollen, äußert sich darin, daß er die Juden tötet, die dem König opfern wollen (IMakk 2,23-25). Nach Ausführungen über die Verteidigungsbereitschaft (IMakk 2,29-41) und die Erfolge von Mattathias und den Seinen (IMakk 2,45-48) folgt dessen Abschiedsrede vor seinen fünf Söhnen (IMakk 2,49-68), worin die zentralen Themen des zweiten Kapitels und der gesamten Schrift aufgenommen werden." In dieser Abschiedsrede ist ein Summarium der Geschichte Israels zu finden (IMakk 2,52-60), in dem ausschließlich positiv skizzierte Einzelgestalten aus der Zeit von Abraham bis Daniel erwähnt werden. Weder das Volk noch geschichtliche

17 Das ursprünglich wohl hebräisch abgefaßte erste Makkabäerbuch (vgl. Mittmann-Richert, Erzählungen 22) ist eine Schrift aus dem späten 2. oder frühen 1. Jh. v.Chr. und stammt wohl von einem den Makkabäern nahestehenden Jerusalemer Juden. Rost, Einleitung 58 und Geza Vermes (Schürer, History 3/1, 181) nehmen eine Entstehung zwischen 103 und 63 v.Chr. an. Goldstein, I Maccabees 61-64 präzisiert, daß IMakk kaum nach 90 v.Chr. geschrieben worden sein könne. Schunck, 1. Makkabäerbuch 292 datiert die Schrift hingegen um 120 v.Chr. So auch von Dobbeler, Bücher 46, die IMakk am Beginn der Regierungszeit Johannes Hyrkans ansiedelt. 18 Also von 175 bis 135 v.Chr. Dem Geschichtsbericht steht ein Prolog über Alexander den Großen voran (IMakk 1,1-8).

" Diese sind das Festhalten an Gesetz und Bund, das Eintreten für das Gesetz, sowie die praktischen Auswirkungen dieser Gesetzesobservanz: der kompromißlose Kampf gegen .Völker' und die Hingabe des Lebens. Auf die programmatische Funktion der Rede weist Goldstein, I Maccabees 8 hin. Neuhaus, Studien 112 meint, die Rede stehe an einem .Höhepunkt der Darstellung makkabäisch-hasmonäischer Geschichte'. Ähnlich auch van Henten, Selbstverständnis 151: „Die... Abschiedsrede ... zeigt etwas wie ein Programm für die Hasmonäer und bietet dazu auch schon eine Legitimation für ihr Vorgehen". In diesem Sinne verweist van Henten auf die Analogien zwischen der Rede in IMakk 2 und der Inschrift zugunsten des Simon in IMakk 14,27-45 (a.a.O. 151f.). Kritik an dieser Einschätzung hat Martola, Capture 264-266 geäußert. Er möchte der Rede keine wichtige kompositioneile Funktion in IMakk einräumen, da sie zu pauschal sei (er verweist aber auf die Verknüpfungen innerhalb des zweiten Kapitels - a.a.O. 259).

50

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

Etappen werden thematisiert. Charakteristisch ist die Auswahl der Personen, die vollkommen von der Zielsetzung der Rede bestimmt ist: Nur solche Beispiele werden ausgewählt, die mit Gesetzeseifer oder Hingabe für den Bund verknüpft werden können (z.B. Isaak, Jakob, Saul und Salomo werden ausgelassen).20 Großes Gewicht fallt dabei auf die Darstellung des Pinehas, da von hier eine PinehasMattathias-Typologie entwickelt wird.21 Prinzipiell sind alle Personen durch zwei Dinge ausgewiesen: Sie sind Beispiel für eigenes Tun bzw. eine bestimmte Haltung und Beispiel für den Empfang von Gottes Gaben.22 Dem entspricht das zweigliedrige Fazit im Anschluß an das SGI: Wer auf Gott vertraut, wird keine Schwäche erfahren (IMakk 2,61). Insgesamt ist das SGI gerahmt von Mahnungen (IMakk 2,49-51.61.62-68), wodurch dessen Funktion deutlich wird: Es soll diese Mahnungen begründen und zum Nachvollzug auffordern. Ebenso dient die Geschichtsdarstellung der Legitimation von Verhalten und Aufstieg der Makkabäer zu Königtum und Priestertum.23 Die Einheitlichkeit der Rede ist allein aufgrund des planmäßigen Aufbaus nicht zu bestreiten. Darüber hinaus zeigen die Bezüge zum gesamten ersten Makkabäerbuch und die auf den Kontext hin getroffene Stoffauswahl, daß das SGI integraler Bestandteil von IMakk ist.24

20 Die Auslassung des Aaron ist wohl auf die Hochschätzung des Priestertums des Pinehas zurückzuführen. Warum aber Mose ausgelassen wird, ist fraglich. 21 Vgl. dazu Martola, Captare 208-221, der zeigt, daß man den Eifer des Mattathias nur auf der Grundlage des Eifers des Pinehas (im Rückgriff auf Num 25) verstehen kann. Martola macht dabei auf die Analogien und Differenzen von IMakk 2,49ff. zu 2,15-28 aufmerksam (a.a.O. 220): Zwar würden in 2,15-28 Geschehnisse mit anderen Geschehnissen verglichen, und in 2,49ff. würden die Taten großer Männer berichtet. Trotzdem gehe es an der einzigen Stelle im SGI, an der eine direkte Verbindung zwischen einer Gestalt der Geschichte und dem Redner hergestellt werde, um Pinehas, .unseren Vater' (2,54). Daher erkennt Martola eine (.probably intentionally') Ambiguität der Darstellung des Pinehas, derzufolge einerseits auf die Abstammung (2,1) und andererseits auf die Taten (2,15-28) rekurriert werde. Martola zeigt auch die Änderung des Stoffes aus Num 25 in IMakk 2 und die besondere, legitimierende Funktion, die 2,15-28.54 haben (a.a.O. 220f.). 22

Vgl. Joseph, der in der Bedrängnis das Gesetz bewahrte und daraufhin κύριος über Ägypten wurde (IMakk 2,53). 23 24

Mit Chester, Citing 153; vgl. auch Martola, Capture 221.

Gegen die Annahme, Kap. 2 läge eine Mattathiaslegende zugrunde (so aber Schunck, Quellen 57ff. und - trotz Bedenken gegen Schuncks These - Reese, Geschichte 16f.). Für die Kohärenz und Integrität plädieren von Dobbeler, Bücher 64 und Neuhaus, Studien 27f. (der an anderer Stelle die Annahme einer Mattathiaslegende abgelehnt und auf die „Überlieferung aus einer Hand" hingewiesen hat - Neuhaus, Quellen 169-175; vgl. seine Übersicht 174f.). Schunck hat die Kritik an seiner Quellentheorie nicht rezipiert und macht in der Einleitung zu seiner Übersetzung nicht einmal auf die Kritik aufmerksam (Schunck, 1. Makkabäerbuch 289f.).

Einführung in die Texte

1.1.5 Kritische

CD 11,17b-IV,

51

12a

Editionen25

(a) CD-A 1 aus der Esra-Synagoge in Kairo: Q I M R O N , E L I S H A (Hg.): The Text of CDC, in: Broshi, Magen (Hg.): The Damascus Document Reconsidered, Jerusalem 1992, 12-17. (b) Fragmente aus der Höhle 4 in Qumran: B A U M G A R T E N , J O S E P H M.: Qumran Cave 4, Bd. 13, The Damascus Document (4Q266-273), DJD 18, Oxford 1996, 36-40; 125f.; 141 f.26 C D 11,14—VIII,21 ist eine weisheitliche Lehrrede innerhalb der sogenannten Mahnrede der Damaskusschrift (CD I—VIII; XIX-XX), 2 7 die ein anonymer Redner an

25 Deutsche Übersetzungen: LOHSE, EDUARD: Die Texte aus Qumran. Hebräisch und deutsch. Mit masoretischer Punktation, Übersetzung, Einführung und Anmerkungen, 4. Aufl., Darmstadt 1986, 68-73; M A I E R , JOHANN: Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer, Bd. 1, Die Texte der Höhlen 1-3 und 5-11, München u.a. 1995,10-13. Vgl. auch die neue hebräisch-englische Ausgabe: GARCÍA MARTÍNEZ, FLORENTINO UND TIGCHELAAR, E I B E R T J . C . (Hg.): The Dead Sea Scrolls Study Edition, Bd. 1, 1Q1-4Q273, Leiden u.a. 1997, 552-557. 26 Die Damaskusschrift liegt in zwei Überlieferungen vor, den Textfunden in der Genizah der Esra-Synagoge Kairos und den Fragmentenfunden in den Höhlen Qumrans. Im ersten Fall handelt es sich um mittelalterliche Handschriften, von denen CD-A 1 (aus dem 10. Jh.) das SGI in CD n,17b-IV,12a bezeugt. Aus der Menge der Qumranfragmente, die Teile der Damaskusschrift überliefern, sind für das SGI maßgeblich: 4Q266 Frgm. 2 Kol. II; III; Frgm. 3 Kol. I; 4Q269 Frgm. 2; 4Q270 Frgm. 1 Kol. I; II (die Auflistung folgt der maßgeblichen Edition von Baumgarten; vgl. die dortige Übersicht: Baumgarten, Damascus Document 3). 27

Die Forschungsdifferenzen in Bezug auf die Entstehung der Damaskusschrift lassen sich daraufreduzieren,ob man eine Quellenscheidungs-Theorie mit der Rückführung des Grundbestandes auf vorqumranische oder qumranische Herkunft vertritt oder für die Einheit des gesamten Textes plädiert. Davon hängt freilich auch ab, mit welcher Entstehungszeit man für das SGI rechnet. Die meisten Exegeten meinen, daß die Komposition der Damaskusschrift um 100 v.Chr. erfolgte. Dafür plädieren Dimant, Literature 490 und H. Stegemann, Essener 165f. Lange (Lichtenberger/Lange, Art. Qumran 60) weist daraufhin, daß CD zwischen 110 und 71 v.Chr. entstanden sein müsse. Die Qumranfragmente geben Hinweise auf den terminus ante quem: 4Q266 ist in die erste Hälfte oder die Mitte des 1. Jh. v.Chr. zu datieren (Baumgarten, Damascus Document 30); 4Q269 in das späte 1. Jh. v.Chr. (Baumgarten, Damascus Document 124) und 4Q270 in das frühe 1. Jh. n.Chr. (Baumgarten, Damascus Document 140). Für vorqumranische Herkunft des Grundbestandes der Damaskusschrift - und damit des SGI - tritt z.B. H. Stegemann, Entstehung 21f. ein, der vor-essenische Gemeindeordnungen integriert sieht (vgl. H. Stegemann, Essener 165); vgl. Murphy O'Connor, Document, der den Grundbestand in der östlichen Diaspora entstanden sieht. Ähnlich Davies, Damascus 198-204, der auf die Wurzeln in der priesterlich exilischen Literatur hinweist. Das Werk sei demzufolge in der östlichen Diaspora entstanden, und die Qumrangemeinde habe nur noch kleinere Überarbeitungen und Einfügungen vorgenommen. Zur Kritik an dieser Perspektive vgl. Dimant, Literature 494-497, die den ganzen Text als Einheit betrachtet. Eine qumranische Herkunft des Grundbestandes nehmen die meisten Exegeten an; z.B. Knibb, Qumran 14-17, der auch auf die qumranische Perspektive des SGI hinweist.

52

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

die ,Söhne' (DOS - CD II,14)28 bzw.,Bundesmitglieder' (ΓΡ~ΰ ' J O ^D - CD II,2)29 richtet. Zu Beginn dieser weisheitlichen Lehrrede ist ein Summarium der Geschichte Israels zu finden, das die Zeit vom Fall der Engel bis hin zu den eschatologischen Ereignissen umfaßt (CD II,17b-IV,12a). Diesem SGI steht eine Einleitung voran, die den Text durch eine Aufforderung zum Hören als Rede ausweist (CD II, 14a) und in der der mahnende Charakter der Rede betont wird (CD II,14b—17a). CD II,17a fungiert als Überleitung zur Geschichtsdarstellung, insofern hier darauf verwiesen wird, daß sich viele Gestalten der Geschichte Israels falsch verhalten haben. Das falsche Verhalten und dessen Konsequenzen sind dann auch Thema des ersten Teils des SGI, in dem verschiedene Gruppen vom Fall der Engel bis hin zum Exil als Negativbeispiele benannt werden (z.B. die Flutgeneration, die Nachkommen Noahs, die Jakobssöhne und die Wüstengeneration - CD II, 17b—III,9),30 ehe in einer Zusammenfassung die Vernichtung der ,zuerst in den Bund Eingetretenen' festgehalten wird (CD 111,9-12a). Im zweiten Teil des SGI steht das Geschick derer im Mittelpunkt, ,die an den Geboten Gottes festhalten'

m s n a B o t n i a ) und mit denen Gott den ewigen

Bund aufrichtet (CD III,12b—13). Ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird im Gegensatz zu den Gruppen des ersten Teils positiv dargestellt (CD III,12b-IV,12a).31 Ziel des SGI ist es folglich, Beispiele für das Abirren von Gottes Willen und das Verlassen des Bundes ebenso aufzuzeigen wie Beispiele für das gottgemäße Verhalten durch die Bewahrung von Gesetz und Tempel. 28

Murphy-O'Connor, Document 204f., der in CD II,14-VI,1 ein ursprünglich an NichtMitglieder gerichtetes Missionsdokument erkennt, das später überarbeitet worden sei, sieht in den Söhnen .outsider'. Murphy O'Connors Beschreibung hält Davies, Damascus 76f. für korrekt, variiert aber dessen These insofern, als er das SGI als Katechese derer ansieht, die „initiates in the process of making their choice" (a.a.O. 77), worin er auch die Funktion der gesamten Mahnrede erkennt. 29 Vgl. die in CD 1,1 f. benannten Adressaten: ,alle, die ihr Gerechtigkeit kennt und die Taten Gottes achtet'. 30 Neben den Negativbeispielen werden Abraham sowie Isaak und Jakob als .Freunde' ( Ü ' S m X ) Gottes bezeichnet und fungieren somit als Positivbeispiele (CD 111,2-4). Leider sind bei der Qualifizierung Abrahams die ersten beiden Konsonanten von 3ΠΊΚ in CD m,2 unleserlich - vgl. Qimron, Text 14f. (auch in 4Q266 Frgm. 2 Kol. Π sind sie nur fragmentarisch erhalten vgl. Baumgarten, Damascus Document 37), aber der Begriff kann aus der leserlichen Qualifizierung Isaaks und Jakobs als .Freunde Gottes' in m,3f. erschlossen werden. 31

Die Scheidung des SGI in zwei Teile wird dadurch signalisiert, daß CD III, 12b „a clear break in the sense of the document" darstellt (Brooke, Exegesis 205; vgl. Lichtenberger, Studien 152). Campbell, Use 67-69 weist auf den mit dem Bruch verbundenen .change of emphasis' in CD m,12ff. hin. Das SGI endet in CD IV,12a, und es folgt eine stärker auf das Gesetz zielende Erörterung (mit Davies, Damascus 77f.).

Einführung in die Texte

53

Zugleich wird damit eine Distanzierung von den .zuerst in den Bund Eingetretenen' deutlich, und die Legitimität der Bundeszugehörigkeit der Gesetzestreuen erwiesen, die als Nachfahren v o n Abraham, Isaak und Jakob dargestellt werden. 32 Die Kohärenz des SGI ist in der Forschung nur von Murphy O'Connor und den ihm folgenden Exegeten bestritten worden, 33 w a s mit deren grundsätzlicher Hypothese zur Entstehung der Damaskusschrift erklärt werden kann. 34

1.1.6

Josephus,

Kritische

Bell5,379-412

Edition

Griechischer Text:15 N I E S E , BENEDICTOS (Hg.): Flavii Josephi Opera, Bd. 6, De Bello Iudaico Libros VII, Berlin 1895 (Nachdruck 1955), 486-491. In Bell 5 berichtet Josephus von der Belagerung Jerusalems durch Titus, die er auf der Seite der Römer miterlebt. 36 Er schildert, w i e er selbst - auf den Mauern

32

Hier legitimiert sich die Qumrangemeinde, indem ihre Entstehung beschrieben wird (vgl. Schwarz, Damaskusschrift 79-82; Lichtenberger, Studien 152; Campbell, Use 67-70). Knibb, Qumran 33 erachtet „the founding of the Essene movement" als das Thema von CD IÜ,12b-IV,12a und hält diese .Gründung' fur „the climax of history". 33 Murphy-O'Connor versucht die vorqumranische Herkunft von CD n,14-VI,l zu erweisen und geht davon aus, in einer zweiten Phase (der Adaption des Textes) seien Glossatoren und Interpolatoren am Werk gewesen (vgl. Murphy-O'Connor, Document). Er hält z.B. CD III,15b für eine Glosse (a.a.O. 208); CD III,17b-18a für eine Interpolation (a.a.O. 209) und CD rv,9b-12a für das beste Beispiel der Adressatenschaft von .outsiders' (a.a.O. 218). So interpretiert er schließlich CD II.14-VI.1 aus der Missions-Perspektive (a.a.O. 225). Ihm folgt mit leichten Änderungen Davies, Document 198-204. Allerdings läßt sich in CD IV,6 eine Textlücke erkennen, da dort ein Namenverzeichnis zu fehlen scheint; vgl. dazu Muiphy-O'Connor, Document 213-216 und Davies, Damascus 95-100. 34

S.o. S. 51 Anm. 27.

35

Deutsche Übersetzung: MICHEL, OTTO UND BAUERNFEIND, OTTO (Hg.): Flavius Josephus: De Bello Judaico. Der Jüdische Krieg. Griechisch und Deutsch, Bd. II/l, Buch IV-V, Darmstadt 1963, 168-173. 36 Das Bellum Judaicum hat Josephus am ehemaligen Wohnsitz Vespasians in Rom geschrieben (Vit 423), wobei auf eine verlorengegangene erste aramäische Fassung (etwa 75 n.Chr.) wenige Jahre später eine in das Griechische übersetzte und erweiterte Neuauflage erschien (zwischen 79 und 81 n.Chr.), die uns einzig erhalten ist (vgl. Schreckenberg, Art. Josephus Sp. 771; Schreckenberg weist auch auf die Möglichkeit einer Spätdatierung um 100 n.Chr. hin). Auf dem Internationalen Josephus-Kolloquium 2000 in Amsterdam hat allerdings Etienne Nodet zu zeigen versucht, daß die slawische Übersetzung des Bellum Judaicum Zeuge für eine ältere Übersetzung in das Griechische sei, so daß wir zwei unabhängige Editionen des Bellum besäßen (Nodet, Jewish Features).

54

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

Jerusalems stehend - die Verteidiger der Stadt37 von der Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens überzeugen und zum Niederlegen der Waffen bewegen will. Zunächst versucht er es mit einer rein gegenwartsbezogenen Argumentation (die als indirekte Rede wiedergegeben wird - Bell 5,362-374). Dieses aber schlägt fehl und trägt dem Redner Beschimpfungen und Schmähungen von Seiten der Aufständischen ein (Bell 5,375). In einem zweiten Versuch greift er in einer direkt wiedergegebenen langen Rede (Bell 5,376-419) auf die .Ereignisse der Geschichte seines Volkes' (αϊ ομόφυλοι, ίστορίοα) zurück, welche deutlich von den vorherigen .offenkundigen Ratschlägen' (αϊ φανεραί συμβουλίαι.) abgegrenzt und als überzeugungskräftiger eingeschätzt werden (Bell 5,375). In dieser Rede ist ein Summarium der Geschichte Israels zu finden (Bell 5,379-412), dessen Vergangenheitsdarstellung die Zeit von Abraham bis hin zu Herodes dem Großen und dem römischen Feldherrn Sossius umfaßt (Bell 5,379-399). Die Darstellung der Vergangenheit ist dabei zweiteilig: Im ersten Teil werden Beispiele fur Gottes rettendes Handeln bei Waffenlosigkeit aufgezeigt (Bell 5,379-390), im zweiten Teil Beispiele für das Verderben des Volkes Israel bei Waffenanwendung (Bell 5,391—399).38 Darauf folgt ein Ausblick auf die gegenwärtigen Situation, und Josephus zieht Konsequenzen, indem er die Hörer scharf attackiert und für ihr Verhalten anklagt, wobei einzelne Rückgriffe auf die Vergangenheitsdarstellung vorgenommen werden (Bell 5,400-412). Die Rede - ein literarisches Produkt des Josephus und damit ein kohärenter Text39 - wird beendet mit Hinweisen darauf, wie die aussichtslose Lage der Aufständischen überwunden werden kann: Das Niederlegen der Waffen bringt die Rettung (Bell 5,413-419). Im Anschluß an die Rede des Josephus wird die Rettung der zu den Römern überlaufenden Juden (Bell 5,420-423) und die weitere Ruchlosigkeit der Aufständischen als Ursache der Zerstörung der Stadt beschrieben (Bell 5,424-445).

37

Sie werden von Josephus als .Aufständische' (στασιασταί) bezeichnet (Bell 5,420).

38

Inhalte, Aufbau und Zielsetzung des gesamten SGI werden weiter unten ausführlich diskutiert (s.u. III.4.2.3, S. 109-113). 39 Vgl. Michel, Rettung 945-947; 972f., der herausarbeitet, daß alle Reden im Bellum Judaicum literarische Produkte des Josephus sind, obwohl sie freilich historisches Material enthalten und nicht austauschbar sind. Lindner, Geschichtsauffassung 107f. hält den gesamten Abschnitt in Bell 5,360-445 für eine Komposition des Josephus.

Einführung in die Texte 1.1.7

55

Josephus, Ant 3,86-87

Kritische Edition Griechischer Text:*0 N I E S E , B E N E D I C T O S (Hg.): Flavii Josephi Opera, Bd. 1, Antiquitatum Iudaicarum Libri I-V, Berlin 1888 (Nachdruck 1955), 175. Innerhalb der Wiedergabe der Wüstenereignisse im Anschluß an den Exodus des Volkes Israel aus Ägypten in den Antiquitates (Ant 3^4)"' schildert Josephus die Situation des Gesetzesempfangs am Berg Sinai: Das Volk lagert am Berg, Mose steigt hinauf, und nach zwei Tagen erscheint ihm Gott im Sturm, worauf die .Hebräer"12 Angst bekommen und mit ihrer und des Mose Vernichtung rechnen (Ant 3,79-82). Nachdem sich der Sturm gelegt hat, erscheint Mose, und das Volk hofft auf Rettung (Ant 3,83). Mose ruft die Hebräer zur έκκλησία zusammen (Ant 3,84a) und beginnt eine Rede,43 mit der er das Volk auf den unmittelbaren Gesetzesempfang vorbereitet (Ant 3,84b-88), der anschließend erfolgt, indem Gott ohne Vermittlungsinstanz zum Volk spricht (Ant 3,89f.).44 In der Einleitung seiner Rede weist Mose die Hörer darauf hin, daß sie die Worte Gottes nicht aufgrund der Mittlerfunktion seiner eigenen Person geringschätzen sollten. Vielmehr sei an den Worten die Majestät Gottes erkennbar (Ant 3,84b-85). Das in der Rede zu findende Summarium der Geschichte Israels (Ant 3,86-87) wird eingesetzt, um diese Majestät zu erweisen und zu legitimieren.45 Es umfaßt die

40 Deutsche Übersetzung: CLEMENTS, HEINRICH: Des Flavius Josephus Jüdische Altertümer, Bd, 1, Buch I bis X, Wien 1899 (Nachdruck Wiesbaden 1993), 151-152. Diese aber ist häufig eher freie Paraphrase als korrekte Übersetzung. Hinzuweisen ist daher die neue englische Übersetzung von Feldman: FELDMAN, LOUIS H.: Judean Antiquities 1-4, Flavius Josephus. Translation and Commentary 3, hg. von Steve Mason, Leiden u.a. 2000, 252. 41 Die Antiquitates ('Αρχαιολογία - das ist der Titel, den Josephus diesem Werk gegeben hat; vgl. Vit 430; Ap 1,54) hat Josephus ebenso wie das Bellum Judaicum am ehemaligen Wohnsitz Vespasians in Rom geschrieben (Vit 423), die zwanzig Bücher sind allerdings etwa zwei Dekaden nach dem Erscheinen des Bellum Judaicum veröffentlicht worden (93/94 n.Chr.; vgl. Ant 20,267; dazu Schreckenberg, Art. Josephus Sp. 775). 42

Ε β ρ α ί ο ι ist die Bezeichnung des Volkes Israel.

43

Für diese Rede gibt es im Buch Exodus keinen Leittext, lediglich in Ex 19,3-6 (Verknüpfung von der Befreiung aus Ägypten und der Gebotseinhaltung mit Rettungsperspektive im Kontext der Dekalog-Verkündung) kann man den Anknüpfungspunkt für die Rede des Mose erkennen (vgl. auch die Verknüpfung von Rekurs auf Geschichtstaten Gottes und Gebotseinhaltung mit Rettungsperspektive im Kontext der Dekalog-Verkündung in Dtn 4,37-40). Nodet, Antiquités 160 Anm. 1 meint, das SGI „développe la .lacune' entre Ex 19:25 et 20:1". 44

Josephus gibt den Dekalog paraphrasiert wieder (Ant 3,91f.). Nur der Dekalog aber ergeht ohne Vermittlung des Mose direkt an das Volk, alle weiteren Gebote vermittelt Mose (Ant 3,93ff.). 45 Damit liegt hier eine Wiedergabe der biblischen Überlieferung vor, die im Kontext des gesamten Werkes des Josephus eine Ausnahme darstellt. Vgl. Feldmans Rezension zu Lindner:

56

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

Zeit von Adam bis hin zur gegenwärtigen Situation am Sinai. Hier wird die Stetigkeit des rettenden und gebenden Handelns Gottes dargestellt. Dabei handelt es sich in einem ersten Teil um die Rettungstaten Gottes zugunsten des Volkes (von den Plagen der Ägypter bis zur Versorgung Israels in der Wüste - Ant 3,86) und in einem zweiten Teil, der chronologisch hinter den ersten zurückgreift, um die Gnadentaten Gottes zugunsten einzelner Gestalten der Geschichte (von Adam bis Mose - Ant 3,87). Die unbezweifelbar einheitliche Rede schließt mit einer indirekten Ermahnung, in der Mose auf die positiven Folgen der Gebotserfullung hinweist (Ant 3,88). 1.1.8 Kritische

4Esr

14,29-33

Edition

Lateinischer Text:46 K L I J N , A L B E R T U S F. J. (Hg.): Der lateinische Text der Apokalypse des Esra, TU 131, Berlin 1983, 88-89.

Im Rahmen des vierten Esrabuches47 wird die Situation des Esra dreißig Jahre nach dem Untergang Jerusalems im babylonischen Exil fiktiv dargestellt. Zentral sind in der Schrift die sieben Visionen des Esra. In der siebten Vision, am Ende des Buches (4Esr 14,1-48), wird dem Esra seine bevorstehende Entrückung angekündigt (4Esr 14,9) sowie das schreckliche Ende der Welt (4Esr 14,15-17). Zu diesem Zweck soll er ein letztes Mal vor das Volk Israel treten und es ermahnen. Esra artikuliert daraufhin seine Sorge um die künftigen Generationen und bittet um Inspiration für eine Niederschrift des verbrannten Gesetzes zur Mahnung der Menschen (4Esr 14,18-22). Gott erteilt ihm sodann den Auftrag zur Mahnung und zum Niederschreiben des Gesetzes (4Esr 14,23-26), woraufhin Esra eine Ansprache vor dem versammelten Volk Israel hält - seine Abschiedsrede „in practice ... he [sc. Josephus] reworks Biblical episodes to diminish the role of G-d and of miracles" (Feldman, Modern Scholarship 434). In Ant 3,84b-88 ist dieser Sonderfall wohl mit der Legitimation des Gesetzes zu erklären. 46 Deutsche Übersetzungen: SCHREINER, JOSEF: Das 4. Buch Esra, in: Kümmel, Werner Georg u.a. (Hg.): Apokalypsen, JSHRZ V/4, Gütersloh 1981, 403; KLIJN, ALBERTUS F. J.: Die Esra-Apokalypse (IV. Esra), GCS, Berlin 1992, 108-109. Klijn bietet in seiner deutschen Übersetzung, die sich nicht nur auf den lateinischen Text stützt, eine instruktive Übersicht und Einführung in die syrische, äthiopische und georgische Übersetzung - a.a.O. XIV-XXXII. 47 Das vierte Esrabuch ist eine apokalyptische Schrift vom Ende des 1. Jh. n.Chr. Die Schilderung der fiktiven Situation im babylonischen Exil nach der Zerstörung Jerusalems ist wohl ein Hinweis auf 100 n.Chr. (dreißig Jahre nach der Zerstörung im Jahre 70 n.Chr.); vgl. Schreiner, Buch 301; Myers, I and II Esdras 129. Die Überlieferungsgeschichte des vierten Esrabuches ist schwierig. Es wird angenommen, daß der Urtext hebräisch oder aramäisch war. Dieser Urtext ist ins Griechische und später ins Lateinische sowie viele andere Sprachen übersetzt worden (vgl. Schreiner, Buch 295-297).

Einführung in die Texte

57

- (4Esr 14,27-36),48 in der ein Summarium der Geschichte Israels zu finden ist (4Esr 14,29-33).4® Dieses SGI umfaßt die Zeit vom Ägyptenaufenthalt bis zum Exil als der gegenwärtig bedrückenden Situation. Dabei folgt auf die Vergangenheitsdarstellung (4Esr 14,29-32) eine Aktualisierung, in der die Situation in .Babylon' aufgegriffen wird (4Esr 14,33). In der Vergangenheitsdarstellung geht es zentral um Gottes gute Taten und Gaben zugunsten des Volkes (Exodus, Gesetzesgabe und Landgabe) und das Fehlverhalten Israels, das ursächlich für die ,Rücknahme' der göttlichen Gaben ist. Damit wird die gegenwärtige Notlage erklärt. Das SGI ist ein kohärenter Text; der Verfasser des vierten Esrabuches hat zwar deuteronomistisches Traditionsgut aufgenommen, im übrigen aber „selbständig formuliert".50 1.2 Summarien der Geschichte Israels in Gebeten Die Gebete, in denen Summarien der Geschichte Israels zu finden sind, haben recht verschiedene Funktionen. Es handelt sich bei ihnen um ein Darbringungsgebet (Dtn 26), ein Bußgebet (Neh 9), zwei Bittgebete (3Makk 2; 6) und ein Gebet mit klagenden Elementen (4Esr 3). Zwar wird stets direkt zu Gott geredet, aber der Beter ist dabei keineswegs immer allein (das ist nur in Dtn 26 und 4Esr 3 der Fall). Bei dem Blick auf die Verbindung zwischen Funktion und Stoffauswahl zeigt sich, daß die SGI ganz auf den Kontext und ihre Funktion darin gestaltet worden sind. Dem entspricht auch die Verwendung der biblischen Überlieferung, die - vornehmlich durch Anspielungen - bearbeitet und integriert wird. Selbst das einzige Zitat in Neh 9,18 (Ex 32,4) ist entscheidend verändert.5'

48

Brandenburger, Verborgenheit 102 betont den Testamentscharakter der gesamten siebten Vision, da er meint, es gehe nach dem vorherigen Abschluß des Offenbarungsgeschehens um „die rechte Bewahrung und Tradierung der gehörten und geschauten eschatologischen Weisheit und die Einstimmung Israels auf dies Vermächtnis des apokalyptischen Propheten Esra. Der ganze Abschnitt visio 7 hat in diesem Sinne einheitlichen Testamentscharakter." (a.a.O. 102; Hervorhebung im Original; vgl. 115; 135; vgl. Harnisch, Prophet 470). 49

Im Anschluß an die Rede wird Esra inspiriert und das Gesetz emeut niedergeschrieben. Im Rahmen der Rede und des SGI wird folglich ein Gesetzesempfang geschildert. 50 Brandenburger, Verborgenheit 135; vgl. seine Erörterungen zur Kohärenz der gesamten siebten Vision (a.a.O. 133 mit Anm. 126). 51

Newman, Nehemiah 113-115 ist es wichtig zu zeigen, daß der Verfasser das biblische Material bewußt für die Verwendung in diesem Gebet ausgewählt und interpretiert hat. Grundsätzlich ist - wie oft betont wird - der deuteronomistische Einfluß auf Neh 9 hervorzuheben, der Verfasser greift jedoch auch auf priesterliches Material zurück.

58

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

1.2.1

Dtn

26,5aß-10a

Kritische Editionen Hebräischer Text: E L L I G E R , K A R L / R U D O L P H , W I L H E L M (Hg.): Biblia Hebraica Stuttgartensia, 2., verb. Aufl., Stuttgart 1984, 331. Griechischer Text: W E V E R S , J O H N W I L L I A M (Hg.): Deuteronomium, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum, Bd. 3,2, ed. auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis, Göttingen 1977, 281-282. Dtn 26 enthält zwei .liturgische Anhänge' zum Buch Deuteronomium, das insgesamt die Fiktion einer Moserede darstellt. Mose übermittelt in Kap. 26 liturgische Anweisungen zu den Themen der Erstlingsfrüchte und des Zehnten an nichtpriesterliche Israeliten und an Priester. Das Summarium der Geschichte Israels in 26,5aß-10a ist in einem Gebet zu finden, das ein israelitischer Bauer sprechen soll, der zum ersten Mal im verheißenen Land eine Ernte einbringt.52 Dabei handelt es sich um ein ,Darbringungsgebet',53 das freilich auch bekenntnishaften Charakter hat.54 Das SGI umfaßt die Zeit von Jakob, der nur als , Vater' bezeichnet wird, bis zur Landgabe bzw. zum Erstanbau im Land.55 Im Mittelpunkt stehen keine Personen, sondern nur das Volk, mit dem sich der Beter in Bezug auf die Geschichte in Gemeinschaft weiß. Zwar bezeichnet er Jakob als ,meinen Vater', handelt in der Folge aber von .unseren Vätern'. Zentrales Thema des SGI ist der Landbesitz. Dtn 26,6-9 ist zweifellos kohärent, Dtn 26,5.10a ist aber einer anderen Schicht zuzurechnen, da unterschiedlicher Sprachstil und ein Numerus-

52 Zweifellos stammt das SGI in Dtn 26 aus Palästina, die Datierung ist allerdings umstritten. Aufgrund der These Gerhard von Rads, der diesen Text als das .kleine geschichtliche Credo' bezeichnete, galt er lange Zeit als sehr alt, von Rad selbst sah in ihm sogar die Keimzelle des Hexateuch (von Rad, Problem 11-16; vgl. von Rad, Theologie 1, 135 und von Rad, Buch 113). Seit der Untersuchung von Leonhard Rost hat sich hingegen in der neueren Forschung eine Spätdatierung weitestgehend durchgesetzt. Das SGI ist demnach von deuteronomistischer Hand entweder kurz vor oder zu Beginn des Exils formuliert worden (Rost, Credo 13f.; 17f.; vgl. N. Lohfink, Credo insgesamt [jüngst bekräftigt in N. Lohfink, Deuteronomium 35]; Mathias, Geschichtstheologie 26f. und Kreuzer, Frühgeschichte 150-156.160). 53

N. Lohfink, Credo 282f. bezeichnet den Text von seinem Ursprung in Dtn 26,5aß.l0a her insgesamt als „Darbringungsgebet", wobei er allerdings die deuteronomistische Erweiterung 26,5ay-9 der Form nach als „Glaubensbekenntnis" tituliert. Immerhin sieht er im Endtext aber wohl wieder die Form des „Darbringungsgebetes" im Vordergrund (vgl. seine Überschrift IX. a.a.O. 283; vgl. auch N. Lohfink, Heilsgeschichte 80). 54

In der älteren Forschung ist der Text als „Bekenntnis"/„Credo" bezeichnet worden (so von Rad, Theologie 1, 136). Auch heute noch gibt es Forscher, die in ihm zuerst ein „Dankbekenntnis" erkennen (so Kreuzer, Frühgeschichte 157). 55 Wenn man in .diesem Ort' (Dtn 26,9) mit N. Lohfink, Credo 284 einen Bezug auf den Jerusalemer Tempel erkennt, dann reicht die Darstellung gar bis in die Zeit David und Salomos.

Einfuhrung in die Texte

59

Wechsel des Subjekts zu erkennen ist. 56 D a s SGI ist demnach in z w e i Stufen entstanden, indem Dtn 2 6 , 5 a y - 9 mit einem älteren Rahmen 26,5aß.lOa verknüpft worden ist." Einheitlich hingegen ist das Pendant zu dem SGI in Dtn 26, nämlich die Geschichtsdarstellung in der Belehrung eines Vaters gegenüber seinem Sohn in Dtn 6 , 2 1 a ß - 2 5 . D i e eigentliche Darstellung der Geschichte (Dtn 6 , 2 1 - 2 3 ) tritt in diesem Text jedoch hintet die Herleitung der Gesetze Gottes bzw. die Ermahnung zur Beachtung der Gesetze zurück (Dtn 6,24f.).

1.2.2 Kritische

Neh 9,6-31

/2Εσδ

19,6-31

Editionen

Hebräischer Text: ELLIGER, K A R L / R U D O L P H , W I L H E L M (Hg.): Biblia Hebraica Stuttgartensia, 2., verb. Aufl., Stuttgart 1984, 1446-1449. Griechischer Text: H A N H A R T , R O B E R T (Hg.): Esdrae liber I I , Septuaginta. Vetus Testam e n t a n Graecum, Bd. 8,2, ed. auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis, Göttingen 1993, 203-211. Grundsätzlich muß vorausgeschickt werden, daß die Fassung des M T und die der L X X nicht nur inhaltlich voneinander abweichen, sondern auch in B e z u g auf die Kapitelzählung und die Bezeichnung des biblischen Buches, in dem sie stehen. Während das hebräische Buch den Titel ΓΤΌΠ3 trägt (abgekürzt: N e h ) und das SGI im 9. Kapitel steht, 58 ist der griechische Titel Ε σ δ ρ α ς β' (abgekürzt: 2 Ε σ δ ) ,

56

Man achte auf die Differenz der Perspektive auf Gott: Während in Dtn 26,5-9 Gott eine Größe ist, über die gesprochen wird (3. Person Singular), ist er in Dtn 26,10a eine Größe, die angesprochen wird (2. Person Singular). 57

Hatte noch von Rad (Theologie 1, 135) Dtn 26,5-9 als einen .alten' Text, nämlich das .kleine geschichtliche Credo' begriffen, so gilt seit der Untersuchung von Rost der Hauptteil des SGI als jünger denn die Rahmung. Exemplarisch sei auf zwei Modelle hingewiesen: Rost, Credo 12f. kommt aufgrund einer sprachlichen Untersuchung zu dem Schluß, daß deuteronomistische Formulierungen vorherrschen, und zwar von den Händen, die auch die Rahmenreden des Dtn und die Baruchbiographie des Jeremía gestaltet haben (a.a.O. 13). Er schlägt deshalb vor, den .geschlossenen Geschichtsaufriß' Dtn 26,6-9 (a.a.O. 16) als .bekenntnisartige Epitome' einem Verfasser zuzuschreiben, der dieselbe „in die ältere Formel, die in Dt 26,5.10 vorliegt", eingefügt habe (a.a.O. 17). Ähnlich wie Rost argumentiert auch Kreuzer, Frühgeschichte 150-156.160. N. Lohfink, Credo 267-269 weist auf den Numeruswechsel des Subjekts hin und schließt von daher auf zwei verschiedene Autoren. Er sieht in Dtn 26,5aß und 26,10a einen älteren Text, in den Dtn 26,5ay-9 eingefügt worden sei (a.a.O. 269-271). Dabei seien 26,5ay-9 „neu fllr diesen Zusammenhang formuliert" worden (a.a.O. 271), und zwar von deuteronomistischer Hand (a.a.O. 281f.). 58 Die Datierung von Neh 9 ist umstritten, sicher ist nur, daß es sich nicht um die Zeit des Esra handeln kann (vgl. Myers, Ezrah 170). Datiert werden kann Neh 9 entweder in die Zeit des Chronisten (Kellermann, Nehemia 35 hält den Chronisten für den letzten Bearbeiter des Gebetes)

60

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

und das SGI steht im 19. Kapitel. Trotz dieser Differenzen ist der unmittelbare Kontext identisch, auf die Gesetzesverlesung durch Esra und die Feier des Laubhüttenfestes ( N e h 8 / 2 Ε σ δ 18) folgt ein Fasttag, währenddessen ein Bußgebet gesprochen wird ( N e h 9 / 2 Ε σ δ 19), ehe sich das V o l k zur Gesetzesbeachtung verpflichtet (Neh 1 0 / 2 Ε σ δ 20). 5 9 D a s Summarium

der Geschichte

Israels

(Neh

9 , 6 - 3 1 / 2 Ε σ δ 1 9 , 6 - 3 1 ) findet sich in d i e s e m B u ß g e b e t des V o l k e s an Gott, dessen Sprecher das gesamte Volk (MT) bzw. Esra ( L X X - vgl. 2 Ε σ δ 19,6) ist. D i e Darstellung der Geschichte Israels umfaßt die Zeit von der Erwählung Abrahams bis zur Gegenwart der Zerstreuung bzw. Fremdherrschaft im eigenen Land und ist bestimmt durch den schematischen Wechsel zwischen guten Taten Gottes und d e m Ungehorsam des V o l k e s . Zunächst wird in z w e i Teilen v o n guten Taten Gottes berichtet (Neh 9 , 6 - 1 5 . 1 9 - 2 5 ) , die lediglich durch eine Episode des Ungehorsams (das Goldene Kalb als Paradigma des Ungehorsams - N e h 9 , 1 6 - 1 9 ) durchbrochen werden, ehe die Geschichtsschreibung knapp und rein schematisch wird, indem von den konkreten Etappen abstrahiert wird und alles Gewicht auf dem Schema liegt. D a s SGI ist kein kohärenter Entwurf, sondern weist Glossen und Dubletten auf. 60

- wobei wiederum strittig ist, wann dieser anzusetzen ist - oder in die Phase eines .nachchronistischen Ergänzers' aus der chronistischen Schule (so Gunneweg, Nehemia 120f., der meint, Neh 9 stamme eventuell aus hellenistischer Zeit, da sich hier schon negative Erfahrungen mit der Obrigkeit spiegelten - a.a.O. 31; vgl. 121; 129; der Text sei mithin eines der jüngsten Stücke im Alten Testament). Daneben wird auch eine Frühdatierung vertreten: Boda, Praying 189-195 datiert das Gebet aufgrund der Affinität mit Sach 1-8 in die frühpersische Periode. Auch Blenkinsopp, Nehemiah 307f. datiert das Gebet in diese Phase. 59 Besonders der Übergang zwischen Kap. 8 (Freude) und 9 (Buße), aber auch der von Kap. 9 zu 10 haben in der Forschung dazu geführt, literarkritische Lösungen zu suchen. Exemplarisch sei auf Myers, Ezrah 165-170 hingewiesen. Er hält das Bußgebet für einen Fremdkörper im Kontext und sieht es ursprünglich hinter Esr 9-10. Bereits Kellermann, Nehemia 32-37 hat aber gezeigt, daß der Anschluß von Kap. 9 an Kap. 8 sinnvoll ist, und heute werden eher die Differenzen zwischen Esr 7-10 und Neh 8-10 herausgearbeitet, und eine Versetzung von Neh 9 wird für unnötig erachtet (vgl. Steins, Bücher 178). Eine interessante Lösung hat Gunneweg, Nehemia 118-121 vorgeschlagen, indem er Kap. 9 als nachchronistische Fortschreibung des chronistischen Werkes betrachtet. Der Verfasser sei ein ,Ergänzer', der Israel nicht allein durch die Rückwanderung konstituiert sehe, sondern durch das Trennen vom Fremden, das Bekenntnis von Schuld und Tun der Buße (a.a.O. 120f.), was „trotz aller Anknüpfung ... eine wesentliche und theologisch sehr beachtliche Korrektur" der chronistischen Theologie sei (a.a.O. 121). 60 Vgl. dazu Kellermann, Nehemia 32-34, der an Neh 9,3 Anstoß nimmt und diesen Vers für eine Glosse erachtet. Im übrigen hält er Neh 9,16-21 für eine Dublette zu 9,6-15 und 9,29f. für eine Dublette zu 9,26-28 (a.a.O. 34). Schwierigkeiten bereitet auch Neh 9,14, das wohl eine Dublette zu 9,13 ist, um Mose einzuführen (vgl. Neh 10,30, wo allein die Gabe durch Mose betont wird). Gunneweg, Nehemia 126 hingegen sieht in Neh 9,14 einen Bezug der erwähnten Gebote usw. auf die einzelnen Sabbatobservanzen und erklärt damit die Doppelung.

Einfuhrung in die Texte

1.2.3 Kritische

3Makk

61

2,4-12

Edition

Griechischer

Text:61

HANHART, ROBERT

(Hg.): Maccabaeorum liber

III,

Septuaginta.

Vetus Testamentan Graecum, Bd. 9,3, ed. auctoritate Societatis Litterarum Gottingensis, Göttingen 1960, 4 5 - 4 6 . D a s s o g e n a n n t e dritte Makkabäerbuch 6 2 ist in z w e i T e i l e z u g l i e d e r n , deren erster die Kapitel 1 - 2 umfaßt. T h e m a d i e s e s ersten T e i l s ist der V e r s u c h des P t o l e m a i o s , das A l l e r h e i l i g s t e d e s Jerusalemer T e m p e l s z u betreten, w o r a n er durch G o t t e s E i n g r e i f e n a u f e i n G e b e t d e s Hohenpriesters S i m o n hin ( 3 M a k k 2 , 2 - 2 0 ) 6 3 abgehalten wird. In d i e s e m Gebet, das den letzten V e r s u c h der demora-

61

Deutsche Übersetzungen: KAUTZSCH, EMIL: Das sogenannte dritte Buch der Makkabäer, in: ders. (Hg.): Die Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments, Bd. 1, Die Apokryphen des Alten Testaments, Tübingen 1900, 123-124; RIESSLER, PAUL: Altjüdisches Schrifttum ausserhalb der Bibel, Augsburg 1928 (Nachdruck Freiburg u.a. 1979), 684-685. Eine neuere englische Übersetzung: ANDERSON, H U G H : 3 Maccabees. A new translation and introduction, in: Charlesworth, James H. (Hg.): The Old Testament Pseudepigrapha, Bd. 2, New York u.a. 1985, 519. 62 Da es sich um die fiktive Darstellung zweier Ereignisse unter Ptolemaios IV. Philopator (221-204 v.Chr.) handelt, ist der Titel ,3Makk' tatsächlich irreführend (vgl. Hadas, Third Maccabees 4f.; Anderson, 3 Maccabees 512f., die den Titel zu Recht für einen .misnomer' halten). Dieser hellenistische Roman mit nur wenig Anhalt an der wirklichen Historie (vgl. Nickelsburg, Stories 80, der von .„pathetic' history" spricht und Collins, Athens 104, der 3Makk wie folgt beschreibt: „a melodramatic account of two alleged episodes in the career of Ptolemy IV Philopator") ist in Ägypten, wohl in Alexandria entstanden (eine ausführliche Diskussion bei Hadas, Third Maccabees 8-12; 22f.; vgl. Anderson, 3 Maccabees 512). Die Vorschläge für die Datierung von 3Makk decken den Zeitraum von 130 v. - 70 n.Chr. ab (vgl. Dorival, L'achèvement 111). Im einzelnen schlägt Anderson, 3 Maccabees 512 aufgrund von Analogien zu 2Makk und Arist eine Frühdatierung vor. Auch Williams, 3 Maccabees 24 möchte etwa 100 v.Chr. als Abfassungszeit annehmen, während Hadas, Third Maccabees 21 wegen der Bezüge zu einem Census fur 25/24 v.Chr. plädiert. Tromp, Formation 325f. visiert die Zeitenwende an; Collins, Athens 105f. die Zeit von Caligula (wegen des negativen Herrscherbildes von 3Makk - a.a.O. 108f.). Nickelsburg, Stories 83 vertritt eine Spätdatierung, und aufgrund der Abhängigkeit des 3Makk vom Esterbuch sieht Kottsieper, Ester 132 mit Anm. 56 eine Datierung von 3Makk vor 50 v.Chr. für unmöglich an. 63

In Bezug auf den oder die Sprecher des Gebetes ist die handschriftliche Überlieferung gespalten: Haupt- und Untergruppe der lukianischen Rezension sowie die Codices 58 und 311 und die syrische Übersetzung bezeugen eine Version von 3Makk 2,1, in der der Hohepriester Simon als Beter vorgestellt wird (auch in den meisten Ausgaben - z.B. bei Rahlfs - und Übersetzungen wird dieses in den Text genommen). Die Rezension q (mit kleineren Varianten bei Minuskelhandschriften 71 und 74) und ähnlich auch die armenische Übersetzung bezeugen für die Einleitung des Gebets: ,und sie sprachen einmütig'; d.h. hier liegt ein expliziter Verweis darauf vor, daß die Menge das Gebet spricht. Die Unzialhandschriften A und V, die Minuskelhandschriften 52, 55 und 771 lassen hingegen 3Makk 2,1 völlig aus, so daß bei diesen Handschriften kein Hinweis auf den Simon zu erkennen ist. Damit entsteht der Eindruck, die Menge spräche das Gebet (vgl. 3Makk 1,24.29). Für diese Variante entscheidet sich Hanhart in

62

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

lisierten jüdischen Bevölkerung darstellt und das in absoluter Notsituation gesprochen wird,64 ist ein Summarium der Geschichte Israels zu finden (3Makk 2,4-12). In diesem SGI, das die Zeit von den .Giganten' bis zur Gegenwart des Beters umfaßt, geht es grundsätzlich um das Handeln Gottes an Menschengruppen, und zwar um das strafende oder rettende Handeln Gottes, mit dem dieser auf das menschliche Verhalten reagiert. Dabei ist neben einer inclusio durch Generalisierungen in 3Makk 2,4.12 eine deutliche Zweiteilung zu erkennen: In 3Makk 2,4-7a werden Nicht-Israeliten als negative Beispiele, in 3Makk 2,7b-12 Israeliten als positive Beispiele benannt. Es ist dabei das Ziel der Geschichtsdarstellung, aufzuzeigen, daß Gott zugunsten derer rettend eingreift, die ihn betend anrufen. Diese Konzentration auf das Gebet steuert die Stoffauswahl, so daß z.B. weder Noah noch Lot als Gegenbeispiele der erwähnten Giganten bzw. Sodomiter einbezogen werden. In den biblischen Leittexten fehlt nämlich in Bezug auf beide die Verbindung von Gebet und Gotteshandeln. Das SGI selbst ist zweifellos kohärent, was nicht zuletzt der planvolle Aufbau signalisiert. Fraglich ist lediglich, ob es im literarischen Kontext einen Fremdkörper darstellt, der erst später in einen bestehenden Zusammenhang eingefugt worden ist.65 Das Gebet ist aber, wie angedeutet werden konnte, in besonderer Weise auf den Kontext hin konstruiert, und jener Kontext beeinflußt so auch die Stoffauswahl.66 Im Aufriß der gesamten Schrift steht das SGI an entscheidender Stelle und hat hier eine bedeutende Funktion.67

seiner kritischen Edition. Camponovo, Königtum 196 Anm. 63 meint, der Vers müsse früh ausgefallen sein, „wenn er nicht überhaupt gefehlt hat". 64 Zuvor haben folgende Maßnahmen nicht zum Erfolg geführt: ein Gebet der Priester (3Makk 1,16); Klagen der Jungfrauen (1,18); Zusammenlaufen des Volkes (1,17-24) samt vieler Gebete (1,21-24) und die Intervention der Ältesten (1,25). 65 Hadas, Third Maccabees 70 meint sowohl im Gebet des Simon als auch im Gebet des Eleazar (3Makk 6,2-15) eine einfachere Sprache als im Kontext zu erkennen und erachtet beide Texte für „plainly Jewish in form and language, and perhaps a direct translation from a Heb. original". Auch Kottsieper, Ester 13If. meint, daß das Gebet des Simon problemlos aus dem jetzigen Kontext herausgelöst werden könne und Assoziationen an das Esterbuch wecke. 66

Vgl. z.B. die Verwendung von θρασύς, welche die Typologie Pharao - Ptolemaios deutlich werden läßt. Dieses Motiv ist integrales Moment des Gebetes (3Makk 2,6) und erscheint auch im Kontext (3Makk 1,26; 2,2.14.21.26). 67 Vgl. zu dieser wichtigen Stellung auch Paul, Troisième livre 310, der zusammenfaßt: „Cette prière n'est pas une enclave littéraire. Dans la marche du récit de 3 M, elle manifeste une fonction narrative puissante, celle d'un embrayeur décisif et global."

Einführung in die Texte 1.2.4 Kritische

63

3Makk 6,4-8 Edition Text:68

HANHART, ROBERT (Hg.): Maccabaeorum liber I I I , Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum, Bd. 9,3, ed. auctoritate Societatis Litterarum Gottingensis, Göttingen 1960, 62-63.

Griechischer

3Makk 6 gehört in den zweiten Teil des sogenannten dritten Makkabäerbuches 69 (3Makk 3-7). Thema dieses Teils ist die geplante Vernichtung der ägyptischen Juden in Alexandria, die durch Gottes Eingreifen auf ein Gebet des Priesters Eleazar (3Makk 6,2-15) hin verhindert wird.70 In diesem Gebet, das wie das von 3Makk 2 den letzten Versuch der demoralisierten Juden darstellt und daß in absoluter Notsituation gesprochen wird,71 ist ebenfalls ein Summarium der Geschichte Israels zu finden (3Makk 6,4-8). In diesem stark paradigmatisch ausgerichteten SGI geht es grundsätzlich um das Handeln Gottes an Personen, und zwar um das strafende oder rettende Handeln Gottes als Reaktion auf das menschliche Verhalten. Dabei ist eine deutliche Zweiteilung zu erkennen: In 3Makk 6,4f. werden mit dem Pharao und Sanherib (Σενναχηρειμ) beispielhaft zwei negative Personen benannt, die getötet wurden, ehe sie das jüdische Volk vernichten konnten. In 3Makk 6,6-8 werden mit den drei Männern im Feuerofen, Daniel in der Löwengrube und Jona im Fischbauch positive Beispiele dafür benannt, daß eine Rettung auf ein Gebet zu Gott hin auch in auswegloser Lage möglich ist. Es ist folglich das Ziel der Geschichtsdarstellung, aufzuzeigen, daß Gott zugunsten derer rettend eingreift, die ihn betend anrufen. Diese Konzentration auf das Gebet steuert die Stoffauswahl. Das SGI selbst ist zweifellos kohärent, was nicht zuletzt der planvolle Aufbau signalisiert. Fraglich ist lediglich - wie im Fall des oben behandelten Gebetes in 3Makk 2 - ob es im literarischen 68 Deutsche Übersetzungen: KAUTZSCH, EMIL: Das sogenannte dritte Buch der Makkabäer, in: ders. (Hg.): Die Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments, Bd. 1, Die Apokryphen des Alten Testaments, Tübingen 1900, 131; RIESSLER, PAUL: Altjüdisches Schrifttum ausserhalb der Bibel, Augsburg 1928 (Nachdruck Freiburg u.a. 1979), 694-695. Eine neuere englische Übersetzung: ANDERSON, HUGH: 3 Maccabees. A new translation and introduction, in: Charlesworth, James H. (Hg.): The Old Testament Pseudepigrapha, Bd. 2, New York u.a. 1985, 526. 69 Zur Datierung und Verortung von 3Makk ist auf die obigen Erörterungen zum SGI in 3Makk 2 hinzuweisen (III.1.2.3, S. 61 Anm. 62). 70

Dabei handelt es sich um die Reaktion auf den dritten Versuch des Ptolemaios, die Juden im Stadion von Alexandria zu vernichten. Jeder dieser Versuche war von Gebeten der Juden begleitet gewesen, die die Vernichtung verzögert hatten (3Makk 5,7f. und 5,25), aber nicht endgültig verhindern konnten. 71

Zuvor haben folgende Maßnahmen nicht zum Erfolg geführt: ein Jammern und Wehklagen aller Juden (3Makk 5,49) und die Bitte um Erbarmen (5,50f.). Erst das Gebet des Priesters Eleazar, der die Gebete der Ältesten abweist (6,1), bringt die Rettung vor dem Tod.

64

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

Kontext einen Fremdkörper darstellt, der erst später in einen bestehenden Zusammenhang eingefügt worden ist. Hier gilt dasselbe, was in Bezug auf 3Makk 2 bereits ausgeführt worden ist: Das Gebet ist nämlich in besonderer Weise auf den Kontext hin konstruiert, der auch die Stoffauswahl beeinflußt. So nimmt das SGI in 3Makk 6 im Aufriß der gesamten Schrift ebenfalls eine entscheidende Stelle ein und hat eine bedeutende Funktion.72 1.2.5

4Esr 3,4b-33

Kritische Edition Lateinischer Text:11

K L I J N , ALBERTUS F .

J. (Hg.): Der lateinische Text der Apokalypse

des Esra, T U 131, Berlin 1983, 2 5 - 2 8 .

Im Rahmen des vierten Esrabuches wird die Situation des Esra dreißig Jahre nach dem Untergang Jerusalems im babylonischen Exil fiktiv dargestellt. Zentral ist der Bericht des Esra über seine sieben Visionen. Das dritte Kapitel7,1 setzt damit ein, daß Esra auf seinem Bett liegt und wegen der Zerstörung des Zion, des Überflusses der Babylonier und der somit .ungerechten' Lage verwirrt ist (4Esr 3,1 f.). In dieser verwirrenden und angstmachenden Situation (verba timorata - 4Esr 3,3) wendet er sich mit einem Gebet direkt an Gott (4Esr 3,4-36). 75 In diesem Gebet, das deutlich durch (an)klagende Elemente bestimmt ist,76 ist ein Summarium der Geschichte Israels zu finden (4Esr 3,4b-33). Es umfaßt die Zeit von der Schöpfung bzw. Adam bis zum Exil als der fiktiven Gegenwart des Beters. Dabei folgt auf die Vergangenheitsdarstellung (4Esr 3,4b-27) eine Aktua-

72 Verwiesen sei hier insgesamt auf die Ausführungen zu 3Makk 2 (s.o. III. 1.2.3, S. 61-62). 73

Deutsche Übersetzungen: SCHREINER, JOSEF: Das 4. Buch Esra, in: Kümmel, Werner Georg u.a. (Hg.): Apokalypsen, JSHRZ V/4, Gütersloh 1981, 312-316; KLIJN, ALBERTUS F. J.: Die Esra-Apokalypse (IV. Esra), GCS, Berlin 1992,5-10. Zu den weiteren antiken Übersetzungen vgl. o. III. 1.1.8, S. 56 Anm. 46). 74

Zur Datierung von 4Esr 3 sei auf die Erörterungen zu 4Esr 14 hingewiesen (s.o. III. 1.1.8, S. 56 Anm. 47). 75 Der Engel Uriel als späterer Gesprächspartner wird dabei noch nicht erwähnt, erst 4Esr 4,1-5,15 wird seine Antwort dargeboten (vgl. K. Koch, Vision 48f.). Auch die zweite und dritte Vision beginnen mit einer direkten Rede zu Gott, der jeweils die Sendung des Engels folgt (4Esr 5,23-30; 6,38-59). 76 Während Myers, I and II Esdras 108 den Text als Gebet bzw. „prayer complaint" bezeichnet (a.a.O. 159; 179) und K. Koch, Vision 49; 52 ihn für ein Gebet in der Form eines alttestamentlichen Klageliedes hält, bezeichnet Harnisch, Verhängnis 20ff. ihn als .kollektives Klagelied'. Schreiner, Buch 312 Anm. 4a erachtet nur 4Esr 3,4-27 für ein Gebet und 3,28-36 für eine Klage/Anklage Gottes. Brandenburger, Verborgenheit 170 teilt ebenso wie Schreiner auf, sieht aber beide Teile als .Eingangsklage' der ersten Vision.

Einführung in die Texte

65

lisierung, in der der Beter anhand diskursiver Fragen über seine Situation klagt (4Esr 3,28-33), ehe in einer Folgerung Gott zum Handeln aufgefordert wird (4Esr 3,34-36). In dem SGI werden Personen und das jüdische Volk gleichermaßen in den Mittelpunkt gestellt. Während einzelne Personen positiv dargestellt werden (Noah, Abraham, Jakob und David),77 werden die Massen durchweg negativ skizziert und dadurch deutlich von den Einzelpersonen abgehoben (vgl. auch 4Esr 3,36). Im Vordergrund der Geschichtsdarstellung steht die Konstanz menschlicher Boshaftigkeit (cor malignum - 4Esr 3,20.21.26), die sich an der Gesetzesübertretung von Adam an zeigt.78 Entscheidend ist, daß Gott die Boshaftigkeit zuläßt, obwohl er stets einen neuen Anfang macht, und daß er das Volk schließlich mit der Exilierung bestraft. So zeigt sich eine Zwangsläufigkeit der Sünde.79 Die Einheitlichkeit des SGI ist nicht zu bestreiten. Vergangenheitsdarstellung und Aktualisierung sind insofern miteinander verbunden, als in der Aktualisierung Rückbezüge auf die Vergangenheitsdarstellung und die Einleitung deutlich werden.80 Zudem enthalten beide Teile Elemente der Klage. 1.3 Summarien der Geschichte Israels in Hymnen oder Liedern Das Besondere der Summarien der Geschichte Israels in Hymnen und Liedern ist, daß die Sprecher anonym bleiben:8' Es handelt sich um Psalmisten (Ps 105; 106; 135; 136) oder Weise (Sir 44-50; Weish 10; LibAnt 32), die in der Regel mit dem Hymnus Gott loben und danken oder zu Lob und Dank auffordern. In Bezug auf die Einordnung in den Kontext muß bei den vier Psalmen bedacht werden, daß die ursprünglich selbständigen Hymnen erst sekundär gruppiert worden sind. Auffällig ist dabei, daß jeweils zwei hymnische Psalmen mit Summarium der Geschichte Israels nebeneinander gestellt worden sind (Ps 105 und 106; Ps 135 und 136).82 77

Betont wird Gottes gutes Handeln an diesen Personen. Negativ skizziert werden hingegen

Adam und Esaù. 78

Zentral sind im SGI Adam (4Esr 3,4b-7; vgl. 3,10.21.26) und die Gabe des Gesetzes

(4Esr 3,17-19.20-22). 79

Mit Hämisch, Verhängnis 50f., der aber ein .Anschwellen von Generation zu Generation' erkennt. Zwar legt 4Esr 3,12 so eine Annahme nahe, aber es ist die einzige derartige Aussage; vgl. nur das ,sicut' in 3,26a. Auch Thompson, Responsibility 280-282 vermag in Kap. 3 (und darüber hinaus - vgl. a.a.O. 286-288) kein „ever-increasing wickedness" (a.a.O. 282) zu erkennen. 80 Zur Kohärenz des Textes vgl. unten IV. 1.1.4, S. 133. 81 82

Lediglich in LibAnt 32 werden die Sänger/innen namhaft gemacht.

Vgl. dazu Zimmerli, Zwillingspsalmen 267-270, der darauf hinweist, daß die von verschiedenen Verfassern geschaffenen Ps 105 und 106 nicht zufällig nebeneinander stehen, sondern

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

66

Häufig setzen die SGI in der Väterzeit an83 und enden in der Gegenwart des Sängers. Dabei zeichnen sich die Texte weniger durch .Kurzaktualisierungen' innerhalb der Vergangenheitsdarstellung aus als vielmehr durch klar abgrenzbare Aktualisierungen vor oder nach dem SGI, in denen jeweils die Aufforderung zu Lob oder Dank erfolgt. Mit den SGI soll also begründet werden, warum Gott zu loben oder ihm zu danken ist, wobei in manchen Texten neben dem Erweis der Heilstaten Gottes auch die Untreue und der Ungehorsam des Volkes Israel thematisiert wird. Alle Texte setzen mindestens den Abschluß des Pentateuch voraus und greifen auf die dortige Geschichtsdarstellung zurück. 84 Dabei sind besonders die weisheitlichen Texte nicht so dicht am Wortlaut der biblischen Leittexte wie etwa die Psalmen oder das Summarium der Geschichte Israels in LibAnt 32. Bei Pseudo-Philo finden sich zudem nicht-eingeleitete Zitate (Ri 5,1 in LibAnt 32,1 und Mal l,2f.* in LibAnt 32,5). Auch wird nur im Liber Antiquitatum Biblicarum außerkanonisches Material verwendet. 85 1.3.1

Ps 105,7-44 /

Ψ104,7-44

Kritische Editionen Hebräischer Text: ELLIGER, KARL/RUDOLPH, WILHELM (Hg.): Biblia Hebraica Stuttgartensia, 2., verb. Aufl., Stuttgart 1984, 1185-1187. Griechischer Text: RAHLFS, ALFRED (Hg.): Psalmi cum Odis, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum, Bd. 10, ed. auctoritate Societatis Litterarum Gottingensis, 2., durchges. Aufl., Göttingen 1967, 261-264. Ps 105 ist deshalb als .Hymnus' zu bezeichnen, weil der Psalmist das Volk Israel ( 0 Π Ί 2 Ν Vit

/ Z l p y ' 3 2 „das Geschlecht Abrahams"/„die Söhne Jakobs"

- Ps 105,6) zunächst imperativisch zum Loben und Gedenken aufruft (Ps 105,1-6), ehe er die Taten Gottes und des Volkes summarisch darbietet. 86 Das in diesem Hymnus zu findende Summarium der Geschichte Israels (Ps 105,7-44) von einem Redaktor bewußt zusammengebunden worden sind. Dieser habe das Ineinander des Rühmens der Bundestreue Gottes und des Sündenbekenntnisses des Volkes betonen wollen. Zum Pro und Contra der planvollen Gestaltung des Psalters überhaupt vgl. die Auseinandersetzung zwischen Zenger, Psalter, 12; 35 und Gerstenberger, Psalter 12. 83 Mit Ausnahme von Ps 136, Sir 44-50 und Weish 10. 84 Vgl. in Bezug auf die Psalmen Mathias, Geschichtstheologie 137f. (Ps 105); H.-J. Kraus, Psalmen 900-902 (Ps 106); 1079 (Ps 136). 83 Z.B. über die Rettung Abrahams aus dem anvisierten Feuertod (LibAnt 32,1 als Rekurs auf LibAnt 6,3-18, aber ohne alttestamentliche Parallele). 80 Der Psalm wird von den meisten Exegeten in die exilisch-nachexilische Zeit datiert (vgl. Mathias, Geschichtstheologie 121, der selbst die nachexilische Zeit präferiert - a.a.O. 124).

Einführung in die Texte

67

umfaßt die Zeit vom Bundesschluß mit Abraham bis zur Wüstenzeit bzw. zur Gabe der Länder der Heiden an Israel.87 Im Zentrum stehen dabei die Taten Gottes für sein Volk und die verschiedenen ,Landerfahrungen' Israels: die Fremdlingschaft in Kanaan und Ägypten sowie die positiven Erfahrungen in der Wüste und bei der Inbesitznahme der heidnischen Länder. Die wichtigsten Personen sind Joseph (Ps 105,17-24)," sowie Mose und Aaron (Ps 105,26f.), die wichtigsten Ereignisse sind der Bund und die Verheißung an die Väter sowie die Plagen, die der Gott Israels den Ägyptern zufügt." Insgesamt soll mit dem SGI der Anspruch Israels auf das Land Kanaan mit der Landzusage Gottes (Ps 105,11) und deren Gültigkeit die Geschichte hindurch legitimiert werden. Das SGI ist nicht kohärent, da Ps 105,42-45 eine Einheit bilden und redaktionelle Einfügung sind.90 Darüber hinaus kann erwogen werden, ob nicht der Plagenteil (Ps 105,28-36) eine sekundäre Erweiterung darstellt." 1.3.2

Ps 106,7-46/Ψ

Kritische

105,7-46

Editionen

Hebräischer Text: E L L I G E R , K A R L / R U D O L P H , W I L H E L M (Hg.): Biblia Hebraica Stuttgartensia, 2., verb. Aufl., Stuttgart 1984, 1187-1189. Griechischer Text: R A H L F S , A L F R E D (Hg.): Psalmi cum Odis, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum, Bd. 10, ed. auctoritate Societatis Litterarum Gottingensis, 2., durchges. Aufl., Göttingen 1967, 265-269.

Ps 106 ist nicht so eindeutig als Hymnus zu bezeichnen wie Ps 105.92 In der für diese Frage wichtigen Einleitung (Ps 106,1-6) treten sowohl Elemente eines Hymnus als auch einer Klage auf, doch der hymnische Charakter des Psalms

87

Also von der Landverheißung bis zur Landgabe; vgl. Mathias, Geschichtstheologie 132.

88

Zur Josephdarstellung in Ps 105 vgl. u. V.l.1.1, S. 163f.

89

Man hat immer wieder traditionsgeschichtliche Erklärungsmuster für die Stoffauswahl gesucht (z.B. von Rad, Problem 62-64; H.-J. Kraus, Psalmen 892), aber Mathias, Geschichtstheologie 137 weist darauf hin, daß die Auswahl vielmehr von der jeweiligen Intention des Psalmisten abhängt, „sowie den zur Realisierung dieser Intention verwandten Deutungsmodellen für Geschichte". 90 Mit Mathias, Geschichtstheologie 118f., der auch auf die Inklusion von Ps 105,8-11 und 42-44 hinweist (a.a.O. 132). 91

Vgl. Mathias, Geschichtstheologie 119f.; 145. Ps 106 wird von den meisten Exegeten in die exilisch-nachexilische Zeit datiert (so z.B. H.-J. Kraus, Psalmen 901, der sich allerdings nicht festlegt, ob der Psalm in der Diaspora oder bei den .Daheimgebliebenen' verwendet wurde). Mathias, Geschichtstheologie 170-175 plädiert wegen Ps 106,46 für die nachexilische Zeit. 92

68

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

überwiegt: 93 D i e Psalmisten (vgl. das pluralische Subjekt) rufen zunächst zum Dank auf, ehe sie summarisch die Taten Gottes und das Verhalten des V o l k e s darbieten. Das in diesem Hymnus zu findende Summarium

der Geschichte

Israels

(Ps 1 0 6 , 7 - 4 6 ) umfaßt die Zeit v o m Ägyptenaufenthalt b z w . E x o d u s bis zu Zerstreuung und Exil. Im Zentrum steht zweierlei: der Erweis v o n Gottes Huld und Israels Schuld, 94 w a s besonders an dem Schema in Ps 1 0 6 , 4 3 - 4 6 erkennbar ist. 95 E x o d u s und W ü s t e n z e i t n e h m e n dabei den m e i s t e n R a u m e i n ( P s 106,7-12.13-33). D a s SGI ist ein im wesentlichen kohärenter Text, allenfalls die mittleren beiden K o l a von Ps 106,38 können als G l o s s e n ausgeschieden werden. 9 6 D i e literarische Integrität des gesamten Psalms ist hingegen nicht zu bestreiten. 97

1.3.3

Ps 135,5-12/Ψ

Kritische

134,5-12

Editionen

Hebräischer Text: ELLIGER, KARL/RUDOLPH, W I L H E L M (Hg.): Biblia Hebraica Stuttgartensia, 2., verb. Aufl., Stuttgart 1984, 1214-1215. Griechischer Text: RAHLFS, ALFRED (Hg.): Psalmi cum Odis, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum, Bd. 10, ed. auctoritate Societatis Litterarum Gottingensis, 2., durchges. Aufl., Göttingen 1967, 316. Ps 135 ist ein Hymnus, 9 8 in dem z u m Lob Gottes durch das V o l k aufgerufen wird. 99 Im A n s c h l u ß an die Aufforderung z u m Lob (Ps 1 3 5 , 1 - 4 ) bietet der 93 Im Gefolge Beyerlins (Beyerlin, nervus 55-57; 63f.) unterstreicht Mathias, Geschichtstheologie 175-178 den hymnischen Charakter des Psalms. H.-J. Kraus, Psalmen 900 möchte hingegen die doppelte Charakterisierung durch Hymnus und Buß-/Bittgebet betonen und siedelt den Psalm in der Bußliturgie/Klagefeier, also im .Festkult' an (so H.-J. Kraus, Psalmen 901 im Rückgriff auf B. Duhm). 94 Mit H.-J. Kraus, Psalmen 896; 906f.; so auch Mathias, Geschichtstheologie 206. 95 Es folgen aufeinander: Rettungstat Gottes - Widerspenstigkeit des Volkes - Not und Flehen - Erhören und Erbarmen Gottes. Insgesamt ist aber keine zyklische Struktur erkennbar (vgl. die Kritik von Mathias, Geschichtstheologie 180f. an J. Kühlewein und O. Loretz). 96 Vgl. Mathias, Geschichtstheologie 167-170 und H.-J. Kraus, Psalmen 899. 97

Abzutrennen ist Ps 106,48 als Schlußdoxologie des vierten Psalmenbuches. Den Widerspruch durch H. Gese hat Mathias, Geschichtstheologie 157-161 überzeugend zurückgewiesen (vgl. auch Zenger, Psalmen 247f.). Bisweilen hat man den ganzen Rahmen als sekundär ausgeschieden (so z.B. B. Duhm und O. Loretz - vgl. dazu Beyerlin, nervus 52-55; Mathias, Geschichtstheologie 165f.), aber im Gefolge Beyerlins, der den .nervus rerum' eben in Ps 106,1-3 erkennt (Beyerlin, nervus 55), möchte Mathias, Geschichtstheologie 166; 178 die Zusammengehörigkeit von Rahmen und Geschichtsdarstellung erweisen (vgl. auch sein Fazit a.a.O. 205). 98

Datiert wird der Psalm in die nachexilische Zeit (so H.-J. Kraus, Psalmen I073f.; 1076).

99

Mit H.-J. Kraus, Psalmen 1073.

Einführung in die Texte

69

Psalmist summarisch die Taten Gottes gegenüber nicht-israelitischen Völkern dar und thematisiert Gottes Eintreten für Israel. Das in diesem Hymnus zu findende Summarium der Geschichte Israels (Ps 135,5-12) umfaßt die Zeit von der Schöpfung bis zur Landgabe. Im Zentrum steht der Sieg über die Fremdvölker, so daß die Auslassung von Rettungstaten (z.B. des Exodus) zugunsten des Volkes Israel nicht überraschend ist. Auf das kohärente SGI folgt ein zusammenfassendes hymnisches Zwischenstück (Ps 135,13f.), ehe die Nichtigkeit der Götzen thematisiert (Ps 135,15-18) und abschließend noch einmal zum Lob aufgefordert wird (Ps 135,19-21). Auf diese Weise wird durch das SGI sowohl die Überlegenheit des Gottes Israels gegenüber den Fremdvölkern als auch gegenüber den fremden Göttern und Götzen aufgezeigt. Letztere werden durch die Behauptung, sie seien lediglich Werk von Menschenhänden (Π2?Ϊ?0 D I S r T - Ps 135,15 / έργα χειρών ανθρώπων Ψ 134,15), abqualifiziert. 1.3.4

Ps J36,4-25 /Ψ 135,4-25

Kritische Hebräischer

Editionen Text:

ELLIGER, K A R L / R U D O L P H , W I L H E L M

(Hg.): Biblia Hebraica Stuttgar-

tensia, 2., verb. Aufl., Stuttgart 1984, 1215-1216. Griechischer

Text:

RAHLFS, A L F R E D

(Hg.): Psalmi cum Odis, Septuaginta. Vetus Te-

stamentum Graecum, Bd. 10, ed. auctoritate Societatis Litterarum Gottingensis, 2., durchges. Aufl., Göttingen 1967, 3 1 8 - 3 1 9 .

Bei Ps 136 handelt es sich um einen Hymnus,100 in dem zum Dank Gottes durch das Volk aufgerufen wird.101 Summarisch bietet der Psalmist dabei die Taten Gottes für das Volk Israel dar. Dieses Summarium der Geschichte Israels umfaßt die Zeit von der Schöpfung bis zur Landgabe (Ps 136,4-25), und es wird gerahmt durch Aufforderungen zum Dank (Ps 136,1-3.26). Im Zentrum des SGI steht Gottes Eintreten zugunsten des Volkes Israel durch Rettung, Erlösung und Führung (zentral sind dabei Exodus und Wüstenzeit). Charakteristisch ist der Aufbau des insgesamt kohärenten Psalms, da der zweite Halbvers jedes Kolons stets gleich lautet: "ΠΟΠ a b - m h Ό . Diese Schlußformel deutet auf liturgischen Gebrauch des Psalms in Form eines Wechselgesangs hin.102

100

Datiert wird er in die nachexilische Zeit (so H.-J. Kraus, Psalmen 1079).

101

Mit H.-J. Kraus, Psalmen 1078.

102

H.-J. Kraus, Psalmen 1078f. weist auf die gottesdienstliche Verwendung hin und meint, der jeweils zweite Halbvers könne als .Responsorium' von der versammelten Kultgemeinde gesungen worden sein.

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

70

1.3.5

Sir

Kritische

44,3-50,21 Editionen

Griechischer Text:m Z I E G L E R , JOSEPH (Hg.): Sapientia Iesu Filii Sirach, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum, Bd. 12,2, ed. auctoritate Societatis Litterarum Gottingensis, Göttingen 1965, 331-361. Hebräischer Text: BEENTJES, PANCRATIUS C. (Hg.): The Book of Ben Sira in Hebrew. A Text Edition of all extant Hebrew Manuscripts and a Synopsis of all parallel Hebrew Ben Sira Texts, VT.S 68, Leiden u.a. 1997, 77-90.120-121 Das sogenannte ,Lob der Väter' (Sir 4 4 - 5 0 ) steht am Ende des Sirachbuches,' 04 ihm geht ein Lob des Schöpfers bzw. der Schöpfung voran (Sir 4 2 , 1 5 - 4 3 , 3 3 ) , das in enger stilistischer und inhaltlicher Verbindung zum Väterlob steht.105 Dieses Väterlob, gerahmt von Lob- und Dankaufforderungen (Sir 44,1 f.; 5 0 , 2 2 - 2 4 ) ist gekennzeichnet durch ein Summarium

der Geschichte

Israels (Sir 44,3-50,21). 1 0 6

Die Gattungsbestimmung des hymnischen Stückes ist in der Forschung umstritten.107 Freilich handelt es sich in erster Linie um eine Lobpreisung der Taten besonderer Gestalten der Geschichte Israels von Henoch bis zum Hohenpriester

103 Deutsche Übersetzung: SAUER, GEORG: Jesus Sirach (Ben Sira), in: Kümmel, Werner Georg u.a. (Hg.): Unterweisung in lehrhafter Form, JSHRZ ΠΙ/5, Gütersloh 1981, 614-633. 104

Das Sirachbuch ist ein ursprünglich hebräisches Werk. Der Verfasser Jesus ben Eleazar ben Sira war ein in Jerusalem beheimateter Jude, der diese weisheitliche Schrift um 190 v.Chr. abgefaßt hat. Sein Enkel hat das Buch nach 132 v.Chr. in Ägypten (unter Ptolemaios VII. Euergetes - 170-116 v.Chr.) in das Griechische übersetzt. Griechisch sind zwei Textfassungen überliefert, die kürzere ist die ältere (so Ziegler, Sapientia Iesu Filii Sirach 83 und Marböck, Buch 286). Der griechischen Ausgabe von Ziegler folgt die Kapitel- und Verszählung in dieser Arbeit. Hebräische Fragmente hat man Ende des 19. Jh. in Kairo, später auch in Qumran und Masada gefunden. In diesen findet sich das Väterlob nur in der Handschrift Β aus Kairo, sowie stark fragmentarisch auch in den Masada-Fragmenten (vgl. die Übersicht bei Reiterer, Text 27f. und Beentjes, Ben Sira 13-19). Zur Problematik der Textgeschichte vgl. Rüger, Text und Reiterer, Text. 105

Vgl. Hildesheim, Prophet 43f.51, der auf die strukturellen und sprachlichen Verbindungen hinweist. Ähnlich Petraglio, Libro 17: „Ben Sirac cerca di scoprire l'azione di Dio nella natura (42-43), poi nella storia (44-50)". 106 Es ist umstritten, wo das Väterlob endet. Vgl. zu den verschiedenen Positionen Lee, Studies 10-21 und Hildesheim, Prophet 12f. mit Anm. 27. Die hier vorgenommene Abgrenzung folgt den Erörterungen dieser beiden Exegeten (vgl. Lee, a.a.O.; Hildesheim, Prophet 38). 107

Vorgeschlagen wird .didactic narrative' (Skehan/DiLella, Wisdom 27-30, die mit Prov 7,6-27 vergleichen); .Enkomion' auf den Hohenpriester Simon II. (Lee, Studies 206-245; zuletzt auch Collins, Wisdom 99f„ der allerdings eine Eingrenzung auf Simon ablehnt; vgl. Wischmeyer, Kultur 153, die von einem .nationalen Enkomion' spricht); ,De viris illustribus' (Maertens, L'Éloge 11); .Aretalogie' (Stadelmann, Ben Sira 201); .Midrasch' (und zwar .vorrabbinisch' - so zuletzt Hildesheim, Prophet 38f.49f.52f.); .profaner Hymnus' (Baumgartner, Gattungen 173); .wisdom myth' (Mack, Wisdom 139f.).

Einführung in die Texte

71

Simon108, aber es wird durchweg auch Gottes Aktivität zugunsten der Personen thematisiert, so daß auch Gott gelobt wird.109 Nur sekundär ist der Verfasser am Volk Israel und an anderen Völkern interessiert, im Mittelpunkt stehen positiv und negativ skizzierte Personen.110 Die wichtigsten positiven Gestalten sind zweifellos die Priester Aaron, Pinhas und Simon sowie die Propheten Samuel, Elia, Elisa, Jesaja, Jeremía und Ezechiel. Sie sind ausgezeichnet durch Gottwohlgefalligkeit, (Gesetzes)Treue, Bundespartnerschaft sowie Heldenhaftigkeit und fungieren als Vorbilder für solches Verhalten. Die Einheitlichkeit des Väterlobes steht nicht im Zweifel, lediglich die Ursprünglichkeit von Sir 49,14-16 kann mit Recht bestritten werden."1 Kapitel 50 hingegen, das manche für sekundär erachten, gehört sicher zum ursprünglichen Bestand.112

1.3.6

Weish

10,1-11,1

Kritische Edition Griechischer Text:"3 ZIEGLER, JOSEPH (Hg.): Sapientia Salomonis, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum, Bd. 12,1, ed. auctoritate Societatis Litterarum Gottingensis, Göttingen 1962, 125-129.

108

Es handelt sich um den Hohenpriester Simon II. (219-196 v.Chr. - vgl. Collins, Wisdom 106). 109 Z.B. ist es Gott, der Mose erwählt und ihm das Gesetz übermittelt (Sir 45,16f.); Gott verschafft dem Salomo Frieden (47,13), und Gott schlägt das Heer der Assyrer (48,21). 110 Die meisten Personen sind positiv. Negativ werden David (andeutungsweise), Salomo, Rehabeam, Jerobeam, sowie Datam/Abiram, die Rotte Korach sowie alle Könige außer Hiskia und Josia gezeichnet. Diese doppelte Perspektive entspricht der Einleitung, wo ebenfalls auf positive und negative Beispiele verwiesen wird (vgl. Sir 44,3-8.10-15 mit 44,9). 111 Hildesheim, Prophet 252f. hält die Verse für ursprünglich, seine Begründung ist aber nicht Uberzeugend, da er meint, die Verse fungierten als Bindeglied, das zurückbindet an die Anfänge Gottes mit seinem Volk. Damit vermag er die merkwürdige Personenauswahl nicht zu erklären. Es geht doch eindeutig um die besondere Hervorhebung einzelner Gestalten der Geschichte, von denen nur Henoch schon genannt war. Middendorp, Stellung 56 und Mack, Wisdom 17f.201f. halten den Teil zu Recht für nicht ursprünglich. 112 Vgl. die Hinweise von Hildesheim, Prophet 12f. mit Anm. 27; Hildesheim selbst hält das Lob auf Simon für ursprünglich - vgl. a.a.O. 38). Marböck, Weisheit 152-154 versucht die literarische Geschlossenheit von Sir 44-50 aufzuweisen und meint, der Text „verrät ... als Ganzes die Hand des Siraziden" (152). 113 Deutsche Übersetzung: GEORGI, DIETER: Weisheit Salomos, in: Kümmel, Werner Georg u.a. (Hg.): Unterweisung in lehrhafter Form, JSHRZΙΠ/4, Gütersloh 1980, 436-440.

72

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

Der ,Hymnus auf das Wirken der Weisheit"14 in Weish 10,1-11,1 ist integraler Bestandteil der ,Sapientia Salomonis'."5 Mit Weish 10,1 beginnt ein neuer Abschnitt, wobei mit dem Demonstrativpronomen αύτη ein Rückbezug auf die σοφία in Weish 9,18 hergestellt wird."6 Der Hymnus, der gekennzeichnet ist durch ein Summarium der Geschichte Israels (Weish 10,1-11,1), endet in Weish 11,1, einem Überleitungsvers, der gleichermaßen Schluß von Kap. 10 und Auftakt fur Kap. 11 darstellt."7 In Weish 11,2 beginnt der nicht-summarische Bericht über das Ergehen der Ägypter und Israeliten während des Exodus und in der Folgezeit. Weish 10,1-11,1 bilden demzufolge ein ,SchaltkapiteF zwischen Kap. 6 - 9 (Thema: Gott als Ursprung der Weisheit) und Kap. 11-19 (Thema: rettendes Handeln Gottes). Im SGI, das den Zeitraum von Adam bis zur Wüstenzeit umfaßt, wird das Handeln der Weisheit an Personen (und am Volk) dargestellt. Dabei ist eine Zweiteilung erkennbar: In 10,1-14 stehen .gerechte' Personen im Mittelpunkt, in 10,15-11,1 das Volk Israel (nur Mose wird peripher erwähnt).118 Charakteristisch ist die Antonomasie des Textes: Die Personen werden nicht mit Namen benannt, sondern über ihr Handeln und ihre Gerechtigkeit identifiziert. Der Verfasser möchte das rettende Handeln der Weisheit,119 sowie das richtige und falsche Handeln der Menschen in der Welt aufzeigen. Das SGI ist zweifellos kohärent, ob es allerdings ursprünglich selbständig war, ist unsicher.120

114

So Georgi, Weisheit 436. Anders bestimmen A. Schmitt, Struktur 8 - 2 0 und SchwenkBressler, Sapientia 49 die Gattung des Textes, indem sie den Charakter der .Beispielreihe' hervorheben. 115

Sapientia Salomonis ist eine nach innen gerichtete Weisheitsschrift, die ein anonymer alexandrinischer Jude verfaßt hat. Die Datierung ist umstritten: Während die meisten Exegeten für eine Entstehung im 1. Jh. v.Chr. plädieren (so z.B. Rost, Einleitung 43 und Schwenk-Bressler, Sapientia 25) und wenige das 2. Jh. v.Chr. favorisieren (so Georgi, Weisheit 395f., der als Entstehungsort dann auch Syrien und nicht Ägypten vorschlägt), halten manche sogar für denkbar, daß Weish im 1. Jh. n.Chr. verfaßt wurde (so Winston, Wisdom 22f. und Collins, Wisdom 179, der eine Entstehung zwischen 30 v. und 70 n.Chr. annimmt). 116 A. Schmitt, Struktur 2 - 4 sieht den Neuansatz anders als die meisten Exegeten bereits in Weish 9,18. 117

Mit Georgi, Weisheit 439; Schwenk-Bressler, Sapientia 46; 57.

118

Es werden aber nicht nur positiv skizzierte Personen erwähnt, sondern auch negativ gezeichnete (der .ungerechte' Kain - Weish 10,3; die .Gottlosen' der Pentapolis, also Sodom und Gomorra - Weish 10,6-8). 119 120

Und damit auch das Handeln Gottes - vgl. Weish 10,20.

Georgi, Weisheit 436 sieht in Weish 10,1-21 einen ursprünglich selbständigen Hymnus auf die Weisheit aus der „spekulativen Mystik", der vom Endredaktor des Buches noch überarbeitet wurde (und dabei u.a. eine Translokation des Henoch nach 4,10ff. erfuhr).

Einführung in die Texte 1.3.7

LibAnt

Kritische

73

32,lb-ll

Edition

Lateinischer Text:12' H A R R I N G T O N , D A N I E L J . (Hg.): Pseudo-Philon. Les Antiquités Bibliques, Bd. 1, Introduction et Texte Critiques, SC 229, Paris 1976, 244-251. Zwar ist der Liber Antiquitatum Biblicarum insgesamt eine rewritten bible' und deswegen als ganze Schrift nicht Gegenstand dieser Arbeit, 122 doch er enthält in Kapitel 32 ein SGI. Dieses Kapitel ist Teil des Richter-Abschnitts der Schrift (LibAnt 2 5 - 4 8 ) , genauer ist es Teil des Unterabschnitts über Debora (LibAnt 30-33). 1 2 3 In LibAnt 31 wird der gemeinsam mit Barak ausgeführte Kampf gegen Sisera geschildert, dem die Feinde zum Opfer fallen, während Sisera entkommt und schließlich durch Jaël getötet wird. Daraufhin erklingt in LibAnt 32 der gemeinsam von Debora, Barak und dem ganzen Volk angestimmte 124 ,Hymnus' (32,1), ein Triumph-/Siegeslied. Dieser Hymnus, der am Anfang der Richterzeit der Debora steht (vgl. 32,18), ist gekennzeichnet durch ein Summarium Geschichte

Israels,

125

der

das die Zeit von Abraham bis hin zu Sisera, also der

121 Deutsche Übersetzung: DIETZFELBINGER, CHRISTIAN: Pseudo-Philo: Antiquitates Biblicae (Liber Antiquitatum Biblicarum), in: Kümmel, Werner Georg u.a. (Hg.): Unterweisung in erzählender Form, JSHRZ II/2, 2. Aufl., Gütersloh 1979, 193-196. 122 Der Liber Antiquitatum Biblicarum ist im palästinischen Judentum entstanden, man rechnet mit einem (allerdings verlorenen) hebräischen Urtext, der ins Griechische und von dort ins Lateinische übersetzt wurde (nur in der lateinischen Version liegt dieser Text vor); vgl. dazu Jacobson, Commentary 1, 210f. In Bezug auf die Datierung ist in der Forschung bisher nur ein Konsens für den recht breiten Zeitraum zwischen 50 und 150 n.Chr. erzielt worden (vgl. Jacobson, Commentary 1, 199). Besonders strittig ist die Frage, ob der Text vor oder nach 70 n.Chr. verfaßt wurde. Eine Lösung zeichnet sich noch nicht ab: Tendierte die ältere Forschung eher zu einer Frühdatierung, so werden in jüngerer Zeit dagegen etliche Bedenken vorgetragen und es wird eine Datierung nach 70 n.Chr. favorisiert (vgl. Jacobson, Commentary 1, 209f. und Reinmuth, Pseudo-Philo 17-26). 123

Debora wird als .Herrscherin' angekündigt (pnncipabitur - LibAnt 30,2: zum nur in einer Handschrift bezeugten Futur vgl. Jacobson, Commentary 2, 830f.), schließlich von Gott geschickt (30,5) und richtet Israel insgesamt vierzig Jahre (32,18; vgl. 30,2). 124

Zwar wird hier deutlich auf Ri 5,1 zurückgegriffen, doch wird über den biblischen Vers hinaus das Volk als Teil der Sängergruppe vorgestellt. Man hat vermutet, hier handele es sich um einen Fehler des griechischen Übersetzers (so Harrington), aber es ist wohl davon auszugehen, daß das Volk hier - analog zum Moselied Ex 15,1 - ganz bewußt schon vom Verfasser des LibAnt eingetragen worden ist (vgl. Jacobson, Commentary 2, 858). Wichtig ist festzuhalten, daß die Sänger/innen im Verlauf des Gesangs nicht immer dieselben zu sein scheinen: So wird in LibAnt 32,14f. die .Mitsängerin' Debora zum Lobgesang aufgefordert; in LibAnt 32,17 wechselt der Numerus des Subjekts und in LibAnt 32,18 wird nur Debora als Sängerin bezeichnet. Ähnliches gilt aber auch für das biblische Pendant, bei dem nicht immer klar ist, wer das Subjekt des Liedes ist: Vgl. die Inkongruenz zwischen dem zweifachen Subjekt in Ri 5,1 und dem singularischen Subjekt z.B. in Ri 5,3; zur Aufforderung an Debora vgl. Ri 5,7. 125

Von einigen Exegeten wird das SGI als eigene .Gattung' dem Hymnus gegenübergestellt.

74

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

Gegenwart der Sänger/innen umfaßt (LibAnt 32,1b—1l).126 In dem SGI stehen die Personen im Vordergrund, weniger die geschichtlichen Ereignisse (mit Ausnahme des Sinaigeschehens - LibAnt 32,lì.). Zentral sind dabei die Bindung Isaaks und die Gesetzesgabe am Sinai, so daß Abraham und Mose die wichtigsten Gestalten sind. Das SGI dient der Beschreibung der von Gott eingelösten Versprechungen zugunsten des Volkes Israel und führt so zum Lob Gottes.127 Die Szenerie des Hymnus kann auf einen biblischen Leittext zurückgeführt werden (Ri 4f.), doch ist das Lied von Debora und Barak in Ri 5 inhaltlich deutlich verschieden von LibAnt 32.128 Das SGI selbst ist kohärent, der unmittelbare Kontext weist jedoch einige Brüche auf, wie die Subjektwechsel erkennen lassen.129 1.4 Summarien der Geschichte Israels in Visionen Bei den durch Summarien der Geschichte Israels gekennzeichneten Visionsschilderungen (lHen 85-90; lHen 93.91), der Visionsdeutung (syrBar 56-74) und dem Orakel (Sib III) handelt es sich um Texte, in denen ein in Geheimnisse eingeweihter Mensch oder Engel einem weniger kundigen Menschen Kenntnisse über den Verlauf der Geschichte vermittelt.130 Charakteristisch fur die SGI ist, daß in ihnen nicht nur ein Teil der Geschichte Israels weitergegeben wird, sondern die Gesamtgeschichte.'31 Die Stoffauswahl ist durch die jeweilige Zielsetzung bedingt, was deutlich an den Gewichtungen und Auslassungen erkennbar ist. Im

So meint Perrot, Pseudo-Philon 2, 169, der Text „ne présente pas dans son ensemble les caractères d'un chant", vielmehr handele es sich um eine „rétrospective historique dans laquelle se sont glissés des éléments d'allure hymnique". Ähnlich argumentierte schon Delling, Monja 17; vgl. dazu aber die obigen Ausführungen zur Gattungsfrage -1.3.1, S. 22. 126

Es schließt sich eine Anwendung an, in der Gott gelobt bzw. in der zum Lob Gottes aufgefordert wird (LibAnt 32,12-17). 127

Vgl. Delling, Morija, 17.

128

Weitzman, Revisiting 28: „Pseudo-Philo has completely reinvented both the form and the content of Deborah's song". Weitzman versucht die Motive und Themen, die im biblischen Deboralied nicht zu finden sind, aus frUhjtldischen liturgischen Gebeten („communal petitionary prayer" - a.a.O. 29) herzuleiten. Dafür verweist er auf Beispiele in Qumran-Texten (z.B. 4Q504), hält sie aber darüber hinaus im gesamten Palästina des 1. Jh. n.Chr. für gebräuchlich (a.a.O. 36). Insgesamt sieht er eine „complex similarity" (a.a.O. 31; Hervorhebung im Original) und erklärt die pseudo-philonischen Änderungen mit der Kenntnis solcher Gebetstexte: Pseudo-Philo habe nicht nur die Form derartiger Texte nachgebildet, sondern auch deren Funktion übernommen (a.a.O. 37). 129

Siehe dazu oben S. 73 Anm. 124.

130

Im Fall von Sib III ist die Sprecherin die Sibylle und der Adressat des Orakels ein .Sterblicher' (βροτός - Sib 111,217). 131

Eine Ausnahme bildet Sib III - vgl. unten III.1.4.4, S. 81.

Einführung in die Texte

75

Mittelpunkt von l H e n 85—90 und syrBar 56—74 stehen die Personen, während in lHen 93.91 und Sib III das Volk Israel zentrale Bedeutung hat. Hervorzuheben ist, daß sich in allen vier SGI die jeweiligen Redner vollkommen v o m Volk und seiner Geschichte distanzieren. Alle Texte gleichen sich darüber hinaus in dem Punkt, daß in ihnen kein Schriftzitat Verwendung findet.

1.4.1

1 Hen

Kritische

85,3-90,38

Editionen

Aramäische Fragmente:™ M I L I K , JÓZEF T. (Hg.): The Books of Enoch. Aramaic Fragments of Qumrân Cave 4, Oxford 1976, 204f.222-224.238.240f.243-245; BEYER, KLAUS: Die aramäischen Texte vom Toten Meer samt den Inschriften aus Palästina, dem Testament Levis aus der Kairoer Genisa, der Fastenrolle und den alten talmudischen Zitaten, Bd. 1, Göttingen 1984, 243-246. Griechische Fragmente: B L A C K , M A T T H E W (Hg.): Apocalypsis Henochi Graece, PVTG III, Leiden 1970, 36-37. Äthiopischer Text:1" FLEMMING, JOHANNES: Das Buch Henoch. Äthiopischer Text, TU N.F. 7,1, Leipzig 1902, 118-140; KNIBB, M I C H A E L Α.: The Ethiopie Book of Enoch. A new Edition in the light of the Aramaic Dead Sea Fragments, Bd. 1, Text and Apparatus, Oxford 1978, 288-339. D i e Tierapokalypse ( l H e n 85,3-90,38) 1 3 4 ist integraler Bestandteil des vierten Teils von lHen, 135 des .Buches der Traumvisionen' ( l H e n 83-90). 1 3 6 Es handelt

132

Aus Qumran sind für die Tierapokalypse folgende Texte relevant: 4Q204; 4Q205; 4Q206; 4Q207 (4QEnc; 4QEnd; 4QEne; 4QEnf - vgl. Beyer, Texte 1, 227f.; 243-246; 2, 117f.; Nickelsburg, Books 100-104). Deutsche Übersetzung: MAIER, JOHANN: Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer, Bd. 2, Die Texte der Höhle 4, München u.a. 1995,15 lf.l54f. 157-159. Vgl. auch die neue hebräisch-englische Ausgabe: GARCIA MARTÍNEZ, FLORENTINO UND TIGCHELAAR, EIBERT J . C . (Hg.): The Dead Sea Scrolls Study Edition, Bd. 1, 1Q1-4Q273, Leiden u.a. 1997, 418f.422-429. 133 Deutsche Übersetzung: UHLIG, SIEGBERT Das äthiopische Henochbuch, in: Kümmel, Werner Georg u.a. (Hg.): Apokalypsen, JSHRZ V/6, Gütersloh 1984, 679-704. 134 135

lHen 85,lf.; 90,39-42 bilden den engeren Rahmen der Tierapokalypse.

Die Tierapokalypse ist wie das gesamte Buch der Traumvisionen nach kritischem Konsens wohl spätestens 165/164 v.Chr. in Palästina entstanden. Das meinen übereinstimmend Milik, Books 44; VanderKam, Enoch 161-163 und Uhlig, Henochbuch 673f. (vgl. auch die Rezeption in Jub 4,19). Tiller, Commentary 78f. datiert die Tierapokalypse in die Zeit zwischen 165 und 160 v.Chr. Es ist allerdings unklar, ob der ursprünglich semitische Text zuerst hebräisch oder aramäisch vorlag (vgl. Black, Book 4). Für ein hebräisches Original plädiert Beyer, Texte 1, 229f. (der dieses in das 3. Jh. v.Chr datiert); 243 Anm. 1. Ein aramäisches Original nimmt u.a. Milik, Books 41-45 an (vgl. Uhlig, Henochbuch 483f.). Dieses semitische Original wurde in das Griechische übersetzt (zur Datierung der griechischen Übersetzung s.u. den Exkurs unter IV.5.1, S. 246-248) und zwischen dem 4. und 7. Jh. n.Chr. in das Äthiopische übertragen (nur im Äthiopischen liegt die Tierapokalypse vollständig vor). Vgl. zur Textgeschichte insgesamt

76

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

sich um den Bericht des Henoch an seinen Sohn Methusala über die zweite Vision, die er im Traum vor seiner Ehe hatte (lHen 83,lf.; 85,1-3). Diese Traumvision ist ein Summarium der gesamten Geschichte Israels von Adam bis in die eschatologische Zeit. Die Geschichte Israels wird dabei nicht als Teil der Weltgeschichte dargestellt,'37 sondern die Weltgeschichte wird aus der Perspektive Israels erzählt.'38 Grundlegend ist eine Dreiteilung (lHen 85,3-89,50: von Adam bis Salomo; lHen 89,51-90,27: von der Reichsteilung bis zum Endgericht; lHen 90,28-38: Eschaton), wobei im ersten Teil die Darstellung der positiven Einzelgestalten überwiegt. Strukturierend wirkt hier das programmatische Abfallen (Engelfall; Sintflut; Goldenes Kalb), das regelmäßig zur Vernichtung der Abgefallenen fuhrt, jedoch stets von einem Neuanfang von seiten Gottes durchbrochen wird. Den ersten Wendepunkt markieren die Prophetentötung und das Verlassen des Tempels durch das Volk und durch Gott (lHen 89,51-53.54-58). Im anschließenden zweiten Teil stehen das Schicksal des den Heidenvölkern ausgelieferten Volkes Israel und das Endgericht über Israeliten und Heiden im Vordergrund.139 Die Beschreibung der eschatologischen Ereignisse zielt schließlich auf ein positives Ende für die gerechten, mißhandelten und zerstreuten Juden und die nicht im Gericht umgekommenen Heiden. Charakteristisch ist die Chiffrierung der geschichtlichen Gestalten in Form von Tieren (z.B. der Israeliten als ,Schafe' und der Ägypter als , Wölfe'), worauf die Bezeichnung ,Tierapokalypse' gründet.'40

Uhlig, Henochbuch 483-491, der auch in die aramäischen und griechischen Fragmente einführt (vgl. auch Uhlig, Überlieferungsgeschichte). Der Verfasser gehört wohl der Bewegung der sogenannten Asidäer der frühen Makkabäerzeit an, die noch auf eine Restitution Gesamtisraels hofften (K. Müller, Apokalyptik 58-64; U.B. Müller, Strömungen 220). Eine promakkabäische Ausrichtung sieht van der Woude, Qumranforschung 257f. 136

Anders als die Mehrheit der Exegeten (vgl. Black, Book 21-23; 280), halten Dillmann, Buch IVf. und Uhlig, Henochbuch 673f. lHen 91,l-10.18f. für einen Teil des Buches der Traumvisionen. 137

So aber z.B. U. B. Müller, Messias 65 und Hall, Histories 61f.; 80.

138

Mit Reese, Geschichte 22, der allerdings die Phase von Adam bis Noah als .Vorgeschichte Israels' bezeichnet (a.a.O. 31). Die Geschichte Israels beginnt s.E. erst mit Abraham in lHen 89,1 Of. Ähnlich auch K. Müller, Geschichte 78 und K. Müller, Apokalyptik 60; 136f. 139 Auch Tiller, Commentary 15-20 erkennt drei Teile, grenzt aber anders ab, da er jeden Teil mit dem Auftreten eines weißen Bullen beginnen läßt: „the first begins with Adam, the second with Noah, and the third with an unkown eschatological patriarch" (a.a.O. 15). Bei dieser Abgrenzung muß er aber die weißen Bullen Abraham (lHen 89,10) und Isaak (89,11) übergehen. Reid, Structure 196; 199f. gliedert in zwei Teile. Er erkennt in lHen 85,3b-89,50 einen .Historicized Fable' und bezeichnet 89,51-90,38 als .Apocalyptic Timetable'. 140

Vgl. dazu die ausführlichen Erörterungen von Tiller, Commentary 21-60.

Einführung in die Texte

77

D i e Einheitlichkeit des SGI ist nicht zu bestreiten, lediglich der Bericht über die eschatologischen Ereignisse bietet Anlaß zu literarkritischen Überlegungen. S o wird l H e n 9 0 , 3 7 - 3 8 ( 3 9 ) w e g e n der Erwähnung eines . w e i ß e n Bullen mit großen Hörnern', worin man den Messias zu erkennen meint, 141 für sekundär und l H e n 9 0 , 3 6 als ursprüngliches Ende der Tierapokalypse erachtet. 142

1.4.2 Kritische

lHen 93,3b-10;

91,11-17

Editionen

Aramäische Fragmente:™ MILIK, JÓZEF T. (Hg.): The Books of Enoch. Aramaic Fragments of Qumrân Cave 4, Oxford 1976, 256.259-272; BEYER, KLAUS: Die aramäischen Texte vom Toten Meer samt den Inschriften aus Palästina, dem Testament Levis aus der Kairoer Genisa, der Fastenrolle und den alten talmudischen Zitaten, Bd. 1, Göttingen 1984, 247-249. Äthiopischer Text:'" FLEMMING, JOHANNES: Das Buch Henoch. Äthiopischer Text, T U N.F. 7,1, Leipzig

1902,

1 4 2 - 1 4 3 . 1 4 5 - 1 4 6 ; KNIBB, MICHAEL A . : T h e

Ethiopie

Book of Enoch. A new Edition in the light of the Aramaic Dead Sea Fragments, Bd. 1, Text and Apparatus, Oxford 1978, 344-346.349-351. D i e ,Zehnwochenapokalypse 1 , 4 5 ( l H e n 9 3 , 3 b - 1 0 ; 9 1 , 1 1 - 1 7 ) 1 4 6 ist Bestandteil des fünften und letzten Teils von l H e n (Kap. 91-108).' 4 7 Es handelt sich um

141 Anders K. Koch, Messias 86f., der an den Menschensohn denkt und deswegen auch für die Ursprünglichkeit der Verse plädiert. 142 So z.B. U. B. Müller, Messias 69-72 (er scheidet im übrigen auch lHen 90,13-15 und 90,31 als sekundär aus); Reese, Geschichte 54; K. Müller, Apokalyptik 164-166. 143

Aus Qumran sind für die Zehnwochenapokalypse folgende Texte relevant: 4Q212 (4QEng); 4Q247 - vgl. Beyer, Texte 1, 228; 247-249; 2, 118). Deutsche Übersetzung: MAIER, JOHANN: Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer, Bd. 2, Die Texte der Höhle 4, München u.a. 1995, 164-167.191. Vgl. auch die neue hebräisch-englische Ausgabe: GARCÍA MARTÍNEZ, FLORENTINO UND TIGCHELAAR, EIBERT J. C. (Hg.): The Dead Sea Scrolls Study Edition, Bd. 1, 1Q1-4Q273, Leiden u.a. 1997, 442-445.494-495. '"Deutsche Übersetzung: UHLIG, SIEGBERT: Das äthiopische Henochbuch, in: Kümmel, Werner Georg u.a. (Hg.): Apokalypsen, JSHRZ V/6, Gütersloh 1984, 710-715. 145 Κ. Koch, Sabbatstruktur 404f.; 421 f. möchte wegen nicht-apokalyptischer Elemente lieber von einer ,Zehn-Epochen-Lehre' (bzw. ,10-Wochen-Lehre' - a.a.O. 429) reden, und er macht u.a. auf die Siebenerstruktur der einzelne Epochen aufmerksam (a.a.O. 406; 429). Vgl. zu nicht-apokalyptischen Elementen auch VanderKam, Enoch 159. 146 Zu den Dislokationen der äthiopischen Fassung und der Rekonstruktion (.Umstellung') auf der Grundlage der aramäischen Fragmente vgl. Dexinger, Zehnwochenapokalypse 102-109; 136; Uhlig, Henochbuch 673f.; 708f. 147 Die Zehnwochenapokalypse ist in Palästina entstanden und war wohl ursprünglich ein selbständiger Text (so z.B. Uhlig, Henochbuch 708; anders Garcia Martinez/Tigchelaar, Books 142, die meinen, ein Autor habe die gesamte Henoch-Epistel verfaßt). Über die Datierung

78

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

den Bericht des Henoch an seine .Kinder" 48 über eine himmlische Vision ( l H e n 9 3 , l - 3 a ) . D i e s e wird zurückgeführt auf ,die R e d e der heiligen E n g e l ' (bzw. aramäisch 11313 ] , B ? i p i

also: .Wort der Wächter und H e i l i g e n ' ) und

,die Tafeln des H i m m e l s ' (93,2). Der Visionsbericht ist ein Summarium gesamten

Geschichte

Israels

der

von H e n o c h bis in die eschatologische Zeit. D i e

Geschichte Israels wird dabei nicht als Teil der Weltgeschichte dargestellt, sondern die Weltgeschichte wird aus der Perspektive Israels bzw. einer bestimmten Gruppe des Volkes Israel erzählt."" Charakteristisch ist die Periodisierung der Geschichte in zehn Teile (jedes Segment aramäisch TIDE?; d.h. .Siebente' 15°). D i e s e Periodisierung der Geschichte geht aber nicht einher mit einem etwaigen steten Wechsel von Heil und Unheil. 151 Vielmehr werden vor allem in der Anfangsphase Einzelgestalten in das Zentrum gerückt, während es in der Folge um die Vernichtung ,der Sünder' im Gericht und die Bewahrung ,der Gerechten' geht. Der Wendepunkt ist die siebte W o c h e ( l H e n 93,9f; 91,11), die Phase des Übergangs in die schriftstellerische Gegenwart nach der Exilierung.' 52 D i e Einheitlichkeit des SGI ist,

konnte bisher kein Konsens erzielt werden. Manche halten sie für vormakkabäisch oder datieren sie vor den makkabäischen Sieg und damit um 166 v.Chr. - so Dexinger, Zehnwochenapokalypse 139f., der den Text als .erste eigentliche Apokalypse' bezeichnet (a.a.O. 189). Auch VanderKam, Studies 521-523 hält ihn für vormakkabäisch. Zu der recht komplizierten dreistufigen Entstehungstheorie Dexingers vgl. die Kritik von VanderKam, Studies 513-518. Andere Forscher nehmen eine Entstehung nach dem Auseinanderbrechen der asidäisch-makkabäischen Koalition nach 152 v.Chr. an (so K. Müller, Apokalyptik 83f.; K. Koch, Sabbatstruktur 405 legt sich nur darauf fest, der Text sei .einige Jahrzehnte vor 100 v.Chr' entstanden). Festzuhalten ist, daß sie um 100 v.Chr. „fester Bestandteil des Henochbriefes" und der Henochbrief „schon im 1. vorchristlichen Jh. in das Corpus der Henochliteratur einverleibt worden" war (van der Woude, Qumranforschung 258). Für die Überlieferungsgeschichte gilt das oben zur Tierapokalypse bereits Ausgeführte. Der Verfasser gehört einer „sich separatistisch abgrenzende[n] asidäische[n] Vereinigung" an, die ihre Position im Rekurs auf die Geschichte Israels definieren möchte. Ihr geht es zentral um die eigene Geschichte, nicht mehr um die Geschichte Gesamtisraels (K. Müller, Apokalyptik 82; vgl. seinen instruktiven Vergleich zwischen der Tierapokalypse und der Zehnwochenapokalypse - a.a.O. 81-84). Dexinger, Zehnwochenapokalypse 188f. sieht in den Trägern eine den späteren Qumran-Essenem geistig verwandte Gruppe. 148 Es ist schwierig zu entscheiden, wer damit genau gemeint ist (lHen 92,1 deutet eine Perspektive auf alle Menschen an; man denke aber auch an den Kreis der .Söhne Henochs' aus 91,1-3). 149 Mit Reese, Geschichte 72. Andere hingegen, wie z.B. K. Koch, Sabbatstruktur 428f., sehen hier die .Geschichte der Menschheit' entfaltet. 150

Dazu K. Koch, Sabbatstruktur 406; herkömmlich mit .Wochen' übersetzt.

151

Anders Reid, Structure 195, der freilich zugestehen muß, daß der Wechsel sich über sehr verschieden große Abschnitte erstreckt. 152

Dabei zeigt sich mit K. Koch, Sabbatstruktur 421 und Reid, Structure 195 der Übergang von der Geschichte zum Eschaton als .gleitend'. Im übrigen hält Reid, Structure 200f. die Tierapokalypse und die Zehnwochenapokalypse für strukturell gleich. Zur Konzeption des Aufbaus

Einführung in die Texte

79

wenn man die .Umstellung' des äthiopischen Textes auf der Grundlage der aramäischen Fragmente vollzogen hat,153 nicht zu bestreiten. 1.4.3

syrBar

56,2-74,4

Kritische Edition Syrischer Text:15* D E D E R I N G , S V E N (Hg.): Apocalypse of Baruch, The Old Testament in Syriac according to the Peshitta Version, Part IV, Fascicle 3, Leiden 1973, 32-41. Die Deutung der Wolkenvision (syrBar 56,2-74,4) ist Bestandteil des sechsten und letzten Teils der syrischen Baruch-Apokalypse155 (syrBar 48-77). 156 Es handelt sich um die Rede des angelus interpres Ramael (55,3), der auf Bitten des Baruch hin (54,20) dessen unverständliche Vision (Kap. 53) deutet. Sein Adressat ist der .verwirrte' und .erregte' Baruch (55,4). Diese Visionsdeutung ist gekennzeichnet durch ein Summarium der Geschichte Israels von der Schöpfung bis in die eschatologische Zeit.157 Charakteristisch ist die göttliche Festlegung der Gesamtdauer der Weltzeit (56,4; 69,2-4) und der stete Wechsel zwischen einer guten und einer negativen Periode (insgesamt zwölf Phasen, die als weiße bzw. schwarze .Wasser' bezeichnet werden), wobei weniger Geschichtsetappen im Vordergrund stehen als vielmehr Personen.'58 Der Wechsel von Gut und Böse bestimmt die Stoffauswahl und die Darstellung, was insofern erkennbar ist, als bedeutende Gestalten der Geschichte Israels ausgelassen werden (z.B. Noah und

vgl. die Analyse von VanderKam, Studies 518-521, der aufzeigt, wie sich die verschiedenen .Wochen' der Vergangenheit und der Zukunft entsprechen. 153

S.o. S. 77 Anm. 146.

154

Deutsche Übersetzung: KLIJN, A L B E R T U S F . J.: Die syrische Baruch-Apokalypse, in: Kümmel, Werner Georg u.a. (Hg.): Apokalypsen, JSHRZ V/2, Gütersloh 1976, 161-172. 155

Die syrische Baruch-Apokalypse ist am Übergang vom ersten zum zweiten nachchristlichen Jahrhundert in Palästina verfaßt worden (zur Diskussion und zu den Problemen vgl. Sayler, Promises 103-110). Klijn, Baruch-Apokalypse 114 nimmt eine Entstehung zwischen 100 und 130 n.Chr. an. Zwar ist der Text nur syrisch erhalten, doch liegt dieser Fassung wohl eine griechische Version zugrunde, die ihrerseits eine Übersetzung aus dem Hebräischen oder Aramäischen ist (so Klijn, Baruch-Apokalypse 110). 156

Mit Klijn, Baruch-Apokalypse 118f. Anders grenzt Bogaert, Apocalypse 1, 66f. ab, der Kap. 53-74 für den sechsten Teil der Schrift hält. Sayler, Promises 33-35 und Murphy, Structure 11-13; 22-24 halten Kap. 53-77 und damit die Wolkenvision und ihre Auslegung für den sechsten Teil der Schrift. 157

Auch K. Müller, Geschichte 89 sieht in der Gesamtdarstellung einen .Abriß der Geschichte Israels". 158 Ausnahmen bilden die kurzen Notizen Uber die Ägypter-Periode in Kapitel 58 und die Richterzeit in Kapitel 60. Anders aber U. B. Müller, Messias 135, der die Geschichtsepochen im

80

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

Jakob). Zudem sind keine Relativierungen oder Ambivalenzen erkennbar, sondern alles Gewicht liegt darauf, möglichst eindeutige Bilder zu zeichnen. Der Großteil des SGI bis syrBar 7 1 , 2 f . ist kohärent, doch kann man in syrBar 7 1 , 2 f . den .ersten Schluß' des Textes sehen, so daß 7 2 , 1 - 7 4 , 4 einen eigenen, sekundären Teil darstellen, der im übrigen mit der Vision v o n Kap. 53 nur bedingt in Einklang zu bringen ist.159

1.4.4

Sib

Kritische

111,248-294

Edition

Griechischer Text:'60 1902, 6 1 - 6 3 .

GEFFCKEN, JOHANNES

(Hg.): Die Oracula Sibyllina, GCS 8, Leipzig

Sib 111,248-294 gehört zum dritten Orakel (Sib III,196-294) 1 6 1 des Hauptteils von Sib III.1® D i e s e s dritte Orakel wird als ,gottbegeisterter H y m n u s ' ( ε ν θ ε ο ς

Vordergrund sieht. Damit wird er aber dem Duktus des Textes nicht gerecht (vgl. auch Sayler, Promises 34, die statt der Epochen die Personen im Vordergrund sieht). 159

Daß freilich nach dem letzten schwarzen Wasser (70f.) noch etwas folgen muß, ist von der Vision in Kap. 53 her deutlich, nur ging es dort um einen ,Blitz' und .zwölf Ströme' und nicht um ein neuerliches helles Wasser (53,8-11). Möglicherweise ist also ein ursprünglich anderer Schluß ersetzt worden. Vgl. zur älteren literarkritischen Diskussion Hämisch, Verhängnis 261 mit Anm. 1; Harnisch, Verhängnis 260-267 selbst, in dessen Auslegung Kap. 72-74 keine Rolle spielen, schenkt dem Umstand der Bezugnahme von Kap. 72-74 auf die Adam-Episode (56,5-8) zu wenig Beachtung, wenn er in Kap. 72-74 lediglich einen .Nachtrag' erblickt, der von der dominierenden Vorstellung eines neuen Äon „faktisch überboten ist" (Harnisch, Verhängnis 261 Anm. 1). Bogaert, Apocalypse 1, 86-88 macht auf die „disproportion de la vision elle-même et de son interprétation" (a.a.O. 87) aufmerksam, meint aber trotzdem, die beiden Teile stünden nicht unbedingt in „incompatibilité" (a.a.O. 88). U. B. Müller, Messias 134-138 meint in Abgrenzung gegen Volz und Hämisch, die Deutung in Kap. 56-74 sei einheitlich und stamme vom Verfasser des Baruchbuches (U. B. Müller, Messias 140 mit Anm. 10). Dieser habe allerdings eine ursprünglich andere Visionsschilderung auf seine Deutung hin bearbeitet und biete diese Bearbeitung in Kap. 53. So löst U. B. Müller die Spannung zwischen Kap. 53 und 56-74; bei diesem Lösungsversuch bleibt allerdings die Problematik des in Kap. 72-74 nicht wieder auftauchenden Blitzes ungelöst (U. B. Müller, Messias 140, Anm. 10 behauptet, der Seher wolle den Blitz nicht deuten). K. Koch, Messias 94-97 neigt der Deutung Violets zu, nach der die Vision eine übernommene Tradition sei und der Verfasser in der Deutung seine Position eingetragen habe; und zwar, so die neue Begründung bei K. Koch, wegen seiner .zweistufigen Messianologie'. ""Deutsche Übersetzung: MERKEL, HELMUT: Sibyllinen, in: Lichtenberger, Hermann u.a. (Hg.): Apokalypsen, JSHRZ V/8, Gütersloh 1998, 1089-1091. 161 162

Mit Collins, Oracles [1984] 365-368, der den Hauptteil in fünf Orakel gliedert.

Sib ΙΠ, ein original griechischer, in Hexametern abgefaßter Text, gilt als ältester Bestandteil der Sammlung sibyllinischer Orakel (so Collins, Oracles [1984] 365; Merkel, Sibyllinen 1059). Für eine genaue Datierung muß in Rechnung gestellt werden, daß Sib III ein Kompositum ist (zur Literarkritik an Sib III vgl. Collins, Oracles [1974] 24-28). Viele Exegeten nehmen eine

Einführung in die Texte

81

ύμνος - Sib III, 295) bezeichnet, den die Sibylle von Gott erfahren hat, um ihn zu verkündigen. Es handelt sich bei Sib 111,248-294 um ein Summarium der Geschichte Israels vom Exodus163 bis zur Restituierung des Ersten Tempels, wobei die letzte Phase eschatologische Komponenten aufweist.164 Dieses SGI ist der zweite Abschnitt einer umfangreicheren zweiteiligen Darstellung der Juden (Sib 111,212b-294), deren erster, auf die Einleitung folgender Abschnitt eine .Eulogie' auf das Volk ist (Sib 111,218-247):165 eine Schilderung von Charakter, Denken und Tun der Juden (dem ,Geschlecht der gerechtesten Männer') als ,Vorspann' zum SGI mit einem Herkunftsnachweis aus Ur in Chaldäa (Sib 111,218f.). Im Zentrum des SGI steht das jüdische Volk, als Einzelgestalt wird nur Mose erwähnt. Dem entspricht, daß die Bewahrung und Beachtung des Gesetzes einen wesentlichen Aspekt des gesamten Teils über die Juden darstellt. Daneben ist auch der Tempel eine wichtige Größe, was nicht zuletzt daran erkennbar ist, daß das jüdische Volk über den salomonischen Tempel identifiziert wird: άνδράσιν εύσεβέσιν ήξει κακόν, ot περί ναόν | οίκείουσι μέγαν Σολομώνιον („über die frommen Menschen wird das Böse kommen, über diejenigen, die um den großen salomonischen Tempel wohnen" - Sib 111,213f.). Deswegen überrascht im SGI das Fehlen einer Notiz über den Bau des Ersten Tempels, was möglicherweise auf eine Textlücke zurückgeführt werden kann.166

Entstehung im 2. Jh. v.Chr. an - so Nickelsburg, Literature 162; Collins, Oracles [1984] 367 datiert den Hauptteil von Sib III (und damit auch das SGI) in die Zeit zwischen 163 und 145 v.Chr. Aber auch das 1. Jh. v.Chr. wird in Betracht gezogen: Nikiprowetzky, der - s.u. S. 71 Anm. 167 - für die Einheit von Sib III plädiert, schlägt als Abfassungsdatum 42 v.Chr. vor (Nikiprowetzky, Sibylle 195-225). Merkel, Sibyllinen 1062 äußert sich zur Datierung des SGI nicht, da s.E. klare Indizien fehlen. Der Text ist weitgehend jüdischer Herkunft und wurde in Ägypten verfaßt, häufig wird Alexandria angenommen (Merkel, Sibyllinen 1044. Collins, Oracles [1974] 44-53; vgl. 117 hat Leontopolis erwogen; vgl. auch seine Ausführungen eine Dekade später: Collins, Oracles [1984] 367). Das SGI ist damit das einzige innerhalb der Visionen, das aus dem hellenistischen Diasporajudentum stammt. 163 Der Exodus wird allerdings nur peripher erwähnt. Anders Nikiprowetzky, Sibylle 56, der Sib ΠΙ,248-254 als „Sortie miraculeuse d'Égypte" bezeichnet. 164 Man beachte die Rede vom τέλος (Sib 111,282) und Gericht (Sib 111,287). Vgl. dazu Collins, Oracles [1974] 36, der auf die Ähnlichkeit des .pattern of events' zu den eschatologischen Ereignissen aufmerksam macht. 165 So charakterisiert Nickelsburg, Literature 163 diesen Abschnitt treffend. Collins, Oracles [1974] 26f. bezeichnet dagegen Sib 111,211-294 insgesamt als .Eulogie'. Vgl. zu Sib ΠΙ,218-247 besonders van der Horst, Self-Definition. 166

Möglicherweise gab es eine Erwähnung des Tempelbaus in der .Lücke', die die nach der uns zur Verfügung stehenden Überlieferung wohl aus Sib 111,247 und 585 kompilierten und interpolierten Verse Sib III,261f. ausfüllen (vgl. dazu schon Geffcken, Oracula 62, der aber nur Erwägungen bezüglich des Gesetzes ausgefallen sieht). An diese Stelle gehört nämlich die Phase des Tempelbaus, zumal in Sib 111,264 auf die .göttlichen Maße' verwiesen wird.

82

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

Insgesamt ist auf jeden Fall mit sekundären Bearbeitungen des Textes zu rechnen und nicht mit einem kohärenten Entwurf.167 1.5 Summarien der Geschichte Israels in Prophetischen Reden oder Gottesreden Bei den Gottesreden,168 in denen Summarien der Geschichte Israels verwendet werden, handelt es sich um Texte, in denen ein Mensch bzw. Prophet dem Volk Israel eine Darstellung der Geschichte Israels vermittelt (Ez 20; Jos 24; LibAnt 23). Charakteristisch für die SGI ist, daß ihre Geschichtsdarstellung in der Väterzeit einsetzt169 und bis in die Gegenwart der Hörer reicht (also bis zur Situation des Landbesitzes [Jos 24; LibAnt 23] bzw. des Exils [Ez 20]). Die Stoffauswahl ist durch die jeweilige Zielsetzung bedingt, was deutlich an den Gewichtungen und Auslassungen erkennbar ist. Im Mittelpunkt von Ez 20 steht das Volk, während in Jos 24 auf Volk und Einzelgestalten geblickt wird. In LibAnt 23 hingegen geht es zentral um Personen. Hervorzuheben ist, daß aufgrund des Charakters der Gottesreden in allen drei SGI eine Distanzierung des Sprechers vom Volk Israel und dessen Geschichte vorherrscht. Schließlich ist in Bezug auf die Schriftverwendung festzuhalten, daß LibAnt 23 insofern eine besondere Stellung einnimmt, als in diesem SGI sowohl Zitate als auch zum Teil sehr wörtliche Anspielungen verwendet werden. 1.5.1

Ez 20,5aß-29

Kritische Editionen Hebräischer Text: E L L I G E R , K A R L / R U D O L P H , W I L H E L M (Hg.): Biblia Hebraica Stuttgartensia, 2., verb. Aufl., Stuttgart 1984, 927-929. Griechischer Text: Z I E G L E R , JOSEPH (Hg.): Ezechiel, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum, Bd. 16,1, ed. auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis, 2., durchges. Aufl., mit einem Nachtrag von Detlef Fraenkel, Göttingen 1977, 171-176. Ez 20 steht im ersten Teil des Ezechielbuches, den Gerichtsworten gegen Israel (Ez 1-24). Das gesamte Kapitel ist von den Kapiteln 19 und 21 f. klar abgrenzbar,170 167

Anders Nikiprowetzky, Sibylle 67, der für die Kohärenz des SGI plädiert: „un texte parfaitement cohérent". Man vgl. aber nur die verschiedenen Peispektivwechsel: In Sib 111,218-266a wird in der 3. Person Plural berichtet, ehe in Sib III,266b-285 ein Abschnitt in der 2. Person Singular folgt, und in Sib 111,286-294 emeut in der 3. Person Plural bzw. Singular berichtet wird. 168 Daß es sich allesamt um Gottesreden handelt, ist an der Botenformel erkennbar (Ez 20,5aß; Jos 24,2aß; LibAnt 23,4.13). 169 In Ez 20 wird die Väteizeit allerdings weitgehend ausgeblendet. 170

Mit Krüger, Geschichtskonzepte 200.

Einführung in die Texte

83

hat aber B e z ü g e zum Kontext in Ez 18 s o w i e 21 f.171 und ist in gewisser W e i s e vergleichbar mit den Bildreden in Ez 16 und 23.'" Es handelt sich bei Ez 2 0 , 3 - 4 4 um eine Gottesrede, eine Offenbarung Gottes an Ezechiel, den 0 Ί ί Γ ] 3 , deren Anlaß eine Befragung Gottes durch einige der Ältesten der Israeliten ist, die Ezechiel aufsuchen (Ez 20,1). Gott weist deren Ansinnen zurück und beauftragt Ezechiel, den Fragern die Greueltaten ihrer Väter aufzuzeigen, also als Vermittler tätig zu werden, w o m i t das SGI eingeführt wird (Ez 20,3f.). D a s der Geschichte

Summarium

Israels selbst (Ez 2 0 , 5 a ß - 2 9 ) stellt die Zeit v o m Ägyptenaufent-

halt bis zur Gegenwart der Hörer im Exil dar.173 Personen werden nicht erwähnt, nur das Verhalten des V o l k e s in B e z u g auf Götzenbilder/-dienst, Opferdienst und Gesetzesgehorsam spielt eine Rolle. Charakteristisch ist die Konzentration auf den Ungehorsam des Volkes 1 7 4 und die Güte und Gnade Gottes, der stets Strafen androht, aber auch neue Anfänge wagt. 175 D a s SGI ist kein kohärenter Text, sondern läßt einen deutlichen Wachstumsprozeß erkennen. 176

171 Darauf weist Pohlmann, Ezechielstudien 55f. hin, der herausarbeitet, daß Ez 20 nachträglich in den Zusammenhang Ez 19/21 f. eingeschaltet worden sei. 172

Zwar steht auch in diesen beiden Texten die Geschichte Israels im Zentrum, sie sind aber nicht Gegenstand dieser Arbeit, da in ihnen nur sporadisch die Frühgeschichte Israels thematisiert wird, die Stadt Jerusalem im Mittelpunkt steht und sie große Komponenten Gerichtsrede/-ankündigung enthalten (vgl. zu den Differenzen zwischen Ez 20 einerseits und Ez 16; 23 andererseits Krüger, Geschichtskonzepte 283-286). Im übrigen ist Ez 20 keine Bildrede, sondern hier wird „ganz unverhüllt von .Israel' (5) und seiner Geschichte vor seinem Gott" gehandelt (Zimmerli, Ezechiel 439). 173 Ein Konsens das Alter des SGI betreffend zeichnet sich nicht ab, die Datierung ist durch die jeweilige literarkritische Analyse bedingt. Grundsätzlich kann unterschieden werden zwischen einer Rückführung des Grundbestandes auf Ezechiel (z.B. Zimmerli, Ezechiel 440) und einer konsequent nachexilischen Datierung (z.B. Pohlmann, Ezechielstudien 67-77). 174 Mit Pohlmann, Ezechielstudien 60 ist der Zeitraum insgesamt als „Verschuldungszeitraum" zu fassen. 175 Innerhalb der Strafandrohungen läßt sich eine Steigerung der Gerichtsdrohungen und damit ein Gefälle auf ein Gericht hin erkennen. Es wird also kein zyklischer Verlauf geschildert (mit Zimmerli, Ezechiel 442). 176 Exemplarisch sei auf zwei Modelle hingewiesen, deren Gemeinsamkeit u.a. darin besteht, daß das Kapitel prinzipiell in zwei Teile geteilt werden kann (Ez 20,1-31 und 20,32-44). Zimmerli sieht in Ez 20,2-26.30f. das Grundwort des Ezechiel (Zimmerli, Ezechiel 439), in Ez 20,27-29.3 laa eine .Nachexegese' (a.a.O. 450f.) und in Ez 20,32-44 Elemente eines späteren Wachstums (a.a.O. 452f.). Pohlmann, Ezechielstudien 58-66 sieht in Ez 20,l-3.30f. eine golaorientierte Rahmung, in Ez 20,(4).5-23.(24-29)? ein SGI aus nachexilischer Diasporaperspektive und in Ez 20,32-44 Erweiterungen, die die Linie von Ez 20,1-31 aufnehmen. Sein Fazit: Ez 20 ist „ein Produkt später nachexilischer Reflexionen" (a.a.O. 67). Zur Forschungsdiskussion vgl. Krüger, Geschichtskonzepte 207-214, der auch darauf hinweist, daß man in jüngerer Zeit die Kohärenz von Ez 20 zu erweisen versucht (a.a.O. 208); vgl. Sedlmeier, Studien 90-98, der allerdings Ez 20,27-29.39*.40-44 als spätere Nachträge versteht (a.a.O. 98-107).

84

1.5.2 Kritische

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

Jos

24,2aß-13 Editionen

Hebräischer Text: ELLIGER, KARL/RUDOLPH, WILHELM (Hg.): Biblia Hebraica Stuttgartensia, 2., verb. Aufl., Stuttgart 1984, 396-397. Griechischer Text: RAHLFS, ALFRED (Hg.): Septuaginta. Id est Vetus Testamentum graece iuxta LXX interpretes, Bd. 1, Leges et Historiae, 9. Aufl., Stuttgart 1971, 4 0 2 - 4 0 3 ; SWETE, HENRY B. (Hg.): The Old Testament in Greek according to the Septuagint, Bd. 1, Genesis - IV Kings, 3. Aufl., Cambridge 1901, 4 7 1 ^ 7 2 . Jos 2 4 ist das letzte Kapitel des Josuabuches, das g e m e i n s a m mit Kap. 2 3 deutlich von den beiden großen Teilen der Schrift (Jos 1 - 1 2 . 1 3 - 2 2 ) unterschieden werden kann. Während Jos 23 die Abschiedsrede des Josua vor ganz Israel enthält, 177 stellt sich Jos 2 4 als von Josua vermittelte Gottesrede vor dem ganzen V o l k in Sichern (MT)/Silo ( L X X ) dar (Jos 24,1 f.). 178 D a s Summarium

der

Ge-

schichte Israels (Jos 2 4 , 2 a ß - 1 3 ) umfaßt die Geschichte von der Väterzeit (Terach) bis zur Landgabe und kreist um die Frage, wer in Israel Gott sei. 179 Zentral sind deshalb Gottes positive Taten zugunsten der Väter und des V o l k e s durch die gesamte Geschichte hindurch. Besonders die topographischen W e c h s e l werden auf Gottes Steuerung zurückgeführt.

Anders Ohnesorge, Jahwe 78ff., der mit einer .komplizierten Wachstumsgeschichte' rechnet (a.a.O. 104). 177 Jos 23 ist abhängig von Jos 24 und stellt eine bewußte Parallele dar (Noort, Stand 96); vgl. die Präsenz des Exils in Jos 23, die in 24 völlig fehlt. Daß Jos 23 in erster Linie von deuteronomistischer Hand gestaltet ist, leidet keinen Zweifel (vgl. z.B. Soggin, Joshua 226f.), Jos 24 hingegen hat auch ältere Elemente in seinem Bestand. 178 Daß es sich um eine Gottesrede handelt, ist an der .Botenformel' in Jos 24,2aß erkennbar. Zweierlei ist aber zu bedenken: Zum einen vermitteln V. 14f. nicht den Eindruck einer Gottesrede, da Gott nicht mehr Subjekt, sondern Objekt ist, und zum anderen ist in der LXX-Fassung Gott nur in Jos 24,2ay-4 Subjekt, im gesamten Rest des Textes spricht aber ein pluralisches Subjekt, hinter dem sich das Volk verbirgt. 179 Von der Iiterarkritischen Analyse hängt die Datierung des SGI ab; es finden sich dementsprechend sehr verschiedene Datierungsvorschläge, ein Konsens ist nicht in Sicht. Die beiden Extreme stellen eine Rückführung auf das 7. Jh. v.Chr. und eine frühnachexilische Datierung dar. Eine Frühdatierung vertritt L. Perlitt, eine Spätdatierung E. Blum. Zur Diskussion dieser Thesen vgl. Kreuzer, Frühgeschichte 185-192. Zu den Problemen der Datierung des gesamten Textes und seiner Bestandteile vgl. Noort, Stand 95-104, der insgesamt eine vorexilische Datierung für möglich hält (a.a.O. 102) bzw. den Text „in einer etwas früheren Zeit als in einem exklusiven dtn-dtr Umfeld" ansiedeln möchte (a.a.O. 104). In der neueren Literatur plädieren für eine relativ frühe Entstehung Kreuzer, Frühgeschichte 213 (josianische Reform); Koopmans, Joshua 412 (zwischen 7. Jh. und der exilischen Zeit) und Anbar, Josué 102-105.141f. (nach 587/6 v.Chr. und vor Neh 9), während Römer, Väter 325-330 das SGI in die nachexilische Zeit datiert.

Einführung in die Texte

85

Das SGI ist - trotz der Bedenken, die vor allem in der älteren Literatur vorgetragen wurden - ein weitgehend kohärenter Entwurf.180

1.5.3

LibAnt

23,4b-ll

Kritische Edition Lateinischer Text:m

HARRINGTON, D A N I E L J .

(Hg.): Pseudo-Philon. Les Antiquités

Bibliques, Bd. 1, Introduction et Texte Critiques, SC 229, Paris 1976, 1 8 4 - 1 8 9 .

Zwar ist der Liber Antiquitatum Biblicarum insgesamt, wie bereits weiter oben ausgeführt,182 nicht Gegenstand dieser Arbeit, doch er enthält neben dem SGI in LibAnt 32 ein weiteres SGI in LibAnt 23. Das 23. Kapitel ist Teil des JosuaAbschnitts der Schrift (LibAnt 20-24), in dem das Wirken Josuas bis zu seinem Tod beschrieben wird. In LibAnt 23 wird über die Versammlung von ,ganz Israel', den Bundesschluß in Silo und eine nächtliche Theophanie des Josua berichtet (LibAnt 23,1-3). Josua ruft daraufhin das Volk zusammen und übermittelt eine Gottesrede (LibAnt 23,4b-13), die durch ein Summarium der Geschichte Israels (LibAnt 23,4b-l 1) gekennzeichnet ist. Dessen Darstellung umfaßt die Geschichte von der Väterzeit (Terach) bis zur Landgabe. Es ist wichtig festzuhalten, daß dieses SGI das einzige ist, dessen literarische Abhängigkeit zu einem anderen SGI, nämlich Jos 24,2aß-13 feststeht. Die beiden Texte haben also einige Gemeinsamkeiten, in erster Linie die gottgesteuerte Führung des Volkes auf dem Weg. LibAnt 23,4b-l 1 unterscheidet sich aber vom SGI in Jos 24 in folgenden Punkten: Die Stoffauswahl ist zum Teil unterschiedlich (so kommen Mose und der Sinai sehr wohl vor - LibAnt 23,9f.)183 und die Gewichtung der einzelnen Stoffe ist verschieden (man vgl. nur den Dialog zwischen Gott und Abraham - LibAnt 23,5-7).184

180

Zur Frage nach der Einheitlichkeit des SGI vgl. unten III.4.2.4, S. 113f.

181

Deutsche Übersetzung: DIETZFELBINGER, CHRISTIAN: Pseudo-Philo: Antiquitates Biblicae (Liber Antiquitatum Biblicarum), in: Kümmel, Werner Georg u.a. (Hg.): Unterweisung in erzählender Form, JSHRZII/2, 2. Aufl., Gütersloh 1979, 164-166. 182 S.o. III. 1.3.7, S. 73f. An dieser Stelle ist auch auf die dortigen Erörterungen zur Datierung und Verortung von LibAnt hinzuweisen. 183

Das entspricht der besonderen .Bundes-Konzeption' des LibAnt, in dem Bund und Gesetz stets zusammen erwähnt werden. Man vgl. nur LibAnt 23,2: Ecce ego dispono ad vos testamentum legis huius, quam disposuit Dominus patribus nostris in Oreb. 184 Aufgrund des identischen Aufbaus und einiger Zitate aus Jos 24 ist das SGI als „an elaboration of the straightforward history of the Jewish people given in Joshua 24" zu beschreiben (Jacobson, Commentary 2, 713). Etwas anders urteilt Reinmuth, Pseudo-Philo 64, der meint, die Rede sei „nicht am biblischen Leittext orientiert".

86

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

Die Einheitlichkeit des SGI in LibAnt 23 ist allerdings - anders als im Fall des biblischen Leittextes - nicht zu bestreiten.

2. Aktualisierungen in Summarien der Geschichte Israels

Mit Ausnahme der SGI in Hymnen und Liedern sind alle Summarien der Geschichte Israels in einen narrativen Kontext eingebettet, der eine bestimmte Sprechsituation aufweist. Ein oder mehrere Sprecher halten eine Ansprache, sprechen ein Gebet, berichten von einer Vision oder übermitteln eine Gottesrede an einen oder mehrere Adressaten. Wenn innerhalb des SGI auf diese Sprechsituation Bezug genommen wird, so liegt eine Aktualisierung von Geschichte vor. Eine solche Bezugnahme kann in den antik-jüdischen SGI in zwei Ausprägungen erfolgen. Einerseits können innerhalb der Darstellung der Vergangenheit kurze Notizen (zumeist Nebensätze) einen Bezug zur Gegenwart des Sprechers und seiner Hörer herstellen. Andererseits kann die Vergangenheitsdarstellung bis in die Gegenwart des Sprechers oder sogar bis in die Zukunft fortgeführt werden. Im folgenden soll aufgezeigt werden, wie solche Aktualisierungen formal und inhaltlich zu bestimmen sind und wie häufig sie in antik-jüdischen SGI verwendet werden.

2.1 Aktualisierende Notizen innerhalb der Vergangenheitsdarstellung Eine Bezugnahme auf die Gegenwart von Sprecher und Hörern innerhalb der Vergangenheitsdarstellung eines Summariums der Geschichte Israels wird im folgenden als .Kurzaktualisierung' bezeichnet. Sie kann formal unterschiedlich sein und verschiedene Inhalte haben. Eine Form der Kurzaktualisierung ist die Verwendung eines Demonstrativpronomens. Mit Hilfe eines solchen Pronomens kann innerhalb der Darstellung der Geschichte Israels ein bestimmter Ort oder ein bestimmtes Land als Ort der gegenwärtigen Sprecher und Hörer bezeichnet werden. Die Mehrheit der auf diese Weise aktualisierenden Ortsbestimmungen in antik-jüdischen SGI betreffen das Land des Volkes Israel. So erscheinen derartige Hinweise mehrfach in Bezug auf die Landnahme bzw. Landgabe. Das ist der Fall, wenn der Beter in Dtn 26,9 seinen Standort als DIpQH ΠΤΠ / ó τόπος ούτος bzw. ΠΝΤΠ / ή γη αΰτη bezeichnet, wenn Samuel in lSam 12,8 von ΠΤΠ DlpQil / ó τόπος ούτος

87

Aktualisierungen

als Wohnort der Israeliten spricht185 oder wenn Gott als Redner in LibAnt 23,11 dezidiert von terra ista spricht, die er den Israeliten gegeben habe.186 In Kurzaktualisierungen können auch der Tempelplatz und Jerusalem erscheinen. So wird im Abraham-Teil von Bell 5 der Ort des Tempels vorgestellt und erläuternd hinzugefügt, daß die Adressaten der Rede diesen entweiht (Bell 5,380 - ά ν α τ ε ί ν α ς τάς χείρας εις ον νυν έμι-άνατε χώρον ύμεΐς) bzw. mit dem Blut der ,Stammesgenossen' besudelt hätten (Bell 5,381 - προσκυνών δέ τον ύφ ' ύμών αίμαχθέντα χώρον όμοφύλω φόνω). Schließlich kann auf das Land Ägypten aktualisierend hingewiesen werden. So wird in 3Makk 6,4, dem Gebet, das Eleazar in Ägypten an Gott richtet, der Pharao, der die Israeliten aus Ägypten vertrieben hat, als ό πρίν Αιγύπτου ταύτης δυνάστης (,der frühere Herrscher dieses Ägyptens') bezeichnet. Eine andere Form der Kurzaktualisierung liegt vor, wenn geschichtliche Ereignisse, Personen oder Institutionen mit gegenwärtigen verglichen werden. So wird in syrBar 59,4 die Gabe des Gesetzes an Mose mit einer gegenwärtigen (Neu-)Offenbarung verglichen, wenn Baruch, der Hörer der Visionsdeutung, als Nachfolger des Mose proklamiert wird - Mose also als Typos des Gesetzesempfängers fungiert. Ebenso können die Verhaltensweisen von Personen der Vergangenheit mit Verhaltensweisen der Hörer verglichen werden, wofür 4Esr 14,30 ein Beispiel ist. Dort wird beteuert, daß die Israeliten zur Zeit des Esra, also die Adressaten des SGI, ebenso das Gesetz übertreten hätten wie die Väter.187 Aber es kann nicht nur eine Gleichstellung von geschichtlichen und gegenwärtigen Personen erfolgen, sondern auch ein Vergleich. So heißt es bei Josephus in Bell 5,391, daß Zedekia gemäßigter war als die Hörer der Rede, in Bell 5,397, daß die Juden während des Angriffs des Pompeius sich nicht derartig gegen das Heiligtum und das Gesetz versündigt hätten wie die Adressaten, und schließlich in Bell

185

Josephus gibt die Samuel-Rede in seinen Antiquitates wieder (Ant 6,86-94), in dieser Wiedergabe aber ist kein SGI mehr zu finden. Bemerkenswert ist allerdings ein Relativsatz, mit dem auf das Land der Hörer hingewiesen wird: ή γ η , ήν νϋν έχετε (Ant 6,89). 186 Anders in dem biblischen Pendant Jos 24,13: Π3 n » r ~ l Ò Ί&Κ p H („Und ich habe euch ein Land gegeben, um das ihr euch nicht gemüht habt"). 187

DD1?

Et acceperunt (sc. patres nostri) legem vitae, quem non custodierunt, quem et vos post eos transgressi estis („Und sie haben das Gesetz des Lebens empfangen, das sie nicht hielten, das auch ihr übertreten habt nach ihnen"; vgl. auch 4Esr 14,31). Man vgl. auch den Abschluß der an das SGI anschließenden Folgerung in lSam 12,15, wo das Handeln Gottes an den Vätern mit dem an den Hörern gleichgesetzt wird: Ü D T D Í O I DD3 Π"ΙΠ , ~Τ ΠΠΤΠ („die Hand JHWHs wird gegen euch sein wie gegen eure Väter"). Eine ähnliche Formulierung bezeugt auch Targum Jonathan, eine andere hingegen die LXX (καί έσται χειρ κυρίου έπί ύμας και έπΐ τον βασιλέα ύμών - „die Hand des Herrn wird gegen euch sein und gegen euren König") und zwei Zeugen der Vetus Latina.

88

Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

5,411, daß keiner der Frevler in der Zeit des Nebukadnezar so ruchlos gewesen sei wie die gegenwärtigen Hörer der Rede des Josephus. Sogar ein Gebäude kann durch den Vergleich mit anderen Gebäuden als einzigartig in der Geschichte dargestellt werden, wie es in CD III, 19f. in Bezug auf den Jerusalemer Tempel geschieht:

ran ivi avsbnb iüdd idv xb im hxrwo pro rra orò p'i

„Und er baute ihnen ein zuverlässiges Haus in Israel, wie es zuvor nie bestanden hatte bis heute". Damit wird die Besonderheit des Tempels hervorgehoben.188 Ebenso kann der gegenwärtige Tempel als Paradigma des eschatologischen Tempels fungieren, wie syrBar 59,4 belegt („und weiter dann [gab Gott dem Mose] auch Zions Bild und seine Maße; soll es doch gebaut werden nach dem Bild des heutigen Heiligtums").189 Desweiteren kann in SGI die Vergangenheit durch eine Generalisierung bestimmter Verhaltensweisen aktualisiert werden, so wie es in CD III, 15 f. in Bezug auf das Gesetz der Fall ist: • γ ώ π τ η d - ι κ π π β η ρ ~ \ m 1212η ' a s m i r r n » s - r n „und die Wege seiner Wahrheit und seines Willens Wünsche, die der Mensch tun sollte, um durch sie zu leben".190 In CD 111,20 wird bezüglich des Tempels generalisiert: Π23 "Π 1 ? 13 D ^ î n n n „die daran [sc. an dem von Gott in Israel erbauten Haus] festhalten, sind fur ewiges Leben bestimmt". Auch die Anspielung eines Sprechers auf ein geschichtliches Vorwissen seiner Hörer kann als Kurzaktualisierung fungieren. Als Beispiel fur diese Form sei auf LibAnt 23,9 verwiesen: Et humiliaverunt Egiptiipatres vestros, sicut vos scitis. Ebenso kann die Notiz, daß sich eine bestimmte Ankündigung erfüllt hat, die Bezüge zwischen Vergangenheit und Gegenwart aufzeigen. So wird in syrBar 64,4f. die Ausrottung des Zion und die Gefangensetzung der zweieinhalb Stämme

188 Es muß bei der Erwähnung des .Hauses' bedacht werden, daß der Tempel hier zugleich die Gemeinde symbolisiert, wie z.B. Lichtenberger, Studien 152 und García Martínez, L'Interprétation 445 meinen. Schwartz, House 442-444 lehnt diese Deutung ab. 189 Das Tempel-Schicksal spielt in dem SGI von syrBar eine wesentliche Rolle, v.a. in der Darstellung der Königszeit. Die Bewahrung des Tempels gilt als Kriterium für die Bewertung einer Person. Aber auch in der Zukunft hat der Tempel eine Funktion (Wiederaufbau und Indienstnahme durch Priester - syrBar 68,5), wenngleich seine Rolle in der messianischen Zeit (70-74) relativiert ist (vgl. Murphy, Temple 682f.). 190 Die ,Wege seiner Wahrheit' und die ,Wünsche seines Willens' (sc. Gottes Wahrheit und Willen) sind Epitheta des Gesetzes.

Aktualisierungen

89

in den Zeiten des Manasse angedroht, ehe ergänzt wird, daß dieses Ereignis ,in euren Tagen' geschehen sei.191 Wenn in SGI innerhalb eines Visionsberichtes eine entrückte Gestalt (wie Henoch) als in den Geschichtsablauf der Vergangenheit eingreifend geschildert wird, so liegt ebenfalls eine Kurzaktualisierung vor. Als Beispiel dient lHen 89,56f. belegt: Innerhalb der Geschichtsdarstellung der Tierapokalypse wird dort, wo im Zusammenhang mit der Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier berichtet wird, daß Gott den Tempel verlassen habe, eine Klage des Visionärs Henoch eingesetzt."2 Schließlich kann durch Kurzhinweise die Permanenz einer geschichtlichen Tat aufgezeigt und auf diese Weise Vergangenes vergegenwärtigt werden. Das gilt für göttliche Taten, wie Neh 9,10 belegt, wo festgestellt wird, daß Gott sich in Ägypten einen Namen gemacht habe, so ,wie er heute ist' (ΠΤΠ D I T D ; vgl. 2Εσδ 19,10: ώς ή ημέρα αύτη)." 3 Diese Form der Kurzaktualisierung findet sich auch in den SGI innerhalb von Hymnen und Liedern, wobei die Vergangenheit nicht auf einen naiTativen Kontext, sondern auf die Adressaten des Liedes oder Hymnus bezogen wird. So können die Taten bedeutender Personen der Geschichte Israels zur Gegenwart in Bezug gesetzt werden, wie Davids Taten in Sir 47,7. Dort wird Davids Macht mit dem Hinweis hervorgehoben, daß er die Macht der Feinde (bes. der Philister) ,bis heute' (εως σήμερον ) zerschlagen habe.194 Geschichtliche Taten können schließlich auch durch die Errichtung von ,Denkmälern' eine Permanenz zugesprochen bekommen. So wird in Weish 10,7f. über die Errichtung eines μνημείο ν bzw. μνημόσυνον zur Mahnung berichtet.195 In eine ähnliche Richtung zielen Kurzhinweise, die eine längst vergangene Tat als direkt fur die Adressaten geschehen bezeichnen. Ein solcher Bezug wird in Sir 49,13 hergestellt, wenn über Nehemia berichtet wird, er habe die Mauern Jerusalems ,fur uns' wieder aufgebaut und .unsere' Häuser wieder aufgerichtet. Ebenso wird in 4Esr 14,3 lf. die Landgabe

191

Die Zerstörung Jerusalems ist in der Gegenwart des Hörers Baruch geschehen (vgl. das wiederholte ,nun' in syrBar 67). 192 „Und ich schaute ihn, wie er jenes ihr Haus und ihren Turm verließ ... Und ich begann, aus all meiner Kraft zu schreien und den Herrn der Schafe zu rufen und bei ihm vorstellig zu werden wegen der Schafe, denn sie würden von allen wilden Tieren gefressen." Vgl. ähnliche Aktualisierungen in lHen 89,52.67; 90,3. 193

Gottes Name ist in diesem SGI besonders wichtig.

194

Zwar ist David einer der drei positiv bewerteten Könige des SGI, aber er wird nicht aus diesem Trio herausgehoben. 195 Das Aufzeigen des falschen Handelns zu paränetischen Zwecken ist Teil der Zielsetzung des SGI.

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Summarien der Geschichte Israels in antik-jüdischen Schriften

und der Landverlust mit der Generation der Israeliten zur Zeit des Esra, den Hörern der Rede, verbunden: Et data est vobis terra in sortem in terra Sion („Und es ward euch das Land zum Erbteil gegeben im Lande Zion" - 4Esr 14,31); abstulit a vobis in tempore quod donaverat („er hat euch entzogen zu seiner Zeit, was er geschenkt hatte" - 14,32).196 Die Erörterungen haben gezeigt, daß Kurzaktualisierungen recht verschiedene Formen annehmen können, die Palette der Themen aber eher gering ist. Welche Inhalte werden also mit Hilfe von Kurzaktualisierungen betont? Es erfolgen Hinweise auf Ägypten (3Makk 6,4; LibAnt 23,9), auf die Gesetzesgabe am Sinai (syrBar 59,4) und - damit eng verbunden - auf die Bedeutung des Gesetzes (4Esr 14,30 thematisiert die Gesetzes-Übertretung und CD III, 15f. die GesetzesBewahrung). Auch das Land des Volkes Israel wird aktualisierend erwähnt, wobei auffallt, daß sich alle Belege auf die Landgabe beziehen (Dtn 26,9; 1 Sam 12,8; LibAnt 23,11 ; 4Esr 14,3 lf.). Schließlich finden auch der Jerusalemer Tempel (Bell 5,380f.; CD III,19f.; syrBar 59,4) und die Zerstörung Jerusalems (syrBar 64,4f.) Verwendung in Kurzaktualisierungen. Es ist insgesamt festzuhalten, daß es sich in nahezu allen Fällen von Kurzaktualisierung um zentrale Aspekte der jeweiligen Geschichtsbetrachtung handelt. Verwiesen sei hier beispielhaft nur auf die hohe Bedeutung des Gesetzes in CD II-IV, 4Esr 14 und syrBar 56-74, die Zentralität der Landgabe in Dtn 26; lSam 12; LibAnt 23 und 4Esr 14 und die Hervorhebung des Tempels in Bell 5; CD II-IV und syrBar 56-74. Darüber hinaus handelt es sich bei den aktualisierten Inhalten stets um gewichtige Ereignisse oder Größen der Geschichte Israels, die auf diese Weise in den Vordergrund gerückt werden. In zwölf der siebenundzwanzig antik-jüdischen SGI findet eine Kurzaktualisierung Verwendung."7

196 Das Land spielt in 4Esr 14 als Größe der Vergangenheit eine Rolle und auch der Verlust und die gegenwärtige Situation von Sprecher und Hörer/innen außerhalb des Landes werden betont (4Esr 14,33), aber das Land hat keine Funktion in eschatologischer Perspektive. 197 lSam 12; Bell 5; 4Esr 14; CD II-IV; Dtn 26; Neh 9; 3Makk 6; Sir 44-50; Weish 10; lHen 85-90; syrBar 56-74; LibAnt 23.

Aktualisierungen

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Abb. 2 Anteil der Summarien der Geschichte Israels mit Aktualisierungen innerhalb der Vergangenheitsdarstellung Durch Kurzaktualisierungen wird die summarisch dargestellte Geschichte eines SGI an einzelnen Punkten auf die narrative Gegenwart hin transparent gemacht. Dadurch werden geschichtliche Ereignisse oder Personen positiv oder negativ hervorgehoben. Diese erfahren dabei ebenso eine Deutung wie die im narrativen Kontext erscheinenden Ereignisse oder Personen, die mit Hilfe von Bezugnahmen auf die Vergangenheit eingeordnet werden. Geschichte wird auf diese Weise funktionalisiert. 2.2 Aktualisierungen als Fortführung der Vergangenheitsdarstellung Von diesen Kurzaktualisierungen sind ausfuhrlichere Aktualisierungen zu unterscheiden, die die Vergangenheitsdarstellung eines SGI bis zur Gegenwart oder darüber hinaus fortführen. 2.2.1 Ausblick in die narrative Gegenwart In den meisten Fällen wird nach dem Blick auf die Vergangenheit in einer Rückkehr in die narrative Gegenwart auf die Situation von Sprechern und Hörern Bezug genommen, die im narrativen Kontext geschildert wird. Das kann zum einen durch die Rezeption der Ereignisse erfolgen, die im Rahmen des SGI erwähnt worden sind und damit die aktuelle Situation der Hörer beschreiben. So wird in LibAnt 32,11 der Sieg gegen Sisera thematisiert, von dem in LibAnt 31 berichtet worden ist. Auf eine ähnliche Weise geht Samuel in lSam 12,13 im Anschluß an die Vergangenheitsdarstellung darauf ein, daß das Volk einen König erbeten hat, was in lSam 8-10 dargestellt worden ist. Wie in LibAnt 32 der unmittelbar

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zuvor gewonnene Kampf am Ende der Geschichtsdarstellung steht, so steht in lSam 12 die unmittelbar zuvor erfüllte Bitte um einen König am Ende der Geschichtsdarstellung. Die zweite Möglichkeit besteht in dem Rekurs auf die grundsätzliche Situation von Sprechern und Hörern. In fünf von sechs Fällen bedeutet das einen Bezug auf die Situation des Wohnens im verheißenen Land und des Landbesitzes: Dtn 26,10a; Jos 24,13; Neh 9,30f.; LibAnt 23,11 und Jdt 5,19. Dabei wird freilich in den verschiedenen Texten je nach narrativem Kontext auf verschiedene Phasen des Landbesitzes Israels zurückgegriffen, in Dtn 26, Jos 24 und LibAnt 23 auf die Phase unmittelbar nach der Landnahme, in Neh 9 auf die Phase der Fremdherrschaft im eigenen Land (vgl. Neh 9,36f.) und in Jdt 5 auf die Phase des Landbesitzes nach der Rückkehr aus dem Exil. In 4Esr 14,33 wird allerdings nicht auf das Wohnen im verheißenen Land zurückgegriffen, sondern (so jedenfalls die Fiktion der Schrift) auf das Wohnen in Babylon. Eine besondere, da nicht sehr häufig verwendete Form des Ausblicks auf die narrative Gegenwart ist die Eingliederung eines Zeitgenossen von Sprechern und Hörern in die Geschichtsdarstellung. Mit dem Rekurs auf den erbetenen König ist der bereits oben diskutierte Text lSam 12 ein Beispiel dafür. Hier wird der im narrativen Kontext erbetene, schließlich erwählte und eingesetzte König an das Ende der Geschichtsdarstellung gestellt (lSam 12,13), womit zugleich die an das SGI anschließende Folgerung eingeleitet wird (lSam 12,14f.)."8 Eine ganz ähnliche Aktualisierung weist Ant 3 auf, wo sich der Sprecher Mose in die Aufzählung der individuellen Empfanger von Gottesgaben eingliedert (Ant 3,87g). Schließlich ist das Lob auf den Hohenpriester Simon (Sir 50,1-21) am Ende des Lobes der Väter in Sir 44-50199 zu nennen. Hier liegt allerdings kein narrativer Rahmen wie in den beiden Reden vor. 2.2.2 Ausblick in die Zukunft Es ist ein Spezifikum der SGI innerhalb von Visionen, daß es sich um Darstellungen einer Gesamtgeschichte bis hin zu den eschatologischen Ereignissen handelt. Allerdings ist der narrative Kontext strukturell unterschiedlich. So sind in syrBar 56-74 klare Abgrenzungen zwischen Vergangenheitsdarstellung sowie Ausblick in Gegenwart und Zukunft erkennbar, da Baruch als Hörer der Visionsdeutung einen innergeschichtlichen Standort einnimmt. Demgegenüber sind Übergänge zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft weder in den beiden Henoch198

Bereits lSam 12,13 setzt mit ΠΠΙ?") / και vöv ein.

199

Vgl. zur Ursprünglichkeit von Sir 50 oben III.1.3.5, S. 70f.

Aktualisierungen

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Texten noch im sibyllinischen Orakel deutlich erkennbar, da die Geschichte aus einer Meta-Perspektive (etwa von seiten des entrückten Henoch) dargestellt wird.200 Es verdient festgehalten zu werden, daß alle diese Texte bis weit in die Zukunft reichen, indem sie eschatologische Ereignisse thematisieren (lHen 90,13-27; lHen 91,12-17; syrBar 69-71; Sib m,282-294)201 und die messianische Zeit beleuchten (lHen 90,28-38; syrBar 72-74). Der einzige Text, der nicht aus dem Bereich der Visionen stammt, aber ebenfalls eine Aktualisierung über die Gegenwart hinaus bietet, ist CD Π-IV. Auch hier steht am Ende der Geschichtsdarstellung ein Ausblick auf das Eschaton, das ,Ende der Tage' (D 1 Q 1 n ΓΤΗΠ8 - CD IV,4), wobei der Übergang durch ein Zitat von Ez 44,15 und dessen Deutung auf die eschatologischen Ereignisse erfolgt (CD 111,21 ff.). Aktualisierungen, in denen die Vergangenheitsdarstellung bis in die Gegenwart (und teilweise darüber hinaus) fortgeführt wird, erscheinen recht häufig in antikjüdischen SGI: siebzehn der siebenundzwanzig SGI weisen eine solche Aktualisierung auf.202