Die Befreiung von Verbindlichkeiten nach Art. 135a Abs. 2 GG [1 ed.] 9783428493838, 9783428093830

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Die Befreiung von Verbindlichkeiten nach Art. 135a Abs. 2 GG [1 ed.]
 9783428493838, 9783428093830

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ANDREAS HARATSCH

Die Befreiung von Verbindlichkeiten nach Art. 135a Abs. 2 GG

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 752

Die Befreiung von Verbindlichkeiten nach Art. 135a Abs. 2 GG

Von

Andreas Haratsch

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Haratsch, Andreas: Die Befreiung von Verbindlichkeiten nach Art. 135a Abs. 2 GG / von Andreas Haratsch. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 752) Zugl.: Mainz, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09383-6

Alle Rechte vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09383-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort Diese Arbeit lag dem Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Sommer 1997 als Dissertation vor. Für die Drucklegung ist der Text geringfügig ergänzt worden. Die vorliegende Fassung ist auf dem Stand vom Dezember 1997. Meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Eckart Klein, von dem ich in zahlreichen Gesprächen und Diskussionen unschätzbar viel gelernt habe, bin ich für seine Förderung zu großem Dank verpflichtet. Mein Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Dieter Dörr für die Erstellung des Zweitgutachtens sowie für die Unterstützung und die Nachsicht, mit der er das Entstehen meiner Dissertation begleitet hat. Nicht zuletzt danke ich Herrn Professor Dr. Hans-Werner Laubinger, der mir immer wohlwollend mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat. Die vorliegende Abhandlung ist in meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz entstanden. Meinen Mainzer Kolleginnen und Kollegen danke ich dafür, daß sie während meiner Arbeit an dieser Dissertation immer Zeit und ein offenes Ohr für mich hatten. Mein größter Dank gilt meinen Eltern, Eva und Andreas Haratsch, ohne deren Zuspruch und liebevolle Unterstützung diese Arbeit nie entstanden wäre. Ihnen ist dieses Werk in Liebe und Dankbarkeit gewidmet. Berlin, im Januar 1998 Dr. Andreas Haratsch

Inhaltsverzeichnis Einleitung

23

Erster Teil Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz durch Art. 4 Nr. 4 EinigungsV 1. Kapitel: Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 GG A. Grundsatz der Verfassungsklarheit B. Anwendbarkeit des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG auf den Einigungsvertrag

27 27 28

I. Ausnahme für völkerrechtlich veranlaßte Änderungen des Grundgesetzes 29 1. Die völkerrechtliche Natur des Einigungsvertrages 2. Grundsätzliche Unanwendbarkeit des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG?

29 31

3. Verfassungsdurchbrechung aufgrund der Gleich- oder Höherrangigkeit völkerrechtlicher Rechtssätze? 32 a) Rang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts im innerstaatlichen Recht 32 b) Rang völkerrechtlicher Verträge im innerstaatlichen Recht II. Ausnahme gemäß Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG

35 36

1. Völkerrechtlicher Vertrag

38

2. Friedensregelung oder Vorbereitung einer Friedensregelung

38

a) Der Einigungsvertrag als friedensvertragliche Regelung

38

b) Einbettung des Einigungsvertrags in ein friedensvertragliches Regelungsgeflecht 42 3. Klarstellungsklausel III. Ausnahme nach Art. 23 Satz 2 GG a. F

45 47

8

nsverzeichnis IV. Ausnahmen gemäß Art. 24 Abs. 1 GG und gemäß Art. 23 GG n. F V. Analoge Anwendung des Art. 24 Abs. 1 GG C. Die Voraussetzungen des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG I. Bedenken gegen eine völkerrechtlich vereinbarte Grundgesetzänderung..

49 52 54 54

1. Die Verfassungsverantwortung des Parlaments

55

2. Der Einfluß der DDR auf den Inhalt des Grundgesetzes

55

II. Verstoß gegen Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. dem Vorbehalt des Gesetzes 58 III. Der „Vorbehalt des vom Parlament mitgestalteten Gesetzes"?

61

IV. Wortlautwiederholung der Grundgesetzänderungen im Vertragsgesetz....

62

2. Kapitel: Das Gesetzgebungsverfahren rungen

bei paktierten Verfassungsände64

A. Die Vorgaben der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages

64

B. Die Zulässigkeit der Beschränkung der Rechte des Bundestages

66

I. Vertrag im Sinne von §82 Abs. 2 GO BT i.V.m. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG 1. Verträge mit auswärtigen Staaten a) Die Rechtslage Deutschlands

67 67 67

aa) Die Diskontinuitätstheorien

68

bb) Die Kontinuitätstheorien

69

cc) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

70

dd) Kritische Würdigung

71

( 1 ) Die Fortexistenz Deutschlands

71

(2) Das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zum fortbestehenden gesamtdeutschen Staat 74 (3) Das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zur Deutschen Demokratischen Republik 76 (4) Das Verhältnis der Deutschen Demokratischen Republik zum fortbestehenden gesamtdeutschen Staat 76

nsverzeichnis b) Folgen für die staats- und völkerrechtliche Einordnung des Einigungsvertrages 83 aa) Die Staatsqualität der Deutschen Demokratischen Republik

83

bb) Die Auswärtigkeit der Deutschen Demokratischen Republik.... 86 2. Politische Beziehungen des Bundes oder Gegenstände der Gesetzgebung 90 II. Verfassungsrechtliche Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren....

92

1. Das Gesetzgebungsverfahren im Rahmen von Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG 92 2. Das Gesetzgebungsverfahren außerhalb der Kategorien des Art. 79 Abs. lSatz2GG 92 a) Verkürzung der Rechte des Deutschen Bundestages

95

b) Selbstbeschränkung der Rechte des Bundestages

95

c) Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 18. September 1990 96 d) Kritische Würdigung aa) Grundsätzliche Zulässigkeit vertraglich vereinbarter Verfassungsänderungen ? bb) Ausnahme gemäß Art. 23 Satz 2 GG a. F (1) Das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes

97 98 101 103

(2) Die pflichtgemäße Einschätzung der politischen Lage durch die Bundesregierung 105 (a) Die Notwendigkeit eines Vertrages

105

(b) Die Notwendigkeit vertraglich vereinbarter Grundgesetzänderungen 109 (c) Beitrittsbedingte oder beitrittsbezogene Änderungen des Grundgesetzes 112 C.Zwischenergebnis 3. Kapitel: Die Mehrheitserfordernisse nach Art. 79 Abs. 2 GG

116 116

nsverzeichnis

10

Zweiter Teil Der Regelungsgehalt des Art. 135a Abs. 2 GG 1. Kapitel: Vorüberlegungen

119

2. Kapitel: Handlungsspielraum des Gesetzgebers

119

3. Kapitel: Verbindlichkeiten

120

A. Begriff der Verbindlichkeit

120

B. Inhalt der Verbindlichkeiten

121

I. Beschränkung auf Entschädigungsverbindlichkeiten? II. Herausnahme der Renten-und Pensionsverbindlichkeiten? C. Schuldner der Verbindlichkeiten I. Art. 135a Abs. 2 GG als Überleitungsbestimmung? II. Der Kreis der Schuldner III. Verbindlichkeiten öffentlicher Unternehmen D. Völkerrechtliche Verbindlichkeiten I. Grenzen der verfassungsändernden Gewalt 1. Die Kelsensche Grundnorm als Schranke

123 125 126 127 129 131 134 135 135

2. Überpositive Kompetenzschranken des Verfassungsänderungsgesetzgebers 136 3. Völkerrechtliche Kompetenzschranken des Verfassungsänderungsgesetzgebers 138 4. Der Verfassungsbegriff als Schranke der Regelungsbefugnis

139

5. Vom Verfassunggeber gesetzte Schranken

141

II. Auslegung des Art. 135a Abs. 2 GG E. Sonstige Auslandsverbindlichkeiten I. Auslegung im Lichte des internationalen Enteignungsrechts

141 148 149

1. Der kollisionsrechtliche Enteignungsbegriff.

150

2. Das Territorialitätsprinzip

151

nsverzeichnis II. Auslegung im Lichte des allgemeinen Völkerrechts F. Inlandsverbindlichkeiten

155 161

I. Verhältnis zur grundgesetzlichen Eigentumsgarantie und zu anderen Grundrechten 161 II. Auslegung im Lichte des allgemeinen Völkerrechts III. Auslegung im Lichte der EMRK

165 165

IV. Verbindlichkeiten zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts 172 4. Kapitel: Das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des Art. 135a Abs. 2 GG. 174 5. Kapitel: Die Fallgruppen des Art. 135a Abs. 2 GG A. Verbindlichkeiten der DDR oder ihrer Rechtsträger

178 178

I. Verbindlichkeiten der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. 178 II. Verbindlichkeiten der Rechtsträger der Deutschen Demokratischen Republik 181 1. Der sozialistische Rechtsträgerbegriff

181

2. Der Rechtsträgerbegriff des Art. 135a Abs. 2 GG

186

B. Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit dem Übergang von Vermögenswerten 190 C. Auf Maßnahmen der DDR beruhende Verbindlichkeiten 6. Kapitel: Die Rechtsfolge des Art. 135a Abs. 2 GG A. Die Verweisung auf Art. 135a Abs. 1 GG I. Die Weiterverweisung auf Art. 134 Abs. 4 und Art. 135 Abs. 5 GG II. Das Verhältnis zu Art. 135a Abs. 1 GG B. Die Nichterfüllung von Verbindlichkeiten I. Gesetzliches Erlöschen von Verbindlichkeiten II. Schlichte Leistungsverweigerung

191 193 193 193 196 197 197 199

III. Teilweise Nichterfüllung

200

IV. Peremptorische oder dilatorische Nichterfüllung

200

nsverzeichnis

12

C. Unechte Rückwirkung und Vertrauensschutz

202

D. Verhältnismäßigkeit

206

E. Die Folgen für synallagmatische Austauschverhältnisse

207

F. Die Auswirkungen eines Wechsels in der Person des Gläubigers

208

Exkurs: Gesetzliche Regelungen auf der Grundlage des Art. 135a Abs. 2 GG.... 209 A. Das Finanzbereinigungsgesetz-DDR

209

B. Das Berufliche Rehabilitierungsgesetz

210

C. Das Entschädigungs-und Ausgleichsleistungsgesetz

210

I. Das Entschädigungsgesetz II. Das Ausgleichsleistungsgesetz

211 212

III. DasNS-Verfolgtenentschädigungsgesetz

212

IV. Das DDR-Schuldbuchbereinigungsgesetz

213

V. Das Vertriebenenzuwendungsgesetz VI. Der Entschädigungsfonds VII. Art. 135a Abs. 2 GG als Rechtsgrundlage

214 214 215

Dritter Teil Art. 135a Abs. 2 GG und der änderungsfeste Verfassungskern des Grundgesetzes 1. Kapitel: Der änderungsfeste Kern des Grundgesetzes

217

2. Kapitel: Der Schutz der in Art. 1 GG niedergelegten Grundsätze

219

A. Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen

221

B. Die unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte

225

C. Der Menschenwürde- und Menschenrechtsgehalt der Grundrechte

233

I. Der Menschenwürdegehalt der Grundrechte

235

II. Der Menschenrechtsgehalt der Grundrechte

238

III. Der Menschenwürde- und Menschenrechtsgehalt der Eigentumsgarantie. 241

nsverzeichnis IV. Der Menschenwürde- und Menschenrechtsgehalt des Gleichheitssatzes... 244 3. Kapitel: Der Schutz der in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze

248

A. Die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze

248

B. Der Schutz des Sozialstaatsprinzips

249

C. Der Schutz des Bundesstaatsprinzips

250

D. Der Schutz des Rechtsstaatsprinzips

254

I. Der Schutz des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes II. Der Schutz des Vertrauensschutzgrundsatzes

256 258

Zusammenfassung

261

Literaturverzeichnis

267

Sachregister

309

Abkürzungsverzeichnis a. E.

am Ende

a. F.

alte Fassung

AJIL

The American Journal of International Law

AKG

Allgemeines Kriegsfolgengesetz

AK-GG

Rudolf Wassermann (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz fur die Bundesrepublik Deutschland (aus der Reihe der Alternativkommentare), 2. Aufl., 2 Bde., 1989

Alt.

Alternative

AnwBl

Anwaltsblatt

AöR

Archiv des Öffentlichen Rechts

AusglLeistG

Gesetz über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können (Ausgleichsleistungsgesetz)

AVR

Archiv des Völkerrechts

Az.

Aktenzeichen

BayVBl.

Bayerische Verwaltungsblätter

BB

Der Betriebsberater

BDGV

Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht

BerRehaG

Gesetz über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet (Berufliches Rehabilitierungsgesetz)

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. August 1896

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGG

Bonner Grundgesetz

BGH

Bundesgerichtshof

16

Abkürzungsverzeichnis

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BR

Bundesrat

BRD

Bundesrepublik Deutschland

BReg.

Bundesregierung

BSGE

Entscheidungen des Bundessozialgerichts

BT

Deutscher Bundestag

BT-Drs.

Bundestagsdrucksache

Bull.BReg.

Bulletin, hrsg. vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

Β YIL

The British Year Book of International Law

DDR

Deutsche Demokratische Republik

DDR-Verfassung 1974 Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April 1968 i.d.F. des Gesetzes zur Ergänzung und Änderung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1974 Diss.

Dissertation

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung

DRiZ

Deutsche Richterzeitschrift

DtZ

Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift

DVB1.

Deutsches Verwaltungsblatt

DZWir

Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EA

Europa-Archiv (ab 1995 unter dem Namen Internationale Politik)

EALG

Gesetz über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen und über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder be-

Abkürzungsverzeichnis satzungshoheitlicher Grundlage (Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz) EG

Europäische Gemeinschaft

EGBGB

Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

Einf.

Einführung

EinigungsV

Vertrag über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) vom 31. August 1990

Einl

Einleitung

EKMR

Europäische Kommission für Menschenrechte

ELFG

Erblastentilgungsfonds-Gesetz

EMRK

Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950

EntschG

Gesetz über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Entschädigungsgesetz)

EPIL

Rudolf Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, Instalments 1 - 1 2 , Amsterdam / New York / Oxford 1981 ff.

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

EuGRZ

Europäische Grundrechte Zeitschrift

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EWS

Europäisches Wirtschafts- & Steuerrecht

FamRZ

Zeitschrift für das gesamte Familienrecht

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

FDGB

Freier Deutscher Gewerkschaftsbund

GA

General Assembly

GBl.

Gesetzblatt

GBl. DDR

Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik

GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949

2 Haratsch

18

Abkürzungsverzeichnis

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GO BT

Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages

GVB1.

Gesetz- und Verordnungsblatt

Hs.

Halbsatz

HStR

Handbuch des Staatsrechts

ICJ

International Court of Justice

ICJ Reports

International Court of Justice, Reports of Judgements, Advisory Opinions and Orders

i.d.F.

in der Fassung

IGH

Internationaler Gerichtshof

IGH-Statut

Statut des Internationalen Gerichtshofs vom 26. Juni 1945

ILM

International Legal Materials

JA

Juristische Arbeitsblätter

JöR

Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart

JR

Juristische Rundschau

Jura

Juristische Ausbildung

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristen Zeitung

KreisG

Kreisgericht

KritV

Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft

lit.

litera

LKV

Landes- und Kommunalverwaltung

LPG

Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft

LwAnpG

Gesetz über die strukturelle Anpassung der Landwirtschaft an die soziale und ökologische Marktwirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik (Landwirtschaftsanpassungsgesetz)

MDR

Monatsschrift des Deutschen Rechts

m. E.

meines Erachtens

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

Abkürzungsverzeichnis η. F.

neue Fassung

N.F.

Neue Folge

NJ

Neue Justiz

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NS-VEntschG

NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz

NZWehrr

Neue Zeitschrift für Wehrrecht

ÖZöRV

Österreiche Zeitschrift für öffentliches und Völkerrecht (Austrian Journal of Public and International Law)

OGH BrZ

Oberster Gerichtshof für die britische Zone

OLG

Oberlandesgericht

OVG

Oberverwaltungsgericht

Pr.

Preußen

Res.

Resolution

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

RiA

Recht im Amt

RIAA

Reports of International Arbrital Awards

ROW

Recht in Ost und West

Rspr.

Rechtsprechung

SBZ

Sowjetisch besetzte Zone

SchuldBBerG

Gesetz zur Behandlung von Schuldbuchforderungen gegen die ehemalige Deutsche Demokratische Republik (DDR-Schuldbuchbereinigungsgesetz)

SchwJblntR

Schweizerisches Jahrbuch für Internationales Recht

SED

Sozialistische Einheitspartei Deutschlands

SJZ

Süddeutsche Juristen-Zeitung

Slg.

Sammlung

Sp.

Spalte(n)

Sten.Ber.

Stenographische Berichte

StIGH

Ständiger Internationaler Gerichtshof

20

Abkürzungsverzeichnis

st. Rspr.

ständige Rechtsprechung

Suppl.

Supplement

THG

Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz) vom 17. Juni 1990

ThürVBl.

Thüringer Verwaltungsblätter

TreuhUmbenV

Treuhandumbenennungsverordnung

Überbl

Überblick

UdSSR

Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken

UN

United Nations

UN-Charta

Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945

UNO

United Nations Organization

US

United States (of America)

VEB

volkseigener Betrieb; volkseigene Betriebe

VermG

Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz)

VertrZuwG

Gesetz über eine einmalige Zuwendung an die im Beitrittsgebiet lebenden Vertriebenen (Vertriebenenzuwendungsgesetz)

VerwArch.

Verwaltungs-Archiv

VGH

Verwaltungsgerichtshof

VIZ

Zeitschrift für Vermögens- und Investitionsrecht

VN

Vereinte Nationen

Vol.

Volume

vs.

versus

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

VwVfG

Verwaltungsverfahrensgesetz

WM

Wertpapier-Mitteilungen

WRV

Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung)

Abkürzungsverzeichnis WVK

Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (Wiener Vertragsrechtskonvention)

ZaöRV

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

ZfP

Zeitschrift für Politik

ZG

Zeitschrift für Gesetzgebung

ZGB

Zivilgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 19. Juni 1975

ZöR

Zeitschrift für öffentliches Recht

ZP

Zusatzprotokoll

ZParl

Zeitschrift für Parlamentsfragen

ZVglRWiss

Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft

Einleitung „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk krafl seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben. Die Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk." So lautet seit dem 3. Oktober 1990 die Präambel des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949. Das Ziel der Vollendung der Einheit in Freiheit und Selbstbestimmung war gemäß der ursprünglichen Fassung der Präambel dem Deutschen Volk mehr als vierzig Jahre zum Auftrag gemacht1. Mit dem Wirksamwerden des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik am 3. Oktober 1990 hat die deutsche Teilung ihr Ende gefunden2. Das Grundgesetz ist zur Verfassung für ganz Deutschland geworden. Am 23. August 1990 hatte die erste frei gewählte Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik mit 294 gegen 62 Stimmen bei 7 Enthaltungen den Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 23 Satz 2 GG a. F. erklärt 3.

1 Zur verfassungsrechtlichen Bedeutung des Wiedervereinigungsgebots in Satz 1 der Präambel a. F. vgl. BVerfGE 5, 85 (126 ff.); BVerfGE 12, 45 (51 f.); BVerfGE 36, 1 (17 ff.) - Grundlagenvertrag; BVerfGE 77, 137 (149 ff.) - Teso-Beschluß. 2

Zu den umwälzenden Veränderungen in der DDR seit dem Herbst 1989, die dem Beitritt vorausgegangen waren und ihn erst möglich gemacht hatten, vgl. Fiedler, Die deutsche Revolution von 1989: Ursachen, Verlauf, Folgen, in: HStRVIII, §184 Rdnrn. 1 ff. 3 Beschluß der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik über den Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland v. 23. August 1990, GBl. DDR 19901 S. 1324; Bekanntmachung des Schreibens der Präsidentin der Volkskammer der Deutschen De-

24

Einleitung

Den Rahmen der Wiedervereinigung im Verhältnis zum Ausland zog im wesentlichen der Moskauer „Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland" (Zwei-plus-Vier-Vertrag) vom 12. September 19904. Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit ist durch den „Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik" (Staatsvertrag) vom 18. Mai 19903, den „Vertrag zur Vorbereitung und Durchführung der ersten gesamtdeutschen Wahl des Deutschen Bundestages" (Wahlvertrag) vom 3. August 19906 samt Änderungsvertrag vom 20. August 19907 und durch den „Vertrag über die Herstellung der Einheit Deutschlands" (Einigungsvertrag) vom 31. August 19908 sowie eine ergänzende Vereinbarung vom 18. September 19909 vorbereitet worden. Durch Art. 3 EinigungsV i.V.m. Art. 1 des Einigungsvertragsgesetzes vom 23. September 1990 ist das Grundgesetz mit dem Wirksamwerden des Beitritts in den neuen Gebieten in Kraft gesetzt worden, soweit in dem Vertrag nichts anderes bestimmt ist 10 . Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands löst allerdings nicht die Probleme der vierzigjährigen Teilung. Die Größe der Herausforderung, eine sozialistische in eine freiheitliche demokratische Gesellschaftsordnung und eine marode zentralistisch gelenkte Planwirtschaft möglichst rasch und sozial abgefedert in eine wettbewerbsorientierte Marktwirtschaft überzuleiten, tritt, nachdem der anfängliche Überschwang verflogen ist, deutlicher hervor.

mokratischen Republik v. 25. August 1990 und des Beschlusses der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik über den Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland v. 23. August 1990, BGBl. 1990 I S. 2057. 4

BGBl. 1990 IIS. 1317.

5

BGBl. 1990 IIS. 357.

6

BGBl. 1990 IIS. 822.

7

BGBl. 1990 IIS. 831.

8

BGBl. 1990 II S. 889; GBl. DDR 1990 I S. 1627.

9

Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Durchführung und Auslegung des am 31. August 1990 in Berlin unterzeichneten Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) v. 18. September 1990, BGBl. 1990 II S. 1239. 10

Anderweitige Bestimmungen enthalten z. B. Art. 4 Nr. 5, Art. 6, Art. 7 Abs. 2 und 3 EinigungsV.

Einleitung Die Ausdehnung des räumlichen Geltungsbereichs des Grundgesetzes auf das Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik unter gleichzeitiger Aufgabe territorialer Ansprüche auf Teile des früheren Gebietes des Deutschen Reiches11 machte die Änderung der Präambel des Grundgesetzes und die Aufhebung des Art. 23 GG a. F. notwendig. Denn sowohl das Wiedervereinigungsgebot und als auch der Hinweis auf den Übergangscharakter des Grundgesetzes waren obsolet geworden 12. In Art. 4 EinigungsV finden sich weitere „beitrittsbedingte" Änderungen des Grundgesetzes. Eine dieser Änderungen erfolgte dabei im Hinblick auf die angesichts der desolaten wirtschaftlichen Situation der Deutschen Demokratischen Republik kaum abschätzbare, jedenfalls aber nicht unbeträchtliche Schuldenlast, die auf die Bundesrepublik übergegangen ist. Art. 4 Nr. 4 EinigungsV bestimmt daher: „Der bisherige Wortlaut des Artikels 135a wird Absatz 1. Nach Absatz 1 wird folgender Absatz angefugt: (2) Absatz 1 findet entsprechende Anwendung auf Verbindlichkeiten der Deutschen Demokratischen Republik oder ihrer Rechtsträger sowie auf Verbindlichkeiten des Bundes oder anderer Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, die mit dem Übergang von Vermögenswerten der Deutschen Demokratischen Republik auf Bund, Länder und Gemeinden im Zusammenhang stehen, und auf Verbindlichkeiten, die auf Maßnahmen der Deutschen Demokratischen Republik oder ihrer Rechtsträger beruhen." Aus dem Zusammenhang gerissen erschließt sich der Regelungsgehalt dieser Vorschrift nicht. Aber auch im Verfassungskontext gesehen ist die Aussage nachvollziehbar, daß es sich bei Art. 135a Abs. 2 GG um eine „auch für den Juristen nur schwer zu entschlüsselnde Vorschrift" handelt13. Gegenstand dieser Untersuchung wird es daher sein, den Regelungsgehalt dieser Vorschrift zu entschlüsseln (Zweiter Teil). Ebenfalls gilt es zu überprüfen, ob die Aufnahme der Bestimmung des Art. 135a Abs. 2 GG in das Grundgesetz formell (Erster Teil) und materiell (Dritter Teil) verfassungsmäßig ist. Zwar stehen dabei staats- und verfassungsrechtliche Überlegungen im Vordergrund, doch spielen 11

Vgl. Art. 1 des Zwei-plus-Vier-Vertrags, BGBl. 1990 II S. 1317, sowie den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze v. 14. November 1990, BGBl. 1991 II S. 1329. 12 Hesse, in: Benda/Maihofer/Vogel, § 3 Rdnr. 33; ders., JöR N.F., Bd. 44 (1996), S. 1 (9 f.). 13

So Weber/Wilhelm,

BB 1991, Beil. 3 zu Heft 3, S. 12 (15).

26

Einleitung

Völker- und europarechtliche Fragestellungen angesichts der zunehmenden rechtlichen Verflechtung und Einbindung des Verfassungsstaates in internationale Zusammenhänge bei der Verfassungsauslegung eine nicht zu unterschätzende Rolle. Auch auf diese Völker- und europarechtlichen Aspekte ist daher einzugehen.

Erster Teil

Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz durch Art. 4 Nr. 4 EinigungsV 1. Kapitel: Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 GG A. Grundsatz der Verfassungsklarheit Nach Art. 79 GG unterliegt eine Änderung des Grundgesetzes bestimmten qualifizierten Anforderungen. Es ist zu untersuchen, ob die durch Art. 4 Nr. 4 EinigungsV erfolgte Einfügung des Art. 135a Abs. 2 GG in das Grundgesetz diesen Voraussetzungen entsprach. Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG bestimmt, daß das Grundgesetz nur durch ein Gesetz geändert werden kann, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Jörg Lücke prägt dafür den Begriff des Gebots der „grundgesetzinternen Verfassungsänderung" 1. Dieses Textänderungsgebot dient der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit2 und schreibt den „Grundsatz der Urkundlichkeit und Einsichtbarkeit" jeder Verfassungsänderung fest 3. Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG hat dabei eine doppelte Zielrichtung. Zum einen sollen Art und Umfang der Abweichungen von der bisher geltenden Fassung hervorgehoben wer-

1

Lücke, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 79 Rdnrn. 1, 4 ff.

2

Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rdnr. 2; Badura, Verfassungsänderung, Verfassungswandel, Verfassungsgewohnheitsrecht, in: HStR VII, § 160 Rdnr. 23; Ridder, in: AK-GG, Art. 79 Rdnr. 16; Lücke, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 79 Rdnrn. 4, 6; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 698; Merten, Grundfragen des Einigungsvertrages, S. 54; Binne, DtZ 1990, S. 209 (211); Feddersen, DVB1. 1995, S. 502 (509); vgl. auch Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 79 Rdnr. 1. 3

Vgl. Zitat in: BVerfGE 9, 334 (336); Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 159; ähnlich Ehmke, AöR 79 (1970), S. 385 (396 ff, 417); ders., DÖV 1956, S. 449 (452); Friauf/ Horscht, Rechtsfolgen der Enteignung von Grundbesitz und Wohngebäuden in der ehemaligen DDR zwischen 1949 und 1990, S. 99. - Kritisch allerdings Ridder, in: AKGG, Art. 79 Rdnr. 20, der von der „Hypostasierung des Textänderungsgebots von Art. 79 Abs. 1 Satz 1 zu einem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verfassungsklarheit4 " spricht.

28

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

den4, und zum anderen soll jede aktualisierte Fassung des Grundgesetzes - auch ohne förmliche Bekanntmachung einer Neufassung - vollständig sein5. In der Verankerung des Gebots der ausdrücklichen Textänderung ist eine bewußte Abkehr des Grundgesetzes von der Möglichkeit der „Verfassungsdurchbrechung" zu sehen6, wie sie nach der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 noch zulässig war, deren Art. 76 Abs. 1 Satz 1 lediglich verlangte, daß die Verfassung „im Wege der Gesetzgebung geändert" wird 7 . Solche Verfassungsänderungen außerhalb der Verfassung hatten zu einer Entwertung der Verfassungsurkunde und zu einer zur Unsicherheit neigenden verfassungsrechtlichen Situation geführt 8.

B. Anwendbarkeit des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG auf den Einigungsvertrag Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG stellt einen Grundsatz auf, von dem das Grundgesetz jedoch in begrenztem Umfang Ausnahmen zuläßt. Bevor daher danach gefragt werden kann, ob die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 GG durch Art. 4 Nr. 4 EinigungsV i.V.m. dem Einigungsvertragsgesetz mit Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar ist, ist zu prüfen, ob der verfassungsändernde Gesetzgeber aufgrund eines Ausnahmetatbestandes vom Gebot der ausdrücklichen Verfassungstextänderung dispensiert ist.

4

Even, Die Bedeutung der Unantastbarkeitsgarantie, S. 68 f., spricht von einer „Warnfunktion" des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG. 5 Pestalozzi Jura 1994, S. 561 (564). 6

BVerfGE 2, 143 (164); BVerfGE 90, 286 (341 f.); v. Doemming/Füß le in/Matz, JöR N.F., Bd. 1 (1951), S. 1 (573 ff.); Kewenig, in: Doehring/Kewenig/Ress, S. 156; Badura, Staatsrecht, 2. Aufl., F Rdnr. 63; Merten, Grundfragen des Einigungsvertrages, S. 53 f. Zu Art. 76 Abs. 1 Satz 1 WRV und zum Begriff der Verfassungsdurchbrechung vgl. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 76 Anm. 1 und 2; W. Jellinek, Das verfassungsändernde Reichsgesetz, in: Anschütz/Thoma, Bd. II, §73 S. 187 ff.; Arnold, Begriff und Verfahren der Verfassungsänderung, S. 46 ff. g Hierzu Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 79 Rdnrn. 1 ff. - Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 76 Anm. 2 (dort Fußn. 1 auf S. 402), nennt das Faktum, „daß das tatsächlich geltende Verfassungsrec/tf mit dem Verfassungstatf mehr und mehr in Widerspruch gerät, bedenklich, ja geradezu verwerflich ..." (Hervorhebungen von Anschütz).

1. Kapitel: Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 GG I. Ausnahme für völkerrechtlich

29

veranlaßte Änderungen des Grundgesetzes

Fraglich ist zunächst, ob Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG auf völkerrechtlich veranlaßte Grundgesetzänderungen Anwendung finden kann. Die Bestimmung ist erkennbar auf rein innerstaatliche Vorgänge zugeschnitten und sieht allein die Beteiligung bundesdeutscher Verfassungsorgane am Verfahren der Verfassungsänderung vor. Bei paktierten, völkerrechtlich veranlaßten Änderungen des Grundgesetzes ist hingegen auf äußere Einflüsse und unter Umständen auf die Beteiligung Dritter Rücksicht zu nehmen.

1. Die völkerrechtliche Natur des Einigungsvertrages Im Vorfeld ist zu klären, ob der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands ein völkerrechtlicher Vertrag ist. War zunächst umstritten, ob im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR überhaupt die Regeln des Völkerrechts Anwendung finden konnten, so hatte sich spätestens seit dem Grundlagenvertragsurteil des Bundesverfassungsgerichts 9 die Auffassung durchgesetzt, daß die DDR - unabhängig von der fehlenden völkerrechtlichen Anerkennung seitens der Bundesregierung - ein Staat im Sinne des Völkerrechts und damit als solcher Völkerrechtssubjekt war. Auch wenn die Deutsche Demokratische Republik als Teil des fortbestehenden gesamtdeutschen Staates im Verhältnis zur Bundesrepublik nicht als Ausland angesehen werden konnte10, fielen die vertraglichen Beziehungen dennoch nicht aus der Ordnung des allgemeinen Völkerrechts heraus11. Die Besonderheit im rechtlichen Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten war, daß es neben völkerrechtlichen Beziehungen im Hinblick auf die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte und der damit verbundenen Nichtendgültigkeit der Teilung Deutschlands auch staatsrechtliche Beziehungen umfaßte 12. Wenig ein9 10

BVerfGE 36, 1 ff. - Grundlagenvertrag. Siehe dazu u. S. 71 u. 76.

11

BVerfGE 36, 1 (23 f.) - Grundlagenvertrag; zuletzt BVerfGE 95, 96 (129); Doehring, in: Doehring/Kewenig/Ress, S. 58 ff.; Hoffmann, in: Bonner Kommentar, Art. 79 Abs. 1 u. 2 (Zweitbearbeitung 1986) Rdnr. 74; Badura, Die innerdeutschen Verträge, insbesondere der Einigungsvertrag, in: HStRVIII, § 189 Rdnr. 20; Kimminich, Die Eigentumsgarantie im Prozeß der Wiedervereinigung, S. 14. 12

Bernhardt, in: v. Münch/Oppermann/Stödter (Hrsg.), Finis Germaniae?, S. 85 ff; Ress, Grundlagen und Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen, in: HStR I, § 11 Rdnrn. 31 und 49; ders., Die Rechtslage Deutschlands, S. 298 f.; Frowein, in: Benda/ Maihofer/Vogel (1. Aufl.), S. 29 (40); Dolzer, Die rechtliche Ordnung des Verhältnisses

30

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

leuchtend erscheint m. E. jedoch die daraus von Detlef Merten gezogene Konsequenz, es fehle dem Einigungsvertrag der Charakter eines völkerrechtlichen Vertrages, auch wenn für ihn die Regeln des Völkerrechts gelten13. Ähnlich äußert sich Rupert Scholz, der den Einigungsvertrag als Staatsvertrag und Verfassungsvertrag qualifiziert 14 . Zwar ist zuzugeben, daß materiell-rechtliche Grundlage des Einigungsvertrages, wie das Bundesverfassungsgericht zutreffend festgestellt hat 15 , Art. 23 Satz 2 GG a. F. i.V.m. dem Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes ist. Auch hat die Bundesregierung beim Aushandeln des Vertrages keine Kompetenzen der „auswärtigen Gewalt" wahrgenommen 16. Ist aber bereits der Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 21. Dezember 197217 seiner Art nach ein völkerrechtlicher Vertrag und seinem Inhalt nach ein Vertrag, der vor allem inter-se-Beziehungen regelt 18, so gilt dies a fortiori für den Einigungsvertrag 19. Hinzu kommt, daß die Vereinigung zweier Völkerrechtssubjekte und der damit verbundene Untergang der Deutschen Demokratischen Republik als Völkerrechtssubjekt auch als völkerrechtlicher Vorgang zu qualifizieren ist 20 . Der Einigungsvertrag ist daher ein völkerrechtlicher Vertrag 21. Aufder Bundesrepublik Deutschland zur Deutschen Demokratischen Republik, in: HStR I, § 12 Rdnr. 31 ; Stern, Der Staatsvertrag im völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Kontext, in: Stern/Schmidt-Bleibtreu, Bd. 1, S. 3 (21 f.). 13

Merten, Grundfragen des Einigungsvertrages, S. 64 u. 50.

14

Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 23 Rdnrn. 36-41.

15

BVerfGE 82, 316 (320).

16

Vgl. dazu u.S. 101.

17

Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik v. 21. Dezember 1972, BGBl. 1973 II S. 423; GBl. DDR 1973 II S. 26. 18

BVerfGE 36, 1 (24) - Grundlagenvertrag.

19

E. Klein, in: Deutsche Sektion der Internationalen Juristen-Kommission (Hrsg.), S. 23 (37, dort Fußn. 43). Gornig, Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands, S. 49 f.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 23 Rdnr. 41; Seiffert, Selbstbestimmungsrecht und deutsche Wiedervereinigung, S. 131; H. H. Klein, Kontinuität des Grundgesetzes und seine Änderung im Zuge der Wiedervereinigung, in: HStR VIII, § 198 Rdnr. 3. 21

BVerfGE 84, 90 (113) - Bodenreform; v. Münch, Staatsrecht, Bd. 1, Rdnr. 73; E. Klein, DÖV 1991, 569 (570 f.); Rupp, in: Festschrift Heymanns Verlag, 1995, S. 499 (499); Doehring, Die Anwendung der Regeln des völkerrechtlichen Sukzession nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, in: Wildenmann (Hrsg.), Nation und Demokratie, S. 11; ders., Bindungen der Bundesrepublik Deutschland an das Grundgesetz bei Abschluß des Einigungsvertrages mit der DDR (A) und die Bestandskraft des Einigungsvertrages (B), in: Wildenmann (Hrsg.), Nation und Demokratie, S. 21; Stern,

1. Kapitel: Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 GG

31

grund dieser (zumindest auch) völkerrechtlichen Natur des Einigungsvertrages, handelt es sich bei Art. 4 EinigungsV um völkerrechtlich veranlaßte Grundgesetzänderungen. Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang, ob der Einigungsvertrag infolge des Untergangs der vertragschließenden Deutschen Demokratischen Republik seine Qualität als völkerrechtlicher Vertrag später verloren hat22, da hier auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses und der damit verknüpften Verfassungsänderung abzustellen ist.

2. Grundsätzliche Unanwendbarkeit des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG? Klaus Stern 23, der selbst auf die strikte Einhaltung des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG für die durch das Einigungsvertragsgesetz in Verbindung mit dem Einigungsvertrag herbeigeführten Grundgesetzänderungen verweist, stellt immerhin die These zur Diskussion, ob „man nicht überhaupt Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG gegenüber völkerrechtlich veranlaßten Grundgesetzänderungen außer Anwendung lassen will". Zu Recht hält Detlef Merten 24 dem entgegen, daß man, verneinte man die Anwendbarkeit des Art. 79 Abs.l Satz 1 GG auf „völkerrechtlich veranlaßte Grundgesetzänderungen" schlechthin, die Gefahr einer Verfassungsdurchlöcherung heraufbeschwören würde. Die Unübersichtlichkeit des Verfassungsrechts wäre groß, wenn sich „an den verstecktesten Stellen völkerrechtlicher Verträge" Modifizierungen des Grundgesetzes finden könnten25. Mit Sinn und Zweck des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG ist es nicht vereinbar, diese Bestimmung im Falle völkerrechtlich veranlaßter Verfassungsänderungen unangewendet zu lassen26. Auch der Wortlaut von Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG gibt

Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit, in: Stern/Schmidt-B leibtreu, Bd. 2, S. 3 (39); Anker, DÖV 1991, S. 1062; Wagner, Der Einigungsvertrag nach dem Beitritt, S. 23 f.; Badura, Die innerdeutschen Verträge, insbesondere der Einigungsvertrag, in: HStRVIII, § 189 Rdnr. 36. 22

E. Klein, DÖV 1991, S. 569 (571); Berlit, S. 185 f.

Ländervermögen im Bundesstaat,

23

Stern, DtΖ 1990, S. 289 (290); ders., Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit, in: Stern/Schmidt-Bleibtreu, Bd. 2, S. 3 (39 f.) unter Hinweis auf v. Mangoldt/ Klein, GG, Art. 79 Anm. IV 2, der Ausnahmen vom Textänderungsgebot nur für die allgemeinen Regeln des Völkerrechts i.S.v. Art. 25 Satz 1 GG und fur die Grundrechte der EMRK annimmt. 24

25 26

Merten, Grundfragen des Einigungsvertrages, S. 56 f. Merten, Grundfragen des Einigungsvertrages, S. 57.

Merten, Grundfragen des Einigungsvertrages, S. 57; zustimmend Berlit, Ländervermögen im Bundesstaat, S. 186 f.

32

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

keinen Anlaß, von einer Unanwendbarkeit dieser Bestimmung auf völkerrechtlich veranlaßte Grundgesetzänderungen auszugehen27.

3. Verfassungsdurchbrechung aufgrund der Gleich- oder Höherrangigkeit völkerrechtlicher Rechtssätze? Die Abänderung oder Durchbrechung von Verfassungsnormen ohne Textänderung gemäß Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG durch völkerrechtliche Rechtssätze könnte aber erfolgen, wenn man diesen Rechtssätzen Verfassungs- oder gar Überverfassungsrang einräumen würde 28. Völkerrechtliche Regeln mit Überverfassungsrang gingen Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG in der Anwendung vor, wohingegen völkerrechtliche Rechtssätze mit Verfassungsrang nach dem Grundsatz, daß die spätere Norm der früheren vorgeht (lex posterior derogat legi priori), den Inhalt widersprechender Bestimmungen des Grundgesetzes ändern würden und Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG außer Anwendung ließen29. Von entscheidender Bedeutung ist daher, ob der Einigungsvertrag - mit der darin vereinbarten Einfügung des Art. 135a Abs. 2 GG in das Grundgesetz - zumindest ranggleich neben, wenn nicht gar im Rang über den Normen des Grundgesetzes anzusiedeln ist und daher nicht an diesen gemessen werden kann.

a) Rang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts

im innerstaatlichen Recht

Bejaht wird eine Höher- oder zumindest Gleichrangigkeit zum Teil für die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts" im Sinne des Art. 25 Satz 1 GG 30 . Zur

27

Berlit, Ländervermögen im Bundesstaat, S. 186.

28

Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 3. Bd., 3. Aufl., Art. 79 Rdnr. 12.

29

Rojahn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 2. Bd., 3. Aufl., Art. 25 Rdnr. 37.

30

Für Überverfassungsrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts Menzel, in: Bonner Kommentar, Art. 25 (Erstbearbeitung 1950) Anm. II 4, S. 10 f.; Pigorsch, Die Einordnung völkerrechtlicher Normen in das Recht der Bundesrepublik Deutschland, S. 25 ff.; v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 79 Anm. IV 2; wohl auch Silagi, EuGRZ 1980, S. 632 (647). - Für Verfassungsrang Bleckmann, DÖV 1996, S. 137 (141 ff.); v. zur Mühlen, S. 178 ff.; Curtius, DÖV 1955, S. 145 f.; Schübbe, Wesen und Rang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 Grundgesetz, S. 152 und wohl auch Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, S. 267 f.; Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts und das deutsche Verfassungsrecht, S. 183 ff. Nach Steinberger, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, in: HStR VII, § 173 Rdnr. 61, stehen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts ranggleich neben dem Grundgesetz, werden allerdings nicht zu Normen des deutschen Verfassungsrechts.

1. Kapitel: Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 GG

33

Begründung wird dabei auf die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung, insbesondere auf die Beratungen des Hauptausschusses des HerrenchiemseeKonvents verwiesen 31. Anknüpfend an den Wortlaut des Art. 25 Satz 2 GG („Sie gehen den Gesetzen vor ...") lassen sich diese These stützende, wie ablehnende Argumente finden 32. Die Auffassung, daß den allgemeinen Regeln des Völkerrechts zwar Vorrang vor einfachen Bundesgesetzes zukommt, sie aber gerade nicht im Verfassungsrang stehen, ihnen also ein „Zwischenrang" beizumessen ist, hat sich dabei zu Recht durchgesetzt33. In der Argumentation wird dabei gerade auf Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG verwiesen. Demzufolge kann einer Norm des Völkerrechts kein Verfassungsrang zukommen, da ansonsten Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG umgangen würde 34. Das Gegenargument, daß gerade Art. 25 GG der durch Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG geforderte normative Anknüpfungspunkt für völkerrechtlich bedingte Verfassungsänderungen 35 und eine weitergehende textliche Änderung und Inkorporierung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts daher nicht erforderlich sei, vermag nicht zu überzeugen, da der bloße Verweis des Art. 25 GG auf die allgemeinen Regeln des Völkerrechts den Bestand an geltenden Normen nicht hinreichend genau kenntlich macht. Der von Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG geforderten Verfassungsklarheit wird dadurch nicht entsprochen. Die Auffassung vom „Zwischenrang" der allgemeinen Regeln des Völkerrechts kann insbesondere auch mit dem systematischen Argument begründet werden, daß Art. 25 GG in der Unberührbarkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 keine Erwähnung findet 36. Zwar wird das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und damit die gesamte deutsche Rechtsordnung von einer 31

Vgl. etwa Curtius , DÖV 1955, S. 145 f. m.w.N.; dazu auch R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 168. 32

So zutreffend Steinberger, § 173 Rdnr. 59.

Allgemeine Regeln des Völkerrechts, in: HStR VII,

33

BVerfGE 6, 309 (363); BVerfGE 37, 271 (279); R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 168 f.; Rojahn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 2. Bd., 3. Aufl., Art. 25 Rdnrn. 36 ff.; E. Klein, Die Stellung des Staates in der internationalen Rechtsordnung, ZVglRWiss 77 (1978), S. 79 (82); Steinberger, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, in: HStR VII, § 173 Rdnr. 58 ff.; Tomuschat, Die staatsrechtliche Entscheidung fur die internationale Offenheit, in: HStR VII, § 172 Rdnr. 15; Zuleeg, in: AK-GG, Art. 24 Abs. 3/Art. 25 Rdnr. 24; Bungert, DÖV 1994, S. 797 (803); Füßlein, in: Seifert/Hömig (Hrsg.), GG, 5. Aufl., Art. 25 Rdnr. 3. 34

Zuleeg, in: AK-GG, Art. 24 Abs. 3/Art. 25 Rdnr. 23; Rojahn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 2. Bd., 3. Aufl., Art. 25 Rdnrn. 37 f., der allerdings für die zwingenden Normen des Völkerrechts (ius cogens) Verfassungsrang annimmt. 35

So aber Steinberger, Rdnr. 61. 36

Allgemeine Regeln des Völkerrechts, in: HStR VII, § 173

R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 168.

3 Haratsch

34

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

völkerrechtsfreundlichen Tendenz getragen, was aus der Präambel („... dem Frieden der Welt zu dienen ..."), Art. 1 Abs. 2, Art. 24 und Art. 25 GG sowie aus dem Verfassungssystem insgesamt hergeleitet wird 37 , das Grundgesetz soll dadurch jedoch nicht zur Disposition gestellt werden 38. Dieser Völkerrechtsfreundlichkeit kommt lediglich die Bedeutung einer Auslegungsrichtlinie zu, d. h. sie ist bei der Auslegung sowohl des Grundgesetzes als auch des gesamten nachgeordneten Rechts zu berücksichtigen 39. Würde man freilich der Auffassung folgen, die einen Überverfassungsrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts annimmt, so würde dies bedeuten, daß völkerrechtlich bedingte Verfassungsänderungen über Art. 25 GG erfolgen können, ohne daß die Anforderungen, die Art. 79 GG stellt, zu beachten wären. Es käme daher nach dieser Auffassung entscheidend darauf an, ob die grundgesetzändernden Bestimmungen des Einigungsvertrages i.V.m. mit dem Vertragsgesetz zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu rechnen sind. Mit diesem Begriff bezeichnet das Grundgesetz das allgemeine Völkergewohnheitsrecht, ergänzt durch anerkannte Rechtsgrundsätze, wie sie in Art. 38 Abs. 1 lit. c des Statuts des Internationalen Gerichtshofs 40 genannt sind41. Regelmäßig nicht von Art. 25 GG erfaßt ist jedoch Recht aus zweiseitigen völkerrechtlichen Verträ-

37

Vgl. dazu BVerfGE 18, 112 (121); BVerfGE 31, 58 (75 ff.); Rojahn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 2. Bd., 3. Aufl., Art. 24 Rdnrn. 1 ff., Art. 25 Rdnr. 1; Zuleeg, in: AK-GG, Art. 24 Abs. 3/Art. 25 Rdnr. 32; Steinberger, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, in: HStR VII, § 173 Rdnr. 5; Bleckmann, DÖV 1979, S. 309 ff. 38

Bungert, DÖV 1994, S. 797 (803); R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 168 f.; Gloria, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 74 Rdnrn. 26 f.; Kunig, Völkerrecht und staatliches Recht, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Rdnr. 19. 39

Rojahn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 2. Bd, 3. Aufl., Art. 24 Rdnrn. 2 ff.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 24 Rdnr. 6; Bleckmann, DÖV 1979, S. 309 (312 ff). 40 41

BGBl. 1973 II S. 505.

BVerfGE 15, 25 (32 f., 34 f.); BVerfGE, 16, 27 (33); BVerfGE 23, 288 (317); BVerfGE 95, 96 (129) - st. Rspr.; E. Klein, ZVglRWiss 77 (1978), S. 79 (81); Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 291; Zuleeg, in: AK-GG, Art. 24 Abs. 3/Art. 25 Rdnrn. 14 ff.; Steinberger, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, in: HStR VII, § 173 Rdnrn. 8 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 25 Rdnr. 6; Kunig, Völkerrecht und staatliches Recht, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Rdnrn. 132 ff., 158; a. A. jedoch Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, S. 255 ff. und Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnr. 472, die die allgemeinen Rechtsgrundsätze im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut nicht von Art. 25 GG erfaßt sehen; a. A. auch Silagi, EuGRZ 1980, S. 632 (646), der nur zwingendes Völkerrecht (ius cogens) unter Art. 25 GG subsumieren will.

1. Kapitel: Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 GG

35

gen42. Allgemeine Regeln des Völkerrechts können zwar in Verträgen niedergelegt sein, sie erlangen aber nur als Gewohnheitsrecht den durch Art. 25 GG verliehenen Übergesetzesrang 43. Die hier in Frage stehende Grundgesetzänderung im Form der Einfügung eines Art. 135a Abs. 2 GG, der die Möglichkeit der vollständigen oder teilweisen Befreiung von Verbindlichkeiten der DDR und mit der Wiedervereinigung in engem Zusammenhang stehenden Verbindlichkeiten ermöglicht, ist - wie auch die übrigen Bestimmungen des Einigungsvertrages - in dieser Spezialität nicht als eine allgemeine Regel des Völkerrechts zu qualifizieren. Für den Einigungsvertrag kann daher die Anwendbarkeit des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG nicht unter Hinweis auf Art. 25 GG verneint werden 44.

b) Rang völkerrechtlicher

Verträge im innerstaatlichen Recht

Völkerrechtliche Verträge stehen im Rang eines einfachen Bundesgesetzes45. Dies läßt sich aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ableiten. Danach kommt dem völkerrechtlichen Vertrag der Rang des innerstaatlichen Zustimmungsgesetzes46 zu. Dieses sog. „Vertragsgesetz" bewirkt unstreitig die Einbeziehung oder Einführung der völkervertragsrechtlichen Regelung in das innerstaatliche Recht. Umstritten ist lediglich, ob im Vertragsgesetz ein Transformationsakt 47 oder ein 42

Merten, Grundfragen des Einigungsvertrages, S. 56; Zuleeg, in: AK-GG, Art. 24 Abs. 3/Art. 25 Rdnr. 14; Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 292; R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 164; Gloria, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 74 Rdnr. 13; Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, S. 250 ff.; König, Völkerrecht und staatliches Recht, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Rdnr. 132. 43

Steinberger, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, in: HStR VII, § 173 Rdnr. 12; Zuleeg, in: AK-GG, Art. 24 Abs. 3/Art. 25 Rdnr. 14; Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 292. 44

Merten, Grundfragen des Einigungsvertrages, S. 56. BVerfGE 6, 309 (363); BVerfGE 41, 88 (120 f.); R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 177; Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 506; Bernhardt, EuGRZ 1996, S. 339. - Anders aber Bleckmann, DÖV 1996, S. 137 (142), der aus dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung auf den Verfassungsrang völkerrechtlicher Verträge schließt. 45

46 Das „Zustimmungsgesetz" nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ist nicht zu verwechseln mit der Kategorie der Zustimmungsgesetze im Sinne von Art. 77 Abs. 2 Satz 4 GG. 47

So die Vertreter der sog. „Transformationstheorie", vgl. bereits Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 118 f.; aber auch Stein, Staatsrecht, S. 23; Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, S. 205 ff.; Zuleeg, in: AK-GG, Art. 59 Rdnr. 36. Auch in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik wird oft die Transformationslehre

36

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

Anwendungsbefehl für den innerstaatlichen Vollzug des Vertragsrechts zu sehen ist 48 . Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Satz „pacta sunt servanda". Diese allgemeine Regel des Völkerrechts verwandelt die einzelnen Normen völkerrechtlicher Verträge nicht ihrerseits in allgemeine Regeln des Völkerrechts mit Vorrang vor innerstaatlichem Recht49. Das Völkerrecht überläßt es den Staaten, wie sie der Verpflichtung „pacta sunt servanda" nachkommen50. Auch Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen müssen sich daher an Art. 79 GG messen lassen, wenn sie Bestimmungen enthalten, die das Grundgesetz ändern oder ergänzen51. Dies folgt aus einem Umkehrschluß aus Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG, der für bestimmte Vertragsgesetze gewisse Abweichungen von der Grundregel des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG zuläßt.

II Ausnahme gemäß Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG Eine Ausnahme von Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG normiert Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG 52 . Danach genügt bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland zu dienen bestimmt sind, eine klarstellende Ergänzung des Wortlauts des Grundgesetzes, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung ist im Schrifttum nicht unumstritten. So hält Konrad Hesse beispielsweise Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG für

zugrunde gelegt, vgl. BVerfGE 1, 396 (410 f.); BVerfGE 29, 348 (360); BGHZ 11, 135 (138); BGHZ 16, 207 (211); BVerwGE 3, 58; BVerwGE 35, 262 (263). 48

So die Vertreter der sog. „Vollzugstheorie", vgl. Mosler, Das Völkerrecht in der Praxis der deutschen Gerichte, S. 13 ff.; Partsch, BDGV 6 (1964), S. 13 (19 f., 86 ff., 142 ff.); R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 173. 49 BVerfGE 31, 145 (178); Rojahn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 2. Bd., 3. Aufl., Art. 59 Rdnr. 38. 50 BVerfGE 6, 309 (363); BVerfGE 41, 88 (120 f.); Zuleeg, in: AK-GG, Art. 24 Abs. 3/Art. 25 Rdnr. 25; ders., JA 1983, S. 1 (6); Tomuschat, Die staatsrechtliche Entscheidung für die internationale Offenheit, in: HStR VII, § 172 Rdnr. 21; Bernhardt, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, in: HStR VII, § 174 Rdnr. 29; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, § 848. 51

BVerfGE 36, 1 (14) - Grundlagenvertrag; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 59 Rdnr. 13; Lücke, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 79 Rdnr. 10; Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnr. 184; Dellmann, in: Seifert/Hömig (Hrsg.), GG, 5. Aufl., Art. 59 Rdnr. 9. 52

Art. 79 Abs. 1 Satz 2 eingefügt durch Gesetz v. 26. 3. 1954, BGBl. 1954 I S. 45.

1. Kapitel: Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 GG

37

„entweder überflüssig oder verfassungswidrig", da der Gesetzgeber sich die Verfassungsmäßigkeit von Vertragsgesetzen nicht selbst bestätigen könne53. Auch Horst Ehmke spricht dem verfassungsändernden Gesetzgeber das Recht ab, sich über das Grundgesetz hinwegzusetzen und sich eine Kompetenz zur Verfassungsdurchbrechung zuzulegen54. Einen Verstoß gegen das Gebot der Verfassungsklarheit sowie gegen das Verbot der Verfassungsdurchbrechung sehen v. Mangoldt/Klein in der Klarstellungsklausel des Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG 55 . Auch für Stern ist sie „rechtsstaatlich bedenklich"56. Hans Meyer meint, daß die Fragwürdigkeit des Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG auf der Hand liege57. Demgegenüber geht die überwiegende Meinung von der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung aus. So sieht Bryde darin eine Ausnahmeregelung zwar eine bedauerliche und unnötige Beeinträchtigung des Grundsatzes der Verfassungsklarheit, hält sie aber dennoch für zulässig58. Zur Begründung läßt sich anführen, daß das Gebot der ausdrücklichen Verfassungstextänderung nicht Bestandteil des in Art. 20 Abs. 2 und 3 GG niedergelegten Rechtsstaatsprinzips und daher nicht gemäß Art. 79 Abs. 3 GG unabänderlich ist 59 . Das beweisen auch Art. 24 Abs. 1 und neuerdings Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG n. F., die weitere zulässige Ausnahmen von Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG enthalten60. Angesichts der praktischen Bedeutungslosigkeit des Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG - abgesehen vom Fall des inzwischen wieder aufgehobenen 61 Art. 142a GG kam diese Bestim-

53

Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rdnr. 699; zustimmend Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 26. Aufl., § 6 II 3 a, S. 40. 54

Ehmke, AÖR79 (1953/54), S. 385 (416 ff.); ders., Noch einmal: Die Verfassungsnovelle vom 26. März 1954, DÖV 1956, S. 449 (451 ff.). 55

v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 79 Anm. IV 1 (dort Fußn. 70 m.w.N.); vgl. dazu auch Ress, in: Doehring/Kewenig/Ress, S. 18 sowie Loewenstein, Kritische Betrachtungen zur Verfassungsänderung vom 27. März 1954, DÖV 1954, S. 385 ff. 56 Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 164 f.; ähnlich Berlit, Ländervermögen im Bundesstaat, S. 186 f. 57

H Meyer, KritV 1993, S. 399 (405, dort Fußn. 17).

58

Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 3. Bd., 3. Aufl., Art. 79 Rdnr. 15; ähnlich Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 79 Rdnrn. 6 f. 59

Hoffmann, in: Bonner Kommentar, Art. 79 Abs. 1 u. 2 (Zweitbearbeitung 1986) Rdnrn. 102- 104 und 123 ff., 146; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 79 Rdnr. 6; Lükke, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 79 Rdnr. 12; Ridder, in: AK-GG, Art. 79 Rdnr. 20; Merten, Grundfragen des Einigungsvertrages, S. 63. 60 Merten, Grundfragen des Einigungsvertrages, S. 63. 61

Siebzehntes Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes v. 24. Juni 1968, BGBl. 1968 IS. 709 (714).

38

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

mung niemals zur Anwendung - ist der Streit um die Verfassungsmäßigkeit mittlerweile abgeflaut.

1. Völkerrechtlicher Vertrag Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG ist nur auf völkerrechtliche Verträge anwendbar. Der Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik erfüllt, wie bereits dargelegt 62, diese Voraussetzung.

2. Friedensregelung oder Vorbereitung einer Friedensregelung Der Einigungsvertrag ist nicht dem „Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung" oder der „Verteidigung der Bundesrepublik" im Sinne des Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG zu dienen bestimmt63. Problematisch ist jedoch, ob er eine „Friedensregelung" oder die „Vorbereitung einer Friedensregelung" zum Gegenstand hat.

a) Der Einigungsvertrag

als friedensvertragliche

Regelung

Versteht man unter „Friedensregelung" jede Regelung, die der Kriegsbeendigung oder der Kriegsfolgenbeseitigung dient 64 , so erscheint es auf den ersten Blick nicht ausgeschlossen, die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands unter den Begriff der Kriegsfolgenbeseitigung subsumieren65. So will etwa Georg Ress Verträge, die das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zur Deutschen Demokratischen Republik klären, als Folgeregelungen des Zweiten Weltkrieges und damit auch als Teil einer umfassenden Friedensregelung ver62

Siehe o. S. 29 ff.

63

Merten, Grundfragen des Einigungsvertrages, S. 64.

64

Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 79 Rdnr. 9; Hoffmann, in: Bonner Kommentar, Art. 79 Abs. 1 u. 2 (Zweitbearbeitung 1986) Rdnrn. 155 ff., insbes. 166; Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 3. Bd., 3. Aufl., Art. 79 Rdnr. 16. 65 Seiffert, Selbstbestimmungsrecht und deutsche Wiedervereinigung, S. 95 f., ist dagegen der Auffassung, die deutsche Teilung sei ein Resultat des „Kalten Krieges", da sich vier Alliierten wegen der sowjetischen Expansionspolitik nicht über Nachkriegsdeutschland einigen konnten. Eine Anwendung des Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG auf den Einigungsvertrag würde dann bereits deshalb scheitern, weil die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands nicht unter den Begriff der Kriegsfolgenbeseitigung fiele.

1. Kapitel: Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 GG

39

standen wissen66. Bei einer solch weiten Auslegung der Begrifflichkeiten könnte mithin auch der Einigungsvertrag, mit dem die aus dem Zweiten Weltkrieg resultierende Teilung Deutschlands auf staatsrechtlicher Ebene überwunden wird, Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG unterfallen. Zudem hebt die Präambel des Einigungsvertrages den Wunsch der Deutschen hervor, „in Frieden und Freiheit" zu leben, und bekundet den Respekt vor denen, die der Freiheit „auf friedliche Weise" zum Durchbruch verholfen haben. Sie betont die Verantwortung für eine Entwicklung, die „dem Frieden verpflichtet" bleibt, das Bestreben, zum Aufbau einer „europäischen Friedensordnung" beizutragen, sowie das Bewußtsein, die Unverletzlichkeit der Grenzen und der territorialen Integrität und Souveränität aller Staaten in Europa „eine grundlegende Bedingung für den Frieden" ist. Dennoch bilden diese, die Friedlichkeit des Vereinigungsprozesses beschwörenden Formeln nicht den eigentlichen Gegenstand des Vertrages und sind konsequenterweise „nur" in der Präambel verortet. Das Hauptanliegen des Einigungsvertrages ist, wie dessen Überschrift zum Ausdruck bringt, die „Herstellung der Einheit Deutschlands"67. Das Völkerrecht kennt zwar keine Legaldefinition dessen, was eine Friedensregelung ist. Dennoch kann als gesicherte Erkenntnis gelten, daß zu ihren wesentlichen Merkmalen die „rechtsverbindliche und endgültige Regelung der aus einem kriegerischen Konflikt entstandenen politischen und rechtlichen Fragen" 68 gehört 69. Üblicherweise beinhaltet ein Friedensvertrag drei Bereiche: die Beendigung eines Kriegszustands, die Aufnahme friedlicher Beziehungen und die Regelung der durch den Krieg entstandenen Rechtsfragen 70. Voraussetzung für einen Friedensvertrag ist, daß ein Krieg im völkerrechtlichen Sinn, also „ein von beiden Seiten als solcher verstandener Waffengang zwischen unabhängigen Staaten"71 vorangegangen ist 72 . Gegen ein Verständnis, den Einigungsvertrag als Friedensregelung im Sinne des von Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG aufzufassen, 66

Ress, in: Doehring/Kewenig/Ress, S. 11; ähnlich Kewenig, in: Doehring/Kewenig/ Ress, S. 158 f. 67

Merten, Grundfragen des Einigungsvertrages, S. 64.

68

Steinberger, ZaöRV 31 (1971), S. 63 (120).

69

Sc bieder mair, in: Festschrift Zeidler, Bd. 2, S. 1031 (1051 f.).

70

Blumenwitz, Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands, S. 61; dersNJW 1990, S. 3041 (3042); Schweitzer, Die Verträge Deutschlands mit den Siegermächten, in: HStR VIII, § 190 Rdnr. 21; Kempen, Die deutsch-polnische Grenze nach der Friedensregelung des Zwei-plus-Vier-Vertrages, S. 212. 71 72

Scheuner, Friedensvertrag, in: Strupp/Schlochauer, Bd. I, S. 590.

Ress, in: Doehring/Kewenig/Ress, S. 10; Hacker, Friedensvertrag, in: Weidenfeld/ Körte (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Einheit, S. 338 (339).

40

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

spricht mithin vor allem, daß die Deutsche Demokratische Republik als Vertragspartner einer so privilegierten Friedensregelung nicht in Betracht kommen kann, weil sie sich mit dem Deutschen Reich und der Bundesrepublik Deutschland73 niemals im Kriegszustand befunden hat 74 . Allenfalls ließe sich auf dem Boden einer „Bürgerkriegstheorie" argumentieren, daß sich die Deutsche Demokratische Republik als ein Teil des deutschen Staatsgebiets in der Gewalt eines „quasi-aufständischen" lokalen de facto-Regimes befand, das die volle Unabhängigkeit des von ihm beherrschten Gebietsteiles anstrebte75. Einerseits ist bereits umstritten ist, ob die ersten drei Varianten des Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG (Friedensregelung, Vorbereitung einer Friedensregelung, Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung) ausschließlich auf die Beseitigung der Folgen des Zweiten Weltkrieges bezogen sind 76 oder ob sie darüber hinaus jede Friedensregelung, an der Deutschland beteiligt ist, erfassen 77. Andererseits verkennt die Bürgerkriegs-Konstruktion die völkerrechtliche Lage. Denn die Deutsche Demokratische Republik war nicht durch einen Aufstand oder Bürgerkrieg entstanden. Nachdem im „Protokoll über die Besatzungszonen in Deutschland und die Verwaltung von Groß-Berlin" vom 12. September 194478 und im „Pots-

73

Nach der zutreffenden Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 36, 1 [15 ff.] - Grundlagenvertrag; BVerfGE 11, 150 [158]; BVerfGE 82, 316 [320]) und der überwiegenden Meinung in der staats- und völkerrechtlichen Literatur [siehe u. S. 69 ff.] existierte das Deutsche Reich - wenn auch handlungsunfähig - fort. Auch das Grundgesetz ging, wie aus der Präambel a. F., Art. 23 GG a. F., Art. 116 GG und Art. 146 GG a. F. deutlich wird, vom Fortbestand des deutschen Gesamtstaates aus. Die Deutsche Demokratische Republik konnte daher als Teil Deutschlands nicht als Ausland angesehen werden. Vgl. dazu umfassend Ress, Die Rechtslage Deutschlands nach dem Grundlagenvertrag vom 21. Dezember 1972, S. 199 ff. 74

Hoffmann, in: Bonner Kommentar, Art. 79 Abs. 1 u. 2 (Zweitbearbeitung 1986) Rdnr. 163 m.w.N.; zustimmend Merten, Grundfragen des Einigungsvertrages, S. 64. 75 Frhr. Marschall von Bieberstein, Zum Problem der völkerrechtlichen Anerkennung der beiden deutschen Regierungen, S. 127 ff. - Ähnlich Bindschedler, SchwJblntR 6 (1949), S. 37 (43), der meint, die Situation weise „eine gewisse Ähnlichkeit mit den Verhältnissen, welche bei Aufständen und Bürgerkriegen herrschen, auf 4. Ablehnend allerdings Ress, in: Doehring/Kewenig/Ress, S. 10 f.; Thum, Die Kontinuitätsfrage im völkerrechtlichen Rahmen der Einigung Deutschlands, S. 72 f. 76

So Hoffmann, in: Bonner Kommentar, Art. 79 Abs. 1 u. 2 (Zweitbearbeitung 1986) Rdnr. 156; Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 3. Bd., 3. Aufl., Art. 79 Rdnr. 16; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rdnr. 3; Lücke, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 79 Rdnr. 13. 77 78

So Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 79 Rdnr. 9.

Text abgedruckt in: Rauschning (Hrsg.), Rechtsstellung Deutschlands. Völkerrechtliche Verträge und andere rechtsgestaltende Akte, S. 6 ff.

1. Kapitel: Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 GG

41

damer Abkommen" vom 2. August 194579 von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs 80 die Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszonen verfügt worden war 81 , entstand die Deutsche Demokratische Republik in der Folge des Bruchs zwischen den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs in dem sich anbahnenden Ost-Westkonflikt 82. Am 20. März 1948 war durch den Auszug des sowjetischen Vertreters aus dem Alliierten Kontrollrat 83 dessen Tätigkeit faktisch beendet worden 84. Die Sowjetunion betrieb auf dem Gebiet ihrer Besatzungszone die Schaffung einer einheitlichen Staatsgewalt85, was letztlich in die Gründung der DDR mündete. Da weder ein Bürgerkrieg noch ein Aufstand zur Entstehung der Deutschen Demokratischen Republik geführt hatte und es auch später nicht zu kriegerischen Auseinandersetzungen im innerdeutschen Verhältnis gekommen war, war rein begrifflich eine Friedensregelung mit der DDR nicht möglich. Nach Georg Ress ist jedoch eine Friedensregelung trotz des befriedeten Zustandes zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR dennoch möglich, da für ihn die Klärung des gegenseitigen Verhältnisses als Folgeregelung des Zweiten Weltkrieges ebenso der Einbeziehung in einen Friedensvertrag bedarf wie das Verhältnis zu den Siegermächten86. Daß dies nicht zwangsläufig so sein muß, beweist freilich das Vorgehen bei der Wiedervereinigung Deutschlands. Die Regelung des Verhältnisses zu den Siegermächten erfolgte durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag, die Herstellung der staatlichen Einheit 79

Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Ergänzungsblatt Nr. 1, S. 13; Text auch abgedruckt in: Antoni , Das Potsdamer Abkommen - Trauma oder Chance?, S. 340 ff. - Zum Verlauf der Potsdamer Konferenz vgl. Benz, Potsdam 1945, S. 81 ff. 80

Frankreich trat dem Protokoll über die Besatzungszonen v. 12. September 1944 erst im Abkommen v. 26. Juli 1945 bei, betrachtete sich aber nicht als Partner des Potsdamer Abkommens. 81 Ress, in: Doehring/Kewenig/Ress, S. 10 f. 82

Morsey, Der Weg zur Bundesrepublik Deutschland, in: Jeserich/Pohl/v. Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 5, S. 87 (89 ff., 97 f.). 83

Zur Einrichtung des Kontrollrats vgl. das Abkommen über Kontrolleinrichtungen in Deutschland v. 14. November 1944, Text abgedruckt in: Rauschning (Hrsg.), Rechtsstellung Deutschlands. Völkerrechtliche Verträge und andere rechtsgestaltende Akte, S. 11 ff. 84 Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, 2. Aufl., S. 612; Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 298; Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 3. Aufl., S. 346. 85

Zur Gründung der DDR vgl. Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, 2. Aufl., S. 626 ff.; Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 3. Aufl., S. 352 ff. 86 Ress, in: Doehring/Kewenig/Ress, S. 10.

42

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

Deutschlands blieb dagegen dem Einigungsvertrag vorbehalten. Für sich betrachtet, unterfällt letzterer daher nicht als Friedensregelung dem Anwendungsbereich des Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG.

b) Einbettung des Einigungsvertrags in ein friedensvertragliches Regelungsgeflecht Sieht man den Einigungsvertrag eingebettet in den Zusammenhang der übrigen Verträge zur deutschen Einheit, könnte man für die Anwendbarkeit des Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG argumentieren 87, daß er mit diesen, insbesondere mit dem „Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland" (Zwei-plus-Vier-Vertrag) vom 12. September 199088 ein einheitliches Ganzes bilde, das insgesamt auch Charaktermerkmale eines Friedensvertrages aufwei89

se . Zu untersuchen gilt es daher vorrangig, ob der Zwei-plus-Vier-Vertrag eine friedensvertragliche Regelung ist. Dafür könnte sprechen, daß dessen Präambel die Entschlossenheit der Vertragspartner bekräftigt, „geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens" zu treffen, und den Willen des deutschen Volkes hervorhebt, „dem Frieden der Welt" zu dienen. Von der Sicherung einer „dauerhaften Friedensordnung in Europa" ist sowohl in der Präambel als auch in Art. 1 Abs. 1 des Vertrages die Rede. In Art. 2 Satz 1 des Vertrages betonen die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik, „daß von deutschem Boden nur Frieden ausgehen" werde. Für Wolfgang Seiffert erfüllt der Zwei-plus-Vier-Vertrag zusammen mit dem „Grenzvertrag" mit Polen90,

87

Für ein weites Verständnis von Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG Ress, in: Doehring/Kewenig/Ress, S. 11 f. 88 BGBl. 1990 IIS. 1317. 89

So angedeutet bei Merten, Grundfragen des Einigungsvertrages, S. 64 f.; anklingend auch bei Fiedler, AVR31 (1993), S. 333 (351), der allerdings konzediert, daß lediglich ein „flüchtiger Blick auf die Vorgänge von 1990 ... den Eindruck einer historisch durchaus üblichen friedensvertraglichen Regelung" erweckt. - Hailbronner, JZ 1990, S. 449 (451), sieht die Wiedervereinigung in den Zusammenhang eines Friedensvertrages gestellt, betont aber gleichzeitig, daß es völkerrechtlich eines Friedensvertrages nicht unbedingt bedürfe. 90

Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze v. 14. November 1990, BGBl. 1991 II S. 1329.

1. Kapitel: Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 GG

43

dem „Nachbarschaftsvertrag" mit der Sowjetunion91 und dem „Vertrag über den Aufenthalt und Abzug der sowjetischen Truppen" 92 einschließlich der finanziellen Regelungen alle Elemente eines klassischen Friedens Vertrages93. Bernhard Kempen meint, der Zwei-plus-Vier-Vertrag sei „exakt die Friedensregelung ..., die am Ende der Vier-Mächte-Zuständigkeit für Deutschland stehen mußte"94. Auf die friedensvertragliche Funktion des Zwei-plus-Vier-Vertrags verweist auch die ausdrückliche Verlängerung des Vertrags über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte vom 23. Oktober 195495. Sie wurde damit begründet, daß der Aufenthaltsvertrag ansonsten gemäß seines Art. 3 Abs. 1 außer Kraft getreten wäre. Denn diese Bestimmung sieht diese Rechtsfolge für den Fall des Abschlusses „einer friedensvertraglichen Regelung mit Deutschland" vor 96 . Dennoch ist ein Friedensschluß mit Deutschland nicht Gegenstand des Zweiplus-Vier-Vertrags 97. Er ist, obwohl er Bestandteile eines Friedensvertrags 98 enthält99, angesichts der faktischen Beendigung des Kriegszustands und der zwischenzeitlichen Aufnahme friedlicher Beziehungen100 nicht als Friedensver-

9]

Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken v. 9. November 1990, BGBl. 1991 II S. 703. 92 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Bedingungen des befristeten Aufenthalts und die Modalitäten des planmäßigen Abzugs der sowjetischen Truppen aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland v. 12. Oktober 1990, BGBl. 1991 II S. 258. 93 Seiffert, Selbstbestimmungsrecht und deutsche Wiedervereinigung, S. 157 f. 94

Kempen, Die deutsch-polnische Grenze nach der Friedensregelung des Zwei-plusVier-Vertrages, S. 230. 95 Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland v. 23. Oktober 1954, BGBl. 1955 II S. 253. 96

Seiffert,

Selbstbestimmungsrecht und deutsche Wiedervereinigung, S. 158.

97

Blumenwitz, NJW 1990, S. 3041 (3043); Stern,, Das völkerrechtliche Vertragsgeflecht, in: Stern/Schmidt-Bleibtreu, Bd. 3, S. 3 (28). 98

Zu Begriff und Inhalt eines Friedensvertrages vgl. Scheuner, Friedensvertrag, in: Strupp/Schlochauer, Bd. I, S. 590 ff.; Zimmer, Friedensverträge im Völkerrecht, S. 3 ff.; v. Wedel, in: v. Münch/Oppermann/Stödter (Hrsg.), Finis Germaniae?, S. 145 (146 ff.). 99

Stern, Das völkerrechtliche Vertragsgeflecht, in: Stern/Schmidt-Bleibtreu, Bd. 3, S. 3 (28); Blumenwitz, NJW 1990, S. 3041 (3042 f.); R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 69; Seiffert, Selbstbestimmungsrecht und deutsche Wiedervereinigung, S. 157 f.; Ress, in: Festschrift Bernhardt, S. 825 (829 ff.). 100 Siehe dazu Mosler/Doehring, Die Beendigung des Kriegszustands mit Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg, S. 1 ff. (passim).

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

44

trag konzipiert 101 . Vor allem die deutsche Seite hielt es aus politischen und psychologischen Erwägungen nicht für opportun, 45 Jahre nach der Beendigung des Zweiten Weltkriegs das Verhältnis von Siegern und Besiegten Wiederaufleben zu lassen, das mit einer friedensvertraglichen Regelung verbunden gewesen wäre 102 . Folgerichtig vermeidet der Zwei-plus-Vier-Vertrag auch jede Verwendung des Begriffes „Friedensvertrag" oder „friedensvertragliche Regelung"103. Soweit allerdings in anderen Verträgen, wie etwa im Aufenthaltsvertrag, Rechtsfolgen von dem Abschluß eines Friedensvertrags abhängig gemacht werden, muß der Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland als ein solcher angesehen werden 104. Denn mit dem Abschluß dieses Vertrags ist die Frage eines Friedensvertrages mit Deutschland endgültig obsolet j

105

geworden . Konsequenterweise wurde der Zwei-plus-Vier-Vertrag dem Deutschen Bundestag als „politischer Vertrag" im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG und nicht als „Friedensschluß" gemäß Art. 115 Abs. 3 GG zur Zustimmung vorgelegt 106 . Es erscheint daher bereits aus diesem Grunde zweifelhaft, ob er - enthielte er materiell verfassungsändernde Regelungen - dem Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG unterfiele. Nicht von der Hand zu weisen ist zwar, daß der Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland mit dem Einigungsvertrag in einem engen Zusammenhang steht und gemeinsam mit den übrigen Vereinbarungen, etwa mit der UdSSR, Polen und den drei West-Alliierten, ein, wie Klaus Stern 101

Dies betont vor allem Rauschning, DVB1. 1990, S. 1275 ff.; ders., JuS 1991, S. 977 (983); vgl. aber auch Ress, in: Festschrift Bernhardt, S. 825 (829, dort Fußn. 25); Blumenwitz, NJW 1990, S. 3041 (3043); ders., Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands, S. 62; Stern, Das völkerrechtliche Vertragsgeflecht, in: Stern/SchmidtBleibtreu, Bd. 3, S. 3 (28); Seiffert, Selbstbestimmungsrecht und deutsche Wiedervereinigung, S. 157 f.; Schweitzer, Die Verträge Deutschlands mit den Siegermächten, in: HStR VIII, § 190 Rdnr. 21. Hacker, Friedensvertrag, in: Weidenfeld/Korte (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Einheit, S. 338 (345 f.); Zippelius, BayVBl. 1992, S. 289 (290); Kempen, Die deutsch-polnische Grenze nach der Friedensregelung des Zwei-plus-Vier-Vertrages, S. 232 f. 103

Seiffert,

Selbstbestimmungsrecht und deutsche Wiedervereinigung, S. 157.

104

Rauschning, DVB1. 1990, S. 1275 (1279); Blumenwitz, Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands, S. 63 u. 132; Schweitzer, Die Verträge Deutschlands mit den Siegermächten, in: HStR VIII, § 190 Rdnr. 22. 105 Seiffert, Selbstbestimmungsrecht und deutsche Wiedervereinigung, S. 158; Blumenwitz, Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands, S. 63. 106

Blumenwitz, NJW 1990, S. 3041 (3043, Fußn. 18).

1. Kapitel: Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 GG

45

es nennt, „Vertragsgeflecht" bildet 107 . Auch die Bundesregierung hat betont, daß „die äußeren und inneren Aspekte der Herstellung der deutschen Einheit ... untrennbar miteinander verbunden" sind 108 . Eine extensive Grundgesetzauslegung, die aufgrund dieser Verflechtung auch den Einigungsvertrag noch als Teil einer friedensvertraglichen Gesamtregelung verstanden wissen und dem Anwendungsbereich des Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG unterworfen sehen will, dürfte jedoch den Rahmen zulässiger Verfassungsinterpretation sprengen. Zu bedenken ist vor allem, daß Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG als Ausnahmebestimmung zu Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG 1 0 9 eng auszulegen ist (singularia non sunt extenda) und auch einer analogen Anwendung nicht zugänglich sein dürfte 110 .

3. Klarstellungsklausel Ungeachtet der sachlichen Unvereinbarkeit des Einigungsvertrages mit Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG fehlt es auch an der formalen Voraussetzung. Eine Klarstellung im Sinne dieser Bestimmung bedarf unerläßlich „der Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes". Dadurch soll dem Grundsatz der Verfassungsklarheit zumindest insoweit Rechnung getragen werden, als die Klarstellung in den Text des Grundgesetzes aufzunehmen ist 111 . Um diesem Erfordernis gerecht zu werden, wurde beim bislang einzigen Anwendungsfall des Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG im Zusammenhang mit den Verträgen über die Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ein Art. 142a in das Grundge-

107

Stern, Das völkerrechtliche Vertragsgeflecht, in: Stern/Schmidt-Bleibtreu, Bd. 3, S. 3 (32 ff.). 108 Denkschrift der Bundesregierung zu dem Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland, BT-Drs. 11/8024, S. 17 (18) - nicht veröffentlicht; ebenso Lothar de Maizière , in: Sobotka (Hrsg.), Burgen, Schlösser, Gutshäuser in Mecklenburg-Vorpommern, S. 136 (138); vgl. auch Quaritsch, Wiedervereinigung in Selbstbestimmung - Recht, Realität, Legitimation, in: HStR VIII, §193 Rdnr. 78; Rauschning, DVB1. 1990, S. 1275 (1281). 109 Dellmann, in: Seifert/Hömig (Hrsg.), GG, 5. Aufl., Art. 79 Rdnr. 2; Ridder, in: AK-GG, Art. 79 Rdnr. 22; Lücke, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 79 Rdnr. 10; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 58. 110 BVerfGE 41, 126 (174); zustimmend Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rdnr. 3; Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 3. Bd., 3. Aufl., Art. 79 Rdnr. 16; differenzierend allerdings Hoffmann, in: Bonner Kommentar, Art. 79 Abs. 1 u. 2 (Zweitbearbeitung 1986) Rdnrn. 154 f. 111

Merten, Grundfragen des Einigungsvertrages, S. 65; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 79 Rdnr. 13.

46

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

setz eingefügt 112, wonach die Bestimmungen des Grundgesetzes „dem Abschluß und dem Inkrafttreten der ... unterzeichneten Verträge ... nicht entgegen (stehen)". Einigungsvertrag und Vertragsgesetz gehen, indem sie durch ausdrückliche Wortlautänderung des Grundgesetzes es gemäß Art. 4 EinigungsV zugleich materiell-rechtlich ändern und ergänzen, über eine bloße klarstellende Ergänzung freilich hinaus113. Nach Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG „genügt" zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlauts, die sich auf diese Klarstellung beschränkt. Das könnte in dem Sinne gedeutet werden, daß damit lediglich eine Mindestanforderung an den Gesetzgeber gestellt wird und auch darüber hinaus gehende Lösungen Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG entsprechen. Dagegen läßt sich jedoch anführen, daß diese Bestimmung als Ausnahmeregelung eng auszulegen und nicht analogiefähig ist 114 . Wird trotz des Vorliegens der materiellen Voraussetzungen („Friedensregelung", „Vorbereitung einer Friedensregelung", „Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung" oder „Verteidigung der Bundesrepublik") nicht von der Erleichterung des Satzes 2 Gebrauch gemacht, ist auf den Regelfall des Abs. 1 Satz 1 abzustellen. Der verfassungsändernde Gesetzgeber kann entweder nach Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG oder, sofern dessen Voraussetzungen vorliegen, nach Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG vorgehen. Eine dazwischenliegende, beides vermischende „Grauzone" ist weder wünschenswert noch gewollt. Da weder der Einigungsvertrag noch das Einigungsvertragsgesetz eine Klarstellungsklausel nach Maßgabe des Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG enthält und sie nachträglich auch nicht mehr eingefügt werden kann 115 , ist diese Bestimmung auf den Einigungsvertrag nicht anwendbar 116. Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 GG durch Art. 4 Nr. 4 EinigungsV fällt daher nicht in den Anwendungsbereich des Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG.

112

Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes v. 26. März 1954, BGBl. 1954 I S. 45.

113

Stern, Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit, in: Stern/Schmidt-Bleibtreu, Bd. 2, S. 3 (40); Merten, Grundfragen des Einigungsvertrages, S. 65. 114 BVerfGE 41, 126 (174); zustimmend Pierotk, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rdnr. 3; Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 3. Bd., 3. Aufl., Art. 79 Rdnr. 16; differenzierend allerdings Hoffmann, in: Bonner Kommentar, Art. 79 Abs. 1 u. 2 (Zweitbearbeitung 1986) Rdnrn. 154 f. 115 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 79 Rdnr. 16; Lücke, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 79 Rdnr. 10; a. A. Loewenstein, DÖV 1954, S. 385 (386). 116

Merten, Grundfragen des Einigungsvertrages, S. 65 f.; Berlit, Ländervermögen im Bundesstaat, S. 186.

1. Kapitel: Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 GG

47

III. Ausnahme nach Art. 23 Satz 2 GG a. F. Möglicherweise dispensierte jedoch Art. 23 Satz 2 GG a. F. den Gesetzgeber von der Einhaltung der Anforderungen des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG. Art. 23 Satz 2 GG a. F. bezog sich nicht allein auf „West-Deutschland", war daher mit der Rückgliederung des Saarlandes keineswegs obsolet geworden 117 und konnte als verfassungsrechtliches Fundament für die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands dienen. Diese Vorschrift nannte als Folge des Beitritts, daß das Grundgesetz in den beigetretenen Teilen Deutschlands in Kraft zu setzen sei. Anders als beispielsweise Art. 24 Abs. 1 GG besagte Art. 23 Satz 2 GG a. F. nicht, daß der Gesetzgeber, geschweige denn der verfassungsändernde Gesetzgeber für den Akt des Inkraftsetzens zuständig sein sollte. Das Schweigen des Grundgesetzes konnte aber dahin gedeutet werden, daß die Inkraftsetzung durch einfachen Legislativakt zu erfolgen habe118, d. h. daß Art. 23 Satz 2 GG a. F. den Gesetzgeber zumindest insoweit vom Erfordernis einer ausdrücklichen Verfassungstextänderung entband119. Im Hinblick auf die Änderung des Geltungsbereichs des Grundgesetzes gemäß Art. 23 Satz 1 GG a. F. ist Art. 23 Satz 2 GG a. F. lex specialis zu Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG 120 . Bestätigt wird diese Sicht durch die Entstehungsgeschichte des Art. 23 Satz 2 GG a. F. So sahen die Entwürfe im Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rates noch vor, daß die Eingliederung beigetretener Teile Deutschlands „durch Bundesgesetz" vollzogen werden solle, wobei man sich offenbar einig darüber war, daß 117

BVerfGE 36, 1 (29); BVerfGE 77, 137 (151); BVerfGE 82, 316 (321 f.); vgl. dazu Lerche, Der Beitritt der DDR - Voraussetzungen, Realisierung, Wirkungen, in: HStR VIII, § 194 Rdnr. 6 m.w.N. 1,8

Degenhart, DVB1. 1990, S. 973 (975); E. Klein, NJW 1990, S. 1065 (1070); Rauschning, DVB1. 1990, S. 393 (401); Schnapauff DVB1. 1990, S. 1249 (1250, 1251); Stern, Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit, in: Stern/SchmidtBleibtreu, Bd. 2, S. 3 (29); Badura, Die innerdeutschen Verträge, insbesondere der Einigungsvertrag, in: HStR VIII, § 189 Rdnr. 21; Binne, JuS 1990, S. 446 (450); Starck, JZ 1990, S. 349 (353); Spies, JA 1990, S. 156 (159); v. Münch, in: v. Münch (Hrsg.), GG, 2. Bd., 2. Aufl., Art. 23 Rdnr. 27; v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 23 Anm. IV 3; Dennewitz, in: Bonner Kommentar, Art. 23 (Erstbearbeitung 1950) Anm. II 2 c; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 23 Rdnr. 43; Füßlein, in: Seifert/Hömig (Hrsg.), GG, 3. Aufl., Art. 23 Rdnr. 5; Lerche, Der Beitritt der DDR - Voraussetzungen, Realisierung, Wirkungen, in: HStR VIII, § 194 Rdnr. 57. - Anders aber Epping, JZ 1990, S. 805 (808), der das Inkraftsetzen des Grundgesetzes als automatische Rechtsfolge des erfolgten Beitritts ansieht und insofern wohl kein Bundesgesetz fur erforderlich hält. 119 Heintsc hei v. Heinegg, DÖV 1990, S. 425 (430); Pestalozza, Jura 1994, S. 561 (563); E. Klein, NJW 1990, S. 1065 (1070); Degenhart, DVB1. 1990, S. 973 (975, dort insbes. Fußn. 33); zweifelnd hingegen Busse, DÖV 1991, S. 345 (347). 120

H Meyer, KritV 1993, S. 399 (403, dort Fußn. 11).

48

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

ein einfaches Bundesgesetz genügen solle 121 . Letztlich wurde dieser Passus allein aus redaktionellen Gründen vom allgemeinen Redaktionsausschuß wieder gestrichen 122. Da das Inkraftsetzen des Grundgesetzes ein Akt von weittragender und staatspolitischer Bedeutung ist, muß angenommen werden, daß mit der Streichung der Worte „durch Bundesgesetz" jedoch keine Änderung des rechtlichen Gehalts beabsichtigt war 123 . Die etwa von Friedrich Giese vertretene Auffassung, wonach Bundesregierung und Bundespräsident, die für das Inkraftsetzen des Grundgesetzes zuständigen Organe sein sollen 124 , erscheint daher keineswegs schlüssig. Auch im Falle des Beitritts des Saarlandes zur Bundesrepublik, dem vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten einzigen Anwendungsfall des Art. 23 Satz 2 GG a. F., erfolgte das Inkraftsetzen des Grundgesetzes durch ein einfaches Bundesgesetz125, ohne daß insoweit eine Änderung des Grundgesetzes für erforderlich gehalten wurde 126 . Diese Dispensierung vom Gebot der Textänderung nach Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG galt aber nur für das unveränderte - wenn auch u. U. stufenweise 127 Inkraftsetzen des Grundgesetzes. Nur insofern war die materielle Vorentscheidung durch die Verfassung selbst bereits gefallen. Alle übrigen Änderungen des Grundgesetzes, die mit oder nach seinem Inkrafttreten in den beigetretenen

121

v. Doemming/Füßlein/Matz,

JöRN.F., Bd. 1 (1951), S. 1 (218 ff.).

122

Vgl. v. Doemming/Füßlein/Matz, JöRN.F., Bd. 1 (1951), S. 1 (222); Tomuschat, VVDStRL 49 (1990), S. 70 (80, dort Fußn. 43); a. A. jedoch Epping, JZ 1990, S. 805 (808), der darin eine ausdrückliche Abkehr vom Erfordernis der Inkraftsetzung durch Bundesgesetz sieht. 123

v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 23 Anm. IV 3; Stern, Der Staatsvertrag im völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Kontext, in: Stern/Schmidt-Bleibtreu, Bd. 1, S. 3 (36). 124

Giese, GG, Art. 23 Anm. II 4.

§ 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Eingliederung des Saarlandes v. 23. Dezember 1956, BGBl. 1956 IS. 1011. 126

BT-Drs. 11/2902 und 3001; vgl. auch Geeb, Bull.BReg. 1956, Nr. 213, S. 2033 ff.; Henn, Die verfassungsrechtliche Lage des Saarlandes, S. 37 f.; Thieme, JR 1957, S. 401 (401 f.); Schäfer, DÖV 1957, S. 1 (3 f.); Groß, DVB1. 1957, S. 88 (89 f.). 127

Vgl. dazu etwa Stern, Der Staatsvertrag im völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Kontext, in: Stern/Schmidt-Bleibtreu, Bd. 1, S. 3 (37 f.); ders., Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit, in: Stern/Schmidt-Bleibtreu, Bd. 2, S. 3 (29); Isensee, ZParl 1990, S. 309 (325); E. Klein, NJW 1990, S. 1065 (1070); Fiedler, JZ 1990, S. 668 (672); Spies, JA 1990, S. 156 (159); Schmitt Glaeser, Die Stellung der Bundesländer bei einer Vereinigung Deutschlands, S. 14.

1. Kapitel: Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 GG

49

Teilen wirksam werden sollten, hatten Art. 79 Abs. 1 GG zu beachten128. Hierin unterscheidet sich Art. 23 Satz 2 GG a. F. von Art. 24 Abs. 1 GG, dessen Anwendung von vornherein auf eine materielle Verfassungsänderung hinausläuft 129 . Der Auffassung von Matthias Herdegen, wonach in Art. 23 Satz 2 GG a. F. die Anerkennung einer besonderen „Fusionsgewalt" zu sehen sei, welche der Integrationsgewalt nach Art. 24 Abs. 1 GG vergleichbar sei und die wie diese auch eine Verfassungsdurchbrechung durch einfaches Gesetz gestatte130, kann daher in dieser Allgemeinheit nicht zugestimmt werden 131. Art. 23 Satz 2 GG a. F. enthält - abgesehen von der Ausdehnung des räumlichen Geltungsbereichs des Grundgesetzes - keine antizipierte Ermächtigung, die Verfassung außerhalb des Art. 79 GG zu ändern 132. Das einfache Bundesgesetz nach Art. 23 Satz 2 GG a. F. hat zwar die Kraft, Verfassungsrecht territorial in Geltung zu setzen, nicht aber, Verfassungsrecht zu schaffen oder geltendes Verfassungsrecht zu ändern 133.

IV. Ausnahmen gemäß Art. 24 Abs. 1 GG und gemäß Art. 23 GG n. F. Gemäß Art. 24 Abs. 1 GG kann der Bund durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. Da diese Bestimmung schlicht von einer Übertragung „durch Gesetz" spricht, ist davon auszugehen, daß auch hier eine Ausnahme von der strengen Bindung an Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG normiert ist. Denn die vom Verfassunggeber in Art. 24 Abs. 1 GG getroffene Entscheidung, ein einfaches Bundesgesetz genügen zu lassen, wenn Hoheitsrechte übertragen werden sollen, zwingt zu der Folgerung, daß die Konstituierung von Hoheitsrechten in einer zwischenstaatlichen Einrichtung, selbst wenn

128

Pestalozza, Jura 1994, S. 561 (563); E. Klein, NJW 1990, S. 1065 (1070); Schmitt Glaeser, Die Stellung der Bundesländer bei einer Vereinigung Deutschlands, S. 15; Stern, Der Staatsvertrag im völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Kontext, in: Stern/Schmidt-Bleibtreu, Bd. 1, S. 3 (37). - So wurde auch Art. 23 GG a. F. selbst durch Art. 4 Ziffer 2 EinigungsV aufgehoben. no

Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG, Art. 24 Rdnr. 12; Lücke, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 79 Rdnr. 15. 130 Herdegen, Die Verfassungsänderungen im Einigungsvertrag, S. 6 f. 131

Berlit, Ländervermögen im Bundesstaat, S. 186.

132

Pestalozza, Jura 1994, S. 561 (563).

133

H Meyer, KritV 1993, S. 399 (403, dort Fußn. 11).

4 Haratsch

50

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

sie materiell verfassungsändernd wirkt, nicht eines förmlichen verfassungsändernden Gesetzes nach Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG bedarf 134 . Für den Bereich der Europäischen Union sieht nunmehr der neugefaßte Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG, der in seinem Anwendungsbereich Art. 24 Abs. 1 GG vorgeht 135 , ebenso vor, daß für Gesetze, durch die das Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird, zwar Art. 79 Abs. 2 und Abs. 3 GG gilt, nicht aber Art. 79 Abs. 1 GG 136 . Da die Übertragung von Hoheitsrechten in aller Regel durch den Abschluß völkerrechtlicher Verträge erfolgt, gewinnt Art. 24 Abs. 1 GG vor allem Relevanz für Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen 137. Eine (analoge) Anwendung des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG n. F. auf die grundgesetzändernden Bestimmungen des EinigungsVertrages scheitert - jenseits aller materiell-rechtlichen Überlegungen - bereits daran, daß diese Norm zeitlich nach Inkrafitreten des Einigungsvertrages 138 in das Grundgesetz aufge134 BVerfGE 37, 271 (279); BVerfGE 58, 1 (36); BVerfGE 68, 1 (96); Badura, Arten der Verfassungsrechtssätze, in: HStR VII, § 159 Rdnr. 16; ders., VVDStRL23 (1966), S. 34 (64 f., 100); E. Klein, DÖV 1991, S. 569 (570); Grewe, Auswärtige Gewalt, in: HStR III, §77 Rdnr. 71; Mosler, Die Übertragung von Hoheitsgewalt, in: HStR VII, §175 Rdnr. 54; Doehring, Systeme kollektiver Sicherheit, in: HStR VII, §177 Rdnr. 11; ders., Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 83 f.; Lücke, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 79 Rdnr. 16; Gloria, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 74 Rdnr. 54; Benda/Klein, DVB1. 1974, S. 389 (393 f.); Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 533; Rojahn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 2. Bd., 3. Aufl., Art. 24 Rdnr. 29; Zuleeg, in: AK-GG, Art. 24 Abs. 1 Rdnr. 18; Tomuschat, in: Bonner Kommentar, Art. 24 (Zweitbearbeitung 1981) Rdnr. 34; Κ Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, S. 5 f.; Ruppert, Die Integrationsgewalt, S. 227, 238; Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG, Art. 24 Rdnr. 12. - Bereits der Parlamentarische Rat hatte die Anwendung des Art. 79 Abs. 1 und Abs. 2 GG auf Gesetze im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG ausdrücklich abgelehnt, um so die Eingliederung der Bundesrepublik in ein vereintes Europa zu erleichtern, vgl. v. Doemming/Füßlein/Matz, JöR N.F., Bd. 1 (1951), S. 1 (222 ff., 226, 228). - Kritisch allerdings Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 24 Abs. I Rdnrn. 9 ff. 135

Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 23 Rdnr. 4 und Art. 24 Rdnr. 2; Klein/Haratsch, DÖV 1993, S. 785 (789). 136

Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 21; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 23 Rdnr. 21; Lücke, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 79 Rdnr. 16; Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnrn. 66, 185. - Vgl. dazu auch Klein/Haratsch, DÖV 1993, S. 785 (789); Herdegen, EuGRZ 1992, S. 589 (591). 137

Füßlein, in: Seifert/Hömig (Hrsg.), GG, 5. Aufl., Art. 24 Rdnr. 2.

138

Das Vertragsgesetz zum Einigungsvertrag (BGBl. 1990 II S. 885) trat gemäß Art. 10 Abs. 1 des Gesetzes am Tage nach seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt am

1. Kapitel: Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 GG

51

nommen worden ist. Doch ist zu überlegen, ob nicht Art. 24 Abs. 1 GG den Einigungsvertrag von den Anforderungen des Art. 79 Abs. 1 GG entbinden kann 139 . Art. 24 Abs. 1 GG betrifft die Fälle, in denen Hoheitsrechte auf eine „zwischenstaatliche Einrichtung" übertragen werden. Darunter ist eine durch einen Vertrag zwischen Völkerrechtssubjekten geschaffene Organisationen zu verstehen 140, nicht jedoch ein anderer Staat141. Selbst wenn man von einer Fusion der Bundesrepublik Deutschland und der DDR ausginge, d. h. vom gleichberechtigten Zusammenschluß zweier Staaten unter Aufgabe ihrer Völkerrechtssubjektivität zu einem neuen Staat142 - die „alte" Bundesrepublik Deutschland wäre in diesem Fall mit Inkrafttreten des Einigungsvertrages untergegangen und an ihre Stelle wäre eine „neue" Bundesrepublik getreten 143 - , so könnte dennoch Art. 24 Abs. 1 GG nicht unmittelbar zur Anwendung kommen, da das neuentstandene Gebilde jedenfalls Staatsqualität besitzt und nicht zwischenstaatliche Einrichtung ist. Die Idee einer Konföderation beider deutscher Staaten, für die

29. September 1990 in Kraft. Der Einigungsvertrag selbst trat gemäß Art. 45 Abs. 1 EinigungsV an dem Tage in Kraft, an dem die Regierungeil der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik mitteilten, daß die erforderlichen innerstaatlichen Voraussetzungen fur das Inkrafttreten erfüllt waren. Dies war ebenfalls der 29. September 1990 (vgl. BGBl. 1990 II S. 1360). 139

Ablehnend aber bereits Schuster, Deutschlands staatliche Existenz, S. 145, der Art. 24 Abs. 1 GG im Verhältnis zwischen Bundesrepublik Deutschland und Deutscher Demokratischer Republik für nicht anwendbar hält. 140 BVerfGE 2, 347 (377 f.); Rojahn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 2. Bd., 3. Aufl., Art. 24 Rdnr. 15; Mosler, Die Übertragung von Hoheitsgewalt, in: HStR VII, § 175 Rdnr. 36 f.; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 24 Abs. I Rdnr. 44; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 24 Rdnr. 19. 141

BVerfGE 68, 1 (91); Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 24 Rdnr. 20; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 24 Rdnr. 5; Mosler, Die Übertragung von Hoheitsgewalt, in: HStR VII, § 175 Rdnr. 38; Zuleeg, in: AK-GG, Art. 24 Abs. 1 Rdnr. 17; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 24 Abs. I Rdnrn. 52 f. - A. A. Rauser, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf ausländische Staaten, S. 246 ff. 142

Zum Begriff des „,Zusammenschlusses" bzw. der „Fusion" von Staaten vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, S. 154 f.; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rdnr. 1389; Thum, Die Kontinuitätsfrage im völkerrechtlichen Rahmen der Einigung Deutschlands, S. 23 f.; Prugger, Die Nachfolge in das Vermögen der ehemaligen DDR, S. 20. 143

So möglicherweise Pestalozza, Jura 1994, S. 561 (562 f.), der einerseits meint, man könne die „alte" Bundesrepublik ohne politischen und rechtlichen Schaden als untergegangen ansehen, gleichzeitig aber annimmt, die „alte" Bundesrepublik sei mit dem Deutschen Reich bzw. Deutschland teilidentisch, die „neue" Bundesrepublik mit ihm vollidentisch, und daher, m. E. zu Recht, schließt, daß die „neue" und die „alte" Republik letztlich identisch seien.

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1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

Art. 24 Abs. 1 GG das geeignete Instrument gewesen wäre, als Zwischenschritt auf dem Weg in Richtung Wiedervereinigung 144 wurde freilich zugunsten der Beitrittslösung gemäß Art. 23 Satz 2 GG a. F. recht schnell verworfen 145.

V. Analoge Anwendung des Art. 24 Abs. 1 GG Fraglich ist, ob der Rechtsgedanke des Art. 24 Abs. 1 GG auf den Fall der Vereinigung beider deutscher Staaten entsprechend angewendet werden kann. Man könnte in dieser Bestimmung den Ausdruck eines allgemeineren Rechtsgedankens erblicken, der besagt, daß Vertragsschlüsse im völkerrechtlichen Rechtsraum, die auf eine Integration der Bundesrepublik Deutschland in eine supranationale Organisation zielen, grundsätzlich vom Erfordernis einer ausdrücklichen Verfassungstextänderung ausgenommen sind. Als Indiz für die Annahme der Existenz eines solchen Verfassungssatzes könnte man neuerdings auch auf Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG n. F. hinweisen, der für die Integration der Bundesrepublik in eine Europäische Union ebenfalls eine Ausnahme von Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG zuläßt. Ginge man von der Existenz eines derartigen Verfassungssatzes aus, wäre es nur ein kleiner Schritt, auch für den Fall der Wiedervereinigung aufgrund einer analogen Anwendung des Art. 24 Abs. 1 GG zu einer weiteren Ausnahme von Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG zu gelangen; handelt es sich bei der Vereinigung der beiden deutschen Staaten doch wie in Art. 24 Abs. 1 und nunmehr auch Art. 23 GG n. F. um einen Akt der Integration, ja sogar der „Verschmelzung" zweier Völkerrechtssubjekte. In diese Richtung scheint Peter Häberle zu deuten, der die Auffassung vertritt, Art. 24 Abs. 1 GG schaffe „eine spezifische Offenheit für alle Wege und Architekturen der deutschen Einheit" 146 . Häberle redet einer Flexibilisierung von Art. 23 GG a. F. kombiniert mit der Wirkung von Art. 24 GG (und Art. 146 GG) das Wort 147 und spricht von dem „Versuch, den dynami-

144 Für eine solches Modell Böckenförde/Grimm, Nachdenken über Deutschland, in: Der Spiegel, Nr. 10 v. 5. März 1990, S. 72 (75); vgl. auch die Punkte vier und fünf des Zehn-Punkte-Programms von Bundeskanzler Helmut Kohl, Bull.BReg. 1989, Nr. 134, S. 1141 145 (1146, 1147). Isensee, in: Guggenberger/Stein (Hrsg.), S. 270 (271); ders., ZParl 1990, S. 309 (314); Lerche, Der Beitritt der DDR - Voraussetzungen, Realisierung, Wirkungen, in: HStR VIII, § 194 Rdnrn. 12 ff., 15 f.; H H. Klein, Kontinuität des Grundgesetzes und seine Änderung im Zuge der Wiedervereinigung, in: HStR VIII, § 198 Rdnr. 9. 146 Häberle, JZ 1990, S. 358. 147

Häberle, JZ 1990, S. 358 (359 f.).

1. Kapitel: Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 GG

53

sehen, den Nationalstaat relativierenden Art. 24 von vornherein in die für Gesamtdeutschland zu entwerfenden offeneren Modelle hineinwirken zu lassen"148. Im Wortlaut des Grundgesetzes findet ein solch flexibles Verständnis von Art. 24 Abs. 1 GG allerdings keine Stütze. Bei der Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen auf der einen und der Vereinigung der beiden deutschen Staaten auf der anderen Seite handelt es sich zwei kategorial verschiedene Vorgänge mit völlig unterschiedlichen Interessenlagen und Zielrichtungen. Während Art. 23 Satz 2 GG a. F. die Vollendung der staatlichen Einheit Deutschlands ermöglichen sollte, läuft Art. 24 Abs. 1 GG, wie Häberle richtig erkennt, auf eine gewisse Relativierung des Nationalstaates149 - in den materiell-rechtlichen Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG - hinaus. Allein diese Tatsache macht eine entsprechende Anwendung von Art. 24 Abs. 1 GG im Rahmen von Art. 23 Satz 2 GG a. F. bereits unmöglich. Der Einigungsvertrag hat sich für die Lösung, wenn man so will, „reine" Lösung über Art. 23 Satz 2 GG a. F. entschieden und gerade kein offeneres, Art. 24 Abs. 1 und Art. 23 Satz 2 GG a. F. verschränkendes Modell zur Herstellung der Einheit Deutschlands gewählt. Hinzu kommt, daß Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 24 Abs. 1 GG in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis stehen. Der vom Grundgesetz normierte Normalfall ist das Textänderungsgebot des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG. Art. 24 Abs. 1 GG enthält demgegenüber in bezug auf das Problem der Verfassungsänderung durch Abschluß eines Hoheitsrechte übertragenden völkerrechtlichen Vertrages eine insoweit eng auszulegende und nicht analogiefähige Ausnahmeregelung. Art. 24 Abs. 1 GG ist keineswegs Ausdruck einer allgemeinen Regel, die alle völkerrechtlichen Verträge vom Erfordernis des Art. 79 Abs. 1 GG ausgenommen wissen will. Gerade die Aufiiahme des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG n. F. macht deutlich, daß Art. 24 Abs. 1 GG keiner erweiternden Auslegung zugänglich ist. Denn mit diesem Artikel hat der verfassungsändernde Gesetzgeber eine Spezialbestimmung für die Europäische Union in das Grundgesetz aufgenommen, weil er in ihr keine zwischenstaatliche Einrichtung, sondern ein „aliud"

148

So Häberle in seinem Diskussionsbeitrag zum Beratungsgegenstand „Staatszwecke im Verfassungsstaat - nach 40 Jahren Grundgesetz", in: VVDStRL 48 (1990), S. 167 (168; Hervorhebung im Text von Häberle). 144 Vgl. dazu auch BVerfGE 37, 271 (280) - Solange I, wonach Art. 24 GG die Öffnung der nationalen Rechtsordnung derart ermöglicht, „daß der ausschließliche Herrschaftsanspruch der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich des Grundgesetzes zurückgenommen" wird.

54

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

erblickt 150 . Dies zeigt im Umkehrschluß, daß Art. 24 Abs. 1 GG restriktiv auszulegen ist. Aus der Existenz der Art. 24 Abs. 1 GG (und Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG n. F.) kann nicht auf einen dem Grundgesetz zugrunde liegenden entsprechenden Rechtsgedanken geschlossen werden. Eine entsprechende Anwendung des Art. 24 Abs. 1 GG auf Art. 4 Nr. 4 EinigungsV kommt nicht in Betracht 151.

C. Die Voraussetzungen des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG Da eine Ausnahmetatbestand im vorliegenden Falle nicht eingreift, bemißt sich die formelle Verfassungsmäßigkeit der Einfügung des Art. 135a Abs. 2 GG nach Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG. Das bedeutet, daß ein Gesetz erforderlich ist, welches den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt.

I. Bedenken gegen eine völkerrechtlich

vereinbarte Grundgesetzänderung

Im Falle des Art. 4 Nr. 4 EinigungsV besteht ein Problem darin, daß eine Verfassungsänderung durch einen völkerrechtlichen Vertrag bzw. das dazu ergangene Vertragsgesetz vorgenommen worden ist. Daß ein solches Vorgehen vom Grundgesetz nicht völlig ausgeschlossen wird, beweist Art. 24 Abs. 1 GG, der in seinem Anwendungsbereich zu materiellen Grundgesetzänderungen sogar ohne verfassungsändernde Mehrheit und ohne Verfassungstextänderung ermächtigt 152 . Auch Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG legt die grundsätzliche Zulässigkeit einer Verfassungsänderung durch ein entsprechendes Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag nahe153. Gegen vertraglich vereinbarte Verfassungsänderungen besteht dennoch ein Einwand grundsätzlicher Natur, die dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Hs. 1 i.V.m. Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG entspringen.

150

Bericht^r Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 20; Randelzhofer\ in: Maunz/Dürig, GG, Art. 24 Abs. I Rdnr. 200; a. A. aber Klein/Haratsch, DÖV 1993, S. 785 (797). 151

Wagner, Der Einigungsvertrag nach dem Beitritt, S. 172.

152

E. Klein, DÖV 1991, S. 569 (570).

153

Heintschel v. Heinegg, DVB1. 1990, S. 1270 (1272); E. Klein, Die territoriale Reichweite des Wiedervereinigungsgebotes, S. 13.

1. Kapitel: Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 GG

55

1. Die Verfassungsverantwortung des Parlaments Zur demokratischen Freiheit gehört grundsätzlich die Verfügbarkeit der politischen und rechtlichen Ordnung, d. h. das staatlich verfaßte Volk entscheidet über die rechtlichen Grundlagen seines Zusammenlebens154. Das Organ, in dem sich das Prinzip der Volkssouveränität in der repräsentativen Demokratie verwirklicht, ist die parlamentarische Volksvertretung, also der Bundestag155. Gemäß Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG ist die Kompetenz zur Änderung des Grundgesetzes ausschließlich dem Gesetzgeber übertragen („... nur durch ein Gesetz ...") 1 5 6 . Nur er hat daher über den Inhalt des Grundgesetzes zu entscheiden157. Diese Kompetenz zur Verfassungsänderung muß vom Gesetzgeber, d. h. vom Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 79 Abs. 2 GG selbst wahrgenommen werden. Das Parlament kann sich seiner Pflicht, den Inhalt der Verfassung zu bestimmen, nicht - auch nicht teilweise - entschlagen158. Es widerspräche dieser Vorstellung von der verfassungsändernden Gewalt des Volkes, wenn der Partner eines völkerrechtlichen Vertrages Einfluß auf den Inhalt des Verfassungsrechts nähme159.

2. Der Einfluß der DDR auf den Inhalt des Grundgesetzes Es stellt sich daher die Frage, ob die Deutsche Demokratische Republik als Vertragspartner der Bundesrepublik Deutschland durch die im Einigungsvertrag vereinbarten Verfassungsänderungen tatsächlich Einfluß auf den Inhalt des Grundgesetzes genommen hat und damit ein Eingriff in die Verfassungsverantwortung des Bundestages anzunehmen ist. Willi Geiger bejaht diese Frage und meint, der Bundestag sei, indem ihm die Verfassungsänderungen im Verfahren nach Art. 59 Abs. 2 GG vorgelegt worden sind, um seine wichtigste Kompetenz auf dem Gebiet der Gesetzgebung gebracht worden, nämlich souverän, „insbesondere auch unabhängig von einem Staat, der innerhalb der Bundesrepublik 154

155

Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: HStR I, § 22 Rdnr. 38. Badura, Die parlamentarische Demokratie, in: HStR I, § 23 Rdnrn. 3 und 34.

156 Ridder, in: AK-GG, Art. 79 Rdnr. 14; so auch bereits für die Weimarer Reichsverfassung Meyer/Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, S. 690 f. 157

W. Geiger, DRiZ 1991, S. 131; ders., in: Deutschland und seine Nachbarn, Heft 4/1990, S. 22 (31). 158

So zutreffend W. Geiger, in: Deutschland und seine Nachbarn, Heft 4/1990, S. 22 (31). 159

E. Klein, DOV 1991, S. 569 (570); W. Geiger, in: Deutschland und seine Nachbarn, Heft 4/1990, S. 22 (31).

56

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

Deutschland keine Kompetenz hat", über den Inhalt des Grundgesetzes zu befinden 160. Daran ändere auch die Tatsache nichts, daß der Vertragspartner infolge des Vertrages später unter dieser Verfassung leben werde. Denn sein rechtlicher Einfluß könne erst dann beginnen, wenn die Verfassung auch seine Verfassung geworden sei 161 . Diesem Bedenken kann allerdings entgegengehalten werden, daß der eigentliche verfassungsändernde Vorgang im innerstaatlichen Rechtsakt der parlamentarischen Zustimmung zum Vertrag zu sehen ist, auf den der Vertragspartner keinen Einfluß hat. Die Tatsache, daß der Vertragspartner auf völkerrechtlicher Ebene die Einhaltung der vereinbarten Norm verlangen kann, ändert nichts daran, daß innerstaatlich allein der verfassungsändernde Gesetzgeber über das Verfassungsrecht verfügt 162 . Die Grundgesetzänderung erfolgt durch das Vertragsgesetz, nicht durch den Vertrag selbst163. Allenfalls in einem politischen, nicht aber im juristischen Sinne kann man daher meinen, das Grundgesetz sei „durch Vertrag" geändert worden 164 . Bundestag und Bundesrat hätten, ungeachtet der Beschränkung ihrer Möglichkeiten durch § 82 Abs. 2 und § 81 Abs. 4 Satz 2 GO BT, auf die später noch einzugehen sein wird, das Vertragsgesetz zum Einigungsvertrag ablehnen können. Die Änderung des Grundgesetzes war weder von der Zustimmung der DDR abhängig165 noch hätte sie durch eine Verweigerung der DDR verhindert werden können. Allein die gesetzgebenden Körperschaften der Bundesrepublik Deutschland durften die Änderungen des Grundgesetzes vornehmen und haben dies im Falle des Vertragsgesetzes zum Einigungsvertrag auch getan. Ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip gemäß Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG ist abzulehnen. Ein Bedenken bleibt allerdings bestehen. Da innerstaatlich allein der verfassungsändernde Gesetzgeber über das Verfassungsrecht verfügt, könnte er es innerstaatlich im Widerspruch zur vertraglichen Verpflichtung wirksam abändern 166 . Das bedeutet, daß sich die Bundesrepublik Deutschland durch völker160

W. Geiger, in: Deutschland und seine Nachbarn, Heft 4/1990, S. 22 (32).

161

W. Geiger, in: Deutschland und seine Nachbarn, Heft 4/1990, S. 22 (31).

162

E. Klein, DÖV 1991, S. 569 (570).

163

Merten, Grundfragen des Einigungsvertrages, S. 49.

164

Merten, Grundfragen des Einigungsvertrages, S. 49. Anders aber die Auffassung von Brauns/Riedel, BayVBl. 1990, S. 751 (752), die anscheinend davon ausgehen, daß hier „Verfassungsänderungen von der Zustimmung Dritter abhängig" gemacht wurden. 165

166

So auch für den Einigungsvertrag v. Münch, NJW 1991, S. 865 (868); W. Geiger, DRiZ 1991, S. 131 (133); Doehring, Bindungen der Bundesrepublik Deutschland an das Grundgesetz bei Abschluß des Einigungsvertrages mit der DDR (A) und die Bestands-

1. Kapitel: Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 GG

57

vertragsrechtlich vereinbarte Grundgesetzänderungen immer auch dem Risiko des späteren Vertragsbruchs mit den entsprechenden völkerrechtlichen Haftungsfolgen aussetzt. Beim Einigungsvertrag besteht freilich die Besonderheit, daß der Vertragspartner DDR mit dem Wirksamwerden des vereinbarten Beitritts untergegangen ist und eine völkerrechtliche Haftung gegenüber der DDR daher nicht mehr in Betracht kommen kann 167 . Deutlich kommt dies darin zum Ausdruck, daß die Volkskammer der DDR im Beitrittsbeschluß vom 23. August 1990, den „Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland" mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 erklärt, wohingegen es in Art. 1 Abs. 1 EinigungsV heißt, daß „die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Länder der Bundesrepublik Deutschland" werden, und Art. 3 EinigungsV das Inkrafttreten des Grundgesetzes in den neuen Ländern und dem Ostteil Berlins regelt. Dies ist auf völkerrechtlicher wie auch auf staatsrechtlicher Ebene so zu verstehen, daß die DDR als Gesamtstaat beigetreten, im Zeitpunkt des Beitritts jedoch erloschen ist und territorial von den neu entstandenen Ländern fortgesetzt wird 168 . Das Ländereinführungsgesetz der DDR vom 22. Juli 1990169 schuf die bereits erwähnten Länder 170 zwar erst mit Wirkung 171

vom 14. Oktober 1990 . Dieser Termin wurde dann im Einigungsvertrag auf den 3. Oktober 1990 vorverlegt 172. Der Einigungsvertrag trägt dem Untergang kraft des Einigungsvertrages (B), in: Wildenmann (Hrsg.), Nation und Demokratie, S. 21 (25). Anker, DÖV 1991, S. 1062; Herdegen, Die Verfassungsänderungen im Einigungsvertrag, S. 6; Doehring, Bindungen der Bundesrepublik Deutschland an das Grundgesetz bei Abschluß des Einigungsvertrages mit der DDR (A) und die Bestandskraft des Einigungsvertrages (B), in: Wildenmann (Hrsg.), Nation und Demokratie, S. 21 (23 ff.). 168 E. Klein, in: Deutsche Sektion der Internationalen Juristen-Kommission (Hrsg.), S. 23 (26); Kilian, Wiedererstehen und Aufbau der Länder im Gebiet der vormaligen DDR, in: HStR VIII, § 186 Rdnr. 28; Würtenberger, Die Verfassung der DDR zwischen Revolution und Beitritt, in: HStR VIII, § 187 Rdnr. 48. 169

Verfassungsgesetz zur Bildung von Ländern in der Deutschen Demokratischen Republik - Ländereinführungsgesetz - v. 22. Juli 1990, GBl. DDR 1990 I S. 955. 170

Im Ländereinfuhrungsgesetz (§ 1 Abs. 2) erhielt zunächst auch Berlin (Ost) Landesbefugnisse. Die Vereinigung beider Teile Berlins zu einem Land erfolgte durch Art. 1 Abs. 2 EinigungsV, der bestimmt, daß die 23 Bezirke von Berlin das Land Berlin bilden. 171 172

§ 1 Abs. 1 i.V.m. § 25 Abs. 1 Ländereinführungsgesetz.

Anlage II Kapitel II Sachgebiet A Abschnitt II zum Einigungsvertrag, BGBl. 1990 II S. 889 (1148 ff., 1150). - Zur Problematik, ob die DDR oder die neugebildeten

58

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

der DDR in Art. 44 und Art. 45 Abs. 2 EinigungsV Rechnung. Der Vertrag gilt nach dem Wirksamwerden des Beitritts als Bundesrecht weiter (Art. 45 Abs. 2 EinigungsV). Rechte der DDR aus dem Vertrag können von den neuen Ländern geltend gemacht werden (Art. 44 EinigungsV) 173 . Einem völkerrechtlichen Haftungsrisiko ist die Bundesrepublik Deutschland aufgrund des Untergangs des Vertragspartners, des Völkerrechtssubjekts Deutsche Demokratische Republik, im Falle des Einigungsvertrags daher nicht ausgesetzt. Ansonsten, und darauf weist Eckart Klein mit voller Berechtigung hin, ist jedoch gegenüber paktierten Verfassungsänderungen durch Vertragsgesetze äußerste Zurückhaltung geboten174.

II Verstoß gegen Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG /. V.m. dem Vorbehalt des Gesetzes Das Vorgehen, Art. 135a Abs. 2 GG durch ein Vertragsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in das Grundgesetz einzufügen, hält Werner Böhmer darüber hinaus auch unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen das Prinzip vom Vorbehalt des Gesetzes für bedenklich175. Dieses dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit des Art. 20 Abs. 2 und 3 GG entspringende Prinzip besagt in der Form des Parlamentsvorbehalts 176, daß alle grundlegenden, d. h. wesentlichen Entscheidungen dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten sind 177 . Art. 79 Länder beigetreten sind, vgl. Blumenwitz, Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands, S. 48 f. 173 Anker, DÖV 1991, S. 1062. - Zur Bindungswirkung des Einigungsvertrages vgl. auch E. Klein, in: Deutsche Sektion der Internationalen Juristen-Kommission (Hrsg.), S. 23 (36 ff.); Wagner, Der Einigungsvertrag nach dem Beitritt, S. 169 ff., 244 ff.; Hoch, DtZ 1995, S. 76 ff.; ders., Der Einigungsvertrag zwischen völkerrechtlichem Vertrag und nationalem Gesetz (1995), passim. - Siehe dazu auch die Anträge der Bundestagsgruppe der PDS bzw. der Gruppe PDS/Linke Liste, ein Verfahrensgesetz zu Art. 44 EinigungsV zu erlassen, BT-Drs. 12/4955 und BT-Drs. 13/1080. 174

E. Klein, DÖV 1991, S. 569 (570); ders., in: Festschrift Heymanns Verlag, 1995, S. 91 (92). 175

Böhmer, AnwBl 1991, S. 456 (460).

176

Zur Rechtsfigur des „Parlamentsvorbehalts" vgl. statt aller H. H. Klein, Aufgaben des Bundestages, in: HStR II, § 40 Rdnrn. 19 ff.; Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, § 62 Rdnrn. 9 ff., 32 ff. 177

So die im wesentlichen von der Rechtsprechung entwickelte „Wesentlichkeitstheorie", vgl. BVerfGE 33, 125 (163); BVerfGE 33, 303 (336 ff.); BVerfGE 34, 165 (192 f.); BVerfGE 40, 237 (249 f.); BVerfGE 41, 251 (259 ff.); BVerfGE 47, 46 (78 ff.); BVerfGE 49, 89 (126 ff.); BVerfGE 77, 170 (230 f.); BVerwGE 65, 323 (325); BVerwGE 68, 69 (72); Kisker, NJW 1977, S. 1313 (1317 ff.); Krebs, DVB1. 1977, S. 632 (632 ff.); ders., Jura 1979, S. 304 (308 ff.); Listi, DVB1. 1978, S. 10 (10 ff.).

1. Kapitel: Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 GG

59

Abs. 1 Satz 1 GG enthält eine besondere positivrechtliche Ausprägung dieses

Prinzips, da er die Änderung des Grundgesetzes „nur durch Gesetz" zuläßt. Für Böhmer wird diesem Erfordernis mit einem Vertragsgesetz nicht Genüge getan, da gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG die Zustimmung oder Mitwirkung der für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften nur „in der Form eines Bundesgesetzes", aber nicht „durch Bundesgesetz" erfolge. Die auf diesem Wege erzeugten Rechtsnormen seien nicht das Ergebnis parlamentarischdemokratischer Gesetzgebung178. Das Parlament werde bei dem Beschluß gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nicht als Gesetzgebungs-, sondern als Kontrollorgan gegenüber der Bundesregierung tätig. Dies komme bereits darin zum Ausdruck, daß gemäß § 82 Abs. 2 und § 81 Abs. 4 Satz 2 GO BT eine parlamentarische Beratung, in der das Pro und Contra der einzelnen von der Regierung ausgehandelten Abreden erörtert werden könnte, ebensowenig stattfinde wie eine Beschlußfassung über einzelne Teile des Vertrages. Dies seien grundsätzliche Abweichung von der Funktion und der Verfahrensweise des Paria179 ments als Legislative . Der Zustimmungsbeschluß nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG sei daher als bloße Transformation vertraglicher Abreden kein Akt originärer Rechtsetzung in einem formalisierten Gesetzgebungsverfahren und mithin kein Bundesgesetz im Sinne der Art. 77 Abs. 1 und Art. 78 Abs. 1 GG. Im Einigungsvertrag sei Recht außerhalb des normalen Gesetzgebungsverfahrens geschaffen worden. Da aber dem Parlament im Bereich der Rechtsetzung eine originäre Gestaltungsbefugnis zukommt, drängt sich für Böhmer die Frage auf, ob die, wie er es nennt, „Ausschaltung des Parlaments als , Organ der Gesetzgebung' " mit Art. 79 Abs. 3 GG vereinbar ist 180 . Absatz 3 des Art. 79 GG kann im vorliegenden Fall jedoch nicht die Norm sein, nach der sich die Verfassungsmäßigkeit des beim Einigungsvertrag i.V.m. dem Einigungsvertragsgesetz gewählten Verfahrens der Grundgesetzänderung bemißt. Diese Bestimmung betrifft nämlich allein die inhaltliche, d. h. materiell-rechtliche Vereinbarkeit von Verfassungsänderungen mit den Bestimmungen des Grundgesetzes, nicht hingegen den verfassungsrechtlichen Maßstab zur Beurteilung des zur Änderung eingeschlagenen Verfahrens. Die hierfür einschlägigen Normen finden sich in Art. 79 Abs. 1 und Abs. 2 GG. Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG bestimmt, wie bereits aufgezeigt, daß das Grundgesetz nur durch ein Gesetz geändert werden kann. Böhmer geht jedoch fehl, wenn er in einem Vertragsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG kein Gesetz im Sinne der Art. 77 Abs. 1 und Art. 78 Abs. 1 GG sieht. Die Beteiligung von Bundestag und Bundesrat bestimmt sich nach 178

Böhmer, AnwBl. 1991, S. 456 (460).

179

Böhmer, AnwBl. 1991, S. 456 (459).

180

Böhmer, AnwBl. 1991, S. 456 (460).

60

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

den Vorschriften über das Gesetzgebungsverfahren, den Art. 76 ff. GG 181 , weshalb sich auch die Bezeichnung „Vertragsgesefc" eingebürgert hat. Das in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG verwendete Begriffspaar „Zustimmung oder Mitwirkung" bezieht sich auf die dem normalen Gesetzgebungsverfahren immanenten verschiedenen Beteiligungsformen der gesetzgebenden Körperschaften, insbesondere des Bundesrates 182 und soll nicht etwa zum Ausdruck bringen, daß es sich bei der Zustimmung bzw. Mitwirkung lediglich um „formelles" Gesetz handelt 183 , wie etwa beim Haushaltsgesetz nach Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG. Auch die sich beispielsweise von Art. 24 Abs. 1 GG („... durch Gesetz ...") unterscheidende sprachliche Fassung des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG („... in der Form eines Bundesgesetzes ..."), legt ein solches Verständnis nicht zwingend nahe184. Das Bundesverfassungsgericht zieht diese Konsequenz daher zu Recht nicht und legt das Erfordernis des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG dergestalt aus, daß „Verträge ... zu ihrem Abschluß der Zustimmung durch Gesetz bedürfen ..." 1 8 5 . Die Zustimmung oder die Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften gemäß Art. 59 Abs. 2 GG ist „nach Wesen und Inhalt ein Regierungsakt in der Form eines Bundesgesetzes ..., der nur unmittelbar durch förmliches Gesetz ... vorgenommen werden kann" 186 . Ein Vertragsgesetz hat zwar auch die Bedeutung, den Bundespräsidenten zu ermächtigen, den Vertrag für die Bundesrepublik Deutschland endgültig abzuschließen, gleichzeitig begründet es darüber hinaus unmittelbar Rechte und Pflichten, indem es dem Inhalt des Vertrages die 187 ** Geltung als innerstaatliches Recht verleiht . Aufgrund dieser Überlegungen wird dem vom Parlament in Gesetzesform gebilligten Völkervertragsrecht innerstaatlich der Rang eines einfachen Gesetzes zugestanden188. Ein Vertragsge181

Rojahn,, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), 2. Bd., 3. Aufl., Art. 59 Rdnr. 27; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rdnr. 21; Menzel, in: Bonner Kommentar, Art. 59 (Erstbearbeitung 1950), Anm. 7. 182

Zuleeg,, in: AK-GG, Art. 59 Rdnr. 22; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rdnr. 19; Bernhardt, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, in: HStR VII, § 174 Rdnr. 16. 183

So aber Hans Schneider, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 12 (1954), S. 248 (249), der der Auffassung ist, es handele sich bei der Zustimmung nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG Jedenfalls nicht um Gesetzgebung". 184 185

Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rdnr. 24. BVerfGE 68, 1 (88; Hervorhebung vom Verfasser). BVerfGE 1,372 (395).

186 187 188

BVerfGE 1, 396 (410 f.); BVerfGE 6, 290 (294 f.); BVerfGE 29, 348 (358).

BVerfGE 6, 309 (363); BVerfGE 41, 88 (120 f.); R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 177; Bernhardt, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, in: HStR VII, § 174 Rdnr. 29.

1. Kapitel: Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 GG

61

setz ist daher nicht nur ein Akt parlamentarischer Kontrolle, sondern hat, sofern es sich um einen Vertrag über eine Materie der Gesetzgebung handelt, auch zugleich eine rechtsetzende, d. h. normative Wirkung 189 . Das Vertragsgesetz ist „materielles Gesetz"190. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG enthält eine, wenn auch insoweit abschließende191, besondere Ausformung des Vorbehalts des Gesetzes des Art. 20 Abs. 2 und 3 GG 192 . Das Bundesverfassungsgericht spricht in diesem Zusammenhang von einem zwingenden und nicht verzichtbaren „Sondervorbehalt der Legislative" 193 . Ein Verstoß gegen den Grundsatz des Parlamentsvorbehalts gemäß Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 2 und 3 GG kann mithin nicht darin gesehen werden, daß die Änderung des Grundgesetzes „nur" durch ein Vertragsgesetz erfolgt ist 194 .

III. Der „ Vorbehalt des vom Parlament mitgestalteten Gesetzes "? Klaus Vogel stellt weitergehend die Überlegung an, ob es über den Vorbehalt des förmlichen Gesetzes hinaus nicht auch so etwas gebe wie den „Vorbehalt des vom Parlament mitgestalteten Gesetzes"195. Seiner, wenn auch vorbehaltlich späterer Bestätigung oder Verwerfung geäußerten Auffassung 196 zufolge, ist ein solches vom Parlament mitgestaltetes Gesetz dort erforderlich, wo die Verfassung besonderes Gewicht darauf legt, daß bestimmte Entscheidungen 189

Rojahn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 2. Bd., 3. Aufl., Art. 59 Rdnr. 32; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rdnrn. 22 ff.; BVerfGE 1, 396 (411). 190 Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rdnr. 25; v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 59 Anm. IV 7 b und c. 191

BVerfGE 68, 1 (109); H. Götz, Der Vorbehaltsbereich der Bundesregierung, S. 164 f.; a. A. Mahrenholz in seiner abweichenden Meinung BVerfGE 68, 1 (111 ff.). 192 BVerfGE 49, 89 (126 f.); BVerfGE 77, 170 (231 f.); BVerfGE 68, 1 (86 ff., 109); zustimmend insoweit auch Mahrenholz, in: BVerfGE 68, 1 (111 ff., 130); ebenso H. Götz, Der Vorbehaltsbereich der Bundesregierung, S. 157 f. - Ähnlich Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 59 Rdnr. 27, der in dem in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG angeordneten Parlamentsvorbehalt eine Aktivierung der „Wesentlichkeitstheorie" sieht. 193 BVerfGE 1, 372 (395). - BVerfGE 77, 170 (231 f.) bedeutet davon keine Abkehr, da dort lediglich entschieden wurde, daß der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes im Bereich des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nur insoweit nicht gilt, als er Anforderungen an die Dichte der Regelung des Vertrag erfaßten Sachbereichs stellt. 194

So auch K. Vogel, in: Festschrift Lerche, S. 95 (98), der zutreffend feststellt, daß ein Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG den Anforderungen des Gesetzes- und des Parlamentsvorbehalts genügt. 195 Κ Vogel, in: Festschrift Lerche, S. 95 (98). 196

Κ Vogel, in: Festschrift Lerche, S. 95 (102).

62

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

durch die Gesetzgebungsorgane und nicht durch die Exekutive getroffen werden, also dort, wo eine Delegation von Rechtsetzungskompetenzen auf die Exekutive unzulässig ist 197 . Vogel stellt diese These vor dem Hintergrund auf, daß in dem für Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen nach § 82 Abs. 2 GO BT vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren dem Bundestag die Möglichkeit nicht gegeben ist, Änderungsanträge zu stellen. Auf diese im Kern berechtigten Überlegungen wird zurückzukommen sein, jedoch an anderer Stelle. Die Frage nach einer möglichen verfassungsrechtlich bedenklichen Beschneidung des Rechte des Parlaments und der einzelnen Abgeordneten ist angebracht. Mit der Konstruktion eines „Vorbehalts des vom Parlament mitgestalteten Gesetzes" überspannt Vogel m. E. aber die Rechtsfigur vom Vorbehalt des Gesetzes. Das förmliche Parlamentsgesetz ist die „am unmittelbarsten" demokratisch legitimierte Form staatlichen Handelns durch gewählte Volksvertreter. Abgesehen von den verfassungsändernden Gesetzen kennt das Grundgesetz keine weiteren „Legitimitätsabstufungen" innerhalb der Kategorie der förmlichen Parlamentsgesetze198. Insbesondere mißt es Gesetzen nicht unterschiedliche „Wertigkeiten" nach Maßgabe des zu ihrem Erlaß eingeschlagenen Verfahrens zu. Daher besitzen etwa Gesetze, für deren Zustandekommen es der Zustimmung des Bundesrates bedarf, dieselbe legitimierende Wirkung wie „bloße" Einspruchsgesetze. Wird statt eines grundgesetzlich vorgeschriebenen Zustimmungsgesetzes ein Einspruchsgesetz verabschiedet, liegt darin eine Verkürzung der Rechte des Bundesrates, jedoch kein Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes, etwa in der Form eines (fiktiven) „Vorbehalts des mit Zustimmung des Bundesrates zustandegekommenen Gesetzes". Eine Ausdifferenzierung des Vorbehalts des förmlichen Parlamentsgesetzes nach dem einzuschlagenden Gesetzgebungsverfahren ist weder dogmatisch plausibel zu begründen noch erforderlich, weil sich, soweit ersichtlich, alle Konstellationen auch ohne diese Konstruktion verfassungsrechtlich bewältigen lassen.

IV. Wortlautwiederholung

der Grundgesetzänderungen

im Vertragsgesetz

Verfassungsrechtliche Bedenken könnten dennoch auftreten, da der Wortlaut der durch Art. 4 Nr. 4 EinigungsV vorgenommenen Verfassungsänderung nicht im Einigungsvertragsgese/z 199 selbst wiedergegeben ist, sondern nur im Vertragstext, auf den dieses Gesetz verweist.

197

K. Vogel, in: Festschrift Lerche, S. 95 (102 ff.).

198

Zum Sonderfall des Haushaltsgesetzes vgl. o. S. 60. BGBl. 1990 II S. 885.

199

1. Kapitel: Vereinbarkeit mit Art. 79 Abs. 1 GG

63

Die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts, daß eine Wortlautwiederholung im eigentlichen Vertragsgesetz „angesichts der dargelegten Besonderheiten des Beitritts ein sachlich nicht gerechtfertigter Formalismus" sei 200 , vermag allerdings nur teilweise zu überzeugen. Die angesprochenen Besonderheiten sah das Bundesverfassungsgericht im Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes i.V.m. Art. 23 GG a. F. Dabei hat es ausdrücklich darauf abgestellt, daß die geschichtliche Chance der Wiedervereinigung Deutschlands nicht durch übertriebene verfahrensmäßige Anforderungen und ein damit einhergehendes zeitliches Hinauszögern gefährdet werden dürfe 201. Dies ist zwar im Grundsatz einleuchtend, warum dadurch allerdings auch die Unterlassung einer Wiederholung des Wortlauts der beitrittsbedingten Grundgesetzänderungen im EinigungsVertragsgesetz entbehrlich werden sollte, liegt jedoch keineswegs auf der Hand. Der „flinke Griff nach dem vorbeiwehenden Zipfel des Mantels der Geschichte"202 wäre gewiß auch bei einer Ausformulierung im eigentlichen Vertragsgesetz nicht gefährdet worden 203 . Wenig überzeugend ist allerdings der Hinweis darauf, die Transformationswirkung des Vertragsgesetzes zum Einigungsvertrag erlaube, die Grundgesetzänderung im Sinne des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG im transformierten Vertrag selbst festzulegen 204. Entscheidend ist vielmehr, daß der Vertragstext selbst in vollem Umfang zusammen mit dem Gesetz gemäß dessen Art. 1 Satz 2 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht ist 205 . Die Forderung nach der Wiederholung des Wortlauts der verfassungsändernden Regelung im ratifizierenden Gesetz erscheint daher zu rigide 206 . Es ist ausreichend, wenn die Wortlautänderung im Einigungsvertrag urkundlich und einsichtbar enthalten ist, denn Art. 1 des Einigungsvertragsgesetzes nimmt hierauf ausdrücklich Bezug 207 . Es handelt sich 200

BVerfGE 84, 90 (120) - Bodenreform.

201

BVerfGE 84, 90 (118 f.) - Bodenreform.

202

So die Formulierung von Herdegen, Die Verfassungsänderungen im Einigungsvertrag, S. 6. 203

Ähnlich H Meyer, KritV 1993, S. 399 (402, dort Fußn. 10).

204

So jedoch H. Meyer, KritV 1993, S. 399 (403, dort Fußn. 10 a. E.).

205

BGBl. 1990 II S. 889.

Merten, Grundfragen des Einigungsvertrages, S. 51. 207

Herdegen, Die Verfassungsänderungen im Einigungsvertrag, S. 4 f.; Stern, DtZ 1990, S. 289 (290); ders., Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit, in: Stern/ Schmidt-Bleibtreu, Bd. 2, S. 3 (39 f.); E. Klein, DÖV 1991, S. 569 (570, dort Fußn. 16); Lücke, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 79 Rdnr. 5; H. H. Klein, Kontinuität des Grundgesetzes und seine Änderung im Zuge der Wiedervereinigung, in: HStR VIII, § 198 Rdnr. 24. - Zustimmend auch Rupp, in: Festschrift Heymanns Verlag, 1995, S. 499 (499 f.), der allerdings kritisch anmerkt, daß „ein solcher Verweis den Zusammenhang von gesetzge-

64

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

dabei nicht lediglich um eine Verweisung, sondern um eine Inkorporierung des Vertragstextes in das Vertragsgesetz 208. Die Frage, ob das Vertragsgesetz selbst die Grundgesetzänderung im Wortlaut hätte wiedergeben müssen, ist daher zu verneinen. Da Art. 4 Nr. 4 EinigungsV i.V.m. dem Vertragsgesetz den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich um einen weiteren Absatz ergänzt, ist den Anforderungen des Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG, was die Textänderung bzw. -ergänzung anlangt, Genüge getan. Die Aufnahme des Art. 135a Abs. 2 GG in das Grundgesetz durch Art. 4 Nr. 4 EinigungsV ist insoweit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

2. Kapitel: Das Gesetzgebungsverfahren bei paktierten Verfassungsänderungen Darüber hinaus ist die Verfassungsmäßigkeit des von der Bundesregierung eingeschlagenen Verfahrens, Änderungen des Grundgesetzes im Einigungsvertrag zu vereinbaren, auch deshalb bezweifelt worden, weil der Bundestag hierüber nur in der Form eines Vertragsgesetzes nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG befinden konnte, wodurch sein Recht auf unverkürzte Beratung, Formulierung und Beschlußfassung über die Verfassungsänderung verletzt sein könnte.

A. Die Vorgaben der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages Eine Verkürzung der Rechte des Parlaments sowie der Rechte der einzelnen Abgeordneten könnte aus folgenden Erwägungen heraus zu bejahen sein. § 82 Abs. 2 GO BT bestimmt, daß Änderungsanträge zu Gesetzentwürfen zu Verträgen mit auswärtigen Staaten und ähnlichen Verträgen, welche gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, nicht zulässig sind. Der Bundestag darf mit anderen Worten weder Streichungen noch Ergänzungen vor-

berischer Entscheidung und Entscheidungsinhalt für das Publikum in einer mit Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG nur bedingt verträglichen Weise verschwimmen" lasse. 208

Stern, DtΖ 1990, S. 289 (290); ders., Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit, in: Stern/Schmidt-Bleibtreu, Bd. 2, S. 3 (40); Randelzhofer, Das Grundgesetz unter Vorbehalt?, in: Stern (Hrsg.), Deutsche Wiedervereinigung, Bd. I, S. 141 (143); Thum, Die Kontinuitätsfrage im völkerrechtlichen Rahmen der Einigung Deutschlands, S. 120.

2. Kapitel: Gesetzgebungsverfahren bei paktierten Verfassungsänderungen

65

nehmen209. Da zudem gemäß § 81 Abs. 4 Satz 2 GO BT über Vertragsgesetze nur im ganzen abgestimmt werden kann, können auch nicht nur einzelne Teile des Gesetzes abgelehnt oder angenommen werden. Der Bundestag kann daher solche Verträge nur unverändert annehmen oder gänzlich ablehnen210. Der Wortlaut des § 82 Abs. 2 GO BT beschränkt die Unzulässigkeit, Änderungsanträge zu stellen, allerdings nur auf die Verträge selbst. Änderungsanträge zu den Vertragsgesetzen sind insoweit zulässig, als durch sie der Inhalt des Vertrages weder formell noch materiell tangiert wird 211 , etwa durch das Voranstellen einer Präambel 212 oder durch die Erklärung eines vertraglich zugelassenen Vorbehalts 213. Diese Bestimmungen der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages tragen den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Art. 32 Abs. 1 GG und Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, d. h. dem Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortung bei der Wahrnehmung der auswärtigen Gewalt, sowie dem Völkerrechtsverkehr 214 Rechnung, so daß über ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz für die

209

Kabel, Die Behandlung der Anträge im Bundestag: Rechte, Formen und Verfahren, in: Schneider/Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, §31 Rdnr. 69; Troßmann, Parlamentsrecht, § 81 Rdnr. 8.2 und Troßmann/Roll, Parlamentsrecht, Ergänzungsband, r§ 82 Vorbemerkung; Ritzel/Bücker, § 78 Anm. I 1 e) und § 82 Anm. II a), b); Weiß, Auswärtige Gewalt und Gewaltenteilung, S. 138; Baade, Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt der Bundesrepublik Deutschland, S. 89 f.; Lechner/Hülshoff, Anm. 4 zu § 78 GeschOBT; Reichel, Die auswärtige Gewalt nach dem Grundgesetz, S. 79; Bernhardt, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, in: HStR VII, § 174 Rdnr. 15; E. Klein, ZVglRWiss 77 (1978), S. 79 (93). 210 Ritzel/Bücker, § 81 Anm. IV 2 a). 211

Ritzel/Bücker, § 78 Anm. I 1 e), f) und § 82 Anm. II b); Troßmann, Parlamentsrecht, § 81 Rdnr. 8.2; Weiß, Auswärtige Gewalt und Gewaltenteilung, S. 138; Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, S. 240. 212

So geschehen im Gesetz zu der Gemeinsamen Erklärung und zu dem Vertrag v. 22. Januar 1963 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die deutsch-französische Zusammenarbeit, BGBl. 1963 II S. 705; vgl. auch BT-Drs. IV/1252, S. 8 ff.; BT-Drs. VI/3076, S. 3; BT-Drs. VI/3263, S. 4. Siehe auch Reichel, Die auswärtige Gewalt nach dem Grundgesetz, S. 80. 213

Vgl. dazu die „Leitsätze des Rechtsausschusses des Bundesrates zu mit völkerrechtlichen Verträgen zusammenhängenden Rechtsfragen" vom 7./8. Juni 1977, Nr. I. 3 (Text abgedruckt in: Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, S. 289 ff.). 214

Vgl. Art. 10 WVK (BGBl. 1985 II S. 926).

5 Haratsch

66

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

Fälle einfachgesetzlicher Legislativtätigkeit allgemeine Einigkeit besteht215. Die Abänderung des Vertragstextes durch innerstaatliche Organe würde dem von den Vertragsparteien erzielten Konsens die Grundlage entziehen216. Zweifelhaft erscheint allerdings, ob die in diesen Bestimmungen zu sehende Beschränkung der Gesetzgebungshoheit des Bundestages verfassungsrechtlich auch geboten ist 217 . Grundsätzlich erlaubt nämlich § 126 GO BT im Einzelfall mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder ein Abweichen von den Vorschriften der Geschäftsordnung, sofern die Bestimmungen des Grundgesetzes nicht entgegenstehen. Der Bundestag hat im Falle des Gesetzes zum Einigungsvertrag von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch gemacht. Offen bleiben muß daher, ob etwa Art. 32 Abs. 1 GG und Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG entgegenstehende Bestimmungen des Grundgesetzes sind, die ein Abweichen von § 82 Abs. 2 GO BT unmöglich gemacht hätten218.

B. Die Zulässigkeit der Beschränkung der Rechte des Bundestages Bestehen an der Zulässigkeit der Beschränkung der Rechte des Bundestages im Hinblick auf Vertragsgesetze gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich keine Bedenken, wenn es sich um ein einfaches Gesetz handelt, so ist damit freilich noch nichts darüber gesagt, ob in dem Verfahren nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG auch verfassungsändernde Gesetze verabschiedet werden können. Hier könnte möglicherweise aufgrund der Verfassungsverantwortung des verfassungsändernden Gesetzgebers eine differenzierende Beurteilung geboten sein. Um diesen Punkt im Fall des Einigungsvertrags einer Klärung zuzuführen, hatten acht Abgeordnete des Deutschen Bundestages ein Verfahren vor dem 219

Bundesverfassungsgericht angestrengt, in dem sie geltend gemacht hatten, ihre Mitwirkungsrechte gemäß Art. 38, 42, 76, 79 GG und § 82 GO BT bei der Beratung und Abstimmung zum Zwecke einer Änderung des Grundgesetzes 215

Heintschel v. Heinegg, DVB1. 1990, S. 1270 (1272); Reichel, Die auswärtige Gewalt nach dem Grundgesetz, S. 79; Rojahn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 2. Bd., 3. Aufl., Art. 59 Rdnr. 39; Dellmann, in: Seifert/Hömig (Hrsg.), GG, 5. Aufl., Art. 59 Rdnr. 9; Grewe, Auswärtige Gewalt, in: HStR III, § 77 Rdnrn. 50 f. 216

Heintschel v. Heinegg, DVB1. 1990, S. 1270 (1272); Rojahn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 2. Bd., 3. Aufl., Art. 59 Rdnr. 39; Weiß, Auswärtige Gewalt und Gewaltenteilung, S. 138 f. 217

Bernhardt, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, in: HStR VII, § 174 Rdnr. 15. 218

Pestalozza, Jura 1994, S. 561 (564).

219

BVerfGE 82,316.

2. Kapitel: Gesetzgebungsverfahren bei paktierten Verfassungsänderungen

67

seien verletzt und das Grundgesetz habe nicht auf diesem Wege geändert werden können.

I. Vertrag im Sinne von § 82 Abs. 2 GO BT i. V.m. Art 59 Abs. 2 Satz 1 GG Zur Beantwortung der damit aufgeworfenen Problematik bedarf es zunächst der Klärung der Frage, ob der Einigungsvertrag ein Vertrag im Sinne von § 82 Abs. 2 GO BT i.V.m. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ist. § 82 Abs. 2 GO BT erfaßt „Verträge mit auswärtigen Staaten und ähnliche Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen".

1. Verträge mit auswärtigen Staaten Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages spricht von Verträgen mit auswärtigen Staaten und nimmt dabei ausdrücklich auf Art. 59 Abs. 2 GG Bezug. Dort sind „Verträge mit auswärtigen Staaten" zwar nicht explizit genannt, aufgrund der systematischen Stellung werden die Begriffe „Verträge mit auswärtigen Staaten" in Art. 59 Abs. 1 Satz 2 GG und „Verträge" in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG jedoch von einem Teil der Literatur 220 gleichgestellt; eine Auffassung, die anfangs wohl auch das Bundesverfassungsgerichts 221 zu teilen schien. Folgt man dieser Ansicht, hängt die Anwendbarkeit des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG von der Beantwortung der Frage ab, ob die DDR im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland ein auswärtiger Staat war oder nicht. Um diese Frage beantworten zu können, ist die Rechtslage Deutschlands vor der Wiedervereinigung zu klären.

a) Die Rechtslage Deutschlands Die Übernahme der Regierungsgewalt in Deutschland durch die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs und die Staatsbildung im Gebiet der drei Westzonen einerseits und der Ostzone andererseits führte zu der schwierigen Frage,

220

Rojahn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 2. Bd., 3. Aufl., Art. 59 Rdnr. 18; Hornig, JZ 1973, S. 202 (205). 221

BVerfGE 1, 351 (366); BVerfGE 1, 372 (380, 382).

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

68

ob Deutschland als Ganzes222 noch existierte und welchen Status die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik einnehmen. Um diesen Status möglichst widerspruchsfrei deuten zu können, wurde eine Reihe grundsätzlicher Modellvorstellungen entwickelt.

aa) Die Diskontinuitätstheorien Angesichts der vollständigen Niederlage des Deutschen Reiches im Jahre 1945 wurde die Auffassung vertreten, der deutsche Staat sei entweder bereits mit dem Wegfall der unabhängigen Staatsgewalt (sog. Debellationstheorie 223)224 oder durch den abgeschlossenen Zerfall in mehrere Teile, von denen keiner die Rechtspersönlichkeit Deutschlands fortsetzte (sog. Dismembrationstheorie 225), untergegangen 226'227. Umstritten blieb bei letzterer Überlegung jedoch der genaue Zeitpunkt des angeblichen Reichsuntergangs durch Dismembration. Diskutiert wurden das Auseinanderfallen des Alliierten Kontrollrates im Jahre 1948, die Gründung beider deutscher Staaten im Jahre 1949, die Erlangung der Souveränität durch entsprechende Erklärungen der Siegermächte in den Jahren 1954/1955, der Abschluß und das Inkrafttreten des Grundlagenvertrages im 222

Der Begriff „ Germany as a whole " umschreibt seit dem Londoner Abkommen über Kontrolleinrichtungen in Deutschland v. 14. November 1944 (Art. 1) die alliierten Rechtspositionen. - Text des Abkommens in: Rauschning (Hrsg.), Rechtsstellung Deutschlands. Völkerrechtliche Verträge und andere rechtsgestaltende Akte, S. 11 ff. 223

Zum Begriff der „debellatio" vgl. Meyn, Debellatio, in: EPIL 3 (1982), S. 145 ff.; v. Treskow, Der Begriff der Debellatio, Diss. Bonn 1965. 224

Kelsen, AHL 38 (1944), S. 689 (694); ders., AJIL 39 (1945), S. 518 (519); Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes, S. 10 f.; Lewald, NJW 1981, S. 855 ff. 225

Zum Begriff der „ dismembrano " vgl. Schuster, Deutschlands staatliche Existenz, S. 48; v. Münch, Verselbständigung von Staatsteilen, in: Strupp/Schlochauer, Bd. III, S. 523 ff.; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rdnr. 1389; G. Hoffmann, Die deutsche Teilung, S. 36 f. 226 So Riezler, Anm. zu OLG Nürnberg, Beschl. v. 2. März 1950 - 2 W 88/50 -, SJZ 1950, Sp. 427 (428); Rumpf, ZaöRV 33 (1973), S. 344 (360); Krakau, Feindstaatenklauseln und Rechtslage Deutschlands nach den Ostverträgen, S. 119 ff.; wohl auch Lewald, NJW 1973, S. 2265 (2266). - Ebenso die offiziellen Positionen der UdSSR und der DDR, vgl. Hacker, Der Rechtsstatus Deutschlands, S. 136 ff., S. 154 ff., 178 ff. Vgl. zur Frage der Dismembration durch den Abschluß der Ostverträge Bücking, Der Rechtsstatus des Deutschen Reiches, S. 124 ff.; vgl. auch G. Hoffmann, Die deutsche Teilung, S. 36 ff.

Zur These vom Untergang des Deutschen Reiches vgl. auch Ress, Die Rechtslage Deutschlands, S. 199 ff.; R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 47; Bernhardt, Die deutsche Teilung und der Status Gesamtdeutschlands, in: HStR I, § 8 Rdnr. 37.

2. Kapitel: Gesetzgebungsverfahren bei paktierten Verfassungsänderungen

69

Jahre 1973 sowie die ebenfalls 1973 erfolgte Aufnahme beider deutschen Staaten in die Vereinten Nationen 228 .

bb) Die Kontinuitätstheorien Im Gegensatz dazu standen mehrere Ansätze, die von einem Fortbestand des deutschen Gesamtstaates ausgingen. Erwähnt seien hier nur die „Dachstaatstheorie", die „Staatskerntheorie" und die „Schrumpfstaatstheorie". Nach der ifiachstaatstheorie" bestand Deutschland als handlungsunfähiger Staat im Sinne des Völkerrechts fort. Die Vier Mächte nahmen die Regierung Gesamtdeutschlands treuhänderisch wahr, wobei die Bundesrepublik Deutschland und die DDR Teilordnungen unter dem Dach des Gesamtstaates darstellten 229. Die .yStaatskerntheorie" unterschied zwischen dem Staats- und dem Verfassungsgebiet Deutschlands. Staatsgebiet Deutschlands und damit der Bundesrepublik Deutschland war danach Deutschland in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 230 , das Verfassungsgebiet, d. h. der Geltungsbereich des Grundgesetzes hingegen beschränkte sich auf das Gebiet der ehemaligen drei Westzonen231. Nach der, JSchrumpfstaatstheorie" 232 war die Bundesrepublik Deutschland identisch mit dem Deutschen Reich, dessen Staatsgebiet allerdings auf das Bundesgebiet geschrumpft war. Die Deutsche Demokratische Republik war danach ein 228

Vgl. dazu ausführlich Thum, Die Kontinuitätsfrage im völkerrechtlichen Rahmen der Einigung Deutschlands, S. 60 ff. 229

Vgl. dazu Bernhardt, Die deutsche Teilung und der Status Gesamtdeutschlands, in: HStR I, §8 Rdnr. 33; Ress, Die Rechtslage Deutschlands, S. 201; Buching, Der Rechtsstatus des Deutschen Reiches, S. 79 ff.; Wilke, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, S. 77 ff. 230 Dieses Datum ist alliierter Herkunft und findet sich in Punkt 1 des „Protokolls über die Besatzungszonen in Deutschland und die Verwaltung von Groß-Berlin" v. 12. September 1944, Text abgedruckt in: Rauschning (Hrsg.), Rechtsstellung Deutschlands. Völkerrechtliche Verträge und andere rechtsgestaltende Akte, S. 6 ff., sowie in Art. 2 lit. d der „Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt hinsichtlich Deutschlands" v. 5. Juni 1945, Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Ergänzungsblatt Nr. 1, S. 7; Text auch abgedruckt in: Rauschning (Hrsg.), Rechtsstellung Deutschlands. Völkerrechtliche Verträge und andere rechtsgestaltende Akte, S. 15 ff. 231

So Scheuner, DVB1. 1950, S. 514 (515 f.). Vgl. dazu R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 48; Ress, Die Rechtslage Deutschlands, S. 211; Kewenig, EA 1971, S. 469 (475 f.); Bernhardt, VVDStRL 38 (1980), S. 7 (15 ff.). 232

Zur begrifflichen Verwirrung trägt bei, daß die „Schrumpfstaatstheorie" auch unter dem Namen „Kernstaatstheorie" firmiert, die nicht mit der „Staatskerntheorie" verwechselt werden darf.

70

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

neuer, durch Sezession vom deutschen Staatsgebiet entstandener Staat233. Die „Staatskerntheorie" und die „Schrumpfstaatstheorie" lassen sich unter dem Oberbegriff Jdentitätstheorien" zusammenfassen, da sie die Bundesrepublik Deutschland als (zumindest teil-)identisch mit dem bisherigen Deutschen Reich ansehen.

cc) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Die These von der (Teil-)Identität der Bundesrepublik Deutschland mit dem Deutschen Reich fand ihren Ausdruck auch und gerade in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vor allem in dessen Urteil 234 zum Grundlagenvertrag mit der DDR 2 3 5 . Die wesentlichen Aussagen des Grundlagenvertragsurteils zum Rechtsstatus Deutschlands lauten: Das Deutsche Reich hat den Zusammenbruch im Jahre 1945 überdauert und besteht als völkerrechtsfähiger, wenn auch handlungsunfähiger Staat mit einem einheitlichen Staatsvolk und einem Staatsgebiet in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 fort 236 . Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches, sondern mit ihm identisch, im Hinblick auf seine räumliche Ausdehnung jedoch lediglich teilidentisch. Ihre Hoheitsgewalt war staatsrechtlich auf den Geltungsbereich des Grundgesetzes (Art. 23 Satz 1 GG a. F.) beschränkt 237. Die Deutsche Demokratische Republik war nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ein Staat im Sinne des Völkerrechts und als solcher auch Völkerrechtssubjekt, unabhängig von der ausbleibenden völkerrechtlichen Anerkennung seitens der Bundesrepublik Deutschland238. Der Abschluß des Grundlagenver233 So Achterberg, VVDStRL 38 (1980), S. 55 (70, 108). Vgl. dazu R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 48; Ress, Die Rechtslage Deutschlands, S. 155 (dort Fußn. 2); Kewenig, EA 1971, S. 469 (475 f.); Schmidt-,Jortzig, DVB1. 1975, S. 65 (71); Wilke, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, S. 101 ff. 234

BVerfGE 36, 1 - Grundlagenvertrag. Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik v. 21. Dezember 1972, BGBl. 1973 II S. 423; GBl. DDR 1973 II S. 26. 235

236

BVerfGE 36, 1 (15 f., 23) - Grundlagenvertrag - unter Hinweis auf BVerfGE 2, 266 (277); BVerfGE 3, 288 (319 f.); BVerfGE 5, 85 (126); BVerfGE 6, 309 (336, 363); später auch BVerfGE 77, 137 (151, 154 f.) - Teso-Beschluß. 237 BVerfGE 36, 1 (16 f.) - Grundlagenvertrag - unter Hinweis auf BVerfGE 3, 288 (319 f.); BVerfGE 6, 309 (338, 363); später auch BVerfGE 77, 137 (154 f.) - Teso-Beschluß. 238

BVerfGE 36, 1 (22) - Grundlagenvertrag; BVerfGE 92, 277 (320); BVerfGE 95, 96(129).

2. Kapitel: Gesetzgebungsverfahren bei paktierten Verfassungsänderungen

71

träges stellte lediglich eine „faktische Anerkennung besonderer Art" dar 239 . Die Deutsche Demokratische Republik gehörte zu Deutschland und konnte folgerichtig im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland nicht als Ausland angesehen werden 240. Die vertraglichen Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland unterlagen zwar dem Völkerrecht 241 . Aufgrund der besonderen rechtlichen Nähe der beiden Staaten, die Teile eines noch immer existierenden gesamtdeutschen Staates waren, handelte es sich inhaltlich jedoch um „inter-se-Beziehungen" 242.

dd) Kritische Würdigung Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 31. Juli 1973 zum Grundlagenvertrag für keine der Theorien zur Rechtslage Deutschlands entschieden, sondern seine Rechtsauffassung eher pragmatisch darzustellen gesucht243. Die geschichtlichen Entwicklungen der Jahre 1989 und 1990 haben die Thesen des Bundesverfassungsgerichts in weiten Teilen bestätigt.

(1) Die Fortexistenz Deutschlands Der Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik und ihr damit verbundener Untergang auf staats- und völkerrechtlicher Ebene sowie die Erstreckung des Geltungsbereichs des Grundgesetzes auf das Gebiet der ehemaligen DDR verdeutlichen, daß der deutsche Gesamtstaat weder infolge der bedingungslosen militärischen Kapitulation 244 noch durch die Ereignisse nach 1945 untergegan239

BVerfGE 36, 1 (23) - Grundlagenvertrag.

240

BVerfGE 36, 1 (17) - Grundlagenvertrag - unter Hinweis auf BVerfGE 11, 150 (158) und BVerfGE 18, 353 (354); später auch BVerfGE 37, 57 (64); BVerfGE 82, 316 (320); BVerfGE 84, 90 (113) - Bodenreform. Ebenso BVerwGE 66, 277 (285). 241 BVerfGE 95, 96(129). 242

BVerfGE 36, 1 (23 f.) - Grundlagenvertrag.

243

Zieger, in: Festschrift W. Weber, S. 127 (145); ähnlich E. Klein,, in: Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr., Bd. XXV (1975), S. 23 (25 f.); a. A. jedoch Bernhardt, Die deutsche Teilung und der Status Gesamtdeutschlands, in: HStR I, § 8 Rdnr. 33, der der Auffassung ist, das Urteil schließe sich sachlich der Dachstaatstheorie an; ähnlich Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 97. 244

Vgl. die Urkunde über die militärische Kapitulation der deutschen Streitkräfte v. 8. Mai 1945, Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Ergänzungsblatt Nr. 1, S. 6. Text auch abgedruckt in: Rauschning (Hrsg.), Rechtsstellung Deutschlands. Völkerrechtliche Verträge und andere rechtsgestaltende Akte, S. 4 f.

72

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

gen ist 245 . Verhindert wurde der Untergang des deutschen Gesamtstaates auch in den Jahren nach 1945 vor allem durch das Festhalten der Vier Mächte (USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich) an ihren sich auf „Deutschland als Ganzes" erstreckenden Rechte und Verantwortlichkeiten 246. Darüber hinaus stand auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker, hier des deutschen Volkes, einer Zergliederung Gesamtdeutschlands entgegen247, da ein freier Selbstbestimmungsakt, der dem Zerfall des deutschen Staatsvolkes eine rechtliche Basis hätte geben können, fehlte 248. Ein temporäres Fehlen einer Zentralregierung berührt die völkerrechtliche Existenz eines Staates nicht 249 . Die deutsche Staats-

245

E. Klein, Deutschlands Rechtslage, in: Weidenfeld/Korte (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Einheit, S. 216 (217); Tomuschat, ZaöRV 56 (1996), S. 1 (47). 246 BVerfGE 77, 137 (154) - Teso-Beschluß; E. Klein, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Ostverträgen, insbesondere zu den Rechtspositionen der Ostdeutschen, in: Uibopuu/Uschakow/Klein/Zieger, Die Auslegung der Ostverträge und Fragen der gesamtdeutschen Staatsangehörigkeit der Ostdeutschen, S. 67 (69 f.); Ress, Grundlagen und Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen, in: HStR I, § 11 Rdnrn. 48, 49; Rauschning, Der Fortbestand des deutschen Staates und die Verträge von Bonn und Paris, in: Göttinger Arbeitskreis (Hrsg.), Deutschlandvertrag, westliches Bündnis und Wiedervereinigung, S. 23 (26); Quaritsch, Wiedervereinigung in Selbstbestimmung - Recht, Realität, Legitimation, in: HStR VIII, § 193 Rdnr. 71; Blumenwitz, Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands, S. 42; Thum, Die Kontinuitätsfrage im völkerrechtlichen Rahmen der Einigung Deutschlands, S. 57 f.; Seidl-Hohenveldern, Die Staaten, in: Neuhold/Hummer/Schreuer (Hrsg.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd. 1, 2. Aufl., Rdnrn. 773 f.; ders., Völkerrecht, Rdnrn. 687 ff.; Fiedler, AVR31 (1993), S. 333 (340 f., 352); Zieger, in: Festschrift W.Weber, S. 127 (128, 142); Hesse, JöRN.F., Bd. 44 (1996), S. 1 (2); Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnr. 637. 247

BVerfGE 77, 137 (151) - Teso-Beschluß; E. Klein, Deutschlands Rechtslage, in: Weidenfeld/Korte (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Einheit, S. 216 (217); Ress, Grundlagen und Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen, in: HStR I, § 11 Rdnrn. 53 f.; Fiedler, AVR 31 (1993), S. 333 (342, 351); Blumenwitz, Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands, S. 44; Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG, Einf. Rdnr. 169; Quaritsch, Wiedervereinigung in Selbstbestimmung - Recht, Realität, Legitimation, in: HStR VIII, § 193 Rdnr. 35; Doehring, in: Festschrift Scupin, 1983, S. 555 (560 ff.). 248 BVerfGE 77 137 (151, 161 ff.); E. Klein, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die deutsche Frage, S. 70; ders., in: Deutschland und seine Nachbarn, Heft 3/1990, S. 21 ff.; Seiffert, Selbstbestimmungsrecht und deutsche Wiedervereinigung, S. 107; Bernhardt, in: v. Münch/Oppermann/Stödter (Hrsg.), Finis Germaniae?, S. 85 (87). 249

Verdross, AVR 3 (1951/52), S. 129 (132 u. 134); Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, S. 59 f.; Rauschning, Der Fortbestand des deutschen Staates und die Verträge von Bonn und Paris, in: Göttinger Arbeitskreis (Hrsg.), Deutschlandvertrag, westliches Bündnis und Wiedervereinigung, S. 23 (26); ders., JuS 1991, S. 977; Wilke, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, S. 70 f.; Kimminich, Die Eigentumsgarantie im Prozeß der Wiedervereinigung, S. 12.

2. Kapitel: Gesetzgebungsverfahren bei paktierten Verfassungsänderungen

73

gewalt wurde durch die Besatzungsgewalt „überdeckt", aber nicht beseitigt250, zumal die Alliierten laut ausdrücklicher Erklärung keine Annexion Deutschlands bewirken wollten 251 . Es fehlte mithin am erforderlichen Aneignungswillen 252 . Deutschland verlor daher mit der Auflösung der Regierung unter Großadmiral Dönitz und der Verhaftung ihrer Mitglieder am 23. Mai 1945 seine völkerrechtliche Handlungsfähigkeit, nicht jedoch seine völkerrechtliche Rechtsfähigkeit 253. Auch die Ereignisse der folgenden Jahre, etwa das Auseinanderfallen des Alliierten Kontrollrates 1948, die Gründung beider deutschen Staaten 1949, die Erlangung der Souveränität durch entsprechende Erklärungen der Siegermächte in den Jahren 1954/1955, der Abschluß und das Inkrafttreten des Grundlagenvertrages im Jahre 1973 sowie die ebenfalls 1973 erfolgte Aufnahme beider deutschen Staaten in die Vereinten Nationen haben keineswegs zum Untergang des gesamtdeutschen Staates geführt 254. Auch das Grundgesetz ging immer vom Fortbestehen des deutschen Gesamtstaates aus. Dies kam vor allem in der Präambel a. F., in Art. 23 GG a. F., Art. 116 GG und in Art. 146 GG a. F. zum Ausdruck 255 . Mit der Bundesrepublik Deutschland wird das 1871 gegründete und seitdem kontinuierlich fortbestehende Deutsche Reich neu organisiert 256. In der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der DDR ist daher keine „doppelte Staatsgründung" 257 im 250

Blumenwitz, Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands, S. 41.

251

Vgl. die „Erklärung in Anbetracht der Niederlage Deutschlands und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt hinsichtlich Deutschlands" v. 5. Juni 1945, Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Ergänzungsblatt Nr. 1, S. 7. - Text auch abgedruckt in: Rauschning (Hrsg.), Rechtsstellung Deutschlands. Völkerrechtliche Verträge und andere rechtsgestaltende Akte, S. 15 ff. 252

O. Dörr, Die Inkorporation als Tatbestand der Staatensukzession, S. 95.

253

Vgl. Frhr. v. d. Heydte, VVDStRL 13 (1955), S. 6(17); Grewe, Ein Besatzungsstatut für Deutschland, S. 77 ff.; Thum, Die Kontinuitätsfrage im völkerrechtlichen Rahmen der Einigung Deutschlands, S. 56 m.w.N.; Kimminich, Die Eigentumsgarantie im Prozeß der Wiedervereinigung, S. 12. 254

Thum, Die Kontinuitätsfrage im völkerrechtlichen Rahmen der Einigung Deutschlands, S. 61 ff.; Schiedermair, in: Festschrift Zeidler, Bd. 2, S. 1031 (1043 ff.); Bethge, Das Staatsgebiet des wiedervereinigten Deutschlands, in: HStR VIII, §199 Rdnr. 3; Kimminich, Die Eigentumsgarantie im Prozeß der Wiedervereinigung, S. 15. 255 Dolzer, Die rechtliche Ordnung des Verhältnisses der Bundesrepublik Deutschland zur Deutschen Demokratischen Republik, in: HStR I, § 12 Rdnrn.5 ff. - Vgl. dazu auch v. Doemming/Füßlein/Matz, JöRN.F., Bd. 1 (1951), S. 1 (21 ff., 217 ff.). 256

BVerfGE 36, 1 (16) - Grundlagenvertrag.

Vgl. Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945 - 1955, 5. Aufl. 1991.

74

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

Rechtssinne zu sehen258. Die Deutsche Demokratische Republik war ein Neustaat, wobei die Sezession allerdings nicht abschließend gelingen konnte 259 . Die Teilung Deutschlands stellt sich letztlich als gescheiterter Versuch der DDR dar, die Sezession vom deutschen Staatsverband zu erreichen 260.

(2) Das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zum fortbestehenden gesamtdeutschen Staat Als zutreffend haben sich rückblickend auch die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Identität 261 der Bundesrepublik Deutschland als Staat mit dem Staat „Deutsches Reich" erwiesen. In territorialer Beziehung lag freilich nur Teilidentität vor. Da Teilidentität jedoch immer auch Nichtidentität bedeutet, ist dies ein vermeintlich in sich widersprüchlicher Begriff 262 . Jedoch nur scheinbar, denn eine weitgehend unbestrittene Regel des Völkerrechts besagt, daß territoriale Veränderungen die Identität eines Staates grundsätzlich

258

Merten, Deutschland im europäischen Kräftefeld, in: Kontinuität und Diskontinuität in der deutschen Verfassungsgeschichte, S. 19 (33); Rauschning, JuS 1991, S. 977 259 (977 f.). Ress, Die Rechtslage Deutschlands, S. 214 ff., 225 ff.; ders., Grundlagen und Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen, in: HStR I, § 11 Rdnr. 48; E. Klein, Die rechtliche Qualifizierung der innerdeutschen Grenze, in: Zieger (Hrsg.), Fünf Jahre Grundvertragsurteil des Bundesverfassungsgerichts, S. 95 (103); Bernhardt, in: v. Münch/Oppermann/Stödter (Hrsg.), Finis Germaniae?, S. 85 (87); Badura, Die innerdeutschen Verträge, insbesondere der Einigungsvertrag, in: HStR VIII, § 189 Rdnr. 18; Quaritsch, Wiedervereinigung in Selbstbestimmung - Recht, Realität, Legitimation, in: HStR VIII, § 193 Rdnr. 55; Frowein, in: Benda/Maihofer/Vogel (1. Aufl.), S. 29 (48); Blumenwitz, Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands, S. 44; Rauschning, JuS 1991, S. 977 (978); Thum, Die Kontinuitätsfrage im völkerrechtlichen Rahmen der Einigung Deutschlands, S. 84; Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnr. 637. - Von der Abgeschlossenheit der Sezession gehen dagegen aus G. Hoffmann, Die deutsche Teilung, S. 41, 45; Schmidt-Jortzig, DVB1. 1975, S. 65 (71). Anders auch Scheuner, DÖV 1973, S. 581 (583), für den sich die DDR eine als selbständig gewordene staatliche Einheit darstellt, ohne daß die Frage einer Sezession aufzuwerfen wäre. 260 Huber, in: Sachs (Hrsg.), GG, Präambel, Rdnr. 28. 261

Zutreffend definiert O. Dörr, Die Inkorporation als Tatbestand der Staatensukzession, S. 133 f., den Begriff der Identität in diesem Zusammenhang als „Übereinstimmung der Rechtspersönlichkeit eines Staates vor und nach einem historischen Ereignis". 262

Schiedermair, 1991, S. 977 (978).

in: Festschrift Zeidler, Bd. 2, S. 1031 (1047); Rauschning, JuS

2. Kapitel: Gesetzgebungsverfahren bei paktierten Verfassungsänderungen

75

nicht berühren 263. Die Identitätstheorie hat daher keinen territorialen Bezug und sagt nichts über das deutsche Staatsgebiet aus264. Zugleich ist die Identitätstheorie auch insofern unergiebig, als sie grundsätzlich ungeeignet ist, Rechtshandlungen der Bundesrepublik Deutschland Rechtsfolgen zugunsten oder zu Lasten Deutschlands als Ganzem beizumessen265. Diese Beschränkung in der Ausübung ihrer Staatsgewalt mußte die Bundesrepublik Deutschland wegen der Vorbehaltsrechte der Vier Mächte in bezug auf Deutschland als Ganzes hinnehmen266. Die Anwendung der Identitätstheorie ist nur sinnvoll und widerspruchsfrei, wenn man sie strikt auf die Rechtsfolgen beschränkt, die sich aus dem rechtlichen Fortbestand und damit aus der fortbestehenden Rechtsfähigkeit Gesamtdeutschlands ergeben. Die Regel des Völkerrechts, wonach im Fall der Staatennachfolge ein Übergang der Rechte und Pflichten auf den Nachfolgestaat beim Untergang eines Staates grundsätzlich nicht stattfindet, soll wirksam ausgeschlossen werden 267. Für diese (Teil-)Identität der Bundesrepublik Deutschland mit dem fortexistierenden deutschen Gesamtstaat spricht aus der Sicht des Völkerrechts, daß die Bundesrepublik zahlreiche Vorkriegsverträge des Deutschen Reiches fortführte 268, anstatt sie als Rechtsnachfolger zu übernehmen, und sich im Londoner Schuldenabkommen269 völkerrechtlich zu den Schulden des Deutschen Reichs bekannte270.

263

Fiedler, Staatskontinuität und Verfassungsrechtsprechung, S. 48; ders., Continuity, in: EPIL 10 (1987), S. 65 (66); Rauschning, in: Festschrift Doehring, S. 779 (786); Fastenrath, States, Extinction, in: EPIL 10 (1987), S. 465 (466); Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 1, S. 136; Guggenheim, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 1, S. 406 f.; Herz, ZöR XV (1935), S. 241 (242); Kimminich, Die Eigentumsgarantie im Prozeß der Wiedervereinigung, S. 13. 264

Schiedermair, in: Festschrift Zeidler, Bd. 2, S. 1031 (1047 f.). E. Klein, in: Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr., Bd. XXV (1975), S. 23 (27); Schiedermair, in: Festschrift Zeidler, Bd. 2, S. 1031 (1048); Rauschning, JuS 1991, S. 977 (978). 265

266

Schiedermair,

in: Festschrift Zeidler, Bd. 2, S. 1031 (1048).

267

Schiedermair, in: Festschrift Zeidler, Bd. 2, S. 1031 (1048); E. Klein, in: Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr., Bd. XXV (1975), S. 23 (27). 268

Vgl. dazu im einzelnen Hoenicke, Die Fortgeltung von Verträgen des Deutschen Reiches in der BRD und der DDR, S. 129 ff.; Fr owein, Die Identität der Bundesrepublik Deutschland als Völkerrechtssubjekt, in: HStR VIII, § 196 Rdnr. 3. 269 Londoner Abkommen über deutsche Auslandsschulden v. 27. Februar 1953, BGBl. 1953 II S. 333.

Blumenwitz, Staatennachfolge und die Einigung Deutschlands, S. 43 f.; Zieger, in: Festschrift W. Weber, S. 127 (130).

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1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

(3) Das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zur Deutschen Demokratischen Republik Aus der gemeinsamen Zugehörigkeit zu Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht zutreffend gefolgert, daß die DDR im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland nicht als Ausland angesehen werden kann. Dies konnte jedoch nicht die Inanspruchnahme der DDR als Inland im Sinne von territorialer Zugehörigkeit zum Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bedeuten271. Wenn das Grundgesetz aufgrund seiner Loyalität zum fortbestehenden gesamtdeutschen Staat die Auslandseigenschaft der DDR verneint, dann vor allem in dem Sinn, daß die Bundesrepublik Deutschland sich aller Handlungen enthalten mußte, die die DDR in ihrem Sezessionsbestreben hätten unterstützen können 272 .

(4) Das Verhältnis der Deutschen Demokratischen Republik zum fortbestehenden gesamtdeutschen Staat Weitgehend offen geblieben ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die „dritte Seite" 273 des Beziehungsdreiecks Deutsches Reich Bundesrepublik Deutschland - Deutsche Demokratische Republik, nämlich das Verhältnis der DDR zum fortbestehenden gesamtdeutschen Staat. Ausdrücklich findet sich im Grundlagenvertragsurteil lediglich die Aussage, daß die Deutsche Demokratische Republik zu Deutschland gehört 274. Schwierig zu beantworten ist, ob auch die DDR mit dem fortbestehenden deutschen Gesamtstaat identisch oder zumindest teilidentisch war. Auch die DDR hatte zunächst ihrerseits die Identität mit dem fortbestehenden deutschen Gesamtstaat beansprucht 275, gab diese Position jedoch in den Jahren 1951/52 auf und vertrat die gegenteilige These vom Untergang des Deutschen Reiches276. 271

E. Klein, in: Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr., Bd. XXV (1975), S. 23 (31); Kimminich, DÖV 1973, S. 15 (17). 272

E. Klein, in: Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr., Bd. XXV (1975), S. 23 (31). 273

So die Formulierung von E. Klein, in: Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsb'erg/Pr., Bd. XXV (1975), S. 23 (26). 274

BVerfGE 36, 1 ( 17) - Grundlagenvertrag.

275

Vgl. dazu eingehend Hacker, Der Rechtsstatus Deutschlands, S. 105 ff.

276

Vgl. dazu eingehend Hacker, Der Rechtsstatus Deutschlands, S. 105 ff., 116 ff.; Bosch, Der Wandel der offiziellen sowjetzonalen Stellung zur Deutschen Frage und das heutige Selbstverständnis der „DDR", S. 10 - 83; Wilke, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, S. 55 f.; vgl. auch Frhr. v. d. Heydte, in: Fest-

2. Kapitel: Gesetzgebungsverfahren bei paktierten Verfassungsänderungen

77

Spätestens mit Erlaß des Staatsbürgerschaftsgesetzes von 1967 277 wurde deutlich, daß sich die DDR als ein auf deutschem Boden gegründeter Neustaat empfand. Die Frage nach der Identität des Deutschen Demokratischen Republik mit dem gesamtdeutschen Staat stellte sich daher erst wieder nach dem revolutionären Umbruch des Herbstes 1989. Ausgehend vom „Prätendentenstreit" der frühen fünfziger Jahre, als beide deutschen Staaten den Anspruch erhoben, den deutschen Gesamtstaat fortzusetzen, stellte Herbert Krüger die Überlegung an, daß auch die DDR an der Identität mit dem Völkerrechtssubjekt Deutschland teilhabe278. Hieran anknüpfend geht Gottfried Zieger noch einen Schritt weiter, wenn er meint, das Identitätsband müsse sich unter der Prämisse des Fortbestehens des gesamtdeutschen Staates auf die zwei Staaten beziehen, die Deutschland darstellen, selbst wenn die DDR einen solchen Identitätsbezug für ihre Person seit 1951/52 strikt ablehnte279. Das sich mit dieser These aufwerfende Problem ist zunächst ein rein logisches. Es fragt sich, ob die DDR und die Bundesrepublik Deutschland beide mit Deutschland identisch sein konnten, ohne ihrerseits miteinander im Identitätsverhältnis stehen zu müssen. Mit dieser formal-logischen Begründung ist eine Identität der DDR mit dem fortexistierenden gesamtdeutschen Staat vielfach abgelehnt worden 280 . Dem steht eine Argumentationslinie entgegen, die zu bedenken gibt, daß die juristische Frage der Identität etwas anderes ist als die mathematische Frage nach der Kongruenz zweier Figuren. „Denn die juristische Frage geht gerade davon aus, daß die beiden Gebilde an sich nicht identisch sind, um dann trotz der Nichtidentität eine Identität behaupten zu können" 281 . Es handelt sich dabei schrift Laun (1962), S. 137 (142 ff., 144); Quaritsch, Wiederveinigung in Selbstbestimmung - Recht, Realität, Legitimation, in: HStR VIII, § 193 Rdnr. 51. 277

Gesetz über die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik (Staatsbürgerschaftsgesetz) v. 20. Februar 1967, GBl. DDR 1967 I S. 3. 278

Krüger, SJZ 1950, Sp. 113 (121); ders., Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, S. 15 ff., insbes. S. 16. 279 Zieger, in: Festschrift W. Weber, S. 127 (149 f.). 280

So etwa Kewenig, DÖV 1973, S. 797 (798); Schuster, Deutschlands staatliche Existenz, S. 92; Thum, Die Kontinuitätsfrage im völkerrechtlichen Rahmen der Einigung Deutschlands, S. 76; Ress, ZaöRV 35 (1975), S. 364 (372); Rumpf, ZfP 1975, S. 111 (134); Wilke, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, S. 100 f.; Blumenwitz, Die Grundlagen eines Friedensvertrages mit Deutschland, S. 87, 95, 122 (dort Fußn. 118); vgl. dazu auch Zieger, in: Festschrift W. Weber, S. 127 (150); Dürig, VVDStRL 13 (1955), S. 27 (58). 281

So Krüger, SJZ 1950, Sp. 113 (114).

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1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

lediglich um eine scheinbare Antinomie, da die Frage nach der Identität nicht dahin zielt festzustellen, ob der deutsche Gesamtstaat „mit sich selbst identisch" weiterbesteht, sondern gerade dahin, wie er fortfährt zu existieren 282. Zu Recht weist Wilfried Fiedler darauf hin, daß Identität nicht statisch zu verstehen ist, sondern dynamisch, als rechtlich relevanter Vorgang stetiger, aktiver Identifizierung und Existenzwahrung. In dieser Erkenntnis des staatlichen Wandels verbindet sich Identität mit staatlicher Kontinuität 283 . Das Identitätsurteil bezieht sich daher immer auf mindestens zwei unterschiedliche Erscheinungsformen desselben Gegenstands der Betrachtung 284. Gestützt wird dieses beschränkte Verständnis von Identität durch die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts. Im Grundlagenvertragsurteil wird der Begriff „identisch" lediglich negativ definiert: Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht „Rechtsnachfolger" des Deut28S

sehen Reiches , was bedeutet, daß die Regeln der Staatensukzession im Verhältnis von Bundesrepublik Deutschland zum Deutschen Reich nicht in Anwendung gebracht werden können286. Aufgrund dieses beschränkten Verständnisses von Identität ist der Begriff der „Teilidentität" auch nicht etwa eine contradictio in adjecto 287 , weil es zwischen Identität und Nichtidentität keine Zwischenstufen 288

geben könne . Zur Frage des Verhältnisses der Deutschen Demokratischen Republik zum gesamtdeutschen Staat hat das Bundesverfassungsgericht nur mittelbar Stellung genommen. Die Bundesrepublik Deutschland ist, laut Grundlagenvertragsurteil, was die räumliche Ausdehnung anlangt, nur teilidentisch mit dem Deutschen Reich, „so daß insoweit die Identität keine Ausschließlichkeit beansprucht" 289. Die Umkehrung dieses Satzes kann nur bedeutet, daß die Identität der Bundesrepublik Deutschland mit dem Deutschen Reich im übrigen hingegen eine aus-

282

So zutreffend Schuster, Deutschlands staatliche Existenz, S. 79; ähnlich O. Dörr, Die Inkorporation als Tatbestand der Staatensukzession, S. 134. 283

284

Fiedler, Staatskontinuität und Verfassungsrechtsprechung, S. 75. Schuster, Deutschlands staatliche Existenz, S. 78, 82. BVerfGE 36, 1 (16)-Grundlagenvertrag.

285

286 E. Klein, in: Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr., Bd. XXV (1975), S. 23 (26); ders., Die territoriale Reichweite des Wiedervereinigungsgebotes, S. 9; Schiedermair, in: Festschrift Zeidler, Bd. 2, S. 1031 (1048). 287

So aber Rumpf, ZfP 1975, S. 111 (134).

288

So etwa Kewenig, DÖV 1973, S. 797 (798).

289

BVerfGE 36, 1 (16) - Grundlagenvertrag; ebenso Bartlsperger, Deutschlands, S. 43.

Die Rechtslage

2. Kapitel: Gesetzgebungsverfahren bei paktierten Verfassungsänderungen

79

schließliche ist 290 . Bezogen auf die DDR könnte dies bedeuten, daß sie diese durch von Bundesrepublik Deutschland gelassene „Identitätslücke" ausfüllte und im Hinblick auf ihre räumliche Ausdehnung ebenfalls teilidentisch mit dem deutschen Reich war. Fraglich ist jedoch, ob allein durch die geographische Lage und die dort beheimatete Bevölkerung (Staatsgebiet und Staatsvolk) Subjektsidentität vermittelt werden kann. Dies ist zu verneinen 291. „Gründet Staatlichkeit auf die Trias von Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt, so heischt Staatskontinuität die Dauerhaftigkeit dieser drei Elemente"292. Zur Bejahung der staatlichen Identität im juristischen Sinne muß daher die Identität auch des dritten Elements, der 293

Staatsgewalt hinzutreten . Die Identität der Staatsgewalt ist dabei auch, wenn auch nicht ausschließlich vom Selbstverständnis eines Staates abhängig294. Zu 295

weit dürfte es hingegen gehen, eine von Günter Dürig so bezeichnete „objektive geistige Tradition" als viertes, einen Staat konstituierendes Element zu qualifizieren 296 . Das Heranziehen anderer Maßstäbe, die die Frage nach der „Legiti290

Von dieser Aussage scharf zu trennen ist die Zurückhaltung des Gerichts zur politischen These vom Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik Deutschland, zu der die Karlsruher Richter ausdrücklich nicht Stellung beziehen, s. BVerfGE 36, 1 (19 f.) Grundlagenvertrag. 291 Ebenso Kimminich, DVB1. 1973, S. 657 (660). 292

So Merten, Deutschland im europäischen Kräftefeld, in: Kontinuität und Diskontinuität in der deutschen Verfassungsgeschichte, S. 19 (30). - Zum völkerrechtlichen Staatsbegriff und zur „Drei-Elemente-Lehre" (Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt) vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 378 ff.; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, Rdnrn. 622 ff. 293

Doehring, Allgemeine Staatslehre, Rdnrn. 121 ff.; so wohl auch Schuster, Deutschlands staatliche Existenz, S. 79 f., der ausführt, der Untersuchung über die Identität von Machtgebilden könne nur „der Staat als solcher" zugrunde gelegt werden. Vgl. auch Rumpf, ZfP 1975, S. 111 (134), der jedoch verengend allein auf die Identität der Staatsgewalt abhebt. 294

So auch E. Klein, in: Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr., Bd. XXV (1975), S. 23 (27); Lewald, NJW 1973, S. 2265 (2266); Schmidt-Jortzig, DVB1. 1975, S. 65 (65 ff., 67 ff.); Wilke, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, S. 35 ff.; O. Dörr, Die Inkorporation als Tatbestand der Staatensukzession, S. 142 ff. - Zur Problematik des Auseinanderfallens des Selbstverständnisses der Mehrheit des Staatsvolks und der Organe des Staates vgl. Wilke, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, S. 38 ff. 295 Dürig, VVDStRL 13 (1955), S. 27 (49 ff.). - Vgl. dazu Schuster, Deutschlands staatliche Existenz, S. 69 ff., 71 ff. 296

S. 35.

Wilke,

Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik,

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

80

mität" von Identitätsansprüchen anhand wertender Kriterien beantworten wollen, erweist sich in diesem Zusammenhang als bis zu einem gewissen Grade beliebig 297 und daher auch als wenig praktikabel 298 . Wenig überzeugend ist auf der anderen Seite aber auch das Argument, es komme bereits allein deswegen auf das Selbstverständnis eines Staates an, da man keinen Staat zwingen könne, sich als identisch oder nicht-identisch zu betrachten 299. Diese eher faktische und machtpolitisch orientierte Betrachtungsweise lenkt den Blick auf ein weiteres nicht zu vernachlässigendes Kriterium, das Merkmal der Effektivität 300 . Die Auffassung von der Kontinuität oder Diskontinuität eines Staatswesens bedarf zu ihrer effektiven Durchsetzung der Zustimmung der Völkerrechtsgemeinschaft, d. h. sie muß mit der Rechtsansicht der überwiegenden Mehrheit der übrigen Völkerrechtssubjekte übereinstimmen 301. Denn für die völkerrechtliche Identitätsfeststellung kommt nach geltendem Völkerrecht der „Auffassung" eines Einzelstaates, d. h. seiner Verfassungsrechtsordnung keine ausschließliche Bedeutung zu 302 . Dieser Gesichtspunkt findet seine Ausprägung in der unbestrittenen völkerrechtlichen Identitätsregel, daß Veränderungen der Verfassung eines Staates selbst im Wege der Revolution oder eines Staatsstreiches die völkerrechtliche Identität eines Staates nicht beeinträchtigen können303. Legitimi-

297

Fiedler, Staatskontinuität und Verfassungsrechtsprechung, S. 70, weist daraufhin, daß Legitimitätsgesichtspunkte, die im innerstaatlichen Recht vorherrschen, im Völkerrecht weder vorgegeben noch rechtlich ausgeformt sind und der „klassische" Identitätssatz daher von der Austauschbarkeit legitimierender Wertvorstellungen ausgehe. Ähnlich Schuster, Deutschlands staatliche Existenz, S. 36 ff. 298 So meint etwa Dürig, VVDStRL 13 (1955), S. 27 (52, dort Fußn. 81), die Legitimität der Identitätsansprüche sei am Maßstab von Art. 79 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (Achtung der Menschenwürde) und Art. 20 Abs. 2 GG (Legitimierung der staatlichen Herrschaft im Volkswillen) zu messen. 299

So aber Kimminich, DVB1. 1973, S. 657 (662).

300

Dazu allgemein Krüger, in: Festschrift Spiropoulos, S. 265 ff. Wilke, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, S. 36 f., weist in diesem Zusammenhang auf die Parallele in Art. 38 Abs. 1 lit. c IGHStatut hin. Nach Dahm, Völkerrecht, Bd. I, ist der Staat im internationalen Rechtsleben das, wofür man ihn hält. - Vgl. zur Bedeutung der Bewertung durch die Staatengemeinschaft für die Annahme von Identität auch O. Dörr, Die Inkorporation als Tatbestand der Staatensukzession, S. 165 ff. 301

302 303

Fiedler, Staatskontinuität und Verfassungsrechtsprechung, S. 59.

So bereits Grotius, Vom Recht des Krieges und des Friedens, II, 9. Kap., VIII, S. 226; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 390 f.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1/1, S. 138 ff.; Fiedler, Staatskontinuität und Verfassungsrechtsprechung, S. 39 ff.; Brownlie, Principles of Public International Law, S. 82.

2. Kapitel: Gesetzgebungsverfahren bei paktierten Verfassungsänderungen

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tätsgesichtspunkte, die im innerstaatlichen Recht vorherrschen 304, können im Völkerrecht nur wirksam werden, wenn ihnen im konkreten Fall zur Durchsetzung verholfen wird 305 . Bei einer solchen durchaus pragmatischen Sicht zeigt sich, wie Karl Doehring zutreffend festhält, daß die Kontinuität eines Staates, die Frage also nach seinem Untergang, sich maßgeblich nach den Regeln des Völkerrechts bestimmt306. Würde man im Hinblick auf die Identität der Staatsgewalt allein auf das Selbstverständnis eines Staates abstellen, so hätte man der DDR, wie Eckart Klein hervorgehoben hat 307 , nicht entgegentreten können, wenn sie sich eines Tages wieder zur Identität mit dem Deutschen Reich bekannt hätte. Dies gilt freilich nur unter der Voraussetzung, daß sich ein solches identitäres Selbstverständnis mit der Auffassung der überwiegenden Mehrheit der übrigen Völkerrechtssubjekte deckt und effektiv durchsetzt. Auf völkerrechtlicher Ebene ist dabei zu beachten, daß ein Austausch des staatlichen Selbstverständnisses und eine damit verbundene Abkehr vom bisherigen Verhalten aus Gründen des Vertrauensschutzes schwierig durchzusetzen ist 308 . Die sich dann in beiden deutschen Staaten manifestierende (Teil-)Identität mit dem sich dualistisch fortsetzenden Deutschen Reich 309 hätte weder nach innen noch im Verhältnis zu dritten Staaten zu unaufhebbaren Widersprüchen geführt. Eine Verfilzung von Bundesrepublik Deutschland, Deutscher Demokratischer Republik und deutschem Gesamtstaat im Sinne einer gegenseitigen Zurechnung staats- oder völkerrechtlichen Handelns310 wäre aufgrund des nur begrenzten Verständnisses von Identität nicht zu befürchten gewesen311. Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, daß die Identität der Bundesrepublik Deutschland mit dem deutschen Gesamt304

Vgl. etwa Dürig, VVDStRL 13 (1955), S. 27 (52, dort Fußn. 81).

305

Fiedler, Staatskontinuität und Verfassungsrechtsprechung, S. 70.

306

Doehring, Allgemeine Staatslehre, Rdnr. 130.

307

E. Klein, in: Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr., Bd. XXV (1975), S. 23 (27). 308

Schmidt-Jortzig, DVB1. 1975, S. 65 (67 ff.); E. Klein, Die territoriale Reichweite des Wiedervereinigungsgebotes, S. 11; Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 97. 309 Krüger, Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik, S. 15 ff., spricht von einem „Staat der dualistischen Einheit" (S. 20) und von einer „dualistischen Einheitsstruktur" (S. 16). 310

Von dieser Annahme geht Rumpf, ZfP 1975, S. 111 (136), zu Unrecht aus.

311

Schiedermair, in: Festschrift Zeidler, Bd. 2, S. 1031 (1048); E. Klein, in: Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr., Bd. XXV (1975), S. 23 (27); Dolzer, Die Verantwortlichkeit für die Hinterlassenschaft der DDR, in: HStR VIII, §195 Rdnr. 32; Isensee, Rechtsstaat - Vorgabe und Aufgabe der Einung Deutschlands, in: HStR IX, § 202 Rdnr. 102. 6 Haratsch

82

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

Staat hinsichtlich der Staatsgewalt und des Staatsvolkes eine ausschließliche ist, ist daher m. E. nicht unbedingt zwingend. Fraglich ist erstens, ob nach der Abkehr der Deutschen Demokratischen Republik vom fortexistierenden Deutschen Reich (1951/52) mit der revolutionären Wende in den Jahren 1989/90 ein derartiges (teil-)identitäres Selbstverständnis in der DDR gewachsen ist, und zweitens, ob die Völkerrechtsgemeinschaft mit dieser Sicht weitgehend konform gegangen ist. Mit der Beitrittserklärung vom 23. August 1990 zum Geltungsbereich des Grundgesetzes312 der Bundesrepublik Deutschland313, das gemäß seiner durch den Einigungsvertrag i.V.m. dem Einigungsvertragsgesetz geänderten Präambel 314 feststellt, daß nunmehr die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet ist, hat sich die Deutsche Demokratische Republik wieder zum deutschen Gesamtstaat in der Form der (teil-)identischen Bundesrepublik Deutschland bekannt. Dies kann allenfalls so gedeutet werden, daß die Deutsche Demokratische Republik mit dem Wirksamwerden des Beitritts zur Bundesrepublik Deutschland in der logischen Sekunde vor ihrem Untergang als Völkerrechtssubjekt nach eigenem Selbstverständnis (teil-)identisch mit diesem deutschen Gesamtstaat geworden ist, bevor sie in ihm aufgegangen ist. Eine (Teil-)Identität bereits mit der Abgabe der Beitrittserklärung am 23. August 1990 anzunehmen, erscheint angesichts der von der Völkerrechtsgemeinschaft allgemein akzeptierten über dreißigjährigen Negation des Deutschen Reiches seitens der DDR nicht sachgerecht.

312

Lerche, Der Beitritt der DDR - Voraussetzungen, Realisierung, Wirkungen, in: HStR VIII, § 194 Rdnr. 41, weist zutreffend daraufhin, daß die Fassung der Beitrittserklärung nicht ganz präzise ist, da dem Staate, d. h. der Bundesrepublik Deutschland beigetreten wird und nicht zum Geltungsbereich des Grundgesetzes; ebenso Rauschning, Die nationalen und die internationalen Prozeduren zur Herstellung der Staatseinheit, in: HStR VIII, § 188 Rdnr. 59; H. Meyer, KritV 1993, S. 399 (401, dort Fußn. 7); H. H. Klein, Kontinuität des Grundgesetzes und seine Änderung im Zuge der Wiedervereinigung, in: HStR VIII, § 198 Rdnr. 3. 313

Beschluß der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik über den Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland v. 23. August 1990, GBl. DDR 1990 I S. 1324. 314

Vgl. Art. 4 Nr. 1 EinigungsV.

2. Kapitel: Gesetzgebungsverfahren bei paktierten Verfassungsänderungen b) Folgen für die staats- und völkerrechtliche

83

Einordnung

des Einigungsvertrages aa) Die Staatsqualität der Deutschen Demokratischen Republik Auf dem Boden dieser Erkenntnisse ist die Frage, ob die DDR ein auswärtiger Staat im Sinne von Art. 59 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG war, zumindest hinsichtlich ihrer Staatsqualität zu bejahen. Dies gilt um so mehr, als unter dem Begriff der auswärtigen Staaten nicht nur Staaten im eigentlichen Sinne, sondern grundsätzlich alle Völkerrechtssubjekte 315, also neben den Staaten ein Großteil der internationalen Organisationen, de facto-Regime, Exilregierungen oder auch völkerrechtsfähige Gliedstaaten von Bundesstaaten zu verstehen sind 316 . Entscheidend ist allein, daß der Vertragspartner über eine vom Völkerrecht anerkannte Rechts- und Handlungsfähigkeit verfügt 317 . Die Völkerrechtsfähigkeit der DDR stand beim Abschluß des Einigungsvertrages nicht in Frage 318 . Spätestens mit der Regierungserklärung von Bundeskanzler Willy Brandt vom 28. Oktober 1969319, in der er ausdrücklich von der Existenz von „zwei Staaten in Deutschland" spricht, ging auch die offizielle Bonner Politik von einer gewissen völkerrechtlichen Rechts- und Handlungsfähigkeit der DDR aus, auch wenn eine völkerrechtliche Anerkennung durch die Bundesregierung nicht

315

Zu Begriff und Arten der Völkerrechtssubjekte vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 375 ff.; Hailbronner, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Rdnrn. 1 ff. 316 BVerfGE 1, 351 (366 f.); BVerfGE 2, 347 (374); Kewenig, in: Doehring/Kewenig/Ress, S. 97; Ress, Die Anwendbarkeit des Artikels 59 Grundgesetz auf Verträge zwischen der BRD und der DDR, in: Doehring/Ress, Die parlamentarische Zustimmungsbedürftigkeit von Verträgen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, S. 19 (20); Reichel, Die auswärtige Gewalt nach dem Grundgesetz, S. 86; Rojahn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 2. Bd., 3. Aufl., Art. 59 Rdnrn. 18, 12; F. Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 59 Rdnrn. 4, 14; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 59 Rdnr. 8; Kunig, Völkerrecht und staatliches Recht, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, Rdnr. 83. 317

BVerfGE 2, 347 (374).

318

Zur Völkerrechtssubjektivität der DDR vgl. BVerfGE 36, 1 (22 ff.) - Grundlagenvertrag; Ress, Die Rechtslage Deutschlands, S. 214 ff; Kewenig, in: Doehring/Kewenig/Ress, S. 98; R. Wittkowski, Die Staatensukzession in völkerrechtliche Verträge, S. 178 f.; Kimminich, DVB1. 1970, S. 437 (439 ff.); G. Hoffmann, Die deutsche Teilung, S. 25 ff.; Blumenwitz, Die Grundlagen eines Friedensvertrages mit Deutschland, S. 115. 319 Bundeskanzler Brandt, Bull.BReg. 1969, Nr. 132, S. 1121 (1122). Siehe dazu Ress, Grundlagen und Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen, in: HStR I, § 11 Rdnrn. 30 f.

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1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

in Betracht kam 320 . Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum Grundlagenvertrag 321 die DDR als Staat im Sinne des Völkerrechts und demzufolge als Völkerrechtssubjekt qualifiziert und zwar unabhängig von einer völkerrechtlichen Anerkennung durch die Bundesrepublik Deutschland. Dies ist ein Befund, an dem spätestens seit der Aufnahme beider deutscher Staaten in die Vereinten Nationen am 18. September 1973322 kein Zweifel mehr bestehen konnte 323 , auch wenn der Beitritt nur in Verbindung mit einer gemeinsamen Erklärung der Vier Mächte 324 möglich war, in der die verminderte Souveränität der beiden deutschen Staaten unter der fortbestehenden Vier-Mächte-Verantwortung für Deutschland als Ganzes betont wurde. Aus der Tatsache, daß es sich bei den Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland um „inter-se-Beziehungen" handelte325, folgt nichts für oder gegen die Anwendbarkeit des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG auf einen Vertrag mit der Deutschen Demokratischen Republik und damit auf den Einigungsvertrag. Denn auch inter-se-Beziehungen 326 können, wenn eine staatsrechtliche Ordnung wegen der Desorganisation des Gesamtstaates fehlt, in einem völkerrechtlichen Vertrag geregelt werden 327. Das besondere rechtliche Verhältnis zwischen beiden deut-

320

Vgl. R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 49.

321

BVerfGE 36, 1 (22) - Grundlagenvertrag.

322

Zur Aufnahme beider deutschen Staaten in die Vereinten Nationen vgl. Bruns, Die Uneinigen in den Vereinten Nationen. Bundesrepublik Deutschland und DDR in der UNO, S. 19 ff. 323

Doehring, Die Anwendung der Regeln der völkerrechtlichen Sukzession nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, in: Wildenmann (Hrsg.), Nation und Demokratie, S. 11. 324

Erklärung der Regierungen Frankreichs, Großbritanniens, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika betreffend die Rechte und Veranwortlichkeiten der Vier Mächte in Deutschland v. 9. November 1972, Bull.BReg. 1972, Nr. 157, S. 1884; zum „Minderstatus" beider deutschen Staaten in den Vereinten Nationen vgl. Ress, Grundlagen und Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen, in: HStR I, § 11 Rdnr. 45. 325 BVerfGE 36, 1 (23 f.) - Grundlagenvertrag. Zu deren rechtlicher Einordnung vgl. den Überblick bei Mahnke, ROW 1979, S. 137 ff. 327

BVerfGE 36, 1 (24) - Grundlagenvertrag. Α. A. jedoch Scheuner, DÖV 1973, S. 581 (583), der die Annahme von inter-se-Beziehungen aufgrund der klaren Ablehnung, die jede Fortsetzung staatsrechtlicher Beziehungen zwischen den deutschen Staaten durch die DDR erfuhr, für rechtlich nicht begründet hält. Dagegen weist E. Klein, Die rechtliche Qualifizierung der innerdeutschen Grenze, in: Zieger (Hrsg.), Fünf Jahre Grundvertragsurteil des Bundesverfassungsgerichts, S. 95 (105 f.), m. E. zu Recht darauf hin, daß die besonderen Beziehungen nicht notwendig vom Einverständnis der

2. Kapitel: Gesetzgebungsverfahren bei paktierten Verfassungsänderungen

85

sehen Staaten war dadurch charakterisiert, daß es neben völkerrechtlichen Beziehungen im Hinblick auf die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte und der damit verbundenen Nichtendgültigkeit der Teilung Deutschlands auch staatsrechtliche Beziehungen als fortbestehend umfaßte 328. Die von Ulrich Scheuner aufgestellte Behauptung, daß die Rechtsbasis eines Vertrages nur in einem der Bereiche, entweder im Völkerrecht oder im Staatsrecht angesiedelt werden könne 329 , ist daher nicht aufrechtzuerhalten. Der durch seine politische und territoriale Nichtendgültigkeit geprägte Status Deutschlands bestimmte sich vor der Vereinigung beider deutscher Staaten durch eine Gemengelage von Staats- und Völkerrecht 330 . Selbst wenn man in der Deutschen Demokratischen Republik keinen Staat, sondern ein de facto-Regime sähe, bliebe dies ohne Einfluß auf die Anwendbarkeit des Art. 59 GG auf völkerrechtliche Verträge mit ihr 331 , da auch stabilisierte de facto-Regime die in Art. 59 GG vorausgesetzte Völkerrechtssubjektivität besitzen332.

Betroffenen abhängig sind, sondern sich als Ergebnis eines objektiven Befundes darstellen. 328

Ress, Grundlagen und Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen, in: HStR I, § 11 Rdnrn. 31 und 49; ders., Die Rechtslage Deutschlands, S. 298 f.; Frowein, in: Benda/Maihofer/Vogel (1. Aufl.), S. 29 (40); Dolzer, Die rechtliche Ordnung des Verhältnisses der Bundesrepublik Deutschland zur Deutschen Demokratischen Republik, in: HStR I, § 12 Rdnr. 31. 329

Scheuner, DOV 1973, S. 581 (583), unter Berufung auf eine im Sinne der Vollzugslehre (siehe dazu o. S. 36, Fußn. 48) gemäßigte dualistische Konzeption. 330 E. Klein, Die rechtliche Qualifizierung der innerdeutschen Grenze, in: Zieger (Hrsg.), Fünf Jahre Grundvertragsurteil des Bundesverfassungsgerichts, S. 95 (105 f.); Ress, Grundlagen und Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen, in: HStR I, Rdnr. 49; Fiedler, AVR 31 (1993), S. 333 (333 f.). Demgegenüber kommt Bernhardt, VVDStRL 38 (1980), S. 7 (24), zu dem Ergebnis, daß eine solche Gemengelage „nicht mit Sicherheit nachweisbar ist". - Kimminich, Die Eigentumsgarantie im Prozeß der Wiedervereinigung, S. 15, ist der Auffassung, die These vom Doppelcharakter der (vertraglichen) Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland sei im völkerrechtlichen Raum unbrauchbar, denn ein völkerrechtlicher Vertrag mit staatsrechtlichem Inhalt bleibe ein völkerrechtlicher Vertrag. 331

Ress, Die Anwendbarkeit des Artikels 59 Grundgesetz auf Verträge zwischen der BRD und der DDR, in: Doehring/Ress, Die parlamentarische Zustimmungsbedürftigkeit von Verträgen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, S. 19 (48, 62). 332

Verdross/Simma, recht, § 8 Rdnr. 13.

Universelles Völkerrecht, § 405; Epping, in: K. Ipsen, Völker-

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1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

bb) Die Auswärtigkeit der Deutschen Demokratischen Republik War die DDR im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland niemals Ausland, fällt es schwerer zu begründen, daß sie ein auswärtiger Staat im Sinne von Art. 59 Abs. 1 Satz 2 GG und § 82 Abs. 2 GO BT war. Dennoch sind solche Versuche unternommen worden. Aus dem Blickwinkel der Schrumpfstaatstheorie ist dieses Verständnis konsequent. Danach ist hat sich das Deutschland in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 durch das Ausscheiden der DDR und der Gebiete jenseits der OderNeiße-Linie entsprechend territorial verändert. Sein Staatsgebiet ist zusammengeschrumpft und umfaßt lediglich noch das Territorium der Bundesrepublik Deutschland333. Der Begriff „Deutschland", wie das Grundgesetz ihn verwendet, muß dann freilich als außerrechtliche, d. h. sprachliche, ethnologische oder kulturgeschichtliche Größe verstanden werden 334. Die DDR wäre dann zwar ein zweiter Staat in Deutschland, sie hätte sich aber als Völker- und staatsrechtlich von der deutschlandidentischen Bundesrepublik verschiedenes, eigenständiges Rechtssubjekt und mithin als auswärtiger Staat im Sinne von Art. 59 Abs. 1 Satz 2 GG dargestellt 335. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Georg Ress mit seiner Auffassung, der Terminus des „auswärtigen Staates" sei bedeutungsgleich mit „fremd" und das Adjektiv „auswärtig" verweise auf jeden von der Bundesrepublik Deutschland geschiedenen Jurisdiktionsbereich 336. „Auswärtig" sei daher nicht unbedingt gleichbedeutend mit „ausländisch"337. Diese begriffliche Unterscheidung ist jedoch wenig plausibel338. Verläßt man den Boden der wenig überzeugenden - und von den geschichtlichen Ereignissen mittlerweile überholten - Schrumpfstaatstheorie mit ihrem außerrechtlichen Deutschlandbegriff, wird man zu einer engeren Definition von Auswärtigkeit gelangen. So erfüllt für Ulrich Fastenrath diesen Begriff jede 333

Schmidt-Jortzig,

DVB1. 1975, S. 65 (70 f.).

334

Schmidt-Jortzig,

DVB1. 1975, S. 65 (72).

335

Schmidt-Jortzig,

DVB1. 1975, S. 65 (73).

336

Ress, Die Anwendbarkeit des Artikels 59 Grundgesetz auf Verträge zwischen der BRD und der DDR, in: Doehring/Ress, Die parlamentarische Zustimmungsbedürftigkeit von Verträgen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, S. 19 ff., 61; zustimmend Borchmann, ROW 1984, S. 277 (280); Rojahn, in: v. Münch (Hrsg.), GG, 2. Bd., 2. Aufl., Art. 32 Rdnr. 11; vgl. dazu auch Kewenig, in: Doehring/Kewenig/Ress, S. 98 ff. m.w.N. 337 Ill

Borchmann, ROW 1984, S. 277 (279). Vgl. dazu etwa Hömig, JZ 1973, S. 202 (203 f.).

2. Kapitel: Gesetzgebungsverfahren bei paktierten Verfassungsänderungen

87

Person oder Korporation „außerhalb einer deutschen Hoheitssphäre" 339. Dieser Definition zufolge war die DDR kein auswärtiger Staat. Dies ist m. E. zutreffend. Der Deutschlandbegriff des Grundgesetzes war zu keiner Zeit ein außerrechtlicher. Mit Deutschland beschreibt das Grundgesetz immer den deutschen Gesamtstaat - bis zur Wiedervereinigung den deutschen Gesamtstaat in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 - und nicht nur eine sprachliche, ethnologische oder kulturgeschichtliche Größe. Ganz in diesem Sinne fuhrt das Bundesverfassungsgericht aus, daß der Begriff des „deutschen Nation" als Synonym für das deutsche Staatsvolk verstanden werden müsse. Verstecke sich dagegen hinter dieser Formel nur noch der Begriff einer im Bewußtsein der Bevölkerung vorhandenen Sprach- und Kultureinheit, dann wäre das rechtlich die Aufgabe einer unverzichtbaren Rechtsposition340. Die Völkerrechtssubjektivität an sich ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Subsumtion unter den Begriff des „auswärtigen Staates". Ihre Völkerrechtssubjektivität vermittelte der DDR die Rechtsfähigkeit in den zwischenstaatlichen Beziehungen; dies bedeutete aber nicht, daß dieser Staat deswegen gegenüber der Bundesrepublik ein „auswärtiger" sein mußte341. Ganz im Gegenteil liegt es - auch semantisch - viel näher, die Begriffe „auswärtig" und „ausländisch" gleichzusetzen342. Im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland konnte aber die Deutsche Demokratische Republik als Teil Deutschlands nicht als Ausland angesehen werden 343. Aus dieser NichtAuslandseigenschaft ist konsequent der Schluß zu ziehen, daß die Deutsche Demokratische Republik gerade kein „auswärtiger" Staat sein konnte 344 .

339 340

Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, S. 83.

BVerfGE 36, 1 (19) - Grundlagenvertrag; vgl. dazu Quaritsch, Wiedervereinigung in Selbstbestimmung - Recht, Realität, Legitimation, in: HStR VIII, §193 Rdnrn. 42 ff. 341 So zutreffend Blumenwitz, ROW 1985, S. 190 (192). 342

Blumenwitz, ROW 1985, S. 190 (192); so auch E. Klein, in: Gedächtnisschrift Geck, S. 467 (477); vgl. dazu auch Gebauer, Zuständigkeitsgrenzen und Völkerrechtserheblichkeit beim Abschluß von „national-internen" Verträgen und Verwaltungsabkommen durch ein Bundesland, S. 31 ff. 343 BVerfGE 11, 150 (158); BVerfGE 36, 1 (17) - Grundlagenvertrag; BVerfGE 37, 57 (64); BVerfGE 82, 316 (320); vgl. auch BVerfGE 18, 353 (354), wonach der innerdeutsche Handel nicht Außenhandel, d. h. Handel mit Angehörigen fremder Staaten war. 344 v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 32 Anm. III 3 d; Kraus, AVR 3 (1951/52), S. 415; Blumenwitz, ROW 1985, S. 190 (192); E. Klein, in: Gedächtnisschrift Geck, S. 467 (477); Bernhardt, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, in: HStR VII, § 174 Rdnr. 13.

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1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

Es trifft zwar zu, daß die DDR für die Bundesrepublik Deutschland kein auswärtiger Staat war, zu weit gehend erscheint jedoch die Annahme, daraus auch zugleich auf die Unanwendbarkeit des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG und damit des § 82 Abs. 2 GO BT auf Verträge zwischen der Bundesrepublik und der DDR schließen zu können345. Teilweise wurde immerhin eine analoge Anwendung des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG auf Verträge der Bundesrepublik mit der DDR für möglich gehalten346. Einer nur entsprechenden Anwendung dieser Bestimmung bedurfte es jedoch gar nicht. Auffallend ist, daß das Grundgesetz den Anwendungsbereich des Art. 59 Abs. 2 Satz 1, anders als in Art. 32 GG und Art. 59 Abs. 1 Satz 2 GG, seinem Wortlaut nach nicht auf Verträge „mit auswärtigen Staaten" beschränkt 347. Die Streichung dieses, in der Entwurfsfassung noch enthaltenen Zusatzes erfolgte mit dem ausdrücklich bekundeten Ziel, Konkordate ebenfalls der parlamentarischen Zustimmung zu unterwerfen, sofern sie sich auf Gegenstände der Gesetzgebung beziehen348. Eine allein historische Auslegung des Begriffs „Verträge" in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG könnte es daher nahelegen, darunter alle Verträge mit auswärtigen Staaten plus Konkordate zu verstehen. Eine wortlautorientierte Auslegung spräche hingegen dafür, alle völkerrechtlichen Verträge zu erfassen ohne Rücksicht auf die Auswärtigkeit oder die Staatsqualität des Vertragspartners. Eine systematische Interpretation liefert wiederum ein ambivalentes Ergebnis. Die systematische Stellung des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nach Art. 59 Abs. 1 Satz 2 GG, der sich ausdrücklich auf „Verträge mit auswärtigen Staaten" bezieht, könnte darauf schließen lassen, daß auch Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG derartige Vereinbarungen meint 349 . Die systematische Zusammenschau könnte andererseits aber auch dazu führen, gerade wegen des Fehlens des Zusatzes „mit auswärtigen Staaten" einer weiteren Auslegung des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG den Vorzug zu geben350.

345

So aber v. Mangoldt/Klein,

GG, Art. 32 Anm. III 3 d; Kraus, AVR3 (1951/52),

S. 415. Bernhardt, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, in: HStR VII, § 174 Rdnr. 13. 347

Blumenwitz, ROW 1985, S. 190 (193).

348

v. Doemming/Füßlein/Matz, JöRN.F., Bd. 1 (1951), S. 1 (416); Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, S. 102 f.; a. A. v. Schenck, DÖV 1966, S. 299 (304), der es für möglich hält, daß die Streichung allein, um eine Wiederholung zu vermeiden, also aus redaktionellen Gründen erfolgt ist. 349

Diese Ansicht vertreten etwa Rojahn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 2. Bd., 3. Aufl., Art. 59 Rdnr. 18; Hömig, JZ 1973, S. 202 (205).

2. Kapitel: Gesetzgebungsverfahren bei paktierten Verfassungsänderungen

89

Gerade die letzte Überlegung ist m. E. ausschlaggebend. Das bewußte Abweichen des Wortlauts des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG von der Formulierung des Absatzes 1 Satz 2 und auch von Art. 32 Abs. 1 und 3 GG macht deutlich, daß eine unterschiedliche Regelungsweite beabsichtigt ist. Aus der systematischen Stellung beider Absätze des Art. 59 GG folgt zwingend nur, daß zumindest diejenigen Verträge, die als Verträge mit auswärtigen Staaten unter Absatz 1 subsumiert werden können, auch nach Absatz 2 zustimmungsbedürftig sein sollen, sofern dessen weitere Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind 351 . Auch Sinn und Zweck des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG lassen eine Beschränkung nur auf Verträge mit auswärtigen Staaten nicht geboten erscheinen. Einerseits sollen die für die Bundesgesetzgebung zuständigen Organe beim Abschluß von Verträgen beteiligt werden, weil langfristige grundsätzlich unauflösbare Bindungen völkerrechtlicher Art einer parlamentarischen Abstützung und Kontrolle bedürfen 352 . Andererseits spricht das Vertragsgesetz zugleich die Geltungsanordnung für den innerstaatlichen Bereich aus353. Es ist nicht einsichtig, warum diese Funktionen eines Vertragsgesetzes nur auf völkerrechtliche Verträge mit auswärtigen Staaten beschränkt sein sollen. Folgerichtig weicht auch des Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Grundlagenvertrag mit der DDR von der strengen begrifflichen Kopplung mit Art. 59 Abs. 1 Satz 2 GG ab und meint, Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG sei auf alle völkerrechtlichen Verträge anwendbar, die die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, „gleichgültig ob der als Vertragspartner beteiligte Staat nach dem Recht des Grundgesetzes Ausland ist oder nicht" 354 . Für eine derartige Ausle-

350

Diese Auffassung vertreten etwa Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, S. 103; F. Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 59 Rdnrn. 4 f. 351

So auch Reichel, Die auswärtige Gewalt nach dem Grundgesetz, S. 85.

352

BVerfGE 36, 1 (13) - Grundlagenvertrag; BVerfGE 68, 1 (88); Zuleeg, in: AKGG, Art. 59 Rdnr. 35; Reichel, Die auswärtige Gewalt nach dem Grundgesetz, S. 72; Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, S. 200; Weiß, Auswärtige Gewalt und Gewaltenteilung, S. 110; Grewe, VVDStRL 12 (1954), S. 129 (154 und 174); Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 504 f. 353 BVerfGE 1, 396 (411); Zuleeg, in: AK-GG, Art. 59 Rdnr. 36; Maunz, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 59 Rdnr. 25; Rojahn, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 2. Bd., 3. Aufl., Art. 59 Rdnrn. 32 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 505 f. 354

BVerfGE 36, 1 (13) - Grundlagenvertrag; zustimmend E. Klein, in: Gedächtnisschrift Geck, S. 467 (476, dort Fußn. 44); Scheuner, DÖV 1973, S. 581; Böhmer, AnwBl 1991, S. 456 (459); Leibholz/RinckJHesselberger, GG, Art. 59 Rdnr. 57; F. Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 59 Rdnrn. 4, 14; Doehring, Das Staats-

90

1. Teil: Die Einfügung des Art. 135a Abs. 2 in das Grundgesetz

gung von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG spricht auch § 82 Abs. 2 GO BT, dessen Wortlaut zwischen Verträgen mit auswärtigen Staaten und ähnlichen Verträgen im Sinne von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG differenziert. Auf die Auslandseigenschaft des Vertragspartners kommt es danach nicht an. Bestätigt hat das Bundesverfassungsgericht die im Grundlagenvertragsurteil eingeschlagene Linie in einer Entscheidung zum Einigungsvertrag, in der klargestellt wird, daß mit der Vereinbarung des Einigungsvertrages „nicht Kompetenzen der auswärtigen Gewalt" wahrgenommen werden, aber dennoch das Parlament in der Form eines Vertragsgesetzes nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG mitzuwirken hat 355 . Damit steht fest, daß in den Anwendungsbereich des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ungeachtet der Nicht-Auslandseigenschaft und Nicht-Auswärtigkeit auch Verträge mit der Deutschen Demokratischen Republik fallen 356 .

2. Politische Beziehungen des Bundes oder Gegenstände der Gesetzgebung Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG und damit § 82 Abs. 2 GO BT können konkret auf den Einigungsvertrag freilich nur dann Anwendung finden, wenn es sich um einen Vertrag handelt, der die politischen Beziehungen des Bundes regelt oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung bezieht. Verträge, die die politischen Beziehungen des Bundes regeln, sind Verträge, die nach Inhalt und Zweck wesentlich und unmittelbar die Existenz des Staates, seine territoriale Integrität, seine Unabhängigkeit, seine Stellung oder sein maßgebliches Gewicht innerhalb der Staatengemeinschaft betreffen 357. Das ist für

recht der Bundesrepublik Deutschland, S. 194, dort Fußn. 2; anders aber wohl noch BVerfGE 1, 351 (366), wo es heißt, daß sich Art. 59 GG „nur auf Verträge mit auswärtigen Staaten" bezieht (Hervorhebungen vom Verfasser), und BVerfGE 2, 347 (374). 355

BVerfGE 82,316(320).

356

BVerfGE 84, 90 (113, 118) - Bodenreform. So auch die Enquete-Kommission Verfassungsreform des Deutschen Bundestages in ihrem Schlußbericht, BT-Drs. 7/5924, S. 232; E. Klein, in: Gedächtnisschrift Geck, S. 467 (476); Blumenwitz, ROW 1985, S. 190 (193); Doehring, Bindungen der Bundesrepublik Deutschland an das Grundgesetz bei Abschluß des Einigungsvertrages mit der DDR (A) und die Bestandskraft des Einigungsvertrages (B), in: Wildenmann (Hrsg.), Nation und Demokratie, S. 21. - Stern, Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit, in: Stern/Schmidt-Bleibtreu, Bd. 2, S. 3 (39), geht von einer lediglich analogen Anwendung des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 Satz GG aus. 357

BVerfGE 1, 372 (382); BVerfGE 90, 286 (359); Grewe, Auswärtige Gewalt, in: HStR III, § 77 Rdnr. 58; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 59 Rdnr. 10; Zuleeg, in: AK-GG, Art. 59 Rdnr. 28; Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnr. 164; Steinberger, Auswär-

2. Kapitel: Gesetzgebungsverfahren bei paktierten Verfassungsänderungen

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den Einigungsvertrag zu bejahen358. Durch die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Grundgesetzes auf das Gebiet der DDR regelt er die Stellung Deutschlands in der Staatengemeinschaft in einem essentiellen Sinne359. Weiter fallen unter Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG alle Verträge, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen. Trotz des Verweises auf den £wfl