Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG [1 ed.] 9783428494101, 9783428094103

Die Autorin untersucht umfassend Hintergründe und Auswirkungen der Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger in

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Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG [1 ed.]
 9783428494101, 9783428094103

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KATARINA BARLEY

Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera und Detlef Merten

Band 55

Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG Von Katarina Barley

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Barley, Katarina:

Das Kommunalwahlrecht für Ausländer nach der Neuordnung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG / von Katarina Barley. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum europäischen Recht; Bd. 55) Zug!.: Münster, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09410-7

D6 Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany

© 1999 Duncker &

ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-09410-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@

Meinen Eltern

Vorwort Diese Arbeit hat der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Inaugural-Dissertation vorgelegen. Bedanken möchte ich mich bei meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Bodo Pieroth, tUr seine vielfältige Unterstützung, auch bei der Arbeit am Lehrstuhl. Herrn Prof. Dr. Hans D. Jarass gilt mein Dank fi1r die Übernahme des Zweitgutachtens und seine konstruktiven Anregungen. Einen großen Anteil an dem Zustandekommen dieser Arbeit haben meine Eltern, die mich stets ermutigt haben und auf deren Hilfe ich mich immer verlassen konnte. Dasselbe gilt· fi1r meinen Mann Antonio, dem ich fi1r seine Geduld und Unterstützung in jeder Lebenslage danke. Ein ganz großer Dank gebührt meinem Sohn Frederic, der mir durch seine pünktliche Geburt genug Zeit ließ, die Arbeit zu beenden und den weiteren Verlauf durch sein sonniges Wesen so angenehm gestaltete. Dankend erwähnen möchte ich schließlich auch die Hilfe durch meinen Bruder Christian und meine weltliebsten Freundinnen und Freunde. Ohne Euch, Euren Zuspruch und Eure Hilfe, besonders bei der Kinderbetreuung, hätte alles viel weniger Spaß gemacht! Trier, im August 1998 Katarina Bar/ey

Inhaltsverzeichnis A. Einf"ührung .... ... .... ............. ...... ............ ........... .................. .......... .... .......... .......... ... 17 I. Problemstellung ................. ............ ........... .................. ...... ...... ...... ...... .......... ... 17 1. Möglichkeiten der politischen Beteiligung von Ausländern....................... 18 2. Beispiele und Erfahrungen anderer europäischer Staaten........................... 20 11. Terminologie.................................................................................................... 22

B. Die Ausgangslage: Bestimmung des Kommunalwahlvolks vor der Einführung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG........................................................................... 24 I. Der Volksbegriff des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG .... ...... .................. ...... .... ...... ...... 1. Auslegung des Wortlauts ............................................................................ 2. Historisch-genetische Auslegung................................................................ 3. Systematisch-teleologische Auslegung ....................................................... a) Demokratieprinzip des Grundgesetzes .................... ............................... b) Normzusammenhang ...... ................. ......... ......... ...... ........ ...... ................. 4. Zwischenergebnis ......... ...... ................. .................... ............ ...... ........... ......

24 24 26 28 28 30 32

11. Der Volksbegriff des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG .................................................. 1. Auslegung des Wortlauts ............................................................................ 2. Historisch-genetische Auslegung............ .................. ...... ...... ........ .............. 3. Systematisch-teleologische Auslegung.......................................................

33 33 34 35

111. Ergebnis ........................................................................................................... 38

C. Der Entstehungshintergrund des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG .................................. 39 I. Das Kommunalwahlrecht rur Ausländer im deutschen Recht............ ....... ....... 1. Vorstöße der Länder Bremen, Hamburg und Schieswig-Hoistein ... .... ....... 2. Exkurs: Kommunalwahlrecht rur Ausländer in der DDR.. ........ ....... ...... .... 3. Die Beratungen in der Gemeinsamen Verfassungskommission .................. a) Die Auseinandersetzung der politischen Parteien................................... b) Die unterschiedlichen Ansätze der Bundesländer... ............. ........ ...........

39 39 41 43 43 45

11. Entwicklung auf europäischer Ebene.......... .... ........ .... ...... ........ ................. ...... 1. Richtlinienvorschläge der EG-Kommission 1988 und 1989 ....................... 2. Maastrichter Verträge über die Europäische Union .................. .... ...... ........ 3. Richtlinie 94/80lEG vom 19.12.1994 ............................... :.........................

46 47 48 50

D. Regelungsgehalt' des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV....... 53 I. Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft...... ...... ............... ........... 53

10

Inhaltsverzeichnis 1. Keine Beschränkung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG auf die Funktion einer reinen Öffnungsklausel.... ........................ .................................... ................ 2. Zeitliche Komponente....... ................ ................. ..................... ........ ............ 3. Maßgebliches Gemeinschaftsrecht.............................................................. a) Art. 8 b Abs. 1 EGV ...... .............. .................................... .. .. .......... ......... aa) Wohnsitz im Mitgliedstaat............................................................... bb) Dieselben Bedingungen wie für die Angehörigen des Mitgliedstaats ................................................................................................ b) Richtlinie 94/801EG vom 19.12.1994 ..................................................... aa) Betroffene Gebietskörperschaften... ............ ................. .................... bb) Ausübung des aktiven Wahlrechts............................ ....................... (1) Eintragung ins Wählerverzeichnis. ............................................. (2) Mindestwohnsitzdauer................................ ................... ......... .... cc) Besonderheiten hinsichtlich des passiven Wahlrechts..................... c) Sonstiges Gemeinschaftsrecht................................................................

11. Wahlen in Kreisen und Gemeinden................................................................. 1. Wahlen - und nicht Abstimmungen? ........................................................... a) Abstimmungen auf kommunaler Ebene.................................................. aa) Abstimmungen mit Entscheidungscharakter...... .............................. bb) Konsultative Abstimmungen........................................................... b) Abstimmungsrecht für Unionsbürger aus Art. 28 Abs. I S. 3 GG.......... aa) Gemeinschaftsrecht als Mindeststandard ................................ ......... bb) Keine Beschränkung der Öffnung auf Inhalt des Gemeinschaftsrechts................................................................................................ cc) Vereinbarkeit des Abstimmungsrechts mit dem Grundgesetz......... 2. Kreise und Gemeinden................................................... ............................. a) Von Unionsbürgern mitzuwählende Organe........................................... aa) Vertretungskörperschaften............................................................... (1) Kreise......................................................................................... (2) Gemeinden................................. ....... .................. ....................... (3) Gemeindeinterne Gliederungen ................................................. (4) Gesamtgemeinden...................................................................... (5) Höhere Kommunalverbände...................................................... bb) Exekutivorgane................................................................................ (1) Landräte..................................................................................... (2) Gemeindevorstand..................................................................... b) Wirkung auf Wahlen zu Bundes- und Landtagen................................... c) Konsequenzen für Stadtstaaten............................................................... aa) Berlin ....................... ......................................... ............... ........... ..... bb) Bremen............................................................................................. cc) Hamburg..........................................................................................

53 55 56 56 57 58 61 62 63 63 65 65 67 68 68 69 69 70 71 72 73 74 76 76 77 77 78 79 79 80 82 85 86 89 90 90 92 97

Inhaltsverzeichnis

11

III. Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften besitzen............................................................... ......... 99 E. Verfassungsmäßigkeit des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger............... 101

I. Vereinbarkeit des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger mit Art. 79 Abs. 3 GG........................................................................................................ 101 1. Art. 79 Abs. 3 GG i. V. m. dem Demokratieprinzip ................................... 101 2. Art. 79 Abs. 3 GG i. V. m. einem angeblichen Nationalstaatsprinzip ........ 103 11. Verfassungsmäßigkeit der Übertragung der Rechtsetzungskompetenz auf die EG ............................................................................................................. 104 F. Die Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger im Landesrecht ....................................................................................................................... 108

I. Umsetzungspflicht der Bundesländer............ .......... .............. ........ ....... ...... ..... 1. Keine Verpflichtung aus Gemeinschaftsrecht.. .......................................... 2. Verpflichtung aus Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG .................................................. 3. Keine Verpflichtung aus Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG. ....................................... 4. Bundestreue................................................................................................

109 109 110 111 111

11. Die Ausgestaltung in den einzelnen Bundesländern........................................ 1. Baden-Württemberg .................................... ,.............................................. 2. Bayern ............ ............... .......... ................... .... .......... ...... .... ...... ....... ...... ..... a) Unvereinbarkeit der Bay. Landesverfassung mit Art. 8 b Abs. 1 EGV i. V. m. RL 94/801EG und Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG................................. b) Umsetzung in einfaches Landesrecht............. .......... .......... ............... ..... 3. Berlin.......................................................................................................... 4. Brandenburg ............................................................................................... 5. Bremen ....................................................................................................... 6. Hamburg ..................................................................................................... 7. Hessen ........................................................................................................ 8. Mecklenburg-Vorpommern ........................................................................ 9. Niedersachsen ............................................................................................. 10. Nordrhein-Westfalen .................................................................................. 11. Rheinland-Pfalz ................ ........ .............................................. .................... 12. Saarland ...................................................................................................... 13. Sachsen ....................................................................................................... 14. Sachsen-Anhalt. .......................................................................................... 15. Schleswig-Holstein ..................................................................................... 16. Thüringen ...................................................................................................

112 113 117 117 119 122 123 126 127 129 130 131 133 135 137 138 141 142 143

G. Auswirkungen des Art. 28 Abs. 1 S.3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV auf politische Rechte ................................................................................................... 145 I. Auswirkungen auf das Parteienrecht... .............................................................. 145

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Inhaltsverzeichnis I. Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 3 PartG ............ .... ................. .... ...... ... a) Privilegierung von Parteien gegenüber politischen Vereinigungen ohne Parteienstatus. ................................................................................ aa) Verbot der Vereinigung................................................................... bb) Ungleichbehandlung in sonstiger Hinsicht... ................................... b) Anwendbarkeit des § 2 Abs. 3 PartG auf an Kommunalwahlen teilnehmende Vereinigungen....................................................................... aa) Sog. Rathausparteien als Parteien i. S. d. § 2 Abs. I PartG ............. bb) Geltung des § 2 Abs. 3 PartG für Untergliederungen auf Bundesund Landesebene tätiger Parteien .................................................... c) Unvereinbarkeit des § 2 Abs. 3 mit Art. 28 Abs. I S.3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV ............................................................................... aa) § 2 Abs. 3 Nr. 1 PartG - sog. Ausländerparteien ............................ (I) § 2 Abs. 3 Nr. 1, 1. Alt. PartG................................................... (2) § 2 Abs. 3 Nr. 1,2. Alt. PartG................................................... bb) § 2 Abs. 3 Nr. 2 PartG - sog. Auslandsparteien .............................. 2. Vereinbarkeit von Art. 21 GG mit Art. 8 b Abs. 1 EGV ............................. 3. Reine Ausländerlisten als Wahlvorschläge.................................................

146 146 146 148 149 149 152 153 153 154 155 156 157 159

11. Auswirkungen auf weitere politische Rechte. .................................................. 160 1. § 37 Abs. 1 Nr. I AusIG ............................................................................. 161 2. §§ 14; 15 VereinsG..................................................................................... 163 H. Lage der Ausländer aus Drittstaaten .................................................................. 165

I. Rechtliche Betrachtung.................................................................................... 1. Keine Änderung durch Gemeinschaftsrecht... ............................................. 2. De constitutione lata ................................................................................... a) Gleichbehandlungsgrundsatz ................................................................. b) Wahlrechtsgrundsätze ............................................................................ c) Aufweichung des Volksbegriffs ............................................................. 3. De constitutione ferenda........................... ................... ...............................

165 165 166 166 167 167 170

11. Rechtspolitische Betrachtung..... ............................... ....... .................. ............. 170 Zusammenfassung..................................................................................................... 173 Literaturverzeichnis .......... ............. .... ......................... ...... ......... ........ ...... .... .... ......... 176 Stich wortverzeichnis ..................... ...... ...... ........ ........ ....... .... ...... .................. ... .......... 190

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O.

Abs. ABI. a.E.

a. F. AK

AO AöR Art. AuslG BAnz. BayVBI. Beil. Ber. BK BMI BR BRRG

BT

BVerfG BVerfGG CMLRev. DDR DemoGde DJT Dok. DÖV Drs. DuR DVBI. DVP E ebd. EG EGV EP EU EuGH EuGRZ

anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften am Ende alte Fassung Reihe Alternativkommentare Abgabenordnung Archiv rur öffentliches Recht Artikel Ausländergesetz Bundesanzeiger Bayerische Verwaltungsblätter Beilage Bericht Bonner Kommentar Bundesministerium des Innern Bundesrat Beamtenrechtsrahmengesetz Bundestag Bundesverfassungsgericht Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Common Market Law Review Deutsche Demokratische Republik Demokratische Gemeinde Deutscher Juristentag Dokument Die Öffentliche Verwaltung Drucksache Demokratie und Recht Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Verwaltungspraxis Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ebenda Europäische Gemeinschaften Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäisches Parlament Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitung

14 EuR EurArch EuZW EV f.

ff.

Fn. FoR FS

G

GBI. gern.

GG

GK GO GS GVBI. GVK HdbStR h.M. Hrsg. i. d. R.

i. E.

InfAuslR

i. S. d. i. V.m

JA JÖRn. F. Jura JuS JZ Kap.

KJ

Komm KommPolBl. KommPrBW KommPrBY KritV KV KWahlG KWahlO LBG LKrO

LI

LV MDHS

Abkürzungsverzeichnis Europarecht Europaarchiv Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Einigungsvertrag folgende fort folgende Fußnote Forum Recht Festschrift Gesetz Gesetzblatt gemäß Grundgesetz Gemeinschaftskommentar Gemeindeordnung Gedenkschrift Gesetz- und Verordnungsblatt Gemeinsame Verfassungskommission Handbuch des Staatsrechts herrschende Meinung Herausgeber in der Regel im Ergebnis Informationsbrief Ausländerrecht im Sinne des/der in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch des Öffentlichen Rechts, neue Folge Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kapitel Kritische Justiz Kommentar Kommunalpolitische Blätter Kommunalpraxis Baden-Württemberg Kommunalpraxis Bayern Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Kommunalverfassung Kommunalwahlgesetz Kommunalwahlordnung Landesbeamtengesetz Landkreisordnung Landtag Landesverfassung MaunzIDüriglHerzogiScholz, Grundgesetz-Kommentar

Abkürzungsverzeichnis

n. F.

Nr. NuR NVwZ

o.

PartG Pkt. Prot. RiA RL

RMC Rn.

RuP s. S. StGH StTg StuG StWiuStPr ThürVBI.

u.

Verf. VereinsG VersG vgl. VP VR VVDStRL

ZAR z. B. ZBR ZG Ziff. zit. ZKrSoz ZParl

ZRP

15

neue Fassung Nummer Natur und Recht Neue Zeitschrift rur Verwaltungsrecht oben Parteiengesetz Punkt Protokoll Das Recht im Amt Richtlinie 94/801EG vom 19.12.1994 Revue du Marche commun et de rUn ion europeenne Randnummer Recht und Politik siehe Satz Staatsgerichtshof Der Städtetag Stadt und Gemeinde Staatswissenschaften und Staatspraxis Thüringische Verwaltungsblätter unten Verfasser/in Vereinsgesetz Versammlungsgesetz vergleiche Baden-Württembergische Verwaltungspraxis Verwaltungsrundschau Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Zeitschrift rur Ausländerrecht und Ausländerpolitik zum Beispiel Zeitschrift rur Beamtenrecht Zeitschrift rur Gesetzgebung Ziffer zitiert PROKLA - Zeitschrift rur kritische Sozialwissenschaft Zeitschrift rur Parlamentsfragen Zeitschrift rur Rechtspolitik

A. Einführung Ein Kommunalwahlrecht für Ausländer gehörte in den vergangenen dreißig Jahren immer wieder zu den heftig diskutierten Problem feldern innerhalb der Staatsrechtswissenschaft. Befürworter und Gegner eines solchen Wahlrechts hatten über dessen rechtliche Zulässigkeit und politische Zweckmäßigkeit einen teilweise sehr emotional geprägten Streit geführtl. Für einen Teil der in Deutschland ansässigen Ausländer hat diese Debatte mit der Einführung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 einen Abschluß gefunden, der das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger im Grundgesetz verankert. Nicht erübrigt hat sich hingegen die Diskussion um die Bemühungen, eine Integration der hier lebenden Ausländer in die deutsche Gesellschaft voranzutreiben. Ziel solcher Anstrengungen muß es sein, eine Teilhabe dieser Menschen an dem Gemeinwesen herbeizuführen, ohne von ihnen eine Aufgabe ihrer nationalen Eigenheiten zu verlangen. Gleich, ob man das kommunale Wahlrecht als Mittel oder als Ergebnis einer Integration von Ausländern begreift - fest steht, daß die Einfügung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG nur einen kleinen Schritt auf dem Weg zur Integration von Ausländern bedeuten kann. Es sollen in dieser Arbeit zunächst die rechtlichen und politischen Hintergründe dieser Verfassungsänderung beleuchtet werden. Anschließend wird umfassend auf die Auswirkungen eingegangen werden, die die Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger nach sich zieht.

I. Problemstellung Die Grenzziehung zwischen Einheimischen und Fremden hinsichtlich politischer Rechte ist stets vor allem im Zuge größerer Bevölkerungsbewegungen in

I Ein beeindruckendes Beispiel für die Strittigkeit dieser Fragen stellt der 53. DJT dar, bei dem die Abteilung Ausländerrecht für, die Abteilung Kommunalrecht jedoch gegen die Zulässigkeit eines Kommunalwahlrechts für Ausländer Stellung bezog, vgl. Beschlußprotokoll des 53. DJT, DVBI. 1980,909 ff.

2 Barley

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A. Einführung

Frage gestellt worden 2• Dieselben Vorgänge haben aber auch meist Ängste vor den Auswirkungen politischer Beteiligung von Ausländern hervorgerufen J • Die Frage nach der Gewährung politischer Rechte an Ausländer stellte sich in der Bundesrepublik insbesondere seit dem Zuzug einer großen Anzahl ausländischer Arbeitnehmer im Zuge der deutschen Anwerbemaßnahmen der Nachkriegszeit. Das erste Anwerbeabkommen wurde 1955 mit Italien geschlossen, es folgten in den weiteren dreizehn Jahren solche mit acht weiteren Staaten Südeuropas und Nordafrikas4 • Der Anteil Nichtdeutscher an der Bevölkerung der Bundesrepublik ist seitdem kontinuierlich gestiegen. Betrug er 1968 mit ca. 2,38 Mio. Personen 3,9 %, so lag er Ende 1994 mit ca. 7 Millionen bei 8,6 % der Gesamtbevölkerungs. Davon stammte jede vierte bis filnfte Person aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union; nach dem Beitritt von Schweden, Finnland und Österreich beträgt deren Anteil 25,4 %6. Zwar betrachtet die Bundesregierung nach offiziellen Stellungnahmen die Bundesrepublik Deutschland nicht als Einwanderungsland7, den Statistiken nach ist sie es jedoch längst gewordenB• 1. Möglichkeiten der politischen Beteiligung von Ausländern

Mit dem stetigen Wachstum des Ausländeranteils, insbesondere aber auch mit der hohen Zahl an Ausländern der zweiten und dritten Generation, die bereits in Deutschland geboren wurden, drängt sich die Frage auf, inwieweit diese Personen am politischen Leben des Staates, in dem sie leben, zu beteiligen sind.

Vgl. dazu Degen, DÖV 1993,749. Vgl. dazu Decker, Ausländer im politischen Abseits (1991), S.46 ff.; Bedenken erhoben etwa ßleckmann, DÖV 1988, 437/443; Quaritsch, DÖV 1993, 1/12 f. und Uhlitz, RuP 1993, 143/144 f. 4 Vgl. dazu ßischofflTeubner, Zwischen Einbürgerung und Rückkehr (1991), S. 19. 5 Bundesausländerbeauftragte, Daten und Fakten zur Ausländersituation (1995), S. 15. 6 Ebd., S. 15. 7 So z. B. Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung vom 27.04. 1989, Bulletin der Bundesregierung Nr. 50 vom 28.04. I 989, S. 361/366. B So auch Hobe, JZ 1994, 1911194; Karpen, NJW 1989, 1012; Schild, DÖV 1985, 664/665; von einem "Einwanderungsland wider Willen" spricht Schink, DVBI. 1988, 4 I 7; zu den politischen Konsequenzen der Leugnung dieser Tatsache vgl. ßryde, StWiuStPr 1990, 2121212 ff. 2

3

I. Problemstellung

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In Betracht kommen dabei im wesentlichen drei Ansätze 9 • Der am wenigsten weitgehende ist die Einrichtung beratender Gremien, die sich aus Ausländern zusammensetzen; des weiteren besteht die Möglichkeit der Einräumung einzelner politischer Rechte, vornehmlich des Wahlrechts, sowie schließlich der Gewährung sämtlicher auch Deutschen zustehender Rechte durch Einbürgerung ohne Verlust der ursprünglichen Staatsangehörigkeit. Die Einführung sogenannter Ausländerbeiräte oder Ausländerparlamente mit beratender Funktion vollzog sich in der Bundesrepublik Deutschland auf kommunaler Ebene seit Anfang der siebziger Jahre. Das Modell der Ausländerparlamente, die von Ausländern direkt gewählt wurden und deren Mitglieder ebenfalls nichtdeutsche Staatsangehörige waren, blieb auf wenige Experimente beschränkt und konnte sich nicht durchsetzen JO • Demgegenüber hat sich die Einrichtung des Ausländerbeirats immer weiter ausgedehnt. Zu Beginn wurden dessen Mitglieder noch von den kommunalen Vertretungskörperschaften oder anderen Gremien bestimmtlI, ehe in den 80er Jahren zunehmend zur Wahl durch die ausländische Bevölkerung selbst übergegangen wurde l2 . Gleichzeitig hat sich damit die Bedeutung der Ausländerbeiräte weg von der Beratungsfunktion hin zu einer Interessenvertretung verschoben 13 • In einigen Bundesländern besteht zudem die Möglichkeit, zu Ausschüssen Sachkundige beratend hinzuzuziehen, die nicht zwingend deutscher Staatsangehörigkeit sein müssen l4 . Teilweise können auch aus der Mitte des Gemeinderats beratende Ausländerausschüsse gebildet werden, die dann i. d. R. eine größere Zahl von Ausländern selbst gewählter ausländischer "sachkundiger Bürger" hinzuziehen 15. Mit der Zubilligung von Entscheidungsbefugnissen tut sich die Bundesrepublik Deutschland wesentlich schwerer. Die Schaffung eines Kommunalwahl9 Die Erwägung, die Anzahl ausländischer Mitbürger durch hoheitliche Maßnahmen zu verringern zu suchen, soll hier - nicht nur wegen seiner rechtlichen Undurchführbarkeit (vgl. dazu Bryde, JZ 1989, 257/258) - nicht in Betracht gezogen werden; ebenso Grüll, Kommunalwahlrecht für EG-Bürger (1993), S. 125. 10 Vgl. dazu Lamers, Repräsentation und Integration von Ausländern (1977), S. 72 ff.; Linke, DVP 1993, 152/155; Tomuschat, Die politischen Rechte der Gastarbei• ter(1974), S. 97 f. 11 Vgl. dazu Decker, Ausländer im politischen Abseits (1991), S. 57 f. 12 Vgl. dazu Hoffmann/Even, Die gegängelte Selbstvertretung (1986), S. 115 ff. 13 Hoffmann, Partizipation auf kommunaler Ebene (1989), S. 43/57. 14 Vgl. dazu Decker, Ausländer im politischen Abseits (1991), S. 52 f.; Lamers, Repräsentation und Integration von Ausländern (1977), S. 76 ff.; Linke, DVP 1993, 152/ 156. 15 So etwa in Sachsen; die Wahl durch die ausländische Bevölkerung stellt dabei allerdings nur einen Vorschlag dar, an den der Gemeinderat nicht gebunden ist, vgl. Gern, Sächsisches Kommunalrecht (1994), Rn. 627.

2'

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A. Einführung

rechts für Ausländer als erster Schritt stieß auf erhebliche politische Widerstände. Auf Landesebene wurde zwar von den Bundesländern Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein der Versuch unternommen, ein Kommunalwahlrecht für Ausländer einzuführen, sie scheiterten damit jedoch an dem Votum des Bundesverfassungsgerichts bzw. des Bremischen Staatsgerichtshofes, die die entsprechenden Gesetze für verfassungswidrig erklärten. Auf Bundesebene fand sich die Bereitschaft zur Einführung eines Kommunalwahlrechts für Unionsbürger erst im Zusammenhang mit der Ratifizierung der Maastrichter Verträge, die eine Änderung des Grundgesetzes in dieser Hinsicht nötig machte l6 • Einer doppelten Staatsbürgerschaft in Deutschland ansässiger Ausländer stehen die politisch Verantwortlichen häufig noch immer skeptisch gegenüber l7 . Als Argumente dagegen werden z. B. Loyalitätskonflikte oder die doppelte Wehrpflicht angeführt 18 • Einen Schritt in diese Richtung bedeutet allerdings die in der Koalitionsvereinbarung vom 11.11.1994 vorgesehene Einführung einer sog. Kinderstaatszugehörigkeit von minderjährigen, in Deutschland geborenen Ausländern. Diese sieht für ausländische Kinder, die in Deutschland geboren sind, einen bevorzugten Status vor, wenn mindestens ein Elternteil ebenfalls hier geboren ist, beide Elternteile sich die letzten zehn Jahre rechtmäßig in Deutschland aufgehalten haben und im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung sind. Die verfassungsrechtliche Einordnung einer solchen "Kinderstaatszugehörigkeit" ist allerdings umstritten l9 • 2. Beispiele und Erfahrungen anderer europäischer Staaten Andere europäische Staaten taten sich vergleichsweise weniger schwer mit der Einführung eines Kommunalwahlrechts für Ausländer. So existierten vor allem in Schweden und Dänemark, Finnland, Norwegen, Irland und den Niederlanden schon lange vor der deutschen Regelung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG Gesetze, die Ausländern unter bestimmten Bedingungen dieses Recht einräumten. In Schweden wurde Ausländern das aktive und passive Wahlrecht rur Gemeinde- und Regionalwahlen bereits 1975 gewährt, wenn sie seit mindestens Vgl. dazu insgesamt C. 11. Dieser Widerstand kann sich jedenfalls nicht auf den Willen der Mütter und Väter des Grundgesetzes stützen; Carlo Schmid sprach sich für eine doppelte Staatsbürgerschaft für durch die Nationalsozialisten ausgebürgerte Personen aus, da dies ein Mittel zur Relativierung nationalstaatlichen Denkens sei (Schmid, Hauptausschuß, 39. Sitzung, Kurzprot. S. 486). 18 Vgl. dazu SchrötterlMohlig, ZRP 1995, 374/379. 19 Ziemske, ZRP 1995, 3801380 f. hält sie für verfassungswidrig, a. A. Schrötterl Möhlig a. a. O. 16 17

I. Problemstellung

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drei Jahren dort ansässig waren 20 • Dies wurde von allen im schwedischen Parlament vertretenen Parteien unterstützt21 • Dänemark führte 1981 dieses Recht mit derselben Mindestaufenthaltsdauer ein, nachdem bereits seit 1977 Bürger aus den anderen Staaten der "Nordischen Union" (Finnland, Island, Norwegen und Schweden) dort an Gemeinde- und Provinzwahlen teilnehmen durften 22 • Nach Auskunft des dänischen Innenministeriums wird ab 1997 die Mindestaufenthaltsdauer nicht nur für Staatsangehörige der EU-Mitgliedstaaten, sondern auch für diejenigen Islands und Norwegens entfallen. 1983 folgte die EinfUhrung des Kommunalwahlrechts für Ausländer in Norwegen, das ebenfalls schon seit 1978 dieses Recht den "nordischen" Bürgern gewährte 23 • In den Niederlanden wurde nach zehnjähriger Debatte im Sommer 1985 allen Ausländern, die dort seit mindestens fünf Jahren ansässig waren, das aktive und passive Kommunalwahlrecht eingeräumt24 und Anfang 1986 zum ersten Mal angewandt25 • In Irland haben Ausländer seit 1985 das Recht zur Teilnahme an Wahlen zu Gebietskörperschaften, wenn sie seit mindestens sechs Monaten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Irland haben26 • Andere Staaten haben die Gewährung des Kommunalwahlrechts für Ausländer auf bestimmte Personengruppen beschränkt. Großbritannien als frühere Kolonialmacht gewährt seit 1981 allen Bürgern aus den Mitgliedstaaten des Commonwealth sowie Iren das Recht zur Teilnahme an Wahlen zu den Gemeindevertretungen 27 • Spanien sieht demgegenüber die Möglichkeit der Gewährung des Kommunalwahlrechts an Bürger solcher Staaten vor, die ihrerseits Spaniern dasselbe Recht einräumen. Eine entsprechende vertragliche Vereinbarung bestand vor Inkrafttreten der Maastrichter Verträge nur mit den Niederlanden. Eine Kombination des britischen und des spanischen Modells stellt die portugiesische Regelung dar. Seit 1971 besteht dort die verfassungsrechtliche Möglichkeit, internationale Abkommen auf Gegenseitigkeitsbasis über das Vgl. dazu Björnsson, Ausländer in Schweden (1986), S. 23/29 ff. Björnsson a. a. 0., S. 29; Hammar, Teilnahme der Einwanderer an der schwedischen Politik (1984), S. 45. 22 Vgl. dazu Baunsgard, Kommunales Wahlrecht ist ein Menschenrecht (1984), S. 34 ff.; Sieveking, Kommunalwahlrecht für Ausländer in den Mitgliedstaaten der EG (1989), S. 69/75 f. 23 Vgl. dazu Sandvoll, Einwanderungspolitik (1984), S. 71/79 ff. 24 Vgl. dazu Groenendijk, Vom Ausländer zum Mitbürger (1986), S. 41/42 ff. 25 Zu den Ergebnissen Arda, Erfahrungen in den Niederlanden (1989), S. 153/155 f.; Groenendijk a. a. 0., S. 53 ff. 26 Sieveking, Kommunalwahlrecht für Ausländer in den Mitgliedstaaten der EG (1989), S. 69/75. 27 Vgl. dazu Sauerwald, Unionsbürgerschaft und Staatsangehörigkeitsrecht (1996), S. 59 f. 20

21

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A. Einführung

Wahlrecht der jeweils anderen Staatsangehörigen zu schließen. Allerdings ist dies auf Angehörige portugiesisch-sprachiger Staaten beschränkt; ein entsprechendes Abkommen wurde nur mit Brasilien abgeschlossen 28 •

11. Terminologie Vor den weiteren Ausführungen sollte noch kurz das Augenmerk auf die Terminologie gelenkt werden, die im Zusammenhang mit diesem Thema verwendet wird. Wurde von Arbeitnehmern, die aufgrund der massiven Anwerbung nach Deutschland kamen, zunächst als "Gastarbeiter" gesprochen 29 , so wurde dieser Begriff später meist bewußt gemieden30, da er unterstellte, daß diese Menschen nicht auf Dauer in Deutschland bleiben würden und als "Gäste" auch nicht integriert zu werden brauchten3l • Hingegen hat sich die Bezeichnung "Fremde" vereinzelt gehalten32, obwohl nach allgemeinem Sprachgebrauch mit diesem Begriff eine über die Staatsangehörigkeit hinausgehende Andersartigkeit verbunden ist33 • Gegen den Begriff des "ausländischen Mitbürgers" bestehen insoweit Vorbehalte, als Ausländer rechtlich zwar Einwohner, aber gerade nicht Bürger sind34 • Da ihnen die Bürgerrechte vorenthalten bleiben, wirke diese Bezeichnung verschleiernd35 • Auch die Verwendung des Begriffes "Ausländer" für in Deutschland ansässige Personen nicht-deutscher Staatsangehörigkeit ist zum Teil kritisiert worden. Das Wort suggeriere, daß dieser Mensch nicht dazugehört, von außen kam und

28 Vgl. dazu Sieveking, Kommunalwahlrecht für Ausländer in den Mitgliedstaaten der EG (1989), S. 75. 29 So z. B. Tomuschat, Die politischen Rechte der Gastarbeiter (1974); Schmiese, Wahlrecht rur "Gastarbeiter", KommPolBI. 1974, 1007. 30 Nur gelegentlich noch verwendet, wie z. B. bei Erdmann DVP 1994, 28/29; Model/Müller, Grundgesetz (1996), Art. 16 Rn. 2 und Stöcker, Der Staat 28 (1989), 71 ("Gastarbeitnehmer"). 3l Keskin, Kommunales Wahlrecht (1984), S. 14. 32 So bei Katte, Die Mitgliedschaft von Fremden in politischen Parteien der Bundesrepublik Deutschland (1980). 33 BischofflTeubner, Zwischen Einbürgerung und Rückkehr (1991), S. 11; Dolde, Politische Rechte der Ausländer (1972), S. 32 bezeichnet diesen Begriff als "assoziativ besetzt". 34 Unionsbürgern wird inzwischen im Zusammenhang mit dem Kommunalwahlrecht in einigen Bundesländern der Bürgerstatus gewährt; vgl. dazu F. H. 35 So Decker, Ausländer im politischen Abseits (1991), S. 82.

11. Tenninologie

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dorthin wieder zurückkehrt36 . Damit werde eine Bezeichnung gewählt, die für viele der damit Gemeinten, vor allem die in der Bundesrepublik geborenen Menschen mit anderem Paß, nicht zutreffend sei und Differenzierungen schaffe, wo es keine Unterschiede gebe 37 . Da die vorgeschlagene Benennung "Nichtdeutsche"38 demgegenüber aber keine Verbesserung bedeutet und die Begriffe "nichtdeutscher Inländer"39 oder "Inländer(lnnen) fremder Staats angehörigkeit"40 zwar den Tatsachen am ehesten Rechnung tragen, aber für eine längere Abhandlung zu unhandlich sind, wird hier in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen an dem Terminus "Ausländer" festgehalten. Mit der Unterzeichnung der Maastrichter Verträge 1992 ist eine weitere Kategorie geschaffen worden, die des Unionsbürgers. Gemeint ist damit gern. Art. 8 b Abs. 1 S. 2 EGV jeder, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzt4 l . Im Rahmen dieser Arbeit werden unter dieser Bezeichnung grundsätzlich die Staatsbürger der anderen Mitgliedstaaten in Abgrenzung zu den Deutschen zu verstehen sein. Der Begriff der "Deutschen" meint die von Art. 116 Abs. 1 GG erfaßten Personen. Schließlich werden als "Drittstaatler" solche Personen bezeichnet, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der EU innehaben.

36

37 38 39 40 41

Rittstieg, NJW 1989, 1018. Hof/mann, Beiräte - Wahlrecht - Bürgerrecht (1986) S. 13 ff. So Hof/mann a. a. O. S. 13. So Gramlieh, ZAR 1989, 51. So Rittstieg, NJW 1989, 1018; Wojak, FoR 1996, 18. Vgl. dazu D. III.

B. Die Ausgangslage: Bestimmung des Kommunalwahlvolks vor der Einf"ührung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG Vor der Einfiihrung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 nahm das Grundgesetz zur Frage der Beteiligung von Ausländern an Kommunalwahlen nicht ausdrücklich Stellung. Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit einer solchen Beteiligung mußte somit durch Auslegung der bestehenden verfassungsrechtlichen Vorschriften, insbesondere der Artikel 20 und 28 Abs. 1 GG, geklärt werden. Diese Auslegung war über Jahre hinweg Gegenstand heftig gefiihrter Diskussionen. Ein großer Teil der Streitpunkte ist durch die Neufassung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG hinflillig geworden. Da die Klärung der ursprünglichen Verfassungslage nunmehr nur eine Vorfrage zur Betrachtung der aktuellen Situation darstellt, wird die Kontroverse nur noch in Gründzügen widergegeben. Es wird im folgenden dargelegt werden, daß vor der Verfassungsänderung das Grundgesetz die landesgesetzliche Einfiihrung eines Ausländerwahlrechts untersagte, die Einfiihrung des Art. 28 Abs. I S.3 GG somit notwendige Voraussetzung fiir die Gewährung des Kommunalwahlrechts an Unionsbürger war.

I. Der Volksbegriff des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG Den Ausgangspunkt der Überlegungen zu einem Kommunalwahlrecht fiir Ausländer bildet Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG, der das Prinzip der demokratischen Legitimation aller Staatsgewalt durch das Volk verankert. Es stellt sich also die Frage, wer von dem Volks begriff des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG erfaßt und somit Legitimationssubjekt im Hinblick auf die Staatsgewalt ist. Zur Klärung dieses Problems ist es notwendig, die Norm unter diesem Gesichtspunkt auszulegen.

1. Auslegung des Wortlauts Zunächst ist dafiir der Sinngehalt des Wortes "Volk" im Sprachgebrauch des Grundgesetzes zu untersuchen. Eine Legaldefinition des Begriffes findet sich darin nicht, er wird aber mehrmals im Verfassungstext erwähnt, nämlich in der Präambel sowie in den Artikeln 1 Abs. 2; 20 Abs. 2 S. 1 und 2; 21 Abs. 1; 28 Abs. 1 S. 2; 38 Abs. 2; 56; 64 Abs. 2 und 146 GG.

I. Der Volksbegriff des Art. 20 Abs. 2 S. I GG

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Das Grundgesetz benutzt den Begriff des Volkes teilweise mit und teilweise ohne Hinzufügung des Wortes "deutsch". Daraus, daß in der Präambel, Art. 1 Abs. 2; Art. 56; Art. 64 Abs. 2 und Art. 146 GG von dem deutschen Volk gesprochen wird, könnte geschlossen werden, daß der Volksbegriff für sich allein die Deutscheneigenschaft eben nicht enthält und somit auch Ausländer einbeziehen kann42 • Jedoch kann hiergegen angeführt werden, daß das Grundgesetz dort, wo es die gesamte Bevölkerung der Bundesrepublik einschließlich der Ausländer erfassen wollte, eine unmißverständliche Wortwahl getroffen hat4 3 • So formuliert Art. 25 S. 2 GG, daß die allgemeinen Regeln des Völkerrechts unmittelbar Rechte und Pflichten für die Bewohner des Bundesgebiets (Hervorhebung durch Verf.) erzeugen. Daß Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG vom Volk ohne Zusatz des Wortes "deutsch" spricht, läßt daher nicht den Rückschluß zu, auch Ausländer seien davon umfaßt. Vielmehr hat die neutrale Formulierung logische Gründe. Während in den Artikeln, die das "deutsche Volk" erwähnen, der Gedanke der nationalen Einheit im Vordergrund steht44, verwendet Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG den neutraleren Begriff, um nicht nur die Bundesstaatsgewalt, die durch das gesamte deutsche Volk legitimiert wird, sondern auch die Landesstaatsgewalt zu erfassen45 • Ein weiterer Grund für die Wortwahl des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG besteht darin, daß die Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland vor der Wiedervereinigung nicht vom gesamten deutschen Volk ausgehen konnte und zunächst der Entstehung eines eigenständigen westdeutschen Volksbewußtseins nicht durch den Verfassungstext Vorschub geleistet werden sollte46 • Daraus kann allerdings nicht geschlossen werden, der Volksbegriff sei in Art. 20 GG dadurch von der deutschen Staatsangehörigkeit abgekoppelt4 7, vielmehr ist nur der im Bundesgebiet ansässige Teil der Deutschen erfaßt. Das in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG genannte Volk sollte also nicht um andere Personen erweitert, sondern im Gegenteil auf einen bestimmten Teil der Deutschen begrenzt werden. Zudem ist in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG die Verwendung des Begriffs "Volk" in Verbindung mit dem der Staatsgewalt zu lesen. Dieser Zusammenhang läßt darauf schließen, daß das Volk in dieser Norm gleichbedeutend mit dem des 42 So Frank, KJ 1990,290/293; Zuleeg, KritV 1987,322; dagegen bemerkt Isensee, KritV 1987, 300/301, es fehle an dem Zusatz deutsch, " ... weil das Verfassungsgesetz kein systematisches Lehrbuch ist ... ". 43 Huber, DÖV 1989, 531/532. 44 Breer, Mitwirkung von Ausländern (1982), S. 67. 45 Breer a. a. O. S. 68; Schmitz, VR 1989, 253/255, Fn. 25. 46 Franz, InfAuslR 1980,210/213. 47 So aber Franz a. a. O.

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B. Das Kommunahlwahlvolk vor Einfilhrung des Art. 28 Abs. I S. 3 GG

Staatsvolks ist48, das eines der drei konstituierenden Merkmale eines Staates darstellt4 9• Um den Volksbegriff des Art. 20 Abs. 2 S. I GG auszulegen, muß also geklärt werden, welche Personen das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland bilden. Das Volk im staatsrechtlichen Sinne ist die Quelle staatlicher Souveränität50 , es ist somit dadurch gekennzeichnet, daß es auf Dauer selbstregierungsfähig ist5J • Voraussetzung dafür ist, daß die dem Staatsvolk zugehörigen Personen als Gesamtheit abgrenzbar sind52 • Als Anknüpfungspunkt bietet sich insofern die Staatsangehörigkeit an, denn sie ist es, die zwischen Bürger und Staat eine personelle Dauerbeziehung herstellt53 • Der Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG weist also durch die Verwendung des Begriffs "Staatsgewalt" darauf hin, daß das Volk im Sinne dieser Norm ausschließlich aus deutschen Staatsangehörigen besteht. Festzuhalten bleibt demnach, daß die Auslegung des Wortlauts sowohl Indizien rur als auch solche gegen eine Ausgrenzung von Ausländern aus dem Volksbegriff des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG ergibt, die dafür sprechenden Argumente allerdings überwiegen. 2. Historisch-genetische Auslegung

Die historische Betrachtung des Volkes als Legitimationssubjekt in Deutschland fmdet ihren ersten Ansatzpunkt in den Verfassungen der deutschen Staaten nach 1818. Die Gewährung der staatsbürgerlichen Rechte war dort unter weiteren Voraussetzungen den Staatsangehörigen vorbehalten; so wurde das Wahlrecht in Titel VI § 12 der Bayerischen Verfassung von 1818, § 36 der Badischen Verfassung von 1818, Art. 55 der Hessischen Verfassung von 1820 und § 22 der Kurhessischen Verfassung von 183 I nur den jeweiligen Staatsbürgern gewährt, § 135 Abs. 1 der Württembergischen Verfassung von 1819

48 Katte, Fremde in politischen Parteien (1980), S. 70 f.; Lamers, Repräsentation und Integration von Ausländern (1977), S. 38; Wallerath, DVP 1989,251/252. 49 Zusammen mit Staatsgebiet und Staatsgewalt, vgl. dazu statt vieler BVerfGE 2, 266/277; 3, 58/88 f.; 36, 1/16 f.; Jellinek, Allgemeine Staatslehre (1914), S.394 ff.; Stern, Staatsrecht 11 (1980), § 25 I 2. 50 Stern, Staatsrecht 11 (1980), § 25 I 2 c). 5 J Grawert, Staatsgewalt und Staatsangehörigkeit (1987), S. 663/665. 52 Grawert a. a. 0., S. 668; Papier, StWiuStPr 1990, 202/203 f. 53 BVerfGE 83, 37/50 f.; Grawert a. a. 0., S. 668; Karpen, NJW 1989, 1012/1013; Schiedermair/Wollenschläger, Ausländerrecht. (1994), 4 B Rn. 8; Senne wald, VR 1981, 78.

I. Der Volksbegriff des Art. 20 Abs. 2 S. I GG

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nannte als Bedingung die Innehabung des württembergischen Staatsbürgerrechts 54 . In der Frankfurter Paulskirchenverfassung vom 27. März 1849 wurde in § 132 S. 2 das Wahlrecht den Reichsbürgern gewährt. § 93 setzte zudem fest, daß das Volkshaus aus Abgeordneten des deutschen Volkes bestand und benannte damit ebenfalls ausschließlich die Summe der deutschen Staatsangehörigen als Legitimationssubjekt hinsichlich des deutschen Gesetzgebungsorgans. Für das Deutsche Reich wurde das Wahlgesetz des Norddeutschen Bundes von 1869 übernommen, das das Wahlrecht nur Norddeutschen gewährte. Die Untersuchung der historischen Entwicklung ergibt also, daß das deutsche Wahlvolk seit Erlaß der ersten Verfassungen ausschließlich aus eigenen Staatsangehörigen bestand. Betrachtet man die Entstehungsgeschichte des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG selbst, so fällt auf, daß es an ausdrücklichen Stellungnahmen dazu, wer von dem Volksbegriff dieser Norm erfaßt wird, fehlt. Hieraus wird größtenteils geschlossen, daß die Mütter und Väter des Grundgesetzes von der Beschränkung auf das deutsche Volk "wie selbstverständlich" ausgegangen seien 55 . Gestützt wird diese These durch eine Äußerung des SPD-Abgeordneten Dr. Carlo Schmid während der Diskussion über Art. 20 GG. Danach solle der Wortlaut dieser Vorschrift ausdrücken, daß Volk und Staat nicht zwei verschiedene Dinge seien, vielmehr sei "die letzte irdische Quelle der Gewalt im Staate das konkret lebende Volk, die Summe der jeweils lebenden Deutschen"56. Aus der Entstehungsgeschichte des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG ergeben sich somit ebenfalls - wenn auch schwache - Hinweise auf eine Beschränkung des Volksbegriffs in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG auf das deutsche Volk. Dieses Auslegungsergebnis wird auch von den meisten Vertretern der Gegenposition anerkannt. Jedoch gehen von diesen zahlreiche davon aus, daß sich die tatsächliche Situation in Deutschland so stark gewandelt habe, daß auch die Verfassung in diesem Punkt ihre ursprüngliche Bedeutung geändert habe und nunmehr der Volksbegriff auch ausländische Bürger umfassen könne 57 . Als Begründung dafiir wird neben dem enorm gewachsenen Anteil der in Deutsch54 Verfassungstexte abgedruckt bei Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Band I, S. 155 ff 55 Vgl. nur Katte, Fremde in politischen Parteien (1980), S. 76 f; Quaritsch, DÖV 1983, 113; Schmitz, VR 1989, 253/256. 56 Vgl. JöR n. F. I, 199. 57 Hasenritter, VR 1981, 14/15; Rittstieg, Wahlrecht für Ausländer (1981), S. 45 ff; Zuleeg, Vereinbarkeit des Kommunalwahlrechts für Ausländer mit dem deutschen Verfassungsrecht (1987), S. 153/157; Wilhelm, DemoGde 1975,16/17.

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B. Das Kommunahlwahlvolk vor Einflihrung des Art. 28 Abs. I S. 3 GG

land lebenden ausländischen Bevölkerung58 auch die Tatsache angetUhrt, daß der Zuzug ausländischer Bürger ursprünglich durch staatliche Programme und damit durch die öffentliche Gewalt selbst gefördert worden ist59 • Das Bundesverfassungsgericht hat die Möglichkeit des Bedeutungswandels einer grundgesetzlichen Norm zwar grundsätzlich anerkannt, sofern neue Tatbestände auftauchen, die vom Verfassungsgeber nicht vorausgesehen worden waren bzw. bekannte Tatbestände durch ihre Einordnung eine neue Bedeutung erhalten60 • Allerdings soll dies nur möglich sein, wenn der Verfassungswandel nicht zu einer unzulässigen Verfassungsdurchbrechung fUhren würde, sondern sich im Rahmen der vorgegebenen Wertungen, Grundentscheidungen, Grundsätze und Normen der Verfassung hält6 1• Für eine mögliche Erweiterung des Volksbegriffs des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG sind diese Voraussetzungen aber nicht erfiillt. Daß die 1949 getroffene Grundentscheidung des Verfassungsgebers, in den Volksbegriff des Grundgesetzes Ausländer nicht aufzunehmen, auch in jüngerer Zeit noch Bestand hatte, zeigt die EintUhrung des Widerstandsrechts ftlr alle Deutschen in Art. 20 Abs. 4 GG im Jahre 1968. Wenn die Staatsgewalt von allen dauerhaft in Deutschland lebenden Personen ausginge, so wäre es widersinnig, nur dem deutschen Teil der Staatsgewalt das Recht einzuräumen, gegen die Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung Widerstand zu leisten62 • Von einem Verfassungswandel vor Einführung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG im Sinne einer Ausdehnung des Volksbegriffs des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG auf Ausländer ist deshalb nicht auszugehen. 3. Systematisch-teleologische Auslegung a) Demokratieprinzip des Grundgesetzes

Art. 20 Abs. 2 S. 1 und 2 GG beinhalten die Gewährleistung des Demokratieprinzips ftlr die Bundesrepublik Deutschland63 • Als Staatsform bedeutet Demokratie die Ausübung der politischen Herrschaft durch das Volk64 • Der Franz, InfAuslR 1980, 210/213; Rittstieg, DuR 1991, 10/11. Löhneysen, DÖV 1981, 330/330 f.; Schmiese, KommPolBI. 1974, 1007 f.; Rittstieg, KritV 1987,315/318; Zuleeg, JZ 1980,425/430. 60 BVerfGE 2,380/401; 7, 342/351. 61 BVerfGE 62, 1/39. 62 Bleckmann, DÖV 1988, 437/439; Karpen, NJW 1989, 1012/1014;Papier, KritV 1987, 309/311; Schmitz, VR 1989, 253/256 f. 63 Behrend, DÖV 1973, 376; Schmidt-BleibtreuIKlein- Klein, Grundgesetz (1996), Art. 20 Rn. 8 a; MaunzlZippelius, Deutsches Staatsrecht (1994), § 10 11 2.; Modell Müller, Grundgesetz (1996), Art. 20 Rn. 4. 64 Badura, Staatsrecht (1986), D Rn. 6; Böckenfärde, Demokratie als Verfassungsprinzip (1987), § 22 Rn. 8. 58

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I. Der Volksbegriff des Art. 20 Abs. 2 S. I GG

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Volksbegriff ist in einer Demokratie allerdings differenziert zu betrachten: Zum einen stellt es die verfassungsgebende Gewalt ("pouvoir constituant") dar, die der Ursprung der Staatsgewalt ist65 . Damit nicht identisch ist die "pouvoir constitue" als staatsrechtlich organisiertes Volk, das die Staatsgewalt mit Hilfe der demokratischen Instrumente Wahlen und Abstimmungen wahmimm~6. Daß die verfassungsgebende Gewalt nach der Konzeption des Grundgesetzes aus der Gesamtheit aller Deutschen besteht, stellen die Präambel und Art. 146 GG unmißverständlich klar. Wenn Satz 3 der Präambel und Art. 146 GG als künftigen Verfassungsgeber in einern gesamtdeutschen Staat nur Deutsche i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG bezeichnen, kann die verfassungsausübende Staatsgewalt, die auf die Wiedervereinigung hinstreben soll, auch nur von dieser Personengruppe ausgehen 67 . Für eine Begrenzung auch des Wahlvolks auf Deutsche im Sinne des Grundgesetzes spricht zudem, daß die Wahlen das herausragende Mittel sind, mit denen das Staatsvolk seine Staatsgewalt ausübt; wenn das Staatsvolk in einer Demokratie aus den Staatsangehörigen besteht, so kann auch das Wahlvolk nur aus solchen bestehen68 . Dem wird entgegengehalten, die Demokratie als Herrschaftsform verlange eine größtmögliche Identität von Herrschenden und Beherrschten und deshalb auch ein Wahlrecht der in Deutschland seßhaften Ausländer69 • Eine Identität von Regierenden und Regierten ist aber zum einen eine rein theoretische Vorstellung, selbst die unmittelbare Demokratie bedeutet im Ergebnis die Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit1°. Gegenstück zu der Unterwerfung unter die Rechtsordnung eines demokratischen Staates ist zum anderen nicht

65 Frank, KJ 1990, 290/293; Karpen, NJW 1989, 1012/1013; BendaIMaihoferl Vogel- Robbers, Verfassungsrecht (1994), § 11 Rn. 81; Stein, Staatsrecht (1993), § 811. 66 Frank a. a. 0.; Karpen a. a. O. 67 BVerfGE 83, 37/51 f.; Birkenheier, Wahlrecht flir Ausländer (1976), S. 32; Bleckmann, DÖV 1988, 437/438; Isensee, KritV 1987, 3001301; BendalMaihoferl Vogel- Robbers, Verfassungsrecht (1994), § 11 Rn. 81; Scholl, ZAR 1989, 62/64; Stein, Staatsrecht (1993), § 8 11. 68 BVerfGE 83, 37/52; Karpen, NJW 1982, 1012/1013; Papier, StWiuStPr 1990, 2021203. 69 Bryde, JZ 1989, 2571258; Hasenritter, VR 1981, 14/15; AK-GG-Stein, Art. 20 Abs. 1-3 11 Rn. 12; ausdrücklich gegen dieses Argument wendet sich Zu leeg, Vereinbarkeit des Kommunalwahlrechts flir Ausländer mit dem deutschen Verfassungsrecht (1987), S. 153/159. 70 Badura, Staatsrecht (1986), D Rn. 10; Hesse, Verfassungsrecht (1993), Rn. 131; Stern, Staatsrecht I (1984), § 18 11 4 a.

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B. Das Kommunahlwahlvolk vor Einführung des Art. 28 Abs. I S. 3 GG

die Beteiligung an der Gesetzgebung, sondern der Schutz durch dieselbe Rechtsordnung 71, ein Wahlrecht läßt sich daraus nicht herleiten. Eine Differenzierung zwischen Deutschen und Ausländern in bezug auf das Wahlrecht rechtfertigt sich vielmehr durch die Bindung des Staatsangehörigen an seinen Heimatstaat, der er zwar nicht "unentrinnbar" ausgeliefert ist72 , die aber eine stärkere Zugehörigkeit vermittelt als der bloße Aufenthalt oder der Wohnsitz. So kann der Deutsche zwar aufgrund der Ausreisefreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG das Land verlassen, die Bundesrepublik Deutschland hat aber nach den Regeln des Völkerrechts die Pflicht, ihn - anders als einen in Deutschland ansässigen Ausländer - wieder aufzunehmen, falls er von seinem Aufenthaltsstaat ausgewiesen werden sollte73 . AUGh in seinem Pflichten status unterscheidet sich der deutsche von dem ausländischen Staatsbürger. Zwar sind vor allem beide steuerpflichtig, worauf sich die vielfach erhobene Forderung "no taxation without representation"74 stützt, jedoch bestehen mit der Wehrpflicht und der Pflicht zur Übernahme öffentlicher Ehrenämter weitere Verpflichtungen der deutschen Bürger, die ausländischen nicht obliegen7s . Gleicher Einfluß auf die Staatsgewalt setzt aber nach dem Demokratieverständnis des Grundgesetzes eine Gleichheit in Rechten und Pflichten voraus 76 . Daß dies auf Bundes- und Landesebene nicht der Fall ist, stützt das Ergebnis, daß der Volksbegriff des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG Ausländer nicht einschließt.

b) Normzusammenhang Eine Reihe von Vorschriften des Grundgesetzes sind weiterhin zur Auslegung des Volksbegriffs in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG herangezogen worden. So wird zur Stützung einer extensiven Interpretation die Absage an völkisches Denken in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG herangezogen, wonach niemand seiner 71 Isensee, KritV 1987, 300/304; ders. VVDStRL 32 (1974), 49/94; Karpen, NJW 1989, 1012/1014; Papier, StWiuStPr 1990, 202/204; Weigl, Verfassungsrechtliche Aspekte (1992), S. 11. 72 So aber Isensee, VVDStRL 32 (1974), 49/93; Lamers, Repräsentation und Integration von Ausländern (1977), S. 37 f. 73 Birkenheier, Wahlrecht für Ausländer (1976), S. 63; Schild, DÖV 1985,664/671. 74 Erstmals erhoben in den USA; im Zusammenhang von Ausländern in Deutschland u. a. angeführt von Bryde, StWiuStPr 1990,212/218. 7S Birkenheier, Wahlrecht für Ausländer (1976), S. 64ff.; Katte, Fremde in politischen Parteien (1980), S. 81 ff. 76 Breer, Mitwirkung von Ausländern (1982), S. 66; Katte a. a. 0., S.92; Papier, StWiuStPr 1990, 2021204; Schmidt-Aßmann, AöR 1991 (116),329/351.

I. Der Volksbegriff des Art. 20 Abs. 2 S. I GG

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Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat, Herkunft, seines Glaubens oder seiner religiösen Anschauung wegen benachteiligt oder bevorzugt werden darf1 7 • Indem Art. 3 Abs. 3 GG aber das Merkmal der Staatsangehörigkeit gerade nicht nennt, sagt er aus, daß eine Differenzierung nach diesem Kriterium sehr wohl erlaubt ist, solange sie sich im Rahmen des Willkürverbots des Abs. 1 bewegt78. Die Eigenart der staatsbürgerlichen Rechte ist aber gerade der sachliche Grund dafür, daß diese Deutschen vorbehalten bleiben79 • So vermittelt nur die Deutschen-Eigenschaft gern. Art. 33 Abs. 1 und 2 GG die gleichen staatsbürgerlichen Pflichten und Rechte 80, deren herausgehobenes das Wahlrecht ist81 . Auch Art. 116 Abs. 1 GG, der den Begriff des Deutschen für das Grundgesetz defmiert, wird von den Verfechtern beider Positionen herangezogen. So wird die Regelung, daß auch Personen, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft innehaben, als Deutsche im Sinne des Grundgesetzes gelten können, als Indiz dafür angeführt, daß das Wahlrecht gerade nicht an die Staatsangehörigkeit gekoppelt ist82 . Die Tatsache, daß Art. 116 Abs. 1 GG die Ausgestaltung des Staatsangehörigkeitsrechts dem Bundesgesetzgeber überlassen hat, spricht jedoch nicht für die "Offenheit der Rechtsordnung ... bei der Bestimmung des Kreises der Aktivbürgerschaft"83. Art. 116 GG erhält seinen Sinn vielmehr erst dadurch, daß der Träger der deutschen Staatsgewalt im Ausgangspunkt aus der Gesamtheit der deutschen Staatsangehörigen besteht und die Vorschrift nur für eine Übergangszeit eine Ausnahme vorsieht84 . Sie hat also den Charakter einer Ausnahmevorschrift zu dem grundsätzlichen Junktim zwischen Staatsangehörigkeit und Wahlrecht85 und stützt damit die Auffassung, daß eine Ausweitung dieses Kreises nur über den Weg der Einbürgerung möglich ist86 .

Rittstieg, NJW 1989, 1018/1019. BVerfGE 51,1/30; BVerwGE 67,177/183; JarasslPieroth-Jarass, Grundgesetz (1997), Art. 3 Rn. 71 a. 79 Gramlich, ZAR 1989, 51/53. 80 BVerfGE 83,37/51; Papier, StWiuStPr 1990,202/204; Scholl, ZAR 1989, 62/64. 81 Karpen, NJW 1989, 1012/1013. 82 Meyer, Wahl grundsätze und Wahlverfahren (1987), S.269/272 f.; Roth, ZRP 1990,82/85; Zuleeg, ZAR 1988,13/14. 83 So aber Roth, ZRP 1990,82/85. 84 BVerfGE 83, 37/51; Isensee, KritV 1987, 300/302 f.; Papier, StWiuStPr 1990, 2021206. 85 Isensee, KritV 1987,300/302. 86 BVerfGE 83, 37/52; Papier, StWiuStPr 1990, 202/206; unzutreffend dagegen Zuleeg, KritV 1987, 322/326, der die Möglichkeit einer Modifikation der Einbürgerungsvorschriften als Argument dafür anführt, daß die Teilhabe nicht auf Deutsche beschränkt bleiben müßte, da sich die einzubürgernden Personen nicht mit diesem Vorgang veränderten. 77

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B. Das Kommunahlwahlvolk vor Einftihrung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG

Eindeutige Indizien zugunsten einer restriktiven Auslegung des Volksbegriffs in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG enthalten auch die Art. 56 und 64 Abs. 2 GG, wonach der Bundespräsident bzw. die Bundesregierung in ihrem Amtseid schwören, ihre Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen. Diese Artikel enthalten nicht lediglich Eidesformeln ohne verfassungsrechtlich erheblichen Regelungsgehalt87 . Vielmehr steht der Eid, insbesondere der der Bundesregierung, in Zusammenhang mit Art. 20 Abs. 2 GG, da diese als besonderes Organ der vollziehenden Gewalt der Legitimation durch das Volk bedarP8. Es wäre aber nur schwer nachvollziehbar, wenn das die Amtsgewalt legitimierende Wahlvolk größer wäre als die Personengruppe, in deren Interesse der Amtsträger zu handeln verpflichtet ist89 . Vereinzelt wird Art. 38 hinsichtlich der Wahlberechtigung als lex specialis zu Art. 20 Abs. 2 GG betrachtet90 . Danach verankerte Art. 20 Abs. 2 überhaupt nur das Demokratieprinzip im Grundgesetz, eine Aussage darüber, wer dem Wahlvolk angehöre, werde dadurch nicht getroffen. Über Art. 38 GG sei die Regelung der Wahlberechtigung dem einfachen Gesetzgeber überlassen, die damit auf den einzelnen Ebenen auch unterschiedlich ausfallen könne 91 . Dem ist zuzugeben, daß Art. 38 die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Wahlrecht, mit dessen Wahrnehmung Staatsgewalt i. S. d. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG ausgeübt wird, festlegt. Dies kann jedoch nur für die Personen geschehen, die überhaupt von Art. 20 Abs. 2 S.1 GG erfaßt werden; gerade wenn man Art. 38 GG als lex specialis begreift, kann er sich auch nur auf das von Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG gemeinte - deutsche - Volk beziehen92 • 4. Zwischenergebnis Obwohl also auch einzelne Indizien für eine Erstreckung des Volksbegriffs auf Ausländer angeführt werden können, bleibt damit festzuhalten, daß die Auslegung des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG die Übereinstimmung des dort verwendeten Begriffes "Volk" mit der Gesamtheit der deutschen Staatsangehörigen und der ihnen nach Art. 116 Abs. 1 GG gleichgestellten Personen ergibt.

87 So aber Hasenritter, VR 1981,14/15. 88 Birkenheier, Wahlrecht ftir Ausländer (1976), S. 33. 89 BVerfGE 83, 37/51; Bleckmann, DÖV 1988,437/440. 90 91

92

Meyer, Wahlgrundsätze und Wahlverfahren (1987), S. 269/273 f. Hasenritter, VR 1981, 14/15; Meyer a. a..O. So auch Huber, DÖV 1989, 531/533 f.

11. Der Volksbegriff des Art. 28 Abs. I S. 2 GG

33

11. Der Volksbegriff des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG Besteht nach den obigen Ausführungen das Wahlvolk i. S. d. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG ausschließlich aus deutschen Staatsbürgern und sog. Statusdeutschen i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG, so stellt sich weiterhin die Frage, ob dies auch auf kommunaler Ebene zur Folge hat, daß Ausländer vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Auszugehen ist dabei von der Regelung des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG, wonach das Volk in Ländern, Kreisen und Gemeinden eine gewählte Vertretung haben muß. Ob hierdurch Ausländer von der Beteiligung an Wahlen auf kommunaler Ebene ausgenommen sind, ist wiederum durch Auslegung zu klären.

1. Auslegung des Wortlauts Art. 28 Abs. I S. 2 GG bestimmt, daß das Volk in Ländern, Kreisen und Gemeinden eine gewählte Vertretung haben muß. Mit dem Wort "Volk", ohne den Zusatz "deutsch", ist derselbe Begriff gewählt worden wie in Art. 20 Abs.2 GG, was nahelegt, ihn in derselben Weise zu interpretieren93 • Dagegen wird angeführt, aus dem einheitlichen Sprachgebrauch in den beiden Normen könnten keine Schlüsse gezogen werden, da schon innerhalb des Art. 20 GG der Begriff nicht einheitlich gebraucht werde 94 • Jedoch stellt das Wahlvolk in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG eine Teilmenge des verfassungsgebenden Staatsvolks dar, welches Art. 20 Abs. 2 S. I GG meint; daraus, daß das Wahlrecht an bestimmte Voraussetzungen (z. B. ein Mindestalter) geknüpft ist, kann keine Abkehr von der Gleichsetzung von Staatsvolk und Wahlvolk erblickt werden95 • Im Unterschied zu Art. 20 Abs. 2 S. I GG fehlt in Art. 28 Abs. I S. 2 GG allerdings die Erwähnung der Staatsgewalt. Daraus könnte geschlossen werden, daß Art. 28 Abs. I S. 2 GG nicht ohne weiteres wie in Art. 20 Abs. 2 GG auszulegen ist, sondern dem Gesetzgeber Raum für eine erweiterte Bestimmung des Begriffs offenlassen Will96 . Eindeutige Hinweise für die Auslegung des Volksbegriffs ergeben sich aus dem Wortlaut des Art. 28 Abs. I S.2 GG jedoch nicht.

BVerfGE 83, 37/53; Erichsen, Jura 1988, 549/550. Breer, Mitwirkung von Ausländern (1982), S.63; Löhneysen, DÖV 1981, 330/332 f. 95 Niedermeyer-Krauß, Kommunalwahlrecht flir Ausländer (1989), S. 20. 96 Löhneysen, DÖV 1981,330/333. 93

94

3 Barloy

34

B. Das Kommunahlwahlvolk vor Einführung des Art. 28 Abs. I S. 3 GG

2. Historisch-genetische Auslegung Das Wahlrecht ohne Ansehung der Nationalität war in § 24 der preußischen Städteordnung von 1808 verbürgt. Der Aussagewert dieser historischen Quelle ist allerdings gering, da es zu dieser Zeit noch keine Regelung der preußischen Staatsangehörigkeit gab 97 • Diese wurde erst 1842 geschaffen, nach diesem Datum fehlt es denn auch im preußischen Recht an Normen, die Ausländern ein Kommunalwahlrecht einräumten. Art. 17 Abs. 1 S.2 WRV, der inhaltlich Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG teilweise entspricht, bezog sich ausdrücklich nur auf "reichsdeutsche Männer und Frauen". Während der größte Teil der Literatur hierin ein Beispiel für die Verknüpfung von Staatsangehörigkeit und Wahlrecht erblickt98 , schließt eine andere Ansicht hieraus gerade das Gegenteil. Im Kaiserreich herrschte das Primat der einzelstaatlichen Staatsangehörigkeit, Art. 17 WRV sollte den Reichsdeutschen das Wahlrecht einräumen, die in einem anderen als ihrem Heimatland ansässig waren. In der Zulassung sog. Binnenausländer zur Wahl sehen letztere nun die Lösung des Wahlrechts von der Staatsangehörigkeit99 • Dem ist zuzugeben, daß Art. 17 WRV auch Nicht-Landesangehörige zur Wahl zuläßt. Jedoch stellt dies lediglich eine Ausnahme dar, die zudem auf Personen beschränkt ist, die zwar nicht dieselbe Landeszugehörigkeit besaßen, aber Bürger desselben Staates waren 100. Insofern bietet sich ein Vergleich mit Art. 116 Abs. 1 GG an, der sog. Volksdeutsche ohne deutsche Staatsbürgerschaft mit Personen gleichstellt, die diese innehaben. Dem historischen Befund einer grundsätzlichen Verknüpfung von Staatsangehörigkeit und Wahlrecht widerspricht Art. 17 Abs. 1 WRV also nicht. Die Entstehungsgeschichte des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG selbst enthält hingegen keinerlei Hinweise oder Äußerungen hinsichtlich des Volksbegriffs. Die genetische Auslegung erlaubt damit allenfalls die Vermutung, auch bei dieser Vorschrift sei selbstverständlich von einer Gleichsetzung mit dem deutschen Volk ausgegangen worden lO1 ; mehr als ein vages Indiz kann dies jedoch nicht sein.

Darauf weist BVerfGE 83, 37/56 hin. Vgl. BVerfGE 83, 37/57; Papier, KritV 1987,309/311. 99 Bryde, Einwanderungsland (FS Söllner 1990), S. 1/8 f.; Sasse/Kempen, Kommunalwahlrecht für Ausländer (1974), S. 35 f. 100 Breer, Mitwirkung von Ausländern (1982), S. 65; Weigl, Verfassungsrechtliche Aspekte (1992), S. 24. 101 So Weigl a. a. 0., S. 23. 97 98

II. Der Volksbegriff des Art. 28 Abs. I S. 2 GG

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3. Systematisch-teleologische Auslegung Art. 28 Abs. 1 S. 1 und 2 verankert das Homogenitätsgebot im Grundgesetz. Nach der oft zitierten Formel des Bundesverfassungsgerichts soll dieses nicht Konformität und Uniformität, sondern nur ein gewisses Maß an Homogenität sichern l02 • Die Länder werden nur an die dort genannten Prinzipien gebunden, haben aber ansonsten Freiheit bei der Gestaltung ihrer verfassungsmäßigen Ordnung lO3 • Hinsichtlich der Wahlen zu Volksvertretungen in Ländern, Kreisen und Gemeinden zieht Art. 28 Abs. 1 S.2 GG engere Grenzen lO4 • Bei der Ausprägung ihres Wahlrechts sind die Länder im Rahmen des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG aber frei 105 , was sich bereits in den unterschiedlichen Kommunalwahlsystemen auswirkt. Daraus wurde teilweise der Schluß gezogen, Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG enthalte lediglich eine Mindestverbürgung des Wahlrechts fiir Deutsche i. S. d. Grundgesetzes, lasse den Landesverfassungsgebern aber die Möglichkeit, den Kreis der Wahlberechtigten zu Kommunalwahlen darüber hinaus auszudehnen lO6 • Als Argument wird dabei die Überlegung angefiihrt, daß die Gemeinden eine institutionelle Garantie im Grundgesetz besitzen und damit eine verfassungsrechtliche Legitimation ihrer Organe bereits gegeben sein könnte, so daß an deren Wahlen nicht dieselben Anforderungen wie in den Ländern zu stellen wären lO7 • Vielmehr bestehe ein qualitativer Unterschied zwischen dem Staatsvolk und dem in Art. 28 GG gemeinten "Verbandsvolk", das nicht mit derselben Legitimationskraft ausgestattet sei wie ersteres lO8 • Zudem wird angefiihrt, daß die von Art. 20 Abs. 2 GG gemeinten Wahlen in der Regel solche zu Gesetzgebungsorganen seien, gerade dies sei aber bei kommunalen Vertretungskörperschaften nicht der Fall l09 • Für eine Möglichkeit der Erweiterung des Kreises der Wahlberechtigten spricht schließlich Art. 28 Abs. 2 GG, der den Gemeinden das Recht gewährleistet, die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln, sofern sie sich BVerfGE 9, 268/279; 24, 367/390; 41, 88/119; 83, 37/58. Badura, Staatsrecht (1986), D Rn. 70; Jarass/Pieroth - Pieroth, Grundgesetz (1997), Art. 28 Rdnr. l. 104 BVerfGE 83, 37/58. 105 BVerfG a. a. 0.; Saftig, Kommunalwahlrecht (1990), S. 26; Sennewald, VR 1981, 77. 106 Bernsdorff, Ausländerintegration (1986), S. 145; Sasse/Kempen, Kommunalwahlrecht für Ausländer (1974), S. 45; Hasenritter, VR 1981, 14/16; Löhneysen, DÖV 1981, 330/332; Rittstieg, KritV 1987,315/316 f; OVG Lüneburg (6.11.1984) m. zust. Anm. Breer, ZAR 1985, 136/139; wohl auch VG Hannover DVBI. 1981, III O/lill. 107 Sasse/Kempen a. a. 0., S. 41 ff. 108 Breer, DVBI. 1982, 509. 109 Löhneysen, DÖV 1981,330/332. 102

103



36

B. Das Kommunahlwahlvolk vor Einführung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG

dabei im Rahmen der Gesetze bewegen. Dies könnte den Schluß zulassen, die örtliche Gemeinschaft umfasse alle in der Gemeinde ansässigen Personen, also auch solche nichtdeutscher Staatszugehörigkeit llO ; der Kreis der Wahlberechtigten auf kommunaler Ebene werde damit durch Art. 28 Abs. 2 GG festgelegt, während Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG nur die formalen Kriterien der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl auf Kreise und Gemeinden übertrage 111 • Gegen eine solche Auffassung läßt sich die übereinstimmende Wortwahl in Art. 28 Abs. 2 S. 1 und Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG anfuhren, die eine einheitliche Interpretation des Volksbegriffs nahelegt. Daraus kann gefolgert werden, daß Art. 28 Abs. 1 GG eine Ausformung des Demokratieprinzips in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG darstelle und demzufolge das Wahlvolk in einer Gemeinde teilidentisch mit dem auf Bundes- bzw. Landesebene sein müsse ll2 • Entscheidend muß fur diese Frage aber darauf abgestellt werden, ob die Teilnahme an Kommunalwahlen die Ausübung von Staatsgewalt i. S. d. Art. 20 Abs.2 S. 2 GG bedeutet ll3 . Ist dies zu bejahen, so dürfen nur diejenigen wahlberechtigt sein, denen Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG dieses Recht zugestanden hat, nämlich die deutschen Staatsangehörigen. Zunächst muß dazu geklärt werden, ob die Volksvertretungen in Kreisen und Gemeinden ihrerseits überhaupt Staatsgewalt ausüben. Dies wurde in der Vergangenheit vereinzelt unter Hinweis darauf bestritten, daß sie keine Gesetzgebungskörperschaften darstellten, sondern letztlich der Exekutive zuzuordnen seien" 4 • Aus diesem Grunde seien die Kreise und Gemeinden als Selbstverwaltungskörperschaften gegenüber der durch Bund und Länder ausgeübten öffentlichen Gewalt - der Staatsgewalt - abzugrenzen ll5 . Teilweise wurde auch dahingehend argumentiert, die Kommunen könnten jedenfalls insofern keine Staatsgewalt ausüben, als sie zur Selbstverwaltung tätig werden" 6 . Jedoch widerspricht diesen Ansätzen, daß die Gemeinde Regelungsgewalt besitzt ll7 , unabhängig davon, daß sie auch als Exekutive tätig ist. Kreise und Breer, DVBI. 1982, 509/511. Bryde, StWiuStPr 1990, 212/219 f.; Seibert, Kommunales Wahlrecht rur Ausländer (FS Mahrenholz 1994), 657/662. 112 Erichsen, Jura 1988, 549/550; MDRS- Herzog, Art. 20 Rn. 56; Papier, StWiuStPr 1990, 202/203; Senne wald, VR 1981, 77/80; Stern, Staatsrecht II (1980), § 25 II 2 c. 113 So auch SchiedermairiWollenschläger, Ausländemecht (1994),4 B Rn. 10. 114 Löhneysen, DÖV 1981,330/332. 115 Lamers, Repräsentation und Integration von Ausländern (1977), S. 68 f. 116 So Hasenritter, VR 1981, 14/16; Sasse/Kempen, Kommunalwahlrecht für Ausländer (1974), S. 37 f. 117 So zutreffend Rupp, ZRP 1989, 363/364. 110

111

H. Der Volksbegriff des Art. 28 Abs. I S. 2 GG

37

Gemeinden sind Teil des vom Staat aufgebauten Verwaltungssystems, die ihre Befugnisse - auch auf dem Gebiet der Selbstverwaltung - vom Staat ableiten 1l8 • Indem die demokratische Legitimation der Kreise und Gemeinden von der der Länder abhängig ist, stehen sie nicht selbständig als dritte Säule neben Bund und Ländern; die Regelungsgewalt auf kommunaler Ebene ist vielmehr eine abgeleitete und damit Ausfluß der Staatsgewalt l19 . Die kommunale Ebene ist nicht durch ein anderes politisches oder gesellschaftliches Prinzip ausgestaltet, sondern ist in den demokratischen Staatsaufbau als unterste Stufe eingegliedert. Aus diesen Gründen besteht heute weitestgehend Einigkeit darüber, daß auch die Vertretungskörperschaften in Kreisen und Gemeinden Staatsgewalt ausüben l20 • Die daran anschließende Frage muß nun lauten, ob Wahlen zu den kommunalen Vertretungskörperschaften die Ausübung von Staatsgewalt durch das Volk darstellen 121. Da jene selbst im Staatsaufbau Staatsgewalt ausüben, tritt ihre Legitimation nicht zusätzlich neben die staatlich demokratische, sondern ersetzt sie in einem Teilbereich l22 . Das die kommunalen Vertretungskörperschaften legitimjerende Wahlvolk war also vor Einführung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG nur territorial anders zu bestimmen als das in den Ländern, es war eine Teilmenge des von Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG gemeinten Volkes 123 • Art. 28 Abs. 1 GG griff bei der Bestimmung des Wahlvolks auf Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zurück; er regelte vor seiner Erweiterung um den neuen S. 3 nicht, wer die Staatsgewalt ausübt, sondern wie sie ausgeübt wird l24 • Auch auf kommunaler Ebene mußte somit die Staatsgewalt ausschließlich durch das deutsche Volk legitimiert werden. Dieses wäre bei einer Gewährung des Wahlrechts an Ausländer, oder auch nur einer - unter welchen Gesichts-

118 Erichsen, Jura 1988, 549/550; Schink, DVBI. 1988, 417/424; Schieberger, StTg 1974,597/599; Sennewald, VR 1981, 77/80. 119 Statt vieler Mutius, Kommunalrecht (1996), Rn. 55; Papier, StWiuStPr 1990, 202/207; SchiedermairlWollenschläger, Ausländerrecht (1994), 4 B Rn. 13; Schild, DÖV 1985, 664/672; Waechter, Kommunalrecht (1995), Rn. 285. 120 BVerfGE 83, 37/54; Birkenheier, Wahlrecht ftir Ausländer (1976), S. 118; Schild, DÖV 1985,664/672; Senne wald, VR 1981; 77/80. 121 Dies wird selbst von den Vertretern der Auffassung, daß auf kommunaler Ebene keine Staatsgewalt ausgeübt werden, teilweise bejaht, vgl. in diesem Sinne Löhneysen, DÖV 1981,330/332. 122 Bäckenfärde, Demokratie als Verfassungsprinzip (1987), § 22 Rdn. 25; Erichsen, Jura 1988, 549/550; Isensee, VVDStRL 32 (1974), 49/96. 123 Mutius, Kommunalrecht (1996), Rn. 55; Papier, StWiuStPr 1990,2021203; Rupp, ZRP 1989, 363/364; Saftig, Kommunalwahlrecht (1990), S. 19; Schild, DÖV 1985, 664/672. 124 Sennewald, VR 1981, 77/82.

38

B. Das Kommunahlwahlvolk vor Einftihrung des Art. 28 Abs. I S. 3 GG

punkten auch immer - ausgewählten Gruppe von Ausländern, nicht mehr gewährleistet gewesen 125 •

111. Ergebnis Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG beschränkte das Wahlvolk auf der Ebene der Länder, Kreise und Gemeinden auf das in dem jeweiligen Gebiet ansässige Volk i. S. d. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG, das wiederum nur deutsche Staatsangehörige umfaßt. Die Ausweitung des Wahlrechts hinsichtlich kommunaler Gebietskörperschaften verstieß vor der Einführung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG somit gegen Art. 28 Abs. 1 S. 2 i. V. m. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG. Zur Gewährung eines kommunalen Wahlrechts an Unionsbürger bedurfte es somit einer Änderung des Grundgesetzes.

125 Daß das Vertretungsrecht des deutschen Volkes "in tatsächlicher und rechtlicher Weise nur unerheblich" eingeschränkt wird, kann dabei entgegen Löhneysen, DÖV 1981,330/332 keine Rolle spielen.

c. Der Entstehungshintergrund des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG

Die Veränderung der bestehenden Rechtslage, nach der Ausländern die Teilnahme an Kommunalwahlen verwehrt war, wurde von den verschiedenen politischen Kräften in unterschiedlichem Maße gewünscht und gefördert. Bis es zur Verabschiedung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG kommen konnte, bedurfte es einer langwierigen politischen Entwicklung, die im folgenden kurz skizziert werden wird. Sie soll vor allem aufzeigen, daß Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG keineswegs das Ergebnis einer konsequenten innerstaatlichen Entwicklung ist, sondern ohne den Einfluß der europäischen Rechtsetzung wohl noch lange auf sich hätte warten lassen.

J. Das Kommunalwahlrecht für Ausländer im deutschen Recht 1. Vorstöße der Länder Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein

Da abzusehen war, daß eine Änderung der Verfassungsrechtslage nicht ohne Schwierigkeiten durchzusetzen sein würde, unternahmen einzelne Bundesländer den Versuch, ein Kommunalwahlrecht fiir Ausländer auf ihrem Territorium durch Änderung des Landesrechts einzuführen. In der Stadtgemeinde Bremen war das Kommunalwahlrecht durch das Ortsgesetz über Beiräte und Ortsämter im Gebiet der Stadtgemeinde Bremen vom 9.4 .1979 126 (BeiratsG) geregelt. Durch das Änderungsgesetz zum BeiratsG vom 17.12.1985 127 wurde Ausländern die Wählbarkeit in die Beiräte zugebilligt, sofern sie die auch fiir Deutsche geltenden Voraussetzungen erfüllten sowie seit mindestens fünf Jahren ihre Hauptwohnung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hatten. Das BeiratsG vom 20.6.1989 128 gestaltete das Kommunalwahlrecht in Bremen teilweise neu. Eine wesentliche Veränderung bestand darin, daß Ausländern das aktive Wahlrecht eingeräumt wurde, woran das passive durch eine

BremGBI. S. 115. BremGBI. S. 236. 128 BremGBI. S. 241. 126 127

40

C. Der Entstehungshintergrund des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG

weitere, nicht auf Deutsche beschränkte Vorschrift gekoppelt war und ist. Zudem wurden den Beiräten zusätzliche Aufgaben und Befugnisse zugeteilt. 25 Angehörige der CDU-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft stellten gegen Teile des neuen BeiratsG einen Normenkontrollantrag beim Bremischen Staatsgerichtshof. Als zweites Bundesland schuf Hamburg ein Kommunalwahlrecht für Ausländer. Dies erfolgte durch das Hamburger Gesetz zur Einführung des Wahlrechts für Ausländer zu den Bezirksversammlungen vom 20.2.1989 129, das seinerseits das Gesetz über die Wahl zu den Bezirksversammlungen (BezWahIG) änderte. Dieses Gesetz gewährte allen Ausländern das aktive Wahlrecht zu den Bezirksversammlungen der Freien und Hansestadt Hamburg, die sich seit mindestens acht Jahren im Geltungsbereich des Grundgesetzes autbielten, sofern sie eine Aufenthaltserlaubnis besaßen oder die RechtsteIlung eines heimatlosen Ausländers innehatten. In dem Hamburger Gesetz wurde den betroffenen Ausländern ebenfalls durch eine bereits existente Norm (§ 10 BezWahlG) - ebenso wie allen anderen Wahlberechtigten - auch das passive Wahlrecht eingeräumt. Gegen dieses Landesgesetz strengten 221 Abgeordnete des Deutschen Bundestages - allesamt Angehörige der CDU/CSU-Fraktion - eine abstrakte Normenkontrolle i. S. d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG; §§ 13 Nr. 6; 76 BVerfGG an. Praktisch zeitgleich mit dem Hamburger Gesetz war das SchleswigHolsteinische Gesetz zur Anderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vom 21.2.1989 (GKWG)130 in Kraft getreten. Es sah vor, Angehörige der Staaten Dänemark, Irland, Niederlande, Norwegen, Schweden und Schweiz bei den Wahlen zu den Gemeinde- und Kreisvertretungen in Schleswig-Holstein als Wahlberechtigte zuzulassen. Voraussetzung dafür war neben der entsprechenden Staatsangehörigkeit, daß die Person seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Grundgesetzes hatte und eine Aufenthaltserlaubnis besaß bzw. keiner solchen bedurfte. Durch das Änderungsgesetz wurde ausdrücklich nur das aktive Wahlrecht geregelt, gern. § 6 Abs. 1 GKWG ist allerdings das passive Wahlrecht an das aktive geknüpft, so daß auch jenes gleichzeitig den Angehörigen der genannten Staaten eingeräumt wurde. Der Kreis der von dieser Regelung begünstigten Ausländer war nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit festgelegt worden 131 . Es wurde darin nur den Angehörigen solcher europäischer Staaten die Wahlberechtigung gewährt, die 129 HambGVBI. 11, S. 29. 130 SchIHoIstGVBI. S. 12. 131 Die Verfassungsmäßigkeit der Differenzierung nach diesem Kriterium bestreitet Mutius, Jura 1991, 410/411 und ders., Kommunalrecht (1996), Rn. 57 ff.

I. Das Kommunalwahlrecht für Ausländer im deutschen Recht

41

ihrerseits über ein Kommunalwahlrecht für Ausländer verfügten, das auch Deutschen zugute kam l32 • Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß der SchleswigHolsteinische Landtag 1979 einen Beschluß gefaßt hatte, der die Einführung des Kommunalwahlrechts für Angehörige der EG-Staaten als wünschenswert bezeichnete, aber selbst von der Verfassungswidrigkeit dieses Vorhabens - ebenso wie hinsichtlich der Einführung des Kommunalwahlrechts für Ausländer allgemein - ausging; der Deutsche Bundestag, seine Fraktionen, die Bundesregierung und der Bundesrat wurden damals zur Änderung der verfassungsrechtlichen Lage aufgefordert l33 • Gegen das GKWG wurden vor dem Bundesverfassungsgericht zwei abstrakte Normenkontrollanträge i. S. d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG; § 13 Nr. 6, § 76 BVerfGG gestellt, zum einen von denselben 221 Mitgliedern des Bundestages, die sich bereits gegen die Hamburger Norm gewandt hatten, zum anderen von der Bayerischen Staatsregierung, die die Hamburger Regelung nicht beanstandet hatte. Beide Antragsteller hielten die Regelung für mit dem Grundgesetz unvereinbar und beantragten deshalb, sie für nichtig zu erklären. Das Bundesverfassungsgericht entschied im Sinne der Antragsteller, daß die Schleswig-Holsteinische 134 und die Hamburger IJS Regelungen verfassungswidrig und nichtig seien. Der Bremische Staatsgerichtshof schloß sich dieser Einschätzung in bezug auf das Bremer Gesetz an 136, obwohl der Aufbau dieses Bundeslandes und die Aufgaben seiner Bezirke sich von denen Hamburgs signifIkant unterscheiden 137. Der Vorstoß dieser drei Bundesländer scheiterte damit, ohne daß Ausländer an einer Kommunalwahl in diesen Ländern hätten teilnehmen können.

2. Exkurs: Kommunalwahlrecht für Ausländer in der DDR Obwohl es tatsächlich wohl keine Auswirkungen auf die Einführung des Kommunalwahlrechts für Ausländer im wiedervereinigten Deutschland gehabt 132 In der Schweiz unterfallt das Kommunalwahlrecht der Zuständigkeit der Kantone, es wurde Ausländern zum hier maßgeblichen Zeitpunkt in den Kantonen Freiburg, Jura, Neuenburg (dort bereits seit 1849!) und Thurgau gewährt; vgl., Frank, KJ 1990, 290/296; Franz, InfAuslR 1980, 2101213; Schild, DÖV 1985,664/666. I33 Vgl. Rittstieg, Wahlrecht für Ausländer (1981), S. 23 f. 134 Vgl. BVerfGE 83, 37. m Vgl. BVerfGE 83, 60. 136 Vgl. BremStGH DVBI. 1991, 1074. 137 Vgl. dazu BrandtlSchefold, Gemeinden (1991), A. 547/575 f.; Hlepas, DVBI. 1991, 1136/1138 sowie unten D. 11. 2. c).

42

C. Der Entstehungshintergrund des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG

und in der bundesdeutschen Fachliteratur ein ausgesprochen geringes Echo hervorgerufen hat, soll an dieser Stelle kurz auf entsprechende Regelungen in der DDR eingegangen werden. Am 3. März 1989 verabschiedete die Volkskammer der DDR ein Wahlrechts-Änderungsgesetz, durch das allen in der DDR lebenden Ausländern mit Wirkung zum 6. März 1989 das aktive und passive Wahlrecht zu Kommunalwahlen gewährt wurde, sofern sie das 18. Lebensjahr vollendet hatten und sich seit mindestens sechs Monaten in der DDR aufhielten. Aufgrund des bekanntlich wenig ausgeprägten demokratischen Verständnisses der damaligen Machthaber wurde diese politische Entscheidung im In- und Ausland mit einiger Überraschung zur Kenntnis genommen. Eine plausible Erklärung für diese Maßnahme ergibt sich aus dem engen zeitlichen Zusammenhang zu der bundespolitischen Kontrov·erse über das schleswig-holsteinische Gesetz zur Änderung des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes 138 • Durch diese "propagandistische Maßnahme"\39 sollte das Bild einer gegenüber der westdeutschen fortschrittlicheren und ausländerfreundlicheren Gesellschaft gezeichnet werden l40 • Die Wahlbeteiligung unter den ca. 85000 141 wahlberechtigten Ausländern blieb gering, allerdings wurden immerhin 112 Ausländer in kommunale Vertretungskörperschaften gewählt. Weniger als ein Jahr später, bereits nach dem Fall der Mauer, wurde durch Ergänzung des Art. 22 der DDR-Verfassung Ausländern auch das Wahlrecht zu den Kreistagen, Stadtverordnetenversammlungen und Gemeindevertretungen eingeräumt l42 • Als Voraussetzung dafür wurde durch einfaches Recht eine Mindestaufenthaltsdauer von zwei Jahren bestimmt l43 • Jürgen Zschalich, der selbst an den Meinungsbildungsprozessen in dieser Phase beteiligt war, bezeichnet die Schaffung dieses Ausländerwahlrechts als "eine demokratische Entscheidung, die auf der Aktivität vielfliltiger Kräfte in der Gesellschaft beruhte und von ihnen mitgetragen wurde"I44. Im Gegensatz zu dem Gesetz von 1989 handelte es sich hierbei also nicht um aufoktroyierte, von der gesellschaftlichen und politischen Realität losgelöste Normen, sondern um einen Ausdruck der aufkeimenden demokratischen Entwicklung. Sieveking äußert außerdem den Gedanken, daß die DDR sich nach dem Fall der Mauer im

Vgl. oben 1. Sieveking, InfAuslR 1990,73. 140 Zschalich, ZAR 1990, 163. 141 Angabe nach Zschalich a. a. O. S. 163; hingegen spricht Sieveking, InfAuslR 1990,73 von nur 60000 ausländischen Wahlberechtigten. 142 Gesetz zur Änderung der Verfassung der DDR vom 20.02.1990 (GBI. I, 59). 143 Gesetz vom 06.05.1990 (GBI. I, 109); Or~nung vom 09.03.1990 (GBI. I 99, 127). 144 Zschalich, ZAR 1990, 163/164. 138 \39

I. Das Kommunalwahlrecht für Ausländer im deutschen Recht

43

Hinblick auf eine mögliche Einbeziehung in die Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaften "einbringen" wollte l45 • Gerade im Hinblick auf diese bei den Aspekte ist es bedauerlich, daß in der Diskussion um ein Kommunalwahlrecht fiir Ausländer die Vorgänge in der DDR beinahe ohne Erwähnung blieben - Tatsache bleibt, daß das Ausländerwahlrecht in der DDR auf die Entstehung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG praktisch keinen Einfluß hatte l46 •

3. Die Beratungen in der Gemeinsamen Verfassungskommission Die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten im Jahre 1990 warf die Frage auf, ob das Grundgesetz, das ursprünglich nur als vorläufige Fundamentalnorm konzipiert war, durch eine neue gesamtdeutsche Verfassung ersetzt werden sollte l47 • Nachdem feststand, daß die DDR der Bundesrepublik gern. Art. 23 GG beitreten würde und es nicht unmittelbar im Zuge der Wiedervereinigung zur Schaffung einer neuen Verfassung i. S. d. Art. 146 GG kommen würde, wurde in Art. 5 EV unter anderem die Empfehlung aufgenommen, sich binnen zwei Jahren mit der Anwendung des Art. 146 GG und in diesem Zusammenhang mit der Durchfiihrung einer Volksabstimmung zu befassen l48 •

a) Die Auseinandersetzung der politischen Parteien Über die Verwirklichung dieser Empfehlung bestand Uneinigkeit zwischen den politischen Parteien l49 • Durchsetzen konnte sich schließlich die Auffassung, daß es der Schaffung einer neuen Verfassung nicht bedürfe, Ziel war danach vielmehr eine Überarbeitung des bestehenden, bewährten Grundgesetzes. Mit dieser Aufgabe wurde ab dem 14.01.1992 die Gemeinsame Verfassungskommission (GVK) betraut, die sich aus 64 Personen zusammensetzte, je zur Hälfte Mitglieder von BundestagISO und Bundesrat.

145

Sieveking, InfAuslR 1990, 73/74.

Dies entgegen der ausdrücklichen Anregung von Sieveking, InfAuslR 1990, 73. Zur Diskussion statt vieler Degenhart, DVBI. 1990, 973/974 ff.; Depenheuer, Die politische Meinung 293 (April 1994), S. 17 ff.; Spiecker, BayVBI. 1990, 257/257 ff.; Weis, AöR 116 (1991), 1/2ff. 148 Vgl. dazu Kriele, ZRP 1991, 1/1 ff.; Rubel, JA 1992, 265/266. 149 Vgl. dazu Incesu, KJ 1993,475/476 ff. ISO Davon gehörten an: 15 der CDU/CSU, 11 der SPD, 4 der FDP, 1 Bündnis 90IDie Grünen, 1 der PDSlLinke Liste. 146 147

44

C. Der Entstehungshintergrund des Art. 28 Abs. I S. 3 GG

Bei den Verhandlungen der GVK über die Einruhrung eines Kommunalwahlrechts rur Ausländer wurden dabei im wesentlichen wieder die Positionen eingenommen, die schon im Vorfeld bezogen worden waren. CDU und CSU hatten durch die Klagen gegen die Vorstöße aus Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein deutlich gemacht, daß sie einem Kommunalwahlrecht zumindest fiir Nicht-EU-Ausländer grundsätzlich ablehnend gegenüberstanden, während SPDISI, Bündnis 90IDie Grünen l52 und POSILinke Liste l53 ein allgemeines Kommunalwahlrecht rur Ausländer l54 favorisierten. Auch Teile der FDP äußerten sich in diesem Sinne 155 • Die SPD stellte in der GVK den Antrag, in Art. 28 Abs. 1 GG folgende Sätze einzurugen: "Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind Ausländer, die die dafür im Recht der Europäischen Gemeinschaften genannten Voraussetzungen erfüllen oder ihren ständigen Wohnsitz im Bundesgebiet haben, wie Deutsche wahlberechtigt und wählbar. Für Abstimmungen in Kreisen und Gemeinden gilt Satz 4 entsprechend."156

Da die Ratifizierung der Maastrichter Verträge jedoch immer dringlicher wurde und der Zeitdruck auf die Gemeinsame Verfassungskommission zunahm, wurde der Antrag von der SPD vorläufig zurückgenommen. Die SPD erklärte sich dabei bereit, das zur Ratifizierung der Maastrichter Verträge notwendige "Minimum" beizutragen l57 • Später stellte die SPD erneut einen Antrag in der GVK zur Abstimmung. Er sah folgende Neufassung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG vor: "Bei Wahlen in Gemeinden und Gemeindeverbänden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe des Rechts der Europäischen Gemeinschaften, andere Ausländer mit ständigem Wohnsitz nach Maßgabe des Landesrechts wahlberechtigt und wählbar."158

151 Vgl. BT-Drs. 12/6323 und 12/8165, S.95 f.; vgl. dazu auch Schmalenbach, Europaartike1 23 GG (1996), S. 161 f 152 Vgl. BT-Drs. 12/6686 und 12/8165, S. 117. 153 Vgl. den weitreichenden GesetzentwurfBT-Drs. 12/6570 und 12/8165, S. 112 f. 154 Vgl. dazu H. 155 Vgl. Z. B. den Änderungsantrag der Abgeordneten Hirsch, Lüder, Baum und Schmalz-Jacobsen, BT-Drs. 12/8199 (neu); anders hingegen der Wortbeitrag des Abgeordneten Irmer in der 18. Sitzung der GVK vom 04.03.1993, Prot. S. 18 f, der aber für Unionsbürger ein Wahlrecht über den Bereich der Kommunalwahlen hinaus befürwortete. 156 Kommissionsdrucksache Nr. 7 (neu), S. 3. 157 Abgeordneter Verheugen in der 8. Sitzung der GVK, Stenogr. Bericht S. 11. 158 Kommissionsdrucksache Nr. 65.

I. Das Kommunalwahlrecht rur Ausländer im deutschen Recht

45

Mit 27 Ja-Stimmen, 19 Nein-Stimmen und 4 Enthaltungen verfehlte der Antrag die erforderliche Zweidrittelmehrheit.

b) Die unterschiedlichen Ansätze der Bundesländer Auch die Bundesländer brachten sich in die Verhandlungen der GVK ein. Zunächst waren dies Bremen und Hamburg, deren landesgesetzliche Einfilhrung eines Kommunalwahlrechts rur Ausländer am Votum des Bundesverfassungsgerichts bzw. Bremischen Staatsgerichtshofs gescheitert war. Bremen legte bei seinen Vorstößen die Betonung auf die Klärung der besonderen Rechtslage der Stadtstaaten l59 • Es strebte die Lösung des bremischen Problems an, daß das Wahlrecht zum Bremer Landesparlament - der Bürgerschaft -, bislang vom Kommunalwahlrecht nicht zu trennen ist l60 . Zunächst zielte Bremen auf eine Ergänzung des neuen Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG ab. Art. 28 Abs. 1 S. 4 GG sollte danach lauten: "In den Ländern Berlin, Bremen und Hamburg können die Landesverfassungen vorsehen, daß dies auch bei Wahlen zu den Landtagen gilt, wenn staatliche und gemeindliche Tätigkeiten nicht getrennt sind oder eine Gemeindevertretung aus einem Teil des Landtages besteht." Nachdem sich Hamburgs Justizsenatorin Peschel-Gutzeit dahingehend geäußert hatte, daß diese Konstellation Hamburg nicht erfasse l61 , zog Bremen den Antrag zurück. Statt dessen schlug es eine Erweiterung der bereits bestehenden "Bremer Klausel" in Art. 141 Abs. 2 GG vor. Diese sollte lauten: "Art. 28 Abs. 1 Satz 3 findet auch in einem Land Anwendung, in dem am 7. Februar 1992 eine landesverfassungsrechtliche Regelung galt, nach der eine Gemeindevertre-

tung aus einem Teil des Landtags besteht."

Der Antrag wurde_mit der Begrünqung abgelehnt, mit ihm sei ein Einstieg in das Ausländerwahlrecht bei Landtagswahlen verbunden, das eben gerade nicht erwünscht sej162. Bayern wiederum bemühte sich, den Umfang der Grundgesetzänderung gering zu halten. In einer Protokollnotiz 163 wiesen seine Vertreter darauf hin, daß sie die neue Vorschrift als reine Öffnungsklausel betrachteten, die nicht selbst 159 Vgl. dazu D. 11. 2. c). 160 Vgl. zu den Besonderheiten des Bremischen Landesaufbaus D. 11. 2. c) bb). 161 11. Sitzung der GVK vom 14.10.1992, Stenogr. Bericht - Anhang - S. 31. 162 11. Sitzung der GVK vom 14.10.1992, Stenogr. Bericht S. 5 ff. 163 GVK-Arbeitsunterlage Nr. 62.

46

c. Der Entstehungshintergrund des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG

eine Gewährleistung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger enthalte 164. Zudem würde Bayern darauf bestehen, daß Ausländer von der Wahl zum Bürgermeister und vergleichbaren Ämtern mit Exekutivbefugnissen ausgeschlossen werden könnten 165 und daß ausreichende Wartezeiten zur Ausübung des aktiven, noch längere zur Ausübung des passiven Wahlrechts normiert werden würden l66 . Im Hinblick auf die Entwicklung auf europäischer Ebene setzte sich in der GVK die nun bestehende Lösung durch, die mit Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG ein Kommunalwahlrecht für Ausländer auf Verfassungsebene vorsieht, dieses aber auf Unionsbürger beschränkt. Vorgeschlagen wurde von der GVK schließlich die letztendlich realisierte Formulierung, allerdings als Art. 28 Abs. 1 S. 4 GG167.

11. Entwicklung auf europäischer Ebene Daß es nur kurze Zeit nach den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zur Einführung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG kam, hing zudem eng mit den Entwicklungen im Europarecht zusammen. Die Ziele der Europäischen Gemeinschaften waren zunächst vorwiegend auf die Erleichterung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten gerichtet, umfaßten darüber hinaus aber bereits mit ihrer Gründung die Entwicklung hin zu einem "Europa der Bürger"168. Je mehr damit auch Arbeitnehmer von der Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaften Gebrauch machten, umso stärker stellte sich die Frage nach einer Ausweitung der politischen Rechte. Hintergrund davon war, daß eine dauerhafte Verlagerung des Arbeitsund Lebensmittelpunktes in einen anderen Mitgliedstaat den Verlust von politischen Rechten mit sich brachte 169. Die Wahrnehmung des Rechts auf Freizügigkeit sollte nicht den Verlust an demokratischer Mitwirkung zur Folge haben l7O •

164 Vgl. dazu D. I. 1. 165 Vgl. dazu D. 11. 2. b) bb). 166 Vgl. dazu D. I. 3. b) bb). 167 BT-Drs. 12/6000, S. 25 f. 168 Umfassend dazu Magiera, Europa der Bürger (1990), S. 13/17; vgl. auch Everling, DVBI. 1993,936/937 f. 169 Grabitz, Europäisches Bürgerrecht (1970), S. 88 ff.; Magiera, Europa der Bürger

(1987), S. 123/135. 170 Magiera, Europa der Bürger (1990), S. 13/24; von einer "Selbstverstümmenlung politischer Rechte" spricht Papier, Kommissionsvorschlag (1990), S. 27.

11. Entwicklung auf europäischer Ebene

47

1. Richtlinienvorschläge der EG-Kommission 1988 und 1989

Bereits 1974 beauftragte der Europäische Rat von Paris eine Arbeitsgruppe damit, die Voraussetzungen für die Schaffung besonderer Rechte der Bürger der EG-Mitgliedstaaten zu pTÜfen l7l • Im folgenden Jahr legte die Kommission dem Rat hierzu einen Bericht vor, der u. a. die Gewährung des Wahlrechts auf kommunaler Ebene für Angehörige der Mitgliedstaaten vorschlug l72 , jedoch beim Rat nicht auf Zustimmung stieß. Später drängte das Europäische Parlament verstärkt auf eine Entscheidung über das Kommunalwahlrecht für EGStaatsangehörige. So legte es 1977 eine Entschließung zur Zuerkennung besonderer Rechte an die Bürger der Europäischen Gemeinschaft vor 173 und forderte am 07.06.1983 die Kommission auf, im Hinblick auf die Schaffung eines EG-weiten Kommunalwahlrechts für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten tätig zu werden l74 . 1985 legte der vom Europäischen Rat von Fontainebleau einberufene "Adonnino-Ausschuß" dem Europäischen Rat von Mailand seinen Schlußbericht vor, in dem empfohlen wurde, " ... daß der Europäische Rat die Gemeinschaftsinstitutionen und die Mitgliedstaaten auffordern sollte, vertieft ihre bereits begonnenen Diskussionen fortzusetzen, ein aktives und schließlich ein passives Wahlrecht Bürgern anderer Mitgliedstaaten bei lokalen Wahlen zu gewähren, und zwar unter den gleichen Bedingungen, wie sie für Bürger des Aufenthaltslandes gelten, sofern die Betreffenden eine bestimmte Zeit vor der Wahl einen festen Wohnsitz im Aufenthaltsland hatten"175. Im November desselben Jahres forderte das Europäische Parlament die Kommission in zwei Entschließungen auf, einen Vorschlag zum Kommunalwahlrecht für EG-Bürger zu erarbeiten I76 • Am 07.10.1986 legte die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat einen ersten Bericht über das "Wahlrecht der Bürger der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft bei Kommunalwahlen" vor, worin sie ihre Entschlossenheit zu Fortschritten auf diesem Gebiet bekundete l77 • Es bedurfte jedoch einer weiteren nachdrücklichen Handlungsaufforderung durch das Europäische Parlament,178 um die Kommission im Jahre 1988 171 Kommunique der Konferenz, Ziff, 11, EG-Gesamtbericht 8/1974,337 ff. l72 Bulletin der EG, Beil. 7/1975, S. 23 ff. 173 EP 1977-8, Dok. 246/77, S. 10. 174 Sog. Macciocchi-Bericht (07.06.1983), ABI. Nr. C 184/27 f. vom 11.07.1983. 175 Europa der Bürger - Bericht des Ad-hoc-Ausschusses, Bulletin der EG, Beil.

7/1985, S. 21.

176 Entschließungen vom 14.06.1985 (ABI. Nr. C 175/276) und vom 13.1l.l985 (ABI. Nr. C 345/27). 177 Bulletin der EG, Beil. 7/1986, S. 5. 178 Sog. Vetter-Bericht (15.12.1987), ABI. Nr.C 13/33 vom 18.0l.l988.

48

C. Der Entstehungshintergrund des Art. 28 Abs. I S. 3 GG

schließlich zu einem ersten Richtlinienentwurf179 zu veranlassen. Nachdem das Europäische Parlament einige Änderungen angeregt hatte l80 , wurde am 17.10.1989 von der Kommission ein veränderter Richtlinienvorschlag beschlossen 181. Inhalt dieses Vorschlags war die Gewährung des aktiven und passiven Wahlrechts nach Maßgabe des Wahlrechts des Aufenthaltsstaates. Dieses Recht sollte jedem EG-Bürger zustehen, der seinen Aufenthalt seit einer von jedem Mitgliedstaat selbst zu bestimmenden Mindestdauer ununterbrochen in diesem Staat gehabt hatte. Die Grenzen der Mindestaufenthaltsdauer sollten nach den Vorstellungen der Kommission bei höchstens einer Wahlperiode fur das aktive und zwei Wahlperioden rur das passive Wahlrecht liegen. Um ein doppeltes Stimmrecht der betroffenen Personen zu vermeiden, war weiterhin vorgesehen, das Wahlrecht im Aufeilthaltsstaat einem Anragerfordemis zu unterwerfen, mit der AntragsteIlung wäre dann ein Verlust des Wahlrechts im Herkunftsland verbunden gewesen. In der Literatur wurden Bedenken geäußert, ob die EG überhaupt eine Kompetenz zum Erlaß einer derartigen Richtlinie besäße l82 • Diese Überlegungen wurden jedoch gegenstandslos; der Richtlinienvorschlag der Kommission, der dem Rat vorgelegt worden war, wurde ausgesetzt, als die Beratungen zur Aufnahme des Kommunalwahlrechts rur Ausländer in die Maastrichter Verträge über die Europäische Union begannen.

2. Maastrichter Verträge über die Europäische Union Die Maastrichter Verträge über die Europäische Union, die am 07.02.1992 unterzeichnet wurden, enthalten unter B. einen Titel zur sog. Unionsbürgerschaft, der als Zweiter Teil in den EG-Vertrag eingefugt wurde 183 • Er fuhrt die sog. Unionsbürgerschaft ein und enthält Regelungen zum Aufenthaltsrecht, zum diplomatischen Schutz rur UnionsbÜfger in anderen Mitgliedstaaten, zum Petitionsrecht und einen abschließenden Artikel zur Berichterstattungspflicht der Kommission über die Anwendung der vorgehenden Vorschriften. 179 Bulletin der EG, Beil. 2/1988, S. 40 ff.

Vgl. ABI. Nr. C 96/101 vom 17.04.1989. ABI. Nr. C 290/4 ff vom 18.11.1989. 182 So Lobkowicz, DÖV 1989, 519/524 ff; Magiera EurArch 1988, 475/477 f.; Röger, VR 1993, 137/141 f; Weigl, Verfassungsrechtliche Aspekte (1992), S.90 ff.; befiirwortend hingegen Papier, Kommissionsvorschlag (1990), S. 27/29. 183 Vgl. allg. dazu Bleckmann, DVBI. 1992, 335/336 f; Degen, DÖV 1993, 7491 751 ff.; Fischer, EuZW 1992, 566/567 f.; Piepenschneider/Steppacher, Maastricht (1993), S. 13 f. 180 181

H. Entwicklung auf europäischer Ebene

49

Zudem wurde dabei durch Titel II, Art. g Lit. C in den EG-Vertrag Art. 8 b Abs. 1 eingerugt, der das Kommunalwahlrecht rur EU-Staatsangehörige regelt. Er lautet: "Jeder Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, hat in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen, wobei für ihn dieselben Bedingungen gelten wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats. Dieses Recht wird vorbehaltlich der Einzelheiten ausgeübt, die vom Rat vor dem 31. Dezember 1994 einstimmig auf Vorschlag der Kommission nach Anhörung des Europäischen Parlaments festzulegen sind; in diesen können Ausnahmeregelungen vorgesehen werden, wenn dies aufgrund besonderer Probleme eines Mitgliedstaates gerechtfertigt ist."

Das Kommunalwahlrecht rur Unionsbürger hat damit seine Verankerung auf europarechtlicher Ebene gefunden l84 • Es wird bisweilen als "Kernstück" der Unionsbürgerschaft bezeichnet, da es Angehörigen der Mitgliedstaaten erstmals die Möglichkeit eröffnet, an der Ausübung der Hoheitsgewalt in einem anderen Mitgliedstaat teilzuhaben l85 • Die oft monierte Tatsache, daß mit der Freizügigkeit innerhalb Europas ein weitgehender Verlust politischer Rechte einherging l86 , hat damit eine wesentliche Abschwächung erfahren. Indem der Weg über die Schaffung primären Gemeinschaftsrechts beschritten wurde, stellte sich - im Gegensatz zu den Richtlinienentwürfen 1988 und 1989 - die Frage nach der Regelungskompetenz der EG nicht. In mindestens acht der damals zwölf Mitgliedstaaten machte die Einruhrung eines Kommunalwahlrechts rur Unionsbürger allerdings eine Verfassungsänderung notwendig 187 • Da das Bundesverfassungsgericht in den anfangs behandelten Entscheidungen die Einführung eines Kommunalwahlrechts rur Ausländer rur mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt hatte l88 , bedurfte es auch in der Bundesrepublik einer Verfassungsänderung, um die Maastrichter Verträge über die Euro184 Zu der auf den ersten Blick befremdlichen Tatsache, daß die Einführung im Rahmen des Gemeinschaftsrechts erfolgte, von der Bezeichnung her aber der Union zugeordnet wurde vgl. Degen, DÖV 1993,749/751; Fischer, EuZW 1992, 566/567. Die umstrittene Frage des Verhältnisses von Unions- zu Gemeinschaftsrecht (vgl. dazu allg. Koenig/Pechstein, Die Europäische Union (1995), Kap. 2 H.) kann hier dahingestellt bleiben, da das Kommunalwahlrecht für Unions bürger zu den Materien gehört, die durch den Unionsvertrag in das primäre Gemeinschaftsrecht eingefügt wurden und somit jedenfalls dessen Stellenwert hat. 185 So Degen, DÖV 1993, 7491753; Fischer, EuZW 1992, 566/568; Schrapper, DVBI. 1995, 1167/1168. 186 So schon Grabitz, Europäisches Bürgerrecht (1970), S. 88 ff. u. 111 ff.; Magiera, Europa der Bürger (1987), S. 123/135. 187 Ausflihrlieh dazu Cassese, Der Staat 33 (1994), 25/35 f.; Closa, CML Rev. 1995, 487/501; Henrichs, DÖV 1994,368/369 ff. 188 Vgl. I. 1.

4 Barley

50

C. Der Entstehungshintergrund des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG

päische Union ratifizieren zu können. Diese erfolgte mit der Einfügung des Art. 28 Abs. I S.3 GG durch das 38. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 21.12.1992 189 • 3. Richtlinie 94/80lEG vom 19.12.1994 190 Streng genommen zählt die Richtlinie nicht mehr zum Entstehungshintergrund des Art. 28 Abs. 1 S.3 GG, da sie erst nach dessen Inkrafttreten erlassen wurde. Da sie aber die Einzelheiten der Regelung des Art. 8 b Abs. 1 EGV ausführen soll, muß sie in diesem Zusammenhang angesprochen werden. Am 19.12.1994, gerade noch innerhalb der von Art. 8 b Abs. 1 EGV gesetzten Frist bis zum Jahresende 1994 191 , hat der Rat der Europäischen Union die Einzelheiten des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger per Richtlinie einstimmig verabschiedet. Nach dem Beitritt Finnlands, Österreichs und Schwedens wurde sie durch die Richtlinie 96/30lEG vom 13.05.1996 ergänzt l92 • Damit war von europäischer Seite der Weg frei für eine Umsetzung in innerstaatliches Recht. Die Richtlinie 94/80lEG ist sowohl ihrer Rechtsform als auch ihrem Inhalt nach Ausdruck des gemeinschaftsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips. Dieses ist in Art. 3 b EGV verankert und hat wesentlich zum Inhalt, daß die Europäische Gemeinschaft nur dann und nur insoweit Maßnahmen ergreifen darf, als dies zur Erreichung der Ziele der Maßnahme bzw. des Vertrags notwendig ist. Die Rechtsform der Richtlinie war die in diesem Fall angemessene, da nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Art. 3 b Abs. 3 EGV die Maßnahmen der EU nur so weit reichen dürfen, wie es zur Erreichung der damit verbundenen Ziele notwendig ist. Um Primärrecht, wie Art. 8 b Abs. 1 EGV, in Einzelheiten auszugestalten, stehen dem Gemeinschaftsrecht verschiedene sekundäre Rechtsformen zur Verfügung. In erster Linie sind dies die Verordnung gern. Art. 189 Abs. 2 EGV, die in allen Teilen verbindlich und in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar ist, sowie die Richtlinie gern. Art. 189 Abs. 3 EGV, die nur bzgl. ihres Zieles verbindlich ist, den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung jedoch die Wahl von Form und Mittel überläßt. Nach dem Subsidiaritätsprinzip sind Vorgaben in Form einer Richtlinie durch die europaeinheitliche

BGBL I 1992, 2086. ABI. Nr. L 368/38 ff. vom 31.12.1994. 191 Zu Gründen und Auswirkungen des Zeitdrucks vgl. Schrapper, DVBI. 1995, 1167/1169. 192 ABI. Nr. L 122/14 vom 22.05.1996. 189

190

11. Entwicklung auf europäischer Ebene

51

Festlegung der inhaltlichen Ziele zu treffen und den Mitgliedstaaten die Umsetzung im einzelnen zu überlassen, wenn dadurch der Zweck der Nonn erfüllt werden kann I9]. Da dies bei der politischen Beteiligung von UnionsbÜfgem durch Teilnahme an Kommunalwahlen - unter Beibehaltung der verschiedenen nationalen Besonderheiten - der Fall ist, war hier die Rechtsfonn der Richtlinie zu wählen l94 • Auch hinsichtlich ihres Inhalts entspricht die Richtlinie 94/801EG dem gemeinschaftsrechtlichen Subsidiaritätsprinzip, indem sie einerseits ausdrücklich eine einheitliche Regelung bestimmter Bereiche ablehnt und andererseits in einzelnen Punkten auf nationale Regelungen verweist. Zum einen regelt die Richtlinie nur das aktive und passive Wahlrecht von UnionsbÜfgern in ihrem Wohnsitzstaat. So berührt das Gemeinschaftsrecht nicht die Bestimmungen der Mitgliedstaaten über das Wahlrecht von eigenen, im Ausland ansässigen Staatsangehörigen. Nach wie vor sind die dahingehenden Regelungen also uneinheitlich; während in Spanien, Frankreich, Italien und Griechenland das Wahlrecht eigener Staatsangehöriger trotz eines Auslandsaufenthaltes erhalten bleibt, ist dies in den anderen Mitgliedstaaten nicht der Fa1l 195 • Zum anderen stellt die Richtlinie 94/801EG vom 19.12.1994 selbst klar, daß sie in den Mitgliedstaaten weder übereinstimmende Vorschriften über das Kommunalwahlrecht voraussetzt l96 , noch eine Vereinheitlichung des Staatsangehörigkeitsrechts oder des Wahlrechts für Drittstaatler bezwecktl97 • Neben diesen Klarstellungen enthält die Richtlinie zudem einzelne Verweise auf nationales Recht. Bereits Art. 8 b Abs. 1 EGV schreibt vor, daß UnionsbÜfger denselben Voraussetzungen unterworfen sein müssen wie die Staatsangehörigen des Mitgliedstaates; Art. 3 i. V. m. Art. 2 Abs. I f) RL fügt dem hinzu, daß der maßgebliche Tag für die Erfüllung dieser Voraussetzungen vom Recht der Mitgliedstaaten bestimmt wird. Art. 4 Abs. 3 RL läßt weiterhin die Vorschriften der Mitgliedstaaten unberührt, die eine Mindestwohndauer der Wahlberechtigten in der jeweiligen Gebietskörperschaft oder eines Teilgebiet des Mitgliedstaats, zu dem diese Gebietskörperschaft gehört, voraussetzt. Neben der Negativbestimmung der Gebiete innerstaatlichen Rechts, die von den gemeinschaftsrechtlichen Nonnen über das Kommunalwahlrecht für UnionsbÜfger nicht tangiert werden, besteht die vornehmste Aufgabe der Richtlinie

Jarass, EuGRZ 1994,209/214; Pieper, DVBI. 1993,705/708. E. ebenso Schrapper, DVBI. 1995, 116711168; Wollenschläger/Schraml, BayVBI. 1995,385/386. 195 V gl. dazu Bericht des EP vom 06.10.1994, EP-Dok. A 4-11/94, S. 14. 196 So die Begründung der Richtlinie, ABI. Nr. L 368/38 vom 31.12.1994. 197 Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie, ABI. Nr. L 368/39 vom 31.12.1994. 19]

1941.

52

c. Der Entstehungshintergrund des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG

in der einheitlichen Festlegung von Anwendungsbereichen und Ausübungsmodalitäten dieses Rechts. Damit werden Vorgaben rur die Umsetzung in innerstaatliches Recht festgelegtl98, die gern. Art. 14 S. 1 RL bis zum 01.01.1996 zu erfolgen hatte l99 .

198 Vgl. dazu D. I. 3. b).

199 Zu der Umsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten vgl. Hasselbach, ZG 1997, 49/64 ff.

D. Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV Am 01.01.1993 trat der neue Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG in Kraft. Er lautet: "Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar."

I. Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft Mit der Formulierung "nach Maßgabe des Rechts der Europäischen Gemeinschaft" nimmt das Grundgesetz zum ersten und bisher einzigen Mal inhaltlich auf Gemeinschaftsrecht Bezug. Was unter dieser Maßgabe zu verstehen ist und welche Rechtsnormen von dieser Formulierung erfaßt sind, soll im folgenden erläutert werden. 1. Keine Beschränkung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG auf

die Funktion einer reinen Öffnungsklausel

Mit der Formulierung "nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft" öffnet Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG ausdrücklich das innerstaatliche Recht rur Regelungen auf Gemeinschaftsebene. Dies hat aber nicht zur Folge, daß sich die Bedeutung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG auf die Funktion als Öffnungsklausel beschränkt, er also ein Kommunalwahlrecht rur Unionsbürger nicht selbst gewährt2oo . Dem widerspricht zunächst der Sprachgebrauch des Grundgesetzes. Sofern dort ein hoheitliches Handeln unter eine bestimmte Maßgabe gestellt wird, ist damit stets eine eigenständige Regelung durch das Grundgesetz selbst verbunden, so z. B. in Art. 12 a Abs. 5 S. 1; 29 Abs. 5 S. 4; 87 Abs. 1 S. 1; 106 Abs. 6 S. 6; 108 Abs. 3 S. 2; 120 Abs. 1 S. 2; 137 Abs. 3. Dort wird jeweils eine Regelung getroffen, als Maßgabe rur bestimmte Fälle jedoch eine weitere Norm 200 So aber Engelken, NVwZ 1995, 432/433 und Meyer-TeschendorfiHofmann, ZRP 1995,290/291.

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D. Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. I S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. I EGV

genannt, die bei deren Ausführung zu beachten ist. Für Art. 12 a Abs. 5 S. 1 GG bedeutet dies beispielsweise, daß Wehrpflichtige, die weder zum Wehrnoch zum Ersatzdienst herangezogen worden sind, zu bestimmten Dienstleistungen herangezogen werden können, vor dem Verteidigungsfall jedoch nur nach Maßgabe des Art. 80 a Abs. 1 GG (also wenn der Spannungsfall vom Bundestag festgestellt oder der Anwendung der Norm besonders zugestimmt wurde). Unter einer Maßgabe ist nach der Terminologie des Grundgesetzes also zu verstehen, daß eine Maßnahme nur unter Berücksichtigung einer anderen Norm getroffen werden darf, nicht hingegen, daß für einen eigenständigen Normierungscharakter kein Raum bleibt. Die Begriffswahl des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG stützt dieses Ergebnis. Während Art. 8 b Abs. 1 EGV von "Kommunalwahlen" spricht, ist in jenem von "Wahlen in Kreisen und Gemeinden" die Rede. Noch bevor also durch die Richtlinie 94/801EG vom 19.12.1994 der Begriff der Kommunalwahlen im gemeinschaftsrechtlichen Sinne defmiert worden war, hatte Art. 28 Abs. I S. 3 GG die Gewährung des Wahlrechts für Unionsbürger auf diese deutschen Gebietskörperschaften bezogen. Für die Frage, hinsichtlich welcher kommunalen Vertretungsorgane Unionsbürger nun wahlberechtigt sind, muß demnach auch Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG selbst herangezogen werden. Der Wille des Gesetzgebers, der in diesem Zusammenhang häufig von den Verfechtem einer reinen Öffnungsklausel herangezogen wird20I , steht dem keineswegs entgegen202 • Zwar hat sich die Gemeinsame Verfassungskommission letztlich nicht auf eine über die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts hinausgehende Fassung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG einigen können, es ist jedoch über mehrere weitergehende Inhalte diskutiert und abgestimmt worden203 • Daß diese Vorschläge keine Mehrheit gefunden haben, führt lediglich zu dem Schluß, daß der Regelungsgehalt der Norm nicht so weit ausgedehnt werden sollte, nicht aber, daß von seiner Struktur her Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG solche Gewährleistungen nicht ermögliche. Es ist also davon auszugehen, daß Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG selbst eine Gewährung des Kommunalwahlrechts rur Unionsbürger enthält, das Gemeinschaftsrechtjedoch als diesbezüglich maßgeblich und damit höherrangig anerkennt204 • So statt vieler Burkholz, DÖV 1995,816/818. Für die Auslegung nicht erheblich ist dabei die Einschätzung des Bundeslands Bayern (GVK-Arbeitsunterlage Nr. 62), die den in Art. 28 Abs. I GG einzuftigenden Satz als reine Öffnungsklausel bezeichnet, da es sich dabei um eine bloße Protokollnotiz handelt. 203 Z. B. die Einftihrung eines allgemeinen Ausländerwahlrechts auf kommunaler Ebene (vgl. Ber. der GVK BR-Drs. 800/93, S. 25 f.; 97 f.) oder die ausdrückliche Einbeziehung des Abstimmungsrechts (vgl. ebd. S. 26). 204 So wohl auch Fischer, NVwZ 1995,455/457. 201

202

I. Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft

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Die Maßgeblichkeit bezieht sich dabei nicht nur auf die Ausgestaltung des Wahlrechts durch einfaches Rechtlos; wäre dies der Fall, so käme der Formulierung inhaltlich keine eigenständige Bedeutung zu, da primäres Gemeinschaftsrecht und Richtlinien der Gemeinschaft ohnehin gegenüber einfachem innerstaatlichem Recht höherrangig sind206 • Entfaltet der Begriff der "Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaften" über eine zeitlich aufschiebende Wirkung207 hinaus auch eine inhaltliche, so besteht diese vielmehr darin, daß das Gemeinschaftsrecht schon für die Auslegung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG selbst verbindlich ist208 • Dort, wo das Gemeinschaftsrecht keine abschließende Regelung trifft, bleibt aber Raum für einen weitergehenden Gehalt des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG. Damit regeln die Gewährung dieses Rechts im nationalen und im europäischen Recht nicht zwei unabhängig voneinander bestehende Normen, von denen die maßgebliche durch Klärung der Vorrangfrage ermittelt werden muß. Vielmehr erklärt das Grundgesetz in diesem Fall, daß auch sein eigener Inhalt durch Auslegung im Lichte des Gemeinschaftsrechts, sozusagen unionskonform, gewonnen werden muß. Darüber hinaus ist eine "unionskonforme" Auslegung im Hinblick auf alle Rechtsnormen, die das Kommunalwahlrecht betreffen, durch Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG auch verfassungsrechtlich geboten.

2. Zeitliche Komponente Die Festlegung der Maßgabe von Gemeinschaftsrecht entwickelt auch eine zeitliche Wirkung. Ohne diesen Passus hätte Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger zum 01.01.1993 eingeführt; Bürger von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Wohnsitz in der Bundesrepublik hätten in diesem Fall bereits bei der ersten Kommunalwahl nach diesem Zeitpunkt das Wahlrecht beanspruchen können. Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG nimmt nun Bezug auf den durch die Maastrichter Verträge eingefilgten Art. 8 b Abs. 1 EGV, für dessen Ratifizierung seine Schaffung Voraussetzung war209. Indem Art. 8 b Abs. I EGV seinerseits die So aber wohl Schmidt-BleibtreuIKlein - Klein, Grundgesetz (1996), Art. 28 Rn. 7. Ausführlich dazu statt vieler Streinz, Europarecht (1995), Rn. 179 ff.; Schweitzer, Europarecht (1995), Rn. 36 ff. 207 Vgl. unten 2. 208 So formuliert die Begründung des Gesetzentwurfs zum niedersächsischen Umsetzungsgesetz: "Art. 28 Absatz 1 Satz 3 des Grundgesetzes verweist in bezug auf die nähere Ausgestaltung des kommunalen Wahlrechts auf das Recht der Europäischen Gemeinschaft.", NdsLT-Drs. 13/1240, S. 6. 209 Vgl. C. 11. 2. 205

206

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D. Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV

weitere Ausgestaltung der Rechtsetzung durch den Europäischen Rat unter Einhaltung einer Frist überantwortet, steht auch die innerstaatliche Nonn unter diesem zeitlichen Vorbehalt21O • Die Maßgabe des Gemeinschaftsrechts bewirkt also, daß das in Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG verbürgte Kommunalwahlrecht für Unions bürger von diesen erst nach Erlaß der ausgestaltenden Richtlinie in Anspruch genommen werden kann. Zudem enthält diese Richtlinie 211 ihrerseits in Art. 14 Abs. 1 wiederum eine Frist zur Umsetzung. Danach sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, bis zum 0l.0l.1996 die Vorschriften zu erlassen, die die Durchführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger ennöglichen. Indem Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG also allgemein auf "Recht der Europäischen Gemeinschaften" verweist, steht die Gewährung des Kommunalwahlrechts an Unionsbürger unter einem zeitlichen Vorbehalt. Vor dem 01.01.1996 können sich Unionsbürger nicht wegen des ihnen vorenthaltenen Kommunalwahlrechts auf ihn berufen. 3. Maßgebliches Gemeinschaftsrecht

Die Nonnen des Gemeinschaftsrechts, die für das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger inhaltlich maßgeblich sein sollen, sind zunächst Art. 8 b Abs. 1 EGV und der europäische Rechtssatz, der diesen Artikel wiederum ausgestaltet, nämlich die Richtlinie 94/801EG vom 19.12.1994212 • Unter der oben hergeleiteten Prämisse, daß das Gemeinschaftsrecht sich auch auf die Auslegung des Grundgesetzes auswirkt, wird die Erläuterung der einzelnen europäischen Regelungen hier auf die Merkmale beschränkt werden, die in Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG nicht genannt werden. Sie sind für die Umsetzung in den Bundesländern maßgeblich, ohne in Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG ausdrücklich aufgeführt zu sein. Dort, wo das Gemeinschaftsrecht für die Auslegung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG selbst bestimmend ist, wird es im Zusammenhang mit den einzelnen Begriffen untersucht werden. a) Art. 8 b Abs. J EGV

Der durch Kap. B. Titel 11. Art. g Lit. C der Maastrichter Verträge in den EGVertrag eingefügte Art. 8 b Abs. 1 ist zwangsläufig allgemein fonnuliert, da er die Besonderheiten aller Mitgliedstaaten im Staatsaufbau berücksichtigen So auch Wollenschläger, ZAR 1994, 10/13. Richtlinie 94/801EG vom 19.12.1994; ABI. NT. L 368/42 vom 31.12.1994. 212 ABI. Nr. L 368/38 ff. vom 31.12.1994. 210 211

I. Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft

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muß213 • Es sind deshalb nur zwei Merkmale zu untersuchen, die nicht auch in Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG enthalten sind. aa) Wohnsitz im Mitgliedstaat Art. 8 b Abs. 1 EGV bezieht das Wahlrecht auf Unionsbürger mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen. Im Aufenthaltsrecht der Bundesrepublik ist eine Differenzierung nach Haupt- und Nebenwohnsitzen vorgenommen worden. Es stellt sich damit die Frage, ob die Maßgabe des Gemeinschaftsrechts nur das Wahlrecht fiir Personen mit ersterem in Deutschland erfaßt, den Nebenwohnsitz ausreichen läßt oder eine vom nationalen Recht verschiedene, eigenständige Voraussetzung aufstellt. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist fiir die Auslegung des Begriffs "Wohnsitz" entscheidend, welche grundlegenden Ziele mit der jeweiligen Regelung verfolgt werden214 • Vornehmliches Ziel des Art. 8 b Abs. I EGV ist es, fiir Unionsbürger in allen Mitgliedstaaten dieselben Bedingungen fiir die Teilnahme an Kommunalwahlen zu erreichen, wie fiir die Einheimischen vorgesehen sind215 • Daraus ergibt sich, daß Art. 8 b Abs. 1 EGV kein eigenes Kriterium hinsichtlich des Wohnsitzerfordernisses aufstellen will, sondern auf die bereits fiir die eigenen Staatsangehörigen in den Mitgliedstaaten bestehenden Vorschriften verweist. Der Richtlinie 94/801EG vom 19.12.1994 liegt ebenfalls dieses Verständnis des Art. 8 b Abs. 1 EGV zugrunde. In Art. 4 heißt es dort, daß, falls die Staatsangehörigen des Wohnsitzmitgliedstaats nur unter der Voraussetzung wahlberechtigt sind, daß sie in der kommunalen Gebietskörperschaft ihren Hauptwohnsitz haben, dasselbe auch fiir die übrigen wahlberechtigten Unionsbürger gilt216 • Im Umkehrschluß ergibt sich daraus, daß dort, wo eine derartige Beschränkung fiir Inländer fehlt, auch Unionsbürger mit lediglich einem Nebenwohnsitz in der kommunalen Gebietskörperschaft wahlberechtigt sind. Dabei ist es unerheblich, zu welchem Zweck sich der Unionsbürger in einem anderen Mitgliedstaat aufhält217 • Außerdem kann daraus geschlossen werden, daß die Bestimmung des Hauptwohnsitzes sich auch bei Unionsbürgern nach dem Vgl. dazu Degen, DÖV 1993,749/754. Entscheidung des EuGH vom 23.04.1991, Rs. C-297/89, - Ryborg-. 215 Richtlinie 94/801EG vom 19.12.1994; ABI. Nr. L 368/38 vom 31.12.1994. 216 Zum Zustandekommen dieser Regelung Schrapper, DVBI. 1995, 1167/1172. 217 Fischer, NVwZ 1995, 455/456; hieran zeigt sich die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaften von einem gemeinsamen Wirtschaftsraum zum "Europa der Bürger". 213

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D. Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. I S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. I EGV

Recht des Wohnsitzmitgliedstaats richten soll, da rur sie das gleiche Kriterium gelten soll wie rur eigene Staatsangehörige218 • Art. 8 b Abs. 1 EGV beschränkt sich also hinsichtlich der Anforderungen an den Wohnsitz auf eine Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten und stellt insofern kein eigenes, gemeinschaftsrechtliches Kriterium auf.

bb) Dieselben Bedingungen wie rur die Angehörigen des Mitgliedstaats Dieser Passus des Art. 8 b Abs. 1 EGV hat bislang in der rechtswissenschaftlichen Literatur zu Unrecht kaum Beachtung gefunden. Dies mag darin begründet liegen, daß sein Inhalt gemeinhin auf die Gleichbehandlung hinsichtlich der Zulassungsvoraussetzungen zur Ausübung des Kommunalwahlrechts beschränkt wird. Bei oberflächlicher Betrachtung scheint die Begründung der Richtlinie

94/801EG vom 19.12.1994 rur eine solch enge Auslegung zu sprechen, der

gleiche Bedingungen für UnionsbÜTger "insbesondere bezüglich der Wohnsitzdauer und des Wohnsitznachweises"219 fordert. Daß gerade diese beiden Punkte genannt sind, könnte darauf zurückzuführen sein, daß sowohl in den Richtlinienvorschlägen der EG von 1988220 und 1989221 , als auch in den wenigen europäischen Staaten, die bereits ein Ausländerwahlrecht kannten222 , rur Ausländer vor allem hierin höhere Anforderungen gestellt wurden als an die eigenen Staatsangehörigen. Auch in der Bundesrepublik schränkten vor 1993 die meisten der Berurworter eines Ausländerwahlrechts in der Bundesrepublik ihre Forderung auf solche Personen ein, die sich seit einer gewissen Mindestzeit dauernd in Deutschland aufgehalten hatten223 . Jedenfalls von dem Gebot der Schaffung gleicher Bedingungen durch Art. 8 b Abs. 1 EGV sind also die formellen Voraussetzungen rur die Ausübung des 2181. E. ebenso für den französischen Begriff "residence" Chaltiel, RMC 1994, 528/530. 219 ABI. Nr. L 368/38 vom 31.12.1994. 220 Bulletin der EG, Beil. 2/1988, S. 40/42 f.: Mindestaufenthaltsdauer war höchstens eine Gemeinderatsamtszeit für das aktive (Art. 4 Abs. 1) und zwei Gemeinderatsamtszeiten für das passive Wahlrecht (Art. 8 Abs. 1). 221 ABI. Nr. C 290/7 vom 18.11.1989: Mindestaufenthaltsdauer gegenüber 1988 un-

verändert, jetzt aber für aktives und passives Wahlrecht in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie geregelt. 222 Vgl. dazu A. I. 2. 223 Statt vieler Gramlieh, ZAR 1989, 51/57; Löhneysen, DÖV 1981,330/334; kritisch hingegen Karpen, NJW 1989, 1012/1016.

I. Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft

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Kommunalwahlrechts erfaßt. So dürfen neben den beiden genannten Voraussetzungen auch in bezug auf das Mindestalter an Unionsbürger keine höheren Anforderungen gestellt werden als an die deutschen Wahlberechtigten. Sind nun hinsichtlich der Zulassungsvoraussetzungen die wahlberechtigten Unionsbürger und Deutschen gleichgestellt, so folgt daraus für das aktive Wahlrecht das Gebot der völligen Beseitigung staatlicher Ungleichbehandlung. Hinsichtlich des passiven Wahlrechts ist dies hingegen noch nicht ausreichend; allein durch gleiche Anforderungen an Wohnsitzdauer, Mindestalter u.ä. sind keine gleichen Bedingungen hinsichtlich der Kandidatur bei einer Kommunalwahl gewährleistet. Hierfür ist vielmehr unabdingbar, daß auch die rechtlichen Regelungen geändert werden, die einer Chancengleichheit der ausländischen Bewerber entgegenstehen. Unter gleichen Bedingungen ist also auch die Beseitigung aller Ungleichheiten im Hinblick auf die Wahrnehmung politischer Rechte auf kommunaler Ebene zu verstehen224 . Insofern unterscheidet sich der Ausdruck "Bedingungen" in Art. 8 b Abs. 1 EGV von dem der "Voraussetzungen", der an anderer Stelle auch in der Begründung der Richtlinie 94/801EG verwendet wird225 . Diese Ansicht wird offenbar auch von einigen Landesgesetzgebern geteilt, die bei der Umsetzung der Richtlinie den engeren Begriff der "gleichen Voraussetzungen" benutzen, wenn es um die von Unionsbürgern zu verlangenden Nachweise u.ä. geht226 . Der Begriff der Bedingungen beschränkt sich eben nicht auf die Merkmale, die vorliegen müssen, damit eine bestimmte Folge eintritt; vielmehr können damit weitergehende Umstände gemeint sein, unter denen sich ein Vorgang vollzieht (z. B. in dem Begriff der "Lebensbedingungen")227. Die Heranziehung von Wortlautargumenten ist im Zusammenhang mit europäischen Normen nicht unproblematisch, da es nur selten eine völlige Übereinstimmung von Begriffen in allen Sprachen der Mitgliedstaaten gibt und eine einheitliche Auslegung dadurch sehr erschwert wird. Dennoch gilt gerade für das Gemeinschaftsrecht das Prinzip, daß der Vertragstext in erster Linie aus sich selbst heraus ausgelegt werden muß; zu ermitteln ist der objektive Sinnge-

224 Vgl. dazu G. 225 ABI. Nr. L 368/38 vom 19.12.1994.

Auch die spanische Fassung unterscheidet zwischen "en las mismas condiciones" und "en igualdad de condiciones". 226 SO Z. B. Bremen (§ 1 Abs. 1 a BremWahlG n. F.); Niedersachsen (Punkt 4 des Gesetzentwurfs, NdsLT-Drs. 13/1240, S. 7); das Saarland (§ 13 Abs. 1 KWahlG n. F.) und Sachsen-Anhalt (§ 38 a Abs. 1 SachsAnhKWahIO). 227 Auch die englische Formulierung "conditions" erlaubt eine solche Auslegung, sie meint "the circumstances in which these rights are to be enjoyed", vgl.O'Leary, CML Rev. 1995,519/528.

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D. Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV

halt der Nonn, ausgerichtet an den Vertragszielen und seiner Systematik228 • Der Erreichung der Integration kommt dabei eine wichtigere Rolle zu als der historischen Auslegung bzw. einem ursprünglichen Parteiwillen229 • Der Sinngehalt des Art. 8 b Abs. 1 EGV läßt aber nur eine solch weite Auslegung des Begriffs der "gleichen Bedingungen" zu. Art. 8 b Abs. I EGV stellt den Gleichheitsgrundsatz in bezug auf das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger besonders heraus 23o • So betont auch die Richtlinie 94/801EG vom 19.12.1994 in ihrer Begründung, daß das "in Art. 8 b Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vorgesehene aktive und passive Wahlrecht bei den Kommunalwahlen im Wohnsitzmitgliedstaat (00') eine Anwendung des Grundsatzes der Gleichheit und Nichtdiskriminierung zwischen in- und ausländischen Unionsbürgem" darstellt231 • Ebenso, wie dabei selbstverständlich von einem gleichen Zähl- oder Erfolgswert wie demjenigen der von Deutschen abgegebenen Stimmen ausgegangen werden muß, ist auch das Prinzip der Chancengleichheit im Vergleich zu den eigenen Staatsangehörigen von einem Wahlrecht "unter gleichen Bedingungen" nicht zu trennen. Diesem Ergebnis widerspricht nach den obigen Ausführungen auch nicht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gern. Art. 3 b Abs. 3 EGV, der besagt, daß der Inhalt des Gemeinschaftsrechts nicht über das zur Erreichung seines Ziels notwendige Maß hinausgehen darf2 32 • Soll das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger einen Beitrag dazu leisten, die Nachteile, die mit der Wahrnehmung des Rechts auf Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union einhergingen, zu beseitigen233 , dann ist dafür eben auch eine wahlrechtliche Gleichbehandlung234 in dem genannten Sinne notwendig. Wenn also der maßgebliche Art. 8 b Abs. 1 EGV gleiche Bedingungen für in- und ausländische Unionsbürger vorsieht, so sind bei der Umsetzung in innerstaatliches Recht und der Auslegung desselben sowohl im Hinblick auf fonnelle Voraussetzungen, als auch bzgl. der Chancengleichheit Benachteiligungen ausländischer Wahlberechtigter auszuschließen 235 • Ausnahmen dazu sind nur im Rahmen des Gemeinschaftsrechts selbst, also durch die ausfonnende Richtlinie 94/80IEG, zulässig. Bleckmann, Europarecht (1990), Rn. 250; Meyer, Jura 1994, 455/455 f. Bleckmann, NJW 1982, 1177/1181. 230 Chaltiel, RMC 1994,528/531; Degen, DÖV 1993,7491752. 231 ABI. Nr. L 368/38 vom 31.12.1994. 232 Für Art. 8 b Abs. 1 EGV weist darauf die Richtlinie 94/801EG vom 19.12.1994; ABI. Nr. L 368/38 vom 31.12.1994 noch einmal hin. m So Degen, DÖV 1993, 7491753; MDHS-Randelzho[er, Art. 24 Abs. I Rn. 172. 234 Diesen Inhalt entnehmen auch KoeniglPechstein, Die Europäische Union (1995), Kap. 9 Rn. 20 dem Art. 8 b Abs. 1 S. 1 EGV, ohne dies allerdings näher auszuführen. 235 Zu den Konsequenzen daraus für das innerstaatliche Recht vgl. G. 228

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I. Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft

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b) Richtlinie 94/80/EG vom 19.12.1994236

Die Richtlinie regelt die Einzelheiten des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger, wie es Art. 8 b Abs. 1 EGV vorgesehen hat. Sie enthält einige zwingende Vorgaben, andere Bestimmungen eröffnen den Mitgliedstaaten Optionen, so etwa an die Ausübung des passiven Wahlrechts bei Unionsbürgern höhere Anforderungen zu stellen als bei Deutschen237 . Als gemeinschaftsrechtliche Rechtsnorm ist die Richtlinie jeder innerstaatlichen Vorschrift, auch der Verfassung des Mitgliedstaates, im Sinne eines Anwendungsvorrangs238 übergeordnet und für den Mitgliedstaat in ihrer Zielsetzung verbindlich 239 • Art. 8 b Abs. 1 S. 2 EGV bestimmt, daß nur die Einzelheiten zur Ausübung des Wahlrechts durch eine bis zum 31.12.1994 zu erlassende gemeinschaftsrechtliche Vorschrift zu regeln seien. Damit schafft er einen Regelungsvorbehalt hinsichtlich der Ausübungsmodalitäten des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger. Die Grenzen dieses Vorbehalts sind damit klar gesteckt, es dürfen nur Einzelheiten konkretisiert werden, eine Einschränkung der Gewährleistungen des Art. 8 b Abs. 1 EGV wäre davon nicht gedeckt240 • Die EG-Verträge sind insofern Ermächtigung und Einschränkung zugleich241 • Dasselbe ergibt sich auch aus der Normenhierarchie innerhalb des Gemeinschaftsrechts. Art. 8 b Abs. 1 EGV zählt zum europäischen Primärrecht, das aus den Gründungsverträgen zwischen den Mitgliedstaaten einschließlich der Annexe sowie deren Ergänzungen und Erweiterungen durch Verträge, Assoziierungs- und Beitrittsverträge mit anderen Staaten besteht242 • Demgegenüber stellt der Erlaß einer Richtlinie Sekundärrecht dar, das rangniedriger einzustufen ist243 • Die Ermächtigung zum Erlaß einer Richtlinie durch Art. 8 b Abs. 1 S. 2 EGV stößt also dort auf Grenzen, wo diese über eine reine Ausgestaltung des Kommunalwahlrechts hinausgeht244 • Nur insoweit, wie sich die Richtlinie

236 ABI. Nr. L 368/38 ff. vom 31.12.1994; die durch die Richtlinie 96/301EG vom 13.05.1996, ABI. Nr. L 122/14 vom 22.05.1996, an die Erweiterung um die neuen Mitgliedstaaten Finnland, Österreich und Schweden angepaßt wurde. 237 Vgl. zu den einzelnen Bestimmungen C. H. 3. 238Dazu statt vieler SchweitzeriHummer, Europarecht (1993), S.215; Streinz, Europarecht (1995), Rn. 200. 239 Beutler/Bieber/PipkornlStreil- ßieber, Europäische Union (1993), S. 195 f.; HailbronnerlKlein - Magiera, EUVIEGV (1995), Art. 189 Rn. 11. 240 So auch Wollenschläger/Schraml, BayVBI. 1995,385/387. 241 Wollenschläger/Schraml, BayVBI. 1996, 726. 242 Bleckmann, Europarecht (1990), Rn. 237; Schweitzer, Europarecht (1995), Rn. 251; Streinz, Europarecht (1995), Rn. 348 ff. 243 ßleckmann, NVwZ 1993,824/826; Oppermann, Europarecht (1993), Rn. 429. 244 So auch WollenschlägeriSchraml, BayVBI. 1995,385/387.

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D. Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV

innerhalb des von Art. 8 b Abs. I EGV gesteckten Rahmens bewegt, ist sie also fiir die Mitgliedstaaten verbindlich 245 . Die Vorgaben der RL 94/801EG beziehen sich im wesentlichen auf die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts. aa) Betroffene Gebietskörperschaften Während Art. 8 b Abs. 1 EGV noch allgemein von "Kommunalwahlen" spricht, legt die Richtlinie fest, zu weIchen Vertretungen Unionsbürger in den einzelnen Mitgliedstaaten wahlberechtigt und wählbar sind. Di~s geschieht auf zweierlei Weise. Zunächst bestimmt Art. 3 RL, daß jeder Unionsbürger i. S. d. Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 2 EGV das aktive und passive Wahlrecht bei den Kommunalwahlen in dem Wohnsitzmitgliedstaat besitzt, dessen Staatsangehörigkeit er nicht innehat. Als "Kommunalwahlen" in diesem Sinne defmiert Art. 2 Abs. I b) RL "die allgemeinen, unmittelbaren Wahlen, die darauf abzielen, die Mitglieder der Vertretungskörperschaft und gegebenenfalls gemäß den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats den Leiter und die Mitglieder des Exekutivorgans einer lokalen Gebietskörperschaft der Grundstufe zu bestimmen". Eine "lokale Gebietskörperschaft der Grundstufe" ist wiederum in Art. 2 Abs. I a) RL bestimmt als "eine der im Anhang aufgeführten Verwaltungseinheiten, die nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften in allgemeiner, unmittelbarer Wahl gewählte Organe besitzen und auf der Grundstufe der politischen und administrativen Organisation für die Verwaltung bestimmter örtlicher Angelegenheiten unter eigener Verantwortung zuständig sind".

Im Anhang der Richtlinie werden die jeweiligen kommunalen Gebietskörperschaften außerdem explizit aufgeführt; für die drei hinzugekommenen Staaten Finnland, Österreich und Schweden regelt dies die RL 96/30IEG246. Dies mag auf den ersten Blick neben der allgemeinen Defmition überflüssig erscheinen; allerdings ist dabei zu berücksichtigen, daß bereits bestehende Grenzfälle dadurch geklärt werden sollten, während auf die allgemeine Defmition wegen der Möglichkeit des Beitritts weiterer Staaten nicht verzichtet werden konnte247 • Für die Bundesrepublik Deutschland nennt der Anhang die kreisfreie Stadt bzw. Stadtkreis und Kreis; sodann Gemeinde, Bezirk in der Freien und Hanse245 Bedenken begegnet dies hinsichtlich der Beschränkung der Wählbarkeit kommunaler Exekutivorgane, vgl. 11. 2. b) bb). 246 ABI. Nr. 122/14 vom 22.05.1996. 247 So auch Schrapper, DVBI. 1995, 1167/1169. Hasse/bach, ZG 1997,49/52 formuliert schärfer, daß hier "der Ministerrat über das Vehikel des sekundären Gemeinschaftsrechts die im EG-Vertrag großzügig gewährten Rechte wieder einzuschränken sucht".

I. Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft

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stadt Hamburg und im Land Berlin; Stadtgemeinde Bremen in der Freien Hansestadt Bremen; schließlich Stadt-, Gemeinde- oder Ortsbezirke bzw. Ortschaften. Durch die Formulierung des Art. 2 Abs. 1 a) RL sind die Vertretungskörperschaften, zu denen nach der Richtlinie Unionsbürgern das Wahlrecht eingeräumt werden muß, fiir die Staaten, die zu diesem Zeitpunkt Mitglieder der EU waren, abschließend festgelegt 248 • Dies gilt auch dann, wenn sie unter die abstrakte Definition des Art. 2 Abs. 1 b) i. V. m. a) RL fallen. bb) Ausübung des aktiven Wahlrechts Für die Ausübung des aktiven Wahlrechts legt die Richtlinie ausschließlich Mindeststandards fest, die von den Mitgliedstaaten einzuhalten sind. Im Gegensatz zum passiven Wahlrecht werden ihnen hier keine Spielräume gewährt, an Unionsbürger höhere Anforderungen zu stellen als an eigene Staatsangehörige. Ausnahme dazu ist lediglich die Möglichkeit, ein Antragserfordernis für die Eintragung ins Wählerverzeichnis vorzusehen (Art. 7 Abs. 3 RL), wofür die Beibringung bestimmter Nachweise bzw. Erklärungen gefordert werden kann. (1) Eintragung ins Wählerverzeichnis

Voraussetzung für die Ausübung des Kommunalwahlrechts ist gern. Art. 7 Abs. I RL, daß der Unions bürger zunächst eine Willenserklärung darüber abgibt, daß er an der Wahl teilnehmen will. Diese Willenserklärung liegt regelmäßig in dem Antrag auf Eintragung ins Wählerverzeichnis 249 • Den Mitgliedstaaten steht es aber frei, dieses Erfordernis zu stellen oder davon abzusehen250 • Als Wählerverzeichnis gilt dabei gern. Art. 2 Abs. 1 e) RL das von der zuständigen Behörde nach der Wahlrechtsordnung erstellte und fortgeschriebene amtliche Verzeichnis aller aktiv Wahlberechtigten, die das Recht haben, in einer bestimmten lokalen Gebietskörperschaft der Grundstufe oder in einem ihrer Wahlkreise zu wählen, oder das Melderegister, wenn die Wahlberechtigung dort ausgewiesen ist. In Deutschland ist das Meldewesen ebenso wie das Kommunalwahlrecht nach den Landesgesetzen geregelt. Die Wählerverzeichnisse (teilweise auch als Wählerlisten bezeichnet) werden in der Regel von Amts wegen geführt. Schrapper a. a. o. S. 1170. BayVerfGH 1996,495/497; Fischer, NVwZ 1995,455/456. 250 Vgl. zu den unterschiedlichen Umsetzungen die Tabelle bei Hasselbach, ZG 1997, 49/73. 248

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D. Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV

Ob der Unionsbürger an der Kommunalwahl im Wohnsitzstaat teilnimmt, soll seiner Entscheidung überlassen bleiben. Besteht in einem Mitgliedstaat Wahlpflicht251 , so gilt dasselbe dementsprechend nur dann rur Unionsbürger, wenn diese sich in das Wählerverzeichnis haben eintragen lassen (Art. 7 Abs. 2 RL). Eine Eintragung von Amts wegen ist dabei gern. Art. 7 Abs. 3 RL ausgeschlossen. In den anderen Mitgliedstaaten, zu denen die Bundesrepublik zählt, kann gern. Art. 7 Abs. 3 RL eine Eintragung von Amts wegen vorgenommen werden, da damit keine Verpflichtung des Wahlberechtigten zur Teilnahme einhergeht. Um ins Wählerverzeichnis aufgenommen zu werden, muß der Unionsbürger gern. Art. 8 Abs. 2 RL die gleichen Nachweise erbringen wie die inländischen aktiv Wahlberechtigten; zusätzlich kann von dem Mitgliedstaat ein gültiger Identitätsnachweis und ·eine förmliche Erklärung über seine Staatsangehörigkeit und seine Anschriften im Wohnsitzstaat verlangt werden. Unter einer förmlichen Erklärung ist dabei gern. Art. 2 Abs. 1 g) eine Erklärung zu verstehen, "deren falsche Abgabe nach den geltenden Vorschriften des Mitgliedstaats strafbar ist". Die Eintragung des Wahlberechtigten im Wählerverzeichnis bleibt solange bestehen, bis sie aufgrund des Wegfalls der Voraussetzungen von Amts wegen oder, wenn die Eintragung auf Antrag erfolgt ist, auf Antrag gestrichen wird. Gern. Art. 10 Abs. 1 RL hat der Wohnsitzmitgliedstaat den Unionsbürger rechtzeitig darüber zu unterrichten, wie über seinen Antrag entschieden wurde. Bei Nichteintragung müssen ihm dieselben Rechtsbehelfe zustehen wie den eigenen Staatsangehörigen (Art. 10 Abs. 2 RL). Der hinter dem Antragserfordernis stehende Gedanke ist nur schwer nachvollziehbar. Es verursacht einen erheblichen Verwaltungsaufwand und bringt wenig praktischen Nutzen. Dieser wäre nur dann erkennbar gewesen, wenn damit ein doppeltes Wahlrecht der Unionsbürger (im Herkunfts- und Wohnsitzstaat) hätte ausgeschlossen und kontrolliert werden sollen 252 . Anders als bei den Wahlen zum Europäischen Parlament kann der Unionsbürger, wenn er in mehreren Mitgliedstaaten wahlberechtigt ist, jedoch nicht die Zusammensetzung eines einzigen Gremiums beeinflussen und damit die Wahlgleichheit gefährden (sog. Doppelwahl); es kann in einem solchen Fall vielmehr auf zwei voneinander unabhängige Volksvertretungen Einfluß genommen werden (sog. Parallelwahl)253. Da dies durch das Wohnsitzerfordernis praktisch ausgeschlossen 254 und zudem im Gegensatz zur Doppelwahl unter demokratischen Ge251 So etwa in Belgien und Luxemburg. 252 So auch Wollenschläger/Schraml, BayVBI. 1995,385/388. 253 254

Wegmann, KommPr BY 1995,367/369. Fischer, NVwZ 1995,455/457.

I. Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft

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sichtspunkten nicht zu beanstanden ist255 , wurde es den Mitgliedstaaten freigestellt, ob sie Unionsbürger dem Antragserfordernis unterwerfen. Im Interesse einer Vermeidung unnötigen Verwaltungsaufwands hätte auf diese Möglichkeit verzichtet werden können und sollen. Entsprechend wenige Bundesländer (die Freistaaten Bayern und Sachsen) haben von dieser Option Gebrauch gemacht256 • (2) Mindestwohnsitzdauer

Eine Errungenschaft der Richtlinie 94/801EG gegenüber früheren Entwürfen besteht darin, daß fiir die Ausübung des Kommunalwahlrechts nicht mehr eine bestimmte Wohnsitzdauer in dem Mitgliedstaat, in dem das Wahlrecht ausgeübt werden soll, Voraussetzung ist. Schreibt das nationale Recht eines Mitgliedstaats eine solche Voraussetzung vor, so steht gern. Art. 4 Abs. I RL dem Aufenthalt in diesem Staat der in jedem anderen Mitgliedstaat gleich. So ist also beispielsweise eine Französin, die erst kurz vor dem Kommunalwahltermin von ihrer Heimat nach Deutschland übersiedelt, hier grundsätzlich wahlberechtigt257. Schreibt ein nationales Gesetz hingegen vor, daß Voraussetzung fiir das Kommunalwahlrecht eine Mindestwohnsitzdauer in der jeweiligen kommunalen Gebietskörperschaft oder in einem anders defmierten Teilgebiet des Mitgliedstaats ist, so gilt dies gern. Art. 4 Abs. 3 RL auch fiir Unionsbürger. In dieser Hinsicht besteht keine Notwendigkeit der Vereinheitlichung, da Unionsbürger durch eine solche Regelung nicht schlechteren Bedingungen unterworfen werden als deutsche Staatsbürger, die ebenfalls dem Erfordernis einer solchen Mindestwohnsitzdauer unterliegen. cc) Besonderheiten hinsichtlich des passiven Wahlrechts In der Diskussion um die Gewährung eines Wahlrechts fiir Unionsbürger ist sowohl von deren Befiirwortern als auch von den Gegnern fast ausnahmslos gefordert worden, die Anforderungen in bezug auf das passive Wahlrecht höher 255 WollenschlägeriSchraml, BayVBI. 1995,385/387; a. A. Lenz - Kaufmann-Bühler, EGV (1994), Art. 8 b Rn. 2, sowie Sauerwald, Unionsbürgerschaft und Staatsangehörigkeit (1996), S. 64 mit dem Argument, daß Unionsbürger während des Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat von kommunalen Entscheidungen in ihren Herkunftsmitgliedstaaten nicht betroffen sind. 256 Vgl. zu den Ausgestaltungen in den Bundesländern F. II. 257 Zur rechtspolitischen Einordnung im Vergleich zu Drittstaatlern vgl. H. II.

5 Barley

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D. Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. I S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. I EGV

zu setzen als hinsichtlich des aktiven258 ; insbesondere wurde dabei auf das Merkmal der Mindestaufenthalts- oder -wohnsitzdauer abgestellt259 • Bei der gemeinschaftsrechtlichen Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger ist auf eine derartige Einschränkung verzichtet worden; die Richtlinie sieht Besonderheiten der Gewährung des passiven im Vergleich zum aktiven Wahlrecht nur in geringem Maße vor. Diese Regelungen sind Ausdruck des Kompromißcharakters der Richtlinie; durch diese "Optionen" konnten die unterschiedlichen Vorstellungen der Mitgliedstaaten berücksichtigt werden260 • Im Hinblick auf das passive Kommunalwahlrecht stellt die Richtlinie es den Mitgliedstaaten anheim, von Unionsbürgern bestimmte zusätzliche Nachweise zu verlangen. Dabei wurde zur Vermeidung einer übermäßigen Bürokratisierung konsequent das Verfahren der Selbstauskunft durch eidesstattliche Versicherung gewählt. So muß gern. Art. 9 Abs. 1 S. 1 RL der Unionsbürger bei der Einreichung seiner Kandidatur zunächst dieselben Nachweise erbringen wie ein inländischer passiv Wahlberechtigter; zudem kann der Mitgliedstaat, ebenso wie hinsichtlich des aktiven Wahlrechts, eine förmliche Erklärung mit Angabe der Staatsangehörigkeit und der Anschrift im Wohnsitzstaat verlangen. Zusätzlich kann gern. Art. 9 Abs. 2 a) RL zur Voraussetzung gemacht werden, daß Unionsbürger eine förmliche Erklärung darüber abgeben, in ihrem Herkunftsstaat des passiven Wahlrechts nicht verlustig gegangen zu sein und daß, sofern an der Richtigkeit dieser Erklärung Zweifel bestehen bzw. die Vorschriften des Wohnsitzstaats dies erfordern, gern. Art. 9 Abs. 2 b) RL eine entsprechende Bestätigung seitens des Herkunftsstaats vorgelegt wird. Legt ein Unionsbürger diese beiden Schriftstücke nicht vor, so kann seine Kandidatur gern. Art. 5 Abs. 2 RL für unzulässig erklärt werden. Weiterhin kann der Staat, in dem der Unionsbürger bei Kommunalwahlen kandidieren möchte, neben der Vorlage eines gültigen Identitätsausweises (Art. 9 Abs. 2 c) RL) und der Angabe der letzten Adresse im Wohnsitzstaat (Art. 9 Abs. 2 d) RL) verlangen, daß der Unionsbürger eine förmliche Erklärung darüber abgibt, daß er kein Amt ausübt, welches nach den Vorschriften des Wohnsitzstaates mit der Ausübung des Mandats, für daß er kandidieren möchte, unvereinbar ist (Art. 9 Abs. 2 d) i. V. m. Art. 6 RL). Dabei kann gern. Art. 6 Abs. 2 RL der Ausübung eines Amtes im Wohnsitzstaat eine entsprechende in einem anderen Mitgliedstaat gleichgestellt werden; 258 SchIeberger, StTg 1974, 597/599 wollte das passive Wahlrecht sogar ganz ausschließen. Demgegenüber meint Löhneysen, DÖV 1981,330/331 unter Ablehnung der Verfassungsmäßigkeit eines aktiven Ausländerwahlrechts, daß der deutsche Volkssouverän soviel Souveränität besitzen müsse, sich als Repräsentanten auch Ausländer wählen zu können. 259 So Breer, Mitwirkung von Ausländern (1982), S. 136 ff. 260 Wegmann, KommPr BY 1995,367/367 f.

1. Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft

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auch die Eigenschaft als kommunaler Mandatsträger eines anderen Staates kann als Ausschlußgrund bestimmt werden. Damit wird nicht etwa dem Wohnsitzstaat ein Einfluß auf die staatsbürgerliche Stellung des Unionsbürgers in seinem Herkunftsstaat zugestanden261 , vielmehr erlaubt Art. 6 Abs. 2 RL dem Wohnsitzstaat nur eine Begrenzung des Zugangs zu seinen eigenen politischen Ämtern, was gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Zudem sieht die Richtlinie AusschlußgrüDde vom passiven Wahlrecht vor. So stellt sie in Art. 5 Abs. 1 den Mitgliedstaaten frei, Bestimmungen zu treffen, nach denen alle Unionsbürger, die nach dem Recht ihres Herkunftslandes infolge einer zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Entscheidung des passiven Wahlrechts verlustig gegangen sind, von der Ausübung dieses Rechts im Wohnsitzstaat ebenfalls auszuschließen. Damit soll verhindert werden, daß die Entziehung der bürgerlichen Ehrenrechte in einem Mitgliedstaat durch Wohnsitzwechsel umgangen wird262 • Schließlich sieht die Richtlinie Ämter und Aufgaben vor, von deren Ausübung die Mitgliedstaaten Unionsbürger ausschließen können. Dazu gehören gern. Art. 5 Abs. 3 RL die Ämter des Leiters eines Exekutivorgans, seines Vertreters oder eines Mitglieds des leitenden kollegialen Exekutivorgans einer lokalen Gebietskörperschaft der Grundstufe.

c) Sonstiges Gemeinschaftsrecht Durch seine Formulierung ist Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG allerdings auch offen

ft1r die Maßgabe durch noch zu schaffendes Gemeinschaftsrecht. In diesem

Zusammenhang ist insbesondere auf Art. 8 e Abs. 2 EGV hinzuweisen, der dem Rat die Möglichkeit eröffnet, auf Grundlage der alle drei Jahre von der Kommission vorzulegenden Berichte über die Anwendung der Vorschriften zur Unionsbürgerschaft Bestimmungen zur Ergänzung derselben zu erlassen, wobei er allerdings der Zustimmung durch die dazu berufenen Organe der Mitgliedstaaten bedarf. So besteht die Möglichkeit, daß die sog. Maastricht 11Konferenz, die rur 1996 vorgesehen ist, eine KlarsteIlung hinsichtlich der Frage der Sachabstimmungen263 herbeiruhrt. Jedwede Änderung oder Ergänzung der beiden genannten gemeinschaftsrechtlichen Normen ist somit in demselben Sinne rur die Auslegung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG maßgeblich. 261 So aber Hasselbach, ZG 1997,49/54, der die Regelung des Art. 6 Abs. 2 RL deshalb für problematisch hält. 262 Hasselbach, ZG 1997,49/56. 263 VgJ. 11. 1.

5"

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D. Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. I S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. I EGV

11. Wahlen in Kreisen und Gemeinden 1. Wahlen - und nicht Abstimmungen?

Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG gewährt Unionsbürgern das Recht zur Teilnahme an Wahlen. Nach dem Sprachgebrauch des Grundgesetzes sind Wahlen von Abstimmungen zu unterscheiden, wie aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG hervorgeht. Wahlen stellen in der grundgesetzlichen Ausprägung des Demokratieprinzips den Regelfall der Ausübung von Staatsgewalt durch das Volk dar264 . In ihnen wird eine Auswahl von Personen aus einer Anzahl von Kandidaten getroffen, denen die Repräsentation des Volkes bei der Ausübung von Staatsgewalt obliegt265. Die Zuordnung des Begriffs "Wahlen" zu Personal- im Gegensatz zu Sachentscheidungen wird durch die weiteren Vorschriften des Grundgesetzes bestätigt, die ihn verwenden266 und ohne Ausnahme erstere zum Gegenstand haben267 . Unter Abstimmungen sind hingegen Entscheidungen des Volkes über Sachfragen zu verstehen268 . Das Grundgesetz sieht diese Möglichkeit auf Bundesebene nur in Art. 29 rur die Neugliederung des Bundesgebiets vor. In den Bundesländern ist hingegen meist ein größeres Gewicht auf die Beteiligung von Bürgern an Sachentscheidungen gelegt worden. Grundsätzlich sind die Länder in der Gestaltung ihrer Verfassungen frei, Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG bindet sie jedoch an die Prinzipien des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates 269 . Mit der Bindung an diese Grundsätze legt das Grundgesetz die Länder nicht auf eine rein repräsentative Demokratieform fest, ebensowenig schließt es die Schaffung plebiszitärer Elemente aus, die auf Bundesebene nicht vorgesehen sind270. Mit Ausnahme von Hamburg eröffnen denn auch alle Landesverfassungen 271 die Möglichkeit plebiszitärer Entscheidungen. 264 Krause, Unmittelbare Demokratie (1987), § 39 Rn. 14 f; Leibholz/Rinckl Hesselberger, Grundgesetz (1995), Art. 20 Rn. 431; Stern, Staatsrecht I (1984), § 18 11 4 b. 265 BVerfGE 47, 253/276; Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329/352. 266 Art. 28 Abs. 1 S. 2; 38 Abs. 1 S. I; 40 Abs. I; 52 Abs. I; 54 Abs. I S. 1; 63 Abs. 1; 67 Abs. I; 95 Abs. 2. 267 Pieroth, JuS 1991,89/89 f. 268 Badura, Staatsrecht (1986), D Rn. 12; JarasslPieroth - Pieroth, Grundgesetz (1997), Art. 20 Rn. 4; Schmidt-Aßmann, AöR 1991 (116), 329/354;Stern, Staatsrecht 11 (1980), § 25 11 1, S. 13. 269 BVerfGE 4, 178/189; 64, 301/317; JarasslPieroth-Pieroth, Grundgesetz (1997), Art. 28 Rn. I. 270 Krause, Unmittelbare Demokratie (1987), § 39 Rn. 20; Schefold, ZParl 1989, 425/427 f.; Weber, DÖV 1985, 178/179. 271 So Art. 60 Abs. 2, 3 BadWürttLV; Art. 74 BayLV; Art. 2, 39 BerlLV; Art. 76 ff. BrandLV; Art. 70 Abs. I Lit. a; 125 Abs. 4 BremLV; Art. 129 Abs. I HessLV; Art. 59,

II. Wahlen in Kreisen und Gemeinden

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a) Abstimmungen auf kommunaler Ebene

Im kommunalen Bereich bietet sich aufgrund der grundsätzlich überschaubareren Anzahl an Stimmberechtigten und der Gemeindebezogenheit der zur Entscheidung gestellten Problematik die plebiszitäre Entscheidungsform stärker an, als dies auf Bundes- oder Landesebene der Fall ist272 • Das Grundgesetz trägt dem in Art. 28 Abs. I S. 4 Rechnung, indem es vorsieht, daß in Gemeinden an die Stelle der gewählten Vertretungskörperschaften die Gemeindeversammlung treten kann. Diese Einrichtung findet sich heute nur noch in zwei Bundesländern, in Schleswig-Holstein ersetzt gern. § 73 SchlHolstGO die Gemeindeversammlung den Gemeinderat in Gemeinden mit bis zu 70 Einwohnern, für Brandenburg gilt gern. § 53 BrandGO dasselbe für Gemeinden mit bis zu 100 Einwohnern. Auch in kommunalen Gebietskörperschaften, die nicht über eine Gemeindeversammlung verfügen, existieren plebiszitäre Elemente; das Volk äußert dabei im Gegensatz zu jenen nur in einzelnen Sachfragen unmittelbar seinen Willen. Es ist dabei zwischen zwei Gruppen von kommunalen Abstimmungen zu unterscheiden, lediglich konsultativen und solchen mit Entscheidungscharakter. Um erfassen zu können, welche Auswirkungen Art. 28 Abs. I S. 3 GG auf die bisherige Rechtslage der Unionsbürger hat, muß zunächst geklärt werden, inwieweit sie bislang an Abstimmungen auf kommunaler Ebene teilnehmen durften. Dies ist für die beiden Arten von Abstimmungen getrennt zu betrachten. aa) Abstimmungen mit Entscheidungscharakter273 Als Abstimmungen mit Entscheidungscharakter gelten all diejenigen, die unmittelbar rechtliche Wirkung entfalten und damit auch die gewählten Vertretungen verpflichten. Darunter fällt zunächst der Bürger- oder Volksentscheid, der mittlerweile in fast allen Gemeinde- und Landkreisordnungen vorgesehen ist274 • Durch ihn

60 MecklVorpLV; Art. 47 ff. NdsLV; Art. 60 Abs. 3,123 Abs. 2 NWLV; Art. 114, 115 RhIPtLV; Art. 101 Abs. 1 S. 1 SaarILV; Art. 71, 72 SächsLV; Art. 80, 81 SachsAnhLV; Art. 41, 42 SchHolstLV; Art. 45, 82 ThürLV. 272 Rommelfanger, Das konsultative Referendum (1988), S. 84. 273 Auch als "perfekte Referenden" bezeichnet, vgl. Rommelfanger a. a. O. S. 47 ff. 274 So in den GO von Baden-Württemberg (§ 21 Ahs. 1), Bayern (Art. 18 a); Brandenburg, (§ 20) Hessen (§ 8 b), Nordrhein-Westfalen (§ 26), Rheinland-Pfalz (§ 17 a), Sachsen (§ 24), Sachsen-Anhalt (§ 26), Schieswig-Hoistein(§ 16 g) und Thüringen (§ 18); in den LKrO von Bayern (Art. 25 a); Brandenburg (§ 18), Rheinland-Pfalz

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D. Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV

kann, anstelle eines Gemeinderats- oder Kreistagsbeschlusses, eine Sachfrage bindend entschieden werden275 • Ebenfalls zu den Abstimmungen mit Entscheidungscharakter sind diejenigen zu zählen, die auf die Durchfiihrung eines Bürger- oder Volksentscheids gerichtet sind, sofern sie im Erfolgsfall fiir die Gemeinde- bzw. Kreisorgane verbindlich sind276 , sog. Bürger- oder Volksbegehren (z. B. § 20 Abs. 5 MecklVorpKV; § 25 SächsGO; § 21 SächsLKrO). Beiden Abstimmungen ist gemein, daß sie rechtlich verpflichtend sind und damit die gewählten Organe binden. Dadurch werden Sachentscheidungen getroffen und wird somit unmittelbar Staatsgewalt ausgeübt277 • Da die Ausübung von Staatsgewalt vor Einfiihrung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG auf Deutsche i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG beschränkt war278 , ergibt sich daraus, daß bis dahin Ausländern die Teilnahme an Abstimmungen mit Entscheidungscharakter verwehrt war. bb) Konsultative Abstimmungen279 Daß dasselbe fiir rein konsultative Abstimmungen der Fall ist, muß hingegen in Zweifel gezogen werden. Unter die konsultativen Abstimmungen fallen jene Entscheidungen des Volkes über Sachfragen, die die gewählte Volksvertretung rechtlich nicht binden, sondern ihr ihre Entscheidungsfreiheit belassen28o • Als solche sind die Bürgeroder Volksbefragung und der Bürgerantrag zu nennen. Mit letzterem können die Bürger den Rat bzw. Kreistag zur Sachbefassung mit einem Thema zwingen281 • Auch der Antrag auf Anberaumung einer Bürgerversammlung (z. B. gern. § 20 a BadWürtGO) gehört hierher, da eine solche Versammlung keine fiir die gewählten Vertretungen verbindlichen Entscheidungen treffen kann. Erster Sinn und Zweck einer konsultativen Abstimmung ist es, den Willen einer eingegrenzten Personengruppe zu einer bestimmten Sachfrage festzustel(§ 11 d), Sachsen (§22) und Schleswig-Holstein (§ 16 g), sowie in §§ 20; 102 Abs. 2 MecklVorpKV. 275 Gern, Kommunalrecht (1994), Rn. 590; Waechter, Kommunalrecht (1995), Rn. 276. 276 Burkholz, DÖV 1995,816/817; Engelken, NVwZ 1995,432/434. 277 Burkholz a. a. 0.; Engelken, VBIBW 1995,217/232. 278 Vgl. dazu B. 279 Auch "imperfekte Referenden", vgl. Pestalazza, NJW 1981, 733/734; Rammel/anger, Das konsultative Referendum (1988), S. 49 f. 280 Krause, Unmittelbare Demokratie (1987), § 39 Rn. 17; Schefald, ZParl 1989, 425/429. 281 Waechter, Kommunalrecht (1995), Rn. 277.

11. Wahlen in Kreisen und Gemeinden

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len282 • Die Artikulation dieses Willens wird häufig zur Folge haben, daß Mitglieder der Volksvertretung sich dem Druck ausgesetzt sehen, im Sinne dieser geäußerten Meinung zu entscheiden283 • Rein rechtlich bewirkt sie aber keine Bindung an den geäußerten Volkswillen. Ausländer konnten deshalb schon vor der Einfiihrung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG in konsultative Abstimmungen einbezogen werden 284 • Rein konsultative Befragungen zeichnen sich dadurch aus, daß die verbindliche Entscheidung uneingeschränkt bei den Vertretungskörperschaften verbleibt285 • Obwohl ein Einfluß des Abstimmungsergebnisses auf die politischen Organe möglich, ja sogar erwünscht ist, stellen sie deshalb keine Ausübung von Staatsgewalt dar286 • Den Landesgesetzgebern war es also vom Grundgesetz nie untersagt, Ausländer an konsultativen Abstimmungen teilnehmen zu lassen. In einigen Bundesländern ist dies auch realisiert worden. So sieht das Landesrecht z. B. in Mecklenburg-Vorpommern (§§ 18; 101 MeckIVorpKV), Nordrhein-Westfalen (§ 25 GO), Rheinland-Pfalz (§ 17 RhIPfGO; § 11 c RhlPfLKrO) und Schleswig-Holstein (§ 16 f SchlHolstGO) sog. Einwohneranträge im kommunalen Bereich vor, an denen im Gemeinde- bzw. Kreisgebiet ansässigen Personen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit teilnehmen dürfen. Sofern Abstimmungen also auch vom Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG umfaßt sind, bedeutet dies eine verfassungsrechtliche Garantie des bislang zur Disposition der Landesgesetzgeber gestellten Rechts der Unionsbürger zur Teilnahme an Abstimmungen. b) Abstimmungsrechtfür Unionsbürger aus Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG

Nachdem nun geklärt ist, inwieweit Ausländer ursprünglich von der Teilnahme an Abstimmungen ausgeschlossen waren, bleibt zu ermitteln, ob sich dies fiir Unionsbürger auf kommunaler Ebene durch die Einfiihrung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG geändert hat. Daß Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG das Recht zur aktiven und passiven Teilnahme an Wahlen auf kommunaler Ebene gewährt, geht aus seinem Wortlaut eindeutig hervor. Seine Stellung und die Bezugnahme auf Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG 282 Pestalozza, NJW 1981, 7331734; Rommelfanger, Das konsultative Referendum (1988), S. 37. 283 Bleckmann, JZ 1978, 217/219. 284 So auch EngelIren, VBIBW 1995,217/232. 285 Pestalozza, NJW 1981,7331734. 286 So auch EngelIren, NVwZ 1995,432; Schrapper, DVBI. 1995, 1167/1171.

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D. Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. I S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. I EGV

verdeutlichen ebenfalls, daß durch ihn die Mitwirkung an Wahlen zu Volksvertretungen geregelt wird. Auch Art. 8 b Abs. 1 EGV und die Richtlinie 94/801EG sind vom Wortlaut her in diesem Punkt unmißverständlich. Der Begriff der Kommunalwahlen, den Art. 8 b Abs. 1 EGV verwendet, wird durch die Richtlinie dahingehend defmiert, daß er "die allgemeinen, unmittelbaren Wahlen, die darauf abzielen, die Mitglieder der Vertretungskörperschaft und gegebenenfalls den Leiter oder die Mitglieder des Exekutivorgans einer lokalen Gebietskörperschaft der Grundstufe zu bestimmen" umfaßt287 . Sowohl die europäische Regelung als auch das Grundgesetz gewähren also ihrem Wortlaut nach Unionsbürgern lediglich das Recht zur Teilnahme an Wahlen im Sinne von Personalentscheidungen288 • Damit ist allerdings noch nicht geklärt, ob das Grundgesetz die Einführung eines Abstimmungsrechts durch die Landesgesetzgeber ausschließt, eine solche Regelung also verfassungswidrig wäre. Baden-Württemberg hat als erstes Bundesland zu dieser Frage Stellung bezogen und am 15.02.1995 in Art. 72 seiner Landesverfassung nicht nur das Wahl- sondern auch das Abstimmungsrecht von Unionsbürgern auf kommunaler Ebene verankert289 . Dem sind mittlerweile fast alle Landesgesetzgeber gefolgt290 , obwohl sie dabei auf erheblichen Widerstand seitens des Bundesministeriums des Innern gestoßen sind291 • Die Verfassungswidrigkeit eines Abstimmungsrechts für Unionsbürger wäre dann anzunehmen, wenn man davon ausginge, daß mit der Öffnungsklausel zugunsten des Gemeinschaftsrechts die Beschränkung auf dessen Regelungsgehalt verbunden wäre, durch die europäische Regelung also sowohl eine Unter- als auch eine Obergrenze für die nationalen Gesetzgeber gesetzt worden wäre. aa) Gemeinschaftsrecht als Mindeststandard Durch das Gemeinschaftsrecht selbst, in diesem Fall Art. 8 b Abs. 1 EGV i. V. m. der Richtlinie 94/80IEG, wird eine Obergrenze für die Gewährung politischer Rechte an Unionsbürger jedenfalls nicht gesetzt. Eine solche Auf-

287 Ein Änderungsvorschlag des Europäischen Parlaments vom 06.10.1994 (EP-Dok. A 4-11194, S. 6), der die Erstreckung auf "allgemeine, unmittelbare Abstimmungen, die bei den lokalen Körperschaften stattfinden" abzielte, scheiterte. 288 Allg. Auffassung, statt vieler Burkholz, DÖV 1995, 816/817; Engelken, NVwZ 1995,432/433; Hasselbach, ZG 1997,49/51; Kremer, VR 1996,145/146. 289 Vgl. dazu Engelken, VBIBW 1995,217/228 ff.; Geisel, VP 1995,73/75. 290 Vgl. dazu F. 11. 291 Vgl. dazu Engelken, VBIBW 1995,217/229.

11. Wahlen in Kreisen und Gemeinden

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fassung würde sowohl die Intention des Gemeinschaftsrechts als auch die Rechtspraxis innerhalb der EU verkennen. Eine Zielsetzung der EU besteht darin, nach und nach einen Abbau der rechtlichen Ungleichbehandlung von Inländern und anderen Unionsbürgern zu erreichen292 ; die Schaffung einer Unions bürgerschaft durch die Maastrichter Verträge stellt einen großen Schritt in diese Richtung dar. Die Intention des Gemeinschaftsgesetzgebers zielte dabei auf eine möglichst lückenlose Durchsetzung des Prinzips der Inländerbehandlung durch eine weitestgehende Integration der EU-Ausländer an ihrem jeweiligen Wohnort ab 293 • Gehen die Staaten bei der rechtlichen Gleichstellung über die Vorgabe des Gemeinschaftsrechts hinaus, so kann dies keinen Verstoß gegen dasselbe darstellen. Es setzt insoweit lediglich einen Mindeststandard, den Mitgliedstaaten steht es frei, Unionsbürger darüber hinaus mit eigenen Staatsangehörigen gleichzusetzen294 • Die Gleichbehandlung von Deutschen und Unionsbürgern hinsichtlich der Teilnahme an kommunalen Abstimmungen kann also keinen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht darstellen und bedeutet damit auch keine Verletzung von Art. 28 Abs. I S.3 GG wegen Mißachtung der Maßgabe des Gemeinschaftsrechts. bb) Keine Beschränkung der Öffnung auf Inhalt des Gemeinschaftsrechts Eine Verfassungswidrigkeit der Gewährung des Abstimmungsrechts an Unionsbürger ist auch nicht unter Berufung darauf zu begründen, daß Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG das Grundgesetz abschließend nur fiir die Rechte öffnet, die durch das Gemeinschaftsrecht gewährt werden295 • Zu dieser Schlußfolgerung kann nur gelangen, wer annimmt, daß Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG eine reine Öffnungsklausel darstellt. Nur wenn sich der Gehalt der Norm darin erschöpfte, die ansonsten verfassungswidrige Ratifizierung der Maastrichter Verträge zu ermöglichen, könnte sich die Öffnung auf exakt dessen Inhalt beschränken296 • Gewährt, wie hier vertreten297 , Art. 28 Abs. 1 S.3 GG selbst das Kommunalwahlrecht fiir Unionsbürger, so verbietet sich diese Annahme hingegen von selbst. Der Gehalt des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG ist daFischer, Unionsbürgerschaft (1992), S. 1 f.; Hasselbach, ZG 1997,49/50. Hasselbach, ZG 1997, 49/51. 294 So auch Burkholz, DÖV 1995,816/817; Engelken, NVwZ 1995,432/433. 295 So aber Meyer-TeschendorflHofmann, ZRP 1995,290/292. 296 Auch unter Annahme einer reinen Öffnungsklausel ist dieser Schluß allerdings nicht zwingend, vgl. dazu Engelken, NVwZ 1995, 432/433, Fn.6, der mit derselben Grundannahme zu einem anderen Ergebnis kommt. 297 Vgl. I. 1. 292 293

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D. Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. I S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV

nach nicht zwangsläufig mit dem des Art. 8 b Abs. I EGV identisch, sondern kann - den Einklang mit der übrigen Verfassung vorausgesetzt- auch darüber hinausgehen. Erkennt Art. 28 Abs. I S. 3 GG also lediglich den Vorrang des Gemeinschaftsrechts an, so erlegt es sich damit nicht die Beschränkung auf dessen Inhalt auf. In einer Gewährung des Abstimmungsrechts an Unionsbürger liegt mithin nicht zwangsläufig ein Verstoß gegen die Öffnungsklausel des Art. 28 Abs. I S. 3 GG, die Anerkennung der Maßgabe des Gemeinschaftsrechts bedeutet kein Verbot eines kommunalen Abstimmungsrechts. cc) Vereinbarkeit des Abstimmungsrechts mit dem Grundgesetz Ist nunmehr geklärt, daß Art. 28 Abs. I S. 3 GG nicht bereits durch seinen Charakter als Öffnungsklausel die Gewährung des Abstimmungsrechts an Unionsbürger verbietet, so bleibt die Frage offen, ob ein solches Recht in sonstiger Hinsicht mit dem Grundgesetz in Einklang steht. Bei erster Betrachtung des Art. 28 Abs. I S. 3 GG liegt zunächst die Annahme nahe, daß dieser ein Abstimmungsrecht von Unionsbürgern verbietet. Gewährt wird darin ausdrücklich nur das Recht zur Teilnahme an Wahlen, während das Grundgesetz an anderer Stelle, in Art. 20 Abs. 2 S. 2, zwischen Wahlen und Abstimmungen unterscheidet. Diese Diskrepanz ist in der GVK durchaus gesehen und thematisiert worden, mehrere Anträge hinsichtlich einer Ausdehnung der Regelung auf Abstimmungen scheitertenjedoch298 • Vereinzelt wird demgemäß vertreten, daß der Gesamtzusammenhang von Art. 28 und 20 GG die landesgesetzliche Gewährung eines Abstimmungsrechts fUr Unionsbürger verbietet299 • Das Homogenitätsprinzip des Art. 28 Abs. I GG räume den Ländern nur insoweit Freiheit bei der Ausgestaltung ihrer verfassungsmäßigen Ordnung ein, als die substantielle Bedeutung der Volkssouveränität auch auf kommunaler Ebene nicht in Frage gestellt werde. Indem Art. 28 Abs. 2 GG als Legitimationssubjekt auch dort das Volk im Sinne des deutschen Volkes defmiert und Art. 28 Abs. I S. 3 GG davon bzgl. Abstimmungen keine Ausnahme formuliere, bestehe das "Minimum" an Homogenität darin, daß an Kommunalwahlen Unionsbürger teilnehmen müssen, an Abstimmungen aber ausschließlich Deutsche teilnehmen können30o •

Vgl. Abschlußbericht der GVK, BT-Drs. 12/6000, S. 139. So Burkholz, DÖV 1995, 816/819. 300 Burkholz a. a. O. 298

299

11. Wahlen in Kreisen und Gemeinden

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Daß dies im Ergebnis "unsinnig" anmutet, scheinen auch Vertreter dieser Auffassung einzuräumen30I • Die Länder haben die entsprechenden Konsequenzen gezogen und fast ausnahmslos Unionsbürgern auch das Abstimmungsrecht gewährt302 • Sie haben sich dabei aber mehr auf sachlich-praktische als auf rechtliche Begründungen berufen303 • Die Einbeziehung von Unionsbürgern in die Teilnahme an Abstimmungen läßt sich aber nicht nur vom "gesunden Rechtsempfinden" her begründen. Vielmehr muß Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG im Zusammenhang mit Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG gesehen werden 304, der das Demokratieprinzip als auch für die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern verbindlich vorschreibt. Das Demokratieprinzip, das auch in Art. 20 Abs. 2 GG verankert ist, besagt dort, daß das Volk seine Staatsgewalt durch Wahlen und Abstimmungen ausübt. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Teilhabe an der Staatsgewalt in Form von Wahlen von der durch Abstimmungen überhaupt zu trennen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, daß auf kommunaler Ebene Abstimmungen ausschließlich Themen betreffen, die in die Zuständigkeit der gewählten Vertretungskörperschaften fallen. Gegenstand einer kommunalen Abstimmung können nur Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, nicht aber Weisungsaufgaben sein (vgl. z. B. § 21 Abs. 2 Nr. 1 BadWürttGO). Es wäre also bei einem Auseinanderfallen von Wahl- und Abstimmungsberechtigten die Konstellation denkbar, daß verschiedene Kandidaten wegen ihrer Haltung zu einem bestimmten Punkt verstärkt auch von Unionsbürgern in die Kommunalvertretung gewählt werden, bei einer anberaumten Sachabstimmung über eben jenen Gegenstand aber die ausnahmslos deutschen Abstimmungsberechtigten mehrheitlich gegen diese Haltung votieren. Die Entscheidungen, auf die Unionsbürger durch die Wahl von Kandidaten mittelbar Einfluß nehmen können, Wohl auch Burkholz a. a. O. Dies, obwohl das Bundesministerium des Innern für diesen Fall mit einer verfassungsrechtlichen Kontroverse und entsprechenden Konsequenzen gedroht hat, vgl. für Baden-Württemberg Engelken, BayVBI. 1995, 217/229. Dem Standpunkt des BMI schloß sich im baden-württembergischen Landtag allerdings nur die Fraktion der Republikaner an (BadWürttPlenarProt. S. 4995). 303 Als "folgerichtig und damit systemgerecht" wird die Beteiligung von Unionsbürgern an Abstimmungen in der Begründung des nordrhein-westfälischen Umsetzungsgesetzes, NWLT-Drs. 12/175, S. 12 bezeichnet; ähnlich die Begründung zum Gesetzentwurf der rh.-pfälzischen Landesregierung, RhPfLT-Drs. 12/7293, S.13. Im badenwürttembergischen Landtag nannte man den Ausschluß der Unionsbürger vom Abstimmungsrecht "ein so widersinniges Ergebnis, mit dem man in der Tat nicht leben kann", das "der Bevölkerung nicht zu vermitteln" sei, seine Gewährung entspreche hingegen dem "nüchternen, gesunden Menschenverstand", BadWürttPlenarProt. S. 4981, 4984, 4990, 4992. 304 Darauf weist auch die Begründung der rheinland-pfälzischen Regelung hin, RhPfLT-Drs. 23/7293, S. 19. 301

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D. Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV

könnten also möglicherweise ohne Mitwirkung dieser Personen rückgängig gemacht werden. Rein theoretisch müßte ein nur aus nichtdeutschen Unionsbürgern bestehender Gemeinderat damit rechnen, daß seine Beschlüsse durch Bürgerentscheide aufgehoben würden, ohne daß seine als Gemeindevertreter gewählten Mitglieder an dieser Abstimmung teilnehmen könnten. Dieses widersinnige Ergebnis verdeutlicht, daß sich die Ausübung von Staatsgewalt durch Wahlen und Abstimmungen nicht voneinander trennen lassen, vielmehr eine einheitliche Legitimationsgrundlage bestehen muß305. Die Staatsgewalt wird in der Bundesrepublik vom Volke ausgeübt. Die Ausübung von Staatsgewalt erfolgt auf kommunaler Ebene durch das entsprechende Teilvolk. Durch Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG hat die demokratische Legitimationsgrundlage auf kommunaler Ebene insofern eine Veränderung erfahren, als Unionsbürger darin aufgenommen worden sind306 . Auf kommunaler Ebene geht also die Staatsgewalt insgesamt auch von Unionsbürgern aus. Unter Berücksichtigung des auch für die Länder verbindlichen Demokratieprinzips ist die Gewährung des Abstimmungsrechts auf kommunaler Ebene an Unionsbürger durch Landesgesetze somit verfassungsmäßig nicht zu beanstanden. Ist dies aber Folge davon, daß sie auf kommunaler Ebene nun einen Teil des Volkes im wahlrechtlichen Sinne bilden, so ist die Gewährung des Abstimmungsrechts sogar verfassungsmäßig geboten 307 • Den Ländern steht es frei, ob sie Abstimmungen auf kommunaler Ebene überhaupt zulassen, tun sie dies aber, so sind daran auch Unionsbürger zu beteiligen.

2. Kreise und Gemeinden a) Von Unionsbürgern mitzuwählende Organe

Bei der Bezeichnung der Ebenen, auf denen Ausländer wahlberechtigt sind, verwenden Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG und Art. 8 b Abs. 1 EGV verschiedene Begriffe. Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG gewährt das Wahlrecht in Kreisen und Gemeinden, während Art. 8 b Abs. 1 EGV von "Kommunalwahlen" spricht. Dies erklärt sich daraus, daß die europäische Norm allgemeiner gehalten sein muß, um den Besonderheiten aller Mitgliedstaaten im Staatsaufbau Rechnung tragen zu können. Was unter dem Begriff zu verstehen ist, defmiert die Richtlinie 94/80IEG, die in Art. 2 Abs. 1 besagt: 305 So auch Enge/Iren, NVwZ 1995, 432/434 f.; ohne eigene Stellungnahme spricht dieses Dilemma auch Schrapper, DVBI. 1995, 1167/1170 an. 306 So auch EngelIren, VBIBW 1995,217/232; Kremer, VR 1996, 145/147. 307 Darauf weist, wenn auch vorsichtig formuliert, der Gesetzentwurf des rhein landpfälzischen Landtags, RhPfLT-Drs. 12/7293, S.20, hin. Entgegen EngelIren, NVwZ 1995,432/435 genügt die geringe Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines oben angedeuteten Falles nicht, um diese weitreichende Konsequenz abzulehnen.

11. Wahlen in Kreisen und Gemeinden

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"Im Sinne dieser Richtlinie sind ... (b) ,Kommunalwahlen' die allgemeinen, unmittelbaren Wahlen, die darauf abzielen, die Mitglieder der Vertretungskörperschaft und gegebenenfalls gemäß den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaates den Leiter und die Mitglieder des Exekutivorgans einer lokalen Gebietskörperschaft der Grundstufe zu bestimmen." Unter Buchstabe a) desselben Art. 2 Abs. 1 fmdet sich eine Defmition des Begriffes der "lokalen Gebietskörperschaft der Grundstufe"; des weiteren beinhaltet die Richtlinie in ihrem Anhang eine Auflistung der unter diesen Begriff fallenden Verwaitungseinheiten308 Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben des Gemeinschaftsrechts sind also die Vertretungskörperschaften und ggf. Exekutivorgane zu ermitteln, die gern. Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG unter Mitwirkung von Unionsbürgern gewählt werden müssen. Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG nennt als Ebenen, auf denen Unionsbürger kommunale Organe wählen dürfen, die Kreise und Gemeinden. Gemeinden sind gemäß den jeweiligen § 1 der Gemeindeordnungen Gebietskörperschaften und juristische Personen des öffentlichen Rechts. Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG schreibt vor, daß in ihnen das Volk eine Vertretung haben muß, die nach denselben Grundsätzen gewählt wird wie diejenigen im Bund und auf Landesebene. Kreise sind den Gemeinden übergeordnete Verwaltungseinheiten, die ebenfalls als rechtsfähige Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts ausgestaltet sind309 • Bei welchen Wahlen Unionsbürger in Deutschland gern. Art. 28 Abs. 1 S.3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV wahlberechtigt sind, soll nun im einzelnen dargestellt werden. Dabei werden zunächst nur die Flächenstaaten erfaßt, die drei Stadtstaaten bedürfen aufgrund ihres besonderen Aufbaus einer gesonderten Untersuchung 3lO• aa) Vertretungskörperschaften311 (1) Kreise

Das von Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG rur die Kreise vorgeschriebene Repräsentationsorgan bildet in den Flächenstaaten der Kreistag. Er ist das Hauptorgan des Landkreises und geht aus unmittelbaren Wahlen hervor312 • Vgl. dazu auch I. 3. b) aa). Gern, Kommunalrecht (1994), Rn. 863; Waechter, Kommunalrecht (1995), Rn. 397. 310 Vgl. dazu c). 311 Gemeint ist dabei eine Körperschaft im weiteren Sinne, so verfugt die kommunale Vertretung nicht über eigene Rechtsfähigkeit, vgl. Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht (1995), Rn. 59; Stober, Kommunalrecht (1992), S. 100. 308

309

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D. Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV

Wahlberechtigt sind dabei nach den jeweiligen Kreisordnungen die Kreisbürger. Die meisten Bundesländer haben nach Einfügung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG diesen Begriff durch Änderung der entsprechenden Vorschriften auf Unionsbürger ausgedehnt, einige haben hingegen zur Umsetzung der Richtlinie Unionsbürger als weitere wahlberechtigte Personen den (nach wie vor ausschließlich deutschen) Kreisbürgern gleichgestellt313 • (2) Gemeinden

Das Hauptorgan der Gemeinde bildet ebenfalls die gewählte Vertretungskörperschaft, die die Bezeichnung (Stadt- bzw.) Gemeinderat, Rat, (Stadt- bzw.) Gemeindevertretung oder Stadtverordnetenversammlung trägt314 • Die Gewährung des Kommunalwahlrechts an Unionsbürger erfolgte hier entsprechend zu der auf Kreisebene, also entweder isoliert oder durch Einbeziehung in den Gemeindebürgerbegriff. Gern. Art. 28 Abs. 1 S. 4 GG kann in Gemeinden an die Stelle der gewählten Vertretung auch die Gemeindeversammlung treten, die aus allen wahlberechtigten Einwohnern besteht. In den wenigen Gemeindeordnungen, in denen Gemeindeversammlungen vorgesehen sind, muß die Teilnahme- und Stimmberechtigung insofern ebenfalls auf Unionsbürger ausgedehnt werden. Dies folgt schon zwingend aus Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG, da die Gemeindeversammlung die kommunale Vertretungskörperschaft ersetzt und die stimmberechtigte Teilnahme daran an die Stelle der "Wahlen in Gemeinden" tritt. Es diente somit nur der KlarsteIlung, daß in den Anhang der Richtlinie 94/801EG eine Protokollerklärung der Bundesrepublik Deutschland315 aufgenommen wurde, in der darauf hingewiesen wird, daß die Regelungen über Kommunalwahlen entsprechend für deutsche Gemeindeversammlungen gelten 316 •

Gern, Kommunalrecht (1994), Rn. 873; Mutius, Kommunalrecht (1996), Rn. 672. Vgl. dazu F. H. 314 Vgl. zu den verschiedenen Bezeichnungen Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht (1995), Rn. 55; Stober, Kommunalrecht (1992), S. 99 f. 315 Protokollerklärung der deutschen Delegation zu Art. 2 Absatz 1 Buchstabe b), ABI. Nr. L 368/45. 316 Engelken, NVwZ 1995, 432/434, Fn. 10 weist darauf hin, daß diese Protokoll erklärung insofern nicht präzise formuliert ist, als nicht die Regelungen über die Kommunalwahlen entsprechend gelten sollen, sondern das Stimmrecht in der Gemeindeversammlung an die Stelle des Kommunalwahlrechts tritt. 312

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11. Wahlen in Kreisen und Gemeinden

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(3) Gemeindeinterne Gliederungen

In den einzelnen Landesgesetzen haben die Flächenstaaten größtenteils weitere Gliederungen der Gemeinden vorgesehen, die über eigene gewählte Vertretungen verfUgen. Sie tragen unterschiedliche Bezeichnungen, z. B. Bezirke oder Ortschaften. Diese Gliederungen stellen unselbständige Teile der Gemeinde dar; die Gemeinde bleibt einzige rechtsfiihige Trägerkörperschaft, ihr allein gilt die Garantie des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG3I7. Die gemeinde internen Gliederungen sind deshalb vom Begriff der "Wahlen in Kreisen und Gemeinden" mit umfaßt3\8. Dasselbe ergibt sich aus der gemeinschaftsrechtlichen Maßgabe, da die Stadt-, Gemeinde- oder Ortsbezirke bzw. Ortschaften auch im Anhang der RL 94/801EG als lokale Gebietskörperschaften der Grundstufe erwähnt sind319 • Auch bei Wahlen zu diesen subkommunalen Vertretungsorganen ist Unionsbürgern also das Wahlrecht einzuräumen320 . (4) Gesamtgemeinden

Schwieriger stellt sich die Einordnung der sogenannten Gesamtgemeinden dar. Darunter sind Zusammenschlüsse meist kleiner Gemeinden als verbandliche Organisationsform zu verstehen321 • Die Gemeinden bleiben dabei als selbständige Gebietskörperschaften erhalten, verschiedene örtliche Aufgaben werden aber auf die Gesamtgemeinde übertragen 322 • Diese Verbände sind in den Bundesländern unterschiedlich ausgestaltet und bezeichnet (z. B. als Gemeindeverwaltungsverbände in Baden-Württemberg, Hessen und Sachsen; Ämter in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein; Verwaltungsgemeinschaften in Bayern, Sachsen-Anhalt und Thüringen). Im Zusammenhang mit dem Thema dieser Arbeit sind allerdings nur die Gesamtgemeinden zu untersuchen, die über unmittelbar vom Volk gewählte Vertretungskörperschaften verfUgen, nämlich die SamtgemeinSchmidt-Aßmann, Kommunalrecht (1995), Rn. 92 a. E. So auch Model/Müller, Grundgesetz (1996), Art. 28 Rn. 5 a. E. 319 Schon aus dem Begriff der Kommunalwahlen hat dies Degen, DÖV 1993, 749/755 hergeleitet. 320 Nicht davon erfaßt sind allerdings die bayerischen Stadtbezirke i. S. d. Art. 60 BayGO, da diese nicht über eine durch unmittelbare Wahl ermittelte Vertretung verfügen. Der Bezirksausschuß ist dort lediglich ein besonderer, vom Stadtrat zu bildender Ausschuß. 32\ WoljJ/BachojlStober, Verwaltungsrecht 11 (1976), § 88; Mutius, Kommunalrecht (1996), Rn. 320. 322 Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht (1995), Rn. 153. 317 318

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D. Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV

den in Niedersachsen (§§ 71 ff. NdsGO) und die Verbandsgemeinden in Rheinland-Pfalz (§§ 64 ff. RhIPfGO). Diese Gesamtgemeinden fmden sich nicht in der enumerativen Aufzählung der lokalen Gebietskörperschaften der Grundstufe im Anhang der RL 94/80/EG. Eine gemeinschaftsrechtliche Erfassung könnte also nur dann angenommen werden, wenn insofern von einer "planwidrigen Lücke" ausgegangen und ein Analogieschluß hergestellt wird323 • Daß auch in den Gesamtgemeinden Unionsbürger an den unmittelbaren Wahlen zu den Vertretungskörperschaften zu beteiligen sind, ergibt sich aber, ohne daß es derartiger Konstruktionen bedarf, aus Art. 28 Abs. 1 S.3 GG. Indem dieser deren Beteiligung bei Wahlen in Kreisen vorschreibt, erfaßt er auch alle Gebietskörperschaften, die unterhalb dieser Ebene angesiedelt sind. Dazu zählen neben den gemeindeinternen Gliederungen auch die Gesamtgemeinden. Bei ihnen handelt es sich zwar weder um Kreise noch um Gemeinden, wenn aber schon die höherrangige Kreisebene von Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG erfaßt ist, so muß dies auch filr die "gemeindenäheren" Gesamtgemeinden gelten. Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG greift damit aus der kommunalen Struktur nicht nur zwei, Kreise und Gemeinden heraus, sondern erfaßt auch die zwischen beiden angesiedelten Ebenen. Unionsbürgern ist somit auch bei unmittelbaren Wahlen in den niedersächsischen Samtgemeinden und den rheinland-pfiilzischen Verbandsgemeinden das Wahlrecht zu den Vertretungskörperschaften einzuräumen. (5) Höhere Kommunalverbände Ob dasselbe filr höhere Kommunalverbände, also solche, die über den Kreisen angesiedelt sind, gilt, bedarf ebenfalls näherer Betrachtung. Solche höheren Kommunalverbände existieren nicht in allen Bundesländern und sind zudem - vor allem historisch bedingt - völlig unterschiedlich ausgestaltet. In Bayern bildet der Bezirk den höheren Kommunalverband. Er ist nicht - wie die Bezirke in den anderen Bundesländern - ein Teil der Gemeinde, sondern gern. Art. 1 BayBezO eine Gebietskörperschaft, die das Recht hat, sich mit überörtlichen Angelegenheiten zu befassen, die über die Zuständigkeit oder das Leistungsvennögen der Kreise hinausgehen und deren Bedeutung nicht über das Bezirksgebiet hinausreichen. Die gewählte Vertretung der Bezirksbürger bildet gern. Art. 12 BayBezO der Bezirkstag.

323

So Hasselbach, ZG 1997, 49/52 f.; Schrapper, DVBI. 1995, 1167/1170.

11. Wahlen in Kreisen und Gemeinden

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Ähnlich strukturiert ist der Bezirksverband Pfalz im Bundesland RheinlandPfalz. Er ist gern. § lAbs. 2 RhPfBezO eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Der Bezirkstag wird gern. § 5 Abs. 1 RhPfBezO für fünf Jahre unmittelbar vom Volk gewählt. In Baden-Württemberg existiert seit dem 01.10.1994 als höherer Kommunalverband der Verband Region Stuttgart, für den als Vertretungskörperschaft die Regionalversammlung durch Volkswahl bestimmt wirdJ24 • Der bayerische Bezirk, der Bezirksverband Pfalz und der Verband Region Stuttgart sind also eigene Gebietskörperschaften, die das Gebiet mehrerer Gemeinden umfassen und den Kreisen übergeordnet sind. Damit stellt sich die Frage, ob das Kommunalwahlrecht für Unions bürger auch auf diese Gebietskörperschaften ausgedehnt werden muß. Aus der Maßgabe des Gemeinschaftsrechts ergibt sich dies nicht325 • Die Kommunalwahlen, an denen danach Unionsbürger zu beteiligen sind, umfassen nach der RL 94/801EG nur Stadt-, Gemeinde- und Ortsbezirke. Da in einigen Bundesländern diese Untergliederungen schlicht als "Bezirke" benannt werden, steht zu vermuten, daß diese näheren Bezeichnungen gerade benutzt wurden, um die bayerischen, den Gemeinden übergeordneten Bezirke und den Bezirksverband Pfalz von der Regelung auszunehmen. Der Verband Region Stuttgart ist im Anhang der Richtlinie ebenfalls nicht genannt. Auch unter die Wahlen in Kreisen und Gemeinden i. S. d. Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG fallen die Wahlen zu den bayerischen Bezirkstagen, zum Bezirkstag Pfalz und zu der Regionalversammlung des Verbandes Region Stuttgart nicht, da sie den Kreisen übergeordnet sind. Eine Erstreckung der Geltung dieser Regelung auf höhere Kommunalverbände hätte einer anderen Ausgestaltung bedurft; so hätte sie lauten können, daß Unionsbürgern das Wahlrecht unterhalb der Landesebene gewährt würde. Das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger erstreckt sich somit nicht auf die bayerischen Bezirke und den pfälzischen Bezirksverband als höhere Kommunalverbände. Die weiteren höheren Kommunalverbände in Deutschland (Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe; Ostfriesische Landschaft; Landeswohlfahrtsverbände und Regionalverbände ) sind für die vorliegende Untersuchung nicht relevant, da ihre Vertretungen nicht unmittelbar durch das Volk, sondern

324 Näher dazu Enge/ken, VBIBW 1995,217/230 und Rotberg, VP 1993,265/269 ff., der die Rechtsnatur als Kommunalverband unter Hinweis auf das Fehlen eines "umfassenden oder breit angelegten Aufgabenbestandes" bestreitet (S.270). 325 So auch - schon vor Erlaß der RL 94/801EG - Degen, DÖV 1993, 749/755 und Rotberg a. a. O. S. 270 (unter o.g. Prämisse).

6 Barley

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D. Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV

mittelbar durch die Vertretungen der Mitgliedskörperschaften gewählt werden 326 • bb) Exekutivorgane Der gemeinschaftsrechtliche Begriff der Kommunalwahlen umfaßt gern. Art. 2 Abs. 1 b) RL auch die Wahlen, die gemäß den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats den Leiter und die Mitglieder des Exekutivorgans einer lokalen Gebietskörperschaft der Grundstufe bestimmen. Nach Art. 5 Abs. 3 RL können die Mitgliedstaaten allerdings die Wählbarkeit in die Ämter des Leiters des Exekutivorgans, seines Vertreters oder eines Mitglieds des leitenden kollegialen Exekutivorgans eigenen Staatsangehörigen vorbehalten. Dasselbe gilt filr die vorübergehende oder vertretungsweise Ausübung dieser Ämter. Ein solcher Vorbehalt muß aber den EG-Vertrag und die allgemeinen Prinzipien des Rechts beachten sowie geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein. Für die Umsetzung ins deutsche Recht ist die Auffassung vertreten worden, daß die deutschen Bundesländer durch Bundesrecht verpflichtet seien, von dieser Ausnahme des Art. 5 Abs. 3 RL Gebrauch zu machen. Hintergrund dafilr ist die beamtenrechtliche Stellung der kommunalen Exekutivorgane. Die Vertreter dieser Sichtweise stützen sich dabei auf §§ 4; 7 BRRG, die bislang die Berufung in ein Beamtenverhältnis Deutschen i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG vorbehielt, aber Ende 1993 dem Gemeinschaftsrecht angepaßt wurden. Die durch das Zehnte Gesetz zur Anderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 20.12.1993 327 geänderten §§ 4 Abs. 1 Nr. 1; 7 Abs. 1 BRRG stellen nun Unionsbürger den Deutschen gleich. §§ 4 Abs. 2; 7 Abs. 2 BRRG enthalten dazu allerdings Ausnahmen; wenn die Aufgaben es erfordern, dürfen danach nur Deutsche in ein Beamtenverhältnis berufen werden (Art. 48 Abs. 4 EGV). Hieraus wird teilweise abgeleitet, daß §§ 4 Abs. 2; 7 Abs. 2 BRRG den Ländern untersagen, Unionsbürgern den Zugang zu den Ämtern der kommunalen Exekutivorgane zu eröffnen328 • Dazu wird die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 48 Abs. 4 EGV herangezogen, auf den die deutsche Regelung verweist. Art. 48 EGV verankert den Grundsatz der Freizügigkeit von Arbeitnehmern innerhalb der Gemeinschaft. Sein Abs. 4 nimmt Beschäftigungen in der öffentlichen Verwaltung von diesem Grundsatz aus.

Vg!. ausführlich Dittmann, Kommunalverbandsrecht (1992), Rn. 300 ff. BGB!. I S. 2136. 328 So Fastenrath, FAZ v. 20.09.1995, S. 16; wohl auch Engelken, BayVB!. 1996, 389/392. 326

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11. Wahlen in Kreisen und Gemeinden

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Was unter "Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung" zu verstehen ist, war lange Zeit umstritten. Früher wurde dazu vertreten, daß die Vorschrift als institutionelle Bereichsausnahme angelegt sei und deshalb alle bei der öffentlichen Verwaltung Beschäftigten, gleich ob Beamte, Angestellte oder Arbeiter, erfasse329 . Zum einen muß Art. 48 Abs. 4 EGV als Ausnahmevorschrift aber restriktiv ausgelegt werden 3JO • Die dargestellte Sichtweise hätte zum anderen für §§ 4; 7 BRRG zur Folge, daß die Ausnahme der Abs. 2 in ihrem Umfang weitergehender wäre als die Regelung der Abs. I selbst. Sie steht schließlich aber auch nicht im Einklang mit der für die Mitgliedstaaten verbindlichen Auslegung durch den EuGH. Danach sind unter "Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung" die Stellen zu verstehen, die "eine unmittelbare oder mittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und an der Wahrnehmung solcher Aufgaben mit sich bringen, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates und anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind und die deshalb ein Verhältnis besonderer Verbundenheit des jeweiligen Stelleninhabers zum Staat sowie die Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten voraussetzen, die dem Staatsangehörigkeitsverband zugrunde liegen. Ausgenommen sind nur die Stellen, die in Anbetracht der mit ihnen verbundenen Aufgaben und Verantwortlichkeiten die Merkmale der spezifischen Tätigkeit der Verwaltung auf den genannten Gebieten aufweisen können."33! Der EuGH spricht sich also gegen eine institutionelle Auslegung aus und begrenzt die Bedeutung des Begriffs der "Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung". Damit wird die Bestimmung der Ausnahmen nicht - wie etwa für die Niederlassungsfreiheit gern. Art. 55 EGV - an das nationale Recht verwiesen, sondern eine gemeinschaftsrechtliche Auslegung vorgenommen 332 • Im Bereich der Freizügigkeit von Arbeitnehmern erklärt sich dies daraus, daß eine möglichst einheitliche Geltung in allen Mitgliedstaaten angestrebt wurde, um eine Abschottung der nationalen Arbeitsmärkte zu verhindern 333 . Aus der Definition des EuGH könnte - isoliert betrachtet - der Schluß gezogen werden, daß die beamteten deutschen kommunalen Exekutivorgane eine

329 So noch Nicolaysen, Europäisches Gemeinschaftsrecht (1979), S. 107. 330 Benjes, Personenverkehrsfreiheiten (1992), S.165; Schotten, DVBI. 1994, 567/571. 33! EuGHE 1980,3881 - Rs. 149/79 "KommissionlBelgien"; EuGHE 1986, 2121 Rs. 66/85 "Lawrie-Blum"; ob diese Voraussetzungen kumulativ oder nur alternativ vorliegen müssen, kann hier dahingestellt bleiben, vgl. dazu Schotten, DVBI. 1994, 567/571 f. 332 Fischer, RiA 1995, 105/107; Schotten, Europäisches Gemeinschaftsrecht und Zugang zum öffentlichen Dienst (1994), S. 45. 333 EuGHE 1980,3881 - Rs. 149/79 "KommissionlBelgien"; EuGHE 1986,2121 Rs. 66/85 "Lawrie-Blum". 6*

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D. Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV

"Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung" innehaben 334 • Jedoch wird dabei der Gesamtzusammenhang vernachlässigt, in dem sich diese Regelung befmdet. Art. 48 Abs. 4 EGV stellt eine Ausnahme zu Art. 48 Abs. I bis 3 EGV darm. Diese behandeln die Freizügigkeit von Arbeitnehmern innerhalb der EU. Sie sollen dem Ziel des EGV dienen, gleiche Zugangsvoraussetzungen rur Bewerbungen auf dem Arbeitsmarkt in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten336 • Arbeitnehmer i. S. d. EGV ist, wer während einer bestimmten Zeit fiir einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, rur die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält337 • Die Tätigkeit von kommunalen Exekutivorganen kann nicht unter diese Defmition gefaßt werden. Sie werden nicht für einen Arbeitgeber tätig, sondern üben ein öffentliches Amt aus, in dem sie dem öffentlichen Wohl verpflichtet sind. Auch eine Weisungsbefugnis besteht in diesen Ämtern nicht im Sinne eines Arbeitgeber-/Arbeitnehmerverhältnisses338 • Die Wählbarkeit in das Amt eines kommunalen Exekutivorgans ist deshalb nicht dem Bereich der Freizügigkeit von Arbeitnehmern zuzuordnen, sondern steht im Zusammenhang mit der Gewährung politischer Rechte an Unionsbürger, die - aus welchem Grunde auch immer, als Arbeitnehmer oder vor einem anderen Hintergrund - in einem anderen Mitgliedstaat wohnhaft sind. Daß sie dabei auch Verwaltungsaufgaben wahrnehmen, ist dabei ohne Belang; ein anderes Ergebnis würde den Mitgliedstaaten eine Handhabe geben, durch beamtenrechtliche Regelungen den Zugang von Unionsbürgern zu den Ämtern der kommunalen Exekutivorgane zu begrenzen339 • Die Ausnahmevorschrift des Art. 48 Abs. 4 EGV betrifft also nicht die deutschen kommunalen Exekutivorgane. §§ 4; 7 BRRG, die sich auf diese Vorschrift beziehen, verbieten somit den deutschen Ländern nicht, Unionsbürger in diesen Funktionen in ein Beamtenverhältnis zu berufen. Bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts bleibt es also auch der Bundesrepublik Deutschland überlassen, Unionsbürger als Kandidaten rur die Ämter der kommunalen Exekutivorgane zuzulassen oder von der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 3 RL Gebrauch zu machen. Die deutschen Bundesländer kennen ganz unterschiedliche Ausgestaltungen der kommunalen Exekutivorgane. Welche Ämter also in den Kreisen und Ge334 Dies vertreten Engelken, BayVBI. 1996,389/391; Fastenrath, FAZ v. 20.09.1995, S.16. m So betonen auch SummerlZängl, BayVBI. 1995,545, daß Art. 48 Abs. 4 EGV nur die unter die Freizügigkeitsregelung des Art. 48 EGV fallenden Stellen erfaßt. 336 Summer, ZBR 1993, 97. 337 EuGHE 1986, 2121 - Rs. 66/85 "Lawrie-Blum"; EuGHE 1992, 1027 - Rs. C357/89 "Raulin". 338 Darauf weist auch Summer, ZBR 1995, 97/105 hin. 339 So auch Hasselbach, ZG 1997,49/51 f., 57.

11. Wahlen in Kreisen und Gemeinden

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meinden von dem gemeinschaftsrechtlichen Vorbehalt betroffen sind, hängt von dem entsprechenden kommunalen Aufbau ab. (1) Landräte

Zu den Wahlen in Kreisen gehören neben denen der Kreistagsmitglieder auch die zum Landrat (bzw. Oberkreisdirektor in Niedersachsen und NordrheinWestfalen). Aus der Richtlinie selbst ergibt sich das passive Wahlrecht der Unionsbürger zu diesem Amt allerdings nur für die Bundesländer, die eine Urwahl vorsehen, da nur sie unmittelbare Wahlen i. S. d. Art. 2 Abs. 1 b) RL darstellen 340 • Unmittelbare Volkswahlen zu diesem Amt finden nach dem Landesrecht in Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen statt, ab 1999 auch in MecklenburgVorpommern. Die anderen Länder sehen eine Wahl durch die jeweilige Vertretungskörperschaft vor und sind deshalb zur Gewährung des passiven Wahlrechts zu diesem Amt nicht durch die Maßgabe des Gemeinschaftsrechts verpflichtet. Dasselbe gilt für die Verpflichtung zur Beteiligung an "Wahlen in Kreisen und Gemeinden" nach Art. 28 Abs. 1 S.3 GG. Aus dem Zusammenhang mit Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG, der durch die Verbindung "sind auch ... wahlberechtigt und wählbar" (Hervorhebung durch Verf.) besonders deutlich wird, ergibt sich, daß er sich ausdrücklich nur auf unmittelbare Willensbekundungen durch das Wahlvolk bezieht. Den Bundesländern, in denen der Landrat nicht durch unmittelbar durch Volkswahl bestimmt wird, eröffnet Art. 28 Abs. 1 S.3 GG aber die Option, Unionsbürger auch für dieses Amt zuzulassen. Die Norm hat die Beschränkung der Ausübung von Staatsgewalt auf Deutsche i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG auf kommunaler Ebene aufgehoben. Sie gestattet die Direktwahl von Unionsbürgern in das Amt des Landrats. Ein unmittelbar vom Volk gewählter (ausländischer) Landrat übt aber in derselben Art und demselben Maß Staatsgewalt aus wie jener, der von der Kreisvertretung gewählt worden ist. Er hat sogar noch eine leicht bevorzugte Stellung, da der direkt vom Volk gewählte Mandatsträger nicht vom Kreistag abgewählt werden kann. Indem also Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG die Ausübung von Staatsgewalt durch Unionsbürger in der Funktion als Landräte gestattet, ermöglicht er es auch den Ländern, die keine Volkswahl in dieses Amt vorsehen, Unionsbürgern die Wählbarkeit einzuräumen. Verpflichtet sind sie dazu jedoch weder durch Gemeinschafts-, noch durch Verfassungsrecht.

340 Engelken, VBIBW 1995, 217/230; kritisch, i. E. allerdings ebenso Schrapper, DVBI. 1995, 1167/1171.

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D. RegelungsgehaIt des Art. 28 Abs. I S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV

Die Bundesländer, die eine Urwahl des Landrats vorsehen, können gern. Art. 5 Abs. 3 RL Unionsbürger vom passiven Wahlrecht zu diesem Amt ausschließen. Diese Option begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Richtlinie bleibt damit im Rahmen des Art. 8 b Abs. 1 EGV, da die Tätigkeit des Landrats sich nicht auf die kommunale Ebene beschränkt. Der Landkreis nimmt neben seinen kommunalen auch staatliche Aufgaben wahr341 • Dabei wird in den meisten Bundesländern der Landrat mittels Organleihe als untere staatliche Verwaltungsbehörde tätig, während andere den Kreis selbst mit staatlichen Aufgaben betrauen342 • In jedem Fall aber gehören zu den Kompetenzen des Landrats/ Oberkreisdirektors auch staatliche Aufgaben. Seine Wahl fällt somit nicht uneingeschränkt unter den Begriff der "Kommunalwahl" des Art. 8 b Abs. 1 EGV, den die Richtlinie damit zulässig ausgestaltet. Demgemäß unterliegt es keinen Bedenken, den Ländern die Möglichkeit zu überlassen, Unionsbürger von der Wählbarkeit zu diesem Amt auszuschließen. (2) Gemeindevorstand

Alle Bundesländer stellen neben die Gemeindevertretung als zweites Hauptorgan der Gemeinde einen Gemeindevorstand. Teilweise ist dieser monokratisch, in anderen Ländern kollegial ausgestaltet. In ersterem Fall nennt sich der Gemeindevorstand in den meisten Landesgesetzen (Ober-)Bürgermeister, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen bezeichnen ihn als Gemeindedirektor/(Ober-)Stadtdirektor. Die Wahl zu diesem Amt erfolgt entweder unmittelbar durch das Volk oder durch die Gemeindevertretung. In Kommunalverfassungen mit kollegialem Gemeindevorstand bildet der Magistrat das zweite Hauptorgan. Er besteht aus dem Bürgermeister als Vorsitzendem und den Beigeordneten. Der Gemeindevorstand stellt auf Gemeindeebene das Exekutivorgan i. S. d. Art. 5 Abs. 3 RL dar. Auch hier werden von der gemeinschaftsrechtlichen Regelung allerdings nur die Gemeindevorstände erfaßt, die durch unmittelbare Volkswahl ermittelt werden. Ebenso wie auf der Kreisebene, auf der auch staatliche Aufgaben wahrgenommen werden, ist es den anderen Ländern auch hier verfassungsrechtlich nicht untersagt, Unionsbürgern die Wählbarkeit in diese Ämter zu gewähren343 • Mit der Einfiihrung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG ist das Volk als Legitimationssubjekt auf kommunaler Ebene um die Gruppe der in Deutschland ansässigen Unionsbürger erweitert worden, sie dürfen nun 341 Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht (1995), Rn. 136; Seele, Die neuen Kreise (1985), S. 251/285. 342 Vgl. dazu Schmidt-Aßmann a. a. O. Rn. 149. 343 Die meisten Länder haben dies denn auch getan, vgl. F. 11.

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ebenfalls in diesem begrenzten Bereich Staatsgewalt ausüben. Daraus ergibt sich, daß es mit dem Grundgesetz nach Einfilhrung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 vereinbar wäre, auch die Ausübung von Staatsgewalt durch Übernahme dieses rein kommunalen Amtes Unionsbürgern zu ermöglichen, obwohl dies weder im Gemeinschaftsrecht noch im Grundgesetz ausdrücklich vorgesehen ist344 • Alle unmittelbar gewählten Ämter der einzelnen Gemeindevorstände, gleich ob monokratisch oder kollegial ausgestaltet, unterfallen der in Art. 5 Abs. 3 RL enthaltenen Option, ihre Wählbarkeit auf Deutsche i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG zu beschränken. Es wird allerdings vereinzelt bezweifelt, daß diese Einschränkungsmöglichkeit des Art. 5 Abs. 3 RL fiir die Gemeindeebene mit Art. 8 b Abs. 1 EGV vereinbar ist. Wie bereits dargelegt, kann die Richtlinie nur die Einzelheiten der Ausübung des Kommunalwahlrechts rur Unionsbürger festlegen, nicht aber Art. 8 b Abs. 1 EGV in seiner Gewährleistung begrenzen345 • Ein Verstoß gegen Art. 8 b Abs. 1 EGV wird nun unter dem Aspekt vertreten, daß Bürgermeister rein kommunale Tätigkeiten ausüben und deshalb dem Begriff der Kommunalwahlen im Sinne dieser Norm unterfallen. Ein sachlicher Grund fiir eine Differenzierung gegenüber den Wahlen zum Gemeinderat bestünde nicht, da dieser im Vergleich zum Gemeindevorstand keine minderwertigen Kompetenzen habe346 : Daß die Wahl zum Gemeindevorstand eine Kommunalwahl i. S. d. Art. 8 b Abs. 1 EGV darstellt, triffi zunächst auch auf dieser Ebene schon nur fiir Urwahlen zu; in den anderen Bundesländern, die diese nicht vorsehen, besteht ohnehin weder eine gemeinschaftsrechtliche noch eine verfassungsrechtliche Pflicht, Unionsbürger zum Amt des Gemeindevorstands zuzulassen. Es ergeben sich deshalb schon unter diesem Aspekt Zweifel daran, daß den einen Ländern die Gewährung des passiven Wahlrechts freigestellt sein soll, während die anderen ohne Einschränkungsmöglichkeit dazu verpflichtet sein sollen. Aber auch in den Bundesländern, die den (Ober-) Bürgermeister unmittelbar vom Volk wählen lassen, erlaubt das Gemeinschaftsrecht den Ausschluß von der Wählbarkeit zu diesem Amt. Es muß bezweifelt werden, ob das Gemeinschaftsrecht überhaupt zwischen "rein kommunalen" Ämtern und solchen, die 344 Eine fehlende Personalhoheit der Bundesrepublik Deutschland über Unionsbürger kann dabei entgegen der Bedenken von Hofmann, StWiuStPr 1995, 155/168 und Doehring, ZRP 1993, 98/101 kein Hindernis darstellen, da diese in dem gleichen Maße rur Gemeinderatsmitglieder zutrifft, rur die keine Ausnahmemöglichkeit besteht. 345 Vgl. I. 3. b). 346 So Wollenschläger/Schraml, BayVBI. 1995, 385/388; Quecke, KommPr BW 1995, 303/306 formuliert vorsichtiger, daß ein innerstaatlicher Vorbehalt hinsichtlich der Wählbarkeit von Unionsbürgern in das Amt des Bürgermeisters "dem Sinn des Vertrags über die Europäische Union entgegenwirken würde".Ähnlich äußert sich der rh.-pflilzische Regierungsentwurfzum Umsetzungsgesetz, RhPfLT-Drs. 12/7293, S. 22.

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D. Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. I EGV

auch höherrangige Aufgaben wahrnehmen, unterscheidet. Bei den völlig verschiedenen Staatsautbauten und Terminologien der einzelnen Mitgliedstaaten kann ein solcher Gehalt der Richtlinie nicht entnommen werden. 347 Auch dem Argument der Vergleichbarkeit von Gemeindevorstand und vertretung kann so nicht gefolgt werden. Zwar übt der Gemeindevorstand Staatsgewalt auf derselben Ebene wie der Gemeinderat aus, jedoch verfilgt er über weitergehende Kompetenzen. So bereitet er die Beschlüsse des Rats und der Ausschüsse vor, womit in der Praxis eine erhebliche Einflußmöglichkeit verbunden ist348 • Er filhrt eigenverantwortlich die Geschäfte der laufenden Verwaltung und nimmt in diesem Rahmen die Willensbildung der Gemeinde vor349, außerdem obliegt ihm die rechtsgeschäftliche Vertretung der Gemeinde nach außen 350 • Fast alle Gemeindeordnungen enthalten weiterhin eine Befugnis des Gemeindevorstands zum Erlaß von Dringlichkeitsentscheidungen, wenn auch die Ausgestaltung dabei im einzelnen voneinander abweicht. Im Verhältnis zum Gemeinderat besonders herauszuheben ist das Recht des Gemeindevorstands, rechtswidrige Beschlüsse desselben zu rügen, nach manchen Gemeindeordnungen sogar, Beschlüssen, die das Wohl der Gemeinde geflihrden, zu widersprechen351 • Weitere Aufgaben können dem Gemeindevorstand durch Gesetz oder Gemeinderatsbeschluß übertragen werden. Der Gemeindevorstand nimmt also auf kommunaler Ebene durchaus eine gegenüber der Volksvertretung herausgehobene Stellung ein. Die Option des Art. 5 Abs. 3 RL, dieses Amt durch nationale Regelungen eigenen Staatsangehörigen vorbehalten zu können, ist deshalb nicht als Einschränkung des Art. 8 b Abs. 1 EGV, sondern noch als dessen Ausgestaltung zu betrachten352 • Die Unanwendbarkeit des Art. 5 Abs. 3 RL ergibt sich auch nicht daraus, daß dieser gegen das allgemeine Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit verstöß, das zu den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehört353 • Art. 5 Abs. 3 RL enthält insoweit eine spezielle Regelung, die eine Ausnahme zu diesem allgemeinen Grundsatz enthält. Sie bleibt damit auf der

So auch Enge/Iren, BayVBI. 1996,389/391. Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht (1995), Rn. 73; Schröder, Kommunalverfassungsrecht (1992), Rn. 67. 349 Schmidt-Aßmann a. a. O. Rn. 74; Waechter, Kommunalrecht (1995), Rn. 372. 350 Mutius, Kommunalrecht (1996), Rn. 790; Schal/er, Kommunalrecht (1990), S. 160; Schröder, Kommunalverfassungsrecht (1992), Rn. 73. 351 Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht (1995), Rn. 79; Schal/er a. a. O. S.154; Schröder a. a. O. 352 Zu dieser Auslegung des Art. 8 b Abs. I EGV kommen für Belgien auch C/oos/Reinesch/Vignes/Wey/and, Le traite de Maastricht (1993), S. 173. 353 So aber Hasse/bach, ZG 1997, 49/56f. 347 348

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Linie des Gemeinschaftsrechts35 4, Exekutivämter, in denen ständig Staatsgewalt ausgeübt wird, anders zu behandeln als die Bürgerrechte des Art. 8 ff. EGV, die nur gelegentlich wahrgenommen werden.

b) Wirkung au/Wahlen zu Bundes- und Landtagen Gewährt Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG Unionsbürgern das Wahlrecht in Kreisen und Gemeinden, stellt sich die Frage, wie sich dies auf das Wahlrecht auf Bundes- und Landesebene auswirkt. Dabei ist vor allem der Ausnahmecharakter der Norm und ihre Entstehungsgeschichte zu berücksichtigen. Die Auslegung des Grundgesetzes vor Einfilhrung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG hat ergeben, daß die Gewährung eines Wahlrechts filr Nichtdeutsche auf jeder Ebene des Staatsaufbaus verfassungswidrig warm. Mit der Verfassungsänderung ist Unionsbürgem auf der untersten Stufe des Staatsaufbaus, der kommunalen, dieses Recht eingeräumt worden. Damit stellt diese Regelung eine Ausnahme zu dem Grundsatz des Art. 20 Abs. 2 GG dar, daß die Staatsgewalt in der Bundesrepublik nur vom - deutschen - Volk ausgeht. Die Formulierung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG legt diese Auslegung bereits nahe. Das Wahlrecht filr Unionsbürger erstreckt sich danach auf Wahlen in Kreisen und Gemeinden, aber auch nur darauf. Auch aus der Natur der Norm als Ausnahme ergibt sich, daß ihre Tragweite restriktiv beurteilt werden muß. Aus der Gewährung des Kommunalwahlrechts an Unionsbürger darf mithin nicht geschlossen werden, daß die grundsätzliche Beschränkung der Staatsgewalt auf die Ausübung durch das deutsche Volk damit aufgehoben sei. Nach Darstellung der politischen und rechtlichen Schwierigkeiten bei der Einfilhrung des Kommunalwahlrechts filr Unionsbürger erübrigt es sich beinahe zu erwähnen, daß eine solch restriktive Interpretation zudem der Intention des Gesetzgebers entspricht356, nachdem die Verfassungsänderung überhaupt erst auf Betreiben der EU und mit starkem Widerstreben mancher politischer Kräfte zustande kamm. Das Wahlrecht von Unionsbürgern auf Bundes- und Landesebene bleibt damit wohl jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt illusorisch, zu dem die Europäische

354 Vgl. die Richtlinienvorschläge der Kommission 1989 und 1990 (Art. 7); s.o. C. Il.l. 355 Vgl. dazu B. 356 Dies wird im Gesetzentwurf der Bundesregierung nochmals betont, BT-Drs. 12/3338, S. II zu Nr. 3 a. E. 351 Vgl. dazu C.

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Union Staatscharakter und die Unionsbürgerschaft den Stellenwert einer europäischen Staatsangehörigkeit gewonnen haben wird.

c) Konsequenzen für Stadtstaaten Die strikte Beschränkung des Wahlrechts für Unionsbürger auf die kommunale Ebene bringt tUr die deutschen Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg verfassungsrechtliche Probleme mit sich 358 • Diesen Bundesländern ist zu eigen, daß ihre Landesparlamente gleichzeitig Aufgaben kommunaler Vertretungskörperschaften wahrnehmen. Damit befmden sich die Stadtstaaten in dem Dilemma, daß sie nach Gemeinschaftsrecht und Art. 28 Abs. I S. 3 GG zur Gewährung des Kommunalwahlrechts an Unionsbürger verpflichtet sind, das Grundgesetz aber eine Teilnahme von Ausländern an Wahlen auf Landesebene untersagt. Bremen hatte in den Beratungen der GVK auf dieses Problem hingewiesen und eine Sonderlösung angestrebt, war damit jedoch gescheitert359 • Eine Lösung wurde vielmehr in der Form angestrebt, daß im Anhang der Richtlinie für die drei deutschen Stadtstaaten die Ebenen bezeichnet wurden, die als "lokale Gebietskörperschaften der Grundstufe" gelten sollten. Sie müssen, da die Strukturen der Stadtstaaten sich in einigen Punkten unterscheiden, jeweils einzeln betrachtet werden.

aa) Berlin Art. 1 Abs. 1 BerlLV legt fest, daß die Gebietskörperschaft Berlin zugleich eine Stadt und ein deutsches Land ist. Aus Art. 3 Abs. 2 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 BerlLV geht hervor, daß Berlin gleichzeitig die Aufgaben einer Gemeinde, eines Gemeindeverbandes und eines Bundeslandes wahrnimmt. § I BerlAZG360 bestimmt dazu ergänzend, daß die staatlichen und kommunalen Aufgaben in Berlin nicht getrennt werden. Das Staatsgebiet von Berlin ist in 23 Bezirke aufgeteilt, die in Art. 4 Abs. 1 BerlLV namentlich aufgefilhrt sind. Sie sind gern. Art. 50 Abs. 2 BerlLV nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung zu beteiligen; ein der Regelung des 358 Ähnliches gilt in Österreich bzgl. des Stadtstaats Wien, vgl. Hasselbach, ZG 1997, 49/53. 359 Vgl. dazu C. I. 3. 360 Gesetz über die Zuständigkeiten in der allgemeinen Verwaltung (Allgemeines Zuständigkeitsgesetz) vom 02.10.1958, BerlGVBI. S.947, 1020, in der Fassung vom 17.02.1995, BerlGVBI. S. 55.

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Art. 28 Abs. 2 GG entsprechendes Recht auf Selbstverwaltung wird ihnen dadurch jedoch nicht eingeräumt361 • So fehlen den Berliner Bezirken Wesensmerkmale einer kommunalen Selbstverwaltung in diesem Sinne, vor allem Rechtsfähigkeit, Satzungsautonomie und Finanzhoheit362 • Die Erwähnung der Aufgaben eines Gemeindeverbands in Art. 3 Abs. 2 BerlLV bedeutet dementsprechend auch nicht, daß die Verwaltungsbezirke die Stellung selbständiger Gemeinden und die Gesamtstadt diejenige eines Gemeindeverbands hätte; vielmehr hat diese Regelung ihren Ursprung darin, daß Berlin - obwohl Einheitsgemeinde - auch die Aufgaben einer früheren Provinz im Sinne eines Gemeindeverbands übernommen hat363 • Daraus ergibt sich, daß es in Berlin keine Gebietskörperschaften unterhalb der Landesebene gibt364 • Die Aufgaben des Landes und der Stadtgemeinde Berlin werden einzig und - nach der momentanen Konzeption - unteilbar von den in Art. 3 Abs. 2 BerlLV genannten Organen Volksvertretung, Regierung und Verwaltung wahrgenommen. Die Volksvertretung bildet in Berlin gern. Art. 25 Abs. 1 BerlLV das Abgeordnetenhaus, während die Regierung vom Senat ausgeübt wird, der seinerseits vom Abgeordnetenhaus zu wählen ist (Art. 40 f. BerlLV). Zudem wird gern. Art. 53 BerlLV in jedem Bezirk eine Bezirksverordnetenversammlung gewählt, die - wie seine Einordnung unter Abschnitt IV der Verfassung verdeutlicht - Teil der Verwaltung ist. Die Richtlinie 94/801EG hat in ihrem Anhang als "lokale Gebietskörperschaft der Grundstufe" für Berlin die Bezirke bezeichnet365 • Dementsprechend hat es Berlin bei der Umsetzung der Richtlinie mit der Gewährung des Wahlrechts zu den Bezirksverordnetenversammlungen bewenden lassen 366 • Da die Richtlinie insoweit eine zulässige Ausgestaltung des Art. 8 b Abs. 1 EGV vorgenommen hat367, ist dies aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Aus dem bisher Gesagten folgt jedoch, daß ein bloßes Wahlrecht der Unionsbürger zu den Bezirksverordnetenversammlungen dieser Personengruppe nicht die demokratische Teilhabe in Kreisen und Gemeinden i. S. d. Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG gewährt. Würde Unionsbürgern aber das Recht zur Teilnahme an Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus eingeräumt, so wäre dies gleichbe361 Sendler, IR 1985, 4411444; mittlerweile auch PfenniglNeumann, Verfassung von Berlin (1987), Art. 50, 51 Rn. 14. 362 PfenniglNeumann, Verfassung von Berlin (1987), Art. 50, 51 Rn. 13; Sendler, IR 1985,441/444. 363 PfenniglNeumann, Verfassung von Berlin (1987), Art. 3 Rn. 10. 364 So auch Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin (1992), Rn. 24. 365 ABI. Nr. L 368/44 vom 31.12.1994. 366 Vgl. dazu F. 11. 3. 367 A. A. Hasselbach, ZG 1997,49/53.

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deutend mit einem Wahlrecht auf Landesebene, das Art. 20 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG verbietet. Es ergibt sich somit für diesen Fall ein Konflikt zwischen den beiden Normen des Grundgesetzes. Betrachtet man die Formulierungen der beiden Normen, so ist festzustellen, daß Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG die Gebietskörperschaften und die Personen, die dort das Wahlrecht erhalten sollen, klar benennt. Demgegenüber ist die Beschränkung der Ausübung von Staatsgewalt auf Deutsche in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG nicht ausdrücklich festgeschrieben, sondern Ergebnis einer - durchaus umstrittenen - Auslegung368 . Als Auflösung dieses Konflikts könnte deshalb in Betracht kommen, daß Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG als jüngere und eindeutigere Norm den bestehenden Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG in seiner Bedeutung modifiziert. In Anbetracht der Entstehungsgeschichte des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG ist ihm ein solcher Gehalt jedoch nicht zu entnehmen. Eine Fassung, die auch nur für die Stadtstaaten ein Wahlrecht für Unionsbürger auf Landesebene ermöglichen sollte, wurde abgelehnt. Gerade ein Landtagswahlrecht war vom verfassungsändernden Gesetzgeber nicht gewollt. Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG ist als Ausnahme zu Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG konzipiert worden, der sich auf das Wahlrecht in Kreisen und Gemeinden beschränkt. Es muß deshalb davon ausgegangen werden, daß Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG seine Grenze an Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG fmdet, der die Ausübung der Staatsgewalt auf Landesebene nach wie vor Deutschen i. S. d. Art. 116 GG vorbehält. Art. 28 Abs. 1 S.3 GG gewährt also Unionsbürgern das Wahlrecht in Kreisen und Gemeinden, jedoch nur soweit, als dieses nicht gleichzeitig ein solches auf Landesebene darstellt. Die Beschränkung des Wahlrechts für Unionsbürger auf die Bezirksebene in Berlin genügt damit sowohl den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts als auch denen des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG. bb) Bremen Der Freien Hansestadt Bremen entstehen durch ihre besondere Struktur die größten Schwierigkeiten bei der Einfilhrung eines Kommunalwahlrechts filr Unionsbürger. Es ist deshalb auch das einzige Bundesland, das die Umsetzung der Richtlinie 94/801EG nicht innerhalb der von dieser gesetzten Frist durchgefUhrt hat369 . Das Bundesland Bremen (Art. 64 BremLV) ist von den beiden Stadtgemeinden Bremen und Bremerhaven (Art. 143 BremLV) zu unterscheiden, aus denen 368 Vgl. B. 369Vgl. dazu F. 11. 5.

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es besteht. Es handelt sich bei Bremen damit nicht um einen Stadtstaat reiner Ausprägung 37o • Auf Landesebene bildet gern. Art. 66 Abs. 2 b) BremLV die Bürgerschaft die gewählte Volksvertretung. Art. 145 Abs. I BremLV bestimmt, daß die Verfassungen der Gemeinden von diesen selbst festgestellt werden. Hiervon hat Bremerhaven Gebrauch gemacht und sich die Verfassungfür die Stadt Bremerhaven vom 04.11.1947 371 gegeben. Die kommunale Vertretungskörperschaft Bremerhavens ist die Stadtverordnetenversammlung (§§ 17 ff. BremhvKV), die gern. § 9 BremhvKV von den Bürgern gewählt wird. Bürger sind gern. § 4 Abs. 2 BremhvKV die wahlberechtigten Einwohner. Bremerhaven unterscheidet sich damit nicht grundlegend von Gemeinden in Flächenstaaten372 • Für die Stadtgemeinde Bremen gilt hingegen mangels anderer Bestimmung durch sie selbst Art. 148 BremL V. Danach besteht die kommunale Vertretungskörperschaft Bremens, die Stadtbürgerschaft, aus den von den stadtbremischen Wählern in die Gesamtbürgerschaft gewählten Vertretern (Art. 148 Abs.l S. 3 BremLV)373. Die Wahl zu beiden Vertretungskörperschaften erfolgt also in einem einzigen Wahlakt. Gleichzeitig mit der Wahl zur Bürgerschaft, jedoch durch getrennten Wahlakt, erfolgt diejenige zu den Beiräten der 22 Stadt- und Ortsteile, in die die Stadtgemeinde Bremen aufgeteilt ist. Für die Freie Hansestadt Bremen bezeichnet die Richtlinie 94/801EG in ihrem Anhang nun die Stadtgemeinde Bremen als lokale Gebietskörperschaft der Grundstufe 374 • Nachdem Bremen bei den Verhandlungen in der GVK mit dem Versuch gescheitert war, in das Grundgesetz eine sog. Bremer Klausel aufzunehmen 375 , hatte es bei der Festlegung der Verhandlungspositionen des Bundesrates einen Beschluß desselben erwirkt, der vorsah, in den Anhang der Richtlinie aufnehmen zu lassen: "Stadtgemeinde Bremen in der Freien Hansestadt Bremen mit Stadtbürgerschaft als Teil der Bürgerschaft (Landtag)"376 (Hervorhebung durch Verf.). Die Bundesregierung hielt diesem Bundesratsbeschluß verfassungsrechtliche Bedenken entgegen, da das Grundgesetz eine Teilnahme von Ausländern an

370 BrandtlSchefold, Gemeinden (1991), S. 547/548; Rinken, JöR 42 (1994), 325/388.

BremGBI. S. 291. Breer, Mitwirkung von Ausländern (1982), S. 132. 373 Zu den sich aus dieser Teilidentität - unabhängig von einem Ausländerwahlrecht ergebenden rechtlichen Problemen vgl. ausführlich BrandtlSchefold, Gemeinden (1991), S. 547/558 ff. sowie Htepas, DVBI. 1991, 1135/1138. 374 ABI. Nr. L 368/44 vom 31.12.1994. 375 Vgl. dazu C. 376 BR-Drs. 294/94 (Beschluß) vom 20.05.1994, S. 2. 371

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Landtagswahlen nicht zulasse 377 • Eine Lösung sah sie entweder in einer gemeinschaftsrechtlichen Ausnahme für Bremen insoweit, als Unionsbürger auch auf kommunaler Ebene kein Wahlrecht erhalten sollten oder in einer Veränderung der Struktur des Landes Bremen. Schließlich wurde ein Komprorniß dahingehend gefunden, daß in den Anhang der Richtlinie als lokale Gebietskörperschaft der Grundstufe nur die "Stadtgemeinde Bremen in der Freien Hansestadt Bremen" aufgenommen wurde 378 • Mit dieser Lösung wurde gemeinschaftsrechtlich festgelegt, daß es den Anforderungen des Art. 8 b Abs. 1 EGV i. V. m. der Richtlinie 94/801EG nicht genügt, Unionsbürgern das Wahlrecht zu den bremischen Beiräten einzuräumen. Dies hat vielmehr zu den Wahlen zu erfolgen, mit denen die Mitglieder der Bremer Stadtbürgerschaft bestimmt werden. Vorschläge, nach denen in Stadtstaaten auf ein kommunales Wahlrecht für Unionsbürger verzichtet werden soll und eine "Teilkompensation" durch das Wahlrecht in subkommunalen Untergliederungen erfolgen so1l379, sind deshalb für Bremen von vornherein abzulehnen. Um die gemeinschaftsrechtliche Vorgabe zu erfüllen, sind mehrere Ansätze denkbar. Allen muß dabei gemein sein, daß UnionsbÜTgern das Wahlrecht zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bremerhaven gewährt wird, Unterschiede ergeben sich hingegen für die Wahlen in der Stadtgemeinde Bremen. Zum einen könnte unter Beibehaltung des gegenwärtigen Landesaufbaus Unionsbürgern das Wahlrecht zur Bremer Bürgerschaft eingeräumt werden380 • Damit würde de facto der Zustand geschaffen, den die "Bremer Klausel" im Grundgesetz hätte festschreiben wollen und gegen den in der GVK der Einwand vorgebracht wurde, er stelle einen Einstieg in das Ausländerwahlrecht bei Landtagswahlen dar381 • Tatsächlich bedeutete dies, daß Bremen als einziges Bundesland Unionsbürgern ein Landtagswahlrecht zubilligen würde, allerdings nur den im Stadtgebiet Bremens ansässigen. Die Schwächen dieses Ansatzes sind damit schon aufgezeigt. Er gesteht UnionsbÜTgern ein Recht zu, das ihnen nach Art. 20 Abs. 2 S. 1; 28 Abs. 1 S. 2 GG verwehrt ist. Zum anderen fUhrt er dazu, daß Unionsbürger, die in der StadtgeMitteilung des BMI vom 09.06.1994, Anlage zu BR-Drs. 294/94. Anlage vom 07.07.1994 zu BR-Drs. 294/94; zum Verlauf der Verhandlungen BremLT-Drs. 14/294, S. 5 f. 379 So MünchlKunig - Löwer, Grundgesetz (1995) Art. 28 Rn. 31; ähnlich Rinken JöR 42 (1994), 325/392, der mit einer Lösung auf Bezirksebene das Ausländerwahlrecht "zumindest eng an den Standard des Kommunalwahlrechts" heranführen will. 380 So der Antrag der Fraktion Bündnis 90IDie Grünen in der Bremer Bürgerschaft, BremLT-Drs. 14/78. 381 Vgl. dazu C. I. 3. 377 378

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meinde Bremen leben, ein wesentlich weitergehendes Recht erhalten als solche, die in einem anderen Bundesland oder auch nur in der Stadtgemeinde Bremerhaven wohnen. Dies stünde aber im Widerspruch zum Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 GG. Zwar ist das nationale Recht, auch solches mit Verfassungsrang, dem Gemeinschaftsrecht gegenüber nachrangig. Die Bestimmung des Art. 8 b Abs. 1 EGV i. V. m. RL 94/801EG könnte deshalb durchaus dazu filhren, daß in diesem Fall ein Widerspruch zu Art. 20 Abs. 2 S. 1; 28 Abs. 1 S. 2 GG sowie das Homogenitätsgebot hinzunehmen wäre 382• Ein solcher Widerspruch ist aber nur dann vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts gedeckt, wenn er die einzige Möglichkeit der Umsetzung ist. So kann ein deutsches Bundesland sich nicht auf den Vorrang des Gemeinschaftsrechts berufen, wenn es eine verfassungswidrige Regelung erläßt, nur weil es andere Formen der Umsetzung z. B. politisch für nicht sinnvoll hält. Eine solche andere Lösungsmöglichkeit könnte darin bestehen, eine Trennung von kommunaler und Landesebene vorzunehmen. Die Stadtgemeinde Bremen müßte dazu die ihr in Art. 148 Abs. 1 BremLV eingeräumte Option wahrnehmen, sich eine gemeindliche Verfassung zu geben und - ebenso wie Bremerhaven - eine eigenständige kommunale Vertretungskörperschaft schaffen. Damit würde sowohl der Maßgabe des Gemeinschaftsrechts als auch der Begrenzung durch Art. 20 Abs. 2 S. 1; 28 Abs. 1 S. 2 GG Rechnung getragen. Gegen dieses Modell wird vor allem der Kostenaufwand angeführt, der mit seiner Verwirklichung verbunden wäre 383 • Der Bremer Innensenator hat zudem darauf hingewiesen, daß die Richtlinie 384 nicht darauf abziele, die Strukturen der Mitgliedstaaten zu verändern; vielmehr sei zur Umsetzung vorzugsweise die Regelung zu wählen, die diese unangetastet lassem. Der Bremer Senat hat sich deshalb darum bemüht, einen Mittelweg zwischen den beiden geschilderten Ansätzen zu fmden. Er hat zur Umsetzung der Richtlinie 94/801EG ein Modell vorgestellt, das die Einheitlichkeit der Wahlen zur Stadtbürgerschaft und Gesamtbürgerschaft beibehält, die Stimmen der Unionsbürger aber nur für erstere berücksichtigt386 • Damit soll in den bestehenden 382 Dementsprechend folgert Sieveking, DÖV 1993, 449/457 f., daß die Gewährung auch des Landeswahlrechts an Unionsbürger durch den Vorrang des Gemeinschaftsrechts geboten ist. 383 Problempapier des Bremer Senators flir Inneres, BremLT-Drs. 14/294 S.3/5; Sieveking, DÖV 1993, 449/455. 384 In dem Problempapier vom 14.12.1995 konnte erst von dem vorliegenden Vorschlag derselben ausgegangen werden. 385 BremLT-Drs. 14/294 S. 3/5. 386 Darstellung im einzelnen unter F. 11. 4.

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Strukturen die Umsetzung gewährleistet werden, ohne Unionsbürgern ein Wahlrecht auf Landesebene einzuräumen. Dieses Modell ist von der Bürgerschaft in ihrer Sitzung am 25.09.1996 beschlossen worden387 • Allerdings wirft diese Lösung große rechtliche und praktische Probleme auf, die vom Bremer Senat auch als solche erkannt worden sind. So wird ein Großteil der Schwierigkeiten bei der Umsetzung auf die politischen Parteien und Wählervereinigungen abgeschoben. Sie müssen einheitliche Wahlvorschläge für den gemeinsamen Wahlakt aufstellen, die die Kandidaten aus anderen Mitgliedstaaten enthalten müssen. Über Wahlvorschlagslisten dürfen aber nur wahlberechtigte Mitglieder abstimmen 388 • Also müssen die Listen in Bremen zweifach von den Mitgliedern der politischen Vereinigungen legitimiert werden; zur Stadtbürgerschaftswahl von allen Wahlberechtigten, also auch Unionsbürgern und danach ein zweites Mal von den Wahlberechtigten zur Gesamtbürgerschaft, also nur den deutschen Mitgliedern. Gelingt es einer politischen Vereinigung nicht, auf diese oder ähnliche Weise getrennte Legitimationen herbeizuführen, könnte die Wahl angefochten werden. Aus einer erfolgreichen Wahlanfechtung - gleich, aus welchem Grund sie erfolgt - kann sich ein weiteres Problem ergeben. Betrifft sie nämlich nur die Wahl zur Stadtbürgerschaft, etwa wegen fehlerhafter Abstimmung über diesen Wahlvorschlag, so bleibt die Gesamtbürgerschaft bestehen, während die Stadtbürgerschaft neu gewählt werden muß. Es ergäbe sich damit jedenfalls hinsichtlich der Legislaturperioden, bei verändertem Listenabstimmungs- oder Wahlverhalten aber auch in der Zusammensetzung eine Trennung der beiden Vertretungen. Zu unterschiedlichen Zusammensetzungen kann es jedoch auch bei einem einheitlichen Wahlakt kommen. Dies vor allem dann, wenn das Wahlverhalten der Unionsbürger von dem der deutschen Wahlberechtigten abweicht und sich in der Gesamtbürgerschaft andere Mehrheitsverhältnisse ergeben als in der bremischen Stadtbürgerschaft. Durch eine - gar nicht unwahrscheinliche unterschiedliche Zusammensetzung der beiden Vertretungskörperschaften werden rechtliche Schwächen des Bremer Aufbaus deutlich, die bereits in der Struktur angelegt sind, durch die Lösung des Bremer Senats aber noch deutlicher zutage treten. So die Tatsache, daß die deutschen Wahlberechtigten in der Stadtgemeinde Bremen - und nur dort - nicht getrennt ihre Stimme auf Landes- und kommunaler Ebene abgeben können. Ihnen ist also die Möglichkeit 387 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 94/80/EG des Rates vom 19. Dezember 1994 über die Einzelheiten zur Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Kommunalwahlen fiir Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen vom 01.10.1996, BremGBI. S. 303 ff. 388 Vgl. dazu statt vieler Breer, Mitwirkung von Ausländern (1982), S. 142, Katte, Fremde in politischen Parteien (1980), S. 63.

11. Wahlen in Kreisen und Gemeinden

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genommen, über die Zusammensetzung der Landesvertretung unabhängig von der auf kommunaler Ebene zu entscheiden. Des weiteren wird deutlich, daß es rur die Stadtgemeinde Bremen an einer kommunalen Exekutive fehlt, da die Stadtbürgerschaft eine solche nicht wählt. Die Regierung der Stadtgemeinde ist vielmehr gern. Art. 148 Abs. 1 S. 1 BremLV mangels anderweitiger Bestimmung durch sie selbst der gesamtbremisehe Senat. Ist dies unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der kommunalen Selbstverwaltung ohnehin schon problematisch gewesen, verschärft sich dies bei der gewählten Lösung noch. Insbesondere bei einer unterschiedlichen Zusammensetzung von Stadtbürgerschaft und bremischen Mitgliedern der GesamtbÜTgerschaft ist dieser Grundsatz in Frage gestellt. Die Stadtbürgerschaft kann die Regierung der Stadtgemeinde - den Senat - weder wählen noch abwählen, dies geschieht durch die Gesamtbürgerschaft, in der dann möglicherweise ganz andere Mehrheitsverhältnisse bestehen als in der Stadtgemeinde Bremen. Ist die von der bremischen Bürgerschaft beschlossene Variante somit abzulehnen, bleibt als Alternative zur Umsetzung der Richtlinie nur die Wahl zwischen dem gleichen Wahlrecht rur Deutsche und Unionsbürger und der Trennung von kommunaler und Landesebene. Auch unter Berücksichtigung der eben geschilderten strukturellen Probleme des bremischen Landesaufbaus bleibt festzuhalten, daß die letztgenannte Lösung als einzige zu einem rechtlich unangreifbaren Zustand ruhren würde. Der Preis darur bestünde neben. hohen finanziellen Kosten allerdings darin, daß Bremen seinen Charakter als Stadtstaat damit gänzlich verlieren würde, da sich dann das Land mit seinen zwei Stadtgemeinden in seiner Struktur nicht mehr wesentlich von Flächenstaaten unterscheiden würde. Da aber die Gewährung des vollen, gleichberechtigten Wahlrechts an Unionsbürger einen Widerspruch zum Grundgesetz darstellen würde, ist die grundgesetzkonforme Änderung der Landesstruktur rur die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts vorzunehmen. Einziger Ausweg aus diesem Dilemma wäre es, doch noch eine Stadtstaatenklausel in das Grundgesetz aufzunehmen389, was aber inzwischen sicher nicht mehr zu erwarten ist. ce) Hamburg Die Freie und Hansestadt Hamburg ist gern. Art. 1 HambL V ein Land der Bundesrepublik Deutschland. Aus Art. 4 Abs. 1 HambL Vergibt sich, daß dort staatliche und gemeindliche Aufgaben nicht getrennt werden. Die Aufgaben

389

Diese Hoffnung äußert auch Sieveking, DÖV 1993, 449/460.

7 Barley

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D. Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. I S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. I EGV

von Land und Gemeinde werden gemeinsam von der Freien und Hansestadt Hamburg als einheitlicher Gebietskörperschaft wahrgenommen. Die Formulierung des Art. 4 Abs. 1 HambL V läßt offen, ob die Freie und Hansestadt Hamburg ausschließlich ein Land ist, das auch gemeindliche Aufgaben wahrnimmt, oder gleichzeitig ein Land und eine Gemeinde darstellt390 . Auf diese Frage kommt es im Zusammenhang mit dem Kommunalwahlrecht fUr Unionsbürger aber nur insoweit an, als zu prüfen ist, auf welcher Ebene diesen das Wahlrecht einzuräumen ist. Die Richtlinie 94/801EG sieht dies fUr die Bezirke der Freien und Hansestadt Hamburg vor391 • Ebenso wie Berlin ist aber auch Hamburg eine ungeteilte Gebietskörperschaft392 . Art. 4 Abs. 2 HambL V eröffnet lediglich die Möglichkeit, Verwaltungseinheiten durch Gesetz zu bilden. Dies ist durch das Bezirksverwaltungsgesetz vom 22.05.1978 393 geschehen, nach dem Hamburg in sieben Bezirke aufgeteilt worden ist. Als Volksvertretung der Freien und Hansestadt Hamburg kennt Art. 6 HambL V die Bürgerschaft. Unabhängig davon, ob die Freie und Hansestadt Hamburg formal auch als Gemeinde oder nur als Land zu betrachten ist, nimmt die Bürgerschaft - und nur sie - auch die Funktion einer kommunalen Vertretungskörperschaft wahr. In den sieben Bezirken werden zudem Bezirksversammlungen unmittelbar gewählt (§ 10 HambBezVerwG). Ihnen werden vom Senat gern. § 3 HambBezVerwG Aufgaben zur selbständigen Erledigung zugewiesen. Im Gegensatz zu den Gemeinden fehlt den Hamburger Bezirken jedoch z. B. die Rechtspersönlichkeit, Finanz-, Personal- und Satzungshoheit, ebenso wie das Recht der Letztentscheidung stets beim Senat verbleibt394 . Die Bezirksversammlungen sind somit nicht als kommunale, sondern als gemeindeinterne Vertretungen anzusehen 395 . Wie in Bremen finden gern. § 1 BremBezWahlG die gemeindeinternen Wahlen an demselben Tag statt wie diejenigen zur kommunalen und Landesvertretung, der Bürgerschaft. Jedoch handelt es sich dabei um getrennte Wahlakte mit seperaten Wahlvorschlägen und verschiedenen Wahlscheinen. Die Probleme, die sich in Bremen aus der Umsetzung ergeben, stellen sich in Hamburg also in diesem Punkt nicht; ein Wahlrecht fUr Unionsbürger zu den Bezir390Vgl. zu diesem Streitpunkt statt vieler David, Hamburger Verfassung (1994), Art. 4 Rn. 9 ff.; Niere, "Gemeindliche" Tätigkeit Hamburgs (FS Thieme 1988), S. 143/ 146 ff. 391 ABI. Nr. L 368/44 vom 31.12.1994. 392 David, ZAR 1989, 102/103; Sieveking, DÖV 1993,449/452. 393 HambGVBI. S. 178 ff. 394 Bücking, Beteiligung von Ausländern (1992), S. 116 f.; Wagener, DÖV 1982, 61/62. 395 David, ZAR 1989, 102/106; a. A. Hamburgs lustizsenatorin Peschel-Gutzeit, 11. Sitzung der GVK vom 14.10.1992, Stenogr. Bericht - Anhang - S. 31.

III. Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaats der EG besitzen 99

ken als "lokalen Gebietskörperschaften der Grundstufe" läßt sich ohne Veränderung der Strukturen umsetzen. Der Aufbau der Freien und Hansestadt Hamburg ist vielmehr vergleichbar mit derjenigen Berlins; beide sind ungeteilte Gebietskörperschaften, die lediglich über weitere gemeindeinterne Gliederungen verfugen. Das zu Berlin erarbeitete Ergebnis ist damit auf Hamburg übertragbar. Der Konflikt zwischen Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG und Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG ist also auch hier dahingehend zu lösen, daß das Wahlrecht fUr UnionsbÜTger nur so weit gehen darf, als es sich nicht auch auf die Landesebene erstreckt. Daraus ergibt sich, daß die Gewährung des Wahlrechts zu den Bezirksversammlungen an Unionsbürger den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts396 und Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG genügt.

ill. Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften besitzen Art. 28 Abs. 1 S.3 GG nennt selbst als einzige Voraussetzung fUr die Wahlberechtigung die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften. Wahlberechtigt ist also jeder, der nach nationalem Recht Staatsbürger ist; Personen, die über zwei oder mehr Staatsangehörigkeiten verfUgen, sind dann bei Kommunalwahlen teilnahmeberechtigt, wenn davon mindestens eine die eines EU-Mitgliedstaates ist. Damit entspricht das Grundgesetz der Maßgabe durch Art. 8 b Abs. 1 EGV, nach dem das Kommunalwahlrecht in den Mitgliedstaaten allen Unionsbürgern zu gewähren ist. Unionsbürger ist gern. Art. 8 Abs. 1 S.2 EGV, "wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt." Dadurch wird das sog. Prinzip der Inländerbehandlung verankert; die Tatsache, daß eine Person nicht die Staatsangehörigkeit des Wohnsitzstaates innehat, hat danach grundsätzlich außer Betracht zu bleiben397 • Wer Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, bestimmen die nationalen Gesetze der einzelnen Staaten398 , von anderen Staaten dürfen insofern keine zusätzlichen Anforderungen gestellt werden 399 • Während grundsätzlich die Gemeinschaftsrechtsordnung bestrebt ist, Rechtsbegriffe Wie bereits bzgl. der Rechtslage in Berlin a. A. Hasselbach, ZG 1997,49/53. Hasselbach, ZG 1997,49/50 f. 398 Baetge, BayVBI. 1992, 711/712; Kovar/Simon, La citoyennete europeenne (1992), S.289. 399 Closa, CML Rev. 1995,487/510; nach Bleckmann, DVBI. 1992,335/336 muß die Europäische Gemeinschaft hingegen nicht automatisch in der internationalen Praxis nicht akzeptierte Prinzipien des Erwerbs und Verlusts der Staatsangehörigkeit anerkennen. 396 397

7*

100 D. Regelungsgehalt des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV

einheitlich zu defmieren, hat sie in diesem Punkt dem Bestreben der Mitgliedstaaten Tribut gezollt, eine gewisse Grenze der staatlichen Souveränität nicht anzutasten4oo • Forderungen des Europäischen Parlaments, auch bestimmte einheitliche Bedingungen rur den Erwerb und Verlust der Unionsbürgerschaft durch Gemeinschaftsrecht festzulegen 40 I, wurde nicht entsprochen 402 • Die Beziehung der Staatsangehörigen zu ihren Heimatstaaten bleibt damit auch im Wohnsitzstaat die Basis rur die Ausübung des Kommunalwahlrechts403 • Damit hängt die Bestimmung der ausländischen Wahlberechtigten bei Kommunalwahlen in Deutschland von den Regelungen des Staatsangehörigkeitsrechts in den anderen Mitgliedstaaten ab. So beeinflußt z. B. die Entscheidung der anderen Mitgliedstaaten rur den Erwerb der Staatsangehörigkeit durch das Prinzip des lus soli bzw. des lus sanguinis oder die Frage, ob bei Eheschließungen zwischen Staatsbürgern aus EU- und Nicht-EU-Staaten letztere die Staatsbürgerschaft des anderen erwerben können, die Bestimmung der Wahlberechtigten auf kommunaler Ebene. Auch die erleichterte Einbürgerung von Staatsangehörigen ehemaliger Kolonien, wie sie z. B. in Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Portugal und Spanien möglich ist4°4, kann sich auf die Zusammensetzung der Gruppe der Wahlberechtigten bei Kommunalwahlen in Deutschland auswirken; ebenso wie dies rur die anderen Mitgliedstaaten durch die deutsche Regelung des Art. 116 Abs. 1 GG der Fall ist. Indem Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG sich auf die Zugehörigkeit zu einem Staat der Europäischen Gemeinschaften bezieht, ist er also in seiner Tragweite von Veränderungen abhängig, die außerhalb der Entscheidungsmacht deutscher Staatsgewalt liegt. Durch Art. 8 b Abs. 1 EGV haben die Mitgliedstaaten somit auch die ausschließliche Hoheitsgewalt über die Zusammensetzung des kommunalen Wahlvolks verloren. Des weiteren kann sich die Zusammensetzung des Wahlvolks auf kommunaler Ebene durch Vorgänge innerhalb der Europäischen Union selbst verändern. Mit Bei- oder Austritten von Staaten verändert sich diese, ohne daß es einer weiteren Anpassung des Grundgesetzes bedarf. Dies ist durch die Aufnahme von Finnland, Österreich und Schweden zum 01.01.1995 bereits geschehen, deren Staatsangehörige nun ebenfalls bei Kommunalwahlen in Deutschland wahlberechtigt sind.

400 Closa, CML Rev. 1995, 487/510; KoeniglPechstein, Die Europäische Union (1995), Kap. 9, Rn. 17. 401 Entschließung vom 21.11.1991; ABI. Nr. C 326/206, Ziff. 1 b). 402 V gl. dazu Fischer, Unionsbürgerschaft (1992), S. 11. 403 O'Leary, CML Rev. 1995,519/528. 404 Vgl. Sauerwald, Unionsbürgerschaft und Staatsangehörigkeitsrecht (1996), S. 105.

E. Verfassungs mäßigkeit des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger I. Vereinbarkeit des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger mit Art. 79 Abs. 3 GG In der Diskussion über ein Kommunalwahlrecht für Ausländer war von dessen Gegnern vorgebracht worden, daß darin ein Verstoß gegen die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG liegen würde405 • Art. 79 Abs. 3 GG erklärt die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze für unantastbar. Dem verfassungsändernden Gesetzgeber ist dadurch eine unveränderliche Grenze gesetzt. Sie soll nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus verhindern, daß auf legalem Weg das demokratische Staats system ausgehöhlt und der Weg zu einer Diktatur bereitet werden kann406 • Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht des Ausnahmecharakters dieser Norm ist eine enge Auslegung derselben geboten407 ; die Berührung eines dort genannten Grundsatzes ist nicht schon zu bejahen, wenn er lediglich systemkonform modifiziert wird, es bedarf dazu vielmehr seiner prinzipiellen Preisgabe408 . 1. Art. 79 Abs. 3 GG i. V. m. dem Demokratieprinzip

In erster Linie wurde zugunsten eines Verstoßes gegen Art. 79 Abs. 3 GG angeführt, daß ein Kommunalwahlrecht für Ausländer nicht mit dem in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG verankerten Demokratieprinzip zu vereinbaren sei. Wollte man den Kreis der Wahlberechtigten erweitern, so sei dies nicht nur eine Modifikation des Volksbegriffs, vielmehr träte an die Stelle der Staatsangehörigen

405 Statt vieler Kämper, ZRP 1989, 96/99; Saftig, Kommunalwahlrecht (1990), S. 406 f.; Stöcker, Der Staat 28 (1989), 71/88. 406 BVerfGE 30, 1/24. 407 IarasslPieroth - Pieroth, Grundgesetz (1997), Art. 79 Rn. 5; MDHS-MaunzlDürig Art. 79 Abs. III Rn. 31; Münch-Bryde, Grundgesetz (1983), Art. 79 Rn. 28. 408 BVerfGE 30, 1/24; Mangoldt-Klein, Bonner Grundgesetz (1974), Art. 79 Anm. VII 3b.

102

E. Verfassungsmäßigkeit des Kommunalwahlrechts ftir Unionsbürger

eine andere Personengruppe409 . Das Ergebnis eines solchen Vorgangs sei eine demokratiewidrige Fremdbestimmung41O . Dieser Argumentation wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber offensichtlich den Boden entziehen, indem er das Kommunalwahlrecht fiir Ausländer nicht - wie allgemein erwartef'1I - in Art. 20 GG, sondern in Art. 28 Abs. 1 GG einfiigte412 . Dieser Umstand liefert bereits ein Indiz dafiir, daß durch die Verfassungs änderung nicht die grundsätzliche Bestimmung des Staatsvolks gern. Art. 20 GG tangiert sein so1l4l3. Berührt ist vielmehr - wenn überhaupt lediglich die Übertragung der Grundsätze des Art. 20 Abs. 2 GG auf die Länder, Kreise und Gemeinden durch Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG, der seinerseits nicht der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG unterliegf'14. Zudem wurde angefiihrt, das demokratische Grundprinzip bestehe darin, daß die Mitwirkung an der Entscheidungsmacht eines definierten Verbandes die Zugehörigkeit zu diesem Verband voraussetzt; die Ausübung von Staatsgewalt also durch dieses Prinzip den Staatsangehörigen vorbehalten sei415 . Demokratie knüpft jedoch nicht zwangsläufig an Blutsbande an, sondern ist eine Herrschaftsform in einem Gemeinwesen aus Gewaltausübenden und unterworfenen416 . Dabei können die beiden Gruppen in unterschiedlich starkem Maße in Übereinstimmung gebracht werden, z. B. durch verschieden hohes Mindestwahlalter. Es kann deshalb nicht dem demokratischen Prinzip widersprechen, wenn die Identität von Herrschenden und Beherrschten erweitert wird417 . Andernfalls müßte man konsequenterweise behaupten, daß andere zweifellos demokratische - Staaten das Demokratieprinzip mißachteten, indem sie Ausländern das Wahlrecht und damit die Teilhabe an der Ausübung von Staatsgewalt gestatten418 . 409 Scholl, ZAR 1989, 62/66. 410 Isensee, KritV 1987,300/303 f. 411 Statt vieler Liegmann, Kommunales Wahlrecht ftir Ausländer (1990), S. 19; Scholl, ZAR 1989, 62/66; Sennewald, VR 1981,77/84. 412 Hobe, Der Staat 32 (1993) 245/263 kritisiert, daß "damit der Kern des Problems

verschleiert wird". 413 Nach Uerpmann, StWiuStPr 1995, 3/15 ist diese jeder Verfassungsänderung durch Art. 79 Abs. 3 GG entzogen. 414 Birkenheier, Wahlrecht ftir Ausländer (1976), S. 131; MDHS-RandelzhoJer, Art. 24 Abs. I Rn. 171; Schink, DVBI. 1988,417/426; Sennewald, VR 1981,77/82, teilweise mit unterschiedlichen Begründungen. 415 Kämper, ZRP 1989, 96/99. 416Sennewald, VR 1981, 77/82. 417 Jahn/Riedel, ZAR 1989, 58/60; Mutius, Kommunalrecht (1996), Rn. 63; Röger VR 1993, 137/139. 418 Darauf weisen auch Bryde, StWiuStPr 1990, 212/217, Dolde, Politische Rechte der Ausländer (1972), S.76 und Papier, Kommissionsvorschlag (1990), S. 27/29 hin. Zum Ausländerwahlrecht in anderen europäischen Staaten vgl. A. I. 2.

I. Vereinbarkeit des Wahlrechts rur Unionsbürger mit Art. 79 Abs. 3 GG

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Der wesentliche Gehalt des Art. 20 GG liegt mithin nicht in der Monopolisierung staatsbürgerlicher Rechte bei Deutschen, sondern in der Wahrung der demokratischen Grundordnung419 . Die Gewährung des Wahlrechts an Ausländer bedeutet auf kommunaler Ebene keine Preisgabe des Demokratieprinzips, sondern nur die Modiflkation seiner konkreten Ausgestaltung420 . In diesem Sinne ist wohl auch die Äußerung des Bundesverfassungsgerichts in E 83, 37/59 zu verstehen, wo der Senat zu dem Schluß kommt, " ... daß die derzeit im Bereich der Europäischen Gemeinschaften erörterte Einführung eines Kommunalwahlrechts für Ausländer nicht Gegenstand einer nach Art. 79 Abs. 3 GG zulässigen Verfassungsänderung (Hervorhebung durch Verf.) sein kann"421. Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) steht Art. 28 Abs. I 3 GG also nicht entgegen. Die Einführung des Kommunalwahlrechts filr Unionsbürger bedeutet vielmehr eine konsequente Fortfilhrung der europäischen Integration, auf die das Grundgesetz insgesamt ausgerichtet ist422 .

2. Art. 79 Abs. 3 GG i. V. m. einem angeblichen Nationalstaatsprinzip Vereinzelt wurde auch ein Nationalstaatsprinzip als Anhaltspunkt für einen Verstoß des Kommunalwahlrechts filr Ausländer gegen Art. 79 Abs. 3 GG in Erwägung gezogen423 . Ungeachtet dessen, daß bereits bezweifelt werden kann, ob Art. 20 GG überhaupt ein solches Prinzip enthält, wäre es jedenfalls nicht von der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG erfaßt. Dies ergibt sich schon daraus, daß das Grundgesetz in seiner Präambel und Art. 23 selbst das Ziel einer europäischen Integration setzt424 . Insbesondere die Betonung der europäischen Einbindung in Behrend, DÖV 1973,376/377. Jahn/Riedel, ZAR 1989, 58/60; Papier, Kommissionsvorschlag (1990), S. 27/36; Schink, DVBI. 1988,417/425 f.; Sennewald, VR 1981,77/82; Simson/Schwarze, Euro419

420

päische Integration und Grundgesetz (1992), S. 55. 421 So auch Lennep, StuG 1994, 249/250; MDHS-Maunz/Dürig Art. 79 Abs. III Rn. 172; Rubel, JA 1992, 265/270, Fn. 57; Abg. Günter Verheugen (SPD), Protokoll der 2. Sitzung der GVK vom 13.02.1992 S. 32; a. A. wohl Abg. Dr. Franz Möller (CDU/CSU) a. a. O. S.28, Huber, ThürVBI. 1994, 1/8 und Sieveking, DÖV 1993, 449/450, die diesen Satz lediglich als Hinweis des Senats darauf werten, daß bei der Einführung eines Kommunalwahlrechts rur Ausländer mittels eines Zustimmungsgesetzes zur Änderung der EG-Verträge den Anforderungen des Art. 79 Abs. 2 GG Rechnung zu tragen sei; noch einschränkender Stöcker, Der Staat 30 (1991), 259/261. 422 Habe, Der Staat 32 (1993), 245/262. 423 So Stöcker, Der Staat 28 (1989), 71/88; differenzierender ders., Der Staat 30 (1991),259/267; vorsichtiger Bleckmann, DÖV 1988,437/442. 424 Weigl, Verfassungsrechtliche Aspekte (1992), S. 106.

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E. Verfassungsmäßigkeit des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger

der Präambel zwingt dazu, das Grundgesetz insgesamt in diesen Kontext zu stellen. Ist aber die Integration Deutschlands in die Europäische Union, deren Aufgaben sich immer weiter in den Bereich der politischen Rechte hinein ausweitet, ein Verfassungsziel, widerspricht dies der unveränderlichen Verankerung eines Nationalstaatsprinzips im Grundgesetz.

11. Verfassungsmäßigkeit der Übertragung der Rechtsetzungskompetenz auf die EG Erlaubte das Grundgesetz die Einführung eines Kommunalwahlrechts für Ausländer, so stellt sich darüber hinaus die Frage, ob es auch die Übertragung der Rechtsetzungskompetenz für diesen Bereich auf die EG zuließ. Maßstab für die Übertragung von Kompetenzen an die Europäischen Gemeinschaften war ursprünglich Art. 24 Abs. 1 GG a. F., der es dem Bund ermöglichte, durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen. Es wurden jedoch starke Zweifel daran geäußert, ob diese Norm, die die Übertragung von Hoheitsrechten durch einfaches Gesetz ermöglichte, noch geeignet wäre, die so weitgehende Übertragung im Rahmen der Maastrichter Verträge abzusichem425 • Gleichzeitig mit Art. 28 Abs. 1 S.3 GG wurde deshalb Art. 23 GG n. F. geschaffen, der sogenannte Europa-Artikel. Er stellt für den Bereich der europäischen Integration eine Art. 24 Abs. 1 GG verdrängende Sonderregelung dar4 26 . An ihm ist die Übertragung der Rechtsetzungskompetenz hinsichtlich des Kommunalwahlrechts von Unionsbürgern nunmehr zu messen. Die Regelung des Kommunalwahlrechts unterfallt gern. Art. 70 Abs. 1 GG der Normsetzungskompetenz der Länder, was das Problem aufwirft, ob deren Übertragung auf die EG dem Bund möglich ist. Für Art. 24 Abs. I GG a. F. war der Begriff der "Hoheitsrechte" nicht weiter differenziert und aus dem Wortlaut deshalb keine Schlußfolgerungen für oder gegen eine Ausdehnung des Art. 24 Abs. 1 GG a. F. auf Länderkompetenzen zu gewinnen427 • Die systematische Auslegung der Norm führte jedoch zu einer Übertragbarkeit von Hoheitsrechten der Länder durch den Bund. Ansatzpunkt dafür war, daß das Grundgesetz eine umfangreiche und effektive europäische Integration zum Ziel 425 Statt vieler Kirchner/Haas, JZ 1993, 760/761; Ossenbühl, DVBI. 1993, 629/631; ScholzNJW 1993,1690/1691. 426 JarasslPieroth - Jarass, Grundgesetz (1997), Art. 23 Rn. 4; Kirchner/Haas, JZ 1993, 760/762; MünchlKunig - Rojahn, Grundgesetz (1995), Art. 23 Rn. 3. 427 Allg. Meinung; statt vieler Maunz, Verfügung des Bundes (GS Küchenhoff 1987), S. 2911292; MDHS-RandelzhoJer, Art. 24 Abs. I Rn. 38; Schütz, Der Staat 28 (1989), 2011204.

11. Verfassungsmäßigkeit der Übertragung der Rechtssetzungskompetenz

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hat, wie es schon in der Präambel ausdrücklich verankert isr'28. Art. 24 Abs. 1 GG a. F. enthielt damit die Bereitschaft, auf die Ausschließlichkeit deutscher Staatsgewalt zugunsten einer "internationalen Offenheit" zu verzichten429 . Der Aufbau eines "Gemeinsamen Marktes", der gern. Art. 1 EGV das Ziel der Europäischen Gemeinschaft ist, konnte aber nicht verwirklicht werden, ohne Hoheitsrechte der Länder (z. B. im Bereich der Agrarwirtschaft, des Umweltschutzes430 oder der Polizei) zu übertragen. Die Länder selbst sind allerdings gar nicht in der Lage, Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen431 . Nach außen tritt die Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich als einheitliches Rechtssubjekt auf, auf dessen bundestaatliche Strukturen im Völker- und Gemeinschaftsrecht keine Rücksichtnahme erzwungen werden kann432 • Wurden also gemeinschaftsrechtlich auch Materien geregelt, die in Deutschland der Gesetzgebungskompetenz der Länder unterfielen, so mußte der Bund als Mitglied der Europäischen Gemeinschaften auch in der Lage sein, diese übertragen zu dürfen. Die Interessen der Länder wurden dabei durch innerstaatlichen Mitwirkungsrechte geschützr'33. In der Frage der Übertragbarkeit von Hoheitsrechten der Länder, die rur Art. 24 Abs. I GG a. F. nie unumstritten war, führt Art. 23 Abs. 5 und 6 GG nunmehr eine KlarsteIlung herbei. Er regelt jetzt ausdrücklich die Vorgehensweise bei der Übertragung von Hoheitsrechten der Länder auf die EU. Sind im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen, so soll gern. Art. 23 Abs. 6 S. 1 GG die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik als Mitgliedstaat zustehen, vorn Bund auf einen vorn Bundesrat zu benennenden Vertreter der Länder übertragen werden. Ein solcher Fall lag bzgl. des Kommunalwahlrechts vor, das unter die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder fällr'34.

428 Jahn/Riedel, ZAR 1989, 58/60; Niedermeyer-Krauß, Kommunalwahlrecht für Ausländer (1989), S. 125; Weigl, Verfassungsrechtliche Aspekte (1992), S. 103 f. 429 Grabitz, AöR 111 (1986), 1/12; Münch/Kunig-Rojahn, Grundgesetz (1995), Art. 24 Rn. 23; Schwan, Die deutschen Bundesländer im System der EG (1982), S.70; BK-Tomuschat, Art. 24 Rn. 25. 430 Dazu SteinberglMüller, NuR 1989, 277/279. 431 Grabitz, AöR 111 (1986), 1/6; Schwan, Die deutschen Bundesländer im System der EG (1982), S. 71. 432 Oppermann, Europarecht (1991), Rn. 535; Münch/Kunig - Rojahn, Grundgesetz (1995), Art. 24 Rn. 23; von "Landesblindheit" sprechen z. B.Epiney, EuR 1994, 301; Grabitz, EuR 1987, 310/311 ;/psen, Als Bundesstaat in der Gemeinschaft (FS Hallstein 1966), S. 248/256. 433 Vgl. dazu Borchmann, AöR 112 (1987), 586/605 ff.; Grabitz, EuR 1987, 310/ 314ff. 434 Der Bundesrat hatte dabei für die Wahrnehmung der deutschen Rechte einen Landesbeamten aus Nordrhein-Westfalen benannt; BAnz. 1993, 10 425, Pkt. IV.7.

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E. Verfassungsmäßigkeit des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger

Kann der Bund grundsätzlich auch Länderkompetenzen an die Europäische Union übertragen, so besteht seit langem weitestgehend Einigkeit darüber, daß er hierin doch nicht völlig frei isr135 • Der Bund darf Hoheitsrechte nur in dem Umfang übertragen, wie sie filr die Legislative in Deutschland überhaupt disponibel sind. Im Wege der Übertragung VOn Hoheitsrechten an zwischenstaatliche Einrichtungen darf es nicht zu einer Aufgabe der Identität der geltenden Verfassungsordnung kommen4]6. Da europarechtliche Normen gegenüber innerstaatlichem Recht jedweder Art - auch solchem mit Verfassungsrang vorrangig sind und die Übertragung deshalb materiell verfassungsändernd wirken kann, muß die äußerste Grenze der Übertragbarkeit dieselbe Grenze sein, die dem verfassungsändernden Gesetzgeber innerstaatlich gesetzt ist, nämlich Art. 79 Abs. 3 GG4]7. Mußte dieses Ergebnis filr Art. 24 Abs. 1 GG a. F. noch aus der "Einheit der Verfassung" hergeleitet werden438 , enthält Art. 23 Abs. 1 S.3 GG n. F. einen ausdrücklichen Verweis auf Art. 79 Abs. 2 und 3 GG. Er stellt damit klar, daß für die Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU die Schranke des Art. 79 Abs. 3 GG zu beachten ist, wenn die gemeinschaftsrechtliche Regelung das Grundgesetz seinem Inhalt nach ändert oder ergänzt bzw. dies ermöglicht. Nachdem bereits festgestellt wurde, daß die Einfilhrung eines Kommunalwahlrechts filr Ausländer nicht gegen Art. 79 Abs. 3 GG verstößt439 , ist auch in der Übertragung der Rechtsetzungskompetenz filr diese Materie an die EU an sich kein Verstoß gegen das Grundgesetz zu erblicken. Bei der Übertragung VOn Landesrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen ist aber stets auch ein Verstoß gegen das Bundesstaatsprinzip in Betracht zu ziehen. Die Beachtung des Kemgehalts dieses Grundsatzes bildet eine zusätzliche Schranke filr den Bund bei der Übertragung von Länderhoheitsrechten440 . Das Bundesstaatsprinzip ist in Art. 20 Abs. 1 GG verankert. Über Art. 79 Abs. 3 GG ist es als eines der Strukturprinzipien der Verfassung der Abschaffung auch durch den verfassungsändernden Gesetzgeber entzogen. Zudem 4]5 Kirchner/Haas, JZ 1993, 760 ff.; Sachs-Streinz, Grundgesetz (1996), Art. 23 Rn. 86; zu den älteren Gegenansichten und dem neueren Meinungsstand zu Art. 24 a. F. vgl. sehr ausführlich Müller, Gemeindliche Selbstverwaltung im Rahmen der europäischen Integration (1992), S. 73 ff 4]6 BVerfGE 37, 271/279 f.; 73, 339/375 f. 4]7 BVerfGE 37, 271/279; 73, 339/374 ff; Grüll, Kommunalwahlrecht für EG-Bürger (1993), S. 17 f.; Kewenig, JZ 1990, 458/460; Papier, Kommissionsvorschlag (1990), S. 27/35; Weigl, Verfassungsrechtliche Aspekte (1992), S. 104 f 4]8 Müller, Gemeindliche Selbstverwaltung im Rahmen der europäischen Integration (1992), S. 79; Schmalenbach, Europaartikel23 GG (1996), S. 34. 4]9 V gl. oben I. 440 Hailbronner, JZ 1990, 149/150 f; Kewenig, JZ 1990,458/460 f.; Kirchner/Haas, JZ 1993, 7601768 ff; Magiera, Bundesstaat in der EG (1988), S. 11/14.

11. Verfassungsmäßigkeit der Übertragung der Rechtssetzungskompetenz

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nennt Art. 79 Abs. 3 GG selbst als weitere unveränderliche Grundsätze die Gliederung des Bundes in Länder sowie die grundsätzliche Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung441 . Daß die Übertragung von Länderhoheitsrechten grundsätzlich mit dem Grundgesetz vereinbar ist, ist schon festgestellt worden. Durch eine Summierung derartiger Vorgänge kann es aber zu einer Verletzung des Kernbereichs der Länderrechte und damit des Bundesstaatsprinzips kommen442 . Als Grenze muß dabei angesehen werden, daß den Ländern ein Kern eigener Aufgaben unentziehbar verbleiben muß443. Ihnen muß ein gewisses Maß an Kompetenzen von substantiellem Gewicht hinsichtlich Legislative, Exekutive und Judikative zugestanden werden444 • Das Problem, ob diese Grenze durch die Übertragung von Länderhoheitsrechten im Rahmen der Maastrichter Verträge als Ganzes überschritten wurde, geht über die Fragestellung dieser Arbeit hinaus. Jedoch kann hier festgestellt werden, daß die Gewährung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger dazu jedenfalls nicht beitragen würde. Die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen entziehen den Ländern nicht grundsätzlich die Gesetzgebungsbefugnis auf dem Gebiet des Kommunalwahlrechts, sie setzen lediglich gewisse Vorgaben hinsichtlich der Einbeziehung von Unionsbürgern. Insbesondere wird dabei vom Gemeinschaftsrecht nicht verlangt, daß das Kommunalwahlrecht in den Mitgliedstaaten vereinheitlicht wird445 , es tastet damit auch nicht die verschiedenartigen Ausgestaltungen in den deutschen Bundesländern an. Bei der Prüfung der Frage, ob durch die Ratifizierung der Maastrichter Verträge die Grenze des Bundesstaatsprinzips überschritten wurde, kann die Regelung über das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger also nicht ins Feld geführt werden. Die Einführung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG kann demnach weder aufgrund seines Inhalts noch aufgrund des Rechtsetzungsverfahrens beanstandet werden.

441 Das Verhältnis der beiden "Ewigkeitsgarantien" zueinander ist im einzelnen umstritten, vgl. MDHS-Maunz/Dürig Art. 79 Rn. 40; AK-GG-Ridder Art. 79 Abs. 3 Rn. 30, 32, die einen Rückgriff auf Art. 20 GO wegen der ausdrücklichen Garantie in Art. 79 Abs. 3 GG für überflüssig halten, sowie zur Gegenposition BK-Evers Art. 79 Abs. 3 Rn. 208. Für das hier zu lösende Problem kann diese Frage jedoch dahinstehen. 442 Schröder, JöR 35 (1986), 83/91. 443 BVerfGE 34, 52/59 ff.; JarasslPieroth-Jarass, Grundgesetz (1997); Art. 23 Rn. 25. 444 BK-Evers Art. 79 Rn. 214; Kirchner/Haas, JZ 1993, 760/769. 445 Vgl. C. 11. 3.

F. Die Einrdhrung des Kommunalwahlrechts rdr Unionsbürger im Landesrecht

Die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zum Kommunalwahlrecht für Unionsbürger wirken nicht unmittelbar in den Mitgliedstaaten. Die EU hat zur Festlegung der Anforderungen an ein solches Recht die Rechtsform der Richtlinie gewählt'46 • Diese gilt grundsätzlich nicht unmittelbar im nationalen Recht, sondern bedarf der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten447 • Die Bundesrepublik Deutschland ist zur Umsetzung des Kommunalwahlrechts rur Unionsbürger in innerstaatliches Recht durch Art. 8 b Abs. 1 EGV i. V. m. der Richtlinie 94/801EG verpflichtet. Kommt sie dieser Verpflichtung nicht nach, so läuft sie Gefahr, daß die Kommission448 gegen sie ein Verfahren wegen Vertragsverletzung gern. Art. 169 EGV anstrengt. Durch die bundesstaatliche Struktur Deutschlands und die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern kann sich die Konstellation ergeben, daß der Bund sich zur Umsetzung von Regelungen verpflichtet, für die er innerstaatlich überhaupt keine Gesetzgebungskompetenz besitzt'49 • Gemeinschaftsrechtlich wird er dadurch nicht von der Umsetzungspflicht befreit450 • Dieses Problem stellt sich auch für den Bereich des Kommunalwahlrechts.

446Ygl. C. 11. 3. 447 Soweit die Richtlinie allerdings den nationalen Behörden keinen Ermessens- oder Handlungsspielraum läßt, können die Regelungen unmittelbar angewandt werden, wenn die Mitgliedstaaten die Richtlinie nicht oder nicht in der erforderlichen Weise umsetzen; vgl. dazu Hasselbach, ZG 1997, 49/59 f. 448 Dieselbe Möglichkeit steht gern. Art. 170 EGV theoretisch auch den anderen Mitgliedstaaten offen; vgl. insgesamt dazu GelIermann, Beeinflussung des bundesdeutschen Rechts (1994), S. 121 ff. 449 Die Ansicht, daß daraus die Gesetzgebungskompetenz dem Bund zuwächst (so z. B. noch Riegel, DYBI. 1979, 248) kann heute als überwunden gelten; vgl. dazu sehr ausführlich Grabitz, AöR 111 (1986), S. 13 ff. 450 Streinz, Europarecht (1995), Rn. 99; Zuleeg, DVBI. 1992, 1329/1332.

I. Umsetzungspflicht der Bundesländer

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I. Umsetzungs pflicht der Bundesländer Die Zuständigkeit zur Umsetzung von Gemeinschaftsrecht richtet sich nach nationalem Rechfl 51 • Die gesetzliche Regelung des Kommunalwahlrechts unterliegt in der Bundesrepublik Deutschland gern. Art. 70 GG der Kompetenz der Länder152 • Nur von ihnen kann somit auch die Umsetzung der Richtlinie 94/801EG vorgenommen werden, dem Bund kommt eine Gesetzgebungsbefugnis auf diesem Gebiet nicht zu. Daraus ergibt sich die Frage, worauf sich eine Umsetzungspflicht der Länder, die selbst nicht Mitglieder der Europäischen Union sind, gründen kann. 1. Keine Verpflichtung aus Gemeinschaftsrecht

Vereinzelt ist vertreten worden, daß das Gemeinschaftsrecht alle nach nationalem Recht zuständigen Organe und damit gegebenenfalls auch die der deutschen Bundesländer zur Umsetzung zwinge453 • Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß das Gemeinschaftsrecht, das auf völkerrechtlichen Verträgen basiert454 , nur die Gebietskörperschaften binden kann, die Mitglieder dieser Gemeinschaft sind. Im EWG-Vertrag geht dies ausdrücklich aus Art. 5 hervor. Folge davon ist, daß das Gemeinschaftsrecht durch Aufgabenzuweisung verbindlich nur auf das Verhältnis zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaat einwirkt; es bleibt dann Sache der Mitgliedstaaten, gegebenenfalls ihre Gliedstaaten mit der Wahrnehmung bestimmter Aufgaben zu betrauen455 • Dem entsprechend trifft auch nur den Bund im Außen verhältnis zur Europäischen Gemeinschaft die Verantwortung filr die vollständige und fristgerechte Umsetzung der RL 94/80IEG456. Auch können die Mitgliedschaftsrechte der Bundesrepublik nur durch Vertreter der Bundesregierung wahrgenommen werden457 •

451 Grabitz, AöR 111 (1986), 1112 f.; Oppermann, Europarecht (1991), Rn. 548; Zuleeg, DVBI. 1992, 1329/1332. 452 Mutius, Kommunalrecht (1996), Rn. 47; Schrapper, DVBI. 1995, 1167. 453 So Weber, Die Richtlinie im EWG-Vertrag (1974), S. 20; wohl auch Schwan, Die deutschen Bundesländer im System der EG (1982), S. 155 ff; für das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger auch Hailbronner, JZ 1990, 149. 454 BeutierlBieberlPipkornlStreil- Beutler, Die Europäische Gemeinschaft (1987), S.70. 455 Epiney, EuR 1994, 3011306; Papier, Kommissionsvorschlag (1990), S. 27/34. 456 Schrapper, DVBI. 1995, 1167. 457 Schmidt-Meinecke, Bundesländer und EG (1987), S. 5.

110

F. Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger im Landesrecht

Eine unmittelbare Verpflichtung der deutschen Bundesländer zur Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger in Landesrecht besteht demnach nichr'58.

2. Verpflichtung aus Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG Besteht keine gemeinschaftsrechtliche Pflicht der Länder zur Umsetzung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger, so könnte sich diese doch aus nationalem Verfassungsrecht ergeben. Insofern kommt eine Verpflichtung aus Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG selbst in Betracht. Bereits der Wortlaut der Norm spricht für eine solche Auslegung. Danach

,,sind ... Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäi-

schen Gemeinschaft besitzen, ... wahlberechtigt und wählbar." (Hervorhebung durch Verf.) Hieraus ist bereits ein Umsetzungs"befehl" zu lesen, da eine Rechtsfolge verbindlich festgelegt wird. Dieses Ergebnis liegt auch im Rahmen der Systematik des Grundgesetzes. In der Wirkung ist Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG insoweit mit Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG vergleichbar, der ebenso bindend vorschreibt, daß das Volk in Ländern, Kreisen und Gemeinden eine Vertretung haben muß, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist (Hervorhebung durch Verf.) Auch dadurch wird den Ländern der Rahmen für den Erlaß bestimmter Regelungen vorgegeben, den sie im einzelnen ausgestalten können459 . Die Pflicht der Länder zur Einführung des Kommunalwahlrechts tUr Unionsbürger ergibt sich also direkt aus Art. 28 Abs. 1 S.3 GG460; die Länder können dies im einzelnen unterschiedlich ausgestalten, sofern sie sich dabei im Rahmen des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG selbst und der Maßgabe des Gemeinschaftsrechts bewegen461 . 458 Von dem Problem der Umsetzungsverpflichtung zu trennen ist dabei das des Vorrangs von Gemeinschaftsrecht oder der unmittelbaren Wirkung von Gemeinschaftsrecht in den Ländern. Dieser Komplex hat z. B. Auswirkungen bei unzureichender Umsetzung, vgl. für Bayern 11. 2. 459 Grüll, Kommunalwahlrecht für EG-Bürger (1993), S. 104 f., will die Anpassungspflicht Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG entnehmen, dies aber wohl noch unter AußerachtIassung des damals gerade erlassenen Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG. 460 Auch hieran wird deutlich, daß sich die Funktion des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG nicht auf die einer reinen Öffnungsklausel beschränkt, vgl. D. I. 1. In diesem Punkt mißverständlich Thum, KommPr 1995, 327, der eine Pflicht der Landesgesetzgeber "aufgrund europarechtlicher Vorgaben und der damit zusammenhängenden Öffnung in Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG" gegeben sieht. 461 Zu der Umsetzung in den einzelnen Bundesländern unten 11.

I. Umsetzungspflicht der Bundesländer

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3. Keine Verpflichtung aus Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG Eine Verpflichtung der deutschen Bundesländer zur Umsetzung von gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien wird zum Teil aus Art. 23 Abs. I S. I GG hergeleitet462 • In Anknüpfung an die Präambel des Grundgesetzes enthält Art. 23 Abs. 1 S. 1 eine Staatszielbestimmung und den Auftrag, an der Entwicklung eines vereinten Europa mitzuwirken463 . Zunächst drückt dieser neue sog. Europaartikel aus, daß das Grundgesetz einen fortschreitenden Integrationsprozeß zum Ziel hat und die Bundesrepublik Deutschland sich mit dem Integrationsgrad, der durch die Maastrichter Verträge erzielt wird, nicht zufrieden gibt464 . Der Entwicklungsauftrag bezieht sich jedoch darauf, daß die zuständigen Verfassungsorgane an der Entwicklung einer Europäischen Union mitwirken, die den in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG genannten Strukturprinzipien entspricht465 • Die Zielrichtung des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG geht somit dahin, die beteiligten Organe verfassungsrechtlich zu verpflichten, auf die Entwicklung der Europäischen Union im Sinne demokratischer, rechtsstaatlicher, sozialer und föderativer Grundsätze Einfluß zu nehmen. Art. 23 Abs. I S. 1 GG bezieht sich also auf das Wirken deutscher Organe auf europäischer Ebene. Er enthält demgegenüber kein an die Bundesländer gerichtetes Gebot zur Umsetzung von Gemeinschaftsrecht in Landesrecht. 4. Bundestreue Gemeinhin wurde bzw. wird die Verpflichtung der deutschen Bundesländer zur Umsetzung von Gemeinschaftsrecht aus dem ungeschriebenen Grundsatz466 der Bundestreue hergeleitet467 • Dieser besagt, daß Bund und Länder gegenseitig verpflichtet sind, im Sinne bundesstaatlich verträglicher Lösungen zusammenzuwirken468 • So JarasslPieroth -Jarass, Grundgesetz (1997), Art. 23 Rn. 15,32. JarassIPieroth - Jarass, Grundgesetz (1997), Art. 23 Rn. 5; Magiera, Jura 1994, 1/2 f.; MünchlKunig - Rojahn, Grundgesetz (1995), Art. 23 Rn. 3; MDHS - Scholz Art. 23 Rn. 36. 464Schmidt-Bleibtreu/Klein-Klein, Grundgesetz (1995), Art. 23 Rn. 2; Münch! Kunig - Rojahn, Grundgesetz (1995), Art. 23 Rn. 10. 465 MünchlKunig - Rojahn, Grundgesetz (1995), Art. 23 Rn. 17. 466 Zu den Rechtsgrundlagen der Bundestreue vgl. Bleckmann, JZ 1991, 900/901 ff. 467 So von Papier, Kommissionsvorschlag (1990), S. 27/34; Steinberg/Müller, NuR 1989, 2771279; Streinz, Europarecht (1995), Rn. 162; a. A. Schwan, Die deutschen Bundesländer im System der EG (1982), S. 161. 468 BVerfGE 1,299/315 ff; 6, 3091361 ff.; 34, 2161232. 462 463

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F. Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger im Landesrecht

Auch rur den Bereich des Kommunalwahlrechts rur Ausländer wurde dieser Ansatz vertreten 469 • Dies kann nach Schaffung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG allerdings keine Gültigkeit mehr beanspruchen. Mit ihm ist eine Sonderregelung in Kraft getreten, die eine Verpflichtung der Länder zur Umsetzung beinhaltet. Eines Rückgriffs auf den ungeschriebenen-und nicht unumstrittenen - Grundsatz der Bundestreue bedarf es deshalb nicht mehr.

11. Die Ausgestaltung in den einzelnen Bundesländern Nach Art. 14 Satz 1 der Richtlinie 94/801EG erlassen die Mitgliedstaaten bis zum 01.01.1996 die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um diese umzusetzen. Es genügt also nicht, daß darur gesorgt wird, daß bei den ersten nach diesem Datum stattfmdenden Kommunalwahlen die Teilnahme von Unionsbürgern gewährleistet ist, die entsprechenden Vorschriften müssen vielmehr spätestens zu diesem Stichtag in Kraft treten. Die Richtlinie läßt den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung gewisse Spielräume470 • Für die deutsche Gesetzgebung bedeutet das, daß es in den einzelnen Bundesländern zu unterschiedlichen Regelungen kommen durfte und gekommen ist. Ein Konflikt mit dem Homogenitätsprinzip des Art. 28 Abs. 1 und 2 GG entsteht dabei nicht, da sich die Abweichungen im Rahmen der Vorgaben durch die Richtlinie und damit der in Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG verankerten Maßgabe des Gemeinschaftsrechts bewegen. Die unterschiedlichen Ausgestaltungen der Landesvorschriften spiegeln im wesentlichen die politischen Machtverhältnisse wider. So ist von den Optionen, Unionsbürger von Rechten auszuschließen oder von ihnen zusätzliche Nachweise zu verlangen, in den Freistaaten Bayern und Sachsen der umfangreichste Gebrauch gemacht worden. Demgegenüber ist dies in Ländern wie Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein in wesentlich geringerem Maße geschehen. Unterschiede ergeben sich dabei insbesondere bzgl. der Gewährung des Bürgerstatus auf kommunaler Ebene, der Wählbarkeit in die Ämter des Bürgermeisters und Landrats sowie des Antragserfordernisses hinsichtlich der Eintragung in die Wählerverzeichnisse. Im folgenden sollen die einzelnen Umsetzungsregelungen dargestellt und erläutert werden. 469 So von Herdegen, JuS 1992, 227/228; Jahn/Riedel, NVwZ 1989,716/720 f.; dies., ZAR 1989, 58/61; Liegmann, Kommunales Wahlrecht für Ausländer (1990), S.60; Steffen, BayVBI. 1990, 2971300; Wallerath, DVP 1989, 251/253; Weigl, Verfassungsrechtliche Aspekte (1992), S. 101 f. 41OVgl. dazuD.1. 3. b).

11. Die Ausgestaltung in den einzelnen Bundesländern

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1. Baden-Württemberg

Der baden-württembergische Landesgesetzgeber hat zunächst eine Änderung der Landesverfassung rur erforderlich gehalten, um das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger einruhren zu können471 • Art. 72 Abs. I S. I BadWürttLV entspricht Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG insoweit, als er rur Kreise und Gemeinden bestimmt, daß das Volk eine Vertretung haben muß, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen sein muß. Dem wurde ein zweiter Satz neu angerugt, der mit dem neuen Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG übereinstimmt, darüber hinaus aber auch die Stimm berechtigung bei kommunalen Abstimmungen ausdrücklich verankert. Zugleich wurde an Art. 26 BadWürttLV, der in Abs. I die Wahl- und Stimmberechtigung Deutschen vorbehält, ein Abs. 8 angerugt, der besagt, daß bei Wahlen und Abstimmungen Art. 72 BadWürttLV gilt. Nachdem der Anwendungsbereich des Art. 26 BadWürttLV aus seinem Wortlaut bislang nicht eindeutig hervorging und dieser auch im juristischen Schrifttum nicht unumstritten war, handelt es sich dabei um eine Klarstellung, daß rur Kommunalwahlen Art. 72 als Spezialregelung anzusehen isr'72. Die Änderungen der Landesverfassungen sollten nach Art. 2 Abs. 3 des Änderungsgesetzes 473 an dem Tag in Kraft treten, an dem auch die Änderung der kommunalrechtlichen Vorschriften zur Einführung des Wahl- und Stimmrechts und der Wählbarkeit der in Art. 72 Abs. 1 S. 2 BadWürttL V genannten Personen in Kraft treten würde. Es sind Zweifel geäußert worden, ob eine solche Bestimmung, die keinen Zeitpunkt des Inkrafttretens bestimmt festlegt, dem Erfordernis genügen könnte, eine Umsetzung des Gemeinschaftsrechts bis zum 01.01.1996 herbeizufiihren474 • Das Inkrafttreten der Gesetze, von dem auch das der Verfassungsänderung abhängig war, ist aber in den wesentlichen Teilen am 01.12.1995 erfolgt, insofern ist- von der grundsätzlichen Problematik des Vorgehens abgesehen - der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe Genüge getan. Allein die Regelungen zur Wählbarkeit zum Bürgermeisteramt sind gern. Art. 5 Abs. 2 des Gesetzes über die Teilnahme von Unionsbürgern an kommunalen Wahlen und Abstimmungen vom 13.11.1995 erst nach Ablauf der Umsetzungsfrist, nämlich am 01.03.1996, in Kraft getreten. Dieser Umstand ist dadurch bedingt, daß die Ausschreibungen zu den entsprechenden Wahlen acht bis zwölf Wochen vor dem Wahltermin erfolgen, Unionsbürger darin aber erst 471 Zur Entstehung der Art. 72 Abs. 1; 26 BadWürttLV n. F.Engelken, VBIBW 1995, 217/228 f. 472 BadWürttLT-Drs. 11/5326, S. 6; Engelken, VBIBW 1995,217/234. 473 BadWürttGBI. S. 269. 474 So Sannwald/Sannwald, VP 1995, 217/222.

8 Barley

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F. Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger im Landesrecht

nach den entsprechenden Gesetzesänderungen berücksichtigt werden konnten. Diese Sonderregelung führt jedoch nicht zu einem Konflikt mit dem Gemeinschaftsrecht. Den Mitgliedstaaten ist es bereits freigestellt, ob sie Unionsbürgern überhaupt die Wählbarkeit zum Bürgermeisteramt einräumen, es kann also nicht gegen die Richtlinie 94/801EG verstoßen, wenn ein Bundesland dies erst nach Ablauf der Umsetzungsfrist tut. Einfachgesetzlich erfolgte die Umsetzung durch das Gesetz über die Teilnahme von Unionsbürgern an kommunalen Wahlen und Abstimmungen vom

13.11.1995475 • Die wichtigste Änderung des baden-württembergischen Landesrechts besteht dabei in der Gewährung des Bürgerrechts auf Gemeindeebene in § 12 BadWürttGO bzw. des Status als wahlberechtigtem Kreiseinwohner gern. § 10 BadWürttLKrO an Unionsbürger. An die Rechtsstellung des Bürgers knüpft § 14 Abs. 1 BadWürttGO das Wahlrecht bei Gemeindewahlen, während § 10 Bad WürttLKrO selbst die Wahlberechtigung auf Kreisebene gewährt.

Um Bürger des Landes Baden-Württemberg zu werden, unterliegen Unionsbürger nunmehr denselben Anforderungen wie deutsche Staatsbürger, d.h. sie müssen gern. § 12 Abs. 1 S. 1 BadWürttGO das 18. Lebensjahr vollendet haben und seit mindestens drei Monaten in der Gemeinde wohnen. Durch Änderung des § 12 Abs. 2 S. 1 BadWürttGO ist klargestellt, daß es dem Erwerb der Bürgerrechte nicht entgegensteht, wenn die Person einen weiteren (auch Haupt-) Wohnsitz im Ausland innehat. Nur dann, wenn jemand innerhalb Deutschlands mehrere Wohnungen hat, kommt es darauf an, welche die Hauptwohnung ist, da nur dort die Bürgerrechte gewährt werden. Diese Regelung ist nicht allein auf Unionsbürger bezogen, auch Deutsche können also Bürger einer baden-württembergischen Gemeinde sein, obwohl sie ihren Hauptwohnsitz im Ausland haben. Ein Unionsbürger verliert seinen Bürgerstatus, wenn er die Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaats verliert und demzufolge weder Unionsbürger noch Deutscher ist (§ 13 Abs. 1 BadWürttGO). Entsprechendes gilt für wahlberechtigte Kreisangehörige gern. § 10 BadWürttLKrO. Mit der Einbeziehung von Unionsbürgern in den Kreis der Bürger bzw. wahlberechtigten Kreiseinwohner sind aber über das Wahlrecht hinausgehende Rechte und auch Pflichten verbunden. Das herausragende der mit dem Bürgerstatus einhergehenden Rechte ist dasjenige, an Bürgerbegehren und -entscheiden teilzunehmen (§ 21 BadWürttGO), die Anberaumung einer Bürgerversammlung zu beantragen (§ 20 a Abs. 2 BadWürttGO), sowie einen Bürgerantrag zu stellen (§ 20 b BadWürttGO). An weiteren Rechten soll hier nur noch die Wählbarkeit zum Ortsvorsteher gern. § 71 Abs. 1 BadWürttGO und das 47S

BadWürttGBI. S. 761.

11. Die Ausgestaltung in den einzelnen Bundesländern

115

Recht auf Entschädigung für ehrenamtliche Tätigkeiten gern. § 19 BadWürttGO genannt werden476 • Pflichten begründet der neue Status für Unionsbürger vor allem hinsichtlich der Annahme und Ausübung ehrenamtlicher Tätigkeiten gern. §§ 15 ff. BadWürttGO bzw. §§ 11 BadWürttLKrO. Das aktive und passive Wahlrecht als wichtigste Bürgerrechte unterliegen nach Vorgabe der Richtlinie 94/801EG den Ausschlußgründen des Wohnsitzmitgliedstaats. Dementsprechend sind §§ 14 Abs. 2 Nr. 1; 28 Abs. 2 Nr. 2 BadWürttGO und §§ 10 Abs. 4 Nr. 1; 23 Abs. 2 Nr. 2 BadWürttLKrO dahingehend ergänzt worden, daß ein Richterspruch nur zum Entzug der Rechte führen kann, wenn er von einem deutschen Gericht gefällt wurde. Hinsichtlich des passiven Wahlrechts hat der baden-württembergische Gesetzgeber durch Ergänzung der § 28 Abs. 2 Nr. 2 BadWürttGO und § 23 Abs. 2 BadWürttLKrO von der durch die Richtlinie 94/801EG eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, ihn auch infolge einer zivilrechtlichen Einzelfallentscheidung oder einer strafrechtlichen Entscheidung des Herkunftsstaats erklären zu können. Die Eintragung ins Wählerverzeichnis erfolgt in Baden-Württemberg für alle Wahlberechtigten gern. § 6 Abs. 1 BadWürttKWahlG von Amts wegen. Dieser Vorschrift unterfallen nun auch Unionsbürger, ohne daß es insoweit einer Gesetzesänderung bedurfte. Allein solche Unionsbürger, die gern. § 22 BadWürttMeldeG von der Meldepflicht befreit sind - Mitglieder einer ausländischen diplomatischen Mission oder konsularischen Vertretung -, sind nach Änderung des § 3 Abs. 4 BadWürttKWahl0477 nur auf Antrag wahlberechtigt, da ihre Eintragung nicht von Amts wegen erfolgen kann. Darin liegt keine unzulässige Benachteiligung dieser Unionsbürger, da sie sich in einer mit Deutschen nicht vergleichbaren Situation befmden. Deren Eintragung in das Melderegister ist obligatorisch und ein Antrag deshalb für sie nicht erforderlich. Neben einem gültigen Identitätsausweis kann nach dem ebenfalls neu gefaßten § 3 Abs. 3 BadWürttKWahlO vom wahlberechtigten Unionsbürger auch eine eidesstattliche Versicherung mit Angabe der Staatsangehörigkeit verlangt werden. Unionsbürger, die gern. § 22 BadWürttMeldeG von der Meldepflicht befreit und nicht in das Melderegister eingetragen sind, müssen gern. § 3 Abs. 4 S.2 BadWürttKWahlO zusätzlich eidesstattlich versichern, seit wann sie in der Gemeinde eine Wohnung, bei mehreren Wohnung in der Bundesrepublik ihre Hauptwohnung haben; in letzterem Fall sind auch deren Anschriften anzugeben. Für nicht meldepflichtige Unionsbürger, die gern. § 12 Abs. 1 S.2 BadWürttGO; § 10 Abs. 1 S.2 BadWürttLKrO ihr Bürgerrecht durch Wegzug Für weitere vgl. Quecke, KommPr BW 1995,303. Die BadWürttKWahlO wurde geändert durch die Verordnung des Innenministers zur Änderung der Kommunalwahlordnung vom 27.11.1995, BadWürttGBI. Nr. 32/1995, 476 477

S.784. 8'

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F. Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger im Landesrecht

aus der Gemeinde verloren hatten und durch Zuzug in das Wahlgebiet innerhalb von drei Jahren wieder erworben haben, gilt dies außerdem für die Angabe, in welchem Zeitraum sie vor ihrem Wegzug oder der Verlegung der Hauptwohnung aus dem Wahlgebiet dort ihre Hauptwohnung hatten (§ 3 Abs. 4 S. 3 BadWürttKWahIO). Diese Erfordernisse sind mit Art. 8 Abs. 2 RL vereinbar, da die nicht meldepflichtigen Unionsbürger insoweit wie Deutsche behandelt werden, die ihre Wohnungen bei der Eintragung in das Melderegister förmlich erklären müssen. Ein Wahlrecht unter den gleichen Bedingungen ist damit gewährleistet. Kandidieren Unionsbürger bei einer Kommunalwahl in Baden-Württemberg, wird von ihnen gem. dem geänderten § 8 Abs. 2 BadWürttKWahlG zwingend eine eidesstattliche Versicherung darüber verlangt, daß sie die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und dort ihre Wählbarkeit nicht verloren haben. Bei Zweifeln an der Richtigkeit der Versicherung hat der Unionsbürger eine entsprechende Bestätigung der zuständigen Verwaltungsbehörde seines Herkunftsstaates vorzulegen. Von Unionsbürgern, die gem. § 22 BadWürttMeldeG von der Meldepflicht befreit sind, kann zudem gern. § 10 Abs. 4 S. 2 BadWürttKWahlG eine eidesstattliche Versicherung darüber gefordert werden, seit wann sie in der badenwürttembergischen Gemeinde eine Wohnung haben; bei mehreren Wohnungen im Bundesgebiet sind deren Anschriften anzugeben. Für alle anderen Unionsbürger war es nicht erforderlich, die entsprechende gemeinschaftsrechtliche Möglichkeit auszunutzen, da ihre Wohnsitze in Deutschland aufgrund der Meldepflicht ohnehin bekannt sind. § 17 Abs. 2 S. 4 BadWürttKWahlO verlangt über § 10 Abs. 4 S. 2 BadWürttKWahlG hinausgehend eine eidesstattliche Versicherung über den Zeitraum, in dem der Unionsbürger in der Gemeinde seine Hauptwohnung hatte, Wenn er sie aus der Gemeinde wegverlegt hatte und innerhalb von drei Jahren wieder zugezogen ist. Nach dem oben Gesagten ist diese Regelung nur dann mit dem Gebot gleicher Wahlbedingungen vereinbar, wenn sie nur nicht meldepflichtige Unionsbürger erfaßt; nur bei ihnen besteht das Bedürfnis nach einer solchen förmlichen Erklärung, bei allen anderen UnionsbÜTgern erfüllt dies - ebenso wie bei Deutschen - die Eintragung in das Melderegister. Baden-Württemberg hat nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Unionsbürger von der Wählbarkeit zum Bürgermeisteramt auszuschließen. Durch Änderung des § 46 Abs. 1 BadWürttGO sind nun neben Deutschen i. S. d. Art. 116 GG auch Unionsbürger wählbar, die bereits vor der Zulassung der Bewerbungen in der Bundesrepublik Deutschland gewohnt haben. Letzteres haben sie gem. § 20 Abs. 1 S. 4, 5 BadWürttKWahlO nachzuweisen, anderenfalls können sie gem. § 10 Abs. 4 BadWürttKWahlG mit ihrer Bewerbung

11. Die Ausgestaltung in den einzelnen Bundesländern

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zurückgewiesen werden. Zudem ist auch bei einer Kandidatur fiir das Bürgermeisteramt eine eidesstattliche Versicherung über die Staatsangehörigkeit sowie darüber abzugeben, daß kein Verlust der Wählbarkeit im Herkunftsstaat eingetreten ist. Schließlich kann auch die Vorlage eines gültigen Identitätsausweises und die Angabe der letzten Adresse im Herkunftsmitgliedstaat gern. § 20 Abs. 1 BadWürttKWahlO verlangt werden. Letzteres soll dazu dienen, daß überprüft werden kann, ob der Bewerber gern. § 46 Abs. 1 BadWürttGO die Gewähr dafiir bietet, jederzeit fiir die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten478 • 2. Bayern Bayern hat - wie nach den Verhandlungen in der GVK und auch im Bundesrat nicht anders zu erwarten war - gemeinsam mit Sachsen von allen Bundesländern die größte Zurückhaltung bei der Gewährung des Kommunalwahlrechts an Unionsbürger geübt. Es hat von den in der Richtlinie vorgesehenen Einschränkungsoptionen den umfangreichsten Gebrauch gemacht und ist auch in anderen Punkten restriktiver als die anderen Bundesländer verfahren. a) Unvereinbarkeit der Bay. Landesverfassung mit Art. 8 b Abs. 1 EGV i. V. m. RL 94/80/EG und Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG

Die bayerische Landesverfassung behält in Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 14 Abs. 1 S. 1; 7 Abs. 1 und 8 das Wahlrecht in den Gemeinden und Gemeindeverbänden deutschen Staatsangehörigen vor. Auch im Zuge der Umsetzung der Richtlinie 94/801EG ist daran keine Änderung erfolgt; diese betraf vielmehr nur einfaches Landesrecht. Die bayerische Landesverfassung steht insofern also im Widerspruch zu Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG und dem Gemeinschaftsrecht, sowie durch die Änderung des einfachgesetzlichen Wahlrechts kurioserweise auch zu bayerischem Landesrecht. Die Kollision der Bayerischen Landesverfassung mit Gemeinschaftsrecht löst sich über den Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts gegenüber nationalem Recht. Nach dem Prinzip des Anwendungsvorrangs bleibt die nationale Regelung zwar erhalten, wird aber im Kollisionsfall vom Gemeinschaftsrecht verdrängt479 • Um die einfachgesetzlichen Anpassungen zur Einfiihrung Quecke a. a. o. S. 305. BayVerfGH BayVBI. 1997, 495/496;Sieveking, DÖV 1993, 449/457;Streinz, Europarecht (1995), Rn. 200 ff.; Wegmann, KommPr BY 1995,367/371. 478

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F. Einfilhrung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger im Landesrecht

des Kommunalwahlrechts filr Unionsbürger vorzunehmen, war also eine Änderung der entsprechenden Vorschriften der Bayerischen Landesverfassung nicht erforderlich, da diese - soweit sie UnionsbÜfger von diesem Recht ausschließen - vom Gemeinschaftsrecht verdrängt werden480 . Eine Kollision mit Art. 28 Abs. I S. 3 GG ist darüber hinaus nur dann zu untersuchen, wenn dieser - wie hier geschehen481 - nicht als bloße Öffnungsklausel betrachtet wird482 . Enthält Art. 28 Abs. I S. 3 GG selbst eine Gewährung des Kommunalwahlrechts rur Unionsbürger, so kollidiert er mit der Bayerischen Landesverfassung. Für den Fall eines Widerspruchs zwischen Art. 28 und Landesrecht ergibt sich aus Art. 28 Abs. 3 GG eine Rechtspflicht des Bundes, dafilr einzustehen, daß die grundgesetzliche Bestimmung eingehalten wird483 . Nach der besonderen Konstellation in Bayern ist dies jedoch bereits geschehen, da das einfache Landesrecht entsprechend geändert wurde und ein Kommunalwahlrecht filr Unionsbürger auch dort gewährleistet ist. Daß die entsprechenden Vorschriften der Bayerischen Landesverfassung so keinen Bestand haben können, ergibt sich aber aus Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG selbst. Hinsichtlich der Landesverfassungen ist Art. 28 Abs. 1 GG lex specialis zu Art. 31 GG484. Landesverfassungsrecht, das den darin niedergelegten Grundsätzen widerspricht, ist nichtig. Dabei spielt es - anders als beim Grundsatz des Anwendungsvorrangs - keine Rolle, daß die Gewährung des Kommunalwahlrechts filr UnionsbÜfger in Bayern durch einfaches Landesrecht erfolgt ist. Die Nichtigkeit zeichnet sich nämlich dadurch aus, daß die Regelung entfiillt und auch nicht wieder auflebt, wenn das vorrangige Recht nicht mehr bestehen sollte485 . Soweit die Bayerische Landesverfassung weiterhin Deutschen das Kommunalwahlrecht vorbehält, ist sie also als nichtig anzusehen486 . Allerdings enthält die Landesverfassung nicht eine Norm, die Unionsbürger vom Wahlrecht ausschließt, sie bezieht sie lediglich nicht in den Kreis der Wahlberechtigten ein.

480

Wegmann a. a. O.

481 Vgl. D. 482 Aus diesem Grund geht Wegmann a. a. O. auf diese Problematik nicht ein. 483 MünchlKunig - Löwer, Grundgesetz (1995), Art. 28 Rn. 101; Grüll, Kommunalwahlrecht für EG-Bürger (1993), S. 105 ff., will dem sogar die Nichtigkeit der Landesnorm im Kollisionsfall entnehmen ... 484 MünchlKunig - Gube/t, Grundgesetz (1995), Art. 31 Rn. 25; IarasslPierothPieroth, Grundgesetz (1997), Art. 31 Rn. 1. 485 BöckenfördelGrawert DÖV 1971, 119/123; IarasslPieroth - Pieroth, Grundgesetz (1997),Art. 31 Rn. 5. 486 BayVerfGH BayVBI. 1997, 495/496 geht hingegen lediglich von der Unanwendbarkeit der Norm aus, die sich aus dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts ergibt.

H. Die Ausgestaltung in den einzelnen Bundesländern

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Mit der Nichtigkeit der Nonn wäre also ein Einklang mit Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG nicht erreicht, diese Rechtsfolge greift in diesem Fall ins Leere. Rechtsfolge des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG muß es vielmehr sein, dem Bundesland Bayern die Pflicht zur Änderung der Landesverfassung aufzuerlegen, die notfalls mit Bundeszwang (Art. 37 GG) durchgesetzt werden kann. Ob dies in der Praxis durchgeführt werden wird, erscheint angesichts der erfolgten Umsetzung in einfaches Landesrecht äußerst fraglich. Es sei an dieser Stelle aber Kritik daran gestattet, daß - wohl als politisches Statement - auf landesverfassungsrechtlichen Nonnen beharrt wird, obwohl diese eindeutig gegen geltendes (Gemeinschafts- und Bundesverfassungs-) Recht verstoßen und vor allem rechtlich diese entgegengestehende Wirkung gar nicht mehr entfalten können. b) Umsetzung in einfaches Landesrecht

Die Umsetzung der RL 94/801EG erfolgte in Bayern durch das Gesetz zur Anderung des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes vom 26.07.1995 487 und die Wahlordnung für die Gemeinde- und Landkreiswahlordnung488. Nach der geänderten Fassung des BayGLKrWahlG gewährt Art. 1 nunmehr auch UnionsbOrgern das aktive Wahlrecht zu Gemeinde- und Landkreiswahlen. Den weiteren darin genannten Voraussetzungen (Mindestalter, Mindestaufenthalt) unterliegen diese ebenso wie Deutsche i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG. Gern. Art. 11 Abs. 1 BayGLKrWahlG sind UnionsbÜTger allerdings nicht von Amts wegen in das Wählerverzeichnis einzutragen, es bedarf dazu vielmehr eines Antrags. Der Antrag stellt die in Art. 7 Abs. 1 der RL 94/801EG vorausgesetzte Willensbekundung des UnionsbÜTgers dar, das Wahlrecht im Wohnsitzstaat ausüben zu wollen. Dieses Erfordernis ist mit der Richtlinie vereinbar, die es in Art. 7 Abs. 3 den Mitgliedstaaten mit einer Kann-Regelung freistellt, die Eintragung von Amts wegen vornehmen zu lassen. Allerdings verstößt Bayern gegen die vorgeschriebene Gewährleistung gleicher Bedingungen im Zusammenhang mit der Ausübung des Kommunalwahlrechts, indem es Unionsbürgern zumutet, für jede Wahl einen neuen Antrag zu stellen. Dies gründet sich darauf, daß es in Bayern kein pennanentes Wählerverzeichnis gibt, sondern zu jeder Wahl ein neues auf der Grundlage des Melderegisters erstellt wird. Da auch ausländische Unionsbürger grundsätzlich im Melderegister verzeichnet sind, ist kein Grund für eine wiederholte Antragstel487BayGVBl. S.371; Neubekanntmachung des GLKrWG vom 27.08.1995, BayGVBI. S. 590. 488 BayGVBI. S. 605.

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F. Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger im Landesrecht

lung ersichtlich; im Melderegister könnte beispielsweise ohne weiteres ein permanenter Vermerk angebracht werden, welche Unionsbürger einen entsprechenden Antrag gestellt haben. Zudem widerspricht die Regelung dem Sinn und Zweck des Art. 7 RL, der nur einen einmal geäußerten Wunsch fordert, an den Wahlen teilnehmen zu wollen. Als dem maßgeblichen Gemeinschaftsrecht zuwiderlaufende Regelung ist sie somit nicht anzuwenden; einmal aufgrund eines Antrags in das Wählerverzeichnis aufgenommene Unionsbürger sind bei jeder weiteren Kommunalwahl von Amts wegen einzutragen. Dem Antrag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis ist nach Abs. 2 eine eidesstattliche Versicherung beizurugen, daß sie sich in der Gemeinde bzw. dem Landkreis am Wahltag seit mindestens drei Monaten mit dem Schwerpunkt ihrer Lebensbeziehungen aufhalten. Dies ist mit dem Gebot gleicher Wahlbedingungen insofern unvereinbar, als von Deutschen im vergleichbaren Fall gern. Art. 11 Abs. 3 BayGLKrWahlG nur einen Nachweis über diese Tatsache erbringen muß; auch rur Unionsbürger muß ein solcher einfacher Nachweis somit rur ausreichend erachtet werden. Zudem muß der Antrag Angaben über den gültigen Identitätsausweis und eine Versicherung an Eides Statt hinsichtlich der Staatsangehörigkeit enthalten. Im Zweifelsfall hat die Gemeinde vom Unionsbürger die Vorlage eines gültigen Identitätsausweises zu verlangen. Für behinderte Unionsbürger sieht § 19 a Abs. 3 S. 2 BayGLKrWahlO gegenüber § 19 Abs. 4 , der rur Deutsche gilt, verschärfte Anforderungen hinsichtlich der Erklärung vor, die die Hilfsperson abzugeben hat. Auch dies ist mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar, mithin ist insoweit nur der in § 19 Abs. 4 BayGLKrWahlO vorgesehene Nachweis auch rur behinderte Unionsbürger zu verlangen. Art. 11 Abs. 2 BayGLKrWahlG trägt einer bayerischen Besonderheit Rechnung, indem er nicht - wie alle anderen Landesgesetze - an eine Mindestwohnsitzdauer anknüpft, sondern entsprechend Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 BayGLKrWahlG an den Aufenthalt mit Schwerpunkt der Lebensbeziehungen. Allerdings nähert sich die bayerische Regelung den anderen insoweit wieder an, als Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 BayGLKrWahlG bei einer Person, die in mehreren Gemeinden gemeldet ist, den Schwerpunkt der Lebensbeziehungen dort vermutet, wo sie mit der Hauptwohnung gemeldet ist. Der Ausschluß vom aktiven Wahlrecht unterliegt, entsprechend der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe, nur dem Recht des Staates, in dem das Wahlrecht ausgeübt werden soll. Demgemäß sind Art. 2 Nr. 1 und 2 BayGLKrWahlG insoweit ergänzt worden, als nur ein deutscher Richterspruch bzw. eine Anordnung der Betreuung nach deutschem Recht diese Rechtsfolge nach sich ziehen kann.

11. Die Ausgestaltung in den einzelnen Bundesländern

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Das passive Wahlrecht wird Unionsbürgern in Art. 20 BayGLKrWahlG gewährt. Er knüpft an das Merkmal der Wahlberechtigung an, so daß es keiner ausdrücklichen Änderung bedurfte. Die Wählbarkeit beschränkt sich für UnionsbUrger auf die Ämter der Gemeinderatsmitglieder und Kreisräte. Dabei unterliegen sie zunächst denselben Voraussetzungen und Ausschlußgründen wie Deutsche, Art. 20 S. I und 2 BayGLKrWahIG. Zusätzlich sind sie jedoch gern. Art. 20 S. 3 nicht wählbar, wenn sie nach dem Recht ihres Herkunftsmitgliedstaats die Wählbarkeit infolge einer zivil- oder strafrechtlichen Einzelfallentscheidung verloren haben. UnionsbUrger, die in einen Wahlvorschlag aufgenommen werden, müssen - im Gegensatz zu deutschen Kandidaten - gern. Art. 23 Abs. 4 S. 4 BayGLKrWahlG eine eidesstattliche Versicherung darüber abgeben, daß sie im Herkunftsmitgliedstaat ihre Wählbarkeit nicht verloren haben und sich seit mindestens sechs Monaten ununterbrochen mit dem Schwerpunkt ihrer Lebensbeziehungen in der Gemeinde bzw. dem Landkreis aufhalten. Letzteres istebenso wie hinsichtlich des aktiven Wahlrechts- mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar. Zudem fordert Art. 23 Abs. 4 S. 5 BayGLKrWahlG von Unionsbürgern Angaben über den gültigen Identitätsausweis sowie eine Versicherung an Eides Statt über ihre Staatsangehörigkeit. Im Zweifel hat der Wahlleiter die Vorlage eines gültigen Identitätsausweises zu verlangen (Art. 23 Abs. 4 S. 6). Art. 23 Abs. 4 S. 7 BayGLKrWahlG berechtigt den Wahlleiter schließlich bei Zweifeln an der Richtigkeit der Versicherung hinsichtlich der Wählbarkeit, eine Bestätigung durch die zuständigen Verwaltungsbehörden des Herkunftsmitgliedstaates zu verlangen, daß der Unionsbürger dort seine Wählbarkeit nicht verloren hat oder diesen Behörden ein solcher Verlust nicht bekannt ist. Ausgenommen vom passiven Wahlrecht der Unionsbürger ist in Bayern die Wählbarkeit zum ersten Bürgermeister oder Landrat; dieses bleibt in Art. 36 BayGLKrWahlG Deutschen vorbehalten. Diese Einschränkung, die Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 94/801EG ausdrücklich zuläßt, hielt der bayerische Gesetzgeber für erforderlich, da Bürgermeister und Landräte nicht nur kommunale Aufgaben wahrnehmen, vielmehr auch der Vollzug hoheitlicher staatlicher Aufgaben in ihren Zuständigkeitsbereich fällt'89. Demgemäß erstreckt sich die Beschränkung auch gern. Art. 35 Abs. 2 S. 1 BayGO; 32 Abs. 2 S. 1 BayLKrO auf die Stellvertreter und nach Ergänzung der Art. 39 Abs. 1 BayGO bzw. Art. 36 BayLKrO auf vom Gemeinderat bzw. Kreistag im Einzelfall betraute Vertreter. Damit hat Bayern als einziges deutsches Bundesland von der entsprechenden Option des Art. 5 Abs. 3 S. 1 der Richtlinie 94/801EG Gebrauch gemacht. 489

Thum, KommPr BY 1995, 327.

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F. Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger im Landesrecht

Mit der Gewährung des Wahlrechts erlangen Unionsbürger in Bayern den Status als Gemeindebürger (Art. 15 Abs. 2 BayGO) und Kreisbürger (Art. 11 BayLKrO)490. HierfUr genügt das bloße Recht, an den Wahlen teilzunehmen, die Eintragung ins Wählerverzeichnis oder ein Antrag darauf sind dazu nicht erforderlich491 . Durch Gesetz vom 27.10.1995 492 sind in Bayern Bürgerbegehren und entscheide als neue plebiszitäre Elemente eingeführt worden. Stimmberechtigt sind dabei gern. den neuen Art. 18 a BayGO; 25 a BayLKrO die Bürger der jeweiligen Gebietskörperschaft, also auch Unionsbürger. Außerdem erhalten Unionsbürger in Bayern mit dem Bürgerstatus das Recht, an Bürgerversammlungen i. S. d. Art. 18 BayGO teilzunehmen, gegebenenfalls auch an Abstimmungen bei Gebietsänderungen (Art. 11 Abs. 4 BayGO), bei Namensänderungen der Gemeinde angehört zu werden (Art. 2 Abs. 3 BayGO), sowie bei Aufstellungsversammlungen ftlr allgemeine Kommunalwahlen mitstimmen und Bewerber wählen zu können (Art. 26 Abs. 1 BayGLKrWahIG). Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit einer Gewährung des Abstimmungsrechts auf kommunaler Ebene stellt sich in Bayern bei letzteren jedoch nicht. Die Abstimmungen i. S. d. Art. 11 Abs. 4 BayGO haben lediglich konsultativen Charakter, so daß sie auch schon vor Einführung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG Ausländern hätten zugänglich gemacht werden können493 . Bei solchen gern. Art. 26 BayGLKrWahIG, die die Aufstellung der Wahlvorschläge betreffen, handelt es sich nicht um Ausübung von Staatsgewalt. so daß sich auch insofern die Frage nach der Vereinbarkeit mit Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG nicht stellt. Darüber hinausgehend kennt das bayerische Landesrecht keine kommunalen Abstimmungen, insbesondere nicht solche mit Entscheidungscharakter494 . Aus dem Bürgerstatus ergibt sich neben den O.g. Rechten fiir Unions bürger auch eine Pflicht, nämlich die zur Übernahme von Wahlehrenämtern gern. Art. 7 BayGLKrWahIG.

3. Berlin Berlin hatte als Stadtstaat mit den bereits geschilderten Schwierigkeiten bei Umsetzung der Richtlinie fertigzuwerden495 . Dennoch war Berlin im Oktober 490 Anders als z. B. in Baden-Württemberg, wo umgekehrt das Wahlrecht an den Bürgerstatus anknüpft. 491 Wegmann, KommPr BY 1995,367/373. 492 BayGVBI. S. 730. 493 Vgl. D. 11. 1. a) bb). 494 Vgl. Knemeyer, Bay. Kommunalrecht (19.94) Rn. 61. 495 Vgl. D. 11. 2. c) aa).

11. Die Ausgestaltung in den einzelnen Bundesländern

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1995 das erste deutsche Bundesland, in dem Unionsbürger an einer Kommunalwahl teilnehmen konnten. Art. 25 der BerlL V ist unangetastet geblieben, der die Wahlberechtigung hinsichtlich des Abgeordnetenhauses, der Volksvertretung Berlins, Deutschen vorbehält. Durch Verfassungsänderung vom 08.06.1995 496 ist hingegen Art. 54 BerlLV geändert worden. Er regelt die Wahl zu den Bezirksverordnetenversammlungen, die gern. Art. 56 BerlLV Organe der Selbstverwaltung der Berliner Bezirke sind. Art. 54 Abs. 1 BerlL V wurden als Sätze 2 und 3 angefUgt: "Wahlberechtigt und wählbar sind unter den gleichen Voraussetzungen wie Deutsche auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzen. Alles Nähere regelt das Wahlgesetz."

Die Änderung des Wahlgesetzes erfolgte mit Gesetz vom 20.06.1995 497 • Es fUgte einen eigenen § 22 a ein, der die Überschrift "Wahlrecht und Wählbarkeit von Unionsbürgern" trägt. § 22 a BerlWahlG macht von der in der Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, die Wählbarkeit von Unionsbürgern entfallen zu lassen, die nach dem Recht ihres Herkunftsstaates infolge einer zivilrechtlichen Einzelfallentscheidung oder einer strafrechtlichen Entscheidung das passive Wahlrecht verloren haben. Bewirbt sich ein Unionsbürger um ein Mandat, hat er dazu eine Erklärung an Eides Statt abzugeben, zu deren Abnahme die Bezirkswahlleiter als zuständige Behörde i. S. d. § 156 StGB befugt sind. Die Bezirkswahlleiter können dabei verlangen, daß eine Auskunft der zuständigen Behörde des Herkunftsstaates vorgelegt wird. Legt er diese Bescheinigung nicht vor, kann er gern. § 38 Abs. 2 a) BerlWahlO nicht zugelassen werden. In die BerlWahl0498 wurde ebenfalls aufgenommen, daß wahlberechtigte Unions bürger von Amts wegen in ein besonderes Verzeichnis aufzunehmen sind, das Teil des Wählerverzeichnisses ist. 4. Brandenburg Mit dem Gesetz zur Anderung des Brandenburgischen Kommunalwahlgesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 94/80/EG des Rates vom 19.12.1994 über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei Kommunalwahlen für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, und zur Anderung des Landesbeamten-

BerlGVBI. S. 339. BerlGVBI. S. 375. 498 Geändert durch die Vierte Verordnung zur Änderung der Landeswahlordnung vom 11.07.1995, BerlGVBI. NT. 39/1995, S. 440. 496

497

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F. Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger im Landesrecht

gesetzes vom 14.12.1995 499 und die Verordnung zur Anderung der Brandenburgischen Kommunalwahlverordnungvom 18.12.1995 500 sind zahlreiche Änderungen im brandenburgischen Kommunalwahlrecht vorgenommen worden. Geändert wurde in erster Linie das brandenburgische Kommunalwahlgesetz. Es gilt gern. § 1 für die Wahlen zu den Gemeindevertretungen, Stadtverordnetenversammlungen, Kreistagen, Bürgermeistern und Oberbürgermeister. Der Umsetzung der Richtlinie diente dabei vor allem die Aufhebung des § 3 Abs. 3 BrandKWahlG, der die Bürgereigenschaft auf Deutsche i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG beschränkt hatte. Konsequenterweise knüpft der neugefaßte § 8 BrandKWahlG für die sachlichen Voraussetzungen der Wahlberechtigung nicht mehr an diesen Status an, sondern nennt als erstes Merkmal die Eigenschaft als Deutscher oder Unions bürger. Unionsbürgern kommt nun sowohl auf Gemeinde- als auch auf Kreisebene der Bürgerstatus zu, da dafür gern. § 13 Abs. 2 BrandGO bzw. § 12 Abs. 2 BrandLKrO die Wahlberechtigung Voraussetzung ist. Auch für die Wählbarkeit erwähnt § 11 BrandKWahlG dennoch nicht mehr den Begriff des Bürgers, sondern knüpft nunmehr ebenfalls an das Kriterium der Wahlberechtigung an. Dabei unterliegt gern. § 11 Abs. 3 Nr. 1 BrandKWahlG ein Unionsbürger zunächst denselben AusschlußgrUnden wie ein deutscher Staatsangehöriger (§ 11 Abs. 2 BrandKWahIG); zusätzlich sind Unionsbürger nach Nr. 2 aber auch dann von der Wählbarkeit ausgeschlossen, wenn sie infolge einer zivil- oder strafrechtlichen Einzelfallentscheidung im Herkunftsmitgliedstaat die Wählbarkeit nicht besitzen. In den Wahlvorschlägen ist gern. dem neuen § 28 Abs. 2 BrandKWahlG die Staatsangehörigkeit jedes Bewerbers anzugeben. Werden Unionsbürger in einen Wahlvorschlag aufgenommen, müssen sie über ihre Staatsangehörigkeit, sowie darüber, daß sie in ihrem Herkunftsmitgliedstaat die Wählbarkeit nicht verloren haben, dem Wahlleiter eine eidesstattliche Versicherung vorlegen (§ 28 Abs. 8 BrandKWahIG). Brandenburg läßt Unionsbürger gern. § 65 Abs. 2 Nr. 1 BrandKWahlG auch als Bewerber für die Ämter der hauptamtlichen Bürgermeister und Oberbürgermeister zu. Für den Ausschluß von der Wählbarkeit gilt gern. § 65 Abs. 5 BrandKWahlG inhaltlich dasselbe wie hinsichtlich des passiven Wahlrechts zu kommunalen Vertretungskörperschaften; neben den auch tur Deutsche geltenden Gründen sind Unionsbürger auch dann nicht zum Bürgermeister wählbar, wenn sie infolge einer zivil- oder strafrechtlichen Einzelfallentscheidung im Herkunftsmitgliedstaat die Wählbarkeit nicht besitzen. Daß sie dort nicht von 499 BrandGVBI. I S. 274; der etwas unhandliche Titel dieses Gesetzes (und der Umsetzungsgesetze weniger anderer Bundesländer) beruht darauf, daß der Anforderung des Art. 14 Abs. 2 RL nach Bezugnahme auf die Richtlinie nicht, wie in den meisten anderen Bundesländern, durch bloße Fußnote Rechnung getragen wurde. 500 BrandGVBI. 11 S. 738.

H. Die Ausgestaltung in den einzelnen Bundesländern

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der Wählbarkeit ausgeschlossen sind, müssen sie gern. § 70 Abs. 4 S. 2 BrandKWahlG gegenüber dem Wahlleiter an Eides Statt versichern. Die Wahlberechtigung bei Kreistagswahlen, die schon im neu gefaßten § 8 i. V. m. § 1 BrandKWahlG verankert ist, ergibt sich auch aus § 27 BrandLKrO, der dabei an die Bürgereigenschaft anknüpft. Der Landrat wird in Brandenburg hingegen nicht unmittelbar vom Volk, sondern vom Kreistag gewählt (§ 29 Abs. 2 Nr. 4 BrandLKrO), so daß die Erstreckung der Wählbarkeit auf Unionsbürger nicht zwingend istSol. In § 51 Abs. 1 BrandLKrO ist lediglich vorgesehen, daß die Stelle des Landrats öffentlich ausgeschrieben werden muß, Anforderungen an die Staatsangehörigkeit stellt die Verordnung nicht. Es steht der Zulassung von Unionsbürgern zu diesem Amt somit nichts entgegen, zumal dafilr auch die beamtenrechtlichen Voraussetzungen geschaffen worden sind. Besonders bemerkenswert an dem brandenburgischen Umsetzungsgesetz ist es nämlich, daß es auch Änderungen des Landesbeamtengesetzes vornimmt. Damit trägt der Landesgesetzgeber dem Umstand Rechnung, daß Unionsbürger nun auch hauptamtliche Bürgermeister oder Oberbürgermeister werden können und als solche den Status eines Landesbeamten haben. Nach dem neuen § 9 Abs. 1 Nr. 1 BrandLBG ist persönliche Voraussetzung filr die Berufung in das Beamtenverhältnis nun die Eigenschaft als Deutscher i. S. d. Art. 116 GG oder die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union. § 9 Abs. 2 BrandLBG schränkt dies jedoch insoweit ein, als nur Deutsche in ein Beamtenverhältnis berufen werden dürfen, wenn die Aufgaben dies erfordern (Art. 48 Abs. 4 EGV). Konsequenterweise ist ein Beamter nicht kraft Gesetzes durch den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit zu entlassen, sofern er die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates besitzt (§ 93 Abs. 1 S. 2). Eine Entlassung kann in einem solchen Fall jedoch durch Verwaltungs akt gem. § 94 erfolgen, wenn die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 erfilllt sind. In den anderen Bundesländern sind vergleichbare Regelungen schon früher erlassen worden. Sie formen §§ 4; 7 BRRG aus, die seit 1994 auch Unionsbürger hinsichtlich der Berufung in ein Beamtenverhältnis grundsätzlich Deutschen gleichstellen. Brandenburg hat als einziges Bundesland diese Regelung mit der Umsetzung der Richtlinie 94/801EG verknüpft und damit eine Verbindung zur Wählbarkeit von Unionsbürgem in die Ämter von Bürgermeister und Landrat hergestellt. Mit der Gewährung des Bürgerstatus kommt Unionsbürgern schließlich das Recht zur Teilnahme an kommunalen Abstimmungen zu, die dieser Bevölkerungsgruppe vorbehalten sind, also Bürgerbegehren und -entscheid (§ 20 BrandGO; § 18 BrandLKrO). Des weiteren trifft Unionsbürger nun in gleicher SOl

Vgl. D. H. 2. a) bb) (1).

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F. Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger im Landesrecht

Weise wie Deutsche die Pflicht zur Übernahme kommunaler Ehrenämter (§ 26 BrandGO; § 24 BrandLKrO).

5. Bremen Bremen ist als einziges Bundesland nicht der Vorgabe in Art. 14 RL nachgekommen, vor dem 01.01.1996 die zur Umsetzung notwendigen Gesetzesänderungen vorzunehmen. Damit hat Bremen wissentlich den Bund dem Risiko eines Vertragsverletzungsverfahrens seitens der EU-Kommission gern. Art. 169 EGV ausgesetzt; das Land sah sich jedoch bislang nicht in der Lage, die Umsetzung durchzuführen 502 • Dies hängt mit der besonderen rechtlichen Situation des Stadtstaates zusammen, da dort die Wahlen in der Stadtgemeinde Bremen mit denen zur gesamten Bremer Bürgerschaft als Landesparlament durch einen einzigen Wahlakt vorgenommen werden 503 • Die Fraktion Bündnis 90IDie Grünen hat noch im Jahre 1995 einen Antrag zur Umsetzung der Richtlinie in der Bürgerschaft eingebracht504 • Dieser sah vor, Unionsbürgern das Wahlrecht zur Bürgerschaft, die die Funktion eines Landesparlaments hat, einzuräumen. Der Bremer Senat hielt diesen Antrag nicht filr zustimmenswert, da er das verfassungsrechtliche Verbot einer Einräumung des Wahlrechts auf Landesebene nicht beachte 50s • Der Bremer Senator rur Inneres hat ebenfalls einen Gesetzentwurf erarbeitet, der von dem Bremer Senat am 07.05.1996 beschlossen wurde. Er versucht, die Einheitlichkeit der Wahlen zu Stadtbürgerschaft und Gesamtbürgerschaft beizubehalten, Unionsbürgern aber dennoch nur die Teilnahme an ersteren zu ermöglichen. Da dieser Entwurf auch eine Änderung der Bremer Landesverfassung beinhaltete, war er gern. § 32 Abs. 3 BremBürgGO in einer ersten Lesung in der Bürgerschaft zu behandeln, anschließend an einen nichtständigen Ausschuß i. S. d. Art. 105 BremLV zu verweisen und schließlich, nach Eingang des Berichts dieses Ausschusses, in zwei weiteren Lesungen in der Bürgerschaft zu behandeln. In der Sitzung am 26.09.1996 ist er in dritter Lesung von der bremisehen Bürgerschaft beschlossen worden 506 • Mitteilung des Senats vom 07.05.1996, BremLT-Drs. 14/294, S. 2. Vgl. dazu ausführlich D. 11. 2. c) bb). 504 Antrag "Gesetz zur Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger", BremLT-Drs. 14/78. 505 Mitteilung des Senats vom 07.05.1996, BremLT-Drs. 14/294, S. 2. 506 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 94/80/EG des Rates vom 19. Dezember 1994 über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Kommunalwahlen for Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, BremGBI. S. 303 ff. 502 503

11. Die Ausgestaltung in den einzelnen Bundesländern

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Bereits die Änderung der Landesverfassung macht deutlich, daß diese Lösung eine juristisch problematische ist. 148 Abs. 1 S. 3 BremLV wurde dahingehend geändert, daß die Stadtbürgerschaft nunmehr nicht mehr aus den "von den stadtbremischen Wählern in die Bürgerschaft gewählten Vertretern" besteht, sondern nun aus den "von den stadtbremischen Wählern mit der Wahl zur Bürgerschaft im Wahlbereich Bremen gewählten Vertretern"507. Damit ist gemeint, daß zwar immer noch derselbe Wahlakt die Abgeordneten für Stadtbürgerschaft und Bürgerschaft bestimmt, jedoch nicht alle in die Stadtbürgerschaft Gewählten auch in die Bürgerschaft einziehen können - nämlich dann nicht, wenn sie nicht die deutsche Staatsbürgerschaft innehaben. Unionsbürgern wird gern. dem neuen § 1 Abs. 1 a BremWahlG das Wahlrecht zur Bürgerschaft unter den gleichen Voraussetzungen wie deutschen Wahlberechtigten gewährt, ihr Wahlrecht gilt jedoch ausschließlich für die Zusammensetzung der Stadtbürgerschaft. Auch das passive Wahlrecht für Unionsbürger bliebt gern. § 4 Abs. 2 BremWahlG n. F. auf die Stadtbürgerschaft beschränkt. Dies soll erfolgen, indem Unionsbürger gesonderte Stimmzettel erhalten, anband derer ihre Voten getrennt ausgezählt werden können. Für die Zusammensetzung der Bürgerschaft als Landesparlament werden nur die Stimmen der deutschen Wahlberechtigten berücksichtigt, die Besetzung der bremischen Stadtbürgerschaft bemißt sich hingegen zusätzlich nach den von Unionsbürgern abgegebenen. Näheres dazu bestimmt die LandeswahlordnungS08 . Dieses Verfahren ist insbesondere hinsichtlich der Aufstellung der Wahlvorschläge problematisch, wirft aber auch in anderer Hinsicht rechtliche Probleme aufS09 • Es bleibt daher abzuwarten, ob das bremische Landesgesetz einer gerichtlichen Prüfung zugeführt werden wird.

6. Hamburg In der Freien und Hansestadt Hamburg als Stadtstaat ergaben sich bei der Umsetzung Schwierigkeiten, die auf ihrem Charakter als ungeteilter Gebietskörperschaft beruhen. Die Richtlinie 94/801EG hat als lokale Gebietskörperschaften der Grundstufe, in denen Kommunalwahlen i. S. d. Art. 8 b Abs. 1 EGV stattfmden, für Hamburg die Bezirke benannt. Obwohl diese nur ge-

507 Art. 1 des Umsetzungsgesetzes, BremGBI. S. 303. 508 Geändert durch die Verordnung zur Anderung der Bremischen Landeswahlordnung vom 05.12.1996, BremGBI. 111997, S. l. 509 Vgl. dazu D. 11. 2. c) bb).

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F. Einfllhrung des Kommunalwahlrechts fllr Unionsbürger im Landesrecht

meindeinterne Gliederungen darstellen, ist dies mit Art. 8 b Abs. 1 EGV und Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG vereinbar51O • Die Umsetzung erfolgte demgemäß durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 94/80/EG des Rates vom J 9. Dezember J 994 über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei Kommunalwahlen für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen (Gesetz zur Einführung des Wahlrechts zu den Bezirksversammlungen) vom 05.12.1995 511 , das das Gesetz über die Wahl zu den Bezirksversammlungen 512 (HambBezWahIG) ändert. In § 6 HambBezWahlG wurde ein neuer Abs. 2 eingefügt, der Unionsbürgern unter denselben Voraussetzungen des auf Deutsche bezogenen Abs. 1 die Wahlberechtigung bei .den Wahlen zu den Bezirksversammlungen einräumt. Einschränkungen des aktiven Wahlrechts gelten für Unionsbürger in derselben Weise wie für Deutsche, eine Änderung der relevanten Vorschriften des Gesetzes erfolgte insofern nicht. Das passive Wahlrecht folgt gern. § 10 HambBezWahlG aus dem aktiven. Auch diesbezüglich hat der hamburgische Gesetzgeber auf zusätzliche Anforderungen an ausländische Kandidaten verzichtet. Da die Wahlen zu den Bezirksversammlungen gern. § 1 HambBezWahlG zeitlich mit denen zur Bürgerschaft zusammenfallen, bedurfte es schließlich der Änderung organisationsrechtlicher Vorschriften. So sind nunmehr die Wahlorgane nur aus den auf der jeweiligen Ebene Wahlberechtigten heraus zu bestimmen; Landeswahlausschußmitglieder dürfen gern. § 20 Abs. 3 HambBezWahlG also nur Deutsche i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG sein, während dem Bezirkswahlausschuß gern. § 20 Abs. 4 HambBezWahlG auch Unionsbürger angehören können. Zudem sind gern. § 21 Abs. 1 HambBezWahlG Unionsbürger in den (für Bezirksversammlungs- und Bürgerschaftswahlen gleichermaßen geltenden) Wählerverzeichnissen zu kennzeichnen. Sie erhalten dann gern. § 22 S. 2 HambBezWahlG einen Wahlschein, der nur zur Stimmabgabe bei der Bezirksversammlungswahl berechtigt. Der Vorsitzende der Bezirksversammlung wird gern. § 38 Abs. 1 HambBezVG513 von der Bezirksversammlung aus ihrer Mitte gewählt. Auch Unionsbürger können somit in dieses Amt gewählt werden.

Vgl. D. 11. 2. c) cc). HambGVBI. S. 353. 512 In der Fassung vom 22.07.1986 (HambGVBI. S. 230), zuletzt geändert am 01.07.1993 (HambGVBI. S. 149/150). 513 Bezirksverwaltungsgesetz der Freien und Hansestadt Hamburgvom 22.05.1978 (HambGVBI. S. 178), zuletzt geändert am 14.09.1988 (HambGVBI. S. 179). 510 511

11. Die Ausgestaltung in den einzelnen Bundesländern

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7. Hessen Zur Umsetzung der Richtlinie in Hessen bedurfte es keiner Änderung der Landesverfassung. In deren Art. 137, der die kommunale Selbstverwaltung betrifft, fmden die Wahlen zu den kommunalen Vertretungskörperschaften keine Erwähnung. Demgegenüber regelt Art. 13 8 HessL V, daß Bürgermeister und Landräte von den Bürgern gewählt werden. Hiervon waren vor der Umsetzung der Richtlinie nur deutsche Staatsangehörige erfaßt, da der Bürgerstatus gern. § 8 Abs. 2 HessGO an die Wahlberechtigung anknüpfte. Durch das Gesetz zur Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger vom 12.09.1995 514 erfolgte eine Änderung der Hessischen Gemeindeordnung, der Landkreisordnung und des Hessischen Kommunalwahlgesetzes, ferner erging eine Änderung der Hessischen Kommunalwahlordnung durch die Vierte Anderungsverordnung zur Hessischen Kommunalwahlordnung vom 08.11.1995 515 •

§ 30 Abs. 1 Nr. 1 HessGO wurde dahingehend ergänzt, daß das aktive Wahlrecht zum Gemeinderat nun neben Deutschen i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG auch Staatsangehörigen eines der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland (Unionsbürger) zusteht. Interessant ist hierbei insbesondere, daß der vorhergehende § 29 HessGO bestimmt, daß die Bürger der Gemeinde an deren Verwaltung durch die Wahl der Gemeindevertreter und durch Bürgerbegehren i. S. d. § 8 b HessGO teilnehmen. Die Vorschrift trennt also nicht die Ausübung von Staatsgewalt durch Wahlen und Abstimmungen, wie es Art. 20 Abs. 1 S. 2 GG tut. Mangels ausdrücklicher Änderung' des § 8 b HessGO kann also davon ausgegangen werden, daß § 30 HessGO sich auf beide vorher genannten Formen bezieht und damit nun auch Unionsbürgern das Abstimmungsrecht gewährt. Aus Art. 4 des Gesetzes zur Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, der Übergangsregelungen für Wahlrechtsund Wählbarkeitsausschlüsse enthält, geht hervor, daß diese Auslegung zutreffend ist. Danach sind Ausschlüsse vom Wahlrecht bei Kommunalwahlen,Bürgerbegehren und -entscheiden (Hervorhebungen durch Verf.), die bis zum 31.12.2000 erfolgen, nur dann zu berücksichtigen, wenn sie dem Gemeindevorstand zu wahlrechtlichen Zwecken oder im Einspruchsverfahren übermittelt oder sonst bekanntgeworden sind. Mit der Änderung des § 22 Abs. 1 Nr. 1 HessGO ist also auch eine Gewährung des Abstimmungsrechts verbunden.

514 515

HessGVBI. I S. 462 f. HessGVBI. I S. 522.

9 Barley

130

F. Einfilhrung des Kommunalwahlrechts filr Unionsbürger im Landesrecht

Hessen hat nicht von der Option des Art. 5 Abs. 3 RL Gebrauch gemacht, Unionsbürger von der Wählbarkeit in das Amt des Bürgermeisters auszuschließen. Durch entsprechende Ergänzung des § 39 Abs. 2 HessGO ist ihnen vielmehr das passive Wahlrecht fiir dieses Amt eingeräumt worden. Das aktive Wahlrecht zum Kreistag wurde Unionsbürgern in § 22 Abs. 1 Nr. 1 HessLKrO gewährt, das passive Wahlrecht erhielten sie daraus folgend aus § 23 HessLKrO, der an das aktive anknüpft. Die Wahl zum Landrat erfolgt in Hessen gern. § 37 Abs. 1 HessLKrO durch unmittelbare Volkswahl. § 37 Abs. 2 S. 1 HessLKrO wurde dabei insoweit ergänzt, als Unionsbürger auch in dieses Amt wählbar sind. Am 08.11.1995 wurde zudem die Vierte Verordnung zur Anderung der Kommunalwahlordnung516 erlassen. Nach dem neuen § 23 Abs. 4 Nr. 1 a kann von ausländischen Kandidaten eine Versicherung an Eides Statt verlangt werden, daß sie nicht nach dem Recht ihres Herkunftsmitgliedstaats von der Wählbarkeit ausgeschlossen sind. Sie haben zudem gern. § 82 a HessKWahlO den Besitz ihrer Staatsangehörigkeit in geeigneter Weise glaubhaft zu machen. Außerdem hat Hessen durch § 9 Abs. 4 HessKWahlO von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Unionsbürger nur auf Antrag in das Wählerverzeichnis einzutragen. 8. Mecklenburg-Vorpommern Mecklenburg-Vorpommern hat durch das Erste Gesetz zur Anderung wahlrechtlicher Vorschriften vom 18.12.1995 517 und die Erste Verordnung zur Anderung der Kommunalwahlordnungvom 21.12.1995 518 die Umsetzung der RL 94/801EG vorgenommen. Damit wurde in § 7 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 MecklVorpKWahlG der Kreis der Wahlberechtigten zu Gemeindevertretungen und Kreistagen um die Staatsangehörigen der übrigen Mitgliedstaaten der EU erweitert, sofern sie die auch fiir Deutsche geltenden Anforderungen erftlilen. Die Eintragung in die Wählerlisten erfolgt dabei fiir alle Wahlberechtigten gern. § 13 MecklVorpKWahlO von Amts wegen, wovon nun auch Unionsbürger erfaßt sind. Die Wählbarkeit knüpft gern. § 10 Abs. 1 MecklVorpKWahlG an die Wahlberechtigung an. Gern. dem neuen § 10 Abs. 3 MecklVorpKWahlG sind Uni-

HessGVBI. I S. 522 f. GS MecklVorp GI. Nr. 2021-2. 518 GVBI. MecklVorp Nr. 23/1995, S. 675.

516 517

H. Die Ausgestaltung in den einzelnen Bundesländern

131

onsbürger aber dann nicht wählbar, wenn sie infolge Richterspruchs in der Bundesrepublik Deutschland die Wählbarkeit oder die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter nicht besitzen (Nr. I) oder infolge einer zivil- oder strafrechtlichen Einzelfallentscheidung im Herkunftsmitgliedstaat die Wählbarkeit nicht mehr besteht (Nr. 2). Wird ein UnionsbUrger in einen Wahlvorschlag aufgenommen, ist gern. § 22 Abs. 12 Nr. 2 MecklVorpKWahlG neben der auch fiir Deutsche obligatorischen Bescheinigung der Wählbarkeit auch eine Versicherung an Eides Statt vorzulegen, daß kein Ausschluß von der Wählbarkeit gern. § 10 Abs. 2 Nr. 2 MecklVorpKWahlG besteht. In Mecklenburg-Vorpommern erfolgt die Wahl der hauptamtlichen Bürgermeister und Landräte gern. §§ 38 Abs. I; 116 Abs. I MecklVorpKV durch die jeweilige Vertretungskörperschaft. In diese Ämter kann nach §§ 38 Abs. 2 S. 1; 116 Abs. 2 S. 1 MecklVorpKV nur gewählt werden, wer die Voraussetzungen filr die Ernennung zum Beamten auf Zeit erftlllt. Dazu gehört gern. § 127 Abs.l Nr. 1 i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 1 MecklVorpLBG auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Nach der momentanen Rechtslage sind UnionsbUrger in Mecklenburg-Vorpommern also nicht in die Ämter des Bürgermeisters und Landrats wählbar. Allerdings steht diesbezüglich eine umfassende Änderung der Rechtslage an, da ab 1999 beide Ämter durch Volkswahl besetzt werden sollen (§§ 39 a; 116 a MeckIVorpKV). In diesem Zusammenhang ist zu erwarten, daß Mecklenburg-Vorpommern Unionsbürgern zumindest die Wählbarkeit zum Bürgermeister einräumen wird. Da §§ 13 Abs. 2; 98 Abs. 2 MecklVorpKV den Bürgerstatus von der Wahlberechtigung zu Gemeinde- bzw. Kreiswahlen abhängig macht, kommt dieser nunmehr auch UnionsbUrgern zu. Daraus ergibt sich gern. § 19 MecklVorpKV das Recht und die Pflicht zur verantwortlichen Teilnahme an der gemeindlichen Selbstverwaltung, so z. B. die Pflicht zur Übernahme von Ehrenämtern und ehrenamtlichen Tätigkeiten gern. §§ 19 Abs. 2; 102 MecklVorpKV. Vor allem steht Unionsbürgern mit der Gewährung des Bürgerstatus das Recht zur Teilnahme an Bürgerbegehren (§§ 20 Abs. 5; 102 Abs. 2 S. 3 MecklVorpKV) und Bürgerentscheiden (§§ 20; 102 MecklVorpKV) zu.

9. Niedersachsen

Niedersachsen hat die Umsetzung der Richtlinie 94/801EG durch das Gesetz zur Einfohrung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Kommunalwahlen für nichtdeutsche Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union und zur Herabsetzung der Altersgrenze für das aktive Wahlrecht bei Kommunalwahlen vom 20.11.1995 519 vorgenommen, durch das die Gemeindeord9·

132

F. Einflihrung des Kommunalwahlrechts flir Unionsbürger im Landesrecht

nung, die Landkreisordnung und das Kommunalwahlgesetz Niedersachsens geändert wurden. Als Vollzugsvorschrift wurde die Niedersächsische Kommunalwahlordnung520 vom 16.04.1996 erlassen. § 34 Abs. 1 NdsGO und § 29 Abs. 1 NdsLKrO nennen als aktiv Wahlberechtigte neben Deutschen nun auch Unionsbürger. Alle Wahlberechtigten werden gern. dem neuen § 18 Abs. 1 NdsKWahlG von Amts wegen in das Wählerverzeichnis eingetragen.

Mit der Wahlberechtigung erwerben Unionsbürger gern. § 21 NdsGO den Bürgerstatus. Damit steht ihnen auch das Stimmrecht bei Bürgeranträgen gern. § 22 a Abs. 1 S. 1 NdsGO zu. Gleichzeitig sind sie dadurch zur Übernahme kommunaler Ehrenämter und ehrenamtlicher Tätigkeiten (§ 23 NdsGO) sowie zur Tragung der Gemeindelasten (§ 21 Abs. 2; 22 Abs. 1 NdsGO) verpflichtet. Das passive Wahlrecht rur Unionsbürger ist in § 35 NdsGO bzw. § 30 NdsLKrO verankert worden. Grundsätzlich unterliegen diese denselben Wählbarkeitsvoraussetzungen wie deutsche Bewerber. So sind Unionsbürger- ebenso wie Deutsche erst dann wählbar sind, wenn sie die deutsche Staatsangehörigkeit seit mindestens einem Jahr besitzen - gern. § 35 Abs. 1 Nr. 3 NdsGO bzw. § 30 Abs. 1 Nr. 3 NdsLKrO nur dann passiv wahlberechtigt, wenn sie die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union seit demselben Zeitraum besitzen. Gern. § 30 Abs. 5 Nr. 2 a) NdsKWahlO müssen UnionsbÜfger hierüber eine eidesstattliche Versicherung abgeben. Dies ist nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, da eine solche von Deutschen nicht verlangt wird. Allerdings hat auch Niedersachsen von der in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 94/801EG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, Unionsbürger von der Wählbarkeit auszuschließen, wenn sie auf Grund einer zivilrechtlichen Einzelfallentscheidung oder einer strafrechtlichen Entscheidung im Herkunftsmitgliedstaat vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen sind (§ 35 Abs. 1 Nr. 3 NdsGO bzw. § 30 Abs. 2 Nr. 3 NdsLKrO). Damit soll verhindert werden, daß in ihrem Herkunftsstaat vom passiven Wahlrecht ausgeschlossene Unionsbürger nur deshalb ihre Wählbarkeit erlangen, weil sie ihren Wohnsitz nach Niedersachsen verlegt haben S21 • Gern. § 30 Abs. 5 Nr. 2 b) NdsKWahlO müssen UnionsbÜfger auch eine eidesstattliche Versicherung darüber abgeben, daß sie weder durch eine solche Einzelfallentscheidung im Herkunftsland noch durch deutschen Richterspruch der Wählbarkeit verlustig gegangen sind. Letzteres ist

NdsGVBI. Nr. 21/1995 S. 432. NdsGVBI. Nr. 7/1996, S. 121. 521 NdsLT-Drs. 13/1240 S. 9. 519 520

11. Die Ausgestaltung in den einzelnen Bundesländern

133

mit dem Gebot gleicher Bedingungen nicht vereinbar, da eine eidesstattliche Versicherung von Deutschen diesbezüglich nicht gefordert wird. Von Unionsbürgern, die bei Kommunalwahlen kandidieren, wird nach Änderung der NdsKWahlO eine Versicherung an Eides Statt über ihre Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union sowie deren Dauer, den Nichtausschluß von der Wählbarkeit im Herkunftsmitgliedstaat und der letzten Adresse im Herkunftsmitgliedstaat verlangt werden. Der Gemeindedirektor und der Oberkreisdirektor werden gern. § 61 Abs. 1 S. 1 NdsGO; § 55 Abs. 1 NdsLKrO vom Rat bzw. Kreistag gewählt. An die Staatsangehörigkeit stellen die entsprechenden Vorschriften keine Anforderungen, sie setzen jedoch grundsätzlich die durch Prüfung erworbene Befähigung zum höheren allgemeinen Verwaltungsdienst oder zum Richteramt voraus. Davon kann aber abgesehen werden, wenn in Gemeinden ein anderer leitender Beamter, in Kreisen der allgemeine Vertreter des Oberkreisdirektors diese Voraussetzung errullt. Einer Berufung von Unionsbürgern in diese Ämter steht also nach geltendem Recht nichts entgegen. 10. Nordrhein-Westfalen

In Nordrhein-Westfalen ist die Richtlinie 94/801EG durch das Gesetz zur Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürgerl-innen vom 12.12.1995 522 umgesetzt worden. Geändert wurden das Kommunalwahlgesetz, die Gemeindeordnung und die Kreisordnung des Landes Nordrhein-Westfalen. Als Vollzugsvorschrift wurde die Verordnung zur Anderung der Kommunalwahlordnung vom 19.12.1995 erlassen523 • Die Umsetzung zeichnet sich dadurch aus, daß Unionsbürgern weitgehende Rechte eingeräumt wurden und von Einschränkungsmöglichkeiten nur wenig Gebrauch gemacht wurde. So sind nun gern. § 7 NWKWahlG nicht nur Deutsche i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG, sondern auch Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben und mindestens seit drei Monaten in dem Wahlgebiet ihre Wohnung, bei mehreren Wohnungen die Hauptwohnung haben. Gern. § 46 a und b NWKWahlG gilt die Bestimmung des § 7 auch rur die Wahl der Bezirksvertretungen sowie der Bürgermeister und Landräte, insofern war also keine ausdrückliche Änderung der Landesgesetze notwendig, um die Vorgabe des Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 der Richtlinie 94/801EG zu errullen.

522 523

NWGVBI. S. 1198 f. NWGVBI. S. 1262.

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F. Einführung des Kommunalwahlrechts fur Unionsbürger im Landesrecht

Von der den Landesgesetzgebern eingeräumten Möglichkeit, eine Eintragung der wahlberechtigten Unionsbürger nur auf Antrag vorzusehen, hat NordrheinWestfalen keinen Gebrauch gemacht. § 16 Abs. 1 S. 1 NWKWahlO sieht eine Eintragung von Amts wegen für alle Wahlberechtigten vor; ohne daß es einer Gesetzesänderung bedurft hätte, sind davon grundsätzlich auch Unionsbürger erfaßt. Eine Ausnahme stellen insofern die wahlberechtigten Unionsbürger dar, die gern. § 23 NWMeideG von der Meldepflicht befreit und demzufolge nicht im Melderegister erfaßt sind (z. B. Mitglieder ausländischer diplomatischer Missionen). Sie müssen, wenn sie in Nordrhein-Westfalen an Kommunalwahlen teilnehmen wollen, ihre Eintragung ins Wählerverzeichnis beantragen524 . Ein Ausschluß vom aktiven Wahlrecht kann gern. Art. 2 Abs. 1 b) der Richtlinie 94/801EG nur unter den im Wohnsitzstaat geltenden Voraussetzungen erfolgen. Um dies klarzustellen, wurde § 8 Nr. 2 NWKWahlG insoweit ergänzt, als ein Ausschluß eines Richterspruchs in der Bundesrepublik Deutschland bedarf. Der Ausschluß vom aktiven Wahlrecht in einem anderen Mitgliedstaat zieht also nicht automatisch den Ausschluß vom Wahlrecht in NordrheinWestfalen nach sich525 • Hinsichtlich des passiven Wahlrechts zum Gemeinderat, Kreistag und zur Bezirksvertretung war eine Gesetzesänderung ebenfalls nicht erforderlich, da es sich aus § 12 Abs. 1 NWKWahlG ergibt, der an das aktive Wahlrecht anknüpft. Bezüglich des passiven Wahlrechts hat das Gemeinschaftsrecht den umsetzenden Gesetzgebern diverse Einschränkungsmöglichkeiten eröffnet, auf die Nordrhein-Westfalen jedoch sämtlich verzichtet hat. So sind vor allem nach Änderung des § 65 NWGO und § 44 NWKreisO Unionsbürger auch in die Ämter des Bürgermeisters und Landrats wählbar. Voraussetzung dafür ist, daß sie eine Wohnung im Bundesgebiet innehaben und die übrigen Kriterien der §§ 65 NWGO; 44 NWKreisO erfüllen. Die Direktwahl dieser beiden Organe ist in Nordrhein-Westfalen erst 1994 eingeführt worden 526 ; Unionsbürger sind daran nun aktiv und passiv wahlberechtigt. Der Verlust des passiven Wahlrechts im Herkunftsland infolge einer zivilrechtlichen Einzelfallentscheidung oder einer strafrechtlichen Entscheidung hat in Nordrhein-Westfalen nicht den Ausschluß von der Wählbarkeit zur Folge. Wegen der geringen praktischen Bedeutung und des verhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwands wurde davon Abstand genommen, von dieser Option des

524Geregelt wird dies in der NWKommWah10, vgl. NWLT-Drs. 12/175 vom 18.09.1995, S. 10. 525 Kremer, VR 1996, 145/146. 526 Gesetz zur Anderung der Kommunalverfassung vom 17.05.1994, NWGVBI. S.270.

11. Die Ausgestaltung in den einzelnen Bundesländern

135

Art. 5 Abs. 1 RL Gebrauch zu machen S27 • Vielmehr wurde in § 12 NWKWahlG klargestellt, daß auch das passive Wahlrecht nur durch die Entscheidung eines deutschen Gerichts ausgeschlossen werden kann. Schließlich wurde auch nicht die Möglichkeit wahrgenommen, die Eigenschaft eines kommunalen Aufgabenträgers für unvereinbar mit in anderen Mitgliedstaaten ausgeübten Ämtern zu erklären. Nordrhein-Westfalen hat auch die Teilnahme an kommunalen Abstimmungen Unionsbürgern zugestanden. Einer Änderung der Landesgesetze bedurfte es dazu nicht, da gern. § 26 NWGO, § 23 NWKreisO alle Bürger an Bürgerbegehren und -entscheiden teilnahmeberechtigt sind, Bürger wiederum gern. § 21 Abs. 2 NWGO jeder ist, der zu den Gemeindewahlen wahlberechtigt ist. Mit der Änderung des § 7 NWKWahlG ist diese Rechtsfolge also bereits erzielt worden. In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es dazu, daß es als folgerichtig und systemgerecht angesehen werde, Unionsbürger an Abstimmungen über Einzelsachverhalte zu beteiligen, wenn sie schon unstreitig als gewählte Vertreter die Möglichkeit haben, an allen Sachentscheidungen gleichberechtigt mitzuwirken528 . Schließlich zieht die Wahl eines Unionsbürgers in die Vertretungskörperschaft einer kreisfreien Stadt oder eines Kreises nach nordrhein-westfälischem Landesrecht die Wahlberechtigung und/oder Wählbarkeit zu anderen Vertretungen nach sich529 . Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts, jedoch daraus, daß ausländische Mitglieder einer Vertretungskörperschaft dieselben Rechte und Pflichten haben wie deutsche.

11. Rheinland-Pfalz Rheinland-Pfalz hat zunächst eine Änderung seiner Landesverfassung vorgenommen. Mit Gesetz vom 12.10.1995 530 wurde in Art. 50 ein neuer Satz 2 eingefügt. Damit werden Unionsbürger hinsichtlich der Wahlberechtigung und Wählbarkeit bei Wahlen in den Gemeinden und Gemeindeverbänden sowie der Bürgermeister und Landräte den rheinland-pfiilzischen Bürgern gleichgestellt. Die Umsetzung in einfaches Landesrecht hat Rheinland-Pfalz durch das Gesetz zur Anderung kommunalrechtlicher Vorschriften vom

Zweite

527NWLT-Drs. 121175, S. 11. 528 NWLT-Drs. 12/175, S. 12. 529Vgl. dazu im einzelnen NWLT-Drs. 12/175, S. 13. 530

RhIPfGVBI. S. 405.

136

F. EinfUhrung des Kommunalwahlrechts fUr Unionsbürger im Landesrecht

22.12.1995 531 sowie die Fünfte Landesverordnung zur Anderung der Kommunalwahlordnung vom 22.12.1995 532 durchgeführt.

§ 13 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 RhIPfGO und § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 RhIPfLKrO fassen unter den Begriff des Bürgers nicht mehr nur Deutsche i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG, sondern auch Unionsbürger. Durch die Gewährung des Bürgerstatus ist die Verfassungsänderung vom 12.10.1995 inhaltlich schon überholt, da es einer Gleichbehandlung mit Bürgern in diesem Punkt nun nicht mehr bedarf. Damit stehen Unionsbürgem auch dieselben Rechte gern. § 14 Abs. I RhIPfGO i. V. m. § I RhIPfKWahlG und § 10 Abs. I RhIPfLKrO i. V. m. §§ 53; I RhIPfKWahlG zu, nämlich die, den Gemeinderat bzw. Kreistag zu wählen und zu dessen Mitglied gewählt zu werden sowie den Bürgermeister bzw. Landrat zu wählen. Die Eintragung ins Wählerverzeichnis erfolgt dabei fUr alle Wahlberechtigten von Amts wegen (§ 11 RhIPfKWahIO). Wahlberechtigt und wählbar sind Unionsbürger auch bei Verbandsgemeinderatswahlen gern. § 14 Abs. I i. V. m. § 64 RhIPfGO. Von der Wahlberechtigung und Wählbarkeit zum Bezirkstag sind Unionsbürger allerdings nach dem neuen § 56 Abs. 1 RhIPfKWahlG ausdrücklich ausgeschlossen. Dies ist mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, da der Bezirksverband Pfalz keine lokale Gebietskörperschaft der Grundstufe darstellt533 • Wählbar in den Gemeinderat bzw. Kreistag sind Unionsbürger gern. § 4 bzw. § 4 i. V. m. § 53 RhIPfKWahlG nicht, wenn sie einen der in § 4 RhIPfKWahlG aufgefUhrten Tatbestände erfüllen. Als neue Nr. 3 ist dort aufgenommen worden, daß nicht wählbar ist, wer nach dem Recht des Mitgliedstaates der EU, dessen Staatsangehörigkeit er innehat, infolge einer zivilrechtlichen Einzelfallentscheidung oder einer strafrechtlichen Entscheidung die Wählbarkeit nicht besitzt. Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern hat Rheinland-Pfalz diese Einfügung nicht auf Unionsbürger anderer Mitgliedstaaten beschränkt, sondern auf alle EU-Staatsangehörigen, also auch Deutsche, bezogen. Bewirbt sich ein Unionsbürger um einen Sitz im Gemeinderat oder Kreistag, so sind gern. § 20 Abs. I Nr. 3 bzw. § 20 Abs. I Nr. 3 i. V. m. § 53 RhIPfKWahlG neben den auch von Deutschen verlangten Nachweisen weitere Dokumente einzureichen. Dies sind eidesstattliche Versicherungen über die Staatsangehörigkeit53 4, bei nach § 23 RhlpfMeldeG von der Meldepflicht befreiten Personen darüber, seit wann sie in der Gemeinde bzw. dem Kreis eine Wohnung, bei mehreren Wohnungen die Hauptwohnung haben, sowie schließRhIPfGVBI. S. 521. RhIPfGVBI. S. 27. m Vgl. D. 11. 2. a) aa) (5). 534 Diese ist gern. § 19 RhIPfKomm WahlG nunmehr bei allen Bewerbern anzugeben. 531

532

11. Die Ausgestaltung in den einzelnen Bundesländern

137

lieh darüber, daß im Herkunftsmitgliedstaat kein Verlust der Wählbarkeit eingetreten ist. Aus dem Bürgerstatus ergibt sich die Abstimmungsberechtigung bei Bürgerbegehren und -entscheiden (§ 17 a RhIPfGO; § 11 d RhIPfLKrO), ohne daß es einer ausdrücklichen Änderung der Vorschriften bedarf. Zudem treffen Unionsbürger nun auch die Pflichten der §§ 18 ff. RhIPfGO; §§ 12 ff. RhIPfLKrO zur Übernahme von Ehrenämtern und ehrenamtlichen Tätigkeiten. Die Wählbarkeit zum Bürgenneister gern. § 53 Abs. 3 RhIPfGO und zum Landrat gern. § 46 Abs. 3 RhIPfLKrO knüpft nach wie vor nicht an die Bürgereigenschaft, sondern an die Staatsangehörigkeit an. Jedoch wurden jeweils in den Sätzen 1 der Regelungen neben Deutschen auch Unionsbürger aufgenommen, von der Ausschlußmöglichkeit des Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie hat Rheinland-Pfalz also keinen Gebrauch gemacht. Um Unionsbürgern die Wählbarkeit zu gewähren, mußte das Erfordernis der Wählbarkeit zum Deutschen Bundestag aufgegeben werden. Stattdessen heißt es dort nun, daß der Bewerber nicht gern. § 4 Abs. 2 von der Wählbarkeit ausgeschlossen sein darf. 12. Saarland

Das Saarland hat durch das Gesetz Nr. 1357 zur Anderung des Kommunalwahlrechts vom 27.09.1995 535 und die Verordnung zur Anderung der Kommunalwahlordnung vom 06.09.1995 536 das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger im Landesrecht verankert. Durch Änderung des Kommunalselbstverwaltungsgesetzes wurde Unionsbürgern in § 18 Abs. 2 der Bürgerstatus eingeräumt. Daraus ergibt sich gern. § 24 Abs. 1 SaarlKSelbstverwG das aktive und passive Wahlrecht nach Maßgabe des Kommunalwahlgesetzes, aber auch die Pflicht des § 24 Abs. 2 zur Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeiten für die Gemeinde. Gern. § 13 Abs. 1 SaarlKWahlG sind Unionsbürger nunmehr unter denselben Voraussetzungen wahlberechtigt, wie sie für Deutsche gelten. Die Eintragung ins Wählerverzeichnis erfolgt dabei gern. § 6 Abs. 2 SaarlKWahlO von Amts wegen, Unions bürger wurden davon nicht ausgenommen. § 16 Abs. 1 SaarlKWahlG knüpft für die Wählbarkeit an die Wahlberechtigung an, eine Änderung der Nonn war insofern also nicht erforderlich. Von den durch das Gemeinschaftsrecht eingeräumten Einschränkungsmöglichkeiten hat der saarländische Landesgesetzgeber nur geringen Gebrauch 535 536

SaarlABI. S. 990. SaarlABI. S. 286.

138

F. Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger im Landesrecht

gemacht. Von der Wählbarkeit ausgenommen sind Unionsbürger- neben den auch fUr Deutsche geltenden Fällen des § 16 Abs. 2 Nr. 1 SaarlKWahiG- gem. § 16 Abs. 2 Nr. 2 dann, wenn sie infolge einer zivil- oder strafrechtlichen Einzelfallentscheidung im Herkunftsmitgliedstaat von der Wählbarkeit ausgeschlossen sind. Eine Bescheinigung des Wahlleiters, daß die Wählbarkeit nicht gem. Nr. 1 ausgeschlossen ist, ist mit dem Wahlvorschlag einzureichen (§ 24 Abs. 8 Nr. 3 a); eine eidesstattliche Versicherung muß der Unionsbürger gem. § 24 Abs. 8 Nr. 3 b über seine Staatsangehörigkeit abgeben. Zudem sind dem Wahlvorschlag gem. § 24 Abs. 8 Nr. 3 c die Bescheinigungen der zuständigen Verwaltungsbehörden ihrer Herkunftsmitgliedstaaten beizuftigen, mit denen bestätigt wird, daß sie dort nicht von der Wählbarkeit ausgeschlossen sind oder daß diesen Behörden ein solcher Ausschluß nicht bekannt ist.

§ 54 Abs. 1 S. 1 Saai'lKSelbstverwG wurde dahingehend geändert, daß nunmehr auch Unionsbürger als Bürgenneister wählbar sind. Eine Ergänzung war dabei auch insoweit erforderlich, als die Wählbarkeit zum Deutschen Bundestag eine ftir diese Personengruppe nicht erftillbare Voraussetzung gewesen wäre; deshalb wurde diesem Erfordernis die Wählbarkeit zum Europäischen Parlament gleichgestellt. Dieselbe Einftigung erfolgte in § 104 Abs. 3 S.3 SaarlKWahlO fUr die fonnellen Voraussetzungen der entsprechenden Wahlvorschläge. 13. Sachsen Der Freistaat Sachsen war neben Bayern unter den deutschen Bundesländern der schärfste Gegner der Einftihrung eines Kommunalwahlrechts ftir Unionsbürger. Dem entsprechend restriktiv ist die Umsetzung der Richtlinie 94/801EG in das sächsische Landesrecht ausgefallen. Die Umsetzung erfolgte durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 94/BO/EG des Rates der Europäischen Union vom 19. Dezember 1994 über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Kommunalwahlen für Unionsbürger in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen vom 14.12.1995 531 und die Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zur Anderung der Kommunalwahlordnung vom 29.12.1995 538 • Sachsen hat dabei den Weg gewählt, den Bürgerstatus gem. § 15 Abs. 1 SächsGO und § 13 Abs. 1 SächsLKrO weiterhin Deutschen i. S. d. Art. 116 GG vorzubehalten, jedoch eine weitgehende Gleichstellung der Unions bürger durch 531 538

SächsGVBI. 1995, S. 414. SächsGVBI. 1995, S. 436.

11. Die Ausgestaltung in den einzelnen Bundesländern

139

die Gewährung einzelner Rechte vorzunehmen. Die rechtlichen Auswirkungen sind dabei praktisch dieselben, es handelt sich bei diesem umständlichen539 , von dem der anderen Länder abweichenden Verfahren deshalb wohl eher um ein politisches Signal. So haben neben den sächsischen Bürgern nun auch Unionsbürger gern. § 15 Abs. 2 SächsGO; § 13 Abs. 2 SächsLKrO das Recht und die Pflicht einer verantwortlichen Teilnahme an der bürgerschaftlichen (!) Selbstverwaltung der Gemeinde bzw. des Landkreises. Gern. § 27 Abs. 1 SächsGO bzw. § 23 SächsLKrO vertreten Gemeinderat und Kreistag nicht mehr nur die Bürger, sondern auch Unionsbürger. Diese sind gern. § 16 Abs. 1 S.2; 30 SächsGO bzw. § 14 Abs. 1 S.2; 26 SächsLKrO unter denselben Voraussetzungen wie Deutsche wahl- und stimmberechtigt und unterliegen denselben Ausschlußgründen nach den jeweiligen Absätzen 2. Dabei hat der sächsische Landesgesetzgeber noch eine KlarsteIlung insoweit vorgenommen, als gern. §§ 16 Abs. 2 Nr. I SächsGO bzw. §§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SächsLKrO ein Richterspruch oder die Anordnung einer Betreuung nur dann zum Verlust des Wahlrechts führt, wenn er durch ein deutsches Gericht erlassen bzw. sie nach deutschem Recht angeordnet wurde. Gern. § 4 SächsKWahlG erfolgt eine Eintragung in das Wählerverzeichnis für Deutsche von Amts wegen, für Unionsbürger hingegen nur auf Antrag (§ 4 SächsKWahlG i. V. m. § 5 a SächsKWahIO). Dazu muß gern. § 4 Abs. 4 SächsKWahlG eine Versicherung an Eides Statt über die Staatsangehörigkeit, ein gültiger Identitätsnachweis und eine amtliche Bestätigung vorgelegt werden, daß der Unionsbürger am Wahltag seit mindestens drei Monaten ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz in der Gemeinde hat. Letzteres ist mit dem Gebot gleicher Bedingungen unvereinbar, da von Deutschen eine solche Bestätigung nicht verlangt wird. Bewirbt sich ein Unionsbürger um einen Sitz im Gemeinderat, hat er gern. § 6 Abs. 5 a S. 1 SächsKWahlG zusätzlich eine eidesstattliche Versicherung über seine letzte Anschrift im Herkunftsmitgliedstaat, über seine Anschriften in der Bundesrepublik Deutschland und darüber abzugeben, daß er im Herkunftsmitgliedstaat die Wählbarkeit nicht verloren hat. Bei Zweifeln an der Richtigkeit der letztgenannten Angabe kann zudem eine entsprechende Bestätigung der zuständigen Verwaltungsbehörde des Herkunftsmitgliedstaats verlangt werden (§ 6 Abs. 5 a S. 4 SächsKWahIG). Personen, die gern. § 17 SächsMeldeG von der Meldepflicht befreit sind, müssen schließlich noch eine eidesstattliche Versicherung darüber abgeben, seit wann sie in der Gemeinde 539 Es wurde dem Begriff des Bürgers in 27 Paragraphen, teilweise mehrfach, ein entsprechender Zusatz (z. B. "und den nach § 16 Abs. 1 S. 2 Wahlberechtigten") angefiigt.

140

F. Einführung des Kommunalwahlrechts flir Unionsbürger im Landesrecht

eine Wohnung, bei mehreren Wohnungen in der Bundesrepublik ihre Hauptwohnung haben. Gem. § 48 SächsKWahlG gelten die Vorschriften über die Wahl zur Gemeindevertretung für diejenige im Landkreis entsprechend, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes angeordnet ist. Ebenso wie in Bayern existiert in Sachsen kein permanentes Wählerverzeichnis, so daß Unionsbürger vor jeder Kommunalwahl einen Antrag auf Eintragung stellen müssen. Hier gilt das zu Bayern Gesagte 540, dieses Erfordernis ist nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar. Das Merkmal der Stimmberechtigung für Unionsbürger aus §§ 16 Abs. 1 S. 2; 30 SächsGO; §§ 14 Abs. 1 S. 2; 26 SächsLKrO findet konkreten Niederschlag in § 24 f. SächsGO und § 21 f. SächsLKrO, wonach nun auch sie an Bürgerbegehren und -entscheiden teilnehmen können. Das passive Wahlrecht zu Gemeinderats- und Kreistagswahlen gewährt das sächsische Landesrecht Unionsbürgern in § 31 SächsGO bzw. § 27 SächsLKrO. Anknüpfungspunkt ist dabei nicht mehr der Bürgerstatus, sondern das aktive Wahlrecht. Neben den wie § 16 Abs. 2 SächsGO und § 14 Abs. 2 SächsLKrO ergänzten Ausschlußgründen sind Unionsbürger auch dann nicht wählbar, wenn sie nach dem. Recht ihrer Herkunftsmitgliedstaaten infolge einer zivilrechtlichen Einzelfallentscheidung oder einer strafrechtlichen Entscheidung die Wählbarkeit verloren haben (§ 31 Abs. 2 SächsGO; § 27 Abs. 2 SächsLKrO). An der Direktwahl zum Bürgermeister gem. § 48 SächsGO und Landrat gem. § 44 SächsLKrO, sowie ggf. auch deren Abwahl (§ 51 Abs. 7 und 8 SächsGO; § 47 Abs. 6 und 7 SächsLKrO) sind Unionsbürger aktiv teilnahmeberechtigt. Das passive Wahlrecht zu diesen Ämtern bleibt aber gem. § 49 Abs. 1 GO und § 45 Abs. 1 SächsLKrO in Sachsen Deutschen vorbehalten 541 • Schließlich gewähren §§ 66 Abs. 1 S. 3; 71 Abs. 1 S. 1 SächsGO Unionsbürgern auch das aktive und passive Wahlrecht zu den subkommunalen Ortschaftsräten und Stadtbezirksbeiräten. Neben den Rechten, die sie durch die Gesetzesänderungen erhalten, können Unionsbürgern nun auch dieselben ehrenamtlichen Pflichten gem. §§ 17 ff. SächsGO bzw. §§ 15 ff. SächsLKrO auferlegt werden.

Vgl. 2. b). Auch hier hätte sich eine Gewährung des Bürgerstatus' an Unionsbürger nicht anders ausgewirkt, da diese Vorschriften ausdrücklich die Deutscheneigenschaft i. S. d. Art. 116 GG voraussetzen. 540 541

11. Die Ausgestaltung in den einzelnen Bundesländern

141

14. Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt nahm die Umsetzung der Richtlinie 94/801EG durch das Gesetz über das Kommunalwahlrecht für nichtdeutsche Unions bürger vom 06.12.1995 542 und die Zweite Verordnung zur Anderung der Kommunalwahlordnungfiir das Land Sachsen-Anhalt vom 05.12.1995 543 vor. Es hat den Weg beschritten, das aktive und passive Wahlrecht zu den kommunalen Vertretungen über die Verleihung des Bürgerstatus in § 20 Abs. 2 S. 1 SachsAnhGO bzw. § 14 Abs. 2 S. 1 SachsAnhLKrO zu gewähren. Die Wählbarkeit in die Ämter der Bürgermeister und Landräte wurde durch Änderung der §§ 59 Abs. 1 S. 1 SachsAnhGO; 48 Abs. I S. 1 SachsAnhLKrO erreicht. Sowohl von der Wählbarkeit zu den Vertretungskörperschaften als auch von derjenigen zu den Exekutivorganen sind Unionsbürger ausgeschlossen, wenn ein derartiger Ausschluß in ihrem Herkunftsmitgliedstaat besteht (§§ 39 Abs. 2 Nr. 3 SachsAnhGO; 28 Abs. 2 Nr. 3 SachsAnhLKrO sowie §§ 59 Abs. 1 S. 2 SachsAnhGO; 48 Abs. 1 S. 2 SachsAnhLKrO). Die jeweiligen Normen sprechen dabei nur allgemein von einem Verlust nach den Rechtsvorschriften des Herkunftslandes; dies ist im Lichte des Art. 5 Abs. 1 RL dahingehend restriktiv auszulegen, daß davon nur der Verlust infolge einer zivilrechtlichen Entscheidung oder einer strafrechtlichen Einzelfallentscheidung erfaßt ist. Daß ein derartiger Verlust der Wählbarkeit nicht eingetreten Fall ist, haben die ausländischen Kandidaten mit der Einreichung des Wahlvorschlags zu versichern - eine Versicherung an Eides Statt wird dabei nicht gefordert (für die Kandidatur zu den Vertretungen § 30 Abs. 5 S. 1 Nr. 1, 2. HS SachsAnhKWahIO; für die Kandidatur bei Bürgermeister- oder Landratswahlen § 38 a Abs. 2 SachsAnhKWahIO). Mit dem Bürgerstatus verbunden ist in Sachsen-Anhalt das Recht zur Teilnahme an allen kommunalen Abstimmungen. Dabei ist zu beachten, daß Sachsen-Anhalt dieses Recht stärker als andere Bundesländer auch Einwohnern zugesteht (vgl. § 21 SachsAnhGO), so sind diese ohnehin z. B. auch bei einem "Bürger"begehren nach § 25 SachsAnhGO stimmberechtigt. Die Stellung des Bürgers bringt deshalb nur hinsichtlich des Bürgerentscheides i. S. d. § 26 SachsAnhGO ein zusätzliches Abstimmungsrecht mit sich. Zudem trifft Unionsbürger nun ebenso wie deutsche Bürger die Pflicht zur Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeiten gern. §§ 28 ff. SachsAnhGO.

542 543

SachsAnhGVBI. S. 314 f. SachsAnhGVBI. S. 383.

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F. Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger im Landesrecht

15. Schieswig-Hoistein In Schieswig-Hoistein erfolgte die Umsetzung der Richtlinie 94/801EG durch das Gesetz zur Anderung wahlrechtlicher Vorschriften vom 08.12.1995 544 und die Landesverordnung zur Anderung der Gemeinde- und Kreiswahlordnung vom 22.12.1995 545 • § 3 Abs. 1 S. 1 SchlHolstGKrWahlG gewährt nunmehr auch Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern das aktive Wahlrecht zu Gemeinde- und Kreiswahlen. Die Eintragung in das Wählerverzeichnis erfolgt dabei gern. § 17 SchlHolstGKrWahlG filr alle Wahlberechtigten von Amts wegen, Unionsbürger wurden keinem Antragserfordernis unterworfen.

Das passive Wahlrecht wird Unionsbürgern als Folge des aktiven eingeräumt. Sie unterliegen dabei zunächst denselben Ausschlußgründen wie Deutsche (§ 6 Abs. 2 Nr. 1-5). § 6 Abs. 2 Nr. 6 sieht zusätzlich einen weiteren, nur filr Unionsbürger anwendbaren, vor. Danach ist nicht wahlberechtigt, wer als Unionsbürgerin oder Unionsbürger infolge einer zivilrechtlichen Einzelfallentscheidung oder einer strafrechtlichen Entscheidung im Herkunftsmitgliedstaat die Wählbarkeit nicht besitzt. Bei der Einreichung des Wahlvorschlags ist eine entsprechende eidesstattliche Versicherung gern. § 20 Abs. 5 SchlHolstGKrWahlG beizufilgen. In dem Wahlvorschlag muß außerdem gern. dem geänderten § 23 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SchlHolstGKrWahlO die Staatsangehörigkeit der Bewerber angegeben werden. In Schieswig-Hoistein sind gern. § 57 Abs. 3 SchlHolstGO und § 43 Abs. 3 SchlHolstKrO Unionsbürger auch filr die Ämter der Bürgermeister und Landräte wählbar. Diese Vorschriften wurden nicht im Zuge der Umsetzung der Richtlinie erlassen, sondern erfolgten durch Änderung des kommunalen Verfassungsrechts. Gern. § 6 Abs. 2 SchlHolstGO; § Abs. 2 SchlHolstKrO sind Bürger der Gemeinde bzw. des Kreises die zur Gemeindevertretung bzw. zum Kreistag wahlberechtigten Einwohner, nach der Umsetzung der Richtlinie also auch Unionsbürger. Damit steht ihnen auch das Recht zur Teilnahme an Bürgerentscheiden und -begehren i. S. d. § 16 g SchlHolstGO zu, ohne daß es einer weiteren Gesetzesänderung bedurft hätte. Der Bürgerstatus verpflichtet Unionsbürger jedoch auch in gleicher Weise wie Deutsche zur Übernahme von Ehrenämtern und ehrenamtlichen Tätigkeiten gern. §§ 19 ff. SchlHolstGO; § 19 SchlHostKrO.

544 545

SchlHolstGVBI. 1995 S. 480. SchlHolstGVBI. 1996 S. 19.

II. Die Ausgestaltung in den einzelnen Bundesländern

143

16. Thüringen

In der thüringischen Kommunalverfassung fmdet sich in § 13 Abs. 2 S. 2 noch ein Passus aus früherem DDR-Recht, nach dem alle Ausländer, die seit mindestens zwei Jahren in einer thüringischen Gemeinde leben, dort Bürger sind und demzufolge gern. § 17 Abs. 1 S. 2 ThürKV bei Gemeindewahlen teilnahmeberechtigt wären 546 • Im Einigungsvertrag vom 31.08.1990547 ist jedoch vorgesehen worden, daß diese Regelung gegenstandslos werden sollte, wennwie geschehen - das Bundesverfassungsgericht im November desselben Jahres das Wahlrecht für Ausländer für verfassungswidrig erklären sollte. Im Kommunalwahlgesetz vom 16.08.1993 548 war von Beginn an in § 1 Abs. 2 verankert, daß auch Unions bürger nach Maßgabe des Rechts der Europäischen Gemeinschaft bei Wahlen der Gemeinderatsmitglieder und des Bürgermeisters unter den Voraussetzungen des Abs. 1 wahlberechtigt und wählbar sind. Für das Nähere verweist § 1 Abs. 2 auf die Kommunalwahlordnung. Der Vorbehalt der Maßgabe des Gemeinschaftsrechts war im thüringischen Fall angebracht, da § 1 Abs. 2 ThürKWahlG in Kraft trat, noch bevor die Richtlinie 94/801EG erlassen worden war. So stand die Regelung von vornherein auch unter dem zeitlichen Vorbehalt des Erlasses der Richtlinie 549 • Um ganz sicherzugehen lautete aber § 1 ThürKWahlO vom 03.02.1994 550 : "Für die Kommunalwahlen 1994 sind Personen, die die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaften besitzen, nach Maßgabe des Rechts der Europäischen Gemeinschaften noch nicht wahlberechtigt." Diese Vorschrift wurde zur Umsetzung der Richtlinie 94/801EG durch die Zweite Verordnung zur Anderung der Thüringer Kommunalwahlordnungvom 12.12.1995 551 neu gefaßt. Er lautet nunmehr: "Personen, die die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzen, sind unter denselben Bedingungen wahlberechtigt und wählbar wie Deutsche." Schon vor Erlaß der Umsetzungsverordnung waren Unionsbürger den Bürgern auf Gemeinde- (§ 10 Abs. 2 S. 3 ThürKO) und Kreisebene (§ 93 Abs. 2 S.3 ThürKO) gleichgestellt worden, allerdings nur unter der Voraussetzung, daß sie bei den Wahlen zu den entsprechenden Vertretungskörperschaften wahlberechtigt sind.

Vgl. zur Rechtslage in der DDR C. I. 2. BGBI. 11, S. 1151. 548 ThÜrGVBI. S. 530. 549 Vgl. zur insofern gleichlautenden Formulierung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG D. I. 550 ThÜrGVBI. S. 93. 551 ThürGVBI. S. 420. 546 547

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F. Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger im Landesrecht

Mit dem neuen § 17 Abs. 1 S. 2 ThürKV hat Thüringen die einfachste Form der Umsetzung gewählt. Das Wahlrecht erstreckt sich nach der Überschrift ftir den Ersten Teil der Kommunalwahlordnung neben der Wahl zum Gemeinderat auch auf die zum Bürgermeister. Gern. § 54 S. I ThürKWahlO gelten die Bestimmungen des Ersten Teils entsprechend für die Landkreiswahlen, so daß sich das Wahlrecht der Unionsbürger auch auf die Wahlen zum Kreistag und zum Landrat erstreckt. Ausgenommen ist durch diese Form der Umsetzung auch nicht das Stimmrecht bei kommunalen Abstimmungen. Dieses steht gern. § 18 ThürKV nur den Bürgern zu. Gern. §§ 10 Abs. 2; 93 Abs. 2 ThürKO sind Bürger der Gemeinde bzw. des Kreises alle Einwohner, die als Deutsche i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG bei den Gemeindewahlen wahlberechtigt ist. Die Sätze 3 dieser Vorschriften stellen den Bürgern die Personen gleich, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaften besitzen und bei den Gemeindewahlen wahlberechtigt sind. In Thüringen ist damit eine umfassende Gleichstellung von Unionsbürgern und Deutschen hinsichtlich kommunaler Wahl- und Stimmberechtigung erfolgt.

G. Auswirkungen des Art. 28 Abs. 1 S.3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV auf politische Rechte Schon früh ist erkannt worden, daß die Gewährung des Kommunalwahlrechts an Ausländer eine Überprüfung ihrer gesamten Rechtstellung erforderlich macht552 • So ist das passive Wahlrecht vor allem eng mit dem Recht verbunden, politische Parteien zu gründen oder ihnen beizutreten553 , aber auch andere Rechte sind in diesem Zusammenhang zu betrachten. Als Vertrags staat ist die Bundesrepublik Deutschland - im Gegensatz zu den Ländern - unmittelbar an Art. 8 b Abs. 1 EGV gebunden. Daraus ergibt sich, daß sowohl hinsichtlich des aktiven, als auch des passiven Wahlrechts gleiche Bedingungen filr Deutsche und Unionsbürger bestehen müssen. Die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates darf somit im Zusammenhang mit der Wahrnehmung des passiven Kommunalwahlrechts kein rechtliches Unterscheidungskriterium mehr darstellen 554 • Es soll im folgenden überprüft werden, auf welche deutschen Rechtsnormen die Einfilhrung des Kommunalwahlrechts filr Unionsbürger in diesem Sinne Einfluß hat.

I. Auswirkungen auf das Parteien recht Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG weist den Parteien die Aufgabe zu, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Zum Auftrag politischer Parteien gehört insbesondere, das Volk kontinuierlich auf Wahlen vorzubereiten, Meinungen zu bilden und in Frage zu stellen555 • Vor allem hinsichtlich der Aufstellung von Kandidaten und der Unterstützung des Wahlkampfs spielen auch bei Kommunalwahlen die politischen Parteien eine gewichtige Rolle 556 • Dieser Zusammenhang legt nahe, mögliche Auswirkungen des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG 552 So bereits Behrend, DÖV 1973, 376/378; Lamers, Repräsentation und Integration von Ausländern (1977), S. 82. 553 So auch Breer, Mitwirkung von Ausländern (1982), S. 141 ff.; BK-Henke, Art. 21 Rn. 23; Schild, DÖV 1985, 664/669. 554 Vgl dazu D. I. 3. a) ce). 555 BVerfGE 12,276/280; 20, 56/113; Dolde, Politische Rechte der Ausländer (1972), S. 142; Halbe, Verfassungsrechtliche Stellung der Parteien (1991), S. 51; Münch! Kunig - Münch, Grundgesetz (1995), Art. 21 Rn. 11. 556 SchoUer, Kommunalrecht (1990), S. 143.

10 Sartey

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G. Auswirkungen auf politische Rechte

i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV auf das bundesdeutsche Parteienrecht zu untersuchen. 1. Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 3 PartG § 2 Abs. 3 PartG bestimmt, daß politische Vereinigungen keine Parteien sind, wenn ihre Mitglieder bzw. die Mitglieder ihres Vorstandes mehrheitlich Ausländer sind oder ihr Sitz bzw. ihre Geschäftsleitung sich im Ausland befmdet. Gern. Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG ist ein Teil der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer nun bei Kommunalwahlen wahlberechtigt, und zwar nach Maßgabe des Art. 8 b Abs. 1 EGV unter denselben Bedingungen wie deutsche Staatsangehörige. Damit stellt sich das Problem der Vereinbarkeit von § 2 Abs. 3 PartG mit höherrangigem Recht557 •

a) Privilegierung von Parteien gegenüber politischen Vereinigungen ohne Parteienstatus

Eine politische Vereinigung, die nicht als Partei einzustufen ist, unterflillt nicht dem Schutzbereich des Art. 21 GG, sie ist vielmehr grundsätzlich als Vereinigung i. S. d. Art. 9 Abs. 1 GG zu betrachten558 • Wenn Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV Auswirkungen auf die Regelung des § 2 Abs. 3 PartG haben soll, setzt das zuerst voraus, daß die Verwehrung des Parteienstatus einen rechtlichen Nachteil bedeutet. Gegenüber Parteien werden politische Vereinigungen ohne diesen Status in vielfacher Hinsicht anders behandelt, einige Aspekte sollen im folgenden kurz betrachtet werden. aa) Verbot der Vereinigung Insbesondere entfällt rur politische Vereinigungen, die nicht Parteien sind, das sog ..Parteienprivileg des Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG. Dieses hat zum Inhalt, daß das Verbot einer Partei der alleinigen Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts unterfällt. Eine politische Vereinigung, die aufgrund der Regelung des

557 Hailbronner, Ausländerrecht (1989), Rn. 258 hielt § 2 III Nr. 1 PartG schon vor der Einfuhrung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG für verfassungswidrig, allerdings ohne Begründung, so daß darauf hier nicht näher einzugehen ist. 558 Nicht notwendig unterfällt sie hingegen dem Schutzbereich des Art. 9 I GG, dies nach h. M. dann nicht, wenn die Vereinigung von Ausländern "beherrscht" wird, vgl. JarasslPieroth - Jarass, Grundgesetz (1997), Art. 9 Rn. 11.

I. Auswirkungen auf das Parteienrecht

147

§ 2 PartG nicht unter den Parteibegriff des Art. 21 GG gefaßt wird, kann vielmehr nach den Vorschriften des Vereinsgesetzes verboten werden. Grundsätzlich bedeutet dies, daß gern. § 3 Abs. 1 VereinsG die Verbotsbehörde festzustellen hat, daß die Zwecke oder Tätigkeiten des Vereins den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Gegenüber Art. 21 Abs. 2 GG stellt dies in zweifacher Hinsicht eine SchlechtersteIlung dar. Zum einen ist die Zuständigkeit rur das Verbot einer Vereinigung der Exekutive übertragen, was ihr im Hinblick auf die Gefahr des politischen Mißbrauchs bei Parteien wohlweislich vorenthalten blieb. Ein Eingriff in die Parteienfreiheit ist hingegen ausschließlich dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten, ansonsten steht keinem anderen Träger öffentlicher Gewalt eine Beschränkung dieses Rechts ZU559. Zum anderen sind die Verbotsgründe weiter gefaßt als in Art. 21 GG560. Um das Verbot einer Partei zu ermöglichen, muß diese gern. Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Vergleicht man diesen Tatbestand mit dem des § 3 Abs. 1 S. 1 VereinsG, so ergibt sich, daß zum Verbot einer Vereinigung i. S. d. Art. 9 Abs. 1 GG der Konflikt mit den Strafgesetzen bzw. mit dem Gedanken der Völkerverständigung genügt, während ein Parteiverbot die Bedrohung elementarer Grundlagen des demokratischen politischen Systems der Bundesrepublik voraussetzt. Seine Rechtfertigung findet diese unterschiedliche Behandlung in der besonderen Funktion der Parteien in der parlamentarischen Demokratie, die einen erhöhten Schutz vor repressiven Maßnahmen erfordert561 . Lediglich in einem Merkmal scheint Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG weiter zu gehen als § 3 Abs. 1 S. 1 VereinsG, indem er das Verhalten der Anhänger einer Partei ausdrücklich als relevantes Kriterium anerkennt, was in der einfach-gesetzlichen Regelung nicht der Fall ist. Um durch diese Formulierung nicht das Handeln der Partei gänzlich unmöglich zu machen, darf die Zurechnung des Verhaltens einer Partei aber nicht uferlos vorgenommen werden 562 . Da es um die Beurteilung der Verfassungswidrigkeit der Partei selbst geht, ist das Handeln von Anhängern nur dann i. S. d. Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG relevant, wenn es 559Benda/MaihoferNoge1-Grimm, Verfassungsrecht (1994), § 14 Rn. 35; Hesse, Verfassungsrecht (1993), Rn. 174; MDHS-Maunz, Art. 21 Rn. 102; JarasslPierothPieroth, Grundgesetz (1997), Art. 21 Rn. 23. 560 Vgl. Halbe, Verfassungsrechtliche Stellung der Parteien (1991), S. 70; Stern, Staatsrecht I (1984), § 6 V 3, S. 216. 561 Halbe a. a. 0.; Schmidt, NJW 1984, 762/765; Hesse, Verfassungsrecht (1993), Rn. 174. 562 BK-Henke, Art. 21 Rn. 372. 10·

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G. Auswirkungen auf politische Rechte

der Partei zugerechnet werden kann 563 . Damit ist die Rechtslage bzgl. der Partei wiederum vergleichbar mit der der Vereine, deren Verbot wegen des Verhaltens von Mitgliedern ebenfalls eine Bewertung des Gesamtcharakters der Vereinstätigkeit und damit eine Zurechenbarkeit erfordert564 . Hinsichtlich des Verbots der Organisation ist also insgesamt eine starke Privilegierung der Parteien festzustellen.

bb) Ungleichbehandlung in sonstiger Hinsicht Neben dem Verbot der Organisation werden Parteien und sonstige politische Vereinigungen auch in anderer Hinsicht unterschiedlich behandelt, wobei hier nur auf die wichtigsten Beispiele eingegangen werden so1l565. So fehlt für Vereinigungen i. S. d. Art. 9 Abs. 1 GG das Gebot demokratischer Organisation entsprechend Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG. Während also die innere Struktur und Ordnung der Parteien demokratischen Grundsätzen entsprechen muß, ist dies bei Vereinigungen i. S. d. Art. 9 Abs. 1 GG nicht vorgeschrieben. Dasselbe gilt für die Pflicht zur Rechnungslegung, die für Parteien in Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG verankert ist. Auch auf unterverfassungsrechtlicher Ebene bestehen Unterschiede in der Behandlung von Parteien und sonstigen politischen Vereinigungen, so z. B. in steuerlicher Hinsicht durch die Anerkennung der Gemeinnützigkeit gern. § 52 Abs. 2 Nr. 3 AO. Bezüglich der grundgesetzlieh festgeschriebenen Gebote der demokratischen Organisation und der Rechenschaftslegung mag sich zunächst der Eindruck aufdrängen, daß es sich hierbei um eine Privilegierung sonstiger politischer Vereinigungen handelt, denen diese Verpflichtungen nicht auferlegt werden. Dabei muß aber berücksichtigt werden, daß in dem hier zu untersuchenden Zusammenhang nicht die Perspektive der Vereinigung maßgeblich ist, sondern die des einzelnen Mitglieds, im besonderen des Unionsbürgers. Für das einzelne Mitglied bedeutet aber eine demokratische innere Organisation die Gewähr, daß sein Recht auf Einfluß auf die politischen Entscheidungen der Partei gesichert ist und alle Inhaber von Führungspositionen ihre Stellung unmittelbar oder mittelbar auf das Votum der Mitglieder zurückführen können müssen 566 . Zudem garantiert Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG die Einhaltung der Grundsätze allge563 JarasslPieroth - Pieroth, Grundgesetz (1997), Art. 21 Rn. 25; Seifert, Politische Parteien (1975), S. 469. 564 Vgl. dazu BK-Münch, Art. 9 Rn. 58. 565 Weitere Beispiele bei BK-Henke, Art. 21 Rn. 54, vgl. auch Schmidt, NJW 1984, 7621765. 566 BK-Henke, Art. 21 Rn. 264; AK-GG-Preuß, Art. 21 Abs. 1,3 Rn. 65 f.

I. Auswirkungen auf das Parteienrecht

149

meiner, gleicher, freier und geheimer Wahlen bei der Aufstellung von Kandidaten für Wahlen zu Volksvertretungen und bei der Bestimmung der Delegierten 567 • Die Pflicht zur Rechenschaftslegung hingegen wirkt sich auf das Mitglied praktisch nicht aus; für die Rechtsstellung der Partei bedeutet sie auch nicht eine Einschränkung ihrer rechtlichen Möglichkeiten, sondern einzig eine Konkretisierung der Funktionszuweisung des Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG. Dies ist insofern der Fall, als der öffentliche Charakter ihrer Funktion, der politischen Willensbildung des Volkes, zum Teil auf das fmanzielle Gebaren der Partei übertragen wird568 • Eine rechtliche SchlechtersteIlung der Partei gegenüber sonstigen Vereinigungen besteht darin also nicht. So bleibt festzuhalten, daß eine Partei insgesamt in rechtlicher Hinsicht gegenüber anderen politischen Vereinigungen privilegiert ist. b) Anwendbarkeit des § 2 Abs. 3 PartG auf an Kommunalwahlen teilnehmende Vereinigungen

Da das Wahlrecht für Unionsbürger i. S. d. Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG sich auf die kommunale Ebene beschränkt, ist weiter zu klären, ob für die politischen Vereinigungen, die dabei Kandidaten aufstellen, die Regelung des § 2 Abs. 3 PartG überhaupt Geltung beansprucht. aa) Sog. Rathausparteien als Parteien i. S. d. § 2 Abs. 1 PartG Die Einordnung von politischen Vereinigungen, die ausschließlich auf kommunaler Ebene tätig sind, ansonsten aber alle Merkmale des § 2 Abs. 1 PartG aufweisen, die sog. Rathausparteien, ist ein ständiger Streitpunkt in der juristischen Literatur. Rathausparteien sind dabei zu unterscheiden von sog. Wählervereinigungen, die nur vorübergehende Zusammenschlüsse darstellen und aus diesem Grund nicht dem Parteienbegriff des § 2 Abs. 1 PartG unterfallen 569 • Durch das Kriterium der Teilnahme an Bundes- oder Landtagswahlen schließt § 2 Abs. 1 PartG diese Vereinigungen aus dem Kreis der Parteien aus. Die Bestimmung des Parteibegriffs kann einfaches Recht aber nur insoweit vor567 MünchlKunig - Münch, Grundgesetz (1995) Art. 21 Rn. 57 (Wahlen); Jarass/ Pieroth - Pieroth, Grundgesetz (1997), Art. 21 Rn. 18. 568 Kunig, Parteien (1987), § 33 Rn. 31; AK-GG-Preuß, Art. 21 Abs. I, 3 Rn. 71; TsatsoslMorlok, Parteienrecht (1982), S. 156. 569 Meyer, Kommunales Parteien- und Fraktionenrecht (1990), S. 46; Seifert, Politische Parteien (1975), S. 165.

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G. Auswirkungen auf politische Rechte

nehmen, als dies mit Art. 21 GG vereinbar ist. Art. 21 GG defmiert den Begriff der Partei nicht, sondern setzt ihn voraus. Da § 2 Abs. I PartG erst nach Art. 21 GG geschaffen wurde, kann die einfach-gesetzliche Regelung nicht authentisch den verfassungsrechtlichen Begriff interpretieren, sondern muß sich an der höherrangigen Norm messen lassen 57o• Von der Rechtsprechung und der wohl noch überwiegenden Meinung in der Literatur571 ist § 2 Abs. 1 PartG als verfassungsmäßig bezeichnet worden. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist dabei ein bemerkenswerter Wandel in Abkehr von den ursprünglichen Standpunkten festzustellen. Es ging zunächst von der Auffassung aus, im kommunalen Bereich fmde gar keine politische Willensbildung statt, da auf dieser Ebene keine politischen Entscheidungen im eigentlichen Sinne fielen 572 • Später gab es immerhin zu, daß auch Kommunalwahlen politische Wahlen seien, dies allerdings nur hinsichtlich der auch auf Landes- und Bundesebene tätigen Parteien573 • Die Richter gingen aber weiterhin davon aus, daß politische Parteien ihrem Wesen und ihrer Struktur gemäß vor allem am Staatsganzen orientiert seien 574 • In einer Entscheidung jüngeren Datums räumt das Gericht schließlich ein, daß politische Willensbildung auf kommunaler Ebene nicht nur durch Parteien, sondern auch durch die sog. Rathausparteien erfolgt575. Auch in der Literatur mehren sich die Stimmen, die Rathausparteien als Parteien i. S. d. Art. 21 GG begreifen576 • Entscheidender Ansatzpunkt dafür ist, daß auch auf kommunaler Ebene das Volk seine Staatsgewalt durch Wahlen ausübt 577 und deshalb auch dort alle politischen Vereinigungen, die sich dauerhaft

570 Kunig, Parteien (1987), § 33 Rn. 14; TsatsoslMorlok, Parteienrecht (1982), S.22; insofern mißverständlich BK-Henke, Art. 21 Rn. 8: "Seit Inkrafttreten ... ist die Rechtsprechung aller Gerichte an die Definition ... gebunden. Sie ist mit Art. 21 GG vereinbar." 571 Statt vieler BK-Henke, Art. 21 Rn. 37 f.; Meyer, Kommunales Parteien- und Fraktionenrecht (1990), S. 45 ff; Schmidt-BleibtreuIKlein - Klein, Grundgesetz (1996), Art. 21 Rn. 1; Rinde, Politische Parteien (FS Leibholz 1966), S. 305/310. 572 BVerfGE 2, 1/76. 573 BVerfGE 6, 104/114. 574 BVerfGE 11,266/276; 11,351/363. 575 BVerfGE 78, 350/361. 576 So Halbe, Verfassungsrechtliche Stellung der Parteien (1991), S. 8 ff.; Harms, Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes (1986), S. 51 ff.; Hesse, Verfassungsrecht (1993), Rn. 168; Kunig, Parteien (1987), § 33 Rn. 52; MünchlKunig - Münch, Grundgesetz (1995) Art. 21 Rn. 14; IarasslPieroth - Pieroth, Grundgesetz (1997), Art. 21 Rn. 6; AKGG-Preuß, Art. 21 Rn. 27. 577 Vgl. dazu B. 11. 3.

I. Auswirkungen auf das Parteienrecht

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um eine Beteiligung an den kommunalen Vertretungskörperschaften bemühen, an der politischen Willensbildung des Volkes teilhaben 578 • Zudem muß auch die Gegenposition zugeben, daß aus Gründen der Chancengleichheit bei Kommunalwahlen die Rathausparteien den anderen Parteien in einigen Punkten gleichzustellen sind, so bzgl. der Parteiflihigkeit im Organstreitverfahren579 , des Wahlvorschlagsmonopols580, der Ausnahme vom Erfordernis eines Unterschriftenquorums 581 und des Listenprivilegs582 . Anstatt davon auszugehen, daß eine "von Art. 21 GG herbeigefiihrte Ungleichheit"583 auf diese Weise nach und nach zu korrigieren sei, ist es schlüssiger, die Vereinigungen, die sich Wahlen zu kommunalen Volksvertretungen stellen, als Parteien i. S. d. Art. 21 GG anzuerkennen und ihnen aufgrund dessen die gleichen Rechte zu gewähren 584 . Art. 21 GG schafft nach diesem Verständnis keine auszugleichenden Ungerechtigkeiten, sondern behandelt alle politischen Vereinigungen, die sich dauerhaft zu Wahlen i. S. d. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG stellen, von vornherein gleich. Die Konsequenz daraus, daß dann gern. Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG nur das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungswidrigkeit einer Rathauspartei entscheiden könnte, wird teilweise wegen der zusätzlichen Belastung desselben als Gegenargument angefiihrt585 . Jedoch kann Arbeitsüberlastung nicht als verfassungsrechtliche Begründung herangezogen werden, insbesondere dann nicht, wenn im Grundgesetz verbürgte Rechte deshalb negiert werden sollen586 . Zudem ist bei einer Betrachtung der Fülle an verfassungsgerichtlichen Entscheidungen über die Benachteiligung von Rathausparteien wohl eher mit einer Entlastung des Bundesverfassungsgerichts zu rechnen. Sollte diesen dennoch das Parteienprivileg entzogen bleiben, so wäre es sinnvoller, eine entsprechende Ergänzung des Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG vorzunehmen, als sie weiterhin aus dem Parteienbegriff auszuschließen 587 .

578 Kunig, Parteien (1987), § 33 Rn. 52; Münch/Kunig-Münch, Grundgesetz (1995) Art. 21 Rn. 14; JarasslPieroth-Pieroth, Grundgesetz (1997), Art. 21 Rn. 6; AK-GGPreuß, Art. 21 Rn. 27.

579 BVerfGE 6,367/372. 580 BVerfGE 11,253/272; 11,351/363; 12, 10/25. 581 BVerfGE 12, 10/26f. 582 BVerfGE 13, 1/13. 583 BVerfGE 11,253/272. 584 So auch Harms, Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes (1986), S. 57. 585 So MDHS-Maunz, Art. 21 Rn. 20, Fn. I; Maurer, JuS 1991,881/884. 586 Halbe, Verfassungsrechtliche Stellung der Parteien (1991), S.9; Münch, Staatsrecht (1993), Rn. 197f. 587 Dies schlägt Münch a. a. O. Rn. 198 vor.

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G. Auswirkungen auf politische Rechte

Es bleibt also festzuhalten, daß auch Rathausparteien als Parteien i. S. d. Art. 21 GG und § 2 PartG zu betrachten sind. bb) Geltung des § 2 Abs. 3 PartG für Untergliederungen auf Bundes- und Landesebene tätiger Parteien Die zahlenmäßig bei weitem überwiegende Zahl von Kandidaten wird bei Kommunalwahlen allerdings nicht von Rathausparteien, sondern von den regionalen Untergliederungen auf Bundes- und Landesebene tätiger Parteien aufgestellt. Die Anwendbarkeit des § 2 Abs. 3 PartG auf diese Untergliederungen stellt Katte 588 in Frage. Er begründet diese Überlegung damit, daß das Parteiengesetz an mehreren Stellen (z. B. §§ 6 Abs. I; 14 Abs. I) eine Regelung für Parteien trifft und dieser eine zusätzliche für die Gebietsverbände hinzufügt. Für Katte folgt daraus, daß der Gesetzgeber mit dem Begriff "Partei" nur die Gesamtpartei gemeint hat. Gern. § 2 Abs. I PartG ist eine Partei eine Vereinigung, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag teilnehmen will. Laut § lAbs. 2 PartG zählt zur politischen Willensbildung durch die Parteien auch die Aufstellung von Bewerbern zu Wahlen in den Gemeinden. Der Rechtscharakter der auf kommunaler Ebene tätigen Gliederungen der Parteien, die im Rahmen der zu untersuchenden Problemstellung relevant sind, richtet sich nach ihren Satzungen 589 • So können sie, wenn aus ihrer Satzung eine gewisse Selbständigkeit hervorgeht, als Zweigvereine der Gesamtpartei eingeordnet werden 590; ist dies nicht der Fall, so sind sie unselbständige Teile derselben. Sind sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse in die Partei eingegliedert, so sind sie jedenfalls als Teilorganisationen zu betrachten 591 • Auch Katte muß zugeben, daß diese an dem Parteistatus der Gesamtpartei teilhaben 592 • Ist dies der Fall, so sind sie derselben rechtlichen Behandlung unterworfen wie die Gesamtpartei, sofern der Gesetzgeber dies nicht anders bestimmt hat593 • Die von Katte angeführten Normen, die zwischen der Gesamtpartei und der kommunalen Untergliederung unterscheiden, sind mithin kein Beleg rur die grundsätzliche rechtli-

Katte, Fremde in politischen Parteien (1980), S. 24. BK-Henke, Art. 21 Rn. 302. 590 BK-Henke a. a. o. 591 Seifert, Politische Parteien (1975), S. 207. 592 Katte, Fremde in politischen Parteien (1980), S. 24, Fn. 20. 593 MünchlKunig - Münch, Grundgesetz (1995), Art. 21 Rn. 76. 588

589

I. Auswirkungen auf das Parteienrecht

153

che Differenzierung zwischen Gesamtpartei und Untergliederung, sondern im Gegenteil eine Ausnahme zu dem Grundsatz gleicher rechtlicher Behandlung. Dieses Ergebnis wird durch eine Betrachtung des Normzwecks des § 2 Abs. 3 PartG erhärtet. Den Parteien kommt von Verfassungs wegen eine dienende Funktion bei der Willensbildung des Volkes ZU594. Geht man nun von der schon bzgl. der Rathausparteien dargelegten These aus, daß die politische Willensbildung des Volkes auch auf kommunaler Ebene stattfindet und das Volk auch hier seine Staatsgewalt durch Wahlen ausübt, so muß § 2 Abs. 3 PartG seiner Intention nach auch im kommunalen Bereich gelten.

§ 2 Abs. 3 PartG findet demzufolge auf alle an Kommunalwahlen teilnehmenden Parteien, darunter auch Rathausparteien, Anwendung. c) Unvereinbarkeit des § 2 Abs. 3 mit Art. 28 Abs. I S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. I EGV

Sind alle dauerhaft an Kommunalwahlen teilnehmenden politischen Vereinigungen als Parteien zu betrachten, so stellt sich die Frage, ob die Einruhrung des Kommunalwahlrechts rur Unionsbürger Auswirkungen auf die Verfassungsmäßigkeit von § 2 Abs. 3 PartG hat.

§ 2 Abs. 3 PartG nimmt in zweierlei Hinsicht auf ausländische Einflüsse Bezug; in Nr. 1 schließt er Gruppierungen vom Parteibegriff aus, die bzw. deren Vorstand überwiegend von Ausländern gebildet wird, Nr. 2 ordnet dasselbe rur Vereinigungen an, deren Sitz oder Geschäftsleitung sich im Ausland befmdet595 • aa) § 2 Abs. 3 Nr. 1 PartG - sog. Ausländerparteien Eine Verfassungswidrigkeit von § 2 Abs. 3 Nr. 1 PartG kommt im Hinblick darauf in Betracht, daß er einer politischen Vereinigung auch dann die Parteieigenschaft verwehrt, wenn sie oder ihr Vorstand mehrheitlich aus Unionsbürgern besteht.

Tomuschat, Die politischen Rechte der Gastarbeiter (1974), S. 88. Die - zu bejahende - Frage, ob § 2 Abs. 3 Nr. 1 PartG im Umkehrschluß eine Mitwirkung von Ausländern in Parteien zuläßt, soll hier nicht näher erörtert werden; zustimmend dazu statt vieler Benjes, Personenverkehrsfreiheiten (1992), S.70; Katte, Fremde in politischen Parteien (1980), S. 20; Sasse/Kempen, Kommunalwahlrecht für Ausländer (1974), S. 31, Fn. 86; ablehnend Halbe, Verfassungsrechtliche Stellung der Parteien (1991), S. 16. 594

595

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G. Auswirkungen auf politische Rechte

Art. 28 Abs. I S.3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. I EGV schreibt vor, daß Unionsbürgern das Kommunalwahlrecht unter denselben Bedingungen wie den deutschen Wahlberechtigten zu gewähren ist. Wie oben festgestellt, ist darunter nicht nur eine tatsächliche, sondern eine rechtliche Gleichstellung zu verstehen 596 • § 2 Abs. 3 Nr. I PartG ist also insoweit verfassungswidrig, als er eine rechtliche Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates vornimmtS97 • Hierbei sind die beiden Alternativen der Norm gesondert zu betrachten. (1) § 2 Abs. 3 Nr. 1, 1. Alt. PartG § 2 Abs. 3 Nr. I, I. Alt. PartG nimmt Bezug auf die Mitglieder einer politischen Vereinigung. Ist die Mehrheit unter ihnen ausländischer Staatsangehörigkeit, stehen ihr nicht die Rechte einer Partei i. S. d. Art. 21 GG zu, sie ist als Vereinigung i. S. d. Art. 9 Abs. I GG zu betrachten und muß die damit verbundenen rechtlichen Nachteile in Kaufnehmen.

Daraus ergibt sich zunächst, daß § 2 Abs. 3 Nr. I, I. Alt. PartG sich nachteilig auf die Organisation selbst auswirkt. Die Parteien haben demzufolge ein Interesse daran, daß Ausländer ihnen nur solange beitreten, wie sie der Parteieigenschaft dadurch nicht verlustig gehen. Die Mitgliedschaft in einer Partei beruht auf einem privatrechtlichen Verhältnis598 ; die Parteien können gern. § 10 Abs. I PartG frei darüber entscheiden, ob sie Antragsteller aufnehmen oder nicht599 • So haben die meisten Parteien besondere Anforderungen rur die Aufnahme von Ausländern in ihren Satzungen festgeschrieben 6°O, wohl vor dem Hintergrund des § 2 Abs. 3 PartG. Ungleiche Bedingungen rur Unions bürger ergeben sich aber vor allem dann, wenn - z. B. in Grenzgebieten - bei der Gründung von Parteien von vornherein Vg. dazu D. I. 3. a) cc). So schon Karpen, NJW 1989, 101211017 und unter Hinweis auf das Gebot der Chancengleichheit Zuleeg, DÖV 1973, 3611370. Münch, Staatsrecht (1993), Rn. 203 bezeichnet es als der "politischen Realität nicht mehr entsprechend", UnionsbÜTger § 2 Abs. 1 PartG zu unterwerfen, ohne daraus jedoch rechtliche Konsequenzen zu formulieren. 598 BK-Henke, Art. 21 Rn. 13; Maurer, JuS 1991, 8811883; Schmidt-Bleibtreul Klein - Klein, Grundgesetz (1996), Art. 21 Rn. 13. 599 Nach der ganz h. M. ist dies mit dem Grundgesetz vereinbar, vgl. statt vieler Kunig, Parteien (1987), S. 103/111; MDHS-Maunz, Art. 21 Rn. 21; Stein, Staatsrecht (1993), S. 334 f.; a. A. AK-GG-Preuß, Art. 21 Abs. 1,3 Rn. 42. 600 BK-Henke, Art. 21 Rn. 269 f.; § 3 der Satzung der CSU behielt die Mitgliedschaft in dieser Partei sogar allein Deutschen vor, mittlerweile steht sie auch Unionsbürgern offen. 596 597

I. Auswirkungen auf das Parteienrecht

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ein Übergewicht an ausländischen Mitgliedern besteht. Die von ihnen gegründete politische Vereinigung würde im Vergleich zu einer mit mehrheitlich deutschen Mitgliedern die oben ausgeführten rechtlichen Nachteile zu tragen haben. Die Mitwirkung an der politischen Willensbildung auf kommunaler Ebene als Ausfluß des passiven Wahlrechts ist Unionsbürgern damit nicht unter denselben Bedingungen gewährleistet. Diese Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit muß also aufgegeben werden, Unionsbürger sind somit auf kommunaler Ebene in § 2 Abs. 3 PartG Deutschen gleichzustellen. Muß auf kommunaler Ebene das Gebot aufgegeben werden, daß eine Partei mehrheitlich deutsche Mitglieder aufweisen muß, so hat dies auch Auswirkungen auf die Bundes- und Landesebene. Ein Mitglied einer regionalen Untergliederung einer Partei ist immer auch Mitglied der Gesamtpartei, die isolierte Mitgliedschaft z. B. in einem Bezirks- oder Landesverband ist nicht möglich. Läßt man also im kommunalen Bereich als Merkmal der Partei die Voraussetzung fallen, daß Mitglieder überwiegend Deutsche sein müssen, so ist der Fall denkbar - wenn auch unwahrscheinlich -, daß in der Summe der Untergliederungen auch die Gesamtpartei mehrheitlich ausländische Mitglieder aufweist. § 2 Abs. 3 Nr. 1, 1. Alt. PartG ist also insgesamt insoweit nicht mit Art. 8 b Abs. 1 EGV vereinbar, als er auch Unionsbürger erfaßt. Einer verfassungskonfonnen Auslegung ist die Nonn nicht zugänglich; Unionsbürger bleiben auch nach den Verträgen von Maastricht im rechtlichen Sinne Ausländer, da die Unionsbürgerschaft nicht einer europäischen Staatsangehörigkeit gleichkommt. Demzufolge ist entweder § 2 Abs. 3 Nr. 1, 1. Alt. PartG entsprechend zu ändern oder in das Parteiengesetz eine Regelung aufzunehmen, die Unionsbürger für seinen Geltungsbereich mit Deutschen gleichsetzt. (2) § 2 Abs. 3 Nr. 1, 2. Alt. PartG Teilweise anders verhält es sich hinsichtlich der 2. Alt. des § 2 Abs. 3 Nr. 1 PartG, die einer politischen Vereinigung die Parteieigenschaft versagt, wenn deren Vorstand überwiegend aus Ausländern besteh~ol. Im kommunalen Bereich ist Unionsbürgern durch Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV die Gleichstellung mit Deutschen hinsichtlich des passiven Wahlrechts und der damit verbundenen politischen Willensbildung der Wähler garantiert. Gehört dazu auch die Betätigung in Parteien, die Kandidaten aufstellen, so ist dies nicht ohne die gleiche Behandlung bei der Zugehö601 Dolde, Politische Rechte der Ausländer (1972), S. 142 f. hielt diese Vorschrift schon für verfassungswidrig, da sie auch Vereinigungen betreffen kann, die mehrheitlich aus Deutschen bestehen.

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G. Auswirkungen auf politische Rechte

rigkeit zum Vorstand der Partei auf dieser Ebene denkbar. Dem Vorstand kommt bei der Führung der Partei und der Festlegung politischer Leitlinien eine herausragende Rolle ZU602. Von dem gleichwertigen Recht auf Mitgliedschaft in einer politischen Partei läßt sich vor dem Hintergrund der Wählbarkeit zu kommunalen Vertretungs organen deshalb das gleiche Recht auf Kandidatur zu einem Sitz im Vorstand nicht trennen60J . Hier ist jedoch eine Unterscheidung zwischen der kommunalen und der Bundes- und Landesebene zu treffen. Im Gegensatz zur bloßen Mitgliedschaft in der Partei zieht die Beteiligung am Vorstand nicht automatisch eine Mitwirkung auf Bundes- oder Landesvorstandsebene mit sich. Da dort Unionsbürger nach wie vor nicht wahlberechtigt sind, ist in diesem Bereich der Normzweck des § 2 Abs. 3 PartG unverändert zu beachten. Wenn nur deutsche Staatsangehörige zu Bundes- und Landesvertretungen wahlberechtigt sind, können auf diesen Ebenen auch die Vorstände der Parteien, denen im Hinblick auf die politischen Willensbildung der Wähler eine herausgehobene Bedeutung zukommt, mehrheitlich deutschen Mitgliedern vorbehalten bleiben. Eine verfassungskonforme Auslegung scheidet aus denselben Gründen wie bei § 2 Abs. 3 Nr. 1, 1. Alt. PartG aus. § 2 Abs. 3 Nr. I , I. Alt. PartG muß mithin im Hinblick auf die Vorstände kommunaler Untergliederungen und Rathausparteien zugunsten von Unionsbürgern abgeändert werden, sofern nicht eine allgemeine Regelung geschaffen wird, die Unionsbürger im Parteienrecht Deutschen gleichstellt. bb) § 2 Abs. 3 Nr. 2 PartG - sog. Auslandsparteien Das Parteiengesetz verwehrt in § 2 Abs. 3 Nr. 2 den Parteienstatus weiterhin solchen politischen Vereinigungen, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung im Ausland haben. Hierbei wird nicht danach unterschieden, ob die Mitglieder der Vereinigung die deutsche oder eine andere Staatsangehörigkeit besitzen. Da alle Landesgesetze fiir das Kommunalwahlrecht bei allen Wahlberechtigten die Ansässigkeit in der entsprechenden kommunalen Gebietskörperschaft voraussetzen, sind UnionsbUrger insofern nicht schlechteren Bedingungen unterworfen. § 2 Abs. 3 Nr. 2 PartG steht damit nicht im Widerspruch zu Art. 28 Abs. I S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. I EGV, da er die politische Betätigung von Unionsbürgern nicht anders behandelt als die von Deutschen. 602 Katte, Fremde in politischen Parteien (1980), S.40; Seifert, Politische Parteien (1975), S. 234. 603 So auch Katte, Fremde in politischen Parteien (1980), S. 30.

I. Auswirkungen auf das Parteienrecht

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Problematisch ist die Nonn allerdings im Hinblick auf Art. 138 a EGV, der sich mit europäischen Parteien befaßt604 , worauf aber im Rahmen dieser Fragestellung nicht näher eingegangen werden kann. 2. Vereinbarkeit von Art. 21 GG mit Art. 8 b Abs. 1 EGV

Art. 21 verankert die Parteienfreiheit im Grundgesetz. Diese umfaßt neben den Rechten der Partei selbst auch das Recht der Mitglieder auf Gründung, Verbleib und politische Betätigung innerhalb der Partei60s • Art. 21 GG würde gegen Art. 8 b Abs. 1 EGV verstoßen, wenn die Nonn einer Gewährung des Kommunalwahlrechts an Unionsbürger unter denselben Bedingungen wie an deutsche Staatsangehörige entgegenstünde. Aus Art. 21 GG selbst geht aber keine SchlechtersteIlung hervor, da er den Begriff der Partei nicht definiert und insofern auch nicht zwischen Deutschen und Ausländern differenziert. Der Inhalt des Parteienbegriffs des Art. 21 GG muß durch Auslegung ennittelt werden606 • Die Rechtsprechung und der überwiegende Teil der Literatur6°7 erkennen die in § 2 PartG enthaltene Defmition der Partei durch den Bundesgesetzgeber als Inhaltsbestimmung bzgl. des Parteienbegriffs des Art. 21 GG an. Unabhängig davon bleibt aber festzustellen, daß Art. 21 GG als gegenüber § 2 PartG höherrangige Nonn selbständig auszulegen ist608 • Er ist auch selbst rur eine möglicherweise veränderte Auslegung durch seinerseits höherrangiges Recht, d.h. Gemeinschaftsrecht, offen, die Einruhrung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger hat wegen dieser Offenheit des Wortlauts somit jedenfalls nicht die Unvereinbarkeit dieser Nonn mit Art. 8 b Abs. 1 EGV zur Folge. Nachdem auf einfach-gesetzlicher Ebene im Parteienrecht die Ungleichbehandlung von Deutschen und Unionsbürgern aufzugeben ist, stellt sich die Frage, ob eine Gleichstellung auch verfassungsrechtlich zu erfolgen hat. Es muß also untersucht werden, ob der Vorgabe des Art. 8 b Abs. 1 EGV dadurch ausreichend Rechnung getragen wird, daß ausdrückliche SchlechtersteIlungen Vgl. dazu Bleckmann, DVBI. 1992, 335/337; Tsatsos, EuGRZ 1994, 45/51. BK-Henke, Art. 21 Rn. 216; Jarass/Pieroth - Pieroth, Grundgesetz (1997), Art. 21 Rn. 10; AK-GG-Preuß, Art. 21 Rn. 35; Tsatsos/Morlok, Parteienrecht (1982), S.77; a. A. Mauersberger, Freiheit der Parteien (1994), S. 92, der insoweit nur Art. 9 Abs. 1 GG tUr einschlägig hält. 606 BK-Henke, Art. 21 Rn. 5. 607 Stern, Staatsrecht 11 (1980), §13 III 1, S. 440; BK-Henke, Art. 21 Rn. 9; Maunz/ Zippelius, Deutsches Staatsrecht (1994), S.78; Seifert, Politische Parteien (1975), S. 160 f. 608 MDHS-Maunz, Art. 21 Rn. 7. 604

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G. Auswirkungen auf politische Rechte

von Unionsbürgern im Parteiengesetz getilgt werden oder ob es dafür der Gewährung der Rechte aus Art. 21 GG bedarf. Art. 21 GG beschränkt dem Wortlaut nach seinen Schutzbereich nicht auf deutsche Staatsangehörige. Während das Verhältnis von Art. 21 GG zu Art. 9 Abs. 1 GG im einzelnen durchaus umstritten iSr'°9, besteht aber Einigkeit darüber, daß die Beschränkung des Grundrechts der Vereinigungsfreiheit auf Deutsche auf Art. 21 GG durchschlägt, der die Vereinigung zum Zwecke der politischen Willensbildung schützr'lO. Mithin steht Ausländern ein Recht aus Art. 21 GG nach bisheriger Rechtslage nicht zu. Der Unterschied in der rechtlichen Behandlung von Deutschen und Unionsbürgern im Hinblick auf die Parteienfreiheit bestünde also nach Änderung des § 2 Abs. 3 PartG noch darin, daß letztere zwar nicht mehr ausdrücklich schlechter gestellt werden, ihre Rechte aber nicht verfassungsrechtlich verankert wären. Zu untersuchen ist demzufolge, ob Art. 8 b Abs. 1 EGV eine europarechtskonforme Auslegung 611 des Art. 21 Abs. 1 GG insofern verlangt, als auch Unions bürger seinem persönlichen Schutzbereich unterfallen müssen. Das wäre wiederum nur dann der Fall, wenn die Verwehrung des verfassungsmäßigen Rechts auf Parteienfreiheit bedeuten würde, daß Unionsbürger ihr Kommunalwahlrecht nicht unter den gleichen Bedingungen wie Deutsche ausüben könnten. Dabei ist hier ausschließlich das Recht des einzelnen zu betrachten; daß auch mehrheitlich von Unionsbürgern gebildete politische Vereinigungen Parteien i. S. d. Art. 21 GG darstellen, wurde oben bereits erläutert. Art. 8 b Abs. 1 EGV verlangt von den Mitgliedstaaten lediglich, daß Unionsbürger unter denselben Bedingungen wie die eigenen Staatsangehörigen an Kommunalwahlen teilnehmen können, worunter auch die Gewährleistung der Chancengleichheit fällr'12. Nicht erforderlich ist hingegen, daß dies durch eine förmliche Gleichstellung auf allen Normebenen erfolgt. Trägt der Mitgliedstaat inhaltlich der Vorgabe des Gemeinschaftsrechts Rechnung, so bedarf es keiner Verankerung auf derselben Stufe der Normenhierarchie wie für die eigenen Staatsangehörigen. Dies entspricht auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht, der in Art. 3 b Abs. 3 EGV verankert ist und auf den in der Richtlinie 94/801EG nochmals ausdrücklich Bezug genommen wird. 609Vgl. dazu ausführlich statt vieler Benjes, Personenverkehrsfreiheiten (1992), S. 68 ff.; Mauersberger, Freiheit der Parteien (1994), S. 71 ff. 610 Statt vieler Benjes a. a. O. S. 69 f.; Katte, Fremde in politischen Parteien (1980), S.29; Sasse/Kempen, Kommunalwahlrecht für Ausländer (1974), S. 31; Tomuschat, Die politischen Rechte der Gastarbeiter (1974), S. 88. 611 Vgl. dazu allg. Bauer/Kahl, JZ 1995, 1077/1078. 612 Vgl. dazu D. I. 3. a) cc).

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Für das Recht der Parteigründungsfreiheit bedeutet dies, daß es keiner verfassungsrechtlichen Gewährleistung bedarf, sofern eine Ungleichbehandlung auch auf anderem Wege beseitigt werden kann. Art. 21 Abs. 1 S.2 GG schützt das Recht des einzelnen auf Gründung einer Partei, den Verbleib darin, sowie die Möglichkeit spezifischer parteigemäßer Betätigung gegen staatliche Eingriffe613 • Die Parteigrundungsfreiheit ist als Abwehrrecht zu verstehen614 und begründet keine Anspruche gegen den Staat auf materielle Förderung einer Parteigründung615 • Es ist bereits dargelegt worden, daß in den einfachgesetzlichen Regelungen diejenigen Vorschriften gegen Art. 28 Abs. I S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. I EGV verstoßen, die UnionsbÜfger im Hinblick auf ihre Teilnahme an Kommunalwahlen benachteiligen. Sie dürfen auch im Hinblick auf die Gründung von sowie die Mitgliedschaft und Betätigung in einer Partei nicht stärker eingeschränkt werden als deutsche Staatsangehörige. Daß darüber hinaus keine innerstaatliche Eingriffe zielgerichtet gegen Unionsbürger vorgenommen werden dürfen, ist inhaltlich schon voll durch Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. Art. 8 b Abs. 1 EGV gewährleistet, einer Verankerung in Art. 21 GG bedarf es dazu nicht. Ist danach eine verfassungsrechtliche Gleichstellung von UnionsbÜfgern und Deutschen im Hinblick auf die Parteienfreiheit nicht zwingend gefordert, so bleibt doch abzuwarten, ob dies nicht als Folge der Schaffung einer Unionsbürgerschaft, die auch politische Rechte einschließt, als politisch opportun erscheinen muß. 3. Reine Ausländerlisten als Wahlvorschläge Im Zusammenhang mit der Einführung eines Wahlrechts fiir Ausländer war gelegentlich die Befiirchtung angeführt worden, es könnten sich reine Ausländerlisten bilden, die dann auch bevorzugt von Ausländern gewählt werden würden616 • Mit dem Kommunalwahlrecht für Ausländer sind reine Unionsbürgerlisten, obwohl sie dem Integrationsgedanken tatsächlich zuwiderliefen617 , nun rechtlich zulässig. Vereinzelt ist in der Diskussion um notwendige Änderungen des Parteienrechts im Zusammenhang mit der Einführung eines Ausländerwahlrechts auch die Forderung erhoben worden, eine Regelung zu schaffen, die Ausländerlisten 613

Maurer, JuS 1991,881/885; JarasslPieroth-Pieroth, Grundgesetz (1997), Art. 21

Rn. 10; Seifert, Politische Parteien (1975), S. III f.

Kunig, Jura 1991, 247/251. Kunig, Parteien (1987), § 33 Rn. 21; Maurer, JuS 1991,881/885. 616 So Hasenritter, VR 1981, 14/16. 617 Zutreffend Breer, Mitwirkung von Ausländern (1982), S. 143.

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G. Auswirkungen auf politische Rechte

von der 5 %-Klausel ausnimm~18. Damit sollte verhindert werden, daß die politische Beteiligung von Ausländern in der Praxis an dieser Hürde scheitern könnte. Art. 8 b Abs. 1 EGV stellt nur einen Mindeststandard rur die Gewährung von Rechten an Unionsbürger dar. Indem Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG die Wahlberechtigung rur Staatsangehörige der Mitgliedstaaten unter den gleichen Bedingungen vorsieht wie rur Deutsche, verbietet er Benachteiligungen, Bevorzugungen von Unionsbürgern gegenüber eigenen Staatsangehörigen werden vom Gemeinschaftsrecht weder gefordert noch untersag~19. Dem deutschen Gesetzgeber bleibt es also vom Gemeinschaftsrecht unbenommen, eine Minderheitenklausel zugunsten von Unionsbürgern einzuruhren. Neben der Tatsache, daß dies politisch weder gewollt ist noch sinnvoll erscheint, stellt sich dabei die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit gern. Art. 38 GG. Ergeht - wie zu erwarten - keine § 6 Abs. 6 S. 2 BWahlG vergleichbare Sonderregelung zugunsten reiner Ausländerlisten, bleiben auch sie jedenfalls der 5 %-Klausel unterworfen.

11. Auswirkungen auf weitere politische Rechte Im deutschen Verfassungsrecht sind die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit als Deutschengrundrechte ausgestaltet (Art. 8, 9 GG). Einfachgesetzlich sind beide gern. § 1 VersG und § 1 VereinsG auch Ausländern gewährt. Damit ist die Rechtsposition von Unionsbürgern jedoch nicht dieselbe wie die deutscher Staatsangehöriger62°.Vor allem unterliegen Ausländer der Möglichkeit des Verbots oder der Beschränkung ihrer politischen Betätigung gern. § 37 AuslG. Vereine, deren Mitglieder oder Leiter überwiegend Ausländer sind, können zudem unter den Voraussetzungen des § 14 VereinsG verboten werden. Wie schon rur das Parteienrecht festgestellt wurde, fordert Art. 8 b Abs. 1 EGV die Gewährleistung gleicher Bedingungen rur Unionsbürger und eigene Staatsangehörige bei der Ausübung des aktiven und passiven Kommunalwahlrechts. Mit dem passiven Wahlrecht untrennbar verbunden ist dabei das Recht

618 So Schild, DÖV 1985, 664/669. 619 Nicht berührt ist hingegen die Regelung des § 6 Abs. 6 S. 2 BWahIG, die Listen von Parteien nationaler Minderheiten von der Anwendung der 5 % -Klausel ausnimmt, da es sich bei den dadurch begünstigten Personen um solche deutscher Staatsangehörigkeit handelt. 620 So auch GK AusIR-Grünewald, § 37 Rn. 1; dies suggerieren aber DietellGintzel1 KnieseI, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit (1994), § 1 Rn. 63.

11. Auswirkungen auf weitere politische Rechte

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auf politische Betätigung621 • Ebenso wie beim Parteienrecht gilt auch hier, daß nicht eine Gewährleistung auf der gleichen rechtlichen Ebene von Art. 8 b Abs. 1 EGV i. V. m. Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG gefordert wird, sondern eine Beseitigung aller Ungleichbehandlungen ausreicht. Verlangt ist deshalb nicht unbedingt eine Erstreckung des Schutzbereichs von Art. 8, 9 GG auf Unionsbürger, sondern die gleiche Behandlung bei der politischen Tätigkeit auf kommunaler Ebene. Das Verbot oder die Beschränkung der politischen Tätigkeit ist dabei insoweit als ungleiche Bedingung rur die Ausübung des passiven Kommunalwahlrechts anzusehen, als er weitere Möglichkeiten der Einschränkungen durch die Exekutive gegenüber Unionsbürgern als gegenüber Deutschen eröffnet. Mit Gemeinschafts- und Verfassungsrecht, das Unionsbürgern das Wahlrecht einräumt, vereinbar sind mithin nur solche Sanktionen und Einschränkungen, die auch bei inländischen Staatsangehörigen vorgesehen sind622 • 1. § 37 Abs. 1 Nr. 1 AuslG

Da das AufenthaltsGIEWG insoweit nichts anderes vorschreibt, gilt gern. § 15 AufenthaltsGIEWG § 37 AuslG auch rur Unionsbürger. Hervorzuheben ist dabei, daß § 37 Abs. 1 Nr. 1 AuslG eine Beschränkung oder ein Verbot der politischen Betätigung schon dann ennöglicht, wenn die politische Willensbildung in der Bundesrepublik nur "gefährdet", also noch nicht beeinträchtigt ist. Gern. § 37 Abs. 1 Nr. 3 AuslG gilt dasselbe, wenn die politische Betätigung gegen die Rechtsordnung der Bundesrepublik verstößt. § 37 Abs. 2 Nr. 1 AuslG schreibt das Verbot der politischen Betätigung von Ausländern zwingend vor, wenn die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland gefährdet ist; Nr. 2 sieht diese Rechtsfolge u. a. vor, wenn die politische Betätigung geeignet ist, Gewaltanwendung zur Durchsetzung politischer, religiöser oder sonstiger Belange hervorzurufen. An diesen Elementen des § 37 AuslG wird deutlich, daß die Schwelle rur den Erlaß einer Beschränkung oder eines Verbots der politischen Betätigung fUr Ausländer wesentlich geringer angesiedelt ist als rur Deutsche i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG. Insbesondere bleibt der Exekutive ein weiter Spielraum bei der Beurteilung einer "Gefährdung" oder der "Geeignetheit" überlassen623 • Der 621 Benjes, Personenverkehrsfreiheiten (1992), S. 186 ff.; unzutreffend daher GK AusIR-Grünewald, § 37 Rn. 20 und Kanein/Renner, Ausländerrecht (1993), § 37

Rn. 4.

622 So schon Benjes, Personenverkehrsfreiheiten (1992), S. 191 für § 6 AuslG a. F.; ähnlich auch Breer, Mitwirkung von Ausländern (1982), S.141 undKarpen, NJW 1989,1012/1017. 623 Benda/MaihoferNogel- Robbers nennt § 37 AuslG "ängstlich, überdetailliert und unübersichtlich"; für § 6 AuslG a. F. beurteilte Tomuschat, Die politischen Rechte der

11 Barley

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G. Auswirkungen auf politische Rechte

gravierendste Unterschied zu der Behandlung deutscher Staatsangehöriger besteht aber darin, daß sich Verbot oder Beschränkung gegenüber Ausländern auf die "politische Betätigung" allgemein beziehen. § 37 AuslG muß insoweit verfassungskonform ausgelegt werden, als das Verbot jeglicher politischer Betätigung unzulässig, da das auch Ausländern zustehende Grundrecht aus Art. 5 Abs. I GG verletzend, wäre 624 • Im Rahmen einer solchen verfassungskonformen Auslegung ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, welche Art der politischen Tätigkeit in welchem Umfang zu untersagen ist. Wird z. B. die Organisation von Demonstrationen verboten, kann sich dies auch auf die kommunale Ebene beziehen. Soweit also das Verbot politischer Tätigkeit von Unionsbürgern im Einzelfall auch die kommunale Ebene betreffen kann, ist § 37 AuslG nicht mit Art. 8 b Abs. I EGV i. V. m. Art. 28 Abs. I S. 3 GG vereinbar. Da § 37 AuslG die politische Betätigung von Unionsbürgern auch auf kommunaler Ebene mit umfaßt, sich aber nicht auf sie beschränkt, bestehen verschiedene Möglichkeiten, die Kollision mit Art. 8 b Abs. I EGV i. V. m. Art. 28 Abs. I S. 3 GG aufzulösen. Zum einen könnte in § 37 AuslG oder § 15 AufenthaltsGIEWG aufgenommen werden, daß die Regelung fUr Unions bürger nicht gilt, soweit sie sich - sowohl im verbotsbegründenden Tatbestand als auch in der Rechtsfolge - auf die kommunalpolitische Betätigung bezieht. Damit wäre die rechtlich sauberste Lösung gefunden, die aber praktisch auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen würde. Oftmals läßt sich nicht klar abgrenzen, ob die politische Betätigung einer Person sich auf die kommunale Ebene beschränkt oder über sie hinausgeht, so etwa, wenn ein ausländisches Gemeinderatsmitglied sich zur Landespolitik äußert, die sich nur mittelbar auf die Gemeinde auswirkt oder eine Demonstration gegen Atomtransporte organisiert, die auch durch das Gemeindegebiet fUhren. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, § 37 AuslG unverändert zu lassen und ihn verfassungs- und gemeinschaftsrechtskonform auszulegen. Damit würden die o.g. Probleme der Schaffung theoretischer Abgrenzungskriterien vermieden, dies allerdings auf Kosten einer erheblichen Rechtsunsicherheit im Einzelfall. Da gerade auf dem sensiblen Gebiet der politischen Betätigung filr den einzelnen erkennbar sein muß, was ihm erlaubt ist und welche Sanktionen Gastarbeiter (1974) dies hingegen durchaus positiv,: " ... ein möglichst schmiegsames und vielseitig verwendbares Instrumentarium ... " 624 So auch Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Ausländerrecht (1996), § 37 Rn. 11; für § 6 AuslG a. F. BVerwG NJW 1975,2158; vorsichtiger Kanein/Renner, Ausländerrecht(1993), § 37 Rn. 7 u. 15; Heldmann, Ausländergesetz (1993), § 37 Rn. 4 hält § 37 demgegenüber flir einer verfassungskonformen Auslegung nicht zugänglich und deshalb u. a. in diesem Punkt verfassungswidrig.

11. Auswirkungen auf weitere politische Rechte

163

welches Handeln nach sich ziehen kann, ist die Beschränkung auf eine verfassungs- und gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des § 37 AuslG nicht als geeignet anzusehen. Eine weitere Lösung könnte darin bestehen, in das AufenthaltsG/EWG aufzunehmen, daß § 37 AuslG auf UnionsbÜTger nicht oder nur modifiziert anzuwenden ist. Systematisch begegnet dies zunächst insofern Bedenken, als das AufenthaltsG/EWG bislang nur aufenthaltsrechtliche Vorschriften enthält. Allerdings kann dem entgegengehalten werden, daß auch im AuslG § 37 im Dritten Abschnitt "Aufenthalts- und paßrechtliche Vorschriften" angesiedelt ist. Denkbar wäre also etwa eine Regelung, die § 37 AuslG insoweit rur unanwendbar erklärt, als die politische Betätigung des Unionsbürgers im Zusammenhang mit der Wahrnehmung seines Kommunalwahlrechts steht. Auch dabei ist eine Festlegung klarer Kriterien nicht ohne weiteres möglich. Eine solche Regelung würde jedoch zumindest klarstellen, daß jede politische Betätigung, die mit der Kandidatur rur ein kommunales politisches Amt verbunden ist, dem Anwendungsbereich des § 37 AuslG nicht unterfallt.

2. §§ 14; 15 VereinsG § 14 VereinsG enthält spezielle Verbotstatbestände rur sogenannte Ausländervereine. Ein Ausländerverein ist ein solcher, dessen Mitglieder oder Leiter sämtlich oder überwiegend Ausländer sind. Darunter fallen also auch politische Vereinigungen, die keine Parteien sind - etwa weil es ihnen an der notwendigen Dauerhaftigkeit fehlt -, wenn sie dieses Merkmal errullen. Ein Ausländerverein kann gern. § 14 Abs. 1 VereinsG neben den in Art. 9 Abs. 2 GG genannten Gründen auch dann verboten werden, wenn er durch politische Betätigung die innere und äußere Sicherheit, die öffentliche Ordnung oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik oder eines ihrer Länder verletzt oder gefährdet. Auch hier handelt es sich um einen alles andere als präzise gehaltenen Tatbestand, "der dem Ausländer Steine statt Brot gibt, wenn er sich über die Grenzen der Vereinstätigkeit informieren will."625 Es erscheint zwar verhältnismäßig unwahrscheinlich, daß politische Zusammenschlüsse auf kommunaler Ebene, die überwiegend aus Unionsbürgern bestehen, solch schwerwiegende Einflüsse auf die politischen Belange Deutschlands zeitigen sollen, rur die rechtliche Betrachtung muß diese geringe Wahrscheinlichkeit jedoch außer Betracht bleiben. Für politische Vereinigungen auf kommunaler Ebene stellt sich die rechtliche Lage damit ähnlich dar wie rur Parteien. Einem passiven Wahlrecht von Uni625

11·

Dolde, Politische Rechte der Ausländer (1972), S. 107.

164

G. Auswirkungen auf politische Rechte

onsbürgern unter gleichen Bedingungen wie Deutsche steht es auch hier entgegen, daß die Möglichkeiten der deutschen Exekutive, eine Vereinigung zu verbieten, von der Staatsangehörigkeit der Mitglieder und Leiter abhängen. Art. 8 b Abs. 1 EGV fordert vielmehr, daß selbst eine politische Vereinigung, die ausschließlich aus Unions bürgern besteht, nicht anders behandelt wird als eine nur von Deutschen gebildete, damit die Ausübung des passiven Kommunalwahlrechts unter den gleichen Bedingungen gewährleistet ist. Die Staatsangehörigkeit der Mitglieder oder Leiter einer politischen Vereinigung darf, solange sie eine der Mitgliedstaaten der EU ist, auf die rechtliche Behandlung derselben keinen Einfluß haben. Es muß also eine Lösung gefunden werden, politische Vereinigungen soweit von § 14 VereinsG auszunehmen, als er Unionsbürger betrifft. Dies könnte durch eine entsprechend eng gefaßte Ausnahmeregelung geschehen, die § 14 VereinsG angerugt werden könnte. Sie müßte dann etwa vorsehen, daß rur politische Vereinigungen, die an Kommunalwahlen teilnehmen, Unionsbürger nicht als Ausländern i. S. d. § 14 VereinsG gelten. Eine entsprechende Regelung könnte auch in § 15 AufenthaltsGIEWG aufgenommen werden; obwohl dies die Systematik insofern sprengen würde, als dieses Gesetz bislang nur auf das Ausländergesetz Bezug nimmt. Es bleibt dem deutschen Gesetzgeber aber auch unbenommen, Unionsbürger ganz aus dem Ausländerbegriff des § 14 VereinsG auszunehmen. Die Verbotsmöglichkeiten zielen nach dessen Wortlaut auf politische Tätigkeiten ab, wobei nach dem Sinn und Zweck der Schwerpunkt wohl eher auf bundes- oder zumindest landesweite Betätigung liegt. Es wäre m. E. durchaus überlegenswert, im Zuge der Schaffung der Europäischen Union und dem schrittweisen Abbau von Ungleichbehandlung zwischen Unionsbürgern und eigenen Staatsangehörigen, die mit dem EUV sicherlich noch nicht ihren Endpunkt erreicht hat, Unionsbürger auch in diesem Punkt wie Deutsche zu behandeln und "Unionsbürgervereine" nur denselben Verbotsgründen zu unterwerfen wie von Deutschen dominierte Vereinigungen.

§ 15 VereinsG betrifft das Verbot sogenannter Auslandsvereine, also solcher, deren Sitz sich im Ausland befindet. Insoweit kann auf die Ergebnisse zu den sog. Auslandsparteien verwiesen werden; da die Regelung nicht an die Staatsangehörigkeit der Mitglieder oder Leiter anknüpft, ist sie unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 b Abs. 1 EGV i. V. m. Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG nicht zu beanstanden.

H. Lage der Ausländer aus Drittstaaten Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG hat das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger im Grundgesetz verankert. Damit ist die seit Jahren andauernde Debatte für diesen Teil der ausländischen Bevölkerung in Deutschland beendet worden; in der Diskussion bleibt hingegen die Einführung desselben Rechts für alle anderen in der Bundesrepublik ansässigen Ausländer. Es stellt sich die Frage, ob die Rechtslage vor der Änderung des Grundgesetzes 626 für diese Bevölkerungsgruppe weiterhin Geltung beansprucht oder die Schaffung von Art. 28 Abs. I S. 3 GG sich auch auf ihre Rechtsstellung ausgewirkt hat.

J. Rechtliche Betrachtung 1. Keine Änderung durch Gemeinschaftsrecht

Die Maastrichter Verträge haben das Wahlrecht von Drittstaatlern in den einzelnen Mitgliedstaaten nicht geregelt. Art. 1 Abs. 2 der RL 94/801EG betont sogar, daß ihre Bestimmungen nicht die einzelstaatlichen Bestimmungen über das aktive und passive Wahlrecht der Staatsangehörigen dritter Länder berühren. Das Gemeinschaftsrecht überläßt also den Mitgliedstaaten die Entscheidung über die Gewährung und Ausgestaltung eines solchen Rechts, es verzichtet auf eine Vereinheitlichung auf diesem Gebiet. Das Europäische Parlament hat allerdings in seiner Entschließung zu den Prioritäten für die Regierungskonferenz 1996 zur Revision des Vertrages von Maastricht über die Europäische Union unter Punkt 4.16. auch festgehalten, daß Staatsangehörige aus Drittstaaten, die in der Union rechtmäßig ansässig sind, im Vertrag das Stimmrecht bei Kommunalwahlen zuerkannt werden sollte627 •

626 627

V gl. dazu B. Abgedruckt in EuGRZ 1996, 167/169.

166

H. Lage der Ausländer aus Drittstaaten

2. De constitutione lata Obwohl Ausländer aus Nicht-EU-Staaten nicht im Verfassungstext erwähnt werden, sind Ansatzpunkte dafür denkbar, daß eine Erstreckung des Kommunalwahlrechts auf diese Personen durch den Landesgesetzgeber nach der Einführung des Art. 28 Abs. I S. 3 GG nicht mehr verfassungswidrig wäre. a) Gleichbehandlungsgrundsatz

Im Laufe der Diskussion über das Kommunalwahlrecht für Ausländer ist geltend gemacht worden, daß eine Beschränkung dieses Rechts auf Unionsbürger im Hinblick auf Art. 3 Abs. I GG verfassungswidrig sein könnte628 ; von anderer Seite629 wurde demgegenüber die Zugehörigkeit zum Integrationsverband der Europäischen Gemeinschaft .als zulässiges Differenzierungskriterium angesehen 630 • Unabhängig davon, ob auf einfach-gesetzlicher Ebene eine Differenzierung zwischen Unionsbürgern und Drittstaatlern gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. I GG verstoßen hätte, kann dies bei einer Verfassungsänderung nicht der Fall sein. Eine Ungleichbehandlung je nach Staatsangehörigkeit, die durch das Grundgesetz selbst vorgenommen wird, kann nicht an Art. 3 Abs. I GG gemessen werden. Die Verfassung muß insoweit als Einheit gesehen werden; was Art. 28 Abs. I S. 3 GG fordert, kann nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen 631 • Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Ansatz, aus Art. 3 Abs. 1 GG ein Gebot an den Landesgesetzgeber zur rechtlichen Gleichstellung aller Ausländer auf dem Gebiet des Kommunalwahlrechts herzuleiten 632 • Art. 28 Abs. I S. 3 GG ist wie Art. 23 GG Ausdruck der fortschreitenden europäischen Inte628 Breer, Mitwirkung von Ausländern (1982), S. 139; Isensee, KritV 1987,300/306; grds. auch VG Hannover DVBI. 1981, 1110/1111, dazu Anm. Breer, DVBI. 1982, 509/510 f. 629 Interessant ist hierbei, daß es die Befilrworter eines Wahlrechts für alle Ausländer waren, die ein Kommunalwahlrecht nur für UnionsbÜfger für verfassungsrechtlich bedenklich hielten, während dessen Zulässigkeit von denen vertreten wurde, die ein Kommunalwahlrecht für alle Ausländer vor der Einführung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG für verfassungswidrig hielten. Auf den ersten Blick mag dies verwundern, von beiden Seiten wurde aber damit offenbar Vorsorge für den Fall getroffen, daß ihrer grundsätzlichen Einstellung nicht gefolgt werden sollte. 630 Zuleeg, ZAR 1988, 13/19. 631 So auch Papier, Kommissionsvorschlag (1990), S. 27/29 für die frühere Rechtslage. 632 So aber Grüll, Kommunalwahlrecht für EG-Bürger (1993), S. 132 ff.

I. Rechtliche Betrachtung

167

gration. Differenziert das Grundgesetz ausdrücklich zwischen UnionsbOrgern und Drittstaatlern, so kann diese bewußte Ungleichbehandlung auf verfassungsrechtlicher Ebene nicht einfachgesetzlich aufgrund des allgemeinen Gleichheitssatzes umgangen werden. Es ergibt sich also rur den Landesgesetzgeber aus Art. 3 Abs. 1 GG weder das Recht noch die Pflicht, Drittstaatlern ebenfalls das Kommunalwahlrecht einzuräumen. b) Wahlrechtsgrundsätze

Vereinzelt ist auch die These aufgeworfen worden, eine Beschränkung des Kommunalwahlrechts auf Unionsbürger sei mit den Grundsätzen der Freiheit, Gleichheit und Allgemeinheit der Wahl nicht vereinbatm. Insbesondere die Allgemeinheit der Wahl, die als Spezialfall zur Wahlgleichheit die Gleichheit bezüglich der Fähigkeit zu wählen und gewählt zu werden meinfiJ4 , kommt dabei näher in Betracht. Allerdings müssen insofern dieselben Überlegungen gelten, wie sie hinsichtlich des allgemeinen Gleichheitsatzes in Art. 3 Abs. 1 GG angestellt wurden. Indem das Kommunalwahlrecht rur Unionsbürger Verfassungsrang beansprucht, ist es nicht an der gleichrangigen Norm des Art. 38 Abs. 1 GG zu messen. Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl des Art. 38 Abs. 1 GG kann nicht zur Folge haben, daß der klar umgrenzte Personenkreis der Unionsbürger über den Wortlaut des Art. 28 Abs. 1 S.3 GG hinaus ausgedehnt wird. Aus den Wahlrechtsgrundsätzen ergibt sich deshalb ebenfalls weder das Recht noch die Pflicht der Landesgesetzgeber, das Kommunalwahlrecht über den Kreis der Unionsbürger hinaus zu gewähren. c) Aufweichung des Volksbegrifft

Ergiebiger erscheint hingegen der Ansatz, durch die Schaffung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG könnte es zu einer "Aufweichung"635 bzw. "Erosion"636 pder "Modiftkation"637 des verfassungsrechtlichen Volksbegriffs gekommen sein, so daß dieser insgesamt nicht mehr auf Deutsche beschränkt sein müßte. Konsequenz daraus wäre, daß das Grundgesetz der Gewährung des Kommunalwahl-

633

So Jahn/Riedel, ZAR 1989, 58/61; Zuleeg, JuS 1980,621/626.

634 JarasslPieroth - Pieroth, Grundgesetz (1997), Art. 38 Rn. 5. 635 So Röger, VR 1993,137/143. 636 So Habe, JZ 1994,191/193. 637 So Habe, Der Staat 32 (1993), 245/262.

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H. Lage der Ausländer aus Drittstaaten

rechts für Ausländer auch aus Nicht-EU-Staaten durch die Landesgesetzgeber nicht mehr entgegenstünde. Als Ausgangspunkt muß dabei die Möglichkeit eines Bedeutungswandels ohne Änderung des Wortlauts einer Norm stehen, eine Überlegung, mit der schon vor Einführung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG zugunsten eines Kommunalwahlrechts für Ausländer argumentiert wurde. In diesem Zusammenhang ist bereits festgestellt worden, daß eine Verfassungsnorm einen Bedeutungswandel erfahren kann, dies jedoch nur innerhalb des durch die Verfassung vorgegebenen Rahmens möglich isfi38 • Gegenüber den früheren Überlegungen zu einem Verfassungswandel, die sich nur auf Veränderungen tatsächlicher Natur stützen konnten, tritt nun der Aspekt hinzu, daß mit Einführung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG sich der durch den Wortlaut des Grundgesetzes selbst vorgegebene Rahmen erweitert hat. Scheiterte vorher die Einbeziehung von Ausländern in den Volksbegriff an den Grundentscheidungen der Verfassung, so könnte dies nunmehr insofern anders zu beurteilen sein, als ein Teil dieser Bevölkerungsgruppe durch Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG jetzt an der politischen Willensbildung auf kommunaler Ebene mitzuwirken berechtigt ist. Gern. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus, gern. Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG gilt dieser Grundsatz auch auf kommunaler Ebene, auf der eine Form der Ausübung von Staatsgewalt die Teilnahme an Wahlen darstellfi39 • Ist diese Ausübung von Staatsgewalt nicht mehr Deutschen vorbehalten, käme in Betracht, daß damit grundsätzlich diese Beschränkung aufgegeben worden ist und auf kommunaler Ebene auch Drittstaatlern durch Landesgesetz die Ausübung von Staatsgewalt übertragen werden könne. Eine genaue Betrachtung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG und seiner Entstehungsgeschichte sprechen allerdings gegen eine solche Annahme. Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG formuliert, daß bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden auch EGStaatsangehörige wahlberechtigt und wählbar sind. Damit knüpft die Vorschrift an den vorhergehenden Satz 2 an und stellt dem dort genannten Volk hinsichtlich des Kommunalwahlrechts die Gruppe der Unionsbürger an die Seite. In di~em Sinne ist mit dem Wort "auch" die Bedeutung "nur" verbunden 64o • Art. 28 Abs. 1 S.3 GG besagt also nicht, daß bei Kommunalwahlen das Volk generell auch Ausländer umfassen kann, sondern verleiht nur einem bestimmten Teil der in Deutschland lebenden Ausländer diesen bislang Deutschen vorbehaltenen Status.

Vgl. dazu B. I. 2. Vgl. dazu B. 11. 640 So auch Engelken, NVwZ 1995, 432/433, Fn. 6. 638

639

I. Rechtliche Betrachtung

169

Daraus wird deutlich, daß das bisherige Verständnis des Volksbegriffs im Grundgesetz, der das Volk auf kommunaler Ebene als teilidentisch mit dem Landes- und Bundesvolk begreift64I, eine Veränderung erfahren hat. Die Staatsgewalt geht nach wie vor grundsätzlich vom deutschen Volk aus, auf kommunaler Ebene kann aber nun ausnahmsweise eine weitere Personengruppe an der Staatsgewalt teilhaben 642 . Diese Gruppe ist jedoch auf Personen mit der Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaates begrenzt, für alle anderen in der Bundesrepublik ansässigen Ausländer ist die Rechtslage unverändert, sie sind nach wie vor nicht Teil des Wahlvolkes 643 . In der Gemeinsamen Verfassungskommission wurde die Forderung der Opposition, auch Ausländern aus Drittstaaten das Wahlrecht auf kommunaler Ebene zu gewähren644 wiederholt abgelehntM s. Die SPD-Mitglieder in der GVK hatten am 04.03.1993 den Antrag gestellt, Art. 28 Abs. 1 S.3 GG wie folgt zu fassen: "Bei Wahlen in Gemeinden und Gemeindeverbänden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft, andere Ausländer mit ständigem Wohnsitz im Bundesgebiet nach Maßgabe des Landesrechts wahlberechtigt und wählbar."646 Dieser Antrag erhielt bei der Abstimmung nicht die erforderliche ZweidrittelMehrheit. 641 Der Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers ging also dahin, den Kreis der bei Kommunalwahlen wahlberechtigten Ausländer auf Unionsbürger zu beschränken. Bekräftigt wird dieses Ergebnis dadurch, daß auch später weitere Versuche der SPD-Fraktion648 bzw. von vier Abgeordneten der

641 Vgl. dazu B. 11. 642 So auch Engelken, BayVBI. 1996, 389/393; Fischer, Unionsbürgerschaft (1992),

S.13.

643 So auch Sachs - Nierhaus, Grundgesetz (1996), Art. 28 Rn. 23; zutreffend spricht Hobe, JZ 1994, 191/193 deshalb von einer "Europäisierung des Volksbegriffs" auf kommunaler Ebene. 644Vgl. z. B. Verheugen, 2. Sitzung vorn 13.02.1992, Prot. S.32;Peschel-Gutzeit, 18. Sitzung vorn 04.03.1993, Prot. S. 23. 64S Vgl. z. B. Irmer, 18. Sitzung vorn 04.03.1993, Prot. S. 18 f.;Reinartz ebd., Prot.

S.23.

646 GVK-Kommissionsdrs. Nr. 65. 641 Der Antrag erhielt 27 Ja-, 19 Nein-Stimmen und 4 Enthaltungen; vgl. 24. Sitzung vorn 17.06.1993, Prot. S. 54. 648 Der Vorschlag aus der GVK (Kommissionsdrs. Nr. 65) wurde wortgleich aufrechterhalten im Gesetzentwurf der Fraktion der SPD "Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes" vorn 01.l2.1993, BT-Drs. 12/6323.

170

H. Lage der Ausländer aus Drittstaaten

FDp649, ein allgemeines Kommunalwahlrecht fiir Ausländer einzuführen, scheiterten. Es bleibt also festzuhalten, daß auch nach Einführung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG eine landesrechtliche Gewährung des Kommunalwahlrechts an Ausländer aus Nicht-EU-Staaten verfassungswidrig wäre. 3. De constitutione ferenda An diese Feststellung schließt sich die Frage an, ob das Grundgesetz die Einftlhrung eines Kommunalwahlrechts für Drittstaatler im Wege einer Verfassungsänderung zulassen würde. Der Maßstab, an dem die Zulässigkeit einer Verfassungsänderung beurteilt werden muß, ist Art. 79 Abs. 3 GG. Ein Verstoß gegen die "Ewigkeitsgarantie" des Grundgesetzes wäre dann gegeben, wenn die Ausdehnung des Wahlrechts auf diese Personengruppe die prinzipielle Preisgabe des Demokratiegrundsatzes bedeuten würde. Bei der Untersuchung der Vereinbarkeit des Kommunalwahlrechts für UnionsbÜTger mit Art. 79 Abs. 3 GG ist bereits festgestellt worden, daß eine Vergrößerung der Übereinstimmung von Herrschenden und Beherrschten dem demokratischen Prinzip nicht widersprechen kann 650 . Hieraus ergibt sich, daß die Ausdehnung des Wahlrechts auf kommunaler Ebene, auf der ausländische Bewohner grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten wie Deutsche haben, auch dann dem Demokratieprinzip Rechnung trägt, wenn sie Angehörige von Nicht-EU-Staaten betrifft651. Weder dem Kommunalwahlrecht für Unionsbürger noch dem für alle Ausländer steht also Art. 79 Abs. 3 GG i. V. m. dem Demokratieprinzip entgegen.

11. Rechtspolitische Betrachtung Gerade hinsichtlich der Frage der Einbeziehung von Drittstaatlem in den Kreis der Wahlberechtigten auf kommunaler Ebene entsteht der Eindruck, daß die rechtlichen Argumente hauptsächlich der Legitimation der politischen Anschauung dienen sollen, weshalb kurz auch auf die rechtspolitischen Hinter649 Hirsch, Lüder, Baum und Schmalz-Jacobsen wollten den SPD-Antrag insoweit modifizieren, als rur Drittstaatler eine Mindestaufenthaltsdauer von acht Jahren im Bundesgebiet zur Voraussetzung gemacht werden sollte. 650 Vgl. E. I. l. 651 Berlit, ZKrSoz 1994, 65/80 formuliert, daß die Erweiterung des Wahlrechts auf Ausländer aus Nicht-EU-Staaten bei den Beratungen der GVK "auf der Verlustliste der Bemühungen um mehr demokratische Teilhabe" stand.

11. Rechtspolitische Betrachtung

171

gründe eingegangen werden soll. So weist Degen zurecht darauf hin, daß schon im Sprachgebrauch beim Zuzug von Bevölkerungsgruppen differenziert wird; wahrend bei Unionsbürgern von "Freizügigkeit" und "Mobilität" die Rede ist, wird bei anderen Nationalitäten in der politischen Diskussion oftmals von "Überfremdung" und "Zuwanderungsdruck" gesprochen652 • Der Anteil der in Deutschland ansässigen Ausländer, die nicht die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaates besitzen, betrug nach dem Beitritt Finnlands, Österreichs und Schwedens am 01.01.1995 74,6 % der ausländischen Bevölkerung, absolut waren es ca. 5,2 Millionen Menschen. Betrachtet man die Verteilung nach Nationalitäten, so stellen die türkischen Staatsangehörigen mit ca. 28,1 % der ausländischen Wohnbevölkerung bei weitem die größte Gruppe, danach folgen Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien mit 18,6 %. Von den EU-staatsangehörigen Ausländern stellen Italiener mit 8,2 % den höchsten Anteil653 • Auf diese Tatsache gründen sich offenbar Befürchtungen, daß es in einigen Kommunen mit hohem Ausländeranteil zu einer ausländisch, insbesondere türkisch dominierten Kommunalpolitik kommen könnte. Nur selten wird dies so deutlich ausgesprochen wie von dem Abgeordneten Irmer (FDP) in der GVK, der das Wahlrecht für Unionsbürger auf allen Ebenen befürwortet, es konkret den Türken jedoch schon im kommunalen Bereich verweigern will654 • Die Begründung dafür lautet: " ... erstens deshalb, weil es ihnen nichts bringt, und zweitens deshalb, weil sie eben keine Staatsbürger sind. Das ist eine sehr einfache Unterscheidung. "655 Sieveking hat 1989 die These geäußert, daß in manchen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften deshalb eine ablehnende Haltung gegenüber der Einführung eines kommunalen Ausländerwahlrechts bestünde, weil damit politische Machtverluste verbunden wären 6S6 • Recht unverblümt äußerte bereits vor geraumer Zeit auch Quaritsch die politischen Beweggründe für seine Skepsis gegenüber einem Wahlrecht für Ausländer. So sei zu erwarten, daß die Ausländer, da sie mehrheitlich der "sogenannten Unterschicht" angehörten, Parteien wählen würden, die "herkömmlich als Interessenvertreter der Unterschicht

Degen, DÖV 1993,749. Angaben aus dem Bericht der Bundesausländerbeauftragten über die Lage der Ausländer in der Bundesrepublik vom Dezember 1995. 654 Irmer, 18. Sitzung der GVK vom 04.03.1993, Prot. S. 18; differenzierender dagegen ders. in der 24. Sitzung der GVK vom 17.06.1993, Prot. S. 45 f. 655 Irmer, 18. Sitzung der GVK vom 04.03.1993, Prot. S. 19. 656 Sieveking, Kommunalwahlrecht für Ausländer in den Mitgliedstaaten der EG (1989), S. 84. 652

653

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H. Lage der Ausländer aus Drittstaaten

gelten, also Sozialisten und Kommunisten"657. "Und wie sollte dem großen mohammedanischen Anteil der ausländischen Wähler klar gemacht werden können, daß ihre Interessen auch von einer Partei vertreten werden, die sich ausdrücklich als ,christlich' versteht?"658 Der Vorbehalt, daß eine große Gruppe von EG-Staatsangehörigen die Selbstverwaltung der Gemeinden "erheblich beeinträchtigen" könnten, wurde auch schon im Vorfeld der Einführung eines Kommunalwahlrechts für Unions bürger geäußert659 . Im Zuge der Schaffung einer Europäischen Union und der damit verbundenen politischen Integration der in Deutschland lebenden Unionsbürger kann dieser Einwand aber heute nicht aufrechterhalten werden. Demgegenüber steht die Überlegung, daß die Beschränkung des Kommunalwahlrechts auf Unionsbürger eine verfassungsrechtlich zulässige, aber politisch fragwürdige Benachteiligung der übrigen Ausländer bedeute~60. Diese Regelung verstärkt danach den Abstand zwischen ohnehin privilegierten EUStaatsangehörigen und den Menschen anderer Nationalitä~61. Tatsächlich ist es aus Sicht des einzelnen schwer nachvollziehbar, warum eine Türkin, die in der Bundesrepublik geboren wurde, in ihrer Gemeinde nicht wählen darf, während ein Grieche, der erst vor wenigen Monaten nach Deutschland übersiedelte, dieses Recht genießt. Aus rechtspolitischer Sicht erscheint es deshalb angebracht, eine Ausdehnung des Kommunalwahlrechts auf Bürger von Nicht-EU-Staaten vorzunehmen. Maßstab sollte dann anstatt der Nationalität der Grad der sozialen Einbindung sein, die sich in der Dauer des Aufenthalts manifestiert662 . Ein größeres Interesse der Politiker aller Parteien an dieser Bevölkerungsgruppe, wie es im Zuge der Einführung eines Ausländerwahlrechts in anderen Staaten festgestellt wurde 663 , wäre die m. E .. begrüßenswerte Folge.

657 Quaritsch, DÖV 1983, 1/13; ähnlich Stöcker, Der Staat 28 (1989), 71/72, der von "die deutsche Bevölkerung ,unterschichtenden' Ausländern" spricht. 6S8 Quaritsch a. a. O. S. 13. 6S9 SO Kreiner, RiA 1989, 141/146. 660 Verheugen, 2. Sitzung der GVK vom 13.02.1992, Prot. S. 32. 661 Karpen, NJW 1989, 1012/1016; Peschel-Gutzeit, 18. Sitzung der GVK vom 04.03.1993, Prot. S. 21f.; positiv formulieren es hingegen OppermanniClassen, NJW 1993,517: "Die damit ... verbundene Besserstellung der EG-Bürger gegenüber sonstigen Ausländern macht deren engere Zusammengehörigkeit nach außen deutlich erkennbar." 662 So auch Roth, ZRP 1990,82/83. 663 Für Schweden vgl. Hammar, Teilnahme der Einwanderer an der schwedischen Politik (1984), S. 45/46.

Zusammenfassung Die Einführung des Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG stellt den vorläufigen Schlußpunkt der Diskussion um ein Wahlrecht für Ausländer dar. Er verankert das Kommunalwahlrecht für Unions bürger im deutschen Verfassungsrecht. Sein Entstehungshintergrund, Inhalt und seine Auswirkungen waren Gegenstand der Untersuchung. Vor der Schaffung des Art. 28 Abs. I S. 3 beschränkte das Grundgesetz die Ausübung von Staatsgewalt auch auf kommunaler Ebene auf Deutsche i. S. d. Art. 116 Abs. 1 GG. Zur Einführung eines Kommunalwahlrechts für Unionsbürger bedurfte es somit einer Verfassungsänderung, die in Form des neuen Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG am 1. Januar 1993 in Kraft getreten ist. Daß diese Norm zu diesem Zeitpunkt und in dieser Form erlassen wurde, hing eng mit der Schaffung der Europäischen Union zusammen. In die Maastrichter Verträge über die Europäische Union war 1992 mit Art. 8 b Abs. 1 auch eine Regelung über das Kommunalwahlrecht für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten aufgenommen worden. Um das Ratifizierungsgesetz nicht verfassungswidrig sein zu lassen, mußte in der Bundesrepublik vor dessen Verabschiedung das Grundgesetz geändert werden. Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG beschränkt sich aber nicht auf die Funktion einer reinen Öffnungsklausel, sondern enthält selbst eine Gewährleistung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger. Damit ist sein Inhalt nicht notwendig auf die Tragweite des Art. 8 b Abs. 1 EGV beschränkt, sondern kann über diese hinausgehen. So ergibt sich aus Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG neben dem Recht auf Teilnahme an Wahlen auch das Abstimmungsrecht auf kommunaler Ebene, obwohl dieses in Art. 8 b Abs. 1 EGV nicht erwähnt ist. Auch die nationale Regelung enthält diese Gewährung nicht ausdrücklich, sie ergibt sich jedoch aus dem Zusammenhang mit dem Demokratieprinzip. Die Gewährung auch des Abstimmungsrecht durch die einzelnen Landesgesetzgeber steht somit im Einklang mit Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG. Das Wahl- und Abstimmungsrecht steht allen Personen zu, die die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaats besitzen. Es bezieht sich auf die Kreisebene und alle darunter angesiedelten Gliederungen, neben den in Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG ausdrücklich genannten Gemeinden also auch auf gemeindeinterne Gliederungen und Gesamtgemeinden. Auch unmittelbare Wahlen zu den Exe-

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kutivorganen sind von der Regelung erfaßt, allerdings sind Ausnahmen bei der einfach-gesetzlichen Umsetzung zulässig. Die Umsetzung erfolgt in der Bundesrepublik im Landesrecht. Die Bundesländer sind durch Art. 28 Abs. I S. 3 GG selbst zur Umsetzung verpflichtet, eines Rückgriffs auf den Grundsatz der Bundestreue bedarf es dazu nicht. Die einzelnen Länder haben von den durch die Richtlinie 94/801EG eingeräumten Optionen sehr unterschiedlichen Gebrauch gemacht und das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger in deren Rahmen verschieden ausgestaltet. Vereinzelt verstoßen landesrechtliehe Regelungen auch gegen diese Vorgaben, so in Bayern und Bremen. Zudem hat die Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger Auswirkungen auf bundesrechtliche Vorschriften. Indem Unionsbürgern die Ausübung des Wahlrechts unter den gleichen Bedingungen wie Deutschen gewährt wird, sind ihnen auf kommunaler Ebene auch die gleichen politischen Rechte einzuräumen. Dies betrifft zuvorderst das Parteienrecht. Da auch politische Vereinigungen im kommunalen Bereich als Parteien i. S. d. § 2 Abs. I PartG anzusehen sind, ist eine Differenzierung aufgrund der Staatsangehörigkeit nunmehr unzulässig, wenn es sich um solche der Mitgliedstaaten der EU handelt. Daraus ergibt sich die Verfassungswidrigkeit von § 2 Abs. 3 Nr. I, 1. Alt. PartG, der politische Vereinigungen vom Parteienbegriff ausnimmt, die mehrheitlich aus Ausländern bestehen. Teilweise verfassungswidrig ist auch § 2 Abs. 3 Nr. 1,2. Alt., der dieselbe Rechtsfolge für den Fall vorsieht, daß der Vorstand einer politischen Vereinigung mehrheitlich von Ausländern gebildet wird; dies insoweit, als er auch die kommunale erfaßt. Die politische Betätigung von Unionsbürgern im kommunalen Bereich darf aber auch außerhalb der Parteien nicht einer stärkeren Einschränkungsmöglichkeit unterliegen als die deutscher Staatsangehöriger. Demzufolge sind auch § 37 Abs. I Nr. I AuslG, der das Verbot oder die Beschränkung der politischen Betätigung von Ausländern ermöglicht und § 14 VereinsG, der das Verbot sog. Ausländervereine behandelt, nicht mit Art. 8 b Abs. I EGV i. V. m. Art. 28 Abs. I S. 3 GG vereinbar. Die Rechtslage ist deshalb insoweit zu ändern, als die politische Betätigung von Unionsbürgern auf kommunaler Ebene sowohl als verbotsbegründender Tatbestand als auch auf der Rechtsfolgenseite aus diesen Normen auszunehmen ist. Unionsbürger dürfen in ihrer kommunalpolitischen Tätigkeit nunmehr nur noch in denselben Fällen und in gleichem Maße eingeschränkt werden wie deutsche Staatsbürger. Die Rechtslage von Drittstaatlern wird von der Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger nicht berührt. Es bleibt jedoch aus rechtspolitischen Gründen wünschenswert, auch diese Personengruppe, die teilweise in der zweiten und dritten Generation in der Bundesrepublik ansässig ist, an den po li-

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tischen Rechten zu beteiligen. Nach wie vor ist nicht nachzuvollziehen, weshalb Ausländer, die seit Jahrzehnten, teilweise ihr ganzes Leben in der Bundesrepublik ansässig gewesen sind, nicht einmal auf kommunaler Ebene über ein Wahlrecht verfügen, während dies Unionsbürgern unter denselben Voraussetzungen wie Deutschen gewährt wird. Selbst wenn man das Wahlrecht nur als Endpunkt, nicht aber als Mittel der Integration von Ausländern ansieht, kann es auf Dauer Drittstaatlern nicht mehr vorenthalten werden. Das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger kann also nur als erster Schritt in dem Prozeß angesehen werden, Ausländern über eine beratende Funktion hinausgehende Rechte zuzugestehen. Die Diskussion über eine Ausdehnung des Wahlrechts auf Landes- oder Bundesebene sowie auf Drittstaatler wird auch nach Einführung des Art. 28 Abs. I S. 3 GG weitergehen.

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Stichwortverzeichnis Abstimmung, Abstimmungen 68 ff.; 71; 72; 73; 74 ff.; 113; 122; 125; 129; 135; 137; 141; 144 konsultative Abstimmung 70; 71 Abstimmungsrecht 71 ff.; 141 Antrag 48 Antragserfordernis 63 ff.; 112 Ausländerausschüsse 19 Ausländerbeiräte 19 Ausländerlisten 159; 160 Ausländerparlamente 19 Ausländerpartei 153 ff. Auslandspartei 156 f. Ausschlußgrund 67; 115 Beamtenverhältnis 82; 84; 125 Bedeutungswandel 168 Bezirk 81; 91; 98 Bezirk (Bayern) 80 Bezirk (Berlin) 91; 123 Bezirk (Hamburg) 98 Bezirksverband Pfalz 81; 136 "Bremer Klausel" 45; 93; 94 Bundesstaatsprinzip 106 f.; 108 Bundestreue 111 f. Bundeszwang 119 Bürger 78 Bürgerantrag, Bürgeranträge 70; 132 Bürgerbefragung 70 Bürgerbegehren 70; 114; 122; 129; 131; 135; 140; 141 Bürgerentscheid 69; 114; 122; 129; 131; 135; 140; 141; 142 bürgerliche Ehrenrechte 67 Bürgermeister 86; 87; 113; 116; 121; 124; 125; 129; 130; 131; 134; 135; 136; 137; 138; 141; 143; 144

114; 126; 126; 117; 133; 142;

Bürgermeister- oder Landratswahlen 141 Bürgerrechte 114; 115 Bürgerstatus 112; 114; 122; 124; 125; 129; 131; 132; 136; 138; 141; 142 Bürgerversammlung 70; 114; 122 Chancengleichheit 59; 60; 151; 158 DDR 143 DDR-Verfassung 42 Delegierte 149 Demokratie 147 Demokratieprinzip 28; 32; 36; 68; 75; 76; 101; 102 ff.; 170 Diskriminierung 88 doppelte Staatsbürgerschaft 20 Doppelwahl 64 Drittstaatler 165; 167; 168; 170 EG 53 ff. Ehrenamt; Ehrenämter 115; 126; BI; 132; 137; 142 Einbürgerung 19; 31 Einigungsvertrag 143 Einwanderung 18 Einwohner 78; 141; 144 "Europa der Bürger" 46 Europaartikel 104; 111 Europäische Union 104 "Ewigkeitsgarantie" 101; 102; 103; 107; 170 Exekutivorgane 82 Freizügigkeit 46 ff.; 49; 82; 83; 84 Fremdbestimmung 102 Gegenseitigkeit 40 Gemeindebezirke 79; 81 Gemeinderat 69; 87; 88; 129; 134; 136

Stichwortverzeichnis Gemeindeversammlung 69; 78 Gemeindevertretung 124; 130 Gemeindevorstand 86 ff. Gemeinsame Verfassungskommission 43 ff.; 54 s. auchGVK Gesamtgemeinden 79 f. Gesetzgebungsbefugnis, Gesetzgebungskompetenz 108, 109 Gleiche Bedingungen 58 ff. Gleichheitsgrundsatz 60 GVK 44;46;74; 169 s. auch Gemeinsame Verfassungskommission Hoheitsgewalt 100 Hoheitsrechte 104; 105 Höhere Kommunalverbände 80 ff. Homogenitätsprinzip, -gebot 35; 74; 95; 112 Integration 73; 103; 104; 111; 167 Integrationsziele 60 Kandidaten 145; 149; 155 Kandidatur 59; 66; 117 Kommunalverbände 80; 81 Kommunalwahlen 54; 62; 72; 76; 77; 78;82;87; 127 Kompetenz 48; 49 Landrat 85; 86; 121; 125; 129; 130; 131; 133; 134; 135; 136; 137; 141; 142 Landtagswahlrecht 89; 92; 94 Legitimation 24; 26; 35; 37; 74; 76; 86;96 lokale Gebietskörperschaft der Grundstufe 62; 63; 67; 72; 77; 80; 82; 90; 91;93;94;99; 127 Maastrichter Verträge 20; 23; 44; 48; 49; 55; 56; 73; 104; 107; 111; 155; 165 Maßgabe 143 Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft 53 ff.; 110; 112

191

Melderegister 115 Mindestalter 59; 119 Mindestaufenthalt 119 Mindeststandard 63; 72; 73 Mindestwohnsitzdauer 120 Nationalstaatsprinzip 103 f. Normenhierarchie 61 Oberkreisdirektor 85; 86 Öffnungsklausel 53 ff.; 72; 73; 74; 110; 118 Organleihe 86 Ortsbezirke 79; 81 Ortschaften 79 Parallelwahl 64 Partei, Parteien 145 ff.; 150; 151; 152; 153; 154; 155; 156; 157; 159 Ausländerparteien 153 ff. Auslandsparteien 156 f. Begriff 150 Betätigung 159 Chancengleichheit 151 Geschäftsleitung 146; 153; 156 Gründung 159 Mitglieder 146; 157 Mitgliedschaft 159 Parteienprivileg 146; 151 Privilegierung 148 Rathausparteien 149 ff.; 153; 156 Sitz 146; 153; 156 Untergliederung 152; 153; 156 Vorstand 146; 153; 155; 156 plebiszitäre Elemente 68; 69; 122 Präambel 24 f.; 103; 104; 105; 111 Prinzip der Inländerbehandlung 73; 99 Rathausparteien 149 ff.; 153; 156 Rechtsetzungskompetenz 104 Regelungsvorbehalt 61 Sachkundige 19 Samtgemeinden 80 Selbstauskunft 66 Selbstverwaltung 36; 37; 123; 131; 139

192

Stich wortverzeichnis

Staatsangehörigkeitsrecht 100 Staatsgewalt 24 ff.; 28 ff.; 32; 36; 37; 68; 70; 71; 75 f.; 85; 87; 88; 89; 92; 100; 102; 105; 122; 129; 150; 153; 168; 169 Staatsvolk 26; 29; 33; 35; 102 Stadt-, Gemeinde- und Ortsbezirke 81 Stadtbezirke 79; 81 Stadtstaat 45; 77; 90 ff.; 93; 94; 97; 122; 126; 127 Stichtag 112 Strukturprinzipien der Verfassung 106 Subsidiaritätsprinzip 50; 51 Umsetzungsfrist 113; 114 Umsetzungspflicht 108 ff. Ungleichbehandlung 73; 161; 166 f. Unionsbürger 23; 48 f.; 78; 80; 84; 86; 99 Unionsbürgerschaft 48 f.; 73 unionskonforme Auslegung 55 Verband Region Stuttgart 81 Verbandsgemeinden 80 Verein 148; 160; 163 Ausländerverein 163 Auslandsverein 164 Leiter 160; 163 Mitglieder 160; 163

Sitz 164 Verbot 148 Verfassungsänderung 49 Verfassungswandel 28; 168 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 50; 60 Vertragsziele 60 Volksbefragung 70 Volksbegehren 70 Volksentscheid 69 Wahlakt 127 Wahlanfechtung 96 Wählbarkeit 82; 84 Wählervereinigung 149 Wählerverzeichnis 63; 64; 112; 115; 119; 122; 123; 128; 130; 132; 136; 137; 139; 140; 142 Wahlgleichheit 167 Wahlpflicht 64 Wahlvolk 100 Wahlvorschlag 124; 131; 138; 141 Willkürverbot 31; 166 s. auch Ungleichbehandlung Wohnsitz 57 f. Dauer 58; 59; 65 Hauptwohnsitz 57 Nachweis 58 Nebenwohnsitz 57