Grundrechtsschutz in der Petrischale: Grundrechtsträgerschaft und Vorwirkungen bei Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 1 Abs. 1 GG [1 ed.] 9783428522675, 9783428122677

Torsten Hartleb greift die sehr aktuelle verfassungsrechtliche Bioethikdebatte auf und untersucht zwei zentrale Modelle

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Grundrechtsschutz in der Petrischale: Grundrechtsträgerschaft und Vorwirkungen bei Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 1 Abs. 1 GG [1 ed.]
 9783428522675, 9783428122677

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1046

Grundrechtsschutz in der Petrischale Grundrechtsträgerschaft und Vorwirkungen bei Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 1 Abs. 1 GG

Von

Torsten Hartleb

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

TORSTEN HARTLEB

Grundrechtsschutz in der Petrischale

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1046

Grundrechtsschutz in der Petrischale Grundrechtsträgerschaft und Vorwirkungen bei Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 1 Abs. 1 GG

Von

Torsten Hartleb

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-12267-4 978-3-428-12267-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Untersuchung ist im Sommersemester 2006 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau als Dissertation angenommen worden. Mit der in den Fußnoten und im Literaturverzeichnis nachgewiesenen Forschungsliteratur befindet sie sich auf dem Stand Dezember 2005; später erschienene Beiträge konnten nur noch vereinzelt berücksichtigt werden. Inhaltlich ist die Arbeit aus einem interdisziplinären Forschungsprojekt der Universitäten Freiburg, Tübingen und Heidelberg zum Status des extrakorporalen menschlichen Embryos hervorgegangen, das zwischen 2002 und 2005 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde und mein Dissertationsvorhaben finanziell abgesichert hat. Ohne diese finanzielle Absicherung wäre mir eine Promotion überhaupt nicht möglich gewesen, weshalb ich dem Mittelgeber zu allererst zu Dank verpflichtet bin. An dem Forschungsprojekt, das vom Freiburger Zentrum für Ethik und Recht in der Medizin (ZERM) koordiniert wurde, waren Teilnehmerinnen und Teilnehmer verschiedenster Fachdisziplinen beteiligt, darunter neben Rechtswissenschaftlern auch Biologen, Mediziner, Philosophen, Theologen, Psychologen und Soziologen, die auf zahlreichen Kolloquien und Kongressen die Statusfrage zum extrakorporalen Embryo eingehend diskutiert haben. Allen Projektbeteiligten sei an dieser Stelle für die konstruktive Zusammenarbeit und den fruchtbaren wissenschaftlichen Austausch der zurückliegenden Jahre gedankt; darunter ist vor allem mein Freiburger Kollege Herr Dipl.-Biol. Alexander Craig (Institut für Humangenetik und Anthropologie) zu erwähnen, der mit viel Geduld den naturwissenschaftlichen Teil der Dissertation durchgesehen hat und mir stets ein kompetenter Ansprechpartner für alle mit seinem Fachgebiet zusammenhängenden Fragen war. Ganz besonderer Dank gebührt meinem Doktorvater und akademischen Lehrer Herrn Prof. Dr. Rainer Wahl, der die Entstehung der Arbeit mit großem Sachverstand, wohlwollender Kritik und unzähligen wertvollen Anregungen begleitet hat. Während meiner langjährigen Tätigkeit an seinem Lehrstuhl habe ich die große intellektuelle Offenheit und außergewöhnlich angenehme Arbeitsatmosphäre bei ihm sehr zu schätzen gelernt. Dies gilt im übrigen auch für die dortigen Diskussionsrunden mit Herrn Prof. em. Dr. Dr. Dr. h. c. (mult.) ErnstWolfgang Böckenförde, die mein Dissertationsthema ebenfalls manchmal zum Gegenstand hatten und mir viele wichtige Denkanstöße gaben. Mein abschlie-

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Vorwort

ßender Dank geht an Herrn Prof. Dr. Thomas Würtenberger für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens sowie an Herrn PD Dr. Christoph Schönberger für seine hilfreichen Ratschläge. Freiburg im Breisgau, im Juni 2006

Torsten Hartleb

Inhaltsübersicht §1

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

1. Kapitel Naturwissenschaftlicher Hintergrund – oder: Drei Etappen biotechnischer Erzeugung extrakorporalen menschlichen Lebens

27

§2

Erste Etappe: Extrakorporale Embryonen aus künstlicher Befruchtung . . . . .

28

§3

Zweite Etappe: Extrakorporale Zellkerntransferklone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

§4

Dritte Etappe: Extrakorporale begrenzt entwicklungsfähige Laborartefakte . .

58

§5

Zusammenfassung (naturwissenschaftlicher Hintergrund) . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

2. Kapitel

§6 §7 §8

Rechtspolitischer Hintergrund – oder: Zwei deutsche Gesetze zu extrakorporalem menschlichem Leben aus verfassungsrechtlicher Perspektive

73

Die Entstehung des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) aus verfassungsrechtlicher Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

Die Entstehung des Stammzellgesetzes (StZG) aus verfassungsrechtlicher Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

Zusammenfassung (rechtspolitischer Hintergrund) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

3. Kapitel Grundrechtsschutz als Substanzschutz: Das Grundrechtsträgerkonzept zu extrakorporalem menschlichem Leben §9

117

Theoretische Begründung des Grundrechtsträgerkonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

§ 10 Praktische Anwendung des Grundrechtsträgerkonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 § 11 Zusammenfassung (Grundrechtsträgerkonzept) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

8

Inhaltsübersicht 4. Kapitel Grundrechtsschutz als Entstehensschutz: Das Vorwirkungskonzept zu extrakorporalem menschlichem Leben

246

§ 12 Theoretische Begründung des Vorwirkungskonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 § 13 Praktische Anwendung des Vorwirkungskonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 § 14 Zusammenfassung (Vorwirkungskonzept) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Gesamtzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

Inhaltsverzeichnis §1

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Extrakorporales menschliches Leben als Problem des Verfassungsrechts – eine gedankliche Hinführung zur Thematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Ziele und Gang der vorliegenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21 21 24

1. Kapitel Naturwissenschaftlicher Hintergrund – oder: Drei Etappen biotechnischer Erzeugung extrakorporalen menschlichen Lebens §2

§3

Erste Etappe: Extrakorporale Embryonen aus künstlicher Befruchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die biologische Entwicklung des menschlichen Embryos in vivo . . . . . . . I. Befruchtung (0. bis 24. Std. p. c.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Furchung und Blastozystenbildung (ca. 2. bis 5./6. Tag p. c.) . . . . . . III. Nidation (= Implantation) (ca. 5./6. bis 12. Tag p. c.) . . . . . . . . . . . . . IV. Gastrulation und weitere Entwicklung des Embryos (ca. 8. Tag bis 8. Woche p. c.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Gesamtübersicht (menschliche Embryonalentwicklung) . . . . . . . . . . . B. Reproduktionsmedizinische Besonderheiten beim extrakorporalen Embryo aus künstlicher Befruchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Behandlungszyklus der künstlichen Befruchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ovarielle Stimulation und Follikelpunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eizellbefruchtung (IVF bzw. ICSI) und Embryotransfer . . . . . . . . II. Geringe Erfolgsraten der künstlichen Befruchtung und denkbare Abhilfen aus reproduktionsmedizinischer Sicht (sog. morphologischer Embryocheck) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Präimplantationsdiagnostik (PID) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweite Etappe: Extrakorporale Zellkerntransferklone . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Der Paradigmenwechsel durch das „Dolly-Experiment“ . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Anwendung des somatischen Zellkerntransfers beim Menschen . . . . I. Reproduzierbarkeit des somatischen Zellkerntransfers im Humanexperiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

28 29 30 32 33 36 38 39 39 39 41

42 43 45 45 48 48

10

Inhaltsverzeichnis II. Biomedizinischer Nutzen des somatischen Zellkerntransfers: Das „therapeutische Klonen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Biomedizinische Chancen des „therapeutischen Klonens“ . . . . . . 2. Biomedizinische Risiken des „therapeutischen Klonens“ . . . . . . . 3. Biomedizinische Alternativen zum „therapeutischen Klonen“ . . . a) Transdifferenzierung adulter Stammzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unmittelbare Reprogrammierung von Körperzellen (ohne Zellkerntransfer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§4

§5

Dritte Etappe: Extrakorporale begrenzt entwicklungsfähige Laborartefakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Der zweite Paradigmenwechsel durch das Schöler-Experiment . . . . . . . . . B. Die Anwendung des Schöler-Verfahrens beim Menschen . . . . . . . . . . . . . . I. Reproduzierbarkeit des Schöler-Verfahrens im Humanexperiment? . . II. Biomedizinischer Nutzen des Schöler-Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unmittelbarer biomedizinischer Nutzen: Verzicht auf Eizellspenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorstellbarer biomedizinischer Nutzen bei Weiterentwicklung: Herstellung menschlicher Laborartefakte mit begrenzter Entwicklungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Folgen der Schöler-Experimente für den Totipotenzbegriff – zum Stand der naturwissenschaftlichen Totipotenzdebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entwicklungsbiologische versus zellbiologische Totipotenz . . . . . . . . II. Probleme der Beweisbarkeit und Manipulierbarkeit von Totipotenz Zusammenfassung (naturwissenschaftlicher Hintergrund) . . . . . . . . . . . . .

50 51 52 53 54 57 58 58 62 62 62 62

63 64 65 67 70

2. Kapitel Rechtspolitischer Hintergrund – oder: Zwei deutsche Gesetze zu extrakorporalem menschlichem Leben aus verfassungsrechtlicher Perspektive §6

Die Entstehung des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) aus verfassungsrechtlicher Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Der Bericht der „Benda-Kommission“ (25. November 1985) . . . . . . . . . . I. Entstehung und wesentliche Regelungsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Konzeption in bezug auf den Schutz extrakorporalen menschlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Diskussionsentwurf zum Embryonenschutzgesetz (29. April 1986) . . I. Entstehung und wesentliche Regelungsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Konzeption in bezug auf den Schutz extrakorporalen menschlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

75 76 76 78 81 81 82

Inhaltsverzeichnis C. Der Abschlußbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin“ (August 1988) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entstehung und wesentliche Regelungsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Konzeption in bezug auf den Schutz extrakorporalen menschlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Vom Arbeitsentwurf zum Embryonenschutzgesetz (Oktober 1988) bis zum Inkrafttreten des Embryonenschutzgesetzes (1. Januar 1991) . . . . . . I. Verfahrensablauf und wesentliche Regelungsinhalte . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Konzeption in bezug auf den Schutz extrakorporalen menschlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §7

§8

Die Entstehung des Stammzellgesetzes (StZG) aus verfassungsrechtlicher Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Rechtspolitische Entwicklungen vor der Stammzellkontroverse – der „Klonbericht“ der Bundesregierung (17. Juni 1998) . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Forschung mit menschlichen Stammzellen (3. Mai 2001) . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Kehrtwende der Deutschen Forschungsgemeinschaft . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Konzeption in bezug auf den Schutz extrakorporalen menschlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Der Stammzellbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Recht und Ethik der modernen Medizin“ (21. November 2001) . . I. Entstehung und wesentliche Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Konzeptionen in bezug auf den Schutz extrakorporalen menschlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Argumentation zur Frage der Gewinnung von ES-Zellen aus „überzähligen“ Embryonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Argumentation zur Frage des „therapeutischen Klonens“ . . . . . . . 3. Argumentation zur Frage der Forschung an importierten ES-Zellen D. Die Stellungnahme des Nationalen Ethikrats zum Import menschlicher embryonaler Stammzellen (20. Dezember 2001) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entstehung und wesentliche Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Konzeptionen in bezug auf den Schutz extrakorporalen menschlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Argumentation zur Frage der Gewinnung von ES-Zellen aus „überzähligen“ Embryonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Argumentation zur Frage des Imports von ES-Zellen . . . . . . . . . . E. Von der Bundestagsdebatte zur Stammzellforschung (30. Januar 2002) bis zum Inkrafttreten des Stammzellgesetzes (1. Juli 2002) . . . . . . . . . . . . I. Verfahrensablauf und wesentliche Regelungsinhalte . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Konzeption in bezug auf den Schutz extrakorporalen menschlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

83 83 85 87 87 89 91 92 94 94 95 96 96 98 100 101 101 103 103 105 105 107 109 109 113

Zusammenfassung (rechtspolitischer Hintergrund) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

12

Inhaltsverzeichnis 3. Kapitel Grundrechtsschutz als Substanzschutz: Das Grundrechtsträgerkonzept zu extrakorporalem menschlichem Leben

§9

117

Theoretische Begründung des Grundrechtsträgerkonzepts . . . . . . . . . . . . . 120 A. Die Grundrechtsträgerschaft extrakorporaler Entitäten bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 I. Normtextorientierte Argumentationsstrategien zur Grundrechtsträgerschaft bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Relevanz traditioneller Auslegungskanones im Verfassungsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2. Historisch-genetische Auslegungsgehalte von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG für die Grundrechtsträgerthese? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Begriffliche Vorklärung: Historische versus genetische Auslegungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 b) Die Beratungen im Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rates am 19. November 1948 und 11. Januar 1949 . . . 129 c) Die Abstimmung im Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates am 18. Januar 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 d) Die Plenumsdebatte im Parlamentarischen Rat vom 8. Mai 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 e) Der Abschlußbericht v. Mangoldts zu den Beratungen des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates . . . . . . . . . . . . 134 3. Teleologische Auslegungsgehalte von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG für die Grundrechtsträgerthese? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 a) Das tutioristische Effektivitätsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 b) Kritik am tutioristischen Effektivitätsargument . . . . . . . . . . . . . 136 II. Judikaturorientierte Argumentationsstrategien zur Grundrechtsträgerschaft bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. Strukturmerkmale von BVerfGE 39, 1 und BVerfGE 88, 203 – der sog. Grundwiderspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 a) Die Grundsatzfeststellungen zum Status des Nasciturus . . . . . 139 b) Die Schlußfolgerungen zur rechtlichen Zulässigkeit des Schwangerschaftsabbruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Unmittelbar ableitbare Aussagen für eine Grundrechtsträgerschaft extrakorporalen menschlichen Lebens? . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3. Unmittelbar ableitbare Aussagen gegen eine Grundrechtsträgerschaft extrakorporalen menschlichen Lebens? . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 a) Die These vom rein objektiv-rechtlichen Grundrechtsschutz (Faßbender, Ipsen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Die These vom derogierten Grundrechtsschutz (Merkel) . . . . 147

Inhaltsverzeichnis

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III. Ethikorientierte Argumentationsstrategien zur Grundrechtsträgerschaft bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1. Von der SKIP-Quadrologie in den Ethikwissenschaften zur KIPTrilogie im Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 a) Präzisierung der verfassungsrechtlichen Fragestellung . . . . . . . 152 b) Verfassungsrechtliche Irrelevanz des Speziesarguments . . . . . . 152 c) Relevanzunterschiede bei den verbleibenden KIP-Argumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Das verfassungsrechtliche Potentialitätsargument . . . . . . . . . . . . . . 154 a) Inhalt des verfassungsrechtlichen Potentialitätsarguments . . . . 155 aa) Spezifischer Begriff von Potentialität (= Potentialität i. e. S.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (1) Potentialität i. e. S. als logische Möglichkeit (Possibilität)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (2) Potentialität i. e. S. als statistische Wahrscheinlichkeit (Probabilität)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (3) Potentialität i. e. S. als dispositionelles Vermögen? . . . 157 bb) Normative Gleichsetzung von Potentialität und Aktualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Aristotelisch-thomistische Tradition des verfassungsrechtlichen Potentialitätsarguments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 aa) Das Potentialitätskonzept der „dýnamiò [dynamis]“ bei Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 bb) Das Potentialitätskonzept der „potentia activa“ bei Thomas von Aquin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 c) Anwendung des verfassungsrechtlichen Potentialitätsarguments auf die drei Prototypen extrakorporalen menschlichen Lebens (oben §§ 2–4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 aa) Extrakorporale Embryonen aus künstlicher Befruchtung (oben § 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 bb) Extrakorporale Zellkerntransferklone (oben § 3) . . . . . . . . 168 cc) Extrakorporale begrenzt entwicklungsfähige Laborartefakte (oben § 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 d) Kritik am verfassungsrechtlichen Potentialitätsargument . . . . . 170 aa) Kritik am rezipierten Potentialitätsbegriff (Prämissenkritik) – Wert einer neuen juristischen Potentialitätsterminologie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 bb) Kritik an der normativen Gleichsetzung von Potentialität und Aktualität (Konklusionskritik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 3. Das verfassungsrechtliche Kontinuitätsargument . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Inhalt des verfassungsrechtlichen Kontinuitätsarguments . . . . 177

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Inhaltsverzeichnis b) Anwendung des verfassungsrechtlichen Kontinuitätsarguments auf die drei Prototypen extrakorporalen menschlichen Lebens (oben §§ 2–4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 c) Kritik am verfassungsrechtlichen Kontinuitätsargument . . . . . 178 aa) Kritik an der Kontinuität des menschlichen Entwicklungsprozesses (Prämissenkritik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 bb) Kritik an der Nichtsetzungsmöglichkeit rechtlicher Zäsuren (Konklusionskritik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 4. Das verfassungsrechtliche Identitätsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Inhalt des verfassungsrechtlichen Identitätsarguments . . . . . . . 182 aa) Personale Identität von extrakorporaler Entität und geborenem Menschen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 bb) Genetische und numerische Identität von extrakorporaler Entität und geborenem Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 b) Anwendung des verfassungsrechtlichen Identitätsarguments auf die drei Prototypen extrakorporalen menschlichen Lebens (oben §§ 2–4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 c) Kritik am verfassungsrechtlichen Identitätsargument . . . . . . . . 186 aa) Kritik an der Annahme numerischer Identität von extrakorporaler Entität und geborenem Menschen (Prämissenkritik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 (1) Numerische Identität trotz Möglichkeit der Mehrlingsbildung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 (2) Numerische Identität trotz Ausdifferenzierung in Trophoblast und Embryoblast? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 bb) Kritik an der normativen Begründungsfunktion genetischer Identität (Konklusionskritik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 5. Zwischenergebnis (Ethikorientierte Argumentationsstrategien zu Art. 2 II 1 Alt. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 B. Die Grundrechtsträgerschaft extrakorporaler Entitäten bei Art. 1 I GG . 191 I.

Die Koppelungsthese des Grundrechtsträgerkonzepts zu Art. 1 I GG 192 II. Die Entkoppelungsthesen zu Art. 1 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 1. Entkoppelung bei allen extrakorporalen Entitäten . . . . . . . . . . . . . 194 a) Entkoppelung mangels Potentialität extrakorporaler Entitäten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 b) Entkoppelung mangels weiterer Voraussetzungen zur Potentialität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. Entkoppelung bei extrakorporalen Entitäten bestimmter Entstehungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 a) Inhalt der Entkoppelungsthese anhand der Entstehungsart . . . 198 b) Kritik an der Entkoppelungsthese anhand der Entstehungsart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

Inhaltsverzeichnis § 10 Praktische Anwendung des Grundrechtsträgerkonzepts . . . . . . . . . . . . . . . A. Verfassungsrechtliche Parameter für die praktische Anwendung des Grundrechtsträgerkonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtliche Parameter zur Grundrechtsträgerschaft bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konsentierte Parameter bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ranghöhedebatte bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Parameter zur Grundrechtsträgerschaft bei Art. 1 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Konkretisierungsdilemma bei Art. 1 I GG – die Dürigsche Objektformel als doppelte Rekonstruktion des Subjektstatus . . . . 2. Die Abwägungsdebatte (Herdegen-Kontroverse) bei Art. 1 I GG B. Praktische Anwendung des Grundrechtsträgerkonzepts anhand dreier Grundtypen von Anwendungskonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anwendungskonstellationen, bei denen eine grundrechtsberechtigte extrakorporale Entität schon vorliegt (Grundtyp 1) . . . . . . . . . . . . . . . 1. Umgang mit „überzähligen“ Entitäten aus künstlicher Befruchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Absolutes Forschungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsrechtlich gebotener Umgang? . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Recht auf Transfer bzw. Transferpflicht? . . . . . . . . . . . . . . . bb) Embryo- bzw. Präimplantationsadoption? . . . . . . . . . . . . . . cc) Doppelte Moratoriumslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umgang mit (verbotswidrig) geklonten Entitäten . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungswidrigkeit des absoluten Transferverbots (§ 6 II ESchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsrechtlich gebotener Umgang? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Präimplantationsdiagnostik durch Entnahme pluripotenter Zellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der einfachgesetzliche Auslegungsstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) PID durch Entnahme pluripotenter Zellen als Verstoß gegen § 1 I Nr. 2 ESchG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) PID durch Entnahme pluripotenter Zellen als Verstoß gegen § 2 I ESchG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsrechtlich gebotene Bewertung? . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendungskonstellationen, bei denen eine grundrechtsberechtigte extrakorporale Entität noch nicht vorliegt (Grundtyp 2) . . . . . . . . . . . 1. Klonen zu therapeutischen, diagnostischen und reproduktiven Zwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gattungs- bzw. Menschenbildschutz als objektiver Gehalt von Art. 1 I GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutz künftiger Grundrechtsträger als objektiver Gehalt von Art. 1 I GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 202 203 203 203 204 206 206 210 214 216 216 216 218 219 220 221 222 222 223 223 223 224 225 227 228 230 230 233

16

Inhaltsverzeichnis 2. Herstellung von „Forschungsentitäten“ durch künstliche Befruchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anwendungskonstellationen, bei denen eine grundrechtsberechtigte extrakorporale Entität nicht mehr vorliegt (Grundtyp 3) . . . . . . . . . . . 1. Import- und Verwendungsbeschränkungen für pluripotente ESZellen wegen mittelbarer Gefährdung von Lebensrecht und Menschenwürde ausländischer Embryonen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Import- und Verwendungsbeschränkungen für pluripotente ESZellen wegen nachwirkenden Würdeschutzes getöteter Embryonen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

236 237

238

240

§ 11 Zusammenfassung (Grundrechtsträgerkonzept) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

4. Kapitel Grundrechtsschutz als Entstehensschutz: Das Vorwirkungskonzept zu extrakorporalem menschlichem Leben § 12 Theoretische Begründung des Vorwirkungskonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Begriffliche Vorklärung: Grundrechtsvorwirkungen im weiteren Sinn versus Grundrechtsvorwirkungen im engeren Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Argumentationsstrategien zur Begründung des Vorwirkungskonzepts . . . I. Normtextorientierte Argumentationsstrategien zu Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG . . . . . . . . . . . . II. Judikaturorientierte Argumentationsstrategien zu Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG . . . . . . . . . . . . 1. Kernaussagen der Mephisto-Rechtsprechung zur postmortalen Gewährleistungsdimension des Art. 1 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übertragbarkeit der Mephisto-Rechtsprechung auf die Vorwirkungskonstellation? – Die Spiegeltheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt der Spiegeltheorie zu Grundrechtsvorwirkungen . . . . . . b) Kritik an der Spiegeltheorie zu Grundrechtsvorwirkungen . . . III. Ethikorientierte Argumentationsstrategien zu Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vom schwachen Potentialitätsargument in den Ethikwissenschaften zu Grundrechtsvorwirkungen im Verfassungsrecht . . . . . . . . . a) Grundrechtsvorwirkungen als Grundrechtsanwartschaften bzw. Anwartschaftsrechte auf Grundrechte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundrechtsvorwirkungen als nicht-reziproke Schutzpflichten? 2. Anwendung des Vorwirkungskonzepts auf die drei Prototypen extrakorporalen menschlichen Lebens (oben §§ 2–4) . . . . . . . . . . 3. Kritik am Vorwirkungskonzept zu Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

246 248 248 250 251 252 252 254 254 255 257 257 258 261 263 263

Inhaltsverzeichnis

17

a) Grundrechtsvorwirkungen ohne spätere Grundrechtsträgerschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 b) Grundrechtsvorwirkungen als willkürliche Aufspaltung der einheitlichen Menschentwicklung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 § 13 Praktische Anwendung des Vorwirkungskonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Verfassungsrechtliche Parameter für die praktische Anwendung des Vorwirkungskonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtliche Parameter zu Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Parameter zu Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 1 I GG – die zweifache Schutzdimension zugunsten des werdenden Subjekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutz des künftigen Subjekts durch Vorwirkungen aus Art. 1 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutz des werdenden Subjekts durch Vorwirkungen aus Art. 1 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Praktische Anwendung des Vorwirkungskonzepts anhand dreier Grundtypen von Anwendungskonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anwendungskonstellationen, bei denen eine vorwirkungsbegünstigte extrakorporale Entität schon vorliegt (Grundtyp 1) . . . . . . . . . . 1. Umgang mit „überzähligen“ Entitäten aus künstlicher Befruchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umgang mit geklonten Entitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Präimplantationsdiagnostik durch Entnahme pluripotenter Zellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendungskonstellationen, bei denen eine vorwirkungsbegünstigte extrakorporale Entität noch nicht vorliegt (Grundtyp 2) . . . . . 1. Klonen zu therapeutischen, diagnostischen und reproduktiven Zwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Herstellung von „Forschungsentitäten“ durch künstliche Befruchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anwendungskonstellationen, bei denen eine vorwirkungsbegünstigte extrakorporale Entität nicht mehr vorliegt (Grundtyp 3) . . . . .

268 268 268

270 270 271 273 273 273 275 276 278 278 279 281

§ 14 Zusammenfassung (Vorwirkungskonzept) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Gesamtzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286

Anhänge I.

293

Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz – ESchG) vom 13. Dezember 1990 (BGBl. I, S. 2746), zuletzt geändert am 23. Oktober 2001 (BGBl. I, S. 2702) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

18

Inhaltsverzeichnis

II.

Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz – StZG) vom 28. Juni 2002 (BGBl. I, S. 2277), zuletzt geändert am 25. November 2003 (BGBl. I, S. 2304) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

III.

Verordnung über die Zentrale Ethik-Kommission für Stammzellenforschung und über die zuständige Behörde nach dem Stammzellgesetz (ZES-Verordnung – ZESV) vom 18. Juli 2002 (BGBl. I, S. 2663), zuletzt geändert am 25. November 2003 (BGBl. I, S. 2304) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302

IV.

Strafgesetzbuch (StGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I, S. 3322), zuletzt geändert am 1. September 2005 (BGBl. I, S. 2674) (Auszug) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

Verzeichnis der Übersichten Übersicht 1:

Elektronenmikroskopische Aufnahme eines extrakorporalen menschlichen Embryos im Vierzellstadium und im Zehnzellstadium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

Übersicht 2:

Entwicklungslinien der biomedizinischen Forschung . . . . . . . . . . . . .

28

Übersicht 3:

Zeitabschnitte der menschlichen Embryonalentwicklung . . . . . . . . . .

38

Übersicht 4:

Menschliche Stammzelltypen und ihre Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

Übersicht 5:

Beispiel einer künstlich induzierten Parthenogenese im Vergleich mit einer regulären Meiose und Befruchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

Übersicht 6:

Begriffe Pluripotenz, Omnipotenz und Totipotenz (nach Denker, 2002) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

Übersicht 7:

Normsetzungsprozesse zu extrakorporalem menschlichem Leben in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

Übersicht 8:

Trianguläre Schutzgewährkonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

Übersicht 9:

Terminologische Differenzierung beim Potentialitätsbegriff (nach Damschen/Schönecker, 2003) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

Übersicht 10: Das Akt-Potenz-Modell des Thomas von Aquin (1225–1274) . . . . . 166 Übersicht 11: Varianten der Entkoppelungsthese zu Art. 1 I GG bei extrakorporalem menschlichem Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Übersicht 12: Ranghöhedebatte bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Abwägungsdebatte bei Art. 1 I GG im Grundrechtsträgerkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Übersicht 13: Die drei Grundtypen rechtspraktischer Anwendungskonstellationen des Grundrechtsträgerkonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Übersicht 14: Vergleich von Grundrechtsvorwirkungen und Grundrechtsträgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Übersicht 15: Die Spiegeltheorie zu Vorwirkungen aus Art. 1 I GG . . . . . . . . . . . . 255 Übersicht 16: Die drei Grundtypen rechtspraktischer Anwendungskonstellationen des Vorwirkungskonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274

§ 1 Einleitung A. Extrakorporales menschliches Leben als Problem des Verfassungsrechts – eine gedankliche Hinführung zur Thematik Anstelle einer „klassischen“ Einleitung möchte die vorliegende Arbeit mit einem simplen Gedankenexperiment an ihren Untersuchungsgegenstand heranführen: Man stelle sich einmal vor, ein Reproduktionsmediziner würde einem durch künstliche Befruchtung entstandenen menschlichen Embryo im Vierzellstadium und einem anderen Embryo im Zehnzellstadium jeweils eine einzelne Zelle entnehmen und beide Zellen separat kultivieren. Um dieses Szenario deutlicher vor Augen zu haben, mag man nachfolgende Abbildung zur Hilfe nehmen, die beide extrakorporalen Embryonen im jeweiligen Entwicklungsstadium zeigt (die entnommene Zelle ist jeweils mit einem Pfeil markiert):

Übersicht 1: Elektronenmikroskopische Aufnahme eines extrakorporalen menschlichen Embryos im Vierzellstadium (links) und im Zehnzellstadium (rechts)1

1 Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus G. Nikas/A. Handyside u. a., Compaction and surface polarity in the human embryo in vitro, Biology of Reproduction 55 (1996), 32, 34.

22

§ 1 Einleitung

Vergleicht man nun beide entnommenen Embryonalzellen, die sich morphologisch praktisch nicht unterscheiden, kämen wohl nur wenige Betrachter auf die Idee, zwischen ihnen dergestalt zu differenzieren, daß die Zelle aus dem Vierzellembryo ein Mensch, die Zelle aus dem Zehnzellembryo hingegen nur „humanbiologisches Material“ sein könnte. Die verfassungsrechtliche Beurteilung dieses Sachverhalts in Deutschland ist demgegenüber offensichtlich eine andere: Nach wie vor entspricht es einer in weiten Teilen der deutschen Staatsrechtswissenschaft vertretenen Auffassung, die Zelle aus dem Vierzellembryo aufgrund ihrer entwicklungsbiologischen Totipotenzeigenschaft bzw. Potentialität als Trägerin der Grundrechte aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG (Recht auf Leben) und Art. 1 I GG (Menschenwürde) anzusehen, die Zelle aus dem Zehnzellembryo hingegen nicht. In ihrem verfassungsrechtlichen Status wird die totipotente Zelle damit in bezug auf die beiden genannten Grundrechte jedem geborenen Menschen gleichgestellt – eine normative Wertung, die nicht nur kontraintuitiv anmutet, sondern im weltweiten Rechtsvergleich auch beinahe einzigartig ist.2 Daß eine bestimmte normative Wertung naturwissenschaftlicher Tatsachen kontraintuitiv und singulär ist, bedeutet selbstverständlich noch nicht, daß sie falsch sein muß, denn normative Wertungen sind weder eine Frage der Intuition noch der Mehrheitsverhältnisse. Der intellektuelle Aufwand, diese Wertungen überzeugend gegen die Intuition zu begründen, dürfte aber in jedem Fall höher sein – und in der Tat: Was die quantitative und qualitative Argumentationsdichte angeht, kann das (hier so bezeichnete) Grundrechtsträgerkonzept zu extrakorporalem menschlichem Leben wohl als das dogmatisch ausdifferenzierteste Modell in der aktuellen verfassungsrechtlichen Bioethikdebatte in Deutschland angesehen werden. Die in der beinahe unüberschaubar gewordenen wissenschaftlichen Literatur anzutreffenden Argumentationsstrategien sind vielschichtig und komplex, die Ergebnisse in der rechtspraktischen Umsetzung selbst bei Zugrundelegung derselben theoretischen Prämissen gleichwohl disparat. Um hier nur ein einziges Beispiel zu nennen: Obwohl sich Christian Starck und Christian Hillgruber übereinstimmend zum Grundrechtsträgerkonzept bekennen, hält der eine die Forschung an „überzähligen“ Embryonen für verfassungsrechtlich zulässig,3 der andere hingegen für kategorisch ausgeschlossen.4

2 Zum Rechtsvergleich siehe H.-G. Koch, Vom Embryonenschutzgesetz zum Stammzellgesetz: Überlegungen zum Status des Embryos in vitro aus rechtlicher und rechtsvergleichender Sicht, in: G. Maio/H. Just (Hrsg.), Die Forschung an embryonalen Stammzellen in ethischer und rechtlicher Perspektive, 2003, S. 97, 99 ff.; J. Taupitz, Rechtliche Regelung der Embryonenforschung im internationalen Vergleich, 2003. 3 C. Starck, Verfassungsrechtliche Grenzen der Biowissenschaft und Fortpflanzungsmedizin, JZ 2002, 1065, 1072.

§ 1 Einleitung

23

Demgegenüber hat in der verfassungsrechtlichen Bioethikdebatte eine andere grundrechtsdogmatische Herangehensweise bisher erstaunlich wenig Beachtung gefunden: Gemeint ist ein Ansatz, der entwicklungsfähige extrakorporale Entitäten nicht als subjektiv Berechtigte der Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG ansieht, sondern ihnen aufgrund ihres Entwicklungspotentials lediglich vorausgreifende Schutzwirkungen aus beiden Grundrechten, sog. Grundrechtsvorwirkungen, zubilligt. Obwohl dieses (hier wiederum so bezeichnete) Vorwirkungskonzept zu extrakorporalem menschlichem Leben einen neuen, ebenfalls anspruchsvollen Weg in der Argumentation zu gehen versucht und damit die traditionelle Dogmatik zu Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG herausfordern müßte, ist die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihm noch seltsam unterentwickelt. Die vorliegende Arbeit wählt beide verfassungsrechtlichen Modelle als Untersuchungsgegenstände, und zwar sowohl hinsichtlich ihrer theoretischen Begründungen als auch hinsichtlich ihrer praktischen Auswirkungen für die juristische Bewältigung zentraler Problemfelder humaner Biotechnologie. Daß zur Lösung dieser Probleme unter der Ägide des Grundgesetzes die Verfassung erster und vorrangiger Maßstab sein muß, erscheint heute weitgehend anerkannt.5 Stellvertretend für viele bringt Wolfram Höfling diesen Vorrang der Verfassung vor dem einfachen Gesetzesrecht sehr deutlich zum Ausdruck, wenn er schreibt: „Wo das Grundgesetz den Schutzgegenstand verfassungsunmittelbar bestimmt, überträgt es die Verantwortung für seine Abgrenzung der Verfassungsinterpretation. Gesetzliche Regelungen zur ,Präzisierung‘ des Schutzgegenstandes sind danach nur Versuche, dem Inhalt der Verfassung gerecht zu werden. Gelingt der Versuch, so bedeutet die einfachgesetzliche Regelung eine deklaratorische Darstellung des ohnehin verfassungsrechtlich Gültigen. Mißlingt der Versuch, erweist er sich als verfassungswidrig und ist ungültig.“6

In diesem Sinne sind die beiden hier untersuchten Schutzkonzepte für extrakorporales menschliches Leben als Versuche zu verstehen, die interpretatorische Verantwortung auf Verfassungsebene wahrzunehmen und Maßstäbe für eine einfachgesetzliche Präzisierung des verfassungsunmittelbaren Schutzgegenstandes zu erarbeiten. 4 C. Hillgruber, Recht und Ethik vor der Herausforderung der Fortpflanzungsmedizin und „verbrauchender Embryonenforschung“, in: H. de Wall/M. Germann (Hrsg.), Festschrift für Christoph Link, 2003, S. 637, 643. 5 Vgl. speziell zum Vorrang des Verfassungsrechts auf dem Gebiet des Medizinrechts R. Wahl, Das Öffentliche Recht als Fundament und dritte Säule des Medizinrechts, in: J. Arnold/B. Burkhardt u. a. (Hrsg.), Festschrift für Albin Eser, 2005, S. 1243, 1256 ff. 6 W. Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte der Verfügung über menschliche Embryonen und „humanbiologisches Material“. Gutachten für die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Recht und Ethik der modernen Medizin“, 2001 (www. bundestag.de), S. 35 f.

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§ 1 Einleitung

B. Ziele und Gang der vorliegenden Untersuchung Zur Verwirklichung ihres Vorhabens gliedert sich die vorliegende Arbeit in vier Hauptteile (Kapitel): Im ersten Kapitel (§§ 2–5) wird zunächst der naturwissenschaftliche Hintergrund des Untersuchungsgegenstandes eingehend beleuchtet. Dies dient vor allem der Verständlichmachung sowie auch Abgrenzung des Sachbereichs, auf den die späteren grundrechtsdogmatischen Konzepte angewendet werden. Ein Verfassungsrechtler, dem biowissenschaftliche Zusammenhänge in der Regel fremd sind, muß schließlich genau wissen, wovon er redet, bevor er sich mit normativen Aussagen in diesen Bereich hineinwagt. Denn nichts ist schlimmer, als wenn er von dem Naturwissenschaftler gesagt bekommt, daß er von falschen oder überholten faktischen Voraussetzungen ausgegangen ist – sein elaboriertes normatives Gebäude fällt dann in sich zusammen wie ein Kartenhaus! Es versteht sich deshalb von selbst, daß im ersten Kapitel die aktuellsten Erkenntnisse moderner Biotechnologie, so z. B. die mögliche Herstellung begrenzt entwicklungsfähiger Laborartefakte nach Schöler oder die naturwissenschaftliche Totipotenzdebatte, ausführlich thematisiert werden. Wenn in der vorliegenden Arbeit im übrigen selten vom „extrakorporalen Embryo“ und dafür meist von der „extrakorporalen Entität“7 die Rede ist, so ist diese Begriffsverwendung der notwendigen Erschließung eines weiteren Sachbereichs geschuldet: Denn im klassischen Begriff des „Embryos“8 sind viele der hier ebenfalls relevanten extrakorporalen Existenzformen menschlichen Lebens, wie Vorkernstadien,9 Parthenoten10 usw., gar nicht enthalten, so daß eine umfassendere und zugleich möglichst neutrale Begrifflichkeit gesucht werden mußte. Das nachfolgende zweite Kapitel (§§ 6–8), das den rechtspolitischen Hintergrund beleuchtet, erfüllt im wesentlichen zwei Funktionen: Zum einen leitet es von der naturwissenschaftlichen auf die juristische Ebene über, indem es die Entstehungsgeschichte der beiden zentralen deutschen Gesetze zu extrakorporalem menschlichem Leben, des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) von 1990 und des Stammzellgesetzes (StZG) von 2002, analysiert. Beide Normsetzungsprozesse können dabei als zeitversetzte Reaktionen auf die im ersten Kapitel geschilderten naturwissenschaftlichen Neuerungen verstanden werden. Am An-

7 Diese Begriffsverwendung findet sich z. B. auch bei W. Böckenförde, Bleibt die Menschenwürde unantastbar?, Blätter für deutsche und internationale Politik 2004, 1216, 1222, oder H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Band I, 2. Aufl. 2004 Rdnr. 113 f. 8 Von griech. æmbruon [émbryon] = „Innensprießendes“. 9 Dazu unten § 2 A. I. 10 Dazu unten § 4 A.

§ 1 Einleitung

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fang der Rechtsentwicklung stand nämlich noch keineswegs das heute so ubiquitäre Verfassungsrecht, sondern zunächst das einfache Recht, das normative Lösungen für das damals neue Phänomen extrakorporaler Befruchtung oder später für die Möglichkeit der Gewinnung humaner embryonaler Stammzellen suchte. Zugleich führt dieses Kapitel aber auch an die verfassungsrechtliche Thematik der Arbeit heran: Wie haben der Gesetzgeber bzw. die vorbereitenden Gremien, Expertengruppen usw. die besonders enge Verzahnung von Verfassungsrecht und einfachem Recht gesehen? Inwieweit ist bereits aus der Entstehungsgeschichte beider Gesetze eine Debatte grundrechtsdogmatischer Konzepte zu extrakorporalem menschlichem Leben ablesbar? Im dritten Kapitel (§§ 9–11) steht mit dem Grundrechtsträgerkonzept dann das erste der beiden hier thematisierten dogmatischen Modelle zu extrakorporalem menschlichem Leben im Mittelpunkt. Trotz der bereits umfangreichen Literatur ist für die vorliegende Arbeit eine Auseinandersetzung mit diesem Denkansatz in mehrfacher Hinsicht unabdingbar: Zunächst deshalb, weil neue Modelle schlicht überflüssig wären, wenn dieses unter deutschen Verfassungsrechtlern weithin anerkannte Konzept eine überzeugende Antwort auf die zentralen verfassungsrechtlichen Fragen humaner Biotechnologie liefern würde. Zum anderen ist aber auch ein tieferes Verständnis des Vorwirkungskonzepts nur vor dem Hintergrund des bisherigen „substanzschutzdogmatischen“ Denkens möglich. Das Grundrechtsträgerkonzept fungiert in diesem Sinne als eine Art Vergleichsfolie, an der die theoretischen und rechtspraktischen Unterschiede zum späteren Vorwirkungskonzept gleichsam gespiegelt werden können. Die dabei zunächst zu leistende Analyse der theoretischen Begründung des Grundrechtsträgerkonzepts ist ein Versuch, einen systematischen Weg durch das Dickicht der komplexen Argumentationsstrategien juristischer und außerjuristischer Provenienz zu weisen und zugleich zu beurteilen, welche dieser Argumente als nicht tragfähig oder systemwidrig am Wegesrand zurückgelassen werden müssen. Typische Fragen, die sich im Zusammenhang mit der theoretischen Analyse ergeben, sind etwa: Welche Ergebnisse sind mit klassisch-juristischen Auslegungsmethoden bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG zu erzielen? Welche argumentative Rolle spielt die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch für die Grundrechtsträgerthese? Oder welche Bedeutung kommt Argumentationsstrategien zu, die auf die sog. SKIP-Quadrologie der Ethikwissenschaften zurückgreifen und diese spezifisch grundrechtsdogmatisch rezipieren? Da viele der Begründungsstrategien für das Grundrechtsträgerkonzept ursprünglich im außerjuristischen Kontext entwickelt worden sind, macht eine solche Analyse nur Sinn, wenn man bereit ist, sich auch mit den philosophiegeschichtlichen Wurzeln dieser Argumente auseinanderzusetzen. Ein weiteres Mal muß sich der Verfassungsrechtler also auf ein für ihn fremdes Feld vorwagen, doch dürfte ihm die Ethik als normative Nachbarwissenschaft weit weniger fremd sein als die Biotechnik.

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§ 1 Einleitung

Nach der theoretischen Erörterung des Grundrechtsträgerkonzepts wird im dritten Kapitel auch ein Blick auf die Anwendung, mithin auf die praktische Seite dieses Modells, geworfen. Welche verfassungsrechtlichen Parameter gelten für diese Umsetzung ins einfache Recht? Wie lassen sich die zahlreichen Anwendungskonstellationen sinnvoll strukturieren, und wo finden sich insoweit systemkonforme und systemwidrige Lösungen im geltenden Bioethikrecht? Ist das geltende Embryonenschutzgesetz, wie teilweise behauptet,11 wirklich nichts anderes als ein „Ausführungsgesetz zu Art. 1 I GG“? In methodischer Parallelität zum voraufgegangenen Kapitel wird schließlich im vierten Kapitel (§§ 12–14) das bisher kaum erforschte Vorwirkungskonzept zu extrakorporalem menschlichem Leben analysiert. Auch hier sind die theoretischen Vorannahmen und rechtspraktischen Folgerungen alles andere als eindeutig. Beginnend mit einer Reflexion des schillernden Begriffs der „Grundrechtsvorwirkungen“ selbst widmet sich der theoretische Abschnitt der Frage nach der dogmatischen Begründung der verfassungsrechtlichen Vorwirkungsidee im Bereich der Humangenetik und diskutiert wie vorher beim Grundrechtsträgerkonzept normtextorientierte, judikaturorientierte und ethikorientierte Argumentationsstrategien. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die verfassungsdogmatische Konstruktion grundrechtlicher Vorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG gelegt. Nach der theoretischen Begründung stehen dann im letzten Abschnitt die Fragen der praktischen Anwendung des Vorwirkungskonzepts im Vordergrund. Nach Herausarbeitung der verfassungsrechtlichen Parameter zu Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG geht es in erster Linie darum, den neuen Denkansatz bei ausgewählten Problemfeldern humaner Biotechnologie „durchzuspielen“ und dabei Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum früheren Grundrechtsträgerkonzept aufzuzeigen.

11 Hillgruber, Recht und Ethik, in: de Wall/Germann, Festschrift Link, S. 637, 646 f.

1. Kapitel

Naturwissenschaftlicher Hintergrund – oder: Drei Etappen biotechnischer Erzeugung extrakorporalen menschlichen Lebens Wurden in der Anfangszeit der Biomedizin, d. h. in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, extrakorporale menschliche Embryonen noch ausschließlich für prokreative Zwecke hergestellt, ist dieser Bereich inzwischen lange von der Forschung auf dem Gebiet humaner embryonaler Stammzellen (ES-Zellen) in den Hintergrund gedrängt worden. Betrachtet man nur die Entwicklung der vergangenen Jahre (2003–2005) auf diesem Feld, so ist beinahe kein Monat vergangen, in dem nicht bisher völlig neue Erkenntnisse bekannt wurden und die interessierte Öffentlichkeit in Staunen versetzten. Dabei erwiesen sich jedoch nicht alle zunächst als wissenschaftliche Sensationen gefeierten Erfolge als dauerhaft, sondern wurden zum Teil schon kurze Zeit später als betrügerische Manipulationen entlarvt. Der rasante Fortschritt der Stammzellforschung hat aber insgesamt zur Folge, daß es sich mittlerweile als zu simplistisch erweist, immer noch von dem extrakorporalen Embryo (im Singular) zu sprechen, sondern heute vielmehr eine multiple Phänomenologie extrakorporalen menschlichen Lebens in den Blick genommen werden muß. Dieser immer komplexer werdende naturwissenschaftliche Sachstand erschwert die juristische und speziell verfassungsrechtliche Bewältigung der auftretenden Rechtsprobleme natürlich enorm. Bei seiner Darstellung kann es trotz aller angestrebten Präzision nicht darum gehen, die gesamte Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte auf den Gebieten der Biomedizin und Stammzellforschung im einzelnen nachzuzeichnen, was einem Nichtnaturwissenschaftler ohnehin nur begrenzt möglich wäre. Statt dessen soll hier der Versuch unternommen werden, drei zentrale Etappen biotechnischer Erzeugung extrakorporalen menschlichen Lebens herauszuarbeiten und jeweils deren herausragende Wissenschaftsfortschritte zu charakterisieren. Entsprechend dem historischen Verlauf bietet es sich dabei an, zwischen extrakorporalen Embryonen aus künstlicher Befruchtung (dazu nachfolgend § 2), extrakorporalen Zellkerntransferklonen (dazu nachfolgend § 3) sowie extrakorporalen begrenzt entwicklungsfähigen Laborartefakten (dazu nachfolgend § 4) zu unterscheiden. Alle drei Etappen sind dabei nicht als zeitlich abgeschlossene Phasen, sondern als sich überlappende Entwicklungslinien zu begreifen, was sich graphisch etwa so wie in Übersicht 2 (S. 28) darstellen läßt.

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1. Kap.: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

§4 §3 §2

1959: künstli- 1962: künstli- 1978: Geburt che Befruch- che Befruch- nach künstlicher tung (IVF) tung (IVF) Befruchtung bei Säugetie- beim Men- (IVF) beim ren (Chang) schen (Ed- Menschen wards) (Edwards)

1996: somatischer Zellkerntransfer bei Säugetieren („Dolly“) (Wilmut)

1998: Eta- 2003: künstliblierung che Keimzelmenschli- len bei Säucher ES- getieren Zellen (Schöler) (Thomson)

2004: somati- 2005: künstscher Zell- liche Keimkerntransfer zellen beim beim Men- Menschen? schen (Aflatoonian) (Hwang)

Übersicht 2: Entwicklungslinien der biomedizinischen Forschung1

§ 2 Erste Etappe: Extrakorporale Embryonen aus künstlicher Befruchtung Die erste noch ganz im Zeichen der Fortpflanzungsmedizin stehende Etappe ist dadurch charakterisiert, daß es mit Hilfe neuer Techniken gelang, Teile der menschlichen Reproduktion erfolgreich unter Laborbedingungen nachzuvollziehen. Im Rahmen der Sterilitätsbehandlung konnten menschliche Embryonen erstmals außerhalb des weiblichen Körpers hergestellt und für einen begrenzten Zeitraum in der Petrischale („in vitro“)2 weiterentwickelt werden, so daß diese erste Etappe als Geburtsstunde extrakorporalen menschlichen Lebens überhaupt verstanden werden muß. Während die erste erfolgreiche In-vitro-Fertilisation mit anschließendem Embryotransfer bei einem Säugetier schon für das Jahr 1959 belegt ist, gelang die entsprechende Schaffung von Humanembryonen erst in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts.3 Mit den Arbeiten von Edwards, die 1 Die gestrichelte Linie markiert jeweils wissenschaftliche Neuerungen im Außerhumanbereich, während die durchgezogene Linie parallele Entwicklungen beim Menschen kennzeichnet. Zu den teilweise manipulierten Versuchsergebnissen von Hwang (2004) siehe unten § 3 B. I. 2 Von lat. vitrum (= Glas) mit dem Gegenbegriff „in vivo“. 3 Sie wird gemeinhin auf das Jahr 1962 datiert und Edwards zugeschrieben. Chang wendete das IVF-Verfahren erstmals 1959 erfolgreich beim Kaninchen an. Geht man weiter in der Geschichte der künstlichen Befruchtung zurück, lassen sich Experimente

§ 2 Erste Etappe: Extrakorporale Befruchtungsembryonen

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am 25. Juli 1978 in England zur sensationellen Geburt des weltweit ersten „Retortenbabys“ (Louise Brown) führten, gerieten diese Experimente ins Blickfeld eines breiten öffentlichen Interesses.4 In der ersten reproduktionsmedizinischen Etappe wurde die Daseinsform des menschlichen Embryos außerhalb des weiblichen Körpers zunächst nur als kurze notwendige Durchgangsstation auf dem Weg zur natürlichen intrakorporalen Weiterentwicklung angesehen und mehr oder weniger unfreiwillig in Kauf genommen. Angesichts dieser engen Bezüge zur Embryonalentwicklung in vivo, die auch für das Verständnis sämtlicher späterer Wissenschaftsfortschritte unabdingbar ist, geht die folgende Darstellung zunächst hierauf ein (dazu nachfolgend A.) und betrachtet anschließend die reproduktionsmedizinischen Besonderheiten bei der Schaffung extrakorporaler menschlicher Embryonen (dazu nachfolgend B.).

A. Die biologische Entwicklung des menschlichen Embryos in vivo5 Nach traditioneller Einteilung der medizinischen Embryologie umfaßt die Frühphase menschlicher Entwicklung in vivo, also die Embryonalphase im biologischen Sinn, einen Zeitraum von etwa acht Wochen. Er wird in aller Regel vom Beginn der Befruchtung (Konzeption) bis zum Abschluß der embryonalen Organentwicklung (Organogenese) berechnet und kann vereinfachend in folgende Stadien unterteilt werden:

bei Säugetieren bis ins 18. Jahrhundert nachweisen. Vgl. Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“. Schlußbericht (BT-Drs. 14/9020), 2002, S. 28 f.; B. Orland, Die menschliche Fortpflanzung im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit, in: G. Maio/H. Just (Hrsg.), Forschung an embryonalen Stammzellen in ethischer und rechtlicher Perspektive, 2003, S. 7 ff., sowie den interessanten Rückblick von R. Edwards, The bumpy road to human in vitro fertilization, Nature Medicine 7 (2001), 1091. 4 P. Steptoe/R. Edwards, Birth after the reimplantation of a human embryo, The Lancet 1978 (II), 366. 5 Vgl. zum Folgenden insbesondere H. Beier, Der Beginn der menschlichen Entwicklung aus dem Blickwinkel der Embryologie, Zeitschrift für ärztliche Fortbildung und Qualitätssicherung (ZaeFQ) 96 (2002), 351; N. Knoepffler, Menschenwürde in der Bioethik, 2004, S. 50 ff.; K. Moore/T. Persaud, Embryologie, 4. Aufl. 1996, S. 12 ff.; G. Rager, Der Stand der Forschung zum Status des menschlichen Embryos, in: A. Holderegger/R. Pahud de Mortanges (Hrsg.), Embryonenforschung, 2003, S. 11 ff.; J. Rohen/E. Lütjen-Drecoll, Funktionelle Embryologie, 2. Aufl. 2004, S. 15 ff.; T. Sadler, Medizinische Embryologie, 10. Aufl. 2003, S. 29 ff.; F. Sinowatz, Befruchtung, in: ders./J. Seitz u. a., Embryologie des Menschen, 1999, S. 57 ff.; C. Viebahn, Eine Skizze der embryonalen Frühentwicklung, in: G. Damschen/D. Schönecker (Hrsg.), Der moralische Status menschlicher Embryonen, 2003, S. 269 ff.

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1. Kap.: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

I. Befruchtung (0. bis 24. Std. p. c.)6 Die am Beginn der Embryonalentwicklung stehende Befruchtung stellt dabei kein punktuelles Ereignis, sondern eine länger dauernde Kaskade verschiedener Entwicklungsschritte dar, die sich vom Moment des Eindringens der Samenzelle (Spermiums) in die Eizelle (Oozyte), der sog. Imprägnation, bis zur ihrem Abschluß, der sog. Syngamie, über eine Phase von ca. 24 Stunden hinzieht. Vor der eigentlichen Befruchtung müssen dabei die Eizelle bzw. ihre Vorläufer einen schon in der Pränatalphase beginnenden Reifungsprozeß durchlaufen, den man als „Oogenese“ bezeichnet: Während der frühen Fetalperiode, nämlich etwa bis zum 5. Monat der Fetalentwicklung, bilden sich aus den Eistammzellen (Oogonien) durch mehrere mitotische Teilungen zunächst primäre Oozyten, welche in der Folge zwei spezifische Reifeteilungen (Meiose I und Meiose II) durchmachen.7 Biologischer Sinn dieser Reifeteilungen ist die Umwandlung des ursprünglich diploiden (doppelten) in einen haploiden (einfachen) Chromosomensatz, der zusammen mit dem haploiden Chromosomensatz der Samenzelle den diploiden Satz des neuen Organismus ergibt und so eine genetische Neukombination bewirkt.8 Aufgrund des Phänomens des sog. Crossing-over, also des Austauschs von Genabschnitten während der ersten Reifeteilung (Meiose I), wird die genetische Variabilität noch zusätzlich erhöht.9 Im Gegensatz zur ebenfalls meiotischen Teilung bei der Spermatogenese (Samenzellbildung), bei der sich als Endprodukte morphologisch völlig gleichartige Spermien bilden,10 verläuft der Reifungsprozeß bei der Eizelle asymmetrisch: Aus einer primären Oozyte gehen im Zuge der ersten Reifeteilung (Meiose I), die noch vor der Geburt beginnt und kurz vor dem Eisprung (Ovulation) abgeschlossen wird, zwei ungleiche Zellen hervor, nämlich die sekundäre Oozyte, die fast das gesamte Zytoplasma ihrer Vorläuferzelle enthält, sowie der erste Polkörper, der für die weitere Eizellentwicklung nicht mehr benötigt wird und daher rasch degeneriert.11 Erst während der Ovulation durchläuft der Zellkern dieser sekundären Oozyte seine zweite Reifeteilung (Meiose II), 6 Sämtliche Zeitangaben beziehen sich auf den Konzeptionszeitpunkt („post conceptionem“). Diese Präzisierung ist erforderlich, da in der Fachliteratur bei Zeitangaben, etwa bei der Berechnung der Schwangerschaftsdauer, auch auf den Zeitpunkt der letzten Menstruation (p. m.) abgestellt wird (vgl. dazu M. Bergmann, Schwangerschaft, in: F. Sinowatz/J. Seitz u. a., Embryologie des Menschen, 1999, S. 106). 7 Sadler, Medizinische Embryologie, S. 23; Moore/Persaud, Embryologie, S. 17. Eine graphische Darstellung der Meiose findet sich auch in Übersicht 5 (unten S. 60). 8 Moore/Persaud, Embryologie, S. 34. 9 Das Phänomen des Crossing-over wird gut erläutert von Sadler, Medizinische Embryologie, S. 4 ff. 10 Eine vergleichende graphische Übersicht zur Gametogenese liefert Sadler, Medizinische Embryologie, S. 7. 11 Sadler, Medizinische Embryologie, S. 17.

§ 2 Erste Etappe: Extrakorporale Befruchtungsembryonen

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beendet diese jedoch nicht, sondern arretiert sie noch vor der Befruchtung im Stadium der Metaphase.12 Der eigentliche Befruchtungsvorgang wird dann dadurch eingeleitet, daß es im Eileiter (Ovar) kurze Zeit nach der Ovulation zum Eindringen einer Samenzelle in die sekundäre Oozyte und damit zur Imprägnation der Eizelle kommt. In der Folgezeit, nämlich spätestens bis zur 16. Stunde p. c., beendet die Oozyte ihre bisher arretierte zweite meiotische Teilung und stößt einen weiteren ebenfalls funktionslosen Polkörper aus.13 Der zurückbleibende haploide Zellkern wandelt sich sogleich in den weiblichen Vorkern (Pronukleus) um; gleichzeitig vergrößert sich der eingedrungene Spermienkopf und wird zum haploiden männlichen Vorkern.14 Diese Entwicklungsphase, die auch als Vorkernstadium bezeichnet wird, ist biologisch äußerst bedeutsam, da mit dem Abschluß der zweiten Reifeteilung und der Ausstoßung des zweiten Polkörpers, also noch lange vor der späteren Syngamie („Kernverschmelzung“), die genetische Identität des späteren Organismus vollständig determiniert ist.15 In diesem Stadium befindet sich bereits das gesamte mütterliche und väterliche Genom in der imprägnierten Eizelle, ist allerdings noch lokal getrennt auf die beiden Vorkerne verteilt. Die Vorkerne, in denen zur Vorbereitung der späteren ersten Zellteilung eine sog. DNA-Replikation stattfindet, bewegen sich dann bis zur 24. Stunde p. c. aufeinander zu, lösen ihre Kernmembranen auf und ordnen sich mit ihren Chromosomen auf der Spindel für die erste Zellteilung an.16 Dieser Vorgang heißt Syngamie und markiert den endgültigen Abschluß der Befruchtungskaskade.17 Die hierfür laienhaft gebrauchte Bezeichnung „Kernverschmelzung“, die auch Eingang in die einfachgesetzliche Legaldefinition des Embryos im Embryonenschutzgesetz18 gefunden hat, ist insofern ungenau, als es biologisch nicht zu einer echten Verschmelzung beider Vorkerne und zur Ausbildung einer neuen Kernmembran kommt.19 Das Einzellstadium, die sog. Zygote20, existiert in der 12 Sadler, Medizinische Embryologie, S. 23; Moore/Persaud, Embryologie, S. 17; Rohen/Lütjen-Drecoll, Funktionelle Embryologie, S. 12. 13 Rohen/Lütjen-Drecoll, Funktionelle Embryologie, S. 16; Rager, Stand der Forschung, in: Holderegger/Pahud de Mortanges, Embryonenforschung, S. 11, 13. 14 Sadler, Medizinische Embryologie, S. 33; Rohen/Lütjen-Drecoll, Funktionelle Embryologie, S. 16; Moore/Persaud, Embryologie, S. 34. 15 Rager, Stand der Forschung, in: Holderegger/Pahud de Mortanges, Embryonenforschung, S. 11, 13 und 16. 16 Sadler, Medizinische Embryologie, S. 32 f. 17 Viebahn, Skizze der embryonalen Frühentwicklung, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status, S. 269, 271; Sinowatz, Befruchtung, in: ders./Seitz u. a., Embryologie des Menschen, S. 57, 63. 18 § 8 I ESchG: „Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, . . .“ (Hervorh. T. H.).

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1. Kap.: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

menschlichen Embryonalentwicklung strenggenommen nicht, sondern stellt nur eine kurze Vorbereitungsphase für die sofort einsetzende erste Zellteilung dar, die spätestens 30 Stunden nach der Konzeption beendet wird.21 Aus diesem Grund wird der Begriff „Zygote“ in der einschlägigen Fachliteratur teilweise auch erst für den Embryo im Zweizellstadium verwendet;22 andere möchten den Terminus dagegen bereits auf das noch frühere Vorkernstadium wegen der dort schon feststehenden genetischen Identität ausdehnen.23 II. Furchung und Blastozystenbildung (ca. 2. bis 5./6. Tag p. c.) Die Zygote – hier wie mehrheitlich in der Fachliteratur für den „Einzellembryo“ im Syngamiestadium verwendet24 – beginnt ab dem zweiten Entwicklungstag mit sog. Furchungsteilungen, also Zellteilungen in gleich große Blastomeren (Furchungszellen), die in dieser Frühphase zusammen noch das gleiche Volumen wie die Zygote einnehmen.25 Nach spätestens 30 Stunden ist das Zweizellstadium, nach 40 Stunden das Vierzellstadium und nach 48 Stunden, d. h. am Ende des zweiten Entwicklungstags, das Achtzellstadium erreicht.26 Nach immer noch herrschender Auffassung besteht nur (maximal) bis zu diesem Achtzellstadium Totipotenz im Sinne der klassischen Entwicklungsbiologie, womit gemeint ist, daß einzelne Blastomeren dieses Frühembryos noch die Eigenschaft besitzen, bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen ein komplettes Individuum hervorzubringen (Totipotenz = Fähigkeit zur Ganzheitsbildung);27 19 Beier, ZaeFQ 96 (2002), 351, 352; Viebahn, Skizze der embryonalen Frühentwicklung, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status, S. 269, 271. 20 Von griech. zugün [zygón] = Zweigespann. Damit ist gemeint, daß männliche und weibliche Gameten erstmals miteinander verbunden sind (vgl. Rager, Stand der Forschung, in: Holderegger/Pahud de Mortanges, Embryonenforschung, S. 11, 14, dort Fußn. 6). 21 Rohen/Lütjen-Drecoll, Funktionelle Embryologie, S. 16; Knoepffler, Menschenwürde, S. 55. 22 Vgl. Knoepffler, Menschenwürde, S. 55, 205. 23 Z. B. Rager, Stand der Forschung, in: Holderegger/Pahud de Mortanges, Embryonenforschung, S. 11, 14. 24 Sinowatz, Befruchtung, in: ders./Seitz u. a., Embryologie des Menschen, S. 57, 63; Viebahn, Skizze der embryonalen Frühentwicklung, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status, S. 269, 271; Moore/Persaud, Embryologie, S. 34; Sadler, Medizinische Embryologie, S. 36; Rohen/Lütjen-Drecoll, Funktionelle Embryologie, S. 21. 25 Viebahn, Skizze der embryonalen Frühentwicklung, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status, S. 269, 272. 26 Viebahn, Skizze der embryonalen Frühentwicklung, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status, S. 269, 272; Knoepffler, Menschenwürde, S. 55. 27 Beier, ZaeFQ 96 (2002), 351, 358: „Unter Berücksichtigung aller wissenschaftlichen Ergebnisse der Weltliteratur ist somit erneut festzuhalten, die Potenz zur Ganzbildung geht mit dem 8-Zellstadium für eine einzelne Blastomere zu Ende.“ Dsgl. Rager,

§ 2 Erste Etappe: Extrakorporale Befruchtungsembryonen

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jedoch gilt diese Fähigkeit nicht mehr für alle Blastomeren.28 Ab dem 16-ZellStadium gelten die Zellen hingegen nur noch als pluripotent, d. h. sie sind als einzelne Blastomeren zwar noch in der Lage, sich in zahlreiche Zelltypen zu differenzieren, ein ganzes Individuum können sie jedoch nicht mehr generieren.29 Im weiteren Verlauf seiner Entwicklung wird dieser Frühembryo, bei dem die Zellen ursprünglich nur lose angeordnet sind, zu einem kompakten Verband (Morula), der sich nach weiteren Zellteilungen etwa ab dem vierten Entwicklungstag zur sog. Blastozyste (Keimblase) ausdifferenziert.30 Charakteristisches Merkmal dieser Blastozyste ist die Bildung eines inneren mit Flüssigkeit gefüllten Hohlraums sowie das Vorhandensein zweier unterschiedlicher Zelltypen: Es entstehen einerseits der Embryoblast, die innere Zellmasse der Blastozyste, aus dem der spätere Embryonalkörper hervorgeht, und andererseits der Trophoblast, eine äußere Zellschicht, die sowohl die Blastozystenhöhle als auch den Embryoblast umschließt und das spätere embryonale Hüll- und Nährgewebe bildet.31 Die den Frühembryo bisher umgebende Hülle (Zona pellucida) wird in der Folgezeit bruchstückweise abgeworfen und damit die Nidation (= Implantation) der „freien“ Blastozyste vorbereitet.32 III. Nidation (= Implantation) (ca. 5./6. bis 12. Tag p. c.) Wie bei der Befruchtung handelt es sich bei der anschließenden Nidation (oder Implantation) des Embryos in den mütterlichen Uterus nicht um ein punktuelles Ereignis, sondern einen Prozeß, der zwischen dem fünften und sechsten Entwicklungstag beginnt und etwa am zwölften Tag als abgeschlossen gilt.33 Er Stand der Forschung, in: Holderegger/Pahud de Mortanges, Embryonenforschung, S. 11, 14; Rohen/Lütjen-Drecoll, Funktionelle Embryologie, S. 21; Viebahn, Skizze der embryonalen Frühentwicklung, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status, S. 269, 273. 28 Vgl. auch S. Hetz, Schutzwürdigkeit menschlicher Klone?, 2005, S. 31 m. w. N. 29 Rohen/Lütjen-Drecoll, Funktionelle Embryologie, S. 21; Beier, ZaeFQ 96 (2002), 351, 357. Zur Totipotenz bzw. Pluripotenz siehe unten § 4 C. 30 M. Bergmann, Frühgravidität, Implantation, Fruchthüllen und Plazentation, in: F. Sinowatz/J. Seitz u. a., Embryologie des Menschen, 1999, S. 64, 68 f.; Sadler, Medizinische Embryologie, S. 36. 31 Viebahn, Skizze der embryonalen Frühentwicklung, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status, S. 269, 273; Moore/Persaud, Embryologie, S. 37 f. 32 Rohen/Lütjen-Drecoll, Funktionelle Embryologie, S. 17. 33 Rohen/Lütjen-Drecoll, Funktionelle Embryologie, S. 17; Sadler, Medizinische Embryologie, S. 44. Offensichtlich differieren hier die Zeitangaben in der Literatur: Nach Moore/Persaud (Embryologie, S. 43) beginnt die Implantation erst am 7. Entwicklungstag, nach Viebahn (Skizze der embryonalen Frühentwicklung, in: Damschen/ Schönecker, Der moralische Status, S. 269, 273) ist sie erst am 16. Entwicklungstag abgeschlossen.

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1. Kap.: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

geschieht dadurch, daß sich die freie Blastozyste zunächst an die Oberfläche der Uterusschleimhaut anheftet und nach und nach komplett in diese eindringt.34 Da im Trophoblast sofort nach der Implantation größere Mengen des Hormons HCG (humanes Chorion-Gonadotropin) synthetisiert werden, kommt es nicht wie im normalen Zyklus zur Degeneration des Gelbkörpers im mütterlichen Eileiter und damit einer Abstoßung der Uterusschleimhaut (Menstruation).35 Untersucht man die biologische Forschungsliteratur zur Nidation etwas genauer, so fällt auf, daß manche Aspekte dieses „biologischen Paradoxons“36, insbesondere hinsichtlich der Synchronisierungsvorgänge zwischen Frühembryo und mütterlichem Organismus, noch nicht restlos geklärt sind. Unter Fachleuten herrscht vor allem Streit über die genaue Funktion des Uterus bei der Nidation und die Frage, ob und in welcher Form von einer steuernden (instruktiven) Rolle des mütterlichen Organismus für die Einnistung und weitere Entwicklung des Embryos auszugehen ist.37 Auf der einen Seite des Meinungsspektrums wird herausgestellt, der mütterliche Organismus sei für die Nidation sowie die weitere Embryonalentwicklung insoweit essentiell, als erst sog. Positionseffekte oder -signale der mütterlichen Uterusschleimhaut die korrekte Ausrichtung des Embryos bei der Nidation und seine spätere Achsenbildung, also die Fähigkeit zur Formierung einer elementaren Körpergrundgestalt, bewirkten.38 Im diesem Sinne vertritt etwa Christiane Nüsslein-Volhard39 die Auffassung, daß die menschliche Zygote im Gegensatz zu Vögel- oder Amphibienembryonen aus sich selbst heraus lediglich die Fähigkeit zur Blastozystenbildung besitze, während das gesamte weitere Entwicklungsprogramm erst mit der Nidation vervollständigt werde:

34 Viebahn, Skizze der embryonalen Frühentwicklung, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status, S. 269, 273; Rohen/Lütjen-Drecoll, Funktionelle Embryologie, S. 17 ff. 35 Rohen/Lütjen-Drecoll, Funktionelle Embryologie, S. 19; Bergmann, Frühgravidität, in: Sinowatz/Seitz u. a., Embryologie des Menschen, S. 64, 71. 36 Bergmann, Frühgravidität, in: Sinowatz/Seitz u. a., Embryologie des Menschen, S. 64, 70. 37 Der Streit ist sehr gut dargestellt bei Knoepffler, Menschenwürde, S. 53 f., sowie R. Beckmann, Der Embryo und die Würde des Menschen, in: ders./M. Löhr (Hrsg.), Der Status des Embryos, 2003, S. 170, 181 ff. 38 Vgl. Knoepffler, Menschenwürde, S. 53. Ähnlich C. Kummer, Biomedizinkonvention und Embryonenforschung, in: A. Eser (Hrsg.), Biomedizin und Menschenrechte, 1999, S. 59, 68 ff.; modifiziert in ders., Läßt sich ein Zeitpunkt für den Beginn des personalen Menschseins angeben?, in: F. Oduncu/U. Schroth/W. Vossenkuhl (Hrsg.), Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen, 2002, S. 148, 154 f. 39 C. Nüsslein-Volhard, Wann ist ein Tier ein Tier, ein Mensch kein Mensch?, FAZ vom 2.10.2001, S. 55; dies., Der Mensch nach Maß – unmöglich, SZ vom 1./ 2.12.2001, Feuilleton-Beilage S. 1, 2; dies., Von Genen und Embryonen, 2004, S. 66 ff.

§ 2 Erste Etappe: Extrakorporale Befruchtungsembryonen

35

„Nun ist es zwar klar, daß ein Hühnerembryo oder ein Froschembryo sich von der Befruchtung an kontinuierlich bis zum Schlupf entwickelt und auch das volle Entwicklungspotential hat. Bei Menschen (und Säugetieren) ist das aber erst nach der Einnistung in den Uterus der Mutter der Fall: Die Zygote hat lediglich das Potential, eine Blastozyste zu bilden, die aus der Eihülle schlüpfen muß, um mit der Einnistung das nächste Stadium der Entwicklung zu beginnen . . . Erst mit der Einnistung ist das Entwicklungsprogramm vollständig.“40

Demgegenüber behaupten Günter Rager41 und insbesondere Hans-Werner Denker42, daß von einer instruktiven Rolle des mütterlichen Organismus bzw. mütterlichen Fremdsteuerung keine Rede sein könne, sondern der menschliche Frühembryo bereits eine volle eigene Steuerungsfähigkeit und damit auch eigene Fähigkeit zur Achsenbildung besitze. Denker faßt seine diesbezüglichen Forschungen wie folgt zusammen: „Die Zygote besitzt im Prinzip alle Informationen, die zur Realisierung dieses Entwicklungsprogramms notwendig sind . . . Es gibt keinerlei experimentelle Hinweise darauf, daß Informationen von seiten des Uterus für die Achsenbildung im Säugetierembryo essentiell sind.“43

Zwar ist im naturwissenschaftlichen Diskurs derzeit noch keine endgültige Klärung dieses grundlegenden Streits um die Rolle des Uterus für die weitere Entwicklung des Embryos erfolgt. Neuere Forschungen, etwa von Gardner,44 Piotrowska/Zernicka-Goetz45 oder Hiiragi/Solter46, die von einer sehr frühen Achsendetermination im Mausembryo berichteten, scheinen aber anzudeuten, daß die Position von der instruktiven Rolle des Uterus (Nüsslein-Volhard) zumindest in dieser Zuspitzung wohl nicht haltbar ist.47 Sie wird deshalb in der 40

Nüsslein-Volhard, Von Genen, S. 67 f. Rager, Stand der Forschung, in: Holderegger/Pahud de Mortanges, Embryonenforschung, S. 11, 18: „Von der Zygote an stellt der Embryo im Raum der Zona pellucida ein einheitliches, sich selbst organisierendes System dar.“ 42 H.-W. Denker, Embryonale Stammzellen als entwicklungsbiologisches Modell, in: G. Rager/A. Holderegger (Hrsg.), Die Frühphase der Entwicklung des Menschen, 2003, S. 23 ff. 43 Denker, Embryonale Stammzellen als entwicklungsbiologisches Modell, in: Rager/Holderegger, Frühphase der Entwicklung, S. 23, 58 f. 44 R. Gardner, Specification of embryonic axes begins before cleavage in normal mouse development, Development 128 (2001), 839; ders./T. Davies, The basis and significance of pre-patterning in mammals, Philosophical Transactions/Biological Sciences 358 (2003), 1331. 45 K. Piotrowska/M. Zernicka-Goetz, Early patterning of the mouse embryo – contributions of sperm and egg, Development 129 (2002), 5803; M. Zernicka-Goetz, Patterning of the embryo: The first spatial decisions in the life of a mouse, Development 129 (2002), 815; dies., First cell fate decisions and spatial patterning in the early mouse embryo, Cell & Developmental Biology 15 (2004), 563. 46 T. Hiiragi/D. Solter, First cleavage plane of the mouse egg is not predetermined but defined by the topology of the two apposing pronuclei, Nature 430 (2004), 360. 47 H.-W. Denker (Forschung an embryonalen Stammzellen, in: F. Oduncu/U. Schroth/W. Vossenkuhl [Hrsg.], Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen, 41

36

1. Kap.: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

vorliegenden Untersuchung auch nicht als Anknüpfungspunkt für normative Wertungen herangezogen. IV. Gastrulation und weitere Entwicklung des Embryos (ca. 8. Tag bis 8. Woche p. c.) Ab dem achten Entwicklungstag, also noch während der Nidation, setzt dann im Frühembryo ein zellulärer Umorganisierungsprozeß ein, der entwicklungsbiologisch als „Gastrulation“ bezeichnet wird und zur Ausbildung differenzierter Gewebeschichten, der sog. Keimblätter, führt.48 In der ersten Phase bildet sich dabei im Embryoblast eine zweiblättrige Keimscheibe, die aus den primären Keimblättern Ektoderm (Epiblast) und Entoderm (Hypoblast) besteht.49 An der Stelle, wo dieses Ektoderm und Entoderm aneinandergrenzen, entwickelt sich in seinem allerfrühesten Stadium der spätere Embryonalkörper.50 Hierzu wandelt sich mit Beginn der 3. Entwicklungswoche, also ca. ab dem 15. Entwicklungstag, die zunächst zweiblättrige Keimscheibe in eine dreiblättrige Keimscheibe um.51 Dies geschieht dadurch, daß sich zunächst auf dem Ektoderm ein sog. Primitivstreifen ausbildet, womit ein länglicher Zellstrang bezeichnet wird, der die Achsenausrichtung des späteren Embryonalkörpers – zunächst in Rechts-links-Richtung – festlegt. Der Primitivstreifen ist nach vorne durch den sog. Primitivknoten (Hensen-Knoten) begrenzt, der als Ausgangspunkt für den späteren Kopffortsatz (Chordafortsatz) fungiert und damit für die Oben-unten-Ausrichtung des Embryos verantwortlich ist.52 Die Phase der Primitivstreifenbildung ist bei Säugetieren biologisch von erheblicher Bedeutung, da mit ihr die Möglichkeit monozygoter Mehrlingsbildung definitiv endet.53 2002, S. 19, 33) hält angesichts dieser Forschungen die „Aufprägungsthese“ für wissenschaftlich widerlegt. Ähnlich J. Wisser, Der menschliche Embryo vor der Implantation – Gedanken aus der vorgeburtlichen Medizin, in: G. Maio/H. Just (Hrsg.), Die Forschung an embryonalen Stammzellen in ethischer und rechtlicher Perspektive, 2003, S. 42, 46: „Selbst auf Nachfrage konnte der Unterschied zwischen dem Entwicklungsprogramm vor und nach der Einnistung nicht benannt werden. Die Aussage basiert somit nicht auf den Erkenntnissen der Nobelpreisträgerin, sondern ist ihre persönliche Meinung.“ 48 F. Sinowatz, Keimblattbildung und Bildung der Körpergrundgestalt, in: ders./J. Seitz u. a., Embryologie des Menschen, 1999, S. 93 f.; Viebahn, Skizze der embryonalen Frühentwicklung, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status, S. 269, 274 f. 49 Sinowatz, Keimblattbildung, in: ders./Seitz u. a., Embryologie des Menschen, S. 93, 94; Rohen/Lütjen-Drecoll, Funktionelle Embryologie, S. 21; Sadler, Medizinische Embryologie, S. 45. 50 Rohen/Lütjen-Drecoll, Funktionelle Embryologie, S. 21. 51 Sadler, Medizinische Embryologie, S. 59 ff.; Sinowatz, Keimblattbildung, in: ders./Seitz u. a., Embryologie des Menschen, S. 93, 96; nach Rohen/Lütjen-Drecoll (Funktionelle Embryologie, S. 33) erst ab dem 16./17. Tag. 52 Sadler, Medizinische Embryologie, S. 59 f.; Rohen/Lütjen-Drecoll, Funktionelle Embryologie, S. 33 ff.

§ 2 Erste Etappe: Extrakorporale Befruchtungsembryonen

37

Durch den Primitivstreifen wandern in der Folge Zellen des Ektoderms nach unten und bilden zwischen Ektoderm und Entoderm das mittlere (sekundäre) Keimblatt, das Mesoderm, womit die dreiblättrige Keimscheibe vollständig vorliegt.54 Die drei Keimblätter dienen in der weiteren Entwicklung als Ausgangspunkt für die Bildung von Zelltypen bestimmter Organsysteme, so etwa das Ektoderm für Epidermis- und Nervenzellen, das Mesoderm für Knochen-, Muskel-, Blut- oder Lymphzellen und das Entoderm für Zellen des späteren Verdauungs- und Atmungstrakts.55 Die Bildung dieser dreiblättrigen Keimscheibe und damit die Gastrulation sind etwa am Ende der dritten Entwicklungswoche abgeschlossen.56 Auf der Grundlage der ersten Achsenorganisation setzt dann ab der 4. Entwicklungswoche die Organentwicklung (Organogenese) und Ausprägung der embryonalen Körperform ein.57 Bis zum Abschluß dieser Organogenese, die man etwa mit dem Ende der 8. Entwicklungswoche ansetzen kann, trägt der Keim die biologische Bezeichnung „Embryo“.58 Für die Folgezeit bis zur Geburt (3. bis 9. Entwicklungsmonat), die durch ein weiteres Organwachstum und Differenzierung der Körperform gekennzeichnet ist, wird von Naturwissenschaftlern hingegen nur noch der Terminus „Fötus“ („Fetus“) verwendet.59

53 Rager, Stand der Forschung, in: Holderegger/Pahud de Mortanges, Embryonenforschung, S. 11, 21. Zu den in der Natur vorkommenden Varianten monozygoter Mehrlingsbildung bei Säugetieren vgl. Beier, ZaeFQ 96 (2002), 351, 359. 54 Sadler, Medizinische Embryologie, S. 59 ff., str. Nach Viebahn (Skizze der embryonalen Frühentwicklung, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status, S. 269, 274) liefert der Epiblast das Zellmaterial für alle drei Keimblätter. 55 Rohen/Lütjen-Drecoll, Funktionelle Embryologie, S. 21; Sinowatz, Keimblattbildung, in: ders./Seitz u. a., Embryologie des Menschen, S. 93, 94 f. 56 U. Drews, Taschenatlas der Embryologie, 1993, S. 46. 57 Viebahn, Skizze der embryonalen Frühentwicklung, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status, S. 269, 275. 58 Viebahn, Skizze der embryonalen Frühentwicklung, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status, S. 269, 275. Hier a. A. Knoepffler (Menschenwürde, S. 54 f.), der den Abschluß der Organogenese erst mit dem Ende der 10. Entwicklungswoche ansetzt. 59 F. Sinowatz, Ontogenese und Phylogenese, in: ders./J. Seitz u. a., Embryologie des Menschen, 1999, S. 11, 12.

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1. Kap.: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

V. Gesamtübersicht (menschliche Embryonalentwicklung) Die gesamte menschliche Embryonalentwicklung läßt sich in einer zeitlichen Übersicht wie folgt darstellen:60 Zeitpunkt61

Entwicklungsstadium

0

Konzeption (= Beginn der Befruchtung)

12. Stunde

Beginn der Vorkernbildung

18. Stunde

Abschluß der Vorkernbildung

24. Stunde (1. Tag)

Abschluß der Befruchtung (Syngamie; „Kernverschmelzung“) ! Bildung der Zygote

30. Stunde

Erreichung des Zweizellstadiums durch Furchungsteilungen ! Bildung der Blastomeren

40. Stunde

Erreichung des Vierzellstadiums

48. Stunde (2. Tag)

Erreichung des Achtzellstadiums ! Ende der Totipotenz (h. M.)

72. Stunde (3. Tag)

Erreichung des 16-Zell-Stadiums ! Bildung der Morula

4. Tag

Erreichung des 32-Zell-Stadiums ! Bildung der Blastozyste

5./6. Tag

Beginn der Nidation (= Implantation)

8. Tag

Beginn der Gastrulation ! Bildung der zweiblättrigen Keimscheibe

12. Tag

Abschluß der Nidation (= Implantation)

15. Tag

Bildung von Primitivstreifen und dreiblättriger Keimscheibe ! Ausschluß der Mehrlingsbildung

21. Tag

Abschluß der Gastrulation

4. Woche

Beginn der Organogenese

8. Woche

Abschluß der Organogenese ! Ende der Embryonal- und Beginn der Fetalperiode

Übersicht 3: Zeitabschnitte der menschlichen Embryonalentwicklung

60 In Anlehnung an Viebahn, Skizze der embryonalen Frühentwicklung, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status, S. 269, 277, und Knoepffler, Menschenwürde, S. 55. 61 Alle Angaben sind ungefähre Werte und beziehen sich auf den Konzeptionszeitpunkt.

§ 2 Erste Etappe: Extrakorporale Befruchtungsembryonen

39

B. Reproduktionsmedizinische Besonderheiten beim extrakorporalen Embryo aus künstlicher Befruchtung62 Mit Hilfe reproduktionsmedizinischer Techniken können seit einigen Jahrzehnten die geschilderten allerersten embryologischen Entwicklungsschritte von der Imprägnation bis zur Blastozystenbildung auch außerhalb des mütterlichen Organismus initiiert bzw. aufrechterhalten und damit extrakorporale menschliche Embryonen zur Entstehung gebracht werden. I. Behandlungszyklus der künstlichen Befruchtung Der gesamte Behandlungszyklus einer sog. künstlichen Befruchtung63 vollzieht sich dabei in vier Schritten: der ovariellen Stimulation, der Follikelpunktion, der Eizellbefruchtung und dem Embryotransfer (nach Embryokultur). Im einzelnen wird dabei wie folgt vorgegangen: 1. Ovarielle Stimulation und Follikelpunktion Üblicherweise reift in jedem Zyklus der Frau nur ein einziges befruchtungsfähiges Ei in den Ovarien heran. Zur Optimierung des Behandlungsergebnisses wird dieser Zyklus bei der künstlichen Befruchtung über eine hormonelle Stimulationsbehandlung zunächst so gesteuert, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt gleichzeitig mehrere Eizellen heranreifen.64 Die hierfür nötige ovarielle Stimu62 Vgl. zum Folgenden J. Baltzer/M. Graf, Gynäkologie, in: dies. u. a. (Hrsg.), Praxis der Gynäkologie und Geburtshilfe, 2004, S. 338 ff.; Bundesärztekammer, Richtlinien zur Durchführung der assistierten Reproduktion, DÄBl. 95 (1998), A-3166; Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Schlußbericht (BTDrs. 14/9020), S. 30 ff.; K. Diedrich/M. Ludwig, Überblick über die medizinischen Aspekte der Reproduktionsmedizin, in: D. Arndt/G. Obe (Hrsg.), Fortpflanzungsmedizin in Deutschland, 2001, S. 32 ff.; Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik vor und während der Schwangerschaft. Stellungnahme, 2003, S. 15 ff.; J. Neulen, Ovarielle Stimulationstherapie und assistierte Reproduktion, in: C. Keck/J. Neulen u. a., Endokrinologie, Reproduktionsmedizin, Andrologie (Praxis der Frauenheilkunde Band I), 2. Aufl. 2002, S. 189 ff.; H.-D. Taubert/P. Licht, Sterilität und Infertilität, in: H. Schmidt-Matthiesen/D. Wallwiener (Hrsg.), Gynäkologie und Geburtshilfe, 10. Aufl. 2005, S. 123 ff. 63 Der bisweilen ebenfalls gebrauchte Begriff „assistierte Reproduktion“ umfaßt über die extrakorporale Befruchtung hinaus weitere fortpflanzungsmedizinische Verfahren wie die intrauterine Insemination (IUI) oder den intratubaren Gametentransfer (GIFT) (Baltzer/Graf, Gynäkologie, in: dies. u. a., Praxis der Gynäkologie, S. 338, 417; Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik, S. 15). Diese Verfahren werden hier nicht behandelt. 64 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Schlußbericht (BT-Drs. 14/9020), S. 30.

40

1. Kap.: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

lation geschieht heute dadurch, daß man nach einer Vorbehandlung mit eizellreifungshemmenden Substanzen der Frau über einen Zeitraum von ca. zehn Tagen hochdosiertes Gonadotropin (z. B. FSH = follikelstimulierendes Hormon) verabreicht.65 Eine gefürchtete Komplikation dieser Stimulationsbehandlung ist das sog. ovarielle Hyperstimulationssyndrom (OHSS), das zwar nur in weniger als 1% aller Fälle beobachtet wird, dann jedoch mangels kausaler Therapiemöglichkeit sogar zum Tod der betroffenen Patientin führen kann.66 Dabei kommt es aufgrund individueller Disposition zum Heranreifen einer übergroßen Zahl von Eibläschen (Follikeln), die exzessive Mengen an Zytokinen freisetzen. Diese Substanzen erhöhen die Gefäßdurchlässigkeit sowie die Blutgerinnungsneigung, was in letzter Konsequenz zu thromboembolischen Komplikationen, Kreislaufstörungen sowie akutem Nierenversagen führen kann.67 In komplikationslosen Fällen wird etwa eine Woche, nachdem mit der ovariellen Stimulation begonnen wurde und die Follikel eine bestimmte Größe erreicht haben, durch intramuskuläre Injektion des Hormons HCG68 der Eisprung ausgelöst (sog. Ovulationsinduktion).69 Etwa 36 Stunden nach dieser Ovulationsinduktion können dann etwa acht bis zwölf sekundäre Oozyten am Ende der ersten Reifeteilung70 durch transvaginale Punktion aus den einzelnen Follikeln abgesaugt werden.71 Im Gegensatz zum Hyperstimulationssyndrom ist die Komplikationsrate bei der Follikelpunktion zwar sehr viel geringer;72 gleichwohl handelt es sich dabei um einen operativen Eingriff, der bevorzugt in Vollnarkose durchgeführt wird und schon allein deshalb eine nicht unerhebliche Belastung für die Patientin darstellt.73

65 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Schlußbericht (BT-Drs. 14/9020), S. 30; Neulen, Ovarielle Stimulationstherapie, in: Keck/Neulen u. a., Endokrinologie, S. 189, 193. Die Gonadotropintherapie kann auch mit weiteren Medikamenten (sog. GnRH-Analoga) kombiniert werden (Einzelheiten bei Diedrich/ Ludwig, Überblick Reproduktionsmedizin, in: Arndt/Obe, Fortpflanzungsmedizin, S. 32, 33, sowie Neulen, Ovarielle Stimulationstherapie, in: Keck/Neulen u. a., Endokrinologie, S. 189, 190 ff.). 66 Baltzer/Graf, Gynäkologie, in: dies. u. a., Praxis der Gynäkologie, S. 338, 426. 67 Neulen, Ovarielle Stimulationstherapie, in: Keck/Neulen u. a., Endokrinologie, S. 189, 195; Taubert/Licht, Sterilität, in: Schmidt-Matthiesen/Wallwiener, Gynäkologie, S. 123, 146. 68 HCG = humanes Chorion-Gonadotropin. 69 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Schlußbericht (BT-Drs. 14/9020), S. 30; Neulen, Ovarielle Stimulationstherapie, in: Keck/Neulen u. a., Endokrinologie, S. 189, 194. 70 Siehe dazu oben § 2 A. I. 71 Neulen, Ovarielle Stimulationstherapie, in: Keck/Neulen u. a., Endokrinologie, S. 189, 194; Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik, S. 16. 72 Diedrich/Ludwig (Überblick Reproduktionsmedizin, in: Arndt/Obe, Fortpflanzungsmedizin, S. 32, 34) sprechen von einer Komplikationsrate im Promillebereich. 73 Baltzer/Graf, Gynäkologie, in: dies. u. a., Praxis der Gynäkologie, S. 338, 421.

§ 2 Erste Etappe: Extrakorporale Befruchtungsembryonen

41

2. Eizellbefruchtung (IVF bzw. ICSI) und Embryotransfer Zur anschließenden eigentlichen künstlichen Befruchtung der gewonnenen Eizellen stehen heute zwei Verfahren zur Verfügung: Bei der älteren „klassischen“ In-vitro-Fertilisation (IVF) werden die gewonnenen Oozyten in ein einfaches Kulturmedium eingebracht und pro Eizelle ca. 100.000 motile Spermien hinzugefügt, was für eine erfolgreiche Imprägnation in der Regel ausreicht.74 Im Falle erheblicher männlicher Subfertilität muß dagegen die erstmals 1992 von Palermo u. a.75 erfolgreich praktizierte Methode der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) angewandt werden, bei der eine ausgewählte einzelne Samenzelle mit einer Injektionsnadel direkt in das Zytoplasma einer Eizelle injiziert wird.76 Mit dem jeweils angewandten Verfahren werden soweit möglich alle zuvor gewonnenen Eizellen imprägniert. Entsprechend den gesetzlichen Vorschriften dürfen in Deutschland anschließend aber höchstens drei Eizellen die gesamte Befruchtungskaskade bis zum Syngamiestadium durchlaufen, da gemäß § 1 I Nr. 3 ESchG innerhalb eines Zyklus nur maximal drei Embryonen übertragen werden dürfen und keine darüber hinausgehende Zahl an Oozyten befruchtet werden darf (§ 1 I Nr. 5 ESchG). Dies bedeutet, daß bereits im Vorkernstadium eine Auswahl der später zu transferierenden Eizellen getroffen werden muß (sog. Vorkern-Scoring) und nicht für die Übertragung vorgesehene Oozyten im Vorkernstadium kryokonserviert werden.77 Durch diese Kryokonservierung kann der Patientin bei einem evtl. erforderlichen zweiten Behandlungsversuch eine erneute ovarielle Stimulation und Follikelpunktion (s. o.) erspart werden.78 Während man für die Vervollständigung der Befruchtung in Deutschland früher meist die gesetzlich vorgesehene Maximalzahl von drei Embryonen pro Zyklus ausschöpfte, empfehlen die Richtlinien der Bundesärztekammer heute zur Reduktion der Mehrlingsrate bei Patientinnen unterhalb des 35. Lebensjahres nur noch die Befruchtung von zwei Embryonen („double embryo transfer“ = DET).79 – Bei diesen werden im weiteren Verlauf die Zellteilungen etwa bis zum Achtzellstadium beobachtet und die Embryonen dann am zweiten oder 74 Neulen, Ovarielle Stimulationstherapie, in: Keck/Neulen u. a., Endokrinologie, S. 189, 203. 75 G. Palermo/A. van Steirteghem u. a., Pregnancies after intracytoplasmatic injection of single spermatozoon into an oocyte, The Lancet 340 (1992), 17. 76 Taubert/Licht, Sterilität, in: Schmidt-Matthiesen/Wallwiener, Gynäkologie, S. 123, 144. Einzelheiten zur ICSI bei Neulen, Ovarielle Stimulationstherapie, in: Keck/Neulen u. a., Endokrinologie, S. 189, 209 ff. 77 Diedrich/Ludwig, Überblick Reproduktionsmedizin, in: Arndt/Obe, Fortpflanzungsmedizin, S. 32, 34; Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik, S. 16. Zu den Auswahlkriterien im Vorkernstadium Neulen, Ovarielle Stimulationstherapie, in: Keck/ Neulen u. a., Endokrinologie, S. 189, 205 ff. 78 Neulen, Ovarielle Stimulationstherapie, in: Keck/Neulen u. a., Endokrinologie, S. 189, 208.

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1. Kap.: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

dritten Entwicklungstag, d. h. im Furchungsstadium, in den Uterus der Frau transferiert, wo sie sich bei erfolgreicher Implantation grundsätzlich normal weiterentwickeln können.80 Kommt es nicht zum Transfer, etwa weil die Patientin inzwischen erkrankt oder verstorben ist oder aus persönlichen Gründen die Übertragung verweigert, entstehen als Folge der zuvor durchgeführten vollständigen Befruchtung sog. „überzählige“ oder „verwaiste“ Embryonen, die heute meist kryokonserviert werden.81 Mangels einer gesetzlichen Meldepflicht in Deutschland schwanken dabei die Angaben über die tatsächliche Zahl „überzähliger“ Embryonen erheblich. Während bisher häufig eine Zahl zwischen 70 und 90 kryokonservierter Embryonen genannt wurde,82 ist nach jüngeren Angaben des Bundesforschungsministeriums wohl eher von einer dreistelligen Zahl (etwa 100 bis 150) auszugehen.83 II. Geringe Erfolgsraten der künstlichen Befruchtung und denkbare Abhilfen aus reproduktionsmedizinischer Sicht (sog. morphologischer Embryocheck) Der Erfolg einer Infertilitätsbehandlung mittels künstlicher Befruchtung ist in Deutschland statistisch gesehen äußerst niedrig: Wenn auch die Erfolgsraten in Abhängigkeit vom Alter der Frau noch differieren, gelingt es innerhalb eines Behandlungszyklus im Durchschnitt nur etwa 28% der transferierten Embryonen, sich zu implantieren, und nur in etwa 12% aller Fälle – bezogen auf die Zahl der transferierten Embryonen – kann mit der Geburt eines Kindes gerechnet werden (sog. Baby-take-home-Rate).84 Die Ursachen für die sich aus diesen

79 Bundesärztekammer, DÄBl. 95 (1998), A-3166, A-3168, sowie zum wissenschaftlichen Hintergrund S. Fujii/Y. Saito u. a., Reducing multiple pregnancies by restricting the number of embryos transferred to two at the first embryo transfer attempt, Human Reproduction 13 (1998), 3550. 80 Taubert/Licht, Sterilität, in: Schmidt-Matthiesen/Wallwiener, Gynäkologie, S. 123, 143; Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik, S. 16. 81 Zu sog. überzähligen Embryonen eingehend C. Poplutz, Der „verwaiste Embryo“ als Rechtssubjekt, in: R. Beckmann/M. Löhr (Hrsg.), Der Status des Embryos, 2003, S. 236 ff. Eine Rechtspflicht zur Kryokonservierung „überzähliger“ Embryonen, um eine Strafbarkeit aus § 2 I ESchG zu vermeiden, besteht nach h. M. gleichwohl nicht (H.-L. Günther, in: R. Keller/H.-L. Günther/P. Kaiser, Kommentar zum Embryonenschutzgesetz, 1992, § 2 Rdnr. 33 f., str.). Zum Regelungsbedarf bei „überzähligen“ Embryonen und kryokonservierten Vorkernstadien siehe auch Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Schlußbericht (BT-Drs. 14/9020), S. 64 f. 82 Vgl. statt vieler E. Denninger, Embryo und Grundgesetz, KritV 2003, 191, 198 m. w. N. 83 Zu den Zahlen Poplutz, Der „verwaiste Embryo“, in: Beckmann/Löhr, Status des Embryos, S. 236, 239 f. (dagegen z. B. USA [2002]: 400.000 „überzählige“ Embryonen).

§ 2 Erste Etappe: Extrakorporale Befruchtungsembryonen

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Zahlen ergebende suboptimale Implantation und überdurchschnittlich häufig gestörte Frühschwangerschaft nach künstlicher Befruchtung85 sind noch weitgehend ungeklärt. Ein im Ausland praktizierter, in Deutschland aber aufgrund der Gesetzeslage (§ 1 I Nr. 3, 5 ESchG) nach h. M. verbotener Ansatz, dieses Problem zu geringer Erfolgsraten zu lösen, besteht in der „Embryoselektion“ mittels sog. morphologischem Embryocheck: Bei diesem Verfahren werden mehr als drei, nämlich etwa sechs bis acht imprägnierte Eizellen über das Vorkernstadium hinaus weiterkultiviert und unter den daraus entstandenen Embryonen anhand morphologischer Gesichtspunkte eine Vorauswahl für den Transfer getroffen. Hierdurch kann die Implantationsrate deutlich gesteigert bzw. bei Übertragung nur noch eines Embryos („single embryo transfer“ = SET) das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft erheblich reduziert werden.86 Von manchen Reproduktionsmedizinern wird darüber hinaus sogar eine Weiterentwicklung der Embryonen bis zum Blastozystenstadium (5. bis 6. Tag) favorisiert; denn damit würden im Wege einer „Selbstselektion“ nur solche Embryonen übrigbleiben, die dieses Stadium überhaupt erreichen könnten und damit für einen anschließenden Transfer besonders geeignet wären.87 III. Präimplantationsdiagnostik (PID) In den Kontext der extrakorporalen Befruchtung gehört auch das in Deutschland im Gegensatz zu vielen anderen Ländern88 nicht praktizierte Verfahren der sog. Präimplantationsdiagnostik (PID),89 also der genetischen Untersuchung ex84 Zahlen aus: Deutsches IVF-Register, Jahresbericht 2003 (www.deutsches-ivfregister.de), S. 9. 85 Taubert/Licht, Sterilität, in: Schmidt-Matthiesen/Wallwiener, Gynäkologie, S. 123, 145. 86 Hierzu ausführlich H.-G. Koch, Maßnahmen zur Effizienzsteigerung bei medizinisch unterstützter Fortpflanzung aus rechtlicher und rechtsvergleichender Sicht, J. Reproduktionsmed. Endokrinol. 2004, 24, 26 f., sowie R. Neidert, Gesetzesvorschlag. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zum Schutz von Embryonen (ESchGÄndG) vom 28.6.2005 (www.dggg.de), S. 1 ff., mit entsprechenden Änderungsvorschlägen zu § 1 I Nr. 3, 5 ESchG. Zur Mindermeinung, die den morphologischen Embryocheck bereits nach geltendem Recht als zulässig ansieht, vgl. M. Frommel, Die Menschenwürde des Embryos in vitro, KJ 35 (2002), 411, 417 f. 87 Zu diesem Verfahren Diedrich/Ludwig, Überblick Reproduktionsmedizin, in: Arndt/Obe, Fortpflanzungsmedizin, S. 32, 35 f. Auf die Risiken einer möglichen Embryoschädigung bei der Kultivierung bis zum Blastozystenstadium wird hingegen in der Stellungnahme des Nationalen Ethikrats (Genetische Diagnostik, S. 17) hingewiesen. 88 Vgl. dazu die Übersicht in Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Schlußbericht (BT-Drs. 14/9020), S. 92 ff. 89 Das Verfahren ist auch unter der englischen Bezeichnung „preimplantation genetic diagnosis“ (PGD) bekannt.

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1. Kap.: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

trakorporaler Entitäten auf Chromosomenaberrationen (z. B. Trisomie 21) oder monogen verursachte Erbkrankheiten (z. B. Mukoviszidose).90 Diese Untersuchung erfolgt an einer oder mehreren durch Biopsie entnommenen Zellen, wobei die Präimplantationsdiagnostik in drei unterschiedlichen Entwicklungsstadien durchgeführt werden kann: Zunächst kommt schon bei reifen Eizellen die Entnahme und Untersuchung des ersten (vor oder nach erfolgter Befruchtung) oder zweiten Polkörpers (nur nach erfolgter Befruchtung) in Betracht (sog. Polkörperbiopsie).91 Da diese beiden Polkörper jedoch nur das mütterliche Genom enthalten, beschränkt sich die Aussagekraft einer solchen Polkörperdiagnostik auf entsprechende uniparentale Gendefekte.92 Die Präimplantationsdiagnostik wird deshalb in der Regel an extrakorporalen Embryonen im frühen Furchungs- (= Blastomeren)stadium, also beim Vier- bis Achtzellembryo, vorgenommen, indem eine oder zwei totipotente Zellen abgespalten werden.93 Zwar ist eine Präimplantationsdiagnostik grundsätzlich auch noch im späten Furchungs- oder frühen Blastozystenstadium, d. h. bei einem Embryo ab dem 16-Zell-Stadium, durch Entnahme pluripotenter Zellen möglich, was die Zuverlässigkeit der Diagnose durch die höhere Anzahl untersuchter Zellen sogar noch verbessern würde.94 Durch die in dieser Entwicklungsphase bereits stärkere Kompaktion der Zellen besteht dabei jedoch die Gefahr, daß es bei der Biopsie zu Zellzerreißungen kommt, die entweder eine Embryozerstörung oder verfälschte Untersuchungsergebnisse zur Folge haben können.95 Aus diesem Grunde konnte sich die Präimplantationsdiagnostik im späten Furchungs- oder frühen Blastozystenstadium als Standardverfahren bisher noch nicht etablieren.96

90 Zu den mittels PID diagnostizierbaren Krankheiten im einzelnen siehe Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Schlußbericht (BT-Drs. 14/9020), S. 87, sowie R. Kollek, Präimplantationsdiagnostik, 2. Aufl. 2002, S. 75 ff. Die Untersuchung des Erbmaterials erfolgt mittels Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) oder Polymerasekettenreaktion (PCR), vgl. dazu B. Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik als Rechtsproblem, 2002, S. 26 f. 91 Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik, S. 21 (dort Fußn. 46); Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S. 31 ff. Vgl. auch Nationaler Ethikrat, Stellungnahme Polkörperdiagnostik, 2004. 92 Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S. 33; Nationaler Ethikrat, Polkörperdiagnostik, S. 2. 93 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Schlußbericht (BT-Drs. 14/9020), S. 84 f.; Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S. 38 f. 94 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Schlußbericht (BT-Drs. 14/9020), S. 85; Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik, S. 24 f. 95 Kollek, Präimplantationsdiagnostik, S. 40 f. und 44 f.; Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik, S. 29. 96 Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik, S. 25. Auf die klinischen Mißerfolge der Blastozystenbiopsie wird auch verwiesen in Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Schlußbericht (BT-Drs. 14/9020), S. 85.

§ 3 Zweite Etappe: Extrakorporale Zellkerntransferklone

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§ 3 Zweite Etappe: Extrakorporale Zellkerntransferklone A. Der Paradigmenwechsel durch das „Dolly-Experiment“97 Das am 5. Juli 1996 am schottischen Roslin-Institut geborene Klonschaf „Dolly“, das durch Verschmelzung einer Euterzelle eines sechsjährigen weiblichen Schafs mit einer entkernten Eizelle erzeugt worden war, leitete in der Biologie einen regelrechten Paradigmenwechsel ein: Erstmals war es dem Forscherteam um Ian Wilmut gelungen, den Kern einer ausdifferenzierten Körperzelle mittels eines somatischen Zellkerntransfers (SZKT) zu reprogrammieren und den hieraus entstandenen Embryo bis zur Lebendgeburt zu bringen.98 Vor diesem Experiment war man jahrzehntelang davon ausgegangen, daß der Zelldifferenzierungsprozeß unumkehrbar sei, d. h. daß die Rolle einer Zelle dauerhaft festgelegt sei, sobald sie sich in einen bestimmten Zelltyp, etwa eine Muskel-, Nerven- oder Euterzelle, verwandelt hätte.99 Mit dem Dolly-Verfahren, das seither an einer Vielzahl von Säugetieren, z. B. Mäusen, Ziegen, Schweinen und Rindern, wiederholt werden konnte, war diese „Einbahnstraßen-Annahme“ eindrucksvoll widerlegt und eine vollständige Inversion des biologischen Zeitablaufs realisierbar.100 Zwar hatte es auch schon vor „Dolly“ erfolgreiche Klonexperimente mittels Zellkerntransfers gegeben; doch unterschieden sich diese Experimente von denen Wilmuts gerade darin, daß sie alle mit Hilfe noch nicht 97 Vergleiche zum Folgenden Deutscher Bundestag, Unterrichtung durch die Bundesregierung. Bericht zur Frage eines gesetzgeberischen Handlungsbedarfs beim Embryonenschutzgesetz aufgrund der beim Klonen von Tieren angewandten Techniken und der sich abzeichnenden weiteren Entwicklung (BT-Drs. 13/11263), 1998, S. 7 ff.; Deutsche Forschungsgemeinschaft, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen. Standpunkte, 2003; R. Graf, Klonen: Prüfstein für die ethischen Prinzipien zum Schutz der Menschenwürde, 2003, S. 29 ff.; H. Griffith, Erfahrungen bei der Herstellung von Klontieren, in: L. Honnefelder/D. Lanzerath (Hrsg.), Klonen in biomedizinischer Forschung und Reproduktion, 2003, S. 111 ff.; J. Kersten, Das Klonen von Menschen, 2004, S. 6 ff.; U. Petzoldt, Manipulationen an tierischen und menschlichen Embryonen, in: F. Sinowatz/J. Seitz u. a., Embryologie des Menschen, 1999, S. 111 ff.; E. Wolf, Reprogrammierung durch Zellkerntransfer, in: F. Oduncu/U. Schroth/W. Vossenkuhl (Hrsg.), Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen, 2002, S. 55 ff.; E. Wolf/S. Schönfeld/V. Zakhartchenko, Erfahrungen bei der Erzeugung klonierter Tiere, in: L. Honnefelder/D. Lanzerath (Hrsg.), Klonen in biomedizinischer Forschung und Reproduktion, 2003, S. 117 ff. 98 I. Wilmut/K. Campbell u. a., Viable offspring derived from fetal and adult mammalian cells, Nature 385 (1997), 810. 99 Griffith, Erfahrungen, in: Honnefelder/Lanzerath, Klonen in biomedizinischer Forschung, S. 111. 100 J.-P. Renard, Begriffsbestimmung und Verfahrensweisen beim Klonen: Was wissen wir, was können wir tun?, in: L. Honnefelder/D. Lanzerath (Hrsg.), Klonen in biomedizinischer Forschung und Reproduktion, 2003, S. 39, 41.

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1. Kap.: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

ausdifferenzierter Zellkerne, so etwa mit Zellkernen aus frühen Embryonalzellen (= embryonaler Zellkerntransfer, EZKT) oder Fetalzellen (= fetaler Zellkerntransfer, FZKT), also gerade nicht mit somatischen Zellen, durchgeführt worden waren.101 Die Methode des somatischen Zellkerntransfers funktioniert dabei im wesentlichen wie folgt: Eine Eizelle wird im Metaphase-Stadium ihrer zweiten Reifeteilung102 entkernt, indem die chromosomale DNA durch Absaugen mit einer Mikropipette entfernt wird.103 Anschließend wird in diese leere (enukleierte) Eizelle der Zellkern einer somatischen Zelle eingebracht, wofür heute zwei Verfahren zur Verfügung stehen: Bei der älteren Fusionstechnik, die auch bei „Dolly“ zur Anwendung kam, wird eine komplette Körperzelle in den Zwischenraum zwischen Zytoplasma und äußerer Hülle der Eizelle (Zona pellucida) eingebracht und anschließend mit einem elektrischen Impuls die Fusion der beiden Zellmembranen erreicht.104 Die neuere Transplantationstechnik entnimmt hingegen zunächst den Zellkern der Spenderzelle und transplantiert diesen separat mittels einer Injektion unmittelbar in die entkernte Eizelle.105 Für eine erfolgreiche Reprogrammierung kommt es dabei in beiden Fällen auf eine möglichst genaue Synchronisation des Zellzyklus von Spender- und Empfängerzelle an, wobei auf seiten der Spenderzelle die längere Ruhephase nach einer Zellteilung (sog. G0- bzw. G1-Phase) wahrscheinlich am günstigsten ist.106 Was im einzelnen bei der Reprogrammierung einer ausdifferenzierten Körperzelle in ein embryonales Stadium geschieht, ist heute noch weitgehend unbekannt.107 Der Effekt ist offensichtlich durch die zytoplasmatischen Faktoren der 101 Die Idee der Rekonstruktion eines Embryos mittels Kerntransfer hatte bereits Spemann im Jahr 1938; Briggs und King gelang 1952 der erste Kerntransfer bei Amphibien. Die erste erfolgreiche Klonierung eines Schafs führte dann Willadsen im Jahr 1986 durch, nachdem ähnliche Versuche bei Mäusen einige Jahre zuvor erfolgreich waren (vgl. zur Geschichte des Klonens von Tieren mittels Zellkerntransfer Wolf/ Schönfeld/Zakhartchenko, Erfahrungen, in: Honnefelder/Lanzerath, Klonen in biomedizinischer Forschung, S. 117 ff.). 102 Vgl. zur Meiose oben § 2 A. I. 103 Petzoldt, Manipulationen, in: Sinowatz/Seitz u. a., Embryologie des Menschen, S. 111, 120; Wolf, Reprogrammierung, in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Stammzellenforschung, S. 55, 57. 104 Deutscher Bundestag, Unterrichtung Klonen (BT-Drs. 13/11263), S. 8; Wolf, Reprogrammierung, in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Stammzellenforschung, S. 55, 57. 105 Deutsche Forschungsgemeinschaft, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen, S. 16. Ganz selten wird auch mit der umgekehrten Methode, dem sog. Eiplasmatransfer, gearbeitet, bei der anstelle der Kerntransplantation in die entkernte Eizelle das Zellplasma der Eizelle in eine Körperzelle injiziert wird (dazu C. Schwägerl, Strohhalme für die Ethik, FAZ vom 20.10.2001, S. 41, sowie Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 44). 106 Petzoldt, Manipulationen, in: Sinowatz/Seitz u. a., Embryologie des Menschen, S. 111, 121; Graf, Klonen, S. 30 f.; Deutscher Bundestag, Unterrichtung Klonen (BTDrs. 13/11263), S. 8; Deutsche Forschungsgemeinschaft, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen, S. 16.

§ 3 Zweite Etappe: Extrakorporale Zellkerntransferklone

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Eizelle bedingt, die den adulten Zellkern veranlassen, anstelle des ausdifferenzierten Genprogramms das initiale (totipotente) Entwicklungsprogramm abzulesen.108 Als Ergebnis einer erfolgreichen Reprogrammierung entsteht jedenfalls ein rekonstruierter Embryo, der hinsichtlich seines Kerngenoms mit dem Genom des somatischen Zellspenders identisch ist. Aufgrund des sog. mitochondrialen DNA-Anteils, der noch aus der ursprünglichen Eizelle stammt, handelt es sich bei diesem neuentstandenen Embryo jedoch im strengen Sinne nicht um einen Klon109, also ein genetisch völlig identisches Produkt, sondern nur um eine kerngenomidentische Zelle.110 Da dieser mitochondriale Genanteil jedoch äußerst gering ist – er beträgt nur etwa 0,01 bis 0,02% der gesamten Erbinformation – hat sich, vor allem im außerbiologischen Sprachgebrauch, hierfür gleichwohl die Bezeichnung „(Zellkerntransfer-)Klon“ etabliert;111 bisweilen findet man aber auch die Wortneuschöpfung „Klonbryo“.112 Aufgrund seines besonderen Entstehungsvorgangs ist dieser „Klonbryo“ im Tierexperiment durch zwei Besonderheiten charakterisiert: So ist einerseits die geringe Erfolgsrate und damit große Ineffizienz des Klonverfahrens hervorzuheben. Bekanntlich waren für die Herstellung von „Dolly“ 277 rekonstruierte Embryonen erforderlich, von denen sich nur 29 bis zum Blastozystenstadium entwickelten, wovon es nach dem Transfer in 13 Leihmütter wiederum in nur einem einzigen Fall zu einer Schwangerschaft und Lebendgeburt kam; die Erfolgsrate insgesamt betrug mithin nur 0,36%.113 Zum anderen ist nach somatischem Zellkerntransfer bei den rekonstruierten Embryonen bestimmter Spezies überdurchschnittlich häufig mit Anomalien wie embryonalem Riesenwuchs (LOS = large offspring syndrome), Mißbildungen, Entwicklungsstörungen sowie vorzeitiger Alterung zu rechnen.114 Bekanntlich ist ja auch Dolly bereits 107

Kersten, Klonen, S. 10. Viebahn, Skizze der embryonalen Frühentwicklung, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status, S. 272. 109 Von griech. klþn [klón] = Schößling, Sproß. 110 Deutsche Forschungsgemeinschaft, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen, S. 16. 111 Statt aller Kersten, Klonen, S. 6, zur Quantifizierung des mitochondrialen Genanteils S. 7. 112 Z. B. E.-M. Engels, Philosophische und ethische Herausforderungen des Klonens beim Menschen, in: L. Honnefelder/D. Lanzerath (Hrsg.), Klonen in biomedizinischer Forschung und Reproduktion, 2003, S. 31, 37. Im angelsächsischen Sprachgebrauch sind darüber hinaus die Begriffe „transnuclear egg“, „cell clonote“ u. ä. gebräuchlich. 113 Hierzu sowie zu sonstigen ähnlich niedrigen Erfolgsraten im Tierversuch J. Clausen, Zelltherapie unter Verwendung adulter Stammzellen oder solcher aus geklonten Embryonen?, in: G. Maio/H. Just (Hrsg.), Forschung an embryonalen Stammzellen in ethischer und rechtlicher Perspektive, 2003, S. 196, 199; Wolf/Schönfeld/Zakhartchenko, Erfahrungen, in: Honnefelder/Lanzerath, Klonen in biomedizinischer Forschung, S. 117, 123 ff. 114 Dazu Kersten, Klonen, S. 12 f.; Griffith, Erfahrungen, in: Honnefelder/Lanzerath, Klonen in biomedizinischer Forschung, S. 111, 112 f. 108

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am 14. Februar 2003, also nach nur sechs Lebensjahren gestorben, obwohl das normale Lebensalter von Schafen ungefähr das Doppelte beträgt.115 Beide Phänomene – die geringe Erfolgsrate und der hohe Grad an Anomalien – lassen darauf schließen, daß es im Prozeß der Reprogrammierung des somatischen Zellkerns offensichtlich zu Fehlern kommt, die eine abnormale Aktivierung zahlreicher entwicklungsrelevanter Gene auslösen.116 Gleichwohl kann hieraus nicht geschlossen werden, daß das Verfahren der Kerntransferklonierung im Tierversuch stets zu Entwicklungsstörungen führt; vielmehr sind immer wieder auch völlig gesunde Tiere geboren worden, und selbst kranke Klontiere hatten bereits in der nächsten Generation wieder gesunde Nachkommen.117 Durch eine Optimierung der Technik könnte es somit künftig möglich werden, die Anomalierate nach somatischem Zellkerntransfer deutlich herabzusenken oder ganz zu eliminieren.118

B. Die Anwendung des somatischen Zellkerntransfers beim Menschen I. Reproduzierbarkeit des somatischen Zellkerntransfers im Humanexperiment Etwa bis zum Jahr 2003 war man davon ausgegangen, daß die Reproduzierbarkeit des somatischen Zellkerntransfers bei Primaten unmöglich ist. So versuchten z. B. Calvin Simerly und Gerald Schatten durch entsprechende Experimente mit Rhesusaffen zu belegen, daß bei der Entkernung der Eizellen von Primaten auch Komponenten mitentfernt würden, die für die normale Zellteilung und die weitere Entwicklung des Embryos unabdingbar seien (Schädigung des Spindelapparats).119 Die Wissenschaftler schlossen daraus, daß das Klonen zu Fortpflanzungszwecken bei Menschen wahrscheinlich ausgeschlossen und das Klonen zu biomedizinischen Forschungszwecken zumindest äußerst schwierig sei.120

115

Vgl. dazu FAZ vom 15.2.1993, S. 1. So die Vermutung in der Darstellung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen, S. 17. 117 Hierzu im einzelnen Wolf/Schönfeld/Zakhartchenko, Erfahrungen, in: Honnefelder/Lanzerath, Klonen in biomedizinischer Forschung, S. 117, 119 f.; Deutsche Forschungsgemeinschaft, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen, S. 17. 118 Mit H. Beier, Menschliche embryonale Stammzellen nach somatischem Zellkerntransfer: Koreanische Wissenschaftler legen den Grundstein zum Forschungsklonen, J. Reproduktionsmed. Endokrinol. 2004, 68. 119 C. Simerly/G. Schatten u. a., Molecular correlates of primate nuclear transfer failure, Science 300 (2003), 297. Dazu auch Griffith, Erfahrungen, in: Honnefelder/ Lanzerath, Klonen in biomedizinischer Forschung, S. 111, 114. 116

§ 3 Zweite Etappe: Extrakorporale Zellkerntransferklone

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Im Frühjahr 2004 wurde dann die interessierte Öffentlichkeit durch eine sensationelle Publikation des renommierten Wissenschaftsmagazins „Science“ in Erstaunen versetzt: Einer südkoreanischen Forschergruppe um Woo Suk Hwang war es angeblich gelungen, weltweit erstmals menschliche Embryonen mittels der Zellkerntransfermethode zu klonen und hieraus eine (einzige) humane embryonale Stammzellinie zu etablieren.121 Derselbe Forscher gab schon ein Jahr später (Mai 2005) – wiederum in der Zeitschrift „Science“ – bekannt, daß er erstmals patientenspezifische embryonale Stammzellen gewonnen und außerdem die Effektivität des Zellkerntransferverfahrens beim Menschen etwa um den Faktor zehn gesteigert habe.122 Die bis 2003 geltende Annahme der Unmöglichkeit, die „Dolly-Methode“ im Humanexperiment zu reproduzieren, schien damit eindrucksvoll widerlegt. Doch die Freude der Wissenschaftler währte nicht lange. Bereits um die Jahreswende 2005/2006 stellte sich nämlich heraus, daß Hwangs angeblich hergestellte humane ES-Zellinien aus geklonten Blastozysten in Wahrheit gar nicht existierten und seine „Science“-Publikationen zum Großteil auf betrügerisch manipuliertem Daten- und Bildmaterial beruhten.123 Beide Artikel mußten deshalb von den Herausgebern des Magazins zurückgezogen werden; Hwang trat im Dezember 2005 von all seinen Ämtern zurück.124 Dieser Fälschungsskandal dürfte wohl als einer der gravierendsten in die Wissenschaftsgeschichte eingehen und sowohl das aufstrebende Forschungsland Südkorea als auch das Gutachtersystem von „Science“ in eine länger anhaltende Krise stürzen.125 Gleichwohl wurde damit die biotechnologische Forschung, was die Reproduzierbarkeit der Zellkerntransfermethode beim Menschen anbetrifft, noch nicht vollständig auf den früheren Stand zurückgeworfen. Die von der Seoul National University (SNU) eingesetzte Untersuchungskommission, die den Fälschungsskandal zu begutachten hatte, stellte in ihrem Abschlußbericht nämlich auch fest, daß Hwang 2004 zwar keine humanen ES-Zellinien, bei etwa 10% seiner Versuche aber immerhin erstmals durch Zellkerntransfer geklonte menschliche Blastozysten 120 Vgl. Nationaler Ethikrat, Klonen zu Fortpflanzungszwecken und Klonen zu biomedizinischen Forschungszwecken. Stellungnahme, 2004, S. 23 f. 121 W. S. Hwang/S. Y. Moon u. a., Evidence of a pluripotent human embryonic stem cell line derived from a cloned blastocyst, Science 303 (2004), 1669. Inzwischen zurückgezogen in Science 311 (2006), 335. 122 W. S. Hwang/G. Schatten u. a., Patient-specific embryonic stem cells derived from human SCNT blastocysts, Science 308 (2005), 1777. Inzwischen zurückgezogen in Science 311 (2006), 335. 123 Vgl. hierzu den Bericht von D. Normile/G. Vogel/J. Couzin, South Korean team’s remaining human stem cell claim demolished, Science 311 (2006), 156, sowie FAZ vom 30.12.2005, S. 1 f. 124 Editorial retraction, Science 311 (2006), 335. Vgl. auch FAZ vom 24.12.2005, S. 1. 125 So die Einschätzung von C. Schwägerl, Vertrauen und Betrug, FAZ vom 30.12.2005, S. 10.

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hergestellt habe.126 Dieser Basisschritt zur Stammzellgewinnung konnte später von einem Forscherteam aus Großbritannien um Miodrag Stojkovic und Alison Murdoch (Universität Newcastle) wiederholt werden, weshalb ein weiterer Betrugsnachweis mindestens unwahrscheinlich ist.127 So bleibt als Fazit der stürmischen Entwicklung der der letzten beiden Jahre (2004–2005), daß mit den Experimenten von Hwang, mindestens aber von Stojkovic und Murdoch doch wesentliche Fortschritte auf dem Weg zum Klonen von Menschen erzielt worden sind.128 Damit ist aber zugleich auch die Lebendgeburt eines auf diesem Wege erzeugten Babys nähergerückt, obwohl ein entsprechender Beweis hierfür selbstverständlich noch nirgends erbracht werden konnte.129 II. Biomedizinischer Nutzen des somatischen Zellkerntransfers: Das „therapeutische Klonen“130 Natürlich besteht bei seriösen Wissenschaftlern weltweit auch gar keine Neigung, das geschilderte Verfahren des somatischen Zellkerntransfers tatsächlich zu Zwecken des reproduktiven Klonens, also des Klonens zu Fortpflanzungszwecken, zu nutzen. Der eigentliche Sinn der SZKT-Methode liegt vielmehr in ihrer Anwendung für biomedizinische Forschungszwecke, wofür sich als Unterscheidung von der erstgenannten Variante die Bezeichnung „therapeutisches Klonen“ eingebürgert hat. Wenngleich dieser Begriff mehrdeutig und im Grunde irreführend ist – so ist z. B. das Klonen selbst sicher nicht therapeutisch – wird er im folgenden, auch im Hinblick auf seine inzwischen langjährige und weltweite Etablierung, weiterhin verwendet.131 Angesichts der mehrfachen Ziel126 Normile/Vogel/Couzin, Science 311 (2006), 156, 157: „The committee found that Hwang’s team appears to have successfully produced human blastocysts in about 10% of their cloning attempts – something that no other team hat managed at the time of the first paper.“ 127 M. Stojkovic/A. Murdoch, Derivation of a human blastocyst after heterologous nuclear transfer to donated oocytes, Reproductive Biomedicine Online 11 (2005), 226. 128 Normile/Vogel/Couzin, Science 311 (2006), 156. 129 Zu den bisherigen wissenschaftlich nicht nachprüfbaren Behauptungen der Geburt von menschlichen Klonen vgl. Kersten, Klonen, S. 13 f. 130 Vgl. zum Folgenden Clausen, Zelltherapie, in: Maio/Just, Forschung an embryonalen Stammzellen, S. 196 ff.; Deutsche Forschungsgemeinschaft, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen; Kersten, Klonen, S. 17 ff.; Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“. Zweiter Zwischenbericht – Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 14/7546), 2001; E. Richter-Kuhlmann, Forschung an den Grenzen, DÄBl. 101 (2004), A-1131; H. Schöler, Das Potential von Stammzellen. Eine Bestandsaufnahme, Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 47 (2004), 565. 131 Zur Geschichte und Kritik des von der britischen HEFA-Kommission im Jahr 1998 eingeführten Begriffs („therapeutic cloning“) s. Graf, Klonen, S. 16 ff. Ähnlich kritisch Kersten, Klonen, S. 17 f.; A. Eser/H.-G. Koch, Rechtsprobleme biomedizinischer Fortschritte in vergleichender Perspektive, in: Tübinger Juristische Fakultät/Ju-

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setzungen, die mit einem somatischen Zellkerntransfer verbunden sein können,132 sollte für den so rekonstruierten Embryo allerdings der teilweise ebenfalls anzutreffende Begriff „therapeutischer Klon“ strikt vermieden werden.133 1. Biomedizinische Chancen des „therapeutischen Klonens“ Die therapeutischen Erwartungen in der Biomedizin, die sich derzeit an das Klonen mittels somatischen Zellkerntransfers knüpfen, entstanden durch die Verbindung dieser Methode mit einer Revolutionierung im Bereich der humanen Stammzellforschung: Seit 1998 ist es nämlich möglich, aus der inneren Zellmasse menschlicher Blastozysten sog. embryonale Stammzellen (= ES-Zellen) zu isolieren und zu kultivieren, wobei der Spenderembryo bisher allerdings zerstört werden mußte.134 ES-Zellen besitzen aufgrund ihrer Pluripotenz,135 d. h. ihrer Fähigkeit, sich unter geeigneten Bedingungen zu einer Mehrzahl von Zelltypen, nicht jedoch mehr zu einem Individuum entwickeln zu können,136 ein hohes Differenzierungsvermögen; gleichzeitig lassen sich embryonale Stammzellen in vitro nahezu unbegrenzt vermehren.137 Dieses hohe Differenzierungsstizministerium Baden-Württemberg (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Rolf Keller, 2003, S. 15, 25 f. Auch in der Stellungnahme des Nationalen Ethikrats (Klonen, S. 12 f.) wird der Begriff vermieden und statt dessen nur vom „Klonen zu biomedizinischen Forschungszwecken“ gesprochen. 132 Kersten (Klonen, S. 17 ff.) unterscheidet neben den reproduktiven und therapeutischen noch diagnostische Zwecke (PID). 133 Diese Begriffsverwendung findet sich – sogar mit Vorschlag für eine entsprechende Legaldefinition – bei A. Paul, Möglichkeiten und Grenzen der Forschung an embryonalen Stammzellen und des therapeutischen Klonens, 2004, S. 71 ff. 134 J. Thomson/J. Jones u. a., Embryonic stem cell lines derived from human blastocysts, Science 282 (1998), 1145. In jüngster Zeit ist es jedoch im Tierexperiment gelungen, embryonale Stammzellinien aus einzelnen Blastomeren des Embryos zu entwickeln, ohne dabei den Embryo selbst zu zerstören (Y. Chung/R. Lanza u. a., Embryonic and extraembryonic stem cell lines derived from single mouse blastomeres, Nature advanced online publication vom 16.10.2005 [www.nature.com]). 135 Zu der ebenfalls möglichen Klassifikation als „omnipotent“ siehe unten § 4 C. I. 136 Die insoweit abweichende Auffassung von Denker (Forschung an embryonalen Stammzellen, in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Stammzellenforschung, S. 19, 26 ff.), der unter Verweis auf Experimente von Nagy und Thomson sogar eine Totipotenz von ES-Zellen nicht ausschließen möchte, ist eine Einzelmeinung geblieben. Stellvertretend für die h. M. insoweit H. Beier (Totipotenz und Pluripotenz, in: F. Oduncu/U. Schroth/W. Vossenkuhl [Hrsg.], Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen, 2002, S. 36, 47), der die zitierten Experimente wie folgt kommentiert: „Aus den tatsächlichen Befunden von Nagy und Thomson [ist] nur eine einzige Konsequenz zu ziehen: ES-Zellen sind pluripotent, für Totipotenz im klassischen Sinn gibt es keine realistischen Anzeichen.“ (Hervorh. T. H.). 137 Clausen, Zelltherapie, in: Maio/Just, Forschung an embryonalen Stammzellen, S. 196 f.; Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 14/7546), S. 10. Zu den Differenzierungsmöglichkeiten jüngst J. Adjaye/H. Lehrach u. a., Primary differentiation in the human blastocyst:

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1. Kap.: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

und Proliferationspotential macht ES-Zellen zur idealen Quelle für anvisierte Zellersatztherapien („cell replacement therapy“) und eröffnet damit ein breites medizinisches Anwendungsfeld, insbesondere im Bereich von Nervenzellen (Morbus Parkinson), Herzmuskelzellen (degenerative und infarktische Herzkrankheiten) oder insulinbildender Zellen (Diabetes mellitus).138 Zur Vermeidung der bei einer Transplantation körperfremder (heterologer) Zellen zu erwartenden immunologischen Abstoßungsreaktionen beim Patienten soll dabei mit Hilfe des dargestellten somatischen Zellkerntransfers ein autologer Gewebeersatz möglich werden:139 Zu diesem Zweck müßte dem Patienten zunächst eine beliebige Körperzelle (z. B. eine Hautzelle) entnommen und mit einer entkernten Eizelle fusioniert werden. Aus dem so entstandenen Embryo würden dann im Blastozystenstadium ES-Zellen extrahiert, die man durch geeignete Differenzierungsfaktoren veranlassen würde, sich in die benötigten spezifischen Gewebezellen zu entwickeln. Die auf diesem Wege entstandenen Zellen, die mit allen übrigen Zellen des Patienten genetisch im wesentlichen identisch wären, könnten diesem schließlich als „eigenes“ Gewebe transplantiert werden.140 2. Biomedizinische Risiken des „therapeutischen Klonens“ So verlockend dieser Traum vom maßgeschneiderten Gewebeersatz, der sich aus der Kombination des somatischen Zellkerntransfers mit den Errungenschaften der Stammzellforschung ergibt, vielleicht sein mag, so rasch könnte er sich bei einer tatsächlichen Realisierung des Verfahrens als Alptraum erweisen. Ausgehend von den Erfahrungen im Tierexperiment muß nämlich beim „therapeutischen Klonen“ insbesondere in folgenden Bereichen mit erheblichen Schwierigkeiten gerechnet werden: So ist zunächst von einer unvertretbar niedrigen Effizienz des SZKT-Verfahrens auszugehen.141 Des weiteren kann wegen des in der fremden Eizelle ver-

Comparative molecular portraits of inner cell mass and trophectoderm cells, Stem Cells Express vom 4.8.2005, S. 1. 138 Deutsche Forschungsgemeinschaft, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen, S. 11; Clausen, Zelltherapie, in: Maio/Just, Forschung an embryonalen Stammzellen, S. 196 f. (jeweils m. w. N.). 139 Wolf, Reprogrammierung, in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Stammzellenforschung, S. 55, 65 f. 140 Clausen, Zelltherapie, in: Maio/Just, Forschung an embryonalen Stammzellen, S. 196, 197; Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 14/7546), S. 17 ff.; speziell für Nervenzellen O. Wiestler/O. Brüstle, Forschung an embryonalen Stammzellen, in: F. Oduncu/U. Schroth/W. Vossenkuhl (Hrsg.), Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen, 2002, S. 68 ff. 141 Clausen, Zelltherapie, in: Maio/Just, Forschung an embryonalen Stammzellen, S. 196, 197 f.

§ 3 Zweite Etappe: Extrakorporale Zellkerntransferklone

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bliebenen mitochondrialen Genanteils keineswegs ausgeschlossen werden, daß es nach der Transplantation des „geklonten“ Gewebes zu den gefürchteten Immunreaktionen beim Patienten kommt.142 Dies könnte man allenfalls dadurch vermeiden, daß man dafür sorgt, daß die Spenderzelle und die Empfängereizelle stets von derselben Person stammen, was aber die Einsatzmöglichkeiten des „therapeutischen Klonens“ stark einschränken würde. Schließlich sind die Gefahren einer vorzeitigen Zellalterung durch verkürzte Telomere143 sowie ganz besonders von sich möglicherweise aus den transplantierten Zellen entwickelnden Teratomen bzw. Teratokarzinomen144 zu nennen, die einen klinischen Einsatz des Verfahrens noch in weite Ferne rücken lassen.145 Angesichts der dargestellten Risiken hält der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Ernst-Ludwig Winnacker, sogar die gesamte Forschungsrichtung des „therapeutischen Klonens“ für einen Irrweg, der dringend durch alternative biomedizinische Konzepte abgelöst werden müsse.146 3. Biomedizinische Alternativen zum „therapeutischen Klonen“147 Als solche Alternativen zum „therapeutischen Klonen“ bieten sich derzeit insbesondere zwei Verfahren an, die freilich beide für eine breite klinische Anwendung ebenfalls noch lange nicht zur Verfügung stehen:

142 Nationaler Ethikrat, Klonen, S. 19; Richter-Kuhlmann, DÄBl. 101 (2004), A1131, A-1132. 143 Clausen, Zelltherapie, in: Maio/Just, Forschung an embryonalen Stammzellen, S. 196, 198 ff. Telomere sind kurze DNA-Abschnitte an den Chromosomenenden, die im Zuge der Zellalterung bei jeder Zellteilung kürzer werden und schließlich verschwinden, wodurch das Absterben der Zelle ausgelöst wird. 144 Schöler, Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 47 (2004), 565, 569. Unter Teratomen sind unkontrollierte Zellwucherungen zu verstehen, die im Falle sog. Teratokarzinome sogar bösartiger Natur sind. 145 Mit Richter-Kuhlmann, DÄBl. 101 (2004), A-1131, A-1132. 146 E.-L. Winnacker, Der Irrtum. Um Ersatzgewebe zu bekommen, brauchen wir das Klonen nicht, FAZ vom 13.2.2004, S. 34. 147 Vgl. zum Folgenden G. Badura-Lotter, Adulte Stammzellen – die bessere Alternative?, in: F. Oduncu/U. Schroth/W. Vossenkuhl (Hrsg.), Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen, 2002, S. 78 ff.; Clausen, Zelltherapie, in: Maio/Just, Forschung an embryonalen Stammzellen, S. 196, 201 ff.; Deutsche Forschungsgemeinschaft, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen, S. 12 ff.; Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BTDrs. 14/7546), S. 12 ff.; Graf, Klonen, S. 75 ff.; Schöler, Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 47 (2004), 565; Wiestler/Brüstle, Forschung an embryonalen Stammzellen, in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Stammzellenforschung, S. 68 ff.

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1. Kap.: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

a) Transdifferenzierung adulter Stammzellen Neben der Blastozyste, aus der die embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) meist kultiviert werden, sind in der Wissenschaft noch andere menschliche Zellstrukturen bekannt, die ebenfalls als Quellen für eine Stammzellgewinnung in Betracht kommen. Mit den erst in jüngerer Zeit von Prusa/Hengstschläger u. a. entdeckten Stammzellen im Fruchtwasser (Amnion-Stammzellen)148 lassen sich derzeit insgesamt vier Stammzelltypen beim Menschen unterscheiden, die in einer Übersicht wie folgt systematisiert werden können: Stammzelltyp

embryonale Stammzellen (= ES-Zellen)

AmnionStammzellen

Herkunft

innere Zellmasse Amnionvon Blastozysten flüssigkeit oder embryonale Keimzellen149

neonatale Stammzellen

adulte Stammzellen (= AS-Zellen)

Nabelschnurblut

verschiedene Gewebe des ausdifferenzierten Organismus

Übersicht 4: Menschliche Stammzelltypen und ihre Herkunft

Unter diesen weiteren Stammzellarten sind als Alternative zum „therapeutischen Klonen“ insbesondere die sog. adulten Stammzellen (= AS-Zellen) von großem Interesse. Es handelt sich dabei um gewebespezifische Stammzellen, die sowohl die Fähigkeit zur Selbsterneuerung als auch zur Entwicklung spezialisierter Zelltypen besitzen.150 AS-Zellen, von denen bisher ungefähr 20 Haupttypen bekannt sind, kommen in verschiedenen Geweben des ausdifferenzierten menschlichen Organismus vor, so etwa im Knochenmark (z. B. sog. hämatopoetische Stammzellen), der Leber, der Haut, den Haaren oder der Darminnenwand.151 Früher ging man davon aus, daß sich adulte Stammzellen stets nur zu Zellen ihres Ursprungsgewebes entwickeln könnten, also hämatopoetische 148 A.-R. Prusa/M. Hengstschläger u. a., Oct-4-expressing cells in human amniotic fluid: A new source for stem cell research?, Human Reproduction 18 (2003), 1489. 149 Embryonale Keimzellen (EG-Zellen) können ihrerseits bei Schwangerschaftsabbrüchen aus primordialen Keimzellen, also Vorläuferzellen von Ei- und Samenzellen im späten Embryonal- oder frühen Fetalstadium (5. bis 11. Schwangerschaftswoche), gewonnen werden (dazu Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung [BT-Drs. 14/7546], S. 12 f.). 150 Deutsche Forschungsgemeinschaft, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen, S. 13. Auf den therapeutischen Einsatz der übrigen Stammzelltypen, also aus embryonalen Keimzellen (EG-Zellen), Amnionflüssigkeit oder Nabelschnurblut, wird hier mangels Aussicht auf eine breite Anwendungsmöglichkeit nicht eingegangen. Vgl. hierzu Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 14/7546), S. 12 ff., sowie Graf, Klonen, S. 78 f. und 86 ff.

§ 3 Zweite Etappe: Extrakorporale Zellkerntransferklone

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Stammzellen nur zu Blutzellen, Hautstammzellen nur zu Hautzellen usw.152 Heute ist jedoch eine Transdifferenzierungsfähigkeit adulter Stammzellen bekannt, was bedeutet, daß sich diese auch in solche Zelltypen entwickeln können, die nicht dem Ursprungsgewebe entsprechen, also sich etwa eine hämatopoetische Stammzelle auch in eine Leberzelle, Epithelzelle o. ä. umwandeln kann.153 In neueren Versuchen, z. B. von Jiang und Verfaillie, konnte sogar gezeigt werden, daß die Transdifferenzierungsfähigkeit mancher AS-Zellen so weit reicht, daß sie zu Zelltypen aller drei Keimblätter154 werden können und damit offensichtlich ein pluripotenten embryonalen Stammzellen vergleichbares Differenzierungspotential besitzen.155 Was ihre Nutzung in der Biomedizin angeht, so wurden AS-Zellen bisher ausschließlich innerhalb ihrer jeweiligen Gewebespezifität verwendet. Das bekannteste Beispiel hierfür ist der Einsatz hämatopoetischer (blutbildender) Stammzellen des Knochenmarks, die nach einer Chemo- oder Strahlentherapie bei bestimmten Krebsformen oder Autoimmunerkrankungen zur Regeneration des blutbildenden Systems genutzt werden.156 Neue therapeutische Einsatzfelder ergäben sich jedoch, wenn es gelänge, die Faktoren für die beschriebene Transdifferenzierung zu identifizieren und damit gewünschte Zellkultursysteme herzustellen, die für eine Transplantation auf den Patienten geeignet wären.157 Im Gegensatz zu den embryonalen Stammzellen wäre so bei dem Betroffenen idealerweise weder mit Immunreaktionen noch mit Karzinombildungen zu rechnen.158 – Jenseits von Transplantationen ist aber auch die Entwicklung neuer Medikamente denkbar, die eine Regeneration des geschädigten Gewebes durch

151 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 14/7546), S. 13; Badura-Lotter, Adulte Stammzellen, in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Stammzellenforschung, S. 78, 81. 152 Wiestler/Brüstle, Forschung an embryonalen Stammzellen, in: Oduncu/Schroth/ Vossenkuhl, S. 68, 70. 153 Deutsche Forschungsgemeinschaft, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen, S. 15; Badura-Lotter, Adulte Stammzellen, in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Stammzellenforschung, S. 78, 83 m. w. N. 154 Siehe oben § 2 A. IV. 155 Y. Jiang/C. Verfaillie u. a., Pluripotency of mesenchymal stem cells derived from adult marrow, Nature 418 (2002), 41. Zur Erläuterung dieser und ähnlicher Experimente vgl. Graf, Klonen, S. 80 ff., und Schöler, Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 47 (2004), 565, 567. 156 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 14/7546), S. 15 f. 157 Deutsche Forschungsgemeinschaft, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen, S. 15; Schöler, Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 47 (2004), 565, 566; Badura-Lotter, Adulte Stammzellen, in: Oduncu/ Schroth/Vossenkuhl, Stammzellenforschung, S. 78, 84 f. und 96. 158 Badura-Lotter, Adulte Stammzellen, in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Stammzellenforschung, S. 78, 79.

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1. Kap.: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

Vermehrung und Differenzierung gewebespezifischer AS-Zellen direkt im Organismus des Patienten bewirken würden.159 Insgesamt muß jedoch auch hier vor allzu großen Hoffnungen oder der Vorstellung gewarnt werden, transdifferenzierte AS-Zellen seien eine medizinisch in jeder Hinsicht überlegene Alternative zum „therapeutischen Klonen“. So ist aufgrund ihres seltenen Vorkommens im menschlichen Organismus160 zunächst die schwere Identifizier- und Isolierbarkeit solcher Zellen hervorzuheben.161 Wiestler/Brüstle weisen in diesem Zusammenhang auch auf ihre teils mangelhafte Proliferationsfähigkeit, also die Möglichkeit, adulte Stammzellen außerhalb des Körpers ausreichend zu vermehren, hin.162 Schließlich ist das dargestellte Transdifferenzierungspotential von AS-Zellen – insbesondere im Vergleich zu ES-Zellen – wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert, ja zum Teil sogar fraglich. So wurden bei entsprechenden Transplantationsversuchen anstelle der Transdifferenzierung in andere Zelltypen nur simple Fusionseffekte, d. h. eine Verschmelzung der AS-Zellen mit vorhandenen Nachbarzellen, beobachtet.163 Als Konsequenz muß somit festgehalten werden, daß zum jetzigen Zeitpunkt (2005) noch keine klare Aussage darüber möglich ist, welche der beiden therapeutischen Ansätze („therapeutisches Klonen“ oder Transdifferenzierung von AS-Zellen) aus medizinischer Sicht langfristig der erfolgversprechendere ist.164

159 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 14/7546), S. 19. 160 Unter 10.000 Knochenmarkszellen befindet sich z. B. nur eine einzige hämatopoetische Stammzelle! 161 Schöler, Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 47 (2004), 565, 566; A. Wobus, Therapeutisches Klonen und Stammzell-Technologie, in: L. Honnefelder/D. Lanzerath (Hrsg.), Klonen in biomedizinischer Forschung und Reproduktion, 2003, S. 49, 50. 162 Wiestler/Brüstle, Forschung an embryonalen Stammzellen, in: Oduncu/Schroth/ Vossenkuhl, S. 68, 70 f. 163 Schöler, Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 47 (2004), 565, 567, unter Verweis auf Experimente von N. Terada/E. Scott u. a. (Bone marrow cells adopt the phenotype of other cells by spontaneous cell fusion, Nature 416 [2002], 542) und Q.-L. Ying/A. Smith u. a. (Changing potency by spontaneous fusion, Nature 416 [2002], 545). Kritisch zu diesen Versuchen Clausen, Zelltherapie, in: Maio/Just, Forschung an embryonalen Stammzellen, S. 196, 202. 164 So auch die Einschätzungen von Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung/Bundesministerium für Bildung und Forschung, Erster Erfahrungsbericht der Bundesregierung über die Durchführung des Stammzellgesetzes, 2004 (www.bmbf.de), S. 14; Badura-Lotter, Adulte Stammzellen, in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Stammzellenforschung, S. 78, 98; Wobus, Therapeutisches Klonen, in: Honnefelder/Lanzerath, Klonen in biomedizinischer Forschung, S. 49, 52, die deshalb alle eine parallele Forschung in beiden Bereichen für erforderlich halten. Zum Streit um das Potential der AS-Zellen vgl. auch die Nachweise bei Kersten, Klonen, S. 22 (dort Fußn. 26).

§ 3 Zweite Etappe: Extrakorporale Zellkerntransferklone

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b) Unmittelbare Reprogrammierung von Körperzellen (ohne Zellkerntransfer) Als andere Alternative zum „therapeutischen Klonen“, die mit diesem gedanklich sogar enger verwandt ist als die Transdifferenzierung von AS-Zellen, bietet sich ein zweites Verfahren an, das im vorliegenden Zusammenhang immer wieder diskutiert wird:165 Dabei geht es um die unmittelbare Reprogrammierung ausdifferenzierter Körperzellen, d. h. ohne einen Zellkerntransfer in eine enukleierte Eizelle. Idealerweise würde dabei das Stadium der Totipotenz ganz vermieden und die Reprogrammierung auf einem bestimmten pluripotenten Niveau angehalten, um von dort aus eine gezielte Ausdifferenzierung in das gewünschte Patientengewebe zu ermöglichen.166 Im Gegensatz zur ersten Alternative, bei der AS-Zellen dazu gebracht werden sollten, sich zu einem anderen Zelltypus zu entwickeln (Transdifferenzierung), ist bei der direkten Reprogrammierung von Körperzellen also intendiert, ähnlich wie beim somatischen Kerntransfer den Weg der Zelldifferenzierung rückgängig zu machen, wobei diesmal aber nur eine partielle Rückgängigmachung angestrebt wird. Für diese Induktion zellulärer Pluripotenz wäre es allerdings erforderlich, die zellulären Faktoren exakt zu bestimmen, die für die Reprogrammierung des somatischen Kerns verantwortlich sind und diese gezielt zu beeinflussen.167 Wie dies im einzelnen möglich sein soll, ist derzeit aber noch eher ungewiß.168 Von den drei hier vorgestellten Verfahren (somatischer Zellkerntransfer, Transdifferenzierung von AS-Zellen und direkte Reprogrammierung von Körperzellen) ist deshalb das letztere von einer klinischen Anwendung in der Humanmedizin sicher noch am weitesten entfernt.

165 Z. B. U. Rapp, Alternativen zum therapeutischen Klonen: Induktion von Pluripotenz, in: L. Honnefelder/D. Lanzerath (Hrsg.), Klonen in biomedizinischer Forschung und Reproduktion, 2003, S. 55 ff.; Schöler, Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 47 (2004), 565, 572; unter dem Begriff „Dedifferenzierung“ auch Graf, Klonen, S. 94 f. 166 Kersten, Klonen, S. 25. In diese Richtung denkt auch Winnacker, FAZ vom 13.2.2004, S. 34. 167 Schöler, Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 47 (2004), 565, 572. 168 Rapp (Alternativen zum therapeutischen Klonen, in: Honnefelder/Lanzerath, Klonen in biomedizinischer Forschung, S. 55, 57) macht hierfür einige Vorschläge wie die Fusion einer Körperzelle mit einer ES-Zelle. Erste erfolgversprechende Versuche in dieser Richtung sind in jüngerer Zeit bekannt geworden (J. Do/H. Schöler, Nuclei of embryonic stem cells reprogram somatic cells, Stem Cells 22 [2004], 941; C. Cowan/K. Eggan u. a., Nuclear reprogramming of somatic cells after fusion with human embryonic stem cells, Science 309 [2005], 1369).

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1. Kap.: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

§ 4 Dritte Etappe: Extrakorporale begrenzt entwicklungsfähige Laborartefakte War bei den beiden bisher dargestellten Etappen, der künstlichen Befruchtung und dem somatischen Zellkerntransfer, das Endprodukt stets ein extrakorporaler menschlicher Embryo, so gehen allerneueste Entwicklungen in den Biowissenschaften zumindest theoretisch schon weit darüber hinaus. Für denkbare Anwendungen in der Grundlagenforschung und Biomedizin, insbesondere für die Gewinnung humaner embryonaler Stammzellen, ist es heute nämlich nicht mehr erforderlich, daß die zu schaffenden extrakorporalen Entitäten das volle Vermögen besitzen, zu geborenen Menschen zu werden, sondern hierfür wäre bereits die Herstellung nicht voll entwicklungsfähiger Gebilde völlig ausreichend.169 Solche theoretisch vorstellbaren „embryoähnlichen“, „embryoiden“ oder „embryonalen“ Entitäten haben mangels jeglichen natürlichen Pendants denn auch in der Literatur immer wieder die Bezeichnung „Artefakte“ oder „Laborartefakte“ erhalten.170 Zur Erläuterung der Forschungen, die möglicherweise in der Zukunft zu solch begrenzt entwicklungsfähigen menschlichen Laborartefakten führen könnten, ist wie in § 3 zunächst das Schlüsselexperiment im Tierversuch (dazu nachfolgend A.) und danach seine mögliche Anwendung und Weiterentwicklung beim Menschen (dazu nachfolgend B.) darzustellen.

A. Der zweite Paradigmenwechsel durch das Schöler-Experiment171 Am Anfang all dieser Entwicklungen stand wie einst bei „Dolly“ erneut ein Tierexperiment mit Sensationscharakter: Im Mai 2003 gelang es der Forschergruppe um Hans Schöler an der Universität Pennsylvania zum ersten Mal, aus embryonalen Stammzellen der Maus funktionsfähige Eizellen (Oozyten) abzu169 J. Reich, Empirische Totipotenz und metaphysische Gattungszugehörigkeit bei der moralischen Beurteilung des vorgeburtlichen menschlichen Lebens, ZMedEthik 50 (2004), 115, 123. 170 Statt aller Reich, ZMedEthik 50 (2004), 115, 122 („menschliches Leben als Artefakt“); insbesondere in Abgrenzung zu den Zellkerntransferklonen, die demgegenüber als „Biofakte“ bezeichnet werden (näher bei N. Karafyllis, Das Wesen der Biofakte, in: dies. [Hrsg.], Biofakte: Versuch über den Menschen zwischen Artefakt und Lebewesen, 2003, S. 11, 16 ff.). 171 Vgl. zum Folgenden Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“. Fragenkatalog zur nichtöffentlichen Anhörung „Neuere Entwicklungen in der Stammzellforschung“, 2003 (www.bundestag.de); K. Hübner/H. Schöler u. a., Derivation of oocytes from mouse embryonic stem cells, Science 300 (2003), 1251; Nationaler Ethikrat, Klonen, S. 19 ff.; Wissenschaftlicher Beirat „Biound Gentechnologie“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Biologische, rechtliche und ethische Überlegungen zu aktuellen Ergebnissen der Forschung an embryonalen Stammzellen sowie zum Begriff der „Totipotenz“, 2004 (www.uni-heidelberg.de).

§ 4 Dritte Etappe: Extrakorporale Laborartefakte

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leiten.172 Die Forschergruppe konnte mit Hilfe eines speziellen Markers (GFP = grünfluoreszierendes Protein) nachweisen, daß sich bei einem Teil der kultivierten ES-Zellen nach etwa 12 Tagen follikelartige Strukturen bildeten, die nach weiteren 14 Tagen Eizellen mit einer Größe von mehr als 40 mm freisetzten.173 Offensichtlich angeregt durch chemische Substanzen in der Kulturlösung, begannen einige dieser unbefruchteten murinen Eizellen in der Folgezeit zu wachsen, sich zu teilen und im Wege der Jungfernzeugung (Parthenogenese) etwa am 43. Tag Zellhaufen zu bilden, die einem embryonalen Blastozystenstadium sehr ähnelten, aber schon nach kurzer Zeit zugrunde gingen.174 Zum besseren Verständnis dieses Vorgangs ist anzumerken, daß es sich bei der Parthenogenese175 um eine Form der eingeschlechtlichen (uniparentalen) Fortpflanzung handelt, bei der Nachkommen aus unbefruchteten Eiern der Mutter, d. h. ganz ohne Besamung, entstehen. In der Natur kommt die Parthenogenese bei zahlreichen wirbellosen Tieren, z. B. Insekten oder Krebsen, aber auch bei einigen Wirbeltieren, wie einigen Eidechsen-, Schlangen- oder Vogelarten, als reguläre Reproduktionsstrategie vor.176 Bei Säugetieren kann eine Parthenogenese – abgesehen von sog. Blasenmolen177 – hingegen nur künstlich induziert werden, was z. B. dadurch geschieht, daß man durch chemische oder physikalische Aktivierung einer unbefruchteten Eizelle die Ausstoßung des zweiten Polkörpers bei der Reifeteilung (Meiose II) verhindert.178 Der haploide Chromosomensatz verbleibt dadurch vollständig in der Eizelle und wird aufgrund der getrennten Chromatiden später diploid, mit der Folge, daß das sich entwickelnde embryonale Gebilde, die sog. Parthenote, zwei Chromosomensätze ausschließlich weiblichen Ursprungs besitzt.179 Bei den so entstandenen Parthenoten handelt es sich allerdings nicht um Klone, da nur ein Teil der mütterlichen Gene vererbt wurde und außerdem im Rahmen der Meiose I ein Austausch von Genabschnitten (Crossing-over) stattgefunden hat.180 Graphisch dargestellt, läuft diese Parthenogenese ungefähr wie in Übersicht 5 (S. 60) gezeigt ab. 172

Hübner/Schöler u. a., Science 300 (2003), 1251. Hübner/Schöler u. a., Science 300 (2003), 1251, 1252 ff.; Wissenschaftlicher Beirat, Biologische, rechtliche und ethische Überlegungen, S. 2. 174 Hübner/Schöler u. a. (Science 300 [2003], 1251, 1255) sprechen von „blastocyst-like structures“. Zum ganzen Wissenschaftlicher Beirat, Biologische, rechtliche und ethische Überlegungen, S. 3. 175 Von griech. parqÝnoò [parthénos] = Jungfrau und gÝnesiò [génesis] = Erzeugung. 176 Petzoldt, Manipulationen, in: Sinowatz/Seitz u. a., Embryologie des Menschen, S. 111, 126; Wissenschaftlicher Beirat, Biologische, rechtliche und ethische Überlegungen, S. 3 (dort Fußn. 4). 177 „Blasenmolen“ sind embryolose Trophoblastwucherungen mit uniparentalen Zellen. 178 S. Gilbert, Developmental Biology, 7. Aufl. 2003, S. 212; Petzoldt, Manipulationen, in: Sinowatz/Seitz u. a., Embryologie des Menschen, S. 111, 126 f. 179 Graf, Klonen, S. 96. 173

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1. Kap.: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

primäre Oozyte vor Crossingover (diploid)

primäre Oozyte nach Crossingover (diploid)

sekundäre Oozyte nach Meiose I (haploid)

1. Polkörper

reife Oozyte und 2. Polkörper nach Meiose II (haploid) reguläre Zygote nach Befruchtung und DNAReplikation (diploid)

Spermium Parthenote nach DNA-Replikation (diploid)

Übersicht 5: Beispiel einer künstlich induzierten Parthenogenese (rechts) im Vergleich mit einer regulären Meiose und Befruchtung (links)

Säugerparthenoten können sich aufgrund des Phänomens des genomischen Imprintings, d. h. einer für die Weiterentwicklung notwendigen Prägung durch mütterliche und väterliche Gene, in der Regel nur bis zum Blastozystenstadium weiterentwickeln.181 Zwar ist Parthenoten u. U. auch eine Implantation in den 180

Vgl. Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 59, sowie zum Crossing-over oben § 2 A. I. Zum Imprinting als Ursache für die fehlende Entwicklungsfähigkeit Graf, Klonen, S. 96, sowie R. Wandtner, Kein Bedarf mehr an Männern?, FAZ vom 181

§ 4 Dritte Etappe: Extrakorporale Laborartefakte

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Uterus möglich; die daraus resultierende Trächtigkeit endet aber aufgrund einer fehlerhaften Plazentabildung bald durch Spontanabort.182 In jüngerer Zeit ist es gleichwohl einem Forscherteam in Japan (Kono/Ogawa u. a.) mit Hilfe zahlreicher zusätzlicher Manipulationstechniken zum ersten Mal gelungen, diese Entwicklungssperre zu umgehen und Labormäusen im Wege der Parthenogenese zu lebensfähigem Nachwuchs zu verhelfen.183 Mit dem erfolgreichen Experiment von Schöler konnten somit erstmals funktionsfähige künstliche Eizellen aus ES-Zellen eines Säugetieres entwickelt werden.184 Die Forschergruppe konnte damit den Nachweis führen, daß sich aus embryonalen Stammzellen wirklich alle Zelltypen – inklusive der Keimzellen – ableiten lassen, was bis dahin in dieser Form noch nicht möglich war.185 Die nachfolgende parthenogenetische Entwicklung diente den Forschern dabei als Testkriterium für die biologische Qualität und Normalität der neuentwickelten Eizellen.186 Ähnlich dem „Dolly-Experiment“ von 1996 ist die Schölersche Eizellgenerierung als „unerhörte Revolution“ in der Entwicklungsbiologie gewürdigt worden.187 Wie nicht anders zu erwarten, wurden entsprechende Versuche bald darauf bei männlichen Keimzellen wiederholt und aus murinen ES-Zellen funktionsfähige Samenzellen entwickelt, die ihrerseits für eine erfolgreiche Invitro-Befruchtung verwendet werden konnten.188 Denkt man diese Befruchtungsversuche mit künstlichen Keimzellen beiderlei Geschlechts zu Ende, könnten daraus erstmals Individuen entstehen, deren Eltern Embryonen bzw. Stammzellen waren. 22.4.2004, S. 32. Das genomische Imprinting selbst ist gut erläutert bei Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 27 f. 182 Nationaler Ethikrat, Klonen, S. 20; Viebahn, Skizze der embryonalen Frühentwicklung, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status, S. 269, 271. 183 T. Kono/H. Ogawa u. a., Birth of parthenogenetic mice that can develop to adulthood, Nature 428 (2004), 860; dazu auch Wandtner, FAZ vom 22.4.2004, S. 32. Die Besonderheit bestand hier jedoch darin, daß es sich um „unechte“ Parthenoten handelte, die durch Ersetzung des männlichen Vorkerns in einer imprägnierten Eizelle durch einen zweiten weiblichen Vorkern zustande kamen. 184 Ein anderes Verfahren zur Herstellung künstlicher Keimzellen ist die sog. Haploidisierung, bei der nach einem Zellkerntransfer in eine entkernte Eizelle der diploide Chromosomensatz halbiert („haploidisiert“) wird (Verfahren näher erläutert bei Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 57 f.). 185 Hübner/Schöler u. a., Science 300 (2003), 1251. 186 Wissenschaftlicher Beirat, Biologische, rechtliche und ethische Überlegungen, S. 3. So hatte man bereits früher die parthenogenetische Aktivierung von Säugereizellen erfolgreich praktiziert und aus den entstandenen Parthenoten ES-Zellen gewonnen (vgl. Nationaler Ethikrat, Klonen, S. 19, mit Verweisen auf entsprechende Versuche von Cibelli, Vrana u. a.). 187 V. Stollorz, Die Abschaffung der Keimbahn, FAZ vom 4.5.2003, S. 55. 188 Y. Toyooka/T. Noce u. a., Embryonic stem cells can form germ cells in vitro, PNAS 100 (2003), 11457; N. Geijsen/G. Daley u. a., Derivation of embryonic germ cells and male gametes from embryonic stem cells, Nature 427 (2004), 148.

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1. Kap.: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

B. Die Anwendung des Schöler-Verfahrens beim Menschen I. Reproduzierbarkeit des Schöler-Verfahrens im Humanexperiment? Im Gegensatz zum „Dolly-Experiment“ sind die Schöler-Experimente zur Eizellgenerierung im Humanexperiment bisher (2005) noch nicht vollständig reproduziert worden. Entsprechend früheren Voraussagen, daß „eine In-vitro-Differenzierung von Zellen mit Keimzellcharakter aus menschlichen embryonalen Stammzellen bereits in Kürze gelingen könnte“,189 berichtete jedoch auf der Kopenhagener Jahrestagung der „European Society for Human Reproduction and Embryology“ (ESHR) im Juni 2005 eine britische Forschergruppe um Aflatoonian von der Entwicklung früher Vorläufer von Keimzellen aus menschlichen Stammzellen.190 Hierfür ließen die Wissenschaftler humane ES-Zellen im Labor zu embryoähnlichen Zellklümpchen, sog. Embryoidkörpern (embryoid bodies), heranreifen und untersuchten anschließend, welche Gene in diesen aktiv waren. Dabei entdeckten sie nach etwa zwei Wochen eine Aktivität der gleichen Gene wie in sich entwickelnden Keimzellen, woraus sie schlossen, daß auch aus menschlichen ES-Zellen im Labor funktionsfähige Keimzellen entstehen können.191 II. Biomedizinischer Nutzen des Schöler-Verfahrens Doch worin läge – die vollständige Reproduzierbarkeit unterstellt – überhaupt der biomedizinische Nutzen des Schöler-Verfahrens beim Menschen? 1. Unmittelbarer biomedizinischer Nutzen: Verzicht auf Eizellspenden Zunächst hätte die Generierung funktionsfähiger künstlicher menschlicher Eizellen aus vorhandenen ES-Zellen den Vorteil, daß für biomedizinische Anwendungen im Rahmen des „therapeutischen Klonens“ keine Eizellspenden mehr erforderlich wären.192 So wurde in der Vergangenheit stets darauf hingewiesen, 189 So H. Westphal, Stellungnahme zu Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“. Fragenkatalog zur nichtöffentlichen Anhörung „Neuere Entwicklungen in der Stammzellforschung“, 2003 (www.bundestag.de), S. 2. 190 M. Le Page, Further steps towards artificial eggs and sperm, New Scientist online vom 20.6.2005 (www.newscientist.com); Deutsches Ärzteblatt online vom 20.6. 2005 (www. aerzteblatt.de); Berliner Zeitung vom 21.6.2005, S. 12. 191 Berliner Zeitung vom 21.6.2005, S. 12.

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daß für Herstellung menschlicher Kerntransferklone eine große Menge an natürlichen Eizellen erforderlich ist, die zusätzlich nur mit einer äußerst aufwendigen und für die Frau unangenehmen Prozedur zu gewinnen sind.193 Im Hinblick auf die zu erwartende Nachfrage wäre die Gewinnung natürlicher Eizellen darüber hinaus mit einem hohen Kommerzialisierungsrisiko und der Ausnutzung von Notsituationen von Frauen besonders in armen Ländern verbunden, die geneigt sein könnten, gegen geringes Entgelt die gesundheitlichen Risiken von Eizellspenden in Kauf zu nehmen.194 Gelänge mit dem Schöler-Verfahren hingegen eine breite Herstellung künstlicher Eizellen aus bereits vorhandenen menschlichen ES-Zellen, würden zumindest diese Risiken und argumentativen Angriffspunkte gegen das „therapeutische Klonen“ beseitigt. 2. Vorstellbarer biomedizinischer Nutzen bei Weiterentwicklung: Herstellung menschlicher Laborartefakte mit begrenzter Entwicklungsfähigkeit Doch hierin erschöpft sich der mögliche Nutzen des Schöler-Experiments für biomedizinische Anwendungen nicht. In einem FAZ-Interview im Mai 2003195 hat Schöler selbst eine denkbare technische Weiterentwicklung seines Verfahrens im Humanexperiment angedeutet und dabei folgendes Szenario entworfen: Die menschlichen ES-Zellen, aus denen später die künstlich gewonnenen Eizellen hervorgehen sollen, würden zunächst genetisch so verändert, daß sich nach einem somatischen Zellkerntransfer kein lebensfähiger Embryo mehr daraus entwickeln könnte. Die mit dem klassischen SZKT-Verfahren zwingend verbundene Totipotenz des rekonstruierten Embryos würde mit dieser Vorbehandlung also quasi „ausgeschaltet“.196 Das Ergebnis wären embryonale Entitäten mit einer molekulargenetisch indizierten „Entwicklungsbremse“, die sich bis ins Blastozystenstadium noch normal entwickeln würden, dann aber in einem frühembryonalen Stadium, spätestens jedoch beim Versuch einer Nidation zugrunde gingen.197 Solche begrenzt entwicklungsfähigen Laborartefakte, teilweise auch „Knockout-Embryonen“198 oder (pejorativ) „defekte Embryonen“199 genannt, 192 Hierauf weist Schöler (Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 47 [2004], 565, 571 f.) selbst hin. Dazu auch Rapp, Alternativen zum therapeutischen Klonen, in: Honnefelder/Lanzerath, Klonen in biomedizinischer Forschung, S. 55. 193 Schöler, Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 47 (2004), 565, 571 f. Zur Prozedur der Eizellgewinnung vgl. oben § 2 B. I. 1. 194 Nationaler Ethikrat, Klonen, S. 93 f.; S. Schulz, Klonen an den Grenzen strafrechtlicher Wissenschaftsordnung, ZRP 2003, 362, 363. 195 H. Schöler, Deutschland sollte sich nicht abkoppeln. Interview mit Volker Stollorz, FAZ vom 4.5.2003, S. 55. 196 Wissenschaftlicher Beirat, Biologische, rechtliche und ethische Überlegungen, S. 4.

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1. Kap.: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

könnten im Ergebnis als paßgenaue Lieferanten autologer Stammzellen für die betroffenen Patienten fungieren. Gegenüber der klassischen SZKT-Methode hätte dieses Verfahren also den entscheidenden Vorteil, daß nicht zunächst Embryonen hergestellt würden, die für die anschließende Stammzellgewinnung sogleich wieder getötet werden müßten. Schöler faßt seine biomedizinische Vision wie folgt zusammen: „Für mich wäre es ethisch . . . sauberer, wenn wir ES-Zellen herstellen könnten, die zwar über das Eizellstadium hinaus noch Blastozysten bilden, sich aber unter keinen Umständen korrekt in eine Gebärmutter einnisten können. Wenn die gesamte Entwicklung in der Kulturschale passiert und nur blastozystenähnliche Strukturen entstehen – weil etwa die Embryohülle defekt ist – dann können wir daraus vielleicht Stammzellen für jedermann züchten.“200

Alternativ zu dieser Veränderung der ES-Zellen, wie sie Schöler vorschlägt, ließen sich auch die zu transferierenden Zellkerne so manipulieren, daß nach ihrem Transfer in entkernte Eizellen implantationsunfähige „Knock-out-Embryonen“ entstünden.201 Dieses Verfahren, das als „altered nuclear transfer“ bezeichnet wird, ist in jüngster Zeit (2005) im Tierexperiment bereits erfolgreich praktiziert worden202 und gilt ebenfalls als ernstzunehmender Weg in der humanen Stammzellforschung der Zukunft.

C. Folgen der Schöler-Experimente für den Totipotenzbegriff – zum Stand der naturwissenschaftlichen Totipotenzdebatte Mit seinen Forschungen hat Schöler jedoch nicht nur weitreichende biomedizinische Hoffungen für die Zukunft geweckt, sondern die Biowissenschaften be197 Schöler, FAZ vom 4.5.2003, S. 55. Dazu auch Wissenschaftlicher Beirat, Biologische, rechtliche und ethische Überlegungen, S. 4; Beier, J. Reproduktionsmed. Endokrinol. 2004, 68, 69; J. Müller-Jung, Die Arithmetik des Klonens, FAZ vom 7.4.2004, S. N 1; J. Reich, Über Totipotenz als Kriterium für den Status des menschlichen Embryos in vitro, in: L. Honnefelder/D. Lanzerath (Hrsg.), Klonen in biomedizinischer Forschung und Reproduktion, 2003, S. 279, 285. 198 So die Bezeichnung von B. Schöne-Seifert im Redebeitrag Nationaler Ethikrat, Niederschrift über den öffentlichen Teil der Sitzung am 12.6.2003 (www.ethikrat.org), S. 12. 199 So die Bezeichnung der Vertreter der Position A, in: Nationaler Ethikrat, Klonen, S. 57. 200 Schöler, FAZ vom 4.5.2003, S. 55 (Hervorh. T. H.). 201 W. Hurlbut, Altered nuclear transfer as a morally acceptable means for the procurement of human embryonic stem cells, Perspect. Biol. Med. 48 (2005), 211; D. Melton/G. Daley/C. Jennings, Altered nuclear transfer in stem-cell research, New English Journal of Medicine 351 (2004), 2791. 202 A. Meissner/R. Jaenisch, Generation of nuclear transfer-derived pluripotent ES cells from cloned Cdx2-deficient blastocysts, Nature advanced online publication vom 16.10.2005, 1 ff.

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reits in der Gegenwart erheblich vorangetrieben bzw. verunsichert. Als Folge seiner realisierten Experimente sowie ihrer dargestellten theoretischen Weiterungen im Humanexperiment ist nämlich ein zentraler Begriff der Biologie zweifelhaft geworden: die Totipotenz. Da dieser Terminus als Hauptanknüpfungspunkt für ethisch-rechtliche Schutzkonzepte in den normativen Wissenschaften verwendet wird, muß diese Folge der Schöler-Experimente hier kurz erläutert werden. Bei „Totipotenz“ im naturwissenschaftlichen Sinn besteht heute dringender terminologischer Präzisierungsbedarf, und zwar gleich in doppelter Hinsicht: I. Entwicklungsbiologische versus zellbiologische Totipotenz Schöler selbst hat bei seinem Nachweis, daß sich embryonale Stammzellen in alle Zelltypen inklusive der Keimzellen entwickeln können, davon gesprochen, daß ES-Zellen von nun an nicht mehr nur als pluripotent, sondern sogar als „totipotent“ anzusehen seien.203 Er hat damit – zumindest bei Nichtbiologen – für begriffliche Verwirrung gesorgt; entwickelten sich doch bekanntlich aus seinen murinen ES-Zellen keine lebenden Mäuse, sondern nur Mäuseoozyten bzw. murine blastozystenartige Gebilde. Dahinter steckt jedoch eine mit den Fortschritten der embryonalen Stammzellforschung seit dem Ende der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts möglich gewordene doppelte Verwendungsmöglichkeit des naturwissenschaftlichen Totipotenzbegriffs: In seiner ursprünglichen, aus der Entwicklungsbiologie stammenden Form bezeichnet „Totipotenz“ allein die Fähigkeit zur Ganzheitsbildung, d. h. die Fähigkeit einer Zelle, aus sich heraus ein komplettes, lebensfähiges Individuum bilden zu können.204 In dieser Form ist der Begriff auch in die juristische Totipotenzdefinition des Embryonenschutzgesetzes (1990) sowie des Stammzellgesetzes (2002) eingegangen, wonach eine menschliche Zelle als totipotent gilt, die „sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag“.205 Von dieser entwicklungsbiologischen Totipotenz (i. e. S.) wird in den Naturwissenschaften jedoch seit längerem die zellbiologische Totipotenz (i. w. S.) unterschieden, wonach eine Zelle bereits dann als totipotent anzusehen ist, wenn sie sich in alle Zelltypen eines Organismus einschließlich der Keimbahnzellen ausdifferenzieren kann.206 Im Gegensatz zur entwicklungsbiologischen Bedeu203

Hübner/Schöler u. a., Science 300 (2003), 1251. Beier, ZaeFQ 96 (2002), 357; Denker, Forschung an embryonalen Stammzellen, in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Stammzellenforschung, S. 19, 24. 205 § 8 I ESchG bzw. § 3 Nr. 4 StZG. 206 Schöler, Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 47 (2004), 565, 566 (dort Übersicht 1); Beier, ZaeFQ 96 (2002), 357. 204

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1. Kap.: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

tung ist die Fähigkeit zur Ganzheitsbildung in dieser Definition also gerade nicht mehr enthalten.207 Nur im zellbiologischen Sinne sind die Schölerschen ES-Zellen also „totipotent“, nach klassisch-entwicklungsbiologischer Begrifflichkeit dürften sie hingegen nur als „pluripotent“ bezeichnet werden.208 Zur besseren Klarheit möchte Hans-Werner Denker für diese Zellen mit Differenzierungsfähigkeit in alle Zellarten den bisher uneinheitlich gebrauchten Begriff der „Omnipotenz“209 reservieren, woraus sich in seiner Terminologie dann folgende Klassifikation ergeben würde:210 Begriff

Bedeutung

Beispiel

Pluripotenz

Fähigkeit zur Bildung vieler, aber nicht aller Zellarten eines Organismus

adulte Stammzelle

Omnipotenz

Fähigkeit zur Bildung aller Zellarten eines Organismus

embryonale Stammzelle

Totipotenz

Fähigkeit zur Bildung eines kompletten Individuums

Zygote, einzelne Blastomere bis maximal zum Achtzellstadium

Übersicht 6: Begriffe Pluripotenz, Omnipotenz und Totipotenz (nach Denker, 2002)

Wenngleich die größere Genauigkeit, die mit dieser Klassifikation erzielt würde, schon von vielen Seiten begrüßt wurde,211 ist derzeit nicht sicher, ob sie sich unter Naturwissenschaftlern durchsetzen wird. Letztlich ist es jedoch zweitrangig, ob man – wie es noch überwiegend geschieht – „Pluripotenz“ als Oberbegriff gebrauchen oder hiervon noch speziell die „Omnipotenz“ abgrenzen möchte. Wesentlich wichtiger erscheint eine eindeutige Verwendung des Totipotenzbegriffs, der als normativer Anknüpfungspunkt nur Sinn macht, wenn er im entwicklungsbiologischen Sinn (Fähigkeit zur Ganzheitsbildung) gebraucht wird, was im folgenden auch – soweit nicht ausdrücklich anders vermerkt – geschehen soll.

207 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat, Biologische, rechtliche und ethische Überlegungen, S. 6. 208 Beier, Totipotenz, in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Stammzellenforschung, S. 36, 49. 209 Wegen lat. omnes, omnia (= alle) im Ggs. zu totus (= ganz) und plures, plura (= mehrere). 210 Nach Denker, Forschung an embryonalen Stammzellen, in: Oduncu/Schroth/ Vossenkuhl, Stammzellenforschung, S. 19, 25 (dort Tabelle 2). 211 Z. B. Wissenschaftlicher Beirat, Biologische, rechtliche und ethische Überlegungen, S. 6 f.

§ 4 Dritte Etappe: Extrakorporale Laborartefakte

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II. Probleme der Beweisbarkeit und Manipulierbarkeit von Totipotenz Jedoch selbst in diesem präzisierten Sinne sind noch keineswegs alle Definitionsprobleme beim Totipotenzbegriff beseitigt. Bezogen auf den Menschen, stellt sich nämlich – hierauf hat Jens Reich immer wieder aufmerksam gemacht212 – zunächst das Problem der experimentellen Beweisbarkeit von Totipotenz, das aus der möglichen Herstellung neuartiger humaner Laborartefakte resultiert. So wird auch in Zukunft nicht mit letzter Sicherheit beantwortet werden können, ob diese humanen Laborartefakte nicht eventuell doch totipotent im entwicklungsbiologischen Sinn sein könnten, zumal beim Menschen eine Beweisführung durch den Versuch einer Schwangerschaft aus ethischen Gründen ausgeschlossen ist.213 Noch viel gravierender wirkt sich jedoch seit Schöler die Tatsache aus, daß Totipotenz nicht mehr wie früher nur eine naturgegebene Disposition einer Entität bezeichnet, sondern wie dargestellt möglicherweise bald durch künstliche Manipulation beliebig „an- und abgeschaltet“ werden kann.214 Die Voraussetzungen, unter denen sich Totipotenz „zeigt“, sind mithin völlig offen bzw. experimentell gestaltbar, mit der Folge, daß etwa auch eine Formulierung wie in § 8 I ESchG oder § 3 Nr. 4 StZG („bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen“) von Naturwissenschaftlern als völlig unzureichend empfunden wird. Welches sind nämlich die „erforderlichen weiteren Voraussetzungen“?215 Im Nationalen Ethikrat hat Jochen Taupitz die Problematik der Manipulierbarkeit von Totipotenz pointiert so zusammengefaßt: „Jetzt zerrinnt uns – das hat Herr Reich immer wieder deutlich gemacht – dieser naturwissenschaftliche Totipotenz-Begriff unter den Fingern, und wir müssen uns nun die Frage stellen . . .: Ist denn jede Zelle totipotent, weil sie durch technische Manipulationen letztlich zu einem ganzen Menschen umgeformt, gemacht werden kann?“216

Aus der mangelnden Beweisbarkeit und vor allem Manipulierbarkeit von Totipotenz haben Naturwissenschaftler verschiedentlich den Schluß gezogen, daß künftig auf den Totipotenzbegriff ganz verzichtet werden müsse, da er für die Forschung gänzlich unpraktikabel, ja „unbrauchbar“ geworden sei.217 Wäre dies tatsächlich die zwingende Konsequenz, hätten die Schöler-Experimente in der 212 J. Reich, Der Begriff der Totipotenz ist unbrauchbar, BIOforum 2003, 500; ders., Über Totipotenz, in: Honnefelder/Lanzerath, Klonen in biomedizinischer Forschung, S. 279 ff.; ders., ZMedEthik 50 (2004), 115. 213 Reich, Über Totipotenz, in: Honnefelder/Lanzerath, Klonen in biomedizinischer Forschung, S. 279, 281. 214 Reich, ZMedEthik 50 (2004), 115, 124. 215 Reich, BIOforum 2003, 500. 216 Redebeitrag Nationaler Ethikrat, Niederschrift Sitzung 12.6.2003, S. 10. 217 Am dezidiertesten wiederum Reich, BIOforum 2003, 500; ders., Über Totipotenz, in: Honnefelder/Lanzerath, Klonen in biomedizinischer Forschung, S. 279,

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1. Kap.: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

Tat einen weiteren Paradigmenwechsel218 in der Biologie eingeläutet, mit dem ein jahrzehntelang verwendeter Schlüsselbegriff zu Grabe getragen würde. Die Auffassung, daß der Totipotenzbegriff obsolet geworden sei, wird indes nicht von allen Fachleuten geteilt. So macht etwa Hans-Werner Denker darauf aufmerksam, daß man in den Naturwissenschaften auf diesen Terminus schon deshalb nicht verzichten könne, weil der Versuch, das Entstehen einer Ganzheit biologisch zu erfassen, ein Kernthema der Entwicklungsbiologie darstelle.219 Zum Problem der Beweisbarkeit von Totipotenz im Humanbereich wird des weiteren eingewandt, daß Zweifelsfälle in den meisten Fällen durch Analogieschlüsse zu Experimenten an Säugetieren, insbesondere nichtmenschlichen Primaten, lösbar seien;220 man hält insoweit das Potential der vergleichenden Entwicklungsbiologie für noch keinesfalls ausgeschöpft.221 – Soweit es darüber hinaus um das Problem der künstlichen Manipulierbarkeit von Totipotenz geht, so handelt es sich wohl eher um ein Mißverständnis, wenn man – wie Taupitz (s. o.) – als Folge heute denkbarer Manipulationsmöglichkeiten bereits jeder Körperzelle die Totipotenzeigenschaft zubilligen wollte. Nach entwicklungsbiologischem Verständnis von Totipotenz könnte diese nämlich allenfalls dann angenommen werden, wenn die entsprechende Manipulation abgeschlossen ist.222 Eine Totipotenzannahme bereits vor der Manipulation hätte im übrigen zur Folge, daß auch eine Körperzelle vor dem Kerntransfer beim „Dolly-Experiment“ aufgrund ihres Reprogrammierungspotentials als „totipotent“ zu bezeichnen wäre, was von Naturwissenschaftlern aber stets abgelehnt wurde und wird.223 Insgesamt wird also auch das Problem künstlicher Manipulierbarkeit 286 f.; aber etwa auch D. Ganten/C. Tannert, Stellungnahme zu Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Fragenkatalog Stammzellforschung, S. 5. 218 Z. B. W. Huber, Redebeitrag Nationaler Ethikrat, Niederschrift Sitzung 12.6. 2003, S. 9. 219 H.-W. Denker, Stellungnahme zu Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Fragenkatalog Stammzellforschung, S. 8 („Eine Diskreditierung scheint mir einer nüchternen Diskussion nicht zuträglich.“). Ähnlich Schöne-Seifert, Redebeitrag Nationaler Ethikrat, Niederschrift Sitzung 12.6.2003, S. 12. 220 Denker, Stellungnahme zu Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Fragenkatalog Stammzellforschung, S. 1 f. und 9. Auch im Nationalen Ethikrat (Klonen, S. 17) wird die Möglichkeit von Analogieschlüssen zur Gewinnung von Aussagen über die Totipotenz experimentell erzeugter menschlicher Gebilde hervorgehoben. 221 A. Weigl, Stellungnahme zu Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Fragenkatalog Stammzellforschung, S. 9 f. Sie sieht es dementsprechend auch nicht als nötig an, „daß ein menschlicher Organismus den gesamten Entwicklungsweg von der Einzelligkeit bis hin zur Geburt nachweislich durchläuft, damit seine Totipotenz anerkannt werden kann“. Str., a. A. Reich (Über Totipotenz, in: Honnefelder/Lanzerath, Klonen in biomedizinischer Forschung, S. 279, 282 f.), der an der Erforderlichkeit einer vollständigen Induktionskette festhält. 222 Weigl, Stellungnahme zu Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Fragenkatalog Stammzellforschung, S. 8.

§ 4 Dritte Etappe: Extrakorporale Laborartefakte

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von Totipotenz nicht als schlagendes Argument für einen notwendigen Verzicht auf diesen Terminus angesehen.224 Trotz dieses grundsätzlichen Festhaltens am naturwissenschaftlichen Totipotenzbegriff entsteht durch die Forschungen von Schöler aber die dringende Notwendigkeit, die Voraussetzungen bzw. Bedingungen, unter denen sich eine Zelle möglicherweise zu einem Individuum zu entwickeln vermag, wesentlich genauer zu definieren. Hierauf weist etwa Eve-Marie Engels immer wieder hin, wenn sie konstatiert: „Man kann nicht sagen: Etwas ist als solches totipotent. Vielmehr ist der Begriff der Totipotenz – wie alle Begriffe – nur unter bestimmten Bedingungen anwendbar. Eine Entität kann nur unter bestimmten Bedingungen totipotent sein. Und diese Bedingungen muß man immer mit angeben.“225

Doch was könnten solche Bedingungen sein? – Zunächst wirkt es eher abwegig, die gezielte Herbeimanipulation von Totipotenz selbst, etwa durch Zugabe eines „Wachstumsfaktorencocktails“,226 bereits als eine solche Totipotenzbedingung anzusehen.227 Untersucht man die derzeit geführte Diskussion um Totipotenzbedingungen etwas genauer, so fällt auf, daß als „Lackmustest“ bzw. Minimalbedingung für die Überprüfung von Totipotenz häufig auf den hypothetischen Transfer der fraglichen Entität in den weiblichen Uterus rekurriert wird. So formuliert etwa Regine Kollek beim Versuch einer Abgrenzung von Embryo und einfacher Körperzelle: „Ich denke, es gibt schon noch Unterschiede: Wenn man eine Hautzelle in einen Uterus verpflanzt, wird daraus erst einmal kein Mensch. Diesen Unterschied würde ich gern aufrechterhalten.“ 228

Diesen Ansatz des hypothetischen Transfers als Minimalbedingung für die Überprüfung von Totipotenz weitergedacht, könnte man eine etwas präzisiertere naturwissenschaftliche Definition von Totipotenz entwickeln: Danach würde 223 Statt aller Beier, Totipotenz, in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Stammzellenforschung, S. 36, 41 ff.; vgl. dazu auch Kersten, Klonen, S. 546 ff. 224 Denker, Stellungnahme zu Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Fragenkatalog Stammzellforschung, S. 1; Weigl, Stellungnahme zu Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Fragenkatalog Stammzellforschung, S. 8. 225 E.-M. Engels im Redebeitrag Nationaler Ethikrat, Niederschrift Sitzung 12.6.2003, S. 6. Ähnlich Kersten, Klonen, S. 549. 226 Man denke hier nur an die Manipulationen von Kono/Ogawa u. a., mit denen Mäuseparthenoten zur Geburt gebracht werden konnten (vgl. oben Fußn. 183). 227 So auch Schöne-Seifert im Redebeitrag Nationaler Ethikrat, Niederschrift Sitzung 12.6. 2003, S. 6: „Ist die Bedingung ,aus eigener Kraft‘ auch gegeben, wenn ein Wachstumsfaktorencocktail dazugegeben werden muß? Dann wahrscheinlich nicht.“ 228 R. Kollek im Redebeitrag Nationaler Ethikrat, Niederschrift Sitzung 12.6.2003, S. 6 (Hervorh. T. H.). Ähnlich Schöne-Seifert (Redebeitrag Nationaler Ethikrat, Niederschrift Sitzung 12.6.2003, S. 12).

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1. Kap.: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

eine extrakorporale menschliche Entität immer dann und nur dann als totipotent zu gelten haben, wenn sie bei einem entwicklungsadäquaten hypothetischen Transfer in weibliche Fortpflanzungsorgane die Eigenschaft besäße, ein komplettes Individuum hervorzubringen. Wichtig ist hierbei, daß es sich nur um einen hypothetischen Transfer und nicht etwa um eine bereits vollzogene Nidation handelt, da ansonsten von vornherein alle extrakorporalen Entitäten nicht mehr unter den Totipotenzbegriff fielen.229 Mit einer solchermaßen präzisierten Definition wären – eventuell unter Zuhilfenahme einer Analogie zum Tiermodell – sowohl der menschliche Embryo aus künstlicher Befruchtung (oben § 2) als auch der menschliche Zellkerntransferklon (oben § 3) als totipotent anzusehen. Diese Klassifizierung wäre natürlich nur möglich, wenn man nicht die von Christiane Nüsslein-Volhard vertretene Auffassung zur instruktiven Rolle des mütterlichen Organismus („Aufprägungsthese“) zugrunde legt, wonach eigentlich alle extrakorporalen Entitäten nicht mehr als totipotent anzusehen wären.230 – Als nach allen Meinungen unstrittig nicht totipotent hätte hingegen die Parthenote aus dem Schöler-Experiment (oben § 4 A.) zu gelten, da sie sich zwar nidieren, aber nicht zum kompletten, d. h. geborenen Individuum entwickeln könnte. Aber auch die beschriebenen „Schölerschen“ embryonalen Laborartefakte, die bei einem hypothetischen Transfer nicht einmal die Fähigkeit zur Nidation besäßen (oben § 4 B. II. 2), dürften danach nicht als totipotent angesehen werden. Natürlich wäre es vermessen zu behaupten, mit dieser Präzisierung des Totipotenzbegriffs durch Angabe einer wesentlichen Bedingung für die Überprüfung von Totipotenz (hypothetischer Transfer) seien schon alle Definitionsprobleme gelöst. Es bleibt jedoch festzuhalten, daß nach derzeitigem Stand trotz weithin bestehender Erforderlichkeit dieses Terminus von den Naturwissenschaften noch kein überzeugenderer bzw. konsensfähigerer Totipotenzbegriff angeboten wurde und diese „Lücke“ dringender Füllung bedarf. Die von den Schöler-Experimenten und ihrer theoretischen Extrapolation auf den Menschen ausgelöste Totipotenzdebatte in der Biologie hat dieses Desiderat zwar offengelegt, steht bei seiner Überwindung aber wohl eher noch am Anfang.

§ 5 Zusammenfassung (naturwissenschaftlicher Hintergrund) Die vorangegangene naturwissenschaftliche Analyse hat gezeigt, daß sich die Erzeugung extrakorporalen menschlichen Lebens in den vergangenen Jahrzehn229 In diese Richtung geht eine Idee von Reich (Über Totipotenz, in: Honnefelder/ Lanzerath, Klonen in biomedizinischer Forschung, S. 279, 286), der die Nachteile einer solchen Definition jedoch sogleich einräumt. 230 Vgl. oben § 2 A. III.

§ 5 Zusammenfassung

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ten als ein Prozeß zunehmender Artifizialisierung begreifen läßt, bei dem sich drei wissenschaftlich aufeinander aufbauende Etappen mit jeweils spezifischen Schlüsselentwicklungen unterscheiden lassen: Eine erste reproduktionsmedizinische Etappe (oben § 2), die sich bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen läßt, brachte im Kontext der Sterilitätsbehandlung den extrakorporalen menschlichen Embryo erstmals als eigenständige, vom mütterlichen Organismus getrennt kultivierbare Entität hervor. Die Artifizialität bestand hier noch allein in der künstlichen Ingangsetzung (IVF bzw. ICSI) und zeitlich begrenzt möglichen In-vitro-Aufrechterhaltung menschlicher Embryonalentwicklung in rein prokreativer Absicht. Obwohl damals gerade wegen dieser Zielsetzung nicht die extrakorporale Erzeugung menschlichen Lebens, sondern die spätere Geburt eines Kindes (1978) als Sensation angesehen wurde, ist vor allem mit dem ersten Schritt der eigentliche Grundstein für die biomedizinischen Entwicklungen in der Folgezeit gelegt worden. Die durch das Dolly-Experiment (1996) zunächst im Tierversuch entwickelte und später im Humanexperiment wiederholte Methode des somatischen Zellkerntransfers bei Säugern leitete dann eine zweite Etappe der Erzeugung extrakorporalen menschlichen Lebens ein (oben § 3), die hinsichtlich ihres Artifizialitätspotentials weit über die erste Phase hinausging. Indem es nämlich gelang, zelluläre Reprogrammierungsprozesse künstlich zu initiieren und auf diesem Weg menschliche Embryonen als Zellkerntransferklone zu rekonstruieren, konnte der ursprünglichen Entstehungsart qua Befruchtung eine zweite neue Entstehungsart gegenübergestellt werden. Zwar wurde auch dieses neue Verfahren im anfänglichen Tierversuch noch im reproduktiven Kontext realisiert; sein eigentlicher Sinn im Humanbereich liegt jedoch in biomedizinischen Zielsetzungen, die durch Verknüpfung der Kerntransfermethode mit der parallelen Revolution in der Stammzellforschung (Gewinnung und Kultivierung menschlicher ESZellen seit 1998) in greifbare Nähe rückten. Weitreichenden biomedizinischen Visionen des „therapeutischen Klonens“ im Sinne einer Gewinnung autologer ES-Zellen für einen optimierten Gewebeersatz bei Patienten waren dabei jedoch von Anfang an enge methodische Grenzen gesetzt, die das Verfahren zum Teil in Zweifel zogen und stets nach therapeutischen Alternativen (Transdifferenzierung adulter Stammzellen; „direkte“ Reprogrammierung von Körperzellen) suchen ließen. Die dritte und letzte Etappe (oben § 4), wiederum ausgelöst durch ein für die Biologie bahnbrechendes Säugetierexperiment (Gewinnung funktionsfähiger Eizellen aus murinen ES-Zellen, 2003), brachte die vorläufige Endstufe des beschriebenen Artifizialisierungsprozesses mit sich. Durch eine Übertragung dieses sog. Schöler-Verfahrens auf humane Stammzellen und seine konsequente theoretische Weiterentwicklung könnten dabei in Zukunft menschliche embryonale Entitäten mit begrenzter Entwicklungsfähigkeit geschaffen werden, die im

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1. Kap.: Naturwissenschaftlicher Hintergrund

biomedizinischen Kontext als spezifizierte Quellen autologer Stammzellen für Patienten zum Einsatz kämen. Als vorläufigem Schlußpunkt bei der Erzeugung extrakorporalen menschlichen Lebens hätte man es dabei mit rekonstruierten Laborartefakten ohne jegliches natürliches Pendant zu tun. Wenngleich die tatsächliche Existenz oder gar Nutzung solch biomedizinisch optimierter Laborartefakte derzeit noch eine Zukunftsvision darstellt, sind die mit ihrer Entwicklung verbundenen theoretischen Probleme für Kernbegriffe der Biologie (Totipotenz) bereits heute Realität. Mit den dargestellten drei Etappen biotechnischer Erzeugung extrakorporalen menschlichen Lebens sind zugleich drei Prototypen extrakorporaler Entitäten (Befruchtungsembryo, Zellkerntransferklon und begrenzt entwicklungsfähiges Laborartefakt) benannt, anhand derer die späteren verfassungsrechtlichen Konzepte überprüft werden können.

2. Kapitel

Rechtspolitischer Hintergrund – oder: Zwei deutsche Gesetze zu extrakorporalem menschlichem Leben aus verfassungsrechtlicher Perspektive Parallel zu den geschilderten drei Etappen des Erkenntnisfortschritts im Bereich humaner Biotechnologie lassen sich auch in der rechtspolitischen Entwicklung unterschiedliche Phasen beschreiben, die als jeweils zeitversetzte Reaktionen auf die gerade dargestellten wissenschaftlichen Neuerungen begriffen werden können. In Deutschland brachten diese rechtspolitischen Reaktionen bisher zwei umfangreiche Normsetzungsprozesse mit sich: So entstand als Folge der gelungenen Durchführung künstlicher Befruchtungen in der Reproduktionsmedizin1 mit Beginn der achtziger Jahre eine erste große rechtspolitische Diskussion zum Umgang mit extrakorporalem menschlichem Leben, die im Jahre 1990 zur Verabschiedung des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) als seither einfachgesetzlich maßgeblicher Kernnormierung für diesen Sachbereich führte. Mit dem Dolly-Experiment (1996) und der erfolgreichen Etablierung humaner embryonaler Stammzellinien (1998) setzte dann auch in der Bundesrepublik eine zweite intensive Diskussionsphase ein, die mit der Verabschiedung des Stammzellgesetzes (StZG) im Jahr 2002 ihren gewiß nur vorläufigen Abschluß fand. Inwieweit die Schöler-Experimente (2003) bereits eine dritte rechtspolitische Diskussionsphase eingeleitet haben, ist derzeit noch ungewiß; zumindest ein weiteres Gesetzgebungsverfahren ist bis heute (2005) noch nicht eingeleitet worden. Gleichwohl ist bemerkenswert, daß entsprechende politische Fachgremien bereits reagiert haben und sich des in den Experimenten bzw. ihren theoretischen Weiterungen liegenden neuen juristischen Problempotentials bewußt sind.2 Bei der nachfolgenden Analyse der beiden zentralen Normsetzungsprozesse in Deutschland, die extrakorporales menschliches Leben zum Inhalt hatten, geht es nicht allein darum, die rechtspolitischen Diskussionsprozesse auf einfachge-

1 Die erste erfolgreiche In-vitro-Fertilisation in der Bundesrepublik wurde im Jahr 1982 durchgeführt (Taubert/Licht, Sterilität, in: Schmidt-Matthiesen/Wallwiener, Gynäkologie, S. 123, 141). 2 Vgl. dazu Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“, Fragenkatalog Stammzellforschung, S. 2 ff.; Nationaler Ethikrat, Klonen, S. 20, 57 f., 73.

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2. Kap.: Rechtspolitischer Hintergrund

setzlicher Ebene nachzuzeichnen. Im Hinblick auf die spätere Darstellung verfassungsrechtlicher Schutzmodelle soll der Fokus der Betrachtung vielmehr darauf gerichtet werden, welche verfassungsrechtlichen Konzeptionen im Umgang mit extrakorporalem menschlichem Leben sich diesen beiden großen rechtspolitischen Etappen entnehmen lassen. Inwieweit sind z. B. die getroffenen Regelungen bzw. ihre Vorläufer Ausdruck einer verfassungsrechtlichen Schutzwürdigkeit oder gar eines „verfassungsrechtlichen Status“ extrakorporaler Entitäten? Oder waren die gefundenen Kompromisse eher anderen Überlegungen geschuldet, und wenn ja welchen? Unter dieser spezifisch verfassungsrechtlichen Perspektive werden entsprechend dem historischen Werdegang zunächst die Entstehungsgeschichte des Embryonenschutzgesetzes (dazu nachfolgend § 6) und dann im zweiten Schritt die rechtspolitischen Folgeentwicklungen bis zur Verabschiedung des Stammzellgesetzes analysiert (dazu nachfolgend § 7). Auch hier soll eine graphische Darstellung im Vorfeld den Überblick erleichtern (siehe dazu Übersicht 7).

§7 §6

1985: Be- 1986: Diskusricht der sionsentwurf „Benda- zum EmbryoKommis- nenschutzgesetz (DEsion“ ESchG)

1988: Abschlußbericht der BundLänder-Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin“

1990: Embryonenschutzgesetz (ESchG)

1998: „Klonbericht“ der Bundesregierung

5/2001: Empfehlungen der DFG zur Stammzellforschung

11–12/2001: Stammzellvoten von BTEnquete-Kommission und Nationalem Ethikrat

2002: Stammzellgesetz (StZG)

Übersicht 7: Normsetzungsprozesse zu extrakorporalem menschlichem Leben in Deutschland3

3 Die gestrichelten Linien markieren Ereignisse vor dem eigentlichen Gesetzgebungsprozeß.

§ 6 Die Entstehung des Embryonenschutzgesetzes (ESchG)

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§ 6 Die Entstehung des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) aus verfassungsrechtlicher Perspektive Der Verabschiedung des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) im Jahr 19904 ging in Deutschland ein mehrjähriger intensiver Diskussionsprozeß auf allen politischen Ebenen in Bund und Ländern voraus. Während diese Diskussion in der Frühphase noch stärker interdisziplinär ausgerichtet war und sich die Notwendigkeit originär rechtlicher Regelungen erst allmählich herauskristallisierte,5 erhielt sie später eine Eigendynamik, die am Schluß beinahe überhastet zu lediglich punktuellen Rechtsnormen im Bereich der humanen Biotechnologie führte. Anstelle einer umfassenden bundeseinheitlichen Regelung der Fortpflanzungsmedizin, der freilich noch eine Verfassungsänderung hätte vorausgehen müssen,6 gelangte man so trotz langjähriger Vorbereitung nur zu einem eher disparaten Konglomerat einschlägiger Straftatbestände, dessen Stückwerkcharakter schon bei seiner Verabschiedung allzu deutlich war.7 Wichtige rechtspolitische Meilensteine auf dem Weg zu diesem neuen Gesetz bildeten dabei der Bericht der „Benda-Kommission“ (25. November 1985), der Diskussionsentwurf des Bundesjustizministeriums zum Embryonenschutzgesetz (29. April 1986), der Abschlußbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin“ (August 1988) sowie schließlich das eigentliche Gesetzgebungsverfahren zum Embryonenschutzgesetz im Anschluß an einen entsprechenden Arbeitsentwurf des Bundesjustizministeriums (1988–1990).8 Nachfolgend werden je4 Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz – ESchG) vom 13.12.1990 (BGBl. I, S. 2746), abgedr. im Anhang I. Vgl. zum Gesetzgebungsprozeß auch F. Jungfleisch, Fortpflanzungsmedizin als Gegenstand des Strafrechts?, 2005, S. 61 ff. 5 Zu dieser Frühphase zählt z. B. eine Fachtagung beim Bundesministerium für Forschung und Technologie im Jahr 1983 zu „ethischen und rechtliche Problemen der Anwendung zellbiologischer und gentechnischer Methoden beim Menschen“. Hinsichtlich des rechtlichen Regelungsbedarfs gab Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber damals noch zu Protokoll: „(Es ist) nicht Absicht der Bundesregierung, jetzt an Gesetze und Verordnungen heranzugehen. Ich habe sehr bewußt dieses Thema zu einem Zeitpunkt auf die Tagesordnung gesetzt, wo es hier, soweit ich die Fakten bis jetzt kenne, keinen dringenden Regelungsbedarf gibt.“ (Bundesminister für Forschung und Technologie, Ethische und rechtliche Probleme der Anwendung zellbiologischer und gentechnischer Methoden am Menschen, 1984, S. 50). 6 Die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes in Art. 74 I Nr. 26 GG für die künstliche Befruchtung beim Menschen, die Untersuchung und die künstliche Veränderung von Erbinformationen sowie Regelungen zur Transplantation von Organen und Geweben wurde erst im Jahr 1994 eingeführt. 7 Stellvertretend Seesing (CDU/CSU) bei der 2. Beratung des Embryonenschutzgesetzes im Bundestag (Deutscher Bundestag, Plenarprot. 11/230 vom 24.1.1990, S. 18209). Vgl. zum fragmentarischen Charakter des Embryonenschutzgesetzes auch Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, Einf. B. V. 8 Auf die zwischen 1984 und 1987 bestehende Enquete-Kommission des 10. Deutschen Bundestages „Chancen und Risiken der Gentechnologie“, die 1987 ihren Ab-

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2. Kap.: Rechtspolitischer Hintergrund

weils in einem ersten Teil Entstehung und wesentliche Regelungsinhalte dieser Meilensteine zusammengefaßt, bevor dann im zweiten Teil auf die aus ihnen ersichtlichen verfassungsrechtlichen Konzeptionen in bezug auf den Schutz extrakorporalen menschlichen Lebens eingegangen wird.

A. Der Bericht der „Benda-Kommission“ (25. November 1985) I. Entstehung und wesentliche Regelungsinhalte Im Kontext einer schon etwas früher in der deutschen Öffentlichkeit geführten Diskussion9 setzten im Mai 1984 der Bundesminister der Justiz und der Bundesminister für Forschung und Technologie eine gemeinsame interdisziplinäre Arbeitsgruppe „In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie“ ein, die vom vormaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Ernst Benda geleitet wurde und deshalb fortan den inoffiziellen Namen „Benda-Kommission“ trug. Aufgabe dieses Expertengremiums war, Stellung zu den ethischen und rechtlichen Fragen der neuen Methoden der Reproduktionsmedizin, der Genomanalyse sowie evtl. erwartbarer Gentherapien zu beziehen und insbesondere den rechtlichen Regelungsbedarf in diesen drei Themenfeldern zu klären.10 Der Arbeitsgruppe, die zwischen September 1984 und November 1985 tagte, gehörten insgesamt 19 Mitglieder an, darunter 13 Naturwissenschaftler, drei Ethiker (Böckle, Honecker, Kluxen) und neben Benda noch zwei weitere Juristen (Deutsch und Eser).11 Sie legte am 25. November 1985 ihren Abschlußbericht – den „Benda-Bericht“ – vor, der neben dem Mehrheitsvotum zwei Sondervoten (Doerfler und Petersen)12 enthielt und im wesentlichen folgende Arbeitsergebnisse dokumentierte: Zunächst wurde mit weit überwiegender Mehrheit die Notwendigkeit rechtlicher Regelungen für die genannten neuen Sachbereiche betont, um der Gefahr

schlußbericht vorlegte (Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“. Bericht [BT-Drs. 10/6775], 1987), wird im folgenden nicht eingegangen, da sie sich nur am Rande mit extrakorporalem menschlichem Leben befaßte. Dazu eingehend C. Hülsmann/H.-G. Koch, Bundesrepublik Deutschland [Landesbericht], in: A. Eser/H.-G. Koch/T. Wiesenbart (Hrsg.), Regelungen der Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik, Band I, 1990, S. 29, 52 ff. 9 Hierzu R. Keller, in: ders./H.-L. Günther/P. Kaiser, Kommentar zum Embryonenschutzgesetz, 1992, Einf. B. III. Rdnr. 6 ff. 10 Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie. Bericht der gemeinsamen Arbeitsgruppe des Bundesministers für Forschung und Technologie und des Bundesministers der Justiz, 1985, S. 1. 11 Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 49 ff. 12 Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 52 ff. und 55 ff.

§ 6 Die Entstehung des Embryonenschutzgesetzes (ESchG)

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rechtsfreier Räume wirksam begegnen zu können.13 Dabei hielt man die künstliche Befruchtung im homologen System, d. h. bei Eheleuten, für ethisch und rechtlich zulässig, sofern nicht mehr Eizellen befruchtet würden, als später – jedoch nicht zwingend im selben Zyklus – übertragen werden sollten.14 Die heterologe In-vitro-Fertilisation (IVF), also die künstliche Befruchtung mittels Fremdsperma, wurde ebenso wie die Eizellspende wegen des sich ergebenden Problems gespaltener Elternschaften grundsätzlich abgelehnt.15 Gleichwohl befürwortete der Bericht im Ausnahmefall die Zulässigkeit der Kryokonservierung befruchteter Eizellen sowie der Embryonenspende, wenn damit ein nicht transferierbarer extrakorporaler Embryo vor dem Absterben bewahrt werden könne.16 „Echte“ Ersatzmutterschaften als von vornherein intendierte Dienstleistungen17 wurden hingegen in jedweder Form verworfen.18 Während hier wie auch beim ebenfalls abgelehnten Gentransfer in menschliche Keimbahnzellen die Art der zu schaffenden Verbotsregelung strittig blieb (strafrechtliches oder verwaltungsrechtliches Verbot?),19 favorisierte die Arbeitsgruppe bei Klonexperimenten und Interspezies-Interaktionen (Chimären- und Hybridbildung) ein ausnahmslos strafrechtliches Verbot.20 – Die Frage der wissenschaftlichen Forschung an menschlichen Embryonen blieb demgegenüber in der Benda-Kommission bis zum Schluß lebhaft umstritten: Während sich eine Mehrheit dafür aussprach, die Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken generell zu verbieten, wollte es eine Minderheit nicht grundsätzlich ausschließen, für besonders hochrangige Forschungsziele gezielt menschliche Embryonen herzustellen.21 Wissenschaftliche Versuche an sog. „überzähligen“ Embryonen wurden hingegen weithin als vertretbar erachtet, sofern sie „dem Erkennen, 13 Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 5, unter Verweis auf BVerfGE 39, 1, 44; a. A. Doerfler in seinem Sondervotum auf S. 53 („Es besteht kein Grund zu übereilter Gesetzgebung.“). 14 Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 7; a. A. Petersen in seinem Sondervotum auf S. 55 ff., der angesichts der „völlig neuen Qualität des biomedizinischen Eingriffs in die Menschwerdung“ schwerwiegende Bedenken gegen die homologe künstliche Befruchtung äußert. 15 Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 14 bzw. 18. 16 Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 21 bzw. 31. 17 Bei der „echten“ Ersatzmutterschaft erklärt sich eine Frau – u. U. entgeltlich – bereit, das von ihr ausgetragene Kind nach der Geburt Dritten auf Dauer zu überlassen (vgl. § 1 I Nr. 7 ESchG). 18 Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 23. 19 Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 25 bzw. 48. 20 Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 35. 21 Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 28 f. Hierzu eingehend Hülsmann/Koch, Bundesrepublik Deutschland [Landesbericht], in: Eser/Koch/Wiesenbart, Regelungen der Fortpflanzungsmedizin I, S. 29, 44 ff.

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2. Kap.: Rechtspolitischer Hintergrund

Verhindern oder Beheben einer Krankheit bei dem betreffenden Embryo oder der Erzielung definierter, hochrangiger medizinischer Erkenntnisse dienen“ könnten.22 II. Verfassungsrechtliche Konzeption in bezug auf den Schutz extrakorporalen menschlichen Lebens Bei der Bewertung dieser Arbeitsergebnisse in bezug auf die verfassungsrechtliche Schutzkonzeption zu extrakorporalem Leben fällt zunächst auf, daß eine verfassungsrechtliche Statusdebatte, so wie wir sie heute kennen, in der „Benda-Kommission“ nie geführt wurde. Obwohl eines der Kommissionsmitglieder am ersten Urteil des Bundesverfassungsgericht zum Schwangerschaftsabbruch von 197523 maßgeblich beteiligt war, finden sich im Bericht – wie auch in der gesamten späteren Diskussion – praktisch keine argumentativen Schlüsse aus den damaligen Urteilsfeststellungen zum grundrechtlichen Schutz des Embryos in vivo auf den Embryo in vitro. Im Bericht der „Benda-Kommission“ wurde diese Statusfrage vielmehr bewußt offengelassen bzw. als für die einfachrechtliche Rahmensetzung nicht relevant erachtet. So heißt bereits in den einleitenden Bemerkungen: „[Es ist, T. H.] verschiedentlich die Frage aufgeworfen worden, ob die befruchtete Eizelle als solche Trägerin der in der Verfassung normierten Grundrechte sein könne. Um indes die Grenzen der neuen Technologien zu bestimmen, bedarf es der Beantwortung dieser Frage nicht. Denn selbst wer der Ansicht ist, daß der Embryo im Frühstadium seiner Entwicklung noch nicht Grundrechtsträger sei, wird nicht leugnen können, daß es sich bei der durch den Samen eines Mannes befruchteten Eizelle einer Frau um artspezifisch menschliches . . . Leben handelt, dem als Entwicklungsform eines menschlichen Subjekts bereits ein schutzwürdiger Status zukommt.“24

Diese Feststellung ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Zunächst überrascht es, daß man zur Begründung einer verfassungsrechtlichen Schutzwürdigkeit des Embryos vor allem auf die Artspezifität rekurrierte. Schon damals hätte nämlich klar sein müssen, daß sich aus der alleinigen Tatsache, daß es sich bei einer befruchteten Eizelle unbestreitbar um „artspezifisches menschliches Leben“ handelt, noch keine Aussage zu Art und Umfang des Grundrechtsschutzes ergeben kann. So hatte z. B. das Kommissionsmitglied Kluxen die Parallelproblematik in den Ethikwissenschaften bei der wenige Monate zuvor (September 1983) stattgefundenen Fachtagung im Bundesforschungsministerium25 bereits deutlich formuliert: 22

Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 28. BVerfGE 39, 1. 24 Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 4 (Hervorh. T. H.). 23

§ 6 Die Entstehung des Embryonenschutzgesetzes (ESchG)

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„[Die, T. H.] Frage des ,menschlichen Lebens‘ . . . scheint mir den entscheidenden Punkt zu treffen, der kein Punkt ist, sondern eine Grauzone: Es ist nicht eindeutig klarzulegen. Wenn man radikal ist, kann man sagen: ,Menschliches Leben‘ haben wir überall im Gewebe. Meine Hand ist ja zweifellos eine menschliche Hand, da ist menschliches Leben . . . Aber daß die befruchtete Eizelle eine besondere Rolle spielt, ist klar.“26

Immerhin wurde in der zitierten Stelle im „Benda-Bericht“ neben der Artspezifität auch noch auf die „Entwicklungsform eines menschlichen Subjekts“ Bezug genommen und diese ebenfalls als Begründung für eine verfassungsrechtliche Schutzwürdigkeit des Embryos angeführt. Die darin liegende Andeutung des Potentialitätsarguments hätte allerdings die entscheidende Frage aufwerfen müssen, ob aus dieser „Entwicklungsform“ ein gleicher oder unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Schutz von Embryonen und geborenen Menschen resultieren soll oder nicht. Hierzu findet sich jedoch an keiner Stelle im „Benda-Bericht“ auch nur andeutungsweise eine Antwort. Das Dokument blieb vielmehr allein bei der Frage des „Ob“ des verfassungsrechtlichen Schutzes („schutzwürdiger Status“) stehen, ohne die ebenfalls naheliegende Frage des „Wie“ eines solchen Schutzes zu thematisieren, und vermied damit eine eindeutige Stellungnahme in der Statusfrage.27 Diese bewußte Ausklammerung der Statusproblematik korrespondiert im weiteren Verlauf des Berichts mit einer entsprechenden Beurteilung der verschiedenen neuen biotechnologischen Verfahren, die ebenfalls kein in sich schlüssiges Schutzkonzept erkennen läßt. Dabei springt zunächst ins Auge, daß das Grundrecht auf Leben (Art. 2 II 1 Alt. 1 GG) deutlich unterrepräsentiert war und im Bericht vor allem beim Verbot der Erzeugung von Forschungsembryonen28 und der Befruchtung ohne Transferabsicht29 eine Rolle spielte. Ob sich eine heterologe IVF, Eizellspende oder Ersatzmutterschaft aber in Einzelfällen vielleicht gerade aus Lebensschutzaspekten rechtfertigen ließe, wurde nicht thematisiert. – 25

Siehe oben Fußn. 5. Bundesminister für Forschung und Technologie, Ethische und rechtliche Probleme, S. 96 (Hervorh. T. H.). Zur mangelnden Überzeugungskraft des alleinigen Rekurses auf die Artspezifität vgl. aus jüngerer Zeit auch W. Heun, Gattungszugehörigkeit oder Personsein als Anknüpfungspunkt der Menschenrechte?, in: E. Klein/C. Menke (Hrsg.), Menschenrechte und Bioethik, 2004, S. 24, 35 f. 27 Vgl. hierzu A. Eser (Forschung mit Embryonen in rechtsvergleichender und rechtspolitischer Sicht, in: H.-L. Günther/R. Keller [Hrsg.], Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik – Strafrechtliche Schranken?, 2. Aufl. 1991, S. 263, 286 ff.), der auch in der Folgezeit noch an der Irrelevanz der verfassungsrechtlichen Statusfrage festhielt. Aus seiner Begründung (ebd., S. 287), daß der Embryo unabhängig von einer möglichen Grundrechtsträgerschaft nicht „vogelfrei“ bleibt, ergibt sich jedoch allenfalls eine Irrelevanz der Statusfrage für das „Ob“, keinesfalls jedoch für das „Wie“ des Grundrechtsschutzes. 28 Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 29 f. 29 Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 6. 26

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2. Kap.: Rechtspolitischer Hintergrund

Im Gegensatz zu Art. 2 II 1 Alt. 1 GG findet man das Menschenwürdeargument (Art. 1 I GG) an zahlreichen Stellen im Bericht – ja man könnte beinahe von einer ubiquitären Verwendung sprechen. Exakte Überlegungen, welchem Aspekt des rechtlichen Menschenwürdekonzepts jeweils welche normative Steuerungsfunktion zukommen könnte, sucht man dabei aber zumeist vergebens. So wurde etwa zur verfassungsrechtlichen Begründung einer möglichen Forschung an „überzähligen“ Embryonen pauschal von einer Konkretisierungsmöglichkeit des Gesetzgebers für die Schranken der Forschungsfreiheit (Art. 5 III GG) ausgegangen, ohne die dem eventuell entgegenstehende Abwägungsresistenz des Art. 1 I GG zu diskutieren.30 Umgekehrt fungierte Art. 1 I GG an zahlreichen Stellen im „Benda-Bericht“ als universell einsetzbarer Begründungs-Passepartout zur Rechtfertigung weitreichender Verbotsregelungen, so etwa von Befruchtung ohne Transferabsicht,31 heterologer IVF,32 Ersatzmutterschaft, 33 Gentransfer in Keimbahnzellen 34 oder Klonexperimenten und Interspezies-Interaktionen.35 Wurde dabei z. B. beim Verbot von heterologer IVF und Gentransfer noch mit einem Rekurs auf ein bestimmtes Menschenbild argumentiert,36 gerann das Menschenwürdeargument gerade beim Verbot von Klonexperimenten und Interspezies-Interaktionen zu einer rein emotionalen Abwehrrhetorik mit hoher Appellstruktur.37 Der dargestellte verfassungsrechtliche Befund des „Benda-Berichts“ legt insgesamt die Vermutung nahe, daß als Konsequenz der offengelassenen Statusfrage zum extrakorporalen Embryo rechtspolitisch gewünschte Ergebnisse eher von Fall zu Fall mit verfassungsrechtlichen Argumenten „garniert“ werden sollten. Mit dieser Vorgehensweise wurde aber zugleich in der Frühphase des Normsetzungsprozesses eine entscheidende Chance vertan, die Verfassung als 30 Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 28 f. Zur damaligen verfassungsrechtlichen Rechtfertigung solcher Forschungen vgl. auch W. Graf Vitzthum, Rechtspolitik als Verfassungsvollzug?, in: H.-L. Günther/R. Keller (Hrsg.), Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik – Strafrechtliche Schranken?, 2. Aufl. 1991, S. 61, 75, unter Aufgabe einer früheren Position (ders., Gentechnologie und Menschenwürde, MedR 1985, 249, 256). 31 Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 7. 32 Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 13. 33 Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 23. 34 Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 46. 35 Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 34 f. 36 Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 13 (Merkmal der sozialen Verantwortung) und 46 (Merkmal der Unvollkommenheit). 37 So heißt es ohne weitere Argumentation zur Chimären- und Hybridbildung: „Mit Rücksicht darauf, daß die hier behandelten Experimente in besonders schwerwiegender Weise gegen die Menschenwürde verstoßen, ist schon aus präventiven Gründen ein strafrechtliches Verbot derartiger Manipulationen geboten.“ (Bundesminister für Forschung und Technologie, In-vitro-Fertilisation, S. 35, Hervorh. T. H.). Vgl. hierzu auch selbstkritisch A. Eser, Neuartige Bedrohungen ungeborenen Lebens, 1990, S. 35 f.

§ 6 Die Entstehung des Embryonenschutzgesetzes (ESchG)

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Richtschnur für den juristischen Umgang mit extrakorporalem menschlichem Leben fruchtbar zu machen und für die Folgezeit relevante Maßstäbe für die rechtliche Beurteilung der neuen Biotechnologien zu etablieren.

B. Der Diskussionsentwurf zum Embryonenschutzgesetz (29. April 1986) I. Entstehung und wesentliche Regelungsinhalte Unmittelbar im Anschluß an den Bericht der „Benda-Kommission“ wurde vom Bundesjustizministerium am 29. April 1986 ein „Diskussionsentwurf eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen“ (DE-ESchG) eingebracht.38 Dieser Diskussionsentwurf beinhaltete erstmals eine konkrete gesetzestechnische Umsetzung des vorher nur abstrakt diskutierten Regelungsbedarfs auf Bundesebene und hielt sich dabei inhaltlich eng an die Vorgaben der Expertengruppe.39 Im einzelnen wurden strafrechtliche Verbote nur zum Schutz „besonders hochrangiger Rechtgüter“40 vorgesehen und dementsprechend vor allem die gezielte Erzeugung von Forschungsembryonen (§ 2 I DE-ESchG), der Gentransfer in menschliche Keimbahnzellen (§§ 5, 6 DE-ESchG), das Klonen (§ 7 DEESchG) oder Interspezies-Interaktionen (§ 8 DE-ESchG) pönalisiert. Die in der Benda-Kommission mehrheitlich für zulässig erachtete Forschung an „überzähligen“ Embryonen setzte man im Diskussionsentwurf gesetzestechnisch als „strafbewehrtes Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“41 um, indem nur bestraft werden sollte, „wer ohne Genehmigung der zuständigen obersten Landesbehörde einen extrakorporal erzeugten menschlichen Embryo für Experimente oder einen anderen Zweck als den seiner Übertragung verwendet“ (§ 2 II DE-ESchG). An einigen Stellen ging dieser ansonsten im Vergleich zum später verabschiedeten Embryonenschutzgesetz nur als Rumpfregelung zu begreifende Diskussionsentwurf sogar noch über die Vorgaben des „Benda-Berichts“ hinaus: So schuf man mit § 1 DE-ESchG einen allgemeinen Tatbestand der Embryonenschädigung, wonach derjenige mit Strafe bedroht wurde, der durch Einwirkung

38 Bundesminister der Justiz, Diskussionsentwurf eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz – ESchG), in: H.-L. Günther/R. Keller (Hrsg.), Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik – Strafrechtliche Schranken?, 2. Aufl. 1991, S. 349 ff. (Entwurf und Begründung). 39 Keller, in: ders./Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, Einf. B. III. Rdnr. 20; H. Haßmann, Embryonenschutz im Spannungsfeld internationaler Menschenrechte, staatlicher Grundrechte und nationaler Regelungsmodelle zur Embryonenforschung, 2003, S. 202. 40 Bundesminister der Justiz, Diskussionsentwurf ESchG, in: Günther/Keller, Fortpflanzungsmedizin, S. 349, 353. 41 Keller, in: ders./Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, Einf. B. III. Rdnr. 21.

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2. Kap.: Rechtspolitischer Hintergrund

auf einen Embryo oder Fötus eine Gesundheitsschädigung des „aus ihm hervorgegangenen Menschen“ herbeiführte.42 Außerdem enthielt § 9 DE-ESchG erstmals eine – sehr weitgehende – Legaldefinition des „Embryos“, die später als Grundlage für alle weiteren juristischen Embryobegriffe dienen sollte. Nach § 9 DE-ESchG sollte unter einem „Embryo“ „bereits die befruchtete Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede isolierte totipotente Zelle, die sich zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag,“

verstanden werden.43 II. Verfassungsrechtliche Konzeption in bezug auf den Schutz extrakorporalen menschlichen Lebens Auch beim Thema der verfassungsrechtlichen Schutzwürdigkeit extrakorporalen menschlichen Lebens knüpfte der Diskussionsentwurf explizit an entsprechende Aussagen im „Benda-Bericht“ an und ließ die Frage der Grundrechtsträgerschaft erneut offen.44 Obwohl mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1975 (BVerfGE 39, 1) bereits eine Entscheidung vorlag, die umfangreiche Aussagen zu (intrakorporalem) vorgeburtlichem Leben enthielt, fehlen die uns heute so vertrauten weitreichenden Ableitungen aus der Karlsruher Rechtsprechung auf den Status extrakorporaler Entitäten45 fast völlig. Gleichwohl enthält die Gesetzesbegründung zum Diskussionsentwurf in diesem Punkt eine erstaunliche Neuerung: „[Zwar, T. H.] geht der Entwurf in Übereinstimmung mit dem bereits erwähnten Arbeitsgruppenbericht . . . davon aus, daß jeder Umgang mit menschlichen Embryonen, auch im frühesten Zellstadium, darauf zu prüfen ist, ob er mit dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Einklang zu bringen ist. Dies schließt jedoch Differenzierungen bei der Art und Weise und dem Umfang des zu gewährenden Schutzes im Vergleich zu späteren Entwicklungsstadien nicht aus.“46

Indem der Diskussionsentwurf somit expressis verbis von unterschiedlichen Schutzgraden („Differenzierungen“) in Abhängigkeit von der jeweiligen Entwicklungsstufe menschlichen Lebens ausging, wagte er sich in der Statusfrage 42 Zur Begründung eingehend Bundesminister der Justiz, Diskussionsentwurf ESchG, in: Günther/Keller, Fortpflanzungsmedizin, S. 349, 354 ff. 43 Vgl. dazu auch Hülsmann/Koch, Bundesrepublik Deutschland [Landesbericht], in: Eser/Koch/Wiesenbart, Regelungen der Fortpflanzungsmedizin I, S. 29, 49, sowie unten § 6 D. I. 44 Bundesminister der Justiz, Diskussionsentwurf ESchG, in: Günther/Keller, Fortpflanzungsmedizin, S. 349, 352. 45 Dazu eingehend unten § 9 A. II. 46 Bundesminister der Justiz, Diskussionsentwurf ESchG, in: Günther/Keller, Fortpflanzungsmedizin, S. 349, 352 f. (Hervorh. T. H.).

§ 6 Die Entstehung des Embryonenschutzgesetzes (ESchG)

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im Vergleich zu seinem Vorläufer einen Schritt weiter vor und beantwortete erstmals ansatzweise die Frage des Umfangs vorgeburtlichen Grundrechtsschutzes. Die im Entwurf behauptete – aber nicht näher begründete – Möglichkeit von Differenzierungen im Schutzniveau legt dabei den Schluß nahe, daß der extrakorporale Embryo offenbar statusrechtlich anders behandelt werden sollte als etwa der geborene Mensch. Diese Vermutung wird durch zahlreiche Textformulierungen im Entwurf noch erhärtet: So ist in § 1 I DE-ESchG (Embryonenschädigung) vom aus dem Embryo bzw. Fötus „hervorgegangenen Menschen“ die Rede;47 weiterhin wird in § 7 I DE-ESchG (Klonverbot) der Embryo begrifflich neben den „(lebenden) Menschen“ gestellt;48 schließlich ist in § 5 DE-ESchG (Verbot der künstlichen Veränderung menschlicher Keimbahnzellen)49 und in § 9 DE-ESchG (Legaldefinition des Embryos)50 von einer Entwicklung „zu einem Menschen“ bzw. „zu einem Individuum“ die Rede. Mit all diesen Formulierungen wird insinuiert, daß es sich beim Embryo rechtlich wohl um etwas anderes handele als einen Menschen bzw. ein Individuum.51 Als Ergebnis läßt sich somit festhalten, daß der Diskussionsentwurf zum Embryonenschutzgesetz die verfassungsrechtliche Statusfrage zu extrakorporalen Entitäten zwar wie der „Benda-Bericht“ nicht offen thematisierte, sich aus der Begründung und den gewählten Gesetzesformulierungen jedoch eine über die Expertenvorlage hinausgehende indirekte Antwort entnehmen läßt, die eine differenzierte statusrechtliche Bewertung nahelegt.

C. Der Abschlußbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin“ (August 1988) I. Entstehung und wesentliche Regelungsinhalte Als dieser Diskussionsentwurf zum Embryonenschutzgesetz 1986 an die Öffentlichkeit gelangte, war er dort sofort massiver Kritik von allen Seiten ausgesetzt.52 Aus verfassungsrechtlicher Sicht wurde dabei jedoch nur vereinzelt die angesprochene Statusdifferenzierung zwischen Embryo und Mensch in den Vor47 „Wer durch Einwirkung auf einen Embryo oder Foetus eine Gesundheitsschädigung des [aus ihm hervorgegangenen] Menschen herbeiführt, . . .“. 48 „Wer künstlich die Entstehung und Weiterentwicklung eines menschlichen Embryos bewirkt, der die gleiche Erbinformation wie ein anderer Embryo oder wie ein Fötus, ein lebender Mensch oder ein Verstorbener besitzt, . . .“. 49 „Wer die Erbinformation einer menschlichen Keimbahnzelle künstlich verändert, ohne daß sichergestellt ist, daß diese sich nicht zu einer Keimzelle oder einem Menschen weiterentwickelt, . . .“. 50 Siehe oben § 6 B. I. a. E. 51 So auch R. Beckmann, Embryonenschutz und Grundgesetz, ZRP 1987, 80, 81.

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2. Kap.: Rechtspolitischer Hintergrund

dergrund gerückt.53 Wesentlich größere Aufmerksamkeit schenkte man dem in § 2 II DE-ESchG (Forschung an „überzähligen“ Embryonen) statuierten „strafbewehrten Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“, das als Verstoß gegen das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot (Art. 103 II GG) und im Hinblick auf die vorgesehene Länderkompetenz bei der Genehmigungserteilung als gefährlicher Hebel zur Rechtszersplitterung gebrandmarkt wurde.54 Im Dezember 1986, also wenige Monate nach Veröffentlichung des Diskussionsentwurfs, wurde deshalb ein erneuter Anlauf zur Vorbereitung einer gesetzlichen Regelung unternommen. Gemäß einer Entschließung des Bundesrats vom 16. Mai 1986, die auf Initiative der Länder Bayern und Baden-Württemberg zustande gekommen war,55 setzte man eine interministerielle Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin“ ein, die ein umfassendes Gesamtkonzept zum staatlichen Handlungsbedarf auf dem Gebiet der Fortpflanzungsmedizin erarbeiten sollte. Unter Vorsitz der Justiz- und Gesundheitsminister von Bund und Ländern gehörten dieser Arbeitsgruppe Vertreter des Bundesforschungs-, Bundesinnen- und Bundesarbeitsministeriums, ferner Repräsentanten des Bundeskanzleramtes sowie der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder an.56 Die Arbeitsgruppe veröffentlichte nach fast zweijähriger Arbeit im August 1988 ihren Abschlußbericht, der im ersten Teil Empfehlungen zur Lösung der durch die Fortpflanzungsmedizin aufgeworfenen Rechtsfragen und im zweiten Teil konkrete Entwürfe für entsprechende gesetzliche Regelungen enthielt.57 Mit Rücksicht auf die damalige verfassungsrechtliche Kompetenzlage sollte dabei ein für die Bundesebene vorgesehenes Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) im wesentlichen strafrechtliche Regelungen enthalten, die durch Fortpflanzungsmedizingesetze auf Länderebene mit hauptsächlich gesundheitsrechtlichen Regelungen ergänzt werden sollten.58 52 Vgl. hierzu die verschiedenen Beiträge in: H.-L. Günther/R. Keller (Hrsg.), Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik – Strafrechtliche Schranken?, 2. Aufl. 1991, und die Nachweise bei Hülsmann/Koch, Bundesrepublik Deutschland [Landesbericht], in: Eser/Koch/Wiesenbart, Regelungen der Fortpflanzungsmedizin I, S. 29, 83 (dort Fußn. 80). 53 In diesem Sinne kritisch vor allem Beckmann, ZRP 1987, 80. 54 Statt aller D. Rössner (Der Rückzug des Strafrechts, in: H.-L. Günther/R. Keller [Hrsg.], Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik – Strafrechtliche Schranken?, 2. Aufl. 1991, S. 247, 254 f.), der von Selbstentmachtung des Strafgesetzgebers durch einen „Blankoscheck auf das Verwaltungshandeln“ spricht. 55 Bundesrat, Entschließung zur extrakorporalen Befruchtung (BR-Drs. 210/86), S. 6 56 Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin“, Abschlußbericht, in: Landtag von Baden-Württemberg, Mitteilung der Landesregierung (Drs. 10/831), 1988, S. 29, 31. 57 Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlußbericht, in: Landtag Baden-Württemberg, Mitteilung Landesregierung (Drs. 10/831), S. 29 ff. (Teil I) bzw. S. 59 ff. (Teil II). 58 Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlußbericht, in: Landtag Baden-Württemberg, Mitteilung Landesregierung (Drs. 10/831), S. 29, 62 ff.

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Bei den Regelungsinhalten auf Bundesebene ging der Abschlußbericht erwartungsgemäß einen wesentlich restriktiveren Weg als alle seine Vorläufer. Im Vergleich zum „Benda-Bericht“ und zum Diskussionsentwurf zum Embryonenschutzgesetz (DE-ESchG) wurden insbesondere in folgenden Bereichen deutliche Verschärfungen empfohlen: Zur Verhinderung „überzähliger“ Embryonen sollte ein Verbot der Vorratsbefruchtung gelten, d. h. daß es sollten stets nur so viele Eizellen befruchtet werden dürfen, wie einer Frau einzeitig, also innerhalb eines Zyklus, übertragen werden könnten.59 Des weiteren wurden erstmals ein grundsätzliches Verbot der Kryokonservierung von Embryonen und die vollständige Untersagung der Embryonenspende favorisiert.60 Ebenfalls anders als der „Benda-Bericht“ und § 2 II DE-ESchG empfahl der Abschlußbericht außerdem ein Totalverbot wissenschaftlicher Forschung an menschlichen Embryonen, das sich explizit auch auf „überzählige“ Embryonen bezog.61 Schließlich hielt die Bund-Länder-Arbeitsgruppe in Teilbereichen (Kryokonservierung und Herstellung zu Forschungszwecken) eine normative Gleichbehandlung von Embryonen und Vorkernstadien für angezeigt.62 II. Verfassungsrechtliche Konzeption in bezug auf den Schutz extrakorporalen menschlichen Lebens Betrachtet man diese insgesamt äußerst restriktive Linie des Abschlußberichts, könnte man vermuten, daß sie möglicherweise durch eine insgesamt höhere verfassungsrechtliche Schutzkonzeption für extrakorporales menschliches Leben zu erklären wäre. Eine genauere Lektüre der jeweiligen Begründungen für die neuen Verbote zeigt jedoch, daß dies offensichtlich nicht der Fall war, sondern für die Verbote ganz andere Überlegungen ausschlaggebend waren. Überspitzt formuliert, ließe sich sogar die These vertreten, daß die deutlich restriktivere Linie der Bund-Länder-Arbeitsgruppe im Zweifel sogar gegen mögliche Grundrechtspositionen extrakorporaler Entitäten zustande kam, was sich insbesondere beim Lebensschutz (Art. 2 II 1 Alt. 1 GG) zeigen läßt: Zwar wurde im Abschlußbericht die Unzulässigkeit der Vorratsbefruchtung noch mit einem „Prinzip des vorbeugenden Lebensschutzes“ begründet;63 sowohl das Verbot der Kryokonservierung von Embryonen als auch die partielle Gleichbe59 Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlußbericht, in: Landtag Mitteilung Landesregierung (Drs. 10/831), S. 29, 47 f. 60 Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlußbericht, in: Landtag Mitteilung Landesregierung (Drs. 10/831), S. 29, 48 u. 51 f. 61 Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlußbericht, in: Landtag Mitteilung Landesregierung (Drs. 10/831), S. 29, 55. 62 Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlußbericht, in: Landtag Mitteilung Landesregierung (Drs. 10/831), S. 29, 48 f. u. 54 f. 63 Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlußbericht, in: Landtag Mitteilung Landesregierung (Drs. 10/831), S. 29, 47.

Baden-Württemberg, Baden-Württemberg, Baden-Württemberg, Baden-Württemberg, Baden-Württemberg,

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2. Kap.: Rechtspolitischer Hintergrund

handlung von Embryonen und Vorkernstadien waren dann jedoch allein diffusen Mißbrauchs- und Dammbruchargumenten geschuldet.64 Daß sich derartige Mißbrauchsargumente im Abschlußbericht sogar gegen Lebensschutzerwägungen durchzusetzen vermochten, ergibt sich etwa aus der folgenden Gesetzesbegründung zum Totalverbot der Embryonenspende: „Für die Zulassung der Embryonenspende bei ,verwaisten‘ Embryonen könnte zwar der Gesichtspunkt des Lebensschutzes sprechen, da die Übertragung auf eine andere Frau dem Embryo die Chance der Entwicklung zum Menschen erhält. Gleichwohl wiegt bei der gebotenen Abwägung die Mißbrauchsgefahr schwerer. Insbesondere besteht die Gefahr, daß das Verbot der Vorratsbefruchtung nicht so streng beachtet wird, wenn die Möglichkeit der Embryospende offensteht.“65

Konsequent zu Ende gedacht, führt gerade dieses Mißbrauchsargument zu einem paradoxen Ergebnis: Das Verbot der Vorratsbefruchtung, das seine verfassungsrechtliche Legitimation aus dem „Prinzip des vorbeugenden Lebensschutzes“ bezog (s. o.), wurde so ernstgenommen, daß existierende „überzählige“ Embryonen keine Chance zur Weiterentwicklung erhalten sollten und damit ihr Lebensschutz ins Gegenteil verkehrt worden wäre. Eine ähnlich erstaunliche Beobachtung ergibt sich auch bei der Begründungsanalyse des dargestellten totalen Forschungsverbots an „überzähligen“ Embryonen. Dieses Verbot wurde nicht etwa mit einer möglichen Verletzung der Menschenwürde dieser Embryonen (Totalinstrumentalisierung) begründet,66 sondern allein damit, daß die Zulassung der Forschung aufgrund eines steigenden Bedarfs zu einer bewußten Herstellung „überzähliger“ Embryonen führen könnte und außerdem hinreichend hochrangige Forschungsziele bisher nicht dargelegt worden seien.67 Zusammenfassend läßt sich also konstatieren, daß die im Vergleich zu den beiden Vorläufern wesentlich strengeren Vorgaben des Abschlußberichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe rechtspolitisch eher diffusen Zukunftsbefürchtungen als einer präzisierten verfassungsrechtlichen Schutzkonzeption für extrakorporales menschliches Leben geschuldet waren. In der Konsequenz konnten trotz umfangreicher neuer Verbote sogar Formulierungen in die Gesetzesvorschläge der Arbeitsgruppe eingehen, die die aus dem Diskussionsentwurf zum Embryonen64 Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlußbericht, in: Landtag Baden-Württemberg, Mitteilung Landesregierung (Drs. 10/831), S. 29, 48 bzw. 55. 65 Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlußbericht, in: Landtag Baden-Württemberg, Mitteilung Landesregierung (Drs. 10/831), S. 29, 51 f. (Hervorh. T. H.). 66 Es wurde im Gegenteil sogar ausdrücklich in Frage gestellt, „ob eine Forschung an solchen Embryonen für hochrangige medizinische Zwecke mit dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde unvereinbar wäre“ (Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlußbericht, in: Landtag Baden-Württemberg, Mitteilung Landesregierung [Drs. 10/ 831], S. 29, 55). 67 Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlußbericht, in: Landtag Baden-Württemberg, Mitteilung Landesregierung (Drs. 10/831), S. 29, 55.

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schutzgesetz bekannte einfachgesetzliche Unterscheidung zwischen „Embryo“ und „Mensch“ perpetuierten68 und auch damit erkennen ließen, daß die verfassungsrechtliche Statusfrage erneut unbeantwortet geblieben war.

D. Vom Arbeitsentwurf zum Embryonenschutzgesetz (Oktober 1988) bis zum Inkrafttreten des Embryonenschutzgesetzes (1. Januar 1991) I. Verfahrensablauf und wesentliche Regelungsinhalte Kurze Zeit nach Veröffentlichung des Abschlußberichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin“ wurde das eigentliche Gesetzgebungsverfahren zum Embryonenschutzgesetz (ESchG) auf den Weg gebracht. Zu diesem Zweck legte der Bundesjustizminister im Oktober 1988 zunächst einen „Arbeitsentwurf eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen“ (AE-ESchG) vor,69 der inhaltlich beinahe gleichlautend vom Bundeskabinett am 19. Juli 1989 als Regierungsentwurf (RegE-ESchG) in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht wurde.70 Nach einer ersten Stellungnahme des Bundesrates vom 22. September 198971 und einer Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses vom 5. Oktober 1990,72 die noch zahlreiche, inhaltlich aber kaum bedeutsame Veränderungen mit sich brachten, wurde das Embryonenschutzgesetz (ESchG) schließlich am 24. Oktober 1990 vom Bundestag verabschiedet73 und konnte am 1. Januar 1991 in Kraft treten (§ 13 ESchG). Ein parallel von der SPD-Fraktion eingebrachter Grundgesetz-Änderungsantrag, der die Einführung einer konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis des Bundes für das Gebiet der Fortpflanzungsmedizin beinhaltete,74 scheiterte letztlich am Widerstand der Unionsfraktion.75

68 Dies ergibt sich insbesondere aus den Formulierungen in Art. 2 § 8 E-FMedG (Klonverbot), der insoweit mit § 7 DE-ESchG gleichlautend ist, sowie Art. 2 § 10 I EFMedG (Legaldefinition des Embryos), der in Weiterführung von § 9 DE-ESchG die Entwicklungsfähigkeit „zu einem Menschen“ voraussetzt. Zu letzterem jüngst H.-G. Koch, Embryonenschutz ohne Grenzen?, in: J. Arnold/B. Burkhardt u. a. (Hrsg.), Festschrift für Albin Eser, 2005, S. 1091, 1101. 69 Abgedr. bei Hülsmann/Koch, Bundesrepublik Deutschland [Landesbericht], in: Eser/Koch/Wiesenbart, Regelungen der Fortpflanzungsmedizin I, S. 29, 92 ff. 70 Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz – ESchG) (BT-Drs. 11/ 5460), 1989. 71 Mit Gegenäußerung der Bundesregierung abgedr. in: Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf der Bundesregierung ESchG (BT-Drs. 11/5460), S. 13 ff. 72 Deutscher Bundestag, Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (BT-Drs. 11/8057 u. BT-Drs. 11/8175), 1990. 73 Deutscher Bundestag, Plenarprot. 11/230 vom 24.10.1990, S. 18220.

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2. Kap.: Rechtspolitischer Hintergrund

Bereits der Arbeitsentwurf bzw. Regierungsentwurf zum Embryonenschutzgesetz folgte inhaltlich einer mittleren Linie zwischen den Vorschlägen des „Benda-Berichts“ bzw. des darauf aufbauenden Diskussionsentwurfs von 1986 einerseits und dem Abschlußbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin“ von 1988 andererseits.76 Zwar wurden aus letzterem das Verbot der Vorratsbefruchtung (§ 1 I Nr. 3 RegE-ESchG = § 1 I Nr. 5 ESchG), das totale Forschungsverbot an Embryonen (§ 2 I RegE-ESchG = § 2 I ESchG) sowie der partielle Einbezug von Vorkernstadien in die Verbotsnormen (§ 1 II RegE-ESchG = § 1 II ESchG) übernommen, womit man in entscheidenden Punkten vom Bericht der „Benda-Kommission“ bzw. vom Diskussionsentwurf abwich.77 Gleichwohl fand das von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe ebenfalls vorgesehene Verbot der Kryokonservierung von Vorkernstadien und Embryonen sowie die generelle Pönalisierung der Embryonenspende keine Aufnahme in den Regierungsentwurf. Im Vergleich zum Diskussionsentwurf entfiel auch der Tatbestand der Embryonenschädigung (§ 1 DE-ESchG), der einem künftigen Strafrechtsänderungsgesetz vorbehalten bleiben sollte.78 Ebenso ausgeklammert blieb der Gesamtkomplex der heterologen künstlichen Befruchtung, der angesichts der zahlreichen Fragen zur Ehe und Partnerschaft nur im Rahmen eines umfassenderen Fortpflanzungsmedizingesetzes zu diskutieren sei.79 Soweit es um die Legaldefinition des Embryos ging, kehrte der Regierungsentwurf teilweise zum früheren Diskussionsentwurf zurück, indem er den im Bund-Länder-Arbeitsgruppenbericht verwendeten Begriff „Mensch“ wieder durch das Tatbestandsmerkmal „Individuum“ ersetzte.80 Als „Embryo“ im Sinne von § 8 I RegEESchG (= § 8 I ESchG) sollte fortan „bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag,“

verstanden werden. 74 Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf der Abgeordneten Däubler-Gmelin, Bachmaier u. a. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 74 Nr. 19 a – neu –) (BT-Drs. 11/5709), 1989. 75 Vgl. dazu Keller, in: ders./Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, Einf. B. III. Rdnr. 35 f. 76 So die Einschätzung von Hülsmann/Koch, Bundesrepublik Deutschland [Landesbericht], in: Eser/Koch/Wiesenbart, Regelungen der Fortpflanzungsmedizin I, S. 29, 50. 77 Vgl. zur Erläuterung Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf der Bundesregierung ESchG (BT-Drs. 11/5460), S. 8 bzw. 10. 78 Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf der Bundesregierung ESchG (BT-Drs. 11/ 5460), S. 7. 79 So die Begründung des Rechtsausschusses (Deutscher Bundestag, Beschlußempfehlung Rechtsausschuß [BT-Drs. 11/8057], S. 14. 80 Vgl. oben Fußn. 68.

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Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens wurde von der im Regierungsentwurf festgelegten restriktiven Grundkonzeption des Embryonenschutzgesetzes nicht mehr abgewichen. Von den späteren Änderungen sind allenfalls noch die Dreierregel, d. h. die zahlenmäßige Begrenzung der einzeitig zu übertragenden Embryonen bzw. zu befruchtenden Eizellen auf drei (§ 1 I Nr. 3 und 4 ESchG),81 sowie der Arztvorbehalt (§ 9 ESchG)82 in gewissem Umfang von Bedeutung. II. Verfassungsrechtliche Konzeption in bezug auf den Schutz extrakorporalen menschlichen Lebens Aus verfassungsrechtlicher Perspektive brachte das Gesetzgebungsverfahren zum Embryonenschutzgesetz wenig Neuerungen, sondern stellte sich eher als Zusammenfassung bisher bekannter Argumentationsmuster dar. So finden sich in der Gesetzesbegründung neben wieder aufgegriffenen Lebensschutzerwägungen beim Verbot der fremdnützigen Befruchtung (§ 1 I Nr. 2 ESchG)83 und dem appellativ-emotionalen Menschenwürdebezug beim Verbot von Klonexperimenten (§ 6 ESchG) und Interspezies-Interaktionen (§ 7 ESchG)84 die bereits aus dem Bund-Länder-Arbeitsbericht bekannten pragmatischen Erwägungen und Dammbruchargumente wieder. Zur Legitimierung des totalen Forschungsverbots an Embryonen (§ 2 I ESchG) gab z. B. der CDU-Abgeordnete Heinrich Seesing bei der abschließenden Beratung des Embryonenschutzgesetzes am 24. Oktober 1990 im Bundestag zu Protokoll: „Bisher habe ich noch von keinem hochrangigen Forschungsziel gehört, zu dessen Erreichung man gegenwärtig menschliche Embryonen verbrauchen müßte . . . Auch halte ich die Freigabe solcher Experimente nur für einen Anfang, der zu der Gefahr führt, daß Dämme einstürzen: Zuerst sind es nur die zehn Tage alten Embryos, dann die sechs Wochen oder zwölf Wochen alten – und dann?“85

Neu waren im Gesetzgebungsverfahren zum Embryonenschutzgesetz allenfalls einige verfassungsrechtliche Erwägungen zu Art. 2 II 1 Alt. 1 GG: So

81 Deutscher Bundestag, Beschlußempfehlung Rechtsausschuß (BT-Drs. 11/8057), S. 5 u. 14. 82 Deutscher Bundestag, Beschlußempfehlung Rechtsausschuß (BT-Drs. 11/8057), S. 9 f. (korrig. BT-Drs. 11/8175, S. 2 f.) u. 17. 83 Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf der Bundesregierung ESchG (BT-Drs. 11/ 5460), S. 8. 84 Menschenwürdeverstoß in „besonders krasser Weise“ (Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf der Bundesregierung ESchG [BT-Drs. 11/5460], S. 11 f.). Daß in der amtlichen Begründung des Klonverbots bereits eine Reflexion des Grundrechtsstatus künftiger Menschen enthalten sei (so Kersten, Klonen, S. 31 f.), stellt wohl eher eine Überinterpretation dar. 85 Deutscher Bundestag, Plenarprot. 11/230 v. 24.10.1990, S. 18208 (Hervorh. T. H.).

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2. Kap.: Rechtspolitischer Hintergrund

wurde der nach dem neuen Gesetz mögliche Transfer eines extrakorporal erzeugten Embryos auf die Frau gegen den Willen des genetischen Vaters86 mit dem insoweit vorrangigen Lebensschutz des Embryos begründet.87 In ähnlicher Weise stößt man als Rechtfertigung für die Nichtaufnahme eines generellen Verbots der Embryonenspende auf das Argument, daß bei einer entsprechenden Pönalisierung „praktisch ein Tötungsgebot im Gesetz festgeschrieben“ würde.88 Auch hier erwies sich das Embryonenschutzgesetz aber alles andere als konsequent; denn ein womöglich auf gleicher Ebene stehendes Tötungsgebot für verbotswidrig geklonte Embryonen (§ 6 II ESchG) wurde anstandslos akzeptiert und an keiner Stelle des Gesetzgebungsverfahrens als verfassungsrechtliches Problem thematisiert.89 Insgesamt hatte die mangelnde verfassungsrechtliche Reflexion somit auch zahlreiche Inkonsequenzen beim ursprünglich intendierten Kerninhalt des Gesetzes – dem Embryonenschutz – zur Folge. Sachkundige Beobachter hat diese Tatsache zu der Bemerkung veranlaßt, beim 1990 entstandenen Embryonenschutzgesetz handele es sich weniger um ein Gesetz zum Schutz von, sondern eher vor Embryonen.90 Wenngleich diese Kritik sicher etwas überzogen erscheint, könnte man doch folgende andere Feststellung treffen: Das deutsche Embryonenschutzgesetz, das in rechtsvergleichender Perspektive eines der restriktivsten Humanbiotechnikgesetze überhaupt ist,91 verdankt seine Restriktivität nicht einer hohen und stringent durchdeklinierten verfassungsrechtlichen Schutzkonzeption für extrakorporales menschliches Leben, sondern eher davon unabhängigen rechtspolitischen „Tabuschutzerwägungen“.92

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Die Mutter wird insoweit anders behandelt (vgl. § 4 I Nr. 2 ESchG). Deutscher Bundestag, Beschlußempfehlung Rechtsausschuß (BT-Drs. 11/8057), S. 16. 88 Deutscher Bundestag, Beschlußempfehlung Rechtsausschuß (BT-Drs. 11/8057), S. 15. 89 Hierzu kritisch Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, § 6 Rdnr. 11. 90 So z. B. Eser/Koch, Rechtsprobleme biomedizinischer Forschung, in: Tübinger Juristische Fakultät/Justizministerium Baden-Württemberg, Gedächtnisschrift Keller, S. 15, 18. Kritisch auch R. Neidert, Das überschätzte Embryonenschutzgesetz – was es verbietet und nicht verbietet, ZRP 2002, 467, 470 f. 91 Statt aller Haßmann, Embryonenschutz, S. 201. 92 Ähnlich Eser/Koch, Rechtsprobleme biomedizinischer Forschung, in: Tübinger Juristische Fakultät/Justizministerium Baden-Württemberg, Gedächtnisschrift Keller, S. 15, 19. 87

§ 7 Die Entstehung des Stammzellgesetzes (StZG)

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§ 7 Die Entstehung des Stammzellgesetzes (StZG) aus verfassungsrechtlicher Perspektive Kurz nach Geburt des Klonschafs „Dolly“ (1996), also mit Eintritt in die zweite Etappe extrakorporaler Erzeugung von Leben (oben § 3), wurde auch in Deutschland die Frage eines gesetzgeberischen Reformbedarfs neu diskutiert. In der Anfangszeit (1998) faßte man dabei noch eine Anpassung des Embryonenschutzgesetzes ins Auge und plante im Jahr 2000 seitens des Bundesgesundheitsministeriums sogar dessen Überführung in ein neues umfassendes Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG). Infolge des raschen Wissenschaftsfortschritts auf dem Gebiet der humanen embryonalen Stammzellforschung und der breiten gesellschaftlichen Diskussion um biomedizinische Anwendungsmöglichkeiten („therapeutisches Klonen“) seit 2001 wurde aber bald nur noch die Verabschiedung eines weiteren Spezialgesetzes angestrebt, mit dem allein die Problematik der Einfuhr und Verwendung pluripotenter embryonaler Stammzellen geregelt werden sollte. Wie bereits beim Embryonenschutzgesetz entschied man sich damit erneut nur für eine punktuelle Normsetzung und vergab so auch die zweite große Chance, zu einer umfassenden Regelung für das gesamte Gebiet der Erzeugung und Verwendung extrakorporalen menschlichen Lebens in Deutschland zu gelangen. Das im Jahr 2002 entstandene Stammzellgesetz (StZG)93 unterschied sich von seinem Vorläufer jedoch insoweit fundamental, als diesmal nicht primär eine strafrechtliche, sondern eine verwaltungsrechtliche Normierungstechnik gewählt wurde. Darüber hinaus war im Gegensatz zum Embryonenschutzgesetz der Zeitraum der Vorbereitung und Ausarbeitung des neuen Gesetzes vergleichsweise kurz (2001–2002). Nach einer kurzen Darstellung der rechtspolitischen Entwicklungen vor der eigentlichen Stammzellkontroverse in Deutschland werden nachfolgend die wichtigsten Schritte auf dem Weg zum Stammzellgesetz aus verfassungsrechtlicher Perspektive analysiert. Entsprechend dem chronologischen Verlauf stehen dabei diesmal die Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (3. Mai 2001), der Stammzellbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages (21. November 2001), die entsprechende Stellungnahme des Nationalen Ethikrates (20. Dezember 2001) sowie der spätere eigentliche Gesetzgebungsprozeß zum Stammzellgesetz (Januar bis Juni 2002) im Vordergrund.

93 Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz – StZG) vom 28.6.2002 (BGBl. I, S. 2277), abgedruckt im Anhang II.

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2. Kap.: Rechtspolitischer Hintergrund

A. Rechtspolitische Entwicklungen vor der Stammzellkontroverse – der „Klonbericht“ der Bundesregierung (17. Juni 1998) Auf Anregung des Bundestages und auf Grundlage eines von einer Wissenschaftlerkommission erarbeiteten Vorberichts94 stellte die Bundesregierung im Juni 1998 einen Bericht zur Frage des gesetzgeberischen Handlungsbedarfs beim Embryonenschutzgesetz aufgrund der neuen Klontechniken („Dolly-Verfahren“) und sich abzeichnender weiterer Entwicklungen der Öffentlichkeit vor.95 Zentrale Aussage dieses sog. Klonberichts war die Feststellung, daß das neue Klonverfahren des somatischen Zellkerntransfers von der einfachgesetzlichen Verbotsbestimmung des § 6 I ESchG erfaßt sei.96 Daß die Expertengruppe zu dieser Aussage kommen konnte, erschien im Hinblick auf das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot (Art. 103 II GG) aber keineswegs als selbstverständlich. Bei Anwendung der Verbotsnorm auf die „Dolly-Methode“ ergaben sich nämlich mindestens zwei entscheidende Auslegungsprobleme, die im Grunde bis heute fortbestehen: Zunächst sieht § 6 I ESchG vor, daß der neuentstandene Embryo die gleiche Erbinformation wie der geklonte Organismus besitzen muß. Wegen des mitochondrialen Genanteils der entkernten Eizelle97 ist beim somatischen Zellkerntransfer eine 100%ige Übereinstimmung des Genoms aber nur in Fällen des sog. autologen Kerntransfers denkbar, also nur dann, wenn Eizelle und transferierter somatischer Zellkern vom selben Organismus stammen. Hier betonte der „Klonbericht“, daß § 6 I ESchG nur einen rechtlichen Gleichheitsbegriff meine, der nicht im Sinne einer mathematischen Identität, sondern nur im Sinne einer wesentlichen Gleichheit verstanden werden müsse.98 Etwas schwieriger zu beurteilen war demgegenüber das weitere Auslegungsproblem, daß § 6 I ESchG die Herstellung eines Embryos voraussetzt, dieser zumindest vom Wortlaut des § 8 I ESchG aber nur die Entstehungsarten der Befruchtung (Alt. 1) und der Entnahme einer totipotenten Zelle (Alt. 2) beinhaltet, die beide bei der Methode des somatischen Zelltransfers nicht gegeben sind. Unter An94 Deutscher Bundestag, Unterrichtung durch die Bundesregierung. Klonierung beim Menschen. Biologische Grundlagen und ethisch-rechtliche Bewertung. Stellungnahme der Wissenschaftlerkommission (BT-Drs. 13/7590), 1997, bes. S. 6 ff. 95 Deutscher Bundestag, Unterrichtung durch die Bundesregierung. Bericht zur Frage eines gesetzgeberischen Handlungsbedarfs beim Embryonenschutzgesetz aufgrund der beim Klonen von Tieren angewandten Techniken und der sich abzeichnenden weiteren Entwicklung (BT-Drs. 13/11263), 1998. 96 Deutscher Bundestag, Unterrichtung Klonen (BT-Drs. 13/11263), S. 26. 97 Siehe oben § 3 A. 98 Deutscher Bundestag, Unterrichtung Klonen (BT-Drs. 13/11263), S. 13. So auch Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, § 6 Rdnr. 6; L. Witteck/ C. Erich, Straf- und verfassungsrechtliche Gedanken zum Verbot des Klonens von Menschen, MedR 2003, 258, 259; Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 72; str. A. A. Kersten, Klonen, S. 32 ff., bes. S. 34.

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knüpfung an das Wörtchen „bereits“ in § 8 I ESchG ging der Klonbericht in diesem Punkt allerdings davon aus, daß mit den ausdrücklich genannten Begriffsalternativen keine abschließende Regelung gemeint sei, sondern nur sichergestellt werden sollte, daß der strafrechtliche Schutz schon ab der beschriebenen frühen Entwicklungsphase beginne, ohne andere Formen des sich entwikkelnden menschlichen Lebens von diesem Schutz auszunehmen.99 Insgesamt sah man in bezug auf die „Dolly-Methode“ also keinen dringenden gesetzgeberischen Reformbedarf. Zur Klarstellung sowie vor allem wegen der Möglichkeit von Zellkernmanipulationen vor einem Transfer, die von § 6 I ESchG unbestreitbar nicht mehr erfaßt sind,100 schlug der „Klonbericht“ gleichwohl in zwölf Punkten verschiedene Gesetzesänderungen vor: So sollte der geltende § 6 I ESchG durch eine Bestimmung ersetzt werden, die generell die Erzeugung menschlicher Lebewesen mittels einer Klontechnik verbiete.101 Konzeptionell stand hinter dieser Neuregelung das Ziel, nicht länger ein bestimmtes Klonergebnis, sondern bereits den Klonvorgang zu bestrafen.102 Des weiteren wurden die Streichung des Transferverbots für geklonte Embryonen (§ 6 II ESchG) sowie Präzisierungen bei § 5 ESchG (Verbot der künstlichen Veränderung menschlicher Keimbahnzellen), § 7 I Nr. 3 ESchG (Verbot der Interspezies-Hybridbildung) sowie § 8 ESchG (Legaldefinition des Embryos) vorgeschlagen.103 Alles in allem zeigen die Reformvorschläge des „Klonberichts“ deutlich, daß man als Ziel die Aktualisierung des Embryonenschutzgesetzes unter Beibehaltung des restriktiven und auf Strafrechtsnormen basierenden Regelungsmodells vor Augen hatte.104 Dabei ist aus heutiger Sicht auffällig, daß die gesamte Klonthematik damals noch fast ausschließlich unter reproduktiven Aspekten diskutiert wurde. Der gesamte Bereich therapeutischer Anwendungsmöglichkeiten der Kerntransfermethode, der die heutige Bioethikdebatte so stark dominiert, wurde 1998 zwar gesehen, spielte jedoch im Vergleich zum reproduktiven Klonen nur eine vergleichsweise untergeordnete Rolle.105 Konsequenterweise standen als Begründung für die vorgeschlagenen Gesetzesver99 Deutscher Bundestag, Unterrichtung Klonen (BT-Drs. 13/11263), S. 13 f., str. A. A. wiederum Kersten, Klonen, S. 35 ff., bes. S. 38; Witteck/Erich, MedR 2003, 258, 259. Zur Gesamtproblematik der Auslegung von § 8 I ESchG vgl. auch Koch, Embryonenschutz, in: Arnold/Burkhardt u. a., Festschrift Eser, S. 1091, 1108 ff. 100 Der Klonbericht ging hier von einer „gravierenden Gesetzeslücke“ aus (Deutscher Bundestag, Unterrichtung Klonen [BT-Drs. 13/11263], S. 17). 101 Deutscher Bundestag, Unterrichtung Klonen (BT-Drs. 13/11263), S. 26. 102 Deutscher Bundestag, Unterrichtung Klonen (BT-Drs. 13/11263), S. 19. 103 Deutscher Bundestag, Unterrichtung Klonen (BT-Drs. 13/11263), S. 26. 104 So auch die Einschätzung von Haßmann, Embryonenschutz, S. 214. 105 Deutscher Bundestag, Unterrichtung Klonen (BT-Drs. 13/11263), S. 24. Dies erklärt sich zum Teil auch daraus, daß die großen Erfolge der Stammzellforschung, etwa die Etablierung humaner embryonaler Stammzellinien nach Thomson (vgl. oben § 3 B. II. 1.), erst noch bevorstanden.

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2. Kap.: Rechtspolitischer Hintergrund

schärfungen einmal mehr die wohlbekannten emotional gefärbten Evidenzappelle Pate (Zellkerntransfer als „Perversion der Natur“106), die teilweise auch religiös akzentuiert wurden („Respekt vor der Schöpfungsordnung“107). Originär verfassungsrechtliche Argumente finden sich dagegen – wenn überhaupt – nur als ganz seltene Bezugspunkte.108 Zu den vom „Klonbericht“ der Bundesregierung vorgeschlagenen Gesetzesänderungen ist es in der Folgezeit jedoch nie gekommen. Zwar wurde im Jahr 2000 – gestützt auf die neue Bundeskompetenz in Art. 74 I Nr. 26 GG – im Bundesgesundheitsministerium an der Schaffung eines umfassenden Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMedG) gearbeitet, in das auch das Embryonenschutzgesetz integriert werden sollte.109 Die zwischenzeitlich rasanten Fortschritte auf dem Gebiet der humanen Stammzellforschung sorgten dann jedoch dafür, daß diese Bemühungen spätestens seit 2001 nicht mehr weiterverfolgt wurden und statt dessen fortan allein die Stammzellproblematik im Vordergrund stand.

B. Die Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Forschung mit menschlichen Stammzellen (3. Mai 2001) I. Die Kehrtwende der Deutschen Forschungsgemeinschaft Als Katalysatoren für diese neue Stammzellkontroverse in Deutschland erwiesen sich die Bonner Neuropathologen Otmar Wiestler und Oliver Brüstle, die mit Hilfe importierter humaner ES-Zellen in Deutschland Therapien gegen die Parkinson-Krankheit und Multiple Sklerose entwickeln wollten und erstmals im Jahr 2000 entsprechende Förderanträge bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gestellt hatten.110 Während die DFG noch 1999 entsprechende Forschungsvorhaben allein auf adulte Stammzellen beschränkt sehen wollte,111 vollzog sie im Jahr 2001 in dieser Frage eine völlige Kehrtwende. In Anbetracht der Tatsache, daß

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Deutscher Bundestag, Unterrichtung Klonen (BT-Drs. 13/11263), S. 20. Deutscher Bundestag, Unterrichtung Klonen (BT-Drs. 13/11263), S. 21. 108 Hier ist insbesondere das Plädoyer für die Abschaffung des Transferverbots für geklonte Embryonen (§ 6 II ESchG) zu nennen, das „unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten problematisch“ erschien (Deutscher Bundestag, Unterrichtung Klonen [BT-Drs. 13/11263], S. 20). 109 Hierzu legte die damalige Bundesgesundheitsministerin A. Fischer im November 2000 ein Positionspapier vor (Nachweis bei Haßmann, Embryonenschutz, S. 215). 110 Näher M. Ronellenfitsch, in: W. Eberbach/P. Lange/M. Ronellenfitsch, Recht der Gentechnik und Biomedizin. Kommentar/Materialien, Band IV, Loseblattslg., Stand 2003, Einl. StZG, Rdnr. 12. 107

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„die Wissenschaft jetzt einen Stand erreicht hat, der sowohl potentielle Patienten als auch Wissenschaftler in Deutschland in Zukunft nicht mehr von diesen Entwicklungen ausschließen sollte,“

sprach sie sich in einem neuen Positionspapier vom 3. Mai 2001112 nun auch für die Forschung auch an embryonalen Stammzellen aus und favorisierte dabei eine zweistufige Vorgehensweise: In einem ersten Schritt sollte die – zum damaligen Zeitpunkt (2001) rechtlich uneingeschränkt zulässige – Einfuhr menschlicher ES-Zellen weiterhin möglich bleiben. Der Respekt vor der Souveränität anderer Staaten gebiete es, grundsätzlich nur Handlungen im Inland an den heimischen Rechtsvorstellungen zu messen, weshalb es keine Rechtfertigung dafür gebe, die Forschung mit legal im Ausland hergestellten und nach Deutschland importierten embryonalen Stammzellen zu verbieten.113 – Da der bloße Import embryonaler Stammzellen wegen des fehlenden Einflusses deutscher Wissenschaftler auf die Etablierung solcher Zellinien aber auf lange Sicht nicht ausreiche, müsse in einem späteren zweiten Schritt auch die Herstellung derartiger Zellinien in Deutschland zugelassen werden.114 Die hierfür erforderlichen Änderungen beim Embryonenschutzgesetz (§ 2 I ESchG) sollten insbesondere die Gewinnung embryonaler Stammzellen aus „überzähligen“ Embryonen erlauben; strikt abgelehnt wurden von der DFG nach wie vor die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken sowie alle Arten des Klonens.115 II. Verfassungsrechtliche Konzeption in bezug auf den Schutz extrakorporalen menschlichen Lebens Untersucht man die Begründung dieser Kehrtwende in bezug auf die darin zum Ausdruck kommende verfassungsrechtliche Schutzkonzeption für extrakorporales menschliches Leben, so ist insbesondere eine Passage aus dem Positionspapier sehr aufschlußreich. Als Argument für die Zulässigkeit der Stammzellgewinnung aus „überzähligen“ Embryonen wird dort von der DFG ausgeführt: „Die Entscheidung über diese Frage läuft auf einen Abwägungsprozeß zwischen dem verfassungsrechtlichen Lebensschutz des Embryos einerseits und der ebenfalls 111 Deutsche Forschungsgemeinschaft, Humane embryonale Stammzellen. Stellungnahme vom 19.3.1999, in: dies. (Hrsg.), Humangenomforschung – Perspektiven und Konsequenzen, 2000, S. 3 ff. 112 Deutsche Forschungsgemeinschaft, Empfehlungen zur Forschung mit menschlichen Stammzellen vom 3.5.2001 (www.dfg.de), S. 2 (Ziff. 6). Vgl. hierzu auch R. Müller-Terpitz, Die neuen Empfehlungen der DFG zur Forschung mit menschlichen Stammzellen, WissR 34 (2001), 271. 113 Deutsche Forschungsgemeinschaft, Empfehlungen 2001, S. 2 f. (Ziff. 7). 114 Deutsche Forschungsgemeinschaft, Empfehlungen 2001, S. 3 f. (Ziff. 9). 115 Deutsche Forschungsgemeinschaft, Empfehlungen 2001, S. 2 (Ziff. 4) und 4 f. (Ziff. 10).

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2. Kap.: Rechtspolitischer Hintergrund verfassungsrechtlich geschützten Forschungsfreiheit andererseits heraus. Der . . . rechtliche Schutz der Forschungsfreiheit ist nicht absolut; genausowenig wie das Lebensrecht des Embryos. Indem der Gesetzgeber bestimmte Verfahren der Empfängnisverhütung, beispielsweise Nidationshemmer, gestattet und auch den Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Bedingungen von der Strafverfolgung ausnimmt, ist auch der Schutz des menschlichen Embryos nicht uneingeschränkt gewährt.“116

Bemerkenswert an dieser Begründung ist zweierlei: Zunächst, daß man die Forschungsfreiheit und das Lebensrecht des Embryos kurzerhand auf eine Stufe stellte („genausowenig“) und die Gesamtproblematik damit zu einem einfachen Abwägungsvorgang herunterstufte. Die Relativität des verfassungsrechtlichen Lebensschutzes wurde dabei vornehmlich aus tatsächlich bestehenden Einschränkungsmöglichkeiten (Nidationshemmer, Schwangerschaftsabbruch) abgeleitet, ohne eine möglicherweise bestehende Sondersituation extrakorporaler Entitäten in den Blick zu nehmen. Darüber hinaus ist auch von Bedeutung, daß hier – wie auch im ganzen übrigen Dokument – die vordringliche Menschenwürdeproblematik mit keiner Silbe erwähnt bzw. vollständig ausgeblendet wurde. Dies war natürlich kein Zufall, hätte doch die zusätzliche Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Schutzpositionen des Embryos aus Art. 1 I GG die „leichte“ Abwägung zwischen Lebensrecht und Forschungsfreiheit möglicherweise zum Problem werden lassen. Diese schlichte Ignorierung eines zentralen Aspekts der Grundrechtsproblematik um extrakorporale Entitäten im DFG-Positionspapier von 2001 legt den Schluß nahe, daß damit ein forschungspolitisch gewünschtes Ziel lediglich verfassungsrechtlich „legitimiert“ werden sollte.

C. Der Stammzellbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Recht und Ethik der modernen Medizin“ (21. November 2001) I. Entstehung und wesentliche Inhalte Die sich im Kontext der Anträge von Wiestler und Brüstle sowie der DFGEmpfehlungen entwickelnde Stammzellkontroverse in Deutschland117 wurde bald darauf auch vom Deutschen Bundestag aufgegriffen. In einem Beschluß vom 5. Juli 2001 kündigte die Volksvertretung an, sich noch im laufenden Jahr 116 Deutsche Forschungsgemeinschaft, Empfehlungen 2001, S. 4 (Hervorh. T. H.), ähnl. S. 6. 117 Vgl. Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Recht der Gentechnik IV, Einl. StZG, Rdnr. 12; M. Spieker, Zwischen Forschungsfreiheit und Embryonenschutz – Kontroversen in der Bioethik, in: R. Beckmann/M. Löhr (Hrsg.), Der Status des Embryos, 2003, S. 39, 40 ff.; C. Geyer (Hrsg.), Biopolitik. Die Positionen, 2001, passim.

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2001 mit der Frage einer rechtlichen Regulierung der Stammzellforschung beschäftigen zu wollen, und appellierte deshalb an alle Wissenschaftler, dieser Entscheidung nicht durch Schaffung vollendeter Tatsachen vorzugreifen.118 Als ein für die Vorbereitung dieser Entscheidung maßgebliches Gremium diente die im März 2000 vom 14. Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“.119 Diese Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Margot v. Renesse (SPD) bestand insgesamt aus 26 Mitgliedern, darunter 13 Parlamentariern und 13 außerparlamentarischen Sachverständigen, wobei das Parteienverhältnis jeweils 5 (SPD) : 4 (CDU/CSU) : 2 (Bündnis 90/ Die Grünen) : 1 (FDP) : 1 (PDS) betrug. Nach intensiver Arbeit legte sie am 21. November 2001 ihren zweiten Zwischenbericht vor,120 der sich ausschließlich dem Thema „Stammzellforschung“ widmete und im wesentlichen folgende Inhalte hatte: Neben einem umfangreichen wissenschaftlichen Sachstandsbericht und grundsätzlichen Ausführungen zur Schutzwürdigkeit des menschlichen Embryos aus ethischer und rechtlicher Sicht unterbreitete die Enquete-Kommission konkrete Regelungsoptionen und Empfehlungen zum rechtlichen Umgang mit den verschiedenen Stammzellarten, wobei zwischen embryonalen Stammzellen (ESZellen), embryonalen Keimzellen (EG-Zellen), neonatalen Stammzellen und adulten Stammzellen (AS-Zellen) differenziert wurde.121 Beim Hauptproblemfall der embryonalen Stammzellen gab man im einzelnen folgende Empfehlungen ab: Angesichts eines bestehenden Dissenses bei der Frage der Freigabe der Gewinnung von ES-Zellen aus „überzähligen“ Embryonen, der auch innerhalb der Enquete-Kommission zutage getreten war, werde von einer entsprechenden Änderung des Embryonenschutzgesetzes (§ 2 I ESchG) derzeit abgeraten.122 Weiterhin sprach sich die Kommission einmütig gegen das „therapeutische Klonen“ aus und empfahl entsprechend dem „Klonbericht“ der Bundesregierung von 1998123 insoweit klarstellende Änderungen des Embryonenschutzgesetzes.124

118 Deutscher Bundestag, Plenarprot. 14/182 vom 5.7.2001, S. 17976 (Abstimmung über den entsprechenden Koalitionsantrag in BT-Drs. 14/6551). 119 Vgl. Einsetzungsbeschluß des Deutschen Bundestages vom 24.3.2000 (BT-Drs. 14/3011). 120 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546). 121 Hierzu oben § 3 B. II. 3. a). Die Existenz von Amnion-Stammzellen war zum damaligen Zeitpunkt noch nicht bekannt. 122 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546), S. 55. 123 Siehe oben § 7 A. 124 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546), S. 55 f.

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2. Kap.: Rechtspolitischer Hintergrund

Gelangte man auf diesen zwei Feldern so wenigstens im Ergebnis noch zu einem einmütigen Votum, wurden bei der weiteren Frage der Forschung an importierten ES-Zellen die Meinungsverschiedenheiten unüberbrückbar und deshalb zwei unterschiedliche Regelungsalternativen vorgeschlagen: Einer ersten Regelungsoption (Argumentation A), die für ein umfassendes Verbot des Imports humaner ES-Zellen eintrat, wurde eine zweite (Argumentation B) gegenübergestellt, die Einfuhr und Verwendung dieser Zellen unter engen Voraussetzungen (Beschränkung auf vorhandene „überzählige“ Embryonen, Hochrangigkeit und Alternativlosigkeit der Forschung) zulassen wollte. Von der Stimmverteilung erzielte Argumentation A dabei mit 26 Stimmen gegen 12 Stimmen für Argumentation B eine klare Mehrheit.125 Die ebenfalls denkbare und z. B. von der DFG für richtig gehaltene Position, Einfuhr und Verwendung humaner ES-Zellen gar nicht zu beschränken,126 wurde dagegen von keinem Kommissionsmitglied vertreten.127 II. Verfassungsrechtliche Konzeptionen in bezug auf den Schutz extrakorporalen menschlichen Lebens Im Gegensatz zum gesamten Normsetzungsverfahren zum Embryonenschutzgesetz wurde im Stammzellbericht der Enquete-Kommission die Frage des verfassungsrechtlichen Status extrakorporaler Entitäten erstmals in einem Parlamentsdokument breit diskutiert, wobei insbesondere drei Fragen im Vordergrund standen: Es wurde erörtert, ob der menschliche Embryo in vitro ein Grundrechtsträger sei, von welchen verfassungsrechtlichen Normen er geschützt werde und inwieweit seine Grundrechtspositionen Vorrang vor der Forschungsund Wissenschaftsfreiheit, aber auch vor dem „Recht auf Therapie aus verfassungsrechtlicher Sicht“ genössen.128 Entsprechend den Ergebnissen der beiden Rechtsgutachten von Wolfram Höfling129 und Ute Sacksofsky130, die von der Enquete-Kommission in Auftrag gegeben wurden, läßt der Bericht in der Sta125 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546), S. 57 f. Die hohe Stimmenzahl kam dadurch zustande, daß sich außer den 26 regulären Kommissionsmitgliedern noch 9 stellvertretende Mitglieder an der Abstimmung beteiligten und außerdem 3 Mitglieder ihre Stimme doppelt abgaben. 126 Deutsche Forschungsgemeinschaft, Empfehlungen 2001, S. 3 (Ziff. 7). 127 Diese Position wird nur mit einem Satz kurz angedeutet (Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung [BT-Drs. 17/ 7546], S. 54). 128 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546), S. 34 ff. u. 39 f. 129 W. Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte der Verfügung über menschliche Embryonen und „humanbiologisches Material“. Gutachten für die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Recht und Ethik der modernen Medizin“, 2001 (www.bundestag.de), S. 2, 59 u. 67.

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tusfrage eine eindeutige Favorisierung des hier später behandelten Grundrechtsträgerkonzepts erkennen, wonach der extrakorporale Embryo mit der Befruchtung oder einer äquivalenten Entstehungsart als Rechtssubjekt sowohl aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG als auch aus Art. 1 I GG geschützt sei.131 Andere verfassungsrechtliche Positionen wurden allenfalls am Rande erwähnt, inhaltlich aber kaum reflektiert.132 So eindeutig sich die Enquete-Kommission damit in der Statusfrage theoretisch positionierte, so wenig läßt sich diese Eindeutigkeit in den nachfolgenden Ausführungen zu Anwendungsfragen bei der Stammzellforschung wiedererkennen. Aus den Begründungen für die zitierten rechtlichen Empfehlungen ergibt sich jedenfalls nur selten, welches verfassungsrechtliche Statuskonzept den gefundenen Ergebnissen tatsächlich zugrunde lag. Dieses Manko war hauptsächlich dem Faktum geschuldet, daß im Kommissionsbericht Verfassungsfragen mit zuvor entwickelten ethischen Statuskonzepten zum Embryo vermischt wurden, ohne deren Umsetzbarkeit in grundrechtliche Konzepte zu überprüfen bzw. die spezifisch verfassungsrechtlichen Begründungen deutlich zu machen.133 Die unreflektiert in die rechtliche Analyse eingeflossenen ethischen Positionen zur Schutzwürdigkeit des extrakorporalen Embryos wurden dabei im Bericht wie folgt charakterisiert: • „(Ethische) Position I“: Dem extrakorporalen menschlichen Embryo kommt voller Lebens- und Würdeschutz ab der Befruchtung oder einer äquivalenten Entstehungsart zu.134 • „(Ethische) Position II“: Der volle Lebens- und Würdeschutz setzt erst in einem späteren Stadium der Menschentwicklung ein; dem extrakorporalen 130 U. Sacksofsky, Der verfassungsrechtliche Status des Embryos in vitro. Gutachten für die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Recht und Ethik der modernen Medizin“, 2001 (www. bundestag.de), S. 85; etwas abgeändert auch publiziert in dies., Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, KJ 2003, 274, 276 ff. bzw. 283 f. 131 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546), S. 35 f. 132 So findet sich z. B. nur ein marginaler Hinweis auf das gestufte Lebensschutzkonzept von H. Dreier (vgl. ders., Stufungen des vorgeburtlichen Lebensschutzes, ZRP 2002, 377): Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546), S. 36 (dort Fußn. 196). Das hier später zu erläuternde Vorwirkungskonzept wird als solches gar nicht erwähnt. 133 Als Erklärung findet sich hier nur, daß „die unterschiedlichen Grundüberzeugungen, wie sie in den vorangegangenen Kapiteln über die ethischen Probleme der Stammzellforschung bereits beschrieben wurden, sich auch in der Auseinandersetzung über den verfassungsrechtlichen Status des Embryos in vitro spiegeln“. (Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung [BT-Drs. 17/7546], S. 36). 134 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546), S. 30 f. Diese Position entsprach aus verfassungsrechtlicher Sicht noch am ehesten dem Grundrechtsträgerkonzept und wurde im folgenden auch noch am konsequentesten durchgehalten.

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2. Kap.: Rechtspolitischer Hintergrund

Embryo kommt jedoch Schutzwürdigkeit „abgeleiteter Art“ zu, wozu ein gestuft ansteigendes Lebensrecht, nicht aber die Menschenwürde zählen.135 • „(Ethische) Position I/II“: Zwar unterfällt auch der extrakorporale menschliche Embryo bereits dem Lebens- und Würdeschutz; sein Lebensrecht ist jedoch unter bestimmten Voraussetzungen abwägbar, und Verletzungen dieses Rechts verstoßen nicht in jedem Fall gegen die Menschenwürde.136 Bei der verfassungsrechtlichen Bewertung der angesprochenen drei Hauptproblemfelder der Stammzellforschung (Gewinnung von ES-Zellen aus „überzähligen“ Embryonen, „therapeutisches Klonen“ und Forschung an importierten ES-Zellen) resultierten aus diesem ethisch-verfassungsrechtlichen Synkretismus dann folgenden Erwägungen: 1. Argumentation zur Frage der Gewinnung von ES-Zellen aus „überzähligen“ Embryonen Eine Gewinnung von ES-Zellen aus „überzähligen“ Embryonen wurde von Position I wegen der damit verbundenen Instrumentalisierung des Embryos zumindest als Verstoß gegen Art. 1 I GG angesehen.137 Für Position II war die Nutzung „überzähliger“ Embryonen hingegen unter bestimmten Voraussetzungen wegen eines möglicherweise überwiegenden Forschungs- und Therapieinteresses rechtlich möglich.138 Zum gleichen Ergebnis gelangte hier auch Position I/II, die mangels Mißachtungskomponente keinen Menschenwürdeverstoß erkennen wollte.139 Die beiden letztgenannten Positionen betonten jedoch unisono die Notwendigkeit einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung.140

135 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546), S. 31 f. und 45. Dies beschreibt die gradualistische Form der Position II, auf im folgenden stets Bezug genommen wird. Eine hiervon unterschiedene radikale Form der Position II macht den Besitz von Lebensrecht und Menschenwürde von der Möglichkeit der Interessenwahrnehmung abhängig. 136 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546), S. 31 u. 37. Hier könnte man noch am ehesten einen Ansatzpunkt für das Vorwirkungskonzept erkennen. 137 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546), S. 37 u. 44. Zum gleichen Ergebnis gelangten auch die beiden Rechtsgutachten (Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 218; Sacksofsky, Der verfassungsrechtliche Status, S. 75). 138 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546), S. 39 u. 45. 139 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546), S. 38 u. 44. 140 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546), S. 55.

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2. Argumentation zur Frage des „therapeutischen Klonens“ In bezug auf das „therapeutische Klonen“ kamen alle Positionen zunächst einhellig zu dem Schluß, daß die neue Entstehungsart des somatischen Zellkerntransfers („Dolly-Methode“) den verfassungsrechtlichen Status des Embryos nicht berühre.141 Die ebenfalls einmütige Ablehnung dieses Verfahrens beruhte bei den Positionen II bzw. I/II dann aber auf der ausschließlich ethisch-rechtspolitischen Erwägung, daß bei Zulassung der Zellkerntransfermethode der Bedarf an Eizellspenden wachsen und das „therapeutische Klonen“ außerdem den ersten Schritt zum reproduktiven Klonen bedeuten könnte.142 3. Argumentation zur Frage der Forschung an importierten ES-Zellen Die hier bereits erkennbare Dominanz der ethischen vor der verfassungsrechtlichen Argumentation kam schließlich bei der Frage der Forschung an importierten ES-Zellen gänzlich zum Vorschein: Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen wurden zunächst die ethischen Positionen zur Schutzwürdigkeit des extrakorporalen Embryos und der Zulässigkeit der Forschung an importierten ES-Zellen „parallelisiert“, was z. B. bedeutete, daß die Ablehnung jeglicher Gewinnung von ES-Zellen auch eine strikte Ablehnung des Imports dieser Zellen nach sich zog. Hielt man umgekehrt die Nutzung „überzähliger“ Embryonen unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig, galt eine entsprechende Wertung auch für den Import von ES-Zellen.143 Die ethische Beurteilung wurde also explizit nicht unter dem Gesichtspunkt des Gegenstands (pluripotente ESZelle), sondern allein unter dem Gesichtpunkt des Ursprungs (menschlicher Embryo) vorgenommen.144 Im Verlauf der weiteren Überlegungen zeigte sich jedoch, daß sich diese synchronisierten ethischen Positionen nicht so einfach ins Verfassungsrecht „übersetzen“ ließen, mangelte es bei pluripotenten ES-Zellen im Gegensatz zu menschlichen Embryonen doch an Individualrechtgütern von Verfassungsrang, die die vorbehaltlos gewährte Forschungsfreiheit (Art. 5 III GG) einschränken 141 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546), S. 50. 142 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546), S. 55. 143 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546), S. 51 f. R. Merkel (Forschungsobjekt Embryo, 2002, S. 211 f.) spricht in diesem Zusammenhang von „moralisch-deliktischem Anschlußverhalten“. 144 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546), S. 51.

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2. Kap.: Rechtspolitischer Hintergrund

könnten.145 Angesichts eines „breiten Bewußtseins für die Identität von Recht und Ethik“ sah sich die Kommission deshalb gezwungen, fast händeringend nach „Möglichkeiten zur Auflösung des Widerspruchs zwischen der ethischen Bewertung einerseits und der rechtlichen Situation in Deutschland andererseits“146 zu suchen. An der Spitze ihrer Überlegungen stand somit die Grundüberzeugung der Notwendigkeit einer Einschränkung der Forschung, womit die von der Verfassung eigentlich vorgegebene Situation (Grundsatz der Freiheit der Forschung) in ihr Gegenteil verkehrt wurde.147 Entsprechend hilflos wirkten denn auch die Versuche einer verfassungsrechtlichen Legitimation der um jeden Preis gewollten Einschränkung des Stammzellimports: So wurde als Rechtfertigung einmal mehr die objektive Dimension von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG bemüht, ferner auf die mittelbare Gefährdung von Menschenwürde und Lebensrecht künftiger Embryonen rekurriert und schließlich das – vor der Änderung des Art. 20 a GG noch mögliche – Parallelbeispiel der „einfachgesetzlichen“ Einschränkung von Art. 5 III GG durch das Tierschutzgesetz (z. B. § 7 III TierSchG) angeführt.148 Die gesamte rechtliche Argumentation im Stammzellbericht der EnqueteKommission führt damit eindrucksvoll vor Augen, daß offensichtlich keine eigenständige verfassungsrechtliche Analyse intendiert war, sondern letztlich die ethische Einschätzung ganz auf die rechtliche Bewertung „durchschlug“. Obwohl noch auf abstrakt-theoretischer Ebene eine bestimmte Position zum verfassungsrechtlichen Status des extrakorporalen Embryos favorisiert wurde (Grundrechtsträgerkonzept) und andere Konzepte zumindest implizit vorausgesetzt wurden, fanden sich diese in der rechtlichen Bewertung der Stammzellforschung nur bedingt wieder, sondern wurden durch eine zweifelhafte Mixtur ethisch-rechtlicher Argumente ersetzt. Trotz seiner teils unterschiedlichen Voten atmete der Kommissionsbericht inhaltlich ganz den Geist der restriktiven Grundkonzeption des Embryonenschutzgesetzes, das vollumfänglich aufrechterhalten und nur durch neue Restriktionen beim Stammzellimport ergänzt werden sollte.149

145 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546), S. 53. 146 So exakt eine Zwischenüberschrift in Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546), S. 53. 147 Zu dieser in der gesamten Bioethikdebatte immer wieder zu beobachtenden Umkehrung der verfassungsrechtlichen Wertung F. Hufen, Präimplantationsdiagnostik aus verfassungsrechtlicher Sicht, MedR 2001, 440, 442. 148 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546), S. 53. Bereits damals war diese Einschränkung der Forschungsfreiheit jedoch höchst umstritten, vgl. nur H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Band I, 1. Aufl. 1996, Art. 5 III Rdnr. 39. 149 So auch die Einschätzung von Haßmann, Embryonenschutz, S. 217.

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D. Die Stellungnahme des Nationalen Ethikrats zum Import menschlicher embryonaler Stammzellen (20. Dezember 2001) I. Entstehung und wesentliche Inhalte Parallel zur bestehenden Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages wurde seitens der Bundesregierung mit Kabinettsvorlage vom 25. April 2001 ein Nationaler Ethikrat als „Forum des Dialogs über ethische Fragen in den Lebenswissenschaften“ für zunächst vier Jahre eingerichtet.150 Von seiner Aufgabenstellung sollte dieses neue Gremium die gesellschaftliche und politische Debatte zu Bioethikthemen organisieren und dabei den interdisziplinären Diskurs von Naturwissenschaften, Medizin, Theologie, Philosophie, Sozial- und Rechtswissenschaften bündeln.151 Dieser Funktion entsprach von Anbeginn eine entsprechend interdisziplinäre Besetzung mit insgesamt 25 Experten, unter denen sich auch fünf Rechtswissenschaftler (Dreier, Simitis, Taupitz, Vogel und Weber-Hassemer) befanden.152 Neben der Organisation eines gesellschaftlichpolitischen Diskurses zu Bioethikfragen gehörte zu den Aufgaben des Nationalen Ethikrats vor allem die Abgabe von Stellungnahmen mit Empfehlungen für politisch-gesetzgeberisches Handeln.153 Eine solche Stellungnahme zur Problematik des Imports menschlicher embryonaler Stammzellen legte der Nationale Ethikrat am 20. Dezember 2001 der Öffentlichkeit vor. Wenngleich mit der Begrenzung auf die Einfuhrfrage das Themenfeld im Vergleich zur Enquete-Kommission wesentlich kleiner war, mußte der Bericht aufgrund des engen inhaltlichen Zusammenhangs doch auch Antworten auf die Frage der Gewinnung dieser Zellen aus „überzähligen“ Embryonen enthalten. Der Gesamtbereich des „therapeutischen Klonens“ blieb jedoch ausgeklammert und einer späteren Stellungnahme vorbehalten.154 Von seinen Ergebnissen zeigte der Stammzellbericht des Nationalen Ethikrats ein gespaltenes Votum, wobei insgesamt vier Positionen vertreten wurden: Auf der Seite, die sich für einen Import humaner embryonaler Stammzellen aussprach (Pro-Seite), gab es eine

150

Nationaler Ethikrat, Einrichtung eines Nationalen Ethikrats. Kabinettsvorlage vom 25.4.2001 (www.ethikrat.org), §§ 1, 3 III. Der Nationale Ethikrat hat sich am 23.6.2005 für weitere vier Jahre konstituiert. 151 Nationaler Ethikrat, Einrichtung, § 2 I. 152 Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen. Stellungnahme, 2002, S. 59. 153 Nationaler Ethikrat, Einrichtung, § 2 II und III. 154 Diese Stellungnahme legte der Ethikrat erst am 13.9.2004 – also lange nach Verabschiedung des Stammzellgesetzes – vor (vgl. Nationaler Ethikrat, Klonen).

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• Option A, die einen zeitlich befristeten Import von ES-Zellen wie auch die Gewinnung derartiger Zellen aus „überzähligen“ Embryonen für ethisch vertretbar hielt,155 neben einer • Option B, die unter den gleichen Voraussetzungen wie Option A einen Import befürwortete, ohne aber eine ethische Bewertung zu Import und Gewinnung von ES-Zellen abzugeben.156 Ebenfalls zwei unterschiedliche Positionen wurden auf der Contra-Seite vertreten, nämlich eine • Option C, die den Import von ES-Zellen im Sinnes eines Moratoriums vorläufig ablehnte, ohne die ethische Frage der Einfuhr und Gewinnung dieser Zellen endgültig zu klären,157 sowie eine • Option D, die sowohl Import als auch Gewinnung von ES-Zellen als ethisch unzulässig ansah.158 Interessant an dieser Auffächerung ist die Tatsache, daß damit aus jedem Lager einer ethisch fundierten Option (A und D) eine pragmatische Option (B und C) gegenüberstand, die lediglich in ihren Ergebnissen mit der ersteren übereinstimmte. Ohne das Abstimmungsverhalten der einzelnen Mitglieder im Nationalen Ethikrat zu kennzeichnen, votierten für Option B insgesamt 15 Mitglieder, wobei neun Mitglieder zugleich Option A befürworteten. Dem standen zehn Befürworter der Option C gegenüber, wovon wiederum vier Mitglieder zugleich Option D favorisierten.159 Im Vergleich zur Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ergab sich damit ein genau entgegengesetztes Votum: Hatten dort noch 68,4% gegen einen Import von ES-Zellen gestimmt,160 sank der Anteil der Importgegner diesmal auf 36,8%. Da sich die Ablehnung in der Enquete-Kommission insgesamt als ethische (d. h. nicht nur pragmatische) Position verstand,161 während dies hier wie gesehen nur bei Option D der Fall war, reduziert sich bei genauerer Betrachtung das Zahlenverhältnis sogar auf 68,4% (Enquete-Kommission) zu 10,5% (Nationaler Ethikrat) – deutlicher könnte sich ein gesellschaftlicher Dissens in einer Bioethikfrage wohl kaum manifestieren!

155

Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 49 ff. Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 51 ff. 157 Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 54 ff. 158 Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 57 f. 159 Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 58. 160 Siehe oben § 7 C. I. 161 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 17/7546), S. 57: „Die Enquete-Kommission hält die Verwendung von menschlichen Embryonen zu Forschungszwecken, auch wenn diese im Ausland stattfindet, ethisch für nicht vertretbar.“ 156

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II. Verfassungsrechtliche Konzeptionen in bezug auf den Schutz extrakorporalen menschlichen Lebens Bei der Analyse, welche verfassungsrechtlichen Konzeptionen in bezug auf den Schutz extrakorporalen menschlichen Lebens sich hinter diesem Abstimmungsverhalten verbargen, fällt im Vergleich zum Stammzellbericht der Enquete-Kommission beim Ethikrat zunächst die präzisierte Fragestellung ins Auge. Unter dem Stichwort „normativer Bezugsrahmen“ findet sich bereits zu Beginn der Stellungnahme folgende Schlüsselpassage: „Entscheidende Bezugspunkte sind die Unantastbarkeit der Menschenwürde und die grundlegende Bedeutung des Lebensschutzes. Auch wenn im Nationalen Ethikrat . . . die Meinungen darüber auseinandergehen, ob der Embryo im frühen Stadium Träger der Menschenwürde ist und welche Konsequenzen für seinen Anspruch auf Lebensschutz daraus zu ziehen sind, besteht jedoch Einigkeit darüber, daß die Würde des Menschen verbietet, Embryonen vor der Nidation für beliebige Zwecke zu verwenden.“162

Indem also nicht nur in allgemeiner Form die Statusfrage, sondern das Problem der Grundrechtsträgerschaft des extrakorporalen Embryos in den Vordergrund gerückt wurde, stieß der Ethikrat sogleich zum Kern der verfassungsrechtlichen Thematik vor.163 Im Gegensatz zur Enquete-Kommission wurden diesmal weit ausgreifende Darlegungen zum moralischen Status des Embryos sowie deren zweifelhafte Verquickung mit verfassungsrechtlichen Argumenten vermieden. Die somit klar feststellbare Präzisierung der verfassungsrechtlichen Ausgangsfrage spiegelte sich auch in den später gefundenen Antworten des Ethikrats wider, wobei erneut zwischen den beiden Hauptfeldern (Gewinnung von ES-Zellen aus „überzähligen“ Embryonen, Import von ES-Zellen) zu unterscheiden ist: 1. Argumentation zur Frage der Gewinnung von ES-Zellen aus „überzähligen“ Embryonen Obwohl die Problematik der Gewinnung von ES-Zellen aus „überzähligen“ Embryonen keinen expliziten Gegenstand der Stellungnahme des Ethikrats bildete, finden sich die wichtigen Erwägungen zur Statusproblematik hauptsächlich hier. In der eingangs aufgeworfenen Fragestellung nach der Grundrechtsträgerschaft des extrakorporalen Embryos vertraten die Anhänger der Pro-Seite dabei die Auffassung, die Behauptung einer solchen Grundrechtsträgerschaft 162 Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 12 (Hervorh. T. H.). 163 Dies ergibt sich auch sehr gut aus dem Votum der Pro-Seite, das die Frage der Rechtsträgerschaft als „zentral“ erkennt (Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 15).

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stelle einen „unzulässigen Zirkelschluß ohne Rückhalt in der Verfassung“ dar.164 Sie ergebe sich weder aus den parlamentarischen Beratungen zum Grundgesetz noch aus der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Schwangerschaftsabbruch noch aus der klassisch-ethischen „KIP-Trias“, also den Argumenten der Kontinuität, Identität und Potentialität. 165 Bei Annahme einer solchen absoluten Schutzposition setze man sich im übrigen massiven Wertungswidersprüchen aus, wenn man zugleich die Zulässigkeit von Nidationshemmern bzw. die geltende Abtreibungsregelung befürworte.166 Diese Regelungen seien vielmehr als „deutliches Indiz für die ethische Fundierung eines gestuften vorgeburtlichen Lebensschutzes“ zu werten.167 Angesichts dieses Befundes und des hohen Gutes der Forschungsfreiheit müsse bei der Frage der Gewinnung von ES-Zellen aus „überzähligen“ Embryonen eine Abwägung zulasten des Lebensschutzes im Ergebnis möglich und verfassungsrechtlich zulässig sein.168 Demgegenüber behauptete die Contra-Seite die volle Schutzwürdigkeit des extrakorporalen Embryos aus Art. 1 I GG und Art. 2 II 1 Alt. 1 GG. Hinsichtlich Art. 2 II 1 Alt. 1 GG verwies man darauf, daß das „fundamentale Gut“ des menschlichen Lebens unter dem besonderen Schutzauftrag der Verfassung stehe.169 Individuelles menschliches Leben beginne mit dem qualitativen Sprung der Gametenverschmelzung, und jede spätere Zäsur, die ein gestuftes Lebensschutzkonzept propagiere, sei willkürlich und im Ergebnis selbstrelativierend.170 Argumentativ stützte man die These der vollen Schutzwürdigkeit des extrakorporalen Embryos neben einem Verweis auf den historischen Verfassungsgeber insbesondere auf die bereits angesprochene „KIP-Trias“.171 Angesichts der schwierigen Kontrollierbarkeit von Vorgängen im Intimbereich der Sexualität bzw. der Sondersituation der Schwangerschaft („einzigartige Verbindung“) sah die Contra-Seite im übrigen auch keinen Wertungswiderspruch zur Befürwortung einer rechtlichen Zulässigkeit von Nidationshemmern und Schwangerschaftsabbrüchen.172 Bei Art. 1 I GG wurde des weiteren auf die enge Koppelung von Lebensschutz und Menschenwürde verwiesen,173 wobei 164

Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 15. Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 15 ff. Zu letzteren eingehend unten § 9 A. III. 166 Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 19 ff. 167 Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 21. 168 Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 22 und 27. 169 Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 31. 170 Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 28 f. und 32. 171 Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 29 f. und 33. 172 Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 35 f. 165

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die Contra-Stellungnahme aber nicht deutlich machte, ob sie die Menschenwürde als echtes Grundrecht verstanden wissen wollte oder nicht.174 Wegen der fundamentalen Bedeutung von Art. 1 I GG und Art. 2 II 1 Alt. 1 GG gelangte sie jedenfalls im Ergebnis zu einem absoluten Verbot der Gewinnung von ESZellen aus „überzähligen“ Embryonen; für letztere wurde statt dessen die Möglichkeit einer Präimplantationsadoption favorisiert.175 2. Argumentation zur Frage des Imports von ES-Zellen Bei der Problematik des Imports von im Ausland hergestellten ES-Zellen setzte sich auf der Pro-Seite die strikt verfassungsrechtliche Argumentation fort: Da pluripotente ES-Zellen keine Embryonen seien, müßte ein einfachgesetzliches Importverbot in jedem Fall als unzulässiger Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Forschungsfreiheit (Art. 5 III GG) aufgefaßt werden.176 Die Stammzellen seien im übrigen außerhalb der territorialen Reichweite des Grundgesetzes und seiner Grundrechte, mithin ohne Zugriffsmöglichkeit für die deutsche Staatsgewalt, hergestellt worden und der von der Gegenseite apostrophierte „Embryonenverbrauch“ irreversibel abgeschlossen.177 Die ethische Parallelisierung von Gewinnung und Import könne im übrigen nur dann als konsequent angesehen werden, wenn die Importgegner auch die Nutzung von sich aus der Stammzellforschung im Ausland ergebenden Therapien ablehnen würden.178 Auf seiten der Importgegner hielt man gleichwohl an der ethischen Parallelisierung von Gewinnung und Import fest und betonte die Unmöglichkeit, die Tötung von Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen abzulehnen und gleichzeitig den Import von auf solche Art gewonnenen Stammzellen zu befür173 Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 32. Dazu eingehend unten § 9 B. 174 Zwar wurde einerseits behauptet, die Menschenwürde stelle ihrerseits kein selbständiges Grundrecht dar, sondern nur einen primären Grundwert, aus dem die Grundrechte abgeleitet und anhand dessen Grundrechtseingriffe auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit geprüft würden (Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 35). An anderer Stelle findet sich jedoch auch der Satz, daß „mit der Unantastbarkeit der Menschenwürde ein individuelles Abwehrrecht gegen staatliche Übergriffe vorgegeben“ sei (Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 31 f.). 175 Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 37 ff. Unter „Präimplantationsadoption“ ist die Adoption eines fremden Embryos im Stadium vor der Implantation zu verstehen. Dazu eingehend unten § 10 B. I. 1. b) bb). 176 Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 43. 177 Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 43 f. Hiermit wurde ein Argument der Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft aufgenommen, siehe oben § 7 B. I. 178 Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 45.

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worten.179 Darüber hinaus wurden die aus der gesamten Bioethikdebatte bekannten Dammbruchargumente (Abschwächung des hohen Schutzniveaus für den Embryo im Inland; Auftrieb für Forderungen nach Gewinnung von ES-Zellen auch in Deutschland; verstärkter Embryonenverbrauch im Ausland durch Nachfrage aus Deutschland) ein weiteres Mal wiederholt.180 Im Gegensatz zur Pro-Seite blieben die spezifisch verfassungsrechtlichen Argumente der ContraSeite jedoch fast vollständig im dunkeln. Zur Problematik der Einschränkung von Art. 5 III GG hieß es lediglich an einer einzigen Stelle im Bericht: „Ein gesetzliches Importverbot beschränkt die Forschungsfreiheit jedenfalls dann nicht, wenn es sich auf eine Materie bezieht, deren Erzeugung im Inland aufgrund der Verfassung unzulässig ist.“181

Da sich hierzu in der Stellungnahme keine weiteren Ausführungen finden, wurde nicht deutlich, wie dieser „Bezug zu einer Materie (sc. ES-Zellen), deren Erzeugung im Inland aufgrund der Verfassung unzulässig ist“, genau gemeint war. Die verfassungsrechtlichen Betrachtungen zum Importverbot blieben damit in diesem Punkt weit hinter den entsprechenden Reflexionen in der EnqueteKommission zurück, die das Problem immerhin unter den Aspekten „objektive Dimension der Grundrechte“ bzw. „mittelbare Grundrechtsverletzung“ diskutiert hatte.182 In einer abschließenden Bewertung der Stellungnahme des Nationalen Ethikrats zum Stammzellimport kann man somit festhalten: Im Gegensatz zum Bericht der Enquete-Kommission erscheint die verfassungsrechtliche Argumentation bei der Statusproblematik zum extrakorporalen Embryo insgesamt wesentlich konziser, indem vor allem die Frage der Grundrechtsträgerschaft klar in den Mittelpunkt gerückt wurde. Beim Problem der Stammzellgewinnung aus „überzähligen“ Embryonen, wo zu der so präzisierten Statusfrage Stellung bezogen werden mußte, sprach der Bericht alle wesentlichen verfassungsrechtlichen Argumente im Kern an, während die Diskussion des Stammzellimports zum Teil einen Rückfall in alte rein ethisch motivierte Ablehnungsmuster zeigt. Insgesamt stellte der Bericht des Nationalen Ethikrats jedoch einen erheblichen Argumentationsfortschritt in der gesamten Debatte um den verfassungsrechtlichen Schutz extrakorporalen menschlichen Lebens dar.

179

Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 46. Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 46 f. 181 Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 46 (Hervorh. T. H.). 182 Siehe oben § 7 C. II. 3. 180

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E. Von der Bundestagsdebatte zur Stammzellforschung (30. Januar 2002) bis zum Inkrafttreten des Stammzellgesetzes (1. Juli 2002) I. Verfahrensablauf und wesentliche Regelungsinhalte Kurz nach Vorlage der beiden Expertenberichte wurde seitens der Politik zielstrebig auf die Verabschiedung einer gesetzlichen Regelung hingearbeitet und diese in vergleichsweise raschem Tempo, nämlich in nur vier Monaten, zum Abschluß gebracht. Im Gegensatz zum früheren Embryonenschutzgesetz, bei dem ein ministerieller Arbeitsentwurf den Ausgangspunkt bildete,183 stand vor Beginn des eigentlichen Gesetzgebungsverfahrens diesmal eine öffentlichkeitswirksame politische Willensbildung im Deutschen Bundestag. In einer von vielen als „historisch“ bezeichneten184 großen Plenardebatte am 30. Januar 2002 über den Stammzellbericht der Enquete-Kommission (214. Sitzung) wurde der künftige Kurs Deutschlands in der Biomedizin festgelegt.185 Grundlage für diese Kursbestimmung bildeten drei interfraktionelle Gruppenanträge zur Frage des Stammzellimports, die die vertretenen unterschiedlichen Auffassungen zu diesem Problem bündelten: Entsprechend dem Mehrheitsvotum im Stammzellbericht der Enquete-Kommission unterstützten die meisten Abgeordneten (233) den Gruppenantrag Wodarg, Kues u. a. („Schutz der Menschenwürde angesichts der biomedizinischen Möglichkeiten – kein Import embryonaler Stammzellen“), der ein totales Importverbot bei gleichzeitig verstärkter Förderung unproblematischer Forschungsalternativen zum Inhalt hatte.186 87 Abgeordnete zeichneten für den Gruppenantrag Flach, Reiche u. a. („Verantwortungsbewußte Forschung an embryonalen Stammzellen für eine ethisch hochwertige Medizin“) verantwortlich, der für eine weitgehende Freigabe des Imports von ES-Zellen und die Option einer mittelfristigen Liberalisierung („Weiterentwicklung“) des geltenden Embryonenschutzgesetzes plädierte.187 Zwischen diesen beiden Anträgen bewegte sich der von 188 Abgeordneten unterstützte Gruppenantrag Böhmer, v. Renesse u. a. („Keine verbrauchende Embryonenforschung: Import humaner embryonaler Stammzellen grundsätzlich verbieten und nur unter engen Voraussetzungen zulassen“).188 Dieser Gruppenantrag verstand sich als Kompromiß zwischen den beiden geschilderten Extrempositionen und trat dementsprechend für eine eng 183

Siehe oben § 6 D. I. Vgl. J. Taupitz, Import embryonaler Stammzellen. Konsequenzen des Bundestagsbeschlusses vom 31.1.2001 [eig. 30.1.2002], ZRP 2002, 111. 185 Deutscher Bundestag, Plenarprot. 14/214 (neu) vom 30.1.2002. 186 BT-Drs. 14/8101. 187 BT-Drs. 14/8103. 188 BT-Drs. 14/8102 (dort auch zum Folgenden). 184

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begrenzte Zulässigkeit des Stammzellimports nach Deutschland unter folgenden Bedingungen ein: • Der Import wird auf solche Stammzellinien beschränkt, die aus „überzähligen“ Embryonen stammen und darüber hinaus noch vor einem bestimmten Stichtag gewonnen sein müssen. (Hiermit sollte zum einen die Ablehnung des „therapeutischen Klonens“ bekräftigt, zum anderen eine Tötung weiterer Embryonen zur Stammzellgewinnung vermieden werden.) • Das Einverständnis der Eltern zur Stammzellgewinnung muß vorliegen, wobei dieses Einverständnis aber unter Ausschluß finanzieller Zuwendungen erklärt worden sein muß. • Die in Aussicht genommenen Forschungsprojekte müssen den Kriterien der Alternativlosigkeit und Hochrangigkeit genügen. • Die Erfüllung aller Genehmigungsvoraussetzungen wird durch eine gesetzlich legitimierte Kontrollbehörde gewährleistet und die ethische Vertretbarkeit zusätzlich durch eine gesonderte interdisziplinäre Ethikkommission geprüft. Nach ausführlicher Debatte, die aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Neuerungen beinhaltete,189 fand eine namentliche Abstimmung über die Gruppenanträge statt. Nachdem in der ersten Abstimmung keiner der drei Anträge die erforderliche Mehrheit erreichen konnte, sprachen sich in einer zweiten Abstimmung – jetzt nur noch über die Gruppenanträge Wodarg, Kues u. a. sowie Böhmer, v. Renesse u. a. – 339 gegen 266 Abgeordnete für das Kompromißpapier eines unter engen Grenzen zulässigen Stammzellimports aus.190 Dieses Votum gab die Marschrichtung für die alsbald folgende Ausarbeitung des neuen Stammzellgesetzes (StZG) vor.191 Bereits Ende Februar 2002 lag ein entsprechender Entwurf für ein „Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz – StZG)“ vor.192 Nach einer Expertenanhörung im März 2002 gab der federführende Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am 17. April 2002 sein befürwortendes Votum ab und schlug noch geringfügige inhaltliche Änderungen vor.193 Das Stammzellgesetz wurde nach ausführlicher Beratung schließ189 Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Recht der Gentechnik IV, Einl. StZG, Rdnr. 15. 190 Deutscher Bundestag, Plenarprot. 14/214 (neu) vom 30.1.2002, S. 2139 ff. (dort auch die genaue Auflistung des Abstimmungsverhaltens der einzelnen Abgeordneten). 191 Vgl. zum Verfahrensgang auch Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Recht der Gentechnik IV, Einl. StZG, Rdnr. 18 ff. 192 Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf der Abgeordneten Böhmer, Catenhusen u. a. Entwurf eines Gesetzes zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz – StZG) (BT-Drs. 14/8394), 2002.

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lich am 25. April 2002 im Bundestag mit 360 Ja-Stimmen gegen 190 NeinStimmen bei 9 Enthaltungen beschlossen194 und konnte bereits zum 1. Juli 2002 in Kraft treten (§ 16 StZG). Kurze Zeit später wurde außerdem die in §§ 7 I und 8 IV StZG vorgesehene Rechtsverordnung der Bundesregierung verabschiedet, mit der das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin als zuständige Genehmigungsbehörde festgelegt sowie nähere Bestimmungen zu Berufung und Verfahren der Zentralen Ethikkommission für Stammzellenforschung (ZEKS) getroffen wurden.195 Inhaltlich entsprach das Stammzellgesetz im wesentlichen den Vorgaben des interfraktionellen Gruppenantrags Böhmer, v. Renesse u. a. (s. o.). Danach bildete das Kernstück des neuen Gesetzes ein behördliches Genehmigungsverfahren, das bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen die Erteilung einer Genehmigung für den Import und die Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen vorsah (§ 6 StZG). Die Anforderungen an Art und Gewinnung der Stammzellen wurden in § 4 II StZG detailliert geregelt, wobei der im Gruppenantrag noch offengelassene Stichtag auf den 1. Januar 2002 festgesetzt wurde (§ 4 II Nr. 1 a StZG); außerdem fanden sich in § 5 StZG die Bedingungen für die mit den Stammzellen durchführbaren Forschungsarbeiten (Hochrangigkeit, Alternativlosigkeit) wieder. – Mit diesem Modell der präventiven Verhaltenskontrolle wurde der noch das Embryonenschutzgesetz dominierende strafrechtliche Regelungscharakter fast vollständig durch eine verwaltungsrechtliche Normierungstechnik abgelöst.196 Ursache für diese veränderte Gesetzgebungstechnik war sicher nicht allein die seit 1994 erweiterte Gesetzgebungskompetenz des Bundes in diesem Themenfeld (Art. 74 I Nr. 26 GG), sondern vor allem das inhaltliche Anliegen, bei der neu zu regelnden Materie anstelle generalisierender strafrechtlicher Verbote mit Stigmatisierungscharakter ein flexibel handhabbares und auf den jeweiligen Einzelfall zugeschnittenes Regelungsinstrumentarium zu schaffen.197

193 Deutscher Bundestag, Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (BT-Drs. 14/8846), 2002. 194 Deutscher Bundestag, Plenarprot. 14/233 vom 25.4.2002, S. 23230 und 23232 ff. (dort auch die genaue Auflistung des Abstimmungsverhaltens der einzelnen Abgeordneten). 195 Verordnung über die Zentrale Ethik-Kommission für Stammzellenforschung und über die zuständige Behörde nach dem Stammzellgesetz (ZES-Verordnung – ZESV) vom 18.7.2002 (BGBl. I, S. 2663), abgedruckt im Anhang III. 196 Als repressive Maßnahmen finden sich im Stammzellgesetz neben einem Bußgeldtatbestand (§ 14 StZG) nur noch einzelne Strafvorschriften in § 13 StZG. Zu den Unterschieden beider Regelungsmodelle vgl. R. Wahl, Das Öffentliche Recht als Fundament und dritte Säule des Medizinrechts, in: J. Arnold/B. Burkhardt u. a. (Hrsg.), Festschrift für Albin Eser, 2005, S. 1243, 1247 ff. 197 Vgl. z. B. die nach § 6 VI StZG möglichen zahlreichen Nebenbestimmungen zur Genehmigung.

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Gegenüber den Festlegungen des interfraktionellen Gruppenantrags enthielt das verabschiedete Stammzellgesetz aber auch einige inhaltliche Abweichungen:198 So regelte es im Gegensatz zum Gruppenantrag nicht nur den Import, sondern auch die Verwendung embryonaler Stammzellen (vgl. § 2 StZG). Des weiteren wurden in § 4 StZG anstelle des ursprünglichen Einverständnisses der Eltern zur Stammzellgewinnung aus „überzähligen“ Embryonen nur eine Gewinnung „in Übereinstimmung mit der Rechtslage im Herkunftsland“ (§ 4 II Nr. 1 a StZG) sowie eine damit korrespondierende Ordre-public-Klausel (§ 4 III StZG) vorgesehen. Hintergrund dieser Änderung war der Wunsch des Gesetzgebers, eine präjudizierende Signalwirkung dergestalt zu vermeiden, daß die Entscheidung über die weitere Verwendung entwicklungsfähiger Embryonen zur freien Disposition der Eltern stünde.199 Die Prüfung der ethischen Vertretbarkeit durch die Zentrale Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZEKS) wurde außerdem auf die Bewertung der Forschungsvorhaben beschränkt (§ 9 StZG). Für die weitere Diskussion ebenfalls von Interesse war die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens in § 3 Nr. 4 StZG neu aufgenommene Legaldefinition des „Embryos“. Das Stammzellgesetz versteht hierunter „bereits jede menschliche totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwikkeln vermag“.

Der Embryobegriff von § 3 Nr. 4 StZG weicht damit im Wortlaut von der früheren Legaldefinition in § 8 I ESchG ab, wonach mit „Embryo“ „bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag“,

bezeichnet wird. Im Gegensatz zu manchen in der Literatur vertretenen Auffassungen200 sollte mit dieser Wortlautverschiedenheit jedoch keine Inhaltsänderung verbunden sein, sondern nur die Einbeziehung der zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Embryonenschutzgesetzes noch unbekannten Technik des somatischen Zellkerntransfers („Dolly-Verfahren“) sprachlich nachvollzogen werden, indem man auf die Tatbestandsmerkmale der Befruchtung bzw. Zell198

Näher Haßmann, Embryonenschutz, S. 222 ff. Deutscher Bundestag, Beschlußempfehlung Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (BT-Drs. 14/8846), S. 13. 200 A. Eser/H.-G. Koch, Rechtsgutachten, in: Deutsche Forschungsgemeinschaft, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen. Rechtsgutachten zu den strafrechtlichen Grundlagen und Grenzen der Gewinnung, Verwendung und des Imports sowie der Beteiligung daran durch Veranlassung, Förderung und Beratung, 2003, S. 37, 55 ff.; H.-G. Koch, Vom Embryonenschutzgesetz zum Stammzellgesetz: Überlegungen zum Status des Embryos in vitro aus rechtlicher und rechtsvergleichender Sicht, in: G. Maio/H. Just (Hrsg.), Forschung an embryonalen Stammzellen in ethischer und rechtlicher Perspektive, 2003, S. 97, 108 ff. 199

§ 7 Die Entstehung des Stammzellgesetzes (StZG)

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entnahme verzichtete. Nach ganz h. M. war der somatische Zellkerntransfer der Sache nach aber auch schon im älteren § 8 I (i. V. m. § 6 I) ESchG enthalten.201 Die seit Verabschiedung des Stammzellgesetzes existierenden zwei Embryobegriffe im deutschen Recht sind somit als deckungsgleich anzusehen.202 II. Verfassungsrechtliche Konzeption in bezug auf den Schutz extrakorporalen menschlichen Lebens Im Gegensatz zum Stammzellbericht der Enquete-Kommission des Bundestages und der entsprechenden Stellungnahme des Nationalen Ethikrats, die beide auch das Thema der Stammzellgewinnung zum Inhalt hatten und damit zur Schutzwürdigkeit extrakorporaler Entitäten direkt Stellung beziehen mußten, beschränkt sich das Stammzellgesetz nur auf Einfuhr und Verwendung embryonaler Stammzellen. Gleichwohl lassen sich auch aus ihm verfassungsrechtliche Wertungen in bezug auf den extrakorporalen Embryo herausarbeiten, ist das Gesetz nach eigener Diktion doch mindestens indirekt dem Embryonenschutz verpflichtet (vgl. z. B. die Überschrift: „Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen“).203

201 Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf Böhmer StZG (BT-Drs. 14/8394), S. 9; Deutscher Bundestag, Beschlußempfehlung Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (BT-Drs. 14/8846), S. 13: „Die Begriffsbestimmung der neuen Nummer 4 . . . stellt sicher, daß die in Zukunft vermutlich mögliche Stammzellgewinnung aus Embryonen bzw. totipotenten Zellen, die durch ,therapeutisches‘ Klonen, also durch Übertragung eines somatischen Zellkerns in eine zuvor entkernte Eizelle entstanden sind, entsprechend der herrschenden Auslegung zu § 6 Abs. 1 ESchG ebenfalls vom Regelungsbereich des Gesetzes erfaßt werden.“ (Hervorh. T. H.). Zur als „herrschend“ bezeichneten Auffassung vgl. den „Klonbericht“ der Bundesregierung, oben § 7 A. mit Fußn. 99. 202 Str., a. A. Eser/Koch, Rechtsgutachten, in: Deutsche Forschungsgemeinschaft, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen. Rechtsgutachten, S. 37, 62. Diese Auffassung müßte konsequenterweise zu dem kaum tragbaren Ergebnis gelangen, daß die Herstellung von Zellkerntransferklonen in Deutschland mangels Subsumtionsmöglichkeit unter §§ 6 I, 8 I ESchG straflos bliebe, Einfuhr und Verwendung pluripotenter Stammzellen aus ebensolchen Klonen aber verboten wären. Denn nach § 4 II Nr. 1 b StZG kann eine Importgenehmigung nur erteilt werden, wenn die Stammzellen aus Embryonen resultieren, die ursprünglich durch extrakorporale Befruchtung zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt worden sind. Daß hierbei auch Zellkerntransferklone „Embryonen“ i. S. des Stammzellgesetzes sind, ergibt sich zweifelsfrei aus § 3 Nr. 4 StZG. 203 Vgl. H.-G. Dederer, Verfassungskonkretisierung im Verfassungsneuland: das Stammzellgesetz, JZ 2003, 986, 991; K. Faßbender, Der Schutz des Embryos und die Humangenetik: Zur Verfassungsmäßigkeit des neuen Stammzellengesetzes und des Embryonenschutzgesetzes im Lichte des einschlägigen Arzthaftungsrechts, MedR 2003, 279, 282 f.

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2. Kap.: Rechtspolitischer Hintergrund

Dabei ist die verfassungsrechtliche Schutzkonzeption, die sich dem Stammzellgesetz entnehmen läßt, jedoch alles andere als klar. Trotz der argumentativen Vorarbeiten vor allem in der Stellungnahme des Nationalen Ethikrats204 läßt sich keine eindeutige Positionierung in der Frage der Grundrechtsträgerschaft oder anderer verfassungsrechtlicher Schutzkonzepte erkennen. So wird einerseits in § 1 StZG eine „staatliche Verpflichtung, die Menschenwürde und das Recht auf Leben zu achten und zu schützen“, statuiert, was sich im Kontext mit der zitierten Gesetzesüberschrift nur auf extrakorporale Embryonen beziehen kann. Andererseits soll die Tatsache, daß im Ausland extrakorporale Embryonen zur Stammzellgewinnung getötet wurden, gemäß § 4 III 2 StZG keinen Widerspruch zu tragenden Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung (Ordre public) bedeuten, obwohl diese fremdnützige Instrumentalisierung nach dem z. B. in § 2 I ESchG zum Ausdruck kommenden Verfassungsverständnis geradezu einen Paradefall eines Menschenwürdeverstoßes darstellen würde.205 Dieser Befund einer unklaren Schutzkonzeption wird auch durch die weitere Beobachtung gestützt, daß die Frage nach einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des durch die Vorgaben des Stammzellgesetzes erfolgten Eingriffs in die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 III GG) insgesamt einer überzeugenden Antwort entbehrt. Wie bereits im Stammzellbericht der Enquete-Kommission206 wird in der Begründung des Gesetzentwurfs lediglich pauschal auf eine „mittelbare Gefährdung anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechtsgüter“ verwiesen, ohne diese genau zu benennen.207 Diese „verfassungsrechtlich offene Flanke“208 findet ihre Entsprechung in der Unklarheit des Verbotscharakters der verwaltungsrechtlichen Genehmigung nach § 6 IV StZG, die sich im Sinne der herkömmlichen Dogmatik weder als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (Kontrollerlaubnis) noch als repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt (Ausnahmebewilligung) begreifen läßt.209 So wird in § 1 Nr. 1 StZG sowie § 4 I StZG ein grundsätzliches Verbot von Einfuhr und Verwendung embryonaler Stammzellen statuiert, was eher für ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt sprechen würde. Gleichzeitig sieht § 6 IV StZG aber eine gebundene Behördenentscheidung bei Vorliegen der Geneh204

Siehe oben § 7 D. II. Hierauf weist Dederer (JZ 2003, 986, 992 f.) hin. 206 Siehe oben § 7 C. II. 3. 207 Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf Böhmer StZG (BT-Drs. 14/8394), S. 7. 208 Ronellenfitsch, in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Recht der Gentechnik IV, Einl. StZG, Rdnr. 19. 209 C. Enders, Würde- und Lebensschutz im Konfliktfeld von Biotechnologie und Fortpflanzungsmedizin, Jura 2003, 666, 668 f. Zur herkömmlichen Dogmatik der beiden Verbotstypen vgl. H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, § 9 Rdnr. 51 ff., sowie A. Gromitsaris, Die Unterscheidung zwischen präventivem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt und repressivem Verbot mit Befreiungsvorbehalt, DÖV 1997, 401. 205

§ 8 Zusammenfassung

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migungsvoraussetzungen vor („Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn . . .“), was im Sinne eines präventiven Verbots eher an einen grundrechtlich vermittelten Anspruch des Betroffenen denken läßt. Obwohl diese Inkongruenz bereits im Gesetzgebungsverfahren bemerkt worden war, fand ein entsprechender Änderungsantrag, der in § 6 IV StZG anstelle des Anspruchs auf Genehmigungserteilung eine Befreiungsmöglichkeit nach Ermessen vorsah, keine Zustimmung.210 Zwar ergibt sich aus den Gesetzgebungsmaterialien nicht, warum dieser Änderungsantrag letztlich abgelehnt wurde. Es ist jedoch anzunehmen, daß man eine eindeutige Zuordnung zu einem der beiden Verbotstypen gerade nicht beabsichtigte, weil man sich offensichtlich über den Umfang des Grundrechts der Forschungsfreiheit in diesem Kontext nicht im klaren war. An dieser „Zwitterstellung“ bei der Qualifizierung des behördlichen Verbots zeigt sich somit, wie der grundsätzliche Kompromißcharakter des Stammzellgesetzes sogar Eingang in einzelne Textformulierungen gefunden hat.

§ 8 Zusammenfassung (rechtspolitischer Hintergrund) Die rechtspolitische Analyse der Entstehungsgeschichte der beiden deutschen Gesetze, mit denen auf die beiden großen Etappen biotechnischer Erzeugung extrakorporalen menschlichen Lebens (oben §§ 2 und 3) reagiert wurde, ergibt in bezug auf die in ihnen enthaltenen verfassungsrechtlichen Wertungen charakteristische Unterschiede, die man wie folgt zusammenfassen kann: Im Verlauf des Diskussionsprozesses zum Embryonenschutzgesetz (oben § 6), das die Möglichkeit künstlicher Befruchtung beim Menschen erstmals rechtlich zu bewältigen hatte, wurde die verfassungsrechtliche Statusfrage zu extrakorporalen Entitäten noch nicht thematisiert, sondern offenbar durchgängig als unerheblich angesehen. Allenfalls indirekt und nur ansatzweise lassen sich an verschiedenen Stellen der Entstehungsgeschichte Maßstäbe zu Art und Umfang des Grundrechtsschutzes extrakorporaler Entitäten erkennen, wobei insbesondere in der Frühphase (Diskussionsentwurf) eine Differenzierung zwischen „Embryo“ und „Mensch“ vorgenommen wurde. Diese faktische Statusdifferenzierung schlug sich auch in zahlreichen Gesetzesformulierungen (z. B. der Embryodefinition) nieder, die im Kern beibehalten wurden und Eingang in das später verabschiedete Embryonenschutzgesetz fanden. Als Folge der fehlenden expliziten Statusdebatte wurden während des gesamten Normsetzungsprozesses die relevanten Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG zwar immer wieder als Argumentationstopoi verwendet, ihre normative Steuerungsfunktion wurde jedoch nicht 210 Deutscher Bundestag, Beschlußempfehlung Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (BT-Drs. 14/8846), S. 16 ff. (Anlage 1, Änderungsanträge 1, 2 und 4 des Abgeordneten Hüppe); zur Ablehnung ebd., S. 12.

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2. Kap.: Rechtspolitischer Hintergrund

näher konkretisiert. Diese Ausgangssituation führte einerseits zu Unklarheiten bei der verfassungsrechtlichen Legitimierung der strafrechtlichen Verbote des Embryonenschutzgesetzes, die weniger durch eine Orientierung an Grundrechtsnormen als durch emotionale Konsensappelle und Dammbruchargumente geprägt waren. Andererseits hatte die mangelnde verfassungsrechtliche Reflexion aber auch zahlreiche Inkonsequenzen zur Folge, indem vor allem Lebensschutzaspekte nur partielle Berücksichtigung fanden und sich bisweilen sogar in ihr Gegenteil verkehrten (z. B. § 6 II ESchG). Mit Eintritt in die zweite biotechnische Etappe, dem Klonen mittels somatischen Zellkerntransfers, sollte zunächst die bestehende restriktive Gesetzeslage des Embryonenschutzgesetzes an die neue Technologie angepaßt werden („Klonbericht“). Hierzu kam es jedoch nicht mehr, da mit der kurz darauf erfolgten Etablierung menschlicher embryonaler Stammzellen im Ausland eine Stammzellkontroverse in Deutschland einsetzte, die binnen kurzem die Frage der Zulässigkeit von Import und Verwendung solcher Stammzellen einer detaillierten gesetzlichen Regelung zuführte. Die rechtspolitische Diskussion im Vorfeld des neu entstandenen Stammzellgesetzes (oben § 7) zeigte dabei eine deutlichere Fokussierung auf die verfassungsrechtliche Schutzkonzeption zu extrakorporalem menschlichem Leben als die des früheren Embryonenschutzgesetzes. Insbesondere bei der vorgelagerten Problematik der Stammzellgewinnung wurde in den einschlägigen Stellungnahmen der Enquete-Kommission und des Nationalen Ethikrats die Möglichkeit einer Grundrechtsträgerschaft mit den zentralen Argumenten diskutiert, wenn auch teils ohne die erforderliche Abgrenzung zur parallelen ethischen Statusdebatte. Bei der letztlich getroffenen Regelung zu Stammzellimport und -verwendung erreichte man dann jedoch keine verfassungsrechtliche Schlüssigkeit im Hinblick auf das vertretene Schutzkonzept zu extrakorporalem Leben und die Rechtfertigung einer Einschränkung der Forschungsfreiheit. Grund hierfür war der nicht leicht zu überbrückende Spagat zwischen dem Wunsch einer Beibehaltung des hohen Schutzniveaus für extrakorporale Embryonen im Inland und der Notwendigkeit, deutsche Wissenschaftler an Forschungsergebnissen im Ausland partizipieren zu lassen, die einer anderen ethisch-rechtlichen Bewertung entsprangen. Diese Diskrepanz, die mit jedem künftigen neuen Durchbruch auf dem Gebiet der Stammzellforschung im Ausland noch deutlicher zum Vorschein treten dürfte, konnte mit der zweifelhaften Kompromißlösung des Stammzellgesetzes allenfalls vorübergehend entschärft werden. Das 2002 verabschiedete Stammzellgesetz erweist sich damit als typischer Ausdruck legislatorischer Kurzatmigkeit.211

211 Anträge aus jüngerer Zeit, das Stammzellgesetz zu ändern, existieren bereits, vgl. nur Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf der Abgeordneten Flach, Piper u. a. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Stammzellgesetzes (BT-Drs. 15/5584), 2005.

3. Kapitel

Grundrechtsschutz als Substanzschutz: Das Grundrechtsträgerkonzept zu extrakorporalem menschlichem Leben Wie in der Einleitung angedeutet und sich auch in der rechtspolitischen Debatte um das Stammzellgesetz (StZG) herauskristallisierte,1 stellt das hier zuerst zu behandelnde Grundrechtsträgerkonzept immer noch das bedeutendste verfassungsrechtliche Modell zum Schutz extrakorporalen menschlichen Lebens in Deutschland dar. Ursprünglich nur an Befruchtungsembryonen (oben § 2) entwickelt, wird es heute auch auf Zellkerntransferklone (oben § 3) sowie teilweise sogar auf begrenzt entwicklungsfähige Laborartefakte (oben § 4) angewandt. In seiner zentralen Aussage basiert es auf der These, daß diese extrakorporalen Entitäten Träger bzw. subjektiv Berechtigte der Grundrechte aus Art. 2 II 1 Alt. 1 (Recht auf Leben) und Art. 1 I GG (Menschenwürde) sind. Das Grundrechtsträgerkonzept stellt damit die von ihm erfaßten extrakorporalen Entitäten normativ auf die gleiche Stufe wie geborene Menschen und läßt sie an deren vollumfänglichem Grundrechtsschutz in prinzipiell gleicher Weise teilhaben. Durch die Betonung der normativen Identität beider Lebensformen wird zugleich deutlich, daß es bei dem vorgestellten Konzept nicht um einen objektiv-rechtlichen Grundrechtsschutz, sondern eine subjektive Grundrechtsberechtigung gehen muß, von deren Existenz die Reichweite des verfassungsrechtlichen Schutzes für extrakorporale Entitäten insgesamt abhängt.2 Diese subjektive Berechtigung ist bei Art. 1 I GG – im Gegensatz zu Art. 2 II 1 Alt. 1 GG – freilich grundsätzlich, d. h. für alle Lebensformen, umstritten. So wird im Anschluß an Günter Dürig3 der Grundrechtscharakter von Art. 1 I GG bisweilen verneint, da der gesamte subjektiv-rechtliche Gehalt der Menschenwürde in den nachfolgenden Einzelgrundrechten eingefangen sei; infolgedessen sei auch kein Rechtsschutzdefizit auszumachen, wenn man Art. 1 I 1 lediglich objektiv-rechtlich verstehe.4 Im Hinblick auf die von der Menschenwürde gerade geschützte Subjektqualität des einzelnen wird hier aber mit der 1

Siehe oben § 7 C. II. und § 7 D. II. Mit C. Enders, in: K. Friauf/W. Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Band I, Loseblattslg., Stand 2005, Art. 1 Rdnr. 118. 3 G. Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, AöR 81 (1956), 117, 122. 2

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

ganz herrschenden Meinung5 und dem Bundesverfassungsgericht6 gleichwohl vom Grundrechtscharakter des Art. 1 I GG ausgegangen und dieser den weiteren Überlegungen zugrunde gelegt. Wie fatal es wäre, Art. 1 I GG allein als ein objektives Prinzip aufzufassen, hat Matthias Herdegen mit Blick auf die jüngere deutsche Geschichte mit einer treffenden Äußerung auf den Punkt gebracht: „Die Reduktion der Menschenwürde auf ein objektives Prinzip, auf eine bloße Ordnungsidee, würde auch den geistesgeschichtlichen Hintergrund verfehlen. Es erschiene doch schwer erträglich, etwa den Opfern des Holocausts (oder deren Angehörigen) zu sagen, sie seien nicht selbst in ihrer Würde verletzt worden, sondern verletzt worden sei nur eine abstrakte Idee, nur ein objektives Prinzip der Würde.“7

Wesentliches Merkmal dieser mehrfachen Grundrechtsberechtigung extrakorporaler Entitäten ist ein auf die vorhandene Substanz ausgerichtetes Schutzkonzept, das diese Entitäten nicht in dem schützt, was sie einmal sein werden oder sein können, sondern in dem, was sie nach Auffassung des Grundrechtsträgerkonzepts bereits sind. Das Grundrechtsträgerkonzept übersetzt damit die aus der parallelen Ethikdebatte bekannte Position des „vollen“ moralischen Status (sog. substanzontologische nichtgradualistische Position)8 weitgehend in die Grund4 Aus neuerer Zeit sprechen sich gegen den Grundrechtscharakter von Art. 1 I GG aus: W. Brugger, Menschenwürde, Menschenrechte, Grundrechte, 1997, S. 26; H. Dreier, in: ders., Grundgesetz. Kommentar, Band I, 2. Aufl. 2004, Art. 1 I Rdnr. 124; C. Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, 1997, S. 101 ff. sowie 501 ff. (Menschenwürde als „Recht auf Rechte“); T. Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, 1990, S. 164 ff. 5 Z. B. W. Höfling, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2003, Art. 1 Rdnr. 38 ff.; M. Herdegen, in: T. Maunz/G. Dürig u. a. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Band I, Loseblattslg., Stand 2005, Art. 1 I Rdnr. 26; F. Hufen, Erosion der Menschenwürde?, JZ 2004, 313, 314 f.; M. Kloepfer, Leben und Würde des Menschen, in: P. Badura/H. Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Band II, 2001, S. 77, 86; C. Starck, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Band I, 5. Aufl. 2005, Art. 1 I Rdnr. 32, sowie speziell für den Bioethikbereich Kersten, Klonen, S. 328 ff. 6 BVerfGE 1, 332, 343; 12, 113, 123; 15, 283, 286; 28, 151, 163; 61, 126, 137; 86, 280, 287 f.; 109, 133, 151. 7 M. Herdegen, Der Würdeanspruch des Embryos in vitro – zur bilanzierenden Gesamtbetrachtung bei Art. 1 Abs. 1 GG, in: A. Söllner/W. Gitter u. a. (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Meinhard Heinze, 2005, S. 357, 359. 8 Zur Unterscheidung nichtgradualistischer und gradualistischer Positionen in der Ethikdebatte Clausen, Zelltherapie, in: Maio/Just, Forschung an embryonalen Stammzellen, S. 196, 203 f. Als Vertreter einer substanzontologischen nichtgradualistischen Position gilt z. B. E. Schockenhoff, Pro Speziesargument: Zum moralischen und ontologischen Status des Embryos, in: G. Damschen/D. Schönecker (Hrsg.), Der moralische Status menschlicher Embryonen, 2003, S. 11, 27 f. Differenzierend insoweit F.-J. Bormann, der mit seiner differenzierten Identitätsthese eine volle Gleichbehandlung von Embryonen und geborenen Menschen nur hinsichtlich negativer Unterlassungspflichten, nicht jedoch hinsichtlich positiver Hilfspflichten fordert (F.-J. Bormann, Der Status des Embryos aus Sicht der katholischen Kirche, in: G. Maio/H. Just [Hrsg.], Die Forschung an embryonalen Stammzellen in ethischer und rechtliche Perspektive, 2003, S. 214, 223).

3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

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rechtsdogmatik. Obwohl hier innerhalb der Jurisprudenz die Begrifflichkeit nicht ganz eindeutig ist, kann man dieses primär auf den Ist-Zustand (Status)9 ausgerichtete Modell auch als verfassungsrechtliches Statuskonzept (i. e. S.) bezeichnen.10 Dieses Statuskonzept wird in Deutschland nach wie vor von einem Großteil der Staatsrechtslehrer11 vertreten, darunter Ernst-Wolfgang Böckenförde,12 Christian Hillgruber,13 Wolfram Höfling,14 Josef Isensee,15 Jens Kersten,16 Paul Kirchhof,17 Dietrich Murswiek,18 Ute Sacksofsky19 oder Christian Starck20, und 9

Von lat. status = Stand, Zustand, Lage. In diesem Sinne verwenden den Statusbegriff etwa J. Ipsen, Der „verfassungsrechtliche Status“ des Embryos in vitro, JZ 2001, 989, 991, oder Enders, Jura 2003, 666, 671. Vgl. zum Statusbegriff i. S. einer subjektiven Rechtsstellung auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 2. Aufl. 1994, S. 229 ff. (in Anknüpfung an Georg Jellinek). Zum Statusbegriff in den Ethikwissenschaften siehe M. Düwell, Der moralische Status von Embryonen und Feten, in: ders./K. Steigleder (Hrsg.), Bioethik. Eine Einführung, 2003, S. 221, 225. 11 An der juristischen Diskussion beteiligen sich selbstverständlich nicht nur Verfassungsrechtler. Ein dezidierter und mit zahlreichen Publikationen hierzu hervorgetretener Anhänger des Grundrechtsträgerkonzepts ist etwa Rainer Beckmann, von dessen vielen Publikationen hier nur genannt seien: R. Beckmann, Der Embryo und die Würde des Menschen, in: ders./M. Löhr (Hrsg.), Der Status des Embryos, 2003, S. 170, 172 ff., sowie ders., Wachsendes Lebensrecht?, ZRP 2003, 97, 98 ff. 12 E.-W. Böckenförde, Menschenwürde als normatives Prinzip, JZ 2003, 809, 813; ders., Bleibt die Menschenwürde unantastbar?, Blätter für deutsche und internationale Politik 2004, 1216, 1222. Böckenförde (JZ 2003, 809, 813) hat für den Embryo auch die Bezeichnung „Mensch in nuce“ geprägt, in der die Gleichbehandlung mit einem geborenen Menschen deutlich zum Ausdruck kommt. 13 C. Hillgruber, Die verfassungsrechtliche Problematik der In-vitro-Fertilisation, ZfL 2002, 2, 5; ders., Recht und Ethik vor der Herausforderung der Fortpflanzungsmedizin und „verbrauchender Embryonenforschung“, in: H. de Wall/M. Germann (Hrsg.), Festschrift für Christoph Link, 2003, S. 637, 641 f. 14 W. Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte der Verfügung über menschliche Embryonen und „humanbiologisches Material“. Gutachten für die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Recht und Ethik der modernen Medizin“, 2001 (www.bundestag.de), S. 59 ff. und 67 ff.; ders., Reprogenetik und Verfassungsrecht, 2001, S.15 ff. 15 J. Isensee, Der grundrechtliche Status des Embryos – Menschenwürde und Recht auf Leben als Determinanten der Gentechnik, in: O. Höffe/L. Honnefelder u. a. (Hrsg.), Gentechnik und Menschenwürde, 2002, S. 37, 62. 16 J. Kersten, Das Klonen von Menschen, 2004, S. 543 ff. und 564. 17 P. Kirchhof, Genforschung und die Freiheit der Wissenschaft, in: O. Höffe/L. Honnefelder u. a. (Hrsg.), Gentechnik und Menschenwürde, 2002, S. 9, 21 f. 18 D. Murswiek, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2003, Art. 2 Rdnr. 144 und 146 (in Rdnr. 145 a jedoch gegenüber der Vorauflage zweifelnd). 19 U. Sacksofsky, Der verfassungsrechtliche Status des Embryos in vitro. Gutachten für die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Recht und Ethik der modernen Medizin“, 2001 (www. bundestag.de), S. 85; dies., Präimplantationsdiagnostik und Grundgesetz, KJ 2003, 274, 278 und 284. Sacksofsky nimmt innerhalb der Vertreter 10

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

in der Literatur selbst von seinen Kritikern als „herrschende Meinung“ bezeichnet.21 Wie im zweiten Kapitel herausgearbeitet wurde, fand es über seine Repräsentanten bzw. deren Gutachten auch Eingang in die Stellungnahmen der wichtigsten rechtspolitischen Gremien, so z. B. in die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Recht und Ethik der modernen Medizin“ oder den Nationalen Ethikrat.22 Dabei hat sich die bereits im Kontext der Schaffung des Stammzellgesetzes (StZG) vorhandene diametral unterschiedliche Gewichtung der diesbezüglichen Positionen in der Folgezeit noch verstärkt: So formulierte zur Frage der Präimplantationsdiagnostik (PID) die Enquete-Kommission auch ihr Votum vom 14. Mai 2002 mehrheitlich in Richtung des Grundrechtsträgerkonzepts,23 während diese Auffassung in der entsprechenden Stellungnahme des Nationalen Ethikrats vom 23. Januar 2003 nach wie vor in der Minderheit blieb.24 Vertraten aber damals immerhin noch sieben Ethikratsmitglieder (von 24) das Grundrechtsträgerkonzept, ist die Zahl seiner Anhänger in der nachfolgenden Stellungnahme zum „Klonen zu Fortpflanzungszwecken und Klonen zu biomedizinischen Forschungszwecken“ vom 13. September 2004 auf nur noch fünf Anhänger (von 22 bzw. 25) gesunken.25 In der anschließenden Analyse soll zunächst die theoretische Begründung des Grundrechtsträgerkonzepts im Vordergrund stehen (dazu nachfolgend § 9), bevor im zweiten Schritt seine Umsetzung bzw. Umsetzbarkeit in der Rechtspraxis eingehend untersucht wird (dazu nachfolgend § 10).

§ 9 Theoretische Begründung des Grundrechtsträgerkonzepts So einfach sich die Grundrechtsträgerthese zu extrakorporalem menschlichem Leben formulieren läßt, so schwierig und komplex ist ihre verfassungsrechtliche Begründung. Grundrechtsdogmatisch geht es um die zentrale Frage bzw. Weides Grundrechtsträgerkonzepts insoweit eine Sonderstellung ein, als sie bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG zugleich das Konzept eines anwachsenden Lebensschutzes propagiert. Dazu kritisch unten § 10 A. I. 2. 20 C. Starck, Verfassungsrechtliche Grenzen der Biowissenschaft und Fortpflanzungsmedizin, JZ 2002, 1065, 1067; ders., in: H. v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Band I, 5. Aufl. 2005, Art. 1 I Rdnr. 19 und ders., ebd., Art. 2 II Rdnr. 203. 21 Ipsen, JZ 2001, 989, 991; Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 81 („sehr verbreitet, wenn nicht herrschend“). 22 Siehe oben § 7 C. II. und § 7 D. II. 23 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Schlußbericht (BT-Drs. 14/9020), S. 111 ff. 24 Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik, S. 74 ff. 25 Nationaler Ethikrat, Klonen, S. 52 ff. Drei Mitglieder nahmen nicht an der Abstimmung teil.

§ 9 Theoretische Begründung

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chenstellung, ob die jeweilige extrakorporale Entität vom personellen Schutzbereich der Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG erfaßt ist oder nicht, ob sie also als „jeder“ bzw. „Mensch“ im Sinne dieser Verfassungsnormen verstanden werden muß.26 In der Terminologie der parallelen Ethikdebatte könnte diese Frage nach dem personellen Schutzbereich beider Grundrechte auch als juristisches Extensionsproblem bezeichnet werden.27 – Um die spezifisch verfassungsrechtliche Argumentation systematisch abschichten und dabei ihre jeweiligen Verzweigungspunkte genauer in den Blick nehmen zu können, wird im folgenden eine Aufteilung der theoretischen Begründung anhand der beiden relevanten Grundrechte vorgenommen. Dabei beginnt die Analyse nicht sofort mit der Menschenwürde (Art. 1 I GG), sondern zunächst mit dem Grundrecht auf Leben (Art. 2 II 1 Alt. 1 GG) (dazu nachfolgend A.). Dieses Vorgehen bezieht seine innere Logik aus der Tatsache, daß zuerst geklärt werden muß, ob es sich bei der jeweiligen Entität überhaupt um individualisiertes menschliches Leben im Sinne der Verfassung handelt, bevor die weitere Frage nach ihrer Würdefähigkeit und damit evtl. verbundener zusätzlicher Voraussetzungen thematisiert werden kann. Entsprechend formuliert auch der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Benda: „Wann menschliches Leben beginnt und wann es endet, muß geklärt werden, um zu bestimmen, von wann bis wann dem Menschen die Würde zusteht.“28

Mit anderen Worten: Wenn die extrakorporale Entität nicht einmal aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG subjektiv berechtigt wäre, könnte sie auch niemals Trägerin der Menschenwürdegarantie sein – ein aus Art. 1 I GG berechtigtes Grundrechtssubjekt ohne gleichzeitige Inhaberschaft des Lebensgrundrechts ist schlechterdings nicht vorstellbar, was umgekehrt nicht in gleicher Weise gilt.29 Die hiermit gewählte argumentative Reihenfolge hält sich im übrigen an den auch vom Bundesverfassungsgericht in seinem ersten Schwangerschaftsurteil vorgenommenen Argumentationsgang,30 der in der Folge von zahlreichen Befürwortern sowie Gegnern des Grundrechtsträgerkonzepts übernommen wurde.31 Selbstver26 Für Art. 1 I GG z. B. Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 173. 27 Zu dieser Terminologie in der Ethikdebatte siehe Knoepffler, Menschenwürde, S. 4 und 19 ff. M. Nettesheim (Die Garantie der Menschenwürde zwischen metaphysischer Überhöhung und bloßem Abwägungstopos, AöR 130 [2005], 71, 95) bevorzugt die Bezeichnung „Inklusionsproblem“. 28 E. Benda, Verständigungsversuche über die Würde des Menschen, NJW 2001, 2147. Ähnlich W. Heun, Embryonenforschung und Verfassung – Lebensrecht und Menschenwürde des Embryos, JZ 2002, 517, 518, sowie Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 67 („Leben ist conditio sine qua non . . . des Art. 1 I GG.“). 29 Ohne Existenz eines Grundrechtsträgers aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG wären allenfalls objektiv-rechtliche Wirkungen aus Art. 1 I GG denkbar; so z. B. J. Lege, Das Recht der Bio- und Gentechnik, in: M. Schulte (Hrsg.), Handbuch des Technikrechts, 2003, S. 669, 752 f. 30 BVerfGE 39, 1, 36 ff. (für Art. 2 II 1 Alt. 1 GG) sowie 41 (für Art. 1 I GG).

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

ständlich ist diese Reihenfolge aber nicht zwingend. So können alle relevanten Aspekte des Grundrechtsträgerkonzepts auch unmittelbar bei Art. 1 I GG – etwa die Frage nach dem verfassungsrechtlichen Lebensbeginn beim dortigen Begriff des „Menschen“ – thematisiert werden, was in der Literatur auch bisweilen geschieht, die Komplexität der zu lösenden Fragen jedoch deutlich erhöht.32 – Erst im zweiten Schritt wird dann die subjektive Berechtigung extrakorporaler Entitäten aus Art. 1 I GG in den Blick genommen (dazu nachfolgend B.). Den argumentativen Schwerpunkt bildet hierbei die vielfach bestrittene Tatsache, daß das Grundrechtsträgerkonzept für die Zuerkennung des verfassungsrechtlichen Würdeschutzes einzig an das Vorhandensein individualisierten menschlichen Lebens im Sinne von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG anknüpft und damit die vollständige Deckung der personellen Schutzbereiche beider Grundrechte postuliert (sog. Koppelungsthese).

A. Die Grundrechtsträgerschaft extrakorporaler Entitäten bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG Untersucht man die verfassungsrechtlichen Argumentationsstrategien, die von Befürworten zur Begründung wie von Gegnern zur Widerlegung der Grundrechtsträgerschaft extrakorporaler Entitäten bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG genutzt werden, so lassen sich drei systematisch unterschiedliche Gruppen herausarbeiten: Die erste Gruppe – hier normtextorientierte Argumentationsstrategien genannt – arbeitet mit den klassisch-juristischen Auslegungskanones und versucht mit Hilfe dieser auf das Verfassungsrecht projizierten Methode, Art. 2 II 1 Alt. 1 GG Aussagen für oder gegen die Grundrechtsträgerschaft extrakorporaler Entitäten abzugewinnen (dazu nachfolgend I.). Bei einer zweiten Gruppe, den judikaturorientierten Argumentationsstrategien, steht dagegen die Frage im Vordergrund, inwieweit sich aus der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs zwingende Vorentscheidungen für oder gegen die Grundrechtsträgerthese herleiten lassen (dazu nachfolgend II.). Ethikorientierte Argumentationsstrategien beschreiten schließlich einen dritten 31 Von den Befürwortern etwa Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 40 ff. und 60 ff., bes. 67, sowie Isensee, Der grundrechtliche Status, in: Höffe/Honnefelder, Gentechnik, S. 37, 53 ff. und 62 ff. Von den Gegnern etwa H. Dreier, Lebensschutz und Menschenwürde in der bioethischen Diskussion, in: ders./W. Huber, Bioethik und Menschenwürde, 2002, S. 9, 16 ff. und 39 ff., sowie H.-L. Schreiber, Stammzellverwendung in Forschung und Therapie, in: J. Arnold/B. Burkhardt u. a. (Hrsg.), Festschrift für Albin Eser, 2005, S. 1129, 1135. 32 So geht etwa Beckmann (Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 173 ff.) vor. Bei Bejahung der Menschqualität i. S. v. Art. 1 I 1 GG ist die Zuerkennung des subjektiven Lebensrechts dann eine zwingende und nicht gesondert zu begründende Folge.

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Weg, indem sie ihre Argumente aus der parallelen ethisch-philosophischen Debatte zum moralischen Status des Embryos beziehen und diese im Sinne einer aufnehmend-umbildenden Rezeption für die verfassungsrechtliche Problematik fruchtbar machen (dazu nachfolgend III.). I. Normtextorientierte Argumentationsstrategien zur Grundrechtsträgerschaft bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG 1. Relevanz traditioneller Auslegungskanones im Verfassungsrecht? Bei der Lektüre einschlägiger verfassungsrechtlicher Abhandlungen zur Grundrechtsträgerschaft extrakorporalen menschlichen Lebens reibt man sich bisweilen verwundert die Augen: Fast kommentarlos33 oder mit dem schlichten Behauptungssatz, daß die „üblichen Auslegungsmethoden auch im Verfassungsrecht gelten“,34 werden die von Friedrich Carl v. Savigny35 im 19. Jahrhundert entwickelten sog. Kanones klassisch-juristischer Hermeneutik herangezogen und für extrakorporales Leben schulmäßig die grammatische, historische, systematische und teleologische Auslegung durchdekliniert.36 Obwohl die Anwendbarkeit dieser Kanones gerade im Verfassungsrecht doch zumindest zweifelhaft sein müßte, findet sich meist kaum ein Wort über die methodische Zulässigkeit eines solchen Vorgehens oder eventueller Alternativen – kurz: bei normtextorientierten Argumentationsstrategien steht die Aktualität des untersuchten Sachbereichs in eigentümlichem Kontrast zur Antiquiertheit der angewandten Untersuchungsmethode. Dieses Vorgehen verwundert auch deshalb, weil damit offensichtlich eine jahrzehntelang geführte Methodendiskussion im Verfassungsrecht völlig ausgeblendet wird. Der Bewertung normtextorientierter Begründungsstrategien seien also zunächst einige methodische Überlegungen vorangestellt: Blickt man in die Geschichte der Theorie der Verfassungsauslegung unter dem Grundgesetz zurück, so kann man für die 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts so etwas wie einen Diskussionshöhepunkt ausmachen:37 Am Anfang 33 R. Merkel (Forschungsobjekt Embryo, 2002, S. 27 ff.) spricht nur von „geläufigen Methoden der juristischen Auslegung“ und wendet diese danach unreflektiert an. 34 So Paul, Möglichkeiten und Grenzen, S. 58. 35 F. C. v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band I, 1840, S. 212 ff. 36 Z. B. Paul, Möglichkeiten und Grenzen, S. 58 ff. Den Begriff „teleologische Auslegung“ verwendete v. Savigny im übrigen noch nicht, wenngleich diese Auslegungsmethode der Sache nach auch schon bei ihm vorhanden war (v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts I, bes. S. 217). Er kannte dagegen noch die sog. logische Auslegung (ebd., S. 214), die heute teils der grammatischen, teils der systematischen Auslegung zuzurechnen wäre. Zu den heutigen Auslegungskanones vgl. R. Zippelius, Juristische Methodenlehre, 8. Aufl. 2003, S. 48 ff. 37 Eine gute Übersicht hierzu bietet R. Dreier/F. Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation. Dokumentation einer Kontroverse, 1976.

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der damals neu entfachten,38 aber im Grunde viel älteren Debatte stand ein vielzitierter Aufsatz von Ernst Forsthoff, in dem dieser die Verfassung prinzipiell wie ein Gesetz den für Gesetze geltenden Interpretationsregeln unterstellen und damit der klassisch-juristischen Methode auch bei der Auslegung des Grundgesetzes zentrale Geltung verschaffen wollte.39 Hiergegen regte sich bald Widerstand auf breiter Front, der in eine doppelte Kritik am propagierten Ansatz mündete: Zunächst wurden die klassisch-hermeneutischen Methode selbst bzw. die ihr zugrundeliegende Prämisse in Frage gestellt, wonach die Norminterpretation als rein syllogistischer Schluß aufzufassen sei.40 Nach dieser Methode hat der Interpret eines Normtextes bekanntlich allein den subjektiven Willen des Normgebers bzw. den objektivierten Willen der Norm zu erkennen und eine quasi durch diese Norm vorgegebene Entscheidung nachzuvollziehen.41 Im Hinblick auf die Aufgaben eines Verfassungsgerichts bei der Auslegung des Grundgesetzes hat dieses Postulat der Abgeordnete HansJoachim v. Merkatz (DP) bei der Beratung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) 1951 im Bundestag plastisch so formuliert: „Bei Entscheidungen einer Staatsgerichtsbarkeit handelt es sich um echte richterliche Entscheidungen, bei denen nicht etwas erfunden wird, was im Grundgesetz nicht enthalten ist, sondern bei denen das, was als Gehalt des Willens des Gesetzgebers tatsächlich vorentschieden schon vorhanden ist, gefunden wird. Es ist also nicht Aufgabe dieser Staatsgerichtsbarkeit, mit ihren Entscheidungen . . . irgendeinen Griff in die Sterne zu tun.“42

Genau hier setzte die Kritik an der „Vollzugstheorie“ an: Der von der klassischen Methode behauptete präexistente Wille des Gesetzgebers bzw. des Gesetzes sei nichts anderes als eine Fiktion, die Lehre vom immanenten Norminhalt 38 So R. Dreier, Zur Problematik und Situation der Verfassungsinterpretation, in: ders./F. Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation. Dokumentation einer Kontroverse, 1976, S. 13, 14. 39 E. Forsthoff, Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, in: H. Barion (Hrsg.), Festschrift für Carl Schmitt, 1959, S. 35 ff.; wiederabgedr. in: Dreier/Schwegmann, Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 51 ff., bes. S. 57: „Die Jurisprudenz vernichtet sich selbst, wenn sie nicht unbedingt daran festhält, daß die Gesetzesauslegung die Ermittlung der richtigen Subsumtion im Sinne des syllogistischen Schlusses ist.“ 40 F. Müller/R. Christensen, Juristische Methodik, Band I, 9. Aufl. 2004, Rdnr. 24; M. Kriele, Die Stadien der Rechtsgewinnung, in: R. Dreier/F. Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation. Dokumentation einer Kontroverse, 1976, S. 237, 240. 41 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rdnr. 53. 42 Deutscher Bundestag, Verhandlungen 1. WP., 112. Sitzung vom 18.1.1951. Stenogr. Berichte VI, S. 4218 f. (Hervorh. im Original). Entsprechend metaphorisch ist auch die Formulierung bei v. Savigny selbst: „Dieses Ziel des Verfahrens auszudrükken, ist der Name Auslegung (explicatio) besonders geeignet, indem er darauf hinweist, daß das in dem Wort Eingeschlossene an das Licht gezogen und dadurch offenbar gemacht werde.“ (v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts I, S. 216).

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nur ein inhaltsleerer Positivismus.43 Während sich diese Infragestellung der Kanones prinzipiell auf alle Rechtsnormen beziehen läßt, wird die damit aufgeworfene Problematik im Bereich des Verfassungsrechts noch um so deutlicher, als sich die Verfassung mit ihrer offenen und fragmentarischen Normstruktur vom durchgebildeten einfachen Gesetz maßgeblich unterscheidet. Der zweite fundamentale Kritikpunkt an der klassisch-juristischen Hermeneutik bezog sich deshalb auch auf die auslegungstechnische Gleichsetzung von Verfassung und einfachem Gesetz, wie sie Forsthoff propagiert hatte.44 In diesem Zusammenhang verwies man im übrigen immer auch darauf, daß bereits v. Savigny seine Kanones allein auf das Privatrecht erstreckt wissen wollte und ihre Ausdehnung auf das Staatsrecht gerade abgelehnt hatte.45 Diese in der Methodikdebatte der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts sehr dezidiert vorgetragene, aber im Grunde bis heute nicht ausgeräumte Kritik am traditionellen Methodenkanon war natürlich stets von Alternativvorschlägen zur Verfassungsinterpretation begleitet gewesen. Unter den zahlreichen (damals) neuen Herangehensweisen ist hier insbesondere an die topisch-problemorientierte Methode46 zu erinnern, für deren Anwendung im deutschen Verfassungsrecht sich etwa Horst Ehmke maßgeblich eingesetzt hat.47 Charakteristisch für diesen Ansatz war ein radikaler Perspektivenwechsel, der den bisherigen Primat der Norm ablösen und durch den Primat des Problems gegenüber der Norm ersetzen wollte.48 Eine juristische Fallösung sollte sich in der Konsequenz nicht mehr „deduktiv-auffindend“, sondern „induktiv-zurechtfindend“ vollziehen: „Da der Jurisprudenz nicht das System, sondern die Probleme vorgegeben sind, kann nicht von einem vorweg konstruierten System eine Problem-Auslese erfolgen, es muß vielmehr vom jeweils vorgegebenen Problem her eine System-Auslese erfolgen . . . In schwierigeren Fällen muß die die Entscheidung tragende Norm überhaupt erst gebildet, ,gefunden‘ werden in dem Sinne, in dem wir davon sprechen, daß jemand sich ,zurechtfindet‘.“49 43 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 55 ff.; Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rdnr. 29. 44 E.-W. Böckenförde, Die Methoden der Verfassungsinterpretation – Bestandsaufnahme und Kritik, NJW 1976, 2089, 2090 f. 45 v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts I, S. 2 und 69. 46 Von griech. tüpoò [tópos] = Ort, Stelle, Rang. 47 Siehe dazu seinen „klassisch“ gewordenen Beitrag: H. Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, VVDStRL 20 (1963), S. 53 ff., wiederabgedr. in: R. Dreier/ F. Schwegmann (Hrsg.), Probleme der Verfassungsinterpretation. Dokumentation einer Kontroverse, 1976, S. 164 ff. Zur Topik allgemein T. Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 5. Aufl. 1974, passim. 48 Vgl. erläuternd Böckenförde, NJW 1976, 2089, 2091 ff. 49 Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, in: Dreier/Schwegmann, Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 164, 166. Zur Erläuterung des Topikansatzes s. auch Böckenförde, NJW 1976, 2089, 2091 ff., sowie Dreier, Zur Problematik, in: ders./Schwegmann, Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 13, 28.

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Bezogen auf das Verfassungsrecht und getreu der Maxime, daß auch verfassungsrechtliches Denken Problemdenken sei,50 sollte der Verfassungstext nicht länger als strikt normatives Prinzip verstanden werden, sondern als eine Art „Verfassungsrechtsmaterial“51 nur einen Topos unter anderen darstellen.52 – An diesem Punkt setzte dann auch sofort die Gegenkritik ein, die z. B. von ErnstWolfgang Böckenförde dahingehend formuliert wurde, daß mit der topischen Methode die Verfassung ihre normative Geltungskraft einbüße und als „offenes Gefäß“ für völlig heterogene Interpretationsgesichtspunkte fungiere, deren Relevanz sich allein nach der jeweiligen Problem- bzw. Fallangemessenheit bestimme.53 Was bleibt nun heute – rund 40 Jahre nach dieser nie ganz ausdiskutierten Auseinandersetzung um den methodisch angemessensten Umgang mit dem Grundgesetz – von den klassischen Kanones übrig? Das Bild ist hier ersichtlich vielgestaltig. Einige deutsche Verfassungsrechtler54 halten nach wie vor unbeirrt an den Kanones fest, freilich in einer Form, bei der diese an die besonderen Probleme des Verfassungsrechts anpaßt werden,55 so etwa, wenn Gesichtspunkte wie „praktische Konkordanz“ oder „funktionsrechtliche Richtigkeit“ zu Unterfällen der systematischen Auslegung deklariert werden.56 Die Suche nach dem „Sinn der einschlägigen Verfassungsnormen“, mithin der alte Primat der Norm, behauptet sich im übrigen beharrlich.57 Eine Mehrzahl der Verfassungsrechtler scheint jedoch vom alleinigen Glauben an den erkennbaren Sinngehalt von Grundgesetznormen abgerückt zu sein und will die Kanones zwar nicht abgeschafft sehen, aber nur noch als Hilfsgesichtspunkte im Rahmen einer konkretisierenden Verfassungsinterpretation gelten lassen.58 Friedrich Müller und Ralph Christensen fassen den heutigen Wert der Kanones für sich so zusammen: 50 Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, in: Dreier/Schwegmann, Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 164, 172. 51 Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, in: Dreier/Schwegmann, Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 164, 173. 52 Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rdnr. 114. 53 Böckenförde, NJW 1976, 2089, 2092 f. Ähnlich C. Starck, Die Verfassungsauslegung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VII, 1992, § 164 Rdnr. 24. 54 Insbesondere Starck, Verfassungsauslegung, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VII, § 164 Rdnr. 16 ff.; P. Badura, Staatsrecht, 3. Aufl. 2003, Rdnr. 14 ff.; neuerdings auch M. Herdegen, Verfassungsauslegung als methodische Disziplin, JZ 2004, 873, 875. 55 Herdegen (JZ 2004, 873, 875) spricht von Kanones in „verfassungsspezifischer Gestalt“. 56 Starck, Verfassungsauslegung, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VII, § 164 Rdnr. 19. 57 Starck, Verfassungsauslegung, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VII, § 164 Rdnr. 16.

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„Nicht zuletzt am Verfassungsrecht erweisen sich Savignys Auslegungsregeln als Aspekte, die nicht allgemeingültige ,Methoden‘, sondern Hilfsgesichtspunkte von je nach der Eigenart der zu konkretisierenden Rechtssätze wechselnder Ergiebigkeit darstellen . . . Sie erfassen aber schon deshalb nur einen Teil der Konkretisierung, weil sie Rechtsverwirklichung auf Interpretation, weil sie Normkonkretisierung auf Normtext-Auslegung einschränken wollen.“59

Blickt man abschließend noch auf die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung und die dort angewandte Methodenpraxis, so zeigt sich auch hier – wie nicht anders zu erwarten – ein uneinheitliches Bild: Trotz eines mehrfach geäußerten Bekenntnisses zu den Kanones60 sind die Beispiele Legion, in denen das Bundesverfassungsgericht sich explizit über sie hinweggesetzt bzw. andere methodische Zugangsweisen favorisiert hat.61 Ein eindrückliches Beispiel dafür, daß selbst innerhalb ein und desselben Urteils keine Methodenklarheit festzustellen ist, bietet das erste Schwangerschaftsurteil von 1975 (BVerfGE 39, 1): Einerseits werden dort bei der Auslegung von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG schulmäßig Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte der Norm analysiert,62 andererseits weist das Urteil in den Passagen über die verfassungsrechtliche Gebotenheit einer Bestrafung des Schwangerschaftsabbruchs stark topischen Charakter auf.63 Für die hier vorzunehmende Analyse einer möglichen Grundrechtsträgerschaft extrakorporalen menschlichen Lebens ist zusammenfassend festzuhalten, daß der Wert normtextorientierter Argumentationsstrategien bereits im Ansatz erheblich zu relativieren ist und diese keinesfalls zum alleinigen Maßstab der Verfassungskonkretisierung gemacht werden sollten, wie dies in Teilen der Lite58

Beispielhaft Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 68. Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rdnr. 95 und 375. Ähnlich F. Ossenbühl, Grundsätze der Grundrechtsinterpretation, in: D. Merten/H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band I, 2004, § 15 Rdnr. 12 f. 60 Angefangen bei BVerfGE 1, 299, 312 mit besonderer Betonung der objektiven Interpretationsmethode. Weitere Beispiele zur Kanones-Verwendung durch das Bundesverfassungsgericht bei P. Lerche, Stil und Methode der verfassungsrechtlichen Entscheidungspraxis, in: P. Badura/H. Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Band I, 2001, S. 333, 356 ff. 61 Beispiele bei Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 58. 62 BVerfGE 39, 1, 37 ff. 63 BVerfGE 39, 1, 45: „Die Frage, inwieweit der Staat von Verfassungs wegen verpflichtet ist, zum Schutz des ungeborenen Lebens auch das Mittel des Strafrechts als der schärfsten ihm zur Verfügung stehenden Waffe einzusetzen, kann nicht von der vereinfachten Fragestellung aus beantwortet werden, ob der Staat bestimmte Handlungen bestrafen muß. Notwendig ist eine Gesamtbetrachtung, die einerseits den Wert des verletzten Rechtsgutes und das Maß der Sozialschädlichkeit der Verletzungshandlung . . . in den Blick nimmt, andererseits die traditionellen rechtlichen Regelungen dieses Lebensbereichs ebenso wie die Entwicklung der Vorstellungen über die Rolle des Strafrechts in der modernen Gesellschaft berücksichtigt und schließlich die praktische Wirksamkeit von Strafandrohungen und die Möglichkeit ihres Ersatzes durch andere rechtliche Sanktionen nicht außer acht läßt.“ (Hervorh. T. H.). 59

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

ratur immer noch geschieht.64 Anders formuliert: Selbst wenn die Anwendung der klassisch-hermeneutischen Methode im vorliegenden Fall klare Ergebnisse zur Grundrechtsträgerschaft extrakorporaler Entitäten (hier bezüglich Art. 2 II 1 Alt. 1 GG) erbringen würde, könnte die verfassungsrechtliche Analyse hierbei nicht stehenbleiben. Auf dem Hintergrund dieser einschränkenden Prämisse sind nun die angesprochenen normtextorientierten Argumentationsstrategien zur Grundrechtsträgerthese zu beurteilen. Da beim vorliegenden Problem weder die „grammatische“ noch die „systematische“ Auslegung in irgendeiner Form weiterführen,65 fokussiert sich das Interesse der verfassungsrechtlichen Literatur ganz auf die historische (bzw. genauer historisch-genetische) Methode (dazu nachfolgend 2.) sowie die teleologische Methode (dazu nachfolgend 3.). 2. Historisch-genetische Auslegungsgehalte von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG für die Grundrechtsträgerthese? a) Begriffliche Vorklärung: Historische versus genetische Auslegungsmethode Bei der historischen Auslegungsmethode ist zunächst eine begriffliche Vorklärung angebracht. Unter „historischer Auslegung“ kann nämlich zweierlei verstanden werden, was in der Praxis oft miteinander vermengt wird:66 Zum einen kann die Frage im Vordergrund stehen, wie der problematische Sachverhalt in vergleichbaren früheren Normen geregelt wurde, wobei dann historische Vorläufer, Vorbilder o. ä. für die aktuelle Norm in den Blick genommen werden; hierbei handelt es sich um die historische Auslegungsmethode i. e. S. Zum anderen lassen sich Gesetzesmaterialien und Entstehungsgeschichte der aktuellen Norm, also Nicht-Normtexte, auf evtl. Aussagegehalte zur aktuellen Norm untersuchen – ein Verfahren, das als genetische Auslegung bezeichnet wird.67 Da in früheren deutschen Verfassungen kein Grundrecht auf Leben verankert war, das Lebensrecht mithin ein traditionsloses Grundrecht darstellt,68 spielt bei der vorliegenden Frage, ob extrakorporales menschliches Leben unter 64 Die Arbeit von Paul (Möglichkeiten und Grenzen, S. 58 ff.), die sich bei Art. 2 II 1 GG ausschließlich auf die klassisch-juristische Hermeneutik stützt, ist deshalb bereits im Ansatz fragwürdig. 65 So auch Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 27 f. 66 Dazu Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rdnr. 360 ff. 67 Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rdnr. 361. 68 Zu den Gründen vgl. W. Leisner, Das Lebensrecht, in: ders./H. Goerlich, Das Recht auf Leben, 1976, S. 5, 11 ff. Vgl. allgemein zur Bedeutung des Lebensgrundrechts auch T. Hartleb, Der neue § 14 III LuftSiG und das Grundrecht auf Leben, NJW 2005, 1397.

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Art. 2 II 1 Alt. 1 GG subsumiert werden kann, allein der genetische Auslegungsaspekt eine Rolle. Dabei kann die hier relevante Frage nur lauten, inwieweit bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat (1948/49) vorgeburtliches menschliches Leben als Grundrechtsträger überhaupt in den Blick genommen wurde. Eventuelle Besonderheiten extrakorporaler Entitäten konnten angesichts der damaligen Unbekanntheit dieses Phänomens selbstverständlich noch nicht zum Tragen kommen. – Was ergibt nun die so präzisierte historisch-genetische Auslegung von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG? b) Die Beratungen im Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rates am 19. November 1948 und 11. Januar 1949 Während der Herrenchiemseer Entwurf noch keine entsprechende Vorschrift enthielt,69 stand das Grundrecht auf Leben bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates erstmals in der 23. Sitzung des Grundsatzausschusses am 19. November 1948 auf der Tagesordnung.70 Nachdem man einen früheren CDU/CSUVorschlag mit der Formulierung „Das Leben des Menschen ist unantastbar. Es kann nur auf Grund des Gesetzes als Strafe für schwerste Verbrechen durch richterliches Urteil verwirkt werden.“71

rasch verworfen hatte, einigte man sich im Grundsatzausschuß in Anlehnung an den UN-Kommissionsentwurf über die Menschenrechte zunächst auf eine Fassung für Art. 2 des Grundgesetzentwurfs (E-GG) mit folgendem Inhalt in Absatz 1: „Jeder hat das Recht auf Leben, auf Freiheit und auf Sicherheit der Person.“72

Aus den Quellenmaterialien ergibt sich dabei eindeutig, daß zumindest bei dieser ersten Debatte über das Lebensgrundrecht noch nicht an ungeborenes Leben gedacht war. Der Ausschußvorsitzende Hermann v. Mangoldt (CDU) gab bei der Beratung am 19. November 1948 nämlich zu Protokoll: „Vorweg muß ich bemerken, daß eine Einigung über die Vorschläge der Fraktionen der CDU/CSU über den Schutz des Lebens und den Schutz gegen Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit bis jetzt nicht herbeigeführt werden konnte, und zwar nicht etwa, weil der Grundgedanke nicht anerkannt würde, daß es notwendig sei, kaum verhüllte Morde, Zwangssterilisationen u. dgl. zu verhüten, sondern weil die Formulierung noch nicht allen Wünschen entspricht . . . Man wünscht durchaus eine

69 Vgl. K.-B. v. Doemming/R. Füsslein/W. Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR. N. F. 1 (1951), 1, 54 f. 70 Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Akten und Protokolle, Band V/2 (Ausschuß für Grundsatzfragen), bearbeitet von E. Pikart und W. Werner, 1993, S. 604 f. 71 Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd. V/2, S. 604 (dort Fußn. 7). 72 Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd. V/2, S. 605.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

Schutzvorschrift gegen Euthanasie und ähnliche Eingriffe in das Leben, aber nicht in der hier vorgeschlagenen Form.“73

Ausgangspunkt für die Schaffung eines Grundrechts auf Leben war somit allein die historische Erfahrung nationalsozialistischer Verbrechen, die ausschließlich mit der Abwehr von Eingriffen in geborenes Leben („kaum verhüllte Morde“, „Euthanasie“) im Zusammenhang stand.74 Bei der 32. Sitzung des Grundsatzausschusses am 11. Januar 1949, in der dieser neue Art. 2 I E-GG um das Recht auf körperliche Unversehrtheit ergänzt wurde,75 findet sich dann erstmals in den Beratungsprotokollen dieses Gremiums eine Verbindung des Lebensgrundrechts mit der Abtreibungsfrage. Im Kontext einer langen Debatte um das Problem ärztlicher Heileingriffe bemerkte der Abgeordnete Heuss (FDP) quasi beiläufig: „Ich glaube nicht, daß sich ein Versicherter in einem Rentenstreit auf diese Bestimmung der körperlichen Unversehrtheit berufen kann. Gedacht ist hier an die Zwangssterilisation und beim Recht auf Leben an die Abtreibung.“76

Und obwohl der Abgeordnete Süsterhenn (CDU) sogleich ergänzte „Und an die Euthanasie“77,

wurde die damit aufgeworfene Extensionsproblematik hinsichtlich vorgeburtlichen Lebens zu diesem Zeitpunkt nicht weiter diskutiert. c) Die Abstimmung im Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates am 18. Januar 1949 Maßgebliche Rolle spielte die Frage dann wenige Tage später, nämlich bei der 42. Sitzung des Hauptausschusses am 18. Januar 1949, als in zweiter Lesung über den Grundrechte-Abschnitt debattiert wurde.78 Diese Materialienstelle steht bei der wissenschaftlichen Diskussion um historisch-genetische Auslegungsgehalte von Art 2 II 1 Alt. 1 GG auch seit jeher im Vordergrund. Die Beratung im Hauptausschuß wurde bekanntlich mit einem bereits früher formulierten Antrag des Abgeordneten Seebohm (DP) eingeleitet, die damals vorliegende Fassung von Art. 2 GG79 im Absatz 3 um einen Zusatz 73

Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd. V/2, S. 605 f. (Hervorh. T. H.). Vgl. dazu auch das Sondervotum Rupp-v. Brünneck und Simon in BVerfGE 39, 68, 75 f. 75 Die neue Fassung lautete nun: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, auf persönliche Freiheit und Sicherheit.“ (Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd. V/2, S. 924). 76 Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd. V/2, S. 923 (Hervorh. T. H.). 77 Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd. V/2, S. 923. 78 Parlamentarischer Rat (Hrsg.), Verhandlungen des Hauptausschusses. Stenographische Berichte, 1948/49, S. 529 ff. 74

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„Das keimende Leben wird geschützt.“

zu ergänzen.80 Ausweislich der Materialien stellte Seebohm diesen Ergänzungsantrag, da Art. 2 I E-GG nach Auffassung der DP „keimendes Leben“ gerade nicht (oder mindestens nicht zweifelsfrei) erfaßte.81 Nachdem die Abgeordneten Weber (CDU) und Heuss (FDP) ihre Gegenansicht, „keimendes Leben“ sei in der bisherigen Textfassung schon mitenthalten, vorbrachten und damit so etwas wie eine Communis opinio insinuierten, zog Seebohm seinen Antrag zunächst zurück. Der Abgeordnete Greve (SPD) gab daraufhin zu Protokoll, daß für ihn und die Mehrheit seiner Parteifreunde das Recht auf Leben „keimendes Leben“ keinesfalls mit einschließe.82 Nach dieser Erklärung griff Seebohm seinen ursprünglichen Antrag wieder auf, der in der Folge ohne weitere Diskussion im Ergebnis mit 11 zu 7 Stimmen abgelehnt wurde.83 In den Materialien finden sich keine Hinweise, von wem und warum der Antrag letztlich abgelehnt wurde, so daß sich an diese Abstimmung seither eine Reihe von Auslegungsspekulationen knüpft, die allesamt einer überzeugenden Beweisführung entbehren: Nicht einleuchtend ist zunächst die Interpretationsversion, wonach der Antrag nur deshalb abgelehnt worden sei, weil der damalige Art. 2 I E-GG „keimendes Leben“ bereits enthalten habe.84 Angesichts des eindeutigen Dissenses im Parlamentarischen Rat zu dieser Frage wäre eine klarstellende Formulierung dringend erforderlich gewesen. Daß sie gerade nicht erfolgte, kann nun nicht so interpretiert werden, daß allein die Anhänger einer weiten Wortlautauslegung obsiegt hätten, mithin die elf Gegenstimmen mehrheitlich von ihnen abgegeben worden wären.85 Dies gilt um so mehr, als die von Seebohm geforderte protokollarische „Einschlußerklärung“ für keimendes Leben im Falle der Ablehnung 79 „(1) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, auf persönliche Freiheit und Sicherheit. (2) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (3) In diese Rechte kann nur auf Grund der Rechtsordnung eingegriffen werden. Dabei darf das Mindestmaß der zum Leben notwendigen Nahrung, Kleidung und Wohnung nicht verweigert werden.“ (Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 533). 80 Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 534. 81 Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 534: „Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit umfaßt nach unserer Auffassung nicht unbedingt auch das keimende Leben. Deshalb muß es hier besonders erwähnt werden.“ 82 Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 535. 83 Die insgesamt 21 Stimmen im Hauptausschuß verteilten sich wie folgt: 8 CDU/ CSU, 8 SPD, 2 FDP, 1 KPD, 1 DP und 1 Zentrum (vgl. M. Feldkamp, Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Die Entstehung des Grundgesetzes, 1998, S. 106). 84 So BVerfGE 39, 1, 40; ähnlich Leisner, Lebensrecht, in: ders./Goerlich, Recht auf Leben, S. 5, 43 f.; K. Roth-Stielow, Stufungen des vorgeburtlichen Lebensschutzes, ZRP 2002, 530.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

seines Änderungsantrags86 ebenfalls nicht zustande kam. – Ebensowenig schlüssig ist aber auch die gegenteilige Auslegungsversion, wonach der DP-Antrag angeblich nur deshalb keine Mehrheit fand, weil man in Art. 2 I E-GG „keimendes Leben“ nicht enthalten wissen wollte.87 Auch hier würden die letztlich unbekannten Gründe der ablehnenden Stimmen zu stark in eine Richtung gedeutet, für die das Quellenmaterial keinen sicheren Anhalt bietet. Von allen Deutungsmöglichkeiten ist wohl am wahrscheinlichsten anzusehen, daß sich in den elf ablehnenden Stimmen Motive unterschiedlichster Art vereinigten, das Abstimmungsergebnis unter Berücksichtigung der vorherigen Debatte mithin gerade den Dissens in der Extensionsfrage dokumentiert. Eine objektive Bewertung der Hauptausschußmaterialien vom 18. Januar 1949 ergibt somit als Auslegungsergebnis ein „non liquet“, das jede Eindeutigkeit hinsichtlich des Einbezugs vorgeburtlichen Lebens in Art. 2 I E-GG vermissen läßt.88 d) Die Plenumsdebatte im Parlamentarischen Rat vom 8. Mai 1949 Auch spätere Quellendokumente geben zu dieser Frage keinen näheren Aufschluß. Zwar wurde bei der abschließenden dritten Beratung des Grundgesetzes im Plenum des Parlamentarischen Rats am 8. Mai 1949 zu der seit den Änderungsvorschlägen des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 2. Mai 1949 feststehenden und bis heute unveränderten Textfassung von Art. 2 II GG das Thema nochmals angesprochen. Sowohl der Abgeordnete Seebohm (DP)89 als auch die Abgeordnete Weber (CDU)90 gaben in ihren damaligen Debattenbeiträgen die Auffassung zu Protokoll, daß Art. 2 II 1 Alt. 1 GG den Schutz „keimenden Lebens“ umfasse. Allein die Tatsache, daß diese Bemerkungen ohne 85 Merkel (Forschungsobjekt Embryo, S. 30 f.) faßt die logische Widersinnigkeit dieser Argumentation wie folgt zusammen: „Ein Antrag, x zu beschließen, der nur und genau deshalb gestellt wurde, weil man x erkennbar für noch nicht einhellig beschlossen hielt, sei deshalb abgelehnt worden, weil man x für schon einhellig beschlossen hielt.“ 86 Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 534: „Mindestens muß man aber, wenn eine andere Auffassung vorliegen sollte, hierzu ausdrücklich zu Protokoll geben, daß bei dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit das keimende Leben ausdrücklich eingeschlossen ist.“ 87 So etwa H. Schulze-Fielitz (in: H. Dreier [Hrsg.], Grundgesetz. Kommentar, Band I, 2. Aufl. 2004, Art. 2 II Rdnr. 5), der die Auffassung vertritt, „das Scheitern dieses Antrags spreche dafür, daß der historische Gesetzgeber eine ausdehnende Interpretation gerade nicht favorisiert hat.“ 88 So auch Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik, S. 162; C. Enders, Embryonenschutz als Statusfrage?, ZRph 2003, 126, 134; Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 31; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, § 70 IV 3 b, S. 1050. 89 Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Akten und Protokolle, Bd. IX (Plenum), bearbeitet von W. Werner, 1996, S. 565. 90 Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd. IX, S. 578.

§ 9 Theoretische Begründung

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Widerspruch geblieben waren, wurde später als Beleg dafür gewertet, daß die Entstehungsgeschichte der Norm im Sinne der „Einschlußthese“ zu deuten sei.91 Auch diese Interpretation ist jedoch keinesfalls zwingend. Zunächst ist festzuhalten, daß die Stellungnahmen der beiden Abgeordneten im Rahmen langer Redebeiträge mit völlig anderen Schwerpunkten abgegeben wurden. Daß eine spezielle Replik zur hierbei eher beiläufig geäußerten Auffassung vom Lebensgrundrecht ausgeblieben ist, sollte daher in seiner Bedeutung nicht überhöht werden. Des weiteren ist hinsichtlich des Seebohm-Beitrags zu fragen, warum hier überhaupt ein nochmaliger Widerspruch – etwa seitens der SPD – zwingend erforderlich gewesen sein sollte. Seebohm trug lediglich vor: „Wir begrüßen, daß das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in dem Grundgesetz verankert ist . . . In Konsequenz dieses Rechtes und aus innerer Überzeugung . . . ist nach unserer Auffassung auch das keimende Leben in den Schutz dieses Grundrechts einbezogen.“92

und gab damit die Ansicht seiner DP-Fraktion wieder, die – wie sich bereits aus der Formulierung ergibt – offensichtlich nicht von allen geteilt wurde. In seinem Debattenbeitrag kam der Dissens damit bereits sprachlich klar zum Ausdruck, ohne daß es eines erneuten Widerspruchs bzw. einer „Richtigstellung“ von Vertretern der Gegenauffassung bedurft hätte.93 Ganz ähnlich ist auch die Äußerung der Abgeordneten Weber zu bewerten, die in ihrer Plenumsrede vom 8. Mai 1949 erklärte: „Zu den Grundrechten gehört auch das Recht auf Leben, das uns im Haupt- und Grundsatzausschuß sehr beschäftigt hat. Es muß in dieser Plenarsitzung nur noch einmal ausdrücklich erklärt werden, daß unter dem Schutz des Lebens auch der Schutz des keimenden Lebens verstanden werden muß.“94

Wäre es damals konsentierte Auffassung im Parlamentarischen Rat gewesen, Art. 2 II 1 Alt. 1 GG schütze auch ungeborenes Leben, hätte dies in der abschließenden Plenarsitzung nicht noch einmal „ausdrücklich erklärt werden müssen“. Vielmehr sollte auch mit diesem Beitrag die eigene Ansicht in einer strittigen Frage nochmals vor Augen geführt werden – eine Lesart, die ebenfalls durch die Wortwahl der Abgeordneten („verstanden werden muß“ anstelle von „verstanden wird“) nahegelegt wird.

91 BVerfGE 39, 1, 40. Ebenso H. Reis, Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes als Verfassungsproblem, 1984, S. 134, und Leisner, Lebensrecht, in: ders./Goerlich, Recht auf Leben, S. 5, 43 f. 92 Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd. IX, S. 565 (Hervorh. T. H.). 93 M. Kriele (Urteilsanmerkung zu BVerfGE 39, 1, JZ 1975, 222, 225) bemerkt dazu, daß die Nichtwiederholung einer vorher ausdrücklich zu Protokoll gegebenen Meinung nicht als Preisgabe dieser Meinung gelten könne bzw. daß ein Schweigen im Gesetzgebungsverfahren nicht als Zustimmung gewertet werden dürfe. 94 Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd. IX, S. 578 (Hervorh. T. H.).

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

e) Der Abschlußbericht v. Mangoldts zu den Beratungen des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates Schließlich entbehrt auch die letzte Quelle, die immer wieder als Beleg für die „Einschlußthese“ angeführt wird,95 der behaupteten Eindeutigkeit. Gemeint ist der Abschlußbericht des CDU-Abgeordneten Hermann v. Mangoldt zur Arbeit des Hauptausschusses, der die Beratung vom 18. Januar 1949 zu Art. 2 I E-GG96 wie folgt zusammenfaßt: „Dabei hat mit der Gewährleistung des Rechts auf Leben auch das keimende Leben geschützt werden sollen. Von der Deutschen Partei im Hauptausschuß eingebrachte Anträge, einen besonderen Satz über den Schutz des keimenden Lebens einzufügen, haben nur deshalb keine Mehrheit gefunden, weil nach der im Ausschuß vorherrschenden Auffassung das zu schützende Gut bereits durch die gegenwärtige Fassung gesichert war.“97

Obwohl das genaue Entstehungsdatum dieses Berichts nicht bekannt ist, dürfte er mit hoher Wahrscheinlichkeit erst nach Verabschiedung des Grundgesetzes entstanden sein,98 was eine Bezugnahme während der Plenumssitzung des Parlamentarischen Rats am 6. Mai 1949 und damit die Darstellung abweichender Auffassungen ausschloß.99 Der Bericht gibt damit lediglich ex post noch einmal die von der CDU/CSU während der gesamten Beratungszeit favorisierte Meinung zum Umfang des Lebensgrundrechts wieder. Wie aber der tatsächliche Verlauf der Debatte am 18. Januar 1949 gezeigt hat, ist entgegen der Behauptung v. Mangoldts eine Klärung dieser Frage im Hauptausschuß zugunsten der extensiven Auslegung gerade nicht erfolgt.100 95

Etwa von BVerfGE 39, 1, 39. Siehe oben c). 97 Parlamentarischer Rat Bonn 1948/49 (Hrsg.), Schriftlicher Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (Drs. Nr. 850, 854), o. J., S. 7 (Hervorh. T. H.). 98 Zwar ist das Dokument als „Anlage zum stenographischen Bericht der 9. Sitzung des Parlamentarischen Rats am 6. Mai 1949“ erstellt worden. Aus seinem Inhalt ergibt sich jedoch, daß der Bericht nach Abschluß der Beratungen des Parlamentarischen Rates – wahrscheinlich im Laufe seiner Abwicklung – entstanden sein muß und erst 1950/51 publiziert wurde (dazu Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd. IX, S. 433, dort Fußn. 14). 99 Dies wird z. B. übersehen von Roth-Stielow, ZRP 2002, 530, wenn er darauf abstellt, daß der Bericht „unwidersprochen“ geblieben ist (Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz I, Art. 2 II, Rdnr. 5). 100 So auch Kriele, JZ 1975, 222, 225; K. Wernicke, in: R. Dolzer/K. Vogel u. a. (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Loseblattslg., Stand 2004, Art. 2, Erl. II. 2. b) (Erstbearbeitung). Dies verkennt Leisner (Lebensrecht, in: ders./Goerlich, Recht auf Leben, S. 5, 44), wenn er in Anlehnung an v. Mangoldt den grundrechtlichen Schutz des Nasciturus als eine im Ausschuß vorherrschende Auffassung bezeichnet. Die Stellungnahme v. Mangoldts zur „vorherrschenden Auffassung“ bezieht sich jedoch nur auf eine bestimmte Deutung des Abstimmungsverhaltens der Ausschußmitglieder, wofür die Quellenlage gerade keine eindeutigen Hinweise gibt. 96

§ 9 Theoretische Begründung

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Als Gesamtergebnis zu den historisch-genetischen Auslegungsgehalten von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG bleibt somit festzuhalten: Entgegen vielfacher und in der Literatur bis in die Gegenwart immer wiederholter Behauptungen101 ergibt sich aus dem vorliegenden Quellenmaterial keine eindeutige Aussage, ob und inwieweit nach Meinung der Verfassungsväter und -mütter das neugeschaffene Lebensgrundrecht vorgeburtliches Leben mit umfassen sollte.102 Während man bei der allerersten Beratung der Norm angesichts der dominanten historischen Erfahrung der Vernichtung geborenen Lebens das Problem noch gar nicht vor Augen hatte, war der spätere insbesondere seitens der CDU/CSU unternommene Versuch, ein extensives Verständnis von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG zur Communis opinio zu machen und damit vorgeburtliches Leben in den Grundrechtsschutz einzubeziehen, im Parlamentarischen Rat zu keinem Zeitpunkt konsensfähig. Wenn sich damit bereits zum Problem des Einbezugs intrakorporalen vorgeburtlichen Lebens ein klarer Dissens beim Verfassungsgeber erkennen läßt, verbietet sich in historisch-genetischer Auslegungsperspektive jede weitere Schlußfolgerung auf eine Grundrechtsträgerschaft extrakorporaler Entitäten aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG. 3. Teleologische Auslegungsgehalte von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG für die Grundrechtsträgerthese? a) Das tutioristische Effektivitätsargument Wie bereits angedeutet, spielen in der normtextorientierten Debatte zur Grundrechtsträgerthese extrakorporalen menschlichen Lebens neben historischgenetischen auch sog. teleologische Auslegungsgehalte von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG eine Rolle. Im vorliegenden Kontext wird dabei meist das Effektivitätsargument bemüht, wonach es dem Sinn und Zweck der Grundrechtsnorm am ehesten entspräche, bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten immer diejenige zu wählen, welche die juristische Wirkkraft des Grundrechts am stärksten (effektivsten) entfalte.103 Für die vorliegende Problematik würde dies bedeuten, daß Art. 2 II 1 Alt. 1 GG möglichst extensiv auszulegen und alle Formen entwicklungsfähiger extrakorporaler Entitäten in den personellen Schutzbereich dieses Grundrechts einzubeziehen wären.104 Etwas salopp könnte man ein solches me101 Leisner, Lebensrecht, in: ders./Goerlich, Recht auf Leben, S. 5, 43 f.; Reis, Lebensrecht des ungeborenen Kindes, S. 134; zuletzt Roth-Stielow, ZRP 2002, 530. 102 So zuletzt auch S. Schneider, Präimplantationsdiagnostik und Schwangerschaftsabbruch, in: H.-L. Schreiber/H. Rosenau u. a. (Hrsg.), Recht und Ethik im Zeitalter der Gentechnik, 2004, S. 193, 196. 103 Vgl. BVerfGE 6, 55, 72; 32, 54, 71; 39, 1, 38. Zur Einordnung des Effektivitätsarguments als Spielart der teleologischen Auslegung Herdegen, JZ 2004, 873, 875. 104 Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 59; ders., Von Menschen und Personen, in: D. Dörr/U. Fink u. a. (Hrsg.), Festschrift für Hartmut Schiedermair, 2001,

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

thodisches Vorgehen wie folgt beschreiben: Da wir nicht wissen, ob mit „jeder“ in Art. 2 II 1 Alt. 1 GG auch der extrakorporale Embryo gemeint ist, beziehen wir ihn „zur Sicherheit“ auf jeden Fall mit ein. Dieser aus der teleologischen Auslegung herausentwickelte Standpunkt des „in dubio pro embryone“ entspricht einer tutioristischen105 Argumentationslinie in den Ethikwissenschaften, wonach allein aus Vorsichtsgründen extrakorporale Entitäten als moralisch berücksichtigenswert zu gelten haben.106 b) Kritik am tutioristischen Effektivitätsargument So verlockend die Nutzung dieses tutioristischen Effektivitätsarguments im verfassungsrechtlichen Kontext auch sein mag, so verfehlt muß es bei näherer Betrachtung doch bereits im Ansatz erscheinen. Für die vorliegende Konstellation extrakorporalen menschlichen Lebens ist dabei auf mindestens zwei Problempunkte hinzuweisen: Die erste Kritik betrifft die im Effektivitätsargument zum Ausdruck kommende Anwendung der teleologischen Auslegungsmethode an sich: Entgegen der von ihren Protagonisten vorgetragenen Behauptung, man habe das Ergebnis durch Ermittlung von Sinn und Zweck („Telos“107) der Norm erzielt, drängt sich eher der Eindruck auf, daß man gerade bei der Frage der Grundrechtsträgerschaft extrakorporaler Entitäten eine bereits vorher feststehende Auslegung lediglich in die Norm hineingelesen hat.108 Denn nur wer (aus anderen Gründen) diese Entitäten als Grundrechtsträger ansieht, wird für eine derart extensive Interpretation des „jeder“ in Art. 2 II 1 GG plädieren und umgekehrt. Diese Art der teleologischen Auslegung ähnelt also letztlich mehr einer Sinngebung als einer Sinnermittlung und stellt bei Lichte betrachtet nichts anderes als eine klassische Petitio principii dar.109

S. 363, 372 f.; T. Geddert-Steinacher, Gentechnische Entgrenzung des Menschenbildes?, in: W. März (Hrsg.), An den Grenzen des Rechts, 2003, S. 19, 30 f.; R. Grote/D. Kraus, Fälle zu den Grundrechten, 2. Aufl. 2001, S. 140 f.; Paul, Möglichkeiten und Grenzen, S. 60 ff. 105 Von lat. tutior (Komp. von tutus) = sicherer. 106 Dazu eingehend Knoepffler, Menschenwürde, S. 74 ff. Die Begrifflichkeit im juristischen Kontext verwendend U. Schroth, Forschung mit embryonalen Stammzellen und Präimplantationsdiagnostik im Lichte des Rechts, JZ 2002, 170, 176, sowie H. Schütze, Die Bedeutung von Statusargumenten für das geltende deutsche Recht, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 5 (2002), 305, 309. 107 Von griech. tÝloò [télos] = Ziel. 108 Mit Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 28 und 33 f. Dieser Vorwurf greift einen Aspekt der grundsätzlichen Kanones-Kritik, die sog. Fiktion eines immanenten Norminhalts (siehe oben § 9 A. I. 1.), wieder auf. Vgl. dazu auch Müller/Christensen, Juristische Methodik I, Rdnr. 364. 109 Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 28.

§ 9 Theoretische Begründung

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Der zweite Kritikpunkt an dieser Form teleologischer Auslegung geht in eine andere Richtung: Von seinem Denkansatz her resultiert das dargestellte tutioristische Effektivitätsargument aus einem urliberal-klassischen Verständnis der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat, wonach in Zweifelsfällen die Freiheitssphäre des Bürgers zu Lasten des grundrechtseinschränkenden Staates auszudehnen ist („in dubio pro libertate“).110 Bei der Verhinderung von Eingriffen Dritter in mögliche Grundrechte extrakorporaler Entitäten geht es jedoch nicht mehr um diese negative Abwehr-, sondern ganz im Gegenteil um die positive Schutzgewährperspektive der Grundrechte.111 In einer solchen Konstellation bedeutet die staatliche Schutzgewährung für den extrakorporalen Embryo immer zugleich einen Eingriff in anderes Grundrecht (z. B. die Wissenschaftsfreiheit), womit sich die bei der Abwehrkonstellation vorhandene Zweiseitigkeit des Rechtsverhältnisses zu einer Dreieckskonstellation erweitert: Der ursprüngliche Schutz vor dem Eingriff wird zum Schutz durch Eingriff.112 Eine extensive, d. h. „wirkkräftige“ Grundrechtsinterpretation auf der einen Seite des Dreiecks führt damit automatisch zu einer Verminderung der juristischen Wirkkraft auf der anderen Seite, mit dem „in dubio pro embryone“ korrespondiert – im Fall des Art. 5 III GG – ein „in dubio contra scientiam“.113 Graphisch läßt sich

110 Zur dieser klassischen Grundrechtsfunktion siehe G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 94 ff. Aus neuerer Zeit R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 2. Aufl. 1994, S. 174 ff. und 233 ff.; J. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und staatliche Schutzpflicht, in: ders./P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 2. Aufl. 2000, § 111 Rdnr. 37 ff. 111 Zu grundrechtlichen Schutzpflichten allgemein J. Dietlein, Die Lehre von den Schutzpflichten, 1992; H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Band I, 2. Aufl. 2004, Vorbem. Rdnr. 101 ff.; Isensee, Grundrecht als Abwehrrecht, in: ders./ Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 111 Rdnr. 77 ff.; H. Klein, Die grundrechtliche Schutzpflicht, DVBl. 1994, 489; C. Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, 1994, S. 46 ff. 112 Hierzu grundlegend R. Wahl/J. Masing, Schutz durch Eingriff, JZ 1990, 553, 556. 113 So auch Sacksofsky, Der verfassungsrechtliche Status, S. 10 f. Wenn man demgegenüber bei Art. 5 III GG einen engen Wissenschaftsbegriff vertritt, der eine forschungsbedingte Inanspruchnahme fremder Rechtsgüter von vornherein nicht umfaßt, wäre durch die Rückwirkung auf die Freiheit der Fragestellung und Methode auch dieser enge Gewährleistungsgehalt von Art. 5 III GG berührt (R. Wahl, Freiheit der Wissenschaft als Rechtsproblem, Freiburger Universitätsblätter 95 [1987], 19, 34; ihm folgend E.-W. Böckenförde, Schutzbereich, Eingriff, verfassungsimmanente Schranken, Der Staat 42 [2003], 165, 184 f.). Dezidiert gegen einen engen Wissenschaftsbegriff E. Iliadou, Forschungsfreiheit und Embryonenschutz, 1999, S. 87 ff. und 106, sowie K.-A. Schwarz, Strafrechtliche Grenzen der Stammzellenforschung?, MedR 2003, 158, 160 f. – Vgl. allgemein zur aktuellen Debatte in der Grundrechtsdogmatik um weite Schutzbereiche versus enge Gewährleistungsgehalte einerseits W. Kahl, Vom weiten Schutzbereich zum engen Gewährleistungsgehalt, Der Staat 43 (2004), 167, sowie andererseits Böckenförde, Der Staat 42 (2003), 165.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

dieses aus der Schutzgewährperspektive resultierende Dreiecksverhältnis wie in Übersicht 8 veranschaulichen.

Staat

Schutz extrakorporale Entität

durch

Eingriff

drohende Rechts- Wissenschaftler verletzung

Übersicht 8: Trianguläre Schutzgewährkonstellation

Durch die trianguläre Schutzgewährkonstellation wird also mit einem einseitigen tutioristischen Effektivitätsargument nicht viel gewonnen, sondern nur das Potential von Grundrechtskollisionen erhöht. Zu Recht hat deshalb auch Matthias Herdegen darauf verwiesen, daß eine solche primär am „effet utile“ orientierte teleologische Auslegung von Grundrechtsnormen ihre frühere Anziehungskraft mittlerweile verloren hat.114 Zusammenfassend bleibt daher zu konstatieren, daß eine am vermeintlichen „Telos“ des Art. 2 II 1 Alt. 1 GG orientierte Begründung der Grundrechtsträgerthese zu extrakorporalem menschlichem Leben nicht überzeugen kann. Da wie gesehen auch mit der historisch-genetischen Auslegung kein eindeutiges Ergebnis zu erreichen ist, müssen normtextorientierte Argumentationsstrategien insgesamt als nicht zielführend gelten. Um dieses Ergebnis mit einer Wendung Reinhard Merkels zu formulieren: Das Grundgesetz selbst schweigt zu der Frage eines subjektiv-grundrechtlichen Status des menschlichen Embryos (hier aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG).115

114 Herdegen, JZ 2004, 873, 875. Ähnlich Ossenbühl, Grundsätze der Grundrechtsinterpretation, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte I, § 15 Rdnr. 22. 115 Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 34.

§ 9 Theoretische Begründung

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II. Judikaturorientierte Argumentationsstrategien zur Grundrechtsträgerschaft bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG Angesichts dieses Non-liquet-Befundes hat sich die verfassungsrechtliche Statusdebatte schon früh von der Primärebene (Normtext) auf die Sekundärebene (Judikatur des Bundesverfassungsgerichts) verlagert. Zur Begründung und – noch viel stärker – zur Ablehnung der Grundrechtsträgerthese zu extrakorporalem menschlichem Leben standen dabei aufgrund der Sachnähe stets die beiden Urteile zur Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs vom 25. Februar 1975 (BVerfGE 39, 1) sowie 28. Mai 1993 (BVerfGE 88, 203) im Zentrum der Auseinandersetzungen. 1. Strukturmerkmale von BVerfGE 39, 1 und BVerfGE 88, 203 – der sog. Grundwiderspruch Ohne die inzwischen fast unüberschaubar gewordene Kommentarfülle zu diesen beiden Schlüsselentscheidungen bundesdeutscher Verfassungsrechtsprechung hier auch nur annähernd rezipieren zu können,116 soll doch auf einige Strukturmerkmale im Begründungsgang der Urteile aufmerksam gemacht werden, die für die juristische Bioethikdebatte in der Folgezeit zentrale Bedeutung erlangt haben: a) Die Grundsatzfeststellungen zum Status des Nasciturus In den Grundsatzpassagen der Entscheidung von 1975, auf die im Urteil von 1993 vollumfänglich verwiesen wird,117 trifft das Gericht zunächst die Feststellung, daß vorgeburtliches Leben in den Grundrechtsschutz aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG einbezogen sei.118 Zur Begründung wird die normtextorientierte Auslegung (s. o.) schulmäßig durchdekliniert und dabei sowohl mit historisch-genetischen119 als auch teleologischen120 Auslegungsgehalten operiert. Beide Argumentationslinien werden durch Begründungselemente aus der „KIP-Trias“121 ergänzt, von denen das Kontinuitätsargument vor allem im ersten Urteil eine herausragende Rolle spielt: 116 Eine gute Literaturübersicht zu beiden Normenkontrollverfahren findet sich bei W. Gropp, in: W. Joecks/K. Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band III, 2003, vor §§ 218 ff. (Literaturübersicht D.). Vgl. zusammenfassend zum zweiten Verfahren insbesondere auch C. Starck, Der verfassungsrechtliche Schutz ungeborenen menschlichen Lebens, JZ 1993, 816. 117 BVerfGE 88, 203, 251 f. 118 BVerfGE 39, 1, 36 ff. 119 BVerfGE 39, 1, 38 ff. 120 BVerfGE 39, 1, 37 f. (hier insbesondere das o. g. Effektivitätsargument). 121 Dazu eingehend unten § 9 A. III.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

„Leben im Sinne der geschichtlichen Existenz eines menschlichen Individuums besteht nach gesicherter biologisch-physiologischer Erkenntnis jedenfalls vom 14. Tage nach der Empfängnis (Individuation) an . . . Der damit begonnene Entwicklungsprozeß ist ein kontinuierlicher Vorgang, der keine scharfen Einschnitte aufweist und eine genaue Abgrenzung der verschiedenen Entwicklungsstufen des menschlichen Lebens nicht zuläßt.“122

Das Identitäts- und auch das Potentialitätsargument liegen hingegen eher der zweiten Entscheidung zugrunde, wenn es heißt: „Jedenfalls in der so [d. h. vom Abschluß der Nidation bis zum Beginn der Geburt, T. H.] bestimmten Zeit der Schwangerschaft handelt es sich bei dem Ungeborenen um individuelles, in seiner genetischen Identität und damit Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit bereits festgelegtes, nicht mehr teilbares Leben, das im Prozeß des Wachsens und Sich-Entfaltens sich nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch entwickelt.“123

Trotz dieser auf den ersten Blick klaren Positionierung zugunsten des Nasciturus wird im Urteil von 1975 die Beantwortung der Frage, ob dieser aus dem Grundrecht des Art. 2 II 1 Alt. 1 GG auch subjektiv berechtigt – mit anderen Worten: Grundrechtsträger – ist, ausdrücklich offengelassen: „Hingegen braucht die im vorliegenden Verfahren wie auch in der Rechtsprechung und im wissenschaftlichen Schrifttum umstrittene Frage nicht entschieden zu werden, ob der nasciturus selbst Grundrechtsträger ist oder aber wegen mangelnder Rechts- und Grundrechtsfähigkeit ,nur‘ von den objektiven Normen der Verfassung in seinem Recht auf Leben geschützt wird.“124

Bereits die vom Gericht gewählte Formulierung ist dabei jedoch mehr als mißverständlich. Denn was sollte mit „seinem Recht auf Leben“ anderes gemeint sein als eine subjektive Rechtsinhaberschaft?125 Diese mindestens unpräzise Wortwahl findet sich auch an anderen Stellen im Urteil, etwa wenn festgestellt wird, daß „jeder“ im Sinne von Art. 2 II 1 GG auch das noch ungeborene menschliche Wesen sei.126 Würde man das Gericht hier beim Wort nehmen und zugleich die nach eigener Diktion immerhin mögliche Nichtgrundrechtsträgerschaft des Nasciturus unterstellen, hätte man Schwierigkeiten beim Verständnis des Satzes „Jeder hat das Recht auf Leben . . .“; denn die Annahme eines „jeder“ erster Klasse (Grundrechtsträger) und eines „jeder“ zweiter Klasse (Nicht122

BVerfGE 39, 1, 37 (Hervorh. T. H.). BVerfGE 88, 203, 251 f. (Hervorh. T. H.). Das Potentialitätsargument spielt ansonsten eher bei Art. 1 I GG eine Rolle, vgl. BVerfGE 39, 1, 41: „Die von Anfang an im menschlichen Sein angelegten potentiellen Fähigkeiten genügen, um die Menschenwürde zu begründen.“ (Hervorh. T. H.). 124 BVerfGE 39, 1, 41. Ebenso BVerfGE 45, 376, 386. Im zweiten Schwangerschaftsurteil findet sich zur Frage der Grundrechtsträgerschaft keine explizite Aussage mehr. 125 Mit Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 46. 126 BVerfGE 39, 1, 37. 123

§ 9 Theoretische Begründung

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grundrechtsträger) erscheint wenig plausibel. Fairerweise muß man jedoch hinzufügen, daß die Maßstabsäußerungen des ersten Urteils auch Formulierungen enthalten, die eher gegen eine Grundrechtsträgerschaft des Nasciturus sprechen. Dies betrifft etwa die Aussage, daß Art. 2 II 1 Alt. 1 GG das sich im Mutterleib entwickelnde Leben als „selbständiges Rechtsgut“ schütze,127 worin gerade keine volle Subjektstellung vorgeburtlichen Lebens zum Ausdruck kommt.128 Insgesamt ist aber der Vorwurf nicht von der Hand zu weisen, daß das Bundesverfassungsgericht seine Position der expliziten Nichtfestlegung auf eine subjektive Grundrechtsberechtigung mindestens sprachlich nicht konsequent durchgehalten hat.129 b) Die Schlußfolgerungen zur rechtlichen Zulässigkeit des Schwangerschaftsabbruchs Völlig anders als diese Maßstabsäußerungen zum Status des Nasciturus lesen sich dann die vom Gericht jeweils gezogenen Schlußfolgerungen zur rechtlichen Zulässigkeit des Schwangerschaftsabbruchs: Hatten die Grundsatzfeststellungen im Jahr 1975 noch dazu geführt, die vorgelegte Fristenlösung zu verwerfen, weil die effektive Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht zugunsten des sich entwickelnden Lebens als Ultima ratio auch den Einsatz des Strafrechts erfordere,130 ging man 1993 bekanntlich einen anderen Weg. Obwohl das Gericht an der grundsätzlichen Rechtwidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in allen Entwicklungsphasen festhielt, kam es zu dem Schluß, daß es dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht verwehrt sei, zu einem Schutzkonzept für ungeborenes Leben überzugehen, bei dem der Schwerpunkt auf Beratung und Hilfe anstelle von Strafe gelegt werde.131 Im Ergebnis wurde damit die Fristenlösung grundsätzlich akzeptiert und der Schutz des Nasciturus in den ersten zwölf Wochen nach Empfängnis auf die Verpflichtung der Schwangeren reduziert, bei einem Beratungsgespräch physisch anwesend zu sein, womit ihr faktisch die Letztentscheidung über die Fortführung der Schwangerschaft überlassen wurde.132 In einem späteren Urteil vom 27. Oktober 1998 unterstellte das Gericht die ärztliche Tätigkeit dieses „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs überdies noch dem Grundrechtsschutz aus Art. 12 I GG.133

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BVerfGE 39, 1, 36. Dazu ausführlich Faßbender, NJW 2001, 2745, 2750. 129 Die Unklarheit in diesem Punkt betont auch Enders, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz I, Art. 1 Rdnr. 118. 130 BVerfGE 39, 1, 45 ff. 131 BVerfGE 88, 203, 204 (Ls. 4 und 11). 132 BVerfGE 88, 203, 270 spricht selbst von „Letztverantwortung“. 133 BVerfGE 98, 265, 296 ff. 128

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

Die sich daraus ergebende Diskrepanz zwischen den Grundsatzfeststellungen beider Urteile zum verfassungsrechtlichen Status des Nasciturus und den rechtlichen Schlußfolgerungen im Votum von 1993 ist in der Folgezeit stets als unauflöslicher Grundwiderspruch bzw. fundamentale Inkonsistenz des in Deutschland geltenden Rechtsregimes zum Schwangerschaftsabbruch gebrandmarkt worden.134 Wie verstörend dieses Urteil bis heute auch in außerjuristischen Kreisen wahrgenommen wird, mag das Zitat eines Mitglieds des Nationalen Ethikrats, des Berliner Philosophen Volker Gerhardt, beleuchten, der schreibt: „Zuerst wird auf höchster Ebene festgestellt, worin die Verletzung eines Grundrechts besteht, und dann wird ausdrücklich auf die gebotene Strafe verzichtet . . . Das Verfassungsgerichtsurteil verfehlt somit seine Absicht, den Embryo wirksam zu schützen, vollkommen. Es destabilisiert die Geltungskraft des Rechts und nährt Zweifel an der Ausgangsbedingung einer Moral, deren Ziel in der Sicherung der personalen Integrität des Menschen besteht.“135

So nachvollziehbar eine solche Kritik auch sein mag, darf man doch die vom Bundesverfassungsgericht 1993 im Grunde nicht leistbare Quadratur des Kreises nie aus dem Auge verlieren: Im Gegensatz zu manchen Verfassungsgerichten im Ausland, die etwa zur gleichen Zeit über die Zulässigkeit von Fristenlösungen zu befinden hatten,136 hatte man sich in der Karlsruher Entscheidung von 1975 beim Grundrechtsstatus des Nasciturus sehr weit vorgewagt. Diese Positionen konnten 18 Jahre später natürlich nicht einfach preisgegeben werden. Gleichzeitig sah man sich aber vor die Aufgabe gestellt, zum gesellschaftlichen Rechtsfrieden beizutragen und deshalb die aufgrund der Wiedervereinigung sowie mangelnder Akzeptanz in weiten Kreisen der Bevölkerung notwendig gewordene Abkehr vom Indikationenmodell nicht völlig zu verwerfen. Man kann an der Entscheidung von 1993 deshalb viel kritisieren – ihre Aufgabe, einen Beitrag zum gesellschaftlichen Rechtsfrieden in Deutschland zu leisten, hat sie jedenfalls erfüllt, was sich schon daran ablesen läßt, daß es bis heute in allen

134 Diese Kritik der inneren Widersprüchlichkeit wird sowohl von Gegnern wie Befürwortern einer liberalen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs erhoben (stellvertretend für die Gegner C. Hillgruber, Zehn Jahre zweites Abtreibungsurteil [BVerfGE 88, 203] – Bilanz und Ausblick, ZfL 2003, 38, 47; für die Befürworter R. Merkel, Forschungsobjekt Embryo, 2002, S. 52 f. u. ö.). Vgl. zum Grundwiderspruch auch W. Heun, Menschenwürde und Lebensrecht als Maßstab für die PID, in: A. GethmannSiefert/S. Huster (Hrsg.), Recht und Ethik in der Präimplantationsdiagnostik, 2005, S. 69, 75; R. Wahl, Humangenetik als Problem nationaler Grund- und internationaler Menschenrechte, in: P. Barcellona/A. Carino (Hrsg.), I diritti umani tra politica, filosofia e storia, Band II, 2003, S. 301, 313, sowie K. Lackner, in: ders./Kühl (Hrsg.), Strafgesetzbuch. Kommentar, 25. Aufl. 2004, vor § 218 Rdnr. 10. 135 V. Gerhardt, Die angeborene Würde des Menschen, 2004, S. 14. 136 Vgl. etwa die völlig andersartige Entscheidung des französischen Conseil Constitutionnel vom 15.1.1975 zum Gesetz über die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs vom 17.1.1975 (EuGRZ 1975, 54) mit ausführlicher Darstellung bei Haßmann, Embryonenschutz, S. 166 ff.

§ 9 Theoretische Begründung

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maßgeblichen politischen Lagern einen breiten Konsens gibt, das seither geltende Schwangerschaftsregime137 unangetastet zu lassen. Für die hier interessierende Frage nach der Grundrechtsträgerschaft extrakorporalen menschlichen Lebens bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG sind natürlich nicht diese rechtsfriedenstiftenden Wirkungen des Urteils, sondern seine grundrechtsdogmatischen Inhalte relevant. Was ergibt sich also aus dieser Judikatur für die Grundrechtsträgerthese zu Art. 2 II 1 Alt. 1 GG? 2. Unmittelbar ableitbare Aussagen für eine Grundrechtsträgerschaft extrakorporalen menschlichen Lebens? Soweit ersichtlich, wird in der verfassungsrechtlichen Statusdebatte von niemandem behauptet, aus der Karlsruher Rechtsprechung zum Schwangerschaftsabbruch ließen sich unmittelbare rechtliche Schlußfolgerungen für eine Grundrechtsträgerschaft extrakorporalen menschlichen Lebens bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG ableiten.138 Protagonisten der Grundrechtsträgerthese vertreten hier vielmehr die Auffassung, daß ihre Konzeption den dargestellten Entscheidungen nicht widerspreche bzw. logisch auf deren argumentativer Linie liege.139 Naturgemäß stützt man sich dabei vornehmlich auf die Grundsatzfeststellungen zum Status des Nasciturus (oben 1 a)) und knüpft vor allem an folgende Passage aus dem zweiten Schwangerschaftsurteil an: „Es bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung, ob, wie es Erkenntnisse der medizinischen Anthropologie nahelegen, menschliches Leben bereits mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle entsteht . . . Jedenfalls in der . . . Zeit der Schwangerschaft handelt es sich bei dem Ungeborenen um individuelles, in seiner genetischen Identität und damit in seiner Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit bereits festgelegtes, nicht mehr teilbares Leben, das im Prozeß des Wachsens und Sich-Entfaltens sich nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch entwickelt.“140

Die Verwendung der Begriffe „jedenfalls“ und „wie es die Erkenntnisse der medizinischen Anthropologie nahelegen“ seien so zu verstehen, daß nach dem Duktus des Urteils auch pränidatives Leben von Anbeginn unter dem Schutz der Verfassung stehe141 bzw. das Gericht vorsichtig für den Einbezug des Em-

137

Abgedruckt im Anhang IV. Statt aller Sacksofsky, Der verfassungsrechtliche Status, S. 8: „Diese Frage ist vom Bundesverfassungsgericht unmittelbar noch nicht entschieden worden.“ 139 Benda, NJW 2001, 2147, 2148; E.-W. Böckenförde, Das Tor zu Selektion ist geöffnet. Gespräch mit H. Graupner, in: C. Geyer (Hrsg.), Biopolitik. Die Positionen, 2001, S. 112, 113; Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik, S. 183; Hillgruber, ZfL 2003, 38, 47; Sacksofsky, Der verfassungsrechtliche Status, S. 15 („nach konsequent weitergedachter Position des Bundesverfassungsgerichts“). 140 BVerfGE 88, 203, 251 f. (Hervorh. T. H.). 141 Z. B. Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik, S. 183. 138

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

bryos in vitro in den Grundrechtsschutz aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG plädiert habe.142 Manchem Autor unterläuft bei dieser Schlußfolgerung jedoch schon ein bemerkenswerter Zitierfehler:143 So wird in BVerfGE 88, 203, 251 gerade nicht auf „die Erkenntnisse der medizinischen Anthropologie“, sondern lediglich auf „Erkenntnisse der medizinischen Anthropologie“ verwiesen, was eher im Sinne von „manche (gewisse) Erkenntnisse“ zu lesen ist und andere entgegengesetzte Erkenntnisse nicht ausschließt. Des weiteren handelt es sich bei den herangezogenen Urteilspassagen nur um Obiter dicta, also um Ausführungen, die gemäß § 31 BVerfGG keine Verbindlichkeit gegenüber dem Gesetzgeber beanspruchen können.144 Im Hinblick auf den limitierten Entscheidungsrahmen der Karlsruher Abtreibungsrechtsprechung begegnet die Ableitung allzu weitreichender Schlußfolgerungen auf die hier interessierende Problematik auch grundsätzlichen Bedenken: Das Bundesverfassungsgericht hatte mit seinen damaligen Grundsatzfeststellungen nur über intrakorporales, im Wege der Befruchtung entstandenes und unbegrenzt entwicklungsfähiges menschliches Leben im Postnidativstadium befunden. Ob und inwieweit sich die Erwägungen auch auf extrakorporales, teils durch Zellkerntransfer entstandenes und teils nur begrenzt entwicklungsfähiges Leben (vgl. oben §§ 2–4) übertragen lassen, ist zumindest zweifelhaft und bedarf für jedes der vorgebrachten Argumente einer gesonderten Prüfung.145 3. Unmittelbar ableitbare Aussagen gegen eine Grundrechtsträgerschaft extrakorporalen menschlichen Lebens? Etwas anders sieht es möglicherweise auf der anderen Seite der Meinungsskala aus, nämlich bei denjenigen Autoren, die sich grundsätzlich gegen eine Grundrechtsträgerschaft extrakorporaler Entitäten bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG aussprechen. Unter ihnen gibt es Stimmen, die die Auffassung vertreten, aus der dargestellten Judikatur, insbesondere den Schlußfolgerungen zur Zulässigkeit des Schwangerschaftsabbruchs (oben 1 b)), ließe sich unmittelbar und mit logischer Notwendigkeit ablesen, daß vorgeburtliches menschliches Leben in all seinen Erscheinungsformen kein Grundrechtsträger (hier bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG) sein könne. Dabei ist man sich aber nur im Ergebnis, nicht jedoch in der Begründung einig, so daß mindestens zwei divergierende Argumentationslinien zu unterscheiden sind:

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Sacksofsky, Der verfassungsrechtliche Status, S. 9. Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik, S. 182 f. 144 Dies sehen auch Böckenförde-Wunderlich (Präimplantationsdiagnostik, S. 183) und Sacksofsky (Der verfassungsrechtliche Status, S. 9). 145 Siehe hinsichtlich der normtextorientierten Argumente oben § 9 A. I. und hinsichtlich der ethikorientierten KIP-Argumente unten § 9 A. III. 143

§ 9 Theoretische Begründung

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a) Die These vom rein objektiv-rechtlichen Grundrechtsschutz (Faßbender, Ipsen) Eine erste Auffassung, vertreten vor allem von Kurt Faßbender146 und Jörn Ipsen147, versucht, den dargestellten Grundwiderspruch im Urteil von 1993 dadurch aufzulösen, daß sie dem Gericht unterstellt, es sei – trotz teils mißverständlicher Formulierungen – gerade nicht von einer Grundrechtsträgerschaft des Embryos (hier bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG) ausgegangen: „Diejenigen, die dem zweiten Abtreibungsurteil attestieren, es leide unter einem ,unauflöslichen Widerspruch‘, [gehen] implizit und im Ergebnis fälschlich davon aus, der Rekurs des BVerfG auf das ,Lebensrecht des Ungeborenen‘ sei als eine subjektiv-rechtliche Grundrechtsverbürgung zu verstehen.“148

Die in der Entscheidung vorgenommene grundsätzliche Billigung der Fristenlösung könne eben nur dann als verfassungsrechtlich konsistent angesehen werden, wenn man die Grundrechtsträgerschaft des Embryos verneine, wobei sich die mangelnde subjektive Berechtigung aber nicht als Konsequenz aus dem Urteil ergebe, sondern von diesem vielmehr denknotwendig vorausgesetzt sei: „Dem Embryo – in vitro wie in utero – ist die Grundrechtssubjektivität nicht deshalb abzusprechen, weil der einfache Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Prämissen straffrei gestellt hat. Es verhält sich vielmehr umgekehrt: Die Straflosigkeit der Abtreibung . . . setzt notwendig voraus, daß dem Embryo keine Grundrechtssubjektivität zukommt.“149

Der über Art. 2 II 1 Alt. 1 GG vermittelte Schutz sei folglich rein objektivrechtlicher Natur, da insoweit für den gebotenen staatlichen Schutz andere – nämlich im Ergebnis geringere – Maßstäbe gälten.150 Nur in dieser Form sei das Dispositionsrecht der Mutter über den Nasciturus im Schwangerschaftskonflikt verfassungsrechtlich haltbar, während eine solche Verfügungsbefugnis mit einer Grundrechtssubjektivität des Embryos niemals in Einklang zu bringen wäre.151 Im Gegensatz zu Ipsen möchte Faßbender diesen rein objektiv-rechtlichen Schutz des Embryos grundrechtsdogmatisch sogar als Fall grundrechtlicher Drittwirkungen verstanden wissen.152

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K. Faßbender, Präimplantation und Grundgesetz, NJW 2001, 2745, 2749 ff. J. Ipsen, Der „verfassungsrechtliche Status“ des Embryos in vitro, JZ 2001, 989, 994 ff.; ders., Zur Zukunft der Embryonenforschung, NJW 2004, 268; ders., Verfassungsrecht und Biotechnologie, DVBl. 2004, 1381, 1384 ff. 148 Faßbender, NJW 2001, 2745, 2750 (Hervorh. im Original); ähnlich Ipsen, JZ 2001, 989, 994 und ders., DVBl. 2004, 1381, 1385. 149 Ipsen, DVBl. 2004, 1381, 1384 (Hervorh. im Original); ähnlich ders., NJW 2004, 268, 268 f. 150 Faßbender, NJW 2001, 2745, 2750. 151 Ipsen, NJW 2004, 268, 269; ders., DVBl. 2004, 1381, 1385. 147

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

Die These vom rein objektiv-rechtlichen Charakter vorgeburtlichen Lebensschutzes, mit dem das Karlsruher Urteil von 1993 seiner Widersprüchlichkeit enthoben werden soll, ist vielleicht vom Ansatz löblich, im Ergebnis jedoch nicht überzeugend. Zunächst muß man die einfache Frage stellen, warum das Bundesverfassungsgericht, wenn es denn den Lebensschutz des Nasciturus, wie Faßbender und Ipsen unterstellen, nur objektiv-rechtlich verstanden wissen wollte, dies nicht auch klar und deutlich gesagt hat. Warum sollte das Gericht diesen wichtigen Punkt im ersten Urteil explizit offenlassen bzw. sich hier sibyllinisch ausdrücken und ihn im zweiten Urteil gar nicht mehr aufgreifen, obwohl es sich dabei doch offensichtlich um den dogmatischen Kern seiner gesamten Argumentation handelt? Wollen Faßbender und Ipsen dem Gericht tatsächlich unterstellen, es habe den zentralen dogmatischen Schlüssel zu einer widerspruchsfreien Lösung der verfassungsrechtlichen Schwangerschaftsproblematik in seiner Bedeutung gar nicht erkannt? Das mag man kaum glauben, sondern es für wesentlich wahrscheinlicher halten, daß der von den beiden Staatsrechtlern angebotene Ansatz zu Art. 2 II 1 Alt. 1 GG allein einer eigenen Idee entsprungen ist, die der Karlsruher Entscheidung nachträglich untergeschoben wurde. Doch noch in einem anderen Punkt überzeugt dieser Versuch, das Gericht um jeden Preis vor dem Verdikt einer widersprüchlichen Entscheidung zu bewahren, nicht. Denn weder Faßbender noch Ipsen machen deutlich, weshalb die dargestellte Diskrepanz im zweiten Urteil nicht auch anders hätte beseitigt werden können, nämlich dergestalt, daß der Nasciturus zwar durchaus Grundrechtsträger wäre, das Gericht aber falsche Schlüsse hinsichtlich der Rechtsfolgen für den Schwangerschaftsabbruch gezogen hätte.153 Um hier nicht mißverstanden zu werden: Auch dies ist keine zwingende Konsequenz aus dem Urteil und ein mindestens ebenso gewichtiger Vorwurf wie derjenige, die fehlende Grundrechtsträgerschaft des Nasciturus in seiner Bedeutung verkannt zu haben. Das Argument soll jedoch zeigen, daß die von Faßbender und Ipsen vorgenommene „Auflösung“ der Widersprüchlichkeit in eine Richtung sich keinesfalls mit der behaupteten logischen Notwendigkeit ergibt, sondern sich mit gleichem Recht auch in die genau andere Richtung bewerkstelligen ließe.

152 Faßbender, NJW 2001, 2745, 2750. Hierzu kritisch Merkel (Forschungsobjekt Embryo, S. 49), der zu Recht bemerkt, daß Drittwirkungen zwingend eine Beziehung zwischen zwei Grundrechtsträgern voraussetzen. 153 Diesen Vorwurf erhebt z. B. Hillgruber, Recht und Ethik, in: de Wall/Germann, Festschrift Link, S. 637, 650 f. Zur hier vorgetragenen Kritik an Faßbender und Ipsen vgl. auch Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 52.

§ 9 Theoretische Begründung

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b) Die These vom derogierten Grundrechtsschutz (Merkel) Aus eben diesen Gründen geht ein anderer prominenter Vertreter der Nichtgrundrechtsträgerthese, der Strafrechtler und Rechtsphilosoph Reinhard Merkel, einen völlig anderen Weg.154 Er erkennt die Widersprüchlichkeit zwischen Grundsatzfeststellungen und rechtlichen Schlußfolgerungen im zweiten Abtreibungsurteil an und zieht gerade aus dieser Widersprüchlichkeit seine verfassungsrechtlichen Schlüsse. Dabei spitzt er die Karlsruher Grundsatzfeststellungen zum Status des Nasciturus zunächst dahingehend zu, daß er – insbesondere unter Verweis auf einige Passagen in BVerfGE 88, 203155 – von einer Grundrechtsträgerschaft vorgeburtlichen Lebens ausgeht.156 Im weiteren Verlauf seiner Argumentation listet Merkel dann minutiös alle mit dieser Grundrechtsträgerschaft und der daraus abgeleiteten Rechtswidrigkeit „beratener“ Schwangerschaftsabbrüche unvereinbaren Maßgaben des Urteils auf, so etwa die Wirksamkeit des Abtreibungsvertrags zwischen Arzt und Schwangerer,157 das Verbot der Nothilfe zugunsten des Embryos,158 der Anspruch der Schwangeren auf Lohnfortzahlung159 usw.160 Im Hinblick auf die faktische Geltung von Rechtsnormen entwickelt Merkel hieraus seine zentrale These: Durch den offensichtlichen Widerspruch zwischen der postulierten Grundrechtsträgerschaft des Embryos und dessen gleichzeitiger faktischen Schutzlosigkeit durch den straffreien Schwangerschaftsabbruch habe das Bundesverfassungsgericht diese Grundrechtsträgerschaft selbst derogiert161, da unterhalb einer Minimalschwelle die soziale Wirksamkeit jeder Rechtsnorm ende:162 „Zwar hat [das Bundesverfassungsgericht, T. H.] in den Leitsätzen seiner beiden Abtreibungsurteile den Status des Embryos als einer grundrechtlich geschützten 154 R. Merkel, Embryonenschutz, Grundgesetz und Ethik, in: W. Schweidler/H. Neumann/E. Brysch (Hrsg.), Menschenleben – Menschenwürde, 2003, S. 151, 153 ff.; ders., Forschungsobjekt Embryo, passim; ders., Verbot der Präimplantationsdiagnostik: Zur Frage der rechtlichen und ethischen Legitimation, in: E. Klein/C. Menke (Hrsg.), Menschenrechte und Bioethik, 2004, S. 111, 120 ff. 155 Hier insbesondere BVerfGE 88, 203 (1. Ls.): „Die Rechtsordnung muß die rechtlichen Voraussetzungen seiner Entfaltung im Sinne eines eigenen Lebensrechts des Ungeborenen gewährleisten. Dieses Lebensrecht wird nicht erst durch die Annahme seitens der Mutter begründet.“ (Hervorh. T. H.). 156 Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 53. Hierzu kritisch D. v. der Pfordten, Zum Schutz des Embryos vor gentechnischen Veränderungen durch politische Ethik und Verfassungsrecht, in: W. Schweidler/H. Neumann/E. Brysch (Hrsg.), Menschenleben – Menschenwürde, 2003, S. 175, 184 ff., insbes. 187. 157 BVerfGE 88, 203, 295. 158 BVerfGE 88, 203, 279 159 BVerfGE 88, 203, 324. 160 Zu den weiteren Maßgaben siehe Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 64 ff. 161 Von lat. derogare = absprechen, entziehen. 162 Merkel, Embryonenschutz, in: Schweidler/Neumann/Brysch, Menschenleben, S. 151, 159.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

Rechtsperson bestimmt. Zugleich hat es eine Rechtslage mitgestaltet und für Staat und Gesellschaft zwangsverbindlich durchsetzen geholfen, die einen solchen Status für den Embryo definitiv ausschließt.“163

Und an anderer Stelle heißt es ergänzend: „Nach geltendem Recht [ist, T. H.], wie wir gesehen haben, die Abtreibung rechtmäßig. Daraus folgt, daß der Embryo bei seiner Tötung im Schwangerschaftskonflikt nicht als Rechtsperson mit Grundrechten behandelt, sondern aus dem Bereich der Grundrechte exkludiert wird. Und dies bedeutet zugleich, daß er nach geltendem Recht nirgendwo Inhaber der Grundrechte auf Leben und Achtung seiner Menschenwürde sein kann.“164

Natürlich hat diese mit großer Verve vorgetragene Derogationsthese Merkels auf breiter Front zur Kritik herausgefordert. Von den zahlreichen Angriffsflächen, die seine Argumentation bietet, erscheinen vor allem zwei Punkte besonders wichtig: Zunächst ist zu fragen, inwieweit das Bundesverfassungsgericht Verfassungsnormen – hier Art. 2 II 1 Alt. 1 GG – überhaupt selbst derogieren kann, mit anderen Worten, inwieweit die Verfassung selbst überhaupt zur Disposition des Verfassungsgerichts steht. Christian Hillgruber vertritt hier die Auffassung, daß dem Gericht bei seinem zweiten Schwangerschaftsurteil lediglich ein „Subsumtionsfehler“ unterlaufen sei, der die Gültigkeit der vorherigen Grundsatzfeststellungen keinesfalls aufheben könne. Die von Merkel behauptete Grundrechtsderogation sei nichts anderes als ein auf die Spitze getriebener Verfassungsgerichtspositivismus bzw. blanker Rechtsnihilismus.165 Wenngleich diese Kritik, die das, was für Merkel die Annahme einer Grundrechtsderogation rechtfertigt, zu einem simplen Subsumtionsfehler herunterspielt, kaum überzeugt – immerhin entscheidet Karlsruhe verfassungsrechtliche Zweifelsfragen mit Gesetzeskraft (vgl. § 31 II BVerfGG) –, ist der Auffassung doch in einem anderen Punkt energisch zu widersprechen: Wie gesehen, will Merkel seine Derogationsthese ohne Unterschied auf alle Embryonen, seien sie intra- oder extrakorporal, ausgedehnt wissen.166 Bei genauerer Betrachtung resultiert der von ihm so brillant formulierte Grundwiderspruch in BVerfGE 88, 203 aber ausschließlich aus den Besonderheiten der In-vivo-Situation des Embryos, nämlich aus dessen durch die singuläre „Zweiheit in Einheit“ bedingten Nichtverfügbarkeit. Selbst wenn Merkels These also richtig wäre und das Bundesverfassungsgericht die Grundrechtsberechtigung des In-vivo-Embryos tatsächlich derogiert hätte, wäre damit für extrakorporale Entitäten noch keinerlei

163 164 165 166

Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 267. Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 110 (Hervorh. T. H.). Hillgruber, ZfL 2003, 38, 48. Vgl. dazu obiges Zitat in Fußn. 164 („nirgendwo“).

§ 9 Theoretische Begründung

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Vorentscheidung getroffen. Beide Situationen sind schlicht nicht vergleichbar oder besser: normativ nicht gleichsetzbar.167 Die gänzliche Andersartigkeit beider Situationen ergibt sich im übrigen noch aus einer anderen Überlegung: Bekanntlich spielte für die Entscheidung von 1993 auch die Tatsache eine Rolle, daß die Möglichkeit der tatsächlichen Durchsetzung eines weitgehenden Abtreibungsverbots mangels gesellschaftlicher Akzeptanz schnell an ihre Grenzen gelangen muß.168 Sicherlich existiert keine Norm im deutschen Strafrecht, die seit ihrer Einführung vor über 130 Jahren so beharrlich mißachtet und bekämpft wurde wie gerade § 218 StGB. Die Zahl von ca. 130.000 Schwangerschaftsabbrüchen pro Jahr169 belegt deutlich, daß eine effektive staatliche Gewährleistung verfassungsrechtlichen Schutzes für vorgeburtliches Leben in vivo kaum möglich ist. Totaliter aliter bei Invitro-Embryonen: Niemand würde hier derzeit an der praktischen Durchsetzbarkeit strafrechtlicher Verbote ernsthafte Zweifel hegen. So ist es in den 15 Jahren seit Bestehen des Embryonenschutzgesetzes noch nicht einmal zu einer strafrechtlichen Verurteilung gekommen; Gleiches gilt für das wesentlich jüngere Stammzellgesetz. Die einzige bisher in Deutschland erhobene Anklage wegen Verstoßes gegen § 1 I ESchG (die am Ende nicht zu einer Verurteilung führte) stammte nicht zufällig aus der Feder eines Staatsanwalts, der als sachverständiges Mitglied der Bundestags-Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ zugleich einer der profiliertesten Experten auf dem Gebiet der Rechtsfragen der Bioethik ist (Rainer Beckmann).170 Auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Normakzeptanz ergeben sich also gravierende Unterschiede zwischen In-vivo- und In-vitro-Embryonen, die eine pauschale Gleichbehandlung nicht angezeigt sein lassen. Merkel versucht diesen Einwand der Sondersituation des Schwangerschaftskonflikts dadurch zu entkräften, daß er darauf verweist, daß das fundamentale Lebensgrundrecht situativen Differenzierungen nicht zugänglich sei, wenn man nicht Lebensgrundrechte erster und zweiter Klasse schaffen wolle.171 Wäre die 167 Mit E. Benda, Das Verhältnis von Menschenwürde und Lebensrecht, in: E. Klein/C. Menke (Hrsg.), Menschenrechte und Bioethik, 2004, S. 49, 54; B. Büchner, Keine Rechte für menschliche Embryonen?, ZfL 2003, 12, 13; Hillgruber, Recht und Ethik, in: de Wall/Germann, Festschrift Link, S. 637, 651; Kersten, Klonen, S. 567; v. der Pfordten, Zum Schutz des Embryos, in: Schweidler/Neumann/Brysch, Menschenleben, S. 175, 193. 168 BVerfGE 88, 203, 266. Vgl. dazu auch Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik, S. 193 und 233 ff., sowie die weiteren Nachweise in Fußn. 581. 169 Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 2004, 2004, S. 230 (2002: 130.387 Abbrüche; 2003: 128.030 Abbrüche). 170 Die Angaben hinsichtlich der Anklage beruhen auf einer persönlichen Auskunft von Rainer Beckmann gegenüber dem Verfasser. 171 Merkel, Verbot der Präimplantationsdiagnostik, in: Klein/Menke, Menschenrechte, S. 111, 128.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

darin zum Ausdruck kommende These einer grundsätzlichen Unmöglichkeit kontextabhängiger Differenzierungen beim Lebensrecht aber richtig, müßte sich Merkel die Frage gefallen lassen, warum nach seiner Logik überhaupt noch geborene Menschen als Grundrechtsträger anzusehen sind (was Merkel ersichtlich nicht leugnet). Weshalb wären mit der Exklusion aller Embryonen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG durch BVerfGE 88, 203 nicht auch alle geborenen Menschen gleich mit exkludiert?172 An dieser Zuspitzung erkennt man, daß genau das Gegenteil richtig sein muß: Gerade beim Lebensrecht sind – etwa im Gegensatz zur Menschenwürde – kontextabhängige Einschränkungen denkbar, ohne daß sich allein daraus eine zwingende Vorentscheidung für oder gegen die mögliche Grundrechtsberechtigung der Betroffenen ableiten ließe.173 In diesem Sinne konstatiert Dietmar v. der Pfordten auch völlig zutreffend: „Die These, dem Embryo käme kein Lebensrecht zu, weil die Konfliktlösung in bestimmten Fällen zu seinen Lasten ausgeht und ihn sein Leben kostet, ist ebenso plausibel wie die These, einem Eigentümer käme kein Eigentumsrecht nach Art. 14 GG zu, weil das Eigentum in bestimmten Fällen enteignet werden kann.“174

Zusammenfassend bleibt damit festzuhalten: Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht mit BVerfGE 88, 203 tatsächlich die Grundrechtsträgerschaft des Nasciturus derogiert hätte, ergäbe dies für die vorliegende Problematik der subjektiven Berechtigung extrakorporaler Entitäten aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG noch rein gar nichts. Betrachtet man abschließend alle dargestellten judikaturorientierten Argumentationsstrategien zu Art. 2 II 1 Alt. 1 GG noch einmal gemeinsam, so fällt auf, daß sich in ihnen immer wieder zwei Grundfehler manifestieren: Zum einen werden nicht eindeutige Urteilspassagen von BVerfGE 39, 1 und 88, 203 bewußt zu einer vermeintlichen Eindeutigkeit zugespitzt, obwohl diese Passagen – hier insbesondere die Feststellungen zur möglichen Grundrechtssubjektivität des Nasciturus – eine solche Zuspitzung gerade nicht erlauben. Zum anderen zieht man aus den im eng limitierten Entscheidungsrahmen des Schwangerschaftskonflikts getroffenen Urteilserwägungen allzu weitreichende Schlüsse auf die völlig andersartigen Sachverhalte der zahlreichen Erscheinungsformen extrakorporalen menschlichen Lebens (oben §§ 2–4). Damit bleiben die Myriaden von Bemühungen, beiden Urteilen letztgültige Aussagen für oder gegen die Grundrechtsträgerschaft solcher Entitäten bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG abzugewinnen, allesamt erfolglos und die schlichte Einschätzung der ehemaligen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach richtig:

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Vgl. Büchner, ZfL 2003, 12, 13. Zu den Einschränkungskategorien des Art. 2 II 1 Alt. 1 bei geborenem Leben vgl. etwa Hartleb, NJW 2005, 1397, 1398 ff. 174 v. der Pfordten, Zum Schutz des Embryos, in: Schweidler/Neumann/Brysch, Menschenleben, S. 175, 193. 173

§ 9 Theoretische Begründung

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„Beide Urteile gestatten keine Aussage darüber, wie das Bundesverfassungsgericht den Grundrechtsstatus eines in vitro gezeugten Embryos beurteilen wird; denn beide Entscheidungen bezogen sich [nur, T. H.] auf die Erzeugung herkömmlicher Art.“175

III. Ethikorientierte Argumentationsstrategien zur Grundrechtsträgerschaft bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG Da somit weder normtextorientierte noch judikaturorientierte Argumentationsstrategien weiterführen, kommt die verfassungsrechtliche Analyse nicht umhin, sich jenseits ihres ureigenen Terrains umzusehen und außerjuristische, hier speziell in den Ethikwissenschaften entwickelte Begründungsmuster heranzuziehen. 1. Von der SKIP-Quadrologie in den Ethikwissenschaften zur KIP-Trilogie im Verfassungsrecht Zur Lösung der parallelen Extensionsproblematik, also der Frage, wer als „Mensch“ im moralischen Sinn zu gelten hat,176 haben sich in den Ethikwissenschaften im Laufe jahrzehntelanger Debatten vier „klassische“ Argumente herausgebildet, die zusammenfassend auch als sog. SKIP-Quadrologie bezeichnet werden. Dabei ist mit dem Kürzel • S: das Speziesargument (= S-Argument), • K: das Kontinuitäts- oder Kontinuumsargument (= K-Argument), • I: das Identitätsargument (= I-Argument) und • P: das Potentialitätsargument (= P-Argument) gemeint.177 Obwohl im ethischen Kontext über diese vier Argumente hinaus gelegentlich noch andere Begründungsmuster eine Rolle spielen,178 muß die „SKIP-Quadrologie“ doch als zentraler Argumentationskern der philosophischen 175 Eröffnungsrede auf dem IPPNW-Kongreß „Medizin und Gewissen“ vom 24.– 27.5.2001 in Erlangen (zitiert von Knoepffler, Menschenwürde, S. 22). 176 Zum Begriff „Extensionsproblematik“ siehe Knoepffler, Menschenwürde, S. 19 und 49. 177 Zur diesbezüglichen philosophisch-ethischen Literatur vor allem Damschen/ Schönecker, Der moralische Status, passim; daneben Gerhardt, Die angeborene Würde, S. 146 ff.; C. Kaminsky, Embryonen, Ethik und Verantwortung, 1998, S. 87 ff.; Knoepffler, Menschenwürde, S. 56 ff.; C. Kummer, Läßt sich ein Zeitpunkt für den Beginn des personalen Menschseins angeben?, in: F. Oduncu/U. Schroth/W. Vossenkuhl (Hrsg.), Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen, 2002, S. 148, 149 ff. Vgl. auch Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 128 ff. m. w. N. 178 Diese sind übersichtlich zusammengefaßt bei Knoepffler, Menschenwürde, S. 70 ff.; speziell zum Klonen auch Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 117 ff.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

Debatte um den moralischen Status menschlicher Embryonen gelten.179 Wie im Verlauf der Untersuchung bereits mehrfach angedeutet, sind diese SKIP-Argumente mitsamt ihrer philosophischen Tradition in der juristischen und speziell verfassungsrechtlichen Statusdebatte um extrakorporales menschliches Leben rezipiert worden. Wie bei jeder Rezeption erfolgte dabei aber natürlich keine Ein-zu-eins-Umsetzung, sondern eine spezifische Adaption zum Zwecke juristischer Argumentation, die durch mindestens zwei Besonderheiten gekennzeichnet ist: a) Präzisierung der verfassungsrechtlichen Fragestellung Die SKIP-Quadrologie findet in den Ethikwissenschaften sehr unterschiedliche Verwendung: Teils wird mit ihr für oder gegen die Zuschreibung eines moralischen Lebensrechts,180 teils für oder gegen die Zuschreibung von Menschenwürde181 argumentiert. Darüber hinaus erfolgt meist keine nähere Spezifizierung des Untersuchungsgegenstands; so ist in entsprechenden Abhandlungen oft nur undifferenziert vom „menschlichen Embryo“182 oder „menschlichen Keim“183 die Rede, ohne eventuelle Besonderheiten der Extrakorporalität, atypischen Entstehungsart oder begrenzten Entwicklungsfähigkeit zu thematisieren. Für die vorliegende verfassungsrechtliche Problematik der Grundrechtsträgerschaft muß die Fragestellung also zunächst dahingehend präzisiert werden, daß mit Hilfe der rezipierten SKIP-Argumente zu analysieren ist, inwieweit die in §§ 2–4 vorgestellten Prototypen extrakorporalen menschlichen Lebens als „jeder“ im Sinne von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG verstanden werden müssen.184 b) Verfassungsrechtliche Irrelevanz des Speziesarguments Im Gegensatz zu drei übrigen Begründungsmustern (Kontinuität, Identität und Potentialität) hat das in der Ethikdebatte mit seinen verschiedenen Nuancie179 Mit G. Damschen/D. Schönecker, Argumente und Probleme in der Embryonendebatte – ein Überblick, in: dies. (Hrsg.), Der moralische Status menschlicher Embryonen, 2003, S. 1. 180 Z. B. Kaminsky, Embryonen, S. 87; Kummer, Zeitpunkt, in: Oduncu/Schroth/ Vossenkuhl, Stammzellenforschung, S. 148, 149; Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 130. 181 Z. B. Damschen/Schönecker, Argumente und Probleme, in: dies., Der moralische Status, S. 1; Knoepffler, Menschenwürde, S. 56. 182 Z. B. Damschen/Schönecker, Argumente und Probleme, in: dies., Der moralische Status, S. 1; Gerhardt, Die angeborene Würde, S. 143; Kaminsky, Embryonen, S. 87. 183 Knoepffler, Menschenwürde, S. 56. 184 Vgl. A. Wolf, Staatliche Steuerung der Biotechnologie am Beispiel des Klonens von Menschen, 2005, S. 169 ff. Für diejenigen, die mit Art. 1 I GG argumentieren, stellt sich die entsprechende Frage beim dortigen Begriff „Mensch“ (so z. B. Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 185).

§ 9 Theoretische Begründung

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rungen wichtige Speziesargument (S-Argument),185 nach welchem allein die Zugehörigkeit zur menschlichen Spezies186 zur Begründung der moralischen Schutzwürdigkeit von Embryonen ausreicht, kein verfassungsrechtliches Pendant. Verfassungsrechtlich stellt die Artspezifität im Sinne einer Vorauswahl zwar so etwas wie eine notwendige Bedingung für eine mögliche Einbeziehung in den Grundrechtsschutz dar, da nichtmenschliche Entitäten von vornherein niemals grundrechtlich, sondern allenfalls über die Staatszielbestimmung des Art. 20 a GG geschützt wären.187 Im Unterschied zu den Ethikwissenschaften, wo insbesondere in der speziesistisch-kausalen Variante des Speziesarguments die behauptete Äquivalenzbeziehung zwischen der biologischen Tatsache der Spezieszugehörigkeit und der normativen Zubilligung moralischer Schutzwürdigkeit problematisiert wird („Sein-Sollen-Fehlschluß“),188 bedarf eine entsprechende Äquivalenzbeziehung aus verfassungsrechtlicher Sicht keiner näheren Begründung: Als Konsequenz einer jahrhundertelangen menschenrechtlichen Tradition189 erweist sich das Grundgesetz vielmehr insofern als manifestierter „Speziesismus“,190 als es an zahlreichen Stellen die alleinige Tatsache des Menschseins als Anknüpfungspunkt für Grundrechtsschutz festschreibt (z. B. bei Art. 1 I GG und Art. 3 I GG, indirekt aber auch bei allen „Jedermann-Grundrechten“ wie Art. 2 GG, Art. 5 GG usw.). Alle Grundrechte, so auch der hier interessierende Art. 2 II 1 Alt. 1 GG, schützen aber im Sinne einer Grundrechtsträgerschaft nicht jedes artspezifische Leben, sondern nur individualisiertes artspezifisches Leben, dessen Vorliegen im vorliegenden Kontext gerade fraglich ist.191 Art. 2 II 1 Alt. 1 GG setzt so185 G. Damschen/D. Schönecker (In dubio pro embryone, in: dies. [Hrsg.], Der moralische Status menschlicher Embryonen, 2003, S. 187, 199 ff.) unterscheiden sogar drei Varianten des S-Arguments (speziesistisch-kausal, nichtspeziesistisch-kausal, nichtspeziesistisch-kriteriell). 186 Die hier häufig anzutreffende Bezeichnung „Gattungszugehörigkeit“ ist insofern ungenau, als der Mensch (homo sapiens sapiens) keine Gattung, sondern eine Art bzw. Unterart bildet (vgl. Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 70, 85, dort Fußn. 70). 187 Es ist ganz h. M., daß sich der verfassungsrechtliche Tierschutz auch nicht mittelbar aus Art. 1 I GG ergibt, das Grundgesetz also anthropozentrisch ausgerichtet ist (statt aller Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 121 f.). 188 Damschen/Schönecker, In dubio pro embryone, in: dies., Der moralische Status, S. 187, 200 ff. 189 Vgl. Art. 1 II GG: „Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ (Hervorh. T. H.). 190 W. Höfling, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2003, Art. 1 Rdnr. 47. 191 Dazu eingehend W. Heun, Gattungszugehörigkeit oder Personsein als Anknüpfungspunkt der Menschenrechte?, in: E. Klein/C. Menke (Hrsg.), Menschenrechte und Bioethik, 2004, S. 24, 34 ff.; M. Anderheiden, „Leben“ im Grundgesetz, KritV 84 (2001), 353, 380.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

mit undefiniert und unhinterfragt einen individualisierten Menschstatus („jeder“) voraus, ohne selbst Anhaltspunkte für eine entsprechende Definition zu geben.192 Der Verweis auf die Artspezifität ist deshalb allenfalls eine notwendige, keinesfalls aber hinreichende Bedingung für die verfassungsrechtliche Statusbestimmung, weshalb das Speziesargument im grundrechtlichen Kontext in der Regel auch nicht verwendet wird. Im Ergebnis hat dies zur Folge, daß sich die ursprüngliche „SKIP-Quadrologie“ der Ethikwissenschaften vorliegend auf eine „KIP-Trilogie“ reduziert. c) Relevanzunterschiede bei den verbleibenden KIP-Argumenten Im verfassungsrechtlichen (wie im übrigen auch im ethischen) Kontext sind diese drei verbleibenden Argumente aber nicht von gleicher Relevanz. Allen dreien ist zunächst gemeinsam, daß sie eine logisch-gedankliche Brücke zwischen der zu bewertenden extrakorporalen Entität und einem späteren Entwicklungsstadium, in der Regel einem geborenen Menschen, herstellen und daraus spezifische normative Schlüsse ableiten. Von dieser gedanklichen Brücke ist das Potentialitätsargument der mit Abstand stärkste Stützpfeiler und wird deshalb im folgenden auch an erster Stelle behandelt, während das Kontinuitätsargument und das Identitätsargument allenfalls ergänzende „Hilfsstreben“ darstellen.193 Bei der Analyse aller drei KIP-Argumente soll folgende gedankliche Struktur maßgebend sein: Zunächst wird der Inhalt des jeweiligen Arguments im verfassungsrechtlichen Kontext erläutert, anschließend seine Anwendbarkeit auf die in §§ 2–4 dargestellten drei Prototypen extrakorporalen menschlichen Lebens überprüft und zuletzt die spezifisch juristische Kritik auf ihre Schlüssigkeit untersucht. Beim letzten Punkt hat es sich angesichts der Komplexität der vorgebrachten Einwände als sinnvoll erwiesen, jeweils zwischen einer Kritik, die die Voraussetzungen des Arguments angreift (Prämissenkritik), und einer Kritik, die die normativen Schlußfolgerungen in Frage stellt (Konklusionskritik), zu differenzieren. 2. Das verfassungsrechtliche Potentialitätsargument Von allen drei KIP-Argumenten kann das Potentialitätsargument auf die historisch längste Tradition zurückblicken. In seiner Begrifflichkeit bis in die 192 Heun, JZ 2002, 517, 520; ders., Gattungszugehörigkeit, in: Klein/Menke, Menschenrechte, S. 24, 36. 193 B. Schöne-Seifert, Contra Potentialitätsargument, in: G. Damschen/D. Schönekker (Hrsg.), Der moralische Status menschlicher Embryonen, 2003, S. 169. Ähnlich Damschen/Schönecker (In dubio pro embryone, in: dies., Der moralische Status, S. 187, 215 und 222), die das Kontinuitäts- und Identitätsargument alleine für überhaupt nicht tragfähig halten.

§ 9 Theoretische Begründung

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Antike zurückverfolgbar, wurde es von philosophischer Seite schon vor über 30 Jahren in die angloamerikanische Abtreibungsdiskussion eingebracht194 und von dort aus z. B. von Anton Leist195 für die deutsche Bioethikdebatte rezipiert. Im Anschluß an die Karlsruher Urteile zum Schwangerschaftsabbruch196 fand es schließlich auch Eingang in den verfassungsrechtlichen Statusdiskurs um extrakorporales menschliches Leben und stellt seither so etwas wie das argumentative Fundament des Grundrechtsträgerkonzepts dar.197 Wie Merkel zutreffend bemerkt hat, spielt das juristische P-Argument gerade bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG eine „ganz erhebliche, wenngleich noch niemals genauer geklärte Rolle“.198 a) Inhalt des verfassungsrechtlichen Potentialitätsarguments Als Beitrag zu einer solchen Klärung soll zunächst genauer bestimmt werden, was mit dem verfassungsrechtlichen Potentialitätsargument überhaupt gemeint ist. Im Sinne des Grundrechtsträgerkonzepts ließe sich eine entsprechende juristische Potentialitätsthese etwa wie folgt formulieren: Eine entwicklungsfähige extrakorporale menschliche Entität hat das dispositionelle Vermögen zur Ausbildung von Fähigkeiten geborener Menschen und ist deshalb in gleicher Weise Grundrechtsträger bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG („jeder“).199 – Wie man an dieser Formulierung erkennt, setzt sich das verfassungsrechtliche Potentialitätsargument aus mehreren Teilen zusammen: Zentraler Anknüpfungspunkt ist zunächst das Vorliegen entwicklungsbiologischer Totipotenz („eine entwicklungsfähige extrakorporale menschliche Entität“).200 Wie im naturwissenschaftlichen Teil eingehend dargelegt,201 geht die 194 Vgl. zur frühen Auseinandersetzung mit diesem Argument M. Tooley, Abortion and infanticide, Philosophy and Public Affairs 2 (1972), 37, 56 ff. („potentiality principle“). Ein wichtiger philosophischer Beitrag zum Potentialitätsargument erschien von S. Buckle, Arguing from potential, in: P. Singer/H. Kuhse u. a. (Hrsg.), Embryo experimentation, 1990, S. 90 ff. Zur weiteren angloamerikanischen Literatur Damschen/ Schönecker, In dubio pro embryone, in: dies., Der moralische Status, S. 187, 222 (dort Fußn. 61). 195 A. Leist, Eine Frage des Lebens, 1990, S. 83 ff. 196 BVerfGE 39, 1, 41; 88, 203, 251 f.; siehe auch oben § 9 A. II. 1. a). 197 Z. B. Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 192 ff.; Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 216; Kersten, Klonen, S. 544 ff.; Starck, JZ 2002, 1065, 1068 f. 198 R. Merkel, Früheuthanasie: rechtsethische und strafrechtliche Grundlagen ärztlicher Entscheidungen über Leben und Tod in der Neonatalmedizin, 2001, S. 477. 199 In Anlehnung an Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 197. 200 Die fundamentale Relevanz des Totipotenzkriteriums wird z. B. auch betont von Damschen/Schönecker, In dubio pro embryone, in: dies., Der moralische Status, S. 187, 228, sowie Nationaler Ethikrat, Klonen, S. 72. 201 Siehe oben § 4 C. II.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

vorliegende Untersuchung dabei trotz aller aktuellen Unsicherheiten beim entwicklungsbiologischen Totipotenzbegriff von einer nach wie vor bestehenden Definitionsmöglichkeit und damit Unterscheidungsfunktion dieses Terminus aus.202 Die Bejahung entwicklungsbiologischer Totipotenz allein sagt jedoch über die verfassungsrechtliche Bewertung der entsprechenden Entität noch nichts aus. Hinzukommen müssen vielmehr normative Gesichtspunkte, die anknüpfend an diese biologische Eigenschaft begründen können, weshalb etwa eine einzelne totipotente Zelle ein „jeder“ im Sinne von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG ist. Diese normative Begründung vollzieht sich im Potentialitätsargument in zwei Schritten, nämlich mittels eines spezifischen Begriffs von Potentialität einerseits (dazu nachfolgend aa)) und einer Gleichsetzung von Potentialität und Aktualität andererseits (dazu nachfolgend bb)). aa) Spezifischer Begriff von Potentialität (= Potentialität i. e. S.) Das Potentialitätsargument kann als Zuschreibungskriterium für normativen Schutz nur genügen, wenn ein spezifisches Verständnis von Potentialität (Potentialität i. e. S.) zugrunde gelegt wird, das zahlreiche ebenfalls denkbare Begriffsverwendungen ausscheidet: (1) Potentialität i. e. S. als logische Möglichkeit (Possibilität)? Dabei ist mit Potentialität i. e. S. nicht eine bloß logische Möglichkeit (Possibilität) gemeint, d. h. die widerspruchsfrei denkbare Möglichkeit, daß ein bestimmtes Ereignis, hier die Ausbildung von Fähigkeiten geborener Menschen, eintritt.203 Mit dieser Definition von Potentialität würde der Begriff nahezu ins Uferlose ausgedehnt und seine normative Abgrenzungsfunktion verlorengehen. Denn natürlich besitzen auch menschliche Keimzellen oder Körperzellen (z. B. bei Anwendung der dargestellten Reprogrammierungstechniken)204 die logische Möglichkeit, sich zu einem geborenen Menschen zu entwickeln. Sie deswegen normativ mit einem menschlichen Embryo gleichzustellen, macht aber ersichtlich wenig Sinn.205 202

Mit Kersten, Klonen, S. 548. Damschen/Schönecker, In dubio pro embryone, in: dies., Der moralische Status, S. 187, 224 f.; Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 162; M. Kaufmann, Potentialität und Wahrscheinlichkeit, Jahrbuch für Recht und Ethik 10 (2002), 99, 104 f.; Buckle, Arguing from potential, in: Singer/Kuhse u. a., Embryo experimentation, S. 90, 94. 204 Siehe oben § 3 B. I. 205 Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 192 f.; Heun, Menschenwürde und Lebensrecht, in: Gethmann-Siefert/Huster, Recht und Ethik in der Präimplantationsdiagnostik, S. 69, 82. 203

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(2) Potentialität i. e. S. als statistische Wahrscheinlichkeit (Probabilität)? Mit Potentialität i. e. S. ebenfalls nicht gemeint ist eine statistische Wahrscheinlichkeit (Probabilität), also eine quantitativ meßbare Möglichkeit der jeweils betrachteten Entität zur Menschentwicklung.206 Zwar wäre die statistische Wahrscheinlichkeit etwa einer Zygote, Fähigkeiten eines geborenen Menschen auszubilden, sicherlich wesentlich größer als die einer menschlichen Keimzelle.207 Gleichwohl überzeugt eine rein quantitative Betrachtung, die die Bewertung von zahlreichen externen Kriterien abhängig machen müßte (etwa dem Transferwillen der Frau), als normatives Kriterium kaum, wird bei der Potentialität doch gerade nach intrinsischen (substantiellen) Eigenschaften der untersuchten Entität gefragt.208 Welche statistischen Wahrscheinlichkeiten für die Menschentwicklung sollten im übrigen gelten, und wie wären diese überhaupt meßbar?209 (3) Potentialität i. e. S. als dispositionelles Vermögen? Im vorliegenden Kontext einzig sinnvolle Definition von Potentialität i. e. S. ist deshalb die dispositionelle Möglichkeit zur Menschentwicklung, verstanden als anlagebedingtes (inhärentes) Vermögen einer extrakorporalen Entität zur Ausbildung jener Fähigkeiten, die geborene Menschen auszeichnen. Der so spezifizierten Potentialitätsdefinition liegt eine begriffliche Unterscheidung zwischen „Vermögen“ und „Fähigkeit“ zugrunde: In Anlehnung an Gregor Damschen und Dieter Schönecker210 dient dabei der Terminus „dispositionelle Möglichkeit“ als gemeinsamer Oberbegriff; unter „Vermögen“ wird dann die dispositionelle Möglichkeit verstanden, bestimmte spätere Fähigkeiten auszubilden, während mit „Fähigkeit“ die dispositionelle Möglichkeit, bestimmte Handlungen zu realisieren, gemeint ist. Um diesen Unterschied an einem Beispiel zu erläutern: Ein gesunder Mensch hat anlagebedingt – etwa im Gegensatz zu einer Katze – das Vermögen, eine menschliche Sprache zu erlernen, mithin eine dispositionelle Möglichkeit zum Spracherwerb. Nach erfolgtem tatsächlichem 206 Damschen/Schönecker, In dubio pro embryone, in: dies., Der moralische Status, S. 187, 225 f. 207 So beträgt die statistische Wahrscheinlichkeit eines menschlichen Spermiums zur Menschentwicklung nur etwa 1:200.000.000. 208 Damschen/Schönecker, In dubio pro embryone, in: dies., Der moralische Status, S. 187, 225 f.; Heun, Menschenwürde und Lebensrecht, in: Gethmann-Siefert/Huster, Recht und Ethik in der Präimplantationsdiagnostik, S. 69, 82. Dies übersieht H. Engelhardt (The foundation of bioethics, 2. Aufl. 1996, S. 142), wenn er für die Relevanz der Probabilität plädiert. 209 Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 193. 210 Damschen/Schönecker, In dubio pro embryone, in: dies., Der moralische Status, S. 187, 226 f.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

Spracherwerb hat dieser Mensch neben diesem Vermögen zusätzlich noch die dispositionelle Fähigkeit, die erlernte Sprache auch zu sprechen. – Graphisch läßt sich die terminologische Differenzierung beim Potentialitätsbegriff insgesamt wie in Übersicht 9 veranschaulichen.

Potentialität i. w. S.

logische Möglichkeit (= Possibilität)

statistische Wahrscheinlichkeit (= Probabilität)

dispositionelle Möglichkeit

Vermögen (= Potentialität i. e. S.)

Fähigkeit

Übersicht 9: Terminologische Differenzierung beim Potentialitätsbegriff (nach Damschen/Schönecker, 2003)

bb) Normative Gleichsetzung von Potentialität und Aktualität Nach dem Potentialitätsargument des Grundrechtsträgerkonzepts reicht nun allein dieses im Zeitpunkt t1 vorhandene Vermögen zur Ausbildung von Fähigkeiten zum späteren Zeitpunkt t2 aus, um bereits im Zeitpunkt t1 eine vollständige normative Gleichbehandlung der entsprechenden Entität mit ihrem späteren Entwicklungszustand zu legitimieren.211 Das „Defizit“ der aktual noch nicht 211 Vgl. Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 194: „Auf den Embryo übertragen ergibt sich, daß er die dispositionelle Möglichkeit zur Ausbildung jener Fähigkeiten hat, die auch geborene Menschen auszeichnen, und deshalb genauso wie ein geborener Mensch behandelt werden muß.“ (Hervorh. T. H.). Zur Gleichheitsargumentation auch Schöne-Seifert, Contra Potentialitätsargument, in: Dam-

§ 9 Theoretische Begründung

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vorhandenen Fähigkeiten wird somit durch das anlagebedingte Vermögen, diese Fähigkeiten irgendwann ausbilden zu können, kompensiert; auf eine mathematische Kurzformel gebracht, gilt: Potentialität (t1) = Aktualität (t2). Diese normative Gleichsetzung kann logisch nur damit begründet werden, daß bei der Menschentwicklung bereits die Erreichung der Potentialität als der grundlegende Schritt oder entscheidende qualitative Sprung angesehen wird, demgegenüber alle weiteren Entwicklungsschritte bis zur Ausbildung der Aktualität nur noch sekundäre Entfaltungsvorgänge darstellen.212 Nichts anderes soll im übrigen auch mit der bekannten Formulierung des Bundesverfassungsgerichts von der „Entwicklung als Mensch“ im Gegensatz zur „Entwicklung zum Menschen“213 zum Ausdruck gebracht werden. b) Aristotelisch-thomistische Tradition des verfassungsrechtlichen Potentialitätsarguments Das in diesem Sinne zuerst in den Ethikwissenschaften entwickelte und dann vom Verfassungsrecht rezipierte Potentialitätsargument greift historisch auf eine weit zurückreichende Tradition zurück, die als „Akt-Potenz-Problem“ in die Philosophiegeschichte eingegangen und vor allem mit zwei Namen verbunden ist: Aristoteles (384–322 v. Chr.) und Thomas von Aquin (ca. 1225–1274). Beide Autoren versuchten, in der Natur beobachtete organische Wachstumsvorgänge („Werden“) philosophisch zu deuten, und entwickelten zu diesem Zweck ontologische Potentialitätskonzepte, die letztlich zur Grundlage des heutigen PArguments wurden. Man kann das verfassungsrechtliche Potentialitätsargument des Grundrechtsträgerkonzepts sowie die daran geübte Kritik nur dann richtig einordnen, wenn man sich diese philosophische Tradition zunächst vergegenwärtigt. aa) Das Potentialitätskonzept der „dýnamiò [dynamis]“ bei Aristoteles Das historisch älteste Potentialitätskonzept findet sich bei Aristoteles (384– 322 v. Chr.), der vor allem im IX. Buch seiner „Metaphysik“214 das ontologische Verhältnis von Möglichkeit und Wirklichkeit eingehend analysiert. Nach Aristoteles setzt jedes Werden ein schon Seiendes voraus, das sich aber in schen/Schönecker, Der moralische Status, S. 169, 175, sowie Leist, Eine Frage des Lebens, S. 85. 212 Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 195 f. Vgl. auch E. Schockenhoff, Redebeitrag Nationaler Ethikrat, Niederschrift Sitzung 12.6. 2003, S. 21. 213 BVerfGE 88, 203, 252. 214 Aristoteles, Metaphysik, 2. Halbband, übersetzt von H. Bonitz, eingeleitet und kommentiert von H. Seidl, 3. Aufl. 1991, Buch IX, vor allem Kap. 7.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

bezug auf das Werdende noch in Möglichkeit verhält, da es den Zustand der Wirklichkeit noch nicht erreicht hat.215 Zur Kennzeichnung dieser spezifischen Entwicklungsmöglichkeit bedient sich Aristoteles des von den Vorsokratikern und Platon noch rein physikalisch gebrauchten Begriffes der „dýnamiò“ (urspr. = Kraft) und erweitert diesen zu einer allgemein-ontologischen Bedeutung des Möglichseins.216 Er versteht dabei unter „dýnamiò“ ein inneres Wirkprinzip oder eine innere Wirkursache, wodurch etwas – bei Abwesenheit äußerer Hindernisse – aus sich selbst heraus einen bestimmten Endentwicklungszustand erreichen kann: „Und bei allem, was in dem Möglichen selbst das Prinzip des Entstehens hat, ist dasjenige etwas der Möglichkeit nach, was in Abwesenheit äußerer Hindernisse durch sich selbst (di/ ažto¯) jenes sein wird. Z. B. der Same ist noch nicht der Möglichkeit nach ein Mensch; denn er muß erst noch in ein anderes kommen und sich verändern. Wenn aber etwas schon durch das in ihm liegende Prinzip diese Beschaffenheit hat, dann ist es dies schon der Möglichkeit nach (çdh dunÜmei); jenes dagegen bedarf noch eines anderen Prinzips.“217

Kennzeichnend für diese Aristotelische „dýnamiò“ ist ein auf das Entwicklungsziel der Wirklichkeit ausgerichtetes Bewegungsmoment, das die Möglichkeit zur einer Realmöglichkeit218 („schon der Möglichkeit nach“) macht. Von dieser Realmöglichkeit grenzt Aristoteles die logische Möglichkeit („nur der Möglichkeit nach“) ab, mit der eine Möglichkeit nicht nach dem Vermögen („oð katJ dýnamin“), sondern allein nach der Widerspruchsfreiheit in einer Aussage bzw. allgemein im Denken gemeint ist.219 Bereits in dieser Aristotelischen Unterscheidung zwischen realer und logischer Möglichkeit zeigen sich also die historischen Wurzeln für die dargestellte Differenzierung zwischen Potentialität als dispositionellem Vermögen und Possibilität.220 Als eigentlicher 215 H. Seidl, Art. Möglichkeit, in: J. Ritter/K. Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band VI, 1984, Sp. 76. 216 H. Seidl, Kommentar, in: Aristoteles, Metaphysik, 2. Halbband, übersetzt von H. Bonitz, eingeleitet und kommentiert von H. Seidl, 3. Aufl. 1991, S. 373, 461; ders., Art. Möglichkeit, in: Ritter/Gründer, Historisches Wörterbuch der Philosophie VI, Sp. 72. 217 Aristoteles, Metaphysik IX, Kap. 7, 1049 a, 12 ff. (Hervorh. T. H.). Zitat im Original: „kaÍ Õswn dÌ ™n ažtõ tõ æxonti, Õsa mhdenÎò tµn æcwqen ™mpodßzontoò æstai di/ ažto¯. oôon tÎ spÝrma ojpw. de¦ gJr ™n ållÃw kaÍ metabÜllein. Õtan d/ çdh diJ t‰ò ažto¯ ˜rx‰ò Â÷ toio¯ton, çdh to¯to dunÜmei. ™ke¦no dÊ ŠtÝraò ˜rx‰ò de¦tai.“ 218 So die gängige deutsche Übersetzung für „dýnamiò“, vgl. R. Spaemann/R. Löw, Die Frage Wozu?, 1981, S. 58; Seidl, Art. Möglichkeit, in: Ritter/Gründer, Historisches Wörterbuch der Philosophie VI, Sp. 76 ff. Der Begriff „Realmöglichkeit“ soll die Verbindung zum Entwicklungsziel der Wirklichkeit zum Ausdruck bringen. 219 Z. B. Aristoteles, Metaphysik, 1. Halbband, übersetzt von H. Bonitz, eingeleitet und kommentiert von H. Seidl, 3. Aufl. 1989, Buch V, Kap. 12, 1019 b, 34 ff. Dazu E. Schockenhoff, Ethik des Lebens, 1993, S. 313; Seidl, Art. Möglichkeit, in: Ritter/ Gründer, Historisches Wörterbuch der Philosophie VI, Sp. 75, 79 f.

§ 9 Theoretische Begründung

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Gegenbegriff zur „dýnamiò“ fungiert bei Aristoteles jedoch die „™nÝrgeia [enérgeia]“ bzw. – in synonymer Verwendung221 – die „™ntelÝxeia [entelécheia]“, womit die ontologische Endstufe des beschriebenen Entwicklungsprozesses bezeichnet wird.222 Die Begriffe „™nÝrgeia“ und „™ntelÝxeia“ sind dabei ganz wörtlich zu nehmen und bedeuten ein „Im-Werk-Sein“ bzw. ein „ImEnde-Sein“, was in der deutschen Übersetzung „Wirklichkeit“ noch andeutungsweise zum Ausdruck kommt.223 Die im P-Argument erfolgte normative Gleichsetzung von Realmöglichkeit (Potentialität) und Wirklichkeit (Aktualität)224 wird rezeptionsgeschichtlich zumeist auf die Annahme gestützt, daß bei Aristoteles beide Modalitätsstufen zwei Formen des Seins darstellten bzw. die Realmöglichkeit die erste Stufe dieses Seins repräsentiere, an dessen Ende die Wirklichkeit stehe.225 Durch die starke Betonung der Zielgerichtetheit werde das Noch-nicht-Verwirklichte teleologisch vorweggenommen und damit die Realmöglichkeit allein der Wirklichkeitssphäre zugeordnet.226 Die ausschließliche Zurechnung der Potentialität zur Sphäre des Seienden ist bei Aristoteles gleichwohl nicht so eindeutig, wie dies auf den ersten Blick scheint. In seinem grundlegenden Werk „Möglichkeit und Wirklichkeit“ (1938) betont bereits Nicolai Hartmann die seinsmäßige „Zwitterstellung“ der Aristotelischen Realmöglichkeit, indem er darauf verweist, daß das der Möglichkeit nach Seiende durch sein ausschließliches Angelegtsein auf die erst in Zukunft eintretende Wirklichkeit eine Art defizitären Seinszustand („Halbseiendes“) beinhalte: „Denn nun steht das im Zustand der Dynamis Seiende als ein bloß uneigentlich Seiendes, oder gleichsam Halbseiendes, da. So ist z. B. das Sein des Samens nicht ein in seiner Weise vollwertiges Sein, sondern ein uneigentliches Sein der Pflanze, nämlich ihr bloßes Angelegtsein . . . So führt das Mögliche in der Aristotelischen Welt eine Art Gespensterdasein. Die frei herumlaufenden ,Möglichkeiten‘ sind hier durchaus etwas Reales. Sie mischen sich als Halbseiendes unter das Vollseiende, drängen sich zwischen seine Reihen, sind Glieder in seinen Zusammenhängen und Abhängigkeiten.“227 220

Siehe oben § 9 A. III. 2. a) aa). Seidl, Kommentar, in: Aristoteles, Metaphysik, 2. Hlbbd., S. 373, 468. 222 Aristoteles, Metaphysik IX, Kap. 8, 1050 a, 21 ff. Dazu J. Hirschberger, Geschichte der Philosophie, Band I, 14. Aufl. 1987, S. 207. 223 Vgl. Seidl, Art. Möglichkeit, in: Ritter/Gründer, Historisches Wörterbuch der Philosophie VI, Sp. 77. 224 Siehe oben § 9 A. III. 2. a) bb). 225 Zum Verständnis von Realmöglichkeit und Wirklichkeit bei Aristoteles als zwei Seinsformen Hirschberger, Geschichte der Philosophie I, S. 202; Schockenhoff, Ethik des Lebens, S. 313; Seidl, Kommentar, in: Aristoteles, Metaphysik, 2. Hlbbd., S. 373, 461. 226 Vgl. C. Rehmann-Sutter, Klonierung und Totipotenz, in: L. Honnefelder/D. Lanzerath (Hrsg.), Klonen in biomedizinischer Forschung und Reproduktion, 2003, S. 251, 254. 221

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Im Sinne dieser Beobachtung wird in anderen Analysen die Aristotelische Realmöglichkeit als Noch-nicht-Sein und damit als eine Art des Nichtseins qualifiziert; denn schon aus Gründen der Logik könne schließlich nur das ins Sein kommen, was nicht bereits im Sein sei.228 Untersucht man mit dieser Fragestellung, ob die Aristotelische Realmöglichkeit nun eher dem Sein oder eher dem Nichtseienden zuzurechnen ist,229 die Texte der „Metaphysik“, so erscheint der Befund in der Tat nicht eindeutig. Auf der einen Seite kann die These von der Seinsqualität vor allem darauf gestützt werden, daß Aristoteles selbst an zahlreichen Stellen vom „der Möglichkeit nach Seienden (tÎ dunÜmei én)“ spricht und dieses mit dem „der Wirklichkeit nach Seienden (tÎ ™nergeßÁa én)“ parallelisiert.230 In Met. IX, Kap. 6 wehrt er sich zwar ausdrücklich gegen eine exakte Definition beider Modalitätsstufen, beschreibt sie aber als „Analoges“, das „in einem Blick zusammengeschaut“ werden müsse.231 Johannes Hirschberger weist außerdem darauf hin, daß bei Aristoteles Realmöglichkeit und Wirklichkeit als ineinander verflochten verstanden würden, da alles Wirkliche noch Realmöglichkeiten besitze und alles Realmögliche schon gewisse Wirklichkeiten enthalte.232 Auf der anderen Seite hat etwa Carmen Kaminsky233 auf den in Met. IX, Kap. 8 f. klar zum Ausdruck kommenden zentralen Wesensunterschied zwischen Realmöglichkeit und Wirklichkeit aufmerksam gemacht. Dieser Wesensunterschied zeige sich vor allem darin, daß nach Aristoteles die Realmöglichkeit stets auch die Realisierung ihres Gegenteils enthalte und damit im Vergleich zur Wirklichkeit von ihm als weniger „wertvoll“ angesehen werde: „Daß im Vergleich mit einem tüchtigen Vermögen die wirkliche Tätigkeit besser und wertvoller (beltßwn kaÍ timiwtÝra) ist, erhellt [sich, T. H.] aus folgendem: Was als vermögend bezeichnet wird, das hat gleicherweise das Vermögen zu dem Entgegengesetzten; z. B. wovon man sagt, daß es vermöge gesund zu sein, das vermag auch krank zu sein, und zwar zugleich.“234

227

N. Hartmann, Möglichkeit und Wirklichkeit, 1938, S. 5 f. (Hervorh. T. H.). So J. Stallmach, Dynamis und Energeia, 1959, S. 56 f.; ähnlich Rehmann-Sutter, Klonierung, in: Honnefelder/Lanzerath, Klonen in biomedizinischer Forschung, S. 251, 254. 229 Dieser Streit wurde auch im Nationalen Ethikrat zwischen Schockenhoff und Rehmann-Sutter ausgetragen, vgl. Nationaler Ethikrat, Niederschrift Sitzung 12.6. 2003, S. 21. 230 Z. B. Aristoteles, Metaphysik IX, Kap. 8, 1049 b, 24 ff. 231 Aristoteles, Metaphysik IX, Kap. 6, 1048 a, 37. Dazu Seidl, Kommentar, in: Aristoteles, Metaphysik, 2. Hlbbd., S. 373, 473. 232 Hirschberger, Geschichte der Philosophie I, S. 204. 233 Kaminsky, Embryonen, S. 99 f. 234 Aristoteles, Metaphysik IX, Kap. 9, 1051 a, 4 ff. (Hervorh. T. H.). Zitat im Original: „Õti dÊ kaÍ beltßwn kaÍ timiwtÝra t‰ò spoudaßaò dunÜmewò † ™nÝrgeia, ™k tµnde d‰lon. Õsa gJr katJ tÎ dýnasqai lÝgetai, tažtün ™sti dunatÎn 228

§ 9 Theoretische Begründung

163

In Weiterführung dieser Argumentation vertritt Christoph Rehmann-Sutter sogar die Auffassung, daß Aristoteles die traditionelle Potentialitätskonzeption des Seins durch eine zu starke Betonung des Entelechiegedankens nur fälschlich zugeschrieben wurde, während eine genaue Lektüre seiner Texte eher für eine Potentialitätskonzeption des Nichtseins bzw. Werdens spreche.235 Rehmann-Sutter beruft sich im Kontext der Bioethik vor allem auf folgende Stelle in Met. XIV, Kap. 2: „Nämlich aus dem, was nicht wirklich Mensch ist, aber doch dem Vermögen nach Mensch, wird der Mensch“236,

die eindeutig belege, daß die Aristotelische Realmöglichkeit („dem Vermögen nach Mensch“) der Sphäre des Nichtseins oder genauer des Noch-nicht-Seins („nicht wirklich Mensch ist“) zuzurechnen sei.237 Wie sich diese Passage allerdings mit anderen eher den Seinscharakter der „dýnamiò“ betonenden Textstellen („tÎ dunÜmei én – tÎ ™nergeßÁa én“) (s. o.) verträgt, macht Rehmann-Sutter nicht deutlich. Der insgesamt unklare Textbefund bei Aristoteles zeigt somit, daß der im verfassungsrechtlichen P-Argument verwendete Begriff der Potentialität als dispositionelles Vermögen die philosophische Tradition der Aristotelischen „dýnamiò“ zwar durchaus zutreffend rezipiert, eine daraus abgeleitete normative Gleichsetzung von Potentialität und Aktualität sich aber zumindest nicht zweifelsfrei aus den Quellen ergibt. bb) Das Potentialitätskonzept der „potentia activa“ bei Thomas von Aquin Neben der Aristotelischen Traditionslinie hat das verfassungsrechtliche P-Argument noch eine zweite, ebenfalls wichtige philosophiegeschichtliche Wurzel. Begrifflich klingt die Rezeption dieser zweiten Traditionslinie immer an, wenn deutsche Staatsrechtler zur Begründung der Grundrechtsträgerthese auf die „aktive Potentialität“ des menschlichen Embryos verweisen, so z. B. wenn Christian Starck feststellt:

t˜nantßa, oôon tÎ dýnasqai legümenon giaßnein tažtün ™sti kaÍ tÎ nose¦n kaÍ Ñma.“ Ähnlich ders., Metaphysik IX, Kap. 8, 1050 b, 6 ff., wo Aristoteles vom Vorrang der Wirklichkeit („kuriwtÝrwò“) spricht. 235 Rehmann-Sutter, Klonierung, in: Honnefelder/Lanzerath, Klonen in biomedizinischer Forschung, S. 251, 254 ff.; ebenso in: Nationaler Ethikrat, Niederschrift Sitzung 12.6.2003, S. 21. 236 Aristoteles, Metaphysik XIV, Kap. 2, 1089 a, 28 f. Zitat im Original: „™k to¯ mÌ ˜nqrþpou dunÜmei dÊ ˜nqrþpou ånqrwpoò.“ 237 Rehmann-Sutter, Klonierung, in: Honnefelder/Lanzerath, Klonen in biomedizinischer Forschung, S. 251, 254.

164

3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

„Die Potentialität des Embryos ist . . . eine aktive Potentialität mit einem fertigen Programm, das nicht erst bei der Einnistung vervollständigt wird, sondern schon vollständig vorliegt.“238

Mit der Bezeichnung „aktive Potentialität“ wird auf eine Terminologie zurückgegriffen, die historisch auf die Hochscholastik zurückgeht und vor allem bei Thomas von Aquin (ca. 1225–1274) im Begriff der „potentia activa“ ihren Niederschlag gefunden hat.239 Unter den zahlreichen Stellen in seinem Werk, in denen die Begriffe „potentia activa“ und „potentia passiva“ erläutert werden,240 ist vor allem eine Passage aus der XI. Disputation der „Quaestiones disputatae de veritate“ („Über den Lehrer“) sehr aufschlußreich. Dort definiert Thomas für den Bereich der Naturdinge „Potentialität“ wie folgt: „Dennoch muß man wissen, daß im Bereich der Naturdinge etwas zuvor schon, nämlich der Möglichkeit nach, auf zweifache Weise vorhanden ist: Zum einen ist dies der Fall bei einem vollständig vorhandenen Wirkvermögen (potentia activa completa), wo ja das dem Wirkenden innerliche Wirkprinzip (principium intrinsecum) hinreicht, den Zustand der vollendeten Wirklichkeit (actum perfectum) herbeizuführen . . . Der andere Fall liegt vor beim bestimmungsfähigen Vermögen (potentia passiva), wo das innere Wirkprinzip nicht hinreicht, die Wirklichkeit herbeizuführen.“241

An dieser Textstelle erkennt man zunächst deutlich den Einfluß der Aristotelischen Potentialitätskonzeption: So versteht auch Thomas unter aktiver Potentialität ein inneres Wirkprinzip („principium intrinsecum“) und schließt damit direkt an das antike „dýnamiò-Konzept“ an. Die Aristotelische „™nÝrgeia“ bzw. „™ntelÝxeia“ wird beim ihm zum „actus (perfectus)“242, womit er auch begrifflich das griechische „Im-Werk-Sein“ adäquat ins Lateinische übersetzt. Für die spätere Rezeptionsgeschichte ist dabei wichtig, daß Thomas mit „potentia activa“ – wie im übrigen auch Aristoteles mit „dýnamiò“ – nicht ein rein selbstgesteuertes Entwicklungsvermögen ohne jegliche Unterstützung von außen meint. Für das Vorliegen aktiver Potentialität ist es im Gegenteil geradezu cha238

Starck, JZ 2002, 1065, 1067 (Hervorh. T. H.). M. Kaufmann, Contra Kontinuumsargument, in: G. Damschen/D. Schönecker (Hrsg.), Der moralische Status menschlicher Embryonen, 2003, S. 83, 95; Schöne-Seifert, Contra Potentialitätsargument, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status, S. 169, 175. 240 Vgl. hier insbesondere auch den Kommentar des Thomas von Aquin zur Metaphysik des Aristoteles (In duodecim libros metaphysicorum Aristotelis expositio, Liber IX, Lectio 1, 1776 ff., zit. bei R. Heinzmann, Thomas von Aquin, 1994, S. 210 ff.). 241 Thomas von Aquin, Über den Lehrer. De magistro. Quaestiones disputatae de veritate XI, hrsg., übersetzt und kommentiert von G. Jüssen, G. Krieger und J. Schneider, 1988, Art. 1, S. 19. Zitat im Original: „Sciendum tamen est quod in rebus naturalibus aliquid praeexistit in potentia dupliciter: uno modo in potentia activa completa, quando scilicet principium intrinsecum sufficienter potest perducere in actum perfectum . . . alio modo in potentia passiva, quando scilicet principium intrinsecum non sufficit ad educendum in actum.“ 242 Von lat. agere = tun, zu Werke gehen. 239

§ 9 Theoretische Begründung

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rakteristisch, daß die existierende innere Wirkkraft (potentia activa) unter Umständen erst durch äußere Hilfsmaßnahmen in die Wirklichkeit (actus) überführt wird. Der Aquinate macht dies am Beispiel des ärztlichen Heilvorgangs deutlich, bei dem der Arzt lediglich ein natürliches inneres Selbstheilungspotential des Kranken unterstütze: „Im ersten Falle [d. h. bei der aktiven Potentialität, T. H.] wirkt also die von außen kommende Kraft ausschließlich dadurch, daß sie das innerlich Wirkende unterstützt (adiuvando agens intrinsecum) und ihm das zur Verfügung stellt, wodurch es zur vollständigen Wirklichkeit übergehen (in actum exire) kann. So ist ja der Arzt beim Vorgang der Heilung nur der Diener der Natur als der ursprünglichen Wirkkraft, indem er die Natur kräftigt und Medizin beibringt, deren sich die Natur als Mittel und Werkzeug zur Heilung bedient.“243

Bei Thomas erhält das von Aristoteles übernommene und mit dem Begriff der „potentia activa“ präzisierte Akt-Potenz-Modell jedoch eine zusätzliche theologische Wendung. Für das mittelalterliche Denken war nämlich nicht mehr nur die Erklärung natürlicher Entwicklungsprozesse von Interesse, sondern auch und vor allem das Verhältnis der geschaffenen Dinge zum Schöpfergott.244 Die Entstehung alles Seienden erfordert dabei nach Thomas eine transzendente Seinsursache in Form einer göttlichen Wirkkraft, die die in den Dingen liegende Potentialität aktualisiert und sie so am göttlichen Geschehen teilhaben läßt.245 Mit diesem theologischen Verständnis von Potentialität wird der Aristotelische Vorrang der Wirklichkeit vor der Realmöglichkeit zugleich neu gedeutet: Beide Modalitätsstufen, die in allen geschaffenen Dingen stets in Mischung vorliegen,246 bilden nach Thomas Rangstufen in der Hinordnung des Seienden zu Gott als der absoluten, reinen Aktualität („actus purus“).247 Je weniger Potentialität ein Seiendes besäße und je mehr Aktualität es aufgenommen habe, desto höher sei es in dieser Hierarchie zu verorten: „Sie unterscheiden sich im Verhältnis zueinander je nach der Stufe der Potenz und des Aktes, in der Weise, daß das höhere Vernunftwesen, das näher zum ersten Prin-

243 Thomas von Aquin, Über den Lehrer, Art. 1, S. 19. Zitat im Original: „Quando igitur praeexistit aliquid in potentia activa completa, tunc agens extrinsecum non agit nisi adiuvando agens intrinsecum et ministrando ei ea quibus possit in actum exire; sicut medicus in sanatione est minister naturae quae principaliter operatur, confortando naturam et apponendo medicinas quibus velut instrumentis natura utitur ad sanationem.“ 244 A. v. Pechmann, Art. Akt/Potenz, in: H. Sandkühler (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie, Band I, 1999, S. 35. 245 v. Pechmann, Art. Akt/Potenz, in: Sandkühler, Enzyklopädie Philosophie I, S. 36; Seidl, Art. Möglichkeit, in: Ritter/Gründer, Historisches Wörterbuch der Philosophie VI, Sp. 82. 246 Hirschberger, Geschichte der Philosophie I, S. 494; A. Sertillanges, Der Heilige Thomas von Aquin, 2. Aufl. 1954, S. 78. 247 v. Pechmann, Art. Akt/Potenz, in: Sandkühler, Enzyklopädie Philosophie I, S. 36.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

zip steht, mehr vom Akt (plus de actu) und weniger von der Potenz (minus de potentia) hat, und entsprechend bei den anderen.“248

Mit dieser Annahme einer Mischung alles Seienden aus Aktualität und Potentialität gelingt es dem Aquinaten zugleich, die Differenz zwischen Schöpfer und Schöpfung faßbarer zu machen, da das aus Aktualität und Potentialität konstituierte Seiende niemals mit der in Gott als „Nur-Sein“ (esse tantum) verorteten reinen Aktualität (actus purus) zusammenfallen könne.249 Etwas vereinfacht läßt sich das Akt-Potenz-Modell des Thomas von Aquin wie in Übersicht 10 illustrieren.

actus purus (Gott) göttliche

Hinordnung zum actus purus (Gott)

potentia

esse tantum (Nur-Sein)

Wirkkraft

actus

ens (Seiendes)

Übersicht 10: Das Akt-Potenz-Modell des Thomas von Aquin (1225–1274)

Faßt man die rezeptionsgeschichtliche Bedeutung der aristotelisch-thomistischen Tradition für das verfassungsrechtliche Potentialitätsargument abschließend zusammen, so gilt es folgendes festzuhalten: Von den beiden Teilelementen des heutigen verfassungsrechtlichen P-Arguments (spezifischer Potentialitätsbegriff; normative Gleichsetzung von Potentialität und Aktualität) läßt sich der verwendete Potentialitätsbegriff rezeptionsgeschichtlich in einer direkten Li248 Thomas von Aquin, Über Seiendes und Wesenheit. De ente et essentia, mit Einleitung, Übersetzung und Kommentierung herausgegeben von H. Seidl, 1988, Kap. IV, 76 (S. 46 f.) (Hervorh. T. H.). Zitat im Original: „Est ergo distinctio earum ad invicem secundum gradum potentiae et actus ita quod intelligentia superior, quae magis propinquia est primo, habet plus de actu et minus de potentia, et sic de aliis.“ 249 Heinzmann, Thomas von Aquin, S. 40.

§ 9 Theoretische Begründung

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nie auf das antike „dýnamiò-Konzept“ des Aristoteles zurückführen, das von Thomas von Aquin im wesentlichen übernommen und mit dem Begriff der „potentia activa“ noch präzisiert wurde. Das Teilelement der normativen Gleichsetzung von Potentialität und Aktualität ist rezeptionsgeschichtlich hingegen weit weniger eindeutig auszumachen: Während der Seinscharakter der Potentialität bei Aristoteles zumindest zweifelhaft ist, verschwindet diese mangelnde Eindeutigkeit in der ontologischen Zuordnung bei Thomas von Aquin. Gleichzeitig ist sein Verhältnis beider Modalitätsstufen jedoch durch eine spezifisch theologische Überhöhung geprägt, die eine vollständige Rezeption dieses Akt-Potenz-Modells in außertheologischen, speziell juristischen Kontexten ausschließt. c) Anwendung des verfassungsrechtlichen Potentialitätsarguments auf die drei Prototypen extrakorporalen menschlichen Lebens (oben §§ 2–4) Wendet man nun dieses auf seine beiden wichtigsten philosophiegeschichtlichen Wurzeln zurückgeführte verfassungsrechtliche Potentialitätsargument auf die in §§ 2–4 dargestellten drei Prototypen extrakorporalen menschlichen Lebens an, ergibt sich folgendes Bild: aa) Extrakorporale Embryonen aus künstlicher Befruchtung (oben § 2) Alle extrakorporalen Embryonen aus künstlicher Befruchtung müssen nach dem Grundrechtsträgerkonzept aufgrund ihres an die biologische Totipotenzeigenschaft anknüpfenden dispositionellen Vermögens zur Menschentwicklung als „jeder“ im Sinne von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG angesehen werden. Trotz ihres noch ausstehenden Transfers verfügen sie über reale oder aktive Potentialität im Sinne der aristotelisch-thomistischen Tradition und nehmen daher in umfassender Form am verfassungsrechtlichen Lebensschutz teil.250 Da mit dem P-Argument auf die aktive Potentialität und nicht die Probabilität abgestellt wird (s. o.), sind natürlich auch sog. überzählige Embryonen unterschiedslos von diesem Schutz erfaßt. Wie von zahlreichen Seiten anmerkt wurde, müßte dieser umfassende Lebensschutz von Befruchtungsembryonen aber konsequenterweise auch auf die sog. Vorkernstadien (nach Ausstoßung des zweiten Polkörpers)251 ausgedehnt 250 Vgl. Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 57 und 216; Starck, JZ 2002, 1065, 1067 ff.; Kersten, Klonen, S. 550 f.; Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 196 f. (entsprechend für den Begriff „Mensch“ in Art. 1 I 1 GG).

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

werden, da sich das dispositionelle Vermögen dieser Entitäten zur Menschentwicklung von demjenigen von Embryonen im Syngamiestadium nicht unterscheidet.252 Vertreter des Grundrechtsträgerkonzepts sehen hier in der Tat einen dringenden Reflexionsbedarf, der im Ergebnis zu einer erheblichen Ausweitung des Grundrechtsschutzes für extrakorporales menschliches Leben führen würde.253 Gleichzeitig scheuen sie sich aber, diesen Schritt tatsächlich zu gehen und für einen Einbezug der Vorkernstadien in den Schutzbereich von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG zu plädieren, wohl wissend, was dies für die Reproduktionsmedizin in Deutschland bedeuten würde, die angesichts der geltenden Rechtslage dringend auf die Herstellung und Kryokonservierung von Vorkernstadien angewiesen ist.254 bb) Extrakorporale Zellkerntransferklone (oben § 3) Bei im Wege des somatischen Zellkerntransfers entstandenen extrakorporalen Embryonen muß das Grundrechtsträgerkonzept unter dem Potentialitätsaspekt ebenfalls eine Grundrechtsberechtigung all dieser Entitäten bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG bejahen. Als zusätzliche Schwierigkeit ist hier lediglich die Tatsache anzusehen, daß die biologische Totipotenzeigenschaft menschlicher Zellkerntransferklone bisher (2005) noch nicht experimentell nachgewiesen werden konnte. Wie im naturwissenschaftlichen Teil dargestellt, darf und muß hier jedoch auf eine Analogie zu vergleichbaren Tierexperimenten zurückgegriffen werden.255 Somit ist im Sinne des verfassungsrechtlichen Potentialitätskonzepts von einer normativen Äquivalenz von Befruchtungsembryonen und Zellkerntransferklonen auszugehen, die Wolfram Höfling so zusammenfaßt: „Vor dem Hintergrund der an anderer Stelle näher dargelegten Erwägungen zur Konkretisierung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist von einer normativen Äquivalenz von totipotenten menschlichen Zellen, die einmal auf dem Befruchtungswege, das andere Mal als Resultat eines Zellkerntransfers entstanden sind, auszugehen. Daß der sich anschließende zellbiologische Differenzierungsprozeß sich je einer anderen ,Initialzündung‘ verdankt, fällt nicht entscheidend ins Gewicht. In beiden Fällen ist 251

Siehe oben § 2 A. I. Faßbender, MedR 2003, 279, 281; Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 174 ff.; H. Rosenau, Der Streit um das Klonen und das deutsche Stammzellgesetz, in: H.-L. Schreiber/H. Rosenau u. a. (Hrsg.), Recht und Ethik im Zeitalter der Gentechnik, 2004, S. 135, 142; Schroth, JZ 2002, 170, 175 f. 253 Unentschieden Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 195 (dort Fußn. 117). Für einen Einbezug von Vorkernstadien R. Röger, Verfassungsrechtliche Grenzen der Präimplantationsdiagnostik, in: Schriftenreihe Juristenvereinigung Lebensrecht, 2000, S. 55, 58 (dort Fußn. 5). Die Frage wurde auch von der Minderheitsposition des Nationalen Ethikrats (Genetische Diagnostik, S. 82) diskutiert. 254 Siehe oben § 2 B. I. 2. 255 Siehe § 4 C. II. Zur Zulässigkeit des Analogieschlusses auch Kersten, Klonen, S. 544. 252

§ 9 Theoretische Begründung

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die Entwicklungspotenz zu einem ,vollständigen‘ Menschen grundsätzlich gleichermaßen vorhanden.“256

Diese normative Äquivalenz trotz verschiedener Entstehungsarten wird bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG im übrigen auch von einem Großteil derer für richtig gehalten, die bei Art. 1 I GG zu einer insoweit differenzierten Bewertung gelangen.257 cc) Extrakorporale begrenzt entwicklungsfähige Laborartefakte (oben § 4) Wie oben in § 4 dargelegt, zeichnen sich extrakorporale begrenzt entwicklungsfähige Laborartefakte (z. B. Schöler-Parthenoten, Schölersche „Knock-outEmbryonen“ u. ä.) per definitionem dadurch aus, daß ihnen keine biologische Totipotenzeigenschaft mehr zukommt. Somit fehlt es hier bereits am normativen Anknüpfungspunkt für das verfassungsrechtliche Potentialitätsargument, mit der Folge, daß eine Grundrechtsträgerschaft dieser Entitäten bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG im Grunde ausscheidet. Obwohl diese verfassungsrechtliche Bewertung eigentlich auf der Hand liegen müßte, ist in jüngerer Zeit von manchen Vertretern des Grundrechtsträgerkonzepts hier eine abweichende Auffassung vertreten worden. So wurde etwa vorgetragen, ein extrakorporales begrenzt entwicklungsfähiges menschliches Laborartefakt sei nichts anderes als ein „Embryo (sic!) mit extrem kurzer Lebensdauer“ und deshalb in bezug auf Art. 2 II 1 Alt. 1 GG in gleicher Weise schutzwürdig; schließlich komme ja auch keiner auf die Idee, jemandem den Lebensschutz abzusprechen, der durch einen manipulativen Eingriff im vierten Schwangerschaftsmonat oder vierten Lebensjahr sterbe.258 Eine solche Auffassung ist jedoch bereits im Ansatz als verfehlt anzusehen. Zunächst würde sie von ihren Auswirkungen zu einem merkwürdigen Auseinanderfallen von biologischer Totipotenzeigenschaft und verfassungsrechtlicher Potentialität führen, mit der weiteren Folge, daß ein neuer rechtlicher Embryobegriff gefunden werden müßte. Wie dieser jedoch ohne Rekurs auf die Totipotenzeigenschaft (vgl. § 8 I ESchG) aussehen könnte, erscheint kaum vorstellbar, zumal sich massive Abgrenzungsschwierigkeiten zu anderen artspezifischen Le256 Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 216 (Hervorh. im Original). Ähnlich Kersten, Klonen, S. 543; W. Kluth, Der Embryo und das Recht auf Leben, in: R. Beckmann/M. Löhr (Hrsg.), Der Status des Embryos, 2003, S. 208, 223. Vgl. insoweit gleichlautend aus ethischer Sicht Damschen/Schönecker, In dubio pro embryone, in: dies., Der moralische Status, S. 187, 241; F.-J. Bormann, Das Forschungsklonen und die Frage nach dem Embryobegriff, ThPh 79 (2004), 218, 226 f. 257 Statt aller Paul, Möglichkeiten und Grenzen, S. 74 und 161. Zur Differenzierung bei Art. 1 I GG eingehend unten § 9 B. II. 258 So ausdrücklich Nationaler Ethikrat, Klonen, Position A, S. 57 f. Ähnlich W. Kluth, Stellungnahme zu Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“. Fragenkatalog zur nichtöffentlichen Anhörung „Neuere Entwicklungen in der Stammzellforschung“, 2003 (www.bundestag.de), S. 15 f.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

bensformen wie menschlichen Keim- oder Körperzellen ergeben müßten. Sollte wirklich die einmalige Zellteilungsfähigkeit z. B. einer menschlichen Parthenote ausreichen, diese schon als „Embryo“ im Rechtssinne und damit Grundrechtsträger bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG zu qualifizieren? Abgesehen von diesen kaum hinnehmbaren Konsequenzen ist das in dem Schutzpostulat für menschliche Laborartefakte zum Ausdruck kommende Potentialitätsverständnis aber auch insoweit inakzeptabel, als ausschließlich auf den Entwicklungsprozeß einer Entität abgestellt und das ebenfalls entscheidende Entwicklungsziel völlig ausgeblendet wird. Gemäß der rezipierten aristotelischthomistischen Tradition ist eine normative Gleichsetzung von Potentialität und Aktualität ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn das auf der Modalitätsstufe des Möglichen Befindliche sein auf die Wirklichkeitsstufe ausgerichtetes Entwicklungsziel (Telos) als dispositionelles Vermögen noch in sich trägt. Ist von vornherein die Erreichung dieses Entwicklungsziels ausgeschlossen, läßt sich eine normative Gleichsetzung nicht mehr begründen, mag es auch noch einzelne Schritte in Richtung dieses Entwicklungsziels geben.259 Im Sinne des Grundrechtsträgerkonzepts sind daher begrenzt entwicklungsfähige menschliche Laborartefakte keinesfalls mehr vom personellen Schutzbereich des Art. 2 II 1 Alt. 1 GG erfaßt. Es handelt sich nicht um „Embryonen mit extrem kurzer Lebensdauer“, sondern um Nicht-Embryonen,260 für die eine Grundrechtsberechtigung unter keinen Umständen in Betracht kommt. d) Kritik am verfassungsrechtlichen Potentialitätsargument Die Kritik am verfassungsrechtlichen P-Argument setzt naturgemäß an beiden Elementen der dargestellten Potentialitätskonzeption an: Während die Prämissenkritik die dem Potentialitätsargument zugrundeliegende definitorische Voraussetzung, den aristotelisch-thomistischen Potentialitätsbegriff, im juristischen Kontext ablehnt (dazu nachfolgend aa)), problematisiert die Konklusionskritik die in traditionsorientierter Rezeption vorgenommene Gleichsetzungsthese von Potentialität und Aktualität (dazu nachfolgend bb)).

259 Vgl. Kummer, Zeitpunkt, in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Stammzellenforschung, S. 148, 152 f.; M.-C. Gruber, Vom Kontinuum der Herkunft ins Kontinuum der Zukunft, in: N. Karafyllis (Hrsg.), Biofakte: Versuch über den Menschen zwischen Artefakt und Lebewesen, 2003, S. 131, 143. 260 Reich, ZMedEthik 50 (2004), 115, 124; Bormann, ThPh 79 (2004), 218, 230; Nationaler Ethikrat, Klonen, Position B, S. 73.

§ 9 Theoretische Begründung

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aa) Kritik am rezipierten Potentialitätsbegriff (Prämissenkritik) – Wert einer neuen juristischen Potentialitätsterminologie? In jüngerer Zeit sind einige juristische Arbeiten erschienen, die den Versuch unternehmen, für die verfassungsrechtliche Bewertung extrakorporalen menschlichen Lebens in Abkehr von der dargestellten aristotelisch-thomistischen Tradition einen neuen „juristischen“ Potentialitätsbegriff zu etablieren. All diesen Ansätzen ist gemeinsam, daß sie nur solchen Entitäten statusbegründende Potentialität zubilligen wollen, die sich eigenständig, d. h. ohne Zutun Dritter, zu einem vollständigen Menschen weiterentwickeln können.261 Da sämtliche hier vorgestellten extrakorporalen Entitäten wegen des für die Weiterentwicklung erforderlichen Transfers in den Uterus als „dazwischengeschalteter menschlicher Handlung“ diese Fähigkeit nicht besäßen, gelten sie z. B. nach Silke Hetz als mit nur „passiver Potentialität“ ausgestattet, was im Ergebnis zu einem deutlich geminderten Grundrechtsschutz aus Art. 2 II 1 Alt. 1 führt.262 In ähnlicher Form unterscheidet Henning Rosenau neuerdings zwischen einer „fiktiven Potentialität“ des extrakorporalen Embryos und einer „realen Potentialität“ des nidierten Embryos und hält nur bei letzterem die Zuschreibung des Lebensgrundrechts für gerechtfertigt.263 – Was ist von einer solchen neuen „juristischen“ Potentialitätsterminologie zu halten? Zunächst ist zuzugestehen, daß im verfassungsrechtlichen Kontext selbstverständlich niemand gezwungen sein kann, den über die Ethikwissenschaften rezipierten aristotelisch-thomistischen Potentialitätsbegriff zu verwenden und sich damit einer über zweitausendjährigen Tradition anzuschließen. Wenn man sich in der juristischen Argumentation jedoch von der dargestellten Rezeptionsgeschichte lossagen und einen eigenen Potentialitätsbegriff etablieren möchte, sollten hierfür allerdings zwei Mindestvoraussetzungen gelten: Erstens sollte die verwendete Begrifflichkeit einigermaßen unmißverständlich sein. So erscheint es ungeschickt bzw. verwirrungstiftend, wenn man für die eigene Potentialitätsdefinition exakt die überlieferte Nomenklatur benutzt, damit aber inhaltlich etwas völlig anderes aussagen will. So greift etwa Hetz264 mit 261 Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 96 ff.; H. Rosenau, Reproduktives und therapeutisches Klonen, in: K. Amelung/W. Beulke u. a. (Hrsg.), Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber, 2003, 761, 768; ders., Streit um das Klonen, in: Schreiber/Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 135, 142. In diese Richtung gehen auch Anderheiden, KritV 84 (2001), 353, 378 f., sowie N. Petersen, The legal status of the human embryo in vitro: general human rights instruments, ZaöRV 65 (2005), 447, 453. 262 So Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 96 ff. und 205. Vgl. zu dieser Arbeit auch die Besprechung von T. Hartleb, MedR 2005, 620. 263 Rosenau, Reproduktives und therapeutisches Klonen, in: Amelung/Beulke u. a., Festschrift Schreiber, 761, 768; ders., Streit um das Klonen, in: Schreiber/Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 135, 142. Ähnlich Ipsen, NJW 2004, 268, 269 („virtuelles Potential“).

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

dem von ihr verwendeten Gegensatzpaar „aktive/passive Potentialität“ die oben dargestellte thomistische Potentialitätsterminologie auf, verkehrt diese aber der Sache nach in ihr genaues Gegenteil: So war es für die „potentia activa“ des Thomas von Aquin gerade charakteristisch, daß vorhandene innere Wirkkräfte gegebenenfalls auch von außen unterstützt werden können265 – eine Voraussetzung, die quasi in Reinform beim extrakorporalen Embryo gegeben ist, dessen Weiterentwicklung zum Menschen nur durch die gezielte Unterstützungshandlung des Transfers in den weiblichen Uterus ermöglicht wird. Wenn nun in Abkehr von dieser Tradition „aktive Potentialität“ nur Entitäten besitzen sollen, zu deren Weiterentwicklung „eine gezielte menschliche Handlung als Unterstützung nicht erforderlich ist“,266 so ist mit einer wortgleichen Terminologie inhaltlich das genaue Gegenteil des überlieferten Potentialitätsbegriffs gemeint. Gleiches gilt für den von Rosenau267 geprägten Terminus des „realen Potentials“, der an die Aristotelische Realmöglichkeit268 erinnert, damit aber der Sache nach überhaupt nichts tun hat. Den Protagonisten neuer juristischer Potentialitätsbegriffe wäre mithin zu empfehlen, auch eine entsprechende neue Nomenklatur zu gebrauchen, wenigstens aber die im Vergleich zur Tradition abweichende Begriffsverwendung hinreichend deutlich zu machen. Als zweite Mindestbedingung für die Akzeptanz eines neuen „juristischen“ Potentialitätsbegriffs ist zu fordern, daß dieser im verfassungsrechtlichen Kontext deutlich mehr zu leisten vermag als der überlieferte und gerade dadurch überzeugt. Leider ist diese Voraussetzung bei der angebotenen neuen Terminologie von „aktiver“ und „passiver Potentialität“, die an eine eventuell erforderliche externe Unterstützungshandlung für die Weiterentwicklung menschlicher Entitäten anknüpft, nicht erfüllt: So wird zunächst die genaue Reichweite des für die Zubilligung von „aktiver Potentialität“ nötigen Fehlens dazwischengeschalteter menschlicher Handlungen nicht deutlich. Ist z. B. nur der Transfer in den Uterus eine solche dazwischengeschaltete menschliche Handlung oder etwa auch das spätere Zuführen von Nahrung für den nidierten Embryo?269 Jenseits dieser Abgrenzungsproblematik bei der „aktiven Potentialität“ bleibt auch die normative Bedeutung der „passiven Potentialität“, die extrakorporalen Embryonen zugeschrieben wird, unklar: Wie gelingt hier eine überzeugende Statusdifferenzierung zwischen diesen Entitäten und menschlichen Keimzellen oder (re264

Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 96 ff. Siehe oben § 9 A. III. 2. b) bb). 266 Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 96 f. 267 Rosenau, Streit um das Klonen, in: Schreiber/Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 135, 142. 268 Siehe oben § 9 A. III. 2. b) aa). 269 Mit Heun, JZ 2002, 517, 522 (dort Fußn. 87). Auch Merkel (Forschungsobjekt Embryo, S. 163 f.) weist darauf hin, daß jede Potentialität, auch eine mit starker Innensteuerung, auf bestimmte Umgebungsvoraussetzungen angewiesen ist. 265

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programmierbaren) Körperzellen? Sind letztere nicht in gleicher Weise wie extrakorporale Embryonen mit „passiver Potentialität“ ausgestattet, oder wo verläuft die Grenze zwischen Nichtpotentialität und „passiver Potentialität“? 270 Schließlich bedarf es doch z. B. auch bei einer Samen- oder Körperzelle zur Menschentwicklung noch eines aktiven Tuns, etwa der Injektion in eine Eizelle im Rahmen des ICSI-Verfahrens oder der Fusion mit einer entkernten Eizelle beim Dolly-Experiment. – Als eine ebenso zweifelhafte Terminologie erweist sich aber auch das zum Teil verwendete Begriffspaar „fiktive/reale Potentialität“: Da jedes Potentialitätskonzept eine gedankliche Brücke zu einer real noch nicht vorhandenen Existenzform beinhalten muß, ist insoweit jede Potentialität „fiktiv“ und kann nie durch äußere Handlungen (Transfer) in eine „reale“ Form überführt werden. Gibt es hier außerdem noch einen normativen Unterschied zwischen der apostrophierten „fiktiven Potentialität“ und einer Potentialität im Sinne einer nur logischen Möglichkeit (Possibilität)?271 Aus all diesen Abgrenzungsproblemen wird deutlich, daß die angebotene neue juristische Potentialitätsterminologie eher in größere Aporien hineinführt als aus ihnen heraus und durch Einebnung bisher gültiger normativer Differenzierungsfunktionen Potentialität als verfassungsrechtliches Schutzkriterium überhaupt entbehrlich macht. Insgesamt kann also die neue juristische Potentialitätsterminologie, die als Prämissenkritik an das verfassungsrechtliche P-Argument herangetragen wird, nicht überzeugen. Um es noch deutlicher zu sagen: Ähnliche Positionen, die bereits vor über 15 Jahren in der angloamerikanischen Bioethikdiskussion als irrig erkannt wurden,272 werden nicht dadurch richtiger, daß sie heute in deutschem verfassungsrechtlichem Gewand neu daherkommen. bb) Kritik an der normativen Gleichsetzung von Potentialität und Aktualität (Konklusionskritik) Ein etwas anderes Bild ergibt sich möglicherweise bei der zweiten, der Konklusionskritik am verfassungsrechtlichen P-Argument. Wie bereits angedeutet, läßt sich diese Kritik auf die Verwendung der traditionellen aristotelisch-thomistischen Potentialitätsdefinition auch im verfassungsrechtlichen Kontext ein, billigt also allen totipotenten extrakorporalen Entitäten die reale oder aktive Potentialität zu. Im Unterschied zum Grundrechtsträgerkonzept bestreitet sie aber vehement die hieraus gefolgerte normative Gleichsetzung von Potentialität und Aktualität. Speziell aus juristischer Sicht wird vorgetragen, daß eine solche 270 Diese Frage wirft Hetz (Schutzwürdigkeit, S. 100 f.) zwar auf, gelangt aber nicht zu einer überzeugenden Antwort. 271 Zum Begriff „Possibilität“ siehe oben § 9 A. III. 2. a) aa). 272 Siehe nur Buckle, Arguing from potential, in: Singer/Kuhse u. a., Embryo experimentation, S. 90, 105.

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Gleichsetzung von potentiellem und aktuellem Rechtsstatus der Rechtsordnung insgesamt wesensfremd sei273 und einen Widerspruch zur Intention der Verfassung darstelle, nur konkrete Schutzgarantien für konkrete Rechtssubjekte zu begründen.274 Leicht süffisant heißt es weiter, daß wir zwar alle potentielle Leichen seien, deshalb aber von der Rechtsordnung nicht jetzt schon wie Leichen behandelt werden dürften.275 Die Gleichsetzungsthese des verfassungsrechtlichen Potentialitätsarguments sei demzufolge nichts anderes als ein unzulässiger Schluß von einem Status ad quem auf einen Status quo.276 Mit dieser Kritik an der Gleichsetzungsthese des P-Arguments greift die verfassungsrechtliche Debatte das in den Ethikwissenschaften schon lange diskutierte „Kronprinzenargument“ auf, wonach ein Thronfolger (Kronprinz) zwar schon ein potentieller König sei, ihm aber gleichwohl noch nicht dieselben Befugnisse wie dem aktuellen König eingeräumt würden.277 Ähnliche Vergleiche werden mit Minderjährigen angestellt, die als Minderjährige zwar potentiell volljährig seien, aber dennoch nicht die Rechte von Volljährigen innehätten, oder Präsidentschaftskandidaten, die noch keine Präsidentenrechte besäßen, usw.278 In dieser Konklusionskritik am verfassungsrechtlichen Potentialitätsargument steckt viel Falsches, aber auch ein zutreffender Kern. Falsch ist zunächst der angestellte Vergleich mit Rechten von Thronfolgern, Minderjährigen usw., wenn es wie vorliegend um das Lebensrecht (Art. 2 II 1 Alt. 1 GG) geht. Denn während beim Thronfolger, Minderjährigen usw. mit der Nichteinräumung des zukünftigen Rechts noch kein Entzug dieser späteren Rechtsposition verbunden ist, stellt das Lebensrecht als fundamentales Grundrecht die Basis für die Ausübung aller anderen Rechte dar,279 was impliziert, daß seine Nichtverletzung elementare Voraussetzung für die spätere Erlangung dieser anderen Rechte

273 Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. I 1 Rdnr. 85; ders., Lebensschutz, in: ders./ Huber, Bioethik, S. 9, 23; E. Hilgendorf, Klonverbot und Menschenwürde – Vom Homo sapiens zum Homo xerox?, in: M.-E. Geis/D. Lorenz (Hrsg.), Festschrift für Hartmut Maurer, 2001, S. 1147, 1163; J. Joerden, Noch einmal: Wer macht Kompromisse beim Lebensrechtsschutz?, JuS 2003, 1051. 274 Heun, JZ 2002, 517, 521; ders., Menschenwürde und Lebensrecht, in: Gethmann-Siefert/Huster, Recht und Ethik in der Präimplantationsdiagnostik, S. 69, 81. 275 Hilgendorf, Klonverbot, in: Geis/Lorenz, Festschrift Maurer, S. 1147, 1163; ähnlich Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. I 1 Rdnr. 85. 276 Heun, Menschenwürde und Lebensrecht, in: Gethmann-Siefert/Huster, Recht und Ethik in der Präimplantationsdiagnostik, S. 69, 81; Hilgendorf, Klonverbot, in: Geis/Lorenz, Festschrift Maurer, S. 1147, 1163 („Fehlschluß“); Rosenau, Streit um das Klonen, in: Schreiber/Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 135, 142. 277 Leist, Eine Frage des Lebens, S. 92; Kaminsky, Embryonen, S. 100; Damschen/ Schönecker, In dubio pro embryone, in: dies., Der moralische Status, S. 169, 239. Weitere Literatur auch bei Merkel, Früheuthanasie, S. 482 (dort Fußn. 187). 278 Nationaler Ethikrat, Klonen, Position B, S. 71; Engelhardt, The foundations of bioethics, S. 142. 279 BVerfGE 39, 1, 42; 46, 160, 164.

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ist.280 Im Gegensatz zum Thronfolger und Minderjährigen würde der extrakorporale Embryo bei Verneinung des Lebensrechts also seinen Status potentialis nicht nur nicht aktuell innehaben, sondern zugleich unwiederbringlich verlieren.281 – Mit einer gewissen Berechtigung wird der Konklusionskritik von Vertretern des Grundrechtsträgerkonzepts außerdem ein versteckter Zirkelschluß entgegengehalten: Die Rede von einem gegenwärtigen (Status quo) und zukünftigen Status (Status ad quem) impliziere, daß es sich dabei um kategorial unterschiedliche Entwicklungsstufen des Menschen handele, was jedoch erst noch bewiesen werden müsse.282 Das Grundrechtsträgerkonzept gehe im Gegensatz dazu aber gerade davon aus, daß die Entwicklung des Menschen keine Aufeinanderfolge kategorial unterschiedlicher Stufen darstelle, sondern die Entwicklungsphasen nur unterschiedliche Existenzabschnitte des Menschen repräsentierten, die keine normative Differenzierung rechtfertigten.283 Wenngleich diese absolute Leugnung jeglicher Differenzierung bei der Menschentwicklung in sich konsequent ist und eine vollständige normative Gleichbehandlung von potentiellem und aktuellem Entwicklungszustand nahelegt, bleiben bei dieser Sichtweise gleichwohl sich zwingend ergebende Unterschiede bei der Bewertung beider Modalformen unberücksichtigt. Ein kleines Gedankenexperiment soll dies verdeutlichen: Man stelle sich einerseits eine einzelne in vitro kultivierte Zelle aus einem menschlichen Frühembryo284 und andererseits einen gerade geborenen Säugling vor. Um entscheiden zu können, ob die Einzelzelle im Sinne des Grundrechtsträgerkonzepts womöglich Grundrechtsträger bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG ist, reicht allein die morphologische Wahrnehmung ihrer aktualen Existenzform (Zelle) offensichtlich nicht aus. Zwingend hinzukommen muß vielmehr das Wissen darum, ob die Zelle entwicklungsbiologisch totipotent ist oder nicht, was sich – wenn überhaupt – nur nach molekulargenetischer Untersuchung durch einen Biologen ermitteln läßt. Erst wenn ihre Totipotenz feststeht, kann zu der nicht aussagekräftigen gegenwärtigen Existenzform ein zukünftiger Entwicklungszustand (adulte Vollgestalt) hinzugedacht werden, um die Zuschreibung des Lebensrechts für die Embryonalzelle zu begründen. Sollte sich durch die Untersuchung hingegen herausstellen, daß die Zelle nur pluripotent, eine Parthenote o. ä. ist, scheidet die Annahme einer Grundrechtsträgerschaft bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG aus, weil dieser zukünftige Entwicklungszustand gedank280

Das sieht auch Dreier, Lebensrecht, in ders./Huber, Bioethik, S. 9, 24. Merkel, Früheuthanasie, S. 483; K. Seelmann, Haben Embryonen Menschenwürde?, in: M. Kettner (Hrsg.), Biomedizin und Menschenwürde, 2004, S. 63, 72. 282 Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 195. Dies komme auch in der oft gebrauchten Formulierung „Entwicklung zum Menschen“ anstelle von „Entwicklung als Mensch“ zum Ausdruck (ebd., S. 197). 283 Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 195 f. 284 Zur Unterstützung der Vorstellungskraft siehe Übersicht 1 (oben S. 21). 281

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lich entfällt. – Totaliter aliter beim gerade geborenen Säugling: Hier reicht offensichtlich schon die unmittelbare Wahrnehmung seiner gegenwärtigen Existenzform aus, um ihm gemäß der abendländischen Rechtstradition das umfassende Lebensrecht der Verfassung zuzuerkennen. Sein zukünftiges Entwicklungspotential ist für seinen Grundrechtsstatus hingegen völlig irrelevant. Ja, selbst wenn man wüßte, daß der Säugling aufgrund einer angeborenen Stoffwechselstörung in der nächsten Minute sterben müßte und damit sein Entwicklungspotential nahe Null wäre, würde dies an seiner bis zu diesem Zeitpunkt bestehenden Grundrechtsträgerschaft bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG überhaupt nichts ändern. Mit diesem Gedankenexperiment sollte deutlich gemacht werden, daß zwischen der Bewertung eines aktualen und eines nur potentiellen Entwicklungszustands offensichtlich doch signifikante Unterschiede bestehen.285 Die Vorstellung, der Mensch entwickle sich in allen Phasen seiner Existenz normativ völlig gleichwertig, erweist sich wohl eher als eine allzu simplistische Annahme. Gerade die modernen biotechnischen Möglichkeiten zur gezielten Herstellung von Laborartefakten mit eingebauter Entwicklungsbremse (oben § 4) belegen vielmehr die Erforderlichkeit einer normativen Differenzierung. Denn auch diese Entitäten entwickeln sich – zumindest für einige Tage – „als Mensch“; sie deshalb gleichfalls als Grundrechtsträger bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG einzustufen, mutet dennoch absurd an.286 Im Sinne der Ausgangsfrage erscheint es somit nicht ausgeschlossen, an die dargestellten Unterschiede zwischen Aktualität und Potentialität auch unterschiedliche verfassungsrechtliche Wertungen anzuknüpfen. Die unbedingte Gleichsetzung beider Modalitätsstufen im Grundrechtsträgerkonzept ist zwar nach wie vor begründbar, wenn allein der erste Entwicklungsschritt (Erreichung der Potentialität) als entscheidend angesehen wird, sie ist aber keinesfalls zwingend geboten. Wie im philosophiegeschichtlichen Teil gezeigt werden konnte, ist sie aus der aristotelisch-thomistischen Tradition des Potentialitätskonzepts im übrigen auch nur bedingt herzuleiten. Ebensogut begründbar ist nach hier vertretener Auffassung auch ein verfassungsrechtliches Potentialitätsargument, das nicht von einer vollen normativen Gleichsetzung von Potentialität und Aktualität ausgeht, sondern allein darauf abzielt, den Status potentialis extrakorporaler Entitäten zu schützen, ohne ihnen den umfassenden Grundrechtsträgerstatus zuzubilligen.287

285 286 287

So auch B. Schlink, Aktuelle Fragen des pränatalen Lebensschutzes, 2002, S. 17. Zur Gegenauffassung vgl. oben § 9 A. III. 2. c) cc). Hierzu eingehend unten § 12 B. III.

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3. Das verfassungsrechtliche Kontinuitätsargument a) Inhalt des verfassungsrechtlichen Kontinuitätsarguments Wie eingangs erwähnt, spielt in der verfassungsrechtlichen Diskussion um extrakorporales menschliches Leben neben dem zentralen Potentialitätsargument hilfsweise das ebenfalls aus den Ethikwissenschaften importierte Kontinuitätsargument (K-Argument) eine gewisse Rolle. Nachdem sich das Bundesverfassungsgericht bereits im ersten Schwangerschaftsurteil hierauf berufen hatte,288 taucht es seither auch immer wieder in der verfassungsrechtlichen Literatur zum Grundrechtsträgerkonzept auf, so etwa, wenn Ernst-Wolfgang Böckenförde betont: „Vom Argument des Verfassungsgerichts her gilt der Beginn des Lebens vom Zeitpunkt der Befruchtung an, der Verschmelzung von Samenzelle und Ei . . . Allen Versuchen, für den Beginn des Lebensrechts spätere Zeitpunkte festzusetzen, haftet etwas Beliebiges und Willkürliches an. Sie spalten die kontinuierliche Entwicklung individuellen menschlichen Lebens in vorgebliche Stadien auf.“289

Auf eine Kurzformel gebracht, könnte man das verfassungsrechtliche Kontinuitätsargument wie folgt formulieren: Eine entwicklungsfähige extrakorporale menschliche Entität entwickelt sich kontinuierlich, d. h. ohne normativ relevante Einschnitte, zu einem geborenen Menschen und ist deshalb in gleicher Weise Grundrechtsträger bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG („jeder“).290 – Um einem naheliegenden Einwand bereits an dieser Stelle zu begegnen: Natürlich geht es bei dem so präzisierten Kontinuitätsargument nicht darum, daß sich alle extrakorporalen menschlichen Entitäten tatsächlich zu geborenen Menschen entwickeln – das tun z. B. „überzählige“ Embryonen oder Zellkerntransferklone ersichtlich nicht –, sondern vielmehr darum, daß der im Rahmen ihrer aktiven Potentialität angelegte Entwicklungsprozeß als ein kontinuierlicher zu begreifen ist.291 An dieser Einschränkung erkennt man deutlich die eingangs betonte enge Verbundenheit oder Abhängigkeit des Kontinuitätsarguments vom zuvor dargestellten Potentialitätsargument.292 Gleichwohl hat das K-Argument durch die besondere Akzentuierung der zeitlich-räumlichen Einheit des Entwicklungsprozesses 288

BVerfGE 39, 1, 37. Vgl. oben § 9 A. II. 1. a). Böckenförde, Das Tor zur Selektion ist geöffnet, in: Geyer, Biopolitik, S. 112, 113 (Hervorh. T. H.). 290 In Anlehnung an Damschen/Schönecker, In dubio pro embryone, in: dies., Der moralische Status, S. 187, 210. Vertreter des Grundrechtsträgerkonzepts, die das Kontinuitätsargument vertreten, sind neben Böckenförde (siehe oben Fußn. 289) auch Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 51; Kersten, Klonen, S. 550; Sacksofsky, Der verfassungsrechtliche Status, S. 12 ff.; Starck, JZ 2002, 1065, 1068. 291 Kersten, Klonen, S. 550. 292 Den engen Zusammenhang zwischen Kontinuitäts- und Potentialitätsargument betont z. B. L. Honnefelder, Pro Kontinuumsargument, in: G. Damschen/D. Schönecker (Hrsg.), Der moralische Status menschlicher Embryonen, 2003, S. 61, 62. 289

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menschlicher Entitäten eine eigene Aussagekraft, die es gesondert auf ihre Schlüssigkeit zu überprüfen gilt. b) Anwendung des verfassungsrechtlichen Kontinuitätsarguments auf die drei Prototypen extrakorporalen menschlichen Lebens (oben §§ 2–4) Das verfassungsrechtliche Kontinuitätsargument wird von den Protagonisten des Grundrechtsträgerkonzepts konsequenterweise auf alle mit aktiver Potentialität ausgestatteten extrakorporalen Entitäten angewandt, d. h. sowohl auf Embryonen aus künstlicher Befruchtung (oben § 2)293 als auch auf Zellkerntransferklone (oben § 3)294. Bei Befruchtungsembryonen müßte der Grundrechtsschutz des Art. 2 II 1 Alt. 1 GG dabei folgerichtig auch auf die sog. Vorkernstadien (nach Ausstoßung des zweiten Polkörpers) ausgedehnt werden, da auch hinsichtlich des Kontinuitätsaspekts kein Unterschied zu Embryonen im Syngamiestadium besteht. Schließlich hängt bei den begrenzt entwicklungsfähigen Laborartefakten (oben § 4) die Anwendbarkeit des verfassungsrechtlichen K-Arguments von der zur Potentialität vertretenen Position ab: Sofern man die eingeschränkte Entwicklungsfähigkeit dieser Entitäten für die Zuerkennung aktiver Potentialität ausreichen läßt („Embryo mit verkürzter Lebensdauer“),295 bleibt auch das Kontinuitätsargument für die Laborartefakte anwendbar, da die verkürzte Lebensdauer insoweit auch als zeitlich-räumliches Kontinuum zu verstehen ist. Nach demgegenüber richtiger Auffassung sind begrenzt entwicklungsfähige Laborartefakte jedoch auch unter Kontinuitätsgesichtspunkten keine Grundrechtsträger bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG; denn so wie es bei diesen Entitäten mangels Totipotenz am biologischen Anknüpfungspunkt für Potentialität fehlt, ist auch gedanklich kein zeitlich-räumliches Kontinuum zu einem geborenen Menschen mehr herstellbar. c) Kritik am verfassungsrechtlichen Kontinuitätsargument Wie das P-Argument hat auch das verfassungsrechtliche K-Argument aus juristischer Sicht erhebliche Kritik erfahren, wobei wiederum zwei grundsätzliche Argumentationslinien zu unterscheiden sind: Während eine erste die für das KArgument essentielle Prämisse der Kontinuität des menschlichen Entwicklungsprozesses angreift (dazu nachfolgend aa)), bejaht eine zweite Kritik zwar diese

293

Z. B. Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 55 f.; Starck, JZ 2002, 1065,

1068. 294 295

Z. B. Kersten, Klonen, S. 550 ff. Siehe oben § 9 A. III. 2. c) cc).

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Kontinuität, lehnt aber die hieraus gezogenen normativen Schlußfolgerungen (Unmöglichkeit von Zäsuren) vehement ab (dazu nachfolgend bb)). aa) Kritik an der Kontinuität des menschlichen Entwicklungsprozesses (Prämissenkritik) Als Prämissenkritik wird bei den hier untersuchten extrakorporalen menschlichen Entitäten ein grundsätzlicher biologischer Einwand gegen die unterstellte Kontinuität des Entwicklungsprozesses erhoben. Als „Kronzeugin“ für diesen Einwand dient Christiane Nüsslein-Volhard und ihre These von der instruktiven Rolle des mütterlichen Organismus bei der Nidation sowie die daraus resultierende Behauptung, bei der menschlichen Embryonalentwicklung handele es sich um einen völlig diskontinuierlichen Prozeß.296 Viele Juristen und insbesondere Verfassungsrechtler haben hieraus gefolgert, daß aufgrund der Diskontinuität auch ein unterschiedlicher grundrechtlicher Status embryonaler Entitäten vor und nach der Nidation gerechtfertigt sei.297 Hans-Georg Dederer bringt dies treffend mit seiner „Brückenthese“ zum Ausdruck: „Vor der Nidation, insbesondere in vitro, ist die ,Entwicklung als Mensch‘ noch nicht objektiv gewährleistet. Denn es fehlt die notwendige und hinreichende biologische Voraussetzung der Einnistung in die Gebärmutter (Nidation), welche nach dem gewöhnlichen (,natürlichen‘) Verlauf der Dinge zur Geburt eines Menschen führen wird . . . Unter diesen Umständen befindet sich der Embryo in vitro lediglich in der ,Entwicklung zum Menschen‘ . . . Die ,Entwicklung zum Menschen‘ bildet – anders als die ,Entwicklung als Mensch‘ – keine ,Brücke‘, über die sich der Status des Menschseins . . . vom geborenen Menschen auf den Embryo in vitro rückerstrekken ließe.“298

Ist diese sich auf biologischen Sachverstand berufende juristische Kritik am Kontinuitätsargument jedoch überzeugend? – Bereits im naturwissenschaftlichen Teil wurde darauf hingewiesen, daß Nüsslein-Volhards These von der in296 Siehe oben § 2 A. III. Zum Kontinuitätsaspekt schreibt Nüsslein-Volhard ausdrücklich: „Biologisch gesehen gibt es nichts Diskontinuierlicheres in einer Entwicklung als einen solchen Vorgang, bei dem sich der Embryo in direkten Kontakt mit einem anderen Organismus begibt.“ (Nüsslein-Volhard, Von Genen, S. 67, Hervorh. T. H.). 297 H.-G. Dederer, Menschenwürde des Embryo in vitro?, AöR 127 (2002), 1, 14 f. und 18 f.; U. Di Fabio, in: T. Maunz/G. Dürig u. a. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Band I, Loseblattslg., Stand 2005, Art. 2 II Rdnr. 24 f.; Rosenau, Streit um das Klonen, in: Schreiber/Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 135, 143; Schroth, JZ 2002, 170, 176; J. Taupitz, Der Status des Embryos, insbesondere die Produktion und Verwendung von Embryonen zur Forschung, in: H.-L. Schreiber/H. Rosenau u. a. (Hrsg.), Recht und Ethik im Zeitalter der Gentechnik, 2004, S. 96, 100. In diesem Punkt unentschieden Murswiek (in: Sachs, Grundgesetz, Art. 2), der in Rdnr. 145 a zwar die Auffassung Nüsslein-Volhards referiert, in Rdnr. 145 und 146 aber gleichwohl an der Grundrechtsträgerthese festhält. 298 Dederer, AöR 127 (2002), 1, 14 f. (Hervorh. T. H.).

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struktiven Rolle des Uterus bei der Nidation keineswegs von allen Biologen geteilt wird, ja derzeit sogar eher eine Minderheitsposition darstellt.299 Es ist deshalb nur schwer nachvollziehbar, daß sich zahlreiche Juristen, die sich lange mit dieser Thematik beschäftigt haben, ausschließlich auf diese eine Auffassung stützen, ohne entsprechende anderslautende Meinungen auch nur zu zitieren. Vor einem solchen Hintergrund muß sich der Eindruck aufdrängen, daß unter dem Deckmantel scheinbar gesicherter „entwicklungsbiologischer Erkenntnis“300 einer bestimmten verfassungsrechtlichen Position in der Statusdebatte lediglich zusätzliche Legitimationskraft verliehen werden soll.301 – Bereits im Rahmen der Potentialitätsargumentation wurde des weiteren deutlich gemacht, daß nach hier vertretener Auffassung die Notwendigkeit eines Transfers in den Uterus die Zubilligung von aktiver Potentialität für extrakorporale Embryonen nicht ausschließt.302 Die Gesamtargumentation bleibt nur in sich konsistent, wenn man den Transfer in den Uterus beim Kontinuitätsargument nun nicht plötzlich als kontinuitätsunterbrechende Zäsur ansieht. Oder anders formuliert: Mit dem Potentialitätsargument stellt das Grundrechtsträgerkonzept zu Art. 2 II 1 Alt. 1 GG eine logisch-gedankliche Verbindungslinie vom extrakorporalen Embryo zum geborenen Menschen her. Diese logisch-gedankliche Verbindungslinie ist aber nur schlüssig, wenn sie zugleich als zeitlich-räumliches Entwicklungskontinuum verstanden wird, mit der Folge, daß die Bejahung aktiver Potentialität bei extrakorporalen Embryonen auch die Bejahung der Kontinuität nach sich zieht.303 bb) Kritik an der Nichtsetzungsmöglichkeit rechtlicher Zäsuren (Konklusionskritik) In voller Anerkennung einer so verstandenen Kontinuität des menschlichen Entwicklungsprozesses werden von juristischer Seite aber die hieraus gezogenen Schlußfolgerungen des Grundrechtsträgerkonzepts bestritten. Im Kern geht es dabei um den Einwand, daß allein die Tatsache eines zeitlich-räumlichen Kontinuums noch nicht die Unmöglichkeit belege, dort rechtliche Zäsuren zu setzen.304 Beliebt ist an dieser Stelle der Verweis auf das antike Haufen- (oder Sorites-)Paradoxon,305 wonach bei der Entstehung eines Sandhaufens aus ein299

Vgl. oben § 2 A. III. Z. B. Dederer, AöR 127 (2002), 1, 15: „Diese Betrachtungsweise entspricht unmittelbar entwicklungsbiologischer Erkenntnis.“ 301 Kritisch zur These Nüsslein-Volhards auch Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 181 ff. 302 Siehe oben § 9 A. III. 2. d) aa). 303 So auch Kersten, Klonen, S. 550 ff. 304 Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 85; Heun, JZ 2002, 517, 520; Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 157 ff.; Rosenau, Streit um das Klonen, in: Schreiber/Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 135, 143; Schroth, JZ 2002, 170, 176. 300

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zelnen Sandkörnern nie gesagt werden könne, bei welchem Sandkorn der Haufen eigentlich entstanden sei. Das Sorites-Paradoxon offenbare die Unausweichlichkeit der Erkenntnis neuer qualitativer Stufen innerhalb eines Kontinuums, obwohl an keinem Punkt des Kontinuums klare Zäsuren erkennbar seien.306 Trotz seiner Beliebtheit auch bei Verfassungsrechtlern ist dieser Vergleich der menschlichen Embryonalentwicklung mit dem antiken Sorites-Paradoxon etwas schief. Denn beim Sandhaufenbeispiel handelt es sich nur um eine deskriptive Beschreibung einer quantitativen Anhäufung von Materie (Sandkörner), während es bei der menschlichen Embryonalentwicklung einerseits nicht allein um die Anhäufung von Biomasse307 und andererseits auch nicht um deskriptive, sondern normative Wertungen (Grundrechtsträgerschaft bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG?) geht.308 Trotz der mangelhaften Überzeugungskraft des Sorites-Paradoxons im vorliegenden Kontext verliert die darin zum Ausdruck kommende Konklusionskritik am verfassungsrechtlichen K-Argument aber keineswegs ihre Berechtigung. Denn das Kontinuitätsargument erweist sich bei Licht betrachtet gar nicht als echtes Argument, sondern eher als Behauptung (Petitio principii): Ob sich in dem unbestrittenen Kontinuum menschlicher Embryonalentwicklung statusrelevante normative Einschnitte begründen lassen oder nicht, soll ja gerade bewiesen werden, und der Kontinuitätsaspekt allein kann einen solchen Beweis noch nicht liefern.309 Merkel faßt diesen Befund richtigerweise so zusammen: „Der Umstand, daß alles individuelle Leben ein Kontinuum ist, ist für die Frage, ob und wann einem menschlichen Individuum Lebensinteressen (und Lebensrechte) zugeschrieben werden sollten, vollständig belanglos.“310

Entsprechend ist auch in der Rechtspraxis die Setzung normativer Zäsuren innerhalb des Kontinuums „Mensch“ nichts Außergewöhnliches, sondern eher typisch, wenn man z. B. nur an das sog. Hirntodkriterium am Lebensende denkt.311 Der von seiten des Grundrechtsträgerkonzepts erhobene Willkürvorwurf muß im übrigen konsequenterweise auf diejenigen seiner Vertreter zurückfallen, die bei Befruchtungsembryonen (oben § 2) die Grundrechtsberechtigung erst im Syngamiestadium, nicht jedoch bereits im Vorkernstadium (nach AusstoVon griech. swrüò [sorós] = Haufen. Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 85 (dort Fußn. 274); Heun, JZ 2002, 517, 520; Merkel, Früheuthanasie, S. 474 (dort Fußn. 175 m. w. N.); ders., Forschungsobjekt Embryo, S. 157 ff. 307 Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 188 f. 308 Vgl. Damschen/Schönecker, In dubio pro embryone, in: dies., Der moralische Status, S. 169, 214 (dort Fußn. 47). 309 Mit Damschen/Schönecker, In dubio pro embryone, in: dies., Der moralische Status, S. 169, 214. 310 Merkel, Früheuthanasie, S. 476; ders., Forschungsobjekt Embryo, S. 160. 311 Vgl. § 3 II Nr. 2 TPG. Zum Hirntodkriterium als Zäsur am Lebensende Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 2 II Rdnr. 21 f. 305 306

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ßung des zweiten Polkörpers) einsetzen lassen wollen. Als Ergebnis bleibt daher festzuhalten, daß die Kritik am verfassungsrechtlichen K-Argument insoweit Unterstützung verdient, als sie sich gegen die Ableitung normativer Aussagen allein aus dem Aspekt biologischer Kontinuität richtet. 4. Das verfassungsrechtliche Identitätsargument a) Inhalt des verfassungsrechtlichen Identitätsarguments Damit bleibt als letztes der drei KIP-Argumente noch das verfassungsrechtliche Identitätsargument (I-Argument) zu untersuchen. Auch hier soll eine inhaltliche Präzisierung des Arguments am Anfang stehen, die in etwa so formuliert werden könnte: Eine entwicklungsfähige extrakorporale menschliche Entität ist mit dem aus ihr hervorgehenden geborenen Menschen genetisch und numerisch identisch und deshalb in gleicher Weise Grundrechtsträger bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG („jeder“).312 Wie ist dieses verfassungsrechtliche Identitätsargument aufgebaut? – War beim Potentialitätsargument die logisch-gedankliche Brücke zwischen extrakorporaler Entität und geborenem Menschen vor allem so konstruiert, daß mit der Formel „Potentialität (t1) = Aktualität (t2)“ von einem gegenwärtigen (extrakorporale Entität) auf einen zukünftigen Entwicklungszustand (geborener Mensch) geschlossen wurde, geht das I-Argument den genau umgekehrten Weg: Auf der Zeitstrecke, die das Leben eines und desselben Menschen ausmacht, wird der Status des zweifelsfreien Lebensrechts (geborener Mensch) auf einen früheren Entwicklungszustand (extrakorporale Entität) rückprojiziert, den man zu eben diesem Leben zu rechnen hat.313 Dabei bedingen sich Identität und Potentialität wechselseitig, da eine Rückprojektion eines solchen zweifelsfreien Status überhaupt nur möglich ist, wenn man der „Anfangsentität“ ein Potential für die Erreichung dieses Status zubilligt.314 Entscheidender Gesichtspunkt beim Identitätsargument ist aber nicht das Potential, sondern allein die „Identitätsbrücke“, mit der die Rückprojektion der Grundrechtsträgerschaft begründet wird. „Identität“ kann in diesem Zusammenhang allerdings viel bedeuten, so daß auch hier zunächst eine definitorische Präzisierung vonnöten ist. Dabei ist 312 Das verfassungsrechtliche Identitätsargument vertreten etwa Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 189 ff. und 196 f.; Böckenförde, JZ 2003, 809, 812; Hillgruber, ZfL 2002, 2, 5; Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 55 ff.; Kersten, Klonen, S. 552 ff.; Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 2 Rdnr. 146; Sacksofsky, Der verfassungsrechtliche Status, S. 14 f.; Starck, JZ 2002, 1065, 1069. Speziell die beiden Identitätsaspekte (genetische und numerische Identität) betont aus philosophischer Sicht Kaminsky, Embryonen, S. 93 ff. 313 Merkel, Früheuthanasie, S. 492. 314 Merkel, Früheuthanasie, S. 493.

§ 9 Theoretische Begründung

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vorab zu betonen, daß es vorliegend nicht um eine absolute, sondern nur um eine relative Identität, also um eine Identität bezüglich einer oder mehrerer Hinsichten, gehen kann.315 Denn die extrakorporale Entität und der aus ihr hervorgehende Mensch unterscheiden sich in vielen, ja den meisten Hinsichten, so daß eine absolute Identität nur jeweils mit sich selbst anzunehmen wäre. In welcher Hinsicht besteht zwischen beiden Existenzformen aber eine relative Identitätsbeziehung, die als Brücke für die Zuerkennung eines Grundrechtsträgerstatus fungieren könnte? aa) Personale Identität von extrakorporaler Entität und geborenem Menschen? Im Gegensatz zur Identitätsdebatte in den Ethikwissenschaften316 geht es bei der juristischen Diskussion nicht um eine personale Identitätsbeziehung, wie sie etwa John Locke (1632–1704) als philosophisches Konzept erstmals entwickelt hat. In seinem „Versuch über den menschlichen Verstand“ von 1690 analysierte der englische Philosoph eingehend den Identitätsbegriff und formulierte dabei ein Konzept personaler Identität, das für den philosophischen Identitätsdiskurs in der Folgezeit bestimmend werden sollte.317 Nach Locke reicht die personale Identität eines Menschen stets (nur) so weit zurück, wie sich das Bewußtsein dieser Person noch auf ihre individuelle Vergangenheit erstreckt: „Meiner Meinung nach bezeichnet dieses Wort [Person, T. H.] ein denkendes, verständiges Wesen, das Vernunft und Überlegung besitzt und sich selbst als sich selbst betrachten kann. Das heißt, es erfaßt sich als dasselbe Ding, das zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten denkt . . . Soweit nun dieses Bewußtsein rückwärts auf vergangene Taten oder Gedanken ausgedehnt werden kann, so weit reicht die Identität dieser Person.“318

315 Mit Damschen/Schönecker, In dubio pro embryone, in: dies., Der moralische Status, S. 187, 215 f., sowie Leist, Eine Frage des Lebens, S. 105. 316 Vgl. B. Gillitzer, Personen, Menschen und ihre Identität, 2001, passim. Siehe zur philosophischen Literatur zur personalen Identität auch Merkel, Früheuthanasie, S. 500 (dort Fußn. 222). 317 H. Noonan, Personal Identity, 1989, S. 30; Gillitzer, Personen, S. 96. 318 J. Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, Band I, übersetzt von C. Winckler, 4. Aufl. 1981, Buch II, Kap. 27, Ziff. 9. Zitat im Original (J. Locke, An Essay concerning human understanding, edited with a foreword by P. Nidditch, 1975): „I think, [Person, T. H.] is a thinking intelligent Being, that has reason and reflection, and can consider it self as it self, the same thinking thing in different times and places . . . And as far as this consciousness can be extended backwards to any past Action or Thought, so far reaches the Identity of that Person.“ (Hervorh. im Original). Ähnlich ders., ebd., Kap. 27, Ziff. 19. Zum Lockeschen Begriff der personalen Identität Gillitzer, Personen, S. 96 ff.; Leist, Eine Frage des Lebens, S. 105 ff., sowie Merkel, Früheuthanasie, S. 499 ff.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

Dieser am Bewußtseinskriterium der Erinnerung festgemachte Begriff der personalen Identität ist bereits im 18. Jahrhundert von Thomas Reid (1710– 1796) mit dem berühmten „Offiziersbeispiel“ in Frage gestellt worden: Wenn sich ein Offizier (P3 zu t3) noch an seine Siege als junger Soldat (P2 zu t2), aber nicht mehr an die Ereignisse aus seiner Zeit als Schuljunge (P1 zu t1) erinnert, während er sich als junger Soldat noch hieran erinnern konnte, dann wäre nach Locke P3 mit P2 und P2 mit P1, nicht aber P3 mit P1 personal identisch, was zu einem offensichtlichen Widerspruch führt.319 Während man in den Ethikwissenschaften diesen Widerspruch aufzulösen versuchte, indem man im Anschluß an Locke neue Konzepte personaler Identität kreierte,320 wurde dieser Identitätsbegriff zumindest im deutschen Verfassungsrecht nie rezipiert. Dies hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, daß bei den einschlägigen Normen des Grundgesetzes (Art. 1 I GG und Art. 2 II 1 Alt. 1 GG) weniger das Kriterium der Person als das des Menschen im Vordergrund steht.321 Nur am Rande sei im übrigen vermerkt, daß nach dem Lockeschen Konzept personaler Identität mangels Erinnerungsvermögen gar keine Identitätsbeziehung zwischen extrakorporaler Entität und geborenem Menschen bestünde,322 so daß das I-Argument bereits im Ansatz für das Grundrechtsträgerkonzept untauglich wäre. bb) Genetische und numerische Identität von extrakorporaler Entität und geborenem Menschen Dementsprechend wurde für das verfassungsrechtliche I-Argument stets auf andere relative Identitätsbegriffe zurückgegriffen, wobei vor allem zwei besondere Bedeutung erlangten: Dies ist zum einen das Konzept der genetischen Identität von extrakorporaler Entität und geborenem Menschen, das im Anschluß an eine Passage aus dem zweiten Schwangerschaftsurteil des Bundesverfassungsgerichts323 auch für die Grundrechtsträgerthese eine große Rolle spielt.324 Der Aspekt genetischer Identität wird dabei meist mit dem Argument der Individualität (Einzigartigkeit) verknüpft, die mit dem erstmaligen Vorliegen 319 T. Reid, Essays on the intellectual powers of man, Essay III, Kap. 6, in: ders., Philosophical works I/II, with notes and supplementary dissertations by Sir W. Hamilton, 1983 (= Nachdruck 8. Aufl. 1895), S. 339, 351. Siehe hierzu auch Gillitzer, Personen, S. 119 ff., sowie Merkel, Früheuthanasie, S. 500. 320 Dazu Gillitzer, Personen, S. 155 ff.; Heun, JZ 2002, 517, 521 f. 321 Vgl. Böckenförde, JZ 2003, 809, 811; Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 172 ff. 322 Mit Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 107. 323 BVerfGE 88, 203, 251 f. Vgl. oben § 9 A. II. 1. a). 324 Den Aspekt genetischer Identität betonen besonders Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 55 f., sowie Starck, JZ 2002, 1065, 1069. Auch Beckmann (Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 190 f.) hält ihn für sehr bedeutsam, wenn auch nicht für allein entscheidend.

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des entsprechenden Genoms im Frühembryo vollständig gegeben sei.325 Neben der genetischen Identitätsbeziehung ist für das Grundrechtsträgerkonzept aber auch der Aspekt der numerischen Identität relevant geworden, also die Annahme, daß die extrakorporale Entität mit dem aus ihr möglicherweise hervorgehenden geborenen Menschen eine zahlenmäßige Einheit bildet.326 b) Anwendung des verfassungsrechtlichen Identitätsarguments auf die drei Prototypen extrakorporalen menschlichen Lebens (oben §§ 2–4) Da es beim verfassungsrechtlichen Identitätsargument wie beim zuvor dargestellten Kontinuitätsargument nicht auf eine tatsächliche, sondern nur potentielle Entwicklung extrakorporaler Entitäten zu geborenen Menschen ankommt, werden nach dem Grundrechtsträgerkonzept alle „echten“ Embryonen auch unter Identitätsgesichtspunkten als Grundrechtsträger bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG angesehen. Dies trifft zunächst auf extrakorporale Embryonen aus künstlicher Befruchtung (oben § 2) zu, deren genetische und numerische Identität mit dem möglicherweise aus ihnen hervorgehenden geborenen Menschen im Moment der Fertilisation festliegen soll.327 Bei Befruchtungsembryonen wäre diese Identitätsbeziehung aber wiederum bereits im Vorkernstadium (nach Ausstoßung des zweiten Polkörpers) gegeben,328 so daß der Grundrechtsschutz wie beim Potentialitäts- und Kontinuitätsargument stringenterweise auch auf diese Entwicklungsphasen ausgedehnt werden müßte, was allenfalls ansatzweise vertreten wird.329 – Des weiteren erfüllen nach der Grundrechtsträgerthese auch Zellkerntransferklone (oben § 3) das Identitätskriterium, da die Tatsache, daß noch ein anderer (Kernspender) bis auf den mitochondrialen Genanteil330 über das gleiche Genom verfügt, die daraus resultierende Individualität nicht beeinflußt.331 Jens Kersten weist in diesem Zusammenhang auf mögliche Spontanmutationen des Genoms sowie epigenetische und Umweltfaktoren hin, die die Genexpres325 Statt aller Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 55 f. Für eine strikte Trennung beider Aspekte plädiert Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 106 und 117. 326 Statt aller Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 197. Kersten (Klonen, S. 552) möchte den Begriff „numerische Identität“ hingegen eher vermeiden. Zur Bedeutung der numerischen Identität aus ethischer Sicht Damschen/ Schönecker, In dubio pro embryone, in: dies., Der moralische Status, S. 187, 216 und 235 ff. 327 Böckenförde, JZ 2003, 809, 812; Hillgruber, ZfL 2002, 2, 5; Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 2 Rdnr. 146; Sacksofsky, Der verfassungsrechtliche Status, S. 14; Starck, JZ 2002, 1065, 1068 f. 328 Siehe oben § 2 A. I. 329 Entsprechend vorsichtig Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 55. Deutlich für einen Einbezug der Vorkernstadien Röger, Verfassungsrechtliche Grenzen, in: Schriftenreihe JVL 2000, S. 55, 58 (dort Fußn. 5). 330 Siehe oben § 3 A. 331 Kersten, Klonen, S. 552.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

sion beeinflussen und damit zur Entwicklung einer spezifischen Individualität beitragen.332 – Begrenzt entwicklungsfähige Laborartefakte (oben § 4) unterfallen hingegen auch unter Identitätsgesichtspunkten nicht dem subjektiven Grundrechtsschutz aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG, da sich die eingangs erwähnte Rückprojektion des normativen Status vom geborenen Menschen auf die extrakorporale Existenzform unter keinen Umständen mehr realisieren läßt. c) Kritik am verfassungsrechtlichen Identitätsargument Damit verbleibt als letzte Aufgabe, noch einen Blick auf die von Verfassungsrechtlern vorgebrachte Kritik am Identitätsargument zu werfen. Im Sinne der hier vorgeschlagenen Unterscheidung zwischen Prämissen- und Konklusionskritik wendet sich die juristische Prämissenkritik dabei vornehmlich gegen die Behauptung der numerischen Identität von extrakorporaler Entität und geborenem Menschen (dazu nachfolgend aa)), während die Konklusionskritik vornehmlich die normative Begründungsfunktion des genetischen Identitätsaspekts in Frage stellt (dazu nachfolgend bb)). aa) Kritik an der Annahme numerischer Identität von extrakorporaler Entität und geborenem Menschen (Prämissenkritik) Seitens der Prämissenkritik wird die vom Grundrechtsträgerkonzept vorgetragene Behauptung numerischer Identität von extrakorporaler Entität und geborenem Menschen insbesondere unter zwei Aspekten in Frage gestellt: (1) Numerische Identität trotz Möglichkeit der Mehrlingsbildung? Wie im naturwissenschaftlichen Teil dargestellt, besteht in der Embryonalentwicklung bis zur Ausbildung des sog. Primitivstreifens die Möglichkeit monozygoter Mehrlingsbildung, d. h. es kann vorkommen, daß sich aus dem ursprünglich einen Embryo mehrere vollständige Individuen bilden.333 Aus dieser Tatsache wurde speziell von verfassungsrechtlicher Seite die numerische Identität von extrakorporalem Embryo und geborenem Menschen als Grundlage für das I-Argument verneint.334 So komme der Grundrechtsstatus nur einzelnen Individuen zu; im Sinne der Rückprojektion könne eine ausgebildete Individuali332

Kersten, Klonen, S. 552. Siehe oben § 2 A. IV. 334 Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 85; ders., Lebensschutz, in: ders./ Huber, Bioethik, S. 9, 24; Heun, Menschenwürde und Lebensrecht, in: Gethmann-Siefert/Huster, Recht und Ethik in der Präimplantationsdiagnostik, S. 69, 85; Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 183; Rosenau, Streit um das Klonen, in: Schreiber/Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 135, 143; Schroth, JZ 2002, 170, 176. 333

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tät im Sinne numerischer Identität aber nur bis zu dem Punkt zurückverfolgt werden, an dem eine Mehrlingsbildung nicht mehr möglich war.335 Beim extrakorporalen Embryo handele es sich deshalb allenfalls um „human life“, nicht jedoch um ein „human being“.336 Diesem Einwand kann nicht schon dadurch begegnet werden, daß man zwischen einer Individualität (vor der Primitivstreifenbildung) und einer Singularität (nach der Primitivstreifenbildung) des Embryos differenziert und nur erstere für relevant erachtet;337 Rosenau hat diese Unterscheidung zu Recht als „sophistische Verrenkung“ bezeichnet, mit der nichts gewonnen ist.338 Auch das Argument, man könne einem Individuum doch nicht das Lebensrecht mit der Begründung entziehen, daß aus ihm noch zwei Individuen entstehen könnten,339 überzeugt nicht: Als Rechtfertigung für die Zuerkennung des subjektiven Lebensrechts wird vom Grundrechtsträgerkonzept gerade auf die durch die numerische Identität herstellbare Brücke zwischen geborenem Menschen und extrakorporaler Entität abgestellt. Besteht diese numerische Identität im Fall der monozygoten Mehrlingsbildung tatsächlich nicht mehr („zwei Individuen“), ist die Zuerkennung des Lebensrechts für den extrakorporalen Embryo zumindest so nicht mehr zu begründen. Genau an diesem Punkt kann aber auch gegen den Einwand der Mehrlingsbildung argumentiert werden: Zwar endet im Fall monozygoter Mehrlingsbildung in der Tat die vorherige Existenz des Ausgangsembryos (E) und wird durch die Existenz zweier neuer Embryonen (E1 und E2) ersetzt, die beide mit E numerisch nicht identisch sind.340 Da die monozygote Mehrlingsbildung jedoch nicht den Regelfall, sondern nur eine höchst seltene Ausnahme in der Embryonalentwicklung darstellt, ändert das theoretische Vorhandensein dieser Möglichkeit nichts an der numerischen Identität jedes geborenen Menschen mit einem faktisch ungeteilten extrakorporalen Embryo.341 Diesen faktischen

335 Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 85; Heun, JZ 2002, 517, 521; Rosenau, Streit um das Klonen, in: Schreiber/Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 135, 143. 336 Dreier, Lebensschutz, in: ders./Huber, Bioethik, S. 9, 22. 337 So aber Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 56, und Kersten, Klonen, S. 552. 338 Rosenau, Streit um das Klonen, in: Schreiber/Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 135, 143. 339 Sacksofsky, Der verfassungsrechtliche Status, S. 15. Ähnlich Starck, JZ 2002, 1065, 1069. 340 Vgl. R. Stoecker, Contra Identitätsargument, in: G. Damschen/D. Schönecker (Hrsg.), Der moralische Status menschlicher Embryonen, 2003, S. 129, 138 f.; Damschen/Schönecker, In dubio pro embryone, in: dies., Der moralische Status, S. 187, 244. 341 Vgl. Damschen/Schönecker, In dubio pro embryone, in: dies., Der moralische Status, S. 187, 244.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

Regelfall zur Grundlage der Identitätsthese zu machen, erscheint jedoch sachgerecht. (2) Numerische Identität trotz Ausdifferenzierung in Trophoblast und Embryoblast? Deutlich schwieriger zu beurteilen ist demgegenüber der gelegentlich auch von Juristen342 erhobene zweite Einwand gegen die Prämisse numerischer Identität im I-Argument: Hierbei geht es um die biologische Tatsache, daß sich nur der kleinste Teil der embryonalen Blastozyste, der sog. Embryoblast, wirklich später zum geborenen Menschen entwickelt, während der wesentlich größere Teil, der sog. Trophoblast, nur das künftige Hüll- und Nährgewebe bildet.343 Wie kann aber von numerischer Identität zwischen extrakorporalem Embryo und geborenem Menschen gesprochen werden, wenn sich beide Teile der Blastozyste (Embryoblast und Trophoblast) als voneinander getrennte Einheiten entwickeln, von denen nur eine zum späteren Fötus heranreift?344 Man kann dieses Gegenargument mathematisch auch wie folgt formalisieren: Wenn E (extrakorporaler Embryo) = B1 (Embryoblast) + B2 (Trophoblast) und B1 = M (geborener Mensch), dann ergibt sich zwingend, daß E 6ˆ M, mithin keine numerische Identität zwischen E und M bestehen kann. Da die Ausdifferenzierung des Embryos in Embryoblast und Trophoblast auch nicht wie die Mehrlingsbildung nur eine seltene Ausnahme, sondern den Regelfall darstellt, bekommt die hieraus resultierende Prämissenkritik gegen das I-Argument ein ungleich stärkeres Gewicht.345 Dieser in der philosophischen Literatur als „Trophoblastenproblem“ bekannte Einwand läßt sich letztlich nur entkräften, wenn man auch den Trophoblast und alles aus ihm Entstehende als Teil des sich zum geborenen Menschen entwikkelnden Embryos qualifiziert. Eine solche Zuordnung wird von ihren Verfechtern vor allem damit begründet, daß Trophoblast und Plazenta (als spätere Weiterentwicklung des Trophoblasten) charakteristische Organfunktionen des Fötus übernähmen und insoweit auch als ein Teil von ihm anzusehen seien.346

342 Hier vor allem Heun, JZ 2002, 517, 522; ders., Menschenwürde und Lebensrecht, in: Gethmann-Siefert/Huster, Recht und Ethik in der Präimplantationsdiagnostik, S. 69, 85 ff. 343 Siehe oben § 2 A. II. 344 Das Problem wird ausführlich dargestellt von Beckmann, Embryo, in: ders./ Löhr, Status des Embryos, S. 170, 191 f., Damschen/Schönecker, In dubio pro embryone, in: dies., Der moralische Status, S. 187, 246 ff., sowie Stoecker, Contra Identitätsargument, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status, S. 129, 139 ff. 345 Nach Damschen/Schönecker (In dubio pro embryone, in: dies., Der moralische Status, S. 187, 247) stellt sie den „stärksten Einwand“ gegen das Identitätsargument dar.

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Der Weg, die numerische Identität von extrakorporalem Embryo und geborenem Menschen über einen extensiven Embryobegriff zu „retten“, mag zwar gangbar sein, letztlich überzeugend ist er jedoch nicht. Er setzt sich vor allem dem Einwand der Kontraintuition aus, den z. B. Ralf Stoecker dahingehend zugespitzt hat, daß man bei dieser Sichtweise Kindsbewegungen während der Schwangerschaft nicht länger als Bewegungen des Ungeborenen, sondern als Bewegungen im Ungeborenen zu verstehen hätte, was jeder unmittelbaren Anschauung diametral widerspricht.347 Die Zurechnung des gesamten aus dem Trophoblast entstandenen Nähr- und Hüllgewebes zum „Embryo“ steht aber nicht nur im Gegensatz zur Intuition, sondern auch zum gängigen Sprachgebrauch unter Biologen.348 Im Ergebnis spricht daher mehr dafür, die Prämisse des I-Arguments, die eine numerische Identität zwischen extrakorporaler Entität und geborenem Menschen behauptet, aus rein tatsächlichen Gründen abzulehnen.349 In diesem Sinne erscheint auch die häufig anzutreffende und bis in den Gesetzeswortlaut von § 8 I ESchG und § 4 Nr. 3 StZG hineinreichende sprachliche Formulierung, daß eine Entität „sich zu einem Individuum entwickelt“, im Grunde ungenau und müßte eigentlich durch die Formulierung, daß die Entität „aus sich ein Individuum entwickelt (oder hervorbringt)“, ersetzt werden. bb) Kritik an der normativen Begründungsfunktion genetischer Identität (Konklusionskritik) Ebenso berechtigt wie die dargestellte Prämissenkritik bei der numerischen Identität ist hinsichtlich der verbleibenden genetischen Identität die auch von Juristen an das I-Argument herangetragene Konklusionskritik. Sie besagt, daß man aus der unbestrittenen genetischen Identität von extrakorporaler Entität und geborenem Menschen keine normative Aussagen wie die einer Grundrechtsträgerschaft bei Art. 2 II 1, 1. GG ableiten könne.350 In diesem Zusammenhang wird insbesondere darauf verwiesen, daß der Mensch offensichtlich mehr ist als die Summe seiner Gene351 und ein identisches Genom schließlich in jeder 346 So Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 191 f., im Anschluß an Damschen/Schönecker, In dubio pro embryone, in: dies., Der moralische Status, S. 187, 249 f. 347 Stoecker, Contra Identitätsargument, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status, S. 129, 140. 348 Statt aller Beier, ZaeFQ 96 (2002), 351, 353: „Im Innern des Furchungskeims bildet sich der Embryoblast aus, auch als ,innere Zellmasse‘ bzw. ,inner cell mass‘ bezeichnet. Aus diesen inneren Blastomeren entsteht der spätere Embryo.“ (Hervorh. T. H.). 349 Mit Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 183. 350 Rosenau, Streit um das Klonen, in: Schreiber/Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 135, 143; Schroth, JZ 2002, 170, 176. Aus philosophischer Sicht gleichlautend Kaminsky, Embryonen, S. 93 f., sowie Leist, Eine Frage des Lebens, S. 112.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

menschlichen Zelle vorkommt, ohne daß daraus ein gleicher Grundrechtsschutz wie für einen geborenen Menschen abgeleitet würde.352 Wiederum Merkel hat den in diesem „genetischen“ Identitätsargument zum Ausdruck kommenden logischen Fehlschluß treffend auf den Punkt gebracht: „Zwischen einem mikroskopisch winzigen Vier- oder Acht- oder Hundertzellwesen und einem geborenen Menschen läßt sich nur eine einzige Identitätsbeziehung feststellen: die der DNA, des individuellen menschlichen Genoms. Dieses allein ist . . . als ein bloßes Stück Biologie nicht geeignet, eine . . . Schutznorm zu begründen.“353

Sofern das I-Argument schließlich darauf abstellt, daß die extrakorporale Entität aufgrund dieses einzigartigen (individuellen) Genoms einen einzigartigen geborenen Menschen hervorbringen kann, und die Zubilligung der Grundrechtsträgerschaft bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG hiermit rechtfertigt, steckt dahinter kein echtes Identitäts-, sondern eine Spielart des Potentialitätsarguments. Denn mit dem Verweis auf die Einzigartigkeit des Genoms wird nicht primär die Identitätsbeziehung, sondern vor allem das in dem Genom angelegte Potential zur Menschentwicklung als Begründungsschwerpunkt in den Vordergrund gestellt.354 Man könnte dieser Sichtweise allenfalls noch insoweit entgegenkommen, als nicht irgendein Potential zur Menschentwicklung grundrechtlich geschützt werden kann, sondern nur ein schon individualisiertes, mit sich identisch bleibendes Potential eines Wesens, das frühestens mit der erstmaligen Ausbildung des neuen Genoms, d. h. im Vorkernstadium nach Ausstoßung des zweiten Polkörpers, vorliegt.355 5. Zwischenergebnis (Ethikorientierte Argumentationsstrategien zu Art. 2 II 1 Alt. 1 GG) Die vom Grundrechtsträgerkonzept verfolgte Argumentationsstrategie, die Grundrechtsträgerschaft extrakorporaler Entitäten bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG mittels einer Rezeption von drei für die philosophische Bioethikdebatte zentralen Argumenten zu begründen, hat im wesentlichen folgendes erbracht: Zunächst ist festzuhalten, daß allein voll entwicklungsfähige extrakorporale Entitäten (oben §§ 2, 3), und zwar unabhängig von ihrer Entstehungsart, als 351 Rosenau, Streit um das Klonen, in: Schreiber/Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 135, 143; Dreier, Lebensschutz, in: ders./Huber, Bioethik, S. 9, 25. 352 Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 106. 353 Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 179. 354 Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 106. Aus philosophischer Sicht gleichlautend Damschen/Schönecker, In dubio pro embryone, in: dies., Der moralische Status, S. 187, 220. 355 Vgl. Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 184. Ähnlich Heun, Menschenwürde und Lebensrecht, in: Gethmann-Siefert, Recht und Ethik in der Präimplantationsdiagnostik, S. 69, 83 f.

§ 9 Theoretische Begründung

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Kandidaten für ein subjektives Lebensrecht aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG in Betracht kommen. Entgegen vereinzelt vertretenen Auffassungen scheiden begrenzt entwicklungsfähige Laborartefakte (oben § 4) von vornherein aus dem Kreis möglicher Grundrechtsträger aus, da die entwicklungsbiologische Totipotenz einen unverzichtbaren Anknüpfungspunkt für alle drei ethikorientierten verfassungsrechtlichen KIP-Argumente bildet. Unter diesen drei KIP-Argumenten läßt sich eine normative Gleichbehandlung extrakorporaler Embryonen mit geborenen Menschen in bezug auf Art. 2 II 1 Alt. 1 GG nur mit Hilfe eines verfassungsrechtlichen Potentialitätsarguments begründen, das sich im zugrundegelegten Begriff (dispositionelles Vermögen zur Menschentwicklung) sowie in der normativen Schlußfolgerung (Gleichsetzung von Potentialität und Aktualität) eng an die aristotelisch-thomistische Tradition anlehnt. Alle Versuche in der juristischen Literatur, bereits die definitorische Prämisse des verfassungsrechtlichen P-Arguments zu erschüttern und entgegen der Tradition eine neue juristische Potentialitätsterminologie zu etablieren, erweisen sich als untauglich. Als aussichtsreicher, wenn auch nicht zwingend erfolgversprechend, erscheint hingegen die Konklusionskritik am verfassungsrechtlichen Potentialitätsargument, die die vom Grundrechtsträgerkonzept vertretene Gleichsetzungsthese angreift und dabei auf eine abweichende Lesart der rezipierten Tradition rekurriert. Verglichen mit dem verfassungsrechtlichen Potentialitätsargument können weder das verfassungsrechtliche Kontinuitäts- noch das verfassungsrechtliche Identitätsargument überzeugende eigenständige Beiträge zur argumentativen Stützung der Grundrechtsträgerthese liefern. Im Gegensatz zum Identitätsargument, bei dem bereits die Annahme numerischer Identität von extrakorporalem Embryo und geborenem Menschen zweifelhaft ist, läßt sich die im Kontinuitätsargument zum Ausdruck kommende Prämisse eines zeitlich-räumlichen Entwicklungskontinuums bei Zugrundelegung des hier vertretenen Potentialitätsbegriffs nicht sinnvoll bestreiten. Sowohl aus diesem Kontinuitätsaspekt als auch aus der Prämisse genetischer Identität ergeben sich jedoch keine spezifisch neuen Schlußfolgerungen, die der vom Grundrechtsträgerkonzept über das Potentialitätsargument hergestellten normativen Brücke zwischen extrakorporalem Embryo und geborenem Menschen zusätzliche Überzeugungskraft verleihen.

B. Die Grundrechtsträgerschaft extrakorporaler Entitäten bei Art. 1 I GG Waren bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG zur Begründung der Grundrechtsträgerschaft extrakorporaler Entitäten umfangreiche Argumentationsstrategien erforderlich, die vor allem die Potentialität in den Vordergrund rückten, konzentriert sich die Problematik bei Art. 1 I GG nur noch auf eine einzige Fragestellung: Zu untersuchen bleibt, ob eine extrakorporale Entität, wenn sie vor dem Hintergrund der

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

bisherigen Erörterungen als „jeder“ im Sinne von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG klassifiziert wird, zugleich auch als „Mensch“ im Sinne von Art. 1 I GG und damit Subjekt der Menschenwürdegarantie anzusehen ist.356 I. Die Koppelungsthese des Grundrechtsträgerkonzepts zu Art. 1 I GG Das Grundrechtsträgerkonzept bejaht diese Frage uneingeschränkt und geht damit von einer zwingenden Koppelung oder Synchronisation der personellen Schutzbereiche der Grundrechte aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG aus. Die hierin zum Ausdruck kommende sog. Koppelungsthese formuliert etwa Wolfram Höfling wie folgt: „Existiert ein ,Schutzobjekt‘ und Grundrechtsträger im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und gilt dies . . . auch für den Embryo in vitro, so erstreckt sich hierauf auch die Schutzwirkung des Menschenwürdesatzes.“357

Diese Synchronisation beider Grundrechte bedeutet vor dem Hintergrund des oben entwickelten Potentialitätsarguments zugleich, daß Potentialität im Sinne eines dispositionellen Vermögens zur Menschentwicklung358 bei extrakorporalen Entitäten nicht nur bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG, sondern auch bei Art. 1 I GG die einzige Bedingung für die Zuerkennung der entsprechenden Schutzwirkung des Grundrechts darstellt. Gern wird in diesem Zusammenhang auch auf das erste Schwangerschaftsurteil des Bundesverfassungsgerichts verwiesen, in dem es ausdrücklich heißt, daß „die von Anfang an im menschlichen Sein angelegten potentiellen Fähigkeiten genügen, um die Menschenwürde zu begründen.“359 Da die Potentialität aber ihrerseits am naturwissenschaftlichen Kriterium entwicklungsbiologischer Totipotenz anknüpft, ist weiter zu folgern, daß nach der Koppelungsthese alle totipotenten extrakorporalen Entitäten im Ergebnis auch Grundrechtsträger bei Art. 1 I GG sind. Angewandt auf die drei Prototypen extrakorporalen menschlichen Lebens (oben §§ 2–4) unterfallen damit sowohl Befruchtungsembryonen (oben § 2) – inklusive imprägnierter Eizellen im Vorkernstadium nach Ausstoßung des zweiten Polkörpers – als auch Zellkern356 Daß Art. 1 I GG hier mit der h. M. subjektiv-rechtlich verstanden wird, wurde bereits eingangs erläutert; vgl. oben Fußn. 5. 357 Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 67. Ebenso Böckenförde, JZ 2003, 809, 813; ders., Blätter für deutsche und internationale Politik 2004, 1216, 1222; Isensee, Der grundrechtliche Status, in: Höffe/Honnefelder, Gentechnik, S. 37, 62; Kersten, Klonen, S. 564; G. Robbers, Rechtsethische Aspekte der Gentechnologie, in: Stiftung Gesellschaft für Rechtspolitik/Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier (Hrsg.), Bitburger Gespräche. Jahrbuch 2002/II, 2003, S. 141, 146; Röger, Verfassungsrechtliche Grenzen, in: Schriftenreihe JVL 2000, S. 55, 67; Sacksofsky, Der verfassungsrechtliche Status, S. 51. 358 Siehe oben § 9 A. III. 2. a) aa). 359 BVerfGE 39, 1, 41.

§ 9 Theoretische Begründung

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transferklone (oben § 3) den Schutzwirkungen des Art. 1 I GG, während begrenzt entwicklungsfähige Laborartefakte (oben § 4) keine Menschenwürdeträger sind.360 II. Die Entkoppelungsthesen zu Art. 1 I GG Natürlich ist auch diese Koppelungsthese des Grundrechtsträgerkonzepts in der verfassungsrechtlichen Bioethikdebatte nicht ohne Widerspruch geblieben und immer wieder der Ruf nach einer Entkoppelung der Schutzbereiche beider Grundrechte erhoben worden. Um hier von vornherein einem möglichen und in der Diskussion immer wieder anzutreffenden Mißverständnis vorzubeugen:361 Bei dieser Entkoppelungsforderung der Gegner des Grundrechtsträgerkonzepts geht es nicht um eine Entkoppelung der sachlichen Schutzbereiche von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG. Daß beide Grundrechte der Sache nach unterschiedliche verfassungsrechtliche Schutzgüter (physische Existenz versus Subjektqualität) betreffen, ist weitgehend unbestritten und mit Blick auf den Gesetzesvorbehalt des Art. 2 II 3 GG im Grunde trivial.362 Worum es vorliegend geht, ist die Entkoppelung der personellen Schutzbereiche beider Grundrechte, also das Auseinanderfallen der subjektiven Berechtigung aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG einerseits und Art. 1 I GG andererseits, was zumindest bei extrakorporalen Entitäten von Gegnern des Grundrechtsträgerkonzepts grundsätzlich für möglich gehalten wird.363 Ihre Protagonisten bieten jedoch so unterschiedliche Entkoppelungsvarianten an, daß diese vor ihrer Einzelanalyse zunächst in einer Übersicht zusammengefaßt werden sollen, um die Verzweigungspunkte der Argumentationen deutlich zu machen (siehe dazu Übersicht 11 auf S. 194).

360 Zur im letzten Punkt teils abweichenden Auffassung innerhalb des Grundrechtsträgerkonzepts vgl. die analoge Diskussion bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG oben § 9 A. III. 2. c) cc). 361 Für eine insoweit klare Differenzierung auch Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 110. 362 Statt aller Sacksofsky, Der verfassungsrechtliche Status, S. 40, und T. Hörnle, Menschenwürde und Lebensschutz, ARSP 89 (2003), 318, 320 f. Bekanntlich ist nicht jede Tötung mit einer Menschenwürdeverletzung gleichzusetzen und umgekehrt. 363 Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 67: „Die personale Trägerschaft von Art. 2 II 1 GG und Art. 1 I GG muß nicht zusammenfallen.“ Dsgl. Heun, Menschenwürde und Lebensrecht, in: Gethmann-Siefert/Huster, Recht und Ethik in der Präimplantationsdiagnostik, S. 69, 88; E. Schmidt-Jortzig, Systematische Bedingungen der Garantie unbedingten Schutzes der Menschenwürde in Art. 1 GG, DÖV 2001, 925, 928.

194

3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

Entkoppelung von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG

bei allen extrakorporalen Entitäten

mangels Potentialität

bei extrakorporalen Entitäten bestimmter Entstehungsarten

mangels weiterer Voraussetzungen zur Potentialität

Übersicht 11: Varianten der Entkoppelungsthese zu Art. 1 I GG bei extrakorporalem menschlichem Leben

1. Entkoppelung bei allen extrakorporalen Entitäten Eine erste Gruppe von Entkoppelungsthesen betrifft alle entwicklungsfähigen extrakorporalen Entitäten, also sowohl extrakorporale Embryonen aus künstlicher Befruchtung (oben § 2) als auch Zellkerntransferklone (oben § 3). Innerhalb dieser Hauptgruppe lassen sich wiederum zwei Untergruppen beschreiben, die voneinander in bezug auf die jeweilige Begründung abweichen, weshalb die Entkoppelung bei allen extrakorporalen Entitäten zu erfolgen hat. Als gemeinsames Merkmal beider Varianten spielt erneut die Potentialität die tragende Rolle. Während im ersten Fall die Notwendigkeit der Entkoppelung mit einer mangelnden Potentialität extrakorporaler Entitäten begründet wird (dazu nachfolgend a)), werden im zweiten Fall über die zugestandene Potentialität hinaus weitere Voraussetzungen für einen Einbezug dieser Entitäten in den Schutzbereich von Art. 1 I GG gefordert (dazu nachfolgend b)). a) Entkoppelung mangels Potentialität extrakorporaler Entitäten? Als prominenteste Vertreterin dieser ersten Entkoppelungsvariante hat sich in jüngerer Zeit die amtierende Bundesjustizministerin Brigitte Zypries entpuppt.

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In ihrer bekannten Rede beim Humboldt-Forum an der Humboldt-Universität in Berlin am 29. Oktober 2003 gab die Regierungsvertreterin, nachdem sie zuvor ausführlich für den Einbezug extrakorporaler Embryonen in den Schutzbereich von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG plädiert hatte, folgendes zu Protokoll: „Solange sich der Embryo in vitro befindet, fehlt eine wesentliche Voraussetzung dafür, sich aus sich heraus zum Menschen oder – wie das Bundesverfassungsgericht es in seiner letzten Entscheidung zu § 218 StGB für den Fötus formuliert hat – ,als‘ Mensch zu entwickeln. Die lediglich abstrakte Möglichkeit, sich in diesem Sinne weiterzuentwickeln, reicht meines Erachtens für die Zuerkennung von Menschenwürde nicht aus.“364

Was ist von dieser Entkoppelungsvariante zu halten? Um es mit einem Satz vorwegzunehmen: Der von der Ministerin unternommene Versuch, auf die dargestellte Weise zwischen Art. 1 I GG und Art. 2 II 1 Alt. 1 GG zu differenzieren, ist nicht überzeugend und kann die Koppelungsthese des Grundrechtsträgerkonzepts unter keinen Umständen erschüttern. Nach Zypries besitzt der Embryo in vitro lediglich eine „abstrakte Möglichkeit“ zur Menschentwicklung. Vor dem Hintergrund des bisher Gesagten kann man diese Worte nur so deuten, daß es extrakorporalen Embryonen nach Auffassung der Ministerin wegen des nötigen Transfers in den Uterus an realer oder aktiver Potentialität mangelt, die allein als „würdestiftend“ anzuerkennen wäre. Damit vertritt Zypries allerdings ein Potentialitätskonzept, das bereits bei der Erörterung von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG als nicht überzeugend beurteilt wurde.365 Darüber hinaus müßte sich die Ministerin aber auch fragen lassen, warum die von ihr apostrophierte „abstrakte Möglichkeit“ zur Menschentwicklung für die Zuerkennung des Lebensrechts (Art. 2 II 1 Alt. 1 GG) ausreicht, für die Zuerkennung von Menschenwürde (Art. 1 I GG) aber offenbar nicht. Das genaue Gegenteil ist richtig: Wenn ein extrakorporaler Embryo über eine solche Potentialität verfügt, daß er hinsichtlich Art. 2 II 1 Alt. 1 GG mit einem geborenen Menschen gleichgestellt werden kann, muß eben diese Potentialität auch für eine normative Gleichbehandlung bei Art. 1 I GG genügen. Eine Entkoppelung des personellen Schutzbereichs beider Grundrechte kann mithin nicht allein am Potentialitätsaspekt festgemacht werden. Zu guter Letzt können auch Zypries’ Hinweise auf die Abtreibungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht als Entkoppelungsbegründung herhalten, wird in den Grundsatzpassagen der Urteile doch gerade die Notwendigkeit einer Synchronisation beider Grundrechte betont („Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Würde zu.“).366 364 B. Zypries, Vom Zeugen zum Erzeugen? Verfassungsrechtliche und rechtspolitische Fragen der Bioethik, 2003 (www.bmj.bund.de), S. 5 (Hervorh. T. H.). Zum vorherigen Einbezug des extrakorporalen Embryos in den Schutzbereich von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG siehe ebd., S. 4. 365 Siehe oben § 9 A. III. 2. d) aa). 366 BVerfGE 39, 1, 41; 88, 203, 252.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

b) Entkoppelung mangels weiterer Voraussetzungen zur Potentialität? Eine Reihe von Verfassungsrechtlern geht deshalb bewußt einen anderen Weg, um die Entkoppelungsthese zu untermauern: Zwar billigen sie dem extrakorporalen Embryo auch in bezug auf Art. 1 I GG die aktive Potentialität zu, wollen diese aber als einzige Voraussetzung für die Zuerkennung verfassungsrechtlichen Menschenwürdeschutzes keinesfalls ausreichen lassen.367 Als zur Potentialität hinzukommende Bedingungen für einen Einbezug menschlichen Lebens in Art. 1 I 1 GG werden dabei so unterschiedliche Kriterien wie optische Erkennbarkeit als Mensch,368 Ich-Bewußtsein, Autonomie, Schmerzempfindungsfähigkeit u. ä.369 genannt. Bereits die Vielzahl dieser zusätzlichen Kriterien läßt Zweifel aufkommen, ob diese für das Vorliegen eines Menschwürdeträgers im Sinne von Art. 1 I GG tatsächlich relevant sein können. Darüber hinaus führen solche Entkoppelungsthesen zu einer sehr mißlichen Konsequenz auf der Ebene des Normtextes: Sie müssen nämlich behaupten, daß „Mensch“ in Art. 1 I 1 GG mehr bedeutet als „jeder“ in Art. 2 II 1 GG (was doch nur „jeder Mensch“ heißen kann370), mithin in zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Verfassungsartikeln letztlich derselbe Rechtsbegriff in unterschiedlichen Bedeutungsvarianten gebraucht wird.371 Diese Sichtweise kann jedoch nur schwerlich überzeugen, was z. B. Ernst-Wolfgang Böckenförde in einer rhetorischen Frage zuspitzt: 367 Insbesondere Schmidt-Jortzig, DÖV 2001, 925, 928; Dreier, in: ders., Grundgesetz, Art. 1 I Rdnr. 70 f. und 83. Auch Herdegen (in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I [2005] Rdnr. 58) betont die Unmöglichkeit, Menschenwürde allein an der Potentialität festzumachen. Mit dem dabei von ihm verwendeten Potentialitätsbegriff („bloße Potentialitäten, wie sie schon Ei- und Samenzellen vor Verschmelzung eigen sind“) gibt er jedoch zu erkennen, daß er nicht Potentialität im Sinne eines dispositionellen Vermögens, sondern Potentialität als logische Möglichkeit (Possibilität) meint, was als normatives Kriterium ohnehin nicht in Betracht kommt. Zu den Potentialitätsbegriffen siehe oben § 9 A. III. 2. a) aa). 368 Schmidt-Jortzig, DÖV 2001, 925, 929: „Mensch‘ im Sinne des Würdeschutzes ist nur da auszumachen, wo man das lebende Etwas als Menschen erkennen kann.“ Speziell zum Erkennbarkeitskriterium kritisch Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 174 f. 369 Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 83; ihm folgend Heun, Menschenwürde und Lebensrecht, in: Gethmann-Siefert/Huster, Recht und Ethik in der Präimplantationsdiagnostik, S. 69, 88, und R. Will, Christus oder Kant, Blätter für deutsche und internationale Politik 2004, 1228, 1238. Ähnlich A. Podlech (in: E. Denninger/W. Hoffmann-Riem u. a. [Hrsg.], Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland [Reihe Alternativkommentare], 3. Aufl., Loseblattslg., Stand 2001, Art. 1 I Rdnr. 57), der für die Zuerkennung von Menschenwürde eine „Einheit von Leib, Seele und Geist“ voraussetzt, die frühestens ab dem Zeitpunkt der Geburt gegeben sei. 370 Murswiek, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 2 Rdnr. 145 a. 371 Das behauptet in der Tat Schmidt-Jortzig (DÖV 2001, 925, 928), der in den unterschiedlichen Bezeichnungen „Mensch“ und „jeder“ einen zusätzlichen Beleg da-

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„Wie kann . . . ein Wesen oder eine Entität, das oder die kein Mensch in diesem Sinne [= im Sinne von Art. 1 I 1 GG, T. H.] ist, keinen Anteil am Menschsein hat, gleichwohl ein ,Jeder‘ und Träger des Grundrechts auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 GG sein?“372

Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte des Art. 1 GG373 stützt im übrigen den Befund, daß an den „Mensch-Begriff“ in Absatz 1 keine über das individuelle menschliche Leben hinausgehenden Voraussetzungen geknüpft werden sollten. Zwar wurde bei den Beratungen des Parlamentarischen Rats (1948/49) bei Art. 1 I 1 GG im Gegensatz zum später entstandenen Art. 2 II 1 Alt. 1 GG die Frage des Beginns des Menschseins nicht ausdrücklich thematisiert.374 Immerhin stand aber während der 4. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 23. September 1948 das Problem der begrifflichen Fassung des Rechtssubjekts von Art. 1 I GG kurzzeitig auf der Tagesordnung.375 Dem Ausschuß lag dabei zu Beginn seiner Beratungen eine Formulierung des Redaktionskomitees (Unterausschusses) zugrunde, in der es bereits hieß: „Die Würde des Menschen ruht auf ewigen, einem Jeden von Natur aus eigenen Rechten“.376

Im Rahmen der vor allem wegen des strittigen Naturrechtsbezugs vorgenommenen Änderung von Art. 1 I E-GG wurde auch erwogen, anstelle der Formulierung „Würde des Menschen“ die Begriffe „Würde menschlichen Lebens“, „Würde des menschlichen Daseins“ (beide Carlo Schmid [SPD]) oder „Würde des menschlichen Wesens“ (Theodor Heuss [FDP]) zu verwenden.377 Wenngleich sich all diese Wendungen aus Gründen sprachlicher Eleganz letztlich nicht durchsetzten konnten und man die obige Fassung „Würde des Menschen“ beibehielt,378 sind sie doch ein Beleg dafür, daß die Verfassungsväter und -mütfür sieht, daß in Art. 1 I 1 GG und Art. 2 II 1 GG verschiedene Grundrechtssubjekte gemeint sind. 372 Böckenförde, Blätter für deutsche und internationale Politik 2004, 1216, 1222; ders., JZ 2003, 809, 811 (dort Fußn. 11). Gegen eine Entkoppelung bereits W. Graf Vitzthum, Gentechnologie und Menschenwürde, MedR 1985, 249, 252, sowie GeddertSteinacher, Menschenwürde, S. 59 ff. („Differenzierungsverbot zwischen würdigem und unwürdigem Leben“). 373 Dazu eingehend Enders, Menschenwürde, S. 404 ff.; v. Doemming/Füsslein/ Matz, JöR. N. F. 1 (1951), 1, 48 ff. 374 Stern, Staatsrecht III/1, § 70 IV 3. b), S. 1049. Zur entsprechenden Diskussion beim Lebensrecht siehe oben § 9 A. I. 2. c). 375 Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Protokolle, Bd. V/1 (Ausschuß für Grundsatzfragen), bearbeitet von E. Pikart u. W. Werner, 1993, S. 62 ff. 376 Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd. V/1, S. 62 (dort Fußn. 3) (Hervorh. T. H.). 377 Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd. V/1, S. 67, 70 und 72. 378 Die damalige Fassung von Art. 1 I E-GG lautete: „Die Würde des Menschen steht im Schutze der staatlichen Ordnung.“ (Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd. V/1, S. 73).

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

ter an das „Menschsein“ im Sinne von Art. 1 I 1 GG keine über die vegetativbiologische Existenz („Dasein“) hinausgehenden Bedingungen knüpfen wollten.379 Da die damalige Debatte im Grundsatzausschuß aber verständlicherweise nicht vorgeburtliches oder gar extrakorporales Leben im Blick hatte, können die ermittelten historisch-genetischen Auslegungsaspekte freilich nur ein Indiz sein. Insgesamt spricht aber wohl mehr dafür, auch bei extrakorporalen Entitäten eine generelle Entkoppelung der Grundrechtsträgerschaft bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG abzulehnen. 2. Entkoppelung bei extrakorporalen Entitäten bestimmter Entstehungsarten Jenseits dessen sind in jüngerer Zeit einige juristische Arbeiten erschienen, die bei extrakorporalem Leben zwar nicht grundsätzlich beide Schutzbereiche entkoppeln, jedoch in Abhängigkeit von der Entstehungsart der jeweiligen Entität Differenzierungen vornehmen wollen.380 a) Inhalt der Entkoppelungsthese anhand der Entstehungsart Argumentativer Ausgangspunkt dieser Variante der Entkoppelungsthese ist ein spezifisches Verständnis von Art. 1 I GG:381 Danach sei für die Möglichkeit der Zuschreibung von Menschenwürde bei Embryonen in vitro ein Menschenbild maßgebend, das von einer kontingenten (zufälligen) Entstehungsart des Menschen ausgehe. Das Zufallsprinzip und die Neukombination haploider Chromosomensätze gemischt-geschlechtlicher Herkunft als zu schützender natürlicher Kern menschlicher Fortpflanzung hätten als wesentliche Voraussetzungen für „unsere“ Vorstellung vom Menschsein und damit Teil dieses grundgesetzlichen Menschenbildes zu gelten, und die damit korrespondierende Entstehungsart der Befruchtung müsse als eine Art „Grundrechtsvoraussetzung“ verstanden werden.382 In diesem Sinne komme verfassungsrechtlicher Menschenwürde379 So ausdrücklich C. Schmid (Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd. V/1, S. 72). 380 Eser/Koch, Rechtsgutachten, in: Deutsche Forschungsgemeinschaft, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen. Rechtsgutachten, S. 37, bes. 65; Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 175 ff.; Paul, Möglichkeiten und Grenzen, S. 71 ff. Vgl. zu letzteren beiden Arbeiten auch die Besprechung von Hartleb, MedR 2005, 620. Die Arbeiten von Hetz und Paul unterscheiden sich allerdings darin, daß Hetz (Schutzwürdigkeit, S. 195) im Gegensatz zu Paul (Möglichkeiten und Grenzen, S. 74 und 161) Zellkerntransferklonen nicht das subjektive Lebensrecht, sondern nur eine objektivrechtliche Wirkung aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG zubilligt. 381 Eser/Koch, Rechtsgutachten, in: Deutsche Forschungsgemeinschaft, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen. Rechtsgutachten, S. 37, 65; Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 175 ff.; Paul, Möglichkeiten und Grenzen, S. 71 ff. 382 Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 176 und 178.

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schutz nur „fortpflanzungsgeeigneten“ Embryonen zu, worunter vor allem folgende extrakorporale Entitäten zu subsumieren seien: • durch extrakorporale Befruchtung entstandene Embryonen (oben § 2), wobei es unerheblich sei, ob diese Befruchtung mit natürlichen oder künstlichen, d. h. etwa nach dem Verfahren von Schöler hergestellten Keimzellen erfolge, sowie • im Wege des Embryosplittings oder Abspaltens einer totipotenten Zelle aus diesen Embryonen entstandene Klone.383 Extrakorporale Zellkerntransferklone (oben § 3) hätten hingegen keinen Anteil am verfassungsrechtlichen Menschenwürdeschutz, da ihre Entstehungsart dem zuvor entwickelten Menschenbild des Grundgesetzes diametral widerspreche.384 Sie könnten von der Menschenwürdegarantie vielmehr frühestens ab dem Zeitpunkt eines Transfers in den Uterus erfaßt werden, da dann die atypische Entstehungsart von fortpflanzungstypischen Faktoren überlagert würde.385 Darüber hinaus wird zur Stützung der Entkoppelungsthese vorgetragen, daß Zellkerntransferklone zu keinem Zeitpunkt Teil des menschlichen Reproduktionsprozesses bzw. in kein Beziehungsgeflecht eingebettet seien, was offenbar als würdekonstituierend angesehen wird.386 Im Ergebnis stehen sich also zwei normative Klassen von Embryonen gegenüber: Embryonen erster Klasse, die durch die Befruchtung als Menschenwürdeträger „geadelt“ sind, und würdelose Embryonen zweiter Klasse, die allein dem Schutzbereich von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG unterfallen. In weiterer Konsequenz dieser Auffassung wird dafür plädiert, Zellkerntransferklone angesichts ihres minderen verfassungsrechtlichen Status gar nicht mehr in den einfachgesetzlichen Embryobegriff (§ 8 I ESchG, § 3 Nr. 4 StZG) einzubeziehen;387 Annekatrin Paul schlägt hierfür sogar die sprachlich völlig mißglückte neue Legaldefinition „therapeutischer Klon“ vor.388

383 Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 178 f. Ähnlich Koch, Embryonenschutz, in: Arnold/ Burkhardt u. a., Festschrift Eser, S. 1091, 1114. Zum Schöler-Verfahren siehe oben § 4 A. 384 Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 180. 385 Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 179 f. und 188. 386 Paul, Möglichkeiten und Grenzen, S. 72 und 161. 387 Eser/Koch, Rechtsgutachten, in: Deutsche Forschungsgemeinschaft, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen. Rechtsgutachten, S. 37, 62 ff.; Koch, Embryonenschutz, in: Arnold/Burkhardt u. a., Festschrift Eser, S. 1091, 1114 f. Wie bereits dargestellt, gehen diese Autoren davon aus, daß Zellkerntransferklone bereits de lege lata nicht dem Embryobegriff des § 8 I ESchG unterfallen und damit § 8 I ESchG und § 3 Nr. 4 StZG inhaltsverschieden sind. Zu den nicht tragbaren Konsequenzen dieser Auffassung vgl. oben 2. Kap., Fußn. 202. 388 Paul, Möglichkeiten und Grenzen, S. 148 f.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

b) Kritik an der Entkoppelungsthese anhand der Entstehungsart Die mit dieser Entkoppelungsthese verbundene verfassungsrechtliche Differenzierung nach der Entstehungsart erscheint allerdings aus mehreren Gründen problematisch: Zunächst entbehrt die Postulierung eines bestimmten in Art. 1 I GG zum Ausdruck kommenden Menschenbildes für extrakorporales Leben, das mit normativem Anspruch bestimmte nicht kontingent entstandene Entitäten a priori von der Menschenwürdegarantie ausschließt, nicht einer gewissen Beliebigkeit, Willkürlichkeit und Ideologieanfälligkeit. In der beschriebenen Form kann es sich außerdem weder auf eine gefestigte Verfassungstradition noch verfassungs- oder verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung stützen.389 Wenngleich die Gefahr solcher Ideologieanfälligkeit von Menschenbildern schon früh erkannt wurde,390 ist sie gerade in jüngerer Zeit noch einmal besonders betont worden. So faßt Horst Dreier in der Neukommentierung von Art. 1 I GG seine Kritik an der Menschenbild-Formel pointiert zusammen: „Gerade weil der irrlichternde Charakter der Menschenbild-Formel konkret faßbarer rechtsdogmatischer Konturen entbehrt, lassen sich nahezu beliebige Bezugnahmen herstellen . . . Als besonders gefährlich erweist sich die Vermengung mit Art. 1 I GG wegen der Ideologieanfälligkeit der Formel . . . Die Menschenbild-Formel sollte daher bei der inhaltlichen Bestimmung des Art. 1 I GG tunlichst vermieden werden.“391

Das in diesem Kontext oft mitverwendete Element der Natürlichkeit392 kann außerdem angesichts des hohen Grades an Artifizialität in der modernen Biotechnologie kaum als überzeugendes Abgrenzungskriterium für die Zubilligung von Grundrechtsschutz angesehen werden. In den vergangenen Jahren sind die Grenzen zwischen natürlicher und künstlicher Entstehungsart vielmehr fließend geworden, wie man gerade auch an den neuen Verfahren von Schöler u. a. verdeutlichen kann. Im übrigen erscheint diese verfassungsrechtlich aufgeladene „Ethisierung der Natur“ grundsätzlich zweifelhaft, da damit die Faktizität biologischer Prozesse im Zweifel gegen die Selbstbestimmung des Menschen ge389 Gerade die Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts bietet Anschauungsunterricht für eine nahezu beliebige Verwendung der Menschenbildformel (vgl. Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 168). 390 So noch A. Eser, Neuartige Bedrohungen ungeborenen Lebens, 1990, S. 38 m. w. N. in Fußn. 118. 391 Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 168 f. Kritisch zur Menschenbildformel auch T. Aubel, Das Menschenwürde-Argument im Polizei- und Ordnungsrecht, Die Verwaltung 37 (2004), 229, 248; Enders, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz I, Art. 1 Rdnr. 132; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2005) Rdnr. 25 f., 29; Nettesheim, AöR 130 (2005), 71, 109. 392 Eser/Koch, Rechtsgutachten, in: Deutsche Forschungsgemeinschaft, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen. Rechtsgutachten, S. 37, 65 („zu schützender natürlicher Kern menschlicher Fortpflanzung“).

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schützt werden könnte, was der individualschützenden Funktion des Art. 1 I GG diametral zuwiderliefe.393 Doch selbst wenn man eine Differenzierung anhand dieses postulierten Menschenbildes vom Grundsatz akzeptierte, wären die durch eine entsprechende Einordnung extrakorporaler Entitäten erzielten Ergebnisse nur schwer hinnehmbar. So ist z. B. nicht nachzuvollziehen, weshalb Embryonen, die aus der Befruchtung mit Hilfe zweier künstlicher Keimzellen – also von Keimzellen aus Verfahren nach Schöler u. a. – resultieren, normativ als „fortpflanzungsgeeignet“ gelten sollten.394 Würden derartige Embryonen nämlich tatsächlich zur Fortpflanzung verwendet, könnten Kinder geboren werden, deren genetische Eltern Stammzellen – möglicherweise noch derselben Stammzellinie – waren. Wie dies aber mit einem an natürlichen Vorstellungen von Elternschaft und Generationszusammenhängen orientierten Menschenbild des Grundgesetzes vereinbar sein soll, bleibt völlig unklar. Vielmehr drängt sich die normative Gleichbehandlung derart „elternloser“ Embryonen mit z. B. durch Zellkerntransfer aus fetalen Spenderzellen entstandenen „elternlosen“ Entitäten geradezu auf. – Gleiches gilt auch für die vorgeschlagene Differenzierung bei der Methode des Klonens, wonach durch Embryosplitting oder Abspaltung totipotenter Zellen entstandene Klone wegen der vorausgegangenen Befruchtung des Ausgangsembryos im Gegensatz zu Zellkerntransferklonen noch vom Menschenwürdeschutz erfaßt wären.395 Ein Klon, der durch Abspaltung einer totipotenten Zelle entsteht, verdankt seine Entstehung im Gegensatz zum „Kernverschmelzungsembryo“ aber gerade nicht mehr einer „würdekonstituierenden“ Neukombination von genetischem Material, sondern allein der Herauslösung aus einem bestehenden Gewebeverband. Die pauschale normative Gleichsetzung dieser beiden völlig unterschiedlichen Entstehungsarten erscheint daher in hohem Maße erklärungsbedürftig. Daß sich zwischen beiden Klonvarianten im Grunde keine normative Differenzierung begründen läßt, kann man auch anhand des folgenden Gedankenexperiments leicht demonstrieren: Ein Paar unterzieht sich einer erfolgreichen IVF-Behandlung. Bevor der durch künstliche Befruchtung entstandene Embryo transferiert wird, wird ihm im Frühstadium eine totipotente Zelle entnommen und diese kryokonserviert. Nach einigen Jahren möchte das Paar noch ein zweites Kind mit genetischen Anteilen beider Elternteile, eine erneute IVF-Behandlung kommt wegen inzwischen eingetretener totaler Infertilität des Mannes jedoch nicht mehr in Betracht. Die Eltern sehen sich nun vor der Alternative, für einen Transfer entwe393 So Nettesheim (AöR 130 [2005], 71, 109 f.), der es deshalb für unstatthaft hält, in Art. 1 I GG eine Gewährleistung der Natürlichkeit des Fortpflanzungsprozesses hineinzulesen. 394 Koch, Embryonenschutz, in: Arnold/Burkhardt u. a., Festschrift Eser, S. 1091, 1114; Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 178. 395 Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 179.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

der die einst abgespaltene totipotente Zelle oder aber eine „frische“ Eizelle der Frau zu verwenden, in die der Kern einer Körperzelle des erstgeborenen Kindes transplantiert wurde. Die technische Ausgereiftheit der Zellkerntransfermethode vorausgesetzt, entstünde bei erfolgreicher Implantation in beiden Fällen der gleiche „zeitversetzte“ Zwilling des erstgeborenen Kindes. Warum dieser in seinem Embryonalstadium jedoch einmal der Menschenwürde teilhaftig sein soll, im anderen Fall jedoch nicht, erscheint nicht nachvollziehbar. Alles in allem muß man daher konstatieren, daß auch diese letzte Entkoppelungsvariante anhand der Entstehungsart extrakorporaler Entitäten aus mannigfachen Gründen nicht überzeugt. Es bleibt somit beim Befund, daß Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG hinsichtlich ihres personellen Schutzbereichs identisch sind und von den hier diskutierten Theorien die Koppelungsthese des Grundrechtsträgerkonzepts gegenüber allen Varianten der Entkoppelungsthese die größte Schlüssigkeit für sich in Anspruch nehmen kann – ein Ergebnis, das im übrigen nicht nur von den Vertretern des Grundrechtsträgerkonzepts, sondern auch von zahlreichen seiner grundsätzlichen Kritiker geteilt wird.396

§ 10 Praktische Anwendung des Grundrechtsträgerkonzepts Nachdem die theoretischen Voraussetzungen des Grundrechtsträgerkonzepts eingehend analysiert worden sind, bleibt in einem zweiten Schritt zu prüfen, was dieses Modell für die praktische Anwendung, d. h. für den einfachrechtlichen Umgang mit extrakorporalen menschlichen Entitäten, etwa im Embryonenschutzgesetz (ESchG) oder im Stammzellgesetz (StZG), zu leisten vermag. In diesem Unterkapitel wird also die These von der mehrfachen Grundrechtsberechtigung dieser Entitäten als verfassungsrechtliche Prämisse gesetzt und hiervon ausgehend gefragt, welche konkreten Auswirkungen diese Prämisse haben müßte, wenn sie konsequent ins einfache Recht umgesetzt würde. Diese Anwendungsanalyse, die man auch als Fall der Verfassungskonkretisierung verstehen kann, soll systematisch in mehreren Schritten erfolgen: Zunächst müssen sowohl für Art. 2 II 1 Alt. 1 GG als auch für Art. 1 I GG die durch die Annahme einer Grundrechtsträgerschaft bedingten spezifischen verfassungsrechtlichen Anwendungsparameter herausgearbeitet werden (dazu nachfolgend A.). Hierbei ergeben sich beim vorliegenden Fragenkomplex extra396 Von den Gegnern des Grundrechtsträgerkonzepts lehnen die Entkoppelungsthese z. B. ab Enders, Gattungszugehörigkeit, in: Klein/Menke, Menschenrechte und Bioethik, S. 42, 45; Haßmann, Embryonenschutz, S. 104; Kloepfer, Leben und Würde, in: Badura/Dreier, Festschrift BVerfG II, S. 77, 92; Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 110. Diese Gemeinsamkeit trotz ansonsten kontroverser Grundpositionen kommt auch sehr gut zum Ausdruck in: Nationaler Ethikrat, Klonen, Position B, S. 66.

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korporalen menschlichen Lebens vor allem zwei grundsätzliche Debatten, denen für die weitere Untersuchung eine zentrale Weichenstellungsfunktion zukommt, nämlich die Ranghöhedebatte bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und die Abwägungsdebatte (Herdegen-Kontroverse) bei Art. 1 I GG. In der daran anknüpfenden eigentlichen Anwendungsanalyse (dazu nachfolgend B.) wird zwischen drei Grundtypen von Anwendungskonstellationen unterschieden: Einem ersten, bei dem die grundrechtsberechtigte Entität im Sinne des Grundrechtsträgerkonzepts schon vorliegt (dazu nachfolgend B. I.), einem zweiten, bei dem diese grundrechtsberechtigte Entität noch nicht vorliegt (dazu nachfolgend B. II.), und einem dritten, bei dem die grundrechtsberechtigte Entität nicht mehr vorliegt (dazu nachfolgend B. III.). Ein Beispiel für den ersten Grundtyp wäre etwa die Forschung an „überzähligen“ Embryonen, für den zweiten die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken und für den dritten der Import pluripotenter menschlicher ES-Zellen. Diese Binnendifferenzierung innerhalb der Anwendungsanalyse ist erforderlich, da sich die verfassungsdogmatischen Ansätze des Grundrechtsträgerkonzepts bei der rechtlichen Bewältigung des jeweiligen Grundtyps fundamental unterscheiden.

A. Verfassungsrechtliche Parameter für die praktische Anwendung des Grundrechtsträgerkonzepts I. Verfassungsrechtliche Parameter zur Grundrechtsträgerschaft bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG 1. Konsentierte Parameter bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG Die für eine Grundrechtsträgerschaft bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG allgemein geltenden Parameter sind schnell zusammengetragen, da sie im wesentlichen als unstreitig anzusehen sind:397 Art. 2 II 1 Alt. 1 GG schützt die biologisch-physische Existenz des Grundrechtsträgers zweifach, nämlich in negativ-abwehrrechtlicher Dimension gegen ihre Vernichtung durch den Staat und in positiver Schutzpflichtdimension gegen entsprechende Gefährdungen durch Private.398 Zwar sieht die Verfassung selbst mit dem Gesetzesvorbehalt in Art. 2 II 3 GG eine Einschränkungsmöglichkeit dieses Grundrechts vor; diese bleibt aber wegen der spezifischen Charakteristika des Lebensrechts weit hinter dem „Normalfall“ klassischer Grundrechtseingriffe zurück: So stellt das Lebensrecht einerseits die faktische Basis für die Ausübung aller anderen Grundrechte dar und fungiert damit im Verfassungsgefüge als „Höchstwert“.399 Zum anderen ist es 397

Vgl. zum Folgenden auch Hartleb, NJW 2005, 1397. Statt aller C. Starck, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/C. Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Band I, 5. Aufl. 2005, Art. 2 II Rdnr. 190. 398

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aber auch ein „Alles-oder-nichts-Grundrecht“, bei dem jeder Eingriff zugleich den vollständigen Entzug bedeutet und keine unterschiedlichen Intensitätsgrade auf der Eingriffsseite existieren.400 Für die verfassungsrechtlich zulässige Beschränkung dieses somit als fundamental anzusehenden Grundrechts können in Abstrahierung der bisher anerkannten Kasuistik mindestens drei Grundkategorien ausgemacht werden, die teils auf der Ebene des Schutzbereichs (z. B. die Einwilligung des Betroffenen), teils auf der Ebene verfassungsrechtlicher Rechtfertigung (z. B. die Gefahrverursachung durch den Betroffenen oder Aufopferung wegen Existenzgefährdung des Gemeinwesens) angesiedelt sind.401 2. Die Ranghöhedebatte bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG Bei extrakorporalen Entitäten als Grundrechtsträger aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG ist keine dieser drei Einschränkungskategorien gegeben, so daß sich ihr Lebensrecht eigentlich stets ungeschmälert durchsetzen müßte, sofern hier nicht möglicherweise Besonderheiten zum Tragen kommen. Und in der Tat wird von einigen wenigen Vertretern des Grundrechtsträgerkonzepts, darunter vor allem Ute Sacksofsky, bei Art. 2 II GG insoweit eine andere normative Behandlung extrakorporaler Entitäten propagiert: Anstelle des „kategorischen Postulats, die befruchtete Eizelle sei ebenso wie ein Mensch zu behandeln“, müsse Art. 2 II 1 Alt. 1 GG vielmehr so verstanden werden, daß die Intensität des Lebensschutzes mit fortschreitender Entwicklung des Embryos wachse. Je näher der Embryo einem geborenen Menschen sei, desto stärkeres Gewicht komme seinem Lebensrecht in der Abwägung mit anderen Interessen zu.402 Im Ergebnis wird damit bei extrakorporalen Entitäten das Grundrechtsträgermodell mit einem Konzept eines anwachsenden Lebensschutzes kombiniert.403

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Vgl. BVerfGE 46, 160, 164. Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz I, Art. 2 II Rdnr. 61. 401 Näher Hartleb (NJW 2005, 1397, 1398 ff.) in Anwendung auf den neuen § 14 III LuftSiG, der in keine dieser Kategorien fällt und deshalb als verfassungswidrig anzusehen ist. Zur herkömmlichen Kasuistik z. B. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 2 II Rdnr. 33 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz I, Art. 2 II Rdnr. 62. 402 Sacksofsky, Der verfassungsrechtliche Status, S. 26 ff.; dies., KJ 2003, 274, 279 f. 403 Sacksofsky, Der verfassungsrechtliche Status, S. 26; dies., KJ 2003, 274, 279. Ähnlich auch Paul, Möglichkeiten und Grenzen, S. 64 f., sowie H.-L. Schreiber, Die Würde des Menschen – eine rechtliche Fiktion?, MedR 2003, 367, 370. Der bekannteste Vertreter eines gestuften Lebensschutzkonzepts für vorgeburtliches Leben, Horst Dreier, gehört nicht unbedingt in diese Kategorie, da er sich hinsichtlich einer Grundrechtsträgerschaft extrakorporaler Embryonen bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG nicht festlegt und statt dessen auch grundrechtliche Vorwirkungen für denkbar hält (Dreier, Lebensschutz, in: ders./Huber, Bioethik, S. 9, 26, dort Fußn. 59). 400

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Es fragt sich jedoch, ob dieser Weg einer Kombination von Grundrechtsträgerschaft und anwachsendem Lebensrecht verfassungsrechtlich gangbar ist. Etwas anders gewendet, ist zu untersuchen, ob bei extrakorporalen Entitäten als Grundrechtsträgern bei der Beschränkung ihres Lebensrechts die gleiche Ranghöhe gelten muß wie bei geborenen Menschen oder nicht. – Analysiert man in dieser „Ranghöhedebatte“ die von den Verfechtern einer Ungleichbehandlung beider Existenzformen vorgebrachten Argumente, so fällt zunächst auf, daß es wieder einmal die Potentialität ist, mit der die Differenzierung gerechtfertigt wird: „Die befruchtete Eizelle kann sich zum fertigen Menschen entwickeln, aber sie ist noch keiner. In ihr ist das Potential der Entwicklung angelegt, aber das Potential hat sich noch nicht realisiert. Juristisch gewendet bedeutet das, daß in das Grundrecht auf Leben beim Embryo in vitro leichter eingegriffen werden kann als beim geborenen Menschen.“404

So einleuchtend diese an der Ungleichheit von Potentialität und Aktualität orientierte Begründung zunächst klingen mag, so verfassungsrechtlich unhaltbar erweist sie sich bei genauerer Betrachtung auf Basis des Grundrechtsträgerkonzepts: Zwar liegt es durchaus nahe, aus den unbestreitbaren Unterschieden zwischen Potentialität und Aktualität normative Schlüsse zu ziehen. Wie bei der Erläuterung des verfassungsrechtlichen Potentialitätsarguments eingehend dargelegt,405 betrifft die mögliche normative Relevanz dieser Unterschiede aber bereits die vorgelagerte Frage der Grundrechtsträgerschaft und nicht erst die Frage der Eingriffsrechtfertigung. Da im Grundrechtsträgermodell die subjektive Berechtigung extrakorporaler Entitäten aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG gerade mit der Notwendigkeit einer Gleichbehandlung beider Modalitätsstufen legitimiert wurde, ist es schlechterdings ausgeschlossen, nun beim Eingriff die Unterschiede zwischen Potentialität und Aktualität als normativ maßgeblich anzusehen. Sind entwicklungsfähige extrakorporale Entitäten und geborene Menschen unter Potentialitätsaspekten gleichzubehandeln, wie dies das Grundrechtsträgerkonzept vorsieht, dann muß dies überall gelten. Eine Lösung, die beide Modalformen auf der Schutzbereichsebene egalisiert und auf der Einschränkungsebene auseinanderdividiert, wirkt in hohem Maße inkonsequent. Infolgedessen ist die Grundrechtsträgerschaft bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG mit einem Konzepts des anwachsenden Lebensschutzes unvereinbar und eine Auffassung, die bei der Eingriffsrechtfertigung von einer unterschiedlichen „Ranghöhe“ von extrakorporalem und geborenem Leben ausgeht, auf der Basis dieses Modells strikt abzulehnen.406 404 Sacksofsky, Der verfassungsrechtliche Status, S. 27; dies., KJ 2003, 274, 279 (Hervorh. T. H.). Ähnlich Paul, Möglichkeiten und Grenzen, S. 64. 405 Siehe oben § 9 A. III. 2. a) bb). 406 So auch die überwiegende Mehrheit der Vertreter des Grundrechtsträgerkonzepts, z. B. Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 207; Hill-

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II. Verfassungsrechtliche Parameter zur Grundrechtsträgerschaft bei Art. 1 I GG 1. Das Konkretisierungsdilemma bei Art. 1 I GG – die Dürigsche Objektformel als doppelte Rekonstruktion des Subjektstatus War es bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG noch leicht möglich, den sachlichen Schutzbereich des Grundrechts exakt herauszuarbeiten, erscheint dies bei Art. 1 I GG ungleich komplizierter. Ja, es mutet beinahe aussichtslos an, dieses den verfassungsrechtlichen Menschenwürdebegriff seit seiner Existenz begleitende „Konkretisierungsdilemma“ (Wolfram Höfling)407, das inzwischen ganze Bibliotheken füllt, hier auch nur annähernd wiederzugeben und bewerten zu wollen. Trotz der erheblichen Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Gewährleistungsgehalts von Art. 1 I GG müssen an dieser Stelle aber ein paar Eckpfeiler der Debatte rezipiert werden, die für die weitere Analyse der rechtspraktischen Umsetzung des Grundrechtsträgerkonzepts von Bedeutung sind: Unbestritten steht im Zentrum der rechtlichen Menschenwürdegarantie des Art. 1 I GG die normative Rekonstruktion des Subjektstatus des Individuums.408 Wegen der schwierigen näheren positiven Bestimmung von Art. 1 I GG hat man sich der „nicht interpretierten These“ (Theodor Heuss)409 in Rechtsprechung und Literatur seit jeher vom Verletzungsvorgang her, also ex negativo, genähert und hierfür als Ausgangspunkt die berühmte Objektformel von Günter Dürig herangezogen: „Die Menschenwürde als solche ist getroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird.“410

Wie in jüngerer Zeit vor allem Jens Kersten in seiner Habilitationsschrift zum Klonen von Menschen411 deutlich herausgearbeitet hat, beinhaltet diese Objektformel im wesentlichen zwei normative Aussagegehalte: gruber, ZfL 2003, 38, 47; Kluth, Embryo, in: Beckmann/Löhr, Status des Embryos, S. 208, 218 ff. Gegen eine Differenzierung auf der Abwägungsebene im Falle der Bejahung einer Grundrechtsträgerschaft auch Geddert-Steinacher, Gentechnische Entgrenzung, in: März, An den Grenzen des Rechts, S. 19, 31; N. Hoerster, Forum: Kompromißlösungen zum Menschenrecht des Embryos auf Leben?, JuS 2003, 529, 530. 407 Höfling, JuS 1995, 857, 858 f. 408 Statt aller Kersten, Klonen, S. 479. 409 Diese häufig zu lesende Wendung geht auf eine Äußerung von Theodor Heuss im Parlamentarischen Rat zurück (Vierte Sitzung des Grundsatzausschusses am 23.9.1948, in: Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Bd. V/1, S. 72). 410 Dürig, AöR 81 (1956), 117, 127. Auch ders., in: T. Maunz/G. Dürig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Loseblattslg., Stand 1958, Art. 1 I Rdnr. 28. Zur Dürigschen Objektformel auch Enders, Menschenwürde, S. 20 ff.; Geddert-Steinacher, Menschenwürde, S. 31 ff. 411 J. Kersten, Das Klonen von Menschen, 2004, S. 425 ff.

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Zum einen enthält Art. 1 I GG, und insoweit – aber nur insoweit – übersetzt die Objektformel zentrale Aussagen der Ethik Immanuel Kants (1724–1804) ins deutsche Verfassungsrecht, ein (Total-)Instrumentalisierungsverbot, also das unbedingte Gebot, den Menschen jederzeit als Zweck an sich anzusehen und ihn zu keinem Zeitpunkt als bloßes Mittel zu gebrauchen. Mit diesem Totalvernutzungsverbot übernahm Dürig einen Grundgedanken, den der Königsberger Philosoph vor allem in der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ (1785)412 sowie in der späteren „Tugendlehre“ der „Metaphysik der Sitten“ (1797)413 mehrfach formuliert hat. Eine dieser Zentralstellen in Kants „Tugendlehre“ lautet: „Die Menschheit selbst ist eine Würde; denn der Mensch kann von keinem Menschen (weder von anderen noch sogar von sich selbst) bloß als Mittel, sondern muß jederzeit zugleich als Zweck gebraucht werden, und darin besteht eben seine Würde (die Persönlichkeit), dadurch er sich über alle anderen Weltwesen, die nicht Menschen sind und doch gebraucht werden können, mithin über alle Sachen erhebt.“414

Als Reaktion auf die historische Erfahrung des Nationalsozialismus sowie auf neuzeitliche Technisierungsprozesse steckt in der Dürigschen Objektformel aber über die Kant-Rezeption hinaus auch ein „instrumentalisierungsfreies“ Objektivierungsverbot („zum Objekt, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt“). Damit ist gemeint, daß Art. 1 I GG nicht nur vor der Totalvernutzung des Menschen für bestimmte Zwecke, sondern auch vor seiner „einfachen“ Verdinglichung schützen soll, auch wenn dahinter nicht die Vorstellung eines zielgerichteten Gebrauchs steht.415 Ein klassisches Beispiel für eine solch „einfache“ Objektivierung wäre etwa die Erniedrigung von Menschen auf die Tierstufe („Schädlinge“), wie sie gerade für die Rassenideologie des Nationalsozialismus charakteristisch war.416 Mit dieser Kombination aus Instrumentalisierungs- und Objektivierungsverbot enthält Dürigs Objektformel also eine doppelte normative Rekonstruktion des Subjektstatus des Menschen.

412 I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, mit einer Einleitung herausgegeben von B. Kraft und D. Schönecker, 1999, 2. Abschn., S. 53 ff. und 60 ff. Dort findet sich auch der berühmte „kategorische Imperativ“ bzw. die „Zweck-Formel“: „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ (ebd., S. 54 f.). Zum Würdebegriff bei Kant siehe Enders, Menschenwürde, S. 189 ff.; Knoepffler, Menschenwürde, S. 38 ff.; G. Löhrer, Menschliche Würde, 1995, S. 22 und 269 ff.; J. Hruschka, Die Würde des Menschen bei Kant, ARSP 88 (2002), 463, bes. 477. Zum weiteren philosophiegeschichtlichen Hintergrund des Würdegedankens Enders, Menschenwürde, S. 176 ff. 413 I. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre. Metaphysik der Sitten. 2. Teil, mit einer Einführung von M. Gregor neu herausgegeben und eingeleitet von B. Ludwig, 1990, § 11, S. 74, und § 38, S. 110. 414 Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre, § 38, S. 110 (Hervorh. T. H.). 415 Kersten, Klonen, S. 425 f. 416 Dieses Beispiel erwähnt Dürig (AöR 81 [1956], 117, 127) selbst.

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So wie seinerzeit Kants Menschenwürdeverständnis von Arthur Schopenhauer (1788–1860) kritisiert worden war,417 sah sich auch Dürig mit seinem modernen Versuch einer Konkretisierung von Art. 1 I GG stets erheblichen Einwänden ausgesetzt. Seine Objektformel wurde immer wieder als zu tautologisch,418 zu vage,419 zu konsens- bzw. evidenzabhängig420 gebrandmarkt – eine Kritik, die insofern bereits im Ansatz etwas ins Leere läuft, als Dürig selbst die Objektformel stets nur als Leitfaden, nie aber als fertige Subsumtionsformel verstanden wissen wollte.421 Aber dennoch: Wie wenig echte Orientierung dieser Leitfaden im Einzelfall bietet und wie schnell man damit an seine Grenzen gelangt, zeigt das simple Beispiel einer „legitimen Instrumentalisierung“:422 Wer etwa einen unwilligen Autofahrer unter Gewaltandrohung nötigt, ein schwerverletztes Kind zwecks Lebensrettung in die nächste Klinik zu fahren, gebraucht diesen Autofahrer natürlich auch allein für fremde Zwecke; gleichwohl würde hierin wohl niemand eine Menschenwürdeverletzung des Autofahrers sehen. Falls er es dennoch täte, müßte er unser geltendes Notstandsrechtsrecht in Frage stellen, denn die beschriebene Handlung wäre nach § 34, 1 StGB vollauf gerechtfertigt. Trotz dieser erheblichen Unsicherheiten ist die Dürigsche Objektformel in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stets rezipiert423 und bis heute durch keine bessere Konkretisierung des Gewährleistungsgehalts von Art. 1 I 417 A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung I, textkritisch bearbeitet und herausgegeben von W. v. Löhneysen, 1961, Buch IV § 62, S. 477: „Aber bei Lichte besehen ist es [= die Kantsche Zweckformel, T. H.] ein höchst vager, unbestimmter, seine Absicht ganz indirekt erreichender Ausspruch, der für jeden Fall seiner Anwendung erst besonderer Erklärung, Bestimmung und Modifikation bedarf, so allgemein genommen aber ungenügend, wenigsagend und noch dazu problematisch ist.“ 418 „Die Menschenwürde ist getroffen, wenn der konkrete Mensch . . . herabgewürdigt wird.“ Zu dieser Kritik H. Dreier, Konsens und Dissens bei der Interpretation der Menschenwürde, in: C. Geyer (Hrsg.), Biopolitik. Die Positionen, 2001, S. 232, 235; Herdegen, Würdeanspruch des Embryos, in: Söllner/Gitter, Gedächtnisschrift Heinze, S. 357, 361. 419 Statt aller Nettesheim, AöR 130 (2005), 71, 80: „Es ist eine einmalige Erscheinung in der deutschen Grundrechtsdogmatik, daß das Schutzgut einer Staatsfundamentalnorm bzw. Grundrechtsnorm im Unbestimmten bleibt.“ 420 Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 52 f.; G. Frankenberg, Die Würde des Klons und die Krise des Rechts, KJ 33 (2000), 325, 329; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2005) Rdnr. 35. 421 Hierauf weist E.-W. Böckenförde (Die Würde des Menschen war unantastbar, FAZ vom 3.9.2003, S. 33) hin. 422 Übernommen aus Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 124. Ähnliche Beispiele bei N. Hoerster, Ethik des Embryonenschutzes, 2002, S. 14 f. 423 Vor dem Abhörurteil insbesondere BVerfGE 9, 89, 95; 27, 1, 5; 28, 386, 391. Zur Verwendung der Objektformel in der Rechtsprechung eingehend GeddertSteinacher, Menschenwürde, S. 31 ff.; Kersten, Klonen, S. 444 ff.; W. Graf Vitzthum, Die Menschenwürde als Verfassungsbegriff, JZ 1985, 201, 203 ff.

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GG ersetzt worden. Der bisher einzige Versuch des Bundesverfassungsgerichts im Abhörurteil vom 15. Dezember 1970,424 der Formel neue dogmatische Konturen zu verleihen, muß wohl als endgültig gescheitert angesehen werden. Im Mehrheitsvotum dieses Urteils sollte die Objektformel durch ein subjektives Element präzisiert werden, das wie folgt umschrieben wurde (= sog. Willkürformel): „Allgemeine Formeln wie die, der Mensch dürfe nicht zum bloßen Objekt der Staatsgewalt herabgewürdigt werden, können lediglich die Richtung andeuten, in der Fälle der Verletzung der Menschenwürde gefunden werden können . . . Hinzukommen muß, daß er [= der Mensch, T. H.] einer Behandlung ausgesetzt wird, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt, oder daß in der Behandlung im konkreten Fall eine willkürliche Mißachtung der Würde des Menschen liegt. Die Behandlung des Menschen . . . muß also, wenn sie die Menschenwürde berühren soll, Ausdruck der Verachtung des Wertes, der dem Menschen kraft seines Personseins zukommt, also in diesem Sinne eine verächtliche Behandlung sein.“425

Aufgrund der inneren Widersprüche, die die Annahme eines solch subjektiven Elements mit sich brachte (sollte eine willkürfreie Instrumentalisierung bzw. Objektivierung etwa keine Menschenwürdeverletzung sein?) ist dieser Konkretisierungsversuch auf nahezu einhellige Ablehnung in der Literatur gestoßen426 und vom Bundesverfassungsgericht auch später nicht mehr aufgegriffen worden. Statt dessen kehrte man in der „Nachabhör-Rechtsprechung“ wieder zur ursprünglichen Objektformel zurück,427 freilich unter stärkerer Betonung der historisch-sozialen Wandelbarkeit des verfassungsrechtlichen Menschenwürdeverständnisses.428 Auch in der jüngsten Entscheidung des Ersten Senats zum Großen Lauschangriff vom 3. März 2004,429 in der das Gericht im Rahmen von Art. 13 I GG den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zu bestimmen hatte, findet sich die Dürigsche Objektformel ein weiteres Mal.430 Gleichzeitig unterstreicht das Mehrheitsvotum aber auch die Gren424

BVerfGE 30, 1. BVerfGE 30, 1, 25 f. (Hervorh. T. H.). 426 Siehe bereits das die Willkürformel ablehnende Sondervotum Geller, v. Schlabrendorff und Rupp im Abhörurteil (BVerfGE 30, 33, 39 f.). Zur Kritik vgl. Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 53; P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 3. Aufl. 2004, § 22 Rdnr. 9 („Fehlentscheidung“); W. Höfling, Die Unantastbarkeit der Menschenwürde – Annäherungen an einen schwierigen Verfassungsrechtssatz, JuS 1995, 857, 860; Kersten, Klonen, S. 463; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 21. Aufl. 2005, Rdnr. 360; Vitzthum, JZ 1985, 201, 204. 427 Z. B. BVerfGE 45, 187, 227 f.; 50, 166, 175; 57, 250, 275; 63, 332, 337; 69, 1, 34; 72, 105, 116; 87, 209, 228 f.; 96, 375, 399 f. 428 So insbesondere in BVerfGE 45, 187, 227 f. (Lebenslange Freiheitsstrafe), und BVerfGE 96, 375, 399 f. (Arzthaftung bei fehlgeschlagener Sterilisation). 429 BVerfGE 109, 279. 430 BVerfGE 109, 279, 312. 425

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zen ihrer normativen Direktivkraft und plädiert für eine sachbereichsspezifische Konkretisierung des Menschenwürdesatzes: „Der Gewährleistungsgehalt dieses auf Wertungen verweisenden Begriffs [der Menschenwürde, T. H.] bedarf der Konkretisierung. Dies geschieht in der Rechtsprechung in Ansehung des einzelnen Sachverhalts mit dem Blick auf den zur Regelung stehenden jeweiligen Lebensbereich und unter Herausbildung von Fallgruppen und Regelbeispielen.“431

2. Die Abwägungsdebatte (Herdegen-Kontroverse) bei Art. 1 I GG Für die vorliegende Frage nach den Anwendungsparametern bei extrakorporalem menschlichem Leben hat dieses allgemeine Konkretisierungsdilemma bei Art. 1 I GG in jüngerer Zeit (2003/2004) zu einer spezifischen Debatte, der sog. Abwägungsdebatte (Herdegen-Kontroverse), geführt, die über den engen Kreis der Staatsrechtslehre hinaus große Beachtung gefunden hat.432 Anlaß zu dieser Debatte war die im Februar 2003 erfolgte Neukommentierung des Art. 1 I GG im „Maunz/Dürig“ durch Matthias Herdegen, mit der die seit Jahrzehnten unveränderte Altkommentierung von Günter Dürig aus dem Jahr 1958 abgelöst wurde.433 Die von Ernst-Wolfgang Böckenförde verfaßte Kritik an dieser Neukommentierung stieß nicht zuletzt deshalb auf ein breites öffentliches Echo, weil sie in Form eines großen Feuilletonartikels in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, dazu noch unter dem von den Herausgebern gewählten Titel „Die Menschenwürde war unantastbar“, erschien.434 Böckenfördes Kritik gipfelte in dem Vorwurf, die Neukommentierung Herdegens markiere einen Epochenbruch und eine historische Zäsur, da sie einen über 50jährigen Verfassungskonsens in der Bundesrepublik in Frage stelle, wonach die Bestimmung des Art. 1 I GG jeglicher Abwägung entzogen sei.435 – Worum geht es bei diesem Streit im einzelnen? 431 BVerfGE 109, 279, 311 f. Vgl. dazu auch O. Lepsius, Der große Lauschangriff vor dem Bundesverfassungsgericht (Teil I), Jura 2005, 433, 437, sowie Kersten, Klonen, S. 474 und 478 f., der in dieser Entscheidung eine Wendung vom historischen Konsensmodell zu einem modernen Diskursprinzip erkennen will. 432 Vgl. zu dieser Debatte auch Nettesheim, AöR 130 (2005), 70, 71 f.; J. Reiter, Menschenwürde als Maßstab, Aus Politik und Zeitgeschichte B 23–24 (2004), 6, 9 ff. 433 M. Herdegen, in: T. Maunz/G. Dürig u. a. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Band I, Loseblattslg., Stand 2003, Art. 1 I; inzwischen erneut geändert, siehe ders., in: T. Maunz/G. Dürig u. a. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Band I, Loseblattslg., Stand 2005, Art. 1 I. Vgl. auch ders., Die Menschenwürde im Fluß des bioethischen Diskurses, JZ 2001, 773; ders., Der Würdeanspruch des Embryos in vitro – zur bilanzierenden Gesamtbetrachtung bei Art. 1 Abs. 1 GG, in: A. Söllner/W. Gitter u. a. (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Meinhard Heinze, 2005, S. 357 ff. 434 E.-W. Böckenförde, Die Würde des Menschen war unantastbar, FAZ vom 3.9.2003, S. 33. In den zentralen Aussagen wiederholt in ders., Bleibt die Menschenwürde unantastbar?, Blätter für deutsche und internationale Politik 2004, 1216, bes. 1218 ff.

§ 10 Praktische Anwendung

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Bei der Bestimmung des Gewährleistungsgehalts von Art. 1 I GG beschreitet Herdegen einen neuen dogmatischen Weg, dessen Ergebnisse sich am eindrücklichsten bei der Frage nach dem Würdeschutz für extrakorporales menschliches Leben manifestieren: Zunächst begründet er detailliert, daß auch extrakorporale Embryonen als Träger der Menschenwürdegarantie zu gelten hätten und nicht etwa nur in den objektiven Schutz dieser Verfassungsnorm einbezogen seien.436 Insoweit besteht also noch Übereinstimmung mit den Vertretern des „klassischen“ Grundrechtsträgerkonzepts wie etwa Böckenförde. Bei der sich anschließenden Frage nach dem Inhalt des Würdeanspruchs betont Herdegen dann jedoch mit ausdrücklicher Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Großen Lauschangriff437 die Notwendigkeit einer wertenden Gesamtbetrachtung bzw. situationsbedingten Konkretisierung bei Art. 1 I GG, die zwangsläufig ein Element der Abwägung beinhalte (daher auch die Bezeichnung „Abwägungsdebatte“).438 Diese Abwägung habe aber nichts mit der bekannten Grundrechtskonkordanz auf der Ebene verfassungsrechtlicher Rechtfertigung zu tun. Wie das Urteil betone, ergebe sich der aus der Menschenwürde resultierende Achtungsanspruch in einer konkreten Situation vielmehr überhaupt erst aus deren wertender Gesamtbetrachtung. Der so ermittelte Achtungsanspruch gelte dann jedoch absolut und sei abwägungsresistent.439 Was diese situative Konkretisierung des Art. 1 I GG nach Herdegen für den Würdeschutz pränatalen menschlichen Lebens bedeutet, läßt sich folgendem Schlüsselsatz seiner Kommentierung gut entnehmen: „Wenn sich der Würdeanspruch seinem Umfang nach überhaupt auch nach den konkreten Umständen richten darf, muß dies in besonderer Weise für die Entwicklungsstufen menschlichen Lebens gelten. Dies trägt das Konzept eines gestuften, entwicklungsabhängigen Schutzes der Menschenwürde in modo.“440 435

Böckenförde, FAZ vom 3.9.2003, S. 33, 35. Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2005) Rdnr. 61 und 65 („Der vorgeburtliche Würdeschutz setzt daher einen vorgeburtlichen Würdeanspruch des werdenden Menschen voraus.“). Auch ders., Würdeanspruch des Embryos, in: Söllner/Gitter u. a., Gedächtnisschrift Heinze, S. 357, 358 ff. Dabei bleibt im übrigen unklar, ob Herdegen alle extrakorporalen Embryonen oder nur Befruchtungsembryonen als Grundrechtsträger bei Art. 1 I GG ansehen will: Während er einerseits Zellkerntransferklone vom Menschenwürdeschutz ausnimmt (ders., in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I [2005] Rdnr. 63, 99), betont er andererseits, daß der Mensch im Sinne des grundrechtlichen Lebensschutzes stets auch der Mensch im Sinne der Würdegarantie sei (ders., Würdeanspruch des Embryos, in: Söllner/Gitter u. a., Gedächtnisschrift Heinze, S. 357, 358). 437 BVerfGE 109, 279, 311 ff. 438 Herdegen, Würdeanspruch des Embryos, in: Söllner/Gitter u. a., Gedächtnisschrift Heinze, S. 357, 360 f.; ders., in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2005) Rdnr. 50 und 56. 439 Herdegen, Würdeanspruch des Embryos, in: Söllner/Gitter u. a., Gedächtnisschrift Heinze, S. 357, 361; ders., in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2005) Rdnr. 69. 436

212

3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

In bezug auf vorgeburtliches menschliches Leben vertritt Herdegen also ein gestuftes Menschenwürdekonzept, das eine prozeßhafte Betrachtung des Würdeschutzes mit entwicklungsabhängiger Intensität eines bestehenden Achtungsund Schutzanspruchs beinhaltet.441 Entwicklungsgeprägt sei dabei nicht der Würdeanspruch als solcher („Ob?“), sondern lediglich sein Inhalt und seine Intensität („Wie?“).442 Wie beim Lebensrecht kommt es damit auch bei diesem Modell im Ergebnis zu einer Kombination von Grundrechtsträgerschaft und gestuftem Grundrechtsschutz, diesmal jedoch nicht wie bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG auf der Ebene der Eingriffsrechtfertigung (Art. 2 II 3 GG),443 sondern bereits bei der vorgelagerten Bestimmung des Gewährleistungsgehalts. Die charakteristischen Unterschiede bei beiden Grundrechten lassen sich in einer vergleichenden Übersicht wie folgt veranschaulichen:

Grundrechtsebene Grundrechtsträgerschaft

Art. 2 II 1 Alt. 1 GG (+)

Gewährleistungsgehalt

Bestimmung wie bei geborenen Menschen

Eingriffsrechtfertigung

entwicklungsabhängige Stufung im Rahmen von Art. 2 II 3 GG? (Ranghöhedebatte)

Art. 1 I GG (+) entwicklungsabhängige Stufung im Rahmen einer Gesamtabwägung? (Abwägungsdebatte) (–)

Übersicht 12: Ranghöhedebatte bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Abwägungsdebatte bei Art. 1 I GG im Grundrechtsträgerkonzept

Wie ist nun diese neue dogmatische Konstruktion Herdegens zur Bestimmung des Gewährleistungsgehalts von Art. 1 I GG bei vorgeburtlichem Leben zu bewerten? Stellt sie nicht eine adäquate Weiterentwicklung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dar und weist damit einen Weg aus den beschriebenen Unsicherheiten der Dürigschen Objektformel? 440 Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2005) Rdnr. 65 (Hervorh. T. H.). Ähnlich ders., Würdeanspruch des Embryos, in: Söllner/Gitter u. a., Gedächtnisschrift Heinze, S. 357, 363, sowie ders., JZ 2001, 773, 774. 441 So ausdrücklich Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2005) Rdnr. 56. 442 Herdegen, Würdeanspruch des Embryos, in: Söllner/Gitter u. a., Gedächtnisschrift Heinze, S. 357, 363. 443 Siehe oben § 10 A. I. 2.

§ 10 Praktische Anwendung

213

Die einzig mögliche Antwort aus Sicht des Grundrechtsträgerkonzepts lautet: Nein. Zwar ist an Herdegens Ansatz zutreffend, daß sich der Gewährleistungsgehalt des Art. 1 I GG auch bei extrakorporalem Leben nur aus einer situativen Gesamtbetrachtung ergeben kann und insoweit Raum für Abwägungen bleibt. Völlig zu Recht stützt er sich in diesem Punkt auf die Karlsruher Rechtsprechung und ihren jüngsten Versuch, die normative Direktivkraft der Objektformel durch situationsspezifische Konkretisierung zu präzisieren.444 Nicht zutreffend ist jedoch die Annahme – und hier geht Herdegen weit über das zitierte Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinaus –, daß diese Abwägung bei vorgeburtlichem Leben in Abhängigkeit vom jeweiligen Entwicklungsstand erfolgen könne oder gar müsse. Als Ausfluß aus dem Gleichbehandlungspostulat des verfassungsrechtlichen Potentialitätsarguments existieren auf der Basis des Grundrechtsträgerkonzepts nämlich gerade keine unterschiedlichen Entwicklungsstufen des Menschseins, sondern extrakorporale Entitäten entwickeln sich „als Mensch“ ohne jegliche normativ relevante Zäsuren.445 Mithin darf bei der notwendigen Gesamtabwägung im Rahmen von Art. 1 I GG der jeweilige Entwicklungszustand der menschlichen Entität gar keine Rolle spielen, will man die Grundrechtsträgerthese nicht selbst ad absurdum führen. Herdegens Konzept eines gestuften Menschenwürdeschutzes ist deshalb mit der auch von ihm unterstellten subjektiven Berechtigung extrakorporaler Entitäten aus Art. 1 I GG unvereinbar. Da er solch entwicklungsbedingte Stufungen des Menschenwürdeschutzes offensichtlich nur bei vorgeburtlichem Leben vornimmt, desavouiert er den von ihm an anderer Stelle behaupteten „kategorischen Würdeanspruch aller Menschen“446 im Ergebnis selbst. Völlig zutreffend erkennt Böckenförde deshalb in seiner Konstruktion eines entwicklungsabhängigen Würdeschutzes letztlich nur eine Petitio principii bzw. den Versuch einer „rechtsdogmatischen Etablierung eines Freiraums für die Gewährung und den Abbau von Würdeschutz nach den Angemessenheitsvorstellungen des Interpreten“.447

444

BVerfGE 109, 279, 311 ff. So auch Dederer, AöR 127 (2002), 1, 13. 446 Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2003) Rdnr. 50: „Trotz des kategorischen Würdeanspruches aller Menschen sind Art und Maß des Würdeschutzes für Differenzierungen durchaus offen, die den konkreten Umständen Rechnung tragen.“ (Hervorh. T. H.). Bezeichnenderweise hat Herdegen diesen Schlüsselsatz seiner Kommentierung aus dem Jahr 2003 in der Neufassung des Jahres 2005 wie folgt geändert: „Der kategorische Würdeschutz kommt allen Menschen als Person zu. Im Sinne der gebotenen Gesamtbetrachtung sind Art und Maß des Würdeanspruches für Differenzierungen durchaus offen, die den konkreten Umständen (wie besonderer Schutzbedürftigkeit) Rechnung tragen.“ (ders., in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 1 I [2005] Rdnr. 50, Hervorh. T. H.). Er reagiert damit offensichtlich auf die Einwände Böckenfördes (Blätter für deutsche und internationale Politik 2004, 1216, 1218 f.), der das Auseinanderfallen von Würdeanspruch und Würdeschutz kritisiert hatte. Doch durch einfaches Austauschen der Begriffe bringt Herdegen sicher nicht mehr Klarheit in sein Konzept. 445

214

3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

Für die Herausarbeitung der verfassungsrechtlichen Parameter bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG für die Anwendungsanalyse des Grundrechtsträgerkonzepts bleibt somit festzuhalten: Mit der Annahme einer subjektiven Berechtigung entwicklungsfähiger extrakorporaler Entitäten aus beiden Grundrechten ist weder eine Konzeption vereinbar, die im Rahmen von Art. 2 II 3 GG ein gestuftes Lebensschutzkonzept favorisiert (Sacksofsky), noch ein Modell, das bei der Bestimmung des Gewährleistungsgehalts von Art. 1 I GG eine entwicklungsabhängige Stufung des Menschenwürdeschutzes propagiert (Herdegen). Wenn eine extrakorporale menschliche Entität ein „jeder“ im Sinne von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und ein „Mensch“ im Sinne von Art. 1 I GG ist, müssen für sie die gleichen Anwendungsparameter wie für einen geborenen Menschen gelten. Andere Parameter sind überhaupt nur denkbar, wenn man nicht von einer Grundrechtsträgerschaft extrakorporalen Lebens ausgeht, was im Kapitel zum Vorwirkungskonzept (unten § 13) näher untersucht werden wird.

B. Praktische Anwendung des Grundrechtsträgerkonzepts anhand dreier Grundtypen von Anwendungskonstellationen Mit diesen Parametern für die Anwendungsanalyse im Hinterkopf können nun die einzelnen Umsetzungsfragen näher in den Blick genommen werden. Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß hier natürlich nicht alle denkbaren Anwendungskonstellationen untersucht werden können. Vielmehr geht es darum, anhand „klassischer“ Regelungskonflikte im Humangenetikbereich die herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Parameter zu Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG näher zu konkretisieren. Wie bereits in der Einleitung angedeutet, empfiehlt sich dabei eine systematische Aufteilung in drei unterschiedliche Grundtypen von Anwendungskonstellationen, nämlich einen Grundtyp 1, bei dem eine grundrechtsberechtigte extrakorporale Entität schon vorliegt, einen Grundtyp 2, bei dem diese noch nicht vorliegt, und einen Grundtyp 3, bei dem sie nicht mehr vorliegt. Graphisch können diese drei Grundtypen und die sich aus ihnen ergebenden Anwendungskonstellationen im einzelnen wie in Übersicht 13 (S. 215) illustriert werden.

447 Böckenförde, FAZ vom 3.9.2003, S. 33 f.; ders., Blätter für deutsche und internationale Politik 2004, 1216, 1219.

Umgang mit (verbotswidrig) geklonten Entitäten

PID durch Entnahme pluripotenter Zellen

Klonen zu therapeutischen, diagnostischen und reproduktiven Zwecken

Herstellung von „Forschungsentitäten“ durch künstliche Befruchtung

grundrechtsberechtigte extrakorporale Entität noch nicht vorhanden

Import und Verwendung pluripotenter ES-Zellen

grundrechtsberechtigte extrakorporale Entität nicht mehr vorhanden

Übersicht 13: Die drei Grundtypen rechtspraktischer Anwendungskonstellationen des Grundrechtsträgerkonzepts

Umgang mit „überzähligen“ Entitäten aus künstlicher Befruchtung

grundrechtsberechtigte extrakorporale Entität schon vorhanden

grundrechtsberechtigte extrakorporale Entität

§ 10 Praktische Anwendung 215

216

3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

I. Anwendungskonstellationen, bei denen eine grundrechtsberechtigte extrakorporale Entität schon vorliegt (Grundtyp 1) Der erste dieser drei Grundtypen, bei dem eine grundrechtsberechtigte extrakorporale Entität schon vorliegt, ist dabei noch am einfachsten zu bewältigen, da das Grundrechtsträgerkonzept hier regelmäßig zu klaren, wenn auch äußerst rigiden Lösungen führt. Ein Blick auf die bereits vorhandenen Regelungen des Embryonenschutzgesetzes (ESchG)448 zeigt allerdings, daß die herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Parameter zu Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG de lege lata nur zu einem geringen Teil ins einfache Recht umgesetzt wurden. Dies verwundert nicht, hatte doch bereits die Gesetzgebungsanalyse (oben § 6) ergeben, daß die gefundenen Regelungen keiner klaren verfassungsrechtlichen Konzeption, sondern eher rechtspolitischen Motivationen entsprungen waren.449 Aus Sicht des Grundrechtsträgerkonzepts finden sich deshalb im geltenden Embryonenschutzgesetz neben zahlreichen „systemkonformen“ ebenso zahlreiche „systemwidrige“ Lösungen wieder, was an einigen Beispielen erläutert werden soll: 1. Umgang mit „überzähligen“ Entitäten aus künstlicher Befruchtung a) Absolutes Forschungsverbot § 2 I ESchG pönalisiert jede nicht der Erhaltung dienende Verwendung extrakorporal erzeugter menschlicher Embryonen, worunter unstrittig auch ein Verbot der Forschung an sog. überzähligen Embryonen zu subsumieren ist.450 Diese Regelung ist aus Sicht des Grundrechtsträgerkonzepts – abgesehen davon, daß sie nicht nur für Embryonen i. S. v. § 8 I ESchG, sondern auch für Vorkernstadien gelten müßte,451 – als systemkonforme Lösung anzusehen, und zwar sowohl unter dem Lebensschutz- als auch unter dem Menschenwürdeaspekt: Als Grundrechtsträger aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG unterliegt der „überzählige“ Embryo hinsichtlich der Eingriffsvoraussetzungen in sein Lebensrecht der gleichen Ranghöhe wie ein geborener Mensch.452 Da bei diesem eine Einschränkung nur unter engsten Voraussetzungen in Betracht kommt, die beim extrakorporalen Embryo allesamt nicht gegeben sind, stellt seine Tötung zu bio448

Abgedruckt im Anhang I. Siehe oben § 6 D. II. 450 Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, § 2 Rdnr. 1. 451 Dies ist de lege lata nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift nicht der Fall. Die Gegenauffassung, die den Embryobegriff des § 8 I ESchG für den Forschungssektor auch auf Vorkernstadien ausdehnen möchte (Eser, Neuartige Bedrohungen, S. 55 f.), ist vor dem Hintergrund von Art. 103 II GG nicht haltbar (mit Günther, in: Keller/ Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, § 2 Rdnr. 10). 452 Siehe oben § 10 A. I. 2. 449

§ 10 Praktische Anwendung

217

medizinischen Forschungszwecken eine Verletzung seines Lebensrechts dar.453 Obwohl sich das in § 2 I ESchG statuierte absolute Forschungsverbot an „überzähligen“ Embryonen also bereits unmittelbar aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG ergibt, wäre seine Tötung zu wissenschaftlichen Zwecken zugleich auch wegen Verstoßes gegen Art. 1 I GG unzulässig: Unabhängig von allen Konkretisierungsproblemen bei der Bestimmung des Gewährleistungsgehalts der verfassungsrechtlichen Menschenwürde ist die Grenze des Totalinstrumentalisierungsverbots unbestreitbar dort erreicht, wo ein Grundrechtsträger ausschließlich für fremde Zwecke getötet, mithin vollständig vernutzt wird.454 Bei der Frage der Forschung an „überzähligen“ Embryonen ist diese auf der Basis des Grundrechtsträgerkonzepts gefundene Lösung so eindeutig, daß es im Grunde verwundert, wenn einzelne Autoren hier gleichwohl zu einem anderen Ergebnis gelangen.455 Insbesondere Christian Starck, ein dezidierter Vertreter der Grundrechtsträgerthese, hat vorliegend die Auffassung vertreten, „überzähligen“ Embryonen sei mangels Entwicklungschance die Erfüllung ihres Selbstzwecks unmöglich geworden, weshalb sie ohne Verstoß gegen Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG den Zwecken anderer dienstbar gemacht werden könnten; er geht sogar so weit, nicht transferierbare Embryonen explizit mit „abgegangenen, nicht überlebensfähigen Föten oder menschlichen Leichnamen“ normativ gleichzusetzen.456 Dieser Position ist aus Sicht des Grundrechtsträgerkonzepts aus mehreren Gründen energisch zu widersprechen: Zum einen sind extrakorporale Embryonen ohne Transferperspektive keinesfalls schon als Leichname zu qualifizieren. Angesichts des umfassend geltenden Gewichtungsverbots von Leben im Grundgesetz kann eine Todesnähe oder fehlende Überlebenschance einen Betroffenen niemals zum „Quasi-Toten“ machen oder zu einer irgendwie gearteten Minderung seines Lebensrechts aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG führen.457 Zum anderen stellt Starcks Rekurs auf die fehlende tatsächliche Entwicklungsperspektive unter Potentialitätsgesichtpunkten einen „Systembruch“ dar: Wie im theoretischen Teil eingehend dargelegt, ist für die Zuerkennung der Grundrechtsträgerschaft nämlich nicht die faktische Entwicklungswahrscheinlichkeit 453

Statt aller Böckenförde, JZ 2003, 809, 813, sowie Hillgruber, ZfL 2003, 38, 47. Beckmann, Embryo, in: ders./Löhr, Status des Embryos, S. 170, 206; Enders, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz I, Art. 1 Rdnr. 130. 455 Starck, JZ 2002, 1065, 1072; Kirchhof, Genforschung, in: Höffe/Honnefelder, Gentechnik, S. 9, 27 f.; Grote/Kraus, Fälle, S. 152. 456 Starck, JZ 2002, 1065, 1072. Ähnlich Kirchhof (Genforschung, in: Höffe/Honnefelder, Gentechnik, S. 9, 27), der davon ausgeht, daß hier wie bei einem Toten der Lebensschutz nicht mehr greift und allein der Würdeschutz nachwirkt. 457 W. Höfling, Biomedizinische Auflösung der Grundrechte?, in: Stiftung Gesellschaft für Rechtspolitik/Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier (Hrsg.), Bitburger Gespräche. Jahrbuch 2002/II, 2003, S. 99, 112. Vgl. auch Hartleb (NJW 2005, 1397, 1398) zum vergleichbaren Problem „todgeweihter“ Passagiere eines zu einer Terrorwaffe umfunktionierten Luftfahrzeugs. 454

218

3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

(Probabilität), sondern allein das dispositionelle Vermögen einer Entität zur Menschentwicklung (Potentialität i. e. S.) ausschlaggebend.458 Dieses dispositionelle Vermögen ist jedoch bei transferierbaren und „überzähligen“ extrakorporalen Embryonen exakt gleich. Deshalb sind auch letztere in gleicher Weise vom verfassungsrechtlichen Lebens- und Menschenwürdeschutz erfaßt, was ihre Tötung und Nutzung für Forschungszwecke kategorisch ausschließt. b) Verfassungsrechtlich gebotener Umgang? Doch welcher andere Umgang mit „überzähligen“ Entitäten wäre aus Sicht des Grundrechtsträgerkonzepts verfassungsrechtlich geboten? Hierzu ist zunächst festzustellen, daß ihr derzeitiger einfachrechtlicher Schutz durch das geltende Embryonenschutzgesetz äußerst defizitär ausgestaltet ist, da über die dargestellte Verbotsregelung des § 2 I ESchG hinaus keine positiven Schutzvorschriften für diese Entitäten bestehen.459 Ein kleines Gedankenexperiment möge dies verdeutlichen: Angenommen, ein unter Unfruchtbarkeit leidendes Paar entschließt sich zu einer künstlichen Befruchtung. Nach erfolgreicher Eizellentnahme und In-vitroFertilisation von drei zum Transfer vorgesehen Embryonen (§ 1 I Nr. 3, 5 ESchG) wird die Frau zwecks Durchführung dieses Transfers in die Klinik einbestellt. Kurze Zeit vor dem tatsächlichen Eingriff kommen ihr jedoch plötzlich Zweifel an der Tragfähigkeit ihrer Paarbeziehung, die auch durch ein sofortiges Telefonat mit ihrem Partner nicht ausgeräumt werden können. Die Frau verständigt daraufhin den zuständigen Arzt und teilt ihm mit, daß sie den unmittelbar bevorstehenden Transfer der drei extrakorporalen Embryonen „aus persönlichen Gründen“ verweigert, und verläßt die Klinik. Da in Deutschland keinerlei Rechtsvorschrift existiert, die die Weiterentwicklung extrakorporaler Embryonen „als Menschen“ sicherzustellen versucht,460 werden in diesem Szenario von einem Moment auf den anderen drei aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG vollberechtigte Grundrechtsträger zu einer „Dauerexistenz im Eis“ verdammt.461 Wie wäre diesem aus Sicht des Grund458

Siehe oben § 9 A. III. 2. a) aa). Höfling, Biomedizinische Auflösung, in: Stiftung Gesellschaft für Rechtspolitik/ Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier, Bitburger Gespräche 2002/II, S. 99, 112; Poplutz, Der „verwaiste Embryo“, in: Beckmann/Löhr, Status des Embryos, S. 236, 246. 460 Ein eigenmächtiger Transfer durch den Arzt wäre nach § 4 I Nr. 2 ESchG sogar mit Strafe bedroht. 461 Kritisch zu dieser Rechtslage Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik, S. 188 f. (dort auch Fußn. 179); Eser/Koch, Rechtsprobleme biomedizinischer Forschung, in: Tübinger Juristische Fakultät/Justizministerium Baden-Württemberg, Gedächtnisschrift Keller, S. 15, 30; Schneider, Präimplantationsdiagnostik, in: Schreiber/Rosenau, Recht und Ethik, S. 193, 197. 459

§ 10 Praktische Anwendung

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rechtsträgerkonzepts sicher äußerst unbefriedigenden Ergebnis adäquat zu begegnen? Oder anders gefragt: Wie ließe sich diese im geltenden Recht defizitär ausgestaltete staatliche Schutzpflicht für vorhandene „überzählige“ Entitäten optimieren? aa) Recht auf Transfer bzw. Transferpflicht? In Anlehnung an entsprechende Regelungen in ausländischen Rechtsordnungen462 ist hier von einigen Autoren das Recht des „überzähligen“ Embryos auf Transfer in die Diskussion eingebracht worden, dem eine gesetzlich geregelte Transferpflicht der betroffenen Frau im Sinne einer Garantenpflicht zur Lebensbewahrung aus vorherigem Tun (Durchführung der extrakorporalen Befruchtung) entsprechen müßte.463 Von ihren Protagonisten wird dabei jedoch sofort eingeräumt, daß diese Transferpflicht, die eine unvertretbare Handlung im Sinne von § 888 ZPO darstellt, mit Rücksicht auf die Grundrechte der Frau aus Art. 2 I GG i. V. m. Art. 1 I GG sowie Art. 2 II 1 Alt. 2 GG keinesfalls zwangsweise durchsetzbar wäre.464 Damit würde der Zweck einer solchen Vorschrift jedoch auf eine reine Appellfunktion reduziert,465 der allenfalls in Form einer entsprechenden Beratungspflicht stärkeres Gewicht verliehen werden könnte. Wie man aus den bisherigen Erfahrungen mit der Beratungspflicht beim Schwangerschaftsabbruch (§§ 218 a I Nr. 1, 219 StGB)466 weiß, ist die tatsächliche Schutzfunktion einer solchen Beratungspflicht für ungeborenes Leben eher gering. Insgesamt müssen daher die Zweifel am legislatorischen Sinn einer solch abgeschwächten Transferpflicht überwiegen.

462 Vgl. hier insbesondere das italienische Recht (Art. 14 des Gesetzes Nr. 40/2004 vom 19.2.2004 – Norme in materia di procreazione medicalmente assistita). 463 Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik, S. 190; W. Brohm, Forum: Humanbiotechnik, Eigentum und Menschenwürde, JuS 1998, 197, 203; U. Fink, Der Schutz des menschlichen Lebens im Grundgesetz – zugleich ein Beitrag zum Verhältnis des Lebensrechts zur Menschenwürdegarantie, Jura 2000, 210, 215; Iliadou, Forschungsfreiheit und Embryonenschutz, S. 143 f.; Schneider, Präimplantationsdiagnostik, in: Schreiber/Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 193, 197. 464 Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik, S. 190; Brohm, JuS 1998, 197, 203; Iliadou, Forschungsfreiheit und Embryonenschutz, S. 144; Schneider, Präimplantationsdiagnostik, in: Schreiber/Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 193, 197. Gegen die Durchsetzbarkeit dieser Transferpflicht auch H.-L. Günther, Strafrechtlicher Schutz des menschlichen Embryos über §§ 218 ff. StGB hinaus?, in: ders./R. Keller (Hrsg.), Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik – Strafrechtliche Schranken?, 2. Aufl. 1991, S. 137, 162. 465 Vergleichbar etwa § 1353 I 2 BGB („Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet.“) i. V. m. § 888 III ZPO. 466 Abgedruckt im Anhang IV.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

bb) Embryo- bzw. Präimplantationsadoption? Andere Autoren haben deshalb dafür plädiert, zur Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht für „überzählige“ Embryonen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG das einfachrechtliche Institut der Embryo- bzw. Präimplantationsadoption zu schaffen bzw. rechtlich auszugestalten.467 Eine solche Präimplantationsadoption wird in Deutschland derzeit nicht praktiziert, ist de lege lata aber keineswegs verboten.468 Insbesondere steht ihr nicht § 1 I Nr. 7 ESchG (Verbot der Ersatzmutterschaft) entgegen, da diese Vorschrift allein die Weggabebereitschaft der genetischen Mutter im Zeitpunkt der künstlichen Befruchtung, nicht jedoch die spätere „notfallmäßige“ Spende eines „verwaisten“ Embryos pönalisiert.469 Gleichwohl fehlt es derzeit im einfachen Recht an einer Anpassung der adoptionsrechtlichen Regelungen (§§ 1741 ff. BGB) an dieses neue Institut, bei der zahlreiche schwierige Fragen geklärt werden müßten, so etwa, ob ein „überzähliger“ Embryo auch gegen den Willen der Keimzellspender zur Adoption freigegeben werden könnte (vgl. die entsprechende Vorschrift des § 1748 BGB für die Adoption geborener Kinder).470 Obwohl manche von einer nicht unerheblichen Nachfrage nach einer solchen Embryo- oder Präimplantationsadoption ausgehen,471 erscheint der tatsächliche Anwendungsbereich dieses neuen Instituts doch eher theoretisch: Man stelle sich nur einmal vor, einem adoptionswilligen Paar würde eröffnet, daß wegen zu hoher Nachfrage derzeit zwar kein geborenes Kind für eine Adoption zur Verfügung stehe, dafür aber ein seit zehn Jahren in einer Reproduktionsklinik kryokonservierter „überzähliger“ Embryo adoptiert werden könne. Von engsten Familienkonstellationen abgesehen, würde sich das Paar doch wohl nur in den seltensten Fällen auf eine solche Adoption einlassen, zumal wenn gleichzeitig die vorherige Untersuchung dieses fremden Embryos mittels Präimplantationsdiagnostik verboten bliebe. Darüber hinaus ist der Anwendungsbereich der Präimplantationsadoption naturgemäß auf solche Fälle ungewollter Kinderlosigkeit beschränkt, bei denen eine Schwangerschaft der Adoptivmutter medizinisch überhaupt noch möglich ist. Ob diese Austragung des adoptierten Embryos 467 Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 176 ff.; Müller-Terpitz, WissR 34 (2001), 271, 282; Poplutz, Der „verwaiste Embryo“, in: Beckmann/Löhr, Status des Embryos, S. 236, 245 f.; C. Wendehorst, Zur Möglichkeit der Embryoadoption in einem zukünftigen Fortpflanzungsmedizingesetz, Reproduktionsmedizin 2003, 147. 468 Wendehorst, Reproduktionsmedizin 2003, 147. 469 Keller, in: ders./Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, § 1 I Nr. 7 Rdnr. 20; Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 177; Poplutz, Der „verwaiste Embryo“, in: Beckmann/Löhr, Status des Embryos, S. 236, 246. 470 Str. Für eine entsprechende Freigabe angesichts des Lebensrechts des Embryos Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 179 f.; dagegen mangels einer mit § 1748 BGB vergleichbaren Konfliktsituation Müller-Terpitz, WissR 34 (2001), 271, 273. 471 Insbesondere Wendehorst, Reproduktionsmedizin 2003, 147, 150. Verläßliche Studien hierzu existieren nicht.

§ 10 Praktische Anwendung

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dann eher als ein Vorteil anzusehen ist, da die Frau eine sehr frühe emotionale Bindung zu dem später geborenen Kind aufbauen kann,472 oder sie als zusätzliches Gesundheitsrisiko nicht eher gegen die Embryoadoption spricht, erscheint im übrigen völlig offen. Im Ergebnis ist deshalb kaum zu erwarten, daß allein mit dem neuen Institut der Präimplantationsadoption ein Königsweg für das Gesamtproblem „überzähliger“ Embryonen beschritten werden könnte. cc) Doppelte Moratoriumslösung Aus Sicht des Grundrechtsträgerkonzepts bietet sich für dieses Problem im Sinne einer Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG ein anderer Weg an, der als doppelte Moratoriumslösung bezeichnet werden könnte: Danach müßten in vitro erzeugte Embryonen, bei denen ein Transfer auf die genetische Mutter gescheitert ist, zunächst für einen bestimmten Zeitraum kryokonserviert werden. In einem ersten Schritt würde dabei – sofern dies nach den tatsächlichen Gegebenheiten überhaupt möglich ist – vom Gesetzgeber eine Frist (1. Moratorium) anberaumt, innerhalb derer sich die genetische Mutter, die die Implantation zunächst verweigert hat, noch nachträglich für den Transfer entscheiden könnte.473 Nach Ablauf dieser ersten Frist würde der Embryo dann für einen weiteren gesetzlich festzulegenden Zeitraum (2. Moratorium) zur Präimplantationsadoption freigegeben, deren Voraussetzungen im einzelnen vom Gesetzgeber in Anlehnung an §§ 1741 ff. BGB zu regeln wären. Verstreicht schließlich auch diese zweite Frist, ohne daß sich adoptionswillige Eltern gefunden hätten, müßte die Kryokonservierung beendet und der „überzählige“ Embryo sterben gelassen werden. Ziel dieser letzten Bestimmung ist es, eine menschenwürdekonforme Lösung zu erreichen, die mit der derzeitigen dauerhaften Kryokonservierung, bei der der „überzählige“ Embryo permanent in einem „unwürdigen Schwebezustand“ (Hillgruber) gehalten wird, nicht mehr gewährleistet ist.474 Ein solches einfaches Sterbenlassen nach erfolglosem Transfer- und Adoptionsvermittlungsversuch, das bereits de lege lata nicht unter das Verbot mißbräuchlicher Embryonenverwendung (§ 2 I ESchG) fällt,475 ist dabei nicht mit einer aktiven Tötungshandlung gleichzusetzen und kann deshalb

472

Wendehorst, Reproduktionsmedizin 2003, 147. Insoweit wie Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 179. Das erste Moratorium würde natürlich entfallen, soweit ein nachträglicher Transfer auf die genetische Mutter aus tatsächlichen Gründen (Tod, Krankheit) unmöglich ist. 474 Für das Sterbenlassen dezidiert Hillgruber, Recht und Ethik, in: de Wall/Germann, Festschrift Link, S. 637, 643; ders., ZfL 2002, 2, 7. 475 Ganz h. M.: Eser/Koch, Rechtsprobleme biomedizinischer Forschung, in: Tübinger Juristenfakultät/Justizministerium Baden-Württemberg, Gedächtnisschrift Keller, S. 15, 30; Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, § 2 Rdnr. 32 ff. Ohne nähere Begründung a. A. Müller-Terpitz, WissR 34 (2001), 271, 282. 473

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

auch nicht das subjektive Lebensrecht des Embryos aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG verletzen. 2. Umgang mit (verbotswidrig) geklonten Entitäten a) Verfassungswidrigkeit des absoluten Transferverbots (§ 6 II ESchG) War bei der Anwendungskonstellation der „überzähligen“ Embryonen die im Embryonenschutzgesetz vorgesehene Lösung wenigstens noch teilweise, nämlich in bezug auf das absolute Forschungsverbot des § 2 I ESchG, systemkonform im Sinne des Grundrechtsträgerkonzepts, trifft dies auf den gesetzlich vorgesehenen Umgang mit geklonten Entitäten nicht mehr zu. Für solche Entitäten sieht das Embryonenschutzgesetz nämlich in § 6 II ESchG ein absolutes Transferverbot vor, womit qua Gesetz die Weiterentwicklung als Mensch definitiv ausgeschlossen wird. Dabei erscheint es unerheblich, ob man in dieser Vorschrift bereits eine strafbewehrte Tötungspflicht476 oder nur eine strafbewehrte Pflicht zur Vorenthaltung der wichtigsten Entwicklungsvoraussetzung477 sieht. Aus der Perspektive des Grundrechtsträgerkonzepts stellt die Regelung des § 6 II ESchG auf jeden Fall einen Systembruch dar: Extrakorporale Embryonen sind unabhängig von ihrer Entstehungsart (Befruchtung oder Klonierung, bei letzterer auch unabhängig von der Art des Klontechnik) subjektiv Berechtigte aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG mit einem verfassungsmäßigen Anspruch auf staatlichen Schutz, was mit einem ausnahmslosen Weiterentwicklungsverbot nicht in Einklang zu bringen ist. § 6 II ESchG ist deshalb aus Sicht des Grundrechtsträgerkonzepts als verfassungswidrig anzusehen und ersatzlos zu streichen.478 Sämtliche Rechtfertigungsversuche, etwa über die Menschenwürde des kopierten Erbgutspenders479 oder die körperliche Unversehrtheit der austragenden

476 Keller, in: ders./Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, § 6 Rdnr. 11; ihm folgend Hilgendorf, Klonverbot, in: Geis/Lorenz, Festschrift Maurer, S. 1147, 1161; Höfling, Biomedizinische Auflösung, in: Stiftung Gesellschaft für Rechtspolitik/Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier, Bitburger Gespräche 2002/II, S. 99, 114; Neidert, ZRP 2002, 467, 470. 477 Kersten, Klonen, S. 43. 478 Höfling, Biomedizinische Auflösung, in: Stiftung Gesellschaft für Rechtspolitik/ Institut für Rechtspolitik, Bitburger Gespräche 2002/II, S. 99, 113; Hilgendorf, Klonverbot, in: Geis/Lorenz, Festschrift Maurer, S. 1147, 1161 f.; Kersten, Klonen, S. 42 ff. und 580; Nettesheim, AöR 130 (2005), 71, 107. Bereits der „Klonbericht“ der Bundesregierung von 1998 (Deutscher Bundestag, Unterrichtung Klonen [BT-Drs. 13/11263], S. 26) forderte die ersatzlose Streichung von § 6 II ESchG, vgl. oben § 7 A. 479 Keller, in: ders./Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, § 6 Rdnr. 11. Selbst wenn man tatsächlich von einer Würdeverletzung des geklonten Erbgutspenders ausgehen würde, könnte diese niemals zu einem Anspruch auf Vernichtung eines mit eigenem Lebensrecht und Menschenwürde ausgestatteten Grundrechtsträgers führen (mit Hilgendorf, Klonverbot, in: Geis/Lorenz, Festschrift Maurer, S. 1147, 1161 f.).

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Frau480, erweisen sich bei näherer Betrachtung als nicht tragfähig. Wie sich bereits in der rechtspolitischen Analyse andeutete,481 ist die Vorschrift des § 6 II ESchG vielmehr der eindrücklichste Beweis für die verfassungsrechtliche Unausgereiftheit und Widersprüchlichkeit des Embryonenschutzgesetzes. b) Verfassungsrechtlich gebotener Umgang? Angesichts der normativen Äquivalenz von Befruchtungsembryonen und geklonten Embryonen gelten für den verfassungsrechtlich gebotenen Umgang mit ihnen aus Sicht des Grundrechtsträgerkonzepts keine Besonderheiten. Auch für diese Entitäten ist einerseits das strikte Forschungsverbot des § 2 I ESchG zu beachten, etwa im Hinblick auf eine Verwendung existierender Zellkerntransferklone im Rahmen des „therapeutischen Klonens“.482 Zwar wäre für geklonte Embryonen darüber hinaus im Prinzip auch die dargestellte doppelte Moratoriumslösung anwendbar; ein praktisches Regelungsbedürfnis, insbesondere für die Präimplantationsadoption von Zellkerntransferklonen, gibt es angesichts der erheblichen medizinischen Risiken bei der Austragung einer solchen Schwangerschaft gleichwohl nicht. Im Ergebnis müßte daher auch bei ihnen ein „Sterbenlassen“ gesetzlich angeordnet werden. 3. Präimplantationsdiagnostik durch Entnahme pluripotenter Zellen a) Der einfachgesetzliche Auslegungsstreit Während die Präimplantationsdiagnostik durch Entnahme totipotenter Zellen als Form das Klonens zu diagnostischen Zwecken nach § 6 I i. V. m. § 8 I Alt. 2 ESchG eindeutig strafbar ist,483 finden sich zur Präimplantationsdiagnostik durch Entnahme pluripotenter Zellen keine expliziten Aussagen im Embryonenschutzgesetz.484 Trotz der meist in der Frühphase der Embryonalentwicklung (Vier- bis Achtzellstadium) durchgeführten Präimplantationsdiagnostik485 ist 480 I. Hillebrand/D. Lanzerath/K. Wachlin, Klonen, 2001, S. 24. Im Rahmen eines „informed consent“ könnte eine Frau ein solches Gesundheitsrisiko vielmehr eingehen (mit Kersten, Klonen, S. 523). 481 Siehe oben § 6 D. II. 482 Zur Verfassungsrechtlichen Beurteilung der Herstellung dieser Zellkerntransferklone siehe unten § 10 B. II. 1. 483 Statt aller Schroth, JZ 2002, 170, 172. Die einschlägigen Normen des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) sind im Anhang I abgedruckt. Des weiteren wäre hier eine Strafbarkeit nach § 2 I ESchG gegeben, vgl. M. v. Renesse, Zur Vereinbarkeit der Präimplantationsdiagnostik mit dem Embryonenschutzgesetz, ZfL 2001, 10. 484 Eser/Koch, Rechtsprobleme biomedizinischer Forschung, in: Tübinger Juristenfakultät/Justizministerium Baden-Württemberg, Gedächtnisschrift Keller, S. 15, 33. 485 Siehe oben § 2 B. III.

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diese Anwendungskonstellation aber von hoher praktischer Bedeutung, da etwa im Achtzellstadium nicht mehr von einer sicheren Totipotenz aller Embryonalzellen ausgegangen werden kann und deshalb der Nachweis einer strafbaren Handlung nach § 6 I i. V. m. § 8 I Alt. 2 ESchG regelmäßig ins Leere gehen dürfte.486 Es verwundert daher nicht, wenn zur PID durch Entnahme pluripotenter Zellen ein einfachgesetzlicher Auslegungsstreit existiert, der sich vor allem auf zwei Straftatbestände des Embryonenschutzgesetzes fokussiert hat: aa) PID durch Entnahme pluripotenter Zellen als Verstoß gegen § 1 I Nr. 2 ESchG? Verschiedentlich ist vertreten worden, eine Präimplantationsdiagnostik durch Entnahme pluripotenter Zellen verstoße gegen § 1 I Nr. 2 ESchG (mißbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken), da die extrakorporale Befruchtung nicht mehr zum Zweck der Herbeiführung einer Schwangerschaft, sondern zum Zweck präimplantorischer Qualitätskontrolle erfolge.487 Bei dieser Sichtweise wird jedoch verkannt, daß die Präimplantationsdiagnostik ein mehraktiges Geschehen darstellt, das nicht nur aus der Embryoerzeugung, sondern aus weiteren insgesamt eine Einheit bildenden Handlungselementen (Zellentnahme, Zelluntersuchung sowie [Nicht]transfer des Embryos) besteht.488 Bei lebensnaher Auslegung bleibt dabei im Moment der Embryoerzeugung der Gesamtwille des beteiligten Paares sowie der Reproduktionsmediziner (als dolus directus 1. Grades489) nach wie vor auf die Herbeiführung einer Schwangerschaft gerichtet.490 Die Intention, den erzeugten Embryo mittels PID zu untersuchen und bei auffälligem Befund nicht zu implantieren, schließt diese insgesamt prokreative Absicht noch nicht aus.491 Es wäre vielmehr völlig lebensfremd, den Beteiligten zu unterstellen, sie beabsichtigten im Moment der Befruchtung nicht die Geburt eines Kindes, sondern allein eine präimplantorische Qualitätskontrolle 486 v. Renesse, ZfL 2001, 10. Zum teilweisen Verlust der Totipotenz im Achtzellstadium siehe oben § 2 A. II. 487 R. Beckmann, Rechtsfragen der Präimplantationsdiagnostik, MedR 2001, 169, 170; ders., Zur Strafbarkeit der Präimplantationsdiagnostik nach dem Embryonenschutzgesetz, ZfL 2001, 12; Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik, S. 129; J. Renzikowski, Die strafrechtliche Beurteilung der Präimplantationsdiagnostik, NJW 2001, 2753, 2756. 488 R. Neidert, Sollen genetische Analysen am frühen Embryo zugelassen werden?, in: H. Kreß/K. Racké (Hrsg.), Medizin an den Grenzen des Lebens, 2002, S. 33, 35; ders., ZRP 2002, 467, 470. 489 Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, § 1 I Nr. 2 Rdnr. 15. 490 Schroth, JZ 2002, 170, 173. 491 v. Renesse, ZfL 2001, 10, 11; H.-L. Schreiber, Wohin entwickelt sich die Fortpflanzungsmedizin?, in: ders./H. Rosenau u. a. (Hrsg.), Recht und Ethik im Zeitalter der Gentechnik, 2004, S. 111, 115.

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des Embryos.492 Im vorliegenden Kontext könnte man allenfalls von einer (objektiv) bedingten prokreativen Absicht sprechen, die nach gängigen strafrechtlichen Kriterien aber am Vorliegen des dolus directus 1. Grades nichts ändert.493 Insgesamt ergibt daher eine präzise Auslegung von § 1 I Nr. 2 ESchG, daß die Präimplantationsdiagnostik durch Entnahme pluripotenter Zellen nicht unter diesen Straftatbestand zu subsumieren ist.494 bb) PID durch Entnahme pluripotenter Zellen als Verstoß gegen § 2 I ESchG? In der einfachrechtlichen Debatte um die Strafbarkeit der Präimplantationsdiagnostik ist deshalb neben § 1 I Nr. 2 ESchG schon früh der bereits erwähnte § 2 I ESchG ins Spiel gebracht und die Präimplantationsdiagnostik als „mißbräuchliche Verwendung“ eines vorher extrakorporal erzeugten Embryos angesehen worden.495 Zur Beurteilung der Strafbarkeit muß man jedoch auch hier die beschriebene Mehraktigkeit des PID-Geschehens (Zellentnahme, Zelluntersuchung, [Nicht]transfer) berücksichtigen und zunächst auf der Ebene des objektiven Tatbestands fragen, worin genau eine solch „mißbräuchliche Embryoverwendung“ liegen könnte: Dabei kann die präimplantorische Untersuchung der pluripotenten Zelle wohl kaum als Verwendung des Embryos angesehen werden, sondern allenfalls als (straflose) Verwendung der pluripotenten Zelle selbst.496 Ob die anschließende Unterlassung des Embryotransfers bei auffälligem Befund den objektiven Tatbestand des § 2 I ESchG erfüllt, erscheint ebenfalls sehr zweifelhaft. So ist bereits im Kontext des Umgangs mit „überzähligen“ Embryonen erläutert worden, daß das einfache Sterbenlassen des Embryos – im Gegensatz zum aktiven Töten – noch kein Fall des § 2 I ESchG darstellt.497 Nichts anderes darf dann aber auch beim vorliegenden Nichttransfer eines pathologischen Embryos nach PID gelten. Sofern man hierin ein unechtes Unterlassungsdelikt des beteiligten Arztes sehen möchte,498 scheitert die Strafbarkeit an der Entsprechensklausel des § 13 I StGB499, da das Unterlassen le492

Vgl. Neidert, ZRP 2002, 467, 470. v. Renesse, ZfL 2001, 10, 11; Schroth, JZ 2002, 170, 174. A. A. Beckmann, ZfL 2001, 12, 14. 494 So auch manche Vertreter des Grundrechtsträgerkonzepts (z. B. Höfling, Reprogenetik, S. 28). 495 Beckmann, MedR 2001, 169, 171; Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik, S. 136; Renzikowski, NJW 2001, 2753, 2757. 496 Schroth, JZ 2002, 170, 175; Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik, S. 137. 497 Siehe oben § 10 B. I. 1. b) cc). Ebenso Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik, S. 139; Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, § 2 Rdnr. 34 und 47; Neidert, ZRP 2002, 467, 470. 498 So z. B. Beckmann, MedR 2001, 169, 171. 493

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benserhaltender Maßnahmen (Nichttransfer) in seinem Unrechtsgehalt nicht einer aktiv mißbräuchlichen Verwendung i. S. v. § 2 I ESchG entspricht500 und dem Arzt im übrigen die Erfüllung seiner unterstellten Garantenpflicht gar nicht möglich wäre (vgl. § 4 I Nr. 2 ESchG).501 Eine Strafbarkeit der Präimplantationsdiagnostik durch Entnahme pluripotenter Zellen nach § 2 I ESchG kommt deshalb nur in Betracht, wenn man bereits die Zellentnahme als mißbräuchliche Verwendung des extrakorporalen Embryos klassifiziert.502 Bereits auf Wortlautebene bestehen dabei jedoch Zweifel, ob man in einer Zellentnahme eine „Embryoverwendung“ sehen kann, ohne dem sprachlichen Gehalt dieses Begriffs Gewalt anzutun.503 Da diese Zellentnahme selbst nur eine neutrale Handlung darstellt, kommt es zur Feststellung der Strafbarkeit außerdem entscheidend auf den subjektiven Tatbestand, also die Täterabsicht im Moment der Zellentnahme („zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck“), an, die wie bei § 1 I Nr. 2 ESchG als Absicht im technischen Sinn (dolus directus 1. Grades) verstanden werden muß.504 Verfechter einer Strafbarkeit der Präimplantationsdiagnostik nach § 2 I ESchG argumentieren hier, daß die bei der Zellentnahme intendierte präimplantorische Untersuchung mangels Therapiemöglichkeit allein in Selektionsabsicht erfolge und daher keine der Erhaltung des Embryos dienende Maßnahme mehr sei.505 Gegner einer Strafbarkeit nach § 2 I ESchG vertreten demgegenüber die Auffassung, das zielgerichtete Wollen der Beteiligten bei der PID sei gerade nicht auf die Eliminierung pathologischer Embryonen gerichtet; die Entnahme pluripotenter Zellen erfolge vielmehr in der Absicht, bei Nichtvorliegen eines präimplantorischen Befundes den erzeugten Embryo der Patientin zu übertragen.506 Da beide vertretenen Auffassungen mit dem Wortlaut von § 2 I ESchG vereinbar erscheinen, kann die Frage der Strafbarkeit einer Präimplantationsdiagnostik durch Entnahme pluripotenter Zellen auf einfachgesetzlicher Ebene nicht abschließend geklärt werden; es bleibt vielmehr beim unbefriedigenden „non liquet“. 499 § 13 I StGB lautet: „Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.“ 500 Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, § 2 Rdnr. 34; Neidert, Genetische Analysen, in: Kreß/Racké, Medizin an den Grenzen, S. 33, 36. 501 Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik, S. 139 (dort Fußn. 132); Schroth, JZ 2002, 170, 175. 502 So Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik, S. 133 ff. 503 So zutreffend v. Renesse, ZfL 2001, 10, 12. 504 Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, § 2 Rdnr. 36. 505 Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik, S. 136. 506 Schroth, JZ 2002, 170, 175. Ähnlich Neidert, ZRP 2002, 467, 470; Schreiber, Wohin entwickelt sich die Fortpflanzungsmedizin?, in: ders./Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 111, 115.

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b) Verfassungsrechtlich gebotene Bewertung? Betrachtet man das strittige PID-Verfahren deshalb unter dem Blickwinkel des verfassungsrechtlichen Grundrechtsträgerkonzepts, ergeben sich weit klarere Konturen. Zwar verstößt auf dieser Ebene die Präimplantationsdiagnostik als ganze bzw. keiner ihrer Einzelakte (Zellentnahme, Zelluntersuchung und Nichttransfer) gegen das subjektive Lebensrecht (Art. 2 II 1 Alt. 1 GG) des betroffenen Embryos.507 Wegen seines „Eliminierungspotentials“ muß das Diagnoseverfahren jedoch als ein Verstoß gegen Art. 1 I GG angesehen werden, da die Untersuchung eines Menschen nach bestimmten Eigenschaften mit der Folge, ihn bei negativem Befund sterben zu lassen, als menschenwürdewidrige Selektion zu bewerten ist.508 Im Sinne der herausgearbeiteten Parameter von Art. 1 I GG wäre diese diagnostische Embryoselektion ein Fall einer Totalinstrumentalisierung, da der vorher erzeugte Embryo nicht mehr als Selbstzweck gesehen, sondern nach seinem Wert bemessen wird und allein als Mittel zur Erfüllung des Elternwunsches nach einem gesunden Kind fungiert.509 Darüber hinaus sieht Rainer Beckmann in der Präimplantationsdiagnostik auch einen Verstoß gegen das (einfache) Objektivierungsverbot des Art. 1 I GG;510 denn der menschliche Embryo werde de facto wie eine Gattungssache im Kaufrecht behandelt, die bei „Lieferung“ von mittlerer Art und Güte zu sein habe (vgl. § 243 I BGB) und bei Mängeln durch eine mangelfreie ersetzt werden müßte (vgl. jetzt § 439 I BGB).511 – Die Gegenauffassung, die bei der Präimplantationsdiagnostik einen Menschenwürdeverstoß ablehnt, indem sie sich auf die Willkürformel des Bundesverfassungsgerichts beruft und in dem Diagnoseverfahren keine willkürliche Verächtlichmachung des Embryos sieht,512 kann aus prinzipiellen Gründen nicht überzeugen.513 Die Bewertung der Präimplantationsdiagnostik durch Entnahme pluripotenter Zellen anhand des Grundrechtsträgerkonzepts ergibt somit ein verfassungsrechtlich gefordertes Verbot dieses Verfahrens, das durch eine klarstellende Änderung des Embryonenschutzgesetzes festzuschreiben und im übrigen 507 Sacksofsky, Der verfassungsrechtliche Status, S. 64; W. Lübbe, Pränatale und präimplantive Selektion als Diskriminierungsproblem, MedR 2003, 148, 150. Anders Beckmann, ZfL 2001, 12, 15, der der Sache nach jedoch mit Art. 1 I GG argumentiert. 508 Beckmann, MedR 2001, 169, 171 f.; Böckenförde, JZ 2003, 809, 814; Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik, S. 207; Röger, Verfassungsrechtliche Grenzen, in: Schriftenreihe JVL 2000, S. 55, 67; Sacksofsky, Der verfassungsrechtliche Status, S. 65. Etwas vorsichtiger Höfling, Reprogenetik, S. 36. 509 Statt aller Beckmann, MedR 2001, 169, 171 f. 510 Hierzu oben § 10 A. II. 1. 511 Beckmann, MedR 2001, 169, 172. 512 F. Hufen, Präimplantationsdiagnostik aus verfassungsrechtlicher Sicht, MedR 2001, 440, 446; Schreiber, Wohin entwickelt sich die Fortpflanzungsmedizin?, in: ders./Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 111, 115. 513 Gegen die Willkürformel (BVerfGE 30, 1, 25 f.) siehe oben § 10 A. II. 1.

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konsequenterweise auch auf die Polkörperdiagnostik von Vorkernstadien auszudehnen wäre. Die durch das derzeitige Schweigen des Gesetzgebers nötigen „interpretatorischen Winkelzüge“ bei der Auslegung des Embryonenschutzgesetzes können mit Blick auf die hohe gesellschaftliche Relevanz der Präimplantationsdiagnostik nur als gänzlich unbefriedigend angesehen werden.514 II. Anwendungskonstellationen, bei denen eine grundrechtsberechtigte extrakorporale Entität noch nicht vorliegt (Grundtyp 2) Für die bisher erläuterten Anwendungskonstellationen war kennzeichnend, daß immer schon eine extrakorporale Entität vorlag, die als Anknüpfungspunkt für individuellen Grundrechtsschutz aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG dienen konnte. Demgegenüber ergeben sich überall dort neue Schwierigkeiten und möglicherweise Schutzlücken, wo die Herstellung dieses Grundrechtsträgers selbst in Frage steht, also im Moment der zu bewertenden Handlung ein aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG berechtigtes Grundrechtssubjekt noch gar nicht existiert. Zwei klassische Anwendungsfälle für diesen zweiten Grundtyp sind etwa • alle Arten des Klonens, also das Klonen zu therapeutischen, diagnostischen und reproduktiven Zwecken,515 sowie • die Herstellung extrakorporaler Entitäten für Forschungszwecke durch künstliche Befruchtung.516 Das Problem der im Herstellungsakt noch nicht vorhandenen grundrechtsberechtigten Entität ist von Vertretern des Grundrechtsträgerkonzepts schon früh erkannt worden.517 Dabei haben sich alle subjektiv-rechtlichen Lösungsansätze, die hierfür bis dato auf der Basis des Grundrechtsträgermodells entwickelt wur514 So auch Eser/Koch, Rechtsprobleme biomedizinischer Forschung, in: Tübinger Juristenfakultät/Justizministerium Baden-Württemberg, Gedächtnisschrift Keller, S. 15, 33 f. 515 Zum Problem des nicht existierenden Subjekts Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 183; Hilgendorf, Klonverbot, in: Geis/Lorenz, Festschrift Maurer, S. 1147, 1157; Rosenau, Streit um das Klonen, in: Schreiber/Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 135, 141; Witteck/Erich, MedR 2003, 258, 261. Unter Klonen zu diagnostischen Zwecken ist die Präimplantationsdiagnostik durch Abspaltung totipotenter Zellen zu verstehen (vgl. Kersten, Klonen, S. 25 ff.). 516 Weitere Anwendungsfälle für den Grundtyp 2 wären die Bildung von Interspezieshybriden (vgl. K. Gröner, Klonen, Hybrid- und Chimärenbildung unter Beteiligung totipotenter menschlicher Zellen, in: H.-L. Günther/R. Keller [Hrsg.], Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik – Strafrechtliche Schranken?, 2. Aufl. 1991, S. 293, 315; J. Taupitz, Der rechtliche Rahmen des Klonens zu therapeutischen Zwecken, NJW 2001, 3433, 3434 f.) oder die Somazellenmanipulation vor einem Zellkerntransfer (Höfling, Biomedizinische Auflösung, in: Stiftung Gesellschaft für Rechtspolitik/Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier, Bitburger Gespräche 2002/II, S. 99, 109; Taupitz, NJW 2001, 2433, 3434).

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den, als wenig überzeugend erwiesen.518 So ist etwa die teils geforderte Ausdehnung des verfassungsrechtlichen Würdeschutzes auf menschliche Keimzellen519 mit dem Potentialitätsansatz unvereinbar und führt außerdem zu nicht lösbaren normativen Abgrenzungsproblemen.520 Wenn man nämlich schon die menschliche Ei- oder Samenzelle unter den Schutz des Art. 1 I GG stellt, um den Herstellungsakt extrakorporaler Entitäten normativ zu erfassen, müßte konsequenterweise auch jede menschliche Körperzeile entsprechend geschützt werden, da sie z. B. zur Herstellung eines Zellkerntransferklons (oben § 3) und damit eines Grundrechtsträgers verwendet werden könnte. Im Ergebnis würde dies zu einer Überdehnung des verfassungsrechtlichen Würdeschutzes auf humanbiologische Zellstrukturen führen, die der individualschützenden Intention des Grundrechtsträgerkonzepts diametral zuwiderliefe. – Aber auch ein zweiter subjektiv-rechtlicher Ansatz, der ein aus Art. 1 I GG abgeleitetes Recht auf Nichtentstehung postuliert und damit ein Verbot „würdewidriger“ Herstellung extrakorporaler Entitäten begründen möchte,521 kann nicht überzeugen. Denn es erscheint es in höchstem Maße paradox und logisch widersinnig, von einem noch gar nicht existierenden Grundrechtsträger ein Recht abzuleiten, das die Entstehung dieses Grundrechtsträgers gerade verhindert – würde sich dieses Recht doch gegen seinen Träger und damit ureigenste Existenzvoraussetzung richten.522 Da auf Basis des Grundrechtsträgerkonzepts somit für die Lösung der beschriebenen Anwendungskonstellationen ein subjektiv-rechtlicher Ansatz nicht zur Verfügung steht, hat sich die verfassungsrechtliche Diskussion schon früh von der subjektiv-rechtlichen auf die objektiv-rechtliche Ebene des Grundrechtsschutzes verlagert. Daß Grundrechte nicht nur subjektiv-rechtliche Wirkungen haben können, sondern auch Ausdruck einer objektiven Werteordnung 517 So wurde das Problem der Somazellenmanipulation bereits 1986 von C. Starck (Die künstliche Befruchtung beim Menschen – Zulässigkeit und zivilrechtliche Folgen. 1. Teilgutachten. Verfassungsrechtliche Probleme, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages [Hrsg.], Verhandlungen des 56. Deutschen Juristentages in Berlin 1986, Band I, 1986, S. A 3, A 16 f.) gesehen. Vgl. hierzu auch Deutscher Bundestag, Unterrichtung Klonen (BT-Drs. 13/11263), S. 16 ff. 518 Mit Hetz, Schutzwürdigkeit, S. 183; Kersten, Klonen, S. 311. 519 Gröner, Klonen, Hybrid- und Chimärenbildung, in: Günther/Keller, Fortpflanzungsmedizin, S. 293, 315. Ansatzweise auch Starck (Die künstliche Befruchtung, in: Ständige Deputation, Verhandlungen des 56. Deutschen Juristentages, S. A 3, A 17), der hiervon jedoch in JZ 2002, 1065, 1068 (dort Fußn. 31), wieder abgerückt ist. 520 Vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2005) Rdnr. 64. 521 So z. B. der Ansatz von U. Neumann, Die Menschenwürde als Menschenbürde – oder wie man ein Recht gegen den Berechtigten wendet, in: M. Kettner (Hrsg.), Biomedizin und Menschenwürde, 2004, S. 42, 52 ff. Speziell für das Klonen ähnlich Gröner, Klonen, Hybrid- und Chimärenbildung, in: Günther/Keller, Fortpflanzungsmedizin, S. 293, 308. 522 Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 111; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2005) Rdnr. 98; Kersten, Klonen, S. 309 f.

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mit entsprechenden objektiv-rechtlichen Wirkungen sind, ist spätestens seit dem für deutsche Grundrechtsdogmatik fundamentalen Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Januar 1958523 allgemein anerkannt und bedarf hier keiner gesonderten Explikation.524 Für die vorliegenden Anwendungskonstellationen noch nicht existierender extrakorporaler Entitäten stehen dabei objektivrechtliche Wirkungen von Art. 1 I GG im Vordergrund, die je nach untersuchter Problemlage unterschiedlich zu konkretisieren sind: 1. Klonen zu therapeutischen, diagnostischen und reproduktiven Zwecken a) Gattungs- bzw. Menschenbildschutz als objektiver Gehalt von Art. 1 I GG? Bei der ersten Anwendungskonstellation, dem Klonen zu therapeutischen, diagnostischen und reproduktiven Zwecken, besteht ein möglicher objektivrechtlicher Lösungsansatz darin, der verfassungsrechtlichen Menschenwürdegarantie neben der individualschützenden Komponente auch eine Gattungs- bzw. Menschenbildschutzdimension zu entnehmen und auf diesem Wege ein umfassendes Klonverbot zu begründen.525 Untersucht man diesen Ansatz etwas genauer, stellt man allerdings fest, daß sich etwa unter dem gemeinsamen Dach der Gattungsschutzdimension völlig divergierende Untervarianten verbergen: So wird einerseits behauptet, die Gattungsschutzdimension des Art. 1 I GG umfasse auch den Schutz der genetischen Grundlagen der menschlichen Gattung, mithin des gesamten menschlichen Genoms.526 Bei dieser Sichtweise avanciert die verfassungsrechtliche Menschenwürdegarantie in quasi biologistischer Manier zu einer normativen Festschreibung des „Variantenreichtums der genetischen Kombinationen“527 der Species humana. Eine eher soziologisch-diskurs523 BVerfGE 7, 198, 204 ff. Zur fundamentalen Bedeutung des Lüth-Urteils für die deutsche Grundrechtsdogmatik siehe insbesondere R. Wahl, Die objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte im internationalen Vergleich, in: D. Merten/H.-J. Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band I, 2004, § 19 Rdnr. 3 ff. 524 Allgemein zur objektiven Dimension der Grundrechte H. Dreier, Dimensionen der Grundrechte: von der Wertordnungsjudikatur zu den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten, 1993; ders., Subjektiv-rechtliche und objektiv-rechtliche Grundrechtsgehalte, Jura 1994, 505; M. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000; Wahl, Die objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte I, § 19. 525 Vgl. zum Gattungsschutzaspekt von Art. 1 I GG Böckenförde, JZ 2003, 809, 811: „Die Formulierung ,Würde des Menschen‘ deckt beides ab, auch den Bezug auf die Menschen als Gattung.“ 526 So dezidiert Witteck/Erich, MedR 2003, 258, 262: „Aus dieser Überlegung folgt zwangsläufig, daß die Unantastbarkeit des menschlichen Genoms integraler Bestandteil der Menschenwürde ist.“ (Hervorh. T. H.). 527 Witteck/Erich, MedR 2003, 258, 262.

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ethische Wendung erhält der Gattungsschutzaspekt hingegen bei denjenigen, die in Art. 1 I GG eine Verbürgung des gattungsethischen Selbstverständnisses des Menschen erkennen wollen.528 Im Anschluß an Jürgen Habermas wird hier die verfassungsrechtliche Menschenwürde als Relations- und Kommunikationsbegriff aufgefaßt, der neben einer synchronen Relation, die sich auf alle aktuell existierenden Menschen beziehe, auch eine diachrone Relation beinhalte, welche auf die Garantie einer wechselseitigen Achtung zwischen jetzt existierenden und künftigen Generationen abziele. In dieser diachronen Relation dürfe nichts getan werden, was es künftigen Individuen unmöglich mache, sich als offene („kontingente“) Wesen zu begreifen.529 – Eng verwandt mit diesem Gattungsschutzaspekt ist schließlich ein drittes objektiv-rechtliches Verständnis von Art. 1 I GG, das in dieser Norm ein bestimmtes Menschenbild verortet sieht, welches sich vor allem am Merkmal der zufälligen Entstehung (Kontingenz) orientiert und auf diesem Weg ein Klonverbot legitimieren soll.530 Bereits diese vielen objektiv-rechtlichen Ansätze bei Art. 1 I GG zur Begründung eines Klonverbots lassen leise Zweifel an der Richtigkeit der jeweiligen Behauptung aufkommen und verfestigen eher den Eindruck einer willkürlichen Füllung oder Aufladung dieser Verfassungsnorm zwecks Lösung der vorliegenden Anwendungsproblematik. Völlig zu Recht spricht Herdegen deshalb hier von „überschießenden“ objektiven Gehalten der verfassungsrechtlichen Menschenwürdegarantie, die „letztlich zur Hülse für populär-pädagogische Verhaltenerwartungen mit stark subjektivem Einschlag zu werden drohen“.531 In diesem Sinne ist auch erneut auf die bereits in anderem Kontext erwähnten grundsätzlichen Gefahren der Beliebigkeit und Ideologieanfälligkeit bei einer normativen Festschreibung verfassungsrechtlicher Menschenbilder hinzuweisen.532 Des weiteren mahnt aber auch der schlichte Blick auf den Wortlaut des Art. 1 I GG zur Vorsicht bei der Postulierung allzu hochfliegender Gattungsschutzpostulate: Art. 1 I GG schützt bekanntlich allein die „Würde des Menschen“, nicht die „menschliche Würde“ oder die „Würde der Menschheit“ und unterscheidet sich damit signifikant von anderen Normtexten, in denen ein solcher Rekurs auf die „Menschheit“ explizit enthalten ist. Als Beispiel im Bioethikkontext sei hier nur an die Allgemeine Erklärung über das menschliche Genom und Menschenrechte der UNESCO vom 11. November 1997 erinnert, die in ihrem Art. 1 im 528

W. Höfling, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2003, Art. 1 Rdnr. 42 ff., mit Verweis auf J. Habermas, Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?, 4. Aufl. 2002, S. 114 ff. 529 Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 1 Rdnr. 42. 530 Z. B. Sacksofsky, Der verfassungsrechtliche Status, S. 55 ff., bes. S. 59. 531 Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2005) Rdnr. 29. 532 Siehe oben § 9 B. II. 2. b) mit Fußn. 391. Vgl. ergänzend auch Frankenberg (KJ 33 [2000], 325, 331), der den „sittenpaternalistischen“ Zug verfassungsrechtlicher Menschenbilder anprangert.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

Sinne eines „Heritage-Konzepts“ (Schutz des Menschheitserbes) die Unversehrtheit des menschliches Genoms ausdrücklich festschreibt.533 Daß auch Art. 1 I GG einen solchen Genomschutz beinhalten soll, erscheint vor diesem Hintergrund wenig plausibel und eher als willkürliche Überinterpretation. Zumindest in der „biologistischen“ Variante der Gattungsschutzdimension läßt sich daher ein umfassendes Klonverbot wohl kaum mit Art. 1 I GG legitimieren. Aber auch die besonders von Wolfram Höfling in die Diskussion eingebrachte soziologisch-diskursethisch begründete Gattungsschutzdimension von Art. 1 I GG im Anschluß an Jürgen Habermas (Schutz des gattungsethischen Selbstverständnisses) ist alles andere als unproblematisch: Abgesehen von der grundsätzlichen Schwierigkeit des Imports einer Partialethik in den Rechtsrahmen der Verfassung zeichnet sich das Habermassche Konzept in all seinen übrigen Bezugnahmen auf das Grundgesetz nämlich gerade dadurch aus, daß eine Grundrechtsträgerschaft für vorgeburtliches menschliches Leben strikt abgelehnt wird: „Etwas [kann, T. H.] als ,unverfügbar‘ gelten . . ., auch wenn es nicht den Status einer Rechtsperson einnimmt, die im Sinne des Grundgesetzes Träger von unabdingbaren Grundrechten ist. ,Unverfügbar‘ ist nicht nur das, was Menschenwürde hat. Etwas kann unserer Verfügung aus guten moralischen Gründen entzogen sein, ohne im Sinne uneingeschränkt oder absolut geltender Grundrechte (die für die ,Menschenwürde‘ gemäß Artikel 1 des Grundgesetzes konstitutiv sind) ,unantastbar‘ zu sein.“534

Nach Habermas ist das genetisch individuierte Wesen, mithin auch eine entwicklungsfähige extrakorporale Entität, nicht schon mit seiner Entstehung Person und Träger von Grundrechten, sondern lediglich „vorpersonales menschliches Leben“, dem erst mit Eintritt in den öffentlichen Interaktionszusammenhang (Geburt) eine rechtliche Subjektstellung zuwächst: „Was den Organismus erst mit der Geburt zu einer Person im vollen Sinne des Wortes macht, ist der gesellschaftlich individuierende Akt der Aufnahme in den öffentlichen Interaktionszusammenhang einer intersubjektiv geteilten Lebenswelt. Erst im Augenblick der Lösung aus der Symbiose mit der Mutter tritt das Kind in eine Welt von Personen ein . . . Vor dem Eintritt in öffentliche Interaktionszusammenhänge genießt das menschliche Leben als Bezugspunkt unserer Pflichten Rechtsschutz, ohne selber Subjekt von Pflichten und Träger von Menschenrechten zu sein.“535

533 Art. 1 der UNESCO-Erklärung lautet: „The human genome underlies the fundamental unity of all members of the human family as well as the recognition of their inherent dignity and diversity. In a symbolic sense, it is the heritage of humanity.“ (Hervorh. T. H.). Dazu eingehend Kersten, Klonen, S. 237 ff., sowie Wahl, Humangenetik, in: Barcellona/Carrino, I diritti umani, S. 301, 315 f. 534 Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 59. Ähnlich ebd., S. 114 f. und 130 f.

§ 10 Praktische Anwendung

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Für die Lösung der Klonproblematik ergeben sich aus diesem stark am Personenbegriff ausgerichteten diskursethischen Konzept denn auch höchst differenzierte Lösungen: Während das reproduktive Klonen die hieraus entstehende Person „der unverstellten eigenen Zukunft beraubt“536 und deshalb als ausnahmslos unzulässig zu gelten hat, läßt sich ein ebensolches apodiktisches Verbot des „therapeutischen Klonens“ nicht mehr begründen: Denn die auf diesem Wege hergestellte Entität kann mangels Entwicklungsperspektive bis zur Geburt der gegenwärtigen Generation in diachroner Relation nie mehr als „künftige zweite Person“ gegenübertreten und insoweit auch nicht ihrer eigenen unverstellten Zukunft beraubt werden.537 – Vertreter des Grundrechtsträgerkonzepts, die sich zur verfassungsrechtlichen Bewältigung der Klonproblematik der Habermasschen Diskursethik bedienen und das „gattungsethische Selbstverständnis“ des Menschen als objektiv-rechtliche Schutzdimension von Art. 1 I GG ausmachen, müßten also erklären, wie sich dieser in seinen philosophischen Voraussetzungen völlig andere Ansatz mit ihrer eigenen Grundannahme (Grundrechtsträgerschaft für alle entwicklungsfähigen extrakorporalen Entitäten) verträgt. b) Schutz künftiger Grundrechtsträger als objektiver Gehalt von Art. 1 I GG? Nicht zuletzt wegen solch zahlreicher Friktionen bei der Begründung verfassungsrechtlicher Gattungs- bzw. Menschenbildschutzdimensionen des Art. 1 I GG erscheint ein zweiter objektiv-rechtlicher Ansatz zur Bewältigung der Klonproblematik deutlich vielversprechender. Dieser Ansatz orientiert sich von vornherein stärker am Grundrechtsträgerkonzept und kann mit einem gewissen Recht sogar als konsequente Fortschreibung der Grundrechtsträgerthese selbst verstanden werden. Gemeint ist eine Denkrichtung, die den verfassungsrechtlichen Schutz künftiger Grundrechtsträger zum Inhalt hat und hierfür das rechtliche Vorsorgeprinzip fruchtbar zu machen versucht. Das vor allem auf Ernst Forsthoff (Staat der Daseinsvorsorge)538 zurückgehende Prinzip – hier insbesondere mit seinem Teilelement der Risikovorsorge – hat sich seit langem als zentraler Legitimationsbaustein politischer Herrschaft

535 Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 64 ff. (Hervorh. im Original), unter Bezugnahme auf das Natalitätskonzept von Hannah Arendt. 536 Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 108. 537 Vgl. Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 161 f. Er sieht das Problem der Stammzellgewinnung aus menschlichen Embryonen deshalb auch primär als ein Abwägungsproblem mit den konkurrierenden Rechtsgütern der Forschungsfreiheit und des Gesundheitsschutzes an (ebd.). 538 E. Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, S. 1 ff.; ders., Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band I (Allgemeiner Teil), 1950, S. 263 ff.; ders., Die Daseinsvorsorge und die Kommunen, 1958, S. 6 ff.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

herauskristallisiert.539 Im Öffentlichen Recht kann vor allem das Umwelt- bzw. Immissionsschutzrecht auf eine lange Karriere des Vorsorgeprinzips zurückschauen, da sich gerade dort das klassisch-polizeiliche Gefahrenabwehrrecht schon früh als probleminadäquat erwiesen hatte.540 Unter Anknüpfung an weitblickende Aussagen von Forsthoff selbst541 ist dieses Vorsorgeprinzip in jüngster Zeit vor allem von Jens Kersten für die Klonthematik aufgegriffen und als objektiv-rechtliche Schutzkonzeption vor allem von Art. 1 I GG normativ rekonstruiert worden.542 Der Sache nach geht es dabei um die verfassungsrechtliche Würdigung der Risiken der Klontechnik durch Beachtung der Folgen dieser Methode auf mit ihr erzeugte künftige Grundrechtsträger, wobei insbesondere zu fragen ist, wie diese vor Gefährdungen ihrer Subjektqualität geschützt werden können. Da nach dem Grundrechtsträgerkonzept alle durch Klonierung entstehenden entwicklungsfähigen Entitäten Grundrechtsträger sind, können mit diesem Ansatz auch alle Varianten des Klonens (Klonen zu therapeutischen, diagnostischen und reproduktiven Zwecken) erfaßt werden, was die besondere Verzahnung von Vorsorgeprinzip und Grundrechtsträgerkonzept nochmals vor Augen führt. Bei der Anwendung dieser objektiv-rechtlichen Schutzdimension von Art. 1 I GG und der Beantwortung der Frage, inwieweit die drei Klonvarianten zu einer Verletzung der Subjektqualität des entstehenden (künftigen) Grundrechtsträgers führen, ergeben sich im einzelnen jedoch differenzierte Antworten: Ausgehend von den beiden oben herausgearbeiteten Anwendungsparametern zu Art. 1 I GG (Instrumentalisierungs- und Objektivierungsverbot),543 ist beim Aspekt des Instrumentalisierungsverbots das jeweilige Ziel der Klontechnikanwendung zu analysieren und zu prüfen, ob sich darin noch das Selbstverständnis des künftigen Menschen als Subjekt widerspiegeln kann.544 Mit dieser Prä539 Vgl. zum Vorsorgeprinzip allgemein U. Di Fabio, Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994; D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985; R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, 1995. 540 Hierzu eingehend R. Wahl/I. Appel, Prävention und Vorsorge: Von der Staatsaufgabe zur rechtlichen Ausgestaltung, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, 1995, S. 1, 84 ff. und 116 ff. 541 E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 25: „Es geht – angesichts der Expansion der Technik – . . . um die Integrität des Menschen selbst, nachdem dieser zum Gegenstand genetischer Forschung geworden ist.“ Ähnlich ebd., S. 28 und 46 f. 542 Kersten, Klonen, S. 311 ff., insbesondere 327 ff. Zwar entwickelt Kersten das Vorsorgeprinzip im Kontext des Klonens nicht nur anhand von Art. 1 I GG, sondern bezieht auch S. 1 GG-Präambel sowie Art. 74 I Nr. 26 Alt. 1 und 2 GG mit ein (ebd., S. 317 ff. und 343 ff.). Wie sich aus seiner späteren Anwendungsanalyse (ebd., S. 403 ff.) ergibt, liegt der Schwerpunkt der normativen Rekonstruktion des Subjektstatus künftiger Menschen jedoch eindeutig bei Art. 1 I GG. 543 Siehe oben § 10 A. II. 1. 544 Kersten, Klonen, S. 484.

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misse unterfällt das Klonen zu therapeutischen und diagnostischen Zwecken angesichts der intendierten Totalvernutzung der entstehenden extrakorporalen Entität für fremde Ziele (Therapie bzw. genetische Untersuchung) eindeutig dem Instrumentalisierungsverbot des Art. 1 I GG.545 Nicht haltbar ist hier die Auffassung von Kyrill-A. Schwarz, wonach beim Klonen zu therapeutischen Zwecken keine Instrumentalisierung eines fremden Embryos gegeben sei, sondern lediglich ein „Akt der Selbsthilfe“ des Kernspenders vorliege.546 Denn mit der Klonmethode des Zellkerntransfers entsteht ja ein neuer eigenständiger Grundrechtsträger, der gegenüber dem ursprünglichen Kernspender den gleichen Vernutzungsschutz aus Art. 1 I GG genießt wie jeder „fremde“ Embryo. Schwierigkeiten ergeben sich allerdings bei der dritten Variante, dem reproduktiven Klonen zur Erfüllung eines Kinderwunsches, da die auf diese Technik zurückgreifenden Eltern das entstehende Kind wie ein auf natürlichem Wege entstandenes zweckfrei um seiner selbst lieben können, eine fremdnützige Instrumentalisierung hier also nicht erkennbar ist.547 Um auch diese Klonvariante mit dem dargestellten Ansatz erfassen zu können, muß neben dem Instrumentalisierungsverbot auf den zweiten Gewährleistungsgehalt von Art. 1 I GG, das (einfache) Objektivierungsverbot, zurückgegriffen werden: Ein Verstoß gegen dieses Objektivierungsverbot durch reproduktiven Klonen läßt sich dann damit begründen, daß der auf diese Weise entstandene Mensch durch die Art und Weise seiner Erzeugung (Genomzuweisung) zum bloßen Objekt gemacht wird, da ihm die Möglichkeit genommen ist, sich in der Entdeckung seiner eigenen Natur noch als Subjekt zu begreifen; durch die „genetische Fremdbestimmung“ muß sich der geklonte künftige Grundrechtsträger vielmehr als bloßes Objekt eines fremden Gestaltungswillens wahrnehmen.548 Wenngleich diese Sicht in sich konsequent erscheint, ist der damit normativ rekonstruierte Verstoß gegen das Objektivierungsverbot des Art. 1 I GG durch die Technik des reproduktiven Klonens keineswegs zwingend. So ist gegen diese normative Rekonstruktion verschiedentlich eingewandt worden, daß sich in ihr ein probleminadäquater genetischer Determinismus manifestiere. Denn eine zufällige genetische Ausstattung sei keine maßgebliche Voraussetzung für die Ausbildung des Subjektstatus des Menschen, was man schon daran erkennen könne, daß sich die individuelle Ausprägung eines Subjekts niemals vorhersagen ließe, selbst wenn man seine genetische Ausstattung im Detail kennen würde.549 Diesem Vorwurf des genetischen Determinismus können die Vertreter 545

Kersten, Klonen, S. 488. K.-A. Schwarz, „Therapeutisches Klonen“ – ein Angriff auf Lebensrecht und Menschenwürde des Embryos?, KritV 2001, 182, 208. 547 Hilgendorf, Klonverbot, in: Geis/Lorenz, Festschrift Maurer, S. 1147, 1153; Kersten, Klonen, S. 485 und 489. Ebenso Nationaler Ethikrat, Klonen, S. 43. 548 Kersten, Klonen, S. 508. Ähnlich Nationaler Ethikrat, Klonen, S. 43 f. 549 So ein Argument in Nationaler Ethikrat, Klonen, S. 44 f. 546

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

der Objektivierungsthese jedoch insoweit begegnen, als sie eine unmanipulierte genetische Ausstattung nur als notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für die Subjektentwicklung, quasi als „Dispositionsfeld des handelnden Subjekts“ (Honnefelder), verstehen.550 In diesem Sinne kann eine vollständig fremdbestimmte Genomzuweisung durch die Klontechnik niemals ohne Folgen für das Selbstverständnis des so entstandenen Subjekts bleiben, sondern nimmt diesem vielmehr zu einem erheblichen Teil die Möglichkeit eigener Personwerdung.551 Trotz der sicherlich noch verbleibenden Schwierigkeiten gerade beim reproduktiven Klonen erscheint der dargestellte objektiv-rechtliche Ansatz, die Klonproblematik durch Reflexion auf den Subjektstatus künftiger Grundrechtsträger normativ zu erfassen, insgesamt überzeugender als der Rekurs auf vorgebliche Gattungs- bzw. Menschenbildschutzdimensionen von Art. 1 I GG. Als Zwischenergebnis läßt sich damit festhalten, daß alle drei Klonvarianten (Klonen zu therapeutischen, diagnostischen und reproduktiven Zwecken) die Würde künftiger Grundrechtsträger gefährden, weshalb das in § 6 I ESchG statuierte einfachgesetzliche Klonverbot verfassungsrechtlich zwingend geboten ist. 2. Herstellung von „Forschungsentitäten“ durch künstliche Befruchtung Mit den vorstehenden Überlegungen zur objektiv-rechtlichen Dimension von Art. 1 I GG läßt sich auch die zweite wichtige Anwendungskonstellation, die Herstellung von „Forschungsentitäten“ durch künstliche Befruchtung, normativ leichter bewältigen, wenn erneut auf den Subjektstatus künftiger Grundrechtsträger rekurriert wird. Im Vergleich zur eben erläuterten Klontechnik, bei der bereits die Art und Weise der Herstellung künftiger Grundrechtsträger als Verstoß gegen das Objektivierungsverbot des Art. 1 I GG anzusehen war, verhält es sich diesmal aber genau umgekehrt: Da durch die Anwendung der klassischen Techniken extrakorporaler Befruchtung (IVF oder ICSI) keine genomische Fremdzuweisung erfolgt, kann im Modus der Herstellung kein Verstoß gegen das Objektivierungsverbot liegen. Aufgrund der Tatsache, daß die auf diesem Wege entstehenden Grundrechtsträger sogleich für Forschungszwecke vernutzt werden, verstößt das Verfahren jedoch gegen das Instrumentalisierungsverbot des Art. 1 I GG.552 De lege lata ist daher das in § 1 I Nr. 2 ESchG statuierte Verbot der Eizellbefruchtung für nichtprokreative Zwecke als „sy550 L. Honnefelder, Art. Humangenetik. Ethisch, in: W. Korff/L. Beck/P. Mikat (Hrsg.), Lexikon der Bioethik, Band II, 1998, S. 254, 256. 551 Kersten, Klonen, S. 503 und 508. Zur Zurückweisung des Vorwurfs des genetischen Determinismus ebd., S. 491 ff. 552 Böckenförde, JZ 2003, 809, 813; Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 213 ff.; Sacksofsky, Der verfassungsrechtliche Status, S. 76.

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stemkonforme“ Konkretisierung dieser grundgesetzlichen Vorgaben anzusehen. In diesem Sinne formuliert Wolfram Höfling seine Ablehnung der Erzeugung extrakorporaler „Forschungsentitäten“ auch wie folgt: „Das ,Monströse‘ liegt schlicht in der funktionalistisch reduzierten Erzeugung von menschlichen Embryonen – und das heißt: von Trägern des Grundrechts gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG! –, um sie sogleich als Forschungsmaterial zu verbrauchen und zu töten. Ein striktes Verbot . . . ist insoweit die einzige Möglichkeit der Erfüllung der legislatorischen Schutzpflicht.“553

Die verfassungsrechtliche Bewertung der Herstellung extrakorporaler „Forschungsentitäten“ durch künstliche Befruchtung deckt sich in diesem Punkt somit eins zu eins mit der gerade erörterten Bewertung des „therapeutischen Klonens“.554 III. Anwendungskonstellationen, bei denen eine grundrechtsberechtigte extrakorporale Entität nicht mehr vorliegt (Grundtyp 3) Als letzter Grundtyp der untersuchten Anwendungskonstellationen des Grundrechtsträgerkonzepts verbleibt noch derjenige, bei dem im Moment der zu bewertenden Handlung eine grundrechtsberechtigte extrakorporale Entität nicht mehr vorliegt. Wichtigstes und hier einzig behandeltes Beispiel für diesen dritten Grundtyp ist der Import bzw. die Verwendung pluripotenter embryonaler Stammzellen (ES-Zellen), die im Ausland aus zu diesem Zweck getöteten menschlichen Embryonen gewonnen wurden. Bereits die Gesetzgebungsanalyse zum Stammzellgesetz (StZG) hat dabei mehr als deutlich vor Augen geführt, daß eine verfassungsrechtlich überzeugende Begründung für die dort vorgesehenen erheblichen Restriktionen beim Umgang mit solchen pluripotenten ES-Zellen nie gelungen war.555 Das grundrechtliche Problem ergibt sich bekanntlich daraus, daß die ES-Zellen nach unstreitiger Auffassung mangels Anknüpfungspunkt für Potentialität keine Grundrechtsträger sind, mithin auf den ersten Blick Individualrechtsgüter von Verfassungsrang fehlen, die die vorbehaltlos gewährte Forschungsfreiheit (Art. 5 III GG) begrenzen könnten.556 553

Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 214 f. Höfling, Biomedizinische Auflösung, in: Stiftung Gesellschaft für Rechtspolitik/ Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier, Bitburger Gespräche 2002/II, S. 99, 111. Gleichlautend aus ethischer Sicht R. Stoecker, Die Würde des Embryos, in: D. Groß (Hrsg.), Ethik in der Medizin in Lehre, Klinik und Forschung, 2002, S. 53, 69. 555 Siehe oben § 7 E. II. 556 D. Classen, Die Forschung mit embryonalen Stammzellen im Spiegel der Grundrechte, DVBl. 2002, 141; J. Dietlein, „Life-Science“ und Embryonenschutz, NWVBl. 2002, 453, 456; Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 102; K. Faßbender, Der Schutz des Embryos und die Humangenetik: Zur Verfassungsmäßigkeit des neuen Stammzellengesetzes und des Embryonenschutzgesetzes im Lichte des einschlägigen Arzthaftungsrechts, MedR 2003, 279, 281. 554

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

1. Import- und Verwendungsbeschränkungen für pluripotente ES-Zellen wegen mittelbarer Gefährdung von Lebensrecht und Menschenwürde ausländischer Embryonen? Ein vom Gesetzgeber bzw. den vorbereitenden Gremien (Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags und Nationaler Ethikrat) unternommener Versuch, Beschränkungen bei Einfuhr- und Verwendung von ES-Zellen gleichwohl verfassungsrechtlich zu legitimieren, bestand deshalb darin, diese Normen als Schutzvorschriften gegen eine mittelbare Gefährdung von Menschenwürde und Lebensrecht extrakorporaler Embryonen im Ausland anzusehen. Das in diesem Kontext oft geäußerte Standardargument lautete, mit den statuierten Importrestriktionen der §§ 4–6 StZG könne dem Risiko wirksam begegnet werden, daß durch eine Nachfrage nach embryonalen Stammzellen aus Deutschland möglicherweise Anreizwirkungen für die Tötung weiterer In-vitro-Embryonen im Ausland geschaffen würden.557 Wäre dieses Argument des mittelbaren Grundrechtsschutzes für ausländische Embryonen, das zum Teil auch in der Literatur aufgegriffen worden ist,558 wirklich zutreffend, müßte die vorliegende Anwendungskonstellation eigentlich dem ersten Grundtyp (oben I.) zugeordnet werden, da grundrechtsberechtigte extrakorporale Entitäten ja noch vorhanden sind, freilich mit der Besonderheit, daß sich diese nicht im Geltungsbereich des Grundgesetzes, sondern im Ausland befinden. Bereits diese Einschränkung signalisiert allerdings, daß der damit beschrittene Weg einer Beschränkung der Forschungsfreiheit offensichtlich mit Schwierigkeiten behaftet ist. So ergibt sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zunächst ein Problem bei der Geeignetheit der Grundrechtseinschränkung für den Embryonenschutz: Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung würde nämlich voraussetzen, daß mit Zulassung von Import und Verwendung pluripotenter ES-Zellen nach bzw. in Deutschland tatsächlich eine Nachfrage nach solchen Zellen generiert würde, die eine weitere Tötung von Embryonen im Ausland zur Folge hätte. Angesichts des hohen Differenzierungs- und Proliferationspotentials embryonaler Stammzellen559 besteht der damit behauptete Zusammenhang zwischen der Zahl an ES-Zellen und der Zahl abzutötender Embryonen in 557 Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik“. Teilbericht Stammzellforschung (BT-Drs. 14/7546), S. 53; Nationaler Ethikrat, Import menschlicher embryonaler Stammzellen, S. 47; Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf Böhmer StZG (BT-Drs. 14/8394), S. 7. Diese Intention des Gesetzgebers ist in § 1 Nr. 2 StZG auch ausdrücklich formuliert worden. 558 Faßbender, MedR 2003, 279, 282; U. Haltern/L. Viellechner, Der praktische Fall – Öffentliches Recht: Import embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken, JuS 2002, 1197, 1202; Rosenau, Der Streit um das Klonen, in: Schreiber/Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 135, 154 ff.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 103 („Dammbruch“). 559 Siehe oben § 3 B. II. 1.

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Wahrheit jedoch nicht, so daß die in dem Argument unterstellte Kausalbeziehung zwischen Import und Embryonenvernichtung grundsätzlich angezweifelt werden muß.560 Dem ließe sich freilich entgegenhalten, daß dem Gesetzgeber im Rahmen seiner Regelungskompetenz hier ein weiter Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist, der erst dann überschritten wäre, wenn er zur Erreichung des von ihm angestrebten Ziels (Embryonenschutz im Ausland) gänzlich ungeeignete Maßnahmen ergriffen hätte.561 Daß die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen Import und Verwendung von ES-Zellen nach bzw. in Deutschland und der Tötung von Embryonen im Ausland evident unsinnig ist, läßt sich aber wohl kaum sagen, so daß diese verfassungsrechtliche „Klippe“ möglicherweise noch umschifft werden könnte. Wesentlich schwieriger gestaltet sich demgegenüber das zweite Problem, das aus der Annahme einer mittelbaren Schutzwirkung von Import- und Verwendungsbeschränkungen für ausländische In-vitro-Embryonen resultiert: Der gegebene Auslandsbezug wirft nämlich die grundsätzliche Frage auf, inwieweit der deutsche Gesetzgeber überhaupt berechtigt bzw. verpflichtet ist, eigene Grundrechtsstandards – hier den Schutz für grundrechtsberechtigte extrakorporale Entitäten aus Art. 2 II 1 Alt. 1 und Art. 1 I GG – außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes durchzusetzen. Zunächst steht fest, daß eine verfassungsgeforderte Pflicht zur Durchsetzung dieser Standards vorliegend keinesfalls in Betracht kommt.562 Dies gilt um so mehr, als sich gerade bei der embryonenverbrauchenden Stammzellgewinnung auf völkerrechtlicher Ebene bisher keinerlei gemeinsame Rechtsüberzeugung oder gar Verbotsregelung herausgebildet haben, wie z. B. ein Blick auf Art. 18 I der Biomedizinkonvention des Europarats (BMK) vom 4. April 1997 verdeutlicht.563 Danach ist bei der Forschung an menschlichen In-vitro-Embryonen, d. h. auch bei embryonenverbrauchender Stammzellgewinnung, lediglich ein „angemessener Schutz des Embryos“ zu gewährleisten, also gerade kein Verbot dieser Forschung statuiert.564 Aber auch jenseits einer inexistenten verfassungsrechtlichen Durchsetzungspflicht würde 560

Classen, DVBl. 2002, 141, 147; Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr.

104. 561 Faßbender, MedR 2003, 279, 282. Vgl. auch BVerfGE 65, 54, 81; 77, 381, 405; 79, 174, 202, sowie allgemein zum Teilgebot der Geeignetheit H. Jarass, in: ders./B. Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar, 7. Aufl. 2004, Art. 20 Rdnr. 84 m. w. N. 562 M. Kloepfer, Humangenetik als Verfassungsfrage, JZ 2002, 417, 426; R. MüllerTerpitz, Die neuen Empfehlungen der DFG zur Forschung mit menschlichen Stammzellen, WissR 34 (2001), 271, 280; K.-A. Schwarz, Strafrechtliche Grenzen der Stammzellenforschung, MedR 2003, 158, 162. 563 Art. 18 I BMK lautet: „Die Rechtsordnung hat einen angemessenen Schutz des Embryos zu gewährleisten, sofern sie Forschung an Embryonen in vitro zuläßt.“ Speziell hierzu auch Wahl, Humangenetik, in: Barcellona/Carrino, I diritti umani, S. 301, 317 f., sowie Müller-Terpitz, WissR 34 (2001), 271, 280. 564 Kloepfer, JZ 2002, 417, 426 f. (dort Fußn. 82).

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

die Wirkkraft des deutschen Grundrechtsschutzes überfordert, wenn ihm grundsätzlich die Aufgabe zugewiesen würde, entsprechende Rechtsgüter universell zu schützen.565 Michael Kloepfer bringt diesen Sachverhalt auf die einfache Formel, daß der Schutz menschlichen Lebens im Ausland grundsätzlich nicht Aufgabe des deutschen Rechts sei, sofern nicht ausnahmsweise menschliches Leben im Ausland durch deutsche Staatsangehörige gefährdet werde.566 In einem dem Stammzellimport strukturell vergleichbaren Fall aus dem Jahr 1995 hat das Bundesverwaltungsgericht im übrigen entschieden, daß das Verbot des Schächtens im Inland (§ 4 a TierSchG) und der Import dieses Fleisches aus dem Ausland rechtlich völlig getrennt zu beurteilen seien; unter Rechtfertigung des hiesigen Schächtverbots verwies es den Kläger nämlich ausdrücklich auf die Möglichkeit des Imports.567 – Als Zwischenergebnis bleibt deshalb festzuhalten, daß eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Import- und Verwendungsbeschränkungen für pluripotente ES-Zellen über einen mittelbaren Grundrechtsschutz für ausländische In-vitro-Embryonen nicht überzeugt. 2. Import- und Verwendungsbeschränkungen für pluripotente ES-Zellen wegen nachwirkenden Würdeschutzes getöteter Embryonen? Ein vom Gesetzgeber sowie den vorbereitenden Gremien (Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages und Nationaler Ethikrat) überhaupt nicht Betracht gezogener Versuch, hier zu einer dogmatisch konsistenteren Lösung zu gelangen, ist in jüngerer Zeit vor allem von Hans-Georg Dederer unternommen worden. Er unterstellt dem geltenden Stammzellgesetz (StZG) eine verfassungsrechtliche Konzeption, wonach die Einschränkung der Forschungsfreiheit durch einen postmortal nachwirkenden Würdeschutz der zum Zwecke der Stammzellgewinnung getöteten Embryonen gerechtfertigt werden könne.568 Da hier von

565

Classen, DVBl. 2002, 141, 147; Herdegen, JZ 2001, 773, 776. Kloepfer, JZ 2002, 417, 427. Ebenso Dederer, JZ 2003, 986, 993 (dort Fußn. 70); Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 104; Müller-Terpitz, WissR 34 (2001), 271, 280; str. A. A. Faßbender, MedR 2003, 279, 282; Haltern/Viellechner, JuS 2002, 1197, 1202; Hillgruber, Recht und Ethik, in: de Wall/Germann, Festschrift Link, S. 637, 646. Zur Beschränkung des räumlichen Anwendungsbereichs der Grundrechte auf den Wirkungsbereich der deutschen Staatsgewalt Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz, Art. 1 Rdnr. 33. Noch weitergehend als hier Schwarz (MedR 2003, 158, 162), der sogar die Strafbarkeit der Beteiligung Deutscher an entsprechenden Auslandstaten nach § 9 II 2 StGB für verfassungswidrig hält. Dazu auch kritisch Rosenau, Streit um das Klonen, in: Schreiber/Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 135, 158. 567 BVerwGE 99, 1, 8. Als Vergleichsfall herangezogen von Classen, DVBl. 2002, 141, 147. 568 H.-G. Dederer, Verfassungskonkretisierung im Verfassungsneuland: das Stammzellgesetz, JZ 2003, 986, 993. Ähnlich Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2005) Rdnr. 108 f. Parallel für fetales Gewebe T. Harks, Der Schutz der Menschenwürde bei der Entnahme fötalen Gewebes, NJW 2002, 716, 717, sowie für 566

§ 10 Praktische Anwendung

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einem nicht mehr existierenden Grundrechtsträger her argumentiert wird, bedeutet diese Lösung eine adäquate Umsetzung des Grundrechtsträgerkonzepts und begründet die vorgenommene Zuordnung der Anwendungskonstellation zum Grundtyp 3. Im Gegensatz zum Rechtfertigungsversuch über den mittelbaren Grundrechtsschutz für ausländische Embryonen liegt dabei ein Verstoß gegen das Territorialitätsprinzip nicht mehr vor; denn der postmortal nachwirkende Würdeschutz der getöteten extrakorporalen Embryonen im Ausland aktualisiert sich mit Einfuhr und Verwendung der aus ihnen gewonnenen ES-Zellen nach bzw. in Deutschland.569 Aufgrund seiner Abwägungsoffenheit ist dieser postmortal nachwirkende Würdeschutz weiterhin geeignet, der vorbehaltlos gewährleisteten Forschungsfreiheit (Art. 5 III GG) verfassungsimmanente Grenzen zu setzen und entsprechende Import- und Verwendungsbeschränkungen für pluripotente Stammzellen zu legitimieren.570 Gleichzeitig bedeutet der Ansatz aber auch, daß ein absolutes Import- und Verwendungsverbot für pluripotente ESZellen verfassungsrechtlich nicht zu begründen wäre, da damit dem Grundrecht aus Art. 5 III GG im Rahmen der vom Gesetzgeber herzustellenden praktischen Konkordanz nicht mehr hinreichend Rechnung getragen würde.571 Bezogen auf das geltende Stammzellgesetz, das über entsprechende Kautelen für Einfuhr und Verwendung embryonaler Stammzellen (§§ 4–6 StZG) einen solchen Mittelweg repräsentieren könnte, hat diese Sichtweise zur Folge, daß die in § 5 Nr. 1 und 2 StZG statuierten Forschungsvoraussetzungen (Hochrangigkeit und Alternativlosigkeit) dogmatisch auf „sicherem Grund“ stehen,572 während vor allem die in § 4 II Nr. 1 a StZG festgeschriebene Stichtagsregelung (1. Januar 2002) als auf ausländische extrakorporale Embryonen abzielende Schutzvorschrift diese Voraussetzung nicht mehr erfüllt.573 De lege lata ebenfalls problematisch ist die Ordre-public-Klausel des § 4 III StZG, wonach die Importgenehmigung zu versagen ist, wenn die Gewinnung der ES-Zellen offensichtlich in Widerspruch zu tragenden Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung erfolgt ist (§ 4 III 1 StZG), wozu de lege lata aber ausdrücklich nicht allein die Gewinnung aus menschlichen Embryonen gerechnet wird (§ 4 III 2 StZG). Diese Einschränkung muß aus Sicht des Grundrechtsträgerkonzepts überraschen, da zu den tragenden Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung entnommene menschliche Organe P. König, in: U. Schroth/P. König u. a., Transplantationsgesetz. Kommentar, 2005, vor §§ 17, 18 Rdnr. 18. 569 Dederer, JZ 2003, 986, 993 (dort Fußn. 70). 570 Dederer, JZ 2003, 986, 993. 571 Mit Kloepfer, JZ 2002, 417, 427. Noch weitergehend Dreier (in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 105), der jeden normativen Bezug zwischen Stammzellenimport und Art. 1 I GG ablehnt. 572 Hier a. A. Enders (Jura 2003, 666, 673 f.), der in der staatlichen Bewertung des Erkenntnisinteresses einen Angriff auf die grundrechtlich geschützte Selbstdefinition wissenschaftlicher Standards sieht. 573 Dederer, JZ 2003, 986, 993 (dort Fußn. 70).

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

zweifellos auch der Schutz der Menschenwürde (Art. 1 I GG) gehört und das in Deutschland geltende absolute Stammzellgewinnungsverbot (§ 2 I ESchG) gerade mit dem verfassungsrechtlich zu sichernden Menschenwürdeschutz begründet wird. Dederer versucht diese offensichtliche Widersprüchlichkeit des § 4 III StZG dadurch auszuräumen, daß er dem Stammzellgesetz insgesamt eine verfassungsrechtliche Konzeption unterstellt, nach welcher sich die Menschenwürdegarantie des Art. 1 I GG „jedenfalls nicht so auf menschliche Embryonen in vitro erstreckt, wie dies für den geborenen Menschen gilt“.574 So ehrenwert dieser Versuch, dem Gesetzgeber eine von diesem selbst übersehene verfassungsrechtliche Logik zu verleihen, sein mag, so konstruiert und wenig nachvollziehbar muß er zugleich wirken. Wäre die von Dederer unterstellte Schutzkonzeption (schwächere Erstreckung der Menschenwürdegarantie auf den extrakorporalen Embryo) nämlich richtig, erschiene das vollständige Stammzellgewinnungsverbot im Inland zumindest fragwürdig; denn es ist kaum anzunehmen, daß der Gesetzgeber extrakorporale Embryonen im In- und Ausland verfassungsrechtlich unterschiedlich behandeln wollte. Die „gerettete“ innere Konsistenz des Stammzellgesetzes würde also mit einer erheblichen Inkonsistenz zwischen Stammzellgesetz und Embryonenschutzgesetz erkauft. Nach der hier favorisierten Konzeption des postmortalen nachwirkenden Würdeschutzes als alleiniger Einschränkungsrechtfertigung für die Forschungsfreiheit könnte § 4 III StZG allerdings ganz gestrichen werden, da wie dargelegt die embryonenverbrauchende Stammzellgewinnung im Ausland eben nicht an deutschen Grundrechtsstandards zu messen ist.575 Im Gegensatz zu den beiden anderen Grundtypen von Anwendungskonstellationen (oben I. und II.), die zum Schutz extrakorporaler Entitäten als gegenwärtige oder künftige Grundrechtsträger zu rigiden und in weiten Teilen noch über die geltenden Verbotsnormen des Embryonenschutzgesetzes hinausgehenden Lösungen führten, ermöglicht somit der dritte Grundtyp nicht mehr existierender Grundrechtsträger zumindest im Bereich von Stammzellimport und -verwendung wesentlich größere Spielräume für den Gesetzgeber. Ein aus ethischer Sicht möglicherweise naheliegendes totales Importverbot, um dem Vorwurf der Doppelmoral zu entgehen („Früchte des verbotenen Baumes“), läßt sich also nicht ins Verfassungsrecht übertragen, was im Grunde nicht verwundert, hat sich das Recht im Gegensatz zur Ethik doch an räumlichen Geltungsbereichen von Normen zu orientieren.576 Für einen wie auch immer gearteten „Grundrechtsimperialismus“ kann das Grundrechtsträgerkonzept zu extrakorporalem menschlichem Leben jedenfalls nicht herhalten. 574

Dederer, JZ 2003, 986, 992 f. Im ursprünglichen Gesetzentwurf zum Stammzellgesetz war eine entsprechende Ordre-public-Klausel auch nicht enthalten, vgl. Deutscher Bundestag, Gesetzentwurf Böhmer StZG (BT-Drs. 14/8394), S. 3. 576 So auch Faßbender, MedR 2003, 279, 283. 575

§ 11 Zusammenfassung

243

§ 11 Zusammenfassung (Grundrechtsträgerkonzept) Ziel der vorausgegangenen Analyse war es, das von einem Großteil der deutschen Staatsrechtslehrer vertretene Modell zum verfassungsrechtlichen Schutz extrakorporaler menschlicher Entitäten aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG sowohl in seiner theoretischen Begründung als auch in seinen rechtspraktischen Auswirkungen detailliert zu untersuchen. Dabei ergab die zunächst bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG ansetzende Analyse der theoretischen Begründung (oben § 9), daß sich weder mit Hilfe normtextorientierter Argumentationsstrategien (historisch-genetische oder sog. teleologische Auslegung) noch mit Hilfe judikaturorientierter Argumentationsstrategien überzeugende Schlüsse für oder gegen eine Grundrechtsträgerschaft extrakorporaler Entitäten aus diesem Grundrecht ableiten ließen. Als für die Begründung eines subjektiven Lebensrechts allein gangbar erwies sich der Weg, die in den Ethikwissenschaften entwickelte „SKIP-Quadrologie“ auf die Grundrechtsdogmatik zu übertragen (ethikorientierte Argumentationsstrategien) und dabei vor allem mit Hilfe des verfassungsrechtlichen Potentialitätsarguments zu einer normativen Gleichsetzung voll entwicklungsfähiger extrakorporaler Entitäten mit geborenen Menschen zu gelangen. Daß diese normative Gleichsetzung gerade vor der aristotelisch-thomistischen Tradition des Potentialitätsarguments aber auch anzweifelbar ist, konnte ebenfalls herausgearbeitet werden.577 Bei der weiteren zentralen Frage nach der subjektiven Berechtigung extrakorporaler Entitäten aus Art. 1 I GG waren alle in der verfassungsrechtlichen Literatur unternommenen Versuche, bei vorgeburtlichem Leben die personellen Schutzbereiche von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG zu entkoppeln, zurückzuweisen. Vor dem Hintergrund des zuvor entwickelten Potentialitätsansatzes entbehrten sowohl Ansätze, die generell von einer Entkoppelungsmöglichkeit beider Grundrechte bei extrakorporalen Entitäten ausgingen, als auch Thesen, die eine normative Differenzierung anhand der Entstehungsart vornahmen, jeglicher dogmatischen Überzeugungskraft. Wenn extrakorporale menschliche Entitäten als Grundrechtsträger bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG anzusehen sind, sind sie stets auch Grundrechtsträger bei Art. 1 I GG – eine normative Differenzierung zwischen „jeder“ (Art. 2 II 1 GG) und „Mensch“ (Art. 1 I 1 GG) ist verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Bei der Analyse der praktischen Anwendung des Grundrechtsträgerkonzepts in bezug auf ausgewählte Problemkreise der Humanbiotechnologie (oben § 10) erwies es sich als hilfreich, bei beiden Grundrechten zunächst die verfassungs577 Vergleiche zu den ethikorientierten Argumentationsstrategien auch die Zusammenfassung oben § 9 A. III. 5.

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3. Kap.: Das Grundrechtsträgerkonzept

rechtlichen Parameter herauszuarbeiten und dabei in den beiden zentralen Debatten (Ranghöhedebatte bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG bzw. Abwägungsdebatte bei Art. 1 I GG) Stellung zu beziehen. Mit einer konsequenten Beibehaltung des Potentialitätsansatzes konnte hier gezeigt werden, daß weder Art. 2 II 1 Alt. 1 GG eine Kombination von Grundrechtsträgerschaft und anwachsendem Lebensschutz erlaubt (Ranghöhedebatte) noch Art. 1 I GG Raum für einen abgestuften Menschenwürdeschutz im Rahmen einer Gesamtabwägung läßt (Abwägungsdebatte). – Die anschließende Umsetzung dieser herausgearbeiteten Parameter auf ausgewählte Fragen der Humanbiotechnologie ergab dann die Notwendigkeit, zwischen drei dogmatisch ganz unterschiedlich zu bewältigenden Grundtypen von Anwendungskonstellationen zu unterscheiden. Während das Grundrechtsträgerkonzept beim Grundtyp 3 (nicht mehr existierende grundrechtsberechtigte Entität am Beispiel des Stammzellimports) gewisse gesetzgeberische Spielräume eröffnete, gelangte man beim Grundtyp 1 (schon existierende grundrechtsberechtigte Entität) und beim Grundtyp 2 (künftig existierende grundrechtsberechtigte Entität) beinahe zwangsläufig zu sehr rigiden Lösungen, die teils noch über die Vorgaben des geltenden Embryonenschutzgesetzes (ESchG) hinausgingen. Denkt man an diesem Punkt etwas weiter, so könnte die Beibehaltung bzw. konsequente Fortschreibung dieser normativen Rigidität des Grundrechtsträgerkonzepts durch den Gesetzgeber eines Tages zu einem erheblichen Auseinanderklaffen von zugrundegelegten verfassungsrechtlichen Vorgaben und vorherrschenden Rechtsvorstellungen in der Gesellschaft führen. Zwar besteht auf dem Gebiet des Embryonenschutzes derzeit noch kein größeres Problem bei der Rechtsakzeptanz.578 Neuere empirische Studien belegen jedoch, daß die für das Grundrechtsträgerkonzept charakteristische normative Gleichsetzung von extrakorporalen Embryonen und geborenen Menschen nur bei einer Minderheit der Rechtsunterworfenen der eigenen moralischen Wertung entspricht.579 Die konsequente Umsetzung dieses Modells in die Rechtspraxis dürfte also weithin als kontraintuitiv empfunden werden, was für die Zukunft größere Probleme bei der gesellschaftlichen Normakzeptanz befürchten lassen muß. So ist etwa, um nur ein einziges Beispiel herauszugreifen, eine unterschiedliche rechtliche Be578

Vgl. oben § 9 A. II. 3. b) im Vergleich zum Schwangerschaftsabbruch. J. Barth/K. Kufner/J. Bengel, Ein klares Jein! Einstellungen und Ambivalenzen der deutschen Allgemeinbevölkerung zur Forschung mit extrakorporalen Embryonen, Ethik in der Medizin 17 (2005), 127, bes. 136 f. Dort wurde nur von 22,9% der Befragten dem extrakorporalen Embryo moralisch dieselbe Stellung wie einem Menschen eingeräumt. 4,9% der Befragten betrachteten ihn hingegen als reine Zellansammlung, 37,1% wiesen ihm einen Status zwischen einer reinen Zellansammlung und einem Menschen zu, und für 35,0% stand der extrakorporale Embryo „ethisch näher an einem Menschen als an einer reinen Zellansammlung“. Faßt man die letzten beiden Gruppen zusammen, nimmt der extrakorporale Embryo für 72,1% der Befragten eine moralische Mittelkategorie zwischen Zellansammlung und Mensch ein (ebd., 138). 579

§ 11 Zusammenfassung

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handlung von Präimplantationsdiagnostik (PID) und Pränataldiagnostik (PND) auf Dauer wohl kaum mehr vermittelbar.580 Dementsprechend räumt auch Barbara Böckenförde-Wunderlich, eine Vertreterin des Grundrechtsträgerkonzepts, am Ende ihrer Monographie zu Rechtsfragen der Präimplantationsdiagnostik ein: „Der Staat . . . muß sich vergegenwärtigen, daß das Recht als eine auf soziale Geltung verwiesene normative Ordnung nicht losgelöst, sondern nur rückgebunden an die Rechtsvorstellungen in der Gesellschaft seine Wirkung zu entfalten vermag. Zwar kann die rechtliche Norm durchaus in Spannung stehen zu Bewußtsein und Praxis in der Gesellschaft, die Spannung darf jedoch ein bestimmtes Maß nicht überschreiten, soll die Norm ihre Geltungskraft nicht insgesamt einbüßen.“581

Wenn dies aber richtig ist, erscheint es dringlich und legitim, daß die verfassungsrechtliche Analyse nicht beim dogmatisch so ausdifferenzierten Grundrechtsträgerkonzept zu extrakorporalem menschlichem Leben stehenbleibt, sondern nach anderen, ebenfalls mit dem Grundgesetz vereinbaren Wegen sucht, die anstehenden Probleme humaner Biotechnologie zu bewältigen.

580 Gleiches würde aber auch für einen rechtspolitisch ohnehin unmöglichen „Rückwärtsgang“ bei der PND gelten. Siehe zu den Methoden der Pränataldiagnostik Nationaler Ethikrat, Genetische Diagnostik, S. 19 ff., und zur Vergleichbarkeit von PID und PND auch Frommel, KJ 35 (2002), 411, 423 ff. 581 Böckenförde-Wunderlich, Präimplantationsdiagnostik, S. 233. Vgl. darüber hinaus zum Problem der Normakzeptanz grundlegend N. Luhmann, Rechtssoziologie, 3. Aufl. 1987, S. 259 ff.; ferner E.-W. Böckenförde, Staatliches Recht und sittliche Ordnung, in: ders., Staat, Nation, Europa, 1999, S. 208, 217 und 227; H. Hofmann, Legitimität und Rechtsgeltung, 1977, S. 53 ff.; J. Pichler/K. Giese, Rechtsakzeptanz, 1993, bes. S. 35 ff.; T. Raiser, Das lebende Recht, 3. Aufl. 1999, S. 349 ff.; M. Rehbinder, Rechtssoziologie, 5. Aufl. 2003, Rdnr. 116.

4. Kapitel

Grundrechtsschutz als Entstehensschutz: Das Vorwirkungskonzept zu extrakorporalem menschlichem Leben In diesem Sinne wird von manchen Verfassungsrechtlern in Deutschland eine Herangehensweise vorgeschlagen bzw. als zulässig erachtet, die im Gegensatz zum Grundrechtsträgermodell entwicklungsfähigen extrakorporalen Entitäten keinen fixen Grundrechtsstatus zuschreibt, sondern eine mehr prozedural-dynamisch angelegte Grundrechtskonzeption favorisiert. Verglichen mit dem Grundrechtsträgermodell geht hier also nicht mehr darum, diese Entitäten in dem zu schützen, was sie (angeblich) bereits sind, sondern geschützt wird vielmehr eine Entstehungsdimension, d. h. das, was diese Entitäten einmal sein können. Die Überlegungen sind dabei von der Überzeugung getragen, daß es bei den anstehenden Fragen der humanen Biotechnologie – um die Worte einer Gruppe innerhalb des Nationalen Ethikrats zu gebrauchen – „ein Mittleres gibt zwischen dem höchstmöglichen Schutz, den wir einer Person zusprechen, und dem beliebigen Umgang mit einer Sache“.1 In die Grundrechtsdogmatik übersetzt, steht für dieses „Mittlere“ die Idee der Grundrechtsvorwirkungen, also die Vorstellung, daß der Grundrechtsschutz aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG im Sinne einer subjektiven Berechtigung erst ab einem relativ späten Zeitpunkt, etwa der Nidation oder der Geburt, einsetzt und für davorliegende Phasen lediglich vorausgreifende oder vorbeugende Schutzdimensionen zur Geltung kommen. Dieses grundrechtliche Vorwirkungskonzept im Kontext der Bioethik wird in der deutschen Staatsrechtslehre mit jeweils eigenen Nuancierungen etwa von Christoph Enders,2 Jörn Ipsen3 oder Michael Kloepfer4 vertreten; darüber hin1

Nationaler Ethikrat, Klonen, Position B, S. 79 f. Ähnlich Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 59. Bereits diese Überzeugung des „tertium datur“ müssen die Vertreter des Grundrechtsträgerkonzepts strikt ablehnen; so z. B. Starck, JZ 2002, 1965, 1070. Gegen dieses sog. semantische Argument, daß Person und Sache einander begrifflich ausschließen und aus einer Sache niemals eine Person werden könne, aus ethischer Sicht Knoepffler, Menschenwürde, S. 70 ff. 2 C. Enders, in: K. Friauf/W. Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Band I, Loseblattslg., Stand 2005, Art. 1 I Rdnr. 138 ff.; ders., Gattungszugehörigkeit oder Personsein als Anknüpfungspunkt der Menschenrechte?, in: E. Klein/ C. Menke (Hrsg.), Menschenrechte und Bioethik, 2004, S. 42, 45 ff.; ders., Würde-

4. Kap.: Das Vorwirkungskonzept

247

aus hat der Problemlösungsansatz auch immer wieder Erwähnung in der einschlägigen Fachliteratur zu Rechtsfragen der Humangenetik gefunden.5 Untersucht man das Vorwirkungskonzept allerdings genauer, so stellt man rasch fest, daß diese „nicht ganz alltägliche Rechtskonstruktion“ (Di Fabio)6 im Gegensatz zum vorher erläuterten Grundrechtsträgerkonzept dogmatisch kaum aufgearbeitet ist und diverse, teils sogar einander widersprechende rechtliche Schlußfolgerungen evoziert. Ein Blick auf die Gesetzgebungsgeschichte zum Embryonenschutzgesetz (ESchG) (oben § 6) und zum Stammzellgesetz (StZG) (oben § 7) macht zudem deutlich, daß die Rechtsfigur der Grundrechtsvorwirkungen dort an keiner Stelle auch nur eine einzige Erwähnung fand – die „Ausbeute“ kann also insgesamt nur als dürftig bezeichnet werden. Im Sinne einer Annäherung sollen deshalb im folgenden die für den Anwendungskontext der Bioethik zentralen verfassungsdogmatischen Fragen des grundrechtlichen Vorwirkungskonzepts systematisch erörtert werden. Angesichts der kaum vorhandenen Vorarbeiten kann hier jedoch allenfalls eine dogmatische Skizze entworfen werden, als deren konstante Vergleichsfolie und Bezugspunkt das zuvor erläuterte Grundrechtsträgerkonzept fungiert. Dementsprechend wird im folgenden auch der gleiche methodische Zugang wie im dritten Kapitel gewählt und zunächst die theoretische Begründung (dazu nachfolgend § 12) und anschließend die rechtspraktische Anwendung des Vorwirkungskonzepts (dazu nachfolgend § 13) analysiert. und Lebensschutz im Konfliktfeld von Biotechnologie und Fortpflanzungsmedizin, Jura 2003, 666, 672 f.; ders., Embryonenschutz als Statusfrage?, ZRph 2003, 126, 135. 3 J. Ipsen, Der „verfassungsrechtliche Status“ des Embryos in vitro, JZ 2001, 989, 995 ff.; ders., Zur Zukunft der Embryonenforschung, NJW 2004, 268, 269 f. 4 M. Kloepfer, Humangenetik als Verfassungsfrage, JZ 2002, 417, 420 ff. („Grundrechtsanwartschaften“), mit Verweis auf ders., Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, 1970, S. 24 ff. (allgemein zur Entstehenssicherungsfunktion der Grundrechte) und S. 54 f. (zu Art. 2 II 1 Alt. 1 GG). 5 Z. B. E. Denninger, Embryo und Grundgesetz. Schutz des Lebens und der Menschenwürde vor Nidation und Geburt, KritV 2003, 191, 207; U. Di Fabio, in: T. Maunz/G. Dürig u. a. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Band I, Loseblattslg., Stand 2004, Art. 2 II Rdnr. 28; W. Heun, Gattungszugehörigkeit oder Personsein als Anknüpfungspunkt der Menschenrechte?, in: E. Klein/C. Menke (Hrsg.), Menschenrechte und Bioethik, 2004, S. 24, 40; A. Hoyer, Embryonenschutz und Menschenwürde, in: H.-H. Kühne/H. Jung u. a. (Hrsg.), Festschrift für Klaus Rolinski, 2002, S. 81, 91 („Entstehensschutz“); H. Rosenau, Der Streit um das Klonen und das deutsche Stammzellgesetz, in: H.-L. Schreiber/H. Rosenau u. a. (Hrsg.), Recht und Ethik im Zeitalter der Gentechnik, 2004, S. 135, 141 u. 148 („prävitaler Würdeschutz“); M. Schefer, Geltung der Grundrechte vor der Geburt, in: H.-P. Schreiber (Hrsg.), Biomedizin und Ethik, 2004, S. 43, 48 (aus Schweizer Sicht); H. Schütze, Die Bedeutung von Statusargumenten für das geltende deutsche Recht, in: Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 5 (2000), 305, 311; R. Wahl, Humangenetik als Problem nationaler Grund- und internationaler Menschenrechte, in: P. Barcellona/A. Carino (Hrsg.), I diritti umani tra politica, filosofia e storia, Band II, 2003, S. 301, 331. 6 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 2 II Rdnr. 28.

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4. Kap.: Das Vorwirkungskonzept

§ 12 Theoretische Begründung des Vorwirkungskonzepts A. Begriffliche Vorklärung: Grundrechtsvorwirkungen im weiteren Sinn versus Grundrechtsvorwirkungen im engeren Sinn Jede systematische Analyse eines verfassungsrechtlichen Modells, das mit einem Begriff arbeitet, der im Normtext gar nicht vorkommt, sollte zunächst den Begriff selbst reflektieren. Da der Terminus „Grundrechtsvorwirkungen“ wie eingangs angedeutet äußerst schillernd und mehrdeutig ist, muß für die vorliegenden Fragestellungen der Bioethik zunächst eine begriffliche Präzisierung versucht werden: In der bisherigen verfassungsrechtlichen Diskussion stößt man vielleicht noch am ehesten im umweltrechtlichen Kontext auf den Begriff der „Grundrechtsvorwirkungen“, die dort vor allem unter den Stichworten „intergenerationelle Gerechtigkeit“ bzw. „Nachweltschutz“ thematisiert worden sind.7 Wenngleich die damit aufgeworfene grundsätzliche Problematik keinesfalls neu ist, sondern bereits in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts vor allem im Zusammenhang mit den Langzeitrisiken der Kernenergie diskutiert wurde, erscheint ihre spezifische Erörterung unter dem Aspekt grundrechtlicher Vorwirkungen (Ekardt) doch mindestens als aktualisierte Variante.8 In diesem umweltrechtlichen Kontext geht es darum, Verteilungskonflikte bei der Nutzung natürlicher Ressourcen bzw. technische Langzeitrisiken nicht einseitig zu Lasten künftiger Generationen vorzuentscheiden und diese Forderung über die Statuierung grundrechtlicher Vorwirkungen, etwa aus Art. 1 I GG oder Art. 3 I GG, normativ an die Verfassung anzubinden.9 Mit so verstandenen „Vorwirkungen“ steht also eine grundrechtliche Schutzdimension im Vordergrund, die zum Beurteilungszeitpunkt völlig inexistente künftige Menschen („possible people“) erfassen soll. 7 F. Ekardt, Grundrechte für zukünftige Menschen?, in: G.-P. Calliess/M. Mahlmann (Hrsg.), Der Staat der Zukunft, 2002, S. 203, 212: „Es lassen sich . . . Grundrechtsvorwirkungen zugunsten künftiger Generationen herleiten, die jene Freiheit auch zukünftigen Menschen prima facie garantieren.“ Vgl. zum weiteren verfassungsrechtlichen Kontext intergenerationeller Gerechtigkeit auch P. Saladin/C. Zenger, Rechte künftiger Generationen, 1988, S. 74 ff.; H. Schulze-Fielitz, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Band II, 1998, Art. 20 a Rdnr. 31 ff.; H. Unnerstall, Rechte zukünftiger Generationen, 1999, S. 115 ff. 8 Zur Diskussion um den Nachweltschutz des Grundgesetzes in den 80er Jahren siehe vor allem H. Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, 1981, S. 258 ff.; D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1981, S. 206 ff. Diese Diskussion wurde damals allein unter dem Gesichtspunkt objektivrechtlicher Grundrechtsgehalte geführt (Hofmann, Rechtsfragen, S. 260 f.; Murswiek, Die staatliche Verantwortung, S. 207). 9 Ekardt, Grundrechte, in: Calliess/Mahlmann, Staat der Zukunft, S. 203, 213 f.

§ 12 Theoretische Begründung

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In ganz ähnlicher Form hat man im vorliegenden Bioethikkontext in der Vergangenheit teilweise versucht, die Idee der Grundrechtsvorwirkungen für die Klonproblematik fruchtbar zu machen und über die Konstruktion entsprechender Vorwirkungen aus Art. 1 I GG ein umfassendes Klonverbot im Humanbereich zu begründen.10 Auch dabei war also der Schutz noch nicht existierender künftiger Menschen maßgebend, diesmal freilich weniger in Form eines Beeinträchtigungsschutzes, sondern in Form einer Entstehungsverhinderung. Wie Jens Kersten dargelegt hat, ist diese Grundrechtsdimension zur Legitimierung eines umfassenden Klonverbots dogmatisch jedoch problematisch, da sich solche Vorwirkungen im Ergebnis gegen ihr eigenes Schutzgut und damit eigene Denkvoraussetzung richten müßten.11 Für die verfassungsrechtliche Bewältigung der Klonproblematik im Grundrechtrechtsträgerkonzept reicht deshalb der auch in dieser Arbeit beschrittene Weg einer Anknüpfung allein an die objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte völlig aus. Es ließ sich zeigen, daß hierfür das auf Ernst Forsthoff12 zurückgehende Vorsorgeprinzip fruchtbar gemacht und als objektiv-rechtliche Schutzkonzeption vor allem von Art. 1 I GG normativ rekonstruiert werden konnte.13 Der Sache nach ging es um die verfassungsrechtliche Würdigung der Risiken der Klontechnik durch Beachtung der Folgen dieser Methode für mit ihr erzeugte künftige Grundrechtsträger, wobei insbesondere zu fragen war, wie diese vor Gefährdungen ihrer Subjektqualität geschützt werden konnten. Da nach dem Grundrechtsträgerkonzept alle durch Klonierung entstehenden entwicklungsfähigen Entitäten Grundrechtsträger sind, ließen sich mit diesem Ansatz auch alle Varianten des Klonens (Klonen zu reproduktiven, therapeutischen und diagnostischen Zwecken) erfassen; einer zusätzlichen Annahme grundrechtlicher Vorwirkungen bedurfte es also nicht. – Will man demgegenüber oder für die übrigen genannten Konstellationen (Nachweltschutz) gleichwohl an der Kategorie grundrechtlicher Vorwirkungen festhalten, ist es aus Genauigkeitsgründen empfehlenswert, solche Grundrechtswirkungen mindestens als Vorwirkungen im weiteren Sinn zu bezeichnen. Von dieser Grundrechtsdimension zum Schutz künftiger Menschen („possible people“) sind dann die hier interessierenden Grundrechtsvorwirkungen im enge10 Brohm, JuS 1998, 197, 204. Siehe auch die zahlreichen Nachweise bei Kersten, Klonen, S. 309 f. Entsprechend für Manipulationen an menschlichen Keimzellen M. Pap, Extrakorporale Befruchtung und Embryotransfer aus arztrechtlicher Sicht, 1987, S. 261. 11 Kersten, Klonen, S. 310. 12 Für den vorliegenden Kontext vor allem E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 25, 28 und 46 f. Vgl. auch oben § 10 B. II. 1. b). 13 Im Anschluß an Kersten, Klonen, S. 311 ff., insbesondere 327 ff. Zwar entwikkelt Kersten das Vorsorgeprinzip im Kontext des Klonens nicht nur anhand von Art. 1 I GG, sondern bezieht auch S. 1 GG-Präambel sowie Art. 74 I Nr. 26 Alt. 1 und 2 GG mit ein (ebd., S. 317 ff. und 343 ff.). Wie sich aus seiner späteren Anwendungsanalyse (ebd., S. 403 ff.) ergibt, liegt der Schwerpunkt der normativen Rekonstruktion des Subjektstatus künftiger Menschen jedoch eindeutig bei Art. 1 I GG.

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4. Kap.: Das Vorwirkungskonzept

ren Sinn abzugrenzen. Im Unterschied zur ersten Kategorie beziehen sie sich auf werdende Menschen („potential people“), bei denen zum Beurteilungszeitpunkt bereits tatsächliche Anknüpfungspunkte für eine normative Anbindung des Grundrechtsschutzes vorhanden sind, so z. B. die Existenz der extrakorporalen Entität selbst bzw. deren biologische Totipotenzeigenschaft. Systematisch stehen solche Grundrechtsvorwirkungen (i. e. S.) für werdende Menschen damit genau in der Mitte zwischen der erstgenannten Kategorie der Grundrechtsvorwirkungen (i. w. S.) für künftige Menschen einerseits und der Grundrechtsträgerschaft für gegenwärtige Menschen andererseits. Sie vermitteln damit mehr als einen reinen Nachweltschutz für spätere Generationen, zugleich aber auch weniger als den in Kapitel 3 behandelten Substanzschutz für bereits existierende Grundrechtsträger, was sich in einer Übersicht in etwa wie folgt darstellen ließe: Grundrechtsvorwirkungen im weiteren Sinn

Grundrechtsvorwirkungen im engeren Sinn

Grundrechtsträgerschaft

Bezugspunkt

künftige Menschen („possible people“)

werdende Menschen gegenwärtige („potential people“) Menschen („actual people“)

Charakteristikum

Nachweltschutz (Vorsorge)

Entstehensschutz

Substanzschutz

Übersicht 14: Vergleich von Grundrechtsvorwirkungen und Grundrechtsträgerschaft

B. Argumentationsstrategien zur Begründung des Vorwirkungskonzepts Mit dieser begrifflichen Vorklärung ist nun im zweiten Schritt die verfassungsrechtliche Begründung solcher Grundrechtsvorwirkungen i. e. S. argumentativ aufzuarbeiten. Wie in Kapitel 3 können die hierfür möglichen Begründungsmuster in normtextorientierte (dazu nachfolgend I.), judikaturorientierte (dazu nachfolgend II.) sowie ethikorientierte Argumentationsstrategien (dazu nachfolgend III.) unterteilt werden. Im Gegensatz zum früheren Grundrechtsträgerkonzept ist dabei allerdings die dort vorgenommene Differenzierung zwischen den beiden Grundrechten (Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG) nicht mehr erforderlich. Diese Schlußfolgerung ergibt sich bereits aus den bisherigen Überlegungen: Bei der Erläuterung des Grundrechtsträgerkonzepts konnte mit Blick auf Wortlaut und Entstehungsgeschichte beider Normen gezeigt werden, daß eine Entkoppelung der Grund-

§ 12 Theoretische Begründung

251

rechtsträgerschaft bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG ausscheiden mußte, d. h. der Beginn der subjektiven Berechtigung bei beiden Grundrechten niemals zeitlich gestaffelt einsetzen konnte. In diesem Zusammenhang sei nochmals an das bekannte Diktum von Ernst-Wolfgang Böckenförde erinnert, der die Vertreter sog. Entkoppelungsthesen mit folgender rhetorischen Frage konfrontierte: „Wie kann . . . ein Wesen oder eine Entität, das oder die kein Mensch in diesem Sinne [= im Sinne von Art. 1 I 1 GG, T. H.] ist, keinen Anteil am Menschsein hat, gleichwohl ein ,Jeder‘ und Träger des Grundrechts auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 GG sein?“14

Entsprechendes gilt nun auch für Vorwirkungen aus beiden Grundrechten, die nach der hier untersuchten Konzeption der später parallel einsetzenden Grundrechtsträgerschaft zeitlich vorausgehen. Daß in der Phase, die mit Vorliegen einer entwicklungsfähigen extrakorporalen Entität beginnt und mit Einsetzen der Grundrechtsträgerschaft endet, mal nur eines der beiden Grundrechte und mal beide Grundrechte Vorwirkungen entfalten könnten, ist nämlich schlechterdings nicht vorstellbar. Somit können und müssen die theoretischen Begründungskonzepte für Vorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG hier zusammen behandelt werden. I. Normtextorientierte Argumentationsstrategien zu Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG Echte normtextorientierte Argumentationsstrategien zur Begründung grundrechtlicher Vorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG existieren soweit ersichtlich nicht. So ist es weder möglich, diese Grundrechtsdimension aus den Materialien des Parlamentarischen Rats (historisch-genetische Methode) noch aus Grammatik, Systematik oder „Teleologie“ des Verfassungstextes selbst abzuleiten. Gleichwohl hängen die hier untersuchten Vorwirkungen nicht im „luftleeren Raum“ ohne jede Rückbindung an den Normtext des Grundgesetzes. Im Gegensatz zum vorher untersuchten Grundrechtsträgerkonzept, das textlich an die Begriffe „jeder“ (Art. 2 II 1 GG) bzw. „Mensch“ (Art. 1 I GG) gekoppelt war, muß die normative Rekonstruktion grundrechtlicher Vorwirkungen diesmal bei den Begriffen „Leben“ in Art. 2 II 1 GG und „Würde“ in Art. 1 I GG ansetzen. Jörn Ipsen, ein Vertreter des Vorwirkungskonzepts, unterscheidet insoweit strikt zwischen dem subjektiven Grundrecht und dem objektiven Schutzgut der jeweiligen Verfassungsnorm und ordnet die Vorwirkungen allein letzterem zu.15 Wenngleich diese formale Anbindung der Vorwirkungen an den Normtext der 14 Böckenförde, Blätter für deutsche und internationale Politik 2004, 1216, 1222; ders., JZ 2003, 809, 811 (dort Fußn. 11).

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4. Kap.: Das Vorwirkungskonzept

Verfassung sehr gut möglich erscheint, ist sie zur Begründung dieser Grundrechtsdimension natürlich keinesfalls ausreichend. II. Judikaturorientierte Argumentationsstrategien zu Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG Der bisherige argumentative Schwerpunkt bei der Begründung von Grundrechtsvorwirkungen vor allem aus Art. 1 I GG16 lag daher auf anderem Terrain, nämlich erneut bei der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts. Stand zur Begründung wie Falsifizierung des Grundrechtsträgerkonzepts vor allem die Karlsruher Rechtsprechung zum Schwangerschaftsabbruch im Mittelpunkt,17 kommt diesmal dem berühmten Mephisto-Beschluß des Ersten Senats vom 24. Februar 197118 (sowie Folgebeschlüssen aus jüngerer Zeit19) gesteigerte Bedeutung zu. Da sich die Parallelen zu extrakorporalem Leben nicht unmittelbar aufdrängen, werden zunächst die hier relevanten Kernaussagen der Mephisto-Entscheidung herausgearbeitet, um anschließend die daran entwickelte sog. Spiegeltheorie20 zu Grundrechtsvorwirkungen kritisch beleuchten zu können. 1. Kernaussagen der Mephisto-Rechtsprechung zur postmortalen Gewährleistungsdimension des Art. 1 I GG Im Mephisto-Prozeß, der als der wohl spektakulärste Literaturprozeß der deutschen Nachkriegsgeschichte gelten kann,21 hatte das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsbeschwerde eines Verlegers zu entscheiden, der sich unter Berufung auf Art. 5 III GG (Kunstfreiheit) gegen das Veröffentlichungsverbot für das Buch „Mephisto. Roman einer Karriere“ von Klaus Mann gewandt hatte. Dieses Veröffentlichungsverbot war vom Adoptivsohn und Alleinerben des verstorbenen Schauspielers und Intendanten Gustaf Gründgens er15 Ipsen, JZ 2001, 989, 993 („Würde“) und 995 („Leben“) mit Verweis auf ders., Staatsrecht II, Rdnr. 60 ff. Ähnlich Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 2 II Rdnr. 28 („Leben ohne eigene, subjektive Lebensrechte“). 16 Die Vorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG werden meist mittelbar aus den Vorwirkungen des Art. 1 I GG abgeleitet (Ipsen, JZ 2001, 989, 995). Vgl. auch unten 2. b). 17 Siehe oben § 9 A. II. 18 BVerfGE 30, 173. 19 Darunter vor allem der Kammerbeschluß vom 25.8.2000, NJW 2001, 594 (WillyBrandt-Münze), sowie der Kammerbeschluß vom 5.4.2001, NJW 2001, 2957 (Wilhelm Kaisen). 20 Bezeichnung übernommen von Dederer, AöR 127 (2002), 1, 13. 21 B. Schulte zu Sodingen, BVerfGE 30, 173 – Mephisto, in: J. Menzel (Hrsg.), Verfassungsrechtsprechung. Hundert Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in Retrospektive, 2000, S. 169.

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wirkt worden, welcher als historisches Vorbild für den im Mephisto-Roman sehr negativ gezeichneten Protagonisten Hendrik Höfgen diente.22 Der nach gut siebenjährigem Rechtsstreit in dieser Sache ergangene Beschluß des Bundesverfassungsgerichts war für die deutsche Grundrechtsdogmatik in mehrfacher Hinsicht äußerst bedeutsam, nämlich einerseits wegen seiner grundlegenden Aussagen zu Inhalt und Schranken der Kunstfreiheit (Art. 5 III GG), andererseits aber auch – und nur dieser Aspekt ist vorliegend von Bedeutung – wegen der seither unstrittigen Anerkennung eines postmortalen Würdeschutzes.23 Das Gericht leitete diese grundrechtliche Gewährleistungsdimension aber nicht wie die Vorinstanzen aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I GG), sondern einzig und allein aus der Menschenwürde (Art. 1 I GG) ab und begründete seine Ansicht wie folgt: „Es würde mit dem verfassungsverbürgten Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde, das allen Grundrechten zugrunde liegt, unvereinbar sein, wenn der Mensch, dem Würde kraft seines Personseins zukommt, in diesem allgemeinen Achtungsanspruch auch nach seinem Tode herabgewürdigt oder erniedrigt werden dürfte. Dementsprechend endet die in Art. 1 Abs. 1 GG aller staatlichen Gewalt auferlegte Verpflichtung, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, nicht mit dem Tode.“24

Obwohl damit sehr deutlich gemacht wurde, daß der postmortale Würdeschutz nicht primär die Belange der nächsten Angehörigen des Toten, sondern den Toten selbst schützen sollte,25 findet sich in der Entscheidung keine nähere Präzisierung, wie das Gericht die postmortale Gewährleistungsdimension von Art. 1 I GG dogmatisch verstanden wissen wollte. In der Folgezeit ist deshalb von einigen Autoren die These vertreten worden, bei einem Toten handele es sich um ein Grundrechtssubjekt auf Zeit.26 Nicht zuletzt wegen der rechtsprak22 Der Roman erschien erstmals 1936 in Amsterdam, dann 1956 in Ost-Berlin. Seine erste Veröffentlichung in Westdeutschland wurde 1963 angekündigt und durch ein 1968 in letzter Instanz (BGH) bestätigtes Verbot verhindert. Die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hatte wegen richterlicher Stimmengleichheit keinen Erfolg. Seit 1981 ist der Roman jedoch wieder im Buchhandel erhältlich. Vgl. zur Prozeßgeschichte neben BVerfGE 30, 173, 174 ff., auch Schulte zu Sodingen, BVerfGE 30, 173 – Mephisto, in: Menzel, Verfassungsrechtsprechung, S. 169 f., sowie M. Töteberg, Nachwort, in: K. Mann, Mephisto. Roman einer Karriere, 1981, S. 392, 411 ff. 23 J. Hager, Die Mephisto-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, Jura 2000, 186, 191. 24 BVerfGE 30, 173, 194. 25 H.-J. Pabst, Der postmortale Persönlichkeitsschutz in der neueren Rechtsprechung des BVerfG, NJW 2002, 999. 26 P. Kunig, in: I. v. Münch/P. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band I, 5. Aufl. 2000, Art. 1 Rdnr. 15. Ihm folgend C. Hillgruber, Das Vor- und Nachleben von Rechtssubjekten, JZ 1997, 975, 987, sowie Pabst, NJW 2002, 999, 1000. Wenn dabei zugleich eingeräumt wird, es ermangele dem Toten an Rechtssubjektivität (so Pabst, NJW 2002, 999), wird die Auffassung indes zweifelhaft. Was soll ein Grundrechtssubjekt ohne Rechtssubjektivität anderes sein als ein Selbstwiderspruch?

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4. Kap.: Das Vorwirkungskonzept

tischen Schwierigkeiten (wie wäre dann z. B. noch eine Autopsie gegen den zuvor erklärten Willen des Verstorbenen zu rechtfertigen?)27 konnte sich diese Auffassung jedoch nie allgemein durchsetzen. Vorzugswürdiger ist die ebenfalls vertretene Meinung, die bei der postmortalen Gewährleistungsdimension des Art. 1 I GG nicht von einer Subjektstellung des Toten auf Zeit, sondern lediglich von postmortalen Nach- oder Reflexwirkungen der Menschenwürde ausgeht.28 Diese Auffassung verträgt sich zum einen besser mit der Wortwahl des Gerichts, das im vorliegenden Zusammenhang nie von Rechten, sondern stets nur von „Schutz-, Ausstrahlungs- oder Fortwirkungen (des Persönlichkeitsbereichs)“ sprach.29 Zum anderen erreicht man damit eine größere dogmatische Konsistenz mit der im Mephisto-Beschluß ebenfalls betonten Abwägungsoffenheit des postmortalen Würdeschutzes im Verhältnis zu anderen Grundrechten (wie etwa der Kunstfreiheit aus Art. 5 III GG),30 die bei Annahme einer Subjektstellung des Toten wegen der Unantastbarkeitsklausel kaum zu begründen wäre. Insgesamt ist daher die in der MephistoRechtsprechung erstmals anerkannte und seither unverändert bestätigte postmortale Gewährleistungsdimension des Art. 1 I GG allein als Nach- oder Reflexwirkung der verfassungsrechtlichen Menschenwürdegarantie zu verstehen. 2. Übertragbarkeit der Mephisto-Rechtsprechung auf die Vorwirkungskonstellation? – Die Spiegeltheorie a) Inhalt der Spiegeltheorie zu Grundrechtsvorwirkungen In Analogie zum dargestellten abwägungsoffenen postmortalen Würdeschutz der Mephisto-Rechtsprechung hat man nun teilweise versucht, bei vorgeburtlichem Leben einen ebenfalls abwägungsoffenen prävitalen Würdeschutz zu begründen und Grundrechtsnachwirkungen entsprechende Grundrechtsvorwirkungen zur Seite zu stellen, von denen auch extrakorporale Entitäten erfaßt wären.31 Danach wäre der verfassungsrechtliche Menschenwürdeschutz aus Art. 1 27

Weitere Beispiele bei Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 40 f. (dort Fußn.

42). 28 Geddert-Steinacher, Menschenwürde, S. 71; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2005) Rdnr. 54; Ipsen, JZ 2001, 989, 993; Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 41 f.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 22. Offengelassen von Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 1 Rdnr. 54. 29 BVerfGE 30, 173, 194; BVerfG, NJW 2000, 594; BVerfG, NJW 2001, 2957, 2959. 30 BVerfGE 30, 173, 195 ff. 31 Rosenau, Streit um das Klonen, in: Schreiber/Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 135, 148. Ähnlich Hoyer, in: Kühne/Jung u. a., Festschrift Rolinski, S. 81, 91; Ipsen, JZ 2001, 989, 993; Taupitz, Status des Embryos, in: Schreiber/Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 96, 102. Aus ethischer Sicht D. Birnbacher, Menschenwürde –

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I GG nur in der Phase zwischen Geburt und Tod gleichbleibend abwägungsresistent, während er parallel zur sukzessiven Abnahme in der postmortalen Phase im prävitalen Stadium nach und nach anwüchse. Der mit der Mephisto-Rechtsprechung begründbare abwägungsoffene Menschenwürdeschutz nach dem Tod würde also spiegelbildlich auf die vorgeburtliche Phase übertragen, woher auch die Bezeichnung „Spiegeltheorie“ resultiert.32 Graphisch ließe sich diese Theorie in etwa wie in Übersicht 15 veranschaulichen.

abwägungsoffener Menschenwürdeschutz

Befruchtung o. ä.

abwägungsresistenter Menschenwürdeschutz

abwägungsoffener Menschenwürdeschutz

Zeit Geburt

Tod

Übersicht 15: Die Spiegeltheorie zu Vorwirkungen aus Art. 1 I GG

b) Kritik an der Spiegeltheorie zu Grundrechtsvorwirkungen Trotz der auf den ersten Blick frappierenden Parallelität von Grundrechtsnachwirkungen und Grundrechtsvorwirkungen ist bei einer solchen Analogiebildung jedoch allergrößte Vorsicht geboten. Bei näherem Hinsehen zeigt sich nämlich, daß bei der behaupteten dogmatischen Strukturgleichheit von postmortalem und prävitalem Grundrechtsschutz zwei wesentliche Asymmetrien übersehen werden, die die Spiegeltheorie als Begründung für Grundrechtsvorwirkungen bei extrakorporalem menschlichem Leben letztlich nicht mehr plausibel machen:

abwägbar oder unabwägbar?, in: M. Kettner (Hrsg.), Biomedizin und Menschenwürde, 2004, S. 249, 259 f. („Menschenwürde im schwachen Sinne für Vor- und Reststadien des Menschenlebens“). 32 Vgl. Dederer, AöR 127 (2002), 1, 13.

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4. Kap.: Das Vorwirkungskonzept

Die erste dieser Asymmetrien bezieht sich darauf, daß der postmortale Würdeschutz an einem vorher existenten Grundrechtssubjekt ansetzen kann, dessen Persönlichkeitsschutz quasi über den Tod hinaus verlängert wird. Diese Anbindung des Würdeschutzes an die früher lebende Person wird auch beim Bundesverfassungsgericht deutlich, wenn es formuliert: „Geschützt ist bei Verstorbenen zum einen der allgemeine Achtungsanspruch, der dem Menschen kraft seines Personseins zusteht . . . Schutz genießt aber auch der sittliche, personale und soziale Geltungswert, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat.“33

Um eine etwas profane Metapher zu gebrauchen, gleicht der postmortale Würdeschutz des Toten damit dem Nachglimmen einer gerade verloschenen Lampe in der Dunkelheit, das einzig und allein vom früheren Leuchten herrührt. Ganz anders stellt sich die Situation bei den prävitalen Grundrechtsvorwirkungen dar: Nach diesem Konzept ist das Grundrechtssubjekt noch gar nicht vorhanden, d. h. es fehlt am eigentlichen Substrat für die Anbindung bzw. Verlängerung des Würdeschutzes.34 Will man die Leuchtmetaphorik aufgreifen, müßte man also formulieren: Die Lampe hat noch nie geleuchtet, und ob sie je leuchten wird, ist zumindest zweifelhaft,35 weshalb von ihrem möglichen späteren Leuchten noch keine mit dem Nachglimmen vergleichbaren Wirkungen für die Gegenwart ausgehen können. Gleichwohl – und damit ist die zweite Asymmetrie der Analogie zwischen beiden Gewährleistungsdimensionen angesprochen – gibt es in der prävitalen Phase ein ganz anderes Substrat, das in der postmortalen Phase nicht mehr existiert: Gemeint ist die Tatsache, daß es sich bei einer extrakorporalen Entität um Lebendes, in einer Entwicklung Befindliches handelt, während beim Toten eine solche Entwicklung gerade nicht mehr stattfindet.36 Genau aus diesem Grunde wehren sich viele bereits prinzipiell gegen jede Analogie zwischen Lebendem und Totem und verweisen in diesem Zusammenhang gern auf ein Zitat von Ludwig Wittgenstein, der in seinen „Philosophischen Untersuchungen“ schrieb: „Unsere Einstellung zum Lebenden ist nicht die zum Toten. Alle unsere Reaktionen sind verschieden.“37 33

BVerfG, NJW 2001, 2957, 2959 (Hervorh. T. H.). Dederer, JZ 2003, 986, 992; Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 79 (dort Fußn. 253); Heun, Menschenwürde und Lebensrecht, in: Gethmann-Siefert/ Huster, Recht und Ethik in der Präimplantationsdiagnostik, S. 69, 77 (dort Fußn. 37); H. Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, AöR 118 (1993), 353, 375 f. 35 Man denke nur an „überzählige“ Embryonen, die das Stadium der Grundrechtsträgerschaft kaum jemals erreichen werden. 36 Dederer, AöR 127 (2002), 1, 13; Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 113. 37 L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, in: ders., Tractatus logico-philosophicus. Tagebücher 1914–1916. Philosophische Untersuchungen (Werkausgabe Band I), 1984, S. 225, 370 (Nr. 284). Zitiert z. B. von F.-J. Bormann, Der Status des Em34

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Grundrechtsdogmatisch gewendet, bedeutet dies nicht nur, daß eine Analogie von postmortalem und prävitalem Würdeschutz aus Art. 1 I GG zweifelhaft ist, sondern auch, daß auf diesem Wege niemals ein vorwirkender Lebensschutz aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG begründet werden könnte; denn die Annahme eines entsprechenden postmortal nachwirkenden Lebensschutzes erscheint offensichtlich unsinnig.38 Vorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG sind jedoch für die gesamte Vorwirkungskonzeption unabdingbar. Fassen wir das Ergebnis zusammen: Trotz struktureller Ähnlichkeit von Grundrechtsnachwirkungen und Grundrechtsvorwirkungen läßt sich ein vorwirkender Grundrechtsschutz bei extrakorporalem menschlichem Leben nicht über eine Analogie zur Mephisto-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts begründen. Grund hierfür ist eine doppelte Asymmetrie zwischen beiden Gewährleistungsdimensionen: Indem die Nachwirkungsdogmatik an einen früher existierenden Grundrechtsträger anknüpfen kann, der bei Vorwirkungen noch gar nicht vorhanden ist, liefert sie einerseits zu viel für einen entsprechenden Analogieschluß. Indem sie andererseits die Tatsache des „Lebens“ bzw. „Werdens“ extrakorporaler Entitäten überhaupt nicht berücksichtigen kann, liefert sie zugleich auch zu wenig, so daß insgesamt eine andere Begründung für Grundrechtsvorwirkungen als die Spiegeltheorie gesucht werden muß. III. Ethikorientierte Argumentationsstrategien zu Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG 1. Vom schwachen Potentialitätsargument in den Ethikwissenschaften zu Grundrechtsvorwirkungen im Verfassungsrecht Bereits die letztgenannte Asymmetrie der Spiegeltheorie (Lebendes versus Totes) weist darauf hin, daß zur Begründung grundrechtlicher Vorwirkungen offensichtlich das Entwicklungsmoment, also die Potentialität, von zentraler Bedeutung sein muß. Ruft man sich noch einmal die ethikorientierten Argumentationsstrategien zum Grundrechtsträgerkonzept in Erinnerung, so wurde dort herausgearbeitet, daß sich diese vor allem auf ein verfassungsrechtliches Potentialitätsargument stützten, das einerseits einen Potentialitätsbegriff aus der aristotelisch-thomistischen Tradition (dispositionelles Vermögen zur Menschentwicklung) zugrunde legte und andererseits eine normative Gleichsetzung aktualer und potentieller Modalformen postulierte.39 In den Ethikwissenschaften wird

bryos aus der Sicht der katholischen Kirche, in: G. Maio/H. Just (Hrsg.), Die Forschung an embryonalen Stammzellen in ethischer und rechtlicher Perspektive, 2003, S. 214, 219 (dort Fußn. 40). 38 Dederer, JZ 2003, 986, 992. 39 Siehe oben § 9 A. III. 2. a).

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diese Variante des Potentialitätsarguments auch als starkes Potentialitätsargument bezeichnet, von der ein schwaches Potentialitätsargument unterschieden wird, das zwar vom selben Potentialitätsbegriff ausgeht, die normative Gleichsetzung beider Modalformen jedoch strikt ablehnt.40 Wie ebenfalls gezeigt werden konnte, lassen sich für letztere Sichtweise bereits in der aristotelisch-thomistischen Tradition gewichtige Argumente finden.41 Genau an dieser Stelle setzt nun der Versuch, grundrechtliche Vorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG zu begründen, an: Er nimmt Potentialität im Sinne eines dispositionellen Vermögens zur Menschentwicklung als Ausgangspunkt für einen verfassungsrechtlichen Schutz und versteht grundrechtliche Vorwirkungen insoweit allein als „Potentialitätsschutz“. 42 Entsprechend dem schwachen Potentialitätsargument der Ethikwissenschaften wird damit vom Potentialitätsargument des Grundrechtsträgerkonzepts nur der erste Schritt (Potentialitätsbegriff) mitvollzogen, der zweite Schritt (normative Gleichsetzung von Aktualität und Potentialität) hingegen verneint und durch den angesprochenen Potentialitätsschutz ersetzt. Bernhard Schlink erläutert diese Vorgehensweise so: „Nur aktuelles menschliches Leben können wir erleben, nur in es uns einfühlen, nur mit ihm in Beziehung stehen. Im potentiellen Leben können wir uns nur das Potential vorstellen; wir können es wegen dieses Potentials und auf es hin schützen.“43

Doch es fragt sich, wie dieser Potentialitätsschutz im Sinne eines Entstehensschutzes einigermaßen schlüssig in die deutsche Grundrechtsdogmatik transformiert werden kann. Mehrere rechtskonstruktive Lösungswege bieten sich an: a) Grundrechtsvorwirkungen als Grundrechtsanwartschaften bzw. Anwartschaftsrechte auf Grundrechte? Eine erste Idee, die insbesondere von Michael Kloepfer in die Diskussion eingebracht wurde, besteht darin, die zivilrechtliche Idee der Anwartschaft ins Verfassungsrecht zu übertragen und Grundrechtsvorwirkungen insoweit als

40 Schöne-Seifert, Contra Potentialitätsargument, in: Damschen/Schönecker, Der moralische Status, S. 169, 171; Kaufmann, Jahrbuch für Recht und Ethik 10 (2002), 99, 102 („modifizierte Version des sog. Potentialitätsarguments“). 41 Siehe oben § 9 B. III. 2. b). Vgl. auch die dortigen Verweise auf Hartmann, Möglichkeit und Wirklichkeit, S. 5 f.; Kaminsky, Embryonen, S. 99 f.; Rehmann-Sutter, Klonierung, in: Honnefelder/Lanzerath, Klonen in biomedizinischer Forschung, S. 251, 254. 42 Zum Potentialitätsschutz siehe auch Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 169 ff. und 184 ff., sowie B. Schlink, Aktuelle Fragen des pränatalen Lebensschutzes, 2002, S. 17 f. 43 Schlink, Aktuelle Fragen des pränatalen Lebensschutzes, S. 17 (Hervorh. T. H.).

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Grundrechtsanwartschaften zu verstehen.44 Reinhard Merkel45 und Hinner Schütze46 gehen einen ähnlichen Weg und sprechen in vergleichbarer Weise von Anwartschaftsrechten auf Leben, Menschenwürde usw. In der zivilistischen Terminologie sind die beiden Begriffe „Anwartschaft“ und „Anwartschaftsrecht“ im übrigen nicht deckungsgleich: Während eine Anwartschaft bloß eine tatsächliche Aussicht auf einen künftigen Rechtserwerb (klassisches Beispiel: Ersatzerbe, §§ 2096 ff. BGB) vermittelt, bedeutet ein Anwartschaftsrecht bereits eine gesicherte Rechtsposition für den Inhaber, deren Erstarken zum Vollrecht meist nur noch vom Eintritt einer äußeren Bedingung abhängt (klassisches Beispiel: Kauf unter Eigentumsvorbehalt, § 449 BGB).47 Das wie ein sonstiges Recht übertragbare, vererbliche und verpfändbare Anwartschaftsrecht garantiert dem Inhaber somit den Fortbestand seines Anspruchs auf den späteren Erwerb des Vollrechts.48 Da es bei den hier untersuchten Grundrechtsvorwirkungen im Sinne eines Entstehensschutzes keinesfalls nur um „Aussichten“ auf Erlangung eines Lebensrechts usw. gehen kann, sondern wegen der bereits vorhanden tatsächlichen Anknüpfungspunkte für Grundrechtsschutz eher „Ansprüche“ auf diesen Vollrechtserwerb zu schützen wären, erschiene bei Zugrundelegung der erläuterten Terminologie der Begriff des Anwartschaftsrechts zunächst passender.49 – Doch wie überzeugend ist überhaupt die Übertragung der Anwartschaftsidee auf die Thematik der Grundrechtsvorwirkungen? Die Rezeption der Anwartschaftsidee verweist auf eine alte Debatte in der Zivilrechtswissenschaft um sog. subjektlose Rechte, die folgendes Grundproblem zu lösen hatte: Bekanntlich beginnt die zivilrechtliche Rechtsfähigkeit des Menschen erst mit Vollendung der Geburt (§ 1 BGB). Gleichzeitig sehen das Bürgerliche Gesetzbuch sowie Nebengesetze jedoch eine Reihe von Rechten für den gezeugten, aber noch nicht geborenen Menschen (Nasciturus) vor, worunter das Erbrecht (§ 1923 II BGB) oder der deliktische Ersatzanspruch bei Tötung eines Unterhaltsverpflichteten (§ 844 II 2 BGB) vielleicht die bekanntesten sind.50 Dogmatisch entstand damit früh das Problem, wie man diese Rechte einem noch nicht existenten Rechtsträger (Nasciturus) zuordnen konnte. Insbesondere Georg Hohner hat hier schon in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts gezeigt, daß es im Zivilrecht sog. subjektlose Rechte als Grundkategorie geben 44 Kloepfer, JZ 2002, 417, 420 ff.; ders., Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, S. 55 („Lebensanwartschaft“). 45 Merkel, Früheuthanasie, S. 489 f. 46 Schütze, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 5 (2000), 305, 322 f. 47 C. Creifelds/K. Weber (Hrsg.), Rechtswörterbuch, 18. Aufl. 2004, S. 75. 48 Creifelds/Weber, Rechtswörterbuch, S. 75. 49 Merkel, Früheuthanasie, S. 490. 50 Weitere Beispiele bei J. Schmitt, in: K. Rebmann/F. J. Säcker/R. Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band I, 4. Aufl. 2001, § 1 Rdnr. 26 ff.

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4. Kap.: Das Vorwirkungskonzept

kann, und für ihre Zuordnung zum Nasciturus die Idee einer Anwartschaft, einer schwebenden oder partiellen Rechtsfähigkeit (Teilrechtsfähigkeit) diskutiert.51 Rezipiert man die seither fortgeführte zivilistische Debatte zu diesem Problem zutreffend, hat sich dort für die Rechte des gezeugten, aber noch nicht geborenen Menschen von allen denkbaren Varianten inzwischen die dogmatische Konstruktion einer durch die spätere Lebendgeburt bedingten Teilrechtsfähigkeit (= beschränkte Teilrechtsfähigkeit) des Nasciturus durchgesetzt.52 Trotz dieser auf den ersten Blick auffälligen Parallelen passen für die hier untersuchten Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG aber weder die Figur des Anwartschaftsrechts noch alle ähnlichen Rechtskonstruktionen des Zivilrechts: So ist bereits die prinzipielle Annahme „subjektloser Grundrechte“, also subjektiver Grundrechtsberechtigungen ohne dazugehörige(n) Träger, eine Contradictio in adiecto.53 Subjektive Grundrechte weisen nämlich immer eine dreigliedrige Struktur aus Grundrechtsträger, Grundrechtsadressat und Grundrechtsinhalt auf, von denen kein Element hinweggedacht werden kann, ohne zugleich den Begriff des subjektiven Grundrechts aufgeben zu müssen.54 Mag damit die Konstruktion subjektloser (Anwartschafts-)Rechte im zivilistischen Kontext noch möglich sein, im verfassungsrechtlichen Kontext macht die Annahme entsprechender subjektloser Grundrechte keinen Sinn. Überhaupt geht die Vorstellung, bei Grundrechtsvorwirkungen handele es sich um Anwartschaftsrechte, grundsätzlich fehl, denn bei diesem Denkmodell stehen nicht eigentlich Rechte, sondern eher Rechtsreflexe im Vordergrund.55 Schließlich muß die Anwartschaftsidee gerade beim Lebensrecht (Art. 2 II 1 Alt. 1 GG) und der Menschenwürde (Art. 1 I GG) auf Bedenken stoßen, da diese Grundrechte per se unteilbar sind und deshalb eine Aufspaltung in zwei Rechte, nämlich ein Anwartschaftsrecht und ein Vollrecht,

51 G. Hohner, Subjektlose Rechte. Unter besonderer Berücksichtigung der Blankozession, 1969, S. 39 ff. und 134 ff. Bei der Anwartschaftslösung spricht Hohner von „subjektlosen Anwartschaftsrechten“ (ebd., S. 135). 52 K. Larenz/M. Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 9. Aufl. 2004, § 5 Rdnr. 19. Ähnlich H. Heinrichs, in: O. Palandt/P. Bassenge u. a., Bürgerliches Gesetzbuch, 64. Aufl. 2005, § 1 Rdnr. 7; Schmitt, in: Rebmann/Säcker/Rixecker, MK-BGB I, § 1 Rdnr. 25 ff. („partielle Rechtsfähigkeit“). 53 Ähnlich Murswiek (Die staatliche Verantwortung, S. 207), der für die insoweit vergleichbare Konstellation des verfassungsrechtlichen Nachweltschutzes feststellt: „Ohne Subjekt gibt es kein subjektives Recht.“ 54 J. Ipsen, Staatsrecht II. Grundrechte, 6. Aufl. 2003, Rdnr. 46 ff., im Anschluß an R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 2. Aufl. 1994, S. 171 f. 55 K. Seelmann, Haben Embryonen Menschenwürde?, in: M. Kettner (Hrsg.), Biomedizin und Menschenwürde, 2004, S. 63, 74. Vgl. zur Diskussion um Rechtsreflexe im Öffentlichen Recht schon früh O. Bachof, Reflexwirkungen und subjektive Rechte im öffentlichen Recht, in: ders./M. Drath u. a. (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, 1955, S. 287, 288 ff.

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unangemessen erscheint.56 Jan Joerden faßt diesen Befund auf prägnante Weise zusammen, wenn er formuliert: „Das Lebensrecht ist kein Anwartschaftsrecht, das sich wie beim Ratenzahlungskauf langsam zum Vollrecht entwickelt.“57

Als Ergebnis steht damit fest, daß die zivilrechtliche Anwartschaftsidee für die normative Rekonstruktion von Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG nicht trägt. b) Grundrechtsvorwirkungen als nicht-reziproke Schutzpflichten? Eine stärker grundrechtsorientierte Begründung ergibt sich hingegen aus folgender Überlegung: Die für Art. 1 I 1 GG bereits im Verfassungstext statuierte und für Art. 2 II 1 Alt. 1 GG gemeinhin anerkannte grundrechtliche Schutzpflichtdimension verpflichtet den Staat, jeden Grundrechtsträger vor Gefährdungen seines Leben und seiner Menschenwürde durch Dritte zu schützen.58 Dieser Schutz wäre jedoch unvollständig bzw. liefe gänzlich leer, wenn er erst mit der Existenz des Grundrechtsträgers selbst einsetzen und ein auf dessen Entstehung angelegtes Entwicklungspotential vollständig ignorieren würde.59 Aus diesem Grund können beide Grundrechte (Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG) bereits vorbeugend Schutzwirkungen – eben Vorwirkungen – entfalten, und zwar einerseits in Form eines Schutzes gegen die physische Vernichtung des werdenden Grundrechtsträgers (= Vorwirkung aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG) sowie andererseits in Form eines Schutzes gegen Gefährdungen seiner werdenden Subjektqualität (= Vorwirkung aus Art. 1 I GG). Christoph Enders hat in diesem Zusammenhang gleichwohl dafür plädiert, solche Vorwirkungen, die er der Sache nach anerkennt, nicht der Schutzpflichtdimension der Grundrechte zuzuordnen, da es hier gerade an einem subjektiven Grundrechtsträger mangele, vor den sich der Staat „schützend und fördernd“ stellen könne; dieser müsse aber vorhanden sein, um grundrechtliche Schutzwirkungen überhaupt auslösen zu können.60 Statt dessen möchte er Grundrechts56 Enders, Gattungszugehörigkeit, in: Klein/Menke, Menschenrechte und Bioethik, S. 42, 46. 57 J. Joerden, Noch einmal: Wer macht Kompromisse beim Lebensrechtsschutz?, JuS 2003, 1051, 1053. 58 Statt aller Wahl, Die objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte, in: Merten/ Papier, Handbuch der Grundrechte I, § 19 Rdnr. 6 f. Zur Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG siehe z. B. BVerfGE 45, 187, 254 f.; 46, 160, 164. 59 Vgl. Enders, Gattungszugehörigkeit, in: Klein/Menke, Menschenrechte und Bioethik, S. 42, 47; ders., Jura 2003, 666, 672. 60 Enders, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz I, Art. 1 Rdnr. 140; ders., Gattungszugehörigkeit, in: Klein/Menke, Menschenrechte und Bioethik, S. 42, 46 f.

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vorwirkungen allein als vorbeugende Abwehrrechte auf Unterlassung staatlicher Maßnahmen verstehen, die „in die gesellschaftliche Freiheit mit dem Ziel der Selektion und Menschenzucht eingreifen“.61 Die Auffassung von Enders ist jedoch aus mehreren Gründen nicht überzeugend: Zunächst würde man die gesamte Verfassungsproblematik humaner Biotechnologie verfehlen, wenn man die vorwirkende Funktion der Grundrechte allein auf die Abwehr staatlicher Maßnahmen reduzieren würde. Bei den hier in Rede stehenden Biotechniken wie der Präimplantationsdiagnostik, dem „therapeutischen Klonen“ usw. geht es in der Regel um Handlungen privater Dritter (Eltern, Ärzte, Forscher usw.), so daß allein staatsgerichtete Grundrechtsvorwirkungen für die überwiegende Zahl der Fälle „leerlaufen“ müßten und daher mit ihrer Herausarbeitung kaum etwas gewonnen wäre. Darüber hinaus ist aber auch die Vorstellung, grundrechtliche Schutzpflichten bedürften stets eines subjektiven Grundrechtsträgers als Bezugspunkt, in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend.62 Wie oben gesehen, hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Mephisto-Beschluß aktuale Schutzwirkungen aus Art. 1 I GG zugunsten des Toten abgeleitet, ohne von einer über das Lebensende hinaus fortbestehenden Grundrechtsträgerschaft ausgegangen zu sein.63 Sofern man dennoch einen korrespondierenden Bezugspunkt für staatliche Schutzpflichten für unabdingbar erachtet, ist mit der gegebenen Potentialität entwicklungsfähiger extrakorporaler Entitäten ein solcher Anknüpfungspunkt im übrigen vorhanden. Wie richtig beobachtet, steht dem Staat hier aber kein individueller Grundrechtsträger mehr gegenüber, der die Schutzpflicht als Leistung oder subjektivöffentliches Recht einfordern könnte.64 Aus diesem Grund sind die allein an der Potentialität anknüpfenden Grundrechtsvorwirkungen auch als nicht-reziproke Schutzpflichten aufzufassen und unterscheiden sich damit grundlegend von der klassischen Konstellation. Extrakorporale Entitäten, auf die sich ein solcher Schutz aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG bezieht, können dementspre-

61

Enders, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz I, Art. 1 Rdnr.

140. 62

Ipsen, JZ 2001, 989, 993, mit Verweis auf BVerfGE 84, 133, 147; 91, 335, 339. BVerfGE 30, 173, 194. Siehe auch oben § 12 B. II. 1. Ein anderes Beispiel wäre der eingangs erwähnte grundrechtliche Nachweltschutz. 64 Inwieweit grundrechtliche Schutzpflichten überhaupt eine subjektiv-rechtliche Leistungsdimension beinhalten, ist ohnehin streitig: grundsätzlich dafür Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz, Vorbem. Rdnr. 6, sowie Isensee, Grundrecht als Abwehrrecht, in: ders./Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts V, § 111 Rdnr. 183 ff.; grundsätzlich dagegen Ipsen, Staatsrecht II, Rdnr. 97, sowie Dietlein, Lehre von den Schutzpflichten, S. 126: „Die grundrechtlichen Schutzpflichten sind schutzgutorientierte, primär objektive Pflichten des Staates. Sie existieren mithin unabhängig davon, ob ihnen ein individuelles Recht auf seiten des Schutzbegünstigten gegenübersteht oder nicht.“ Zum ganzen Problemkomplex auch Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 71 ff. 63

§ 12 Theoretische Begründung

263

chend nicht als Schutzberechtigte, sondern nur als Schutzbegünstigte oder Vorwirkungsdestinatäre angesehen werden. 2. Anwendung des Vorwirkungskonzepts auf die drei Prototypen extrakorporalen menschlichen Lebens (oben §§ 2–4) Dieses Vorwirkungskonzept ist konsequenterweise auf alle mit aktiver Potentialität ausgestatteten extrakorporalen Entitäten anwendbar, d. h. sowohl auf Embryonen aus künstlicher Befruchtung (oben § 2) als auch auf Zellkerntransferklone (oben § 3). Unabhängig von der Entstehungsart sind damit beide Prototypen extrakorporalen menschlichen Lebens Destinatäre grundrechtlicher Vorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG. Bei Befruchtungsembryonen müßte dieser vorwirkende Grundrechtsschutz folgerichtig auch auf die sog. Vorkernstadien (nach Ausstoßung des zweiten Polkörpers) ausgedehnt werden, da hinsichtlich der Potentialität dieser Entitäten kein Unterschied zu Embryonen im Syngamiestadium besteht. Da die Potentialität auch im Vorwirkungskonzept als dispositionelles Vermögen und nicht als Entwicklungswahrscheinlichkeit (Probabilität) verstanden wird, ist das Bestehen der Grundrechtsvorwirkungen außerdem nicht an eine Lebensperspektive o. ä. geknüpft und erfaßt daher „überzählige“ Befruchtungsembryonen in gleicher Weise wie transferierbare Entitäten.65 Demgegenüber sind begrenzt entwicklungsfähige Laborartefakte (oben § 4) nicht von den Vorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG erfaßt, da es bei diesen Entitäten mangels Totipotenz auch am Anknüpfungspunkt für das schwache Potentialitätsargument fehlt und eine logisch-gedankliche Brücke zu einem späteren Grundrechtsträger nicht mehr herstellbar ist. Insgesamt deckt sich damit der Kreis schutzbegünstigter Entitäten im Vorwirkungskonzept vollständig mit dem Kreis der subjektiv Berechtigten im früheren Grundrechtsträgerkonzept. Mit anderen Worten: Alle voll entwicklungsfähigen extrakorporalen Entitäten sind entweder zugleich Grundrechtsträger aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG oder zugleich Vorwirkungsdestinatäre aus beiden Grundrechten – tertium non datur. 3. Kritik am Vorwirkungskonzept zu Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG So einleuchtend diese Konstruktion grundrechtlicher Vorwirkungen als an die Potentialität anknüpfende nicht-reziproke Schutzpflichten aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG sein mag, liegen doch zwei grundsätzliche Einwände auf 65 A. A. Kloepfer, JZ 2002, 417, 421; Rosenau, Streit um das Klonen, in: Schreiber/ Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 135, 150.

264

4. Kap.: Das Vorwirkungskonzept

der Hand, die es im Sinne eines Advocatus Diaboli zunächst zu entwickeln gilt, bevor anschließend eine Widerlegung versucht wird. a) Grundrechtsvorwirkungen ohne spätere Grundrechtsträgerschaft? Der erste grundsätzliche Einwand gegen das Vorwirkungskonzept könnte in etwa so formuliert werden: Grundrechtsvorwirkungen leiten sich schon begrifflich von einer späteren Grundrechtsberechtigung ab. Wie aber lassen sich solche Vorwirkungen noch sinnvoll begründen, wenn es, wie bei den meisten der hier relevanten Anwendungskonstellationen humaner Biotechnologie, einen späteren Grundrechtsträger niemals geben soll bzw. geben wird? Hängen so verstandene Vorwirkungen dann nicht vollständig im luftleeren Raum, da ihnen ihr eigentlicher Bezugspunkt fehlt? Zu dieser Kritik ist anzumerken, daß in der Tat aus vielen der hier interessierenden extrakorporalen Entitäten, so etwa den Zellkerntransferklonen (oben § 3), kein späterer Grundrechtsträger hervorgehen soll bzw. hervorgehen wird. Gleichwohl hängen damit die für diese Entitäten relevanten Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG noch keineswegs „in der Luft“. Denn mit der bereits gegebenen Potentialität, an die das Vorwirkungskonzept anknüpft, ist schon in der Gegenwart ein ausreichender normativer Bezugspunkt gegeben, der auf eine darin angelegte Grundrechtsträgerschaft verweist. Solche Vorwirkungen i. e. S. unterscheiden sich also fundamental von den oben erläuterten Vorwirkungen i. w. S. (Nachweltschutz), die sich auf rein fiktive künftige Grundrechtsträger beziehen und von diesen grundrechtliche Vorwirkungen für die Gegenwart ableiten.66 Bei entwicklungsfähigen extrakorporalen Entitäten ist hingegen bereits ein auf die Grundrechtsträgerschaft ausgerichteter objektiver Entwicklungsprozeß angestoßen, der von der Verfassung eigens geschützt werden kann, unabhängig davon, ob hieraus tatsächlich einmal ein Grundrechtsträger entsteht oder nicht. Michael Kloepfer faßt diesen Befund zutreffend so zusammen: „Der grundrechtliche Lebensschutz für in vitro erzeugte Embryonen erfaßt an sich alle Embryonen, gleich ob diese für Zwecke der Schwangerschaft oder . . . für sonstige Zwecke (etwa der Forschung) erzeugt werden. Der verfassungsrechtliche Lebensschutz von Embryonen setzt grundsätzlich daran an, ob sich hieraus ein Mensch entwickeln kann, nicht daran, ob sich daraus ein Mensch entwickeln soll.“67

66

Siehe oben § 12 A. Kloepfer, JZ 2002, 417, 421 (Hervorh. im Original). Zur Irrelevanz der Intentionalität auch W. Heinz, Der gesetzliche Embryonenschutz in Deutschland nach gegenwärtigem und künftigem Recht, in: D. Lorenz (Hrsg.), Rechtliche und ethische Fragen der Reproduktionsmedizin, 2003, S. 190, 199; D. Lorenz, Die verfassungsrechtliche 67

§ 12 Theoretische Begründung

265

b) Grundrechtsvorwirkungen als willkürliche Aufspaltung der einheitlichen Menschentwicklung? Einem zweiten grundsätzlichen Einwand gegen das Vorwirkungskonzept ist demgegenüber wesentlich schwieriger zu begegnen. Gemeint ist die Tatsache, daß mit der Annahme von Grundrechtsvorwirkungen einerseits und späterer Grundrechtsträgerschaft andererseits der eine menschliche Entwicklungsprozeß zwangsläufig in zwei grundrechtsdogmatisch völlig unterschiedlich bewertete Phasen aufgespalten wird. Vertreter des Grundrechtsträgerkonzepts könnten und müßten hier einwenden, daß damit in die Entwicklung des individuellen Menschen ein „Loch gerissen würde“68, anstatt die eine ungeteilte Entwicklung dieses Individuums auch normativ einheitlich zu behandeln. Entpuppt sich damit das ganze Vorwirkungskonzept zu extrakorporalem Leben nicht letztlich als willkürliche, rein ergebnisorientierte Zweckkonstruktion? Diese Fundamentalkritik, wäre sie denn berechtigt, müßte das Vorwirkungskonzept wirklich ins Mark treffen. Als Ausgangspunkt für eine Erwiderung soll deshalb der in der Kritik formulierten These, die ungeteilte menschliche Entwicklung müsse in allen Phasen normativ einheitlich behandelt werden, die Gegenthese gegenübergestellt werden, daß eine unterschiedliche normative Behandlung verschiedener Entwicklungsphasen des Menschen nicht nur zulässig, sondern sogar geboten ist. Zur Begründung dieser Gegenthese sei zunächst noch einmal an das bei der Erläuterung der Konklusionskritik am Potentialitätsargument im Grundrechtsträgerkonzept (Kritik an der normativen Gleichsetzung von Potentialität und Aktualität) angestellte Gedankenexperiment erinnert, das eine intuitiv empfundene Scheu vor einer normativen Gleichsetzung beider Modalstufen ergab: Gegenübergestellt wurden einerseits eine einzelne in vitro kultivierte Zelle aus einem menschlichen Frühembryo und andererseits ein gerade geborener Säugling. Um entscheiden zu können, ob die Einzelzelle im Sinne des Grundrechtsträgerkonzepts womöglich Grundrechtsträger war, reichte allein die morphologische Wahrnehmung ihrer aktualen Existenzform (Zelle) nicht aus. Zwingend hinzukommen mußte vielmehr das Wissen darum, ob die Zelle entwicklungsbiologisch totipotent war oder nicht, was sich – wenn überhaupt – nur nach molekulargenetischer Untersuchung durch einen Biologen ermitteln ließ. Erst wenn ihre Totipotenz feststand, konnte zu der nicht aussagekräftigen gegenwärtigen Existenzform ein zukünftiger Entwicklungszustand (adulte Vollgestalt) hinzugedacht werden, um die Grundrechtsträgerschaft für die EmbryonalGarantie der Menschenwürde und ihre Bedeutung für den Schutz menschlichen Lebens vor der Geburt, ZfL 2001, 38, 43. 68 So eine von Böckenförde (JZ 2003, 809, 812) in anderem Zusammenhang gebrauchte Formulierung.

266

4. Kap.: Das Vorwirkungskonzept

zelle zu begründen. Stellte sich durch die Untersuchung hingegen heraus, daß die Zelle nur pluripotent war, schied die Annahme einer Grundrechtsträgerschaft aus, weil dieser zukünftige Entwicklungszustand gedanklich entfiel. – Ganz anders verhielt es sich dagegen beim gerade geborenen Säugling: Hier reichte offensichtlich schon die unmittelbare Wahrnehmung seiner gegenwärtigen Existenzform aus, um ihm gemäß der abendländischen Rechtstradition das umfassende Lebensrecht und die Menschenwürdegarantie der Verfassung zuzubilligen. Sein zukünftiges Entwicklungspotential war für seinen Grundrechtsstatus hingegen völlig irrelevant. Ja, selbst wenn man gewußt hätte, daß der Säugling aufgrund einer angeborenen Stoffwechselstörung in der nächsten Minute sterben würde und damit sein Entwicklungspotential nahe null wäre, hätte dies an seiner bis zu diesem Zeitpunkt bestehenden Grundrechtsträgerschaft überhaupt nichts geändert. Zwischen der Bewertung eines aktualen und eines nur potentiellen Entwicklungszustands bestanden somit bereits intuitiv so signifikante Unterschiede, daß die Vorstellung einer normativ gleichwertigen Entwicklung des Menschen in all seinen Existenzphasen zumindest zweifelhaft erschien. Eine ganz ähnliche Beobachtung ergibt sich auch bei dem Versuch einer normativen Klassifizierung von begrenzt entwicklungsfähigen Laborartefakten nach Schöler (oben § 4), also von Entitäten, denen bei ihrer Erzeugung eine genetische „Entwicklungsbremse“ eingebaut wurde, welche z. B. eine Nidation definitiv verhindert und zum frühen Untergang führt. Bekanntlich ließen sich bei der verfassungsrechtlichen Bewertung dieser Laborartefakte nach dem Grundrechtsträgerkonzept zwei divergierende Positionen formulieren: Einerseits konnten diese „Knock-out-Embryonen“ als Menschen mit extrem verkürzter Lebensdauer, sozusagen als menschliche „Eintagsfliegen“ angesehen werden, denen nicht anders als allen übrigen Menschen der volle subjektivrechtliche Grundrechtsschutz aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG zustehen sollte. Zur Begründung dieser Auffassung wurde vorgetragen, ein solches Laborartefakt sei doch nichts anderes als ein Embryo mit extrem kurzer Lebensdauer und deshalb in gleicher Weise schutzwürdig; schließlich komme ja auch keiner auf die Idee, jemandem den subjektiven Grundrechtsschutz abzusprechen, der durch einen manipulativen Eingriff im vierten Schwangerschaftsmonat oder vierten Lebensjahr sterbe.69 Wegen des hierin zum Ausdruck kommenden defizitären Potentialitätsverständnisses, des Auseinanderfallens von Totipotenz und Potentialität, der nicht mehr bewältigbaren Abgrenzungsprobleme (etwa zu pluripotenten ES-Zellen) sowie letztlich der Auflösung des rechtlichen Embryobegriffs wurde diese Sichtweise aber als nicht systemkonform abgelehnt.70 69 Nationaler Ethikrat, Klonen, Position A, S. 57 f. Ähnlich W. Kluth, Stellungnahme zu Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“. Fragenkatalog zur nichtöffentlichen Anhörung „Neuere Entwicklungen in der Stammzellforschung“, 2003 (www.bundestag.de), S. 15 f. 70 Vgl. oben § 9 A. III. 2. c) cc).

§ 12 Theoretische Begründung

267

Die andere systematisch stimmigere Position im Sinne des Grundrechtsträgerkonzepts billigte derartigen Entitäten gerade wegen ihrer Entwicklungsbeschränkung und damit Fehlens eines für die normative Gleichsetzung mit geborenen Menschen notwendigen „Telos“ keine Grundrechtsträgerschaft bei Art. 2 II 1 Alt. 1 und Art. 1 I GG mehr zu. Es handelte sich danach eben nicht um „Embryonen mit extrem kurzer Lebensdauer“, sondern um Nicht-Embryonen, für die eine subjektive Grundrechtsberechtigung von vornherein nicht in Betracht kam.71 – Wenn dies richtig ist, wie soll das Grundrechtsträgerkonzept dann aber mit Entitäten umgehen, bei denen definitiv feststeht, daß sie sich z. B. aufgrund chromosomaler Defekte nur bis zur Geburt entwickeln können bzw. bald nach der Geburt sterben werden?72 Wären diese Entitäten wegen der a priori beschränkten Entwicklungsfähigkeit dann ebenso wie die Schölerschen Laborartefakte keine Grundrechtsträger mehr? Zusammen mit dem eingangs erwähnten Gedankenexperiment führt das hiermit angedeutete Dilemma des Grundrechtsträgerkonzepts beinahe zwangsläufig zu der Überlegung, daß es zulässig, ja sogar geboten sein könnte, in der einheitlichen biologischen Entwicklung des Menschen normativ einen Zeitpunkt zu bestimmen, ab dem es für die Zuerkennung der Grundrechtsträgerschaft aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG auf eine weitere Entwicklungsfähigkeit, mithin auf Potentialität, gar nicht mehr ankommt.73 Genau dies versucht aber das Vorwirkungskonzept, indem es für die vor diesem Zeitpunkt liegende Phase einen an die Potentialität anknüpfenden vorbeugenden Schutz und für die Phase danach eine Grundrechtsträgerschaft propagiert. Die von den Kritikern beklagte normative Differenzierung dieses Modells nach Entwicklungsphasen erscheint damit weniger als willkürliche Setzung denn als Versuch, auf die durch neue 71 Vgl. Reich, ZMedEthik 50 (2004), 115, 124; Bormann, ThPh 79 (2004), 218, 230; Nationaler Ethikrat, Klonen, Position B, S. 73. 72 Ein Beispiel für eine solch begrenzte Entwicklungsfähigkeit wäre etwa die seltene Chromosomenaberration der Trisomie 13 (= Pätau-Syndrom), die bei allen männlichen Betroffenen spätestens bis zum fünften Lebensjahr zum Tod führt (W. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 260. Aufl. 2004, S. 1849). 73 Gemäß abendländischer Rechtstradition könnte dieser Zeitpunkt die Geburt des Menschen sein. Zu dieser Tradition K. Braun, Menschenwürde und Biomedizin, 2000, S. 59 ff.; Denninger, KritV 2003, 191, 206; Dreier, ZRP 2002, 377, 378 ff. und 381 („kategoriale Differenz zwischen geborenen Menschen und dem ungeborenen Leben“); Enders, Jura 2003, 666, 672; ders., ZRph 2003, 126, 133; V. Gerhardt, Der Mensch wird geboren, 2001, S. 40 ff.; ders., Die angeborene Würde des Menschen, 2004, S. 116 ff.; Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 64 ff. Zu Habermas siehe auch oben § 10 B. II. 1. a). Die kulturhistorisch fundamentale Zäsur der Geburt wird auch bei einem Blick auf die Geschichte des Abtreibungsverbots deutlich, vgl. dazu G. Jerouschek, Lebensschutz und Lebensbeginn. Kulturgeschichte des Abtreibungsverbots, 1988, S. 275: „Die Entwicklungsgeschichte des modernen Abtreibungsverbots [läßt, T. H.] keinen Zweifel daran, daß ihm zuvörderst angelegen war, den möglichst ungestörten Werdegang vom fötalen zum menschlichen Leben nach der Geburt zu gewährleisten, ohne daß beide Leben in eins zu setzen wären.“ (Hervorh. T. H.).

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4. Kap.: Das Vorwirkungskonzept

biotechnologische Entwicklungen bedingten Fragen (Umgang mit begrenzt entwicklungsfähigen Entitäten) eine adäquate Antwort zu finden. Die weiteren Überlegungen zu den Parametern bei den Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG werden im übrigen zeigen, daß das damit zwangläufig „gerissene Loch“ in der normativen Bewertung menschlichen Lebens durch ein gradualistisches Schutzkonzept weit weniger groß ist, als es zunächst den Anschein hat.

§ 13 Praktische Anwendung des Vorwirkungskonzepts Nach der theoretischen Analyse soll nun wie beim Grundrechtsträgerkonzept (oben § 10) die praktische Anwendung des Vorwirkungskonzepts im Mittelpunkt stehen, also die Frage, welche einfachrechtlichen Regelungen zu zentralen Fragen humaner Biotechnologie sich aus dem Modell ergeben müßten. Auch diesmal handelt es sich also um den Versuch einer Verfassungskonkretisierung oder „Durchdeklinierung“ einer zuvor theoretisch explizierten Idee, wobei hier insbesondere die Unterschiede zum vorher untersuchten Grundrechtsträgerkonzept von Interesse sind. Dementsprechend werden wie in § 10 zunächst die verfassungsrechtlichen Parameter für die Umsetzung herausgearbeitet (dazu nachfolgend A.), bevor im zweiten Schritt einzelne Anwendungskonstellationen in den Blick genommen werden (dazu nachfolgend B.). Bei letzterem erweist es sich wieder als sinnvoll, systematisch zwischen mehreren Grundtypen von Anwendungskonstellationen zu differenzieren, die sich diesmal am Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein einer vorwirkungsbegünstigten extrakorporalen Entität orientieren.

A. Verfassungsrechtliche Parameter für die praktische Anwendung des Vorwirkungskonzepts I. Verfassungsrechtliche Parameter zu Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG gewährleisten entwicklungsfähigen extrakorporalen Entitäten als ihren Begünstigten (Destinatären) einen biologisch-physischen Entstehensschutz, d. h. einen Schutz ihrer durch die Potentialität in Gang gesetzten Entwicklung zum Menschen.74 Der Sache nach bedeutet dieser Entstehensschutz nichts anderes als eine Bewahrung extrakorpo74 Vgl. Gruber, Vom Kontinuum, in: Karafyllis, Biofakte, S. 131, 152 (Schutz des ungehinderten Wachstums).

§ 13 Praktische Anwendung

269

raler Entitäten vor Vernichtung, womit sich die Schutzrichtung im wesentlichen mit der entsprechenden Gewährleistungsdimension von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG im Grundrechtsträgerkonzept deckt.75 Da im Gegensatz zu letzterem diesmal aber kein subjektiv-berechtigter Grundrechtsträger existiert, kann sich der aus den Vorwirkungen von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG resultierende Vernichtungsschutz in seiner Ranghöhe nicht mehr am Lebensschutz für geborene Menschen orientieren – mit anderen Worten: Eine Ranghöhedebatte, wie sie für das Grundrechtsträgerkonzept charakteristisch war,76 macht hier von vornherein keinen Sinn. Die Zugrundelegung abweichender Parameter für den vorwirkenden Vernichtungsschutz aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG ergibt sich vielmehr zwingend aus der Logik des eigenen Ansatzes, geht dieser doch durchgängig von einer normativen Nichtgleichbehandlung potentieller und aktualer Seinsformen aus. Aus eben diesem Grund kann auch der Gesetzesvorbehalt des Art. 2 II 3 GG hier keine Geltung beanspruchen; denn dieser ist schon von seinem Wortlaut („In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.“) primär auf eine subjektive Rechtsträgerschaft zugeschnitten. Dem Vorgehen Michael Kloepfers, der den Gesetzesvorbehalt des Art. 2 II 3 GG als Grundrechtsschranke unreflektiert auch auf den vorwirkenden Lebensschutz anwendet,77 sollte deshalb aus systematischen Gründen nicht gefolgt und statt dessen versucht werden, die verfassungsrechtlichen Parameter für Vorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG unabhängig von der Eingriffsdogmatik des Art. 2 II 3 GG zu bestimmen. Doch wie könnten diese dann im einzelnen aussehen? Wie Udo Di Fabio hierzu zutreffend bemerkt hat, ist der vorwirkende Lebensschutz für extrakorporale Entitäten „weit weniger rigoros als der subjektive Lebensschutz aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG“.78 Im Sinne der Potentialitätsargumentation liegt es nahe, seinen Umfang mit dem Heranwachsen der extrakorporalen Entität ansteigen zu lassen, d. h. den vorwirkenden Lebensschutz proportional zum jeweils erreichten Entwicklungsstadium des werdenden Menschen auszugestalten:79 Je mehr sich die extrakorporale Entität also noch im Stadium der Potentialität befindet, um so geringer fällt der vorwirkende Lebensschutz aus; je näher sie in ihrer Entwicklung hingegen an den Status der Aktualität, d. h. vorliegend der Grundrechtsträgerschaft, heranreicht, desto größere Schutzwirkungen kommen ihr aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG zu. In Position B der Stellungnahme des Nationalen Ethikrats zum Klonen (2004) klingt diese Konsequenz so:

75 76 77 78 79

Siehe oben § 10. A. I. 1. Siehe oben § 10. A. I. 2. Kloepfer, JZ 2002, 417, 421. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 2 II Rdnr. 29. So z. B. Kloepfer, JZ 2002, 417, 420 f.

270

4. Kap.: Das Vorwirkungskonzept

„Im einzelnen gestaltet sich die Rechtslage dabei so, daß das vorgeburtliche Leben seinem Wachstum entsprechend schrittweise zunehmenden, gleichsam gradualistischen Schutz durch die Rechtsordnung genießt. Je näher der Zeitpunkt der Geburt rückt, desto stärker wiegt der Schutz des Ungeborenen; je ferner der Zeitpunkt liegt, desto geringer fällt der Schutz aus.“80

Im Ergebnis führen grundrechtliche Vorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG damit bei vorgeburtlichem menschlichem Leben zu einem gradualistischen Lebensschutzkonzept (Konzept des anwachsenden Lebensschutzes). Ein solches gradualistisches Lebensschutzkonzept wurde in der verfassungsrechtlichen Literatur zwar des öfteren propagiert, jedoch selten dogmatisch begründet und zumeist nur als empirische Beobachtung dem vorhandenen einfachen Recht unterlegt.81 II. Verfassungsrechtliche Parameter zu Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 1 I GG – die zweifache Schutzdimension zugunsten des werdenden Subjekts Etwas schwieriger sind demgegenüber die verfassungsrechtlichen Parameter der Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 1 I GG zu bestimmen. Dies liegt vor allem daran, daß solche Vorwirkungen im Gegensatz zu jenen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG, wo es allein um einen Erhaltungsschutz biologisch-physischer Entwicklungschancen ging, offenbar mehrdimensional ausgestaltet sind. Unter dem Schutz der „werdenden Subjektqualität“ lassen sich nämlich zwei unterschiedliche Aspekte subsumieren: 1. Schutz des künftigen Subjekts durch Vorwirkungen aus Art. 1 I GG Zum einen beziehen sich Vorwirkungen der Menschenwürde auf den Schutz des künftigen Menschen in seiner in Zukunft gegebenen Subjektqualität. In dieser Dimension gewährleistet Art. 1 I GG z. B. einen umfassenden Schutz vor genetischen Manipulationen extrakorporaler Entitäten im Embryonalstadium, die zur Gefährdung der Subjektstellung der aus ihnen potentiell hervorgehenden Menschen führen.82 Systematisch gehören solche Vorwirkungen der verfas80

Nationaler Ethikrat, Klonen, Position B, S. 76 (Hervorh. T. H.); ähnlich ders., Genetische Diagnostik, Votum für begrenzte Zulassung der PID, S. 124. 81 Vom Vorwurf mangelhafter dogmatischer Begründung seines gradualistischen Lebensschutzkonzepts ist auch Horst Dreier (z. B. ZRP 2002, 377) nicht ganz freizusprechen. Zur entsprechenden Kritik siehe etwa Beckmann, ZRP 2003, 97, 101, oder Hoerster, JuS 2003, 529, 530. Zu vergleichbaren gradualistischen Lebensschutzkonzepten in den Ethikwissenschaften vgl. Clausen, Zelltherapie, in: Maio/Just, Forschung an embryonalen Stammzellen, S. 196, 204 f., sowie Knoepffler, Menschenwürde, S. 76 ff. Für ein gradualistisches Lebensschutzkonzept spricht sich auch Habermas (Zukunft der menschlichen Natur, S. 130 f.) aus.

§ 13 Praktische Anwendung

271

sungsrechtlichen Menschenwürdegarantie eigentlich zum in § 10 dargestellten objektiv-rechtlichen Vorsorgeprinzip zugunsten künftiger Grundrechtsträger.83 Weswegen sie gleichwohl hier mitbehandelt werden, liegt an der Besonderheit, daß im Gegensatz zur klassischen Konstellation, wo der „vorsorgende“ Schutz künftiger Grundrechtsträger nur so lange relevant war, wie noch keine entwicklungsfähige extrakorporale Entität existierte, diese Entität diesmal schon vorliegt und der zukunftsorientierte Vorsorgeschutz gleichsam als Vorwirkung fortbesteht. Diese Besonderheit ergibt sich zwangsläufig aus dem konstruktiven Ansatz des Vorwirkungsmodells selbst: Während beim Grundrechtsträgerkonzept mit Entstehung der extrakorporalen Entität schon der Substanzschutz aus Art. 1 I GG einsetzen und den Grundrechtsträger vor subjektgefährdenden Behandlungen bewahren konnte, müssen beim Vorwirkungskonzept die Zwischenphasen zwischen Entstehung der Entität und Einsetzen der Grundrechtsträgerschaft überbrückt und hierfür „vorsorgende“ Schutzdimensionen zugunsten des späteren Grundrechtsträgers fortgeschrieben werden. Hinsichtlich der Intensität dieser zukunftsgerichteten Schutzdimension der Vorwirkungen aus Art. 1 I GG gilt folgendes: Da sich diese Vorwirkungen ausschließlich auf das spätere Subjekt beziehen, kann ihr Umfang nicht vom gegenwärtigen Entwicklungsstadium der extrakorporalen Entität abhängig gemacht werden. Dies bedeutet jedoch nichts anderes, als daß eine die künftige Subjektstellung gefährdende Behandlung durch Vorwirkungen von Art. 1 I GG in jedem Fall ausgeschlossen bleibt, gleichgültig, in welchem Entwicklungsstadium diese erfolgt. 2. Schutz des werdenden Subjekts durch Vorwirkungen aus Art. 1 I GG Mit dieser ersten Schutzdimension zugunsten des künftigen Subjekts erschöpfen sich Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 1 I GG jedoch noch nicht. Ihre eigentliche Wirkung bei extrakorporalem menschlichem Leben entfaltet die verfassungsrechtliche Menschenwürdegarantie nämlich auch schon zugunsten des im Beurteilungszeitpunkt existenten werdenden Subjekts. Im Gegensatz zur ersten Kategorie richtet sich der Blick also diesmal nicht auf die Zukunft (künftiges Subjekt), sondern auf die Gegenwart und setzt bereits dort einem „verdinglichenden“ Umgang mit dem werdenden Subjekt Grenzen. Da dessen Subjektqualität aber noch nicht voll ausgebildet, sondern erst im Entstehen begriffen ist, kann diese zweite Schutzdimension der Vorwirkungen aus Art. 1 I GG nicht in gleicher Intensität wie bei subjektiv-berechtigten Grundrechtsträgern ausgestaltet sein. Parallel zu den bereits behandelten Vorwirkungen des 82 Vgl. zu diesem Aspekt Wahl, Humangenetik, in: Barcellona/Carrino, I diritti umani, S. 301, 331; Schütze, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 5 (2000), 305, 323. 83 Siehe oben § 10 B. II. 1. b).

272

4. Kap.: Das Vorwirkungskonzept

Art. 2 II 1 Alt. 1 GG (gradualistisches Lebensschutzkonzept) erscheint es daher geboten, den Umfang solcher Vorwirkungen aus Art. 1 I GG zugunsten des werdenden Subjekts dem erreichten Entwicklungsstadium der Entität anzupassen und insoweit von einem anwachsenden Menschenwürdeschutz auszugehen. Dies bedeutet wiederum, daß der vorwirkende Schutz aus Art. 1 I GG um so geringer ausfällt, je weiter die Entität noch vom vollen Subjektstatus entfernt ist; befindet sie sich hingegen näher an diesem Status, kommen ihr entsprechend größere Schutzwirkungen aus Art 1 I GG zu. Jörn Ipsen formuliert diesen entwicklungsabhängigen Menschenwürdeschutz wie folgt: „Da Rechtssubjekt der Menschenwürde allein der geborene Mensch ist, muß der Schutz des Embryos mit fortschreitender Entwicklung – und damit wachsender Menschenähnlichkeit – an Intensität zunehmen.“84

Als Ergebnis favorisiert das Vorwirkungskonzept damit auch bei Art. 1 I GG einen an die Potentialität geknüpften gradualistischen Würdeschutz für entwicklungsfähige extrakorporale Entitäten, der im Gegensatz zur Menschenwürdegarantie im Grundrechtsträgerkonzept nicht der Unantastbarkeitsklausel des Art. 1 I 1 GG unterfällt, sondern abwägungsoffen ist.85 Dieser abwägungsoffene vorwirkende Menschenwürdeschutz setzt keine absoluten Schranken für kollidierende Grundrechte, sondern eröffnet im Rahmen der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative Spielräume für die normative Gestaltung des einfachen Bioethikrechts. In seinen Konsequenzen gleicht das Vorwirkungsmodell zu Art. 1 I GG damit dem gestuften Menschenwürdekonzept von Matthias Herdegen,86 das bereits im Rahmen der früheren Abwägungsdebatte diskutiert (und in seiner Argumentation verworfen) wurde.87 Um den Unterschied beider Ansätze hier nochmals deutlich zu machen: Während Herdegen die Auffassung vertrat, ein entwicklungsgeprägter Menschenwürdeschutz ließe sich als Resultat einer abwägenden Gesamtbetrachtung mit einem subjektiven Würdeanspruch extrakorporaler Entitäten vereinbaren,88 basiert das Vorwirkungskonzept gerade auf der Ablehnung eines solchen subjektiven Würdeanspruchs extrakorporaler Entitäten und bemißt den Umfang des ihnen als Destinatäre zukommenden Schutzes aus Art. 1 I GG allein am Verwirklichungsgrad des bereits in Entstehung befindlichen Subjekts.

84 Ipsen, JZ 2001, 989, 994. Ähnlich Kloepfer, JZ 2002, 417, 420, sowie Lorenz, ZfL 2001, 38, 45. 85 Ipsen, DVBl. 2004, 1381, 1384; Kloepfer, JZ 2002, 417, 422. Zur Abwägungsoffenheit vorwirkenden Würdeschutzes allgemein Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2005) Rdnr. 76. 86 Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2005) Rdnr. 65; ders., JZ 2001, 773, 774; ders., Würdeanspruch des Embryos, in: Söllner/Gitter u. a., Gedächtnisschrift Heinze, S. 357, 363. 87 Siehe oben § 10 A. II. 2. 88 Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2005) Rdnr. 65.

§ 13 Praktische Anwendung

273

B. Praktische Anwendung des Vorwirkungskonzepts anhand dreier Grundtypen von Anwendungskonstellationen Nach Herausarbeitung dieser „Vorwirkungsparameter“ von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG für die rechtspraktische Umsetzung können nun die einzelnen Problemkomplexe humaner Biotechnologie näher in den Blick genommen werden. Um eine möglichst optimale Vergleichbarkeit von Vorwirkungs- und Grundrechtsträgerkonzept zu gewährleisten, werden dabei im folgenden dieselben Anwendungskonstellationen wie beim Grundrechtsträgerkonzept (oben § 10) zugrunde gelegt und diesen die neuen Antworten des Vorwirkungskonzepts gegenübergestellt. Zu unterscheiden sind also wiederum ein Grundtyp 1, bei dem eine vorwirkungsbegünstigte extrakorporale Entität schon vorliegt, ein Grundtyp 2, bei dem diese noch nicht vorliegt, sowie ein Grundtyp 3, bei dem sie nicht mehr vorliegt. Alle sich daraus ergebenden Anwendungskonstellationen im einzelnen lassen sich der Übersicht 16 (S. 274) entnehmen. I. Anwendungskonstellationen, bei denen eine vorwirkungsbegünstigte extrakorporale Entität schon vorliegt (Grundtyp 1) 1. Umgang mit „überzähligen“ Entitäten aus künstlicher Befruchtung Für die erste Anwendungskonstellation des Grundtyps 1, den Umgang mit „überzähligen“ Entitäten aus künstlicher Befruchtung, wurde als verfassungskonforme Lösung des früheren Grundrechtsträgerkonzepts vorgeschlagen, zunächst ein erstes Moratorium festzulegen, in dem die genetische Mutter den Embryo noch nachträglich annehmen kann, ihn anschließend während eines zweiten Moratoriums zur Präimplantationsadoption freizugeben und als dritten Schritt schließlich sein Sterbenlassen gesetzlich vorzusehen (sog. doppelte Moratoriumslösung). Eine verbrauchende Forschung an „überzähligen“ Embryonen blieb hingegen als Verstoß gegen das subjektive Lebensrecht (Art. 2 II 1 Alt. 1 GG) und die subjektiv-rechtliche Menschenwürde (Art. 1 I GG) dieser Entitäten auf jeden Fall ausgeschlossen.89 Das hier behandelte Vorwirkungskonzept muß demgegenüber einen anderen Weg gehen: Nach seinem Ansatz sind „überzählige“ Embryonen keine Grundrechtsträger, sondern profitieren für die gesamte Dauer ihrer Existenz allein vom vorwirkenden Grundrechtschutz aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG. Entsprechend den herausgearbeiteten Anwendungsparametern (gradualistisches Lebensschutz- bzw. Menschenwürdekonzept) sind solche Vorwirkungen

89

Siehe oben § 10 B. I. 1.

Umgang mit geklonten Entitäten

PID durch Entnahme pluripotenter Zellen

Klonen zu therapeutischen, diagnostischen und reproduktiven Zwecken

Herstellung von „Forschungsentitäten“ durch künstliche Befruchtung

vorwirkungsbegünstigte vorwirkung chtigte extrakorporale Entität noch nicht vorhanden

Import und Verwendung pluripotenter ES-Zellen

vorwirkungsbegünstigte vorwirkung chtigte extrakorporale Entität nicht mehr vorhanden

Übersicht 16: Die drei Grundtypen rechtspraktischer Anwendungskonstellationen des Vorwirkungskonzepts90

Umgang mit „überzähligen“ Entitäten aus künstlicher Befruchtung

vorwirkungsbegünstigte vorwirkungsberechtigte extrakorporale Entität schon vorhanden

vorwirkungsbegünstigte vorwirkungsberechtigte extrakorporale Entität

274 4. Kap.: Das Vorwirkungskonzept

§ 13 Praktische Anwendung

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dabei in der frühesten Entwicklungsphase extrakorporalen Lebens noch am geringsten ausgeprägt.91 Da bei „überzähligen“ Entitäten allein diese Vorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG z. B. mit dem konkurrierenden Grundrecht der Forschungsfreiheit (Art. 5 III GG) abgewogen werden müssen, bleibt dem Gesetzgeber ein Regelungsspielraum, den er für die Zulassung einer hochrangigen und alternativlosen Embryonenforschung nutzen kann.92 Für die detaillierte gesetzliche Ausgestaltung dieser limitierten Forschungsmöglichkeit könnte man sich etwa am Stammzellgesetz (z. B. an § 5 StZG für die Kriterien der Hochrangigkeit und Alternativlosigkeit der Forschung oder an § 6 StZG für das verwaltungsrechtliche Genehmigungsverfahren), aber auch am schweizerischen Stammzellenforschungsgesetz (StFG)93, das eine eingeschränkte Nutzung „überzähliger“ Embryonen zur Stammzellgewinnung zuläßt, orientieren. 2. Umgang mit geklonten Entitäten Beim Umgang mit geklonten extrakorporalen Entitäten, der zweiten Anwendungskonstellation des Grundtyps 1, ergab die Analyse des Grundrechtsträgerkonzepts bekanntlich die eindeutige Verfassungswidrigkeit des derzeit geltenden totalen Transferverbots (§ 6 II ESchG) wegen Verstoßes gegen das subjektive Lebensrecht dieser Klone aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG.94 Im Vorwirkungskonzept stellt sich die verfassungsrechtliche Situation wiederum anders dar: So sind klonierte Entitäten unabhängig von der Art der Klontechnik zwar einerseits Destinatäre des vorwirkenden Lebensschutzes aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG, was zunächst gegen ein absolutes Transferverbot spräche. Andererseits kommt bei ihnen im Gegensatz zu Befruchtungsembryonen aber auch die zukunftsgerichtete Vorwirkung von Art. 1 I GG (Schutz des künftigen Subjekts) zum Tragen, die vor Beeinträchtigungen der künftigen Subjektqualität von aus ihnen entstehenden Menschen schützt.95 In diesem Konflikt zwischen 90 Vgl. hierzu die parallele Übersicht 13 beim Grundrechtsträgerkonzept (oben S. 215). 91 Siehe oben § 13 A. I. und § 13 A. II. 2. 92 Kloepfer, JZ 2002, 417, 425 f.; Rosenau, Streit um das Klonen, in: Schreiber/ Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 135, 149 f. Im Ergebnis ebenso Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2005) Rdnr. 107, sowie Schlink, Aktuelle Fragen des pränatalen Lebensschutzes, S. 19 f. Zu weitgehend dagegen Ipsen (JZ 2001, 989, 996), der bei der Forschung an „überzähligen“ Embryonen überhaupt keine verfassungsrechtlichen Beschränkungen anerkennen will. 93 Bundesgesetz der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Forschung an embryonalen Stammzellen (Stammzellenforschungsgesetz – StFG) vom 19.12.2003 (BBl. 2003, S. 8211), dort vor allem Art. 5 ff. 94 Siehe oben § 10 B. I. 2. 95 Siehe oben § 13 A. II. 1. sowie zur Beeinträchtigung der Subjektqualität durch die Klontechnik oben § 10 B. II. 1. b).

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4. Kap.: Das Vorwirkungskonzept

vorwirkendem Lebensschutz und vorwirkender Menschenwürdegarantie ist eine Wertung des Gesetzgebers, die angesichts des entwicklungsbedingt geringgradigen Lebensschutzes die Garantie künftiger Subjektqualität in den Vordergrund stellt und deshalb ein absolutes Transferverbot für geklonte Entitäten vorsieht, nicht von vornherein als verfassungswidrig einzustufen. Kerstin Gröner faßte diesen Grundkonflikt zwischen Lebensschutz und Menschenwürde im Hinblick auf ein allgemeines Klonverbot schon 1991 so zusammen: „Im Falle geklonter Menschen ist ein Leben ohne gleichzeitige Verletzung der Menschenwürde nicht möglich. Daher ist die einzig denkbare Konsequenz aus der Verpflichtung zum Schutz der Menschenwürde, das Leben nicht erst entstehen zu lassen.“96

An diesem Punkt sieht man im übrigen den Unterschied zwischen Grundrechtsträgerkonzept und Vorwirkungskonzept in der rechtspraktischen Umsetzung ganz deutlich: Während ein subjektives Lebensrecht, das nach dem Grundrechtsträgerkonzept geklonten Entitäten in gleicher Weise wie Befruchtungsembryonen zusteht, eine Abwägung zugunsten der Menschenwürde ausschließt, ermöglicht der in seiner Intensität deutlich schwächere Lebensschutz aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG im Vorwirkungskonzept gerade eine solche Abwägung und kann auf diesem Wege auch ein Transferverbot für geklonte Entitäten verfassungsrechtlich legitimieren. 3. Präimplantationsdiagnostik durch Entnahme pluripotenter Zellen Bei der dritten Anwendungskonstellation, der Präimplantationsdiagnostik durch Entnahme pluripotenter Zellen, ergab die Analyse des Grundrechtsträgerkonzepts, daß eine solche Untersuchung angesichts ihres Selektionscharakters mit der Menschenwürdegarantie der schon existierenden Grundrechtsträger nicht in Einklang zu bringen war. Die nach diesem Modell einzig verfassungskonforme Lösung bestand mithin allein in einem absoluten Verbot der Diagnosemethode.97 Totaliter aliter dagegen die verfassungsrechtliche Wertung im Vorwirkungskonzept: Zwar sind bei den mittels Präimplantationsdiagnostik untersuchten extrakorporalen Entitäten erneut Vorwirkungen von Art. 1 I GG relevant, die einem totalinstrumentalisierenden Umgang Grenzen setzen. Diese abwägungsoffenen Vorwirkungen der verfassungsrechtlichen Menschenwürdegarantie stehen hier jedoch im normativen Konflikt mit der z. B. aus Art. 6 I GG ableitbaren Fortpflanzungsfreiheit unfruchtbarer Paare, die auf Verfahren der assistierten 96 Gröner, Klonen, Hybrid- und Chimärenbildung, in: Günther/Keller, Fortpflanzungsmedizin, S. 293, 308. 97 Siehe oben § 10 B. I. 3. b).

§ 13 Praktische Anwendung

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Reproduktion angewiesen sind.98 Bei einem nachweisbar hohen Risiko für eine schwerwiegende genetische Erkrankung ist bei solchen Paaren die Präimplantationsdiagnostik das einzig adäquate Mittel, den Kinderwunsch und damit den Gebrauch grundrechtlicher Freiheit überhaupt zu ermöglichen.99 Es stellt deshalb keine mit der vorwirkenden Menschenwürdegarantie für extrakorporale Entitäten unvereinbare Wertung des Gesetzgebers dar, wenn er die Präimplantationsdiagnostik in solchen eng umgrenzten Konfliktfällen zuläßt. Nur auf diesem Weg könnte im übrigen auch der allseits beklagte und gesellschaftlich kaum mehr vermittelbare Wertungswiderspruch zwischen der derzeitigen Zulässigkeit der Pränataldiagnostik und dem (nach h. M.) bestehenden einfachgesetzlichen Verbot der Präimplantationsdiagnostik beseitigt werden.100 Unabdingbare Voraussetzungen für die nach dem Vorwirkungskonzept mögliche Zulassung der PID wären allerdings die gesetzliche Festlegung eines Katalogs schwerwiegender genetischer Erkrankungen sowie von Kriterien für eine entsprechende Risikobewertung bei betroffenen Paaren. Daß auch nach dem Vorwirkungsmodell eine Präimplantationsdiagnostik allein zu eugenischen Zwecken ausgeschlossen bleibt, ergibt sich neben dem bisher Gesagten auch aus der zukunftsorientierten Schutzdimension der Vorwirkungen aus Art. 1 I GG, die künftige Grundrechtsträger vor einer Beeinträchtigung ihrer Subjektqualität durch „eugenische Selektion“ bewahren muß.101

98 Zum verfassungsrechtlichen Schutz der Fortpflanzungsfreiheit unfruchtbarer Paare durch Art. 6 I GG siehe R. Gröschner, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Band I, 2. Aufl. 2004, Art. 6 Rdnr. 65 f. Nach Höfling (Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 71) umfaßt dieser Schutz auch die Erzeugung genetisch „unbelasteten“ Nachwuchses. 99 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 2 II Rdnr. 31; Kloepfer, JZ 2002, 417, 424. Im Ergebnis ebenso Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2005) Rdnr. 106; Lorenz, ZfL 2001, 38, 47 f.; Schlink, Aktuelle Fragen des pränatalen Lebensschutzes, S. 20. Wiederum zu weitgehend Ipsen (JZ 2001, 989, 995), der die Auffassung vertritt, daß verfassungsrechtliche Gründe für eine Einschränkung der Präimplantationsdiagnostik nicht bestehen, sowie Heun, Menschenwürde und Lebensrecht, in: Gethmann-Siefert/Huster, Recht und Ethik in der Präimplantationsdiagnostik, S. 69, 88 f. 100 Zu diesem Wertungswiderspruch siehe oben § 11. Daß die h. M. zum einfachgesetzlichen Verbot der Präimplantationsdiagnostik im übrigen alles andere als schlüssig ist, wurde in § 10 B. I. 3. a) dargelegt. 101 Zu dieser problematischen Abgrenzung zwischen „negativer“ und „positiver“ Eugenik vgl. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 2 II Rdnr. 31; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2005) Rdnr. 106; Lorenz, ZfL 2001, 38, 48; ferner auch Habermas, Zukunft der menschlichen Natur, S. 41 f.

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4. Kap.: Das Vorwirkungskonzept

II. Anwendungskonstellationen, bei denen eine vorwirkungsbegünstigte extrakorporale Entität noch nicht vorliegt (Grundtyp 2) 1. Klonen zu therapeutischen, diagnostischen und reproduktiven Zwecken Bei der ersten Anwendungskonstellation des Grundtyps 2, dem Klonen, führte die Analyse des Grundrechtsträgerkonzepts zu einem umfassenden Klonverbot. Besser als mit Gattungsschutzerwägungen ließ sich dieses Klonverbot im Anschluß an Jens Kersten mit dem rechtlichen Vorsorgeprinzip begründen, wonach die Klontechnik mindestens in der Variante „einfacher Objektivierung“ die Subjektstellung künftiger Grundrechtsträger (Art. 1 I GG) gefährdete.102 Da nach dem Grundrechtsträgerkonzept alle durch die Klontechnik entstehenden Entitäten als aus Art. 1 I GG subjektiv berechtigt galten, lag es in der Logik dieser Argumentation, auch alle Varianten des Klonens, also das Klonen zu therapeutischen, diagnostischen und reproduktiven Zwecken, als menschenwürdewidrig zu beurteilen. Demgegenüber muß das Vorwirkungskonzept bei der Frage des Klonens zu erheblich differenzierteren Antworten führen: Zwar gilt das umfassende Verbot des Klonens zu reproduktiven Zwecken auch hier, da spätestens mit der Geburt des Klons ein Grundrechtsträger existieren wird, dessen künftige Subjektstellung durch die Fremdzuweisung seiner genetischen Ausstattung („einfache Objektivierung“) gefährdet ist.103 Demgegenüber entsteht beim Klonen zu therapeutischen oder diagnostischen Zwecken mangels Weiterentwicklung bis zur Geburt noch kein in seiner Subjektqualität gefährdeter Grundrechtsträger, sondern „nur“ eine vorwirkungsbegünstigte extrakorporale Entität. Deren vorwirkender Lebensschutz (Art. 2 II 1 Alt. 1 GG) bzw. deren vorwirkende Menschenwürdegarantie (Art. 1 I GG) sind jedoch abwägungsoffen und können deshalb beim Klonen zu therapeutischen Zwecken gegenüber der Forschungsfreiheit (Art. 5 III GG) und beim Klonen zu diagnostischen Zwecken gegenüber der Fortpflanzungsfreiheit (Art. 6 I GG) zurücktreten. Insoweit läßt sich dann auch eine Herstellung solcher Entitäten im Wege der Klontechnik verfassungsrechtlich rechtfertigen.104

102

Siehe oben § 10 B. II. 1. b) sowie Kersten, Klonen, S. 508 und 515. Rosenau, Streit um das Klonen, in: Schreiber/Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 135, 141. 104 Rosenau, Streit um das Klonen, in: Schreiber/Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 135, 152; Ipsen, JZ 2001, 989, 996; ders., DVBl. 2004, 1381, 1384 f. Im Ergebnis ebenso Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2005) Rdnr. 99; Schlink, Aktuelle Fragen des pränatalen Lebensschutzes, S. 20. Zu eng Kloepfer, JZ 2002, 417, 426, sowie Lorenz, ZfL 2001, 38, 48. Zur normativen Konnexität von Erzeugung und Verwendung extrakorporaler Entitäten siehe sogleich unter 2. 103

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Als Ergebnis ergibt sich damit im Vorwirkungskonzept neben einem absoluten Verbot des Klonens zu reproduktiven Zwecken, das es mit dem Grundrechtsträgerkonzept gemeinsam hat, eine begrenzte verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Klonens zu therapeutischen oder diagnostischen Zwecken. Diese notwendige normative Differenzierung anhand der Zielsetzung – mithin einer rein subjektiven Kategorie – bringt das rechtspraktische Folgeproblem mit sich, daß es für die (straf)rechtliche Beurteilung des Klonens allein auf die Täterabsicht im Moment der Herstellung der Klone ankommt (sog. Tendenzdelikt).105 Der damit möglicherweise verbundenen Gefahr einer schleichenden Aushöhlung des Verbots des reproduktiven Klonens läßt sich jedoch durch ein Transferverbot für geklonte Embryonen, wie es bereits der geltenden Rechtslage entspricht (§ 6 II ESchG), wirksam begegnen. Daß ein solches Transferverbot gerade nach dem hier untersuchten Vorwirkungskonzept verfassungsrechtlich zulässig ist, wurde ausführlich dargelegt.106 2. Herstellung von „Forschungsentitäten“ durch künstliche Befruchtung Als letzte Anwendungskonstellation des Grundtyps 2 bleibt noch die gezielte Herstellung extrakorporaler Entitäten für Forschungszwecke im Wege künstlicher Befruchtung zu untersuchen. Nach dem Grundrechtsträgerkonzept galt hier wiederum im Hinblick auf den Schutz der künftigen Subjektstellung dieser Entitäten ein absolutes Herstellungsverbot, das sich normativ nicht vom parallelen Klonverbot, etwa im Kontext des „therapeutischen Klonens“, unterschied.107 Nach dem Vorwirkungskonzept verhält es sich jedoch genau umgekehrt: Wegen des nicht zu gefährdenden künftigen Subjekts und der gleichzeitigen Unmöglichkeit, bei der Herstellung extrakorporaler Entitäten nach der Entstehungsart zu differenzieren, ergibt sich bei Zugrundelegung der gleichen normativen Wertungen wie beim Klonen nur eine einzige logische Folgerung: daß nämlich die Herstellung von „Forschungsentitäten“ durch künstliche Befruchtung verfassungsrechtlich zulässig sein muß.108 Bei diesem Ergebnis handelt es sich wohl um die am schwersten zu verkraftende Konsequenz bei der rechtspraktischen Umsetzung des Vorwirkungskonzepts. Stärker noch als beim „therapeutischen Klonen“ wird nämlich ein allgemeines Unbehagen dagegen empfunden, menschliche Embryonen mittels Fort105 Zu den Tendenzdelikten vgl. Günther, in: Keller/Günther/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, vor § 1 Rdnr. 31 ff. 106 Siehe oben § 13 B. I. 2. 107 Siehe oben § 10 B. II. 2. 108 So auch Ipsen, JZ 2001, 989, 996. Unklar dagegen Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2005) Rdnr. 96. Dreier (in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 100) betont die Abhängigkeit der normativen Bewertung dieser Anwendungskonstellation von der Frage der Grundrechtsträgerschaft.

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4. Kap.: Das Vorwirkungskonzept

pflanzungstechniken zu erzeugen, um sie sogleich wieder für Forschungszwecke zu verbrauchen. Dieses Unbehagen deckt sich mit entsprechenden sozialwissenschaftlichen Umfragen in der Allgemeinbevölkerung, wonach die Verwendung „überzähliger“ Embryonen zu Forschungszwecken weithin als akzeptabel gilt, während die gezielte Herstellung solcher Entitäten meist auf Ablehnung stößt.109 Auch viele ausländische Rechtsordnungen gehen einen solchen Weg, indem sie die Grenze zwischen rechtlicher Zulässigkeit und rechtlichem Verbot bei der Embryonenforschung genau hier ansetzen.110 Von ihrem ethischen Hintergrund basiert diese verbreitete Differenzierung zwischen beiden Verhaltensweisen offenbar auf der Überlegung, daß man, weil man die verbrauchende Embryonenforschung überhaupt für verwerflich hält, im „Einfädeln“ einer solchen Situation noch eine Steigerung der Verwerflichkeit sieht.111 Das Grundrechtsträgerkonzept setzt eine solche Position denn auch konsequent ins Verfassungsrecht um: Da die embryonenverbrauchende Forschung als Verletzung der subjektiven Grundrechte dieser Entitäten aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG angesehen wird, muß auch die vorgelagerte Herstellung solcher Entitäten unzulässig sein, da nur so eine entsprechende Gefährdung künftiger Grundrechtsträger vermieden werden kann. – Demgegenüber teilt das Vorwirkungskonzept schon die Prämisse nicht: Embryonenverbrauchende Forschung stellt gerade keinen Verstoß gegen Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG dar, sondern therapieorientierter Forschung (Art. 5 III GG) wird im Rahmen der Abwägung ganz im Gegenteil ein verfassungsrechtlicher Vorrang eingeräumt.112 Da eine entsprechende Grundrechtsverletzung extrakorporaler Embryonen somit ausscheidet, entfällt auch die verfassungsrechtliche Legitimation für ein vorgelagertes Verbot der Erzeugung solcher „Forschungsentitäten“.113 109 Vgl. Barth/Kufner/Bengel, Ethik Med 17 (2005), 127, 135. Hier wäre übrigens interessant zu sehen, ob sich Ablehnung relativieren würde, wenn man für die Herstellung der „Forschungsentitäten“ anstelle natürlicher Keimzellen künstlich hergestellte Keimzellen – etwa aus embryonalen Stammzellen nach der Schöler-Methode (siehe oben § 4 A.) – verwenden würde. 110 So z. B. die Schweiz (vgl. Art. 119 II c BV sowie Art. 3 I a StFG versus Art. 5 I StFG). Ähnlich auch Art. 18 der Biomedizinkonvention des Europarats vom 4. April 1997 (abgedr. in A. Eser [Hrsg.], Biomedizin und Menschenrechte, 1999, S. 12, 17), der in Abs. 2 ein ausdrückliches Verbot der Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken festschreibt. Zwar betont Herdegen (in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I [2005] Rdnr. 96), daß der Rechtsvergleich insgesamt keine Evidenz in der Ablehnung der Embryoproduktion speziell für wissenschaftlich-therapeutische Zwecke ergebe; ein diesbezüglicher Trend ist aber gleichwohl nicht von der Hand zu weisen. 111 Vgl. zum ethischen Hintergrund eingehend Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 219 ff. 112 Siehe oben § 13 B. I. 1. 113 In der ethischen Bewertung entsprechend Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 225 und 231.

§ 13 Praktische Anwendung

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Bei der vorliegenden Anwendungskonstellation stehen sich also im Ergebnis nur zwei verfassungsrechtlich konsistente Positionen gegenüber: Entweder sind sowohl die Erzeugung als auch der Verbrauch extrakorporaler Entitäten für Forschungszwecke verfassungswidrig (so die Position des Grundrechtsträgerkonzepts), oder beides ist im Rahmen grundrechtlicher Abwägung mit Einschränkungen zulässig (so die Position des Vorwirkungskonzepts). Eine Position, die allein den Verbrauch extrakorporaler Entitäten für zulässig erklärt, die entsprechende Erzeugung solcher Entitäten aber verbietet, ist dagegen verfassungsrechtlich unhaltbar. Auch ethisch ist sie im übrigen weniger das Ergebnis begründeter normativer Reflexion, sondern eher Ausdruck eines diffusen Unbehagens, das Reinhard Merkel wie folgt charakterisiert: „Die verbreitete Auffassung, zwar sei der Verbrauch überzähliger Embryonen zur Forschung akzeptabel, die Herstellung von Forschungsembryonen jedoch nicht, dürfte hauptsächlich auf einem ungeklärten Rest an schlechtem Gewissen beruhen. Und dieser seinerseits hat vermutlich (und nicht verwunderlich) mit der labyrinthischen Verworrenheit der normativen Probleme zu tun, die hier im Spiel sind.“114

III. Anwendungskonstellationen, bei denen eine vorwirkungsbegünstigte extrakorporale Entität nicht mehr vorliegt (Grundtyp 3) Für den letzten Grundtyp von Anwendungskonstellationen wurde in der vorliegenden Arbeit als einziger Anwendungsfall der Import und die Verwendung pluripotenter menschlicher ES-Zellen untersucht. Das Grundrechtsträgerkonzept kam hier zu dem Ergebnis, daß entsprechende Import- und Verwendungsbeschränkungen im Hinblick auf den nachwirkenden Menschenwürdeschutz (Art. 1 I GG) der zur Stammzellgewinnung getöteten Embryonen verfassungsrechtlich legitimierbar waren, wenngleich einige Kautelen des geltenden Stammzellgesetzes (StZG) weit über dieses Ziel „hinausschossen“.115 Von Vertretern des Vorwirkungskonzepts ist nun teilweise versucht worden, diese Konzeption eines nachwirkenden Würdeschutzes ins eigene Modell zu übertragen und damit vergleichbare Import- und Verwendungsbeschränkungen für ES-Zellen weiterhin als verfassungsrechtlich zulässig anzusehen. Nach dieser Auffassung sollen also auch bei pluripotenten menschlichen Stammzellen noch Schutzwirkungen aus Art. 1 I GG relevant sein, da diese immerhin aus totipotenten Zellen bzw. Embryonen entwickelt worden seien.116 – Bei konsequenter Anwendung des Vorwirkungskonzepts ist eine solche Sichtweise jedoch als Systembruch abzulehnen: Wie oben gezeigt wurde, setzen Nachwirkungen aus Art. 1 I GG nämlich stets einen vorher existierenden Grundrechtsträger vor114 115 116

Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 241. Siehe oben § 10 B. III. Kloepfer, JZ 2002, 417, 421 und 427.

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4. Kap.: Das Vorwirkungskonzept

aus, von dem sie sich ableiten können.117 Während im Grundrechtsträgerkonzept mit dem extrakorporalen Embryo ein solches Grundrechtssubjekt vorhanden ist, hat dieses im Vorwirkungskonzept bis zum Moment embryonenverbrauchender Stammzellgewinnung niemals existiert. Der vorwirkende Würdeschutz aus Art. 1 I GG fällt also in sich zusammen, noch bevor er überhaupt entsprechende Nachwirkungen entfalten könnte118 – eine Annahme grundrechtlicher „Nachwirkungen von Vorwirkungen“ wäre schlicht unsinnig. Damit können im Vorwirkungskonzept weder Schutzdimensionen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG noch aus Art. 1 I GG als verfassungsrechtliche Rechtfertigung für eine Beschränkung von Import und Verwendung pluripotenter menschlicher ES-Zellen herhalten.119 Das geltende Stammzellgesetz (StZG), das bereits in § 1 StZG auf den Schutz von Menschenwürde und Lebensrecht rekurriert,120 müßte nach diesem Modell deshalb bereits im Ansatz als verfassungswidrig angesehen werden.121 Bedeutet dies jedoch im Umkehrschluß, daß Einfuhr und Verwendung pluripotenter menschlicher ES-Zellen nach dem Vorwirkungskonzept völlig frei sein müssen und im Hinblick auf die vorbehaltlos gewährte Forschungsfreiheit (Art. 5 III GG) keinerlei verfassungsrechtlichen Beschränkungen unterworfen werden dürften? – Auch eine solche Schlußfolgerung ginge wohl deutlich zu weit: Zwar sind pluripotente ES-Zellen trotz ihrer Herkunft aus vorwirkungsbegünstigten extrakorporalen Entitäten selbst keine Vorwirkungsdestinatäre aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG oder Art. 1 I GG. Als „humanbiologisches Material“ können sie gleichwohl nicht wie einfache Sachen behandelt werden, sondern unterliegen wie andere abgetrennte menschliche Körpersubstanzen einem grundrechtlichen Doppelregime aus Art. 14 I GG (eigentumsrechtliche Dimension) einerseits und Art. 2 I GG (persönlichkeitsrechtliche Dimension) andererseits.122 Bei der Erarbeitung normativer Vorgaben für den Umgang mit solchen 117

Siehe oben § 12 B. II. 2. b). Rosenau, Streit um das Klonen, in: Schreiber/Rosenau u. a., Recht und Ethik, S. 135, 154. 119 Gegen einen Menschenwürdebezug des Stammzellimports auch Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 105. 120 „Zweck dieses Gesetzes ist es, im Hinblick auf die staatliche Verpflichtung, die Menschenwürde und das Recht auf Leben zu achten und zu schützen und die Freiheit der Forschung zu gewährleisten, . . . die Einfuhr und Verwendung embryonaler Stammzellen grundsätzlich zu verbieten . . .“ (Hervorh. T. H.). 121 Entsprechende Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Stammzellgesetzes äußern auch Dreier, in: ders., Grundgesetz I, Art. 1 I Rdnr. 105; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz I, Art. 1 I (2005) Rdnr. 109; Ipsen, DVBl. 2004, 1381, 1383. Ronellenfitsch (in: Eberbach/Lange/Ronellenfitsch, Recht der Gentechnik IV, Einl. StZG, Rdnr. 25) hält das Stammzellgesetz gar für „eklatant verfassungswidrig“. 122 Die persönlichkeitsrechtliche Dimension leitet sich dabei allein von dem oder den früheren menschlichen Zellspender(n) ab. Vgl. zur verfassungsrechtlichen Bewertung humanbiologischen Materials allgemein Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 107 ff., insbes. S. 113, sowie Brohm, JuS 1998, 197, 199 f. 118

§ 14 Zusammenfassung

283

menschlichen Körpersubstanzen hat der Gesetzgeber deshalb einen weiten Gestaltungsspielraum, den er unter Verweis auf die persönlichkeitsrechtliche Dimension z. B. dahingehend nutzen kann, eine Kommerzialisierung humanbiologischen Materials weitgehend auszuschließen.123 In bezug auf pluripotente ESZellen bedeutet dies aber zugleich, daß ihre Einfuhr und Verwendung zu Forschungszwecken einfachgesetzlich nicht anders geregelt werden dürften als der entsprechende Umgang mit anderen menschlichen Stammzellformen wie adulten Stammzellen, neonatalen Stammzellen oder Amnion-Stammzellen.124 Im Ergebnis zeigt sich damit auch beim dritten Grundtyp der hier untersuchten Anwendungskonstellationen bei extrakorporalem menschlichem Leben ein erheblicher Unterschied in den praktischen Konsequenzen des Grundrechtsträgerkonzepts einerseits und des Vorwirkungskonzepts andererseits. Konnte die Beschränkung von Import und Verwendung von ES-Zellen dort immerhin noch mit Nachwirkungen aus Art. 1 I GG gerechtfertigt werden, ist ein solcher Weg diesmal gänzlich verschlossen und bedarf des Ersatzes durch einen Rückgriff auf allgemeine verfassungsrechtliche Vorgaben zum Umgang mit humanbiologischem Material.

§ 14 Zusammenfassung (Vorwirkungskonzept) Die Analyse des dogmatisch bisher weitgehend unerforschten Vorwirkungskonzepts zu Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG bei extrakorporalem menschlichem Leben, das in seiner theoretischen Begründung wie rechtspraktischen Anwendung dem Grundrechtsträgerkonzept gegenübergestellt wurde, ergab im wesentlichen folgende Ergebnisse: Am Anfang der theoretischen Begründung (oben § 12) stand zunächst die Notwendigkeit, den schillernden Begriff grundrechtlicher Vorwirkungen für den vorliegenden Bioethikkontext näher zu präzisieren und hierbei Grundrechtsvorwirkungen im weiteren Sinn (Schutz künftiger Menschen) und Grundrechtsvorwirkungen im engeren Sinn (Schutz werdender Menschen) voneinander abzugrenzen. Wie beim Grundrechtsträgerkonzept ließen sich für die theoretische Begründung der vornehmlich relevanten Grundrechtsvorwirkungen im engeren Sinn überzeugende Argumentationsstrategien weder aus dem Verfassungstext noch aus der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts ableiten. Insbesondere die anhand der Mephisto-Rechtsprechung entwickelte Spiegeltheorie zu Grundrechtsvorwirkungen, welche die Nachwirkungsdogmatik zu Art. 1 I GG unreflektiert auf vorgeburtliche Lebensphasen überträgt, erwies sich aufgrund einer 123 124

Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 115. Zu den verschiedenen Stammzelltypen siehe oben § 3 B. II. 1.

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4. Kap.: Das Vorwirkungskonzept

doppelten Asymmetrie zwischen postmortalen und prävitalen Existenzformen als unplausibel. Erneut mußte deshalb auf ethikorientierte Begründungsmuster zurückgegriffen werden, wobei diesmal das sog. schwache Potentialitätsargument besondere Bedeutung erlangte. Dieses unterscheidet sich vom klassischen Potentialitätsargument dadurch, daß es zwar denselben Potentialitätsbegriff verwendet, jedoch eine normative Gleichsetzung potentieller und aktualer Modalformen ablehnt. Beim Versuch, das ethisch-philosophische Modell einigermaßen schlüssig ins deutsche Verfassungsrecht zu übersetzen, entpuppte sich der naheliegende Weg, Grundrechtsvorwirkungen entsprechend zivilistischer Terminologie als grundrechtliche Anwartschaftsrechte zu definieren, letztlich als Irrweg. Statt dessen müssen Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG als nicht-reziproke Schutzpflichten verstanden werden, die sich von der klassischen Schutzpflichtkonstellation dadurch unterscheiden, daß hier dem schutzverpflichteten Staat kein schutzberechtigtes Grundrechtssubjekt, sondern lediglich ein „Vorwirkungsdestinatär“ gegenübersteht. Die nachfolgende Anwendung dieses Vorwirkungskonzepts auf die drei Prototypen extrakorporalen menschlichen Lebens ergab dann zunächst eine volle Deckungsgleichheit mit dem Erfassungsbereich des früheren Grundrechtsträgerkonzepts, mit der Folge, daß alle voll entwicklungsfähigen extrakorporalen Entitäten entweder als Grundrechtsträger aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG oder als Vorwirkungsbegünstigte aus beiden Grundrechten anzusehen sind. Bei der Auseinandersetzung mit der vorgebrachten Kritik am Vorwirkungskonzept machte insbesondere die Erörterung des Problems begrenzt entwicklungsfähiger Laborartefakte weiterhin deutlich, daß eine normative Zäsur auf der Zeitachse menschlichen Lebens, wie sie das Vorwirkungskonzept propagiert und das Grundrechtsträgerkonzept strikt ablehnt, nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern sogar geboten erscheint. Die Herausarbeitung der Parameter für die praktische Anwendung (oben § 13) führte schließlich die Unterschiede zwischen beiden Modellen bei der Verfassungskonkretisierung eindrucksvoll vor Augen: Zwar gewährleisten auch Vorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG einen Schutz der biologisch-physischen Existenz extrakorporaler Entitäten vor Vernichtung; eine Ranghöhedebatte wie beim Grundrechtsträgerkonzept kann diesmal jedoch bereits im Ansatz nicht stattfinden. Demgegenüber sind Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 1 I GG wegen ihrer normativen Reflexion auf das künftige wie auf das werdende Subjekt mehrdimensional ausgerichtet. In der zweiten Variante (Schutz des werdenden Subjekts) haben solche Vorwirkungen als abwägungsoffen zu gelten und gleichen so in ihren Konsequenzen der von Matthias Herdegen in der früheren Abwägungsdebatte eingenommenen Position. Insgesamt können Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG damit einen dogmatischen Ansatz für die Begründung eines gradualistischen Lebens- und Würdeschutzkonzepts für entwicklungsfähige extrakorporale Entitäten liefern.

§ 14 Zusammenfassung

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Die Umsetzung dieser neuen Parameter des Vorwirkungskonzepts auf die drei Grundtypen von Anwendungskonstellationen brachte dann auch beinahe durchgängig andere Einzelergebnisse als das Grundrechtsträgerkonzept mit sich. Dabei zeichneten sich die gefundenen Lösungen für zentrale Problemfelder humaner Biotechnologie regelmäßig dadurch aus, daß sie anstelle normativer Rigidität deutlich größere verfassungsrechtliche Gestaltungsspielräume für die gesetzliche Zulassung umstrittener biotechnischer Verfahren wie der Präimplantationsdiagnostik oder des „therapeutischen Klonens“ eröffneten. Ausnahmslose Verbote, wie sie für das Grundrechtsträgerkonzept charakteristisch waren, ergaben sich in der Anwendungsanalyse des Vorwirkungskonzepts hingegen allein beim Klonen zu reproduktiven Zwecken.

Gesamtzusammenfassung Versucht man hier noch einmal, die wesentlichen Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung in einer Art Gesamtschau zusammenzutragen, ergibt sich folgendes Bild: I. Das erste Kapitel (oben §§ 2–5), in dem der naturwissenschaftliche Sachbereich der Arbeit umrissen wurde, machte deutlich, daß die Erzeugung extrakorporalen menschlichen Lebens historisch als ein Prozeß zunehmender Artifizialisierung verstanden werden konnte, bei dem sich drei wissenschaftlich aufeinander aufbauende Etappen mit jeweils spezifischen Schlüsselentwicklungen unterscheiden ließen: Die erste reproduktionsmedizinische Etappe seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts brachte im Rahmen der Sterilitätsbehandlung den menschlichen Embryo erstmals als vom mütterlichen Organismus getrennte Entität hervor. Die Artifizialität bestand hier noch allein in der künstlichen Ingangsetzung und zeitlich begrenzt möglichen Aufrechterhaltung menschlicher Embryonalentwicklung in vitro. Obwohl damals nicht so sehr die extrakorporale Erzeugung menschlichen Lebens, sondern die Geburt eines daraus entstandenen Kindes als wissenschaftliche Sensation gefeiert wurde, konnte vor allem mit dem ersten Schritt der eigentliche Grundstein für alle biomedizinischen Neuerungen der Folgezeit gelegt werden. Die durch das „Dolly-Experiment“ 1996 im Tierversuch entwickelte und 2004 im Humanbereich erfolgreich reproduzierte Methode des somatischen Zellkerntransfers leitete dann die zweite Etappe der Erzeugung extrakorporalen menschlichen Lebens ein, die hinsichtlich ihres Artifizialitätspotentials weit über die erste Phase hinausging. Indem es gelang, zelluläre Reprogrammierungsprozesse künstlich zu initiieren und auf diesem Weg menschliche Embryonen als Zellkerntransferklone zu rekonstruieren, wurde der ursprünglichen Entstehungsart „Befruchtung“ eine zweite Entstehungsart zur Seite gestellt. Der Sinn dieser neuen Herstellungsmethode extrakorporalen menschlichen Lebens lag seither vor allem in biomedizinischen Zielsetzungen, die durch Verknüpfung der Kerntransfermethode mit der parallelen Revolution in der Stammzellforschung (Gewinnung und Kultivierung menschlicher ES-Zellen) möglich wurden. Weitgespannten Visionen des „therapeutischen Klonens“ im Sinne einer Gewinnung autologer ES-Zellen für einen optimierten Gewebeersatz bei Patienten waren dabei jedoch von Anfang an enge methodische Grenzen gesetzt, die das Verfahren zum Teil sogar in Zweifel zogen und stets auch nach therapeutischen Alternativen suchen ließen.

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Die dritte und letzte Etappe, die wiederum durch ein für die Biologie bahnbrechendes Säugetierexperiment (Gewinnung funktionsfähiger Eizellen aus embryonalen Stammzellen von Mäusen nach Schöler) ausgelöst wurde, brachte dann die vorläufige Endstufe des beschriebenen Artifizialisierungsprozesses mit sich. Durch die Übertragung des Schöler-Verfahrens auf humane Stammzellen sowie seine konsequente Weiterentwicklung könnten dabei in Zukunft menschliche Laborartefakte mit begrenzter Entwicklungsfähigkeit geschaffen werden, die wie die Zellkerntransferklone als spezifizierte Quellen autologer Stammzellen für Patienten zum Einsatz kämen. Wenngleich die tatsächliche Existenz oder gar Nutzung solch biomedizinisch optimierter Laborartefakte derzeit noch eine Zukunftsvision darstellt, sind die mit ihrer Entwicklung verbundenen theoretischen Probleme für Kernbegriffe der Biologie (Totipotenz) bereits heute Realität. Mit den im ersten Kapitel dargestellten drei Etappen biotechnischer Erzeugung extrakorporalen menschlichen Lebens waren zugleich drei Prototypen extrakorporaler Entitäten (Befruchtungsembryo, Zellkerntransferklon, begrenzt entwicklungsfähiges Laborartefakt) benannt, auf die die späteren verfassungsrechtlichen Konzepte zu Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG anzuwenden waren. II. Die rechtspolitische Analyse des zweiten Kapitels (oben §§ 6–8) anhand der Entstehungsgeschichte der beiden zentralen deutschen Gesetze zu extrakorporalem menschlichem Leben (Embryonenschutzgesetz und Stammzellgesetz) nahm dann erstmals die juristische Ebene in den Blick, wobei die leitende Frage nach den in den Normsetzungsprozessen zum Ausdruck kommenden verfassungsrechtlichen Schutzkonzeptionen für extrakorporale Entitäten zu charakteristischen Unterschieden führte: Im Verlauf des Diskussionsprozesses zum Embryonenschutzgesetz (ESchG) (1985–1990) wurde die verfassungsrechtliche Statusproblematik noch gar nicht thematisiert, sondern offenbar durchgängig als unerheblich angesehen. Allenfalls indirekt und nur ansatzweise ließen sich an verschiedenen Stellen des Normsetzungsprozesses Maßstäbe zu Art und Umfang des Grundrechtsschutzes extrakorporaler Entitäten erkennen. Als Folge der fehlenden expliziten Statusdebatte wurden während der gesamten Entstehungsphase des Embryonenschutzgesetzes die relevanten Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG zwar immer wieder als Argumentationstopoi verwendet, ihre normative Steuerungsfunktion wurde jedoch nicht näher konkretisiert. Diese Ausgangssituation führte einerseits zu Unklarheiten bei der verfassungsrechtlichen Legitimierung der strafrechtlichen Verbote des Embryonenschutzgesetzes, die weniger durch eine Orientierung an Grundrechtskonzepten als durch emotionale Konsensappelle und Dammbruchargumente geprägt waren. Andererseits hatte die mangelnde verfassungsrechtliche Reflexion auch zahlreiche Inkonsequenzen zur Folge, indem vor allem Lebensschutzaspekte nur partielle Berücksichtigung fanden und sich bisweilen in ihr Gegenteil verkehrten.

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Die rechtspolitische Diskussion im Vorfeld des späteren Stammzellgesetzes (StZG) (2001–2002) zeigte demgegenüber eine deutlichere Fokussierung auf die verfassungsrechtliche Statusfrage zu extrakorporalem menschlichem Leben. Insbesondere bei der vorgelagerten Problematik der Stammzellgewinnung wurde in den einschlägigen Stellungnahmen der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages und des Nationalen Ethikrats die Möglichkeit einer Grundrechtsträgerschaft extrakorporaler Entitäten explizit diskutiert, wenn auch teils ohne die erforderliche Abgrenzung zur parallelen ethischen Statusdebatte. Andere Schutzkonzepte, hierunter vor allem auch das Vorwirkungskonzept zu Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG, blieben dagegen deutlich unterrepräsentiert. Trotz der zutreffenden verfassungsrechtlichen Herangehensweise erreichte man bei der letztlich zustande gekommenen Normierung von Stammzellimport und -verwendung jedoch keine Schlüssigkeit im Hinblick auf das vertretene Schutzkonzept zu extrakorporalem Leben, so daß auch dieser zweite Normsetzungsprozeß insgesamt keine Klarheit in der Statusfrage erkennen ließ. III. Ziel des dritten Kapitels (oben §§ 9–11) war es, das Grundrechtsträgerkonzept als derzeit wichtigstes dogmatisches Modell zum verfassungsrechtlichen Schutz extrakorporaler menschlicher Entitäten aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG in Theorie und Rechtspraxis zu untersuchen. Dabei ergab die bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG einsetzende Analyse der theoretischen Begründung, daß sich weder mit Hilfe normtextorientierter Argumentationsstrategien (Kanones) noch mit Hilfe judikaturorientierter Argumentationsstrategien überzeugende Schlüsse für oder gegen eine Grundrechtsträgerschaft extrakorporaler Entitäten aus diesem Grundrecht ableiten ließen. Entgegen immer wiederkehrenden Behauptungen in der Literatur ergaben sich insbesondere aus der Karlsruher Rechtsprechung zum Schwangerschaftsabbruch keine definitiven Antworten für die vorliegende Fragestellung. Als für die Begründung eines subjektiven Lebensrechts allein gangbar erwies sich der Weg, die in den Ethikwissenschaften entwickelte SKIP-Quadrologie in die Grundrechtsdogmatik zu übersetzen (ethikorientierte Argumentationsstrategien), wobei sich diese im verfassungsrechtlichen Kontext auf eine KIP-Trilogie reduzierte. Als erstes Ergebnis war hier festzuhalten, daß allein voll entwicklungsfähige Entitäten unabhängig von ihrer Entstehungsart – also Befruchtungsembryonen (oben § 2) und Zellkerntransferklone (oben § 3) – als Kandidaten für eine so begründbare Grundrechtsträgerschaft in Betracht kamen. Entgegen vereinzelten Auffassungen schieden demgegenüber begrenzt entwicklungsfähige Laborartefakte (oben § 4) von vornherein aus dem Kreis möglicher Grundrechtsträger aus, da die entwicklungsbiologische Totipotenz einen unverzichtbaren Anknüpfungspunkt für alle drei verfassungsrechtlichen KIP-Argumente bildete. Unter diesen drei KIP-Argumenten ließ sich eine normative Gleichbehandlung extrakorporaler Embryonen mit geborenen Menschen in bezug auf Art. 2 II 1 Alt. 1 GG vornehmlich mit Hilfe des verfassungsrechtlichen Potentialitäts-

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arguments begründen, das sich im zugrundegelegten Potentialitätsbegriff (dispositionelles Vermögen zur Menschentwicklung) sowie in der normativen Schlußfolgerung (Gleichsetzung von Potentialität und Aktualität) eng an die aristotelisch-thomistische Tradition anlehnte. Alle Versuche in der juristischen Literatur, bereits die definitorische Prämisse des verfassungsrechtlichen P-Arguments zu erschüttern und entgegen der Tradition eine eigene juristische Potentialitätsterminologie zu etablieren, erwiesen sich als untauglich. Als überzeugender stellte sich hingegen die Konklusionskritik am verfassungsrechtlichen Potentialitätsargument heraus, die die vom Grundrechtsträgerkonzept vertretene Gleichsetzungsthese angriff und dabei auch auf eine abweichende Lesart der rezipierten aristotelisch-thomistischen Tradition rekurrieren konnte. Verglichen mit dem verfassungsrechtlichen Potentialitätsargument lieferten weder das verfassungsrechtliche Kontinuitäts- noch das verfassungsrechtliche Identitätsargument überzeugende eigenständige Beiträge zur argumentativen Stützung der Grundrechtsträgerthese. Bei der weiteren Frage nach der subjektiven Berechtigung extrakorporaler Entitäten aus Art. 1 I GG waren alle in der verfassungsrechtlichen Literatur unternommenen Versuche, bei vorgeburtlichem Leben die personellen Schutzbereiche von Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG zu entkoppeln, zurückzuweisen. Vor dem Hintergrund des zuvor entwickelten Potentialitätsansatzes entbehrten nämlich sowohl Ansätze, die generell von einer Entkoppelungsmöglichkeit beider Grundrechte bei extrakorporalen Entitäten ausgingen, als auch Thesen, die eine normative Differenzierung anhand der Entstehungsart vornahmen, jeglicher dogmatischen Überzeugungskraft. In der Analyse der rechtspraktischen Anwendung des Grundrechtsträgerkonzepts in bezug auf ausgewählte Problemfelder humaner Biotechnologie konnte bei der Herausarbeitung der verfassungsrechtlichen Parameter sowohl in der Ranghöhedebatte bei Art. 2 II 1 Alt. 1 GG als auch in der Abwägungsdebatte bei Art. 1 I GG eindeutig Stellung bezogen werden. Die konsequente Beibehaltung des Potentialitätsansatzes machte hier deutlich, daß weder Art. 2 II 1 Alt. 1 GG eine Kombination von Grundrechtsträgerschaft und anwachsendem Lebensschutz erlaubte (Ranghöhedebatte) noch Art. 1 I GG Raum für einen abgestuften Menschenwürdeschutz im Rahmen einer Gesamtabwägung ließ (Abwägungsdebatte). Die nachfolgende Umsetzung dieser Parameter auf typische Einzelfragen erforderte dann zunächst eine Differenzierung zwischen drei dogmatisch unterschiedlich zu bewältigenden Grundtypen von Anwendungskonstellationen. Dabei wurden dem Grundtyp 1, bei dem die grundrechtsberechtigte extrakorporale Entität schon vorlag, ein Grundtyp 2, bei dem sie noch nicht vorlag, sowie ein Grundtyp 3, bei dem sie nicht mehr vorlag, gegenübergestellt. Während das Grundrechtsträgerkonzept beim Grundtyp 3 (Import und Verwendung pluripo-

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tenter ES-Zellen) erhebliche gesetzgeberische Spielräume eröffnete, gelangte man bei den Grundtypen 1 und 2 zwangsläufig zu äußerst rigiden Lösungen, die teils noch über die Vorgaben des geltenden Embryonenschutzgesetzes hinausgingen und langfristig die gesellschaftliche Akzeptanz derartiger Regelungen gefährden können. IV. Das vierte Kapitel (oben §§ 12–14) stellte schließlich das bisher weitgehend unerforschte Vorwirkungskonzept zu Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG dem vorherigen Grundrechtsträgerkonzept in methodischer paralleler Herangehensweise gegenüber. Der schillernde Begriff grundrechtlicher Vorwirkungen ließ sich für den vorliegenden Bioethikkontext zunächst dahingehend präzisieren, daß Grundrechtsvorwirkungen im weiteren Sinn (Schutz künftiger Menschen) und Grundrechtsvorwirkungen im engeren Sinn (Schutz werdender Menschen) voneinander abzugrenzen waren. Für die theoretische Begründung der Grundrechtsvorwirkungen im engeren Sinn ergaben sich ein weiteres Mal überzeugende Argumentationsstrategien weder aus dem Verfassungstext noch aus der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts. Stand zur Begründung wie Falsifizierung des Grundrechtsträgerkonzepts vor allem die Karlsruher Abtreibungsrechtsprechung im Vordergrund, kam demgegenüber beim Vorwirkungskonzept der Mephisto-Judikatur gesteigerte Bedeutung zu. Die hieran entwickelte Spiegeltheorie, welche die Nachwirkungsdogmatik zu Art. 1 I GG auf vorgeburtliche Lebensphasen übertrug, erwies sich aufgrund einer doppelten Asymmetrie zwischen postmortalen und prävitalen Existenzformen als unplausibel. Erneut mußte auf ethikorientierte Begründungsmuster zurückgegriffen werden, wobei diesmal das sog. schwache Potentialitätsargument besondere Bedeutung erlangte, das sich von seinem starken Pendant dadurch unterschied, daß es zwar denselben Potentialitätsbegriff verwendete, jedoch eine normative Gleichsetzung potentieller und aktualer Modalformen ablehnte. Beim Versuch, dieses ethischphilosophische Modell überzeugend in die Grundrechtsdogmatik zu übersetzen, war der naheliegende Weg, Grundrechtsvorwirkungen entsprechend zivilistischer Terminologie als grundrechtliche Anwartschaftsrechte zu definieren, nicht gangbar. Statt dessen mußten Grundrechtsvorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG als nicht-reziproke Schutzpflichten aufgefaßt werden, die von der klassischen Schutzpflichtkonstellation insoweit differierten, als hier dem schutzverpflichteten Staat kein schutzberechtigtes Grundrechtssubjekt, sondern lediglich ein Vorwirkungsbegünstigter (Destinatär) gegenüberstand. Die nachfolgende Anwendung dieses Vorwirkungskonzepts auf die drei Prototypen extrakorporalen menschlichen Lebens ergab dann zunächst eine volle Deckungsgleichheit mit dem Erfassungsbereich des früheren Grundrechtsträgerkonzepts. Folglich waren alle voll entwicklungsfähigen extrakorporalen Entitäten entweder als Grundrechtsträger aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG oder als Vorwirkungsbegünstigte aus beiden Grundrechten anzusehen. Zwischenlösungen, die eine Grundrechtsträgerschaft oder Grundrechtsvorwirkungen

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nur bei einem der beiden Grundrechte oder nur bei manchen der voll entwicklungsfähigen Entitäten postulierten, schieden damit aus. Insbesondere die Erörterung des Problems begrenzt entwicklungsfähiger Laborartefakte (oben § 4) machte weiterhin deutlich, daß eine normative Zäsur auf der Zeitachse menschlichen Lebens, wie sie das Vorwirkungskonzept propagierte, nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern sogar geboten erschien. Die Herausarbeitung der Parameter für die rechtspraktische Umsetzung des Vorwirkungskonzepts führte dann ein weiteres Mal die Unterschiede zum Grundrechtsträgerkonzept vor Augen: Zwar gewährleisteten auch Vorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG einen Schutz der biologisch-physischen Existenz extrakorporaler Entitäten vor Vernichtung; eine Ranghöhedebatte wie beim Grundrechtsträgerkonzept fand diesmal jedoch bereits im Ansatz nicht statt. Vorwirkungen aus Art. 1 I GG waren demgegenüber wegen ihrer gleichzeitigen normativen Reflexion auf das künftige wie werdende Subjekt mehrdimensional ausgerichtet. In ihrer zweiten Variante (Schutz des werdenden Subjekts) hatten solche Vorwirkungen als abwägungsoffen zu gelten und griffen damit Ergebnisse aus der früheren Abwägungsdebatte zu Art. 1 I GG auf. Insgesamt konnten Grundrechtsrechtvorwirkungen aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG einen dogmatischen Ansatz für die Begründung eines gradualistischen Lebensund Würdeschutzkonzepts für voll entwicklungsfähige extrakorporale Entitäten liefern. Die Umsetzung dieser neuen Parameter des Vorwirkungskonzepts auf die drei Grundtypen von Anwendungskonstellationen hatte denn auch fast durchweg andere Ergebnisse als das Grundrechtsträgerkonzept zur Folge. Dabei zeichneten sich die für zentrale Problemfelder humaner Biotechnologie gefundenen Lösungen meist dadurch aus, daß sie anstelle normativer Rigidität deutlich größere verfassungsrechtliche Gestaltungsspielräume für die gesetzliche Zulassung umstrittener Verfahren wie der Präimplantationsdiagnostik oder des „therapeutischen Klonens“ eröffneten. Ausnahmslose Verbote, wie sie für das Grundrechtsträgerkonzept charakteristisch waren, ergaben sich im Vorwirkungskonzept dagegen allein beim reproduktiven Klonen. V. Die vorliegende Schlüssigkeitsanalyse von Grundrechtsträgerkonzept und Vorwirkungskonzept lieferte damit insgesamt eine pointierte Gegenüberstellung von zwei nach dem Grundgesetz möglichen Modellen des Grundrechtsschutzes für extrakorporales menschliches Leben aus Art. 2 II 1 Alt. 1 GG und Art. 1 I GG. Während beim dogmatisch ausgefeilten Grundrechtsträgerkonzept durch den gewählten systematischen Zugang zahlreiche „Irrungen und Wirrungen“ in der theoretischen Begründung wie rechtspraktischen Umsetzung beseitigt werden konnten, stand beim Vorwirkungskonzept ganz das Ziel im Vordergrund, die dogmatische Basis für eine normative Rekonstruktion solcher Vorwirkungen überhaupt erst zu legen. Für den Grundrechtsschutz extrakorporalen mensch-

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lichen Lebens erwies sich dabei auf allen untersuchten Ebenen das interdisziplinäre Kriterium der Potentialität als zentral: Jedes der beiden verfassungsrechtlichen Konzepte repräsentiert auf seine Weise „Potentialität als Grundrechtsschutz“.

Anhänge I. Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz – ESchG) vom 13. Dezember 1990 (BGBl. I, S. 2746), zuletzt geändert am 23. Oktober 2001 (BGBl. I, S. 2702) § 1 Mißbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken. (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. auf eine Frau eine fremde unbefruchtete Eizelle überträgt, 2. es unternimmt, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt, 3. es unternimmt, innerhalb eines Zyklus mehr als drei Embryonen auf eine Frau zu übertragen, 4. es unternimmt, durch intratubaren Gametentransfer innerhalb eines Zyklus mehr als drei Eizellen zu befruchten, 5. es unternimmt, mehr Eizellen einer Frau zu befruchten, als ihr innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen, 6. einer Frau einen Embryo vor Abschluß seiner Einnistung in der Gebärmutter entnimmt, um diesen auf eine andere Frau zu übertragen oder ihn für einen nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck zu verwenden, oder 7. es unternimmt, bei einer Frau, welche bereit ist, ihr Kind nach der Geburt Dritten auf Dauer zu überlassen (Ersatzmutter), eine künstliche Befruchtung durchzuführen oder auf sie einen menschlichen Embryo zu übertragen. (2) Ebenso wird bestraft, wer 1. künstlich bewirkt, daß eine menschliche Samenzelle in eine menschliche Eizelle eindringt, oder 2. eine menschliche Samenzelle in eine menschliche Eizelle künstlich verbringt, ohne eine Schwangerschaft der Frau herbeiführen zu wollen, von der die Eizelle stammt. (3) Nicht bestraft werden 1. in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1, 2 und 6 die Frau, von der die Eizelle oder der Embryo stammt, sowie die Frau, auf die die Eizelle übertragen wird oder der Embryo übertragen werden soll, und 2. in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 7 die Ersatzmutter sowie die Person, die das Kind auf Dauer bei sich aufnehmen will. (4) in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 und des Absatzes 2 ist der Versuch strafbar.

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§ 2 Mißbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen. (1) Wer einen extrakorporal erzeugten oder einer Frau vor Abschluß seiner Einnistung in der Gebärmutter entnommenen menschlichen Embryo veräußert oder zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck abgibt, erwirbt oder verwendet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer zu einem anderen Zweck als der Herbeiführung einer Schwangerschaft bewirkt, daß sich ein menschlicher Embryo extrakorporal weiterentwickelt. (3) Der Versuch ist strafbar. § 3 Verbotene Geschlechtswahl. Wer es unternimmt, eine menschliche Eizelle mit einer Samenzelle künstlich zu befruchten, die nach dem in ihr enthaltenen Geschlechtschromosom ausgewählt worden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Dies gilt nicht, wenn die Auswahl der Samenzelle durch einen Arzt dazu dient, das Kind vor der Erkrankung an einer Muskeldystrophie vom Typ Duchenne oder einer ähnlich schwerwiegenden geschlechtsgebundenen Erbkrankheit zu bewahren, und die dem Kind drohende Erkrankung von der nach Landesrecht zuständigen Stelle als entsprechend schwerwiegend anerkannt worden ist. § 4 Eigenmächtige Befruchtung, eigenmächtige Embryoübertragung und künstliche Befruchtung nach dem Tode. (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. es unternimmt, eine Eizelle künstlich zu befruchten, ohne daß die Frau, deren Eizelle befruchtet wird, und der Mann, dessen Samenzelle für die Befruchtung verwendet wird, eingewilligt haben, 2. es unternimmt, auf eine Frau ohne deren Einwilligung einen Embryo zu übertragen, oder 3. wissentlich eine Eizelle mit dem Samen eines Mannes nach dessen Tode künstlich befruchtet. (2) Nicht bestraft wird im Fall des Absatzes 1 Nr. 3 die Frau, bei der die künstliche Befruchtung vorgenommen wird. § 5 Künstliche Veränderung menschlicher Keimbahnzellen. (1) Wer die Erbinformation einer menschlichen Keimbahnzelle künstlich verändert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer eine menschliche Keimzelle mit künstlich veränderter Erbinformation zur Befruchtung verwendet. (3) Der Versuch ist strafbar. (4) Absatz 1 findet keine Anwendung auf 1. eine künstliche Veränderung der Erbinformation einer außerhalb des Körpers befindlichen Keimzelle, wenn ausgeschlossen ist, daß diese zur Befruchtung verwendet wird,

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2. eine künstliche Veränderung der Erbinformation einer sonstigen körpereigenen Keimbahnzelle, die einer toten Leibesfrucht, einem Menschen oder einem Verstorbenen entnommen worden ist, wenn ausgeschlossen ist, daß a) diese auf einen Embryo, Fötus oder Menschen übertragen wird oder b) aus ihr eine Keimzelle entsteht, sowie 3. Impfungen, strahlen-, chemotherapeutische oder andere Behandlungen, mit denen eine Veränderung der Erbinformation von Keimbahnzellen nicht beabsichtigt ist. § 6 Klonen. (1) Wer künstlich bewirkt, daß ein menschlicher Embryo mit der gleichen Erbinformation wie ein anderer Embryo, ein Fötus, ein Mensch oder ein Verstorbener entsteht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer einen in Absatz 1 bezeichneten Embryo auf eine Frau überträgt. (3) Der Versuch ist strafbar. § 7 Chimären- und Hybridbildung. (1) Wer es unternimmt, 1. Embryonen mit unterschiedlichen Erbinformationen unter Verwendung mindestens eines menschlichen Embryos zu einem Zellverband zu vereinigen, 2. mit einem menschlichen Embryo eine Zelle zu verbinden, die eine andere Erbinformation als die Zellen des Embryos enthält und sich mit diesem weiter zu differenzieren vermag, oder 3. durch Befruchtung einer menschlichen Eizelle mit dem Samen eines Tieres oder durch Befruchtung einer tierischen Eizelle mit dem Samen eines Menschen einen differenzierungsfähigen Embryo zu erzeugen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer es unternimmt, 1. einen durch eine Handlung nach Absatz 1 entstandenen Embryo auf a) eine Frau oder b) ein Tier zu übertragen oder 2. einen menschlichen Embryo auf ein Tier zu übertragen. § 8 Begriffsbestimmung. (1) Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag. (2) In den ersten vierundzwanzig Stunden nach der Kernverschmelzung gilt die befruchtete menschliche Eizelle als entwicklungsfähig, es sei denn, daß schon vor Ab-

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lauf dieses Zeitraums festgestellt wird, daß sich diese nicht über das Einzellstadium hinaus zu entwickeln vermag. (3) Keimbahnzellen im Sinne dieses Gesetzes sind alle Zellen, die in einer Zellinie von der befruchteten Eizelle bis zu den Ei- und Samenzellen des aus ihr hervorgegangenen Menschen führen, ferner die Eizelle vom Einbringen oder Eindringen der Samenzelle an bis zu der mit der Kernverschmelzung abgeschlossenen Befruchtung. § 9 Arztvorbehalt. Nur ein Arzt darf vornehmen: 1. die künstliche Befruchtung, 2. die Übertragung eines menschlichen Embryos auf eine Frau, 3. die Konservierung eines menschlichen Embryos sowie einer menschlichen Eizelle, in die bereits eine menschliche Samenzelle eingedrungen oder künstlich eingebracht worden ist. § 10 Freiwillige Mitwirkung. Niemand ist verpflichtet, Maßnahmen der in § 9 bezeichneten Art vorzunehmen oder an ihnen mitzuwirken. § 11 Verstoß gegen den Arztvorbehalt. (1) Wer, ohne Arzt zu sein, 1. entgegen § 9 Nr. 1 eine künstliche Befruchtung vornimmt oder 2. entgegen § 9 Nr. 2 einen menschlichen Embryo auf eine Frau überträgt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Nicht bestraft werden im Fall des § 9 Nr. 1 die Frau, die eine künstliche Insemination bei sich vornimmt, und der Mann, dessen Samen zu einer künstlichen Insemination verwendet wird. § 12 Bußgeldvorschriften. (1) Ordnungswidrig handelt, wer, ohne Arzt zu sein, entgegen § 9 Nr. 3 einen menschlichen Embryo oder eine dort bezeichnete menschliche Eizelle konserviert. (2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu zweitausendfünfhundert Euro geahndet werden. § 13 Inkrafttreten. Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 1991 in Kraft.

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II. Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz – StZG) vom 28. Juni 2002 (BGBl. I, S. 2277), zuletzt geändert am 25. November 2003 (BGBl. I, S. 2304) § 1 Zweck des Gesetzes. Zweck dieses Gesetzes ist es, im Hinblick auf die staatliche Verpflichtung, die Menschenwürde und das Recht auf Leben zu achten und zu schützen und die Freiheit der Forschung zu gewährleisten, 1. die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen grundsätzlich zu verbieten, 2. zu vermeiden, daß von Deutschland aus eine Gewinnung embryonaler Stammzellen oder eine Erzeugung von Embryonen zur Gewinnung embryonaler Stammzellen veranlaßt wird, und 3. die Voraussetzungen zu bestimmen, unter denen die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen ausnahmsweise zu Forschungszwecken zugelassen sind. § 2 Anwendungsbereich. Dieses Gesetz gilt für die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen. § 3 Begriffsbestimmungen. Im Sinne dieses Gesetzes 1. sind Stammzellen alle menschlichen Zellen, die die Fähigkeit besitzen, in entsprechender Umgebung sich selbst durch Zellteilung zu vermehren, und die sich selbst oder deren Tochterzellen sich unter geeigneten Bedingungen zu Zellen unterschiedlicher Spezialisierung, jedoch nicht zu einem Individuum zu entwickeln vermögen (pluripotente Stammzellen), 2. sind embryonale Stammzellen alle aus Embryonen, die extrakorporal erzeugt und nicht zur Herbeiführung einer Schwangerschaft verwendet worden sind oder einer Frau vor Abschluß ihrer Einnistung in der Gebärmutter entnommen wurden, gewonnenen pluripotenten Stammzellen, 3. sind embryonale Stammzellinien alle embryonalen Stammzellen, die in Kultur gehalten werden oder im Anschluß daran kryokonserviert gelagert werden, 4. ist Embryo bereits jede menschliche totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag, 5. ist Einfuhr das Verbringen embryonaler Stammzellen in den Geltungsbereich dieses Gesetzes. § 4 Einfuhr und Verwendung embryonaler Stammzellen. (1) Die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen ist verboten. (2) Abweichend von Absatz 1 sind die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken unter den in § 6 genannten Voraussetzungen zulässig, wenn

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1. zur Überzeugung der Genehmigungsbehörde feststeht, daß a) die embryonalen Stammzellen in Übereinstimmung mit der Rechtslage im Herkunftsland dort vor dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden und in Kultur gehalten werden oder im Anschluß daran kryokonserviert gelagert werden (embryonale Stammzellinie), b) die Embryonen, aus denen sie gewonnen wurden, im Wege der medizinisch unterstützten extrakorporalen Befruchtung zum Zwecke der Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt worden sind, sie endgültig nicht mehr für diesen Zweck verwendet wurden und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß dies aus Gründen erfolgte, die an den Embryonen selbst liegen, c) für die Überlassung der Embryonen zur Stammzellgewinnung kein Entgelt oder sonstiger geldwerter Vorteil gewährt oder versprochen wurde und 2. der Einfuhr oder Verwendung der embryonalen Stammzellen sonstige gesetzliche Vorschriften, insbesondere solche des Embryonenschutzgesetzes, nicht entgegenstehen. (3) Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die Gewinnung der embryonalen Stammzellen offensichtlich im Widerspruch zu tragenden Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung erfolgt ist. Die Versagung kann nicht damit begründet werden, daß die Stammzellen aus menschlichen Embryonen gewonnen wurden. § 5 Forschung an embryonalen Stammzellen. Forschungsarbeiten an embryonalen Stammzellen dürfen nur durchgeführt werden, wenn wissenschaftlich begründet dargelegt ist, daß 1. sie hochrangigen Forschungszielen für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn im Rahmen der Grundlagenforschung oder für die Erweiterung medizinischer Kenntnisse bei der Entwicklung diagnostischer, präventiver oder therapeutischer Verfahren zur Anwendung bei Menschen dienen und 2. nach dem anerkannten Stand von Wissenschaft und Technik a) die im Forschungsvorhaben vorgesehenen Fragestellungen so weit wie möglich bereits in In-vitro-Modellen mit tierischen Zellen oder in Tierversuchen vorgeklärt worden sind und b) der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte wissenschaftliche Erkenntnisgewinn sich voraussichtlich nur mit embryonalen Stammzellen erreichen läßt. § 6 Genehmigung. (1) Jede Einfuhr und jede Verwendung embryonaler Stammzellen bedarf der Genehmigung durch die zuständige Behörde. (2) Der Antrag auf Genehmigung bedarf der Schriftform. Der Antragsteller hat in den Antragsunterlagen insbesondere folgende Angaben zu machen: 1. den Namen und die berufliche Anschrift der für das Forschungsvorhaben verantwortlichen Person,

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2. eine Beschreibung des Forschungsvorhabens einschließlich einer wissenschaftlich begründeten Darlegung, daß das Forschungsvorhaben den Anforderungen nach § 5 entspricht, 3. eine Dokumentation der für die Einfuhr oder Verwendung vorgesehenen embryonalen Stammzellen darüber, daß die Voraussetzungen nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 erfüllt sind; der Dokumentation steht ein Nachweis gleich, der belegt, daß a) die vorgesehenen embryonalen Stammzellen mit denjenigen identisch sind, die in einem wissenschaftlich anerkannten, öffentlich zugänglichen und durch staatliche oder staatlich autorisierte Stellen geführten Register eingetragen sind, und b) durch diese Eintragung die Voraussetzungen nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 erfüllt sind. (3) Die zuständige Behörde hat dem Antragsteller den Eingang des Antrags und der beigefügten Unterlagen unverzüglich schriftlich zu bestätigen. Sie holt zugleich die Stellungnahme der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung ein. Nach Eingang der Stellungnahme teilt sie dem Antragsteller die Stellungnahme und den Zeitpunkt der Beschlußfassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung mit. (4) Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn 1. die Voraussetzungen nach § 4 Abs. 2 erfüllt sind, 2. die Voraussetzungen nach § 5 erfüllt sind und das Forschungsvorhaben in diesem Sinne ethisch vertretbar ist und 3. eine Stellungnahme der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung nach Beteiligung durch die zuständige Behörde vorliegt. (5) Liegen die vollständigen Antragsunterlagen sowie eine Stellungnahme der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung vor, so hat die Behörde über den Antrag innerhalb von zwei Monaten schriftlich zu entscheiden. Die Behörde hat bei ihrer Entscheidung die Stellungnahme der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung zu berücksichtigen. Weicht die zuständige Behörde bei ihrer Entscheidung von der Stellungnahme der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung ab, so hat sie die Gründe hierfür schriftlich darzulegen. (6) Die Genehmigung kann unter Auflagen und Bedingungen erteilt und befristet werden, soweit dies zur Erfüllung oder fortlaufenden Einhaltung der Genehmigungsvoraussetzungen nach Absatz 4 erforderlich ist. Treten nach Erteilung der Genehmigung Tatsachen ein, die der Genehmigung entgegenstehen, kann die Genehmigung mit Wirkung für die Zukunft ganz oder teilweise widerrufen oder von der Erfüllung von Auflagen abhängig gemacht oder befristet werden, soweit dies zur Erfüllung oder fortlaufenden Einhaltung der Genehmigungsvoraussetzungen nach Absatz 4 erforderlich ist. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Rücknahme oder den Widerruf der Genehmigung haben keine aufschiebende Wirkung. § 7 Zuständige Behörde. (1) Zuständige Behörde ist eine durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung zu bestimmende Behörde aus seinem Geschäftsbereich. Sie führt die ihr nach diesem Gesetz übertragenen

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Aufgaben als Verwaltungsaufgaben des Bundes durch und untersteht der Fachaufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. (2) Für Amtshandlungen nach diesem Gesetz sind Kosten (Gebühren und Auslagen) zu erheben. Das Verwaltungskostengesetz findet Anwendung. Von der Zahlung von Gebühren sind außer den in § 8 Abs. 1 des Verwaltungskostengesetzes bezeichneten Rechtsträgern die als gemeinnützig anerkannten Forschungseinrichtungen befreit. (3) Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung durch Rechtsverordnung die gebührenpflichtigen Tatbestände zu bestimmen und dabei feste Sätze oder Rahmensätze vorzusehen. Dabei ist die Bedeutung, der wirtschaftliche Wert oder der sonstige Nutzen für die Gebührenschuldner angemessen zu berücksichtigen. In der Rechtsverordnung kann bestimmt werden, daß eine Gebühr auch für eine Amtshandlung erhoben werden kann, die nicht zu Ende geführt worden ist, wenn die Gründe hierfür von demjenigen zu vertreten sind, der die Amtshandlung veranlaßt hat. (4) Die bei der Erfüllung von Auskunftspflichten im Rahmen des Genehmigungsverfahrens entstehenden eigenen Aufwendungen des Antragstellers sind nicht zu erstatten. § 8 Zentrale Ethik-Kommission für Stammzellenforschung. (1) Bei der zuständigen Behörde wird eine interdisziplinär zusammengesetzte, unabhängige Zentrale EthikKommission für Stammzellenforschung eingerichtet, die sich aus neun Sachverständigen der Fachrichtungen Biologie, Ethik, Medizin und Theologie zusammensetzt. Vier der Sachverständigen werden aus den Fachrichtungen Ethik und Theologie, fünf der Sachverständigen aus den Fachrichtungen Biologie und Medizin berufen. Die Kommission wählt aus ihrer Mitte Vorsitz und Stellvertretung. (2) Die Mitglieder der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung werden von der Bundesregierung für die Dauer von drei Jahren berufen. Die Wiederberufung ist zulässig. Für jedes Mitglied wird in der Regel ein stellvertretendes Mitglied bestellt. (3) Die Mitglieder und die stellvertretenden Mitglieder sind unabhängig und an Weisungen nicht gebunden. Sie sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Die §§ 20 und 21 des Verwaltungsverfahrensgesetzes gelten entsprechend. (4) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung das Nähere über die Berufung und das Verfahren der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung, die Heranziehung externer Sachverständiger sowie die Zusammenarbeit mit der zuständigen Behörde einschließlich der Fristen zu regeln. § 9 Aufgaben der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung. Die Zentrale Ethik-Kommission für Stammzellenforschung prüft und bewertet anhand der eingereichten Unterlagen, ob die Voraussetzungen nach § 5 erfüllt sind und das Forschungsvorhaben in diesem Sinne ethisch vertretbar ist.

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§ 10 Vertraulichkeit von Angaben. (1) Die Antragsunterlagen nach § 6 sind vertraulich zu behandeln. (2) Abweichend von Absatz 1 können für die Aufnahme in das Register nach § 11 verwendet werden 1. die Angaben über die embryonalen Stammzellen nach § 4 Abs. 2 Nr. 1, 2. der Name und die berufliche Anschrift der für das Forschungsvorhaben verantwortlichen Person, 3. die Grunddaten des Forschungsvorhabens, insbesondere eine zusammenfassende Darstellung der geplanten Forschungsarbeiten einschließlich der maßgeblichen Gründe für ihre Hochrangigkeit, die Institution, in der sie durchgeführt werden sollen, und ihre voraussichtliche Dauer. (3) Wird der Antrag vor der Entscheidung über die Genehmigung zurückgezogen, hat die zuständige Behörde die über die Antragsunterlagen gespeicherten Daten zu löschen und die Antragsunterlagen zurückzugeben. § 11 Register. Die Angaben über die embryonalen Stammzellen und die Grunddaten der genehmigten Forschungsvorhaben werden durch die zuständige Behörde in einem öffentlich zugänglichen Register geführt. § 12 Anzeigepflicht. Die für das Forschungsvorhaben verantwortliche Person hat wesentliche nachträglich eingetretene Änderungen, die die Zulässigkeit der Einfuhr oder der Verwendung der embryonalen Stammzellen betreffen, unverzüglich der zuständigen Behörde anzuzeigen. § 6 bleibt unberührt. § 13 Strafvorschriften. (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer ohne Genehmigung nach § 6 Abs. 1 embryonale Stammzellen einführt oder verwendet. Ohne Genehmigung im Sinne des Satzes 1 handelt auch, wer auf Grund einer durch vorsätzlich falsche Angaben erschlichenen Genehmigung handelt. Der Versuch ist strafbar. (2) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer vollziehbaren Auflage nach § 6 Abs. 6 Satz 1 oder 2 zuwiderhandelt. § 14 Bußgeldvorschriften. (1) Ordnungswidrig handelt, wer 1. entgegen § 6 Abs. 2 Satz 2 eine dort genannte Angabe nicht richtig oder nicht vollständig macht oder 2. entgegen § 12 Satz 1 eine Anzeige nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erstattet. (2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro geahndet werden.

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§ 15 Bericht. Die Bundesregierung übermittelt dem Deutschen Bundestag im Abstand von zwei Jahren, erstmals zum Ablauf des Jahres 2003, einen Erfahrungsbericht über die Durchführung des Gesetzes. Der Bericht stellt auch die Ergebnisse der Forschung an anderen Formen menschlicher Stammzellen dar. § 16 Inkrafttreten. Dieses Gesetz tritt am ersten Tag des auf die Verkündung folgenden Monats [= 1. Juli 2002] in Kraft.

III. Verordnung über die Zentrale Ethik-Kommission für Stammzellenforschung und über die zuständige Behörde nach dem Stammzellgesetz (ZES-Verordnung – ZESV) vom 18. Juli 2002 (BGBl. I, S. 2663), zuletzt geändert am 25. November 2003 (BGBl. I, S. 2304) Auf Grund des § 8 Abs. 4 des Gesetzes zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz – StZG) vom 28. Juni 2002 (BGBl. I S. 2277) verordnet die Bundesregierung und auf Grund des § 7 Abs. 1 Satz 1 des Stammzellgesetzes verordnet das Bundesministerium für Gesundheit: § 1 Zuständige Behörde. Zuständige Behörde nach § 7 Abs. 1 Satz 1 des Stammzellgesetzes ist das Robert-Koch-Institut. § 2 Aufgaben der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung. Die Zentrale Ethik-Kommission für Stammzellenforschung nach § 8 Abs. 1 und 2 des Stammzellgesetzes (Kommission) prüft und bewertet nach § 9 des Stammzellgesetzes auf Anforderung der zuständigen Behörde, ob Forschungsvorhaben, die Gegenstand eines Antrags auf Genehmigung nach § 6 des Stammzellgesetzes sind, die Voraussetzungen nach § 5 des Stammzellgesetzes erfüllen und in diesem Sinne ethisch vertretbar sind, und gibt dazu gegenüber der zuständigen Behörde schriftliche Stellungnahmen nach den Vorschriften dieser Verordnung ab. § 3 Berufung der Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder. (1) Die Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder der Kommission werden von der Bundesregierung auf gemeinsamen Vorschlag des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung berufen. Sie sollen über besondere, möglichst auch internationale Erfahrungen in der jeweiligen Fachrichtung verfügen. (2) Scheidet ein Mitglied oder stellvertretendes Mitglied vorzeitig aus, wird als Nachfolger ein Mitglied oder stellvertretendes Mitglied derselben Fachrichtung für den Rest des Berufungszeitraums berufen. (3) Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung macht die Namen der Mitglieder und der stellvertretenden Mitglieder im Bundesanzeiger bekannt.

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§ 4 Mitglieder und stellvertretende Mitglieder. (1) Die Tätigkeit in der Kommission wird ehrenamtlich ausgeübt. (2) Die Mitglieder und die stellvertretenden Mitglieder erhalten Ersatz ihrer Reisekosten nach dem Bundesreisekostenrecht sowie eine Sitzungsentschädigung. (3) Die Mitglieder und die stellvertretenden Mitglieder können durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung ihre Mitgliedschaft jederzeit beenden. § 5 Vorsitz und Stellvertretung. Die Mitglieder oder die stimmberechtigten stellvertretenden Mitglieder (§ 10 Abs. 4) wählen aus dem Kreis der Mitglieder eine Person für den Vorsitz (vorsitzendes Mitglied) und zwei Personen für die Stellvertretung. Die Wahl erfolgt für die Dauer von drei Jahren, längstens jedoch für die Dauer der Mitgliedschaft. Die Wiederwahl ist zulässig. § 6 Berichterstatter. (1) Anforderungen von Stellungnahmen der Kommission durch die zuständige Behörde werden von dem vorsitzenden Mitglied auf je zwei berichterstattende Personen (Berichterstatter) aus dem Kreis der Mitglieder und der stellvertretenden Mitglieder verteilt. Ein Mitglied und das diese Person vertretende stellvertretende Mitglied werden aus den Fachrichtungen Ethik oder Theologie, ein Mitglied und das diese Person vertretende stellvertretende Mitglied werden aus den Fachrichtungen Biologie oder Medizin als Berichterstatter benannt. Das Nähere regelt die Kommission in ihrer Geschäftsordnung (§ 15). (2) Die Berichterstatter nehmen eine Prüfung und Bewertung nach § 9 des Stammzellgesetzes vor und geben dazu schriftliche Voten für die Stellungnahmen der Kommission ab. Sie berichten der Kommission. (3) Die Berichterstatter können der Kommission Vorschläge für Maßnahmen nach § 7 machen. § 7 Sachverständige und andere Beteiligte. (1) Zur Erfüllung ihrer Aufgaben kann die Kommission auf Antrag von mindestens zwei Mitgliedern oder stimmberechtigten stellvertretenden Mitgliedern Sachverständige hören, Gutachten beiziehen oder einzelne Mitglieder oder stellvertretende Mitglieder mit der Wahrnehmung bestimmter Aufgaben betrauen. (2) Die Kommission kann mit der Mehrheit ihrer Mitglieder oder stimmberechtigten stellvertretenden Mitglieder beschließen, die antragstellende Person nach § 6 Abs. 2 des Stammzellgesetzes oder die für das Forschungsvorhaben verantwortliche Person (§ 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 des Stammzellgesetzes) anzuhören und zu ihren Sitzungen zu laden. § 8 Geschäftsstelle. (1) Die Kommission hat ihre Geschäftsstelle bei der zuständigen Behörde. (2) Die Geschäftsstelle führt die laufenden Geschäfte der Kommission einschließlich der Vorbereitung und Übermittlung der Stellungnahmen der Kommission an die

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zuständige Behörde. Sie unterstützt die Kommission sowie ihre Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben. (3) Die Geschäftsstelle nimmt die an die Kommission gerichteten Anforderungen der zuständigen Behörde auf Abgabe von Stellungnahmen entgegen, unterrichtet die zuständige Behörde bei Unvollständigkeit oder sonstigen offensichtlichen Mängeln der Antragsunterlagen nach § 6 Abs. 2 des Stammzellgesetzes unverzüglich und sorgt für die fristgerechte Abgabe der Stellungnahmen durch die Kommission. § 9 Sitzungen der Kommission. (1) Die Sitzungen der Kommission sind so anzuberaumen, daß ihre Stellungnahmen der zuständigen Behörde innerhalb der gesetzten Fristen übermittelt werden können. Die Sitzungen sind, wenn es die Zahl der abzugebenden Stellungnahmen erfordert, in regelmäßigen Abständen anzuberaumen. (2) Das vorsitzende Mitglied beruft die Kommission ein und stellt für jede Sitzung auf Vorschlag der Geschäftsstelle eine Tagesordnung auf. (3) Die Einladung, die Tagesordnung und die Sitzungsunterlagen sollen den Mitgliedern und den stellvertretenden Mitgliedern spätestens eine Woche vor der Sitzung zugehen. Auf die Einhaltung der Frist kann verzichtet werden, wenn mindestens zwei Drittel der Mitglieder einverstanden sind. Die zuständige Behörde erhält die Einladung, die Tagesordnung und auf Anforderung die Sitzungsunterlagen nachrichtlich. (4) Mitglieder, die an der Teilnahme verhindert sind, unterrichten unverzüglich die sie vertretenden stellvertretenden Mitglieder und die Geschäftsstelle. (5) Auf Antrag der Mehrheit der Mitglieder der Kommission ist zu einer außerordentlichen Sitzung einzuladen. § 10 Durchführung von Sitzungen. (1) Die Sitzungen der Kommission sind nicht öffentlich. Die stellvertretenden Mitglieder sollen an den Sitzungen teilnehmen. (2) Das vorsitzende Mitglied eröffnet, leitet und schließt die Sitzungen; es ist für die Ordnung verantwortlich. (3) Zu Beginn der Sitzung wird über die Tagesordnung entschieden. Auf Beschluß von zwei Dritteln der Mitglieder oder stimmberechtigten stellvertretenden Mitglieder kann die Tagesordnung ergänzt werden. (4) Stimmberechtigt sind die Mitglieder, im Fall ihrer Verhinderung die sie vertretenden stellvertretenden Mitglieder. (5) Die Sitzungsteilnehmer haben über den Inhalt der Sitzung Verschwiegenheit zu wahren. § 11 Beschlußfassung. (1) Die Kommission ist beschlußfähig, wenn alle Mitglieder geladen und mindestens fünf Mitglieder oder stimmberechtigte stellvertretende Mitglieder anwesend sind. (2) Die Kommission beschließt auf der Grundlage der Berichte und Voten der Berichterstatter mit der Mehrheit der anwesenden Mitglieder oder stimmberechtigten stellvertretenden Mitglieder.

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(3) Jedes überstimmte Mitglied oder stimmberechtigte stellvertretende Mitglied kann verlangen, daß der Stellungnahme der Kommission ein schriftliches Minderheitsvotum angefügt wird. Das Minderheitsvotum ist zu begründen. Aus der Begründung muß sich ergeben, auf welchen Einzelerwägungen die Ablehnung der Stellungnahme beruht. (4) Die Kommission kann im schriftlichen Verfahren entscheiden, wenn die Berichterstatter übereinstimmende Voten abgeben. Das Nähere regelt die Kommission in ihrer Geschäftsordnung. § 12 Sitzungsprotokoll. (1) Die Geschäftsstelle fertigt über jede Sitzung ein Sitzungsprotokoll, das Ort und Zeit der Sitzung, die Beratungsgegenstände, deren Ergebnisse und ihre Begründung sowie die Stimmenverhältnisse ausweist. Minderheitsvoten werden protokolliert. Dem Sitzungsprotokoll ist eine Anwesenheitsliste beizufügen. (2) Zur Erleichterung der Erstellung des Sitzungsprotokolls kann die Geschäftsstelle den Sitzungsverlauf auf Tonträger aufzeichnen. Unmittelbar nach Genehmigung des Sitzungsprotokolls durch die Kommission sind die Aufzeichnungen zu löschen. (3) Das Sitzungsprotokoll ist vom vorsitzenden Mitglied der Kommission und von einer beauftragten Person der Geschäftsstelle zu unterzeichnen. (4) Die Geschäftsstelle übersendet das Sitzungsprotokoll an die Mitglieder, die stellvertretenden Mitglieder und die zuständige Behörde. Das Sitzungsprotokoll ist vertraulich zu behandeln. § 13 Zusammenarbeit mit der zuständigen Behörde. (1) Die Kommission soll spätestens sechs Wochen, nachdem ihr die Anforderung der zuständigen Behörde und die vollständigen Antragsunterlagen nach § 6 Abs. 2 des Stammzellgesetzes vorliegen, ihre Stellungnahme der zuständigen Behörde übermitteln. Die zuständige Behörde kann die Frist auf Antrag um höchstens vier Wochen verlängern. (2) Die Stellungnahme ist zu begründen. Sie soll die tragenden Erwägungsgründe einschließlich der maßgeblichen Gründe für die Bewertung der Hochrangigkeit der geplanten Forschungsarbeiten und das Abstimmungsergebnis enthalten. Sie muß im Fall des § 11 Abs. 3 auch die Minderheitsvoten enthalten. § 14 Tätigkeitsbericht und Unterachtung der Öffentlichkeit. Die Kommission erstellt einen jährlichen Tätigkeitsbericht, der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung veröffentlicht wird. § 15 Geschäftsordnung. Die Kommission gibt sich eine Geschäftsordnung. Die Geschäftsordnung bedarf der Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung, das seine Entscheidung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung trifft. § 16 Inkrafttreten. Diese Verordnung tritt am Tag nach ihrer Verkündung [= 24. Juli 2002] in Kraft.

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IV. Strafgesetzbuch (StGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I, S. 3322), zuletzt geändert am 1. September 2005 (BGBl. I, S. 2674) (Auszug) § 218 Schwangerschaftsabbruch. (1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Handlungen, deren Wirkung vor Abschluß der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, gelten nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes. (2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. gegen den Willen der Schwangeren handelt oder 2. leichtfertig die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren verursacht. (3) Begeht die Schwangere die Tat, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. (4) Der Versuch ist strafbar. Die Schwangere wird nicht wegen Versuchs bestraft. § 218 a Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs. (1) Der Tatbestand des § 218 ist nicht verwirklicht, wenn 1. die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 Satz 2 nachgewiesen hat, daß sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen, 2. der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird und 3. seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind. (2) Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig, wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann. (3) Die Voraussetzungen des Absatzes 2 gelten bei einem Schwangerschaftsabbruch, der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommen wird, auch als erfüllt, wenn nach ärztlicher Erkenntnis an der Schwangeren eine rechtswidrige Tat nach den §§ 176 bis 179 des Strafgesetzbuches begangen worden ist, dringende Gründe für die Annahme sprechen, daß die Schwangerschaft auf der Tat beruht, und seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind. (4) Die Schwangere ist nicht nach § 218 strafbar, wenn der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung (§ 219) von einem Arzt vorgenommen worden ist und seit der Empfängnis nicht mehr als zweiundzwanzig Wochen verstrichen sind. Das Gericht kann von Strafe nach § 218 absehen, wenn die Schwangere sich zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat.

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§ 218 b Schwangerschaftsabbruch ohne ärztliche Feststellung, unrichtige ärztliche Feststellung. (1) Wer in den Fällen des § 218 a Abs. 2 oder 3 eine Schwangerschaft abbricht, ohne daß ihm die schriftliche Feststellung eines Arztes, der nicht selbst den Schwangerschaftsabbruch vornimmt, darüber vorgelegen hat, ob die Voraussetzungen des § 218 a Abs. 2 oder 3 gegeben sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 218 mit Strafe bedroht ist. Wer als Arzt wider besseres Wissen eine unrichtige Feststellung über die Voraussetzungen des § 218 a Abs. 2 oder 3 zur Vorlage nach Satz 1 trifft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 218 mit Strafe bedroht ist. Die Schwangere ist nicht nach Satz 1 oder 2 strafbar. (2) Ein Arzt darf Feststellungen nach § 218 a Abs. 2 oder 3 nicht treffen, wenn ihm die zuständige Stelle dies untersagt hat, weil er wegen einer rechtswidrigen Tat nach Absatz 1, den §§ 218, 219 a oder 219 b oder wegen einer anderen rechtswidrigen Tat, die er im Zusammenhang mit einem Schwangerschaftsabbruch begangen hat, rechtskräftig verurteilt worden ist. Die zuständige Stelle kann einem Arzt vorläufig untersagen, Feststellungen nach § 218 a Abs. 2 und 3 zu treffen, wenn gegen ihn wegen des Verdachts einer der in Satz 1 bezeichneten rechtswidrigen Taten das Hauptverfahren eröffnet worden ist. § 218 c Ärztliche Pflichtverletzung bei einem Schwangerschaftsabbruch. (1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, 1. ohne der Frau Gelegenheit gegeben zu haben, ihm die Gründe für ihr Verlangen nach Abbruch der Schwangerschaft darzulegen, 2. ohne die Schwangere über die Bedeutung des Eingriffs, insbesondere über Ablauf, Folgen, Risiken, mögliche physische und psychische Auswirkungen ärztlich beraten zu haben, 3. ohne sich zuvor in den Fällen des § 218 a Abs. 1 und 3 auf Grund ärztlicher Untersuchung von der Dauer der Schwangerschaft überzeugt zu haben oder 4. obwohl er die Frau in einem Fall des § 218 a Abs. 1 nach § 219 beraten hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 218 mit Strafe bedroht ist. (2) Die Schwangere ist nicht nach Absatz 1 strafbar. § 219 Beratung der Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage. (1) Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen; sie soll ihr helfen, eine verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu treffen. Dabei muß der Frau bewußt sein, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat und daß deshalb nach der Rechtsordnung ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommen kann, wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwächst, die so schwer und außergewöhnlich ist, daß sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt. Die Beratung soll durch Rat und Hilfe dazu beitragen, die in Zusammenhang mit der Schwangerschaft bestehende

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Konfliktlage zu bewältigen und einer Notlage abzuhelfen. Das Nähere regelt das Schwangerschaftskonfliktgesetz. (2) Die Beratung hat nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz durch eine anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle zu erfolgen. Die Beratungsstelle hat der Schwangeren nach Abschluß der Beratung hierüber eine mit dem Datum des letzten Beratungsgesprächs und dem Namen der Schwangeren versehene Bescheinigung nach Maßgabe des Schwangerschaftskonfliktgesetzes auszustellen. Der Arzt, der den Abbruch der Schwangerschaft vornimmt, ist als Berater ausgeschlossen. § 219 a Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft. (1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise 1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder 2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Absatz 1 Nr. 1 gilt nicht, wenn Ärzte oder auf Grund Gesetzes anerkannte Beratungsstellen darüber unterrichtet werden, welche Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen bereit sind, einen Schwangerschaftsabbruch unter den Voraussetzungen des § 218 a Abs. 1 bis 3 vorzunehmen. (3) Absatz 1 Nr. 2 gilt nicht, wenn die Tat gegenüber Ärzten oder Personen, die zum Handel mit den in Absatz 1 Nr. 2 erwähnten Mitteln oder Gegenständen befugt sind, oder durch eine Veröffentlichung in ärztlichen oder pharmazeutischen Fachblättern begangen wird. § 219 b Inverkehrbringen von Mitteln zum Abbruch der Schwangerschaft. (1) Wer in der Absicht, rechtswidrige Taten nach § 218 zu fördern, Mittel oder Gegenstände, die zum Schwangerschaftsabbruch geeignet sind, in den Verkehr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Die Teilnahme der Frau, die den Abbruch ihrer Schwangerschaft vorbereitet, ist nicht nach Absatz 1 strafbar. (3) Mittel oder Gegenstände, auf die sich die Tat bezieht, können eingezogen werden.

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* Bei mehreren Werken eines Autors erfolgt die Nennung nach der zeitlichen Reihenfolge ihres Erscheinens.

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Sachwortregister Abhörurteil 209 Abtreibungsurteil siehe Schwangerschaftsurteil Abwägungsdebatte 203, 210 ff., 244, 272, 289, 291 actual people 250 actus purus 165 f. Akt-Potenz-Modell 165 ff. Aktualität 156 ff., 161 ff., 170, 173, 176, 182, 191, 205, 258, 265, 269, 289 altered nuclear transfer 64 Alternativlosigkeit 98, 110 f., 241, 275 Amnion-Stammzellen 54, 283 Anwartschaft(srecht) 258 ff., 284, 290 Arbeitsentwurf (ESchG) 75, 87, 109 Artspezifität siehe Speziesargument AS-Zellen siehe Stammzellen, adulte Auslegung – historisch-genetische 128 ff., 138 f., 198, 243, 251 – teleologische 123, 128, 135 ff., 243, 251 siehe auch Kanones Ausnahmebewilligung siehe Verbot, repressives Baby-take-home-Rate 42 Befruchtung – künstliche 21, 27 ff., 39 ff., 58 f., 70 f., 73, 76 f., 88, 115, 167, 178, 185, 194, 199 ff., 215 ff., 228, 236 f., 263, 273 f., 279, 286 – natürliche 29 ff. Befruchtungsembryo 28 ff., 72, 117, 167 f., 178, 181, 185, 192, 223, 263, 275 f., 287 f. Benda-Kommission 74 ff., 81, 88

Bestimmtheitsgebot 84, 92 Biomedizinkonvention 239 Blastomere 32 f., 38, 44, 66 Blastozyste 32 ff., 38 f., 43 f., 47 ff., 54, 59 f., 63 ff., 188 Brückenthese 179 Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Fortpflanzungsmedizin“ 74 f., 83 ff. cell replacement therapy 52 Chimären- und Hybridbildung siehe Interspezies-Interaktionen Chordafortsatz 36 Crossing-over 30, 59 Dammbruchargument 86, 89, 108, 116, 287 Derogationsthese 147 ff. Destinatär siehe Vorwirkungsdestinatär Determinismus, genetischer 31, 235 f. Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 53, 74, 91, 94 ff., 98 diploid 30, 59 f. Diskussionsentwurf (ESchG) 74 f., 81 ff., 88, 115 DNA 31, 46 f., 60, 190 Dolly 28, 45 ff., 58, 61 f., 68, 71 ff., 91 ff., 101, 112, 173, 286 double embryo transfer (DET) 41 Dreierregel 89 dy´namis (dýnamiò) 159 ff., 164 Effektivitätsargument 135 ff. EG-Zellen siehe Keimzellen, embryonale Einnistung siehe Nidation Einschlußthese 133 f.

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Sachwortregister

Eizelle 30 f., 39 ff., 43 ff., 52 f., 57 ff., 61 ff., 71, 77 ff., 82, 85, 88 f., 92, 112, 173, 192, 202 ff., 218, 287 Eizellspende 62 f., 77 ff., 101 Ektoderm 36 f. Embryo – Legaldefinition 31, 82 f., 88, 93, 112 – „überzähliger“ 22, 42, 77, 80 f., 84 ff., 95 ff., 100 ff., 112, 167, 177, 203, 215 ff., 263, 273 ff., 280 f. Embryoadoption siehe Präimplantationsadoption Embryoblast 33, 36, 188 Embryocheck, morphologischer 42 f. Embryonenschädigung 81 ff., 88 Embryonenspende 77, 85 f., 88 ff. Embryosplitting 199 ff. enérgeia (™nÝrgeia) 161 ff. Enquete-Kommission 74, 91, 96 ff., 102 ff., 108 f., 113 f., 116, 120, 149, 238 ff., 288 ens 166 entelécheia (™ntelÝxeia) 161 ff. Entkoppelungsthese 193 ff., 243, 250 f., 298 Entoderm 36 f. Epiblast siehe Ektoderm Ersatzmutterschaft 77 ff., 220 esse tantum 166 ES-Zellen siehe Stammzellen, embryonale Ethikkommission 110 f. Eugenik 277 Europarat 239 Extensionsproblem 121, 130 ff., 151

Fötus (Fetus) 37 f., 82 f., 188, 195, 201, 217 Furchung 32, 38, 42 ff. Fusionstechnik 46, 52, 173

Fähigkeit 157 ff., 192 Follikelpunktion 39 ff. Forschungsfreiheit siehe Wissenschaftsfreiheit Fortpflanzungsfreiheit 276 ff. Fortpflanzungsmedizingesetz 84, 88, 91, 94

I-Argument siehe Identitätsargument ICSI-Verfahren 41, 71, 173, 236 Identität – absolute 183 – genetische 31 f., 140, 143, 182 ff. – mathematische 92 – numerische 182 ff.

Gameten siehe Keimzellen Gametenverschmelzung siehe Syngamie Gastrulation 36 ff. Gattungsschutz – biologistisch 230 – soziologisch-diskursethisch 230 ff. Gendefekt, uniparentaler 44 Genom 31, 44, 47, 185, 189 f., 231 Genomanalyse 76 Gentransfer 77, 80 f. Großer Lauschangriff (Urteil) 209 ff. Grundsatzausschuß siehe Parlamentarischer Rat haploid 30 f., 59 f., 198 Haufen-Paradoxon siehe Sorites-Paradoxon Hauptausschuß siehe Parlamentarischer Rat HCG (humanes Chorion-Gonadotropin) 34, 40 Hensen-Knoten siehe Primitivknoten Herdegen-Kontroverse siehe Abwägungsdebatte Heritage-Konzept 232 Herrenchiemseer Entwurf 129 Hochrangigkeit 77 f., 81, 86, 89, 98, 110 f., 241, 275 Hyperstimulationssyndrom 40 Hypoblast siehe Entoderm

Sachwortregister – personale 183 ff. – relative 183 f. Identitätsargument (I-Argument) 106, 140, 151 f., 154, 182 ff., 191, 289 Implantation siehe Nidation Imprägnation 30 f., 39 ff. Imprinting 60 Instrumentalisierung(sverbot) 86, 100, 114, 207 ff., 217, 227, 234 ff., 276 Interspezies-Interaktionen 77, 80 f., 89, 93 In-vitro-Fertilisation (IVF) siehe Befruchtung, künstliche In-vitro-Fertilisation, heterologe 77 ff., 88 Kanones 122 ff., 288 siehe auch Auslegung K-Argument siehe Kontinuitätsargument Keimbahn(zellen) 65, 77, 80 f., 83, 93 Keimblätter 36 f., 55 Keimscheibe 36 ff. Keimzellen 61, 156 f., 172, 229 – embryonale 54, 97 – künstliche 61 f., 65, 199 ff. Kernverschmelzung siehe Syngamie KIP-Trias 106, 139, 151, 154, 182, 191, 288 Klonbericht 74, 92 ff., 97, 116 Klonbryo 47 Klonen – zu biomedizinischen Forschungszwekken 48 ff., 120, 216 f. – zu diagnostischen Zwecken 215, 223, 228 ff., 234 ff., 249, 274, 278 f. – zu reproduktiven Zwecken 50, 71, 93, 101, 215, 228 ff., 233 ff., 249, 274, 278, 285, 291 – zu therapeutischen Zwecken 50 ff., 62 f., 71, 91 ff., 97, 100 ff., 110, 199, 215, 223, 228 ff., 249, 262, 274, 278 f., 285 f., 291 siehe auch Zellkerntransferklon Knock-out-Embryo siehe Laborartefakt, begrenzt entwicklungsfähiges

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Kontingenz 198 ff., 231, 235 Kontinuitätsargument (K-Argument) 106, 139, 151 f., 154, 177 ff., 191, 289 Kontrollerlaubnis siehe Verbot, präventives Konzeption 29, 32, 38 Koppelungsthese 106, 122, 192 ff. Kronprinzenargument 174 Kryokonservierung 41 f., 77, 85, 88, 168, 201, 220 f. Kunstfreiheit 252 ff. Laborartefakt, begrenzt entwicklungsfähiges 24, 17, 58 ff., 117, 169 f., 176 ff., 186, 191 ff., 263, 266 f., 284, 287 f., 291 large offspring syndrome (LOS) 47 Lüth-Urteil 230 Material, humanbiologisches 22, 282 f. Mehrlingsbildung 36 ff., 41 ff., 186 ff., 202 Meiose 30 f., 40, 46, 59 f. Menschenbild 80, 198 ff., 230 f., 233, 236 Mephisto-Beschluß 252 ff., 262, 283, 290 Mesoderm 37 Mitochondrium 47, 53, 92, 185 Mitose 30 Möglichkeit – dispositionelle 157 ff. siehe auch Vermögen, dispositionelles – logische 156 ff., 160 siehe auch Possibilität Moratoriumslösung, doppelte 221 ff., 273 Morula 33, 38 Nachweltschutz 248 ff., 264 Nachwirkungen 254 ff., 281 ff., 290 Nasciturus 139 ff., 147 ff., 259 f. Nationaler Ethikrat 74, 91, 103 ff., 113 f., 116, 120, 142, 238 ff., 246, 269, 288

338

Sachwortregister

Nidation 33 ff., 38, 42 f., 60, 63, 70, 96, 105 f., 140, 179 f., 202, 221, 246, 266 Nidationshemmer 96, 106 Objektformel, Dürigsche 206 ff., 212 f., Objektivierung(sverbot) 207 ff., 227, 234 ff., 278 Offiziersbeispiel 184 Omnipotenz 66 Oogenese 30 f. Oozyte siehe Eizelle Ordre public 112 ff., 241 Organogenese 29, 37 f. Ovulationsinduktion 40 P-Argument siehe Potentialitätsargument Parlamentarischer Rat 129 ff., 197 f., 251 Parthenogenese 24, 59 ff., 70, 169 f., 175 Parthenote siehe Parthenogenese Petitio principii 137, 181, 213 Plazenta 61, 188 Pluripotenz 33, 44, 51, 55 ff., 65 f., 91, 101, 197, 175, 203, 215, 223 ff., 237 ff., 266, 274 ff., 281 ff. Polkörper 30 f., 44, 59 f., 167, 178, 182, 185, 190 ff., 228 Polkörperbiopsie 44 Polkörperdiagnostik siehe Polkörperbiopsie Positionseffekte, mütterliche 34 Possibilität 156 ff., 160, 173 possible people 248 ff. postmortal 252 ff., 284, 290 potentia activa 163 ff., 172 potentia passiva 164 f. potential people 250 Potentialität – i. e. S. siehe Vermögen, dispositionelles – i. w. S. 158 – aktive 163 ff., 171 ff., 177 f., 195 f., 263 – fiktive 171 ff.

– passive 164 ff., 171 ff. – reale 160 ff., 171 ff., 195 Potentialitätsargument (P-Argument) 79, 106, 140, 151 f., 154 ff., 180, 185, 190 f., 213, 243 f., 257 ff., 265, 284, 288 ff. – schwaches 258, 284, 290 – starkes 258, 284, 290 Potentialitätsschutz 258 Präimplantationsadoption 107, 220 ff., 273 Präimplantationsdiagnostik (PID) 43 f., 120, 215, 223 ff., 245, 262, 274 ff., 285, 291 Pränataldiagnostik (PND) 245, 277 prävital 254 ff., 284, 290 Primitivknoten 36 Primitivstreifen 36 ff., 186 f. Probabilität 157 f., 167, 218, 263 Pronukleus siehe Vorkern(stadium) Ranghöhedebatte 203 ff., 212, 244, 269, 284, 289 ff. Realmöglichkeit 160 ff., 172 Rechte, subjektlose 259 f. Rechtsfähigkeit 259 f. Regierungsentwurf (ESchG) 87 ff. Reifeteilung siehe Meiose Relation – diachrone 231 ff. – synchrone 231 Reprogrammierung 45 ff., 57, 68, 71, 156, 286 Risikovorsorge siehe Vorsorgeprinzip Robert-Koch-Institut 111 Samenzelle 30 f., 41, 60 f., 143, 177, 229 S-Argument siehe Speziesargument Schöler-Embryo siehe Laborartefakt, begrenzt entwicklungsfähiges Schöler-Experiment 58 ff., 71 ff., 199, 287

Sachwortregister Schöler-Verfahren siehe Schöler-Experiment Schutzgewährkonstellation, trianguläre 138 Schutzpflicht 137 f., 141, 203, 219 ff., 237, 284, 290 – nicht-reziproke 261 ff., 284, 290 Schwangerschaftsurteil – I (1975) 78, 82, 121, 127, 139 ff., 177, 192, 252 – II (1993) 139 ff., 144 ff., 159, 184, 195, 252 Sein-Sollen-Fehlschluß 153 single embryo transfer (SET) 43 SKIP-Quadrologie 25, 151 ff., 243, 288 Slippery-slope-Argument siehe Dammbruchargument Sorites-Paradoxon 180 f. Spermatogenese 30 Spermium siehe Samenzelle Speziesargument (S-Argument) 78 f., 151 ff. Speziesismus 153 Spiegeltheorie 252 ff., 283, 290 Stammzellen – adulte (AS-Zellen) 54 ff., 66, 71, 94, 97, 283 – embryonale (ES-Zellen) – Gewinnung 25, 50, 54, 58, 64, 71, 95 ff., 100 ff., 110 ff., 239 ff., 275, 281 f., 286 ff. – Import 91, 95 ff., 107 ff., 116, 203, 215, 237 ff., 274, 281 ff., 288 ff. – Verwendung 91, 98, 110 ff., 116, 215, 237 ff., 274, 281 ff., 288 f. – neonatale 54, 97, 283 siehe auch Amnion-Stammzellen Stammzellenforschungsgesetz (Schweiz) 275 Stammzellinie 49, 73, 110, 201 Stichtag 110 f., 241 Stimulation, ovarielle 39 ff. Syngamie 30 ff., 38, 41, 168, 178, 181, 263

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Tabuschutz 90 Teilrechtsfähigkeit siehe Rechtsfähigkeit Telos 136 ff., 170, 267 Tendenzdelikt 279 Teratokarzinom 53 Teratom 53 Tierschutzgesetz 102 Topik(debatte) 125 ff. Totalinstrumentalisierung siehe Instrumentalisierung(sverbot) Totipotenz 22 ff., 32 f., 38, 44, 47, 57, 63 ff., 82, 88, 92, 112, 155 f., 167 ff., 173 ff., 191 f., 199 ff., 223 f., 250, 263 ff., 281, 287 f. – Beweisbarkeit 67 ff. – entwicklungsbiologische 22, 65 ff., 155 f., 175, 191 f., 265, 288 – Manipulierbarkeit 67 ff. – zellbiologische 65 f. Transdifferenzierung 54 ff., 71 Transfer 42 f., 47, 64, 69 f., 90, 93, 172 f., 180, 201, 218 ff., 224 f. Transferverbot 93, 222, 275 f., 279 Transplantationstechnik 46 Trophoblast 33 f., 188 f. Trophoblastenproblem 188 Tutiorismus 135 ff. Umweltrecht 248 UNESCO 232 Verbot – präventives 111, 114 – repressives 114 Vermögen, dispositionelles 155 ff., 163, 167 ff. 191 f., 218, 257 f., 263, 289 Vollzugstheorie 124 Vorkern(stadium) 24, 31 f., 38, 41 ff., 85 ff., 167 f., 178, 181, 185, 190 ff., 216, 228, 263 Vorkern-Scoring 41 Vorratsbefruchtung 85 ff. Vorsorgeprinzip 233 f., 249 f., 271, 278

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Sachwortregister

Vorwirkungsbegünstigter siehe Vorwirkungsdestinatär Vorwirkungsdestinatär 263, 268, 273 f., 278, 281 ff., 290 Wahrscheinlichkeit siehe Probabilität Wissenschaftsfreiheit 80, 96 ff., 106 ff., 114 ff., 137 ff., 275, 278, 282 Zellkerntransfer – embryonaler (EZKT) 46 – fetaler (FZKT) 46, 201

– somatischer (SZKT) 28, 45 ff., 57 f., 63, 71, 92 ff., 101, 112 f., 116, 144, 168, 235, 286 Zellkerntransferklon 27, 45 ff., 70 ff., 117, 168, 177 f., 185, 194, 199 ff., 223, 229, 263 f., 286 ff. siehe auch Klonen Zona pellucida 33, 46 Zufälligkeit siehe Kontingenz Zwillingsbildung siehe Mehrlingsbildung Zygote 31 ff., 60, 66, 157