Der Begriff der Freiheitsentziehung in Art. 104 Abs. 2 GG [1 ed.] 9783428465149, 9783428065141

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Der Begriff der Freiheitsentziehung in Art. 104 Abs. 2 GG [1 ed.]
 9783428465149, 9783428065141

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PETER HANTEL

Der Begriff der Freiheitsentziehung in Art. 104 Abs. 2 G G

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 547

Der Begriff der Freiheitsentziehung in Art. 104 Abs. 2 GG

Von Dr. Peter Hantel

Duncker & Humblot · Berlin

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Hantel, Peter: Der Begriff der Freiheitsentziehung i n Art. 104 Abs. 2 GG / von Peter Hantel. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1988 (Schriften zum Öffentlichen Recht; Bd. 547) Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1987/88 ISBN 3-428-06514-X NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1988 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 61 Druck: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3-428-06514-X

Vorwort Die Arbeit wurde im Wintersemester 1987/88 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Schrifttum sind bis Juni 1987 berücksichtigt. Besonderen Dank schulde ich dem Erstgutachter Prof. Dr. Manfred Goessl, der die Arbeit durch seine Anregungen, seine geduldige und konstruktive K r i t i k und durch seine organisatorische Hilfe entscheidend gefördert hat. Dem Zweitgutachter Prof. Dr. Heinz Wagner danke ich für seine Hinweise insbesondere zu den polizeirechtlichen Aspekten meiner Arbeit. Beim Verlag Duncker & Humblot/Berlin bedanke ich mich für die Aufnahme in die Schriftenreihe zum Öffentlichen Recht. Berlin, im Juli 1988 Peter

Hantel

Inhaltsverzeichnis Einführung

17

Teil I Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person A. Regelungen des Grundgesetzes I. System der Regelungen in Art. 2 I I 2, 3, 104 und 115 c I I Nr. 2 GG 1. Regelungen des Art. 2 I I 2,3 GG a) Die Freiheit der Person als Fortbewegungsfreiheit aa) Die Freiheit der Person und die allgemeine Handlungsfreiheit bb) Die Freiheit der Person und die Freizügigkeit

19 19 19 19 20 21

b) Die Unverletzlichkeit der Freiheit der Person

22

c) Der Gesetzesvorbehalt nach Art. 2 I I 3 GG

22

2. Ergänzungen des Art. 2 I I 2 GG durch Art. 104 I GG hinsichtlich der Eingriffsgrundlage und des Eingriffsverfahrens

25

a) Der förmliche Gesetzesvorbehalt

26

b) Die Beachtung der gesetzlichen Formen

28

c) Das Mißhandlungsverbot

29

3. Ergänzungen des Art. 2 I I 2 GG durch Art. 104 I I GG im Falle von Freiheitsentziehungen hinsichtlich der Eingriffszuständigkeit und des Eingriffsverfahrens

30

a) Die Eingriffszuständigkeit des Richters nach Art. 104 I I 1 GG . . .

30

aa) Der Richtervorbehalt als Form präventiven Rechtsschutzes

30

bb) Der Richtervorbehalt als objektive Kompetenzbegrenzung der Exekutive

32

b) Die Eingriffszuständigkeit der Exekutive nach Art. 104 I I 2, 3 GG

33

aa) Höchstfrist für Freiheitsentziehungen durch die Polizei nach Art. 104 I I 3 GG bb) Verpflichtung der Polizei zur unverzüglichen Herbeiführung

37

einer richterlichen Entscheidung cc) Ergänzungen der Höchstfristen durch Art. 115 c I I Nr. 2 GG c) Das Eingriffsverfahren bei Freiheitsentziehungen

39 42 43

aa) Rechtliches Gehör des Betroffenen

43

bb) Sachverhaltsaufklärungs- und Begründungspflicht

45

4. Ergänzungen des Art. 2 I I 2 GG durch Art. 104 I I I GG im Falle von Festnahmen wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung a) Eingriffszuständigkeit bei Festnahmen aa) Richtervorbehalt bei Festnahmen und Verhaftungen bb) Vorläufiges Festnahmerecht der Exekutive oder Dritter . . . .

46 46 46 46

b) Eingriffsverfahren bei Festnahmen

48

c) Verhältnis von Art. 104 I I I GG zu Art. 104 I I GG und Art. 103 I GG

49

5. Ergänzungen des Art. 2 I I 2 GG durch Art. 104 IV GG im Falle von Freiheitsentziehungen hinsichtlich des Eingriffsverfahrens

49

a) Benachrichtigung durch den Richter

50

b) Verzicht auf die Benachrichtigung

50

II. Die Regelungsvorbehalte in Art. 104 GG

53

1. Regelungsvorbehalt des Art. 104 I I 4 GG

53

a) Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften im Freiheitsentziehungsverfahren

53

aa) Das Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen

54

bb) Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften in den Landesunterbringungsgesetzen

58

b) Keine Ermächtigung zur gesetzlichen Bestimmung des Begriffs der Freiheitsentziehung

59

c) Möglichkeit der Erweiterung der Rechtsgarantien durch den Gesetzgeber

60

2. Regelungsvorbehalt im Bereich des Art. 104 I I I GG

61

3. Regelungsvorbehalt im Bereich des Art. 104 IV GG

62

III. Die Freiheitsentziehung als spezieller Eingriff in die Freiheit der Person

64

1. Die grundrechtliche Relevanz des Begriffs der Freiheitsentziehung

64

a) Die unterschiedliche Terminologie bei Eingriffen in die Freiheit der Person

64

b) Unterscheidung zwischen Freiheitsbeschränkung und Freiheitsentziehung

65

2. Die Freiheitsentziehung als Zwangsmaßnahme der öffentlichen Gewalt

66

a) Eingriff durch die öffentliche Gewalt

67

b) Eingriff gegen den Willen des Betroffenen

67

3. Die Freiheitsentziehung als Eingriff von besonderer Intensität

B. Weitere Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person I. Regelungen i n den Verfassungen der Länder II. Regelungen der Europäischen Menschenrechtskonvention

69

69 69 71

Inhaltsverzeichnis 1. System der Regelungen in Art. 5, 3, 4, 6,15 MRK a) Das Grundrecht auf Freiheit nach Art. 5 MRK

71 71

aa) Schutzobjekt des Art. 5 I MRK

71

bb) Regelungsvorbehalte bei Freiheitsentziehungen

72

cc) Verfahrens- und Zuständigkeitsvorschriften nach Art. 5 I I - IV MRK

74

b) Ergänzungen des Grundrechts auf Freiheit nach Art. 3, 4, 6 MRK

75

2. Die Bedeutung des Begriffs der Freiheitsentziehung in Art. 5 MRK . . .

76

III. Regelungen im Internationalen Pakt vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte

77

1. Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person i n Art. 9 und 10 IPBPR

77

2. Der Begriff der Freiheitsentziehung i n Art. 9 und 10 IPBPR

78

C. Der strafrechtliche und zivilrechtliche Schutz der Freiheit der Person I. Der Schutz der Freiheit der Person nach § 239 I StGB II. Der Schutz der Freiheit der Person nach den §§ 823 I, 847 BGB III. Relevanz für das vorliegende Untersuchungsthema

78 78 80 82

Teil I I Der Begriff der Freiheitsentziehung in der Vorstellung der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und des Schrifttums A. Die wichtigsten Grenzfälle bei der Bestimmung des Begriffs der Freiheitsentziehung I. Kurzfristige Freiheitsentziehungen 1. Festhalten einer Person

84 84 84

2. Zwangsweiser Transport einer Person

85

3. Verbringungsgewahrsam; „Aussetzung" von Demonstranten

85

4. Kurzfristiger Polizeigewahrsam

86

II. Weiträumige Freiheitsentziehung, gelockerte Anstaltsunterbringung . . . III. Weitere Freiheitsentziehungen im Rahmen eines bestehenden Freiheitsentziehungsverhältnisses

87 87

1. Einzelhaft, Fesselung von Häftlingen

87

2. Besondere Sicherungsmaßnahmen gegenüber psychisch Kranken . . .

88

IV. Freiheitsentziehungen im Rahmen sonstiger besonderer Gewaltverhältnisse

89

1. Disziplinararrest für Soldaten

89

10

Inhaltsverzeichnis 2. Sicherungsarrest an Bord von Schiffen und Kriegsschiffen

89

3. Schularrest als Schulstrafe, sog. Karzer

90

4. Zwangsweise Unterbringung von Beamten im Zwangspensionierungsverfahren

90

V. Erneute Freiheitsentziehungen

91

1. Festnahme von Flüchtigen und Verurteilten

91

2. Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB

91

VI. Kontrollierte Freiheiten durch psychische Zwangseinwirkungen

92

1. Aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen

92

2. Unterbringung in einer Familie

93

3. Ausgangsbeschränkung und Hausarrest für Soldaten

93

4. Nachsitzen als Schulstrafe

94

5. Unterbringung in einer offenen Anstalt

94

VII. Sonstige Absonderungen außerhalb spezieller Gewahrsamseinrichtungen

95

1. Quarantänemaßnahmen

95

2. Verbannung auf eine Insel

96

VIE. Unterbringimg im Rahmen bürgerlich-rechtlicher Sorgeverhältnisse . . .

96

B. Der Begriff der Freiheitsentziehung in den Vorstellungen der Gesetzgeber . .

97

I. Regelungen i n Bundesgesetzen

97

1. Die Legaldefinition i n §2 I F E V G

97

2. Die Unterbringung nach § 1631b BGB

98

3. Die Vorführung nach den §§ 161 a, 163 a StPO

98

4. Einzelhaft und Fesselung nach den §§ 89, 90 StVollzG

99

5. Ausgangsbeschränkung und Disziplinararrest nach den §§ 21, 22 WD Ο

99

6. Sistierung, erkennungsdienstliche Maßnahmen und Gewahrsam nach den §§ 17, 19, 20 BGS G 100 II. Regelungen in Landesgesetzen

100

1. Rechtsgarantien in den Landespolizeigesetzen beim Polizeigewahrsam, der Vorführung, der Sistierung und der Festhaltung von Personen 100 a) Regelungen im Musterentwurf und den neueren Polizeigesetzen von Bayern, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz 100 b) Regelungen in den Landespolizeigesetzen von Berlin, Hessen und Schleswig-Holstein 102 c) Regelungen in den Landespolizeigesetzen von Baden-Württemberg, Hamburg und dem Saarland 104 d) Keine einheitliche Rechtslage in den Landespolizeigesetzen

. . . . 105

Inhaltsverzeichnis 2. Regelungen in den Landesunterbringungsgesetzen

105

a) Die Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt

106

b) Die Unterbringung in einer offenen Anstalt

107

c) Die Vorführung psychisch Kranker

108

d) Die Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen

109

3. Zusammenfassende Darstellung der unterschiedlichen Rechtsauf fassungen 110 C. Der Begriff der Freiheitsentziehung in der Rechtsprechung

110

I. Beispiele für Freiheitsentziehungen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 110 II. Unterschiedliche Rechtsauffassung in der Rechtsprechung der Bundesund Landesgerichte 111 1. Rechtsprechung der Bundesgerichte

111

2. Rechtsprechung der Landesgerichte

114

III. Rechtsprechung zum Begriff der Freiheitsentziehung in Art. 5 I MRK . . 115 1. Rechtsprechung der Straßburger Instanzen

115

a) Der Fall Cornells J. M. Engel

115

b) Der Fall Michele Guzzardi

117

2. Rechtsprechung nationaler Gerichte a) Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs b) Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts D. Der Begriff der Freiheitsentziehung im Schrifttum

119 . . 119 120 121

I. Die Freiheitsentziehung als allumfassende Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit 121 II. Die Freiheitsentziehung als dauerhafter Eingriff

123

III. Die Freiheitsentziehung als finaler Eingriff in die persönliche Freiheit 123 IV. Die Freiheitsentziehung als hoheitliche Verwahrung einer Person

124

V. Meinungsstand zum Begriff Freiheitsentziehung in Art. 5 I MRK

125

E. Zusammenfassung und Ergebnis des vorliegenden Meinungsstandes

126

Teil I I I Die Bestimmung des Begriffs der Freiheitsentziehung durch die Auslegung des Grundgesetzes A. Wortlaut des Art. 104 I I GG

128

B. Systematische Stellung des Begriffs der Freiheitsentziehung in Art. 104 I I GG 129

12

Inhaltsverzeichnis I. Freiheitsentziehung und die polizeiliche Gewahrsamsnahme nach Art. 104 I I 3 GG 130 II. Freiheitsentziehung und die Festnahme nach Art. 104 I I I GG III. Der Begriff der Freiheitsentziehung in Art. 104 IV GG

130 132

IV. Der Begriff der Freiheitsentziehung i n Art. 115 c I I Nr. 2 GG und Art. 12 I I I GG 133 V. Der Begriff der Freiheitsentziehung in weiteren Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person 133 VI. Der Begriff der Freiheitsentziehung i n sonstigen gesetzlichen Regelungen 134 VII. Ergebnis und Konsequenzen der systematischen Interpretation C. Sinn und Zweck des Art. 104 I I GG I. Die Geeignetheit präventiver Rechtsschutzgewährung II. Die Erforderlichkeit präventiver Rechtsschutzgewährung

134 135 135 137

1. Die Bewegungsfreiheit als notwendige Basis für die Ausübung aller Grundrechte 138 2. Kriterien für die Intensität eines Eingriffs

138

a) Der räumliche Umfang der Beschränkung der persönlichen Freiheit 139 b) Das Mittel zur Beschränkung der persönlichen Freiheit

140

c) Die Dauer der Beschränkimg der persönlichen Freiheit

141

d) Art und Umfang der hoheitlichen Überwachung

141

e) Diskriminierende Wirkung des Eingriffs

142

f) Der Zweck des Eingriffs

142

III. Ergebnis und Konsequenzen der teleologischen Interpretation

143

D. Zusammenhang des Art. 104 GG mit früheren Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person 144 I. Anfänge der Verfassungsentwicklung außerhalb Deutschlands II. Verfassungsentwicklung i n Deutschland von 1815 bis 1918 1. Entwicklung i n den Einzelstaaten a) Verfassungen vor 1848/49

144 147 147 147

aa) Die süddeutschen Verfassungen

147

bb) Sonstige deutsche Verfassungen

148

b) Verfassungen seit 1848/49

149

aa) Verfassungen außerhalb Preußens

149

bb) Die preußischen Verfassungen

150

Inhaltsverzeichnis 2. Entwicklung i m Gesamtstaat a) Entwürfe für eine Bundesverfassung 1815

151 151

b) Verfassung des Deutschen Reichs vom 28. März 1849 (Paulskirchenverfassung) 152 aa) Materialien zu § 138 bb) Schrifttum zu § 138 c) Entwürfe für die Erfurter Unionsverfassung 1850

153 156 157

d) Die Beratungen zur Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. A p r i l 1867 159 e) Die Beratungen zur Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. A p r i l 1871 (Bismarcksche Reichsverfassung) 159 HL. Verfassungsentwicklung i n Deutschland von 1919 bis 1933

160

1. Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung) 160 a) Materialien zu Art. 114 WRV

161

aa) Entstehung des Art. 114 WRV

161

bb) Stellungnahme einzelner Abgeordneter

163

b) Schrifttum zu Art. 114 WRV

164

2. Landesverfassungen zwischen 1919 und 1933

165

3. Fazit der Verfassungsentwicklung von 1919 bis 1933

166

IV. Verfassungsentwicklung i n Deutschland von 1946 bis 1948

167

V. Ergebnis und Konsequenzen der historischen Interpretation E. Entstehungsgeschichte des Art. 104 GG

168 169

I. Vorentwürfe des Art. 104 GG bei der Konferenz von Herrenchiemsee und i n den Beratungen des Parlamentarischen Rats 169 Π. Stellungnahme einzelner Abgeordneter zu den Vorentwürfen

172

ΠΙ. Konsequenzen aus den Beratungen i m Verfassungskonvent von Herrenchiemsee und im Parlamentarischen Rat 174 F. Ergebnis und Konsequenzen der verfassungsrechtlichen Interpretation des Begriffs der Freiheitsentziehung i n Art. 104 I I GG 176 I. Die Freiheitsentziehimg als zwangsweise hoheitliche Verwahrung einer Person 176 II. Beispiele für freiheitsentziehende Maßnahmen

178

14

Inhaltsverzeichnis Teil IV Konsequenzen des Untersuchungsergebnisses für die rechtliche Einordnung von Grenzfällen

A. Kurzfristige Freiheitsentziehungen

179

I. Festhalten und zwangsweiser Transport von Personen; Verbringungsgewahrsam 179 II. Kurzfristiger Polizeigewahrsam 1. Der Polizeigewahrsam als Freiheitsentziehung

180 180

2. Verzicht auf die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidimg . . . 181 B. Weiträumige Freiheitsentziehungen, gelockerte Anstaltsunterbringung

183

C. Weitere Freiheitsentziehungen im Rahmen eines bestehenden Freiheitsentziehungsverhältnisses 183 I. Einzelhaft, Fesselung von Häftlingen II. Besondere Sicherungsmaßnahmen gegenüber psychisch Kranken

183 184

D. Freiheitsentziehungen im Rahmen sonstiger besonderer Gewaltverhältnisse 185 I. Disziplinararrest nach § 22 WDO II. Sicherungsarrest an Bord von Schiffen und Kriegsschiffen

185 186

III. Schularrest, sog. Karzer

186

IV. Zwangsweise Unterbringung von Beamten

186

E. Erneute Freiheitsentziehungen I. Festnahme von Flüchtigen und Verurteilten II. Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB F. Kontrollierte Freiheiten durch psychische Zwangseinwirkungen I. Aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen II. Ausgangsbeschränkung und Hausarrest für Soldaten

187 187 188 189 189 190

III. Nachsitzen als Schulstrafe

191

IV. Unterbringung in einer offenen Anstalt

192

V. Unterbringung in einer Familie

192

Inhaltsverzeichnis G. Sonstige Absonderungen außerhalb spezieller Gewahrsamseinrichtungen . . . 193 I. Quarantänemaßnahmen nach dem BSeuchenG II. Verbannung auf eine Insel

193 194

H. Freiheitsentziehungen im Rahmen bürgerlich-rechtlicher Sorgeverhältnisse 194 I. Unterbringung durch den Sorgeberechtigten II. Unterbringung mit Willen des Sorgeberechtigten

194 196

Leitsätze

199

Literaturverzeichnis

202

Anhang

215

Einführung Das Grundgesetz stellt in Art. 104 II, I I I GG die Freiheitsentziehung grundsätzlich unter Richtervorbehalt. Nach diesem „deutschen habeas corpus" liegt die Entscheidung über die Freiheitsentziehung grundsätzlich bei dem Richter. Das Grundgesetz knüpft an die Freiheitsentziehung wichtige Rechtsfolgen und verleiht dem Begriff der Freiheitsentziehung dadurch eine hohe Bedeutimg. Das Grundgesetz bestimmt den Begriff der Freiheitsentziehimg nicht näher. Die Legaldefinition in § 2 Freiheitsentziehungsgesetz (FEVG) 1956 enthält keine verbindliche Festschreibung des Begriffs im Sinne des Grundgesetzes. Die dem Gesetz zugrunde liegende Ermächtigung i n Art. 104 I I 4 GG ermächtigt nicht zu einer verbindlichen Fixierung des Begriffs. Der Begriff der Freiheitsentziehung kann mithin nur aus dem Grundgesetz heraus entwickelt werden. Die vorliegende Arbeit bemüht sich um diese Entwicklung. Die Arbeit zeigt zunächst die Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf körperliche Bewegungsfreiheit der Person oder - kürzer - des Grundrechts auf Freiheit der Person (Teil I). Sie entfaltet das Regelungssystem der Art. 2 I I 2, 3, 104, 115 c I I Nr. 2 GG und beleuchtet die rechtliche Relevanz des Begriffs Freiheitsentziehimg. Die Arbeit zeigt auch die vergleichbaren Regelungen über die Freiheit der Person in der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950 und in dem internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte von 1966. Die Arbeit beansprucht dabei nicht die Klärung der bezeichneten Regelungen. Ihr geht es vielmehr um die Heranziehung der Fälle und Beispiele, die anhand der genannten Regelungen erörtert und entschieden wurden. Sie reichen über das innerdeutsche Beispielsspektrum hinaus. Die Arbeit zeigt sodann die Vorstellungen der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und des Schrifttums zum Begriff der Freiheitsentziehung iSd. Art. 104 GG (Teil II) und stellt der Darstellung eine Übersicht über kritische Grenzfälle für das Vorliegen oder Fehlen von Freiheitsentziehungen voran. Die Arbeit bemüht sich sodann um die Bestimmung des grundgesetzlichen Begriffs der Freiheitsentziehung durch Auslegung des Grundgesetzes (Teil III). I n diesem Teil liegt das Kernstück der Arbeit. Die Untersuchung erörtert, welche Anhaltspunkte für den Begriff der Freiheitsentziehung sich ergeben aus dem Wortlaut des Art. 104 I I GG (Teil I I I Α.), aus der systemati2 Hantel

18

Einführung

sehen Stellung der Freiheitsentziehung in Art. 104 GG (Teil I I I B.), aus dem Sinn und Zweck des Art. 104 I I GG (Teil I I I C.), aus dem Zusammenhang des Art. 104 GG mit früheren Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person (Teil I I I D.) und aus der Entstehungsgeschichte des Art. 104 GG (Teil I I I E.). Die Untersuchimg kommt zu dem Ergebnis: Eine Freiheitsentziehung liegt zunächst bei der zwangsweisen hoheitlichen Verwahrung einer Person (Einsperren oder Einschließen in ,,Haft"raum) vor, also in den von § 2 FEG geregelten Fällen. Eine Freiheitsentziehung liegt aber weiter auch vor bei Beschränkungen der körperlichen Bewegungsfreiheit, die bei wertender Betrachtung nach Intensität, räumlicher Beschränkung, zeitlicher Dauer, den verwendeten Mitteln und der diskriminierenden Wirkung einer zwangsweisen hoheitlichen Verwahrung der Person gleichstehen. Die Arbeit zeigt abschließend, wie die im Rahmen des Teiles I I bezeichneten Grenzfälle bei Anwendung der hier gezeigten Maßstäbe für Freiheitsentziehungen rechtlich einzuordnen sind (Teil IV).

TEIL I

Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person A. Regelungen des Grundgesetzes

Art. 104 enthält als sog. Habeas-Corpus-Artikel des Grundgesetzes 1 bei Eingriffen in das Grundrecht der persönlichen Freiheit, insbesondere bei Freiheitsentziehungen, zwingende Regelungen über die Eingriffsvoraussetzungen, das Eingriffsverfahren und die Eingriffszuständigkeit. Diese im IX. Abschnitt des Grundgesetzes getroffenen Regelungen des Art. 104 ergänzen das im Grundrechtsteil in Art. 2 I I 2 geschützte Recht der persönlichen Freiheit. I. System der Regelungen in Art. 2 Π 2, 3,104 und 115 c I I Nr. 2 GG 1. Regelungen

des Art. 2112,3

GG

a) Die Freiheit der Person als Fortbewegungsfreiheit Nach Art. 2 I I 2 GG ist die Freiheit der Person unverletzlich. Unter Freiheit der Person nach Art. 2 I I 2 w i r d von der ganz h. M. die körperliche Fortbewegungsfreiheit verstanden 2 . Geschützt ist die Freiheit der Verfügung über den Körper. Der Schutzbereich des Art. 2 I I 2 soll dann betroffen sein, wenn jemand durch öffentlichen Zwang gehindert wird, einen bestimmten Ort aufzusuchen, oder wenn der Betroffene an einem bestimmten Ort festgehalten wird. Entscheidend soll nur der Erfolg sein, während das Mittel, mit welchem der Eingriff vorgenommen wird, wie auch der mit dem Eingriff verfolgte Zweck ohne Bedeutung sei3. Der Schutzbereich des Art. 2 I I 2 umfaßt damit nur die körperliche Bewegungsfreiheit, also die Freiheit, ι So u.a. BVerwG v. 6.12.1956, BVerwGE 4, 196 (197); Hamann / Lenz, GG, Art. 104, Anm. A 1; Kunig in v. Münch, GG, Art. 104 Rdn. 1; vgl. zur Geschichte der Habeas-Corpus-Akte Riedel, EuGRZ, 1980, 192; ferner AK-GG-Azzola, Art. 104, Rdz. 1 m.w.N. 2 BVerfG v. 23.5.1967, BVerfGE 22, 21 (26); BVerwG v. 22.5.1958, BVerwGE 6, 354 (355); BGH v. 22.3.1961; BGHZ 35, 1 (7, 8); OVG Berlin v. 5.10.1955, DÖV 1956, 561; Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 2 II, Rdn. 49; v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 2 11, Rdn. 164; Holtkotten, BK, Art. 104 Erl. I I A l a ; Hamann / Lenz, GG, Art. 2 II, Anm. 10; Kern, GR II, S. 66; Trechsel, MRK, S. 180. 3 Holtkotten, BK, Art. 104, Erl. I I Β 1; OVG Koblenz v. 4.1.1952 A S 2, 29 (32). 2*

20

Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

einen bestimmten Ort aufzusuchen oder ihn wieder zu verlassen. Entscheidend ist für einen Eingriff nach Art. 2 I I 2, daß die öffentliche Gewalt jemanden mit Zwang an der freien Bewegimg hindert. Nicht i n den Schutzbereich des Art. 2 I I 2 fallen Maßnahmen, bei denen staatliche Organe jemanden anweisen, etwa bei einer Vorladung, sich an einen bestimmten Ort zu begeben und dort zu bleiben 4 . So hat das BVerfG in seiner Verkehrsunterrichtsentscheidung 5 festgestellt, daß die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Verkehrsunterricht kein Eingriff in das Grundrecht nach Art. 2 I I 2, 104 darstellt. Erst die zwangsweise Vorführung wegen Nichtbeachtung der Vorladung zum Verkehrsunterricht sei danach ein Eingriff i n das Grundrecht nach Art. 2 I I 2. Die bloße Anordnung, bei der noch gar nicht feststehe, ob sie überhaupt einmal zwangsweise durchgesetzt werde, stelle noch keinen Eingriff nach Art. 2 I I 2 dar 6 . aa) Die Freiheit

der Person und die allgemeine

Handlungsfreiheit

Die Freiheit der Person umfaßt auch nicht die Freiheit von jeglichem staatlichen Zwang 7 . Die gegenteiligen Auffassungen 8 knüpfen an die staatsrechtliche Diskussion in der Weimarer Republik an, bei der das Recht der persönlichen Freiheit nach Art. 114 der Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 19199, mit dem Art. 2 I I 2 wörtlich übereinstimmt, als Freiheit vom Staat verstanden wird, mit der rechtlichen Möglichkeit, alles tun zu dürfen, was kein Gesetz verbietet 10 . Diese Auffassung ist seit der Geltung des Grundgesetzes überholt, da die Freiheit, alles tun zu dürfen, was kein Gesetz verbietet, durch das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 I garantiert ist. Denn mit dem in Art. 2 I garantierten Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit besteht bereits ein generalklauselartiges Abwehrrecht gegen jede Art rechtswidrigen staatlichen Zwangs 11 . Die Schutzbereiche der Art. 2 I und Art. 2 I I 2 würden sich damit decken, so daß für eine weite Auslegung des Art. 2 I I 2, anders als bei 4 A.A. aber Baerensprung, Freiheit der Person, S. 30; Ule-Rasch, PrPVG, §§ 15 17, Rdn. 7 - 9 ; Baumann, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 531, 543; wohl auch LVG Hannover v. 27.1.1955, DÖV 1955, 444. 5 BVerfG a.a.O.; vgl. auch BVerwG a.a.O.; ferner OVG Berlin a.a.O.; OLG Frankfurt a.a.O.; OVG Münster v. 16.11.1981, NVwZ 1982, 447; Simon, DVB1. 1955, 593. 6 Bachof, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht, S. 129; Dürig i n Maunz / Dürig, GG, Art. 2 Π, Rdn. 50 und Art. 104, Rdn. 12; Kern, GR II, S. 66; ders. in DÖV 1955, 445ff.; BVerwG a.a.O.; OLG Frankfurt a.a.O.; OVG Berlin a.a.O.; siehe auch OLG Karlsruhe v. 24.1.1972, BW VB1. 1972, 77 (78). 7 Siehe hier Dürig (Fn. 6), Art. 2 II, Rdn. 4 a, Fn. 2 ; Wernicke, BK, Art. 2 II, Erl. 2 d. 8 So z.B. Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 127. 9 RGBl. S. 1383 = WRV. 10 Wernicke (Fn. 7); Anschütz, Weimarer Reichsverfassung, Art. 114, Anm. 1,1933. 11 Grundlegend BVerfG v. 16.1.1957, BVerfGE 6, 32, 41 („Elfes"); siehe ferner u.a. BVerfG v. 12.11.1958, BVerfGE 8, 274 (328); BVerfG v. 29.7.1959, BVerfGE 10, 89 (99); BVerfG v. 10.5.1960, BVerfGE 12, 341 (347).

Α. Regelungen des Grundgesetzes

21

Art. 114 WRV, gar kein Bedürfnis besteht. Damit ist davon auszugehen, daß der Schutzbereich des Art. 2 I I 2 nur die körperliche Bewegungsfreiheit umfaßt, also die Freiheit, einen bestimmten Ort aufzusuchen oder ihn wieder zu verlassen. Damit stellt das negative Element, wonach jemand daran gehindert wird, einen bestimmten Ort aufzusuchen, das eigentliche Abgrenzungskriterium zwischen einem Eingriff nach Art. 2 I I 2 und einer dem Recht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 I unterfallenden Maßnahme dar 1 2 . Bestätigt w i r d dies auch durch die unmittelbare Entstehungsgeschichte des Art. 2 I I 2 1 3 . So war in Art. 3 I I des Entwurfs von Herrenchiemsee, einem Vorentwurf des Art. 2 I I 2, nur die Freiheit vor Verfolgung, Festnahme und Haft genannt 14 . Mit Freiheit vor Verfolgung, Festnahme und Haft kann aber nur der Schutz der Bewegungsfreiheit gemeint sein, nicht aber der Schutz vor jeder Form hoheitlichen Zwangs. bb) Die Freiheit

der Person und die

Freizügigkeit

Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die Unterscheidung zwischen Art. 2 I I 2 und dem Recht auf Freizügigkeit nach Art. I I 1 5 . Nach Art. I I I genießen alle Deutschen im ganzen Bundesgebiet Freizügigkeit. Die Unterscheidung dieser beiden Grundrechte ist deshalb bedeutsam, weil die Ausübung des Freizügigkeitsrechts nach Art. 11 I I einem inhaltlich beschränkten Gesetzesvorbehalt unterliegt und anders als Art. 2 I I 2 nur auf Deutsche beschränkt ist. Die Freizügigkeitsgarantie nach Art. 11 gewährt das Recht, an jedem Ort innerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes Aufenthalt und Wohnung zu nehmen 16 . Die Freizügigkeitsgarantie schützt ihrem Wesen nach nur Ortsveränderungen von gewisser Dauer. Ein nur kurzes Aufgehaltenwerden fällt daher nicht in den Schutzbereich des Art. 111 17 . Damit greift, soweit bei einer Maßnahme nur die Freiheit eines Ortswechsels betroffen ist, allein Art. 11 I I als lex specialis gegenüber der allgemeinen räumlichen Bewegungsfreiheit des Art. 2 I I 2 ein 1 8 . Im Gegensatz dazu ist jeder Eingriff, der die körperliche Bewegungsfreiheit im sonstigen Lebenskreis des Bürgers betrifft, allein an Art. 2 I I 3, 104 zu messen. Dies gilt, obgleich naturgemäß jede Beschränkung der Bewegungsfreiheit auch die Freizügigkeit einschränkt 19 . 12

OVG Münster, a.a.O.; Dürig (Fn. 6); Tiemann, NVwZ 1987, 10 (13). Vgl. hierzu unten Teil I I I E. 14 V. Doemming / Füßlein / Matz, JöR 1, S. 63. 15 Siehe hierzu u.a. Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S. 45ff.; Pieroth, JuS 1985, 81 (87); Tiemann, NVwZ 1987, 10 (13). 16 BVerfG v. 7.5.1953, BVerfGE 2, 266 (273); BVerfG v. 23.7.1958, BVerfGE 8, 95 (97). 17 Dicke in v. Münch, GG, Art. 11, Rdn. 7. is γ. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 2 Abs. 2, Rdn. 175; Tiemann, NVwZ 1987, 10, 13. 13

22

Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

b) Die Unverletzlichkeit der Freiheit der Person Art. 2 I I 2 erklärt die persönliche Freiheit für unverletzlich 20 . Dabei ist die Bedeutung des Wortes unverletzlich eher mißverständlich, drückt doch der Terminus „unverletzlich" in der Umgangssprache die Unmöglichkeit bzw. im juristischen Sprachgebrauch die Unzulässigkeit der Verletzung aus 21 . Dies wird besonders bei der Berücksichtigung der sprachlich parallelen Wortbildung der „Unantastbarkeit" in Art. I I I deutlich 22 . Die Unrichtigkeit dieser Aussage liegt aber bei der Freiheit der Person auf der Hand, da in dieses Grundrecht kraft ausdrücklicher verfassungsrechtlicher Ermächtigung nach Art. 2 I I 3 aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden darf. Daher gibt die Aussage in Art. 2 I I 2, die Freiheit der Person sei unverletzlich, lediglich einen Verfassungsgrundsatz wieder. Dieser Grundsatz gestattet eine Durchbrechung nur dann, wenn und soweit das Grundgesetz ausdrücklich dazu ermächtigt, wie dies in Art. 2 I I 3 der Fall ist 2 3 . In der Formulierung, das Recht der persönlichen Freiheit sei unverletzlich, kommt außerdem die naturrechtliche Qualität des Grundrechts der persönlichen Freiheit zum Ausdruck 24 . Nicht ein staatlicher Verleihungsakt, sondern allein die Menschwerdung ist entscheidend für die Existenz des Grundrechts der persönlichen Freiheit. Damit braucht dieses Grundrecht nicht erst kraft gesetzlicher Positivität verliehen zu werden. Als ein Grundrecht vorstaatlichen Ursprungs wird es nicht durch das Grundgesetz geschaffen, sondern von ihm vorgefunden und damit dem gesetzten Recht vorgegeben 25. Art. 2 I I 2 stellt damit, da das Grundrecht der persönlichen Freiheit einer konstitutiven Begründung oder Anerkennung weder bedürftig noch überhaupt fähig ist, lediglich eine deklaratorische Bestätigung dessen dar, was dem Staat vorgegeben ist und von ihm nicht beseitigt werden darf. Die kategorische Erklärung, das Grundrecht der persönlichen Freiheit sei unverletzlich, soll gerade die Überstaatlichkeit und Absolutheit dieses Rechts zum Ausdruck bringen 26 . c) Der Gesetzesvorbehalt nach Art. 2 I I 3 GG Nach Art. 2 I I 3 darf in das Grundrecht der Freiheit der Person nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Dieser Gesetzesvorbehalt ist is Randelzhof er, BK, Art. 11, Rdn. 31. Ähnliche Formulierungen finden sich in Art. 4 1,10 1,13 I GG; siehe hierzu auch BVerfG v. 10.2.1960, BVerfGE 10, 302 (322). 21 Vgl. hier Gentz, Schutz der Wohnung, S. 31. 22 Vgl. hierzu Nipperdey, GR II, S. 21, 22; Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 1 II, Rdn. 74. 23 Vgl. hierzu Gentz (Fn. 21); v. Münch, GG, Art. 2, Rdn. 65. 2 * Hierzu v. Mangoldt / Klein, GG, Bd. I, S. 94; Wernicke, BK, Art. 2, Erl. 21. 25 v. Mangoldt / Klein (Fn. 24); Barzel, DÖV 1951, 337. 26 Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 101. 20

Α. Regelungen des Grundgesetzes

23

gegenständlich nicht näher bestimmt 27 . Auch Art. 104 enthält keine Regelung darüber, unter welchen materiell-rechtlichen Voraussetzungen in die Freiheit der Person eingegriffen werden darf. Anders als ζ. B. in den Art. 5 II, 11 II, 13 III, die dem Gesetzgeber inhaltliche Grenzen für schrankenziehende Gesetze vorgeben, fehlt in Art. 2 I I 3 eine vergleichbare materielle Vorgabe. Gleichwohl ergeben sich die inhaltlichen Grenzen für Gesetze nach Art. 2 I I 3 auch ohne entsprechende ausdrückliche Hervorhebung im Verfassungstext aus anderen Grundgesetzvorschriften. So hat der Gesetzgeber die Schranken des Art. 19 I zu beachten 28 . Der Satz 1 dieser Vorschrift verlangt, daß das ein Grundrecht einschränkende Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten darf. Das grundrechtseinschränkende Gesetz w i r d also bestimmt durch seinen generell-abstrakten Charakter. Eine Beschränkung der Freiheit durch ein Einzelfallgesetz ist daher unzulässig 29 . Satz 2 erfordert darüber hinaus, daß jedes Gesetz das einschränkende Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen muß. Eine weitere Zulässigkeitsvoraussetzung, die den Inhalt des grundrechtseinschränkenden Gesetzes festlegt, bestimmt Art. 19 II. Danach darf kein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden 30 . Grundsätzlich ist der unantastbare Wesensgehalt eines Grundrechts für jedes Grundrecht aus seiner besonderen Bedeutung im Gesamtsystem der Grundrechte zu ermitteln 3 1 . Das Bundesverfassungsgericht ermittelt den Wesensgehalt von Art. 2 I I 2 vorwiegend im Wege einer Rechtsgüterabwägung 32 . Danach ist die Freiheit der Person ein so hohes Rechtsgut, daß sie nur aus besonders gewichtigen Gründen eingeschränkt werden darf 3 3 . Der Wesensgehalt der Freiheit der Person ist danach dann angetastet, wenn ein gewichtiger Grund für die Entziehung der persönlichen Freiheit nicht vorliegt. Zu diesen gewichtigen Gründen gehören in erster Linie die des materiellen Strafrechts und des Strafverfahrensrechts 34 . Weiterhin sind Eingriffe fürsorgerischen Charakters zulässig, die dem Schutz des Betroffenen dienen, wie ζ. B. die Unterbringung eines wegen Geistesschwäche Entmündigten in einer geschlossenen Anstalt zu dem Zweck, ihn daran zu hindern, daß er sich 27 28

Alb. 29

Vgl. hierzu Adolf Arndt, Gesammelte juristische Schriften, S. 209. Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 15; Holtkotten, BK, Art. 104, Erl. I I

Dürig (Fn. 28). Vgl. zur absoluten und relativen Theorie zur Wesensgehaltsgarantie grundlegend Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 326ff.; ferner Schneider, Schutz des Wesensgehalts, S. 158, 182. 31 Vgl. BVerfG v. 18.7.1967, BVerfGE 22, 180 (219); BVerfG v. 15.12.1970, BVerfGE 30, 47 (53). 32 Vgl. Häberle (Fn. 30), S. 295. 33 BVerfG v. 18.7.1967, a.a.O.; BVerfG v. 15.12.1970, a.a.O.; vgl. ferner BVerfG v. 30.5.1973, BVerfGE 35, 185 (190); BVerfG v. 21.6.1977, BVerfGE 45, 187 (223). 34 BVerfG v. 18.7.1967, BVerfGE 22, 180 (219); BVerfG v. 15.12.1970, a.a.O.; BVerfG v. 30.5.1973, a.a.O.; BVerfG v. 21.6.1977, a.a.O. 30

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Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

selbst größeren persönlichen oder wirtschaftlichen Schaden zufügt 35 . Dagegen hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß ein Gesetz, dessen Inhalt allein darin besteht, einen Erwachsenen mit Hilfe einer Anstaltsunterbringung zu einem geordneten Leben hinzuführen, ihn an eine geregelte Arbeit zu gewöhnen, ihn auf Dauer seßhaft zu machen, ihn also insgesamt zu bessern, das Grundrecht der Freiheit der Person in seinem Wesensgehalt antastet, da die Besserung eines Erwachsenen als gewichtiger Grund zur Entziehung der persönlichen Freiheit nicht ausreiche 36 . Im Normbereich des Grundrechts auf Freiheit der Person begrenzt das Bundesverfassungsgericht die Kompetenz des Gesetzgebers auf die Geltendmachung und Verwirklichung absoluter öffentlicher Interessen 37 . Der Gesetzgeber ist nach Art. 2 I I 3 lediglich ermächtigt, verfassungsrechtlich vorgegebene öffentliche Interessen zu konkretisieren 38 . Der Gesetzgeber hat im Normbereich von Art. 2 I I 2 nicht die Kompetenz, die maßgebenden öffentlichen Interessen selbst zu formulieren. Er hat lediglich die Kompetenz, dasjenige, was verfassungsrechtlich vorgegeben ist, zu konkretisieren 39 . Dabei rechtfertigt nicht jedes verfassungsrechtliche Interesse eine Einschränkung des Grundrechts der persönlichen Freiheit. Einschränkungen sind vielmehr nur zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter zulässig 40 . In einem engen Zusammenhang mit der Wesensgehaltsgarantie nach Art. 19 I I steht als weitere Schranke für Gesetze nach Art. 2 I I 3 das Rechtsstaatsprinzip in Form des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Jedes die persönliche Freiheit beschränkende Gesetz steht unter dem Gebot der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Proportionalität von Mittel und Zweck 4 1 . Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordert insbesondere, daß die Dauer der Freiheitsentziehung in der Regel begrenzt ist 4 2 , daß die Fortdauer einer Freiheitsentziehung innerhalb bestimmter Zeiträume richterlich überprüft w i r d und daß die Freiheitsentziehung nur als ultima ratio, also wenn andere mildere Mittel den erstrebten Zweck nicht erreichen, in Betracht kommt 4 3 . 35 BVerfG v. 10.2.1960, BVerfGE 10, 302 (323 ff.); BVerfG v. 18.7.1967, a.a.O. 36 BVerfG v. 18.7.1967, a.a.O., S. 220. 37 Grabitz, AöR 98 (1973), 568 (602). 38 * Grabitz (Fn. 37). 39 Grabitz (Fn. 37); vgl. auch Bleckmann, Allgemeine Grundrechtslehren, S. 257. 40 Vgl. zur Einschränkung von Art. 8 GG BVerfG v. 14.5.1985, BVerfGE 69, 315 (353) (Brokdorf-Entscheidung). 41 BVerfG v. 15.12.1965, BVerfGE 19, 342 (348, 349); BVerfG v. 27.10.1970, BVerfGE 29, 312 (316); BVerfG v. 19.10.1982, BVerfGE 61, 126 (134); ferner Baerensprung, Freiheit der Person, S. 41; Spranger, DRiZ 1969, 38; Herzog, AöR 86 (1961), 216. 42 BVerfG v. 18.7.1967, a.a.O., S. 220; BVerfG v. 15.12.1970, a.a.O., S. 54; SchmidtBleibtreu / Klein, GG, Art. 104, Rdn. 9; vgl. zur lebenslangen Freiheitsstrafe BVerfG v. 21.6.1977, BVerfGE 45, 187. 43 Vgl. u.a. BVerfG v. 15.12.1965, BVerfGE 19, 342 (348, 349); BVerfG v. 27.7.1966, BVerfGE 20, 144 (148); BVerfG v. 19.10.1982, BVerfGE 61, 126 (134); VGH München v. 8.2.1982, NJW 1982, 2275 (2275).

Α. Regelungen des Grundgesetzes

25

Schließlich gilt auch für Art. 2 I I 3, daß dann, wenn Behörden und Gerichte grundrechtsbeschränkende Gesetze auslegen und anwenden, sie die grundlegende Bedeutung des Grundrechts der Freiheit der Person zu beachten haben. Wie bei der Auslegung von Vorschriften über die Beschränkung der Meinungsfreiheit 44 und der Versammlungsfreiheit 45 haben die staatlichen Organe die grundrechtsbeschränkenden Gesetze stets im Lichte der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Grundrechts der Freiheit der Person auszulegen. 2. Ergänzungen hinsichtlich

des Art. 2 II 2 GG durch Art. 104 I GG

der Eingriffsgrundlage

und des Eingriffsverfahrens

Der in Art. 2 I I 3 enthaltene allgemeine Gesetzesvorbehalt w i r d bei Eingriffen in das Grundrecht der persönlichen Freiheit, wie eingangs erwähnt, ergänzt durch die Rechtsgarantien des Art. 104. Damit werden die maßgebenden und entscheidenden Rechte des Betroffenen bei Eingriffen in die persönliche Freiheit erst durch Art. 104 festgelegt 46 . Gesetzestechnisch wäre es vorteilhafter gewesen, das Grundrecht der Freiheit der Person und die in Art. 104 enthaltenen Rechtsgarantien bei Eingriffen in dieses Recht in einem Artikel zusammenzufassen 47. Die Herausnahme der Bestimmimg sollte allerdings eine zu breite Ausgestaltung der Normen des Grundrechtsabschnitts im Grundgesetz vermeiden, um nicht die Klarheit und Übersichtlichkeit des Grundrechtskatalogs zu stören 48 . Eine Regelung von verfahrensrechtlichen Einzelheiten in dem allgemein kurz und prägnant formulierten Grundrechtsurteil wurde als störend empfunden 49 . I n der systematischen Stellung des Art. 104 darf deshalb keine versteckte Aussage über die Rechtsnatur der Bestimmungen gesehen werden. Durch den untrennbaren Zusammenhang mit Art. 2 I I erhält Art. 104 selbst Grundrechtscharakter 50 . Das „habeas-corpus-Recht" des Art. 104 ist somit eine näher konkretisierte Sondervorschrift zum Gesetzesvorbehalt des Art. 2 I I 3. Damit stellen die 44 BVerfG v. 22.11.1951, BVerfGE 7, 198 (208); BVerfG v. 20.4.1982, BVerfGE 60, 234 (240). 45 BVerfG v. 14.5.1985, BVerfGE 69, 315 (349). 46 BVerfG v. 10.2.1960, BVerfGE 10, 302 (320); Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 1; Holtkotten, BK, Art. 104, Erl. I I A l a ; Maurer, FamRZ 1960, 468; Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Rdn. 1; Schüler-Springorum, FamRZ 1961, 297. 47 So Dürig (Fn. 46). 48 So der Abgeordnete Heuß (FDP) im Grundsatzausschuß, zitiert nach v. Doemming / Füsslein / Matz, JöR (n.F.) Bd. 1, S. 746; ferner Holtkotten (Fn. 46); BVerwG v. 12.11.1954, BVerwGE 1, 229 (231). 49 Holtkotten (Fn. 46); Maurer (Fn. 46). so BVerfG v. 10.2.1960, a.a.O.; BVerwG v. 12.11.1954, BVerwGE 1, 229 (231); BVerwG v. 6.12.1956, BVerwGE 4, 196 (197); Dürig (Fn. 46), Rdn. 1; Hamann / Lenz, GG, Art. 104, Anm. A. 2; Holtkotten, GG, Art. 104, Erl. I I A a 1; Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Rdn. 2; Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG, Art. 104, Rdn. 1; Schnickmann, MDR 1976, 363 (364).

26

Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

Verfahrensvorschriften des Art. 104 Grundrechte dar, die nach Art. 1 I I I Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung unmittelbar binden 51 . Folgerichtig gehört der Art. 104 auch zu den in Art. 93 I Nr. 4 a sowie § 90 I BVerfGG aufgeführten Rechten, deren Verletzung durch die öffentliche Gewalt von den Betroffenen mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann. Der Absatz 1 des Art. 104 enthält gegenüber Art. 211 3 Ergänzungen hinsichtlich der Eingriffsgrundlage sowie der Art und Weise der Freiheitsbeschränkung. Eine Beschränkung der Freiheit ist nach Art. 104 11, 1. HS nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes möglich. Nach Art. 104 11,2. HS darf die Freiheit nur unter Beachtung der in dem förmlichen Gesetz vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Damit nimmt der Satz 1 des Art. 104 I den schon in Art. 2 I I enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn dergestalt, daß die Einhaltung der Formvorschriften eines freiheitsbeschränkenden Gesetzes zum Verfassungsgebot erhoben wird. Die Verletzung der freiheitsschützenden Form des Gesetzes wird damit zu einem Verfassungsverstoß ausgeweitet, dem der Betroffene mit dem Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde entgegentreten kann 5 2 . Nach Satz 2 darf die festgehaltene Person weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden. a) Der förmliche Gesetzesvorbehalt Ein förmliches Gesetz nach Art. 104 11 GG ist eine Norm, die in dem von der Verfassung vorgesehenen förmlichen Gesetzgebungsverfahren durch die gesetzgebende Körperschaft zustande gekommen ist 5 3 . Von Art. 81 abgesehen ist ein förmliches Gesetz gleichbedeutend mit einem Parlamentsgesetz54. Die ratio des Art. 104 11 ist, daß die Rechtsgrundlage für einen Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit eine demokratisch legitimierte Handlung des Parlamentswillens sein muß und daß sich das Parlament der ausschließlichen Verantwortung für die Normsetzung nicht begeben darf. Verordnungen, Satzungen und Gewohnheitsrecht allein sind keine ausreichende Rechtsgrundlage für freiheitsbeschränkende Maßnahmen 55 . 51 BVerfG v. 10.2.1960, a.a.O.; BVerwG v. 12.11.1954, a.a.O.; BVerwG v. 4.12.1956, a.a.O.; BGH v. 6.12.1951, BGHSt. 2, 44 (45); BGH v. 17.4.1959, BGHSt. 13, 97 (99); BGH v. 4.11.1970, BGHSt. 23, 380 (385). 52 BVerfG v. 7.10.1981, BVerfGE 58, 208 (220); BVerfG v. 29.11.1983, NJW 1984, 1025. 53 BVerfG v. 3.7.1962, BVerfGE 14,174 (186,187); Dürig, NJW 1961,1831; vgl. zum Begriff des förmlichen Gesetzes auch Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 143. 54 BVerfG a.a.O.; Dürig (Fn. 53). 55 Dürig in M a u n z / D ü r i g , GG, Art. 104, Rdn. 15; Hamann / Lenz, GG, Art. 2 Anm. 11, Art. 104, Anm. Β 2; Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Rdn. 8; Wolff, DÖV 1951, 313.

Α. Regelungen des Grundgesetzes

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Gleichwohl erfordert der förmliche Gesetzesvorbehalt nach Art. 104 I keine Totalregelung durch das Parlamentsgesetz. Vielmehr kann zwischen dem förmlichen Gesetz und dem Verwaltungs- bzw. Richterakt noch eine Rechtsverordnung oder Satzung eingeschaltet werden. Dies ist insbesondere bei sog. Blankettstrafgesetzen der Fall, bei denen der strafbegründende Tatbestand nicht abschließend im Parlamentsgesetz geregelt ist, sondern durch eine Ergänzung in anderen Normen ersetzt wird. Das Bundesverfassungsgericht 5 6 hat dazu festgestellt, daß solche Blankettstrafgesetze mit Art. 104 11 GG vereinbar sind, wenn der Gesetzgeber das, was strafbar sein soll, sowie Art und Maß der Strafe in einem förmlichen Gesetz hinreichend deutlich bestimmt hat. Erforderlich ist somit eine ausreichende Regelungsdichte im jeweiligen Parlamentsgesetz über die wesentlichen Voraussetzungen, unter denen eine Freiheitsentziehung zulässig sein soll 57 . Solange das Parlament die wesentlichen Voraussetzungen einer Freiheitsbeschränkung selbst regelt, besteht nicht die Gefahr, daß sich das Parlament der Aufgabe entzieht, über die Voraussetzungen eines so schwerwiegenden Eingriffs zu entscheiden. Die bloße Spezifizierung durch den Rechtsverordnungsgeber vermag in diesen Fällen an der Grundentscheidung des Parlaments nichts zu ändern. In einer anderen Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß eine unter Geltung der Weimarer Reichsverfassung erlassene gesetzesvertretende Rechtsverordnung als ein förmliches Gesetz anzusehen ist 5 8 . In der Entscheidimg ging es um die Gültigkeit einer Strafbestimmung in der Arbeitszeitordnung vom 21.11.1923. Das Gericht stellte darauf ab, daß gesetzesvertretende Rechtsverordnungen nach der Weimarer Reichsverfassung den Rang eines förmlichen Gesetzes hatten. Da nach Art. 129 I I I i.V.m. Art. 123 I GG die an die Stelle von Gesetzen erlassenen Rechtsverordnungen fortgelten und nur die ihnen zugrunde liegenden Ermächtigungen erlöschen, ergibt sich, daß die fortgeltenden gesetzesvertretenden Rechtsverordnungen vom Grundgesetz als ranggleich mit dem förmlichen Gesetz erachtet werden. In einem weiteren Fall, der die Rücklieferung eines deutschen Staatsangehörigen nach Österreich aufgrund des deutsch-österreichischen Auslieferungsvertrags vom 22.9.1958 59 betraf, hat das Gericht in dem Transformationsakt nach Art. 59 I I eine ausreichende parlamentarische Legitimation gesehen, die der Anforderung des Art. 104 I gerecht wird 6 0 . 56 BVerfG v. 3.7.1962, BVerfGE 14,174 (186,187) zur StVZO; BVerfG v. 25.7.1962, BVerfGE 14, 254 (259) zur StVO; BVerfG v. 3.5.1957, BVerfGE 22, 1 (18) zur Arbeitszeitordnung. 57 BVerfG v. 3.7.1962, a.a.O.; Dürig (Fn. 55). 58 BVerfG v. 3.5.1967, BVerfGE 22, 1 (13); a.A. noch AG Krefeld v. 25.3.1963, BB 1963, 434; A G Ettlingen v. 2.4.1963, BB 1963, 731; vgl. auch Blösch, NJW 1963, 480. 59 BGBl. 1960 II, S. 1342.

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Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

Aus dem förmlichen Gesetzesvorbehalt nach Art. 104 I ergibt sich ferner ein Analogieverbot 61 . Unter einer Analogie versteht man die Übertragung der für einen Tatbestand im Gesetz gegebenen Regel auf einen vom Gesetz nicht geregelten, ihm ähnlichen Tatbestand 62 . Die Analogie setzt somit notwendigerweise eine Regelungslücke voraus 63 , d.h. einen Sachverhalt, den der Gesetzgeber bei der Schaffimg der Norm nicht berücksichtigt hat. Nach Art. 104 11 soll aber nur der Gesetzgeber darüber entscheiden, in welchen Fällen eine Freiheitsentziehung angeordnet werden kann. Eine Analogie würde zu einer vom Grundgesetz nicht zugelassenen Kompetenzverschiebung führen. Statt daß der Gesetzgeber entscheidet, in welchen Fällen eine Freiheitsentziehung zulässig sein soll, würde dies der Richter oder die Exekutive im Wege einer Analogie tun. Das förmliche Gesetz ist somit nicht nur Grundlage, sondern zugleich Begrenzung der Kompetenz von Exekutive und Judikative 64 . Erforderlich ist damit, daß das förmliche Gesetz ausreichend bestimmt ist und einen Eingriff in die Freiheit der Person für zulässig erklärt 6 5 . b) Die Beachtung der gesetzlichen Formen Nach Art. 104 11 ist die Beschränkung der Freiheit nur unter Beachtung der im Gesetz vorgeschriebenen Formen zulässig. Zusammen mit dem Mißhandlungsverbot in Satz 2 ist damit von Verfassungs wegen die Beachtung bestimmter Förmlichkeiten bei freiheitsbeschränkenden Maßnahmen vorgeschrieben. Durch dieses Gebot ist die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Form zur Verfassungspflicht erhoben. Damit besteht die Möglichkeit, einen Vorstoß gegen eine gesetzliche Formvorschrift mit der Verfassungsbeschwerde anzugreifen 66 . Mit Formvorschriften sind in erster Linie die gesetzlichen Verfahrensvorschriften gemeint. Die Verbindlichkeit der gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren ergibt sich somit nicht nur aus dem normativen Charakter der jeweiligen Gesetze, sondern auch aus der verfassungsrechtlichen Verpflichtung nach Art. 104 1 1 6 7 . So hat das Bun60

BVerfG v. 13.10.1970, BVerfGE 29, 183 (196, 197). BVerfG v. 13.10.1970, BVerfGE 29, 183 (196). 62 Larenz, Methodenlehre, S. 366. 63 Hierzu Zippelius, Jur. Methodenlehre, S. 67 ff. 64 Lisken, ZRP 1980, 145. 65 Vgl. zu dem Problem der ausreichenden Bestimmtheit von Gesetzen, bei denen die Freiheitsbeschränkung bloße Nebenfolge eines Eingriffs ist, Baumann, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 539ff.; Dünnebier, JR 1964, 151; Geerds, SchlHA 1964, 61; 1965, 322; Kleinknecht, NJW 1964, 2181; Naucke, SchlHA 1963, 185 (alle zu § 81a StPO); ferner auch Koschwitz, Kurzfristige Freiheitsentziehung, S. 46. 66 BVerfG v. 7.10.1981, BVerfGE 58, 208 (220); Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 19; Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Rdn. 11; Neumann, NJW 1982, 2588, 2591; Schüler-Springorum, FamRZ 1961, 296. 67 Vgl. hierzu OLG Braunschweig v. 14.2.1950, NJW 1950, 516; OLG Düsseldorf v. 19.10.1950, JMB1. NRW 1950, 244 (245); OLG Oldenburg v. 1.12.1950, Nds. Rpfl. 1951, 38; OLG Köln v. 3.11.1964, JMB1. NRW 1965, 151 (152). 61

Α. Regelungen des Grundgesetzes

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desVerfassungsgericht 68 festgestellt, daß das Versäumnis einer nach dem baden-württembergischen Unterbringungsgesetz vorgeschriebenen mündlichen Anhörung des Betroffenen zu einem Verstoß gegen Art. 2 I I 2, 104 I führt. Danach gehört die i n einem Unterbringungsverfahren erforderliche mündliche Anhörung des psychisch Kranken vor der richterlichen Entscheidung zu einer grundlegenden Verfahrensgarantie, deren Beachtung Art. 104 I erfordert und mit grundrechtlichem Schutz versieht. Ein Unterlassen dieser Anhörung stellt somit nicht nur einen Verstoß gegen Art. 103 I, sondern auch gegen Art. 104 I dar 6 9 . Mit dem Erfordernis der Beachtung der im Gesetz vorgeschriebenen Formen knüpft Art. 104 11 an vergleichbare Regelungen in früheren Verfassungen an, die ebenfalls einen Eingriff in die Freiheit der Person nicht nur von den gesetzlichen Voraussetzungen, sondern auch von der Beachtung der im Gesetz vorgeschriebenen Formen abhängig machten 70 . Ergänzt wird das Erfordernis der Beachtimg der gesetzlich vorgeschriebenen Form durch die Absätze 2 bis 4 des Art. 104, die im Falle von Freiheitsentziehung spezielle Regelungen über das Eingriffsverfahren und die Eingriffszuständigkeit enthalten. c) Das Mißhandlungsverbot Nach Art. 104 I 2 dürfen festgehaltene Personen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden. Diese Vorschrift verbietet einen unmenschlichen Freiheitsentzug 71 . Bei dieser Bestimmung handelt es sich weitgehend um eine Klarstellung des sich aus Art. 1 ergebenden Gebots des Schutzes der Menschenwürde und dem in Art. 2 I I 1 enthaltenen Recht auf körperliche Unversehrtheit 72 . Art. 104 I 2 enthält damit im Vergleich zu diesen allgemeinen Verfassungsbestimmungen ein spezielles Mißhandlungsverbot für den Fall, daß eine Person durch die öffentliche Gewalt festgehalten wird. Unter körperlicher Mißhandlung ist entsprechend dem gleichlautenden Begriff des § 223 StGB jede unangemessene und üble Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt, zu verstehen 73 . Eine seelische Mißhandlung ist jede entehrende und entwürdigende Behandlung der festgehaltenen Person 74 . Das Bundesverfassungsgericht hat in einer grundlegenden Entscheidung festgestellt, daß die 68

BVerfGG, a.a.O. BVerfGG, a.a.O. 70 Vgl. unten Teil I I I D. Π. 71 BVerfG v. 30.1.1953, BVerfGE 2, 118 (119). 72 Kunig (Fn. 66), Rdn. 12; Dürig (Fn. 66), Rdn. 20; Seifert / Hörnig, GG, Art. 104, Rdn. 3; Martens in Drews / Wacke / Vogel / Martens, Bd. 2, S. 86. 73 So Dürig (Fn. 66), Rdn. 21; Hamann, GG, Art. 104, Anm. 4; Kunig (Fn. 66), Rdn. 14. 74 Dürig (Fn. 66); Kunig (Fn. 66). 69

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Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

zeitlich begrenzte Kontaktsperre 75 nicht gegen das Mißhandlungsverbot nach Art. 104 I 2 verstößt 76 . 3. Ergänzungen

des Art. 2 II 2 G G durch

Art. 104 II GG im Falle von Freiheitsentziehungen der Eingriffszuständigkeit

hinsichtlich

und des Eingriffsverfahrens

Art. 104 I I enthält im Falle einer Freiheitsentziehung eine Ergänzung zu Art. 2 I I 3 bezüglich der Eingriffszuständigkeit und des Eingriffsverfahrens. Nach Satz 1 darf über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter entscheiden. Satz 2 enthält für den Fall einer nichtrichterlichen Freiheitsentziehung die Verpflichtung, unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Satz 3 schreibt speziell für die Polizei eine absolute Höchstfrist vor, innerhalb der die Anrufung des Richters zu erfolgen hat. a) Die Eingriffszuständigkeit des Richters nach Art. 104 I I 1 GG Damit stellt Art. 104 I I 1 den maßgebenden Grundsatz der vorgängigen Richterentscheidung bei Freiheitsentziehung auf, während die Sätze 2 und 3 dazu lediglich Sonderfälle darstellen 77 . Eine Gleichrangigkeit zwischen der auf richterlicher Anordnung einerseits und auf exekutiver Anordnung andererseits beruhender Freiheitsentziehung ist somit in Art. 104 I I nicht vorgesehen. aa) Der Richtervorbehalt

als Form präventiven

Rechtsschutzes

Der Art. 104 I I enthält somit grundsätzlich einen Richtervorbehalt bei freiheitsentziehenden Maßnahmen durch die öffentliche Gewalt. Dieser Richtervorbehalt ergänzt den bereits nach Art. 104 11 bestehenden förmlichen Gesetzesvorbehalt. Der Richtervorbehalt gilt nach Art. 104 I I 1 für jede Freiheitsentziehung durch die öffentliche Gewalt, unabhängig davon, zu welchem Zweck sie erfolgt 78 . Dagegen gilt der Richtervorbehalt ausdrücklich nur für Freiheitsentziehungen, also nicht für jeden Eingriff in die Freiheit der Person. 75 BVerfG v. 1.8.1978, BVerfGE 49, 24 (64); vgl. hierzu auch AK-GG-Azzola, Art. 104, Rdn. 45; Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Rdn. 15. 76 Vgl. zum Problem der Zwangsernährung nach dem StrVollzG u.a. Ak-GGAzzola, Art. 104, Rdn. 46. 77 BVerfG v. 10.2.1960, BVerfGE 10, 302 (328); BGH v. 17.12.1981, BGHZ 82, 261 (263); Bettermann, GR II/2, S. 879; Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 34; Holtkotten, BK, Art. 104, Erl. C 2; Lang-Hinrichs, JR 1959, 321. 78 BVerfG, a.a.O.; Baerensprung (Fn. 4); Bettermann (Fn. 77), S. 883; Dürig (Fn. 77), Rdn. 25.

Α. Regelungen des Grundgesetzes

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Der Richtervorbehalt nach Art. 104 I I 1 bewirkt, daß der Richter zunächst eine Freiheitsentziehung anordnen muß, bevor eine solche Maßnahme vollzogen werden darf. Dem Richter ist die Anordnimg der Freiheitsentziehung in die Hand gelegt, er ist der Herr der Freiheitsentziehung 79 . Zum Begriff der Entscheidung in Art. 104 I I 1 gehört, daß der Richter in vollem Umfang die Verantwortung für die Maßnahme übernimmt 8 0 . Der Richter prüft die Recht- und die Zweckmäßigkeit des Hoheitsaktes, wobei sich seine Entscheidung insbesondere am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientieren hat 8 1 . Die richterliche Entscheidung ist damit ein Akt der Erkenntnis, was rechtens ist 8 2 . Das zur Freiheitsentziehung ermächtigende förmliche Gesetz stellt für den Richter eine Erkenntnisnorm dar 8 3 . Damit handelt es sich bei der richterlichen Entscheidung nach Art. 104 I I um eine Maßnahme, bei der die Anordnung eines Grundrechtseingriffs und die Gewährung von Rechtsschutz in einem Akt zusammenfallen. Die Entscheidung nach Art. 104 I I beinhaltet materiell sowohl Elemente eines Exekutiv- wie auch eines Judikativaktes. Hierin liegt die eigentliche Funktion des Richtervorbehalts, nämlich die Anordnung einer Maßnahme und die Gewährung von Rechtsschutz in einem A k t zu vereinen, um zu verhindern, daß durch einen rechtswidrigen Vollzug irreparable Fakten geschaffen werden 84 . Während der Richter ansonsten bei Grundrechtseingriffen durch die öffentliche Gewalt nur nach Art. 19 IV 1 auf Antrag des Betroffenen repressiv tätig wird, entscheidet der Richter nach Art. 104 I I 1 präventiv 85 . Nach Art. 19 IV 1 wird der Richter angerufen, nachdem die öffentliche Gewalt 7 » BVerfG v. 10.2.1960, BVerfGE 10, 302 (323); BVerwG v. 6.12.1956, BVerwGE 4, 196 (199); Bachof, DÖV 1952, 395; Bettermann, GR III/2, S. 880; Dürig in Maunz/ Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 25; Kern, GR II, S. 95; Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Anm. 18. 80 Überholt ist die Auffassung, Art. 104 I I setze eine Verfügung der Verwaltungsbehörde voraus, die der Richter lediglich zu bestätigen oder zu genehmigen habe, so aber Bad. VGH v. 12.7.1951, DVB1. 1951, 602 (604); Bad. VGH v. 4.4.1952, DÖV 1952, 412; vgl. zu dieser sog. Überprüfungstheorie grundlegend Schelling, VA und richterliche Entscheidung, S. 26ff.; Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 25; Richtsteig, JA 1971, S. 5 (ÖR). 81 BVerfG v. 3.5.1966, BVerfGE 20, 45 (49, 50); BVerfG v. 12.12.1973, BVerfGE 36, 264 (271); BVerfG v. 3.4.1979, BVerfGE 51, 97 (113); VGH München v. 8.2.1982, NJW 1982, 2275; Dürig (Fn. 80); Gentz, Unverletzlichkeit der Wohnung, S. 85; Hamann/ Lenz, GG, Art. 104, Anm. B. 5; Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Rdn. 18; SchmidtBleibtreu / Klein, GG, Art. 104, Rdn. 7. 82 Bettermann (Fn. 77). 83 Vgl. zur Unterscheidung zwischen Rechtsprechung und Verwaltung anhand der Unterscheidung zwischen Erkenntnis- und Verhaltensnorm Bettermann, Festgabe für Lent, S. 29. 84 Der Richter handelt sowohl als Rechtsschutz- wie auch als Eingriffsrichter; zu dem Begriff Eingriffsrichter siehe Lisken DRiZ 1979, 277; ders., ZRP 1980,145; dabei verkennt Lisken die Rechtsschutzfunktion der Entscheidimg nach Art. 104 II, wenn er nur von dem Eingriffsrichter spricht. 85 Bettermann (Fn. 77), S. 879; Dürig (Fn. 80); Hampel, FamRZ 1963, 547; Hamann /Lenz, GG, Art. 104, Anm. B. 6; Gallwas, Grundrechte, S. 74; Lorenz, Rechtsschutz des Bürgers, S. 142, 143; Maurer, FamRZ 1960, 473.

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Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

gehandelt hat, mit dem Ziel, sie zu korrigieren, ihr Unrecht wieder gutzumachen. Bei Art. 104 I I 1 wird dagegen der Richter vorgeschaltet, damit die öffentliche Gewalt kein Unrecht begeht 86 . Art. 104 I I 1,2 gewährt damit sog. präventiven Rechtsschutz 87 . Der Rechtsschutz durch den Richter w i r d in Art. 104 I I in das Verwaltungsverfahren, nämlich in das Freiheitsentziehungsverfahren, vorverlegt. Die Einschaltung des Richters verstärkt damit den materiellen Grundrechtsschutz des Art. 2 I I 2, indem er eine zusätzliche Rechtmäßigkeitskontrolle zu der Entscheidung der ebenfalls an Recht und Gesetz gebundenen Exekutive, Art. 20 III, vorsieht. Der Richtervorbehalt in Art. 104 I I ist die verfahrensrechtliche Absicherung der durch Art. 2 I I 2 bewirkten inhaltlichen Grundrechtsgewährleistung. Zwischen Art. 2 I I 2 und Art. 104 I I besteht eine Wechselwirkung, nach der das materielle Grundrecht, um effektive Wirkung zu erlangen, einer verfahrensrechtlichen Absicherung bedarf. Dabei sind grundsätzlich die Anforderungen an eine verfahrensmäßige Absicherung um so höher, je gewichtiger das jeweilige Grundrecht ist und je intensiver in dieses Grundrecht eingegriffen werden soll 8 8 . bb) Der Richtervorbehalt objektive

als

Kompetenzbegrenzung

der

Exekutive

Zugleich bewirkt der Richtervorbehalt auch eine Kompetenzbegrenzung der Exekutive. Bevor die Exekutive handeln kann, muß der Richter den Entzug der Freiheit anordnen. Lediglich das Antrags- und das Vollzugsrecht verbleiben der Exekutive, während die Anordnungsmacht, wie eingangs schon ausgeführt wurde, ausschließlich beim Richter liegt. Die Exekutive ist verpflichtet, von Amts wegen ohne Antrag des Betroffenen für die Herbeiführung der richterlichen Entscheidung zu sorgen. Diese Anordnungsmacht des Richters bedeutet einen Einbruch in eine der wichtigsten und grundsätzlichsten Einrichtungen des deutschen Verwaltungsrechts, nämlich in das Recht der Verwaltung zum ersten Zugriff 8 9 . Dieses Prinzip besagt, daß die Verwaltungsbehörde zur Ausübung und Durchsetzung ihres Rechts gegen den Gewaltunterworfenen nicht eines gerichtlichen Titels bedarf, sondern sich selbst den Vollstreckungstitel 86

Bettermann (Fn. 77), S. 879; Gallwas (Fn. 85). Präventiver Rechtsschutz bedeutet dabei die Vorschaltung einer richterlichen Entscheidung vor den eigentlichen Eingriff, die von Amts wegen und nicht erst auf Anrufung des Betroffenen erfolgt; vgl. zum Begriff „präventiver Rechtsschutz" auch Lerche, ZZP 78 (1965), S. 16; ders. in GR IV/1, S. 516. 88 Vgl. zu dem Verhältnis von materieller Rechtsgewährung und verfahrensrechtlicher Absicherung grundlegend BVerfG v. 20.12.1979, BVerfGE 53, 30 (7Iff.) (Mülheim-Kärlich-Beschluß); ferner Hesse, EuGRZ 1978, 434; Pestalozza, Der Staat 18 (1979), 481 (504); Redeker, NJW 1980, 1593; Wahl und Pietzcker, DVB1. 1982, 1084. 89 Bettermann, GR ΙΠ/2, S. 879; vgl. ferner zum Recht des ersten Zugriffs Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht III, § 122 I l l b 1; Otto Mayer, Dt. Verwaltungsrecht, § 21. 87

Α. Regelungen des Grundgesetzes

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durch Erlaß eines Verwaltungsakts beschafft, also in eigener Sache entscheidet und sich erst nachträglich auf Ersuchen des Betroffenen vor Gericht zu verantworten hat. Damit führt der Richtervorbehalt in Art. 104 I I auch zu einer objektiven Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative. Zusammenfassend ist damit festzustellen, daß Art. 104 I I eine Hemmung exekutiver Eingriffsgewalt bewirkt und bezweckt. Art. 104 I I durchbricht das oben dargelegte Prinzip des ersten Zugriffs, um bei hoheitlichen Freiheitsentziehungen eine rechtmäßige Entscheidung zu gewährleisten 90 . Der Zweck des Richtervorbehalts i n Art. 104 I I ist damit die Gewährung präventiven Rechtsschutzes im Freiheitsentziehungsverfahren. Außer in Art. 104 Π schreibt das Grundgesetz eine vorgängige Richterentscheidung noch bei Art. 13 II, bei Wohnungsdurchsuchungen 91 , nicht dagegen bei anderen Grundrechtseingriffen vor 9 2 . Aber auch im Vergleich zu Art. 13 I I enthält der Art. 104 Π wesentlich weiter gehende Rechtsgarantien, denn bei Art. 13 I I fehlt die Verpflichtung zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidimg, wenn eine Hausdurchsuchung bei Gefahr im Verzuge durch die Exekutive angeordnet wurde. So kommt in der Gewährung präventiven Rechtsschutzes bei Freiheitsentziehung der besondere Wert zum Ausdruck, den der Verfassungsgeber dem Grundrecht der persönlichen Freiheit beimißt 93 . b) Die Eingriffszuständigkeit der Exekutive nach Art. 104 I I 2, 3 GG Während Art. 104 I I 1 vorschreibt, daß über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter zu entscheiden hat, fordert Satz 2, daß bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen ist. Durch Satz 2 ist somit der Grundsatz der vorgängigen richterlichen Entscheidung nach Satz 1 durchbrochen. I n dieser Vorschrift werden Freiheitsentziehungen ohne richterliche Entscheidung zwar nicht ausdrücklich für zulässig erklärt; sie werden aber als zulässig vorausgesetzt, indem ihre Konsequenzen geregelt werden 94 . Damit hat das Grundgesetz die Freiheits90 Bettermann, W D S t R L 17 (1959), 173; vgl. ferner zum Rechtsschutz durch präventive Einschaltung des Richters Pestalozza, Der Staat 18 (1979), S. 481, 504 (für das Atomgenehmigungsverfahren); Wahl und Pietzcker, DVBl. 1982, 1086. 91 Vgl. Gentz (Fn. 81), S. 81. 92 Vgl. die sonstigen Richterkompetenzen in den Art. 92, 95 II, 97 I I GG. 93 Dürig (Fn. 80), Rdn. 23; Gentz (Fn. 81), S. 81; Hamann / Lenz, GG, Art. 104, Anm. A. 2; Holtkotten, BK, Art. 104, Erl. II. Α. 1; Koschwitz, Kurzfristige Freiheitsentziehung, S. 39. 94 Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 34; Martens i n Drews / Wacke / Martens, Gefahrenabwehr II, S. 89; Hamann / Lenz, GG, Art. 104, Anm. B.7.; Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Rdn. 21.

3 Hantel

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Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

entziehung ohne richterliche Entscheidung als zulässig anerkannt 95 . Hierbei handelt es sich um Freiheitsentziehung durch nichtrichterliche Staatsorgane, durch Organe der Exekutive 96 . Solche nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehungen werden im Schrifttum 9 7 allgemein als vorläufige oder kurzfristige Freiheitsentziehungen bezeichnet. Aus dem Aufbau des Art. 104 I I GG w i r d deutlich, daß das Grundgesetz die nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehungen nur als Ausnahme von dem Verfahrensgrundsatz der vorgängigen Richterentscheidungen zugelassen hat. Dies kommt besonders in der Verpflichtung der Verwaltung, unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, zum Ausdruck. Während eine solche Verpflichtung nach Art. 13 I I nicht besteht, geht Art. 104 I I 2 nur von der vorübergehenden Möglichkeit einer Anordnung der Freiheitsentziehung durch die Verwaltung aus. Wie oben bereits festgestellt, liegt dem Art. 104 I I 1 das maßgebende Prinzip vorgängiger rechtlicher Entscheidung zugrunde, während die Sätze 2 und 3 dazu lediglich Sonderfälle darstellen 98 . Damit wird deutlich, daß die Entscheidung des Richters nach Art. 104 I I in zwei verschiedenen Verfahrensphasen erfolgen kann. Sie erfolgt einmal nach dem Grundsatz des Satzes 1, wenn sich der Betroffene noch auf freiem Fuß befindet und die Freiheitsentziehung erst aufgrund vorgängiger richterlicher Entscheidung vollzogen wird. Zum anderen kann bereits eine nicht auf richterliche Anordnung beruhende Freiheitsentziehung vorliegen, und der Richter entscheidet erst, nachdem er unverzüglich von der Verwaltung angerufen wurde. In der Praxis dürfte insbesondere bei Freiheitsentziehungen zur Gefahrenabwehr die nachfolgende RichterentScheidung der häufiger anzutreffende Fall sein. Daher liegt nach den Landespolizeigesetzen die primäre Zuständigkeit zur Anordnimg eines Gewahrsams bei der Polizei, während erst die nachfolgenden Vorschriften bestimmen, daß bei einer solchen Freiheitsentziehung unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen ist 9 9 . In diesen Regelungen wird das Prinzip der primären Zuständigkeit des Richters zugunsten einer Erstzuständigkeit der Polizei umgekehrt. Nach dem Aufbau der Polizeigesetze ordnet zunächst grund-

95 So Dürig (Fn. 94); Hamann / Lenz (Fn. 94); Lang-Hinrichs, JR 1959, 321; Kunig (Fn. 94). 96 Dürig (Fn. 94); Hamann / Lenz (Fn. 94); Holtkotten, BK, Art. 104, Erl. II. C. 4.; Lang-Hinrichs (Fn. 95). 97 Dürig (Fn. 94); Koschwitz, Kurzfristige Freiheitsentziehung, S. 26ff.; SchmidtBleibtreu / Klein, GG, Art. 104, Rdn. 9. 9 ® So BVerfG v. 10.2.1960, BVerfGE 10, 302 (321); BGH v. 17.12.1981, BGHZ 82, 261 (263); AK-GG-Azzola, Art. 104, Rdn. 36; Hamann / Lenz (Fn. 94); vgl. auch Kunig (Fn. 94), Rdn. 21; Lang-Hinrichs (Fn. 95). 99 Art. 16, 17 BayΡAG; § 22 Bad.-Württ. PolG; §§ 18, 19 ASOG Bln.; §§ 15, 16 Brem. PolG; § 13 Hmb. SOG; §§ 46, 47 HSOG; §§ 16, 17 Nds. SOG; §§ 13, 14 NW PolG; §§ 14, 15 Rh.-Pf. PVG; § 15 Saarl. PVG; § 180 Schl.-Hol. LVwG.

Α. Regelungen des Grundgesetzes

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sätzlich die Polizei eine Freiheitsentziehung an, wobei sie allerdings verpflichtet ist, unverzüglich den Richter anzurufen. Die Voraussetzungen, unter denen die Exekutive ohne vorherige Einschaltung des Richters eine Freiheitsentziehung anordnen kann, sind in Art. 104 I I nicht geregelt. Gleichwohl lassen sich aus dem Ausnahmecharakter des Art. 104 I I 2 Rückschlüsse auf die Zulässigkeit nichtrichterlicher Freiheitsentziehungen ziehen. Als Ausnahmeregelung kann eine Freiheitsentziehung durch die Exekutive nur dann zulässig sein, wenn hierfür ein sachliches Bedürfnis besteht. Dies ist dann der Fall, wenn die sofortige Entziehung der Freiheit geboten ist. Hierzu ist in aller Regel nur die Verwaltung, insbesondere die Polizei, nicht aber der Richter in der Lage. Art. 104 I I 2 läßt also eine erst nachträgliche richterliche Entscheidung nur in den Fällen zu, in denen der mit der Freiheitsentziehung verfolgte Zweck nicht erreichbar wäre, wenn der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müßte 100 . Es handelt sich bei einer kurzfristigen Freiheitsentziehung um eine Maßnahme, die nur unter den engen Voraussetzungen der Gefahr im Verzuge zulässig ist. Erforderlich ist also, daß durch das Abwarten der richterlichen Entscheidung der Zweck der geplanten Freiheitsentziehung vereitelt zu werden droht. Dabei muß es sich um eine konkrete, unmittelbar bevorstehende Gefahr handeln, die entfernte Möglichkeit einer Zweckvereitelung reicht nicht aus 101 . Das zuständigkeitsbegründende Merkmal des Gefahrenverzugs ist die eigentliche Voraussetzung für eine kurzfristige Freiheitsentziehung durch die Verwaltung. Bestätigt w i r d dieses Ergebnis durch den Vergleich mit Art. 13 II. Danach dürfen nur bei Gefahr im Verzuge nicht-richterliche Organe eine Wohnungsdurchsuchung anordnen. Daher sind auch die Regelungen über die Primärzuständigkeit in den Landespolizeigesetzen verfassungsrechtlich unbedenklich, denn bei Freiheitsentziehung im Rahmen der Gefahrenabwehr liegt in aller Regel Gefahr im Verzuge vor, so daß ein sofortiges Einschreiten geboten ist. Eine vorherige Einschaltung des Richters würde den Zweck der Maßnahme vereiteln. Damit kann der Gesetzgeber nicht gehindert sein, die Fälle zu generalisieren, bei denen erfahrungsgemäß Gefahr im Verzug vorliegt 1 0 2 . Bei den typischen Eil- und Gefahrfällen darf der Gesetzgeber die richterliche Primärkompetenz durchbrechen und nichtrichterlichen Organen die Anordnungskompetenz zuweisen, sofern sie gehalten sind, unverzüglich nach der Anordnung eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Es ist daher verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die Polizeigesetze, anders als nach 100 BVerfG v. 8.1.1959, BVerfGE 9, 89 (97, 98); BVerfG v. 7.11.1967, BVerfGE 22, 311 (317); BVerwG v. 6.12.1956, BVerwGE 4,196 (199); BGH v. 17.12.1981, BGHZ 82, 261 (263); OVG Berlin v. 27.7.1973; DVB1.1973, 701 (702); Franz, NJW1970, 240; Lisken, ZRP 1980, 148; Hamann / Lenz, GG, Art. 104, Anm. B. 7. 101 So Gentz, Unverletzlichkeit der Wohnung, S. 87. 102 Vgl. hierzu auch Gentz (Fn. 101), S. 88. 3"

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Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

dem Grundsatz des Art. 104 I I 1 vorgesehen, die Polizei zunächst primär zur Anordnung von Freiheitsentziehungen ermächtigen, sofern sie gleichzeitig festlegen, daß eine unverzügliche Anrufung des Richters zu erfolgen hat. Gleichwohl ist die Polizei dann, wenn sie bereits längere Zeit im voraus genau weiß, daß sie eine bestimmte Person in Polizeigewahrsam nehmen wird, vor Vollstreckung der Maßnahme verpflichtet, eine richterliche Entscheidimg entsprechend dem Grundsatz des Art. 104 I I 1 herbeizuführen. Denn i n einem solchen Fall fehlt es an der für polizeiliche Maßnahmen sonst üblichen Eilbedürftigkeit, so daß die richterliche Anordnung ohne weiteres vorher herbeigeführt werden kann. Nach Art. 104 I I 2 ist bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung unverzüglich eine richterliche Entscheidimg herbeizuführen. Unverzüglich bedeutet ohne jede tatsächlich oder rechtlich gerechtfertigte Verzögerung 103 . Umstritten ist, ob es im Zusammenhang mit der Verzögerung auf die Frage des Verschuldens ankommt. Dies w i r d von einigen Autoren 1 0 4 unter Hinweis auf § 121 BGB angenommen. Nach § 121 BGB bedeutet unverzüglich ohne schuldhaftes Verzögern. Danach wäre eine Freiheitsentziehung dann rechtswidrig, wenn ζ. B. ein Mangel in der Organisation oder ein individuelles Versagen eines Beamten in nicht vorwerfbarer Art zu einer Verzögerung der Anrufung des Richters führt. Hierfür spricht, daß der Richtervorbehalt u.a. den Zweck hat, den Gewaltunterworfenen gegen Willkürmaßnahmen einzelner Beamter zu schützen. Bei einer Willkürmaßnahme liegt aber auch immer ein subjektives Verschulden des Handelnden vor. Im Gegensatz dazu wird von anderen Autoren 1 0 5 ein Verschuldenserfordernis abgelehnt. Danach sei die Legaldefinition des § 121 BGB für das bürgerliche Recht sinnvoll, das die Beziehungen der Privatpersonen untereinander regelt und auf dem Verschuldensprinzip aufgebaut ist 1 0 6 . Dagegen werde § 121 BGB den anders gelagerten Verhältnissen des öffentlichen Rechts nicht gerecht. Der Staat habe, insbesondere wenn er Eingriffe in die Grundrechte der Bürger vornimmt, für ein ordnungsgemäßes Funktionieren seines Behördenapparates unabhängig von dem Vorliegen eines Verschuldens zu sorgen. Entscheidend für die Lösung dieses Problems ist, daß das Verfahren nach Art. 104 I I nicht nur gegen Willkürmaßnahmen einzelner Beamter, sondern gegen die staatliche Gewalt überhaupt schützen soll. Daher kann es bei einer Verzögerung bei der Anrufung des Richters nicht auf ein Verschulden ankommen. Unverzüglich bedeutet daher ohne 103 Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 38; Hamann / Lenz, GG, Art. 104, Anm. B. 8.; Kunig i n v. Münch, GG, Art. 104, Rdn. 23; Martens i n Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr II, S. 89. 104 Holtkotten, BK, Art. 104, Erl. II. C. 4. b; Kern, GR II, S. 72; Samper, PAG, Art. 17, Rdn. 1. los Dürig (Fn. 103); Kunig (Fn. 103); vgl. ferner Eb. Schmidt, StPO, § 114b, Anm. 7. 106 Dürig (Fn. 103).

Α. Regelungen des Grundgesetzes

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jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen läßt 1 0 7 . Kommt es somit während der Anrufung des Richters zu einer vermeidbaren Verzögerung, so liegt hierin ein Verfahrensfehler, der die Rechtsund Verfassungswidrigkeit der Freiheitsentziehung zur Folge hat. aa) Höchstfrist

für

durch die Polizei

Freiheitsentziehungen nach Art. 104 II 3 GG

Während Art. 104 I I 2 vorschreibt, daß bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen ist, verbietet der anschließende Satz 3 der Polizei, aus eigener Machtvollkommenheit jemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Eingreifen im eigenen Gewahrsam zu halten. Satz 3 stellt eine Sonderregelung für den polizeilichen Gewahrsam dar, indem er eine absolute Höchstfrist für eine Freiheitsentziehung ohne richterliche Entscheidung festlegt. Was unter Polizei nach Art. 104 I I 3 zu verstehen ist, ist umstritten 1 0 8 . Hierunter kann sowohl die Vollzugspolizei wie auch alle aus der Polizei ausgegliederten Behörden der Ordnungsverwaltung, also die Verwaltungspolizei im früheren Sinne, verstanden werden 1 0 9 . So geht Kern 1 1 0 davon aus, daß unter Polizei in Satz 3 nicht nur die Vollzugspolizei, sondern auch die aus der Polizei ausgegliederten Behörden der Ordnungsverwaltung zu verstehen sind. Hierfür spricht, daß bis zur Trennung von Ordnungsverwaltung und Vollzugspolizei nach dem Zweiten Weltkrieg 1 1 1 unter Polizei die gesamte Verwaltungspolizei verstanden wurde. Denkbar ist daher, daß der Verfassungsgeber den Begriff der Polizei im klassischen Sinne verstanden wissen wollte. Dies würde z.B. bedeuten, daß die Gesundheitsbehörde, die früher zur Verwaltungspolizei gehörte 112 , auch an die Frist des Satzes 3 gebunden wäre, wenn sie eine vorläufige Unterbringung anordnet. Im Gegensatz dazu versteht Holtkotten 1 1 3 unter Polizei nur die Vollzugspolizei. Dies wird mit der Entstehungsgeschichte des Art. 104 I I begründet, !07 Dürig (Fn. 103); Krollmann, HSOG, § 48 Anm. 2; vgl. zur Verpflichtung der unverzüglichen gerichtlichen Entscheidung auch EGMR v. 23.2.1984, EGMR, EuGRZ 1985, 642 (645, 646). los Der Begriff der „Polizei" kommt außer in Art. 104 I I 3 noch in Art. 35 II, III, 40 II, 12 a I I I 1, 87 I 2, 91 I I GG vor. 109 v g l z u m Begriff der Verwaltungspolizei Sievers, DtVerw. 1941, 135. 110 Kern, GR II, S. 73; so wohl auch Hamann / Lenz, GG, Art. 104, Anm. B. 9.; Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Rdn. 24; Schelling, VA und richterliche Entscheidung, S. 42. 111 Siehe hierzu Drews / Wacke, Gefahrenabwehr I, S. 9 ff. 112 ' Drews / Wacke (Fn. 111); Sievers (Fn. 109). 113 Holtkotten, BK, Art. 104, Erl. I I C 5 a; Koschwitz, Kurzfristige Freiheitsentziehung, S. 101.

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Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

nach der die absolute Fristbegrenzung nur für die Vollzugspolizei, nicht aber für sonstige Verwaltungsbehörden gelten sollte. Eine dritte Meinung vertritt Dürig 1 1 4 . Danach sollte der Polizeibegriff in Satz 3 statt vom Organisatorischen vom Funktionellen her bestimmt werden. Polizei wären alle die Behörden, die aufgrund des allgemeinen Polizeirechts, nicht aber aufgrund von Sondergesetzen tätig werden. Dürig begründet dies damit, daß die Gefahr einer mißbräuchlichen Freiheitsentziehung sich dann wesentlich vergrößert, wenn sie nicht den konkretisierten Voraussetzungen eines Sondergesetzes entsprechen muß, sondern auf die polizeilichen bzw. eingeschränkten polizeilichen Generalklauseln gestützt werden kann. Bei dieser funktionalen Betrachtungsweise wäre Art. 104 I I 3 dann nicht anwendbar, wenn die Vollzugspolizei nicht aufgrund des allgemeinen Polizeirechts, sondern aufgrund eines Sondergesetzes tätig wird. Letztlich ist für die Beantwortung der vorliegenden Frage entscheidend, daß der Polizeibegriff bei der Schaffung des Grundgesetzes in einer Umwandlung begriffen war 1 1 5 . Insbesondere in der englischen und der amerikanischen Zone 1 1 6 wurde die Verwaltungspolizei weitgehend aufgehoben und ihre Aufgaben allgemeinen Verwaltungsbehörden übertragen 117 . Unter Polizei wurde danach nur die Vollzugspolizei verstanden, deren Aufgaben sich auf unmittelbare Exekutivmaßnahmen im Bereich der allgemeinen Gefahrenabwehr sowie auf Maßnahmen der Strafverfolgung beschränkten 1 1 8 . Es ist damit davon auszugehen, daß die weitgehend erfolgte Trennung von Verwaltungs- und Vollzugspolizei auch die Beratungen des Parlamentarischen Rats beeinflußt haben muß, zumal diese Entwicklung insbesondere im Schrifttum der unmittelbaren Nachkriegszeit eingehend erörtert wurde 1 1 9 . So führte in der 8. Sitzung des Rechtspflegeausschusses der Vorsitzende Zinn (SPD) zum letzten Satz des Art. 136 a I (Abs. 2 Satz 3 der endgültigen Fassung von Art. 104) aus, daß der Begriff Polizei heute in völliger Umwandlung begriffen sei 1 2 0 . Von der Verwaltungspolizei sei heute kaum noch etwas übrig. Grundsatz müsse sein, daß die Polizei niemanden länger in Haft behalten soll; vielmehr solle die Polizei die Person an die zuständige Behörde abgeben, etwa einen Geisteskranken in eine Heilanstalt überführen 114

Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 40. us Vgl. Götz, DtVerwG V, S. 426 (427ff.); Pioch, Das Polizeirecht, S. 119ff.; ders. DtVerw. 1949, 225, 257; Totzek, AöR 75, 1949, 193 (197). 116 Vgl. zur unterschiedlichen Rechtsentwicklung in den einzelnen Besatzungszonen, insbesondere in der sowjetischen Besatzungszone Pioch, DtVerw. 1949, 257 (258). 117 Zu den Aufgaben der Verwaltungspolizei zählte insbesondere das Meldewesen sowie die sog. Wege-, Wasser-, Bau-, Gewerbe- und Gesundheitspolizei; vgl. Schneider in Festschrift für v. Gierke, S. 234 (237); ferner Sievers, DtVerw. 18, 1941, 135. il® Schneider (Fn. 117). us Pioch, DtVerw. 1949, 225, 257; Schneider (Fn. 117), S. 234; Totzek, AöR 75, 1949, 193. ι 2 0 Zitiert nach Holtkotten, BK, Art. 104, Erl. I.

Α. Regelungen des Grundgesetzes

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oder einen Jugendlichen der Jugendwohlfahrt übergeben 121 . Desweiteren führte der Abgeordnete Zinn aus, daß mit Höchstfristregelung nicht die Einweisung eines Geisteskranken in eine Heilanstalt oder die Überweisung eines elternlosen Kindes an das Jugendamt gemeint sei. Hier sei vielmehr an den Fall gedacht, daß die Sicherheitspolizei einen Mann über die normale Frist hinaus in polizeilichem Gewahrsam hält 1 2 2 . Es wird damit deutlich, daß der Parlamentarische Rat entsprechend der dargestellten Rechtsentwicklung im Polizeiwesen mit der Polizei in Art. 104 I I 3 nur die Vollzugspolizei gemeint hat. Inbesondere sollte die Unterbringung von Geisteskranken in eine Heilanstalt von Art. 104 I I 3 nicht erfaßt sein. Schließlich ist es auch naheliegend, daß der Parlamentarische Rat insbesondere nach den in der NS-Zeit gemachten Erfahrungen gerade der Vollzugspolizei ein besonderes Mißtrauen entgegenbrachte und deshalb das Recht zur polizeilichen Gewahrsamsnahme zeitlich begrenzt hat 1 2 3 . Die Vollzugspolizei darf daher niemanden länger als die in Satz 3 festgelegte Frist in Gewahrsam halten. Dies gilt unabhängig davon, aufgrund welcher Ermächtigungsgrundlage die Polizei tätig wird. Eine Differenzierimg nach der Ermächtigungsgrundlage stand im Parlamentarischen Rat nie zur Debatte. Die Höchstfrist gilt daher auch für die Fälle, in denen die Polizei im Wege der Vollzugshilfe für andere Behörden tätig wird. Die Vollzugspolizei hat damit innerhalb der Frist des Satzes 3 entweder eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, den Betroffenen der zuständigen Behörde zu übergeben oder ihn freizulassen. Die allgemeinen Polizeigesetze 124 müssen somit Regelungen enthalten, nach denen bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen zwingend eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, der Betroffene der zuständigen Behörde zu übergeben oder freizulassen ist. Soweit in einzelnen Gesetzen 125 eine entsprechende Regelung fehlt, ergibt sich diese Verpflichtimg verfassungsunmittelbar aus Art. 104 I I 3. bb) Verpflichtung Herbeiführung

der Polizei zur unverzüglichen einer richterlichen Entscheidung

Umstritten ist ferner, ob die Verpflichtung, unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, für die Polizei auch innerhalb der in Satz 3 121 Zitiert nach Holtkotten (Fn. 120). 122 Zitiert nach Holtkotten (Fn. 120). 123 Vgl. Hamann / Lenz, GG, Art. 104, Anm. A. 2.; Holtkotten (Fn. 120); Koschwitz, Kurzfristige Freiheitsentziehung, S. 101. 124 Art. 19 Nr. 3 BayΡAG; § 22 I I I 2 Bad.-Württ. PolG; § 21 Nr. 3 ASOG Bln.; § 18 Nr. 3 Brem. PolG; § 13 V Hmb. SOG; § 48 I HSOG; § 19 Nr. 3 Nds. SOG; § 16 Nr. 3 PolG NW; § 17 Nr. 3 Rh.-Pf. PVG (binnen 24 Stunden); § 180 IV Schl.-Hol. LVwG; § 20 I I I BGSG. 125 § 15 Saarl. PVG; vgl. zu § 15 Saarl. PVG auch unten S. 37.

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Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

genannten Frist besteht. Die Beantwortung dieser Frage ist von großer praktischer Bedeutung, denn von ihr hängt ab, ob die Polizei grundsätzlich die Frist des Satzes 3 ausschöpfen darf, ohne den Richter unverzüglich um eine Entscheidimg anrufen zu müssen 126 . Besonders von Koschwitz 1 2 7 wird eine Verpflichtung für die Polizei zur unverzüglichen Anrufung des Richters innerhalb der in Satz 3 genannten Frist verneint. Dies w i r d zum einen damit begründet, daß die ratio legis des Art. 104 I I eine unverzügliche Herbeiführung einer Richterentscheidung innerhalb der Frist des Satzes 3 nicht erfordert. So soll durch Art. 104 I I eine Wiederholung der willkürlichen Schutzhaft verhindert werden, wie sie in der NS-Zeit zur polizeilichen Praxis gehörte 128 . Damit sollen nur Freiheitsentziehungen von einiger Dauer ohne Einschaltung eines Richters ausgeschlossen werden. Kurzfristige Freiheitsentziehungen, die die Frist des Satzes 3 nicht überschreiten, können danach ohne richterliche Entscheidung vorgenommen werden, denn die Gefahr einer willkürlichen Schutzhaft besteht erst bei einer längeren Freiheitsentziehung. Darüber hinaus verweist Koschwitz darauf, daß die Entscheidung des Richters nur für die Zukunft wirke 1 2 9 . Daher verliere die Entscheidung bei einer Freiheitsentziehung, die innerhalb der Frist des Satzes 3 endet, desto mehr an Gegenstand und Bedeutung, je später sie ergehe. Sinnvoll erscheine eine Entscheidung nur dann, wenn sie möglichst frühzeitig erfolgt. Da dies aus praktischen Gründen selten möglich ist, sei eine Entscheidung innerhalb der in Satz 3 genannten Frist entbehrlich 130 . Ebenso hält Götz 1 3 1 es für entbehrlich, daß die Polizei noch zum Ende der in Art. 104 I I 3 genannten Frist eine Entscheidung herbeiführen muß. Allerdings trennt Götz diese Rechtsfrage nicht eindeutig von dem Problem, ob eine Entscheidung noch erforderlich ist, wenn der Betroffene bereits entlassen wurde 1 3 2 . Im Gegensatz dazu geht die wohl h. M. davon aus, daß die Verpflichtung zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung auch für die Polizei gelte 133 . Dies ist auch überzeugend, denn bereits die systema126 Vgl. hierzu u.a. AK-GG-Azzola, Art. 104, Rdn. 36; Dürig (Fn. 114), Rdn. 36; Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Rdn. 27. 27 1 Koschwitz (Fn. 123), S. 95, 128. 128 Koschwitz (Fn. 123), S. 104. 129 So auch Dürig (Fn. 114), Rdn. 28. "o Ebenso Wolff, DÖV 1951, 314. 131 Götz, Allg. Polizei- und Ordnungsrecht, S. 156. 132 Vgl. unten Teil IV Α. II. 2. 1 33 BVerfG v. 10.2.1960, BVerfGE 10,302 (321); OVG Berlin v. 11.11.1970, JR 1971, 392 (393); OVG Berlin v. 27.7.1973, DVB1. 1973, 701 (703); OVG Koblenz v. 4.11.1952, AS 2, 29 (33); BayObLG v. 24.4.1974, NJW 1974, 1621; Dürig (Fn. 114), Rdn. 36; Kaufmann, Pol. Eingriff, S. 264; Leibholz / Rinck, GG, Art. 104, Anm. 1; M a r t i n / Samper, PAG, Art. 17, Rdn. 1; Richtsteig, JA 1971, S. 5ff.; Riegel, NWPolG, § 14, Rdn. 4; Schnupp, RiA 1979, 67; Ule / Rasch, PVG, §§ 15 - 17, Rdn. 116.

Α. Regelungen des Grundgesetzes

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tische Interpretation des Art. 104 I I spricht für eine Verpflichtung der Polizei zur unverzüglichen Anrufung des Richters innerhalb der Frist des Satzes 3. So stellt Satz 1 das maßgebende Prinzip vorgängiger richterlicher Entscheidung auf; Satz 2 enthält die Weisimg, sie unverzüglich nachzuholen, falls der in Satz 1 gesetzten Regel nicht entsprochen worden ist; Satz 3 konkretisiert wiederum den in Satz 2 gebrauchten Ausdruck unverzüglich für den Fall, daß die Freiheitsentziehung durch die Polizei erfolgt ist. Hierin liegt keine Ausnahme von der Verpflichtung des Satzes 2. Vielmehr soll Satz 3 für die Polizei eine absolute Höchstfrist festlegen, von der ab die Freiheitsentziehung unwiderruflich rechtswidrig ist. Eine Verpflichtung für die Polizei zur unverzüglichen Anrufung des Richters entspricht auch der Absicht des Grundgesetzgebers. So hat der Abg. Zinn zum Vorentwurf des Art. 104, dem Art. 136a, bemerkt, daß es wichtig sei, daß die richterliche Entscheidung nicht binnen einer Frist, sondern generell unverzüglich einzuholen sei 134 . Die Polizeigesetze entsprechen weitgehend diesen Anforderungen. Festzustellen ist zunächst, daß die neueren, auf dem ME beruhenden Regelungen 1 3 5 eine Verpflichtung für die Polizei enthalten, unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Verpflichtung besteht unabhängig von der in Art. 104 I I 3 genannten Frist. Durch diese eindeutige Regelung hat sich der Gesetzgeber ausdrücklich dagegen ausgesprochen, der Polizei die Anrufung des Richters bei einer nur kurzen Freiheitsentziehung zu ersparen, wie dies bei früheren Regelungen der Fall w a r 1 3 6 . Art. 104 I I 3 stellt damit nach diesen gesetzlichen Regelungen für die Polizei eine absolute Höchstfrist dar, die ihr aber nicht die unverzügliche Anrufung des Richters erspart 137 . Auch die Polizeigesetze Hessens und Schleswig-Holsteins sehen die Verpflichtung zur unverzüglichen Anrufung des Richters vor. Nach § 47 S. 2 HSOG ist über die Zulässigkeit der in § 46 HSOG geregelten polizeilichen Verwahrung unverzüglich die Entscheidung des Amtsrichters herbeizuführen. Danach besteht für die hessische Polizei zwingend die Verpflichtung, unverzüglich die Entscheidung des Amtsrichters herbeizuführen 138 . Nach § 180 IV des allgemeinen Verwaltungsgesetzes für das Land Schleswig-Holstein in der Fassung vom 19.3.1979 139 (LVwG) i. V.m. § 176 IV LVwG ist bei 134

Zitiert nach Holtkotten, GG, Art. 104, Erl. I; siehe ferner Koschwitz (Fn. 123), S. 108. iss Art. 17 11 BayΡ AG; § 19 11 ASOG Bln.; § 16 I Brem. PolG; § 17 11 Nds. SOG; § 14 11 NW PolG; § 15 11 Rh.-Pf. PVG; § 163c I 2 StPO; § 20 I I 2 BGSG. 136 Riegel, NW PolG, § 14 Rdn. 4; ders., ZRP 1978, 15. ι 3 ? Martin / Samper, PAG, Art. 17, Rdn. 1; Heise / Riegel, ME, § 14, S. 64; Riegel, PolG NW, § 14, Rdn. 3; Berg / Hein, ASOG, § 19 Anm. 1 c; LT-Drs. 8/4080 S. 60 (NW). 138 Meixner, HSOG, § 47, Rdn. 3. 139 GVOB1. S. 181.

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Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

einer in Gewahrsam genommenen Person unverzüglich die richterliche Entscheidung herbeizuführen. Damit besteht auch für die schleswig-holsteinische Polizei aufgrund Landesrecht die Pflicht zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung. Im Gegensatz dazu ist die Rechtslage im Saarland, in Baden-Württemberg und Hamburg weniger eindeutig. Nach dem im Saarland noch geltenden preußischen Polizeiverwaltungsgesetz v. 1.6.1931 140 muß die in polizeiliche Verwahrung genommene Person spätestens im Laufe des folgenden Tages aus der polizeilichen Verwahrung entlassen werden. Eine Einschaltung des Richters ist überhaupt nicht vorgesehen. Dies ist aber verständlich, da bei Schaffung des PVG eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Einschaltung des Richters, wie sie im Grundgesetz vorgesehen ist, noch nicht bestand. Man w i r d daher die Regelung des § 15 PVG mittels einer verfassungskonformen Auslegung durch Art. 104 I I ergänzen müssen 141 . Damit ist auch die saarländische Polizei nach § 15 PVG i. V.m. Art. 104 I I 2 verpflichtet, unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Nach § 22 I I 2 bad.-württ. PolG darf der polizeiliche Gewahrsam ohne richterliche Entscheidung nicht länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen aufrechterhalten werden. Eine vorherige unverzügliche Einschaltung des Richters ist nach dieser Vorschrift nicht erforderlich. Nach § 22 I I I bad.württ. PolG ist es also zulässig, den Betroffenen innerhalb der in § 22 I I I 2 bad.-württ. PolG genannten Frist, die der des Art. 104 I I I 3 entspricht, festzuhalten, ohne den Richter einzuschalten. § 22 IV bad.-württ. PolG w i r d somit den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 104 I I nicht gerecht. Daher w i r d man auch diese Norm unter Rückgriff auf Art. 104 I I verfassungskonform auslegen müssen, so daß auch nach § 22 I I I bad.-württ. PolG die Verpflichtung besteht, unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Gleiches gilt für § 13 V Hamb. SOG. Auch nach diesen Vorschriften ergibt sich für die Polizei nur die Verpflichtung, den Betroffenen nach der in Art. 104 I I 3 genannten Frist zu entlassen, nicht aber, innerhalb dieser Frist unverzüglich den Richter anzurufen. Daher sind auch diese Vorschriften in verfassungskonformer Auslegung durch Art. 104 I I 2 zu ergänzen. cc) Ergänzungen

der Höchstfristen

durch Art. 115 c II Nr. 2 GG

Nach Art. 115 c I I Nr. 2 kann, soweit es die Verhältnisse während des Verteidigungsfalls erfordern, durch Bundesgesetz für den Verteidigungsfall für Freiheitsentziehungen eine von Art. 104 I I 3 und 104 I I I 104 I I I 1 abwei140

GS, S. 77, 136. Ule / Rasch, PVG, §§ 15 - 17, Rdn. 14, 116; ferner Lohse, Polizeirecht im Saarland, S. 209. 141

Α. Regelungen des Grundgesetzes

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chende Frist, höchstens jedoch eine solche von vier Tagen, für den Fall festgesetzt werden, daß ein Richter nicht innerhalb der für Normalzeiten geltenden Frist tätig werden konnte 1 4 2 . Allerdings ist Art. 115 c I I Nr. 2 kein unmittelbar geltendes Recht, sondern enthält lediglich die Ermächtigung zur Regelung abweichender Fristen durch Bundesgesetz. Voraussetzung hierfür ist, daß nach § 115 c I I der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates den Verteidigungsfall festgestellt hat. c) Das Eingriffsverfahren bei Freiheitsentziehungen Art. 104 I I enthält keine Regelung über das von dem Richter anzuwendende Freiheitsentziehungsverfahren. Allerdings ist mit der richterlichen Zuständigkeit notwendigerweise auch ein gerichtliches Verfahren verbunden 1 4 3 . Dies bedeutet, daß auch der Richter nach Art. 104 I I nur aufgrund eines sorgfältigen, mit wesentlichen verfahrensrechtlichen Garantien ausgestatteten Erkenntniswegs seine Entscheidung t r i f f t 1 4 4 . Zudem erfordert die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 I I auch im Verfahrensrecht Beachtung. So geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, daß in Art. 2 I I u. a. eine der Wurzeln des Prozeßgrundrechts auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren liegt 1 4 5 . Insoweit sind bereits von Verfassungs wegen der richterlichen Entscheidung nach Art. 104 I I bestimmte Verfahrensgrundsätze vorgegeben. aa) Rechtliches

Gehör des Betroffenen

Zu den von Verfassungs wegen vorgegebenen Verfahrensgarantien gehört vor allem das sich aus Art. 103 I GG ergebende Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs 146 . Damit hat der Richter bei seiner Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung vorher den Betroffenen anzuhören. Hierdurch soll gewährleistet werden, daß dieser auf die bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluß nehmen kann. Die Würde der Person erfordert es, daß über ihr Recht nicht kurzerhand von Obrigkeits wegen verfügt wird; der Einzelne soll nicht nur Objekt der richterlichen 142 Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG, Art. 104, Rdn. 10; Schunck / De Clerck, Staatsrecht, S. 320. i « AK-GG-Azzola, Art. 104, Rdn. 31; Dürig (Fn. 114), Rdn. 31; Hamann / Lenz, GG, Art. 104, Erl. B. 10.; vgl. auch Eb. Schmidt, StPO, L K , Bd. 1, S. 45; BVerwG v. 12.11.1954, BVerwGE 1, 229 (233). 144 So ausdrücklich Dürig (Fn. 114), Rdn. 31. 145 BVerfG v. 8.10.1985, BVerfGE 70, 297 (308); BVerfG v. 26.5.1981, BVerfGE 57, 250 (275). i « BVerfG v. 8.1.1959, BVerfGE 9, 89 (99); BVerfG v. 3.4.1959, BVerfGE 9, 231 (235); BVerfG v. 7.10.1981, BVerfGE 58, 208 (220, 221); AK-GG-Azzola (Fn. 143); Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Rdn. 30; Dürig (Fn. 114), Rdn. 31.

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Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

Entscheidung sein, sondern er soll vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um das Verfahren und das Ergebnis beeinflussen zu können 1 4 7 . Grundsätzlich w i r d im Rahmen von Art. 104 mit rechtlichem Gehör auch die Mündlichkeit der Anhörung gemeint sein, die allerdings durch Art. 103 I nicht notwendig verbürgt ist 1 4 8 . Nur so ist gewährleistet, daß sich der Richter einen persönlichen Eindruck von der betroffenen Person verschaffen kann. Allerdings ist die richterliche Anordnimg einer Freiheitsentziehung auch ausnahmsweise ohne vorherige Anhörung des Betroffenen möglich. So hat das Bundesverfassungsgericht grundlegend zu dem Problem des Verzichts auf eine vorherige Anhörung des Betroffenen bei richterlichen Entscheidungen Stellung genommen und ausgeführt, daß den Gerichten herkömmlicherweise Aufgaben übertragen worden sind, bei denen es sich nicht um die abschließende rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts handelt, sondern um vorläufige Maßnahmen zur Regelung eines einstweiligen Zustands oder zur Sicherung privater oder öffentlicher Rechte. Hierzu zählt das Bundesverfassungsgericht im Bereich der Strafrechtspflege vor allem den Haftbefehl, die Beschlagnahme- und die Durchsuchungsanordnung 149 . In einem solchen Fall kann zur Sicherung gefährdeter Interessen ein sofortiger Zugriff notwendig sein, der eine vorgängige Anhörung des Betroffenen ausschließt, um diesen nicht zu warnen 1 5 0 . Gleichwohl, stellt das Gericht fest, ist die vorgängige Anhörung des Betroffenen auch bei Art. 104 I I in jedem Fall anzustreben. Auf sie kann nur dann verzichtet werden, wenn schwerwiegende Interessen einer solchen Anhörung entgegenstehen. Solche schwerwiegenden Interessen liegen nur dann vor, wenn eine Anhörung den Zweck der Maßnahme gefährden würde 1 5 1 . Der Gesetzgeber ist daher gehalten, Eingriffe des Richters ohne vorgängiges Gehör an tunlichst enge Voraussetzungen zu binden 1 5 2 . Zudem ist erforderlich, daß der Betroffene in einem solchen Fall Gelegenheit erhält, sich wenigstens nachträglich gegen eine solche Maßnahme zu wehren 1 5 3 . Dies bedeutet, daß auch bei einer richterlichen Anordnung der Freiheitsentziehung ohne vorgängige Anhörung auf Verlangen des Betroffenen in einem Nachverfahren über die Berechtigung der getroffenen Maßnahme entschieden werden muß.

147 BVerfG v. 18.6.1957, BVerfGE 7, 53 (57); BVerfG v. 13.2.1958, BVerfGE 7, 275 (278); BVerfG v. 8.1.1959, BVerfGE 9, 89 (95). 148 vgl. BVerfG v. 3.4.1959, BVerfGE 9, 231 (235); BVerfG v. 7.10.1981, BVerfGE 58, 208 (221); AK-GG-Azzola (Fn. 143). 149 BVerfG v. 8.1.1959, BVerfGE 9, 89 (100). 150 BVerfG a.a.O., S. 98. 151 BVerfG a.a.O. ι 5 2 BVerfG a.a.O. 153 BVerfG v. 25.5.1956, BVerfGE 5, 22 (24); BVerfG v. 8.1.1959, a.a.O.; BVerfG v. 29.6.1965, BVerfGE 19, 93 (99); BVerfG v. 7.10.1981, BVerfGE 58, 208 (222).

Α. Regelungen des Grundgesetzes

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Gleichwohl ist die Anhörung des Betroffenen dann zwingend, wenn das förmliche Gesetz dies ausdrücklich vorschreibt. Denn in einem solchen Fall ergibt sich die verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Anhörung des Betroffenen unmittelbar aus Art. 104 11, da die Freiheit der Person nur unter Beachtimg der im förmlichen Gesetz vorgeschriebenen Formen, zu der insbesondere auch die Anhörung gehört, beschränkt werden darf 1 5 4 . bb) Sachverhaltsaufklärungs-

und

Begründungspflicht

Neben der Gewährung des rechtlichen Gehörs trifft den Richter eine umfassende Sachaufklärungspflicht 155 . Die Entscheidung, die den Entzug der Freiheit betrifft, muß auf einer zureichenden richterlichen Sachaufklärung beruhen und eine i n tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht 156 . So hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, daß angesichts einer länger dauernden Unterbringung Aufklärungsmängel bei der Sachverhaltsfeststellung nicht allein im Bereich des einfachen Rechts verbleiben, sondern sie nach Lage des Falls auch die Ebene des Verfassungsrechts erreichen können 1 5 7 . Der Richter hat seine nach Art. 104 I I getroffene Entscheidung zu begründen. Diese in Absatz 2 anders als i n Absatz 3 nicht ausdrücklich hervorgehobene Pflicht ergibt sich aus dem allgemeinen Rechtsstaatsgebot, wonach richterliche Entscheidungen grundsätzlich einer Begründung bedürfen. Dabei soll die Begründung primär die Nachprüfbarkeit der richterlichen Entscheidung gewährleisten 158 . Der Richter hat nach Art. 104 I I unverzüglich zu entscheiden. Dies ergibt sich bereits daraus, daß die Verpflichtung zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung nur dann Sinn ergibt, wenn sie für Exekutive und Judikative gleichermaßen gilt. Denn die mit Art. 104 I I bezweckte unverzügliche richterliche Kontrolle bei Freiheitsentziehungen ist nur dann zu erreichen, wenn auch der Richter unverzüglich seine Entscheidung trifft. Dies w i r d bestätigt durch einen Vergleich mit der Vorschrift des Art. 104 I I I 2, nach der der Richter unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen hat. Diese Verpflichtung zur unverzüglichen Entscheidung des Richters muß der Sache nach auch für Art. 104 I I gelten.

154 BVerfG v. 7.10.1981, BVerfGE 58, 208 (221); vgl. oben Teil I Α. I. 2. b). 1 55 BVerfG v. 8.10.1985, BVerfGE 70, 297 (308); BVerfG v. 7.10.1981; BVerfGE 58, 208 (220). 156 BVerfG v. 8.10.1985, a.a.O. is? BVerfG v. 8.10.1985, a.a.O. iss Vgl. u.a. OLG Frankfurt v. 7.4.1965, NJW 1965, 1342; Vogt, NStZ 1982, 21.

46

Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person 4. Ergänzungen

des Art. 2 II 2 G G

durch Art. 104 III GG im Falle von Festnahmen des Verdachts

einer Straßaren

wegen

Handlung

Art. 104 I I I enthält für den Fall, daß jemand wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung vorläufig festgenommen wird, Sonderregelungen 159 . Danach ist der Festgenommene spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Ferner hat der Richter nach Satz 2 unverzüglich einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen. Mit diesen Regelungen werden grundlegende strafprozessuale Prinzipien in die Verfassungsebene gehoben 160 . Art. 104 I I I gilt nur für Festnahmen und Verhaftungen wegen strafbarer Handlungen, nicht dagegen für Verhaftungen im Auslieferungsverfahren 161 . a) Eingriffszuständigkeit bei Festnahmen aa) Richtervorbehalt

bei Festnahmen

und

Verhaftungen

Grundsätzlich besteht nach Art. 104 I I I auch im Falle der Festnahme oder Verhaftung einer Person wegen des Verdachts einer Straftat ein Richtervorbehalt. Dies ergibt sich aus der Verpflichtung, den wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommenen spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen. Art. 104 I I I 1 enthält damit eine Höchstfrist, innerhalb der zwingend der Richter eingeschaltet werden muß. Dieser Richter hat sodann unverzüglich einen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen. Zudem w i r d durch die Formulierung „vorläufige Festnahme" deutlich, daß die Kompetenz zur Anordnung der endgültigen Festnahme ausschließlich beim Richter liegt 1 6 2 . bb) Vorläufiges

Festnahmerecht

der Exekutive

oder

Dritter

Gleichwohl ergibt sich aus Art. 104 I I I 1, wie bereits dargestellt, die Befugnis der Exekutive zur vorläufigen Festnahme. Dabei geht die Vor159 Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 42; Hamann / Lenz, GG, Art. 104, Anm. B. 11.; Holtkotten, BK, Art. 104, Erl. II. D. 1.; Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Rdn. 29; Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG, Art. 104, Rdn. 9. 160 BVerfG v. 8.1.1959, BVerfGE 9, 89 (100); vgl. auch BGH v. 6.12.1951, BGHSt. 2, 44 (50); ferner Hamann / Lenz (Fn. 159); Holtkotten (Fn. 159). 161 BGH v. 6.12.1951, BGHSt. 2, 44 (47). 162 Vgl. auch Dürig i n Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 35; Hamann / Lenz, GG, Art. 104, Erl. B. 11.; Kunig (Fn. 159), Rdn. 30, 31; Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG, Art. 104, Rdn. 9.

Α. Regelungen des Grundgesetzes

47

schrift von dem Fall aus, daß verdächtige Personen zunächst durch die Strafverfolgungsbehörden oder durch Dritte (§ 127 I StPO) festgenommen und dann dem Richter vorgeführt werden 1 6 3 . Auch hier gilt, wie bereits oben zu Art. 104 I I ausgeführt wurde, daß eine solche vorläufige Festnahme durch die Exekutive nur bei Gefahr im Verzuge zulässig ist, vgl. auch § 127 I, I I StPO. Nach Art. 104 I I I 1 ist der Festgenommene zwingend spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen. Nach einigen Landesverfassungen 164 ist eine Vorführung sogar innerhalb 24 Stunden vorgeschrieben. Diese weitergehenden Regelungen werden nach Art. 142 von Art. 104 I I I nicht berührt 1 6 5 . Vorführen bedeutet nach Art. 104 III, daß der Festgenommene dem Richter persönlich gegenübergestellt wird, so daß der Richter unmittelbaren Kontakt mit dem Festgenommenen aufnehmen kann 1 6 6 . Unter bestimmten Voraussetzungen kann aber auch ausnahmsweise eine unmittelbare Kontaktaufnahme zwischen Richter und der festgenommenen Person entbehrlich sein, so daß eine Entscheidung nach Aktenlage ausreicht 167 . Dies ist z.B. dann der Fall, wenn die Vernehmung des Betroffenen wegen Krankheit nicht möglich ist 1 6 8 . Grundsätzlich ist es aber erforderlich, daß der Festgenommene dem Richter persönlich gegenübergestellt wird. Anders wäre es gar nicht denkbar, daß der Richter dem Festgenommenen die Gründe seiner Festnahme mitteilt, ihn vernimmt und ihm Gelegenheit zu Einwendungen gibt. Art. 104 I I I 1 enthält - vergleichbar der Regelung in Art. 104 I I 3 - eine absolute Höchstfrist, innerhalb der zwingend der Richter eingeschaltet werden muß 1 6 9 . Gleichermaßen gilt aber auch für Art. 104 I I I 1 der Grundsatz der unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Maßnahme nach Art. 104 I I 2 1 7 0 . Anders als im Anwendungsbereich des Absatz 2 muß zwar nach dem Wortlaut des Absatzes 3 spätestens nach der Verhaftung nur die Vorführung, nicht aber notwendigerweise auch die richterliche Entscheidung erfolgen. Gleichwohl besteht nach Satz 2 für den Richter die Verpflichtung, unverzüglich eine Entscheidung über die Fortdauer der Verhaftung zu treffen. Damit wird deutlich, daß auch bei Festnahmen und Ver163 Dürig (Fn. 162), Rdn. 35, 42; Hamann / Lenz (Fn. 162); Kunig (Fn. 159), Rdn. 29. 1 64 Art. 19 I I Hess. Verf.; Art. 5 Rh.-Pf. Verf. 165 Dürig (Fn. 162), Rdn. 42; Hamann / Lenz (Fn. 162), Anm. B. 9.; Holtkotten (Fn. 159), Erl. D. 1. 166 AK-GG-Azzola, Art. 104, Rdn. 31; Dürig (Fn. 162), Rdn. 42; Kunig (Fn. 159), Rdn. 29. 167 Kunig (Fn. 159), Rdn. 29. 168 Kleinknecht, StPO, § 128, Rdn. 6; Dünnebier in L - K , StPO, § 128, Anm. 7; Eb. Schmidt, StPO, § 114, Anm. 5; ferner Kunig (Fn. 159), Rdn. 29. 169 v g l hierzu Holtkotten, der darin einen wesentlichen Fortschritt gegenüber Art. 114 WRV sieht, BK, Art. 104, Erl. D. 1. i™ Vgl. auch BGH v. 6.12.1951, BGHSt. 2, 44 (46); so wohl auch Holtkotten (Fn. 169).

48

Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

haftungen unverzüglich eine richterliche Entscheidung nicht nur die Vorführung herbeigeführt werden soll. Auch die Frist des Art. 104 I I I 1 kann nach Art. 115 c I I Nr. 2, soweit es die Verhältnisse während des Verteidigungsfalls erfordern, durch Bundesgesetz für den Verteidigungsfall verlängert werden 1 7 1 . Dabei darf die Frist aber höchstens bis auf vier Tage verlängert werden, sofern ein Richter innerhalb der für Normalzeiten geltenden Frist nicht tätig werden konnte. b) Eingriffsverfahren bei Festnahmen Anders als Art. 104 I I enthält Abs. 3 ausdrücklich Regelungen über das Festnahmeverfahren 172 . Dabei konkretisieren die Verfahrensgarantien des Art. 104 I I I in erster Linie den Anspruch auf rechtliches Gehör 173 . Der Richter hat dem Festgenommenen die Gründe für seine Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm die Gelegenheit zu Einwendungen gegen die Festnahme zu geben, Art. 104 I I I 1 2. Hs. 1 7 4 . Nach Art. 104 I I I 2 hat der Richter unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen. Auch hier entscheidet der Richter nicht über die Berechtigung der Festnahme durch die Behörde, sondern nur darüber, ob eine weitere Freiheitsentziehung zulässig ist. Hält der Richter die weitere Freiheitsentziehung für zulässig und erforderlich, so hat er einen Haftbefehl nach § 112 StPO oder einen Unterbringungsbefehl nach § 126a StPO zu erlassen 175 . Der Haft- oder Untersuchungsbefehl ist die gerichtliche Entscheidung, daß gegen den Beschuldigten die Haft angeordnet wird. Diese Anordnung der U-Haft ist notwendiger Inhalt des Haftbefehls 176 . Der Begründungszwang nach Art. 104 I I I 2 bezweckt nicht nur die Selbstkontrolle des Richters, er dient zugleich auch der Nachprüfung durch den Festgenommenen sowie durch das Beschwerdegericht 1 7 7 . Art. 104 I I I 2 erfordert lediglich, daß ein mit Gründen versehener Haftbefehl erlassen wird. Wie umfangreich diese Begründung sein muß, ergibt sich nicht aus Art. 104 III, sondern aus § 114 II, I I I StPO.

171

Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG, Art. 104, Rdn. 10; Schunck / De Clerck, Staatsrecht, S. 320. 1 72 Dürig (Fn. 162), Rdn. 42; Kunig (Fn. 159), Rdn. 30. "3 Dürig (Fn. 162), Rdn. 42. ι 7 4 Kunig (Fn. 159), Rdn. 30. 175 Dürig (Fn. 162), Rdn. 42; Kunig (Fn. 159), Rdn. 30. 176 Dünnebier i n Löwe-Rosenberg, StPO, § 114, Rdz. 6. 177 Vgl. die entsprechenden Ausführungen zu § 114 I I StPO OLG Frankfurt v. 7.4.1965, NJW 1965, 1342; Dünnebier in Löwe-Rosenberg, StPO, §114, Rdn. 25; Vogt, NStZ 1982, 21.

Α. Regelungen des Grundgesetzes

49

c) Verhältnis von Art. 104 I I I GG zu Art. 104 I I GG und Art. 103 I GG Die Bedeutung der Regelungen von Art. 104 I I I ist eher gering, da sich ihr wesentlicher Inhalt bereits aus anderen Verfassungsbestimmungen ergibt. Die Verpflichtung zur Vorführung des Festgenommenen vor den Richter ist von der Entscheidungszuständigkeit des Richters nach Art. 104 I I 1 und 2 miterfaßt 178 . Der Absatz 3 enthält eine absolute Höchstfrist für Festnahmen durch die Exekutive auf dem Gebiet der Strafverfolgung 179 , die Absatz 2 nur für den Fall der polizeilichen Gewahrsamsnahme vorschreibt. Die Verpflichtung des Richters zum Erlaß eines mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehls bzw. zur Anordnung der Freilassung ist dagegen in der Entscheidungszuständigkeit des Richters nach Art. 104 I I mitenthalten. Das Erfordernis der Vernehmung und Anhörung des Festgenommenen ergibt sich in der Regel auch aus dem Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör nach Art. 103 I 1 8 0 . Allerdings erfordert die Vernehmung und Anhörung nach Art. 104 I I I zwingend eine mündliche Kontaktaufnahme mit dem Festgenommenen, die durch Art. 103 I nicht notwendig verbürgt ist 1 8 1 . Insoweit ist festzustellen, daß Art. 104 I I I für den Fall der vorläufigen Festnahme wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung Spezialregelungen enthält, die sich im wesentlichen bereits aus Art. 104 I I und aus Art. 103 I ergeben 182 . 5. Ergänzungen

des Art. 2 II 2 GG durch

Art. 104 IV GG im Falle von hinsichtlich

Freiheitsentziehungen

des Eingriffsverfahrens

Nach Art. 104 IV ist von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehimg unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen. Art. 104 IV soll verhindern, daß die öffentliche Gewalt eine Person spurlos verschwinden läßt 1 8 3 . Mit rechtsstaatlichen Grundsätzen wäre es unvereinbar, daß ein Bürger spur- und lautlos aus der Öffentlichkeit verschwindet und die Angehörigen darauf angewiesen sind, selbst Nachforschungen über den Verbleib des Festgenommenen anzustellen. Nach 178

Kunig (Fn. 159), Rdn. 30. «» Holtkotten (Fn. 169), Erl. II. D. 1. 180 Kunig (Fn. 159), Rdn. 30. wi BVerfG v. 3.4.1959, BVerfGE 9, 231; BVerfG v. 7.10.1981, BVerfGE 58, 208

(220, 221).

1 82 Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 42; Kunig (Fn. 159), Rdn. 30. 183 Dürig in M a u n z / D ü r i g , GG, Art. 104, Rdn. 43; Hamann / Lenz, Art. 104, Anm. B. 12.; Kunig (Fn. 159), Rdn. 34; Wagner, JZ 1963, 689; Lorenzen, SchlH Anz. 1959, 167. 4 Hantel

50

Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

Art. 104 IV soll ein unabhängiger Dritter vom Staat selbst von dem Verbleib des Betroffenen erfahren 184 . Die Benachrichtigungspflicht ist damit ein Gebot der Rechtssicherheit und dient ebenso wie der mit ihr zusammenhängende Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens dem Vertrauen in die Rechtspflege 185 . a) Benachrichtigung durch den Richter Die Benachrichtigung erfolgt von Amts wegen. Ein Antrag seitens des Festgehaltenen oder der Behörde, die die Freiheitsentziehung beantragt hat, ist nicht erforderlich. Eine Benachrichtigung nach Art. 104 IV ist nur bei einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung erforderlich. Die vorläufige Freiheitsentziehung durch die Verwaltung wird von Art. 104 IV nicht erfaßt. Auch für eine analoge Anwendung des Art. 104 IV auf von nichtrichterlichen Hoheitsträgern angeordnete Freiheitsentziehungen besteht kein Bedürfnis. Denn die fehlende Benachrichtigung der Angehörigen w i r d dadurch ersetzt, daß die Verwaltung unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeiführen muß, für die dann die Benachrichtigungspflicht des Abs. 4 g i l t 1 8 6 . Eine Benachrichtigung ist auch dann nicht erforderlich, wenn ein Antrag auf Anordnimg einer Freiheitsentziehung vom Richter abgelehnt wird oder der Festgehaltene aufgrund einer späteren Entscheidung freigelassen w i r d 1 8 7 . Andererseits ist die Vorschrift des Art. 104 IV nicht nur auf erstinstanzliche Entscheidungen über die Fortdauer einer Freiheitsentziehung beschränkt, sie gilt auch für Rechtsmittelentscheidungen, denn sie können Haft- oder Unterbringungsbefehle aufrechterhalten, aufheben oder außer Vollzug setzen. Damit lösen auch Rechtsmittelentscheidungen die Benachrichtigungspflicht nach Art. 104 I I aus 1 8 8 . b) Verzicht auf die Benachrichtigung Umstritten ist die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen von einer Benachrichtigung nach Art. 104 IV abgesehen werden kann. Dabei ist zu unterscheiden, daß gegen die Benachrichtigung von einer richterlichen Freiheitsentziehung sowohl persönliches Interesse des Betroffenen als auch öffentliche Interessen sprechen können. Häufig sieht sich der entscheidende Richter der Bitte des Festgenommenen ausgesetzt, es möge von jeglicher Benachrichtigung abgesehen werden. Die Fälle lassen sich auf eine einfache 184 L G Frankfurt v. 13.10.1958, JZ 1959, 65. Lorenzen (Fn. 183); Dünnebier, JZ 1963, 694. 186 Gleichwohl enthalten einige Polizeigesetze die Verpflichtung zur Benachrichtigung auch für die Polizei oder Verwaltungsbehörde, § 18 II, I I I NdsSOG; § 20 I I 2 ASOG Bln.; § 21 I I BGSG; § 16 I I 3 Rh.-Pf. PVG; § 17 I I I Brem. PolG. 1 87 Dürig (Fn. 182), Rdn. 43; Holtkotten, BK, Art. 104, Erl. E. 1 88 So BVerfG v. 14.5.1963, BVerfGE 16, 119 (123). 185

Α. Regelungen des Grundgesetzes

51

Formel reduzieren. Der Verhaftete, von seiner Unschuld bzw. der Unrechtmäßigkeit seiner Unterbringung überzeugt, sieht den Verlust der Freiheit als ein Mißgeschick an, das schnell vorübergehen werde, und hofft, seine Verhaftung bei Verwandten, Bekannten oder dem Arbeitgeber vertuschen und sich selbst den weiteren Weg erleichtern zu können. Von einigen Autoren 1 8 9 werden Ausnahmen von der Benachrichtigungspflicht des Art. 104 IV für zulässig erachtet, wenn die Benachrichtigung für den Verhafteten mit besonderen persönlichen oder sachlichen Nachteilen verbunden wäre. Danach habe der Richter in solchen Fällen eine Interessenabwägung vorzunehmen und die Benachrichtigung dann zu unterlassen, wenn ihre Vornahme das Selbstbestimmungsrecht des Verhafteten empfindlich treffen und damit zu Nachteilen führen würde, die zu der Erfüllung der Pflicht in keinem angemessenen Verhältnis steht 1 9 0 . Begründet wird dies damit, daß Art. 104 IV primär eine Schutzvorschrift zugunsten des Inhaftierten darstellt, auf deren Erfüllung bei Widerspruch des Betroffenen verzichtet werden kann. Außerdem werde Art. 104 IV als Verfahrensvorschrift durch andere Grundrechte wie Art. 2 I 1 9 1 oder Art. 11 1 9 2 dahingehend eingeschränkt, daß bei einem Widerspruch des Betroffenen auf eine Benachrichtigung zu verzichten ist. Von der Gegenmeinung wird darauf verwiesen, daß Art. 104 IV eine Benachrichtigung im Allgemeininteresse zwingend gebiete 193 . Danach liegt die ratio legis der Vorschrift nicht nur in dem Individualschutz des Betroffenen, sondern auch im öffentlichen Interesse, nämlich in der Gewißheit, daß niemand ohne Wissen eines Dritten in Haft ist. Die Norm des Art. 104 IV stelle danach im Allgemeininteresse klar, daß es nach Vernehmung des Betroffenen und richterlicher Anordnung kein Geheimverfahren geben kann. Art. 104 IV diene damit, wie der vergleichbare Grundsatz der Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren, dem Vertrauen in die Rechtspflege. Nach Dünnebier 1 9 4 hat die Benachrichtigungspflicht für den Verhafteten einen doppelten Inhalt. Einerseits garantiert sie ihm, daß er in der Haft Beistand von außen erlangen kann. Andererseits schränkt sie die Befugnis des Betroffenen, seine Haft geheimzuhalten, im öffentlichen Interesse ein. Danach wäre eine Benachrichtigung nach Art. 104 IV auch bei Widerspruch des Betroffenen zwingend erforderlich. 189 Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Rdn. 39; Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 43; Kern, GR II, S. 73; Wagner, JZ 1963, 691; Kohlhaas, NJW 1951, 263; Eckels, NJW 1959, 1908. 190 So Dürig (Fn. 189). 191 Wagner, JZ 1963, 691. ι 9 2 Händel, NJW 1959, 545. 193 Kleinknecht, StPO, § 114b, Rdn. 3; Dünnebier, JZ 1963, 693; Lorenzen, SchlHA 1959, 163; ferner Arndt, BT-Drs. Nr. 530, S. 56, 1950; Dünnebier in Löwe-Rosenberg, StPO, § 114 b, Rdn. 1. 194 Dünnebier, JZ 1963, 694; vgl. auch Kunig (Fn. 189), Rdn. 47.

4'

52

Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

Entscheidend ist letztlich, daß Art. 104 IV nicht nur dem Individualinteresse, sondern auch dem Allgemeininteresse dient 1 9 5 . Im Vordergrund der Benachrichtigungspflicht steht das öffentliche Interesse daran, geheime hoheitliche Freiheitsentziehungen zu verhindern 196 . Art. 104 IV ist eine Reaktion auf Vorgänge während der NS-Zeit. So hat der Abgeordnete Otto Suhr in den Beratungen des Parlamentarischen Rats betont, daß nach Art. 104 IV unter allen Umständen eine Verbindung mit der Außenwelt hergestellt werden müsse 197 . I n Art. 104 IV ist damit primär eine objektive Verfahrensvorschrift zu sehen, deren Beachtung sich nicht nur am Interesse des Betroffenen zu orientieren hat 1 9 8 . Eine zwingende, in jedem Fall erforderliche Benachrichtigung ist auch für den Betroffenen mit nicht allzu großen Opfern verbunden. Denn Art. 104 IV bietet in seinen Tatbestandsvoraussetzungen selbst die Möglichkeit, den Interessen des Festgenommenen gerecht zu werden. So sind nach Art. 104 IV ein Angehöriger oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen. Dabei hat der Betroffene die Möglichkeit, bei der Auswahl der zu benachrichtigenden Person mitzuwirken 1 9 9 . Möchte er die Benachrichtigung einer bestimmten Person verhindern, z.B. des Ehepartners oder der Eltern, so kann er darauf hinwirken, daß eine andere Person benachrichtigt wird, durch deren Inkenntnissetzung der Festgenommene nicht so viele Nachteile erwartet. Den vom Festgenommenen gemachten Vorschlägen w i r d der Richter in aller Regel entsprechen müssen. Somit ist davon auszugehen, daß eine Benachrichtigung nach Art. 104 IV in jedem Fall zwingend erforderlich ist. Auch wenn der Betroffene Widerspruch gegen die Benachrichtigimg erhebt, hat sie im öffentlichen Interesse zu erfolgen. Verzichtet der Richter trotzdem auf Bitten des Inhaftierten auf eine Benachrichtigung, so steht der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit einer Beschwerde zu 2 0 0 . Die Staatsanwaltschaft kann mit der Beschwerde auf eine Benachrichtigimg der Angehörigen hinwirken. Der Staatsanwaltschaft kommt damit die Aufgabe zu, die Einhaltung der Verfahrensgarantien durch geeignete Rechtsmittel zu gewährleisten. Bei Freiheitsentziehungen, die nicht im Rahmen der Strafverfolgung verhängt werden, w i r d man der vollziehenden Behörde, z.B. der Gesundheitsbehörde, bei einer Unterbringung ein entsprechendes Beschwerderecht zugestehen müssen.

195

So auch Dürig (Fn. 189). Dünnebier in Löwe-Rosenberg, StPO, § 114, Rdn. 13; ferner Kunig (Fn. 189), Rdn. 47. 197 Bucher in Wernicke / Booms, Der Pari. Rat, Akten und Protokolle, Band II, S. 220, Fn. 92. 198 Erdsiek, NJW 1959, 233; Dünnebier i n Löwe-Rosenberg, StPO, § 114b, Rdn. 14; Kunig (Fn. 189); a.A. Wagner, JZ 1963, 691; Eckels, NJW 1959, 1908ff. 199 Dürig in Maunz / Dürig, Art. 104, Rdn. 43; Dünnebier in Löwe-Rosenberg, StPO, § 114b, Rdn. 20; ders. i n JZ 1963, 694. 200 Siehe hier L G Frankfurt v. 13.10.1958, JZ 1959, 65; Kleinknecht, StPO, § 114b, Rdn. 8. 196

Α. Regelungen des Grundgesetzes

53

Ebensowenig darf eine Benachrichtigung unterbleiben, wenn durch sie öffentliche Interessen, z.B. der Zweck der Freiheitsentziehung, gefährdet werden 201 . So können polizeitaktische Gesichtspunkte, etwa die Gefahr, daß Komplizen des Inhaftierten durch die Benachrichtigung vor den laufenden Fahndungsmaßnahmen gewarnt werden, gegen eine unverzügliche Benachrichtigung durch den Richter geltend gemacht werden. Aber auch diese Gesichtspunkte können aufgrund des zwingenden Charakters des Art. 104 IV nicht zu einem Verzicht auf die Benachrichtigung führen. Allerdings darf der Richter, wie erwähnt, durch die Auswahl der zu benachrichtigenden Person 202 wie auch durch die Art und Weise der Benachrichtigung 203 die mögliche Gefährdung des mit der Freiheitsentziehung verfolgten Zwecks berücksichtigen. In begründeten Fällen darf der Richter eine andere als vom Festgenommenen genannte Person benachrichtigen 204 .

Π. Die Regelungsvorbehalte in Art. 104 GG 1. Regelungsvorbehalt

des Art. 104 II 4 GG

Nach Art. 104 I I 4 ist das Nähere gesetzlich zu regeln. Diese Regelungsbefugnis betrifft in erster Linie die richterliche Zuständigkeit und das richterliche Verfahren bei der Entscheidimg über die Zulässigkeit oder Fortdauer der Freiheitsentziehung 205 . a) Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften im Freiheitsentziehungsverfahren Das Freiheitsentziehungsverfahren ist entsprechend dem Grundsatz in Art. 104 I I 1 in erster Linie als richterliches Verfahren ausgestaltet. Besondere Bedeutung erlangen die jeweiligen Verfahrensvorschriften dadurch, daß ihre Beachtung nach Art. 104 I zur Verfassungspflicht erhoben w i r d 2 0 6 . 201 So Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 43; Kern, MDR 1950, 585; Kleinknecht, StPO, § 114b, Rdn. 3; Eb. Schmidt, StPO, § 114a a.F., Anm. 3; Kunig (Fn. 189), Rdn. 38. 202 Dürig (Fn. 199); Kleinknecht (Fn. 201). 203 Eb. Schmidt (Fn. 201). 204 So auch Dünnebier in Löwe-Rosenberg, StPO, § 114b, Rdn. 20, der grundsätzlich eine Benachrichtigung für zwingend erforderlich hält, allerdings bestimmte Ausnahmen von diesem Grundsatz im öffentlichen Interesse zulassen will; siehe a.a.O. Rdn. 13 - 18. 205 Bettermann, GR III/2, S. 884; Hamann / Lenz, GG, Art. 104, Anm. B. 10.; Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Rdn. 28; Moritz, NJW 1977, 796; Reder, Polizeiliche Sistierung, S. 31, 32. 206 vgl. BVerfG v. 7.10.1981, BVerfGE 58, 208 (220); Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 19; Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Rdn. 11.

54

Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

Von Bedeutung sind dabei insbesondere die bundesgesetzlichen Regelungen in dem Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen sowie die landesrechtlichen Bestimmungen in den Landesunterbringungsgesetzen. aa) Das Gesetz über das gerichtliche bei

Verfahren

Freiheitsentziehungen

Die wichtigsten Zuständigkeits- und Verfahrensregelungen für die richterliche Anordnung von Freiheitsentziehungen enthält das Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen vom 29.6.1956 (BGBl. I I I 316 = FEVG). Dieses Gesetz gehört, soweit es sich um das gerichtliche Verfahren handelt, zum Bereich konkurrierender Gesetzgebung nach Art. 74 Nr. 1 GG. Das FEVG betrifft nicht alle denkbaren Fälle einer Freiheitsentziehung. Vielmehr bestimmt § 1 FEVG, daß sich nur das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen, die aufgrund Bundesrechts angeordnet wurden, nach dem FEVG bestimmt, soweit das Bundesrecht das Verfahren nicht anders regelt. Das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen, die auf materiellem Landesrecht beruhen, richtet sich damit nicht nach dem FEVG. Dies bedeutet, daß so wichtige Fälle von Freiheitsentziehungen, wie die Unterbringung von Geisteskranken, Rauschgift- und Alkoholsüchtigen, vom FEVG nicht erfaßt werden, da ihre materiellen Grundlagen in den Landesunterbringungsgesetzen geregelt sind. Zum anderen findet das FEVG dann keine Anwendung, soweit das Bundesrecht das Verfahren abweichend geregelt hat. Denn das FEVG bezweckt lediglich, in Ausfüllung vorhandener Lücken das durch Art. 104 I I geforderte gerichtliche Verfahren für die Fälle zu schaffen, in denen noch eine den Anforderungen des Art. 104 I I GG entsprechende bundesrechtliche Regelung des gerichtlichen Verfahrens fehlte 2 0 7 . Eine den Anforderungen des Art. 104 I I entsprechende abweichende bundesrechtliche Regelung des gerichtlichen Verfahrens, die die Anwendbarkeit des FEVG ausschließt, findet sich bei allen Fällen von Freiheitsentziehungen, die in einem gerichtlichen Strafverfahren nach den Vorschriften der StPO oder des JGG angeordnet werden. Ferner sei hier noch auf die Unterbringung in eine Heilanstalt nach § 656 ZPO im Rahmen eines Entmündigungsverfahrens sowie auf die Verhängung von Arreststrafen nach § 28 WD Ο hingewiesen. Damit fallen in den Anwendungsbereich des FEVG nur Freiheitsentziehungen aufgrund § 37 BSeuchenG vom 18.7.1961 (BGBl. I 1012), aufgrund § 18 I I 3 GschlG vom 23.7.1953 (BGBl. I 700) sowie aufgrund § 16 AuslG vom 28.4.1965 (BGBl. I 353). Der direkte nach § 1 FEVG vorgesehene 207

Saage / Göppinger, Freiheitsentziehung und Unterbringung, § 1 Rdn. 4.

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Anwendungsbereich des FEVG ist daher vergleichsweise gering. Allerdings erhöht sich die Bedeutung des im FEVG geregelten Verfahrens dadurch, daß die meisten Landespolizeigesetze 208 das FEVG für das richterliche Verfahren zur Anordnung einer Freiheitsentziehung, besonders des Polizeigewahrsams, für entsprechend anwendbar erklären. Außerdem lassen sich aus dem FEVG allgemeine Grundsätze entnehmen, die im Rahmen sonstiger, nicht unter § 1 FEVG fallenden Freiheitsentziehungen, entsprechend anwendbar sind 2 0 9 . Insofern hat das FEVG über seinen unmittelbaren Anwendungsbereich nach § 1 FEVG hinausgehende grundsätzliche Bedeutung für das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen. Die Zuständigkeit des Richters im Freiheitsentziehungsverfahren ergibt sich aus den §§ 3, 4 FEVG 2 1 0 . Sachlich zuständig ist das Amtsgericht. Örtlich zuständig ist nach § 4 I FEVG das Amtsgericht des gewöhnlichen Aufenthalts des Antragsgegners 211 . Die Zuständigkeit des Amtsgerichts besteht damit auch für Freiheitsentziehungen aufgrund der Landespolizeigesetze, da sie entweder auf das FEVG verweisen bzw. ausdrücklich das Amtsgericht für zuständig erklären 212 . Zuständig ist der Einzelrichter, der nach § 22 I GVG ohne Heranziehung von Beisitzern entscheidet 213 . Die Zuständigkeit des Amtsgerichts rechtfertigt sich durch seine Ortsnähe. Dies ist um so wichtiger, als die Entscheidung über die Zulässigkeit einer Freiheitsentziehung besonders eilbedürftig ist. Dies gilt besonders für Freiheitsentziehungen, die ausnahmsweise auf einer nichtrichterlichen Anordnung beruhen 214 und bei denen nach Art. 104 I I 2, 3 eine Richterentscheidung unverzüglich nachzuholen ist. Durch die Ortsnähe des Amtsgerichts wird der Zeitraum zwischen dem Beginn einer auf nichtrichterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung und der unverzüglich nachzuholenden Richterentscheidung so gering wie möglich gehalten. In der Ortsnähe des Amtsgerichts liegt der wesentliche Vorteil gegenüber einer möglichen Zuständigkeit des sachnäheren Verwaltungsgerichtes. Die Verwaltungsgerichte sind infolge ihrer geringen Zahl nicht so leicht und so schnell zu erreichen wie die Amtsgerichte. Eine Zuständigkeitsregelung zugunsten der Verwaltungsgerichte würde daher aufgrund praktischer Gegebenheiten den Kompetenzspielraum der Verwaltung zu vorübergehenden oder kurzfri208 Art. 17 I I 2 Bay ΡAG; § 22 IV 2 BW PolG; § 19 I I 3 ASOG Bln.; § 16 I I I 2 Brem. PolG; § 14 I I 2 NW PolG; § 15 I I 2 Rh.-Pf. PVG; § 180 LVwG. 209 BVerwG v. 23.6.1981, BVerwGE 62, 317 (320). 210 Baumann, UnterbrR, S. 387; Saage / Göppinger (Fn. 207); § 3 Rdn. 3. 211 Baumann (Fn. 210), S. 388. 212 Art. 17 I I 1 BayΡAG; § 22 Bad.-Württ. PolG; § 19 I I 1 ASOG Bln.; § 16 I I I 1 Brem. PolG; § 13 Hmb. SOG; § 47 S. 1 HSOG; § 17 I I Nds. SOG; § 14 I I 1 NW PolG; § 15 I I Rh.-Pf. PVG; § 176 IV 2 LVwG. 213 Saage / Göppinger (Fn. 207). 214 Vgl. hierzu u.a. Baumann (Fn. 210), S. 387; Dürig (Fn. 206), Rdn. 31; Hamann / Lenz, GG, Art. 104, B. 10.

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Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

stigen Freiheitsentziehungen ohne Einschaltung des Richters erweitern. In der Zuständigkeit des Amtsrichters zur Anordnung von Freiheitsentziehungen wird das gesetzgeberische Bemühen deutlich, der Exekutive bei einer Freiheitsentziehung möglichst schnell die Anrufung des Richters zu ermöglichen 2 1 5 . In der Zuständigkeit des Amtsrichters liegt das gesetzgeberische Korrelat zu der durch Art. 104 I I verfahrensrechtlich vorgegebenen vorherigen oder unverzüglich nachzuholenden Richterentscheidung. Die Zuständigkeit des Amtsrichters als der ortsnähere Richter ist die sinnvolle Konsequenz aus dem in Art. 104 I I 1 bestehenden Prinzip der vorgängigen Richterentscheidung. Nach § 3 FEVG entscheidet das Amtsgericht auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde. Hieran wird deutlich, daß die Behörde das Antragsrecht und der Richter das Entscheidungsrecht hat 2 1 6 . Das Verfahren nach Art. 104 I I ist somit zweistufig, d.h. die Verwaltung hat beim zuständigen Gericht die Anordnung der Freiheitsentziehung zu beantragen, und dem Gericht bleibt es überlassen, dem Antrag zu folgen oder ihn abzulehnen. Damit der erforderliche Antrag auch gestellt wird, ordnet § 13 FEVG an, daß bei jeder nicht auf richterlicher Verfügung beruhenden Freiheitsentziehung die zuständige Behörde unverzüglich die richterliche Entscheidung herbeizuführen hat. Ist die Freiheitsentziehung nicht bis zum Ablauf des folgenden Tages durch eine Entscheidung des Gerichts angeordnet, so muß der Betroffene freigelassen werden. Damit entspricht die Regelung des § 13 I FEVG den Anforderungen des Art. 104 I I 2, 3. Nach § 13 I I FEVG wird über die Anfechtung einer Maßnahme der Verwaltungsbehörde, die eine nichtrichterliche Freiheitsentziehung darstellt, im gerichtlichen Verfahren nach den FEVG-Vorschriften entschieden. Dies bedeutet, daß für die Anfechtung einer auf nichtrichterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung das Amtsgericht und nicht das Verwaltungsgericht zuständig ist. Danach ist für die Anfechtung einer nichtrichterlichen Freiheitsentziehung derjenige Richter zuständig, der präventiv über die Anordnung der Freiheitsentziehung zu entscheiden hat. Umstritten ist, ob der Begriff „anfechten" in § 13 I I FEVG auch die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit erledigter Freiheitsentziehungen oder nur Rechtsschutzmaßnahmen gegen noch andauernde, nicht erledigte Freiheitsentziehungen erfaßt. Insbesondere das Bundesverwaltungsgericht ist der Auffassung, die Rechtswegregelung des § 13 I I FEVG betreffe auch die Feststellung der Rechtswidrigkeit erledigter Freiheitsentziehungen 217 . Dagegen wird im 215 Vgl. hierzu auch Rasch, DVB1. 1980, 1022; Heise / Riegel, ME, S. 65. 216 Baumann (Fn. 210), S. 378; Saage / Göppinger (Fn. 207), Rdn. 7ff. 217 BVerwG v. 23.6.1981, DVB1. 1981, 1105 (1106); ferner BGH v. 7.2.1980, GA 1981, 223 (224); BayObLGZ v. 23.11.1956, BayObLGZE 56, 425 (428); a. A. OVG Berlin v. 11.11.1970, NJW 1971, 637.

Α. Regelungen des Grundgesetzes

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Schrifttum zum Teil die Auffassung vertreten, daß die Zuständigkeit des Amtsgerichts nach § 13 I I FEVG nur dann gegeben sei, wenn sich der Betroffene zur Zeit der richterlichen Entscheidimg noch nicht wieder auf freiem Fuß befindet 218 . Da sich die Zuständigkeit des Amtsgerichts im Freiheitsentziehungsverfahren in erster Linie aus dem Bedürfnis nach einer schnellen Entscheidimg rechtfertigt, dürfte bei einer bereits erledigten Maßnahme wohl nach letzterer Auffassung das Verwaltungsgericht zuständig sein 219 . § 5 FEVG schreibt die mündliche Anhörung der Person, welcher die Freiheit entzogen werden soll, vor. Der durch die mündliche Verhandlung bewirkte persönliche Eindruck des Richters gehört zu den wichtigsten Grundsätzen des Freiheitsentziehungsverfahrens 220 . Hat die Person, der die Freiheit entzogen werden soll, einen gesetzlichen Vertreter, so ist auch dieser zu hören. Die richterliche Entscheidung erfolgt gem. § 6 I FEVG durch einen mit Gründen zu versehenden Beschluß 221 . Als Rechtsmittel gegen die Entscheidung findet die sofortige Beschwerde statt, § 7 FEVG. Die Verfügung des Gerichts, die die Freiheitsentziehung anordnet, wird nach § 8 I FEVG erst mit Eintritt der Rechtskraft wirksam. Doch kann das Gericht nach § 8 I 2 FEVG die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anordnen. Die Voraussetzungen, unter denen die sofortige Wirksamkeit angeordnet werden kann, ist im FEVG nicht geregelt. Man wird daher die Grundsätze des § 80 I I Nr. 4, V VwGO analog anwenden können. Damit ιημβ die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit im öffentlichen Interesse geboten sein. Der Vollzug der richterlichen Entscheidung erfolgt durch die zuständige Verwaltungsbehörde, § 8 I 3 FEVG. Wie erwähnt, hat die Verwaltung nach § 3 FEVG das Antrags- sowie nach § 8 1 3 FEVG das Vollzugsrecht. Nach § 11 FEVG besteht das Recht einer einstweiligen Anordnung einer Freiheitsentziehung durch das Gericht, sofern dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, daß die Voraussetzungen für die Unterbringung vorliegen und über die endgültige Unterbringung nicht rechtzeitig entschieden werden kann. Im übrigen gelten für das gerichtliche Verfahren gem. § 3 FEVG die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17.5.1898 (RGBl. S. 189 = FGG), soweit das FEVG nichts Abweichendes bestimmt 2 2 2 . Damit kommt nach § 3 FEVG das FGG mit 218 So insbesondere Olschewski, JR 1971, 89 (91); ferner Rasch, DVBl. 1980, 1017 (1022); Ule/Rasch, Allg. Polizei- und Ordnungsrecht, S. 130; Berg / Hein, ASOG, § 19, Anm. l b ; Wagner, DuR 1985, 441 (447). 219 Vgl. zum Streitstand insbesondere Olschewski, a.a.O.; ferner Wagner, DuR 1985, 441; K G v. 6.8.1982, NJW 1983, 690. 220 BVerfG v. 7.10.1981, BVerfGE 58, 208 (221); AK-GG-Azzola, Art. 104, Rdn. 31; Baumann, UnterbrR, S. 336, 337; Parensen, Unterbringung, S. 221; Saage / Göppinger (Fn. 207), § 5, Rdn. 7. 221 Vgl. Parensen (Fn. 220), S. 273ff.; Saage / Göppinger (Fn. 207), § 6, Rdn. 19, 20.

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Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

seinen Verfahrensvorschriften subsidiär zur Geltung. Dies bedeutet, daß für die richterliche Entscheidung gem. § 12 FGG der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Das Gericht hat alle für die Entscheidung notwendigen Fragen des Sachverhalts ohne Rücksicht auf die Auffassung der Beteiligten von Amts wegen zu klären und alle wesentlichen Umstände zu erörtern. Der Richter ist nicht an das ihm von dem Beteiligten vorgebrachte Material gebunden. Auch ist der Richter in der Art seiner Ermittlung und bei der Auswahl seiner Erkenntnisquellen frei. Denn die Verweisung auf die FGG-Vorschriften bedeutet auch, daß nach § 15 I FGG die Vorschriften der ZPO über den Beweis durch Augenschein, über den Zeugenbeweis, den Beweis durch Sachverständige und über das Verfahren bei der Abnahme von Eiden entsprechend anwendbar sind. Darüber hinaus gilt der allgemeine Grundsatz der freiwilligen Gerichtsbarkeit, daß die Verhandlungen nicht öffentlich sind, auch im gerichtlichen Verfahren bei der Anordnung von Freiheitsentziehungen 223 . In dem Verweis auf das FGG-Verfahren nach § 3 FEVG liegt eine legislative Betätigung der von Rechtsprechung 224 und Literatur 2 2 5 vertretenen Meinung, daß das Verfahren nach Art. 104 I I als Angelegenheit der Freiwilligen Gerichtsbarkeit betrachtet werden muß. Wie sich aus der Begründung zum Regierungsentwurf 226 des FEVG ergibt, wurde der Richter des FGG zur Entscheidung berufen, um jeden Anklang an ein Strafverfahren zu vermeiden. Damit können die Meinungen 227 , die in dem Verfahren nach Art. 104 I I eine Streitigkeit des öffentlichen Rechts gesehen haben, als überholt angesehen werden. bb) Zuständigkeitsin den

und

Verfahrensvorschriften

Landesunterbringungsgesetzen

Umfassende Regelungen über Zuständigkeiten und Verfahren bei der richterlichen Anordnung einer Freiheitsentziehung enthalten ferner die Landesunterbringungsgesetze. Da die Regelung des gerichtlichen Verfahrens, wie erwähnt, nach Art. 74 Nr. 1 zur konkurrierenden Gesetzgebung gehört, ist die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers gegeben, solange der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch gemacht hat. Da das FEVG nach § 3 FEVG nur für Freiheitsentziehungen aufgrund von 222 223 224

(233).

Baumann (Fn. 220), S. 418; Saage / Göppinger (Fn. 207). Saage / Göppinger (Fn. 207), § 3, Rdn. 61. BGH v. 4.2.1952, BGHZ 5, 46 (51); BVerwG v. 12.11.1984, BVerwGE 1, 229

225 Wolff, DÖV 1951, 315; Dernedde, DVB1. 1951, 317; Schelling, S. I l l ; Dürig i n Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 31. 226 BT-Drs., 2. Wahlperiode, S. 169; Saage / Göppinger (Fn. 207), § 3, Rdn. 16. 227 So besonders OVG Münster, 28.11.1951, DÖV 1952, 406 (407, 408).

Α. Regelungen des Grundgesetzes

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Bundesrecht gilt, bleibt den Ländern die Kompetenz, das gerichtliche Verfahren für alle Fälle von Freiheitsentziehungen aufgrund Landesrechts zu regeln 228 . Allerdings entsprechen die Vorschriften in den Landesunterbringungsgesetzen weitgehend den Regelungen des FEVG 2 2 9 . Auch nach den Landesunterbringungsgesetzen ist ausnahmslos der Amtsrichter für die Anordnung der Unterbringung zuständig 230 . Wie oben bereits dargestellt, enthalten auch die Landesunterbringungsgesetze umfassende Regelungen über die Anhörung und Beteiligung des Betroffenen und seiner Angehörigen am Freiheitsentziehungsverfahren 231 . Im übrigen enthalten die meisten Landesunterbringungsgesetze einen Verweis auf die subsidiäre Geltung des FGG 2 3 2 . Insoweit kann hinsichtlich des Verfahrens auf die obigen Ausführungen zum FEG und zum FGG verwiesen werden 2 3 3 . b) Keine Ermächtigung zur gesetzlichen Bestimmung des Begriffs der Freiheitsentziehung § 2 I FEVG enthält eine Legaldefinition des Begriffs der Freiheitsentziehung. Danach ist eine Freiheitsentziehung die Unterbringung einer Person gegen ihren Willen oder im Zustande der Willenslosigkeit in einem Gefängnis, einem Haftraum, einem Arbeitshaus, einer abgeschlossenen Verwahranstalt, einer abgeschlossenen Anstalt der Fürsorge, einer abgeschlossenen Krankenanstalt oder einem Teil einer Krankenanstalt 234 . Der Begriff der Freiheitsentziehung w i r d in § 2 I FEVG von der Einsperrung bzw. Einschließung des Betroffenen her definiert 2 3 5 . Es stellt sich mithin die Frage, ob der Regelungsvorbehalt in Art. 104 I I 4 dem Gesetzgeber die Kompetenz 228 v g l z u d e r Frage, ob Art. 74 Nr. 7 GG dem Bund die Kompetenz verleiht, das Recht der Unterbringung psychisch Kranker umfassend zu gestalten, BVerfG v. 7.10.1981, BVerfGE 58, 208 (229); v. Mangoldt / Klein, GG, Bd. II, Art. 74, XV. 2. b); Maunz in Maunz / Dürig, GG, Art. 74, Rdn. 74; Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG, Art. 74, Rdn. 22. 229 v g l Baumann (Fn. 220), S. 319ff.; siehe zum Konkurrenzverhältnis Landesunterbringungsgesetze zum FEVG Parensen (Fn. 220), S. 141. 230 § 3 I I Bad.-Württ. UnterbrG; Art. 5 I Bay. UnterbrG; § 111 Bln. PsychKG; § 17 I Brem. PsychKG; § 11 Hmb. PsychKG; § 2 I HFEG; § 17 I Nds. PsychKG; § 12 I NW PsychKG; § 2 I Rh.-Pf. UnterbrG; § 2 I Saarl. UnterbrG; § 10 I Schl.-Holst. PsychKG. 231 Vgl. Α. I. 3. c) aa) BVerfG v. 7.10.1981, BVerfGE 58, 208 (221). 232 § 111 Bad.-Württ. UnterbrG; Art. 6 I Bay. UnterbrG; § 13 Bln. PsychKG; § 19 Brem. PsychKG; § 13 Hmb. PsychKG; § 3 HFEG; § 18 Nds. PsychKG; § 6 Rh.-Pf. UnterbrG; § 6 Saarl. UnterbrG; § 14 NW PsychKG; § 11 Schl.-Holst. PsychKG; vgl. hierzu Baumann (Fn. 220), S. 418. 233 v g l z u d e n Grundsätzen des Unterbringungsverfahrens nach den Landesunterbringungsgesetzen Göppinger, FamRZ 1980, 856; Koch, NJW 1973, 544; Kulimann, NJW 1967, 287; März, BayVBl. 1976, 165; Dodegge, NJW 1987, 1910; Neumann, NJW 1982, 2588 m.w.N. 234

Vgl. hierzu Saage / Göppinger (Fn. 207), § 2, Rdn. 2. Dowie, NZWehrr. 1971, 84 (88); Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 6; Reder, Polizeiliche Sistierung, S. 31, 32; Saage, JR 1956, 282. 235

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Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

verleiht, den Verfassungsbegriff der Freiheitsentziehung in Art. 104 I I verbindlich zu definieren. Einer solchen Regelungskompetenz des Gesetzgebers steht aber der Grundsatz entgegen, daß die in Art. 104 I I vorgesehenen Rechtsgarantien gerade nicht zur Disposition des Gesetzgebers stehen, sondern von Verfassungs wegen auch für die Legislative verbindlich sind 2 3 6 . So kann grundsätzlich eine höherrangige Norm wie der Art. 104 I I nicht durch eine niederrangige Vorschrift wie § 2 I FEVG ausgelegt werden 2 3 7 . Die Folge wäre, daß Verfassungsbegriffe zur Disposition des einfachen Bundes- und Landesgesetzgebers stehen würden. Dies würde zu einer Umgehung des erschwerten Verfahrens zur Verfassungsänderung führen. Zudem ist zu berücksichtigen, daß nach Art. 104 I I 4 sowohl der Bundes- wie auch der Landesgesetzgeber regelungszuständig sein kann. Damit bestünde die Gefahr, daß ein und derselbe Verfassungsbegriff von Bundes- und Landesgesetzgeber jeweils unterschiedlich bestimmt werden könnten. Die Rechtsgarantien des Art. 104 I I wären damit entsprechend der jeweiligen Gesetzgebungskompetenz unterschiedlichen Voraussetzungen unterworfen. Zudem wurde der Satz 4 erst in einer der abschließenden Sitzungen des Rechtspflegeausschusses v. 7.12.1948 auf Vorschlag des Abgeordneten Dr. Strauß den Sätzen 1 bis 3 angefügt 238 , wobei gegen die Aufnahme dieser Regelungen in den Verfassungstext keinerlei Bedenken bestanden. Der Satz „Das Nähere ist gesetzlich zu regeln" sollte lediglich eine Ergänzung zu den eigentlich entscheidenden Bestimmungen in Absatz 2 darstellen, über den im Ausschuß auch gar nicht weiter beraten wurde. Eine so weitgehende Ermächtigung an den Gesetzgeber, wie die verbindliche Bestimmung des Begriffs der Freiheitsentziehung in Satz 1 kann mit dieser nachträglichen Ergänzimg in Satz 4 folglich nicht beabsichtigt gewesen sein. Vielmehr sollte sich dieser gesetzliche Regelungsvorbehalt lediglich, wie dargestellt, auf das Verfahren bei der richterlichen Entscheidung beziehen. c) Möglichkeit der Erweiterung der Rechtsgarantien durch den Gesetzgeber Unabhängig von der Frage, ob der Gesetzgeber die Kompetenz hat, den Begriff der Freiheitsentziehung verbindlich zu definieren, ist festzustellen, daß der Gesetzgeber nicht gehindert ist, die in Art. 104 I I vorgesehenen Rechtsgarantien, insbesondere den Richtervorbehalt, auch für andere Eingriffe vorzuschreiben, die nicht den Intensitätsgrad einer Freiheitsentzie236 BVerfG v. 10.2.1960, BVerfGE 10, 302 (323); BGH v. 17.2.1981, BGHZ 82, 261 (263); Reder (Fn. 235), S. 31, 32. 237 Baumann, UnterbrR, S. 8; Dowie, NZWehrr. 1971, 84 (88); Moritz, NJW 1977, 796; Reder (Fn. 235), S. 31, 32; Schnickmann, MDR 1976, 363 (364); grundlegend zu der Auslegung von Verfassungsnormen durch den Gesetzgeber Leisner, Verfassungsmäßigkeit der Gesetze, Gesetzmäßigkeit der Verfassung, S. 27. 238 vgl. v. Doemming / Füsslein / Matz, JöR, Bd. 1, S. 747.

Α. Regelungen des Grundgesetzes

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hung erreichen 239 . Art. 104 I I enthält lediglich Mindestanforderungen, die vom Gesetzgeber im Rahmen der ihm durch Satz 4 erteilten Regelungskompetenz zu beachten sind. Dies bedeutet, daß nicht notwendigerweise alle Eingriffe in die Bewegungsfreiheit, für die nach dem Gesetz ein Richtervorbehalt besteht, auch vom jeweiligen Gesetzgeber als Freiheitsentziehimg nach Art. 104 I I angesehen werden 2 4 0 . Denn der Gesetzgeber ist nicht gehindert, Rechtsgarantien vorzusehen, die über das von Art. 104 I I geforderte Maß hinausgehen. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, darauf hinzuweisen, daß der Richtervorbehalt als Form der Garantie gesetzmäßiger Verwaltung keine Erfindung des Grundgesetzes ist 2 4 1 . Insbesondere viele strafrechtliche und strafprozessuale Zwangsmaßnahmen 242 standen lange vor Schaffung des Grundgesetzes unter dem Vorbehalt einer richterlichen Anordnung 2 4 3 . Es ist damit festzustellen, daß auch eine Vielzahl weiterer Maßnahmen der Exekutive unter dem Vorbehalt der richterlichen Anordnung stehen, ohne daß es sich dabei um Freiheitsentziehungen handelt 2 4 4 . Zudem ist festzustellen, daß ein Teil der Landesunterbringungsgesetze die Gesundheitsbehörden verpflichtet, bis zum Ende des Tages nach der Unterbringung des Kranken eine richterliche Entscheidung herbeizuführen 245 , obwohl eine entsprechende Verpflichtung nach Art. 104 I I 3 nur für die Polizei, nicht aber für die Gesundheitsbehörden im Unterbringungsverfahren besteht 246 . Auch hier ist eine Erweiterung der Rechtsgarantien über das durch Art. 104 I I erforderliche Maß ohne weiteres zulässig. 2. Regelungsvorbehalt

im Bereich

des Art. 104 III

GG

Für den Fall der Festnahme wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung enthält Art. 104 I I I keinen ausdrücklichen Regelungsvorbehalt. Gleichwohl ist davon auszugehen, daß sich die Kompetenz des Gesetzgebers nach Art. 104 I I 4 auch auf den Bereich des Art. 104 I I I erstreckt. So sind in den §§ 112 ff. StPO umfassende Regelungen für die Vorführungs-, Verneh239

Siehe hierzu auch Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, S. 191, Fn. 53. So aber Koschwitz, Kurzfristige Freiheitsentziehung, S. 44. 241 So Bettermann, W D S t R L 17 (1959), 119, 173; ders. in GR III/2, S. 897. 242 Vgl. zum Richtervorbehalt nach der StPO die §§ 81a II, 98 II, 100 I, 100b I, 105, U l l i , l l l e I, 114, 119 IV, 126a I I StPO. 243 Bettermann (Fn. 241). 244 Vgl. auch zum Richtervorbehalt in der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Baur, FGG I, S. 15; Habscheid, FGG, S. 18; Lent, DNotZ 1950, 320; siehe zum Richtervorbehalt im Preußischen Verwaltungsrecht Bettermann, GR III/2, S. 897; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht II, S. 609; ferner zur Forderung nach einem Richtervorbehalt im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren Pestalozza, Der Staat 18 (1979), S. 481; Pietzcker, DVB1. 1982, 1086. 24 5 Art. 18 I, I I Bay. UnterbrG; § 26 I Bln. PsychKG; § 14 I I I Brem. PsychKG; § 16 Nds. PsychKG; § 17 I I NW PsychKG; § 10 HFEG; § 18 V Saarl. UnterbrG; § 24 I Schl.-Hol. PychKG. 246 Vgl. oben Teil I Α. I. 3. b) aa). 240

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Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

mungs-, Anhörungs- und Mitteilungspflichten gegenüber festgenommenen Personen niedergelegt 247 . Dabei hat sich ein ausdrücklicher Regelungsvorbehalt in Art. 104 I I I deshalb erübrigt, weil bei Schaffung des Grundgesetzes bereits weitgehend die entsprechenden Regelungen in der Strafprozeßordnung vorhanden waren 2 4 8 . Dies bestätigt die oben getroffene Feststellung, daß in Art. 104 I I I bereits vorhandene strafprozessuale Grundsätze auf die Ebene des Verfassungsrechts gehoben wurden 2 4 9 . Mithin gibt der Art. 104 I I I den verfassungsrechtlichen Rahmen vor, der durch die Regelungen der Strafprozeßordnung ausgefüllt wird. 3. Regelungsvorbehalt

im Bereich

des Art. 104 IV GG

Auch die verfassungsrechtlichen Regelungen über die Benachrichtigungspflicht nach Art. 104 IV werden durch die einschlägigen Bundes- und Landesgesetze ergänzt bzw. konkretisiert. Eine dem Art. 104 IV nachgebildete Vorschrift stellt § 114 b StPO dar 2 5 0 . Nach Absatz 1 ist von der Verhaftung und jeder weiteren Entscheidung über die Fortdauer der Haft ein Angehöriger des Verhafteten oder eine Person seines Vertrauens unverzüglich zu benachrichtigen. Darüber hinaus ist dem Verhafteten nach Absatz 2 selbst Gelegenheit zu geben, einen Angehörigen oder eine Person seines Vertrauens von der Verhaftung zu benachrichtigen, sofern der Zweck der Untersuchung dadurch nicht gefährdet wird. Diese in Absatz 2 enthaltene Einschränkung (Gefährdung des Untersuchungszwecks) gilt nicht für Absatz l 2 5 1 . § 114b I I StPO w i l l dem Verhafteten die Möglichkeit geben, seine Angehörigen oder Vertrauten zu benachrichten, sie um Beistand zu bitten und Vorsorge für seine persönlichen Angelegenheiten zu treffen 252 . Diese Vorschrift dient allein den Interessen des Verhafteten. Wegen dieses Zwecks steht sie völlig selbständig neben § 114 b I StPO, der, wie erwähnt, vorrangig öffentliche Interessen sicherstellt 253 , und bei dem eine Benachrichtigung von Amts wegen zu erfolgen hat. Auch die meisten Landespolizeigesetze 254 enthalten ausdrückliche Regelungen über eine Benachrichtigungspflicht bei freiheitsentziehenden Maß247 Vgl. §§ 114, 114a, 114b, 115, 115a, 120, 126a, 127, 127a, 128 StPO; Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 42; Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Rdn. 31, 32. 248 Vgl. BVerfG v. 8.1.1959, BVerfGE 9, 89 (100); BGH v. 6.12.1951, BGHSt. 2, 44 (50); Hamann / Lenz, GG, Art. 104, Erl. B. 11. 249 vgl. BVerfGG a.a.O.; Hamann / Lenz (Fn. 248). 250 Dünnebier i n Löwe-Rosenberg, StPO, § 114 b, Rdn. 1; Hamann / Lenz, GG, Art. 104, Anm. B. 12.; Kleinknecht, StPO, § 114b, Rdn. 1; Kunig (Fn. 247), Rdn. 36. 2 51 Loeschau, MDR 1962, 773; Kleinknecht (Fn. 250), § 114b, Rdn. 3. 252 Dünnebier (Fn. 250), Rdn. 28. 253 Dünnebier (Fn. 250), Rdn. 28. 2 4 5 Art. 18 I I BayΡAG; § 20 I I ASOG Bln.; § 17 I I Brem. PolG; § 13 I I I Hmb. SOG; § 49 I I HSOG; § 18 I I Nds. SOG; § 15 I I PolG NW; § 16 I I Rh.-Pf. PVG; § 15 Saarl. PVG; § 212 LVwG.

Α. Regelungen des Grundgesetzes

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nahmen. Lediglich im Polizeigesetz für Baden-Württemberg fehlt eine entsprechende Regelung. Die Vorschrift über den Polizeigewahrsam nach § 22 Bad.-württ. PolG muß mithin durch Art. 104 IV als unmittelbar geltendes Recht ergänzt werden 2 5 5 . Nach einigen Landespolizeigesetzen kann eine Benachrichtigung von Angehörigen oder einer Person des Vertrauens unterbleiben, wenn durch sie der Zweck der Freiheitsentziehung gefährdet w i r d 2 5 6 . Eine solche Einschränkung der Benachrichtigungspflicht aufgrund öffentlicher Interessen ist aber bei einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung mit Art. 104 IV nicht vereinbar. Lediglich bei der Auswahl der zu benachrichtigenden Person wie auch der Art und Weise der Benachrichtigung darf, wie erwähnt, die mögliche Gefährdung des Zwecks der Freiheitsentziehung berücksichtigt werden. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß die genannten Vorschriften nicht ausdrücklich unterscheiden, ob es sich um eine richterliche oder um eine von der Exekutive angeordnete Freiheitsentziehung handelt. Diese Vorschriften sind daher so auszulegen, daß sie sich nur an die Polizei bzw. die Verwaltung wenden, während bei einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung eine Benachrichtigung nach Art. 104 IV zwingend erforderlich bleibt 2 5 7 . In den neueren auf dem ME beruhenden Landespolizeigesetzen wird diese begrenzte Geltung für nichtrichterliche Freiheitsentziehungen dadurch hervorgehoben, daß die Benachrichtigungspflicht bei einer richterlichen Freiheitsentziehung unberührt bleiben soll 2 5 8 . Zudem ergibt sich bei den Landespolizeigesetzen, die auf das FEVG verweisen 259 , die Verpflichtung zur Benachrichtigung Dritter zusätzlich noch aus § 6 IIb, c FEVG 2 6 0 . Denn nach § 6 IIb, c FEVG ist die Entscheidung, durch welche die Freiheitsentziehung angeordnet wird, den nach § 5 I I I 1, 2 FEVG zu hörenden Personen, also den nächsten Angehörigen oder einer Person, die das Vertrauen des Unterzubringenden genießt, bekanntzumachen. Am ehesten werden die Regelungen in § 21 des Gesetzes über den Bundesgrenzschutz (BGSG v. 18.8.1972, BGBl. I S. 1834) sowohl den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 104 IV wie auch dem Bedürfnis, eine Verfehlung des mit dem Gewahrsam verfolgten Zwecks zu verhindern, gerecht. Nach § 21 I I I BGSG ist bei einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung zwingend eine Benachrichtigung erforderlich. Nach Absatz 4 ist diese Benachrichtigung aber so vorzunehmen, daß sie den Zweck des Gewahrsams nicht gefährdet. Damit w i r d deutlich, daß zwar 255 Vgl. hierzu BGH v. 17.12.1981, BGHZ 82, 261 (263). 256 § 20 I I 1 ASOG Bln.; § 13 I I I Hmb. SOG, § 49 I I I HSOG. 257 So Berg / Hein, ASOG, § 20, Anm. 3; Martin / Samper, PAG, Art. 18, Rdn. 7; Riegel, PolG NW, § 15, Rdn. 2; vgl. auch Heise / Riegel, ME, § 15 Begr. zu Abs. 2. 258 Art. 18 I I 2 Bay Ρ AG; § 17 I I 2 Brem. PolG; § 18 I I I Nds. SOG; § 15 I I 2 NW PolG; § 16 I I 2 Rh.-Pf. PVG, ferner § 21 I I I BGSG, vgl. hierzu auch Heise / Riegel, ME, § 15 Begr. zu Abs. 2. 259 Art. 17 I I 2 Bay Ρ AG; § 22 I I 2 Bad.-Württ. PolG; § 19 I I 3 ASOG Bln.; § 16 I I I 2 Brem. PolG; § 14 I I 2 NW PolG; § 15 I I 2 Rh.-Pf. PVG; § 180 LVwG. 260 Vgl. zum FEVG oben Teil I Α. II. 1. a) aa).

64

Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

nicht auf eine Benachrichtigung verzichtet werden kann 2 6 1 , denn in Absatz 4 heißt es „ist vorzunehmen", daß aber bei der Art und Weise der Benachrichtigung die Gefahr einer Zweckverfehlung berücksichtigt werden kann. In § 20 IV BGSG liegt somit eine legislative Bestätigung der Auffassimg 262 , daß eine Benachrichtigung von einer richterlichen Freiheitsentziehung in jedem Fall zu erfolgen hat, der Richter aber durch die Art und Weise der Benachrichtigung, besonders durch die Auswahl der zu benachrichtigenden Person, auf die Gefährdung des mit der Freiheitsentziehung verfolgten Zwecks Rücksicht nehmen kann. Nach den Landesunterbringungsgesetzen ist der Richter nicht nur verpflichtet, unverzüglich den eine Unterbringung anordnenden Beschluß einem Angehörigen des Unterzubringenden oder einer Person seines Vertrauens mitzuteilen 2 6 3 . Vielmehr hat der Richter bereits von Amts wegen diesen Personenkreis am Unterbringungsverfahren zu beteiligen 264 . ΙΠ. Die Freiheitsentziehung als spezieller Eingriff in die Freiheit der Person 1. Die grundrechtliche der

Relevanz

des Begriffs

Freiheitsentziehung

Wie die bisherigen Ausführungen ergeben haben, ist die Terminologie des Grundgesetzes bei Maßnahmen der öffentlichen Gewalt, die in das Grundrecht der Freiheit der Person eingreifen, sehr unterschiedlich 265 . a) Die unterschiedliche Terminologie bei Eingriffen in die Freiheit der Person So ist in Art. 2 I I 3 von einem Eingriff in das Recht der persönlichen Freiheit, in Art. 104 11 von einer Beschränkung der Freiheit, in Art. 104 I 2 von Festhaltung, in Art. 104 I I 1, 2 von einer Entziehung der Freiheit, in Art. 104 I I 3 von Gewahrsam, in Art. 104 I I I von Festnahme und Haft und in Art. 104 IV und Art. 115 c I I Nr. 2 wieder von Freiheitsentziehungen die Rede. Erforderlich ist daher eine Klärung des Verhältnisses dieser unterschiedlichen Begriffe zueinander. 261

Einwag / Schoen, BGSG, § 21, Rdn. 8. So die Auffassung u.a. von Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 43; Eb. Schmidt, StPO, § 114a a.F. Anm. 3. 263 Art. 13 Bay. UnterbrG; § 23 Bln. PsychKG; § 24 I I Brem. PsychKG; § 22 Hmb. PsychKG; § 13 HFEG; § 21 I I I Nds. PsychKG; § 9 I l d NW PsychKG; § 14 I d Rh.-Pf. UnterbrG; § 12 Saarl. UnterbrG; § 18 Schl.-Holst. PsychKG; vgl. auch Baumann, UnterbrR, S. 408. 284 Art. 11 II, I I I Bay. UnterbrG; § 16 Bln. PsychKG; § 22 Brem. PsychKG; § 16 Hmb. PsychKG; § 9 I I NW PsychKG; § 9 Saarl. UnterbrG; § 14 Schl.-Holst. PsychKG. 265 Vgl. auch Dürig i n M a u n z / D ü r i g , GG, Art. 104, Rdn. 5; Reder, Polizeiliche Sistierung, S. 29. 262

Α. Regelungen des Grundgesetzes

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Da Art. 104 das Grundrecht der persönlichen Freiheit durch besondere Rechtsgarantien ergänzt, ist davon auszugehen, daß ein Eingriff in das Grundrecht nach Art. 2 I I 2 alle in Art. 104 genannten hoheitlichen Maßnahmen mitumfassen muß. Sowohl Freiheitsbeschränkung wie Freiheitsentziehung, Festnahme, Verhaftung und Gewahrsam stellen damit Eingriffe nach Art. 2 I I 3 dar. Des weiteren können der polizeiliche Gewahrsam nach Art. 104 I I 3 und die Festnahme bzw. Verhaftimg nach Art. 104 I I I als spezielle Fälle der in Art. 104 I I und IV geregelten Freiheitsentziehimg angesehen werden 2 6 6 , nämlich als Freiheitsentziehung zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung. Dies ergibt sich bereits aus dem oben dargestellten Verhältnis der Spezialität von Art. 104 I I I zu Art. 104 II. Gemeinsam ist sowohl dem Absatz 2 wie auch dem Absatz 3, daß die genannten Maßnahmen grundsätzlich nur von einem Richter angeordnet werden dürfen. Lediglich hinsichtlich des Eingriffsverfahrens gibt es in Absatz 3 speziellere Regelungen als in Absatz 2. Bestätigt w i r d dies auch durch die Vorschrift des Art. 115 c I I Nr. 2. Nach dieser bereits genannten Regelung kann, soweit es die Verhältnisse während des Verteidigungsfalles es erfordern, durch Bundesgesetz für den Verteidigungsfall für Freiheitsentziehungen eine von Art. 104 I I 3 und I I I 1 abweichende Frist festgesetzt werden. In dieser Bestimmimg wird der Begriff Freiheitsentziehung sowohl für Absatz 2 wie auch für Absatz 3 gebraucht. Dies bedeutet, daß die Festnahme und die Haft nach Art. 104 I I I auch als Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I anzusehen sind. Mithin wird deutlich, daß sich sowohl aus dem systematischen Zusammenhang von Art. 104 I I und I I I wie auch die Regelung des Art. 115 c I I Nr. 2 ergibt, daß es sich bei der Festnahme einer Person wegen des Verdachts einer Straftat lediglich um den speziellen Fall einer Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I handelt. b) Unterscheidung zwischen Freiheitsbeschränkung und Freiheitsentziehung Damit reduziert sich die Begriffsbestimmung bei Eingriffen in das Recht der persönlichen Freiheit auf eine Bestimmung des Begriffs der Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I 2 6 7 . Denn alle Eingriffe, die nicht den Intensitätsgrad einer Freiheitsentziehung erreichen, stellen lediglich eine Freiheitsbeschränkung nach Art. 1041 dar 2 6 8 . Die Freiheitsbeschränkung nach Art. 104 I stellt damit zum einen den Oberbegriff für alle Eingriffe in das Grundrecht der persönlichen Freiheit dar, da nur so die Rechtsgarantien des 266 Dürig (Fn. 265), Rdn. 41, 42; Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Rdn. 29; Hamann / Lenz, GG, Art. 104, Anm. B. 11. 267 Dürig (Fn. 265), Rdn. 6; Kern, GR II, S. 71; Holtkotten, BK, Art. 104, Erl. I I c 1. 268 BVerfG v. 10.2.1960, BVerfGE 10, 302 (323); BGH v. 17.12.1981, BGHZ 82, 261 (264); Dürig (Fn. 265), Rdn. 6; Holtkotten (Fn. 267), Anm. I l e 1; Kern (Fn. 267); Stümper, BWVB1. 1962,68 (69).

5 Hantel

66

Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

Art. 104 I für jede hoheitliche Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit zur Anwendung kommen. Des weiteren steht die Freiheitsbeschränkung der Freiheitsentziehung begrifflich gegenüber und ist jede Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit, die nicht den Intensitätsgrad einer Freiheitsentziehung erreicht 269 . Die Beantwortung der Frage, wann ein hoheitlicher Eingriff in die persönliche Freiheit den Intensitätsgrad einer Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I erreicht, ist wegen der geschilderten Kompetenz- und Verfahrensregelung in dieser Vorschrift sowohl für die Exekutive wie auch für die Judikative von grundsätzlicher Bedeutung. Nur bei einer Freiheitsentziehung liegt die Anordnungskompetenz nach Art. 104 I I grundsätzlich beim Richter, hat die Exekutive nach Satz 2 unverzüglich eine richterliche Entscheidimg herbeizuführen. Damit hängt die Kompetenzabgrenzung zwischen Judikative und Exekutive bei Eingriffen in das Grundrecht der persönlichen Freiheit von der Beantwortung der Frage ab, ob der Eingriff als Freiheitsentziehung oder lediglich als Freiheitsbeschränkung zu qualifizieren ist, für die nach Art. 104 11 lediglich der förmliche Gesetzesvorbehalt, nicht aber der Richtervorbehalt gilt. Ebenso muß aber auch der Gesetzgeber, der nach Art. 104 I I 4 das Nähere gesetzlich zu regeln hat, bei Ermächtigungen zu Eingriffen in die persönliche Freiheit die ihn nach Art. 1 I I I bindenden Vorschriften des Art. 104 II, IV beachten. Dies bedeutet, daß der Gesetzgeber bei Ermächtigungen zu Freiheitsentziehungen die Anordnungskompetenz dem Richter zu übertragen bzw. eine Verpflichtung zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung vorzuschreiben hat. 2. Die

Freiheitsentziehung

als Zwangsmaßnahme

der öffentlichen

Gewalt

Im Folgenden sollen zunächst diejenigen Merkmale herausgearbeitet werden, die unstrittig zum Begriff der Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I gehören. Dabei ist zunächst festzustellen, daß der Begriff der Freiheitsentziehung in Art. 104 I I sowohl die Anordnung einer Maßnahme wie auch deren Vollzug erfaßt. Obwohl Satz 1 mit Freiheitsentziehung eher die Anordnung, Satz 2 dagegen eine bereits andauernde Maßnahme meint 2 7 0 , können Anordnung und Vollstreckung nur als ein einheitlicher Vorgang betrachtet werden 2 7 1 . Jede Verurteilung zur Duldung einer freiheitsentziehenden Maßnahme stellt damit bereits eine Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 I I dar 2 7 2 . Von dem Begriff der Freiheitsentziehung ist damit sowohl die Anordnung wie auch zugleich die Vollstreckung der Maßnahme erfaßt. 269 So auch Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, S. 152; Kunig in v. Münch, GG, Bd. 3, Art. 104, Rdn. 19; a. A. Reder, Polizeiliche Sistierung, S. 29, 30. 270 Schelling, VA und richterliche Entscheidung, S. 38 ff. 271 BVerfG v. 3.7.1962, BVerfGE 14, 174 (186); ferner Adolf Arndt, Festgabe für Carlo Schmidt, S. 5, 31; Dürig, NJW 1961, 1831. 272 BVerfG, a.a.O.

Α. Regelungen des Grundgesetzes

67

a) Eingriff durch die öffentliche Gewalt Die Regelungen in Art. 2 I I 2 und Art. 104 beziehen sich nur auf Maßnahmen der öffentlichen Gewalt 2 7 3 . So weisen die einzelnen Bestimmungen des Art. 104, Freiheitsentziehung durch den Richter, Art. 104 I I 3, und Freiheitsentziehung zum Zwecke der Strafverfolgung, Art. 104 III, darauf hin, daß sich Art. 104, 2 I I 2 nur auf Eingriffe durch die öffentliche Gewalt beziehen können. Dies ergibt sich auch aus dem vom Grundgesetzgeber mit Art. 104 verfolgten Zweck. Angesichts der Willkürherrschaft des NS-Staates sollte die Freiheit der Person durch die Rechtsgarantie des Art. 104 besonders geschützt und willkürlichen Eingriffen wirksam vorgebeugt werden 2 7 4 . Bei der Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I kann es sich somit nur um einen Eingriff der öffentlichen Gewalt handeln. Dies entspricht dem klassischen Grundrechtsverständnis, wonach die Grundrechte als subjektive Rechte zur Abwehr rechtswidriger staatlicher Beeinträchtigungen geschaffen sind 2 7 5 . Während Art. 2 I I 2 bereits wegen seiner Formulierung eine verfassungsrechtliche Grundsatznorm enthält, die als objektive Wertentscheidung für alle Bereiche des Rechts g i l t 2 7 6 , betreffen die Rechtsgarantien aus Art. 104 ausschließlich den Schutz vor der öffentlichen Gewalt. b) Eingriff gegen den Willen des Betroffenen Der Schutzbereich des Art. 2 I I 2, 104 ist nur dann berührt, wenn der Eingriff gegen oder ohne den Willen des Betroffenen erfolgt 2 7 7 . Erfolgt eine staatliche Ingewahrsamsnahme mit Willen des Betroffenen, sucht er gar um eine solche Maßnahme nach, so liegt gar kein Eingriff nach Art. 2 I I 2, 104 273 BVerfG v. 10.2.1960, BVerfGE 10, 302 (311, 312); BGH v. 30.3.1955, BGHZ 17, 108 (113); Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 2; Hamann /Lenz, GG, Art. 104, Anm. Α. 1.; Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Rdn. 3; Stein, Staatsrecht, 5. 235. 274 Vgl. Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 2; Hamann / Lenz (Fn. 273), Anm. A. 2.; Kunig (Fn. 273), Rdn. 3; Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG, Art. 104, Rdn. 1, 2; dabei richtet sich Art. 104 I 2, I I 2, 3 nur an die Exekutive; Art. 104 I I 1, IV nur an den Richter; die übrigen Regelungen gelten sowohl für die zweite und dritte Gewalt gleichermaßen; die Legislative ist im Rahmen des RegelungsVorbehalts an Art. 104 gebunden. 275 Hierzu Hesse, Grundzüge Verfassungsrecht, S. 122; v. Mangoldt / Klein, GG, Vorb. A I I 3a; Stein, Staatsrecht, S. 246ff.; siehe auch BVerfG v. 17.1.1957, BVerfGE 6, 55 (81). 276 BVerfG v. 10.2.1960, a.a.O.; so ist der Gesetzgeber aufgrund der objektiven Wertentscheidung des Art. 2 I I 2 verpflichtet, das Grundrecht der persönlichen Freiheit auch im Verhältnis zwischen den Bürgern durch entsprechende strafrechtliche Regelungen zu sichern, z.B. durch die §§ 234 bis 241a StGB; so v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 2 II, Rdn. 171. 277 Dürig in Maunz / Dürig, Art. 104, Rdn. 9; Kern, GR II, S. 89; Baumann, UnterbrR, S. 11, 12; Koschwitz, Kurzfristige Freiheitsentziehung, S. 26; Götz, Allg. Pol.und Ordnungsrecht, S. 152; Berg /Hein, ASOG, S. 18, Anm. A l ; Hampel, FamRZ 1963, 537 (540). 5'

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Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

vor 2 7 8 . Dies ist z.B. bei der polizeilichen Obhut bzw. beim sog. Gewahrsam auf Verlangen 279 der Fall, bei dem sich der Betroffene zum eigenen Schutz in staatliche Obhut begibt 2 8 0 . I n einem solchen Gewahrsam auf Verlangen liegt auch kein unzulässiger Grundrechtsverzicht des Betroffenen 281 . Denn Ausgangspunkt bei der Frage des Grundrechtsverzichts ist das Bekenntnis nach Art. 1 I I zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten. Danach sind Grundrechte als Ganzes unverzichtbar. Im Gegensatz dazu kann von der Geltendmachung einzelner aus ihnen fließenden Befugnisse abgesehen werden, ohne daß der Grundrechtsträger insgesamt auf das Grundrecht verzichtet 282 . Begibt sich jemand freiwillig in hoheitlichen Gewahrsam, so verzichtet er dadurch nicht grundsätzlich auf sein Grundrecht. Vielmehr verzichtet der Betroffene nur vorübergehend auf die Ausübung seines Grundrechts. Er kann jederzeit unter Berufung auf sein Grundrecht der persönlichen Freiheit seine Freilassung verlangen. W i l l die Behörde die Freilassung verhindern 283 , so muß sie entsprechend den gesetzlichen Voraussetzungen einen Eingriff anordnen und das erforderliche gesetzliche Verfahren, also die Anrufung des Richters nach Art. 104 I I 2, einleiten. Von diesen freiwilligen Meißnahmen sind aber diejenigen Eingriffe zu unterscheiden, bei denen der Zwang durch sog. psychischen Druck ausgeübt wird. Wird jemand etwa ohne Anwendung unmittelbaren Zwangs vorgeführt oder mit zur Dienststelle genommen, weil er „freiwillig" neben den Polizeibeamten hergeht oder ihr Fahrzeug besteigt, so liegt doch wegen des bestehenden psychischen Zwangs ein zwangsweiser Eingriff nach Art. 2 I I 2,104 vor 2 8 4 . Entscheidend ist, daß dem Betroffenen auch bei diesen Maßnahmen die Entscheidungsfreiheit über seinen Aufenthaltsort fehlt, weil er bei Widerstand damit rechnen müßte, daß man ihn durch Anwendung sofortigen unmittelbaren Zwangs an den gewünschten Ort bringen würde. Damit w i r d deutlich, daß es sich bei der Freiheitsentziehimg nur um 27 8 Koschwitz (Fn. 277), S. 53; Ule / Rasch, PVG, §§ 15 - 17, Rdn. 107; Kern, GR II, S. 89; Heise, Riegel, ME, § 13, zu Abs. 1; BVerfGG a.a.O. S. 309. 279 Hierzu Kern, GR II, S. 89; Koschwitz (Fn. 277), S. 53; Ule / Rasch, PVG, §§ 15 17, Rdn. 107. 280 So z.B. nach § 22 I Nr. 2a BW PolG; § 180 I Nr. 2a SH LVwG; hier stellt sich allenfalls die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Exekutive verpflichtet ist, dem Verlangen zu entsprechen, vgl. hierzu Berg / Hein, ASOG, § 18, Anm. A 2; Koschwitz (Fn. 277), S. 53. 281 Vgl. zur Frage der Zulässigkeit eines Grundrechtsverzichts Dürig, AöR 81, 117; ders. in Maunz / Dürig, Art. 1 Abs. II, Rdn. 81; Wernicke, BK, Art. 1, Erl. I I 3b; v. Mangoldt / Klein, GG, Vorb. B X V 15; Maunz, Staatsrecht, S. 158. 282 So Maunz (Fn. 281); Gentz, Unverletzlichkeit der Wohnung, S. 36, für Eingriffe in das Grundrecht nach Art. 13 1. 283 Praktisch relevant wird diese Frage im Unterbringungsrecht, wenn sich der Untergebrachte zunächst freiwillig in eine psychiatrische Anstalt begeben hat, dann aber diese mit Hinweis auf seinen freiwilligen Aufenthalt wieder verlassen will. 284 Vgl. hierzu grundlegend Koschwitz, Kurzfristige Freiheitsentziehimg, S. 32ff.; Baumann, Unterbringungsrecht, S. 210.

Β. Weitere Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person

69

eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt handeln kann, die gegen den Willen des Betroffenen angeordnet und vollstreckt wird. 3. Die Freiheitsentziehung

als Eingriff

von besonderer

Intensität

Unproblematisch ist ferner, daß es sich bei der Freiheitsentziehung im Vergleich zur Freiheitsbeschränkung um einen Eingriff von größerer Intensität handeln muß. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der jeweiligen Begriffe „beschränken" und „entziehen". Die Beschränkung eines Rechts wirkt sich nicht so intensiv aus wie die Entziehung eines Rechts. Zudem wird der unterschiedliche Intensitätsgrad auch daran deutlich, daß die Anordnung einer Freiheitsentziehimg von weit umfassenderen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen abhängig ist als die bloße Freiheitsbeschränkung. Wann aber der Intensitätsgrad einer Freiheitsentziehung erreicht ist, läßt sich in vielen Fällen nur schwer bestimmen. Diese Schwierigkeiten bestehen insbesondere deshalb, weil sich Eingriffe in die Freiheit der Person sowohl von ihrer zeitlichen wie auch von ihrer räumlichen Intensität, aber auch von der Art und Weise der Zwangseinwirkung häufig unterschiedlich für den Betroffenen auswirken. Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung können damit nicht qualitativ, sondern nur graduell voneinander unterschieden werden 2 8 5 . Mithin kann es sich bei der Freiheitsentziehimg nur um einen Eingriff der öffentlichen Gewalt in die Freiheit der Person handeln, der über die bloße Beschränkung der Bewegungsfreiheit hinaus weitere Kriterien aufweist. Vor der Darstellung des Meinungsstands zum Begriff der Freiheitsentziehung in Art. 104 I I 2 8 6 sollen vorab weitere Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person daraufhin untersucht werden, ob auch in ihnen die Freiheitsentziehung als besondere Eingriffsform genannt ist und welche Rechtsgarantien im Falle einer solchen Freiheitsentziehung vorgesehen sind. B. Weitere Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person I. Regelungen in den Verfassungen der Länder

Vorschriften zum Schutz der Freiheit der Person finden sich auch in dem Grundrechtsteil der Länderverfassungen. Allerdings enthalten eigene 285 BVerfG v. 10.2.1960, a.a.O.; BVerwG v. 23.6.1981, BVerwGE 62, 325 (327); BayOLG v. 16.10.1956, BayOLGZ 56, 353 (357); Bettermann, GRIII/2, S. 881; Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 5; Hamann / Lenz, GG, Art. 104, Anm. Β. 1.; Holtkotten, BK, Art. 104, Erl. I I G. 1; Kern, GR II, S. 71; Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Anm. 3; Saage, FEVG, § 2 Rdn. 1; ders. JR 1956, 282. 286 Ygi Darstellung des Meinungsstands und Auslegung des Begriffs der Freiheitsentziehung in Teil I I und I I I der Arbeit.

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Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

Grundrechtsregelungen lediglich die Verfassungen von Bayern 2 8 7 , Berlin 2 8 8 , Bremen 289 , Hessen 290 , Rheinland-Pfalz 291 und des Saarlandes 292 . Die Verfassungen der anderen Bundesländer übernehmen dagegen die im Grundgesetz festgelegten Grundrechte 293 oder verzichten ganz auf eigene Grundrechte 294 . Die Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person beschränken sich in den Landesverfassungen weitgehend auf die Garantie der Unverletzlichkeit der persönlichen Freiheit und die Verankerung des Gesetzesvorbehalts 295 . Zudem sehen einzelne Regelungen im Falle einer Festnahme oder Verhaftungen besondere Verfahrensgarantien vor 2 9 6 . Schwerpunkt dieser Regelungen ist der Richtervorbehalt bei Verhaftungen 297 oder Festnahmen 298 . Damit enthalten die Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person in den Landesverfassungen in erster Linie Rechtsgarantien für die Festnahme oder die Verhaftung 299 . Von einer Freiheitsentziehung ist lediglich in Art. 5 I Verf. Rh.-Pf. und in Art. 9 I I VvB die Rede. Nach Art. 5 I Verf. Rh.-Pf. ist eine Beeinträchtigung oder Entziehung der persönlichen Freiheit durch die öffentliche Gewalt nur aufgrund von Gesetzen und in den von diesen vorgeschriebenen Formen zulässig 300 . Art. 9 I I VvB schreibt vor, daß jeder Verhaftete oder Festgenommene binnen 24 Stunden in Kenntnis zu setzen ist, von welcher Stelle und aus welchem Grunde die Entziehung der Freiheit angeordnet wurde 3 0 1 . Nach Satz 2 haben die nächsten Angehörigen das Recht auf Auskunft über die Freiheitsentziehung. Es kann damit festgestellt werden, daß der Begriff der Freiheitsentziehung in den Verfassungen der Bundesländer nicht von so zentraler Bedeutung ist wie im Grundgesetz. Anknüpfungspunkt für weitergehende Rechtsgarantien, insbesondere für den Richtervorbehalt, sind vielmehr nur die speziellen Formen der Freiheitsentziehung, nämlich die Verhaftung oder die Festnahme einer Person. 287

Art. 98 ff. Verf. Bay. Art. 6 ff. VvB. 289 Art. I f f . Verf. Brem. 290 Art. Iff. Verf. Hess. 2« Art. Iff. Verf. Rh.-Pf. 292 Art. Iff. Verf. Saarl. 293 Art. 2 Verf. Bad.-Württ.; Art. 4 Verf. NRW. 294 Verf. Hmb.; Verf. Nds.; Verf. Schl.-Holst. 29 5 Art. 102 I Verf. Bay.; Art. 24 Verf. Hess.; Art. 5 I Verf. Rh.-Pf.; Art. 5 I I I Verf. Brem.; Art. 9 I VvB; Art. 3 Verf. Saarl. 29 ® Art. 102 I I Verf. Bay.; Art. 9 II, I I I VvB; Art. 5 IV Verf. Brem.; Art. 19 Verf. Hess.; Art. 5 I I Verf. Rh.-Pf.; Art. 13 Verf. Saarl. 297 Art. 9 I I I VvB; Art. 5 IV Verf. Brem.; Art. 19 I I Verf. Hess.; Art. 13 I I Verf. Saarl. 298 Art. 102 I I Verf. Bay.; Art. 13 I I Verf. Saarl. 299 Vgl. auch Spitta, Verf. Brem., Art. 5, zu Abs. 3 bis 5; Süsterhenn / Schäfer, Verf. Rh.-Pf., Art. 5, Anm. 4; Schwan in Pfennig / Neumann, VvB, Art. 9; Zinn / Stein, Verf. Hess., Art. 24, Anm. 2; ferner Nebinger, Verf. Bad.-Württ., Art. 5, Anm. 2. 300 Süsterhenn / Schäfer, Verf. für Rh.-Pf., Art. 5, Anm. 4. 301 Vgl Schwan in Pfennig / Neumann, VvB, Art. 9. 288

Β. Weitere Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person

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Π. Regelungen der Europäischen Menschenrechtskonvention

Umfassende Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person enthält auch die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (MRK). Die Bundesrepublik Deutschland hat der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention durch Ratifizierungsgesetz vom 7. August 1952 302 zugestimmt. Nach allgemeiner Auffassung enthält das deutsche Zustimmungsgesetz einen für die Gerichte und Behörden der Bundesrepublik verbindlichen Rechtsanwendungsbefehl 303 . Der Konvention kommt somit in der Rechtsordnung der Bundesrepublik der Rang eines förmlichen Bundesgesetzes zu 3 0 4 . 1. System der Regelungen

in Art. 5, 3, 4, 6,15

MRK

a) Das Grundrecht auf Freiheit nach Art. 5 MRK Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person enthält primär Art. 5 M R K 3 0 5 . Nach Satz 1 dieser Vorschrift hat jeder Mensch ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. aa) Schutzobjekt

des Art. 5 I MRK

Mit Freiheit nach Art. 5 MRK ist ebenso wie in Art. 2 I I 2,104 nur die körperliche Bewegungsfreiheit und nicht auch die allgemeine Handlungsfreiheit bzw. die Freiheit vor staatlichem Zwang gemeint 306 . Damit ist das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit von Art. 5 I MRK nicht erfaßt 307 . Diese enge Auslegung des Begriffs der Freiheit ergibt sich aus den in Art. 5 I Satz 2 MRK aufgezählten Voraussetzungen, unter denen in das Recht auf Freiheit eingegriffen wird. Die dort genannten Fälle der „Haft" und „Festnahme" verdeutlichen, daß es sich nur um Maßnahmen handeln kann, die die Bewegungsfreiheit des Menschen einschränken 308 . 302 BGBl. 11/685, ber. S. 953; vgl. zur Entstehungsgeschichte der Konvention Frowein / Peukert, EMRK, Einführimg, Rdn. 1. 303 Vgl. Koschwitz, Kurzfristige Freiheitsentziehung, S. 165; Herzog, AöR 86 (1961), S. 194ff.; Schorn, MRK, S. 40ff. 304 Frowein / Peukert, EMRK, Einführung, Rdn. 6. 305 Vgl. hierzu insbesondere EGMR v. 8.6.1976, EuGRZ 1976, 221; EGMR v. 6.11.1980, EuGRZ 1983, 633. 306 Frowein / Peukert, EMRK, Art. 5, Rdn. 8; Herzog, AöR 86 (1961), S. 202, 203; Hofmann, EuGRZ 1983, 644 (645); Partsch, Rechte und Freiheiten der MRK, S. 123; Schorn, MRK, Art. 5 Abs. 1, Anm. 1; Trechsel, MRK, S. 181; ders. in EuGRZ 1980, 514 (515). 307 Frowein / Peukert (Fn. 306); Schorn (Fn. 303). 308 Frowein / Peukert (Fn. 306); Schorn (Fn. 306); vgl. auch Herzog (Fn. 303), S. 202.

72

Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

Gleichermaßen ist das Recht auf Freizügigkeit nicht von Art. 5 MRK erfaßt 309 . Dies ergibt sich aus dem Vierten Zusatzprotokoll zur Menschenrechtskonvention vom 16. September 1963 310 , das in Art. 2 jedermann, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, das Recht gibt, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen 3 1 1 . Eine solche Bestimmung wäre überflüssig gewesen, wenn Art. 5 MRK auch das Recht auf Freizügigkeit gewähren würde 3 1 2 . Neben dem Recht auf Freiheit nennt Art. 5 I MRK als weiteres Schutzobjekt das Recht auf Sicherheit. Überwiegend wird der Begriff der Sicherheit in Art. 5 I MRK als Generalnenner für die in Absatz 2 und 4 gewährleisteten Habeas-Corpus-Rechte betrachtet, ohne daß ihm neben der Freiheit eine eigenständige Bedeutung zukommt 3 1 3 . Vereinzelt w i r d in dem Recht auf Sicherheit auch der Anspruch des Menschen auf körperliche Unversehrtheit gesehen 314 . Besondere Regelungen enthält der Art. 5 I MRK in Satz 2 für den Fall, daß einem Menschen die Freiheit entzogen wird.

bb) Regelungsvorbehalte

bei

Freiheitsentziehungen

Die Freiheit darf nur in den in Art. 5 I Satz 2 MRK vorgesehenen Fällen und nur auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Wege entzogen werden. Damit stehen der grundsätzlichen Garantie von Freiheit und Sicherheit in Art. 5 I 2 a bis f MRK umfassende Einzelvorbehalte gegenüber. Im wesentlichen enthält Art. 5 12 MRK eingehende materiell-rechtliche Regelungen, die die Gründe für Freiheitsentziehungen begrenzen. Damit ist Art. 5 I MRK so aufgebaut, daß Buchstabe a (gerichtliche Verurteilung) und die erste Alternative des Buchstabens b (Ungehorsam gegen einen gerichtlichen Beschluß) Eingriffsbefugnisse der rechtsprechenden Gewalt bzw. zugunsten der rechtsprechenden Gewalt decken, während die Buchstaben c bis f Eingriffsvorbehalte zugunsten der Strafverfolgungs- und Ordnungsbehörden enthalten 315 . In jedem der in Art. 5 I Satz 2 MRK aufgeführten Einzelvorbehalte ist eine Freiheitsentziehung nur dann zulässig, wenn sie rechtmäßig erfolgt ist. Mit dem Begriff „rechtmäßig" w i r d zum Ausdruck gebracht, daß 309 Herzog, AöR 86 (1961), S. 202, 203; Hofmann, EuGRZ 1983, 644 (645); Partsch, Rechte und Freiheiten der MRK, S. 123; Trechsel, EuGRZ 1980, 514 (515); ders. i n MRK S. 181. 3 10 BGBl. 1968 II, S. 423. 311 So Hofmann (Fn. 309), S. 645; Trechsel, EuGRZ 1980, 515; vgl. auch das Sondervotum von Sir Fitzmaurice zur Guzzardi-Entscheidung in EuGRZ 1983, 642 (643). 312 So Hofmann (Fn. 309); Trechsel (Fn. 311). 313 So Herzog (Fn. 303), S. 201; Partsch (Fn. 309), S. 124; vgl. hierzu auch Frowein / Peukert (Fn. 306), Rdn. 4. 314 Schorn (Fn. 306), Anm. 5. 315 vgl. Frowein / Peukert (Fn. 306), Art. 5, Rdn. 36ff.; ferner Herzog (Fn. 303), S. 212ff.; Koschwitz, Kurzfristige Freiheitsentziehung, S. 171.

Β. Weitere Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person

73

die Freiheitsentziehung nicht nur von den Vorschriften der MRK, sondern auch vom staatlichen Recht gedeckt sein muß 3 1 6 . Nach Art. 5 I Buchst, a MRK darf die Freiheit entzogen werden, wenn der Betroffene rechtmäßig nach der Verurteilung durch ein zuständiges Gericht in Haft gehalten wird. Notwendig ist damit eine verurteilende Entscheidung durch ein Gericht 3 1 7 . Gleiches gilt für Art. 5 I Buchstabe b MRK, wonach ein Freiheitsentzug wegen Nichtbefolgung eines rechtmäßigen Gerichtsbeschlusses zulässig ist. Auch dieser Vorbehalt setzt eine Entscheidung des Gerichts voraus. In seiner zweiten Alternative läßt Art. 5 I Buchstabe b MRK die Freiheitsentziehung zur Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung zu 3 1 8 . Diese Regelung weicht von der ersten Alternative insoweit ab, als die fragliche Verpflichtung nicht konkret durch ein Gericht ausgesprochen werden muß 3 1 9 . Der Art. 5 I Buchstabe c MRK verläßt den Bereich der unmittelbaren gerichtsbezogenen Freiheitsentziehimg. Nach dieser Bestimmung ist eine Freiheitsentziehung zulässig, wenn eine Person rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird zum Zwecke seiner Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, sofern hinreichender Verdacht dafür besteht, daß der Betreffende eine strafbare Handlung begangen hat oder begründeter Anlaß zu der Annahme besteht, daß es notwendig ist, den Betreffenden an der Begehung einer strafbaren Handlung oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu verhindern. Nach dieser Vorschrift ist also eine Freiheitsentziehung zulässig zum Zwecke der Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde und zur Verhinderung einer Straftat 3 2 0 . Der Gesetzesvorbehalt in Art. 5 I Buchstabe d MRK betrifft ausschließlich die Freiheitsentziehung von Minderjährigen. Die erste Alternative dieser Vorschrift erfaßt die Freiheitsentziehung zum Zwecke überwachter Erziehung, gemeint sind also Maßnahmen im Falle von Erziehungsschwierigkeiten 3 2 1 . In der zweiten Alternative ist die Festnahme eines Minderjährigen zwecks Vorführung vor die zuständige Behörde geregelt. Nach Buchstabe e ist die Haft solcher Personen gestattet, die eine anstekkende Krankheit übertragen können oder die geisteskrank, Alkoholiker, rauschgiftsüchtig oder Landstreicher sind. Auch hier sind zwei unterschieds t EKMR v. 3.3.1978, EuGRZ 1979, 74 (76); EGMR v. 24.10.1979, EuGRZ 1979, 650 (653); Frowein / Peukert (Fn. 306), Rdn. 24; Herzog (Fn. 303), S. 210. 317 Frowein / Peukert (Fn. 306), Art. 5, Rdn. 39. 3« Frowein / Peukert (Fn. 306), Rdn. 55; Herzog (Fn. 303), S. 216. 3 19 Herzog (Fn. 303), S. 217; vgl. auch Echterkötter, JZ 1956, 144. 320 So Herzog (Fn. 303), der diese Regelung als äußerst unübersichtlich und unverständlich bezeichnet; vgl. auch Frowein / Peukert (Fn. 306), Rdn. 58; ferner EGMR v. 22.5.1984, NJW 1986, 3012. 321 Vgl. Herzog (Fn. 303); Koschwitz (Fn. 315), S. 212; Partsch, GR 1/1, S. 368; siehe ferner Frowein / Peukert (Fn. 306), Rdn. 68ff.

74

Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

liehe Tatbestände zu unterscheiden. Die Festnahme eines Menschen ist zum einen zulässig, wenn er als Quelle für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten eine Gefahr bildet 3 2 2 . Es handelt sich mithin um eine Freiheitsentziehung zur Bekämpfung konkreter Gefahren. Zum anderen ist nach Art. 5 I Buchstabe e MRK die Festnahme bestimmter Personengruppen (Geisteskranker, Alkoholiker, Rauschgiftsüchtiger, Landstreicher) zulässig, ohne daß von den Festgenommenen eine konkrete Gefahr ausgehen muß 3 2 3 . Vielmehr kann nach dieser Vorschrift eine Freiheitsentziehung auch zur Wahrimg eigener Interessen zulässig sein 324 . Allerdings dürfte die Freiheitsentziehung solche Personen, von denen keine konkreten Gefahren ausgehen, unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit beschränkt sein 325 . In Art. 5 I Buchstabe f MRK wird die Freiheitsentziehung im Interesse der Verhinderung eines unerlaubten Grenzübertritts sowie im Zusammenhang mit bereits schwebenden Ausweisungs- und Auslieferungsverfahren zugelassen 326 . Nach der ersten Alternative kann jemand festgenommen werden, weil er daran gehindert werden soll, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen. Ferner kann nach der zweiten Alternative jemand festgenommen werden, wenn gegen ihn ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren schwebt 327 . cc) Verfahrensnach Art

und 5 II-IV

Zuständigkeitsvorschriften MRK

Die Absätze 2 bis 4 ergänzen die materiell-rechtlichen Regelungen des Absatzes 1 in verfahrensrechtlicher und kompetenzrechtlicher Hinsicht unabhängig davon, aus welchem der in Absatz 1 lit. a - f genannten Gründe die Freiheitsentziehung erfolgte 328 . Nach Absatz 2 muß jeder Festgenommene unverzüglich und in einer ihm verständlichen Sprache über die Gründe seiner Festnahme und über die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen unterrichtet werden. Anders als Art. 104 I I enthält Art. 5 MRK keinen allgemeinen Richtervorbehalt für Freiheitsentziehungen. Lediglich nach Art. 5 I I I MRK besteht ein partieller Richtervorbehalt 329 , sofern eine Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 5 I Buchstabe c MRK vorliegt 3 3 0 . In einem sol322 Herzog (Fn. 303), S. 229; Koschwitz (Fn. 315), S. 220, 221. 323 vgl. Herzog (Fn. 303). 324 So Frowein / Peukert (Fn. 306), Rdn. 73. 325 vgl. auch Herzog (Fn. 303), Fn. 118; Frowein / Peukert (Fn. 306), Rdn. 73. 326 Vgl. hierzu auch EKMR v. 3.3.1978, EuGRZ 1979, 74 (76). 327 Als weiterer Eingriffsvorbehalt wäre noch die allgemeine Suspensionsvorschrift des Art. 15 MRK zu nennen, vgl. hierzu Frowein / Peukert (Fn. 306), Art. 15, Rdn. 1; Herzog (Fn. 303); ferner EGMR v. 18.1.1978, EuGRZ 1979, 149 (154). 328 Frowein /Peukert (Fn. 306), Art. 5, Rdn. 85; vgl. hierzu u.a. EGMR v. 24.10.1979, EuGRZ 1979, 650 (655). 329 Vgl. hierzu Frowein / Peukert (Fn. 306), Rdn. 93 ff.

Β. Weitere Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person

75

chen Fall muß die festgenommene oder in Haft gehaltene Person unverzüglich einem Richter oder einem anderen, gesetzlich zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigten Beamten vorgeführt werden. Der Betreffende hat nach Art. 5 I I I Satz 2 MRK Anspruch auf Aburteilung innerhalb einer angemessenen Frist oder auf Haftentlassung während des Verfahrens. Dabei kann die Freilassung von der Leistung einer Sicherheit für das Erscheinen vor Gericht abhängig gemacht werden, Art. 5 I I I Satz 3 MRK. Nach Absatz 4 hat jeder, der seiner Freiheit durch Festnahme oder Haft beraubt ist, das Recht, ein Verfahren zu beantragen, in dem von einem Gericht unverzüglich über die Rechtmäßigkeit der Haft entschieden w i r d und im Falle der Widerrechtlichkeit seine Entlassung angeordnet w i r d 3 3 1 . Diese Vorschrift erfordert nicht - wie Art. 104 I I - die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung von Amts wegen. Vielmehr hat der Festgenommene oder der Verhaftete lediglich das Recht, selbst das Gericht anzurufen 3 3 2 . Nach Absatz 5 hat jeder, der entgegen den Bestimmungen des Art. 5 MRK von Festnahme oder Haft betroffen worden ist, Anspruch auf Schadensersatz. Voraussetzung für einen solchen Schadensersatzanspruch ist, daß eine Festnahme oder Haft unter Verletzung der vorgehenden Absätze erfolgt ist. Damit knüpft Absatz 5 unmittelbar an die vorgehenden Absätze des Art. 5 MRK an 3 3 3 . b) Ergänzungen des Grundrechts auf Freiheit nach Art. 3, 4, 6 MRK Ergänzt wird das Grundrecht auf Freiheit durch Art. 3 und 4 MRK. So darf nach Art. 3 MRK niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden 334 . Insoweit gilt auch nach Art. 3 MRK vergleichbar dem Art. 104 I 2 ein Mißhandlungsverbot beim Vollzug von Freiheitsentziehungen durch die öffentliche Gewalt. Art. 4 MRK schreibt vor, daß niemand in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden darf. Des weiteren enthält Art. 6 MRK mit seinen umfassenden prozessualen, insbesondere strafprozessualen Bestimmungen wichtige Ergänzungen zu Art. 5 MRK.

330 Ein Richtervorbehalt besteht auch in den Fällen des Art. 5 I Buchst, a und b, 1. Alt. MRK; vgl. zu Art. 5 I I I MRK insbesondere EGMR v. 22.5.1984, NJW 1986, 3012 (3013). 33 1 Vgl. hierzu EGMR v. 8.6.1976, EuGRZ 1976, 221 (230); EGMR v. 15.12.1977, EuGRZ 1979, 650 (655); ferner Frowein / Peukert (Fn. 306), Rdn. 117ff. 332 Vgl. hierzu auch EGMR v. 23.2.1984, EuGRZ 1985, 642 (645); EGMR v. 22.5.1984, a.a.O. 333 Herzog (Fn. 303), S. 236. 334 Vgl. hierzu EGMR v. 18.1.1978, EuGRZ 1979, 149 (152); ferner VfGH v. 18.6.1984, EuGRZ 1984, 503 (zwangsweise Verabreichung von Beruhigungsinjektionen nach einer Festnahme).

76

Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

In Art. 6 MRK wird nicht nur das Recht auf richterliches Gehör, sondern darüber hinaus eine ganze Reihe weiterer allgemeiner Grundsätze für die Rechtsprechung ausgesprochen 335 , wie etwa der Grundsatz des fairen Verfahrens, der Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens, der Unabhängigkeit der Gerichte sowie die Mindestrechte von Angeklagten auf Unterrichtung in einer ihm verständlichen Sprache, auf Vorbereitung seiner Verteidigung, auf Befragung, Ladung und Vernehmung von Zeugen und auf unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang auch die Regelung in Art. 6 I I MRK, wonach bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld vermutet wird, daß der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist. Darzustellen ist in diesem Zusammenhang noch Art. 1 des Zusatzprotokolls Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 16. September 1963 336 . Danach darf niemandem allein deshalb die Freiheit entzogen werden, weil er nicht in der Lage ist, eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen. 2. Die Bedeutung der Freiheitsentziehung

des Begriffs in Art. 5 MRK

Wie die obigen Ausführungen gezeigt haben, beziehen sich die Regelungsvorbehalte des Art. 5 I MRK nur auf solche Eingriffe in die Bewegungsfreiheit, die eine Freiheitsentziehung darstellen 337 . Mithin ist auch für die Anwendung des Art. 5 I MRK von entscheidender Bedeutung, ob ein Eingriff die Fortbewegungsfreiheit so intensiv beeinträchtigt, daß von einem Entzug der Freiheit gesprochen werden kann 3 3 8 . Gleichermaßen bezieht sich auch das Freiheitsentziehungsverbot nach Art. 1 des Zusatzprotokolls Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten nur auf solche Maßnahmen, die den Intensitätsgrad einer Freiheitsentziehung erreichen. Ohne Frage handelt es sich auch bei der Freiheitsentziehung nach Art. 5 I MRK um eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt, durch die zwangsweise die Bewegungsfreiheit beschränkt wird. Gleichermaßen wie bei Art. 104 I I gibt es aber auch im Anwendungsbereich von Art. 5 I MRK das Problem, wie umfassend, wie intensiv die Bewegungsfreiheit eingeschränkt sein muß, damit überhaupt von einer Entziehung der Freiheit ausgegangen werden 335 Vgl. hierzu EGMR v. 8.6.1976, EuGRZ 1976, 221 (230); EGMR v. 18.1.1978, a.a.O., S. 158, 159. 336 BGBl. 1968 II, S. 423. 337 Vgl. hierzu insbesondere EGMR v. 8.6.1976, EuGRZ 1976, 221 (224, 225); EGMR v. 6.11.1980, EuGRZ 1983, 633 (637, 638). 338 Frowein / Peukert (Fn. 306), Art. 5, Rdn. 9, 23.

Β. Weitere Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person

77

kann. So stellt sich auch bei Art. 5 I MRK das Problem, ob die Regelungsvorbehalte auch bei Maßnahmen Anwendung finden, die von ihrer zeitlichen wie auch räumlichen Intensität die Bewegungsfreiheit nur geringfügig einschränken. Auch bei der Freiheitsentziehung nach Art. 5 I MRK kann es sich damit, ebenso wie bei Art. 104 II, nur um einen Eingriff in die Bewegungsfreiheit handeln, der von weiteren die Intensität bestimmenden Merkmalen abhängt 339 . ΙΠ. Regelungen im Internationalen Pakt vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte

Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person enthält auch der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR). Dieser Pakt wurde am 19. Dezember 1966 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen durch Beschluß in Kraft gesetzt 340 . Er knüpft an die allgemeine Erklärung der Menschenrechte („Universal Declaration of Human Rights") der Generalversammlung aus dem Jahre 1948 an und soll den in der UNCharta formulierten Auftrag, die Achtimg und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für jedermann zu fördern, erfüllen 3 4 1 . Die Bundesrepublik Deutschland hat diesen Pakt am 9. Oktober 1968 signiert und ihm durch Ratifizierungsgesetz vom 15. November 1973 zugestimmt 342 .

1. Regelungen

zum Schutz der Freiheit

der Person

in Art. 9 und 10 IPBPR

Art. 9 IPBPR knüpft weitgehend an die Regelungen des Art. 5 MRK an. So hat nach Art. 9 I IPBPR jedermann ein Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit. Nach Satz 2 darf niemand willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden. Niemandem darf seine Freiheit entzogen werden, es sei denn aus gesetzlich bestimmten Gründen unter unter Beachtung des im Gesetz vorgeschriebenen Verfahrens. Anders als Art. 5 I MRK verzichtet der Art. 9 I IPBPR auf die Festlegung einzelner Eingriffsvorbehalte. An ihre Stelle treten das in Art. 9 I Satz 2 IPBPR niedergelegte Willkürverbot und der allgemeine Gesetzesvorbehalt nach Satz 3. Die Regelungen in Art. 9 I I bis V IPBPR entsprechen weitgehend den Bestimmungen in Art. 5 I I bis V MRK, so daß auf die obigen Ausführungen verwiesen werden kann 3 4 3 . Nach 339 So Frowein / Peukert (Fn. 306), Rdn. 9; vgl. die Darstellung des Meinungsstandes zum Begriff der Freiheitsentziehung i n Art. 5 MRK Teil I I C. III. 340 GV Res. 2200/A (XXI) vom 16. Dezember 1966. 341 Frowein, JuS 1986, 845; Nowak, EuGRZ 1980, 532 (533). 342 BGBl. 1973 II, 1534; BGB1. 1976 II, 1068. 343 Vgl. oben Β. II. 1. a).

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Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

Art. 10 I IPBPR muß jeder, dem die Freiheit entzogen ist, menschlich und mit Achtung vor der dem Menschen innewohnenden Würde behandelt werden. Art. 10 II, I I I IPBPR enthält Regelungen über den Vollzug der Untersuchungshaft und der Strafhaft. Weitere Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person finden sich in Art. 11, 7 und 8 IPBPR. Nach Art. 11 IPBPR darf niemand nur deswegen in Haft genommen werden, weil er nicht in der Lage ist, eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen, eine Vorschrift, die weitgehend dem Art. 1 des Protokolls Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 16. September 19 6 3 3 4 4 entspricht. Nach Art. 7 und 8 IPBPR sind Folter, Sklaverei und Leibeigenschaft verboten. 2. Der Begriff

der Freiheitsentziehung

in Art. 9 und 10 IPBPR

Auch in den Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person in den Art. 9 und 10 IPBPR ist der Begriff der Freiheitsentziehung von zentraler Bedeutung. So bezieht sich der allgemeine Gesetzesvorbehalt nach Art. 9 I Satz 3 IPBPR nur auf freiheitsentziehende Maßnahmen. Gleiches gilt für das Recht nach Art. 9 IV IPBPR im Falle, daß die Freiheit durch Festnahme oder Haft entzogen ist, ein Verfahren vor einem Gericht beantragen zu können. Ebenfalls gilt das Gebot der menschenwürdigen Behandlung nach Art. 10 I IPBPR von seinem Wortlaut her nur für denjenigen, dem die Freiheit entzogen ist. Es w i r d mithin deutlich, daß Anknüpfungspunkt für die zentralen Rechtsgarantien nach Art. 9 und 10 IPBPR ebenfalls nur eine Freiheitsentziehung der öffentlichen Gewalt ist. C. Der strafrechtliche und zivilrechtliche Schutz der Freiheit der Person I. Der Schutz der Freiheit der Person nach § 239 I StGB

Das Strafgesetzbuch kennt kein geschlossenes System von Vorschriften zum Schutz der Freiheit der Person. Im 18. Abschnitt des Strafgesetzbuches sind lediglich diejenigen Tatbestände zusammengefaßt, bei denen die persönliche Freiheit allein oder vorrangig geschützt wird. Maßgebend für die systematische Einordnung der §§ 234ff. StGB war der Umstand, daß der Angriff auf die persönliche Freiheit des Opfers bei ihnen den eigentlichen Kern der Rechtsgutverletzung und nicht nur eine Begleiterscheinung der Tat bildet 3 4 5 . Neben dem Tatbestand der Freiheitsberaubung nach § 239 StGB schützen u.a. auch die Strafvorschriften des Menschenraubs, § 234 3 44 BGBl. 1968 II, S. 423. Maurach / Schroeder, Strafrecht, BT 1, S. 116ff.; Wessels, Strafrecht BT 1, S. 39. 345

C. Straf- und zivilrechtlicher Schutz der Freiheit der Person

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StGB, der Geiselnahme, § 239 b StGB und der Verschleppung, § 234 a StGB, die persönliche Freiheit 3 4 6 . Gleichwohl ist der § 239 StGB die wichtigste Vorschrift zum Schutz der Freiheit der Person. Schutzgut des § 239 StGB ist allein die persönliche Freiheit, also die Fortbewegungsfreiheit 347 . § 239 StGB gilt gleichermaßen für Verletzungen der Fortbewegungsfreiheit durch Private wie auch durch Träger öffentlicher Gewalt. Die früher bestehende Straf Vorschrift des § 341 StGB „Freiheitsberaubung im Amte" wurde durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2 . 3.19 7 4 3 4 8 aufgehoben. Hoheitsträger, die in Widerspruch zu den gesetzlichen Regelungen die Bewegungsfreiheit des Bürgers beschränken, unterliegen somit unmittelbar der Strafandrohung des § 239 StGB. § 239 I StGB schützt die körperliche Bewegungsfreiheit allgemein, d. h. ohne Rücksicht auf Mittel, Zweck und Dauer der Tathandlung. Entscheidend ist allein ihr Erfolg, die allumfassende Beschränkung der Bewegungsfreiheit 349 . Die Tathandlung besteht nach § 239 I StGB darin, daß es einem Menschen vorübergehend unmöglich gemacht wird, nach seinem Willen den Aufenthalt zu verändern 350 . Dabei ist das in § 239 StGB ausdrücklich genannte Einsperren nur eine von mehreren Ausführungsmodalitäten. Ein Einsperren besteht in einem Festhalten in einem umschlossenen Raum durch äußere Vorrichtungen, so daß der Betroffene objektiv gehindert ist, sich von der Stelle zu bewegen, wenn er dies wollte 3 5 1 . Neben dem Einsperren ist eine Freiheitsberaubung noch auf andere Weise, etwa durch List, Drohung, Gewalt, Betäubung oder Fesseln möglich 3 5 2 . Entscheidend ist allein, wie oben bereits dargelegt, daß es dem Opfer unmöglich gemacht wird, den Aufenthaltsort zu verändern. Dies kann sowohl durch physische wie auch durch psychische Einwirkungen bewirkt werden. Wie oben bereits festgestellt wurde, ist es für das Vorliegen einer Freiheitsberaubung ausreichend, daß die Bewegungsfreiheit vorübergehend eingeschränkt wird. Eine länger dauernde Beschränkung der Bewegungsfreiheit ist nicht erforderlich. So hat die Rechtsprechung bereits ein Einsperren 346 Vgl. auch Blei, Strafrecht II, S. 67. 347 BGH v. 31.5.1960, BGHSt. 14, 314 (316); Lackner, StGB, Anm. 1; Schönke / Schröder / Eser, StGB, Rdn. 1; Dreher / Tröndle, StGB, § 239. 348 BGBl. I, 469; vgl. hierzu auch BT-Drs. 7/550 S. 277; ferner Wagner, ZRP 1975, 273. 349 BGH v. 31.5.1960, BGHSt. 14, 314 (316); Blei, Strafrecht II, S. 75; Dreher/ Tröndle, StGB, § 239, Anm. 1; Lackner, StGB, § 239, Anm. 1; Baumann, Unterbringungsrecht. 350 BGH v. 31.5.1960, a.a.O.; Geppert / Bartl, Jura 1985, 221. 351 RG v. 17.3.1927, RGSt. 61, 239; Dreher / Tröndle, StGB, § 239, Anm. 2 A; Lackner, StGB, § 239, Anm. 2; Wessels, Strafrecht, BT 1, S. 40; Welzel, Dt. Strafrecht, S. 328. 352 h g v. 26.4.1882, RGSt. 6, 231 (Wegnahme der Kleider); RG v. 19.3.1886, RGSt. 13, 426 (Verhaftenlassen durch Täuschung der Polizei); RG v. 13.2.1888, RGSt. 17, 127 (Fesseln, Anbinden); BGH v. 10.6.1952, BGHSt. 3, 4 (5); BGH v. 27.11.1951, JZ 1952,153.

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Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

für einige Sekunden 353 , für zwei oder drei Minuten 3 5 4 oder aber für die Dauer eines Vaterunser 355 als ausreichend zur Erfüllung des Tatbestandes nach § 239 I StGB erachtet. Lediglich ganz unerhebliche, flüchtige Beeinträchtigungen der Fortbewegungsfreiheit reichen zur Erfüllung des § 239 I StGB nicht aus 356 . Eine Freiheitsberaubung setzt schließlich voraus, daß es dem Opfer unmöglich gemacht wird, nach seinem freien Willen den Aufenthaltsort zu verlassen. Als taugliches Objekt der Freiheitsberaubung kommt daher nur in Betracht, wer generell, d.h. seiner Konstitution nach im natürlichen Sinne die Fähigkeit besitzt, überhaupt einen Fortbewegungswillen zu bilden und seinen Aufenthalt willkürlich verändern zu können 3 5 7 . So wird z.B. ein Säugling diese Fähigkeit, seinen Aufenthalt willkürlich verändern zu können, wohl nicht besitzen 358 . Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob auch Schlafende oder Bewußtlose während dieses Zustands ihrer Freiheit beraubt werden können. Die wohl h.M. bejaht dies mit der Begründung, daß § 239 StGB nicht nur die aktuell bestätigte, sondern bereits die potentielle Bewegungsfreiheit schütze 359 . Die Freiheitsberaubung w i r d mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. Zu einem Verbrechen wird die Tat in den qualifizierten Fällen des § 239 I I und I I I StGB. Voraussetzung dafür ist, daß die Freiheitsberaubimg die Dauer von einer Woche überschreitet oder der Tod oder eine schwere Körperverletzung durch die Freiheitsberaubung verursacht wird. Im Falle einer Freiheitsberaubung, die die Dauer einer Woche überschreitet, beträgt die Mindeststrafe ein und die Höchststrafe 10 Jahre. Π. Der Schutz der Freiheit der Person nach den §§ 823 I, 847 BGB

Die Freiheit der Person ist geschütztes Rechtsgut von § 823 I BGB. Nach dieser Vorschrift ist derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, diesem zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Mit Verletzung der Freiheit ist nach überwiegender Auffassung in erster Linie die Verletzung der körperlichen 353 OLG Hamm v. 14.10.1963, JMB1. NRW 1964, 31 (32). 354 RG v. 9.4.1900, RGSt. 33, 234 (235). 355 RG v. 28.11.1882, RGSt. 7, 259 (260). 356 Geppert / Bartl, Jura 1985, 221; Schönke / Schröder / Eser, StGB, § 239, Rdn. 6. 357 So BayObLG v. 17.10.1951, JZ 1952, 237; ferner Geppert / Bartl (Fn. 356), S. 222; Maurach / Schroeder, Strafrecht, BT 1, S. 134; Schönke / Schröder / Eser, StGB, § 239, Rdn. 3; Wessels, Strafrecht, BT 1, S. 62. 358 vgl. BayObLG a.a.O.; ferner Geppert / Bartl (Fn. 356); Maurach / Schroeder (Fn. 357). 359 Vgl. Maurach / Schroeder (Fn. 357), Wessels, BT 1, S. 62; Geppert, JuS 1975, 384 (387); siehe ferner Geppert / Bartl (Fn. 356).

C. Straf- und zivilrechtlicher Schutz der Freiheit der Person

81

Bewegungsfreiheit gemeint 360 . Darüber hinaus geht die h.M. davon aus, daß eine Verletzung der Freiheit nach § 823 I BGB auch bei einer Nötigimg zu einer Handlung oder Duldung durch Drohung, Zwang oder Täuschung vorliegt 3 6 1 . Nicht erfaßt sind vom Begriff der Freiheit nach § 823 I BGB bloße Einwirkungen auf die Entschlußfreiheit 362 . Bei einer solchen Einwirkung kommt allerdings eine Verletzung des auch von § 823 I BGB geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Betracht 3 6 3 . Der § 823 I BGB erweitert den Schutz der Freiheit der Person insbesondere auch auf fahrlässig verursachte Verletzungen der Bewegungsfreiheit. Praktisch relevant wird eine Freiheitsverletzung nach § 823 I BGB insbesondere immer bei einer Verhaftung bzw. Festnahme durch unrichtige Anzeige bzw. durch Denunziation 3 6 4 oder bei der Unterbringung psychisch Kranker aufgrund eines unrichtigen Sachverständigengutachtens 365 . Umstritten war in diesem Zusammenhang lange Zeit, ob ein Sachverständiger, dessen fahrlässig unrichtig erstattetes Gutachten zu einer vom Gericht angeordneten Freiheitsentziehung führt, nach § 823 I BGB haftet 3 6 6 . Der Bundesgerichtshof hat im Hinblick auf die Funktion des Sachverständigen selbst für den Fall der groben Fahrlässigkeit eine Haftung nach § 823 I BGB abgelehnt 367 . Dagegen hat das Bundesverfassungsgericht in einem solchen Haftungsausschluß für eine Verletzung der Freiheit durch grob fahrlässige Falschbegutachtung eine gegen Art. 2 I I verstoßende unzulässige richterliche Fortbildung erblickt 3 6 8 . Neben dem Anspruch auf Schadensersatz kann der Verletzte im Falle einer Freiheitsentziehung nach § 847 BGB auch wegen des Schadens, der 360 K G v. 22.5.1973, OLGZ 73, 327; Erman / Drees, BGB, § 823, Rdn. 19; Soergel / Zeuner, BGB, § 823, Rdn. 27; Deutsch, Freiheit und Freiheitsverletzung im Haftungsrecht, Festschrift für Hauß, S. 43 (51). 361 Palandt / Thomas, BGB, § 823, Anm. 4c; Leinemann (Fn. 362), S. 21; vgl. u.a. BGH v. 17.12.1963, NJW 1964, 650 (652); ferner OLG Celle v. 5.12.1947, MDR 1948, 174; RG v. 14.12.1939, DR 1940, 393; vgl. auch die frühen Entscheidungen des Reichsgerichts, nach denen bereits Beschränkungen der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit als Verletzung der Freiheit angesehen wurden, RG v. 11.4.1901, RGZ 48, 114 (123, 124); RG v. 27.2.1904, RGZ 58, 24 (28). 362 Vgl. auch Deutsch, Festschrift für Hauß, S. 51 ff.; Erman / Drees, BGB, § 823, Rdn. 17; Soergel / Zeuner, BGB, § 823, Rdn. 27; a.A. Leinemann, Der Begriff der Freiheit nach § 823 Abs. 1 BGB, S. 82 (95). 363 Vgl. hierzu BGH v. 25.5.1954, BGHZ 13, 334 (338); BGH v. 2.4.1957, BGHZ 24, 72 (76, 77); BGH v. 20.5.1958, BGHZ 27, 284 (286). 364 BGH, a.a.O.; RG, a.a.O.; OLG Celle, a.a.O.; OLG Frankfurt v. 21.4.1947, NJW 1947/48, S. 23. 365 BGH v. 18.12.1973, BGHZ 62, 54 (57); vgl. auch Deutsch (Fn. 362), S. 54. 366 Vgl. zu dem Streitstand grundlegend BVerfG v. 11.10.1978, BVerfGE 49, 304 (321, 322); ferner Hopt, NJW 1974, 312; Hellner, NJW 1974, 556; Weitnauer, AcP 1970, 437 (445). 367 BGH v. 18.12. 1973, a.a.O.; vgl. auch Erman / Drees, BGB, § 823, Rdn. 17; Soergel / Zeuner, BGB, § 823, Rdn. 27. see BVerfG, a.a.O.; vgl. hierzu auch Starck, JZ 1979, 60; Döberliner, BB 1979, 130.

6 Hantel

82

Teil I: Rechtsgrundlagen des Grundrechts auf Freiheit der Person

nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen. Dieser Schmerzensgeldanspruch knüpft ausdrücklich an das Vorliegen einer Freiheitsentziehung an. Im Schrifttum wird der Begriff der Freiheitsentziehung nach § 847 BGB weitgehend gleichgesetzt mit der Verletzung der Freiheit nach § 823 I BGB 3 6 9 . So ist unter Freiheitsentziehung nach § 847 BGB die Entziehung der körperlichen Bewegungsfreiheit sowie die Nötigung zu einer Handlung durch Gewalt oder Bedrohung zu verstehen 370 . Es wird damit nicht zwischen der Freiheit der Person nach § 823 I BGB und der Freiheitsentziehung nach § 847 I BGB unterschieden. Allerdings entfällt nach der h. M. der Schmerzensgeldanspruch bei nur ganz kurzfristigen Freiheitsentziehungen 371 . Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine Person 25 bis 30 Minuten auf einer Polizeidienststelle zur Aufnahme ihrer Personalien festgehalten w i r d 3 7 2 . Es wird damit deutlich, daß die strafrechtlichen und die zivilrechtlichen Regelungen über die Freiheit der Person den Schutz der Bewegungsfreiheit vor jeder Form der Beeinträchtigung bezwecken, und zwar unabhängig von dem Mittel, der Dauer und dem Umfang der Maßnahme. Lediglich bei einem Anspruch auf Schmerzensgeld nach § 847 BGB sollen nur ganz vorübergehende bzw. kurzfristige Freiheitsentziehungen unberücksichtigt bleiben. ΙΠ. Relevanz für das vorliegende Untersuchungsthema

Grundsätzlich besteht zwischen Art. 104 I I und den behandelten strafrechtlichen und zivilrechtlichen Vorschriften insoweit eine Parallele, als jede dieser Normen dem Schutz der Fortbewegungsfreiheit dient. Dabei gewährleistet § 239 I StGB den strafrechtlichen Minimalschutz der Freiheit der Person 373 . Diese Vorschrift schützt den Einzelnen gegen jede Form von Eingriffen in die Fortbewegungsfreiheit. Gleiches gilt für den zivilrechtlichen Schutz durch die §§ 823, 847 BGB. Der Schutz der Freiheit der Person vor Eingriffen durch Hoheitsträger wird in Art. 104 I I durch die aufgezeigten Rechtsgarantien bewirkt. Die persönliche Freiheit w i r d aber, wie dargestellt, nicht nur durch Art. 104 II, sondern auch durch Art. 2 I I 2, 104 I gewährleistet. Der Art. 104 I I enthält im Rahmen des verfassungsrechtlichen Schutzes der persönlichen Freiheit besondere, für den Fall der Freiheitsentziehung vorbehaltene Rechtsgarantien. Eine Freiheitsentziehung muß aber nicht notwendigerweise immer dann vorliegen, wenn bei einer 369 Vgl. Erman / Drees, BGB, § 847, Rdn. 3; Soergel / Zeuner, BGB, Band 4, § 847, Rdn. 17. 370 Leinemann, Der Begriff der Freiheit nach § 823 Abs. 1 BGB, S. 21. 371 So Kreft in RGRK, BGB, Bd. II, 5. Teil, § 847, Rdn. 22; Palandt / Thomas, BGB, § 847, Anm. 4c; ferner K G v. 22.5.1973, OLGZ 73, 327. 372 Vgl. KG, a.a.O. 373 Baumann, UnterbrR, S. 8.

C. Straf- und zivilrechtlicher Schutz der Freiheit der Person

83

strafrechtlichen oder zivilrechtlichen Betrachtungsweise der § 239 I StGB bzw. § 847 BGB erfüllt wäre. Vielmehr können Eingriffe, die tatbestandlich unter § 239 I StGB bzw. § 847 BGB fallen, nicht von Art. 104 II, wohl aber als bloße Freiheitsbeschränkung von Art. 104 I erfaßt sein. Wenn somit der Schutzbereich dieser Vorschriften für die Auslegung einer Grundrechtsbestimmung heranzuziehen ist, so gilt dies, wenn überhaupt, nur für den Begriff der Freiheitsbeschränkung, nicht aber für den der Freiheitsentziehung nach Art. 104 II. Insbesondere der Gesichtspunkt des strafrechtlichen Minimalschutzes der persönlichen Freiheit bedeutet für die vorliegende Fragestellung lediglich, daß das durch Art. 2 I I 2, 104 I geschützte Grundrecht auch vom Schutzbereich des § 239 I StGB erfaßt sein muß, nicht aber, daß eine Freiheitsentziehung immer dann vorliegt, wenn der Tatbestand des § 239 I StGB erfüllt wäre 3 7 4 .

374

6*

So aber Baumann (Fn. 373).

TEIL I I

Der Begriff der Freiheitsentziehung in der Vorstellung der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und des Schrifttums A. D i e wichtigsten Grenzfälle bei der Bestimmung des Begriffs der Freiheitsentziehung

Vor der Darstellung des Meinungsstandes zum Begriff der Freiheitsentziehung in Art. 104 Abs. 2 soll vorab auf Grenzfälle bei den Eingriffen in die Freiheit der Person eingegangen werden. Ohne Zweifel handelt es sich beim Vollzug einer Freiheitsstrafe 1 , bei der Untersuchungshaft 2 oder bei der zwangsweisen Unterbringimg in der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Krankenanstalt 3 um freiheitsentziehende Maßnahmen. Die folgenden Fallgruppen werden dagegen zeigen, daß es in der Praxis eine Vielzahl von Eingriffen in die Freiheit der Person gibt, deren rechtliche Einordnung Schwierigkeiten bereitet. I. Kurzfristige Freiheitsentziehungen

Fraglich ist, ob Eingriffe, bei denen der Betroffene nur relativ kurze und überschaubare Zeit in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt ist, in den Schutzbereich des Art. 104 I I fallen. 1. Festhalten

einer

Person

Hierbei handelt es sich i.d.R. um polizeiliche Standardmaßnahmen wie dem Festhalten zum Zwecke der Identitätskontrolle im Rahmen einer Razzia 4 , einer Personendurchsuchung oder einer Pkw-Kontrolle 5 . Bei diesen Maßnahmen w i r d der Betroffene von Polizeibeamten in einem Lokal, einem

ι BVerfG v. 3.7.1962, BVerfGE 14,156 (173); BVerfG v. 21.6.1977, BVerfGE 45,187 (223 ff.). 2 BVerfG v. 30.5.1973, BVerfGE 35, 185 (190); BVerfG v. 12.12.1973, BVerfGE 36, 264 (296 ff.). 3 BVerfG v. 7.10.1981, BVerfGE 58, 208 (220). 4 Etwa nach Art. 12 I I 2 BayPAG; § 15 Π 2 ASOG Bln.; §11112 Brem. PolG; § 12 Π 2 Nds. SOG; § 10 I I 2 Rh.-Pf. PVG. s Vgl. § 111 StPO.

Α. Grenzfälle bei der Bestimmung der Freiheitsentziehung

85

Pkw, einem Einsatzfahrzeug, auf einer Autobahnraststätte 6 oder an einem von Polizeibeamten umstellten Demonstrationsplatz 7 so lange festgehalten, wie es der Zweck der polizeilichen Maßnahme erfordert. Durch das Festhalten bzw. das Umstellen wird die Bewegungsfreiheit durch physischen oder unmittelbar drohenden physischen Zwang eingeschränkt, ohne daß der Betroffene in hoheitlichen Arrest genommen wird, also in eine Zelle eingesperrt oder eingeschlossen wird.

2. Zwangsweiser

Transport

einer

Person

Gleichfalls nur vorübergehend wird die Bewegungsfreiheit bei den Eingriffen beschränkt, bei denen der Betroffene zwangsweise von einem Ort an einen anderen transportiert wird. Hierbei handelt es sich um Maßnahmen wie die Mitnahme zur Dienststelle 8 , die Vorführung zu einem bestimmten Ort 9 , den zwangsweisen Vollzug der Abschiebung nach § 13 AuslG oder die Aus- bzw. Durchlieferung eines Ausländers 10 . In der Regel w i r d bei diesen Maßnahmen unmittelbarer physischer Zwang durch Festhalten seitens der Polizeibeamten ausgeübt, ohne daß auch hier der Betroffene direkt in eine hoheitliche Verwahrung genommen, also in eine Gewahrsamseinrichtung eingesperrt wird.

3. Verbringungsgewahrsam;

„Aussetzung"

von

Demonstranten

Um den zwangsweisen Transport von Personen handelt es sich auch beim sog. Verbringungsgewahrsam 11 . Damit wird eine Maßnahme bezeichnet, bei der eine Person von einem bestimmten Ort entfernt und an einen abgelegenen Ort verbracht wird, um ihre baldige Rückkehr zu verhindern 12 . Adressaten einer solchen Maßnahme sind in der Regel Nichtseßhafte, die von der Polizei im Dienstfahrzeug an die Stadtgrenze gefahren und dort abgesetzt werden 13 . 6

Vgl. VG Würzburg v. 2.4.1980, NJW 1980, 2541. Vgl. zum sog. Hamburger Kessel Blau / Dammann, DuR 14, 1986, 365. 8 Art. 12 I I 3 PAG, § 15 I I 3 ASOG Bln.; § 11 I I Nr. 8 Brem. PolG; § 12 I I 3 Nds. SOG; § 10 I I I 3 Rh.-Pf. PVG. 9 Art. 14 I I 3 PAG; § 17 I I I ASOG Bln.; § 12 I I I Brem. PolG; § 14 I I I Nds. SOG; § 12 I I I Rh.-Pf. PVG; §§ 161a; 163 a StPO. 10 Nach den §§ 2, 3, 43 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 23. Dezember 1982 (BGBl. I 2071 = IRG). 11 Vgl. hierzu Maaß, NVwZ 1985, 151 (152); Mußmann, VB1BW 1986, 52; ders. in Allgemeines Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rdn. 218; Roscher, BWVPr. 1981, 7

62. 12

Mußmann, Allgemeines Polizeirecht in Baden-Württemberg, Rdn. 218. 13 Maaß (Fn. 11); Mußmann (Fn. 11).

86

Teil I I : Unterschiedliche Auffassungen über die Freiheitsentziehung

Um einen ähnlichen Eingriff handelt es sich aber auch bei dem Aussetzen von Demonstranten an einer vom Demonstrationsort weit entfernten Stelle 14 . Bei einer solchen Maßnahme werden Demonstranten vom Demonstrationsort getragen bzw. fortgeführt, anschließend zu einer vom Demonstrationsort weit entfernten Stelle gefahren und dort abgesetzt 15 . Im Gegensatz zum sonstigen zwangsweisen Transport von Personen, bei denen es in der Regel darum geht, die betreffende Person an einem bestimmten Ort zur Verfügung zu haben 16 , steht beim Verbringungsgewahrsam das Entfernen bestimmter Personen von einem Ort und die Verhinderung ihrer baldigen Rückkehr im Vordergrund. 4. Kurzfristiger

Polizeigewahrsam

In diese Kategorie fallen diejenigen Maßnahmen, bei denen der Betroffene vorübergehend für wenige Stunden in polizeilichen Gewahrsam bzw. Verwahrung genommen wird 1 7 . Unter polizeilichem Gewahrsam bzw. unter polizeilicher Verwahrung sind in diesem Zusammenhang nur solche Maßnahmen zu verstehen, bei denen die betroffene Person in eine besondere Gewahrsamseinrichtung, i.d.R. eine Arrestzelle, eingesperrt bzw. eingeschlossen ist 1 8 . Zu solchen kurzfristigen Verwahrungen kommt es, wenn die betroffene Person etwa zur Ausnüchterung oder aus sonstigen Gefahrenabwehrgründen 19 in eine Zelle gesperrt und nach Beendigung der Gefahrensituation wieder auf freien Fuß gesetzt wird. Zu nennen sind auch diejenigen Fälle, bei denen der Betroffene zum Zwecke der Identitätsfeststellung vorübergehend in Verwahrung genommen wird 2 0 . Bei allen den genannten Maßnahmen stellt sich die Frage, ob die Polizei verpflichtet ist, nach Art. 104 I I 2 unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Dabei sind zwei Fragenkomplexe zu unterscheiden. Zum einen ist zu fragen, ob solche kurzfristigen Eingriffe überhaupt in den Schutzbereich des Art. 104 I I fallen. Wenn dies der Fall sein sollte, so ist zu fragen, ob ausnahmsweise wegen der Kurzfristigkeit dieser Maßnahme auf die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidimg verzichtet werden kann 2 1 . 14

Vgl. hierzu VG Bremen v. 10.2.1986, NVwZ 1986, 862. Bei dem vom VG Bremen entschiedenen Fall wurden die Demonstranten 11 km vom Demonstrationsort im niedersächsischen Umland abgesetzt. 16 Eine Ausnahme bildet hier lediglich die zwangsweise Durchführung der Abschiebung, bei der auch die Entfernung des Betroffenen Zweck der Maßnahme ist. 17 Vgl. Koschwitz, Kurzfristige Freiheitsentziehung, S. 5Iff. 18 Vgl. hierzu Greiner, Die Polizei 70 (1979), 93; Maaß, NVwZ 1985, 154; Samper / Honnacker, PAG, Art. 16, Rdn. 2; siehe zur weiten Auslegung OVG Münster v. 7.6.1978, NJW 1980, 138; VG Bremen v. 10.2.1986, NVwZ 1986, 862. 19 Vgl. BVerwG v. 26.2.1974, BVerwGE 45, 51; ferner OVG Münster, a.a.O. 20 Vgl. hier §§ 163b, 163c StPO. 21 Vgl. hierzu grundlegend Koschwitz, Kurzfristige Freiheitsentziehung; ferner Trechsel, EuGRZ 1980, 515 (517); siehe hierzu unten Teil IV Α. II. 2. 15

Α. Grenzfälle bei der Bestimmung der Freiheitsentziehung

87

Π. Weiträumige Freiheitsentziehung, gelockerte Anstaltsunterbringung

Einen weiteren Grenzfall stellen diejenigen Eingriffe dar, bei denen eine Person innerhalb eines größeren Anstaltsgeländes untergebracht ist. Dies ist etwa bei der Unterbringung von Personen in einer Krankenanstalt 22 , einem Arbeitslager bzw. einer Arbeitsanstalt 23 , einem Erziehungsheim 24 oder einem Internierungslager der Fall. Das wesentliche Moment bei diesen Beschränkungen ist die Tatsache, daß der Betroffene sich innerhalb eines größeren Anstaltsgeländes weitgehend frei bewegen kann, ohne in einem eng umgrenzten Raum, etwa in eine Haftzelle oder einem Krankenzimmer, eingesperrt zu sein. Daß dem Betroffenen bei einem solchen Eingriff noch ein relativ großes Maß an Bewegungsfreiheit verbleibt, wird u.a. daran deutlich, daß in der Regel als Sanktion wegen eines Verstoßes gegen die Anstaltsordnung eine noch weitere Beschränkung der verbliebenen Freiheit möglich ist 2 5 . Gleichwohl ist es dem Betroffenen auch bei einer solchen Maßnahme nicht möglich, das zwar große, aber umschlossene Anstaltsgelände zu verlassen. Zudem ist der Untergebrachte während des Vollzugs der Maßnahme einer umfassenden Überwachung durch das Anstaltspersonal ausgesetzt. ΙΠ. Weitere Freiheitsentziehungen im Rahmen eines bestehenden Freiheitsentziehungsverhältnisses

Bei diesem Problemkreis handelt es sich um weitere Freiheitsentziehungen an Personen, deren Bewegungsfreiheit bereits durch hoheitliche Maßnahmen eingeschränkt ist. Es stellt sich dabei die Frage, ob eine nochmalige Beschränkung des verbleibenden Rests an Bewegungsfreiheit eine neuerliche Freiheitsentziehimg darstellt und damit den Rechtsgarantien des Art. 104 I I unterliegt. 1. Einzelhaft,

Fesselung von

Häftlingen

Zu solchen Maßnahmen 26 kommt es insbesondere im Rahmen des Strafvollzugs oder der Untersuchungshaft. Grundsätzlich verbleibt dem Betroffenen innerhalb einer Haftanstalt immer ein Rest an Bewegungsfreiheit 27 . 22

§ 3 I BW UnterbringungsG; Art. 11 Bay. UnterbrG; § 8 I Bln. PsychKG; § 1 1 1 Brem. PsychKG; § 10 I Hmb. PsychKG; § 11 HFEG; § 12 I Nds. PsychKG; § 9 I NW PsychKG; § 11 Rh.-Pf. UnterbrG; § 11 Saarl. UnterbrG; § 8 I Schl.-Holst. PsychKG. 23 BVerfG v. 15.12.1970, BVerfGE 30, 47 (51); vgl. hierzu auch v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 2 Abs. 2, Rdn. 167; vgl. auch § 42a, d StGB a.F. 24 BVerfGG v. 18.7.1967, BVerfGE 22, 180 (219). 25 Vgl. zur sog. weiteren Freiheitsentziehung A. III. 26 Vgl. hier u.a. Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 8; Herzog, AöR 86 (1961), S. 204.

Teil II: Unterschiedliche Auffassungen über die Freiheitsentziehung

Ein solcher verbleibender Rest an Bewegungsfreiheit ist sogar typisch für hoheitliche Verwahrungen, denn ein dauerhafter Ausschluß jeder Bewegungsmöglichkeit wäre mit dem Verbot des Art. 104 I 2, nach dem eine festgehaltene Person weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden darf, nicht vereinbar. Fraglich ist nun, wie Maßnahmen rechtlich zu beurteilen sind, die diesen verbleibenden Raum an Bewegungsmöglichkeit noch weiter einschränken. Bei solchen Maßnahmen handelt es sich um sog. Hausstrafen 28 , die als disziplinarische Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Ordnung in den jeweiligen Haftanstalten verhängt werden. Im Zuge solcher Hausstrafen kommt es innerhalb bereits bestehender Freiheitsentziehungen zu weiteren Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, wie z.B. der Absonderung von anderen Gefangenen, der Einzelhaft oder der Fesselung von Gefangenen 29. Diese Maßnahmen werden als sog. weitere Freiheitsentziehung 3 0 oder als Einschränkung der „kleinen Freiheiten" im Strafvollzug 31 bezeichnet. Darüber hinaus kann eine Person, die zulässigerweise von der Polizei festgehalten wird, gefesselt werden, wenn sie Polizeivollzugsbeamte oder Dritte angreift, Sachen von nicht geringem Wert beschädigt, flieht bzw. befreit werden soll oder wenn sie sich selbst töten oder verletzen wird 3 2 .

2. Besondere

Sicherungsmaßnahmen

gegenüber psychisch

Kranken

Zu weiteren Freiheitsentziehungen kann es auch im Rahmen der zwangsweisen Unterbringung psychisch Kranker kommen. So können i. d. R. dann, wenn die gegenwärtige erhebliche Gefahr besteht, daß der Untergebrachte sich selbst tötet oder ernsthaft verletzt oder gewalttätig wird bzw. wenn er die Einrichtung ohne Erlaubnis verlassen will, besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden 33 . Zu solchen besonderen Sicherungsmaßnahmen gehören u. a. die Beschränkung des Aufenthalts im Freien, die Absonderung in einem besonderen Raum oder die Fixierung, vgl. §29a Bln. PsychKG. Eine solche Sicherungsmaßnahme ist somit geeignet, den noch verbliebenen Rest an Bewegungsfreiheit noch weiter zu beschränken. 27

Dürig (Fn. 26); Kroll, Personenvorsorge und Freiheitsentzug, S. 66. Hierzu Dünnebier, StPO, § 119, Rdn. 60; Kleinknecht, StPO, § 119, Rdn. 25; Calliess / Müller-Dietz, StVollzG, § 4 Rdn. 19; Achter, NJW 1970, 268. 29 Vgl. § 119 III, V StPO, §§4, 89 StVollzG. 30 Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 6. 3 1 Herzog in AöR 86 (1961), S. 204; vgl. auch Brühl i n ZfStrVO 1979, 219 (221, 222); Schock in Kaiser / Kerner / Schock, StrVollzG, § 5, Rdn. 16; Feest in Calliess / Müller-Dietz, StrVollzG, § 4, Rdn. 22. 32 Art. 44 PAG, § 45 Brem. PolG; § 23 Hmb. SOG; § 53 Nds. SOG, § 40 NW PolG, § 62 Rh.-Pf. PVG, § 230 LVwG. 33 So nach § 29 a Bln. PsychKG; siehe ferner § 28 Nds. PsychKG; § 19 I Saarl. UnterbrG. 28

Α. Grenzfälle bei der Bestimmung der F r e i h e i t s e n t z i e h g

89

IV. Freiheitsentziehungen im Rahmen sonstiger besonderer Gewaltverhältnisse

In diesem Zusammenhang sind diejenigen Maßnahmen zu nennen, bei denen der Betroffene innerhalb eines besonderen Gewaltverhältnisses eingesperrt bzw. untergebracht wird. Auch hier ist zu berücksichtigen, daß die vorhandene Freiheit des Betroffenen, wenn auch bei weitem nicht so intensiv wie innerhalb eines bestehenden Freiheitsentziehungsverhältnisses, durch das besondere Gewaltverhältnis bestimmten gesetzlichen Beschränkungen unterworfen ist. 1. Disziplinararrest

für

Soldaten

Eine solche Maßnahme stellt insbesondere der Disziplinararrest für Soldaten nach § 22 WDO dar. Hier ist zu berücksichtigen, daß vor Verhängung des Disziplinararrestes die Bewegungsfreiheit des Soldaten, wenn auch nicht so intensiv wie beim Straf- oder Untersuchungshäftling, durch das Wehrpflichtverhältnis beschränkt war 3 4 . Der Disziplinararrest führt somit dazu, daß die Bewegungsfreiheit des betroffenen Soldaten im Einzelfall noch weiter eingeschränkt wird, als dies durch das Wehrpflichtverhältnis schon der Fall ist. 2. Sicherungsarrest

an Bord von Schiffen

und Kriegsschiffen

In diesem Zusammenhang ist auch der Sicherungsarrest an Bord von Schiffen nach § 106 III, IV SeemannsG oder an Bord von Kriegsschiffen nach § 17 IV 2 WDO zu nennen. Ein solcher Arrest kann zur Abwehr einer Gefahr für Menschen oder Schiff an Bord von bundesdeutschen Schiffen vom Kapitän angeordnet werden. In aller Regel wird die festgenommene Person in eine besondere Arrestkabine eingesperrt werden 35 . Denkbar ist aber auch, daß dem Betroffenen lediglich das Verlassen seiner Kabine untersagt wird, ohne daß er unmittelbar in einen abgeschlossenen Raum eingesperrt wird. Auch hier ist zu berücksichtigen, daß die Bewegungsfreiheit an Bord von Schiffen der Bundesmarine bereits aufgrund des Soldatenverhältnisses sowie auf den sonstigen Schiffen durch den begrenzten Bordbereich eingeschränkt ist.

34 Vgl. hierzu Dau, WDO, § 22, Rdn. 1; Stein, EuGRZ 1976, 285; ders. NZWehrr. 1977, 1; Trechsel, EuGRZ 1980, 515. 35 Vgl. auch Merz, NJW 1962, 96.

Teil II: Unterschiedliche Auffassungen über die Freiheitsentziehung 3. Schularrest

als Schulstrafe,

sog. Karzer

In diesem Zusammenhang ist auch die in heutiger Zeit sicherlich kaum noch anzutreffende und in den Landesschulgesetzen auch nicht vorgesehene Maßnahme des Schularrestes, des sog. Karzers, zu nennen 36 . Hierbei wird der Schüler als Sanktion für schulordnungswidriges Verhalten in einen Klassenraum oder einen bestimmten Gewahrsamsraum eingesperrt, um dort Schulstunden nachzuarbeiten. Anders als beim bloßen Nachsitzen w i r d der Schüler bei dieser Maßnahme eingesperrt bzw. eingeschlossen37. Auch diese Maßnahme erfolgt innerhalb eines besonderen Gewaltverhältnisses, des Schulverhältnisses. 4. Zwangsweise von Beamten

im

Unterbringung

Zwangspensionierungsverfahren

Nach den Disziplinargesetzen für Bundes- und für Landesbeamte kann ein Beamter zur Vorbereitung eines Gutachtens über seinen psychischen Zustand zwangsweise in ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus gebracht und dort verwahrt werden 38 . Die Dauer der Verwahrung des Beamten ist in aller Regel auf maximal sechs Wochen begrenzt 39 . Voraussetzung für eine zwangsweise klinische Unterbringung eines Beamten ist, daß der Geisteszustand des Beamten Anlaß zu ernstlichen Zweifeln an seiner Zurechnungsfähigkeit oder seiner Verhandlungsfähigkeit ergibt, daß ein Gutachten über den Geisteszustand des Beamten ohne eine solche klinische Beobachtung nicht erstattet werden kann, daß der Beamte nicht freiwillig bereit ist, sich einer klinischen Beobachtung zu unterziehen und daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird 4 0 . Die Verwahrung des Beamten kann dabei sowohl in einer offenen wie aber auch in einer geschlossenen Abteilung des Krankenhauses erfolgen. Auch bei der Verwahrung von Beamten handelt es sich um eine Maßnahme, die im 36 Siehe hierzu Kohlhaas, DRiZ 1962, 122; ferner VG Freiburg v. 11.10.1983, NVwZ 1984, 131. 37 Siehe unten A. VI.4. 3 ® § 60 I B D O ; § 52 I BW LDO; Art. 54 I Bay. DO; § 53 I Bln. LDO; § 52 I Brem. DO; § 43 I Hmb. DO; § 53 I HDO; § 59 I NDO; § 59 I DO NW; § 52 I Rh.-Pf. DOG; § 52 I SDO; § 47 I Schl.-Hol. LDO. 39 § 60 I I I BDO; § 52 I I I BW LDO; Art. 54 I I I Bay. DO; § 53 I I I Bln. LDO; § 52 I I I Brem. DO; § 43 I I I Hmb. DO; § 53 I I I HDO; § 59 I I I NDO; § 52 I I I Rh.-Pf. DOG; § 52 I I I SDO; § 47 I I I Schl.-Hol. LDO. 40 B D H v. 7.8.1958, BDHE 4, 137; Behnke, BDO, § 60 Anm. 4; Claussen / Janzen, BDO, § 60, Rdn. 2; § 60, Rdn. 2; vgl. zur Unzulässigkeit einer zwangsweisen Unterbringung in einem Verfahren auf vorzeitige Versetzung in den Ruhestand OVG Hamburg v. 12.3.1987, DVB1. 1987, 1176.

Α. Grenzfälle bei der Bestimmung der Freiheitsentziehung

91

Rahmen eines besonderen Gewaltverhältnisses, des Beamtenverhältnisses, angeordnet wird. V. Erneute Freiheitsentziehungen 1. Festnahme

von Flüchtigen

und

Verurteilten

Ein Einordnungsproblem stellt sich auch bei einer Fest- bzw. Gewahrsamsnahme zum Zwecke der Sicherung einer anderweitig durch den Richter angeordneten und zum Teil vollzogenen Freiheitsentziehung. Entzieht sich jemand einer durch einen Richter angeordneten und zum Teil bereits vollzogenen Freiheitsentziehung, so ist zu prüfen, ob eine daraufhin erfolgende Festnahme des Flüchtigen eine Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I darstellt, die einer erneuten richterlichen Entscheidung bedarf. Hierbei ist zu beachten, daß im Zeitpunkt der Festnahme bereits eine richterliche Anordnung zur Entziehung der Freiheit besteht. Andererseits wird durch den neuerlichen Eingriff dem Betroffenen die wiedererlangte Freiheit erneut entzogen. Entsprechende Ermächtigungsgrundlagen zu einer solchen erneuten Freiheitsentziehung enthalten u.a. § 87 StrVollzG und § 457 I StPO sowie § 13 I I ME und die entsprechenden Regelungen in den neueren Landespolizeigesetzen41. 2. Sicherungsverwahrung

nach § 66 StGB

Ein vergleichbares Problem, insbesondere im Hinblick auf die Notwendigkeit einer erneuten richterlichen Anordnung, stellt sich auch bei der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB. Nach § 661 StGB ordnet das Gericht, wenn es jemanden wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer zeitigen Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an. Die entscheidende Voraussetzung hierfür ist neben den in Absatz 1 genannten Vorverurteilungen und Vorverbüßungen in materieller Hinsicht, daß der Täter infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist, § 66 I Nr. 3 StGB 4 2 . Für die Anordnung und Vollstreckung der Sicherungsverwahrung ist ein zweistufiges Verfahren vorgesehen. Zunächst wird die Sicherungsverwahrung aufgrund einer auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung abgestellten Gefährlichkeitsprognose im Strafurteil durch das erkennende Gericht ange41 Art. 16 I I I PAG; § 15 I I Brem. PolG, § 16 I I Nds. SOG, § 13 I I I NW PolG, § 14 I I I Rh.-Pf. PVG; ferner § 35 Hess. MaßrVollzG; vgl. zu der Frage, ob den Ländern wegen des in aller Regel strafprozessualen Charakters dieses Eingriffs überhaupt die Gesetzgebungskompetenz zusteht Riegel, DÖV 1979, 201; ders., NW PolG, § 13, Rdn. 8. 42 Dreher / Tröndle, StGB, § 66, Rdn. 15; Lackner, StGB, § 66, Anm. 5.

Teil II: Unterschiedliche Auffassungen über die Freiheitsentziehung

ordnet 43 . Wird die Freiheitsstrafe vor der zugleich angeordneten Sicherungsverwahrung vollzogen, so hat nach § 67 c I StGB das Vollstreckungsgericht zur Vollstreckung des Sicherungsgewahrsams zu prüfen, ob die dauernde Einschließung des Verurteilten erforderlich ist. Dabei hat die Strafvollstreckungskammer seine Gefährlichkeitsprognose auf das Strafende abzustellen, um die Wirkung der Strafe auf den Verurteilten feststellen zu können 44 . Es stellt sich dabei die Frage, ob der Vollzug der im Strafurteil angeordneten Sicherungsverwahrung verfassungsrechtlich auch dann zulässig wäre, wenn das Vollstreckungsgericht bei Strafende eine Prüfung der Erforderlichkeit des Maßregelvollzugs nach § 67 c I StGB noch nicht vorgenommen hat 4 5 . Eine solche erneute vorgängige Richterentscheidung wäre nach Art. 104 I I 1 erforderlich, wenn der Beginn der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung am Ende der Strafzeit eine erneute Freiheitsentziehung darstellt. Es stellt sich damit die Frage, ob allein die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts über den Vollzug der Sicherungsverwahrung nach § 67 c I StGB oder ob die in dem Urteil des erkennenden Gerichts getroffenen Anordnungen als richterliche Entscheidung nach Art. 104 I I anzusehen ist. VI. Kontrollierte Freiheiten durch psychische Zwangseinwirkungen

Probleme bereitet auch die rechtliche Einordnung derjenigen Eingriffe, bei denen der Betroffene nicht eingesperrt ist, sondern nur durch psychischen Zwang, etwa durch eine andauernde Überwachung oder durch eine Strafandrohung, daran gehindert wird, einen bestimmten Ort zu verlassen 46 . Bei diesen Maßnahmen wird also nicht die Freiheit der Willensbetätigung, sondern die Freiheit der Willensentschließung beeinträchtigt 47 . 1. Aufenthaltsbeschränkende

Maßnahmen

Ein solcher psychischer Zwang wird durch die gegenüber einem Ausländer nach § 7 I, IV AuslG oder einem Asylanten nach § 20 I, I I Asyl Vf G angeordneten Aufenthaltsbeschränkungen ausgeübt, bei denen der Betroffene nur durch die Strafandrohung nach § 47 I Nr. 5 AuslG bzw. nach § 34 I « BVerfG v. 9.3.1976, BVerfGE 42, 1 (7); BGH v. 25.5.1971, NJW 1971, 1416; BGH v. 28.10.1976, NJW 1976, 300; Dreher / Tröndle, StGB, § 67 c, Rdn. 3. 44 Vgl. BVerfG a.a.O.; BGH a.a.O. 45 Hierzu grundlegend BVerfG a.a.O. 46 Vgl. hierzu u.a. Baumann, UnterbrR, S. 14, 15; Dürig i n Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 6; Kulimann, Entziehung der Freiheit, S. 40. 47 Vgl. zu der entsprechenden Unterscheidung bei den §§ 239, 240 StGB u.a. Blei, Strafrecht II, S. 71; Wessels, Strafrecht BT 1, S. 39, 43.

Α. Grenzfälle bei der Bestimmung der Freiheitsentziehung

93

Nr. 3, 4 Asyl Vf G daran gehindert wird, ein bestimmtes Gebiet zu verlassen 48 . Ebenso wird der Verurteilte oder der Beschuldigte durch die aufenthaltsbeschränkenden Bewährungsweisungen nach § 56 c I I Nr. 1 StGB oder die aufenthaltsbeschränkenden Haftverschonungsanweisungen nach §1161 Nr. 2 StPO nicht durch physischen Zwang am Verlassen eines bestimmten Gebiets gehindert. Vielmehr stellt die Möglichkeit des Widerrufs der gewährten Vergünstigimg nach § 56 f I Nr. 2 StGB bzw. § 116 IV Nr. 1 StPO i m Falle des Verstoßes gegen Weisungen eine psychische Zwangseinwirkung dar, das vorgeschriebene Gebiet nicht zu verlassen. Zudem ist die gewährte Vergünstigung in der Regel mit Meldepflichten verbunden, so daß der Betroffene auch einer bestimmten Überwachung unterliegt. Das Bundesverfassungsgericht spricht hier von einer Maßnahme, die dem Beschuldigten eine „kontrollierte Freiheit" beläßt 49 . Um eine aufenthaltsbeschränkende Maßnahme handelt es sich auch bei der Sicherungsmaßnahme der Polizeiaufsicht nach den §§ 38,39 Nr. 1 StGB a.F. Nach diesen Vorschriften konnte dem Verurteilten durch die höhere Polizeibehörde untersagt werden, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten. Ein Verstoß gegen die durch die Polizeiaufsicht auferlegte Beschränkung war nach § 361 Nr. 1 StGB a.F. straf bewehrt. 2. Unterbringung

in einer

Familie

Um eine Form der sog. „kontrollierten Freiheit" handelt es sich auch bei den nach § 73 I I I BSHG a.F. zulässigen Eingriff der zwangsweisen Unterbringung in einer Familie 5 0 . Bei dieser mittlerweile abgeschafften Maßnahme konnte eine gefährdete Person zwangsweise in einer geeigneten Familie untergebracht werden, um den Betroffenen dort an regelmäßige Arbeit und an Seßhaftigkeit zu gewöhnen. Im Falle, daß sich der Betroffene dieser Maßnahme widersetzte, konnte er in eine geschlossene Arbeitsanstalt eingewiesen werden 51 . 3. Ausgangsbeschränkung

und Hausarrest

für

Soldaten

Auch bei der gegenüber einem Soldaten verhängten Ausgangsbeschränkung nach den §§181 Nr. 4, 21, 48 WDO wird nur psychischer Zwang ausgeübt. So wird der Soldat, anders als beim Disziplinararrest nach §§ 22, 49 WDO, nicht durch Einsperren oder Einschließen, sondern, wie der Bundes48 Baumüller / Brunn / Fritz / Hillmann, AsylVfG, §20, Anm. 12; M a r x / S t r a t e , AsylVfG, § 20, Rdn. 4. 49 BVerfG v. 15.12.1965, BVerfGE 19, 342 (332). so BVerfG v. 18.7.1967, BVerfGE 22, 180 (218, 219). si Vgl. BVerfG, a.a.O.

Teil II: Unterschiedliche Auffassungen über die Freiheitsentziehung

disziplinarhof 52 formuliert hat, durch das moralische und rechtliche Band des dienstlichen Befehls daran gehindert, die Unterkunft zu verlassen. Somit beschränken sowohl diese Gehorsamspflicht wie auch die Aussicht, im Falle des vorsätzlichen Bruchs der Ausgangsbeschränkung eine Arreststrafe zu verwirken, den Soldaten in seiner Fortbewegungsfreiheit 53 . Ebenso besteht im Falle des als besondere Form der Ausgangsbeschränkung für Offiziere und Unteroffiziere allgemein für zulässig erachteten Hausarrests allein ein psychischer Zwang, die Wohnung oder das betreffende Haus nicht zu verlassen. Gleiches gilt für die entsprechenden Ausgangsbeschränkungen gegenüber Zivildienstleistenden nach den §§ 59, 60 I I ZDG.

4. Nachsitzen

als Schulstrafe

Auch bei der als Sanktion für schulordnungswidriges Verhalten ausgesprochenen Verpflichtung eines Schülers zum Besuch zusätzlicher Schulstunden 54 , dem sog. Nachsitzen, wird psychischer Zwang ausgeübt. In der Regel werden bei dieser Maßnahme keine besonderen Vorkehrungen getroffen, um den Schüler am Verlassen des Unterrichtsraums zu hindern 55 . Auch hier stellt allein die Aussicht, im Falle der Entfernung mit weiteren Ordnungsmaßnahmen rechnen zu müssen, sowie die Überwachung durch das Lehrpersonal eine psychische Zwangseinwirkung auf den Schüler dar. Allerdings erscheinen auch heutzutage, trotz gewandelter pädagogischer Auffassungen über Sinn und Zweck von Schulstrafen 56 , Fälle denkbar, bei denen der betroffene Schüler im Unterrichtsraum eingesperrt bzw. eingeschlossen wird 5 7 . 5. Unterbringung

in einer offenen

Anstalt

Die Unterbringung psychisch Kranker in einer offenen Anstalt 5 8 ist in einigen Landesunterbringungsgesetzen ausdrücklich neben der Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt vorgesehen 59. Aber auch in allen ande52

BGH v. 6.3.1964, Β GHZ 7, 194 (197). 53 Vgl. hier Dau, WDO, § 21, Rdn. 1; Dowie, NZWehrr. 1971, 84; Ehrl, NZWehrr. 1972, 16. 54 Siehe u.a. die Ermächtigung in § 90 I I I Nr. 1 Bad.-Württ. SchulG i.d.F. vom 1.8.1983 (GBl. S. 397). 55 Vgl. VGH Bad.-Württ. v. 12.4.1984, ESVGHE 34, 256; Anm. von Dietze, RdJB 33, 1985, 145; siehe ferner Kohlhaas, DRiZ 1962, 122. 56 Dietze (Fn. 55); siehe ferner Vhdl. des Deutschen Juristentages, Schule im Rechtsstaat, Bd. I, 1981, S. 292ff. 57 Siehe hier Kohlhaas (Fn. 55), S. 123; ferner oben Α. IV. 3. 58 Siehe zur Unterbringung in einer offenen Anstalt Baumann, Unterbringungsrecht, S. 14, 15, 210, 211; Kullmann, Entziehung der Freiheit, S. 40, 41; OLG Hamm v. 10.2.1953, NJW 1953, 798; BayVGH v. 6.8.1954, DVB1. 1954, 810 (811); OLG Neustadt v. 30.11.1961, NJW 1962, 1176; BayObLG v. 16.10.1956, BayObLGZ 1956, 353.

Α. Grenzfälle bei der Bestimmung der Freiheitsentziehung

95

ren Unterbringungsgesetzen kommt diese Maßnahme als ein gegenüber der geschlossenen Unterbringung milderer Eingriff in Betracht 60 . Als Unterbringung in einer offenen Anstalt soll im vorliegenden Fall eine Maßnahme bezeichnet werden, bei der der betroffenen Person untersagt wird, ein nicht abgeschlossenes Krankenhaus bzw. einen nicht abgeschlossenen Teil des Krankenhauses zu verlassen, vgl. § 9 I 2 Hmb. PsychKG. Auch in einer solchen offenen Anstalt unterliegt der Untergebrachte einer weitgehenden Kontrolle des Anstaltspersonals. Zudem droht dem Untergebrachten, wenn er die Anstalt ohne Genehmigung verläßt, die zwangsweise Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt. Außerdem besteht für den Fall, daß sich Seuchen- oder Geschlechtskranke einer angeordneten Absonderung in einer offenen Anstalt entziehen, eine Strafandrohung nach den §§ 37 I, 64 I Nr. 4 BSeuchenG bzw. § 18 II, I I I GeschlKG. Damit w i r d bei einer solchen Maßnahme die Bewegungsfreiheit in erster Linie durch die Anwendung psychischen Zwangs eingeschränkt. Allerdings kann im Einzelfall das Krankenhauspersonal auch befugt sein, das Krankenzimmer des Betroffenen zu verschließen. Ferner kann der Krankenhausverwaltung Recht zustehen, den Untergebrachten auch sonst durch Anwendung physischen Zwangs am Verlassen des Krankenhauses zu hindern 6 1 .

VII. Sonstige Absonderungen außerhalb spezieller Gewahrsamseinrichtungen

In diese Kategorie fallen diejenigen Maßnahmen, bei denen die betroffene Person außerhalb einer speziellen Gewahrsamseinrichtung an einem speziellen Ort abgesondert wird. 1.

Quarantänemaßnahmen

Dies ist in erster Linie bei den Quarantänemaßnahmen nach den §§ 10, 34, 37 BSeuchenG der Fall. So kann eine Absonderung nach § 37 I BSeuchenG nicht nur in der Speziai- oder Infektionsabteilung eines Krankenhauses, sondern auch im eigenen Hause bzw. in der Wohnung des Betroffenen vollstreckt werden 62 . Gleichermaßen können Absonderungsmaßnahmen auch an Bord eines Schiffes oder Flugzeugs angeordnet werden. Bei all diesen 59 Vgl. § 10 I 3, 36 Bln. PsychKG, § 9 I 2 Hmb. PsychKG; ferner ist die Unterbringung in einer offenen Anstalt eine „ i n sonstiger Weise geeignete Unterbringung" nach Art. 11 Bay. UnterbrG, Art. 7 I HFEG; siehe hierzu Kullmann (Fn. 58), S. 40, 41. 60 Vgl. OLG Neustadt, a.a.O.; ferner Grass, NJW 1962, 1776; Kullmann (Fn. 58), S. 40. 61 Vgl. BayObLG v. 16.6.1956, BayObLGZ 1956, 353, BayVGH v. 6.8.1954, DVB1. 1954, 810. 62 Siehe hier Lundt / Schiwig, Dt. Seuchengesetz, BSeuchenG, §37, zu Abs. 2; Schumacher / Meyn, BSeuchenG, § 37, zu Abs. 2.

Teil II: Unterschiedliche Auffassungen über die Freiheitsentziehung

Absonderungsmaßnahmen unterliegt der Betroffene den sich aus dem § 37 III, IV BSeuchenG ergebenden Beschränkungen. Praktisch dürfte ein Entzug aus einer vollzogenen Absonderimg aufgrund einer vorhandenen Bewachimg kaum möglich sein. Insofern w i r d bei diesen Quarantänemaßnahmen sowohl physischer Zwang durch die räumliche Absonderung und die Bewachung des Objekts wie auch psychischer Zwang durch die bereits genannte Strafdrohung des § 64 I I Nr. 4 BSeuchenG ausgeübt.

2. Verbannung

auf eine Insel

Zu nennen wäre ferner die im bundesdeutschen Recht allerdings nicht vorgesehene Maßnahme der Verbannung von Personen auf eine Insel 63 . Bei einem solchen Eingriff kann sich der Betroffene in der Regel frei auf der Insel bewegen; praktisch ist es ihm aber aufgrund der geographischen Gegebenheiten unmöglich, die Insel zu verlassen 64 .

V m . Unterbringung im Rahmen bürgerlich-rechtlicher Sorgeverhältnisse

Zu prüfen ist ferner, ob eine Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt, die im Rahmen eines bürgerlich-rechtlichen Sorgeverhältnisses angeordnet wird, als Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I anzusehen ist. So umfaßt das elterliche oder vormundschaftliche Sorgerecht nach den §§ 1631 1, 1800 I, 1897, 1901 1, 1915 BGB insbesondere auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht 65 . Daraus kann sich das Recht, u.U. sogar die Pflicht ergeben, das Kind, das Mündel oder den Pflegebefohlenen in einer geschlossenen Anstalt unterzubringen. Grundsätzlich sollen die Art. 2 I I 2 und Art. 104 nur vor Eingriffen durch Hoheitsträger schützen. Eine Unterbringung im Rahmen bürgerlich-rechtlicher Sorgeverhältnisse kann daher nur dann eine Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I darstellen, wenn es sich bei der Anordnung des Sorgeberechtigten um die Ausübung öffentlicher Gewalt handelt 66 . Hierbei w i r d insbesondere zu unterscheiden sein, ob es sich um eine Maßnahme der Eltern handelt, die ihren Ursprung im Eltern-Kind-Verhältnis hat, oder ob eine Maßnahme vorliegt, die ein hoheitlich bestellter Pfleger oder Vormund verfügt.

63 Vgl. aber zu der Zulässigkeit von Verbannungsmaßnahmen nach dem italienischen Recht EGMR v. 6.11.1980, EuGRZ 1983, 633; ferner Hofmann, EuGRZ 1983, 644. 64 Vgl. hierzu EGMR, a.a.O. 65 Beitzke, Familienrecht, § 27 IV 1; Gernhuber, Familienrecht, § 49 IV 1, 2. 66 Siehe hierzu u. a. BVerfG v. 10.2.1960, BVerfGE 10, 302 (328); BGH v. 30.3.1955, BGHZ 17, 108; ferner Kroll, Personenvorsorge und Freiheitsentzug, Diss. Bonn 1967.

Β. Die Freiheitsentziehung in den Vorstellungen der Gesetzgeber

97

B. D e r Begriff der Freiheitsentziehung in den Vorstellungen der Gesetzgeber

Bei der Auslegung einer Verfassungsnorm, die durch Gesetze konkretisiert werden muß, bestimmt sich der Meinungsstand nicht nur durch die Rechtsprechung und das Schrifttum, sondern auch durch die in den jeweiligen gesetzlichen Regelungen zum Ausdruck kommende Auffassung des Gesetzgebers, wie der betreffende Verfassungsbegriff auszulegen sei. So gehören zu einer Darstellung des gegenwärtigen Meinungsstandes über die Auslegung des Begriffs der Freiheitsentziehung auch die näheren gesetzlichen Regelungen nach Art. 104 I I 4. Denn Art. 104 I I verpflichtet, wie dargestellt, den Bundes- und Landesgesetzgeber bei Eingriffen, die eine Freiheitsentziehung darstellen, die Anordnungskompetenz grundsätzlich dem Richter zu übertragen und bei Ausnahmen hiervon der Verwaltung das Verfahren nach Art. 104 I I 2, 3 vorzuschreiben sowie nach Art. 104 IV eine Benachrichtigungspflicht vorzusehen. Die Auffassung des Gesetzgebers über den Begriff der Freiheitsentziehung kann dabei sowohl durch ausdrückliche Regelungen über den Begriff der Freiheitsentziehimg wie aber auch durch unausgesprochene Hintergrundvorstellungen, die der Gesetzgeber bei Schaffung einzelner Gesetze hatte, bestimmt werden. Im ersten Fall ist zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber nicht die Kompetenz hat, den Begriff der Freiheitsentziehung verbindlich zu definieren 67 . Bei der unausgesprochenen Hintergrundvorstellung des Gesetzgebers ist, wie oben bereits dargestellt, zudem zu beachten, daß der Gesetzgeber nicht gehindert ist, die Einschaltung des Richters auch bei Maßnahmen vorzusehen, die nach seiner Auffassung keine Freiheitsentziehungen darstellen 68 . Hier w i r d im Einzelfall zu prüfen sein, ob der Gesetzgeber mit der Einschaltung des Richters auch eine Verpflichtung aus Art. 104 I I erfüllen oder nur besondere zusätzliche Schutzvorschriften schaffen wollte. I. Regelungen in Bundesgesetzen 1. Die Legaldefinition

in § 2 I FEVG

Wie schon angesprochen, hat der Bundesgesetzgeber in dem Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (FEVG) vom 29.6.1956 69 in § 2 1 eine Legaldefinition des Begriffs der Freiheitsentziehung aufgenommen. Danach ist Freiheitsentziehung die Unterbringung 67

Siehe oben Teil I Α. II. 1. b). Siehe oben Teil I Α. II. 1. c). 69 BGBl. I, 599. 68

7 Hantel

Teil II: Unterschiedliche Auffassungen über die Freiheitsentziehung

einer Person gegen ihren Willen oder im Zustande der Willenlosigkeit in einem Gefängnis, einem Haftraum, einem Arbeitshaus, einer abgeschlossenen Verwahranstalt, einer abgeschlossenen Anstalt der Fürsorge, einer abgeschlossenen Krankenanstalt oder einem Teil einer Krankenanstalt. Der Begriff der Freiheitsentziehung w i r d in § 2 I FEVG von der Einsperrung bzw. Einschließung des Betroffenen her definiert 70 . Dabei ist zu beachten, daß das FEVG nur für die aufgrund Bundesrecht angeordnete Freiheitsentziehimg gilt, soweit das Bundesrecht das Verfahren nicht anders geregelt hat, § 1 FEVG. Unmittelbare Anwendung findet das FEVG daher nur bei Freiheitsentziehungen nach dem AuslG, BSeuchenG und dem GschKG. Mit der Legaldefinition in § 2 I FEVG wollte der Bundesgesetzgeber aber nicht nur eine Definition für das FEVG, sondern auch für Art. 104 I I geben. Nach der amtlichen Begründung 71 zum Entwurf des FEVG soll die Legaldefinition in § 2 I FEVG die Fälle erfassen, die auch Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I darstellen. Der Begriff der Freiheitsentziehung in § 2 I FEVG und in Art. 104 I I soll damit identisch sein 72 . 2. Die Unterbringung

nach § 1631 b BGB

In neuerer Zeit hat der Bundesgesetzgeber bei der Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge vom 18.7.1979 73 diese Auffassung wiederholt. So führt der Entwurf zu § 1631 b BGB, wonach die mit einer Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung des Kindes nur mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts zulässig ist, aus, daß eine Freiheitsentziehung nur vorliege, wenn die betroffene Person auf einen bestimmten beschränkten Raum festgehalten wird, ihr Aufenthalt ständig überwacht und die Aufnahme eines Kontakts mit Personen außerhalb des Raumes durch Sicherheitsmaßnahmen verhindert wird. Dies sei in der Regel nur bei einer Unterbringung in einem geschlossenen Heim oder einer geschlossenen Abteilung eines Heims oder einer Anstalt der Fall 7 4 . 3. Die Vorführung

nach den §§ 161a, 163 a StPO

Auch bei der Schaffung der §§ 161a, 163 a StPO im Zuge des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrens vom 9.12.1974 75 muß der Bundesgesetzgeber von der engen Definition in § 2 I FEVG ausgegangen sein. Denn 70 Dowie, NZWehrr. 1971, 84 (88); Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 6; Saage, JR 1956, 282. 71 BT-Drs. 2/169, S, 8. 72 Saage (Fn. 70). 73 BGBl. I, 1061. 74 BT-Drs. 8/2788 S. 51; vgl. auch Diederichsen, NJW 1980, 1 (6). ™ BGBl. I, 3393; siehe auch Rieß, NJW 1975, 81; Lampe, NJW 1975, 195 (194).

Β. Die Freiheitsentziehung in den Vorstellungen der Gesetzgeber

99

in der amtlichen Begründung 76 zu den §§ 161a, 163 a StPO, die dem Staatsanwalt ein alleiniges Vorführungsrecht gegenüber Zeugen und Beschuldigten einräumen, w i r d angeführt, daß die Vorführung keine Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I über deren Zugehörigkeit der Richter entscheiden müsse, sondern eine Freiheitsbeschränkung i.S.d. Art. 1041 darstelle, die auf der Grundlage des förmlichen Gesetzes von einer Behörde angeordnet werden könne. 4. Einzelhaft

und Fesselung nach den §§89, 90 StVollzG

Auch die Einzelhaft oder die Fesselung eines Strafgefangenen stellt nach Auffassung des Bundesgesetzgebers keine Freiheitsentziehung dar. Denn nach § 911 StVollzG liegt die Anordnungskompetenz für solche nach §§ 89, 90 StVollzG vorgesehenen Sicherungsmaßnahmen beim Anstaltsleiter und nicht beim Richter 77 . Dagegen liegt die Anordnungskompetenz für solche weiteren Freiheitsentziehungen im Rahmen der Untersuchungshaft nach § 119 V, VI StPO grundsätzlich beim Richter. Allerdings ist die Richterkompetenz nach §119 V I StPO Ausfluß der Verantwortlichkeit des Haftrichters für die Untersuchungshaft 78 . Somit ist aus der Kompetenzregelung in §§119 V I StPO kein Rückschluß auf die Rechtsnatur der angeordneten Maßnahme nach § 119 I I I StPO zulässig. Zudem hat der Bundesgesetzgeber gerade bei Zwangsmaßnamen im strafprozessualen Ermittlungsverfahren einen Richtervorbehalt vorgeschrieben 79 , ohne daß dies im einzelnen von Verfassungs wegen gefordert wäre 8 0 . 5. Ausgangsbeschränkung

und

Disziplinararrest

nach den §§ 21, 22 WDO

Während die Ausgangsbeschränkung nach den §§ 21, 23 WDO allein vom Disziplinarvorgesetzten angeordnet werden kann, muß bei der Verhängung des Disziplinararrests ein Richter des Truppendienstgerichts dieser Maßnahme zustimmen, § 36 WDO. Daran wird zunächst deutlich, daß der Bundesgesetzgeber die Ausgangsbeschränkung nach § 21 WDO nicht als Freiheitsentziehung ansieht, die der Anordnungskompetenz des Richters obliegt. Dagegen kommt in dem richterlichen Zustimmungserfordernis nach 76 BT-Drs. 7/551, S. 72; siehe auch BT-Drs. 7/2600, S. 5. Vgl. hierzu Calliess / Müller-Dietz, StVollzG, §4, Rdn. 19; Schwind / Böhm, StVollzG, § 91, Rdn. 1; Schock in Kaiser / Kemer / Schock, StVollzG, § 7, Rdn. 16. 78 Vgl. auch § 126 StPO. 79 §§ 81a, 81c V, 98 I, 100 I, l i l a , l l l e , H i n StPO. so Vgl. hierzu auch Bettermann, W d S t R L 17 (1959), 173. 77

τ

Teil II: Unterschiedliche Auffassungen über die Freiheitsentziehung

§36 WDO die mutmaßliche Auffassung des Gesetzgebers zum Ausdruck, daß der Disziplinararrest eine Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I darstellt 8 1 . 6. Sistierung,

erkennung s dienstliche

Gewahrsam

Maßnahmen

nach den §§ 17, 19, 20

und

BGSG

Nach § 20 I I 2 BGSG 8 2 hat der Bundesgrenzschutz dann, wenn er eine Person in Gewahrsam genommen hat, unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Gewahrsams herbeizuführen. Bei weniger intensiven Eingriffen in die persönliche Freiheit, etwa beim Anhalten einer Person oder bei ihrer Sistierung 83 nach § 17 I, I I BGSG oder bei erkennungsdienstlichen Maßnahmen nach § 19 BGSG, ist eine Anrufung des Richters nicht vorgeschrieben. Augenscheinlich geht der Gesetzgeber in diesen Regelungen davon aus, daß nur der Gewahrsam einer Person, also ihre hoheitliche Verwahrung, nicht aber bereits die Mitnahme zur Dienststelle und ihr dortiger zwangsweiser Aufenthalt zur Personalienfeststellung eine Freiheitsentziehimg nach Art. 104 I I darstellt 84 . An diesen Beispielen w i r d deutlich, daß der Bundesgesetzgeber davon ausgeht, daß der Begriff der Freiheitsentziehung in Art. 104 I I mit der Legaldefinition in § 2 I FEVG identisch ist. Π. Regelungen in Landesgesetzen

Die Auffassung darüber, was nach dem jeweiligen Landesrecht als Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 I I angesehen wird, ergibt sich in erster Linie aus den Landespolizeigesetzen (1) und den Landesunterbringungsgesetzen (2). 1. Rechtsgarantien beim Polizeigewahrsam,

in den

Landespolizeigesetzen

der Vorführung,

und der Festhaltung

von

der

Sistierung

Personen

a) Regelungen im Musterentwurf und den neueren Polizeigesetzen von Bayern, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz Am Anfang dieser Übersicht sollen die einschlägigen Regelungen des „Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der 81

So auch BVerwG v. 10.10.1967, BVerwGE 33, 36 (37); Dau, WDO, § 36, Rdn. 2. Gesetz über den Bundesgrenzschutz (BGSG) vom 18.8.1972 (BGBl. I, 1834). 83 Die Vorführung einer Person durch Beamte des Bundesgrenzschutzes ist nach § 18 I I I BGSG ausgeschlossen. 84 So auch Einwag / Schoen, BGSG, § 17, Rdn. 10; § 20, Rdn. 1. 82

Β. Die Freiheitsentziehung i n den Vorstellungen der Gesetzgeber

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Länder" vom 10./11.6.1976 stehen. Ziel des Musterentwurfs war es, eine Vereinheitlichung der Polizeigesetze zu erreichen 85 und das neue Polizeirecht den rechtsstaatlichen Forderungen nach stärkerer Berücksichtigung der Grundrechte durch konkretere Regelungen als bisher anzupassen86. Somit spiegeln die im Musterentwurf getroffenen konkreten Rechtsgarantien bei Eingriffen in die persönliche Freiheit nicht nur die Meinung der Initiatoren des Musterentwurfes über den Begriff der Freiheitsentziehimg, sondern auch die Meinungen derjenigen Landesgesetzgeber, die den Musterentwurf als Polizeigesetz verabschiedet haben, wider 8 7 . § 14 11 ME schreibt vor, daß die Polizei dann, wenn eine Person aufgrund des § 9 I I 3, 11 I I oder § 13 festgehalten wird, unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen habe. Nach § 9 I I 3 ME kann bei einer Identitätsfeststellung die betroffene Person festgehalten werden, wenn ihre Identität nicht auf andere Weise oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann. § 11 I I betrifft die Vorführung und § 13 den Polizeigewahrsam. Eine Anrufung des Richters ist nach § 14 I ME somit nicht nur beim Polizeigewahrsam, sondern grundsätzlich auch beim bloßen Festhalten einer Person, bei ihrer Mitnahme zur Wache oder bei der Vorführung vorgesehen. Zwar sieht § 14 I 2 ME vor, daß es der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidimg nicht bedarf, wenn anzunehmen ist, daß die Entscheidung des Richters erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahme ergehen würde. Dies entspricht der allgemeinen polizeilichen Praxis, nach der die Polizei bei nur kurzfristigen Eingriffen in die persönliche Freiheit eine richterliche Entscheidung nicht herbeiführt 88 . Grundsätzlich besteht aber für die oben genannten Eingriffe die Verpflichtung zur unverzüglichen Anrufung des Richters. Zu prüfen ist, ob der Landesgesetzgeber die bloße Festhaltung einer Person, ihre Mitnahme zur Wache oder ihre Vorführung als Freiheitsentziehung interpretiert, oder ob er lediglich über Art. 104 I I hinausgehende Rechtsgarantien schaffen wollte. Dabei ist zunächst festzustellen, daß die stärkere Berücksichtigung der Grundrechte in den Polizeigesetzen eines der Ziele des Musterentwurfes war 8 9 . Somit ist der Schluß naheliegend, daß die Initiatoren des Musterentwurfes mit der Schaffung des § 14 I ME eine Verpflichtung aus Art. 104 I I erfüllen wollten. Dies w i r d auch von Heise bestätigt, der als Mitglied des sog. ad-hoc-Ausschusses zur Beratung des Musterentwurfs feststellt, daß bei den Beratungen Einigkeit darüber bestand, daß es sich 85

Heise / Riegel, Musterentwurf, S. 13. Rasch, DVB1. 1982, 126. 87 Bayern, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz. 88 Vgl. Schmidt, Die Polizei, 1966, 292, 293; Sigrist, Die Polizei, 1978, 65 (67); Franz, NJW 1966, 240. 89 Rasch, DVB1. 1982, 126. 86

Teil I I : Unterschiedliche Auffassungen über die Freiheitsentziehung

auch bei dem Verbringen einer Person zur Dienststelle zum Zwecke der Identitätsfeststellung oder bei der zwangsweisen Durchsetzung einer Vorladung um eine Freiheitsentziehung handele, die derselben rechtsstaatlichen Sicherung bedürfe wie der eigentliche Polizeigewahrsam 90 . Gleiches gilt auch für die Regelungen in den Landespolizeigesetzen, die den entsprechenden Teil des Musterentwurfs übernommen haben 91 . Dabei w i r d in den jeweiligen amtlichen Begründungen zum Teil ausdrücklich darauf hingewiesen, daß bereits jedes Festhalten einer Person als Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 I I verstanden wird, so daß eine richterliche Anordnung auch bei der Sistierung oder der Vorführung verfassungsrechtlich erforderlich sei 92 . So wird auch von den Kommentatoren der neuen Landespolizeigesetze, die die Regelungen des Musterentwurfs übernommen haben, die Meinung vertreten, daß es sich bei den genannten Eingriffen mit Ausnahme eines ganz flüchtigen Festhaltens um eine Freiheitsentziehimg i.S.d. Art. 104 I I handele 93 . Folglich soll nach dem Musterentwurf sowie nach den Landespolizeigesetzen, die die hier interessierenden Regelungen über Eingriffe in die persönliche Freiheit übernommen haben, jeder allumfassende Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit eine Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I darstellen, wobei allerdings ausnahmsweise auf die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung verzichtet werden kann, wenn anzunehmen ist, daß die Entscheidung des Richters erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahme ergehen würde, § 14 I 2 ME 9 4 . b) Regelungen in den Landespolizeigesetzen von Berlin, Hessen und Schleswig-Holstein Von einer vergleichbaren weiten Auslegung sind wohl auch die Landesgesetzgeber in Berlin, Hessen und Schleswig-Holstein bei der Verabschiedung ihrer Landespolizeigesetze ausgegangen.

90 Heise / Riegel, Musterentwurf, § 14, Anm. 1; ferner Riegel, BayVBl. 1977, 682 (688); Riegel, DVB1. 1979, 709 (714); ders., ZRP 1978, 14 (18). 91 Art. 17 BayΡ AG; § 16 Brem. PolG; § 17 Nds. SOG; § 14 PolG NW; 15 Rh.-Pf. PVG. 92 LT-Drs./Bay. 8/8134, S. 19; LT-Drs./NRW 8/4080, S. 60; LT-Drs./Nds. 9/1090, S. 69, 81. 93 Kurth, NJW 1979, 1380; Martin / Samper, BayPAG, Art. 17, Anm. 2; Riegel, NW PolG, § 15, Rdn. 4; Samper, BayVBl. 1979, 33 (37); siehe auch die hierzu abweichende Meinung zu Art. 14 III, 17 BayPAG des BayObLG v. 20.7.1983, DVB1. 1983, 1069 (1070); ferner Lehner, JA 1984, 47; Kießling, BayVBl. 1985, 249 (250); Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, S. 191 Fn. 53. 94 Entsprechende Regelungen enthalten § 17 I 2 Nds. SOG; § 15 I 2 Rh.-Pf. PVG; § 16 I I Brem. PolG; Art. 17 I 2 BayPAG; § 14 I 2 PolG NW.

Β. Die Freiheitsentziehung in den Vorstellungen der Gesetzgeber

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Das ASOG Bln. 9 5 , das bereits Teile der seit 1972 begonnenen Beratungen über den Musterentwurf übernommen hatte, schreibt in § 19 I vor, daß die Polizei dann, wenn eine Person im Rahmen einer Identitätskontrolle, einer Vorführung oder eines Polizeigewahrsams nicht nur kurzfristig festgehalten wird, unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen hat. Auch nach dieser Vorschrift wird bereits das Festhalten einer Person als Freiheitsentziehung angesehen96, wobei lediglich im Falle einer sog. kurzfristigen Freiheitsentziehung auf die Herbeiführimg einer Richterentscheidung verzichtet werden kann 9 7 . So soll nach § 19 ASOG Bln. die Freiheitsentziehung schon mit dem Ergreifen des Betroffenen beginnen und während des Transports zur Dienststelle ebenso fortbestehen, wie wenn der Betroffene an Ort und Stelle in einem Dienstfahrzeug festgehalten wird 9 8 . Nach den §§ 46, 47 HSOG 9 9 ist eine richterliche Entscheidung für die polizeiliche Verwahrung vorgeschrieben. Im Falle der Mitnahme zur Dienststelle verweist § 45 S. 2 HSOG auf die Verpflichtung zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung. Damit w i r d deutlich, daß der hessische Gesetzgeber nicht nur die polizeiliche Verwahrung, sondern bereits die Mitnahme zur Dienststelle zur Feststellung der Personalien als Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 I I angesehen hat 1 0 0 . Unzulässig ist nach HSOG eine Vorführung durch die Polizei, denn eine entsprechende Vorschrift in der Regierungsvorlage zum HSOG, die die Vorführung durch die Polizei gestatten sollte, wurde vom Landtag gestrichen 101 . Nach den §§ 176IV, 180 I, I I des Allgemeinen Verwaltungsgesetzes für das Land Schleswig-Holstein 102 ist eine richterliche Entscheidung sowohl beim Polizeigewahrsam wie auch bei Eingriffen im Rahmen einer Personenfeststellung vorgeschrieben. Auch der schleswig-holsteinische Gesetzgeber geht augenscheinlich davon aus, daß auch Zwangsmaßnahmen im Rahmen der Personenfeststellung, wie die Mitnahme zur Dienststelle, sowie das dortige Festhalten Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I darstellen. 95 Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG Bln.) v. 11. Februar 1975 (GVB1. 688). 96 So ausdrücklich Drs. des AbgHs. 6/1569, S. 13 Nr. 74, S. 20. 97 Die Kurzfristigkeit einer Freiheitsentziehung richtet sich, vergleichbar der Regelung im Musterentwurf, danach, ob sich der Eingriff von Herbeiführung der richterlichen Entscheidung erledigen würde, vgl. hierzu Sigrist, Die Polizei, 1978, 65. 98 Berg / Hein, ASOG, § 19, Anm. l a ; ferner Sigrist (Fn. 97). 99 Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) v. 26. Januar 1972 (GVB1.1 S. 23). 100 Siehe auch Meixner, HSOG, § 45, Rdn. 4. 101 Siehe hier Bernet / Gross, Polizeirecht in Hessen, § 17 HSOG, Anm. 1; Krollmann / v. Löhneysen, HSOG, §17, Anm. 1; Kullmann, Entziehung der Freiheit, S. 252, Rn. 279. 102 Landesverwaltungsgesetz (LVwG) vom 19. März 1979 (GVB1. S. 181).

Teil II: Unterschiedliche Auffassungen über die Freiheitsentziehung

c) Regelungen in den Landespolizeigesetzen von Baden-Württemberg, Hamburg und dem Saarland Anders stellt sich dagegen die Rechtslage in Baden-Württemberg, in Hamburg und im Saarland dar. Baden-Württemberg hat nur Teile des Musterentwurfs durch Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes vom 3. März 19 7 6 1 0 3 übernommen. Von dieser Gesetzesänderung sind die Regelungen über den Polizeigewahrsam und die zu beachtenden Verfahrensvorschriften unberührt geblieben. So gilt nach wie vor der § 22 I I I 2 BW PolG 1 0 4 , der vorschreibt, daß der Polizeigewahrsam ohne richterliche Entscheidung nicht länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen aufrechterhalten werden darf. Für andere, weniger intensive Eingriffe ist im BW PolG eine Anrufung des Richters nicht vorgesehen. Daraus ist zu folgern, daß nach baden-württembergischen Landesrecht nur der Polizeigewahrsam, nicht aber die Sistierung oder Vorführung als Freiheitsentziehung anzusehen ist 1 0 5 . Nach § 13 V Hmb. SOG 1 0 6 ist die Anrufung des Richters nur im Falle des Polizeigewahrsams vorgeschrieben. Bei der Vorführung nach § 11 I I sowie der Mitnahme zur Dienststelle nach § 12 ist die Anrufung eines Richters nicht erforderlich. Daher kann davon ausgegangen werden, daß der hanseatische Gesetzgeber nur den polizeilichen Gewahrsam, nicht aber andere Eingriffe in die Freiheit als Freiheitsentziehimg nach Art. 104 I I ansieht. Keinen Hinweis auf die Auslegung des Begriffs der Freiheitsentziehung bietet das saarländische Polizeigesetz. Denn im Saarland gilt nach wie vor das preußische PVG 1 0 7 , das in § 15 die Polizei zur Verwahrung von Personen ermächtigt, wenn diese Maßnahme zum eigenen Schutz dieser Person oder zur Beseitigung einer Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung oder zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden polizeilichen Gefahr erforderlich ist. Die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung ist in diesem Gesetz nicht vorgeschrieben. Damit fehlt auch eine Regelung, die Auskunft darüber gibt, wie nach saarländischem Landesrecht der Begriff der Freiheitsentziehung zu verstehen ist, denn der Art. 104 I I w i r d zu § 15 PVG als unmittelbar geltendes Recht ergänzend herangezogen 108 . Der 103 GVB1. S. 228. 104 Polizeigesetz für Baden-Württemberg (BW PolG) vom 16.1.1968 (GBl. S. 61, ber. S. 322). ι 0 5 So Reiff / Wöhrle / Wolf, BW PolG, § 4, Rdn. 12; Rheinwald / Kloesel, BW PolG, § 22, Anm. 1, 2; Wöhrle / Beiz, BW PolG, § 4, Rnd. 7, 8. 106 Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vom 14. März 1966 (GVB1. 77). 107 Preußisches Polizeiverwaltungsgesetz (PVG) vom 1.6.1931 (GS S. 77, ber. S. 136). 108 Lohse, Polizeirecht im Saarland, S. 209, Fn. 7; vgl. zur unmittelbaren Geltung des Art. 104 I I auch BGH v. 17.12.1981, BGH-Z 82, 261 (263).

Β. Die Freiheitsentziehung in den Vorstellungen der Gesetzgeber

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Begriff der Freiheitsentziehung in Art. 104 I I w i r d damit gewissermaßen in das saarländische PVG inkorporiert, ohne daß der Gesetzgeber selber für bestimmte Maßnahmen eine richterliche Anordnung vorgeschrieben hat. d) Keine einheitliche Rechtslage in den Landespolizeigesetzen Somit ist eine einheitliche Auslegung des Begriffs der Freiheitsentziehung in den Polizeigesetzen der Bundesländer nicht feststellbar. Während Länder wie Baden-Württemberg, Hamburg und wohl auch das Saarland die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung nur beim Polizeigewahrsam vorschreiben und damit offensichtlich nur diesen Eingriff als Freiheitsentziehung ansehen, legen die anderen Landesgesetzgeber den Begriff der Freiheitsentziehung extensiver aus. Die Legaldefinition des § 2 I FEVG und damit eine Beschränkung des Begriffs der Freiheitsentziehung auf den Polizeigewahrsam wird hier als zu eng angesehen. Dies ist um so bemerkenswerter, als ein Teil derjenigen Bundesländer, die den Musterentwurf übernommen haben, in ihren früheren Polizeigesetzen eine richterliche Anordnung nur im Falle des Polizeigewahrsams und der Unterbringung Kranker, nicht dagegen bei weniger intensiven Maßnahmen, vorgeschrieben hatten 1 0 9 . Es wird damit deutlich, daß bei einigen Landesgesetzgebern sich die Auffassung darüber, wann ein polizeilicher Eingriff eine Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 I I darstellt, im Laufe der Zeit von einer eher restriktiven, auf den Polizeigewahrsam beschränkten, zu einer eher extensiven, jedes nicht nur ganz flüchtige Festhalten umfassenden Auslegung gewandelt hat. 2. Regelungen

in den Landesunterbringung

s g es et zen

Außer den Polizeigesetzen enthalten insbesondere die Landesunterbringungsgesetze Regelungen über weitgehende Eingriffe in die persönliche Freiheit. Diese Unterbringungsgesetze haben als spezialpolizeiliche Regelungen die früher in den allgemeinen Polizeigesetzen getroffenen Regelungen über die Unterbringung psychisch Kranker und Süchtiger ersetzt 110 . Nach diesen landesrechtlichen Regelungen ist die zwangsweise Unterbringung psychisch Kranker oder süchtiger Personen möglich, sofern durch diese Krankheit oder Sucht eine unmittelbare Gefahr für den Betroffenen oder für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht 111 . 109 So in Niedersachsen nach den §§ 9 bis 12 des Nds. SOG vom 21.3.1951 (Nds. GVB1. S. 79); i n Nordrhein-Westfalen nach den §§ 25, 26 des NW PolG v. 28.10.1969 (GVB1. S. 740); in Rheinland-Pfalz nach den §§ 6, 7 des Rh.-Pf. PVG v. 26.3.1954 (GVB1. S. 31). 110 Martens in Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, Bd. II, S. 88; ferner Dodegge, NJW 1987, 1910.

Teil II: Unterschiedliche Auffassungen über die Freiheitsentziehung

Die Unterbringungsgesetze ermächtigen aber nicht nur zur Unterbringung, sondern auch zu vorbereitenden Maßnahmen wie der Vorführung des Betroffenen zur medizinischen Untersuchung oder zur Vernehmung. Damit können auch die Zuständigkeitsregelungen für die Vorführung Rückschlüsse auf ihre Rechtsnatur nach dem jeweiligen Landesrecht ermöglichen. Allerdings ist mit solchen Rückschlüssen bei den Unterbringungsgesetzen aus zwei Gründen größere Vorsicht angebracht als bei den Polizeigesetzen. Zum einen ist vielen älteren Unterbringungsgesetzen eine exakte, an Art. 104 orientierte Unterscheidung zwischen Freiheitsbeschränkung und Freiheitsentziehung fremd 1 1 2 . Zum anderen spielt gerade in den neueren Unterbringungsgesetzen neben dem Gefahrenabwehraspekt der Fürsorgegesichtspunkt eine immer gewichtigere Rolle 1 1 3 . Dieser Fürsorgegedanke kann den Gesetzgeber veranlassen, landesrechtliche Rechtsgarantien zu schaffen, die über die Anforderungen des Art. 104 I I hinausgehen. Trotz des somit eher geringen Erkenntniswertes der Unterbringungsgesetze für die vorliegende Fragestellung sollen im folgenden die Zuständigkeitsregelung im Falle der Unterbringung in eine geschlossene Anstalt (a), in eine offene Anstalt (b), der Vorführung psychisch Kranker oder Süchtiger (c) und der Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen, also sog. „weiteren Freiheitsentziehungen" (d) dargestellt und die möglichen Rückschlüsse über die Auffassung des jeweiligen Landesgesetzgebers vom Begriff der Freiheitsentziehung aufgezeigt werden. a) Die Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt Die Unterbringungsgesetze schreiben übereinstimmend im Falle der zwangsweisen Unterbringung psychisch Kranker eine Anordnung durch den Richter vor 1 1 4 . Dies gilt für alle Formen der zwangsweisen Unterbringung, also sowohl für die zunächst von der Behörde angeordnete sofortige bzw. vorläufige Unterbringung 1 1 5 und für die zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Gesundheitszustand angeordnete einstweilige Unterbringung 1 1 6 , wie auch für die eigentliche zur Gefahrenabwehr erfolgende befrim § 3 I Bad.-Württ. UnterbrG; Art. 11 Bay. UnterbrG; § 8 I Bln. PsychKG; § 1 1 1 Brem. PsychKG; § 10 I Hmb. PsychKG; § 11 HFEG; § 12 I Nds. PsychKG; § 9 I NW PsychKG; § 11 Rh.-Pf. UnterbrG; § 11 Saarl. UnterbrG; § 8 I Schl.-Hol. PsychKG. 112 So Grass, NJW 1962,1176; Kullmann, Entziehung der Freiheit, S. 41; siehe auch OLG Neustadt v. 30.11.1961, NJW 1962, 1776 (1777). 113 Göppinger, FamRZ 1980, 856; Martens (Fn. 110); Neumann, NJW 1982, 2588; Saage / Göppinger, Freiheitsentziehung und Unterbringung, S. 324; siehe auch März, BayVBl. 1976, 165 (169). 114 § 3 I I BW UnterbrG; Art. 5 Bay. UnterbrG; § 11 Bln. PsychKG; § 17 Brem. PsychKG; § 11 Hmb. PsychKG; § 2 I HFEG; § 13 Nds. PsychKG; § 12 NW PsychKG; § 3 Rh.-Pf. UnterbrG; § 2 I Saarl. UnterbrG; § 10 I Schl.-Hol. PsychKG. us Siehe u.a. § 14 Brem. PsychKG; § 16 Nds. PsychKG; § 23 Schl.-Hol. PsychKG. ne Siehe u.a. § 15 Brem. PsychKG; § 15 Nds. PsychKG; § 23 Schl.-Hol. PsychKG.

Β. Die Freiheitsentziehung in den Vorstellungen der Gesetzgeber

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stete Unterbringung 1 1 7 . Damit wurde von den Landesgesetzgebern entgegen einer insbesondere von Ärzten vorgetragenen Auffassung 118 anerkannt, daß auch psychisch Kranke freiheits- und grundrechtsfähig sind und sie sich bei öffentlichen Zwangsmaßnahmen auf Art. 2 I I 2, 104 berufen können 1 1 9 . Anders als § 2 I FEVG, der für das bundesrechtliche Freiheitsentziehungsverfahren ausdrücklich von der Unterbringung einer Person in einer abgeschlossenen Anstalt ausgeht, ist nur in einem Teil der Landesgesetze die Unterbringung ausdrücklich in einer geschlossenen Anstalt vorgeschrieben, so in § 10 I 2 Bln. PsychKG, § 9 11 Hmb. PsychKG, § 11 HFEG, § 10 I Nds. PsychKG, § 10 I I NW PsychKG. Andere Gesetze heben dagegen eine Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt nicht ausdrücklich hervor, obwohl allgemein anerkannt ist, daß alle Unterbringungsgesetze von der Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt ausgehen 120 . b) Die Unterbringung in einer offenen Anstalt Allein das Berliner und das Hamburger PsychKG enthalten ausdrücklich Regelungen über die Unterbringung in einer offenen Anstalt. Nach § 10 I 2 Bln. PsychKG wird die geschlossene Unterbringung in Einrichtungen durchgeführt, die durch geeignete Maßnahmen gegen Entweichen der Untergebrachten gesichert sind. Eine geeignete Maßnahme kann nach § 10 I 3 Bln. PsychKG auch darin bestehen, dem Untergebrachten zu untersagen, die Einrichtung zu verlassen. Nach § 36 I I Bln. PsychKG soll der Untergebrachte offen untergebracht werden, wenn dies seiner Behandlung dient, er den damit verbundenen Anforderungen genügt und nicht zu befürchten ist, daß er die Möglichkeit der offenen Unterbringung mißbraucht. Somit kommt nach diesen Vorschriften auch eine Unterbringung in einer offenen Anstalt in Betracht, deren Anordnung nach § 11 Bln. PsychKG dem Amtsrichter obliegt. I n § 9 I 2 Hmb. PsychKG heißt es, daß eine Unterbringung auch dann vorliege, wenn einer Person untersagt werde, eine nicht abgeschlossene Einrichtung der in Satz 1 genannten Art (Psychiatrisches Krankenhaus, Pflegeheim, Entziehungsanstalt) zu verlassen. Damit wäre der Schluß möglich, daß nach dem Berliner und Hamburger PsychKG auch die Unterbringung in einer offenen Anstalt als Freiheitsentziehimg anzusehen ist. Gleichwohl besteht auch hier die Auslegungsmöglichkeit, daß der Landesgesetzgeber gerade im vom Fürsorgegedanken durchdrungenen Unterbringungsrecht Regelungen schaffen wollte, die über Art. 104 I I hinausgehen. 117 § 16 Brem. PsychKG; § 14 Nds. PsychKG; § 17 Schl.-Hol. PsychKG. 118 Zutt, JZ 1951, 432; Ehrhardt, NJW 1954, 1751; ders., NJW 1956, 1868. na Neumann, NJW 1982, 2588 (2589); Göppinger, FamRZ 1980, 856. 120 Grass, NJW 1962,1776; Kullmann, Entziehung der Freiheit, S. 40, 41; BayObLG v. 23.6.1961; NJW 1961, 2061 (2062).

Teil I I : Unterschiedliche Auffassungen über die Freiheitsentziehung

Somit ergibt sich aus den Regelungen in den Unterbringungsgesetzen, daß alle Bundesländer die Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt als Freiheitsentziehimg nach Art. 104 I I ansehen, während lediglich nach dem Bln. PsychKG und dem Hmb. PsychKG auch die Unterbringung in einer offenen Anstalt dem Richtervorbehalt unterliegt und damit, wenn auch unter den genannten Einschränkungen, wohl als Freiheitsentziehung anzusehen ist. Dagegen w i r d in den Unterbringungsgesetzen, die eine richterliche Entscheidung nur im Falle der Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt vorsehen 121 , deutlich, daß hier der Landesgesetzgeber nur diese Maßnahme als eine Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I betrachtet 122 . c) Die Vorführung psychisch Kranker Weitgehend uneinheitlich sind dagegen die Regelungen über die Anordnungskompetenz für die Vorführung Kranker und Süchtiger zu einer Vernehmung oder einer ärztlichen Untersuchung. In einem Teil der Unterbringungsgesetze wird die zuständige Behörde ermächtigt, den Kranken oder Süchtigen vorzuführen, ohne daß hierfür die Einschaltung eines Richters vorgeschrieben ist, so in § 7 I I 1 Nds. PsychKG, § 9 I 4 NW PsychKG, § 10 I 2 Rh.-Pf. UnterbringungsG, § 8 I 3 Saarl. UnterbringungsG, § 6 I I I 5 Schl.-Hol. PsychKG 1 2 3 . Erst wenn der Betroffene von der Gesundheitsbehörde vorläufig untergebracht wird, ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen 124 . In § 6 I I I HFEG w i r d das Recht zur Vorführung zum Zwecke der persönlichen Vernehmung des Betroffenen dagegen ausdrücklich dem Richter übertragen 1 2 5 . Dabei dient diese Regelung lediglich der Klarstellung, denn der Richter hat im Freiheitsentziehungsverfahren, für das die Unterbringungsgesetze auf die Vorschriften über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit verweisen 126 , bereits nach den §§ 12, 33 FGG die Möglichkeit, das Erscheinen des Kranken oder Süchtigen im Gericht zu erzwingen 1 2 7 . 121

Vgl. §§10 I, 13 I Nds. PsychKG; §§ 10 I, 12 NW PsychKG. Siehe zur Rechtslage nach § 1 Rh.-Pf. UnterbrG OLG Neustadt v. 30.11.1961, NJW 1962, 1776. 123 Vgl. auch § 18 GeschlG v. 23.7.1953, (BGB1. I I I 2126). 124 § 16 Nds. PsychKG; § 17 I I NW PsychKG; § 18 I Saarl. UnterbrG; § 24 I I Schl.Hol. PsychKG. 125 Kullmann, Entziehung der Freiheit, S. 80, 170. 126 § 111 BW UnterbrG; Art. 6 I Bay. UnterbrG; § 13 Bln. PsychKG; § 19 Brem. PsychKG; § 13 Hmb. PsychKG; § 4 HFEG; § 18 Nds. PsychKG; § 14 NW PsychKG; § 6 Rh.-Pf. UnterbrG; § 6 Saarl. UnterbrG; § 11 Schl.-Hol. PsychKG; vgl. auch § 3 FEVG. 127 Baumann, UnterbrR, S. 341; Kullmann (Fn. 125), S. 81. 122

Β. Die Freiheitsentziehung in den Vorstellungen der Gesetzgeber

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Andere Unterbringungsgesetze, so das BW UnterbringungsG, das Bay. UnterbrG und das Bln. PsychKG enthalten gar keine Bestimmungen über die Vorführung Kranker oder Süchtiger 128 . Auch in § 8 des Brem. PsychKG und des Hmb. PsychKG, der die gegenüber Kranken und Süchtigen zulässigen Maßnahmen der Gesundheitsbehörde aufzählt, fehlt eine Ermächtigimg zur Anordnung und Durchführung einer Vorführung. Nach diesen Gesetzen hat die Gesundheitsbehörde lediglich, wie in allen Unterbringungsgesetzen, das Recht, bei Gefahr im Verzuge die vorläufige Unterbringung anzuordnen, wobei sie allerdings unverzüglich eine richterliche Anordnung herbeiführen bzw. das zuständige Gericht von der Maßnahme in Kenntnis setzen muß 1 2 9 . Aus diesem Überblick über die Unterbringungsgesetze ergibt sich somit, daß in einzelnen Bundesländern 130 die Vorführung psychisch Kranker oder Süchtiger ohne richterliche Anordnung zulässig ist. Damit kann in diesen Fällen die Vorführung nach dem geltenden Landesrecht als bloße Freiheitsbeschränkung nach Art. 104 I eingeordnet werden. In den anderen Bundesländern steht das Recht zur Vorführung nach §§ 12, 33 FGG oder speziellen landesrechtlichen Vorschriften 131 allein dem Richter zu. Ob aus dem Fehlen eines Vorführungsrechts der Exekutive der Schluß zulässig ist, daß der Gesetzgeber die Vorführung bereits als Freiheitsentziehung ansieht, erscheint aus oben genannten Gründen fraglich, obwohl die tatsächliche Rechtslage für eine solche Auslegung spricht. In jedem Fall ist festzustellen, daß auch bei der Frage der Anordnungskompetenz zur Vorführung psychisch Kranker oder Süchtiger in den Unterbringungsgesetzen eine einheitliche Rechtslage fehlt. d) Die Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen Der überwiegende Teil der Landesunterbringungsgesetze enthält keine Regelung über die Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen. Die Zulässigkeit zur Verhängung solcher Sicherungsmaßnahmen durch das Krankenhauspersonal ergibt sich aus der Existenz des Anstaltsverhältnisses 132 , sofern die Maßnahme zur Erreichung des Anstaltszwecks oder zur Abwehr von Gefahren notwendig ist. 128

Baumann (Fn. 127), S. 341. § 5 BW UnterbrG (unverzügliche Mitteilung an das Amtsgericht); Art. 18 I Bay. UnterbrG (unverzügliche Verständigung des Gerichts); § 14 Brem. PsychKG (unverzügliche Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung); § 31 Hmb. PsychKG (unverzügliche Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung). 130 Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, SchleswigHolstein. 131 § 6 I I I HFEG. 132 Vgl. hierzu auch Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, S. 130; ferner Ronellenfitsch, VerwArch. 1982, 245 ff. 129

Teil I I : Unterschiedliche Auffassungen über die Freiheitsentziehung

Diese nach dem Strafvollzugs-Beschluß des BVerfG 1 3 3 sicherlich nicht ganz unumstrittene Auffassung braucht für die vorliegende Fragestellung nicht eingehender erörtert zu werden, da auch nach den Bestimmungen, die die Zulässigkeit solcher besonderer Sicherungsmaßnahmen ausdrücklich regeln, die Anordnungskompetenz beim Anstaltspersonal bzw. beim Anstaltsleiter liegt 1 3 4 . Dies gilt auch für freiheitsbeschränkende Anordnungen wie die Beschränkung des Aufenthalts im Freien oder die Absonderung in einen besonderen Raum, vgl. § 29 a I I Nr. 1, 3 Bln. PsychKG. Mithin kann davon ausgegangen werden, daß nach den Landesunterbringungsgesetzen solche „weiteren Freiheitsentziehungen" nicht den Rechtsgarantien des Art. 104 I I unterfallen. 3. Zusammenfassende der unterschiedlichen

Darstellung Rechtsauffassungen

Als Ergebnis der vorliegenden Darstellung ist somit festzustellen, daß beim Bundes- und Landesgesetzgeber unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, welche Eingriffe als Freiheitsentziehung anzusehen sind. Während der Bundesgesetzgeber seine Auffassung über den Begriff der Freiheitsentziehung durch die Legaldefinition in § 2 I FEVG zum Ausdruck gebracht hat, gehen die meisten Landesgesetzgeber 135 in Anlehnung an den Musterentwurf für ein einheitliches Polizeigesetz von einer weiten Auslegung des Begriffs der Freiheitsentziehung aus. Danach soll auch das Festhalten, sofern es nicht nur ganz flüchtig ist, die Sistierung und die Vorführung einer Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I darstellen. Während der Bundesgesetzgeber somit nur solche Maßnahmen als Freiheitsentziehung ansieht, bei denen der Betroffene in einer bestimmten Gewahrsamseinrichtung eingesperrt oder eingeschlossen ist, fallen nach der Rechtslage in den meisten Bundesländern auch die genannten weniger intensiven Maßnahmen in den Schutzbereich des Art. 104 II. C. Der Begriff der Freiheitsentziehung in der Rechtsprechung I. Beispiele für Freiheitsentziehungen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Das BVerfG hat eine Entscheidung darüber, wie die Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I von der bloßen Freiheitsbeschränkung abzugrenzen ist, 133

BVerfG v. 14.3.1972, BVerfGE 33, 1. 13* § 29 a Bln. PsychKG; § 28 Nds. PsychKG; § 19 I Saarl. UnterbrG; vgl. auch die §§ 36, 37 des hessischen Gesetzes über den Vollzug von Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 3. Dezember 1981 (GVB1. S. 414 = MaßvollzG). 135 Bayern, Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein.

C. Der Begriff der Freiheitsentziehung in der Rechtsprechung

111

noch nicht getroffen. Es hat aber in zahlreichen Entscheidungen über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Eingriffen judiziert, die es ohne weiteres dem Schutzbereich des Art. 104 I I zugerechnet hat. So hat das BVerfG im Laufe seiner Rechtsprechung die folgenden Maßnahmen als Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 I I angesehen: die Einweisimg in eine öffentliche Heil- und Pflegeanstalt für 6 Wochen zur Vorbereitung eines Gutachtens nach § 81 StPO 1 3 6 , die Unterbringung eines volljährigen Entmündigten in eine geschlossene Anstalt durch den Vormund 1 3 7 , die Freiheitsstrafe 138 , den Jugendarrest 139 , die Arreststrafe für Soldaten 140 , die Erzwingungshaft 141 , die Auslieferungshaft 142 , die Untersuchungshaft 143 , die durch ein Straf urteil angeordnete Sicherungsverwahrung 144 , die einstweilige Unterbringung in eine psychiatrische Krankenanstalt 145 . Aus diesen Beispielen wird aber nur deutlich, daß das BVerfG diese genannten Eingriffe als Freiheitsentziehung ansieht, ohne daß damit zum Ausdruck kommt, daß nur diese Eingriffe Freiheitsentziehungen darstellen sollen. Eine abstrakte Bestimmung des Begriffs der Freiheitsentziehung hat das BVerfG, wie eingangs erwähnt, noch nicht gegeben. Π. Unterschiedliche Rechtsauffassung in der Rechtsprechung der Bundes- und Landesgerichte

Weitgehend uneinheitlich sind die vorliegenden Entscheidungen der ordentlichen Gerichte 146 und der Verwaltungsgerichte zur Auslegung des Begriffs der Freiheitsentziehung. 1. Rechtsprechung

der

Bundesgerichte

Der B G H 1 4 7 hat in einem Beschluß zu der Frage, ob die Vorführung eines Geschlechtskranken nach § 18 GeschlKrG eine Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 I I darstellt, entschieden, daß es sich dabei nicht um eine freiheits136 BVerfG v. 10.2.1953, E 2, 121/122. is? BVerfG v. 10.2.1960, E 10, 302 (310). iss BVerfG v. 3.7.1962, E 14, 156 (173); BVerfG v. 21.6.1977, E 45, 187 (223ff.) (lebenslange Freiheitsstrafe). 139 BVerfG v. 14.7.1964, E 18, 146 (147). ho BVerfG v. 7.11.1967, E 22, 311 (317); BVerfG v. 7.4.1981, E 57, 29 (34). i 4 i BVerfG v. 16.7.1969, E 27, 18 (33). i « BVerfG v. 13.10.1970, E 29, 183 (197). "3 BVerfG v. 30.5.1973, E 35, 185 (190); BVerfG ν. 12.12.1973, E 36, 264 (296ff.). 1 44 BVerfG v. 9.3.1976, E 42, 1 (6). BVerfG v. 7.10.1981, E 58, 208 (220). 146 Die ordentlichen Gerichte sind nach den FE-VG in erster Linie für den Rechtsschutz des Betroffenen im Freiheitsentziehungsverfahren zuständig, vgl. §§4, 7 FEVG. 147 BGH v. 17.12.1981, BGHZ 82, 261.

Teil II: Unterschiedliche Auffassungen über die Freiheitsentziehung

entziehende Maßnahme handele, die dem Richtervorbehalt nach Art. 104 I I unterliege. Zwar stellt der BGH zunächst fest, daß die körperliche Bewegungsfreiheit des Betroffenen sowohl während seines Transports zum Gesundheitsamt als auch während der Untersuchung umfassend und auch nicht von gänzlich unbedeutender Dauer eingeschränkt sei 148 . Gleichwohl ergebe aber eine am Zweck und an der Entstehungsgeschichte des Art. 104 I I ausgerichtete Wertung, daß die Vorführung nicht schon als Freiheitsentziehung angesehen werden kann. So unterscheide sich die Vorführung sowohl in dem mit ihr verfolgten Zweck als auch von ihrer Dauer her von anderen Freiheitsbeschränkungen, die allgemein als Freiheitsentziehung behandelt werden. Auch ziele die Vorführung weder auf ein bloßes Einsperren ab, wie die Ingewahrsamsnahme, noch auf ein Festhalten auf Dauer, wie in § 2 I FEVG aufgeführten Freiheitsentziehungen. Der Betroffene solle auch nicht auf eine zunächst nicht absehbare Zeit festgehalten werden. Die mit der Vorführung zum Gesundheitsamt verbundene Freiheitsentziehung ende vielmehr - von vornherein so gewollt - mit dem Abschluß der (ersten) Untersuchung, sie wiege somit nicht so schwer, daß sie durch richterliche Kontrolle gesichert werden müßte 149 . In einer früheren Entscheidung, bei der das Gericht u. a. entschieden hat, daß es sich bei der Anordnung einer Gebrechlichkeitspflegschaft nach § 1910 II, I I I BGB um keine Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I handele, vertrat der BGH die Auffassung, daß der Begriff der Freiheitsentziehung in Art. 104 I I durch die Legaldefinition in § 2 I FEVG abschließend erläutert werde 1 5 0 . Etwas anders stellt sich die Rechtsprechung des BGH in Strafsachen zur Auslieferung dar 1 5 1 . Zwar hat der B G H 1 5 2 ausgeführt, daß die Auslieferung als solche keine Freiheitsentziehung sei, noch daß sie notwendig oder auch nur regelmäßig mit einer solchen verbunden sein müsse. Dies sei z.B. dann der Fall, wenn sich der Betroffene freiwillig an die Grenze bzw. den Übergabeort begebe. Dagegen sieht der B G H 1 5 3 aber in der zwangsweisen Durchführung der Auslieferung, bei der der Betroffene verhaftet, sodann zum Übergabeort verbracht und der mit der Durchführung der Auslieferung beauftragten Stelle übergeben wird, eine Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 II. Zwar nimmt das Gericht nicht dazu Stellung, ob auch das bloße zwangsweise Verbringen einer Person zum Übergabeort ohne vorherige Inhaftierung eine Freiheitsentziehung darstellt. Allerdings kann aus der ι « BGH a.a.O., S. 269. So BGH a.a.O., S. 270. 150 BGH v. 22.3.1961, BGHZ 35, 1 (7). 151 BGH v. 6.12.1951, BGHSt. 2, 44 (45); BGH v. 17.4.1959, BGHSt. 13, 97 (99); BGH v. 4.11.1970, BGHSt. 23, 380 (385). 152 BGH v. 4.11.1970, a.a.O. 153 BGH v. 17.4.1959, a.a.O. 149

C. Der Begriff der Freiheitsentziehung in der Rechtsprechung

113

Hervorhebung des Moments der Freiwilligkeit, das dem Vorliegen einer Freiheitsentziehimg entgegenstehen soll 1 5 4 , geschlossen werden, daß es sich nach dieser Rechtsprechung auch beim zwangsweisen Transport des Betroffenen um eine Freiheitsentziehung handeln muß. Dagegen hat das BVerwG 1 5 5 entschieden, daß die Durchführung der Abschiebung eines Ausländers, der sich weigert, freiwillig auszureisen, keine Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I darstelle. Nach Auffassung des BVerwG sei nicht jede Zwangsmaßnahme, die in die Bewegungsfreiheit des Betroffenen vorübergehend eingreift, zu den intensiven Freiheitsbeschränkungen zu rechnen, die als Freiheitsentziehung den besonderen Schutz des Art. 104 I I auslösen. Sinn und Zweck des Art. 104 II, der nach seiner Entstehungsgeschichte vor allem Inhaftierungen vorbeugen soll, wie sie während der nationalsozialistischen Herrschaft gegen politische Gegner angeordnet wurden, gebieten eine so weitgehende Auslegung des Freiheitsentziehungsbegriffs nicht 1 5 6 . Dies gelte auch für die Abschiebung, mit der die Pflicht eines Ausländers, den Geltungsbereich des Ausländergesetzes zu verlassen, zwangsweise durchgesetzt wird. So stehe bei einer wertenden, auf die Intensität des Eingriffs abstellenden Beurteilung nicht ein solcher Eingriff in die Bewegungsfreiheit im Vordergrund der Maßnahme. Diese sei nicht auf ein Festhalten des Ausländers gerichtet, sondern darauf, daß er sich zwangsweise außer Landes begibt bzw. außer Landes befördert wird. Ihre Auswirkung auf die Bewegungsfreiheit des Ausländers erscheint lediglich als eine sekundäre, kurzfristige Folge der Erfüllung der Ausreisepflicht 157 . Bereits in einer früheren Entscheidung hatte das BVerwG 1 5 8 unter Berufung auf § 2 I FEVG festgestellt, daß die zwangsweise Vorführung zu einer Röntgenuntersuchung keine Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 I I darstelle, die eine vorherige richterliche Entscheidung erfordern würde. Der Bundesdisziplinarhof 159 geht in einer Entscheidung zur rechtlichen Zulässigkeit einer Ausgangsbeschränkung für Soldaten nach der WDO davon aus, daß es sich bei dieser Disziplinarmaßnahme um keine Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I handele, da der Soldat am Verlassen seiner Unterkunft nur durch das moralische und rechtliche Band des dienstlichen Befehls gehindert werde. Daran w i r d deutlich, daß der B D H davon ausgeht, daß die Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I die Anwendung physischen Zwanges, etwa des Einsperrens, voraussetzt, wie dies z.B. beim Disziplinararrest der Fall ist 1 6 0 . 154

Siehe besonders BGH v. 4.11.1970, a.a.O. BVerwG v. 23.6.1981, E 62, 325 (Verbringen eines Ausländers zur Flughafenwache zum Zwecke der Abschiebung). 156 BVerwG a.a.O., S. 327. 155

157 BVerwG a.a.O., S. 328. 158 BVerwG v. 24.9.1957, JR 1958, 153 (154). 159 B D H v. 13.8.1964, E 7, 194 (197).

8 Hantel

Teil I I : Unterschiedliche Auffassungen über die Freiheitsentziehung 2. Rechtsprechung

der

Landesgerichte

Während von den Bundesgerichten der Begriff der Freiheitsentziehung mehrheitlich restriktiv ausgelegt wird, läßt sich eine vergleichbare Tendenz bei den Gerichten der Länder nicht erkennen. So liegt nach einem Teil der Rechtsprechung eine Freiheitsentziehung bereits dann vor, wenn der Betroffene durch die öffentliche Gewalt an einem bestimmten Ort durch physischen oder psychischen Zwang festgehalten w i r d 1 6 1 . In anderen Entscheidungen wird nur ein längerdauernder Eingriff in die Bewegungsfreiheit als eine Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 I I angesehen162. Schließlich gibt es auch eine Anzahl von Entscheidungen, die die Freiheitsentziehung entsprechend der Legaldefinition in § 2 I FEVG als einen Eingriff ansehen, bei dem der Betroffene eingesperrt oder eingeschlossen sein muß 1 6 3 . Entscheidend für das Vorliegen einer Freiheitsentziehung soll danach sein, daß die Freiheit der Willensbetätigung und nicht nur die Freiheit der Willensentschließung - wie beim bloßen psychischen Zwang beschränkt werde. Begründet w i r d diese restriktive Auslegung des Begriffs der Freiheitsentziehung von den Landesgerichten mit dem begrenzten Schutzzweck des Art. 104 II, der eine weite Auslegung nicht gebiete und die Anwendung der Vorschrift auf besonders schwerwiegende Eingriffe beschränke 164 . Analysiert man die dargestellten und zitierten Entscheidungen, so ist festzustellen, daß die Gerichte, im besonderen die Bundesgerichte, den Begriff der Freiheitsentziehung mehrheitlich eng auslegen. Hiermit wird das Bemühen deutlich, den Begriff der Freiheitsentziehung und damit das grundsätzliche Erfordernis der vorgängigen richterlichen Anordnung nur den besonders schweren Eingriffen vorzubehalten, wozu nach Auffassimg der Gerichte die Vorführung oder Abschiebung oder Eingriffe durch bloßen psychischen Zwang nicht gehören. Die Rechtsprechung bemüht sich damit, bei der Auslegung des Begriffs der Freiheitsentziehung den Bedürfnissen der täglichen Verwaltungspraxis gerecht zu werden. Aber auch diesen Entscheidungen fehlt die überzeu160

So Dau, WDO, § 21, Rdn. 1. lei So OLG Hamm v. 10.2.1953, NJW 1953, 798; KG Berlin v. 11.4.1968, DVB1. 1968, 470 (471); OVG Berlin v. 27.7.1973, DVB1. 1973, 701 (702); OLG Stuttgart v. 6.6.1969, BW VB1. 1969, 158; BayVGH v. 6.8.1954, DVB1. 1954, 810 (811); wohl auch OVG Münster v. 16.11.1981, NVwZ 1982, 447 (448). 162 OLG Hamm v. 4.6.1962, FamRZ 1962, 397; OVG Münster v. 7.6.1978, DVB1. 1979, 733 (734); OLG Stuttgart v. 3.7.1980, NJW 1980, 2029; AG Wennigsen v. 4.11.1961, FamRZ 1962,40. ι 6 3 OLG Düsseldorf v. 2.11.1962, NJW 1963, 397 (398); OLG Karlsruhe v. 24.1.1972, BW VB1. 1972, 77 (78); OLG Stuttgart v. 24.9.1973, BW VB1. 1973, 174; BayObLG v. 20.7.1983; DVB1. 1983, 1069, vgl. hierzu auch Lehner, JA 1984, 47. ι 6 4 OLG Stuttgart v. 24.9.1973, a.a.O.; OLG Karlsruhe v. 24.1.1972, a.a.O.

C. Der Begriff der Freiheitsentziehung in der Rechtsprechung

115

gende Begründung für die insgesamt restriktive Auslegung des Begriffs der Freiheitsentziehimg. Die Begründung, daß der Intensitätsgrad einer Freiheitsentziehung bei einer Vorführung, Abschiebung oder einer Ausgangsbeschränkung nicht erreicht sei, mag zwar im Ergebnis zu einer sachgerechten Lösung führen, eine allgemein überzeugende Abgrenzung des Begriffs der Freiheitsentziehung von der bloßen Freiheitsbeschränkung ist durch diese Aussagen nicht möglich, allerdings wohl von den Gerichten auch kaum beabsichtigt gewesen. ΙΠ. Rechtsprechung zum Begriff der Freiheitsentziehung in Art. 5 I MRK

Im Zusammenhang mit der vorliegenden Untersuchung ist es erforderlich, auch auf die Rechtsprechung zum Begriff des Freiheitsentzuges in Art. 5 I MRK einzugehen. Wie oben bereits festgestellt, darf nach Art. 5 12 MRK die Freiheit nur in den in Art. 5 I MRK vorgesehenen Fällen und nur auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Wege entzogen werden 1 6 5 . Mithin ist das Vorliegen einer Freiheitsentziehung Voraussetzung dafür, daß die Rechtsgarantien des Art. 5 I MRK Anwendung finden. 1. Rechtsprechung

der Straßburger

Instanzen

Anders als das BVerfG mußten sich beide Straßburger Instanzen 166 , die Europäische Kommission für Menschenrechte (EKMR) und insbesondere der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in zwei Entscheidungen mit der Auslegung des Begriffs der Freiheitsentziehung in Art. 5 I MRK eingehend auseinandersetzen. a) Der Fall Cornells J. M. Engel In seinem sog. Engel-Urteil 1 6 7 hat sich der EGMR eingehend mit der Frage befaßt, wann Disziplinarmaßnahmen im Rahmen des Militärdienstes als Freiheitsentziehung nach Art. 5 I MRK anzusehen sind. In dem Verfahren vor dem EGMR haben sich fünf niederländische Soldaten gegen freiheitsbeschränkende Disziplinarmaßnahmen, die im Rahmen ihres Wehrdienstes 1971 verhängt wurden, gewandt 1 6 8 . Bei den verhängten Disziplinarmaßnahmen handelte es sich um den leichten Arrest, bei dem die betroffenen Soldai s Vgl. oben Teil I Β. II. 1. a) bb). 166 Art. 19 MRK. 167 EGMR v. 8.6.1976, EuGRZ 1976, 221. 168 Vgl. hierzu auch Stein, EuGRZ 1976, 285; ders. in NZWehrr. 1977, 1; Triffterer / Binner, EuGRZ 1977, 136; Frowein / Peukert, EMRK, Art. 5, Rdn. 22. 8·

Teil I I : Unterschiedliche Auffassungen über die Freiheitsentziehung

ten ihren Dienst normal verrichteten und lediglich ihre Freizeit in der dienstlichen Unterkunft zu verbringen haben, um den verschärften Arrest, der sich vom leichten Arrest nur dadurch unterschied, daß sich die Soldaten außerhalb des Dienstes in besonders bezeichneten Räumen aufhalten mußten, und um den strengen Arrest, der die Einschließung der Soldaten bei Tag und Nacht in einer Zelle vorsah. Ferner ging es um die Überstellung in eine Strafkompanie. Bei dieser schwersten Sanktion des niederländischen Wehrdisziplinarrechts wurde der Soldat zusammen mit Soldaten, die wegen einer Straftat verurteilt worden waren, untergebracht und durfte für eine Zeit von drei bis sechs Monaten die gemeinsame Einrichtung nicht verlassen. In seinen Entscheidungsgründen geht der EGMR zunächst davon aus, daß die Beantwortung der Frage, ob jemandem im Sinne von Art. 5 I seine Freiheit entzogen wurde, von der konkreten Sachlage abhängig ist. Zunächst stellt das Gericht fest, daß der Wehrdienst, wie man ihn in den Vertragsstaaten antrifft, als solcher keine Freiheitsentziehung nach der Konvention darstelle 169 . Damit seien alle jene Einschränkungen der persönlichen Bewegungsfreiheit des Soldaten, die zwar aus disziplinarischen Gründen auferlegt werden, die aber ebenso aus den normalen Erfordernissen des Wehrdienstes resultieren können, keine Freiheitsentziehungen. Eine Disziplinarstrafe oder -maßnahme, die sich unstreitbar als Freiheitsentzug darstellt, wenn sie gegen eine Zivilperson zur Anwendung kommt, könne dieser Charakter abgehen, wenn man sie gegen eine Militärperson verhängen würde. Eine Disziplinarmaßnahme ist nach Auffassung des EGMR nur dann nicht dem Geltungsbereich des Art. 5 MRK entzogen, wenn sie die Form von Einschränkungen annimmt, die sich eindeutig von den üblichen Lebensbedingungen innerhalb der Streitkräfte der Vertragsstaaten entfernen. Um zu erkennen, ob dem so ist, seien eine ganze Reihe von Umständen zu berücksichtigen wie Art, Dauer, Wirkungen und Modalität der Vollstreckung der in Betracht gezogenen Strafe oder Maßnahme 170 . Im Ergebnis hat der EGMR den leichten Arrest und den verschärften Arrest nicht als Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 5 I MRK gewertet. Entscheidendes Gewicht legt das Gericht dabei auf die Tatsache, daß die Betroffenen sowohl während des leichten wie auch während des verschärften Arrests nicht eingesperrt oder eingeschlossen sind und sie weiter ihren dienstlichen Aufgaben nachgehen können. Dagegen hat der Gerichtshof den strengen Arrest und die Versetzung in eine Strafkompanie als Freiheitsentzug qualifiziert. Die Tatsache, daß der Betroffene den strengen Arrest Tag und Nacht eingeschlossen in eine Zelle verbringen muß, macht nach Ansicht 169

EGMR v. 8.6.1976, a.a.O., S. 224. EGMR v. 8.6.1976, a.a.O., S. 224.

C. Der Begriff der Freiheitsentziehung i n der Rechtsprechung

117

des EGMR diese Maßnahme ihrer Natur nach zu einer Freiheitsentziehung. Dies gilt nach Ansicht des Gerichts auch dann, wenn der strenge Arrest nur von kurzer Dauer ist, wie im Falle des Beschwerdeführers Engel vom 20. März bis 22. März 1971 171 . Hinsichtlich der Überstellung in eine Strafkompanie stellt das Gericht insbesondere darauf ab, daß alle Beschwerdeführer mit denjenigen Soldaten zusammen untergebracht waren, gegen die diese Maßnahme als Zusatzstrafe zu einem Strafverfahren verhängt worden war und daß sie nicht berechtigt waren, während eines Monats oder länger die Einrichtungen zu verlassen. Außerdem ergaben die Akten, daß einige der Beschwerdeführer die Nacht eingesperrt i n einer Zelle verbringen mußten 1 7 2 . Aufgrund dieser Umstände kam der EGMR zu der Auffassimg, daß es sich bei der Überstellung in eine Strafkompanie in dem dargestellten Sinne um eine Freiheitsentziehung nach Art. 5 I MRK handele 173 . Im Gegensatz zu der Entscheidung des EGMR hatte die EKMR in ihrem Bericht vom 19. Juli 1974 174 auch den verschärften Arrest als Freiheitsentziehung gewertet, weil der Soldat sich während der Nacht in einem besonderen, allerdings unverschlossenen Raum aufzuhalten habe und diese Maßnahme damit einen „physical restraint" der Bewegungsfreiheit des Soldaten über den normalen Dienst hinaus bedeute. b) Der Fall Michele Guzzardi In seinem Guzzardi-Urteil vom 6. November 1980 175 hat sich der EGMR mit der Frage, ob die Verbannung auf eine Insel eine Freiheitsentziehung nach Art. 5 I MRK darstellt, auseinandergesetzt. Im Jahre 1973 war der italienische Staatsangehörige Guzzardi unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und der Beteiligung an der Entführung eines Industriellen in Untersuchungshaft genommen worden. I m November 1976 wurde er vom Landgericht Mailand mangels Beweisen freigesprochen, jedoch im Dezember 1979 vom Appellationsgerichtshof Mailand zu 18 Jahren Freiheitsstrafe und einer Geldstrafe verurteilt. Am 30. November 1975 war der Beschwerdeführer, der gemäß den Bestimmungen der italienischen Strafprozeßordnung nicht länger als zwei Jahre in Untersuchungshaft gehalten werden konnte, vom Landgericht Mailand einer Maßnahme EGMRv. 8.6.1976, a.a.O., S. 225. "2 EGMRv. 8.6.1976, a.a.O., S. 225. 173 Vgl. zu der Frage, ob die Verhängung eines Stubenarrests gegenüber Wehrpflichtigen als Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 71 V I des dänischen Grundgesetzes anzusehen ist, das Urteil des Obersten Gerichts (Höjesteret) Kopenhagen v. 20.3.1959, zit. von Lorenzen in EuGRZ 1976, 335 (336); siehe auch den Bericht über das laufende Verfahren zum Militärarrest in der Schweiz von Minelli, EuGRZ 1976, 287. 174 Siehe den Bericht von Longerich, EuGRZ 1975, 560. "5 EGMR, EuGRZ 1983, 633.

Teil I I : Unterschiedliche Auffassungen über die Freiheitsentziehung

„besonderer Überwachung" unterworfen worden: Er wurde für die Dauer von drei Jahren auf die Insel Asinara vor der Küste Sardiniens verbannt. Diese Anordnung, die in keinem direkten rechtlichen Zusammenhang mit der eingeleiteten Strafverfolgung stand, war auf der Grundlage eines Gesetzes aus dem Jahre 1956 betreffend „Personen, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Moral darstellen" sowie eines gegen die Mafia gerichteten Gesetzes aus dem Jahre 1965 erfolgt. Mit einer solchen Maßnahme sind ganz erhebliche Einschränkungen verbunden; insbesondere dürfen hiervon Betroffene die ihnen als Verbannungsort bestimmte Gemeinde nicht ohne vorherige Erlaubnis der zuständigen Überwachungsbehörde verlassen. In seinen Urteilsgründen stellt der EGMR zunächst unter Hinweis auf seine Rechtsprechimg zum Engel-Urteil fest, daß bei der Entscheidung, ob in einem Einzelfall eine Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 5 I MRK vorliegt, von der konkreten Situation des Betroffenen auszugehen sei und alle Umstände wie Art, Dauer, Auswirkungen und Durchführungen der in Frage stehenden Maßnahme in ihrer Gesamtheit zu würdigen seien 176 . Dabei stellt der Gerichtshof zunächst fest, daß die im italienischen Gesetz von 1956 vorgesehene Überwachung in Verbindung mit der Verbannung in eine bestimmte Gemeinde an sich nicht in den Anwendungsbereich des Art. 5 MRK falle 1 7 7 . Auch hebt das Gericht den Unterschied zwischen der Behandlung Guzzardis auf Asinara und einem klassischen Freiheitsentzug im Gefängnis hervor und verweist auf die Tatsache, daß das Gebiet, auf dem sich der Beschwerdeführer bewegen konnte, die Ausmaße einer Zelle weit überschritt und auch von keinen tatsächlichen Barrieren umschlossen war. Allerdings bestand nach den Feststellungen des Gerichts für Guzzardi nur wenig Gelegenheit zu sozialen Kontakten außer zu seiner engeren Familie, seinen Schicksalsgenossen und dem Bewachungspersonal. Ferner durfte Guzzardi sein Haus nicht zwischen 22.00 und 7.00 Uhr verlassen, ohne die Behörde eine angemessene Zeit zuvor hiervon informiert zu haben. Außerdem mußte er sich zweimal am Tag bei der Behörde melden und Name und Telefonnummer seines Gesprächspartners angeben. Für alle Fahrten nach Sardinien oder auf das Festland bedurfte er der Zustimmung, die nur selten gewährt wurde und unter strenger Überwachung durch die Carabinieri stattfanden. Nach Auffassung des Gerichts erlaubt keine dieser Tatsachen für sich allein genommen, von einem Freiheitsentzug zu sprechen, zusammengenommen erinnere die Verbannung des Beschwerdeführers auf die Insel Asinara aber an die Internierung in einem offenen Gefängnis oder die Versetzung in eine Strafeinheit 178 . Aufgrund dieser Gesamtwürdigung der

"β EGMR v. 6.11.1980, a.a.O., S. 638; vgl. ferner EGMR v. 28.5.1985, NJW 1986, 2173 (2174). * 7 7 EGMR v. 6.11.1980, a.a.O., S. 638. EGMR v. 6.11.1980, a.a.O.

C. Der Begriff der Freiheitsentziehung in der Rechtsprechung

119

Umstände der Verbannung Guzzardis ging die Richtermehrheit von dem Vorliegen einer Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 5 I MRK aus 1 7 9 . Auch die E K M R 1 8 0 war der Ansicht, daß Guzzardi auf Asinara einen Freiheitsentzug nach Art. 5 I MRK erlitten hatte. Besondere Bedeutung komme dabei dem außerordentlich kleinen Gebiet zu, auf das sein Aufenthalt beschränkt war, die fast ununterbrochene Überwachung, welcher er unterworfen war, der fast vollständigen Unmöglichkeit, soziale Kontakte zu knüpfen, sowie der Dauer des erzwungenen Aufenthalts zu 1 8 1 . 2. Rechtsprechung

nationaler

Gerichte

a) Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs Insbesondere der Österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat sich, da die MRK in Österreich Verfassungsgeltung hat, in einer umfangreichen Judikatur mit Art. 5 MRK und seinem Schutzbereich befaßt 182 . Dabei reduziert der VfGH in ständiger Rechtsprechung den Zweck des Art. 5 MRK auf den Schutz vor rechtswidrigen Verhaftungen, legt aber dann den Begriff der Verhaftung weit, nämlich als jede Maßnahme, durch die in die persönliche Freiheit des Einzelnen mit physischen Mitteln eingegriffen wird, aus 183 . Folgende Maßnahmen hat der VfGH unter den Begriff des Freiheitsentzugs nach Art. 5 12 MRK subsumiert: die zwangsweise Vorführung zum Amtsarzt zwecks Feststellung des Grades einer vermuteten Alkoholisierung 184 , die Verbringimg in ein Polizeifahrzeug 185 , die Vorführung eines Beschuldigten im Verwaltungsstrafverfahren, ohne daß die Maßnahme vorher durch eine Ladung angedroht wurde 1 8 6 , die Aufforderung, sich unter mittelbarer Zwangsandrohung zu einer Zeugeneinvernahme zu einer Behörde zu begeben 1 8 7 und die Entfernung aus einem Gaststättenraum unter Anwendung von Körperkraft 1 8 8 . Allerdings schränkt der VfGH den Schutzbereich des Art. 5 1 MRK dadurch ein, daß eine Verhaftung nur bei der Anwendung physischer Gewalt vorliegen soll. Damit fallen Maßnahmen wie die Verhängung eines 179 Vgl. auch Hofmann, EuGRZ 1983, 644: Tiemann, NVwZ 1987, 10 (15). «o EGMR v. 6./7.12.1978, EuGRZ 1979, 421. 181 EKMR v. 7.12.1978, a.a.O. 182 v g l dazu Kopetzki in Ermacora / Nowak / Tretter, Die Europäische MRK in der Rspr. der Österreichischen Höchstgerichte, S. 207 ff. 183 VfGH v. 7.6.1974, EuGRZ 1974, 4 (5). is4 VfGH v. 10.3.1965, VfSlg. 4924/1965. lf J 5 VfGH v. 7.3.1975, VfSlg. 7499/1975. 186 VfGH v. 29.11.1976, VfSlg. 7921/1976. 187 VfGH v. 22.9.1978, VfSlg. 8359/1978. 188 VfGH v. 11.12.1981, VfSlg. 9298/1981.

Teil I I : Unterschiedliche Auffassungen über die Freiheitsentziehung

Aufenthaltsverbots 189 , die Aufforderung, die Atemluft auf den Alkoholgehalt untersuchen zu lassen 190 , die Besichtigung des Innenraums 191 sowie die Anordnung an einen Rollstuhlfahrer, den Zuschauerraum eines Theaters mit seinem Rollstuhl zu verlassen 192 , nach der Rechtsprechung des VfGH nicht in den Schutzbereich des Art. 5 I MRK. Zum anderen soll der Schutzbereich dieser Vorschrift nur dann tangiert sein, wenn der Wille der Behörde primär auf eine solche Beschränkimg gerichtet ist 1 9 3 . Dies ist dann nicht der Fall, wenn eine andere Maßnahme den Betroffenen dazu nötigt, längere Zeit bei der Behörde zu verweilen, diese Beschränkung also, wie beim Anhalten oder Festhalten im Rahmen von Fluggastkontrollen vor dem Besteigen der Maschine, die sekundäre Folge der Anwesenheitspflicht ist 1 9 4 . b) Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts Das Schweizerische Bundesgericht (B Ger) hat sich i n einem Urteil vom 19. Juli 1976 195 mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein Arrest, der einem Gefangenen auferlegt wird, also eine sog. weitere Freiheitsentziehung, als selbständiger Freiheitsentzug nach Art. 5 I MRK anzusehen ist. In dem zu entscheidenden Fall war der Beschwerdeführer im November 1974 vom Geschworenengericht des Kantons Zürich wegen wiederholten Versuchs der vorsätzlichen Tötung in eine Arbeitserziehungsanstalt eingewiesen worden. I m Jahre 1975 versetzte ihn die Justizdirektion des Kantons Zürich aus der Arbeitserziehungsanstalt in eine Strafanstalt. Im August 1976 sollte der Beschwerdeführer bedingt entlassen werden. Die Direktion der Strafanstalt erteilte ihm im Juni 1976 Urlaub von 7.00 bis 19.00 Uhr, um sich für einen Arbeitsplatz vorzustellen und um eine Unterkunft zu suchen. Weil der Beschwerdeführer erst um 23.15 Uhr in der Strafanstalt zurückkehrte, wurde er durch Verfügung des Anstaltsleiters mit fünf Tagen Arrest sowie mit Urlaubssperre bis zur bedingten Entlassung bestraft. Der Beschwerdeführer rügte, daß der ihm auferlegte Arrest gegen Art. 5 I MRK verstoßen habe. Das Β Ger 1 9 6 war der Auffassung, daß sich die Zulässigkeit des Arrests nicht nach Art. 5 I MRK beurteile. Dem Beschwerdeführer sei die Freiheit bereits mit der Verurteilung und durch die Einweisung in die Arbeitsentziehungs- und nachher in die Strafanstalt entzogen worden. 189 VfGH V. 22.6.1962, VfSlg. 4221/1962; VfGH v. 27.6.1975, VfSlg. 7608/1975; VfGH v. 16.12.1980, VfSlg. 8996/1980. 190 VfGH v. 22.6.1966, VfSlg. 5295/1966. 191 VfGH v. 6.6.1980, VfSlg. 8815/1980. 192 VfGH v. 4.12.1973, VfSlg. 7219/73. 193

Vgl. Kopetzki (Fn. 182), S 293. M VfGH v. 7.6.1974, VfSlg. 7298/1974 = EuGRZ 1974, 4; vgl. ferner Trechsel, EuGRZ 1980, 518; kritisch hierzu Kopetzki (Fn. 182), S. 293. 195 Β Ger EuGRZ 1976, 306. 196 Β Ger v. 19.7.1976, a.a.O.

. Der Begriff der Freiheitsentziehung i

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Zwar werde die persönliche Freiheit durch den Vollzug der Arreststrafe in zusätzlicher Weise beschränkt. Doch weiche ein Arrest, der einem Gefangenen auferlegt werde, hinsichtlich der Art, Dauer, Wirkungen und der Modalitäten des Vollzugs nicht in einer solchen Weise von den Lebensbedingungen ab, die für einen Gefangenen üblicherweise gelten, als daß er als selbständiger Freiheitsentzug i.S.d. Art. 5 I MRK betrachtet werden müsse 197 . D . Der Begriff der Freiheitsentziehung i m Schrifttum I. Die Freiheitsentziehung als allumfassende Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit

Die h.M. im Schrifttum 1 9 8 definiert die Freiheitsentziehung i n Art. 104 Π als einen Eingriff, der die körperliche Bewegungsfreiheit allseitig beeinträchtige, während eine Freiheitsbeschränkimg bloß eine partielle, in irgendeine Richtung weisende Beeinträchtigung darstelle. Nach dieser Auffassung ist für das Vorliegen einer Freiheitsentziehung allein der Erfolg, die allumfassende Beschränkung der Bewegungsfreiheit durch hoheitlichen Zwang, entscheidend. Der Zweck, der mit der Freiheitsentziehung verfolgt wird, oder das Mittel, mit dem die Freiheit beeinträchtigt w i r d 1 9 9 , soll für das Vorliegen einer Freiheitsentziehung unbeachtlich sein 200 . Ebenso soll die Dauer des Eingriffs, abgesehen vom ganz flüchtigen Festhalten einer Person 201 , nach der h.M. kein Kriterium zur Bestimmung des Begriffs der Freiheitsentziehung sein. is7 Β Ger v. 19.7.1976, a.a.O., S. 307. 198 Anders FamRZ 1960, 475; Baumann, Unterbringungsrecht, S. 13; Becker, ZBIJugR 1961, 1 (5); Bernet-Groß, PolR in Hessen, § 45, Anm. 4; Bettermann, GR III/ 2, S. 880, 881; Denninger, Alternativentwurf einheitlicher Polizeigesetze, S. 81; Dowie, NZWehrr. 1971, 84 (88); Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 6; Ehrl, NZWehrr. 1972, 16 (19); Franke, NJW 1960, 1369ff.; Franz, NJW 1966, 240; Friauf in v. Münch, Bes. Verw., S. 211, 212; Geerds, GA 1965, 329 - 331, 337; Hamann, GG, Art. 104, Erl. Β 1; Herzog, AöR 86, 230; ders. in BayVBl. 1959, 46; Holtkotten, BK, Art. 104, Anm. H C l ; Kaufmann, Eingriffe in die Freiheit, S. 265, 286; Kern, GR II, S. 71; Koschwitz, Kurzfristige Freiheitsentziehung, S. 27, 43; Lisken, ZRP 1980, 146; Marx / Strate, Asylverfahrensgesetz, § 20, Rdn. 34; Moritz, NJW 1977, 796; Roscher, BW VB1. 1981, 60 (62); Kießling, BayVBl. 1985, 249 (250); Reder, Pol. Sistierung, S. 29; Ring, Unterbringungsentscheidung durch Ärzte, S. 52; Schnickmann, MDR 1976, 364; Schüler-Springorum, FamRZ 1981, 296; Sigrist, Die Polizei 1978, 66; Stümper, BW VB1. 1962, 68, Olschewski, JR 1971, 89 (90); Vogler, Auslieferungsrecht und Grundgesetz, S. 244; Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Rdn. 19; Riegel, BayVBl. 1978, 592; Berg /Hein, ASOG, § 19, Anm. l b ; Riegel, ZRP 1978, 14 (18); Schwan in Pfennig/ Neumann, VvB, Art. 4, Rdn. 5; Wagner, Polizeirecht, S. 193; Zippelius, Ev. Staatslexikon, S. 564; Mußmann, VB1. BW 1986, 52; Vahle, Die Polizei 1984, 279. 199 Etwa durch physischen Zwang (Einsperren) oder bloß durch psychischen Zwang (Strafandrohung). 200 Ausdrücklich den psychischen Zwang hervorhebend Baumann, Unterbringungsrecht, S. 8; Dowie, NZWehrr. 1971, 84 (89); Dürig (Fn. 198); Ehrl (Fn. 198); Marx / Strate (Fn. 198). 201 So Koschwitz (Fn. 198); Marx / Strate (Fn. 198); Moritz (Fn. 198); Schnickmann (Fn. 198).

Teil I I : Unterschiedliche Auffassungen über die Freiheitsentziehung

Viele Autoren vertreten die hier wiedergegebene Auffassung meist unter Beschränkung auf Eingriffe aus dem jeweils von ihnen bearbeiteten Rechtsgebiet 202 und zum Teil ohne eingehendere Begründung. Soweit von den Autoren eine Begründung gegeben wird, geht sie davon aus, daß Art. 104 I I das gleiche Rechtsgut wie § 239 I StGB schütze, so daß der Begriff Freiheitsentziehung mit dem der Freiheitsberaubung identisch sein müsse 203 . Da § 239 I StGB die körperliche Fortbewegungsfreiheit allgemein schütze 204 , ohne Rücksicht auf Mittel, Zweck oder Dauer der Handlung und nur auf den Erfolg, der allumfassenden Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit, abstellt, müsse gleiches auch für die Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I gelten. Das Straf recht als Minimalschutz einer jeden Rechtsordnung dürfe nicht einen umfassenderen Schutz gewähren als es verfassungsrechtlich erforderlich sei 2 0 5 . Die praktische Konsequenz dieser Auffassung ist, daß die in der täglichen Verwaltungspraxis häufigen Maßnahmen der zwangsweisen Verbringung einer Person an einen anderen Ort wie bei der Vorführung 2 0 6 , der Abschiebung oder der Mitnahme einer Person zur Dienststelle als Freiheitsentziehung i. S. d. Art. 104 I I anzusehen ist 2 0 7 . Nach dieser Auffassimg wären somit alle gesetzlichen Ermächtigungen, die das Recht zur Vorführung ausschließlich einem nichtrichterlichen Hoheitsträger übertragen hat, verfassungsw i d r i g 2 0 8 oder müßten durch verfassungskonforme Auslegung durch Art. 104 I I ergänzt werden 2 0 9 . Desgleichen werden nach dieser Auffassung auch diejenigen Eingriffe als Freiheitsentziehung angesehen, bei denen ein psychischer Zwang, etwa durch eine Strafandrohung, ausgeübt wird, wie z.B. bei der Ausgangssperre für Soldaten 210 oder der Aufenthaltsbegrenzung auf ein Asylantenlager 211 . 202 So u.a. Baumann (Fn. 198) Festhalten bei einer zwangsweisen Untersuchung; Bernet-Groß (Fn. 198) Sistierung; Dowie (Fn. 198) Ausgangsbeschränkung für Soldaten; Geerds (Fn. 198) Festhalten bei der Abnahme einer Blutprobe; Herzog (Fn. 198) Festhalten bei einer zwangsweisen Untersuchung; Kaufmann (Fn. 198) Vorführung, Sistierung; Kern (Fn. 198); Vahle, (Fn. 198); Lisken (Fn. 198) Vorführung, Sistierung; Marx / Strate (Fn. 198) Aufenthaltsbeschränkung; Vogler (Fn. 198) Begrenzung des Aufenthalts auf ein Asylantenlager; Friauf (Fn. 198) Sistierung, Vorführung. 203 So u.a. Baumann (Fn. 198); Bettermann (Fn. 198); Kern (Fn. 198); Koschwitz (Fn. 198); Ring (Fn. 198); Schüler-Springorum (Fn. 198). 2 °4 Vgl. oben Teil I C. I. 205 So Baumann (Fn. 198), S. 10; vgl. hierzu auch oben Teil I C. III. 206 So ausdrücklich zur Vorführung Baumann (Fn. 198); Frank (Fn. 198); Friauf (Fn. 198); Herzog (Fn. 198); Kaufmann (Fn. 198); Kern (Fn. 198); Lisken (Fn. 198); ferner ders. NJW 1982, 1483; NJW 1982, 1268; NZWehrr. 1982, 56; Moritz (Fn. 198); Schnickmann (Fn. 198). 207 Vgl. oben Teil I I Α. I. 208 Diese Frage stellt sich besonders beim alleinigen Vorführungsrecht der Staatsanwaltschaft nach den §§ 161a, 163 a StPO; vgl. hierzu Moritz (Fn. 198); Schnickmann (Fn. 198); siehe auch oben Teil I I Β. I. 3. 2 09 Vgl. BGH v. 17.12.1981, BGHZ 82, 261 (263). 2 10 Dowie (Fn. 198); Ehrl (Fn. 198). 211 Marx / Strate (Fn. 198).

. Der Begriff der Freiheitsentziehung i

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Π. Die Freiheitsentziehung als dauerhafter Eingriff

Eine andere Meinung 2 1 2 sieht in der Dauer der Beeinträchtigung der körperlichen Bewegungsfreiheit ein Merkmal zur Bestimmung des Begriffs der Freiheitsentziehung. Danach soll eine Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 I I nur bei einer allumfassenden Beschränkung der Bewegungsfreiheit von einiger Dauer vorliegen. Werde dagegen die körperliche Bewegungsfreiheit nur vorübergehend aufgehoben wie z.B. bei der Sistierung 213 , der Vorführung 2 1 4 oder der Durchführung der Abschiebung 215 , so soll trotz allumfassender Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit nur eine Freiheitsbeschränkung und keine Freiheitsentziehung vorliegen. Begründet wird diese Auffassung damit, daß der Schutzzweck des Art. 104 I I keine weite Auslegung des Begriffs der Freiheitsentziehung gebiete, da Art. 104 I I nur eine ungerechtfertigte längere Festhaltung verhindern wolle. Dagegen besteht über eine genaue Festlegung des Zeitraums, wie lange die Festhaltung dauern soll, Uneinigkeit. So werden zur Abgrenzung zum Teil absolute Fristen wie IV2 216 oder 2 Stunden 217 genannt, ohne daß diese Fristen schlüssig begründet werden. Einigkeit besteht somit nur darüber, daß die Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I einen bestimmten, dauerhafteren Eingriff erfordert. ΙΠ. Die Freiheitsentziehung als finaler Eingriff in die persönliche Freiheit

Von anderen Autoren 2 1 8 wird die Meinung vertreten, daß es sich nur dann um eine Freiheitsentziehung handele, wenn der Eingriff in die persönliche Freiheit der eigentliche Zweck der Maßnahme sei. Ist der Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit nur eine Nebenfolge, also eine unver212 Azzola in AK-GG, Art. 104, Rz. 21, 22; Boujong, StPO, KK, vor § 112, Rdn. 1 - 3 ; Götz, Allg. Polizei- und Ordnungsrecht, S. 154; Hampel, FamRZ 1963, 542; Huber, Ausländer- und Asylrecht, Rdn. 345; Jansen, FGG, § 55a, Rdn. 4; Kroll, Personenvorsorge und Freiheitsentziehung, S. 69ff.; Krollmann / v. Löhneysen, HSOG, §45, Anm. 2; Martens in Drews / Wacke / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, S. 81; Samper, PAG, Art. 17, Anm. 3; Schelling, VA und richterliche Entscheidung, S. 10, 11; Schneider, Hess. PolG, § 17, Rdn. 2; Reiff / Wöhrle / Wolf, BW PolG, § 4, Rdn. 12; wohl auch Rheinwald / Kloesel, BW PolG, § 22, Anm. 1; Wöhrle / Beiz, BW PolG, § 4, Rdn. 7, 8. 213 Götz (Fn. 212); Schelling (Fn. 212). 214 Boujong (Fn. 212). 215 Huber (Fn. 212). 216 Samper (Fn. 212). 217 Reiff / Wöhrle / Wolf (Fn. 212), § 20, Anm. I I I 2. 218 Baerensprung, Freiheit der Person, S. 118, 119; Dünnebier i n Löwe-Rosenberg, StPO, § 163 a, Rdn. Enzian, JR 1975, 280; Hoffmann, DVB1. 1967, 751; ders. in DVB1. 1970, 473; wohl auch Huber, NJW 1982, 1914 (1918); Kleinknecht, NJW 1964, 2181 (2183); Lampe MDR 1974, 536; Meyer-Goßner in Löwe-Rosenberg, StPO, § 161a, Rdn. 60, 23. Auflage; Rauschert RdJ 1960, 370; Sigrist, Die Polizei 1978, 65 (66).

Teil II: Unterschiedliche Auffassungen über die Freiheitsentziehung

meidbare, unselbständige Nebenwirkung einer auf einen anderen Zweck gerichteten Maßnahme, so soll nach dieser Auffassung lediglich eine Freiheitsbeschränkung nach Art. 104 I vorliegen. Danach würden die Eingriffe in die Bewegungsfreiheit, die als Nebenwirkungen mit einer Durchsuchung, einer Identitätsfeststellung oder einer Razzia verbunden sind, lediglich Freiheitsbeschränkungen darstellen. Ebenso würde der zwangsweise Transport einer Person, wie etwa die Vorführung oder die Durchführimg der Abschiebimg, keine Freiheitsentziehung darstellen 219 . Hier sei zwar die Bewegungsfreiheit allumfassend beschränkt, doch diene dieser Eingriff nicht vorrangig dem Ziel, die Freiheit zu beschränken, sondern sei nur Mittel zur Erreichung eines anderen hoheitlichen Zwecks 2 2 0 . Begründet w i r d diese Auffassung mit der nicht so großen Intensität eines Eingriffs, wenn die Bewegungsfreiheit nur als Nebenfolge beeinträchtigt wird. IV. Die Freiheitsentziehung als hoheitliche Verwahrung einer Person

Eine weitere, mit der zuletzt dargestellten Meinung eng verwandte Auffassung 221 w i l l die Freiheitsentziehung vom Mittel des Eingriffs her definieren. Diese Auffassung bezieht sich maßgebend auf die bereits oben dargestellte Legaldefinition des § 2 I FEVG 2 2 2 . Der Begriff der Freiheitsentziehung wird damit von diesen Autoren von dem Mittel des Eingriffs her erfaßt, mit dem die Freiheit beschränkt w i r d 2 2 3 . Nach dieser Auffassung stellt somit lediglich die Einschließung oder Gefangenhaltung einer Person in einem abgeschlossenen Raum bzw. einer Anstalt eine Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I dar. Dagegen fallen alle anderen Eingriffe in die persönliche Freiheit, die nicht durch eine Einsperrung oder Gefangenhaltung des Betroffenen erfolgen, wie die Vorführung oder Abschiebung einer Person, ihr Festhalten im Rahmen einer Durchsuchung oder Razzia sowie jede Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch psychischen Zwang nicht unter den Begriff der Freiheitsentziehung nach Art. 104 II. 219

So u.a. Hoffmann (Fn. 218); Lampe (Fn. 218). 0 Hoffmann (Fn. 218); Lampe (Fn. 218). 221 Becker, ZB1. JugR 1961, 1 (5); Dau, WDO, § 21, Rdn. 1; Diederichsen / Palandt, BGB, § 1800, Anm. 3 a; ders., NJW 1980,1 (6); Einwag / Schoen, BGSG, § 17, Rdn. 10, § 20, Rdn. 1; wohl auch Franz, NJW 1964, 2002; Gernhuber, Lehrbuch des Familienrechts, S. 66; Grass, NJW 1962, 1776; Hampel, FamRZ 1963, 542; Kohlhaas, DRiZ 1962, 123; Reichard, FEVG, S. 57ff.; Saage, FEVG, § 2, Rdn. 1; Saage / Göppinger, FEVG, § 2, Rdn. 10; wohl auch Kleinknecht (Fn. 218), S. 2183; Trubel, Dt. Polizei, 1959, 270; Stein, Staatsrecht, S. 235; Späth, Anstaltsunterbringung, S. 190; Zagst in MünchKomm., § 1800, Rdn. 6; Maaß, NVwZ 1985,151 (155); wohl auch Kirchhof, JuS 1975, 512, Fn. 43. 222 Vgl. oben Teil I I Β. I. 1. 223 So u.a. Dau (Fn. 221) Einsperren; Kohlhaas (Fn. 221) Einschließung; Stein (Fn. 221) Einsperren. 22

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V. Meinungsstand zum Begriff der Freiheitsentziehung in Art. 5 I MRK

Wenig einheitlich ist auch das Meinungsspektrum bei der Auslegung des Begriffs des Freiheitsentzugs in Art. 5 I MRK. So definiert Trechsel 224 in Anlehnung an die h.M. im Schrifttum zu Art. 104 I I den Freiheitsentzug als das Festhalten an einem bestimmten Ort. Hinsichtlich des Zwangselements soll eine Freiheitsentziehung nur dann vorliegen, wenn physischer Zwang oder unmittelbar drohender physischer Zwang, also vis compulsiva, angewandt w i r d 2 2 5 . Der bloße Befehl, sich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort aufzuhalten, w i r d dagegen von Trechsel nicht als Freiheitsentziehung angesehen, sofern nur die Möglichkeit einer Vorführung zu einem späteren Zeitpunkt oder gar nur eine Strafandrohung besteht 226 . Auch Koschwitz 2 2 7 legt entsprechend seiner Auffassung zum Schutzbereich von Art. 104 I I den Begriff der Freiheitsentziehimg in Art. 5 I MRK als eine Maßnahme aus, bei der eine Person an einem Ort festgehalten wird. Nach seiner Auffassung fallen insbesondere auch kurzfristige Maßnahmen, sofern sie nicht nur ganz flüchtig sind, in den Schutzbereich des Art. 5 I MRK228. In einer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs stellt Kopetzki 2 2 9 fest, daß der Schutzbereich des Art. 5 I MRK nicht, wie dies der österreichische Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt 2 3 0 , von dem primären Willen der Behörde bzw. dem Zweck der Maßnahme abhängig sein kann. Vielmehr müsse es auf die Wirkung einer Maßnahme für das durch Art. 5 I MRK geschützte Rechtsgut ankommen, nicht aber auf einen fiktiven Willen der Behörde 231 . Eine Freiheitsentziehung stelle damit jede Maßnahme dar, durch die in die persönliche Freiheit des Einzelnen, unabhängig von dem Zweck der Maßnahme, eingegriffen werde. Allerdings begrenzt Kopetzki den Schutzbereich des Art. 5 I MRK auf physische Zwangsmaßnahmen 232 . Von anderen Autoren w i r d der Begriff des Freiheitsentzugs enger, nämlich als Eingriff, bei dem der Betroffene eingesperrt ist, ausgelegt. So handelt es sich nach Auffassung von Partsch 233 nur bei einer sehr weitgehenden Einschränkung der Bewegungsfreiheit um eine Freiheitsentziehung, wie sie 224 Trechsel, MRK, S. 182; Frowein / Peukert, EMRK, Art. 5, Rdn. 9. 225 Trechsel (Fn. 224). 226 Trechsel (Fn. 224). 227 Koschwitz, Kurzfristige Freiheitsentziehung, S. 180, 181. 228 Koschwitz (Fn. 227). 229 Kopetzki in Ermacora / Nowak / Tretter, MRK, S. 293. 230 Vgl. oben Teil I I C.III. 2.a). 231 Kopetzki (Fn. 229), S. 293. 232 Kopetzki (Fn. 229), S. 293, 294. 233 Partsch, Rechte und Freiheiten der MRK, S. 124.

Teil I I : Unterschiedliche Auffassungen über die Freiheitsentziehung

vor allem mit der Einweisung in eine geschlossene Anstalt verbunden ist. Ebenso ist Herzog 234 der Auffassung, daß die Freiheitsentziehung nur Verhaftungen oder Festnahmen erfasse, während lediglich der Begriff der Freiheit in Art. 5 I MRK die körperliche Bewegungsfreiheit, die Freiheit, einen beliebigen Ort aufzusuchen, erfaßt. Nicht unter den Begriff der Freiheitsentziehung fallen danach bloße mindere Freiheitsbeschränkungen, wie die Polizeiaufsicht oder Bewegungsbeschränkungen. Diese Maßnahmen werden lediglich vom Begriff der Freiheit in Art. 5 I MRK erfaßt 235 . Auch Stein 2 3 6 geht im Anschluß an das Engel-Urteil des EGMR von einem engen Begriff der Freiheitsentziehung aus, wenn er ausführt, die Schwelle zum Freiheitsentzug werde erst dort überschritten, wo sich hinter dem disziplinarisch bestraften Soldaten eine Tür schließt, ein Schlüssel im Schloß dreht („kept under lock and key" - „incarieré") und er am allgemeinen Dienst nicht mehr teilnimmt. Dies gelte auch dann, wenn die Maßnahme nur vorläufig, also von kurzer Dauer ist 2 3 7 . Im System der Disziplinarmaßnahmen der WDO stellt damit nach Auffassung Steins lediglich der Disziplinararrest einen Freiheitsentzug nach Art. 5 I MRK dar 2 3 8 .

E. Zusammenfassung und Ergebnis des vorliegenden Meinungsstandes

Das Ergebnis des Meinungsstandes stellt sich damit wie folgt dar: Eine einheitliche Auslegung des Begriffs der Freiheitsentziehung in Art. 104 I I gibt es weder im Schrifttum und in der Rechtsprechung noch beim jeweils zuständigen Gesetzgeber. Die Bandbreite an Interpretationen reicht vom bloßen, nicht nur flüchtigen Festhalten über die Beschränkung des Aufenthaltsorts durch psychischen Zwang bis zum mehrstündigen Einsperren in eine Haft- bzw. Gewahrsamszelle. Am ehesten ist noch bei der Rechtsprechung der Bundesgerichte die Tendenz feststellbar, den Begriff der Freiheitsentziehung restriktiv, an der Legaldefinition des § 2 I FEVG orientiert, auszulegen. Dahinter mag das Bemühen stehen, die Justiz nicht mit Eingriffen zu belasten, die zwar die Bewegungsfreiheit allumfassend einschränken, aber aufgrund der geringen Dauer und der begrenzten Zielsetzung für den Betroffenen nur von geringer Intensität sind. Uneinheitlich ist auch die Auslegung des Begriffs des Freiheitsentzugs in Art. 5 I MRK. Hervorzuheben ist dabei die Rechtsprechung des EGMR, die 234

235 236 237 238

Herzog, AöR 86 (1961), S. 203. Herzog (Fn. 235), S. 203. stein, EuGRZ 1976, 285 (286). stein (Fn. 236), S. 286. Stein, NZWehrr. 1977, 1 (12).

E. Zusammenfassung und Ergebnis des vorliegenden Meinungsstandes

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allein auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abstellt, eine abstrakte Bestimmung des Begriffs des Freiheitsentzugs aber vermeidet. Wegen dieser insgesamt fehlenden einheitlichen Rechtsüberzeugung darüber, wie der Begriff der Freiheitsentziehung auszulegen ist, herrscht in der Verwaltungspraxis, besonders bei der Polizei, bei Eingriffen in die persönliche Freiheit Rechtsunsicherheit, die für den jeweiligen Amtsträger vor dem Hintergrund des § 239 StGB folgenschwere Konsequenzen haben kann. Es zeigt sich damit, wie im Vorwort bereits angedeutet wurde, daß eine möglichst genaue Bestimmung des Begriffs der Freiheitsentziehung in Art. 104 I I oder zumindest ein genaues Aufzeigen derjenigen Kriterien, die für diesen Begriff bestimmend sind, sowohl für die alltägliche Verwaltungspraxis wie aber auch für Rechtsprechung und Gesetzgeber von grundlegender Bedeutimg ist.

TEIL I I I

Die Bestimmung des Begriffs der Freiheitsentziehung durch die Auslegung des Grundgesetzes Angesichts der divergierenden Rechtsauffassungen über die Auslegung des Begriffs der Freiheitsentziehung in Art. 104 I I ergibt sich die Notwendigkeit, diesen Rechtsbegriff im Wege einer Verfassungsinterpretation zu bestimmen. A. Wortlaut dee Art. 104 I I G G

Ausgangspunkt der grammatischen Auslegung ist der Wortlaut der getroffenen Regelung1. Entscheidend ist danach der Sinn eines Begriffs, wie er sich nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ergibt 2 . So weist das Verb „entziehen" im Vergleich zum „beschränken" auf die bereits erwähnte unterschiedliche Intensität der jeweiligen Maßnahme hin 3 . Wird ein Recht beschränkt, so ist dem Grundrechtsinhaber nicht die gesamte Ausübung dieses Rechts verwehrt, sondern nur ein bestimmter Teil. Eine Beschränkung führt also nur zu einer Teilsuspension des betroffenen Grundrechts. Bei einer Beschränkimg gewährt das Grundrecht auch nach dem Eingriff dem Gewaltunterworfenen noch soviel Rechtsmacht, daß er an der Ausübung seines Rechts nicht völlig gehindert ist. Für das Recht auf Bewegungsfreiheit bedeutet dies, daß auch nach der Beschränkimg dem Betroffenen ein Teil seiner Fortbewegungsfreiheit bleiben muß. Dagegen bedeutet der Entzug eines Rechts seine Totalsuspension. Wird ein Recht entzogen, bleibt von der ursprünglichen Rechtsposition nichts mehr übrig 4 . Dem Betroffenen verbleibt kein Rest von der ehemals bestehenden Rechtsmacht. Trotzdem vermag die grammatische Interpretation nicht zu klären, wo die Grenze zwischen dem Totalentzug bei einer Freiheitsentziehung und der Teilsuspension bei der bloßen Freiheitsbeschränkung verläuft. Allenfalls ι Vgl. hierzu BVerfG v. 17.5.1960, BVerfGE 11, 126 (130); BVerfG v. 13.10.1971, BVerfGE 32, 54 (74); BVerfG v. 25.2.1975, BVerfGE 39, 1 (37); BVerfG v. 27.4.1982, BVerfGE 60, 319; ferner Larenz, Methodenlehre, S. 195; Leisner, Verfassungsauslegung, S. 644. 2 So BVerfG v. 24.2.1970, BVerfGE 28, 66 (85); BVerfG v. 12.10.1977, BVerfGE 46, 120 (139); Larenz (Fn. 1). 3 Kern, GR II, S. 71; Koschwitz, Kurzfristige Freiheitsentziehung, S. 28; Trechsel, MRK, S. 180. 4 Vgl. auch Schneider, Schutz des Wesensgehalts, S. 50.

Β. Systematische Stellung des Begriffs der Freiheitsentziehung

129

läßt der Begriff „Entziehung" darauf schließen, daß hiermit eine allumfassende räumliche Beschränkung der Bewegungsfreiheit gemeint sein muß. Ob dagegen noch weitere Merkmale wie die Dauer, der Zweck, das Mittel oder sonstige Umstände des Eingriffs zum Begriff der Freiheitsentziehimg gehören, läßt sich aus dem Wortsinn nicht erschließen. Die eher bildhaftsprachliche Bezeichnung des Begriffs Freiheitsentziehung läßt mit ihrer, wie Eckstein 5 es ausführte, symbolischen Bedeutung eine exakte Abgrenzung nicht zu. Die bloße am Wortsinn orientierte Auslegung vermag daher eine Bestimmung des Begriffs der Freiheitsentziehung nicht zu ermöglichen. Dies w i r d auch daran deutlich, daß das Grundgesetz an anderen Stellen für Grundrechtseingriffe sehr unterschiedliche Bezeichnungen verwendet, ohne daß sich Umfang und Grenzen des jeweiligen Eingriffs aus dem Wortsinn ergeben 6. So ist in Art. 11 II, 17a, 19 I von einer „Einschränkung", in Art. 8 II, 10 II, 13 III, 104 I von einer „Beschränkung", i n Art. 104 I I von einer „Entziehung" und in Art. 2 I I 2, 13 I I I allein von einem „Eingriff" die Rede. Auch hier führt, wie das BVerfG 7 bei der Auslegung der Begriffe „Eingriff" und „Beschränkung" in Art. 13 I I I feststellt, allein eine am Wortsinn orientierte Auslegung zu keiner einwandfreien Begriffsbestimmung, so daß ein Rückgriff auf die anderen genannten Interpretationsmethoden erforderlich ist. B. Systematische Stellung des Begriffs der Freiheitsentziehung in Art. 104 Π G G

Zur Feststellung, welcher Inhalt einem Rechtsbegriff zukommen kann, ist ferner der gesetzliche Zusammenhang, in dem dieser Begriff gebraucht wird, von Bedeutung 8 . Für die Auslegung des Begriffs der Freiheitsentziehung in Art. 104 I I bedeutet dies, daß die Regelung in Abs. 2 innerhalb des Systems von Rechtsgarantien in Art. 104 betrachtet werden muß. Art. 104 enthält entsprechend den obigen Ausführungen je nach Art und Intensität des Eingriffs ein gestuftes System von Rechtsgarantien 9 .

5

Eckstein, Freiheit der Person, S. 99. Vgl. auch Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 137; ferner Schneider (Fn. 4), S. 49 ff. 7 BVerfG v. 13.10.1971, BVerfGE 32, 54 (75). 8 Dubischar, Grundbegriffe, S. 91; Kriele, Rechtsgewinnung, S. 84; Larenz, Methodenlehre, S. 200, 219, vgl. ferner auch BVerfG v. 21.5.1952, BVerfGE 1, 299 (312); BVerfG v. 12.11.1958, BVerfGE 10, 234 (244); BVerfG v. 17.5.1960, BVerfGE 11, 126 (130); BVerfG v. 21.5.1968, BVerfGE 24,1 (15); BVerfG v. 19.6.1973, BVerfGE 35, 263 (278). 9 Vgl. hierzu oben Teil I Α. I. 6

9 Hantel

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I. Freiheitsentziehung und die polizeiliche Gewahrsamsnahme nach Art. 104 I I 3 GG

Zunächst bietet sich ein Vergleich des Begriffs der Freiheitsentziehung mit den Regelungen über die Höchstfrist bei einer polizeilichen Gewahrsamsnahme nach Art. 104 I I 3 an 1 0 . Die Dauer eines von der Polizei angeordneten Gewahrsams wird in dieser Vorschrift einer absoluten Höchstfrist unterworfen. Aus dem Zusammenhang mit den ersten beiden Sätzen des Absatzes 2 wird deutlich, daß es sich beim polizeilichen Gewahrsam um eine spezielle Form der Freiheitsentziehung handelt 11 . Diese Maßnahme erfordert, wie der Begriff Gewahrsam bereits zum Ausdruck bringt, einen Eingriff in die Bewegungsfreiheit, bei dem der Betroffene eingesperrt oder eingeschlossen wird 1 2 . Fraglich ist, ob sich hieraus ergibt, daß es sich bei der Freiheitsentziehimg um einen dem polizeilichen Gewahrsam in der äußeren Art und Weise vergleichbaren Eingriff handeln muß. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, worin der Grund für die Spezialvorschrift des Art. 104 I I 3 zu sehen ist. Der Satz 3 soll die Kompetenz der Polizei zur Gewahrsamsnahme von Personen zeitlich begrenzen 13 . Die Vorschrift stellt wie erwähnt keine Privilegierung der Polizei dar. Auch für die Polizei gilt die Verpflichtung zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung nach Art. 104 I I 2 1 4 . Die ratio des Satzes 3 liegt darin, daß aufgrund historischer Erfahrungen mit mißbräuchlichen freiheitsentziehenden Maßnahmen durch die Polizei insbesondere während der NS-Zeit eine zusätzliche verfassungsrechtliche Sicherung geschaffen werden sollte. Damit liegt die besonders regelungsbedürftige Tatsache des Satzes 3 nicht in der Art und Weise des Eingriffs, also in dem zwangsweisen hoheitlichen Gewahrsam, sondern darin, daß der Eingriff von der Polizei vorgenommen wird. Deutlich wird, daß der Polizeigewahrsam nach Satz 3 und die Freiheitsentziehung nach äußeren Merkmalen vergleichbare Maßnahmen sein müssen. Ein systematischer Vergleich beider Begriffe in Art. 104 I I ermöglicht damit den Rückschluß, daß die Freiheitsentziehung eine Form zwangsweiser hoheitlicher Verwahrung erfordert. Π. Freiheitsentziehung und die Festnahme nach Art. 104 Π Ι GG

Im Rahmen des systematischen Aufbaus ist ferner das Verhältnis des Absatzes 2 zu Absatz 3 von Bedeutung. Die vorläufige Festnahme wegen des 10

Vgl. hierzu oben Teil I Α. I. 3.b) aa). Berg / Hein, ASOG, § 18, Anm. A 1; Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 39; Samper / Honnacker, PAG, Art. 16, Erl. 1; Wagner, Polizeirecht, S. 167ff. 12 Vgl. zum Begriff des polizeilichen Gewahrsams oben Teil I I Α. I. 4. 13 Vgl. oben Teü I Α. I. 3.b) aa). 14 Vgl. oben Teil I Α. I. 3.b) bb). 11

Β. Systematische Stellung des Begriffs der Freiheitsentziehung

131

Verdachts einer strafbaren Handlung nach Absatz 3 stellt - wie dargestellt - einen Sonderfall der Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I 1 dar 1 5 , für den besondere Rechtsgarantien bestehen. Diese gegenüber Art. 104 I I spezielleren Rechtsgarantien in Absatz 3 rechtfertigen sich dadurch, daß in der Freiheitsentziehung zum Zwecke der Strafverfolgung ein besonders gravierender staatlicher Vorwurf liegt. Der durch die Freiheitsentziehung zum Ausdruck gebrachte Tatverdacht stellt für den Gewaltunterworfenen einen besonders schweren Eingriff dar. Zu der Freiheitsentziehung kommt das Moment eines von staatlicher Seite erhobenen Verdachts der Begehung einer Straftat. Diese Kombination aus Eingriff und Tatvorwurf erfordert spezielle Rechtsgarantien, wie etwa die zwingende Vorführung vor dem Richter, die über die Rechtsgarantien hinausgehen, die bei sonstigen Freiheitsentziehungen nach Absatz 2 vorgesehen sind 16 . Damit wird deutlich, daß die Besonderheit in Absatz 3 in dem Vorwurf einer Straftat, nicht aber in der Art und Weise des Eingriffs in die Bewegungsfreiheit liegt. Dies bedeutet, daß die vorläufige Festnahme nach Art. 104 I I I und die sonstige Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I vergleichbare Maßnahmen sein müssen, denn die vorläufige Festnahme stellt, wie eingangs erwähnt, eine spezielle Form der Freiheitsentziehimg dar, nämlich eine Freiheitsentziehung wegen des Verdachts einer Straftat. Bei der vorläufigen Festnahme in Art. 104 I I I handelt es sich um eine Maßnahme, die notwendigerweise das Einsperren des Festgenommenen beinhaltet. Das ergibt sich aus dem in Art. 104 I I I 1 genannten Zeitraum „bis spätestens am Tage nach der Festnahme" 17 . Denn es entspricht der ständigen Praxis, daß nach der eigentlichen Festnahme, also dem Ergreifen des Tatverdächtigen und seiner Vernehmung durch die Polizeibeamten, die staatliche Verwahrung des Betroffenen erfolgt. Der nach Art. 104 I I I 1 vorläufig Festgenommene befindet sich daher bis zur Vorführung vor den Richter notwendigerweise in staatlicher Verwahrung. Die vorläufige Festnahme nach Art. 104 I I I umfaßt damit nicht nur den A k t des Ergreif ens, sondern in erster Linie die Gefangenhaltung des Beschuldigten, bis er dem Richter vorgeführt werden kann 1 8 . Berücksichtigt man nun, daß die besondere Intensität des Eingriffs nach Absatz 3 in dem Vorwurf der Begehung einer Straftat liegt, so ergibt sich, daß die Freiheitsentziehung in Absatz 2 sich in Art und Weise von der Festnahme nicht unterscheiden kann. Daraus läßt sich rückschließen, daß mit Freiheitsent15

Vgl. oben Teil I A. III. 1. a). 16 Vgl. oben Teil I Α. I. 4. c). 17 Siehe zum Begriff der Festnahme grundsätzlich Dünkel, Festnahme, S. 9 ff.; Dünnebier in L-R, StPO, § 127, Rdn. 37; Schelling, VA und richterliche Entscheidung, § 90ff.; RG v. 26.2.1925, RGSt. 59, 113 (114). is Siehe hier die §§ 127, 128 StPO. 9'

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Ziehung nur ein Eingriff gemeint sein kann, der der vorläufigen Festnahme nach Art. 104 I I I vergleichbar ist, d.h. eine Form des Einsperrens oder Einschließens voraussetzt. ΙΠ. Der Begriff der Freiheitsentziehung in Art. 104 IV GG

Bestätigt w i r d dieses Ergebnis durch die Vorschrift über die Benachrichtigungspflicht nach Art. 104 IV. Entsprechend den obigen Ausführungen ist von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehimg unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen. Diese Benachrichtigungspflicht soll verhindern, daß die öffentliche Gewalt eine Person spurlos verschwinden läßt 1 9 . Nach Art. 104 IV soll somit ein Dritter vom Staat selbst über den Verbleib des Betroffenen unterrichtet werden 20 . Die Benachrichtigungspflicht kann aber nur dann die geschilderte Funktion haben, wenn der Gewaltunterworfene sich i n hoheitlicher Verwahrimg befindet. Es muß sich somit um eine Maßnahme handeln, bei der die Gefahr des Verschwindens besteht, d. h. die Kontaktaufnahme mit den Angehörigen verhindert werden kann 2 1 . Wird dagegen die Bewegungsfreiheit des Betroffenen nur auf einen bestimmten Ort begrenzt, ohne daß er eingesperrt oder eingeschlossen wird, so entfällt die Gefahr, daß eine Person spurlos verschwinden könnte. Bei einem Hausarrest, einer Aufenthaltsbeschränkung oder der Vorführung könnte die Benachrichtigungspflicht ihren Schutzzweck gar nicht erfüllen. Außerdem wird deutlich, daß der Benachrichtigungspflicht nur dann nachgekommen werden kann, wenn ein Angehöriger oder eine Vertrauensperson Kenntnis vom neuen Aufenthaltsort erhält. Dieser Ort muß aber, wenn die Benachrichtigung überhaupt einen Sinn haben soll, postalisch erfaßbar sein 22 . Auch dadurch wird deutlich, daß die Freiheitsentziehung nur in einer speziellen, eigens hierfür vorgesehenen Einrichtung vollzogen werden kann 2 3 . Art. 104 IV erlaubt damit den Rückschluß, daß es sich bei der Freiheitsentziehung in Art. 104 begrifflich nur um eine Maßnahme handeln kann, die an einem postalisch erfaßbaren Ort vollzogen werden muß und bei dem die potentielle Gefahr des „Verschwindenlassens" einer Person besteht. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn der Betroffene in staatliche Verwahrung genommen, also eingesperrt wird. 19 20 21 22 23

Vgl. oben Teil I Α. I. 5. Vgl. oben Teil I Α. I. 5. Azzola, AK-GG, Art. 104, Rdn. 23. Maaß, NVwZ 1985, 151 (155); a. A. ausdrücklich Mußmann, VB1BW 1986, 52. Maaß (Fn. 22), S. 155.

Β. Systematische Stellung des Begriffs der Freiheitsentziehung

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IV. Der Begriff der Freiheitsentziehung in Art. 115 c I I Nr. 2 GG und Art. 12 Π Ι GG

Zu demselben Ergebnis gelangt man bei einem Vergleich mit anderen Grundrechtsbestimmungen, die den Begriff der Freiheitsentziehung zum Tatbestandsmerkmal haben. Entsprechend den obigen Ausführungen w i r d in Art. 115 c I I Nr. 2 der Begriff Freiheitsentziehung sowohl für Maßnahmen nach Art. 104 I I wie für Maßnahmen nach Art. 104 I I I gebraucht. Die Freiheitsentziehung ist damit nach der Vorstellung des Art. 115 c I I Nr. 2 ein Eingriff, der der Festnahme nach Art. 104 I I I vergleichbar sein muß, mithin eine Form hoheitlicher Verwahrung erfordert. Nach Art. 12 I I I ist eine Zwangsarbeit nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig. Diese Ausnahme vom Verbot der Zwangsarbeit nach Art. 12 I I besteht insbesondere für Straf- und Untersuchungsgefangene bzw. für Personen, die sich in Sicherheitsverwahrung oder in Heil-, Pflege- oder Trinkerheilanstalten befinden 24 . Die Zulässigkeit der Zwangsarbeit nach Art. 12 I I I ergibt aber nur dann einen Sinn, wenn der Betroffene sich in staatlicher Verwahrung befindet, bei der er einer staatlichen Anorplnungsgewalt unterworfen ist, die ihn zur Zwangsarbeit zu verpflichten vermag. Art. 12 I I I kann konsequenterweise mit Freiheitsentziehung nur einen Zustand meinen, bei dem der Betroffene eingesperrt ist. V. Der Begriff der Freiheitsentziehung in weiteren Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person

Auch wenn man den Begriff der Freiheitsentziehung in den oben bereits genannten weiteren Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person berücksichtigt, w i r d deutlich, daß nur eine Form des Einsperrens gemeint sein kann. So werden in Art. 5 I 2 a - f MRK die Fälle einer zulässigen Freiheitsentziehung abschließend aufgezählt. Dabei handelt es sich ausnahmslos um Fälle der Verhaftung oder der Festnahme, d.h. um Maßnahmen, bei denen der Betroffene sich notwendigerweise in hoheitlicher Verwahrung befindet. Ebenso stellt Art. 9 I und IV IPBPR die Freiheitsentziehung in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Festnahme und der Verhaftung. Insbesondere Art. 9 I I IPBPR nennt als Fälle der Freiheitsentziehung ausdrücklich nur die Festnahme oder die Haft. Nach Art. 9 I I VvB wird vorgeschrieben, daß jeder Verhaftete oder Festgenommene binnen 24 Stunden in Kenntnis zu setzen ist, von welcher Stelle 24 So Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG, Art. 12, Rdn. 29; Scholz in Maunz / Dürig, GG, Art. 12, Rdn. 110, 493.

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e u n g des Begriffs der Freiheitsentziehung

und aus welchem Grunde die Entziehung der Freiheit angeordnet wurde. Damit werden auch in dieser Vorschrift als klassische Beispiele der Freiheitsentziehung ausdrücklich die Festnahme und die Haft genannt. VI. Der Begriff der Freiheitsentziehung in sonstigen gesetzlichen Regelungen

Gleiches gilt für die anderen bundesgesetzlichen Vorschriften, in denen der Begriff der Freiheitsentziehung vorkommt, etwa in §§ 48 III, 511, 66 I Nr. 2, I I StGB; § 847 BGB, §§ 17 I, 52 a JGG; §§ 163 c III, 450a I StPO; §§ 22, 49 WDO; § 847 BGB; § 540 RVO. Allen diesen Vorschriften ist gemein, daß sie mit Freiheitsentziehung nur eine Form hoheitlicher Verwahrung meinen 25 . Dies soll im folgenden an den Vorschriften des § 511 StGB und des § 540 RVO dargestellt werden. Nach Art. 511 StGB wird dann, wenn der Verurteilte aus Anlaß einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens war oder ist, Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung erlitten hat, diese auf die Freiheitsstrafe oder Geldstrafe angerechnet. Unter Freiheitsentziehung nach § 511 StGB werden Maßnahmen wie die Auslieferungshaft 26 , die Internierungshaft 27 , der Polizeigewahrsam 28 und die Unterbringung nach § 81a StPO bzw. § 126 a StPO 29 verstanden 30 . Allen diesen Maßnahmen ist gemein, daß sich der Betroffene in hoheitlicher Verwahrung befindet. Gleiches gilt für § 540 RVO, der bestimmt, daß Personen, die während einer aufgrund eines Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung wie ein Versicherter tätig werden, gegen Arbeitsunfall versichert sind. Zu einer solchen Tätigkeit kann es aber nur dann kommen, wenn sich die betroffene Person in staatlicher Verwahrung befindet und dort eine Tätigkeit ausübt. VII. Ergebnis und Konsequenzen der systematischen Interpretation

Die systematische Interpretation des Begriffs der Freiheitsentziehung in Art. 104 I I ergibt, daß hiermit nur ein Eingriff gemeint sein kann, der in seiner äußeren Art und in seinem Umfang den Maßnahmen in Art. 104 I I 3, I I I vergleichbar ist. Dies bedeutet, daß die Freiheitsentziehung eine Form hoheitlicher zwangsweiser Verwahrung einer Person erfordert. Gleiches ergibt sich aus einem Vergleich mit anderen Vorschriften, die den Begriff 25 26 27

477. 28

Vgl. zu § 847 BGB oben Teil I C. II. RG v. 6.10.1905, RGSt. 38, 182 (184); BGH v. 13.6.1968, GA 68, 336. BGH v. 17.9.1953, BGHSt. 4, 325 (326); OGH Frankfurt v. 24.2.1950, NJW 1950,

RG v. 30.9.1935, RGSt. 69, 327; OLG Hamm, JMB1. NRW 1957, 56. 9 BGH v. 17.9.1953, a.a.O., S. 327. 30 Vgl. hierzu auch Dreher / Tröndle, StGB, § 51 Rdn. 3. 2

C. Sinn und Zweck des Art. 104 I I GG

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der Freiheitsentziehung zum Tatbestandsmerkmal haben. Auch hier ergeben die jeweiligen Vorschriften, etwa Art. 12 I I I oder der § 511 StGB bzw. § 540 RVO, nur einen Sinn, wenn der Betroffene sich zwangsweise in hoheitlicher Verwahrung befindet. C. Sinn und Zweck des Art. 104 I I G G

Entscheidend für die Auslegung eines Rechtsbegriffs ist neben dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang auch der Zweck der Regelung, die diesen Begriff zum Tatbestandsmerkmal hat 3 1 . Wie oben bereits dargestellt, besteht der maßgebende Inhalt des Art. 104 I I in dem Grundsatz der vorgängigen Richterentscheidung bei Freiheitsentziehungen 32 . Sinn und Zweck des Richtervorbehalts ist in erster Linie die Gewährung präventiven Rechtsschutzes33. Der Richter soll bei einer Entziehung der Freiheit vorgeschaltet werden, damit die öffentliche Gewalt kein Unrecht begeht 34 . Daraus folgt, daß es sich bei der Freiheitsentziehung nur um einen solchen Eingriff handeln kann, bei dem eine Gewährung präventiven Rechtsschutzes geeignet und erforderlich ist, um den Zweck des Art. 104 I I zu erreichen. I. Die Geeignetheit präventiver Rechtsschutzgewährung

Somit ist zu prüfen, bei welchen Eingriffen in die Freiheit der Person der Zweck des Art. 104 II, also die Gewährung präventiven Rechtsschutzes, überhaupt erreichbar ist. Wie bereits dargestellt, wird der präventive Rechtsschutz in Art. 104 I I durch die Einschaltung des Richters in das Freiheitsentziehungsverfahren bewirkt. Die Einschaltung des Richters erfolgt in Art. 104 I I in zwei unterschiedlichen Verfahrensstufen, entweder vor Vollzug der Freiheitsentziehung (Satz 1) oder während des Vollzugs der Freiheitsentziehung (Satz 2). Eine Zweckerreichung ist ohne Frage immer dann möglich, wenn der Richter vor dem Vollzug der Maßnahme die Freiheitsentziehung, wie dies Art. 104 I I 1 vorsieht, selbst anordnen kann. Nun ent31 BVerfG v. 21.5.1952, BVerfGE 1, 299 (312); BVerfG v. 12.11.1958, BVerfGE 8, 274 (307); BVerfG v. 17.5.1960, BVerfGE 11, 126 (130); BVerfG v. 19.12.1961, BVerfGE 13, 261 (268); zuletzt BVerfG v. 16.12.1981, BVerfGE 59,128 (153); vgl. auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 22; Graf, Grenzen der Freiheitsrechte, S. 17; Larenz, Methodenlehre, S. 209; Sachs, DVB1. 1984, 73 (75). 32 BVerfG v. 10.2.1960, BVerfGE 10, 302 (321); BGH v. 17.12.1981, BGHZ 82, 261 (263); Bettermann, GR III/2, S. 879; Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 34; Holtkotten, BK, Art. 104, Erl. C 2; Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Rdn. 9; LangHinrichs, JR 1959, 321. 33 BVerfG v. 10.2.1960, BVerfGE 10, 302 (323); BVerwG v. 6.12.1956, BVerwGE 4, 196 (199); Bachof, DÖV 1952, 395; Bettermann, GR III/2, S. 880; Dürig i n Maunz/ Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 25; Kern, GR II, S. 95; Kunig in v. Münch, GG, Art. 104, Anm. 10; Hampel, FamRZ 1963, 547; Lorenz, Rechtsschutz des Bürgers und Rechtsweggarantie, S. 142, 143; Maurer, FamRZ 1960, 473. 34 Bettermann (Fn. 33), S. 879; vgl. oben Teil I Α. I. 3.

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spricht es aber, wie bereits angesprochen wurde, bei alltäglichen Zwangsmaßnahmen der Vollzugspolizei, die einen großen Teil der Eingriffe in die persönliche Freiheit ausmachen, der gängigen Praxis, daß zunächst die jeweiligen Polizeibeamten diese Maßnahmen anordnen müssen 35 . Hier kommt in Anbetracht der Eilbedürftigkeit, die sich bei diesen Eingriffen ergibt, eine vorgängige Richterentscheidung nach Satz 1 in der Regel nicht in Betracht. Dies bedeutet, daß für die gängigen polizeilichen Eingriffe wie dem Festhalten im Rahmen einer Personendurchsuchung oder einer Razzia 3 6 , dem zwangsweisen Transport einer Person, etwa bei der Vorführung oder der Sistierung, wegen der Eilbedürftigkeit der Grundsatz der vorgängigen Richterentscheidung keine Anwendung finden kann. Sieht man nun solche Eingriffe als Freiheitsentziehung an, so käme nur das Verfahren nach Art. 104 I I 2 in Betracht, da, wie oben bereits ausgeführt wurde, auch die Polizei verpflichtet ist, nach Art. 104 I I 2 unverzüglich den Richter anzurufen. Eine solche Verpflichtung der Polizei zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung über die Fortdauer des Eingriffs hätte aber zur Folge, daß diese Entscheidung in aller Regel erst nach Erledigung des Eingriffs und damit nach Wegfall der Beschwerde ergehen würde 3 7 . Denn es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, daß sich solche relativ kurzen polizeilichen Eingriffe aufgrund ihres vorläufigen Charakters erledigt haben, bevor ein Richter mit der Sache befaßt wäre. Es w i r d somit deutlich, daß bei einer Vielzahl polizeilicher Eingriffe in die persönliche Freiheit weder das Verfahren nach Art. 104 I I 1 (vorheriger richterlicher Anordnung) noch das Verfahren nach Art. 104 I I 2, 3 (imverzügliche Anrufung des Richters) Anwendung finden kann. Eine Ausnahme besteht dagegen nur im Falle des Polizeigewahrsams 38 . Aufgrund der potentiellen Dauer dieses Eingriffs ist die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung grundsätzlich noch vor der Erledigung der Maßnahme möglich, wobei dies im Einzelfall von den in der Polizei- und Justizverwaltung vorhandenen Organisationsstrukturen abhängt 39 . Allerdings ist die Möglichkeit der Gewährung präventiven Rechtsschutzes auch bei sonstigen kurzfristigen 35 So Benfer, Die Polizei 1978, 249; Sigrist, Die Polizei 1978, 65; vgl. oben Teil I Α. I. 3. b) aa). 36 Zwar ist bei einer Razzia vorhersehbar, daß es zu Zwangsmaßnahmen kommen wird, doch sind die betroffenen Personen unbekannt. Eine Blankettanordnung des Richters ohne Kenntnis der Identität des Betroffenen kann aber mit Art. 104 I I 1 nicht bezweckt sein, siehe auch VGH Kassel v. 11.7.1983, NJW 1984, 821 (822). 37 Vgl. zur Frage der Notwendigkeit einer richterlichen Entscheidung nach Erledigung des Eingriffs unten Teil IV Α. II. 2. 38 Wie bereits erwähnt, soll unter Polizeigewahrsam nur die Ingewahrsamnahme einer Person in einer besonderen Gewahrsamseinrichtung verstanden werden; vgl. Greiner, Die Polizei 70 (1979), S. 93; Maaß, NVwZ 1985, 154; vgl. oben Teil I I Α. I. 4. 39 Vgl. zu der Frage der Verpflichtung zur Einrichtung eines Richterbereitschaftsdienstes Franz, DRiZ 1965, 157; ders. in NJW 1966, 240; nach dem Urteil des BVerwG v. 26.2.1974, BVerwGE 45, 51, 64 (sog. Dutschke-Urteil) ergibt sich aus Art. 104 I I keine Verpflichtung zur Einrichtung eines Richterbereitschaftsdienstes.

C. Sinn und Zweck des Art. 104 I I GG

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Polizeimaßnahmen nicht schlechthin ausgeschlossen. So ist etwa bei der Vorführung oder der zwangsweisen Durchführung einer Abschiebung oder Auslieferung eine richterliche Anordnimg und damit die Gewährung präventiven Rechtsschutzes grundsätzlich möglich. Voraussetzung ist lediglich, daß der zuständigen Behörde rechtzeitig vorher der Ort und der Zeitpunkt der Maßnahme bekannt ist 4 0 . In einem solchen, in der Praxis häufig vorkommenden Fall ist es der Behörde ohne Schwierigkeiten möglich, rechtzeitig beim Richter einen Antrag auf Entscheidung nach Art. 104 I I 1 zu stellen. Somit vermag der Gesichtspunkt der fehlenden Geeignetheit bei kurzfristigen Maßnahmen eine abstrakte Bestimmung des Begriffs der Freiheitsentziehung nicht zu ermöglichen. Lediglich bei polizeilichen Standardmaßnahmen mag im Einzelfall aus diesem Grund ein Verzicht auf die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung gerechtfertigt sein 41 . Π. Die Erforderlichkeit präventiver Rechtsschutzgewährung

Bei der Bestimmung des Begriffs der Freiheitsentziehung ist schließlich von der Erkenntnis auszugehen, daß der Verfassungsgeber lediglich bei dem Grundrechtseingriff der Freiheitsentziehung die geschilderten weitgehenden Rechtsgarantien vorgesehen hat 4 2 . Hierin kommt, wie bereits dargestellt, der besondere Wert zum Ausdruck, den das Grundgesetz der Freiheit der Person zumißt. Der Richtervorbehalt stellt mithin eine Kompensation für einen besonders schweren Eingriff in die Freiheit der Person dar. Es ist somit davon auszugehen, daß eine Freiheitsentziehung nur dann vorliegt, wenn die Gewährung präventiven Rechtsschutzes überhaupt erforderlich ist. Die Beantwortung der Frage, wann dies der Fall ist, hängt von der Intensität des Eingriffs in die Freiheit der Person ab 4 3 . Dabei läßt sich der Grad der Intensität des Eingriffs nur aufgrund einer wertenden Entscheidung bestimmen. Nur im Einzelfall kann nach den Grundsätzen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit unterschieden werden, ob die Anordnung eines Eingriffs grundsätzlich dem Richter oder der Verwaltung vorbehalten bleiben soll 44 . Grundsätzlich hängt die Intensität eines Eingriffs von der Betroffenheit des jeweiligen Rechtsguts ab. Bevor Kriterien aufgezeigt werden sollen, die für die Intensität eines Eingriffs in die Freiheit der Person bestimmend sind, 40 Vgl. insbesondere den Sachverhalt des Vorlagebeschlusses des K G v. 10.2.1981, OLGZ 1981, 285 und die Entscheidung des BGH v. 17.12.1981, BGHZ 82, 261. 41 Vgl. unten Teil IV Α. II. 2. 42 Vgl. oben Teil I Α. I. 3. 43 BVerfG v. 10.2.1960, a.a.O.; BVerwG v. 23.6.1982, BVerwGE 62, 325 (327); BayOLGZ v. 16.10.1956, E 56, 353 (357); Bettermann, GR III/2, S. 881; Dürig i n Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 5; Hamann, GG, Art. 104, Erl. Β 1; Holtkotten, BK, Art. 104, Anm. H C l ; Kern, GR II, S. 71; Saage, FEVG, § 2 Rdn. 1; ders.; JR 1956, 282. 44 Vgl. auch Triffterer / Binner, EuGRZ 1977, 136 (140).

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e u n g des Begriffs der Freiheitsentziehung

ist zu klären, worin der besondere Wert des Rechtsguts der Freiheit der Person besteht. Erst nach Klärung dieses Punktes ist es möglich, Kriterien herauszuarbeiten, die für die Intensität des einzelnen Eingriffs Bedeutung haben können. 1. Die Bewegungsfreiheit für die Ausübung

als notwendige aller

Basis

Grundrechte

Der besondere Wert der persönlichen Freiheit besteht für jeden Menschen darin, daß ihr Vorhandensein die notwendige Grundlage für jedes selbstverantwortliche Handeln bildet 4 5 . Die persönliche Freiheit ist die existentielle Bedingung menschlicher Würde und Sicherheit 46 . Das Grundrecht der Freiheit der Person soll dem Grundrechtsträger nicht nur die Bewegungsfreiheit sichern, sondern ihm auch die Grundlage für die Ausübung der meisten anderen Grundrechte schaffen. Wird dem Menschen diese Freiheit entzogen, so w i r d nicht nur in sein Grundrecht aus Art. 2 I I 2, 104 eingegriffen, sondern es w i r d ihm auch die Basis für die Ausübung anderer Grundrechte entzogen. Denn die uneingeschränkte Ausübung aller wesentlichen Grundrechte, etwa Art. 4, 5, 8, 9,11, 12 GG, basiert auf der uneingeschränkten körperlichen Bewegungsfreiheit 4 7 . Aber auch andere Grundrechte, die nicht notwendigerweise auf der Bewegungsfreiheit aufbauen, etwa Art. 14, werden durch einen Eingriff in die persönliche Freiheit tangiert 48 . Dies bedeutet, daß je intensiver der Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit erfolgt, je intensiver also die Fortbewegungsfreiheit beschränkt wird, desto weitgehender ist dem Betroffenen auch eine Ausübung anderer Grundrechte verwehrt. Darin unterscheidet sich der Eingriff in die persönliche Freiheit grundsätzlich von anderen, nicht die Fortbewegungsfreiheit beschränkenden Grundrechtseingriffen. Somit ist festzustellen, daß Eingriffe in die persönliche Freiheit weit eher als andere Grundrechtseingriffe geeignet sind, die gesamten Lebensumstände einer Person nachteilig zu beeinflussen. 2. Kriterien

für die Intensität

eines Eingriffs

Die Intensität eines Eingriffs in die persönliche Freiheit hängt somit davon ab, inwieweit durch die Maßnahme in bestehende Lebensumstände 4 5 Vgl. auch BVerfG v. 15.12.1965, BVerfGE 19, 342 (349); BVerfG v. 30.5.1973, BVerfGE 35, 190 = Die Freiheit der Person ist die Basis der allgemeinen Rechtsstellung und der Entfaltungsmöglichkeit des Bürgers. 46 Eb. Schmidt, Justitia, fundamentum regnum, S. 95; Trechsel, MRK, S. 175. 47 Etwa die Teilnahme an bestimmten religiösen Veranstaltungen, an Demonstrationen oder die Mitgliedschaft in Vereinen oder Koalitionen oder die Berufsausbildung. 48 Vgl. hierzu auch Calliess / Müller-Dietz, StrVollzG, §4, Rdn. 15; Voigt, Geschichte der Grundrechte, S. 157; Kriele, Festschrift für H.U. Scupin, S. 204.

C. Sinn und Zweck des Art. 104 I I GG

139

eingegriffen und dadurch die Grundrechtsausübung des Betroffenen beschränkt wird. Bei der Bewertung, wie intensiv die bestehenden Lebensverhältnisse eingeschränkt wurden, sind in erster Linie Kriterien wie der räumliche Umfang, das Mittel, die Dauer, Art und Umfang, aber auch die diskriminierende Wirkimg des Eingriffs von besonderer Bedeutung. Denn jeder dieser Gesichtspunkte stellt für sich einen Maßstab dar, der für die Intensität, mit der in die konkreten Lebensumstände der betroffenen Person eingegriffen wird, von Bedeutung ist 4 9 . a) Der räumliche Umfang der Beschränkung der persönlichen Freiheit So macht es für die Beurteilung der Intensität eines Eingriffs einen wesentlichen Unterschied, ob jemand lediglich am Aufsuchen eines Ortes oder ob er auch am Verlassen eines Ortes gehindert wird 5 0 . Als Beispiele für das hoheitliche Verbot, einen bestimmten Ort aufzusuchen, können etwa Einzelanordnungen im Rahmen eines polizeilichen Platzverweises 51 , ein richterliches Aufenthaltsverbot im Rahmen einer Weisung während der Bewährungszeit nach § 56 c I I Nr. 1 StGB oder das gesetzliche Verbot für Jugendliche nach §§2,4 Jugendschutzgesetz eine Gaststätte oder Tanzveranstaltung aufzusuchen, genannt werden 52 . Als wesentlich intensivere Eingriffe sind dagegen die Maßnahmen zu nennen, bei denen die Bewegungsfreiheit des Betroffenen allumfassend eingeschränkt wird, etwa bei der Festnahme, der Verhaftung oder der zwangsweisen Anstaltsunterbringung 53 . Von Bedeutung für die Intensität eines Eingriffs ist damit, ob die Bewegungsfreiheit nur partiell oder ob sie allumfassend eingeschränkt wird. Aber auch wenn die Bewegungsfreiheit allumfassend eingeschränkt wird, ergeben sich bei den einzelnen Maßnahmen erhebliche Intensitätsunterschiede, je nachdem, wie groß der zur Fortbewegung verbleibende Raum ist. So ist es ohne Frage von Bedeutung, ob der verbleibende Raum auf eine Einzelzelle, einen Anstaltstrakt, ein Anstaltsgebäude, ein Anstaltsgelände oder nur auf einen Stadt- oder Gemeindeteil beschränkt ist.

49

Vgl. auch EGMR v. 8.6.1976, EuGRZ 1976, 221 (224); EGMR v. 6.11.1980, EuGRZ 1983, 633 (638). 50 Vgl. hierzu u.a. Dürig i n Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 12; Koschwitz, Kurzfristige Freiheitsentziehung, S. 30 ff. si Etwa nach Art. 15 PAG vom 24.8.1978 (GVB1. S. 561); § 14 Brem. PolG v. 21.3.1983 (GBl. S. 141, 301); § 15 Nds. SOG v. 31.3.1978 (GVB1. 279), siehe zum Platzverweis auch Samper, PAG, Art. 15, Anm. 1. s2 Dürig in Maunz / Dürig, Art. 104, Rdn. 12; Ehrl, NZWehrr. 1972, 16 (19). 53 Z.B. nach § 126a StPO; siehe zur Unterbringung nach Landesrecht Teil I I Β.II. 2.

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e u n g des Begriffs der Freiheitsentziehung

b) Das Mittel zur Beschränkung der persönlichen Freiheit Ein weiteres Kriterium, das für die Intensität eines Eingriffs bestimmend ist, stellt das Mittel dar, mit dem die Bewegungsfreiheit beschränkt wird 5 4 . Wie bereits dargestellt 55 , kann dabei zwischen der Ausübung physischen und der Ausübung psychischen Zwangs unterschieden werden. Das Einsperren einer Person in einen abgeschlossenen Raum, etwa bei der Strafoder Untersuchungshaft oder beim Polizeigewahrsam, bewirkt eine Beschränkung durch die Anwendung unmittelbaren physischen Zwangs. Gleiches gilt für die Unterbringimg einer Person in einer geschlossenen Anstalt, etwa nach den Landesunterbringungsgesetzen 56 oder nach § 37 I BSeuchenG. Ebenso wird die Bewegungsfreiheit des Betroffenen bei polizeilichen Standardmaßnahmen durch physischen Zwang, nämlich durch das Festhalten der Person, eingeschränkt. Weniger intensiv wird dagegen in konkrete Lebensumstände eingegriffen, wenn lediglich psychischer Zwang ausgeübt wird 5 7 . Allerdings muß hierbei unterschieden werden, ob die Anwendung physischen Zwangs unmittelbar droht, etwa wenn der Betroffene freiwillig neben dem Polizeibeamten zur Dienststelle geht, oder ob lediglich eine Strafe bzw. eine sonstige Sanktion, die erst später vollstreckt werden kann, angedroht wird 5 8 . Denn nur im zweiten Fall kann von einem qualitativ weniger intensiven Eingriff gesprochen werden 59 , während es im ersten Beispiel keinen wesentlichen Unterschied macht, ob durch physischen Zwang die aktuelle Willensbetätigung oder durch die unmittelbar drohende Zwangsanwendung die Freiheit der Willensentschließung beschränkt wird 6 0 .

54 Vgl. hierzu Dürig in Maunz / Dürig, Art. 104, Rdn. 6; Kern, GR II, S. 70, 72; Koschwitz, Kurzfristige Freiheitsentziehung, S. 32ff.; Reichard, FEVG, S. 32ff.; Saage / Göppinger, Freiheitsentziehung und Unterbringung, § 2 FEVG, Rdn. 6; OLG Hamm v. 10.2.1953, NJW 1953, 798; BayVGH v. 6.8.1954, DVB1. 1954, 810 (811). ss Vgl. oben Teil I I Α. VI. 56 Ausdrücklich erwähnen nur § 9 I 1 Hmb. PsychKG, § 1 1 Hess. FEG, § 10 I Nds. PsychKG und § 10 I I NW PsychKG die Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt, wobei aber die Unterbringung zur Gefahrenabwehr grundsätzlich in einer geschlossenen Anstalt erfolgt, ohne daß dies ausdrücklich hervorgehoben wird. Vgl. § 3 I Bad.Württ. UnterbrG; Art. 11 Bay. UnterbrG; § 8 I Bln. PsychKG; § 111 Brem. PsychKG; §§9,10 Hmb. PsychKG; § 11 Hess. FEG; § 12 I Nds. PsychKG; § 10 NW PsychKG; § 1 I Rh.-Pf. UnterbrG; § 11 Saarl. UnterbrG; § 8 Schl.-Holst. PsychKG. 57 Vgl. die Beispielsfälle Teil I I Α. VI. 58 Vgl. hierzu Koschwitz, Kurzfristige Freiheitsentziehung, S. 32; Trechsel, MRK, S. 184. 59 Vgl. hierzu auch Schelling, VA und richterliche Entscheidung, S. 12. 60 Vgl. die im Strafrecht zum Gewaltbegriff bekannten unterschiedlichen Erscheinungsformen der „vis absoluta" (Unmöglichkeit der Willensbetätigung) und der „vis compulsiva" (Beschränkung der freien Willensentschließung); BGH v. 4.3.1964, BGHSt 19, 263 (266); BGH v. 8.8.1969, BGHSt. 23, 46 (49); siehe ferner Blei, Strafrecht II, S. 71; Wessels, Strafrecht, BT I, S. 43.

C. Sinn und Zweck des Art. 104 I I GG

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c) Die Dauer der Beschränkung der persönlichen Freiheit Ein weiteres Kriterium für die Intensität eines Eingriffs ist die Dauer der Beschränkung der persönlichen Freiheit 61 . So besteht ein wesentlicher Unterschied, ob jemand zur Identitätsfeststellung zwangsweise zum nächsten Polizeiabschnitt gebracht und dort bis zur Feststellung seiner Identität festgehalten wird, u.U. vorübergehend oder bis zum nächsten Morgen in eine Polizeizelle eingesperrt wird, oder ob jemand für ein Jahr in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen oder zu 10 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wird. Grundsätzlich beschränken kurzfristige Maßnahmen wie etwa die Sistierung oder Vorführung den Betroffenen weit weniger intensiv als länger andauernde Inhaftierungen oder Freiheitsstrafen. Daß der Dauer eines Eingriffs bereits von Verfassungs wegen Bedeutung zukommt, wird an Art. 104 I I 3 deutlich. Nach dieser Vorschrift darf die Polizei aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Eingreifen in eigenem Gewahrsam halten. Damit hat der Grundgesetzgeber den allein durch die Polizei angeordneten Polizeigewahrsam einer absoluten zeitlichen Höchstgrenze unterworfen. Dies hat zur Folge, daß ein Überschreiten dieser Frist zur absoluten Rechtswidrigkeit des Polizeigewahrsams führt 6 2 , wenn nicht vorher ein Richter die Fortdauer des Eingriffs angeordnet hat. Durch die zwingende Kompetenzverlagerung auf den Richter w i r d somit deutlich, daß bereits nach dem Grundgesetz die Dauer einer Beeinträchtigimg für ihre Intensität von wesentlicher Bedeutung ist 6 3 . So enthalten eine Vielzahl von Gesetzen bei Eingriffen in die persönliche Freiheit ausdrückliche Bestimmungen über die Höchstdauer eines solchen Eingriffs 64 , wobei sich die Festlegung einer solchen Höchstfrist bei Freiheitsstrafen bereits zwingend aus Art. 103 I I ergibt 65 . d) Art und Umfang der hoheitlichen Überwachung Neben den genannten Kriterien kann noch der Gesichtspunkt der Art und des Umfangs der Überwachung einer Person für die Intensität des Eingriffs 61

Vgl. Drews / Wacke / Martens, Gefahrenabwehr, S. 81; Götz, Allg. Polizei- und Ordnungsrecht, S. 154; Koschwitz, Kurzfristige Freiheitsentziehung, S. 36 ff. 62 Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 104, Rdn. 41; Kaufmann, Polizeilicher Eingriff, S. 264. 63 Dies bedeutet allerdings nicht, daß Maßnahmen, die die in Art. 104 I I 3 genannte Frist unterschreiten, keine Freiheitsentziehung darstellen. Denn aus der Systematik des Art. 104 I I wird deutlich, daß die i n Art. 104 I I 2, 3 durch die Exekutive angeordneten Eingriffe auch Freiheitsentziehungen darstellen, bei denen unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen ist. Vgl. hierzu oben Teil I Α. 1.3.b) aa). 64 Vgl. u.a. § 38 I I StGB, §§ 16 IV, 18 IJGG, §§ 890, 901, 913 ZPO; § 23 WDO; § 16 I I VwGO; § 16 Β c I I I StPO, § 22 I I I 3 b Bad.-Württ. PolG; § 11 I I Nds. SOG; § 16 I I NW PolG; siehe auch die Regelungen über eine einstweilige Unterbringung etwa in § 18 IV Bad.-Württ. UnterbrG; § 15 I Beri. UnterbrG; § 8 I Hess. FEG. 65 Dürig in Maunz / Dürig, GG, Art. 103 II, Rdn. 108.

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von Bedeutung sein. Im Vordergrund steht dabei die Frage, wie weit die Beziehungen des Betroffenen zur Außenwelt Beschränkungen unterworfen sind 66 . Zu nennen sind hier Beschränkungen im Besuchs-, Post- und sonstigen Informationsverkehr. So ist der Betroffene, der in einer Anstalt eingesperrt bzw. untergebracht ist, i. d. R. einer Anstaltsordnung unterworfen, die seinen Kontakt zur Außenwelt im Interesse des Unterbringungszwecks oder der Aufrechterhaltung der Ordnung reglementiert. Je strenger eine solche Reglementierung ist, desto intensiver wird in die bestehenden Lebensverhältnisse des Betroffenen eingegriffen. e) Diskriminierende Wirkimg des Eingriffs Ein weiteres Kriterium für die Intensität eines Eingriffs ist seine diskriminierende Wirkung für den Betroffenen. Dieser Gesichtspunkt betrifft nicht die Auswirkungen des Eingriffs auf die äußeren Lebensumstände, sondern auf den Ruf und das Ansehen des Betroffenen. So sind gerade die Eingriffe in die Bewegungsfreiheit mit dem Stigma der Bestrafung und damit auch der Diskriminierung verbunden 67 . Dies gilt insbesondere dann, wenn der Betroffene eingesperrt ist. Eine solche Maßnahme w i r d der Gewaltunterworfene i. d. R. als Strafe empfinden, selbst wenn der Eingriff gar nicht zu Strafzwecken erfolgt ist. Diskriminierenden Charakter haben solche Maßnahmen, bei denen der Kontakt zur Außenwelt wesentlich eingeschränkt w i r d und bei denen sich der Betroffene einer Anstaltsordnung unterwerfen muß. Mithin ist für die Beurteilung der Intensität eines Eingriffs auch seine diskriminierende Wirkung entscheidend. Die diskriminierende Wirkung von hoheitlicher Freiheitsbeschränkung w i r d auch dadurch deutlich, daß bei bestimmten rechtswidrigen Eingriffen in die persönliche Freiheit dem Betroffenen eine billige Entschädigung zu zahlen ist 6 8 . f) Der Zweck des Eingriffs Wie oben bereits dargestellt 69 , wird von einigen Autoren 7 0 auf den Zweck des Eingriffs als das eigentliche Kriterium zur Abgrenzung der Freiheitsentziehung abgestellt. Demgegenüber ist jedoch festzustellen, daß der Zweck, also die Finalität des staatlichen Handelns, für die tatsächliche Beschränkung bestehender Lebensumstände ohne Bedeutung ist. Denn entscheidend 66 Vgl. Trechsel, MRK, S. 182. 67 Schelling, VA und richterliche Entscheidung, S. 9. 68 Art. 5 I I I MRK, §§ 839, 847 BGB, Art. 34. 69 Vgl. Teil I I D. III. 70 Vgl. insbesondere Baerensprung, Freiheit der Person, S. 118, 119; Enzian, JR 1975, 280; Hoffmann, DVB1. 1970, 473; Sigrist, Die Polizei 1978, 66; siehe auch die ständige Rechtsprechung des Österreichischen VfGH oben Teil I I C. III. 2. a).

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für die Intensität des Eingriffs ist primär dessen Erfolg. Dieser wird aber durch die genannten Merkmale des räumlichen Umfangs, des Mittels, der Dauer und des Umfangs der staatlichen Überwachung bestimmt 71 . Allerdings kann das Kriterium des Zwecks bei Berücksichtigung der diskriminierenden Wirkung des Eingriffs von Bedeutung sein. Denn es ist für den Gewaltunterworfenen weitaus diskriminierender, wegen des Verdachts einer Straftat oder bei Soldaten wegen eines Dienstvergehens, als wegen einer medizinischen oder sonstigen polizeilichen Vorbeugemaßnahme in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt zu werden. Damit kann der Zweck eines Eingriffs in die Bewegungsfreiheit allein unter dem Gesichtspunkt der diskriminierenden Wirkung für die Intensität des Eingriffs von Bedeutung sein. ΙΠ. Ergebnis und Konsequenzen der teleologischen Interpretation

Somit ergibt die teleologische Interpretation, daß die Bestimmung des Begriffs der Freiheitsentziehung von den Umständen des konkreten Einzelfalls abhängt. Dabei sind die genannten Kriterien zu berücksichtigen, die für die Intensität eines Eingriffs in die Bewegungsfreiheit bestimmend sind. Bei Berücksichtigung dieser Kriterien ist festzustellen, daß eine Freiheitsentziehung grundsätzlich immer dann vorliegt, wenn der Betroffene in einem bestimmten Haft- oder Verwahrungsraum bzw. einer Haft- oder Verwahrungsanstalt eingesperrt bzw. eingeschlossen ist. Sowohl der räumliche Umfang der Beschränkung der Bewegungsfreiheit wie auch die Ausübung des unmittelbaren physischen Zwangs durch das „Eingesperrtsein" bewirken eine besonders intensive Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit. Nur im Fall einer solchen hoheitlichen Verwahrung, sei es in der Straf- oder U-Haft, in der Auslieferungs- oder Abschiebehaft, in der zwangsweisen Unterbringung oder im Polizeigewahrsam 72 , ist auch die Ausübung anderer Grundrechte mehr oder minder intensiv beeinträchtigt. Bei diesen Maßnahmen ist dem Betroffenen nicht nur die unbegrenzte Ausübung seiner Fortbewegungsfreiheit genommen, sondern er unterliegt darüber hinaus auch bestimmten, den Unterbringungszwecken und der Anstaltsordnung dienenden Einschränkungen, die eine unbeschränkte Ausübung seiner Grundrechte unmöglich macht 73 . Zudem hat eine solche hoheitliche Verwahrung für die betroffene Person in aller Regel diskriminierenden Charakter, denn, wie erwähnt, ist ein „Eingesperrtsein" aus der Sicht des Gewaltunterworfenen häufig auch mit dem Stigma der Bestrafung verbunden. 71

Vgl. auch Kopetzki in Ermacora / Nowak / Tretter, MRK, S. 293. Siehe den Sachverhalt zum sog. Dutschke-Urteil des BVerwG v. 26.2.1974, BVerwGE 45, 51, bei dem der Polizeigewahrsam die Ausübung des Demonstrationsrechts verhinderte. 73 Siehe den Beschluß des BVerfG v. 14.3.1972, BVerfGE 33, 1, wonach auch bei Grundrechtsbeeinträchtigungen von Strafgefangenen der allgemeine Gesetzesvorbehalt gilt. 72

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e u n g des Begriffs der Freiheitsentziehung

Somit liegt nur im Falle der hoheitlichen Verwahrung aufgrund der genannten Kriterien ein Eingriff vor, der bei wertender Betrachtung grundsätzlich die Anordnung durch den Richter gebietet. Ob darüber hinaus auch bei anderen weniger intensiven Eingriffen eine Freiheitsentziehung anzunehmen ist, hängt von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab und kann allgemeinverbindlich nicht beantwortet werden. Hier w i r d unter Berücksichtigung der obengenannten Kriterien zu prüfen sein, ob durch die Maßnahme in die Lebensumstände des Betroffenen ähnlich intensiv eingegriffen wird, wie dies bei einer hoheitlichen Verwahrung der Fall ist. Nach alledem ist aus dem Sinn des Richtervorbehalts für die Freiheitsentziehung nach Art. 104 I I zu folgern: Die Freiheitsentziehung ist die hoheitliche Verwahrung einer Person gegen ihren Willen und ein anderer Eingriff vergleichbarer Intensität. Die vergleichbare Intensität des Eingriffs ist in wertender Beurteilung anhand der bezeichneten Kriterien zu bestimmen.

D . Zusammenhang des Art. 104 G G mit früheren Regelungen zum Schutz der Freiheit der Person

Zur Bestimmung eines Rechtsbegriffs ist die historische Entwicklung dieses Begriffs und der Regelung, in der dieser enthalten ist, eine weitere wichtige Erkenntnisquelle 74 . Es sind damit die Regelungen über den Schutz der Freiheit der Person in den dem Grundgesetz vorangegangenen deutschen und, soweit sie die deutsche Verfassungsentwicklung beeinflußt haben, auch europäische Verfassungen zu untersuchen, ob sie Aufschluß über die Bestimmung des Begriffs der Freiheitsentziehung geben können. I. Anfänge der Verfassungsentwicklung außerhalb Deutschlands

Gesetzliche Absicherungen zum Schutz der Freiheit der Person lassen sich in England bis auf die Magna Charta Libertatum von 1215 zurückverfolgen 75 . Gleichwohl ist die sicherlich bedeutsamste Vorschrift zum Schutz vor willkürlichen Verhaftungen die vom englischen Parlament 1679 durchgesetzte Habeas-Corpus-Akte 76 . Das „ w r i t of habeas corpus" gewährt von 74 Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 42; Stein, Staatsrecht, S. 8; Stern, Staatsrecht I, S. 34; siehe auch BVerfG v. 17.5.1960, BVerfGE 11, 126 (129, 130); BVerfG v. 13.10.1971, E 32, 54 (69ff.); BVerfG v. 25.5.1977, E 45, 1 (58); BVerfG v. 27.4.1982, E 60, 319 (325). 75 Gneist, Englische Verfassungsgeschichte, S. 240, 247; Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte, S. 22; Jellinek, Menschen- und Bürgerrechte, S. 59; Eckhardt, Grundrechte, S. 8; Eckstein, Freiheit der Person, S. 7; Franz, Staatsverfassungen, S. 495; Riedel, EuGRZ 1980, 192 (193); Kriele, Festschrift für H. U. Scupin, S. 205. 76 Gneist (Fn. 75), S. 604; Hatscheck (Fn. 75), S. 509; Eckstein (Fn. 75), S. 8; Riedel (Fn. 75).

D. Zusammenhang des Art. 104 GG mit früheren Regelungen

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Rechts wegen und nicht als Gnade bestimmte Verfahrensgarantien bei Verhaftungen. Der Habeas Corpus richtet sich an den Gefängnisdirektor, in dessen Haftanstalt sich die betreffende Person befindet, und verlangt die sofortige gerichtliche Vorführung des Häftlings zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haft 7 7 . Riedel 78 skizziert die Voraussetzungen des Habeas Corpus unter Berufung auf Blackstone wie folgt: „Der Befehl richtet sich an jemanden, der einen anderen festgenommen hat, und gebietet, daß die verhaftete Person dem Gericht vorzuführen ist und daß ferner der Tag der Verhaftimg sowie der Grund der Festnahme und Inhaftierung angegeben wird, damit der den Befehl erlassende Richter oder das Gericht alle notwendigen Schritte in die Richtung unternehmen kann, ad faciendum, subjiciendum et recipiendum". Der Habeas Corpus Act von 1679 wurde zum entscheidenden Vorbild für alle folgenden gesetzlichen Regelungen zum Schutz der persönlichen Freiheit. Insbesondere die Verfassungen und Menschenrechtserklärungen der nordamerikanischen Staaten und der Union 7 9 wie auch die bedeutenden kontinental-europäischen Verfassungen haben die Rechtsgarantien des Habeas Corpus Acts in ihre Regelungen zum Schutz der persönlichen Freiheit übernommen, sie ζ. T. ergänzt bzw. erweitert 80 . So enthielt der am 11. Juli 1789 von Lafayette in die französische Nationalversammlung eingebrachte Antrag auf Aufnahme einer Erklärung von allgemeinen Menschenrechten eingehende Regelungen zum Schutz der persönlichen Freiheit. Diese]? als „Déclaration des droits de l'homme et du citoyen" am 26. August 1789 erlassene Menschenrechtskatalog wurde unverändert der französischen Verfassimg vom 3. September 1791 als Menschenrechtserklärung vorangestellt 81 . Nach Art. 7 dieser Menschenrechtserklärung konnte jeder nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen und in den Formen, die es vorschreibt, angeklagt, verhaftet und gefangengehalten werden 82 . Eine gleiche Regelung enthielt der Art. 10 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 24. Juni 1793 83 . Dagegen verzichtete die französische Konsularverfassung von 1799 gänzlich auf die Erklärung von Menschenrechten 84 . Einen Katalog verfassungsmäßig verbriefter Grundrechte enthielt dann wieder die Charte 77

Hatscheck (Fn. 75), S. 508, 509; Riedel, EuGRZ 1980, 192. Riedel (Fn. 75); ders. in Kontrolle der Verwaltung im englischen Rechtssystem, S. 58-61. 79 Vgl. zur Verfassungsentwicklung in Nordamerika insbesondere Jellinek (Fn. 75), S. 11 f f.; ferner Eckhardt (Fn. 75), S. lOff.; Kriele (Fn. 75), S. 206ff. so Jellinek (Fn. 75), S. 7; Eckhardt (Fn. 75), S. 10; Eckstein (Fn. 75), S. 9; Kriele (Fn. 75), S. 206ff. 81 Eckhardt (Fn. 75), S. 15; Jellinek (Fn. 75), S. 7. 32 Vgl. Franz (Fn. 75), S. 305. 83 Vgl. Franz (Fn. 75), S. 375. 84 Eckhardt, Grundrechte, S. 15. 78

10 Hantel

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e u n g des Begriffs der Freiheitsentziehung

Constitutionelle Ludwigs XVIII. vom 4. Juni 1814. Insbesondere für die deutsche Verfassungsentwicklung war diese Verfassung vom 4. Juni 1814 von wesentlicher Bedeutung 85 . Die Charte Constitutionelle war von Ludwig XVIII. unter Verwerfimg ihm vom Senat unterbreiteter Vorschläge einseitig erlassen worden 86 . Die Grundrechte wurden nicht als überstaatliche „droits de l'homme", sondern lediglich als „droits de Français", also als staatlich verliehene Rechte verkündet 87 . See 4 der Charte Constitutionelle garantierte jedermann seine persönliche Freiheit. Ferner war eine Verfolgung oder Verhaftung nur aufgrund eines Gesetzes und in den dort vorgeschriebenen Formen zulässig 88 . Des weiteren war die belgische Verfassung vom 7. Februar 1831 für die deutsche Verfassungsentwicklung, namentlich für die Paulskirchenverfassung und die um 1848/49 entstandenen Landesverfassungen von Bedeutung 8 9 . Art. 7 dieser Verfassung schreibt u.a. vor, daß keiner außer in den durch Gesetz vorgesehenen Fällen und in den Formen, die es vorschreibt, verfolgt werden darf. Außer auf frischer Tat darf nur aufgrund einer begründeten richterlichen Anordnung verhaftet werden, die im Augenblick der Verhaftung oder spätestens 24 Stunden danach vorzuzeigen ist 9 0 . An dieser Entwicklung w i r d deutlich, daß der Schutz der persönlichen Freiheit, anknüpfend an die Verfassungsentwicklung in England, in erster Linie dadurch gewährleistet werden sollte, daß eine Verhaftung, aber auch eine Verfolgung nur aufgrund eines Gesetzes und in den dort vorgeschriebenen Formen erfolgen durfte. Die Rechtsgarantien galten damit vorrangig für Eingriffe in die persönliche Freiheit, die aus Strafverfolgungsgründen vorgenommen wurden. Lediglich die französischen Menschenrechtserklärungen von 1791 und 1793 sahen einen Gesetzesvorbehalt für die Gefangenhaltung schlechthin und nicht nur für die Verhaftung vor. Trotzdem ist festzu85

Bornhak, Dt. Verfassungsgeschichte, S. 373; Dürig / Rudolf, Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte, S. 21; Forsthoff, Dt. Verfassungsgeschichte, S. 107; Kimminich, Dt. Verfassungsgeschichte, S. 327, 328; Menger, Verfassungsgeschichte, S. 123. 86 Eckstein, Freiheit der Person, S. 19; Forsthoff (Fn. 85), S. 107; Menger (Fn. 85), S. 122, 123. 87 Eckstein (Fn. 75), ß. 17; Oestreich, Geschichte der Menschenrechte, S. 81; Voigt, Geschichte der Grundrechte, S. 202. 88 See. 4 der Charte Constitutionelle, mit den Regelungen zum Schutz der persönlichen Freiheit lautet im Original: „Leur liberté individuelle est également garantie, personne ne pouvant être poursuivi ni arrêté que dans les cas prévus par la loi, et dans la forme qu'elle prescrit." Vgl. Franz, Staatsverfassungen, S. 50ff. 89 Dennewitz / Meißner, Verfassungen der modernen Staaten, 3. Band, S. 23; Eckhardt, Grundrechte, S. 17; Eckstein, Freiheit der Person, S. 18, 19; Franz, Staatsverfassungen, S. 53. 90 Art. 7 der belgischen Verfassung lautet im Original: „La liberté individuelle est garantie. Nul ne peut être poursuivi que dans les cas prévus par la loi et dans la forme, qu'elle prescrit. Hors le cas de flagnant délit nul ne peut être arrêtré qu'en vertu de l'ordonnance, motivée du juge, qui doit être significé au moment de l'arrestation ou du plus tard dans les 24 heures." - Vgl. Franz (Fn. 89), S. 56, 57.

D. Zusammenhang des Art. 104 GG mit früheren Regelungen

147

stellen, daß sich die Regelungen über den Schutz der persönlichen Freiheit am Anfang des 19. Jahrhunderts in Frankreich und Belgien weitgehend auf einen Schutz vor willkürlichen Verhaftungen beschränkten. Π. Verfassungsentwicklung in Deutschland von 1815 bis 1918

Bei der Entwicklung des Grundrechts der persönlichen Freiheit in den deutschen Verfassungen vor 1918 91 muß zwischen den einzelnen Landesverfassungen einerseits und den Verfassungen bzw. Verfassungsvorhaben auf Gesamtstaatsebene andererseits unterschieden werden. 1. Entwicklung

in den

Einzelstaaten

a) Verfassungen vor 1848/49 aa) Die süddeutschen

Verfassungen

Am Anfang der deutschen Verfassungsentwicklung standen die Verfassungen der drei süddeutschen Staaten Bayern 92 , Baden 93 und Württemberg 94 , die weit eher als die übrigen deutschen Staaten liberale Verfassungsideale in konkrete Verfassungsgesetze umsetzten. Die Gründe für diese Vorreiterrolle der süddeutschen Staaten sind allerdings vielfältiger Natur. So mag neben der historisch notwendigen Konzession an das immer stärker werdende Bürgertum auch das Bestreben eine Rolle gespielt haben, durch die Schaffung einer Verfassung die neuen, durch den Rheinbund geschaffenen Gebietsgewinne abzusichern 95 . Vorbild für die Verfassungen war die bereits genannte französische Verfassung vom 4. Juni 1814 96 . Nach dem Vorbild dieser Verfassung beschränkten sich die drei süddeutschen Verfassungen nicht auf die Einräumung und Abgrenzung der Rechte des Volks und der Volksvertretung, sie sicherten zugleich dem einzelnen 91 Vgl. zum Schutz der Freiheit der Person im Stadtrecht des Mittelalters v. Keller, Freiheitsgarantien, S. 202 ff. 92 Verfassungsurkunde des Königreichs Bayern vom 26. Mai 1818; Abdruck bei Stoerk, Handbuch der Deutschen Verfassungen, S. 66; Zachariae, Die Verfassungsgesetze der Gegenwart, S. 104, 112. 93 Verfassungsurkunde des Großherzogtums Baden vom 22. August 1818; Abdruck bei Stoerk (Fn. 92), S. 212; Zachariae (Fn. 92), S. 331, 332. 94 Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg vom 25. September 1819; Abdruck bei Stoerk (Fn. 92), S. 171; Zachariae (Fn. 92), S. 293. 95 Vgl. Menger, Verfassungsgeschichte der Neuzeit, S. 123; Forsthoff, Dt. Verfassungsgeschichte, S. 105 ff. 96 Bornhak, Deutsche Verfassungsgeschichte vom Westfälischen Frieden an, S. 373; Dürig / Rudolf, Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte, S. 21; Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 327, 328; Menger (Fn. 95), S. 123; Oestreich, Geschichte der Menschenrechte, S. 81.

10*

ei

e u n g des Begriffs der Freiheitsentziehung

einen Bereich persönlicher Rechte zu 9 7 und entsprachen damit einer Hauptforderung des Liberalismus nach einem Katalog von Grundrechten, der die Stellung der bürgerlichen Gesellschaft im Staat konstitutionell absichern sollte. In Bestimmungen über die Staatsangehörigkeit, die Gleichheit vor dem Gesetz, die Freiheit der Person, die Freiheit der Meinimg sowie die Freiheit des Eigentums und des Berufs, entwickelten sich i n diesen drei Verfassungen i m wesentlichen übereinstimmend die Grundformen einer rechtsstaatlichen bürgerlichen Staats- und Gesellschaftsordnung, die i n ihren geistigen Auswirkungen auf das übrige Deutschland von maßgebender Bedeutung waren 98 . I m Rahmen dieses Grundrechtskatalogs zählte die Garantie der Freiheit der Person durch die Verankerung des Gesetzesvorbehalts zu den wesentlichen Errungenschaften der frühkonstitutionellen Zeit. Nach den Regelungen zum Schutz der persönlichen Freiheit durfte niemand verhaftet oder verfolgt werden als in den vom Gesetz bestimmten Fällen und in den vom Gesetz vorgeschriebenen Formen 99 . Im Vordergrund dieser Regelungen stand somit der Schutz vor willkürlichen Verhaftungen, also vor Maßnahmen, die aus Gründen der Strafverfolgung erfolgten. Weitere Regelungen im Zusammenhang mit dem Schutz der persönlichen Freiheit waren die Aufhebung der Leibeigenschaft 100 oder die Garantie der Ausreisefreiheit 101 . bb) Sonstige deutsche

Verfassungen

In den zwanziger und dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts waren auch in anderen deutschen Staaten die Konstitutionierungsbestrebungen erfolgreich, wobei vielfach die süddeutschen Verfassungen als Vorbild dienten. In den so geschaffenen Verfassungen bestanden neben den Regelungen über die Garantie der persönlichen Freiheit auch Bestimmungen, die die Zulässigkeit einer Verhaftung 102 , z.T. auch die von Freiheitsbeschränkungen schlechthin 103 , vom Vorhandensein einer gesetzlichen Grundlage abhängig 97 98 99

1819. 100

Huber, Dt. Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 351. Forsthoff (Fn. 95), S. 110; Huber (Fn. 97), S. 351. Titel IV, § 8 Verf. Bayern, 1818; § 15 Verf. Baden, 1818; § 26 Verf. Württemberg,

Titel IV, § 6 Verf. Bayern, 1818; § 25 Verf. Württemberg, 1819. Siehe auch BVerfG v. 10.2.1960, E 10, 302 (322). 102 So in § 33 Verf. Ghzt. Hessen v. 17.12.1820, Abdruck bei Stoerk (Fn. 92), S. 239; Zachariae (Fn. 92), S. 397,404; § 51 GG Sachsen-Altenburg v. 29.4.1831, Abdruck bei Pölitz, Europ. Verfassungen, 1. Band, S. 856; § 51 Verf. Sachsen v. 4.9.1831, Abdruck bei Zachariae (Fn. 92), S. 158; § 34 GG Hannover v. 26.9.1833, Abdruck bei Pölitz, s.o., 3. Band, S. 571; § 30 Verf. Hannover v. 6.8.1840, Abdruck bei Zachariae (Fn. 92), S. 209. i°3 § 23 Verf. Ghzt. Hessen 1820; § 27 Verf. Sachsen, 1831; § 33 GG Hannover, 1833; § 28 Verf. Hannover, 18 0; § 32 Ldsch. Ord. Braunschweig 1932, Abdruck bei Stoerk (Fn. 92), S. 332; Zachariae (Fn. 92), S. 695. 101

D. Zusammenhang des Art. 104 GG mit früheren Regelungen

149

machten. Des weiteren bestand in einigen Verfassungen im Falle der Verhaftung die Verpflichtung, den Betroffenen binnen einer bestimmten Frist, in der Regel 24 Stunden, zu verhören und von der Ursache seiner Verhaftung Kenntnis zu geben 104 . b) Verfassungen seit 1848/49 aa) Verfassungen

außerhalb

Preußens

Eine Ausweitung der Rechtsgarantien bei Eingriffen in die persönliche Freiheit, insbesondere durch die Verpflichtung zur Einschaltung des Richters bei Verhaftungen, ist dann in den Landesverfassungen feststellbar, die im Zuge der Revolution 1848/49 und in der Zeit danach geschaffen wurden. Für die meisten dieser Verfassungen gaben die belgische Verfassung von 1831 105 und die Paulskirchenverfassung 106 das Grundmuster ab. So sollte entsprechend § 7 der belgischen Verfassung eine Verhaftung, außer im Falle der Ergreifung auf frischer Tat, nur aufgrund einer richterlichen Verfügung bzw. eines richterlichen Befehls erfolgen, wobei dieser richterliche Befehl den Verhafteten innerhalb der nächsten 24 Stunden zuzustellen war 1 0 7 . Zum Teil bestand die Verpflichtung, den Verhafteten innerhalb einer bestimmten Frist dem Richter vorzuführen 108 . Darüber hinaus wurden in einigen Landesverfassungen erstmals, ähnlich wie in § 138 I I I der Paulskirchenverfassung 109 , Rechtsgarantien für den Fall der polizeilichen Verwahrung geschaffen 110 . Nach diesen Vorschriften bestand die Verpflichtung, den Betroffenen innerhalb einer bestimmten Frist einer richterlichen Behörde vorzuführen oder ihn in das vorgesehene Verfahren, i.d.R. das Unterbringungsverfahren für Kranke 1 1 1 , zu überführen. 104 § 33 S. 2 Verf. Hessen, 1820; § 51 GG Sachsen-Altenburg, 1831; § 34 I I GG Hannover, 1833; § 30 Verf. Hannover, 1840. 105 Dennewitz / Meißner, Die Verfassungen der modernen Staaten, 3. Band, S. 23; Franz, Staatsverfassungen, S. 53. 106 Vgl. unten D. II. 2 b). 107 § I i Verf. Schwarzburg-Sondershausen v. 12.12.1849, Abdruck bei Zachariae (Fn. 92), S. 209; §5 Verf. Anhalt-Bernburg v. 28.2.1850, Abdruck bei Zachariae, S. 960; § 39 StGG Reuß j. L. v. 14.4.1852, Abdruck bei Stoerk (Fn. 92), S. 533; Art. 39 § 1 GG Oldenburg v. 22.11.1852, Abdruck bei Stoerk (Fn. 92), S. 294; Zachariae (Fn. 92), S. 900; § 89 Verf. Kurhessen v. 13.4.1852, Abdruck bei Zachariae (Fn. 92), S. 360; Art. 13 Verf. Luxemburg v. 9.7.1848, Abdruck bei Zachariae (Fn. 92), S. 456; Art. 5 Verf. Anhalt-Bernburg v. 28.2.1850, Abdruck bei Zachariae (Fn. 92), S. 960; vgl. auch Zoepfl, Staatsrecht, II. Band, S. 227, 228. 108 § 39 StGG Reuß j. L., 1852; Art. 39 § 2 StGG Oldenburg, 1852; vgl. auch Zoepfl (Fn. 107). los Vgl. unten Teil I I I D. II. 2. b). n° Artikel 39 § 4 Staatsgrundgesetz Oldenburg, 1852; § 11 Verf. SchwarzburgSondershausen, 1849; § 5 Verf. Anhalt-Bernburg, 1850; § 89 Verf. Kurhessen, 1852. m Vgl. PrOVG v. 13.12.1912, PrOVGE 65, 247 (252ff.).

ei bb) Die preußischen

e u n g des Begriffs der Freiheitsentziehung Verfassungen

Die beiden preußischen Verfassungsurkunden vom 5. Dezember 1848 112 und vom 31. Januar 1850 113 enthielten jeweils unterschiedliche Regelungen zum Schutz der persönlichen Freiheit. Der Art. 5 der sog. oktroyierten Verfassung vom 5. Dezember 1848 sah lediglich vor, daß die Bedingungen und Formen, unter welchen eine Verhaftimg zulässig ist, sich nach dem Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit vom 24. September 1848 114 bestimme. Etwas umfassender hingegen war der Schutzbereich des Art. 5 der Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Danach waren die Bedingungen und Formen, unter welchen eine Beschränkung der persönlichen Freiheit, insbesondere einer Verhaftung, zulässig ist, durch Gesetz zu bestimmen. Als Eingriffe in die persönliche Freiheit werden in dieser Vorschrift sowohl die Freiheitsbeschränkung wie auch die Verhaftung genannt. Die Formulierung „insbesondere eine Verhaftung" in Art. 5 sollte andeuten, daß der Verfassungsgeber bei der Freiheitsbeschränkung vorzugsweise an die Verhaftung, aber nicht an sie allein gedacht hat 1 1 5 . So sah der Zentralausschuß der I. Kammer für die Revision der oktroyierten Verfassung bei seinen Beratungen die Notwendigkeit für gegeben, nicht nur die Verhaftung, sondern auch die polizeiliche Verwahrung gesetzlich zu regeln, damit nicht die gewährleistete Freiheit willkürlicherweise belästigt oder beschränkt werden könne 1 1 6 . Damit wird deutlich, daß bei Schaffung des Art. 5 der preußischen Verfassung vom 31. Januar 1850 Schutz der persönlichen Freiheit besonders vor willkürlichen Verhaftungen, aber auch vor willkürlichen polizeilichen Verwahrungen im Vordergrund gestanden hat. Festzustellen ist somit, daß die oktroyierte Verfassung die Beachtung der gesetzlichen Bedingungen und Formen lediglich für den Fall der Verhaftung zur Verfassungspflicht erhob, während dagegen die Verfassung vom 31. Januar 1850 die Verpflichtung auf die Beschränkung der Freiheit generell erweiterte, worunter, wie bereits gesehen, in erster Linie neben der Verhaftung die polizeiliche Verwahrung verstanden wurden 1 1 7 .

112

PrGS S. 375. PrGS S. 17. 114 PrGS S. 257. 115 So Anschütz, Die Verfassungsurkunde für den preußischen Staat vom 31. Januar 1850, S. 132. 116 Anschütz (Fn. 115), S. 132, 133. 117 Anschütz (Fn. 115), S. 139; vgl. auch Mannheim, Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichs Verfassung, S. 323. 113

D. Zusammenhang des Art. 104 GG mit früheren Regelungen 2. Entwicklung

im

151

Gesamtstaat

a) Entwürfe für eine Bundesverfassung 1815 Zu ernsthaften Bestrebungen, dem einzelnen Bürger verfassungsrechtlich garantierte Freiheitsrechte zu gewähren, kam es in Deutschland erstmals bei der Gründung des Deutschen Bundes. In einzelnen Entwürfen für eine Bundesverfassung wurden Freiheitsrechte der deutschen Untertanen gefordert, die auch für die Einzelstaaten bindenden Charakter haben sollten 118 . Die preußischen Vorschläge Wilhelm von Humboldts vom Februar 1815 gingen dabei am weitesten. Freizügigkeit und Freiheit, das Recht, in den Zivil- und Kriegsdienst eines jeden anderen Bundesstaates zu treten, gesetzmäßige Freiheit und Sicherheit des Eigentums, richterlicher Schutz von Person und Eigentum durch Staat und Bund gegen jede Beeinträchtigung, volle Aufhebung der Leibeigenschaft, die Freiheit, sich auf jeder Lehranstalt zu bilden, waren die Hauptpunkte des Vorschlags 119 . Die Regelungen der §§ 89, 92 dieses preußischen Entwurfs sollen an dieser Stelle als erster deutscher Verfassungsvorschlag zum Schutz der Persönlichkeit wegen seiner Wichtigkeit wörtlich wiedergegeben werden 1 2 0 : §92 ,,d) Die gesetzmäßige Freiheit und Sicherheit der Person, so daß keine dieselbe kränkende Verfügung getroffen werden kann, welche nicht genau mit den Landesgesetzen übereinstimmt und durch den ordentlichen Richter verfügt wird."

Humboldts Vorschlag basierte im wesentlichen auf einer Denkschrift des Freiherrn vom Stein vom 10. März 1814 121 , die über das Grundrecht der persönlichen Freiheit folgende Regelung enthielt 1 2 2 : „Jedermann kann nur durch seine natürlichen Richter verurteilt werden, er kann nicht länger als 48 Stunden festgehalten werden, ohne jenen vorgeführt zu sein, damit sie über die Gründe seiner Verhaftung entscheiden."

Allerdings scheiterte die Übernahme dieser preußischen Entwürfe, wie auch die anderer Grundrechtsentwürfe am Souveränitätsdenken der süddeutschen Staaten, die jede Beschränkung ihrer inneren Unabhängigkeit ablehnten 123 . So enthielt die Deutsche Bundesakte an grundrechtlichen 118 Eckstein, Pers. Freiheit, S. 30; Eckhardt, Grundrechte, S. 18; Hubert, Dt. Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 529, 530; Oestreich, Geschichte der Menschenrechte, S. 81. 119 Eckhardt (Fn. 118), S. 18,19; Huber (Fn. 118), S. 530; Oestreich (Fn. 118), S. 81. 120 Abdruck bei Eckhardt (Fn. 118), S. 18, 19. 121 Vgl. zu den Steinschen Vorschlägen grundlegend Huber (Fn. 118), S. 510 ff. 122 Abdruck bei Voigt, Geschichte der Grundrechte, S. 49, 50; siehe ferner Oestreich (Fn. 118), S. 81, 82. 1 23 Eckhardt (Fn. 118), S. 21; Eckstein (Fn. 118), S. 20; Oestreich (Fn. 118), S. 82.

ei

e u n g des Begriffs der Freiheitsentziehung

- oder grundrechtsähnlichen - Regelungen nur die Gleichberechtigung der christlichen Konfessionen, das Recht auf Erwerb von Grundeigentum in allen Staaten, Freizügigkeit ohne Nachsteuer und die Freiheit des Eintritts in den zivilen oder militärischen Dienst 1 2 4 . b) Verfassimg des Deutschen Reichs vom 28. März 1849 (Paulskirchenverfassung) Eine umfassende Kodifizierung von Grundrechten erfolgte auf Bundesstaatsebene erstmals in der Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849 125 . In Abschnitt IV enthielt diese Verfassung einen Grundrechtskatalog, der mit dem Titel „Die Grundrechte des deutschen Volkes" überschrieben war. So lag ein Schwerpunkt bei den Beratungen zur Paulskirchenverfassung in der Schaffung von Grundrechten 126 , stand doch bei der bürgerlichen Freiheitsbewegung die Forderung nach Beschränkung der monarchischen Gewalt und der Gewährleistung individueller Freiheitsrechte ganz im Vordergrund. Die Beratung der Grundrechte trat mithin vor die Festsetzung der politischen Organisation, das Verlangen nach staatsbürgerlicher Freiheit rückte vor den Wunsch nach nationaler Einheit 1 2 7 . Für die Auslegung des Begriffs der Freiheitsentziehung in Art. 104 I I sind die Regelungen zum Schutz der persönlichen Freiheit insoweit von Bedeutung, als es gerade ein Ziel des Grundgesetzgebers war, mit seinen Grundrechtsregelungen an die „Paulskirchentradition" wieder anzuknüpfen 128 . Die in der Paulskirchenverfassung enthaltenen Grundrechte wurden bereits vorab als Gesetz über die Grundrechte des Deutschen Volkes 129 am 27. Dezember 1849 gesondert beschlossen 130 . Ein Kernpunkt dieses Gesetzes stellt der § 8 mit der Verankerung des Grundrechts der persönlichen Freiheit dar, dem, so Mommsen 131 , heiligsten Recht des deutschen Bürgers. Aus diesem § 8 wurde dann am 28. März 1849 der inhaltsgleiche § 138 der deutschen Verfassung. § 138 lautete: 124

Eckhardt (Fn. 118), S. 24; Oestreich (Fn. 118), S. 82. ™ RGBl. 1848/49, S. 101. 126 Menger, Dt. Verfassungsgeschichte, S. 138; Stein, Staatsrecht, S. 8; Oestreich, Geschichte der Menschenrechte, S. 93; Weil, Quellen und Aktenstücke zur deutschen Verfassungsgeschichte, S. 124 ff. 127 So Eckstein, Freiheit der Person, S. 21; vgl. auch Oestreich, Geschichte der Menschenrechte, S. 93. 1 28 (Fn. 126), S. 8. 129 RGBl. 1848/49, S. 49; vgl. dazu Mommsen, Die Grundrechte des dt. Volkes; Voigt, Geschichte der Grundrechte, S. 96. 130 Die relativ schnelle Verabschiedung der Grundrechte gelang, weil sie von der übrigen Verfassung gesondert beraten werden konnten, und nicht von den grundsätzlichen Schwierigkeiten berührt wurden, denen das übrige Verfassungswerk begegnete, etwa der Frage nach einer klein- oder großdeutschen Lösung. 131 So Mommsen, Die Grundrechte des deutschen Volkes, S. 24.

D. Zusammenhang des Art. 104 GG mit früheren Regelungen

153

„Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Die Verhaftung einer Person soll, außer im Falle der Ergreifung auf frischer Tat, nur geschehen in Kraft eines richterlichen, mit Gründen versehenen Befehls. Dieser Befehl muß im Augenblicke der Verhaftung oder innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden dem Verhafteten zugestellt werden. Die Polizeibehörde muß jeden, den sie in Verwahrung genommen hat, im Laufe des folgenden Tages entweder freilassen oder der richterlichen Behörde übergeben. Jeder Angeschuldigte soll gegen Stellung einer vom Gericht zu bestimmenden Kaution oder Bürgschaft aus der Haft entlassen werden, sofern nicht dringende Anzeichen eines schweren peinlichen Verbrechens gegen denselben vorliegen. Im Falle einer widerrechtlich verfügten oder verlängerten Gefangenschaft ist der Schuldige und nötigenfalls der Staat dem Verletzten zur Genugtuung und Entschädigung verpflichtet. Die für das Heer- und Seewesen erforderlichen Modifikationen dieser Bestimmungen werden besonderen Gesetzen vorbehalten."

Der § 138 sieht somit für zwei Eingriffe in das Grundrecht der persönlichen Freiheit spezielle Rechtsgarantien vor, nämlich für die Verhaftimg und für die polizeiliche Verwahrung. Sowohl für den Eingriff wegen des Verdachts einer Straftat, wie für den Eingriff zur Gefahrenabwehr wird von Verfassungs wegen ein besonderes Verfahren vorgeschrieben, das für Gesetzgeber, Exekutive und Judikative unmittelbar verbindlich sein sollte. Während bei der Verwahrung durch eine Polizeibehörde, diese den Betroffenen spätestens im Laufe des folgenden Tages entweder freilassen oder der richterlichen Behörde übergeben muß, sieht § 138 für die Verhaftung vor, daß innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden dem Verhafteten ein Haftbefehl zugestellt werden muß. Dies bedeutet, daß bei der Verhaftung zumindestens innerhalb der ersten vierundzwanzig Stunden nach der Festnahme ein Richter mit der Sache befaßt sein muß. Bei der polizeilichen Verwahrung ist vorgesehen, daß der Betroffene im Laufe des folgenden Tages, also maximal nach annähernd 48 Stunden, der richterlichen Behörde zu übergeben ist. aa) Materialien

zu § 138

Den Grundrechtsberatungen der Frankfurter Nationalversammlung ging der Entwurf eines deutschen Reichsgrundgesetzes vom 26.4.1848, der Art. IV des sog. Siebzehner-Entwurfs 132 , voraus. Dieser Siebzehner-Entwurf sollte laut Bundesbeschluß vom 10.3.1848 der Vorbereitung der Revision der Bundesverfasung dienen 133 . Die einschlägigen Bestimmungen zum Schutz der persönlichen Freiheit in Art. IV lauteten 1 3 4 : 132

Vgl. hierzu Eckhardt (Fn. 118), S. 34ff.; Huber (Fn. 118). 1 33 Eckhardt (Fn. 118), S. 34.

ei

e u n g des Begriffs der Freiheitsentziehung §25

„Das Reich gewährleistet dem deutschen Volke folgende Grundrechte, welche zugleich der Verfassung jedes einzelnen deutschen Staats zur Norm dienen sollen: m) Sicherstellung der Person gegen willkürliche Verhaftung und Haussuchung durch eine Habeas-corpus-Akte;..."

Zu einer Beratung des Siebzehner-Entwurfs in der Bundesversammlung kam es jedoch nicht, da sich die meisten Regierungen, insbesondere Preußen und Österreich, einer Beratung des Entwurfs fernhielten 135 . So kam es, daß der Frankfurter Nationalversammlung bei ihrem Zusammentritt am 18.5.1848 kein Verfassungsentwurf seitens der Regierungen vorgelegt wurde. Bereits in ihrer 5. Sitzung beschloß daher die Nationalversammlung die Wahl mehrerer Ausschüsse, von denen der wichtigste der Verfassungsausschuß war. Dieser Verfassungsausschuß schlug als ursprünglichen Entwurf zum Schutze der persönlichen Freiheit in Art. I I § 7 folgende, an § 7 der belgischen Verfassung 136 von 1831 orientierte Regelung vor 1 3 7 : „Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Ausnahmegerichte sollen nie stattfinden. Die Verhaftung einer Person soll - außer im Fall der Ergreifung auf frischer That nur geschehen in Kraft eines richterlichen, mit Gründen versehenen Befehls. Dieser Befehl muß im Augenblick der Verhaftung, oder spätestens innerhalb der nächsten 24 Stunden dem Verhafteten vorgewiesen werden."

Von vielen Abgeordneten wurde diese, auf den Schutz vor willkürlichen Verhaftungen beschränkte Wirkungskraft des Grundrechts der persönlichen Freiheit als zu eng und undifferenziert bemängelt. Insbesondere der Abgeordnete Leue 1 3 8 hob die Notwendigkeit unterschiedlicher Rechtsgarantien für die Verhaftung einerseits und die polizeiliche Verwahrung andererseits hervor. Daher wies er zunächst auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen den beiden Eingriffen hin 1 3 9 . So handele es sich bei der Verhaftung um einen dauernden Zustand, der so lange währe, bis er durch ein anderes gerichtliches Urteil wiederum aufgehoben werde; es ist das Urteil eines Untersuchungsrichters, daß der Beschuldigte für die Dauer des Prozesses als Bewohner in das Gefängnishaus aufgenommen werden soll. Dagegen könne es viele Fälle geben, wo ein richterlicher Verhaftungsbefehl nicht möglich

134 Abdruck bei Binding, Dt. Staatsgrundgesetze, H II, S. 97; Eckhardt (Fn. 118), S. 35. 135 Eckhardt (Fn. 118), S. 36. 136 Strauss, Staat, Bürger, Mensch, S. 115. 137 Bergsträsser, Die Verfassung des deutschen Reichs, S. 75; Sten. Bericht, S. 1352. 138 Sten. Bericht, S. 1334, 1335; vgl. auch die Stellungnahme des Abg. Nauwerck, Sten. Bericht, S. 1363. 139 v g l auch Scholler, Die Grundrechtsdiskussion in der Paulskirche, S. 128.

D. Zusammenhang des Art. 104 GG mit früheren Regelungen

155

sei, auch eigentlich kein Grund dazu vorliege, wo aber nach den bestehenden Verhältnissen eine polizeiliche Verwahrung der Person, etwa zur Ausnüchterung, durchaus notwendig und gesetzlich zulässig sei. Die polizeiliche Verwahrung stelle, so Leue 1 4 0 , eine augenblickliche Sequestration der Person dar, woraus eine gerichtliche Verhaftung werden könne oder auch nicht. Hinsichtlich dieser polizeilichen Verwahrung müsse man der Polizei eine unbeschränkte Befugnis geben, in Beziehung auf die Dauer müsse man diese Befugnis aber beschränken 141 . Als Verbesserungsantrag schlug Leue folgende Ändertmg vor 1 4 2 : „Die Polizeibehörde muß jeden, den sie in Verwahrung genommen hat, im Laufe des folgenden Tages entweder freigeben, oder der zuständigen Behörde überliefern."

Auch der Abgeordnete Reichenberger 143 hob hervor, daß die Befugnis der Polizei, Personen in Verwahrung zu nehmen, eingeschränkt werden müsse. Er schlug daher folgende Fassung vor 1 4 4 : „Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Die Verhaftung einer Person soll - außer im Fall der Ergreifung auf frischer Tat - nur in Kraft eines richterlichen Befehls geschehen. Jede in Verwahrung genommene Person ist innerhalb 24 Stunden einem richterlichen Beamten vorzustellen, welcher dieselbe binnen der gleichen Frist zu verhören hat."

Daß das Grundrecht der persönlichen Freiheit sowohl willkürliche Verhaftungen wie auch willkürliche polizeiliche Verwahrungen verhindern soll, wird auch aus der Stellungnahme des Abg. Freudentheil 145 deutlich. Nach seiner Meinung müsse zwar der Polizei notwendigerweise ein Verhaftungsrecht oder das Recht zur polizeilichen Verwahrung zugestanden werden. Damit mit diesem Recht aber kein Mißbrauch getrieben werde, komme es hauptsächlich darauf an, daß jeder Verhaftete oder polizeilich Verwahrte nicht bloß verlangen kann, daß er vor den Richter geführt und gründlich vernommen werde, sondern auch, daß er einen Richterspruch über den Fortbestand und die Zulässigkeit der Haft verlangen kann 1 4 6 . Er schlug daher folgende Ergänzung vor 1 4 7 : „Auch kann der Verhaftete oder polizeilich Verwahrte über die Zulässigkeit oder Fortdauer der Haft eine richterliche Entscheidung verlangen."

14

Sten. Bericht, S. 1355. Sten. Bericht, S. 1356. 142 Sten. Bericht, S. 1356. 143 Sten. Bericht, S. 1359. 1 44 Sten. Bericht, S. 1358. 145 Sten. Bericht, S. 1365. 146 Sten. Bericht, S. 1365. 147 Sten. Bericht, S. 1365. 141

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e u n g des Begriffs der Freiheitsentziehung

Auch der Abg. Adams 1 4 8 unterschied zwischen polizeilicher Verhaftung und polizeilicher Verwahrung, wobei er beantragte, den Antrag des Abg. Leue insoweit zu modifizieren, daß die in Verwahrung genommene Person im Laufe des folgenden Tages nicht der zuständigen Behörde, sondern einem richterlichen Beamten zu übergeben sei 149 . In der 55. Sitzung am 4. August 1848 nahm der Abg. Beseler als Mitglied des Verfassungsausschusses zu den Änderungsvorschlägen Stellung 1 5 0 . Beseler betonte, daß insbesondere die im Vorschlag des Abg. Leue vorgenommene Differenzierung zwischen Verhaftung und polizeilicher Verwahrimg einen ausreichenden Schutz vor polizeilicher Willkür biete. Es bestehe nach diesem Entwurf lediglich die Gefahr, daß jemand bis zum folgenden Tag im polizeilichen Gewahrsam bleiben müsse. Allerdings hob auch der Abg. Beseler hervor, daß die verwahrte Person am folgenden Tag nicht nur der zuständigen Behörde, sondern der richterlichen Behörde zu übergeben sei 151 . In der darauf folgenden Abstimmung wurde der Antrag des Abg. Leue mit der vom Abg. Adams vorgeschlagenen Modifikation von der erforderlichen Mehrheit unterstützt, womit die Absätze 1 bis 3 des späteren § 138 ihre endgültige Fassung erhalten hatten 1 5 2 . Diese Abstimmung erweiterte damit den Vorschlag des Verfassungsausschusses im Sinne weitergehender Rechtsgarantien bei staatlichen Eingriffen in die persönliche Freiheit. Die eigentliche Änderung, die die Beratungen und Abstimmungen gegenüber dem ursprünglichen Entwurf bewirkte, lag in der zusätzlichen Verankerung eines verfassungsrechtlichen Schutzes bei polizeilichen Verwahrungen. bb) Schrifttum

zu § 138

Auch im Schrifttum wird der Unterschied zwischen Verhaftung und polizeilicher Verwahrung in § 138 besonders hervorgehoben. So vermerkt Mommsen 153 , daß nach dieser Vorschrift die Polizei, außer wenn jemand, während er ein Verbrechen begeht, betroffen wird, niemanden ohne Auftrag des Gerichts verhaften darf. Dagegen stehe ihr das Recht zu, im Interesse der öffentlichen Ruhe und Ordnung jemanden vorläufig zu verwahren, welches entweder in seinem eigenen Interesse oder im Interesse der öffentlichen Ruhe geschieht. Damit, so Mommsen 154 , mit diesen polizeilichen Verwah"8 Sten. Bericht, S. 1368. 149 Sten. Bericht, S. 1369. 150 Sten. Bericht, S. 1388 ff. 151 Sten. Bericht, S. 1389. !52 Sten. Bericht, S. 1391; vgl. auch Weil, Quellen und Aktenstücke, S. 133 ff. 153 Mommsen, Grundrechte des deutschen Volkes, S. 24. 154 Mommsen (Fn. 153).

D. Zusammenhang des Art. 104 GG mit früheren Regelungen

157

rungen nicht wieder Mißbrauch getrieben werde, wie das so oft und nicht nur immer aus politischen Gründen geschehen sei 1 5 5 , ist in den Grundrechten vorgeschrieben, daß ein jeder, den die Polizei in Verwahrung genommen habe, i m Laufe des folgenden Tages, wenn er kein Verbrechen begangen, sondern bloß betrunken oder geprügelt habe, wieder auf freien Fuß gestellt werden muß. Ist er aber nach Meinung der Polizei auf einem Verbrechen betroffen, so muß er ebenfalls im Laufe des folgenden Tages an den Richter ausgeliefert werden, der dann nach Befund der Sache entweder ihn freiläßt oder einen Verhaftungsbefehl abgibt 1 5 6 . Es kann also festgestellt werden, daß i n § 138 besondere Rechtsgarantien für die Verhaftimg und die polizeiliche Verwahrung geschaffen wurden. Dies geschah als Reaktion auf die häufig i n der Restaurationsphase aus politischen Gründen angeordneten willkürlichen Verhaftungen und polizeilichen Verwahrungen 157 , die i m deutschen Bürgertum eine große Unsicherheit verursachten. In diesen speziellen Regelungen über die Bedingungen und Formen einer polizeilichen Verwahrung liegt der eigentliche rechtsstaatliche Fortschritt des § 138, i m Vergleich zu den bislang bekannten europäischen und deutschen Verfassungen, bei denen die entsprechenden Rechtsgarantien weitgehend auf Verhaftungen beschränkt waren. c) Entwürfe für die Erfurter Unionsverfassung 1850 Durch die Ablehnung der Kaiserkrone seitens Friedrichs Wilhelms IV. war das Werk der Paulskirche und damit der Versuch, die Einigung Deutschlands herbeizuführen, gescheitert. M i t Bundesbeschluß vom 23. August 1851 wurde das Gesetz über die Grundrechte des deutschen Volkes für nichtig erklärt 1 5 8 . Bereits vor dieser Maßnahme trat allerdings Preußen mit einem neuen Reformplan hervor, wonach ein engerer deutscher Bundesstaat unter Führung Preußens gebildet werden sollte 1 5 9 . Dieser sollte mit der österreichischen Gesamtmonarchie in ein Unionsverhältnis treten 1 6 0 . Der Plan fand lediglich in Sachsen und Hannover Anklang, die am 26. Mai 1849 das sog. Dreikönigsbündnis 161 schlossen, dem sich dann auch mit Ausnahme Bayerns und Württembergs die anderen deutschen Staaten anschlossen. Die Verbün155 v g l hierzu auch Eckhardt, Grundrechte, S. 139; Eckstein, Freiheit der Person, S. 22. 156 Mommsen (Fn. 153). 157 v g l Forsthoff, Dt. Verfassungsgeschichte, S. 122; Menger, Dt. Verfassungsgeschichte, S. 138; Voigt, Geschichte der Grundrechte, S. 96. 158 Jellinek, Menschen- und Bürgerrechte, S. 3. 159 Vgl. hierzu Huber, Dt. Verfassungsgeschichte, Bd. II, S. 805ff. 160 Eckhardt, Grundrechte, S. 113. 161 Weil, Quellen und Aktenstücke, S. 171 ff.

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e u n g des Begriffs der Freiheitsentziehung

deten verpflichteten sich u.a., dem deutschen Volke eine Verfassung nach Maßgabe eines unter ihnen vereinbarten Entwurfs zu gewähren. Zu diesem Zweck sollte eine Reichsversammlung einberufen werden 1 6 2 . Diese Versammlung trat dann am 20. Mai 1850, aus einem Staatenhaus und einem Volkshaus bestehend, in Erfurt zusammen. Der Verfassungsentwurf der Regierung enthielt im VI. Abschnitt in den §§ 128-187 einen Grundrechtskatalog, der zum Teil mit den Grundrechten der Frankfurter Verfassung übereinstimmte, teilweise aber auch wesentliche Änderungen vorsah. Eine der Änderungen betraf das Grundrecht der persönlichen Freiheit. Nach § 136 der Erfurter Verfassung mußte die Polizei nicht mehr jeden, den sie verwahrt hatte, im Laufe des nächsten Tages der richterlichen Behörde übergeben, sondern sie war lediglich verpflichtet, ihn der zuständigen, nicht notwendig richterlichen Behörde zu überantworten. Ansonsten war § 136 der Erfurter Verfassung mit dem § 138 der Paulskirchenverfassung identisch 1 6 3 . Damit fehlte dem § 136 der Erfurter Verfassung das von der Frankfurter Nationalversammlung als besonders wichtig erachtete Moment, daß eine unabhängige richterliche Behörde über die Verwahrung einer Person zu entscheiden hat 1 6 4 . Aber auch die Verhandlungen des Erfurter Parlaments blieben erfolglos. Am 29. April 1850 wurde das Parlament im Namen der verbündeten Regierung geschlossen, wobei der Verfassungsentwurf von den Regierungen übernommen werden sollte. Dieses scheiterte aber daran, daß sich die von Preußen forcierte Unionsbestrebung aufgrund der Beitrittsverweigerung der süddeutschen Staaten und des Widerstands Österreichs letztlich als aussichtslos und politisch nicht durchsetzbar erwies 165 . Trotz des Scheiterns der Paulskirchenverfassung und der Erfurter Unionsverfassung darf der Wert der Grundrechte in diesen Verfassungen und damit ihr Einfluß auf die nachfolgenden Verfassungen und Gesetze nicht unterschätzt werden. In vielen Landesverfassungen wurden, wie oben bereits dargestellt, entsprechend dem § 138 I I Regelungen zum Schutz vor willkürlichen Verhaftungen aufgenommen 166 . Auch die Regelungen über den Schutz bei polizeilichen Verwahrungen nach § 138 I I I fanden, wenn auch in zum Teil abgeänderter Form, Eingang in Landesverfassungen 167 und Landesgesetze168. ι 6 2 Eckhardt (Fn. 118), S. 112; Huber (Fn. 118), Bd. II, S. 894. 163 vgl. weil, Quellen und Aktenstücke, S. 171 ff. 164 Eckhardt (Fn. 118), S. 115; vgl. ferner Huber (Fn. 118), Bd. II, S. 897. les Vgl. hierzu Huber (Fn. 118), Bd. II, S. 890. 166 Art. 5 Verf. Preußen, 1850; § 29 Verf. Waldeck, 1852; § 32 Staatsgrundgesetz, Sachsen-Coburg-Gotha, 1852; Art. 39 § 1, 2 Staatsgrundgesetz, Oldenburg, 1852. 167 Art. 39 § 4 Staatsgrundgesetz Oldenburg, 1852.

D. Zusammenhang des Art. 104 GG mit früheren Regelungen

159

d) Die Beratungen zur Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1867 Die Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 18 6 7 1 6 9 enthielt keinen Grundrechtskatalog 170 . Allerdings wurden in der 15. Sitzung des Reichstags am 19. März 1867 verschiedene Anträge auf Aufnahme von Grundrechten in die Verfassung gestellt 171 . Es waren insbesondere die Grundrechte über die Freiheit der Person, der Wohnung, Gleichheit vor dem Richter, Freiheit des religiösen Bekenntnisses und Gleichheit der Religionsgesellschaften, ferner über die Pressefreiheit, Vereins- und Versammlungsfreiheit sowie über die Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses, die in die Verfassung aufgenommen werden sollten 172 . Die Anträge auf Aufnahme von Grundrechten blieben aber letztlich erfolglos. Die Mehrheit des Reichstags war der Auffassung, daß eine zu lange Grundrechtsdebatte das gesamte Verfassungswerk gefährden könnte. Außerdem bestand im Jahre 1867 nicht wie 1848 eine so große Notwendigkeit an der Aufnahme von Grundrechten in die Bundesverfassung. Zwischenzeitlich hatten die meisten Einzelstaaten in ihren Verfassungen Grundrechtskataloge aufgenommen und waren bestrebt, diese Grundrechte durch Spezialgesetzgebung praktisch zur Geltung zu bringen 1 7 3 . Insoweit war das Ziel der Schaffung von Grundrechten auf Bundesebene gegenüber dem Ziel, die Einigung Deutschlands herbeizuführen, in den Hintergrund getreten 174 . e) Die Beratungen zur Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871 (Bismarcksche Reichsverfassung) Gleiches gilt auch für die Beratungen zur Reichsverfassung vom 16. April 1871 175 . Im Wege dieser Beratungen 176 wurden ebenfalls, insbesondere von Zentrumsabgeordneten, erfolglos Anträge gestellt, Grundrechte, u.a. auch 168 § 4 d e s Österreichischen Gesetzes vom 27. Oktober 1862 zum Schutz der persönlichen Freiheit (RGBl. Nr. 87); § 6 des Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit für die Königlich Preußischen Staaten vom 12. Februar 1850 (PrGG S. 45). 169 BGBl. S. 2. i™ Vgl. zur Norddeutschen Bundesverfassung Huber (Fn. 118), Bd. III, S. 649ff. i ? i Eckhardt (Fn. 118), S. 125; Huber (Fn. 118), Bd. III, S. 665. 1 72 Bezold, Materialien der dt. Reichsverfassung, Bd. I, S. 405; Huber (Fn. 118), Bd. III, S. 665. 1 73 Eckhardt {Fn. 118), S. 127; Huber (Fn. 118), Bd. III, S. 665; Jellinek, Menschenund Bürgerrechte, S. 3. 174 Eckhardt (Fn. 118), S. 127. 1 75 BGBl. S. 63. 1 76 Vgl. grundlegend zur Entstehung der Reichsverfassung von 1871 Huber (Fn. 118), Bd. III, S. 742 ff.

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e u n g des Begriffs der Freiheitsentziehung

Regelungen zum Schutz der persönlichen Freiheit, i n die Reichsverfassung aufzunehmen 177 . Vorbild für das Grundrecht der persönlichen Freiheit war i n erster Linie der Art. 5 der preußischen Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Aber auch in diesen Beratungen war die Reichstagsmehrheit der Auffassung, daß durch eine eingehende Grundrechtsberatung nicht die Annahme des Verfassungswerks verzögert werden sollte 1 7 8 . Hinzu kam, daß viele Abgeordnete Grundrechte zwar prinzipiell befürworteten, sie diese aber durch Schaffimg von Spezialgesetzen und nicht durch allgemeine Sätze i n der Reichsverfassung verwirklicht wissen wollten 1 7 9 . Diese Auffassung entspricht auch genau der Rechtssituation in den Jahren nach 1871. Obwohl in der Bismarckschen Reichsverfassung kein Grundrechtskatalog existierte, wurden viele Grundrechte der Jahre 1848/49 durch die Einzelgesetzgebung des Reichs verwirklicht 1 8 0 . So wurden die Regelungen des § 138 I I der Paulskirchenverfassung über Voraussetzung und Formen einer Verhaftung weitgehend in die §§112 bis 132 der Reichsstrafprozeßordnung vom 1. Februar 1877 181 übernommen. Es bleibt also festzustellen, daß die Regelungen zum Schutz der persönlichen Freiheit aus der Paulskirchenverfassung und der Erfurter Unionsverfassung, obwohl sie in die Verfassung von 1871 nicht übernommen wurden, von großem Einfluß auf die Gesetzgebungsvorhaben im Reich gewesen sind.

BDE. Verfassungsentwicklung in Deutschland von 1919 bis 1933 1. Die Verfassung

des Deutschen

(Weimarer

Reichs vom 11. August

1919

Reichsverfassung)

Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 182 enthielt in ihrem zweiten Teil, beginnend mit Art. 109, einen umfassenden Grundrechtskatalog. In der Regelung zum Schutz der persönlichen Freiheit in Art. 114 WRV wird die Freiheitsentziehung als spezielle Maßnahme genannt und von einem besonderen, bei sonstigen Freiheitsbeeinträchtigungen nicht vorgesehenen Verfahren abhängig gemacht. Art. 114 WRV lautet wie folgt: 177

Eckhardt (Fn. 118), S. 129. Eckhardt (Fn. 118), S. 130. 179 Vgl. die Stellungnahme des Abg. Barth in Bezold, Materialien der dt. Reichsverfassung, Bd. I, S. 946. 180 v g l hierzu grundlegend Jellinek, Menschen- und Bürgerrechte, S. 3; ferner Eckhardt (Fn. 118), S. 127. 178

181

RGBl. S. 253. 1 82 RGB1. S. 1383.

D. Zusammenhang des Art. 104 GG mit früheren Regelungen

161

„Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Eine Beeinträchtigung oder Entziehung der persönlichen Freiheit durch die öffentliche Gewalt ist nur auf Grund von Gesetzen zulässig." „Personen, denen die Freiheit entzogen wird, sind spätestens am darauf folgenden Tag in Kenntnis zu setzen, von welcher Behörde und aus welchen Gründen die Entziehung der Freiheit angeordnet worden ist; unverzüglich soll ihnen Gelegenheit gegeben werden, Einwendungen gegen die Freiheitsentziehung vorzubringen."

Damit sieht der Art. 114 WRV im Falle einer Freiheitsentziehung für den Betroffenen weitergehende Rechtsgarantien vor als dies bei einer bloßen Freiheitsbeeinträchtigimg der Fall ist. Zwar schreibt Art. 114 I I WRV nicht wie Art. 104 I I die Einschaltung des Richters im Falle der Freiheitsentziehung vor 1 8 3 ; trotzdem mußte der Betroffene spätestens bis am darauf folgenden Tag darüber in Kenntnis gesetzt werden, welche Behörde aus welchen Gründen die Freiheitsentziehung angeordnet hat, und es mußte ihm Gelegenheit gegeben werden, gegen die Freiheitsentziehung Einwendungen vorzubringen. Kenntnisse darüber, wie der Begriff der Freiheitsentziehung in Art. 114 I I WRV zu verstehen ist, ergeben sich dabei insbesondere aus den Materialien und dem Schrifttum zu dieser Vorschrift. a) Materialien zu Art. 114 WRV aa) Entstehung

des Art. 114 WRV

Mit der Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs wurde der Staatsrechtslehrer Hugo Preuss beauftragt, der zunächst einen nicht veröffentlichen fragmentarischen Urentwurf fertigstellte, in dem nur drei Grundrechte genannt, drei weitere lediglich angedeutet waren 1 8 4 . Regelungen zum Schutz der persönlichen Freiheit enthielt dieser Entwurf nicht 1 8 5 . Erst der zweite Entwurf enthielt einen besonderen Grundrechtsabschnitt, der sich im wesentlichen an die Reichsverfassung von 1849 anlehnte 186 . § 24 dieses Entwurfs lautete 1 8 7 : „Die persönliche Freiheit ist unverletzlich. Ein Deutscher darf nur auf Grund eines schriftlichen, mit Gründen versehenen richterlichen Haftbefehls verhaftet werden. Wird er auf frischer Tat ergriffen, so ist er binnen 24 Stunden dem zuständigen Richter vorzuführen, der über seine Verhaftung entscheidet. " 183 Obwohl der Abg. Katzenstein in der 41. Sitzung am 17. Juni 1919 den erfolglosen Antrag stellte, ein richterliches Prüfungsrecht bei Freiheitsentziehungen verfassungsrechtlich zu verankern, vgl. Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung Bd. 336, S. 500. 184 Eckstein, Freiheit der Person, S. 30; Huber, Dt. Verfassungsgeschichte, Bd. V, S. 1178. 18 5 Eckstein (Fn. 184), S. 30; Huber (Fn. 184), S. 1180. "β Huber (Fn. 184), S. 1181. 187 Siehe hier Eckstein (Fn. 184), S. 30.

11 Hantel

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e u n g des Begriffs der Freiheitsentziehung

Während der Beratungen durch die Vertreter der Einzelstaaten erfuhr der § 24, wie auch der gesamte Verfassungsentwurf, eingehende Veränderungen. Der der Nationalversammlung in Art. 35 vorgelegte Regierungsentwurf zum Schutz der persönlichen Freiheit lautet wie folgt 1 8 8 : „Die persönliche Freiheit ist unverletztlich. Sie darf nur durch Gesetz beschränkt werden."

Nach der 1. Beratung überwies die Nationalversammlung diesen Verfassungsentwurf dem 8. Verfassungsausschuß 189, der seinerseits die Behandlung der Grundrechtsmaterie einem Unterausschuß übertrug 1 9 0 . Mit der Abfassung der Grundrechte war in diesem Unterausschuß zuvorderst der Zentrumsabgeordnete Beyerle betraut. Er schlug dem Unterausschuß zunächst folgende Regelung zum Schutz der persönlichen Freiheit vor: „Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Eine Beeinträchtigung oder Entziehung der persönlichen Freiheit durch die öffentliche Gewalt ist nur auf Grund von Gesetzen zulässig. Voraussetzung jeder Verhaftung ist ein richterlicher Haftbefehl. Jeder vorläufig Festgenommene ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Haft vorzuführen. Der gesetzlich vorgeschriebene Dienst in der Wehrmacht des Reiches enthält als Ehrenpflicht jedes deutschen Mannes keine Beschränkung der persönlichen Freiheit."

In diesem Entwurf ist in Absatz 1 erstmals von der Entziehung der persönlichen Freiheit als einer Maßnahme die Rede, die sich von der Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit unterscheidet. In den weiteren Beratungen wurde der Absatz 3 dieses Entwurfs als unnötig fallengelassen. Aber auch die reine strafprozessuale Prägung des Absatzes 2 wurde von den Abgeordneten kritisiert, insbesondere weil sich ihr Regelungsinhalt weitgehend bereits aus der StPO ergab. Der Absatz 2 wurde daher abstrakter wie folgt formuliert 1 9 1 : „Personen, denen die Freiheit entzogen wird, sind binnen 24 Stunden in Kenntnis zu setzen, von welcher Behörde und aus welchen Gründen die Entziehung der Freiheit angeordnet ist."

Dieser Fassimg wurde dann ein zweiter Halbsatz mit folgendem Inhalt angefügt 192 : „unverzüglich soll ihnen Gelegenheit gegeben werden, Einwendungen gegen die Freiheitsentziehung vorzubringen. " Der 8. Verfassungsausschuß billigte dann in seiner 41. Sitzung am 17. Juni 1919 diese Fassung des Unterausschusses 193, wobei auf besonderen Antrag 188 189 190 191 192

Eckstein (Fn. 184, S. 31. Huber (Fn. 184), S. 11909 Eckstein (Fn. 184), S. 31. Eckstein (Fn. 184), S. 33. Eckstein (Fn. 184), S. 33.

D. Zusammenhang des Art. 104 GG mit früheren Regelungen

163

des Abg. Beyerle statt der Worte „binnen 24 Stunden" die Worte „spätestens am darauffolgenden Tag" in die Vorschrift eingefügt wurde. Damit stand diejenige Textgestaltung fest, die unverändert vom Plenum der Nationalversammlung angenommen und in Art. 114 WRV mit Gesetzeskraft versehen wurde. Aus diesem Überblick wird deutlich, daß zunächst die über den bloßen Gesetzesvorbehalt hinausgehenden Rechtsgarantien bei Eingriffen in die persönliche Freiheit auf Verhaftung beschränkt sein sollten. Erst im Laufe der Beratungen setzte sich die Überzeugung durch, daß auch andere, nicht zu strafprozessualen Zwecken erfolgende Eingriffe von besonderen Verfahrensvoraussetzungen abhängig sein sollten. Daher wurde der Begriff der Verhaftung durch den der Entziehung der Freiheit ersetzt. Hierdurch wurde zum Ausdruck gebracht, daß Eingriffe, die den Intensitätsgrad einer Freiheitsentziehung erreichten, unabhängig von ihrem Zweck, den Rechtsgarantien des Absatzes 2 unterliegen sollten. Damit w i r d die Parallele zu den Beratungen zu Art. 138 der Paulskirchenverfassung deutlich. Auch hier waren zunächst besondere Verfahrensgarantien nur im Falle der Verhaftung vorgesehen, während die endgültige Fassung auch die polizeiliche Verwahrung von der Beachtung bestimmter Verfahrensregeln abhängig gemacht hat. Ein Unterschied zur Paulskirchenverfassung besteht allerdings darin, daß die Weimarer Reichsverfassung nicht die Verhaftung und polizeiliche Verwahrung als besondere Eingriffe nennt, sondern nur den Oberbegriff der Freiheitsentziehung verwendet. Hierin liegt der eigentliche Unterschied in der Formulierung des Art. 114 WRV im Vergleich zu vorangegangenen Regelungen zum Schutz der persönlichen Freiheit. Es ist somit festzustellen, daß sich der abstrakte Begriff der Freiheitsentziehung aus den Maßnahmen der Verhaftung und der polizeilichen Verwahrung entwickelt hat. Daraus ist zu folgern, daß es sich bei der Freiheitsentziehung nach Art. 114 I I WRV um eben diese Eingriffe oder ihnen vergleichbare Maßnahmen handeln muß. bb) Stellungnahme

einzelner

Abgeordneter

Bestätigt wird dieses Ergebnis durch Stellungnahmen einzelner Abgeordneter in den Verhandlungen der Nationalversammlung, die Rückschlüsse darauf zulassen, wie der Begriff der Freiheitsentziehung in Art. 114 I I WRV zu verstehen ist. Der Abg. Beyerle führte in der 41. Sitzung des Verfassungsausschusses am 17. Juni 1919 aus, daß von Absatz 2 des Entwurfs sowohl Fälle der Schutzhaft wie auch gewöhnliche Verhaftungen erfaßt werden sollen 194 . 193 Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 336, S. 501.

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e u n g des Begriffs der Freiheitsentziehung

Der Abg. Katzenstein 195 nahm in der gleichen Sitzung zu einem von ihm eingebrachten Antrag, ein richterliches Prüfungsrecht bei Freiheitsentziehungen vorzuschreiben, mittelbar zum Begriff der Freiheitsentziehung Stellung. So führte er aus, daß demjenigen, der durch eine Polizei- oder Militärbehörde widerrechtlich verhaftet worden ist, sehr wenig damit gedient sei, wenn er bei der gleichen Behörde Einwendungen geltend machen kann 1 9 6 . Der Abg. Gröber 1 9 7 stellte fest, daß es sich in Art. 35 I I nicht nur um Justizfälle, sondern auch um die Entziehung der Freiheit bei der Schutzhaft handelt. An diesen Beispielen w i r d deutlich, daß die Abgeordneten der Deutschen Nationalversammlung unter Freiheitsentziehung jede Form der Verhaftung eines Menschen, unabhängig von der Zielrichtung der Maßnahme, verstanden haben. An weniger intensive Maßnahmen haben die Abgeordneten bei der Formulierung des Art. 35 II, dem späteren Art. 114 I I WRV, nicht gedacht. Für eine extensivere Auslegung des Begriffs der Freiheitsentziehung in Art. 114 I I WRV, der auch Eingriffe wie die Vorführung, die Sistierung oder eine räumlich begrenzte Aufenthaltserlaubnis erfassen sollte, fehlt in den Materialien zu Art. 114 I I WRV jeder Hinweis. b) Schrifttum zu Art. 114 WRV Auch in den einschlägigen Kommentaren und den verfassungsrechtlichen Aufsätzen zu Art. 114 WRV w i r d der Begriff der Freiheitsentziehung als Verhaftung im weitesten Sinne, besonders im Kontext zur Strafhaft, definiert. So nennt Anschütz 1 9 8 als Beispiele für eine Freiheitsentziehung nach Art. 114 I I WRV die Haft des Straf- und Zivilprozeßrechts, die vorläufige Festnahme nach § 127 StPO und die von der Polizei verhängte Verwahrung (Gewahrsam und Schutzhaft). Ebenso ist Giese 199 der Auffassung, daß es sich bei der Freiheitsentziehung um Fälle der polizeilichen Festnahme mit Schutzhaft, der kriminellen Haft und der aufgrund der ZPO erfolgten Zivilhaft handelt. Besonders deutlich wird der Vergleich mit der Strafhaft bei Meißner 200 . Er führt aus, daß Art. 114 I I WRV Bestimmungen der StPO wiederhole und 194 Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 336, S. 500. 195 (Fn. 194). i9