Cato Maior. Laelius: Lateinisch - Deutsch [5 ed.]
 3050052740, 9783050052748

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S A M M L U N G

T U S C U L U M

In Tusculum, vor den Toren Roms, hatte Cicero sein Landhaus. In Zeiten der Muße, aber auch der politischen Isolation zog er sich dorthin zurück. Tusculum wurde zum Inbegriff für Refugium, fiir Muße, für wertvolle Fluchten aus einem fordernden Alltag. In der ersten Phase des Rückzugs aus der Politik schrieb Cicero in Tusculum die sogenannten Tuskulanen, eine lateinische Einführung in die Welt der (griechischen) Philosophie.

Wissenschaftliche Beratung Niklas Holzberg, Rainer Nickel, Karl-Wilhelm Weeber, Bernhard Zimmermann

CICERO | CATO MAIOR& LAELIUS

Marcus Tullius Cicero

Cato Maior de senectute Über das Alter & Laelius de amicitia Über die Freundschaft Lateinisch-deutsch Aus dem Lateinischen übersetzt von Max Faltner M t einer neuen Einführung herausgegeben von Rainer Nickel M t einem Register von Gerhard Fink 5., komplett überarbeitete Auflage SAMMLUNG TUSCULUM

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INHALT Einleitung 7 Text und Übersetzung 37 CatoMaior 37 Laelius 133 Anhang 239 Anmerkungen 241 Register 261 Literaturhinweise 279

EINLEITUNG

In seiner Schrift über die Zeichendeutung (De

divinatione)

stellt Cicero sich selbst die Frage, womit er möglichst vielen Menschen nützlich sein könne, um in seinem Einsatz für den Staat nicht nachzulassen. Da sei ihm keine größere Aufgabe vor Augen getreten, als seinen Mitbürgern die Wege der wichtigsten Wissenschaften darzustellen. So habe er unter anderem mit dem Hortensius zum Studium der Philosophie aufgefordert und in den vier Büchern der Académica

die philosophisch-

skeptische Methode des Erkenntnisgewinns dargestellt. Da die Grundlage der Philosophie auf den Gedanken Über das höchste Gut und über das größte Übel beruhe, habe er auch dieses Thema behandelt. Darauf seien die Tuskulanischen Gespräche gefolgt, die die unabdingbaren Voraussetzungen eines glücklichen Lebens klären sollen: Das erste Buch befasse sich mit der Verachtung des Todes, das zweite mit dem Ertragen von Schmerzen, das dritte mit der Linderung von Kummer, das vierte mit den übrigen Affekten, und das fünfte gehe auf das Thema ein, das die Zielsetzung der Philosophie umfassend veranschauliche: auf die Überzeugung, dass Glück auf Exzellenz (virtus) beruhe, die sich selbst genüge. Cicero zählt im Anschluss daran noch weitere wichtige Werke seiner schriftstellerischen Arbeit au£ bis er schließlich kurz auf seine Trostschriß1 zu sprechen kommt: »Sie verschafft mir selbst jedenfalls Trost, und ich glaube, dass sie auch anderen

i Cicero verfasste diese Schrift nach dem Tod seiner Tochter Tullia im Februar 45 v. Chr.; der Text war schon am 8. März abgeschlossen (Cicero, Ad Atticum 12,

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EINLEITUNG

Menschen gut helfen kann. Neulich habe ich hier auch noch die Schrift Über das Alter eingereiht, die ich unserem Freund Atticus widmete. 2 Weil die Philosophie manchmal einen tapferen und tüchtigen Mann hervorbringt, muss man ganz besonders auch unseren Cato zu unseren philosophischen Schriften zählen.« 3 In einem Brief an Atticus 4 vom 12. Mai 4 4 v. Chr. bezeichnet Cicero seine Schrift De senectute als Cato Maior.s Er schreibt an Atticus, er müsse seinen Cato Maior selbst öfter lesen, den er ihm, dem Freund, gewidmet habe: Denn das Alter mache ihn manchmal ziemlich bitter. »Ich ärgere mich über alles. Aber ich habe mein Leben gelebt. Jetzt mögen die jungen Leute zusehen, dass sie sich bewähren!« Z u Beginn des Cato Maior ( 1 - 3 ) begründet Cicero diese Widmung an Atticus ausfuhrlich. Er kenne ihn als einen be2 Zur Person des Atticus vgl. Olaf Perlwitz: Titus Pomponius Atticus, Stuttgart 1992. 3 Karl Büchner setzt die Schrift Cato Maior de senectute irrtümlich mit dem Cato gleich. Der in De divinatione i, 3 erwähnte Cato ist aber eine in nur wenigen Fragmenten erhaltene Lobschrift auf den jüngeren Cato, der im Jahr 46 v. Chr. Selbstmord beging. Vgl. dazu auch A. S. Pease: M. Tulli Ciceronis de divinatione (1920/1921), Darmstadt 1963,351 f 4 Ad Atticum 14,21,3. Cicero hatte den Cato Maior wahrscheinlich schon vor Caesars Tod (15. März 44 v. Chr.) geschrieben. Sicher ist jedenfalls, dass die Schrift vor dem 12. Mai 44, vor De divinatione und nach De natura deorum entstand. 5 Als Titel für die Schrift ist die Doppelung Cato Maior de senectute üblich geworden. Das Adjektiv maior war ursprünglich kein Namensbestandteil des Marcus Porcius Cato Censorius. Cicero selbst nennt seine Schrift in dem zitierten AtticusBrief »Cato Maior«, um zu verdeutlichen, dass es sich in der vorliegenden Schrift um den älteren Cato und nicht um seinen Urenkel, den jüngeren Marcus Porcius Cato Uticensis, handelt.

EINLEITUNG

herrschten und ausgeglichenen Mann, der nicht nur seinen Beinamen, sondern auch seine Bildung (humanitas) heit (prudentia)

und Klug-

aus Athen mitgebracht habe. Er glaube zudem,

Atticus und ihm selbst tue es gut, einmal über das Alter nachzudenken und sich zu fragen, wie man mit ihm umzugehen habe. Bei allem Nutzen, den man von dieser Schrift haben werde, habe ihm, Cicero, auch schon das Schreiben sehr viel Freude bereitet, weil es ihn alle Lasten des Alters habe vergessen lassen. Laelius und Scipio, Catos Gesprächspartner, bewundern diesen dafür, dass er sein hohes Alter so erstaunlich leicht ertrage. Sie möchten daher gern von ihm wissen, wie ihm dies gelinge. Cato formuliert bereits in seiner ersten Aussage (4) den Kerngedanken seiner Antwort: Wer keine Kraft zu einem anständigen und glücklichen Leben in sich habe, dem sei jedes Lebensalter eine Last. Wer aber nichts Unmögliches verlange, dem könne nichts schlimm vorkommen, was der natürlichen Notwendigkeit entspreche. Es sei jedoch ein Fehler, alt werden zu wollen und sich zugleich über das Alter zu beklagen. Das sei ausgesprochen inkonsequent und geradezu abwegig. Doch die Ursache dieses Gejammers sei nicht das Alter, sondern der Charakter des alten Menschen (in moribus

est culpa, non in aetate, 7 ) . 6

Der Mensch selbst sei es, der sich das Leben zur Qual mache, und zwar in jedem Alter.

6 Vgl. auch Cato Maior 65: Wenn Menschen im Alter mürrisch und eigensinnig sind, haben diese Fehler nichts mit dem Alter zu tun, sondern ihre Ursachen liegen im Charakter des einzelnen Menschen.

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Die wirksamste Waffe gegen das Alter sei ein anspruchsvolles und moralisch verantwortungsbewusstes Tätigsein (artes exercitationesque virtutum, 9). Das aber gelte wiederum für jedes Lebensalter (in omni aetate), und etwas später (13) heißt es dann: Es sei töricht, die Fehler, die man selbst zu verantworten habe, dem Alter zuzuschieben. Natürlich verlangt das Alter, so Cato, das kontinuierliche Üben aller individuellen Fähigkeiten. Das gilt insbesondere für das Gedächtnis, das nachlässt, wenn man es nicht übt (21). Die geistigen Kräfte nehmen aber nicht ab, wenn man sie herausfordert (22). S o hat auch Sophokles in seinem hohen Alter noch Tragödien geschrieben. Er soll sich sogar in diese Arbeit so vertieft haben, dass er sein Hauswesen zu vernachlässigen schien. Seine Söhne wollten ihn daraufhin entmündigen lassen. Aber in der Gerichtsverhandlung las er dann den Richtern den Ödipus auf Kolonos vor, an dem er gerade arbeitete, und widerlegte damit den Vorwurf der Demenz. M a n hat mit Recht daraufhingewiesen, dass die Schrift von funfLeitmotiven bestimmt ist: 7 1. Hinter dem Werk stehen die beiden »philosophierenden Greise« Cicero und Atticus, die ihr Alter - beide sind Anfang sechzig - sinnerfullt, das heißt, in einem otium cum dignitate, verbringen wollen. 2. Cato hat sich erst in einem höheren Alter mit den Griechen und ihrer Gedankenwelt auseinandergesetzt. 8 Diese Tat-

7 Büchner 1964,401 £ 8 Über den historischen Cato: Kienast 1979. Cicero sah in Cato ein großes Vorbild.

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sache veranschaulicht, dass Cato das Lernen in der sich verknappenden Zeit des Alters für besonders wertvoll hält. 3. Cato repräsentiert eine Phase der römischen Geschichte, in der bedeutende römische Persönlichkeiten noch in einem hohen Alter die Geschicke des Staates bestimmten. 9 4. Die Szenerie des Gesprächs erinnert auch an die Kultur des Scipionenkreises: Scipio Aemilianus und sein Freund Laelius kommen im Jahr 150 v. Chr. zu Cato und entwickeln aus der Bewunderung für die Würde, mit der Cato sein Alter verbringt, das Gespräch über das Alter. 5. Cato ist in der fiktiven Gesprächssituation 84Jahre alt: Er hat also ein gutes Recht, auch von seinem Leben auf dem Land und in der Landwirtschaft ausgiebig zu schwärmen und darin die Quelle seiner Gesundheit noch im hohen Alter zu sehen. Die »Freuden der Bauern« 1 0 kann man auch noch in diesem

Daraus ergibt sich, dass er ihn in der vorliegenden Schrift in einem besonders positiven Licht erscheinen lässt. Auch der Historiker Livius (Ab urbe condita 39, 40) zeichnet Cato als eine Persönlichkeit mit außergewöhnlichen Eigenschaften und Fähigkeiten. Es gibt allerdings auch Hinweise darauf, dass Cato in der früheren annalistischen Geschichtsschreibung nicht in ganz so hellen Farben gemalt wurde. Auch Plutarch vermag in seiner Cato-Biographie die Schattenseiten der großen Persönlichkeit nicht gänzlich zu leugnen. Das tradierte CatoBild setzt sich also aus unterschiedlichen Elementen zusammen. Auf der Suche nach einem möglichst authentischen Cato-Bild empfiehlt es sich, auch seine eigenen Schriften zu durchforschen, in denen er u.a. die Auffassung vertritt, dass man die Griechen nicht blind nachahmen, sondern sich die griechische Kultur überlegt aneignen solle, wo sie mit der römischen Mentalität vereinbar sei. 9 Darauf weist Cicero auch am Anfang seiner Schrift De n publica hin. 10 Cato Maior 51-59.

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Lebensabschnitt genießen. In vielen Einzelheiten schildert Cato, was ihm sein Leben lang ein unglaubliches Vergnügen bereitete, ist doch die Arbeit auf dem Lande mit dem philosophischen Leben besonders eng verwandt. Cato versäumt es nicht, in diesem Zusammenhang auch Homer zu zitieren: Laertes, der alte Vater des Odysseus, bestellte seinen Acker, um mit dieser Arbeit die Sehnsucht nach seinem immer noch abwesenden Sohn zu lindern (54)." Die Begeisterung für die Landwirtschaft hat Cato mit anderen »alten« Römern wie mit Manius Curius gemeinsam, den die Samniten vergeblich zu bestechen versuchten, weil er selbst keinen Wert auf Gold legte, sondern lieber über die Menschen herrschen wollte, die es besitzen (55). Und dann dürfe man auch jene »Alten«, die Senatoren, nicht vergessen, die aufgrund ihrer Führungskompetenz, ihrer Klugheit und ihrer Urteilsfähigkeit den »Rat der Alten«, den Senat, bilden! Auch sie lebten früher auf dem Lande, wie etwa Lucius Quinctius Cincinnatus, der beim Pflügen seines Ackers die Nachricht erhielt, er sei zum Diktator ernannt worden. »War nun das Alter dieser Männer, die in der Land-wirtschaft ihre Entspannung suchten, beklagenswert« (56)? U m diese Befürchtung zu widerlegen, setzt sich Cato mit vier »Hauptanklagepunkten« gegen das Alter auseinander, die freilich nicht altersspezifisch sind: Denn Tatenlosigkeit (15-26), Schwäche (27-38), Freudlosigkeit (39-66) und Todesnähe ( 6 6 - 8 6 ) können jedes Lebensalter entwerten.

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Vgl. Homer, Odyssee 24,226-257.

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Abgesehen davon, dass Cato diese konventionellen Einwände gegen das Alter zurückweist, wie sie schon in der frühgriechischen Dichtung reflektiert werden, gibt er den sehr ernstgemeinten Rat, das Alter nicht isoliert zu betrachten, sondern das Leben in seiner Ganzheit zu sehen und zu gestalten, weil es eben nicht in zwei oder drei Phasen zerfällt, bevor es verfällt. Immer wieder spricht Cato von lebenslanger Übung des Gedächtnisses (21), von »eifrigem Interesse« (Studium et industria, 22) und von körperlicher Übung (exercitatio, 36). Im Alter können »Übung und Mäßigung« (exercitatio et temperantia, 34) die früheren Kräfte und geistigen Fähigkeiten (exercitationes ingeni, 38) erhalten. A n einer zentralen Stelle der Schrift - kurz vor der Mitte lässt Cicero den alten Cato sagen (38): »Dass ich die vielen schönen Dinge tun kann, ist das Ergebnis meines - ganzen bisher geführten Lebens« ( . . . utpossim,facit acta vita).12 Wer nämlich sein Leben mit solchen Bestrebungen und Arbeiten ausfälle, bemerke gar nicht, dass er älter werde. Unmerklich erreiche das Leben sein Alter und verlösche dann allmählich, ohne plötzlich und mit Gewalt zu zerbrechen. Wenn Cato immer wieder darauf hinweist, dass das Alter niemals isoliert, sondern als Teil des ganzen Lebens zu betrach-

12 Der Historiker Livius schildert Cato - abweichend von Cicero (vgl. Anm. 8) als einen »schwierigen Charakter« (39,40,10: asperi... animi... futt) mit einer »scharfen Zunge« (linguae acerbae ... Juit). Aber er war absolut unbestechlich, hatte kein Interesse an Macht und Reichtum und war ein Mann von größter Härte gegen sich selbst, dem nicht einmal das Alter, wie Livius ausdrücklich hervorhebt, etwas anhaben konnte.

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ten sei, betont er zugleich, dass er nur das Alter loben wolle, für das man in der Jugend eine feste Grundlage gelegt habe (quae fundamentis adulescentiae constituta sit, 62). Das gilt auch für die »Autorität« des Alters: Nicht die grauen Haare und auch nicht das zerfurchte Gesicht könnten einem Menschen Ansehen verschaffen; nur das vorher ehrenwert geführte Leben (honeste acta superior aetas, 63) begründe echte Autorität. Wenn Cicero im Cato Maior dazu auffordert, das Leben als ein Ganzes zu verstehen und mit Sinn zu erfüllen, weist er alle traditionellen Entwürfe einer Einteilung des Lebens in unterschiedliche Phasen zurück. Selbst der Tod sei in jeder Lebensphase gegenwärtig, und man müsse von Jugend an vorbereitet sein (74). An Catos Persönlichkeit veranschaulicht Cicero, dass die Dichotomie des Lebens, die Einteilung in »jung« und »alt«, unbegründet und eine unterschiedliche Bewertung einzelner Lebensphasen gegenstandslos ist. Cicero lässt den Cato zweifellos »gegen den Trend« argumentieren. Viele bedeutende griechische Dichter und Philosophen vor Cicero haben in ihren Werken das Alter beklagt und diese Phase des Lebens abgelehnt. So widerspricht Cato in der Sache dem Tragödiendichter Sophokles, der im Ödipus auf Kolonos den Chor (1224-1238) die berühmten Worte sagen lässt: »Nicht geboren zu sein, ist besser als alles andere. Doch wenn du schon einmal auf die Welt kommst, ist es das Zweitbeste, möglichst schnell dorthin zu gehen, woher du gekommen bist. Sobald die Jugend mit ihrer sorgenfreien Leichtigkeit vorbei ist - wer lebt dann noch ohne Mühsal und Erschöpfung? Neid, Aufruhr, Streit, Krieg und Mord ... aber das ist noch nicht alles:

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Dazu kommt auch noch das vielfach gescholtene, kraftlose, ungesellige Alter, das ohne Freunde ist und allen Übeln der Welt Raum gibt.« Und in diesen Chor stimmt auch Theognis, der griechische Meister des Pessimismus (Elegien 425-428) ein: »Für Erdenbewohner ist es das Allerbeste, nicht geboren zu sein und das Licht der hellen Sonne nicht gesehen zu haben, wenn man aber nun einmal geboren ist, möglichst schnell die Tore des Hades zu durchschreiten und dazuliegen bedeckt von viel Erde.« Einige Zeilen später (527 £) bringt Theognis seine Angst vor der verrinnenden Lebenszeit auf denkbar knappstem Raum zum Ausdruck: O weh! Ach Jugend, ach vernichtendes Alter! Dieses drängt heran, jene vergeht. Cicero hätte sich in seiner Schrift De seneäute sogar von Xenophon distanzieren müssen, auf den er sich gewöhnlich - auch im Cato Mai'or13 - mit großer Hochachtung beruft. Denn in seiner Apologie lässt Xenophon den siebzigjährigen Sokrates vor Gericht sagen, er habe sich schon deshalb nicht so viel Mühe mit seiner Verteidigung gegeben, weil er den Tod für vorteilhafter halte als das Leben (Apologie 6-7): »Wenn jetzt mein Leben noch weitergeht, dann werden sich, das weiß ich genau, die Erscheinungen des Alters einstellen, dass 13 Vgl. z.B. CatoMaiors?.

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ich nämlich schlechter sehe, weniger höre, weniger lernfähig bin und leichter vergesse, was ich einmal gelernt habe. Wenn ich aber feststelle, dass meine Kräfte abnehmen und ich selbst unzufrieden mit mir bin, wie könnte ich dann noch gern leben wollen? Vielleicht meint es Gott sogar gut mit mir, dass er mein Leben im richtigen Alter und auch besonders leicht beendet. Wenn man nämlich jetzt das Todesurteil über mich spricht, dann wird es mir zweifellos möglich sein, das Ende zu finden, das von denen, die etwas davon verstehen, für besonders leicht gehalten wird, und außerdem noch den Freunden die geringsten Unannehmlichkeiten macht und die größte Sehnsucht nach dem Verstorbenen weckt. Denn wenn nichts Unschönes und nichts Hässliches im Bewusstsein der Überlebenden bleibt und man mit einem gesunden Körper und einer Seele mit versöhnlichen Gedanken fortgeht, wie sollte dann der Tod nicht wünschenswert sein?« O b Sokrates diese Gedanken wirklich vor Gericht vorgebracht hat, ist zweifelhaft. Aber dass er sie im Kreis seiner Freunde geäußert haben könnte, ist durchaus möglich. Denn Xenophons Sokrates bejaht seine Hinrichtung nicht, weil er sich schuldig fühlt, sondern weil er Angst vor dem Verfall und dem Verlust seiner Persönlichkeit hat. Weil er seinen Mitmenschen nicht zur Last fallen will, begeht er gewissermaßen mit staatlicher Hilfe Selbstmord. Ciceros Cato hätte dieser Begründung zweifellos energisch widersprochen. O b Cato nun auch den Elegiker Mimnermos von Kolophon kannte, ist nicht bekannt. Aber dass der Römer das Jammern des Dichters aus der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts v. Chr. über die Zerstörung des Menschen im Alter (Fragment 1 West)

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als ein Zeichen schwerer Altersdepression hätte verstehen müssen, ist gewiss: 14 Was ist das Leben, wo ist noch Lust ohne Aphrodite? Ich möchte tot sein, wenn mir nichts mehr daran läge. Heimliche Liebe, süße Geschenke und beieinander zu liegen das sind Freuden, die Männer und Frauen, solange sie jung sind, reizen und anziehen. Sobald aber das schmerzensreiche Alter kommt, das den Menschen hässlich und abstoßend werden lässt, drücken ihm unaufhörlich schlimme Sorgen aufs Gemüt, und die Strahlen der Sonne sieht er nicht mehr mit Freude. Er ist vielmehr den Kindern widerlich und ekelhaft den Frauen. So schlimm hat ein Gott das Alter werden lassen. Darum lässt sich Mimnermos zu dem Wunsch hinreißen (Fragment 6 West): Ach könnte doch ohne Krankheiten und schmerzvolle Sorgen den Sechzigjährigen das Todeslos ereilen!

14 D i e folgende Prosaübersetzung gibt den von Mimnermos in zehn elegischen Distichen verfassten Text des Fragments vollständig wieder.

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Für den depressiven Dichter war der Tod nicht das Ende eines schönen Lebens, sondern das Vermeiden eines schlimmen Unheils - wie es auch beim xenophontischen Sokrates anklang. Solon wiederum antwortet Mimnermos: Wenn du dich aber von mir überzeugen lässt, ... dann ändere dein Gedicht und singe so: »Ach könnte doch erst den Achtzigjährigen das Todeslos ereilen!« (Fragment 20 West). Als Solon aus Athen diese Verse schrieb, war er wahrscheinlich älter als sechzig und hätte nach der Rechnung des Mimnermos schon längst tot sein müssend »Das kräftige Naturell des mutterländischen Adligen lehnt sich, gut gelaunt, gegen die müde Verdrossenheit des ionischen Poeten a u f « ' 6 So sollten Solons Freunde, wenn er sein Gedicht beim heiteren Symposion vortrug, vielleicht auch in ihm den Ton jener positiven Lebenseinstellung vernehmen, der so schroff gegen die Verzagtheit des Mimnermos absticht. In derselben Elegie an Mimnermos fährt Solon fort (Fragment 21 West):

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Vgl. Wolfgang Schadewaldt: »Lebenszeit und Greisenalter im frühen Griechent u m « , ^ : ders.: Hellasund Hesperien. Gesammelte Schriften zur Antike und zur neueren Literatur, Zürich und Stuttgart i 9 6 0 , 4 1 - 5 9 .

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Schadewaldt i960,43.

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U n d es komme der Tod mir nicht unbeweint; meinen Freunden hinterließe ich gern Schmerzen und stöhnendes Leid. 17 Solon sieht sich im hohen Alter also nicht als Gegenstand des Ärgernisses und der allgemeinen Missachtung, sondern er wünscht sich, dass auch der Tod eines Achtzigjährigen noch ehrlich betrauert werde. Das mag auch in Erfüllung gehen, wenn die geistigen Kräfte im Alter nicht verfallen, sondern wenn man mit Solon sagen kann (Fragment 18 West): Mit dem Altern zugleich lerne ich vieles dazu.' 8 Aus dieser Erfahrung spricht homerische Gelassenheit: Der Dichter blickt ebenso unsentimental wie entspannt auf Jugend und Alter. Beide Lebensphasen haben ihre Vorzüge und ihre Mängel. Weder in der Ilias noch in der Odyssee, w o sogar mitunter der Blick auf dem Ziel eines behaglichen Lebensabends ruht, ist von einem Grauen vor dem Alter die Rede. Gewiss wird die Zerbrechlichkeit der Menschennatur gesehen, nicht

17 Hermann Frankel: Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums. Eine Geschichte der griechischen Epik, Lyrik und Prosa bis zur Mitte des fünften Jahrhunderts, 3. Aufl. München 1969,250. Vgl. auch Cicero, Tusc. disp. 1,117; Cato Malor 73. 18 Diesen Gedanken greift Cicero, Cato Maior 26, auf: »So rühmt sich zum Beispiel Solon, wie wir wissen, in einem Vers, indem er sagt, während er alt werde, lerne er täglich Neues hinzu. So war es auch bei mir: Ich habe noch im Alter Griechisch gelernt ...«. Vgl. auch Cato Maior 50, wo Cicero denselben Gedanken wiederholt und ausweitet.

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aber in der Gebrechlichkeit des Alters bejammert. Es ist kein Unglück, dass das Alter kommt. Es wäre nur traurig, »nicht in das Alter zu kommen« und zu früh zu sterben. Cicero lässt seinen Cato das ungewöhnlich hohe Alter erwähnen, das der berühmte Sophist Gorgias erreicht hat (Cato Maior 13): »Gorgias aus Leontinoi lebte volle einhundertsieben Jahre, ohne je in seinem produktiven wissenschaftlichen Eifer nachzulassen. Als er gefragt wurde, warum er so lange am Leben bleiben wolle, erklärte er: >Ich habe keinen Grund, mich über das Alter zu beklagenin beide Richtungen< (in utramque partem), argumentieren kann: Einerseits in die Richtung, die ich gewöhnlich einschlage, dass man deine Treue und freundschaftliche Einstellung loben muss, wenn du deinen Freund

24 A d familiares 11, ig, 8 (Kasten).

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auch nach seinem Tod noch liebst, andererseits in die Richtung, in die manche anderen Menschen gehen, dass die Freiheit des Vaterlandes höher zu stellen ist als das Leben des Freundes.« Dieser explizit politisch-aktuelle Bezug einer Freundschaft entspricht gewiss nicht der konventionellen philosophischanthropologischen Perspektive des übrigen Gesprächs über die Freundschaft. Aber ein Konflikt zwischen Freundestreue und Moral ist grundsätzlich nicht auszuschließen. 25 Er spielt zwar in der Freundschaft zwischen Cicero und dem unpolitischen Atticus keine Rolle; sobald aber Politik ins Spiel kommt, kann er ausbrechen. Das »Kernstück« (36-43) über die politische Freundschaft wird flankiert von weiteren Überlegungen, die das Phänomen »Freundschaft« über seine politische Dimension hinaus beleuchten. Dabei spielt es übrigens keine wesendiche Rolle, ob Cicero dieses »Kernstück« früher oder später verfasste als den übrigen Text. 16 Cicero sieht selbstverständlich, dass man nur im »Idealfall« die Forderung einhalten kann, Freunden alle Wünsche zu erfüllen, und zwar unter der Bedingung, dass man »die vollkommene Weisheit« besitzt. Er denkt hier an eine perfecta sapientia, die es unter Menschen normalerweise nicht gebe: Aber »wir sprechen ja von solchen Freunden, wie wir sie in Wirklichkeit

25 Büchner 1994,427 £ sieht hier sogar die Gefahr einer Antinomie zwischen Pflicht (res publica) und Neigung (amicitia). 26 Büchner 1964, 423 versteht nicht allein 3 6 - 4 3 , sondern 2 6 - 4 3 als »eine spätere Erweiterung« der Schrift. A u f die Begründung soll hier nicht eingegangen werden.

EINLEITUNG j31.

vor uns haben, ... eben wie sie das Leben gemeinhin kennt« (38). Daher solle man sich seine Vorbilder bei denen suchen, die der Weisheit wenigstens »ganz nahe sind«. Die Schrift besteht dann auch in ihrem zweiten Teil (56-100) aus einer Vielzahl von Regeln, Ratschlägen und Empfehlungen (praecepta) für eine gelingende Freundschaft unter »Normalmenschen« oder viel mehr noch für soziale Beziehungen des täglichen Lebens - unabhängig von einer bestimmten historischen Situation. Diese Regeln dürften niemanden überfordern, und wer ihnen entspricht, beweist - auch heute noch - eine hohe soziale Kompetenz. Allerdings übersieht Cicero auch nicht die Schwierigkeit, Freundschaften zu stiften, wenn er betont, dass es wirkliche Freundschaft nur zwischen sittlich guten Menschen gebe (inter bonos, 65). Denn nur die sittlich Guten können gewährleisten, dass unter ihnen zum Beispiel Verstellung und Heuchelei, Misstrauen und Unaufrichtigkeit keinen Platz haben. Neben vielen anderen Grundsätzen, deren Beachtung eine Freundschaft begründe und stabilisiere, hebt Cicero die gegenseitige Achtung (verecundia, 82) besonders hervor. Denn diese ist die Voraussetzung dafür, dass Freundschaft Exzellenz (virtus) entwickeln hilft (83); denn Exzellenz kann sich nur in Kontakt mit Exzellenz entwickeln. Die condicio sine qua non jeder Freundschaft ist aber die uneingeschränkte Wahrhaftigkeit (venías, 92), ohne die keine Freundschaft bestehen kann - wie auch keine Freundschaft ohne moralische Integrität sein kann (104).

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EINLEITUNG

Man stimmt heute weitgehend darin überein, dass sich Cicero bei der Abfassung seines Werkes vor allem von Theophrast hat anregen lassen, soweit er nicht auf eigene Erfahrungen zurückgreifen konnte, wie sie in dem genannten »Kernstück« über die politische Dimension des Freundschaftsbegriffs zum Ausdruck kommen. Man kann sich dabei auf Aulus Gellius berufen, der ausdrücklich daraufhinweist, dass Cicero Theophrasts Schrift Über die Freundschaft gelesen habe. 27 Vielleicht geht auch das liebenswürdige Zugeständnis (61), dass man die strengen moralischen Anforderungen an die Freundschaft unter gewissen Umständen auch einmal lockern dürfe, auf die großzügigere Haltung des Peripatetikers Theophrast zurück. 28 Es kann, räumt Cicero ein, immer einmal Situationen geben, in denen man verpflichtet ist, auch weniger berechtigte Wünsche seiner Freunde zu unterstützen, so dass man vom Weg (des strengen Rechts) abweichen und im Widerstreit zwischen Pflicht und Neigung zugunsten der Neigung entscheiden muss. 29 Auch wenn Cicero hier zu bedenken gibt, dass dieses Verhalten nur nicht die schändlichsten Folgen (summa turpitudo) haben dürfe, räumt er doch grundsätzlich ein, dass Freundschaft eine emotionale Seite haben darf die im Einzelfall und unter besonderen Umständen den Vorrang vor der Moral verdient.

27 Gellius, Noctes Atticae 1,3,11. 28 Bringmann 1971,228. 29 Gellius 1 , 3 , 1 3 ff zitiert und diskutiert Laelius de amicitia 61 ausführlich vor dem Hintergrund der entsprechenden Ausführungen Theophrasts.

EINLEITUNG

Gellius (1, 3, 28) zitiert Theophrast wörtlich, um diese humane Möglichkeit unkonventioneller Konfliktbewältigung zu begründen: »Manchmal bestimmen, regieren und steuern gewissermaßen von weiter her kommende äußere Einflüsse und auch zusätzliche unberechenbare Faktoren, die aus den einzelnen Individuen, den Motiven, den Situationen und Zwängen der Umstände selbst hervorgehen und die man wohl kaum in klare Regeln fassen kann, die moralischen Prinzipien und lassen sie bald als gerechtfertigt, bald als ungerechtfertigt erscheinen.« Dieser aus Theophrasts Schrift Über die Freundschaft zitierte Satz zeigt deutlich, was Cicero mit der Möglichkeit einer »Abweichung vom Weg« meint: Es kann für menschliche - das heißt, nicht umfassend berechenbare - Beziehungen wie »Freundschaft« allenfalls Grundsätze, aber kein festes, folgerichtiges und allgemeingültiges Regelsystem geben, so dass man mitunter undogmatisch handeln darf - übrigens ganz im Sinne des akademischen Skeptizismus, zu dem sich Cicero auch sonst im Laelius bekennt. Ciceros Laelius de amicitia ist vielleicht kein Vademecum für Partnerschaftsberater. Aber wäre ein solcher mit dem Laelius nicht sehr gut beraten?

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EINLEITUNG

Der Aufbau von Laelius de amicitia A. Der äußere Rahmen ( 1 - 5 ) Scaevola der Augur erzählt Cicero und anderen von einem Gespräch zwischen Laelius und seinen Schwiegersöhnen Fannius und Scaevola, in dem jener, kurz nach dem Tod des jüngeren Scipio, über eine längere Diskussion mit diesem berichtet, bei der es um die Freundschaft gegangen sei. Vergleich mit dem Cato Maior, Begründung der gewählten Form und Widmung ( 4 - 5 ) . B. Hauptteil ( 6 - 1 0 0 ) Es wird nicht eine These widerlegt (wie im Cato), sondern Laelius hält eine Mahnrede. 1. Der Ansatzpunkt: Scipios Tod und die Haltung des Laelius dazu; zuerst wird der Begriff »Weisheit« umrissen, dann der Schmerz über Scipios Tod durch den Hinweis auf seinen Nachruhm und das Weiterleben der Seele gemildert und schließlich das Thema »Freundschaft« angesprochen (6-15). 2. Drei Aspekte: Fannius, der einen Lehrvortrag erbittet, gibt dessen Disposition vor: - Was ist Freundschaft (Definition)? - Worin beruht ihr Wert? - Welche Regeln sind zu befolgen? (16) 3. Vortrag des Laelius: - Freundschaft ist nur zwischen Guten, d. h., nach stoischem Verständnis, nur zwischen »Weisen«

EINLEITUNG

möglich; sanfte Polemik gegen den überzogenen Weisheitsbegriff der Stoiker, dann aber Rückgriff auf eine zentrale Forderung der Stoa: der Natur als Führerin folgen. Natürlich aber ist es, dass Menschen Gemeinschaft suchen, und deren höchste Form ist die Freundschaft, da sie auf Liebe und völliger Übereinstimmung in allen Lebensfragen beruht. Freundschaft ist damit die beste Gabe, die die Menschen von den Göttern erhalten haben. Ihre Grundlage ist die »Tugend« (virtus), sie bereichert das Leben, erhöht das Glück und hilft das Unglück tragen, ohne sie müsste die Welt im Streit versinken (17-14)(Kurze Rückblende auf Ciceros Werk über den Staat: 25) - Freundschaft beruht ihrem Wesen nach auf Liebe, nicht auf dem Streben nach Vorteilen; der Drang zu ihr ist im Menschen angelegt und wird geweckt, sobald wir die »Tugend« des anderen erkennen. Wechselseitige Dienste verstärken die Zuneigung (26-32). - Freundschaftsregeln und Gebote: In der Einleitung zu diesem Punkt werden Gefahren aufgezählt, die einer Freundschaft drohen können, z.B. unterschiedliche Interessen oder politische Standpunkte, sich entwickelnde Charakterfehler oder Streit um ein Mädchen, eine Stellung und Ähnliches (33-35). Dann stellt Laelius Gebote für die Freundschaft unter »Weisen« auf:

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EINLEITUNG

a. Nur sittlich Gutes vom Freund verlangen, nur solches für ihn tun! (Hier werden zahlreiche historische Beispiele für rechtes und falsches Verhalten gebracht) b. Vorsicht bei der Wahl der Freunde! c. Nicht neue Freunde den alten vorziehen! d. Freundschaft kennt keine Rang- und Standesunterschiede. e. Echte Freundschaft gibt es nur zwischen gereiften Persönlichkeiten. f Jede Übertreibung meiden! ( 3 6 - 7 6 ) Bei »gewöhnlichen« Freundschaften gilt: a. Wenn man sie beendet, verhindern, dass sie in Feindschaft umschlagen. b. Erst beurteilen, dann lieben! c. In Freundschaft mahnen und tadeln, nie schmeicheln ( 7 7 - 9 8 ) ! Warnung vor raffinierten Schmeichlern, Überleitung zum Schlusswort (99-100). C. Schlusswort ( 1 0 1 - 1 0 4 ) Preis der Tugend, Zusammenfassung der Hauptgedanken des Gesprächs, die Freundschaft des Laelius und Scipio als Idealfall, Mahnung an die Hörer: Die Freundschaft sei für euch das höchste Gut!

CATO D E R Ä L T E R E ÜBER DAS A L T E R

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O Tite, si quid ego adiuero curamve levasso,

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quae nunc te coquit et versat in pectore fixa, ecquid erit praemi? Licet enim mihi versibus eisdem adfari te, Attice, quibus adfatur Flamininum ille vir haud magna cum re, sed plenus fidei. quamquam certo scio non ut Flamininum sollicitari te, Tite, sic noctesque diesque novi enim moderationem animi tui et aequitatem teque non cognomen solum Athenis deportasse, sed humanitatem et prudentiam intellego. et tamen te suspicor eisdem rebus quibus me ipsum interdum gravius commoveri; quarum consolatio et maior est et in aliud tempus differenda: nunc autem mihi est visum de senectute aliquid ad te conscribere. H o c enim onere, quod mihi commune tecum est, aut iam urgentis aut certe adventantis senectutis et te et me etiam ipsum levari volo; etsi te quidem id modice ac sapienter sicut omnia et ferre et laturum esse certo scio, sed mihi, cum de senectute vellem aliquid scribere, tu occurrebas dignus eo munere, quo uterque nostrum communiter uteretur. mihi quidem ita iucunda huius libri confectio fuit, ut non m o d o omnes absterserit senectutis molestias, sed effecerit mollem etiam et iucundam

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Ü B E R DAS A L T E R

Titus, wenn nun ich dir helf' und die Sorge dir lindre, die dich jetzt brennt und treibt, weil sie hartnäckig haftet im Herzen, wird mir mein Mühen gelohnt? Ich darf dich doch mit den gleichen Versen ansprechen, mein Atticus, die jener Mann, an Habe nicht reich, doch treu und ergeben an Flamininus richtet; ich bin mir jedoch sicher, dass du, Titus, dich nicht die Tage und Nächte durch grämest wie Flamininus; schließlich kenne ich dich ja als einen beherrschten, ausgeglichenen Mann und weiß, dass du nicht nur deinen Beinamen, sondern auch die Bildung eines Weisen aus Athen mitgebracht hast. Und doch komme ich von dem Gedanken nicht los, dass dich vielleicht ab und zu dieselben Umstände allzu schwer bedrücken, die auch mir Sorgen machen; uns darüber zu trösten ist ziemlich schwierig und soll zu einem anderen Zeitpunkt geschehen. Was ich jetzt vorhabe, ist, eine Schrift über das Alter für dich zu verfassen. Mit dieser Last des Alters, das uns bereits bedrückt oder doch unausweichlich bevorsteht, haben wir beide gleichzeitig fertig zu werden, und so ist es meine Absicht, dich und auch mich selbst davon zu befreien, obschon ich bei dir jedenfalls sicher bin, dass du sie - wie alles Übrige - mit der Beherrschung eines Weisen trägst und auch weiter tragen wirst. Jedoch, als ich den Wunsch verspürte, eine Schrift über das Alter zu verfassen, da kam mir der Gedanke, dass es das Passendste sei, sie dir zu schenken, auf dass wir uns beide daran halten könnten. Für mich jedenfalls bedeutete das Schreiben dieses Buches eine solche Freude, dass mir der Spaß, den ich

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4P| C A T O M A I O R

senectutem. numquam igitur digne satis laudari philosophia poterit, cui qui pareat omne tempus aetatis sine molestia possit degere. Sed de ceteris et diximus multa et saepe dicemus: hunc

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librum ad te de senectute misimus. omnem autem serm o n e m tribuimus non Tithono, ut Aristo Ceus (parum enim esset auctoritatis in fabula), sed M . Catoni seni, quo maiorem auctoritatem haberet oratio. apud quern Laelium et Scipionem facimus admirantes, quod is tarn facile senectutem ferat, eisque eum respondentem. qui si eruditius videbitur disputare quam consuevit ipse in suis libris, id tribuito litteris Graecis, quarum constat eum perstudiosum fuisse in senectute. sed quid opus est plura? iam enim ipsius Catonis sermo explicabit nostrani omnem de senectute sententiam.

SCIPIO: Saepenumero admirari soleo cum hoc C. Laelio cum ceterarum rerum tuam excellentem, M . Cato, perfectamque sapientiam, turn vel maxime quod numquam tibi senectutem gravem esse senserim, quae pierisque senibus sic odiosa est, ut onus se Aetna gravius dicant sustinere. CATO: R e m haud sane difficilem, Scipio et Laeli, admirari videmini. quibus enim nihil est in ipsis opis ad bene beateque vivendum, eis omnis aetas gravis est; qui autem omnia bona a se ipsi petunt, eis nihil malum potest

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Ü B E R DAS A L T E R

daran fand, nicht nur alle Altersbeschwerden gleichsam wegblies, sondern mir mein Alter sogar behaglich und willkommen machte. So wird man nie die richtigen Worte finden können zum Lob der Philosophie: Wer ihr ergeben ist, kann jedes Lebensalter ohne Kummer verbringen. Doch von den übrigen Themen der Philosophie habe ich schon viel gesprochen und werde noch oft über sie reden; mit der vorliegenden Schrift jedoch sende ich dir ein Buch über das Alter. Dabei habe ich aber nicht, wie Ariston aus Keos, das ganze Gespräch dem Tithonos in den Mund gelegt (eine Sage hätte doch zu wenig Nachdruck!), sondern dem greisen Marcus Cato, um den Worten mehr Gewicht zu verleihen; in seinem Hause lasse ich Laelius und Scipio auftreten als Männer, die ihn bewundern, weil er mit dem Alter so leicht fertig werde, und er soll ihnen dann antworten. Wenn du glaubst, dass er sich in diesem Gespräch gebildeter ausdrückt, als er es gewöhnlich in seinen eigenen Werken tut, so schreibe das der griechischen Literatur zu, für die er bekanntlich im Alter größtes Interesse zeigte. Doch wozu noch mehr? Gleich wird Cato selbst zu Wort kommen und alles darlegen, was ich zum Thema »Alter« (De senectute)

zu sagen habe.

SCIPIO: Oft, Marcus Cato, bewundere ich, wie auch unser Freund Gaius Laelius hier, deine so hervorragende und vollendete Weisheit, die sich uns in ganz besonderem Maße darin zeigt, dass dir, wie ich bemerkt habe, das Alter nie zur Last wird, das doch den meisten alten Männern so verhasst ist, dass sie behaupten, die Bürde, die sie damit zu tragen hätten, sei schwerer als der Ätna. CATO: Ihr bewundert da, Scipio und Laelius, wie ich glaube, etwas, was gar nicht schwierig ist. Wer nämlich keine Kraft zu einem sittlich guten und glückseligen Leben in sich selbst trägt, dem ist jedes Lebensalter eine Last; wer aber alles Gute von sich selbst verlangt, dem kann nichts,

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CATO MAIOR

videri, quod naturae necessitas adferat. quo in genere est in primis senectus: quam ut adipiscantur omnes optant, eandem accusant adepti: tanta est stultitiae inconstantia atque perversitas. obrepere aiunt earn citius quam putavissent. primum quis coegit eos falsum putare? qui enim citius adulescentiae senectus quam pueritiae adulescentia obrepit? deinde qui minus gravis esset eis senectus, si octingentesimum annum agerent, quam si octogesimum? praeterita enim aetas quamvis longa cum effluxisset, nulla consolatio permulcere posset stultam senectutem.

Quocirca si sapientiam meam admirari soletis (quae uti-

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nam digna esset opinione vestra nostroque cognomine ! ), in hoc sumus sapientes, quod naturam optimam ducem tamquam deum sequimur eique paremus; a qua non veri simile est, cum ceterae partes aetatis bene discriptae sint, extremum actum tamquam ab inerti poeta esse neglectum. sed tamen necesse fuit esse aliquid extrem u m et tamquam in arborum bacis terraeque fructibus maturitate tempestiva quasi vietum et caducum, quod ferundum est molliter sapienti, quid est enim aliud Gigantism modo bellare cum dis nisi naturae repugnare? LAELIUS: Atqui, Cato, gratissimum nobis ut etiam pro Scipione pollicear, feceris, si, quoniam speramus, volumus quidem certe senes fieri, multo ante a te didiceri-

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Ü B E R DAS A L T E R

was das Naturgesetz zwangsläufig mit sich bringt, als ein Übel erscheinen. Dazu gehört in erster Linie das Alter. Alle wünschen es zu erreichen; haben sie es dann erreicht, dann beklagen sie sich darüber; so inkonsequent und unlogisch sind sie, die Toren. Sie sagen, das Alter schleiche sich schneller heran, als sie gedacht hätten. Doch zunächst mal: Wer hat sie denn genötigt, sich in ihrer Berechnung zu irren? Wieso sollte denn der Mann schneller ein Greis werden als das Kind ein Mann? Ferner, inwiefern wäre ihnen denn das Alter im achthundertsten Lebensjahr eine weniger schwere Last als im achtzigsten? Eine durchlebte Altersstufe, dauerte sie auch noch so lange, würde ja doch, wenn sie verflossen wäre, einen Dummkopf über sein Greisenalter nicht hinwegtrösten können.

Wenn ihr nun meine Weisheit zu bewundern pflegt (ich wollte, sie wäre eurer guten Meinung und meines Beinamens würdig!), so wisset: Sie besteht darin, dass ich der Natur als der besten Führerin wie einer Gottheit folge und mich ihr zu beugen weiß; es ist unwahrscheinlich, dass sie, nachdem sie alle anderen »Akte« des Lebens so gut geordnet hat, den letzten »Aufzug« wie ein ungeschickter Dichter vernachlässigt haben sollte. Es war für sie jedoch unumgänglich, irgendeinen Schlusspunkt zu setzen; es musste etwas geben, was wie bei Baum- und Feldfrüchten nach angemessener Reifezeit gleichsam welkt und abfällt. Der Weise muss das mit Gleichmut hinnehmen. Denn ein Kampf gegen das Naturgesetz: Was wäre er anderes als der Krieg der Giganten gegen die Götter?

LAELIUS: Und doch, Cato, könntest du uns wohl - um es dir auch in Scipios Namen zu versichern - einen sehr großen Gefallen tun, wenn du uns - da wir doch ein hohes Alter erhoffen, ganz bestimmt jedoch

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CATO MAIOR

mus, quibus facillime rationibus ingravescentem aetatem ferre possimus. CATO : Faciam vero, Laeli, praesertim si utrique vestrum, ut dicis, gratum futurum est. LAELIUS: Volumus sane, nisi molestum est, Cato, tamquam longam aliquam viam confeceris, quam nobis quoque ingrediundum sit, istuc, quo pervenisti, videre quale sit. CATO: Faciam ut potero, Laeli. - Saepe enim interfui querelis aequalium meorum - pares autem vetere proverbio cum paribus facillime c o n g r e g a n t e - , quae C. Salinator, quae Sp. Albinus, homines consulares, nostri fere aequales, deplorare solebant, tum quod voluptatibus carerent, sine quibus vitam nullam putarent, tum quod spernerentur ab eis, a quibus essent coli soliti, qui mihi non id videbantur accusare quod esset accusandum. nam si id culpa senectutis accideret, eadem mihi usu venirent reliquisque omnibus maioribus natu, quorum ego multorum cognovi senectutem sine querela, qui se et libidinum vinculis laxatos esse non moleste ferrent nec a suis despicerentur. sed omnium istius modi querelarum in moribus est culpa, non in aetate. moderati enim et nec difficiles nec inhumani senes tolerabilem senectutem agunt, importunitas autem et inhumanitas omni aetati molesta est.

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ÜBER DAS ALTER

wünschen - schon frühzeitig belehren wolltest, auf welche Weise wir die zunehmende Bürde des Alters am leichtesten tragen können. CATO: Ich will es tun, mein Laelius, zumal wenn es euch beiden, wie du meinst, willkommen ist. LAELIUS : Ja, Cato, wir möchten, wenn es dir nichts ausmacht, da du d o c h sozusagen schon einen langen Lebensweg hinter dir hast, den auch wir noch beschreiten müssen, die Beschaffenheit des Zieles kennenlernen, an d e m du jetzt stehst.

CATO: Ich will es mal versuchen, so gut es geht. - O f t habe ich ja schon die Klagen meiner Altersgenossen mit angehört - ein altes Sprichwort sagt ja: Gleich und gleich gesellt sich gern! - , ich habe gehört, worüber Gaius Salinator, worüber Spurius Albinus, ehemalige Konsuln, etwa in meinem Alter, immer wieder klagten: D a s s sie die Sinnesfreuden entbehren müssten, ohne die, wie sie meinten, das Leben kein Leben sei; dann wieder, dass sie bei denen nichts mehr gälten, von denen sie vorher stets geachtet worden seien. Diese Leute haben aber doch offensichtlich mit ihrer Klage am Ziel vorbeigeschossen. Wäre nämlich das Alter schuld, so müssten d o c h ich und alle anderen älteren Leute die gleichen Erfahrungen machen; ich kenne jedoch eine ganze Anzahl von solchen älteren Menschen, die über ihr Alter nicht klagten: Sie waren geradezu froh, von den F e s s e h der sinnlichen Lust befreit zu sein, und sie wurden von ihrer U m g e b u n g durchaus geachtet. Nein, nein! Schuld an allen derartigen Klagen hat der Charakter des Menschen, nicht das Alter. Wer nämlich im Alter anspruchslos, leutselig und freundlich ist, der kann es ganz gut aushalten. Misslaune jedoch und unfreundliches Wesen machen das Leben zur Q u a l , ganz gleich, wie alt man ist.

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LAELIUS: Est ut dicis, Cato; sed fortasse dixerit quispiam

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tibi propter opes et copias et dignitatem tuam tolerabiliorem senectutem videri, id autem non posse multis contingere. CATO: Est istud quidem, Laeli, aliquid, sed nequaquam in isto sunt omnia, ut Themistocles fertur Seriphio cuidam in iurgio respondisse, cum ille dixisset non eum sua, sed patriae gloria splendorem adsecutum: »nec hercule«, inquit, »si ego Seriphius essem, nec tu si Atheniensis, clarus umquam fuisses.« quod eodem m o d o de senectute dici potest, nec enim in summa inopia levis esse senectus potest ne sapienti quidem, nec insipienti etiam in summa copia non gravis. Aptissima omnino sunt, Scipio et Laeli. arma senectutis

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artes exercitationesque virtutum, quae in omni aetate cultae, cum diu multumque vixeris, mirificos efferunt fructus, non solum, quia numquam deserunt ne extremo quidem tempore aetatis (quamquam id quidem maximum est), verum etiam quia conscientia bene actae vitae multorumque bene factorum recordatio iucundissima est. Ego Q . Maximum, eum qui Tarentum recepit, senem adulescens ita dilexi ut aequalem; erat enim in ilio viro comitate condita gravitas, nec senectus mores mutaverat. quamquam eum colere coepi non admodum grandem natu, sed tamen iam aetate provectum;

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Ü B E R DAS A L T E R

LAELIUS: ES ist, wie du sagst, Cato. Aber es könnte einer einwenden, dir komme das Alter nur deswegen erträglicher vor, weil du eben ein einflussreicher, wohlhabender und angesehener M a n n seiest - ein Glück, das nicht jedem beschieden sei. CATO: Das ist allerdings ein wichtiger Gesichtspunkt, Laelius; aber keinesfalls beruht darauf alles. Themistokles hat zum Beispiel, wie man sagt, einem Seriphier, der ihm im Streit vorhielt, er habe nicht durch seinen eigenen Ruhm, sondern nur durch den seiner Vaterstadt solchen Glanz erreicht, zur Antwort gegeben: »Bei Gott! So wenig ich als Seriphier je hätte berühmt werden können, so wenig du als Athener!« Ebenso kann man auch in Bezug auf das Alter argumentieren: Herrscht größte Not, dann ist das Alter nicht einmal fiir einen Weisen erträglich; der Tor jedoch kann alles im Überfluss haben und wird doch das Alter nur als schwere Bürde empfinden. Kurz: Die besten Waffen gegen die Beschwerden des Alters, Scipio und Laelius, sind die Wissenschaften und die praktische Verwirklichung sittlicher Werte. Sie trägt, wenn man sie in jedem Lebensalter gepflegt hat, nach einem langen und reichen Leben herrliche Früchte, nicht nur aus dem Grunde, weil sie uns immer, selbst im letzten Augenblick des Lebens noch, möglich ist (und das ist doch schon ein sehr großer Gewinn!), sondern auch deswegen, weil das Bewusstsein, sittlich gut gelebt, und die Erinnerung, viele schöne Leistungen vollbracht zu haben, größte Freude bedeutet. Ich habe in meiner Jugend Quintus Maximus, den alten Mann, den, der Tarent zurückerobert hat, wie einen Altersgenossen geliebt; denn dieser M a n n besaß würdevollen Ernst, gepaart mit aufgeräumter Heiterkeit, und das Alter hatte seinen Charakter nicht verändert; er war freilich noch nicht gar so hochbetagt, als ich ihn damals schätzen lernte, aber

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anno enim post consul primum fiierat quam ego natus sum, cumque eo quartum consule adulescentulus miles ad Capuam profectus sum quintoque anno post ad Tarentum, quaestorque magistratum gessi consulibus Tuditano et Cethego, cum quidem ille admodum senex suasor legis Cinciae de donis et muneribus fuit. hie et bella gerebat ut adulescens, cum plane grandis esset, et Hannibalem iuveniliter exsultantem patientia sua molliebat; de quo praeclare familiaris noster Ennius: Oenus h o m o nobis cunctando restituit rem; noenum rumores ponebat ante salutem: ergo postque magisque nunc gloria claret. Tarentum vero qua vigilantia, quo Consilio recepit ! cum quidem me audiente Salinatori, qui amisso oppido fiierat in arce, glorianti atque ita dicenti »mea opera, Q . Fabi, Tarentum recepisti«, »certe«, inquit ridens, » n a m nisi tu amisisses, numquam recepissem.« nec vero in armis praestantior quam in toga; qui consul iterum Sp. Carvilio collega quiescente C. Flaminio tribuno plebis, quoad potuit, restitit agrum Picentem et Gallicum viritim contra senatus auctoritatem dividenti, augurque cum esset, dicere ausus est optumis auspiciis ea geri quae pro rei publicae salute gererentur; quae contra rem publicam ferrentur, contra auspicia ferri.

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Ü B E R DAS A L T E R

doch schon in vorgerückten Jahren. Denn ein Jahr nach meiner Geburt war er zum ersten Mal Konsul gewesen, und während seines vierten Konsulats - ich war noch ein ganz junger Soldat - zog ich mit ihm vor Capua, fünfjahre später dann gegen Tarent. Dann war ich Quästor, und dieses Amt hatte ich unter den Konsuln Tuditanus und Cethegus, als er, schon ein hochbetagter Mann, für das Cincische Gesetz über Geschenke und Gaben eintrat. Er war auch in den Kriegen, die er führte, trotz seines hohen Alters so tüchtig wie ein Junger, und hat den jungen Draufgänger Hannibal durch seine beharrliche Geduld mürbe gemacht; das hat unser Freund Ennius treffend hervorgehoben mit den Versen:

Ein Mann war es, der uns den Staat durch Zaudern gerettet; nicht war leeres Gerede ihm wichtiger als das Gemeinwohl. Darum leuchtet je später, je schöner der Ruhm dieses Helden.

Tarent aber - mit wie viel Wachsamkeit und Klugheit hat er es zurückgewonnen! Salinator, der die Stadt hatte aufgeben müssen und auf der Burg Zuflucht gesucht hatte, rühmte sich mit der Bemerkung: »Mir, Fabius, hast du die Wiedereinnahme von Tarent zu verdanken.« Spöttisch lächelnd entgegnete ihm Fabius: »Gewiss - denn hättest du es nicht verloren, so hätte ich es nie wieder einnehmen können.« Dass er ein hervorragender Mann war, zeigte sich in Friedenszeiten mindestens ebensosehr wie im Krieg: Während seines zweiten Konsulats, als der Volkstribun Gaius Flaminius das picenische und gallische Gebiet gegen den Willen des Senats unter das Volk nach der Kopfzahl verteilen wollte, hat er sich diesem mit aller Kraft widersetzt, während sein Mitkonsul Spurius Carvilius keinen Finger rührte; trotz seines Augurenamtes traute er sich zu sagen: Alles, was zum Wohle des Staates geschehe,

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SOI CATO M A I O R

Multa in eo viro praeclara cognovi; sed nihil admirabi-

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lius quam quo m o d o ille mortem filii tulit, clari viri et consularis. est in manibus laudatio; quam cum legimus, quem philosophum non contemnimus? nec vero ille in luce m o d o atque in oculis civium magnus, sed intus domique praestantior. qui sermo, quae praecepta, quanta notitia antiquitatis, scientia iuris augurii! multae etiam, ut in homine Romano, litterae: omnia memoria tenebat non domestica solum, sed etiam externa bella. cuius sermone ita tum cupide fruebar, quasi iam divinarem, id quod evenit, illo exstincto fore unde discerem neminem.

Quorsum igitur haec tam multa de Máximo? quia profecto videtis nefas esse dictu miseram fuisse talem senectutem. nec tamen omnes possunt esse Scipiones aut Maximi, ut urbium expugnationes, ut pedestres navalesque pugnas, ut bella a se gesta, ut triumphos recordentur. est etiam quiete et puré atque eleganter actae aetatis placida ac lenis senectus, qualem accepimus Platonis, qui uno et octogésimo anno scribens est mortuus, qualem Isocratis, qui eum librum qui Panathenaicus inscribitur quarto et nonagésimo anno scripsisse se dicit

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Ü B E R DAS A L T E R

geschehe unter den besten Auspizien; was man aber zum Nachteil des Staates vorschlage, sei den Auspizien entgegen. Noch viele andere vortreffliche Züge habe ich an diesem Manne festgestellt, aber nichts war bewundernswerter als die Beherrschung, mit der er den Tod seines Sohnes, eines angesehenen Mannes, der sogar schon Konsul gewesen war, hinnahm. Die Leichenrede auf ihn liegt uns vor; lesen wir sie, dann erscheint uns doch jeder Philosoph gering neben diesem Mann! Seine Größe zeigte sich nicht nur im Glanz des öffentlichen Lebens unter seinen Mitbürgern; noch vortrefflicher war er im engen Kreise seiner Familie. Was für Unterhaltungen hat er geführt, welch schöne Lehren und Grundsätze vertreten, welch umfassende Kenntnis bewies er in der Geschichte und im Recht der Auguren! Für einen Römer war er auch literarisch sehr bewandert. Nicht nur die inneren Kämpfe, auch die auswärtigen Kriege hatte er alle im Gedächtnis. Seinen Worten lauschte ich damals mit so großem Interesse, wie wenn ich schon geahnt hätte - was auch die Folge bestätigte -, dass es nach seinem Tode keinen mehr geben würde, von dem ich so viel lernen könnte. Wozu aber nun so viele Worte über Maximus? Bestimmt nur deshalb, weil ihr daran erkennen könnt, dass man sich versündigen würde, wollte man behaupten, ein Mann wie er sei im Alter unglücklich gewesen. Freilich können nicht alle in der glücklichen Lage eines Scipio oder Maximus sein, dass sie sich an Städteeroberungen, an Land- und Seeschlachten, an Kriege, die sie geführt, und an Triumphe erinnern können. Es kann auch nach einem ruhig, unbescholten und fein gesittet verbrachten Leben ein ungestörtes und behagliches Alter geben, wie es unserem Vernehmen nach Piaton genoss, der im einundachtzigsten Lebensjahr am Schreibpult starb, und wie es auch Isokrates hatte, der, wie er sagt, seine

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vixitque quinquennium postea. cuius magister Leontinus Gorgias centum et septem complevit annos neque umquam in suo studio atque opere cessavit, qui cum ex eo quaereretur, cur tarn diu vellet esse in vita, »nihil habeo«, inquit, »quod accusem senectutem.« praeclarum responsum et docto homine dignum! Sua enim vitia insipientes et suam culpam in senectu-

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tern conferunt. quod non faciebat is cuius modo mentionem feci, Ennius: Sicut fortis equus, spatio qui saepe supremo vicit Olympia, nunc senio confectus quiescit. equi fortis et victoris senectuti comparat suam. quem quidem probe meminisse potestis: anno enim undevicesimo post eius mortem hi consules, T. Flamininus et M'. Acilius, facti sunt, ille autem Caepione et Philippo iterum consulibus mortuus est, cum ego quinque et sexaginta annos natus legem Voconiam magna voce et bonis lateribus suasissem. annos septuaginta natus (tot enim vixit Ennius) ita ferebat duo quae maxima putantur onera, paupertatem et senectutem, ut eis paene delectari videretur. Etenim, cum complector animo, quattuor reperio causas, cur senectus misera videatur: unam quod avocet a rebus gerendis, alteram quod corpus faciat infirmius,

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ÜBER DAS

ALTER

Schrift, die den Titel Panathenaikos trägt, mit dreiundneunzig Jahren verfasste und dann noch fiinfjahre lebte; sein Lehrer Gorgias aus Leontinoi lebte volle einhundertsieben Jahre, ohne je in seinem produktiven wissenschaftlichen Eifer nachzulassen. Als er gefragt wurde, warum er so lange a m Leben bleiben wolle, erklärte er: »Ich habe keinen Grund, mich über das Alter zu beklagen.« Eine vortreffliche Antwort, wie sie sich für einen Gebildeten gehört! Seine eigenen Fehler nämlich sind es, seine eigene Schuld, die der Unvernünftige d e m Alter zuschiebt; nicht s o der vorhin von mir genannte Ennius. Mit den Worten:

Wie ein mutiges Ross, das oft a m Ziel in Olympia siegte, jetzt aber schwach ist v o m Alter und nicht mehr sich anstrengt,

vergleicht er sein eigenes Alter mit d e m eines mutigen, siegreichen Pferdes. Ihr könnt euch ja an ihn noch ganz gut erinnern; sind d o c h seit seinem T o d bis zur Wahl der jetzigen Konsuln Titus Flamininus und Manius Acilius erst neunzehn Jahre verstrichen, sein T o d aber fällt in das zweite Konsulat des C a e p i o und des Philippus, in das Jahr also, in d e m ich mit funfundsechzig Jahren das Voconische Gesetz mit der vollen Stimmgewalt eines Redners, d e m die Luft nicht wegbleibt, befürwortete. Mit siebzig Jahren - so alt nämlich wurde er - ertrug Ennius die zwei Bürden, die gewöhnlich als die drückendsten gelten, Armut u n d Alter, in einer Weise, dass er fast Gefallen daran zu finden schien.

Bei umfassender Betrachtung des Problems k o m m e ich nämlich auf vier Gründe, aus denen man das Alter für ein Unglück hält: Erstens, weil es uns in zunehmendem M a ß e verwehre, Großes zu leisten; zweitens,

54] CATO MAIOR

tertiam quod privet omnibus fere voluptatibus, quartam quod haud procul absit a morte. Earum si placet causarum quanta quamque sit iusta una quaeque, videamus. A rebus gerendis senectus abstrahit. quibus? an eis, quae iuventute geruntur et viribus? nullaene igitur res sunt seniles, quae vel infirmis corporibus animo tarnen administrentur? nihil ergo agebat Q.Maximus, nihil L. Paullus, pater tuus, socer optimi viri, fili mei? Ceteri senes, Fabricii, Curii, Coruncanii, cum rem publicam Consilio et auctoritate defendebant, nihil agebant? A d Appi Claudi senectutem accedebat etiam, ut caecus esset; tarnen is, cum sententia senatus inclinaret ad pacem cum Pyrrho foedusque faciendum, non dubitav i dicere ilia, quae versibus persecutes est Ennius: Q u o vobis mentes, rectae quae stare solebant antehac, dementes sese flexere viai? ceteraque gravissime: notum enim vobis carmen est; et tamen ipsius Appi exstat oratio. Atque haec ille egit septimo decimo anno post alteram consulatum, cum inter duos consulatus anni decern interfuissent censorque ante superiorem consulatum fuisset; ex quo intellegitur Pyrrhi bello grandem sane fuisse: et tamen sic a patribus accepimus.

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Ü B E R DAS A L T E R |ss

weil es den Körper entkräfte; drittens, weil es uns fast jede Sinnenfreude nehme, und viertens, weil es dem Tod nahe sei. Die Bedeutung und die Berechtigung eines jeden dieser Gründe wollen wir nun, wenn es euch recht ist, untersuchen. Das Alter verwehrt uns die Tätigkeit. Welche denn? Die etwa, die jugendliche Kraft erfordert? Gibt es also im Alter keine Leistungen, die trotz körperlicher Schwäche mit der Kraft des Geistes erzielt werden können? Quintus Maximus war also untätig? Untätig auch Lucius Paullus, dein Vater und der Schwiegervater des vortrefflichen Mannes, der mein Sohn war? Und die anderen alten Männer wie Fabricius, Curius, Coruncanius? Waren sie alle untätig, während sie den Staat mit ihrer Klugheit und ihrem Ansehen zu schützen suchten? Bei Appius Claudius kam im Alter sogar noch hinzu, dass er erblindet war; und doch war es dieser Mann, der einmal, als der Senat geneigt schien, mit Pyrrhos Frieden und Bündnis zu schließen, entschlossen das aussprach, was Ennius in die Verse gekleidet hat:

Wohin hat euer Sinn, der bisher immer so aufrecht stand, sich im Wahnsinn gewendet, verlassend die Bahn des Rechten? Auch seine weiteren Worte schlugen ein; ihr kennt ja die Verse; man hat jedoch auch noch die Rede des Appius selbst. Und so handelte dieser Mann siebzehn Jahre nach seinem zweiten Konsulat - zwischen seinem ersten und zweiten Konsulat waren zehn Jahre verstrichen, und vor seinem ersten Konsulat war er bereits Zensor gewesen - , woraus hervorgeht, dass er im Pyrrhos-Krieg hochbetagt war. Und doch hat er, wie wir von unseren Vätern her wissen, so gehandelt.

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C A T O

M A I O R

Nihil igitur adferunt, qui in re gerunda versari senectu-

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tem negant, similesque sunt ut si qui gubernatorem in navigando nihil agere dicant, cum alii malos scandant, alii per foros cursent, alii sentinam exhauriant, ille autem clavum tenens quietus sedeat in puppi: non facit ea quae iuvenes, at vero multo maiora et meliora facit. non viribus aut velocitate aut celeritate corporum res magnae geruntur, sed Consilio auctoritate sententia; quibus non modo non orbari, sed etiam augeri senectus solet.

Nisi forte ego vobis, qui et miles et tribunus et legatus

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et consul versatus sum in vario genere bellorum, cessare nunc videor, cum bella non gero. at senatui quae sint gerenda praescribo et quomodo, Carthagini male iam diu cogitanti bellum multo ante denuntio; de qua vereri non ante desinam, quam illam excisam esse cognovero. Quam palmam utinam di immortales, Scipio, tibi reservent, ut avi reliquias persequare ! cuius a morte tertius hie et tricesimus annus est, sed memoriam illius viri omnes excipient anni conséquentes. Anno ante me censorem mortuus est, novem annis post meum consulatum, cum consul iterum me consule creatus esset. Num igitur, si ad centesimum annum vixisset, senectutis eum suae paeniteret? nec enim excursione nec saltu nec eminus

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ÜBER DAS A L T E R

Was man gegen das Alter ins Feld fuhrt mit der Behauptung, ein alter Mann könne nichts mehr leisten, ist demnach null und nichtig. Wer so etwas behauptet, der tut gerade so, als wollte er sagen, ein Steuermann sei auf der Seefahrt untätig; die einen kletterten auf die Masten, andere eilten in den SchifFsgängen hin und her, wieder andere schöpften das Wasser aus - der Steuermann aber halte nur das Steuer und sitze ungestört auf dem Achterdeck. Freilich arbeitet er nicht wie die Jungen, aber das, was er tut, ist weit wichtiger und wertvoller. Bei großer Leistung kommt es nicht auf Kraft, Behendigkeit oder Schnelligkeit des Körpers an, sondern darauf dass man klug ist, Ansehen genießt und etwas zu sagen hat: Vorzüge, die man im Alter nicht nur nicht einbüßt, sondern gewöhnlich sogar in zunehmendem Maße hat. Es müsste denn sein, dass ich selbst, der ich als gemeiner Soldat, als Tribun, als Legat und als Konsul die verschiedensten Kriege mitmachte, jetzt, da ich keine Kriege mehr führe, in euren Augen Feierabend habe. Im Gegenteil: Ich schärfe dem Senat ein, welche Kriege es zu fuhren gilt und mit welcher Taktik, indem ich gegen Karthago, das schon lange auf unser Verderben sinnt, längst den Krieg propagiere; es wird mir so lange Sorgen machen, bis ich weiß, dass es zerstört ist. Möchten doch dir, Scipio, die unsterblichen Götter diese Siegespalme vorbehalten, auf dass du das vollenden mögest, was dein Großvater noch übriggelassen hat! Er ist nun schon dreiunddreißig Jahre tot, aber sein Andenken wird in aller Zukunft Jahr für Jahr wachgehalten werden. Er starb ein Jahr vor meiner Zensur, neun Jahre nach meinem Konsulat, unter dem er zum zweiten Male zum Konsul gewählt worden war. Wäre er nun etwa, wenn er hundert Jahre gelebt hätte, im hohen Alter des Lebens überdrüssig geworden? Nein! Denn er wäre nicht mehr ange-

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hastis aut comminus gladiis uteretur, sed Consilio ratione sententia. quae nisi essent in senibus, non s u m m u m consilium maiores nostri appellassent senatum.

A p u d Lacedaemonios quidem ii qui amplissimum ma-

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gistratum gerunt, ut sunt, sic etiam n o m i n a n t e senes. quodsi legere aut audire voletis externa, maximas res publicas ab adulescentibus labefactatas, a senibus sustentatas et restitutas reperietis.

Cedo, qui vestram rem publicam tantam amisistis tam cito? Sic enim percontantibus in Naevi poetae L u d o respondentur et alia et hoc in primis: Proveniebant oratores novi, stulti adulescentuli.

temeritas est videlicet florentis aetatis, prudentia senescentis. A t memoria minuitur. credo, nisi earn exerseas aut etiam si sis natura tardior. Themistocles o m n i u m civium perceperat nomina; n u m igitur censetis eum, cum aetate processisset, qui Aristides esset, Lysimachum salutare solitum? equidem non m o d o eos novi qui sunt, sed

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wiesen auf militärische Streifzüge, auf Sprungkraft, Fernkampf mit der Lanze und Nahkampf mit dem Schwert, sondern auf seine Klugheit, seinen Verstand und sein Urteil: Vorzüge, die man im Alter eben besitzt andernfalls hätten unsere Vorfahren ihre höchste Ratsversammlung nicht den »Rat der Alten« (senatus) genannt. Bei den Lakedaimoniern jedenfalls heißen die Männer, die das höchste Staatsamt bekleiden, »die Greise«, wie es ihrem wirklichen Alter entspricht. Überhaupt: Wollt ihr von nichtrömischen Verhältnissen etwas lesen oder hören, so werdet ihr finden, dass schon die mächtigsten Staaten von jungen Menschen erschüttert, von alten Männern hingegen aufrechterhalten und wieder in Ordnung gebracht worden sind.

Sagt, wie habt ihr euren mächt'gen Staat so schnell denn eingebüßt? So nämlich fragen sie im Ludus des Dichters Naevius. Es folgt einiges als Antwort, insbesondere aber das Argument: Der Jugend Torheit kam in Gestalt von nie gehörten Rednern zu Wort. Unbesonnenheit ist, wie man sieht, der Fehler der blühenden Jugend, Klugheit dagegen der Vorzug des fortschreitenden Alters. Aber das Gedächtnis lässt nach. Das dürfte stimmen, wenn man es nicht übt, oder auch, wenn man von Natur aus ein Schwachkopf ist. Themistokles kannte alle seine Mitbürger mit Namen. Glaubt ihr nun etwa, er habe in vorgerücktem Alter einen Aristeides als »Lysimachos« begrüßt? Ich für meine Person kenne nicht nur die jetzt lebenden Mitbür-

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eorum patres etiam et avos, nec sepulcra legens vereor, quod aiunt, ne memoriam perdam; his enim ipsis legendis in memoriam redeo mortuorum. N e c vero quemquam senem audivi oblitum, quo loco thesaurum obruisset; omnia quae curant meminerunt, vadimonia constituta, quis sibi, cui ipsi debeant.

Quid? iuris consulti, quid? pontifices, quid? augures,

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quid? philosophi senes quam multa meminerunt! manent ingenia senibus, m o d o permaneat studium et industria, neque ea solum in claris et honoratis viris, sed in vita etiam privata et quieta. Sophocles ad summam senectutem tragoedias fecit; quod propter studium cum rem neglegere familiarem videretur, a filiis in iudicium vocatus est, ut, quem ad m o d u m nostro more male rem gerentibus patribus bonis interdici solet, sic ilium quasi desipientem a re familiari removerent iudices. tum senex dicitur earn fabulam, quam in manibus habebat et proxime scripserat, Oedipum Coloneum, recitasse iudicibus quaesisseque num illud carmen desipientis videretur. quo recitato sententiis iudicum est liberatus.

N u m igitur hunc, num Homerum, num Hesiodum, Simoniden, Stesichorum, num quos ante dixi Isocratem, Gorgiam, num philosophorum principes, Pythagoram,

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ger, sondern auch die Namen ihrer Väter und Großväter; und ich habe keine Angst, durch das Lesen der Grabschriften, wie man behauptet, die Leute aus dem Gedächtnis zu verlieren. Denn gerade durch das Lesen dieser Inschriften kommen mir die Toten wieder in Erinnerung. Auch habe ich noch nie gehört, dass ein alter Mann den Platz vergessen hätte, an dem er einen Schatz vergraben hatte; alte Leute wissen alles, worum sie sich Sorgen machen: anberaumte Gerichtstermine, ihre Schuldner und ihre Gläubiger. Wie steht es nun im hohen Alter mit den Rechtsgelehrten, wie mit den Oberpriestern, den Auguren, den Philosophen? Wie vieles haben sie im Gedächtnis! Nur eifriges Interesse braucht weiterzuwirken, dann bleiben die Geisteskräfte im Alter erhalten, und zwar nicht nur bei berühmten Männern, die auf hohe Staatsämter zurückblicken können, sondern auch bei denen, die ein stilles, ruhiges Privatleben führten. Sophokles hat bis ins höchste Alter Tragödien geschrieben; sein Eifer darin erweckte den Anschein, als kümmere ersieh umsein Hauswesen überhaupt nicht mehr; daher brachten ihn seine Söhne vor Gericht: Die Richter sollten ihm wegen Schwachsinns die Verfügungsgewalt über sein Vermögen entziehen - so wie auch bei uns einem Vater, der schlecht wirtschaftet, die Vermögensverwaltung abgesprochen zu werden pflegt. Da hat nun, wie es heißt, der greise Dichter die Tragödie, die er gerade in Händen hielt und kurz vorher verfasst hatte, seinen Oidipus auf Kolonos, den Richtern vorgelesen und dann die Frage gestellt, ob diese Dichtung nach ihrer Ansicht von einem Schwachsinnigen stamme. Auf die Rezitation hin erkannten die Richter auf Freispruch. Hat also etwa das Alter diesen Mann, hat es einen Homer, einen Hesiod, einen Simonides, einen Stesichoros, hat es die oben genannten Männer Isokrates und Gorgias, hat es die fuhrenden Philosophen, einen Pytha-

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Democritum, num Platonem, num Xenocratem, num postea Zenonem, Cleanthem, aut eum, quem vos etiam vidistis Romae, Diogenem Stoicum coegit in suis studiis obmutescere senectus? an in omnibus his studiorum agitatio vitae aequalis fuit? Age, ut ista divina studia omittamus, possum nominare

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ex agro Sabino rusticos Romanos, vicinos et familiares meos; quibus absentibus numquam fere ulla in agro maiora opera fiunt, non serendis, non percipiendis, non condendis fructibus. quamquam in aliis minus hoc mirum est: nemo enim est tam senex, qui se annum non putet posse vivere; sed idem in eis élaborant, quae sciunt nihil ad se omnino pertinere:

Serit arbores quae alteri saeculo prosient, ut ait Statius noster in Synephebis. N e c vero dubitat agricola, quamvis sit senex, quaerenti cui serat respondere: »dis immortalibus, qui me non accipere modo haec a maioribus voluerunt, sed etiam posteris prodere.«

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goras, einen Demokrit, einen Piaton, einen Xenokrates, hat es etwa die späteren, einen Zenon, einen Kleanthes, oder den Stoiker Diogenes, den auch ihr noch in Rom gesehen habt, gezwungen, in ihren eifrigen Interessen und Bestrebungen zu verstummen? Dauerte nicht bei all diesen Persönlichkeiten der wissenschaftliche und künstlerische Eifer so lange wie ihr Leben? Doch, um von diesen höheren Studien jetzt gar nicht mehr zu reden: Ich kann euch auch die Namen einiger römischer Bauern aus dem Sabinerlande sagen, die mir als Nachbarn befreundet sind: Sie sind fast immer persönlich dabei, wenn eine wichtigere Arbeit auf dem Felde geschieht, ganz gleich, ob es sich um Saat, Ernte oder Lagerung des Ertrages handelt. Jedoch: Bei diesen Arbeiten ist dies noch gar nicht einmal so erstaunlich - ist doch keiner so alt, dass er nicht mehr glaubt, noch ein weiteres Jahr leben zu können. Aber sie mühen sich ja in gleicher Weise mit solchen Arbeiten ab, die ihnen, wie sie genau wissen, überhaupt nichts mehr einbringen können:

Pflanzt er doch Bäume, die nutzen erst künft'ger Zeit, wie unser Statius in seinen Synepheben sagt. Jeder Bauer, mag er auch noch so alt sein, kann einem auf die Frage, für wen er pflanze, ohne Bedenken antworten: »Den unsterblichen Göttern zuliebe, deren Wunsch es war, dass ich diesen meinen Besitz von den Vorfahren ererben, aber auch an meine Nachkommen weitergeben sollte.«

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Et melius Caecilius de sene alteri saeculo prospiciente quam illud idem:

Edepol, senectus, si nil quidquam aliud viti adportes tecum, cum advenis, unum id sat est, quod diu vivendo multa quae non volt videt. et multa fortasse quae volt! atque in ea quae non volt saepe etiam adulescentia incurrit. illud vero idem Caecilius vitiosius: T u m equidem in senecta hoc deputo misserrumum, sentire ea aetate eumpse esse odiosum alteri. Iucundum potius quam odiosum! ut enim adulescentibus bona indole praeditis sapientes senes delectantur leviorque fit senectus eorum, qui a iuventute coluntur et diliguntur, sic adulescentes senum praeceptis gaudent, quibus ad virtutum studia ducuntur; nec minus intellego me vobis quam mihi vos esse iucundos. sed videtis, ut senectus non modo languida atque iners non sit, verum etiam sit operosa et semper agens aliquid et moliens, tale scilicet, quale cuiusque studium in superiore vita fuit. quid, qui etiam addiscunt aliquid? ut et Solonem versibus gloriantem videmus, qui se cotidie aliquid addiscentem dicit senem fieri, et ego feci qui litteras Graecas senex didici; quas quidem sic avide ad-

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Und wirklich: Die obigen Worte des Caecilius Statius über den Alten, der nur für die nächste Generation arbeite, sind treffender als folgende Äußerung des gleichen Dichters: Wahrlich, wenn du, Greisenalter, brächtest sonst mit dir, wenn du nahest, Übles nichts, genügte eines schon: dass, wer lange lebt, gar vieles Unerwünschte sieht. Aber vielleicht auch vieles, was er sich wünscht! Und auf Unerwünschtes stößt man ja auch oft in jüngeren Jahren. Noch verfehlter sind aber folgende Zeilen desselben Caecilius Statius: Dann halt' ich das im Alter für das Traurigste, zu fühlen, dass man andern nunmehr lästig ist. Im Gegenteil: Eher angenehm als lästig! Denn so wie verständige alte Herren an gut veranlagten jungen Männern ihre Freude haben und ihr Alter dadurch erleichtert fühlen, wenn sie von der Jugend geachtet und geliebt werden, so freuen sich auch die Jüngeren an der belehrenden Führung durch die Alten, durch die sie zum Eifer in allen edlen Bestrebungen angehalten werden; im gleichen Sinne stelle ich fest, dass ihr ebenso viel Gefallen an mir findet wie ich an euch. Doch ihr seht, wie man im Alter nicht nur nicht schlaff und untätig ist, sondern sogar sehr geschäftig, immer tätig und unternehmend und zwar entsprechend dem Eifer, den man in früheren Jahren schon gezeigt hat. Gibt es nicht auch welche, die ihre Kenntnisse noch bereichern? So rühmt sich zum Beispiel auch Solon, wie wir wissen, in einem Vers, indem er sagt, während er alt werde, lerne er täglich Neues hinzu. So war es auch bei mir:

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ripui quasi diutumam sitim explere cupiens, ut ea ipsa mihi nota essent, quibus me nunc exemplis uti videtis. quod cum fecisse Socratem in fidibus audirem, vellem equidem etiam illud (discebant enim fidibus antiqui), sed in litteris certe elaboravi.

N e c nunc quidem vires desidero adulescentis (is enim

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erat locus alter de vitiis senectutis), non plus quam adulescens tauri aut elephanti desiderabam. quod est, eo decet uti et, quicquid agas, agere pro viribus, quae enim vox potest esse contemptior quam Milonis Crotoniatae? qui cum iam senex esset athletasque se exercentes in curriculo videret, aspexisse lacertos suos dicitur inlacrimansque dixisse: »at hi quidem mortui iam sunt.« non vero tarn isti quam tu ipse, nugator! neque enim ex te umquam es nobilitatus, sed ex lateribus et lacertis tuis. nihil Sex. Aelius tale, nihil multis annis ante Ti. Coruncanius, nihil m o d o P. Crassus, a quibus iura civibus praescribebantur; quorum usque ad extremum spiritum est provecta prudentia. Orator metuo ne languescat senectute; est enim munus eius non ingeni solum, sed laterum etiam et virium. omnino canorum illud in voce splendescit etiam nescio quo pacto in senectute, quod equidem adhuc non amisi, et videtis annos; sed tamen est decorus senis

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Ich habe noch im Alter Griechisch gelernt und mich mit solcher Gier auf die griechische Literatur gestürzt, als ob ich einen schon lange andauernden Durst hätte stillen wollen. So wurde mir gerade das bekannt, was ich euch jetzt, wie ihr seht, als Beispiele anführe. Als ich erfuhr, Sokrates habe den gleichen Eifer beim Saitenspiel gezeigt, wollte ich, das Gleiche wäre auch bei mir der Fall - die alten Griechen erlernten nämlich das Saitenspiel

aber wenigstens in den Wissenschaften habe ich

mich gehörig bemüht. Und ich vermisse auch heute noch nicht die Kraft der Jugend - dies nämlich war der zweite Punkt in der Reihe der Nachteile des Alters - so wenig wie ich als Junger die Stärke eines Stiers oder eines Elefanten hätte haben wollen. An das Vorhandene soll man sich halten und alles, was man tut, nach Maßgabe seiner Kräfte tun. Welche Worte könnten lächerlicher sein als die Äußerung des Milon aus Kroton? Er soll als ein schon bejahrter Mann, als er den Wettkämpfern beim Training im Stadion zusah, aufseine Arme geblickt und unter Tränen gesagt haben: »Ach, die da sind ja schon tot!« Nicht so sehr deine Arme, weit eher du selbst, eitler Schwätzer! Denn deinen Ruhm hattest du nie dir selbst, sondern immer nur deiner starken Brust und deinen Armen zu verdanken! Nie kam so etwas über die Lippen des Sextus Aelius oder des viele Jahre früher lebenden Tiberius Coruncanius, oder des vor kurzem noch lebenden Publius Crassus. Diese Männer aber haben ihren Mitbürgern Gesetze gegeben und ihre Kenntnis darin hat sich bei ihnen bis zum letzten Atemzug bewahrt. Nur der Redner, furchte ich, verliert im Alter seine Kraft; denn bei seinem Beruf kommt es nicht nur auf den Geist an, sondern auch auf starke Lungen, auf physische Kraft. Im Ganzen gesehen aber zeigt sich das Melodisch-Wohlklingende, das wir an einer Rednerstimme bewundern, auch bei einem alten Redner irgendwie besonders schön; ich

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sermo quietus et remissus, facitque persaepe ipsa sibi audientiam diserti senis compta et mitis oratio. quam si ipse exsequi nequeas, possis tamen Scipioni praecipere et Laelio. quid enim est iucundius senectute stipata studiis iuventutis?

A n ne illas quidem vires senectuti relinquemus, ut adu-

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lescentes doceat, instituat, ad omne officii munus instruat? quo quidem opere quid potest esse praeclarius? mihi vero et Cn. et P. Scipiones et avi tui duo, L. Aemilius et P. Africanus, comitatu nobilium iuvenum fortunati videbantur, nec ulli bonarum artium magistri non beati putandi, quamvis consenuerint vires atque defecerint. etsi ipsa ista defectio virium adulescentiae vitiis efficitur saepius quam senectutis; libidinosa enim et intemperans adulescentia effetum corpus tradit senectuti.

Cyrus quidem apud Xenophontem eo sermone, quem moriens habuit, cum admodum senex esset, negat se umquam sensisse senectutem suam

imbecilliorem

factam quam adulescentia fuisset. ego L. Metellum memini puer, qui cum quadriennio post alteram consulatum pontifex maximus factus esset, viginti et duos annos ei sacerdotio praefuit, ita bonis esse viribus ex-

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wenigstens besitze es bis jetzt noch, und ihr kennt doch meine Jahre. Aber davon abgesehen sind die ruhigen, gelassenen Worte eines alten Herrn etwas Würdevolles, und häufig verschafft sich ein redegewandter Greis gerade dadurch aufmerksame Zuhörer, dass seine Worte weich und sanft klingen. Und sollte man auch selbst eine solche Rede nicht mehr zuwege bringen, so könnte man doch einem Scipio oder Laelius in dieser Kunst Unterricht erteilen. Gibt es denn eine größere Freude, als im Alter umringt zu sein von einem Kreis lernbegieriger junger Leute? Oder wollen wir sogar diese Fähigkeiten dem Alter absprechen, die Jungen zu belehren, zu unterweisen und für jede Aufgabe des rechten Handelns vorzubilden? Was könnte es Herrlicheres geben als dieses Erziehungswerk? Was Gnaeus und Publius Scipio sowie deine beiden Großväter, Lucius Aemilius und Publius Africanus, so glücklich machte, war meiner Meinung nach ihr Gefolge von vornehmen jungen Männern, und überhaupt ist jeder Lehrer der edlen Künste für glücklich zu halten, mag er auch noch so alt und dadurch körperlich geschwächt sein. Und doch ist gerade dieser Kräfteverlust häufiger eine Auswirkung von Jugendsünden als die Folge des Alters; denn durch Vergnügungssucht und ausschweifendes Leben in der Jugend wird der Körper entkräftet; er ist es also bereits, wenn »das Alter« beginnt. Kyros jedenfalls erklärt mit den Worten, die ihn Xenophon als schon hochbetagten Greis auf dem Sterbelager sprechen lässt, er habe sich im Alter nie schwächer gefühlt als er es in seiner Jugend gewesen sei. Ich selbst erinnere mich noch aus meiner Kinderzeit an Lucius Metellus, der vier Jahre nach seinem zweiten Konsulat Oberster Priester geworden war und dann dieses Priesteramt noch zweiundzwanzig Jahre lang bekleidet hat: Er war selbst am Ende seines Lebens noch so gut bei Kräf-

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tremo tempore aetatis, ut adulescentiam non requireret. nihil necesse est mihi de me ipso dicere, quamquam est id quidem senile aetatique nostrae conceditur. Videtisne ut apud Homerum saepissime Nestor de vir-

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tutibus suis praedicet? iam enim tertiam aetatem hominum videbat, nec erat ei verendum, ne vera praedicans de se nimis videretur aut insolens aut loquax. etenim, ut ait Homerus, »ex eius lingua melle dulcior fluebat oratio«, quam ad suavitatem nullis egebat corporis viribus, et tarnen dux ille Graeciae nusquam optat, ut Aiacis similes habeat decern, sed ut Nestoris; quodsi sibi accident, non dubitat quin brevi sit Troia peritura. Sed redeo ad me. quartum ago annum et octogesimum; vellem equidem idem possem gloriari quod Cyrus, sed tamen hoc queo dicere non me quidem iis esse viribus, quibus aut miles bello Punico aut quaestor eodem bello aut consul in Hispania fuerim aut quadriennio post, cum tribunus militaris depugnavi apud Thermopylas M'. Acilio Glabrione consule, sed tamen, ut vos videtis, non plane me enervavit, non adflixit senectus; non curia vires meas desiderai, non rostra, non amici, non clientes, non hospites. nec enim umquam sum adsensus veteri illi laudatoque proverbio, quod monet mature fieri senem, si diu velis senex esse, ego vero me minus diu senem esse mallem quam esse senem ante quam essem. itaque nemo adhuc convenire me voluit, cui fuerim occupatus.

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ten, dass er sich nie nach seiner Jugendzeit zurücksehnte. So erübrigt es sich gänzlich, von mir selbst zu reden, obwohl gerade das eine Eigenart alter Leute ist und man es in meinem Alter auch darf Ihr wisst doch, wie häufig Nestor bei Homer sich seiner Vorzüge rühmt. Er sah ja bereits die dritte Generation, und er brauchte nicht zu befurchten, allzu überheblich oder redselig zu erscheinen, wenn er Wahres von sich sagte. Denn »es flössen«, wie Homer sagt, »die Worte süßer als Honig von seiner Zunge« - dies machte ihn sympathisch, und er brauchte dazu keinerlei Körperkraft. Und doch wünscht sich der Führer der Griechen nirgends, zehn Helden wie Ajax zu haben, wohl aber solche wie Nestor; für den Fall, dass ihm dieses Glück zuteil werden sollte, hegt er keinen Zweifel mehr am baldigen Untergang Trojas.

Doch zurück zu mir! Ich stehe jetzt in meinem vierundachtzigsten Lebensjahr, und ich wollte, ich könnte dasselbe von mir rühmen wie Kyros; ich kann nun zwar von mir nicht behaupten, ich sei noch so bei Kräften wie seinerzeit als Soldat und Quästor im Krieg gegen Karthago oder als Konsul in Spanien oder vier Jahre später, als ich als Militärtribun unter dem Konsul Manius Acilius Glabrio bei den Thermopylen kämpfte, aber es hat mich doch, wie ihr selbst seht, das Alter noch nicht ganz entkräftet und gebeugt: Wenn ich im Senat spreche oder die Rednerbühne betrete, so sagt man nicht, ich hätte keine Kraft mehr, so wenig wie das meine Freunde, Klienten und Gastfreunde feststellen. Ich habe nämlich nie jenem alten, vielgepriesenen Spruch beigestimmt, der da lehrt, man müsse früh alt werden, wenn man lange alt bleiben wolle. Ich für meine Person möchte lieber nicht so lange alt sein als es vor der Zeit schon zu werden. So habe ich auch für jeden, der mich besuchen wollte, bisher immer noch Zeit gehabt.

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At minus habeo virium quam vestrum utervis. ne ne vos

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quidem T. Ponti centurionis vires habetis; num idcirco est ille praestantior? moderato modo virium adsit, et tantum, quantum potest quisque, nitatur: ne ille non magno desiderio tenebitur virium. Olympiae per stadium ingressus esse Milo dicitur, cum humeris sustineret bovem. utrum igitur has corporis an Pythagorae tibi malis vires ingeni dari? denique isto bono utare, dum adsit; cum absit, ne requiras, nisi forte adulescentes pueritiam, paulum aetate progressi adulescentiam debent requirere. cursus est certus aetatis et una via naturae eaque simplex, suaque cuique parti aetatis tempestivitas est data, ut et infirmitas puerorum et ferocitas iuvenum et gravitas iam constantis aetatis et senectutis maturitas naturale quiddam habeat, quod suo tempore percipi debeat.

Audire te arbitrar, Scipio, hospes tuus avitus Masinissa quae faciat hodie nonaginta natus annos: cum ingressus iter pedibus sit, in equum omnino non ascendere, cum autem equo, ex equo non descendere; nullo imbre, nullo frigore adduci, ut capite operto sit; summam esse in eo siccitatem corporis, itaque omnia exsequi regis officia et munera. potest igitur exercitatio et temperantia etiam in senectute conservare aliquid pristini roboris.

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Aber, so könnte man einwenden, ich habe doch nicht mehr so viel Kraft wie einer von euch beiden. Jedoch auch ihr habt nicht die Kräfte des Zenturios Titus Pontius; ist dieser deshalb etwa mehr wert als ihr? Nein - man braucht seine Kräfte nur im richtigen Maße einzuteilen und sich nur so viel anzustrengen, wie man vermag: Dann wird man wahrlich kein starkes Bedürfnis nach mehr Kräften verspüren. Zu Olympia soll Milon mit einem Rind auf den Schultern durch die Rennbahn gegangen sein. Möchtest du dir deswegen etwa die Körperstärke dieses Milon lieber wünschen als die Geisteskraft eines Pythagoras? Kurz: Gebrauche dieses Naturgeschenk, solange du es hast; hast du es dann nicht mehr, dann sollst du es auch nicht zurückersehnen - es müsste denn sein, dass man es seinem Alter schuldig wäre, als Jüngling die Kindheit, als Alterer dann die Jugend zurückzuwünschen. Das Leben hat jedoch seinen ganz bestimmten Ablauf] und der Weg der Natur ist nur einer und zwar ein gerader. Jedes Lebensalter hat infolge der zeitlichen Entwicklung seinen eigenen Charakter; die Schwäche des Kindes, das Draufgängerische des jungen Mannes, der Ernst in bereits gesetzterem Alter und die Reife des hohen Alters haben etwas Naturgemäßes, das man zur rechten Zeit erkennen muss. Ich nehme doch an, mein Scipio, dass du schon gehört hast, wie es Masinissa, der Gastfreund deines Großvaters, heute noch, mit seinen neunzig Jahren, zu halten pflegt: Wenn er einen Fußmarsch angetreten hat, besteigt er nie ein Pferd; ist er aber zu Pferd aufgebrochen, so steigt er nie ab; kein Platzregen, keine Kälte kann ihn dazu bringen, sein Haupt zu bedecken; körperlich ist er absolut kerngesund und so kann er allen Pflichten und Aufgaben eines Königs nachkommen. Es kann also Übung und Mäßigung auch im hohen Alter etwas von der früheren Kraft bewahren.

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N o n sunt in senectute vires, ne postulantur quidem vires a senectute. ergo et legibus et institutis vacat aetas nostra muneribus iis, quae non possunt sine viribus sustineri. itaque non m o d o quod non possumus, sed ne quantum possumus quidem cogimur.

A t multi ita sunt imbecilli senes, ut nullum officii aut

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omnino vitae munus exsequi possint. at id quidem non proprium senectutis Vitium est, sed commune valetudinis. quam fuit imbecillus P. Africani filius, is qui te adoptavit, quam tenui aut nulla potius valetudine ! quod ni ita fuisset, alteram illud extitisset lumen civitatis; ad paternam enim magnitudinem animi doctrina uberior accesserat. quid mirum igitur in senibus, si infirmi sint aliquando, cum id ne adulescentes quidem effugere possint? resistendum, Laeli et Scipio, senectuti est, eiusque vitia diligentia compensanda sunt; pugnandum tamquam contra morbum sic contra senectutem, habenda ratio valetudinis, utendum exercitationibus modicis, tantum cibi et potionis adhibendum, ut reficiantur vires, non opprimantur.

N e c vero corpori solum subveniendum est, sed menti atque animo multo magis; nam haec quoque, nisi tamquam lumini oleum instilles, extinguuntur senectute. et corpora quidem exercitationum defatigatione ingraves-

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Gesetzt aber auch, man hätte im hohen Alter keine körperliche Stärke mehr: Man verlangt sie ja auch von einem alten Menschen nicht. Daher ist das Alter, in dem ich jetzt stehe, nach Gesetz und Herkommen von den Aufgaben befreit, deren Bewältigung Körperkraft voraussetzt. Man verlangt von uns Alten nicht einmal so viel, als unsere Kräfte noch vermöchten, geschweige denn, dass man uns zu einer Kraftanstrengung nötigte, deren wir nicht mehr fähig wären. Aber - könnte man sagen - es gibt doch viele alte Menschen, die so gebrechlich sind, dass sie keiner Aufgabe ihres Berufs oder überhaupt des Lebens mehr nachkommen können. Doch dieses Obel geht nicht eigentlich zu Lasten des Alters; es ist allgemeiner Natur und hängt mit dem Gesundheitszustand des Menschen zusammen. Wie schwächlich war zum Beispiel jener Sohn des Publius Africanus, der dich als Sohn angenommen hat, wie zart, oder vielmehr ein Nichts war seine Gesundheit! Andernfalls wäre mit ihm noch einmal jener Stern unter den römischen Bürgern aufgegangen; denn abgesehen von der Geistesgröße seines Vaters besaß er eine noch reichere wissenschaftliche Bildung. Wie sollte es also bei Greisen, wenn sie wirklich einmal kraftlos sind, etwas Auffallendes sein, wenn nicht einmal junge Leute diesem Mangel aus dem Wege gehen können? Es heißt dem Altern entgegentreten, Laelius und Scipio, und seine Gebrechen durch Umsicht aufwiegen, gegen das Altern ankämpfen wie gegen eine Krankheit, nur der Gesundheit leben, Sport nur in bescheidenen Grenzen betreiben, und nur so viel essen und trinken, dass die Kräfte ersetzt, nicht aber unterdrückt werden. Man soll jedoch nicht nur den Körper stärken, sondern noch viel mehr die Denkkraft, den Geist. Denn auch die Geisteskräfte schwinden im hohen Alter, falls man nicht, wie bei einer Lampe, Öl nachträufelt. Körperlich wird man durch laufende Überanstrengung schwerfällig, der

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cunt, animi autem se exercendo levantur. nam quos ait Caecilius comicos stultos senes, hos significat crédulos obliviosos dissolutos, quae vitia sunt non senectutis, sed inertis ignavae somniculosae senectutis. ut petulantia, ut libido magis est adulescentium quam senum, nec tamen omnium adulescentium, sed non proborum, sic ista senilis stultitia, quae deliratio appellari solet, senum levium est, non omnium.

Quattuor robustos filios, quinque filias, tantam domum,

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tantas clientelas Appius regebat et caecus et senex; intentum enim animum tamquam arcum habebat nec languescens succumbebat senectuti. tenebat non m o d o auctoritatem, sed etiam imperium in suos: metuebant servi, verebantur liberi, carum omnes habebant; vigebat in illa d o m o mos patrius disciplina. Ita enim senectus honesta est, si se ipsa defendit, si ius suum retinet, si nemini emancupata est, si usque ad ultimum spiritum dominatur in suos. ut enim adulescentem, in quo est senile aliquid, sie senem, in quo est aliquid adulescentis, probo; quod qui sequitur, corpore senex esse poterit, animo numquam erit. septimus mihi liber Originum est in manibus, omnia antiquitatis monumenta colligo, causarum illustrium, quascumque defendi, nunc cum maxime conficio orationes, ius au-

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Geist aber wird nur dadurch frisch erhalten, dass man ihn betätigt. Denn mit den Greisen, die Caecilius als »lächerliche alte Trottel« bezeichnet, meint er leichtgläubige, vergessliche, energielose Menschen und denkt dabei an Fehler, die nicht den Alten schlechthin, sondern nur den untätigen, trägen und verschlafenen alten Menschen eigen sind. Frechheit und hemmungslose Leidenschaft gibt es mehr bei den Jungen als bei den Alten, und doch nicht bei allen Jungen, sondern nur bei den minderwertigen. Dementsprechend ist auch die sogenannte »senile Verblödung« - man sagt in einem solchen Fall: Er ist nicht mehr ganz richtig im K o p f - nicht bei allen alten Leuten festzustellen, sondern nur bei denen, die sich gehen lassen. Vier kräftige Söhne, fünf Töchter, eine Menge Bediensteter und Klienten verstand Appius zu beherrschen, obwohl er nicht nur alt, sondern sogar blind war; er hielt eben seinen Geist stets angespannt wie einen Bogen, machte nie schlapp und ließ sich vom Alter nichts anhaben. Er behauptete nicht nur sein Ansehen, sondern auch die tatsächliche Herrschaft über seine Leute. Es fürchteten ihn die Sklaven, mit ehrfurchtiger Scheu begegneten ihm seine Kinder: Alle aber hatten ihn lieb; in seinem Hause herrschte Zucht, und ihr zufolge die Sitte unserer Väter. Achtunggebietend ist nämlich das Greisenalter nur dann, wenn ein alter Mensch sich selbst zu schützen weiß, wenn er sein Recht behauptet, wenn er sich keines anderen Gewalt verkauft, wenn er bis zum letzten Atemzug Herr ist über seine Leute. Denn wie ich jenen jungen Mann loben muss, der schon etwas von der Reife des Alters an sich hat, so gefällt mir auch ein alter Mensch, wenn er noch einen Rest jugendlicher Frische zeigt; wer dies zum Ziele hat, der kann wohl körperlich altern, geistig nie. Ich habe zur Zeit das siebente Buch meiner Origines in Arbeit: Alle historischen Denkwürdigkeiten trage ich zusammen; gerade

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gurium pontificium civile tracto, multum etiam Graecis litteris utor Pythagoreorumque more exercendae memoriae gratia, quid quoque die dixerim audierim egerim, commemoro vesperi. haec sunt exercitationes ingeni, haec curricula mentis, in his desudans atque elaborans corporis vires non magno opere desidero, adsum amicis, venio in senatum frequens ultroque adfero res multum et diu cogitatas easque tueor animi, non corporis viribus, quae si exequi nequirem, tamen me lectulus meus oblectaret ea ipsa cogitantem quae iam agere non possem; sed ut possim, facit acta vita, semper enim in his studiis laboribusque viventi non intellegitur quando obrepat senectus. ita sensim sine sensu aetas senescit nec subito frangitur, sed diuturnitate extinguitur.

Sequitur tertia vituperatio senectutis, quod eam carere dicunt voluptatibus. o praeclarum munus aetatis, siquidem id aufert a nobis, quod est in adulescentia vitiosissimum! accipite enim, optimi adulescentes, veterem orationem Archytae Tarentini, magni in primis et praeclari viri, quae mihi tradita est, cum essem adulescens Tarenti cum ( ^ M a x i m o . nullam capitaliorem pestem quam vo-

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jetzt arbeite ich alle Reden aus, die ich in aufsehenerregenden Prozessen als Anwalt gehalten habe; ich behandle das Recht der Auguren, der Pontifices und das bürgerliche Recht; ich beschäftige mich auch viel mit der griechischen Literatur; nach der Weise der Pythagoreer überdenke ich, um mein Gedächtnis zu üben, jeden Abend alles, was ich tagsüber gesprochen, gehört und getan habe. Auf solche Weise kann man den Geist üben, ihn »in Trab halten«. Wenn mich dies alles Schweiß und Mühe kostet, vermisse ich die körperliche Kraft nicht besonders. Ich helfe meinen Freunden als Rechtsbeistand, besuche regelmäßig die Senatssitzungen, bringe dort aus eigener Initiative Probleme zur Sprache, die ich ausgiebig und lange überdacht habe, und wenn ich mich für sie einsetzen kann, dann verdanke ich das nicht der Kraft meines Körpers, sondern der meines Geistes. Und gesetzt den Fall, ich könnte solchen Obliegenheiten nicht mehr nachkommen, so würde ich mich schon darüber freuen, dass ich aufmeinem Ruhebett das durchdenken könnte, was mir auszuführen nicht mehr vergönnt wäre; dass es mir aber noch möglich ist, verdanke ich meiner früheren Lebensweise. Wer nämlich immer nur mit solchen Bestrebungen und Arbeiten sein Leben ausfüllt, bemerkt es gar nicht, wenn das Alter über ihn kommt. So gleitet das Leben unvermerkt allmählich in das Greisenalter hinüber und erlischt dann eben mit der Länge der Zeit, ohne mit einem Schlag zerbrochen zu werden. Nun zum dritten Vorwurf den man dem Alter macht: Dass es nämlich keine sinnliche Lust mehr zulasse. Was für ein herrliches Geschenk macht uns doch diese Altersstufe, wenn sie uns das nimmt, was der jungen Jahre verwerflichster Nachteil ist! Hört doch, ihr trefflichen jungen Männer, die alten Worte des Tarentiners Archytas, der mit an erster Stelle unter die großen, hervorragenden Männer zu rechnen ist. Sie wurden mir berichtet, als ich in jungen Jahren mit Quintus Maximus

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luptatem corporis hominibus dicebat a natura datam, cuius voluptatis avidae libídines temere et effrenate ad potiundum incitarentur. Hinc patriae proditiones, hinc rerum publicarum ever-

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siones, hinc cum hostibus clandestina colloquia nasci, nullum denique scelus, nullum malum facinus esse, ad quod suscipiendum non libido voluptatis impellerei; stupra vero et adulteria et omne tale flagitium nullis excitan aliis inlecebris nisi voluptatis, cumque homini sive natura sive quis deus nihil mente praestabilius dedisset, huic divino muneri ac dono nihil tam esse inimicum quam voluptatem: nec enim libidine dominante temperantiae locum esse neque omnino in voluptatis regno virtutem posse consistere, quod quo magis intellegi posset, fingere animo iubebat tanta incitatum aliquem voluptate corporis, quanta percipi posset maxima; nemini censebat fore dubium, quin tam diu, dum ita gauderet, nihil agitare mente, nihil ratione, nihil cogitatione consequi posset, quocirca nihil esse tam detestabile quam voluptatem, siquidem ea, cum maior esset atque longinquior, omne animi lumen extingueret.

Haec cum C. Pontio Samnite, patre eius, a quo Caudino proelio Sp. Postumius T. Veturius consules superati sunt, locutum Archytam Nearchus Tarentinus, hospes noster,

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in Tarent weilte. Archytas behauptete, die Natur habe dem Menschen kein tödlicheres Gift eingeimpft als die Sinnlichkeit. Im Verlangen nach ihrem Genuss ließen sich die Leidenschaften zu hemmungsloser Blindheit treiben, um ihn zu bekommen. Es sei dies eine Quelle des Hochverrats, der Revolutionen und geheimer Unterhandlungen mit dem Feind; kurz: kein Verbrechen, keine Schandtat sei denkbar, die nicht durch die Begierde nach sinnlicher Lust veranlasst werden könnte; Unzucht aber und Ehebruch und alle derartigen Schändlichkeiten seien auf keinen anderen Anreiz zurückzufuhren als eben auf die Sinnlichkeit; einerseits habe die Natur oder irgendein Gott dem Menschen nichts Edleres geschenkt als den Verstand, andererseits sei aber die Sinnlichkeit der größte Feind dieses herrlichen Geschenkes der Götter; denn wo die Leidenschaft herrsche, sei Maßhalten nicht mehr möglich, und überhaupt könne im Reiche der Sinnenlust die Tugend keinen Platz mehr finden. Um dies noch deutlicher zu begreifen, stelle man sich einen Menschen vor, der unter dem Reiz der denkbar stärksten körperlichen Lust stehe; es werde wohl jeder zugeben müssen, dass dieser für die ganze Dauer dieser Sinnenfreude unfähig sei zu jeder überlegten Tätigkeit, aber auch zu jedem erfolgreichen Überlegen und Denken. Daher sei nichts so zu verabscheuen wie die sinnliche Lust, da sie ja, wenn sie übertrieben werde und zu lange andauere, den letzten Funken Geist ersticke.

So sprach Archytas zu Gaius Pontius, dem Samniten, dem Vater des Mannes, der die Konsuln Spurius Postumius und Titus Veturius in der Schlacht bei Caudium besiegte; erzählt hat es mir mein Gastfreund Ne-

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qui in amicitia populi Romani permanserat, se a maioribus natu accepisse dicebat, cum quidem ei sermoni interfuisset Plato Atheniensis, quem Tarentum venisse L. Camillo Ap. Claudio consulibus reperio. Quorsus hoc? ut intellegeretis, si voluptatem aspernari

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ratione et sapientia non possemus, magnam habendam esse senectuti gratiam, quae effi-ceret, ut id non liberei, quod non oporteret. im-pedit enim consilium voluptas, rationi inimica est, mentis, ut ita dicam, praestringit oculos nec habet ullum cum virtute commercium, invitus feci, ut fortissimi viri T. Flaminini fratrem, L. Flamininum, e senatu eicerem septem annis post quam consul fuisset, sed notandam putavi libidinem. ille enim, cum esset consul in Gallia, exoratus in convivio a scorto est, ut securi feriret aliquem eorum, qui in vinculis essent damnati rei capitalis. hie Tito fratre suo censore, qui proximus ante me fuerat, elapsus est; mihi vero et Fiacco neutiquam probari potuit tarn flagitiosa et tam perdita libido, quae cum probro privato coniungeret imperii dedecus.

Saepe audivi e maioribus natu, qui se porro pueros e senibus audisse dicebant, mirari solitum C. Fabricium, quod, cum apud regem Pyrrhum legatus esset, audisset e Thessalo Cinea esse quendam Athenis, qui se sapien-

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ÜBER DAS ALTER

archos aus Tarent, der ein treuer Anhänger des römischen Volkes geblieben war; er sagte, er habe es ältere Personen so erzählen hören; auch Piaton aus Athen soll bei der Unterhaltung dabei gewesen sein - er ist nach meinen Ermittlungen im Konsulatsjahr des Lucius Camillus und des Appius Claudius nach Tarent gekommen. Wozu erzähle ich das alles? Nun, ich wollte euch nur klar machen, dass wir auch dann, wenn uns Verstand und Wissen nicht in die Lage setzten, die Sinnenlust abzulehnen, dem hohen Alter äußerst dankbar sein müssten, weil wir es dann ihm gutzuschreiben hätten, dass wir frei wären von einem leidenschaftlichen Verlangen, das von Übel ist. Denn die Lust hindert vernünftiges Denken, sie ist eine Feindin des Verstandes, sie bindet sozusagen dem Geist die Augen zu und hat keinerlei Berührungspunkte mit der Tugend. Es widerstrebte mir seinerzeit, Lucius Flamininus, den Bruder des heldenhaften Titus Flamininus, sieben Jahre nach seinem Konsulat aus dem Senat auszuschließen; aber es war meine feste Überzeugung, seiner hemmungslosen Leidenschaft einen Denkzettel verpassen zu müssen. Als Konsul ließ er sich nämlich in Gallien bei einem Zechgelage durch die Bitten einer Dirne dazu bewegen, einen von denen, die als Schwerverbrecher hinter Gittern saßen, enthaupten zu lassen. Er ist zwar damals dank seinem Bruder Titus, der als Zensor mein unmittelbarer Vorgänger war, ungestraft davongekommen; ich aber und Flaccus konnten eine derart schandbare und hemmungslose Verworfenheit keinesfalls hingehen lassen, da sie ja, abgesehen von der persönlichen Schande, auch das hohe Amt in Misskredit brachte. Oft schon habe ich von älteren Personen gehört (die es ihrerseits in ihrer Jugend wiederum von alten Leuten erzählt bekommen haben wollen), Gaius Fabricius habe es nie begreifen können, dass in Athen wie er als Gesandter bei König Pyrrhos aus dem Munde des Thessaliers

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tem profiteretur, eumque dicere omnia quae faceremus ad voluptatem esse referenda, quod ex eo audientes M'. Curium et Ti. Coruncanium optare solitos, ut id Samnitibus ipsique Pyrrho persuaderete, quod facilius vinci possent, cum se voluptatibus dedissent. vixerat M'. Curius cum P. Decio, qui quinquennio ante eum consulem se pro re publica quarto consulatu devoverat; norat eundem Fabricius, norat Coruncanius: qui cum ex sua vita turn ex eius, quem dico, Deci facto iudicabant esse profecto aliquid natura pulchrum atque praeclarum, quod sua sponte peteretur quodque spreta et contempta voluptate optimus quisque sequeretur.

Quorsus igitur tam multa de voluptate? quia non m o d o vituperatio nulla, sed etiam summa laus senectutis est, quod ea voluptates nullas magno opere desiderai, caret epulis extructisque mensis et frequentibus poculis: caret ergo etiam vinolentia et cruditate et insomniis. sed si aliquid dandum est voluptati, quoniam eius blanditiis non facile obsistimus (divine enim Plato escam malorum appellai voluptatem, quod ea videlicet homines capiantur ut pisces), quamquam immoderatis epulis caret senectus, modicis tamen conviviis delectari potest. C. Duellium M . filium, qui Poenos classe primus vicerat, redeuntem a cena senem saepe videbam puer: delectabatur cereo fonali et tibicine, quae sibi nullo

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Kineas erfuhr - ein Mann lebe, der sich für einen Weisen ausgebe und dabei die Meinung vertrete, bei allem, was der Mensch tue, komme es nur auf die sinnliche Lust an. Als Manius Curius und Tiberius Coruncanius dies von ihm hörten, sollen sie wiederholt den Wunsch geäußert haben, man möge doch den Samniten und Pyrrhos selbst diese Überzeugung einreden, da sie doch als Sklaven der Lust umso müheloser zu besiegen seien. Gelebt hatte Manius Curius zur Zeit des Pubiius Decius, der fünfjahre vor dessen Konsulat, als er selbst zum vierten Mal Konsul war, sich für die Rettung des Staates dem Tod geweiht hatte; es kannten ihn auch noch Fabricius und Coruncanius. Sie alle waren teils aus eigener Lebenserfahrung, teils auf die Heldentat des erwähnten Decius hin der Oberzeugung, dass es mit Sicherheit von Natur aus etwas Schönes und Herrliches gibt, das um seiner selbst willen erstrebt werde und das gerade die Besten unter Verachtung und Zurücksetzung der Lust zu vollbringen suchten. Wozu so lange Ausfuhrungen über die Lust? Nun, weil es nicht nur kein Tadel, sondern sogar das schönste Lob des hohen Alters ist, dass es nach keinerlei Sinnenlust besonders stark verlangt. Es kennt keine Schmausereien, keinen überreich beladenen Tisch, keine wiederholt gefüllten Becher, demzufolge aber auch keine Trunkenheit, keine Verdauungsbeschwerden, keine schlaflosen Nächte. Nun muss man freilich dem Sinnengenuss einiges einräumen - können wir doch seiner Verlockung nur schwer widerstehen! Piaton drückt dies übrigens wunderbar aus, wenn er die Lust einen »Köder des Bösen« nennt, weil sich die Menschen durch sie offensichtlich fangen ließen wie die Fische mit der Angel! Dazu ist zu sagen: Das Alter kann zwar keine unmäßigen Schmausereien mehr vertragen, aber doch an mäßigen Gastmählern Freude finden. Als Bub sah ich oft, wie der hochbetagte Gaius Duellius, der Sohn des Marcus,

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exemplo privatus sumpserat; tantum licentiae dabat gloria.

Sed quid ego alios? ad me ipsum iam revertar. primum

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habui semper sodales. sodalitates autem me quaestore constitutae sunt sacris Idaeis Magnae Matris acceptis. epulabar igitur cum sodalibus omnino modice, sed erat quidam fervor aetatis; qua progrediente omnia fiunt in dies mitiora. neque enim ipsorum conviviorum deiectationem voluptatibus corporis magis quam coetu amicorum et sermonibus metiebar. bene enim maiores accubitionem epularem amicorum, quia vitae coniunctionem haberet, convivium nominaverunt, melius quam Graeci, qui hoc idem tum compotationem, tum concenationem vocant, ut, quod in eo genere minimum est, id maxime probare videantur.

Ego vero propter sermonis deiectationem tempestivis quoque conviviis delector, nec cum aequalibus solum, qui pauci admodum restant, sed cum vestra etiam aetate atque vobiscum, habeoque senectuti magnam gratiam, quae mihi sermonis aviditatem auxit, potionis et cibi sustulit. quod si quem etiam ista delectant (ne omnino bellum indixisse videar voluptati, cuius est fortasse qui-

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der als Erster die Karthager in einer Seeschlacht besiegte, v o m Abendessen nach Hause ging; er hatte dabei sein Vergnügen am Licht der Fackeln und am Flötenspieler, eine Begleitung, die er sich als Privatmann - ohne Vorbild - geleistet hatte; so viel Freiheit erlaubte ihm sein Ruhm. D o c h was rede ich von anderen? Ich will nunmehr wieder von mir erzählen: Anfänglich hatte ich immer Freunde und Brüder in meiner Gesellschaft. D i e Opfergemeinschaften sind ja unter meiner Quästur geschaffen worden, als der idaeische Gottesdienst der Großen Mutter v o n uns R ö m e r n ü b e r n o m m e n worden war. Ich speiste also gewöhnlich mit diesen Tischgenossen im Ganzen mäßig, hatte aber doch noch einen Rest von jugendlichem Temperament; mit fortschreitendem Alter wird man aber im Ganzen von Tag zu Tag ruhiger. D e n n die Freude an den Gastmählern selbst bestand für mich weniger in körperlichem Vergnügen als vielmehr im Zusammensein mit meinen Freunden und den dabei geführten Gesprächen. Es war nämlich durchaus richtig, w e n n unsere Vorfahren das Tischgelage mit Freunden, weil es eine gemeinsame Lebensgestaltung sei, ein » Z u s a m m e n l e b e n « (convivium) nannten; sie trafen damit die Sache besser als die Griechen, die das gleiche Geschehen teils »Zusammentrinken« (symposion), teils » Z u s a m m e n s p e i s e n « (sysition) nennen, so dass sie den Punkt, d e m dabei am wenigsten Bedeutung zukommt, offenbar am meisten schätzen. Mir aber macht es bei meiner Freude am Gespräch sogar Vergnügen, wenn Gastmähler schon recht früh beginnen - und nicht nur, w e n n Altersgenossen da sind, von denen es nur noch ganz wenige gibt, sondern auch mit euch Jüngeren. U n d ich habe meinem hohen Alter, das mir das Verlangen nach Unterhaltung stärkte, die Trink- und Esslust dagegen nahm, von Herzen zu danken. N u n bereiten sicher auch diese Genüsse manchem Freude - ich will nämlich nicht den Anschein ge-

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dam naturalis modus), non intellego ne in istis quidem ipsis voluptatibus carere sensu senectutem. me vero et magisteria delectant a maioribus instituta et is sermo, qui more maiorum a summo adhibetur in poculo, et pocula, sicut in Symposio Xenophontis est, minuta atque rorantia, et refrigeratio aestate et vicissim aut sol aut ignis hibernus. quae quidem etiam in Sabinis persequi soleo conviviumque vicinorum cotidie compleo, quod ad multam noctem, quam maxime possumus, vario sermone producimus.

At non est voluptatum tanta quasi titillatio in senibus.

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credo, sed ne desiderato quidem. nihil autem est molestum, quod non desideres. bene Sophocles, cum ex eo quidam iam adfecto aetate quaereret, utereturne rebus veneriis: »di meliora!« inquit; »libenter vero istinc sicut a domino agresti ac rurioso profugi.« cupiciis enim rerum talium odiosum fortasse et molestum est carere, satiatis vero et expletis iucundius est carere quam frui. quamquam non caret is, qui non desiderai; ergo hoc non desiderare dico esse iucundius.

Quodsi istis ipsis voluptatibus bona aetas fruitur libentius, primum parvulis fruitur rebus, ut diximus, deinde

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ben, als hätte ich der Sinnenlust, von der die Natur vielleicht wirklich ein gewisses Maß erlaubt, gänzlich den Kampf angesagt - , ich begreife allerdings nicht, dass das hohe Alter gerade bei diesen Genüssen keine Sinneswahrnehmung mehr haben soll. Mich jedenfalls erfreut das Amt des Trinkkönigs, das schon unsere Vorfahren als schönen Brauch eingeführt haben, mich erfreuen auch die Worte, die der Symposiarch beim Antrinken nach Brauch der Väter spricht, ferner die kleinen und tröpfchenweise zu leerenden Becher, von denen Xenophon in seinem Symposion erzählt, weiterhin die Abkühlung im Sommer, sowie andererseits die Sonne oder das Herdfeuer im Winter; mit alledem richte ich mein Leben auf meinem sabinischen Landgut ein; täglich lade ich alle meine Nachbarn zu einem Mahl, das wir dann, so gut wir können, mit buntem Wechsel der Gesprächsthemen bis tief in die Nacht hinein ausdehnen. »Aber es haben doch die Greise nicht mehr in so starkem Maße das prickelnde Verlangen nach sinnlicher Lust!«Ich glaube es - aber sie haben auch keine Sehnsucht danach; nichts aber kann Kummer bereiten, wenn man es nicht vermisst. Als den schon vom Alter geschwächten Sophokles jemand fragte, ob er noch geschlechtlichen Verkehr mit Frauen habe, gab er treffend zur Antwort: »Gott bewahre! Mit Freuden bin ich aus der Sklaverei dieses so wilden und wütenden Gebieters entflohen!« Für solche nämlich, die auf derartige Freuden leidenschaftlich erpicht sind, ist es vielleicht schmerzlich und verhasst, sie entbehren zu müssen; wer aber schon gesättigt und zufriedengestellt ist, für den ist ihre Entbehrung angenehmer als der Genuss. Jedoch: Es entbehrt sie nicht, wer sie nicht vermisst; so kann ich sagen, es sei angenehmer, sie nicht zu vermissen. Wenn man nun gerade diese Freuden als junger Mensch besonders gerne genießt, so genießt man erstens, wie ich schon sagte, nichts Be-

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iis, quibus senectus, etiamsi non abunde potitur, non omnino caret, ut Turpione Ambivio magis delectatur, qui in prima cavea spectat, delectatur tarnen etiam, qui in ultima, sic adulescentia voluptates propter intuens magis fortasse laetatur, sed delectatur etiam senectus procul eas spectans tantum quantum sat est.

At ilia quanti sunt, animum tamquam emeritis stipen-

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diis libidinis, ambitionis, contentionum, inimicitiarum, cupiditatum omnium secum esse secumque, ut dicitur, vivere! si vero habet aliquod tamquam pabulum studi atque doctrinae, nihil est otiosa senectute iucundius. mori videbamus in studio dimetiendi paene caeli atque terrae C. Galum, familiarem patris tui, Scipio: quotiens ilium lux noctu aliquid describere ingressum, quotiens nox oppressit, cum mane coepisset! quam delectabat eum defectiones solis et lunae multo ante nobis praedicere!

Quid in levioribus studiis, sed tarnen acutis? quam gaudebat bello suo Punico Naevius! quam Truculento Plautus, quam Pseudolo! vidi etiam senem Livium: qui cum sex annis ante quam ego natus sum fabulam docuisset Centone Tuditanoque consulibus, usque ad adulescentiam meam processit aetate. quid de P. Licini Crassi et pontificii et civilis iuris studio loquar aut de

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sonderes, zweitens aber eben etwas, das man im hohen Alter zwar nicht in reichlichstem Maße kennt, das man aber doch nicht ganz entbehren muss. Wer Logenplätze hat, hat freilich von Turpio Ambivius einen größeren Genuss, aber auch in der hintersten Reihe kann man sich über ihn freuen; ebenso ist es auch mit unserem Problem: Die Jugend erlebt vielleicht mehr Freude, weil sie die genannten Genüsse aus nächster Nähe kennenlernt, aber auch die Alten, die sie aus größerer Entfernung betrachten, haben noch in hinreichendem Maß ihre Freude daran. Aber wie wertvoll ist doch gerade das andere: Dass die Seele, wenn sie bei der Lust, beim Ehrgeiz, bei den Rivalitäten und Feindschaften, überhaupt bei allen Leidenschaften sozusagen ihren Dienst abgeleistet hat, nunmehr für sich ist und, wie man sagt, sich selbst lebt! Wenn sie noch dazu von einigem wissenschaftlichen Eifer gleichsam gespeist wird, dann ist das hohe Alter, frei von geschäftlichen Belastungen, das Schönste, was es überhaupt gibt. Wir erlebten es, wie Gaius Galus, ein Freund deines Vaters, Scipio, sich fast zu Tode arbeitete in seinem Eifer, Himmel und Erde geradezu »auszumessen«; wie oft überraschte ihn der anbrechende Tag, wenn er nachts etwas zu zeichnen angefangen hatte, wie oft aber auch der Einbruch der Nacht, wenn er am Morgen begonnen hatte! Wie freute er sich, wenn er uns die Sonnen- und Mondfinsternisse aufweite Sicht voraussagte! Das Gleiche gilt doch wohl auch für Beschäftigungen, die nicht so ganz streng wissenschaftlich sind. Welche Freude hatte Naevius an seinem Punischen Krieg, und Plautus an seinem Grobian und an seinem Lügenmaul! Ich kannte auch noch den alten Livius; er hatte schon sechs Jahre vor meiner Geburt, unter den Konsuln Cento und Tuditanus, ein Drama zur Auffuhrung gebracht und lebte dann noch bis in mein Jugendalter hinein. Was soll ich von dem Eifer reden, mit dem Publius

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huius P. Scipionis, qui his paucis diebus pontifex maximus factus est? atque eos omnes, quos commemoravi, his studiis flagrantes senes vidimus; M . vero Cethegum, quem recte Suadae medullam dixit Ennius, quanto studio exerceri in dicendo videbamus etiam senem! quae sunt igitur epularum aut ludorum aut scortorum voluptates cum his voluptatibus comparandae? atque haec quidem studia doctrinae; quae quidem prudentibus et bene institutis pariter cum aetate crescunt, ut honestum illudSolonis sit, quod ait versiculo quodam, ut ante dixi, senescere se multa in dies addiscentem, qua voluptate animi nulla certe potest esse maior.

Venio nunc ad voluptates agricolarum, quibus ego incredibiliter delector; quae nec ulla impediuntur senectute et mihi ad sapientis vitam proxime videntur accedere. habent enim rationem cum terra, quae numquam recusat imperium nec umquam sine usura reddit quod accepit, sed alias minore, plerumque maiore cum faenore. quamquam me quidem non fructus modo, sed etiam ipsius terrae vis ac natura delectat. quae cum gremio mollito ac subacto sparsum semen excepit, primum id occaecatum cohibet, ex quo occatio quae hoc efficit nominata est; dein tepefactum vapore et compressu suo diffundit et elicit herbescentem ex eo viriditatem, quae nixa fibris stirpium sensim adulescit culmoque erecta

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Licinius Crassus das Recht der Pontifices und das bürgerliche Recht studierte, oder von dem Wissensdrang unseres Zeitgenossen Publius Scipio, der erst in den letzten Tagen Oberpriester geworden ist? Alle die Genannten waren, wie wir sahen, noch in hohem Alter leidenschaftlich diesen geistigen Interessen ergeben; und erst Marcus Cethegus, den Ennius mit Recht das »Mark der Suada« genannt hat! Mit welchem Eifer hat er sich doch als alter Mann noch in der Redekunst geübt! Gibt es nun Tafelfreuden, Spielleidenschaften oder Amüsements mit leichten Mädchen, die mit solchen Freuden vergleichbar wären? Und es handelt sich dabei ja um wissenschaftliche Interessen, die doch bei Gebildeten und Gelehrten in ihrer Steigerung mit dem Fortschreiten der Jahre Schritt halten. Daher ist es besonders hübsch von Solon gesagt, was er, wie erwähnt, in einem Vers ausspricht: Er altere und lerne dabei Tag für Tag vieles hinzu. Dieses geistige Vergnügen kann auch sicherlich von keinem anderen überboten werden. Ich komme nun auf die Freuden des Bauernstandes zu sprechen, die für mich ein unglaubliches Vergnügen bedeuten: Ihnen steht kein noch so hohes Alter im Weg, und sie haben, wie ich glaube, mit dem Leben eines Weisen am meisten Verwandtes. Geschäftspartner der Landleute ist ja die Erde, die nie einem Gebot widerstrebt und nie ohne Zinsen zurückgibt, was sie empfangen hat; manchmal freilich ist der Zins der geringere, meist jedoch der größere Teil. Doch mich erfreut nicht nur der Ertrag, sondern auch die schöpferische Kraft der Erde an sich. Hat sie in ihrem aufgeweichten und durchgearbeiteten Inneren die Saat empfangen, so hält sie sie zuerst in Dunkelheit umhüllt (occaecatum), wonach das Eineggen (occatio), das dies bewirkt, benannt ist; hat sie aber dann den Samen in enger Umschließung durch ihren Dunst erwärmt, so lässt sie ihn aufspringen und lockt das hervorsprießende Grün heraus, das

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geniculate vaginis iam quasi pubescens includitur; ex quibus cum emersit, fundit frugem spici ordine structam et contra avium minorum morsus munitur vallo aristarum.

Quid ego vitium ortus satus incrementa commemo-

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rem? satiari delectatione non possum, ut meae senectutis requiem oblectamentumque noscatis. omitto enim vim ipsam omnium, quae generantur e terra; quae ex fici tantulo grano aut ex acini vinaceo aut ex ceterarum frugum aut stirpium minutissimis seminibus tantos truncos ramosque procreet. malleoli plantae sarmenta viviradices propagines nonne ea efficiunt, ut quemvis cum admiratione delectent? vitis quidem, quae natura caduca est et, nisi fulta est, fertur ad terram, eadem, ut se erigat, claviculis suis quasi manibus, quidquid est nacta, complecitur; quam serpentem multiplici lapsu et erratico ferro amputans coercet ars agricolarum, ne siivescat sarmentis et in omnes partes nimia fundatur.

Itaque ineunte vere in iis, quae relicta sunt, existit tamquam ad articulos sarmentorum ea quae gemma dicitur, a qua oriens uva se ostendit, quae et suco terrae et calore solis augescens primo est peracerba gustata, dein maturata dulcescit vestitaque pampinis nec modico tepore

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dann, gestützt durch die Fasern der Wurzeln, allmählich heranwächst, sich in einem knotigen Halm emporrichtet, um sich nunmehr - gleichsam zur Reife kommend - mit Hüllen zu umschließen; ist die Pflanze dann aus diesen hervorgebrochen, so lässt sie die in regelmäßige Ähren geschichtete Frucht herauswachsen und schützt sich gegen die Schnäbel kleinerer Vögel mit einem Kranz von Grannen. Was soll ich erst die Entstehung, das Pflanzen und Wachsen der Weinstöcke erwähnen? Es ist eine Freude, an der ich nie genug haben kann ihr sollt ruhig erfahren, was mir in meinem hohen Alter Erholung und Freude bietet. Ich übergehe nämlich nun die eigentliche Kraft, die alle Pflanzen aus der Erde treibt; sie ist so stark, dass sie aus dem kleinen Feigen- oder Weinbeerkern oder aus den kleinsten Samenkörnern der übrigen Früchte oder Gewächse die mächtigen Stämme und Äste hervorkommen lässt. Die Setzlinge, Stecklinge, Reiser, Wurzelschößlinge und Ableger, erwecken sie nicht in jedem Beschauer Freude und Bewunderung? Die Weinrebe nun ist zwar von Natur aus nicht fähig, sich aufzurichten, und fällt, wenn man ihr keinen Halt gibt, zur Erde, aber sie klammert sich dennoch, um sich aufzurichten, mit ihren Ranken - wie mit Händen - an alles, was sie findet; will sie sich dann in vielfachen und wirren Windungen dahinschlängeln, dann greift der Bauer zu seiner Kunst, beschneidet den Weinstock mit der Hippe und hindert ihn so, durch Austriebe zu verholzen und allzu weit nach allen Seiten zu wuchern. So bildet sich dann, wenn der Frühling einsetzt, an den Teilen, die man beim Beschneiden stehenließ, sozusagen an den Gelenken der Reiser, das sogenannte »Auge«, aus dem dann die Traube ans Licht sprießt; Erdfeuchtigkeit und Sonnenwärme lassen sie größer und größer werden; anfangs schmeckt sie sehr herb, später aber, wenn sie herangereift

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caret et nimios solis defendit ardores. qua quid potest esse cum fructu laetius, turn aspectu pulchrius? cuius quidem non utilitas me solum, ut ante dixi, sed etiam cultura et natura ipsa delectat, adminiculorum ordines, capitum iugatio, religatio et propagatio vitium, sarmentorum ea, quam dixi, aliorum amputatio, aliorum immissio. quid ego irrigationes, quid fossiones agri repastinationesque proferam, quibus fit multo terra fecundior? quid de utilitate loquar stercorandi?

Dixi in eo libro, quern de rebus rusticis scripsi; de qua

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doctus Hesiodus ne verbum quidem fecit, cum de cultura agri scriberet. at Homerus, qui multis, ut mihi videtur, ante saeculis fuit,Laertam lenientem desiderium, quod capiebat e filio, colentem agrum et eum stercorantem facit. nec vero segetibus solum et pratis et vineis et arbustis res rusticae laetae sunt, sed hortis etiam et pomariis, turn pecudum pastuetapium examinibus, florum omnium varietate. nec consitiones modo delectant, sed etiam insitiones, quibus nihil invenit agri cultura sollertius. Possum persequi permulta oblectamenta rerum rusticarum, sed ea ipsa quae dixi sentio fuisse longiora. ignoscetis autem: nam et studio rerum rusticarum provectus sum, et senectus est natura loquacior, ne ab omnibus

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ist, bekommt sie den süßen Geschmack; von Weinlaub umhüllt, wird ihr nie zu kühl, andererseits findet sie Schutz vor allzu starker Sonnenglut. Ist sie nicht die erquickendste Freude für den Genuss, sodann aber auch die schönste Augenweide, die es gibt? Aber - wie schon vorhin gesagt - bei ihr ist es nicht nur der Nutzen, der mich erfreut, sondern auch ihr Anbau und ihre natürliche Beschaffenheit an sich, die in schöner Ordnung aufgestellten Stützen, das Ziehen der obersten Enden, das Festbinden und das Fortpflanzen der Stöcke und bei den Reisern teils das erwähnte Beschneiden, teils auch der Entschluss, sie wachsen zu lassen. Was soll ich hier noch das Bewässern, das Durcharbeiten und Umgraben des Bodens anfuhren, wodurch die Erde noch viel fruchtbarer wird? Was soll ich vom Nutzen des Düngens sprechen? Ich habe das ja alles in meinem Buch über die Landwirtschaft behandelt; der wohlunterrichtete Hesiod hat auch nicht ein Wort darüber verloren, obschon er über den Landbau schrieb. Homer dagegen, der, wie ich glaube, viele Jahrhunderte vorher lebte, lässt Laertes sein Feld bebauen und düngen, um mit dieser Arbeit die Sehnsucht nach seinem Sohn zu lindern. Aber nicht bloß die Saatfelder, Wiesen, Weinberge und Baumpflanzungen machen die Landwirtschaft zu einer solchen Freude, sondern auch die Gemüse- und Obstgärten, besonders aber die Viehweiden, die Bienenvölker und die bunte Vielfalt alles Blühenden. Und nicht nur das Anbauen ist so schön, sondern auch das Pfropfen, die geschickteste Erfindung, die in der Landwirtschaft gemacht worden ist.

Ich könnte hier noch sehr viel Amüsantes besprechen, was die Landwirtschaft zu bieten hat, aber ich denke mir, schon das Gesagte ist allzu ausfuhrlich gewesen; ihr werdet mir das aber nachsehen, da ich einerseits in meiner Begeisterung für das Landleben so weit gegangen bin, anderer-

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earn vitiis videar vindicare. ergo in hac vita M'. Curius, cum de Samnitibus, de Sabinis, de Pyrrho triumphavisset, consumpsit extremum tempus aetatis. cuius quidem ego villam contemplans (abest enim non longe a me) admirari satis non possum vel hominis ipsius continentiam vel temporum disciplinary Curio ad focum sedenti magnum auri pondus Samnites cum attulissent, repudiati sunt; non enim aurum habere praeclarum sibi videri dixit, sed iis, qui haberent aurum, imperare, poteratne tantus animus efficere non iucundam senectutem? Sed venio ad agricolas, ne a me ipso recedam. in agris erant tum senatores, id est senes, siquidem aranti L. Quinctio Cincinnato nuntiatum est eum dictatorem esse factum; cuius dictatoris iussu magister equitum C. Servilius Ahala Sp. Maelium regnum adpetentem occupatali interemit. a villa in senatum arcessebantur et Curius et ceteri senes, ex quo, qui eos arcessebant, viatores nominati sunt, num igitur horum senectus miserabilis fuit, qui se agri cultione oblectabant? mea quidem sententia haud scio an nulla beatior possit esse, neque solum officio, quod hominum generi universo cultura agrorum est salutaris, sed et delectatione, qua dixi, et saturitate copiaque rerum omnium, quae ad victum hominum, ad cultum etiam deorum pertinent, ut quoniam haec quidam desiderant, in gratiam iam cum voluptate redeamus. semper enim boni adsiduique domini referta cella vinaria, olearia, etiam penaria est, villaque tota lo-

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seits aber auch alte Leute von Natur aus allzu redselig sind - ich führe das an, damit es nicht so aussieht, als wollte ich das Alter von allen Fehlern freisprechen. Mit dieser Art des Lebens hat nun auch Manius Curius nach seinem Triumph über die Samniten, die Sabiner und Pyrrhos seinen Lebensabend verbracht. Sooft ich sein Landhaus betrachte - es liegt ja nicht weit von dem meinen - , werde ich nicht mehr fertig, teils die Genügsamkeit dieses Menschen, teils die Sittenstrenge seiner Zeit zu bewundern. Curius saß gerade am Herd, als ihm die Samniten eine große Menge Gold brachten; er wies sie aber zurück mit der Begründung, er halte es nicht für rühmlich, Gold zu besitzen, sondern über die zu gebieten, die es besäßen. Musste diese hohe Gesinnung im Alter nicht eine Freude für ihn sein? Doch ich wende mich jetzt wieder den Bauern zu, um bei meiner Person zu bleiben. Auf dem Lande lebten früher Senatoren, das heißt: »die Alten«. Jedenfalls wurde dem Lucius Quinctius Cincinnatus beim Pflügen die Nachricht überbracht, dass er Diktator geworden war; auf Anweisung dieses Diktators überrumpelte der Reiteroberst Gaius Servilius Ahala den nach Alleinherrschaft trachtenden Spurius Maelius und räumte ihn aus dem Weg. Auch Curius und manche anderen alten Männer wurden gewöhnlich aus ihren Landhäusern in den Senat geholt; daher kommt es, dass die, die sie zur Sitzung luden, den Namen »Kuriere« (viatores) bekamen. War nun etwa das Alter dieser Männer, die in der Landwirtschaft ihre Entspannung suchten, beklagenswert? Ich jedenfalls glaube, dass es wohl keine Form gibt, das Alter glücklicher zu verbringen, nicht nur im Flinblick auf den Wirkungskreis - weil ja die Landwirtschaft für alle Menschen gesund ist - , sondern auch bezüglich der schon erwähnten Freuden und des reichlichen Überflusses an all den Gütern, die zur Lebenshaltung der Menschen und zum Dienst an den Göttern gehören - ich möchte mich ja auch, da doch schon man-

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cuples est: abundat porco haedo agno gallina lacte caseo melle. iam hortum ipsi agricolae succidiam alteram appellant. conditiora facit haec supervacaneis etiam operis aucupium atque venatio.

Quid de pratorum viriditate aut arborum ordinibus aut

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vinearum olivetorumve specie plura dicam? brevi praecidam: agro bene culto nihil potest esse nec usu uberius nec specie ornatius; ad quem fruendum non modo non retardat, verum etiam invitai atque adlectat senectus. ubi enim potest ilia aetas aut calescere vel apricatione melius vel igni aut vicissim umbris aquisve refrigerari salubrius? Sibi habeant igitur arma, sibi equos, sibi hastas, sibi eia-

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vam et pilam, sibi natationes atque cursus, nobis senibus ex lusionibus multis talos relinquant et tesseras, id ipsum utrum lubebit, quoniam sine iis beata esse senectus potest. Multas ad res perutiles Xenophontis libri sunt; quos legite, quaeso, studiose, ut facitis. quam copiose ab eo agri cultura laudatur in eo libro, qui est de tuenda re familiari, qui Oeconomicus inscribitur! atque ut intellegatis nihil ei tam regale videri quam Studium agri colendi, Socrates in eo libro loquitur cum Critobulo Cyrum minorem,

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eher darauf wartet, mit der Sinneslust wieder aussöhnen! Stets hat ein tüchtiger, fleißiger Gutsherr Wein- und Ölkeller und auch die Speisekammer voll, sein ganzes Landhaus ist mit allem reich versorgt, da gibt es Schweine, Ziegen, Lämmer, Hühner, Milch, Käse und Honig die Fülle. Sodann nennt der Bauer selbst den Garten die zweite Speckseite. Nebenbeschäftigungen wie Vogelfang und Jagd geben dem ganzen Landleben noch einen besonderen Reiz. Wozu soll ich noch weitere Worte verlieren, über das Grün der Wiesen, die gefällige Ordnung der Baumreihen oder die Schönheit der Weinund Ölplantagen? U m es kurz zu machen: Gut bebautes Land ist das Ergiebigste, aber auch vom Anblick her das Schönste, was es gibt. Sich daran zu erfreuen hindert das hohe Alter nicht nur nicht, sondern es lädt sogar auf jede Weise lockend dazu ein. D e n n wo könnte man sich als alter Mensch, sei es in der Sonne oder am Herdfeuer, besser erwärmen, wo könnte man sich im Schatten oder im Bad gesünder abkühlen als auf dem Lande? Sollen die Jungen also ruhig ihre Waffenübungen haben, ihre Pferde, Lanzen, die Keule und den Ball, ihre Schwimmübungen und Wettrennen, sofern sie nur uns Alten von den vielen Spielen das Knöchel- und Würfelspiel belassen - und zwar nach Belieben nur das eine von beiden, da wir ja im hohen Alter auch ohne diese Spiele glücklich leben können. Xenophons Schriften sind für viele nützliche Zwecke äußerst ergiebig. Lest sie doch ja weiterhin mit eurem gewohnten Eifer! Mit welcher Fülle von Gedanken weiß er die Landwirtschaft zu preisen in seinem Oikonomikos, der von der richtigen Führung des Hauswesens handelt! U m euch zu zeigen, dass ihm nichts so königlich erschien wie die Beschäftigung mit dem Landbau, lässt er Sokrates in diesem Buch dem Kritobulos ge-

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Persarum regem, praestantem ingenio atque imperii gloria, cum Lysander Lacedaemonius, vir summae virtutis, venisset ad eum Sardis eique dona a sociis attulisset, et ceteris in rebus comem erga Lysandrum atque humanum fuisse et ei quendam consaeptum agrum diligenter consitum ostendisse. cum autem admiraretur Lysander et proceritates arborum et derectos in quincuncem ordines et humum subactam atque puram et suavitatem odorum, qui adflarentur e floribus, turn eum dixisse mirari se non m o d o diligentiam, sed etiam sollertiam eius, a quo essent ilia dimensa atque discripta; et C y r u m respondisse: »atqui ego ista sum omnia dimensus, mei sunt ordines, mea discriptio, multae etiam istarum arborum mea manu sunt satae.« turn Lysandrum intuentem purpuram eius et nitorem corporis ornatumque Persicum multo auro multisque gemmis dixisse: »rite vero te, Cyre, beatum ferunt, quoniam virtuti tuae fortuna coniunctaest!« Hac igitur fortuna frui licet senibus, nec aetas impedit, quo minus et ceterarum rerum et in primis agri colendi studia teneamus usque ad ultimum tempus senectutis. M . quidem Valerium Corvinum accepimus ad centesimum annum perduxisse, cum esset acta iam aetate in agris eosque coleret; cuius inter primum et sextum consulatum sex et quadraginta anni interfuerunt. ita, quantum spatium aetatis maiores ad senectutis initium esse voluerunt, tantus illi cursus honorum fuit. atque huius

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sprächsweise erzählen, der persische Prinz Kyros der Jüngere, eine Persönlichkeit von hervorragendem Geist, von der Glorie eines mächtigen Reiches umstrahlt, habe sich, als der Spartaner Lysandros, ein Mann von überragender Tüchtigkeit, zu ihm nach Sardeis kam und ihm Geschenke von den Verbündeten brachte, nicht nur zu Lysandros überhaupt recht aufgeräumt und freundlich verhalten, sondern ihm auch ein Stück Land gezeigt, das eingezäunt und sorgsam bebaut war. Lysandros habe Bewunderung gezeigt für die hochgewachsenen Bäume, die schachbrettartig in Reihen standen, für das durchgearbeitete und saubere Erdreich und den lieblichen Duft, der von den Blüten ausströmte; dann habe er gemeint, er finde nicht nur die Sorgfalt, sondern auch das Geschick des Mannes erstaunlich, der all dies ausgemessen und eingeteilt habe. Kyros habe darauf erwidert: »Aber ich bin doch derjenige, der dies alles vermessen hat: Von mir stammen die Baumreihen, von mir die Einteilung, von mir sind auch viele dieser Bäume hier eigenhändig gepflanzt.« Da habe Lysandros mit einem Blick auf des Königs Purpurgewand, seine äußere Eleganz und sein persisches Prunkkleid, das von viel Gold und Edelsteinen strahlte, die Äußerung getan: »Recht haben die Leute, Kyros, wenn sie dich glücklich preisen, da du Tüchtigkeit und hohe Stellung in dir vereinst.« Solches Glück kann man also auch in hohem Alter genießen, und die Jahre verwehren es einem nicht, die liebevolle Neigung zu so manchen Beschäftigungen, besonders aber zum Landbau festzuhalten, bis das Greisenalter seinen Endpunkt erreicht. Marcus Valerius Corvinus hat jedenfalls, wie uns erzählt wird, diese Neigung bis zum hundertsten Lebensjahr weitergepflegt: Als sein eigentliches Leben längst vollbracht war, lebte er als Bauer auf dem Lande; zwischen seinem ersten und seinem sechsten Konsulat lagen sechsundvierzig Jahre: Der Zeitraum also, der nach Ansicht unserer Vorfahren ein ganzes Menschenleben bis zum

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extrema aetas hoc beatior quam media, quod auctoritatis habebat plus, laboris minus, apex est autem senectutis auctoritas. Quanta fuit in L. Caecilio Metello, quanta in A . Atilio

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Calatino! in quern illud elogium: Hunc unum plurimae consentiunt gentes populi primarium fuisse virum. notum est id totum carmen incisum in sepulcro. iure igitur gravis, cuius de laudibusomnium esset fama consentiens. quem virum nuper P. Crassum, pontificem maximum, quem postea M . Lepidum, eodem sacerdotio praeditum, vidimus ! quid de Paullo aut Africano loquar aut, ut iam ante, de Maximo? quorum non in sententia solum, sed etiam in nutu residebat auctoritas. habet senectus honorata praesertim tantam auctoritatem, ut ea pluris sit quam omnes adulescentiae voluptates.

Sed in omni oratione mementote earn m e senectutem laudare, quae fundamentis adulescentiae constituta sit. ex quo efficitur, id quod ego magno quondam cum adsensu omnium dixi, miseram esse senectutem, quae se oratione defenderet. non cani nec rugae repente auctoritatem arripere possunt, sed honeste acta superior aetas fructus capit auctoritatis extremos.

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Beginn des Greisenalters ausmacht, umspannte bei ihm allein die staatsmännische Laufbahn; und in höchstem Alter war er umso glücklicher als in mittleren Jahren, weil er noch mehr Ansehen genoss, aber weniger strapaziöse Arbeit hatte; das Ansehen aber ist die Krone des Alters. Wie groß war es bei Lucius Caecilius Metellus, wie hoch bei Aulus Atilius Calatinus! Ihm ist ja die bekannte Grabschrift gewidmet: Viele Volker sind sich einig, dass dieser der Erste Mann des römischen Volkes gewesen. Ihr kennt ja den ganzen Wortlaut dieses Verses, den man auf seinem Grabstein eingemeißelt hat. Mit Recht nun gilt ein Mann als ehrwürdig, den alle einstimmig gelobt haben. Welch treffliche Männer waren doch - wir erlebten es - vor einiger Zeit der Oberpriester Publius Crassus und später dann Marcus Lepidus, der ebenfalls dieses Priesteramt bekleidete! Wozu soll ich erst Paullus oder Africanus oder, wie oben schon, Maximus anfuhren? Diese Männer umgab nicht nur ihre Meinungsäußerung, sondern sogar jede bloße Gebärde mit dem Nimbus der großen Persönlichkeit. Man besitzt im Alter, zumal wenn man ehrenvolle Amter bekleidet hat, ein Ansehen, das mehr wert ist als alle Sinnenfreuden der Jugend. Aber seid euch bitte im Klaren darüber, dass ich mit all meinen Worten hier nur jenes Alter loben will, für das in der Jugend eine feste Grundlage gebaut worden ist. Daraus ergibt sich das, was ich schon einmal unter starker allgemeiner Zustimmung ausgesprochen habe, dass man im Alter dann elend daran ist, wenn man darauf angewiesen ist, sich mit bloßen Worten zu verteidigen. Nicht die grauen Haare und auch nicht das zerfürchte Gesicht können einem Menschen mit einem Male Ansehen

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Haec enim ipsa sunt honorabilia, quae videntur levia

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atque communia, salutari adpeti, decedi adsurgi, deduci reduci consuli; quae et apud nos et in aliis civitatibus, ut quaeque optime morata est, ita diligentissime observantur. Lysandrum Lacedaemonium, cuius m o d o feci mentionem, dicere aiunt solitum Lacedaemonem esse honestissimum domicilium senectutis; nusquam enim tantum tribuitur aetati, nusquam est senectus honoratior. quin etiam memoriae proditum est, cum Athenis ludis quidam in theatrum grandis natu venisset, magno consessu locum nusquam ei datum a suis civibus; cum autem ad Lacedaemonios accessisset, qui, legati cum essent, certo in loco consederant, consurrexisse omnes illi dicuntur et senem sessum recepisse.

Quibus cum a cuncto consessu plausus esset multiplex datus, dixisse ex iis quendam Athenienses scire quae recta essent, sed facere nolle, multa in vestro collegio praeclara, sed hoc, de quo agimus, in primis, quod, ut quisque aetate antecedit, ita sententiae principatum tenet, neque solum honore antecedentibus, sed iis etiam, qui cum imperio sunt, maiores natu augures anteponuntur. quae sunt igitur voluptates corporis cum auctoritatis praemiis comparandae? quibus qui splendide usi sunt, ii mihi videntur fabulam aetatis peregisse nec

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verschaffen, sondern nur das vorher ehrenwert verbrachte Leben erntet am Ende als Frucht das Ansehen. Gerade die Dinge nämlich, die scheinbar alltägliche Unwichtigkeiten sind, bedeuten eine Ehre für den alten Menschen: Dass man ihm Höflichkeitsbesuche macht, dass man seine Hand zum Kuss ergreift, dass man ihm Platz macht, vor ihm aufsteht, ihn zu Hause abholt und wieder zurückbringt und dass man bei ihm Rat sucht: Alles Umgangsformen, die man bei uns und auch in anderen Staaten umso sorgfältiger beachtet, je besser die Sitten unter den Bürgern sind. Der Lakedaimonier Lysandros, den ich vorhin schon erwähnte, soll wiederholt gesagt haben, in Lakedaimon hätten die alten Menschen das ehrenvollste Zuhause; es wird ja auch nirgendwo dem Alter so viel Anerkennung zuteil, und nirgends ist es mehr geehrt. Es gibt da sogar eine historisch verbürgte Begebenheit: Ein hochbetagter Mann kam in Athen zur Festspielzeit ins Theater; man saß schon gedrängt, und nirgends fand sich ein Mitbürger, der dem Alten seinen Platz angeboten hätte. Als er aber bei den Lakedaimoniern vorbeikam, die als Gesandte auf reservierten Plätzen saßen, standen alle miteinander, wie es heißt, vor ihm auf, und der Alte bekam einen Sitzplatz. Es wurde ihnen vom ganzen Theaterpublikum vielfach Beifall bekundet; einer von ihnen soll dabei geäußert haben, die Athener wüssten zwar, was sich gehöre, tun aber wollten sie es nicht. In eurem Augurenkollegium gibt es vieles, was sehr schön ist, besonders aber das eine, von dem ich hier rede, dass der Ältere seine Meinung immer zuerst abgeben darf und dass Auguren, wenn sie älter sind, nicht nur den höheren Staatsbeamten, sondern auch den obersten Befehlshabern in der Rangordnung vorangehen. - Gibt es nun körperliche, sinnliche Freuden, die man mit dem Lohn des Ansehens vergleichen könnte? Wer diesen Lohn in glanzvoller Weise bekommen hat, der hat, wie ich glaube, die

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tamquam inexercitati histriones in extremo actu corruisse. A t sunt morosi et anxii et iracundi et difficiles senes. si

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quaerimus, etiam avari; sed haec morum vitia sunt, non senectutis. ac morositas tamen et ea vitia, quae dixi, habent aliquid excusationis, non illius quidem iustae, sed quae probari posse videatur: contemni se putant, despici, illudi; praeterea in fragili corpore odiosa omnis offensio est. quae tamen omnia dulciora Sunt et moribus bonis et artibus, idque cum in vita, turn in scaena intellegi potest ex iis fratribus, qui in Adelphis sunt, quanta in altera diritas, in altera comitas! sic se res habet: ut enim non omne vinum, sic non omnis natura vetustate coacescit. severitatem in senectute probo, sed earn, sicut alia, modicam, acerbitatem nullo modo.

Avaritia vero senilis quid sibi velit, non intellego; potest enim quicquam esse absurdius quam, quo viae minus restet, eo plus viatici quaerere? Quarta restat causa, quae maxime angere atque sollicitam habere nostram aetatem videtur, adpropinquatio mortis, quae certe a senectute non potest esse longe. o miserum senem, qui mortem contemnendam esse in tarn longa aetate non viderit! quae aut plane neglegenda est, si omnino extinguit animum, aut etiam optanda, si

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Rolle seines Lebens erfolgreich zu Ende gespielt, ohne, wie ein ungeübter Schauspieler, im letzten Akt zusammenzubrechen. Aber - wird eingewandt: Man ist doch als alter Mensch mürrisch, verdrießlich, jähzornig, eigensinnig. Nun, wenn wir nach Fehlern suchen: auch geizig! Allein diese Fehler liegen nicht am Alter, sondern im Charakter. Und doch hat auch das mürrische Wesen, ebenso wie die anderen genannten Unarten, einige Entschuldigung für sich, nicht gerade die einzig berechtigte, aber doch eine, die nach meinem Dafürhalten noch angehen mag: Alte Menschen glauben sich abgelehnt, geringgeschätzt und verspottet; außerdem reagiert man, wenn man körperlich nicht mehr auf der Höhe ist, gegen die geringste Widerwärtigkeit empfindlich. Aber ein guter Charakter und wissenschaftliche Bildung nehmen diesen ganzen Fehlern doch viel von ihrer Schärfe. Dies kann man im praktischen Leben, besonders gut aber auch im Theater an jenen Brüdern sehen, die in den Adelphen auftreten. Wie unwirsch der eine, wie liebenswürdig der andere! Folgendermaßen steht die Sache: Nicht jeder Wein, aber eben auch nicht jeder Mensch wird durch das Alter sauer. Strenges Wesen gefällt mir an alten Menschen, aber, wie alles andere, in richtigen Grenzen, Schroffheit dagegen keineswegs. Was jedoch Geiz im Alter für einen Sinn haben soll, leuchtet mir nicht ein; denn was kann so absurd sein wie der Wunsch, umso mehr Reisegeld zu haben, je kürzer der Weg wird, den man noch zu machen hat? Wir haben nun noch den vierten Punkt zu behandeln, der Menschen in meinem Alter offensichtlich ganz besonders bedrückt und aufregt: das Nahen des Todes, der sicherlich vom hohen Alter nicht mehr weit sein kann. Bedauernswert ist ein alter Mensch, wenn er in seinem ganzen langen Leben nicht begriffen hat, dass man auf den Tod nicht achten soll! Denn entweder kann er uns völlig gleichgültig sein - wenn er

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aliquo eum deducit, ubi sit futurus aeternus; atqui tertium certe nihil inveniri potest.

Quid igitur timeam, si aut non miser post mortem aut

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beatus etiam futurus sum? quamquam quis est tam stultus, quamvis sit adulescens, cui sit exploratum se ad vesperum esse victurum? quin etiam aetas ilia multo plures quam nostra mortis casus habet: facilius in morbos incidunt adulescentes, gravius aegrotant, tristius curantur. itaque pauci veniunt ad senectutem; quod ni ita accideret, melius et prudentius viveretur. mens enim et ratio et consilium in senibus est; qui si nulli fuissent, nullae omnino civitates fuissent.

Sed redeo ad mortem impendentem. quod est istud crimen senectutis, cum id ei videatis cum adulescentia esse commune? sensi ego in optumo filio, tu in exspectatis ad amplissimam dignitatem fratribus, Scipio, mortem omni aetati esse communem. at sperat adulescens diu se victurum, quod sperare idem senex non potest, insipienter sperat. quid enim stultius quam incerta pro certis habere, falsa pro veris? at senex ne quod speret quidem habet. at est eo meliore condicione quam adulescens, cum id, quod ille sperat, hie consecutus est: ille volt diu vivere, hie diu vixit.

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nämlich die Seele gänzlich austilgt; oder wir dürfen ihn uns sogar wünschen, nämlich dann, wenn er die Seele an irgendeinen Ort entrückt, wo ihr ewiges Leben beschieden ist; eine dritte Möglichkeit ist doch wohl nicht denkbar. Wozu also die Angst, wenn ich nach dem Tode entweder nicht unglücklich oder sogar glückselig sein werde? Und doch: Wer kann, wenn auch in noch so jungen Jahren, so dumm sein, dass er es für eine absolute Gewissheit ansieht, bis zum Abend leben zu bleiben? Ja, jene Altersstufe kennt sogar noch weit mehr Möglichkeiten eines schicksalhaften Todes als das Alter, in dem ich stehe: Jung wird man leichter krank, die Krankheiten sind schwerer, ihre Behandlung nimmt leichter den Lebensmut. So erreichen auch nur wenige ein hohes Alter; wäre dem nicht so, dann wäre unser Leben besser und vernünftiger. Denn Verstand, Vernunft und kluger Rat sind den Greisen vorbehalten; hätte es sie nicht gegeben, so hätte kein Staat je bestehen können.

Doch ich komme auf den bevorstehenden Tod zurück: Wie kann man seinetwegen das Alter anklagen? Ihr seht doch, dass man dann auch in gleicherweise die Jugend beschuldigen müsste. Ich für meinen Teil habe an meinem eigenen vortrefflichen Sohn die Erfahrung gemacht, und du, Scipio, hast es bei deinen Brüdern, die man sich schon als Inhaber der höchsten Staatsämter wünschte, erlebt, dass der Tod in gleicher Weise jedes Lebensalter bedroht. Man wendet ein: Der junge Mensch besitzt aber doch die Hoffnung, lange zu leben, eine Hoffnung, die man als alter Mensch nicht mehr haben kann. Es ist eine unüberlegte Hoffnung. Denn nichts ist dümmer als Ungewisses für gewiss, Falsches für wahr zu halten. Man hält dem entgegen: Im Alter hat man ja nicht einmal einen Grund zu hoffen. Aber man ist um so viel besser daran als in der

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Quamquam, o di boni! quid est in hominis natura diu?

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da enim supremum tempus, expectemus Tartessiorum regis aetatem (fuit enim, ut scriptum video, Arganthonius quidam Gadibus, qui octoginta regnavit annos, centum viginti vixit); sed mihi ne diuturnum quidem quicquam videtur, in quo est aliquid extremum. cum enim id advenit, tum illud, quod praeteriit, effluxit; tantum remanet, quod virtute et recte factis consecutus sis. horae quidem cedunt et dies et menses et anni, nec praeteritum tempus umquam revertitur, nec quid sequatur sciri potest; quod cuique temporis ad vivendum datur, eo debet esse contentus. neque enim histrioni,

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ut placeat, peragenda fabula est, modo, in quocumque fuerit actu, probetur, neque sapientibus usque ad »Plaudite!« veniendum est. breve enim tempus aetatis satis longum est ad bene honesteque vivendum; sin processerit longius, non magis dolendum est, quam agricolae dolent praeterita verni temporis suavitate aestatem autumnumque venisse, ver enim tamquam adulescentiam significat ostenditque fructus futuros, reliqua autem tempora demetendis fructibus et percipiendis accommodata sunt, fructus autem senectutis est, ut saepe dixi, ante partorum bonorum memoria et copia, omnia autem, quae secundum naturam fiunt, sunt habenda in bonis, quid est autem tarn secundum naturam quam

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Jugend, als man das, was man jung nur erhoffen kann, im Alter ja schon erreicht hat; als Junger wünscht man sich ein langes Leben, als Alter hat man bereits lange gelebt. Doch was heißt denn um Gottes Willen bei einem Menschen »lang«? Nenne mir doch einer das Höchstmaß an Zeit, stellen wir doch selbst das Alter des Königs von Tartessos in Rechnung - es gab nämlich, wie ich geschrieben finde, zu Gades einen gewissen Arganthonios, dessen Regierungszeit achtzig Jahre betrug, bei einer Lebensdauer von einhundertzwanzig Jahren: Mir kommt selbst eine höchste Steigerung nicht als »lange« vor. Denn ist sie erreicht, dann ist alles Vergangene schon dahin. Was bleibt, ist nur das, was man durch Tugend und rechtes Handeln erreicht hat; Stunden, Tage, Monate, Jahre schwinden dahin, und die Vergangenheit kehrt nie zurück, und was noch kommt, kann man nicht wissen: Jeder soll zufrieden sein mit der Zeit, die ihm zum Leben gegeben ist. Es muss ja auch kein Schauspieler, um zu gefallen, ein ganzes Stück hindurch auf der Bühne stehen - er braucht nur in dem Akt, in dem er aufgetreten ist, Beifall zu finden. Ebenso wenig hat es ein Weiser nötig, das abschließende »Bravo!« zu erleben. Eine kurze Lebenszeit ist nämlich lange genug, um sittlich gut und anständig zu leben. Ist sie aber doch länger geworden, dann braucht man dies ebensowenig zu bedauern wie ein Bauer es bedauert, dass auf den lieblichen Frühling Sommer und Herbst gefolgt sind. Der Frühling ist ja sozusagen ein Bild für »Jugend«, er weist hin auf die kommenden Früchte, die übrigen Jahreszeiten sind für das Abschneiden und Ernten der Früchte da. Die Ernte aber, die man im Alter hat, ist, wie ich schon oft sagte, eine reiche Erinnerung an all das Gute, das man früher geschaffen hat. Unter das Gute aber ist all das zu rechnen, was menschlichem Wesen gemäß ist. Ist es aber nun nicht völlig menschlichem Wesen gemäß, dass alte Menschen sterben

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senibus emori? quod idem contingit adulescentibus adversante et repugnante natura, itaque adulescentes mihi mori sic videntur, ut cum aquae multitudine flammae vis opprimitur, senes autem sic, ut cum sua sponte nulla adhibita vi consumptus ignis extinguitur; et quasi poma ex arboribus, cruda si sunt, vix evelluntur, si matura et cocta, decidunt, sic vitam adulescentibus vis aufert, senibus maturitas: quae quidem mihi tam iucunda est, ut, quo propius ad mortem accedam, quasi terram videre videar aliquandoque in portum ex longa navigatione esse venturus. Senectutis autem nullus est certus terminus, recteque in ea vivitur, quoad munus offici exequi et tueri possis et tamen mortem contemnere. ex quo fit, ut animosior etiam senectus sit quam adulescentia et fortior. hoc illud est, quod Pisistrato tyranno a Solone responsum est, cum illi quaerenti, qua tandem re fretus sibi tam audaciter obsisteret, respondisse dicitur: »senectute«. sed vivendi est finis optumus, cum integra mente certisque sensibus opus ipsa suum eadem quae coagmentavit natura dissolvit. ut navem, ut aedificium idem destruit facillime qui construxit, sic hominem eadem optume quae conglutinavit natura dissolvit. iam omnis conglutinatio recens aegre, inveterata facile divellitur. ita fit, ut illud breve vitae reliquum nec avide adpetendum senibus nec sine causa deserendum sit.

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müssen? Widerfährt es jungen Menschen, so ist dies durchaus gegen die menschliche Natur, die sich dann aufbäumt. Daher kommt mir der Tod junger Leute vor wie das Ersticken eines gewaltigen Feuers mit einer Flut von Wasser; sterben aber alte Leute, so kommt gleichsam ein Feuer, das sich aufgezehrt hat, von selbst, ohne Gewalt, zum Erlöschen; und wie das Obst nur mit Mühe von den Bäumen abgepflückt werden kann, solange es noch grün ist, dagegen aber abfällt, sobald es zeitig und ausgereift ist, so nimmt jungen Leuten nur Gewalt, alten Menschen dagegen ihre Reife das Leben fort. Auf diese Reife freue ich mich so sehr, dass ich, je näher ich dem Tode komme, glaube, gleichsam »Land in Sicht« zu haben und endlich nach langer Seefahrt in einen Hafen zu gelangen.

Die Grenze, die das Greisenalter hat, ist nun aber keine bestimmte, und man kann in ihm noch schön leben, soweit man in der Lage ist, pflichtgemäße Aufgaben voll zu erfüllen und dabei doch den Tod nicht zu furchten; daher kommt es auch, dass alte Menschen sogar noch beherzter und mutiger sind als junge. Das ist gemeint mit der bekannten Antwort, die Solon dem Tyrannen Peisistratos gab. Als dieser ihn fragte, was ihn denn bei dem kühnen Widerstand, den er ihm leiste, so stark mache, soll er entgegnet haben, »das Alter«. Das beste Lebensende aber ist dann gegeben, wenn - bei ungeschwächtem Geist und zuverlässigen Sinnen - die Natur selbst ihren eigenen Bau, den sie zusammengefugt hat, auch wieder abbricht. Denn wie der Baumeister ein Schiff oder ein Gebäude, das er gebaut hat, am leichtesten wieder abbauen kann, so ist es auch am besten, wenn die gleiche Natur, die den Menschen zusammengesetzt hat, ihn auch wieder auseinandernimmt. Schließlich lässt sich alles Zusammengeleimte, solange es noch neu ist, nur mit Mühe trennen, wenn es aber alt geworden ist, dann geht dies leicht. Daraus

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Vetatque Pythagoras iniussu imperatoris, id est dei, de

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praesidio et statione vitae decedere. Solonis quidem sapientis elogium est, quo se negat velle suam mortem dolore amicorum et lamentis vacare. volt, credo, se esse carum suis, sed haud scio an melius Ennius:

N e m o me dacrumis decoret neque funera fletu faxit. non censet lugendam esse mortem, quam immortalitas consequatur. Iam sensus moriendi aliquis esse potest, isque ad exi-

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guum tempus, praesertim seni, post mortem quidem sensus aut optandus aut nullus est. sed hoc meditatum ab adulescentia debet esse, mortem ut neglegamus, sine qua meditatione tranquillo esse animo nemo potest, moriendum enim certe est, et incertum an hoc ipso die. mortem igitur omnibus horis impendentem timens qui poterit animo consistere? D e qua non ita longa disputatione opus esse videtur, cum recorder non L. Brutum, qui in liberanda patria est interfectus, non duos Decios, qui ad voluntariam mortem cursum equorum incitaverunt, non M . Atilium,

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folgt, dass man es im Alter einerseits nicht nötig hat, nach der kurzen, noch übrigen Lebenszeit gierig zu trachten, dass man andererseits aber vor ihr auch nicht ohne Ursache fliehen soll. Pythagoras sagt: »Ohne Geheiß des obersten Herrn - das heißt, Gottes - darf niemand den Posten, auf den ihn das Leben gestellt hat, verlassen.« Es gibt eine Grabinschrift des weisen Solon, worin er sagt, er wolle nicht, dass sein Tod von seinen Freunden nicht beklagt und beweint werde; er wünscht damit, glaube ich, den Seinen lieb und teuer zu sein; besser drückt sich vielleicht Ennius aus, wenn er sagt:

Niemand soll mich mit Tränen beehren und weinend das Grab mir richten.

Er meint, man solle den Tod nicht betrauern, da ja auf ihn die Unsterblichkeit folge. Nun kann es allerdings sein, dass man es spürt, wenn man sterben muss - und zwar für eine kurze Zeit, zumal wenn man schon sehr alt ist; nach dem Tode jedoch ist das Empfindungsvermögen entweder etwas Wünschenswertes oder es ist überhaupt nicht vorhanden. Aber man muss von Jugend an darauf vorbereitet sein, den Tod so gleichgültig zu nehmen, eine geistige Vorbereitung, ohne die niemand in seinem Inneren ruhig sein kann. Der Tod ist nämlich gewiss, ungewiss ist nur, ob er gerade heute kommt. Wenn man nun den Tod, der zu jeder Stunde droht, furchtet, wie soll man dann innerlich stark sein können? Ich glaube, es ist gar keine so lange Erörterung über den Tod am Platz; ich denke dabei nicht an Lucius Brutus, der im Kampf um die Freiheit des Vaterlandes starb; nicht an die beiden Decier, die ihren Pferden die Sporen gaben, um freiwillig den Tod zu erleiden; nicht an Marcus

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qui ad supplicium est profectus, ut fidem hosti datam conservarci, non duos Scipiones, qui iter Poenis vel corporibus suis obstruere voluerunt, non avum tuum L. Paullum, qui morte luit collegae in Cannensi ignominia temeritatem, non M . Marcellum, cuius interitum ne crudelissimus quidem hostis honore sepulturae carere passus est, sed legiones nostras, quod scripsi in Originibus, in eum locum saepe profectas alacri animo et erecto, unde se redituras numquam arbitrarentur. quod igitur adulescentes, et ii quidem non solum indocti, sed etiam rustici, contemnunt, id docti senes extimescent? omnino, ut mihi quidem videtur, studiorum omnium satietas vitae facit satietatem. sunt pueritiae studia certa :

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num igiturea desiderant adulescentes? sunt ineuntis adulescentiae: num ea constans iam requirit aetas, quae media dicitur? sunt etiam eius aetatis: ne ea quidem quaeruntur in senectute. sunt extrema quaedam studia senectutis: ergo, ut superiorum aetatum studia occidunt, sic occidunt etiam senectutis; quod cum evenit, satietas vitae tempus maturum mortis adfert.

N o n enim video cur, quid ipse sentiam de morte, non audeam vobis dicere, quod eo cernere mihi melius videor, quo ab ea propius absum. ego vestros patres, tu Scipio tuque C. Laeli, viros clarissimos mihique amicissimos,

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Atilius, der zur Hinrichtung abreiste, um sein den Feinden gegebenes Wort nicht zu brechen; nicht an die beiden Scipionen, die den Puniern sogar mit ihren eigenen Leibern den Weg versperren wollten; nicht an deinen Großvater Lucius Paullus, der die blinde Verwegenheit seines Amtsgenossen bei der Schmach von Cannae mit seinem Leben büßen musste; auch nicht an Marcus Marcellus, dem nicht einmal der roheste Feind nach seinem Tod eine ehrenvolle Bestattung versagen konnte; ich denke vielmehr daran zurück, wie unsere Legionen - ich habe das in meinen Origines beschrieben - oftmals mit Begeisterung und Mut dorthin marschierten, von wo sie sich keine Rückkehr mehr denken konnten. Was nun junge Männer, und zwar nicht nur solche, die eben keine höhere Bildung genossen haben, sondern sogar aus dem Bauernstand kommen, nicht achten, davor sollen sich die Alten, die doch weise sind, fürchten? Oberhaupt bewirkt, wie mir scheint, die sattsame Befriedigung aller Wünsche ein Satthaben des Lebens. Bestimmte Dinge fesseln das Kind; sehnt man sich nun etwa auch noch als junger Mann nach ihnen? Auch zu Beginn des Mannesalters hat man bestimmte Neigungen; verlangt man nach ihnen etwa, wenn man bereits reifer und in den sogenannten »mittleren Jahren« ist? Auch dort gibt es bestimmte Interessen; nicht einmal nach diesen verlangt man im Alter. Gewisse »letzte« Neigungen aber kommen im Greisenalter; wie nun also die Interessen der früheren Altersstufen nichtig werden, so hören auch die des hohen Alters auf; dann aber hat man eine befriedigende Sättigung des Lebens erfahren, und es ist Zeit zu sterben. Ich glaube mir nämlich erlauben zu dürfen, euch meine eigene Ansicht über den Tod vorzutragen; denn ich meine, dass sich diesbezüglich mein Blick umso mehr schärft, je näher ich dem Tode bin. Ich glaube daran, mein Scipio und du, mein Gaius Laelius, dass eure Vater, jene berühmten

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120j CATO MAIOR

vivere arbitrar, et earn quidem vitam quae est sola vita nominanda. nam dum sumus inclusi in his compagibus corporis, muñere quodam necessitatis et gravi opere perfungimur; est enim animus caelestis ex altissimo domicilio depressus et quasi demersus in terram, locum divinae naturae aeternitatique contrarium. sed credo déos immortales sparsisse ánimos in corpora humana, ut essent qui terras tuerentur quique caelestium ordinem contemplantes imitarentur eum vitae m o d o atque constantia, nec m e solum ratio ac disputatio impulit, ut ita crederem, sed nobilitas etiam summorum philosophorum et auctoritas.

Audiebam Pythagoram Pythagoreosque, incolas paene nostros, qui essent Italici philosophi quondam nominati, numquam dubitasse, quin ex universa mente divina delibatos animos haberemus. demonstrabantur mihi praeterea, quae Socrates supremo vitae die de immortalitate animorum disseruisset, is qui esset omnium sapientissimus oraculo Apollinis iudicatus. quid multa? sic persuasi mihi, sic sentio: cum tanta celeritas animorum sit, tanta memoria praeteritorum futurorumque prudentia, tot artes, tantae scientiae, tot inventa, non posse eam naturam, quae res eas contineat, esse mortalem, cumque semper agitetur animus nec principium motus habeat, quia se ipse moveat, ne finem quidem habitu-

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Ü B E R DAS A L T E R

und mir so eng befreundeten Männer, noch leben, und zwar jenes Leben, das allein die Bezeichnung »Leben« verdient. Denn solange wir im Organismus dieses unseres Körpers gefangen sind, müssen wir uns sozusagen der Notwendigkeit unterwerfen und haben eine schwere Aufgabe zu bestehen; die Seele nämlich, die himmlischen Ursprungs ist, wurde von ihrem erhabenen Wohnsitz verdrängt und gleichsam auf die Erde herabgenötigt, an einen Ort, der geradezu der Gegenpol ihres göttlichen, unsterblichen Wesens ist. Aber ich glaube daran, dass die unsterblichen Götter die Seelen deswegen in menschliche Körper verpflanzt haben, damit es Wesen gibt, die die Länder in der richtigen Ordnung halten, indem sie aus ihrer betrachtenden Schau der himmlischen Ordnung heraus es dieser durch ein maßvolles und nach festen Grundsätzen ausgerichtetes Leben gleichzutun suchen. Aber nicht nur meine eigene, von der Vernunft geleitete Forschung führte mich zu dieser Überzeugung, sondern auch das hochberühmte Ansehen der größten Philosophen. Wie ich hörte, haben Pythagoras und die Pythagoreer - man könnte sie fast unsere Landsleute nennen, da sie ja seinerzeit die »italischen« Philosophen hießen - stets daran festgehalten, dass unsere Seelen der göttlichen Weltseele entnommen sind. Außerdem bekam ich berichtet, was Sokrates - nach Apollons Orakel doch der Weiseste von allen - am letzten Tag seines Lebens über die Unsterblichkeit der Seele ausgeführt haben soll. Kurz, Folgendes ist es, was ich aus voller Überzeugung vertrete: Bei der erstaunlichen Schnelligkeit des menschlichen Geistes, bei seinem starken Erinnerungsvermögen an Vergangenes und seinem weiten Blick in die Zukunft, bei seinen zahlreichen Fertigkeiten und umfangreichen Kenntnissen, bei den vielen Erfindungen, die er schon gemacht hat, kann dieses Wesen, das doch so vieles umfasst, unmöglich sterblich sein. Da weiterhin die Seele stets in Bewegung ist, aber keine

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1211 CATO MAIOR

rum esse motus, quia numquam se ipse esset relicturus; et cum simplex animi natura esset neque haberet in se quicquam admixtum dispar sui atque dissimile, non posse eum dividi; quod si non posset, non posse interire; magnoque esse argumenta homines scire pleraque antequam nati sint, quod iam pueri, cum artes difficiles discant, ita celeriter res innumerabiles adripiant, ut eas non tum primum accipere videantur, sed reminisci et recordari. haec Platonis fere.

A p u d Xenophontem autem moriens Cyrus maior haec

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dicit: »nolite arbitrari, o mihi carissimi filii, me, cum a vobis discessero, nusquam aut nullum fore, nec enim, dum eram vobiscum, animum meum videbatis, sed eum esse in hoc corpore ex eis rebus, quas gerebam, intellegebatis. eundem igitur esse ereditate, etiamsi nullum videbitis. N e c vero clarorum virorum post mortem honores permanerent, si nihil eorum ipsorum animi efficerent quo diutius memoriam sui teneremus. mihi quidem numquam persuaded potuit animos, dum in corporibus essent mortalibus, vivere, cum excessissent ex iis, emori, nec vero tunc animum esse insipientem, cum ex insipienti corpore evasisset, sed cum omni admixtione corporis liberatus purus et integer esse coepisset, tum esse sapientem. atque etiam cum hominis natura morte dissolvitur, ceterarum rerum perspicuum est quo

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Ü B E R DAS A L T E R

äußere Ursache dieser Bewegung kennt, weil sie sich selbst bewegt, wird sie auch kein Ende dieser Bewegung finden, da sie sich niemals selbst verlassen wird. Ferner ist die Seele meiner Überzeugung nach auch nicht teilbar, da ihr Wesen homogen ist, ohne Beimischung von Elementen, die ihm ungleich oder unähnlich wären; ist sie aber nun nicht teilbar, dann kann sie auch nicht vergehen. Ein starker Beweis dafür, dass die Menschen bereits vor ihrer Geburt das meiste wussten, ist für mich auch die Tatsache, dass sie als Kinder, beim Erlernen schwieriger Fertigkeiten, Unzähliges so rasch auffassen, dass sie es offensichtlich nicht jetzt erst begreifen, sondern es aus tiefer Erinnerung schon kennen. So etwa steht es bei Piaton. Bei Xenophon aber lässt sich Kyros der Altere in seiner Sterbestunde mit folgenden Worten vernehmen: »Meine liebsten Söhne, glaubt nicht, dass ich, wenn ich euch verlassen habe, nirgends mehr oder nicht mehr sein werde. Ihr konntet meine Seele ja auch nicht sehen, solange ich bei euch war, ihr erkanntet lediglich an meinem Tun, dass sie in diesem Körper drin sein musste. Glaubt daher, auch wenn ihr sie nicht sehen werdet, dass sie ebenso noch weiter da ist! Es würden aber auch berühmten Männern nach ihrem Tode nicht laufend Ehrenbezeugungen erwiesen, wenn nicht gerade ihre Seelen etwas auslösten, wodurch wir sie in längerem Andenken behielten. Ich jedenfalls konnte nie dazu gebracht werden, zu glauben, dass die Seele während ihres Aufenthalts im sterblichen Leib lebe, nach dem Verlassen dieses Leibes aber sterbe; aber auch nicht, dass die Seele mit dem Verlassen des verstandeslosen Leibes ihre Geisteskraft einbüße; ich glaube vielmehr, dass sie dann erst die wahre Weisheit erlangt, wenn sie durch die Befreiung von jeglicher materieller Beimischung völlig rein und geläutert wird. Auch sieht man doch, wenn der Mensch nach dem Tode zerfällt, ganz eindeutig, wohin

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U41 CATO M A I O R

quaeque discedat: abeunt enim illuc omnia, unde orta sunt; animus autem solus, nec cum adest nec cum discessit, apparet. Iam vero videtis nihil esse morti tam simile tam quam

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somnum. atqui dormientium animi maxime declarant divinitatem suam; multa enim, cum remissi et liberi sunt, futura prospiciunt. ex quo intellegitur, quales futuri sint, cum se plane corporum vinculis relaxaverint. quare, si haec ita sunt, sic me colitote«, inquit, »ut deum; sin una est interiturus animus cum corpore, vos tamen deos verentes, qui hanc omnem pulchritudinem tuentur et regunt, memoriam nostri pie inviolateque servabitis.« Cyrus quidem haec moriens; nos, si placet, nostra videamus. N e m o umquam mihi, Scipio, persuadebit aut patrem tuum Paullum aut duos avos, Paullum et Africanum, aut Africani patrem aut patruum aut multos praestantes viros, quos enumerare non est necesse, tanta esse conatos, quae ad posteritatis memoriam pertinerent, nisi animo cernerent posteritatem ad se posse pertinere. an censes, ut de me ipse aliquid more senum glorier, me tantos labores diurnos nocturnosque domi militiaeque suscepturum fuisse, si isdem finibus gloriam meam quibus vitam essem terminaturus? nonne melius multo fuisset otiosam aetatem et quietam sine ullo labore et contentione traducere? sed nescio quo modo animus erigens se posteritatem ita semper prospiciebat, quasi, cum exces-

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seine übrigen Bestandteile verschwinden: Sie gehen alle dorthin, woher sie ursprünglich kamen; die Seele aber ist der einzige Teil, den man nicht sieht, weder vor dem Tode noch nachher. Weiterhin wisst ihr aber doch auch, dass nichts dem Tode so ähnlich ist wie der Schlaf Nun bezeugt aber die Seele im Schlaf in ganz besonderer Weise ihre göttliche Abkunft: Denn in diesem Zustand völliger Entspannung sieht sie vielfach in die Zukunft. Daraus aber erhellt der Zustand, in dem sie sich befinden wird, wenn sie sich von den Fesseln des Körpers gänzlich freigemacht hat. Daher sollt ihr mich nun«, sagte Kyros, »wenn dem wirklich so ist, in Zukunft wie einen Gott verehren; vergeht aber die Seele zusammen mit dem Leib, so werdet ihr doch aus Ehrfurcht vor den Göttern, die all das Schöne hier auf Erden erhalten und regieren, mein Andenken liebevoll und unantastbar bewahren.« So jedenfalls sprach Kyros vor seinem Tod. Wir aber wollen, wenn es euch recht ist, den Blick jetzt wieder auf uns richten. Niemand, Scipio, wird mich überzeugen können, dass dein Vater Paullus, oder deine beiden Großväter Paullus und Africanus, oder der Vater oder derOheimdes Africanus, oder die vielen hervorragenden Männer, die aufzuzählen müßig wäre, so Großes im Hinblick auf ihr Andenken bei der Nachwelt gewagt hätten, wenn sie nicht erkannt hätten, dass eine Verbindung der Nachwelt zu ihnen möglich ist. Oder meinst du - um auch von meiner Person nach Art alter Männer etwas Rühmliches zu sagen - , ich hätte so große Mühen bei Tag und bei Nacht, im Frieden wie im Krieg, auf mich genommen, wenn ich glaubte, die Grenzen meines Ruhmes seien dieselben wie die meines Lebens? Wäre es denn dann nicht viel besser gewesen, mein Leben fern von der Politik, in Ruhe und ohne angestrengte Tätigkeit ablaufen zu lassen? Aber meine Seele richtete sich irgendwie empor und blickte stets auf die Nachwelt, mit einem

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126 I CATO M A I O R

sisset e vita, turn denique victurus esset. quod quidem ni ita se haberet, ut animi immortales essent, haud optimi cuiusque animus maxime ad immortalitatem et gloriam niteretur. Quid quod sapientissimus quisque aequissimo animo

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moritur, stultissimus iniquissimo? nonne vobis videtur is animus, qui plus cernat et longius, videre se ad meliora proficisci, ille autem, cuius obtusior sit acies, non videre? equidem efferor studio patres vestros, quos colui et dilexi, videndi, neque vero eos solos convenire aveo, quos ipse cognovi, sed illos etiam, de quibus audivi et legi et ipse conscripsi. quo quidem me proficiscentem haud sane quis facile retraxerit nec tamquam Peliam recoxerit. et si qui deus mihi largiatur, ut ex hac aetate repuerascam et in cunis vagiam, valde recusem, nec vero velim quasi decurso spatio ad carceres a calce revocari.

Quid habet enim vita commodi ? quid non potius laboris? sed habeat sane, habet certe tarnen aut satietatem aut modum. non libet enim mihi deplorare vitam, quod multi et docti saepe fecerunt, neque me vixisse paenitet, quoniam ita vixi, ut non frustra m e natum existimem, et ex vita ita discedo tamquam ex hospitio, non tamquam domo, commorandi enim natura deversorium nobis, non habitandi dedit.

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Ü B E R DAS A L T E R

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Gefühl, als ob sie dann erst »leben« würde, wenn sie das Leben hinter sich gebracht habe. Wäre nun die Unsterblichkeit der Seelen nicht wahr, dann trachtete auch nicht die Seele des Menschen, je edler er ist, umso mehr nach unsterblichem Ruhm. Wie steht es nun mit der Tatsache, dass gerade die Weisesten beim Sterben den größten Gleichmut zeigen, die Dümmsten aber vor dem Tod am meisten zittern? Gilt euch das nicht als ein Beweis dafür, dass die Seele, die mehr und weiter sieht, auch sieht, dass sie in eine bessere Welt übergeht, dass der Kurzsichtige dies aber nicht erkennt? Ich jedenfalls gerate in Verzückung und Begeisterung durch mein Verlangen, eure von mir so hochgeschätzten Väter zu sehen. Mich verlangt es aber nicht nur, mit denen zusammenzutreffen, die ich selbst kennenlernte, sondern auch mit jenen Männern, von denen ich gehört, gelesen und auch selbst geschrieben habe. Wenn ich einmal dorthin unterwegs bin, dürfte man mich nicht so leicht zurückholen oder »wieder aufkochen« können wie einen Pelias. Und wollte mir ein Gott die Gnade schenken, aus diesem meinem Alter heraus wieder Kind zu werden und in der Wiege zu wimmern, so würde ich mich wohl gar sehr weigern und keineswegs willens sein, nach vollendetem Rennen mich vom Ziel wieder an den Start zurückweisen zu lassen. Was hat denn das Leben Angenehmes zu bieten? Ist es nicht eher Mühseliges? Aber mag es ruhig seine angenehmen Seiten haben - so gibt es doch sicherlich auch ein »genug«, einen Punkt, an dem das Maß voll ist. Es widerstrebt mir nämlich, das Leben zu bejammern, wie es schon viele, noch dazu gelehrte Leute getan haben; auch reut es mich nicht, gelebt zu haben; denn mein Leben war so, dass ich glauben darf] nicht umsonst auf die Welt gekommen zu sein. Und ich scheide aus ihm wie aus einer Herberge, nicht wie aus meinem eigentlichen Wohnhaus. Denn die Natur hat uns hier nur eine Einkehr zum Verweilen beschert, nicht einen ständigen Wohnsitz.

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O praeclarum diem, cum in illud divinum animorum concilium coetumque proficiscar cumque ex hac turba et colluvione discedam! proficiscar enim non ad eos solum viros, de quibus ante dixi, verum etiam ad Catonem meum, quonemovir melior natus est, nemo pietate praestantior; cuius a me corpus est crematum, quod contra decuit, ab ilio meum: animus vero non me deserens, sed respectans in ea profecto loca discessit, quo mihi ipsi cernebat esse veniendum. quem ego meum casum fortiter ferre visus sum, non quo aequo animo ferrem, sed me ipse consolabar existimans non longinquum inter nos digressum et discessum fore. His mihi rebus, Scipio, (id enim te cum Laelio admirari solere dixisti) levis est senectus, nec solum non molesta, sed etiam iucunda. quodsi in hoc erro, qui animos hominum immortales esse credam, libenter erro nec mihi hunc errorem, quo delector, dum vivo, extorqueri volo; sin mortuus, ut quidam minuti philosophi censent, nihil sentiam, non vereor ne hunc errorem meum philosophi mortui irrideant. quod si non sumus immortales futuri, tarnen exstingui homini suo tempore optabile est. nam habet natura ut aliarum omnium rerum, sic vivendi modum. senectus autem aetatis est peractio tamquam fabulae, cuius defatigationem fugere debemus, praesertim adiuncta satietate.

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ÜBER DAS A L T E R

Wie herrlich wird der Tag, an dem ich in jene göttliche Versammlung und Gesellschaft der Seelen eingehen werde, um das Gewühle und unschöne Durcheinander hier auf Erden zu verlassen! Ich werde nämlich nicht nur zu den vorhin genannten Männern gelangen, sondern auch zu meinem Cato - für mich gab es ja keinen besseren Menschen, keinen lieberen Sohn! Seinen Leichnam habe ich eingeäschert, ein Dienst, den umgekehrt eigentlich er mir hätte erweisen müssen; seine Seele aber hat mich nicht verlassen, sondern ist, den Blick auf mich zurückgerichtet, bestimmt an jenen Ort entschwunden, an den auch ich selbst, wie er sehen musste, gelangen soll. Es sah so aus, als würde ich den Schicksalsschlag, der mich damals traf] mit starkem Herzen ertragen - aber nicht, weil ich ihn gelassen hingenommen hätte; vielmehr tröstete ich mich selbst mit dem Glauben, dass diese unsere schmerzliche Trennung nicht lange dauern werde. Das alles ist es, Scipio, - und darüber musst du dich ja, wie du sagtest, mit Laelius immer wieder wundern - , was mir das Alter leicht macht, und zwar nicht nur nicht beschwerlich, sondern sogar angenehm. Nehmen wir nun an, ich täuschte mich, wenn ich an die Unsterblichkeit der menschlichen Seelen glaube, so täusche ich mich gerne und will mir diesen Irrtum, der mir im Leben Freude spendet, auch nicht gewaltsam nehmen lassen; hört nun nach dem Tode - es gibt da einige unbedeutende Philosophen, die das glauben - mein Bewusstsein auf, dann brauche ich aber auch nicht zu befurchten, die toten Philosophen könnten diesen meinen Irrtum belächeln. Sei es drum, dass wir auch nicht unsterblich sein werden, so ist es doch für den Menschen wünschenswert, dass sein Lebenslicht, wenn es an der Zeit ist, ausgeblasen wird. Denn die Natur hat, wie allem anderen, so auch dem Leben ein Maß bestimmt. Das Greisenalter aber ist, wie bei einem Schauspiel, des Lebens letzter Akt. Hier schlapp zu machen, sollten wir vermeiden, zumal wir ja die Erfüllung haben.

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1301 C A T O M A I O R

Haec habui de senectute quae dicerem; ad quam utinam perveniatis, ut ea, quae ex me audistis, re experti probare possitis!

Ü B E R DAS A L T E R

Das war es, was ich über das Greisenalter zu sagen hatte. Ich wünsche euch, ihr möget es erreichen, auf dass ihr das, was ihr von mir gehört habt, durch eigene Erfahrung bestätigen könnt!

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L A E L I U S DE A M I C I T I A ÜBER DIE F R E U N D S C H A F T

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Q_Mucius augur multa narrare de C. Laelio socero suo

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memoriter et iucunde solebat nec dubitare ilium in omni sermone appellare sapientem; ego autem a patre ita eram deductus ad Scaevolam sumpta virili toga, ut, quoad possem et liceret, a senis latere numquam discederem; itaque multa ab eo prudenter disputata, multa etiam breviter et commode dicta memoriae mandabam fierique studebam eius prudentia doctior. quo mortuo me ad pontificem Scaevolam contuli, quem unum nostrae civitatis et ingenio et iustitia praestantissimum audeo dicere, sed de hoc alias, nunc redeo ad augurem.

C u m saepe multa, turn memini domi in hemicyclio

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sedentem, ut solebat, cum et ego essem una et pauci admodum familiares, in eum sermonem ilium incidere, qui turn fere multis erat in ore: meministi enim profecto, Attice, et eo magis, quod P. Sulpicio utebare multum, cum is tribunus plebis capitali odio a Q . Pompeio, qui turn erat consul, dissideret, quocum coniunctissime et amantissime vixerat, quanta esset hominum vel admiratio vel querela. Itaque turn Scaevola, cum in earn ipsam mentionem incidisset, exposuit nobis sermonem Laeli de amicitia habitum ab ilio secum et cum altero genero, C. Fannio, Marci filio, paucis diebus post mortem Africani.

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ÜBER DIE F R E U N D S C H A F T

Der Augur Quintus Mucius wusste von seinem Schwiegervater Gaius Laelius vieles aus der Erinnerung reizvoll zu erzählen und pflegte ihn, sooft er von ihm sprach, ohne Bedenken »den Weisen« zu nennen. Mich aber hatte mein Vater, als man mir die Männertoga angelegt hatte, dem Scaevola zur Unterweisung anvertraut mit dem Wunsche, dass ich, solange es möglich und schicklich war, keinen Schritt von der Seite des greisen Lehrers wich. So habe ich mir viele seiner klugen Erörterungen, auch zahlreiche zwar kurze, aber treffende Aussprüche von ihm gemerkt und mich stets bemüht, aus seiner Klugheit höhere Bildung zu gewinnen. Nach seinem Tode schloss ich mich dem Oberpriester Scaevola an. Er ist der Einzige, den ich in unserem Staate als den hervorragendsten Vertreter des Geistes und der Gerechtigkeit zu bezeichnen wage. Doch über ihn ein andermal! Jetzt komme ich auf den Augur zurück. Ich erinnere mich, dass er auch sonst recht oft, besonders aber einmal, als er zu Hause, wie gewöhnlich, in seinem Sessel saß und auch ich mit einigen guten Freunden zugegen war, auf jenen Gesprächsstoff verfiel, über den um die damalige Zeit viele Leute sprachen. Du erinnerst dich sicher, mein Atticus, um so eher, da du mit Publius Sulpicius viel zusammen warst, als er sich während seines Volkstribunats in tödlichem Hass mit Quintus Pompeius, dem damaligen Konsul, entzweite, mit dem er vorher in engster und liebevollster Verbundenheit gelebt hatte; du erinnerst dich also noch, wie groß damals das Staunen und das Bedauern der Leute war. So entwickelte uns damals Scaevola, als er auf eben diesen Vorfall zu sprechen kam, das Gespräch des Laelius, das dieser mit ihm selbst und mit Gaius Fannius, seinem zweiten Schwiegersohn, dem Sohn des Marcus, über die Freundschaft führte, wenige Tage nach dem Tod des Africanus.

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LAELIUS

Eius disputationis sententias memoriae mandavi, quas hoc libro exposui arbitrata meo; quasi enim ipsos induxi loquentes, ne » i n q u a m « et »inquit« saepius interponeretur atque ut tamquam a praesentibus coram haberi sermo videretur. C u m enim saepe m e c u m ageres, ut de amicitia scribe-

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rem aliquid, digna mihi res cum omnium cognitione turn nostra familiaritate visa est. itaque feci non invitus, ut prodessem multis rogatu tuo. sed ut in Catone Maiore, qui est scriptus ad te de senectute, Catonem induxi senem disputantem, quia nulla videbatur aptior persona, quae de ilia aetate loqueretur, quam eius, qui et diutissime senex fuisset et in ipsa senectute praeter ceteros floruisset, sic, cum accepissemus a patribus maxime memorabilem C. Laeli et P. Scipionis familiaritatem fuisse, idonea mihi Laeli persona visa est, quae de amicitia ea ipsa dissereret, quae disputata ab eo meminisset Scaevola. genus autem hoc sermonum positum in hominum veterum auctoritate et eorum inlustrium plus nescio quo pacto videtur habere gravitatisi itaque ipse mea legens sic adficior interdum, ut Catonem, non me loqui existimem.

Sed ut turn ad senem senex de senectute, sic hoc libro ad amicum amicissimus scripsi de amicitia. turn est Cato locutus, quo erat nemo fere senior temporibus

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ÜBER DIE FREUNDSCHAFT

Die Gedankengänge dieses Gesprächs habe ich festgehalten und sie nun in der vorliegenden Schrift nach meinem Ermessen dargestellt. Ich lasse nämlich die Anwesenden selbst sprechen, um eine zu häufige Einschaltung von »sagte ich« oder »sagte er« zu vermeiden; es soll auch der Eindruck entstehen, als werde die Unterhaltung von persönlich Anwesenden gefuhrt. Da du mir nämlich oft nahelegtest, ich sollte über die Freundschaft schreiben, schien mir der Gegenstand nicht bloß des allgemeinen Interesses wert, sondern auch unserem freundschaftlichen Verhältnis angemessen. So habe ich es nicht ungern getan, um auf deinen Wunsch hin vielen Leuten etwas zu bieten. Beim Cato Maior, einer Schrift, die ich über das Greisenalter schrieb und dir widmete, machte ich es so, dass ich den greisen Cato als Sprecher auftreten ließ, weil wohl kein anderer geeigneter war, über jene Altersstufe zu reden, als der Mann, der sehr lange in hohem Alter gelebt hat und gerade in seinem hohen Alter so jugendfrisch war wie kaum ein Zweiter: Da wir nun von unseren Vätern her wissen, dass die Freundschaft zwischen Gaius Laelius und Publius Scipio außerordentlich denkwürdig war, schien mir die Person des Laelius geeignet, zum Thema »Freundschaft« (de amicitia) eben die Gedanken vorzutragen, die er, wie sich Scaevola erinnerte, auch tatsächlich dargelegt hat. Diese Form der Gespräche aber, aufgebaut auf die Gestalten angesehener und berühmter Männer der Vergangenheit, scheint mir irgendwie ganz besonderen Nachdruck zu besitzen; so werde ich auch selbst beim Lesen meiner Schrift manchmal derart gefesselt, dass ich meine, Cato rede da, nicht ich.

Wie ich aber damals als Greis an einen Greis über das Greisenalter schrieb, so habe ich die vorliegende Schrift als bester Freund für meinen Freund über die Freundschaft verfasst. Damals war Cato der Spre-

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LAELIUS

illis, nemo prudentior; nunc Laelius et sapiens - sic enim est habitus - et amicitiae gloria excellens de amicitia loquetur. tu velim a me animum parumper avertas, Laelium loqui ipsum putes. C. Fannius et Q.Mucius ad socerum veniunt post mortem Africani; ab his sermo oritur, respondet Laelius, cuius tota disputatio est de amicitia, quam legens te ipse cognosces. FANNIUS: Sunt ista, Laeli; nec enim melior vir fuit Af-

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ricano quisquam nec clarior. sed existimare debes omnium oculos in te esse coniectos unum; te sapientem et appellant et existimant. tribuebatur hoc m o d o M . Catoni, scimus L. Acilium apud patres nostros appellatimi esse sapientem, sed uterque alio quodam modo: Acilius, quia prudens esse in iure civili putabatur, Cato, quia multarum rerum usum habebat; multa eius et in senatu et in foro vel provisa prudenter vel acta constanter vel responsa acute ferebantur; propterea quasi cognomen iam habebat in senectute sapientis. te autem alio quodam m o d o non solum natura et moribus, verum etiam studio et doctrina esse sapientem, nec sicut vulgus, sed ut eruditi solent appellare sapientem, qualem in reliqua Graecia neminem - nam qui septem appellantur, eos qui ista subtilius quaerunt in numero sapientium non habent Athenis unum accepimus et eum quidem etiam Apollinis oraculo sapientissimum iudicatum;

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ÜBER DIE F R E U N D S C H A F T

eher, nahezu der älteste M a n n jener Zeit und auch der weiseste; jetzt soll Laelius über die Freundschaft sprechen - der Weise, wie man ihn nannte, der als ein Freund berühmt geworden ist. D u aber sollst deine Gedanken ein wenig von mir abwenden und dir vorstellen, Laelius spreche persönlich. Gaius Fannius und Quintus Mucius kommen nach dem Tod des Africanus zu ihrem Schwiegervater; sie beginnen das Gespräch. Laelius antwortet dann. Ihm ist die ganze Erörterung über die Freundschaft zugewiesen, bei deren Lektüre du dich selber wiederfinden wirst FANNIUS: So ist es, Laelius: Es gab keinen Mann, der edler und berühmter war als Africanus. Aber du musst wissen, dass aller Augen allein auf dich gerichtet sind; dich nennt man aus Überzeugung einen Weisen. Diese ehrenvolle Bezeichnung wurde vor kurzem dem Marcus Cato zuteil; auch Lucius Acilius hieß, wie wir wissen, bei unseren Vätern »der Weise«; aber beide sind es auf irgendeine andere Art gewesen: Acilius, weil er als Kenner des bürgerlichen Rechtes galt, Cato, weil er in vielfacher Hinsicht praktische Erfahrung besaß; von ihm machte vieles die Runde: Kluge Vorschläge, entschlossene Taten, scharfsinnige Antworten - im Senat und auf dem Forum. Deshalb hatte er in vorgerücktem Alter die Bezeichnung »der Weise« gleichsam schon als Beinamen. D u aber bist auf eine andere Art weise, nicht nur aufgrund deines Wesens und deines Charakters, sondern auch dank deiner regen wissenschaftlichen Tätigkeit, aber nicht in dem Sinne, wie die Allgemeinheit, sondern wie Gebildete einen Menschen »weise« zu nennen pflegen. Das Gleiche widerfuhr in ganz Griechenland keinem - denn die sogenannten »Sieben Weisen« werden von denen, die sich mit solchen Fragen genauer beschäftigen, gewöhnlich nicht unter die Weisen gerechnet - ; nur in Athen gab es, wie wir hören, einen, der sogar v o m Orakel des Apollo als der Weiseste bezeichnet wurde.

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I4O| L A E L I U S

hanc esse in te sapientiam existimant, ut omnia tua in te posita esse ducas humanosque casus virtute inferiores putes, itaque ex me quaerunt, credo ex hoc item Scaevola, quonam pacto mortem Africani feras, eoque magis, quod proximis Noms, cum in hortos D. Bruti auguris commentandi causa, ut adsolet, venissemus, tu non adfuisti, qui diligentissime semper ilium diem et illud munus solitus esses obire.

SCAEVOLA: Quaerunt quidem, C. Laeli, multi, ut est a

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Fannio dictum, sed ego id respondeo, quod animum adverti, te dolorem, quem acceperis cum summi viri tum amicissimi morte, ferre moderate, nec potuisse non commoveri nec fuisse id humanitatis tuae; quod autem Nonis in collegio nostro non adfuisses, valetudinem respondeo causam, non maestitiam fuisse.

LAELIUS: Recte tu quidem, Scaevola, et vere; nec enim ab isto officio, quod semper usurpavi, cum valerem, abduci incommodo m e o debui, nec ullo casu arbitrar hoc constanti homini posse contingere, ut ulla intermissio fiat officii. Tu autem, Fanni, quod mihi tantum tribui dicis, quantum ego nec adgnosco nec postulo, facis amice; sed,

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ÜBER D I E F R E U N D S C H A F T

Deine Weisheit, glaubt man, gipfle darin, dass du überzeugt seiest, all dein Glück liege in dir selbst, und dass du die Wechselfälle menschlichen Daseins für unbedeutender hieltest als die Tugend. Daher fragen mich die Leute und, wie ich glaube, auch unseren Scaevola hier, wie du denn eigentlich den Tod des Africanus hinnimmst; und das interessiert umso mehr, weil du an den vergangenen Nonen, als wir, wie gewöhnlich, in den Gärten des Augurs Decimus Brutus zu einem gemeinsamen Gedankenaustausch zusammengekommen waren, nicht zugegen warst, obwohl du in der Regel sehr gewissenhaft immer jenen Tag und jene Aufgabe wahrnahmst. SCAEVOLA: Freilich fragen viele, Laelius, wie eben Fannius erzählt hat; aber ich antworte ihnen auch, und zwar das, was ich beobachtet habe: Dass du nämlich den Schmerz, den du durch das Hinscheiden des vortrefflichen, noch dazu mit dir so eng befreundeten Mannes erlitten hast, mit maßvoller Beherrschung erträgst, dass du aber natürlich nicht ungerührt bleiben konntest und das auch mit deinem menschlichen Empfinden nicht vereinbar gewesen wäre; was das betrifft, dass du an den Nonen in unserem Kreise nicht anzutreffen gewesen seiest, so gebe ich die Auskunft, dass nicht Trauer, sondern eine Gesundheitsstörung die Ursache war. LAELIUS: Damit hast du vollkommen recht, Scaevola; denn von dieser Verpflichtung, die ich immer erfüllte, wenn es mein Gesundheitszustand erlaubte, hätte ich mich durch keinerlei Ungemach meinerseits abhalten lassen dürfen, und es kann, meine ich, bei einem charakterfesten Mann in keinem Fall vorkommen, dass er seine Pflicht versäumt. Von dir aber, Fannius, ist es sehr liebenswürdig, dass du mir erzählst, mir werde so hohe Ehre zuteil, wie ich sie weder anerkennen kann

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Hi I LAELIUS

ut mihi videris, non recte iudicas de Catone; aut enim nemo, quod quidem magis credo, aut, si quisquam, ille sapiens fuit, quo modo, ut alia omittam, mortem filii tulit! memineram Paullum, videram Galum, sed hi in pueris, Cato in perfecto et spedato viro.

Quam ob rem cave Catoni anteponas ne istum quidem ipsum, quem Apollo, ut ais, sapientissimum iudicavit; huius enim facta, illius dieta laudantur. de me autem, ut iam cum utroque loquar, sic habetote:

io

Ego si Scipionis desiderio me moveri negem, quam id recte faciam viderint sapientes; sed certe mentiar. moveor enim tali amico orbatus, qualis, ut arbitrar, nemo umquam erit, ut confirmare possum, nemo certe fuit; sed non egeo medicina: me ipse consolor et maxime ilio solacio, quod eo errore careo, quo amicorum decessu plerique angi soient, nihil mali accidisse Scipioni puto; mihi accidit, si quid accidit; suis autem incommodis graviter angi non amicum, sed se ipsum amantis est.

Cum illo vero quis neget actum esse praedare? nisi enim, quod ille minime putabat, inmortalitatem optare

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ÜBER DIE F R E U N D S C H A F T

noch fordern will; mit deinem Urteil über Cato scheinst du mir allerdings nicht ganz recht zu haben: Denn entweder war niemand weise - was ich am ehesten glaube - oder, wenn überhaupt jemand, dann er. Wie bewundernswert hat er, um von anderem ganz zu schweigen, den Tod seines Sohnes getragen! Ich erinnere mich an Paullus, habe es auch bei Galus erlebt, aber ihnen starben die Söhne in jungen Jahren, der Sohn Catos jedoch war schon erwachsen und ein angesehener Mann. Ich möchte dir daher raten, dem Cato nicht einmal den Mann vorzuziehen, den Apollo, wie du sagst, als den weisesten bezeichnet hat. Von ihm rühmt man nämlich Taten, von jenem aber nur das, was er gesagt hat. Was meine Person betrifft, um nunmehr mit euch beiden zu sprechen, so steht es folgendermaßen: Wenn ich behaupten wollte, dass mich der Verlust Scipios gar nicht berühre, so wäre es wohl Sache der Philosophen zu entscheiden, wie weit ich mich da richtig verhielte; aber sicher sagte ich damit eine Unwahrheit. Ich werde nämlich schmerzlich bewegt, da ich eines Freundes beraubt bin, wie es, wie ich glaube, keinen mehr geben wird und, wie ich versichern kann, bestimmt auch keinen zweiten gegeben hat; aber ich brauche kein Linderungsmittel für den Schmerz: Ich tröste mich selbst, und zwar hauptsächlich mit dem Trost, dass ich von dem Irrglauben frei bin, der die meisten beim Hinscheiden von Freunden gewöhnlich bedrückt: Ich glaube nicht, dass Scipio etwas Schlimmes zugestoßen ist; es trifft auf mich zu, wenn überhaupt; wenn man sich aber von seinem eigenen Ungemach beschwert und bedrückt fühlt, so beweist das, dass man nicht den Freund, sondern sich selbst liebt. Wer möchte im Gegenteil bestreiten, dass Scipio etwas Herrliches zuteil wurde? Wenn er sich nämlich nicht - woran er am allerwenigsten

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vellet, quid non adeptus est, quod homini fas esset optare? qui summam spem civium, quam de eo iam puero habuerant, continuo adulescens incredibili virtute superávit; qui consulatum petivit numquam, factus cónsul est bis, primum ante tempus, iterum sibi suo tempore, rei publicae paene sero; qui duabus urbibus eversis inimicissimis huic imperio non m o d o praesentia, verum etiam futura bella delevit. quid dicam de moribus facillimis, de pietate in matrem, liberalitate in sórores, bonitate in suos, iustitia in omnes? nota sunt vobis. quam autem civitati carus fuerit, maerore funeris indicatum est. quid igitur hunc paucorum annorum accessio iuvare potuisset? senectus enim quamvis non sit gravis - ut memini Catonem anno ante quam est mortuus mecum et cum Scipione disserere - tarnen aufert eam viriditatem, in qua etiam nunc erat Scipio.

Q u a m ob rem vita quidem talis fuit vel fortuna vel gloria, ut nihil posset accedere, moriundi autem sensum celeritas abstulit. quo de genere mortis difficile dictu est; quid homines suspicentur videtis. hoc vere tamen licet dicere, P. Scipioni ex multis diebus, quos in vita celeberrimos laetissimosque viderit, ilium diem clarissim u m fuisse, quom senatu dimisso d o m u m reductus ad vesperum est a patribus conscriptis, populo Romano, sociis et Latinis, pridie quam excessit e vita, ut ex tam

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ÜBER DIE F R E U N D S C H A F T

dachte - ewiges Leben ersehnt hat, was hat er dann nicht erreicht von all dem, was einem Menschen zu wünschen erlaubt ist? Die hochgeschraubten Hoffnungen seiner Mitbürger, die sie bereits in seiner Kindheit auf ihn gesetzt hatten, hat er gleich als junger Mann dank seiner unglaublichen Tüchtigkeit noch überboten; niemals hat er sich um das Konsulat bemüht, zweimal aber ist er Konsul geworden: Das erste Mal vor der Zeit, das zweite Mal hatte er das vorgeschriebene Alter, für den Staat aber war es beinahe schon zu spät. Zwei Städte, Todfeindinnen unseres Reiches, hat er zerstört und damit nicht nur gegenwärtige Kriege beendet, sondern auch zukünftige unmöglich gemacht. Was soll ich von seinem umgänglichen Wesen sagen, von der Liebe zu seiner Mutter, der Großmut gegenüber seinen Schwestern, der Güte gegen seine Leute, der Gerechtigkeit gegenüber allen? Ihr wisst das ja selbst. Wie aber auch die Mitbürger an ihm hingen, zeigten die Tränen bei der Bestattung. Was also hätte ihm die Zugabe einiger Jahre noch nützen können? Das Greisenalter nämlich, mag es auch nicht drückend sein - ich erinnere mich, dass Cato ein Jahr vor seinem Tod mit mir und Scipio darüber sprach -, nimmt doch die frische Lebenskraft hinweg, deren sich Scipio noch bis jetzt erfreute. Sein Leben war also so reich an glücklichem Erfolg und Ruhm, dass nichts mehr hinzukommen konnte; der Tod aber erfolgte so plötzlich, dass Scipio gar nicht das Gefühl hatte, sterben zu müssen. Es ist schwierig, zu solch einem Tod etwas zu sagen; was die Leute argwöhnen, ist euch ja bekannt. So viel kann man aber doch mit gutem Gewissen sagen: Für Publius Scipio war von den vielen herrlichen und freudenreichen Tagen, die er in seinem Leben sah, der Tag der bedeutungsvollste, an dem er gegen Abend nach der Senatssitzung heimgeleitet wurde, von den Senatoren, dem römischen Volk, den Bundesgenossen und den La-

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alto dignitatis gradu ad superos videatur deos potius quam ad inferos pervenisse. N e q u e enim adsentior iis, qui haec nuper diserere eoe-

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perunt, cum corporibus simul animos interire atque omnia morte deieri; plus apud me antiquorum auctoritas valet, vel nostrorum maiorum, qui mortuis tam religiosa iura tribuerunt, quod non fecissent profecto, si nihil ad eos pertinere arbitrarentur, vel eorum, qui in hac terra fuerunt magnamque Graeciam, quae nunc quidem deleta est, tum florebat, institutis et praeceptis suis erudierunt, vel eius, qui Apollinis oraculo sapientissimus est iudicatus, cui non tum hoc, tum illud, uti plerisque, sed idem semper, animos hominum esse divinos iisque, cum ex corpore excessissent, reditum in caelum patere optimoque et ¡ustissimo cuique expeditissimum.

Q u o d idem Scipioni videbatur, qui quidem, quasi praesagiret, perpaucis ante mortem diebus, cum et Philus et Manilius adessent et alii plures, tuque etiam, Scaevola, mecum venisses, triduum disseruit de re publica, cuius disputationis fuit extremum fere de inmortalitate animorum, quae se in quiete per visum exAfricano audisse dicebat: id si ita est, ut optimi cuiusque animus in morte facillime evolet tamquam e custodia vinclisque corporis, cui censemus cursum ad deos faciliorem fuisse

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Ü B E R DIE F R E U N D S C H A F T

tinern. Das war am Vorabend seines Todestages, so dass er von dieser hohen Stufe der Anerkennung aus eher zu den Himmlischen als in die Unterwelt gelangte, wie ich glaube. Denn denen kann ich nicht beistimmen, die jüngst damit begannen, Erörterungen darüber zu fuhren, dass mit dem Leib zugleich auch die Seele sterbe und der Tod alles vernichte; mehr gilt bei mir die gewichtige Meinung der Alten: unserer Vorfahren, die den Toten in so frommer Weise die gebührenden Ehren erwiesen - was sie sicherlich nicht getan hätten, wenn sie der Ansicht gewesen wären, dass nichts die Toten angehen könne. Mehr gilt mir auch die Ansicht derer, die in diesem Lande gelebt und Großgriechenland, das jetzt zwar zerschlagen ist, seinerzeit aber in hoher Blüte stand, mit ihren Vorschriften und Lehren geistig herangebildet haben. Oder auch die Autorität des Mannes, der vom Orakel des Apollo der Weiseste genannt worden ist und der nicht einmal das und einmal jenes glaubte, wie die breite Masse, sondern stets dasselbe: Dass die Seelen der Menschen von Gott stammen und dass ihnen, wenn sie aus den Leibern entwichen sind, der Rückweg in den Himmel offensteht - für den am leichtesten, der sittlich gut und gerecht ist. Das ist es auch, woran Scipio glaubte: Er hat, wie wenn er eine Vorahnung gehabt hätte, einige wenige Tage vor seinem Tod, als auch Philus und Manilius anwesend waren und noch einige andere, und auch du, Scaevola, mit mir hingegangen warst, drei Tage lang zum Thema »Staat« (de re publica) gesprochen. Sozusagen den Abschluss seines Vortrags bildete das, was er, wie er sagte, über die Unsterblichkeit der Seelen in einer nächtlichen Vision von Africanus (dem Älteren) vernommen hat: Wenn es nun so ist, dass die Seelen aller Guten beim Tode mit Leichtigkeit gleichsam aus den Kerkerfesseln des Leibes entfliehen -

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quam Scipioni? quocirca maerere hoc eius eventu vereor, ne invidi magis quam amici sit. sin autem illa veriora, ut idem interitus sit animorum et corporum nec ullus sensus maneat, ut nihil boni est in morte, sic certe nihil mali; sensu enim amisso fit idem, quasi natus non esset omnino, quem tarnen esse natum et nos gaudemus et haec civitas, dum erit, laetabitur.

Q u a m ob rem cum ilio quidem, ut supra dixi, actum optime est, mecum incommodius, quem fuerat aequius, ut prius introieram, sic prius exire de vita; sed tamen recordatione nostrae amicitiae sic fruor, ut beate vixisse videar, quia cum Scipione vixerim, quocum mihi coniuncta cura de publica re et de privata fuit, quocum et domus fuit et militia communis et id, in quo est omnis vis amicitiae, voluntatum, studiorum, sententiarum summa consensio. itaque non tam ista me sapientiae, quam m o d o Fannius commemoravit, fama delectat, falsa praesertim, quam quod amicitiae nostrae meraoriam spero sempiternam fore, idque eo mihi magis est cordi, quod ex omnibus saeculis vix tria aut quattuor nominantur paria amicorum; quo in genere sperare videor Scipionis et Laeli amicitiam notam posteritati fore.

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ÜBER DIE FREUNDSCHAFT

wer kann dann nach unserer Meinung einen leichteren Weg zu den Göttern gehabt haben als Scipio? Demzufolge furchte ich, dass Trauer über diesen Todesfall mehr von Neid als von Freundesliebe zeugt. Sollte aber die andere Ansicht der Wahrheit näherkommen, dass der Tod der Seele mit dem Tod des Leibes zusammenfällt und keinerlei Empfindungsvermögen übrigbleibt - dann ist der Tod, sowenig er etwas Gutes ist, doch bestimmt auch kein Übel; wenn nämlich die Empfindung verlorengegangen ist, tritt ein Zustand ein, der genau so ist, wie wenn man überhaupt nicht geboren worden wäre; dass Scipio auf die Welt kam, darüber freuen wir uns aber, und unser Staat wird sich darüber freuen, solang er besteht. Es ist daher, wie schon gesagt, mit Scipio nur das Beste geschehen. Für mich allerdings stimmt da etwas nicht: Hätte ich doch entsprechend meinem früher liegenden Geburtsdatum gerechterweise auch eher aus dem Leben scheiden müssen. Aber dennoch bietet mir die Rückerinnerung an unsere Freundschaft so viel, dass mir mein Leben glücklich erscheint, da ich es zusammen mit Scipio verbringen durfte, mit dem mich nicht nur staatspolitische und private Sorgen sowie häusliche Gemeinschaft und zusammen verbrachte Soldatenzeit verbanden, sondern auch das, was das eigentliche Wesen einer Freundschaft ausmacht: die vollkommene Übereinstimmung der Absichten, Interessen und Meinungen. Es freut mich daher nicht so sehr der eben von Fannius erwähnte Ruf der Weisheit, zumal er unbegründet ist, als vielmehr die Hoffnung, dass das Andenken an unsere Freundschaft ewig sein wird. Dies liegt mir umso mehr am Herzen, als aus allen Jahrhunderten kaum drei oder vier Freundespaare genannt werden können. Ich glaube hoffen zu dürfen, dass in dieser Hinsicht die Freundschaft zwischen Scipio und Laelius der Nachwelt bekannt sein wird.

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FANNIUS: Istuc quidem, Laeli, ita necesse est. sed, quo-

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niam amicitiae mentionem fecisti et sumus otiosi, pergratum mihi feceris - spero item Scaevolae - si, quern ad m o d u m soles de ceteris rebus, quom ex te quaeruntur, sic de amicitia disputaris quid sentias, qualem existumes, quae praecepta des. SCAEVOLA: M h i vero erit gratum; atque id ipsum cum tecum agere conarer, Fannius antevortit. quam ob rem utrique nostrum gratum admodum feceris. LAELIUS: Ego vero non gravarer, si mihi ipse confide-

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rem; nam et praeclara res est et sumus, ut dixit Fannius, otiosi. sed quis ego sum? aut quae est in me facultas? doctorum est ista consuetudo eaque Graecorum, ut iis ponatur de quo disputent quamvis subito; magnum opus est egetque exercitatione non parva. quam ob rem quae disputari de amicitia possunt, ab eis censeo petatis, qui ista profitentur; ego vos hortari tantum possum, ut amicitiam omnibus rebus humanis anteponatis; nihil est enim tam naturae aptum, tam conveniens ad res vel secundas vel adversas. Sed hoc primum sentio, nisi in bonis amicitiam esse non posse; neque id ad vivum reseco, ut illi, qui haec subtilius disserunt, fortasse vere, sed ad communem utilitatem parum; negant enim quemquam esse virum bonum nisi sapientem. sit ita sane; sed earn sapientiam interpretantur, quam adhuc mortalis nemo est consecu-

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FANNIUS: Das wird bestimmt der Fall sein, Laelius. Aber weil du nun schon auf die Freundschaft zu sprechen kamst und wir gerade Zeit haben, würdest du mir - ich hoffe auch Scaevola - eine große Freude machen, wenn du, wie du auch sonst bei Fragen, die dir vorgelegt werden, zu reden pflegst, einen Vortrag über die Freundschaft hieltest: über ihren Sinn, ihr Wesen, und welche Vorschriften du zu geben hast. SCAEVOLA: Mir wird das sehr willkommen sein; denn eben darum wollte auch ich dich bitten, aber Fannius kam mir zuvor. Du wirst also uns beiden einen großen Gefallen tun. LAELIUS: Ich würde mich wahrhaftig nicht sträuben, wenn ich selbst mir diese Aufgabe zutrauen könnte; denn das Thema wäre ausgezeichnet, und wir hätten jetzt, wie Fannius schon sagte, Zeit. Aber wer bin ich schon? Was befähigt mich dazu? Das ist ja die gewohnte Beschäftigung der Philosophen, und zwar der Griechen, dass sie sich ein Thema stellen lassen, um darüber - und das aus dem Stegreif! - zu sprechen; die Aufgabe ist schwierig und setzt keine geringe Übung voraus. Ihr solltet daher, wie ich glaube, das, was man in einem Vortrag über die Freundschaft sagen kann, die Leute fragen, die berufsmäßig solche Vorträge halten; meine Worte können nur eine Aufforderung an euch sein, die Freundschaft über alle Dinge dieser Welt zu stellen; denn nichts ist unserem Wesen so angemessen, nichts ist so angebracht im Glück wie im Unglück. Vorausschicken möchte ich aber, dass ich Freundschaft nur zwischen Guten für möglich halte; ich meine das allerdings nicht im strengsten Sinne, wie die Leute, die diese Fragen scharfsinniger behandeln, was vielleicht richtig wäre, aber nicht recht für die Erfordernisse des täglichen Lebens passt. Sie bestreiten nämlich, dass irgendjemand ein guter Mensch sein kann, wenn er nicht gleichzeitig weise ist; das mag ge-

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tus, nos autem ea, quae sunt in usu vitaque communi, non ea, quae finguntur aut optantur, spedare debemus. numquam ego dicam C. Fabricium, M'. Curium, Ti. Coruncanium, quos sapientes nostri maiores iudicabant, ad istorum normam fuisse sapientes; quare sibi habeant sapientiae nomen et invidiosum et obscurum, concédant ut viri boni fuerint. ne id quidem facient; negabunt id nisi sapienti posse concedi.

Agamus igitur pingui, ut aiunt, Minerva, qui ita se gerunt, ita vivunt, ut eorum probetur fides, integritas, aequalitas, liberalitas, nec sit in eis ulla cupiditas, libido, audacia, sintque magna constantia, ut ii fuerunt, m o d o quos nominavi, hos viros bonos, ut habiti sunt, sic etiam appellandos putemus, quia sequantur, quantum homines possunt, naturam optimam bene vivendi ducem. sic enim mihi perspicere videor, ita natos esse nos, ut inter omnes esset societas quaedam, maior autem, ut quisque proxime accederet. itaque cives potiores quam peregrini, propinqui quam alieni; cum his enim amicitiam natura ipsa peperit; sed ea non satis habet firmitatis. namque hoc praestat amicitia propinquitati, quod ex propinquitate benevolentia tolli potest, ex amicitia non potest; sublata enim benevolentia amicitiae nomen tollitur, propinquitatis manet.

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wiss so sein; aber sie verstehen unter Weisheit etwas, was bis jetzt kein Sterblicher erreicht hat. Wir jedoch müssen das ins Auge fassen, was im Bereich der allgemeinen täglichen Lebenserfahrung liegt, nicht etwas, was man sich so zusammendenkt oder sich wünscht. Niemals werde ich behaupten, Gaius Fabricius, Manius Curius, Tiberius Coruncanius, Männer, die nach dem Urteil unserer Väter weise waren, seien nach dem Maßstab jener Philosophen weise gewesen. Sie mögen daher ihren abstoßenden und unklaren WeisheitsbegrifFfür sich behalten, sollen jedoch zugeben, dass jene gute Männer waren. Aber nicht einmal darauf werden sie sich einlassen; sie werden bestreiten, dass dieses Prädikat einem anderen als einem Weisen zuerkannt werden kann. Benutzen wir also unserengesundenMenschenverstand,wiemanso sagt! Leute, die im Leben eine solche Haltung zeigen, dass man ihre Treue, ihre Unbescholtenheit, ihren Gerechtigkeitssinn und ihre edle Gesinnung anerkennt, dass in ihnen kein Platz ist für Leidenschaft, Ausschweifung und Frechheit und dass sie starke Charakterfestigkeit beweisen - wie es bei denen der Fall war, die ich eben namentlich aufgeführt habe - , diese Leute wollen wir, wie sie schon seinerzeit als gute Männer galten, auch für würdig erachten, sie »die Guten« zu nennen, weil sie, soweit Menschen dazu befähigt sind, der Natur als der besten Führerin zu einem anständigen Leben folgen. Das nämlich glaube ich zu erkennen: Dass wir in dem Sinne geboren sind, dass unter allen eine Art von Gemeinschaft besteht, die aber umso stärker wird, je näher einer dem anderen kommt. Daher gelten uns Bürger mehr als Fremde und Verwandte mehr als Außenstehende. Denn mit ihnen hat schon die Natur ein Freundschaftsband geknüpft, das allerdings nicht genug Festigkeit besitzt. Darin nämlich liegt der Vorrang, den die Freundschaft vor der Verwandtschaft genießt, dass bei einem verwandtschaftlichen Verhältnis die Zuneigung

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Quanta autem vis amicitiae sit, ex hoc intellegi maxime

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potest, quod ex infinita societate generis humani, quam conciliavit ipsa natura, ita contrada res est et adducta in angustum, ut omnis caritas aut inter duos aut inter paucos iungeretur. Est enim amicitia nihil aliud nisi omnium divinarum humanarumque rerum cum benevolentia et caritate consensio; qua quidem haud scio an excepta sapientia nihil melius homini sit a dis inmortalibus datum, divitias alii praeponunt, bonam alii valetudinem, alii potentiam, alii honores, multi etiam voluptates: beluarum hoc quidem extremum, ilia autem superiora caduca et incerta, posita non tam in consiliis nostris quam in fortunae temeritate; qui autem in virtute summum bonum ponunt, praeclare illi quidem, sed haec ipsa virtus amicitiam et gignit et continet, nec sine virtute amicitia esse ullo pacto potest.

Iam virtutem ex consuetudine vitae sermonisque nostri interpretemur nec eam, ut quidam docti, verborum magnificentia metiamur virosque bonos eos, qui habentur, numeremus, Paullos, Catones, Galos, Scipiones, Philos; his communis vita contenta est, eos autem omittamus, qui omnino nusquam reperiuntur.

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ausgeschlossen sein kann, bei der Freundschaft aber nicht; hört nämlich die Zuneigung auf, dann kann man nicht mehr von Freundschaft sprechen; die Bezeichnung »Verwandtschaft« aber bleibt bestehen. Wie groß aber die Bedeutung der Freundschaft ist, kann man in erster Linie daran sehen, dass aus der unbegrenzten, von der Natur selbst gestifteten Gemeinschaft: des Menschengeschlechts das Verhältnis zueinander so eng zusammengeschnürt und beschränkt wurde, dass volle Zuneigung nur zwei oder nur einige wenige Menschen umspannt. Es ist nämlich die Freundschaft nichts anderes als die Obereinstimmung in allen irdischen und überirdischen Dingen, verbunden mit Zuneigung und Liebe; im Vergleich zu ihr dürfte - abgesehen von der Weisheit - dem Menschen von den unsterblichen Göttern wohl kaum ein schöneres Geschenk zuteil geworden sein. Die einen freilich wollen lieber Reichtum, andere stellen die Gesundheit voran, andere wieder die Macht der Persönlichkeit, wieder andere ehrenvolle Ämter, viele auch die Lust: Letzteres ist tierisch, alles aber, was vorher genannt wurde, ist vergänglich und unzuverlässig, weil es nicht so sehr auf unseren Entschlüssen beruht, sondern vor allem von der Laune des Glücks abhängt; diejenigen freilich, die in der Tugend das höchste Gut sehen, erstreben etwas Herrliches; aber gerade die Tugend ist es, die Freundschaft hervorbringt und zusammenhält, und es kann Freundschaft ohne die Tugend unter keinen Umständen geben. Wir wollen nunmehr den Begriff »Tugend« nach der Gewohnheit des täglichen Lebens und nach unserem Sprachgebrauch auslegen - statt ihn mit großartig klingenden Worten zu definieren, wie es gewisse Philosophen tun. Wir wollen die Männer als »die Guten« zählen, die als solche gelten, Männer wie Paullus, Cato, Galus, Scipio, Philus; mit solchen Beispielen gibt sich das tägliche Leben zufrieden. Von denen

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Talis igitur inter viros amicitia tantas opportunitates ha-

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bet, quantas vix queo dicere. principio qui potest esse »vita vitalis«, ut ait Ennius, quae non in a m i d mutua benevolentia conquiescit? quid dulcius quam habere, quicum omnia audeas sic loqui ut tecum? qui esset tantus fructus in prosperis rebus, nisi haberes, qui illis aeque ac tu ipse gauderet? adversas vero ferre difficile esset sine eo, qui illas gravius etiam quam tu ferret; denique ceterae res, quae expetuntur, opportunae sunt singulae rebus fere singulis, divitiae, ut utare, opes, ut colare, honores, ut laudere, voluptates, ut gaudeas, valetudo, ut dolore careas et muneribus fungare corporis; amicitia res plurimas continet; quoquo te verteris, praesto est, nullo loco excluditur, numquam intempestiva, numquam molesta est; itaque non aqua, non igni, ut aiunt, locis pluribus utimur quam amicitia. neque ego nunc de vulgari aut de mediocri, quae tamen ipsa et delectat et prodest, sed de vera et perfecta loquor, qualis eorum, qui pauci nominantur, fait; nam et secundas res splendidiores facit amicitia et adversas partiens communicansque leviores.

Q u o m q u e plurimas et maximas commoditates amicitia contineat, turn ilia nimirum praestat omnibus, quod bonam spem praelucet in posterum nec debilitan ánimos

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aber wollen wir nicht sprechen, die nirgends auf der Welt zu finden sind. Unter solchen Männern also bietet die Freundschaft so große Vorteile, wie ich sie kaum aufzuzählen vermag. Wie kann überhaupt »ein Leben lebenswert« sein, wie Ennius sagt, welches nicht auf wechselseitiger Freundesliebe ruht? Was gibt es Schöneres, als einen Menschen zu haben, mit dem du dich alles so zu reden traust wie mit deinem eigenen Ich? Gäbe es einen so schönen Ertrag in Stunden des Glücks, ohne einen Menschen, der sich in gleicher Weise wie du selbst darüber freuen kann? Unglück aber zu ertragen wäre schwierig ohne einen, der so geartet ist, dass er es sogar noch schwerer nimmt als du; schließlich dient alles Übrige, was man erstrebt, jeweils nur einem Belang: Reichtum, um ihn zu verwerten; Macht um der Verehrung willen; Ehrenstellen, um Ruhm zu ernten; Vergnügen, um sich daran zu freuen; Gesundheit, um von Schmerz frei zu sein und die Funktionen des Körpers verrichten zu können. Die Freundschaft aber umfasst die meisten Bereiche; wohin du auch gehst: sie ist zugegen; kein Ort verschließt sich ihr; niemals kommt sie ungelegen, nie fällt sie zur Last. Daher leistet uns Freundschaft mindestens ebenso oft Dienste wie das sprichwörtliche »Wasser und Feuer«. Aber ich will jetzt nicht von alltäglicher oder unvollkommener Freundschaft reden, obwohl auch sie schon Freude und Nutzen spendet, sondern von der wahren, vollkommenen Freundschaft, wie sie nur wenige pflegten, die man auffuhren kann; denn solche Freundschaft verleiht unserem Glück helleren Glanz, und das Unglück macht sie durch gemeinsame Anteilnahme leichter. Wenn die Freundschaft auch zahlreiche und vorzügliche Annehmlichkeiten in sich birgt, so ist sie ohne Zweifel besonders deswegen allem anderen voranzustellen, weil sie schöne Hoffnungen für die Zukunft

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aut cadere patitur; verum enim amicum qui intuetur, tamquam exemplar aliquod intuetur sui. quocirca et absentes adsunt et egentes abundant et inbecilli valent et, quod difficilius dictu est, mortui vivunt: tantus eos honos, memoria, desiderium prosequitur amicorum; ex quo illorum beata mors videtur, horum vita laudabilis. quod si exemeris ex rerum natura benevolentiae coniunctionem, nec domus ulla nec urbs stare poterit, ne agri quidem cultus permanebit. id si minus intellegitur, quanta vis amicitiae concordiaeque sit, ex dissensionibus atque ex discordiis perspici potest; quae enim domus tam stabilis, quae tam firma civitas est, quae non odiis et discidiis funditus possit everti?

Ex quo quantum boni sit in amicitia, iudicari potest. Agrigentinum quidem doctum quendam virum carminibus Graecis vaticinatum ferunt, quae in rerum natura totoque m u n d o constarent quaeque moverentur, ea contrahere amicitiam, dissipare discordiam; atque hoc quidem omnes mortales et intellegunt et re probant. itaque, si quando aliquod officium exstitit amici in periculis aut adeundis aut communicandis, quis est, qui id non maximis efferat laudibus? qui clamores tota cavea nuper in hospitis et amici mei M . Pacuvi nova fabula, cum ignorante rege, uter Orestes esset, Pylades Orestem se esse diceret, ut pro ilio necaretur, Orestes autem, ita ut erat, Orestem se esse perseveraret! stantes

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aufleuchten lässt und nicht zulässt, dass der Mut gelähmt wird oder sinkt; wer nämlich sein Auge auf einen wahren Freund richtet, schaut gleichsam auf ein Vorbild seiner selbst. So kommt es, dass Abwesende zugegen, Arme reich, Schwache stark und, was man kaum mit Worten richtig bezeichnen kann, Tote lebendig sind: In solchem Maße begleitet sie die Ehre, das Andenken und die Sehnsucht der Freunde; so erscheinen die Verstorbenen im Tode glücklich, die Lebenden lobenswert. Schafft man aber die Verbindung, die aus der Sympathie erwächst, aus der Welt, dann kann keine häusliche Gemeinschaft, keine Stadt mehr bestehen, und nicht einmal die Bestellung der Felder kann weitergeführt werden. Dies lässt sich, wenn man schon nicht verstehen will, wie stark die Kraft der Freundschaft und der Eintracht ist, anhand der Uneinigkeiten und Zwieträchtigkeiten klar erkennen; gibt es denn eine so starke Haus- oder Bürgergemeinschaft, dass sie nicht durch Hass und Zerwürfhisse von Grund aus zerstört werden könnte? Von hier aus lässt sich abschätzen, wie viel Gutes in der Freundschaft liegt. Soll doch ein hochgebildeter Mann aus Agrigent in griechischen Versen das Seherwort geäußert haben: Was es in der Natur und im ganzen Weltall an Festem und Bewegtem gebe, das werde durch »Freundschaft« zusammengehalten, durch »Zwietracht« aber getrennt. Das ist etwas, was alle Menschen erfahren und tatsächlich anerkennen. Wird daher irgendwann ein Freundesdienst erkannt, der darin bestand, dass der Freund Gefahren auf sich nahm oder sie teilte, so gibt es wohl keinen, der dafür nicht die schönsten Worte der Anerkennung findet. Wie laut erschallte der Beifall neulich im ganzen Zuschauerraum, als das neue Stück meines lieben Gastfreundes Marcus Pacuvius in Szene ging: An der Stelle, wo der König nicht wusste, wer von beiden Orestes sei, und Pylades sich für Orestes ausgab, um für ihn den Tod zu erleiden;

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plaudebant in re ficta; quid arbitramur in vera facturos fuisse ? facile indicabat ipsa natura vim suam, cum homines, quod facere ipsi non possent, id recte fieri in altera iudicarent. - Hactenus mihi videor de amicitia, quid sentirem, potuisse dicere; si qua praeterea sunt - credo autem esse multa - ab iis, si videbitur, qui ista disputant, quaeritote.

FANNIUS: N o s autem a te potius: quamquam etiam ab

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istis saepe quaesivi et audivi non invitus equidem; sed aliud quoddam filum orationis tuae. SCAEVOLA: T u m magis id diceres, Fanni, si nuper in hortis Scipionis, cum est de re publica disputatum, adfuisses. qualis tum patronus iustitiae fuit contra accuratam orationem Phili! FANNIUS: Facile id quidem fuit iustitiam ¿ustissimo viro defendere. SCAEVOLA: Quid amicitiam? nonne facile ei, qui ob eam summa fide, constantia iustitiaque servatam maximam gloriam ceperit? LAELIUS: Vim hoc quidem est adferre. quid enim refert, qua me ratione cogatis? cogitis certe; studiis enim generorum, praesertim in re bona, cum difficile est tum ne aequum quidem obsistere.

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ÜBER DIE F R E U N D S C H A F T

wo dann der wirkliche Orestes darauf bestand, Orestes zu sein! Aufgesprungen waren die Leute sogar, um einer erdichteten Szene Beifall zu spenden: Was hätten sie wohl erst getan, wäre die Begebenheit Wirklichkeit gewesen? Spontan zeigte die Natur ihre Gewalt, als die Leute das, was sie selbst nicht tun könnten, bei einem anderen fiir die richtige Handlungsweise erklärten. - So, nun glaube ich meine Ansicht über die Freundschaft nach bestem Vermögen vorgetragen zu haben. Wenn es sonst noch etwas zu sagen gibt - meiner Meinung nach eine ganze Menge! - , dann fragt doch bitte die, die das zum Thema ihrer gelehrten Vorträge machen. FANNIUS: Wir wollen es aber lieber von dir hören; freilich habe ich mich auch an jene Leute schon mehrmals mit dieser Frage gewandt und gar nicht ohne Vergnügen ihre Antworten gehört, aber der Faden, der sich durch deinen Vortrag zieht, ist doch etwas anderes! SCAEVOLA: Du würdest noch viel eher so reden, Fannius, wenn du neulich in den Gärten Scipios mit dabei gewesen wärest, als das Gespräch über den Staat gefuhrt wurde. Wie hat er da die Gerechtigkeit verteidigt gegenüber der ausgefeilten Rede des Philus! FANNIUS: Die Gerechtigkeit in Schutz zu nehmen, das musste einem so gerechten Mann doch ohne weiteres gelingen. SCAEVOLA: Und die Freundschaft? Muss es ihm nicht genauso leicht fallen, da er seinen größten Ruhm daraus gewann, dass er mit einem Höchstmaß an Treue, Entschlossenheit und Gerechtigkeit Freundschaft gehalten hat? LAELIUS: Das heißt ja Gewalt antun! Was macht es denn aus, wie ihr mich zwingt? Zwang ist es doch. Kann man doch den Wünschen seiner Schwiegersöhne nicht leicht und auch nicht gut mit einem »Nein« begegnen, noch dazu in einer guten Sache.

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LAELIUS

Saepissime igitur mihi de amicitia cogitanti maxime illud considerandum videri solet, utrum propter inbecillitatem atque inopiam desiderata sit amicitia, ut dandis recipiendisque mentis, quod quisque minus per se ipse posset, id acciperet ab alio vicissimque redderet, an esset hoc quidem proprium amicitiae, sed antiquior et pulchrior et magis a natura ipsa profecta alia causa; amor enim, ex quo amicitia nominata est, princeps est ad benevolentiam coniungendam. nam utilitates quidem etiam ab iis percipiuntur saepe, qui simulatione amicitiae coluntur et observantur temporis causa,- in amicitia autem nihil fictum est, nihil simulatum, et, quidquid est, id est verum et voluntarium.

Quapropter a natura mihi videtur potius quam ab indigentia orta amicitia, adplicatione magis animi cum quodam sensu amandi quam cogitatione, quantum ilia res utilitatis esset habitura. quod quidem quale sit, etiam in bestiis quibusdam animadverti potest, quae ex se natos ita amant ad quoddam tempus et ab eis ita amantur, ut facile earum sensus appareat. quod in homine multo est evidentius, primum ex ea caritate, quae est inter natos et parentes, quae dirimi nisi detestabili scelere non potest, deinde cum similis sensus exstitit amoris, si aliquem nacti sumus, cuius cum moribus et natura congruamus, quod in eo quasi lumen aliquod probitatis et virtutis perspicere videamur.

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ÜBER DIE F R E U N D S C H A F T

N u n denn: Ich denke recht oft über die Freundschaft nach und dabei scheint mir gewöhnlich genau diese Frage einer besonderen Betrachtung wert, ob man aus Schwäche und N o t das Bedürfnis nach Freundschaft empfindet - um nämlich durch wechselseitige Dienste von einem anderen Menschen das zu bekommen und es ihm mit Gegenleistungen zu vergelten, was ein jeder für sich allein weniger leicht zustande bringen könnte - oder ob das zwar die Freundschaft kennzeichnet, andererseits aber ein ehrwürdigerer, schönerer, mehr aus der Menschennatur selbst kommender Grund besteht. Es ist aber die Liebe, atnor, wovon das Wort amicitia abgeleitet ist, die den ersten Impuls gibt, ein Band der gegenseitigen Zuneigung zu knüpfen. Denn Vorteile nimmt man ja auch oft von denen mit, die man mit geheuchelter Freundschaft umwirbt und nur aus einem Augenblicksbedürfnis heraus achtet. In einer wirklichen Freundschaft aber gibt es kein Heucheln, keine Verstellung, alles ist wahrhaftig und gewollt. Darum glaube ich, dass die Freundschaft eher aus unserem ureigenen Wesen als aus einer Notlage erwächst, und mehr durch eine seelische Annäherung, die mit einem tiefen Gefühl der Zuneigung verbunden ist, als durch die Überlegung entsteht, wie groß der Vorteil sei, den jene Beziehung bringen werde. Was ich da meine, lässt sich auch bei manchen Tieren beobachten, die ihre Jungen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt so lieben und von ihnen so wiedergeliebt werden, dass das, was sie empfinden, ohne weiteres klar wird. Beim Menschen tritt das noch viel deutlicher hervor: erstens in der Liebe zwischen Kindern und Eltern, die nur durch eine abscheuliche Untat zerstört werden kann; sodann aber in einem der Kindesliebe ähnlichen Liebesempfinden, welches auftritt, wenn wir einen Menschen gefunden haben, mit dessen Charakter und angeborener Art wir zusammenstimmen, weil wir in ihm sozusagen ein

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1641 L A E L I U S

Nihil est enim virtute amabilius, nihil quod magis ad-

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liciat ad diligendum, quippe cum propter virtutem et probitatem etiam eos, quos numquam vidimus, quodam m o d o diligamus. quis est, qui C. Fabrici, M'. Curi non cum caritate aliqua benevola memoriam usurpet, quos numquam viderit? quis autem est, qui Tarquinium Superbum, qui Sp. Cassium, Sp. Maelium non oderit? cum duobus ducibus de imperio in Italia est decertatum, Pyrrho et Hannibale; ab altero propter probitatem eius non nimis alienos animos habemus, alteram propter crudelitatem semper haec civitas oderit. Q u o d si tanta vis probitatis est, ut earn vel in eis, quos numquam vidimus, vel, quod maius est, in hoste etiam diligamus, quid mirum est, si animi hominum moveantur, cum eorum, quibuscum usu coniuncti esse possunt, virtutem et bonitatem perspicere videantur? quamquam confirmatur amor et beneficio accepto et studio perspecto et consuetudine adiuncta, quibus rebus ad ilium primum motum animi et amoris adhibitis admirabilis quaedam exardescit benevolentiae magnitudo, quam si qui putant ab inbecillitate proficisci, ut sit, per quem adsequatur, quod quisque desideret, humilem sane relinquunt et minime generosum, ut ita dicam, ortum amicitiae, quam ex inopia atque indigentia natam volunt. quod si ita esset, ut quisque minimum esse in

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ÜBER DIE FREUNDSCHAFT

leuchtendes Vorbild der Rechtschaffenheit und Tugend zu erkennen vermeinen. Es gibt nämlich nichts Liebenswerteres als die Tugend, nichts, was in höherem Grade Hochschätzung auslösen könnte - wo wir doch aufgrund ihrer Tugend und Rechtschaffenheit sogar Leute, die wir nie gesehen haben, auf eine gewisse Art lieben. Wer denkt nicht mit einer Art liebevoller Sympathie an Gaius Fabricius oder Manius Curius, obschon er diese Leute niemals gesehen hat? Wer denkt nicht mit Hass an Tarquinius Superbus, an Spurius Cassius oder Spurius Maelius zurück? Mit zwei Feldherrn hat es in Italien einen Entscheidungskampf um die Herrschaft gegeben, mit Pyrrhus und Hannibal: Der eine ist uns wegen seiner Anständigkeit ganz sympathisch geworden, den anderen aber werden unsere römischen Bürger wegen seiner Roheit immer hassen. Wenn also Anständigkeit so stark wirkt, dass wir sie sogar an Leuten, die wir nie gesehen haben, ja sogar - und diesem Gesichtspunkt kommt noch größere Bedeutung zu - an einem Feind hochschätzen, was nimmt es dann noch wunder, wenn sich in den Menschen etwas regt, sobald sie an Leuten, mit denen sie im täglichen Verkehr zusammen sein können, Tugend und Vortrefflichkeit zu erkennen meinen? Freilich wird Liebe noch gestärkt, wenn man Dienste erwiesen bekommt, Neigungen erkannt werden und der persönliche Umgang dazukommt: Sind diese Gegebenheiten zu jener anfänglichen liebevollen Regung des Herzens hinzugetreten, so lodert in einer bewundernswerten Art das Feuer der Sympathie hoch empor. Wenn manche glauben, sie entstehe aus einer Schwäche heraus, damit man einen Menschen habe, der einem zur Erfüllung seiner Wünsche verhelfen könne, so geben diese Leute der Freundschaft, die nach ihrer Ansicht aus Not und Bedürf-

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LAELIUS

se arbitraretur, ita ad amicitiam esset aptissimus; quod longe secus est.

Ut enim quisque sibi plurimum confidit et ut quisque

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maxime virtute et sapientia sic munitus est, ut nullo egeat suaque omnia in se ipso posita iudicet, ita in amicitiis expetendis colendisque maxime excellit. quid enim? Africanus indigens mei? minime hercule! ac ne ego quidem illius; sed ego admiratione quadam virtutis eius, ille vicissim opinione fortasse non nulla, quam de meis moribus habebat, m e dilexit; auxit benevolentiam consuetudo. sed quamquam utilitates multae et magnae consecutae sunt, non sunt tamen ab earum spe causae diligendi profectae.

Ut enim benefici liberalesque sumus, non ut exigamus

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gratiam - neque enim beneficium faeneramur, sed natura propensi ad liberalitatem sumus - , sic amicitiam non spe mercedis adducti, sed quod omnis eius fructus in ipso amore inest, expetendam putamus.

A b his, qui pecudum ritu ad voluptatem omnia referunt, longe dissentiunt, nec mirum; nihil enim altum, nihil magnificum ac divinum suspicere possunt, qui

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ÜBER DIE F R E U N D S C H A F T

nissen entstand, freilich einen recht verächtlichen und - anders ausgedrückt - keineswegs edlen Ursprung. Wäre dem so, dann müsste gerade der, der die wenigste Kraft in sich spürt, zur Freundschaft in höchstem Grade neigen. Aber die Dinge liegen ganz anders: Gerade derjenige nämlich, der das größte Selbstvertrauen hat und der durch ein Höchstmaß an Tugend und Weisheit so gewappnet ist, dass er keinen Menschen braucht und all das, was ihn angeht, in sich selbst sucht, gerade der zeichnet sich in hervorragender Weise dadurch aus, dass er nach Freundschaft trachtet und der Freundschaft lebt. Was meint ihr denn? Hat mich etwa Africanus »gebraucht«? Nein, beim Hercules! Aber auch ich »brauchte« ihn nicht: Ich habe ihn vielmehr aus Bewunderung seiner Tugend geliebt, und seine Gegenliebe wurde vielleicht durch eine nicht ganz ungünstige Meinung ausgelöst, die er sich über meinen Charakter gebildet hatte. Der persönliche Umgang hat die Sympathie gesteigert; aber trotz der Tatsache, dass unsere Freundschaft zahlreiche bedeutende Vorteile mit sich brachte, ist das, was unsere Zuneigung begründet hat, doch nicht daraus entsprungen, dass wir uns etwa die erwähnten Vorteile erhofft hätten. Wir erweisen uns nämlich nicht gefällig und freundlich, um hinterher Dankesschulden eintreiben zu können - Gefälligkeiten legt man doch nicht auf Wucher an! - , sondern es ist die uns angeborene Natur, die uns zur Güte geneigt macht: Dementsprechend sind wir überzeugt, dass man nicht in der Hoffnung, dass es sich lohnen wird, Freundschaft suchen darf, sondern weil ihr ganzer Ertrag schon in der Liebe selbst besteht. Ganz im Widerspruch natürlich zu denen, die wie Tiere alles an der Sinnenlust messen! Denn ihren Blick zu etwas Hohem, Großartigem und Göttlichem zu erheben, dazu sind solche Leute nicht imstande, die ihr

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I• Terenz. Gorgias (C13, C23): Um 483 - um 37s v.Chr., kam als Gesandter aus der sizilischen Griechenstadt Leontinoi 427 nach Athen und erregte durch seine figuren- und bilderreiche Rhetorik großes Aufsehen. Er wirkte als Sophist und Lehrer der Redekunst. Gracchus, Gaius Sempronius (L39, L41): Bruder des Tiberius - • Gracchus, der dessen Reformwerk fortsetzen wollte, aber am Widerstand der Konservativen scheiterte und 121 v. Chr. bei Unruhen in Rom den Tod fand. Gracchus, Tiberius (L37, L39, L40, L41): Volkstribun 133 v.Chr., versuchte der notleidenden Unterschicht in Rom durch Landverteilung zu helfen, geriet dabei in Konflikt mit dem Senat und wurde mit vielen seiner Anhänger umgebracht, als er sich - gegen die Verfassung - erneut um das Volkstribunat bewarb. Gracchus, Tiberius Sempronius 1i Ä. (Lioi): Vater der beiden Reformer, verheiratet mit Cornelia, der Tochter des älteren Scipio, Konsul 177 und 163, Zensor 169. Große Mutter (Magna Mater, Kybele) (C45): Kleinasiatische Fruchtbarkeitsgöttin; in der Not des Hannibalkriegs wurde ihr Kult in Rom eingeführt, unterlag aber wegen seiner oigiastischen Formen einschneidenden Beschränkungen. Großgriechenland, (Magna Graecia) (L13): Zusammenfassende Bezeichnung für das im 7. Jh. v. Chr. von Griechen kolonisierte Unteritalien und Sizilien.

R E G I S T E R 1267

Hatmibal (C10, C75, L28): Karthagischer Heerführer, der im 2. Punischen Krieg (218 bis 202 v. Chr.) über die Alpen nach Italien vordrang, die Römer in mehreren Schlachten besiegte und ihren Staat an den Rand des Untergangs brachte. Er wurde schließlich von dem älteren Scipio bezwungen. Hesiod (C23, C54): Um 700 v. Chr., griech. Dichter aus Boiotien, der in seiner Theogonie die Entstehung der Welt und der Götter beschrieb, während er in den Tagewerken das Bauernleben behandelte. Homer (C23, C30, C31, C54): Dichter und Sänger des 8. Jh. v. Chr., dem die beiden ältesten griechischen Epen, die llias und die Odyssee, zugeschrieben wurden. idaeisch (C45): Im Idagebirge bei Troja befand sich einer der wichtigsten Kultorte der - • Großen Mutter. hokrates (C13, C23): 436 bis 338 v. Chr., griech. Redner und Lehrer der Rhetorik; seinen Panathenaikos (»Lob Athens«) verfasste er als Vierundneunzigjähriger. Kapitol (L37): Das Capitolium war Burg und - mit den Tempeln des Jupiter, der Juno und Minerva - kultischer Mittelpunkt Roms; hier endeten die Triumphzüge siegreicher Generale. Karthager (Punier) (C44, C75) -*• Karthago. Karthago (C18, C19): Phönizische Kolonie im heutigen Tunesien, bedeutende Handelsmacht, deren ursprünglich guten Beziehungen zu Rom durch konkurrierende Interessen in Sizilien getrübt wurden. Nach den drei erbitterten »Punischen Kriegen« wurde die Stadt von dem jüngeren Scipio 146 v. Chr. zerstört. Kineas (C43): Rhetorisch und philosophisch gebildeter Diplomat im Dienst des Königs

Pyrrhos.

Kleanthes (C23): 330 bis 231 v. Chr., Schüler und Nachfolger

Zenons als Leiter der

stoischen Philosophenschule. Knaben toga (L34): Festgewand der jungen Römer bis zum 15. Lebensjahr, wie die der niederen Beamten mit einem schmalen Purpurstreifbesetzt (togapraetexta). Knöchelspiel (C58): Dem Würfeln ähnlich, aber mit an zwei Seiten abgerundeten Schafsknöcheln gespielt, so dass der einzelne Wurf nur vier verschiedene Chancen hatte. Konsul (C7, C10, L2, Lu, L37, L39, L73, L96)

Konsulat.

Konsulat (L11): Höchstes römisches Staatsamt, durch jährliche Wahl stets mit zwei Inhabern besetzt. Die Zuständigkeit der Konsuln umfasste den militärischen und zivilen Bereich, sie hatten in Fragen der Rechts die Oberaufsicht und durften den -»• Senat und die Volksversammlung einberufen, diese Versammlung leiten, Wah-

268 | ANHANG

len durchfuhren und Gesetze beantragen. Das Konsulat konnte man frühestens mit 43 Jahren (»suo anno«) antreten; Scipio der Jüngere erhielt es - als große Ausnahme - »vor der Zeit« (Ln), nämlich mit 38 Jahren. Kritobulos (C59) : Gesprächspartner des - * Sokrates in - • Xenophons Oihnomikos. Kroton (C27): griechische Kolonie in Unteritalien, Wirkungsstätte des Philosophen Pythagoras und des Athleten -*• Milon. Kyros der Ältere (C30, C32, C79, C80, C81): Begründer der persischen Großmacht, regierte von 559 bis 529 v. Chr., von

Xenophon in seiner Kyrupädie ( »Erziehung

des Kyros«) als idealer Herrscher verherrlicht. Kyros der Jüngere (C59): Persischer Prinz, der gegen seinen Bruder, König Artaxerxes II, revoltierte und im Kampf mit ihm 401 v. Chr. fiel. Unter den griechischen Söldnern, die mit ihm zogen, war auch -» Xenophon. Laelius, Gaius (C77, C83): Vater des Laelius Sapiens, Konsul 190 v.Chr., Freund des älteren Scipio. Laelius, Gaius L. Sapiens (Cjffi, LifE): Titelfigur des Dialogs über die Freundschaft, Vertrauter des jüngeren Scipio, an Dichtung (-»• Terenz) und Philosophie interessiert (Gespräche mit dem Stoiker -»• Diogenes). Späteren galt er als Muster eines guten Freundes. Laenas, Publius Popilius (L37): Konsul 132 v.Chr., führte die Untersuchungen gegen Tiberius

Gracchus und wurde deshalb auf Betreiben des Gaius Gracchus 123

verbannt, jedoch bald wieder zurückgerufen. Laertes (C54) : König von Ithaka und Vater des Odysseus. Lakedaimon (C63): Bezeichnung für Sparta und sein Staatsgebiet auf der Peloponnes. Lakedaimonier (C20, C59, C63): Die Spartaner waren berühmt wegen ihrer kai^en Lebensweise und ihrer knappen, »lakonischen« Aussprüche. Latiner (L12): Bewohner der Landschaft Latium in Mittelitalien, nach wechselvollen Kämpfen »Verbündete« (sodi) Roms mit einer Reihe von Vorrechten. Den Reformen der Gracchen standen sie zuerst positiv gegenüber, doch wehrten sie sich gegen Landzuweisungen auf ihrem Gebiet, wobei sie der jüngere Scipio unterstützte. Legat (C17) : Militärischer Dienstgrad, dem General (imperator) nachgeordnet. Leontinoi (C12) -*• Gorgias. Lepidus, Marcus Aemilius (C61) : Tüchtiger Politiker und Oberpriester, Erbauer der Via Aemilia. Er starb hochbetagt um 153 v. Chr. Livius (Andronicus) (C50) : Griechischer Sklave aus Tarent; von Marcus Livius Salina-

REGISTER \i6g

tor freigelassen, eröffnete er eine Schule, übersetzte für seinen Unterricht Homers Odyssee ins Lateinische und wurde so zum ersten Dichter Roms. Seit 140 v. Chr. führte er auch Übersetzungen griechischer Dramen auf! Ludus (C20): »Spiel«, ein Stück des

Naevius.

Luscinus, Gaius (L39) -»• Fabricius. Lycomedes (L75) -»Neoptolemos. Lysandros (C59, C63): Spartanischer Admiral, Sieger über Athen im Peloponnesischen Krieg. Lysimachos (C21): Vater des ->• Aristeides. Maelius, Spurius (C56, L28, L37): Ein reicher Plebejer, der 440 v. Chr. bei einer Hungersnot seine bedürftigen Standesgenossen unterstützte und dadurch in den Verdacht geriet, nach der Monarchie zu streben, weshalb ihn Gaius Servilius Ahala umbrachte. Mancinus, Lucius Hostilius (L96) : Konsul 145 v. Chr. Manilius, Marcus (L14) : Konsul 149 v. Chr., Jurist, Freund des jüngeren Scipio. Männertoga (Li) : Das weiße, schmucklose Festgewand der freien Römer,

Knaben-

toga. Marcellus, Marcus Claudius (C75): Eroberer Siziliens im 2. Punischen Krieg (218 bis 202 v. Chr.), fiel 208 als Konsul im Kampf gegen

Hannibal.

Masinissa (C34) : um 240 bis 148 v. Chr., Numiderkönig, zuerst mit -» Karthago, dann mit Rom verbündet. Seine Reiterei trug wesentlich zum Sieg des älteren Scipio über Hannibal (Zama, 202 v. Chr.) bei. Maximus, Quintus Fabius M. Aemilianus (L69, L96) : Einer der Söhne des Lucius Aemilius -»• Paullus, der durch Adoption in die Familie der Fabier gelangte, so wie sein jüngerer Bruder -» Scipio Aemilianus in die der Cornelier. Maximus, Quintus Fabius M. Verrucosus (Ciò, C11, C12, C13, C15, C39, C61): Konsul und General, wandte als Diktator 217 v. Chr. gegen Hannibal eine erfolgreiche Ermattungsstrategie an, weshalb er später den Beinamen Cunctator (»Zauderer«) erhielt. Er starb hochbetagt 203. Metellus, Lucius Caecilius (C30, C61): Konsul 251 und 247 v. Chr., von 243 bis zu seinem Tod 221 Oberpriester. Metellus, Quintus Caecilius (L77) : Konsul 143, Zensor 131 v. Chr., politischer Gegner des jüngeren

Scipio.

Militärtribun (C32): Rom. Offiziersrang. Die sechs Militärtribunen einer Legion (ca. 6000 Soldaten) führten abwechselnd das Kommando. Milon (C27, C33): Athlet des 6. Jh. v.Chr. aus Kroton in Unteritalien, sechsfacher

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ANHANG

Olympiasieger, ein Kraftmensch, der angeblich einen jungen Stier durch die Arena trug, danach briet und an einem einzigen Tag verzehrte. Mucius, Quintus (L5, L100)

Scaevola.

Mummius, Spurius (L69, L101): Freund des jüngeren -» Scipio und des Laelius. für griechische Philosophie begeistert, in Ciceros Werk über den Staat einer der Gesprächspartner. Naevius, Gnaeus (C20, C50): Römischer Dichter des 3. Jh. v. Chr., der in seinen Tragödien neben griechischen Sagenstoffen auch Römisches behandelte und in einem Epos über den 1. Punischen Krieg Mythos (Aeneas-Sage) und Geschichte verknüpfte. Wegen bissiger Ausfälle in seinen Komödien geriet er in Konflikt mit dem römischen Adel und starb 201 in der Verbannung. Nasica (L101): gemeint ist wohl Publius Cornelius Nasica Corculum, Konsul 162 und 155 v. Chr., Zensor 169, dessen Sohn Publius Cornelius Nasica Serapio 133 den Tiberius

Gracchus erschlug.

Nearchus (C41): Anhänger des Philosophen -*• Pythagoras, Gastgeber Catos in Tarent. Neoptolemos (L75): Sohn des griechischen Helden Achilleus; als dieser vor Troja gefallen war, wurde den Griechen geweissagt, nur mit Hilfe seines Sohnes könne die Stadt erobert werden. Daher wurde Odysseus auf die Insel Skyros entsandt, wo sich N. bei seinem Großvater Lykomedes aufhielt. Dieser widersetzte sich allerdings vergeblich - den Wünschen des Odysseus. Nestor (C31): König von Pylos (Peloponnes), der in hohem Alter am Kampf um Troja teilgenommen und durch Erfahrung und Beredsamkeit großen Einfluss ausgeübt haben soll. Nonen (L7, L8): Der neunte Tag vor der Monatsmitte, den Iden; fallen diese auf den 15. (wie im März, Mai,Juli, Oktober), der siebte, sonst der fünfte Tag des Monats. Oidipus aufKolonos (C22): Tragödie des

Sophokles, in der die Flucht des Königs

Oidipus aus Theben nach Athen behandelt wird. In einem heiligen Hain auf dem Hügel Kolonos findet der Mann, der unwissend seinen Vater tötete, seine Mutter heiratete und sich wegen dieser Taten selbst die Augen ausstach, die letzte Ruhe. Oikonomikos (C59): Schrift des

Xenophon über die rechte Art, sein Hauswesen

zu fuhren. Olympia (C14, C33): Ort in der westlichen Peloponnes, wo seit 776 v.Chr. alle vier Jahre sportliche Wettkämpfe zu Ehren des Zeus abgehalten wurden.

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Orestes (L24) : Sohn des bei der Rückkehr aus dem trojanischen Krieg von seiner Gattin Klytaimnestra ermordeten Agamemnon. Orestes rächte die Tat und wurde - als Muttermörder - von den Rachegöttinnen verfolgt. Auf Geheiß des

Apol-

lon begab er sich mit seinem Freund Pylades ins Land der Taurier, um ein Bild der Artemis zu entfuhren, und fand dabei seine tot geglaubte Schwester Iphigenie wieder. Auf der Flucht kam er mit seinem Raub zu König Chryses, der den Dieb des Bildes den taurischen Verfolgern ausliefern wollte. In dieser Situation war Pylades bereit, für seinen Freund zu sterben, und behauptete, er sei Orestes, während dieser seinerseits beteuerte, er sei es. Origittes (C38, C75) : »Ursprünge«, Geschichtswerk des älteren

Cato in sieben Bü-

chern, von der Gründung Roms und anderer Städte Italiens bis ins 2. Jh. v. Chr. Cato stellte die Geschehnisse summarisch dar und verwendete, um nicht einzelne Personen herauszuheben, prinzipiell keine Namen, sondern nur Amtsbezeichnungen wie Konsul, Tribun. Pacuvius, Marcus (L24): Römischer Tragödiendichter des 2. Jh. v.Chr., Neffe des -»• Ennius, Freund des - * Laelius. Panathenaikos (C13) -» Isokrates. Papirius, Gaius (L96)

Carbo.

Papus, Quintus Aemilius (L39): Konsul 282 und 278 v. Chr. Paullus, Lucius Aemilius (C29, Cól, C75, C82, C83): Konsul 219 und 216 v. Chr, in der Schlacht bei

Cannae gefallen.

Paullus, Lucius Aemilius P. Macedonicus (C15, C49, C77, C82, C83, L9, L21, L101): Sohn des Vorigen, um 228 bis 160 v. Chr., er besiegte bei Pydna den Makedonenkönig Perseus (168) und verlor im folgenden Jahr die beiden Söhne, die ihm noch geblieben waren, nachdem er zwei von kinderlosen Adligen hatte adoptieren lassen: -»• Scipio Aemilianus und Fabius - • Maximus Aemilianus. Peisistratos (C72): Tyrann (Alleinherrscher) von Athen 560 bis 528 v. Chr., der durch seine umfangreiche Baumaßnahmen den kleinen Leuten Arbeit gab und die kulturelle Entwicklung Athens durch Einrichtung von Staatsfesten förderte, bei denen Homer rezitiert und erste Dramen aufgeführt wurden. Pelias (C83): Thessalischer König, von seinen Töchtern getötet, die ihn durch Zerstückeln und Kochen verjüngen wollten, wie es ihnen die Hexe Medea an einem alten Widder gezeigt hatte. Philippus, Quintus Marcius (C14): Konsul 186 und 169 v. Chr. Philus, Lucius Furius (L14, L21, L25, L69, L101) : Konsul 136 v. Chr., Freund des jüngeren Scipio, in Ciceros Werk über den Staat damit betraut, gegen die Gerechtigkeit als

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1711 A N H A N G

Grundlage erfolgreicher Politik zu argumentieren, so wie es der Philosoph Karneades 155 in Rom zum Ärger Catos getan hatte. picenisches Gebiet (C11): Italische Landschaft in der Umgebung von Ancona. Piaton (C13, C23, C41, C44, C78): 427 bis 347 v. Chr., Philosoph aus Athen, Schüler des -» Sokrates, Gründer der Akademie, der seine politischen Idealvorstellungen mit Unterstützung der Tyrannen von Syrakus (Dionysius I. und II.) auf Sizilien zu verwirklichen suchte. Seine drei Reisen endeten jedoch mit Enttäuschungen. Tarent könnte er 361 besucht haben (C41). Die C 4 4 zitierte Stelle findet sich im Dialog Timaios (69 C); diesen hat Cicero ins Lateinische übertragen. Plautus, Titus Maccius (C50): Ungemein produktiver und einfallsreicher römischer Komödiendichter, gest. 184 v. Chr. In seinen Stücken pflegte er die jeweils wirkungsvollsten Passagen aus griechischen Vorlagen aneinanderzufügen. Unter den l o erhaltenen Komödien sind auch Pseudolus (»Der Lügner«) und Truculentus (»Der Grobian«), Pompeius, Quintus (L77): Konsul 141, als erster Plebejer Zensor 131 v. Chr. Pompeius, Quintus Rufus (Li): Sohn des Vorigen, Konsul 88 v.Chr. zusammen mit Sulla, Gegner des Volkstribunen

Sulpicius Rufus, 87 v. Chr. ermordet.

Pontius, Gaius (C41): Vater des gleichnamigen Samnitenfiihrers, der die Römer in die Falle von

Caudium lockte.

Pontius, Titus (C33): Ein anscheinend besonders kräftiger Unteroffizier (centurio). Popilius (L37) -»- Laenas. Postumius, SpuriusAlbinus (C41): Konsul 334 und 321 v. Chr. Praetor (L96): Hoher römischer Beamter, bisweilen mit militärischen Aufgaben betraut, vor allem aber mit Verwaltung und Gerichtswesen befasst. prahlsüchtiger Soldat (milesgloriosus) (L98): Held einer Komödie des

Plautus.

Priesterkollegien (L96): Staatliche, durch Wahl und Ernennung besetzte Organe, die über die genaue Einhaltung der komplizierten Rituale wachten. Die pontifices unter Leitung des Oberpriesters (pontifex maximus) waren v.a. für Gottesdienst und Opfer, Bestattung und Totenkult zuständig, während die

Auguren (augures)

und Eingeweideschauer (haruspices) die Zukunft erforschten. Pseudolus (C50): »Das Lügenmaul«, eine Komödie des-» Plautus. Punier (C75): Lat. Poeni aus griech. Phoinikes (Phönizier), römischer Name der Bewohner von -*• Karthago, das um 800 v. Chr. von phönizischen Siedlern gegründet worden war. punischer Krieg (C50): Von den drei Kriegen, die Rom mit Karthago führte, ist C$o der erste gemeint (264 bis 241 v. Chr.), über den fasste.

Naevius ein Epos ver-

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Pylades (L24)

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Orestes.

Pyrrhos (C16, C43, C55, L28): 319 bis 272 v. Chr., König von Epirus in Nordwestgriechenland, versuchte nach dem Vorbild Alexanders des Großen ein Weltreich zu erobern, gewann für kurze Zeit Makedonien und Sizilien und schlug, von Tarent zu Hilfe gerufen, die Römer in zwei verlustreichen Schlachten (»Pyrrhussiege«), unterlag ihnen aber 275 bei Benevent. Anders als -»• Hannibal galt Pyrrhos als großmütiger, fairer Gegner Roms. Pythagoras (C23, C33, C73, C78): Mathematiker und Philosoph des 6. Jh. v. Chr., kam als politischer Flüchding von Samos nach — Kroton und gründete dort eine elitäre Gemeinschaft mit strengen religiös-ethischen Normen, die ihn bald wie einen Gott verehrte. Nach P. ist Zahl und Harmonie das Wesen aller Dinge; seine Lehre von der Seelenwanderung wirkte auf-» Piaton. Zum pythagoreischen Leben gehörte auch eine regelmäßige Gewissenserforschung (C38). Pythagoreer (C38, C78): Anhänger des

Pythagoras.

Quästor (C10): Leitender Finanzbeamter in der Stadt Rom und in den Provinzen. Reiteroberst (magister equitum) (C56): In der frühen römischen Republik vom -»• Diktator für die Dauer seiner eigenen Amtszeit ernannter Stellvertreter. Rupilius, Lucius (L73): Bewerber um das Konsulat 131/130 v.Chr., der trotz Scipios Unterstützung scheiterte. Rupilius, Publius (L37, L69, L73, L101): Bruder des Vorigen, Konsul 132 v.Chr., starb angeblich aus Schmerz über die Wahlniederlage seines Bruders. Rutilius,Publius (L101): Konsul 105v.Chr. Sabiner (C55): Italischer Volksstamm im Apennin, der im 5. Jh. v. Chr., vielleicht im Bund mit den

Samniten, nach Süditalien vordrang, von den Römern in langen

Kämpfen unterworfen wurde und 241 v. Chr. das Bürgerrecht erhielt. Sabinerland (C24): Bergland nordöstlich von Rom mit den Städten Reate, Nursia, Amiternum und Cures. Sabinisch (C46) -»• Sabinerland. Salinator, Gaius Livius (C7): Konsul 188 v. Chr. Salinator, Marcus Livius (C11): Vater des Vorigen, Konsul 219 und 207 v. Chr., besiegte Hannibals Bruder Hasdrubal am Metaurus. Kommandant von Tarent war nicht er, sondern Marcus Livius Macatus. Samniten (C4i, C43, Css)- Italische Völkerschaft im mittleren und südlichen Apennin, von den Römern in drei erbitterten Kriegen zwischen 343 und 290 v. Chr.

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besiegt, später mit -» Pyrrhos verbündet; im so genannten Bundesgenossenkrieg 90 bis 88 waren die S. die gefährlichsten Gegner Roms. Sardeis (C59) : Hauptstadt des kleinasiatischen Lyderreichs, später Residenz eines persischen Gouverneurs und des jüngeren -»• Kyros. Scaevola, Quintus Mucius S. Augur (Li, Li, L3, L4, Ls, L7, L8, L14, L16, L25, L33, L37, L40, L50, L100) : Konsul 117 v. Chr., angesehener Jurist, der von 90 bis 87 Cicero und Atticus in das römische Recht einführte. Samóla, Quintus Mucius S. Pontifex (Li): Konsul 9s v. Chr., Oberpriester seit 89, hervorragender Redner und Jurist, Lehrer Ciceros nach dem Tod des Scaevola Augur, im Bürgerkrieg zwischen Marius und Sulla 82 ermordet. Schmarotzer (parasitus) (L98): Typ in der griechisch-römischen Komödie, der sich durch Schmeichelei und Erledigung gelegendicher Aufträge Reste von einem reichen Tisch zu ergattern sucht und auch bereit ist, Erniedrigungen hinzunehmen. Scipio, Gnaeus Cornelius (C29, C75, C82): Konsul 222 v. Chr., 212 im Kampf mit den Karthagern in Spanien gefallen. Scipio, Publius Cornelius (C29, C75, C82): Bruder des Vorigen, wie dieser in Spanien gefallen, Konsul 217 v. Chr., Vater des älteren Scipio Africanus. Scipio, Publius Cornelius S. Africanus Maior (der Ältere) (C13, C19, C29, C34, C61, C82, L14): um 23s bis 183 v. Chr., Konsul 205 und 194, Sieger über -*• Hannibal in der Schlacht bei Zama, später - vermutlich auf Betreiben Catos - in einen Korruptionsprozess verwickelt und in freiwilliger Verbannung gestorben. In Ciceros Werk über den Staat erscheint er seinem Enkel, dem jüngeren Scipio, im Traum und schildert ihm den Lohn, der pflichtbewusste Staatsmänner im Jenseits erwartet. Scipio, Publius Cornelius S. Africanus Minor (der Jüngere) (C3, C4, C6, C7, C28, C34, C35, C49, C68, C77, C82, C85, L4, Lio, L11, L12, L14, L15, L21, L25, L33, L35, L51, L59, L60, L62, L69, L73, L77, L96, L101, L102, L103, L104): Um 185 bis 129 v. Chr., Sohn des Lucius Aemilius Paullus, von dem kränklichen Sohn des älteren Scipio adoptiert. Konsul 147 und 134, Eroberer von Karthago (146) und der Bergfestung Numantia in Spanien (133), politischer Gegner seines Schwagers Tiberius Gracchus, dessen Anhängern sein plötzlicher Tod angelastet wurde. Als einen hochgebildeten Mann lässt ihn Cicero in seinem Werk über den Staat die Hauptrolle spielen. Scipionen (C75) : Gemeint sind die Brüder Gnaeus und Publius Scipio. Senat (C11, C17, C38, L41): »Rat der Alten«, wichtiges Gremium der römischen Republik mit beratender Funktion im Bereich der Gesetzgebung, der Innen- und Außenpolitik, das die Führung der Staatsämter und die Finanzverwaltung kontrollierte.

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Senatoren (C56, L12): Mitglieder des Senats; in der Königszeit nur Adlige (Patrizier, patres), seit dem 5.Jh. v. Chr. auch einflussreiche Plebejer (»Zugeschriebene«, conscripti). Ehemalige hohe Staatsbeamte, z.B. gewesene Konsuln (consulares), hatten ein Recht auf den Senatorenrang, dessen äußeres Zeichen ein breiter Purpurrand der Toga und Tunika war. Seriphier (C8): Bewohner der winzigen Kykladeninsel Seriphos; die Anekdote, in der -*• Themistokles der Vorwurf gemacht wird, er verdanke seinen Aufstieg nur dem »Standortvorteil« seiner Geburtsstadt Athen, steht u.a. bei Piaton (Politeia 1 4 ) und bei Plutarch, Themistokles 18. Sieben Weise (L7, L59): Griechische Philosophen und Politiker des 7. und 6. Jh. v. Chr., die besondere Lebensklugheit auszeichnete. In verschiedenen Zusammenstellungen werden über 20 Namen genannt, am häufigsten Thaies von Milet, der erste Denker des Abendlands, - • Solon von Athen,

Bias von Priene und Pittakos, der

»Tyrann« von Mytilene auf Lesbos. Unter den Namen der Sieben Weisen wird eine Reihe von Lebensregeln überliefert, z.B. »Nichts im Obermaß!« (Solon) oder »Erkenne dich selbst!« (Kleobulos). Simonides (C23): Griech. Dichter von der Insel Keos, um 556 bis 468 v. Chr., schrieb, meist auf Bestellung, Chorlieder zum Preis erfolgreicher Sportler, Elegien und Trauergesänge. Sobates

(C26, C59, C78): 469 bis 399 v.Chr., Philosoph aus Athen, der sich - im

Gegensatz zu den älteren »Naturphilosophen« - vornehmlich mit ethischen Fragen befasste. Auf der Suche nach dem Wesen des Guten und nach wahrer, nicht nur scheinbarer Weisheit machte er, den das Orakel des -»• Apollon als den weisesten Menschen bezeichnet hatte, sich durch bohrendes Fragen viele Feinde, wurde wegen angeblicher Gottlosigkeit und Verfuhrung der Jugend angeklagt und zum Tod verurteilt. Seine Lehren spiegeln sich vor allem in den Werken -• Ennius; dort wird Flamininus von einem Hirten (=Jener Mann, an Habe nicht reich . . . ) angesprochen, der ihm einen Weg durchs Gebirge zeigt, doch im Cato Maior ist -»• Atticus gemeint. Dementsprechend bezieht sich die »Sorge, die dich jetzt brennt« auf das nahende Alter. Tribun (C17): Römischer Offiziersrang,

Militärtribun; die Volkstribunen waren

Wahlbeamte, die seit etwa 490 v. Chr. die Interessen der römischen Unterschicht (plebs) gegenüber dem Adel wahrnahmen. Sie hatten ein Einspruchsrecht gegen Verfügungen des Senats und bestimmter Beamter (Veto) und waren persönlich unantastbar (sakrosankt). Tribunat (L41): Amt und Amtszeit des Volkstribunen,

Tribun.

Troja (C31, L75): Alte Stadt an der Nordwestküste Kleinasiens, nach der Sage um 1200 v. Chr. von einem Griechenheer unter König Agamemnon erobert und zerstört. Truculentus (C50): »Grobian«, eine Komödie des -*• Plautus. Tubero, QuintusAelius (L37, L101): Enkel des Lucius Aemilius-* Paullus, Neffe des jüngeren Scipio, zuerst mit Tiberius

Gracchus befreundet, doch als Volkstribun

erbitterter Gegner seiner Reformen, in Ciceros Staat einer der Gesprächspartner.

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Tuditanus (Cio, Cso): Beiname im Geschlecht der Sempronier; der Cio genannte T. war 204, der andere 240 v. Chr. Konsul. Turpio, Ambmus (C48): Schauspieler und Leiter einer Truppe, die Stücke des - • Caecilius Statius und - • Terenz aufführte. Tyrann (C72, L$2, L$3, L89): Als »Tyrannen« bezeichneten die Griechen zunächst jene Männer, die sich im 7. und 6. Jh. v. Chr. - meist mit Unterstützung durch die vom Adel unterdrückte Unterschicht - in den Stadtstaaten zu Alleinherrschern aufschwangen und oft ein durchaus volksfreundliches Regiment führten wie z. B. Peisistratos in Athen. Mit der Entwicklung der Demokratie in Griechenland geriet die »Tyrannis« in Verruf der Tyrannenmord wurde als Befreiungstat verherrlicht. Vecellinus (L36)

Cassius.

Verginius, Aulus (L101): jugendlicher Freund des Laelius. Veturius, Titus (C41): Konsul 334 und 321 v. Chr. Voconia lex (C14): 169 v. Chr. von dem Volkstribunen Quintus Voconius beantragtes Gesetz, das die weibliche Erbfolge bei größeren Vermögen einschränkte. Volkstribun (C11, L2, L96) - • Tribun. Volksversammlung (L9S, L96): Organ der römischen Verfassung, zuständig für die Wahl in die Staatsämter, Entscheidung über Krieg und Frieden, Gesetzgebung durch Volksbeschlüsse (Plebiszite) und Teile der Gerichtsbarkeit. Xenokrates (C23): Griech. Philosoph des 4. Jh. v. Chr., Schüler -»• Piatons und Leiter der Akademie in Athen. Xenophon (C30, C46, C59, C79): Um 430 bis 354 v. Chr., Athener, Schüler des Sokrates, den er zur Zentralfigur einiger seiner Schriften machte (z.B. in: Oikonomikos, Symposion, Erinnerungen an Sokrates, Apologie). Zenon (C23): Begründer der Philosophenschule der

Stoiker.

Zensor (C16, C19, C42, L39): Hoher römischer Beamter, alle fünfJahre gewählt, um in Verbindung mit einer Volkszählung (Zensus) die Zahlungen der Steuerpflichtigen und damit die Einteilung der Bürger in die fünf Vermögensklassen der römischen Gesellschaft festzulegen, Verfehlungen zu rügen und ggf Ehrenrechte abzuerkennen, z. B. durch Entfernung von Senatoren aus dem

Senat.

LITERATURHINWEISE Ausgaben, Übersetzungen Cato und Laelius: M. Tullius Cicero, Cato maior - Laelius ed. K. Simbeck, De gloria, ed. O. Piasberg (Scripta omnia 47), Leipzig 1917. M. Tullius Cicero, Cato maior de senectute - Laelius de amicitia, ed. P. Venini, Turin 1959M. T. Cicerone, Cato Maggiore, della vecchiezza - Lelio, dell' amicizia, ed. U. Boella, Cavallermaggiore 1991. M. Tulli Ciceronis De re publica, De legibus, Cato Maior de senectute, Laelius de amicitia, ed. J. F. Powell, Oxford 2006.

Cato: Ciceron, Caton lAncien, ed. P. Wuilleumier, Paris, 2. Aufl. 1961 [mit franz. Übersetzung]. Cicerone, La Vecchiezza, ed. E. Narducci/C. Saggia, Mailand 1983 [mit ital. Obersetzung]. M. Tullius Cicero, Cato der Ältere über das Greisenalter, deutsch von R. A. Schröder, München 1924. Cicero, Cato der Altere über das Greisenalter, deutsch von E. v. Reusner, Stuttgart 1965. Wieder abgedr. in: M. Fuhrmann (Ed.), Römische Welt, Frankfurt a. M. 1997,89-127. Tullius Cicero, Cato maior de senectute, ed. H. Merklin, Stuttgart 1998 [mit dt Übersetzung],

Laelius: M. Tullius Cicero, Laelius de amicitia dialogus, ed. M. Seyffart, Leipzig, 2. Aufl. 1876, Nachdruck Hildesheim 1965 [mit Kommentar], M. Tullius Cicero, Laelius de amicitia, fur den Schulgebrauch erklärt von C. Meissner, Leipzig/Berlin, 3. Aufl. 1914.

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Ciceron, Laelius de amicitia, ed. R. Combes, Paris 1971 [mit franz. Übersetzung]. Cicero, Laelius über die Freundschaft, deutsch von R. Feger, Stuttgart, 3. Aufl. 1986.

Abhandlungen Cato und Laelius: K. Büchner: Cicero. Bestand und Wandel seiner geistigen Welt, Heidelbei^ 1964, 398-428. R. Philippson, M. Tullius Cicero, Philosophische Schriften, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, V I I A , Stuttgart 1939, Sp. 1162-1167.

Cato: L. Alfonsi, II pensiero ciceroniano nel »De senectute«, in: Studi letterari in onore di E. Santini, Palermo 1956,1-16. K. Büchner, Cicero: Grundzüge seines Wesens, in: ders., Studien zur römischen Literatur 2: Cicero, Wiesbaden 1962,15-24. H. Herter, Demokrit über das Alter, in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft, N.F. 1. (1975), 83-92. E. Hübener, Ciceros »De senectute« in gerontologischer Schau, in: Altertum 3 (1957), 46-52. U. Kammer, Untersuchungen zu Ciceros Bild von Cato Censorius, Diss. Gießen 1963. W Kierdorf Ciceros Cato, in: Rheinisches Museum 121 (1978), 167-184. E. Leftvre: Der Tithonos Aristons von Chios und Ciceros Cato, in: Hermes 135 (2007), 43-65. G. Pacitti, Sul significato ultimo del Cato maior, in: Giornale Italiano di Filologia 18 (1965), 236-260.

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Rezeption: N. Bobbio: Vom Alter - De senectute. Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki, Berlin 1997. J. Grimm: Rede über das Alter (1860). Herausgegeben von Jan Strümpel, Göttingen 2010.

Der historische Cato: A. E. Astin, Cato the Censor, Oxford 1978. M. Fuhrmann, Cato - Die altrömische Tradition im Kampf mit der griechischen Aufklärung, Aufklärung und Gegenaufklärung in der europäischen Literatur, in: Philosophie und Politik [usw.], ed.J. Schmidt, Darmstadt 1989,72-92. A. Furger: Übrigens bin ich der Meinung ... Der römische Politiker und Landmann Marcus Cato zu Olivenöl und Wein, Mainz 2005. D. Kienast, Cato der Censor, Darmstadt 1954. F. Klingner, Cato Censorius und die Krisis Roms, in: ders., Römische Geisteswelt, Stuttgart, 5. Aufl. 1979,34-65.

Laelius: K. Bringmann, Untersuchungen zum späten Cicero, Göttingen 1971, 206-228 (Hypomnemata 29). K. Büchner, Der Laelius Ciceros, in: ders, Studien zur römischen Literatur 2: Cicero, Wiesbaden 1962,173-194. H. Dahlmann, Cicero und Matius über Freundschaft und Staat, in: Neue Jahrbücher für Antike und deutsche Bildung 1 (1938), 225-239. H. L. F. Drijepondt, Ciceros Laelius de amicitia: eine Einheit, in: Acta classica 6 (1963), 64-80. T. Gaigiulo, Aspetti politici della polemica antiepicurea di Cicerone in Laelius de amicitia, in: Elenchos 1 (1980), 292-332. K. Heldmann, Ciceros Laelius und die Grenzen der Freundschaft, in: Hermes 104 (1976), 72-103. H. Heusch, Zum Proömium von Ciceros Laelius, in: Rheinisches Museum 96 (1953), 67-77. A. Heuss, Cicero und Matius, in: Historia 5 (1956), 53-73. B. Kytzler, Matius und Cicero, in: Historia 9 (i960), 96-121.

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