Cato Maior De Senectute; Cato der Ûltere;  ber das Alter (Lateinisch-Deutsch) 3776521937, 9783776521931

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Cato Maior De Senectute; Cato der Ûltere;  ber das Alter (Lateinisch-Deutsch)
 3776521937, 9783776521931

Table of contents :
Text und Übersetzung
Anhang
Einführung
Anmerkungen
a) Längere zu vergleichende Stellen
b) Einzelne Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Erklärendes Namenregister
Nachtrag zum Literaturverzeichnis
Nachwort

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® TUSCULUM-BÜCHEREI Herausgeber: Karl Bayer, Max Faltner, Gerhard Jäger

M.TULLI CICERONIS

C A T O M A I O R DE S E N E C T U T E

MARCUS TULLIUS CICERO CATO D E R Ä L T E R E • Ü B E R DAS A L T E R Lateimscb-dtuticb ed. Max Faltner

HEIMERANVERLAG

Titel vignette: Kredenztisdi von einem etruskisdien Wandgemälde

CIP-Kurztitelaufnähme der Deutschen Bibliothek Cicero, Marcus Tullius: [Cato maior de senectute] M. Tulli Ciceronis Cato maior de senectute = Cato der Ältere über das Alter / lat.-dt. ed. Max Faltner. - 2., verb. Aufl. - München: Heimeran, 1980. (Tusculum-Bücherei) I S B N 3-7765-2193-7

2., verbesserte Auflage 1980 © Heimeran Verlag, München 1963 I S B N 3 7765 2193 7 Archiv 334 Alle Rechte vorbehalten, einschließlich die der fotomechanischen Wiedergabe Satz und Druck: Laupp Sc Göbel, Tübingen Bindung: Heinr. Koch, Tübingen

INHALT Text und Ubersetzung

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Anhang

109

Einführung

109

Anmerkungen

123

a) Längere zu vergleichende Stellen

. . .

123

b) Einzelne Anmerkungen

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Literaturverzeichnis

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Erklärendes Namenregister

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Nachtrag zum Literaturverzeichnis Nachwort

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O Tite, si quid ego adiuero curamve levasso, quae nunc te coquit et versai in pectore fixa, ecquid erit praemi? Licet enim mihi versibus eisdem adfari te, Attice, quibus adfatur Flamininum ille vir haud magna cum re, sed plenus fidei. quamquam certo scio non ut Flamininum sollicitari te, Tite, sic noctesque diesque. novi enim moderationem animi tui et aequitatem teque non cognomen solum Athenis deportasse, sed humanitatem et prudentiam intellego. et tamen te suspicor eisdem rebus quibus me ipsum interdum gravius commoveri; quarum consolatio et maior est et in aliud tempus differenda: nunc autem mihi est visum de senectute aliquid ad te conscribere. Hoc enim onere, quod mihi commune tecum est, aut iam urgentis aut certe adventantis senectutis et te et me etiam ipsum levari volo; etsi te quidem id modice ac sapienter sicut omnia et ferre et laturum esse certo scio, sed mihi, cum de senectute vellem aliquid scribere, tu occurrebas dignus eo munere, quo uterque nostrum communiter uteretur. mihi quidem 6

I *

2

»Titus, wenn nun ich dir helf' und die Sorge dir lindre, Die dich jetzt brennt und treibt, weil sie hartnäckig haftet im Herzen, Wird mir mein Mühen gelohnt?« Ich darf dich doch mit den gleichen Versen ansprechen, mein Atticus, die Jener Mann, an Habe nicht reich, doch treu und ergeben an Flamininus richtet; ich bin mir jedoch sicher, Daß du, Titus, dich nicht, die Tage und Nächte durch grämest, wie Flamininus; schließlich kenne ich dich ja als einen beherrschten, ausgeglichenen Mann und weiß, daß du nicht nur deinen Beinamen, sondern auch die Bildung eines Weisen aus Athen mitgebracht hast. Und doch komme ich von dem Gedanken nicht los, daß dich vielleicht ab und zu dieselben Umstände allzu schwer bedrücken, die auch mir Sorgen machen; uns darüber zu trösten ist ziemlich schwierig und soll zu einem anderen Zeitpunkt geschehen. Was ich jetzt vorhabe, ist: Eine Schrift über das Alter für dich zu verfassen. Mit dieser Last des Alters, das uns bereits bedrückt oder doch unausweichlich bevorsteht, haben wir beide gleichzeitig fertig zu werden, und so ist es meine Absicht, dich und auch mich selbst davon zu befreien, obschon ich bei dir jedenfalls sicher bin, daß du sie - wie alles Übrige - mit der Beherrschung eines Weisen trägst und auch weiter tragen wirst. Jedoch: als ich den Wunsch verspürte, eine Schrift über das Alter zu verfassen, da kam mir der Gedanke, daß es das Passendste sei, sie dir zu schenken, auf daß wir uns beide daran halten könnten. Für 7

ita iucunda huius libri confectio fuit, ut non modo omnes absterserit senectutis molestias, sed efïecerit mollem etiam et iucundam senectutem. numquam igitur digne satis laudari philosophia poterit, cui qui pareat omne tempus aetatis sine molestia possit degere. Sed de ceteris et diximus multa et saepe dicemus: hune librum ad te de senectute misimus. omnem autem sermonem tribuimus non Tithono, ut Aristo Ceus (parum enim esset auctoritatis in fabula), sed M. Catoni seni, quo maiorem auctoritatem haberet oratio. apud quem Laelium et Scipionem facimus admirantes, quod is tam facile senectutem ferat, eisque eum respondentem. qui si eruditius videbitur disputare quam consuevit ipse in suis libris, id tribuito litteris Graecis, quarum constat eum perstudiosum fuisse in senectute. sed quid opus est plura? iam enim ipsius Catonis sermo explicabit nostram omnem de senectute sententiam. Scipio: Saepenumero admirari soleo cum hocC.Laelio cum ceterarum rerum tuam excellentem, M. Cato, perfectamque sapientiam, tum vel maxime quod numquam tibi senectutem gravem esse senserim, quae plerisque senibus sic odiosa 8

mich jedenfalls bedeutete das Schreiben dieses Buches eine solche Freude, daß mir der Spaß, den ich daran fand, nicht nur alle Altersbeschwerden gleichsam wegblies, sondern mir mein Alter sogar behaglich und willkommen machte. So wird man nie die richtigen Worte finden können zum Lob der Philosophie: Wer ihr ergeben ist, kann jedes Lebensalter ohne Kummer verbringen. Doch von den übrigen Themen der Philosophie habe ich schon viel gesprochen und werde noch oft über sie reden; mit der vorliegenden Schrift jedoch sende ich dir ein Buch über das Alter. Dabei habe ich aber nicht, wieAriston aus Keos, das ganze Gespräch dem Tithonos in den Mund gelegt (eine Sage hätte doch zu wenig Nachdruck!), sondern dem greisen Marcus Cato, um den Worten mehr Gewicht zu verleihen; in seinem Hause lasse ich Laelius und Scipio auftreten als Männer, die ihn bewundern, weil er mit dem Alter so leicht fertig werde, und er soll ihnen dann antworten. Wenn du glaubst, daß er sich in diesem Gespräch gebildeter ausdrückt, als er es gewöhnlich in seinen eigenen Werken tut, so schreibe das der griechischen Literatur zu, für die er bekanntlich im Alter größtes Interesse zeigte. Doch wozu noch mehr? Gleich wird Cato selbst zu Wort kommen und alles darlegen, was ich zum Thema »Das Alter« zu sagen habe. Scipio : Oft, Marcus Cato, bewundere ich, wie auch unser Freund Gaius Laelius hier, deine so hervorragende und vollendete Weisheit, die sich uns in ganz besonderem Maße darin zeigt, daß dir, wie ich bemerkt habe, das Alter nie zur Last wird, das doch den meisten alten Männern so verhaßt ist, daß sie behaupten, die

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est, ut onus se Aetna gravius dicant sustinere. Cato: Rem haud sane difficilem, Scipio et Laeli, admirari videmini. quibus enim nihil est in ipsis opis ad bene beateque vivendum, eis omnis aetas gravis est; qui autem omnia bona a se ipsi petunt, eis nihil malum potest videri, quod naturae necessitas adferat. quo in genere est in primis senectus: quam ut adipiscantur omnes optant, eandem accusant adepti: tanta est stultitiae inconstantia atque perversitas. obrepere aiunt earn citius quam putavissent. primum quis coegit eos falsum putare? qui enim citius adulescentiae senectus quam pueritiae adulescentia obrepit? deinde qui minus gravis esset eis senectus, si octingentesimum annum agerent, quam si octogesimum? praeterita enim aetas quam vis longa cum effluxisset, nulla consolatio permulcere posset stultam senectutem. quocirca si sapientiam meam admirari soletis (quae utinam digna esset opinione vestra nostroque cognomine!), in hoc sumus sapientes, quod naturam optimam ducem tamquam deum sequimur eique paremus; a qua non veri simile est, cum ceterae partes aetatis bene discriptae sint, extremum actum tamquam ab inerti poeIO

Bürde, die sie damit zu tragen hätten, sei schwerer als der Ätna. Cato: Ihr bewundert da, Scipio und Laelius, wie ich glaube, etwas, was gar nicht schwierig ist. Wer nämlich keine Kraft zu einem sittlich guten und glückseligen Leben in sich selbst trägt, dem ist jedes Lebensalter eine Last; wer aber alles Gute von sich selbst verlangt, dem kann nichts, was das Naturgesetz zwangsläufig mit sich bringt, als ein Übel erscheinen. Dazu gehört in erster Linie das Alter; alle wünschen es zu erreichen; haben sie es dann erreicht, dann beklagen sie sich darüber; so unkonsequent und unlogisch sind sie, die Toren. Sie sagen, das Alter schleiche sich schneller heran, als sie gedacht hätten. Doch zunächst mal: Wer hat sie denn genötigt, sich in ihrer Berechnung zu irren ? Wieso sollte denn der Mann schneller ein Greis werden als das Kind ein Mann ? Ferner: Inwiefern wäre ihnen denn das Alter im achthundertsten Lebensjahr eine weniger schwere Last als im achtzigsten? Eine durchlebte Altersstufe, dauerte sie auch noch so lange, würde ja doch, wenn sie verflossen wäre, einen Dummkopf über sein Greisenalter nicht hinwegtrösten können. Wenn ihr nun meine Weisheit zu bewundern pflegt (ich wollte, sie wäre eurer guten Meinung und meines Beinamens würdig!), so wisset: Sie besteht darin, daß ich der Natur als der besten Führerin wie einer Gottheit folge und mich ihr zu beugen weiß; es ist unwahrscheinlich, daß sie, nachdem sie alle anderen »Akte« des Lebens so gut geordnet hat, den letzten »Aufzug« wie ein ungeschickter Dichter ver-

II

ta esse neglectum. sed tamen necesse fuit esse aliquid extremum et tamquam in arborum bacis terraeque fructibus maturitate tempestiva quasi vietum et caducum, quod ferundum est molliter sapienti. quid est enim aliud Gigantum modo bellare cum dis nisi naturae repugnare? Laelius:

A t q u i , Cato, gratissimum no-

bis, ut etiam pro Scipione pollicear, feceris, si,quoniam speramus, volumus quidem certe senes fieri, multo ante a te didicerimus,

quibus

facillime

rationibus

ingravescentem aetatem ferre possimus. Cato:

Faciam vero, Laeli, praesertim si

utrique vestrum, ut dicis, gratum futurum est. Laelius: Volumus sane, nisi molestum est, Cato, tamquam longam aliquam viam confeceris, quam nobis quoque ingrediundum sit, istuc, quo pervenisti,

videre

quale sit. Cato: Faciam ut potero, Laeli. — Saepe enim interfui querelis aequalium meorum —

pares autem vetere proverbio cum

paribus facillime congregantur — , quae C . Salinator, quae Sp. Albinus, homines consulares, nostri fere aequales, deplorare solebant, tum quod voluptatibus carerent, sine quibus vitam nullam putarent, tum quod spernerentur ab eis, a qui12

nachlässigt haben sollte. Es war für sie jedoch unumgänglich, irgendeinen Schlußpunkt zu setzen; es mußte etwas geben, was wie bei Baum- und Feldfrüchten nach angemessener Reifezeit gleichsam welkt und abfällt. Der Weise muß das mit Gleichmut hinnehmen. Denn ein Kampf gegen das Naturgesetz: Was wäre er anderes als der Krieg der Giganten gegen die Götter? Laelius:

Und doch, Cato, könntest du uns wohl - um es dir

auch in Scipios Namen zu versichern - einen sehr großen Gefallen tun, wenn du uns, - da wir doch ein hohes Alter erhoffen, ganz bestimmt jedoch wünschen - schon frühzeitig belehren wolltest, auf welche Weise wir die zunehmende Bürde des Alters am leichtesten tragen können. Cato: Ich will es tun, mein Laelius, zumal wenn es euch b e i d e n , wie du meinst, willkommen ist. Laelius: Ja, Cato, wir möchten, wenn es dir nichts ausmacht, da du doch sozusagen schon einen langen Lebensweg hinter dir hast, den auch wir noch beschreiten müssen, die Beschaffenheit des Zieles kennenlernen, an dem du jetzt stehst. Cato: Ich will es mal versuchen, so gut es geht. - Oft habe ich ja schon die Klagen meiner Altersgenossen mit angehört - ein altes Sprichwort sagt ja: Gleich und gleich gesellt sich gernl - , ich habe gehört, worüber Gaius Salinator, worüber Spurius Albinus, ehemalige Konsuln, etwa in meinem Alter, immer wieder klagten: Daß sie die Sinnesfreuden entbehren müßten, ohne die, wie sie meinten, das Leben kein Leben sei; dann wieder: Daß sie bei denen nichts mehr gälten, von denen sie vorher stets geachtet worden seien. Diese Leute haben aber

bus essent coli soliti, qui mihi non id videbantur accusare quod esset accusandum. nam si id culpa senectutis accideret, eadem mihi usu venirent reliquisque omnibus maioribus natu, quorum ego multorum cognovi senectutem sine querela, qui se et libidinum vinculis laxatos esse non moleste ferrent nec a suis despicerentur. sed omnium istius modi querelarum in moribus est culpa, non in aetate. moderati enim et nec difficiles nec inhumani senes tolerabilem senectutem agunt, importunitas autem et inhumanitas omni aetati molesta est. Laelius: Est ut dicis, Cato; sed fortasse dixerit quispiam tibi propter opes et copias et dignitatem tuam tolerabiliorem senectutem videri, id autem non posse multis contingere. Cato: Est istud quidem, Laeli, aliquid, sed nequaquam in isto sunt omnia, ut Themistocles fertur Seriphio cuidam in iurgio respondisse, cum ille dixisset non eum sua, sed patriae gloria splendorem adsecutum: ,nec hercule', inquit, ,si ego Seriphius essem, nec tu si Atheniensis, clarus umquam fuisses.' quod eodem modo de senectute dici potest, nec enim in summa inopia levis esse senectus potest ne sapienti quidem, nec insipienti etiam 14

doch offensichtlich mit ihrer Klage am Ziel vorbeigeschossen. Wäre nämlich das Alter schuld, so müßten doch ich und alle anderen älteren Leute die gleichen Erfahrungen machen; ich kenne jedoch eine ganze Anzahl von solchen älteren Menschen, die über ihr Alter nicht klagten: Sie waren geradezu froh, von den Fesseln der sinnlichen Lust befreit zu sein, und sie wurden von ihrer Umgebung durchaus geachtet. Nein, neinl Schuld an allen derartigen Klagen hat der Charakter des Menschen, nicht das Alter. Wer nämlich im Alter anspruchslos, leutselig und freundlich ist, der kann es ganz gut aushalten. Mißlaune jedoch und unfreundliches Wesen machen das Leben zur Qual, ganz gleich, wie alt man ist.

Lattius : Es ist, wie du sagst, Cato. Aber es könnte einer einwenden, dir komme das Alter nur deswegen erträglicher vor, weil du eben ein einflußreicher, wohlhabender und angesehener Mann seiest, - ein Glück, das nicht jedem beschieden sei. Cato : Das ist allerdings ein wichtiger Gesichtspunkt, Laelius; aber keinesfalls beruht darauf alles. Themistokles hat z. B., wie man sagt, einem Seriphier, der ihm im Streit vorhielt, er habe nicht durch seinen eigenen Ruhm, sondern nur durch den seiner Vaterstadt solchen Glanz erreicht, zur Antwort gegeben: »Bei Gott! So wenig ich als Seriphier je hätte berühmt werden können, so wenig d u als Athener'«Ebenso kann man auch in Bezug auf das Alter argumentieren: Herrscht größte Not, dann ist das Alter nicht einmal für einen Weisen erträglich; der Tor jedoch kann alles im Überfluß haben und wird doch das Alter nur als schwere Bürde empfinden. ij

in summa copia non gravis, aptissima omnino sunt, Scipio et Laeli, arma senectutis artes exercitationesque virtutum, quae in omni aetate cultae, cum diu multumque vixeris, mirificos efferunt fructus, non solum, quia numquam deserunt ne extremo quidem tempore aetatis (quamquam id quidem maximum est), verum etiam quia conscientia bene actae vitae multorumque bene factorum recordatio iucundissima est. Ego Q. Maximum, eum qui Tarentum recepii, senem adulescens ita dilexi ut aequalem; erat enim in ilio viro comitate condita gravitas, nec senectus mores mutaverat. quamquam eum colere coepi non admodum grandem natu, sed tamen iam aetate provectum; anno enim post consul primum fuerat quam ego natus sum, cumque eo quartum consule adulescentulus miles ad Capuam profectus sum quin toque anno post ad Tarentum, quaestorque magistratum gessi consulibus Tuditano et Cethego, cum quidem ille admodum senex suasor legis Cinciae de donis et muneribus fuit, hic et bella gerebat ut adulescens, cum plane grandis esset, et Hannibalem iuveniliter exsultantem patientia sua molliebat; de quo praeclare familiaris noster Ennius: 16

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IV 10

Kurz: Die besten Waffen gegen die Beschwerden des Alters, Scipio und Laelius, sind die Wissenschaften und die praktische Verwirklichung sittlicher Werte. Sie trägt, wenn man sie in jedem Lebensalter gepflegt hat, nach einem langen und reichen Leben herrliche Früchte, nicht nur aus dem Grunde, weil sie uns immer, selbst im letzten Augenblick des Lebens noch, möglich ist (und das ist doch schon ein sehr großer Gewinn!), sondern auch deswegen, weil das Bewußtsein, sittlich gut gelebt, und die Erinnerung, viele schöne Leistungen vollbracht zu haben, größte Freude bedeutet. Ich habe in meiner Jugend Quintus Maximus, den alten Mann, den, der Tarent zurückerobert hat, wie einen Altersgenossen geliebt; denn dieser Mann besaß würdevollen Ernst, gepaart mit aufgeräumter Heiterkeit, und das Alter hatte seinen Charakter nicht verändert; er war freilich noch nicht gar so hochbetagt, als ich ihn damals schätzen lernte, aber doch schon in vorgerückten Jahren. Denn ein Jahr nach meiner Geburt war er zum erstenmal Konsul gewesen, und während seines vierten Konsulats - ich war noch ein ganz junger Soldat - zog ich mit ihm vor Capua, fünf Jahre später dann gegen Tarent. Dann war ich Quästor, und dieses Amt hatte ich unter den Konsuln Tuditanus und Cethegus, als er, schon ein hochbetagter Mann, für das Cincische Gesetz über Geschenke und Gaben eintrat. Er war auch in den Kriegen, die er führte, trotz seines hohen Alters so tüchtig wie ein Junger, und hat den jungen Draufgänger Hannibal durch seine beharrliche Geduld mürbe gemacht; das hat unser Freund Ennius treffend hervorgehoben mit den Versen:

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Oenus homo nobis cunctando restituii rem; noenum rumores ponebat ante salutem: ergo postque magisque nunc gloria claret. Tarentum vero qua vigilantia, quo Consilio recepiti cum quidem me audiente Salinatori, qui amisso oppido fuerat in arce, gloriami atque ita dicenti ,mea opera, Q. Fabi, Tarentum recepisti' ,certe' inquit ridens, ,nam nisi tu amisisses, numquam recepissem.' nec vero in armis praestantior quam in toga; qui consul iterum Sp. Carvilio collega quiescente C. Flaminio tribuno plebis, quoad potuit, restitit agrum Picentem et Gallicum viritim contra senatus auctoritatem dividenti, augurque cum esset, dicere ausus est optumis auspiciis ea geri quae pro rei publicae salute gererentur; quae contra rem publicam ferrentur, contra auspicia ferri, multa in eo viro praeclara cognovi; sed nihil admirabilius quam quo modo ille mortem filii tulit, clari viri et consularis. est in manibus laudatio; quam cum legimus, quem philosophum non contemnimus? nec vero ille in luce modo atque in oculis civium magnus, sed intus domique praestantior. 18

Ein Mann war es, der uns den Staat durch Zaudern gerettet; Nicht war leeres Gerede ihm wichtiger als das Gemeinwohl. Darum leuchtet je später, je schöner der Ruhm dieses Helden.

Tarent aber - mit wieviel Wachsamkeit und Klugheit hat er es zurückgewonnen! Salinator, der die Stadt hatte aufgeben müssen und auf der Burg Zuflucht gesucht hatte, strich sich heraus mit der Bemerkung: »Mir, Fabius, hast du die Wiedereinnahme von Tarent zu verdanken.« Spöttisch lächelnd entgegnete ihm Fabius: »Gewiß - denn hättest du es nicht verloren, so hätte ich es nie wieder einnehmen können.« Daß er ein hervorragender Mann war, zeigte sich in Friedenszeiten mindestens ebensosehr wie im Krieg: Während seines zweiten Konsulats, als der Volkstribun Gaius Flaminius das picenische und gallische Gebiet gegen den Willen des Senats unter das Volk nach der Kopfzahl verteilen wollte, hat er sich diesem mit aller Kraft widersetzt, während sein Mitkonsul Spurius Carvilius keinen Finger rührte; trotz seines Augurenamtes traute er sich zu sagen: Alles, was zum Wohle des Staates geschehe, geschehe unter den besten Auspizien; was man aber zum Nachteil des Staates vorschlage, sei den Auspizien entgegen. Noch viele andere vortreffliche Züge habe ich an diesem Manne festgestellt, aber nichts war bewundernswerter als die Beherrschung, mit der er den Tod seines Sohnes, eines angesehenen Mannes, der sogar schon Konsul gewesen war, hinnahm. Die Leichenrede auf ihn liegt uns vor; lesen wir sie, dann erscheint uns doch jeder »Philosoph« gering neben diesem Mannt Seine Größe zeigte sich nicht nur im Glanz des öffentlichen Lebens unter seinen Mitbürgern; 19

qui sermo, quae praecepta, quanta notitia antiquitatis, scientia iuris augurii! multae etiam, ut in homine Romano, litterae: omnia memoria tenebat non domestica solum, sed etiam externa bella, cuius sermone ita tum cupide fruebar, quasi iam divinarem, id quod evenit, illo exstincto fore unde discerem neminem. Quorsum igitur haec tam multa de Maximo? quia profecto videtis nefas esse dictu miseram fuisse talem senectutem. nec tamen omnes possunt esse Scipiones aut Maximi, ut urbium expugnationes, ut pedestres navalesque pugnas, ut bella a se gesta, ut triumphos recordentur. est etiam quiete et pure atque eleganter actae aetatis placida ac lenis senectus, qualem accepimus Platonis, qui uno et octogésimo anno scribens est mortuus, qualem Isocratis, qui eum librum qui Panathenaicus inscribitur quarto et nonagésimo anno scripsisse se dicit vixitque quinquennium postea, cuius magister Leontinus Gorgias centum et septem complevit annos neque umquam in suo studio atque opere cessavit, qui cum ex eo quaereretur, cur tam diu vellet esse in vita, ,nihil habeo', inquit, ,quod accusem se20

V 13

noch vortrefflicher war er im engen Kreise seiner Familie. Was für Unterhaltungen hat er geführt, welch schöne Lehren und Grundsätze vertreten, welch umfassende Kenntnis bewies er in der Geschichte und im Recht der Auguren! Für einen Römer war er auch literarisch sehr bewandert. Nicht nur die inneren Kämpfe, auch die auswärtigen Kriege hatte er alle im Gedächtnis. Seinen Worten lauschte ich damals mit so großem Interesse, wie wenn ich schon geahnt hätte - was auch die Folge bestätigte - , daß es nach seinem Tode keinen mehr geben würde, von dem ich so viel lernen könnte. Wozu aber nun so viele Worte über Maximus ? Bestimmt nur deshalb, weil ihr daran erkennen könnt, daß man sich versündigen würde, wollte man behaupten, ein Mann wie er sei im Alter unglücklich gewesen. Freilich können nicht alle in der glücklichen Lage eines Scipio oder Maximus sein, daß sie sich an Städteeroberungen, an Land- und Seeschlachten, an Kriege, die sie geführt, und an Triumphe erinnern können. Es kann auch nach einem ruhig, unbescholten und fein gesittet verbrachten Leben ein ungestörtes und behagliches Alter geben, wie es unserem Vernehmen nach Piaton genoß, der im einundachtzigsten Lebensjahr am Schreibpult starb, und wie es auch Isokrates hatte, der, wie er sagt, seine Schrift, die den Titel »Panathenalkos« trägt, mit dreiundneuzig Jahren verfaßte und dann noch fünf Jahre lebte; sein Lehrer Gorgias aus Leontinoi lebte volle hundertsieben Jahre, ohne je in seinem produktiven wissenschaftlichen Eifer nachzulassen. Als er gefragt wurde, warum er so lange am Leben bleiben wolle, erklärte er: »Ich habe kei-

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nectutem.' praeclarum responsum et docto homine dignum! Sua enim vitia insipientes et suam culpam in senectutem conférant, quod non faciebat is cuius modo mentionem feci, Ennius: Sicut fortis equus, spatio qui saepe supremo vicit Olympia, nunc senio confectus quiescit. equi fortis et victoris senectuti comparât suam. quem quidem probe meminisse potestis: anno enim undevicesimo post eius mortem hi consules, T. Flamininus et M'. Acilius, facti sunt, ille autem Caepione et Philippo iterum consulibus mortuus est, cum ego quinque et sexaginta annos natus legem Voconiam magna voce et bonis lateribus suasissem. annos septuaginta natus (tot enim vixit Ennius) ita ferebat duo quae maxima putantur onera, paupertatem et senectutem, ut eis paene delectari videretur. Etenim, cum complector animo, quattuor reperio causas, cur senectus misera videatur: unam quod avocet a rebus gerendis, alteram quod corpus faciat infirmius, tertiam quod privet omnibus fere voluptatibus, quartam quod haud procul absit 22

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nen Grund, mich über das Alter zu beklagen.« Eine vortreffliche Antwort, wie sie sich für einen Gebildeten gehört! Seine eigenen Fehler nämlich sind es, seine eigene Schuld, die der Unvernünftige dem Alter zuschiebt; nicht so der vorhin von mir genannte Ennius. Mit den Worten: Wie ein mutiges Roß, das oft am Ziel in Olympia Siegte, jetzt aber schwach ist vom Alter und nicht mehr sich anstrengt, vergleicht er sein eigenes Alter mit dem eines mutigen, siegreichen Pferdes. Ihr könnt euch ja an ihn noch ganz gut erinnern; sind doch seit seinem Tod bis zur Wahl der jetzigen Konsuln Titus Flamininus und Manius Acilius erst neunzehn Jahre verstrichen, sein Tod aber fällt in das Konsulat des Caepio und das zweite des Philippus, in das Jahr also, in dem ich mit fünfundsechzig Jahren das Voconische Gesetz mit der vollen Stimmgewalt eines Redners, dem die Luft nicht wegbleibt, befürwortete. Mit siebzig Jahren - so alt nämlich wurde er - ertrug Ennius die zwei Bürden, die gewöhnlich als die drückendsten gelten, Armut und Alter, in einer Weise, daß er fast Gefallen daran zu linden schien.

Bei umfassender Betrachtung des Problems komme ich nämlich auf vier Gründe, aus denen man das Alter für ein Unglück hält: Erstens, weil es uns in zunehmendem Maße verwehre, Großes zu leisten; zweitens, weil es den Körper entkräfte; drittens, weil es uns fast jede Sinnenfreude nehme, und viertens, weil es dem Tod nahe sei. Die Bedeutung und die Berechtigung eines jeden

a morte. Earum si placet causarum quanta quamque sit iusta una quaeque, videamus. A rebus gerendis senectus abstrahit. quibus? an eis, quae iuventute geruntur et viribus? nullaene igitur res sunt seniles, quae vel infìrmis corporibus animo tarnen administrentur? nihil ergo agebat Q. Maximus, nihil L. Paulus, pater tuus, socer optimi viri, fili mei? Ceteri senes, Fabricii, Curii, Coruncanii, cum rem publicam Consilio et auctoritate defendebant, nihil agebant? ad Appi Claudi senectutem accedebat etiam, ut caecus esset; tarnen is, cum sententia senatus inclinaret ad pacem cum Pyrrho foedusque faciendum, non dubitavit dicere ilia, quae versibus persecutus est Ennius: Quo vobis mentes, rectae quae stare solebant antehac, dementes sese flexere viai? ceteraque gravissime: notum enim vobis carmen est; et tarnen ipsius Appi exstat oratio. Atque haec ille egit septimo decimo anno post alterum consulatum, cum inter duos consulatus anni decern interfuissent censorque ante superiorem consulatum fuisset;ex quo intellegitur Pyrrhi bello grandem sane fuisse: et tarnen sic a patribus accepimus.

dieser Gründe wollen wir nun, wenn es euch recht ist, untersuchen. Das Alter verwehrt uns die Tätigkeit. Welche denn? Die etwa, die jugendliche Kraft erfordert? Gibt es also im Alter keine Leistungen, die trotz körperlicher Schwäche mit der Kraft des Geistes erzielt werden können ? Quintus Maximus war also untätig ? Untätig auch Lucius Paullus, dein Vater und der Schwiegervater des vortrefflichen Mannes, der mein Sohn war ? Und die anderen alten Männer wie Fabricius, Curius, Coruncanius ? Waren sie alle untätig, während sie den Staat mit ihrer Klugheit und ihrem Ansehen zu schützen suchten ? Bei Appius Claudius kam im Alter sogar noch hinzu, daß er erblindet war; und doch war es dieser Mann, der einmal, als der Senat geneigt schien, mit Pyrrhos Frieden und Bündnis zu schließen, entschlossen das aussprach, was Ennius in die Verse gekleidet hat:

»Wohin hat euer Sinn, der bisher immer so aufrecht Stand, sich im Wahnsinn gewendet, verlassend die Bahn des Rechten?« Auch seine weiteren Worte schlugen ein; ihr kennt ja die Verse; man hat jedoch auch noch die Rede des Appius selbst. Und so handelte dieser Mann siebzehn Jahre nach seinem zweiten Konsulat - zwischen seinem ersten und zweiten Konsulat waren zehn Jahre verstrichen, und vor seinem ersten Konsulat war er bereits Zensor gewesen - , woraus hervorgeht, daß er im Pyrrhos-Krieg hochbetagt war. Und doch hat er, wie wir von unseren Vätern her wissen, so gehandelt.

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Nihil igitur adferunt, qui in re gerunda versari senectutem negant, similesque sunt ut si qui gubernatorem in navigando nihil agere dicant, cum alii malos scandant, alii per foros cursent, alii sentinam exhauriant, ille autem clavum tenens quietus sedeat in puppi: non facit ea quae iuvenes, at vero multo maiora et meliora facit. non viribus aut velocitate aut celeritate corporum res magnae geruntur, sed Consilio auctoritate sententia; quibus non modo non orbari, sed etiam augeri senectus solet. nisi forte ego vobis, qui et miles et tribunus et legatus et consul versatus sum in vario genere bellorum, cessare nunc videor, cum bella non gero. at senatui quae sint gerenda praescribo et quomodo, Carthagini male iam diu cogitanti bellum multo ante denuntio; de qua vereri non ante desinam, quam illam excisam esse cognovero. quam palmam utinam di immortales, Scipio, tibi reservent, ut avi reliquias persequare! cuius a morte tertius hic et tricesimus annus est, sed memoriam illius viri omnes excipient anni conséquentes. Anno ante me censorem mortuus est, novem annis post meum consulatum, cum consul iterum me consule creatus esset. Num igitur, si ad centesimum annum vixisset, senectutis 26

Was man gegen das Alter ins Feld fuhrt mit der Behauptung, ein alter Mann könne nichts mehr leisten, ist demnach null und nichtig. Wer so etwas behauptet, der tut gerade so, als wollte er sagen, ein Steuermann sei auf der Seefahrt untätig; die einen kletterten auf die Masten, andere eilten in den SchifFsgängen hin und her, wieder andere schöpften das Wasser aus - der Steuermann aber halte nur das Steuer und sitze ungestört auf dem Achterdeck. Freilich arbeitet er nicht wie die Jungen, aber das, was er tut, ist weit wichtiger und wertvoller. Bei großer Leistung kommt es nicht auf Kraft, Behendigkeit oder Schnelligkeit des Körpers an, sondern darauf, daß man klug ist, Ansehen genießt und etwas zu sagen hat: Vorzüge, die man im Alter nicht nur nicht einbüßt, sondern gewöhnlich sogar in zunehmendem Maße hat. Es müßte denn sein, daß ich selbst, der ich als gemeiner Soldat, als Tribun, als Legat und als Konsul die verschiedensten Kriege mitmachte, jetzt, da ich keine Kriege mehr führe, in euren Augen Feierabend habe. Im Gegenteil: Ich schärfe dem Senat ein, welche Kriege es zu führen gilt und mit welcher Taktik, indem ich gegen Karthago, das schon lange auf unser Verderben sinnt, längst den Krieg propagiere; es wird mir so lange Sorgen machen, bis ich weiß, daß es zerstört ist. Möchten doch dir, Scipio, die unsterblichen Götter diese Siegespalme vorbehalten, auf daß du das vollenden mögest, was dein Großvater noch übrig gelassen hat! Er ist nun schon dreiunddreißig Jahre tot, aber sein Andenken wird in aller Zukunft Jahr für Jahr wachgehalten werden. Er starb ein Jahr vor meiner Zensur, neun Jahre nach meinem Konsulat, unter dem er zum zweiten Male zum Konsul gewählt worden war. Wäre er nun etwa, wenn er hundert Jahre gelebt hätte, im hohen Alter des Lebens überdrüssig geworden ? Nein! Denn er wäre nicht *7

eum suae paeniteret? nec enim excursione nec saltu nec eminus hastis aut comminus gladiis uteretur, sed Consilio ratione sententia. quae nisi essent in senibus, non summum consilium maiores nostri appellassent senatum. Apud Lacedaemonios quidem ii qui amplissimum magistratum gerunt, ut sunt, sic etiam nominantur senes. quodsi legere aut audire voletis externa, maximas res publicas ab adulescentibus labefactatas, a senibus sustentatas et restitutas reperietis. ,Cedo, qui vestram rem publicam tantam amisistis tam cito?' Sic enim percontantibus in Naevi poetae Ludo respondentur et alia et hoc in primis: ,Proveniebant oratores novi, stulti adulescentuli'. temeritas est videlicet florentis aetatis, prudentia senescentis. At memoria minuitur. credo, nisi eam exerceas aut etiam si sis natura tardior. Themistocles omnium civium perceperat nomina; num igitur censetis eum, cum aetate processisset, qui Aristides esset, Lysimachum salutare solitum? equidem non modo eos novi qui sunt, sed eorum 28

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VII 21

mehr angewiesen auf militärische Streifzüge, auf Sprungkraft, Fernkampf mit der Lanze und Nahkampf mit dem Schwert, sondern auf seine Klugheit, seinen Verstand und sein Urteil: Vorzüge, die man im Alter eben besitzt - andernfalls hätten unsere Vorfahren ihre höchste Ratsversammlung nicht den »Rat der Alten (Senat)« genannt. Bei den Lakedaimoniern jedenfalls heißen die Männer, die das höchste Staatsamt bekleiden, »die Greise«, wie es ihrem wirklichen Alter entspricht. Überhaupt: Wollt ihr von nichtrömischen Verhältnissen etwas lesen oder hören, so werdet ihr finden, daß schon die mächtigsten Staaten von jungen Menschen erschüttert, von alten Männern hingegen aufrechterhalten und -wieder in Ordnung gebracht worden sind. »Sagt, wie habt ihr euren mächt'gen Staat so schnell denn eingebüßt ?« So nämlich fragen sie im »Ludus« des Dichters Naevius. Es folgt einiges als Antwort, insbesondere aber das Argument: »Der Jugend Torheit kam in Gestalt von nie gehörten Rednern zu Wort.« Unbesonnenheit ist, wie man sieht, der Fehler der »blühenden« Jugend, Klugheit dagegen der Vorzug des fortschreitenden Alters. Aber das Gedächtnis läßt nach. Das dürfte stimmen, wenn man es nicht übt, oder auch, wenn man von Natur aus ein Schwachkopf ist. Themistokles kannte alle seine Mitbürger mit Namen. Glaubt ihr nun etwa, er habe in vorgerücktem Alter einen Aristeides als »Lysimachos« begrüßt? Ich für meine Person kenne nicht nur die jetzt lebenden Mitbürger, sondern auch die Namen ihrer Väter und Großväter; und ich habe nicht Angst, 29

patres etiam et avos, nec sepulcra legens vereor, quod aiunt, ne memoriam perdam; his enim ipsis legendis in memoriam redeo mortuorum. Nec vero quemquam senem audivi oblitum, quo loco thesaurum obruisset; omnia quae curant meminerunt, vadimonia constituta, quis sibi, cui ipsi debeant. Quid? iuris consulti, quid? pontifices, quid? augures, quid? philosophi senes quam multa meminerunt! manent ingenia senibus, modo permaneat Studium et industria, neque ea solum in claris et honoratis viris, sed in vita etiam privata et quieta. Sophocles ad summam senectutem tragoedias fecit; quod propter Studium cum rem neglegere famiHarem videretur, a filiis in iudicium vocatus est, ut, quem ad modum nostro more male rem gerentibus patribus bonis interdici solet, sic ilium quasi desipientem a re familiari removerent iudices. tum senex dicitur eam fabulam, quam in manibus habebat et proxime scripserat, Oedipum Coloneum, recitasse iudicibus quaesisseque num illud carmen desipientis videretur. quo recitato sententiis iudicum est liberatus. Num igitur hunc, num Homerum, num Hesiodum, Simoniden, Stesidiorum, num 30

durch das Lesen der Grabschriften, wie man behauptet, die Leute aus dem Gedächtnis zu verlieren. Denn gerade durch das Lesen dieser Inschriften kommen mir die Toten wieder in Erinnerung. Auch habe ich noch nie gehört, daß ein alter Mann den Platz vergessen hätte, an dem er einen Schatz vergraben hatte; alte Leute wissen alles, worum sie sich Sorgen machen: Anberaumte Gerichtstermine, ihre Schuldner und ihre Gläubiger. Wie steht es nun im hohen Alter mit den Rechtsgelehrten, wie mit den Oberpriestern, den Auguren, den Philosophen? Wie vieles haben sie im Gedächtnis! Nur eifriges Interesse braucht weiterzuwirken, dann bleiben die Geisteskräfte im Alter erhalten, und zwar nicht nur bei berühmten Männern, die auf hohe Staatsämter zurückblicken können, sondern auch bei denen, die ein stilles, ruhiges Privatleben fuhren. Sophokles hat bis ins höchste Alter Tragödien geschrieben; sein Eifer darin erweckte den Anschein, als kümmere er sich um sein Hauswesen überhaupt nicht mehr; daher brachten ihn seine Söhne vor Gericht: Die Richter sollten ihm wegen Schwachsinns die Verfügungsgewalt über sein Vermögen entziehen - so wie auch bei lins einem Vater, der schlecht wirtschaftet, die Vermögensverwaltung abgesprochen zu werden pflegt. Da hat nun, wie es heißt, der greise Dichter die Tragödie, die er gerade in Händen hielt und kurz vorher verfaßt hatte, seinen »Oidipus auf Kolonos«, den Richtern vorgelesen und dann die Frage gestellt, ob diese Dichtung nach ihrer Ansicht von einem Schwachsinnigen stamme. Auf die Rezitation hin erkannten die Richter auf Freispruch. Hat also etwa das Alter diesen Mann, hat es einen Homer, einen Hesiod, einen Simonides, einen Stesichoros, hat es die oben 31

quos ante dixi Isocratem, Gorgiam, num philosophorum principes, Pythagoram, Democritum, num Platonem, num Xenocratem, num postea Zenonem, Cleanthem, aut eum, quem vos etiam vidistis Romae, Diogenem Stoicum coegit in suis studiis obmutescere senectus? an in omnibus his studiorum agitatio vitae aequalis fuit? Age, ut ista divina studia omittamus, possum nominare ex agro Sabino rusticos Romanos, vicinos et familiares meos; quibus absentibus numquam fere ulla in agro maiora opera fiunt, non serendis, non percipiendis, non condendis fructibus. quamquam in aliis minus hoc mirum est: nemo enim est tam senex, qui se annum non putet posse vivere; sed idem in eis élaborant, quae sciunt nihil ad se omnino pertinere: Serit arbores quae alteri saeculo prosient, ut ait Statius noster in Synephebis. Nec vero dubitat agricola, quamvis sit senex, quaerenti cui serat respondere: ,dis immortalibus, qui me non accipere modo haec a maioribus voluerunt, sed etiam posteris prodere.' Et melius Caecilius de sene alteri saeculo prospiciente quam illud idem: 32

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Vili

genannten Männer Isokrates und Gorgias, hat es die führenden Philosophen, einen Pythagoras, einen Demokrit, einen Piaton, einen Xenokrates, hat es etwa die späteren, einen Zenon, einen Kleanthes, oder den Stoiker Diogenes, den auch ihr noch in Rom gesehen habt, gezwungen, in ihren eifrigen Interessen und Bestrebungen zu verstummen ? Dauerte nicht bei all diesen Persönlichkeiten der wissenschaftliche und künstlerische Eifer so lange wie ihr Leben? Doch, um von diesen höheren Studien jetzt gar nicht mehr zu reden: Ich kann euch auch die Namen einiger römischer Bauern aus dem Sabinerlande sagen, die mir als Nachbarn befreundet sind: Sie sind fast immer persönlich dabei, wenn eine wichtigere Arbeit auf dem Felde geschieht, ganz gleich, ob es sich um Saat, Ernte oder Lagerung des Ertrages handelt. Jedoch: Bei diesen Arbeiten ist dies noch gar nicht einmal so erstaunlich ist doch keiner so alt, daß er nicht mehr glaubt, noch ein weiteres Jahr leben zu können. Aber sie mühen sich ja in gleicher Weise mit solchen Arbeiten ab, die ihnen, wie sie genau wissen, überhaupt nichts mehr einbringen können: Pflanzt er doch Bäume, die nutzen erst künft'ger Zeit, wie unser Statius in seinen »Synepheben« sagt. Jeder Bauer, mag er auch noch so alt sein, kann einem auf die Frage, für wen er pflanze, ohne Bedenken antworten: »Den unsterblichen Göttern zuliebe, deren Wunsch es war, daß ich diesen meinen Besitz von den Vorfahren ererben, aber auch an meine Nachkommen weitergeben soUfe.« Und wirklich: Die obigen Worte des Caecilius (Statius) über den Alten, der nur für die nächste Generation arbeite, sind tref33

Edepol, senectus, si nil quidquam aliud viti adportes tecum, cum advenis, unum id sat est, quod diu vivendo multa quae non volt videt. et multa fonasse quae volt! atque in ea quae non volt saepe etiam adulescentia incurrit. illud vero idem Caecilius vitiosius: Tum equidem in senecta hoc deputo misserrumum, sentire ea aetate eumpse esse odiosum alteri. Iucundum potius quam odiosum! ut enim adulescentibus bona indole praeditis sapientes senes delectantur leviorque fit senectus eorum, qui a iuventute coluntur et diliguntur, sic adulescentes senum praeceptis gaudent, quibus ad virtutum studia ducuntur; nec minus intellego me vobis quam mihi vos esse iucundos. sed videtis, ut senectus non modo languida atque iners non sit, verum etiam sit operosa et semper agens aliquid et moliens, tale scilicet, quale cuiusque Studium in superiore vita fuit. quid, qui etiam addiscunt aliquid? ut et Solonem versibus gloriantem videmus, qui se co34

fender als folgende Äußerung des gleichen Dichters:

Wahrlich, wenn du, Greisenalter, brächtest sonst mit dir, Wenn du nahest, Übles nichts, genügte Eines schon: Daß, wer lange lebt, gar vieles Unerwünschte sieht.

Aber vielleicht auch vieles, was er sich wünscht! Und auf Unerwünschtes stößt man ja auch oft in jüngeren Jahren. Noch verfehlter sind aber folgende Zeilen desselben Caecilius (Statius): Dann halt' ich das im Alter für das Traurigste, Zu fühlen, daß man andern nunmehr lästig ist.

Im Gegenteil: Eher »angenehm« als »lästig«! Denn so wie verständige alte Herren an gut veranlagten jungen Männern ihre Freude haben und ihr Alter dadurch erleichtert fühlen, wenn sie von der Jugend geachtet und geliebt werden: so freuen sich auch die Jüngeren an der belehrenden Führung durch die Alten, durch die sie zum Eifer in allen edlen Bestrebungen angehalten werden; im gleichen Sinne stelle ich fest, daß ihr ebenso viel Gefallen an mir findet wie ich an euch. Doch ihr seht, wie man im Alter nicht nur nicht schlaff und untätig ist, sondern sogar sehr geschäftig, immer tätig und unternehmend und zwar entsprechend dem Eifer, den man in früheren Jahren schon gezeigt hat. Gibt es nicht auch welche, die ihre Kenntnisse noch bereichern? So rühmt sich z. B. Solon, wie wir wissen, in einem

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tidie aliquid addiscentem dicit senem fieri, et ego feci qui litteras Graecas senex didici; quas quidem sic avide adripui quasi diuturnam sitim explere cupiens, ut ea ipsa mihi nota essent, quibus me nunc exemplis uti videtis. quod cum fecisse Socratem in fidibus audirem, vellem equidem etiam illud (discebant enim fidibus antiqui), sed in litteris certe elaboravi. Nec nunc quidem vires desidero adulescentis (is enim erat locus alter de vitiis senectutis), non plus quam adulescens tauri aut elephanti desiderabam. quod est, eo decet uti et, quicquid agas, agere pro viribus, quae enim vox potest esse contemptior quam Milonis Crotoniatae? qui cum iam senex esset athletasque se exercentes in curriculo videret, aspexisse lacertos suos dicitur inlacrimansque dixisse: ,at hi quidem mortui iam sunt.' non vero tam isti quam tu ipse, nugator! neque enim ex te umquam es nobilitatus, sed ex lateribus et lacertis tuis. nihil Sex. Aelius tale, nihil multis annis ante Ti. Coruncanius, nihil modo P. Crassus, a quibus iura civibus praescribebantur; quorum usque ad extremum spiritum est provecta prudentia. 36

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Vers, indem er sagt, während er alt werde, lerne er täglich Neues hinzu. So war es auch bei mir: Ich habe noch im Alter Griechisch gelernt und mich mit solcher Gier auf die griechische Literatur gestürzt, wie wenn ich einen schon lange andauernden Durst hätte stillen wollen. So wurde mir gerade das bekannt, was ich euch jetzt, wie ihr seht, als Beispiele anführe. Als ich erfuhr, Sokrates habe den gleichen Eifer beim Saitenspiel gezeigt, wollte ich, das gleiche wäre auch bei mir der Fall - die alten Griechen erlernten nämlich das Saitenspiel - , aber wenigstens in den Wissenschaften habe ich mich gehörig bemüht. Und ich vermisse auch heute noch nicht die Kraft der Jugend dies nämlich war der zweite Punkt in der Reihe der »Nachteile« des Alters - so wenig wie ich als Junger die Stärke eines Stiers oder eines Elefanten hätte haben wollen. An das Vorhandene soll man sich halten und alles, was man tut, nach Maßgabe seiner Kräfte tun. Welche Worte könnten lächerlicher sein als die Äußerung des Milon aus Kroton ? Er soll als ein schon bejahrter Mann, als er den Wettkämpfern beim Training im Stadion zusah, auf seine Arme geblickt und unter Tränen gesagt haben: »Ach, die da sind ja schon tot!« Nicht so sehr deine Arme, weit eher du selbst, eitler Schwätzer! Denn deinen Ruhm hattest du nie dir selbst, sondern immer nur deiner starken Brust und deinen Armen zu verdanken! Nie kam so etwas über die Lippen des Sextus Aelius oder des viele Jahre früher lebenden Tiberius Coruncanius, oder des vor kurzem noch lebenden Publius Crassus. Diese Männer aber haben ihren Mitbürgern Gesetze gegeben und ihre Kenntnis darin hat sich bei ihnen bis zum letzten Atemzug bewahrt.

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Orator metuo ne languescat senectute; est enim munus eius non ingeni solum, sed laterum etiam et virium. omnino canorum illud in voce splendescit etiam nescio quo pacto in senectute, quod equidem adhuc non amisi, et videtis annos; sed tamen est decorus senis sermo quietus et remissus, facitque persaepe ipsa sibi audientiam diserti senis compta et mitis oratio. quam si ipse exsequi nequeas, possis tamen Scipioni praecipere et Laelio. quid enim est iucundius senectute stipata studiis iuventutis? an ne illas quidem vires senectuti relinquemus, ut adulescentes doceat, instituât, ad omne officii munus instruat? quo quidem opere quid potest esse praeclarius? mihi vero et Cn. et P. Scipiones et avi tui duo, L. Aemilius et P. Africanus, comitatu nobilium iuvenum fortunati videbantur, nec ulli bonarum artium magistri non beati putandi, quamvis consenuerint vires atque defecerint. etsi ipsa ista defectio virium adulescentiae vitiis efficitur saepius quam senectutis; libidinosa enim et intemperans adulescentia effetum corpus tradit senectuti.

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Cyrus quidem apud Xenophontem eo sermone, quem moriens habuit, cum ad-

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Nur der Redner, furchte ich, verliert im Alter seine Kraft; denn bei seinem Beruf kommt es nicht nur auf den Geist an, sondern auch auf starke Lungen/ auf physische Kraft. Im ganzen gesehen aber zeigt sich das Melodisch-Wohlklingende, das wir an einer Rednerstimme bewundern, auch bei einem alten Redner irgendwie besonders schön; ich wenigstens besitze es bis jetzt noch, und ihr kennt doch meine Jahre. Aber davon abgesehen sind die ruhigen, gelassenen Worte eines alten Herrn etwas Würdevolles, und häufig verschafft sich ein redegewandter Greis gerade dadurch aufmerksame Zuhörer, daß seine Worte weich und sanft klingen. Und sollte man auch selbst eine solche Rede nicht mehr zuwege bringen, so könnte man doch einem Scipio oder Laelius in dieser Kunst Unterricht erteilen. Gibt es denn eine größere Freude als im Alter umringt zu sein von einem Kreis lernbegieriger j unger Leute ? Oder wollen wir sogar diese Fähigkeiten dem Alter absprechen, die Jungen zu belehren, zu unterweisen und für jede Aufgabe des rechten Handelns vorzubilden? Was könnte es Herrlicheres geben als dieses Erziehungswerk? Was Gnaeus und Publius Scipio sowie deine beiden Großväter, Lucius Aemilius und Publius Africanus, so glücklich machte, war meiner Meinung nach ihr Gefolge von vornehmen jungen Männern, und überhaupt ist jeder Lehrer der edlen Künste für glücklich zu halten, mag er auch noch so alt und dadurch körperlich geschwächt sein. Und doch ist gerade dieser Kräfteverlust häufiger eine Auswirkung von Jugendsünden als die Folge des Alters; denn durch Vergnügungssucht und ausschweifendes Leben in der Jugend wird der Körper entkräftet; er ist es also bereits, wenn das »Alter« beginnt. Kyros jedenfalls erklärt mit den Worten, die ihn Xenophon als schon hochbetagten Greis auf dem Sterbelager sprechen läßt, 39

modum senex esset, negat se umquam sensisse senectutem suam imbecilliorem factam quam adulescentia fuisset. ego L. Metellum memini puer, qui cum quadriennio post alteram consulatum pontifex maximus factus esset, viginti et duos annos ei sacerdotio praefuit, ita bonis esse viribus extremo tempore aetatis, ut adulescentiam non requireret. nihil necesse est mihi de me ipso dicere, quamquam est id quidem senile aetatique nostrae concedi tur. Videtisne ut apud Homerum saepissime Nestor de virtutibus suis praedicet? iam enim tertiam aetatem hominum videbat, nec erat ei verendum, ne vera praedicans de se nimis videretur aut insolens aut loquax. etenim, ut ait Homerus, ,ex eius lingua melle dulcior fluebat oratio', quam ad suavitatem nullis egebat corporis viribus. et tarnen dux ille Graeciae nusquam optat, ut Aiacis similes habeat decern, sed ut Nestorisjquodsi sibi acciderit, non dubitat quin brevi sit Troia peritura. Sed redeo ad me. quartum ago annum et octogesimum; vellem equidem idem possem gloriari quod Cyrus, sed tamen hoc queo dicere non me quidem iis esse viribus, quibus aut miles bello Punico aut quaestor eodem bello aut consul in His40

er habe sich im Alter nie schwächer gefühlt als er es in seiner Jugend gewesen sei. Ich selbst erinnere mich noch aus meiner Kinderzeit an Lucius Metellus, der vier Jahre nach seinem zweiten Konsulat Oberster Priester geworden war und dann dieses Priesteramt noch zweiundzwanzig Jahre lang bekleidet hat: Er war selbst am Ende seines Lebens noch so gut bei Kräften, daß er sich nie nach seiner Jugendzeit zurücksehnte. So erübrigt es sich gänzlich, von mir selbst zu reden, obwohl gerade das eine Eigenart alter Leute ist und man es in meinem Alter auch darf.

Ihr wißt doch, wie häufig Nestor bei Homer sich seiner Vorzüge rühmt. Er sah ja bereits die dritte Generation, und er brauchte nicht zu befürchten, allzu überheblich oder redselig zu erscheinen, wenn er Wahres von sich sagte. Denn »es flössen«, wie Homer sagt, »die Worte süßer als Honig von seiner Zunge,« dies machte ihn sympathisch, und er brauchte dazu keinerlei Körperkraft. Und doch wünscht sich der Führer der Griechen nirgends, zehn Helden wie Ajax zu haben, wohl aber solche wie Nestor; für den Fall, daß ihm dieses Glück zuteil werden sollte, hegt er keinen Zweifel mehr am baldigen Untergang Trojas. Doch zurück zu mir! Ich stehe jetzt in meinem vierundachtzigsten Lebensjahr, und ich wollte, ich könnte dasselbe von mir rühmen wie Kyros; ich kann nun zwar von mir nicht behaupten, ich sei noch so bei Kräften wie seinerzeit als Soldat und Quästor im Krieg gegen Karthago oder als Konsul in Spanien oder vier

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pania fuerim aut quadriennio post, cum tribunus militaris depugnavi apud Thermopylas M\ Acilio Glabrione consule, sed tamen, ut vos videtis, non piane me enervavit, non adflixit senectus; non curia vires meas desiderat, non rostra, non amici, non clientes,non hospites. nec enim umquam sum adsensusveteriillilaudatoque proverbio, quod monet mature fieri senem, si diu velis senex esse, ego vero me minus diu senem esse mallem quam esse senem ante quam essem. itaque nemo adhuc convenire me voluit, cui fuerim occupatus. At minus habeo virium quam vestrum utervis. ne vos quidem T. Ponti centurionis vires habetis; num idcirco est ille praestantior? moderatio modo virium adsit, et tantum, quantum potest quisque, nitatur: ne ille non magno desiderio tenebitur virium. Olympiae per stadium ingressus esse Milo dicitur, cum humeris sustineret bovem. utrum igitur has corporis an Pythagorae tibi malis vires ingeni dari? denique isto bono utare, dum adsit; cum absit, ne requiras, nisi forte adulescentes pueritiam, paulum aetate progressi adulescentiam debent requirere. cursus est certus aetatis et una via naturae eaque simplex, suaque cuique parti 4*

Jahre später, wo ich als Militärtribun unter dem Konsul Manius Acilius Glabrio bei den Thermopylen kämpfte, aber es hat mich doch, wie ihr selbst seht, das Alter noch nicht ganz entkräftet und gebeugt: Wenn ich im Senat spreche oder die Rednerbühne betrete, so sagt man nicht, ich hätte keine Kraft mehr, so wenig wie das meine Freunde, Klienten und Gastfreunde feststellen. Ich habe nämlich nie jenem alten, vielgepriesenen Spruch beigestimmt, der da lehrt, man müsse »früh alt werden, wenn man lange alt bleiben wolle.« Ich für meine Person möchte lieber nicht so lange alt sein als es vor der Zeit schon zu werden. So habe ich auch für jeden, der mich besuchen wollte, bisher immer noch Zeit gehabt.

Aber, so könnte man einwenden, ich habe doch nicht mehr soviel Kraft wie einer von euch beiden. Jedoch: auch ihr habt nicht die Kräfte des Zenturios Titus Pontius; ist dieser deshalb etwa mehr wert als ihr? Nein - man braucht seine Kräfte nur im richtigen Maße einzuteilen und sich nur soviel anzustrengen, wie man vermag: Dann wird man wahrlich kein starkes Bedürfnis nach mehr Kräften verspüren. Zu Olympia soll Milon mit einem Rind auf den Schultern durch die Rennbahn gegangen sein. Möchtest du dir deswegen etwa die Körperstärke dieses Milon lieber wünschen als die Geisteskraft eines Pythagoras? Kurz: Gebrauche dieses Naturgeschenk, solange du es hast; hast du es dann nicht mehr, dann sollst du es auch nicht zurückersehnen - es müßte denn sein, daß man es seinem Alter schuldig wäre, als Jüngling die Kindheit, als Älterer dann die Jugend zurückzuwünschen. Das Leben hat jedoch seinen ganz bestimmten Ablauf, und der Weg der Natur ist nur einer und 4i

aetatis tempestivitas est data, ut et infirmitas puerorum et ferocitas iuvenum et gravitas iam constantis aetatis et senectutis maturitas naturale quiddam habeat, quod suo tempore percipi debeat. audire te arbitrar, Scipio, hospes tuus avitus Masinissa quae faciat hodie nonaginta natus annosrcum ingressus iter pedibus sit, in equum omnino non ascendere, cum autem equo, ex equo non descendere; nullo imbre, nullo frigore adduci, ut capite operto sit; summam esse in eo siccitatem corporis, itaque omnia exsequi regis officia et munera. potest igitur exercitatio et temperantia etiam in senectute conservare aliquid pristini roboris. Non sunt in senectute vires, ne postulant e quidem vires a senectute. ergo et legibus et institutis vacat aetas nostra muneribus iis, quae non possunt sine viribus sustineri. itaque non modo quod non possumus, sed ne quantum possumus quidem cogimur. At multi ita sunt imbecilli senes, ut nullum officii aut omnino vitae munus exsequi possint. at id quidem non proprium senectutis vitium est, sed commune 44

zwar ein getader. Jedes Lebensalter hat infolge der zeitlichen Entwicklung seinen eigenen Charakter; die Schwäche des Kindes, das Draufgängerische des jungen Mannes, der Ernst in bereits gesetzterem Alter und die Reife des hohen Alters haben etwas Naturgemäßes, das man zur rechten Zeit erkennen muß. Ich nehme doch an, mein Scipio, daß du schon gehört hast, wie es Masinissa, der Gastfreund deines Großvaters, heute noch, mit seinen neunzig Jahren, zu halten pflegt: Wenn er einen Fußmarsch angetreten hat, besteigt er nie ein Pferd; ist er aber zu Pferd aufgebrochen, so steigt er nie ab; kein Platzregen, keine Kälte kann ihn dazu bringen, sein Haupt zu bedecken; körperlich ist er absolut kerngesund und so kann er allen Pflichten und Aufgaben eines Königs nachkommen. Es kann also Übung und Mäßigung auch im hohen Alter etwas von der früheren Kraft bewahren.

Gesetzt aber auch, man hätte im hohen Alter keine körperliche Stärke mehr: Man verlangt sie ja auch von einem alten Menschen nicht. Daher ist das Alter, in dem ich jetzt stehe, nach Gesetz und Herkommen von den Aufgaben befreit, deren Bewältigung Körperkraft voraussetzt. Man verlangt von uns Alten nicht einmal soviel, als unsere Kräfte noch vermöchten, geschweige denn, daß man uns zu einer Kraftanstrengung nötigte, deren wir nicht mehr fähig wären. Aber - könnte man sagen - es gibt doch viele alte Menschen, die so gebrechlich sind, daß sie keiner Aufgabe ihres Berufs oder überhaupt des Lebens mehr nachkommen können. Jedoch: Dieses Übel geht nicht eigentlich zu Lasten des Alters; es ist allgemeiner Natur und hängt mit dem Gesundheitszustand des 45

valetudinis. quam fuit imbecillus P. Africani filius, is qui te adoptavit, quam tenui aut nulla potius valetudine! quod ni ita fuisset, alteram illud extitisset lumen civitatis; ad paternam enim magnitudinem animi doctrina uberior accesserat. quid mirum igitur in senibus, si infirmi sint aliquando, cum id ne adulescentes quidem effugere possint? resistendum, Laeli et Scipio, senectuti est, eiusque vitia diligentia compensanda sunt; pugnandum tamquam contra morbum sic contra senectutem, habenda ratio valetudinis, utendum exercitationibus modicis, tantum cibi et potionis adhibendum, ut reficiantur vires, non opprimantur. Nec vero corpori solum subveniendum est, sed menti atque animo multo magis; nam haec quoque, nisi tamquam lumini oleum instilles, extinguuntur senectute. et corpora quidem exercitationum defatigatone ingravescunt, animi autem se exercendo levantur. nam quos ait Caecilius .comicos stultos senes', hos significat credulos obliviosos dissolutos, quae vitia sunt non senectutis, sed inertis ignavae somniculosae senectutis. ut petulantia, ut libido magis est adulescentium quam senum, nec tamen omnium adulescentium, sed non proborum, sic ista senilis stulti46

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Menschen zusammen. Wie schwächlich war z. B. jener Sohn des Publius Africanus, der dich an Sohnesstatt angenommen hat, wie zart, oder vielmehr ein Nichts war seine Gesundheit! Andernfalls wäre mit ihm noch einmal jener Stern unter den römischen Bürgern aufgegangen; denn abgesehen von der Geistesgröße seines Vaters besaß er eine noch reichere wissenschaftliche Bildung. Wie sollte es also bei Greisen, wenn sie wirklich einmal kraftlos sind, etwas Auffallendes sein, wenn nicht einmal junge Leute diesem Mangel aus dem Wege gehen können ? Es heißt dem Altern entgegentreten, Laelius und Scipio, und seine Gebrechen durch Umsicht aufwiegen, gegen das Altern ankämpfen wie gegen eine Krankheit, nur der Gesundheit leben, Sport nur in bescheidenen Grenzen betreiben, und nur soviel essen und trinken, daß die Kräfte ersetzt, nicht aber unterdrückt werden. Man soll jedoch nicht nur den Körper stärken, sondern noch viel mehr die Denkkraft, den Geist. Denn auch die Geisteskräfte schwinden im hohen Alter, falls man nicht, wie bei einer Lampe, ö l nachträufelt. Körperlich wird man durch laufende Überanstrengung schwerfällig, der Geist aber wird nur dadurch frisch erhalten, daß man ihn betätigt. Denn mit den Greisen, die Caecilius als »lächerliche alte Trottel« bezeichnet, meint er leichtgläubige, vergeßliche, energielose Menschen und denkt dabei an Fehler, die nicht den Alten schlechthin, sondern nur den untätigen, trägen und verschlafenen alten Menschen eigen sind. Frechheit und hemmungslose Leidenschaft gibt es mehr bei den Jungen als bei den Alten, und doch nicht bei allen Jungen, sondern nur bei den minderwertigen. Dementsprechend ist auch die sogenannte »senile Verblödung« - man sagt 47

tia, quae deliratio appellali solet, senum levium est, non omnium. Quattuor robustos filios, quinque filias, tantam domum, tantas clientelas Appius regebat et caecus et senex; intentum enim animum tamquam arcum habebat nec languescens succumbebat senectuti. tenebat non modo auctoritatem, sed etiam imperium in suos: metuebant servi, verebantur liberi, carum omnes habebant; vigebat in ilia domo mos patrius disciplina. Ita enim senectus honesta est, si se ipsa defendit, si ius suum retinet, si nemini emancupata est, si usque ad ultimum spiritum dominatur in suos. ut enim adulescentem, in quo est senile aliquid, sic senem, in quo est aliquid adulescentis, probo; quod qui sequi tur, corpore senex esse poterit, animo numquam erit. septimus mihi liber Originum est in manibus, omnia antiquitatis monumenta colligo, causarum illustrium, quascumque defendi, nunc cum maxime confido orationes, ius augurium pontificium civile tracto, multum etiam Graecis litteris utorPythagoreorumque more exercendae memoriae gratia, quid quoque die dixerim audierim egerim, commemoro vesperi. haec sunt 48

in einem solchen Fall: Er ist nicht mehr ganz richtig im K o p f nicht bei allen alten Leuten festzustellen, sondern nur bei denen, die sich gehen lassen. Vier kräftige Söhne, fünf Töchter, eine Menge Bediensteter und Klienten verstand Appius zu beherrschen, obwohl er nicht nur alt, sondern sogar blind war; er hielt eben seinen Geist stets angespannt wie einen Bogen, machte nie schlapp und ließ sich vom Alter nichts anhaben. Er behauptete nicht nur sein Ansehen, sondern auch die tatsächliche Herrschaft über seine Leute. Es fürchteten ihn die Sklaven, mit ehrfürchtiger Scheu begegneten ihm seine Kinder: alle aber hatten ihn lieb; in seinem Hause herrschte Zucht, und ihr zufolge die Sitte unserer Väter. Achtunggebietend ist nämlich das Greisenalter nur dann, wenn ein alter Mensch sich selbst zu schützen weiß, wenn er sein Recht behauptet, wenn er sich keines anderen Gewalt verkauft, wenn er bis zum letzten Atemzug Herr ist über seine Leute. Denn wie ich d e n jungen Mann loben muß, der schon etwas von der Reife des Alters an sich hat, so gefällt mir auch ein alter Mensch, wenn er noch einen Rest jugendlicher Frische zeigt; wer dies zum Ziele hat, der kann wohl körperlich altern, geistig nie. Ich habe zur Zeit das siebente Buch meiner »Origines« in Arbeit: Alle historischen Denkwürdigkeiten trage ich zusammen; gerade jetzt arbeite ich alle Reden aus, die ich in aufsehenerregenden Prozessen als Anwalt gehalten habe; ich behandle das Recht der Auguren, der Pontifices, und das bürgerliche Recht; ich beschäftige mich auch viel mit der griechischen Literatur; nach der Weise der Pythagoreer überdenke ich, um mein Gedächtnis zu üben, jeden Abend alles, was ich tagsüber gesprochen, gehört und getan habe. Auf solche Weise 49

exercitationes ingeni, haec curricula mentis, in his desudans atque elaborans corporis vires non magno opere desidero, adsum amicis, venio in senatum frequens ultroque adfero res multum et diu cogitatas easque tueor animi, non corporis viribus. quae si exequi nequirem, tamen me lectulus meus oblectaret ea ipsa cogitantem quae iam agere non possem; sed ut possim, facit acta vita, semper enim in his studiis laboribusque viventi non intellegitur quando obrepat senectus. ita sensim sine sensu aetas senescit nec subito frangitur, sed diuturnitate extinguitur.

Sequitur tertia vituperatio senectutis, quod earn carere dicunt voluptatibus. o praeclarum munus aetatis, siquidem id aufert a nobis, quod est in adulescentia vitiosissimum! accipite enim, optimi adulescentes, veterem orationem Archytae Tarentini, magni in primis et praeclari viri, quae mihi tradita est, cum essem adulescens Tarenti cum Q. Maximo, nullam capitaliorem pestem quam voluptatem corporis hominibus dicebat a natura 5°

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kann man den Geist üben, ihn »in Trab halten«. Wenn mich dies alles Schweiß und Mühe kostet, vermisse ich die körperliche Kraft nicht besonders. Ich helfe meinen Freunden als Rechtsbeistand, besuche regelmäßig die Senatssitzungen, bringe dort aus eigener Initiative Probleme zur Sprache, die ich ausgiebig und lange überdacht habe, und wenn ich mich für sie einsetzen kann, dann verdanke ich das nicht der Kraft meines Körpers, sondern der meines Geistes. Und gesetzt den Fall, ich könnte solchen Obliegenheiten nicht mehr nachkommen, so würde ich mich schon darüber freuen, daß ich auf meinem Ruhebett das durchdenken könnte, was mir auszuführen nicht mehr vergönnt wäre; daß es mir aber noch möglich ist, verdanke ich meiner früheren Lebensweise. Wer nämlich immer nur mit solchen Bestrebungen und Arbeiten sein Leben ausfüllt, bemerkt es gar nicht, wenn das Alter über ihn kommt. So gleitet das Leben unvermerkt allmählich in das Greisenalter hinüber und erlischt dann eben mit der Länge der Zeit, ohne mit einem Schlag zerbrochen zu werden. Nun zum dritten Vorwurf, den man dem Alter macht: Daß es nämlich keine sinnliche Lust mehr zulasse. Was für ein herrliches Geschenk macht uns doch diese Altersstufe, wenn sie uns das nimmt, was der jungen Jahre verwerflichster Nachteil ist! Hört doch, ihr trefflichen jungen Männer, die alten Worte des Tarentiners Archytas, der mit an erster Stelle unter die großen, hervorragenden Männer zu rechnen ist. Sie wurden mir berichtet, als ich in jungen Jahren mit Quintus Maximus in Tarent weilte. Archytas behauptete, die Natur habe dem Menschen kein tödlicheres Gift eingeimpft als die Sinnlichkeit. Im Ver-

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datarti, cuius voluptatis avidae libidines temere et effrenate ad potiundum incitarentur. hinc patriae proditiones, hinc rerum publicarum eversiones, hinc cum hostibus clandestina colloquia nasci, nullum denique scelus, nullum malum facinus esse, ad quod suscipiendum non libido voluptatis impellerei; stupra vero et adulteria et omne tale flagitium nullis excitari aliis inlecebris nisi voluptatis, cumque homini sive natura sive quis deus nihil mente praestabilius dedisset, huic divino muneri ac dono nihil tam esse inimicum quam voluptatem: nec enim libidine dominante temperantiae locum esse neque omnino in voluptatis regno virtutem posse consistere, quod quo magis intellegi posset, fingere animo iubebat tanta incitatum aliquem voluptate corporis, quanta percipi posset maxima; nemini censebat fore dubium, quin tam diu, dum ita gauderet, nihil agitare mente, nihil ratione, nihil cogitatione consequi posset, quocirca nihil esse tam detestabile quam voluptatem, siquidem ea, cum maior esset atque longinquior, omne animi lumen extingueret. Haec cum C. Pontio Samnite, patre eius, a quo Caudino proelio Sp. Postumius T. Veturius consules superati sunt, locutum 5*

langen nach ihrem Genuß ließen sich die Leidenschaften zu hemmungsloser Blindheit treiben, um ihn zu bekommen. Es sei dies eine Quelle des Hochverrats, der Revolutionen und geheimer Unterhandlungen mit dem Feind; kurz: kein Verbrechen, keine Schandtat sei denkbar, die nicht durch die Begierde nach sinnlicher Lust veranlaßt werden könnte; Unzucht aber und Ehebruch und alle derartigen Schändlichkeiten seien auf keinen anderen Anreiz zurückzuführen als eben auf die Sinnlichkeit; einerseits habe die Natur oder irgendein Gott dem Menschen nichts Edleres geschenkt als den Verstand, andererseits sei aber die Sinnlichkeit der größte Feind dieses herrlichen Geschenkes der Götter; denn wo die Leidenschaft herrsche, sei Maßhalten nicht mehr möglich, und überhaupt könne im Reiche der Sinnenlust die Tugend keinen Platz mehr finden. Um dies noch deutlicher zu begreifen, stelle man sich einen Menschen vor, der unter dem Reiz der denkbar stärksten körperlichen Lust stehe; es werde wohl jeder zugeben müssen, daß dieser für die ganze Dauer dieser Sinnenfreude außerstande sei zu jeder überlegten Tätigkeit, aber auch zu jedem erfolgreichen Überlegen und Denken. Daher sei nichts so zu verabscheuen wie die sinnliche Lust, da sie ja, wenn sie übertrieben werde und zu lange andauere, den letzten Funken Geist ersticke.

So sprach Archytas zu Gaius Pontius, dem Samniten, dem Vater des Mannes, der die Konsuln Spurius Postumius und Titus Veturius in der Schlacht bei Caudium besiegte; erzählt hat es 53

Archytam Nearchus Tarentinus, hospes noster, qui in amicitia populi Romani permanserat, se a maioribus natu accepisse dicebat, cum quidem ei sermoni interfuisset Plato Atheniensis, quemTarentum venisse L. Camillo Ap. Claudio consulibus reperio. Quorsus hoc? ut intellegeretis, si voluptatem aspernari ratione et sapientia non possemus, magnam habendam esse senectuti gratiam, quae efficeret, ut id non liberet, quod non oporteret. impedit enim consilium voluptas, rationi inimica est, mentis, ut ita dicam, praestringit oculos nec habet ullum cum virtute commercium. invitus feci, ut fortissimi viri T. Flaminini fratrem, L. Flamininum, e senatu eicerem septem annis post quam consul fuisset, sed notandam putavi libidinem. ille enim, cum esset consul in Gallia, exoratus in convivio a scorto est, ut securi feriret aliquem eorum, qui in vinculis essent damnati rei capitalis. hie Tito fratre suo censore, qui proximus ante me fuerat, elapsus est; mihi vero et Fiacco neutiquam probari potuit tam flagitiosa et tam perdita libido, quae cum probro privato coniungeret imperii dedecus.

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XIII Saepe audivi e maioribus natu, qui se 54

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mir mein Gastfreund Nearchos aus Tarent, der ein treuer Anhänger des römischen Volkes geblieben war; er sagte, er habe es ältere Personen so erzählen hören; auch Piaton aus Athen soll bei der Unterhaltung dabei gewesen sein - er ist nach meinen Ermittlungen im Konsulatsjahr des Lucius Camillus und des Appius Claudius nach Tarent gekommen. Wozu erzähle ich das alles ? Nun, ich wollte euch nur klar machen, daß wir auch dann, wenn uns Verstand und Wissen nicht in die Lage setzten, die Sinnenlust abzulehnen, dem hohen Alter äußerst dankbar sein müßten, weil wir es dann ihm gutzuschreiben hätten, daß wir frei wären von einem leidenschaftlichen Verlangen, das von Übel ist. Denn die Lust hindert vernünftiges Denken, sie ist eine Feindin des Verstandes, sie bindet sozusagen dem Geist die Augen zu und hat keinerlei Berührungspunkte mit der Tugend. Es widerstrebte mir seinerzeit, Lucius Flamininus, den Bruder des heldenhaften Titus Flamininus, sieben Jahre nach seinem Konsulat aus dem Senat auszuschließen; aber es war meine feste Überzeugung, seiner hemmungslosen Leidenschaft einen Denkzettel verpassen zu müssen. Als Konsul ließ er sich nämlich in Gallien bei einem Zechgelage durch die Bitten einer Dirne dazu bewegen, einen von denen, die als Schwerverbrecher hinter Gittern saßen, enthaupten zu lassen. Er ist zwar damals dank seinem Bruder Titus, der als Zensor mein unmittelbarer Vorgänger war, ungestraft davongekommen; ich aber und Flaccus konnten eine derart schand bare und hemmungslose Verworfenheit keinesfalls hingehen lassen, da sie ja, abgesehen von der persönlichen Schande, auch das hohe Amt in Mißkredit brachte. Oft schon habe ich von älteren Personen gehört, die es ihrer55

porro pueros e senibus audisse dicebant, ihirari solitum C. Fabricium, quod, cum apud regem Pyrrhum legatus esset, audisset e Thessalo Cinea esse quendam Athenis, qui se sapientem profiteretur, eumque dicere omnia quae faceremus ad voluptatem esse referenda, quod ex eo audientes M \ Curium et Ti. Coruncanium optare solitos, ut id Samnitibus ipsique Pyrrho persuaderetur, quod facilius vinci possent, cum se voluptatibus dedissent. vixerat M \ Curius cum P. Decio, qui quinquennio ante eum consulem se pro re publica quarto consulatu devoverat; norat eundem Fabricius, norat Coruncanius: qui cum ex sua vita tum ex eius, quem dico, Deci facto iudicabant esse profecto aliquid natura pulchrum atque praeclarum, quod sua sponte peteretur quodque spreta et contempta voluptate optimus quisque sequeretur. Quorsus igitur tam multa de voluptate? quia non modo vituperatio nulla, sed etiam summa laus senectutis est, quod ea voluptates nullas magno opere desiderai, caret epulis extructisque mensis et frequentibus poculis: caret ergo etiam vinolentia et cruditate et insomniis. sed si aliquid dandum est voluptati, quoniam eius blanditiis non facile obsistimus (divi56

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seits in ihrer Jugend wiederum von alten Leuten erzählt bekommen haben wollen, Gaius Fabricius habe es nie begreifen können, daß in Athen - wie er als Gesandter bei König Pyrrhos aus dem Munde des Thessaliers Kineas erfuhr - ein Mann lebe, der sich für einen Weisen ausgebe und dabei die Meinung vertrete, bei allem, was der Mensch tue, komme es nur auf die sinnliche Lust an. Als Manius Curius und Tiberius Coruncanius dies von ihm hörten, sollen sie wiederholt den Wunsch geäußert haben, man möge doch den Samniten und Pyrrhos selbst diese Überzeugung einreden, da sie doch als Sklaven der Lust um so müheloser zu besiegen seien. Gelebt hatte Manius Curius zur Zeit des Publius Decius, der fünf Jahre vor dessen Konsulat, als er selbst zum vierten Mal Konsul war, sich für die Rettung des Staates dem Tod geweiht hatte; es kannten ihn auch noch Fabricius und Coruncanius. Sie alle waren teils aus eigener Lebenserfahrung, teils auf die Heldentat des erwähnten Decius hin der Überzeugung, daß es mit Sicherheit von Natur aus etwas Schönes und Herrliches gibt, das um seiner selbst willen erstrebt werde und das gerade die Besten unter Verachtung und Zurücksetzung der Lust zu vollbringen suchten. Wozu so lange Ausführungen über die Lust ? Nun, weil es nicht nur kein Tadel, sondern sogar das schönste Lob des hohen Alters ist, daß es nach keinerlei Sinnenlust besonders stark verlangt. Es kennt keine Schmausereien, keinen überreich beladenen Tisch, keine wiederholt gefüllten Becher, demzufolge aber auch keine Trunkenheit, keine Verdauungsbeschwerden, keine schlaflosen Nächte. Nun muß man freilich dem Sinnengenuß einiges einräumen - können wir doch seiner Verlockung nur schwer widerstehen! Es ist ja von Piaton wunderbar gesagt, 57

ne enim Plato escam malorum appellai voluptatem, quod ea videlicet homines capiantur ut pisces), quamquam immoderatis epulis caret senectus, modicis tarnen conviviis delectari potest. C. Duellium M. filium, qui Poenos classe primus vicerat, redeuntem a cena senem saepe videbam puer: delectabatur cereo funali et tibicine, quae sibi nullo exemplo privatus sumpserat; tantum licentiae dabat gloria. Sed quid ego alios? ad me ipsum iam revertar. primum habui semper sodales. sodalitates autem me quaestore constitutae sunt sacris Idaeis Magnae Matris acceptis. epulabar igitur cum sodalibus omnino modice, sed erat quidam fervor aetatis; qua progrediente omnia fiunt in dies mitiora. neque enim ipsorum conviviorum delectationem voluptatibus corporis magis quam coetu amicorum et sermonibus metiebar. bene enim maiores accubitionem epularem amicorum, quia vitae coniunctionem haberet, convivium nominaverunt, melius quam Graeci, qui hoc idem tum compotationem, tum concenationem vocant, ut, quod in eo genere minimum est, id maxime probare videantur. 58

wenn er die Lust einen »Köder des Bösen« nennt, weil sich die Menschen durch sie offensichtlich fangen ließen wie die Fische mit der Angel! Dazu ist zu sagen: Das Alter kann zwar keine unmäßigen Schmausereien mehr vertragen, aber doch an mäßigen Gastmählern Freude finden. Als Bub sah ich oft, wie der hochbetagte Gaius Duellius, der Sohn des Marcus, der als erster die Karthager in einer Seeschlacht besiegte, vom Abendessen nachhause ging; er hatte dabei sein Vergnügen am Licht der Fackeln und am Flötenspieler, eine Begleitung, die er sich als Privatmann - ohne Vorbild - geleistet hatte; soviel Freiheit erlaubte ihm sein Ruhm. Doch was rede ich von anderen? Ich will nunmehr wieder von mir erzählen: Anfänglich hatte ich immer Bruderschaftsgenossen in meiner Gesellschaft. Die Opferschmausbruderschaften sind ja unter meiner Quästur geschaffen worden, als der idäische Gottesdienst der Großen Mutter von uns Römern übernommen worden war. Ich speiste also gewöhnlich mit diesen Tischgenossen im ganzen mäßig, hatte aber doch noch einen Rest von jugendlichem Temperament; mit fortschreitendem Alter wird man aber im ganzen von Tag zu Tag ruhiger. Denn die Freude an den Gastmählern selbst bestand für mich weniger in körperlichem Vergnügen als vielmehr im Zusammensein mit meinen Freunden und den dabei geführten Gesprächen. Es war nämlich durchaus richtig, wenn unsere Vorfahren das Tischgelage mit Freunden, weil es eine gemeinsame Lebensgestaltung sei, ein »Zusammenleben« nannten; sie trafen damit die Sache besser als die Griechen, die das gleiche Geschehen teils »Zusammentrinken«, teils »Zusammenspeisen« nennen, so daß sie den Punkt, dem dabei am wenigsten Bedeutung zukommt, offenbar am meisten schätzen. 59

Ego vero propter sermonis delectationem tempestivis quoque conviviis delector, nec cum aequalibus solum, qui pauci admodum restant, sed cum vestra etiam aetate atque vobiscum, habeoque senectuti magnam gratiam, quae mihi sermonis aviditatem auxit, potionis et cibi sustulit. quod si quem etiam ista delectant (ne omnino bellum indixisse videar voluptati, cuius est fortasse quidam naturalis modus), non intellego ne in istis quidem ipsis voluptatibus carere sensu senectutem. me vero et magisteria delectant a maioribus instituta et is sermo, qui more maiorum a summo adhibetur in poculo, et pocula, sicut in Symposio Xenophontis est, minuta atque rorantia, et refrigeratio aestate et vicissim aut sol aut ignis hibernus. quae quidem etiam in Sabinis persequi soleo conviviumque vicinorum cotidie compleo, quod ad multam noctem, quam maxime possumus, vario sermone producimus.

XIV

At non est voluptatum tanta quasi titillatio in senibus. credo, sed ne desideratur quidem. nihil autem est molestum, quod non desideres. bene Sophocles, cum ex eo quidam iam adfecto aetate quaereret, utereturne rebus veneriis: ,di meliora!' inquit; ,libenter vero istinc sicut a do-

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Mir aber macht es bei meiner Freude am Gespräch sogar Vergnügen, wenn Gastmähler schon recht früh beginnen - und nicht nur, wenn Altersgenossen da sind, von denen es nur noch ganz wenige gibt, sondern auch bei euch Jüngeren. Und ich habe meinem hohen Alter, das mir das Verlangen nach Unterhaltung stärkte, die Trink- und Eßlust dagegen nahm, von Herzen zu danken. Nun bereiten sicher auch diese Genüsse manchem Freude - ich will nämlich nicht den Anschein geben, als hätte ich der Sinnenlust, von der die Natur vielleicht wirklich ein gewisses Maß erlaubt, gänzlich den Kampf angesagt - , ich begreife allerdings nicht, daß das hohe Alter gerade bei diesen Genüssen keine Sinneswahrnehmung mehr haben soll. Mich jedenfalls erfreut das Amt des »Trinkkönigs«, das schon unsere Vorfahren als schönen Brauch eingeführt haben, mich erfreuen auch die Worte, die der Trinkkönig beim Antrinken nach Brauch der Väter spricht, ferner die kleinen und tröpfchenweise zu leerenden Becher, von denen Xenophon in seinem Symposion erzählt, weiterhin die Abkühlung im Sommer, sowie andererseits die Sonne oder das Herdfeuer im Winter; mit alledem richte ich mein Leben auf meinem sabinischen Landgut ein; täglich lade ich alle meine Nachbarn zu einem Mahl, das wir dann, so gut wir können, mit buntem Wechsel der Gesprächsthemen bis tief in die Nacht hinein ausdehnen. »Aber es haben doch die Greise nicht mehr in so starkem Maße das prickelnde Verlangen nach sinnlicher Lust!« Ich glaube es aber sie haben auch keine Sehnsucht danach; nichts aber kann Kummer bereiten, wenn man es nicht vermißt. Als den schon vom Alter geschwächten Sophokles jemand fragte, ob er noch geschlechtlichen Verkehr mit Frauen habe, gab er treffend zur Antwort: »Gott bewahreI Mit Freuden bin ich aus der Sklaverei 61

mino agresti ac furioso profugi.' cupidis enim rerum talium odiosum fortasse et molestum est carere, satiatis vero et expletis iucundius est carere quam frui. quamquam non caret is, qui non desiderai; ergo hoc non desiderare dico esse iucundius. quodsi istis ipsis voluptatibus bona aetas fruitur libentius, primum parvulis fruitur rebus, ut diximus, deinde iis, quibus senectus, etiamsi non abunde potitur, non omnino caret. ut Turpione Ambivio magis delectatur, qui in prima cavea spectat, delectatur tamen etiam, qui in ultima, sic adulescentia voluptates propter intuens magis fortasse laetatur, sed delectatur etiam senectus procul eas spectans tantum quantum sat est. A t illa quanti sunt, animum tamquam emeritis stipendiis libidinis, ambitionis, contentionum, inimicitiarum, cupidi tatum omnium secum esse secumque, ut dicitur, vivere! si vero habet aliquod tamquam pabulum studi atque doctrinae, nihil est otiosa senectute iucundius. mori videbamus in studio dimetiendi paene caeli atque terrae C. Galum, familiarem patris tui, Scipio: quotiens illum lux noctu aliquid describere ingressum, quotiens nox oppressi t, cum mane coepisset! quam delec62

dieses so wilden und wütenden Gebieters entflohen!« Für solche nämlich, die auf derartige Freuden leidenschaftlich erpicht sind, ist es vielleicht schmerzlich und verhaßt, sie entbehren zu müssen; wer aber schon gesättigt und zufriedengestellt ist, für den ist ihre Entbehrung angenehmer als der Genuß. Jedoch: Es entbehrt sie nicht, wer sie nicht vermißt; so kann ich sagen, es sei angenehmer, sie nicht zu vermissen. Wenn man nun gerade diese Freuden als junger Mensch besonders gerne genießt, so genießt man erstens, wie ich schon sagte, nichts Besonderes, zweitens aber eben etwas, das man im hohen Alter zwar nicht in reichlichstem Maße kennt, das man aber doch nicht ganz entbehren muß. Wer Logenplätze hat, hat freilich von Turpio Ambivius einen größeren Genuß, aber auch in der hintersten Reihe kann man sich über ihn freuen; ebenso ist es auch mit unserem Problem: Die Jugend erlebt vielleicht mehr Freude, weil sie die genannten Genüsse aus nächster Nähe kennenlernt, aber auch die Alten, die sie aus größerer Entfernung betrachten, haben noch in hinreichendem Maß ihre Freude daran. Aber wie wertvoll ist doch gerade das andere: daß die Seele, wenn sie bei der Lust, beim Ehrgeiz, bei den Rivalitäten und Feindschaften, überhaupt bei allen Leidenschaften sozusagen ihren Dienst abgeleistet hat, nunmehr für sich ist und, wie man sagt, sich selbst lebtl Wenn sie noch dazu von einigem wissenschaftlichen Eifer gleichsam gespeist wird, dann ist das hohe Alter, frei von geschäftlichen Belastungen, das Schönste, was es überhaupt gibt. Wir erlebten es, wie Gaius Galus, ein Freund deines Vaters, Scipio, sich fast zu Tode arbeitete in seinem Eifer, Himmel und Erde geradezu »auszumessen«; wie oft überraschte ihn der anbrechende Tag, wenn er nachts etwas zu zeichnen angefangen hatte, wie oft aber auch der Einbruch der 63

tabat eum defectiones solis et lunae multo ante nobis praedicere! quid in levioribus studiis, sed tarnen acutis? quam gaudebat bello suo Punico Naevius! quam Truculento Plautus, quamPseudolo! vidi etiam senem Livium: qui cum sex annis ante quam ego natus sum fabulam docuisset Centone Tuditanoque consulibus, usque ad adulescentiam meam processit aetate. quid de P. Licini Crassi et pontifìcii et civilis iuris studio loquar aut de huius P. Scipionis, qui his paucis diebus pontifex maximus factus est? atque eos omnes, quos commemoravi, his studiis flagrantes senes vidimus; M. vero Cethegum, quem recte Suadae medullam dixit Ennius, quanto studio exerceri in dicendo videbamus etiam senem! quae sunt igitur epularum aut ludorum aut scortorum voluptates cum his voluptatibus comparandae? atque haec quidem studia doctrinae; quae quidem prüdentibus et bene institutis pariter cum aetate crescunt, ut honestum illud Solonis sit, quod ait versiculo quodam, ut ante dixi, senescere se multa in dies addiscentem, qua voluptate animi nulla certe potest esse maior. Venio nunc ad voluptates agricolarum, quibus ego incredibiliter delector; quae nec ulla impediuntur senectute et mihi ad 64

Nacht, wenn et am Morgen begonnen hatte! Wie freute er sich, wenn er uns die Sonnen- und Mondfinsternisse auf weite Sicht voraussagte! Das gleiche gilt doch wohl auch für Beschäftigungen, die nicht so ganz streng wissenschaftlich sind. Welche Freude hatte Naevius an seinem »Punischen Krieg«, undPlautus an seinem »Grobian« und an seinem »Lügenmaul«! Ich kannte auch noch den alten Livius; er hatte schon sechs Jahre vor meiner Geburt, unter den Konsuln Cento und Tuditanus, ein Drama zur Aufführung gebracht und lebte dann noch bis in mein Jugendalter hinein. Was soll ich von dem Eifer reden, mit dem Publius Licinius Crassus das Recht der Pontifices und das bürgerliche Recht studierte, oder von dem Wissensdrang unseres Zeitgenossen Publius Scipio, der erst in den letzten Tagen Oberpriester geworden ist ? Alle die Genannten waren, wie wir sahen, noch in hohem Alter leidenschaftlich diesen geistigen Interessen ergeben; und erst Marcus Cethegus, den Ennius mit Recht das »Mark der Suada« genannt hat! Mit welchem Eifer hat er sich doch als alter Mann noch in der Redekunst geübt! Gibt es nun Tafelfreuden, Spielleidenschaften oder Amüsements mit leichten Mädchen, die mit solchen Freuden vergleichbar wären ? Und es handelt sich dabei ja um wissenschaftliche Interessen, die doch bei Gebildeten und Gelehrten in ihrer Steigerung mit dem Fortschreiten der Jahre Schritt halten. Daher ist es besonders hübsch von Solon gesagt, was er, wie erwähnt, in einem Vers ausspricht: Er altere und lerne dabei Tag für Tag vieles hinzu. Dieses geistige Vergnügen kann auch sicherlich von keinem anderen überboten werden. Ich komme nun auf die Freuden des Bauernstandes zu sprechen, die für mich ein unglaubliches Vergnügen bedeuten: Ihnen steht kein noch so hohes Alter im Weg und sie haben, wie ich 65

sapientis vitam proxime videntur accedere. habent enim rationem cum terra, quae numquam recusat imperium nec umquam sine usura reddit quod accepit, sed alias minore, plerumque maiore cum faenore. quamquam me quidem non fructus modo, sed etiam ipsius terrae vis ac natura delectat. quae cum gremio mollito ac subacto sparsum semen excepit, primum id occaecatum cohibet, ex quo occatio quae hoc effìcit nominata est; dein tepefactum vapore et compressu suo diffundit et elicit herbescentem ex eo viriditatem, quae nixa fibris stirpium sensim adulescit culmoque erecta geniculato vaginis iam quasi pubescens includitur; ex quibus cum emersit, fundit frugem spici ordine structam et contra avium minorum morsus munitur vallo aristarum. quid ego vitium ortus satus incrementa commemorem? satiari delectatione non possum, ut meae senectutis requiem oblectamentumque noscatis. omitto enim vim ipsam omnium, quae generantur e terra; quae ex fici tantulo grano aut ex acini vinaceo aut ex ceterarum frugum aut stirpium minutissimis seminibus tantos truncos ramosque procreet. malleoli plantae sarmenta viviradices propagines nonne ea efficiunt, ut 66

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glaube, mit dem Leben eines Weisen am meisten Verwandtes. Geschäftspartner der Landleute ist ja die Erde, die nie einem Gebot widerstrebt und nie ohne Zinsen zurückgibt, was sie empfangen hat; manchmal freilich ist der Zins der geringere, meist jedoch der größere Teil. Indessen: Mich erfreut nicht nur der Ertrag, sondern auch die schöpferische Kraft der Erde an sich. Hat sie in ihrem aufgeweichten und durchgearbeiteten Inneren die Saat empfangen, so hält sie sie zuerst in Dunkelheit umhüllt (occaecatum), wovon die »occatio« (Eineggen) kommt, die dies bewirkt; hat sie aber dann den Samen in enger Umschließung durch ihren Dunst erwärmt, so läßt sie ihn aufspringen und lockt das hervorsprießende Grün heraus, das dann, gestützt durch die Fasern der Wurzeln, allmählich heranwächst, sich in einem knotigen Halm emporrichtet, um sich nunmehr gleichsam zur Reife kommend - mit Hüllen zu umschließen; ist die Pflanze dann aus diesen hervorgebrochen, so läßt sie die in regelmäßige Ähren geschichtete Frucht herauswachsen und schützt sich gegen die Schnäbel kleinerer Vögel mit einem Kranz von Grannen. Was soll ich erst die Entstehung, das Pflanzen und Wachsen der Weinstöcke erwähnen ? Es ist eine Freude, an der ich nie genug haben kann - ihr sollt ruhig erfahren, was mir in meinem hohen Alter Erholung und Freude bietet. Ich übergehe nämlich nun die eigentliche Kraft, die alle Pflanzen aus der Erde treibt; sie ist so stark, daß sie aus dem kleinen Feigen- oder Weinbeerkern oder aus den kleinsten Samenkörnern der übrigen Früchte oder Gewächse die mächtigen Stämme und Äste hervorkommen läßt. Die Setzlinge, Stecklinge, Reiser, Wurzelschößlinge und Ableger, erwecken sie nicht in jedem Beschauer Freude und Bewunderung? Die Weinrebe nun ist zwar von Natur aus nicht fähig, sich aufzu-

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quemvis cum admiratione delectent? vitis quidem, quae natura caduca est et, nisi fulta est, fertur ad terram, eadem, ut se erigat, claviculis suis quasi manibus, quidquid est nacta, complecitur; quam serpentem multiplici lapsu et erratico ferro amputans coercet ars agricolarum, ne siìvescat sarmentis et in omnes partes nimia fundatur. itaque ineunte vere in iis, quae relicta sunt, existit tamquam ad articulos sarmentorum ea quae gemma dicitur, a qua oriens uva se ostendit, quae et suco terrae et calore solis augescens primo est peracerba gustatu, dein maturata dulcescit vestitaque pampinis nec modico tepore caret et nimios solis defendit ardores. qua quid potest esse cum fructu laetius,tum aspectu pulchrius? cuius quidem non utilitas me solum, ut ante dixi, sed etiam cultura et natura ipsa delectat, adminiculorum ordines, capitum iugatio, religatio et propagatio vitium, sarmentorum ea, quam dixi, aliorum amputatio, aliorum immissio. quid ego irrigationes, quid fossiones agri repastinationesque proferam, quibus fit multo terra fecundior? quid de utilitate loquar stercorandi? dixi in eo libro, quem de rebus rusticis scripsi; de qua doctus Hesiodus ne verbum quidem fecit, 68

richten, und fällt, wenn man ihr keinen Halt gibt, zur Erde, aber sie klammert sich dennoch, um sich aufzurichten, mit ihren Ranken - wie mit Händen - an alles, was sie findet; will sie sich dann in vielfachen und wirren Windungen dahinschlängeln, dann greift der Bauer zu seiner Kunst, beschneidet den Weinstock mit der Hippe und hindert ihn so, durch Austriebe zu verholzen und allzu weit nach allen Seiten zu wuchern. So bildet sich dann, wenn der Frühling einsetzt, an den Teilen, die man beim Beschneiden stehen ließ, sozusagen an den Gelenken der Reiser, das sogenannte »Auge«, aus dem dann die Traube ans Licht sprießt; Erdfeuchtigkeit und Sonnenwärme lassen sie größer und größer werden; anfangs schmeckt sie sehr herb, später aber, wenn sie herangereift ist, bekommt sie den süßen Geschmack; von Weinlaub umhüllt, wird ihr nie zu kühl, andererseits findet sie Schutz vor allzu starker Sonnenglut. Ist sie nicht die erquickendste Freude für den Genuß, sodann aber auch die schönste Augenweide, die es gibt ? Aber - wie schon vorhin gesagt - bei ihr ist es nicht nur der Nutzen, der mich erfreut, sondern auch ihr Anbau und ihre natürliche Beschaffenheit an sich, die in schöner Ordnung aufgestellten Stützen, das Ziehen der obersten Enden, das Festbinden und das Fortpflanzen der Stöcke und bei den Reisern teils das erwähnte Beschneiden, teils auch der Entschluß, sie wachsen zu lassen. Was soll ich hier noch das Bewässern, das Durcharbeiten und Umgraben des Bodens anführen, wodurch die Erde noch viel fruchtbarer wird? Was soll ich vomNutzen desDüngens sprechen? Ich habe das ja alles in meinem Buch über die Landwirtschaft behandelt; der wohlunterrichtete Hesiod hat auch nicht ein Wort darüber

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cum de cultura agri scriberet. at Homerus, qui multis, ut mihi videtur, ante saeculis fuit,Laertam lenientem desiderium, quod capiebat e fìlio, colentem agrum et eum stercorantem facit. nec vero segetibus solum et pratis et vineis et arbustis res rusticae laetae sunt, sed hortis etiam et pomariis,tum pecudum pastuetapium examinibus, florum omnium varietate. nec consitiones modo delectant, sed etiam insitiones, quibus nihil invenit agri cultura sollertius. Possum persequi permulta oblectamenta rerum rusticarum, sed ea ipsa quae dixi sentio fuisse longiora. ignoscetis autem: nam et studio rerum rusticarum provectus sum, et senectus est natura loquacior, ne ab omnibus eam vitiis videar vindicare. ergo in hac vita M \ Curius, cum de Samnitibus, de Sabinis, de Pyrrho triumphavisset, consumpsit extremum tempus aetatis. cuius quidem ego villam contemplans (abest enim non longe a me) admirari satis non possum vel hominis ipsius continentiam vel temporum disciplinant Curio ad focum sedenti magnum auri pondus Samnites cum attulissent, repudiati sunt; non enim aurum habere praeclarum sibi videri dixit, sed iis, qui haberent aurum, imperare, pot7°

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verloren, obschon er über den Landbau schrieb. Homer dagegen, der, wie ich glaube, viele Jahrhunderte vorher lebte, läßt Laertes sein Feld bebauen und düngen, um mit dieser Arbeit die Sehnsucht nach seinem Sohn zu lindern. Aber nicht bloß die Saatfelder, Wiesen, Weinberge und Baumpflanzungen machen die Landwirtschaft zu einer solchen Freude, sondern auch die Gemüse- und Obstgärten, besonders aber die Viehweiden, die Bienenvölker und die bunte Vielfalt alles Blühenden. Und nicht nur das Anbauen ist so schön, sondern auch das Pfropfen, die geschickteste Erfindung, die in der Landwirtschaft gemacht worden ist.

Ich könnte hier noch sehr viel Amüsantes besprechen, was die Landwirtschaft zu bieten hat, aber ich denke mir, schon das Gesagte ist allzu ausführlich gewesen; ihr werdet mir das aber nachsehen, da ich einerseits in meiner Begeisterung für das Landleben so weit gegangen bin, andererseits aber auch alte Leute von Natur aus allzu redselig sind - ich führe das an, damit es nicht so aussieht, als wollte ich das Alter von allen Fehlern freisprechen. Mit dieser Art des Lebens hat nun auch Manius Curius nach seinem Triumph über die Samniten, die Sabiner und Pyrrhos seinen Lebensabend verbracht. So oft ich sein Landhaus betrachte - es liegt ja nicht weit von dem meinen - , werde ich nicht mehr fertig, teils die Genügsamkeit dieses Menschen, teils die Sittenstrenge seiner Zeit zu bewundern. Curius saß gerade am Herd, als ihm die Samniten eine große Menge Gold brachten; er wies sie aber zurück mit der Begründung, er halte es nicht für rühmlich, Gold zu besitzen, sondern über die zu gebieten, die es besäßen. Mußte diese hohe Gesin7*

eratne tantus animus efficere non iucundam senectutem? sed venio ad agricolas, ne a me ipso recedam. in agris erant tum senatores, id est senes, siquidem aranti L. Quinctio Cincinnato nuntiatum est eum dictatorem esse factum; cuius dictatoris iussu magister equitum C. Servilius Ahala Sp. Maelium regnum adpetentem occupatum interemit. a villa in senatum arcessebantur et Curius et ceteri senes, ex quo, qui eos arcessebant, viatores nominati sunt, num igitur horum senectus miserabilis fuit, qui se agri cultione oblectabant? mea quidem sententia haud scio an nulla beatior possit esse, neque solum officio, quod hominum generi universo cultura agrorum est salutaris, sed et delectatione, qua dixi, et saturitate copiaque rerum omnium, quae ad victum hominum, ad cultum etiam deorum pertinent, ut quoniam haec quidam desiderant, ingratiamiamcum voluptate redeamus. semper enim boni adsiduique domini referta cella vinaria, olearia, etiam penaria est, villaque tota locuples est: abundat porco haedo agno gallina lacte caseo melle. iam hortum ipsi agricolae succidiam alteram appellant, conditiora facit haec supervacaneis etiam operis aucupium atque venatio. quid de prato72

nung im Alter nicht eine Freude für ihn sein? Doch ich wende mich jetzt wieder den Bauern zu, um bei meiner Person zu bleiben. Auf dem Lande lebten früher Senatoren, d. h. »die Alten«. Jedenfalls wurde dem Lucius Quinctius Cincinnatus beim Pflügen die Nachricht überbracht, daß er Diktator geworden war; auf Anweisung dieses Diktators überrumpelte der Reiteroberst Gaius Servilius Ahala den nach Alleinherrschaft trachtenden Spurius Maelius und räumte ihn aus dem Weg. Auch Curius und manche anderen alten Männer wurden gewöhnlich aus ihren Landhäusern in den Senat geholt; daher kommt es, daß die, die sie zur Sitzung luden, den Namen »Uberlandboten« bekamen. War nun etwa das Alter dieser Männer, die in der Landwirtschaft ihre Entspannung suchten, beklagenswert ? Ich jedenfalls glaube, daß es wohl keine Form gibt, das Alter glücklicher zu verbringen, nicht nur im Hinblick auf den Wirkungskreis - weil ja die Landwirtschaft für alle Menschen gesund ist sondern auch bezüglich der schon erwähnten Freuden und des reichlichen Uberflusses an all den Gütern, die zur Lebenshaltung der Menschen und zum Dienst an den Göttern gehören - ich möchte mich ja auch, da doch schon mancher darauf wartet, mit der Sinneslust wieder aussöhnen! Stets hat ein tüchtiger, fleißiger Gutsherr Wein- und ölkeller und auch die Speisekammer voll, sein ganzes Landhaus ist mit allem reich versorgt, da gibt es Schweine, Ziegen, Lämmer, Hühner, Milch, Käse und Honig die Fülle. Sodann nennt der Bauer selbst den Garten die zweite Speckseite. Nebenbeschäftigungen wie Vogelfang und Jagd geben dem ganzen Landleben noch einen besonderen Reiz. Wozu soll ich noch weitere Worte verlieren, über das

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rum viriditate aut arborum ordinibus aut vinearum olivetorumve specie plura dicam? brevi praecidam: agro bene culto nihil potest esse nec usu uberius nec specie ornatius; ad quem fruendum non modo non retardat, verum etiam invitai atque adlectat senectus. ubi enim potest ilia aetas aut calescere vel apricatione melius vel igni aut vicissim umbris aquisve refrigerari salubrius? Sibi habeant igitur arma, sibi equos, sibi hastas, sibi clavam et pilam, sibi natationes atque cursus, nobis senibus ex lusionibus multis talos relinquant et tesseras, id ipsum utrum lubebit, quoniam sine iis beata esse senectus potest. Multas ad res perutiles Xenophontis libri sunt; quos legite, quaeso, studiose, ut facitis. quam copiose ab eo agri cultura laudatur in eo libro, qui est de tuenda re familiari, qui Oeconomicus inscribitur! atque ut intellegatis nihil ei tarn regale videri quam Studium agri colendi, Socrates in eo libro loquitur cum Critobulo Cyrum minorem, Persarum regem, praestantem ingenio atque imperii gloria, cum Lysander Lacedaemonius, vir summae virtutis, venisset ad eum Sardis eique dona a sociis attulisset, et ceteris in rebus comem erga Lysandrum atque hu74

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Grün der Wiesen, die gefällige Ordnung der Baumreihen oder die Schönheit der Wein- und ölplantagen ? Um es kurz zu machen: Gut bebautes Land ist das Ergiebigste, aber auch vom Anblick her das Schönste, was es gibt. Sich daran zu erfreuen hindert das hohe Alter nicht nur nicht, sondern es lädt sogar auf jede Weise lockend dazu ein. Denn wo könnte man sich als alter Mensch, sei es in der Sonne oder am Herdfeuer, besser erwärmen, wo könnte man sich im Schatten oder im Bad gesünder abkühlen als auf dem Lande? Sollen die Jungen also ruhig ihre Waffenübungen haben, ihre Pferde, Lanzen, die Keule und den Ball, ihre Schwimmübungen und Wettrennen, sofern sie nur uns Alten von den vielen Spielen das Knöchel- und Würfelspiel belassen - und zwar nach Belieben nur das eine von beiden, da wir ja im hohen Alter auch ohne diese Spiele glücklich leben können. Xenophons Schriften sind für viele nützliche Zwecke äußerst ergiebig. Lest sie doch ja weiterhin mit eurem gewohnten Eifer I Mit welcher Fülle von Gedanken weiß er die Landwirtschaft zu preisen in seinem »Oikonomikos«, der von der richtigen Führung des Hauswesens handelt! Um euch zu zeigen, daß ihm nichts so königlich erschien wie die Beschäftigung mit dem Landbau, läßt er Sokrates in diesem Buch dem Kritobulos gesprächsweise erzählen, der persische Prinz Kyros der Jüngere, eine Persönlichkeit von hervorragendem Geist, von der Glorie eines mächtigen Reiches umstrahlt, habe sich, als der Spartaner Lysandros, ein Mann von übertagender Tüchtigkeit, zu ihm nach Sardeis kam und ihm Geschenke von den Verbündeten brachte, nicht nur zu Lysandros überhaupt recht aufgeräumt und freundlich verhalten, son7$

manum fuisse et ei quendam consaeptum agrum diligenter consitum ostendisse. cum autem admiraretur Lysander et proceritates arborum et derectos in quincuncem ordines et humum subactam atque puram et suavitatem odorum, qui adflarentur e floribus, tum eum dixisse mirari se non modo diligentiam, sed etiam sollertiam eius, a quo essent illa dimensa atque discripta; et Cyrum respondisse:,atqui ego ista sum omnia dimensus, mei sunt ordines, mea discriptio, multae etiam istarum arborum mea manu sunt satae.' tum Lysandrum intuentem purpuram eius et nitorem corporis ornatumque Persicum multo auro multisque gemmis dixisse: ,rite vero te, Cyre, beatum ferunt, quoniam virtuti tuae fortuna coniuncta est!' Hac igitur fortuna frui licet senibus, nec aetas impedit, quo minus et ceterarum rerum et in primis agri colendi studia teneamus usque ad ultimum tempus senectutis. M. quidem Valerium Corvinum accepimus ad centesimum annum perduxisse, cum esset acta iam aetate in agris eosque coleret; cuius inter primum et sextum consulatum sex et quadraginta anni interfuerunt. ita, quantum spatium aetatis maiores ad senectutis initium esse 76

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dem ihm auch ein Stück Land gezeigt, das eingezäunt und sorgsam bebaut war. Lysandfos habe Bewunderung gezeigt für die hochgewachsenen Bäume, die schachbrettartig in Reihen standen, für das durchgearbeitete und saubere Erdreich und den lieblichen Duft, der von den Blüten ausströmte; dann habe er gemeint, er finde nicht nur die Sorgfalt, sondern auch das Geschick des Mannes erstaunlich, der all dies ausgemessen und eingeteilt habe. Kyros habe darauf erwidert: »Aber ich bin doch derjenige, der dies alles vermessen hat: von mir stammen die Baumreihen, von mir die Einteilung, von mir sind auch viele dieser Bäume hier eigenhändig gepflanzt.« Da habe Lysandros mit einem Blick auf des Königs Purpurgewand, seine äußere Eleganz und sein persisches Prunkkleid, das von viel Gold und Edelsteinen strahlte, die Äußerung getan: »Recht haben die Leute, Kyros, wenn sie dich glücklich preisen, da du Tüchtigkeit und hohe Stellung in dir vereinst.«

Solches Glück kann man also auch in hohem Alter genießen, und die Jahre verwehren es einem nicht, die liebevolle Neigung zu so manchen Beschäftigungen, besonders aber zum Landbau festzuhalten, bis das Greisenalter seinen Endpunkt erreicht. Marcus Valerius Corvinus hat jedenfalls, wie uns erzählt wird, diese Neigung bis zum hundertsten Lebensjahr weitergepflegt: Als sein eigentliches Leben längst vollbracht war, lebte er als Bauer auf dem Lande; zwischen seinem ersten und seinem sechsten Konsulat lagen sechsundvierzig Jahre: Der Zeitraum also, der nach Ansicht unserer Vorfahren ein ganzes Menschenleben bis zum Beginn des Greisenalters ausmacht, umspannte 77

voluerunt, tantus illi cursus honorum fuit. atque huius extrema aetas hoc beatior quam media, quod auctoritatis habebat plus, laboris minus, apex est autem senectutis auctoritas. quanta fuit in L. 61 Caecilio Metello, quanta in A. Atilio Calatino! in quem illud elogium: Hunc unum plurimae consentiunt gentes populi primarium fuisse virum. notum est id totum carmen incisum in sepulcro. iure igitur gravis, cuius de laudibus omnium esset fama consentiens. quem virum nuper P. Crassum, pontificem maximum, quem postea M. Lepidum, eodem sacerdotio praeditum, vidimus! quid de Paulo aut Africano loquar aut, ut iam ante, de Maximo? quorum non in sententia solum, sed etiam in nutu residebat auctoritas. habet senectus honorata praesertim tantam auctoritatem, ut ea pluris sit quam omnes adulescentiae voluptates. Sed in omni oratione mementote earn XVIII me senectutem laudare, quae fundamen62 tis adulescentiae constituta sit. ex quo efficitur, id quod ego magno quondam cum adsensu omnium dixi, miseram esse senectutem, quae se oratione defenderet. non cani nec rugae repente auctoritatem arripere possunt, sed honeste acta su7»

bei ihm allein die staatsmännische Laufbahn; und in höchstem Alter war er um so glücklicher als in mittleren Jahren, weil er noch mehr Ansehen genoß, aber weniger strapaziöse Arbeit hatte; das Ansehen aber ist die Krone des Alters. Wie groß war es bei Lucius Caecilius Metellus, wie hoch bei Aulus Atilius Calatinusl Ihm ist ja die bekannte Grabschrift gewidmet: Viele Völker sind sich einig, daß dieser der Erste Mann des römischen Volkes gewesen. Ihr kennt ja den ganzen Wortlaut dieses Verses, den man auf seinem Grabstein eingemeißelt hat. Mit Recht nun gilt ein Mann als ehrwürdig, den alle einstimmig gelobt haben. Welch treffliche Männer waren doch - wir erlebten es - vor einiger Zeit der Oberpriester Publius Crassus und später dann Marcus Lepidus, der ebenfalls dieses Priesteramt bekleidete I Wozu soll ich erst Paullus oder Africanus oder, wie oben schon, Maximus anführen? Diese Männer umgab nicht nur ihre Meinungsäußerung, sondern sogar jede bloße Gebärde mit dem Nimbus der großen Persönlichkeit. Man besitzt im Alter, zumal wenn man ehrenvolle Ämter bekleidet hat, ein Ansehen, das mehr wert ist als alle Sinnenfreuden der Jugend. Aber seid euch bitte im klaren darüber, daß ich mit all meinen Worten hier nur das Alter loben will, für das in der Jugend eine feste Grundlage gebaut worden ist. Daraus ergibt sich das, was ich schon einmal unter starker allgemeiner Zustimmung ausgesprochen habe, daß man im Alter dann elend daran ist, wenn man darauf angewiesen ist, sich mit bloßen Worten zu verteidigen. Nicht die grauen Haare und auch nicht das zerfurchte Gesicht können einem Menschen mit einem Male An79

perior aetas fructus capit auctoritatis extremos. haec enim ipsa sunt honorabilia, quae videntur levia atque communia, salutari adpeti, decedi adsurgi, deduci reduci consuli; quae et apud nos et in aliis civitatibus, ut quaeque optime morata est, ita diligentissime observantur. Lysandrum Lacedaemonium, cuius modo feci mentionem, dicere aiunt solitum Lacedaemonem esse honestissimum domicilium senectutis; nusquam enim tantum tribuitur aetati, nusquam est senectus honoratior. quin etiam memoriae proditum est, cum Athenis ludis quidam in theatrum grandis natu venisset, magno consessu locum nusquam ei datum a suis civibus; cum autem ad Lacedaemonios accessisset, qui, legati cum essent, certo in loco consederant, consurrexisse omnes illi dicuntur et senem sessum recepisse, quibus cum a cuncto consessu plausus esset multiplex datus, dixisse ex iis quendam Athenienses scire quae recta essent, sed facere nolle, multa in vestro collegio praeclara, sed hoc, de quo agimus, in primis, quod, ut quisque aetate antecedi!, ita sententiae principatum tenet, neque solum honore antecedentibus, sed iis etiam, qui cum imperio sunt, maiores natu augures anteponuntur. quae sunt 80

sehen verschaffen, sondern nur das vorher ehrenwert verbrachte Leben erntet am Ende als Frucht das Ansehen. Gerade die Dinge nämlich, die scheinbar alltägliche Unwichtigkeiten sind, bedeuten eine Ehre für den alten Menschen: Daß man ihm Höflichkeitsbesuche macht, daß man seine Hand zum Kuß ergreift, daß man ihm Platz macht, vor ihm aufsteht, ihn von und nach Hause begleitet, und daß man bei ihm Rat sucht: Alles Umgangsformen, die man bei uns und auch in anderen Staaten um so sorgfältiger beachtet, je besser die Sitten unter den Bürgern sind. Der Lakedaimonier Lysandros, den ich vorhin schon erwähnte, soll wiederholt gesagt haben, in Lakedaimon hätten die alten Menschen das ehrenvollste Zuhause; es wird ja auch nirgendwo dem Alter so viel Anerkennung zuteil, und nirgends ist es mehr geehrt. Es gibt da sogar eine historisch verbürgte Begebenheit: Ein hochbetagter Mann kam in Athen zur Festspielzeit ins Theater; man saß schon gedrängt, und nirgends fand sich ein Mitbürger, der dem Alten seinen Platz angeboten hätte. Als er aber bei den Lakedaimoniern vorbeikam, die als Gesandte auf reservierten Plätzen saßen, standen alle miteinander, wie es heißt, vor ihm auf, und der Alte bekam einen Sitzplatz. Es wurde ihnen vom ganzen Theaterpublikum vielfach Beifall bekundet; einer von ihnen soll dabei geäußert haben, die Athener wüßten zwar, was sich gehöre, tun aber wollten sie es nicht. In eurem Augurenkollegium gibt es vieles, was sehr schön ist, besonders aber das eine, von dem ich hier rede, daß der Ältere seine Meinung immer zuerst abgeben darf, und daß Auguren, wenn sie älter sind, nicht nur den höheren Staatsbeamten, sondern auch den obersten Befehlshabern in der Rangordnung vorangehen. - Gibt es nun körperliche, sinnliche Freuden, die man mit dem Lohn des Ansehens vergleichen könnte ? Wer 81

igitur voluptates corporis cum auctoritatis praemiis comparandae? quibus qui splendide usi sunt, ii mihi videntur fabulam aetatis peregisse nec tamquam inexercitati histriones in extremo actu corruisse. At sunt morosi et anxii et iracundi et difficiles senes. si quaerimus, etiam avari; sed haec morum vitia sunt, non senectutis. ac morositas tamen et ea vitia, quae dixi, habent aliquid excusationis, non illius quidem iustae, sed quae probari posse videatur: contemni se putant, despici, illudi; praeterea in fragili corpore odiosa omnis offensio est. quae tamen omnia dulciora fiunt et moribus bonis et artibus, idque cum in vita, tum in scaena intellegi potest ex iis fratribus, qui in Adelphis sunt, quanta in altero diritas, in altero comitas! sic se res habet: ut enim non omne vinum, sic non omnis natura vetustate coacescit. severitatem in senectute probo, sed eam, sicut alia, modicam, acerbitatem nullo modo, avaritia vero senilis quid sibi velit, non intellego; potest enim quicquam esse absurdius quam, quo viae minus restet, eo plus viatici quaerere?

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diesen Lohn in glanzvoller Weise bekommen hat, der hat, wie ich glaube, die Rolle seines Lebens erfolgreich zu Ende gespielt, ohne, wie ein ungeübter Schauspieler, im letzten Akt zusammenzubrechen.

Aber - wird eingewandt: Man ist doch als alter Mensch mürrisch, verdrießlich, jähzornig, eigensinnig. Nun, wenn wir nach Fehlern suchen: auch geizig! Allein diese Fehler liegen nicht am Alter, sondern im Charakter. Und doch hat auch das mürrische Wesen, ebenso wie die anderen genannten Unarten, einige Entschuldigung für sich, nicht gerade die einzig berechtigte, aber doch eine, die nach meinem Dafürhalten noch angehen mag: Alte Menschen glauben sich abgelehnt, geringgeschätzt und verspottet; außerdem reagiert man, wenn man körperlich nicht mehr auf der Höhe ist, gegen die geringste Widerwärtigkeit empfindlich. Aber ein guter Charakter und wissenschaftliche Bildung nehmen diesen ganzen Fehlern doch viel von ihrer Schärfe. Dies kann man im praktischen Leben, besonders gut aber auch im Theater an jenen Brüdern sehen, die in den »Adelphen« auftreten. Wie unwirsch der eine, wie liebenswürdig der andere! Folgendermaßen steht die Sache: Nicht jeder Wein, aber eben auch nicht jeder Mensch wird durch das Alter sauer. Strenges Wesen gefällt mir an alten Menschen, aber, wie alles andere, in richtigen Grenzen, Schroffheit dagegen keineswegs. Was jedoch Geiz im Alter für einen Sinn haben soll, leuchtet mir nicht ein; denn was kann so absurd sein wie der Wunsch, um so mehr Reisegeld zu haben, je kürzer der Weg wird, den man noch zu machen hat?

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Quarta restât causa, quae maxime angere atque sollicitam habere nostram aetatem videtur, adpropinquatio mortis, quae certe a senectute non potest esse longe, o miserum senem, qui mortem contemnendam esse in tam longa aetate non viderit! quae aut piane neglegenda est, si omnino extinguit animum, aut etiam optanda, si aliquo eum deducit, ubi sit futurus aeternus; atqui tertium certe nihil inveniri potest, quid igitur timeam, si aut non miser post mortem aut beatus etiam futurus sum? quamquam quis est tam stultus, quamvis sit adulescens, cui sit exploratum se ad vesperum esse victurum? quin etiam aetas illa multo plures quam nostra mortis casus habet: facilius in morbos incidunt adulescentes, gravius aegrotant, tristius curantur. itaque pauci veniunt ad senectutem; quod ni ita accideret, melius et prudentius viveretur. mens enim et ratio et consilium in senibus est; qui si nulli fuissent, nullae omnino civitates fuissent. Sed redeo ad mortem impendentem. quod est istud crimen senectutis, cum id ei videatis cum adulescentia esse commune? sensi ego in optumo filio, tu in exspectatis ad amplissimam dignitatem fratribus, Scipio, mortem omni aetati esse com84

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Wir haben nun noch den vierten Punkt zu behandeln, der Menschen in meinem Alter offensichtlich ganz besonders bedrückt und aufregt: das Nahen des Todes, der sicherlich vom hohen Alter nicht mehr weit sein kann. Bedauernswert ist ein alter Mensch daran, wenn er in seinem ganzen langen Leben nicht begriffen hat, daß man auf den Tod nicht achten soll! Denn entweder kann er uns völlig gleichgültig sein - wenn er nämlich die Seele gänzlich austilgt; oder wir dürfen ihn uns sogar wünschen, nämlich dann, wenn er die Seele an irgendeinen Ort entrückt, wo ihr ewiges Leben beschieden ist; eine dritte Möglichkeit ist doch wohl nicht denkbar. Wozu also die Angst, wenn ich nach dem Tode entweder nicht unglücklich oder sogar glückselig sein werde? Und doch: Wer kann, wenn auch in noch so jungen Jahren, so dumm sein, daß er es für eine absolute Gewißheit ansieht, bis zum Abend leben zu bleiben ? Ja, jene Altersstufe kennt sogar noch weit mehr Möglichkeiten eines schicksalhaften Todes als das Alter, in dem ich stehe: Jung wird man leichter krank, die Krankheiten sind schwerer, ihre Behandlung nimmt leichter den Lebensmut. So erreichen auch nur wenige ein hohes Alter; wäre dem nicht so, dann wäre unser Leben besser und vernünftiger. Denn Verstand, Vernunft und kluger Rat sind den Greisen vorbehalten; hätte es sie nicht gegeben, so hätte kein Staat je bestehen können. Doch ich komme auf den bevorstehenden Tod zurück: Wie kann man seinetwegen das Alter anklagen? Ihr seht doch, daß man dann auch in gleicher Weise die Jugend beschuldigen müßte. Ich für meinen Teil habe an meinem eigenen vortrefflichen Sohn die Erfahrung gemacht, und du, Scipio, hast es bei deinen Brüdern, die man sich schon als Inhaber der höchsten «5

munem. at sperai adulescens diu se victurum, quod sperare idem senex non potest, insipienter sperat. quid enim stultius quam incerta pro certis habere, falsa pro veris? at senex ne quod speret quidem habet, at est eo meliore condicione quam adulescens, cum id, quod ille sperat, hie consecutus est: ille volt diu vivere, hie diu vixit. quamquam, o di boni! quid est in hominis natura diu? da enim supremum tempus, expectemus Tartessiorum regis aetatem (fuit enim, ut scriptum video, Arganthonius quidam Gadibus, qui octoginta regnavit annos, centum viginti vixit) ;sed mihi ne diuturnum quidem quiequam videtur, in quo est aliquid extremum. cum enim id advenit, tum illud, quod praeteriit, effluxit; tantum remanet, quod virtute et recte factis consecutus sis. horae quidem cedunt et dies et menses et anni, nec praeteritum tempus umquam revertitur, nec quid sequatur sciri potest; quod cuique temporis ad vivendum datur, eo debet esse contentus. neque enim histrioni, ut placeat, peragenda fabula est, modo, in quocumque fuerit actu, probetur, neque sapientibus usque ad 'Plaudite' veniendum est. Breve enim tempus aetatis satis longum est ad bene honesteque vivendum; sin 86

Staatsämter wünschte, erlebt, daß der Tod in gleicher Weise jedes Lebensalter bedroht. Man wendet ein: Der junge Mensch besitzt aber doch die Hoffnung, lange zu leben, eine Hoffnung, die man als alter Mensch nicht mehr haben kann. Es ist eine unüberlegte Hoffnung. Denn nichts ist dümmer als Ungewisses für gewiß, Falsches für wahr zu halten. Man hält dem entgegen : Im Alter hat man ja nicht einmal einen Grund zu hoffen. Aber man ist um soviel besser daran als in der Jugend, als man das, was man jung nur erhoffen kann, im Alter ja schon erreicht hat; als Junger wünscht man sich ein langes Leben, als Alter hat man bereits lange gelebt. Indes: Ihr guten Götter, was heißt denn bei einem Menschen »lang«? Nenne mir doch einer das Höchstmaß an Zeit, stellen wir doch selbst das Alter des Königs von Tartessos in Rechnung - es gab nämlich, wie ich geschrieben finde, zu Gades einen gewissen Arganthonios, dessen Regierungszeit achtzig Jahre betrug, bei einer Lebensdauer von einhundertzwanzig:Mir kommt selbst eine höchste Steigerung nicht als »lange« vor. Denn ist sie erreicht, dann ist alles Vergangene schon dahin. Was bleibt, ist nur das, was man durch Tugend und rechtes Handeln erreicht hat; Stunden, Tage, Monate, Jahre schwinden dahin, und die Vergangenheit kehrt nie zurück, und was noch kommt, kann man nicht wissen: Jeder soll zufrieden sein mit der Zeit, die ihm zum Leben gegeben ist. Es muß ja auch kein Schauspieler, um zu gefallen, ein ganzes Stück hindurch auf der Bühne stehen - er braucht nur in dem Akt, in dem er aufgetreten ist, Beifall zu finden. Ebenso wenig hat es ein Weiser nötig, das abschließende »Hoch!« zu erleben. Eine kurze Lebenszeit ist nämlich lange genug, um sittlich gut und anständig zu leben. Ist sie aber doch länger geworden, 87

processerit longius, non magis dolendum est, quam agricolae dolent praeterita verni temporis suavitate aestatem autumnumque venisse, ver enim tamquam adulescentiam significat ostenditque fructus futuros, reliqua autem tempora demetendis fructibus et percipiendis accommodata sunt, fructus autem senectutis est, ut saepe dixi, ante partorum bonorum memoria et copia, omnia autem, quae secundum naturam fiunt, sunt habenda in bonis, quid est autem tam secundum naturam quam senibus emori? quod idem contingit adulescentibus adversante et repugnante natura, itaque adulescentes mihi mori sic videntur, ut cum aquae multitudine flammae vis opprimitur, senes autem sic, ut cum sua sponte nulla adhibita vi consumptus ignis extinguitur; et quasi poma ex arboribus, cruda si sunt, vix evelluntur, si matura et cocta, decidunt, sic vitam adulescentibus vis aufert, senibus maturitas: quae quidem mihi tam iucunda est, ut, quo propius ad mortem accedam, quasi terram videre videar aliquandoque in portum ex longa navigatione esse venturus. Senectutis autem nullus est certus terminus, recteque in ea vivitur, quoad munus offici exequi et tueri possis et tamen 88

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dann braucht man dies ebensowenig zu bedauern wie ein Bauer es bedauert, daß auf den lieblichenFrühling Sommer und Herbst gefolgt sind. Der Frühling ist ja sozusagen ein Bild für »Jugend«, er weist hin auf die kommenden Früchte, die übrigen Jahreszeiten sind für das Abschneiden und Ernten der Früchte da. Die Ernte aber, die man im Alter hat, ist, wie ich schon oft sagte, eine reiche Erinnerung an all das Gute, das man früher geschaffen hat. Unter das Gute aber ist all das zu rechnen, was menschlichem Wesen gemäß ist. Ist es aber nun nicht völlig menschlichem Wesen gemäß, daß alte Menschen sterben müssen ? Widerfährt es jungen Menschen, so ist dies durchaus gegen die menschliche Natur, die sich dann aufbäumt. Daher kommt mir der Tod junger Leute vor wie das Ersticken eines gewaltigen Feuers mit einer Flut von Wasser; sterben aber alte Leute, so kommt gleichsam ein Feuer, das sich aufgezehrt hat, von selbst, ohne Gewalt, zum Erlöschen; und wie das Obst nur mit Mühe von den Bäumen abgepflückt werden kann, solange es noch grün ist, dagegen aber abfällt, sobald es zeitig und ausgereift ist, so nimmt jungen Leuten nur Gewalt, alten Menschen dagegen ihre Reife das Leben fort. Auf diese Reife freue ich mich so sehr, daß ich, je näher ich dem Tode komme, glaube, gleichsam »Land in Sicht« zu haben und endlich nach langer Seefahrt in einen Hafen zu gelangen.

Die Grenze, die das Greisenalter hat, ist nun aber keine bestimmte, und man kann in ihm noch schön leben, soweit man in der Lage ist, pflichtgemäße Aufgaben voll zu erfüllen und 89

mortem contemnere. ex quo fit, ut animosior etiam senectus sit quam adulescentia et fortior. hoc illud est, quod Pisistrato tyranno a Solone responsum est, cum illi quaerenti, qua tandem re fretus sibi tam audaciter obsisteret, respondisse dicitur: 'senectute.' sed vivendi est finis optumus, cum integra mente certisque sensibus opus ipsa suum eadem quae coagmentavit natura dissolvit. ut navem, ut aedificium idem destruit facillime qui construxit, sic hominem eadem optume quae conglutinavit natura dissolvit. iam omnis conglutinatio recens aegre, inveterata facile divellitur. ita fit, ut illud breve vitae reliquum nec avide adpetendum senibus nec sine causa deserendum sit; vetatque Pythagoras iniussu imperatoris, id est dei, de praesidio et statione vitae decedere. Solonis quidem sapientis elogium est, quo se negat velie suam mortem dolore amicorum et lamenti s vacare, volt, credo, se esse carum suis, sed haud scio an melius Ennius: Nemo me dacrumis decoret neque funera fletu faxit. non censet lugendam esse mortem, quam immortalitas consequatur. Iam sensus moriendi aliquis esse potest, 90

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dabei doch den Tod nicht zu fürchten; daher kommt es auch, daß alte Menschen sogar noch beherzter und mutiger sind als junge. Das ist gemeint mit der bekannten Antwort, die Solon dem Tyrannen Peisistratos gab. Als dieser ihn fragte, was ihn denn bei dem kühnen Widerstand, den er ihm leiste, so stark mache, soll er entgegnet haben: »Das Alter.« Das beste Lebensende aber ist dann gegeben, wenn - bei ungeschwächtem Geist und zuverlässigen Sinnen - die Natur selbst ihren eigenen Bau, den sie zusammengefugt hat, auch wieder abbricht. Denn wie der Baumeister ein Schiff oder ein Gebäude, das er gebaut hat, am leichtesten wieder abbauen kann, so ist es auch am besten, wenn die gleiche Natur, die den Menschen zusammengesetzt hat, ihn auch wieder auseinandernimmt. Schließlich läßt sich alles Zusammengeleimte, solange es noch neu ist, nur mit Mühe trennen, wenn es aber alt geworden ist, dann geht dies leicht. Daraus folgt, daß man es im Alter einerseits nicht nötig hat, nach der kurzen, noch übrigen Lebenszeit gierig zu trachten, daß man andererseits aber vor ihr auch nicht ohne Ursache fliehen soll; Pythagoras sagt: »Ohne Geheiß des obersten Herrn - d. h. Gottes - darf niemand den Posten, auf den ihn das Leben gestellt hat, verlassen.« Es gibt eine Grabinschrift des weisen Solon, worin er sagt, er wolle nicht, daß sein Tod von seinen Freunden nicht beklagt und beweint werde; er wünscht damit, glaube ich, den Seinen lieb und teuer zu sein; besser drückt sich vielleicht Ennius aus, wenn er sagt: Niemand soll mich mit Tränen beehren und weinend das Grab mir richten. Er meint, man solle den Tod nicht betrauern, da ja auf ihn die Unsterblichkeit folge. Nun kann es allerdings sein, daß man es spürt, wenn man ster91

isque ad exiguum tempus, praesertim seni, post mortem quidem sensus aut optandus aut nullus est. sed hoc meditatum ab adulescentia debet esse, mortem ut neglegamus, sine qua meditatione tranquillo esse animo nemo potest, moriendum enim certe est, et incertum an hoc ipso die. mortem igitur omnibus horis impendentem timens qui poterit animo consistere? de qua non ita longa disputatione opus esse videtur, cum recorder non L. Brutum, qui in liberanda patria est interfectus, non duos Decios, qui ad voluntariam mortem cursum equorum incitaverunt, non M. Atilium, qui ad supplicium est profectus, ut fidem hosti datam conservaret, non duos Scipiones, qui iter Poenis vel corporibus suis obstruere voluerunt, non avum tuum L. Paulum, qui morte luit collegae in Cannensi ignominia temeritatem, non M. Marcellum, cuius interitum ne crudelissimus quidem hostis honore sepulturae carere passus est, sed legiones nostras, quod scripsi in Originibus, in eum locum saepe profectas alacri animo et erecto, unde se redituras numquam arbitrarentur. quod igitur adulescentes, et ii quidem non solum indocti, sed etiam rustici, contemnunt, id docti senes extimescent? omnino, ut mihi 92

ben muß - und zwar für eine kurze Zeit, zumal wenn man schon sehr alt ist; nach dem Tode jedoch ist das Empfindungsvermögen entweder etwas Wünschenswertes oder es ist überhaupt nicht vorhanden. Aber man muß von Jugend auf darauf vorbereitet sein, den Tod so gleichgültig zu nehmen, eine geistige Vorbereitung, ohne die niemand in seinem Inneren ruhig sein kann. Der Tod ist nämlich gewiß, ungewiß ist nur, ob er gerade heute kommt. Wenn man nun den Tod, der zu jeder Stunde droht, furchtet, wie soll man dann innerlich stark sein können? Ich glaube, es ist gar keine so lange Erörterung über den Tod am Platz; ich denke dabei nicht an Lucius Brutus, der im Kampf um die Freiheit des Vaterlandes starb; nicht an die beiden Decier, die ihren Pferden die Sporen gaben, um freiwillig den Tod zu erleiden; nicht an Marcus Atilius, der zur Hinrichtung abreiste, um sein den Feinden gegebenes Wort nicht zu brechen; nicht an die beiden Scipionen, die den Puniern sogar mit ihren eigenen Leibern den Weg versperren wollten; nicht an deinen Großvater Lucius Paullus, der die blinde Verwegenheit seines Amtsgenossen bei der Schmach von Cannae mit seinem Leben büßen mußte; auch nicht an Marcus Marcellus, dem nicht einmal der roheste Feind nach seinem Tod eine ehrenvolle Bestattung versagen konnte; ich denke vielmehr daran zurück, wie unsere Legionen - ich habe das in meinen »Origines« beschrieben - oftmals mit Begeisterung und Mut dorthin marschierten, von wo sie sich keine Rückkehr mehr denken konnten. Was nun junge Männer, und zwar nicht nur solche, die eben keine höhere Bildung genossen haben, sondern sogar aus dem Bauernstand kommen, nicht achten, davor sollen sich die Alten, die doch weise sind, furchten? Überhaupt bewirkt, wie mir scheint, die sattsame Befriedigung aller Wünsche ein Satt93

quidem videtur, studiorum omnium satietas vitae facit satietatem. sunt pueritiae studia certa: num igiturea desiderant adulescentes? sunt ineuntis adulescentiae: num ea constans iam requirit aetas, quae media dicitur? sunt etiam eius aetatis: ne ea quidem quaeruntur in senectute. sunt extrema quaedam studia senectutis: ergo, ut superiorum aetatum studia occidunt, sic occidunt etiam senectutis; quod cum evenit, satietas vitae tempus maturum mortis adfert. Non enim video cur, quid ipse sentiam de morte, non audeam vobis dicere, quod eo cernere mihi melius videor, quo ab ea propius absum. ego vestros patres, tu Scipio tuque C. Laeli, viros clarissimos mihique amicissimos, vivere arbitror, et eam quidem vitam quae est sola vita nominanda. nam dum sumus inclusi in his compagibus corporis, munere quodam necessitatis et gravi opere perfungimur; est enim animus caelestis ex altissimo domicilio depressus et quasi demersus in terrain, locum divinae naturae aeternitatique contrarium. sed credo deos immortales sparsisse animos in corpora humana, ut essent qui terras tuerentur quique caelestium ordinem contemplantes imitarentur eum vitae modo atque constantia. 94

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haben des Lebens. Bestimmte Dinge fesseln das Kind; sehnt man sich nun etwa auch noch als junger Mann nach ihnen? Auch zu Beginn des Mannesalters hat man bestimmte Neigungen; verlangt man nach ihnen etwa, wenn man bereits reifer und in den sogenannten »mittleren Jahren« ist? Auch dort gibt es bestimmte Interessen; nicht einmal nach diesen verlangt man im Alter. Gewisse »letzte« Neigungen aber kommen im Greisenalter; wie nun also die Interessen der früheren Altersstufen nichtig werden, so hören auch die des hohen Alters auf; dann aber hat man eine befriedigende Sättigung des Lebens erfahren, und es ist Zeit zu sterben. Ich glaube mir nämlich erlauben zu dürfen, euch meine eigene Ansicht über den Tod vorzutragen; denn ich meine, daß sich diesbezüglich mein Blick um so mehr schärft, je näher ich dem Tode bin. Ich glaube daran, mein Scipio und du, mein Gaius Laelius, daß eure Väter, jene berühmten und mir so eng befreundeten Männer, noch leben, und zwar das Leben, das allein die Bezeichnung »Leben« verdient. Denn solange wir im Organismus dieses unseres Körpers gefangen sind, können wir sozusagen nicht aus und haben eine schwere Aufgabe zu bestehen; die Seele nämlich, die himmlischen Ursprungs ist, wurde von ihrem erhabenen Wohnsitz verdrängt und gleichsam auf die Erde herabgenötigt, an einen Ort, der geradezu der Gegenpol ihres göttlichen, unsterblichen Wesens ist. Aber ich glaube daran, daß die unsterblichen Götter die Seelen deswegen in menschliche Körper verpflanzt haben, damit es Wesen gibt, die die Länder in der richtigen Ordnung halten, indem sie aus ihrer betrachtenden Schau der himmlischen Ordnung heraus es dieser durch ein maßvolles und nach festen Grundsätzen ausge-

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nec me solum ratio ac disputatio impulit, ut ita crederem, sed nobilitas etiam summorum philosophorum et auctoritas. Audiebam Pythagoram Pythagoreosque, incolas paene nostros, qui essent Italici philosophi quondam nominati, numquam dubitasse, quin ex universa mente divina delibatos animos haberemus. demonstrabantur mihi praeterea, quae Socrates supremo vitae die de immortalitate animorum disseruisset, is qui esset omnium sapientissimus oraculo Apollinis iudicatus. quid multa? sic persuasi mihi, sic sentio: cum tanta celeritas animorum sit, tanta memoria praeteritorum futurorumque prudentia, tot artes, tantae scientiae, tot inventa, non posse earn naturam, quae res eas contineat, esse mortalem, cumque semper agitetur animus nec principium motus habeat, quia se ipse moveat, ne finem quidem habiturum esse motus, quia numquam se ipse esset relicturus; et cum simplex animi natura esset neque haberet in se quicquam admixtum dispar sui atque dissimile, non posse eum dividi; quod si non posset, non posse interire; magnoque esse argumento homines scire pleraque antequam nati sint, quod iam pueri, cum artes difficiles discant, ita celeriter res 96

richtetes Leben gleichzutun suchen. Aber nicht nur meine eigene, von der Vernunft geleitete Forschung führte mich zu dieser Uberzeugung, sondern auch das hochberühmte Ansehen der größten Philosophen. Wie ich hörte, haben Pythagoras und die Pythagoreer - man könnte sie fast unsere Landsleute nennen, da sie ja seinerzeit die »italischen« Philosophen hießen - stets daran festgehalten, daß unsere Seelen der göttlichen Weltseele entnommen sind. Außerdem bekam ich berichtet, was Sokrates - nach Apollons Orakel doch der weiseste von allen - am letzten Tag seines Lebens über die Unsterblichkeit der Seele ausgeführt haben soll. Kurz, folgendes ist es, was ich aus voller Uberzeugung vertrete: Bei der erstaunlichen Schnelligkeit des menschlichen Geistes, bei seinem starken Erinnerungsvermögen an Vergangenes und seinem weiten Blick in die Zukunft, bei seinen zahlreichen Fertigkeiten und umfangreichen Kenntnissen, bei den vielen Erfindungen, die er schon gemacht hat, kann dieses Wesen, das doch so vieles umfaßt, unmöglich sterblich sein. Da weiterhin die Seele stets in Bewegung ist, aber keine äußere Ursache dieser Bewegung kennt, weil sie sich selbst bewegt, wird sie auch kein Ende dieser Bewegung finden, da sie sich niemals selbst verlassen wird. Ferner ist die Seele meiner Uberzeugung nach auch nicht teilbar, da ihr Wesen homogen ist, ohne Beimischung von Elementen, die ihm ungleich oder unähnlich wären; ist sie aber nun nicht teilbar, dann kann sie auch nicht vergehen. Ein starker Beweis dafür, daß die Menschen bereits vor ihrer Geburt das meiste wußten, ist für mich auch die Tatsache, daß sie als Kinder, beim Erlernen schwieriger

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innumerabiles adripiant, ut eas non tum primum accipere videantur, sed reminisci et recordari. haec Platonis fere. Apud Xenophontem autem moriens C y rus maior haec dicit: 'nolite arbitrari, o mihi carissimi filii, me, cum a vobis discessero, nusquam aut nullum fore, nec enim, dum eram vobiscum, animum meum videbatis, sed eum esse in hoc corpore ex eis rebus, quas gerebam, intellegebatis. eundem igitur esse creditote, etiamsi nullum videbitis. nec vero clarorum virorum post mortem honores permanerent, si nihil eorum ipsorum animi efficerent quo diutius memoriam sui teneremus. mihi quidem numquam persuaderi potuit animos, dum in corporibus essent mortalibus, vivere, cum excessissent ex iis, emori, nec vero tunc animum esse insipientem, cum ex insipienti corpore evasisset, sed cum omni admixtione corporis liberatus purus et integer esse coepisset, tum esse sapientem. atque etiam cum hominis natura morte dissolvitur, ceterarum rerum perspicuum est quo quaeque discedat: abeunt enim illuc omnia, unde ortasunt; animus autem solus, nec cum adest nec cum discessit, apparet. iam vero videtis nihil esse morti tam simile quam somnum. atqui dormientium animi maxime 98

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Fettigkeiten, Unzähliges so rasch auffassen, daß sie es offensichtlich nicht jetzt eist begreifen, sondern es aus tiefer Erinnerung schon kennen. So etwa steht es bei Piaton. Bei Xenophon aber läßt sich Kyros der Ältere in seiner Sterbestunde mit folgenden Worten vernehmen: »Meine liebsten Söhne, glaubt nicht, daß ich, wenn ich euch verlassen habe, nirgends mehr oder nicht mehr sein werde. Ihr konntet meine Seele ja auch nicht sehen, solange ich bei euch war, ihr erkanntet lediglich an meinem Tun, daß sie in diesem Körper drin sein mußte. Glaubt daher, auch wenn ihr sie nicht sehen werdet, daß sie ebenso noch weiter da ist! Es würden aber auch berühmten Männern nach ihrem Tode nicht laufend Ehrenbezeugungen erwiesen, wenn nicht gerade ihre Seelen etwas auslösten, wodurch wir sie in längerem Andenken behielten. Ich jedenfalls konnte nie dazu gebracht werden, zu glauben, daß die Seele während ihres Aufenthalts im sterblichen Leib lebe, nach dem Verlassen dieses Leibes aber sterbe; aber auch nicht, daß die Seele mit dem Verlassen des verstandeslosen Leibes ihre Geisteskraft einbüße; ich glaube vielmehr, daß sie dann erst die wahre Weisheit erlangt, wenn sie durch die Befreiung von jeglicher materieller Beimischung völlig rein und geläutert wird. Auch sieht man doch, wenn der Mensch nach dem Tode zerfällt, ganz eindeutig, wohin seine übrigen Bestandteile verschwinden: Sie gehen alle dorthin, woher sie ursprünglich kamen; die Seele aber ist der einzige Teil, den man nicht sieht, weder vor dem Tode noch nachher. Weiterhin wißt ihr aber doch auch, daß nichts dem Tode so ähnlich ist wie der Schlaf. Nun bezeugt aber die Seele im Schlaf in ganz besonderer Weise ihre göttliche

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declarant divinitatem suam; multa enim, cum remissi et liberi sunt, futura prospiciunt. ex quo intellegitur, quales futuri sint, cum se plane corporum vinculis relaxaverint. quare, si haec ita sunt, sic me colitote', inquit, 'ut deum; sin una est interiturus animus cum corpore, vos tarnen deos verentes, qui hanc omnem pulchritudinem tuentur et regunt, memoriam nostri pie inviolateque servabitis.' Cyrus quidem haec moriens; nos, si placet, nostra videamus. Nemo umquam mihi, Scipio, persuadebit X X I I I aut patrem tuum Paulum aut duos avos, 82 Paulum et Africanum, aut Africani patrem aut patruum aut multos praestantes viros, quos enumerare non est necesse, tanta esse conatos, quae ad posteritatis memoriam pertinerent, nisi animo cernerent posteritatem ad se posse pertinere. an censes, ut de me ipse aliquid more senum glorier, me tantos labores diurnos nocturnosque domi militiaeque suscepturum fuisse, si isdem finibus gloriam meam quibus vitam essem terminaturus? nonne melius multo fuisset otiosam aetatem et quietam sine ullo labore et contentione traducere? sed nescio quo modo animus erigens se posteritatem ita semper prospiciebat, quasi, cum excessisset e vita, loo

Abkunft: Denn in diesem Zustand völliger Entspannung sieht sie vielfach in die Zukunft. Daraus aber erhellt der Zustand, in dem sie sich befinden wird, wenn sie sich von den Fesseln des Körpers gänzlich freigemacht hat. Daher sollt ihr mich nun«, sagte Kyros, »wenn dem wirklich so ist, in Zukunft wie einen Gott verehren; vergeht aber die Seele zusammen mit dem Leib, so werdet i h r doch aus Ehrfurcht vor den Göttern, die all das Schöne hier auf Erden erhalten und regieren, mein Andenken liebevoll und unantastbar bewahren.« So jedenfalls sprach Kyros vor seinem Tod. Wir aber wollen, wenn es euch recht ist, den Blick jetzt wieder auf uns richten.

Niemand, Scipio, wird mich überzeugen können, daß dein Vater Paullus, oder deine beiden Großväter Paullus und Africanus, oder der Vater oder der Oheim des Africanus, oder die vielen hervorragenden Männer, die aufzuzählen müßig wäre, so Großes im Hinblick auf ihr Andenken bei der Nachwelt gewagt hätten, wenn sie nicht erkannt hätten, daß eine Verbindung der Nachwelt zu ihnen möglich ist. Oder meinst du um auch von meiner Person nach Art alter Männer etwas Rühmliches zu sagen - , ich hätte so große Mühen bei Tag und bei Nacht, im Frieden wie im Krieg, auf mich genommen, wenn ich glaubte, die Grenzen meines Ruhmes seien dieselben wie die meines Lebens? Wäre es denn dann nicht viel besser gewesen, mein Leben fern von der Politik, in Ruhe und ohne angestrengte Tätigkeit ablaufen zu lassen? Aber meine Seele richtete sich irgendwie empor und blickte stets aufdie Nachwelt, mit einem Gefühl, als ob sie dann erst »leben« würde, wenn sie 101

turn denique victurus esset. quod quidem ni ita se haberet, ut animi immortales essent, haud optimi cuiusque animus maxime ad immortalitatem et gloriam niteretur. Quid quod sapientissimus quisque aequissimo animo moritur, stultissimus iniquissimo? nonne vobis videtur is animus, qui plus cernat et longius, videre se ad meliora proficisci, ille autem, cuius obtusior sit acies, non videre? equidem efferor studio patres vestros, quos colui et dilexi, videndi, neque vero eos solos convenire aveo, quos ipse cognovi, sed illos etiam, de quibus audivi et legi et ipse conscripsi. quo quidem me proficiscentem haud sane quis facile retraxerit nec tamquam Peliam recoxerit. et si qui deus mihi largiatur, ut ex hac aetate repuerascam et in cunis vagiam, valde recusem, nec vero velim quasi decurso spatio ad carceres a calce revocari. Quid habet enimvita commodi?quid non potius laboris? sed habeat sane, habet certe tamen aut satietatem aut modum. non libet enim mihi deplorare vitam, quod multi et docti saepe fecerunt, neque me vixisse paenitet, quoniam ita vixi, ut non frustra me natum existimem, et ex 102

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das Leben hinter sich gebracht habe. Wäre nun die Unsterblichkeit der Seelen nicht wahr, dann trachtete auch nicht die Seele des Menschen, je edler er ist, um so mehr nach unsterblichem Ruhm. Wie steht es nun mit der Tatsache, daß gerade die Weisesten beim Sterben den größten Gleichmut zeigen, die Dümmsten aber vor dem Tod am meisten zittern? Gilt euch das nicht als ein Beweis dafür, daß die Seele, die mehr und weiter sieht, auch sieht, daß sie in eine bessere Welt übergeht, daß der Kurzsichtige dies aber nicht erkennt? Ich jedenfalls gerate in Verzückung und Begeisterung durch mein Verlangen, eure von mir so hochgeschätzten Väter zu sehen. Mich verlangt es aber nicht nur, mit denen zusammenzutreffen, die ich selbst kennenlernte, sondern auch mit jenen Männern, von denen ich gehört, gelesen und auch selbst geschrieben habe. Wenn ich einmal dorthin unterwegs bin, dürfte man mich nicht so leicht zurückholen oder »wieder aufkochen« können wie einen Pelias. Und wollte mir ein Gott die Gnade schenken, aus diesem meinem Alter heraus wieder Kind zu werden und in der Wiege zu wimmern, so würde ich mich wohl gar sehr weigern und keineswegs willens sein, nach vollendetem Rennen mich vom Ziel wieder an den Start zurückweisen zu lassen. Was hat denn das Leben Angenehmes zu bieten? Ist es nicht eher Mühseliges ? Aber mag es ruhig seine angenehmen Seiten haben - so gibt es doch sicherlich auch ein »genug«, einen Punkt, an dem das Maß voll ist. Es widerstrebt mir nämlich, das Leben zu bejammern, wie es schon viele, noch dazu gelehrte Leute getan haben; auch reut es mich nicht, gelebt zu haben; denn mein Leben war so, daß ich glauben darf, nicht umsonst 103

vita ita discedo tamquam ex hospitio, non tamquam domo, commorandi enim natura deversorium nobis, non habitandi dedit. O praeclarum diem, cum in illud divinum animorum concilium coetumque proficiscar cumque ex hac turba et colluvione discedam! proficiscar enim non ad eos solum viros, de quibus ante dixi, verum etiam ad Catonem meum, quo nemo vir melior natus est, nemo pietate praestantior; cuius a me corpus est crematum, quod contra decuit, ab illo meum: animus vero non me deserens, sed respectans in ea profecto loca discessit, quo mihi ipsi cernebat esse veniendum. quem ego meum casum fortiter ferre visus sum, non quo aequo animo ferrem, sed me ipse consolabar existimans non longinquum inter nos digressum et discessum fore. His mihi rebus, Scipio, (id enim te cum Laelio admirari solere dixisti) levis est senectus, nec solum non molesta, sed etiam iucunda. quodsi in hoc erro, qui animos hominum immortales esse credam, libenter erro nec mihi hunc errorem, quo delector, dum vivo, extorqueri volo; sin mortuus, ut quidam minuti philosophi censent, nihil sentiam, non vereor ne hunc errorem meum philosophi 104

auf die Welt gekommen zu sein. Und ich scheide aus ihm wie aus einer Herberge, nicht wie aus meinem eigentlichen Wohnhaus. Denn die Natur hat uns hier nur eine Einkehr zum Verweilen beschert, nicht einen ständigen Wohnsitz. Wie herrlich wird der Tag, an dem ich in jene göttliche Versammlung und Gesellschaft der Seelen eingehen werde, um das Gewühle und unschöne Durcheinander hier auf Erden zu verlassen! Ich werde nämlich nicht nur zu den vorhin genannten Männern gelangen, sondern auch zu meinem Cato - für mich gab es ja keinen besseren Menschen, keinen lieberen Sohn! Seinen Leichnam habe ich eingeäschert, ein Dienst, den umgekehrt eigentlich er mir hätte erweisen müssen; seine Seele aber hat mich nicht verlassen, sondern ist, den Blick auf mich zurückgerichtet, bestimmt an jenen Ort entschwunden, an den auch ich selbst, wie er sehen mußte, gelangen soll. Es sah so aus, als würde ich den Schicksalsschlag, der mich damals traf, mit starkem Herzen ertragen - aber nicht, weil ich ihn gelassen hingenommen hätte; vielmehr tröstete ich mich selbst mit dem Glauben, daß diese unsere schmerzliche Trennung nicht lange dauern werde. Das alles ist es, Scipio, - und darüber mußt du dich ja, wie du sagtest, mit Laelius immer wieder wundern - , was mir das Alter leicht macht, und zwar nicht nur nicht beschwerlich, sondern sogar angenehm. Nehmen wir nun an, ich täuschte mich, wenn ich an die Unsterblichkeit der menschlichen Seelen glaube, so täusche ich mich gerne und will mir diesen Irrtum, der mir im Leben Freude spendet, auch nicht gewaltsam nehmen lassen; hört nun nach dem Tode - es gibt da einige unbedeutende Philosophen, die das glauben - mein Bewußtsein auf, dann brauche ich aber auch nicht zu befürchten, die toten Philo105

mortui irrideant. quod si non sumus immortales futuri, tamen exstingui homini suo tempore optabile est. nam habet natura ut aliarum omnium rerum, sic vivendi modum. senectus autem aetatis est peractio tamquam fabulae, cuius defatigationem fugere debemus, praesertim adiuncta satietate. Haec habui de senectute quae dicerem; ad quam utinam perveniatis, ut ea, quae ex me audistis, re experti probare possitis!

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sophen könnten diesen meinen Irrtum belächeln. Sei es drum, daß wir auch nicht unsterblich sein werden, so ist es doch für den Menschen wünschenswert, daß sein Lebenslicht, wenn es an der Zeit ist, ausgeblasen wird. Denn die Natur hat, wie allem anderen, so auch dem Leben ein Maß bestimmt. Das Greisenalter aber ist, wie bei einem Schauspiel, des Lebens letzter Akt. Hier schlappzumachen, sollten wir vermeiden, zumal wir ja die Erfüllung haben. Das war es, was ich über das Greisenalter zu sagen hatte. Ich wünsche euch, ihr möget es erreichen, auf daß ihr das, was ihr von mir gehört habt, durch eigene Erfahrung bestätigen könnt!

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EINFÜHRUNG Ciceros Leben (106 bis 43 v. Chr.), das der Tusculum-Leser in meiner Einführung zum »Laelius« nachlesen mag, ist dramatisch verlaufen. Es brachte nach den Jugendjahren, in denen Cicero eine reiche rhetorische, juristische und philosophische Ausbildung erhielt, seinen bekannten glanzvollen Aufstieg in der politischen Laufbahn vom unbekannten »homo novus« aus dem Landstädtchen Arpinum bis zur Gipfelstellung des römischen Staatsmannes, dem Konsulat; um so jäher und für Cicero persönlich schmerzlicher war der Abstieg, den die Hetze der Volkspartei Stufe fiir Stufe erzwang, bis Cicero, von Cäsar, der ihm anfangs wohlwollend gegenüberstand, nicht mehr geschützt, im Jahre 58 V. Chr. in die Verbannung gehen mußte. Man gab ihm zwar im Jahre 53 noch die Augurenwürde und machte ihn für das Jahr 51 Zum Statthalter der Provinz Kilikien; als er sich jedoch im Bürgerkrieg zwischen Pompeius und Cäsar auf die Seite des Pompeius gestellt und damit als treuer Anhänger der Republik die falsche Partei gewählt hatte, war er trotz der großzügigen Haltung des Siegers Cäsar als Politiker praktisch mundtot gemacht, und es brach mit Cäsars Alleinherrschaft die Zeit für ihn an, die er selbst als »tempora inimica virtuti« bezeichnet hat. Wie er des öfteren bekennt, gab es in dieser Zeit für ihn nur den einen Trost: die Wiederaufnahme seiner philosophischen Studien und die Aufgabe, in einer Reihe größerer und kleinerer philosophischer Werke in lateinischer Sprache seinem Volk die Güter griechischer Weisheit zu vermitteln. In diesen großen Zusammenhang gehört auch die Entstehung des »Cato maior - de senectute«. Was Cicero unmittelbar veranlaßte, eine Schrift über das Alter zu verfassen, können wir nur 109

vermuten. Im Februar des Jahres 45 V. Chr. hatte ihn durch den Tod seiner geliebten Tochter Tullia einer der schwersten Schicksalsschläge getroffen. Mit dem Versuch, sich selbst durch eine Trostschrift über den schweren Verlust hinwegzutrösten, war er bei seinem ausgiebigen Quellenstudium in der griechischen Philosophie wohl in erster Linie den Gedanken nachgegangen, die sich um Krankheit, Tod und Fortleben nach dem Tode bewegten. So manche Berührung mit dem Thema »Das Alter und seine Beschwerden« mag ihm wohl den - vielleicht noch unbestimmten-Gedanken eingegeben haben, auch dieses Thema einmal kritisch unter die Feder zu nehmen. Außerdem ist es eine psychologische Erfahrungstatsache, daß Väter durch ein einschneidendes Ereignis im Leben erwachsener Töchter leicht einen gewissen Alters-Komplex bekommen, der ihnen - körperlich fast - das Altwerden spürbar macht. Es liegt auch nahe, daß Cicero in seinem Schmerz um den Verlust seiner Tochter an Parallelfälle dachte, vor allem an den alten Cato Censorius (234 bis 149 v. Chr.), der durch den Verlust seines erwachsenen und zu den größten Hoffnungen berechtigenden Sohnes einen ähnlichen Schicksalsschlag erlitten hatte. Damit wäre ein erster Weg zur Wahl der Titelfigur gegeben. Schließlich mag bei Cicero dadurch, daß man ihn aus der Politik hinausgedrängt hatte, gar manches Mal das Gefühl wachgeworden sein, er sei nunmehr »abstractus a rebus gerendis« und damit »alt«. Die Worte seiner Einleitung lassen eine gewisse allgemeine Niedergeschlagenheit durchschimmern. Er spricht da zu Atticus von der »Last des Alters, das uns bereits bedrückt oder doch unausweichlich bevorsteht.« Für die Frage, in welcher Zeitspanne der »Cato maior« geschrieben wurde, haben wir zwei Anhaltspunkte: Die Zeit der Abfas110

sung muß um einiges vor dem n . Mai des Jahres 44 v. Chr. liegen; denn unter diesem Datum schreibt Gcero an seinen Freund Atticus (ad Att. XIV 21, 3): »Legendus mihi saepius est ,Cato maior' ad te missus. Amariorem enim me senectus facit; stomachor omnia. Sed mihi quidem ßsßiwTai; viderint iuvenes« (Ich muß doch meinen Cato maior öfter lesen, den ich Dir gewidmet habe: das Alter macht mich ziemlich bitter, die Fliege an der Wand ärgert mich. Aber was mich angeht mein Leben liegt hinter mir; jetztsind die Jungen dran [Kasten]). Cicero hatte offensichtlich schon einen gewissen Abstand von seinem Werk gewonnen (s. H. Herter, a.a.O. S. 6). Ferner besagt sein Vorwort zu »De divinatione II« (II 3), daß die Schrift »de senectute« noch in der Diktatur Casars verfaßt ist, also wahrscheinlich kurz vor den Iden des März 44. Der Doppeltitel des Werkes »Cato maior - de senectute« geht auf Cicero selbst zurück, wie die beiden angeführten Stellen ebenfalls erkennen lassen. Ciceros Idealbild des römischen Freistaates war in der Zeit, da er daran ging, den »Cato maior« zu verfassen, in der politischen Realität praktisch nicht mehr zu verwirklichen. Zu schwach, dieses Ideal aufzugeben oder sich das Sterben des römischen Freistaates wenigstens selbst einzugestehen, suchte Cicero auch für diesen Schmerz seinen Trost in der Philosophie. Was lag daher näher, als daß er in philosophischen Schriften auf Glanzzeiten der römischen Republik zurückgriff und glorreiche Namen des frühen römischen Freistaates wieder aufleben ließ? So ist auch die Schrift über das Alter stark durchdrungen von römischer Geschichte. Die Zeit des Gesprächs ist zurückverlegt in das Jahr 150 v. Chr., in die Mitte eines Jahrhunderts also, das außenpolitisch glänzende Erfolge gebracht hatte und noch in

nicht, wie die eigene Lebenszeit, von den Greueln römischer Bürgerkriege erfüllt gewesen war. Und zum Titelträger und eigentlichen Wortführer des Dialogs hat Cicero den älteren Cato bestimmt, dessen bloßer Name damals schon geeignet war, das Bild des urwüchsigen, urtümlichen Römers »von echtem Schrot und Korn« hervorzurufen. Damit hat das Werk vom Titel her den Anstrich einer historischen Schrift. Wer aber als Historiker Catos Leben und Lebensweise aus den geschichtlichen Begebenheiten, aus anekdotenhafter Uberlieferung und aus seinen eigenen Werken kennt, dem mag beim Lesen von Ciceros Schrift die geläufige Vorstellung von diesem Ur-Römer willkürlich verändert und das festgeprägte Cato-Bild reichlich verzeichnet erscheinen. Um einen Begriff von dem historischen Cato zu bekommen, empfiehlt es sich, den Aufsatz Fr. Klingners (Cato Censorius und die Krisis Roms, in: Römische Geisteswelt) nachzulesen. Dort stehen Worte wie: »Von einem kantigen, eckigen, verbissenen, widerborstigen, verschlagenen, unheimlichen, ja rohen barbarischen Manne voller unausgeglichener, unbewältigter Problematik soll die Rede sein, von dem blauäugigen Rotkopf, vor dem sich seine Mitbürger fürchteten, der wie ein bissiger Hund jeden anfiel und den nach seinem Tode selbst Persephone im Hades nicht aufnehmen mochte,. . ., von einem Eiferer, ja Zänker, dessen Wesen auch ein Teil Bösartigkeit beigemischt war, von dessen Feindschaften ungleich mehr als von seinen Freundschaften bekannt ist, der immer in Fehden mit den Mächtigen seiner Zeit gelegen hat, vierundvierzigmal angeklagt und nie verurteilt, vor allem aber selber immer wieder bis in sein neuntes Jahrzehnt ein gefährlicher Angreifer, der manchen zu Falle gebracht und sogar den großen Scipio, den Überwinder Hanni112

bals, gestützt und in die Verbannung getrieben hat, - von einem Manne, in dem die Urkraft des italischen Blutes brutal und fast erschreckend pulst...«. Seine besondere Situation und seine Verdienste werden gerecht gewürdigt, aber er ist »der große Griechenhasser, wenn auch oder vielleicht gerade weil er bei aller Überlegenheit eines römischen großen Herrn über das gehalt- und gewichtlose Dasein der gewöhnlichen Griechen doch auf der griechischen Seite Werte spürte, deren er und seine Römer bar waren.« In Ciceros Schrift dagegen erscheint Cato nicht wortkarg, sondern wortreich, nicht als Griechenhasser, sondern als begeisterter Anhänger griechischer Philosophie, nicht als Feind der Scipionen, sondern als wohlmeinender Freund. Es spricht aber doch einiges dafür, daß Cicero mit einem absichtlichen kühnen Griff die Person Catos zum Wortführer seiner hier vorgetragenen Gedanken über das Greisenalter gemacht hat und damit bewußt einen ganz anderen »Cato« auftreten ließ, und daß er seine guten Gründe hatte, eine »Verzeichnung« des historischen Cato in Rücksicht auf Aussagen und Aussagenformen, die ihm weit wesentlicher erschienen, in Kauf zu nehmen: Erstens war es ihm darum zu tun, hier keine historische Darstellung, sondern eine philosophische Abhandlung in Form eines Kunstwerkes zu schaffen. Dafür spricht ein an manchen Stellen recht freizügiges Umgehen mit historischen Daten, das kaum auf ungenaues Wissen oder falsche Information zurückzuführen sein dürfte (vgl. Anm. zu den §§24, 25 und 32). Ein beredtes Zeugnis für die vorwiegend künstlerische Schaffensfreude, die Gcero beim Verfassen des »Cato maior« hatte, ist aber die Tatsache, daß er mit dem nachfolgend verfaßten »Laelius - de 113

amicitia« ein Pendant schuf, in dem er offensichtlich vieles der Form nach aus dem frisch geschriebenen »Cato maior« übernahm: Die Widmung an Atticus, die Form des heraklidischen Dialogs (Männer der Vergangenheit als Wortführer), den Trost, der in der Kürze des Schmerzes liegt (s. Anm. zu § 84), die Schlußformel u. a. m. Zweitens: Cicero bereitete nach seinen eigenen Worten das Verfassen der vorliegenden Schrift eine große Schaffensfreude. Man darf annehmen, daß er im Enthusiasmus des Schreibens und Nachlesens in gewissem Sinne sich selbst mit der Person des alten Cato identifizierte. Er gibt das sogar zu, indem er (§ 3 Ende) erklärt: »Gleich wird Cato selbst zu Wort kommen und alles darlegen, was ich zum Thema >Das Alter< zu sagen habe.« Im »Laelius« bekennt er sogar (§ 4): »So werde ich auch selbst beim Lesen meiner Schrift manchmal derart ergriffen, daß ich meine, Cato rede da, nicht ich.« Daß Cicero sich der Abweichung vom überlieferten Cato-Bild durchaus bewußt gewesen sein muß, zeigen auch die beiden Stellen, an denen er sich für die Weitschweifigkeit und Ausdrucksweise seines Cato vor dem Leser gewissermaßen rechtfertigt: Im § 5 5 läßt er ihn sagen: ». . . aber ich denke mir, schon das Gesagte ist allzu ausführlich gewesen; ihr werdet mir das aber nachsehen, da ich einerseits in meiner Begeisterung für das Landleben so weit gegangen bin, andererseits aber auch alte Leute von Natur aus allzu redselig sind.« Seinem Freund Atticus gegenüber, dem ja die Schrift gewidmet ist, äußert er sich im Vorwort (§ 3): »Wenn du glaubst, daß er (Cato) sich in diesem Gespräch gebildeter ausdrückt, als er es gewöhnlich in seinen eigenen Werken tut, so schreibe das der griechischen Literatur zu, für die er bekanntlich im Alter größtes Interesse zeigte.« 114

Beide »Entschuldigungen« operieren mit dem Alter. Vielleicht ist dies ein Hinweis, um das größte Problem richtig zu deuten, das sich dem Leser hinsichtlich all dessen, was er vom historischen Cato weiß, stellen muß: Wie kommt Cicero dazu, dem alten Cato, dem »großen Griechenhasser«, dessen Abscheu vor dem Griechentum und seiner Philosophie noch im Jahre 155 v. Chr. anläßlich der »attischen Philosophengesandtschaft« in Rom zu leidenschaftlichem Ausbruch gekommen war, so viel griechisches Gedankengut in den Mund zu legen und es ihn mit Begeisterung für die griechische Philosophie, ohne irgendein abfälliges Wort, vortragen zu lassen? Und das im Jahre 150 v. Chr., nur fünf Jahre nach dem Zeitpunkt, wo die griechischen Philosophen Diogenes, Karneades und Kritolaos (s. Anm. zu § 25) als Gesandte Athens in Rom die Jugend durch Vorträge in Scharen angelockt und damit Catos vernichtende Kritik erweckt hatten? Die letztere Frage, ob der kurze Zeitraum von fünf Jahren genügt haben kann, um in Cato eine derartige Wandlung seiner Einstellung zu den Griechen hervorzurufen, hängt an Jahreszahlen, und Ciceros künstlerischem Interesse müssen wir es zugestehen, hier etwas großzügiger zu verfahren. Die Hauptfrage dagegen, wie sich die Tatsache erklären läßt, daß Ciceros Cato von griechischer Philosophie in hohem Maße durchdrungen und begeistert ist, ist nicht ganz leicht zu beantworten. Daß Cato Griechisch konnte, steht außer Zweifel (s. Anm. zu §§26 und 3); daß er es nicht, wie Cicero und andere überliefern (s. Anm. zu § 26), erst im Alter erlernte, ist höchstwahrscheinlich; erweisbar ist, daß er griechische Literatur in seinen eigenen Schriften mit verwertet hat. Klingner sagt a.a.O.: »Daß er in Wirklichkeit ein Neuerer und ein besserer Griechenschüler war als andere, nicht bloß Altitalien und die alte Zeit, »5

das hat er sich und anderen nicht eingestehen mögen.« Es bleibt also nur die Kernfrage übrig, wie das unumwundene, begeisterte Bekenntnis des ciceronischen Cato zur griechischen Philosophie zu erklären ist. Cicero rechtfertigt sich zu dieser Frage nicht ausdrücklich. Indes: Seinen Cato hier, wie bei anderer Gelegenheit (s. o.), mit dem »Alter« zu entschuldigen, wäre müßig gewesen, da er ja, wie jeder Leser finden wird, den Begriff des Greisenalters untrennbar verbunden sieht mit dem der Weisheit, der »sapientia«. E r läßt nun zwar im »Laelius« (§6) den Fannius sagen, Cato sei (im Gegensatz zu Laelius) weise gewesen, »weil er in vielfacher Hinsicht praktische Erfahrung besaß«, und begründet das mit Catos Wirken im Senat und auf dem Forum. Hier aber sagt er § 3 ausdrücklich, daß seine eigene Meinung über das Alter aus Catos Mund kommen werde. Legen wir aber Ciceros ureigenes »sapientia«-Ideal als Maßstab an, so können wir nur Zu der einen Feststellung gelangen, daß für ihn, der dieses Wort unzählige Male als Äquivalent für »Philosophie« gebraucht, eine »sapientia« ohne Philosophie der Griechen undenkbar gewesen wäre. Demgegenüber tut Cicero manches, um charakteristische Züge des historischen Cato doch noch beizubehalten: E r läßt ihn als eifrigen Landwirt erscheinen (§ 51 u. ö.), auf seinem sabinischen Landgut (§ 46); E r spielt auf seinen berühmten Redeschluß des »Ceterum censeo« an (§ 18), er erwähnt an Hand eines Beispiels seine Strenge als Censor (§ 42), er läßt ihn von seinen »Origines« erzählen (§38), er vergißt auch nicht auf die bekannte Tatsache, daß Cato es liebte, in seinem Geschichtswerk die Namen einzelner Heerführer zu verschweigen, um dem ganzen römischen Volk den Ruhm zuteil werden zu lassen (§ 75); in einer aus Xenophon übernommenen Anekdote ändert er den Text in 116

Rücksicht auf die Person des Sprechers (s. Anm. zu § 59); schließlich wird auch die Reichhaltigkeit der Daten aus Roms Geschichte dem alten Cato durchaus gerecht. Auch leise Archaismen der Sprache werden von Philippson (a.a.O. Sp. 1164) angemerkt. Der römische Anstrich des ganzen Werkes kann und will jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es vielfach auch auf griechische Vorbilder zurückgreift. Das Problem des Altwerdens ist ein allgemein menschliches Problem und hat die Menschen aller Zeiten immer wieder beschäftigt. So findet es sich schon in frühester griechischer Dichtung am Beispiel des homerischen Nestor, aber auch in den Tragödien und in griechischer Prosa behandelt oder wenigstens angeschnitten, wie die im Anhang abgedruckten Textstellen zeigen können. Den Anfang von Piatons »Staat« könnte man wohl als »Urquelle« Ciceros bezeichnen (Text s. S. 123 ff.), aber Cicero führt seinen eigentlichen Gewährsmann in der Vorrede (§ }) namentlich an: Es ist der Peripatetiker Ariston aus Keos, der in einer Schrift über das Alter den Tithonos, eine Sagengestalt, zum Wortführer gemacht habe. Daß nicht der Stoiker Ariston aus Chios, wie handschriftlich überliefert ist, gemeint sein kann, hat H. Herter a.a.O. S. 14 f. mit guten Gründen nachgewiesen. Uber den Inhalt der griechischen Vorlage wissen wir einigermaßen Bescheid durch Rückschlüsse, die uns andere, z. T. ganz erhaltene »Altersschriften« erlauben, da sie auf dieselbe Vorlage zurückgehen: Größere Fragmente — • p! yr,p(i)i unter dem Namen des Iuncus, vor allem aber die Abhandlung Plutarchs (An seni res publica gerenda sit). Auch Musonios, Favorinus und Iuvenal sind hier noch anzuführen, weil sich bei ihnen viele T07701 und Einzelangaben finden, die uns auch in Ciceros Schrift begegnen. Möglicherwei»7

se ging Ciceros Vorlage auf eine volkstümliche Abhandlung, auf eine Diatribe Bions zurück, die eine Reihe von Bearbeitungen und Zusätzen erfahren haben kann. Es ist jedoch nicht so, daß das Ganze etwa als ein »Abklatsch« einer Vorlage zu bezeichnen' wäre. Komposition, Gedankenführung und sprachliche Gestaltung sind weitgehend Ciceros eigenes Werk. Er hat auch z. B. stoisches Gedankengut mitverarbeitet, wie etwa die Erörterung des Selbstmords im § 72; seiner Ablehnung der Lehre Epikurs hat er in den §§ 59-41 mit einem scharfen Angriff gegen die Lust Ausdruck verliehen; insbesondere aber brachte er manche eigenen Gedanken in die Erörterung hinein, die sich aus dem Erlebnishaften seines Themas eingestellt haben werden. Cicero hat nicht nur selbst an dem Werkchen große Freude gehabt, auch sein Freund Atticus, dem es gewidmet ist, schätzte es sehr: Cicero kann ihm am 17. Juni 44 v. Chr. schreiben (ad Att. XVI 5, 1 Kasten): »Quod vero scribis te magis et magis delectare , 0 Tite, si quid', auges mihi scribendi alacritatem« (Wenn Du mir versicherst, »O mein Titus, wenn ich etwas . . . « mache Dir immer mehr Freude, so förderst du damit meine Lust zu produzieren). Das gleiche wird ad Att. XVI I i , } (Brief vom 5. November 44) noch einmal bestätigt. Dem reizvollen Büchlein blieb aber auch die Wirkung bei der Nachwelt nicht versagt: Dies beweisen ein Zitat Quintilians (V 11,41), die Benützung durch Plutarch im 17. Kapitel seiner Cato-Biographie, sowie zahlreiche Auszüge, die die Grammatiker Nonius, Charisius und Priscianus gemacht haben. Wie die ungewöhnlich große Zahl der Handschriften zeigt - die frühesten, auf einen noch älteren Archetypus zurückgehenden, stammen aus der Karolingerzeit - erfreute sich das Werk über Jahrhunderte hinweg gro118

ßer Beliebtheit, für die die Rede Jakob Grimms »Uber das Alter« aus dem Jahre 1860 ein spätes, aber schönes Zeugnis ist. Den Aufbau des Werkes mag der Leser zur Orientierung aus der folgenden Ubersicht entnehmen: A . Widmung und Einleitung (1 mit 15). 1 . Widmung an Atticus mit dem Gedanken, daß die Last des Alters, die auf beide, Cicero und Atticus, unweigerlich zukomme, durch philosophische Überlegungen bewältigt werden könne (1-2). 2. Angabe einer griechischen Vorlage und Benennung der Dialogpartner mit besonderem Hinweis auf Cato (3). 3. Einleitendes Gespräch: Scipio und Laelius bewundern Cato, wie er im Gegensatz zu anderen die Last des Alters mit vollendeter Weisheit ertrage; Cato erklärt das Verhalten anderer Greise als Torheit und das Altwerden als sinnvollen, naturgemäßen Vorgang; Laelius bittet ihn, einen Vortrag darüber zu halten, wie man das Alter, in das ja er und Scipio noch zu kommen hofften, am leichtesten ertragen könne (4-6). 4. Cato leitet seinen Vortrag ein mit dem Hinweis, daß mürrisches Wesen und Unzufriedenheit alter Menschen Charakterfehler seien; er bringt ausführliche Beispiele für ausgesprochen glückliche alte Männer (7-14). 5. Angabe der vier Vorwürfe gegen das Alter, deren Widerlegung folgen soll (15 Anfang). B. Hauptteil: Widerle ?ung der vier Vorwürfe (15 Ende-84). I. Widerlegung des ersten Vorwurfs: Daß das Alter dem Menschen die Tätigkeit verwehre. Politisches Wirken, geistige Beschäftigung, Betätigung in der Landwirtschaft und erzieherischer Einfluß sei alten Menschen nicht verwehrt. 119

Darin liege vielmehr eine Art Berufung für den Greis (15 Ende-26). II. Widerlegung des zweiten Vorwurfs: Daß das Alter die Kraft der Jugend vermissen lasse. Cato sucht den Vorwurf unter verschiedensten Aspekten einzuschränken; soweit er noch berechtigt erscheint, wird er mit dem Hinweis abgetan, daß ja das Greisenalter Körperstärke nicht mehr nötig habe, da es dafür die - weit vorzüglicheren - Kräfte des Geistes besitze (27-38). III. Widerlegung des dritten Vorwurfs: Daß das Alter keine Sinnenlust mehr zulasse. Hier wendet sich Cato zunächst scharf gegen das »Lust-Ideal« Epikurs; schließlich aber verurteilt er die Lust nicht ganz, sondern findet, daß man auch im Alter noch körperliche Lust haben könne; der Vorteil dabei sei, daß das im Alter beschränkte Maß der Sinnenlust keine Übertreibung mehr zulasse; wesentlicher aber seien die geistigen Genüsse, die schöne Beschäftigung mit dem Landbau und schließlich das Ansehen als Frucht eines anständigen Lebens (59-64). Mürrisches, zänkisches Wesen und der Altersgeiz seien Fehler des Charakters (65 /66). IV. Widerlegung des vierten Vorwurfs: Daß das Nahen des Todes alte Menschen bedrücke. Der Tod wird von Cato zunächst als etwas hingestellt, was alle Altersstufen in gleicher Weise bedrohe. Im Alter sei man jedoch besser daran, weil man schon erreicht habe, was man in der Jugend nur hoffen könne. Ferner sei der Tod im Alter etwas Sanftes, Natürliches, das nach einem erfüllten Leben im Hinblick auf den Fortbestand der Seele nur zu wünschen sei (66-84). C. Schluß: Rückblick auf die Einleitung des Gesprächs durch 120

Scipio und Laelius. Nach einem Ausblick auf das Weiterleben nach dem Tode wird aus der Einleitung das Bild des Greisenalters als »des Lebens letzter Akt« wiederaufgenommen. Mit dem abschließenden Wunsch kommt Cato auf das ursprüngliche Anliegen seiner Gesprächspartner zurück (85).

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