Brennende Zeit- und Streitfragen der Kirche: Band 4 Sociale Fragen [Reprint 2019 ed.] 9783111545035, 9783111176642

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Brennende Zeit- und Streitfragen der Kirche: Band 4 Sociale Fragen [Reprint 2019 ed.]
 9783111545035, 9783111176642

Table of contents :
Sozialdemokratie und Christentum
Sozialdemokratie und Kirche
Die soziale Stellung des evangelischen Geistlichen
Die soziale Stellung der Diakonissen
Eigentum und Arbeit
Soziale Bewegungen in einem jungen Kaufmannsherzen
Inhalt

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Vertag bet A. Atcker'sche« Avch-aabtaag in Hieß««. Die Zeit- und Streitfragen sind in 4 Teilen erschienen, von denen der 4. und letzte Teil hier vorliegt; die anderen ent­ halten:

I. Auf alttrstamrntlichrm Gebiete. Bedenken und Wünsche für eine zukünftige Verdeutschung des Alten

Testaments. — Gegenwart und Zukunft im Licht alttestamentlicher Prophetenworte. — Das Alte Testament im christlichen Religions­

unterricht.

II.

Zur christlichen Glaubenslehre. Christus und der Glaube. — Die heilige Schrift und der Glaube. — Die Erlösung int Sinne Jesu und seiner Apostel. — Für das Apostolikum.

III.

Aus dem praktischen Christentum. Pietismus und Methodismus. — Der moderne Pessimismus und

der christliche Glaube. — Freude und Freuden im Lichte der christlichen Ethik.

Jeder Teil ist einzeln zum Preise von ca. Mk. 1,50 bis Mk. 2.— käuflich.

Soeben ist in unserem Verlag erschienen:

Einleitung in das Buch Jesaja von T. rc. Lherne, Professor der Exegese ZU Oxford, Kanonikus der Kathedralkirche zu Rochester.

Deutsche Uebersetzung unter durchgängiger Mitwirkung des Verfassers.

Herausgegeben von Julius Böhmer. gr. 8°. M. 12.—. Gebunden M. 13.50.

Brennende

Zeit- und Streitfragen der Kirche. Gesammelte Abhandlungen von

Julius Böhmer.

IV. Sorialr Fragen. Sozialdemokratie und Christentum. Sozialdemokratie und Kirche. Die soziale Stellung des evangelischen Geistlichen. Die soziale Stellung der Diakoniffen. Eigentum und Arbeit. Soziale Bewegungen in einem jungen Kaufmannsherzen.

K, Otrtzen Ricker'sche Verlags-Buchhandlung

1898,

Meinem Bruder Otto

in Gemeinsamkeit sozialen Denkens, Strebens und Rümpfens zugeergnet.

Ksrialdemskratir und Christentum. Illftenn in den Zeiten der Verfolgung durch die römischen

Kaiser die Christen bis aufs Blut gequält und gemartert

wurden, wenn man sie nötigen wollte, ihre angeblichen geheimen Schandthaten einzugestehen, so blieb ein Jeder dabei: „ich bin ein Christ, und unter uns wird nichts Böses vollbracht". Die Rolle der

Christenverfolger haben heutzutage unsere eigenen Mitchristen über­ nommen. Und wenn sie gleich nicht mit Folter und Tod, Schwert und Kreuz hantieren,

so haben sie feinere, viel giftigere Waffen

in Händen. Und wer die Wahl hat, ob ihm mit einem Ruck das Haupt vom Rumpf getrennt werden soll, oder ob er lieber durch

Nadelstiche viele Jahre hindurch gepeinigt und also langsam aber sicher zu Tode befördert werden soll, der wird sich nicht erst zu

besinnen brauchen.

Die Sozialdemokratie kämpft mit Worten, in

der Presse, in ihren Schriften, in ihren Versammlungen, sie kämpft durch Vorbild und praktische Anleitung, mit Gewalt und Zwang gegen das Christentum. Alle erdenkbaren, teuflischen Mittel wendet

sie an, dem Christentum den Garaus zu machen. Das ist gerade der Vorzug der Sozialdemokratie, daß sie

mit offenem Visir gegen das Christentum kämpft. Wird uns angst und bange, wenn unsere sozialdemokratischen Brüder voll wütenden

Hasses, mit grimmer Feindschaft, in wildem Trotz gegen das Christentum anstürmen? Nein, nimmermehr. Denn erstlich ist

solch offener Kampf besser als versteckte, heimliche Feindschaft, besser

als Gleichgiltigkeit und Kälte, besser gar als Heuchelei. Ein offener

Feind wird am leichtesten überwunden und giebt am meisten Hoffnung, daß man sich ihn zum Freunde gewinne. Zum zweiten ist es unsere unerschütterliche Überzeugung, unsere feste Hoffnung und gewisser Trost, daß, ob sie das Vaterland zu Grunde richten, ob

sie unsere Wirtschaftsordnung über den Haufen werfen, ob sie die IV

1

2 sozialen Verhältnisse von oben nach unten verkehren; doch müssen die Sozialdemokraten vor dem Christentum Halt machen, ihm werden sie nie den Todesstoß geben. Wenn überhaupt Menschen und Mächte dieser Welt das Christentum zu Grunde richten könnten, hätten sie es längst

vollendet.

Denn von Anfang an ist alles ersonnen worden,

das Christentum auszurotten:

der Heiden Feindschaft und der

Christen Gottlosigkeit hat in den vergangenen neunzehn Jahr­ hunderten alles dazu versucht. Nicht bloß haben Heiden die Anhänger des Christentums mit Feuer und Schwert verfolgt, nicht bloß ihre Häupter und Vorsteher ihnen entrissen, nicht bloß ihre heiligen Bücher und Gotteshäuser geraubt und verbrannt, sondern die Christen selbst haben ihre eigene Religion mit Waffen menschlicher

Weisheit unb weltlicher Wissenschaft, mit Eitelkeit und Hochmut, mit falschen Kompromissen zwischen Christentum und weltlichem Wesen bestritten. Christliche Gelehrte und Laien haben sich in der Untergrabung des Christentums zu allen Zeiten die Hände gereicht, und dennoch steht das Christentum heutiges Tages ebenso

mächtig und siegreich in der Welt wie vor 1800 Jahren.

Es

ist wie ein Wunder vor unseren Augen. Wie ist es möglich? fragen wir. Hier ist ein ewiger Inhalt,

im Christentum ist ein lebendiger, unvergänglicher Kern verborgen; was göttlich ist, kann man auf keine Weise totschlagen. Daß es aber ewig, lebendig und göttlich ist, wer will das nicht mit Händen

greifen?

Man muß nur die Welt kennen, wie sie war, ehe das

Christentum kam und wie sie durch das Christentum geworden ist.

Man muß nur vergleichen, wie es bei uns und wie es in

den vom Christentum unberührter! Ländern zrrgeht. Alle, die Sozialdemokraten auch, stehen unter den Segrrurrgen des Christen-

tums, trotzdenr sie es verkennen oder gar sich selbst rauben wollen. Der Heide kennt nur nackte Selbstsucht, er verfolgt sein persönliches Interesse und nicht mehr und lebt ganz und gar für

diese Welt und ihre Güter, Freuden und Ehren. Das Christentum macht den Menschen liebevoll, auf das Wohl seiner Mitmenschen bedacht, lehrt ihn mit hohem Sinn über sich und die Welt hinaus trachten nach dem Himmel und ewigen Gütern, Freuden und Ehren. Der Heide braucht seine Götter, um seine eigenen Zwecke

3 zu verfolgen und meint sie dazu zwingen zu können, oder er betet

sie an aus Furcht, schaden.

sie könnten ihm sonst mit ihrer Allgewalt

Der Christ empfängt von Gott lauter gute Gaben und

unterwirft sich Gottes Willen gern, weil er Gott als seinen besten

Freund erkennt, der ihm allezeit nahe, ja

der Allernächste ist.

Das Heidentum schätzt blos das männliche Geschlecht als voll,

das Weib ist ein Mensch zweiten Ranges, wird als Ware be­ handelt, für Geld gekauft und verkauft, muß in den innersten Räumen des Hauses verborgen bleiben, darf sich unter Männern, selbst im eigenen Hause, geschweige in der Öffentlichkeit nicht sehen

lassen, muß geknechtet sein bis an sein Ende.

Das Christentum

hat dem Weibe dieselbe Stellung, Achtung und Ehre zuerteilt wie

dem Manne, hat das Weib emporgehoben aus der Sklaverei, in

seine Menschenrechte eingesetzt und ihm den gleichen Anspruch auf die Erde, ihre Güter, Freuden und Ehren, ja auch auf den Himmel

und seine Herrlichkeit zuerkannt. Das Heidentum stellt noch unter

das weibliche Geschlecht den Stand der Sklaven als Menschen sozusagen dritten Ranges: dieselben werden dem Vieh gleichgeachtet und nicht einmal als Sache wert gehalten, sie sind ihren Herren auf Gnade und Ungnade übergeben, verdanken ihr Leben und

Wohlsein nur

ihren Herren, die gegen sie unbedingte Gewalt,

selbst über Leben und Tod haben, die Sklaven sind daher ihren Willkürlichkeiten und Launen preisgegeben, ohne Schutz, Recht und

Ehre, selbst vor dem Gericht.

Das Christentum weiß, daß auch

die dienenden Klassen der Menschen denselben Herrn und Helfer

im Himmel haben und er der Rächer über alle ihnen zugefügte

Unbill sein wird.

Darum ist hier die Sklaverei abgeschafft,

und

jeglicher Mensch hat seine Freiheit und seine Sicherheit, die von Behörden und Gerichten gleichermaßen für Reich und Arm geschützt wird.

Das Heidentum kennt nichts Höheres in der Welt als den

Staat.

Das Vaterland und die Mitbürger sind außer ihm selbst

die einzigen, die den Heiden kümmern. Alle, die jenseits der Grenze

wohnen, heißen Barbaren,

gelten als rechtlos, schutzlos, ehrlos,

auf die nian keine Rücksicht nimmt, über die man sich selbst un­ endlich erhaben dünkt, die höchstens zürn Dienen und Gehorchen gut genug sind. Das Christentum weiß, daß alle Staaten und Völker auf Erden gleichberechtigt sind, daß alle ihre Stelle im

2*

4 Völkerganzen und ihren Plan in Gottes Ratschluß auszufüllen Das deutsche Reich verhandelt nicht blos mit Russen und

haben.

Portugiesen, sondern auch mit Häuptlingen Afrikas und Australiens.

So hat das Christentum überall, wo es seine Segmlngen ausbreitet, die Welt umgestaltet.

Vaterland, Klassen und

Himmel und Erde, Volk und

Stände,

Gott imb Mensch, wie ganz

anders werden sie im Christentum,

als

im Heidentum ange­

Wärmn? Weil im Christentum der Mensch als Gottes

sehen!

Ebenbild gilt, weil alle Menschen zu derselben Freiheit und Gleich­ heit und höchsten Würde göttlicher Vollkommenheit und Heiligkeit

berufen sind.

Daher hat hier jedes Menschenleben einen größeren

Wert als alle Welt und was

Darum wird der

drinnen ist.

Arme, Kranke und Notleidende nicht verstoßen, wie im Heidentum, sondern ausgesucht, versorgt, gehütet; daher wird dem Verführten

zurecht geholfen und selbst der verworfenste Verbrecher in den Sonnenglanz

fördernder

Nächstenliebe

gestellt.

Wo

giebt

es

Armen- und Krankenpflege, wo giebt es Anstalten für Blinde, Taube, Stumme, Epileptische, Gefallene, Gefangene, wo kommt der

Gedanke,

für

kranke,

arbeitsunfähige,

alte

Arbeiter

eine

sichere Beihülfe in Zeiten der Not zu gewähren, vor, wo gibt

es Predigten desseben Evangeliums für alle, wo gibt es Vereine, Mahlzeiten, an denen Hoch und Niedrig, Vornehm und Gering gleichermaßen teilnehmen, wo kommt es vor, daß Fürsten und einfache Leute herzlich befreundet werden, als im Christentum?

Und ist nicht alles in der Christenheit so, wie es sein soll: nun durch Klagen und

Verurteilen des Christentums bessert man's

nicht, sondern da helfe ein jeder mit an seinen: Teil, daß es besser­

werde.

Gewiß steckt noch viel Heidentum in den Christen, in den

Herzen und Häusern, in den öffentlichen und privaten Verhältnissen.

Aber Gott sei Dank,

geht vorwärts, und es ist vieles, vieles

besser geworden und wird noch inuner besser werden.

Eine voll-

konunene Welt wird Gottes Allmacht mii) Gnade erst am Ende

aller Dinge bringen. Aber die Sozialdemokratie hat bis heute noch gar nichts gethan, als die Unzufriedenheit geschürt, alle positiven Vorschläge zur Besserung der Lage der Hülfsbedürftigen abgelehnt, zur Auf­ lehnung und Empörung gegen die Obrigkeit und zur Uneinigkeit

5 und

Zwietracht

aller

untereinander

aufgehetzt.

Und

was die

Sozialdemokratie Berechtigtes, Gutes und Großes in sich trägt, das verdankt sie lediglich dem Christentum, welches sie nun in

schnöder Undankbarkeit haßt und verfolgt. Der sozialistische Gedanke

als solcher und die Weltverbrüderung, der eifrige Kampf für die Sonntagsruhe, Schutz des Arbeiters wider Ausbeutung seiner Kraft lind Verurteilung der eigennützigen, herzlosen Arbeitgeber,

Bestrebungen, die soziale Lage rind das Ehrgefühl des Arbeiter­

standes zu heben und vieles Andere sind Gedanken, welche das Christentum zllerst und allein in die Welt gebracht hat.

Aber

freilich werden auch diese guteil Gedanken zltmeist verzerrt, ja bis zur Unkenntlichkeit entstellt wiedergegeberr: der Sozialismlls tritt

das Jndividurim und feine persönlichen Rechte tot, die Weltver­ brüderung vernichtet die Vaterlandsliebe, die Sonntagsruhe soll zu tollen Lustbarkeiten rind Erniedrigung der Menschenwürde dienen,

der Arbeiter wird vor aller Selbsthülfe gewarnt, und uneigen­

nützige, von edler Selbstlosigkeit eingegebene Bestrebungen einiger Arbeitgeber ignoriert, belacht oder verworfen; und die unbeschränkte Macht des Arbeiterstaildes und seine führende Stellung in allen

öffentlichen Fragen verlangt. Gewiß sagt die Sozialdemokratie, so wollen wir es, und mit Recht. „Denn was hat das Christentum mit allen diesen Dingen zu thun? Religion ist Privatsache, jeder kann es damit

halten ivie er will; aber den Staat und die Gesellschaft geht die Religioir gar nichts an."

In der That, ein unverständiges Urteil,

das nur abgeben kann, wer von Religion nichts versteht, weil er feine hat.

Denn Religion bedeutet Band oder Gemeinschaft, und

Religion ist ihrem Wesen nach eine Verbindung des Menschen mit Gott und des Menschen mit dem Menschen.

nicht mit Gott

verbunden

sein,

d.

Ein Mensch kann

h. Religion

haben,

ohne

dadurch verpflichtet zu werden, nach feinem Verhältnis zu Gott seine Stellung zu den Mitmenschen und zur Welt und allen Ver­ hältnissen in der Welt zu regeln. Die Religion ist die Allherscherin,

welche die rechte Gesinnung pflanzt, und die rechten Grundsätze gibt, nach denen das Leben der Einzelnen, der Gesellschaft uttb der Völker einzurichten ist. Daß sie nicht alle ihre Ziele erreicht, noch keinen Weltfrieden hergestellt hat, noch nicht alle bestehenden

6 Nöte und Notstände gehoben hat, liegt nicht an der Religion, sondern an dem Widerstande der Menschen gegen die Segnungen

der Religion, mit einem Worte: an der Sünde.

Je mehr die

Sünde überwunden ist, um so mehr wird Friede in den Herzen und in der Welt hergestellt sein. Die Sozialdemokratie selbst rückt das Ziel des Christentums ferner, aber mit Gottes Hülfe

und nach des Herrn Verheißungen wird es doch erreicht werden, und zwar durch die Kirche, die jetzt auf Erden ist.

Durch die Kirche.

Denn die Kirche ist die irdische Gemein­

schaftsform mit ihren Satzungen und Rechten, welche als Trägerin

des Christentums und seiner Segnungen unter den Kulturvölkern dasteht. Es ist eine leere Ausrede, wenn die Sozialdemokratie vorgiebt, sie wolle bloß die bestehende Kirche bekämpfen, das Christentum aber unbehelligt lassen.

Die Thatsachen reden gar

anders, und was sie vom Christentum stehen läßt, ist kein Christen­ tum mehr.

Jesus ist ihr der große Volksfreund und Retter der

Armen und Bedrängten, neben Lassalle und Marx auch ein Messias. In der That und Wahrheit ist er der Erlöser von Sünde und Heiland der Welt, wahrer Gottessohn von Ewigkeit zu Ewigkeit, um unsertwillen Mensch geworden. Wohl hat die

Kirche viele Fehler und Gebrechen infolge der Schwachheiten und Thorheiten

und Sünden

ihrer

Glieder.

Aber

mit schwachen,

thörichten, sündhaften Werkzeugen hat Gott seine großen Thaten in der Welt ausgerichtet.

Und trotz Kampfessturm und Wogen­

drang wird es wahr bleiben, was der erste christliche Kaiser im Kriege gegen die heidnische Weltmacht in das Kreuz auf seinen

Fahnen schrieb: in hoc signo vinces (in diesem Zeichen sdes

Kreuzes) wirst du siegen), auch über alles, was an der Sozial­

demokratie nicht von Gott und was an ihr gegen Gott ist.

7

Ss?isldrmokrstie und Kirche. -4hie Frage nach dem Verhältnis zwischen der Kirche und der

Sozialdemokratie ist eins der schwierigsten Probleme der

Gegenwart. Zu ihrer Beantwortung gehört nicht blos eine Erkenntnis der Wege, Absichten und Ziele der beiden, sondern auch die Liebe,

die auf beiden Seiten das Gute erkennt, und zu verstehen sucht, was an beiden von Gott gewollt oder zugelassen ist.

Vor allem

gilt es von vornherein, zwischen Theorie und Wirklichkeit scharf zu

unterscheiden.

In der Theorie mag bei den Sozialdemokraten

manches noch so gut gedacht und geplant sein: der Wirklichkeit müssen wir Rechnung tragen. Die Kirche mag in der Theorie, in der Beurteilung sozialdemokratischer Gedanken und Ausführungen sehr oft irre gehen: die Hauptsache ist, daß sie durch die That sich

als Kirche, als die von Gott selbst gestiftete Macht zur Bekämpfung

der Sünde und Herbeiführung des Himmelreichs auf Erden erweist. Wir würden uns in unfruchtbare Erörterungen verlieren, wollten wir feststellen, ob mit den Sozialdemokraten von Seiten der Kirche

unter gewissen nicht gegebenen Bedingungen eine Verständigung möglich wäre, oder ob unter gewissen nicht vorhandenen Bedingungen die Sozialdemokratie von vornherein sich besser zur Kirche gestellt

hätte, und wollten wir dann auf das Ergebnis solcher Untersuchungen, wie es häufig geschieht, Hoffnungen bauen.

Die Frage, um die

es sich gut Zeit vor allem handelt, lautet, ob zwischen den Sozial­

demokraten, wie sie gegenwärtig sind und voraussichtlich bleiben werden, und der Kirche, wenn sie auf ihren bisherigen von Gott

gewiesenen Bahnen weiter wandelt,

eine Verständigung herbeige­

führt werden könne.

Ohne Zweifel ist die Kirche vor der Sozialdemokratie dage­ wesen. Weil sie den Beruf hat, allen Menschen ohne Ausnahme das Heil in Christo darzubieten» so hat sie es auch den Sozial­

demokraten gebracht.

Man kann sagen:

die Kirche habe ihre

Pflichten, namentlich auf dem Gebiet der speziellen und häuslichen

Seelsorge nicht mit der gebührenden Treue erfüllt; wäre sie von

Anfang an auf dem Posten gewesen,

dann wären viele Seelen

errettet worden, die jetzt in den Schlingen des sozialdemokratischen Atheismus gefangen sind. Aber das kann der Kirche darum nicht

8 zum bleibenden Vorwurf gemacht werden, weil es nicht ihr, sondern

einzelnen oder auch zahlreichen ihrer Diener gilt, und weil diese

wiederum größtenteils bald ihren Fehler erkannt und auch nach Kräften versucht haben, ihn wieder gut zu machen.

ohne großen Erfolg geblieben.

Indes ist es

Nur wenige Seelen, die einmal

in den Armen der Sozialdemokratie gefangen waren, sind für das

Heil in Christo gewonnen worden. Andererseits hat die Sozialdemokratie es sich zur Aufgabe gestellt, eine neue Wirtschaftsordnung herbeizuführen. Das ist eine

derartige Aufgabe, wie sie an und für sich zur Aufgabe der Kirche in keiner Beziehung steht.

Wirtschaftsordnungen.

Die Kirche ist älter als unsere jetzigen

Doch ohne auf die Frage einzugehen, ob

merkantilistische oder liberalistische oder andere national-ökonomische Theorien mehr berechtigt sind, muß doch so viel gesagt werden, daß das socialistische Prinzip das erste gewesen ist, welches sich in

bewußte, radikale Feindschaft zur Kirche und zu aller Religion

gestellt hat. Dennoch müssen wir festhalten: ob jemand Einzel­ wirtschaft oder Gemeinwirtschaft für besser hält, das thut zur Frage seines Verhältnisses zur Kirche ebenso wenig, als es einen Unterschied für die Erlangung des christlichen Heils bildet, ob

jemand in einer Monarchie oder in einer Republik lebt. Aber, heißt vornherein ihren

es, die Sozialdemokratie hat in der Kirche von

Gegner erkannt.

Hier handelt es sich freilich

nicht um den göttlichen Beruf der Kirche auf Erden, sondern um die irdische Seite, welche der Kirche eigen ist, eben weil sie auf

Erden sich eine

sichtbare Gestalt gegeben hat.

Als die

Sozial­

demokratie auftrat, stand ihr die alte Wirtschaftsordnung entgegen, und mit derselben war auch die Kirche oerquüft. Die Kirche besaß

und besitzt bis heute Kapitalien aller Art, Grundbesitz, Stiftungen und Abgaben: das alles darf im sozialdemokratischen Staate nicht sein und muß daher bekämpft werden.

Daher konnte es nicht

ausbleiben, so sagt man, daß nut den der bestehenden Wirtschafts­ ordnung angehörigen Seiten der Kirche diese selbst getroffen wurde.

Man wollte ja von sozialdemokratischer Seite der Kirche nicht ent­ gegentreten, und daher erklärte man: Religion ist Privatsache, das

soll heißen: es macht jeder Einzelne mit sich aus, wie er zum Christentum stehen will. Das Ganze hingegen, das Volk, der

9 Staat haben mit der Kirche nichts

zu thun.

Daß später die

Sozialdemokratie die Kirche im Ganzen bekämpft hat und in der

Kirche selbst den christlichen Glauben angegriffen hat, das war nicht Schuld der Sozialdemokratie, sondern der Kirche. Denn diese trat ja nicht blos unbedingt für die alte Wirtschaftsordnung gegen die neue, sozialistische ein, sondern erklärte sogar den Besitz der

Reichen und Wohlhabenden für Gottes Gaben, während sie der

Armen Elend als ebenfalls von Gott gewollt zu verewigen suchte. Die Kirche vergaß ihren Beruf, Gerechtigkeit und Liebe auf Erden anzurichten, stärkte nicht blos dadurch, daß einzelne ihrer unwürdigen Diener sich zu Anwälten des irdischen Besitzes aufwarfen, sondern

im Allgemeinen durch ihr Festhalten an der kapitalistischen Wirth­ schaftsordnung die Reichen in ihrem Uebermut, während sie für die

Armen nichts Besseres wußte als sie auf ein besseres Jenseits zu vertrösten.

So stehen sich Kirche und Sozialdemokratie gegenüber. Wer will Wahrheit und Unrecht, Licht und Schatten vertheilen? Ohne Zweifel hat die Kirche keinen Anlaß, gut Sozialdemokratie als

solcher Stellung zu nehmen: sie steht über den Parteien und hat mit den Ordnungen des diesseitigen Lebens nichts zu thun, so lange dem Evangelium freier Lauf bleibt.

Aber die Sozial­

demokraten, auch unsterbliche Seelen, sind der Kirche anbefohlen. Und wie stellt sich die Kirche zu den Sozialdeinokraten, um sich

mit ihnen zu verständigen, d. h. in diesem Fall: sie zu gewinnen?

Es ist wahr, daß die Kirche dem Entstehen und Treiben der Sozialdemokratie lange müßig zugesehen hat. Sie achtete nicht

genug (iitf die Zeichen der Zeit. Es bedurfte der erschütternden Attentate auf den ersten deutschen Kaiser, um zuerst in Berlin eine ernstliche Aufmerksamkeit gegenüber der Sozialdemokratie wachzu­ rufen. Vorher hatte man sich im Großen und Ganzen wenig um

sie gekümmert, und wenn es geschehen war, nur verdammende und vernichtende Urteilssprüche für sie gehabt. Man besaß kein Ver­ ständnis für irgend ein berechtigtes Moment in ihr, und wer es

besaß und aussprach, lief Gefahr, selbst für einen Aufrührer zu gelten. Vor allem hatte es an Liebe zu den Sozialdemokraten gefehlt. Und aus beiden Gründen mangelte es an Mannesmut, um mit Sachkenntnis erfüllt und von Liebe gedrungen, freimütig

10 den Sozialdemokraten entgegenzutreten. So stand die Sache, als vor bald zwanzig Jahren Hofprediger Stöcker in Berlin auf den Kampfplatz trat und die christlich-soziale Bewegung einleitete. Da­

mals wurde offenbar, von wie fanatischem Haß gegen Gott und Bibel, gegen Kirche und Vaterland die Führer der Sozialdemokraten

erfüllt waren,

und wie ihnen Tausende

blindlings nachliefen.

Zugleich aber ward kund, wie Unzählige heimlicher Weise ihr Gewissen und ihre Frömmigkeit sich gerettet hatten. Doch bedurfte es erst der Befreiung aus den sozialdemokratischen Banden, damit

sie ihr Christentum wieder offen bekennen konnten. Heutzutage steht die Sache von Seiten der Kirche ganz anders. Die Kirche ist redlich bemüht Fast möchte man sagen: zu redlich),

Verständnis für die Sozialdemokratie zu erlangen und den Sozial­ demokraten suchende Liebe für Leib und Seele entgegenzutragen.

Schon geht man so weit, eine national-ökononrische Bildung als die conditio sine qua non des theologischen Studiums hinzustelleir.

Es werden nicht nur soziale Kongresse, sondern sogar national«

ökonomische Kurse gehalten, sowohl in der katholischen wie in der evangelischen Kirche, um die Einsicht in das Wesen der sozialen Frage und der Sozialdemokratie insonderheit zu erschließen.

In

der Predigt, im Konfirmandenunterricht, in der Seelsorge, in Vor­

trägen, in der Presse, allenthalben, so wird in weiten Kreisen der

Kirche verlangt, muß die soziale Frage behandelt werden. Ja, die Kirche wird von einigen Sozialpolitikern für berufen erachtet, die

Fragen der Wirtschaftsordnung und damit die Berechtigung der sozialistischen Partei,

soweit ihre wirtschaftlichen Forderungen in

Frage kommen, zu beurteilen. Das Bestreben geht deutlich dahin,

durch

Entgegenkommen

gegen

die Sozialdemokratie

bis

auf's

Aeußerste die der Kirche von jener Seite gemachten Vorwürfe zu

widerlegen.

Und wenn es so fortgeht, dann möchte man wohl

sagen: es ist von jenem Wort, das auf einem evangelisch-sozialen Kongreß zu Berlin fiel: die Sozialdemokratie sei die erste christliche Härese, kein allzugroßer Sprung mehr bis zu der Behauptung: die Kirche müsse in der sozialdemokratischen Partei aufgehen. Auf der anderen Seite steht die Sozialdemokratie und jubelt

laut, daß ihr nicht mehr bloß die Massen zufallen, sondern je länger, je mehr auch die Einsichtsvollen unter den „Bourgeois".

Die

11 Monatsschrift „der sozialistische Akademiker" macht unter den Stu-

direnden nicht ungeschickt Propaganda.

Wiederholt sind „sogar"

Theologen innerlich oder and) äußerlich zu ihr übergetreten.

Bro­

schüren und Bücher selbst von positiv-kirchlichen Theologen erregen in ihr zeitweilig die Hoffnung, daß noch einmal ohne blutige

Revolution durch die bloßen Machtmittel des Geistes alle fähigen und leitenden Köpfe zu ihnen herübergezogen werden.

Neuerdings

will man es manchmal als einen ganz zufälligen Umstand erscheinen

lassen, daß die Führer der Sozialdemokraten von jeher größtenteils Kirchenverächter gewesen sind.

Das beweise eben nur, wie schon

gesagt, daß die Kirche nichts tauge, sondern lediglich durch Geld und andere weltliche Mittel ihre Macht aufrechl erhalte.

in Wahrheit liegt die Sache wesentlich anders.

Allein

Die sozialdemo­

kratischen Führer erstreben anerkanntermaßen einen Zukunftsstaat der Gemeinwirtschaft.

Die Gesamtheit soll gleichberechtigter Be­

sitzer von allen Wirtschaftsgütern sein.

Es ist aber auch dem

blöden Auge offenbar, daß dabei irgend eine, wenn auch mit noch so geringen Befugnissen ausgestattete Regierungsgewalt oder Ver­

waltungsbehörde vorhanden sein muß.

Selbstverständlich haben

die gegenwärtigen sozialdemokratischen Führer stets gehofft,

Zukunftsstaat die leitende Rolle zu spielen.

im

Daß von hier aus

betrachtet die rein volkswirtschaftlichen Ideen einen starken politischen Hintergrund gewinnen und aus der volkswirtschaftlichen Partei der Sozialdemokraten eine politische mit Notwendigkeit werden muß, liegt auf der Hand.

Ebensowohl aber haben die Führer

auf jener Seite instinktiv herausgefühlt, daß sie mit solchen Ideen gegen die Lehren und Einrichtungen, gegen den ganzen Sinn und Geist

aller bestehender: Kirchengemeinschaften anrennen.

Die römische

Kirche kann ihr Oberhaupt in Rom und ihre hierarchische Ver­ fassung nicht aufgeben, um sich in irgend welchen Dingen unter

die Regierung eines sozialistischen Komitees, oder wie man sonst

die zukünftige sozialdemokratische Zentralverwaltung nennen mag, zu beugen; und das um so weniger, als die römische Kirche ja den Anspruch erhebt, alle Gebiete des Lebens, auch die national­ ökonomischen und die sozial-politischen,

von sich aus zu gestalten.

Die evangelische Kirche aber, welche nach Sinn und Vorbild des Heilandes als höchste Pflicht des Christen den Dienst der Liebe

12 befiehlt, welche Gehorsam gegen jede Obrigkeit, die Gewalt über einen hat, predigt, und die Revolution verabscheut, verurteilt schon durch ihre Existenz den Ehrgeiz der sozialdemokratischen Führer

und nötigt diese, um zum Ziel zu gelangen, der evangelischen Kirche in erster Linie den Krieg zu erklären, weil sie am meisten Widerstandskraft und Eroberungslust gegen die sozialdemokratischen

Irrlehren in's Feld zu führen hat.

Denn daß nicht eine wissenschaftliche Theorie des Sozialismus, sondern einzig und allein die jeweiligen Führer der Partei be­

stimmen, was es heißt: Sozialdemokrat sein, und wie ein Sozial­ demokrat leben und handeln muß, das ist bei wiederholten Anlässen

aller Welt offenbar geworden, wiewohl auf sozialdemokratischer Seite stets das Gegenteil versichert wird und keineswegs von uns geleugnet werden soll, daß manche Sozialdemokraten ihre Kraft

einer großen Idee opfern wollen und in der That viel Wahrheits­ momente in ihren Urteilen und Bestrebungen enthalten sind. Wer

macht aber die Theorie? Einzelne Männer» die als Führer gelten,

machen sie.

Diese sind keine gelehrten Stubenhocker, keine großen

Geister, obwohl ihr Eifer und ihre Geschicklichkeit im Interesse

ihrer Sache alle Anerkennung verdient, sondern es sind lauter agitatorische Kräfte, inmitten des Volks wirksame Männer. Dem­

nach heißt mit den Sozialdemokraten sich verständigen soviel als: mit den Führern sich auseinandersetzen. Und hier ist, menschlich geredet, jegliche Hoffnung von vornherein abgeschnitten. Ehrgeizige

Fanatiker sind kaum zu überzeugen, kaum zu gewinnen. ihre ihnen blindlings ergebenen Anhänger,

Aber

die millionenweise

nicht wissen, was sie wollen, die in blinder Knechtschaft unter der

Parteileitung gehalten werden, die im Grunde genommen weder wissen, was Sozialdemokratie, noch was Kirche ist, sondern von

jener ein hoffnungsreiches Phantasiegemälde, von dieser ein teuf­ lisches Zerrbild im Herzen tragen, sie gilt es von ihren Führern frei machen.

Sollte das gelingen, dann ist die Verständigung zwischen der Sozialdemokratie und der Kirche da. Aber hier liegt die Schwierigkeit. Die Masse hat stets den Verführern ein aufmerk­ sames Ohr geliehen, und zwar um so mehr, je höher die ver­ sprochenen goldenen Berge waren. Wer aller materiellen Not

13 ein Ende zu machen verspricht, wer Haß, Neid, Schadenfreude,

Habsucht predigt, wer dem großen Haufen die Herrschaft und alle Machtmittel in Aussicht stellt, der hat gewonnenes Spiel.

Wie

jämmerlich nimmt sich dagegen die Kirche aus, die immer nur

Sünde und Buße, Zufriedenheit und Hoffnung, Gottes Liebe und Gerechtigkeit predigen kann: so sagen die sozialdemokratischen Partei­

führer.

Es ist ihr ausgesprochener Grundsatz, nichts gelten zu

lassen als ihre eigenen Ideen: nicht blos solche, die sich aus sozialistischen Wirtschaftsideen ergeben, sondern auch ihre kirchen­ feindlichen atheistischen Bestrebungen gehen ihnen über alles Andere.

Es ist ja wahr, daß Christen in den Reihen der Sozial­ demokraten zu allen Zeiten gewesen sind, nicht nur Menschen mit

s. g. christlicher Weltanschauung, sondern auch solche, denen auf­ richtige persönliche Frömmigkeit nicht abzusprechen war. Ja, sie haben manchmal den Versuch geinacht, das Verhältnis der Sozial­

demokratie zur Kirche neutral oder gar freundschaftlich zu gestalten.

Allein bis zur Stunde sind ihre Bemühungen gescheitert und müssen scheitern. Abgesehen davon, daß mancher „christliche" Sozialdemokrat, wenn man ihn erst näher besah, gar nicht so sehr

christlich war — hier braucht blos an den Namen Theodor von Wächter erinnert zu werden — so sind die kirchenfeindlichen Tendenzen der Sozialdemokratie so deutlich in ihrem Programm,

ob auch hinter allerhand Verklausulirungen, ausgesprochen, daß es unter den bestehenden Verhältnissen (man beachte dies wohl,

nicht grundsätzlich) hieße, die sozialdemokratische Partei auflösen, wollten jene den christlichen Glauben und die Lehren des Christen­

tums als berechtigt oder auch nur als gleichgültig anerkennen. Schon der Satz: Religion ist Privatsache, beruht auf der Feind­ schaft gegen die Kirche, was auch die Sozialdemokraten in schönen Reden gegen diese Behauptung sagen mögen. Denn die Religion

ist ihrem Wesen nach ein verbindendes Element, wie ja auch der Name besagt.

Sie verbindet nicht blos den Menschen mit Gott,

sondern auch den Menschen mit seinem Mitmenschen.

Und wenn

Religion ein vom Verhältnis gu Gott abhängiges Verhältnis zum Mitmenschen einschließt, so muß sie auch die bestimmende Macht im Staatsleben und im Wirtschaftsleben sein. Das ist der alte gefährliche Irrtum der Sozialdemokraten, daß sie meinen, ein

14 System der Volkswirtschaft und ein Staatsleben ohne jede Be­

ziehung zur Religion aufbauen zu können.

Und nicht weil die

Kirche den sozialistischen Plänen als Verbündete des Kapitalismus gegenübertritt, nicht darum wird sie von der Sozialdemokratie als

Feindin bekämpft, sondern weil die Kirche das aufhaltende Element gegen die auf eine (blutige oder unblutige) Umwälzung aller Dinge

gerichteten Bestrebungen der Sozialdemokratie bildet (vgl. 2. Thess. 2,7). Die Kirche, welche die Proletarier im Stich lasse (auch das Beispiel

eines Bodelschwingh wird nicht anerkannt), wird genannt: gemeint ist die Kirche, welche das Bollwerk der bestehenden Ordnung bildet. Die Kirche in ihrer verfassungsmäßigen Gestalt, rote sie in

die

Ordnungen dieser Welt eingetreten ist, die rechtlich organisirte Aber die Kirche, welche ist die Gemeinschaft

Kirche wird befehdet.

der Heiligen, der Glieder, welche durch den Glauben mit dem Haupte Christus verbunden sind, wird von den Pforten der Hölle nicht überwältigt werden. Hier liegt der Grund, warum aus den von beiden Seiten

gemachten Annäherungsversuchen nichts geworden ist und nichts werden kann. Die Kirche komint den Sozialdemokraten entgegen: sie kämpft thatsächlich für die Arbeiter durch ungezählte Anstalten der Inneren Mission, durch viele tausend

Vereine,

durch

die

Forderung staatlicher Fürsorge für alte, kranke, erwerbsunfähige Arbeiter.

Aber die Soizaldemokratie will von alle dem nichts

wissen, kann nur bemäitgeln und klammert sich um so mehr an sich selbst.

Die Sozialdemokratie begehrt, daß gegen die Gewalt­

that der Reichen und für die Nöte der Armen von der Kirche gezeugt und mit der That eingetreten werden solle.

Sie beruft

sich mit frommem Schein auf Stellen der Bibel, welche die Kirche

zu sehr dahinten lasse.

Aber wo die Bibel Buße und Glauben

predigt, wo sie mit der Unzufriedenheit und der Begehrlichkeit und

der Halsstarrigkeit

ins

Gericht geht,

wo

sie die

himmlischen

Gnadengüter über alle Schätze der Welt stellt und die Seele mehr

als den Leib erlösen will, da hört die Bibelkenntnis der Sozial­

demokratie auf. Sie will nichts von Gott und Bibel und Kirche, nichts von Jesus, der ihr tticht einmal ein Jdealmensch ist, wie das neuere und neueste Broschüren („Die Bibel in der Westen­ tasche" u. ä.) erschreckend deritlich beweisen.

16 Wie soll also zwischen der Sozialdemokratie und der Kirche eine Verständigung herbeigeführt werden, da beide in ihrer Weise denselben Anspruch machen, nämlich das ganze Leben des Menschen

und der Gesellschaft mit ihren Ideen zu durchdringen?

Wer mit

gegebenen Verhältnissen und Thatsachen rechnet, dem ist der bloße Gedanke unvollziehbar. Wenn in unsern Tagen aus den Reihen der evangelischen Theologen den Sozialdemokraten warme Freunde

und Verteidiger erwachsen sind — wir denken an Namen wie Schall, Göhre und Naumann — so haben sie sich von einer allzu idealistischen Auffassung der Sozialdemokratie

bestimmen lassen.

Wir dürfen nicht über die Sozialdemokratie um ihrer undurchführ­

baren volkswirtschaftlichen Ideen willen als über eine Thorheit einfach aburteilen und sie gewähren lassen.

Wir können in ihr

nur eine christentumfeindliche Macht erkennen, welche sich grundsätz­ lich vorgenommen hat, die Kirche auf Leben und Tod zu bekäinpfen;

eine Macht, gegen die es gilt, mit starker Energie und mit feu­ rigem Liebeseifer sich wehren.

Einzelne Seelen herumholen von

dem Wege des sozialdemokratischen Verderbens, mit der in jedem Sinn verwahrlosten großen Masse ihr Elend mitfühlen und mit­ tragen, es zu lindern und abzustellen suchen; rechten Ernst mit dem Christentum im Einzelleben und im häuslichen Leben und im öffentlichen Leben und im Staatsleben machen; nicht müde werden, wenn Gelegenheit ist, die sozialdemokratischen Brüder zu bitten, zu ermahnen, zu warnen; nicht verzagen beim Abfall großer Scharen,

sondern auf den Herrn vertrauen, der dem Abraham aus den Steinen Kinder zu erwecken vermag und selbst den Judas bis zum letzten Augenblick mit Geduld getragen hat, kurz, daß die Kirche

ihre Pflicht und Schuldigkeit an den Sozialdemokraten ebensowohl, nicht mehr und nicht weniger, als an allen anderen ihrer Glieder thut, das wird der einzig mögliche, gerade und zum Ziele führende

Weg der Zukunft sein.

16 Vir soziale Stellung des evangelischen Geistlichen. *1fn unserer Zeit der sozialen Verwirrung, wo Ideen und

Bestrebungen hin und her in den Landen die Köpfe erfüllen und das Leben umgestalten möchten, wird kaum ein anderer Stand

mehr in Mitleidenschaft gezogen als der des evangelischen Geist­

lichen. Einerseits soll er schuld an aller Not und an allem Elend sein, weil er nicht zur rechten Zeit und nicht energisch genug dem

überhandnehmenden Geist der Sozialdemokratie entgegengetreten sei:

während er von anderer Seite beschuldigt wird, daß er durch sein Bestehen und durch seine Thätigkeit das Herannahen des goldenen

Zeitalters äufhalte.

Einmal wird von ihm alle Hülfe und alle

'Rettung wider die drohende Umwälzung aller Dinge erwartet: und wiederum können oft dieselben Kreise, die solche Erwartungen

an ihn richten, sich kaum genug thun, ihn der Verachtung und dem Haß, der Ohnmacht und der Unfreiheit preiszugeben.

selbst wohlwollende Beurteiler sind derart irre gegangen,

Aber

daß sie

die bisherige soziale Stellung des evangelischen Geistlichen für

unhaltbar geworden erklären. Und es ist eins der ernstesten Zeichen der Zeit, daß jene Richtung, die immer an den Sachen und an den Verhältnissen, selten an den Personen und in den Herzen

Wandlungen und Fortschritte herbeiführen will, auch vor dem Stand

des evangelischen Geistlichen nicht Halt macht, sondern geradeswegs erklärt: der Stand des evangelischen Geistlichen muß seine soziale

Stellung zeitgemäß ändern. Nicht blos: der evangelische Geistliche

muß sozial werden, Sozialpolitik studiren, soziale Thätigkeit in der Gemeinde und für die Kirche üben, sondern: der Stand der Geist­

lichen überhaupt muß sich der sozialen Arbeit der Kirche anpassen. Was soll denn am Stand der evangelischen Geistlichen fehlerhaft sein und der Wandlung bedürfen? Es wird von den sozial gerichteten Kreisen ernster Christen,

die es mit der Kirche und mit unserm Volk wohl meinen, folgen­

des ausgeführt und allen ehrlichen Volksfreunden, insonderheit allen treuen Dienen: am Wort zur Erwägung anheimgegeben: „Was dem heutigen evangelischen Geistlichen seine Arbeit an den sozialdemokratisch durchseuchten Massen so sehr erschwert, oft unmöglich macht, ist, von anderen dem Individuum anhängenden

17 Mängeln abgesehen, vor allem seine soziale Stellung.

Der mit

der Not des Lebens ringende kleine Mann kann niemals Zutrauen zu einem Pastor gewinnen, von dem er weiß, daß er Brots die

Fülle und Ueberfluß hat. Und der Pastor selbst kann sich nicht Hineinoersetzen in die materielle Lage von Tausenden und Zehn­ tausenden, an denen seelsorgerlich zu wirken er berufen ist, weil ihm die persönliche Erfahrung ihrer Nöte fehlt.

Die römische

Kirche hat hier durch ihre Orden vor der evangelischen wenigstens

den Vorzug, daß zahlreiche Mitglieder derselben aus dem niederen Volke hervorgegangen sind und seine Sprache und seine Bedürf­ nisse aus eigener Erfahrung verstehen und in allen Dingen den

Armen und Aermsten als ihresgleichen gegenübertreten können. Ueberhaupt sind die römischen Kapläne zur sozialen Arbeit um vieles geschickter, sie halten sich in jeder Weise, auch in der äußeren Haltung, worauf es hier ankommt, herunter zu den Niedrigen, und ihre

Popularität

übersteigt im

allgemeinen

evangelischen Geistlichen um ein bedeutendes.

diejenige der

Wenn erst die

evangelische Kirche sich entschließen kann, ihre Diener oder wenigstens einen Teil ihrer Diener in der Arbeiterblouse und mit der kurzen

Pfeife, den Dialekt des gemeinen Mannes im Munde» unter die Leute zu schicken, und wenn die Kirche zu diesem Zweck ihre Diener

gründlich vorbereitet hat, dann möchte wohl die Arbeit des geist­

lichen Amtes nicht mehr so unfruchtbar sein, sondern das Herz der Kirche und das Herz des Volkes würden aneinander die Kirche würde

schlagen,

mehr Aussicht haben, wieder Volkskirche zu

werden, und die Massen würden wieder unter die Macht des Christentums, christlicher Sitten und christlicher Weltanschauung

sich zu beugen anfangen. Aber bis jetzt hat die evangelische Kirche kaum mehr als einen Göhre, als einen Kandidaten Wangemann gehabt, und auch diese haben ihren Aufenthalt unter den Kämpfern

des ehernen Lohngesetzes nur nach Wochen und Monaten berechnet. Sonst führt der geistliche Stand ein Leben, das von der materiellen Not nichts weiß, ein Leben, das ihn mit den s. g. besseren und besten Kreisen in gesellschaftliche Beziehungen bringt, während von einem eigentlichen, mehr als vorübergehenden Verkehr zwischen ihm und den Leuten des Volkes keine Rede sein kann. Also muß

die evangelische Kirche dahin trachten, daß sie wieder Männer, IV

2

18 wie Paulus, der als Zeltarbeiter bei der Nacht sein täglich Brot verdiente, daß sie Männer mit Schwielen an den Händen, Männer,

denen des Lebens Sorge und Gram auf dem Angesicht geschrieben

steht, zu ihren Dienern ausbilde; daß alle Geistlichen, im Schulfach,

sei's auf dem Seminar

so gut sie

oder durch unterrichtliche

Thätigkeit, sich 'auf ihre Stellung als Schulinspektor vorbereiten,

auch durch einen je nach Erfordernis längeren oder kürzeren Zeit­ raum hindurch in den Hütten der Armen sich zum Seelsorger der unteren Volksklassen heranbilden. Kurz: der Stand des evangelischen

Geistlichen und die Vorbereitung der Geistlichen muß — wie alles in der Gegenwart — mehr sozial gestaltet werden". Wer wollte leugnen, daß in diesen Gedanken, welche weite

sozial gerichtete Kreise unserer Kirche bewegen, welche von Pro­ fessoren,

Pastoren und

Laien emsig

verfochten werden,

welche

namentlich durch den Hinweis auf die Thätigkeit römischer Priester

in Vieler Augen bestechend sind, berechtigte Momente liegen- Es ist gewiß richtiger, solche Meinungen, die auf den ersten Blick

wunderlich erscheinen, zu prüfen und

sie bis auf ihren letzten

Grund zu verfolgen, als mit einigen billigen Schlagwörtern, wie der historisch gewordenen Stellung des geistlichen Standes und der

in erster Linie von seinen Vertretern 31t fordernden Amtstreue und ähnlichen sie abzuthun, als ob immer das als gut nachgewiesen

sei, was bisher bestanden und sich bewährt hat. wer

versucht unbefangen zu wägen und

zu

Aber freilich,

urteilen und die

Gegengründe erst nach Feststellung der berechtigten Momente bei­ bringt, der wird am besten gethan haben.

Und Gottes Wort und

die Geschichte mögen entscheiden. Gewiß ist das Mißtrauen der s. g. unteren Volksklassen gegen

die Geistlichen nicht ganz gegenstandslos. Es gibt Massengemeinden, in denen selbst der treueste Pastor, auch beim besten Willen, nicht

alle seine Gemeindeglieder erreichen kann,

in denen er sich dar­

auf beschränken muß, den Familien näherzutreten, welche Gott ihm durch vorliegende Krankheit, oder durch eine Amtshandlung,

oder durch sonst einen besonderen Anlaß auf die Seele gebunden

hat.

Es gibt auch Arme und Aermste, die von ihrem Seelsorger

darum nichts wissen wollen, weil er ihnen ja kein Brot und kein

Geld bringe, weil er nur schöne Worte, Hinweise auf den Himmel

19 und andere leere Versprechungen für sie habe: sie geben dem

Geistlichen keinen Eingang zu ihren Herzen, manchmal nicht ein­ mal zu ihrer Thüre.

Aber es gibt doch auch Pastoren, die sich

vor den engen Stuben und Dachkämmerlein, vor übelriechenden Krankenzimmern und vier hohen Treppen scheuen, während sie

andererseits in den Salons wohl zu Hause sind und an einer

Geselligkeit nach der anderen teilzunehmen kein Bedenken tragen; Pastoren, die mit den wohlhabenden Bürgern am Wirtshaustisch zusammen trinken und sich gemein machen, die aber niemals mit den Handwerksburschen und Arbeitern an derselben Tafel zu finden

sind; Pastoren, die für die Sünden, Schanden und Laster des „Volkes" nie genug zahlreiche

und harte Worte finden können

und diese Missethäter ernstlich ins Gesicht strafen, während sie Sünden,

Schanden und Laster

der Vornehmen nur

sehr zart und andeutender Weise tadeln,

jedenfalls sie milder

dieselben

beurteilen, sie zu bedecken suchen, wenn nicht gar beschönigen.

Solche Diener am Wort können freilich nicht sozial wirken. Ohne Zweifel fehlt es auch manchem an der Gabe, mit den

Armen im Lande umzugehen.

Denn das ist sicher: wer nicht

aus den unteren Ständen des Volkes emporgewachsen ist, dem wird es oft sehr schwer, mit einfachen Leuten natürlich zu reden und natürlich umzugehen.

Das will gelernt sein, und die Liebe allein

reicht hier nicht immer aus, wenn sie auch die wichtigste Vor­

bedingung ist.

Ohne sie kann auch der Geistliche, der in einfachen

Verhältnissen groß geworden ist, bei aller äußeren Gewandtheit nichts ausrichten. Eine eingehende Kenntnis von den Sitten und Gebräuchen, von den Gefühlen und Anschauungen der einfachen Leute muß hinzukommen, und es gilt hier,

klug sein wie die

Schlangen, aber ohne Falsch wie die Tauben.

Mancher kann bei

allem redlichen Willen die Weise nicht finden, welche zum Umgang

mit dem s. g. großen Haufen gehört. Alle diese Erwägungen und Thatsachen lassen es wohl be­ greiflich erscheinen, daß die soziale Stellung des Geistlichen als die Ursache des mangelhaften Erfolges seiner Wirksamkeit unter

dem Volk angesehen wird. Dennoch aber bringt auch hier keine Aenderung äußerer Verhältnisse das Heil, sondern von innen heraus muß die Wandlung geschehen.

Blicken wir zuerst und 2*

20 vor allem einmal hin auf den großen Hirten der Schafe, das

Urbild des geistlichen Standes.

Jesus wird in der Schrift arm

genannt und gilt nach gewöhnlicher Anschauung als ein Mann aus dem Volk, einer von den s. g. kleinen Leuten.

Abgesehen

davon, daß es Standesunterschiede im modernen Sinn des Wortes

in Israel nicht gab, ist so viel gewiß, daß an eine Armut nach unseren Begriffen, als habe Jesus zum Proletariat gehört, nicht zu denken ist.

Der Pflegevater Joseph wird uns als ein Zimmer­

mann, d. h. als ein Handwerksmeister, dessen Geschäft war Häuser zu bauen, beschrieben. Während der Lehrthätigkeit Jesu trug

einer seiner Jünger den Beutel, und es war immer so viel darin,

daß selbst den Armen zu geben eine feststehende Gewohnheit war. Die Apostel stammten z. T. aus wohlhabenden Familien, die im Besitz mehrerer Schiffe waren.

Vornehme Frauen begleiteten den

Herrn und konnten ihm so'kostbare Geschenke, wie einen ungenähten Rock, von oben an gemittet durch und durch, darbringen.

Mit

einem Wort: Jesus war nicht arm und galt nicht für arm in dem Sinn, als habe er irgendwie mit Nahrungssorgen zu kämpfen

gehabt, sondern er hatte sein täglich Brot, sein gut Auskommen.

Dennoch kann Armut im vollen Sinn des Wortes von ihm aus­ gesagt werden, insofern er die göttliche Herrlichkeit verlassen und mit dem Elend des menschlichen Lebens vertauscht hatte.

Zu weit

würde es von unserem Gegenstand wegführen, wollten wir hier

alle Mißverständnisse, die sich an gewisse Worte und Thatsachen

aus dem Leben unseres Herrn angehängt haben und auf seine

materielle Armut gedeutet werden, anführen und richtigstellen. Jedenfalls wissen wir so viel aus dem Leben des Herrn, daß er mit jedermann, ob hoch oder niedrig, arm oder reich, Fürst oder Bettler umzugehen wußte, daß er überall mit den: gehörigen

Takt den rechten Ton traf, und von niemandem für unebenbürtig

angesehen wurde.

Die Vornehmsten des Volkes, Pharisäer und

Obersten, luden ihn ein und würdigten ihn, sozial betrachtet, als

Andererseits gewannen die Zöllner und Sünder gerade darum ein Herz zu ihm, weil er, der gefeierte Rabbi, es ihresgleichen.

nicht für unter seiner Würde hielt, sich mit ihnen abzugeben: waren sie bisher von den Pharisäern und Angesehenen in Israel verächtlich behandelt oder verstoßen worden, Jesus/ der Prophet

21

und Heilige, kümmerte sich um sie, ging zu ihnen und pries ihnen das väterliche Erbarmen Gottes, der auch die geringsten

und verworfensten Menschen um des ihnen einwohnenden göttlichen Ebenbildes willen aus freiem Herzenstriebe zu sich zieht.

Jesu soziale Stellung war also, wenn man so sagen darf, keineswegs die eines Mannes im Arbeitsrock, sondern eines wohl? habenden Bürgers, der mit den gebildeten und leitenden Kreisen

seines Volkes auf derselben sozialen Rangstufe stand.

Was unsern

Herrn zum Freund der Armen und Geringen machte, war nicht seine leiblich-irdische Armut, war nicht sein täglicher Kampf mit

des Lebens Not, den er gar nicht führte, sondern es war die göttliche Liebe des Vaters, die in seinem Herzen und Wesen sich

widerspiegelte. Wohl gab es damals kein Proletariat wie in unserer Zeit: dafür hatte die wenigstens im Verhältnis zur Lage der Dinge bei gesorgt.

den Heiden

humane

Armengesetzgebung in Israel

Aber Arme gab es allezeit, Leute, die auf Wohlthaten

angewiesen waren, wenn sie ihr Leben fristen wollten.

Jesus ist

durchaus in seinem Stande geblieben und hat aus seinem Stande

heraus sich zu ihnen gestellt. Das sonnte er nur, indem er allen alles wurde, indem sein Herz voll Gottesliebe ihn trieb, sich zu jedermann als zu seinesgleichen zu stellen.

Der Herr hat an den

sozialen Verhältnissen seiner Zeit und seines Volkes und vor allem

auch seiner eigenen Person so wenig eine Aenderung vorgenommen oder für wünschenswert erachtet, daß er vielmehr einfach mit den

gegebenen Verhältnissen und Personen rechnete.

Aber indem er

mit der Liebe von oben die Weisheit von oben paarte, überwand er alle sozialen Schwierigkeiten.

Wir hören auch nicht, daß Jesus seinen Jüngern Weisungen gegeben hätte, als sollten sie sich mit den Aermsten des Volkes

auf eine Stufe stellen.

Mahnungen zur Bedürfnislosigkeit, welche

er ihnen gibt, daß sie nicht Gold noch Silber mit sich führen, keine Tasche, nicht zwei Röcke bei sich haben sollten u. ä. (Matth. 10), sind aus der damaligen Zeit zu

verstehen.

Denn

allerdings

konnten Israeliten unter Israeliten Gastfreundschaft erwarten und brauchten nicht für ihr leibliches Fortkommen Sorge zu tragen. Aehnlich ist es noch heute bei den Orientalen, daß der Einheimische ohne alles durchs Land reist und für sein Essen und Trinken und

22 für- alle leiblichen Bedürfnisse auf das Entgegenkommen seiner

Stammesgenossen angewiesen ist.

Daher ist die Berufung

der

römischen Mönchsorden auf hierher gehörige Anordnungen des Herrn gegenstandslos, utib umsomehr sollte sich die evangelische

Kirche hüten, in einen ähnlichen Irrtum zurückzufallen.

Denn

auf der anderen Seite betont Jesus ebenso deutlich: ein Arbeiter

ist seiner Speise wert.

Und der Apostel beruft sich auf dies Wort

des Herrn, wenn er als Regel ausspricht, daß die das Evangelium verkündigen, sich vom Evangelium nähren sollen. Jesu Wille ist, daß die das Amt des Evangeliums führen, so viel Lohn empfangen, daß

sie sich ohne Sorgen um die irdische Existenz lediglich ihren: geistlichen

Berufe widmen könnten.

Er hat in keiner Weise den Auftrag

gegeben, daß seine Diener körperliche Arbeiten, wie der gemeinste Mann, auch nur eine Zeit lang, verrichten sollen, sondern wie

er selbst nur eins hatte, so hat er auch nur ein statutarisches Gebot den Seinen gegeben, nänllich Liebe zu haben, und dazu

verheißen, daß der heilige Geist die Weisheit geben werde. Was in außerordentlichen Zeiten möglich und richtig ist, das braucht darum durchaus nicht für alle Zeiten das Richtige

zu sein.

Was hervorragend von Gott begnadete Persönlichkeiten

leisten, kann und soll ihnen nicht jedermann nachmachen wollen. Paulus hat seinerzeit bei Tage das Evangelium gepredigt und in der Nacht sein Brot verdient: wir wissen aber, daß er dafür

hatte. Dagegen wird es heutzutage niemand mehr einfallen, auch nur Missionare in Heidenländer seine besonderen Gründe

auszusenden und sie anzuweisen, daß sie wegen ihres Lebensunter­ haltes selbst zusehen sollten:

das hieße Gott versuchen und die

Wege ihrer geistlichen Wirksamkeit von vornherein untergraben. Für unsere Zeit gilt wie für jede Zeit, daß Liebe haben die richtige soziale Stellung des Pastors ist.

Sein Amt ist, zu zeugen

von dem Heil, das in Christo erschienen ist, zu bekennen seinen Namen, zu dulden um seiner Herrlichkeit willen, und das alles

in der Liebe, in der Liebe zu jedermann. Mit der Liebe wird er an

alle herankommen: damit hat er zu Hoch und Niedrig, zu Gerechten

und Sündern, zu den Glücklichen und Notleidenden zu gehen. Man kann nicht sagen, daß der Mensch aus niederem Stande zu seinesgleichen unbedingt mehr Vertrauen hat als zu einem über

23 ihm Stehenden.

In gewissem Sinne ist das ja wahr: ein Armer,

der den Verdienst des täglichen Brotes sich

sauer werden lassen

muß, wird am ehesten Tröstungen von dem hinnehinen, welcher mit ihm in derselben Lage ist.

Ein von den Mächtigen dieser Welt

Verfolgter glaubt am meisten denen, die, wie er, verfolgt sind. Gemeinsame Not ist ein mächtiges Band.

Allein was in einzel­

nen Fällen geschehen kann und geschehen ist, darf nicht als allge­

meiner Erfahrungssatz

aufgestellt werden.

Im Gegenteil pflegt

gerade der gemeine Mann dem ^Pastor, der aus niedern Verhält­ nissen stammt, einige Mißachtung entgegenzubringen, und Achtung ist doch wohl der Grund des Vertrauens.

Die s. g. besseren

Gesellschaftskreise handeln oft ähnlich. Doch das kommt hier nicht in Betracht.

Der gemeine Mann will im Pastor einen Mann

sehen, der möglichst in allen Beziehungen über ihm steht.

Er

erwartet bei ihm nicht nur Rat und Trost des Geistes, sondern auch materiellen Besitz und irdisches Glück zu finden: in wie weit

er dazu ein Recht hat, ist eine andere Frage. Wenn sonst niemand auf Erden mehr helfen kann, so erinnert sich auch das Gemeinde­ glied, welches bis dahin nach der Kirche nicht gefragt hat, daß es einen Pastor Hut und geht hin zu ihrn. Das würde nicht geschehen,

wenn der Pastor in bürgerlicher und gesellschaftlicher Beziehung ihm gleichstände.

Das Pfarramt ist heutzutage mehr als je ein

Amt des persönlichen Vertrauens geworden. Nicht das Amt trägt die Person, sondern die Person trägt das Amt.

Darum will

jedermann, der mit dem Pfarramt überhaupt zu thun hat — und dazu sollen doch alle herangezogen werden — in irgend einer Weise zum Pfarrer mit Hochachtung emporsehen: einen gleichstehenden oder untergeordneten Menschen pflegt der gemeine Mann nicht zu achten.

Ich kann »aber jeden Menschen achten, wenn ich ttur

irgend ein Etwas an ihm erkenne, in dem er mich übertrifft. Der

Reiche oder Wohlhabende, welcher einen Pastor braucht, wünscht, daß dieser ihm an Bildung und Geist überlegen sei. Wer zu den

gebildeten und leitenden Kreisen des Volkes gehört, erwartet von seinem Pastor irgend eine Gabe, irgend eine Fertigkeit, deren er

selbst ermangelt, zu der er aber mit Hochachtung emporschauen muß: sonst kommt die Stellung des geistlichen Amtes nicht zu ihrem Recht. Der Mann des Volkes legt einen anderen Maßstab

24 er rechnet von seinem Gesichtskreis aus nach materiellem Maßstabe. Der Bauer und der ländliche Tagelöhner sieht es als an:

selbstverständlich an, daß sein Pastor „ein feineres Haus" habe und führe als er selbst. Der Arbeitsmann in der Stadt empfindet

gerade das wohlthuend, daß er beim Pastor einmal in einer „guten Stube" sitzen kann und doch durch das ihm entgegenkommende

seelsorgerliche Verhalten seines Pastors hier in die Lage kommt, in der Liebe gleichsam mit seinesgleichen zu verkehren, während er sonst, etwa in der guten Stube des Fabrikherrn oder eines

Beamten, als der Untergeordnete behandelt zu werden gewohnt ist. Gerade die häusliche Einrichtung des Pfarrhauses erinnert den

Mann aus einfachen Verhältnissen daran, daß Geld und Gut nicht notwendig eine Schranke zwischen den Herzen der Menschen auf­

richten; daß eine solche Schranke nicht vom Geld und Gut ver­ ursacht ist, sondern von dem Verhältniß bedingt ist, in dem das

Herz zu Geld und Gut steht.

Die soziale Stellung des Pastors

hat also in diesem Sinn geradezu ihren Segen: es wäre dem Proletariat selber am wenigsten damit gedient und würde von ihm selber am unangenehmsten empfunden werden, wenn ihr Pastor

auch ein Proletarier wäre.

Aber auch das Amt selbst erfordert für seinen Inhaber eine gewisse Höhe der sozialen Stellung." Der Geistliche hat den Beruf, Verkündiger des Wortes und Verwalter der Sakramente zu sein: in seine Hände ist nach Gottes Willen und Auftrag der Segen

gelegt.

Obwohl vor Gott alle Berufsarten gleich sind, insofern

eine jede als rechter Gottesdienst geübt, zur Seligkeit führt, so ist doch, recht betrachtet, in Ansehung der Ehre, welche die verschiedenen

Berufsarbeiten zu beanspruchen haben, keine über dem geistlichen Amt. Denn was kann es Höheres geben, als amtlich verordnete Zeugen

des lebendigen Gottes und seiner Gnade zu sein? Es würde dem Wesen und der Bedeutung des geistlichen Amtes um des Herrn selber willen, der das Amt gegeben hat, widersprechen, wenn seine Träger oder

auch einige seiner Träger auf eine niedere gesellschaftliche Stufe herabgedrückt werden sollten.

In der That hält die soziale Stellung des evangelischen Geistlichen, wie sie gegenwärtig ist, die rechte Mitte innerhalb der verschiedenen Gesellschaftskreise im Volk.

Im Allgemeinen kann

25 man wohl sagen: er hat an materiellen Gütern nicht zu viel, nicht zu wenig, sondern gerade genug. Er gehört nicht zu den Reichen,

die Geld und Gut im Ueberfluß haben, die behaglich und ohne zu rechnen durch die Welt kommen.

Er gehört auch nicht zu den

Armen, die täglich fragen müssen: woher nehmen wir Brot zu essen?

Er ist keiner von den oberen Zehntausend, die vor dem

Besuch im Armenhäuslern und in der Handwerkerwerkstätte zurück­

schrecken.

Er ist keiner von den Geringsten, welchen um ihrer

Kleidung und Bildung willen der gesellschaftliche Zutritt zum

Millionär und Minister versagt wird. Den Oberen ist der Geist­ liche nahe genug durch allseitige Bildung und den Niederen durch

härrsliche Nöte und Sorgen, auch pekuniärer Art, die mancher Pastor, ohne daß die Außenwelt es ahnt, gründlich durchzumachen

hat. Von jeher ist es der Ruhm des evangelischen Pfarrerstandes gewesen, daß er, wie er sich aus allen Kreisen der Bevölkerung zusammensetzt, sowohl die kleinste Hütte im Lande als den höchsten

Palast offen findet.

Die römische Kirche mag es anders halten:

dem bischöflichen Rang bleiben die Schlösser vorbehalten, der Kaplan muß zu den kleinen Leuten gehen. Andere Stände, wie der ärzt­

liche, mögen es ebenso machen: der Medizinalrat und Professor

behandeln den Fürsten, während der junge Assistent zu der unver­ mögenden Bevölkerungsklasse gesandt wird. Die evangelische

Kirche soll und darf nicht zweierlei Pastoren haben, solche für die

Armen und solche für die Reichen.

Und wo es doch so ist, daß

in einer Stadt der eine Geistliche vorwiegend von den Armen, der andere mehr von den Reichen begehrt wird, da ist das nicht

Grundsatz der evangelischen Kirche, sondern es liegt an den Gaben,

die beiden verschieden zugeteilt sind, und zur Königlichen Tafel wird unter Umständen der Eine so gut wie der Andere befohlen.

Ist das Wort Gottes für alle Menschen dasselbe, ein Evangelium für König und Knecht, empfangen alle dasselbe Gnadenbrot und denselben Segenswein, so muß es auch nur eine Pastorenart geben, nicht für die Reichen, nicht für die Armen, sondern für alle.

Und wenn nach dem bekannten schönen Vorbild des preußischen

Königshofes bei Abendmahlsfeiern die Herrschaften mit. den Diener­

schaften sich vereinigen,

so hat doch niemand gehört, daß die

Diener aus anderen Händen das Sakrament empfingen, als der

26 König und die Prinzen.

Ebenso sehr würde es dem geistlichen

Amt widerstreben, allgemein einen Unterschied in bet Richtung zu machen, daß einige Pastoren insbesondere für die einfachen Volks­ klassen, für die Arbeitermassen angestellt würden, während andere mehr

unter dem Bürgerstande ihre geistliche Wirksamkeit ausüben sollten. In der That und Wahrheit liegt es nicht an der gesellschaft­

lichen Stellung des Pastors, sondern es liegt an dem Ackerboden des Herzens, ob Frucht der Seelsorge sowohl an dem sozialdemokratisch gesinnten Tagelöhner, als an dem pietistisch erzogenen Grafen offen­ bar wird. Die Kirche muß von den Arbeitern, welche ihr dienen

wollen, eine gründliche theologische Vorbildung erwarten und die Folge des dazu erforderlichen Bildungsganges ist die gegenwärtige soziale Stellung des Pastors.

Stadtmissionare gibt es seit einigen Jahr­

zehnten in manchen großen Städten: man hat aber nicht erlebt, daß sie, mit dem ordentlichen Amt des Wortes verglichen, infolge ihrer einfacheren Lebensstellung bessere Erfolge in ihrer Seelsorge

an den Arbeitermassen aufzuweisen hätten.

Und ist die Seelsorge

an diesen schwer, so ist die Seelsorge unter den Reichen mindestens

ebenso schwer. Soll man darum auch für diese wieder eine besondere

Klasse von Pastoren anstellen?

Nein, nicht die soziale Stellung

des geistlichen Amtes muß geändert werden: dadurch würde der Wirksamkeit des geistlichen Amtes kein Vorschub geleistet, sondern der Träger des Amtes muß in die Liebe und Weisheit je länger je mehr hineinwachsen.

Das allein wird seinen Erfolg nach oben

und unten — menschlich geredet — verbürgen.

Gottes Wort

wird darum kein anderes, ob es aus dem Munde eines Blusen­ mannes oder eines befrackten Herrn vorgetragen wird.

Und nach

allem, was wir aus dem Leben beobachtet und angeführt haben,

ist es das Beste, wenn die soziale Stellung des geistlichen Amtes als solche unangetastet bleibt.

Daß dabei rnanche nicht unberechtigte

Wünsche mit unterlaufen und auch verhandelt werden sollen, geben wir wohl zu. Eine bessere Pfründenverteilung z. B. möchte ja

wohl ihren Segen haben, wenn nur einer angeben könnte, wie es wirklich nach allen Seiten hin dem Recht und der Billigkeit gemäß zu machen ist. Indessen ist es Nebensache: die soziale Stellung des Pastors wird von der Durchführung dieser und ähnlicher Pläne kaum berührt werden.

27 Doch eben weil es für das Wort Gottes gleichgültig ist,

wer sein Träger ist, insbesondere welche soziale Stellung derselbe

einnimmt, wenn es nur aus dem Glauben und zum Glauben verkündigt wird, so steht auch nichts im Wege, daß ebensowohl der Arbeitsmann wie der Freiherr Gehülfen des evangelischen Pfarramts werden. Nein, vielmehr alle Christen sind dazu be­ rufen. Kann man auch nicht sagen, wie z. B. Rade will, daß jeder Christ, der den rechten evangelischen Glauben hat, dadurch zum Lehramt in der Kirche legitimirt sei, so ist er doch jedenfalls zum Gehülfen des Lehramts vollkommen befähigt und wohl geeignet, unter der Anleitung, welche ihm das rechte evangelische Amt des Wortes gibt, im Dienst der Gemeinde Verwendung zu

finden.

Zunächst allerdings wird er nur im Stande sein, ein Amt

der christlichen Bruderliebe auszufüllen.

Zum Amt des Wortes

gehört doch mehr. Aber wenn ihm die Gabe verliehen ist, so kann er dahin kommen, in kleinerem oder größerem Kreise auch

das Wort zu verkündigen.

In gewissem Maße ist solche Gabe

jedem Christen gegeben: die Mutter muß befähigt sein, nach ihrer Weise ihren Kindern Jesum als den Helland zu bezeugen. Daher

Paulus seinen Schüler Timotheus ermahnt: erwecke die Gabe, die in dir ist!

Es ist ja unter den heutigen geordneten kirchlichen Ver­

hältnissen nicht mehr so wie in der ältesten Missionskirche. Damals

empfing jeder das kirchliche Amt, je nachdem er die Gabe hatte. Allerlei Aemter waren einzig und allein von der Begabung ab­ hängig.

Jetzt kann es geschehen, daß ein nur in sehr beschränktem

Sinn für sein Amt Begabter ein Amt erlangt, nicht blos in allen

anderen Zweigen des menschlichen Lebens, sondern auch im Dienst der Kirche.

Das ist unter dem Zwang der gültigen Rechtsformen

nicht zu ändern.

Und wollen wir hier, wo es nicht zur Sache

gehören würde, deshalb von den Dienern des Wortes schweigen, die für ihr Amt sich als unbegabt erweisen, so kommen doch die

gesetzlich geordneten Gehülfen des Pfarramtes, die Kirchenältesten in Betracht. Wie manche kleine und große Gemeinde hin und

her im Lande hat Kirchenälteste, die auch nicht die geringste oder nur sehr geringe Begabung zu ihrem Amte beweisen. Dienlicher wäre es dem Besten der Gemeinden und der Kirche, wenn in

28 solchen Fällen die Gemeinden ohne die Mitwirkung bez. Hinderung

solcher Aeltesten von dem Pfarrer allein in Christo erbaut werden könnten.

Andererseits hat auch

der Spruch

seine Richtigkeit:

wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch den Verstand.

Denn

vielfach sind Männer, deren Begabung man anzweifelte, wenn sie

erst in ihrem Amte standen, recht tüchtig geworden, und es traten Gaben zu Tage, die gar nicht vermutet worden waren, und wuchsen

von Tag zu Tage mit den größeren Anforderungen des Amts.

In der Einrichtung des Kirchältestenamts ist die kirchen­ gesetzlich vorgeschriebene Form gegeben, welche mit dem Inhalt

der von uns besprochenen Forderungen erfüllt werden mich.

Die

Kirchenältesten sind diejenigen Träger des Wortes, oder sie sollen

diejenigen Träger des Wortes werden,

Gemeinden das Wort hineintragen helfen.

die in alle Kreise der

Ist das Kollegium der

Kirchenältesten eine rechte Vertretung der Gemeinde, so muß es aus allen Ständen und Berufsarten zusammengesetzt sein.

Und

wo dem Pastor thatsächlich um sozialer Schwierigkeiten willen der Zutritt versagt ist, oder doch erschwert wird, da wird der Aelteste

eine offene Thüre finden. Ein Anfang zu diesem Ausbau des Aeltestenamtes ist in vielen Gemeinden gemacht. Selbst in einer wenig kirchlichen größeren Gemeinde besteht die Einrichtung, daß einem

jeden von den zwölf Aeltesten ein gewisser Bezirk der Gemeinde zugeteilt ist, in welchem er die Eltern ungetaufter Kinder, un­ getraute Ehepaare und andere der Seelsorge am offenkundigsten bedürftigen Personen aufzusuchen und durch das Wort zu ihren kirchlichen und christlichen Pflichten anzuhalten hat.

In weiter

fortgeschrittenen Gemeinden gibt es Aelteste genug (neben anderen

Laien),

die am Krankenbett und Sterbelager, in verwahrlosten,

armen, notleidenden Familien, selbst in Bibel- und Befftunden in beschränktem Sinn als Träger des Wortes wirksam sein und so

unter Aufsicht und Anleitung des kirchlich geordneten Amtes Dienste an

der

Christengemeinde thun

können

und

thun.

Es

giebt

sogar hier und da eine Gemeinde, in der alle nur denk­ baren Funktionen im Dienst der christlichen Gemeinde außer der Predigt des Wortes und der Verwaltung der Sakramente von den Aeltesten versehen werden.

Es gilt, solche Männer in der christlichen Gemeinde finden

29 und gewinnen und heranbilden, welche in freier Weise das Evan­

gelium an alle, auch die niederen Kreise des Volkes heranbringen. Sie werden zumeist bald den Kirchenältesten zugezählt werden.

Sonst sind sie auch von dieser amtlichen Stellung unabhängig. Wenn ein Gemeindekirchenrat da ist und die Aeltesten taugen nicht zum Dienst des Worts und der Bruderliebe, es sind aber Kräfte

in der Gemeinde vorhanden, die wohl dazu geeignet wären, dann

wird der Pastor nicht säumen, diese mit heranzuziehen.

Das letzte

und höchste Ziel wäre ja, wenn möglichst jedes Gemeindeglied dazu fähig und tüchtig würde, und so eines dem anderen mit dem

Da es aber in jeder Gemeinde nur allzu viele

Worte diente.

Glieder gibt, die vom Evangelium innerlich nicht berührt sind,

sollen wenigstens die Genannten nicht von Amts wegen, sondern auf Grund ihrer allgemeinen Christenpflicht das Wort zu andern bringen.

Es

ist

nicht

die Meinung,

daß

lungen gehen und Evangelisation treiben.

sie

in

Versamm­

Sie sollen natürlich

nicht systematisch auf den Gassen oder in den Wirtshäusern mit dem Worte Gottes

hantiren.

Sondern vom Geiste der Liebe

Christi erfüllt, werden sie gelegentlich — und wo findet die Liebe Christi keine Gelegenheiten? — und ungezwungen auf dem Weg

zur Arbeitsstätte oder in den Fabrikräumen oder in den einfachen

Wohnungen von dem zeugen, was sie gehört und gesehen und in ihrem Herzen erfahren haben.

Sie werden, kurz gesagt, dasselbe

thun können, was der Pastor in der s. g. speziellen Seelsorge treibt,

daß sie Christum der einzelnen Seele, dem einzelnen Christenhause nahe bringen. Einige besonders Begabte mögen auch dahin kommen, in kleineren oder größeren Versammlungen Gottes Wort zu bezeugen

und auszulegen.

Es hängt von den Gaben, von der Gemeinde,

von dem Pastor und von manchen Umständen ab, wie weit das nötig und möglich ist.

Freilich ist es wichtig zu beachten, daß die Grenzlinien zwischen dem geistlichen Amt und der Mitarbeit seiner Gehülfen nicht ver­

wischt werden. Das geordnete Amt desWortes(Pfarramt) ist und bleibt doch das Amt xa? e£aß er es überhaupt wagen konnte, die Geschichte der Menschheit zu meistern und die Welt anders haben zu wollen als sie ist. Und diese gesegnete Erkennt­ nis macht nicht etwa sittlich schlaff und träge, im Gegenteil: sie spornt zur Einsetzung aller Kräfte an. Gerade weil ich weiß, daß ich einzelner Mensch in der Welt nur so wenig ausrichten kann,

und doch meinem Gott schuldig bin, alles dranzusetzen, was ich bin und habe, gerade darum arbeite ich mit aller Kraft, aber nun nicht mehr mißmutig über die Mißerfolge, sondern mit der Selbst­

tröstung: es kann nicht anders sein, ich kämpfe immer weiter, ein jeder möge sich sebst vor Gott und seinem Gewissen verantworten,

Gott sei Dank, daß ich bloß für mich allein einzustehen habe. Denken Sie also ja nicht, teurer Freund, daß der Zwiespalt in Ihrer Brust gerade Ihnen eigentümlich sei. Denselben Kampf haben alle aufrichtigen Charaktere mit mehr oder weniger bedeut­

samen Variationen durchzukämpfen. Meinen Sie nicht, daß die Geldgier und die Sucht zu haben gerade Ihrem Stande eigentümlich

sei.

Ich könnte der Beispiele genug aus änderen Ständen, selbst

aus den mit ideellem Handwerkzeug arbeitenden, beibringen. Es ist der Zug der Zeit, den Sie beklagen. Nur auf eins von

Tausenden will ich Sie aufmerksam machen: selbst in der Kirche gilt bei den Wahlen der Mann nichts, der kein eigen Anwesen hat oder von Almosen lebt. Es ist gesetzlich so geordnet: er darf

57 nicht mitwählen.

Wahrhaftig, ein Hohn auf die Kirche unseres

Herrn Jesu Christi, der seine Jünger nach allem eher, als nach

dem Gelde taxierte.

In den ältesten Zeiten haben Sklaven am

Altar ihren Herren das heilige Abendmahl gereicht, und jetzt?

Nun, ich wäre ein Thor, wenn ich darum, weil's jetzt nicht so

ist, und aus anderen Gründen an der Kirche verzweifeln wollte. Nein, es ist nicht meine Sache, das zu ändern.

Aber wenn

Gottes Stunde gekommen ist, dann trete ein jeder ein für das als

richtig erkannte Ziel! Vorläufig heißt es für uns alle, mit den uns verliehenen Gaben und unter den obwaltenden Umständen

das unsere thun mit aller Treue und nicht verzagen.

Es ist das

Ende gut: das ist eine ewige Verheißung.

Für diesmal bin ich in Einzelheiten Ihres Briefes nicht eingegangen.

Es lag mir vor allem daran, mehr in großen

Strichen einen Grundriß zu geben, um eine gemeinsame Unter­ lage zu schaffen, von der wir weiter gemeinsam operieren können.

Ist durch diese Zeilen Klarheit zuwege gebracht, so wird sie auch tausend Einzelfragen, die Ihr Herz bewegen, beleuchten. Daß damit zu weiteren fruchtbaren und Ihnen heilbringenden Erörterungen

Anlaß gegeben werde, ist der herzliche Wunsch

Ihres

III. Hochgeehrter Herr Pastor! Soeben erhielt ich Ihre lieben Zeilen

und beeile mich darauf zu antworten, um zunächst einige Gedanken klarzustellen bez. mehr auszuführen, die ich in meinem vorigen

Schreiben nur kurz streifen konnte. Was Sie von idealen und Idealen huldigenden Menschen, ihrem

Kampf und endlichen Sieg in der Ruhe des eigenen Herzens, in dem Bewußtsein, ihre Pflicht gethan zu haben, sagen, wenn Sie dem den nagenden Wurm und die bei äußerer Fülle vorhandene innere Hohlheit entgegensetzen, dasselbe habe ich schon anderen Auffassungen

gegenüber lebhaft verteidigt — zuweilen mit Erfolg, zuweilen ein Achselzucken dafür geerntet. Ich habe auch gesagt, daß ich, trotzdem

ich schon den Gedanken gefaßt hatte, den Idealen für immer den Abschied zu geben, über den Gedanken noch nicht hinausgekommen bin, denn ich kann nicht anders. Freilich ist es Ihnen auch nicht

68 möglich gewesen, den Kernpunkt meiner Ausführungen zu entdecken, ich hatte ihn über allen Nebengedanken nicht klar

ausgedrückt.

Der Kernpunkt ist dieser, daß man ohnmächtig zusehen muß, wie

hier einer unterdrückt, dort einer verdorben wird; daß man dabei

nicht helfen kann, wenn man auch will; daß man andererseits diesem Bestreben der Menschen, ihre Angestellten und Arbeiter als Lohnsklaven zu taxieren (wie viel bringt jeder ein?) ein Gegenstück

gegenüberstellen kann,

nämlich auch in

dem Untergebenen den

Menschen, den Bruder zu sehen und ihn als seinesgleichen zu

behandeln.

Dies Gefühl der Ohnmacht ist es in erster Linie, das mich drückt,

und dazu die ziemlich feststehende Gewißheit — denn ein

Glücksfall kann ja nicht in Berechnung gezogen werden — daß es

überhaupt

nie anders werden wird,

denn mir fehlt eben

Grund, der zu jedem Geschäft erforderlich ist, das Kapital.

der Für

mich wäre es lächerlich, auch nur an die Möglichkeit zu glauben,

daß hierin je eine Aenderung eintreten könne. Auch ist es eigentlich jesuitisch gedacht, erst dem Materialis­ mus huldigen zu wollen, um dann, wenn man das Ziel erreicht

hat, idealistisch zu denken und zu handeln, ganz abgesehen davon,

ob man dann

dazu

überhaupt noch

imstande

ist.

Das wäre

gerade so, als wollte man jemand absichtlich verwunden, nur um

ihm dann ein Pflaster auf die Wunde legen zu

können mit der

Bemerkung: es ist nun alles gut. Und dann ist noch eins zu berücksichtigen. ganz allein, ich habe niemand,

Ich stehe allein,

der mir auch nur das Geringste

darreicht, wenn ich einmal brotlos werden sollte.

Ich kann dann

einfach verhungern, wenn ich nicht der Kommune zur Last fallen

will.

Daher erkenne ich es

immer wieder als eine harte Not­

wendigkeit an, daß meine Stellung im Leben eine solche ist, die

mich zwingt, mehr als einmal fünf gerade sein zu lassen und gegen meinen Willen mitzuhelfen, die Leute zu hintergehen; manches

nicht zu sagen und nicht zu wissen,

das ich laut hinausrufen

möchte, um meine Seele von dem Druck zu befreien, der auf ihr lastet.

Oft zuckt es mir in den Fingern, und ich möchte mit eiserner

Faust die Pestbeulen der Welt aufhauen, unbekümmert um das

59 Geschrei der großen Menge.

Aber ach, ich kann es nicht, ich

muß schweigen, warum? bloß um Brot zu haben, und muß alles seinen Weg gehen lassen, um nicht mich für jetzt und immer

um mein Glück zu betrügen.

Ganz anders wäre es, hätte ich Vermögen und brauchte

nicht um das tägliche Brot mir Gedanken zu machen, sondern könnte, wenn auch mit schwachen Kräften, da ein Alleinstehender

nie viel ausrichtet, rettende und helfende Hand an diesem und jenem wunden Punkt mit anlegen.

Aber das sind ja müßige

Gedanken und Worte, wenn man mit „hätte" „wäre" „könnte" sich abgiebt. Es gilt nur das „hat" „ist" „kann", und da es hier fehlt, fällt alles zusammen. Sie weisen Baratts hin, daß manche, heute großgewordene

Geschäfte auf Redlichkeit allein gegründet sind, doch vergessen Sie, daß seitdem schon eine Reihe von Jahren vergangen ist, und heute

das geschäftliche Leben auf ganz anderen Grundlagen ruht als ehedem. Mundus vult decipi ist heute in viel höherem Maße Wahrheit als je zuvor, und wer auf den niedrigen Sinn der Leute spekuliert, kommt immer am weitesten. Ich habe es mehr wie einmal beobachtet, daß ein junger strebsamer Anfänger, der ganz gut vorwärts •fam, vom kapital­ kräftigen Konkurrenten einfach erdrückt wurde.

Daher wäre es ein

doppelt großes Wagnis, wollte ich mich auf eigene Füße stellen.

Sie mögen sagen, was Sie wollen: Charakter ist ein Wort,

das man im heutigen Geschäftsleben nicht kennt.

Wenn Sie mir

auch hundertmal erwidern: man kennt es, so würde ich zum

hundertundeinten Male, auf meine zahlreichen Erfahrungen gestützt,

wiederholen: nein.

Doch füge ich die Einschränkung hinzu: unter

denen, die fremder Leute Brot essen. Ich habe selbst mehr als einmal von Freunden Vorwürfe einstecken müssen, wenn ich notorischen Lumpen, die Geld haben, nach Gebühr entgegengetreten bin, weil diese Leute doch in geschäftlicher Hinsicht von Vorteil

sein könnten.

Man darf eben, so lange man Angestellter, Unter­

gebener im Geschäft ist, keine eigene Meinung haben, mindestens

sie nicht aussprechen. Und wenn ich es mir auch nicht nehmen lasse, hier und da meine abweichende Ansicht zu betonen, so hat das eben gar keinen Wert, trägt mir nur manchmal scharfe und

60

barsche Behandlung ein.

Im Geschäft bin ich eben nicht ich,

sondern nur ein Rad in der Maschine, die von einem fremden

Willen gelenkt wird.

Will ich mich diesem Willen nicht fügen,

dann werde ich als unbrauchbar entfernt, und ein gelenkigeres Rad wird an meiner Statt eingeschoben. Ich bin eben als solcher

eine Null, und Nullen zählen bekanntlich nicht.

Sie stehen in dieser Hinsicht ungleich freier da.

Niemand

kann Sie brollos machen, so lange Sie Ihre Pflicht erfüllen. Sie dürfen und müssen sogar Ihren Idealen leben, das ist Ihre Pflicht. Mein Arbeiten zielt in erster Linie darauf, meine Chefs zu bereichern, in deren Gutdünken es dann liegt, ob etwas für mich abfällt. Gerade so wie der Jagdhund die Beute aufjagt,

sie dem Jäger schußgerecht macht, sie ihm zuträgt und dann

warten muß, bis ihm sein Herr einen Knochen zuwirft als Lohn seiner Thätigkeit — das ist meine Stellung.

Und ebenso wie der

Jagdhund in 9999 unter 10000 Fällen durch eine Kugel oder

im Wasser endet, wenn er alt und nicht mehr leistungsfähig ist,

so wird unser einer auf die Straße gesetzt, wenn die Kräfte ver­

sagen — dann mag er auf der Straße sein Brot suchen. Jst's nicht manchem alten Mann so ergangen? Wer gibt einem Arbeiter» einem Comptoiristen etwas dafür, wenn er 30,

40, 50 Jahre lang seinen Chefs alles treu behütet hat, und diese sitzen lediglich durch jener Mühen und Verdienste im Vollen?

Alte Leute müssen buchstäblich um Beschäftigung betteln, und er­ fahren zumeist harte Abweisung. Ob sie sich auch ein gutes Ge­

wissen bewahrt, jedermann frei ins Auge schauen können und auf ihren guten, ehrlichen Namen stolz sein dürfen: aber davon kann man nicht essen, und das tägliche Brot ist doch am Ende die erste Sorge eines jeden Menschen.

Liegt es unter allen diesen Umständen, wenn man eine klare Erkenntnis der Dinge hat, wie sie sind, nicht allzu nahe,

über anderer Elend gleichgiltig hinwegzusteigen und blos für sich zu sorgen, nur an sich zu denken?

Oft, recht oft habe ich gewünscht, über dies alles gleichgiltiger denken zu können. Niemand kann es mir verargen, wenn solche Gedanken bisweilen kommen.

Aber ein ander Ding ist, den

Wunsch zu haben; ein ander Ding ihn zur That zu machen.

61 Wollte ich die idealen Gedanken, die mich bewegen, aus­ sprechen, so würde ich mich in der Welt lächerlich machen. Aber

mit tausend Freuden wollte ich diese Lächerlichkeit auf mich nehmen, wenn ich meine Gedanken zur Ausführung bringen könnte. Denn ich bin gewiß, der Erfolg würde mir Recht geben.

Aber ich

würde mich in der That lächerlich machen, wenn ich ohne die

Möglichkeit der Ausführung meinen Gedanken auch nur Worte leihe. So ist die Lage der Dinge.

Sie werden mir zugeben, daß

es nicht angenehm ist, mit diesen Erkenntnissen weiter zu leben und zu streben, ein Streben, das eben gänzlich aussichtslos ist.

Und einen Kampf kämpfen ohne Aussicht auf Erfolg, mit Ein­ setzung seines ganzen Ichs, das kann nicht, wer mutterseelenallein

steht, wie ich. So lange man anderer Leute Brot essen muß und es im

Belieben dieser Leute steht, einem jederzeit das Brot zu nehmen,

so lange darf man nur in seinen Gedanken ideal sein, im Thun und Wirken aber muß man so sein, wie es dem Brotgeber gefällt. Sie meinen, daß ich meine Beobachtungen vorzugsweise in

der Geschäfts- und Handelswelt mache, daß ich mich aber nicht darin verschließen, sondern den Blick mehr erheben und auch in anderen Kreisen umschauen solle, wo neben dem Häßlichen auch manches Gute und Schöne blühe und gedeihe.

Ich will das gar nicht bestreiten, aber ich bezweifle, ob Sie die Verhältnisse kennen, in denen unsereiner steht, Verhältnisse, die

den unselbständigen Kaufmann von vornherein aus allen Kreisen, außer dem seiner Kollegen, ausschließen.

Denn wie sagt der junge

Mühlingk in Sudermanns „Ehre" so recht bezeichnend: „Ich kann doch meinen Kommis meinen Freunden nicht vorstellen", und dabei der wegwerfende Ton, in dem das gesprochen zu denken ist!

Aber es ist in der That so.

Wo man dem Besitzer eines Geschäfts

seines Geldbeutels wegen bereitwillig beide Thüren öffnet, würde

man sie zwiefach verschließen, wenn der — vielleicht kenntnis­

reichere und tüchtigere — Angestellte es wagen wollte, seinen Fuß

in diese Gesellschaft zu lenken, man würde ihn mit Schimpf und Schande davon jagen. Es

ist

eine offenkundige Thatsache,

daß

die wohlunter­

richteten, tüchtigen Kaufleute, soweit sie sich nicht auf einen Geld-

62 sack stützen können, die Parias der Gesellschaft sind, sie sind von allem ausgeschlossen.

Jeder,

selbst der geringste Handarbeiter,

dünkt sich heutzutage mehr zu sein als so ein armer Kommis.

In

die „besseren Kreise" darf er keinesfalls hinein und könnte es auch nicht einmal, denn meist muß er noch im Geschäft weilen, wenn

es lehrreiche Vorträge, öffentliche Diskussionen u. dgl. gibt. Und außer bei solchen Gelegenheiten in die anderen Kreise einzudringen,

ist ihm ja verwehrt.

Sie drücken auch Ihre Meinung wieder dahin aus, daß man doch Gelegenheit habe, dem Gegner, von dem man abhängig ist,

auch hier und da einmal ein deutliches Wort zu sagen, wenn er es herausfordert.

Auch ist es hier mir klar geworden, daß Sie die Verhältnisse doch nicht so ganz kennen.

Es gibt nämlich mehr als einen Chef,

ja es ist die Mehrzahl, die sagen: Ich habe immer Recht, und

wenn ich auch Unrecht habe, dem Untergebenen gegenüber habe

ich immer Recht, und die auch demgemäß handeln.

Denken Sie nur nicht, daß die Chefs mit ihren Angestellten ein Wort mehr reden als durchaus zum Geschäftsbetrieb notwendig ist.

Ja, es gibt sogar der Firmen einige (und sie werden neuer­

dings immer zahlreicher), in denen die Chefs mit ihren Angestellten

nur auf schriftlichem Wege verkehren, weil sie es für unter ihrer Würde halten, mit ihren Kommis zu reden. Wenn ein

Angestellter mit seinem Chef redet und diesem paßt nicht, was jener sagt, so macht er einfach Kehrt oder bricht das Gespräch ab,

gibt keine Antwort oder stellt eine rein geschäftliche Frage, womit jede persönliche Annäherung oder auch nur menschliche Berührung

abgeschnitten ist.

Die Ideale gedeihen auf geschäftlichem Boden nicht, hier blüht nur der Materialismus.

Denn Ideale, die nur im Kopfe bestehen und nicht in die Wirklichkeit umgesetzt werden, verkümmern bald.

Damit ist eigentlich den großen Idealen der Stab gebrochen: denn wenn der Mensch so ohnmächtig ist, wie er ist, wie soll er

dann helfen und retten können, wenn es gleich notwendig scheint, wenn es einem auch im Herzen wehe thut, zu sehen, wie manche Menschen leiden. Und wenn man sieht, wie Hunderte und Tausende

63 in der Welt unter dem Willen eines Einzelnen seufzen, wenn man

sieht, wie dieser Eine hier eine blühende Blume knickt und dort

eine andere nach Willkür ausreißt, um daran zu riechen und sie wegzuwerfen — und man muß schweigen und darf sich nichts

merken lassen — o glauben Sie mir, es ist bitter, daran blos zu denken und keine Hoffnung zu haben, daß es je sich ändere.

Und was nützt es, wenn man so in seinem Herzen gewühlt hat? Was hat man davon, daß man sich das alles klar macht? Oder ist es ein Trost zu wissen, daß sich Hunderte in gleicher

Lage befinden? Ist es eine Beruhigung, viele zu kennen, die helfen

wollen, aber nicht können? Mit allem aber will ich nicht gesagt haben, daß ich mich besser dünke als die andern,

Das ist mir nicht in den Sinn gekommen — Sie scheinen

wollte.

es so anzunehmen. stillen

daß ich mich über jemand erheben

Stunden

Ich weiß sehr wohl davon, wenn man in

über

sich nachdenkt,

wie man dann sich selber

als die erbärmlichste Kreatur ansehen muß; wie dann das Unrecht,

das andere gethan haben, so klein, so winzig klein wird, und das eigene Unrecht so riesengroß anwächst, daß es einen schier erdrückt,

und man sieht, wie man unmöglich alles verantworten kann, was man je

begangen; wie man zuerst

einmal an

sich

selbst die

reformierende Hand anlegen muß, ehe man es wagen darf, zum Tadel eines anderen auch nur den kleinsten Finger zu heben. Wir leiden alle unter dem Fluch, Menschen zu sein,

das

Gute zu wollen, aber nicht git können, das Böse zu hassen und

es doch zu thun.

Wenn man sich dann selbst sagen muß, wie

erbärmlich man ist, so greift man schließlich zu dem Mittel, das

schon Adam benutzte, und man sucht sich zu entschuldigen, und damit ist erst die ganze Erbärmlichkeit vollendet.

Denn wer sich

entschuldigt, macht seine Schuld nur noch größer. Was soll ich noch sagen? Habe ich mir nicht schon selber das Urteil gesprochen? Wenn ich das nun alles einsehe und erkenne

und mir im Gebet Rat und Hilfe hole,

neue Kraft schöpfe durch

meinen Gott und in meinem Gott, bin ich dadurch auch nur einen

Schritt vorwärts gekommen auf der Bahn, die zu durchlaufen ich so heiß ersehne?

kann

ich,

menschlich geredet, um zum Thema

zurückzukehren, auch nur einem helfen, wie ich es gerne möchte?

64

Wenn Sie als Seelsorger 25 Jahre in Ihrer Gemeinde gewirkt haben und Sie haben nur eine Seele gewonnen und auf den rechten Weg geleitet, daß sie es, nächst Gott, Ihnen dankt,

gerettet zu sein, dann haben Sie in dieser einen Seele reichen

Lohn.

Habe ich dagegen 25 Jahre an einer Stelle gewirkt, mein

bestes Wissen und Können eingesetzt und alles treu verwaltet, so setzt man mir den Stuhl vor die Thüre — was dann? Oder

meinen Sie, es gebe Prinzipale, die sich eines Angestellten an­ nehmen, oder auch nur das geringste persönliche Interesse an

ihren Leuten, seis, daß sie auf dem Comptoir, seis, daß sie in den Arbeitsräumen thätig sind, nehmen? Dazu ist unser einer jenen

Herren nicht wichtig genug, sie finden ja zu leicht Ersah. Unsere soziale Stellung ist, solange wir unselbständig sind, keine angenehme: viel Pflichten und wenig Rechte, viel Wissen

und Können und wenig Ansehen, damit ist eigentlich alles gesagt. Zum großen Teil kommt das ja auch daher, daß jeder schmutzige Judenjunge, der einige Jahre die Elle geschwungen und gemauschelt hat, sich ebenso gut Kaufmann nennt wie ein Mann,

der Jdhre lang gelernt hat, hier und im Ausland, 4—5 Sprachen

redet und gründlich gebildet, kenntnisreich und unterrichtet ist. Bei uns gibt es nicht wie in anderen Ständen ein gewisses Maß von Kenntnissen, das man haben muß, um sich Kaufmann nennen zu dürfen.

Hier waltet die schrankenlose Freiheit, die auch ihre

Schattenseiten hat.

Doch wozu davon reden, wozu Dinge erörtern, die sich nicht ändern lassen, wozu sich in Fragen vertiefen, die nicht zu lösen

sind? Cs ist unnütz; damit ist die Sache erledigt.

Was ich also sagen will, ist kurz dies: ich möchte gerne helfen und ändern und kann nicht; ich fühle aufs furchtbarste

meine Ohnmacht dem gegenüber, was ich für Unrecht ansehe, und

muß es geschehen lassen; ich erkenne voll und ganz die Nichtigkeit des eigenen Ichs gegenüber dem großen Ganzen und leide unter dieser Erkenntnis aufs furchtbarste.

Wenn Sie mir hier eine Lösung zeigen könnten, wäre ich Ihnen

über die Maßen dankbar. Vorläufig wage ich so Großes nicht zu hoffen. Leben Sie wohl und empfangen Sie herzliche Grüße

von Ihrem getreuen ....

66 IV. Lieber Freund! Es freut mich herzlich, daß wir nach Ihren Ausführungen

im vorigen Brief über den Grundgedanken, was den Idealismus angeht, einig sind.

Das Uebrige wird, hoffe ich, sich nach und nach

auch ergeben.

Sie sagen, Sie können nicht anders und möchten auch gerne so handeln —

niemand, mehr als Sie können.

als idealistisch denken mehr verlangt ja auch

Ultra posse nemo obligatur

sagt ein bekannter Spruch, d. h. mehr als er kann, zu thun wird niemand gezwungen (verpflichtet). Es ist ja wunderschön, daß Sie in löblichem Drang und Eifer die Welt, vor allem die Geschäfts­

welt reformieren möchten oder doch reformiert sehen möchten, daß Sie im Untergebenen und Geringen den Bruder anerkannt wissen

wollen.

Aber ist es hier nicht ein Grundsatz der Weisheit: thue,

was du kannst, mehr verlangt niemand!

Aber was du thust,

das thue ganz! Thun andere nicht, was du für recht hältst, so thue du's allein, ja ganz allein, wenns sein muß, und laß dich

von niemand und nichts zurückhalten.

Des großen Philosophen

Kant oberster Grundsatz in der Sittenlehre lautet: Handle so, daß die Maxime deines Willens zugleich als Prinzip einer allgemeinen

Gesetzgebung gelten kann.

Besser und verständlicher ausgedrückt:

Handle so, daß bei deinem Handeln das Glück und Wohlsein deiner

Mitmenschen heraus kommt.

Thuns andere nicht, so laß sie —

thu du deine Pflicht nicht um des Menschen willen, nicht um deines Glücks willen, sondern einfach um der Pflicht selber willen.

Das ist genug. Daß mit solchen Grundsätzen und einer entsprechenden Hand­

lungsweise ein niederdrückendes Gefühl sittlicher Ohnmacht ver­ bunden ist, wird kein sittlich denkender in Abrede stellen.

es heißt, sich in die Umstände schicken.

Aber

Gott hat einem jeden von

uns seine Gaben gegeben und erwartet deren treue Benutzung. Trotz treuer Benutzung können sie sich vermindern, ja verloren gehen. Hat aber der Inhaber keine Schuld, so braucht er sich

fortan keine Vorwürfe zu machen, wenn er im Kampf des Lebens

weniger leistet als vorher. Und wenn ein junger Kaufmann vor­ läufig keine Möglichkeit sieht, eine eigene geschäftliche Existenz zu IV

5

66 gründen, aus Mangel an Kapital, so mag das recht bitter sein, gewiß um so bitterer, je lieber er ins Große, Weite und Ideale

hinein arbeiten möchte.

Aber da ist nun der gottgewiesene Weg

einfach der, daß er sich in den gegebenen Schranken halte, in

ihnen sein Wohlsein finden lernt und dennoch das Streben darüber hinaus beibehält.

Sich genügen lassen an dem, was da ist, und

dabei doch sich strecken nach dem, was vorne ist (Ideale), das

beides zu vereinigen, ist die ganze Lebenskunst des Christentums. Was hilft es mir, ob ich denke: ich bin zu einer höheren, besseren

Stellung berufen, ich möchte und könnte sehr wohl mehr und besser arbeiten, und nun mache ich mir darüber Gedanken und Sorgen, wie ich das erreichen soll.

Damit erreiche ich ja nichts, im Gegen­

teil, ich mache mir nur das Leben noch bitterer, ohne alle Not,

ja ich thue sogar Unrecht daran.

Vorläufig will ich meine Wünsche

und Ziele ein wenig zurückstellen, ich will mich in den mir von

Gott gezeigten Grenzen halten; entsagen, ja entsagen.

Das ist

ein Gedanke, den Goethe in seinen Dichtungen so herrlich durch­ führt, daß unser Leben aus einer Kette von Entsagungen besteht;

das ists, was das Evangelium Selbstverleugnung nennt.

Denn

sich selbst, sein Meinen und sein Wollen in den Tod geben,

das

ist not, ehe ein Mensch auf Gottes Winke und Weisungen achten lernt.

Und wenn der Christ alsdann nach Gottes Winken und

Weisungen sein erst in den Tod

gegebenes Meinen und Wollen

wieder ausgenommen hat, so ist es nur dem Anschein nach dasselbe Meinen und Wollen, in der That doch ein anderes, nämlich ver­

klärt in den» Licht von oben und darum von allen Zuthaten des Eigensinns,

der

Anspruchsseligkeit und des hochfliegenden,

nüchternen Strebertums

gereinigt.

Das ist

freilich

un­

ein hart

Ding, ein schwerer Kampf, ein heißes Feuer, in dem Sie jetzt stehen und in dem Sie — gestatten Sie mir,

es offen zu sagen

— sich selbst verzehren und ihre Kräfte unnütz vergeuden.

Und

bei aller Hochachtung vor Ihrem hochfliegenden Idealismus scheint mir eins sehr wohlgethan, wenn Sie Ihre ganze Lebenshaltung

recht einfach und bescheiden einrichteten.

Sonst wehe, wenn zu

spät einmal eine Ernüchterung erfolgen sollte.

Dann können Sie

auch viel, viel Gutes thun schon mit dem, was Ihnen jetzt zu Gebote

steht.

Und

mehren sich

einmal

die Einnahmen,

gibt

Ihnen Gott der Herr Ihres Herzens Wunsch, eine selbständige Stellung, in fünf, zehn, zwanzig Jahren, dann mögen Sie auch Ihre Lebenshaltung steigern.

Bis dahin aber gilt es sich ein­

schränken, um Freiheit zu haben, Gutes zu thun, zu helfen.

Nur

wo der inwendige Mensch entsagen, sich beschränken, sich einengen gelernt hat, kann alles gedeihen, auch das äußere Glück.

Lernen

Sie vor allem Ihre Ziele und Ansprüche zurückstecken, soweit wie

möglich, mindestens so weit es nach vernünftiger Erwägung aller in Betracht kommenden Umstände sein muß.

Spannen Sie Ihre

idealen Aussichten immerhin so hoch wie Sie wollen. Sie Ihr Glück mehr im inneren «Leben.

Aber suchen

Im äußeren Leben,

in Geld und Gut, in Selbständigkeit und sogenannter Unabhängig­

keit ist das Glück nicht zu finden. Vielleicht sagen Sie, das ist ja kolossal nüchtern und prosaisch gesprochen.

Erst bekomme ich einen so idealistisch gehaltenen Brief

und nun, von demselben Freunde, einen so prosaischen, so gerade entgegengesetzten. Wie reimt sich das zusammen? Das kann weniger

selbständiges

Nachdenken als Lebenserfahrung lehren.

In der

That, unser ganzes Leben ist aus Widersprüchen zusammengesetzt. Sie allezeit zu lösen ist unsere Aufgabe.

Mit Widersprüchen sich

zufrieden geben kann ein denkender und sittlich strebender Mensch nimmermehr.

Das ist, was Ihnen so viel Not macht, und der

Ernst, mit dem Sie sich mühen, nötigt mir volle Hochachtung ab. Darin nämlich irren Sie gewaltig, wenn Sie meinen, Ihre

Lebensstellung zwinge Sie, manchmal fünf gerade sein zu lassen, um nur das Brot zu haben.

Nein, das nicht: niemals dürfen

Sie mit Wissen und Willen schuld daran sein, daß Leute hinter­ gangen und geschädigt werden.

Vielmehr haben Sie nach Kräften

und nach bestem Gewissen zu helfen, daß solches verhindert werde. Das ist freilich andererseits wahr: vieles dürfen Sie scheinbar nicht sehen und nicht wissen, was Sie am liebsten in die Welt hinaus­ rufen möchten. Aber es gehört viel Ruhe und Besonnenheit und Erfahrung dazu, um dergleichen am rechten Ende anzufassen. Nicht

die Furcht vor eigenem Schaden und dem Untergang darf uns hier bestimmen, sondern die Erwägung ist maßgebend, ob es wirklich zu des Nächsten Heil, Nutzen und innerer Ueberführung dient, wenn wir seinem Unrecht entgegentreten, und dazu der Gedanke,

5*

68 ob es unsere Sache ist, hier einzugreifen, ob nicht viel eigener

fleischlicher Eifer mit unterläuft, den wir verwechseln mit Eifer für Gottes Ehre, für die Gerechtigkeit in der Welt und die Not der

Elenden.

Mose wollte in seiner Jugend den Reformator spielen;

er schlug den Aegppter tot und schalt den Israeliten hart.

Aber

vierzig Jahre lang führte ihn Gott in die Stille: nun hatte er

erst die Ruhe, Besonnenheit und Weisheit gelernt, um Reformator

sein zu können.

Als er aber jetzt Reformator werden sollte, war

er so bescheiden und klein geworden, daß er nicht mehr das ihm von Gott übertragene Amt ergreifen wollte. (2. Mose 2—4.)

Es ist nicht richtig, daß Sie zu vielem schweigen müßten, um Brot zu haben — was wäre das für eine Moral? Sondern

Sie haben zu schweigen, weil Sie im allgemeinen zum Dreinreden,

in dem Sinn, wie sie es meinen, gar nicht berufen sind, und

weil auf jeden Fall der Prinzipal für die in seinem Geschäft herrschende Praxis allein die Verantwortung trägt.

Mit der

Weisheit, die wir von oben erbitten, werden wir nie zu Schanden.

Wir dürfen uns weder fremder Sünden teilhaftig machen noch aber auch sie ohne Beruf ans Licht ziehen, immer aber haben

wir im gegebenen Fall ein kräftig Wörtlein für Recht und Gerechtigkeit, Liebe und Milde zu reden, doch wohlgemerkt mit Besonnenheit und Bescheidenheit, die der Jugend und Unreife

wohl ansteht. Halten Sie sich darnach, heißt nicht schon das: rettende und

helfende Hand anlegen?

Oder sollten

Sie das

nicht können?

Warum denn nicht? Freilich, wie oben gezeigt, nicht in dem Sinn,

wie Sie es meinen.

Aber wer das Ganze nicht retten und helfen

kann (das können selbst große Geister nicht nach eigenem Vorsatz, sondern nur unter besonderen Verhältnissen, wie sie jeweilen von Gott Da kann es Ins Große zu arbeiten ist uns nicht geboten,

gefügt werden), wohlan, er versuche es im Kleinen.

ein jeder, auch Sie.

aber im Kleinen treu zu sein und liebend zu helfen, das

ist

unsere Pflicht. Einen hungrigen Menschen, der Ihren Prinzipal um Arbeit anspricht und barsch abgewiesen wird, können Sie freilich nicht retten, indem Sie ihm zu einer Arbeitsgelegenheit

verhelfen, das steht nicht in Ihrer Gewalt.

Aber Sie können

ihm Ihre Hilfsbereitschaft erweisen, in dem Sie ihm je nach

69 Bedürfnis 10 bis 50 Pfennige schenken und vor allem ihn einer

freundlichen Ansprache würdigen.

Letzteres ist dem Armen unter

Umständen viel mehr wert, thut mehr wohl und bringt mehr Segen

als Geld und eine augenblickliche Arbeitsgelegenheit.

Ob Sie noch

obendrein bei Ihrem Chef für den Bittsteller ein gutes Wort einlegen können, hängt von den Umständen ab.

Freilich, Sie wünschen sogar, womöglich ohne Sorge ums

tägliche Brot zu leben, um dann erst recht helfen zu können. Das mag ideal gedacht sein, aber ich fürchte, es käme bald anders.

Wenn einer retten und helfen will, hat er keine bessere Grundlage dazu als den täglichen Kampf ums eigene liebe Brot. Da bleibt sein Herz offen und empfindlich für fremdes Leid.

Aber wenn

ein Mensch selber frei von allen materiellen Sorgen steht, dann

ist Gefahr vorhanden, daß sein Herz unvermerkt hart und härter wird. Ich kann Ihnen versichern, daß in jedem Jahre zweioder dreimal in meinem Hause eine Zeit einkehrt, wo ich buch­ stäblich kein Geld im Hause habe.

Das hängt mit den Einnahme-

Verhältnissen eines Landgeistlichen zusammen, mit denen es in vieler Beziehung unsagbar traurig bestellt ist.

Strömt dann ein­

mal eine größere Geldsumme ins Haus, so ist sie nach wenigen Wochen für längst anstehende oder anderweitig notwendige Aus­

gaben verbraucht.

Wollte ich mir Sorgen machen, ich hätte allen

Anlaß dazu, so lange ich nur die äußeren Umstände ins Auge fasse. Dennoch mache ich mir in diesem Punkte niemals Sorgen. Aber ich danke meinem Gott dafür, daß ich die von Ihnen so verachtete Sorge ums tägliche Brot aus eigener Erfahrung

kennen

lerne.

Gerade in

solchen Zeiten des vorübergehenden

Mangels bin ich mehr als sonst geneigt, für gute Zwecke zu geben

und zu opfern und von dem Wenigen, was da ist, zu helfen und zu retten.

Ja, wohnte jemand in den bescheidensten Verhältnissen,

in der ärmsten Hütte; Gelegenheit, rettende und helfende Hand

anzulegen hätte er tausendfach, wofern nur das Auge offen und das Herz empfänglich ist für fremde Not, und der Mensch sich bescheidentlich an der Thätigkeit im Kleinen und Verborgenen genügen läßt („und dein Vater, der in das Verborgene siehet, wird

dirs vergelten öffentlich" Matth. 6,4). Darnach überlegen Sie sich die Frage recht genau, ob es

70 wirklich so unbedingt geboten und erforderlich scheint, daß Sie um

jeden Preis ein eigenes Geschäft begründen, da Ihnen die Gefahren solcher Neugründung so groß erscheinen. Gewiß, daß Sie nicht ihr Lebenlang letzter Kommis bleiben möchten, finde ich ganz begreiflich. Indes, wenns nicht anders ist, was dann? So nehmen Sie es

aus Gottes Hand also hin.

Es geht im Leben zumeist nicht

nach unserem eignen Willen, und das wäre auch gar nicht gut. Wer sich das nicht sagen will, muß es in der Regel durch sehr

bittere Erfahrungen lernen.

Sie fragen: soll ich Kommis bleiben,

damit ich eines Tages, jung oder alt, falls ich unbrauchbar ge­ worden bin, vor die Thüre gesetzt werde? Ja, lieber junger Freund, was denken Sie denn, daß Sie von vornherein für Ihr ganzes Leben

eine feste Stellung beanspruchen?

Wollen Sie im Ernst eine

Garantie dafür verlangen, wie Ihr zukünftiges Leben verläuft?

Wer soll denn alle die möglichen Umftänbe in Ihrer Zukunft

vorhersehen und voraussagen und abwenden? Nein, wir wollen wenn wir heute versorgt sind, und kommt das

zufrieden sein,

Schlimmste, was wir befürchten können, so wird unser Vater droben schon Rat und Wege wissen.

Wozu sollen wir uns schon jetzt

alle Eventualitäten, und hätten sie noch so viel für sich, vorstellen und mit ihnen rechnen? Thorheit! Ich dachte einst auch, ich wäre

in einer Großstadtgemeinde am rechten Platz und malte es mir aus, wie schön ich da im Vollen wirken könnte. Aber nach­ dem ich sechs Jahre in der Millionenstadt gewesen, sitze ich nun schon

über zwanzig in einer kleinen Landgemeinde, die aus lauter einfachen Leuten besteht, nnb bin doch zufrieden, daß mich Gott also geführt hat. Wenn es sein Wille gewesen wäre, so könnte es ja längst anders gekommen sein, und es kann immer noch einmal, vielleicht kann

es ja auch plötzlich wieder anders werden.

Darum nur keine

Sorge: wir wollen uns bescheiden, wie es vom Herrn gefügt wird. Summa: stehen Sie auch ferner Ihren Mann, sagen Sie Ihre Meinung, und wenn es etwas einzustecken gibt, so stecken

Sies ein.

Um Gottes willen, für Wahrheit und Recht leiden ist

die höchste Ehre, die einem in dieser Welt widerfahren kann.

Nur noch in einem Punkt lassen Sie mich Ihnen zum Schluß recht kräftig widersprechen. Sie behaupten mit Nachdruck, daß das tägliche Pxot die erste Sorge eines jeglichen Menschen

71 sei.

Ich

halte

einfach

dagegen

das Wort unseres Heilandes

Matth. 6, 33: „Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und

nach seiner Gerechtigkeit!"

Das Brot ist allerdings

die

erste

irdische Sorge, darum findet es auch in der vierten Bitte des Vaterunsers einen Hauptplatz.

Aber die Sorge, vor Gott zu

bestehen und mit gutem Gewissen bis ins Alter zu kommen und

aus Gnade ein selig Sterbestündlein zu gewinnen, ist doch mehr.

Vom guten Gewissen und ehrlichen Namen kann man nicht essen, sagen Sie. Ich sage — es mag seltsam klingen — ja doch. Der Christ

lebt und ißt von der Gnade Gottes, die ein gutes Gewissen und einen ehrlichen Namen verleiht. Das wäre wohl ein Punkt, der noch einmal einer ganz besonderen Auseinandersetzung bedürftig wäre. Von Ihrer Sache und von geschäftlichen Angelegenheiten über­

haupt verstehe ich vielleicht doch etwas mehr als Sie ahnen, so daß mich nichts von dem, was Sie mir erzählen, besonders in Erstaunen

setzt.

Genau dieselben Gedanken und Stimmungen habe ich bei

mehreren meiner alten Konfirmanden, soweit sie Kaufleute geworden sind, bei vielen anderen meiner jungen Freunde gefunden und ost genug bekämpft, meist nicht ganz vergebens. Hoffentlich ist es auch beiJhnen so! Mit Freude und Spannung sehe ich Ihrer baldigen Rück­ äußerung entgegen, die hoffentlich wieder recht eingehend wird.

Sie können wirklich nie genug schreiben

Ihrem Ihnen treulich verbundenen .... V.

Hochverehrter Herr Pastor! Im Eingang Ihres letzten Schrei­ bens sprechen Sie die Hoffnung aus, daß, nachdem ich bezüglich

des Idealismus Ihnen zugestimmt, das andere sich nach und nach

ergeben würde. Ich will das ja nicht direkt verneinen, im Gegen­ teil, ich würde mich freuen, wenn es so käme, vorläufig aber kann ich daran noch nicht glauben: ich fürchte, daß mein armes Herz viel zu sehr im Finstern sitzt und nur im denkenden Verstand

einigermaßen Klarheit waltet. Der Grundgedanke der Ausführungen Ihres ersten Teils sieht mir ein wenig nach Fatalismus aus und erinnert etwas an den Moslem, der bei allem, was ihm begegnet, einfach sagt:

Allah hat es gewollt, ergo sei es so.

72 Allerdings wäre ich thöricht, wollte ich mir einbilden, etwas von dem ändern zu können, was ich als Unrecht in der Welt er­ kannt habe.

So vernünftig bin ich ja auch, daß ich weiß, wie

eine Fliege keinen Löwen aus seiner Bahn zu bringen vermag.

Ich füge mich ja auch (ob gutwillig oder nicht, ist arn Ende gleich) in die bestehenden Verhältnisse und ich thue meine Pflicht, weil ich eben muß, wenn ich Geld verdienen will.

Denn aus Liebe zum

Beruf, aus Eifer für das Geschäft, aus Freude an der Arbeit, die ich für andere thue, kann ich sie nicht erfüllen: der Trieb

dazu wird im Geschäftsleben systematisch ertötet und stirbt all­

mählich ab.

Im Geschäft gibt es eben keinen Idealismus, den

kann ich nur privatim pflegen, und das genügt ja eigentlich auch.

Dabei will ich aber stets aufmerksam darauf sein, wie und wo

sich eine Gelegenheit bieten niöchte, daß die Fesseln fallen, die mich halten, daß ich selbständig werde und dann ganz meinen Idealen

gemäß handle. Sie bestreiten es mir energisch, daß man seine Pflicht thun dürfe um des Geldes willen. Ich werde mich auch sehr hüten, eine Verteidigung dieses Satzes zu versuchen. Weiß ich doch ganz

genau, daß er unrichtig ist.

Aber ich habe die Erfahrung reichlich

gemacht, daß man dabei am bestell fährt, wenn man sich ganz genau auf das beschränkt, was man unbedingt thirn muß. Ich habe in hundert Fällen gefunden, daß gerade dann am meisten

genörgelt wurde, wenn man nicht mir seine Pflicht gethan, sondern in besonders sorgsamer Weise alles zusammengehalten hatte, was für das Geschäft Nutzen brachte. Vielleicht wurde einmal in einem Augen­

blick anerkannt, was man gethan, aber unmittelbar darauf gleich,

als müsse der Eindruck jener kleinen Anerkennung sofort ausgelöscht

werden, war die Nörgelei der Vorgesetzten am schlimmsten. Seitdem ich das gemerkt habe, bin ich auch nicht einen Mil­ limeter über das hinausgegangen, was ich unbedingt thun muß.

Ich habe anderen nach rechts rmd links Teile meiner Arbeit ab­

getreten und führe nun ein einigermaßen gemütliches Leben, was die mir obliegende Arbeitslast angeht. Nie zuvor habe ich es so

gut gehabt und werde fortan nie mehr so angestrengt arbeiten, wie ich in der ersten Zeit meines Geschäftslebens, als ich noch voller Ideale war, bei diesem und jenem meiner früheren Chefs gethan habe.

73 Fast kommt es mir vor, als ob meine Chefs immer gefühlt hätten, daß sie mich für meine Leistungen nicht genügend ent­ schädigten.

Da sie aber doch keine Dankesschuld anerkennen oder

sie irgendwie von sich abladen wollten, so scheinen sie ihres Gewissens Stimme dadurch haben zum Schweigen bringen wollen, daß sie bei mir an allen Ecken und Enden nörgelten. Die meisten Chefs (wenigstens dachten alle so, die ich kennen gelernt, in Breslau wie in Frankfurt a. O., in Köln wie in Straß­ burg) meinen, sie vereinigten alle Weisheit in sich, und wollen

bloße Maschinen, die ihre Befehle ausführen und damit basta.

Sie bezahlen sie ja dafür, das ist alles. Sie meinen: „Lieber etwas be­

schränkte, aber folgsame Leute haben, als solche, die widersprechen,

die manches auch selber wissen wollen." Es ist aber doch nun natürlich, daß ein denkender Mensch, wie unser einer es doch schließ­ lich auch sein will, seine eigne Meinung hat und sie gelegentlich zum Ausdruck bringt.

Aber im Geschäft soll das nicht sein.

Man muß sich also in die Verhältnisse fügen, ob's einem

schwer wird oder nicht, das ist ganz gleich: man muß eben.

In einem Punkt bin ich gezwungen, Ihnen auf's allerentschiedenste zu widersprechen, oder lieber Sie aufzuklären, weil Sie sich eine total falsche Ansicht von meiner Lebenshaltung machen.

Freilich, Sie haben mich seit über einem Jahrzehnt nicht mehr ge­

sehen und gesprochen, und daher ist das Mißverständnis ganz be­ greiflich: in diesen Jahren ändert man doch seine Meinungen und seine Handlungsweise ein wenig. Ich bin alt genug, um mich vor einem

Mißklang zwischen Einnahmen und Ausgaben zu hüten, von den:

ich ja übrigens selber die schwersten Folgen zu tragen hätte. Ich werde niemals den Boden der 'Wirklichkeit verlassen und nie einen

Schritt vorwärts gehen, ehe ich inich nicht überzeugt habe, daß der Stein, auf den ich treten will, ganz fest und sicher liegt.

Wenn ich das nicht aus meiner eigenen Einsicht wüßte, so würde,

mein kaufmännischer Beruf es mich lehren. Ich könnte mich ja jetzt und jederzeit selbständig machen. Mein Einkommen und mein Alter berechtigen mich dazu. Aber so sehr ich mich darnach sehne, so weit zu sein, so bin ich doch so ver­ nünftig mir zu sagen: ich will erst noch warten und meine Er­ sparnisse so groß machen, daß ich gegen Schicksalsschläge geschützt

74 bin, soweit es in menschlicher Macht liegt. Ich muß darin umsomehr Vorsicht üben, als meine Stellung nicht wie die eines Beamten absolut sicher ist, und nicht die Pension ein­ bringt, wenn ich meine Kräfte einst in der Erfüllung meiner Pflicht verzehrt habe. Und gerade darum, weil ich jeden Tag befürchten muß, durch irgend eine Verkettung von Umständen meine Stellung nnb mein Brot zu verlieren, so bin ich für diesen Fall um so besser daran, je mehr ich habe. Wenn ich also meine Selbständigkeit erstrebe, so thue ich das lediglich um meiner selbst willen, im eigenen Interesse. Sie haben ganz recht, wenn Sie sagen, daß unser Leben aus lauter Widersprüchen zusammengesetzt sei, und schwer oder unmöglich sei es, diese Widersprüche zusammenzureimen. Wahr­ haftig, es ist sehr schwer. Sehr oft kommt man in die Lage, daß man trotz alles redlichen Bemühens sie nicht zusammenreimen kann, in Zweifel gerät und dann die stärksten Anstrengungen machen muß, sich aus den Banden des Zweifels loszureißen und sich wieder auf den nackten Boden der Thatsachen zu stellen. Sie bestreiten es direkt, daß mein Beruf mich bisweilen in die Lage bringe, fünf gerade sein zu lassen. Sie sind so fest von dem Gegenteil überzeugt, wie man es sein muß, wenn man nicht weiß, was das Geschäftsleben mit sich bringt. Gestatten Sie, daß ich Ihnen ein Beispiel erzähle, wie es nicht einmal, sondern hundertmal vorkommt: ein Kaufmann setzt auf einer Geschäftsreise in einem großen Hause zu X. einen neuen Artikel 30 Prozent teurer ab als der eigentlich festgesetzte Preis war. Einige Zeit später macht ein Reisender derselben Firma in Y. für ein anderes Haus, das er gleichfalls vertritt, Geschäfte. Dabei nimmt er auch die Muster der ersten Firma mit und kommt auch zu jenem Hause in X. Hier fällt das Muster des besagten 30 Prozent zu teuer verkauften Artikels dem Käufer auf, weil ganz zufällig das hier nicht zur Vorlage bestimmte Musterbuch sich öffnet und ebenso zufällig des Käufers Blick darauf gerät. Es wird nach dem Preis gefragt. Er erfährt, daß derselbe 30 Prozent niedriger sei, als ihm gesagt worden. Natürlich wird er darüber ungehalten und bittet die Firma um Aufklärung. Darauf großes Erschrecken, denn der erste Reisende hat sein „Geschäftchen" bei der Heimkehr offen

75 erzählt und ist darüber vom Inhaber der Firma belobigt worden.

Jetzt handelte es sich darum, erstens den Schaden, der durch nach­ träglichen Preisnachlaß entstanden wäre (es kamen hier 800 M. in Betracht), zu vermeiden; ferner, den Mann als guten Kunden zu behalten.

Wäre ihm der Wahrheit gemäß geschrieben worden:

die Sachen sind ihnen zu teuer verkauft worden, so hätte jener Mann niemals mehr ein Stück bei jener Firma gekauft, und

die 800 M. wären verloren gewesen.

Da setzt sich denn auf

Befehl irgend so ein junger Mann hin und schmiedet für den Mann ein langes Märchen zurecht, und wenn er fertig ist, sagt er

sich selber: dieser ganze Brief ist eine einzige Lüge. In diesem Fall Hat er also doch mit Wissen und Willen

gelogen, indem er ein möglichst glaubwürdiges Märchen erfinden und aufschreiben mußte. Sie werden einwenden, von müssen sei hier keine Rede,

selbst der jüngste Lehrling hätte hier die Pflicht gehabt, seinem Chef gegenüber

die Ansicht zu vertreten, daß dem betrogenen

Kunden die Wahrheit einzugestehen sei, oder er hätte sich mindestens der Ausrede bedienen sollen, er wisse nicht,

herausziehen könne.

wie man sich da

Beides läßt sich in der Theorie ausgezeichnet

verteidigen, in der Praxis es auszuführen ist unmöglich. Solch junger Mann hat also (und wie oft bin ich in der­ selben Lage gewesen) wissentlich hilfreiche Hand zum Betrüge geliehen; ob mit völlig freiem Willen, das will ich nicht ent­ scheiden.

Jedenfalls ist es ein gräßlich Ding, eine wohlgeplante

Lüge schwarz auf weiß in die Welt hinausgehen zu lassen. Ein anderes Beispiel.

Da ist ein Kunde, der ganz hübsch

kauft, aber — eine ganz dumme Marotte — stets einen ExtraRabatt beansprucht. Vielleicht läßt' man sich das erste Mal

einen kleinen Verlust gefallen, weil man den Kunden nicht ver­ lieren möchte; man gibt ihm den Rabatt, den er begehrt. Das nächste Mal aber setzt man die Preise einfach um so viel höher als der Rabatt sie kürzt. Der Mann bildet sich also ein, um so viel billiger zu kaufen: man täuscht ihn mit Ueberlegung. Würde man aber dem Kunden den verlangten Extrarabatt zuerst nicht

bewilligt haben, so wäre er zum Konkurrenten gegangen — man muß also täuschen um der Selbsterhaltung willen.

76 Eine

bekannte

kaufmännische Zeitung

veröffentlichte

darin aus, daß derselbe Chef,

vor

und führte

einigen Jahren einen Artikel über Geschäftslügen

der sich mit vollem Recht stets

einen Ehrenmann nenne, keinen Anstand nehmen würde, einem Lieferanten gegenüber, blos der Konkurrenz wegen, einen billigeren

Preis vorzuschreiben, als er thatsächlich bezahle,

natürlich um

später einmal um so größere Vorteile für sich zu erzielen.

Nicht wahr, der Verfasser spricht hier mit vollster Ueberlegung eine ganz krasse Lüge aus.

Nach heutigen Geschäftsbegriffen

aber begeht er damit kein Unrecht, sondern zeigt sich gerade hierin als gewiegter Kaufmann. — Eben, da ich vom Abendessen komme, um diesen Brief fort­

zusetzen,

fällt mein Blick auf den von Ihnen zitierten Grundsatz

Kants: „Handle so, daß die Maxime deines Willens zugleich als

Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten kann."

Dabei fällt

mir ein, daß ich im Eingang dieser Zeilen sagte: ich thäte meine Pflicht um des Geldes willen, das ich damit verdiene, wobei ich allerdings zugab, daß ich diesen Satz nicht verteidigen könne.

Sie

werden mir nun, und zwar mit Recht vorwerfen, daß ich damit

einen Grundsatz des krassesten Materialismus aufstelle, daß ich

damit meinen zuerst so gerühmten Idealismus verleugne, so daß Sie mit einem Schein des Rechts mich auf der Seite der

Materialisten vermuteten. Allein Sie können sich eben nicht vor­ stellen, wie im Geschäft alsbald die Blüte des Idealismus verwelkt. Nur außerhalb des Geschäfts ist man ein ganzer selbständiger

Mensch, aber innerhalb des Geschäfts nichts als das leblose und

willenlose Rad an einer Maschine.

Wenn hier von allen Seiten

einander widerstrebende Luftzüge und Strömungen wehen, so wird

man eben mit Notwendigkeit ein gieriger Geldjäger und erschrickt

schließlich in ruhigen Augenblicken über sich selber. Ich möchte — mit Verlaub zu sagen — Sie an meiner

Stelle sehen, jeden Tag mit der unseligen passiven Widerstandskraft, die einem noch geblieben ist, kämpfen! Ich kämpfe ja stets noch, ob­

wohl es nicht sein sollte und ich mirs nicht eingestehen will. O, es ist in der That der lächerliche Kampf Don Quixotes gegen die Wind­ mühlen, völlig nutzlos. Ja, wozu kämpft man nur noch? Man wird

von diesem aussichtslosen passiven Widerstand so müde, ach so müde.

77 Noch auf einige Einzelheiten Ihres Briefes lassen Sie mich zum Schluß

kommen,

obwohl es

eigentlich an

dem Ergebnis

nichts ändert. Sie sagen, Sie hätten jährlich zweimal oder dreimal eine

Zeit, wo Sie kein Geld im Hause haben, und wenn welches ein­

kommt, dann seien der Ausgaben so viele, daß recht bald nichts mehr da ist.

Ich erkenne es an und bewundre es,

dabei ohne Sorge sein können.

daß Sie

Allein vergessen Sie auch nicht,

daß Ihnen die Sorge ums tägliche Brot nie in der Gestalt ent­

gegentreten kann wie mir.

Sie können einfach nicht nach Willkür

aus Ihrer Stellung entfernt werden, Ihnen kann unter keinen

Umständen das tägliche Brot entzogen werden. die Sache bei mir.

Einzelnen ab,

Ich

Ganz anders liegt

hänge stets von dem Willen eines

mein Brot kann mir jederzeit durch den Willen

dieses Einzelnen genommen werden.

Und sollte ich einmal krank

werden, so bin ich lediglich auf mich selbst angewiesen und habe keinerlei Unterstützung zu erwarten, während Geistliche und Beamte

überhaupt eine jährliche Pension beziehen, die sie mindestens vor den äußersten Nahrungssorgen schützt. Meine Sorge ums tägliche Brot ist also doch wohl ganz anderer Art als die Ihre. Es ist darum meine erste Sorge im Irdischen, und ich habe

mich gewundert,

daß Sie meine Worte anders verstanden und

etwas Atheismus dahinter vermutet

haben,

es ist meine erste

irdische Sorge, mein täglich Brot und sicheres Durchkommen zu haben. —

Ueberschaue ich noch einmal, was ich geschrieben, so tritt darin meine ganze innere Zerfahrenheit und Zerrissenheit zu Tage,

eine Zerfahrenheit, die ich mir nicht erklären kann, die ich aber fühle, die mich um so stärker drückt, je klarer ich sie erkenne.

Sie werden mir hierauf wahrscheinlich wieder von Ihrem theologischen Standpunkt aus

nicht vorgreifen.

antworten und — doch ich will

Schließlich würde eben nichts geändert, uitb so

bin ich denn glücklich nach einem großen Kreisläufe wieder am Ausgangspunkt angelangt und genau so klug wie zuvor. Wollen Sie mich bitte nicht mißverstehen. Es thut wohl, wenn man sich einmal alles so recht von der Seele herunterge­ sprochen oder geschrieben hat, wenn man sich für einen Augenblick

78 in die Vorstellung hineinträumt, als könne man alles abschütteln.

Muß auch nachher das alte Lied weiter gesungen werden, so thut

das nichts:

die Erinnerung

an die

verlebten

schönen

Augenblicke begleiten einen beim Weitertreten in der gewohnten Mühle, und man fühlt doch das Wehe nicht so wie vorher.

Einzelne Dinge gibts ja auch, die ich, Dank Ihrer treuen

Beratung, in Zukunft mit anderen Augen anschauen werde: davon bin ich schon jetzt überzeugt. Und einen, wenn auch noch so kleinen Schritt auf der Bahn der Erkenntnis vorwärts gekommen zu sein, ist auch ein Gewinn, den Sie mir verschafft haben. Lassen Sie mich damit für heute schließen, und wenn nicht

im alten Jahre, so doch im neuen Jahre Ihre Antwort haben.

Ich sage das, weil ich weiß, wie sehr Sie in der bevorstehenden Festzeit von den Pflichten des Amtes in Anspruch genommen sind.

Mit den herzlichsten Grüßen Ihr dankbarer ....

VI. Teurer Freund! Wiewohl das Weihnachtsfest vor der Thüre

steht, habe ich doch unter dem Drang anderer Arbeiten ein Stündchen zur Erholung erübrigt, das ihnen gewidmet sein soll.

Es ist am

Ende für die Sache selbst recht günstig, wenn wir sie im Licht

des seine Strahlen weit vorauswerfenden Weihnachtsfestes be­ trachten.

Denn

es

ist

gewiß:

aller Idealismus

hat

seine

Wurzeln in der transcendenten Sphäre, oder religiös gesagt: in

der Ewigkeit.

Und diese Transcendenz oder Ewigkeit wird für

uns und alle Menschen in der Krippe zu Bethlehem offenbar. Der Mensch Jesus Ehristus ist das Ideal, und in ihm, welcher

Gott und Welt, den Menschen und was droben ist, zur Einheit verbindet, in ihm können wir finden, was unser Herz stillt, alle unsere Fragen beantwortet und uns unvergängliche Hoffnung ver­

leiht, sodaß wir alsdann mit Freuden und im Frieden unsere

Straße ziehen, der Liebe Gottes des Vaters gewiß und der felsen­ festen Ueberzeugung lebend, daß im§ alles zum Besten dienen nnch.

Das Leben, welches in Jesus erschienen ist und von, Jesus aus­ geht, macht Eindruck auf jeden, der ihm seines Herzens Pforten öffnet. Je mehr wir hineintauchen in die Erkenntnis und Gemein-

79 schäft Jesu Christi, um so mehr schlagen wir in der Ewigkeit

Wurzel und sind in der That befriedigt, erhaben über alle Nöte, Sorgen, Kümmernisse und Plagen des Lebens, obwohl wir noch

mitten darin stehen.

Es liegt alles daran, daß ein Mensch Jesum

kennt, recht kennt. Ach wenn ich nur Jesum recht kenne und weiß, So hab ich der Weisheit vollkommensten Preis.

Leider kennen ihn die allermeisten Christen nicht.

Sie kennen

wohl Geschichten, die von ihm handeln, den äußeren Gang seines Lebens, auch was von ihm imb über ihn gelehrt wird, sei's nach

Bibel, Gesangbuch und Katechismus oder in theologischen Schriften.

Aber sie kennen ihn selbst nicht.

Denn man muß ihn kennen, wie

man seinen besten Freund kennt.

Ihm muß man ins Herz sehen:

an seinen Gedanken, an seinem Wesen und Leben teilnehmen, im Innersten mit ihm eins sein, so daß wir in ihm die Wurzel und

den Quell und die Kraft all unseres Lebens und Thuns, unseres

Denkens und Wollens haben, das heißt, ihn kennen, oder wie' der

gebräuchliche Ausdruck lautet: an ihn glauben. Jesus in die Welt geboren ist,

Daß der Mensch

ein Heiliger und Gerechter, die

Liebe und das Leben in eigener Person, das ist der Mittelpunkt

der Welt- und Menschengeschichte, und soll der Mittelpunkt jeglichen

Menschenlebens sein, damit ihm zur Vollendung geholfen werde. Daß Jesus uns und allen, die sein begehren, das Geheimnis seiner

Persönlichkeit aufgeschlossen hat und denen,

die seines Vaters

Willen thun wollen, verspricht: sie sollen erfahren, daß meine Lehre von Gott sei, das ist wahre Hoffnung, die einzige und zu­

gleich vollkommene Hoffnung für alle gequälten, suchenden, ehrlich strebenden Menschenkinder.

Freilich, in seiner Gegenwart erblaßt zunächst aller Schein

unserer eigenen Bemühungen.

Hier wird mein eigen Elend und

meine ganze Verworfenheit mir klar, entsetzlich klar in dem Bilde

des Menschensohnes ohnegleichen. Aber seine heilige Liebe hat es an sich, daß sie mich nicht wieder losläßt, nachdem ich einmal in Ihre Nähe gekommen bin. Hab ich einmal den Quell des Lebens, welcher Jesus heißt, so kann ich mich nie satt daran trinken. Die Größe seines Berufs, der Welt das Heil zu bringen, die Schwierigkeiten und die Hindernisse, die ihn: in der Feindschaft

80 seiner Obrigkeit, in der Sinnlichkeit der Menge, in der Ehrsucht der Pharisäer, in der Unbeständigkeit und Verständnislosigkeit seiner

Jünger entgegentraten, die Treue, mit der er gleichwohl jedermann liebend, suchend, helfend, tröstend nachging, der Ernst, mit dem er die übelwollenden Widersacher zurückwies, die Heuchler nieder­

schmetterte, die Geduld, Demut und Sanftmut, womit er die ihm auferlegten Leiden, die ihm zugefügten Kränkungen und Martern

bis zum Tode ertrug, ob er gleich die höchste Ehre, dankbarste Anerkennung und innigste Liebe verdient hätte: das alles zusammen

macht es gewiß, daß er, obwohl er zum Schein vergeblich, in der That doch zum höchsten Segen aller Welt gelebt hat,

daß er in

einer Welt der Sünde, der Not, des Kampfes durch Tragen dieser bösen Mächte ihnen den Stachel ausgerissen, sie überwunden hat,

gerade weil er gebrochen unter ihnen zusainmensank; daß er nicht

aus dieser Welt stammte, sondern vom Vater kam und ausgerüstet mit der Kraft aus der Höhe sich in dieser Welt als wahrhaftiger Gott darstellte. Nachdem seines Lebens äußeres Gerüst zerschlagen, blieb der Geist, der in ihm war, Sieger und ist bis auf diesen

Tag Sieger und Herr über die ganze Erde.

Nach fernem Tode fuhr er gen Himmel und herrscht nun in der Herrlichkeit, real und

wesenhaft verbunden mit einem jeden, der auf seinen Namen

getauft, täglich mit ihn: sein Leben führt, aus seinem Reichtum

sich Kraft und Beistand holt und immer besser an ihn glauben lernt, glauben in dem vorhin erklärten Sinn des Worts. Das ist die Meinung, wenn die Kirche sagt: er ist der wahrhaftige Gott,

und allein im Glauben an ihn ist Seligkeit.

Das ist der Jesus,

dessen Geburt wir Weihnachten feiern, und daß Ihnen von dieses Jesu Erkenntnis durch Sinnen und

Gebet, durch

aufrichtiges

Trachten einiges Licht aufgehe und Ihnen in Ihrer besonderen Lage des Ringens und Wägens zur Klarheit und zum Frieden

diene, das ist mein herzlichster Weihnachtswunsch für Sie.

Es

ist wahr: nur wer Jesu«: nicht kennt, schlecht kennt, halb kennt, mag ihn verachten, gleichgiltig ihn vergessen, nicht anders als gelegentlich

ihn ins Herz aufnehmen. Aber wer ihn kennt ganz und gar, so weit es Menschen im Gewände der Sterblichkeit und im Staub

der Sünde vermögen, der kann nicht anders als von Herzen sich

freuen, daß solch Heiland geboren ist, und das Kind in Bethlehems

81 Krippe ist seines Herzens höchste Freude, die ihm ewiglich genügt, so daß ihm nichts mehr fehlt.

Sie merken, daß es nur ein Mißverständnis sein kann, wenn Sie aus

meinem vorigen Brief die Beschuldigung

des

Dennoch kann ich nicht leugnen, daß ich vor Augen sehe, wie Sie unter dem Bann einer WeltAtheismus herausgelesen haben.

und Lebensanschauung stehen, die Sie, wie gerne Sie es möchten, nicht zur Befriedigung, geschweige zum Frieden kommen läßt. Sie

empfinden das auch und geben es gewiß zu.

Aber auch eine

neue Welt- und Lebensanschauung will erarbeitet und erkämpft, anderseits geschenkt von oben und demütig angenommen sein.

Nicht von heute auf morgen geht das, sondern es gehört Zeit

dazu, oft viel Zeit, wie Gott es ordnet.

Ihm vertrauen Sie nur

und lassen Sie nicht ab, zu streben und zu beten, dann wird das Ende gut, und nach dem Kampf folgt der Sieg.

Auch das ist Mißverstand, wenn Sie in meinen Aus­ führungen

etwas

Fatalismus

entdecken.

Allerdings

Moslem: Allah hats gemeint, ergo es sei so.

sagt

der

Und Allah handelt

nach Willkür; blindlings beugt sich der Mensch und thut nichts dazu, nichts dafür, nichts dawider.

Wenn ich aber als Christ den

scheinbar gleichlautenden Satz gegenüberstellte: Gott hats gemeint und gemacht, ergo es sei so, dann ist zwischen diesem Satz und

dem des Moslem ein himmelweiter Unterschied.

Als Christ weiß

ich durch die Erkenntnis Jesu Christi (f. o.), daß dieser Gott mein Vater ist, der mich lieb hat und mich zu meinem höchsten Ziele, zur Vollkommenheit und zum Glück (zur Seligkeit, sagt die Schrift)

leiten will, der ganz genau weiß, was er thut, und der es thut zu meinem Besten und Heil. Ich bin es ganz gewiß durch den Glauben an Christum, daß ob ich zwar selbst nicht die Zusammen­

hänge des Lebens in dieser Welt durchschaue, Gott alle Fäden der Weltregierung in seinen Händen zusammenlaufen und sie nicht

nach Willkür spielen läßt, sondern in Liebe zu meinem und zugleich zu aller Heil lenkt. Dabei hat Gott mir nicht ruhiges Zusehen, müßige Bewunderung seiner Pläne geboten oder auch nur erlaubt,

sondern er hat mir sittlich-religiöse Bethätigung in diesem Welt­ getriebe mittels meines Berufs aufgetragen. Er verlangt von mir Arbeit und Anspannung aller meiner Kräfte und dereinst in seinem

IV

6

82 Gericht Rechenschaft von all meinem Thun; er führt gerade durch mein Thun und aller Menschen Werk (nach menschlicher Be­ trachtungsweise auch trotz meines Thuns und aller Menschen Werk)

seinen Liebesplan

und Heilsrat zu meinem und aller

Menschen Besten aus. Welch ein Unterschied! Dort Allah, der Allgewaltige nach Willkür schaltende, hier Gott, der Vater unseres

Herrn Jesu Christi, der allmächtige, heilige Liebe ist: dort blinde

Ergebung, hier feste Zuversicht zu dem guten Heilsgedanken Gottes;

dort die nötigste Arbeit, sonst aber und am liebsten Müßiggang, hier die Arbeit als sittliche Pflicht, von Gott aufgetragen. Sieht eine moslemitische Menschenmenge am Bosporus einen Ertrinkenden mit dem Tode ringen, so fällt es niemandem ein, zu Hilfe zu

eilen; denn ist es Allahs Wille, so hilft er dem Aermsten auch ohne das. Und was thäte man im Christenlande? — Doch das nebenbei. Sie werden erkennen, daß ich nicht rate, in Müßiggang

und blinder Ergebung alles über sich ergehen zu lassen, sondern das sage ich: Thu was du kannst. Steck dein Ziel so hoch wie immer Und das alles mit Gott und zu Gott, und das Ende und den Erfolg überlaß ihm, der alles herrlich regiert und es gut macht, auch wenns ganz und gar nicht des Menschen Meinen möglich.

und Wünschen entspricht. Wir arbeiten, thun und streiten, wir stecken uns ein Ziel und hoffen auf Erfolge. Aber was aus

unseren Gedanken und Arbeiten wird, das steht allein in Gottes Ihm wollen wirs auch überlassen, weil ers besser weiß

Hand.

als wir, und besser macht als wir.

Das ist nicht Fatalismus,

sondern Demut, christliche Demut, die Demut Christi (denken Sie an Jesus in Gethsemane, der nach seinem Gebet „nicht, wie ich will, sondern wie du willst" seine Leidens- und Todeslaufbahn

als Held und Sieger betritt).

Eben diese Demut ist der Grund

unseres Friedens, der Born einer zuversichtlichen Hoffnung und

christlicher Freude.

In solcher Demut fügt man sich auch gut-

willig im Vertrauen auf Gottes Liebe, die zum guten Ende leitet,

und nimmt sein bescheiden Teil Arbeitsertrag hin, ohne zu zweifeln,

daß es besser werden könne und besser sein müßte.

Gott sei Dank,

sagen Sie, daß mein Leben nicht im Geschäft aufgeht, daß mein

Leben im Geschäft nicht mein Ein und alles in der Welt ist, daß es Pflichten und Aufgaben außerhalb des Geschäfts gibt, groß

genug und wert, sich darüber zu freuen.

Da gibts auch Segnungen,

die Gott zuerteilt.

Darf ich Ihnen einen Rat erteilen, so machen Sie sich über Geschäft und Geschäfts-Praxis nicht zu viel Skrupeln.

Sie

werden mir zutrauen, daß ich Ihr Gewissen nicht im Entferntesten

abstumpfen will.

an, daß Ihr Streben

Ich erkenne es gerne

Aber vergessen

dahin geht, im Geschäft Ideale zu verwirklichen.

Sie auch nicht ganz, das Leben zu nehmen, wie es ist. Ueberlassen

Sie denen die Verantwortung, welche sie zu tragen haben.

Sie

sind nicht das Geschäft, sondern im Geschäft, ein Rad oder ein

Rädchen in der Maschine, wie Sie so

oft sagen.

Sie möchten

mehr sein, aber es ist die Wahrheit: Sie sind blos Rad. Darum

wenn

also:

es

Sie

Ihnen

ihn

der

Chef

verantworten.

einen

In

Auftrag

diesem

Maschine, thatsächlich nicht mehr.

Fall

gibt, so

sind

Sie

lassen eine

Schließlich ist ein jeder manch­

mal in der Lage, unbewußt oder bewußt etwas thun zu müssen,

was ihm nicht richtig scheint,

auch jeder Beamte bei mancherlei

Es ist schwer, hier allgemein zu

Anordnungen zu seiner Behörde.

entscheiden, wie weit der Gehorsam gehen soll, wo das Gewissen zum passiven oder

muß.

aktiven Widerstand gegen die Oberen treiben

Die Hauptsache ist, thun Sie das Ihre mit Redlichkeit und

Treue, nach Pflicht und Gewissen, protestiren Sie gegen das Un­ recht, für

wo

Ihre

und

wie Sie können.

Prinzipale und alle

Vor allem aber beten Sie

unredlichen Geschäftsleute,

daß

Gott ihnen einen geraden Sinn der Wahrheit gebe, ernst und anhaltend.

Im Uebrigen aber lassen Sie das Geschäft laufen,

wie es läuft und einen Jeden das, Seine, den Chef aber das Ganze verantworten.

Bist du nur ein Rädchen an der Maschine,

wohlan, so wolle auch nicht mehr sein.

Gelegenheit, Ihren recht­

lichen Sinn zu bethätigen, werden Sie immer genug haben.

Verzeihen Sie, wenn ich

schließen muß.

Mache ich aber

jetzt kein Ende, so fürchte ich, würde es doch noch nach Weihnachten werden, ehe der Brief abgeht.

Es grüßt bestens

Ihr treulich verbundener ....

84 VII. Sehr verehrter Herr Pastor! Sie fassen die Ausführungen

des ersten Teils Ihres letzten Briefes in den Satz zusammen: „Eine neue Welt- und Lebensanschauung muß erarbeitet und

erkämpft sein."

Mit Absicht lasse ich an dieser Stelle den Nach­

satz: „andererseits geschenkt von oben und angenommen" bei Seite, weil ich später darauf zurückkommen möchte. Sie haben recht, „will erarbeitet und erkämpft sein". Aber wie schwer das ist, wenn man so mitten im Leben steht, das ist gar nicht zu sagen.

Sie sind auch hier in einer ganz anderen Lage wie ich.

In erster Linie ist Ihnen, wie ich im KonfirmandenUnterricht aus Ihrem eigenen Munde gehört zu habeu mich er­ innere, nie der Kinderglaube abhanden gekommen, vielmehr hat er sich stets geradlinig entwickelt.

allerlei

Lebenslagen

gestanden

Wohl haben Sie bisweilen in und mit

mancherlei

Menschen

zu thun gehabt, die Sie sich anders gewünscht hätten, allein Sie

hatten doch stets den lieben Beruf, der Ihnen auch Ihr Brot gab.

Wenn Sie auch in Ihrer amtlichen Stellung an den ver­

schiedensten Orten stets mit den verschiedensten Leuten in Berührung kamen und sich eine große Menschenkenntnis seit mehr als drei Jahrzehnten erwarben, so haben Sie doch nie die Menschen so bis ins Kleinste hinein verfolgen können, wie es mir in Hunderten von Fällen möglich war, so daß

es Ekel an den Menschen in

mir erregte und großzog.

Mein Lebensweg in den letzten elf Jahren (so lange ist es

her, daß ich die Schule verlassen) war darnach angethan.

meiner Lehrzeit zu Berlin hatte ich einen

In

Chef, welcher der

Meinung war: Der eigentliche Mensch fängt erst beim Akademiker

an.

Einen anderen lernte ich in Straßburg kennen, der meinen

Guten-Morgen-Gruß im Comptoir zurückwies mit den Worten: Lassen Sie das, thun Sie nur Ihre Pflicht! Ich versuchte es auch mit mehr als einem christlichen Verein, war in Jünglingsver­

einen, Missionsvereinen u. dgl. Mitglied: dort lernte ich die „Frommen" kennen, die ihren Worten nach Engel, ihren Thaten nach aber — nur Menschen waren, um nichts anderes zu sagen.

Sogenannte hochgebildete Leute, anerkannt christliche Charaktere, sah ich aus nächster Nähe, von denen ich mich mit Abscheu abwandte,

85 die aber doch vielfach eine maßgebende Rolle spielten.

Ach wenn

ich in ihr alltägliches Leben, in ihre Häuslichkeit nie hinein­ geschaut hätte! So erkaltete hier mein Interesse an der Kirche und am

Christenglauben, der mir einst so teuer gewesen. Ich wandte mich nach der entgegengesetzten Seite. Dann kam der Druck, den gewisse wohlmeinende Freunde auf mich ausübten; ein Druck, der in allerlei Bemerkungen und Handlungen sich kundgab und letztlich

auf meine „Bekehrung" abzielte. Es schien mir, nach den Personen zu schließen,

die ich als „Fromme" „Gläubige"

„Gotteskinder"

kennen lernte, als wenn die Quintessenz der Frömmigkeit das Geldverdienen, das reichliche Geldverdienen sei; so klang es wenig­ stens aus vielen Wendungen heraus.

Man versuchte mich mit

Gewalt zum Kirchengehen zu bewegen: Vertreter der „Heils­

armee" und des „Jugendbundes für entschiedenes Christentum" bestürmten mich eine Zeit lang täglich.

Inzwischen wurde in

mir die Erkenntnis immer klarer, was eigentlich mein Beruf sei

und in sich fasse. Das alles kam zusammen und machte mir das Leben schwer. Und als ich dann gar eines Tages von einem „Christen" das Wort hören mußte, ich sei nicht wert, daß Gottes

Sonne über mir scheine — ach das vergißt man sein Leben

nicht.

Kurz, um keinen Preis möchte ich diese Jahre des Hastens

und Jagens, die mich schließlich aus dem Vaterland verjagten, noch einmal durchkämpfen: in Brasilien, in Chile, in Neu-Guinea

versuchte ich mein Glück und hielt doch überall nur wenige Monate aus.

Ich war nahe daran, völlig zu verbittern, und nur einen

oder zwei treuen Freunden habe ich es nächst meinem Gott und der Erinnerung an die längst entschlafenen Eltern und Ihre Person zu verdanken, daß meine Lebenslust, ich meine, meine Lust zu

leben, nicht vernichtet wurde. Einer meiner Freunde, in ähnlicher Bedrängnis, ging eben­

falls in die Welt, er brachte es glücklich bis Mannheim, wo er

in zweijähriger Thätigkeit (er wollte sich dort gründlich fortbilden) so weit kam, daß er mit einem Portier, einem Schlosser und dem

Maschinisten eines Rheindampfers Bekanntschaft schloß. Nun, dazu hätte er am Ende nicht zwei Jahre in die Fremde zu gehen brauchen. Ich will damit nichts weiter gesagt haben, als daß

86 jener mein guter Freund die Vorteile nicht erkannte, die ihm die

Stellung in einer fremden Stadt bot, daß er daher auch seine Weltpläne bald aufgab.

Es ist vielleicht begreiflich, daß solche

Erfahrungen und Vorkommnisse, alle zusammen genommen, auf

mich einen tiefen Eindruck machten. Kurz, durch dies alles, was ich beim Aufenthalt in mehreren

Ländern und Weltteilen, nicht am wenigsten aber im eigenen Vater­ land, in Geschäft und Leben vor Augen sah, ward mein harmloser Kinderglaube völlig vernichtet, und an seine Stelle trat vorläufig ein wüstes Chaos. Wenn in jenen Jahren die Frage an mich

gerichtet wurde, wie ich zu den Dingen der Religion stehe, lehnte ich regelmäßig eine direkte Antwort ab, mit der Begründung, ich

sei mit mir selber darüber nicht im Reinen.

Nichtsdestoweniger

habe ich manchmal eine Gelegenheit, die sich bot, ergriffen und in

Disputationen meinen Gegnern gegenüber je nachdem den christ­ lichen oder atheistischen Standpunkt vertreten.

Immer kam ich

dabei auf neue Gedanken, warf Fragen auf, ohne Antwort zu erhalten, hörte natürlich auch manche Fragen, auf welche ich die Antwort schuldig bleiben mußte.

Sie werden mir vielleicht Recht geben, wenn ich sage, daß ich eine reine Null hätte sein müssen, wenn alle diese Umstände nicht mein inneres Leben einer radikalen Umgestaltung unter­

worfen hätten.

Soweit ging diese Umgestaltung, daß ich aus dem

blinden Kinderglauben in völligen Atheismus geriet.

Ich habe

damals manche gute und viele schlechte Schriften gelesen, solche, die vom streng-gläubig christlichen Standpunkt aus geschrieben

waren, und solche aus dem gegnerischen Lager. Eine Klärung meiner Seele fand erst statt, als ich mit der Zeit doch auch in manche Familie eingeführt wurde, wo ich ein wirklich glückliches

Familienleben fand trotz des christlichen Standpunktes der Familienglieder, wie ich urteilen mußte. Bisher nämlich hatte ich gesundes, einträchtiges Familienleben nur

in

solchen

Häusern

gefunden, die nicht zu den christlich gesinnten gehörten.

Es trat

eine innere Heilung ein, eine zehnjährige Krisis hatte ich über­ standen, aber Sie werden demgemäß einsehen, daß es nach allein

für mich furchtbar schwer ist, sich zu der Anschauung durchzuringen, die Sie in Ihrem .....

87 Mehr als zwei Monate sind vergangen, seit ich diese Zeilen niederschrieb.

Erst heute komme ich dazu, fortzufahren.

Die Auseinandersetzungen, die ich in diesem Brief gegeben,

fasse ich darin zusammen, daß ich nur in zwei Punkten mit Ihnen völlig zusammengehen kann, erstlich im Glauben an Gott, den Schöpfer und Erhalter, sodann in der Erkenntnis der Erbärmlich­ keit aller Menschen und der eigenen Erbärmlichkeit. Ich kann

mich nicht mit den Lehren der Kirche einverstanden erklären, ich

kann mich ihnen nicht beugen.

Hoffenüich verlangen Sie das

nicht von mir und behaupten nicht, daß es notwendig sei. Damit

will ich aber nicht gesagt haben, jene Lehren seien an sich über­ flüssig. Auch werde ich sie niemals bekämpfen. Ich meine: dem Einen ist nötig, was dem Andern ganz unnötig ist.

hoffentlich nicht engherzig

genug,

Sie sind

daß Sie diesem Standpunkt

nicht auch sein Recht gewähren sollten. Für einen Pastor denke ich es mir sehr schwer, in einer s. g. kirchlichen oder orthodoxen Gemeinde ein Amt zn führen, weil die

Gemeindeglieder oft so fürchterlich eng sind.

In England und

selbst in einigen Gegenden Deutschlands habe ich wahrgenommen, wie es als Todsünde gebrandmarkt wurde, wenn am Sonntag musiziert, ja gar weltliche Musik getrieben ward.

Bei sehr vielen,

wenn nicht bei den meisten Leuten ist das Christentum nur Form­

sache.

Sie tragen es äußerlich zur Schau, ohne den erhabenen

Lehren des Christentums irgend einen Einfluß auf ihr alltägliches Leben und auf ihren Verkehr mit ihren Mitmenschen und Unter­ gebenen zu gestatten, lassen hierin vielmehr nur, was dem Geld­ beutel frommt, entscheiden.

Das ist auch nach meiner Meinung der Grund des über­ raschenden Wachstums der Sozialdemokratie in Deutschland wie in den umliegenden Industrieländern, daß nicht allein die freier

denkenden, sondern auch die als fromm und kirchlich bekannten Arbeitgeber so vielfach im Verkehr mit ihren Untergebenen aus­ schließlich die Interessen des Geldbeutels sprechen lassen. Alle Sozialpolitik des Staates aber bringt keine Förderung, wenn nicht die Arbeitgeber ihre bisherigen Wege verlassen und ernstlich an­

fangen, ihre Arbeiter als Menschen zu behandeln .... Um nun noch einmal nach einer neuen unfreiwilligen Pause

88 von 14 Tagen zur Sache zurückzukehren, so möchte ich nur noch

einmal betonen, daß es mir trotz alles Nachdenkens und redlichen

Willens nicht möglich ist, die Heilslehren der Kirche als absolute Wahrheit anzunehmen.

Daß ich Gott im Himmel und meinen

Wohlthätern auf Erden im weitesten Sinn des Worts, vor allem meinen Eltern bis über das Grab hinaus und selbstverständlich

auch Ihnen von Herzen dankbar bin, ist eine so natürliche Sache, daß ich darüber kein Wort verlieren will.

Im Uebrigen soll über

mein Thun und Lassen nur mein Gewissen richten.

Wenn mein

Gewissen mir sagt: hier hast du deine Pflicht gethan, dort hast du gefehlt, dies mußtest du thun, was du unterlassen, und das lassen, was du gethan hast, so meine ich, daß das als Welt- und Lebens­

anschauung genügend ist. Tie Lehren Christi sind so erhaben,

daß

es gewiß

eine

schöne und hohe Aufgabe für den Menschen ist, ihnen und Christi Leben nachzueifern.

Leider ist damit stets das drückende Gefühl

verbunden, daß es niemals einen Menschen gegeben hat noch geben

wird, der dies Vorbild erreicht. von seiner

Geburt

und

Eine Disputation über die Lehre

ähnliches

lehne

ich

ab,

weil

hier

keine Ueberführung möglich ist, sondern allein der Glaube reden kann. Ich werde gegen die Wunder niemals einen Zweifel äußern, allein meine Ansicht in dieser Sache muß mir auch unbenommen

bleiben.

Gerne will ich mich aber eines Besseren belehren lassen.

Cristi Lehren sind ideale Lehren: nach ihnen muß der Mensch leben, so muß er sein, wenn er Frieden im Herzen haben will» Und wenn der Mensch in allen Stücken sich ernsthaft bestrebt,

diesen: Vorbilde nachzueifern, so wird die Gottheit mit ihm gewiß

darin Nachsicht haben, daß er dennoch oft gegen sein Vorbild

verstieß und wider seinen Willen handelte, der doch der beste war. Zeit und Gelegenheit, Verhältnisse und Umstände spielen dabei eine so große Rolle, daß sich allgemeine Vorschriften nicht auf­ stellen lassen.

Nur soll sich der Christ bei allem, was er thut

und läßt, über die Frage klar sein: „was würde unser Meister

Christus in diesem Fall gethan haben?" Damit möchte ich für diesmal meine Ausführungen schließen,

doch da fällt mir gerade etwas ein, was ich eigentlich vorhin einflechten wollte, was mir aber durch eine Störung, die dazwischen kam, entfiel.

89 Als Christus das Abendmahl einsetzte und Brot und Wein

als Sinnbilder seines Fleisches und Blutes seinen Jüngern dar­ reichte, wollte

er

ihnen

ein

für ihre

Schwachheit

verständ­

liches Bild dafür geben, wie sie mit ihm ganz eins werden sollten, ein Sinnbild der geistigen Gemeinschaft mit ihm.

Denn wie das

Brot und der Wein durch den Mund in den Magen gelangen und von dort aus (früher begünstigt durch das vor dem Genuß

des heiligen Abendmahls übliche Fasten) in den ganzen Körper dringen, so soll Christus mit dem ganzen Menschen eins werden. Christus setzte also im heiligen Abendmahl ein Sinnbild ein, um

uns zu verstehen zu geben, wie er ganz in uns aufgehen muß,

um uns in Stand zu setzen, seinen Lehren gemäß zu handeln. Und nun lassen Sie mich bitte wissen, ob Sie auf Grund dieser meiner Auffassung vom Abendmahl mir gegebenen Falls das heilige Abendmahl geben oder verweigern würden, wenn ich

zur Begründung meines Verlangens

hinzusetzte, daß ich fühle,

wie ich dieser sinnbildlichen Stärkung bedürfe, um auf meinem

Wege in der Nacheiferung meines Vorbildes Christi fortschreiten zu können.

Bitte geben Sie mir (namentlich des letzteren Punktes wegen)

ohne

Verzug

(der meinige war unfreiwillig)

Antwort und

empfangen Sie inzwischen die herzlichsten Grüße

von Ihrem dankbar verbundenen

.....

VIII. Liebster Freund. Was lange währt, wird gut: das sieht man wieder einmal

an Ihrem Brief.

Oft schon hatte mich abwechselnd tiefe Traurig­

keit und heftige Verzweiflung gepackt, als seit Weihnachten bis in die ersten Apriltage hinein keine Antwort von Ihnen kommen wollte. Nun endlich ist sie da und hat mir am zweiten Osterfest­

tag nach beinahe überstandener schwerer Festtagsarbeit große Freude, sehr große Freude bereitet. Warum? Sie sollen es bald hören. Zuerst bin ich Ihnen sehr dankbar für die Grundrisse Ihres Lebensganges und die Zeichnung Ihrer inneren Entwicklung in den letzten zehn Jahren. Ich begreife, warum Sie so handelten,

wie Sie handelten, auch wie es dadurch zu den heftigsten Konflikten

90 in Ihrer Brust kommen mußte.

Das Beste wäre freilich ge­

wesen, Sie hätten sich schon vor Jahren an einen erfahrenen Freund, etwa an mich gewandt: wie von Herzen gern hätte ich Sie beraten! So hätten Sie eine ruhigere Entwicklung gehabt und es wäre für

Sie Segen und Gewinn gewesen. Auch jetzt geht meine Meinung und mein Rat dahin: bleiben Sie, wo Sie sind und was Sie

sind, lassen Sie nicht ab, ehrlich zu streben, dem Aufrichtigen läßt es Gott doch endlich gelingen.

Doch lassen wir die Vergangenheit.

Ohne Segen wird auch sie nach Gottes Willen nicht bleiben. Noch kämpfen und ringen Sie, suchen und streben nach

einem Standpunkt, der Ihnen Ruhe und Herzensfrieden, der Ihnen wahre Freudigkeit zur Arbeit und unfehlbaren Trost in aller eigenen und fremden Misere gewährt. Wohlan! Ich nannte Ihnen

einen Namen, in dem aller Rätsel Lösung liegt, in dem alles beschlossen ist, was Ihnen fehlt: Jesus Christus. Sie antworten:

ich kann mich nicht mit sämtlichen Lehren der Kirche einverstanden erklären, mich ihnen nicht beugen.

Wer hat denn davon ge­

sprochen? Ich doch nicht. Vor den Lehren der Kirche sich beugen, so wie Sie es meinen, wäre römisch-katholisch.

Gott sei Dank,

daß Luther uns die teure Freiheit des Glaubens wieder erworben

hat.

Von den Lehren der Kirche hatte ich bis dahin absichtlich

nicht geredet, das liegt auf einem anderen Felde.

Es kann einer

alle Lehren der Kirche annehmen, sich mit ihnen völlig einverstanden erklären, sich davor beugen, und ist doch kein rechter Christ, nicht einmal ein sittlich denkender und handelnder Mensch. Ueber die

Geburt Jesu zu disputieren, möchten Sie ablehnen? Ich auch. Mit wem wollten Sie denn darüber disputieren, oder wer mit

ihnen? Ich merke überall, daß Sie noch unter dem Bann einer

Menge von Vorurteilen stehen, sofern es sich um Fragen des Christentums handelt.

Es sind das allerdings weit verbreitete

Vorurteile, an denen Sie selber unschuldig sind.

Ich könnte das

an einer Menge von Einzelheiten nachweisen, will aber vorläufig darauf verzichten, weil es jetzt ein fruchtloses Bemühen wäre, will

nur das noch einmal sagen und mit Nachdruck behaupten: beim Christentum kommt es einzig und allein auf die Person Jesu an, auf keine kirchliche Lehre über Jesus, auf keine übernatürliche,

unverständliche Enthüllung über ihn, nicht einmal auf die Lehren,

91 die er uns gegeben hat.

Das alles kommt erst in zweiter Linie,

die Hauptsache ist die Person Jesu selber.

Sehen Sie doch zunächst einmal Jesum nur als eine Gestalt

an, die in der Weltgeschichte ihren Platz hat.

Tritt da vor bald

1900 Jahren in dem kleinen Israel ein Mann auf, der auf alle einen gewaltigen, tiefen Eindruck macht, daß sie sich entweder ihm

in Todesfeindschaft gegenüberstellen, oder sich mit Leib und Seele Der Mann behauptet nichts mehr

bis in den Tod ihm ergeben.

und nichts weniger, als daß er mit Gott im Bunde stehe, daß er

Gott ganz auf seiner Seite habe,

und gar eins sei.

daß er mit Gott selber ganz

Was sage ich? er behauptet das? Nun, ähn­

liches haben auch andere von sich behauptet.

Aber er lebt es

vor, er handelt so, er leidet so, sein ganzes Leben und Wesen entspricht dem.

Eine rastlose Thätigkeit hebt er an, um in seinem

Volk hier und da Seelen an sich zu ziehen und durch sich mit Gott in die innigste Gemeinschaft zu

versetzen.

unergründlich, er gönnt sich selber keine Ruhe.

Gleichgiltigkeit, nicht der bitterste Haß,

Seine Liebe ist

Nicht die kälteste

nicht die süßeste Lockung

können ihn irre machen an seinem Beruf, zu dem er sich von innen getrieben fühlte, Menschenseelen mit Gott einig zu machen,

ihnen Frieden zu geben in allen Nöten des Lebens, ihnen Hoffnung in die Brust zu senken, die nie versagt.

Alles andere ist ihm

gleich, daß nur Gott und die Menschen bekannter werden, zur Einheit verbunden werden.

Die Not des Lebens, die Unruhe des

Herzens, das Bewußtsein der Schuld soll niemand mehr von Gott trennen, soll nicht mehr das stille Glück im Innern des Menschen stören.

Das alles

muß aufgehoben sein durch ihn.

macht es dieser Mann? Thun

ausschließlich,

Und wie

Nicht durch seine Rede, nicht durch sein

sondern

durch

seine

Person.

In

seiner

Persönlichkeit gewann ein jeder, der aus Not und Sünde weg­ strebte, den Eindruck: hier ist jemand, an dem ist erfüllt, was ich suche, hier ist Glück und Friede, trotz Kampf und Leid.

Die

Fischer und Bauern aus Galiläa, die sich zuerst zu seinen Anhängern

machen ließen, die Zöllner und groben Sünder und Verbrecher, welche sich ihm mit allem ihrem Schmerz offen aussprachen, die Elenden und Kranken, welche sich durch ihr liederliches Leben ihr

Leiden selber zugezogen hatten, fühlen sich alle durch dasselbe zu

92 ihm hingezogen.

Sie fühlten nämlich, hier ist ein Herz, das für

uns schlägt, das uns lieb hat.

Wohl steht er hoch über uns —

welch eine Ruhe und Erhabenheit in seinem Wesen, welch eine

Kraft in seinem Auftreten; wahrhaftig, etwas Göttliches, viel Gött­

liches, lauter Göttliches ist in ihm.

Dennoch aber neigt er sich

zu uns herab, nennt sich unseren Freund, stellt sich zu uns auch wirklich als unser bester Freund. So gewannen sie durch seine

Persönlichkeit, wie sie in Wort, Werk und allem Wesen ihnen entgegentrat, Vertrauen zu ihm, ließen sich willig von ihm ziehen

und konnten nicht mehr von ihm loskonnnen, wie ein Kind von

seinen Eltern nicht loskommen kann (selbst wenn es sich darüber nicht klar ist).

Und dann war es seine Nähe, seine Worte, sein

ganzes Wesen voll Liebe und Macht: es gab ihnen Frieden ins

.Herz,. Trost im Leid, Kraft wider die Not, Ruhe und Seligkeit. Bei ihm fühlten sie sich wohl.

Jetzt fehlte ihnen nichts.

Person Jesu hatte es ihnen angethan für ihr Leben.

Die

Wohl traten

sie hernach in die Alltagsarbeit wieder ein, wohl hatten sie mit

vielen erbärmlichen Menschen zu thun, wohl mußten sie noch oft

kämpfen mit Leiden und Schmerzen, äußerlich und innerlich. Wer

seit sie Jesus kannten und an ihm gesehen und gelernt hatten, daß mit Gott sich alles machen, mit Gott sich alles überwinden läßt, daß wer mit Gott sich eins weiß durch Jesum, durch nichts in

aller Welt in diesem Verhältnis gestört werden kann, seitdem thaten sie ihre Arbeit mit Freuden, hatten mit allen erbärmlichen Menschen das tiefste Mitgefühl (weil sie nämlich wußten: früher

sind wir auch in unseres Herzens Sinn solche erbärmlichen Leute gewesen, erst durch den Herrn Jesus ist es besser mit uns ge­ worden) und hatten die Gewißheit, daß sie über Leiden und Schmerzen siegen müßten, und daß der vorerst innerliche Sieg

auch einmal durchbrechen, und sie nach diesem Erdenleben in einen

vollkommenen, herrlichen Zustand eintreten würden. An Jesus lernten seine Anhänger und Freunde beides: ein jeder seine eigene Erbärmlichkeit, ein jeder merkte, wie unlauter seine Gesinnung,

an derjenigen Jesu gemessen, war, wie hochmütig er selbst gegen

Jesu Demut, wie selbstsüchtig er gegen Jesu aufopfernden Sinn, wie materiell und auf alles Niedere gerichtet er gegen Jesu himmlische, hohe Gesinnung, birg, wie unvollkommen er gegenüber

93 Jesu Vollkommenheit, wie sündig er neben dem heiligen Jesus

stand.

Andererseits aber wußte ein jeder aus Jesu Freundschaft

und Gemeinschaft, daß sein eigenes Trachten nach Vollkommenheit

und Glück nicht vergeblich sei, daß er durch Jesus und um Jesu Hatte er doch die Erfahrung

willen das Ziel erreichen werde.

gemacht, daß seit seiner ersten Bekanntschaft mit Jesu sein Sinn

ein ganz anderer geworden,

die von Jesu erweckte Hoffnung auf

sittliche Vervollkommnung ihn nicht betrogen, daß es in der That mit ihm besser geworden, und was er früher bei ernstem sittlichen

Streben als unrnöglich erkannt, worüber er verzweifelt war, daß das jetzt ihm alles in den Schoß falle.

Petrus und vor allem Paulus,

Solche Erfahrungen haben

ein Luther .gemacht.

Daß wir

jetzt diesen Jesus nicht mehr leibhaftig unter uns haben, das ändert

an dem allen nichts,

setzt

uns

sogar in

noch günstigere Lage.

Sobald Jesus, seinem Heilandsberuf getreu, im Gehorsam gegen

Gott und die Obrigkeit, in der herzlichsten Liebe zu seinen Freunden

und Feinden, die Augen am Marterpfahl geschlossen, wurden die

Jünger allerdings eine Weile irre an ihm,

gleichwie öfter bei

seinen Lebzeiten Perioden gekommen waren, in denen sie ihn nicht verstanden

und

sein Glück verloren.

Am schlimmsten war es

mit ihnen von der Todesstunde an bis Ostern.

Sie waren schier

entsetzt über seinen Verlust und meinten, nun sei alles aus.

Und

als man ihnen sagte, Jesus sei noch im Leben, wollten sie nichts davon wissen.

Viel Mühe,

viel Zeil hat es gekostet, bis Gott

selbst sie durch leibhaftige Bezeugungen des auch im Tode lebendigen

Christus sie überzeugt hatte, ihr Meister, den ihnen Gott geschenkt

und durch

den sie mit Gott in den innigsten Bund gekommen,

dieser Meister sei wirklich und wahrhaftig lebendig, und was sie

von ihm empfangen, das bleibe ihnen ewiglich, und sie sollten es

weiter austeilen.

Aber dann waren sie auch und blieben seitdem

fest dabei und sind keinen Augenblick mehr daran irre geworden:

dieser Jesus lebt und gibt uns seine Kraft und führt uns durch

Arbeit, Not und Kampf zum seligen Ziel.

Und weil sie selbst in

sich die Kraft und das Leben Jesu trugen und die Welt ihnen

abmerkte: hier ist mehr als ein Mensch hat und kann, solche Liebe,

solche Treue, solcher Ernst, so lernten sie in den Jüngern des

Meisters Kraft und Art schätzen

und

wurden

auch

von Jesu



94



Persönlichkeit ergriffen und erfuhren dasselbe, was die Jünger erfahren hatten, daß Jesus ihnen ihre Erbärmlichkeit zum Bewußt­ sein gebracht, aber ihnen auch Mut und Gewißheit gab, aus dieser Erbärmlichkeit herauszukommen, ja sie eben durch seine Bekannt­

schaft und Gemeinschaft aus ihrer Erbärmlichkeitschon herausgehoben Und so ist es bis zum heutigen Tag.

hatte.

Nur von Personen,

von Menschen, die etwas von Jesus Art und Kraft in sich haben, geht Leben aus auf andere, daß sie auch Jesum erkennen und Vertrauen zu ihm fassen und von ihm Friede für das Herz und

Heilung ihrer Schäden und Mut zu allem, was im Leben kommen

mag, gewinnen.. Das alles freilich ist nichts weiter als eine

Ahnung von Jesu Art und Kraft. Wer sie hat, sucht ihn dann in den Evangelien und Episteln des neuen Testaments auf und gibt sich ganz dem Eindruck hin, den seine hehre Gestalt auf ein -gequältes, ringendes Menschenherz macht. Nur in Jesus kann ein Mensch lernen, wer Gott ist, nämlich die allmächtige, heilige

sündenvergebende Liebe. Und das ist mehr als der Schöpfer, mehr als das eigene Gewissen, das ist eine ewige Persönlichkeit und Kraft, die durch Jesus in den Seinen lebt und webt, die nicht fragt: willst du mich haben? willst du dich mir beugen? Nein, sondern ehe wir uns versehn, hat uns der lebendige Gott durch Und wir fühlen uns so wohl und so glücklich und so zufrieden dabei, wenn wir also Jesum kennen und haben.

Jesum Christum zu sich gebracht.

Vielleicht darf ich hier vorläufig absetzen.

Ich wollte nichts

weiter als ihnen ein Bild davon, wenn auch nur ganz im Kleinen,

geben, was ein Christ ist und wie er wird; nicht durch Lehren, nicht durch die Kirche, nicht durch Menschen, nicht durch sich selbst,

sondern allein durch Jesus, den die Evangelien uns erzählen.

Ich sagte, daß es Menschen gibt, die etwas von Jesu Art und

Kraft in sich haben, solche heißen Christen im rechten Sinne des Worts.

Ob einer je Jesu ganze Art erreicht hat, davon wissen

wir nichts, wenigstens nicht für diese Erdenzeit.

Daß aber Jesu

Aehnlichkeit oder Gleichheit von ihm erreicht werden wird, das weiß ein jeder, der nur etwas von Jesu Art und Kraft in sich hat. Doch das ist eine .alte Erfahrung; die Außenstehenden hängen sich bei allen Christen so gern an das, was nicht, was noch nicht Jesu

95 Art und Kraft hat, und sagen: seht, die Frommen sind auch nicht besser als wir, während sie die wirklich Jesu gleiche Art, die Liebe,

Gerechtigkeit und Selbstverleugnung, den wahrhaft himmlischen Sirm verkennen, bezw. dem Handeln aus diesen Kräften der Ewigkeit falsche

Beweggründe unterschieben.

Damit soll nicht gesagt sein, daß es

nicht viel gemachte Frömmigkeit, viel Heuchelei-Christentum gibt, Christen, bei denen der äußere Schein nur die innere Hohlheit verdecken muß.

Und die Neigung zu solchem Wesen ist besonders

in solchen Gegenden groß, wo, wie in England und manchen Gegenden

Deutschlands,

selbst

Berlin nicht ausgenommen,

die

Frömmigkeit noch in weiten Kreisen einen guten Klang hat und sich mit ihr auch allerlei äußere Vorteile erwerben lassen.

Niemand

aber kann das mehr bedauern und beklagen, wenn auf solche Weise Jesu Name unter den Menschen stinkend gemacht wird, als die,

welche Jesus wirklich kennen und in seiner Liebe Kraft leben. Das ist also ein wenig von Jesus: mehr als seine Lehren, mehr als Erzählungen von ihm, mehr als alles, was andere von

ihm sagen.

Nur Jesus selbst kann einem Menschen helfen, zum

höchsten helfen, für immer und ewig. Ich verkenne keineswegs, daß Ihnen der Weg zu diesem

Jesus bisher durch viele Umstände verbaut gewesen ist,

daß Sie

vielleicht wenige oder keinen der Menschen mögen kennen gelernt haben, wie ich sie oben zu zeichnen versucht.

Aber Sie werden

es mir glauben, wenn ich sage, daß es sehr viele solcher Christen gibt, und sie nötigen zur Achtung und Ehrfurcht, erzwingen Liebe

und Zuneigung.

Es thut mir leid, daß Sie durch so viele schlechte

Christen, die Sie je und je kennen gelernt haben, am Christentum überhaupt irre werden mußten, wenn ich gleich nach allem, was

Sie mir sonst geschrieben. Sie herzlich bitten muß: vergessen Sie

nicht, daß auch in jenen der Herr Jesus eine Macht ist und auf­

richtiges, wenn auch geringwertiges, unerkanntes Christentum in ihnen wohnt; unterscheiden Sie aber dieses von den mancherlei

Schwachheiten, Uebereilungen und Unklarheiten, die vom natür­ lichen Wesen geblieben sind.

Es ist doch wohl auch ein recht

bedenkliches (mir völlig unbegreifliches) Vorurteil, wenn Sie so

einseitig und ausschließlich gerade in diesem und jenem Hause das christliche und ein wahrhaft glückliches Familienleben gefunden

96 haben

wollen,

wenn Sie ein

Familienleben glücklich nennen,

trotzdem es Christen führen. Daß diese und jene Art der Frömmigkeit manches häßliche an sich hat, mag wohl sein. Ich

sage aber wieder: lassen Sie nur Jesum und das neue Testament, das von ihm zeugt, Maßstab und Richtschnur sein, das Andere ist

Nebensache.

Gewisse Aeußerlichkeiten und Regeln thun zum Frieden

der Seele und zum Heil der Menschheit wenig oder nichts.

So viel erkennen Sie also, daß es sich hier zunächst nicht im geringsten darum handelt, Heilslehren der Kirche als absolute Wahrheit anzunehmen. Ja nicht. Wer Ihnen das vorredet, führt Sie irre.

Die Art und Weise, die ich oben gemalt, wie eine

Seele Jesum findet, ist der Anfang des Glaubens, das Geheimnis

des Glaubens selbst ist freilich noch viel, viel mehr. Auf Ihre anderweitigen Anschauungen gehe ich mit Ab­ sicht nicht ein: sie sind übrigens schon durch das eben Gesagte in das rechte Licht gestellt.

Für jetzt möchte ich bei der großen

Hauptsache bleiben. Nur auf Ihre Schlußfrage will ich Ihnen zum Schluß noch

eine Antwort geben.

Wenn sich jemand mit der von Ihnen vor­

getragenen Auffassung vom heiligen Abendmahl bei mir anmeldete und den Wunsch äußerte, an der Feier dieses Sakraments teilzu­ nehmen, so würde ich ihn als suchende Seele je nach dem Ein­

druck, den ich von der persönlichen Unterredung mit ihn: gewinne,

zum heil: Abendmahl wohl zulassen.

Zugleich aber würde ich, wie

es meine seelsorgerliche Pflicht erheischt, mit ihm eine eingehende Besprechung über Sinn und Zweck des heil. Abendmahls halten

und versuchen ihn etwa zu folgender Erkenntnis anzuleiten: In

Christi Tod ist die Gewißheit seines Sieges über alle Sünden,

Not und Tod gegeben, wiewohl Christus scheinbar unterliegt. Das

ist geschichtliche Thatsache, von Gott geordnete Heilsthat.

Wenn

der Christ im heil. Abendmahl diese göttliche Heilsthat dankbar

und im Glauben feiert, mit dem herzlichen Begehr, dadurch zu seiner Lebensaufgabe, dem Kampf wider Sünde, Not und Tod,

gestärkt zu werden (mit anderen Worten: er begehrt Vergebung der Sünden und die Aneignung der in Christi Tod gestifteten

Versöhnung),

so

empfängt er

durch

Christum die gewünschte

Stärkung, und zwar nicht blos wie sonst durch das Wort, sondern

97 in der (zugleich) sinnbildlichen Form einer Mahlzeit mit Brot und

Diese Form ist aber nicht bloße Form, sondern die that­

Wein.

sächliche Darreichung der himmlischen Gnade und Kräfte, die in Christo vorhanden und zu der Seinen Empfang bestimmt sind. Wo das aufrichtige, heiße Verlangen, Jesu ähnlicher zu werden, Jesu näher zu kommen, in einer Seele vorhanden ist, da ist die

genügende Vorbedingung zum gesegneten Empfang des Sakraments gegeben.

Gott der Herr wird die Seele schon weiter führen, daß

sie vollkommene Erkenntnis gewinnt. — Lassen Sie mich schließen.

Hoffentlich fügt es sich über kurz

oder lang, daß Sie Ihre ländliche Heimat wiedersehen.

Haben

Sie auch keine Eltern und Verwandte mehr weder hier am Ort noch sonstwo, so haben Sie doch Ihren alten Pastor, der sich

herzlich freuen würde, wenn Sie ihn einmal besuchten und sein Haus für einige Tage oder Wochen — ich weiß, daß Kaufleute nicht leicht längeren Urlaub haben — als Ihr Heim ansähen.

Dann wird sich, wills Gott, in mündlicher Besprechung der rechte Schlußstein auf unser Gebäude setzen lassen.

Alle Unklarheiten

werden beseitigt, und die jetzt vorhandenen guten Anfänge und

Ansätze werden fortgeführt werden können.

Ich hoffe und erbitte

von Gott, daß Sie wie ich von diesem Zusammensein gerade jetzt reichen Segen haben werden.

durch Ihren Besuch

Je eher, je lieber erfreuen Sie

Ihren Ihnen treulich verbundenen ....

Inhalt: Seite Sozialdemokratie und Christentum .... 1 Sozialdemokratie und Kirche...................................... 7 Die soziale Stellung des evangelischen Geistlichen . . 16 Die soziale Stellung der Diakonissen............................ 31 Eigentum und Arbeit................................................................. 36 Soziale Bewegungen in einem jungenKaufmannsherzen 44

Vertag bet I. Iticker'sche« Auchhandtung in Hießen.