Kirche in unserer Zeit 9783170158986

596 48 10MB

German Pages 162 Year 1999

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Kirche in unserer Zeit
 9783170158986

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis......Page 7

Citation preview

Stephan Pauly (Hrsg.)

Kirche in unserer Zeit

Kohlhammer Theologie

Kohlhammer Theologie Stephan Pauly (Hrsg.)

Kirche in unserer Zeit Wer sich der Kirche in unserer Zeit annimmt, muß ihre vielfältigen Bezüge in den Blick nehmen, in die unsere Zeit sie stellt: Politik und Postmoderne, Identitätskrise und Gotteskrise, Liturgie und Abendmahl, Spiritualität und Ökumene, Globalisierung und Weltreligionen. Die Beiträge des vorliegenden Bandes reflektieren diese Bezüge und versuchen, aus einer wachen und klaren Bestandsaufnahme heraus den Blick auf das Wesentliche der Kirche zu richten, um so zu einer Neubesinnung auf Perspektiven für die Zukunft zu kommen. Der Wahrheit näherkommen (Bundespräsident a.D. Dr. Dr.h.c. Richard von Weizsäcker); Der Verlust der Zentralperspektive und die Rehabilitierung des Religiösen (Prof. Dr. Dr.h.c. Franz-Xaver Kaufmann); Identitätskrise nach Innen? (Bischof Prof . Dr. Dr. Karl Lehmann); Gotteskrise - Kirchenkrise (Prof. DDr. Dr.h.c. Johann Baptist Metz); Postkonziliare Seelenzustände (Prof. Dr. Elmar Salmann OSB); Alle sollen eins sein (Prof. Dr. Eberhard Jüngel); Religiöse Unterhaltung oder Gottesfeier? (Prof. Dr. Karl-Heinrich Bieritz); Der Geist weht, wo er will (Erzbischof Dr. Paul Josef Cordes); Kirche und Globalisierung (Prof. Dr. Josef Sayer); Bedrängnis oder Nachbarschaft? Die Weltkirche und der Islam (Prof. Dr. Dr. Peter Antes). Der Herausgeber: Stephan Pauly ist Mitarbeiter beim Bayerischen Rundfunk. ISBN 3-17-015898-8

111111111111 IHI 111111 9

783170

158986

Kohlhammer

Stephan Pauly (Hrsg.)

Kirche in t1nsererZeit Mit Beiträgen von Richard von Weizsäcker, Franz-Xaver Kaufmann Karl Lehmann, Johann Baptist Metz, Elmar Salmanu Eberhard Jüngel, Karl Heinrich Bicritz Paul Josef Cordes, Josef Sayer, Peter Antes

Verlag W. Kohlhammer

Die DeuLsd1eBibliolhek - CIP-Einheitsaufnahme

Kirche in unserer Zeit/ Stephan Pauly (Hrsg.). Mit Beitr. von Richard von Weizsäcker ... - Stuttgart ; Berlin ; Köln : Kohlhammer, 1999 ISBN 3-17-015898-8

Umschlagbild:

Lyonel Feininger: Zirchow VII, Gift of Julia Feininger. © 1999 Board of Trustees, National Gallery of Art, Washington, 1918 © VG Bild-Kunst, Bonn 1999

Alle Rechte vorbehalten © 1999 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln Verlagsort: Stuttgart Umschlag: Data Images GmbH Reproduktionsvorlage: Textwerkstatt Werner Veith München Gesamtherstellung: W. Kuhlhammer Druckerei GmbH + Co. Stuttgart Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis

Vorwort ....................................................................................................

7

Der Wahrheit näherkommen Gedanken über Wahrheit, Christsein und Politik

von Bundespräsident a. D. Dr. Dr. h.c. Richard von Weizsäcker, Berlin ........................................................................................................ 9

Der Verlust der Zentralperspektive und die Rehabilitierung des Religiösen Das Dilemma der Kirchen in der postmodernen Gesellschaft

von Prof Dr. Dr. h.c. Franz-Xaver Kaufmann, Bielefeld ...................... 23

Identitätskrise nach Innen? Die Kirche und der Atheismus

von Bischof Prof Dr. Dr. Karl Lehmann, Mainz ................................... 37

Gotteskrise - Kirchenkrise Eine theologische und spirituelle Analyse

von Prof DDr. Dr. h.c. Johann Baptist Metz, Münster ......................... 51

Postkonziliare Seelenzustände Besichtigung eines gespaltenen Bewußtseins

von Prof Dr. Elmar Salmann OSB, Rom-Gerleve ................................. 65

5

Alle sollen eins sein Die Kirchen auf dem Weg zur Eucharistiegemeinschaft

von Prof Dr. Eberhard Jüngel, Tübingen .............................................. 79

Religiöse Unterhaltung oder Gottesfeier? Zum Verhältnis von Liturgie und Kultur

von Prof Dr. Karl-Heinrich Bieritz, Rostock ........................................ 95

Der Geist weht, wo er will Zur Bedeutung der neuen geistlichen Bewegungen

von Erzbischof Dr. Paul Josef Cordes, Vatikan ................................... 109

Kirche und Globalisierung Das Zweite Vatikanum und die Kirche der Dritten Welt

von Prof Dr. JosefSayer, Aachen ....................................................... 125

Bedrängnis oder Nachbarschaft? Die Weltkirche und der Islam

von Prof Dr. Dr. Peter Antes, Hannover ............................................. 143 Text- und Abbildungsnachweis ............................................................

6

159

Vmwort Warum zerrinnt die Botschaft der Kirche lautlos im gegenwärtigen Durcheinander der Gesellschaft? Warum ist für viele Zeitgenossen Kirche einfach unerheblich geworden, nach den Herzen nun längst auch aus den Köpfen verschwunden? Warum schwindet die Kraft der Kirche nach außen wie nach innen, warum ist ihr Einfluß auf geistige und gesellschaftliche Entwicklungen kaum mehr spürbar? Warum macht sich auch in den Reihen der verbliebenen Gläubigen selbst immer mehr Unsicher heit breit? Wie steht die Kirche in ihrer Zeit, welche Rolle kommt ihr zu, wie könnte es gelingen, für die Zukunft Orientierung zu gewinnen? Wer sich der Kirche in unserer Zeit annimmt, muß ihre vielfältigen Bezüge in den Blick nehmen, in die unsere Zeit sie stellt: Politik und Postmoderne, Identitätskrise und Gotteskrise, Liturgie und Abendmahl, Spiritualität und Ökumene, Globalisierung und Weltreligionen. Die Beiträge des vorliegenden Bandes, die 1999 im Hörfunkprogramm des Bayerischen Rundfunks ausgestrahlt wurden, nehmen sich dieser Bezüge an und versuchen, aus einer wachen und klaren Bestandsaufnahme heraus den Blick auf das Wesentliche der Kirche zu richten, um daraus eine Neubesinnung auf Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln. Den Beiträgen sind Druckgraphiken von Lyonel Feininger (1871-1956) beigefügt. Das malerische und graphische Schaffen Feiningers verdankt sich nicht zuletzt auch der Erschütterung durch Musik: In den Durchkreuzungen, Verwicklungen und Verwandlungen von Motiven in den Fugen Johann Sebastian Bachs erkannte Feininger Entwicklungsmöglichkeiten, die in eigenen Kompositionen sowie in seinen Druckgraphiken - vielfach gewandelt - ihren Niederschlag fanden. Mit ihren Flächelungen und vielperspektivischen Verschiebungen des Kirchenmotivs mögen sie den verschiedenen Gestalten und Perspektiven, in denen sich Kirche heute zeigt, gegenübergestellt sein.

München, im Frühjahr 1999

Stephan Pauly 7

Der Wahrheit näherkommen Gedanken über Wahrheit, Christsein und Politik von Bundespräsident a. D. Richard von Weizsäcker

Es gibt Werke, die den Menschen immer wieder zur Prüfung rufen, ob er seines Namens würdig ist. Mit diesen Worten hat Romano Guardini den Dialog gekennzeichnet, den Sokrates in den letzten Stunden seines Lebens geführt und den Platon im Phaidon überliefert hat. Ähnlich geht es mir mit den Zeugnissen des Lebens und Denkens von Guardini. Ich meine damit nicht ein bestimmtes seiner vielen Werke oder die Summe seiner Einsichten, nicht seine Lehre von der Wahrheit - die es wohl auch gar nicht gibt-, sondern seinen ständig suchenden Weg zu ihr. Es ist ein ergreifender Weg .... Guardini sah sich weder als Kleriker noch als Fachwissenschaftler. Er war offen für den Zweifel und den Skrupel, ungeschützt vor dem Schmerz, voller Einsicht in die Wirrnis und ihre Versuchungen. Um so unbedingter ging es ihm darum, Wahrheit zu erkennen, sich von ihr anrufen zu lassen, sie zum Leuchten zu bringen. Von einem seiner Lehrer, Wilhelm Koch, hat er gesagt: ,,Die Wahrheit war ihm in einer Weise ernst, daß man fühlte, sie wurde bei ihm zum Charakter". Auch an Guardini selbst ist das Prägende der Ernst, der die Wahrheit will. Sie soll nach seinen Worten helfen, Wirklichkeit zu erkennen und zu deuten, wirklichkeitsgemäß zu sein. Jeder von uns lebt in dieser Wirklichkeit. Jeder entscheidet sich und handelt in ihr. Jeder ist auf seine Weise an den Aufgaben beteiligt, die sie stellt. Dazu ermahnt und ermuntert uns Guardini. Deshalb möchte ich einige Gedanken über Wahrheit und Freiheit in der Politik vortragen. Sie wurzeln in meinem Lebensbereich und sind auch durch ihn begrenzt. Theologe bin ich so wenig wie Philosoph. Platons Forderung, daß Politiker Philosophen sein oder Philosophen Könige werden sollten, ist in der Geschichte nur ganz selten erprobt worden, 9

und noch seltener mit überzeugenden Ergebnisse:n. Aher das ist natt!rlich kein Freibrief und widerlegt auch nicht den Kern dessen, was Platon meint. In der Politik geht es wirklichkeitsgemäß um Erkenntnis und Handeln. Oft genug stellt diese Wirklichkeit uns Politiker vor Situationen und Entscheidungen, in denen wir noch nicht erprobt sind, die wir noch nicht durchdacht und verstanden haben. Um so notwendiger ist es für uns, nach Klarheit zu suchen und vor uns selbst Rechenschaft abzulegen. Dies sollte in einer Weise geschehen, wie ich sie bei Guardini wahrzunehmen meine: mit einem moralisch sehr behutsamen Ernst und mit jener für ihn charakteristischen Haltung, wonach weder die geistigethischen Instanzen es sich mit den praktischen Konflikten zu leicht machen dürfen, noch die pragmatischen Empiriker glauben sollen, ohne den Bezug zur Wahrheit auszukommen. Wir leben in einem politischen Gefüge, das hierzulande nach freiheitli chen Grundsätzen verfaßt ist. Wir haben uns an diese Freiheit mit nahezu gedankenloser Selbstverständlichkeit gewöhnt. Dabei ist sie eine ebenso unermeßlich große Gabe wie eine ungeheure tägliche Aufgabe. Für die Entscheidungen, die wir zu treffen haben, gibt sie uns wenig vor. Unser Volk beruft sich in der Präambel zum Grundgesetz auf seine Verantwortung vor Gott und den Menschen. Von Wahrheit aber handelt die Verfassung verständlicherweise nicht. Es ist schon zweifelhaft, ob sie überhaupt einen allgemeingültigen Freiheitsbegriff hat. Wir leben in einem pluralistischen, weltanschaulich neutralen Staat. Pluralismus bedeutet nicht Gleichgültigkeit. Der Staat ist der Menschenwürde und damit der Freiheit verpflichtet. Es ist keine staatlich programmierte Freiheit - sonst wäre es ja auch keine Freiheit mehr. Jeder hat das Recht auf sein eigenes Welt- und Menschenbild. Es gibt nur prinzipielle Grenzen, damit die Freiheit des einen nicht auf Kosten der Freiheit des anderen gehe. Was jeder in diesem Rahmen mit seiner Freiheit anfängt, ist seinem Wollen, seinem Wissen und Gewissen überlassen. Daß unser Grundgesetz in diesem Sinne gute Voraussetzungen für einen vernünftigen politischen Ablauf bietet, dafür sollten wir Dankbarkeit 10

II

empfinden und sie möglichst täglich praktizieren. Wir sollten also gemäß der Erkenntnis handeln, daß das demokratische Gemeinwissen seine innere Kraft nicht allein aus dem Verfassungstext gewinnt, sondern erst durch den lebendigen Willen des Einzelnen für die Beteiligung am Ganzen. Es kommt auf sein Bemühen an, den Rahmen der Verfassung mit der geistigen und sittlichen Substanz zu füllen, die ihre Schöpfer im Sinne hatten. In dieser Weise sollte der Begriff der Verfassungstreue einer noch tieferen Bedeutung fähig sein als nur der einer Einhaltung der Regeln des Grundgesetzes. Denn die gleiche Qualität unserer Verfassung wird auf die Dauer nicht besser sein können als die moralische Kraft der Gesellschaft. Auf Mitwirkung kommt es in der politischen Demokratie an und damit auf Stellungnahme, sei sie auch parteilich. Freiheit ist auch Freiheit zur Gegenrede. Immer wieder müssen Entscheidungen getroffen werden. Dazu wird, falls nötig, abgestimmt. Auf diese Weise wird eine Mehrheit gebildet, nicht die Wahrheit zutage gefördert. Das wissen wir alle. Mit politischen Entscheidungen wird verfügt, aber nicht über die Wahrheit. Sie ist nicht verfügbar. Das bedeutet keinen Verzicht auf sie. Aber wir dürfen die eigene Wahrheit nicht für die absolute w1d alleinverbindliche halten und sie den anderen nicht aufnötigen. Auch der Kompromiß führt uns nicht zwingenderweise an Wahrheit heran. Sich auf ihn einzulassen, beruht auf der Einsicht in die Notwendigkeit, Frieden zu wahren, auch wenn man dabei einen Teil der eigenen Überzeugung preisgeben muß. Beherrscht uns also in der Politik doch nur ein empirischer Freiheitsgedanke, der keinen gemeinsamen Rekurs auf Wahrheit erlaubt? Bleibt die Suche nach Wahrheit, politisch gesprochen, Privatsache? Ist Freiheit als Strukturprinzip unserer politischen Ordnung ohne Bezug zu Wahrheit? Ganz gewiß nicht. Das Leben von Menschen hat immer mit Fragen nach der Wahrheit zu tun. Leben ist stets auch Zusanimenleben, und um dieses Zusanimenleben geht es in der Politik, um Chancen und Interessen freier Menschen, um ihre Konflikte und Kämpfe, um Ausgleich und Frieden. 13

Bezeichnenderweise hat Guardini, als er zum Frieden das Wort ergriff, nämlich bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, über Wahrheit und Freiheit gesprochen: Alle Menschen haben es mit der gleichen Wirklichkeit zu tun und denken über sie nach. Sie tun es mit den gleichen Mitteln der Reflexion, die sie befähigen, Gegensätze wahrzunehmen, Probleme auf den Begriff zu bringen, im Wort auszudrücken. In ihrer Freiheit denken und sagen sie nicht dasselbe, aber sie tauschen sich aus. Sie können ins Gespräch treten. Das Gespräch kann im Konflikt Brücken schlagen, wenn es ein freier Austausch ist, wenn er im Reden und Hören die eigenen Gedanken weiterführt, wenn er offen ist, sie zu bekräftigen oder zu korrigieren. Konflikte, mit denen wir es in der Politik zu tun haben, können wir in humaner Weise austragen, wenn es eine gemeinsame Überzeugung, einen übereinstimmenden Bezug aufs Ganze gibt: daß es nämlich um eine Wahrheit geht, die uns allen voraus ist und auf die wir alle bezogen sind. Sie kann nie nur meine Wahrheit sein. Aber im Austausch mir anderen kann ich mehr von ihr begreifen als allein. ,,Ich kann mich in-en, du magst recht haben, aber gemeinsam werden wir vielleicht der Wahrheit auf die Spur kommen." (K. Popper) Der Austausch kann der Wahrheit näher führen, wenn er frei ist. So ist es in der Wissenschaft, deren Fortschritt auf der gegenseitigen freien und öffentlichen Überprüfung beruht. Und, wann immer es uns gelingt, das Gespräch zum Dialog werden zu lassen, bietet auch Politik die Chance zur Annäherung an das Fällige und Gebotene, an das Ganze, an Wahrheit. So also ist es gedacht, und so ist es möglich. Und wie ist es tatsächlich? Der öffentliche Austausch dient gemäß der Idee der freiheitlichen Verfassung ja auch dem Kampf um Mehrheiten und Mandate. Welchen Bezug zur Wahrheit hat er? Wer kennt sie? Wäre sie verständlich aussprechbar? Wäre sie annehmbar oder gar willkommen? Fände man mit ihr die Zustimmung, die man im Wettbewerb sucht? Ist bei diesem Kampf die Annäherung an Wahrheit überhaupt ein bewußtes und gewolltes Ziel? 14

Jeder zögert mit der Antwort .... Wir empfinden die Zweifel nur allzu deutlich, und zum Glück wird allseits offen darüber diskutiert. Da