Brennende Zeit- und Streitfragen der Kirche: Band 2 Zur christlichen Glaubenslehre [Reprint 2019 ed.] 9783111728346, 9783111180236

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Brennende Zeit- und Streitfragen der Kirche: Band 2 Zur christlichen Glaubenslehre [Reprint 2019 ed.]
 9783111728346, 9783111180236

Table of contents :
Christus und der Glaube
Die heilige Schrift und der Glaube
Dir Erlösung im Kinne Jesu und seiner Apostel
Für das Apostolikum
Inhalt

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Vertag der K. Aicker'schen Auchhandtung in Hießen. Die Zeit- und Streitfragen werden in 4 Teilen erscheinen,

von denen der 2. Teil hier vorliegt; die anderen werden enthalte:::

I.

Auf alttrstamentlichem Gebiete. Bedenken mit) Wünsche für eine zukünftige Verdeutschung des Alten Testaments. — Gegenwart und Zukunft im Licht alttestamentlicher

Prophetenworte. — Das Alte Testament im christlichen Religions­ unterricht.

III.

Aus dem praktischen Christentum. Pietismus und Methodismus. — Der moderne Pessimismus und der christliche Glaube.

— Freude und Freuden im Lichte der

christlichen Ethik.

IV.

Soziale Fragen. Sozialdemokratie und Christentum. — Sozialdemokratie und Kirche.

— Die soziale Stellung des evangelischen Geistlichen. — Die soziale

Stellung der Diakonissin. — Eigentum und Arbeit. — Soziale Bewegungen in einem jungen Kaufmannsherzen.

Jeder Teil ist einzeln zum Preise von cct. Mk. 1,50 bis Mk 2.—

käuflich.

Soeben ist in unserem Verlag erschienen:

Einleitung in das Buch Jesaja von T. K. Lheene, Professor der Exegese zu Oxford, Kanonikus der Kathedralkirche 511 Rochester.

Deutsche Urbersehung unter durchgängiger Mitwirkung des Verfassers von

Julius Böhmer. gr. 8". 9J?. 12.—. Gebunden M. 13.50.

Brennende

Zeit- und Streitfragen

der Kirche. Gesammelte Abhandlungen von

Julius Böhiner.

TT. Zur christlichen Glaubenslehre. Christus und der Glaube. Die heilige Schrift und der Glaube. Die Erlösung im Sinne Jesu und seiner Apostel. Für das Apostolikum.

< Hießen I. Ricker'sche Verlags-Buchhandlung

1897.

Herrn Professor Dr. von Grelli

in aufrichtiger Verehrung und herzlicher Dankbarkeit

gewidmet.

Alle Rechte Vorbehalten.

Christus und der Glaube. jJ^er ernste Kampf, welcher in der Gegenwart sich über der

reinen Lehre erhoben hat, wird nicht eher zur Ruhe kommen, als bis er zum Sieg des einen oder des andern Teils ausgefochten ist. Hier gilt kein Waffenstillstand, hier nützt kein halber Sieg, noch weniger ein sanier Friede. Dem: es handelt sich um die höchsten Güter des Glaubens selbst. Die Frage lautet: Wer ist Christus? Was ist Glaube? Was ist die Schrift? Eine große Unruhe hat sich der Christenheit in weiten Kreisen bemächtigt, als sollte ihr genommen werden, was sie bisher hoch und heilig ge­ halten, was sie von Christi Person und heiligem Werk erfahren imb geglaubt, was sie von den Aposteln und Vätern als teuer erworbene Schätze evangelischer Erkenntnis und evangelischen Glaubenslebens überkommen hat. Eine tiefe und breite Kluft hat sich zwischen den „Alt­ gläubigen" und den Modernen gebildet, die vielen geradezu un­ überbrückbar erscheint. Zwar auf dieser Seite nimmt man es leichter; verschiedene Stimmen werden laut, als sei die Trennung ohne große Mühe zu beseitigen. Da meint der eine, eine Ver­ ständigung fei leicht herbeizuführen, weil der Glaubensgrund hier und dort derselbe sei; ein anderer urteilt, wir seien uns überden Grund unseres Glaubens selbst so recht nicht klar. Einem dritten gelten wir insofern nicht als Gegner, als wir wenigstens gut genug sind, Vorspanndienste zur Bekämpfung des Unglaubens zu leisten. Allein mit solchen Reden wird die Entfremdung nichts weniger als gemildert. Im Gegenteil wächst auf positiver Seite nur die Besorgnis, wenn man sieht, daß so mancher, von dem man es nicht gedacht hätte, sich von den „sicheren Ergebnissen historischer Forschungen" imponieren läßt und, was auf Kosten der Wahrheit II. 1

2 geschieht, wenigstens Stücke des alten Glaubens retten möchte, um nicht alles preisgeben zu müssen. Es ist nicht mehr still geworden, seitdem vor einem Lustrum der Streit um das Apostolikum vom Zaune gebrochen ward, wenn auch der Gegensatz jetzt weniger heftig in der Tagespresse und in Volksversammlungen hervortritt.

Bleibt

man doch unter den Anhängern der modernen Schule keineswegs

müßig, um für die als Wahrheit ausgegebenen Resultate neue Jünger zu gewinnen. Wie die christliche Welt in einer statllichen Reihe von Heften versucht hat, ihren Standpunkt der evangelischen Christenheit annehmbar machen und die Unentschiedenen zur Ent-

scheidnng zu drängen, so sucht nicht minder die „Zeitschrift für Theologie und Kirche" in theologisch gebildeten Kreisen für die neue Weisheit Propaganda zu machen. Noch manche andere Zeit­

schrift und Erscheinung auf dem Büchermarkt arbeitet in ihrem Dienst. Da man uns den Handschuh hingeworfen hat, nehmen wir ihn auf. Wie gerne würden wir die Hand, die ihn geworfen hat, als Bruderhand

ergreifen! Warum wir es vorläufig nicht können, hier eine Antwort. 1. Der rechte Glaube ist eine Sache der Erfahrung des ganzen inwendigen Menschen, einer Erfahrung, die der lebendige, zur

Rechten des Vaters erhöhte Christus schenkt. Nicht durch Studium und theoretische Erkenntnisse, nicht durch Gefühle und Gemüts­ erregungen, nicht durch starken Willen und festen Entschluß wird der Glaube geboren, sondern durch eine göttlich verursachte voll­

ständige Umkehr des ganzen inwendigen Menschen. Verstand und Urteil, Gefühl und Gemüt, Erkenntnis und Wille werden gleicher­ weise und gleichzeitig von Gott erfaßt.

Was soll uns die Rede:

es handelt sich „nur" um einen „schlichten, einfältigen Vorgang

im Gemüt, welchen der Eindruck der Persönlichkeit Jesu Christi hervorruft?" Denn sobald dieser Eindruck zu dem Ergebnis führt:

hier in Christo wird Gott erkannt und ergriffen, hier ist mein

Heil, alsbald ist in der That der ganze inwendige Mensch, Verstand und Urteilskraft, Gefühl und Empfindung, Wille und Entschluß

unmittelbar in Mitbewegung gesetzt. In abstracto ist es möglich, den Vorgang im Gemüt von der dadurch modifizierten Erkenntnis

und der dadurch herbeigeführten Anregung des Willens zu trennen. Im Leben fällt alles in eins zusammen.

3 Es kann wohl geschehen, daß einer die klare Erkenntnis und

feste Ueberzeugung gewonnen hat: in Christo und nirgends anders ist das Heil, ich gehe ewig verloren, wenn ich nicht Christum als meinen Heiland gewinne.

Aber dahin kommt er lange nicht, daß

er sich nun auch entschließt: also will ich Christum ergreifen.

Vielleicht faßt ihn gar eine Sehnsucht nach dem ewigen Leben, manchmal denkt er: ich möchte ja so gerne selig werden, ich möchte

so gerne Jesum Christum haben als meines Herzens Zuversicht und meines Lebens Kraft. Aber dieses Sehnen bleibt unbeachtet, und es findet keine Befriedigung. Bei dem einen Menschen ist zuerst die Erkenntnis, beim andern zuerst das Gefühl und Emp­ finden, beim dritten zuerst der Wille von dem Evangelium an­

geregt und verändert worden. Aber damit allein ist noch kein Glaube vorhanden. Sondern Glaube entsteht, wenn Gott den

ganzen inwendigen Menschen die Macht des Evangeliums an sich selbst erleben läßt. Nicht einmal das kann man sagen, daß der Glaube auf einem „inwendigen Vorgang im Gemüt" sich aufbaue.

In der Christen­

heit wenigstens können wir niemals den Fall setzen, daß einer, vorher vollständig unberührt von den Segnungen des Evangeliums, plötzlich in das Licht Jesu Christi gestellt wird.

Vielmehr ist jeder, der die heilige Taufe empfangen hat, der in der christlichen

Kirche unter der Zucht des Wortes Gottes und der Sakramente, der christlichen Sitten und Lebensordnungen herangewachsen ist,

dem Evangelium unterstellt gewesen und hat vom Evangelium mehr empfangen als er selbst und ein anderer weiß. Aber auch für die Heidenwelt würde jene Glaubenstheorie nicht zutreffen: durch Verkündigung des Evangeliums wird nicht zuerst das Gemüt zu jenem entscheidenden, den Glauben begründenden Erlebnis ver­ anlaßt, sondern vielmehr in den meisten Fällen zunächst die Er­ kenntnis bereichert, manchmal auch sogleich der Wille zu einem neuen Leben geweckt: wie jener Heide, nachdem zum ersten Male

das, Evangelium ihn in Herzen und Gewissen getroffen hatte, nach Hause eilte und seine götzendienerischen Geräte zerstörte. Dennoch ist keines von beiden, weder die bereicherte Erkenntnis noch der

veränderte Wille der Heilsglaube, und auf der anderen Seite ist

auch wieder weder die Bereicherung der Erkenntnis noch die Ver-

1*

4 änderung des Willens ohne Beziehung zum Glauben geschehen, sondern sie stammen beide aus der Predigt des Evangeliums von

Christo und sind Vorstufen des Glaubens. Auch das Neue Testament kennt keinen Glauben unter den« verschwommenen Begriffe eines „schlichten, einfältigen Vor­

ganges im Gemüt." Diese Energie, welche alles, ja sich selbst auf­

gibt und zu Christo kommt (Joh. 6, 35), weil sie in ihm den lebendigen Sohn Gottes erkannt hat, dieser Glaube, „ der die Welt über­ windet" (Joh. 5,4), ist wahrlich mehr, als jene blasse Sentimentalität.

Hier handelt es sich um eine „neue Kreatur" (2. Kor. 5, 17). 2. Nur dieser wahre Glaube, welcher den ganzen inwendigen

Menschen nach Erkenntnis, Gefühl nnd Willen ergreift und durch­

dringt, macht selig. Aber freilich wird er nicht im Handumdrehen, in einem einzigen Moment gewonnen. Es kann wohl scheinen,

als müsse jeder evangelische Christ unbedingt von einem solchen Erlebnis Zeugnis ablegen können, das er in einem bestimmten Augenblick gehabt, wo es ihm mit einem Male klar geworden:

hier in Christo ist mir Gott als mein Vater kund geworden. Diese Voraussetzung erinnert an methodistische Erwartungen. Die Erfahrung lehrt, daß der Glaube nicht stets und nicht einmal in der Regel in solch einem einzigen, bestimmten Augenblick geboren

wird, in dem das Gemüt von der Gnade Gottes in Christo er­ griffen ward. Vielmehr beginnt der Heilsglaube mit der Sehnsucht

nach dem Heil.

Wer zu Jesus Christus kommt, sich von seiner

Krankheit heilen zu lassen, bezeugt damit die erste Spur des Heils­ glaubens. Auf dieser Stufe des Heilsglaubens haben wir uns die große Mehrzahl der von Jesu geheilten Kranken zu denken. Sie mochten in ihm nicht mehr als einen Propheten Gottes, vielleicht den größten aller

Propheten, sehen. Genug, der Anfang des Glaubens war in ihnen. Einen mächtigen Schritt vorwärts im Glauben hatte schon der

Hauptmann zu Kapernaum gethan. Er erkannte in Jesus den Herrn, welcher über himmlische Kräfte gebietet. Dabei mochten freilich allerlei

Erinnerungen und Vorstellungen aus seiner heidnischen Vergangen­

heit mitwirken. Gerade dann wird die Anerkennung des Herrn verständlich, welche er dem Hauptmann zollt: solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden.

Als Jesus diese Worte sprach,

5 hatte noch kein Israelit Jesum so hoch über die Menschen erhoben.

Selbst bei den Jüngern dauerte es noch eine geraume Zeit, ehe

sie zur Erkenntnis Jesu Christi, des wahrhaften Gottessohnes, durchgedrungen

waren.

Vollends

der

Uebelthäter

am

Kreuz

erwartete von Jesus, dem jetzt Gekreuzigten, ein Wiedererscheinen in göttlicher Kraft

und Herrlichkeit: er stand den Messiaser­

wartungen nicht fern, hatte sie früher nur kennen gelernt, jetzt in seiner letzten Not ergriff er sie mit dem Herzen. Er sah in Jesu mehr als den Mitübelthäter, mehr als einen außergewöhnlichen,

wunderbaren Menschen, er erkannte in ihm, was er bis dahin nicht hatte wissen wollen, obwohl er es hätte wissen können, den Heiland, welcher wiederkommen wird, nachdem er schon einmal vom Himmel gekommen war.

Aber zu meinen,

dieser Glaube der von Jesu geheilten

Kranken, eines Hauptmanns zu Kapernaum, eines Schächers am

Kreuz, das sei derselbe Glaube wie der rechte evangelische Glaube,

der uns selig macht; aus dem Glauben jener den Begriff des evangelischen Glaubens ableiten wollen, das ist doch zum miudesten sehr unhistorisch von einer Theologie geredet, die sich immer als die historische empfiehlt. Gewiß, in dem Sinn ist der Glaube

von jenen dreien derselbe, wie mein Glaube an Christum, als er dem Glauben eines Abraham, eines Habakuk gleichsteht. Das zuversichtliche Vertrauen auf Gott ist überall dasselbe, aber das ist

der Unterschied: der eine erwartet weniger, der andere mehr von Gott; der eine steht in der Zeit der Weissagung, der andere in der Zeit der Erfüllung.

Warum sagt man uns nicht einfach,

wir sollen nur glauben, wie ein Abraham oder ein alttestamentlicher Frommer? Sie glaubten von Herzen, indem sie sich mit einer sehr mangelhaften

unklaren Erkenntnis des Erlösers begnügten.

Sollen wir auf diese Stufe uns zurückversetzen lassen? Und doch,

was anderes wollen unsere Gegner, wenn sie, um das Wesen des

evangelischen Heilsglaubens klarzumachen, auf solche Anfänger im Glauben, wie den Hauptmann und den Schächer, zurückgehen? Nein, wir wissen: wem viel gegeben ist, von dem wird man

auch viel fordern. Dieses Wort gilt auch vom Glauben. Cs ist von keinem Kranken, den Jesus aus seinen Glauben hin geheilt hat, erzählt, daß er durch seinen Glauben selig geworden sei.

Es

6 ist auch dem Hauptmann nicht angezeigt,

daß er durch

Glauben das ewige Leben erwerben solle.

Nur dem Uebelthäter

seinen

am Kreuz ist freilich der Eingang ins Paradies verheißen.

Aber

hier ist wohl zu beachten, daß für ihn die Möglichkeit abgeschnitten war, im Glauben von einer Stufe zur anderen fortzuschreiten. Uns ist viel mehr gegeben, als jenen allen.

Vor uns tritt Jesus

nicht mehr hin in seiner unscheinbaren irdischen Gestalt, sodaß wir

auf das Ahnen und Raten angewiesen wären.

Vor uns steht

Jesus als der sein Werk im Leiden und Sterben vollendet hat und sieggekrönt aus dem Grabe hervorgegangen ist und seit mehr

als 1800 Jahren seine Kirche regiert.

Wir haben einen Heiland,

der nach dem klaren Bild der apostolischen Zeugnisse vor uns hintritt als der eingeborene Sohn, der ewig beim Vater ist.

Sagt man uns aber: hier sei etwas vorausgesetzt, was erst durch den Glauben und seine Entfaltung in der Erkenntnis klar werden kann, aber nicht zum Wesen des Glaubens gehört,

so

geben wir zurück: das thun wir nicht mehr, als auch jene drei

Anhänger im Glauben thaten, die von Jesu geheilten Kranken, der Hauptmann und der Schächer. Denn was sie in zuversicht­

licher Ueberzeugung von Jesu Christo erwarteten und aussagten; was Gegenstand ihres Glaubens war, das hatten sie zunächst auch von Dritten, bezw. von ihm selbst sich sagen lassen. Auf Grund

des Gehörten setzten sie allerlei von Jesu Christo voraus und fanden hernach

als das.

ihre Voraussetzungen bestätigt und

noch mehr

Auch wir machen diese Erfahrung, daß unsere weit

größeren Voraussetzungen

von Christo,

die

uns

zunächst

von

anderen gegeben sind, uns bestätigt werden, und finden noch mehr

als das, wozu unsere Voraussetzungen uns berechtigten.

3. Denn wie entsteht eigentlich der Glaube? Der Apostel sagt: der Glaube kommt aus der Predigt, die Predigt aber aus dem

Einem Menschen wird Gottes Wort verkündigt, und sein eigentlicher Inhalt, Kern und Stern, ihm vor die Seele Worte Gottes.

gemalt,

nämlich Jesus Christus.

Je größer, je deutlicher, je

herzlicher das Zeugnis von Jesu Christo geschieht, um so tieferen Eindruck wird es machen. Ohne Frage muß dabei allerlei von Jesu erzählt werden, allerlei Begebenheiten aus seinem Leben,

7 seinen Predigten, Wundern, von seiner Auferstehung

und

seinem Leiden und Tod, von

Himmelfahrt und

ewigem Regiment,

ferner von den Vorbereitungen des Heils durch Weissagung und Geschichte im Alten Testament. Kurz: ein gut Stück Geschichte wird zu allererst den Glauben vorbereiten. Darauf wird es dann

ankommen,

welchen Eindruck das Erzählte auf jemanden macht,

wie er sich zu dem Erzählten demgemäß stellen will, von welcher Beschaffenheit der zu bearbeitende Herzensacker ist. Genau dasselbe Evangelium wird ja Tausenden verkündigt: aber nur wenige er­

greifen in ihm das ewige Leben. An demselben Konfirmandenunterricht nehmen Hunderte von Kindern teil: nur in einigen wird der Glaube geboren. Was hilft es uns also, wenn jemand kommt und behauptet:

das Evangelium von Christo ist so groß, so gewaltig, so göttlich, daß es,

recht gebracht, in keinem Fall seinen Eindruck auf ein

Menschenherz verfehlen kann. Das ist eine einfache Behauptung, vielleicht aus bester Ueberzeugung gethan. Die Thatsachen, die Thatsachen

und

widersprechen ihr!

Wenn es

seine Verkündigung allein ankäme,

auf das Evangelium dann müßte es in der

That viel mehr Gläubige geben,. Dann müßte vor allem Christus sein Volk bekehrt haben, denn er hat es gewiß verstanden, das Evangelium recht zu verkündigen, und der Eindruck seiner Person kam auch hinzu. Aber das Mcnschenherz ist immer noch ein „trotziges und verzagtes Ding" und steht nichts lieber als seinem wahren Heil entgegen.

Doch — hier liegt der

Fehler — mit der Macht der Sünde im Menschenherzen rechnen unsere Gegner zu wenig, und die tiefe Wahrheit des Paulus­ wortes: der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geiste Gottes,

ist ihnen verborgen.

Der Glaube ist nicht ein so einfaches Ding,

als es bei jenen erscheint, sondern der Glaube wird auf wunder­

bar geheimnisvolle Weise übernatürlich geboren, doch nur in dem, in welchem Gott selbst das Wollen wirkt und welcher seinerseits Gott das Wollen in sich selbst wirken läßt und ihm nicht widerstrebt.

Also hängt der Erfolg der evangelischen Predigt nicht von

dem Evangelium allein und seiner rechten Auslegung und seinen» rechten Verständnis ab, sondern in erster Linie von der Beschaffen­

heit

des

Menschenherzens,

an welches das Evangelium heran-

8 gebracht wird. Ja, mehr noch: an der Beschaffenheit des Menschen­ herzens muß es sich auch erproben, ob das Evangelium selber das

Unsere

haben

ein anderes Evangelium als

wir, als Christus und die Apostel.

Sie betonen mit Nachdruck,

rechte ist.

daß

Gegner

Glaubens eine Person und nur eine

der Gegenstand des

Person sei, daß glauben nichts

Anderes

heiße, als sein ganzes

Vertrauen im Leben und Sterben auf die Person Jesu Christi

setzen, der uns zum Vater bringe: als ob jemals der seligmachende Doch abgesehen dovon,

Glaube anders verstanden worden wäre. jetzt handelt es sich um die Frage:

wer ist diese Person, daß ich

auf sie mein alleiniges Vertrauen setzen soll?

Was hat sie gethan,

geleistet, was thut sie noch, was ist insbesondere ihre Bedeutung

für mich, von dem sie so Ungeheures verlangt?

Wir bekommen

zur Antwort: sie offenbart wahrhaftig Gott, in ihr ist Gott gegen­ wärtig,

ganzes Leben ist aus Gott und ist selber Gott; in

ihr

der Person Jesu Christi ergreife ich Gott, erkenne ich ihn als den Vater, der mir lauter Gutes, Hell und "Seligkeit schenken will; in ihr geht all mein Elend und all meine Not, all meine Sünde

und

meine Schuld unter,

all

hier

habe

ich

lauter Trost uud

Frieden, lauter Antrieb zum Gilten und Kraft zum Guten.

Wie

„Das wir gesehen haben mit unseren

sagt bett» aber die Schrift?

Augen, das wir beschauet haben und unsere Hände betastet haben

— das

verkündigen

Lebens"".

ganze Predigt,

handelt

wir

von

welche

den

euch,

denn

das

ist

„das Wort des

Vgl. hierzu Petrus bei Kornelius; seine

1. Joh. 1.

in

der Forderung des Glaubens

Thatsachen

des Lebens Jesu,

seinen Thaten, seinem Tod, seiner Auferstehung.

gipfelt,

seinem Worte, Kurz die „That­

sachen" des Lebens dieser Person Jesus Christus, sie sind Gegenstand des Glaubens, womit natürlich der Glaube an die Person

selbst unauflöslich verknüpft ist.

So hat auch die Kirche, so haben auch wir den Glauben

je

und

je

gefaßt,

wenn wir bekennen:

Ich glaube an Jesum

Christum ... der empfangen ist von dem h. Geist ic. Hier ist der entscheidende Punkt.

Unsere Gegner gründen

ihren Glauben auf die Persönlichkeit Jesu Christi als des Heilandes

der Armen und Kranken.

Allein nicht die geschichtlichen Begeben­

heiten aus dem Leben Jesu, sondern die in ihnen zu Tage tretende,

9 innere Hoheit und Göttlichkeit des Herrn sollen jenen überwältigen­ den Eindruck auf die Hörer machen, das ihnen „das Herz abgewonnen

wird".

Also das inwendige Leben Jesu, sein Gottvertrauen, seine

Demut, seine Geduld, seine Dankbarkeit, seine Nächstenliebe, seine

Selbstverleugnung, das soll Grund und Nötigung zum Glauben sein. Das alles aber sind keine historischen Thatsachen im strengen Sinne des Wortes,

des

sachen

wenn sie auch auf die geschichtlichen That­

inwendigen Lebens Jesu

übrigens, wie

zurückgehen,

ein

Beweis

man auch auf jener Seite von den „Thatsachen"

im Grunde nicht loskommt.

Wir aber stehen voll und ganz auf den „Thatsachen". Denn unser Herr hat seine Jünger ausdrücklich beauftragt, zu zeugen von ihm und zwar nicht blos von seiner inwendigen Herrlichkeit,

sondern selbst solchen scheinbaren Kleinigkeiten, wie seiner Salbung durch Maria in Bethanien, wies

er eine Stelle im Evangeliuin

zu, wie viel mehr seinen Predigten und Thaten überhaupt! Die Apostel selber wünschen des Herrn Willen gemäß in ihrer Mitte

nur solche Männer, die Zeugen der ganzen Zeit waren, welche Jesus

unter

ihnen

aus

und eingegangen war, von der Taufe

Johannes' an bis auf den Tag, da er von ihnen ausgenommen

ward.

Paulus berief sich den Zweiflern in Korinth gegenüber,

welche die Auferstehung leugneten, keineswegs auf die im Christen­ leben geoffenbarte Macht und Herrlichkeit des Auferstandenen. Er wußte wohl, daß dies Zeugnis auf Zweifler keinen Eindruck machen kann,

und daß niemand zweifelt,

der dies Zeugnis in

Sondern er tritt den historischen Beweis für die Auf­ erstehung Christi an und ruft eine lange Reihe von Zeugen auf, sich trägt.

Ja, der wesentliche Inhalt der apostolischen Predigt ist nach übereinstim­ die den Herrn haben leibhaftig auferstanden gesehen.

mendem Zeugniß

aller Apostel der Tod Jesu gewesen und die

durch den Tod geschehene Erlösung und Versöhnung. Paulus weiß in Korinth nichts anderes als das Kreuz Christi, Johannes

predigte

von

Christi Blut,

Petrus von dem Opfer

am

Holz.

Das ist und bleibt doch eine historische Thatsache, der Tod Jesu, zu deren Erkenntnis und Annahme ich zunächst nicht anders als auf demselben Wege wie zur Erkenntnis und Annahme aller

anderen historischen Thatsachen komme.

10 Selbst zugegeben, daß

das inwendige Leben Jesu, recht

gepredigt, den Menschen auf rein innerlichem Wege mit sozusagen „elementarer" Gewalt ergreift und zur Anerkennung der göttlichen Autorität nötigt — vom Kreuzestod des Herrn wird doch niemand die Behauptung aufrechterhalten können, daß er auf anderem als

geschichtlichem Wege erkannt und ergriffen werden kann. Es mag auch sein, daß Jesus selbst zuerst nicht auf geschichtliche Thatsachen den Glauben gegründet hat, daß er durch den Eindruck seiner

göttlichen Person die Menschenherzen gewann.

Gewiß, er brauchte

keine Geschichte zu predigen, er selber war die Geschichte und der

Wendepunkt aller Geschichte, die Vollendung aller vorangegangenen Geschichte unb die Vorherverkündigung aller nachfolgenden Ge­ schichte bis an das Ende der Geschichte.

Voraussetzungen,

Weissagungen

und

Testaments und der Heidenwelt erfüllt.

In Christo waren alle

Begebenheiten

des

Alten

Aber Jesus ruhte nicht,

bis er den Glauben seiner Jünger aus geschichtliche Thatsachen gegründet hatte, kaun: hatten sie in seiner Person den Mittelpunkt

wie ihres Lebens, so der Geschichte erkannt, kaum waren sie zur Erkenntnis seines Erlöseramtes gelangt, da fing er an ihnen zu zeigen, wie des Menschen Sohn müßte viel leiden und gekreuzigt werden und auferstehen. Und als die Jünger das nicht verstanden, da hat er es ihnen wieder und wieder bezeugt. Und als alle

Belehrung vergeblich war, da haben sie erst diese Thatsachen erleben müssen, und nicht eher schied der Herr von ihnen, als bis sie auch über die am schwersten zu begreifende Thatsache der Auferstehung

im Klaren und völlig gewiß waren. Der Herr kommt einem Bedürfnis der menschlichen Natur selbst entgegen, wenn er den Glauben auf Thatsachen stellt. Wir

sind keine Engel, keine hochfliegenden Geister, sondern Fleisch und Blut und sind noch auf der Erde und wollen etwas Greifbares.

Der Herr, welcher uns die Sakramente geschenkt hat, damit wir sein Heil auch sehen und schmecken möchten, sollte den Glauben auf Ideen stellen? Nein. Heidentuni und Israel sind darin vor

Zeiten eins gewesen und noch heute einig, daß sie das Verlangen tief im Herzen tragen, welchem der Prophet in bedrängter Zeitlage seines Volkes so ergreifenden Ausdruck gegeben: ach daß du den

Himmel zerrissest und führest herab (Jes. 64, 1)! Alle Welt sehnt sich

11 nach Offenbarung, nach einer thatsächlichen Offenbarung, welche für die natürliche Menschenart genügenden Halt bietet.

So hat von Anfang

an

geschichtliche Thatsachen gegründet.

der christliche Glaube sich auf

Das ist der Wille dessen, der

Anfänger und Vollender des Glaubens heißt.

Freilich unter­

scheiden sich diese geschichtlichen Thatsachen von allen anderen

Begebenheiten der Weltgeschichte dadurch, daß sie Thaten Gottes

sind, gewirkt zu unserem Heil. hat in ihnen das Heil. liert das Heil.

Wer sie als solche anerkennt, der

Wer sie nicht anerkennen will, der ver­

Darum sagten wir oben: als blose historische

Thatsachen gefaßt, helfen uns die Thaten Gottes zu unserem Heil

nicht mrr ebenso wenig, sondern sogar noch weniger als die Kunde

von jeder anderen historischen Thatsache.

Denn wer die geschicht­

liche Thatsache des Kreuzestodes Christi kennt und in ihr nicht die

That Gottes zu unserem Heil erkennt, dem wird sie zur Strafe

und Gericht.

Also wären die geschichtlichen Thatsachen an sich

allerdings für uns bedeutungslos: aber durch den Glauben werden sie uns innere Erlebnisse, indem Christus in uns geboren wird, in uns gekreuzigt wird, in uns aufersteht und lebt. Ohne die Bezeugung der historischen Thatsachen aber und ohne die An­

erkennung und Annahme der historischen Thatsachen käme es nicht zu dem Glauben, der selig macht. Vielmehr ist das der Weg, auf dem in der Regel der Glaube

in uns entsteht: dem Menschen wird das Evangelium gepredigt.

Er hört als Kind die Geschichte von Jesu Leben, Sterben und Auf­ erstehen, die Geschichte von der Offenbarung Gottes im Paradiese an

bis zur Fülle der Zeit. Diese Geschichte nimmt er zunächst um ihrer selbst willen an, ganz abgesehen von dem Eindruck, den sie

auf seinen Ewigkeitsmenschen machen, er nimmt sie an als „schöne Geschichten" wie andere „schöne Geschichten", freut sich an ihnen, behält sie, erwägt sie, vergißt sie wieder und lernt sie von neuem.

Es kommt aber eine Zeit in seinem Leben, wo ihm ein Stück der

Geschichte des Heils ins Herz und Gewissen zu gehen anfängt.

Etwas von dem, was er bis dahin nur gehört und gelernt hat,

beginnt er zu erleben.

Bei dem Einen ist es die überwältigende

Liebe Gottes, welche ihm in seiner leiblichen Gesundheit, in seinem

häuslichen Glück, in seinem geschäftlichen Fortkommen entgegen-

12 tritt.

Bei dem Andern ist es eine innerliche Unruhe, ein Suchen

und Sehnen, ein Forschen und Fragen,

das ihn treibt, Klarheit

über sich selbst und über sein Leben zu gewinnen. ist es das ernstliche Trachten nach Taugend, nach

Beim Dritten einem sittlich

seine innere Ohnmacht gegen­

vollkommenen Leben, welches ihn

über der Macht der Sünde immer deutlicher erkennen und immer

schmerzlicher beklagen läßt. Eindruck

eines

ernsten,

auf Erden,

Wandel in

aufrichtigen

Christi wiederspiegelt.

Geschichtsforscher,

Oder es ist das Anschauen und der

Gotteskindes

welches

der Heiligung

das

Gebiet

des

einen

denken, wie ein

Es ist auch wohl zu

welcher

durch

die Herrlichkeit

Alten

Testaments

behandelt, etwa aus dem Eindruck der Wahrheit der biblischen Weissagungen Anlaß empfängt Gott zu erkennen und dem Heilsweg

näher zu kommen.

Gar manigfaltig also sind die Gelegenheiten, wo

Gott anfängt, mit feinern heiligen Geist am Herzen zu arbeiten

und die historische Thatsache zu einem inneren Erlebnis wandelt. Aber nicht eher ist der rechte Glaube geborerr, als bis Christus der Heiland vom Menschenherzen ergriffen ist, als bis der Mensch

sagen kann: ich glaube, daß Jesus Christus ist mein Herr. 4.

Nur

darf

man

nicht

sagen,

gerade

daß

am Bilde des

geschichtlichen Jesus allein und ausschließlich der Heilsglaube sich

entzünde.

Schablonen für die Bekehrung

gewesen, indem sie manchen

stets gefährlich

sind

ehrlichen Sucher gehindert haben.

Schablonen hat der Methodismus und der von Ritschl so wenig

geachtete Pietismus in seinen späteren Geschlechtern gezeitigt: nun haben sich Ritschl's Jünger selber auf einer Schablone für die

Bekehrung sestgerannt.

Wir leugnen ja nicht, daß wohl an dem

geschichtlichen Bilde des Lebens Jesu, auch an dem, wie es unsere Gegner meinen, der Glaube sich entzünden könne.

eine allgemeine Forderung

zu

machen,

daß

Aber daraus

nur so

und nicht

anders der Glaube begründet werden könne, das lehnen wir ab; einfach darum, weil vielfache Erfahrung dem widerspricht.

Nicht

blos bei Luther, sondern noch heutzutage ist es in vielen Fällen die Angst vor dem Gericht Gottes, die dem Heiland in die Arme

treibt.

Jedenfalls sind manche Christen, die von der Majestät

und Göttlichkeit

des

Bildes

Jesu (im Sinne

unserer Gegner)

13 auch im Gewissen ergriffen sind, viel weiter vom Heil als andere,

denen Gott als der schreckliche Gott vor der Seele steht und die mit Zittern und Zagen fragen: Herr, was willst du, daß ich thun soll?

Das darf natürlich nur ein vorübergehender Zustand sein,

weil die Erfahrung von der eigenen Sündhaftigkeit zunächst nicht zu Gott hinzuführt, sondern von Gott ferne treibt. Aber weil der Mensch, je tiefer die Erfahrung von der eigenen Sündhaftig­

keit ist, auch um so inniger und fester seinen Erlöser ergreift, so ist jener vorübergehende Zustand ihm eine Segenszeit und später eine Bürgschaft dafür,

daß in jener Schreckenszeit Gott in der

That und Wahrheit ihm nahe gewesen ist. Es gibt Menschen genug, die von der Vaterliebe Gottes in

Christo so viel gehört haben, daß sie sich darauf stützen, als auf ein süßes Ruhepolster, denen die Botschaft: der Vater hat dich lieb, gar nicht mehr lieblich in die Ohren klingt, weil sie ihnen

etwas zu Selbstverständliches

enthält.

Aber wenn solchen auf

Grund eines Bußtextes die Macht der Sünden und die Drohungen

des Herrn wider die unbußfertigen Sünder ausgelegt werden, dann fangen sie an zu erschrecken und das Heil zu suchen. Es ist allerdings so, daß nicht blos im Erlebnis der Erlösung das sentire peccata das erste ist,

sondern auch auf dem Wege zur

Erlösung eine durchs Gesetz oder durchs Evangelium erregte

Sündenempfindung den Anfang macht.

Die Lehre von Gott dem

Vergelter herrschte nicht blos zu den Zeiten der Reformation als

„allgemeines Vorurteil", sondern wir fußen noch heute auf dem­ selben „Vorurteil", und dieses „Vorurteil" ist manchem Christen­

menschen zum ewigen Heil geworden. Damit soll keineswegs geleugnet werden, daß die evangelische Predigt die Predigt vom Heiland der Sünder, von seiner Lieb­ lichkeit und Gnade bedeutet, und gerade die Liebe Gottes harte Sünderherzen erweicht, wie keine menschliche Rede noch mensch­ liches Thun. Von der Liebe Gottes, die in Christo sich zu ihnen herabließ, wurden die Zöllner und Sünder überwältigt rind

bekehrten sich zum Herrn.

Aber die Pharisäer und Schriftgelehrten

schauten dieselbe Liebe Gottes und verhärteten sich doch: zu ihnen sprach Jesus ernste Gerichtsworte und rief sein Wehe über sie

aus.

Warum? Er wollte sie, die auf die Stimme der Liebe nicht

14 durch Angst

hörten,

Seelenheil bewegen.

und

Schrecken

zum Fragen

nach

ihrem

Und Angst und Schrecken war es, was ihre

Herzen ergriff, als sie oder ihrer Etliche kurze Zeit hernach von

das Kreuz Christi

Petrus unter

gestellt

wurden

und

sich

als

Mörder des Gottessohnes bekennen mußten. Nicht vom ersten Augenblick an war ihnen Jesus ein Bild der Lieblichkeit und Gnade Gottes. Aehnlich ist es noch allezeit im Leben der Jünger Jesu. Freilich, die entgegenkommende Liebe Gottes gegen den

Sünder ist immer das erste.

Doch weiß ein erfahrenes Gottes­

kind, daß der Christ, welcher sich nicht von Zeit zu Zeit immer wieder recht gründlich vor dem Herrn fürchtet, schwerlich das Bild

seines kann.

unendlichen väterlichen Erbarmens im Herzen festhalten Der Christ, der stets mit der Sünde in ihm selber zu

kämpfen

in dem die

hat,

Bekämpfung mehr und

Sünde

mehr

nicht

nur

durch

tägliche

ertötet wird, sondern anderseits

auch durch vertiefte Erkenntnis immer mehr ins Bewußtsein tritt und immer größer wird und in immer neuen Schattierungen sich

zeigt; der Christ, der darum manchmal noch einen tiefen,

ganz

ungeahnten Fall thut, macht eine heilsame Erfahrung des gött­

lichen Zorns, um nachher die Gnade Gottes um so fester und inniger ins Herz zu schließen. Das ist auch Erfahrung von solchen,

die

im rechten Glauben stehen,

fahrung jener, glauben lernen.

die

von

der

so

gewiß

„Persönlichkeit

als die Er­

Jesu"

getroffen,

Also: der Anfang des Glaubens entsteht im Menschenherzen

keineswegs allein durch die frohe Botschaft von Christo, noch durch das Anschauen des inneren Lebens Jesu, sondern wie Abraham und Mose und die Propheten geglaubt haben und erst die Jünger Jesu den Glauben der Väter vollendet haben, also pflegt Gott der Herr, der eine Geschichte seiner Heilsoffenbarung gewollt hat, auch heute manchen Christen von der alttestamentlichen

Glaubensstufe allmählich bis zum rechten Glauben int Ergreifen

des Heils Christi zu führen. Und wenn es auch falsch ist, daraus eine Regel zu machen und 31t verlangen, daß jeder Christ erst von Mose zu Christus, vom Gesetz zum Evangelium geführt werden müsse, um den rechten Glauben zu haben, so ist es doch ebenso

verkehrt, die Thatsache leugnen zu wollen, daß bei manchem eine

15 alttestamentliche Art der Vorbereitung auf den Glauben an Christus

stattgefunden hat und aus besonderen Gründen sogar notwendig ist. Wir dürfen freilich dann noch nicht vom christlichen Glauben reden,

wenn

jemand in der Heilserkenntnis und -zueignung auf

dem Standpunkt des Alten Testaments stehen geblieben ist. es bleibt dabei,

nicht

daß

alle Buße

Aber

unter dem Kreuz geboren

wird, und solche nicht unter dem Kreuz geborene Buße wenn auch

nicht vollkommene,

evangelische, doch rechte Buße ist.

Es wird

Buße gethan im Erschrecken vor der Heiligkeit Gottes und vor den Höllenstrafen und ist rechte Buße, wenn sie nur am Ende zu Gott hintreibt, nicht Dorf ihm hmwegführt. An jeglichem Wort

heiliger Schrift, das durch den Mund Gottes geredet wird, ob im Alten oder Neuen Testament, an jeglicher mündlichen oder schrift­ lichen Bezeugung von Christo im weitesten Sinne des Wortes mag

sich der Glaube

entzünden und

Heller

und

Heller empor-

glimmen, bis er in der Erkenntnis Jesu Christi, des himmlischen Herrn und Heilandes, zur leuchtenden Flamme geworden ist. 5.

Aber wer ist nun dieser Christus, den der Glaube umfassen soll? In dieser Frage gehen die Wege unserer christlichen Brüder

im anderen Lager und unsere Wege sehr weit auseinander.

Sie

reden von ihm als einer „erhabenen Persönlichkeit, in welcher wir Gott als unsern Vater ergreifen und begreifen, dessen inneres Leben mit überwältigender Klarheit unsere Seele erfaßt, und

dessen Demut, Gottvertrauen,

Nächstenliebe und völliges Leben

inr Vater uns nötigt zu bekennen: hier ist der Mensch, in dein mir Gott begegnet, hier ist mein Gott selbst". Es hält aber nicht schwer, alles dies mutatis mutandis von anderen Frommen aus

alten und neuen Zeiten zu sagen.

Unterscheiden wir Christunr

nur dadurch von anderen frommen Menschen, daß wir von ihm

dasselbe aussagen wie von diesen, wenn höchstem, ja in absolutem Grade?

auch in höherem, in

Auf jener Seite werden von

einem Luther ziemlich dieselben Ausdrücke wie von Christus, dem

Grunde unseres Glaubens, gebraucht, wo es gilt ihren „religiösen Wert" festzustellen.

Luther's religiöse Persönlichkeit enthüllt den

Reichtum ihres Werdens so rückhaltlos, sagt man, daß sie jeden, der ihr nahe kommt, mächtig trifft.

Aehnlich thut Christus, doch

16 als der Sündlose.

Doch würde dadurch Christus für uns noch

nicht Gegenstand des Glaubens werden. Muß er das überhaupt sein? Unsere Freunde von drüben

sind auch hier nicht konsequent.

ist ihnen nach

Christus

einer

einseitigen Auffassung von Hebräer 12, 2 („Anfänger und Voll­

des Glaubens")

ender

sich selbst erlöste.

der

sozusagen der erste,

rechten Glanbens war,

Allerdings

erste,

der

im Besitz des

der von Gott erlöst war oder er selbst zuerst im Glauben

lebte

an seinen himmlischen Vater, und es ist zwar Spott, enthält aber die Wahrheit, wenn Feinde unter dem Kreuz ihm zurufen: er

hat Gott vertrauet.

Doch

es

enthält nur

die eine Seite der

Die andere lautet gemäß dem Anfang der Abschieds­

Wahrheit.

reden: glaubet an Gott und glaubet an mich!

Keine Stelle im

Neuen Testament läßt sich dafür geltend machen, daß unser Glaube

allein auf Christi Glaube ruhen soll, worauf doch die Lehre vom inneren Leben Jesu

hinaus

Und

will.

den Gegenstand

Christmn,

versucht.

des

es ist eine gewaltsame

den

Unterscheidung, wenn man Christum,

ersten Gläubigen, und

Glaubens,

auseinanderzuhalten

Ist er in jenem Sinne der Anfänger

so würden uns

seine Ansprüche,

er während

die

des Glaubens, seines Erden­

wandels erhebt, mit Recht mindestens anmaßend erscheinen, dann

würden alle auf ihn gesetzten Hoffnungen und Erwartungen uns Gott ganz nahe bringen, aber nimmermehr zu Gott, in Gott selbst uns einführen

können.

Was Jesus

von

sich

selbst

sagt

und

die

Apostel von ihm bezeugen, geht darauf, daß Jesus nicht blos von

anderer Art

war,

wahrhaft

einem andern Ort kam,

überweltlich,

wie wir.

sondern

daß

er aus

Wenn er sich als den Sohn

Gottes über alle Menschen erhob, so that er das keineswegs ledig­

lich in

dem Sinn

seines Ausspruchs,

der

von Gott

erwählte

Messias zu sein, sondern die Juden verstanden ihn ganz richtig,

wenn

sie in der von ihm selbst behaupteten Gottessohnschaft den

Anspruch sahen, daß er sich Gott gleich mache, und wenn sie ihn

darum als Gotteslästerer zum Tode verurteilten.

Jesus müßte

sich doch über alle Maßen mißverständlich aüsgedrückt haben, wenn

schon

seine Zeitgenossen seine Selbstbezeugungen

absolut falsch

verstehen mußten, und er doch nichts gethan hätte, solchen falschen Auffassungen seines Wesens entgegenzutreten.

17 Wenn in Parallele gestellt werden die Zeit, in der Jesus vor seinem Erdenleben beim Vater war, und die Zeit, in der er

nach Abschluß seiner Erdenlaufbahn wieder beim Vater sein werde, so gehört schon eine gewaltsame Exegese dazu, um die Existenz vor seiner Erdenzeit zu einer ideellen Präexistenz zu machen, und doch ihn in der Zeit nach der Auferstehung als lebendige und gegenwärtige

Persönlichkeit git nehmen; es ist nur konsequent, mit der Wesent­ lichkeit seiner Präexistenz auch die Wesentlichkeit seiner Postexistenz zu leugnen oder als nebensächlich zu betrachten. Nein, der Christus, den wir als unseren Herrn anbeten, ist

Er ist darum Mensch geworden,

in Wahrheit Gott von Ewigkeit.

damit die Menschen, welche unter Gottes Zorn standen, wieder mit Gott versöhnt würden. Gott wollte das Aeußerste für die Menschen thun und hat es gethan, indem er seinen Sohn auf die Erde sandte, um das Lösegeld für sie zu bezahlen. Unter den

Menschen war keiner, auch unter nicht,

welcher dies

hätte

thun

den Frömmsten

können.

Allen

und Besten

Heiligen

und

Propheten des alten Bundes war es nicht gelungen, die Sünde zu überwinden, bie Gewissen zu reinigen und eine Bahn von den Menschen zu Gott freizumachen. Gott selber that es in Christo. Wir können dies Geheimnis nicht fassen und werden's mit allem

unserem Denken und Glauben nicht ergründen. Aber die That­ sache selber steht uns fest, und diese Thatsache meinen wir, wenn wir die jungfräuliche Geburt unseres Heilandes bekennen.

Hierin

kann uns solch' ein Argument nicht beirren wie dieses: „Die Kindheitsgeschichten bei Matthäus und Lukas zeigen nicht uner­ hebliche Unterschiede, sodaß man wohl von einem sagenhaften

Charakter reden darf". Aber der vom Vater Gekommene ist zugleich wahrhaftiger Mensch gleichwie wir, in allen Stücken uns gleich, nur daß keine

Sünde ihn überwand, und also seine Gemeinschaft mit Gott durch

keinen Hauch getrübt ward, und das darum, weil nach seinem Bewußtsein die Gemeinschaft mit seinem himmlischen Vater schon vor der Menschwerdung bestand, ja er vor Grundlegung der Welt Träger der göttlichen Herrlichkeit gewesen war. Ohne diese That­

sache, daß Jesus Gott und Mensch war, stehen wir vor einem schlechthinnigen Rätsel.

II.

Wäre

es blos der erhabene und zur

2

18 Gottheit erhobene Mensch gewesen, wie man annimmt, so entsteht unwillkürlich die Frage: Warum hat Gott blos einen einzigen

Menschen dieser Art gerufen, der

durch

seine Art alle anderen

Menschen thurmhoch überragt? Eine befriedigende Antwort wird uns darauf nicht.

Aber wenn

ich weiß: in

Christus

ist der

persönliche Gott selber in die Geschichte getreten, d. h. der vorher Gott im Himmel war, ist in eigener Person auf die Erde gekonimen, dann ist mir

das Rätsel der Erscheinung Christi in dieser Welt

Dann wundere ich mich auch nicht mehr, waruin es mit

gelöst.

den größten Heiligen der Christenheit so langsam zur Heiligung und Heiligkeit geht.

Nun verstehe ich auch, warum Jesus Glauben

an seine eigene Person verlangt, warum Jesus die Menschen zu ihm selbst kommen heißt, warum Jesus sich selbst Gott gleichinacht.

Das ist kein Christusbild, dessen Einzelzüge durch das Dogma der alten griechischen Kirche festgelegt worden sind, und dessen ausschließ­

liche Anerkennung seitens aller Gläubigen darum „die Wortführer der Kirche" mit Unrecht verlangten, sondern das ist das Christus­ bild des neuen Testaments.

Und ob es schon das größte Wunder

der Welt bleibt, so wundere ich mich doch nicht so sehr über die Person Jesus als darüber, daß ich diesen Jesus nicht früher er­ kannt und mein genannt habe.

6. Vielmehr auffallen muß uns etwas Anderes in dem Zeugnis, welches die Verfasser der neutestamentlichen Schriften von Jesus

ablegen,

ihrerseits Jesum aussagen lassen und selbst von Jesus

verkündigen, nämlich daß nicht an Jesu Person als

solche das

Heil geknüpft wird, sondern stets mit dem Ausgang seines Lebens verbunden erscheint. aller

Das Blut Jesu Christi macht uns rein von

Sünde, bezeugt Johannes.

Er hat unsere Sünden selbst

geopfert an seinem Leibe auf dem Holze, sagt Petrus.

Die Liebe

Christi dringet uns also: denn so einer für alle gestorben ist, so sind

sie alle gestorben, bekennt Paulus.

Wir haben die Freudigkeit zum

Eingang in das Heilige durch Jesu Blut, betont der Hebräerbrief.

Wir wissen es aber nicht nur von seinen Aposteln, wir wissen es aus seiuem eigenen Munde,

daß

Christus

mußte leiden,

daß

Christus selbst in seinem Tode die entscheidende Rettungsthat Gottes zum Heil der Menschheit erkannte und vor seinen Jüngern pries,

19

daß nach den Weissagungen des Alten Testaments kein anderer als ein leidender und sterbender Messias der Erlöser sein konnte.

Ausdrücklich bezeugt Paulus den Korinthern, daß er nichts unter

ihnen gewußt habe als Jesum Christum, den Gekreuzigten, daß er

das Wort vom Kreuz gepredigt habe.

Und was er hier bezeugt,

darnach hat er selber und haben alle anderen Apostel gehandelt. Sie verkündigen den Tod Jesu Christi und im Zusammenhang

damit die Auferstehung, weil erst diese die bleibende Geltung des

Kreuzestodes als einer göttlichen Heilsthat erweist.

Es ist nicht

Paulus allein, von dem man gerne in Abrede stellt, daß er ein

genaues Bild

des

irdischen Lebens Jesu gehabt habe, sondern,

ebenso Petrus und Johannes, die mit ihm gewandelt

sind, von

seinem ersten Auftreten an bis zu seinem Tode, die nichts anderes zu predigen wissen als den Tod Christi, den Grund des Heils.

Nicht die Person Christi allein, nicht seine Predigten, nicht seine

Wunder, nicht sein Wandel war ihnen die Hauptsache, sondern alles dieses war ihnen nur die Unterlage für sein Hauptwerk, das

am Kreuze geschah.

Gegenstand des Glaubens ist zu den Zeiten

der Apostel keineswegs Jesus Christus, der Menschen- und Gottes­ sohn, nur als solcher gewesen, sondern Jesus Christus,

der Ge­

kreuzigte und Auferstandene.

An diesem Glaubensgrunde hat die Kirche der alten Zeit

und des Mittelalters und der Reformation festgehalten.

Selbst

Jrrlehrer, wie Abälard und Duns Scotus, wollten zwar den Tod

Jesu seiner

biblischen Bedeutung entkleiden.

Daß er aber das

Fundament des Heils und des Glaubens sei, haben auch sie nicht

in Abrede gestellt.

Man wendet ein: sie hatten den katholischen

Glauberisbegriff, der nichts anderes bedeutet, als sich dem unter­ werfen, was die Kirche lehrt, demgemäß auch im Tode Chrisü

das Heil der Welt sehen.

Aber selbst ihre negative Kritik der

kirchlichen Lehre hat sie nicht vermocht, in diesem entscheidenden

Punkt von

der

apostolischen

Verkündigung

abzuweichen.

Daß

Lnther und seine Genossen im Tode Chrisü allein die Erlösung

und Versöhnung der Welt erkannten und ihre eigene erlebten, das bedarf keiner Worte: der Hinweis auf die Erklärung des zweiten Artikels genügt.

Erst Ritschl und seiner Schule blieb es vorbe­

halten, im Namen der Apostel und der Reformation zu erklären:

2*

20 die ganze Kirche von den Aposteln an (um nicht zu sagen, vom Herrn sebst an) bis auf unsere Tage blieb in der Gvundlehre vom

Glauben in einem gewaltigen Irrtum befangen. Petrus, Paulus und Johannes, die alten Väter, die Reformatoren, die Theologen und Gläubigen aller Zeiten bis heute haben mehr denn achtzehn Jahrhunderte fälschlicher Weise auf den Tod Christi ihren Glauben gegründet und nach der Erkenntnis und der Erfahrung des Todes Christi ihr Christentum gemessen.

Man sagt uns, für die Apostel und die ihnen nachfolgten,

war eben die ihnen eigene Wertung des Todes Christi eine zeit­ gemäße Vorstellung, weil damals eine Religion ohne Opfer undenkbar, und daher das Opfer, welches dem Christentum fehlte,

gesucht werden mußte und sich in Christi Tode fand, der daher als Opfertod bezeichnet wurde. Zu den Zeiten der Apostel war der Kreuzestod Christi das am meisten in die Augen fallende

Ereignis, und weil der Tod immerhin die endgültige Bewährung des Erlöserwerkes Christi war, so mußte darauf der Hauptton fallen. Wir Christen von heutzutage aber haben uns von allen solchen zeitgeschichtlichen Vorstellungen zu lösen. Das innere Leben Jesu, die in seinem Erdenwandel zu Tage tretende gött­

liche Herrlichkeit, das ist der Grund unseres Glaubens, das ist Garantie der Echtheit unseres Glaubens, das ist der Probierstein der Reinheit aller christlichen Lehre.

Christi Lehre vom Reiche

Gottes ist die Summa der neutestamentlichen Verkündigung. Die daran angeschlossenen „theologischen Theorien" (Lehren der

Apostel) gelten als sekundäre Gedankenreihen, die man nicht mehr

als wesentlich ansehen darf. Eine gewisse Verwandtschaft dieser modernen Anschauung mit Renan läßt sich nicht leugnen.

Er erzählt uns, daß er in

der morgenländischen Pracht und Herrlichkeit des heiligen Landes alle die Exegeten vergessen habe, die von Jahrhundert zu Jahr­

hundert vom

bis

rauhen Paulus

zum

Calvin Christi

herben

Gedanken verdreht und entstellt hätten. Es ist bei dem ein­ fachen Manne begreiflich, wenn er in Gewißheit seines Glaubens erwidert:

sagen,

gesetzt,

so möchte

Johannes

und

es wäre wirklich an dem, was die Gegner

ich

lieber

unzähligen

mit im

einem Paulus,

Glauben

selig

Petrus

und

Heimgegangenen

21 Jüngern Jesu Christi auf dem Irrwege sein als mit Ritschl und seinen Nachfolgern auf dem rechten Wege gehen — wenn anders

bei un§ Majoritäten und Autoritäten entscheiden, wie uns ja vorgeworfen wird. Gott sei Dank, daß hier andere Gründe entscheiden,

die nicht auf theologischen Erkenntnissen

den Ergebnissen geschichtlicher Forschung beruhen.

noch

auf

Wenn unsere

Gegner ähnlich betonen: was nur für die Gelehrten vorhanden,

was

historisches

Problem

wahrscheinlich gemacht

ist

werden

und

nur

mit

vieler Mühe

kann,

hat

nicht

die

Gewalt,

den Glauben zu erwecken oder zu begründen, so richten sie damit

nur sich selber, ohne es zu merken.

Denn zu ihrer Lehre vom

Glauben gehört in der That ein gut Teil ihrer Theologie und der Ergebnisse ihrer geschichtlichen Forschungen. Wir aber haben einen andern Christus.

7. Es ist ein merkwürdiges Ding, von Jesu Persönlichkeit einen

so gewaltigen Eindruck herzuleiten, daß er noch heute die Herzen

bezwingt und zur Wahrheit und zu Gott führt, und dann derselben Persönlichkeit Jesu nicht einmal so viel Kraft zuzuschreiben, daß sie

die Augen- und Ohrenzeugen vor einem falschen Jesusbild und vor irreführenden Lehren über das durch ihn gebrachte Heil be­ wahren konnte. Es ist schier unbegreiflich. Die angeführten dogmen­

geschichtlichen Gründe können uns um unseres Gewissens willen nicht überzeugen. Selbst wenn wir hier von der Frage nach dem norma­ tiven Charakter der heiligen Schrift absehen, legt es doch eine rein historische Betrachtnng der ältesten Kirche nahe zu fragen: warum ist zwischen dem apostolischen und dem nachapostolischen Zeit­

alter sowohl in Glaube als Erkenntnis und Leben ein so gewaltiger Unterschied? Ein Blick in die apostolischen Schriften und in die der sogen, apostolischen Väter beleuchtet uns einen Abgrund, der

sich zwischen der Geistesfülle und Glaubensmacht jener und der mangelhaften Glaubenserkenntnis dieser aufthut, wie er in Anbetracht

des geringen Zeitunterschiedes gar nicht tiefer sein kann.

Um den

Sprung über diesen Abgrund leicht zu machen, wird an den

Aposteln und ihren Schriften kritisiert, ihre Verdienste um die Er­ kenntnis des Glaubens verkleinert und eine Geschichte konstruiert,

22 wie sie zwar zum System paßt, aber

eigentlich nur ans den

schwachen Grundlagen innerer Gründe aufgebaut ist. Die mit Stolz den historischen Charakter aller Theologie und am meisten ihrer eigenen Theologie betonen, vergessen gerne das

einfache Grundgesetz, daß eine Idee oder die Auffassung einer Thatsache nach ihrer Bedeutung wohl im Laufe der Jahrhunderte menschlicher Ueberlieferung und Entwickelung manche Veränderung

durchmachen kann, daß aber, wenn Kern und Wesen sich ändern, auch unbedingt ein anderer Name geboten ist. Wenn vor 1800 Jahren diejenigen sich Christen nannten, welche im Tode Jesu

ihres Lebens einzige Zuversicht und gewisse Hoffnung ergriffen rind zu diesem Jesus als zu Gott beteten, und wenn heutzutage

diejenigen die rechten Christen zu sein behaupten, welche von der Herrlichkeit des Menschen Jesus ergriffen durch ihn und in ihm Gott erkennen, aber das Gebet zu ihm als eine zum mindesten

zweifelhafte Sache ansehen, wie können bei solch grellem Wider­

spruch die von heutzutage sich für die berechtigten Nachfolger jener halten? Wenn vor 1800 Jahren die geschichtlichen Thatsachen aus

dem Leben des Herrn mit Genauigkeit und Gründlichkeit erforscht wurden, um mit Hülfe vieler Zeugen der Wahrheit gerecht zu werden, und heute nach jahrhundertelanger Ueberlieferung dieselben

Thatsachen für unwesentlich erklärt oder anders verstanden und gedeutet werden wie damals, so ist das ein so gewaltiger Gegen­ satz, daß billigerweise die Frage aufgeworfen wird: sind die

Christen von heute die Nachfolger

der damaligen?

Aber die

Geschichtswissenschaft! sagt man uns. Die Geschichtswissenschaft zwingt uns, und sie ist erst in unserem Jahrhundert entstanden.

Nun ist es mit historischen Gründen eine eigene Sache.

Sie

werden unbeschadet der persönlichen Aufrichtigkeir und Ehrlichkeit gerne vorgeschoben, um tiefer liegende Gründe zu verdecken und

um der großen, unaufgeklärten Menge in die Augen zu stechen. Oft genug ist gezeigt worden, wie man mit den Mitteln der Ge­ schichtswissenschaft allein alles zu beweisen versuchen kann.

Und

wenn allerlei s. g. innere Gründe manche geschichtlich so sicher als möglich

beglaubigten Thatsachen

unwahrscheinlich

gemacht

haben, so muß die Geschichtswissenschaft trotz alledem diese That­ sachen in das Gebiet der Sage oder Erfindung verweisen.

23 Handelt es sich nun um einen Gegenstand des Glaubens, so spricht neben der Geschichte ein zweiter, sehr wichtiger Faktor mit, das ist ein etwas in uns, mag maus Herz oder Gemüt, oder wie wir am liebsten möchten, Gewissen nennen. Dies bringt jedermann zu seiner geschichtlichen Forscherarbeit mit. Und das ist der Grund, warum die Ergebnisse der geschichtlichen Wissenschaft auch auf dem Gebiet des Neuen Testaments und demzufolge die Auffassungen dessen, was zum Heil der Menschen dient, so verschieden sind. Unsere Gegner leugnen ja gar nicht, daß der Glaube eine Sache unseres Inwendigen sei. Im Gegenteil, sie wollen es stärker als je betont haben, daß die Geschehnisse in unserem Innern den Glauben konstituiren und fügen hinzu, daß die Geschehnisse in unserem Inneren nur durch Geschehnisse in einem anderen Inneren hervorgerufen werden können, daß unser Glaube sich am inneren Leben Jesu ent­ zündet. Nun wird vom inneren Leben Jesu auf keinem anderen Wege als dem historischen uns Kunde, und Jesu inneres Leben wird allein aus geschichtlichen Thatsachen, die also genügend bezeugt und begründet sein müssen, erschlossen. Darüber herrscht Einverständnis. Allein wieviel geschichtliche Thatsachen dazu nötig sind oder ge­ nügen, bedarf einer besonderen Feststellung: darüber ist Streit. Wir hehaupten nun: wenn unsere Gegner in diesem Punkt sehr genügsam sind, so haben andere als historische Gründe dazu genötigt. Wenn wir mehr verlangen, so folgen wir nicht blos unserem Drang nach geschichtlicher Wahrheit, sondern etwasAnderem. Es kommt auf dieErfahrungen an, welche ein Mensch in seinem Inwendigen gemacht hat. Die Rationalisten ließen sich an dem Tugendprediger Jesus genügen. Sie kannten kein sündliches Verderben, sondern nur eine gewisse Thorheit des menschlichen Verstandes und eine gewisse Schwäche des menschlichen Willens, im Uebrigen priesen sie die angeborene Güte des Herzens und das Glück eines tugendhaften Lebens. Darum brauchten sie nicht mehr als einen Heiland, der durch seine Lehre und durch sein Beispiel den Menschen ermuntert, wie die Mutter das Kind, das kein Vertrauen zu sich selbst hat, durch ermunternde Worte zu allem, was sie will, antreibt. Wenn wir nun aber die Erfahrung gemacht, die Paulus von sich bezeugt: „ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleisch, wohnet nichts Gutes," wenn wir durch alles freundliche Zureden und Ermuntern

24 seitens eines Heilandes, der uns verkündigt: habt nur guten Mut, ihr irrt euch, Gott will euer Bestes und kann euch gar nicht strafen, das leidet nun einmal seine Liebe nicht, wenn wir durch

alles das uns nicht beruhigt fühlen, sondern wie ein heller Blitz

in unsere Nacht das Wort hineinleuchtet:

„das ist Gottes Lamm,

welches der Welt Sünde trägt"; wenn wir nun erlangen, was

wir bisher vergeblich gesucht, ein gutes Gewissen, Frieden im

Herzen, Freudigkeit zu leben und zu sterben, wer in aller Welt will kommen und sagen: „nein, das sind beschränkte Vorurteile,

das ist ein geborgtes Rückgrat alter Zeiten, ihr täuscht euch über euch selbst! Eures Glaubens Grund ist nicht eine Thatsache, sondern

eine Behauptung, die ihr euch von anderen geben laßt.

Ihr

verlangt von uns, daß wir den Glauben anderer durch unseren Entschluß uns aneignen sollen".

8. Cs

wird

im letzten Grunde

immer

die Erkenntnis

und

Erfahrung von der Sünde sein, welche darüber entscheidet, was Glaube ist. Und so groß die Macht der Sünde in der Bibel, so klein erscheint sie bei unsern Gegnern.

Gewiß hören wir auch

hier viel von der Sünde, aber es ist nicht im Sinne der Bibel. Es ist nicht die Sünde, welche Gott und den Menschen objektiv

von einander scheidet, welche eine tiefe Kluft zwischen Gott und den Menschen befestigt.

Sondern auch in der Sünde bleiben Gott

und Mensch mit einander verbunden.

Gott bleibt den Menschen

geneigt, nur glauben es die Menschen Gott nicht.

Die tiefe Kluft

hat nur der Mensch sich ausgedacht, das ist eben auch Sünde. Aber die Kluft ist thatsächlich

vorhanden, und von dem Irrtum die Menschen zu überzeugen, als ob eine Kluft vorhanden nicht

wäre, das heißt ihnen die Sünde abnehmen. Wir aber wissen es anders. Nach unserer Ueberzeugung grenzt es an Blasphemie

— man verzeihe den harten Ausdruck — wenn jemand bei der Erklärung des zweiten Artikels den Konfirmanden fragt: hast du

schon einmal jemanden erlöst? und das Kind soll darauf „ja" ant­ worten lernen. Denn, so ist die Meinung, wenn Menschen sich entzweit haben, und der eine zürnt dem andern, spricht aber her­

nach zu ihm: laß gut sein, wir wollen uns wieder vertragen, und er erzeigt ihm Freundlichkeit, so ist die Entzweiung aufge-

25 hoben, die Sünde abgethan.

Wie?

So käme es ja nur auf die

Menschen an, ob sie sich einander und ihrem Gott zugethan sein

wollen: dann wäre die Erde ein Paradies?

So ist es gemeint.

Für uns aber bleibt es: ob die Sünde groß oder klein, so trennt

sie uns ihrem Wesen nach von Gott und Gott von uns, und das

ist unser Unglück alle Tage. Wenn ich gegen meinen Bruder mich schwer vergangen habe, und er versichert mich hundertmal: ich habe dir vergeben, und er zeigt mir mit seinem Verhalten,

daß ich wieder Zutrauen zu ihn» haben darf; es wird dennoch ein Stachel in meinem Herzen bleiben, und den werde ich nicht eher los,

als bis sich Gott selbst meiner erbarmt und mir in

Christo Jesu und seinem am Kreuz vergossenen Blut die Gewiß­ heit schenkt: deine Sünde ist thatsächlich vernichtet, und ich so mit

meinem Gotte ins Reine gekommen bin. Schon im ganzen Alten Testament ist der Grundgedanke, daß alles nach Vergebung der Sünden zu Gott schreit. Mose

und die Gesetzgebung am Berge Sinai, die gottesdienstlichen Ein­ richtungen der Stiftshütte und des Tempels, alle Gebote und Vorschriften im Gesetz, alle Weissagungen und Hoffnungen in bett Propheten, alles weist hin nud strebt hin nach einer Vergebung

der Sünden bei Gott, wäre.

die vollkommen gültig und unbeschränkt

Die ergreifenden Bußstimmen in den Psalmen, in Jesaja,

Jeremia und allen Propheten sollten auf Selbsttäuschung beruhen? War es nur ein verzeihlicher Irrtum, daß sie auf Vergebung der

Sünden warteten, da sie dieselben längst hatten oder wenigstens

hätten haben können? Aber, sagt man uns, die Frommen des Alten Testaments haben doch auch schon von einer Vergebung der

Sünden gewußt und sich derselben gefreut, und das ist doch wohl eine reale Vergebung der Sünden gewesen, deren sie sich rühmten? Daß Gott dem Volk des Heils unter gewissen, in seinem Wort vorge­

sehenen Bedingungen Vergebung, wahrhaftige völlige Vergebung zusicherte, steht auch uns fest. Die Vergebung wurde dem Bußfertigen

aber in der Regel auf Grund eines Opfers zu Teil; ohne Blut keine Versöhnung.

Daß diese Opfer Schatten waren, welche das große,

wahrhafte Versönungsopfer, das der Geist der Weissagung ver­

kündete, vorauswarf, empfanden die Frommen des alten Bundes

so sehr, daß sie sich im Warten auf die Erfüllung der Ver-

26 heißung verzehrten. Die Versöhnung, welche jede Scheidewand zwischen

Gott und den Menschen aufhob, war eben noch nicht erschienen.

Das wird aber von unsern Gegnern bestritten. sollte in Christo

eben

das Reich Gottes,

Nach ihnen

erst zu Israel,

dann

zu allen Menschen kommen, und in ihm hätten dann alle Menschen Vergebung der Sünden,

wenn

sie

kündigte Vaterliebe Gottes stellten.

sich unter die von ihm ver­

wenn

Aber

nicht um

der

Sünden willen, warum bedurfte es dann einer so langen Geschichte vor Christo,

bis das Heil verwirklicht

Warum mußte

wurde?

erst alle Welt, Juden und Heiden, vollständigen, sittlichen Bankerott machen, ehe Gott sich ins Mittel legte? Warum begann Gott nicht

alsbald nach dem Sündenfall die Menschen in seiner Gemeinschaft festzuhalten und betonte nicht immer wieder und wieder: ich bin

euch gut, Freunde?

ihr Menschen glaubt es nur,

Warum das

alles,

wenn

so sind wir die besten die Sünde sich wie

nicht

ein mächtiger Bann zwischen Gott und die Menschen gelegt hätte, und weder Gott um seiner selbst willen, noch die Menschen um Gottes willen ihn wegthun konnten? Warum ist das erste Wort der öffent­ lichen Verkündigung des Bahnbereiters Jesu und des Heilandes

selbst: thut Buße,

d. h. weg mit der Sünde?

Warum ist es

eins der letzten Worte des Herrn vor der Himmelfahrt: Christus muß predigen lassen in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden

unter

allen Völkern?

Kurz

die

ganze Geschichte des

Heils verliert ihren roten Faden, wenn nicht die Vergebung der Sünden als Anfang imb Ende der Wege Gottes und des Glaubens

erkannt wird. Diese Geschichte stimmt

mit

unserer

Erfahrung überein.

Wer die Geschichte des Heils anders versteht, beweist nur, daß er

eine andere Erfahrung mit der Sünde gemacht hat.

Hier ist der

Graben, über den wir nicht hinüber können, vor dem wir hüben, und jene drüben stehen

bleiben

müssen.

Ueber Geschichte

und

Theologie mögen wir uns streiten, Kritisches und Dogmatisches

können wir wider einander erörtern: was Sünde ist, läßt sich niemand vordemonstrieren noch aberkennen; was Sünde ist, läßt

sich nicht nachweisen,

noch widerlegen,

Gewissen erfahren sein. einen Raub ergreift, der

Wer mag

sondern

die Vergebung

das

will im

der Sünden

als

sich ihrer für sich selbst trösten:

27

aber er soll es wohl unterlassen, und ihm sein sündliches Verderben, disputieren zu wollen.

sie jemand aufdrängen das er fühlt, hinweg­

9.

Darauf wird es also ankommen, wenn wir vor Christus stehen und werden gefragt: weß Sohn ist er? Wir müssen erfahren und erlebt haben, was Sünde ist. Es muß auffallen, daß Jesus den Anspruch macht, der Christus zu sein und alle Hoffnungen Israels zu erfüllen: dabei aber ein Hauptgut der messianischen, die erhoffte Sündenvergebung, lange verschweigt. Er hebt an, Buße zu predigen, und sein ganzes Predigen und Leben ist ein Zeugnis wider die Sünde, er spricht auch einzelnen Kranken und Gesunden die Vergebung zu. Aber von einer allge­ meinen Vergebung der Sünden redet er kein Wort. Auch seinen Jüngern, die er aussandte zu predigen, giebt er zwar viele Aufträge und Weisungen, aber von Sündenvergebung gebietet er ihnen nichts. Erst als seine Person von ihnen erkannt war, da fing er an von seinem Leiden und Sterben zu reden und redete immer wieder davon. Und im Zusammenhang mit seinem Leiden und Sterben spricht er dann von dem göttlichen Werk des Heils, das durch ihn vollbracht wird. Als endlich sein Leiden und Sterben vor der Thüre steht, da — nicht vorher — spricht Jesus auch von einer Vergebung der Sünden für die Jünger und für viele, welche in seinem am Kreuz vergossenen Blut bereitet wird, nämlich da er das heilige Abendmahl einsetzte. Man hat sich dagegen namentlich auf das Gleichnis vom verlorenen Sohn berufen, um eine zu Christi Zeiten vorhandene, vollständig genügende Quelle der Sündenvergebung in der Vaterliebe Gottes zu behaupten. Mit einem Schein des Rechts. Nur übersieht man, daß der Vater, welcher dem verlorenen Sohn entgegenkommt, kein anderer ist, als Gott in Christo, und daß jenes Gleichnis nach Jesu Absicht gerade dazu dienen soll, ihn selbst als Heiland der Zöllner und Sünder im Namen Gottes zu rechtfertigen. Thatsächlich hat der Herr die allgemeine Sündenvergebung für alle Welt klar und deutlich an sein Leiden und Sterben gebunden. Jesus selbst sagt, daß erst durch seinen Tod die Erlösung beschafft, die Vergebung der Sünden herbeigeführt wird. Je

28 schärfer unsere SündenerkenntniZ wird,

um

so

wird

sehnlicher

unser Verlangen nach einer realen Wegschaffung der begangenen Sünden. Mein Gewissen läßt mir. keine Ruhe und bezeugt mir, daß

erst nach vollzogener Strafe

die Sünde abgethan

Dieses

ist.

Verlangen nach Bestrafung der eigenen Sünden ist nicht nur in christlichen Ländern unter dem Einfluß der sogen. Vorurteile vor­

sondern ist eine allgemein-menschliche Erfahrung.

handen,

Sünde eine objektive Macht,

so erheischt es eine That,

Ist

sie aus

der Welt zu schaffen: der Christ, der die Strafe für seine Sünden noch nicht empfangen hat,

weiß sich

gebunden an das Gericht

Gottes und erwartet, ja fordert mit dem Ungestüm seines Ge­ wissens die Bestrafung seiner Sünde seitens Gottes, die über kurz oder lang geschehen soll, er fordert sie und fürchtet sie zugleich. Diese Forderung und Befürchtung ist schon an sich die schlimmste

Strafe der Sünde: sie begleitet den Menschen in seinem Bewußt­ sein und läßt sich vielleicht einstweilen in Schlaf versenken, um

aber bald wieder mit neuer Schreckensmacht aufzuwachen.

Elend,

Not und Tod läßt sich der Sünder, der zur Erkenntnis gekommen

ist,

gern

gefallen,

weil er

weiß:

ich

schlimmsten aber ist ihm die Sünde selbst hörlich

begleitende Bewußtsein

Darin ist

verdient.

Am

und das ihn unauf­

Sünde,

nicht nur das Bewußtsein

aber

Gott enthalten,

der

hab's

sein

Schuldgefühl.

der Trennung von

als ob das eigentlich. Schuld hieße,

wenn ich

enlpfinde: ich bin von meinem Gott getrennt und kann darum nicht zum Glück und Frieden gelangen. meine Sünde gar

Dann

beziehe

ich

ja

nicht auf Gott, sondern im Grunde auf mich

selbst und bejahe kräftig mein eigenes Wesen und meinen eigenen Willen.

Sondern

mein Schuldgefühl sagt mir,

daß

ich

von

Gott getrennt bin, und diese Trennung auf Seiten Gottes als

bestehend anerkannt wird. Darum sucht mich Gott heim und richtet sich drohend, zürnend und strafend wider mich. Und ich

muß es gelten lassen: Objekt seiner

behandeln. Größen.

Gott

Drohungen,

hat ein Recht dazu,

mich

als

das

seines Zorns und seiner Strafe zu

Gott und ich sind nicht geschiedene, sondern feindliche Gott und ich gehen nicht gleichgültig an einander vor­

über, sondern stehen sich feindlich gegenüber.

Wo in aller Welt

29 finde ich den Mut, diese Thatsachen, die ich erlebe und die jeder

tief genug in sein Inneres hinab­

Christ erleben kann, welcher

steigt, einfach wegzustreichen, oder durch die Behauptung, sie seien

irrtümlich und Gottes allmächtige Liebe könne, wie alles, so auch diese Irrtümer heben, sie mir wegstreichen zu lassen? Hier ist niemand, der helfen kann als einer, der das Gericht und die Strafen Gottes wegnimmt unb doch sich auswirken läßt. Er muß zugleich , das Schuldgefühl der Menschen und die Be­

rechtigung Gottes zum Gericht und zur Strafe bejahen und doch zugleich auch das Schuldgefühl der Menschen und die Berechtiguug Gottes zur Strafe und zum Gericht verneinen. Bejahen: sonst ist Gottes Heiligkeit illusorisch gemacht, und das Gewissen des Menschen wird betäubt.

Verneinen: sonst bleibt Gottes allmächtige

Liebe unwirksam, und die ganze Menschheit muß verworfen und

verdammt werden. Beides thut Gott selbst an sich in dem Menschen Jesus Christus. Im Kreuz erkenne ich Gottes Heilig­

keit in ihrer ganzen Größe mich vernichtenden Gewalt.

und meine Schuld

in ihrer ganzen

Im Kreuz erkenne ich aber auch die

Liebe Gottes in ihrer unerreichbaren Majestät und die Austilgung aller Schuld trotz meiner völligen Unwürdigkeit.

Hier ist der,

der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, und weil der heilige Gott in Christo lieber selbst sein Leben darangab,

um alle Konsequenzen der Sünde auf sich zu nehmen, als daß ich sollte dem Gericht Gottes verfallen, darum habe ich nicht den Eindruck, die Ueberzeugung, die Gewißheit: Gott ist nur gnädig, sondern ich sehe die That Gottes als den objektiv-realen Grund

vor mir, auf dem wirklich und wahrhaftig mein Heil beruht. Diese That kann nimmermehr wankend gemacht

werden.

An

diesen Thatbeweis der Heiligkeit und Liebe Gottes, meiner Schuld

und der mir zugesagten Vergebung halte ich mich.

ich das Heil in Christi Tod.

Dann habe

Das ist der Glaube, der einen

gnädigen Gott hat, der seines Heils gewiß und froh ist.

10. tod

Die Auferstehung macht diesen einmal geschehenen Kreuzes­ gültig für alle Zeiten. Der aus dem Grabe erstandene

Christus, dessen Leib nicht verwest, sondern unmittelbar zur göttlichen

Herrlichkeit eingegangen ist,

der ist der Bürge dafür,

daß das

30 einmal erworbene Heil mir und allen Menschen seitdem und noch

ferner ausgeteilt wird, jedem, der's immer begehrt.

Auf einen

von dessen Fortexistenz die Jünger wie von- derjenigen

Jesus,

jedes anderen Verstorbenen überzeugt wäre«, auf einen Jesus, welcher den vorher ungläubigen Jüngern in einer oder mehreren

Visionen erschienen war, hätten sie niemals einen bergeversetzenden

Glauben gebaut.

Wer die Wahl hat

zwischen

„rätsel­

einen:

haften Vorgang", der immerhin zur Begründung der Glaubens­ überzeugung der Jüuger angenommen werden müsse, und

der

einfachen, schlichten Bezeugung aus dem Munde der nach unseren

Berichten eigene in

gar

Seele

nicht einen

wundersüchtigen festen

der Vergangenheit

vor

Ankergrund

mehr

als

Jünger, seiner

für

wer

Hoffnung,

1800 Jahren,

die

nicht

sondern

einen solchen, der in der Gegenwart gleich gewiß ist wie in Ver­

gangenheit und Zukunft, sucht, der folgt den Aposteln und den Gläubigen aller Zeiten, nicht um ihretwillen, sondern um Gottes

willen und um seiner selbst willen; um Gottes willen, der seinen

eigenen Sohn, nachdem er auf wunderbare Weise in die Welt getreten war, wiederum auf wunderbare Weise aus der Welt zu sich nahm; um seiner selbst willen, weil hier ein fester, ewig

gleicher Grund des Heils, unabhängig öott allen Stimmungen und

unmeßbar nach eigenen Erwägungen,

ihm gegeben ist.

Neben

dem Kreuzestod Christi ist daher seine Auferstehung seit der Apostel

Zeiten der rechte Grund des seligmachenden Glaubens. Denn mag die apostolische Verkündigung auch die Bekannt­ schaft mit den Vorgängen aus dem Leben des Herrn voraussetzen, so beschränkt sie selbst sich doch auf den Tod und die Auferstehung

des Herrn als Grund des Heils.

Damit steht in Zusammenhang,

daß das erwartete große Heilsgut der messianischen Zeit, die all­ gemeine

Sündenvergebung,

auf

die der Herr während

seines

Erdenwandels nur weissagend gewiesen hat, seit seinem Tode und

seiner Auffahrt jedermann angeboten wird.

Was will es dem

gegenüber heißen, wenn nach

1800 und mehr Jahren Schrift­

gelehrte kommen und es besser

zu wissen behaupten:

die Apostel

haben den Herrn, sein Leben und sein Werk falsch verstanden.

Nicht in seinem Tode, sondern in seiner Predigt und in seinen:

Wandel steht seine Erlöserkraft.

Was er bei seinen Lebzeiten auf

31 Erden gesagt und gethan, war die Darreichung der Vaterliebe Gottes und die ebenso vollkommen genügende Erlösung als je sein

Kreuzestod,

der nur

aus

zufälligen,

nämlich

zeitgeschichtlichen

Gründen zum Opfer für die Sünden der Welt gemacht ist. Allein

der Tod Christi ist nicht an den Opferbegriff, sondern umgekehrt der Opferbegriff an den Tod Christi angelehnt, daher statt des Opfers auch andere Bilder wie von dem leidenden Gottesknecht und von dem Lamm Gottes nebenher .gehen. Den Aposteln in erster Linie ist der Geist, der in alle Wahrheit leitet, verheißen,

nicht den Theologen und Gläubigen des neunzehnten Jahrhunderts. Diese sind allerdings an die von den Aposteln überkommenen

„Vorstellungen"

gebunden.

Aber das sind keine blosen

„Vor­

stellungen", die der wahren Auffassung jener Dinge inkongruent

sind, sondern sie treffen sachlich das Richtige.

Die Apostel waren

unmittelbare Zeugen des Herrn, alle ihre Nachfolger, aus unserem Jahrhundert, mittelbare.

auch die

Ob diese darum auch aus

historischen Gründen sich unabhängig gemacht haben wollen von

allen „falschen Voraussetzungen", die aus dem Alten Testament

und aus der griechischen Philosophie stammen, und jetzt sagen: das ist Gottes Wille und Weisheit gewesen, in der Persönlichkeit Jesu Christi und in allem, was er gesagt, gethan, gelitten hat, der sündigen Welt das Heil darzubieten: so ergänzen sie keineswegs

den verstümmelten Christus wieder, noch setzen sie statt des ge­

kreuzigten den ganzen Christus,

wie sie meinen, in seine Rechte

als Erlöser ein, sondern jene selbst sind die Verstümmler, indem sie statt des ganzen Christus von der Geburt an bis zur Aufer­ stehung uns nur ein sogen, inneres Leben lassen. Ob es Gottes

Wohlgefallen gewesen,

seine Kirche

achtzehn Jahrhunderte

im

Irrtum zu behalten und zwar gerade im entscheidenden Punkt der

Grundlegung des Heils, das mögen unsere Gegner selbst beant­ worten.

Summa: Der neue Glaube ist ein Mißglaube, weil er einen anderen Christus hat als das Evangelium.

Die Berufung auf

die Wahrheit, daß keiner Herr sei über den Glauben des anderen,

verschlägt

hier

nicht,

noch

weniger

Heranziehung von Röm. 14, 1 ff.

die

wiederholt

geschehene

Dort handelt es sich im Ver-

32 hältnis zu den grundlegenden Fragen des Heils um abgeleitete Sätze, welche bestimmte Einzelfragen des Christenlebens betreffen. Wir möchten lieber Galater 6, 1 anwenden und wollens auch unseren

Freunden im anderen Lager nicht verwehren, wenn sie uns mit dem

daselbst empfohlenen sanftmütigen Geist begegnen. Wir bleiben aber dabei: der rechte Glaube kann nur da zur Lebenserfahrung werden, und der rechte Christus nur da erkannt sein, wo zuvor die Sünde als eine Gott vom Menschen und den Menschen von Gott scheidende Macht erfahren ist, die beiden, der Heiligkeit Gottes und der Seligkeit des Menschen, widerstrebt. Der rechte Glaube ist eine

so wunderbare, eigenartige, göttliche Pflanze, daß er nicht jeder­ manns Ding ist, auch nicht immer dessen, der willig zu sein meint.

33

Die heilige Schrift «nd der Mauke. "Weber evangelische Christ beruft sich für die Wahrheit seines Glaubens, jede Sekte in der evangelischen Kirche, jede theologische Richtung alter und neuer Zeit innerhalb des Protestantis­ mus bezieht sich für die Wahrheit ihrer Lehre auf die heilige Schrift

und auf die Erfahrung. Ueber Erfahrungen läßt sich schlechterdings nicht streiten, sie sind individuell bedingt. Um so mehr ist von jeher über die heilige Schrift und ihren Wert in Lehre und Leben der Kirche und der einzelnen Christen gestritten worden.

Nun ist aber die Schrift zunächst, äußerlich angesehen, nichts als

ein totes Buch, aus dem jeder herausliest was er will — und jede kirchliche Gemeinschaft und Sekte, jede theologische und kirch­ liche Richtung will den wahren Sinn der Schrift für sich besitzen. Also in d e r Meinung dürfen wir nimmermehr an eine Erörterung

über die heilige Schrift gehen, als ob hier auf diesem Gebiet leichter eine Verständigung oder gar eine Einigung zu erzielen wäre, als über den Glauben, dessen rechtes Verständnis heutzutage im

Mittelpunkt theologischer Kontroverse steht. Sondern der Streit um die Schrift läßt einen weiten Spielraum zu Auseinander­

setzungen, weiter vielleicht, als der Streit um die meisten anderen Gegenstände, weiter insofern er mehr Personen zuläßt, weiter auch,

weil mehr Sachen hierher gehören.

Was die Personen betrifft:

mancher redet über die Schrift mit,

obschon er nicht den rechten

Glauben hat; doch keiner, der den Glauben hat, steht der Schrift fern. Wir wollen uns darum nur mit denen auseinandersetzen,

welche mit Glauben, wenn auch mit andersartigem, mangelhaftem, falschem Glauben an die Schrift herantreten. Was die Sachen angeht: in der Schrift finden sich mancherlei Erzählungen und Gesetze,

Verheißungen und Anerbietungen Gottes,

die

mit dem

rechten Glauben in mehr oder weniger losem Zusammenhänge stehen. Wir wollen daraufhin die Schrift ansehen, was sie dem

alleinseligmachenden Glauben ist. 1.

Auf die Lehre von der Schrift wurde mit Recht jedesmal zurückgegangen,

wenn

ein Streit

über

irgend

eine Frage der

christlichen Lehre oder des christlichen Lebens

entbrannte.

ist gewiß richtig, wie niemand bestreiten wird.

Hinwiederum vom

II.

3

Das

34 Streit um die Schrift ging man alsbald in die Tiefen des gläu­ Denn nicht bloß bestimmt die Auffassung

bigen Herzens hinab.

von der Schrift, was Glaube ist; sondern umgekehrt ist auch die Auffassung der Schrift vom Glauben abhängig; so daß also, wie

die Ausführungen über das, was Glaube ist, auf den Aussagen der Schrift beruhen, ebensowohl die Aussagen über die Schrift Ergebnisse der eigenen Glaubens-Stellung sind. Warum ist denn für die Bestimmung, Darstellung und Gewinnung des

alleinseligmachenden

Glaubens

in welchem Sinn ist sie es,

heilige

die und

warum

Schrift können

maßgebend,

und

dürfen

keine anderen glaubenweckenden Zeugnisse vom Glauben ihr gleich­

gestellt werden?

Dazu

muß zuerst auseinandergelegt werden,

was die Schrift ist, und was der Glaube an ihr hat, und wie er sie gebraucht. Zunächst ist es Christ

zuerst und

vor

gewiß

allem

falsch,

wenn

der Heranwachsende

mit der Lehre

von der heiligen

Schrift und allen dogmatischen Bestimmungen über ihre Eigen­

schaften gesättigt wird. Das ist gerade so, als wenn Schüler höherer Lehranstalten sich zuerst fertige Urteile über klassische Schriftsteller und ihre Werke aneignen, ehe sie eine Auswahl von diesen kennen gelernt haben. Die Lehre von der Schrift und

ihrer Bedeutung muß sich in erster Linie aus der Schrift selbst ergeben.

Auch sind es lauter Fragen zweiter Ordnung, wie die

Schrift entstanden ist, wer die Verfasser der einzelnen Bücher

sind, zu welchen Zeiten sie geschrieben haben, und was dergleichen

Gegenstände der Untersuchungen in biblischen Einleitungen mehr zu sein pflegen.

Uns und der ganzen Christenheit liegt die Bibel

als ein fertiges Ganze vor,

und zunächst haben wir sie als

solches zu gebrauchen. Da gewinnen wir nun aus allen ihren Teilen, int Ganzen genommen, den übereinstimmenden Eindruck, daß

hier Gott selber vor uns Hintritt, daß Gott selber zu uns

und den Menschen redet, daß Gott selber mit den Menschett handelt. Die Bibel erzählt uns nichts mehr rind nichts weniger

als die Geschichte des Verkehrs, den Gott der Herr von Anfang an mit den Menschen gepflegt hat, die Worte, tvelche er zu ihnen gesagt, die Thaten, welche er an ihnen vollbracht, die Bedeutung

jener Worte und Thaten, die Erfahrungen, ivelche er in ihnen

35 geweckt hat: solchen Eindruck rnacht die Bibel unmittelbar, ohne

Zuthaten, ohne Kommentar, auf einen jeglichen Menschen, der ein offenes Ohr, ein empfängliches Herz, einen Sinn für die Wahr­

heit heranbringt, ohne, daß es auch dazu irgend welcher wissen­ schaftlichen Ausrüstung bedarf, die oft sogar recht hinderlich ist. Diesen

Eindruck

macht die

heilige

Schrift

noch

heute

unwiderleglich in der Heidenwelt, und des öfteren haben Menschen, die zuvor von der Bibel nichts gewußt, und keine Lehre von ihr

und ihrer Bedeutung kannten, bezeugt, daß dieses Wort als solches

ihre Gewissen überzeugt und sie in eine neue Welt versetzt habe. Es gehört nicht der Heilsglaube dazu, ihre Herzen ergriffen,

um solche Erfahrung mit der Bibel zu machen, sondern einfach

das menschliche Herz, wie es Gott der Herr einem jeden von uns zugeteilt hat, verdorben durch die Sünde, aber auf seinem Grunde verborgen die Sehnsucht nach Erlösung, die anima naturaliter christiana, wie Tertullian sie nennt. Auch wenn nicht ausdrück­

lich gesagt wird: Gott redete und sprach, auch wenn nicht aus­

drücklich dasteht: Gott that und thut dies und das — das erzählen ja auch andere religionsgeschichtliche Urkunden — nein selbst in einem vom Centrum des Glaubens so entlegenen Buch wie dem Buch Esther,

in dem nicht

einmal der Name Gottes

genannt

wird, ist Gott und sein Werk an dem Volk seines Heils deutlich. Vor allem in dem Leben des Herrn Jesus, in seinen Predigten, Wundern und Thaten, in seinem Leiden und Sterben wird offen­ bar, daß hier Gottes Macht und Güte, daß hier übermenschliche

Herrlichkeit und Hülfe uns erscheint. Das ist auch das Be­ rechtigte an der sogenannten modernen Theologie, daß Jesu inneres Leben den: Menschen zum Glauben zwinge.

Ihr Fehler ist aber,

daß sie hierbei stehen bleibt und es nicht Wort haben will,

wir, wenn wir erst s o weit sind,

es

nur mit der

daß

vorlaufenden

Gnade zu thun haben, der Glaube aber noch etwas ganz anderes ist. Wir bedürfen noch viel inehr als dieses Eindrucks von der überwältigenden Macht des innern Lebens Jesu, und ehe wir zu

dem durchdringen, w,as Schrift und Kirche Glauben nennen, muß noch etwas mehr erlebt sein, als was ein jeglicher Mensch mit offenem Herzen und Sinn für Wahrheit erlebt hat, ehe er der heiligen Schrift näher trat.

36

2. Das ist aber gewiß, daß

Doch wir wollen nicht vorgreifen. wir in der Schrift

ein Wort vor uns haben,

seine Thaten uns offenbar werden.

in dem Gott und

Tas ist der erste Eindruck,

den ein Mensch empfängt, welcher hernach zum Glauben kommt. Das ist der erste Anfang des Glaubens oder desjenigen Gottes­ werks,

durch

das Gott den Glauben

Menschen für den Glauben bereitet.

im Menschen

und

den

Wer nicht beständig in der

Taufgnade geblieben ist — und wie wenigen Menschen ist das iin vollen Maße des Wortes zu Teil geworden — hat in der

Regel diese Erfahrung gemacht, daß der Anfang zu einer Wendung

seines bisherigen inneren und äußeren Lebens in der Art geschah: von irgend einem Bibelwort (ganz abgesehen von dem, was er von der heiligen Schrift und ihrem Wert früher einmal aus­ wendig gelernt hatte) ward er ins Herz und Gewissen getroffen,

und er mußte sich sagen, wie sehr er sich vielleicht dagegen sträubte: das ist Wahrheit! das ist Gottes Stimme! Und folgte er diesem Zug des heiligen Geistes, so hatte er zwar noch lange nicht den seligmachenden Glauben. Aber dies war sein erstes

Erlebnis, wenn er sich eines solchen zu erinnern weiß, in welchem er mit Gott in innerliche Berührung getreten ist. Ob ein Mensch

sich also offen zur Schrift stellt und sich ihr hingiebt, das hängt von dem wunderbaren Zusammenwirken göttlicher Führung und menschlichen Willens ab.

Wann und wie es geschieht, und warum

es bei Unzähligen nicht geschieht, das ist eins von den Geheim­ nissen, welche Gott seiner Weisheit vorbehalten hat, und das wir mit dem Namen „freier Wille" zu erklären oder vielmehr zu verhüllen pflegen. Nach dem ersten Anfang gehts rasch weiter. Von einer zuvor erfahrenen und nun auch in der Schrift erkannten und

dadurch zum Bewußtsein gebrachten Wahrheit kommt der Mensch zum tieferen Nachdenken und zur Prüfung seines Inwendigen, und durch viel Suchen und fleißiges Forschen findet er mehr und mehr, was ihm zum Heil und Frieden dient, bis er endlich zum Kernpunkte der Schrift hindurchgedrungcn ist, bis er bekennt: ich glaube, daß Jesus Christus ist mein Herr; der Grund, da ich mich

gründe, ist Christus und sein Blut.

Mannigfaltig sind die Wege

37 Gottes, welche er dazu mit den Seinen geht,

daß

er sie zum

Glauben führe, und wenig offenbar, ja sehr oft selbst dem ver­

borgen, der auf solchem Wege geführt wird.

Aber das ist ihnen

allen gemeinsam: an der heiligen Schrift, unmittelbar oder mittel­ bar, wird der erste Anstoß

jit einem neuen Lebensanfang ge­

wonnen, sei es, daß eine Predigt oder ein Spruch oder eine Stelle

aus einem Kirchenliede, sei es daß die Mahnung oder Warnung,

der Zuspruch oder der Trost, sei es daß der ganze Wandel eines Gotteskindes, insbesondere seine Geduld im Leiden, seine Demut bei aller ihm dargebrachten Hochachtung, seine Freudigkeit in allen

Anfechtungen, seine Feindesliebe oder sonst eine Tugend oder ein Lob, ihm in Herz und Gewissen geht.

Eine Erfahrung nach der

anderen macht dem Menschen die Schrift immer göttlicher, und steht er erst im Centrum der

Schrift, in Jesus Christus, dem

Heiland der Sünder und dem Wege zum ewigen Leben, dann ist

ihm die ganze Schrift, in der alles vom ersten bis zum letzten

Buchstaben auf Christum zielt, das Werkzeug der Gnade Gottes und seines heiligen Geistes geworden. Und zwar ist es wesentlich zweierlei in der Schrift, was auf

Erzeugung des Glaubens Einfluß hat.

Zunächst sind es ja Worte,

welche aus der Schrift auf das Menschenherz wirken.

Worte zeugen von den Thaten Gottes.

Aber diese

Nur können die Thaten

zunächst nicht anders uns bekannt werden als durch Worte.

Und

die Thaten Gottes bedürfen der Auslegung in Worten, wie denn

keine That Gottes auch den Zeitgenossen anders als durch Worte

bekannt, bez. verständlich geworden ist.

Worte und Thaten stehen

also in Wechselwirkung, und wir können weder sagen: die Worte

allein, noch: die Thaten allein begründen den Glauben.

Nicht die

Worte allein, denn es sind eben keine bloßen Ideen, in denen es Gott

gefallen hat mit den Menschen zu verkehren,

die in den

Worten zum Ausdruck gekommen wären, sondern Gott handelt

mit uns in Thatsachen, welche geschehen sind.

Aber auch nicht

die Thaten allein: denn Thaten müssen in ihrer Bedeutung ver­

standen werden, und wir wissen aus dem alltäglichen Leben, welch* verschiedene,

ja

jede That zuläßt.

geradezu

einander entgegengesetzte Auslegungen

38

3. Es entsteht nun die Frage: haben alle Thaten Gottes eine

solche Auslegung in der Schrift erfahren, daß sie für uns und alle Menschen giltig und bindend ist? Die modernen Theologen

bestreiten das.

Sie lehren uns, daß allein die Thaten Gottes

für uns bedeutsam sind und unabänderlich für unseren Glauben

feststehen. in

Hingegen die Erläuterung der Thaten Gottes sei zwar

der Bibel versucht, aber der Versuch ist

nur

mangelhaft

gesungen, und er konnte auch gar nicht gelingen, darum weil die Ausleger der Thaten Gottes des geschichtlichen Sinnes entbehrten,

der doch notwendig zum Verständnis der Thaten Gottes als in die menschliche Geschichte eingetretener Thatsachen gehörte.

Erst

in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts versteht man endlich die Thaten Gottes richtig: jetzt weiß man, was Jesu

Worte und Wandel, was Jesu Leiden und Sterben zu bedeuten hat, und ist unabhängig von dem, was die Apostel darüber bezeugt haben.

Das ist nun freilich eine merkwürdige Sache.

Gott „tritt

in die Geschichte ein" und vollbringt diese und jene Heilsthat, den

Menschen aber überläßt er es, sie zu deuten, ja sogar sie als Heilsthat zu erkennen. Oder vielmehr: er giebt ihnen ein gewisses Maß des Verständnisses, aber doch ein so unvollkommenes, daß

achtzehn Jahrhunderte und mehr dazu gehören, um das Ver­

ständnis zu vervollkommnen und zum richtigen zu machen. Damit ist doch eigentlich der ganze Nimbus hin, nicht den Menschen in

früheren Zeiten um die Schrift gewoben hatten, sondern vor allein derjenige, der sich um sie legte, als wir an ihr eine Erfahrung einer innerlichen Berührung mit Gott machten.

Man erwidert

uns: durchaus nicht, denn die eigentlichen „Thatsachen" der Schrift sind keine geschichtlichen Begebenheiten — das sind ja längst ver­

gangene Thatsachen, wir brauchen aber gegenwärtige — sondern die Thatsache xa? e£o^v ist nur eine, das „innere Leben Jesu". Da müssen wir fragen: wie können wir uns mit Gegnern auseinander­

setzen, die auch in Beurteilung der Schrift von Begriffen ausgehen,

welche den unseren so völlig widersprechen? Demnach könnten wir einen großen Teil, ja wohl den größten Teil der Schrift als un­ wesentlich aussondern. Es sind lauter interessante historische und

39

lehrhafte Erläuterungen, die wir in den Ereignissen des Lebens

Jesu und in den apostolischen Briefen vor uns haben, aber für die Thaten Gottes haben sie jedenfalls keine bleiben de Bedeutung. 1800 Jahre hat es bedurft, ehe die rechten erläuternden Worte für die großen Thaten Gottes sich fanden.

Die Folgerung liegt

nicht weit ab, daß vielleicht manche von den vorhergegangenen Thaten Gottes niemals die richtige Auslegung gefunden haben. So hat die Ausführung der Kinder Israels aus Aegypten, als die grundlegende Heilsthat Gottes im alten Bunde anerkannt, höchstens 1500 Jahre für die Kinder der Offettbarungsreligion

ihre Bedeutung gehabt.

Und da nun vor 2—3000 Jahren der

geschichtliche Sinn überhaupt und vor allem das Verständnis und

die Würdigung göttlicher Heilsthaten bedeutend geringer gewesen

sein muß als heutzutage, so ist vielleicht das Volk Israel niemals, weder seine Priester noch seine Propheten, dahintergekommen, was

eigentlich

die Erlösung

aus

dem

Diensthause Aegyptens

nach

Gottes Absicht für sie zu bedeuten gehabt hat? Hier bleibt kein Allsweg: will man die Thaten Gottes, in

der Schrift erzählt, anerkennen und ihre Bedeutung und

ihren

Wert zu bestimmen einem jeden überlassen, dann fahr wohl, alles was Priester und Propheten, Psalmisten und Apostel bezeugt haben. Wir haben ja Geschichtskundige genug, und vielleicht

finden sich noch andere Geschichtsquellen, die uns treuere und bessere Nachrichten geben als die biblischen Bücher und auch eine

noch richtigere Deutung der Thaten Gottes herbeiführen.

Und doch

setzen wir auch hiermit bei unsern Gegnern immer noch zu viel

voraus: es sind nicht einmal geschichtliche Thatsachen im gewöhn­

lichen Sinne des Worts, auf die wir achten müssen, welche nach Gottes Willen unser Heil begründet haben. Nein, im strengen Sinne des Wortes giebt es nur eine einzige Thatsache, nämlich

das innere Leben Jesu, das durch seine Wirkungen auf unsern Geist noch heute gegenwärtig ist jedermann, der sich ihm hingiebt. Darauf reduziert sich also der Inhalt der ganzen Schrift: es sind die geistigen Wirklingen,

gehen.

welche von Jesu innerem Leben

aus­

Das soll der Kern sein, alles Andere gilt nur als Schale.

Jenes allein ist Offenbarung, alles Andere wird des Offenbarungs­ charakters entkleidet.

Und wie anerkennenswert und bestechend es

40 auf den ersten Blick scheinen mag, daß die Person Jesu Christi deutlich genug als Kern und Stern der Schrift hervorgehoben werde, so ist es dort doch ein anderer Christus und eine andere Geschichte und eine andere Weissagung, welche auf ihn hinleitet,

als der biblische Christus, die biblische Geschichte und Weissagung. Nach dieser Auffassung bleibt von dem, was die geschicht­

lichen Urkunden der Schrift berichten, in der That nicht viel mehr übrig, ob wir auf das Leben Jesu oder auf die andere Heilsgeschichte, auf's Centrum oder auf die Peripherie sehen.

Die

Evangelien sollen

an

urkundlichem Wert

für

das,

was

Evangelium ist, vor den Episteln den Vorzug haben, Jesu eigene

Person muß über der Apostel Lehrzeugnis stehen, Jesu Predigt und Wirksamkeit ist normativ im Gegensatz zu derjenigen der

Apostel.

Jesu Leben in seiner irdischen Erscheinung, das soll die

vollkommene Offenbarung Gottes sein: dahinter tritt sein Tod zurück. Wenn wir aber hoffen, hier endlich einmal aus den vier

Evangelien etwas Greifbares zu haben, hier endlich auf dem festen Grunde der Schrift zu stehen,

so

täuschen

wir

uns

gewaltig.

Denn wie Jesus in die Welt getreten ist, das bleibt mindestens ein non liquet, wenn es nicht als gesichertes Ergebnis historischer

Wissenschaft ausposaunt wird, daß er von Joseph und Maria stamme! Die Kindheitsgeschichten müssen befremden wegen des „groß­ artigen Apparats", mit dem Gott das Kind in die Welt einkührt

(Erscheinung

der Engel,

Simeon und Hanna)

gegenüber

dem

stillen Auftreten des Herrn, als er sein Heilandsamt übernahm. Was Jesus von sich selbst und von dem Heil in Gegenwart und

Zukunft, von seinem Wiederkommen und dem jüngsten Gericht gepredigt hat, ist ihm selbst nicht immer klar gewesen und durch­

aus nicht bis aufs Wort verbindlich und unverbrüchlich. dem Tpde ist er

„auferstanden",

gesehen auferstanden,

d. h.

die Jünger haben

Nach

ihn

er existiert auf jeden Fall weiter und läßt

die Wirkungen seines Geistes auf jedermann ausgehen, der sich ihm glaubend hingiebt. Ob er auferstanden ist im Sinn der apostolischen Zeugnisse, muß dahingestellt bleiben. Bezeichnend ist, daß Ritschl in seinem dreibändigen Werk „Rechtfertigung und

Versöhnung" selbst in dem Teil, welcher die Schriftlehre wieder­

geben will, nicht ein einziges Mal die leibliche Auferstehung als

41 geschichtliche Thatsache auch nur erwähnt. Als einziges gesichertes und von keiner historischen Kritik anzutastendes Ergebnis der

gesamten Evangelien - Ueberlieferung

geblieben.

des

Die Briefe

ist das innere Leben Jesu

neuen Testaments

haben nur einen

Wert zweiten Ranges: sie spiegeln das Glaubensleben wieder, welches der erhöhte Christus in den Seinen, sonderlich in denen,

die durch mehrjährigen Umgang ihm nahe getreten waren, erweckt und gepflegt hat: auch viele falsche Glaubenserkenntnis läuft mit unter,

und

in

der Auffassung

der Person

und

des

Werkes Christi sind sie oft dermaßen fehl gegangen,

daß wir zu ihrer Berichtigung durch den rechten Glauben durchaus zuständig

sind.

Auf einseitige Gesichtspunkte, schiefe Darstellungen, verkehrte

Beurteilungen stoßen wir überall.

Einig sind alle nur in dem

einen Satz ihrer Lebenserfahrung: in Christo allein ist das Heil. Das Verständnis und die nähere Erläuterung desselben hat ein

Jeder in seiner Weise versucht, ohne daß er darum für uns vor­

bildlich zu sein braucht.

Im Gegenteil, wir wissen heutzutage

vieles besser als die Apostel damals zu beute«.

4. Wenn die Sache wirklich so stände, was bliebe uns denn

noch vom Neuen Testament?

Wir erkennen ja wohl auch nach

dieser Darstellungsweise immer noch Gott darin, müssen aber so viel Belehrung vorweg empfangen, so viel Bedingungen stellen, so viel

Veränderungen vornehmen, daß es eigentlich wohlgethan wäre, ein verbessertes Neues Testament herauszugeben und darin die

Summa der neuen Lehre zusammenzustellen.

Denn überall ist

ja Wahrheit und Irrtum durcheinander gemengt, bei keinem Wort sind wir in der Lage es unbefangen als solches wirken zu lassen, über den einfachen Sinn, der dem Leser sich aufdrängt, sind wir oftmals genötigt hinwegzulesen, um uns von weltlicher Weisheit sagen zu lassen, was eigentlich gemeint ist; oder wenn man uns auch zugiebt: so ist es gemeint; so wird vielleicht hinzugefügt: aber die gesicherten Erkenntnisse der heutigen Geschichtswissenschaft

belehren uns eines Besseren.

Hat aber schon das Neue Testament

so

viel

von seinem

Inhalt verloren, so möchten wir es beinahe gar nicht mehr wagen,

ins Alte hineinzugehen: wir müssen fürchten, allen Boden unter

42 den Füßen zu verlieren.

Soviel wenigstens sei an dieser Stelle

angemerkt, daß die Offenbarung Gottes in Christo Jesu allein so einseitig betont wird, als sei im Alten Testament gar keine für uns bedeutsame Offenbarung gewesen, gar keine rechte Gottes­ erkenntnis zu Stande gekommen, gar keine für uns noch wertvolle Heilsthat Gottes geschehen, als könne ohne wesentlichen Verlust

für unseren Glauben und das Christenleben das Alte Testament

wegfallen; nur das geschichtliche Verständnis des Christentuins würde freilich darunter sehr zu leiden haben.

Was soll es aber dann heißen, wenn int Neuen Testament die Schrift

als unverbrüchliche Autorität

festgestellt wird?

Wenn

Christus und seine Apostel mit der Schrift argumentieren und

darauf ein „es muß also gehen, es kann nicht anders sein" gründen? Wenn der Herr selbst aus Mose und den Propheten feilten Jüngern die

Notwendigkeit

und die

Bedeutung

seines

Leidens und Sterbens erläutert? Wenn er feierlich versichert: „die Schrift kann nicht gebrochen werden", „die Schrift ist es,

die von mir zeuget", wenn die Apostel alle, ein Petrus, Johannes und Paulus das Alte Testament als Wort Gottes, und als Rede des heiligen Geistes anführen? Gewiß haben sie damit noch keine Inspiration im Sinn der altluthcrischen Dogmatik gelehrt. Ueber» Haupt

haben sie

sich nicht

Kanon stützen wollen,

auf

die Schrift

als

den fertigen

sondern die Schrift ist sowohl dem Herrn

selbst wie seinen Jüngern das göttliche Werkzeug, in welchem nun­ mehr die früher unmittelbar geschehene Gottesoffenbarung späteren

Geschlechtern

bezeugt

wird

und

eben

als

ein Wort

von den

Thaten und Wirkungen Gottes selber göttliche Art an sich trägt.

Um es zu erläutern: Gott hat zu Mose gesagt, du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.

Das

zu Mose geredete Wort

war unzweifelhaft ein Wort Gottes. Wenn dieses Wort Gottes von Geschlecht zu Geschlecht weitergegeben wird, wenn es aus­ geschrieben und nach tausend und mehr Jahren wiederholt wird,

so ist es nun doch ebensowohl ein Wort Gottes wie damals, als

es zum ersten Mal gesprochen oder geschrieben wurde, mag man auch nach so langer Zeit das Wort nicht mehr unmittelbar aus Gottes Mund hören. Oder: Gott hat sein Volk Israel aus der Gefangenschaft Babylons nach dem heiligen Lande zurückgeführt.

43 Diese Heilsthat ist einmal geschehen, aber sie wird weiter erzählt, sind Worte von

sie wird nicht wiederholt,

und was davon erzählt wird, das

Also

einer Gottesthat.

bleibt die Gottesthat

samt ihren Wirkungen im Bewußtsein des Volkes lebendig durch

das Wort,

in welchem von ihr verkündigt wird:

darum heißt

dieses Wort das Wort Gottes. Endlich aber wird durch die von Gott gewirkten Heilsthaten in seinen Frommen ein neues Leben geweckt.

Das neue Leben giebt sich kund auch in der Auslegung göttlicher Worte und göttlicher Thaten, ferner in all den Worten,

welche

aus ihrem auf Gott gerichteten inwendigen Leben hervorgehen.

Es gehört

also • zum Worte Gottes,

Gottes Geist hervorgerufen

zu

den Worten,

geleitet sind,

und

Gottes Werke und Reden gesagt mrd

alles,

die

was

von über

im Alten Testament auf­

bewahrt ist. Gewiß haben weder der Herr noch seine Apostel die Autorität anerkennen wollen, welche den Kanon des Alten

der Männer

Testaments

nach

unbekannten Gesichtspunkten

uns

zusammen­

gestellt haben; das haben sie so wenig gethan, als sie überhaupt

Vielmehr haben sie Gott selbst, seine

von jenen Männern -reden.

Worte und seine Thaten, seine Gedanken und Wege in der Schrift

Und

gesucht und' auch gesimden.

weil sie das

alles gefunden

hatten und Gott selbst ihnen hier begegnete, weil sie darum das

Alte Testament als heilige Schrift und Grundlage ihrer Predigt

und ihres Lebens behandelten, so haben sie darin volles Genüge gefunden und damit allerdings mittelbar die Thätigkeit der Sammler anerkannt, gewiß, daß Gott selber dafür sorge, daß vor: seinen Thaten und Worten nichts untergehe. Es ist demnach ohne

Zweifel

Gottes

richtig,

werden muß.

wenn

daß,

die Rede ist, Oft

das ist

nur

Alten Testament

im

aus

vom Worte

dem Zusammenhang

verstanden

ein einzelnes Wort, eine für einen

bestimmten Fall gegebene Weisung oder eine für eine bestimmte Lebenslage gegebene Verheißung gemeint, oft ist das ganze Gesetz gemeint.

Und wir dürfen nicht ohne weiteres alles, was

im Alten Testament sich von Gottes Wort ausgesagt findet, auf unsere gegewärtige Bibel beziehen,

gar. nicht vorhanden

war.

zumal dieselbe

Aber Gottes Wort

ist

damals

noch

und

bleibt

darum doch das Alte Testament, wie wir gezeigt haben: im Alten

44 Testament spricht Gott zu uns in Worten und Werken, wir hören Gott, wir begegnen ihm, wir erleben ihn. Wir, keineswegs bloß diejenigen, an welche das Wort ursprünglich gerichtet war,

keineswegs blos Propheten und Apostel. Wenns auf die geistigen Wirkungen ankommt, die von einer Person ausgehen, so wollen wir auch von Abrahams und Davids Glaubensleben uns stärken

und

erbauen lassen,

gegenwärtig wirkt. in

dem

Sinn

wieviel mehr,

da hier der lebendige Gott

Gewiß sind Christus und seine Apostel nicht

unsere

Lehrer

die Bedeutung

des Alten

als ob sie sagten:

die Schrift

über

Testaments für unsern Glauben,

ist göttlich, also habt ihr weiter nichts zu fragen und zu unter­ suchen, sondern einfach alles Wort für Wort hinzunehmen, und was ihr etwa nicht versteht, auch dem habt ihr euch selbst wider die Meinung eurer Vernunft einfach zu unterwerfen. Nein,

Sclaven des Herrn Jesu und seiner Apostel sind wir nicht, aber

freie Knechte des Herrn,

wir haben

auch von dem Geist Jesu,

der die Apostel erfüllte, ja in geringerem Grade schon auf den Propheten des Alten Testaments ruhte.

Und durch den Geist

Jesu ist unser Verständnis und Bedürfnis auch für das Wort Gottes im Alten Testament geweckt worden, und wir haben wohl noch nicht ebensoviel darin gefunden, aber wir möchten doch auch so viel darin finden, als der Herr selbst darin gefunden hat,

freilich nimmermehr um uns daran genügen zu lassen, da wir ja Jesum selber haben.

5. Und wo haben wir den Jesum, der mehr ist als das Alte

Testament?

Die Apostel

haben

ihn geschaut

von Angesicht zu

Angesicht, haben ihn gehört, mit ihm geredet, mit ihm gegessen und getrunken, sind mit ihn: aus- und eingegangen, haben sich mit ihm gefreut und getrauert, haben in allen Stücken während seines

Erdenwandels mit ihm Gemeinschaft gehabt.

In

ihm

sah ihr

Glaube den Auserwählten Gottes, den Messias Israels, hernach

den eingeborenen Sohn vom Vater, ja Gott selbst. ihn ausdrücklich „Herrn," „den Herrn", während

der Anrede „Rabbi,

Meister"

Sie nannten sie zuerst an

sich hatten genügen lassen.

Er

war ihnen in Person das Wort Gottes, durch dessen ganzes Leben, Reden, Thun und Leiden Gott selber sich offenbarte als

45 der heilige und gerechte,

gnädige und barmherzige Gott, darum,

weil er selber von Gott kam und aus Gott war. Propheten,

die auf Gott

als

und

Helfer

Nicht wie die

Heiland

verwiesen,

sondern auf sich selbst zeigte er hin, lud zu sich ein und pries

sich selbst als dem alles übergeben sei vom Vater.

Die wahr­

haftige und vollkommene Erkenntnis Gottes war in Christo den

Aber sie war ihnen zu groß,

Jüngern gegeben. nicht begreifen.

So

gingen

sie konnten sie

durch viele Zweifel

sie

und An­

Trotz alledem war ihnen Gott in Christus oft ver­

fechtungen.

borgen, oft verdunkelt, am meisten in seinem Leiden und Sterben. Erst seit der Herr auferstanden

und

war

sich

ihnen

leibhaftig

lebendig gezeigt hatte, war er bei ihnen, um ihnen nicht wiederverloren zu gehen.

zeugten, wenn

Und wenn sie fortan von ihm redeten und

sie von seinen Worten und Thaten predigten,

offenbarten sie Gott selber, sein Wesen und seinen Willen.

so

Ihre

Predigten von dem in Christo erschienenen Heil Gottes, ihre Unter­

redungen über die ihnen gewordene Offenbarung Gottes in Christo, ihre schriftlichen Aufzeichnungen vom Worte Gottes waren ver­

möge

des

in ihnen wohnenden Geistes Gottes

das Mittel

und

Werkzeug, durch das Gottes Wort, d. i. der Herr Christus, in der

Menschen

Herzen

Gestalt

gewann

und

die

Empfänger

zum

ewigen Leben führte. War es nicht also doch weniger,

was jetzt die Welt von

Christo hatte denn zuvor in seinen Erdentagen, da er damals leiblich und sichtbar gewesen und jetzt in den Wolken des Him­ mels thront?

Nein, im Gegenteil: die Schwachheitshülle der

fleischlichen Erscheinung hatte selbst den Jüngern zeitweilig feine Herrlichkeit verdeckt, aber nach der Auferstehung waren sie allezeit fröhlich unb gewiß in ihrem Glauben. Während des irdischen

Wandels konnte ihnen das Werk ihres Meisters nur zum Teil verständlich werden: erst durch den Geist,

der in alle Wahrheit

leitet, lernten sie Christum, den Lebenden und Leidenden,

den

Gekreuzigten und Auferstandenen, als einen, als in Summa nicht blos wahrhaftigen Menscher:, woran sie nie gezweifelt hatten, sondern auch als wahrhaftigen Gott gläubig begreifen.

Noch deutlicher und

auffälliger war der Wandel in einem

Paulus, der als Saulus Jesum

gehaßt und

verfolgt und erst

46 göttlichen Macht und Liebe

durch eine besondere Erfahrung der

des Auferstandenen zu feinem Jünger bekehrt wurde.

Christus

offenbarte sich als das Wort Gottes durch alles, was er geredet

und was er gethan, was Gott in ihm geredet und gethan. Jünger, welche das weitertrugen, trugen weiter.

Die

damit das Wort Gottes

Die Jünger, die das aufzeichneten, indem sie von Jesus

Christus in der ihnen einwohnenden Kraft Jesu Christi schrieben,

zeichneten damit das Wort Gottes auf.

Gewiß haben sie nicht

alles ausgeschrieben, was sie hätten aufschreiben können.

Aber die

Summa dessen, davon ihr ganzes Leben voll war, die Erlebnisse,

durch welche sie neue Menschen geworden waren, mußten sie wieder­ geben und konnte ns ja nicht lassen. (Ap. 4, 20). Und da sie für andere schrieben, so konnten sie nichts übergehen noch vergessenvon

dem Ratschluß Gottes, der ihnen in seiner Totalität aufgegangen war. Was also Christus

den Jüngern durch Wort,

That unb

Geist gegeben, nämlich sich selber ganz und gar, das hat er durch die Jünger, indem dieselben es weiter erzählten, uns gegeben. So ist er,

das Wort Gottes, im Neuen Testament uns kund gethan,

und im Neuen Testament haben wir Christum,

Wort Gottes.

Nicht

die

haben wir das

geistigen Wirkungen,

von Jesu

die

Person ausgingen, waren den Jüngern das Wichtigste,

während

die Worte und Thaten des Herrn

und während der Zeit,

zeigte.

da er sich

Sie erzählten Worte Jesu,

sondern

seines Erdenwallens

nach der Auferstehung ihnen deren sie sich erinnerten, sie

berichteten Werke und Wunder des Herrn,

sie thaten kund, was

von seinem Leiden und Sterben und

seinem Leber»

von

Herrlichkeit ihnen bekannt geworden war. sie

mancherlei Gedanken

an,

irr der

Arr alles dies schlossen

rricht Glaubensgedanken,

die

auf

organischem Wege aus denr Erlebten in ihnen hervorgegangen wäreir, wie arrs der Wurzel mit Naturnotwendigkeit die Pflanze

emporschießt, sondern solche Erwägungen, Erläuterungen rind Enthüllungen,

die ihnen selbst neu,

aus denr ihnen vorr Jesus ver­

heißenen Geist Gottes ihnen gegeben wrrrden.

Aber

durch

das

alles haben sie sich nichts von Jesu selbst verhüllen lassen: sondern Worte und Thaten,

Erlebnisse

Gedanken und Worte,

rrnd Leiden

des Herrn und

welche, sie darüber hatterr,

alle

malten nichts

denn die Herrlichkeit Jesu Christi aus, da Jesris Christus

der

47 Mittelpunkt ihres Lebens geworden war, und sie durch ihn von

dem gnädigen Gott selbst täglich Hilfe und Anleitung zum ewigen

Leben empfingen. Demnach behaupten wir,

daß

nur

derselbe Gott,

Worte an die Menschen richtet und Thaten

welcher

in ihrer Mitte voll-

bringt, auch die Deutung der Worte und Thaten geben kann und sie auch gegeben hat durch seine Organe, Propheten und Apostel,

und daß diese alle mit dem berechtigten Anspruch auftreten, die richtige Deutung zu haben. Die Zeugen, welche unmittelbar an den großen Thaten Gottes redend und handelnd teil genommen

haben, die insonderheit Zeugen des Herrn Jesus gewesen sind, geben uns d. h. denen allen die rechte Deutung, welche erst durch ihr Wort zum Glauben gekommen sind, also der zweiten und allen Und je mehr wir uns noch heute

nachfolgenden Generationen.

hineinleben in das Zeugnis des neuen Testaments von Jesus Christus, je mehr erkennen, erfahren und glauben wir, daß das ganze Neue Testament Gottes Wort ist.

Je mehr wir Christum erkennen

als unsern Heiland und Herrn, je mehr wissen wir auch jeden noch

so unscheinbaren Zug, jeden zuerst uns unrichtig erscheinenden Ge­ danken, jedes nebensächliche Wort des Evangeliums zu würdigen. 6.

Das

ist

der

Neue Testament,

wir

machen

uns

Weg,

dem

auf

wir

lernen,

keine Gedanken

darüber,

ob

wie

das

Im Glauben

wie die Bibel Gottes Wort ist.

Menschen

das

Geschriebene gesammelt ititb überliefert haben, ob eine Handschrift besser oder geringer an Wert, ob eine Lesart richtiger oder unrichtiger ist. Das alles sind nebensächliche Fragen gegenüber der einen Hauptfrage: was sagt mir die Schrift von dem Herrn

Christus,

von meinem Heil?

Die

sagen, daß die Bibel Gottes Wort ist,

Erfahrung

allein

lehrt

sonst nichts in der Welt.

Andemonstrieren läßt sich der Heilswert der Schrift so wenig,

als das Heil sich

aufzwingen läßt.

Gewiß hat die Apologetik

gegenüber dem modernen Heidentum und

gegenüber dem Miß­

glauben unserer Tage noch dasselbe Recht, ja dieselbe Pflicht, auf ihrem Posten zu sein, wie in alten Zeiten.

welche

die

hohe

Bedeutung

der

Arbeiten

Wir sind die letzten, unserer

lutherischen

Väter und Dogmatiker, auch für die Verteidigung des göttlichen

48 Charakters der heiligen Schriften verkennen.

Wir achten auch

die neueren populären Schriften nicht gering, unter denen so manche preisgekrönt ist, die sich die Verteidigung der Ehre

göttlichen

Worts

zum

Ziel

setzen.

Aber

wir

beklagen

es

schmerzlich, daß so zahlreiche Broschüren, welche über den Gegen­

stand „die Bibel Gottes Wort" handeln, von der Hauptsache weg­ führen, als ob das Wichtigste eine möglichst eingehende und klare Kenntnis über die heilige Schrift sei und nicht vielmehr ein anhaltendes und recht

gründliches Schöpfen

aus

der heiligen

Und wenn zuerst eine Unzahl von Beweisen für die

Schrift.

Göttlichkeit der Schrift aufgeführt ist, und es folgt, in der Regel an letzter Stelle, vielleicht auch mit besonderem Nachdruck hervor­ gehoben, der sogenannte Crfahrungsbeweis, immerhin in gleicher Linie und als gleichwertig mit all' den andern äußeren Beweisen

hingestellt,

so macht das allerdings

den Eindruck,

als ob man

alles mögliche Andere aus der Schrift lernen müsse und dann auch noch außerdem durch den rechten Glauben aus der Schrift zur Gewißheit der Gnade Gottes und des ewigen Lebens in Christo

Jesu gelange. Man thut dem heiligen Geist wahrlich wenig Ehre an, wenn man meint mit wissenschaftlichen Mitteln, logischen Schlüssen und gewichtigen Lehren seinem Ansehen zu Hilfe kommen zu müssen. Alle sogenannten „Beweise für die Göttlichkeit der Schrift" haben ihren Wert: sie überzeugen jedoch nur den, der sich über­ zeugen lassen will. Nimmt sie jemand auf Treu und Glauben an, so mag ihm dabei die Schrift doch ein totes Buch bleiben. Dem, der in Christo durch das Wort der heiligen Schrift das Heil gefunden hat und

der durch das Wort der heiligen Schrift in

Christum sich immer mehr hineinlebt, und durch Christum sich immer mehr in die Schrift hineinlebt, haben

Wert.

Als Zeugnisse von dem,

sie untergeordneten was die Kirche an der Bibel

hat, behalten sie ihr gutes Recht. Nur ist die Gefahr, aus der heiligen Schrift bei Anerkennung ihres göttlichen Charakters ein

totes Buch zu machen und gelehrte Redensarten über sie nachzu­ sprechen nicht geringer als diejenige, die heilige Schrift zu ver­ werfen, um in ihr nicht mehr und nicht weniger als eine geschicht­

liche

Urkunde von

Person Jesu

Geisteswirkungen

ausgcgangen sind, und

zu

sehen,

die

von

der

nach diesem vorgefaßten

49 Schema

nur einigen

wenigen

Stücken

bleibenden

Wert

zuzuerkennnen. Gewiß ist die Bibel ein Buch des Lebens, ja das Buch des

Lebens, aber nur für den, sagen läßt sich nur,

der sich von ihr sagen läßt.

Und

wer guten Willen hat und empfänglich ist.

Wie Christus den einen Grund des Heils, den anderen Fels des

Aergernisses ist, so giebt die Bibel einigen den rechten Glauben und das ewige Leben, indem sie zu Christo führt; die anderen

aber lernen an derselben Bibel den verkehrten Weg, weil sie mit sehenden Augen nicht sehen und mit hörenden Ohren nicht hören. Wer die Bibel vom geschichtlichen Gesichtspunkte aus betrachtet, thut gut. Wer die Bibel mit dem sehnlichen Verlangen nach

Erlösung und mit dem Gebet um das wahre Heil zu Herzen nimmt, thut besser. Aber am besten thut, wer beides vereinigt, wer da weiß, daß in der Bibel Gott der Herr uns die Geschichte seiner Thaten schenkt, und wer gewiß ist, hier Leben und volles

Genüge

zu erlangen.

Doch

wie

alles Lebendige

nicht

unter

Schablonen gefaßt werden kann, so mögen auch nicht ohne weiteres alle Bibelleser in eine jener drei Gruppen sich einreihen

lassen.

Insonderheit wer

die Bibel geschichtlich

und

heils­

verlangend ansieht, mag in der geschichtlichen Erkenntnis mehr oder weniger gefördert, das Heilsverlangen, das er hat, tnag tiefer

oder weniger tief gegründet sein.

Wer sich an jener Sünden­

erkenntnis genügen läßt, die unsere Gegner vertreten, - wer viel

von Sündenelend und Sündenmacht redet und die Sünden-sch uld bei Seite läßt oSer sie mit dem Sünden elend verwechselt, wer die Sünde so leicht nimmt, daß sie durch die einfache Begegnung mit dem sündersuchenden Christus getilgt war, dem

muß dann allerdings die geschichtliche Betrachtungsweise dergestalt

überwiegen, daß er auch alles Andere nach seinem selbsterfundenen Evangelium sich zurechtlegt, und was nicht hineinpaßt, als der urchristlichen Verkündigung widersprechend kurzweg ausstreicht. Dqbei wird dann alles

auf

den

gebaut, daß von Jesu Person auch nach

rein

subjektiven

Grund

seinem Tode bis heute

geistige Wirkungen ausgehen, und scheinen dieselben anderer Art zu sein als sie während seines Erdenwandelns an seinen Jüngern erkenntlich geworden, dann werden sie auf Selbsttäuschung zurück-

II.

4

50 Haben aber neutestamentliche Schriftsteller eine von dem

geführt.

„Evangelium Jesu" abweichende Auffassung, Verkürzung und Verschiebung beschuldigt.

so

werden sie der

Und die Folge ist, daß

schließlich auch die elementarsten geschichtswissenschaftlichen Grund­ sätze in die Brüche gehen. Da soll es, um ein Beispiel heranzuziehen,

offenbar sein, daß im Evangelium Johannes der „sündersuchende Christus" zu kurz komme, daß die von Christus gebotene allgegemeine Nächstenliebe bei Johannes auf die Liebe zu den Ge­ meindegliedern eingeschränkt werde, obwohl andererseits zugestanden

wird,

die „Erinnerung

daß

an

das Evangelium" an manchen

Stellen noch durchschimmere und die Sünderliebe Christi und die

von ihm gebotene Liebe zur Welt nicht gänzlich fehle.

Aber die

letzten Zugeständnisse gelten als unwesentlich, sie passen nicht jii dem, was Johannes auf Befehl eines Theologen aus dem 19. Jahrhundert gesagt haben muß. Sollte aber nicht eine ein­

fältige

geschichtliche

Betrachtungsweise lehren, daß

Johannes, dem das Evangelium

der Apostel

doch noch zugeschrieben wird,

sich unmöglich mit den Worten und Werken seines Herrn, der ihn lieb hatte, in Widerspruch gesetzt haben kann? Daß selbst, wenn wesentliche Stücke des sogenannten ursprünglichen Evangeliums fehlten, eine unbefangene Betrachtungsweise des Johannes­ evangeliums uns lehrt, daß der Verfasser mit Fleiß manche wichtige

Stücke wegließ, weil er sie aus den "ersten drei Evangelien als bekannt voraussetzte? Die Methode, welche aus dem Schweigen eines

sollte nun nachgerade

Schriftstellers weittragende Schlüsse zieht, wissenschaftlich verpönt sein.

In ähnlicher Art werden die Briefe des Apostels Paulus und

der

Hebräerbrief

zurechtgelegt:

was

irgendwie

aus

den

paulinischen Briesen sich mit der urchristlichen Verkündigung, wie sie hier gefaßt ist, vereinen läßt, ist gut, hat „bleibenden Wert", alles andere ist theologische Zuthat, Reste aus dem alten Glauben

u. dergl.

Selbst das bringt man fertig,

aus der Stelle 2. Kor.

5, 21 den Tod Christi wegzudeuten, obwohl vorher von der Ver­ söhnung in Christo die Rede war, und Römer 5, 10 uns sagt, daß wir Gott durch den Tod seines Sohnes versöhnet sind. Der

lehren, daß nur Sünden, welche vor dem Christenstande begangen sind, vergeben werden können; wer aber

Hebräerbrief

soll

51 im Christenstande noch sündige, habe bloß das Zorngericht zu er­

warten: als ob von der „Sünde, die uns immer anklebt und träge macht" (12,1.), nichts dastände. Selbst einer der angesehensten und bedeutendsten Vertreter der

modernen Theologie wagt folgende

exegetische Beweisführungen: daß schon im apostolischen Zeitalter die spezifisch paulinische Lehre von der Seligkeit durch den Glauben allein

in

meisten Fällen

den

mißverstanden

und

mißbraucht

worden, ergebe sich aus der Bekämpfung, die fast alle neutestament-

lichen Schriftsteller solchem Mißverständnis und Mißbrauch ent­ gegensetzen.

angezeigt:

Diese Bekämpfung findet er in folgenden Stellen 1. Petri 2, 15, wo es heißt, daß die Freiheit nicht

zum Deckel der Bosheit dienen soll; es ist „klar" und „offenbar", daß hier vor einem „Mißbrauch des paulinischen Evangeliums"

1. Joh. 3,

gewarnt werde.

7,

wo vor Verführung gewarnt

und dann gesagt wird, daß, wer Gerechtigkeit thut, der sei gerecht; endlich Off. 3, 17, wo die versuchte Selbstrechtfertigung der Gemeinde zu Laodicea lautet: „du sprichst: ich bin reich" u. s. w. wo jedesmal das paulinische Evangelium und seine mißbräuchliche

Verwendung Grund zu den Erörterungen geben. Vom Jakobus­ brief und seiner Stellung zur Sache sei hier abgesehen. Nun ist ja möglich, Recht hat.

daß

die angezeigte Exegese

in allen drei Fällen

Aber eine wissenschaftliche Begründung dieses Rechts

wird uns nicht gegeben. Es werden Behauptungen mit dikta­ torischer Machtvollkommenheit aufgestellt, und die Möglichkeit gar nicht erwogen, ob nicht die sittliche Laxheit auch andere Gründe haben könnte, vielleicht sogar auf andere christliche oder heidnische

Lehren sich berufen hätte. Es ist nachgerade nicht schwer, wenn man die Schrift nicht aussagen lassen will, was sie sagt, sondern was man von ihr

haben will, exegetische Gründe zu finden, und müßten sie so gewaltsam oder wie man dort sagt» so „klar" sein wie die ange­ führten. Man vergißt darüber nicht bloß, was eigentlich Exegese und Geschichtlichkeit heißt, sondern grundsätzlich genommen — es

ist ein hartes, aber wohlbedachtes Wort Aufrichtigkeit.



sogar die christliche

Nämlich in diesem Sinn: sind uns die Schriften

des Neuen Testaments so wenig maßgebend und normativ als sie nach den gegnerischen Ausführungen sein sollen, dann wollen wir 4*

52 sie lediglich um der Ehrlichkeit willen aus dem Kanon ausge­

schieden haben und können nicht zusehen,

wie

die

Christenheit

länger durch Verkürzungen und Verschiebungen und Verdrehungen des rechten Evangeliums irregeführt wird. Woher soll ein ein­ fältiger Christ die Weisheit nehmen, die ihm hier zugeinutet wird, überall zu erkennen, was eigentlich Evangelium ist? 7.

Aber, erwidert man uns,

was

im

Neuen

Testament

ihr nehmt alles unbesehen hin, steht,

einerlei

welchen

Quellen

es entstammt, euch fehlt die exegetisch-geschichtliche Betrachtungs­ weise. Wir antworten: mit nichten. Wir haben geschichtliche

Gründe genug auf unserer Seite,

des Neuen Testaments

nach denen fast alle Schriften

direkt apostolischen Ursprungs sind,

und

die wenigen, bei denen dies zweifelhaft bleiben mag, bringen uns nichts Grundlegendes zu dem schon vorhandenen hinzu. Aber nicht auf diese Thatsache stützen wir unsern Glauben. Weil Christus seinen Jüngern ausdrücklich den heiligen Geist für ihre amtliche Thätigkeit verheißen hat,

daß sie nicht alles bei seinem Erdenwandel, sondern ein gut Teil des Verständnisses seiner Person und seines Werkes erst nach seinem weil Christus betont,

Heimgang empfangen würden (Joh. 16,12—14), weil die Jünger,

die recht wohl Jesu Predigt und Wandel kannten, dennoch nie in sklavischer Weise an sein Wort und vorbildliches Leben sich

banden, sondern unter der Leitung des heiligen Geistes die soge­ nannte „urchristliche Verkündigung" erläuterten, weiterbildeten, vertieften;

aus

allen

diesen Gründen wissen wir freilich als

Theologen, daß nach rein geschichtlicher Betrachtung zwischen dem

Evangelium Jesu und der apostolischen Predigt kein Widerspruch besteht. Dennoch ist für den einfältigen Christen diese Schluß­ folgerung nicht maßgebend.

Sondern dieser

macht

in

seinem

Herzen und Gewissen, in seinen: Leben und Leiden die Erfahrung von der Wahrheit dessen, was die Apostel über die Heilsthatsachen bezeugen und predigen, auslegen und deuten.

Die Apostel haben es nicht als bildliche Redewendung ver­ standen, wenn von eiltet Versöhnung durch Christi Tod und seinem Opfer auf Golgatha

die Rede

sich darauf als aus Realitäten verlassen.

sondern sie haben Und wer tief genug

ist,

53 in seinem Herzen und Gewissen gräbt, wird heute noch erfahren

und nicht sich einbilden, daß des heiligen Gottes Zorn vom Himmel

über ihn, das Kind des Zorns, geoffenbart, und erst in der Sühne, am Kreuz Christi geschehen, wieder Mut und Freudigkeit, zu Gott

hinzugehen, geweckt wird.

Wir wollen nicht über Einzelheiten im

Neuen Testament streiten, nicht um einzelne Geschichten, um einzelne Lehren uns drehen. in den

wiß

Wir halten uns an die große Grundlegung

Evangelien und Briefen: ist sie uns im Glauben ge­

geworden,

dann wissen

etwas anzufangen.

wir

auch

mit den

Einzelheiten

Wir suchen und finden Christum Jesum, den

den Gekreuzigten und Auferstandenen, im Neuen und von ihm aus beurteilen wir nach der Analogie

Sohn Gottes, Testament,

des Glaubens alles Andere, was wir darin lesen. Man sagt uns, das ist aber doch nicht die Inspiration, wie

sie die orthodoxen Dogmatiker früherer Zeiten gelehrt haben, dann seid ihr ja auf dem Wege, dieselbe Stellung zur heiligen Schrift zu gewinnen wie wir. Wir antworten: nein. Mögen wir nicht dieselbe Jnspirationslehre haben wie unsere Lehrer in

früheren Jahrhunderten, jene sind nicht unsere Meister, sondern Christus allein und das Wort heiliger Schrift, in dessen Gewandung es ihm gefallen hat, uns zu erscheinen.

Aber weil Christus im

Neuen Testament offenbar wird und jegliches Wort des Neuen Testaments uns Christum mehr oder weniger deutlich vor Augen stellt, den wahrhaftigen Christus, nämlich den geschichtlichen Jesus

und den Heiland, der bei uns ist alle Tage bis an der Welt Ende, und weil Christus nicht anders uns vorgestellt wird als

durch den heiligen Geist, durch den allein ich an ihn glauben oder zu ihm kommen kann, darum ist das unser Glaube oder unsere Lehre, wie man will; die heilige Schrift Alten und Neuen Testaments ist ein Werk des heiligen Geistes, ist inspiriert. Ob

manches Wort, mancher Vers falsch oder fehlerhaft oder gar nicht überliefert ist, ob viele Mängel und Unvollkommenheiten in der Form sich zeigen,

ob

der Menge der Gläubigen

niemals

der

Originaltext, sondern immer nur die deutsche Uebersetzung in die Hände gegeben werden kann, das stört den Glauben nicht, so wenig es unsern Glauben stört, daß Jesus als Kind auf der Flucht vor

seinen Feinden war, daß Jesus von den Pharisäern und Juden

54 mit Steinwürfen verfolgt wurde, daß Jesus am Grabe des Lazarus Thränen weinte. Denn wie alles Genannte zur mensch­ lichen Gestalt unseres

Heilandes gehört,

das

ihn

uns

nicht

fremder macht, sondern im Gegenteil nur näher rückt, so gehören

die angeführten Eigenheiten der Schrift zu der menschlichen Form, in welcher Gottes Wort vor uns hintritt und bringt es

uns nur näher und macht es uns nur lieber.

in Jesus trotz alles dessen, Heilandsbild

stimmen will,

was

ihm

den

rechten

Der Glaube sieht

zuerst nicht mit seinem vollkommenen Heiland,

der Glaube sieht auch in der Schrift, nachdem menschliche Kurz­ sichtigkeit und falsche Wundergläubigkeit,

die einen vom Himmel

gefallenen Kanon begehrt, überwunden ist,

das volle, klare, aus­

reichende Zeugnis von Jesu Christo. Ja, in diesem Sinn halten wir im Glauben, d. i. soviele an Christum als ihren Heiland

gläubig sind, die Inspiration aufrecht und behaupten sie auch ferner, nachdem wir sie im Sinn und Geist ihrer Urheber mit

unsern

heutigen,

auch von Gott

geschenkten

Crkenntnismitteln

fortgebildet haben. Es ist daher eine thörichte Rede, wenn man entgegenhält: ihr habt die unfehlbare Schrift, wir haben den

Herrn selbst, der auch Herr der Schrift ist.

haben beides, den Herrn und die Schrift.

Wir antworten: wir Freilich wähnen wir

nicht mehr, wie manche in frühern Zeiten annahmen, die Jnspirationslehre müsse bewiesen sein und dann im Gehorsam anerkannt werden.

Das nicht: dennoch stehen wir nicht an, die

Inspiration weiter zu lehren und sie öffentlich auszubreiten, weil

sie uns Wahrheit geworden ist,

und wir die Hoffnung haben, sie

solle auch andern zur Wahrheit werden, wenn sie Jesum Christum,

den ewigen Gottessohn, im lebendigen Glauben als ihren Heiland ergreifen. Oder sollen wir, dürfen wir das nicht? Ist es gar gefährlich,

Kinder und junge Christen mit der Inspiration der heiligen Schrift

bekannt zu machen, weil sie hernach gerade dadurch leicht am Glauben Schiffbruch leiden? Es mag vorgekommen sein: aber an den Zweifeln und an der Verzweiflung dessen, der an der In­

spiration und durch die Jnspirationslehre irre geworden war, ist

gewiß nicht die Lehre von der Inspiration schuld, sondern höchstens ein falscher Begriff des Glaubens, der durch falsche Unterrichts-

55 weise oder falsche Auffassung verschuldet ist, wenn hier nicht noch ganz andere Faktoren mitgesprochen haben.

Denn der Sinn der

Jnspirationslehre ist vor allem dieser, daß sie Christum Jesum in der Schrift und die Schrift durch Jesuin Christum will herrlich

machen. Wer sich daher an Jesum Christum hält, verliert die Schrift nimmermehr und auch die Inspiration nicht. Könnten wir doch auch ebenso allgemein sagen: wer die Schrift festhält, verliert Christum nicht! Allein hier kommt es darauf an, ob jemand die Schrift recht braucht, nämlich mit dem ernsten Suchen

nach seiner Seele Heil.

Dazu von Jugend auf angeleitet werden

ist die beste Grundlegung für die Erkenntnis der Lehre von der

Inspiration. Oder sollen Vater und Mutter ihrem Kind nicht mehr in

früher Jugend sagen dürfen, was recht und unrecht ist? Sollen die Eltern nicht anhalten, mit Ernst, Strafe und Zucht zu allem, was Gott gefällig ist? Soll der Erzieher warten, bis sein Zögling im

Verständnis soweit gereift ist, daß er selber prüfen und erfahren kann, was ihm^esagt wird? Das wäre der Tod aller Erziehung,

alles Unterrichts.

Nein, das Kind folgt zunächst der Autorität, und es ist Sache der Erziehung, die Autorität allmählich entbehrlich

zu machen und den Zögling in die Bahnen christlicher Freiheit zu lenken, sowie er nach Leib und Seele mündig geworden ist. Geht

es aber in allen Unterrichtskreisen so zu, und bildet das Gebiet

des Unterrichts in der christlichen Religion hiervon keine Ausnahme, so gilt mit bezug auf die heilige Schrift Aehnliches. Was die heilige Schrift dem Erzieher, das ist der Kirche, in eigener Er­ fahrung geworden ist, wird dem Kinde mitgeteilt, und der Zögling nimmt das zunächst hin und zweifelt daran sowenig als an anderen Mitteilungen, die ihm geworden sind. Die Wahrheit der Mitteilung

von der Inspiration der heiligen Schrift zu prüfen ist das Kind weder willens noch in der Lage, ebenso wenig, als es die Größe Amerikas, welche es auswendig lernt, nachzurechnen begehrt oder

für nötig befindet. Freilich wird es in letzterer Sache nicht umhin können, sein Leben lang sich auf Autoritäten zu verlassen, wie wir ja in tausenderlei Lagen unseres Lebens auf äußerliche Beglaubigung

angewiesen sind.

Aber in Sachen des Christentums

muß der

Zögling allmählich selbst erkennen und glauben lernen, auch was

66 die Inspiration der heiligen Schrift betrifft.

Sie darf nicht an­

gelernter Besitz bleiben, sondern muß Erfahrungsgegenstand werden.

Dazu muß sie vor allem fleißig gelesen werden, und dazu muß

von kompetenter Seite, von einem Lehrer aus glaubendem Herzen Beistand geleistet werden.

Und wird das versäumt, dann erhebt

der Irrglaube sein Haupt, nachdem zuerst Christus Jesus verkürzt

und verfälscht worden ist.

8. So bleibt es denn dabei, daß uns gewisse geschichtliche Grundlagen zur Wahrheit und Normativität der Schrift gehören.

es

je geschichtlich

nachgewiesen werden,

daß

Könnte

das Evangelium

Johannis nicht von einem Jünger des Herrn und erst mehr als eüt Jahrhundert nach des Herrn Erdenwandel geschrieben, könnte

auf dem Wege geschichtlicher Forschung festgestellt werden, daß die

großen paulinischen Briefe unecht sind,

könnten die Person des sagenhaften

Herrn selbst und seine Predigten und Thaten als

Ursprungs oder in sagenhaftes Gewand gehüllt uns glaubhaft charakterisiert werden, so gestehen wir offen, daß damit unser

Christentum mehr und mehr verarmt und endlich gar hinfällig geworden ist.

Wir können nicht damit übereinstimmen, daß durch den Zweifel an der geschichtlichen Wirklichkeit des Bildes Jesu

der

Eindruck von dem unvergleichlichen und

unveräußerlichen

Wert seines Gehaltes nicht gemindert werde. Wenn unsere Gegner gleichwohl die Gewißheit von der geschichtlichen Wirklichkeit nicht zweifelhaft sein lassen, so haben sie damit gewiß eine feste geschicht­ liche Position gesetzt.

Sie können nicht umhin, wie wir,

Christentum in Formen,

das

die von der Geschichte gegeben sind, zu

erkennen und von ihnen in gewisser Weise abhängig zu machen. Sie helfen sich aber damit, daß sie lehren: der Eindruck von dem Bilde Jesu auf diejenigen, welche sich ihm hingeben, ist ein derartig

überwältigender, daß sie sich sagen müssen: so etwas kann nicht

erfunden sein.

Wir geben ihnen Recht.

Aber wenn jene damit

ein wie immer geartetes Moment der Weltgeschichte als Grund­ legung ihres Glaubens in Anspruch nehmen, so verlieren sie das Recht uns vorzuwerfen, wir machten geschichtliche Größen und Ergebnisse geschichtlicher Forschung zur Grundlegung für unsern

Glauben, oder das Geschichtliche müßte uns wenigstens behilflich

67 sein.

Allerdings dient uns das Geschichtliche mit als Grundlegung

und wir fügen hinzu, daß uns nicht bloß die geistigen Wirkungen, welche von der Person Jesu ausgehen, sondern seine

Person selbst, seine Predigten, seine Thaten itnb Wunder, sein Leiden und Sterben mit unwiderstehlicher innerlicher Gewalt den

Eindruck der höchsten Wahrheit abnötigen. Denn das gerade ist der große Heiland der Sünder, welchen wir brauchen. Wir gehen noch weiter und sagen: was seine

Apostel von ihm bezeugt haben, was im neuen Testament geschrieben steht, was zur Deutung der Person und des Werkes Jesu Christi

uns hier geboten wird, das macht auf uns und jeden int Heils­ glauben stehenden oder nach dem Heilsglauben trachtenden Unbe­ fangenen den Eindruck der unmittelbaren Augen- und Ohrenzeugen­

schaft, die wiederholentlich betont wird, und

den Eindruck der

unmittelbaren Geistesgeineinschaft mit dein erhöhten Herrn, die

öfter hervorgehoben wird.

Und jenes alles ist uns nicht um seiner

noch so sicheren historischen Bezeugung willen, sondern wegen des Zeugnisses unsers Gewissens unumstößliche Wahrheit und Grund unseres Heils.

So wenig je ein Beiveis möglich ist, daß Jesus

Christus nicht existiert hat, so undenkbar ist ein historischer Beweis, der die Wahrheit der Zeugnisse des Neuen Testaments von Jesus

Christus ungiltig machen könnte.

Ist das Heil unseres Gottes

der Menschheit auf dem Wege der geschichtlichen Entwicklung zu Teil geworden, so hat die Bibel dieser geschichtlichen Entwicklung Rechnung getragen und verrät überall die Spuren des Fortschritts vom unvollkommenen Glauben zunr vollkommenen Glauben, von

mangelhafter Erkenntnis zu reifer Erkenntnis, von Heiligungsan­

fängen zu immer heiligerem Leben. Aber standen alle möglichen geschichtlichen Mittel den Zeitgenossen zur Verfügung, um die Wahrheit alles Erlebten und Bezeugten festzustellen, so haben wir mindestens ebenso zahlreiche und gut beglaubigte Zeugen dafür,

daß die Hauptschriften des Neuen Testamentes ihren unmittelbar apostolischen Charakter und Wert nicht verlieren.

Dennoch setzen wir unseres Herzens Zuversicht nicht auf die geschichtlichen Quelle::, die nichts mehr als das sind, nicht auf

etwas, was von unsern: Heil zur Beurkundung in: gewöhnlichen

Sinn des Wortes ausgeschrieben worden ist.

Wissen wir ja, daß

58 die

Verfasser

der

heiligen

Schriften,

insonderheit

des

Testamentes, durchaus nicht Geschichte schreiben wollten.

Neuen

Sondern

sie wollten bekennen, was sie gesehen und gehört, was sie erkannt und erlebt hatten.

Der Versuch,

eine im Sinn der Wissenschaft

korrekte Biographie Jesu zu schreiben, ist aussichtslos.

Das Unter­

nehmen, die Heilsgeschichte vom Anfang der Tage bis auf Pauli Tod auf Grund der biblischen Berichte jedermann so mundgerecht zu machen wie die Geschichte von Roms Gründung bis zur Er­

mordung Cäsars, hieße das Beste bei Seite lassen, ja den biblischen Erzählungen geradezu den Lebensnerv ausschneiden.

Wir haben

int Neuen Testament keine Geschichtsquellen int gewöhnlichen Sinn

des Worts, sondern Zeugnisse des Glaubens. darum geeignet, Glauben zu wecken.

Diese sind aber eben

Gesetzt den Fall, Pilatus

hätte einen Bericht über das Leben unseres Herrn geschrieben, nach

„rein" geschichtlicher Betrachtungsweise hätten wir vielleicht nichts

daran aussetzett köttnen, mit der formalen Wahrheit möchte er überall in Uebereiitstimmung sein und darum dem Geschichtsforscher als wertvolle Duette dienen.

Und doch wie ganz anders würde

er lauten als unsere Evangeliett! Nicht der geschichtliche Bericht als solcher kann Glauben

erwecken,

sondern allein der Glaube,

ivelcher die Geschichte in seinem Licht darstellt.

Aber heutzutage wäre es freilich eine leere Abstraktion, den gesuchten

sogenannten

geschichtlichen

Christus

aus

dem

Neuen

Testamettt zu eruieren; der Versuch müßte selbst unter der schärfsten Lupe des tüchtigsten Geschichtsforschers scheitern und niemand hätte etwas gewonnen.

Man soll nur nicht immer so thun, als ob

gerade der Glaube unfähig machte, die Dinge zu sehen, wie sie

wirklich sind, die Dinge zu beschreiben, wie sie wirklich geschehen

sind.

Im Gegeitteil behaupten wir: die Evangelisten haben gerade

durch den Glauben recht sehen und

recht beschreiben gelernt, da

sie sich des Unterschiedes klar bewußt waren, wie sie ohne Glauben, wie sie im keimenden Glauben, wie sie mit völligem Glauben den

Herrn Jes um Christum angesehen hatten und ans ahen. Der Glaube hat

sie nicht uitfähig gemacht, Geschehenes und Gedachtes auseinander­ zuhalten, was göttlich und was menschlich ist, zu trennen, sondern

sie haben recht scharf unterschieden, wie Lukas im Vorwort seines Evangeliums ausdrücklich versichert, wie Johannes schon durch den

59 einen Umstand bezeugt, daß er seine Logoslehre nicht Jesus in

den Mund legt, ja nicht einmal int Evangelium selbst ihn mit diesem Namen benennt, wie Paulus feierlich betont, was seine eigene Meinung und was des heiligen Geistes Lehre ist.

Darum

halten wir an den geschichtlichen Grundlagen unseres Glaubens ausdrücklich fest, lassen uns auch die evangelischen Berichte, Zeug­

nisse und Lehraussagen nicht rauben zu Gunsten eines sogenannten geschichtlichen Christus, d. h. des innern Lebens Jesu.

Aber wir

machen keinen Versuch und bedürfen dessen nicht, geschichtlichen

Bericht und Glaubenszeugnis zu trennen, sondern beides wird uns in eins gewiß, und auf dem Wege des Glaubens kommen wir zu geschichtlichen Ergebnissen und zur Gewißheit derselben. Wie eng

beides in einander hängt, macht uns Paulus 1. Kor. 15 klar, wo er einerseits sich deutlich Mühe gibt, den geschichtlichen Beweis für die thatsächliche Auferstehung Jesu Christi zu liefern, anderseits aber immer auf Glaubenszeugen sich beruft und Glaubensaussagen hinzufügt.

9.

Demnach wäre die Schrift uns also doch ein

„religiöses

Lehrbuch"? was von unsern Gegnern so sehr perhorresziert wird. Denn in der Bibel „ein Gesetzbuch religiöser Lehre"

katholisch.

sehen ist

Nun, wir haben oben gezeigt, daß wir uns des ge­

schichtlichen Charakters der heiligen Schrift gleich unsern Gegnern völlig bewußt sind: daß wir also nimmermehr die im Pentateuch

festgesetzten Polizeiordnungen auf unser modernes Staatsleben übertragen wollen, daß wir an das Verbot von Blut und Er­ sticktem uns trotz des apostolischen Konzils nicht kehren, bedarf

keiner Worte. Anderseits aber kennen wir die Person Jesu, der allein wir Unterthan sein müssen, nicht anders als aus den Worten, die der Herr geredet, aus den Mahnungen und Belehrungen, welche er seinen Aposteln in den Mund gelegt, ja aus der Geschichte , welcheer von seiner menschlichen Geburt an bis zur Auferstehung und

Himmelfahrt erlebt hat.

Worte wie diese:

kommet her zu mir alle, also hat Gott die Welt geliebt, so

halten wir es nun (Matth. 11, 28. Joh. 3, 16. Mm. 3, 28); Begebenheiten wie seine Geburt von der Jungfrau, sein Auftreten

als Zwölfjähriger im Tempel, seine Versuchung, seine Kranken-

60 Heilungen und Totenerweckungen, und was Jesus dabei geredet,

sind uns allerdings „religiöse Lehre", die int rechten Glauben für uns immerwährende Bedeutung haben: denn der Glaube als das oberste Erkennen versteht aus sich selbst die zeitgeschichtlichen Be­ ziehungen von dem ewigen Gehalt zu trennen. Unserm Glauben

ist die Bibel ein Buch religiöser Lehre. Wir gehen noch weiter.

Es hat Gott gefallen, die Kirche

in Form einer irdischen Rechtsgemeinschaft auf diese Erde zu stellen, so daß sie allerlei Gesetze, Ordnungen und Zuchtmittel gleich anderen Gemeinschaften bedarf.

Solches alles ist in der Kirche unerläßlich,

einmal weil nicht alle ihre Glieder im rechten Glauben stehen,

dann aber weil selbst die Gläubigen den alten Menschen mit seinen Sünden und bösen Lüsten in sich tragen.

Herrschte Christus

durch den heiligen Geist allein und wären alle voll des heiligen

Geistes, fänden alle darin ihres Herzens höchste Freude,

Gottes

Willen zu erfüllen und seine Gebote zu halten, das wäre das

Paradies aus Erdett, und es würde keiner mehr eines religiösen Lehrbuches bedürfen.

Dem ist aber nicht so, wir wissen es alle.

Soll darum die Kirche es in das Belieben ihrer einzelnen Glieder stellen, tvoher sie die Nahrung für ihren inwendigett Menschen holen

wollen? Macht es etwa die Familie so, wenn eins ihrer Glieder

erklärt, es halte von der Hausandacht nicht viel, daß sie durch ihr Oberhaupt erklärt, dann sei es von der Teilttahme an der Haus­

andacht dispensiert? Oder wird nicht vielmehr im Interesse der christ­ lichen Hausordnung darauf gehalten, daß alle Familienglieder ohne Ausnahme an der Hausandacht teilnehmert? Und thun, die es so halten,

nicht recht daran? Will man das ein „Gesetz"

nennen, wodurch

ein Zwang ausgeübt wird; wir haben nichts dagegen. Oder warten christliche Eltern so lange, bis ihr Kind die nötige Reife

für den Gottesdienst hat, ehe sie dasselbe zttm Gottesdienst, ja

zum regelntäßigen Besuch der Kirche anhalten? Ist das gesetzliches

Wesen, wohlan, so acceptieren wir den Namen und' freuen uns, wenn recht viele Christenhäuser und christliche Eltern es so halten, vorausgesetzt, daß in ihrem Wesen und Wandel deutlich genug

der rechte Glaube und die christliche Freiheit zur Geltung kommen.

In ähnlicher Lage befindet sich die Kirche gegenüber allen ihren Gliedern: sie weiß, die Bibel ist das Werkzertg des heiligen

61 Geistes, dadurch er Seelen zu Christo, dem Heiland, führt.

Sie

kann nicht bei allen den rechten Glauben, der in der Freiheit steht, voraussetzen, und wo der rechte Glaube ist, muß er immerfort Wenn die Kirche nun

wachsen, verbessert und genährt werden.

ihre Glieder anhält, in der Bibel das Buch „religiöser Lehre" und

setzen wir gleich hinzu, um nicht mißverstanden zu werden, des religiösen Lebens zu ergreifen und sich an die Worte zu halten,

welche da geschrieben stehen; wenn die Kirche das thut au§ der Erfahrung heraus, daß in dem, was hier geschrieben steht, allent­ halben der Geist Gottes redet,

wenn die Kirche selbst durch

Glaubenszeugen zum glaubensmäßigen Verständnis der Bibel an­ leitet, und man will nun darum der Bibel den Namen „Gesetzbuch religiöser Lehre" beilegen, so antworten wir: ja wohl, das ist die

Bibel.

Wir rechnen uns nicht zu den Vollkommenen, und durch

den Glauben haben wir gelernt,

wie die Bibel unzählige Male

Recht gehabt hat, und wir Unrecht, und darum unterwerfen wir

uns nicht der Gewalt und dem Zwang, sondern aus unserer eigenen

Erfahrung heraus willig und gern und folgen ihrem Urteil, ihren Be­ lehrungen, ihren Mahnungen, die ausgehen von der Geschichte der großen Thaten Gottes, welche uns hier erzählt und aus dem Glauben

gedeutet werden. Das dünkt uns so wenig katholisch als irgend eine christliche oder kirchliche Ordnung katholisch ist. Mit dem Schlagwort „Gesetz" will man die Evangelischen erschrecken und

beschämen. Wir bekennen, daß wir das Gesetz Christi, wie es in der Bibel, in den Evangelien und Episteln steht, über uns

haben, und daß wir darin den uns immer wieder nötigen Zucht­ meister auf Christum selbst erkennen. So vollkommen ist das

ewige Leben hier auf Erden nicht, wie manche es zu besitzen be­ haupten und wir gewiß es auch gerne haben möchten. Dabei wollen wir nicht vergessen, daß die Formel „es steht geschrieben",

sofern sie zum Beweis einer Lehre oder gar einer christlichen Lebenserfahrung dienen soll, an sich nichts beweist. Der Ungläubige

wird sich ihr nicht unterwerfen, sondern bloß der Gläubige, der sich

selbst freiwillig ein Gesetz daraus gemacht hat. Aber darnach trachtet

er, daß der Segen dieses Gesetzes auch dem Andern durch An­ schauen des Christusbildes in den Gläubigen und in der Schrift

offenbar werde.

Natürlich kann die Bibel dem kein Gesetzbuch

62 religiöser Lehre, nicht einmal im Sinn des rechten Glaubens sein, der ihren wesentlichen Inhalt auf den geschichtlichen Christus, das

ist auf das innere Leben Jesu, beschränkt.

Uns bietet sie mehr.

10.

Es ist keineswegs bequemer, ein Gesetzbuch religiöser Lehre zu haben und die darin erzählten Geschichten und vorgetragenen

Lehren anzunehmen und also zum Glauben zu kommen (so solls

ja bei uns nach gegnerischer Darstellung zugehen) als

sich im

innersten Gemüt und an der sittlichen Seite seines Wesens von

Christus ergreifen zu lassen. Keines von beiden macht das Christen­ tum aus.

Aber wenn zu dem Eindruck, den das innere Leben

Jesu auf einen Menschen zur Grundlegung des Glaubens machen

soll, eine gewisse sittliche Reife erforderlich ist, so gehört zum rechten Gebrauch der Bibel als eines Buches, das dem Glauben zur Grund­

lage und zur Stärkung dient, erst recht Weisheit des heiligen Geistes. Wenn aber der Grund des Glaubens erst gelegt ist, dann fehlt unsern Gegnern eigentlich die Norm, an die sich der werdende

und wachsende Christenmensch hält.

Sie wollen ja den Wert der

heiligen Schrift in keiner Weise verkennen und preisen ihn mit hohen und schönen Worten.

Aber im letzten Grunde ist es doch

der Glaube, welcher sich selbst die Norm giebt,

welcher aus sich

heraus wächst, welcher bestimmt, was von der Schrift zu gebrauchen

ist. Oder vielmehr die Wissenschaft und die Kritik stellen den Wert der Quellen und geschichtlichen Überlieferungen fest, und

darnach wird bemessen, welches im Einzelnen der religiöse Wert der biblischen Bücher ist.

Der Glaube, sagt man, soll sich allein

an Christus halten und nach Christo sich richten und Christo ge­

horsam sein, und wenn wir fragen: wo ist dieser Christus, an den ich mich halten, nach dem ich mich richten, dem ich gehorsam sein

soll, so wird uns die Antwort:

achtet auf seine geschichtliche Er­

scheinung, auf sein inneres Leben, rvie es aus den Evangelien und aus den Zeugnissen aller Apostel offenbar wird.

Wir gestehen: das genügt »ms nicht.

Die Jünger, welche

zuerst an den Herrn glaubte»», sind nicht voi» seiner Erscheinung

allein, von seiner in Worte»» und Werken zr» Tage tretenden Ge­ sinnungsweise überwältigt worden, sondern sie haben sich insbe­

sondere an ihr» herangedrängt, seine Worte zu hören und durch

63 seine Worte sich das Geheimnis seiner Person und seines göttlichen

Berufs deuten zu lassen. Jesus fordert ausdrücklich den Glauben

an sein Wort außer dem Glauben an ihn selbst.

Die Jünger

bekennen: du hast Worte des ewigen Lebens. Die Bergpredigt schließt: wer diese meine Worte höret und thut sie u. s. w. Die Worte Jesu, die Worte Gottes erkennen wir in der ganzen Bibel, insonderheit im Neuen Testament. Das Wort ist uns nichts Selb­

ständiges neben Jesus, aber doch noch mehr als bloß das Werk­

zeug, durch das Gott mit uns handelt, mehr als bloß das Gewand, in das Gott gekleidet ist. Das Wort ist uns sozusagen immer­ währende Vergegenwärtigung Gottes. Um es an einem Beispiel zu erläutern, so glaubt das Kind seinen Eltern um der Liebe willen, welche ihm von ihnen wider­

fährt. Glaubt das Kind den Eltern (d. h. vertraut es ihnen), so glaubt es auch den Worten der Eltern. Sind die Eltern gestorben, so hat das Kind die bloße Erinnerung behalten. Sie mag eine große Gewalt über das Kind haben, aber die Erinnerung ist doch nichts gegen die Worte der Eltern. Einen unvergleichlich höheren Schatz

besitzt

das Kind,

welchem die Worte der Eltern,

ihre

Tröstungen und Ermunterungen, ihre Ermahnungen und War­

nungen, ihre Versprechungen und Erwartungen, und dazu eine Aufzeichnung ihrer Thaten, alles von berufener Seite, etwa von dem ältesten Sohne verblieben sind.

An den Worten der Eltern

wird das Kind allezeit sich das Andenken der Eltern gegenwärtig halten, und die Eltern selbst in den Worten hören und sehen, ja

bei sich haben. Aber einen anderen Sinn hat es doch, ob das Kind sagt: ich glaube meinen Eltern oder: ich glaube den Worten

meiner Eltern.

Das Zweite folgt aus dem Ersten.

Wer Gott

glaubt, muß auch seinen Worten glauben. Die Unterscheidung ist

falsch: unser Gehorsam erstreckt sich nicht auf Jesu Satzungen und Lehren, sondern auf seine Person; er selbst soll in uns herrschen. Wodurch herrscht er denn, wenn nicht durch seine Worte (und

Thaten)? Sind Worte, welche Gott selbst geredet hat, uns aus­ gezeichnet worden, von berufener Seite ausgezeichnet, von glanbwürdigen, gläubigen Augen- und Ohrenzeugen, die Gott in Christo

gesehen und gehört und nut ihm aus- und eingegangen sind, so halten wir uns

an diese Worte und schenken ihnen Glauben.

64 Durch den

Glauben haben wir in

diesen Worten eine Ver­

gegenwärtigung Gottes. In den Worten ist uns Gott wirklich und wesentlich nahe, und wer nur die Kraft eines einzigen Gottes­ wortes an sich erfahren hat, wer da weiß, welche Wirkung ein

einziger Bibelspruch auf ein trauriges oder erregtes Herz ausübt,

nicht darum

„weils geschrieben steht", sondern darum weil diese

Kraft aus früheren Erfahrungen bekannt ist, der steht dem Worte

Gottes als ein Glaubender gegenüber und ist darum kein Buch­ stabenknecht, sondern ein rechter Geistesdiener. Das Wort heiliger Schrift ist uns durch den Glauben kein toter Buchstabe mehr, sondern Geist und Leben.

11. Darum wirkt das Wort heute noch Wunder, das sind gött­

liche Thaten, die aus keinem menschlichen Verdienst noch Kraft zu erklären sind, sondern Gott den Herrn selbst zum alleinigen Grund

haben; das grundlegende Wunder der Wiedergeburt und alle die täglichen Wunder der stets erneuten Sündenvergebung, der Aufrich­

tung aus Anfechtungen, der Gewißheit in allem Elend nicht verloren zu sein, der Hoffnung auf ein seliges Freudenleben in Ewigkeit. Wem das tägliche Wunder des heiligen Geistes sind, der nimmt an keinem Wunder der heiligen Schrift Anstoß: thut Gott noch heutzutage fortwährend Wunder des Geistes an seiner Christenheit

und ihren Gliedern, sollte er nicht dieselbe allmächtige Liebe an der Natur erzeigen um der Menschen willen? Die Wunder sind ja als solche freilich keine auffälligen Thaten, keine wider die

Regeln der von Gott gesetzten natürlichen Ordnung der Dinge verstoßenden Vorgänge: wenigstens liegt das nicht in ihrem bib­

lischen Begriff. Sie können das auch sein und sind cs sehr oft. Aber ihr Wesen besteht doch darin, daß sie Thaten Gottes sind, darin er den Menschenkinder feinen Heilswillen auf sinnenfällige oder geistliche Weise offenbart. Ein Wunder ist es daher ebensowohl, wenn Gott den Propheten Elia in traurigen Zeiten dem Volke Israel als Retter

sendet, als wenn derselbe Elia einen toten Knaben auferweckt. Ein Wunder ist es ebensosehr, daß Christus Jesus gekommen

ist in die Welt, die Sünder zu suchen und selig zu machen, als wenn Christus den Sturm auf dem Meere stillt. In beiden Fällen

65 dürfen wir sogar das erste Wunder größer als das zweite nennen.

Wunder können wider die gewöhnliche Naturordnung verstoßen,

brauchens aber nicht: wenn Gott den Kündern Israel das rote

Meer zum Durchgang öffnet, so ist das unseres Wissens sonst niemals geschehen (wenigstens nicht glaubhaft genug nachgewiesen, wo es behauptet worden ist) und auf keine Weise erklärbar.

Wenn

dagegen in der Wüste sich dem verschmachteten Volk eine Wasser­ quelle zeigt, so hätten vielleicht andere Leute auf demselben Wege sie auch gefunden, nur daß Israel in der Entdeckung der Wasser­

quelle einen Thatbeweis göttlichen Erbarmens sieht und darum ein

Wunder preist. Von dem Unterschied der „Weltanschauungen" ist der Glaube an das Wunder und seine Wirklichkeit nicht abhängig,

wie man uns belehren will; auch hängt nicht von der Annahme

des einen oder anderen biblischen Wunders rrnsere Seligkeit ab. Aber wenn wir sagen sollen: hier stimmt die ganze urchrist­ liche Offenbarung in ihrem ältesten Kern darin überein, daß ein

Wunder, ein uns unerklärlicher Vorgang, geschehen ist, wir wissen

nicht, was daran ist, rätselhaft bleibt uns die Thatsache, und mit allem Fragen, Forschen und Nachsinnen werden wir keine Klarheit

hineinbringen; da ziehen wir es vor, mit den sonst vertrauens­ würdigen Augenzeugen und Verfassern, die wahrlich gerade durch ihren Glauben in Klarheit und Nüchternheit sich vorteilhaft genug

vor ihren Zeitgenossen: auszeichnen, ein Wunder anzunehmen.

Wir

fügen hinzu: es ist derselbe Gott, dem das Reich der Natur wie

der Geschichte Unterthan ist; der die Herzen der Menschen lenkt wie Wasserbäche, zeigt auch den Tieren, den Früchten des Feldes

und den Himmelskörpern:, ja allem und jedem seinen Weg.

Der

Gott, der in: einem Augenblick fertig bringt, was alle Menschen zusannnnnen: mit all ihrer Weisheit nicht in Jahrtausenden fertig

gebracht, in: einem Sünderherzen die gewisse Hoffnung des ewigen:

Lebens zu erwecken; derselbe sollte nicht in: einem Augenblick fertig

stellen das Brot, den Wein, zu deren Herstellung selbst für Menschen kaunn: eines Jahres Zeit erforderlich ist, nämlich um seine allmächtige

Liebe znn offenbaren und durch die Wunder in: der Natur die Herzen für die Wunder seines ewigen Heils zu bereiten? Nun aber

soll das Wunder aus den: mythologischen Weltbild stammen und

besagen, daß eine starke Macht nach Belieben: in den: Zusammenhang

II.

5

66 des gewöhnlichen Geschehens eingreifen kann.

Diese Macht ver­

fahre dabei gleichgiltig gegen höhere Lebenszwecke, und

durch

solche Wunder werde das Bestreben genährt, die Macht der Gott­

heit den eigenen Wünschen dienstbar zu machen. Wo ist dergleichen je in der Schrift oder von der Kirche gelehrt worden? Die evangelische Kirche hat immer gewußt, daß die Wunder den Gott

des Heils zum Urheber haben und in Absicht auf das Heil der Menschen herbeigeführt werden. Was unsere Gegner an Wundern in der Bibel stehen lassen, ist so gut wie nichts: allenfalls einige Heilwunder Jesu, die aber

schließlich wohl auch auf moralische Einwirkung oder vielleicht gar auf Suggestion hinauskommen. Die Wunder des Alten Testaments

werden mit zwei Worten abgethan: allgemein sehe man in ihnen poetische Darstellungen oder sagenhafte Zuthaten, nur einige wenige halten an ihnen fest, nämlich „aus bloßer Furcht vor der Bibel". Das Wunder der Geburt Christi fällt aus Gründen der Kritik weg. Auch das Wunder, welches für den Bestand des Christentums zu

allen Zeiten grundlegend ist, welches

durch die Geschichte und

durch die Erfahrung alle Tage neu bewiesen wird, welches uns erst einen wirklichen, wahrhaftigen und wesenhaften Erlöser giebt,

das Wunder der Auferstehung, wird entweder geleugnet oder als nebensächlich dargethan oder einfach ignoriert oder endlich — im

günstigsten Fall — ein non liquet darüber gesprochen.

Das soll

ja freilich noch feststehen, daß Jesus in dem Sinn auferstanden ist, daß die geistigen Wirkungen von ihm wie von allen geschichtlich bedeutenden Männern ausgehen, selbstverständlich auch, daß seine

Seele ihr individuelles Dasein weiter führt wie jegliche Menschen­ seele. Aber was darüber hinausgeht, da gilt: wir wissen es nicht. Ob Phantasie oder Vision der Jünger, das läßt sich nicht mehr

feststellen, und überhaupt bleibt in jedem Fall ein großes Rätsel für die Geschichte, wenn die leibliche Auferstehung Christi aus dem Grabe wegfällt.

Man sagt offen genug: „rätselhaft ist der Auf­

erstehungsglaube, rätselhaft sowohl wegen seiner plötzlichen Ent­

stehung im Jüngerkreise Christi wie wegen seiner Verbreitung in einer ihm durchaus abgeneigten Welt."

Aber doch „mußten wir

ihn dahingestellt sein lassen wie vieles in der alten Geschichte", „glücklich, daß wir seiner nicht mehr bedürfen, um mit Jesus (!)

67

an Gott den Vater zu glauben". Ja, „es ist ein Glaube an Jesus als Christus denkbar, der ihm kein anderes Lebensende zu­ traut als jedem anderen Menschen, nur daß diesem Ende einmal die Verklärung seines Gedächtnisses und dann die Vollendung seines Werkes folgen mußte. Beides hat aber stattgesunden in dem ge­ schichtlichen Sieg seiner Religion, die den besten Teil der Welt erobert hat" (Sell). So spricht ein Jünger des Meisters, der seiner Zeit in feinern grundlegenden Werk „Rechtfertigung und Versöhnung" nicht einmal eine Anspielung auf den Glauben an die leibliche Auferstehung des Heilandes machen zu brauchen meinte. 12. Und NUN? Was für ein Glaube, was für eine Schrift bleibt übrig, nachdem die Wunder gestrichen sind? Es wird alles auf natürliche, jedermann einleuchtende Weise, ohne großen inneren Kampf dem Herzen gegeben, was ihm zur Seligkeit nötig ist. Manches wird noch ein „Wunder" genannt, aber es ist nicht wunderbarer als die Thatsache, daß ich lebe und gedeihe. Alles wird von Menschen erdacht und zurechtgelegt, von Menschen ge­ macht und ausgeführt. Der Glaube selbst kommt von dem über­ mächtigen Eindruck des Lebens Jesu: dieses herauszuarbeiten ist Sache der Theologie. Die Schrift ist lediglich eine geschichtliche Urkunde von der Offenbarung, deren Wert nach rein geschichtlichen Maßstäben festzustellen ist. Was aber der neueren Theologie auf Schritt und Tritt fehlt, ist die Erkenntnis des heiligen Geistes und seines Wirkens, ist die Persönlichkeit Gottes selbst, welche mittelbar und unmittel­ bar, durch Schrift und Erfahrung ins Menschenherz hineingreift. Wo Christus als die göttliche Liebe gepredigt wird, sagt man, da deckt sich der Inhalt des Lebens Christi mit dem in der Ge­ meinde wirkenden heiligen Geist. Ist das der heilige Geist, welchen Christus beii anderen Parakleten nennt? Ja, vom heiligen Geist verlassen, wird alles, was sonst Gotteswerk heißt, reines Menschen­ werk. Und was wirklich im System der neueren Theologie und in den Arbeiten ihrer Vertreteter Gottes Werk ist, das verdanken sie nicht ihrer Theologie utib ihrer: Arbeiten — denn wo wir es finden, wollen wirs gewiß nicht leugnen, da Gott selbst sein Werk an seinen Jüngern, die ihm dienen möchten, auf mancherlei Weise, 5*

68 auch durch Schwachheit und Irrtum, treibt.

All die persönliche

Wärme, die glaubensvolle Begeisterung, die immer wiederholte Betonung der Wahrheit, daß Glauben nichts anderes denn Leben sei, das alles sind weder Neuerungen noch lassen sie sich aus den

Prinzipien der neueren Theologie ableiten: es sind vielmehr die Schätze, welche ihre Inhaber aus rechtgläubigen Vaterhäusern

mitgebracht haben und hier verarbeiten.

Es sind Nachwehen des

heiligen Geistes, der in ihren Vätern und Vorvätern mächtig ge­

wesen ist. Der Weg durch die Schrift zum Glauben, welchen unsere

Gegner uns zeigen, setzt eine gewisse sittliche Vollkommenheit oder mindestens eine Art ernsten sittlichen Trachtens voraus.

Aber

dies System läßt im Stich, sobald „arme Sünder" Frieden suchen, sobald es auf „die Masse des Volks" abgesehen sein soll.

„Der

moralisch abgelebte Genußmensch kann kein Christ werden." „Ein

Verständnis für die Person Jesu fehlt dem sittlich Rohen, von der Liebe Anderer verlassenen oder gegen sie verschlossenen Menschen." So ist jenes System und der hier gelehrte Glaube und Glaubens­

weg ungenügend, wenn das Evangelium nicht für alle, auch für die in sittlicher Beziehung gleich Null gewerteten Menschen zu­

gänglich sein soll; es folgt daraus eine ungenügende Geschichts­ wissenschaft, ungenügendes Schriftverständnis, ungenügende Be­

urteilung der Menschenherzen und der menschlichen Verhältnisse. Man geht soweit zu sagen: da selbst die sozialdemokratischen

Theoretiker für sittliche Ideen und sittliche Ziele wirken, wenn auch unbewußter Weise, so liefere die Sozialdemokratie den Beweis, daß eine Zeit, in der eine solche Bewegung möglich sei, dem Christentum nicht verschlossen sein könne.

Weiß morn denn nicht

mehr, was Karrikaturen des Christentums sind, und wohin sie

führen? Wenn uns daher prophezeit wird, daß in vierzig Jahren die evangelische Kirche untergegangen und in die römische Kirche auf­

gegangen sein werde (natürlich von den Christen moderner Schule abgesehen, die dann vielmehr das evangelische Christentum allein

repräsentieren), so meinen wir der Gewißheit leben zu sollen, daß in vierzig Jahren sich gezeigt haben wird, wer auf dem

rechten Wege sei, die moderne Theologie oder das apostolische

69 Christentum.

Aber längst zuvor wird die Anmaßung gerichtet

sein, mit der auf gegnerischer Seite die Orthodoxen als die Ge­

wohnheitschristen und jene selber als die überzeugten Herzens­

christen angesehen werden, und aus diesem Gesichtspunkt jede Gemeinde in diese zwei Gruppen zerfällt; ein Wahn, dem schon jetzt, wie früher, die Thatsachen ins Gesicht schlagen.

Fehlt es auf unserer Seite nicht an Gewohnheitschristen, nun wohl, aber

das rede man uns nicht vor, als ob es drüben ohne krassen Autoritätsglauben zugehe, als ob das iurare in verba magistri unter jenen nicht ärger als anderswo getrieben werde.

Gewiß

stehen viele unserer theologischen Gegner noch in vielen Be­ ziehungen dem alten Christenglauben, vor allem durch persönliche Frömmigkeit, nahe.

Es wird ihnen aber gehen wie den Ratio­

nalisten im vorigen Jahrhundert, deren erste Vertreter persönlich fromme, glaubenswarme Leute waren und deren letzte Ausläufer zu offenkundigen Gottesleugnern herabsanken.

Haben die Väter

der neueren Theologie bei aller Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit ein

Stück des christlichen Glaubens nach dem anderen weggeworfen, so werden die Epigonen nicht säumen, darin fortzufahren, wie denn schon jetzt vom Altmeister Ritschl bis auf die jüngsten Ver­

treter seiner Richtung ein auffallender Fortschritt auf die Bahn ins Leere zu bemerken ist. Wir aber wollen den kostbaren Schatz des Glaubens, in der heiligen Schrift uns aufbewahrt, von den Aposteln her durch unsere

Kirche ererbt, nicht rosten lassen.

Wir wollen fleißig darob ringen,

daß uns die Schrift Wahrheit und Leben sei, und daß unser Glaube sich von der Schrift immer neue Kraft und Wärme hole. Ob auch der Glanz unseres Glaubensschatzes in dieser Erden­ niedrigkeit und vielen Sündenkämpfen manchmal matt wird, so soll doch

sein Wesen und Gehalt derselbe bleiben: Jesus Christus, von Ewig­ keit Gottes Sohn, und Mensch geworden aus der Jungfrau Maria,

gestorben am Kreuz für die Sünden der Welt und aus dem Grabe auferstanden, lebendig und unser himmlischer König in Ewigkeit,

welcher ist geoffenbart in der heiligen Schrift Alten und Neuen Testamentes,

Gotteswort.

dem

lauteren,

vollkommenen,

unvergänglichen

70 Air Erlösung im Kinne Jes« und seiner Apostel. (Kett den ältesten Zeiten ist das Christentum als die Religion der Erlösung gekennzeichnet worden, wenn man ihr

Wesen und ihre. Bedeutung im Sinne ihres Urhebers und der sie

beurkundenden Schriften auf einen niöglichst kurzen und präzisen

Ausdruck bringen wollte.

Im christlichen Sprachgebrauch spielt

das Wort Erlösung neben dem Namen des Erlösers selbst noch heute unstreitig die Hauptrolle: Predigt, Katechese, Seelsorge, dogmatische Arbeit und heilsgeschichtliche Überlieferung, die subjektiv­

religiöse Erfahrung und die Weltmission, sie alle setzen Begriff und Thatsache der Erlösung als die selbstverständliche Basis voraus,

von der sie auszugehen haben.

Die evangelische Theologie hat

nach dem allen um so mehr Recht und Pflicht, nach allen Seiten hin klar zu stellen, was es um diese Erlösung sei, nicht minder, daß ein jeder Christ in sich selbst einen gewissen Grund seiner Heilsgewißheit habe, als auch damit der Ertrag ihrer Arbeit dem

Ganzen der Kirche zu gute komme.

Seit Ritschl ist die Erlösung

verhältnißmäßig in den Hintergrund getreten: darauf führt notwendig schon der Umstand allein, daß sein dreibändiges Haupt­ werk auf dogmatischem Gebiet die Überschrift „Rechtfertigung und

Versöhnung"

trägt.

Die Sache selbst hat er

selbstverständlich

keineswegs ignorieren können. Richt bloß ihm gegenüber, dessen theologische Richtung in unseren Tagen unbestreitbar dominiert, sondern um der Sache selbst willen gilt es, zuerst gewisse allgemeine

Voraussetzungen feststellen, ehe an eine Erörterung über das, was die Erlösung in den neutestamentlichcn Offenbarungsurkunden be­ deutet, gegangen werden kann.

1. Allgemeines über Gott und den Menschen und das Verhält­

nis zwischen Gott und den Menschen schicken wir also voraus, soweit es um der Sache selbst willen notwendig scheint. Rur wenn hierin eine Verständigung erfolgt, wird der Leser weiter mit­

gehen können. Ist von vorne herein selbst in diesen allgemeinen Voraussetzungen ein Dissensus vorhanden, so werden auch die

nachfolgenden Darlegungen auf kein Verständnis rechnen dürfen. Die Voraussetzungen selbst regeln sich nach dem Gesichtspunkt, daß

71 bei aller Verschiedenheit der theologischen Ansichten über die Er­ lösung alle darin Übereinkommen, daß es sich hierbei um eine

Beziehung zwischen Gott und den Menschen handelt. Nach christlichem Verständnis, wie es durch die Offenbarung

Gottes in Jesus Christus gegeben, ist Gott ein rein

geistiges

Wesen, das über alle Kreatur nach jeder Richtung hin hocherhaben ist, das in Wort und Werk das Heil aller Menschen und der ganzen Welt sich als das Ziel seiner Thätigkeit setzt. Hinter diesen: Mindestmaß christlichen Verständnisses bleiben zurück alle, die als „Gott" lediglich das Schicksal oder das Gesetz des Alls oder dem Ähnliches verstehen. Wenn Vertreter derartiger Anschauungen von Erlösung reden, so treiben sie mit dem Worte Mißbrauch und

werfen sich, selber blind, zu Blindenleitern auf. — Der Mensch

ferner ist nach christlicher Erfahrung so sehr im Elend und in der Macht der Sünde gebunden, daß er aus sich selbst auf keine Weise

den Weg zu Gott fütden kann, und anders ihm keine Hilfe wird

als tuettn Gott sich seiner annimmt und den ersten Anstoß zur Errettung des Menschen giebt: die Sünde in dein angegebenen Wortsinn leugnen oder abschwächen, heißt sich das Verständnis

der Erlösung unmöglich machen. — Einem so gearteten Menschen gegeitüber hat Gott seinen Gnadenwillen kundgethan rind ins Werk

gesetzt und von sich aus allein und souverän festgesetzt, was dem Menschen ztlin wahren Heil gereiche, und wie er dazu komme. Die Schrift handelt gleichwohl voit der Beziehung zwischen Gott und

den Menschen stets so, daß sie dieselbe nach dem Verhältnis von Person zu Person normiert. Gott seinerseits wird durch das Ver­

halten der Menschen insofern bestimmt, daß er ihrem Sehnen mit herzlicher Zuneigung entgegenkomnrt, dagegen ihrer mutwilligen Abkehr mit Zorn und Strafe antwortet. Weil also von sich aus kein Mensch Gott herzunaht, Gott aber den Menschen zu sich in Beziehung, ja in die engste Beziehung, in Gemeinschaft versetzt

haben will, so hat er doch gewisse Schranken errichtet, welche zuerst

vom Menschen erkannt sein sollen, damit dann Gott selbst die

Schranken aufhebe. Die unvergleichlich erhabene Majestät Gottes, die dem Sünder vor allem als Heiligkeit entgegentritt, bleibt in

Ewigkeit die Grenzscheide zwischen dem Schöpfer und den Ge­ schöpfen, auch zwischen dem himmlischen Vater und seinen Kindern.

72 Wer mit Duns Scotus und den beiden Socins Gottes Souveräni­

tät in den Vordergrund stellt und sein Handeln letztlich auf Will­

kür zurückführt, muß folgerichtig die Sünde zu einer ganz gleich-

giltigen Sache herabsetzen, welche von der „Allmacht" Gottes int Nu aus dem Wege geräumt ist:

hier sich selbst zu verlieren.

die sittliche Persönlichkeit droht

Nicht minder irrt Anselm, dessen

Interesse ebensosehr auf die Verwerflichkeit der Sünde als auf dir Herrlichkeit des Werkes Christi gerichtet ist, wenn er das Verhältnis

zwischen Gott und dem Menschen in der meisten Hinsicht dem Verhältnis des Menschen zum Menscheit gleichsetzt. Wenn es bei ihnt heißt (Warum Gott Mensch ward I. 11):

„Sündigen heißt

nichts Anderes als Gott seine Schuld nicht zahlen. Wer diese schuldige Ehre Gott nicht erweist, nimmt Gott, was ihm zusteht,

entehrt Gott, und das eben heißt sündigen," so spricht sich hier

zwar ein tiefes Schuldbewußtsein aus, aber die Weise es zu

formulieren ist recht ungeschickt, da Anselm sich selbst die Frage vorlegen mußte, ob denn je ein Geschöpf, sei's Engel oder Mensch,

imstande sei „Gott seine Schuld zu bezahlen" (vergl. Hiob 9, 1— 21. 32). Keineswegs ist dies die Meinung, daß alle juristischen Wendungen aus dem theologischen Sprachgebrach entfernt werden

müßten. Sondern Tholuck wird Recht behalten, wenn er urteilt: „Die Frage, ob die juristischen Vorstellungen auf das Verhältnis Gottes zum Menschen anzuwenden seien, fällt ganz zusammen mit

der Frage nach der Wahrheit aller unserer Vorstellungen vom Höchsten und nach dem Grtind dieser Wahrheit"

Sünde, S. 107).

über den

(Lehre von der

Selbst Meuten, obwohl er sich öfter unwillig

Gebrauch civilrechtlicher Ausdrücke bei Verhandlung

theologischer Fragen äußert, behauptet, die Ehre Gottes erfordere es, daß die Menschen die feste Überzeugung hätten, die von ihnen zu erwartende Seligkeit und Herrlichkeit bei Gott werde so groß

sein,

als sie es wert

seien (Anleitung z.

eig. Unter, in den

Wahrheiten der heil. Schr. VI. 23). Wohl mögen in der Dogmatik

nach wie vor juristische Bilder zu Hilfe genommen werden, wenn es sich um die Formulierung des Verhältnisses zwischen Gott und den Menschen handelt: doch muß der oberste Gesichtspunkt allewege der religiöse bleiben. Ein Größerer als Tholuck und Menken, Paulus, hat uns das Richtige gezeigt.

Wenn er mit Worten wie Recht-

73

fertigung, Kindschast u. a. eine juristische Terminologie in das Centruin der christlichen Glaubenslehre eingeführt hat, so hat er doch materiell dem keine weitere Folge gegeben: denn nur durch die Gnade Gottes wird der Mensch gerecht, nur durch die Gnade Gottes erlangt er die Kindschaft. Endlich ist auch, was von Zorn und Strafe des richtenden, rächenden Gottes in der Schrift aus­ gesagt wird, stets der Souveränität der Gnade unterzuordnen. 2. So sind wir schon mitten in den Gegenstand unserer Ver­ handlung gekommen, indem die schwerwiegende Frage sich erhebt, in welchem Verhältnis die Liebe Gottes zur Welt, in Jesu Christo vollkommen offenbart, 31t desselben Zorn steht, der über jegliche Ungerechtigkeit und Gottlosigkeit der Menschen hereinbricht. Das wird ein Hauptpunkt bei der Erörterung über die Erlösung bleiben müssen. Nicht allzuoft finden sich im Neuen Testament die Wörter, welche die Erlösung anzeigen, und nirgends eine ausdrückliche Erläuterung jener Wörter. Das Zeitwort erlösen (lytrün) findet sich an drei Stellen (Luc. 24, 21. Tit. 2, 14. 1. Pct. 1, 18). Erlösung in der Bedeutung von Lösegeld kommt einmal vor: Matth. 20. 28; par. Marc. 10, 45, ebenso einmal 1. Tim. 2, 6 (dort lytron, hier antilytron). Ebenso findet sich das eine griechische Wort für die Handlung der Erlösung (lytrosis) nur einmal, bez. aber dreimal (Hebr. 9, 12; — Luk. 1,68; 2, 38). Dagegen zählen wir das andere griechische Wort, das dieselbe Bedeutung hat (apolytrosis) achtmal, bez. zehnmal (Röm. 3, 24; Eph. 1, 7; Kol. 1, 14; Hebr. 9, 15; Eph. 4, 30; 1. Kor 1, 30; Eph. 1, 14; Röm. 8, 23; Luk. 21, 28; Hebr. 11, 35). Die für die Auslegung bedeutsamste Stelle, welche auch sowohl die zahl­ reichsten als verschiedenartigsten Deutungen gefunden hat und da­ her lange im Vordergrund der theologischen Verhandlung stand, zugleich die einzige Stelle, in der Jesus selbst den Begriff Erlö­ sung in dem Sinn, der hier in Betracht kommt, anwendet, ist die Lösegeld-Stelle Matth. 20, 28 bez. Mark. 10, 45. Nur im Anschluß an den alttestamentlichen Sprachgebrauch und die alttestamentlichen religiösen Vorstellungen können wir ihrem Ver­ ständnis nahe zu kommen hoffen.

74

In erster Linie sind es drei hebräische Wörter, welche dem neutestamentlichen Wort für „erlösen" ans dem Boden des Alten Testamentes entsprechen, bezw. es vorbereiten: ga'äl, padäh, kafär. Zunächst ga'äl: es bedeutet dasselbe wie unser „erlösen" im weitesten Sinne des Worts, es wird gebraucht für „kaufen", „los­ kaufen", aber auch für „befreien", „retten". Subjekt des ga'äl ist in der Regel Gott des Heils, wenn cs sich nm „befreien" „retten" handelt (vcrgl. 1. Mose 48, 16; 2. Mose 6,6; 15, 13; Jes. 43, 1; 44, 22; 48, 20; Jer. 31, 11; Psl. 106, 10; 107, 2; Hiob 19, 25; einmal vom Messiaskönig Psl. 72, 14.). Im Wesentlichen synonym ist padäh, das gleichfalls „los­ kaufen" oder „befreien" „erretten" bezeichnet und in letzterer Be­ deutung ausschließlich von Gott gebraucht wird, der nach seinen Heilsgedanken mit den Seinen handelt (5. Mose 7, 18; 13, 6; 2. Sam. 4, 9; 1. Kön. 1, 29; Jer. 15, 21; 13, 11 — hier unmittelbar neben und parallel ga'äl — Ps. 71, 23; Hiob 5, 20). Dagegen was kafär und das abgeleitete Hauptwort köfer bedeute, ist uicht mit wenigen Worten zu sagen, weil darüber die Ansichten sehr auseinandergehen. Gerade auf die Erörterung des Stammes kafär und seiner Derivate aber müssen wir auch deswegen für unseren Gegenstand den größten Nachdruck lege«, weil unzweifel­ haft Jesus selbst nach der hebräischen Vorlage unseres kanonischen Matthäusevangeliums oder wenn rnan diese fallen lassen ivill, in der ihm geläufigen alttestamentlichen Ausdrucksweise Matth. 20, 28 das Wort köfer bez. ba§ aramäische Synouym gebrauchte, wo Luther „Erlösung" bezw.beiMarkus(10,45)„Bezahlung"übersetzthat. Nach etymologischer Auslegung bezeichnet das Zeitwort kafär „decken", „bedecken". Bis auf eine Stelle (1. Mose 6, 14) kommt es in aktiver Bedeutung nur im Piel vor und wird in dieser Fornr kipper fast ausnahmslos von Gott oder mit bezug auf Gott gebraucht, wenn von dem Verhältnis zwischen ihm und dem sündigen Menschen die Rede ist, so daß es den Sinn gewinnt: eine Sünde oder Schuld bedecken in der Absicht, mit der Wirkung, daß sie der Strafe entzogen wird. Subjekt des Bedeckens ist Gott oder der von ihm eingesetzte Priester. Das ist der durchgängige Sprachgebrauch des alten Testaments. Abweichungen sind äußerst selten. Wahrscheinlich ist die Entwicklung des Sinns von kafär

75 so vorstellig zu machen, daß die hebräische Sprache das Wort ur­ sprünglich eigentlich nahm (vgl. 1. Mose 32, 21; Spr. 16, 14 und dazu 1. Mose 20, 16) und später, als sie die Handlung des kafär Gott zuzuschreiben sich gewöhnt hatte, es ausschließlich so brauchte, daß darin die Vorstellung zum Ausdruck kam: Gott lasse den Menschen nicht in unmittelbaren Verkehr mit sich treten, sondern verhülle ihn gleichsam unter einer Decke, um ihn dann anzuschauen und sich nahen zu lassen. Diese Decke hieß köfer. Riehm gebührt das Verdienst, zum ersten Male in umfassender Weise das richtige Verständnis von kafär angebahnt zu haben (©tub. u. Krit. 1877, S. 4 ff.). Da nun unter denjenigen Dingen, welche im Alten Testament als Bedeckung des Gott nahenden Menschen angesehen werden, auch Geld für gewisse Fälle im Gesetz vorgeschrieben ist, so bekommt köfer die Bedeutung „Preis für die Befreiung von der Gefahr, die dem Gott nahenden Menschen droht", kurz: „Lösgeld", „Los­ geld". So ist zu verstehen 2. Mose 21, 30: Wenn ihm ein köfer auferlegt wird, so soll er zur Erlösung (pidjön) seiner Seele soviel zahlen, wie ihm auferlegt wird. Also: wer den Tod oder eine andere Strafe verdient hat, wird unter Umständen von der Strafe befreit, wenn er eine gewisse Geldsumme bezahlt; in diesem Fall handelt es sich darum, daß jemandes Ochse einen Menschen tot­ gestoßen hat. Zu Grunde liegt die Vorstellung, daß'Gott nicht in jedem Fall dem Sünder die ihm gebührende Strafe auferlegt, sondern unter gewissen Bedingungen ihm die Entrichtung eines Losgeldes aufträgt. Aehnlich wird 2. Mose 30, 12 ein Losgeld wider den Tod, der nach Anschauung der ganzen Schrift (vgl. schon 1. Mose 3, 22; 5, 24) als Strafe der Sünde gilt, angeordnet. Wird nun bestritten, daß kafär überhaupt je im Alten Testament die Bedeutung „einen Preis für die Befreiung von der Gefahr, die dem Gott nahenden Menschen droht, zahlen", kurz: „loskaufen", habe, so muß der exegetische Beweis dafür angetreten werden. Zugestandenermaßen hat kafär oftmals denselben Sinn wie padäh und gac äl, den wir oben aus seiner Grundbedeutung abgeleitet haben: daß es sich an Stellen wie 3. Mose 19, 20; 25, 48. 49 nur um ein Kaufen, bezw. Loskaufen handelt, steht fest. Wo im Einzelnen bei kafär von einem Loskaufen die Rede ist,

76 darüber muß der Zusammenhang entscheiden. Anderseits treten in der ganzer: Opfergesetzgebung des Alten Testaments die Menschen, welche Gott ihre Opfer bringen, unter den Gesichtspunkt der Sünder, die soweit sie Sünder, der göttlichen Strafe verfallen sind, während die kreatürliche Beschaffenheit der Opfernden einen Lospreis nicht erfordert. Da nun Ritschl u. a. behaupten, daß es in der Opfergesetzgebung auf die Sündhaftigkeit der Menschen und einen Loskauf von der ihnen um ihrer Sündhaftigkeit willen drohenden Strafe nicht ankomme, ferner auch die Auffassung geltend macht, daß das Verständnis des neutestamentlichen lytrün und seiner Derivate nach Analogie der alttestamentlichen Opfergesetze zu fassen sei, so bedarf es einer kurzen Darlegung dessen, was der Sinn und die Bedeutung der pentateuchischen Gesetzgebung über die Opfer sei, namentlich wird sich fragen, auf welche Sünden die Opfer sich beziehen und auf welche nicht. Durch seine umständlichen exegetischen Erörterungen über den Stamm kafär hat Ritschl der theologischen Arbeit einen nicht geringen Dienst erwiesen: daß er gleichwohl die Bedeutung jenes Stammes nicht erreicht hat, ist einerseits in seinem nlangelhaften Schuldbegriff, anderseits in seiner fehlerhaften Auf­ fassung der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes begründet. Was er über kafär sagt, ist im Wesentlichen Folgendes (Rechts, u. Vers. II, 187 ff.):''

Das Zeitwort kipper, dem als Subjekt der Priester oder Moses, dem als Objekt eine Person oder Gerätschaften zugesellt seien, werde mit allen Opferarten in Verbindung gebracht. Die Sünde, um die es sich dabei handle und die durch die Präposition becäd oder häufiger durch cal mit kipper zusammengereiht werde, sei der Grund des kipper, des Bedeckens und mit „wegen" „in Bezug auf" zu übersetzen; sie sei aber nicht die bedeckte Sache. Die Handlung also, welche zur Bedeckung der Menschen wegen der von ihnen begangenen Sünden diente, sei vor allem andern die Blutsprengung gewesen, nicht die Tötung des Opfertieres selbst. Wenn es aber heiße: „die Seele bedecken", so stehe das keines­ wegs statt „die Sünde der Seele bedecken". Die häufige Wendung: „Die Sünde bedecken, das Unrecht bedecken", auch 1. Sam. 3, 14 beweise dafür nichts. Dazu komme, daß man schon deswegen

77

von „Sünden bedecken" nicht reden dürfe, weil auch bei den Brandopfern und Heilsopfern, die doch mit der Sünde nichts zu thun hätten, der Begriff kafär angewandt werde. Denn seit Gott seinen Bund mit dem Volke gemacht habe, sei sein Zorn dem Sünder nicht mehr gefährlich, vielmehr säume die beständige Gnade Gottes alle Sünde ohne Weiteres hinweg. An anderen Stellen, wie 4. Mose 31, 50 bezeichne kafär lediglich eine Erinnnerung vor Gott. Nehme man das alles mit 2. Mose 33, 20; 5. Mose 5, 23 und an anderen Stellen in Vergleich, so unterliege es keinem Zweifel, daß der Sinn des kafär dieser sei: die zu Gott heranzunahenden Menschen bedürfen eurer Bedeckrrrrg, damit sie nicht als Geschöpfe von dem Schöpfer verrrichtet rvürden. „Ist als Wirkung der Opferhandlungen die Bedeckurrg der einzelrren Geber oder je nach den Umständen des ganzen Volkes ausgesprochen, so wird mein wohl nicht umhin können, hierin beit Schutz zu verstehen, welcher für die Person nötig war, welche durch ihre Gaben mittelbar selbst vor das Angesicht Gottes gestellt wurde" (S. 203.). „Bei den Sünd- und Schuldopfern folgt die Vergebung einfach daraus, daß die solcher Opfer Bedürftigen unter dem Schutz der für ihre Fälle vorgeschriebenen Opferhandlungen vor das An­ gesicht Gottes gebracht worden sind und seine Gnade erfahren" (S. 204.). Dieser Auffassung Ritschls stehen aber nicht geringe Bedenken entgegen. Allerdings hat Ritschl Recht, wenn er die außerhalb des Bundes und innerhalb des Bundes dargebrachten Opfer nicht vermengt haben will. Indes ist es nicht sachgenräß, wenn er bei der Erläuterung dieser jene völlig außer Acht läßt. Und zwar darum nicht, weil die rechte Grenzlinie zwischen beiden oftmals schwer zu ziehen ist: war der Bund Gottes mit dein Volk Israel unter der Bedingung geschlossen, daß das Volk alle Gebote Gottes aufs Genaueste halten sollte, wie es öfter scharf betont wird (3. Mose 18, 4. 5; 5. Mose 27, 26), so hatte in der That, wer auch nur ein einziges, kleinstes Gebot übertrat, sich selbst außerhalb des Bundes gestellt, und einzig und allein die Gnade Gottes konnte es veranlassen, daß gewisse Sünden im Rahmen des Bundes getilgt wurden. Soviel wir sshen, sind Opfer nach Art derer „außerhalb des Bundes" einige Male dargebracht worden, um

78 das „im Bunde" stehende Volk zu bedecken (vgl. 4. Mose 17, 6—15; 2. Sam. 24, 24. 25).

Ferner: daß es sich beim Heiligtum um seine Reinigung

von der Befleckung durch Sünden handle, und der Gesichtspunkt, daß hier Geschöpfe ihrem Schöpfer begegnen, völlig fern liegt,

ergiebt sich aus Stellen wie 4. Mose 18, 1—7; 3. Mose 4, 2; 5, 15. 17; 12, 7. 8; 14, 20. 31; 4. Mose 15, 27 aufs deut­ lichste. Zum Überfluß wird an diesen Stellen ausdrücklich mit der

Sünde die Bedeckung zusammengebracht.

Ritschl für solche

kann auch

Wendungen wie „die Sünde bedecken",

Unrecht bedecken", und die Stelle 1. Sam. 3, zu beweisen,

er versucht aber

Das

daß

gerade

„das

14 nicht leugnen, diese Stellen

ohne

Und wenn sich das durch Machtsprüche beweisen

Gewicht seien.

Seine Art widerspricht ein­

ließe, so hätte ers freilich bewiesen.

fach dem exegetischen Grundsatz, daß Stellen, deren Deutung unklar,

durch klare Stellen beleuchtet werden müssen.

Wenn sich über­

haupt nur einmal im Alten Testament eine Wendung nachweisen ließe, die analog den Verbindungen

„jemandes Sünde bedecken",

„jemanden um seiner Sünde willen bedecken" etwa so lautete: „jemanden wegen seiner kreatürlichen Beschaffenheit (durch das

Deutlicher aber als 1. Sam. 3, 14, wonach

Opfer) bedecken!"

die

Sünde

bedeckt

des

werden

Hauses

können,

es beim kafär ankommt.

Eli

kann

durch

keinerlei

Opfer

werde

es nicht gesagt werden, worauf

Die Meinung endlich, daß die „Er­

innerung vor Gott" beim Opfer öfter als die Hauptsache erscheine, ist

durch

eine

sachgemäße

Exegese

ausgeschlossen:

der

Zusatz „zur Erinnerung" „zum Gedächtnis" (lesikkarön) will nur

das Mißverständnis abwehren, als ob, wenn die Sünde bedeckt würde, damit zugleich auch der Sünder vor Jahwes Angesicht verhüllt und unsichtbar gemacht werden sollte; im Gegenteil sollte und wollte Jahwe beim Opfer des Sünders gedenken, gerade dann,

wenn er ihn hinter der schützenden Decke sah.

Geradezu falsch ist auch der Schluß, den Ritschl zieht, wenn er darauf hinweist, das Zeitwort kafär werde auch auf Brand­ opfer, Rauchopfer und Heilsopfer bezogen, und schon darum könne es beim kafär auf die Sündenschuld nicht ankommen. Dagegen steht die Thatsache, daß die Sünd- und Schuldopfer das Centrum

79 des Opfergottesdienstes bilden, uud sämtliche andere Opferarten stets in Verbindung mit den: Sünd- und Schuldopfer erscheinen.*) Denn die Opfer sollten zur Aufrechterhaltung des von Gott mit

Israel geschlossenen Bundes dienen: dieser aber wurde nicht durch die kreatürliche Beschaffenheit der Israeliten gefährdet, sondern

durch ihre Sündhaftigkeit.

Cimnal oder zweirnal kommt eine Be­

ziehung der Opfer auf die Endlichkeit und Sterblichkeit der Opfern­ den vor, das kann jedoch bei der Fülle von Stellen, in denen die Opfer mit den begangenem Sünden in Zusammenhang gebracht

werden, nur der Bedeutung unterliegen, daß der Tod, in dem ja alle Endlichkeit der Kreatur sich konzentriert, nach allgemein alttestamentlicher Anschauung als Folge bezw. Strafe der Sünde gefaßt wird. Schützte das'Opfer in der That wesentlich nur vor dem

Tode, so entstände der Ungedanke, daß der Mensch, welcher sich Gott nicht naht, welcher ihm kein Opfer darbringt, eben darum

als sicher vor dem Tode gelte.

Was sollte ein Opfer, das nicht

mehr ausrichtet, als daß es den: Opfernden das Leben erhält, das

Leben, welches schließlich auch der Gottlose und Ungerechte ohne Opfer ebensowohl genießt? Vielmehr ruht bei der ganzen Bundesschließung und der damit zusammenhängenden Opfergesetzgebung

aller Nachdruck darauf, daß Israel dadurch eine besondere Aus­ zeichnung vor allen Völkern erfahre, die eben darin bestand, daß die Sünde, welche sonst den Verkehr zwischen Gott und dem

Menschen hindert, hier durch Gottes gnadenreiche Veranstaltung

unschädlich gemacht wurde. Die Entscheidung, die wir bisher über den Sinn des kafär getroffen haben, ist nun für das Folgende von größter Wichtigkeit.

Nach ben pentateuchischen Bestimmungen können keineswegs alle Sünden durch Opfer bedeckt werden.

Diese gelten nur für die

„aus Versehen" (bischgagäh) begangenen Sünden; für solche,

die „mit erhobener Hand" (bejäd ramäh) geschahen, war ein für

*) Noch Hiob bringt Brandopfer für die Sünden seiner Kinder dar (Hiob 1, 5), selbst wenn keine bestimmten Sünden Vorlagen, sondern es sich blos; darum handeln konnte, Menschen um ihrer Sündhaftigkeit im Allgemeinen willen vor der vernichtenden Heiligkeit Gottes zu schütze». Derselbe Gesichts­ punkt waltet übrigens 2. Mose 29, 35; 30, 12; 3. Mose 1, 4 ob.

80 allemal die Todesstrafe festgesetzt. Nicht die Opfergaben, noch der Priester, mögen auch beide noch so streng nach dem Gesetzesbuchstaben sich halten, können als solche für den Sünder Vergebung erwirken. Sondern das thut Gott selbst allein, der aus Gnade und Barmherzigkeit festsetzt (3. Mose 17, 11): „Ich habe euch das Blut auf dem Altar gegeben, daß es eure Seelen bedecke." Wer daher in Wort imb That diese Gnade und Barmherzigkeit nicht anerkennt und sich gegen Gottes Willen mit frevlerischem Sinn (das ist die Bedeutung der Wendung „mit erhobener Hand") auflehnt, für den ist kein Opfer möglich. Hingegen, wer durch Irr­ tum oder Schwachheit (das ist mit „aus Versehen" gemeint) sich zu einer Sünde verleiten ließ, dabei aber in seinem Bewußtsein am Bundesgott festhielt, sollte opfern. So finden sich eine Reihe Einzelbestimmungen darüber, für welche Verschuldungen Opfer ge­ boten bezw. zulässig seien, für welche nicht. Wenn anderseits jemand wegen eines traurigen oder fröhlichen Anlasses sich aus freien Stücken entschloß, Gott mit einem Opfer zu nahen, so hinderte ihr: daran keine gesetzliche Vorschrift, nur im Ritual hatte er sich ans Gesetz anzuschließen rmd für seine Innehaltung sorgten die Priester (4. Mose 29, 39). Was und wieviel er im einzelnen opfern wollte, war seinen: Gutdünken überlassen, nur daß er im allgemeinen sich nicht wider die gesetzlichen Bestimmungen verging. Die pentateuchische Opfergesetzgebung war nicht ursprünglich so gemeint, daß sie den, der Gott zu nahen vorhatte, beschränken oder gar hindern wollte, sonder:: sie wollte gerade einen recht regen Verkehr zwischen dem Volk und der Gottheit herbetführen, dan:it jeder Einzelne mehr und mehr von der gnädigen Gesinnung seines Gottes sich überzeuge. In ganz anderer Lage waren Israeliten, die vor menschliches Gericht gestellt wurden. Es gab große und kleine Vergehen genug — und ihrer schien die Mehr­ zahl zu sein — die auf dem Wege der Darbringung gesetzlich geordneter Opfer überhaupt nicht zu „bedecken" waren (vgl. z. B. 2. Mose 21, 13. 14). Auch hier hieß es unter Umständen, vor allem, wenn es sich um Vergehen gegen das Eigentun: handelte, daß ein köfer zu entrichten sei. Das liegt aber auf emen: ganz anderen Gebiet als das Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen, das durch Opfer geregelt war. köfer und köfer sind also aus-

81

einanderzuhalten, je nachdem sie auf gottesdienstlichem oder zivil­ rechtlichem Gebiet zur Anwendung kommen. Wir sönnen aus den angegebenen Gründen H. Schultz nicht zustimmen, wenn er dafür hält (alttestl. Theol. 2. Aufl. S. 352 f.): „In der ältesten Zeit hielt die Mehrzahl auch für sittliche Ver­ gehungen tn den Fällen, wo nicht Bann eintreten mußte, eine Ver­ söhnung durch Opfer und andere Leistungen für möglich." „Jnbezug auf Israel selbst giebt es keine Schranke für Gottes Ver­ söhnungswillen." Selbst wenn der erste Satz richtig wäre, wogegen das älteste Zeugnis, das in Betracht kommen kann, das Bundes­ buch spricht (vgl. die schon citierte Stelle 2. Mose 21„ 13. 14), so würde es doch vor allem auf den genuinen Sinn der Opfer­ gesetzgebung selbst, auf die Meinung ihrer Urheber ankommen. Schultz wirft hier unbewußt „Sünden bestrafen" und „Sünden bedecken" durcheinander, was alttestamentlichen Exegeten auch sonst leicht vorkommt. Er hat Recht, wenn er unter „andere Leistungen" auch Bestrafungen einschließt, woran er aber hier nicht denken kann. Wohl ist eine Parallele zwischen den Forderungen des mensch­ lichen Rechts und den Forderungen göttlicher Gebote insoweit mög­ lich, als hier wie dort einige Vergehen Bestrafung nach sich ziehen, andere Verzeihung erlangen. Daß gewisse Sünden durch Opfer bedeckt und also unschädlich gemacht werden, andere nicht, wurde schon hervorgehoben. Doch sind es keineswegs dieselben Sünden, die Gott vergiebt und die bei den richtenden Menschen straflos gelassen werden; die Sünden fallen nicht zusammen, welche Gottes Zorn reizen, und welche von den Richtern auf Erden des Todes würdig erachtet werden. Die Gebiete des menschlichen Strafrechts und der göttlichen Sühnordnung sind scharf zu scheiden. Dabei ist auch nicht zu übersehen, daß wenn Sünden vor Gott bedeckt werden (Sühnordnung), Strafe also nicht eintritt, doch in einzelnen Fällen nach geschehenem Bundesbruch die Strafe zugleich als „Be­ deckung" (Sühnmittel) gilt, und wiederum, wenn der Richter eine Strafe verhängt hat, damit durchaus noch nicht Vergebung bei Gott eintritt. Hat ein einzelner Sünder inmitten des Bundesvolks die verdiente Strafe erhalten, so ist* damit zwar das ganze Volk Israel, sein Land und sein Heiligtum „bedeckt", der Sünder selbst aber ist damit, daß er seine Strafe empfing, keineswegs auch II. 6

82

„bedeckt" (3. Mose 19, 20—22; 5, 15. 16). deckung",

„Sühnung"

So oft eine „Be­

geschieht, geht es nicht nach menschlicher

Rechtsordnung, sondern unabhängig von ihr nach dem Maßstabe

göttlicher Gnade. Diese göttliche Gnade darf aber nach alttestamentlicher Be­

trachtungsweise weder in Gegensatz zu Gottes Heiligkeit und Ge­ rechtigkeit treten noch gesondert von der Heiligkeit und Gerechtigkeit

gefaßt werden:, das ist für die richtige Auffassung der alttestamentlichen Opfer von hoher Wichtigkeit.

Die israelitische Religion

bezeichnet Gott als den Heiligen, der über alle Kreaturen hoch

erhaben sei, und stellt Gottes Heiligkeit, sobald sie sich auf Menschen bezieht, unter den Gesichtspunkt, daß die Heiligkeit von der Menschen

Sünde verletzt und befleckt werde. Diese Heiligkeit, die Reaktion gegen ihr nahende sündhafte Menschen, ist Gott so wesentlich, daß wer Gott sich unaufgefordert naht, den Tod erleidet. Da Gott nichtsdestoweniger einen Verkehr zwischen den Menschen und sich

wünscht, so giebt er ihnen „Decken", in welche sie sich einzuhüllen

haben, wollen sie ihm nahen. Doch haben nur die von Gott selbst für die Menschen angeordneten Decken diese das Leben schützende Wirkungskraft. Ritschl beschränkt analog seiner Deutung des kipper die Heiligkeit Gottes auf seine Schöpfererhabenheit über die Ge­

schöpfe, eine Auffassung, gegen die hier nur kurz auf Stellen wie Jes. 6, 5 ff. Hab. 1, 12 ff. hingewiesen werden kann.

Hat nun ein Mensch, der außerhalb des Bundes steht, durch irgend eine Sünde Gottes Heiligkeit verletzt, hat ein Israelit, der

innerhalb des Bundes steht, ein Vergehen begangen, das nach gesetzlicher Ordnung nicht „bedeckt" werden kann, so entbrennt nach

alttestamentlicher

Vorstellung Gottes Zorn.

Das ist diejenige

Modifikation der Heiligkeit Gottes, nach welcher er voll Hasses gegen alles Böse dem sündigen Menschen den Tod droht.

Die

pentateuchische Gesetzgebung ordnet Opfer für die Vergehen an,

welche vom göttlichen Zorn keine Strafe erleiden und läßt daher diesen nur durch außerordentliche Opfer versöhnen. Nur unter gewissen Voraussetzungen ist Gottes Heiligkeit als Zorn wirksam.

Innerhalb des Bundes wird er überhaupt als unschädlich angesehen, wenigstens nach den pentateuchischen ^Bestimmungen. Dennoch wird er mit Fleiß auf die Sünden auch der Israeliten und zwar gerade

83

derjenigen bezogen, die sich, obwohl sie sich zu den Frommen und Gerechten zählen, doch bewußt sind, durch irgend ein Vergehen aus

dem Bunde Gottes gewichen zu sein (Ps. 6, 2; 27, 9; 77, 10;

Jer. 10, 24).

Nur wenn

es

gilt, die Wirkungsweise der von

Gott angeordneten Opfer zu bestimmen, so findet nirgends ein Hinweis auf den Zorn Gottes statt. Auch der Gerechtigkeit Gottes wird in den Gesetzen über die

Opfer niemals Bedeutung beigelegt.

Gerechtigkeit wird Gott zu­

geschrieben, weil er für das Heil der Seinen thätig ist und ihnen

zu gut die Gottlosen und Frevler aus dem Wege räumt.

will Gottes Gerechtigkeit lediglich als

Ritschl

„die Folgerichtigkeit, mit

der Gott das bundestreue Volk seiner Bestimmung entgegenführt", deuten,

um die strafende Gerechtigkeit nicht gelten zu lassen.

Dem stehen aber Stellen wie Ps. 11, 6; 7, 12; Jes. 5, 16 aufs Entschiedenste entgegen.

Und wie Ritschl 2. Mose 9, 27; 2. Chron.

12, 6; Esr. 9, 15; Klag. 1, 18 die Gerechtigkeit von der Richter­ thätigkeit Gottes, zu der auch sein Strafamt gehört, ablösen will, ist für den unbefangenen Ausleger geradezu unverständlich.

Doch

darin hat Ritschl Recht, was für unsern Gegenstand am meisten in Betracht fommt, daß in den Opfergesetzen niemals die Bestrafung

der Sünder noch ihre „Bedeckung" aus der Gerechtigkeit Gottes hergeleitet wird. Ist es also auch richtig, daß der Zorn Gottes und die

Gerechtigkeit

Gottes

zu den Sünden der

Menschen,

auch der

Israeliten in Beziehung gebracht werden, mehr noch, wie wir

sehen werden, im Neuen als im Alten Testament, so darf doch für Erklärung der Opfer eine andere göttliche Eigenschaft als die Heiligkeit nicht angewandt werden. Nennt Hoffmann das Opfer

„eine die Schuld gut machende Zahlung an Gott", so ist das

unrichtig, weil hier die Gesichtspunkte des Bezahlens und Bedeckens

durcheinander geworfen werden, was nach unsern obigen Ausführungen unzulässig ist, weil auch die Heiligkeit, die hier allein in Betracht konnnen form, nut „Zahlung einer Schuld" zu kom­

binieren völlig unbiblisch ist.

Vielmehr werden auf Befehl Gottes,

das ist der Sinn des Opfers, Tiere geschlachtet, und ihr an den Altar gespritztes Blut hat die Wirkung, daß der Sünder wieder in die (durch die Sünde) verlorene Gemeinschaft mit Gott aufge-

6*

84

nommen wird. Gut erläutert Augustin (Vom Gottesstaat XVIII. Kap. 11): „Opfer ist ein jeglich Werk, das dazu dient, uns in die göttliche Gemeinschaft zu versetzen." Der locus classicus im Pentateuch, auf den sich alle Opfer-Erklärung zu gründen hat, ist 3. Mose 17, 11: „Das Blut bedeckt durch das (in ihm enthaltene) Leben", oder anders übersetzt „das Blut, das in der Seele ist, bedeckt", d. h. das Blut nicht als Blut, sondern als Sitz der Seele (des Lebens) hat die Bedeutung eines 'Deckmittels. So ent­ steht die Vorstellung: das Leben des Menschen wird durch ein anderes Lebens bedeckt, und des Menschen Leben (Seele) wird von Gott so hoch geachtet, daß mir ein anderes Leben ihm als Deck­ mittel, Schutzmittel dienen kann. Dagegen liegt dem Alten Testament der Gesichtspunkt völlig fern, daß der Sünder darum vom Opfertier bedeckt werde, weil an Stelle des Menschen, der von Rechtswegen den Tod verwirkt habe, das Tier geschlachtet wird. Die Handauflegung, die der Opferung voranging, hatte nicht die Bedeutung, daß die Sünden des Menschen auf das Opfertier übertragen wurden, vielmehr zeigte die Handauflegung an, daß das Tier damit seiner Bestimmung, ein Deckmittel der Sünde zu sein, überwiesen wurde (4. Mose 27, 18. 20). Die Schlachtung diente lediglich dazu, das Blut zu gewinnen. Wäre es auf das Tier als solches abgesehen, und seine Tötung die Hauptsache gewesen, so hätte in keinem Fall und unter keinen Umständen je an seiner Statt ein Opfer von Weizenmehl dargebracht werden können (3. Mose 5, 11). Die Sünden sind daher auch nach alttestamentlicher Vorstellung noch nicht getilgt, wenn das Opfertier den Tod erlitten hat, sondern erst, wenn das Blut an den Altar gesprengt ist. Aus alledem ist so viel klar, daß wer die Lehre von der stellvertretenden Genugthuung biblisch begründen will, kein Recht hat, von den pentateuchischen Opfergesetzen auszugehen. Unmöglich konnte auch jemand, der ein unschuldiges Tier den Opfertod erleiden: sah, damit er selbst straffrei bliebe, selbst wenn er vom tiefsten Schuldbewußtsein durchdrungen war, auf den Ge­ danken konnnen, daß hier das Opfertier die Behandlung erfahre, die ihm selbst von Rechts wegen zukomme: ohne daß dieser Gedanke ausdrücklich im Gesetz zur Sprache gebracht wurde. Denn stell-

85 vertretendes Strafleiden war schon dem alten Israel (wie übrigens

auch den meisten Heiden) ein geläufiger Begriff (vgl. 2. Mose 32,

30 ff., 5. Mose 21, 1 ff.).

Ein Hinweis darauf bei den Be­

stimmungen über die Opfer hätte also nahe gelegen, wäre er

geboten gewesen. Nicht ausgeschlossen ist, daß Einzelne beim Vollzug der Opferung jene Stimmung hegten, worauf mancherlei zu deuten scheint.

Das darf aber nicht in Betracht kommen, erstlich weil

es nicht deutlich genug ist, rind andererseits, weil jedenfalls der

Gesetzgeber es darauf nicht absah, und es nicht zum festen Bestand

religiöser Vorstellungen gehöret haben kann. Nur eine Art der Opfer verdient Erwähnung, bei der allerdings von einer Genugthuung in gewissem Sinn die Rede ist,

nämlich das Schuldopfer.

Hatte sich wer am Eigentum Jahwes

oder des Bundesvolkes vergangen, so mußte er durch ein Opfer Ersatz leisten, so wie es Gott durch die von ihm sanktionierte

Rechtsordnung forderte.

Und zwar hatte er erstens ein Schuld­

opfer darzubringen, dessen Größe der Priester nach Maßgabe des

von jenem begangenen Vergehens festsetzte; ferner aber hatte er

l1/- des Wertes zu ersetzen.

Opfer und Genugthuung sind also

hier wohl kombiniert, indeß bleiben sie zwei Handlungen, die selbständig neben einander stehen, und die Genugthuung hat mit

dem Opfer bezw. mit dem Tode des Opfertieres nichts zu thun. Wenn also das Opfer weder unter dem Gesichtspunkt der

Strafe noch unter dem der stellvertretenden Genugthuung dem Volk von Gott als Deckinittel gegeben war, so besteht gleichwohl die Frage noch gu Recht, ob nicht das Deckmittel als gleichwertig mit dem von ihm gedeckten sündigen Menschen vorgestellt wurde und eben darum als von Gott zum Deckmittel bestimmt galt. Stier will die hebräischen Wörter Lösegeld (kofer, pidjon) als einen

Preis verstehen, der dem der Bestrafung verfallenen Leben gleich­

komme. Das trifft einige Male zu, z. B. 3. Mose 25, 51. Aber was für den Verkehr zwischen Mensch und Mensch gilt, kann darum nicht ohne Weiteres auf das Verhältnis des Menschen zu

Gott angewandt werden.

Vielmehr, so weit das Alte Testament

uns darüber Aufschluß giebt, hatte das Opfer einfach darum, weil es von Gott geboten war, die Wirkung, einen Menschen zu „be­

decken".

Warum es aber Gott gefallen, gerade dieses Deckmittel

86 zu wählen, warum gerade die Sprengung des Blutes an heiliger

Stätte die Sühnung vollbrachte, darüber lehrt das Alte Testament nichts. Es stellt nur so viel fest, daß des Menschen Verschuldung so gewichtig und seine Sünden in Gottes Augen so abscheulich seien, daß Verkehr zwischen Gott und Menschen nur unter Voraus­

setzungen möglich sei, die sowohl die Heiligkeit Gottes als seine

Gnade und Barmherzigkeit zu ihrem Recht kommen ließen.

3. Es erübrigt noch, nachdem die Bedeutung der Opfer für die

Sühnung („Bedeckung") der Sünder» festgestellt, vor allem auf Jes.

53 zu kommen, weil diese Stelle von den apostolischen Schrift­ stellern zur Erläuterrrng des Heilswertes des Todes Christi sehr

häufig angezogen wird und ihre Auslegung auf den Sinn der Erlösung im Neuen Testament bedeutsames Licht wirft. Daß die Idee des stellvertretenden Strafleidens auf alttestamentlichem Boden seit den ältesten Zeiten nichts Unbekanntes sei, darauf wurde erst vorhin hingewiesen.

Am ausführlichsten

findet sie sich in ihrer ganzen Tragweite von Deuterojesaja am

Knechte Jahwes erläutert. Der Knecht Jahwes wird in seiner Er­ niedrigung, in seinem Elend, in seinem schmachvollen Leiden, was alles er unschuldig und geduldig trug, geschildert: er stirbt und

lebt doch weiter, und durch sein Leiden hat das ganze Volk das Heil. Schon die Apostel sahen in diesem Knechte Jahwes aufs

deutlichste den Messias geschildert, der durch Erniedrigung, Leiden und Sterben seinem Volk und aller Welt das Heil bereitet.

Der

Gedankengang des Propheten ist im Ganzen dieser:

Der Knecht Jahwes leidet, nicht weil er Strafe verdient

hätte, sondern zum Heil des Volkes.

Dieses hat durch die Sünden

des Abfalls von Gott und des Wandels auf selbsterwählten Wegen seinen Beruf, Träger des Heils für sich und die anderen Völker zu sein, versäumt, und so hoch ist seine Bosheit gestiegen, daß es

dem Unschuldigen in seiner Mitte, der an seinem bösen Wandel sich nicht beteiligt imb es vielmehr warnt nnd zurückhalten will, statt auf ihn zu hören, vielmehr das bitterste Leid zufügt, ihn verfolgt, martert und tötet, um ihn nur los zu sei,».

Der Knecht

Jahwes ist sich dessen bewußt, daß er nicht um seiner Schuld

willen leide; er weiß, daß die Schmerzen, die anderer» von Rechts

87 wegen auferlegt werden müßten, auf ihn gebürdet werden: er frägt in diesem Sinn die Sünden des

Folgen (v. 4 vgl. 4 Mose 14, 33).

ganzen Volks in ihren

Für das Verständnis dieses

geheimnisvollen Leidens wird auf Gott als seinen Urheber ver­

wiesen: das dient auch dem Leidenden zum Trost, daß die Liebe

Gottes, die des Volkes Heil herbeiführen wolle, ihm selbst alle die Schmerzen auferlege.

Gott hat beschlossen, auf dem Wege die

Sünden des Volks zu tilgen, daß Einer sie auf sich nehme und damit alle Anderen befreie. Diese Ordnung hat in Gottes Liebe und Gnade ihren Ursprung: der Knecht Jahwes indes muß den

Zorn Gottes tragen, den nicht er, sondern sein verdient hatte.

sündiges Volk

Doch nachdem der Knecht Jahwes das Aeußerste

erduldet und freiwillig sein Leben in den Tod gegeben hat, lebt

er weiter und teilt das Heil mit, das er durch sein Leiden bereitet und das damals kein Verständnis gefunden hatte.

Ueber die Auslegung und die Auffassung im Einzelnen herrschen die mannigfachsten Meinungsverschiedenheiten.

H. Schultz

und viele Aridere zweifeln, ob der Verfasser von Jes. 53 sich bewußt

gewesen sei, daß er eine Weissagurrg ausspreche; er habe über­ haupt kein Individuum vor Augen gehabt noch an die Zukunft

gedacht; auf das Werk des Knechtes Jahwes, nicht auf seine

Person sei es abgesehen. Indeß wenn auch Knecht Jahwes erstlich jeder Verehrer Gottes heißt, der ihm als seinem Herrn gehorcht (Hiob 1, 8; 2, 3; Jes. 54, 17), ferner wer einen speziellen gött­

lichen Auftrag zur Ausführung bringt (Jer. 25, 9), so gebraucht doch Deuterojesaja den Ausdruck deutlich in dreifachem Sinn: er versteht unter dem Knecht Jahwes das Volk Israel (z. B. 44, 1),

sich selbst (z. B. 44, 25) und endlich den Mann, der in zukünftiger Zeit das Gott entfremdete Volk in die Gemeinschaft mit Gott führen werde, kurz den erwarteten Messias ($.■ B. 42,

1—8).

Hier und an andern Orten finden sich Aeußerungen, die nur auf ein Individuum Bezug haben können und auf den Propheten nicht passen (v. 3, 7, 8, 9). Jedenfalls galt im Neuen Testament der

Knecht Jahwes iit Jes. 53 und sonst allgemein als der geweissagte Messias.

Und weit entfernt, es für nebensächlich zu halten, daß

die Aussagen irt Jes. 53 alle auf Ehristus gingen, wie Ritschl

und Menken wollen, setzen die Apostel diese Auslegung als so

88 bekannt und allgemein angenommen voraus, daß sie nicht einmal,

wenn sie aus Jes. 53 citieren, wie sonst, die Stelle angeben.

(1. Petr. 2, 22. 23. 25; Joh. 1, 29.) Ritschl erörtert die Bedeutung des leidenden Knechtes Jahwes

für das Heil seines Volkes mit diesen Worten: „Religiöse Märtyrer vermögen ihre Umgebung nicht bloß zu begeistern, sondern auch

durch Beschämung der Lauheit auf die Bahn der Glaubenstreue

zu bringen."

Das ist ein moderner Gedanke,

entspricht aber

entfernt nicht dem Sinne des Satzes, der auf alttestamentlichen Vorstellungen von der Realität und Macht der Sünde beruht:

„durch seine Wunden sind wir geheilt".

Mit mehr Recht tarnt

sich Ritschl hier auf v. 10 berufen: „wenn er sein Leben als Schuldopfer dahin gegeben hat." Das bedeutet: der Knecht Jahwes habe, indem er die Sünden des Volkes trug und den

Tod erduldete, dasselbe erreicht, was das Schuldopfer im Sinne des mosaischen Gesetzes erwirke; durch ihn seien die Sünder bedeckt und ihre Sünden getilgt, die Strafe hinweggenommen.

Das Wort

Schuldopfer ist an dieser Stelle nicht gewählt, weil es sich um die Verletzung göttlichen Besitzes handelte — darauf weist im Zu-

sammenhaitg gar nichts hin — sondern nur unter dem Gesichtspttnkt eines Opfers im Allgemeinen, das zur Bedeckung der Sünden dient. Also hat der Knecht Jahwes die Sünden des

Volkes mit der Wirkung auf sich genommen, daß das Volk die bösen

Folgen seiner

Sünden

nicht

zu

tragen

brattchte

rind,

nachdem es zuerst mit Sünden befleckt war, nun von denselben

gereinigt mit Gott Verkehr pfleget: konnte. Ritschl tu a. sind also int

Unrecht, wenn sie bei der Auslegung von Jes. 53 das Opfer gänzlich ausschließen wollen.

Nur soviel ist richtig, daß hier der

Gesichtspunkt des Opfers nicht den Ausschlag giebt und insbesondere v. 5 nicht vom Opferbegriff aus verstanden werden kann, sondern daß der Ton hier auf der Sanftmut und Geduld ruht, womit der

Knecht Jahwes den Tod erlitt. Oder ist hier vielleicht, weil tvir zur Vorbereitung der neutestamentlichen Lehre von der Erlösung alle Gesichtspunkte er­ schöpfen müssen,

oott einer Genugthuung an die Gerechtigkeit

Gottes oder von Gottes Zorn als dem Urheber 8er dem Knechte

Jahwes auferlegten Leiden die Rede? Das haben wir schon zu-

89

rückgcwiesen, daß im Schuldopfer eine Beziehung auf die Genug­ thuung vorliege, da das Wort nach dem Zusammenhang nicht zu pressen ist.

Einige Ausleger finden aber den Zorn Gottes im

5. Verse: „Strafe zu unserm Heil liegt auf ihm."

Dagegen hat

sich in erster Linie Menken (Anleitung, Beilage B., § 14) gewandt, doch nicht sine ira et Studio: erstens müßten dunkle Stellen stets nach den deutlichen erklärt werden,

zweitens habe das Wort

„Strafe" auch bei Luther öfter (vgl. Spr. 12, 1) eine Bedeutung

ethischer und pädagogischer Art, etwa

„Lehre" „Unterweisung". Die Septuaginta hätten also Recht mit ihrer Uebersetzung des

hebräischen musär schelomenu durch

das

griechische

paideia

eirenes, was Hieronymus durch institutio ad nostram pacem wiedergab.

Daß der Knecht Jahwes Strafe erleide, damit wir Endlich sei zu beachten,

Heil empfingen, sei überhaupt nicht gesagt.

daß das Volk erst in Vers 4 seine Meinung sage und in Vers 5 sich selbst berichtige, nachdem es seinen Irrtum erkannt. Die letzte Gegenüberstellung ist jedenfalls textgemäß,

und nach dem Tenor des ganzen Kapitels die Strafe aus der Liebe Gottes, die zu Heilszwecken also ver­

fährt, herleiten. 4.

Nachdem wir so einen breiten alttestamentlichen Grund gelegt haben, um uns ein sicheres Verständnis der neutestamentlichen Lehre von der Erlösung zu sichern, haben wir noch einige Grund-

90

sätze über das Verhältnis des Alten und Neuen Testaments fest­ zustellen, die für unseren Gegenstand von besonderer Bedeutung

sind.

Wer mit Wangemann eine solche Auffassung des Satzes:

noviim testamentum in vetere latet, hat, daß er sagt (Das Opfer nach der Lehre der heiligen Schrift S. 94): „Da der persön­

lichen Einheit des Antitypus (Christus)

eine

in mannigfaltige

Glieder zerspaltene Einheit des Typus gegenübersteht, so ist es unvermeidlich, daß

im Opferkultus

manches neben- und nach­

einander in einzelne Handlungen auseinanderläuft, was in Christo

sich einheitlich erfüllt. — Durch Nichtbeachtung dieses Kanons ist

z. B. Bähr zu dem Schluß gekommen, daß nicht der Tod des Opfertieres, sondern nur das Blutbesprengen sühnende Kraft habe,

daß das Schlachten des Opfertieres daher ein ganz untergeordneter Akt sei" — der hat keine Spur von historischem Verständnis und begreift nicht, daß es bei der Schriftauslegung in erster Linie sich

darum handelt^ festzustellen: Welcher: Sinn haben die alt- und

neutestamentlichen Schriftsteller selbst mit ihren Worten verbunden? Gewiß ist es eine notwendige und überaus dankbare Aufgabe, an

die nicht genug Kraft und Geist gewandt werden kann, festzustellen, wie viel die neutestamentlichen Schriftsteller

an

Gedanken und

Ausdrücken aus dem Alten Testament entlehnt haben.

Aber man

muß sich nichtsdestoweniger vor der irrigen Annahme hüten, als

seien die Apostel genötigt gewesen, das Gold ihrer Gewißheit vom

vollkommenen Heil in Gefäße vor: Vorstellungen zu füllen, die durchweg aus dem Alten Testament entlehnt waren.

Dazu waren

die Apostel, namentlich Paulus, zu sehr selbständige Denker, und

was mehr ist, vor allem neue Kreaturen, ihr ganzer Mensch mit all seinen Geisteskräften war im Dienste Christi verklärt, bereichert, erhöht worden. Ritschl thut den Aposteln Unrecht, wenn er an­ nimmt, sie hätten die Heilswirkungen des Todes Christi so ziemlich nur an ihrer Vorstellung von den Wirkungen der pentateuchischen

Opfer ermessen.

Da nur gewisse Arten von Vergehen durch die

gesetzlichen Opfer gesühnt werden konnten und die Opfer weniger

für den individuellen Verkehr des Menschen als solchen mit Gott

Bedeutung hatten, sondern zur Aufrechterhaltung des Bundesver­ hältnisses zwischen Gott und dem Volk, dessen Glied jeder Opfernde war, dienten; so haben die Apostel, voran Paulus, mehr neue

91 Vorstellungen und Begriffe ausprägen müssen, als Rischl annimmt. Denn am Ende war für ihre Gesamtauffassung weniger ihre aus dem Alten Testament überkornmeue Erbschaft als das Bedürfnis

der Menschenseele nach der Gerechtigkeit Gottes maßgebend. 5. Steht es also nach alttestamentlichein Sprachgebrauch fest,

daß es sich bei dem Begriff lytrun letztlich darum handelt, daß der Mensch durch einen gewissen Wert oder Preis vor der von dem Sünder verdienter: Todesstrafe bewahrt bleibe, daß die Todes­

strafe, obwohl von Gott beabsichtigt, unterbleibt, weil ein gewisser Wert oder Preis als Bedeckung des Menschen dient und dadurch die Todesstrafe verhindert; daß also „bedecken", „sühnen", „los­

kaufen"

einerseits

und

anderseits

„Bedeckung",

„Sühnmittel",

„Lospreis bez. Löspreis" verschiedene Ausdrücke für das gleich­

artige hebräische Bild des kipp er und kofer sind, so ist doch im Sprachgebrauch die Vorstellung des Lospreises, um den wer oder

was losgekauft wurde, mehr und mehr in den Vordergrund getreten. Zumeist handelt es sich auf alttestamentlichem Boden um einen

Löspreis, der vor Gericht zwischen den beiden Parteien festgesetzt wurde (Ex. 21, 30 u. a. St.). Stellen, in denen es sich um Los­

kauf von gewissen Pflichten handelt (wie Ex. 34, 20; Lev. 27,

30 ff.) kommen für unsere Sache nicht in Betracht.

Als Objekt

des Streites stand vor Gericht in der Regel ein Stück des irdischen Eigentums in Frage. Nur einmal kommt es in dieser Verbindung

vor, daß jemand durch den Löspreis sogar von der verdienten Todesstrafe frei wurde (Ex. 21, 28—30). Sehr selten wird auch hierbei eine Beziehung auf Gott angedeutet, bei dem ein Löspreis anwendbar sei, doch eben nur von ferne angedeutet (Nurn. 35,

30—34), und dabei in der gedachten Stelle erinnert, daß ein Löspreis nicht anwendbar sei. Regel war jedenfalls und ins israelitische Bewußtsein übergegangen die Überzcrrgung, daß vor

dem irdischen Gericht eine Rettung vor der verdienten Todesstrafe Daran knüpft Psalm 49, 8 ff. an daß ein Mensch den andern durch keirren Löspreis

durch Löspreis unmöglich sei. und bezeugt,

vor dem durch Sünde,: verdienten Tode bewahren könne (hier

wird padah gebraucht): wohl ist es eine Menschenseele (Menschen-

92

leben) wert, losgekauft zu werden durch den höchsten Preis, aber niemand in aller Welt kann den erforderlichen Löspreis entrichten. In diesem Sinn sagt der Herr Mark. 8, 37: was mag ein Mensch als Loskaufpreis seiner Seele geben? Also: wer auch seine Seele vom Tode loskaufen wollte, fände keinen Gegenstand, der zur Entrichtung des Löspreises hinreichte, die ganze Welt genügt dazu nicht. Dagegen wird Hiob 33, 23 ff. ein Engel angenommen, der in der Lage sei, einen Löspreis zu zahlen, und Gott durch seine Fürsprache bewege, den Bedrohten vor dem Tode zu bewahren. Doch ist es hier Gott, wie Ps. 49, 8 ff. ein-Mensch, der den Löspreis empfängt; ferner handelt es sich'hier rein um das physische Leben, bei Jesus um die Seele, deren Dauer und Wert ewig ist. Nach den pentateuchischen Opferbestimmungen durfte kein Sünder zu Gott herzunahen, ohne von der Decke eines .Opfers geschützt zu sein, alias durch den Löspreis eines Opfers sich los zu kaufen: demgemäß besteht in der ganzen Schrift die Anschauung, daß Gott trotz seiner Gnade und Barmherzigkeit um seiner Heiligkeit willen erst einen Löspreis empfangen wolle (eine Decke sehen wolle), um dessen willen er den Sünder vor dem drohenden Tode bewahre. Wenn nun auch Ritschl der Wucht des exegetischen Thatbe­ standes soweit weicht, daß er in dem Wort kafar die Bedeutung eines Lösepreises vor bem drohenden Tode nicht geradezu verkennt (Rechts. II. 78 f.), so will er es doch in erster Linie mit „Schutzmittel" übersetzt haben, und nur ausnahmsweise, wo es der Zu­ sammenhang erfordere, als „Lösepreis" deuten; nämlich in dem schon oben bei der Behandlung der Opfer erläuterten Sinn, daß er Schutzmittel für die kreatürliche Beschaffenheit des Menschen und Lösepreis von den dem Sünder drohenden Strafen auseinanderhalten will. Hier ist zu dem oben Verhandelten nur wenig hinzuzusetzen. Da an den entscheidenden Stellen, wie wir oben sahen, der Stamm kafar auf Sünden bezogen wird, so liegt die Annahme nahe, daß aus dem scharf ausgeprägten Begriff „Löse­ preis" allmählich, je mehr das Wort in der Sprache abgegriffen ward, der weitere Begriff „Schutzmittel" sich entwickelte. Das ist nach dem vorgefundenen exegetischen Thatbestand natürlicher als die Erklärung, daß aus dem unbestimmten Schutzmittel ein so eng um-

93

grenzter Begriff wie „Lösepreis" geworden sei. So pflegt ja in der Regel die Entwickelung einer Sprache vor sich zu gehen, daß Wörter, die ursprünglich in engerem Sinn gebraucht wurden, allmählich eine weitere Bedeutung annehmen. Für unsere Er­ läuterung sprechen auch die Septuaginta, welche in den meisten Fällen kofer durch lytron wiedergeben. Und wenn sie es öfter mit exilasma, allagma. wiedergeben, so halten sie doch selbst bei diesen Worten den Begriff des Löspreises fest, wogegen die ein­ malige Übersetzung mit döron nichts zu sagen hat. Die häufige Verbindung der Präposition „statt" (hebr. tachät) mit kafar spricht ebenfalls dafür, daß Löspreis die ursprüngliche Bedeutung von kofer war, oder wenigstens der Gedanke, daß es Schutzmittel heiße, fern lag. Ritschls Einwände gegen „die herkömmliche Erklärung" (II. S. 71—81) sind zum Teil Folgerungen aus den schon zurück­ gewiesenen $>et)ouptungcu, zum Teil sind sie gegen den Begriff der Aequivalenz gerichtet, auf den wir weiter unten genauer einzu­ gehen haben. Wenn übrigens Ritschl kofer ausführlich umschreibt als „solche Gaben, welche wegen ihres Wertes den Empfänger zum Schutz von Personen vor drohenden Übeln oder zur Befreiung aus drohender Gefahr bewegen können", so kommt er damit unserer Deutung ganz nahe. Eine durch einen Löspreis erreichte Befreiung von allen Übeln, die durch die Sünden herbeigeführt werden, das wollen wir in kipper finden. Beide Wendungen sagen unter wenig von einander abweichendem Bilde dasselbe, nur daß Ritschl die Sünde für die Deutung des kafar nicht gelten lassen will. Das scheidet auch hier uns und ihn. Dennach ist die Bedeutung von lytrun: frei machen von allen durch die Sünde verursuchten Übeln durch Zahlung eines Preises, um den der dem Menschen verschlossene Zugang zu Gott eröffnet wird. Das ist der Sinn, welcher dem lytrun in allen neutestamentlichen Stellen gemeinsam ist. Demnach hätten wir, wollen wir die gegebene Erklärung nach allen Seiten hin verständlich machen, zuerst die hier in Betracht kommenden Übel festzustellen, ferner zu fragen, ob und warum Gott eine so geartete Loskaufung, Erlösung verlangt, und drittens, wie gerade auf diesem Wege die Erlösung thatsächlich geschehen ist, darzulegen.

94

6. Im ganzen neuen Testament wird lytrün (erlösen) nur mit Beziehung auf das höchste Heil Gottes in Christo gebraucht. Daß einem Menschen ein Löspreis gegeben, daß etwas, was mit Christo nicht in Verbindung stände, als Löspreis betrachtet würde, findet sich nur in Andeutungen, nämlich um den Untergrund für die Erlösung im höchsten Sinn des Worts zu bieten (1. Petr. 1, 15 f.). Dabei verschlägt es nicht, ob Gott selbst oder Christus als Subjekt der Erlösung genannt wird: dem Sinn nach ist beides dasselbe, und die kombinierende Formel ist die bekannte des Paulus: „Gott war in Christo" (2. Kor. 5, 19). Was im Alten Testament von Gott als Erlöser ausgesagt wird (vgl. Jes. 41, 14; 54, 5; 60, 16), überträgt das Neue Testament auch cmf Christus und nennt ihn irr hervorragender Weise als Erlöser, so'daß dahinter die Bezeichnung Gottes als des Erlösers zurücktritt. Entsprechend nimmt das entfernte Objekt des Erlösens im Neuen Testarnent eine andere Gestalt an. Während es sich im Alten Testament um Übel aller Art, an Leib und Seele, an Geld urrd Gut, anr Leben, an der Ehre harrdelte, vor denen das lytron bewahren sollte, wird auf neutestamentlichern Gebiet als das Hauptübel, von dern zu erlösen es gilt, die Sünde genannt. Christus hat die Menschen in der Art von ihren Sünden erlöst, daß er deren Vergebung erwirkte: die Sünden können fort­ an den Verkehr zwischen Gott und den Menscheu nicht hindern. Eine größere Seligkeit kennt die ganze Schrift nicht als das Glück mit Gott in Gemeinschaft zu stehen: so ist das die Frucht der Erlösung, daß wir die Vergebung der Sünden haben und damit die Zuversicht, daß Gott uns allerwege gnädig gesinnt ist. Die Sünden, die wer thut, sind aus den: Wege geräumt, vernichtet; die Sünden, die wer hat, sind nicht mehr. Niemand aber will und kann von seinen Sünden erlöst sein als wer ihre Verderblich­ keit fühlt: das Schuldbewußtsein wird imt den Sünden aufgehoben. Was im Alten Testament durch citt Wort ausgedrückt wird, Sünde und Schuld, die objektive Macht der Sünde und die subjektive Er­ fahrung derselben tut Schuldbewußtsein (das hebräische ävön bedeutet beides: Sünde und Schuld), fällt im neuen Testament begrifflich auseinander, ohne daß darum die innere Zusammen­ gehörigkeit beider aus dein Auge gelassen wird. Wer an Christus

95 die Erkenntnis seiner Sünden gewonnen hat, ist bereit, alle ihre

Folgen zu tragen, da sie ihn an der Hauptsache, an der Gemein­ schaft mit Gott, nicht hindern können.

Sein, mit mit Luther zu

reden, in Gottes Wort gebundenes Gewissen bezeugt ihm, daß sein

innerstes Herz von Sünden befleckt ist, und nichts Gutes in ihm wohnt

(Röm.

daß

18),

7,

er

Gericht verfallen ist

Gottes

(Rönt. 3, 19) und seine Strafen ivohl verdient habe. Der Zwiespalt im natürlichen Menschen, der ihn in seinem eigenen Gericht wegen seiner Sünden aller Strafen würdig zeiht und doch keinen

Weg aufweist, auf dem er sich von jenen Sünden losmachen könne, wird durch die Erlösung in Christo aufgehoben. Indem der Mensch also Vergebung der Sünden und Tilgung seiner Schuld erfährt,

wird er gerechtfertigt, in die Kindschaft aufgenommen und ist im Besitz der ganzen Fülle göttlichen Heils (Gal. 4, 6: Eph. 3, 12;

So kommt die Aufhebung der Sünde

Röm. 4, 7. 11; 8, 34). zustande (Hebr. 9, 26).

Und zwar wird das alles wesentlich und

objektiv an die historische Thatsache des Todes Jesu angeknüpft (vgl. Röm. 3, 24 mit 4, 25). Schleiermacher und Nitzsch wollen die Erlösung nicht im Tode Jesu vollendet sein lassen, sondern:

indem wir infolge seines Todes mit Christo sterben und hernach

mit ihm leben, erst dann komme die Erlösung zustande.

Beck

erläutert Erlösung als „reale Wesensbefreiung aus dem gericht­

lichen und moralischen Verhaft der Seelen."

auf

laufen

den

Jrrtunt

einer

Beide Auffassungen

Verwirrung

der

(objektiven)

Rechtfertigung und der (subjektiven) Heiligung hinaus und sind für uns damit erledigt, daß wir auf das Bestimmteste unterscheiden zwischen der objektiven Thatsache der Erlösung im Kreuzestode Christi, die einmal für allemal geschehen ist, und ihrer subjektiven

Aneignung in den Menschenseelen, die im Laufe der Zeit fortgeht. Völlig andersartig und für den Wesensbestand des christ­

lichen Heils ungleich gefährlicher ist die These Ritschls, der in der Erlösung eine Befreiung sieht, die nur auf solche Sünden zu be­

ziehen sei, welche im Alten Testament mit dem Namen

Versehen

geschehen",

im Neuen Testament als

„Unwissenheit"

(ägnoia) charakterisiert werden (Rechts. II. 239 ff.).

im

Ungehorsam

sündige,

so

daß

seine

Sünde

„aus

als

Wer aber „bewußte

Gesetzesübertretung" (anomia) zu gelten habe, werde verdammt

96 und habe keine Vergebung zu erwarten. Diese These sucht Ritscht in einem Streifzug durch alle neutestamentlichen Schriften zu erhärten. Indes verknüpft er dabei erstlich die von Christo vollbrachte Erlösung mehr als zulässig mit den Opfern der pentateuchischen Gesetzgebung, cutd) an Stellen, wo eine Beziehung auf die Opfer ganz ferne liegt, vor allem aber ist es ihm nicht gelungen, auch mir eine Stelle ausfindig zu machen, wo mit der wünschens­ werten Deutlichkeit die Unwissenheit und der Bundesbruch gegen­ übergestellt werden. Vielmehr wird das Prädikat der Unwissenheit zum Teil auf die Heiden, die voin Heil in Christo allerdings nichts wissen konnten (Ap. 17, 30, 1. Petri 1, 14, Eph. 4, 18) angewandt, oder der anderweitige Zusammenhang weist in den fraglichen Stellen nach, warum die Vergebung nicht auf alle begangenen Sünden bezogen wird (Ap. 3, 17, 1. Tim. 1, 13) von Hebr, 9, 6 ganz zu geschweigen, wo lediglich von der isra­ elitischen Sühnordnung die Rede ist. Jmnier aber ist es der Kontext, der dem Wort „Unwissenheit" die von Ritschl ihm all­ gemein zugedachte Bedeutung zuweist. Sind auch Jesus und seine Apostel alle darin einig, daß die Sünde der Verstockung keine Vergebung findet, da sie eben für Vergebung unempfänglich, ja widerspenstig gegen sie macht (Matth. 12, 31 ff., Ebr. 6, 4 ff., 1. Joh. 5, 16), so haben sie doch niemals alle anderen Sünden unter dem Gesichtspunkt der „Unwissenheit" zusammengefaßt. Ja, so wenig hat Jesus selbst sich dafür entschieden, daß eine Seele jene Sünde schon begangen habe, daß er vielmehr auch solche Leute mit der ganzen Allgewalt seiner Liebe vor dem Verderben zu retten sucht, die nach Ritschl's Urteil zur Buße von ihren Sünden unvermögend waren (Mare. 3, 22—29). Auch wußte der Herr wohl, daß Judas ein Teufel sei (Joh. 6, 70) — oder wollte Ritschl annehmen, seine Sünde sei bloße Unwissenheit gewesen, und doch habe sie Jesus mit so scharfein Namen benannt? — und doch hat er sich bis zum letzten Augenblick bemüht, ihn von seiner lange geplanten Schandthat zurückzuhalten. Jakobus fordert (4, 4) die Ehebrecher auf, solche also, die nach alttestamentlicher Vorstellung „mit erhobener Hand" gesündigt hatten, sich zu bekehren, muß also die Möglichkeit ihrer Bekehrung angenommen haben. Und wenn Ritschl von Paulus Lehre zugeben muß, „namentlich

97

der Römerbrief enthält verschiedene Data, welche dem allgemeinen Sündenzustand, sofern er als Objekt der Erlösung vorgestellt wird, ein viel schwereres Gewicht zu verleihen scheinen, als welcher dem Begriff der Unwissenheit entspricht", so wundert man sich nur über ein Wörtlein in diesem Satzgefüge, nämlich über das Wörtlein

„scheinen". Läßt man es fort, so wird der Satz sofort richtig. Ist denn nicht ein himmelweiter Unterschied zwischen der Unwissen­ heit, die Römer 1, 21 ff. gestraft und mit allem gottlosen Wesen pnd der Ungerechtigkeit der Menschen (v. 18) auf gleiche Stufe gestellt wird, und der Unwissenheit, welche in den pentateuchischen Opferbestimmungen eine „Bedeckung" erfährt?

dort deutlich genug hervorgehoben,

Und wird nicht

daß die Unwissenheit eine

verschuldete gewesen ist? (v. 19, 20, 21, 32).

Wenn ferner

Röm. 7, 7—11 die Unwissenheit als Ursprung der Sünde gilt,

so bezeugt es auch hier die nachfolgende Schilderung der Gewissens­ qualen, daß die Unwissenheit als Schuld gilt. Und ganz deutlich ist Eph. 2, 2—3, wenn man nicht durch die Erklärung Ritschl's

„nach hypothetischem Urteil"

sich verwirren läßt:

„unter den

Söhnen des Ungehorsams, unter denen auch wir die Gelüste des Fleisches und unserer Gedanken vollbrachten." Also selbst wer mehr als Unwissenheit, wer den Ungehorsam ausübt, ist zum Heil

gelangt. Gelüste

Auch erhellt, daß es bei der Sünde vor allem auf „die

des

Fleisches",

nicht

auf die Unwissenheit

ankommt.

Endlich bezeugt es Johannes so klar als möglich (1. 17): „Das Blut Jesu reinigt uns von jeder Sünde." Rur eine Ausnahme

kennt er, die er ebenda 5, 16 anführt. So ist es also klare neutestamentliche Lehre, daß durch die Er­ lösung in Christi Tod Vergebung aller Sünden und Tilgung

alles Schuldbewußtseins geschieht. Gilt das für unsere sündige Vergangenheit, so erstreckt sich die Wirkung der Erlösung doch auch in die Zukunft. Der Erlöste ist der Sünde nicht mehr Unterthan

und gehorsam, sie hat keine Macht noch Gewalt über ihn. Das meint Petrus, wenn er schreibt (1, 1, 18): „ihr seid aus eurem eitlen, von den Vätern überkommenen Wandel erlöst" (vgl. ähn­

liche Stellen Apost. 1, 5. Tit. 2, 14).

Das Leben, welches seine

Leser bisher „in den früheren Lüsten" (14) geführt, hatte sie wie Sklaven behandelt, so daß sie infolge seiner großen Macht nicht

II.

7

98 „Kinder

des

Gehorsams"

nämlich

„des

Glaubens

an Jesum

Christum" werden konnten und dursten (wobei es übrigens nicht

zweifelhaft bleiben kann, daß Gott als Subjekt der Erlösung ge­

dacht ist).

Christus aber hat unsere Sünden dazu ans Kreuz

hinaufgetragen und getötet, damit wir mit den Sünden nichts

mehr zu thun hätten und für die Gerechtigkeit lebten (2, 24).

Weiß z. d. St. (Neutestl. Theol. 4. Ausl. S. 167) behauptet, es handle sich nicht um ein Lösegeld, das Christus einem anderen gezahlt

habe, sondern nur darum, daß Gott sich unsere Erlösung einen hohen Preis habe kosten lassen, nämlich die Hingabe seines Sohnes

in den blutigen Tod.

Gleichwohl bleibt die Vorstellung vom Tode

Christi als eines Lösegeldes bestehen. Hätte Christus nicht sein Leben als Lösegeld eingesetzt, so hätte Gott jenen hohen Preis nicht bezahlt.

Daß in lytrun der Begriff des Loskausens, des

Preises, enthalten sei, das hält ja auch Weiß fest, und dann ist es das Zunächstliegende, den Preis als Lösegeld zu fassen, wie

das in den anderen ähnlichen Stellen auf der Hand liegt. Jeden­ falls ergiebt sich aus der genannten Stelle^ daß nicht mit dem Tode Christi unmittelbar die Freiheit vom Dienst der Sünde

gesetzt ist, sondern aus dem Umstande, daß er die Sünden in seinen:

Tode trug, folgt für uns die sittliche Pflicht, daß wir nicht mehr in den Sünden zu verharren haben, sondern der Gerechtigkeit leben müssen, und mit der sittlichen Pflicht ist im Tode Christi

unmittelbar die Kraft zu ihr gegeben.

Viel näher geht auf den

fraglichen Punkt Paulus eiri, der etwas abweichend die Macht der Sünde nicht durch den Tod, sondern durch das sündlose Leben

Christi im Fleisch zerstört sein läßt.

Die Sünde, die über alle

Menschen herrschte und ihnen ihre Verurteilung vor Gott zuzog, ist jetzt von Christo „im Fleische", auf dem Gebiet, auf dem sie

bisher stets Siegerin geblieben war, angegriffen, besiegt und ver­ urteilt worden (Röm. 8, 3).

Es ist also der thatsächliche Nachweis

im Erdenleben Christi geführt, daß die Sünde im Fleisch besiegbar ist, und durch Christus die Garantie gegeben, daß auch wir sie durch ernsten Kampf überwinden werden.

Zu diesem Kampf werden wir

ermutigt und gestärkt durch die überschwenglich große Liebe, die

im Tode Christi sich uns aufgethan hat, so daß die also von der Macht der Sünde Erlösten „fernerhin nicht sich selbst leben, sondern

99

dem, der für sie starb und auferstand" (2. Kor. 5,18). Mut und Stärkung kommen aber den Erlösten in der Taufe zu, nämlich

durch die Gabe des heiligen Geistes (Röm. 7, 6. 8,2. 14).

Und

weil der Geist Gottes Christi Geist, weil Christus selbst der Geist

ist (2. Kor. 3,17) so wohnt Christus selbst im Menschen (Röm. 8,19) und der Erlöste wird, nachdem er durch den Glauben in die Lebensgemeinschaft Christi eingetreten, mit diesem ein Geist. In

diesem Leben des Erlösten vollendet sich Schritt für Schritt die Befreiung von der Macht und Herrschaft der Sünde (nach Paulus), die Petrus 1, 1,18 mit „erlöst werden" bezeichnet.

Sie

vollendet sich

in

stetem Widerstreit mit

zahlreichen

Uebeln, welche der Sünde auch des Erlösten anhängen, sofern dieser noch nicht ganz von ihr befreit ist, welche mit dem sündigen Weltzusammenhang gegeben sind.

Wenn auch im Alten Testament

die Vorstellung vorherrscht, daß Sündenvergebung und Lossein von Sündenstrafen zusammenfallen, so werden beide Begriffe von Christus und seinen Aposteln scharf gesondert (vgl. die Heilung

des Gichtbrüchigen, Matth. 9,1 ff.).

Als die Kapitalstrafe der

Sünde erscheint in der Schrift der Tod, im Alten wie im Neuen Testament (Jak. 1,15, Röm. 5,12, 6, 23, 7, 5, 8,10 u. s. w.). Durch seinen Tod hat Christus die Wirkungen des Todes aufge­

hoben, so daß der Erlöste nicht im Tode bleibt, sondern durch den Tod in ein neues, wahres, unvergängliches Leben eingeht.

Ohne

Christi Tod hat der Mensch nur ewigen Tod zu erwarten, durch ihn das ewige Leben (Matth. 25,46). Daher die Mahnung:

„Fürchtet den, der Seele und Leib verderben kann" (Matth. 10,28). Die Erlösten werden „wie die Engel Gottes im Himmel sein"

(Matth. 22, 30 vgl. überhaupt Gal. 3,13, Joh. 8,51. 11, 25. Röm. 6, 8. 8,13. 38). Daher gilt der dem nicht erlösten Sünder so schreckliche Tod als ein Schlaf (1. Kor. 15, 6. 18). Wer als Erlöster starb, gelangt unmittelbar in die vollkommene, selige Ge­ meinschaft mit Christo, so daß Paulus wünscht, „außer dem Leibe zu wohnen und daheim beim Herrn zu sein"

(2. Kor. 5, 8 vgl.

Phil. 1, 23). Endlich, wann die gegenwärtige Welt vergangen, dann ist der Tod gänzlich vernichtet: „als letzter Feind wird der

Tod aufgehoben" (1. Kor. 15, 26), „und der Tod wird nicht mehr sein" (Off. 21,4).

100

Der Tod ist aber nur die letzte, endgiltige Strafe der Sünde, er wird vorbereitet durch alles Uebel und Unglück während dieser Erdenzeit.

Schon im

Alten Testament gelten alle Uebel

als

Strafen der Sünde, als Strafen, die Gott verhängt (Gen. 3,16 ff. Num. 14, 34, Jer. 2,19).

Jesus und seine Apostel bestätigen

diese Auffassung (z. B. Matth. 9,2, Joh. 5,14). Hat nun Christus die Seinen von allen Uebeln erlöst, so tragen diese zwar mit ihren Sünden auch deren Folgen: aber einmal sind sie durch

die Liebe Gottes im heiligen Geist gewiß, daß denen, die Gott lieb haben, alles zum Guten mitwirkt (Röm. 8,28): denn alle Uebel empfinden sie als väterliche Züchtigungen oder Bewährungs­ mittel ihres Heilsstandes, nicht als Strafen zu ihrem Verderben

(Jak. 1, 2 ff., 2. Kor. 8, 2). Ferner haben sie die feste Zuversicht, daß ihre gegenwärtige leichte Trübsalslast ihnen eine überschwänglich große, ewige Herrlichkeit verschafft (2. Kor. 4,17) vgl. Phil. 1, 29.

1. Pet. 3,14. 2. Kor. 1, 3).

Und was im Buche Hiob dem Ver­

fasser als Ahnung vor der Seele schwebt, von Jesus deutlich aus­

gesprochen wird, daß die Größe der Leiden eines Menschen nicht aus der Menge oder Schwere seiner Sünden abzuleiten sei, ist dem Erlösten in der Weise gewiß, daß er zwar durch seine Sünden von Rechtswegen Strafe erwartet, gleichwohl eine Trennung von der Liebe Gottes in Christo für ihn ausgeschlossen ist. In dieser Gewißheit sieht er hoffnungsfroh der Zeit entgegen, wo in Er­

füllung geht, daß Gott von den Augen alle Thränen abwischen wird (Off. 21,4) wo alle Uebel, Leiden, Unvollkommenheiten ein Ende haben (1. Kor. 13,10. Röm. 8, 23. Cph. 1,14. 4, 30) und

hält an am Gebet: erlöse uns von dem Uebel (Matth. 6,13). Alle Gott und dem Heil des Menschen feindlichen Mächte, Sünde» Schuld, Tod, Uebel werden im Neuen Testament bisweilen,

wo es sich um die Erlösung handelt, so angeführt, daß der Ge­ samtheit derselben ihr Prinzip im Satan gegeben wird. Er, der Vater aller Schlechtigkeit, der Verleumder, lenkt die der Sünde Unter­ thanen Menschenseelen nach seinem. Gefallen (Off. 12, 9, Jak. 4, 7, Apost. 5, 3), vorausgesetzt, daß Gott es ihm gestattet (Matth. 6,13) und die Seele ihm gehorsam ist (Matth. 26,41), und insbesondere

werden Krankheiten öfter auf seine Einwirkungen zurückgeführt (Matth.

12,43—45. 22, Luk. 13,16).

Sein Leben lang hat

101 der Mensch mit dem Teufel und seinen Gesellen, die

in der

Finsternis dieser Welt herrschen, einen Kampf zu führen (Eph. 6, 11. 12. 16).

Wer eine Sünde in sich aufkommen läßt, von dem

heißt es: er macht dem Teufel Platz (4, 27).

Sein Haupttrachten

geht dahin, den Menschen in ewiges Verderben zu stürzen (1. Pet. 6, 8, das ganze Joh. Ev.) Als Herr des Todes gibt er alle seine Anhänger

in den Tod, in dem er selbst steht (Hebr. 2,14). Christus war der Erste, der den Kampf mit ihm aufnahm und als vollkommener Sieger über ihn hervorging.

Schon als der Teufel ihn an seinem

messianischen Werk irre zu machen versuchte (Matth. 4, 1 ff.), überwand er ihn und vernichtete seine Macht, mit welcher der Teufel

auch ihn zu überwinden sich zugetraut hatte. Ferner gewann er durch Heilung zahlreicher Dämonischer viele Siege über ihn (Luk. 10,18.19), und die Dämonen selbst mußten es anerkennen, daß er zu ihrer

Vernichtung gekommen sei (Luk. 4,34).

Endlich feierte er in

seinem unschuldigen Tod den höchsten Triumph über den Teufel;

denn mit dem Tode geschah, was Kol. 2,15 rühmt. Damals vernichtete er den Machthaber über den Tod, nämlich den Teufel

(Hebr. 2,14).

Indem er die Schuld, den Tod, die Uebel, alles

was mit der Sünde zusammenhing, aus dem Wege räumte, entriß er die Menschen, die mit diesen allen aufs innigste verflochten

waren, der Herrschaft jenes Tyrannen (Off. 5, 5. 6, 5. 12,10). Wie er selbst wohl vom Tode scheinbar überwältigt, aber doch nicht sestgehalten werden konnte, gleich also müssen die Erlösten

zwar sterben, ohne aber damit in des Teufels Gewalt zu geraten.

Denn dieser hat nur Macht über solche, welche durch Beharren in ihrer Sünde ihm als willige Beute zufallen.

Die Erlösten

aber werden durch Gottes Gnade vor des Teufels Macht bewahrt und wider das von ihm gedrohte Verderben geschützt (Joh. 17,15).

Sie überwinden den Teufel und dessen Bundesgenossin, die Welt (1. Joh. 4, 4. 5, 4).

So vollzieht sich Gottes Heilswille über die

Menschen gemäß den Worten: sie „von der Finsternis zum Licht

zu bekehren" (Ap. 26,18) und: „er hat uns von der Obrigkeit der Finsternis frei gemacht" (Kol. 1,13).

Denn „Finsternis" muß

der Satan heißen im Gegensatz zum Licht, das Gott ist: wie

bei ihm, dem Teufel, Finsternis, Irrtum, Verderben, so bei Gott Licht, Erkenntnis, Seligkeit.

102

7. War also eine Erlösung der Menschen, sollte anders ihnen geholfen werden, eine unbedingte Notwendigkeit um der Menschen willen, so ist doch damit nichts über die Frage entschieden, wie Gott sich zu einem Löspreis überhaupt verhält; ob er im Neuen

Testament an der Erlösung ebenso interessiert erscheint wie die

Menschen, ob auch um Gottes willen die Erlösung der Menschen

geschehen mußte. Von vielen wird der Vorgang der Erlösung lediglich in die Menschenbrust verlegt und bestritten, daß der Menschen Erlösung in Gott selbst eine irgendwie geartete Ver­

änderung zu Wege gebracht hätte.

Andere meinen, es sei eine

müßige Frage, ob Gott auch um seinetwillen einen Löspreis gefordert oder ob er ihn nur um der Menschen willen, bez. weil es die Umstände so mit sich brachten, in einer gewissen Herab­ lassung zu den Menschen oder in Anpassung an der Menschen

Bedürfnisse und Wünsche angenommen habe. Wir behaupten, daß uns über alle diese seit vielen Jahrhunderten in der Theologie

vorbereiteten und verhandelten Kontroverse das Neue Testament sehr deutliche Entscheidung giebt, was durch exegetische Beweis­

führung im Einzelnen git erhärten bleibt. Eine Sache für sich ist dann noch die These des Paulus und anderer, daß gerade der Tod des Sohnes und der durch seinen Tod bezahlte Löspreis der einzige Modus der Erlösung gewesen sei. Darin zwar zunächst sind sich alle einig, daß zu oberst die Gnade Gottes allein der Grund sei, daß überhaupt eine Erlösung

geschah, und nur um der Gnade Gottes willen ein Löspreis bei ihm Annahme fand. Damit hält es sich nach dem Neuen Testament so, wie mit den vom Gesetz angeordneten Opfern: sie hatten ihre Kraft lediglich davon, daß Gott selbst sie aus Liebe und Barm­

herzigkeit eingesetzt hatte. Aber wie wir oben zeigten, daß gleich­ wohl die Heiligkeit Gottes eine Bedeckung der Sünden nach alttestamentlicher Vorstellung erfordere, so waltet derselbe Gesichtspunkt im Neuen Testament ob: sonst könnten die Menschen, die es um ihrer selbst willen nicht würdig sind, nicht zu Gott herzunahen.

Nun urteilt Ritscht, die Heiligkeit Gottes trete überhaupt im Neuen Testament zurück, sie sei so gut wie gar nicht mehr im Gebrauch. (Rechts. II, 91 ff.). Allein wenn Christi Tod im Neuen Testament

als Opfer betrachtet wird — und wie oft geschieht das! — so

103

mußte damit für jeden am Verständnis des Alten Testaments ge­ bildeten Verfasser und Leser (und solche waren die Christen des

ersten Jahrhunderts insgesamt) sich die Vorstellung des heiligen Gottes unmittelbar verbinden.

Ohne das wäre überhaupt das

Bild des Opfers unverständlich geblieben.

(Eph. 5, 2; vgl. mit

3. Mose 1, 9: „ein lieblicher Geruch für Jahwe" —ferner Hebr. 9, 24 ff.; 19, 20; 1. Joh. 2, 4; 4, 10; Off. 15, 4.)

Aber

darin freilich ist Ritschl zuzustimmen, daß das Neue Testament

mehr den Begriff der Gerechtigkeit als den der Heiligkeit zu Grunde

lege, wenn es von Sünde und Erlösung handle.

Im Alten

Testament steht hier die Heiligkeit oben an, im Neuen heißt es, daß von wegen der Gerechtigkeit Gottes den Sündern Strafen und

der Tod drohen. Die Gerechtigkeit gilt meistens als StrafGerechtigkeit. Das stellt Ritschl für alle Stellen in Abrede: an einigen wie 1. Pet. 2,

23; 2. Tim. 4, 8 sei von vorn herein

nach dem Vorgang des Alten Testaments die Gerechtigkeit lediglich „die Folgerichtigkeit des Verfahrens zum Heil der Gläubigen";

wo aber die Auffassung der Gerechtigkeit als einer richterlichen Eigenschaft Gottes „nahe zu liegen scheine (!)", müsse man doch bei dem ersteren Sinn stehen bleiben. Gegen diese Meinung lassen

sich aber schwere Bedenken geltend machen.

Die

Erörterungen

Röm. 1, 18 ff.; 2, 5—8; 2. Thess. 4, 1—7 sprechen so hand­ greiflich für die Gerechtigkeit im richterlichen Sinn, daß Ritschl mit seinen sehr geschraubten Deutungsversuchen keinen Eindruck

machen kann. Andere Stellen wie Röm. 1, 32; 2. Tim. 4, 8; 1. Petr. 2, 23 behandelt er gemäß seiner vorgefaßten Meinung

und findet darum, was er finden wollte. Den Grund seiner allen diesen Stellen gegenüber zur Schau getragenen exegetischen Be­ fangenheit läßt er dnrchblicken, wenn er die Furcht ausspricht, es würde aus der Auffassung von der Gerechtigkeit Gottes im

richterlichen Sinn „ein Verdienst nach Würdigkeit" (meritum de condigno) sich ergeben, das doch kein evangelischer Theologe werde

anerkennen wollen (S. 13).

Um diese böse Folgerungen zu ver­

meiden, bedarf es doch nur einer ernstlichen Unterscheidung zwischen

göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit, ferner zwischen der Ge­

rechtigkeit, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften richtet, und der­ jenigen, welche es mit solchen zu thun hat, die im paulinischen

104 Sinn gerechtfertigt sind. Ist nämlich Gerechtigkeit diejenige Hand­ lungsweise, dasjenige Verfahren, das aus jemandes sittlich nor­

miertem Wesen sich ergiebt, so folgt, daß wir Gottes Gerechtigkeit in diesem Sinn nur in soweit zu bestimmen vermögen, als sein Wesen uns bekannt geworden ist, und sie immer an der mensch­

lichen Gerechtigkeit zu messen haben, da uns ein anderer Maßstab fehlt: also nur in einem einigermaßen beschränkten Sinn und nur

im Wechselverhältnis mit der Gnade ist sie zu würdigen. Daran

liegt es, daß, wenn Paulus Gott gemäß der von ihm selbst zur Nachachtung für die Menschen festgestellten Norm verfahren läßt (vgl. Röm. 9, 11—14), er wohl unterscheidet zwischen der Gerechtig­ keit, welche durch Erfüllung des Gesetzes erlangt wird und dem Menschen unerreichbar ist (Römer 10, 5; 5, 12), welche den Tod

für den Sünder bestimmt (Röm. 2, 5. 8), und der Gerechtigkeit,

welche seit Christi Tod das Heil darreicht (Röm. 3, 25) und jedem Sünder nach Empfang dieses Heils die Norm für sein Handeln vorschreibt (1. Joh. 1, 9.). Hiermit ist jegliches „Verdienst aus der

Würdigkeit" ausgeschlossen, und doch kann man die Gerechtigkeit Gottes auch in diesem letzteren Sinn als richterliche bezeichnen: soll ja das Heil Christi dazu dienen, daß der Mensch der Norm Gottes mehr und mehr sich nähere und nach der höchsten Norm

einst gerichtet werde und dabei doch bestehe, nämlich aus Gnaden. Bei der nach dem Gesetz verfahrenden Gerechtigkeit Gottes sind die Menschen mehr und mehr in die Knechtschaft der Sünde geraten, und ihrem Wandel muß die Anerkennung Gottes mangeln (Röm.

3, 23): so folgt Gottes Urteil, daß sie allesamt seinem Gericht

verfallen sind und Strafe zu gewärtigen haben, nachdem sie es verdienen (Röm. 3, 7. 9. 20.). Sofern die Gerechtigkeit Gottes, die also von den Menschen verletzt ist, ans Gesetz geknüpft erscheint, heißt es: das Gesetz verfluche die Menschen, indem es ihnen näm­

lich den Tod, die Strafe der Sünden androht (Gal. 3, 13.). Aus diesem Zusammenhang erhellt, wie Gott über alle Sünden

zürnt, wie sein Zorn über jeden Sünder ergeht (vgl. Röm. 2, 3. 5. 8; 13, 4.).

„Offenbart wird der Zorn Gottes über alle

Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen" (Röm. 1, 18). Hier ist also der Beweis, den Ritschl bei Hoffmann vermißt, welch letzterer „ohne biblischen Beweis alle Übel in der Welt für Offen-

105 barungen des göttlichen Zorns ausgebe."

Ritschl inüht sich, die

Offenbarung des göttlichen Zorns auf das Endgericht zu beschränken (II, 142 ff.). Aber feine Exegese ist auch hier sehr gezwungen. Unmöglich kann Röm. 2, 5 auf 1,

18 zurückbezogen werden, da

1, 32—2, 4 keineswegs ein und denselben Gedanken verfolgt, sondern zwischen 1, 32 und 2, 1 ein plötzlicher Übergang

von den Heiden zu den Juden stattfindet, und 1, 19—32 gerade

eine weitläufige Exemplifikation des Zornes Gottes, der 1, 18 angekündigt war, geschieht. Wenn Ritschl ferner Röm. 5, 9 den Zorn auf die Sünden beschränkt haben will, die jemand nach geschehener Rechtfertigung begangen, meint er auch hier dem Zu­

sammenhang gerecht zu werden mit der These, der Zorn im End­ gericht sei vorgestellt? Oder versichert nicht Paulus gerade im

Gegenteil: „vielmehr, nachdem wir gerechtfertigt sind" (v. 9), um damit zu sagen, daß sie jetzt von der Gefahr des Zornes frei seien, der ihnen zuvor, ehe sie gerechtfertigt waren, gedroht habe? Und weil hier lediglich vom Zorn Gottes wider die sündigen

Menschen die Rede ist, so kann, was unmittelbar in v. 10 folgt,

„da wir noch Feinde waren" (wie 11, 28) nur im Sinne von „Gott verhaßt" verstanden werden (vgl. 1. Thess. 2,16.). Daraus ergiebt sich mit Evidenz, daß nach paulinischer Vorstellung aller­ dings in Gott selbst eine Änderung der Gesinnung und des Ver­ fahrens mit den Menschen vor sich gegangen ist, seitdem diese durch Christi Tod von ihren Sünden erlöst sind. Fragt man nun frei­

lich weiter, wie das denkbar, vorstellbar sei, so haben wir darauf keine Antwort, weil eine derartige Reflexion Paulus fern liegt und zu unserm Heil nichts austrägt. Es ist uns eine Grenze unseres

Erkennens gesetzt. Fest steht, daß die Menschen, die der Erlösung nicht teilhaftig sind, nach Paulus als „Kinder des Zornes von Natur" (Eph. 2, 3) zu gelten haben, daß aber vermöge der in Christo geschehenen Erlösung Gott versöhnt ist und seine gnädige

Gesinnung bethätigt.

Ob auch Ritschl diese Auffassung für „heid­

nisch" erklärt, so meinen wir nur so der öfter auch von Christus

selbst betonten Notwendigkeit seines Heilswerkes in Leiden und Sterben gerecht zu werden (Luk. 24, 26.).

Denn an der Hand

der Schrift und des dort geoffenbarten Willens Gottes, nicht nach

historischer Betrachtungsweise seines Lebens will der Herr den

106 Jüngern nachweisen, daß eine Erlösung geschehen müsse und zwar gerade so, wie sie eben geschehen werde und geschehen sei. Und

schließlich hing es ja an Gottes Willen allein, den Tod Christi zu werten und seinen Wert für die Menschen fruchtbar zu machen (Hebr. 5, 5.).

Indem Ritscht die Vorstellung vom Zorne Gottes wider alle Sünden hinwegzuräumen sucht, will er sie besonders mit folgendem Argument in Mißkredit bringen:

„Es wäre fast zu verwundern,

wenn sich an der ursprünglichen christlichen Fassung des Gottes­ begriffs jenes Vorbild sentimentaler unb egoistischer Naturen be­ währen sollte, welche nach einer erfolglosen Liebeswerbung (?) int Stande sind, in Zorn zu geraten und dadurch kundzugeben, daß sie zu wirklicher Liebe unfähig sind" (Rechts. II, 122.). Nein,

darum handelt es sich ganz gewiß nicht. Dieser Vergleich ist ganz

unzutreffend. Ein wahrhaft guter Mensch wird wider alles Böse im tiefsten Grunde des Herzens entrüstet sein, sich mit Heftigkeit von den Aeußeruirgen der Bosheit in Worten und Thaten ab­ wenden, und dabei doch versuchen, das Böse zu überwinden und

durch das Gute, das ihm eigen ist, es vermögen, für das Gute durch sich selbst, durch seinen Anblick und Eindruck, zu werben. Keines­

wegs wird er beim ersten mißlungenen Versuch sich abkehren, sondern

gerade im Gegenteil wird es ihm Bedürfnis sein, für seine Sache zu werben, bis die Aussicht unrettbar dahin ist und endgiltig aufhört. Das wäre ein besseres Bild des zürnenden Gottes gewesen als

jene sentimentalen trnd egoistischen Naturen, wenn es auch eben nicht mehr als ein Bild ist.

Ein Unterschied zwischen dem Zorne

Gottes im Alten Testament und im Neuen Testament ist gewiß vorhanden, aber nicht so, wie Ritschl es will, sondern einfach so,

daß Gottes Zorn im Neuen Testament viel deutlicher erkannt und viel mehr ethisch fundiert wird. In welchem Verhältnis aber der

Zorn Gottes und die Liebe Gottes zu denken sind, darauf geht überhaupt kein neutestamentlicher Schriftsteller ein, so daß diese Frage der Dogmatik allein überlassen bleibt und die Schrift nur die Unterlagen zu ihrer Beantwortung bietet.

Warum es nach Paulus einer Aussöhnung Gottes mit den Menschen bedurfte, das ist aus dem Zusammenhang des göttlichen Zorns mit der menschlichen Sündhaftigkeit ersichtlich, wenn auch

107 Versöhnung und Sünde nicht unmittelbar neben einander gestellt

sind. Trifft der Zorn Gottes alle Sünde, so ist die Umwandlung des Zorns durch die Erlösung erforderlich und verwirklicht um der Sünde willen.

Diese Vorstellung vom Zorne, wie wir sie

nach der Lehre des Paulus aufgezeigt haben, ist allein geeignet, vor Herabsetzung der Sünde und vor zu geringer Wertung der Erlösung zu bewahren, damit jene nicht als eine Art Irrtum oder Schwach­

heit, diese nicht als Ueberführung und Zurechtstellung eines Irrtums

erscheine.

Darum hat die Kirche ein ernstes Interesse daran, um

die objektiv-reale Auffassung der Sünde in der heiligen Schrift aufrechtzuerhalten, ihr besonders in unserer subjektivistischen, der religiösen Zerklüftung anheimgefallenen Zeit mit Nachdruck den Zorn Gottes korrespondieren zu lassen.

Und wenn auch die beregte

Herabsetzung der Sünde und zu geringer Wertung der Erlösung

keineswegs mit jener zurückgewiesenen Vorstellung vom Zorne Gottes

notwendig zusammenhängt — nein, auch bei Annahme dieser kann man von Sünde und Erlösung mit dem größten sittlichen Ernst urteilen — so liegt doch die Gefahr dazu sehr nahe und ist längst

nicht immer vermieden worden.

8. Es hängt letzlich alles daran, eine klare biblische Erkenntnis davon zu gewinnen, daß und wie gerade durch Christi Tod die

Erlösung der Menschen verwirklicht ward. Ritschl hält dafür, daß man den Tod Christi nicht richtig werten könne, wenn man ihn nicht mit den pentateuchischen Opfern

zusammenhalte (II,

161 ff.).

Da nämlich öfter, wenn vom

Blute Christi die Rede sei, die Opfer angezogen würden, so meint er, an allen Stellen, wo Christi Blut erwähnt werde, an die alttestamentlichen Opfer denken zu müssen.

Das geschieht aber nur

durch Anwendung einer sehr gezwungenen Exegese. An Stellen wie Eph. 1, 7; 1. Petri 1, 19 weist im Zusammenhang rein gar nichts auf die Opferbeziehung hin.

Und wenn Ritschl anderseits

betont, daß Jesus ja nicht an Verblutung, sondern durch die auf

die Ueberreizung des Nervensystems folgende Erschlaffung desselben gestorben sei, und daher meint, das Blut, welches ja freilich je

nach dem Zusammenhang unleugbar auf einen gewaltsam erlittenen

108

Tod Hinweise, werde in der neutestamentlichen Litteratur nur in Anknüpfung an die Worte Christi bei der Einsetzung des heiligen Abendmahls so häufig angewandt, so läßt sich dagegen nichts ein­

Aber die Folgerungen, die Ritschl daraus zieht, mitzu­

wenden.

machen, sind wir außer Stande.

Deirn es genügt zur Erklärung

der Sache nicht, die Bedeutung des Blutes Christi im heiligen

Abendmahl durch Erinnerung an das Blut des alten 2. Mose

24 beschriebenen Bundesschlusses zu erhärten.

Mit einer solchen

Parallelisierung hätte dach Christus nimmermehr — auch nach Ritschl nicht — die Bedeutung seines Todes erschöpfen können.

Sondern der Anlaß, der ihn zur Wahl des Wortes, „das Blut" bestimmte, war wohl der Wein, der vor ihm stand, der als Flüssigkeit und durch seine rote Farbe an das Blut, den edlen

Lebenssaft, erinnerte. Und Thema seiner Worte waren sein Tod und dessen Bedeutung. Beides hatte er zuerst an dem verteilten und gegessenen Brot versinnbildlicht: hier fehlt die Beziehung auf das Opfer vollständig, obwohl sie wohl hätte herangezogen werden

können, da ja auch unblutige Opfer in Israel bekannt genug

waren.

Der Wein aber sollte dazu dienen, sein Blut vorzustellen,

das vergossen werden mußte,

bildlichen.

sollte ebenfalls seinen Tod versinn­

Daß Jesus das Blut „Blut des Bundes" bez. den

Kelch „den neuen Bund" nennt, hat seine Bedeutung gewiß nicht durch die Beziehung auf 2. Mose 24 erhalten. Denn dem Israeliten

war längst ein neuer Bund aus den Propheten bekannt, der in der messianischen Zeit sich erfüllen sollte (vgl. Jes. 54, 10; Jer. 31, 31 ff.; Ezech. 37, 36), aber von einem Opfer und dem dabei vergossenen Blut war an allen diesen Stellen keine Rede.

Es wäre

also von Jesus sehr mißverständlich geredet gewesen, hätte er die

Bedeutung seines Todes durch ein bei der Schließung des neuen Bundes dargebrachtes Opfer erläutern wollen. Damit hätte er jedenfalls seinen Hauptzweck nicht erreicht, nämlich den Aposteln einen unauslöschlichen Eindruck von der über die Maßen großen

und herrlichen Bedeutung seines Todes zu geben, wenn er ihn bloß dem bei der Schließung des mosaischen Bundes dargebrachten Opfer gleich bez. parallel gestellt hätte.

Vielmehr kam es Jesus

augenscheinlich darauf an zu erläutern, wie lauter Heilsgüter den

Jüngern aus seinem Tode zu teil würden, Heilsgüter, die er unter

109 dem Namen „Bund" „neuer Bund"

zusammenfaßte.

Und wollte

er diesen Namen aus dem Alten Testament rechtfertigen und ver­ ständlich machen, so mußte er, so

mußten seine Jünger an die

genannten Prophetenstellen denken, nicht aber an

2. Mose

24.

Freilich der Ausdruck mag dahin weisen, die Sache aber führt

Und die Exegese muß den inhaltlichen Zu­

zu jenen Propheten.

sammenhang

hoch

über

formelle Beziehungen

erheben.

Damit

fällt jede Berechtigung zur Erklärung der Sache sich auf 2. Mose 24 zu berufen.

Aber selbst wenn die Parallele zwischen dem Blut

Jesu, das zum Zweck einer Bundschließung vergossen wird, unb dem Blut jenes

ersten mosaischen Bundesopfers in den Vorder­

grund gestellt wird, folgt daraus keineswegs, daß der Wert des Todes Jesu an dem Wert des alttestamentlichen Bundesopfers zu

messen sei, sondern nur, daß dieses und Jesu Tod manches Ge­ meinsame haben.

Ob aber nicht des Verschiedenartigen vielleicht

ebenso viel oder noch mehr als des Gemeinsamen sei,

Zusammenhang lehren.

muß der

Gemeinsam mag bei den beiden zu ver­

gleichenden Gegenständen das zu vergießende Blut und der damit

zustandekommende Bund sein,

verschiedenartig ist jedenfalls das

Ergebnis, nämlich hier die „Vergebung der Sünden" (bei Matth.), „mein Gedächtnis" (bei Paul.), und jene Vergebung hing eben nach

prophetischer Vorstellung und daher auch im Bewußtsein der Apostel von etwas ganz Anderem als von einem Opfer nach Analogie von 2. Mose 24 ab. Folglich kann auf keine Weise das Verständnis des Blutes Christi im Neuen Testament an den Opfergedanken des Alten Testamentes seine Norm finden, soweit man dabei auf die Abend­

mahlsmorte zurückgehen will.

Dazu steht Ritschl sich selbst im

Wege, wenn er übersieht, daß das Bundesopfer nach 2. Mose 24,

5 aus Brandopfern und Heilsopfern zusammengesetzt war, die ja

nach Ritschl mit der Sünde überhaupt nichts zu thun haben, während hier der Zusatz „zur Vergebung der Sünden" gerade für Ritschl eine Beziehung aufs Opfer gänzlich verbieten müßte.

Mit bett vorstehenden Ausführungen haben wir schon ge­ troffen, was Ritschl zu 1. Kor. 10, 16 bemerkt, einer Stelle, die

er ebenfalls aufs Opfer zu deuten sich müht.

Da sie aber aus den

ursprünglichen Abendmahlsworten abgeleitet sein muß, und keine

110 andere Beziehung als die Erwähnung des Blutes aufs Opfer geht, so kann sie noch viel weniger von einem Opfer verstanden werden

als die Cinsetzungsworte. Äuch ist hier zu erinnern, daß zwischen Christi und der Opfertiere Tod darin vor allem ein großer Unterschied obwaltet, für die Sühnung welcher Sünden sie Bedeutung haben.

Schon

oben haben wir davon gehandelt. Niemand als wer annimmt, daß Christus nur für die in der „Unwissenheit" begangenen Sünden ge­ storben sei, hat Grund und Recht, die Wirkungen seines Todes an der

Kraft der alttestamentlichen Opfer zu messen. Ganz abgesehen davon, daß die Opfer nur innerhalb der Theokratie Israels be­ standen, während Jesus seine Jünger längst zu lehren angefangen

hatte, daß auch außerhalb der Theokratie heilsbedürftige und empfängliche Seelen der Erlösung warteten und nicht vergeblich warten sollten.

. Wo also im Neuen Testament thatsächlich der Tod Christi mit dem Opfer verglichen ist, wird seine Heilswirkung dainit keineswegs erschöpft, sondern nur eine Seite, eine Wirkung des­ selben bezeichnet.

Paulus hat viele Stellen, in denen er vom

Tode Christi handelt, aber die erste, in der er ihn unter dem Ge­

Opfers betrachtet, findet sich Eph. 5, 2. Im Hebräerbrief aber ist freilich sehr oft von Christi. Opfertod die

sichtspunkt des

Rede — doch warum? Auch hier ist nicht das Opfer in Christi Tod das Primäre, sondern der priesterliche Charakter des Herrn:

Opfer und Priestertum Jesu sind hier einander korrespondierende Begriffe.

Und der Verfasser gebraucht sichtlich das Wort „Opfer"

von Jesu Tod erst dann, wenn er mit dem Priester Jesus nicht

mehr ausreicht, oder weil zum Priester gewiß in erster Linie, aber doch nur unter anderm, das Geschäft des Opferns gehörte. Wo Christus mit dem alttestamentlichen Sündopfer verglichen wird (Hebr. 9, 13. 14), ist (nicht bloß in den vorhergehenden Versen, sondern überhaupt in den früheren Kapiteln) Jesu Priestertuin

ins hellste Licht gestellt worden, und darüber sind unvergleichlich nrehr Worte gemacht als über das Opfer.

Uebrigens muß Ritschl selbst wider Willen die Schwachheit

seiner. Position, so weit es auf das Verhältnis des Todes Christi zuyr alttestamentlichen Opfer ankommt, eingestehen, indem er meint:

111 »Ob irgend einer von den Aposteln der nachgewiesenen Beziehung,

daß der Mensch vor der vernichtenden Wirkung der Nähe Gottes geschützt werde, gerade auch beim Opfer Christi gedacht habe,

läßt sich nicht mit Sicherheit erkennet!"

(S. 208).

Ist dem in

der That so, dann muß das als bedenkliches Kriterium der bezüg­ lichen These Ritschls gelten. Schriftsteller

sich

zu

Wie endlich die neutestainentlichen

denjenigen Opfern gestellt haben,

die im

mosaischen Kultus nicht vorgeschrieben waren (vgl. Num. 17, 11;

2. Sam. 24, 18 ff.; 2. Chron. 29, 21 ff.), ob diese ebenso oder anders als die int Pentateuch vorgeschriebenen Opfer aufgefaßt seien,

davon schweigt Ritschl überhattpt. Da sich aus allem ergiebt, daß lytrun in einem weiteren Sinne zu fassen ist als das ihm entsprechende kafar im penta-

teuchischen Gesetz, daß es bedeutet: einen Löspreis geben, durch den jemand von seinen Sünden und allem, was daran hängt, frei wird, so müssen wir auf anderem Wege als im Anschluß an

das Opfer festzustellen suchen, warum gerade durch Christi Tod die Erlösung vollzogen ist. Zwar das haben wir öfter zu betonen Gelegenheit gehabt, daß nach der Schrift alle Sünden Strafe Gottes verdient haben (vgl. Röm. 3, 19). Es klingt unglaublich, wenn Menken be­

hauptet (Anleitung, Beilage 6): „In der Geschichte von dem Fall der ersten Menschen oder in der Geschichte, wie ursprünglich die

Natur süitdlich und sterblich geworden ist, findet sich kein Wort Gottes, das bett Menschen Strafe androht, den Verlust des Para­ dieses und die Mühseligkeiten des Lebens abgerechnet." Als ob letzteres nicht Strafe genug, als ob die Schrift nicht voll von Beispielen dafür wäre, wie alle Sünde nach göttlichein Gesetz ihre Strafe nach sich zieht. Es fragt sich aber, ob eine Aufhebung

und ein Unschädlichmachen der Sünde vielleicht auf anderm Wege als durch Strafe möglich ist. Zahllose evangelische Theologen alter Zeit und einige wenige der Gegettwart sind der Ansicht, die Schrift kenne nur eine Art der Sündentilgung, ihre Bestraftmg: Christus

habe daher eine so große Strafe auf sich genommen, wie alle Sünden aller Menschett ztt allen Zeiten zusatnntengefaßt verdient

hätten, und er habe das Zorngericht Gottes wider diese Sünden­ menge itt jedem Augenblick seines Lebens furchtbar entpfinden

112 müssen.

Denn vermöge seiner strafenden Gerechtigkeit habe Gott

auf keine andere Weise die Möglichkeit gehabt, Sünden zu ver­ geben. Luther lehrt, „Christus sei von Gott an unserer Statt verordnet, der alle Strafe, die wir verdient hatten, auf sich nähme", „in seinem zarten unschuldigen Herzen mußte er fühlen Gottes

Zorn und Gericht wider die Sünde, schmecken für uns den ewigen Tod und Verdammnis und in Summa alles Leid, was ein ver­ dammter Sünder verdient hat und leiden muß ewiglich." Aehnlich lehren Melanchthon, lutherischen Kirche.

die Bekenntnisse und die Dogmatiker der Quenstedt, der diesen Punkt der Lehre mit

am schärfsten wiedergiebt, führt aus: Gott sei seiner Barmherzig­

keit gemäß bereit gewesen, die Sünden zu vergeben, habe aber vermöge seiner „Gerechtigkeit" es nicht anders machen können als indem er „ins suum urgebat“ und eine Genugthuung für die Beleidigungen, die ihm durch die Sünde zugefügt seien, empfing. Daher habe der Gottmensch Christus thätigen und leidenden Ge­ horsam gegen Gott erfüllt, und sein derartiges Leben sei von unschätzbarem Wert wegen seiner göttlichen Stellung; damit habe

er insonderheit in seinem Leiden und Sterben auch alle die Sünden­ strafen getragen, die von Rechtswegen wir und alle Menschen zu­ sammen hätten tragen müssen, nicht extensiv, aber intensiv, und weil jeder Tropfen seines Bluts unendlichen Wert habe, so habe

er der Gerechtigkeit seines Vaters vollkommen Genüge geleistet, und alles was Christus dadurch erworben, nämlich vollkommene Vergebung der Sünden und alle ihre Früchte/ würden vermöge der richterlichen Gerechtigkeit Gottes auf die Menschen, die dazu

geeignet wären, übertragen. Diese Auffassung hat aber, wie sehr sie beflissen ist, den Ernst der Sünde und die Würde Christi zu wahren, am Neuen Testament keinen Halt.

Hiergegen gilt es betonen, was wir schon

im Anfang erwähnten, daß die bürgerlichen Rechtsverhältnisse, wenn sie in der Theologie zur Erläuterung der Erlösung heran­ gezogen werden, dem religiös - sittlichen Verhältnis zwischen Gott und den Menschen unterzuordnen sind. Thatsächlich ist die

vermeintliche Aequivalenz zwischen dem, was Christus that und erlitt, und dem, was allen Menschen zusammen um aller ihrer Sünden willen droht, nicht vorhanden. Es ist ein unvollziehbarer

118 Gedanke, daß Christus die Strafen für alle Sünden, die je begangen

waren und noch begangen werden sollen, geschweige die ewige

Verdammnis in irgend welcher Gestalt hätte erleiden können. Hat

er die Strafe für alle schon getragen, warum werden auch wir noch immerfort für unsere Sünden gestraft, warum müssen noch

alle Menschen, ob erlöst oder nicht erlöst, so viel leiden? Wir sehen hier eine Lehre, die von Sünde, Sündenstrafe, Gerechtigkeit

u. a. handelt, als wären es materielle und nicht vielmehr geistige und sittliche Größen. Dennoch stoßen wir uns keineswegs bloß

an der Unfaßbarkeit dieser Lehre, und sie ist uns nimmermehr der entscheidende Grund, aus dem wir sie ablehnen — giebt es doch Unbegreifliches, andere Mysteria genug für unsern Glauben, die uns die Schrift nicht erhellt. Aber das ists eben: ein derartiges

Mysterium kennt die Schrift nicht, vielmehr weist das Neue Testament

die schwersten Gründe dagegen auf und nennt uns einen andern Weg, auf dem wir die Erlösung durch Christum begreifen sollen. Zuerst bemerken wir, daß der Tod Christi im ganzen Neuen

Testament nie unter den Gesichtspunkt einer Strafe gestellt wird.

Wir übergehen hier Jes. 53, 5, weil es schon oben zur Sprache kam.

Sehr beachtenswert aber ist, daß die Stelle 5 Mose 21, 23:

„ein Fluch Gottes ist der Gehenkte" von Paulus Gal. 3, 13 wiedergegeben wird: „verflucht ist jeder, der am Holz hängt", und

zwar nicht nach den Septuaginta, die „verflucht von Gott" lesen. Er .hat also gerade das Wort, auf das es hier ankäme, weggelassen

und so auch den Schein vermieden, als ob Christus ein Gegen­

stand des Fluches Gottes gewesen wäre. Ferner kann 2. Kor. 5, 21 nichts weiter bedeuten, als daß der sündlose Christus wie die Sünde selbst behandelt worden sei, nämlich von seinen Feinden,

und daß diese von den Menschen ihm angethane Mißhandlung von Gott zur Rechtfertigung der Menschen gewandt wurde. Ueber das „wie" muß der Zusammenhang Auskunft geben, und der sagt jedenfalls von einer Strafe Gottes gar nichts, sondern betont nur

Christi Liebesgesinnung.

Wollte man aber aus dem Opfercharakter

des Todes Jesu folgern, daß dieser als an unserer Statt getragene, von Gott geordnete Strafe anzusehen sei, so wäre das nur bei einer unrichtigen Auffassung des alttestamentlichen Opfers möglich, die wir schon zurückgewiesen haben.

n.

8

114 Bei einer schriftgemäßen Darstellung Jesu ist auszugehen von Röm. 3, 25.

des Erlösungstodes

Dieser Vers ist so zu

deuten: Gott muß auf jeden Fall seine Gerechtigkeit erweisen, wenn

er Sünden vergeben will.

Die Sünden, die im alten Bunde

begangen worden, sind übersehen, nicht zugedeckt gewesen.

Um

sich nun als gerecht zu erweisen, hat Gott die vom Gesetz verhängte Strafe über die Sünde nicht vollzogen, sondern einen andern Weg eingeschlagen, ein hilasterion errichtet, und Christum zu diesem hilasterion (— Mittel der Bedeckung, der Sühnung) bestimmt. Indem also unsere Sünden bedeckt, gesühnt sind, sind wir frei und

los von ihnen und ihren Folgen, von allen Strafen.

Christi

Erlöserwerk ist an die Stelle unserer Strafe getreten: in diesem

Sinn darf man davon reden, daß Christus unsere Strafen getragen

habe, also doch nur in sehr übertragenem und weit vermitteltem Sinn. Insofern ist auch Christi Leiden ein stellvertretendes ge­ wesen (vergl. Hebr. 9, 28). So hat uns Gott in Christi Tod seine Gnade erzeigt, damit das Verderben nicht über uns herein­

bräche. Nachdem Christus an unserer Statt gestorben, brauchen wir nicht mehr zu sterben (ewig zu verderben); er brauchte ja um

seinetwillen von Rechts wegen den Tod nicht zu erleiden (1. Pet. 3, 18; 2. Kor. 5, 15). Ist er, der Unschuldige, wie ein Sünder behandelt worden, so werden dafür wir Sünder wie Unschuldige von Gott ausgenommen. Das sind die Gesichtspunkte der neutestamentlichen

Lehre

von

der

Erlösung

durch

Christi

Tod.

Warum aber gerade auf diesem Wege die Erlösung geschehen, warum

gerade

auf diesem

Wege

Gott allen Menschen

seine

vollkommene Gemeinschaft eröffnete, ob es so gerade geschehen mußte, auf alle diese und ähnliche Fragen sind die Apostel nie

Genug, daß Gott durch Christi Tod die Sühnung aller Sünden beschafft und offenbart hat. Sehr mißverständlich drückt sich übrigens Weiß darüber aus (Leben Jesu II., 282): eingegangen.

„Eine andere Sühne der Sünde giebt es nicht, als daß sie, die

den Vollzug des göttlichen Willens hindert, das Mittel wird zu seiner Verwirklichung." Ist darum eine Sünde als von Gott gesühnt, bedeckt oder aus dem Wege geräumt (alle drei Ausdrücke im biblischen Sinne synonym gebraucht) zu betrachten, weil sie

nach Gottes Güte zu einem guten Ende geleitet worden ist (1. Mose

115 50, 20.)? Die Sünde oder ihr wider den Willen derer, die sie thaten, gutes Ende dient niemals zu ihrer Bedeckung. Sondern einzig und allein Gott, der wie er alles regiert, auch nicht verschmäht, die Sünden zu einem Moment seiner Heilsabsichten zu machen,

thut aus Liebe zu den Menschen, um seiner Heiligkeit und Ge­

rechtigkeit willen, die Sünden aus dein Mittel.

Auf den Tod

Christi angewandt ist der Weiß'sche Satz gewiß richtig, allein viele Sünden, die doch gesühnt sind, waren niemals Mittel zur

Verwirklichung des göttlichen Willens, höchstens Anlaß dazu und öfter auch das nicht einmal, wenigstens nicht in erkennbarer Weise. Die Sünden werden seit Christi Tod gesühnt, indem ihr Urheber sich mit Christi Person, mit seiner Liebe, Heiligkeit, Geduld u. s. w. die er bis zur höchsten Spitze in seinem Tode bewährt hat, bedeckt

und so alles für sich geltend macht, was von Christo gilt. Des weiteren gibt uns das

Neue Testament nur einige

Richtlinien, warum gerade in Christi Tod die Erlösung konzentriert

erscheint. Erstlich war Jesu Tod der Weg zu seiner Auferstehung, der Eingang zu einem neuen höheren Leben, von dem aus allein er sein begonnenes Heilswerk mit um so größerem Nachdruck, mit einer Aussicht auf Erfolg, die gerade durch sein Leiden und Sterben erhöht war, fortsetzen konnte, nämlich alle Menschenseelen

in der Richtung zu Gott zu bringen und ins Himmelreich zu ver­

setzen (z. B. Röm. 14, 9).

Betonung

der

Würde,

Von noch größerer Bedeutung ist die

welche gerade Jesu Person

eigen

ist.

Dahin zielt, daß Christi Tod öfter ein Wert, ein Preis genannt

wird, um den etwas großes erworben wird (Röm. 3, 24. 25. 1. Kor. 6, 20), daß seine Unschuld und Sündlosigkeit im Verhältnis zur Größe seiner Leiden gerühmt wird

(1. Pet. 1,

18; Hebr.

9, 14), daß die Freiwilligkeit seines Todes betont wird (Joh. 10, 18), daß sein Leben im vollkommenen Gehorsam gegen Gott

und in der vollkommensten Liebe zu allen Menschen verlief (z. B. Hebr. 5, 8; Eph. 5, 2), daß letzlich Gottes Wille ihn so herrlich gemacht und

(Heb. 5, 5).

solche Wirkungskraft seinem Tode verliehen

hat

Aus allen diesen Andeutungen mögen die Dogmatiker

versuchen, ein einheitliches Bild zu konstruieren und die Bedeutung

des Todes Christi zu begründen.

Den neutestamentlichen Schrift­

stellern stand, soweit wir sehen, nur soviel fest, daß Christi Tod

116 sowohl in Hinsicht auf Gott als in Hinsicht auf die Menschen zur

Erlösung dieser notwendig gewesen und daß diese Erlösung eine vollkommene für alle Sünden, für alle Menschen, für alle Zeiten sei. Wir meinen diesen Abschnitt nicht besser schließen zu können als mit dem Worte Augustins (Von der Dreieinigkeit 13, IQ): „Zur

Heilung unseres Elends gab es nichts, noch bedurfte es eines Weges, der Gottes Würde mehr entsprochen hätte, als der durch

den Mittler zwischen Gott und den Menschen, Jesus Christus. Gleichwohl hätte Gott, wenn wir aus seine unbegrenzte,

uns

unfaßliche und unumschränkte Gewalt sehen, der das All ganz und gar Unterthan ist, die Möglichkeit eines anderen Weges nicht

gefehlt." 9. Die stillschweigende Voraussetzung unserer bisherigen Aus­ führungen ist gewesen, daß als Gegenstand der Erlösung die einzelnen Menschen in ihrer Gesamtheit zu fassen seien.

Ritschl

bekämpft diese Voraussetzung und behauptet, als wäre das eine ausgemachte Sache, daß die christliche Gemeinde im Neuen Testament Gegenstand der Erlösung sei, nicht die Individuen, und

ferner daß die Erlösung nicht auf alle Menschen sich erstrecke.

Den Hauptgrund dieser Behauptung entnimmt er der Thatsache, daß die Opfer des Alten Testaments auch für die ganze israelitische Gemeinde Geltung gehabt und dem Einzelnen nur insofern ihre

Wirkungen vermittelt hätten, als er Genosse der israelitischen Gemeinde gewesen sei.

Da nun Christi Erlösungstod unter den­

selben Gesichtspunkten wie die alttestamentlichen Opfer zu betrachten sei, so folge daraus, was er vom Gegenstand der Erlösung lehre.

Diese Folgerung fällt für uns dahin, nachdem wir schon des

Genaueren die von Ritschl beliebte Zusammenstellung des Todes Christi mit den alttestamentlichen Opfern widerlegt haben. Ritschl

muß sich seiner Sache freilich sehr gewiß sein, denn er thut die kühne Behauptung: „Paulus hat schwerlich eine Ahnung davon gehabt, daß man dies jemals verkennen würde" (Rechts. II, 160.). Er zitiert in erster Linie Röm. 3, 21—4, 25, 8, 31—39, wo die Plurale „wir", „alle, die da glauben" zu betonen und auf die

Erlösten und Gerechtfertigten zu beziehen seien. Gegen ihn sprechen aber andere wichtige Stellen, wie 2. Kor. 5, 19: „Gott in Christo

117

versöhnte die Welt mit sich", wo die Welt, d. i. die Gesamtheit der

Menschen als Objekt der Erlösung erscheint, nicht die christliche Gemeinde allein; ferner ebb. 14: „einer ist für alle gestorben,

also sind alle gestorben", wo das „alle"

zwar scheinbar einge­

schränkt werden könnte, aber durch das mit ihm aufs engste zu­ sammenhängende, einige Verse später folgende „Welt" aufs deut­

lichste erläutert wird.

Auch Röm. 5,

18 stellt Paulus neben

einander, wie durch die Sünde Verdammnis über alle Menschen und

ebenso

durch

die

Gerechtigkeit

des

Einen

die

Recht­

fertigung über alle Menschen gekommen. Daß in v. 19 statt „alle" vielmehr „viele" steht, thut zur Sache nichts.

Denn schon v. 15

ist derselbe Gedanke, den Paulus v. 18 mit „alle" wiedergiebt, an das Subjekt „viele" gehängt worden.

„Viele" sind also die­

selben wie „alle" und werden nur um ihrer großen Zahl willen und im Gegensatz zu dem Einen, Christus, in dieser Weise be­

zeichnet. Andere allzubekannte Stellen, die gegen Ritschls Auf­ fassung sprechen, wie Joh. 3, 16 seien hier übergangen und nur noch darauf hingewiesen, wie Paulus oftmals seine Person allein in den Vordergrund stellt, wenn er von seinem Verhältnis zu Gott redet, und das ohne die geringste direkte oder indirekte Be­ ziehung auf die Gemeinde (Gal. 2, 19. 20; Phil. 3, 9; Röm.

8, 38; 3, 26. 28), wie er auch an den letzten Stellen den Menschen als solchen, ohne jede nähere Bestimmung, als Gegenstand der

Erlösung hinstellt. Kurz, es ergiebt sich, daß Paulus von den einzelnen Erlösten wohl auf die Gemeinde kommt, nicht aber die

Individuen von der Gemeinde abhängig macht. Nicht die Ge­ meinde besitzt die Erlösung und verteilt sie an ihre Glieder, sondern die Individuen empfangen von Gott das Heil und sind damit in

die Gemeinde eingetreten. Alle Menschen auf Erden, jeder einzeln genommen, sind in der Erlösung Christi bedacht; sie wird in Empfang genommen von allen, die dem Evangelium gehorchen

und willig und aus freiem Entschluß Christi Blut als Bedeckung

ihrer Sünden anerkennen.

Ihnen werden die Erlösung und ihre

Früchte umsonst geschenkt (Röm. 3, 25; 5, 1 ff.). Aber zu der Gemeinde, die von ihnen gebildet wird, führt Gott einen jeden

hinzu, der auch jene annimmt.

Daher kann Paulus ermahnen:

„wir bitten an Stelle Christt, versöhnt euch mit Gott".

Eine

118

Aufforderung, sich an die Gemeinde zu halten, um der Versöhnung teilhaftig zu werden, suchen wir bei Paulus vergebens, vergebens

im ganzen Neuen Testament.

10.

Nachdem so im Anschluß an das Stammwort für „erlösen" (lytrun) Sinn und Bedeutung der Erlösung im Neuen Testament dargelegt worden, erübrigt uns noch, den abgeleiteten Wörtern näher zu treten und, eine reife Frucht unserer Ausführungen,

ihren Inhalt festzustellen. Lytron heißt der Löspreis, den Jesus Christus bezahlte, um alle Menschen von ihren Sünden, deren vom heiligen Gott ver­

ordneten Strafen und deren Macht freizumachen. Unter diesem Löspreis ist Jesu Tod verstanden, wofür meist Jesu Blut

gesagt wird.

i

Antilytron hat wesentlich denselben Sinti: mit dem Zusatz

anti, der in lytron unausgesprochen liegt, wird hier ausdrücklich

betont, daß Christus an Stelle derer, die er erlöste, sein Leben hingab.

Die Handlung welche durch Erlegung des lytron bezw. antilytron geschehen, heißt apolytrosis oder lytrosis. Apolytrosis

ist also die Losmachung aller Menschen von den Sünden samt ihren Folgen, wie sie durch den Löspreis des Todes Christi geschehen ist. Lytrosis bedeutet dasselbe, kommt aber seltener vor und hat öfter als apolytrosis den allgemeinen Sinn von „Be­ freiung". Eine kurze Darlegung der verwandten neutestamentlichen Begriffe tnag den Sinn des Stammworts lytrun nebst der ge­

nannten vier abgeleiteten Wörter in um so helleres Licht stellen. Am nächsten verwandt sind exagoräzein, agoräzein. Beide

Wörter bedeuten kaufen, beztv. loskaufen und werden auch parallel

lytrun von Christus angewandt, der die Menschen durch Vergießen

seines Bluts sich erkauft, d. h. sich zum Eigentum erwirbt, damit sie für ihn leben und für ihn sterben (1. Kor. 6, 20; 7, 23; 2. Dieser positive Erfolg des Los­ kaufens wird in agorazein ungleich stärker betont als in lytrun. Als die früheren Besitzer, von denen die Menschen losgekauft Pet. 2, 1; Apok. 5, 9; 14, 3).

werden, werden die Welt, der Welt Elend und gottlose Leute genannt.

Exagorazein bezeichnet wie lytrun das Loskaufen, ist

119

dem Alten Testament unbekannt und kommt im neuen nur zwei­ mal vor (Gal. 3, 13; 4, 5), beide Male, um auszusagen, daß

Christus die Seinen vom mosaischen Gesetz losgemacht habe, welches

dem Sünder den Tod drohe. Während in lytrun, exagorazein, agorazein im letzten Grunde immer, die Sünde als die feindliche Macht gedacht ist, die den Menschen festhält, und von der Christus mit hohem Preis ihn losmacht, reflektieren sözein, soteria auf das aus der Sünde

folgende Geschick des Verderbens und Verlorenseins (apöleia), aus

dem Gott dem Menschen heraushilft (Matth. 1, 21; Röm. 5, 9). Sonst wollen sie wie lytrun ein Ausdruck für das vollkommene Aber während im Begriff lytrun Christus als edler

Heil sein.

Held vorgestellt wird, der alles dran setzt, um im Kampf mit der

Sünde Sieger zu bleiben, erscheint er in sozein als ein trefflicher

Arzt, der die schlimmste Krankheit heilt, als ein guter Freund, der die Seinen vor dem Äußersten bewahren möchte. Ferner ist

auch sozein, soteria noch mehr als agorazein positiv gefärbt: es will mehr die Güter betonen, die Christus uns bereitgestellt, als die Übel, aus denen er uns herausgerissen hat (Matth. 19, 23—26; Joh. 3, 16. 17).

Lytrun bezeichnet zunächst negativ die Lösung

aus dem ganzen Elend der Sünde, während als die entsprechen­ den positiv gehaltenen Ausdrücke dikaiün, hyothesia, eirene,

katallässein gebraucht werden. Denn katallassein, was öfter mit apolytrosis in Zusammen­

hang gebracht wird, bedeutet recht eigentlich die positive Ergänzung dieses Wortes. Nachdem der Mensch von seinen Sünden und ihren Folgen, von allem, was Gottes Blick nicht verträgt, frei geworden, so daß er Gott nahen darf (lytrun), wird er nun wirk­

lich zu Gott herzugeführt und tritt in seine Gemeinschaft ein, und ein inniger Verkehr zwischen Gott und dem Menschen entsteht. Dieses zu Gott herzuführen mit seinen Folgen, das sich an das

lytrun anschließt, heißt katallassein. Nur scheinbar nahe steht dem katallassein das singuläre hiläskesthai. Es findet sich mit Bezug auf Sünden nur einmal (Hebr. 2, 17) und ist die Übersetzung des kipper. Es hat an der

alttestamentlichen Vorstellung vom Opfer seine Erläuterung zu finden, da mit hilasmös bei den Septuaginta das hebräische

120 chattät wiedergegeben wird. Seinen ursprünglichen Sinn „jemand

sich geneigt machen, günstig stimmen"

hat es in der gedachten

Verbindung gänzlich verloren.

11. Nachdem so die Bedeutung von lytrun und sein Gebrauch im Neuen Testament nach allen Seiten hin begrenzt sind, geben wir kurze Anmerkungen zu den wichtigsten Stellen, wo die Ab­ leitungen von lytrun sich finden.

Zuerst zu lytrun „Lösegeld" (Matth. 20, 28; Mark. 10, 45). Das

Wort

findet

sich

hier

als

Apposition

zu

geben", also zum Tode des Redenden, Christi. wird

von

ihm

selbst

als

der

Beweis

„sein Leben

Der Tod Christi

äußersten

der

Selbst­

erniedrigung bezeichnet, zu der er aus Liebe zu den Menschen sich freiwillig entschloß, ja die er als den eigentlichen letzten Zweck

seines Lebens erkannte. meinen

einig.

Soweit sind die Exegeten sich im allge­

Kontrovers sind bis heute die Schlußworte des

Satzes geblieben „Lösegeld für viele". Nach biblischer Anschauung

ist Jesu Seele, da sie ohne Sünde geblieben, nicht im Verhaft des

Todes: er giebt sie daher freiwillig von sich.

Nun wollen die

Einen, wie Ritschl, „für viele" mit „geben" verbinden, also:

bin

gekommen,

um für diejenigen,

welche selbst ein

ich

„Lösegeld"

nicht geben können, das „Lösegeld" meinerseits zu geben, damit sie also, wenn sie im Glauben und in der Selbstverleugnung mir

folgen, von diesem Lösegeld für sich Nutzen haben. Ritschl (II, 88) erläutert das:

„Die Meinung ist die, daß indem auch die Ge­

nossen der Gemeinde Jesu dem Tode verfallen, sein freiwilliges,

von dem bestimmten Zweck geleitetes und zugleich unverschuldetes

Sterben ihnen zum Schutz dagegen dient,

daß sie im Tode die

volle Vernichtung und Zwecklosigkeit erfahren: vielmehr soll ihnen jene Leistung Jesu dazu dienen, daß sie aus dem bisher geltenden

göttlichen

Verhängnis

der

endgiltigen

Lebensvernichtung

erlöst

werden, daß sie also eine andere Beurteilung des Todes gewinnen als unter dem Alten Testament möglich war und daß sie den Tod

nicht mehr fürchten."

Anders Meyer-Weiß:■

Was als Lösepreis

gegeben werde, trete nicht an die Stelle der Losgekauften, sondern

Jesus gebe den Lösepreis zum Besten vieler, die ihn zu geben

121 schuldig wären, um sie von dem ewigen Verderben loszukaufen.

Andere verbinden „für viele" mit dem ihm am nächsten stehenden Lösegeld, wie Stier (und Meyer): Jesu Leben ist „ein Lösegeld und Äquivalent des verwirkten Lebens Vieler", Jesus hat ein Lösegeld bezahlt, das unserm und aller Sünder Leben an Wert gleich kommt und also groß genug ist, daß Gott um dessen willen

alle Sünden verzeihen kann.

Stier geht zur Erhärtung seiner

Meinung auf den Knecht Jahwes in Jes. 53 zurück, der sein Leben in den Tod gab und durch Tragen aller Sünden sie aufhob.

Alle diese Erklärungen, wieviel berechtigte Momente ihnen innewohnen mögen, haben den gemeinsamen Fehler, daß sie den

Sinn des lytron nicht genügend beachten, daß das Moment des lytrun in ihnen zu kurz kommt.

Nach Analogie anderer Stellen

wird die Präposition anti, mit didonai verbunden, von dem Ob­ jekt angewandt, dem ein gezahlter Preis, Wert zu gute kommen

soll. also:

So Matth. 17, 27:

gieb ihnen für mich und dich.

Hier

Jesus wird einen Preis geben vielen zu gut, einen Preis,

um Viele loszukaufen.

Wie der Stater aus dem Munde des

Fisches zum Besten Jesu und des Petrus gegeben werden soll, aber keineswegs weil sie ihn schuldig wären, sondern nachdem

Jesus vorher gezeigt, daß er samt seinen Jüngern von der Tempel­ steuer frei ist: so zahlt Jesus hier einen Preis, ein Lösegeld zum

Besten Vieler, das ihnen zur Lösung von dem Verhaft der Sünde des Todes dienen soll, ohne daß darauf Bezug genommen wäre:

eigentlich seien die Vielen das Lösegeld selbst zu zahlen schuldig. Auch darauf ist hier nicht reflektiert, ob Jesu Leben an Wert dem

Leben der Vielen gleichkomme.

Nur als Möglichkeit, bezw. Un­

möglichkeit, nicht als Erfordernis und Schuldigkeit ist es Matth. 16, 26 ins Auge gefaßt, daß der Mensch einen seinem Leben

gleichkommenden Wert einsetzen könne.

Dagegen aus lytron ist

der Gesichtspunkt des gleichen Wertes überhaupt fern zu halten:

nie werden das Blut der Opfertiere und die Seele des Menschen, die von ihm geschützt werden soll, im Werte gleichgesetzt, ebenso kann an Stellen wie 2. Mose 21, 30 keine Rede davon sein, daß

der Lösepreis mit dem Wert des Gelösten auf der gleichen Stufe stehe. Von Äquivalenz ist also auch hier keine Spur zu finden in dem Sinn, wie es Stier annimmt.

Dagegen ist die Vorstellung

122 der Äquivalenz, hält man sich meist an die Norm Matth. 16, 26, nicht überhaupt abzuweisen.

Denn thatsächlich brachte Christus zu

Wege, was nach Matth. 16, 26 kein Mensch kann, er half Menschen, die ihr Leben verwirkt hatten, zum Leben. Eine Äquivalenz der Person in dem Sinne, daß Jesus für alle eintrat gemäß 2. Kor. 5, 15, ist ein durchaus apostolischer Gedanke. Abzuweisen ist aber auf jeden Fall die Äquivalenz in der Bezeichnung lytron, da der

Gesichtspunkt, wieviel das lytron als solches wert sei, nirgends betont

wird,

sondern

es vor

allem

den

auf

Umstand

an­

kommt, daß überhaupt ein lytron gegeben wird. Vollends ist der Gedanke einer Äquivalenz der Strafen unstatthaft, da Christus unsere Sünden gesühnt und nicht alle Strafen für sie auf sich

genommen hat, ein, wie schon erwähnt, sehr beachtenswerter Unter­ schied !

Zu antilytron.

So wird 1. Tim. 2, 6 die Selbsthingabe,

der Tod Christi genannt, wie Matth. 20, 28.

Dasselbe, was dort

durch die Beziehung „für viele" ausgedrückt wird, soll hier in der zusammengesetzten Form antilytron liegen.

Noch folgt der pleo-

nastische Zusatz „für alle", dessen Sinn schon in dem anti ent­

halten ist. Sachlich ist zwischen „viele" Matth. 20, 28 und „alle" hier kein Unterschied. Dort ist die Menge derer ins Auge gefaßt, welche das Lösegeld des Todes Christi sich thatsächlich zu Nutze

machen; hier die Gesamtheit

der Menschen,

welche nach

Gottes Ratschluß der Erlösung teilhaftig werden sollen (anders

Röm. 5, 15 „viele" und 18 „alle"). Das hyper als „anstatt" zu nehmen, liegt kein Anlaß vor:

nur wo es

der Zusammenhang

vorschreibt, wie 2. Kor. 5, 15 ist das geboten, sonst bedeutet es durchgängig „zum Besten, zu gut."

Zu apolytrosis.

Von den zehn Stellen, welche es enthalten,

geben acht den s. z. s. technischen Sinn des Wortes, wie wir ihn in den vorstehenden Erörterungen entwickelt haben;

zwei Stellen

haben es in ganz allgemeinem Sinn» so daß sie für unsere Frage ohne Bedeutung sind.

In Röm. 3, 24 wird die „Erlösung in Christo Jesu"

als

die bewirkende Ursache angegeben, warum wir von Gott gerecht­ fertigt oder durch Vergeben der Sünden von Gott wie Gerechte

behandelt werden.

Die Erlösung ist die objektive Grundlage der

123 neuen Heilsordnung, der neuen Gerechtigkeit.

Im Rückblick auf

3, 19 (2, 5) wird hier festgestellt, daß wir aus den Banden der Schuld, in denen uns Gott vermöge seiner richterlichen, strafenden Gerechtigkeit festhielt, losgemacht sind, wie Calvin z. d. St. sagt:

„Christus hat, indem er an unsere Stelle trat, uns von der Gewaltherrschaft des Todes, in der wir standen, frei gemacht."

Das hat Christus vollbracht, indem er durch seinen Tod vermöge der Gerechtigkeit Gottes, der eine Sühnung der Sündeu beschlossen

hatte, das Sühnmittel, das Deckmittel (das Lösegeld) wurde (nicht: ein Opfer, wie oben gezeigt). Das wurde erfordert, weil Gott bisher

schon seit lange die begangenen Sünden voll Geduld ertragen, „über­ setzen" (nicht vergeben) nnd weder eine Strafe noch eine Sühnung

für sie angeordnet hatte. Wohl hat Pf. 32, 1 Recht, daß der Mensch selig sei, dem die Sünden vergeben sind: der Verfasser

bezeugt es aus eigener Erfahrung, daß er von Schuld und Strafen der Sünde frei sei.

Gleichwohl waren die Sünden damals noch

nicht endgültig abgethan, und der Psalmist mußte immerfort be­

fürchten, daß neue Sünden wiederkämen, und hatte keine Bürgschaft, daß sie immer wieder weggeräumt würden, und daß er überhaupt einmal für alle Zeit von den Sünden frei werden könne.

Die

Möglichkeit dazu und die Gewißheit, daß es so sei, ward erst in

Christi Tod beschafft. Und so hat Paulus Recht, wenn er von einem parienai im Gegensatz zu aphienai spricht. Aus Eph. 1, 7 par. Kol. 1, 14 folgern Ritschl u. a., daß

Erlösung und Vergebung der Sünden dasselbe sei. Der Unter­ schied liegt einfach darin, daß, was durch Christi Tod zur Erlösung

aller Sünder geschehen ist, Erlösung heißt, was aber die einzelnen Seelen wirklich empfangen haben, Vergebung der Sünden genannt wird. Alle Menschen haben an Christi Tod die Erlösung; wer sie in Empfang nimmt, hat dadurch die Vergebung seiner Sünden.

Erlösung und Vergebung der Sünden stehen sich gegenüber wie objektive Thatsache und subjektive Aneignung: die auf den Einzelnen

angewandte Erlösung ist die Vergebung der Sünden.

Ferner ist

der Begriff Erlösung wie oben gezeigt, weiter zu fassen als die

Sündenvergebung. In Hebr. 9, 15:

„Der Tod Christi geschieht zur Erlösung

von den unter dem ersten Bund geschehenen Uebertretungen" liegt

124 eine andere Vorstellungsweise als die paulinische zu Grunde. Nach

dem Hebräerbrief empfangen die Menschen, die sich in den Banden der Schuld befinden, von Gott den Tod als Strafe ihrer Sünden.

Diese Strafe wird durch die begangenen Uebertretungen verwirkt,

die Freimachung aus denselben heißt Erlösung.

Was dabei als

Lösegeld gedacht wird, ist nirgends gesagt: aus dem ganzen Vor­

stellungskreis des Hebräerbriefs ergiebt sich soviel, daß durch Christi

Tod die Losmachung aus den Banden der Schuld und Freiheit von ihren Folgen, von den Strafen der Sünden zustande gebracht

sei

(vgl. 2, 9; 9, 28.).

„Unter dem ersten Bund" wird hinzu­

gesetzt, weil es sich im Zusammenhang um eine Gegenüberstellung von Sünden unter dem alten und unter dem neuen Bund handelt,

und die Leser früher im alten Bund, jetzt im neuen Bund stehen; um mit Calvin z. d. St. zu reden: „mit diesen Worten wollte er die Juden zu Christo heranziehen." Im Uebrigen läßt es der Hebräer­ brief nicht zweifelhaft, daß der Tod Christi zur Tilgung aller Sünden ohne Ausnahme gedient hat (vgl. 2, 9: für „alle").

In Eph. 4, 30 ist die Erlösung im umfassendsten Sinne gebraucht.

Denn als „Tag der Erlösung" ist der Tag des Endes

anzusehen, an dem die Erlösung von allen Sünden und ihren

Strafen und ihrem Elend und ihrer Macht auf ewig zum letzten Vollzug kommt. Durch den heiligen Geist giebt Gott den Menschen inwendig Zeugnis, wer zu den Seinen zählt: anr heiligen Geist

haben sie das gewisse Unterpfand für die Vollendung ihrer Er­

lösung, die bevorsteht.

Das thut not, weil sie auf Erden niemals,

ob auch erlöst, die ganze Frucht der Erlösung Christi genießen,

sondern allmählich dem Ziele sich nähern. Aehnlich heißt Eph. 1, 14 der heilige Geist „Pfand unseres Erbes zur Erlösung des Eigentums". Der Geist ist das Unter­ pfand des himmlischen Erbes, so lange, bis zu dem Ziel, daß die

Menschen, die ihn haben, die durch Christum Gott eigen sind (Eigen­ tum — segulläh 2. Mose 19, 5) aus allem zeitlichen und ewigen Elend frei werden. Auch für 1. Kor. 1, 30 ergiebt sich aus der Reihenfolge

der vier Prädikate Christi, daß die Erlösung auf jenen letzten Tag gehe. Da es ohne Christus keine Erlösung giebt, so wird er als

Urheber der Erlösung im weitesten Sinne des Wortes bezeichnet,

125 kurz als Erlösung.

Der Sinn ist einfach, daß was Eph. 4, 30;

I, 14 steht, durch ihn allein vermittelt wird. Hier mag auch, der Gedankenverwandtschaft entsprechend, Röm. 8, 23 seinen Ort finden. Auch hier handelt es sich um das Ende der Zeit, der Sinn der Erlösung ist nach den drei

vorhin behandelten Stellen zu bestimmen.

Aber weil der Zusatz

„unsers Leibes" gemacht ist, so weist uns das darauf hin, daß die eben besprochene endgiltige, vollkomm.ene Erlösung auch die völlige

Befreiung des Körpers von allen seinen Uebeln, wie Gebrechlich­

keit und Sterblichkeit, in sich schließt.

Gemeint ist die Auferstehung

und Verwandlung, in der das letzte Ziel der Erlösung erreicht ist. Das Wort steht hier schon ganz auf der Grenze des Sinns, um

den es sich in unseren Erörterungen handelt, und des allgemeinen Sinns der „Befreiung."

Ganz und gar ist letzterer an zwei neutestamentlichen Stellen zu finden, Hebr. 11, 35; Luk. 21, 28. Um Christi Heilswirken handelt es sich beide Male nicht im Geringsten. Man kann auch hier einen Zusammenhang, und zwar einen biblisch begründeten, zwischen der Erlösung in Christi Tod und der gemeinten Befreiung

konstruieren (daher Cremer die apolytrosis Luk. 21, 28 von der

schließlichen und abschließenden Heilsoffenbarung versteht), aber in den Worten liegt das nicht und im Zusammenhang deutet nichts darauf. Von Befreiung aus den Uebeln und Leiden der Endzeit (Luk. 21, 28), von Befreiung aus blutigen Verfolgungen (Hebr.

II, 35) ist die Rede, aber nach ihrer Beziehung zu Christus und seinem Tod wird überhaupt nicht gefragt. Die neutestamentlichen Schriftsteller waren keine Schablonenmenschen. Nur drei Mal kommt im Neuen Testament lytrosis vor, während die Septuaginta es sehr häufig und apolytrosis nur

zweimal gebrauchen, doch findet es sich nur einmal in dem Sinn, der für uns in Betracht kommt, Hebr. 9, 12: Christus habe, indem er durch seinen Tod den Eintritt ins himmlische Heiligtum nahm und die Menschen mit seinem vergossenen Blut besprengte,

eine lytrosis erlangt, die ewigen Charakter habe, zur Sühnung aller Sünden aller Zeiten hinreiche.

Zweimal kommt lytrosis von der „Erlösung"

oder Be­

freiung vor in dem Sinn, wie die Israeliten sie von Jesus er-

126 warteten, nach demjenigen alttestamentlich-theokratischen Standpunkt,

der eine Befreiung von allen äußeren und inneren Feinden für Israel erhoffte, wenn erst alle sich zu Gott bekehrt hätten und die Frevler ausgerottet wären, eine israelitisch - eschatologische

Hoffnung, die zur Zeit des Kommens Jesu verbreitet war, später aber, als man durch den Gang der Ereignisse genötigt wurde, sich

in den Hintergrund stellen lassen mußte und von Jesus und seinen

Aposteln so sehr vergeistigt bez. modifiziert wurde, daß ihre ur­ sprüngliche Gestalt, wie wir sahen, fast unkenntlich geworden ist. Luk. 1, 68 singt Zacharias: „Gott bereitet eine Erlösung seinem

Volk", Luk. 2, 38 wird die Botschaft von dem Jesuskind denen

gesagt, die zu solchen, „die auf die Erlösung Jerusalems warteten", gehören. Die hier gemeinte Erlösung steht selbstverständlich mit

dem Tode Christi in keinem Zusammenhang, und es ist bezeichnend, daß die hier charakterisierte Erlösung nur vom Kinde Jesus erwartet wird, und wie ein Nachhall einiger Träumer noch Luk. 24, 38 sich findet, aber dort schon als Utopie bezeichnet wird. Die genuin-israelitische Vorstellung von der Erlösung dnrch den Messias

und die neutestamentlich - christliche liegen

doch auf

getrennten

Gebieten und hatten in der Gestalt, wie sie sich damals fanden, nur wenige Berührungspunkte.

12. Die Schwierigkeiten, welche ein sachgemäßes Verständnis der

Erlösung im Neuen Testament hindern, bestehen heute für den gemeinen Mann und einfältigen Bibelleser noch ebenso sehr wie

zur Zeit des Neuen Testaments, als die beiden Auffassungen, die genuin-israelitische und die neutestamentlich-christliche durcheinander

wogten.

Man kann nicht sagen, daß sie geringer, auch nicht daß

sie größer geworden seien, sie sind heutzutage von anderer Art.

Luther hat in seiner Bibelübersetzung an allen von uns angeführten Stellen, die für die Erlösung, im Sinne des höchsten Heils gefaßt, in Betracht

kommen

„Erlösung",

„erlösen"

gesetzt.

Da diese

Wörter aber in unserer Sprache den gebräuchlichen Sinn von

„Befreiung", „befreien" angenommen haben, so können wir damit kaum den eigentlichen Sinn des lytrun treffen und müssen statt „er­ lösen" etwa „loskaufen" setzen. Auch „lösen" hat in unserer Sprache

127 eine zu allgemeine Bedeutung,

während

allerdings

„Lösegeld"

noch am ehesten von allen in Betracht kommenden Worten, dem Stammwort von lytron entspricht.

Nur ist das Wort „lösen"

in dem Sinne, der sich noch heute in der Zusammensetzung „Löse­

geld" findet, uns fremd geworden und überhaupt fast untergegangen, und so fehlt eigentlich kipper-lytrun, will man es nicht geradezu mit „decken" „bedecken"

übersetzen (was in den meisten Fällen

möglich ist, doch nicht immer paßt) das entsprechende deutsche Wort. „Versöhnen", wie Luther einige Male übersetzt, enthält den Begriff der Feindschaft, der dem lytrun ferne liegt. „Sühnen" aber ist ein Wort, das in derjenigen Bestimmtheit, welche die

altgermanische Anschauung ihm beilegt, etwa: Vergebung beschaffen, nicht recht verstanden, sondern zumeist mit „strafen" verwechselt

wird.

Das ist mit ein Grund, daß die Erlösung vor anderen ein

abgegriffenes Wort im christlichen Sprachgebrauch geworden, und

eine klare Vorstellung von dem, um was es sich in dem Vorgang der Erlösung eigentlich handelt, im Christenvolk so selten ist.

Daher kommt es auch, daß in den vorstehenden Erörterungen die U'ebersetzungen für lytrun und kipper und ihre Derivate oft „erlösen",

„bedecken",

„sühnen"

u. a. lauten, je nachdem der

deutsche Ausdruck dem fremdsprachlichen am nächsten zu kommen schien: das Wechseln der Ausdrücke hat also seinen Grund nicht in der Sache, sondern einfach im schwankenden Sprachgebrauch. Aber nicht bloß für den gemeinen Mann bestehen hier

Schwierigkeiten.

Die Gefahren, welche das wissenschaftliche Ver­

ständnis der Erlösung bedrohen, sind nicht minder ernst zu nehmen. Seitdem

die biblische Auffassung der Erlösung mit

heidnisch­

mit scholastischem Apparat behängt oder durch die nachreformatorische Philosophie destilliert zu werden das Schicksal hatte, wurde ihr religiöser Charakter auch in der Theologie bald mehr, bald weniger, meist mythologischen

Vorstellungen

verquickt

allzusehr in den Hintergrund gestoßen.

oder

Im Ganzen sind diese

Einseitigkeiten gegenwärtig überwunden. Aber deshalb darf nicht Ruhe noch Rast sein, und wenn die Schule der sog. modernen

Theologie sich den Anschein giebt, als habe sie das unbestritten richtige Verständnis der Erlösung nach ihrem neutestamentlichen Sinn in Erbpacht genommen, so mögen die vorstehenden Zeilen



128



eine Erinnerung daran sein, daß auch, was diesen Gegenstand

betrifft, das Pauluswort für jene wie für uns gilt: „unser Wissen ist Stückwerk", und daß eine erneute Darstellung der Gründe pro

et contra an der Hand der heiligen Schrift den Widerspruch bezüglich der Fragen auf diesem Gebiet zu erhellen

dienen und

vielleicht auch seiner Lösung entgegenzuführen helfen wird.

129

Für das Apostolikum. 1. Bestreitung des Apostolikums. gteit Professor Harnack in seiner Schrift „Das Apostolische Glaubensbekenntnis, ein geschichtlicher Bericht nebst einem Nachwort" die Geschichte der Entstehung, Verbreitung und

Auslegung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses in kurzen Zügen ausgeführt und den Schluß aufgestellt hat, daß an demselben einzelne Stellen zu beanstanden seien, vor allem aber der Hinweis auf die Predigt des Heilandes und seine Persönlichkeit fehle» gilt

es in weiten Kreisen als Aufgabe der christlichen Kirche, eine zeit­ gemäße Umarbeitung oder Erneuerung des Apostolikums herbei­ zuführen.

Man kann aber die Ergebnisse der kirchengeschichtlichen Forschungen Harnacks achten und annehmen und doch zu wesentlich

anderen Schlüssen kommen. Gewiß thun diejenigen Unrecht, welche jeden Bestreiter des Apostolikums als modernen Ketzer verschreien.

Daß insbesondere

Harnack es mit der evangelischen Kirche gut meint, daß er auch

in der Aeußerung seiner Bedenken gegen das Apostolikum nach bestem Gewissen gehandelt, daß er nicht blos auf den Namen

eines der größten theologischen Gelehrten Anspruch machen darf, sondern auch mit weitherzigem Verständnis die der evangelischen

Kirche gestellten Aufgaben überblickt und überhaupt mit Ueberlegung und Vorsicht zu Werke zu gehen den guten Willen hat,

das ist gewiß. Das darf keiner vergessen, welcher in unserer Zeit in den Streit um das Apostolikum eintritt, daß die Geltung des

Apostolikums oftmals bestritten worden ist, und öfter gerade von solchen Männern, die von persönlicher Frömmigkeit und ausschließlich religiös-kirchlichen Interessen getrieben wurden. Ruhige und maß­ volle Haltung sollten, wo es eine Lebensfrage der evangelischen Kirche gilt, auf beiden Seiten, mehr als gemeinhin geschieht, be­ obachtet werden. Jeder Kampf der Geister, auch der um das

Apostolikum, ist rein sachlich zu führen. Aber wie es in einem Streit zu gehen pflegt, schießen auch

hier beide Teile oft über das Ziel hinaus.

Es ist charakteristisch,

daß eine der führenden konservativen und auf Vertretung der

II.

9

130 kirchlichen Interessen bedachten Zeitungen, welche mit anerkennens­

werter Schneidigkeit, ja Schärfe für das Apostolikum eintrat, die

bekannte Eisenacher Erklärung Harnacks und seiner Gesinnungs­ genossen, welche sich in der Bestreitung des Apostolikums mit Harnack solidarisch erklärten (Oktober 1892), dadurch zu vernichten glaubte, daß sie außerpreußischen Professoren und Pfarrern das

Recht abspricht, sich an dem gewissermaßen

Streit

um

das

Apostolikum

zu

beteiligen.

„innerpreußischen" Aber

sollte

das

Apostolikum wirklich eine Sache sein, die blos die preußische

Landeskirche angeht? Das wird wohl niemand zu behaupten wagen. Doch muß zugestanden werden, daß Harnack selbst die Leidenschaft der Beteiligten in der stärksten Weise herausgefordert hatte. Daß ihn Studenten aus Anlaß des „Falles Schrempf" mit der Frage angingen, ob sie nicht mit Kommilitonen anderer Hoch­

schulen eine Petition wegen Abschaffung des Apostolikums an den

Evangelischen Oberkirchenrat richten sollten, konnte Harnack freilich nicht verhindern.

Wohl aber hätte er die „mächtig erregten Ge­

müter der Jugend" sogleich in ihre Schranken zurückweisen sollen, da sie als erst zukünftige Diener der Kirche mit einer solchen in Mark und Bein der Kirche einschneidenden Angelegenheit sich nicht zu befassen hätten. Gilt es ja sonst als anerkannter Grundsatz, daß Studenten nicht öffentliche Politik zu treiben haben: woher sollten sie also ein Recht nehmen, dem Kirchenregiment in die Arme zu fallen?

Eine einfache Abweisung wäre die rechte Antwort gewesen: diese Abweisung hat Harnack freilich den Studierenden zu teil werden

lassen, allein er hätte sich damit begnügen sollen, und die Anfrage

der Studierenden hätte ihre sachgemäße Erledigung gefunden. Harnack wäre wohl der Mann dazu gewesen, in diesem Sinn ohne

Verletzung

der

Gewissen

und

der

Empfindlichkeit

die

Studierenden auf den rechten Weg zu weisen.

Professor Harnack hat aber nach bester Ueberlegung den Fragestellern in einer Vorlesung ausführliche Antwort gegeben und die Hauptpunkte „zur Vermeidung von Mißverständnissen" ihnen schriftlich zustellen lassen. Wäre die Sache blos bis dahin gediehen, dann wäre nichts als eine vielleicht lebhafte, aber jeden­

falls kein Aufsehen erregende Besprechung innerhalb studentischer Kreise die Folge gewesen. Allein jetzt beging Harnack eine nicht

131 geringe Unvorsichtigkeit.

Nach seiner Meinung aus besten Gründen

veröffentlichte er eine Erklärung in der

„christlichen Welt": er

habe sich vor dem „Heer von Entstellungen und Verläumdungen" gefürchtet, welches über die Vorlesung in die Welt gesetzt worden sein würde, wenn die Veröffentlichung durch den Druck unter­ blieben wäre.

Hätte er aber nicht die Folgen füglich abwarten

können, und wäre es dann nicht immer noch an der Zeit gewesen, eine Veröffentlichung herbeizuführen? So wäre Harnack als der Angegriffene erschienen, und der Kampf hätte eine ganz andere

wäre jedenfalls eher zu Ende ge­ kommen, als wenn Harnack in der schärfsten Weise die Verteidigung

Wendung

genommen,

des Apostolikums seitens seiner Anhänger in den Kreisen der Geistlichen und Laien provozierte, und als der Angreifer dastand, gegen den eine Verteidigung aus Gewissenspflicht geboten war. Machte sich Harnack nicht vielleicht eine zu große Vorstellung von

dem Einfluß, welchen eine im Kreise der Studenten entstandene Bewegung auf das öffentliche Leben haben könnte? Was Harnack in der Beziehung in vierjähriger Erfahrung erlebt hatte, war doch nicht über bestimmte, ziemlich enge Grenzen hinausgekommen und hatte nie das öffentliche Aufsehen erregt, wie seine Aeußerungen

über das Apostolikum.

Es ist gewiß, daß Harnack, wenn er die

Folgen seines Schrittes vorausgesehen hätte, einen anderen als den von ihm betretenen Weg eingeschlagen haben würde. Als Organe wie das „Berliner Tageblatt" seiner Bestreitung des Apostolikums zujubelten, war er darüber sehr erschrocken und hat sich fortan einer großen Zurückhaltung befleißigt. Da aber Harnack seiner Zeit durch die Erklärung in der

„christlichen Welt"

der evangelischen Kirche den Fehdehandschuh

hinwarf, konnte kein evangelischer Christ, der seine Kirche lieb hat, bei der Erwägung sich beruhigen, daß die Erörterung in der

Hauptsache historisch-theologische Probleme beträfe. Denn Harnack hatte jetzt nicht blos von der Lehrfreiheit Gebrauch gemacht, die das Recht jedes Dozenten ist, sondern offen erklärt, wie er tief

in das innerste Heiligtum der Kirche eingegriffen, den Studierenden

bedenklichen Rat erteilt und allgemein aufgefordert hatte, auf eine Beseitigung oder Verbesserung des im liturgischen Gebrauch stehenden Apostolikums hinzuwirken. Die Kirche durfte nicht schweigen.

9*

132 Zwar hielt Harnack es nicht für zeitgemäß, der Abschaffung des

Apostolikums näherzutreten,

aber

welch anderen Ausgang der

von ihm eingeleiteten Bewegung sollte man erwarten? Noch heute

hat die Beunruhigung der Gemüter nicht aufgehört, und weite kirchlich interessierte Kreise scheiden sich an der Frage: für oder

wider das Apostolikum? Diese Frage im Licht der Gegenwart zu ver­ stehen, war es nötig, an Vergangenes kurz zu erinnern, wie geschehen ist.

2. Dir Biblirikäk und Kirchlichkeit des Apostolikums. Harnack

lehrt,

daß

das

apostolische

Glaubensbekenntnis

weder apostolisch noch das älteste Symbol noch ein allgemeines,

d. h. in der ganzen christlichen Kirche anerkanntes Bekenntnis ist.

Das alles war schon vorher jedermann bekannt, welcher mit dem apostolischen Glaubensbekenntnis und seiner Geschichte sich näher befaßt hatte. Im Allgemeinen aber kann man nicht sagen, daß in der

evangelischen Kirche das apostolische Glaubensbekenntnis entweder um seines vermeintlich apostolischen Ursprungs willen oder uni

seines vor anderen hervorragenden Alters willen oder um seiner

Oekumenizität willen als „der christliche Glaube" angesehen worden ist. Was vielmehr dem Apostolikum sein Ansehen und

seine Geltung in der evangelischen Kirche bis heute erhalten hat, ist sein durchweg biblischer Charakter. Größtenteils Bibelworte oder dem Sinn nach der bilden seinen Inhalt.

heiligen Schrift entlehnte Allssagen

Wenn auf das nicaenische Bekenntnis und

seine kirchliche Geltung Sturm gelaufen würde, so wäre das eher verständlich. Man hätte sich gesagt: seine allgemein-kirchliche Giltigkeit wird um der darin enthaltenen dogmatischen Formulierungen willen beanstandet.

Denn ein Glaubensbekenntnis, welches zum

Gebrauch im Gemeindegottesdienst und zum Gegenstand des christ­ lichen Unterrichts dienen soll, muß in der evangelischen Kirche

schlechterdings auf die Schrift gegründet sein.

Wenn aber je ein

Bekenntnis, so ist das Apostolikum Wort für Wort auf die Schrift

gegründet, nnd wenn ein Bekenntnis Bekenntnis sein soll, so muß es allerdings in der evangelischen Kirche, die auf denr SchriftPrinzip steht, an der heiligen Schrift Halt machen, darf nicht darüber hinausgehen, aber allch »licht darunter bleiben. Der rein­ biblische Gehalt des Apostolikums geht aus folgender Zusammen-

133 stellung der einzelnen Teile und Teilchen desselben mit den

be­

gründenden Bibelstellen hervor:

Ich glaube an Gott,

Ps.116,10:Jchglaube, darum rede ich,

Joh. 14,1: Glaubet ihr an Gott, (Grundiert: Glaubet an Gott!)

1. Petr. 1,21: Ihr glaubet durch ihn (Christum) an Gott, und viele andere Stellen.

den Vater,

Matth. 6,9: Unser Vater in dem Himmel,

Matth. 23,9: Einer ist euer Vater, der im Himmel ist, Eph. 3,15: Der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden (Grundiert: nach dem alleVaterschaft im Himmel und auf Erden sich benennt), und andere Stellen.

Allmächtigen,

1. Mose 17,1: Ich bin der Allmächtige, Gott, 2. Kor. 6,18: Der allmächtige Herr spricht, und öfter.

Schöpfer

Pred. 12,1: Gedenke an deinen Schöpfer in deiner Jugend,

1. Petr. 4,19: Welche da leiden nach Gottes Willen, die sollen ihm ihre Seelen befehlen als dem treuen Schöpfer. Himmels und der Erden,

Ps. 115,15: 124,8 und öfter: Der Herr, der Himmel und Erde gemacht hat,

Apost. 17,24: Gott, der die Welt ge­ macht hat und alles, was da­ rinnen ist. und an Jesum Christum,

Apost. 16,31: Glaube an den Herrn Jesum Christum,

Galater 2,16: So wir glauben an Jesum Christum, und öfter.

134 seinen einigen (eingeborenen) Sohn,

Joh. 1,14: Wir sahen seine Herrlich­

keit, eine Herrlichkeit als des ein­ geborenen Sohnes vom Vater. unseren Herrn,

Joh. 20,28: Thomas sprach: Mein

Herr und mein Gott, 1. Kor. 8,6: Wir haben einen Herrn,

Jesum Christum, Phil. 2,11: Daß Jesus Christus der

Herr sei. der empfangen ist vom heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria,

Matth. 1,18-25, V. 20: Das in Maria geboren ist, das ist von

dem heiligenGeist, V. 23: Siehe, eineJungfrauwirdschwangersein Luk. 1,26—38, V. 35: Der Engel

sprach zu Maria: Der heilige

Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird

dich überschatten. Darum auch das Heilige, das von dir geboren

wird, wird Gottes Sohn ge­ nannt werden. gelitten

Matth. 16,21: Jesus zeigte seinen

JüngerU/wie er müßte vielleiden. 1. Petr. 2,21: Christus hat gelitten für uns, 1. Petr. 3,18: Christus hat gelitten für unsere Sünden, und viele andere Stellen.

unter Pontius Pilatus,

1. Tim. 6,13: Christus hat bezeuget

unter Pontius Pilatus ein gutes

Bekenntnis. gekreuziget,

1. Kor. 1,23; Wir predigen den ge­

kreuzigten Christum, 1. Kor. 2,2: Ich wußte nichts unter

euch als Jesum Christum, den

Gekreuzigten, und öfter. gestorben,

Röm. 5,6: Christus ist für uns Gott­

lose gestorben, 1. Kor. 15,3: Christus ist gestorben für unsere Sünden, und öfter.

135 und begraben,

1. Kor. 15,4: Christus ist begraben,

niedergefahren zur Hölle,

1. Petri 3,19. 20: Im Geist ist er

auch hingegangen und hat ge­ predigt den Geistern im Ge­ fängnis, die etwa nicht glaubten,

da Gott einstmals harrete und Geduld hatte zu den Zeiten

Noä u. s. w. 1. Petri 4,6: Auch den Toten ist daS Evangelium verkündigt.

am dritten Tage

I.Kor. 15,4: Christus ist auferstanden

am dritten Tage, auferstanden von den Toten,

1. Kor. 15,12: Christus ist von den Toten auferstanden.

aufgefahren gen Himmel,

Luk. 24,51:

Jesus fuhr auf gen

Himmel. sitzend zur Rechten Gottes,

Röm. 8,34: Christus ist zur Rechten Gottes,

Mark. 16,19: Der Herr sitzet zur rechten Hand Gottes, des allmächtigen Vaters, von dannen er kommen wird,

vgl. die Stelle im ersten Artikel.

Apost. 1,11: Jesus, welcher von euch ist ausgenommen gen Himmel,

wird kommen, wie ihr ihn ge­

sehen habt gen Himmel fahren.

zu richten die Lebendigen und die Toten.

2. Tim. 4,1: Der Herr Jesus Christus ist

zukünftig,

zu richten

die

Lebendigen und die Toten, 1. Petr. 4,5: Christus ist bereit zu richten die Lebendigen und die

Toten. Ich glaube an den heiligen Geist,

1. Kor. 2,12: Niemand weiß, was

in Gott ist, ohne derGeistGottes, Joh. 15,26: Wenn aber der Tröster

kommen wird, welchen ich euch

senden werde vom Vater, der

Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgehet, der wird zeugen

von mir, Joh. 16,13: Wenn aber jener, der

Geist der Wahrheit, kommen

wird,

der wird euch in alle

Wahrheit leiten.

136 Anm. Der Ausdruck „Glaube an den heiligen Geist", fehlt zwar, die Sache aber ist in diesen Stellen enthalten.

eine heilige,

Eph. 2,21: Der Bau (Gottes) wächst zu. einem heiligen Tempel in dem Herrn.

(allgemeine,

1. Tim. 2,4: Gott will, daß allen Menschen geholfen werde,

Phil. 2,11: Alle Zungen sollen be­ kennen, daß Jesus Christus der Herr sei.)

christliche

Eph. 2,20: Der Bau, da Jesus Christus der Eckstein ist.

Kirche,

Eph. 5,23: Christus ist das Haupt der Gemeine, 1. Tim. 3,15: Die G e m e i n e Gottes.

die Gemeinde der Heiligen,

1. Petri 2,5: Bauet euch zum heiligen Priestertum, 1. Petri 2,9: Ihr seid das heilige Volk, Eph. 5,27: Christus stellt ihm selbst dar eine Gemeine, die heilig sei,

Ps. 149,1: Die Gemeine der Heiligen soll Gott loben. Vergebung der Sünden,

Eph. 1,7: An Christus haben wir die Vergebung der Sünden, und öfter.

Auferstehung des Fleisches (Leibes)

I.Kor.15,12—50, besonders dieVerse 36-38, 50.

und ein ewiges Leben.

Matth. 25,46: Die Gerechten werden gehen in das ewige Leben, Röm. 6,23: Die Gabe Gottes ist das ewige Leben, und öfter.

Amen.

Ps. 72,19: Amen. Röm. 16,27: Amen, und öfter.

Solange also die evangelische Kirche sich von den Reformatoren

herleitet und in einem Bekenntnis ihren Glauben aussprechen will,

so lange muß sie sich an die Schrift halten und sich am Grunde

137 der Schrift genügen lassen. Sie braucht auch nicht und kann nicht rvohl auf die „älteste Verkündigung des Evangeliums" zurückgehen. Die „älteste Verkündigung des Evangeliums" hatte wesent­

lich andere Gesichtspunkte zu beachten als das Bekenntnis, welches

ein von christlichen Eltern geborener, in der christlichen Kirche herangewachsener Christ von seinem Glauben ablegt. Allerlei historische und missionarisch-katechetische Gründe sprachen damals

mit, welche heute wegfallen.

Und nimmermehr „die älteste Ver­

kündigung des Evangeliums", sondern die heute als evangelisch

geltenden Glaubens-Aussagen der Kirche wollen wir im apostolischen Glaubensbekenntnis ausgedrückt finden.

Es kommt ganz und gar nichts darauf an, wann und wo und wie das apostolische Glaubensbekenntnis entstanden ist, sondern

bloß darauf: giebt es den Glauben der evangelischen Kirche wieder? Hier müssen wir nun zunächst, selbst auf die Gefahr hin, als Anhänger der Tradition und Römlinge verschrieen zu werden, feststellen, daß eine namhafte Schar von Zeugen von Luther ab­ wärts

fast

vier

Jahrhunderte

hindurch

in

dem apostolischen

Glaubensbekenntnis den vollen und wahrhaften Ausdruck ihres evangelischen Glaubens erkannt hat. Und es geht nicht, diese Schar aus der Zahl der „gereiften, an dem Verständnis des Evangeliums und der Kirchengeschichte gebildeten Christen" einfach auszuschließen. Gewiß kann die theologische Wissenschaft verlangen, daß man

den ursprünglichen Sinn des Apostolikums im Ganzen und in seinen einzelnen Teilen sorgfältig feststelle.

Gewiß verdient die

Frage: Was wollte das Symbol bekennen und sagen? die genaueste

Untersuchung.

Aber wenn man das Apostolikum als Glaubens­

bekenntnis der evangelischen Kirche ansieht, so hat nur diese Frage für die Kirche Bedeutung: Was enthält das Apostolikum laut christlich-gereiftem Verständnis, und kann es in dem hier festzu­ stellenden Sinn Ausdruck des Glaubens der evangelischen Kirche

sein? Es handelt sich hier in erster Linie nicht um Lehrsätze christlich-theologischer Wissenschaft/ sondern um den Glauben, dessen Inhalt und Aneignung unabhängig ist von dem Ergebnis kritischer Forschungen. Also thut die Reife und das Verständnis des Evan­ geliums imb der Kirchengeschichte nichts dazu, wenn es das Fest­ halten des Apostolikums gilt.

Die Professoren so gut als die

138 Pastoren und Laien vergangener Zeit und in der Gegenwart haben das gleiche Recht,

sehen von dem,

über das Apostolikum zu urteilen, ganz abge­ was die Wissenschaft

Apostolikums feststellt.

über die Geschichte des

Es heißt also den Streitpunkt verschieben,

wenn man meint, durch die Geschichte des Apostolikums seine

Reformbedürftigkeit nachweisen zu können oder wenigstens eine Reform desselben unverfänglich erscheinen zu lassen. Cs ist gleich-

giltig, ob historisch-kritisch betrachtet, einige Sätze des Apostolikums ursprünglich anders gemeint gewesen sind, als wir sie heute auf­ fassen.

Und wenn man gar sagt, daß jeder Kundige an einzelnen

Ausdrücken des Apostolikums ihrem ursprünglichen Symbol-Sinne nach Anstoß nehmen müsse, so ist dieser Anstoß zweifellos Sache des Gelehrten, nicht des gläubig bekennenden Christen. Mag also immerhin durch die Forschungen verdienter Theologen feststehen,

daß der „Vater" im ersten Artikel in altkirchlichen Schriften als

„Vater der Welt" gedacht ist, mag der

„eingeborene Sohn" im

zweiten Artikel um die Mitte des zweiten Jahrhunderts vorn „ge­

schichtlichen Christus und seiner irdischen Erscheinung" gemeint sein, mag ursprünglich im dritten Artikel der heil. Geist als Kraft und Gabe neben drei anderen ihn sachlich

ergänzenden Gaben (heilige

Kirche, Vergebung der Sünden, Fleisches Auferstehung) seinen Platz

haben, was hindert denn uns, die wir durch den Geist, der in

alle Wahrheit leitet, zu tieferem Verständnis göttlicher Geheimnisse

fortgeschritten sind, in dem „Vater" des ersten Artikels den Vater Das altrömische Bekenntnis,

(nach Harnack).

Das Apostolikum, (nach Luthers großen Katechismus).

Ich glaube an Gott den Vater, Allmächtigen,

Ich glaube an Gott den Vater» Allmächtigen,S chöpferHimmelS und der Erden

und an Christus Jesus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,

und an Jesum Christum, seinen einigen Sohn, unseren Herrn,

der geboren ist aus heiligem Geist und Maria der Jungfrau,

der empfangen ist vom heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria,

der unter Pontius Pilatus ge­ kreuzigt und begraben ist,

gelitten unter Pontio Pilato, gekreuziget, gestorben und be­ graben, niedergrfahren zur Hölle.

139 Jesu Christi, im „eingeborenen Sohn" den, der von Anfang in des Vaters Schoß war, im „heiligen Geist" die dritte Person der Gottheit zu erkennen?

Nehmen wir das Gesetz des alten Bundes, den Dekalog. Es ist unter Kundigen, sowohl Theologen als gläubigen Christen, kein Zweifel, daß wir den Wortlaut desselben nicht blos in der durch Luther veränderten Form annehmen, sondern auch die Stellen, welche wir wortgetreu nach 2. Mose 20 beibehalten haben,

anders auslegen als sie ursprünglich gemeint sind.

Aber wer

von uns sollte daran Anstoß nehmen, nachdem unser Herr und Meister Jesus Christus selbst "in der Bergpredigt uns mit seiner

geistlichen Auslegung vorangegangen ist? Freilich handelt es sich hier um Worte der heiligen Schrift, in unserem Fall um ein

Glaubensbekenntnis der Kirche, aber immerhin um das älteste und ehrwürdigste, um ein auf die Schrift gegründetes und in Schriftworten abgefaßtes. Also die kritische Theologie in allen Ehren, aber eine praktisch­ kirchliche Frage kann sie nicht entscheiden.

3. Die angefochtenen Stellen des Apostolikums. Bei aller Hochachtung vor dem Apostolikum, die ihre Ver­

treter wiederholentlich zum Ausdruck gebracht haben, hat nämlich die Kritik an wesentlichen Punkten Ausstellungen zu machen und ver­ langt allerlei Auslassungen und Zusätze. Man unterscheidet das Abweichungen im Keinen Katechismus.

sonst gebräuchliche, den Allmächtigen,

eingeborenen geboren aus Maria, der Jungfrauen,

140 am

dritten

Tage

von den Toten, die Himmel,

Am

auferstanden

aufgefahren

von

in

dritten Tage

den Toten,

anferstanden

aufgefahren gen

Himmel,

sich setzend zur Rechten des Vaters»

sitzend zur Rechten Gottes, des

allmächtigen Vaters,

woher

kommt

er

zu

richten

von dannen er kommen wird, zu

Lebendige und Tote,

richten die Lebendigen und die Toten.

und an heiligen Geist,

Jchglaubeanden heiligenGeist,

eine heilige christliche Kirche,

heilige Kirche,

Gemeine der Heiligen, Vergebung der Sünden,

Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches und

Fleisches Auferstehung.

ein ewiges Leben.

Amen.

altrömische Bekenntnis und unser Apostolikum und trennt die Kritik beider von einander. Der Uebersicht wegen mögen beide hier folgen: (f. S. 138 f. unter dem Strich, 140 f. o.)

Schon in dem altrömischen Bekenntnis nämlich, das ums

Jahr 150 nach Christi Geburt entstand, finden sich drei Punkte, die man vor allem beseitigt haben möchte. Das sind die Sätze: „Empfangen vom heiligen Geist, geboren von der Jungfrau

Maria",

„aufgefahren

gen

Himmel"

und

„Auferstehung des

Fleisches". Das neurömische Bekenntnis, unser jetziges Apostolikum,

welches ums Jahr 450 fertig war und um 800 zu allgemein­

kirchlicher Geltung gelangte, enthält zwar, wie aus obiger Neben­ einanderstellung sich ergiebt, viele Zusätze zu dem altrömischen Bekenntnis.

nichts

Die meisten sind aber nur Ausmalungen, welche

Neues

hinzufügen.

Aber

auch

hier

sind

es

drei

Punkte, welche von der Kritik lebhaft angefochten werden: das „niedergefahren zur Hölle" im zweiten, das „katholisch" (Luther:

„christlich") und „Gemeinschaft der Heiligen" (Luther: „Gemeine der Heiligen") im dritten Artikel:

In unserer Besprechung der

angefochtenen Punkte des Apostolikums

wollen wir uns

dem

praktischen Zweck gemäß, den wir verfolgen, an den gegenwärtigen Wortlaut halten.

Besprechen wir die sechs angefochtenen Stellen,

eine nach der anderen, in der gegenwärtig gütigen Reihenfolge.

1. Daß der Satz „empfangen vom heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria" nicht der ursprünglichen Verkündigung

des Evangeliums angehörte, mag als geschichtlich gesichertes Er-

141

wieder auferstanden

sitzet zur Rechten (rechten Hand)

eine heilige, allgemeine, christliche Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen.

gebnis gelten, obwohl die Schlüsse, welche Harnack in dieser Hinsicht

zieht, keineswegs unanfechtbar sind. Die jungfräuliche Geburt soll in den Briefen des Apostels Paulus und in allen Briefen des Neuen Testaments fehlen. Aber einmal geht Paulus' Theologie von dem erhöhten Christus

aus, und so wenig die verhältnismäßig seltene Erwähnung der Lehre Jesu zu dem Schluß berechtigt, daß Paulus' Kenntnisse von dem Erdenleben Christi so dürftig gewesen seien, als es nach seinen Briefen scheinen muß, so wenig würde eine Nichterwähnung der jungfräulichen Geburt unbedingt auf ein Nichtwissen des Paulus

in dieser Sache führen.

Ferner aber ist Gal. 4, 4 „geboren von

einem Weibe" zwar nicht zwingend, legt jedoch die Annahme nahe, daß Paulus von der jungfräulichen Geburt gewußt habe. Denn

sollte der Ausdruck blos sagen: Christus ist Mensch geworden auf demselben Wege wie die anderen, so wäre das verglichen mit der sonst so präzisen und prägnanten Ausdrucksweise des Apostels

mindestens etwas matt. Daß die Nachricht von der wunderbaren Entstehung Jesu im Evangelium des Markus fehlt, ist nicht auffälliger als der

abrupte Schluß des Evangeliums. Und die Tendenz des Evan­ gelisten, Jesum in seiner Lehre und in feinem Wandel als den Sohn Gottes zu erweisen, der wahrhaftig der verheißene Messias war, nötigte nicht zu einer Erwähnung von Jesu Geburt, wie aus diesem Grunde überhaupt die ganze Kindheitsgeschichte ausfällt.

Aehnlich steht es mit Johannes.

Der Satz von der jungfräulichen

142

Geburt Jesu soll in seinem Evangelium „nicht sicher" zu finden Johannes hat die Fleischwerdung des Logos sich zum Thema gestellt und erwähnt grundsätzlich kein Stück des Evangeliums,

sein.

nicht einmal das heilige Abendmahl, wenn er es in den vor­ handenen Evangelienschriften schon vorfand und es in eine neue

Beleuchtung zu stellen nicht in der Lage war. Daß der fragliche Punkt in der gemeinsamen Quelle des Matthäus- und Lukas-Evangeliums gefehlt hat, ist zu vermuten, aber auch nichts weiter als zu vermuten. Die Genealogien Jesu sollen auf Joseph führen.

Das steht

von derjenigen bei Matthäus fest, mit Bezug auf diejenige des

Lukas ist das eine Behauptung, welche erst bewiesen sein will und nicht auf allgemeinen Beifall rechnen darf.

Das „ward gehalten"

(3,23) darf nicht einfach übersehen werden, und es wäre auffallend, wenn gerade Lukas, der aus den der Maria nahe stehenden Kreisen genaueste Kunde von der Geburts- und Kindheitsgeschichte Jesu gehabt haben muß, den Satz „ward gehalten" blos nebenbei mit eingefügt hätte.

Daß alle vier Evangelien bezeugen, die ursprüngliche Ver­ kündigung von Jesus Christus habe mit seiner Taufe begonnen,

muß man zugeben, wenn man zwischen der missionarischen Ver­ kündigung und den ausgezeichneten Evangelien keinen Unterschied macht.

Die Evangelien haben gewiß manches ausgenommen, was

in der Missionspredigt keine Stelle fand. Und die Evangelien, welche in erster Linie für die vorhandenen christlichen Gemeinden

bestimmt waren, mußten notwendig einen anderen Charakter tragen als die „ursprüngliche Verkündigung", welche an jedermann erging.

Also steht die Beweiskraft der Momente, welche das Fehlen der jungfräulichen Geburt in der ältesten Verkündigung beweisen sollen, auf unsicheren Füßen, und wenn auch die dagegen geltend

gemachten Bemerkungen nicht mehr beweisen,' soviel beweisen sie immerhin, daß die von den Gegnern des Apostolikums angeführten Gründe keine wissenschaftliche Nötigung enthalten.

Aber gesetzt den Fall, es hätte wirklich der Satz von der

wunderbaren Geburt Jesu im ursprünglichen Evangelium keine Stelle gehabt, würde daraus folgen, daß Matthäus und Lukas trüben Quellen gefolgt sind?

Nimmermehr: das Geheimnis der

143

Geburt Jesu war ein derartiges, daß es sich für die öffentliche Verkündigung weniger eignete, als jede andere Thatsache des Evangeliums.

Die heidnischen Griechen und Römer hätten bei

ihren Anschauungen

von

dem

Verkehr

zwischen Göttern und

Menschen entweder kaum eine für den lebendigen Gott und den

Weltheiland bezeichnende Eigentümlichkeit darin gefunden oder gerade an diesem Punkte, der das zarteste Geheimnis enthielt, Anlaß zu Lästerungen genommen. Es lag in der Natur der Sache, daß von der öffentlichen Predigt vor den Heiden die wunder­

bare Geburt ausgeschlossen wurde, und dieser katechetischen Unterricht seine Stelle fand.

Punkt erst im

Das Prädikat „Jung­

frau" aber ist darum für uns unanstößig, weil wir die bleibende Jungfrauschaft Marias vom Standpunkt des Evangeliums aus ablehnen und den Ausdruck „Jungfrau Maria" nicht auf die Zeit

nach der Geburt Jesu ausdehnen. 2. Die Thatsache, daß Christus in das Totenreich hinab­ gestiegen ist und den Toten gepredigt hat, ist nicht blos 1. Petri

3. 19. 20. und 4. 6. bezeugt, sondern findet sich auch sonst bei manchen Kirchen - Schriftstellern erwähnt. Die Erklärungs­ versuche

dieser

Stelle

Sache selbst biblisch.

sind

mannigfaltig,

jedenfalls

Daß der Satz, welcher

ist

die

die Höllenfahrt

enthält, zu schwach sei, um als selbständiges, ebenbürtiges Glied neben den anderen zu stehep, können wir allerdings nicht zugeben, wenn wir seine Bedeutung darin finden, daß Christi Erlösungs­ werk nicht blos den Zeitgenossen und nachfolgenden Geschlechtern, sondern auch allen vor ihm Verstorbenen zu gute kommen sollte. Aber eine andereFrage ist, ob dieser Satz, so verstanden, notwendig in das Glaubensbekenntnis der christlichen Kirche gehört. Nun er einmal darin steht, durch die Ueberlieferung vieler Jahrhunderte geheiligt,

mag er seine Stelle behalten. Aber es würde unserem Glaubensbekenntnis nichts Wesentliches fehlen, wenn die Höllen­ fahrt nicht in das Apostolikum ausgenommen wäre. Daß Christus

in das Totenreich hinab gestiegen ist, hat für mich und meinen Glauben und meine Seligkeit schlechterdings direkt keine Bedeutung. Gott hat uns dieses Geheimnis offenbart, weil er uns würdigte, einen vollen Eindruck von der Größe und Herrlichkeit Christi und

seines Werkes zu gewinnen.

Alle anderen im Apostolikum ent-

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haltenen Thatsachen geben meinem Glauben an den Erlöser einen Untergrund, die Thatsache der Höllenfahrt nur mittelbar

in dem angegebenen Sinn.

Darum könnte die Höllenfahrt ohne

Schaden fehlen, und selbst für den, welcher an der Thatsache der

Höllenfahrt

iin

angeführten biblischen Sinn

festhält,

kann es

lediglich eine Frage des praktisch-kirchlichen Interesses sein, ob

die Höllenfahrt im Glaubensbekenntnis der Kirche steht oder, nicht.

3. Die besondereHervorhebung derHimmelfahrt im Apostolikum ist nicht darum zu beanstanden, weil dies eine Abweichung von der ältesten Predigt bedeutet. Gewiß hat sich die erste Verkündigung

des Evangeliums auf die Hauptsachen beschränkt, auf den Tod und die Auferstehung des Herrn: aber wie zum Tode das Begraben­ werden, so gehört zu Christi Auferstehung seine Himmelfahrt. Ueber die Art und Weise also, wie die Himmelfahrt aufzufassen

sei, mag die altkirchliche Ueberlieferung auseinander gehen, mögen auch die Meinungen der Gläubigen noch heute geteilt sein. Daß sie nach der biblischen Lehre auch einen Gegenstand des christlichen

Glaubens bildet und die Auferstehung vollendet, steht fest.

Das

Schweigen einiger Evangelien und Episteln und alter KirchenSchriftsteller kann nichts dagegen beweisen. 4. Das Wörtlein „katholisch" wollen wir gewiß weder auf die sichtbare, organisierte Kirche, noch auf die orthodoxe Kirche bezogen haben, sondern mit Luther durch „christlich" ersetzen oder,

wenn es in unseren Katechismen beibehalten ist, in dem gut biblischen Sinn von „bestimmt, über die ganze Erde sich auszubreiten" verstehen (vgl. z. B. Matth. 28,19. Mark. 16,15).

Luther hat

uns auch in dieser Beziehung ein Muster rechter evangelischer Freiheit gegeben, und wir wollen uns durch unbiblische Auffassungen von Einzelheiten im Apostolikum kein Joch auflegen lassen.

5. Der Satz „Gemeinschaft der Heiligen" hat bei Allgustin den biblischen Sinn von „Gemeinschaft der wahrhaft Gläubigen auf Erden".

Wenn nun nach ihm Ausleger des Apostolikunls

die „Gemeinschaft der Heiligell" als „Genleinschaft mit den vollendeteil Heiligen" oder als „Gemeinschaft mit Märtyrern und

Heiligen" (im römischen Sinn) verstanden haben, so folgt darans noch nicht, daß jeder Kundige, selbst wenn in der evangelischen Kirche diese Stelle in der Auffassung des Evailgelümls bekannt

145 wird,

an den ursprünglichen Sinn denken und daran Anstoß

nehmen muß.

Wohin würden wir kommen, wenn bei jeder Bibel­

stelle, die einmal oder oftmals falsch ausgelegt wurde, oder lange Zeit hindurch Gegenstand des Streites gewesen ist, der „Kundige"

sich ärgern würde, oder wenn bei der Feier des Heiligen Abendmahls der Kundige an die Lehrdifferenzen und unerquicklichen Begeben­ heiten sich erinnern wollte, welche von jeher in der Geschichte der

Kirche an das Allerheiligste des neuen Bundes sich angeknüpft

haben? Ist es doch auch Thatsache, daß die richtige Auslegung der „Gemeinschaft der Heiligen" selbst Mittelalters nie vergessen worden ist.

während

des

ganzen

6. Es ist bekannt, daß „Auferstehung des Fleisches" schon seit Luther als ein undeutlicher und undeutscher Ausdruck für

„Auferstehung des Leibes" angesehen wird. Luther selbst hat den Ausdruck „Leibes" statt „Fleisches" eingehend verteidigt. Ander­ seits hat er in seiner dichterischen Wiedergabe des Apostolikums,

in dem Kirchenlied: „Wir glauben all an einen Gott" doch gesagt:

„Das Fleisch soll auch wieder leben", wo „der Leib" ebenso gut gepaßt hätte.

Es wäre gut, wenn das „Fleisch" in diesem Zu­

sammenhang fiele, und „Leib" allgemein gebräuchlich würde. Aber die volkstümlichen kraß-sinnlichen Vorstellungen würden sich in Zukunft an den „Leib" ebenso gut wie bisher an das „Fleisch" heften. Wenn daher nur allenthalben das richtige biblische Verständnis

des Ausdrucks, namentlich im Sinn von 1. Kor. 15, eingeschärft wird, dann mag ohne Schaden auch die Auferstehung des „Fleisches" im Apostolikum ihre Stelle behalten.

4. Was fehlt Im Apostolikum und warum fehlt es? Der Hauptmangel des Apostolikums soll sein: „man vermißt den Hinweis auf Jesu Predigt, auf die Züge des Heilandes der

Armen und Kranken, der Zöllner und Sünder, auf die Persönlich­ keit, wie sie in den Evangelien leuchtet".

Darum gilt das Be­

kenntnis als unvollkommen. Es ist dies ein Vorwurf, der dann auch die älteste christliche Verkündigung trifft, denn laut den Nachrichten des ganzen Neuen Testaments haben die Apostel in

ihrer Missionspredigt den Kreuzestod und die Auferstehung des Heilandes verkündigt und seine Lehre und seinen Wandel erst in

II.

10

146 zweiter Linie heran gezogen.

Die Kirche hat mit feinem Takt

unseren Glauben auf den gerichtet, der allein für uns Gegenstand des

Glaubens sein kann. Ein Christus, der einst gelebt und gepredigt und Wunder gethan und einen heiligen Wandel geführt hat, kann uns wohl durch die Vergegenwärtigung seines Bildes auf dem Wege der Reflexion als geschichtliche Reminiscenz stärken, trösten, mahnen, warnen. Aber nimmermehr kann er für uns der

Heiland sein, welchen wir brauchen zunr Leben rind Sterben als sicheren Hort, als festen Stab, als unzerbrechliche Stütze,

Gegenstand des innigen, herzlichen Zutrauens.

als Des vom Himmel

gekommenen („empfangen vom heiligen Geist,

geboren von der

Jungfrau Maria") und zum Himmel wieder eingegangenen („auf­

erstanden von den Toten, aufgefahren gen Himmel, sitzend zur Rechten Gottes") Christus Jesus' Lehre und Wandel hat für uns und für alle, die seine irdische Erscheinung nicht gekannt haben, letztlich darin ihre höchste Bedeutung, daß seine Lehre uns als

letztes gottgeordnetes Ziel die Notwendigkeit seines Kreuzestodes, itnb sein Wandel uns den unendlichen Wert seines Kreuzestodes erkären. Nur der verklärte Christus, der für mich und für die ganze Welt gestorben ist, hat für mich Lebenskräfte, nicht Jesus in seiner irdischen Erscheinung: jener wirkt auf mich direkt, dieser nur indirekt, indem nämlich der himmlische Christus das Bild des

irdischen Jesus mir nahe bringt.

Darum hat sowohl in

der

evangelischen Geschichte als im Glaubensbekenntnis der evangelischen Kirche die irdische Erscheinung Christi ihren Platz.

Aber nur in

die evangelische Geschichte gehören die von den Bestreitern des Apostolikums verlangten Einzelzüge seiner Persönlichkeit, auf eine Stelle im Glaubensbekenntnis dürfen sie keinen Anspruch machen.

Das Apostolikum hat schon viel herbe Anfechtungen erfahren und bestanden. Es ist noch immer siegreich geblieben, weil es

keine vom menschlichen Denken gesuchte Formeln, sondern die in der heiligen Schrift selbst bezeugte und meist mit biblischen Worten

ausgesprochene Wahrheit des Heils enthält. Auch die Bewegung unserer Tage wird die Geltung des Apostolikums in der evan­ gelischen Kirche nur befestigen helfen. Nicht darum, weil es das

147

sogenannte apostolische Glaubensbekenntnis ist,

sondern darum,

weil in ihm allein Jesus Christus, derselbe gestern und heute und in alle Ewigkeit (Hebr. 13,8) bekannt wird, darum wird es wohl bleiben.

Inhalt: Seite Christus und der Glaube . . . . .1 Die heilige Schrift und der Glaube . . . 33 Die Erlösung im Siunc Jesu und seiner Apostel . 70 Für das Apostoliku in . . . . . .129 1. Bestreitung des Apostolikums .... 129 2. Die Bkblizität und Kirchlichkeit des Apostolikums . . 132 3. Die angefochtenen Stellen des Apostolikums . . 139 . . 145 4. Was fehlt im Apostolikum mit) warum fehlt es?

Serkag der Z. Wicker'schen Mnchyandknng in Hießen. tKuddr, 'K., Die Bücher Richter und Samuel, ihre Quellen und ihr Aufbau. M. 7.50. —

— Die biblische Urgeschichte. (Gen. 1—12,5.) Nebst An­ hang: die älteste Gestalt der bibl. Urgeschichte, versuchsweise wiederhergestellt, hebräischer Text und Uebersetzung. M. 14.—. Drißmann,