Brennende Zeit- und Streitfragen der Kirche: Band 3 Aus dem praktischen Christentum [Reprint 2019 ed.] 9783111549330, 9783111180229

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Brennende Zeit- und Streitfragen der Kirche: Band 3 Aus dem praktischen Christentum [Reprint 2019 ed.]
 9783111549330, 9783111180229

Table of contents :
Pietismus und Methodismus
Der moderne Pessimismus und der christliche Glaube
Freude und Freuden im Ficht der christlichen Ethik
Inhalt

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Vertag der I. Nicker'schen Auchyandtang in Hießen. Die Zeit> und Streitfragen erscheinen in 4 Teilen, von denen der 3. Teil hier vorliegt; die anderen enthalten:

I. Auf alttestarnrnklichem Gebiete. Bedenken und Wünsche für eine zukünftige Berdeutschung des Sitten

Testaments. — Gegenwart und Zukunft im Licht alttestamentlicher Prophetenworte. — Das Alte Testament im christlichen Religions­

unterricht.

II. Zur christlichen Glaubenslehre. Christus und der Glaube. — Die heilige Schrift und der Glaube. —

Die Erlösung im Sinne Jesu rind seiner Apostel. — Für das Apostolikum.

IV. Soziale Fragen. Sozialdemokratie und Christentum. — Sozialdemokratie und Kirche.

— Die soziale Stellung des evangelischen Geistlichen. — Die soziale

Stellung der Diakonissin. — Eigentum und Arbeit. — Soziale Bewegungen in einem jungen Kaufmamlsherzen.

Jeder Teil ist einzeln zum Preise von ca. Mk. 1,50 bis Mk. 2.— käuflich.

Soeben ist in unserem Verlag erschienen:

Einlrikung in das Buch Jesaja von T. rc. Lherne, Professor der Exegese ZU Oxford, Kanonikus der Kathedralkirche ZU Rochester.

Deutsche Aebersrhung unter durchgängiger Mitwirkung des Verfassers. Herausgegeben von

Julius Böhmer.

gr. 8°. M. 12.—. Gebunden M. 13.50.

Brennende

Zeit- und Streitfragen der Kirche. Gesammelte Abhandlungen von

Julius Böhmer.

III. Aus dem praktischen Christentum. Pietismus und Methodismus. Der moderne Pessimismus und der christliche Glaube. Freude und Freuden im Lichte der christlichen Ethik.

M-

Hirtzen I. Ricker' sche Verlags-Buchhandlung

1897.

Herrn Professor Dr. von (Dreist

in aufrichtiger Verehrung und

herzlicher Dankbarkeit

gewidmet.

Alle Rechte Vorbehalten.

Pietismus und Methodismus. Eine kirchengrfchichLliche Studie zum Vergleich beider Nichtungen in der Gegenwart. ist eine aus der menschlichen Art und der Unvoll-

kommenheit aller zeitlichen Dinge erklärliche, durch lange

Erfahrung in der Welt- mit) Kirchengeschichte bestätigte Thatsache, daß alle großartigen Erscheinungen von weltunigestaltender Be­ deutung, wenn sie gleich bei ihrem ersten Auftreten revolutionär

wirken, dennoch von der gleichzeitigen Generation nur unvoll­ kommen erfaßt werden, und daß erst ein späteres Geschlecht die

Früchte jener segensreichen Erscheinung pflücken darf. Je mächtiger eine neue Idee durch die Wucht der Thatsachen ins Leben einzu­ dringen, je erhabener sie gleichsam über den Köpfen zu schweben

und nur bei wenigen in des Herzens Tiefe einzugehen pflegt, um

so längerer Zeit bedarf sie, sich auszuwirken. Der gottbegnadeten

Geister, welche eine epochemachende Erscheinung in ihrer ganzen

Bedeutung

verstehen

oder

wenigstens

diesem Verständnis sich

möglichst nähern, sind immer nur wenige gewesen, und wenn sie aus dem Leben geschieden, so folgt ein Epigonengeschlecht, das

von seiner Väter Reichtum oft nur noch eine verblaßte Vorstellung besitzt, bis ein neuer Genius zweiten Ranges die Güter der Vorzeit von neuem hervorholt und sie den Mitlebenden schenkt, als wären sie noch

nicht

dagewesen, und das

Bewußtsein ihres Besitzes

vertieft.

Wie wir diese Wahrheit zunächst in einzigartiger Weise be­ stätigt finden beim Eintritt des Christentums in die Welt, da nur wenige das in Christo gegebene Licht, Heil und Leben erkannten

und die Kirche Christi bei allem anerkennenswerten Streben und

Wirken

in

einer

fünfzehnhundertjährigen Entwickelung

immer

niehr vom rechten Wege abkam, bis Luther in göttlicher Vollmacht III

1

2 und apostolischer Kraft eine neue Zeit schuf, so wiederholt sich dieselbe Erscheinung beim Auftreten dieses Reformators.

Seine

Mitwelt und Nachwelt vermochte gar nicht oder nur teilweise

und allmählich die große Erbschaft, als welche Luthers Person und Werk erscheint, anzutreten, ja sie lief sogar Gefahr, jene Erb­

schaft für den Fortschritt des Reiches Gottes in der Geschichte völlig wertlos werden zu lassen. Zwar bleibt den:'Zeitalter des Orthodoxis-

mus seine kirchengeschichtliche Bedeutung; zwar behalten die prote­ stantischen Mystiker ein großes Verdienst um die Erhaltung mit)

Vertiefung des reformatorischen Gedankens; zwar ist der Einfluß,

den das Kinderlied jener Periode auf den Glauben der Kirche

ausgeübt hat, nie zu unterschätzen: allein, sollte die Kirche als solche wieder auf die Höhe ihrer Aufgabe gestellt werden, dadurch

daß sie Ernst machte mit der Aneignung und Verivertung der

durch die Reformation errungenen Güter, so bedurfte eS der Er­

weckung einer neuen, großen, bestimmenden Einfluß ausübenden Persönlichkeit.

Spener war es,

der von Gott dazu ausersehen

war, die lutherische Kirche in Deutschland zu ihrer ganzen Aufgabe

zurück zu rufen. Eine verwandte Bedeutung hatte der Methodismus für die englische Kirche.

Indem wir die Bekanntschaft mit der

historischen Entstehung des Pietismus und Methodismus vorauSsetzen, versuchen wir hier zunächst den allgemeinen Charakter

beider Richtungen zu zeichnen, insofern derselbe als eine Konsequnz sowohl der kirchlichen als auch der nationalen Eigenart

erscheint,

geben sodann

eine

vergleichende

Darstellung

der Unterschiede beider Richtungen in Lehre, Kultus und anderen wichtigen Äußerungen des religiösen Lebens und

beleuchten endlich noch kurz ihr Verhältnis zur LandeSk.i r ch e.

I. Allgemeiner Charakter des Pietismus und Methodismus. Spener

und

die von

ihm

ausgegangene

Richtung der

Pietisten haben eine reformatorische Bedeutung für die lutherische Kirche gehabt, ivenn auch Spener selbst den Namen Reformator in der ihm eigenen Bescheidenheit ablehnte. Er hatte die klare Erkenntnis, daß er nicht Urheber einer neuen Bewegung war,

3 sondern daß ihn göttliche Führung an die Spitze einer solchen,

die längst vorhanden war und auch ohne ihn ihre Wellen geschlagen hätte, gestellt hatte.

geeignet.

Seine Persönlichkeit war für diese Stellung

Eine goldreine Lauterkeit und Wahrhaftigkeit, so urteilt

Tholuck, geht durch all fein Thun hindurch.

Keine Sünde zu

begehen, diese Sorge steht ihm überall im Vordergrund.

Und

wie weit es der Christ hierin durch Wacher: und Beten bringen könne, dafür ist er ein herrlicher Zeuge geworden.

Ausdrücklich

sagt er, daß er nie die Absicht gehegt, durch eine plötzliche That die Kirche zu reformieren, sondern nur wünsche, durch seine Rat­

schläge ihr die Anregung zu geben,

sich

selbst zu reformieren.

Bezeichnend ist die Antwort, welche er auf die Frage gab: solche fiente herzunehmen seien,

„wo

die den dritten Stand in der

Kirchenleitung würdig vertreten könnten." Er sagte: „Ich achte, daß

die Prediger sie sich selbst formieren können." Innerhalb der Kirche sollte alles seinen geordneten Gang weitergehen, und erst im Lauf der Zeit möchten die von ihm gesteckten Ziele erreicht werden.

Was er erstrebte, ist kurz gesagt eine Wiederbelebung der lutherischen

Kirche, er begann echt evangelisch sein Werk an der einzelnen Seele, die er zum persönlichen Christentum erwecken wollte, durch

kirchlichen Unterricht, durch Seelsorge, durch Erbauungsversammlungen, durch Kirchenzucht.

Das Sonett eines Leipziger Professors

giebt es also an: Es ist jetzt stadtbekannt der Nam' der Pietisten. Was ist ein Pietist? Der Gottes Wort studiert Und nach demselben auch ein heilig Leben führt. Das ist ja wohlgethan, ja wohl von jedem Christen.

Weiter richtete Spener seine Blicke auf Gemeinden und Pastoren; eifrige Seelsorger heran zu bilden, diesen Gedanken erfaßte er mit besonderer Kraft und

Liebe.

Endlich sollte die

ganze Kirche ein lebendiger Organismus werden, innerhalb dessen

jeder gnr christlichen Persönlichkeit Herangereifte zusannnen mit der kirchlichen Obrigkeit mit) Geistlichkeit an der Ausübung der Kirchen­ regierung und Kirchenzucht teilnehmen sollte. Christliches Leben über­ all, das war das Ziel SpenerS und der von ihm ausgegangenen

Richtung des Pietismus: statt scholastischer Dogniatik sollte die Heilige Schrift, statt des rechtgläubigen Bekenntnisses warme Herzenstheologie

1*

4

regieren. Dies Ziel ist programmmäßig in den pia desideria ausgesprochen, die 1675 erschienen und ihren Namen nach einem Buche Quistorps führten, welches wenige Jahre zuvor die Schäden der lutherischen Kirche klargelegt hatte. Ritschl in seiner „Geschichte des Pietismus" bestreitet das Recht dieser Auffassung. Seinem theologischen Standpunkt gemäß ist es nicht zu erwarten, daß er ein unbefangenes, sachgemäßes Urteil über den Pietismus abgebe. Seine Betonung des „geschicht­ lichen Christus" und seine rationalisierende Auffassung des Ver­ hältnisses des Menschen zu Gott atrnen einen anderen Geist als der Pietismus. Ihm fehlt das Organ zur Erkenntnis und Würdigung dieser kirchlichen Erscheinung. Aeußerungen wie diese: es ist streitig, ob Spener Reformator oder Deformator der Kirche sei; Spener selber war kein Pietist; die Frage, wieviel bliebe denn vom Pietismus übrig, wenn der Satz Bogatzkys richtig wäre: unter die Dinge, die schädliche Folgen haben, gehört auch dies, wenn ment seine eigenen Seelenführungen anderer: ausdrängt oder fast alle nach einerlei Führung geformt wissen will — solche und ähnliche Sätze beweisen, daß die Geistesbewegung des Pietisrnus eine den: Verständnis Ritschls völlig heterogene war. Daher ist es auch nicht zu verwundern, wenn er mit Vorliebe die separatistischen und sektiererischen Eigenheiten des Pietisrnus hervorsucht und auch an seinen edlen Vertretern die Schattenseiter: mit viel rnehr Interesse ausführt als ihre die gar:ze lutherische Kirche beleber:de Thätigkeit. Er findet eine Vergeltung darin, daß der Pietisrnus, welcher in der reformierten Kirche ein gewisses Heimatrecht besessen rmd dasselbe trotz seiner Abweichung vorn Calvinismus nicht ver­ scherzt hätte, inden: er den: vollen Separatismus entgegenwirkte, in der zu ferner Aufnahme gar nicht disponierten lutherischen Kirche zunächst der: SeparatiSrrnrs und die enthusiastische Heterodoxie zur Folge gehabt habe. In dieser Weise nü'rßte rr:ar: zur Charakteri­ sierung der Reformatio:: besonders eir:geher:d bei der Wieder­ täuferei verweilen. Weil ihm also das eigentliche Weser: des Pietismus verborge:: bleibt, sucht Ritschl seinen Ursprr:::g in den mittelalterlichen Mönchsorden; dann sei er in vielen asketischen und mystischenPersönlichkeiten des Mittelalters und der Reformationszeit fortgepflanzt rvorden und habe in der reforuüerten Kirche als

5 der dem katholischen Mönchsgeist am nächsten verwandten Eingang

gefunden.

Spener habe zwar dem in Deutschland importierten

ein eigentümlich lutherisches Gepräge gegeben, sei indes wesentlich von niederländischen Vorbildern abhängig geblieben.

Ritschl faßt

also unter dem Begriff des Pietismus eine Menge der verschieden­

artigsten Erscheinungen zusammen, nicht ohne manchmal der Geschichte einige Gewalt anzuthun.

fassung mit vielen

Unter den Gegnern, welche seine Auf-

Gründen zurückgewiesen

haben,

erklärt B.

Riggenbach nicht mit Unrecht, daß man im Sinne Ritschls den Pietismus eigentlich auf die Essener zurückführen müsse.

Begriff Pietismus ist, geschichtlich angesehen,

Der

zu Speners Zeiten

entstauben und bald allseitig aeceptiert worden: er darf daher nicht

nach irgend welcher subjektiven Auffassung umgedeutet werden. Vielmehr sind Speners Ideen unb seine Auffassungsweise zur Bestimmung

des Begriffs Pietismus maßgebend; bei ihn: nämlich liefen die weit verzweigten Fäden der von ihm angeregten Bewegung zu­ sammen, wie der von ihm mit großen: Fleiß betriebene und aus­

gedehnte Briefwechsel beweist.

Die von Speners Standpunkt ab-

weichenden separatistischen und sektiererischen Ansichten sind darum nicht zum Pietismus zu rechnen,

zurnal sie teilweise ausdrücklich

von ihrn verurteilt werden. Spener selbst nämlich erkannte sehr wohl die Gefahren, welche sich an seine Bestrebungen anhängen könnten und warnte nach­ drücklich davor.

Wenn dennoch soviel separatistisches und selbst­

gerechtes und starres Wesen sich an den Pietismus gehängt hat, so ist es zumeist ohne Speners Schuld geschehen und thut dem Segen, welchen die von ihm hervorgerufene Bewegung in der evallgelisch-lutherischen Kirche gestiftet hat, keinen Abbruch.

Trotz

der heftigen Anfeindungen, welche der Pietisnms teils aus Un­ verstand, teils wegen seiner Entartung erfuhr, wurde er doch bald

mi5 dem Angegriffenen zum Angreifer.

Unvermerkt gewann er

den Gegner für seine Bestrebungen und ließ sich burd) nichts in

seiner stillen,

geordneten Arbeit innerhalb der Kirche aufhalten.

Dabei aber veranlaßte ihn andrerseits der heftige Widerstand seiner Zeitgenossen vielfach,

seine nächste Aufgabe,

die Arbeit an der

Kirche, eins dem Auge zu lassen und sich träumerischen Gedanken

über ihre Zukunft hinzugeben, auf das baldige Hereinbrechen des

6 tausendjährigen Reiches und eine bevorstehende allgemeine Juden­

Dennoch bleibt ungeachtet mancher

bekehrung sein Auge zu richten.

Verirrungen dem Pietismus, welcher die erste Hälfte des acht­

zehnten Jahrhunderts ganz erfüllte, der Ruhm unbestritten, daß in keiner Periode die lutherische Kirche so viele von christlichem Eifer beseelte Geistliche und Laien besaß wie damals und daß er in der folgenden Periode der Aufklärung der Retter des evan­

gelischen Glaubens, ja der Orthodoxie geworden ist; denn mit dialektischen Mitteln vermochte sich diese nicht mehr zu halten, aber

getragen von einem persönlichen Herzenschristentum konnte sie der auflösenden und zersetzenden Macht des Rationalismus einen uner­

schütterlichen Damm entgegen stellen.

Damals geschah es auch,

daß der Pietismus aus dem öffentlichen kirchlichen Leben sich in

die häusliche und private Andacht zurückzog und dabei häufig den Zusammenhang mit der Kirche verlor.

Eine

eigentümlich

andere Art

des

Pietismus stellt

die

Brüdergemeinde Zinzendorfs dar. Trotzdem Zinzendorf die Pietisten

„miserable Christen" nennt, bedarf es kaum des Beweises, daß er selbst unter den Einflüssen des Spenerschen Pietismus stand, und seine

Gegnerschaft

Pietismus.

gilt

wohl

mehr

den Ausschreitungen

des

Statt wie Spener in jede Gemeinde eine kleine Kirche

hineinzubauen, bis sie ganz missioniert sei, will er ein kleines Gesamtkirchlein bilden und dasselbe mitten in die große Kirche, in die Christenheit,

hineinstellen,

seine Aufgabe erfüllt habe.

bis es als Uebergangsanstalt

Zinzendorfs Thätigkeit war

mehr

„seelensammelnd" als daß er Seelen weckte und erzog. Aus seiner Stiftung ist eine Sonderkirche geworden, die trotz mannigfacher

Sonderbarkeiten itttb zeitweiser Extravaganzen für das Glaubens­

und Liebesleben in der evangelischen Christenheit ihre große Be­

deutung gewonnen und zumal in den Zeiten, als der Spenersche Pietismus zum gesetzlichen Pharisäismus verknöcherte und der Kirche auch sonst ernste Gefahren drohten, für viele ein Rettungshafen geworden ist.

Ziemlich gleichzeitig mit Spener hatte der Pietismus seinen Einzug in Württemberg gehalten und war bald von Norddeutsch­ land her durch den Verkehr der jungen Theologen in Halle be­

fruchtet worden.

In Württemberg bewahrte sich der Pietismus

7 allezeit eine treue Kirchlichkeit. Weil er hier den Kampf besonders

gegen den Rationalismus, nicht gegen den Orthodoxismus

zu

führelr hatte, so mußte mit) konnte er sich mehr auf das Allgemein-

kirchliche richten und blieb vor nianchen Abwegen bewahrt. Doch hängten sich einige theosophische und chiliastische Liebhabereien an. Sonst trieb er unbefangen wissenschaftliche Forschungen und warf sich zumeist auf das Bibelstudium. Namentlich „die Stillen im

Lande" pflanzten ihn zur Zeit des überflutenden Rationalismus fort, oft Leute aus dem Handwerkerstand, die um seinetwillen

Märtyrertum aller Art auf sich nahmen, bis er in die Universitäts­

theologie und in die jüngere Pastorenwelt Eingang fand. Männer wie Bengel, ötinger, Hahn, Richter sind es, die den Württem­ bergischen Pietismus kennzeichnen.

Nur nenig später als der deutsche Pietismus in der lutherischen Kirche trat in England auf reformiertem Gebiet eine Erscheinung zu Tage, velcher der Name Methodismus beigelegt wurde, die

dem Pietismus

verwandt, dennoch

nach einm ganz

Weise nirkte.

ihrer Art und Vorgeschichte

anderen Verlauf nahm und in ganz anderer

Dieser Unterschied war schon mit dem Charakter,

der engäschen Reforniation,

die eine ganz andere Art als die

deutsche hatte, gegeben. In England hatte die christliche Persönlich­

keit gefchlt, welche dem Reforniationswerk sein eigenartiges Gepräge gegeben hätte.

Die Reformation war meist von Anhängern Kalvins

aus )em Ausland

gebracht und nach harten langandauernden

Kännfen von der Königin Elisabeth gesetzlich eingeführt worden. Die bischöfliche Verfassung mit dem Herrscher des Landes an der Sptze und der im wesentlichen katholische Kultus blieben.

Die

neueingeführten kalvinischenLehren, von einer geistlichen Konvokation mit durch Parlamentsbeschluß in die Grundgesetze des Königreichs

autzenommen, bezeugten fortan den evangelischen Charakter des Laides.

Eine

derartige

Reforniation,

nicht

aus

den

Herzen

georen, sondern durch Autoritäten den Menschen auferlegt, gab

vor den Reichtümern und Segnungen des Evangeliums wenig Zugnis.

Daher wird der Widerstand seitens der Nonkonfirmisten

o'er Dissenters und der Independenten begreiflich: die Heilsgüter

ds Glaubens zu erlangen und zu pflegen, ja zu retten hielten sie nr bei einer der evangelischen Lehre entsprechenden Verfassung

8

und bei einem ebensolchen Kultus für möglich. Doch auch nachdem sie für ihre Religionsübung gesetzliche Duldung erlangt hatten, erfüllten sie die Aufgaben einer evangelischen Kirche ebensowenig wie die Staatskirche. Diese hielt es für ihr Höchstes, die königliche Suprematie zu befestigen und die Laien mit den vorgeschriebenen kirchlichen Mitteln durch die Geistlichen bedienen zu lassen. Die unabhängigen Kirchen aber verfielen auf einseitige Ausprägung kaloinischer Grund­ gedanken. Wohl hatte Kalvin strenge Gesetzesregeln über das Christenleben aufgestellt. Gleichwohl war das reformatorische Prin­ zip, wie er es auffaßte, nicht von Hause aus weltflüchtig, wie es später gedeutet wurde, sondern erst nach und nach, teils durch Ein-' drücke und Einflüsse seiner Umgebung, teils durch seine eigene natür­ liche Anlage zur Weltflüchtigkeit umgebogen worden. Wiederholt spricht Kalvin sich dagegen aus, als dürfe man nicht alle Gaben Gottes dankbar genießen und das Leben ausschmücken. Ja er richtete selbst geselligen Verkehr bei einem Glase Wein ein, um die Berechtigung christlicher Gemeinschaftsfreuden in sogenannter „weltlicher Form" zu erweisen. Und seine scheinbar keinlichen Gesetze für das Leben evangelischer Christen waren mehr durch besondere Umstände bedingte Schutzmaßregeln, als daß er in ihnen die notwendigen Schranken des christlichen Lebens gesehen hätte. Erst Kalvins Nachfolger, namentlich in der englisch-schotischen Kirche, haben viel zu sehr die katholische Seite seiner Weltflichtigkeit hervorgehoben. Daher tragen die literarischen Erzeugnisse der Wenigen, welche nach Verinnerlichung des Christentums und Be­ währung int frommen Wandel verlangten, asketischen Charakter. Lewis Bayly und sein weitverbreitetes Buch „the practice of piety“ (b. i. „Der fromme Wandel"), Milton, Bunyan, Barter wirkten unter ihrem Volk in großem Segen und übten sogar auf das evangelische Deutschland Einfluß. Auch Spener war von puritanischen Ideen, speziell von Baylys Buch, angeregt, als er an sein Werk ging. Im übrigen erfüllten Schulgelehrsamkeit und scholastische Doktrin den Sinn der Theologen. Die Predigten wareit zu gelehrt und darum unverständlich. Das Leben der Kirche erstarb in zeremonienreichem Kultus. Die Geistlichen waren oft sittlich verkommen und bodenlos unwissend, nicht wenige mußten den

9 Verbrechertod sterben.

Burnet erzählt, von vielen Kandidaten, die

so unwissend gewesen seien, daß sie nicht einmal zum Heiligen Abendmahl hätten zugclassen werden dürfen, geschweige daß sie

zum Predigtamt ordiniert wurden; sie hätten weder Bibel noch Katechismus gekannt. Wer will sich da über Roheit und Un­

wissenheit des Volkes wundern?

So verödeten die Gotteshäuser,

und der nackte Unglaube machte sich breit.

Weil man sie nie

verstanden, nichts davon erlebt hatte, so wurde die Lehre von der Auferstehung als sinnlos und unvernünftig abgethan, und dafür

einige blasse Begriffe üott Gott, Vorsehung, Willensfreiheit, Tugend

und Unsterblichkeit auf den Thron gehoben. Cherbury, Hobbes, Brown, Blount gaben sich Mühe, das Christentum als morgen­ ländisches Phantom oder nackten Priesterbetrug hinzustellen.

Ein

Shaftesbury, Collins, Tindal und viele andere führten die Irr­

Und wenn sic gleich nur in adligen

lehren konsequenter durch.

Kreisen Beifall fanden, so wirkte doch das Beispiel der höheren Stände auf das Volk und entfremdete viele noch mehr der Kirche. Zeitgenosserr berichten, daß dainals in England von Religion weniger

zu spüren gewesen sei als in irgend einem Nachbarstaat, und die Kirche hatte nicht nur ihre Aufgabe des vooftersiv evot exaatov

(„einen Jeglichen zu vermahnen", Apg. 20, 31) aus dein Auge ver­ loren, bez. nie erkannt, sondern auch das Bewußtsein, daß sie

überhaupt eine göttliche Aufgabe auf Erden zu erfüllen habe, war ihr geschwunden. Sie war ganz offenkundig, wie der Philosoph Hume

sich ausdrückt, zur „Versorgungsanstalt" geworden, „da Zivilan­ stellungen für wissenschaftlich gebildete Leute kaum aufzutreiben waren". Der Unterschied zwischen der kirchlichen Lage in England

und Deutschland im sicbcnzehnten Jahrhundert ist deutlich. Dort waren cs weniger Dogmatismus und tote Werke, als viel­

mehr

Gleichgiltigkeit

gegen das

Christentum

und

offener Spott, gegen welche ein Kampf geführt werden mußte.

Der Methodismus nahm ihn auf: frühzeitig kain die Be-

zeichnuug in Gebrauch.

Ursprünglich ein Spottumne wurde er

von den beiden Wesleys schon in ihrer Studentenzeit ausgenommen,

und ein Methodist heißt ihnen „ein solcher, der nach der in der Bibel aufgestellten Methode lebt".

Außer den Brüdern Johann

10 und Karl Wesley war es Whitefield, welcher die Schäden seiner Kirche erkannte. Ihr waren sie mit ganzer Seele älle drei zu­

gethan.

Von Mitleid mit ihren irregeführter: Mitmenscher: und

von Erbarmen für ihre unsterblichen Seelen erfüllt, faßten sie der: Plan, durch missionierendes Wirken innerhalb der Kirche in eurigen

geistliches Leben zu entzünden und von dieser Flamme persönlicher Heilserfahrungen

die

ganze Kirche in Brand

zu setzen.

Weil

Wesley die cirnttidje Stellung in der Kirche fehlte, so hatte er einen anderen, schwererer: Stand als Spener, und der Methodismus

mußte sich oft unter heftigen Verfolgungen die Gelegerrheit zur Wirk­

samkeit erkämpfen.

Seine Erfolge waren bei dem Eifer und der

Kühnheit, mit der seine Vertreter vorgingen, großartig.

Früh

machten sich Neigungen zu einer Trenrrung von der Landeskirche bemerkbar.

Wesleys kühner Gedanke:

the world is my parish

(die Welt ist mein Pfarrsprengel) gab zwar seinen Bestreburrgerr Flügel; er selber hatte nicht Rrlhe noch Rast, wenrr es galt Seelen zu

erretten, und allein den wahrhaft großer: und verehrungswürdigen

Persönlichkeiten der Stifter des Methodisrnus überhaupt ist es zu verdanke::, wenn bei den verrotteten Zuständen in der Kirche so glänzende Erfolge erzielt wurden. Alleir: ein Versuch, gerettete Seelen aus der ganzen Kirche zu sanuneln ur:d sie zu einem eircheitlichen

Organismus zusarnn:er:zuschließen, mußte rwtrvendig zur Sektenbildurrg führen. Wiewohl Wesley selbst gegen die Trennur:g von der

Landeskirche protestierte und später r:ur unter der:: Drang äußerer Umstär:de sich für eü:e andere Meinung entschied, so fand sich doch bei feinen Anhängern nicht dasjenige Maß von Selbstverleugrmng

ur:d christlicher Eir:sicht, rvelches dazu gehört, un: an einer toten Kirche festzuhalten, die erst zurr: Leben erweckt werden soll. So ward der Methodisn:us Wesleys zur Sekte.

Whitefield hingegen, der als

zeitrveiliger Kaplar: der Gräfin Huntingdor: ei:: fest abgegrenztes

Arbeitsgebiet hatte, hat rnmüttelbar auf die Staatskirche eingewirkt. Die Mär:r:er, ur:ter denen er thätig war, haben,

soweit sie ihrer

Kirche treu bliebe::, der: Stron: der rr:ethodistischer: Crrveckur:g u: dieselbe übergeleitet und sind die Begründer der niederkirchlichen Partei geworden, von der rur: die Wende des Jahrhur:derts alles

religiöse Leben ir: der Staatskirche ausging. Ein anderes Gesicht zeigt der Methodisrnus in Arrrerika, da

11

er hier mit anderen Verhältnissen zu rechnen hatte: es waren entweder Heiden, an denen er eine Missionsaufgabe zu erfüllen hatte, oder Christen, die von England her eingewandert, kirchlich wenig oder gar nicht versorgt wurden und noch mehr als in ihrer Heimat in Gefahr standen, barer Gottlosigkeit anheimzufallen. Nur einige wenige waren erweckt, und an sie knüpfte der Methodismus seine Thätigkeit an und vermöge der eigentümlich englischen Art seines Auftretens war seine Ausbreitung auch hier gesegnet. Wenn irgendwo, war er in Amerika am Platz und hat hier in großem Segen gewirkt: dieser Ruhnr muß ihm mrgeschmälert bleiben. Daß er endlich seinem ursprünglichen Prinzip zuwider auch in evangelische Landeskirchen einbrach und rrnter dem Vorwand, „mit den Geistlichen Hand in Hand das Reich Gottes zrr fördern", eine Seele nach der anderen in seine Netze lockte, ist zwar eine leidige Thatsache, liefert aber zugleich den Beweis, daß er an die segensreiche Erscheinung des Pietismus nicht heranreicht. Nur für die englische Nation und für die englischen Verhältnisse geschaffen und hier gegen religiöse Gleichgültigkeit und krassen Aberglauben gerichtet, hätte er auf England sich beschränken und seinen vermeintlichen Beruf zur Weltmission fahren lassen sollen. Mit den gänzlich veränderten Verhältnissen der Kirche und der Zeit war seine Aufgabe erledigt — wo Alllaß zu einer neuen Kirchenbildung vorlag, hätte er weiter wirken sollen, jede andere Thätigkeit, der er nicht gewachsen ist, von der Hand weisen müssen. Der Methodismus ist seinem Ursprung und Wesen nach ein englisches Gewächs. Das muß in erster Linie festgehalten werden, wenn er mit den: Pietismus zusammengestellt wird. Er ist lücht, wie oft geurteilt wird, dasselbe in England, was in Deutschland der Pietismus. Aber Berührllngsplmkte zwischen beiden liegen nahe. Pietismus und MethodislnuS richte:: sich auf das persönliche Leben deS einzelnen Christen, auf Grund dessen sie die christliche Gemeinschaft aufzubauen bestrebt sind. Vom persölllichen Christentum soll die Macht der Kirche getragen werden und aus bem persönlichen Christenleben, das sich der Gelneinschaft mit Gott freut und in ihr des vollen Heils ganz gewiß ist, muß die fortschreitende Heiligung erwachsen. J:n übrigen aber gehen

12 Pietismus und Methodismus verschiedene Wege: denn der Pietismus ist lutherisch, der Methodismus kalvinisch, der Pietismus deutsch, Der Pietismus ist lutherisch: er hat

der Methodismus englisch.

das lutherische Prinzip von der Rechtfertigung durch den Glauben und von der Heiligung als der Frucht derselben; er hat das Wort und die Sakramente, die objektiven Gnademnittel der Kirche, er

fordert Kampf mit dem alten Menschen und der sündigen Welt. Der Methodismus ist englisch-kalvinisch: er geht darauf aus, in

Abgeschiedenheit von der Welt Sündenerkenntnis und Heiligung in kleinen Kreisen zu

pflegen,

und

zwar

mit selbstgewählten

statutarischen Festsetzungen; speziell im Kultus meint er seine Pflichten gegen Gott als ihm obliegende Leistungen erfüllen zu

müssen.

Der llltherische Pietisurus läßt Gott wirken, schreibt ihnr

nicht Maß noch Ziel, nicht Art oder Weise vor.

Der englisch-

kalvinische Methodisrnus lvill Gott zwingen, daß er auf vorgeschricbene Weise an der Seele arbeiten soll. Jener hält das christliche Leben für eine spontane Äußerung des von Gott umgewandelten Herzens.

Dieser nennt gewisse Kennzeichen, an

beiten allein der Fortschritt des christlichen Lebens erkannt werden

kann und muß.

Der Pietist sucht die Gemeinschaft, um seine

Seele auf dem göttlichen Wort zu erbauen: der Methodist,

seine inneren Erfahrungen zu andere erzählt haben,

empfangen.

erzählen, und an denen,

um

welche

eilten Antrieb zur ferneren Heiligung zu

Daß in den entarteten Halleschen Pietismus

sich

manches ungesunde Element, das an den Methodismus erinnert,

eingeschlichen hat,

kommt

daher,

daß ernstes Trachten

nach

Heiligung, sowie cs den Blick mehr auf die eigene Person als

auf die göttliche Gnade richtet, allemal in Selbstgerechtigkeit und gesetzliches Wesen umschlägt.

Der Pietismus ist eine deutsche, der Methodismus eine englische Erscheinung.

Dem deutschen Charakter entsprechend zeigt

sich der Pietismus von dem hohen Ernst seiner Aufgabe erfüllt und macht den Eindruck gesunder, christlicher Nüchternheit.

Mit

Maß und Würde faßt er die Lage der Dinge auf und richtet sein

Urteil auf die objektiven Erscheinungen,

bedient sich objektiver

Mittel, sucht objektive Bezeugungen göttlichen Segens.

Anders

der Methodismus: gemäß seinem englischen Ursprung tritt er gerne

13 sensationell auf, liebt auffällige Mittel, die Menschen anzuziehen und auf sie Eindruck zu machen. Bezeichnend dafür "ist, daß es

in einer der neuesten methodistischen Zeitschriften einmal heißt: „die

beste Predigtweise für unsere Zeit ist die, welche an: meisten die Auf­

Man solle sich nicht scheuen, heißt

merksamkeit der £ente erregt."

es weiter, Kanzel und Altäre in der Kirche zu zerschlagen, um die Leute anzuziehen: so habe einer ihrer Prediger gethan. Die Stärke des Methodismus liegt in einem gewissen exzentrischen Wesen, das

in der amerikanischen Kirche noch mehr als in der wesleyanischen

ausgeprägt ist: in den ungebildeten Massen englischer Länder mag

es das einzige Mittel sein, die Aufmerksamkeit zu erregen. Selbst Frauenpredigten sind hier nicht unerhört und pflegen lieber gehört

zu werden als die der Männer. zum Herzen und Gewissen.

Der Pietismus dagegen spricht

Damit hängt zusanunen, daß der

Methodismus sein Augenmerk hauptsächlich auf die unteren Klassen

des Volks richtet.

Bei Völkern romanischer Abstammung macht

alles Auffällige besonderen Eindruck, während der Germane tiefere, sittlich-religiöse Bedürfnisse hat, auch in den niederen Volksschichten.

Daher ist auch der whitesieldsche Methodismus, der in adligen, mehr germanischen Kreisen Eingang fand, von ungleich ernsterer und tieferer Art als der weslepanische.

Der Pietismus aber hat

seinen Einfluß gleicherweise auf Hoch und Niedrig erstreckt. Ritschl kann für seine Behauptung, er habe nur in der besseren Gesell­ schaft dauernde

Aufnahme

gefunden, nicht

genügende Beweise

Vielmehr hat der Pietismus im Gegenteil die starre Abgrenzung der Stände untereinander zu durchbrechen ange­ bringen.

fangen.

Nur

die Herrnhuter,

die

dem

Methodisnms

darin

näher stehen, erstreckten ihre Thätigkeit vor allein auf die unteren

Stände und suchten aus ihnen ihr Kirchlein zu bilden.

Der

Pietismus, bietet in bei: Gnadenmitteln dem ganzen inwendigen

Menschen Nahrung und legt auf leicht erregbare Stimnnmgen des

natürlichen Menschen keinen Wert.

Das ernste Trachten nach

Heiligung bringt wohl die Aufrichtung gewisser Schränker: gegen

die Welt mit sich, aber dabei hat doch das allgemein-menschliche Bedürfnis nach geselligem Leben und natürlichen Freuden sein Recht.

Zwischen der Weltentsagung des Pietismus und der hoch­

geschraubter: Weltflucht ur:d Weltverachtung des Methodismus bleibt

14 ein gewaltiger Unterschied. Andrerseits fehlt dem Methodismus, was dem Pietisnms sich oft angeheftet hat, jenes träumerische Schauen

in die Zukunft und das Grübeln über

chiliastische Geheimnisse,

er verliert die wichtigen Aufgaben der Gegenwart nicht aus dem

Auge: der englische Charakter ist eben vermöge seiner nüchternen,

trocknen und berechnenden Art praktisch gerichtet, der deutsche sinnt

und trämnt gerne.

Der Methodismus ist sogar in hohem Grade

erfindsam, wenn es seine Verbreitrrrrg gilt, imt) stellt praktisch, wie

er ist, unwesentliche Formen bei Seite.

Wie ein reißender Strorn

erscheint er oft neben dem ruhig fließenden Gewässer des Pietismus. Dieser trägt pessimistisches

trüben

Gegenwart

herrliche Zukunft.

Gewand, richtet sich daher von der

in unbestinnnter Ferne

auf

eine

Der

Methodismus

winkende,

ist optimistisch gestimmt,

indem er von den schönen Erfolgen in der Gegenwart auf seine

innner fortschreitende Verbreitung blickt.

Denn zu seinem künst­

lichen „Macher", das it)m charakteristisch ist, während der Pietis­ mus kräftig wirkt und rnehr noch Gott kräftig wirken läßt, gesellt sich ein hohes Selbstbewußtsein,

das

scharfem Gegensatz zu

in

seinem vielgepriesenen „Christentum im Ernst" steht.

war es mehr die Sache selbst,

Bei Wesley

der lebendige Drang,

Seelen

zu

erretten, der ihm bisweilen kühne und vermessene Worte entlockte. Einem Freunde schreibt er:

„Die Bemerkung Luthers, daß eine

Belebung der Religion selten länger als

hat sich

dreißig Jahre dauere,

zu verschiedenen Zeiten und in verschiedener Ländern

als wahr erwiesen.

Jedoch ist es

rricht immer der Fall.

Die

gegenwärtige Belebung der Religiorr in England hat bereits fünfzig

Jahre gedauert rrrrd, gelobt sei Gott, ebenso

weiter

sortfahren wird

wie

es ist zrr erwarten, daß sie

vor zrvanzig

oder dreißig

Jahren. Marr darf es sogar als gewiß arrrrehmen, da die Belebung

sich

nicht nur ausbreitet,

Leben eingreift".

sondern auch tiefer

als jerrrals

ins

„Wir haben große Ursache zrr hofferr, daß diese

Belebrmg der Religiorr fortdauern und

immer

mehr

zurrehrnen

wird bis zu der Zeit, da das ganze Harrs Israel selig rrrrd die Fülle der Heiden eingegarrgerr seirr wird."

Indern solche Worte

von den folgerrden Geschlechtern mit derselben Zrrversicht ungeeignet wurden, brachte die Kirche, die Wesleys Narrrerr trägt, es zu einer

solchen Selbstüberhebung urrd eitlen Selbstgefälligkeit,

daß selbst

15

einigen ernster Gerichteten in ihrer Mitte davor graut. Der Welteroberungsgedanke, welcher sich ausgesprochen oder unaus­ gesprochen durch die meisten ihrer Konferenzen, Synoden und Zeitschriften zieht, ist ein deutliches Zeugnis: der Methodisnms ist „die größte Thatsache in der Kirche Christi". Dieser Grurrdiwtum, der ihn über alle anderen kirchlichen Gemeinschaften sich erheben läßt, ist ihm mit der römischen Kirche gemein. Der deutsche Pietismus kann dem Methodisnlus darin nicht folgen, weil er, obwohl zu solchen Erwartungen mindestens ebensosehr berechtigt, nichts vom englischen Nationalstolz besitzt: auch ist er keine selbständige, organisierte Größe. Pietismus unb Methodismus entfernen sich mehr und mehr voneinander, seitdem der letztere zur Bildung einer Sonderkirche geschritten ist. Doch auch hierin liegen wesentliche Vorzüge: seiner strammen Organisation hat der Methodismus viele Erfolge mit zu verdanken. Seine Neuerungen konnte er ohne Schwierigkeiten durchführen, weil ihm eine oberste Leitung in der Generalkonferenz gegeben war, welche die ganze Kirche in Bewegung setzte. Der Pietismus mußte viele seiner besten Pläne unausgeführt lassen, weil ihm eine oberste Verwaltung fehlte. Mit diesen beiden Eigenheiten, dem stark ausgeprägten Selbstbewußtsein des Methodismus und seiner einheitlichen Zusannnenfassung in einen Verwaltungskörper, hängt es auch zufanimcn, daß er die 93cfämpfung durch die Welt geradezu gesucht unb herausgefordert hat. Entsetzliche Verfolgungen hat er aus­ gestanden und den Ruhm einer Märtyrerkirche gewonnen. Der Pietismus hingegen, fern von jeder Selbstüberhebung, trägt ein mildes, weiches Gepräge, läßt sich lieber verfolgen, als daß er Verfolgungen herbeiführt oder selbst angreift. Das Christentum faßt er als ein „Tragen der Schmach Christi" auf, und wenn der Methodisnms denselben Rührn für sich beansprucht, so thut ers doch in dem arideren, vorhin ausgelegten Sinn. Ja, im Herrnhutianismus ist diese Eigenart fast zu einer träger: Kampfesscheu gesteigert. Überhaupt gehen Herrnhut und Methodismus getrennte Wege, wenngleich ihnen die Absicht, Seelen zrr sarnrneln, gemein ist. Beide wollen eine Gemeinschaft von larrter rvahren Gotteskirrdern darstellen: aber die Herrnhuter halten mit diesem Anspruch vorsichtig urrd keusch zurück, der Methodisrnus

16 trägt ihn gegen Freund und Feind zur Schau.

Wie wahr und

tief gegründet das Herrnhutsche Christentum gewesen ist, geht zur Genüge daraus hervor, daß trotz der mannigfachen Verirrungen und fast unglaublichen Extravaganzen Stifter und Gemeinde eins

dem rechten Heilsgrunde stehen blieben, während der Methodismus

durch sein „Machen" bald die Heilsordnung verschob.

Beide sind

eine Liebes-, nicht eine Glaubensgemeinschaft und haben die Ver­ fassung $11111 Einheitsbande gemacht. Aber während die Herrnhuter

durch ihren Wandel ohne Worte auf die lutherische Kirche eingewirkt

haben und von den Landeskirchen wohl angesehen werden, so hat der Methodismus durch sein rücksichtsloses Auftreten mehr Ver­

wirrung als Segen gestiftet und ist daher von der evangelischen

Kirche nicht wohlgelitten.

Ohne Zweifel hat Zinzendorf in seiner

Gemeinde religiöse Sentimentalität gefördert, doch hält sie sich in gewissen Schranken und reicht nicht an jene maßlos gesteigerten Gefühlserregungen des Methodismus heran.

In der Brüder­

gemeinde ist das Herz und der ganze Mensch getroffen, und aus dem Herzen quillt Begeisterung für große Thaten.

Beim Methodis­

mus treiben künstlich hervorgerufene Seelenstimmungen mit Natur­ gewalt vorwärts. Der Gebrauch des Loses aber, welches bei den Herrnhutern fast an die Stelle der christlich reifen Überlegung zu treten schien, ist praktisch längst von keiner Bedeutung mehr;

Zinzendorfs „es ist mir

so"

ist längst überwunden.

In der

Brüdergemeinde gelten die objektiven Heilsthatsachen, ini Methodis­ mus die subjektiven Heilserfahrungen. Nachdem der Methodismus zur Sekte geworden war, glaubte er seine Eigenart nur wahren zu können, wenn er der christlichen

Freiheit gewisse Schranken setzte: er methodisierte allerlei geistige

und seelische Vorgänge und setzte gewisse, mehr der Schwachheit des natürlichen Menschen

als

der Selbständigkeit des wieder­

geborenen Christen entsprechende Regeln für das christliche Leben fest. Der Pietismus hingegen hat, namentlich in Württeniberg, eine starke Abneigung gegen derartiges methodistisches Wesen an den

Tag gelegt und gegen jeden Gewissenszwang einen harten Kampf geführt. Das sind im wesentlichen die Züge, die den Pietismus und den Methodismus und das Verhältnis beider zu einander charakteri-

17 sieren. Im folgenden wollen wir versuchen, die Vergleichspunkte zwischen beiden im einzelnen zu erörtern.

II. Vergleichende Darstellung der Unterschiede zwischen Pietismus und Methodismus. Die Teilnahme am Leben der äußerlich sich darstellenden Kirche, Genuß der göttlichen Gnadenmittel und Teilnahme an den

gottesdienstlichen Versammlungen reicht nicht hin, um jemandem

das Recht, den Christennamen zu führen, zu geben. Vielmehr muß dazu eine persönliche innere Anteilnahme, ein Herzensverhält­ nis zum erhöhten Heiland vorhanden sein. In dieser Überzeugung dringen Pietismus und Methodismus gemeinsam auf eine persön­ liche Bekehrung zu Gott, auf bewußtes Heiligungsstreben.

Der

Weg der Bekehrung, der Weg der Heiligung aber ist verschieden. Der Pietismus faßt den grundlegenden Begriff der Buße

nach der Augustana.

„Wahre, rechte Buße ist nichts anderes als

Reue und Leid oder Schrecken haben über die Sünde und doch daneben glauben an das Evangelium und an die Absolution, daß

die Sünde vergeben, und durch Christum Gnade erworben sei". Die Buße wird durch die Predigt des Gesetzes gewirkt, durch

welches der Mensch sein im Willen haftendes, angeborenes, sündliches Verderben erkennt, Not imb Greuel der Sünde empfindet

imb in der Furcht vor dem Gericht Gottes den Erlöser sucht. Soweit steht der Pietismus auf lutherischem, bez. biblischem Stand­

punkt. Aber indern Spener mit Recht auch aus dem Evangelium

und Zinzendorf insbesondere

Heilandes

dem Anschauen des gekreuzigten

das Sündenbewußtsein erweckt, verstärkt und vertieft

haben wollen, geraten sie, namentlich Spener, mehr noch seine

Nachfolger, in eine bedenkliche Verachtung des Gesetzes, das nur für den großen Haufen bestimmt sei. Auf der anderen Seite aber wird nachdrücklich daran festgehalten, daß Buße und Glaube in

fortwährender Wechselwirkung stehen (poenitentes debent spem concipere).

Zwar verwahrt sich Spener auch dagegen, als lege

er auf die „Empfindung" des Herzens Gewicht; aber er verlangt

doch, „daß der Christ durch lang anhaltende Angst sein Herz zum

wahren Trost geschickt mache", worauf der Hallesche Pietismus

allgemein die Forderung einer Bußkampfperiode aufstellte, während III.

2

18 Zinzendorf und die Württemberger von der Praxis des Bußkampfes nichts wissen wollten, da um besonderer Fälle willen, wie sie bei

Luthers und Frankes Bekehrung vorlagen, keine allgemein-gültigen

Regeln aufzustellen seien. Bengel fügt hinzu, daß die Lehren über Buße und

Glaube von den

Erlebnissen mannigfaltig gestaltet

würden, weil sie in denselben jedesmal neu errungen würden. Die

eigene Erfahrung müsse die Forderungen des orthodoxen Systems

umstoßen, und die Bekehrung eines Menschen führe daher leicht zur Heterodoxie.

Dem Pietismus darin ähnlich sicht der Methodismus die

Buße an als das Erschrecken über die Not der Sünde, ein furcht­ bares Angstgefühl und Scharn über das bisherige sündige Leben.

Wesley mahnt, wie Spener, man solle eifrig Buße predigen, und irr der Bußpredigt des Methodismus besteht seine Stärke. Allein was arn Halleschen Pietisnrus vereinzelte Verkehrtheiten sind, daß er statutarische Regelrr über Art der Buße, ihren Grad und ihr

Ziel gibt, das hat der Methodisrrrus feinem Namen gemäß zu

einet

allgemein-gültigen Methode

gemacht.

Alle

Bekehrungen

müssen seinen Forderungen zufolge nach einem gewissen Schema

verlaufen.

Für jeden Christen, auch den von wiedergeborenen

Eltern erzogenen und in christlicher Umgebung herangewachsenen, wird eine Periode des Lebens verlangt, in der er nach irgend einer Art von Bußkampf unter Schrnerzen und Schauern wieder­ geboren wird: er muß in einem bestimmten Augenblick die deutliche

Empfindung haben, daß jetzt die Zeit der Buße vorüber sei.

In

seiner Bekehrungspredigt rvirkt deshalb der Methodismus mit Vor­ liebe durch Einzelschilderungen des Sündenclends und der bevor­ stehenden fürchterlichen Sündenstrafen auf die Zuhörer dahin ein,

daß sie erschüttert, daß sie auf den erforderlichen Bußkampf bereitet werden.

Nicht die Macht und Wahrheit des göttlichen Worts

ergreift Herz und Gewissen, sondern ad hoc gewählte Ausführungen zielen auf künstlich zu erzeugende Seelenstimmungen. Auf sinnliche Mittel zur Erregung der Buße und auf sinnliche Äußerungen der­ selben legt der Methodismus großes Gewicht. Am bezeichnendsten

für die methodistische Praxis in dieser Richtung ist wohl die berüchtigte

Einrichtung der Bußbank. Diese Bußbank oder der Betaltar, wie ihn die Methodisten selber nennen, ist, trotzdem sich Jakoby Mühe

19



gibt, ihn als echt evangelische Einrichtung zu verteidigen, nichts als ein Stück methodistischen „Machens". Jener meint, daß der Bet­

altar eine Einrichtung des Methodismus sei, die durch die Vor­ sehung eingeführt für solche, welche Vergebung ihrer Sünden suchen, Tausenden zum Segen geworden sei. „Viele, die sich vor der Welt und ihren Verwandten schämten, den Herrn frei zu be­

kennen und deshalb auch nicht die Vergebung der Sünden finden konnten, sind dadurch, daß sie der Aufforderung, zum Betaltar zu fonmie», folgten, zu einer Zeit, da sie durch die Predigt oft ergriffen

wurden, zur Entscheidung gelangt und haben sich auf die Seite

des Heilandes gestellt".

Daß solche Bekehrungen nach vielfachen

Klagen der Methodisten selber sich oft nur zu bald als wertlos

eriviesen, scheint sie bis heute nicht zur Besinnung zu bringen. Von der Buße begrifflich zu scheiden, aber nicht der Zeit nach zu trennen, ist der G l a u b e. Nach Luthers Vorgang sieht der Pietis­ mus im Glauber» das Vertrauen auf Gott, von den: man mit Verzicht

auf sich

selbst alles Gute hofft.

Dieses Vertrauen wächst zur

unmittelbaren Heilsgewißheit, auf Grund deren der alte Mensch

abgelegt wird: nicht aber soll der Mensch erst auf sich selbst ganz verzichten, ehe er zu Gott kommt.

Erst der verirrte Pietismus

hat das Vertrauen aus dem Glauben herausgerissen und den Glauben als aktive Selbsthingabe an Gott, als Werk gefaßt und ihn durch tägliche Selbstprüfung auf gesetzlichem Wege feststellen zu müssen gemeint. Spener und die Württemberger aber nannten

mit Luther als Kennzeichen wahren Glaubens die Bereitwilligkeit zu guten Werken, nicht die Vollkonimenheit derselben. Im Methodismus wird das Verhältnis von Buße und Glaube mechanisch gefaßt. Ist die Zeit der Buße erfüllt, so entsteht in einein bestimmten Augenblick die Gewißheit der Annahme bei Gott

wie eine plötzliche Verwandlung.

Mit einem Male ist „die Last

fort, die Traurigkeit verschwunden, alles freut sich in der Hoffnung

der ewigen Herrlichkeit Gottes" (Jakoby), „eine Umkehr von gänz­

licher Gottlosigkeit zu gänzlicher Heiligkeit ist geschehen" (Wesley). Die Angabe von Tag und Stunde, in der solcher Vorgang geschah,

ist für jeden Christen Forderung der Methodisten, zum mindesten aber das erfahrungsmäßige Bewußtsein davon, daß man von den»

einstigen Zustand der Sündensinsternis und des Todes in einen

2*

20 herrlichen, seligen Zustand der Gotteserkenntnis und Gotteskind­

schaft versetzt ist. Täglich muß der Augenblick der Bekehrung von

neuem in Erinnerung gerufen und befestigt werden, und zwar durch eingehende Prüfung des Seelenzustandes mit) des ganzen Lebens, wozu im Methodismus mancherlei Anleitung gegeben wird, namentlich für Prediger (vgl. besonders Harris, Lehre und Kirchen­

ordnung der bischöflichen Methodistenkirche). Weichen also schon in Grundlegung und Art des Glaubens

Pietismus und Methodismus von einander ab, dieser, indem er auf alles Sinnenfällige Nachdruck legt und schablonenhaft und

gesetzlich behandelt, was Leben und Freiheit sein will; jener, indem

er falscher Betonung des Gefühls gegenüber vor allem auf der Wandlung des natürlichen Willens besteht, so tritt der Unterschied noch greller in der Beurteilung der Wirkungen des Glaubens zu

Tage. Der Glaube rechtfertigt und heiligt, darin stimmen Pietismus und Methodismus zusammen. Jener trennt beides, zeigt aber, daß

eins nie ohne das andere sei (iustificatio est revera regeneratio quaedam in novitatem).

Der Methodismus stellt die Recht­

fertigung zurück und legt den Ton auf den heiligen Lebenswandel:

für das Leben sei die Rechtfertigung ohne Wirkung.

„Wenn es

keine zweite Veränderung, keine augenblickliche Befreiung nach der

Rechtfertigung gibt, wenn nichts anderes zu erwarten ist als ein

allinähliches Werk Gottes in der Seele, dann muß sie bis zuin Tode voll Schuld bleiben".

„Eine augenblickliche und beständige

Frucht des Glaubens, durch welchen wir aus Gott geboren sind, eine Frucht, welche auf keine Weise auch nur eine Stunde davon

getrennt sein kann, ist die Macht über die Sünde, Macht über jede

ausbrechende

Sünde,

über

jedes böse Wort

und

Werk"

(Wesley). Die Rechtfertigung gilt als wertlos, wenn etwa ihre

Früchte, beständige Freude und Freiheit von Sünde, sich nicht gleich zeigen. Fehlen die Früchte, so muß der Christ nach Gewiß­

heit trachten, ringen um sie. Diese Mache der eigenen Selig­ keit führt zu der Frage, die einmal aufgeworfen wird:

„Sollte

eine Person, welche sechs Monate auf Probe stand und welche eine suchende genannt wird, nach dieser Probezeit in volle Ver­ bindung (mit den Methodisten) ausgenommen werden, obgleich sie

21 bekennt, noch nicht bekehrt zn sein? entschieden: nein.

Im allgemeinen sagen wir

Ein Mann, welcher sechs Monate lang den

Herrn ernstlich int Licht des Evangeliums gesucht hat, wie es der Methodismus verkündigt, >nuß durch den Glauben Frieden gefunden haben". Wohl kennt auch der Pietisnms nach Luthers Vorgang

eine gefühlsmäßige Versicherung seines Heilsstandes, aber sie beruht ihm auf nichts als dem geschriebenen Wort: sie soll auch ohne,

ja wider das Gefühl gelten.

Wie nüchtern spricht Luther vom

Glauben in der bekannten Stelle aus der Vorrede zum Römcrbrief: „Glaube ist eine lebendige Zuversicht auf Gottes Gnade, so gewiß, daß er tausendmal darüber stürbe. Und solche Zuversicht

göttlicher Gnade macht fröhlich, trotzig und lustig gegen Gott und

alle Kreatur, welches der heil. Geist thut im Glauben".

Luther,

Spener und Zinzendorf stimmen darin überein, daß sie den Stand der Heilsgewißheit nicht als dauernden Zustand erstreben, noch weniger künstlich herbeiführen, sondern ihn aus Gottes Gnade empfange» und erleben wollen, darauf ihn wieder. verlieren und

dann ihn von neuem erhoffen. Luther warnt vor Forcierung der

süßen Gnadenempfindungen: seine Regel lautet, daß niemals das

Gefühl die Regel der Wahrheit, sondern die göttliche Wahrheit Regel und Probierstein des Gefühls sein müsse. In seinen Bahnen

ist der gesunde Pietismus allezeit gewandelt.

In welchem Verhältnis zum rechtfertigenden und heiligenden Glauben steht nun die Wiedergeburt?

Es ist schwer, aus den

mannigfaltigen Aussagen über dieselbe eine einheitliche Zusammen­

fassung zu gewinnen.

Nach durchgehender pietistischer Auffassung

ist sie dasselbe wie Bekehrung, indem derselbe Vorgang das eine Mal von Gottes Seite, das andere Mal von der Seite des

Mensche«: a«:gesehen «vird. Der Methodisnms nennt Wiedergeburt auch „diejenige Erneuerung des imvendigen Menschen, welche

durch die Kraft des heiligen Geistes gewirkt wird, indem er ihi: zur Buße erweckt, zum Glauben an Christus ermächtigt und den: Menschen ein neues göttliches Leben mitteilt". Auch im Methodisnuls wird die Wiedergeburt meist als der „Eingang zur Heiligung"

bezeichnet und identifiziert mit jener Versicheru«:g des Heilsstandes, «vclche das Zeugiüs des Heilige«: Geistes «virkt u«:d die empfunde«: «verde«: muß.

In der Wiedergeburt wird der Christ „von der

22 Macht der Sünde befreit und ih>n die Natur eines Gotteskindes mitgeteilt, er hat Gnade zum Sieg über die Sünde, er besitzt die Gnade" (Sulzberger.)

Der Pietismus kennt gemäß der biblischen und lutherischen Lehre eine stufenweise fortschreitende Heiligung.

Er betont, daß

in der Heiligung der Mensch selber wirkt oder vielmehr mit der göttlichen Gnade mitwirkt, und kämpft gegen die falsche Passivität an, die Gott allein alles machen lassen will.

Der Methodismus

leidet in der Theorie an einer falschen Passivität, im praktischen Leben aber beweist er eine übertriebene Aktivität, indem er nämlich die „christliche Vollkommenheit"

(Freiheit von jeder Sünde als

wissentlicher Uebertretung des Gesetzes), den Höhepunkt der Heiligung, durch eine plötzliche, nach der Bekehrung stündlich zu erwartende,

oft erst kurz vor dem Tode eintretende unmittelbare Wirkung des heiligen Geistes vermittelt sein läßt. Der heilige Geist wirkt dies Erlebnis, aber was ist natürlicher, als daß jeder mit ganzem

Eifer danach trachtet und seine ganze Person dafür einsctzt? Jakoby bemerkt, eigentünllich genug, daß erst seit 1763 bei vielen Personen

die „Vollkommenheit" eingetreten sei.

Wesley selbst spricht sich

über die Frage, ob die Vollkommenheit in einem Augenblick gewirkt werde, folgendermaßen „Wirkt Gott dieses Werk in der Seele nach und nach oder in einem Augenblick? Es mag vielleicht

bei manchen nach und nach gewirkt werden, ich meine in dem Sinn, daß sie sich nicht des besonderen Allgenblicks bewußt werden, wann die Sünde aufhört (diese Ansicht ist seitdein vorn Methodisinus aufgegeben). Aber es ist ungemein wünschenswert, so es der

Wille Gottes ist, daß es augenblicklich geschehe, daß der Herr die Sünde vertilge durch den Geist seines Mundes in einem Allgenblick. Uild so thut er es gewöhnlich. Cs ist eine ausgemachte Thatsache, von welcher Zeugnisse genug vorhanden sind". Ja, es wird jeder

Wiedergeborene ausdrücklich zum „Treiben der Vollkommenheit" aufgefordert.

Was ist es denn mm mit dieser „christlichen Vollkommenheit", mit dieser viel umstrittenen

und in

der That recht lmklaren

Lehre des Methodismus? Man darf nicht, wie manche (so Kolde) thun, den Begriff der Heiligung lmd Vollkonlinenheit gleichsetzen,

da die methodistische Glaubenslehre sie streng von einander scheidet.

23 Wesley selbst, der über die „christliche Vollkommenheit"

ein be­

sonderes Buch geschrieben hat, führt im wesentlichen folgendes aus: Sie wird erkannt an den Merkmalen der ' requies in sanguine

Christi, flrma fiducia in Deum et persuasio de gratia divina, tranquillitas mentis summa atque serenitas et pax cum absentia omnis desiderii carnalis et cessatione

peccatorum etiam internorum. Ein vollkommener Christ begehe keine Sünde, so lehre das Neue Testament. Dabei bleiben Irrtum, Unwissenheit, Versuchung, tausend Unvollkommen­

heiten.

Die

Vollkommenheit

schließt

jede

unreine,

sündhafte

Geinütsbeschaffenheit aus. Nach gezwungener Exegese des johanneischen Satzes: jede Sünde ist eine Übertretung des Gesetzes (woraus

nicht gefolgert werden dürfe, daß jede Übertretung des Gesetzes Sünde sei) soll Sünde

Gesetzes" sein.

„freiwillige Übertretung eines bekannten

Auch mit dieser Einschränkung ist die Vollkommen­

heit ein derartiger Zustand unserer Seele, daß wir

„beständig

jeden Gedanken, Wort und Werk als ein geistliches Opfer dar­ bringen, das Gott angenehrn ist durch Christus, in jedem Gedanken unseres Herzens, in jedem Worte unseres Mundes, in jedem Werk unserer Hände das Lob dessen aussprechen, welcher uns aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht berufen hat".

Ja, von

zwei in diesem Sinne vollkommenen Eltern würden vollkommene

Kinder stammen, wenn nicht die Sünde schon durch die ersten Eltern auf jedermann vererbt worden wäre.

bare Zeugung ist hier indifferent.

Denn die unmittel-

Mit dieser Auffassung von der

Vollkommenheit scheint die Lehre von der Verlierbarkeit der Gnade, die Wesley und seine Kirche im Gegensatz zu Whitefield fcsthielten,

kamn vereinbar.

Hier begreift man, daß gegen die Vollkommenheitslehre seit

ihrer ersten Verkündigung protestiert worden und daß sie bis zum heutigen Tage Streitobjekt geblieben ist.

Zinzendorf geriet schon

1741 wegen Differenzen in diesem Punkt so hart mit Wesley zu­ sammen, daß die Trennung der Methodisten und der Brüder­

gemeinde,

welch letzterer Wesley viel zu verdanken hatte,

jener Unterredung datiert.

von

Wie sehr auch Sack in einer Ab­

handlung über den Methodismus (Evangelische Kirchenzeitung,

Jahrgang

1840) Zinzendorfs dagegen gerichtete

Ausführungen

24 bemängelt, denen er einen zu idealen Standpunkt vorwirft, da es

darauf Hinauslaufe, als höre der Gläubige auf, in der Zeit zu leben, als habe er wirklich schon selbst im Besitz, was er dereinst empfangen solle (was Sack namentlich auf Sätze Zinzendorfs

bezieht, wie die:

„in dem Augenblick,

in welchem der Christ

gerechtfertigt wird, wird er auch vollkommen geheilt, er ist vollkommen in der Liebe, sobald er gerechtfertigt ist"), so ist doch der Standpunkt Zinzendorfs hier

ein gut evangelischer, insofern er

daneben gleicherweise hervorhebt, daß die besten Menschen bis

zum Tode die allerelendesten Sünder sind,

und er keine ein­

wohnende Vollkommenheit in diesem Leben anerkennt und sein

Blick vor allem stets auf die objektive Versöhnung in Christo gerichtet ist. Mag er im polemischen Eifer sich gum Teil unvor­ sichtig ausgedrückt haben, so ist doch im allgemeinen sein Idealis­ mus durch den Apostel Johannes und dessen Evangelium gut

gedeckt. Aber mtd) Spener wehrt sich

Wesleys.

gegen die Vollkommenheit

Er protestiert dagegen, gesetzliche Vollkommenheit zur

Bedingung der Seligkeit zu machen;

der höchste Grad, in dem

nach 1. Joh. 1, 8 der Mensch keine Sünde mehr habe, könne

von keinein Menschen erreicht werden.

Der zweitfolgende Grad

sei es, wenn der Mensch zwar noch Sünde habe, aber sie nicht mehr thue. Des Christen tägliches Gebet müsse bleiben: vergib

uns unsere Schuld. Spener leugnet also, daß der Christ je das Ziel der Sündlosigkeit erreichen fötme; die christliche Vollkommen­ heit bestehe darin, daß unser natürlicher Charakter immer seltener

zur Herrschaft gelange und immer leichter überwunden werde. Hingegen nähert sich der methodistischen Lehre bedenklich die Lehre Franckes von der Vollkommenheit, die er in Erfurt vortrug rind die großes Ärgernis und viel bitteren Streit erregte; sie gipfelte

darin, daß ein wiedergeborener Christ das Gesetz Gottes zwar nicht erfüllen, aber wohl halten könne.

Doch ist diese Lehre ohne

Einfluß auf bett Pietismus geblieben. Indes

darf nicht außer acht gelassen werdet:, daß auch

Spener eine der Erneuerttng d. i. Heiligung übergeordnete Stttfe des Heils kennt, nämlich die Erleuchtung. Er versteht daruttter

die unmittelbare Gewißheit und süße Etttpfindung des Glaubens,

25 also nichts, was sich mit Wesleys Vollkommenheit vergleichen läßt. Auffällig bleibt, daß diese Erleuchtung, die Luther mit dein

Glauben selbst gegeben war, erst nach Buße und Heiligung eintritt; doch ist sie immer ans Wort gebunden. Die Kehrseite dieser

„Erleuchtung" bietet dann die Lehre von dein terminus peremtorius gratiae. Sie wurde Gegenstand der Verhandlung, seit 1689 Böse's Schrift erschienen: terminus peremtorius salutis humanae. daß

Spener brach ihr die Spitzen ab, indem er verlangte,

man bei niemand die Verstockung

annehmen

solle und

niemand als verstockt behandeln dürfe, imb indem er daran fest­ hielt, daß jeder noch im Tode wahre Buße thun könne. Gemeinsam aber bleibt dem Pietismus und Methodismus im Punkt der Heiligung, daß beide das Trachten nach höheren

Heilsstufen als Antrieb zum sittlichen Handeln verwerten und zu

einer äußerlichen Scheidung zwischen geförderten und weniger ge­ förderten Christen neigen.

Darin verlassen beide die Lehre der

und der Kirche,

insonderheit die Lehre der lutherischen

Schrift

Symbole.

Der Fortschritt in der Heiliglmg soll nach Evangclüun

und Kirchcnlehre an der Bereitwilligkeit zu guten Werken erkannt

werden und nicht so sehr an den einzelnen Handlungen als an

der Gesinnung.

Nach dein Neuen Testament koinmt Vollkommen-

heit den Wiedergeborenen als solchen zu, und die Augustana sagt

im 27. Artikel: „Die christliche Vollkommenheit ist, daß man Gott DOit Herzen und mit Ernst fürchtet unb doch auch eine herzliche

Zuversicht

und Glauben,

auch

Vertraucir faßt,

daß

wir

um

Christi willen einen gnädigen Gott haben, daß wir mögen und sollen von Gott bitten und begehren, was uns not ist, unb Hilfe von ihm in aller Trübsal gewißlich nach eines jeden Beruf und

Stand gewarten, daß wir auch indes sollen äußerlich mit Fleiß gute Werke thun und unseres Berufes warten. Darin stehet die rechte Vollkommenheit". Ähnlich im 16. Artikel: „Dies allein ist rechte Vollkommenheit, rechte Furcht Gottes und rechter Glaube an Gott".

In anderem Sinn also als der Methodismus hat

auch der Pietismus eine unbiblische itnb unlutherische Vollkommenheitslehre gezeitigt und die Heiligung ouf falsche Wege geleitet.

Doch hat er andrerseits die schlimmsten Gefahren durch sein treues Festhalten an den objektiven Gnadenmitteln, Wort und Sakrament,

26 vermieden und auf sie vor allein die persönliche Gcineinschaft mit

Gott gestellt.

So achtungsivert mm die Stellung des wiedergeborenen Pietisten und Methodisten zu feinem Gott im persönlichen Herzens­

verkehr ist, so unevangelisch stellen sich beide zur Welt. Es handelt sich um die Frage, ob es sittlich erlaubte, d. h. weder gebotene noch verbotene Handlungen gäbe.

Umschweif

bejaht,

Spener

Luther hatte die Frage ohne

schwankte,

der

Pietismus

errichtet

Schranken, der Methodismus macht diese hoch und eng. Pietistischer

Grundsatz ist: der Christ soll alle angeborene Lust verleugnen, folglich alles meiden, was cm§ dieser Lust stammt, und das sind die Mittel­ dinge.

Zwar erklärt Spener, daß Dinge wie Tanzen, Spielen

und bergt, an sich nicht Sünde seien, aber weil sie leicht zur Ver­ führung dienten, vom Christen gemieden werden sollen.

Spener

hat nämlich die ihm anhängende Neigung zur Weltsiucht möglichst überwunden und legt mit Luther hohen Wert auf die Bethätigung

des Christentuins im irdischen Beruf und in den natürlichen Ord­

nungen des Lebens. Allein seine Nachfolger in Halle, namentlich Francke, haben ein neues Gesetz geschmiedet, das einen fast noch unfreieren Geist als das mosaische in der pharisäischen Auslegung atmet. Francke schrieb ein durchaus asketisches Leben vor und wollte nicht einmal den Kindern, deren Erziehung ihn: anvertraut war, ein Spiel gestatten. Zumal in der Frage der Sonntagsheiligung ist die

Stellung des Pietismus völlig unlutherisch. Denn die Augustana erklärt in Art. XXVIII: „Die dafür achten, daß die Ordnung vom Sonntag für den Sabbat als nötig aufgerichtet sei, die irren sehr. Denn die heilige Schrift hat den Sabbat abgethan". „Etliche dis­ putieren vom Sonntag, daß man ihn halten müßte, wiewohl nicht aus göttlichen Rechten; stellen Form und Maß, wiefern man am

Feiertag arbeiten mag. Was sind aber solche Disputationes anders denn Fallstricke des Gewissens?" Ähnlich Luthers Großer Katechis­ mus und Chemnitz, loci theologici. Nachdem dann im Lauf des

17. Jahrhunderts in der reformierten Kirche die Lehre von der gött­

lichen Einsetzung des Sonntags an Stelle des Sabbats Eingang gefunden, nahm der Pietismus, wiewohl lutherischen Ursprungs, Spener an der Spitze, diese Lehre auf und gab Regeln, welche in der

Mischnah und im Orach chajjim ihren Platz ausfüllen würden. Die

27

statutarischen Festsetzungen des Christenlebens werden für den Sonn­ tag noch verschärft. Spener will an diesem Tage keine anderen Bücher als Erbauungsbücher gelesen haben. Nur wenige, wie Styck in Halle (nnb viele Orthodoxen), traten gegen die neue Lehre auf, doch vergebens. Die pietistische Verkündigung vom Sonntag brach sich immer mehr Bahn. Viel strenger, weil von der kalvinischen Kirche beeinflußt, ist in Frage der Adiophora der Methodismus. Der Geist, welchen schon die 1743 von Johann Wesley herausgegebenen rules of the Society of the people called methodists1) atmen, ist der herrschende geworden. Wunderlich gemischte Dinge werden hier als verboten aufgezählt: drunkennes, buying or selling spirituous liquors or drinking them unless in cases of extreme necessity, brother going to law with brother, the using many words in buying or selling, uncharitable or unprofitable conversation, doing what we know, is not for the glory of God, as the putting on of gold, or costly apparel, the taking such diversions as cannot be used in the name of the Lord Jesus, the singing those sangs or readirig those books which do not tend to the knowledge or love of God.2) Alle diese und ähn­ liche Vorschriften, welche vom Geist der Weltverachtung geprägt sind, werden unmittelbar aus dem Worte Gottes zu begründen versucht. Und wie sehr sich einige neuere Organe des Methodismus („Haus und Herd", „Bannerträger") Mühe gaben, ihn zu ver­ leugnen, wie sehr auch eitel weltliches Wesen in viele amerikanische Methodistenkreise Eingang gefunden hat, so steht es doch auf der anderen Seite ebenso fest, daß andere Richtungen des Methodismus selbst in den „mäßigen Trinkern und Trinkerinnen eifrige Teufels­ gesellen" sehen, weil sie „mit mehr oder weniger Vergnügen dem

*) „Lebensregeln für die Methodistengemeinschaft". *) „Trunkenheit, Kauf oder Verkauf geistiger Getränke oder Trinke» von solchen anders als in äußersten Notfällen, daß Brüder miteinander vor

Gericht gehen, das Vielcwortemachen beim Kauf oder Verkauf, lieblose oder nutzlose Gespräche; etwas thun, was, wie wir wissen, nicht zur Ehre Gottes

dient, wie das Anlegen von Gold- oder anderweitigem Schmuck; die Teil­ nahme an Vergnügungen, die nicht im Namen des Herrn Jesus genoffen

werden können; das Singen von Liedern oder Lesen von Büchern, welche nicht die Erkenntnis oder Liebe Gottes zum Ziel haben.

28 Satan Handlangerdienste thun und andere Menschen indirekt ins

Verderben stürzen".

Entgegengesetzte Anschauungsweise gilt hier

als Zeichen des Verfalls des Methodismus. Solche Sätze sind aus

der Art Wesleys durchaus verständlich. Er verbot durchweg, den Kindern irgendwelche Zeit zum Spiele,: zu geben.

„Wer spielt,

wenn er noch ein Kind ist, wird auch als Mann spielen".

Un­ schuldiger Zeitvertreib ist für Wesley eine contradictio in adiecto.

Und bei Gelegenheit der Betrachtung der im britischen Museum gesammelten Schätze der Natur und Kunst thut er die Äußerung: „Was für eine Rechenschaft wird ein Mann dem Richter über

Leben und Tod für ein Leben ablegcn, das mit den: Sammeln aller dieser Dinge hingebracht wurde?"

So denkt noch heute der

Methodismus, und wenn in der Praxis nicht so streng verfahren wird — das Leben selbst tritt hier hindernd entgegen —, so bleibt es doch methodistisches Prinzip, daß alles, was über das unbe­

dingt Notwendige hinausgeht, verwerflich, daß der Genuß der Welt, der von Gott geschaffenen und dein Menschen gegebenen Güter, einen: Wiedergeborenen nicht ziemt, daß vielmehr jede Stunde, die,

statt eigener Erbauung oder der Erbauung eines Mitmenschen, vielmehr weltlicher Unterhaltung und dein gesellschaftlichei: Verkehr

gewidmet ivird, als vergeudete Zeit gilt.

So

fiudct sich unter

vielen beachtenswerten und herrlichen Vorschriften für Prediger

bei Jakoby doch auch der Satz: Scherz!

Deinnach ist

die

Sei ernsthaft, vermeide allen

jüdisch-gesetzliche Sonntagsfeicr

im

Methodismus zu verstehen, die er vo>n Puritanisnurs übernoimnen hat, und die des Pietismus Sonntagsfeier an Strenge weit über­

trifft. Und wie wenig wir der strengen Durchführung der Sonntags­ feier im Methodismus nüt all den zugehörigen Eil:zelvorschriftei: unsere Achtung versagen können, so dürfen wir doch, abgesehen

von dein zu Grunde liegenden unevangelischen Prinzip nicht ver­ kennen, daß in den kalvinischen Ländern überhaupt und auch iu:

Methodismus nicht nur ernste, christliche Gesinnung, sondern viel­

fach auch Beschränktheit in alttestamentlichen Satzungen, ja heid­ nischer Aberglaube zur Strenge in der Sonntagsfeier mitgewirkt

hat. Solche Mißstände hat der Methodismus trotz seiner strammen Organisation nicht abstellen können. Sie charakterisiert sich in den s. g. „Klassen" des Methodis-

29 mus, dem Gegenbild der K o n v e n t i k e l des Pietismus.

Beide

sollen Mittel sein, die Heiligung durch offene brüderliche Allssprache $u fördern.

Schon Luther in dell Schmalkaldischen Artikeln (IV)

weiß von einem Kommell giint Evangelium per mutuum Colloquium et consolationem fratum mit Berufung auf Matth. 18, 20. Und

wenn auch oft bezweifelt wordell ist, ob diese Worte mit Recht von dell Pietisten für ihre Kollvelltikel geltelld gemacht worden sind,

so steht doch fest, daß schon Lllther dell Gedallken gehabt hat, ein Kirchlein in der Kirche zu grülldell, die lebelldigen Gemeindeglieder zllsamlllenzuschließen imb durch

zllsanllnen zu haltell.

besondere Mittel der Erbauung

Die collegia pietatis (frommen Versamm­

lungen), welche Spener 1670 zu Frankfurt in ferneut Zültmer hielt,

dienten zunächst der erbaulichen Besprechung biblischer Texte: dabei wurdell auch die Schäden der Kirche llnd die Mittel 311 ihrer Ab­ hilfe erörtert. Auf diese Weise sollte die Kirche voll htiteit heraus

reformiert werden, weil Spener sich selbst als zum Reforntator nicht

geschickt erkannte. Er für seine Person warnte nachdrücklich vor naheliegendetl, separatistischen Folgerungen, rnld es bereitete ihlll lnanche schwere Stunde, als er seine Befürchtungen nur 311 bald eintreffen

sah. Aber sie konnten nicht ausbleiben: die Bibelstunden, welche iit der Kirche gehalten wllrdell, seit tu den Zimmern Speners der Raunt

für die wachsende Teilltehltterzahl nicht reichte, erfüllteit ihreit Zweck lticht, tveil in der Kirche die Genteiltdeglieder nicht 311111 Reden zu

bewegen waren. Nitd sobald die Teilitehnter nach SpenerS Abschied

von Frankfurt sich wieder auf PrivatwohilUllgeil zurückzogen, fingen sie allerdings cm, über die bestehenden kirchlichen Zustände zu verziveifelit und sich von der Kirche zurückzuziehen und über ihren eigenen

Heilsstand zu grübelit, ttachdem sie sich die kirchlichen Aufgaben selber mutwillig geraubt hatteit. Spetter hatte nicht die Neraittivortung,

weint man trotz seiner Warnungeit den Versuchen zur Separation uild zmn selbstgerechten Wesen lticht ividerstaitd. Ähttlich vollzog sich die Entwickelmtg der collegia philobiblica (Versammlungen

von Bibelfremtdeil) in Leipzig und Halle: aus Bibelbesprechungen tvurden Stmlden, in deuett Ailleituitg zur Prüfung des Seelenzu-

statldeS uild Gelegettheit zur Aussprache über geistliche Erfahrungen

gegebeit ward. Deut Pietismus als solchem sind diese Dinge fremd, er hält mit der Augustana Art. XXV fest: „Und wird von der

30 Beichte also gelehret, daß man niemand dringen soll, die Sünde

namhaftig 311 erzählen. Denn solches ist unmöglich, wie der Psalmist

spricht: wer kennt die Missethat?" Der Pietismus will Konventikel

nur zu gemeinsamer Erbauung und warnt vor Separation und Selbstgerechtigkeit. Aber die Hallenser, namentlich Francke, haben es

darin weit getrieben, und wenn er auf sie allein blickt, hat Sachsse

Recht, den Pietismus als „das Streben nach Heilsgewißheit durch

Reflexion über die subjektiven Heilserfahrungcn" zu bestimmen. Es gab pietistische Prediger, welche über den Seelenzustand der

Einzelnen Register hielten, und auch Vorsteher von Erbauungs­ stunden aus Laienkreisen führten teilweise dergleichen geistliche Kalender. Solche Richtung weicht freilich weit vorl Luther ab;

er kennt Werke, die ohne Reflexion

dem Glauben hervorgehen,

weils diesem nicht anders möglich ist. Vgl. Vorrede zum Römer­

brief: „Der Glaube fragt nicht,

ob gute Werke zu thun sind,

sondern

ehe man fragt, hat er sie gethan und ist immer im

Thun".

Der verderbte Pietismus pflegte in schamloser Weise

innerste Herzenserfahrungen preiszugeben und Gebetserhörungen öffentlich zu verhandeln.

Man hat gesagt, schon bei Spener fänden

sich wenigstens Ansätze zu solchem Wesen.

diese Behauptung nicht, als man aus

Aber mehr Recht hat der Thatsache

ableiten

daß es überhaupt die Krankheit jener Zeit war, in Em-

kann,

pfindungen zu leben und diese auf ihren Wert oder Unwert zu

prüfen.

Diese Zeitkrankheit überträgt der Pietismus auf das

religiöse Gebiet, seit er von der gesunden Lehre gewichen ist.

Was der Pietismus nur in Ansätzen hat und erst in seiner Entartung zur Schau trägt, das ist im Methodisinus von feinem

ersten Auftreten an als System eingerichtet.

Seine Klassen haben

von vornherein den Zweck, den Seelenstand jedes einzelnen Christen

aus seinen eigenen Mitteilungen oder nach einer Prüfung seines

Wandels festzustellen und auf Grund davon sein inneres Leben

31t beurteilen.

Es ist eine Aufsicht, wie sie iu jesuitischen Instituten

betrieben wird, sie scheint die Beichte der lutherischen Kirche ersetzen zu sollen. Nach Wesleys Worten sollen die Klassen sein a Company of man having the form and seeking tlie power of godliness, United in Order to pray together, to reeeive the Word of exhortation and to watch over another in love, that

31

they may help each one other to work out theil* salvation?)

In demselben Sinn spricht sich Harris, Lehre itnb Kirchenordnung der bischöflichen Methodistenkirche, aus.

Eine Klasse, in der Regel

etwa 12 Personen stark, unter einem „Leiter", erhebt,

indem sie

sich in Gegensatz zu denen stellt, von welchen 2. Tim. 3, 1 ff. die Rede ist, Ansprüche Charakter.

nut selbstgerechtem und

Die Versammlung der

separatistischem

Klaffe soll in

unbestimmten

Zwischenräumen, in der Regel jede Woche einmal, stattfinden, so daß, um innerste Herzenserfahrungen sei's zum Trost oder zur Warnung oder zur Ermunterung mitteilen zu können, eine fort­

währende, peinlich genaue Selbstbeobachtung geübt werden muß. Dazu hat das

organisierte Klassenwesen geführt und muß dazu

Daran können auch solche nützlichen Regeln nichts ändern,

führen.

wie sie bei Harris a. a. O. zu lesen sind: „Es muß darauf gesehen werden,

daß

die Klassenführer nicht durch den Gebrauch

stereotypen Methode in Einförmigkeit verfallen.

einer

Man stelle die

Reden einem jeden frei oder halte die Klassen im Ton der ge­

wöhnlichen Unterhaltung, und die Klassenführer nehmen eine solche Weise an, welche ant meisten dazu beitragen wird, die Versamm­ lung lebendig, erbaulich und von bleibendem geistlichen Segen zu

machen".

Durch die Einrichtung der Klaffen muß das Geheimnis

der Gottesgemeinschaft seine Weihe verlieren und alle geistliche

Keuschheit verloren gehen.

Wie gefährlich sie

für die Eitelkeit

des natürlichen Menschen sind, wie leicht sie zur Unwahrheit und Unaufrichtigkeit

treten

die

führen,

inneren

liegt

auf der Hand.

Erfahrungen

einfach

an

In die

den Klassen Stelle

der

Gnadenmittel.

Es muß auffällig erscheinen, wie der lutherische Pietismus in der Gestalt seiner Halleschen Entartung in fast allen Punkten der Hcilsordnung Neigung zeigt, sich dem Methodismus zu nähern.

Zur Erklärung dienen wohl außer der in Deutschland und England gleich verbreiteten Zcitkrankheit der Empfindelei die Beziehungen ’) „Eine Vereinigung von Christen, welche das äußere Wesen der Gott­ seligkeit besitzen und ihre Kraft suchen (vergl. 2 Tim. 3,5), welche zusammen­ kommen, nm miteinander zu beten, Ermahnungen zu empfangen und einer über dein anderen in Liebe zu wache», um einander zu helfen, ihre Seligkeit

zu schaffen".

32 zwischen Wesley und Zinzendorf.

Wesley wurde von Zinzendorf

beeinflußt, der ein gut Teil Pietismus mit nach England brachte, und wiederum war es Zinzendorf, der nicht unberührt von metho­

distischem Wesen in die Heimat zurückkehrte.

Nur so ist das

überraschende Maß von Verwandtschaft zwischen Methodismus und

entartetem Pietismus erklärlich. Beide, Pietismus und Methodisnnrs, sind zum Segen gesetzt, insofern sie die Wichtigkeit der Heilsordnung und ihre Bedeutung

für das Leben des einzelnen Christen wieder mtf den Leuchter stellten.

Die Folge war hier wie dort, daß in der Theologie die

Lehre von der Aneignung des Heils einseitig betont und anderen Stücken des Glaubens vorangesetzt wurde. Schon Löscher warf

den Pietisten vor, daß sie ein Stück der Heilsordmrng mit dem Grunde des Heils verwechselten.

Der Methodisnms hat unter

dieser Folge in höheren: Grade gelitten als der Pietismus.

Bei

der Heranbildung der Geistlichen verlange:: beide vor allen: den inneren Beruf zürn Amt, die Wiedergeburt.

Nach dem Vorgang

vor: Gerhard und Quenstedt verlangte Spener, daß der Theologe

wiedergeboren sei, weil er nur so im Segen wirken könne: der

Welt abgestorben und in eifrigern Gebet müsse er seine Studien

treiben und im Amt vor allem durch sittliche Reinheit des Wandels verpflichten.

Das war nicht unlutherisch.

Aber wenn dann der

Predigt eines unwiedergeborenen, doch treuen und eifrigen Geist­ lichen jede Kraft abgesprochen wurde (so thaten wenigstens die

späteren Pietisten, während Spener noch den Unterschied machte,

er wolle unbekehrte Prediger nwhl „Werkzeuge", nicht aber „Werk­ stätten des heiligen Geistes"

nennen) und wenn in der Folge

Abneigung gegen alle wissenschaftlichen Fragen, gegen die Philosophie

und Dogn:atik zur Schau getragen wurde, so war das aus der Hitze des Kampfes gegen den Orthodoxismus wohl zu begreifen,

doch

für die Kirche

höchst

bedenklich.

Schon Spener

diese Abneigung gegen Philosophie und Dogmatik.

verriet

Gegen ihn,

der vor allem auf die Wiedergeburt der Theologen drang, stellte der Orthodoxismus fest, daß die Theologie als Fertigkeit,

Glaubensartikel zu erklären, zu beweisen und zu verteidige::, nur durch Fleiß ohne allen anderen Beistand des heiligen Geistes als bei der Erlernung anderer Disziplinen erworben werden könne,

33 möchte man auch zugleich gottlos sein und in herrschenden Sünden

wider das Gewissen leben: „ein krasser Ausdruck für die Lebens­

richtung der rechtgläubigen Pastoren" (Ritschl). Vollends Francke faßte die Sache so auf, als handle es sich beim Studium der

Theologie lediglich um die Anleitung zur Wiedergeburt und als seien die übrigen Kenntnisse ohne wesentlichen Nutzen. Erst der württembergische Pietismus erkannte die hier vorliegende Gefahr-

für die Theologie und forderte mit Ernst gründliche Wissenschaftlich­

keit.

Bengel

ein

hatte

offenes

Auge

für

die

verschiedensten

theologischen Richtungen und ein warmes Herz für alle Theologen. Philipp Matth. Hahn sprach

es aus:

„Das einseitige,

ewige

Einerlei von Sünde und Gnade ist zwar für Anhänger gut, denn

auf diesem Grunde muß ein Christ anfangen zu bauen. Aber es gehören noch mehrere Wahrheiten zum Evangelium, welche ebenso nötig, erquicklich und erwecklich sind".

Aus denselben Gründen wie der Pietismus ist der Methodis­ mus den Wissenschaften abhold, bemüht sich aber gleichwohl diesen Tadel abzuweisen.

Jakoby behauptet: „ein ungerechter Vorwurf,

der den Methodisten so oft gemacht worden, ist, daß sie keinen Geschmack für die Wissenschaft haben. kurzer Zeit so

viele

gründliche

Keine Kirche hat in so

Kommentare

geliefert".

Doch

dienen die literarischen Leistungen Wesleys und anderer wesentlich

biblisch-theologischen und praktisch-kirchlichen Zwecken, und nie ist

ein epochemachendes theologisches Werk aus der methodistischen Kirche hervorgegangen, während allerdings namentlich die Württem­ berger Pietisten solche aufzuweisen haben. Jener gesuchte Schein der

Wissenschaftlichkeit will sich auch schwer mit der von denselben Autoren emphatisch vorgetragenen Versicherung reimen, daß die

Lehre des Methodisnms durchaus nicht neu, sondern die von der

ganzen evangelischen Kirche anerkannte sei und nur in einzelnen Punkten, die sich auf die Heilsordnung bezögen, abweiche.

Also

konnten sie wenigstens in diesen abweichenden Punkten eine Weiter­

bildung versuchen, was nicht geschehe:: ist.

Nach unsern obigen

Ausführungen ist es auch unrichtig, daß die Lehre des Methodis­

nms eine unbedingt evangelische und als solche anerkannt sei. Wenn aber die Lehre des Methodismus bei Kolde sogar als durch und durch unevangelisch dargestellt wird, so beruht das auf ein-

in

3

34 fertiger, zu scharfkantiger Auffassung.

Doch das ist wahr: die oft

geübte Berufung auf Wesley, welcher nur das apostolische Glaubens­ bekenntnis und a desire to flee from the wrath to come, to be saved from their sins*) zrrr Bedingung der Aufnahme gemacht habe rmd nur für das Predigtamt die Ilbereinstimmung mit den

methodistischen Lehren fordere, vornehmen

Verachtung

der

ist nichts als der Ausdruck einer

theologischen

Wissenschaft.

Die

Methodistenprediger rvaren von Anfang an Laien. Ohne die groß­ artigen Erfolge ihrer Wirksamkeit schmälern 311 wollen, kann man

doch der Erkenntnis sich nicht verschließen, daß eben auf diesem

Umstand die mangelhafte Ausbildung ihres theologischen Systems beruht,' wenn überhaupt von einem solchen die Rede sein darf.

In neuester Zeit wird freilich für die allgehenden Prediger ein vierjähriger theologischer Lehrgang vorgeschrieben, aber auch da

alles Gewicht auf die Seelsorge gelegt und selbst die Kirchengeschichte als ein leider nicht 31t entbehrendes Nebenfach behandelt. Ist es da zu verwunderll, wenn der Methodismus trotz seiner lnehr als 150jährigen Existenz und Propaganda keine Macht in der Theologie

geworden ist?

der dltrch

Dagegen hat turnt wohl ein bedingtes Recht, von

den Pietismus

geförderten Freiheit wissenschaftlicher

ForschlUlg zu reden, wenn man diese auf die bestimmten Fächer

beschränkt, welche der Pietismus im Gegensatz zur herrschenden Zeitströlnung ins Auge faßte utrd die er in scharfetn, mattchmal

übertriebetten Gegensatz zu derselben behattdelte. Erinnert sei mtr

an Arnolds Kirchengeschichte, während matt freilich dem Württembergischen Pietisntus wird zuaestehen müssen, daß er sich in den rechten Bahnen der Mäßigung gehalten, ititb doch hat auch er nicht

nrehr als die vom Pietismus überhaupt mit Vorliebe gepflegten

Felder der theologischen Wissettschaft angeballt.

Aber was ihrer

Theologie ntangelte, das haben Pietismus imb Methodismus mit

viel Eifer und großer Sorgfalt in der Ausbildung des Gemeindelebens erstattet. Uttd tventtgleich die ttantetttlich im Pietismus hierüber ausgesprochenen Gedanken nicht überall auf fruchtbaren Boden

fielen, ja zum Teil itodj hellte ihrer Verwirklichung harretl, so habett sie doch and) schon zu ihrer Zeit einen Teil ihrer Aufgabe erfüllt.

*) „Das Verlangen, dem zukünftigen Zortl zu entrinnen und von seinen Sünden errettet zu werden."

35 Denn bei der in Deutschland herrschenden Scholastik, bei der in England verbreiteten kirchlichen und religiösen Gleichgültigkeit hätten

sich

Pietismus

uub

Methodismus

schon

dadurch

ein

bleibendes reformatorisches Verdienst erworben, wenn sie nichts

weiter gebracht hätten als den nachdrücklichen Hinweis auf die ungetrübte lautere Quelle des Christenglaubens, die Heil. Schrift.

Der Pietismus erkannte in der Bibel wieder das Volksbuch, in

dem ein jeder selbst um feiner Seele Heil willen studieren solle, und aus ihm ging die erste, die Cansteinsche Bibelanstalt, hervor.

Das Studium der Theologie wurde auf die Exegese gegründet und exegetische Vorlesungen gehalten, die nicht bloß im Dienst der

Dogmatik standen.

Sperrer gab eingehende Vorschriften über das

Studium der Exegese als „der Hauptsache in der Theologie" und versäumte bei aller Hochachtung vor Luther es nicht, die Mängel

seiner Bibelübersetzung anzuerkennen imb zu berichtigen. Francke unterzog in seinen monatlich erscheinenden observationes biblicae (Anmerkungen zur Bibel) die

lutherische Bibelübersetzung einer

Revision uub mußte dafür ein großes Geschrei des Qrthodoxismus

über Verachtung der lutherischen Theologie über sich ergehen taffen.

Die pietistische theologische Strbeit bewies großen Fleiß in der

Erforschung der Heil. Schrift, und tut orientalischen Kolleg zu Halle wurde unter Leitung des Professors Joh. Heinr. Michaelis

zum erstenmal eine kritische Ausgabe des Alten Testaments ver­

anstaltet.

Die Exegese nahn: sich

mehr Freiheit und brach den

Bann der hergebrachten Erklärungen,

möglich wurde.

so daß neue vorzutragen

Die Grundsprachen wurden tüchtig studiert.

In

dein Bestreben, überall auf direkt biblischem Grunde zu stehen, that

sich vor allem der württembergische Pietismus hervor.

Bei aller

Ehrfurcht vor dem heiligen Text wagte Bengel eine sehr freie Kritik

daran zu üben.

Alls Biblizität in allen Teilen der Theologie und

des christlichen Lebens wurde hier mit allem Ernst gedrungen,

derart, daß man oft m einseitige Verwerfung der Traditiolr verfiel. Der Methodisllnls kann sich eines ähnlichen wissenschaftlichen

Betriebes des Bibetstlldillllls uidjt rühmen.

Gleichwohl gilt, daß

der Methodist m seiner Bibel lebt, und feine Bibelkenntnis oft

bewundernswert ist uub viele evangelische Christen beschälnt. Das ganze Familienleben würd unter die Bibel gestellt, und wie tut

3*

36

Pietismus sind Hausgottesdienste (Familienandachten) allgemein. Häusliche Tugenden zieren den Methodismus wie den Pietismus: was sie an Erweckung des gemeinen Bürgersinns, an Vaterlands­

liebe, Bestrebungen für Kunst und Wissenschaft und allen s. g. öffentlichen Tugenden fehlen ließen, das wirkten sie um so ener­

gischer durch ihr Bibelleben im Kleinen, in Pflege aller häuslichen

Tugenden, Strenge gegen sinnliche Ausschweifungen, Uneigennützig­ keit, Redlichkeit im Handel und Wandel, Demut und Wohlthätig­ keit.

Auch

der Methodismus legt bei der Ausbildung seiner

Prediger auf die Exegese großes Gewicht: sie wird nach metho­

distischen Bibelwerken oder auch nach dem bekannten von I. P. Lange getrieben, ihre Zeitschriften weisen zahlreiche und gründliche exegetische

Erörterungen auf.

In methodistischen Buchdruckereien entstehen

namentlich viele Bibeln, biblische Wörterbücher und Bibelkonkordanzen und werden von hier aus angelegentlich empfohlen und verbreitet. Von Pietismus und Methodismus wird auch gleicherweise die

Bibel zur Grundlage der Predigt gemacht und der Inhalt der Predigt

soll sich nach ihrer Meinung auf direkt biblische Gedanken beschränken.

Die Predigt soll sich vor allem an den Text anschließen und am besten eine möglichst praktisch gewandte Paraphrase desselben sein. Statt orthodoxer Selbstgefälligkeit in gelehrten Erörterungen und polemi­

schen

Auseinandersetzungen

Pietismus

Buße,

kommen

rechtfertigender

in Deutschland

Glaube

und

mit

Heiligung

dem

des

Wandels aus die Kanzel. Spener fühlte sich von den Perikopen beengt und wünschte auch in der Predigt gerne die ganze Bibel dem

Volke zugänglich gemacht zu sehen.

Vorläufig aber wußte er sich

auf sehr künstliche Weise zu helfen, mix den ganzen Inhalt des christlichen Lebens unter die vorgeschriebenen Texte zu bringen.

Verirrungen blieben auch hier nicht aus, wie wenn Francke einmal mehr als 60 Predigten über die Wiedergeburt hielt.

Gerade die

Predigten der von Halle ausgegangenen Theologen aber waren es, welche die edle Saat des aus dem Pietismus hervorgehenden christlichen Lebens in alle deutschen Gaue trugen.

Die Vorwürfe,

welche der Orthodoxismus gegen den Pietismus richtete, er halte nichts von der Homiletik, waren unbegründet (Rambach schrieb sogar eine Homiletik), es sei denn, daß man unter Homiletik eben

die hergebrachte orthodoxistische verstände.

37 Auch der Methodismus will nichts als die Bibel predigen.

Seine Stifter gehören 311 den größten Kanzelrednern aller Zeiten

und haben durch ihre gewaltigen Predigten Tausenden den Weg

zur Seligkeit gewiesen.

Noch heute gilt als kirchliche Vorschrift,

daß die Predigt „die Erweckung und Bekehrung der Sünder und

die Heiligung der Kinder Gottes im Auge halte und alles dies einigermaßen in jeder Predigt". Der Methodismus liebt alttestamentliche Texte, eine Eigentümlichkeit, die er mit der ganzen

reformierten Kirche teilt. Neben der biblischen Predigt

geistliche Leben in Ausdruck.

der

Pflege des

schafft sich das neuerwachte geistlichen Liedes einen

Wohl hat auf diesem Gebiet

der Pietismus

nicht

epochemachend gewirkt, sondern persönliche Heilserfahrung und ihr Widerhall im ganzen Innenleben wurden von ihm im geistlichen Liede ausgedrückt.

Hatte es an Liedern dieses Inhalts früher

auch nicht ganz gefehlt, so verschaffte doch erst er dieser Art eine

allgemeine Verbreitung und wurde in ihrer Bevorzugung einseitig.

Die bekanntesten hierher gehörigen Namen sind Freylinghausen,

Eusebius Schmidt, Richter, Crasselius, Rambach, auch Zinzendorf und der Württemberger Hitler.

Größere Bedeutung für das geistliche Lied des Methodismus,

als alle Genannten für das des Pietismus, hat Karl Wesley; er hat seiner Kirche erst Lieder gegeben, nachdem bis dahin keine

singbaren kirchlichen Weisen vorhanden gewesen waren.

Sie sind

ein einfacher und klarer Ausdruck des Heilsverlangens, ein warmes,

herzliches Zeugnis des inneren geistlichen Lebens.

Bei den Wes­

leyanern sind sie bis auf den heutigen Tag in fast ausschließ­ lichem Gebraüch. Mit dem Einfluß auf Predigt und geistliches Lied verbanden sich im Pietismus und Methodismus Bestrebungen für Änderungen

im Gottesdienst. Der Pietisnnls regte die Abschaffung des lästigen

Perikopenzwangs an und verlangte größere Freiheit in liturgischen Dingen, besonders auch freie Gebete im Gottesdienst. Wohl wirkten seine Ideen verhängnisvoll, indem der Gottesdienst oft genug zu

einer bloßen Erbauungsversammlung herabsank, in welcher der

Glaube nicht als Leben in Gott, mit der Welt und gegen die Mitmenschen, sondern einseitig als die im religiösen Empfinden

38 aufgehende Herzensstimmung gefaßt ivurde

und

diese

gefördert

werden sollte. Die Wertschätzung des Faktors, welchen die Ge­ meinde im Gottesdienst bildet, unterblieb. Dennoch ist dem Pietismus das Verdienst unbestritten, durch Gottesdienste, welche das suchende und gläubige Herz befriedigten, Christentum in die Häuser gebracht und das Evangelium ins öffentliche Leben hineingestellt zu Habern

Denselben Vorzug haben die methodistischen Gottesdienste.

Nach dem einfachsten reformierten Ritual in Schriftverlesung, Ge­ sang, Gebet und Predigt gegliedert machen sie eilten lebendiger:, anregenden Eindruck.

In aller: ritueller: Dir:gen wird

größte

Freiheit gewährt. Toter Forrr:aliSrr:us ist strer:gster:s verpönt. Daher

gibt Harris (Lehre und Kircher:ordr:r:r:g) u. a. die Regeln:

rr:an

wähle Lieder, die der Gelegenheit angemessen sind und lasse nicht zu viel auf einrnal fingen, selten rrrehr als vier oder fünf Verse;

man wähle eine Melodie, die zu der:: Jr:halt des Liedes paßt,

und sehe darauf, daß nicht zu langsam gesungen wird; man schenke der Ausbildung und Pflege heiliger Musik in jeder Gen:eir:de die

gehörige Aufn:erksan:keit. Jakoby hält es für eine bernerkenswerte Eiger:tümlichkeit des Methodismus, daß die Prediger ihre Predigt

nicht ablesen, (rvas ir: der englischen Kirche sonst Sitte, 51111: Teil

Vorschrift ist) oder auswendig lernen, sondern gewöhnlich nach gründlicher Vorbereitung frei vortragen und so der Zuhörerschaft

anpassen, welche sie häufig vorher gar nicht kennen.

Der metho­

distische Gottesdienst macht in der That soivohl durch Einrichtung

der Predigt als des Gesanges (inuntere Melodien, Chorgesang, Motetten, Soli) und besonders durch das vorherrschende freie Gebet

(welches nach Vorschrift der Kirchenordnung auf höchstens fünf bis

zehn Minuten zu beschränken ist) den Eindruck de§ Unmittelbaren. Im übrigen gewährt der praktische Sinn des Methodisinus in

nebensächlichen Punkten viel Freiheit. Nach Harris a. a. O. darf die Taufe nach beliebigem Ritus (Untertauchen, Besprengen re.)

vollzogen werden, das Heil. Abendmahl darf rnan knieend, stehend

oder sitzend empfangen. Von der Bedeutung und den: Wert einer lutherischen Gottesdienstordnung mit reich gegliederter Liturgie aber fehlt jede Erkenntnis. Was Pietismus und Methodisinus in der Predigt der Ge­ meinde boten, das brachten sie dem Einzelnen in der Seelsorge.

39 Die Notwendigkeit der Seelsorge ergab sich zwar schon aus den

Grundsätzen der Reformation. Dennoch war es nur die reformierte Kirche,

welche

regelmäßige Hausbesuche dem Presbyterium der

Genwinde zur Pflicht machte, allerdings Hausbesuche mit diszipli-

narischem Charakter.

Den ältesten lutherischen Kirchenordnungen

hingegen ist seelsorgerlicher Verkehr rnit den: einzelnen Gemeinde­

glied fremd; nur einzelne Stimmer:, wie Tarnow in Rostock, äußerrr sich

zu

seinen

Gunsterr.

Irr die

lutherische Kirche rvurde die

Seelsorge erst vorr Spener und Francke eingeführt trotz des heftigen Widerstandes des Orthodoxismus, der in ihr rrur eine

Neuerung sah. Der Methodisrrrus hingegen trieb und treibt rroch Seelsorge irrr großen Maßstab durch feine erwähnte Klasseneinrichtung. Un­

evangelisch ist die geschilderte selbstquälerische, gesetzliche Peinlichkeit mit) die jesuitische Beaufsichtigung jeder einzelnen Seele, welche die freie Entwickelung der christlichen Individualität hemmt. Bei dern herrschenden Reiseprediger-Systerrr fehlt hier das persönliche Herzens­

verhältnis,

das denr

deutschen

Gemüt

unentbehrlich

ist.

Der

englische Methodismus verlangt statt dessen Anlehnung an eine Autorität, die der Engländer in religiösen Dingen um so weniger

entbehren zu können scheint, je nrehr er sich sonst seines Freiheits­

sinnes rühnrt. In dieser Weise wird

vonr

Methodismus

christliche Persönlichkeit in Fesseln geschlagen.

schließlich die

Der Methodismus

ist eben eine Hierarchie, darin liegt seine Stärke, aber auch seine Schwäche; freilich eine Laien-Hierarchie.

Es gibt auch „seßhafte

Prediger", das sind „Gemeindeglieder, welche die Erlaubnis haben zu predige::" (Jakoby).

Anders der Pietismus: auch er verlangt

Teilnahnre der Laien an der Leitung der Gemeinde und an der

Regierung der Kirche, auf Grund des allgemeinen Priestertums der Gläubigen; aber er hebt den Unterschied zwischen theologischer

Schulung und christlicher Reife ohne rvissenschaftliche Bildung nicht

auf. Dabei ist beiden gemeinsam der Kampf gegen die Cäsareopapie.

Alle innerkirchlichen Fragen, welche die Lehre und das Gemeinde­

leben betreffen, sollen, so fordert der Pietismus, von einer Vereinigung der Geistlichen und Laien verhandelt werden. Die Laien sollen erstlich im Dienst der Gemeinde thätig sein, vor allem in

40 der Seelsorge, sodann an der Kirchenregierung teilnehmen und als Mitglieder der Konsistorien bei der Kirchenzucht Mitwirken und allfällig symbolische Bücher aufstellen helfen. Die Brüdergemeinde hat diese Forderungen Speners in ihrer Weise durchgeführt.

In: übrigen

ist das meiste bis heute erstrebenswertes Ziel geblieben.

Der

Methodismus dagegen hat sich gegen die bald erwachenden Be­ strebungen, den Laien Beteiligung an ihren s. g. Konferenzen zu

erwirken, lange gewehrt.

Thätigkeit in der Einzelgemeinde stand

den Laien stets offen, vor allem übte eüt Ausschuß aus der Gemeinde die Kirchenzucht und stellte die Klassenführer. Durch die schweren

Erfahrungen wiederholter Spaltungen belehrt, gestand man endlich den Gemeinden Vertreter in der Konferenz zu, aber die Ernennung

der Prediger durch die Behörde blieb bestehen.

Besonderes Gewicht legen beide, Pietismus und Methodismus,

darauf, durch Erziehung der Jugend sich einen Stamn: Heran­ wachsender,

tüchtiger Gerrreirrdeglieder zu sichern.

Sperrer war

der erste, der an den kirchlichen Unterricht der bis dahin verwahr­

losten Jugend Hand anlegte, indem er öffentliche Katechisationen Und was er hierin durch Anregung irr Wort

in der Kirche hielt.

und Schrift und durch sein Vorbild in der garrzerr evangelischerr Kirche Deutschlarrds gewirkt hat, war so gewaltig, daß selbst seine erbittertsten Gegner, wie Löscher, sich dieser Nerrerung rricht ver­ schließen konnten.

Irr der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts

war der christliche Jugendurrterricht allgemein irr gesegrretern Gang, und die Eirrführung der Konfirmation, die Sperrer irr Frankfurt

vorläufig nur auf derrr Lande durchsetzen konnte, irr der Stadt

zuerst nur fakultativ, gab derrr Katechurrrerrat Ziel und Richturrg. Von Sperrers Eifer arrgeregt, traten viele Theologen für die Pflege

des kirchlichen Jrrgendunterrichts ein, auf den Universitäten blühte

die Katechetik empor (Rambach, der wohlunterrichtete Katechet 1722), namentlich in Halle von Frarrcke gefördert urrd irr feilten Anstalten praktisch erprobt; dieser girrg durch Einführung der Katechesen über

biblische Texte und durch Besprechung der biblischen Geschichte über Spener hinaus.

Die von ihnr urrterrvieserren Theologerr, die

zum großen Teil in feinen Schulen als Katecheten arrgestellt gewesen

waren, gingen überall irr deutschen evarrgelischerr Kirchen daran, die neuen Ideen zu verbreiten. Franckes Vorschrifterr über den

41

Unterricht sind vortrefflich, auch warnt er vor mancher Gefahr, die er bald erkannt haben mag, z. B. vor der Plapperei bei Besprechung der heiligsten Dinge. Aber auf die Länge der Zeit sonnte er bei seiner eigenen krankhaften Neigung zu frommer Pedanterie die Klippe einer mechanischen Abrichtung der Kinder zur Selbstprüfung, zum Gebet, das vor anderen Kindern gesprochen leicht zur Heuchelei und anderen geistlichen Lastern führte, nicht vermeiden; fröhliche Erholung mangelte den Kindern infolge des vielen Religionsunterrichts gänzlich und jeder indi­ viduellen Anlage wurden die Flügel verschnitten. Der württembergische Pietisnurs hat die Spenerschen und Franckeschen Ideen ausgenommen und sie ohne Verzerrungen weitergebildet. Er gab das in Halle zur Manie gewordene Drängen auf Bekehrung und Wiedergeburt auf unb erfüllte sich willig mit den neu auftauchenden Jdeerr von der naturgemäßen Erziehung in evangelischem Sinn. Der Methodismus, der seit feinem Entstehen ebenfalls seine besondere Aufmerksamkeit auf die Kindererziehung gerichtet hatte, prägt gerade auf diesem Gebiet den ihm eigentümlichen Geist be­ sonders deutlich aus. Obwohl die Kinder die heilige Taufe empfangen, werden sie, auch wenn sie erweckte Eltern haben, nicht zur Genteinbe gerechnet, sondern das geschieht erst von dem Augenblick an, da sie vollständig bekehrt zu sein behaupten unb dafür Beweise bei­ bringen. Einen geebneten Unterricht, durch den die Kinder zur Erkenntnis des Heilands geführt werden unb denselben von Tag zu Tag klarer erkennen unb von Tag zu Tag entschiedener er­ greifen unb so gleichsam unbewußt zur Festigkeit im Glauben heranreifen, kennt der Methodismus überhaupt nicht. Die Kinder sollen vielmehr plötzlich zu einem beseligenden Gefühl der Gnade Gottes gebracht werden. Wesley erzählt, wie in seiner Schule einmal mehrere Knaben den Entschluß gefaßt hätten, nicht eher sich schlafen zu legen, als bis sie das sichere Bewußtsein, von Gott in Gnaden genommen zu fein, erlangt hätten; es wurde nun eine Nacht hindurch gewacht und gebetet, ebenso den nächsten Tag über, und als alle heiser und erschöpft waten, wurde ihnen aus der Gnade Gottes die Rechtfertigung geschenkt. Soweit Wesley. Wird einmal auf dieselbe Weise nicht derselbe Erfolg erzielt, dann freilich bequemt man sich zu dem Geständnis, daß „die Bekehrung

42 eben Gottes Werk ist und nicht durch Schulen und aridere menschliche

Mittel allein zu Stande gebracht werden kann".

Von „Kinder­

bekehrungen" wird überhaupt sehr viel Wesens gemacht.

Gegen

die „verknöcherte" Ansicht, welche die Aufgabe des Kindergottes­ dienstes nicht in der Bekehrung, sondern in der Erbauung sieht,

wird lebhafter Protest erhoben.

Der Methodismus nimmt die

Kinder in sehr jugendlichem Alter, zehnjährige und jüngere, in besondere „Klassen" auf: lmd) einem halben Jahr können sie, „wenn sie Beweise von Herzensfrönunigkeit geben", in die Kirche eintreten.

Selbst besondere Mäßigkeitsvereine werden von Kindern gebildet.

Jakoby sagt: „Der aufsichtführende Prediger hat ein vollständiges Register der getauften Kinder sowie der Namen mit) des Wohnorts der Eltern zu führen und aufzubewahren.

Sobald die Kinder

zehn Jahre alt sind oder früher, soll er sie in besondere Klassen

einteilen und passende Glieder der Gemeinde 511 Führern derselben ernennen.

Diese sollen die Kinder eirnnal in der Woche ver-

sanuneln mit) in den Heilswahrheiten unterrichten und sie auf-

muntern, ernstlich nach der Vergebung ihrer Sünden durch den Glauben an Jesum Christum zu ringen.

Sobald sie Beweise

von Herzensfrömmigkeit geben, so können sie empfohlen werden, als Glieder in die Gemeinde ausgenommen zu werden, wenn sie

wenigstens sechs Monate die Klassen besucht haben." Nach alledem ist es nicht schwer, wenn man nur auf die den: Methodismus eigentümliche geistliche Abrichtung der einzelnen

Seele und auf die Thätigkeit der Gemeinschaft zu diesem Ende sieht, eine vernichtende Kritik am Methodismus zu üben, wozu

man in weiten Kreisen deutscher Landeskirchen neigt, nachdem hier nur seine unheilvollen Wirkungen zu Tage getreten sind.

Aber

er hat wirkliche, weitgreifende, mit Dank gegen Gott anzuerkennende

Erfolge, und zwar auf den: Gebiet der Mission.

Wenn

der

Silin für die Heidenmission allgemein als Gradmesser des geist­

lichen Lebens der Gemeinden anerkannt ist, so hat der Pietismus

nicht minder als der Methodismus den Beiveis seiner Lebensfähig­ keit erbracht. Es kann freilich scheinen,

als wenn

es dem

Pietismus

als solchem fern gelegen hätte, Mission zu treiben, und als wenn er nur durch gewisse äußere Umstände, die von seiner Wirksam-

43

feit relativ unabhängig waren, zur Missionssache geführt worden wäre; so hat man gegen die Bedeutung des Pietismus, für die Mission Einwand erhoben. Allein mag immerhin die Urheber­ schaft des Missionsgedankens in der lutherischen Kirche in ein gewisses Dunkel gehüllt sein, so viel steht fest, daß derselbe nicht aus orthodoxen, sondern aus pietistischen Kreisen stammt, und erst unter Franckes Leitung kam es 51t einer kräftigen Blüte der dänischen Mission. König Friedrich IV. von Dänemark, welcher nach allgemeiner Auffassung bcn Allstoß zur Mission gegeben hat, war dazu durch Einfluß seines Hofpredigers Lütke gelangt, und daß dieser in Berlin unter pietistischen Eillwirkullgell gestanden hatte, ist zweifellos. Aber selbst die Benutzung gewisser äußerer Umstände, lvelche zur Inangriffnahme der Heidenmission führte, lllacht delll Pietislnus alle Ehre. Schon daß er den Missions­ gedanken ergriff ulld iiicljt wieder fahren ließ, ist sein irnbestrittenes Verdienst. Die feindselige Haltllng des Orthodoxismus konnte ihn nicht einschüchtern, lmd seit 1710 gab Francke die ersten Missions­ berichte Heralls. Ulld die ittn die Wende des Jahrhunderts in allen Gebietsteilen der evangelischen Kirche entstehenden Missions­ gesellschaften setzten die Arbeit des PietisllUls fort. — Die Größe der Brüdergelneillde gar ruht vor allem darallf, daß sie wesentlich Missionsgellleillde ist. Ihre Arbeit unter meist kulturlosen Völkern hatte herrliche Erfolge nnb steht bis auf den heutigen Tag in großenl Segen. — Aus württenlbergischen Kreisell hervorgegangen ist Urlspergers Ehristentlunsgesellschaft, lvelche nicht bloß zu Thatell unter den Heiden aufforderte, sondern auch Hand ans Werk legte. Ohne den Pietislnus lväre llach rnenschlichen Gedanken die heutige Blüte der evangelischell Heidennlission ulldenkbar. Wie groß auch die Urheber der gegellwärtigell Heidenlllissioll vor uns stehell mögen, so haben sie doch, mit Warneck zu reden, nichts anderes gethan als „an deln Abelldgewölk gekrällselt", das nach denl Hellen, lichten Tage, welchen die Missiollsväter Francke nnb Zinzendorf herbei­ geführt hatten, aln Hilllmek der Kirche noch sichtbar geblieben war. Der Strom der Begeisterung für die Heidennlission in unserem Jahrhundert hat noch eine alldere Quelle im Methodismus. Auch die methodistische Kirche ist wesentlich Missiollskirche. Die Abhängig­ keit der Vereüligten Staatell Nordamerikas von England und der

44 auch nach der Befreiung fortbestehende, durch Handel und Verkehr

gepflegte Zusammenhang beider Länder gaben dem Methodismus einen deutlichen Wink, wo seine Thätigkeit erheischt würde. Anfangs

mtf die in Amerika angesiedelten Engländer beschränkt, dehnte sie

sich bald auf die Heiden in bereit Mitte und darüber hinaus aus. Schon Wesley machte öfter Reisen nach Amerika, nicht minder

Whitefield. Epochemachend für das amerikanische Werk wurde Cokes Thätigkeit und das Wirken Asburys, des ersten aller methodistischen Missionare im vollen Sirur des Wortes. Überall versuchten sie es mit der ihnen eigentümlichen Methode der Bekehrung und des christlichen Lebens, die ja bei gewissen Völkern und dann namentlich

bei Anfängern im Christentum pädagogischen Wert haben mag. Bewundernswert ist der Mut,

der Eifer

und die Freudigkeit,

womit sie den größten Schwierigkeiten unb Gefahren trotzten, und

nur mt§ der Gewißheit ihres Heilsstandes zu begreifen.

den

Herrnhutern

sind es auch

Wie bei

hier nicht theologisch gebildete

Männer, welche die herrlichsten Thaten verrichten. Ihr praktischer Sinn, der überall neue Biittel und Wege findet, hat ihnen dabei zur Seite

gestanden.

Ihre Bekehrungs - Erfolge,

besonders

in

Nordamerika, sind glänzend zu nenneli. In alle Erdteile haben die Wesleyaner ihre Sendboten ausgehen lassen, ebenso später die

bischöfliche niethodistische Kirche Amerikas. Geist des

Missionsthätigkeit bewährt und

Ter kampfesfreudige

in unausgesetzter,

Methodismus hat sich so

energischer

der Kirche ihr Fortbestehen

gesichert und sie vor Schwächung der ursprünglichen Geistesfrische bewahrt.

Neben den Missionserfolgen hat der Methodismus in

Nordanierika große Kulturaufgaben erfüllt, zum großen Teil auch an eingewanderten Deutschen,

die von der heimatlichen Kirche

gelöst in Gefahr standen, die letzten Funken ihres nur noch schwach glühenden Christenturns verlöschen zu lassen und in bares Heiden-

tum zu verfallen.

Der Opfersinn des

methodistischen Christen

für die Heidenmission ist vorbildlich; mehr denn viermal soviel opfert er als der deutsche evangelische Christ, reicht aber damit

freilich an andere Denominationen der englischen und amerikanischen Kirche bei weitem nicht heran.

durch

die Thätigkeit Whitefields

Endlich hat der Methodismus

in

den

Kreisen

der Gräfin

Huntingdon einen großen Einfluß auf das geistliche Leben unter

45 dem englischen Adel geübt imb dadurch, während Wesley mehr

in den niederen Schichten des Volkes thätig war, sein gut Teil zur Begründung der Londoner Missionsgesellschaft beigetragen, die in: neunzehnten Jahrhundert von den deutschen Gesellschaften zum

Vorbild genommen wurde. Auf das zweite Gebiet der äußeren Mission, die Juden­ bekehrung, hat mit der Pietismus sich begeben. Spener hatte

schon in Frankfurt milde Gesinnung gegen die Juden geübt und gepredigt.

Erst Hallenser legten Hand ans Werk der Judenmission.

Callenbergs Jnstitutum Judaicum, auf Franckes Anregung ins

Leben

gerufen,

bildete

die

ersten

Judenmissionare

Widmann,

Manitius, Stephan Schultz heran, welche unter unsäglichen Gefahren fast ganz Europa durchwanderten und manche Frucht ihres Wirkens heranreifen sahen.

Auch Zinzendorf legte der Christenheit die

Judenmission ans Herz, und die Brüdergemeinde ließ auch einige

Judenmissionare ausgehen.

Aber was der Pietismus gepflanzt,

schien erstorben zu sein, bis es in unserm Jahrhundert zu um so herrlicherer Blüte gelangte.

Hinwiederum muß dem Methodismus auf dem Felde der inneren Mission in gewissem Sinne der Vorrang zugesprochen werden.

Die Grenzen zwischen äußerer und innerer Mission sind

nach seiner Anschauungsweise fließend; er selber scheidet zwischen beiden überhaupt nicht.

In seinen Gemeinden sind lauter voll-

konnnene Christen, und alle Wirksamkeit außerhalb derselben heißt ihm schlechtweg Mission, ob ihre Objekte Christen oder Heiden sind, und er treibt sie durch dieselben Organe an Christen und Heiden.

Der Pietisnnrs würdigt den Unterschied zwischen äußerer und innerer Mission; diese ist ihn: die seelsorgerliche Arbeit unter demjenigen

Teil der Gemeinde, welcher sich selbst mit oder ohne Schuld den Einwirkungen des ordentlichen Amtes Missionsarbeit in

der Christenheit,

entzogen

die doch

hat;

also eine

wesentlich andere

Verhältnisse und andere Schwierigkeiten, weil andere Menschen, vor sich sieht als die Heidenmission, in der Regel Laienarbeit, die

von lebendig gläubigen Gliedern an: Leibe Christi gethan wird. Weder Grundlegendes noch wesentlich Neues hat hier der Pietismus gebracht.

Schon Luther hatte sich n:anchmal n:it dem Gedanken an

eine kirchliche, organisierte Fürsorge für Arme, Kranke und Not-

46 leidende getragen, ohne daß es bei den zahlreichen anderen, im Vordergründe stehenden Interessen jener Zeit zu einer praktischen Verwirklichung gekommen wäre.

Andreae war in

Namentlich Johann Valentin Des Pietismus

diesem Sinn thätig gewesen.

Verdienst beschränkt sich hier darauf, Erstorbenes belebt und an die Verwirklichung der in der Refornmtion gemachten Vorschläge

Hand angelegt zu haben.

Francke sprach in Erfurt das Wort:

„Ist man gesund im Glauben, und welches das Vornehmste ist,

wie beweist man sein Christentum in der Liebe?

In der Liebe,

sage ich, hört ihrs wohl? Gegen den Nächsten, gegen Freund und

Feind, gegen die notdürftigen Glieder Christi". Aus dem Pietismus gingell hervor die Franckeschen Stiftungen, das Bunzlauer Waisen­ haus, die Bibelanstalt in Halle, die Verbreitung zahlreicher Traktate.

In der Brüdergemeinde unternahm Spangenberg gegen Zinzen-

dorfs Rat den Versuch, auf der Universität ein Collegium pastorale

practicum zum Zweck der Unterweisung tu freiwilliger Armenund Krankenpflege einzurichten, eine akademische Gemeinschafts­

bildung auf christlicher Grundlage, aber der Versuch scheiterte: die Zeit war noch nicht gekonunen.

Sonst haben Brüdergemeinde und

Württemberger die Werke innerer Mission weitergepflegt und selbst

in der Zeit des öden Rationalismus gerettet.

In Württemberg

entstanden, wie die Heidenmission von Urlspergers Christentums-

gesellschaft angeregt, Bibel- und Traktatgesellschaften sowie die Armenanstalt in Beuggen. Jr: England ist Wesley Vater der inneren Mission geworden;

seine Fürsorge für die Gefangenen, welche er mit seinem Bruder und anderen schor: iu der Studentenzeit trieb, für geistig und sittlich verwahrloste Kinder in Sormtagsschulen, die von ihn: gepflegten Straße::predigten und die von ihrn geübte Verbreitung vor: Traktaten

leger: Zeugnis dafür ab. Wesleys Werke nahmen alle einen kleinen Anfang und wuchser: bald trotz entgegensteher:der Schwierigkeiten ins große.

Auch in der bischöflichen Methodistenkirche wurden alle

diese Werke christlicher Nächstenliebe gepflegt ur:d eine Bibelgesell­ schaft gegrür:det. Die große Mehrzahl der n:ethodistischen Zeit­ schriften

beschäftigt sich fast ausschließlich mit der:: Thema

Evangelisatior:.

der

41 III. Verhältnis des Pietismus und Methodismus zur Landeskirche. Daß es auf unserm Standpunkt schwer ist, die Arbeit des

Methodismus auf den: Gebiete der inneren Mission bezw. Evangeli­

sation 511 würdigen, hat vor allem darin seinen Grund, daß er auch in christliche Länder,

meinden einbricht.

selbst in geistlich wohl versorgte Ge­

Das ist einer der schwersten Vorwürfe, welcher

von jeher gegen den Methodismus gerichtet worden ist.

Um hier

gerecht zu urteilen, muß man seine Geschichte ins Auge fassen und daraus entnehmen, wie er seine Stelle zur Kirche und, seitdern er eine eigene kirchliche Gemeinschaft bildet, 31t den vorhandenen

Landeskirchen aufgefaßt und demnach 311 ihnen Stellung genommen hat. Zwar ist er, gleichwie der Pietisnlus, weit entfernt, allen Christen anderer Denominationen das wahre Christentum abzu­ sprechen. Vielmehr predigt erstlich der Pietismus Toleranz und milde Gesinnung gegen Andersgläubige. Sperrer empfahl in seinen

pia desideria, man solle Ungläubige und Andersgläubige, statt sie durch gehässige Polemik 311 verbittern, vielmehr mit Liebe anrederr und mit herzlichem Erbarmen: sie eines Besseren zu belehren suchen: er bestritt keinen: die Seligkeit, der in theologischen An­

schauungen von seiner (Sperrers) Meinung abweiche, wie das die

Orthodoxen

allerdings gethan hatten.

Er hielt eine Einigung

mit den Reformierten wohl für möglich, nur sei sie zur Zeit wegen

der Streitsucht der Theologen undurchführbar.

Mit den Katholiken

sei eine Einigung wohl unmöglich, aber Sperrer errnahnt auch zur Weitherzigkeit gegen sie.

Seit Sperrer wurde ein wirklicher Ver­

kehr zwischerr lrrtherischerr und refornrierterr Christen gepflegt, nachdem

bis dahin zwischerr ihrren nur polemische Berührung stattgefunden hatte. Dabei rvurde die Pflege der rechten Lehre oft ungebührlich herabgesetzt: rrach Friedrichs I. Absichten sollte die Universität Halle

rrarnerrtlich eilte Pflegestätte der Toleranz entgegerr dein irrtoleranten Orthodoxisrrrus sein. Es soll auch nicht übersehen werden, daß freilich die Hallerrser jeder: Christen, der vor: ihrer Schablone ab-

rvich, für einer: halber: Christen, bez. für einen Ungläubigen er­ klärten, und daß Larrge gegen Löscher eine wilde Verketzerurrgssucht ar: den Tag gelegt hat.

Allein solche Erscheinungen sind dem

48 Geiste des

Auch die Brüder­

eigentlichen Pietismus zuwider.

gemeinde hat mit den Christer: der Landeskirchen fast überall ein gutes Einvernehmen zu pflegen gewußt.

Der Methodismus hebt gerne seine Katholizität hervor,

daß

schon Wesley

sagt:

„Ein

Umstand

ist

den Leuten,

so

die

Methodisten genannt werden, ganz besonders eigen, nämlich die

Bedingungen, unter denen ihre Personen irr ihre Gerneinschaft ausgenommen werden.

Sie verlange:: von denselben bei ihrer

Aufnahme durchaus keine religiösen Ansichten. — Sie denken und lassen denken. Eine Bedingung, und nur diese eine ist erforderlich,

ein wahrhaftes Verlangen, ihre Seele zu erretten.

Wo dieses ist,

da ist genug: sie wünschen nichts weiter, sie legen auf nichts weiter

Gewicht. — Gibt es irgend eine

andere Gesellschaft in Groß­

britannien oder Irland, welche so fern von Bigotterie ist? die von einen: so katholischen Geist beseelt wird? die so bereit ist, alle

ernsten Leute ohne Unterschied aufzunehmen? — Ich kenne keine

andere religiöse Gemeinschaft, weder alte noch neue, in welcher jetzt eine solche Gewissensfreiheit gestattet worden ist. Das ist unser

Ruhm und ein Ruhm, der uns allein gehört. Welche Gemein­ schaft teilt denselben mit uns?" Allerdings schön klingende Worte,

die gewiß aufrichtig gemeint waren. Aber die Geschichte hat sie in ein eigentümliches Licht gestellt. Der Methodismus läßt nach seinen eigenen Worten

das

Christentum anderer wohl gelten,

erhebt aber gleichwohl gegen die Landeskirchen alle den Vorwurf,

daß sie die Lehre statt des Lebens zum Kennzeichen des wahren Christentums machten.

Freilich hat er ebenso Unrecht wie der

Pietisnnls, der in gewissen Vertretern meint, ohne Festhalten der

reinen Lehre oder mit Geringschätzung derselben kirchliches Leben

pflegen zu können.

Spener hielt auf die reine Lehre große Stücke,

und seine Nachfolger haben erst dann an ihrer Wertschätzung gerüttelt, als sie in Polemik gegen die Überschätzung bei ihren orthodoxistischen

Gegnern standen.

Daß der Pietisn:us von sich aus über die reine

Lehre nicht gering dachte, beweist am besten der Urnstand, daß gerade der Pietisnms die reine Lehre durch die Aufklärungszeit

hindurch gerettet hat. Wesley meinte, Methodismus

nur bei Geringschätzung der Lehre dem

sein rechtes Gepräge geben zu können.

Spätere

49 haben darauf hingewiesen, in diesem Punkte

wie unrichtig Wesleys Aufstellungen seien,

gewesen

da faktisch eine Kirche, ohne

auf den Grund der rechten Lehre gebaut gewesen zu sein, nicht So läßt denn auch der Methodismus,

bestanden habe.

wie es

nicht anders sein kann, einen eigentümlich ausgeprägten „Lehrtropus" Regeln § 28 ff.)

Breiter (Erklärung der allgemeinen

erkennen.

gibt Regeln einer christlichen Genieinschaft, auf Grund deren ein

derselben

Glied

ausgeschlossen

werden

Diese

könne.

Regeln

beruhen aber auf methodistischen Lehren, die keineswegs von allen evangelischen Christen zugestanden werden.

Sulzberger behauptet

geradezu: „Fragen wir nach der Ursache des gesegneten Erfolges

des Methodismus, so haben wir dieselbe ohne Zweifel vor allem in

der Verkündigung seiner Lehre

suchen".

zu

meint

Ebenso

Stevens, daß die „eigentümliehe Theologie" des Methodismus nicht die geringste Ursache seiner Ansbrcitung gewesen sei.

distische Dogmatiker Warren

sagt

also:

„Es

Der metho­

gibt vier

große,

durchgebildete,

christlich-theologische Systeme oder christliche Lehr­

tropen, deren

Gegensätze so fundamental erschöpfend sind,

daß

jeder Bearbeiter der systematischen Theologie, der das Wesen des

Christentums selbst nicht aufgeben will, punkt ihnen gegenüber einnehmen muß.

einen bestimmten Stand­

Dies ist sein konfessioneller

Standpunkt. — Die vier großen Lehrtropen der Christenheit sind:

der römisch-katholische, der kalvinistische, der lutherische und wesley-

anische.

Diese Lehrtropen beruhen ans verschiedenen Auffassungen

des in Christo gestifteten Heilsverhältnisses Gottes und des Menschen und

entsprechen

den

verschiedenen

Entwickelungsstufen

seines

religiösen Beivußtseins. — Nach der römisch-katholischen Auffassung des

in

Christo

gestifteten

Heilsverhältnisses

Gottes

und

des

Menschen ist das Heil durch die päpstliche Kirche allein vermittelt und durch eine verdienstliche Mitwirkung des Subjekts mit der Gnade bedingt.

Eine wesentliche paganische Auffassung der christ­

lichen Wahrheit. — Nach der kalviirischen Auffassung des Heils­ verhältnisses Gottes und des Menschen hängt das Heil oder Nicht-

Heil

eines jeden Menschen

Gottes gegen ihn ab.

lediglich von dem freien Verhalten

Eine Auffassung des Christentums vom

Standpunkt des alttestamentlichen Glaubens. — Nach der lutherischen Auffassung des Heilsverhältnisses Gottes und des Menschen hängt

III

4

das Heil oder Nicht-Heil eines jeden Menschen lediglich von seinem eignen, persönlichen, mitteln ab.

kräftigen Verhalten gegenüber bcn Gnaden­

Gebraucht jemand diese aufrichtig —

unb so

viel

kam: jedermann aus eignen natürlichen Kräften thun — so wird

Gott ihm vermittelst der Gnadenmittel den Glauben und mit dem

Glauben die Rechtfertigung schenken.

Fährt man fleißig fort in

dem aufrichtigen Gebrauch des Wortes und des Sakraments, so behält man die empfangenen Segnungen und siegt zuletzt über

Tod und Hölle.

Mit dieser Gruudanschauung des Lutheranisrnus

hängen alle sonstigen Eigentümlichkeiten des Systems, wie z. B.

Anhänglichkeit gegen die Kirche, eng zusammen.

Seinem innersten

Geist und Wesen nach ist dieser Lehrtropus eine Auffassung des Christentums vom Standpunkt der Rechtfertigung. — Nach der methodistischen Auffassung des Heilsverhältnisses Gottes uns) des

Menschen hängt das Heil oder Nicht-Heil eines jeden Menschen

lediglich von seinem eigenen freien Verhalten gegenüber den er­ leuchtenden, erneuernder: imb heiligenden Einwirkungen des Heiligen Geistes ab:

eine Auffassung des Christentums Dom Standpunkt

der christlichen Vollkommenheit oder der völliger: Liebe. — Sobald

diese Auffassung des Heilsverhältnisses Gottes und des Menschen überall Eingang und Aufnahme finden wird, sobald das Heil oder Nicht-Heil einer Seele nicht mehr vom rnenschlicher: Verhalte::

gegenüber einer gewissen Hierarchie noch vor: eir:err: vorzeitlichen Ratschluß Gottes noch vor: der geheimnisvollen Wirkung kirchlicher

Verrichtungen vor:

der::

abhängig gemacht werden

Verhalten eines

wird,

jeder: Menscher:

sondern: allein

gegenüber

der

er­

leuchtenden wiedergebärenden und heiligenden Einwirkung des Heiliger: Geistes, werden wir der: baldigen Ar:bruch jer:es von so

vieler: ur:d ernsten Geistern unserer Zeit vorausgesagten und sehn­ lich herbeigervünschter: Tages errvarter: dürfen, wo eine neue und reiche Ausgießung des Heiligen Geistes der: unerträglichen Miß-

verhältnisser: der alter: Kircher: und Lehrtroper: eir: Er:de machen

und das Reich Gottes in Kraft und Herrlichkeit offenbar werden

wird". Wie

sehr Jrrturr: und Wahrheit ir: dieser dogmatischen

Präzision des methodistischer: Standprrnktes durch einander gemischt

sind, liegt auf der Har:d.

Wir haben diese Stelle in extenso

51 wiedergegeben, weil sie für die Grundstellung des Methodismus zu allen christlichen Denominationen, Landeskirchen und Sekten,

für seine Eigenart überhaupt und die ihr inhärierende Anmaßung

überaus charakteristisch ist. Mit weit größeren: Recht findet Jakoby

die

Eigenart des Methodismus gegenüber den anderen Deno-

minationen in seiner Kirchenverfassung ausgeprägt.

Auch unter diesem Gesichtspunkt betrachtet ist ihm der Methodisnms allen

anderen kirchlichen Gemeinschaften ganz und gar unähnlich; diese seien der Idee der Kirche geradezu entgegengesetzt und Verkehrungen

der Wege Gottes.

Lühring („Kirche und Sekte") meint, daß das

Kommen deS ReichesGottes oft von den Menschen in Ungerechtig­ keit aufgehalte:: werde, und das treffe auch in bezug auf die

Umwandlung der Kirche Christi in eine Staats- und Weltkirche zu.

Dabei wird völlig übersehen, daß die n:ethodistische Kirche

selbst sich zu wiederholten Malen wegen Meinungsverschiedenheiten in betreff des Kirchenregin:ents gespalten hat.

Ein Verständnis

für Landeskirchentum ist auch kaun: zu er:varten, da der Methodisn:us in seiner Heimat nur über eine tote Staatskirche und in

Amerika über lauter Freikirchen ein Urteil gewinnen kann; anderer­ seits auch weil er in Deutschland manchmal an: eignen Leibe die

verhängnisvollen Folgen der Vermischung von staatlicher Gewalt

und

kirchlichen Fragen

erfahren hat.

Denn

auf Grund von

Polizeiverfügungen wurden hier seine Versannnlungen verboten, dort polizeilich beaufsichttgt oder gar mit Waffengewalt auseinander­

getrieben.

Dies Verfahren e::tspricht allerdings nicht den: Geiste

Luthers noch der nach ihn: genannten Kirche, auch nicht dem des

Pietisn:uS.

Aber der Methodisnms hat sich in solchen Lagen auch

nicht auf der Höhe seines vielgerühmten „Ernstes des Christentun:s"

gehaltem

Seine Sendboten haben Geldstrafen, welche ihne:: für

abgehaltene Versannnlungen auferlegt wurden, nicht bezahlt (trotz

Rön:. 13, 1 ff.) und lieber die Kühe von Obrigkeits wegen aus den Ställe:: holen und :neistbietend verkaufen lassen. Diese Auf­ lehnung gegen die Obrigkeit wurde obendrein mit den: Lutherlied

gedeckt:

„Laß fahren dahin, sie habens kein Gewinn, das Reich

muß uns doch bleiben". Der Hauptanstoß, den der Methodisnms an jeder Art von

Landeskirche nimmt, ist derjenige aller Sekten, daß in ihr Gottlose

52

und Heuchler mit den rechten Gläubigen an beit gleichen Rechten und Pflichten teilnehmen. Der Pietismus steht hier auf Luthers Standpunkt: „Das Leben der Christen ist nicht eine Frömmigkeit, sondern ein Frommwerden; nicht eine Gesundheit, sondern ein Gesundwerden. Wir sind's noch nicht, wir werden's aber. Es ist noch nicht gethan und geschehen, es ist aber im Gang und Schwang. Es glühet und glänzet nicht alles, es fegt sich aber alles. Die Kirche ist ein Spital, da sind Kranke und Gesunde unter einander. Und selbst die Gesunden sind im Grunde nur genesen oder genesende. Diesen aber steht es viel besser an, im Spitale, wo sie selbst Heilung erlangt haben, z:: bleiben und der: annoch Kranken in Liebe 31t dienen als den: Hause, das sie pflegt, den Rücken zu kehren und sich gütlich zu thun". Von diesen Grundsätzen ausgehend will der Pietismus die lebendigen Glieder der Gemeinde sammeln uub sie als Salz auf den übrigen Teil der Gemeinde wirke:: lassen, auf daß die Toten erweckt und die Unbußfertigen zur Buße geführt werden. Der Methodismus hingegen will zwischen Bekehrten unb Un­ bekehrten eine tiefe Kluft befestigen: dieser Gedanke ist freilich in praxi nicht durchführbar und thatsächlich auch hier nicht durchgeführt. Nie sind die Klagen darüber verstummt, daß inmitten der eignen Gemeinden einige Unbekehrte, ja solche seien, die nicht einmal die Erkenntnis von Buße, Glaube und Heiligung gewonnen hätten; daß viele Glieder dieser Kirche werden, ohne die erste Grund­ bedingung erfüllt zu haben, nämlich' ohne ein Verlangen, dem zukünftigen Zorn zu entfliehen und von Sünden erlöst zu werden; daß selbst unter den Predigern noch viele über die schriftgemäße Heiligung im Dunkeln seien und daher nicht um: selbst zu einem heiligen Wandel untüchtig, sondern auch irrige Leiter derer feien, über welche die Kirche sie als Lehrer und Wächter gestellt habe. Der Pietismus mit seinem Ziel, geistliches Leber: in den Gläubiger: zu entzünden, zu erhalte:: ur:d zur Bethätigrmg ar:zuleiten, wird in der lutherischer: Kirche stets feine Bedeutung haben. Der Methodisrnus ist in Deutschlar:d kurzweg überflüssig: seine heimliche und versteckte Propaganda kanr: nur verderblich wirke::. Die Ausrede, welche die Methodisten regelrnäßig vor sich her trage::, daß sie ja nur die verlorenen Schafe der Kirche Jesu Christi wieder zuzuführen gedächten, ohne sie in ihre kirchliche Gemeinschaft

53aufzunehmen,

das letztere verlangten meist die Bekehrten selber,

ist oft durch die Thatsachen widerlegt.

Der sonstigen Strenge bei

Aufnahme eines neuen Gliedes steht eine weit entgegenkommende

Nachsicht gegenüber, wenn es sich um Gläubige in den evangelischen Der Geistliche einer evangelischen Landes­

Landeskirchen handelt.

kirche wird ohne weiteres als methodistischer Prediger anerkannt,

wenn er sich nur auf die methodistische Kirchenordnung verpflichtet. Ein Mitglied eines christlichen Jünglingsvereins kann auch ohne vorherige Probezeit in einen methodistischen Jünglingsverein aus­

Schlimmer ist schon die jesuitische Art, in

genommen werden.

der die Methodisten vor den unter: ihrem Einfluß stehenden Gliedern

evangelischer Landeskirchen den Unterschied zwischen ihrer und der evangelischen Kirchengenreinschaft, welcher jene angehören, zu ver­

wischen pflegen.

Mit Vorliebe reden sie von ihrer Gemeinschaft

als der „Kirche Jesu Christi".

In ihren Katechismen kommt

das Wort Methodismus oder methodistische Kirche u. dgl. über­ haupt nicht vor, ebensowenig in den Predigten, welche sie an Nicht­ mitglieder richten.

Dagegen innerhalb ihrer vier Wände preisen

die Methodisten mit um so größerem Selbstbewußtsein ihre kirch­ liche Gemeinschaft, indem keine andere „die Pflichten und Rechte der Gemeindeglieder und Prediger auf so einfache und bündige

Weise zusammengefaßt xtnb so deutlich auseinandergesetzt hat, wie die Methodistenkirche".

Der Pietisnms seinerseits hielt das lutherische Kirchentum hoch

und erkannte die

Wichtigkeit aller

bestehenden kirchlichen

Ordnungen; er wollte durchaus lutherisch sein und heißen. Spener wies nachdrücklich auf die objektiv-reale Wirkungsweise von Wort

und

Sakrament als

persönliche

das Echt-lutherische hin und wollte alles

Christenleben und jegliche Gemeindeordnung,

indem

er hierin Luther folgte, nur an der Richtschnur göttlichen Wortes gemessen wissen. Abwege,

Schon Francke freilich geriet auf schwärmerische

weim er

Offenbarungen setzte.

an Stelle des Worts unmittelbare göttliche

Auch gegen die damals allgenrein übliche

Privatbeichte mit) Absolution als lutherisch-kirchliche Ordnungen

hatte der Pietismus zimächst nichts einzinvenden: nur weil sie ohne die notwendigen Voraussetzungen geübt wurden, stimmte er

gegen sie.

Spener tastete auch die lutherischen Bekenntnisse nicht

54 an; nur ihr Ansehen, als seien sie von Gottes Geist eingegeben und irrtumsfrei und daher der Schrift gleichzuachten, wollte er

nicht gelten lassen.

Wie sehr der Pietismus sonst an ihnen fest­

hielt, ergibt sich daraus, daß in Halle fortgesetzt über die symbo-

lischen Bücher Vorlesungen gehalten wurden. wollte er durchaus nur

unter

die Leitung

Die Konventikel

der Pfarrer gestellt

Und was an Hochachtung aller kirchlichen Ordnungen in

sehen.

dem nachspenerschen Pietismus etwa versämnt worden hat gewiß der Württemberger Pietisnms durch

ist, das

um so strengere

Betonung des Luthertums in der Lehre von der Kirche, von Wort, Sakrament und Amt wieder gut gemacht.

Trotz der im ganzen feindseligen Haltung, die der Methodis­

mus gegen unsere deutschen lutherischen, reformirten und unirten Kirchengemeinschaften eingenommen hat, dürfen und wollen wir

die Segensströme nicht verkennen, welche zu seiner Zeit itub an

seinem Ort von it)m ausgegangen sind.

Der Pietismus freilich

hat sich unmittelbar in den Dienst der lutherischen Kirche gestellt und alle seine Segnungen ihr direkt zugeführt. der

Methodismus

auch

durch

die Arbeiten

Mancherorten hat der

äußeren

und

inneren Mission und der Gemeindediakonie, durch feine Sonntags­ schulen und Evangelisationsbestrebungen unserer Kirche Anregungen

gegeben.

Allein seine Thätigkeit in Deutschland ist mib bleibt

eine Schmach für unsere Kirche, die wir mir durch Thaten zurück­ weisen können.

Erst in neuerer Zeit droht der Methodismus um

so gefährlicher zu werden, als er mit dem Pietismus ein Bündnis

sucht, nicht zu dessen Vorteil, da dieser dadurch von seiner edlen deutschen und lutherischen Art nur verlieren kann.

Hier gilt es

ein offenes Auge für die unserer Kirche drohende Gefahr haben, damit der Pietismus auch ferner bleibe, was er war und ist,

und in der Kirche und an der Kirche im Segen arbeite.

Sein

Ziel aber muß sein, den Methodismus immer mehr bei Seite zu schieben und zu verdrängen, damit er wieder auf seine heimat­ lichen Arbeitsgebiete England und Nordamerika eingeschränkt werde.

55 Der moderne Pessimismus und der christliche Glaube. "Sher Führer des Pessimismus, welcher in unserem Jahrhundert diese Weltanschauung zu Ehren gebracht hat, steht als Ritter uon der traurigsten Gestalt vor uns, wem: wir

fein Leben und feilte Lehre gegen einander halten.

Man muß

diese schlechte Welt gar nicht wollen, das Leben nicht wollen, sich von Welt und Leben und sich selber mit Ekel abwenden: so lehrt

Schopenhauer. er.

Aber als in Neapel die Blattern ausbrachen, floh

Als in Berlin die Cholera ihren Einzug hielt, machte er sich

auf und davon.

Entstand in der Nacht Lärm, so fuhr

er aus

den: Schlaf empor und griff nach Degen und Pistolen, die allezeit neben ihm lagen.

Mehrmals rief er in den Schmerzen seiner

letzten Krankheit aus: o Gott, mein Gott! Und als der Arzt ihn

verwundert fragte: existirt denn für Ihre Philosophie noch ein Gott? antwortete er: in diesen Schmerzen reicht sie ohne Gott nicht aus. Wenn

„moderner Pessimismus"

als terminus

technicus

gefaßt die philosophischen Systeme eines Schopenhauer und Hart­

mann

zu seiner Grundlage hat,

so

geht nebenher die ebenso

berechtigte Auffassung, daß als Pessimismus nach dem Sprach­

gebrauch

unseres

Jahrhunderts

nicht die

durch

ein

einzelnes

philosophisches oder theologisches System begründete, sondern all­

gemein eine vorwiegend düstere und hoffnungslose Lebensanschauung

angesehen

wirb.

Die Verwandtschaft dieser beiden Arten des

Pessimismus liegt in ihrem gemeinsamen Ausgangspunkt,

oder

wenn man so lieber will, in ihrem gemeinsamen Zielpunkt, daß

das Nichtvorhandensein der Welt ihren: Vorhandensein vorzuziehen sei.

Allerdings im allgemeinen Sinn gefaßt ist der Pessimismus

so alt wie die Welt,

seit sie sündig ist,

und

eine theoretische

Begründung erfuhr er schon im alten Indien durch die Religions­

systeme des Brahmaismus

und Buddhismus.

Ist er demnach

nicht ein Erzeugnis der neuesten Zeit, so kommt ihm dennoch der Titel modern jedenfalls darmn zu, weil er nie zuvor in seiner­ jetzigen wissenschaftlichen Begründung in Werken der philosophischen

Litteratur, der deutschen und namentlich der italienischen Poesie,

in populären Schriften über Geographie, Völkerkunde,

Kultur-

56

geschichte, weil er nie zuvor in seiner heutigen Ausdehnung auf die verschiedensten Lebensgebiele ausgetreten ist. Dazu ist die dem modernen Pessimisnms eigene Wahrheit nur aus der christ­ lichen Weltanschauung begreiflich, da erst in dieser die Persönlich­ keit im wahren Sinne des Wortes zur Geltung kommt, mit) dadurch erst recht Jammer und Disharmonie des natürlichen Daseins ans Licht tritt. Im Zusammenhang damit steht, daß in gewissem Sinn jedes Jahrhundert, und ganz besonders das mistige, empirischer und praktischer geworden, schärfer in der Beurteilung der allge­ meinen menschlichen Not und des Weltübels und geneigter, die vorhandenen Schäden ohne Schonung bloßzulegen, sich zeigt. Dazu kommt endlich, daß der Pessimismus als Reaktion gegen den einst allmächtigen, überaus optimistischen Rationalismus sich geltend niachte. So hat der Pessimismus als Welt- und Lebens­ anschauung nicht minder die große Masse der Gebildeten als den gemeinen Mann ergriffen, wobei ihm namentlich das früher un­ erhörte Maß von Freiheit zu statten kam, welches unser Jahr­ hundert der Oeffentlichkeit jeder Art von Gedankenaustausch und Geistesäußerung gewährt. Einerseits brachte die Philosophie zum Ausdruck, was in den Herzen der Zeitgenossen sich regte, und anderseits verführte sie viele noch Unentschiedene, ihrer bethörenden Sirenenstimme zu folgen, die gewöhnliche Wechselwirkung zivischen wissenschaftlicher Begründung einer Lebensanschauung und praktischer Bethätigung derselben und eine Bestätigung des Tornerschen Wortes: „Keine philosophische Theorie ist von so eminent praktischer Bedeutung wie der Pessimismus." Das eben gibt uns als Christen Recht und Pflicht, den modernen Pessimismus ins Auge zu fassen, daß er eine so eminent praktische Bedeutung hat. Mit der philosophischen Theorie als solcher hat unser Glaube eS nicht zu thun — philosophische Theorien kommen und gehen — aber sobald die philosophische Theorie sich in einen feindseligen Gegensatz zur christlichen Lebens­ anschauung stellt und die dem einfältigsten Laien begreifliche Lehre bringt: Das Nichtvorhandensein der Welt ist ihrem Vorhandensein schlechthin vorzuziehen, so fordert sie damit ihre Bekämpfung seitens der Kirche heraus. Der Pessimismus muß der Kirche als feindlich gelten, weil er auf außerchristlichem Boden erivachsen ist. Entweder

57

nun bezieht er sich ausdrücklich auf das objektive Ganze der Welt, und nicht weniger die Art, wie er begründet wird als das Maß der Anerkennung, welches er gefunden hat, zwingen die Kirche, Stellung zu ihm zu nehmen — so in gebildeten oder halbgebildeten Kreisel: — oder aber, da der gemeine Mann nicht wissenschaftlich philosophiert, der PessilnisllUls geht auf das Heine Weltbild seiner Vorstellung und ist durch persönliche Verhältnisse seines Jüngers bedingt: hier kamt er daher unberechenbar vielgestaltige Formen almehmen. Man wird bei den wenigsten Pessilllisten jenen uHgenteinen Ausdruck, „das Nichtvorhandensein der Welt sei ihrem Vorhandensem schlechthin vorzuziehen" in dieser Formulierung zum Bewußtsein gekollllnell, vorfinden. Aber er ist nichts als die notwendige Konsequellz der lveit verbreiteten Steigung, int eigenen Leben, in allen Verhältllisselt und auf allen Gebieten das Mangelhafte uni) Unvollkommene, das Uebel, das Böse hervorzusllchen und dem das Uebergewicht zuzuschreiben. Natürlich ist dieser sozusagen populäre PessimiSlllus, weil viel verständlicher, bei lveitem häufiger als jener philosophisch begründete, und darllm erfordert er in erster Linie die Allsinerksamkeit der Kirche. Nicht aus der reichen Litteratllr des Pessimismus fmut er erkannt werden, sondern allein ails dem Leben und cm ben Menschen selber. Hierher ist auch zu rechnen, daß gleichlvie allgemein gilt: Jeder Nichtchrist ist Pessimist, ebenso lvahr ist: jeder Christ ist Pessilllist, insofern er llicht ganzer Christ ist. Das ist darum von besonderer Wichtig­ keit, weil hier auf das Allgelneinlllenschliche des Pessimismus ulld feine relative Berechtigung der Finger gelegt wird. Damit wird seilt Verständllis erleichtert imi) zuverlässigere Waffen zu seiner Bekämpfung in die Hand gegebell, meint wir aus eigener Erfahrung vorübergehende Stimmungen des Pessimismus kennen. Ganz anders steht es mit deut Pessimismus, der diesen Namen voll und ganz verdieitt. Er ivill in seiner populären Gestalt grundsätzlich gleichgültig gegen das stehen, lvas Gott, Erlösung, Glaube heißt. Thatsächlich ist er dadurch genötigt, in einen feind­ seligen Gegensatz zur Kirche zu treten. Sein Gesamturteil spricht er dahin aus: Alles, lvas ist, ist Elend, des Menschen Los ist lauter Jammer und Schmerz. Damit stimmt der populäre Pessimismus dem philosophischen Pessimismus bei, nur daß dieser

58 seine Begründung metaphysisch faßt und sich vorsichtiger ausdrückt (Hartmann): „die Totalbilanz der Sunune aller Unlust und aller

Lust ergiebt ein negatives Resultat", d. h. es ist mehr Schmerz

als Freude, mehr Böses als Gutes in der Welt.

Sonst erhebt

sich die Lebensweisheit des philosophischen Pessimismus in ihrem Wert nicht über die „Lamentationen eines

trübseligen Philisters

auf der Bierbank", wie Sommer („Pessimismus :md Sittenlehre")

es

bezeichnend ausdrückt.

In Hartrnanns Schriften finden sich

Stellen über die Behaglichkeit des Ochsen- und Schweinelebens und über die Plackereien des ehelichen Lebens, die tief unter den:

Niveau einer gewöhnlichen Durchschnittsbildung stehen. „Man vergleiche

vorerst die

Sunune der Freude,

welche

durch die Geburt, und die Sunune des Schmerzes und Kuntmers, welche durch ben Tod eines Kindes in den Gemütern sämtlicher Beteiligtet: hervorgerufen wird.

Erst nach Abrechnung des hierbei

sich ergebender: Schmerzüberschusses kau:: mm: an die Betrachtung

eines Lebens selbst gehen. — In der ersten Zeit überwiegt die sehr beträchtliche Unbequemlichkeit und Schererei der Pflege, beziehungsrveise der Aerger nut sorglosen Dienstboten,

alsdann der

Verdruß mit der: Nachbarn itub die Sorge um Krankheiten, dann

die Sorge, die Töchter zu verheiraten und der Kununer über die dununen Streiche und Schuldet: der Söhne.

Zu alledem kvttunt

die Sorge der Aufbringung der nötige:: Mittel,

tvas bei armen

Leuten ii: der ersten, bei gebildeter: Klassen h: de:: späteren Zeiten

an: größte:: ist.

Ur:d bei aller Arbeit und Mühe, bei allen: Kummer

und Sorge u::d der stete:: Angst, reelle Glück,

sie zu verlieren, was ist das

das die Kinder den: bereiten,

der sie hat?

Ab­

gesehen von den: Zeitvertreib, den sie als Spielzeug gewähren und von der gelegentlichen Befriedigung der Eitelkeit durch die heuchlerische Schmeichelei der gefälligen Frau Nachbarin — die

Hoffnung, nichts als die Hoffnung auf die Zukunft.

Und wenn

die Zeit konnnt, diese Hoffnung zu erfülle::, und die Kinder vorher

nicht gestorben oder verdorben sind, verlassen sie das elterliche Haus,

gehen ihre eigene Wege, meist in die weite Welt hinaus

an: häufigsten nur dann, wenn sie Geld (Hartmann, Philosophie des Unbewußten. II. 327.).

und schreiben sogar

brauchen"

„Die minder en:pfindlichen und die mit einen: stumpferen

59 Nervensystem begabteren Individuen sind besser daran als die sensiblen Naturell, die Individuen der niederen und ärmeren Klassen

und rohen Naturvölker glücklicher als die der gebildete!: und rvohlhabenden Klassen und der Kulturvölker — die Tiere glücklicher

d. h. lveniger elend als der Mensch. Marr denke nur, wie be­ haglich eil: Ochse oder ein Schwein dahinlebt, fast als habe es von Aristoteles gelernt, die Sorglosigkeit und Kun:n:erlosigkeit zu

suche;:, statt wie der Mensch den: Glück nachzujagen" (ib. II. 348.).

So argulnentieren denn der populäre u::d der ihn: nicht nachstehende hartmannsche Pessimislnus gen:einschaftlich in folgen­

dem Gedalckengang: Die Welt ist ein Jammerthal und der Mensch in ihr das unglückseligste Geschöpf. I:: der Natur ist nichts als Leid, Kampf,

Tod, iu:d in: Menschen nichts als Leid, Kan:pf, Tod.

Die Natur

kälnpft gegen den Menschen und der Mensch kälnpft gegen die Natur und der Mensch kälnpft gegen den Menschen. So sucht der Eine

sein Glück auf Kosten des Anderer: und stürzt damit

das Andere und sich selbst i::§ Unglück.

der

Naturkräfte,

die Feindseligkeit der

Wie furchtbar die Gelvalt

vier

Elemente,

Ueber-

schlventtnungen, Feuersbrünste, Umvetter, Erdbeben; alle Krankheiten :u:d ihr Gefolge von Kun:n:er und Schmerzen, Not und Elend, das Grauenvolle des Todes für den Sterbenden und für die un­ glücklicher: Hinterlassener:.

Und trachtet n:an gleich zu lindern,

was n:öglich ist: wie viele Pläne scheitern doch an der eigenen

Ohnmacht oder ar: der Falschheit und Bosheit der Mitmenschen. Und das ist ja das Leben des Menschen und sein Unglück zugleich, daß

er immer vorrvärts will. Kurz, rver zählt die Sunune des Schrnerzes

ul:d des Kurnlners, welche jeder Mensch von der Stur:de der Geburt ar: bis zur Stunde des Todes sowohl erfährt als verursacht. Ur:d weru: nur rvenigstens Freud ur:d Leid rechtsrnäßig ver­

teilt wären! Aber wie groß ist der Widerstreit zrvischer: Sittlichkeit und Glückseligkeit, rvie wenig wird die Tugend belohnt, wie erfreut sich das Laster alles Glanzes und aller Ehre. Und das Leid, welches

schon irn Naturzustand überwiegt, steigert sich rnit der wachsenden Kultur!

Das Gemeinschaftsleben vergrößert erst recht das Leid

und Weh. — Hartmann

(zur Geschichte und Begründung des

Pessimismus S. 25) weist hin auf die mc aufhörenden zweckloser:

60 Mordscenen unter den meisten wilden Völkerschaften, auf die geheime Falschheit bei der innigsten Freundschaft, auf den Hang, den zu

hassen, dem man verbindlich ist, auf die heimliche Freude an dem

Schaden oder Unglück der Freunde imb auf viele andere unter dem Tugendschein verborgenen Laster der Zivilisation. — Das

Trauerspiel der Ehe, die Uneinigkeit der Gatten, die mißratenen Kinder, die unordentlichen Dienstboten, wie giebt das alles Anlaß zur Klage. Und die fröhliche gebildete oder ungebildete Geselligkeit

(vgl. Hartmann, Phaenomenologie S. 354, wo der gesellige Ver­ kehr als „eine künstlich organisierte Schrneichelei-Versicherungsanstalt auf Gegenseitigkeit" bezeichnet wird) ist nichts als eine schillernde

Seifenblase, Unnatur und Verzerrung, heitere Masken verdecken den Schmerz vor dem Besitzer uub noch mehr vor den anderen.

Und blickt man erst in den sogenannten vierten Stand und feine

Lebensverhältnisse hinein: welch hochwillkonnnene Fundgrube von drastischen Belegen für das durchgängige Weltelend; Massenarmut,

Elend der Weberdistrikte und Kohlellarbeiter, daneben Gellußsllcht uub Luxus. Die sozialpolitischen Verhältnisse sind ach! so jämmer­

lich: ein Nebelleinander vor: gräßlichen Nöten und hochgespallnten

Hosfnllngell, eins einen freudevollen Anfang folgen traurige Ent­ täuschungen, die ungelvohllte neue Freiheit ist für viele gefährlich geworden.

Und was Staat nnb Kirche heißt, erfüllt seine Allfgabe so

wellig, daß sie uod) der Vermehrung des Uebels dienen:

inan

blicke auf die Zlllrahllle der Verbrechen, illsonderheit der Selbst­

morde nnb der Unzuchtsündcn.

Was helfen da alle schönen Ein-

richtungen des staatlichen und kirchlichen Lebens? Das Christentuln ist überhallpt nichts wert, aber viel konfessioneller Hader breitet sich alls,

ulld da die Massen schon der Kirche entfrelndet sind, so wird diese,

die nur „ein Helllmschuh des Kulturfortschritts" ist, tuit dem Staat ihr Ende finden.

Steigert sich die Kultur, so uituuit die Unglück­

seligkeit zu: „die Perfektionierung der Menschheit durch fortschreitende Kultlw vollzieht sich durchweg ans Kosten ihres Behagens und

ihrer Lebensfreude". Die Thiere sind besser daran als die Menschen. Sind sie doch wenigstens frei von Seelellleiden uub Sorgen: der

Mensch aber, der verlnöge der ihn auszeichnelldell Vernunft Ver­

gangenheit, Gegenwart und Zukunft sieht, macht dadurch fein Elend

61

größer als das jeder Kreatur. Kurz: alles ist eitel, lauter Unglück und Elend; viele Laster, kaum eine Tugend. Die Illusionen sind tot, die Hoffnung ist ausgebrannt." „Nirwana ist die Arzenei, die alle Krankheit heilt, jeden Durst des Verlangens stillt." Doch genug nut diesem Klagelied des Pessimismus, das sich ins Endlose fortsetzen ließe. Es giebt vielleicht wenig Pessimisten, die sich so allseitig das Elend der Welt klar gemacht haben als ihre Propheten auf dem Philosophenstuhl. Gewöhnlich ist es nur der eine oder andere oder einige üoii den angezogenen Gedanken, die den: populären Pessimismus als Unterlage dienen. Indes geben obige Ausführungen in möglichster Kürze und Vollständigkeit ein Bild des Pessimismus, wie er sich in den Köpfen der gemeinen Leute und Halbgebildeten findet. Von den letzteren greife:: einige noch besonders auf das Gebiet der geistigen Welt und klagen über die trotz aller ehrlichen Forscherarbeit vorhandene Lückenhaftigkeit der Erkenntnisse und des Wissens, welche die größte Nichtbefriedigung hinterlasse und nur Verzweiflung über die relative Unfruchtbarkeit aller geistigen Arbeit bewirke. Es ist ein eigen Ding, daß dieser Pessimisnlus, der Nichtsein für besser hält als Sein und den Tod für besser hält als das Leben, doch mit* in vereinzelten Fällen Ernst macht und, was für einen vollendeten Pessimisten die einzige Konsequenz sein kann, sein Leben freiwillig beschließt. Wohl ist zu keiner Zeit der Selbst­ mord so häufig gewesen wie in nuferen Tagen, und aus dell nwdernen Millionenstädten ist wohl täglich von einem Selbstmord zu berichten: aber kaum Emm man ja hören, daß jemand aus Grundsatz seinem Leben ein Ende macht. Hiermit ist der Pessimis­ nlus gerichtet, inbent seine innere Unwahrheit rmd Halbheit dar­ gethan ist. Durch fein inkonsequentes Verhalten beweist er, daß in der That noch ein anderes in ihm lebt, nämlich irgend eine Art vor: mehr oder minder versteckter Hoffnung. Der philosophische Pessimismus spricht seine Hoffnullg offen also aus (Hartmann, zur Geschichte und Begründung des Pessimisnlus S. 99): „Die Forderung, trotz der Ullerreichbarkeit eigenen Glücks tapfer weiter zu kämpfen lmd 31t streben, wäre in der That unerfüllbar, wenn der Kampf lvirklieh ein ergebnisloser und zweckloser wäre. Doch hat der Kalllpf ein zwiefaches Ergebnis, ein subjektives und ein

— objektives.

62



Subjektiv führt derselbe dazu, von allen möglichen

Lebenslagen die relativ erträglichste zu erreichen imb die innere

Geistesanlage zur Festhaltung

und Vertiefung dieses Zustandes

(d. h. die religiös-ethische Gesinnung :mb den erworbenen Charakter) immer vollkomnlener auszubilden.

Objektiv führt derselbe dazu,

den Entwicklungsprozeß der Menschheit zu befördern und seinem Ziel näher zu führen."

Der Grund dieser Hoffnung aber ist der

Trieb zum Leben, die Liebe zum Leben. Hartmann geht so weit,

einzuräumen, daß selbst der von unsäglichen Schmerzen geplagte

Kranke, der den Tod als Erlösung herbeiwünscht, im Grunde doch wie jeder Mensch noch einige Zeit in diesen: Jammerthal erhalten

bleiben wolle. Und sieht der Pessimist gleich in der Theorie diesen Willen zu leben und das Leben selbst als einen Fluch an, so sucht er doch in allem Jammer sich für den täglichen Gebrauch möglichst

bequem, behaglich und klug einzurichten.

Wie Schopenhauer in

der Theorie die Unglückseligkeitslehre verfocht, in der Praxis aber eine eudaimonistische Moral und Klugheitslehre verband, so sucht der

Alltagspessimist

sich

mit den: Leben irgendivie abzufinden.

Kann er vermöge seiner Wohlhabenheit die Lust und die Freuden

dieses

„elenden" Lebens genießen,

so thut er's und stellt dabei

Betrachtungen über den Jannner und die Beschwerden des Lebens

an.

Ist er gezwungen, Hand ans Werk zu legen, wie es annoch

den meisten Sterblichen geht, sei's in körperlicher oder geistiger Thätigkeit, so thut er's auch und singt ebenfalls ein Klagelied über

den Jannner und die Beschwerden des Lebens.

Die erste Form

des Pessimismus blickt in aristokratischem Selbstbewußtsein voll Weltverachtung auf das kleinliche Wesen und Treiben der Menschen,

auf die Geistlosigkeit und den Egoismus alles ihres Thuns.

Die

Welt, lehrt Schopenhauer, ist bevölkert von moralisch und intellek­ tuell jämn:erlichen Wesen, deren Gemeinschaft man möglichst aus dem

Wege gehen

muß.

Nennt schon Voltaire als die beiden

Dinge, welche der Himn:el uns als Gegengewicht gegen die zahl­

losen Mühseligkeiten des Leben gegeben habe,

die Hoffnung und

den Schlaf, wozu Kant als das Dritte das Lachen hinzugefügt haben will, so pflichtet der Pessimist ihnen bei und findet in der

Arbeit „eine an und für sich unangenehn:e und nur durch den Erfolg ergötzende Beschwerde", erst die Ruhe nach der Arbeit bringt

63 die Lust. Wer arbeitet, wählt von zwei Uebeln das kleinere, weil

dem Menschen nun einmal ein Trieb zur Thätigkeit gegeben ist, der indes immer einen Schmerz bei sich führt. Der Normalzustand des Individuums nach Hartmann ist eigentlich Not und Langeweile: da ist immerhin die Arbeit noch eher zu ertragen." Man stutzt vor diesem seltsamen Nebeneinander: die Welt

ein Jaminerthal, daher suche das Leben zu genießen.

Nach der

Wahrheit, die in den: ersten Satz enthalten ist, sollte man etwas ganz anderes als diese oberflächliche, nichtssagende Schlußfolgerung

erwarten.

Der Pessimismus erkennt doch das Leid des Lebens,

und daher steht er höher als die herrschende Zeitrichtung, der

Materialismus, der überhaupt von dein Widerspruch zwischen Idee

und Wirklichkeit nichts weiß: so ist man wohl geneigt anzunehmen

lind würde doch irre gehen. Der ganze Gedankengang des Pessimisnrus

führt

mit

innerer

Notwendigkeit auf

den

hedonistischen

Materialismus (vgl. Sonuner, Pessimismus S. 166—171). Aller­ dings ist der nwderne Pessiinismus viel wahrer und tiefer als der antike, weit er auf christlichein Boden gewachsen ist.

Leider aber berührt er im Ganzen das ethische Gebiet sehr wenig, uitb Marten­ sens hierher zielenden Ausführlmgen (Ethik I S. 227) treffen nur

einen ganz geringen Bruchteil

der modernen Pessiinisten.

Die

Mehrzahl lebt durchaus in der materiellen Sphäre, und die Frage

Hartnianns, ob die Totalbilanz der Summe aller Lust mrd aller

Unliist ein positives oder negatives Resultat ergebe, oder volks-

tünilich ausgedrückt, ob mehr Welt

sei,

schließt

bei

Freude oder nrehr Leid in der

Hartmann

und

im

Munde

des

ge­

meinen Mannes die Voraussetzung in sich, daß alle Werte des

Lebens nivelliert und auf den kahlen Gedanken der Lust zurück­

sind; denn unter Lust verstehen sowohl Hartmann als der gemeine Mann nichts anderes als das sinnliche Wohl­ geführt

behagen. Hartnmnn hält (Phil. d. Und. III 215) als Resultat fest, daß „die Lust und Unlust an und für sich in allen Gefühlen nur eine ist, daß sic nicht der Qualität nach, sondern nur dem Grade

nach verschieden sind.

Daß Lust mrd Unlust einander aufheben,

sich also wie positiv und negativ verhalten, mrd der Nullpunkt zivischcn ihnen die Differerrz des Gefühls ist, ist klar. Ebenso

klar ist, daß es gleichgültig ist, welches von beiden man als positiv

64 nehmen

will."

(Pessimismus,

Daher S. 42):

urteilt

Sommer

scharf,

aber richtig

„Diese Philosophie kennt nur noch eine

Art von Interesse und Lebensmotiv, die Erlangung der Lust und

Vermeidung der Unlust." (S. 78): „Der Begriff der Lust ist weiter nichts als eine Abstraktion, ein Allgemeinbegriff, der ein gemeinsames Merkrnal aller Werte des Lebens bezeichnet, nicht aber die konkreten Fälle dieser Werte selbst zum Ausdruck bringen soll.

Der Begriff der Lust drückt daher gar nichts Wirkliches aus." (S. 86):

„Auf der durch theoretische Verirrungen verödeten und

verwüsteten Auffassung des Lebens, nicht auf einer unbefangenen Beobachtung und Würdigung der faktisch sich darbietenden Lebens­

erscheinungen erhebt sich der Versuch der empirischen Begründung des Pessimismus." Es ist doch sehr merkwürdig, daß Hartmann, der sonst mit unermüdlichem Eifer und großartigem Scharfsinn alle Gründe zu Gunsten des Pessimisnms zu entdecken weiß, das größte Uebel der Welt, die Qual des bösen Gewissens nicht kennt und Selbst­

verdammnis kaum einmal anführt, und wo er darauf zu reden

kommt, dergleichen als überflüssig, unnütz und sittlich bedeutungslos Der Dieb bleibt nach ihm Dieb, auch nach Rückerstattung des Gestohlenen. So weiß der Pessimist von Uebel und Leid verwirft.

allenthalben: das allerschlimmste in seinem Herzen kennt er nicht. Mit dem Gewissen fehlt ihm die Grundlage aller Sittlichkeit. Ist

es aber eine allgenreine Erfahrung, daß Vernurrft und Gewissen, die wohl in allen Menschen der Anlage nach vorhanden sind, bei

den rvenigstens den Mittelprmkt der Lebensarrffassung bilden, viel­

mehr das Hauptinteresse sich bei der Mehrzahl um die Mittel und Zurüstuirgen zum täglicherr Leben und die kleinlicher: Unterhaltungen

dreht, rvelche die freien Zwischenräume zwischerr Sorgen und Mühen ausfüllen; rrinimt marr hinzu, daß Hartrnanns triviale Allffaffung des gemeinen Lebens sich mit der Alltagsweisheit nahe berührt, daß es in der großen Welt ebenso zrrgehen müsse wie in

der

kleinen Welt des eigenen Lebens,

nämlich daß alles sich

unr das liebe Ich drehe: so ist es wohl begreiflich, wie der Pessinrismus mit seiner Predigt von der Nichtigkeit jeder auf

religiösen und sittlicheir Voraussetzungen beruhenden Lebensauf­ fassung irr der großen Menge eine so schnelle Verbreit:,ng gefunden

hat, nicht überraschender als die Aufnahme des Materialismus und Darwinismus. Dennoch ist es erforderlich, noch einen Blick auf den eigent­ lichen philosophischen Pessimismus jit werfen. Zwar war schon unter dem Namen des populären Pessimismus vielfach Gelegenheit, auf die Ausführungen der Philosophen Schopenhauer und Hart-

mann zurückzugreifen, und es zeigte sich, daß ihr Pessimismus, was die Höhe seiner Lebensauffassung betrifft, in nichts über die

Trivialitäten der Alltäglichkeit herauskommt.

Freilich hat der

populäre Pessimismus bei aller Oberflächlichkeit, die ihm mit dem

philosophischen gemeinsam ist, einen Vorzug, daß er im Leben

steht und alles Leid und Elend derart ans Licht zieht, daß es einem das Herz rühren könnte.

Das philosophische System des

Pessimismus ist andersartig: es ist rein verstandesmäßig überlegt,

sitzt auf erhabenem Thron und urteilt nun in einsamer Höhe über das Lebe»» und die Menschen.

Wir hören hier die mit großem

Pathos 'vorgetragene Lehre, für die eine Begründung versucht wird, daß der Pessimismus Grundlage der Sittlichkeit und Religion sei und die Zukunft habe. Diese Behauptungen niuten uns nach den obigen Erörterungen fremd an. Aber sie werden uns ver­

ständlich, wenn wir auf einen Unterschied in Hartmanns Lehre Acht geben, den er selber nicht oder doch nicht mit der nötigen Deut­ lichkeit und Schärfe macht: er wirft nämlich zweierlei Pessimismus,

den empirischen und den metaphysischen, durcheinander. Hartmann

(Gesch. d. Pess. S. 86) führt aus: „Ein wohlfeiler Entrüstungs­ pessimismus macht die Menschen bloß unzufrieden mit den bestehen­

den Zuständen und gewöhnt sie an die Verurteilung alles That­ sächlichen bloß wegen seiner Inkongruenz mit abstrakten, schablonen­

haften und dazu praktisch wertlosen Idealen. Der philosophische Pessimismus erblickt die Dinge sub specie aeternitatis und weiß

sich durch seine erhabene Trauer über das allgemeine Schicksalslos

des Lebendigen unendlich hoch hinaus gerückt über alle Klage um das Einzelne und über alle Härte, Bitterkeit und Ungerechtigkeit

in der Beurteilung des Einzelnen." — Von dem empirischen Pessimismus war bisher die Rede: daß er eine Sittlichkeit nicht zuläßt, bedarf keiner Worte. Der metaphysische Pessimismus hin­ gegen kennt ein Absolutes und ist daher im stände, eine Sittenlehre

III

5

66 üufzubauen.



Wenn es auch zu weit führen würde, Hartmanns

Metaphysik und seine darauf gegründete Ethik einer Untersuchung zu unterziehen, so fordern doch ihre ganze Art und ihre Resultate

unsere Beachtung heraus, weil sie sich in bewußte Feindschaft gegen das Christentum setzen. Nur wer die Zweideutigkeit des Wortes

„Pessimismus" ins Auge faßt,

wird Stellen wie jene verstehen

(Hartmann, Gesch. u. Begr. d. »Pess. IX):

„Die immer wieder­

kehrende Unterstellung, daß der Pessimismus nur das Erzeugnis

des subjektiven Mißmutes und der persönlichen Uebellaunigkcit, aber nicht das Resultat einer objektiven Auffassung und Beurteilung des Lebens sei, nuiß vor der anerkannten Nüchternheit und Ob­

jektivität des Kantschen Denkens verstummen.

Die Anklage, daß

der Pessimismus die Grundlage der Sittlichkeit und Religion untergrabe, und die Behauptung, daß ein religiös-ethischer Idealis­ mus den empirischen Pessimismus nicht nur vollkommen überwinde,

sondern in sein Gegenteil verkehre, muß mindestens stark erschüttert werden durch die Thatsache, daß Kant durch seinen Pessimismus nicht gehindert worden ist, der große Reformator der Moral zu

werden."

So geht der philosophische Pessimismus von gewissen

metaphysischen Voraussetzungen an die Betrachtung des Alls und behauptet eine vollkommene Kenntnis des gesamten Weltprozesses zu besitzen: doch hat er zuvor die Jenseitigkeit geleugnet und im

Diesseits nur das Uebel zu sehen, das Gute außer Acht zu lassen

sich vorgenommen. So urteilt denn der Prophet des Pessimismus, daß die Er­ lösungslehre der Mittelpunkt christlicher Theologie sei, und stellt dagegen seine Erlösungslehre als die Vollendung der christlichen

auf.

Mit dem Christentum gehe es überhaupt zu Ende.

Am

schlechtesten kommt der liberale Protestantismus weg, während Hartmann den: spekulativen, der noch an einer gewissen Halbheit

leide, freundlich zuwinkt: ihm gehöre einmal die Zukunft

(Hart­

mann, Krisis des Christentums, S. VII. IX. XI. 1—68.). Es muß jeder sein eigener Erlöser sein, das ist die Parole. Gottes Schöpfung wird damit abgethan, daß ein allmächtiges, allwissendes

und allweises Wesen, welches Leiden und Qualen der Geschöpfe vorausgesehen unb diese dennoch geschaffen hätte, ein Unding, ja eine Verletzung unseres sittlichen Bewußtseins sei (Hartmann, Phil.

67 d. Und. II, 781, 866.). Gottes Weltregierung ist gerichtet: denn

(Hartmann, Gesch. d. Pess., S. 132.) „übersieht man die ganze Summe des Leides, wie sie dem normal veranlagten Menschen

selbst unter relativ günstigen Umständen beschieden ist, so kann man sich des Gefühls nicht erwehren, daß dieselbe entschieden zu groß ist für den Zweck sittlicher Entwickelung. Daß ein bedeutend geringeres Durchschnittsmaß für diesen Zweck nicht nur ebensoviel, sondern mehr leisten würde, weil dann der lähmende Einfluß des

Leides mehr zurückträte" (S. 133.), „Da der Pessimismus lehrt,

daß das Leiden als eine notwendige Konsequenz sich aus den materiellen und psychischen Elementen des Weltprozesses ohnehin

ergiebt und die Vorsehung diese Konsequenz bloß noch obendrein teleologisch verwertet, so darf es nicht Wunder nehmen, wenn das Maß oder die Verteilung des Leides, die beide durch die Natur­ notwendigkeit bestimmt sind, über das teleologisch Erforderliche hinausgehen." — Damit ist die Erlösung durch Jesum Christum,

seine Gnade, der Glaube an ihn gefallen: dazu fehlen ja auch alle Voraussetzungen auf Seiten des Menschen, der kein Gewissen hat,

unmittelbaren religiösen Erfahrungen werden auf Täuschung zurückgeführt. Hartmann sagt (Krisis S. 111): keine Reue

kennt.

Alle

„alle Behauptungen einer unmittelbaren religiösen Erfahrung von göttlichen Gemütseigenschaften beruhen ebenso wie die angebliche

unmittelbare Erfahrung der Persönlichkeit Gottes auf unvermerkter

Verwechslung von Erfahrung und willkürlicher Schlußfolgerung. Nicht die Erfahrungen des religiösen Lebens sind zu bestreiten,

ja in der Regel nicht einmal die formale Richtigkeit der aus ihnen gezogenen Schlüsse, sondern mit die inhaltliche Nichtigkeit der vorstellungsmäßigen Voraussetzungen, welche als vermeintlich fest­ stehende, in Wahrheit irrtümliche und nur propädeutisch berechtigte Praemissen unvermerkt ins Schlußverfahren mit eingetreten sind." — Auf die Erlösung des Absoluten kommt's an: die ganze Hart-

mannsche Sittenlehre und Religion „hängt an deni dünnen Faden

des mythologischen Gedankens der Erlösung des Absoluten von einem qualvollen Zustand leerer Unersättlichkeit" (Sommer).

Zur

Herbeiführung der Erlösung des Absoluten nmß zuerst der einzelne

Mensch „erlöst" werden, d. h. das Uebel des Daseins los werden. Die Falschmünzerei, die hier mit deni Wort „erlösen"

5*

getrieben

-

68

wird, ist bei Hartmann sehr beliebt.

Seine ganze Sittenlehre und

Religionslehre entnimmt ihre Ausdrücke der christlichen Theologie.

Er spricht von Gott, Vorsehung, Gottmenschheit, Kindschaft Gottes, göttlicher

Gnade, Gnadenwahl, Heiligung, und denkt nicht im

entferntesten an das, was darunter die Schrift und die Lehre der Kirche begreift. Endlich muß neben dem metaphysischen und ethischen Beweis für die Wahrheit des Pessimismus im Gegensatz

zum Christentum auch wieder die Empirie herhalten (Hartmann, Geschichte S. 75): „da der Pessimismus uns beweisen kann, daß aus verschiedenen Gründen das Uebergewicht der Unlust im Lauf der bisherigen Lebensdauer der Menschheit immer größer geworden

ist und auch im Lauf ihrer ferneren Lebensdauer immer größer werden wird, so besitzt er hieran ein Beweismittel für seine all­ gemeine Wahrheit. Selbst wenn der Pessimismus für den heutigen Zustand der Welt noch keine Wahrheit wäre, so würde er es in

immer wachsendem Maße für die zukünftige Weltlage werden." So erbringt der wissenschaftliche Pessimismus den Beweis, daß er die Wahrheit ist und die Zukunft hat, und die christliche Kirche

nur von ihm abgelöst wird. Ist also der Pessimismus eine christentumsfeindliche Macht und hat in unserer Zeit eine besondere Bedeutung erlangt: so hat der christliche Glaube entschieden gegen ihn Front zu machen, diesen Feind zu erkennen, aufzusuchen und zu bekämpfen.

Soll aber der

Kampf nicht erfolglos sein, so ist erforderlich einmal eine klare

Erkenntnis von dem Wesen des Pessimismus und zweitens die rechte Rüstung zum Streit, wie der große Apostel Eph. 6, 10—17. beschreibt. Die Wurzel des Pessimismus ist die Glaubenslosigkeit, die den Boden unter den Füßen verloren hat; der Pessimismus

ist innerlich unwahr und durchaus unnatürlich für Herz und

Gemüt, für Gewissen und Vernunft und für das Leben, seine Frucht ist lauter Unseligkeit.

Diese Erkenntnis erweckt in uns

Mitleid und Erbarmen mit den unglückseligen Pessimisten, daß wir den Kampf int Sinn und Geist des Herrn führen, der ge­ sprochen: mich jammert des Volks. Und wenn tm§ ein Herz in

der Brust schlägt, so werden wir die Oede und Leere schmerzlich empfinden, welche in den Seelen, die Gott und den Glauben verloren haben, eingetreten ist.

Es liegt eine gewisse Wahrheit

69 in dem Urteil Hartmanns (Zur Geschichte S. 31), daß die Kirche ihrer Bestimmung, durch Pflege der Religion die Sittlichkeit zu fördern, bis dahin wenig gerecht geworden sei: denn der zu der fraglichen

Zeit herrschende oberflächlich optimistische Rationalisnms dachte von

den» Uebel der Sünde sehr gering, that wenig zu ihrer Bekämpfung »lnd bahnte so der reagierenden Macht des Pessimismus in unserem

Jahrhundert die Wege.

Heute gilt dies Urteil nicht mehr:

von allen Seiten wird in der Kirche Uebel und Sünde »lnd kein Heilmittel unversucht gelassen.

denn

bekämpft

Das rechte Mitleid und

Erbarmen mit den atmen Seelen, das allein Mut und Ausda»rer verleiht, bewahrt auch in der Schwere des Kampfes am besten vor

dem zu bekämpfenden Pessimisrnus. Es verhütet mürrisches Wesen, Verdrießlichkeit, Hoffnungslosigkeit.

Es berechtigt auch dazu, der»

Pessimismus beim rechten Namen zu nennen, ihn als Materialis­ mus» als eine nroderne Welt- oder Selbstvergötterung zu bezeichnen,

die u»»ausbleiblich ist, wo der lebendige Gott abgesetzt ward. Statt Welt-

und

Selbstvergötterllng

müßte

es

in des

Pessimisrnus

eigenster Sprache Welt- oder Selbstoerte»lfelung (sit venia verbo!)

heißen, da ja das Wesen der Welt in Uebel, Leid und Schmerz

bestehen soll.

Die Erkenntnis der materialistischen Weltverteufelung

des Pessimismus gibt den Ernst der Wahrheit, der den Feind nicht schont.

Diese Erkenntnis und Rüstung bildet den leitenden Gesichts­

punkt zur Bekämpfung des Pessimismus.

Es ist wohlgethan, sich

in erster Linie mit dem Pessimisten nicht auf Einzelbelrachtungen

einzulassen. Durch Disputatione^ wird hier nichts ausgerichtet; weder dem wissenschaftlich gebildeten Pessimisten darf man zunächst auf seine Philosophie noch dem Laien in seine vereinzelte Betrachtungs-

weise des

Lebens folgen.

Vielmehr bleibt es dabei, daß

das

Ganze der heiligen Schrift eine Rüstkammer zur Bestreitung des Pessimisrnus ist.

Freude und Glück.

Schor» der Name Evangelium allein tönt von

Es wird darauf ankommen, aus der Schrift

die wirksamster» Waffen herauszusuchen und sie mit besondere»»» Fleiß anzuwenden.

Die Bekämpfung des Pessimismus

muß in

erster ßiitie die Erneuerung des inwendigen Menschen als Ziel ins Auge fassen.

Lautet daher der Grundton der

pessimistischen Klage: die

Welt ist ein Jammerthal» der Mensch das unglückseligste Geschöpf,

70 so kann das Christentum zunächst nicht anders als das bestätigen. Auch das kleinste Unlustgefühl hält

der Pessimismus für einen

Mangel, und er hat Recht daran, insofern nicht weniger die unbe­

deutendste Verlegenheit unseres Lebens als das größte Unglück von desselben ewigen Gottes Stimme gemeint ward, da er sprach,

daß der Acker verflucht sei unt des Menschen willen; insofern der

Heiland

in

seinen

habt ihr Angst.

Abschiedsworten

verkündete:

in der Welt

Den hiermit zusammenstimmenden pessimistischen

Klagen lasse man also ihre Berechtigung und suche sie auf den wahren Grund zurückzuführen, indem man etwa zeigt: durch deine Klage beweist du, daß du das Leid der Erde los sein möchtest,

daß du ein gewisses Etwas suchst, magst du es Glück oder Freude oder Gut oder sonstwie nennen.

Dieses

Etwas

hast

du aber

bisher in dir nicht gefunden, der Versuch, durch eigene Kraft, durch

eigene

Arbeit zur

hat sich dir als

Glückseligkeit zu gelangen,

Der Grund kann nur in dir selbst liegen.

aussichtslos erwiesen.

Vom Leid dieser Erde schreite also fort zur Erkenntnis deines unvermögenden Willens, vom Uebel außer dir zum Bösen in dir.

Je nach der Individualität führe man den Pessimisten auf dem einen oder anderen Wege zur Einsicht in sein sündhaftes Leben,

in die sündhaften Gedanken seines eigenen Herzens, sei es, daß man ihn zur Selbstprüfung auffordert oder ihm in der Auffindung seiner

Sünde behilflich

ist.

Die geheimsten

Triebfedern seiner

Worte und Handlungen werden ihn: aufgedeckt bis auf die geheime Freude,

welche

er an dem Schaden oder Unglück selbst seiner

Liebsten habe. — Hier kann es sich noch nicht um eine gründliche

Sündenerkenntnis im Licht der Versöhnung handeln, sondern es

genügt, wenn der Pessimist merkt: hier oder da ist zwischen dem Bösen in mir unt) dem Leid anßer sammenhang.

mir

ein offenkundiger Zu-

Armut, Krankheit, Elend, Verlust, Leid jedweder

Art ist der Sünde Sold.

„Nun muß mir erst recht bange werden,

nun muß ich erst recht verzweifeln, nun muß ich erst recht unzu­ frieden und verzagt sein," so mag er sagen, bis er $um Ziele kommt:

„Ich weiß, nichts Gutes"

daß in

mir, das ist in

(Röm. 7, 18.).

meinem

Fleisch,

wohnet

Aber diese Unzufriedenheit und

Verzweiflung ist eine heilsame, weil sie nicht mehr nach außen, sondern nach innen gerichtet ist.

71 Und weiter: Durch 'all dein Klagen geht, bewußt oder unbe­

Insgeheim suchst auch du ein Ideal, wenn du's gleich in Abrede stellst. Indem du durch deine Klagen die wußt, ein Sehnen.

schlechte Welt als eine der Idee widersprechende verwirfst, bekennst du damit deine Sehnsucht nach einer besseren. Und so ist es eine

innere Unwahrheit, wenn du theoretisch das Nichts als letztes Ziel des Daseins faßt. Woher sollte denn ßitft und Liebe zum Leben, dessen

Elend

und Leid

du

laut

kommen,

verkündigst,

wenn

es nicht ein Etwas gäbe, das dieses Leben lebenswert macht?

Warum

dein

verlangen

gefühl

und

deine

damit

ist?

So

Herzens

Selbstbewußtseül

Selbstsucht

suche

inan

Anerkennung,

im

und

dein

wenn

Pessimisten

des

Selbst­

nichts

es

innersten

Stimme zu erregen, welche unter allen Klagen über

lauter Jammer und Leid Zeugnis dafür ablegt, daß es einen Gott geben inüsse, der das Beste der Menschen sucht.

Und

dafür sei der Pessimist selber in seiner Verzweiflung ein Beweis: daß du verzweifeln kannst, ist der Vorzug des Menschen vor dem

Tiere, dainit bekundest du dein Sehnen und Suchen nach den»

Höchsten.

Wenn du dies Sehnen nicht empfindest oder unterdrückst,

so ist dein Hochmut schuld, welcher sich mm einmal in der Rolle

des Leidenden gefällt.

Du verschmähst also mit Bewußtsein Trost

und Hilfe. Statt dessen solltest du sagen: Meine Seele dürstet nach Gott, nach dein lebendigen Gott (Ps. 42, 3.). Endlich aber: Dein Sehnen nach den» Höchsten ist begleitet von Furcht und Schrecken. Hast du dich darauf geprüft, daß

in deinen» innerster» Herzen eine richtende, mahnende und warnende Stimme kund wird, die dir alles Böse in dir und manches Böse außer dir, dessen du dich teilhaftig gemacht, zurechnet und dich

verantwortlich «»acht und dir Strafe androht? Hast bi» nicht schon

ost dieses den» Gewissen gewaltsam zum Schweigen gebracht? Ruft beim nicht das Gefühl für Recht und Unrecht auch in dir »vie

selbst in den» versunkensten Lasterknecht Empörung über das Unrecht hervor, das bi» von anderen erleidest oder z»» erd»»lden meinst?

Warum willst du dies Gefühl des Sollens und Anderswollens, statt bloß auf die anderen, nicht auch auf dich beziehen?

Es gilt

a»»ch von dir, »vas der Apostel von de»» Heiden sagt: beim so die Heiden u. s. w. (Röm. 2, 14, 15.).

72 So ist erst recht die Krankheit

des Pessimismus erregt

worden, nun darf die heilsame Arzenei gebracht werden: Es gibt

für die Unseligkeit ein Heil, für das Sehnen ein Hoffen, für das

Gewissen einen Rächer und Tröster, alles im Christentum. Für die Unseligkeit ein Heil. Allerdings, es kann nicht

anders sein, als daß außerhalb des Christentums Unglück und Verzweiflung tm Menschen und in der Welt die Herrschaft führen. Wir stehen alle so: da wir in einer Welt leben, die im Argen

liegt, so meinen wir, die menschliche Natur und die Welt mit Kampf, Leiden und Tod sei immer so gewesen und werde immer so bleiben, Leiden und Schmerzen, Sünde und Tod seien unaus­ bleiblich. Und so machen wir un§ selber äußerlich und innerlich

Aber es gibt ein Heil, eine Freude, eine Seligkeit, die jedermann zu teil werden soll: Siehe, noch unseliger als wir es schon sind.

ich verkündige euch große Freude, denn euch ist heute der Heiland geboren (Luk. 2, 10. 11.).

Gerade die Leid und Jammer sehen»

die Unglücklichen soll schauen das Heil Gottes. Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist (Ps. 51, 19.). Selig sind die

da Leid tragen, denn sic sollen getröstet werden (Matth. 5, 4.).

Unser Gott ist Heiland, die frohe Botschaft kündet das Heil. Alles was außerhalb liegt,

macht Not itiib Schmerz.

vom Pessimisten zugestanden,

daß, wenn

Das wird ja

die Menschheit alles

erreicht, was sie an Kultur auf Erden erreichen kann, sie nur eine

jämmerliche Armseligkeit schaut unb innerlich leer und unbefriedigt

Und er hat Recht: die Folge des Abfalls vom Christen-

bleibt.

htnt ist überall innerliche Auslösung und äußere Zerrüttung. Wenn Lena:: klagt:

Lieblos und ohne Gott, der Weg ist schaurig, Der Zugwind in den Gassen kalt. Und du? Die ganze Welt ist zum Verzweifeln traurig,

die heilige Schrift hat die Erklärung: die Gottlosen haben nicht Frieden

(Jes. 57, 21.).

Für das Sehnen

eine Hoffnrmg.

wohnt die Sehnsucht und gerade Christentum.

In der Verzweiflung

die Verzweifelten sucht das

Hier werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen, ich

will erquicken (Matth. 11, 28. 29.). Die innerste Wahrheit der aus dem Unglück rlnd Leid sich fortsehnenden Seele ist das Angst-

73

geschrei nach dem

doch eine anima

sie

Ist

Gott.

lebendigen

naturaliter Christiana.

Die' Hoffnungslosigkeit des Pessimismus

ist durch sich selbst gerichtet.

Der Christenglaube

aber gebiert

wieder 311 einer lebendigen Hoffnung (1. Petri 1, 3.), welche alles

Leid verklärt und in den Dienst der Freude, der Seligkeit stellt. Christus ist unser Friede (Eph. 2, 14.), durch ihn ist Friede auf

Erden

(Luk. 2, 14.).

Und

erinnert

für

an

das

den

Gewissen

lebendigen

und Tröster.

Rächer

einen

der

Gott,

Es

sein nicht spotten läßt

(Gal. 6, 7.), der richtet durch des Gewissens Qual, und kein

Mensch kann sie um keinen Preis von dem Geplagten wegnehmen. Sie gewaltsam betäuben

oder gar abschütteln ist möglich, aber

eine innere Stimme gebietet leise,

doch deutlich

und bestimmt

genug ein Halt, und Leid und Schmerz ist um so größer, je mehr

das Gewissen zum Schweigen gezwungen wird. ist ein eifriger Gott (2. Mose

Ja, der

Herr

5.), ein verzehrendes Feuer

20,

(Hebr. 12, 29.), itttb schrecklich ist es in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen (Hebr. 10, 31.).

Darum fürchtet euch vor dem,

der Leib und Seele verderben kann in die Hölle (Matth. 10, 28.).

Aber wessen Gewissen erwacht und zur Erkenntnis seiner wohl­ verdienten Strafen gelangt ist,

für

den

ist derselbe Gott ein

Tröster, gnädig uitb barmherzig, geduldig und von großer Güte, der in Christo Jesu Vergebung denen zusagt, welche unglücklich, aber voll heißen Sehnens

und

in heiliger

Throne nahen (Hebr. 10, 19—22.).

Furcht sich seinem

„Kommet her zu mir alle,

die ihr mühselig und beladen seid" (Matth. 11, 28.).

„Wer aus

der Wahrheit ist, der höret meine Stimme" (Joh. 18, 37.). Denen, die in den Schrecken ihres Gewissens also gesinnet sind,

gilt es:

„Sei getrost, deine Sünden sind dir vergeben!"

Also: die Unseligkeit, das Sehnen und die Schrecken des

Gewissens weisen hin auf den hohen Adel, den unendlichen Wert jeder Menschenseele, auch deiner Seele.

Du wirfst dich weg, indem

du allenthalben Leid und Klage siehst, du erniedrigst dich selbst, stellst dich den Tieren gleich.

christliche Demut.

Das ist etwas ganz anderes als die

Der Pessimismus demütigt den Menschen so

sehr, daß er sich nicht mehr erheben kann. aber

macht erst das

Bewußtsein des

Wahrhaft demütig

hohen Adels der

Seele

74

(vergl. Ps. 8.).

Gott will den Menschen erhöhen, ihn aus seiner

Selbstverachtung und Weltverachtung, aus seinem Weltgennß zu seiner höchsten Bestimmung, selig in Gott zu sein, einporziehen; ist doch der Mensch göttlichen Geschlechts (Apostg. 17, 28.). Dein

Unglück besteht nicht darin, daß du Jammer und Leid von äußereil Feinden erfährst, sondern daß tut selbst dein eigener und zivar dein größter Feind bist. Weil tm einmal bei innerer Pein, beim Gefühl deiner Unseligkeit dir doch sehr edel vorkommen willst uitd

danit iit diesem falschen Adelsbegriff die einzig mögliche Retttmg und Hilfe verschmähst; weil du dich meist von sinnlichen Leiden-

schafteir lind von augenblicklichen Trieben beherrschen lässest, weil du schließlich mir dem Ich dienst und ztvar dein schlechten, niedrigen

Ich, darutn erkennst du nicht das Höchste, Gottes heiligen Willen und dein besseres, göttliches Ich (Joh. 7, 17.).

Bei aller Eitelkeit

und Einbildung hast du doch nur eine sehr geringe Meinung von

dir selbst.

Deinen Leib versorgst tm wohl und deine Seele auch,

soweit sie voir den Dingen dieser Welt lebt, aber ihre göttliche Bestimnlung mißachtest du.

Geht dir das Geringste verloren, so

wirst du darauf aufmerksam, aber der Verlust deiner unsterblichen Seele verläuft so still, als ob sie ein Nichts sei. Aber von dir gilt auch, daß Gott dich zu seinem Bilde geschaffen hat (1 Mos. 1,27.),

ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig (3 Mos. 19,2.), was hülfe

es dein Menschen, so er die ganze Welt gewönne unt> nähme doch Schaden an seiner Seele (Matth. 16, 26.)? Daher ist Verachtung der anderen Menschen, die auch unsterbliche Seelen sind, und Mißtrauen gegen sie nttr insofern berechtigt, als sie alle unter

dem Gesetz der allgemeinen Sündhaftigkeit stehen. Aber dem, was in jedem Menschen aus Gott ist, bcm Ebenbilde Gottes mußt du Vertrauen entgegenbringen.

Allein im Licht des Evangeliums

wirst du die Tugenden erkennen, die mehr als glänzende Laster sind, weil sie, von Gott gegeben und von seinem heiligen Geist alles

Thlln des Christen regiert wird.

Der Zuruf des Apostels richtet

sich auch an dich: Liebe Brüder, was wahrhaftig ist, was ehrbar, ivas gerecht, was kettsch, was lieblich, was wohllautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, dem denket nach (Phil. 4, 8.).

Licht des Evangelitims fällt ein großer Teil deütes Leides hin. Bisher hast du es gemacht wie Tausende, die sich Im

75 selber Ketten schmieden, welche sie nachher vergebens abzuschütteln

suchen. Wie gesagt, will auch im Pessimismus der durchaus realistische, naturalistische, materialistische Zug unserer Zeit bekämpft sein. Es

ist das Charakteristische unseres Jahrhunderts, daß es darin nicht nur wie allezeit viele giebt, die überhaupt nicht hinausdenken über das, was für das tägliche Leben von Belang ist; sondern die Fort­ schritte des Wissens im Einzelnen, besonders auf dem Gebiet der Naturwissenschaften und Geschichtswissenschaft, die Verbesserung

aller Lebenseinrichtungen durch Wissenschaft und Technik und die sozialistische Steigerung der Lebensbedürfnisse haben einen solchen Verlauf genommen, daß man über allen peripherischen Einzel­

gebieten das Zentrum des Leben vernachlässigt, nämlich die unsterb­ liche Seele: ihre Angst- und Hilferufe werden gewaltsam unter­ drückt. Daher wird in unserer raschlebenden, rastlosen und zerstreuten Zeit auf Sammlung der Seele, auf Andacht, auf Ruhe in der

Einsamkeit zu dringen sein, indem man auf Jesus hinweist, der,

selbst allein, öfter auf den Berg ging zu beten; auf Paulus» der zweimal von dem Herrn aus seinem vielversprechenden Arbeitsfeld gerufen wurde, um sich in der Einsamkeit zu rüsten; auf Luther,

der in der unfreiwilligen Verbannung auf der Wartburg innerlich

geläutert und zum weiterenKampf geschicktgemacht wurde. Der Segen stiller Stunden muß in unserer Zeit den Seelen besonders wichtig gemacht werden. Wem die Welt und alle Menschen verleidet sind, daß

er mit niemand mehr Umgang haben möchte: vor dem

Herrn im stillen Kämmerlein mag wohl noch Lebensfreude in ihm aufflackern. Kurz: da die mannigfache Ueberkultur der Gegenwart für Herz und Gemüt eine jämmerliche Armseligkeit zeitigt, so kann die daraus entspringende Verzagtheit und Verzweiflung nur durch

die ausdrückliche Betonung des ewigen göttlichen Wertes und der hohen Bestimmung unserer Seele gehoben werden. Nichts anderes als dies Bewußtsein wird auch der Ehe und dem Gemeinschaftsleben

und den

sozialpolitischen

Stempel des Friedens und der Freude aufdrücken.

Verhältnissen

den

Ins ewige gött­

liche Recht unsterblicher Seelen eingesetzt, werden Mann und Weib

ihr Zusammenleben in Liebe und Treue als eine Quelle steten Glückes, als Schutzwehr gegen mancherlei Angriffe erfahren. Der

76 süße Klang des Vater- und Mutternamens und die hohe Eltern­ pflicht wird sie Wonne und Seligkeit empfinden lassen und auch

die Erziehung als ein ernstes, göttliches Werk ihnen ans Herz legen. Auch das Gemeinschaftsleben kann aus seiner viel beklagten Verödung und Unwahrheit zurecht gebracht werden, die sozialen

Verhältnisse können aus ihren Verirrungen herausgcleitet werden,

wenn der Kampf gegen die Sünde des Hochmuts itttb der Unzu­

friedenheit mit ganzem Ernst geführt wird. Hier liegt der Grund für die vorhandenen Mißstände viel mehr als in den thatsächlichen Verhältnissen. Keine Gesellschaft, kein Volk ist zu Grunde gegangen, welches im Christentum die starken Wurzeln seiner Kraft gehabt.

In der Ehe, im Gemeinschaftsleben, in den sozialen Verhältnissen, im Staat werden die pessimistischen Klagen in dem Maße verstummen, als die einzelnen Menschen auf dein Grunde des aller­

heiligsten Glaubens stehen, zu einander Vertrauen haben und als Kinder desselben himmlischen Vaters, als Glieder an demselben Haupt Jesus Christus, als Brüder unter einander wandeln. Das sind

die

Grundgedanken,

die zur Bekäinpfung des

modernen Pessimismus geltend zu inachen sind, sofern es sich um die Erneuerung des inwendigen Menschen handelt.

Persönlich,

gegen das einzelne Herz und in das einzelne Herz hinein — das

ist die Hauptsache — muß der Kampf geführt werden. Alle anderen

Moinente sind nur sekundär und können erst dann fruchtbar werden, wenn die zuerst erwähnten ihre Schuldigkeit gethan haben. Erst wer fühlt, daß seiner Unseligkeit ein Heil geboten werden nmß, versteht auch, daß dies nur von einem überweltlichen, lebendigen,

allmächtigen Gott geschehen kann, der alle Dinge geschaffen hat

und noch erhält und die Welt lenkt und regiert. Wer sich sehnt nach einer Hoffnung, ist empfänglich für die Gnade und Barm­ herzigkeit, die ihres eigenen Sohnes nicht hat verschonet, und erkennt

in Jesu Christo den Heiland der Welt.

Und wer in seinem Ge­

wissen bekümmert war und durch die Tröstungen von oben ergötzt wurde, der beugt sich vor dem Heiligen, der da richtet ohne An­ sehen der Person, und preist den heiligen Geist der Kindschaft, der uns lehrt rufen: Abba, lieber Vater. Eine solche in ihrein Innersten

angefaßte Seele nimmt das Geheimnis an, daß Gott, der Schöpfer der Welt, das Böse und das Uebel nicht gewollt, aber nach der



77



freien Wahl des Menschen zugelassen habe und es nun in seinem weisheitsvollen Plan der Weltregierung verwende.

Alles

ein Geringes gegenüber der

Doch ist dies

seligen Erfahrung,

daß in

Jesu Christo die Erlösung geschehen und dem eigenen Herzen Er»

barmung widerfahren ist. Gott ist Liebe, und sein Segen unendlich

größer als sein Fluch (2 Mose 20, 5. 6.).

Seine Barmherzigkeit

ist ohne Ende, und es reuet ihn bald der Strafe (Jona 2,13.). Was also der Pessimismus vom Uebel in der Welt sagt, ist ganz ver­

kehrt, wenn's auf den Inbegriff alles Geschaffenen bezogen wird. Vielmehr hat es seine Gültigkeit zunächst und vor allem für die

Menschheit nach dem Sündenfall, und auf die Natur, insofern sie unter den Folgen des in der Geisterwelt geschehenen Falls mit­

leidet.

Aber die Welt ist nicht das Reich der Sünde und des

Bösen, sondern ein Doppelwesen, weder gut noch böse, eine Trägerin unversöhnlicher Gegensätze und daher zum Untergang bestimmt. Wiewohl sie das Gute nicht enthält und nicht erlangen kann, daher als solche voll Unfriedens und voll Unseligkeit ist, so birgt sie doch wirkliche Güter, die ihren Wert in sich haben und mir dem höchsten

Gut sich unterordnen.

Im Lichte dieses Glaubens an den lebendigen, allweisen, allgütigen Gott, der die Haare auf unserem Haupte gezählet und

nicht will, daß eins von den Kleinen verloren gehe; im Lichte des Glaubens an den Lebensfürsten und Friedefürsten Jesus Christus, unsern Heiland, schwinden nun freilich Leid und Schmerz nicht,

aber sie gewinnen eine Bedeutung für der eigenen Seele Heil und für das Heil der Welt.

Und dann ist das Leben auf dieser Erde

nicht mehr wertlos, sondern ein Gut von unermeßlich hoher Be­ deutung, nämlich im Glauben geführt, ein Angeld auf die ewige Seligkeit.

Freilich ist die Welt ein Jammerthal, aber nicht von Ewig­

keit her und nicht in Ewigkeit, sondern weil sie verflucht ist um der Sünde willen, die aber einen Anfang gehabt hat und ein Ende

finden wird.

Freilich ist der Mensch ein unglückseliges Geschöpf,

aber nicht so erschaffen, und er soll es nicht bleiben, sondern durch die Sünde ist Leid und Schmerz, Uebel und Tod in die Welt

gekommen (Röm. 5, 12.). Aber die Gnade Gottes macht ein Ende und schafft einen neuen Himmel unb eine neue Erde, in welcher

78 Gerechtigkeit wohnt (2 Petr. 3, 13.). Doch wer in Sünden gelebt,

wird nicht ungestraft bleiben. Im Gericht werden alle empfangen, nachdem sie gehandelt haben bei Leibes Leben, es sei gut oder böse

(2 Kor. 6, 10.).

.Das ist ein Trost für die Rechtschaffenen, die

unaufhörlich leiden, und eine Warnung an die Uebelthäter, die nur herrlich und in Freuden leben, die Lösung des so häufigen Wider­ spruchs zwischen Sittlichkeit und Glückseligkeit.

steht, freut sich allezeit der ewigen Herrlichkeit.

Wer im Glauben

Dort wird nicht

mehr sein Leid noch Geschrei noch Schmerzen, und Gott wird ab­ wischen alle Thränen von den Augen (Off. 21, 4.). In der Ewigkeit ist alles aufgehoben, was der Pessimist in dieser Welt beklagens­

wert findet.

Das ängstliche Harren der Kreatur wartet auf die

Offenbarung der Kinder Gottes, und auch die Kreatur wird frei

werden von dem Dienst des vergänglichen Wesens (Röm. 8,19—21.). Der

Mensch

und

die Welt wird dort

in

dem Zustand der

Vollendung, vollkommener Seligkeit sein. Die Zweifel aber an der Unsterblichkeit der Seele und an dem ewigen Leben, die der Pessimist hegt, sind schon dadurch überwunden, daß er in seiner Unseligkeit ein Heil, in seinem Sehnen eine Hoffnung, durch sein

Gewissen einen Rächer und Tröster verlangt. Wenn es je einen Beweis für die Ewigkeit gegeben hat, so ist es der Pessimismus selbst, der hier Zeugnis ablegen nmß. Er hat ja recht darin: das bloße sinnliche Dasein ist ein elendes Leben. Unser ganzer irdischer Zustand ist ein Unding, in dem nicht ein einziges Rätsel seine

vollkommene Lösung findet. Aber das Sehnen und Suchen der Seele nach einem ewig Bleibenden; die Unmöglichkeit, in gegen­ wärtigen irdischen Verhältnissen wahren Frieden zu finden; die

gewissen Verheißungen unseres Gottes und Heilandes; das Vorbild der Natur, in dem kein Stäubchen vernichtet wird, kein Wasser­

tropfen verloren geht, sondern alles bloß verwandelt wird: sollte nicht das alles darauf Hinweisen, wie die Seele des Menschen,

welche durch alle Wandlungen des Körpers und der Welt das Bewußtsein ihrer Identität behält, im Tode nimmer vernichtet werden kann? Doch nicht erst im Jenseits, nein, schon jetzt, in dieser Zeit, auf dieser Erde ist Seligkeit, vor allem, wo es am meisten not thut, im Herzen. Der moderne Pessimismus findet nicht so sehr, daß

79 unsere Zeit, objektiv betrachtet, schlechter geworden sei als frühere

Perioden.

Aber in der Sphäre des Bewußtseins liege die größte

Unseligkeit, in den sich steigernden Bedürfnissen, in der wachsenden Unzufriedenheit. Die Behauptung Hartmanns (zur Geschichte S. 18): Die Unerreichbarkeitpositiver Glückseligkeit im zeitlichen Leben

ist ein unumgängliches Postulat der praktischen Vernunft, oder modern ausgedrückt: der Pessintismus ist eine unerläßliche Vor­

aussetzung, welche das sittliche Bewußtsein als Vorbedingting seiner

Selbstbehauptung zu machen genötigt ist — wird der Christ rund­ weg in Abrede stellen: er ist schon selig, wenn auch um der Hoff­ nung willen. Er iveiß: ist Gott für mich, wer mag wider mich sein?

(Störn. 8, 31.)

Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach

Himmel und Erde (Ps. 73, 25.). Er singt: wenn ich Ihn nur habe,

weiß ich nichts vott Leide, fühle nichts als Andacht, Lieb und

Er hat die Gewißheit, daß des Herrn Sache den Sieg gewinnt und alles Uebel und alles Böse bestreitet und mehr und

Freude.

mehr überwindet.

Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt über­

wunden hat (1. Joh. 5, 4.). Wohl wächst auch das Böse, aber das kann den Christen nicht beirren. Hat doch der Heiland im

Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen gesagt: lasset beides mit einander wachsen bis zur Ernte. Also wie das Steich des Herrn

tvächst, so soll auch das Reich des Bösetr allerdings je länger, je mächtiger werden. Und alles Uebel ittib alles Leid in der Welt giebt dein Christen so wenig Grund zum Zweifel an der göttlichen Weltregierung, daß es vielntehr seinen Glauben stärkt. Denn daß

trotz aller Hentinnisse und Feindschaften der Sieg des Guten, das Reich des Herrn fortschreitet, wie es benn ant Tage ist, das läßt

ihin das Böse, wie sehr es sich auch mehrt, als ein Besiegbares erscheinett. Sofern also der Christ außer dem Leid und über dem Leid der Welt steht, kamt er selig fein; aber auch sofern er im Leide steht,

sofern er selbst getroffen ist. Und tticht nur subjektiven, nein, auch objektiven Charakter hat die Wandlung des Leides zum Besseren: unsere Zeit lehrt nicht nur das Uebel ertragen, sondern mich es vermindern.

Wie viele zerstörende Kräfte sind durch die Fortschritte von Wissen­ schaft und Technik verringert oder gehemmt worden, und wie viel

Folgen derselben sür bett Einzelnen aufgehoben, wie mancher physische Schmerz wird heutzutage dem Leidenden erspart.

Das

80



alles weiß die christliche Nächstenliebe zur Linderung des Erden­ leides auszubeuten.

Nämlich die vielfachen leiblichen und geistigen Freuden, die

Wohlthaten Gottes und seine Gnadenführungen den» Pessimisten vorhalten, ihm zeigen: es ist auch manches Gute, manches Glück,

manche Lust in der Welt und in deinem Leben zu finden, das

verschlägt nicht.

Der Pessimist wird stets antworten, daß ihm

das alles durch das sich damit vermischende und darauffolgende Leid verkümmert wird, und doch kein wahres Gut, keine wahre Freude vorhanden sei. Gleichwohl ist es ein wesentliches Moment, dem Pessimisten auch einmal klar 311 machen, wie widersinnig und unrecht es sei, vom Bösen immer viel länger und viel mehr zu sprechen als

vom Guten, eine Beleidigung länger zu behalten als eine Wohlthat,

welch letztere wohl gedankenlos als selbstverständlich hingenommen wird; dann ihm, der immer vom Uebel in der Welt redet, zu zeigen, daß die Welt, die er meint,

nichts anderes als seine

Welt ist, und diese sei für ihn, wie für die Mehrzahl, eine sehr kleine und enge.

Das sei ja an und für sich kein Mangel, auch

im kleinsten Wirkungskreis könne man treu und Gott gehorsam sein. Doch die von ihm vollzogene Verallgemeinerung sei verkehrt, ein Beweis seiner Thorheit oder Selbstüberhebung. Aber viel wichtiger

ist es doch, darauf den Nachdruck zu legen, daß in den Leiden selbst ein Segen liegt, daß in allem unserem Schmerz und in allein Uebel der Welt eine Förderung unseres besseren Ich, eine Erbauung

unserer Seele liegt. Not lehrt beten, Not führt zu Gott, Not macht uns den Himmel lieb. Wie uns die Not des eigenen Herzens mti> das Uebel der Welt in den Schoß des himmlischen

Vaters treibt, so erhält uns auch die Not des Herzens und das Uebel der Welt im Glauben. Nicht alles Leid ist persönliche Schuld, d. h. ein Zusammenhang zwischen einein einzeliien Leiden und einer be­

stimmten Sünde ist nicht immer nachweisbar und besteht allch nicht in allen Fällen. Aber ein Zilsammelchang zwischeii Leideil und Sünd­

haftigkeit im allgemeinen besteht immer, mag jenes als Strafe oder als Liebeszüchtigung alifgefaßt werben. Hartmann zwar polemisiert energisch gegen diese Auffassung des Leidens (gut Gesch. S. 109): „Die veränderte Ansicht über die Aufgabe der Erziehung entzieht

der jüdisch-christlichcil (!) Auffassung des Leidens als göttlichen

81 Zuchtmittels in der Hauptsache den Boden.

Mindestens fordert

sie eine radikale Umgestaltung des ihr zu Grunde liegenden Ge­ Die kritische Beleuchtung dieser jüdisch-christlichen Auf­

dankens.

fassung scheint aber nicht überflüssig zu sein, da dieselbe heute noch von allen Kanzeln gepredigt und in allen Schulen gelehrt wird,

also in unserem Volksbewußtsein als lebendig wirkende

Macht sich bethätigt." Dem ungeachtet bleibt es dabei: Freuden und Annehmlichkeiten auf Erden würden dem Menschen das Leben lieb machen und ihn Gott vergessen lassen. Die Leiden dieser Zeit aber weisen ihn immer wieder hin auf das Schwerste, was

ihm bevorsteht, auf den Tod, und sind also eine Vorbereitung auf den Abschied von der Erde. Die Leiden dieser Zeit sind der

künftigen Herrlichkeit nicht wert (Röm. 8, 18.), unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schaffet eine ewige Herrlichkeit (2. Kor.

Und was der Pessimist so sehr verwünscht, die harte,

4, 17.).

mühselige Arbeit, die notwendige Folge der Sünde, das ist ein

heilsames Gegengift gegen die Sünde, ein Bewahrer vor der Sünde und so ein Segen in der Hand des himmlischen Vaters geworden.

Wir sind berufen zur Seligkeit, wir sind berufen, durch

unsere Arbeiten an dem Kommen des Reiches Gottes mitzuwirken, itrtb so wissen wir, daß unsere Arbeit nicht vergeblich ist in dem

Herrn (1. Kor. 15, 58.); mag sie von schwieligen Händen geschehen oder den Geist aufs äußerste anspannen, sie dient, oder soll

dienen, der eigenen Seligkeit und dem Kommen der Ewigkeit. So ist die Seligkeit des Gotteskindes unerschütterlich, weil

auf ewigen Grund gebaut und zum ewigen Ziele führend.

Es

hat die Wahl zwischen Leid und Freude, zwischen Trübsal und

Genuß; aber Freude und Genuß soll für die Welt sein, für das Gotteskind gilt: in der Welt habt ihr Angst. Es klagt nicht über Jammer und Not, sondern nimmt sie willig auf sich. Der Christ thut des Herrn Willen und trägt des Herrn Kreuz. Er sieht

daher das Leben nicht, wie der Pessimist, vom Standpunkt der

durch den Eigenwillen befriedigten Lust an, sondern kreuzigt sein Fleisch samt den Lüsten und Begierden.

Ja nach seinem Verstand

sind nicht der Tod, viel weniger irdische und zeitliche Leiden, Krankheit, Elend, Drangsale, Widerwärtigkeiten das Schlimmste:

er kennt ein größeres Elend, das ist der ewige Tod, der Abfall HI

6

82 von Gott, der Verlust der Seligkeit.

Und weil er durch den

Glauben dieses Furchtbarste überwinden gelernt hat, so sieht er

mit Mut, ja Freudigkeit, allem Schrecklichen entgegen, was der Pessimist aufzuzählen vermag.

Weil der Christ in dem Sieg über

das wahre Uebel, welches allein diesen Namen verdient, in der

Besiegung des ewigen Todes über den zeitlichen Tod und alles irdische Leid triumphiert hat, so ist er in der seligen Erfahrung

des Friedens Gottes allezeit froh und fröhlich.

Und selbst wenn

ihm das Gefühl des Friedens verloren geht und er wie verlassen ist von Gott, so spricht er doch: mein Gott, mein Gott, warum

hast du mich verlassen? Die Empfindungslehre des Pessimismus setzt die Lust durchgängig in den verhältnismäßig kurzen Augen­

blick einer lang erstrebten und

befriedigung. alle

schmerzlich

gesuchten

Willens­

Des Christen Lust ist die für alle Zeiten und für

Verhältnisse in der Gewißheit seiner

vollständige Willensbefriedigung.

Seligkeit

gefundene

Die Gottseligkeit ist zu allen

Dingen nütze und hat die Verheißung dieses und des zukünftigen

Lebens (1. Tim. 4, 8.). Die angeführten, zur Bekämpfung des modernen Pessimismus

geltend zu machenden Momente können einmal an der Hand von Sprüchen, wie wir sie der Schrift entnahmen, verdeutlicht werden. Von besonderer Wichtigkeit aber werden biblische Vorbilder sein. Nun giebt es aber in der heiligen Schrift ein Buch, welches von

den Pessimisten gerne als Bundesgenosse betrachtet wird.

Aller­

dings verkündet der Prediger sein „alles ist eitel" mit unermüd­ lichem Nachdruck in immer neuen Wendungen.

Erkennen ist eitel, der

Das Wissen und

Sinnengenuß ist eitel, das menschliche

Leben zeigt keinen Fortschritt, aber viel Ungerechtigkeiten, Wider­ wärtigkeiten, Schmerz.

Und unbefriedigt von dem Treiben der

Welt, von der Unvollkommenheit und Mühseligkeit hier auf Erden wendet sich der Verfasser ab, aber nicht um mit Klagen zu schließen, nicht um die Welt ins Nichtsein zurückzuwünschen, sondern um

auf das zukünftige Gericht hinzuweisen, welches eine Hoffnung

erweckt, und um die Ermahnung daran zu knüpfen: fürchte Gott und halte seine Gebote, und unter diesen Voraussetzungen sogar zur Lebensfreude aufzufordern.

Dieser durch den Glauben ver­

klärte Pessimismus, daß ich so sage, ist einerseits dem modernen

83 materialistischen

Pessimismus

gegenüberzustellen,

brückbare Kluft zwischen beiden aufzuweisen.

die

unüber­

Dann aber ist freilich

auch nicht zu übersetzen, daß erst vom Licht des Neuen Testamentes bestrahlt die Welt- und Lebensanschauung des Predigers für uns Christen maßgebend und vorbildlich sein kann. Vor allem finden sich in der heiligen Schrift ganze Lebens­

bilder, welche dem Pessimismus geradezu widerstreiten.

Aus dem

Leben eines Elia und Hiob ist zu merken, wie Leiden und Trüb­ sale der

schwersten Art diese Männer zum fröhlichen Lobpreis

Gottes führten.

An Jeremia und Daniel ist zu sehen, wie sie in

einem Leben voll äußerer und

innerer Mühseligkeiten um ihrer

Seele, um des Nächsten und um Gottes willen geduldig ausge­ halten haben.

Bei den Frommen Israels haben persönliche schwere

Geschicke es nicht vermocht, ihren Glauben zu erschüttern.

ganze Volk hat, durch

nach

Ja das

die schwersten Erfahrungen gebeugt, sich

vielen Zweifeln doch wieder

Vertrauen auf seinen Gott erhoben.

zum frohen

zuversichtlichen

Endlich ist es leicht, aus

dem Neuen Testament nach dem Bilde des Herrn selber und seines

Apostels Paulus, um einige Beispiele namhaft zu machen, Zeugnisse gegen den Pessünismus zu gewinnen.

Jesus, der ewige Sohn Gottes, aus des Vaters Herrlichkeit

herniedergekommen zur Erde, der gerade wegen seines himmlischen Ursprungs das Uebel in der Welt und

die Unglückseligkeit des

Menschen nicht nur kannte, sondern auch empfand wie Keiner,

der am meisten davon erfuhr unter allen, die von Weibern geboren sind, dieser Jesus war nichts weniger als ein Pessimist, wozu er, wenn

je einer, menschlich geredet, Anlaß gehabt hätte. seine Bergpredigt mit lauter Seligpreisungen.

Jesus beginnt

Jesus mit seiner

Naturvertrautheit: schauet die Lilien auf dem Felde an, sehet die

Vögel unter dein Himmel an; Jesus mit seiner heiteren Gemüts­ art, der von feinem Fasten seiner Jünger wissen wollte, so lange

die Hochzeitsfreude seiner Anweseicheit dauerte, der selber an einer Hochzeit und an fröhlichen Mahlen teilnahm, der darum Fresser

rind Säufer gescholten wurde, der die Kinder herzte und segnete: er hat sich nicht ooit der leblosen Natur, weil sie voll Elend und

Kampf sei, abgewandt,

er hat nicht die Menschen, weil sie doch

nur Not und Schmerzen trügen, von sich gekehrt, er hat nicht

6*

84 die Welt und ihr eitles, vergängliches Wesen schlechthin verworfen.

Wohl aber hat er viel Feindschaft von seinem Volk und dessen Obersten erduldet, wohl hat er in eine Welt voll Not, Elend und Schmerz mit klarem Blick hineingeschaut, wohl hat er an seinem

eigenen Leibe und an seiner eigenen Seele das Uebel der Welt erfahren, wohl ist er in das schwerste Leiden und in den bittersten, schmäh­

lichsten Tod hineingegangen. Und doch nach einem Leben, so voll der bittersten Enttäuschungen, hat er noch gehofft, und seine Hoff­

nung ist nicht zu Schanden geworden. So hat er in einzigartiger Weise zum Heil aller Menschenseelen gelitten. Hier wird uns das Geheimnis des Uebels in der Welt und des Bösen im Menschen­

herzen enthüllt wie sonst nicht wieder, incommensurabel für unsere Gedanken. Des Apostels Paulus Briefe sind, seines Meisters und Herrn

Leiden und der damit verbundenen Freudigkeit gemäß, ein beredtes

Zeugnis gegen den Pessimismus.

Paulus kennt aus eigener Er­

fahrung das Elend und die Jämmerlichkeit des Lebens ohne Heiland. Er hatte eine tiefe Erkenntnis von der greulichen Ver­

sunkenheit der Heiden, von ihren Schanden und Lastern (Röm. 1,18 ff.),

er konnte aus seinem Leben ein Klagelied singen wie kein anderer Apostel (2. Kor. 11, 23. ff.). Dennoch war er allezeit fröhlich und

getrost: Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?

Ich bin

gewiß, daß keine Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes,

die da ist in Christo Jesu, unserm Herrn (Röm. 8, 31. 38. 39.). Wir haben allenthalben Trübsal, aber wir ängsten uns nicht.

Uns ist bange, aber wir verzagen nicht.

Wir werden unterdrückt,

aber wir kommen nicht um, und tragen um allezeit das Sterben

des Herrn Jesu an unserm Leibe (2. Kor. 4, 8—10.).

Fröhlich

in Hoffnung, geduldig in Trübsal (Röm. 12, 12.), das blieb in allem seines Lebens Losung. Endlich aber ist nicht der Glaube allein, der den inwendigen

Menschen erneuert, nicht die Schrift allein, welche

Glaubens­

helden vorstellt, sondern auch die ganze Weltgeschichte ein Zeugnis

wider den Pessimismus.

Wie das Christentum nur als Gegensatz

gegen den Pessimismus die geistige und sittliche Erneuerung der Welt und aller ihrer Verhältnisse bewirken, und wie die Reformation in unserem deutschen Vaterland auf allen Gebieten des Lebens

85 eine Verjüngung herbciführen konnte, wie alle wahrhaft großen und

bedeutsamen Ereignisse

worden Und

Glaubensmenschen

getragen

das müßte in Einzelbildern ausgeführt werden.

sind,

darauf

durch

muß

besonderer

Nachdruck

gelegt

werden,

daß

auch im gegenwärtigen Jahrhundert des Pessimismus unsere nationale Wiedergeburt, die Siege der Freiheitskriege und die Siege der letzten großen Kriege christlichen Glaubensmännern zu

verdanken sind.

Goethes Bekenntnis behält seine Wahrheit: „das

eigentlich einzige und tiefste Problem der Weltgeschichte, dem alle

anderen untergeordnet sind, bleibt der Konflikt des Unglaubens und

des Glaubens.

Alle Epochen, in welchen der Glaube herrscht,

unter welcher Gestalt es auch sein wolle, sind glänzend, herzerhebeyd

und fruchtbar für Mitwelt und Nachwelt.

Alle Epochen dagegen,

in welchen der Unglaube, in welcher Form es auch sei, einen kümmerlichen Sieg behauptet, und wenn sie auch einen Augenblick mit

einem schönen Glanz prahlen sollten, verschwinden vor der Nachwelt." Soll nun mit allen diesen Mitteln der Kampf gegen den

Pessimismus ernstlich geführt werden, so wird es nicht zuletzt auch

auf die Thätigkeit des Predigtamtes ankommen.

Es ist ja wohl

im allgemeinen richtig, daß die entschiedenen Pessimisten überhaupt nicht zur Kirche kommen und darum von den Predigten wider den Pessimismus nicht erreicht werden. Dennoch muß die Predigt den

Pessimismus bestreiten, nämlich darum, weil dieser eine Macht dieser Welt und ein Feind der Seele ist und alle Christen, auch die Gläubigen bedroht.

Dagegen wird der Pessimist im strengsten

Sinn des Wortes nur von der Seelsorge zu erreichen sein.

Der

Geistliche hat im besonderen Sinn die große und verantwortungs­ volle Aufgabe, ihm, sei er auch noch so vornehm und hochgeboren,

nachzugehen und ihm bei gegebenem Anlaß freimütig und ohne Scheu, in aller Liebe und mit entschiedenem Ernst, aber auch mit

Takt und Weisheit und dem Bestreben, ihm einen Nagel in sein

Gewissen zu schlagen, gerade auf den Kopf zu sagen, daß er durch

seinen Pessimismus unglücklich ist und das Sehnen seines Herzens und die Stimme seines Gewissens unterdrückt, und doch ein Glück sucht, welches allein das Christentum ihm bieten kann.

Auch

Schopenhauer führte ja nach dem Bericht seines Biographen ein über alle Maßen ödes und trostloses Leben.

Der Pessimist wird

86 auch heute auf liebevolles und ernstes Andringen sein Elend ge­

Ob er aber dem Ruf des Heils folgt, das muß Gottes

stehen.

Gnade allein wirken. Erst in der Seelsorge ist auch dem Geistlichen, aber ebenso­

sehr jedem gläubigen Christen im Umgang mit seinen Mitmenschen

die Möglichkeit gegeben, gegen einzelne Sonderstellungen des Pessi­ Mannigfach verschiedene Begrün­

misten wirksam anzukämpfen.

dungen und Formen des Pessimismus können erst hier zu ihrem Wir führen noch einige der häufigsten Sonder­

Rechte kommen.

arten des

Pessimismus an und fügen sogleich die hier geltenden

Gegengründe bei.

Da ist zuerst der wissenschaftlich gebildete Pessimist, derjenige, welcher das System Schopenhauers oder Hartmanns zu seiner

Weltanschauung gemacht hat. Die Untersuchung und Widerlegung philosophischer Gegengründe, indem jener etwa mit seinem Abso­ luten, unbewußten Wollen, Erlösung des Absoluten operiert, ist nicht

Sache des

Glaubenszeugnisses, das jedem Christen befohlen ist.

Doch warum sollten wir ihm nicht Bücher an die Hand geben,

welche das Unhaltbare und Unbefriedigende seiner Ansichten dar­

legen?

Damit ist er noch nicht für den Christenglairben gewonnen;

aber er hat doch einen Schritt näher zu demselben gethan, wenn

er die Empfindung hat, daß sein Absolutes und dessen Erlösung

ein Unding ist.

Vielfach ist diesen Leuten der Gedanke einer höheren

Welt, der Gedanke des Glaubens, durchaus unverständlich, weil sie

bei all ihrer vermeinten

Wissenschaftlichkeit

Materiellen gefangen geblieben ihr

Pessimismus

wegphilosophiert

die

hat.

Keime Der

sind. des

höheren

Egoismus

schließlich doch im

Dazu kommt,

und

daß

ihnen

Geisteslebens

hin­

das

nach

Streben

Lust sind gemäß den Ausführungen, welche Hartmann in seiner

„Phänomenologie des sitllichen Bewußtseins"

giebt,

die Haupt­

momente, gegenüber denen die sittlichen Regungen gar nicht in Betracht kommen können.

Die meisten haben sich wohl die Kon­

sequenzen ihres Systems nicht klar gemacht und würden über sich

selbst recht erschrecken, wenn ihnen dieselben vorgehalten würden

(wie es etwa Sommer, Religion des Pessimismus S. 34 ff. und

Schwarz, Ziel der religiösen und wissenschaftlichen Gährung S. 86—88 thun). Die Kritik aber, welche der Pessimismus an Christen-

87

tum und christlichem Leben, an der Geschichte der Theologie und der Kirche übt, beruht auf Unkenntnis und Mißverständnissen. Am

schärfsten urteilt wohl Hartmann (zur Gesch. S. 27): „wie kann man sich selbst über religiöse Heuchelei wundern, wenn man sieht, wie unsere Erziehungsart verfährt, wenn sie sogar in der Religion

alles uns auf das Lippenbekenntnis kaum verstandener Lehren stellt? Was ist unter den Händen der Menschen aus dem Christen­

tum geworden, und wie abschreckend müßte der Anblick aller durch dasselbe verursachten Uebel wirken, wenn man aus seinen geschicht­

lichen Folgen auf seinen inneren Wert schließen wollte?"

Solche

Kritik kann in Einzelheiten sogleich auf ihr rechtes Maß zurück­

geführt werden, doch wird die ganze Auffassungsweise erst mit

der Erneuerung des inwendigen Menschen zurechtgebracht.

Denn

der Hauptmangel bei solchen Leuten ist der allgemeine, daß sie

gleichwie

Schopenhauer

religiös zu sein.

zu

sehr

Verstandesmenschen

sind,

um

„Keiner, der wirklich philosophirt, ist religiös.

Er geht ohne Gängelband, gefährlich, aber frei."

Das sieghafte

Bewußtsein endlich, das den Pessimismus beseelt, als ob ihm die

Zukunft gehörte, ist vollständig unbegründet: denn ein Wachstum

des Bösen in der Welt und eine sich steigernde Erkenntnis desselben ist auch vom Christentum gelehrt. Der direkte Gegensatz zu diesem wissenschaftlichen Pessimisten,

der seine Ansichten über Gott und Welt und Leben abgeschlossen hat und in einem fertigen System zu stehen glaubt, ist der ehrliche Pessimist, welcher sucht und strebt, welcher innerlich mit sich ge­

brochen hat, weil er das höchste Uebel in sich selbst erkannt hat und von dem Bösen nicht loskommen kann.

Weil er die Em­

pfindung hat, daß das eilte Ich in ihm das sittliche Streben des aitderen Ich hentme, so verwünscht er zwar auf der einen Seite sich selbst und sein Dasein; auf der anderen aber hofft er auch

wieder, noch den ersehnten Frieden zu finden.

Der Ernst des

Gewissens, das in ihnt erwacht ist, läßt ihm keine Ruhe.

Hier

hat jeder gläubige Christ die schöne, lohnende Aufgabe, einer ver-

irrteit Seele zurechtzuhelfen mit sanftmütigem Geist: dein Heiland hat das Gesetz erfüllt, das du nicht erfüllen kannst.

In seiner

Nachfolge und durch seines Geistes Kraft wirst du Frieden finden und kämpfen und siegen über den alten Menschen (Mm. 7, 19. ff.).

88 Und Freude ist vor den Engeln Gottes über den

Sünder, der

Buße thut (Luk. 16, 7).

Häufig sind die Pessimisten, welche ein ganz achtungswertes, ehrbares Leben führen, nicht wegen, sondern trotz ihrer pessimi-

stischen Denkweise.

Hört man ihre Grundsätze, so muß man über

die Gewissenhaftigkeit und Aufrichtigkeit staunen, welche sie trotz alledem in ihren Reden und Handlungen an den Tag legen. Ein

Leben in Lust und Freude wäre die einzig richtige Konsequenz. Davor scheuen sie zurück.

Warum? sie sind nicht klar darüber.

Aber es ist nichts anderes, als daß noch ein Rest des alten Christen­ glaubens in ihnen zurückgeblieben ist.

In ihm erzogen bringen

sie es nicht fertig, plötzlich alles über Bord zu werfen, was sie ihrem Pessimismus zufolge eigentlich müßten.

Solche wollen wir

an den guten Grund erinnern, der einmal in ihnen gelegt ist, und

ihnen zeigen, wie sie nie ganz von der Wahrheit

loskommen

können: so möchten sie doch auch solche Wahrheit anerkennen und sich dem ganz zuwenden, was ihr innerstes Herz ersehne.

Nur

möchten sie den Wahn fahren lassen (der bei manchen Gebildeten zu finden ist), als ob ihr sittlicher Lebenswandel sich unter Voraus­ setzung ihres pessimistischen Prinzips oder gar aus demselben be­ gründen ließe. Bei einet großen Klasse von Menschen ist der Pessimismus

skeptischer Natur: weil sie gewohnt sind, Vergangenheit und Gegervwart von der schlechten Seite anzusehen,

so

erwarten sie zwar

von der Zukunft nicht lauter Unangenehmes, aber doch überwiegend Böses und viel Trauriges.

Deswegen können und wollen sie

keinen Augenblick ihres Lebens recht froh werden, sondern meinen

fast ein Unrecht zu thun oder gegen Gott zu sündigen, wenn sie

in dieser argen Welt fröhlicher Stimmung sind.

Sie freuen sich

nur mit Zittern und fürchten sich mitten in der Freude, weil man nicht wissen könne, ob nicht der nächste Augenblick Leid und Schmerz bringe.

Der Jünger Jesu aber kennt seines Meisters Gebot:

eure Freude soll vollkommen sein (Joh. 16, 24.) und des Apostels

Mahnwort: freuet euch (Phil. 4, 4.) und er weiß, roormtf diese Freude ruht, nämlich: freuet euch, daß eure Namen im Himmel

geschrieben sind (Luk. 10, 20).

Er weiß, daß sein Helland auch

fröhlich gewesen ist, mit seinen Jüngern sowohl als in Gesellschaft

89 anderer, daß er die Hochzeitsfreude für ein Bild der Christenfreude

erklärt.

Darum ist der Christ fröhlich, und ob er auch Leid trägt:

die Herrschaft in ihm führt doch die Freude darüber, daß er auch

so in seinen: Herrn ist. — Andere wenden ihren Skeptizismus mehr auf das intellektuelle Gebiet. Warum, so fragen sie, ist alle

Wissenschaft, alle Kunst so mangelhaft? warum gibt es so viele einander widerstreitende Ansichten auf allen Gebieten? Selbst in

religiösen Dingen ist nichts ausgemacht — die Substanz des höchsten Wesens, kann sie erkannt werden? Was ist denn Gott? Was ist

denn Offenbarung? Was heißt göttliche Weltregierung? Wie lücken­ haft und unglaubwürdig sind die Berichte über die geschichtlichenHeilsthatsachen! Warum so viele Konfessionen und Sekten? Es kann

doch nur eine Wahrheit geben! Wo ist sie? Solche Zweifelsfragen

sind nicht abzuweisen.

Aber wer durch des Herrn Gnade erleuchtet

ist mit dem Licht der Lebendigen, der erkennt alle diese Mängel als Folge seiner Sünde und der allgemeinen menschlichen Schuld, und steht um so fester in der Wahrheit, daß er Kind Gottes und

Erbe des ewigen Lebens geworden ist.

Alles andere überläßt er

in Demut Gottes weiser Leitung und vertraut, daß der Herr auch durch Irrtum zur Wahrheit führt und krumme Wege zu geraden

macht. Es gibt aber auch mitten in den Kreisen der gläubigen

Christen einen skeptischen Pessimismus, der sich nicht auf das Ganze des Reiches Gottes und nicht auf die ganze Zukunft bezieht,

aber doch aus einzelnen trüben Symptomen auf einen zeitweiligen Stillstand oder Rückgang der Sache des Herrn schließen will.

Manche suchen in der Reforinationszeit das Ideal und blicken sehnsüchtig zurück, statt in der Hoffnung und mit Freudigkeit vorwärts zu schauen.

Man klagt über die religiöse Gleichgiltig­

keit in Stadt und Land, über die Angriffe der Kritik wider den Glauben auf Universitäten, höheren und niederen Schulen, in den

Familien; über die Macht der Presse, das Fehlen der Sonntags­ ruhe, den Einfluß der naturalistischen Richtung, über die geringe Bedeutung der religiösen Motive in Wissenschaft und Kunst. Wir

mögen die relative Berechtigung dieser Klagen zugestehen, aber wir dürfen auch nicht vergessen, wie gegen alles unchristliche und außerchristliche

Wesen

gekämpft wird

und

nicht ohne Erfolg

90 gekämpft wird.

Einige Hauptmomente,

die hier zur

Geltung

kommen müssen, sind diese: die Wiedererstarkung des kirchlichen

Lebens im Vergleich zu der Mattheit im Anfang unseres Jahr­ hunderts, die zahlreichen Kirchenbauten, neue gottesdienstliche Einrichtungen, die neueren Kirchenordnungen, die reiche Erbau­

ungslitteratur und

starke

Nachfrage nach derselben und

nach

Erbauungsbüchern vergangener Zeiten; die große Zahl streitfertiger

protestantischer Theologen, die zahllosen Werke christlicher Liebe,

welche jeden allgemein menschlichen Notstand mit unermüdlicher Kraft in opferfreudigem Kampf ins Auge fassen, die immerhin nicht geringe Macht des Christentums im Staat und Staatsleben,

der verhältnismäßig geringfügige Eindruck der Straußschen und

ähnlicher Schriften und der dagegen gerichtete heftige Widerstand. Ja, es darf behauptet werden: wenn man den Kampf, der in unserem Jahrhundert gegen den christlichen Glauben geführt wird,

das planmäßige Vorgehen einer organisierten feindlichen Macht gegen die Kirche in seiner Furchtbarkeit recht würdigt, so ist es ein Wunder Gottes, daß trotzdem noch so viel christlicher Glaube

und christliches Glaubensleben erhalten geblieben, ja erstarkt ist. Solcher Stimmungspessimismus mag ebenso wie aus der

Betrachtung des Gesamtbildes der kirchlichen Lage auch aus einzelnen schweren Lebensführungen hervorgehen. Es verliert jemand den Glauben.

Die Führungen Gottes, welche man einst

auf allen Wegen willig erkannte, werden an einem dunklen Punkt

plötzlich nicht mehr verstanden.

Und statt daß man sich unter

Gottes Rat beugt und auf seine Hilfe harrt, kommt nun der Zweifel oder gar die Verzweiflung um so heftiger, je größer das Maß des vorhandenen Glaubens war.

Goethe erzählt in Dichtung und Wahrheit, wie die Nachricht vom Erdbeben in Lissabon die

ersten Zweifel an der schrankenlosen Liebe des allmächtigen Gottes in seinem Herzen geweckt habe.

erinnern,

In solchen Fällen wollen wir

daß aus Stunden der Anfechtung durch Gebet und

Glauben der Ausgang gesucht werde, und auf Elia Hinweisen, der wohl unter dem Druck der Verfolgung geseufzt: es ist genug, so

nimm nun, Herr, meine Seele; an Hiob und Jeremia, die den Tag ihrer Geburt verfluchten; an Johannes den Täufer, der zu Jesu Boten sandte: Bist du, der da kommen soll oder sollen wir

91 eines anderen warten?

(1. Kön. 19, 4. ff.;

Hiob 3,

3. ff.;

Jer. 20, 14. ff.; Matth. 11, 3.) die aber durch Annahme des

göttlichen Trostes und durch glaubensvolles Ringen im Gebet den inneren Frieden wieder gefunden und hernach die Sache des Herrn wieder siegreich hätten hervorgehen

sehen.

Hier gilt, daß der

Glaube, der sich hält an den Unsichtbaren als sähe er ihn, und

das Gebet Licht in die Dunkelheit bringen müsse.

Hier kommt

die Wiederzurechtbringung aus der unendlichen Gnade und Barm­

herzigkeit, die des eigenen Sohnes nicht hat verschonet, sollte sie mit ihm uns nicht alles schenken (Röm. 8, 32.)? Gottes Gedanken

sind Gedanken des Friedens und nicht des Leides (Jer. 29, 11.),

seine Gedanken sind nicht unsere Gedanken (Jes. 55, 8.).

Haben

wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen (Hiob 2,10.)? Jetzt heißt es: Harre des Herrn, aber — wenn die Stunden sich gefunden, bricht die Hilf mit Macht herein.

In den höheren Ständen findet man vielfach Menschen, die des Lebens Freude und Genüsse gekostet haben bis zur Uebersättigung, die, weil sie alles erreicht haben, was ihnen wünschens­

wert erschien, mit der Welt sozusagen fertig sind.

Weil sie keine

Aufgabe mehr gn erfüllen finden und keinen Lebenszweck kennen, so werden sie des Lebens überdrüssig und langweilen sich den ganzen

Tag.

Dann klagen sie über die traurige Leere im Leben.

Die

angenehmen Stunden vergehen so schnell, sagen sie, und je unan­ genehmer, desto langsamer schleichen sie dahin.

Ist nicht das

Dasein am glücklichsten, wenn man am wenigsten davon spürt? Solche Gedanken erörtert Hartmann, wenn er sagt (zur Geschichte,

S. 41 u. 45): „die sogenannten Vergnügungen sind größtenteils selbst nur negativ, d. h. sie sind bloße Zeitkürzungen oder Mittel, die Aufmerksamkeit von der Zeit abzulenken und dadurch von der

Unlust der Langeweile zu befreien.

Hierzu zählen besonders die

sogenannten geselligen Vergnügungen, Luftfahrten, Tischgesellschaften,

Tanz, Spiele. — Es giebt keine thörichtere Klage im Munde des

Menschen als über die Kürze des Lebens. Der Mensch fühlt das Leben als eine Plage, von der er so viel Mühseligkeit erspart hat als er verschlafen hat. Jeder wird gern auf das Nocheinrnalleben

verzichten.

Gegen

Daraus folgt, daß nicht leben besser ist als leben."

solche Gedanken erinnern

wir den Klagenden aus dem

92

Bewußtsein, daß mit allen eigenen Kräften und mit allen Kräften der Welt hier nichts auszurichten ist, an das bessere gottebenbild­ liche Selbst, an des Menschen wahre Bestimmung, in Gott zu sein

und helfen ihm dadurch auf den rechten Weg.

So allein kann der

Klagende vor der Verzweiflung und dem Untergang, dem er ent­ gegeneilt, bewahrt werden.

Gott hat den Menschen zur Arbeit

geschaffen, und wer, Hoffnung im Herzen, in seinem Reich thätig ist und dieses Leben als die Vorschule des ewigen Lebens ansieht,

wird keinen Augenblick ungenutzt lassen, in dem er nicht schaffte seiner Seelen Seligkeit. Unzufriedene finden sich in allen Ständen.

Namentlich ist

es das Alter, welches leicht pessimistisch stimmt: der Greis blickt zurück auf ein Leben voll getäuschter Hoffnungen, voll viel bitteren Wehs und Herzeleids.

Und findet er nun immer noch keinen

Frieden, selbst nicht am Feierabend seines Lebens, den er sich

so rosig ausgemalt hatte, so wird er mürrisch und verdrießlich und

beruft sich gern auf die gute alte Zeit.

Für manche bricht die

pessimistische Lebensperiode früher an, wenn sie zahlreiche, schwere

Unglücksfälle an sich selbst oder an ihren Lieben erlebt haben. Wir werden solchen das Bibelwort vorhalten: wenn das Leben köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen (Ps. 90,

12.), daneben die Wahrheit des alten Reimes nachweisen: die Menschen sagen immer, die Zeiten werden schlimmer; die Zeiten

bleiben immer, die Menschen werden schlimmer, und dadurch zur

Selbstprüfung anregen.

So wird der klagende Greis sich auch auf

die frohen Stunden seines Lebens besinnen und seinen Trübsinn vergessen.

Den besonders schwer geprüften unglücklichen Seelen,

die gleich alles verloren geben, ist nachdrücklich der Segen des von Gottes Vaterhand aufgelegten Leidens zum Bewußtsein zu bringen: es führt zur Demut,

Herrn Willen.

zur völligen Hingebung

in des

„Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns

auch" (Ps. 68, 20.).

Besonders schwierig ist es, den Arbeiter,

der verschuldet oder unverschuldet in Not geraten ist, mit Frau

und Kindern von einem Hungerlohn leben soll, und der daneben

das Wohlleben seines Arbeitgebers und vieler Wohlhabenden sieht, von seinem Pessimismus zu heilen.

Die Sozialdemokratie, der

die meisten zulaufen, zeigt ihm zwar ein goldenes, aber doch un-

93 ausführbares Zukunftsbild, macht aber aus seiner Unzufriedenheit

Wut und Verbitterung gegen die herrschenden Klassen, gegen Reichtum und Wohlstand. Hartmann urteilt (Phaenomenologie S. 624 ff.), da der Menschheit Strebensziel,

„die Beförderung

des größtmöglichen Glücks der größtmöglichen Zahl", im Wider­ spruch mit der ungleichen Güterverteilung steht, so fordere er die Aufhebung dieser Ungleichheit, eine Sozialdemokratie, die „bald zu einem Nivellement der Gesellschaft, zu einem Herabziehen alles

Hervorragenden auf das Niveau der Mittelmäßigkeit, zum allmäh­

lichen Sinken dieses Niveaus und zu einer allgemeinen Bestialität führen würde": dieser Zustand erscheine ihm in der That als der

„relativ glückseligste der Menschheit".

Die rechte Heilung des zur

Sozialdemokratie führenden Pessimismus kann nur der christliche

Glaube geben, und allein nach den sozialen Grundsätzen der? heiligen

Schrift kann die traurige Lage des Arbeiterstandes geändert werden.

Dem Arbeiter inuß klar gemacht werden, wie die sozialdemokratische Heilung nur den Leib bedenkt und doch in Wahrheit keine Heilung

ist (vgl. Rocholl: Was predigt die Sozialdemokratie der Kirche?), wie aber der Glaube an Gott den Herrn das Leid tragen lehrt

und das Gericht dem überläßt, der zu

seiner Zeit Arme und

Reiche vor seinen Richterstuhl führen wird, wie der Glaube an­ leitet, der Obrigkeit Unterthan sein und den irdischen Herren gehorchen, nicht allein den gütigen und gelinden, sondern auch den wunderlichen (1. Petri 2, 18.).

Kurz, der Arbeiter lerne, wie

sein Pessimismus, nachdem seine Lage eine äußerlich traurige

geworden,

ihn

nun

auch

innerlich

elend

und

unglücklich

mache, wie er aber auch in dieser äußerlich trauxigen Lage durch

den Glauben an den Vater im Himmel, ohne den kein Sperling vom Dache fällt und der die Haare auf unserem Haupte zählt,

innerlich fröhlich sein könne. — Und wenn Menschen durch Ver­ gleich mit höheren Ständen zur Unzufriedenheit gebracht sind und

von dem Gedanken gestachelt werden, sie selbst könnten mit dem­ selben Recht in jener besseren Lage sein und hätten es wohl

verdient, im höheren Stande zu leben, wie ja die Menschen oft

mit dem Platz, den sie im Leben einnehmen, unzufrieden werden und in falscher Selbstpeinigung nach Höherem trachten und durch solche Gedanken sich selbst das Leben verbittern; so wissen wir als

94

Christen: dein Gott hat dich an den Platz gestellt, da du stehst, und

es wird von dir nicht mehr verlangt, als daß du ein treuer Haus­ halter seist, und wenn du lauter kleine scheinbar nichtssagende

Dinge treibst, aber im Sinn des Gehorsams gegen deinen himm­ lischen Herrn und im Sinn der Treue iin Kleinen, so giltst du mehr vor Gott als der Höherstehende, der seine Arbeit in grober

oder feiner Selbstsucht verrichtet. der über dir steht.

Du hast's leichter als jeder,

Denn wem viel gegeben ist, von dem wird

man auch viel fordern (Luk. 12, 43.). Gar nicht selten kommt man mit einem Menschen zusammen,

der, sei er krank oder sonst leidend, die Meinung kund gibt, daß er der allerunglücklichste unter seinesgleichen oder wohl gar auf der ganzen Erde sei.

Einen solchen weisen wir darauf hin, wie

selbst, wenn er der Unglücklichste wäre, seine Verzweiflung dennoch nicht gerechtfertigt sein würde.

Denn das allerschrecklichste Unglück

kann ihm die ewige Seligkeit in Christo Jesu nicht rauben.

Nur

dann, wenn er befürchten müßte, durch den zeitlichen Tod in den ewigen Tod einzugehen, hat er Recht. er bei Zeiten bedenke, was zü

Und darum gilt es, daß

seinem Frieden diene.

Wenn er

aber das größte Unglück in des Herrn Kraft überwunden hat, so

kommt damit auch der Mut und die Fähigkeit, gegen alles zeitliche

Leid als unendlich kleiner zu kämpfen und zu siegen.

In der

Regel wird es auch möglich sein, solche von sich selbst eingenommene Pessimisten durch Vorhalten von anderen größeren Leiden,

die

wirklich schwerer zu tragen sind, zu beruhigen und in ihnen durch

den Hinweis auf das viele Gute, welches ihnen noch geblieben ist, Dank gegen Gott zu wecken,

damit sie das Vertrauen auf ihn

und die Demut vor seinem Angesicht wieder erlangen. Der Pessimismus ist allerdings gut Zeit eine Macht. Wenn­ gleich er von den wenigsten seiner Anhänger folgerichtig durchgeführt ist, hat er Ausläufer in alle Stände und Schichten unseres Volkes

entsandt. sind

nach

Seine Gefahren

für das Christentum unseres Volkes

unsern Ausführungen

gewiß

nicht zu unterschätzen.

Aber so lange das Leben in unserer Kirche rege, so lange noch

so viel mutige Zeugen unerschrocken gegen ihn aufstehen, so lange frisch und fröhlich gegen alle Mächte der Welt gestritten wird,

so lange hat es keine Not.

Und sollte über mrsere evangelische

95 Kirche wirklich eine traurig öde und leere Zeit kommen, so wissen

wir: Gott sitzt im Regimente, und der Herr Christus kennt die Seinen und streitet für uns.

Im Ausgang des fünfzehnten Jahr­

hunderts brach doch endlich die langersehnte Morgenröte an, und auch aus dem Rationalismus des achtzehnten Jahrhunderts gab es eine Rettung. Es wird nicht allein das Zeugnis des christ­

lichen Gl-aubens gegen den Pessimismus mit Wort und That int täglichen Umgang mit den Mitmenschen zu Felde ziehen, sondern

die christliche Litteratur, die Presse, alle Arbeit der christlichen Nächstenliebe haben an ihrem Teile mitzustreiten.

Und endlich

thut auch der Pessimismtts selber das Seine dazu: denn es bleibt nichts übrig, mit Sommer zu reden, als daß „der Pessimismus durch

die Verkehrtheiten

überwinde."

seiner

eigenen Konsequenz

sich

selbst

96

Freude und Freuden im Ficht der christlichen Cthik. iTliXenti wir im Folgenden bei den« Versuch, das sittliche Moment an der Freude im Licht der christlichen Ethik zu erörtern, die Freude von der Arbeit begrifflich auf das strengste

scheiden, so postulieren wir damit keineswegs einen ausschließenden

Gegensatz zwischen Arbeit und Freude. Es ist ja bekannt,, daß, was dem Einen Arbeit scheint, dem Andern Freude dünkt und umgekehrt. Der Zeitungsrezensent,

der einer Theater-Vorstellung beiwohnt,

hat irrt höchsten Maße zu arbeiten, während das Publikum sich

ganz dem Genuß, der Freude hingiebt.

Welch

ein Unterschied

zwischen einem Schüler, der mit Not und Mühe hier und dort den Stoff für feinen Aufsatz sammelt, und demjenigen, der seine Auf­ gabe mit Lust und Liebe erfaßt, der das Sitzerr über den Büchern

und das Nachdenken über Gehörtes und Gelesenes wie ein Spiel treibt.

Gleichwohl hat, wollen wir zu einer klaren Auffassitng

bessert, was rtach der christlichen Ethik Freude zu nennen ist,

kommen, für einen dogmatisch-ethischen Versuch jene begriffliche Scheidung ihr Recht, ja ihre Notwendigkeit.

Welche Bedeutung

ihr zukommt, stelle der erste Hauptsatz fest. I. Während die Arbeit ein Handeln im Streben rtach der

Gemeinschaft Gottes ist, getragen von dem Bewußtsein der Aufgabe, den in jedein Ehristenmenschen vorhandenen Gegensatz zwischen 7tveü|xa und aap£ zu überwinden: ist die Freude- eine Be­

thätigung des relativen Besitzes der Gemeinschaft Gottes, getragen von der Ueberwindung jenes im Bewußtsein zurücktretenden Gegen­ satzes.

Erklärung:

Soll unser ganzes Leben nach der Lehre der

heil. Schrift eine Vorschule der Ewigkeit sein, so muß unser Handeln

sich darauf richten, dem uirs gesteckten Ewigkeitsziele täglich und

stündlich näher zu kommen.

Das Ideal, dem nachzujagen wir

die hohe Aufgabe hadert, ist die vollkommene Gemeinschaft mit Gott in Christo Jesu.

Gott in uns, wir in ihn:: das ist unser

Kleinod, welches uns vorhält die himmlische Berufung Gottes in

Christo Jesu. Die vollkommene Gemeinschaft mit Gott muß also das oberste Prinzip für unser Handeln sein. Nur diejenige Hand­ lung kann uns dem Ziel näher bringen, welche um der Gemein-

97 schäft mit Gott willen geschieht.

lungen da

vermöge

Gott

von

nicht

des

gerichtetes

einer

sündhaften Prinzip

Von Natur sind unsere Hand­

derartigen und

Sondern

Beschaffenheit.

Zustandes ein heiliges, auf ein kosmisches, das Böse

suchende Prinzip im Menschen entfaltet sind, ist unser gesammtes Leben und Handeln in einen dauernden Zwiespalt getreten. Ihn zu überwinden, ist die sittliche Aufgabe jedes Menschenlebens.

Dagegen sucht die ungöttliche Macht, weil sie

vom Menschen selber unter Mißbrauch seiner gottgegebenen Frei­

heit anerkannt und in seinen Willen ausgenommen worden ist, die Oberherrschaft zu gewinnen. Nun hat der Gottes-Sohn Christus Jesus in menschlicher Gestalt jenen Gegensatz prinzipiell und that­ sächlich überwunden, ja abgethan: uns hat er die gleiche Möglich­

keit eröffnet und will sie in jedermann realisieren, der an Christum

glaubt.

Der in jedem Christenmenschen vorhandene, von Christo

zuerst und vollkommen überwundene Gegensatz zwischen dem Streben nach der Welt und in die Richtung zu Gott (kosmischem itnb

wird vom Apostel Paulus als der Kampf zwischen aap£ und icvsojia beschrieben. Wir überwinden diesen heiligem Prinzip)

Gegensatz, siegen in diesem Kampf allein durch die Kraft Jesu Christi, welche uns int heiligen Geiste mitgeteilt wird.

Er teilt

sich uns nicht auf einmal und ganz, sondern allmählich und nach dem Maße mit, in dem wir zu seinem Etnpfang fähig sind. So­

fern wir nun also iit der Kraft Jesu Christi durch den heiligen Geist der Attfgabe, jenen Gegensatz ztvischen aap£ und itvsü|ia zu

überwinden,

uns

bewußt

sind:

insofern

arbeiten

wir,

handeln ivir int Strebe» nach der vollkommenen Geineinschaft

mit Gott. Wenn aber auch vott einer absoluten Ueberwindung jenes

Gegensatzes erst int Besitz der vollkommenen Gemeinschaft mit Gott, erst in der zukünftigen Welt die Rede sein kann:

so ist doch

andererseits nicht zu lettgnen, daß es bereits hier im Erdenleben

für den Jünger Christi solche Augenblicke giebt, in denen jener

Gegensatz nicht aufhört, aber doch so sehr im Bewußtsein zurücktritt, daß wir meinen, bereits von der Welt gelöst in Gott

unsere Ruhe zu haben, zu besitzet!.

Ich betone: jener Gegensatz

hört nicht auf; aber unser Bewußtsein ist von der Voraussetzung

III

7

98 geleitet, daß er überwunden sei.

Und insofern wir in der That,

noch im Streben nach der vollkommenen Gemeinschaft mit Gott, diese zeitweilig in unserm Bewußtsein in besonderen Augenblicken schon besitzen, dürfen wir von einer faktischen Ueberwindung des fraglichen Gegensatzes in der Gegenwart des Christenlebens reden. Insoweit nun unser Handeln von dem Bewußtsein der so gearteten

Ueberwindung getragen wird, freuen wir uns: d. i. wir üben eine Bethätigung des Besitzes der Gemeinschaft Gottes, die zeitweise

wirklich vollkommen vorhanden ist. Es erhebt sich nun die Frage: Wie weit darf das Be­ wußtsein jenes Gegensatzes zurücktreten und in welchem Sinn?

damit wir nicht den Ernst unserer Christenaufgabe zurückzustellen oder gar außer Acht zu lassen Gefahr laufen. Darf jener Gegen­

satz im Bewußtsein des Christen überhaupt zurücktreten?

Kürzer:

darf sich ein Jünger Christi in der bezeichneten Art freuen? Giebt es eine sittliche Berechtigung der Freude, ein christlich-sittliches

Moment an der Freude? Und bis zu welchem Grade? Antwort über das Alles soll uns nicht unser christliches Bewußtsein, nicht

unsere Spekulation, nicht Sitte und Gesetz, sondern die Schrift

selbst geben, das lautere, untrügliche Wort Gottes. Licht, welches die Freude bescheint.

Sie sei das

Und aus dem Schatten und

der Beleuchtung, welche dieses hervorruft, wollen wir Klarheit in

unserer Sache gewinnen. II. Die heil. Schrift Alten und Neuen Testaments, Gesetz,

Propheten und Chokma, Evangelisten und Apostel, und nicht zu­

letzt unser Herr und Heiland selber erkennen allzumal Berechtigung

und Notwendigkeit der Freude an, nicht nur der Freude in Gott, sondern auch der Freude in der Welt. Erklärung:

Nur

einige

wenige

Bibelstellen

statt vieler.

Das Alte Testament erzählt nut deutlicher Billigung der Sache

von vielen Volksfesten in Israel, die nicht nur mit Gebet und Opfern, sondern auch mit Freuden gefeiert wurden, z. B. Lev.

23, 40: ihr sollt sieben Tage fröhlich sein vor dem Herrn, eurem

Gott; Deut. 16, 15: der Herr, dein Gott, wird dir Segen geben in deinem Einkommen, darum sollst du fröhlich fein; Koh. 8. 15,

2, 10, 11, 9; der Mensch hat nichts Besseres denn fröhlich sein,

und dies bleibt ihm sein Leben lang; ich wehrte meinem Herzen

99 keine Freude, das hielt ich für mein Teil; so freue dich Jüngling

in deiner Jugend und laß dein Herz guter Dinge fein in deiner

Jugend. Thue, was dein Herz gelüftet und deinen Augen gefällt. Im neuen Bunde spricht Christus selbst von der Freude der Hoch­

zeitsgäste, die währet, so lange der Bräutigam bei ihnen ist (Matth. 9, 15), indem er ihr die Lebensweise seiner Jünger gleichstellt. Die Herrlichkeit seines Reichs stellt er wiederholt unter dem Bilde der Hochzeit dar (Matth. 22, 1 ff u. 5.).

Aus einer Hochzeit thut

er sein erstes Gnadenwunder, um eine Gabe zu spenden, die nur

zur Erhöhung der Freude in jedem Sinn des Worts beitragen konnte (Joh. 2. 1 ff.). Die Freude des Vaters, der den verloren

geglaubten Sohn wieder in seine Arme hat schließen dürfen, spricht sich in einem Festmahl mit fröhlichem Reigen aus, was von Jesus nur gebilligt wird (Luk. 15 Schluß). Paulus, Petrus und andere heilige Schriftsteller entlehnen Bilder für Kampf und Sieg des Christen von den fröhlichen Kampfspielen, die in ihrer Zeit man­

cherorts üblich waren (1. Kor. 9, 24 ff.; 1. Petr. 5, 4; Jak. 1, 12 u. ö), fanden in diesen also an sich nichts Verwerfliches.

Oester findet sich im Neuen Testament in den verschiedensten Zusam­ menhängen die Mahnung: freuet euch, seid fröhlich u. ä. (Matth.

5, 12; Luk. 6, 23, 10, 20, 15, 6; Röm. 12, 15; Phil. u. ö.). Dabei macht die heil. Schrift

niemals den

prinzipiellen

Unterschied zwischen Freude in Gott und Freude in der Welt.

Aber sie giebt für beide die rechte Beleuchtung, indem sie diese in jene aufnimmt.

Erstlich ist die Freude im Herrn eo ipso sittlich,

sie ist ja das Ziel alles christlichen Strebens, in der vollkommenen

Gemeinschaft mit Gott gegeben.

Im Alten Testament sind es

namentlich die Psalmen, die zahlreiche Aufforderungen zur Freude enthalten (2, 11; 32, 11; 33, 1; 97, 12 u. ö.).

Es handelt sich

um Freude über empfangene Wohlthaten Gottes, über seinen er­ fahrenen

Beistand,

über

die zukünftige

ewige Erlösung.

Im

Neuen Testament ist Inhalt der Freude allemal das von Gott in

Christo empfangene bezw. zu empfangende Heil, die Versöhnung und Erlösung durch Christi Tod, die Hoffnung des ewigen Lebens

und

der

Vollendung

aller

Dinge.

Inwieweit

irdische Dinge

Gegenstand der Freude werden können, ist damit gegeben: sie können es alle, wenn sie jenes Ziel der Gemeinschaft mit Gott 7*

100 nicht stören. Dann ist unter allen Dingen, die Freude bereiten, kein Unterschied. Hier gilt vielmehr: Alles ist euer (1. Kor. 3, 12),

alle Kreatur

Gottes

ist gut und nichts verwerflich,

das

mit

Danksagung empfangen wird (1. Tim. 4, 4).

Die

Schriftgemäßheit

der

Freude,

auch

der

weltlichen,

irdischen Freude innerhalb der für einen Christen soeben gesetzten

selbstverständlichen Grenze zu betonen, ist keineswegs überflüssig, weder in unserer Zeit noch in einer anderen Periode der Kirchen­

geschichte.

Es hat immer Vertreter

entgegengesetzter Ansichten

gegeben, die im Namen des Christentums äußerliche Unterschiede in den weltlichen Freuden machten, nach äußerlichen Gesichtspunkten

Regeln , für die Teilnahme der Christen an jenen feststellen wollten. Um den Verfolgungen seitens der römischen Kaiser und den Ver­

lockungen der

heidnischen

Welt

zu

entgehen,

sind

nicht

die

schlechtesten Jünger Christi schon im zweiten Jahrhundert aus der

Menschen Mitte geflohen, indem sie auf alle Freuden des Lebens, auf alles, was wie Annehmlichkeit und Bequemlichkeit aussah»

verzichteten, indem sie dergleichen grundsätzlich für Sünde ansahen: bis ins Mittelalter hinein, in gewissem Sinn bis in die Neuzeit besteht diese Richtung fort. Die spätere pietistische Lehrweise (die

ursprüngliche hielt sich auch hierin nach Luther an die Grundsätze

des

Evangeliums) verbot unbedingt Lachen, Tanzen, Scherzen,

Spielen, Theaterbesuch, allen Luxus in Essen, Trinken, Kleidung

und machte von der Befolgung aller dieser Verbote die ewige Seligkeit abhängig. Tänzer und Spieler galten als solche ohne weiteres als Nicht-Christen. Geistliche nahmen ihren Konfirmanden das Versprechen ab, niemals im Leben tanzen zu wollen.

Kurz,

jegliche Aeußerung der Freude außer derjenigen, die sich unmittel­ bar auf das Seelenheil, auf das letzte Ziel der vollkommenen Gemeinschaft mit Gott bezog, war verpönt, ja von den verhängnißvollsten Folgen für Zeit und Ewigkeit begleitet. Wer wüßte nicht, daß eine derartige Denkweise noch heutzutage gerade unter ernst

gerichteten

Christen

verbreitet

ist,

und

wer

hätte

nicht

die

Schwierigkeit empfunden, zu ihnen die richtige, d. i. dem Evan­

gelium gemäße Stellung zu finden? Denn ist auch nach der Schrift jegliche Kreatur Gottes, alles

was in der Welt ist, ausnahmslos fähig, für den Christen Gegen-

101 stand und Inhalt der Freude zu werden, so weiß ein Christ doch recht

wohl, daß er nicht unterschiedslos und nicht nach denselben Gesetzen

roie andere die Dinge dieser Welt genießen kann.

Welches ist

denn nun für den einzelnen Christen der evangelische Maßstab zur Beurtheilung des sittlichen Momentes an der Freude? Das führt uns zum dritten Hauptsatz. III. Nachdem im Prinzip jede Kreatür Gottes geeignet ist, Gegenstand der Freude zu sein, sollen den Maßstab zur Beurteilung

dessen, was an dieser sittlich ist, nicht überkommene Meinung,

Geschmack, Vorurteil, Sitte, Gewöhnung und ähnliche Elemente (axor/sia

tou

xoajiou, Kol. 2, 20) bilden, sondern der dem Christen

innewohnende heilige Geist Gottes, eine den Heiden gänzlich unbe­ kannte, von Israel nur geahnte göttliche Gabe. Erklärung: Uavra |iot s^eartv, «X/? oy icavTa ao|i