Zum tatbestandlichen Anwendungsbereich des § 238 Abs. 1 StGB [1 ed.] 9783428540822, 9783428140824

Der 2007 in Kraft getretene Straftatbestand der Nachstellung steht wegen seiner tatbestandlichen Weite auch nach der gru

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Zum tatbestandlichen Anwendungsbereich des § 238 Abs. 1 StGB [1 ed.]
 9783428540822, 9783428140824

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Schriften zum Strafrecht Band 247

Zum tatbestandlichen Anwendungsbereich des § 238 Abs. 1 StGB

Von

Philipp Georg Müller

Duncker & Humblot · Berlin

PHILIPP GEORG MÜLLER

Zum tatbestandlichen Anwendungsbereich des § 238 Abs. 1 StGB

Schriften zum Strafrecht Band 247

Zum tatbestandlichen Anwendungsbereich des § 238 Abs. 1 StGB

Von

Philipp Georg Müller

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2012 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-14082-4 (Print) ISBN 978-3-428-54082-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-84082-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2012/2013 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Sie wurde im Frühjahr 2012 abgeschlossen. Mein herzlicher Dank gilt zuvörderst meinem Doktorvater Prof. Dr. Wolfgang Frisch. Er hat sowohl das Thema der Arbeit angeregt als auch ihre Entstehung durch wertvolle Hinweise und Anregungen betreut. Eine wertvolle Bereicherung war für mich darüber hinaus, seine außergewöhnliche gedankliche Schärfe und seinen Blick für Zusammenhänge während meiner Tätigkeit an seinem Institut erleben zu können. Für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens bin ich Herrn Professor Dr. Walter Perron dankbar. Mein Dank gebührt zudem meinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen am Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht für eine wissenschaftlich lebhafte wie auch ansonsten schöne gemeinsame Zeit. Nennen möchte ich hierbei an erster Stelle Herrn Dr. Matthias Krausbeck, dessen umsichtige Anregungen während der Erstellung der Arbeit wesentlich zu deren späteren Gelingen beigetragen haben. Mein Dank gilt ferner Herrn Professor Dr. Gerhard Seher sowie Herrn Dominik Stahl für ihre unermüdliche Diskussionsbereitschaft. Dank gebührt zudem Herrn Thilo Schülke und Herrn Fabian Pflug für ihre unverzichtbare Hilfe beim Korrekturlesen. Im Rahmen der Danksagung möchte ich besonders Frau Dr. Stefanie Mutschler hervorheben. Ihre vielfältige Unterstützung hat wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Ihr Rückhalt ist für mich auch darüber hinaus von unsagbarem Wert. Von Herzen danken möchte ich zudem meinen Eltern, die mich stets liebevoll unterstützt und mich auf meinem Lebensweg in jeglicher Hinsicht uneingeschränkt gefördert haben. Freiburg im Breisgau, im Frühsommer 2013

Philipp Georg Müller

Inhaltsverzeichnis § 1 Einführung in die Thematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur (straf)rechtlichen Relevanz des Phänomens Stalking . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Gang der vorliegenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 2 Analyse des Phänomens Stalking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff, historische Entwicklung und Hintergrund des Phänomens Stalking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Herleitung und zum Inhalt des Begriffes Stalking . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Zur historischen Entwicklung des Phänomens Stalking . . . . . . . . . . . . . . 3. Zum Hintergrund des Phänomens Stalking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Prävalenz, Erscheinungsformen, Dauer und Verlauf des Stalking . . . . . . . .

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1. Zur Prävalenz des Stalking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zu den Erscheinungsformen des Stalking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zur Dauer des Verhaltensmusters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zum üblichen Verlauf des Stalking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Auswirkungen des Stalking auf Betroffene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Täter- und Opfertypologie(n) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tätertypologie(n) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hergebrachte Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besonderheiten und Übertragbarkeitshindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . c) Multiaxiales Modell nach Dreßing, Gass und Kühner . . . . . . . . . . . .

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aa) Die psychopathologische Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der psychotische Stalker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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(2) Stalker mit psychopathologischer Entwicklung . . . . . . . . . . (3) Stalker ohne psychiatrische Diagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Beziehungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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cc) Die Motivationsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Aussagefähigkeit des Modells für Risikoanalysen . . . . . . . . . . . . 2. Opfertypologie(n) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Erkenntnisse für die Notwendigkeit gesetzgeberischen Tätigwerdens . . . . . 1. Bedenken hinsichtlich der Notwendigkeit gesetzgeberischen Tätigwerdens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Im Besonderen: Fehlen einer allgemein anerkannten Definition . . .

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Inhaltsverzeichnis 2. Auswirkungen des Fehlens einer allgemein anerkannten Definition aus strafrechtlicher Sicht im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auswirkungen des Fehlens einer allgemein anerkannten Definition aus strafrechtlicher Sicht im Besonderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 3 Gesetzgeberische Reaktionen auf das Verhaltensmuster Stalking . . . . . . . . I. Überblick über gesetzgeberische Reaktionen im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vereinigte Staaten von Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Gesetzgebungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Model Anti-Stalking Code for the States von 1993 . . . . . . . . . . . aa) Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Tatbestandshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Taterfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Wiederholungsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Das Vorsatzerfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Model Stalking Code 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Tatbestandshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Besondere Eignungserfordernisse der Tathandlung . . . (aa) Hervorrufen von Furcht um die Sicherheit . . . . . . (bb) Hervorrufen von seelischem Leid . . . . . . . . . . . . . . (b) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Wiederholungsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Das Vorsatzerfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Gesetzgebungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausgestaltung des Protection from Harassment Act 1997 . . . . . . . . . aa) Bezogen auf England, Wales und Nordirland . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Straftatbestand der Belästigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Straftatbestand des Versetzens eines Menschen in Furcht vor Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zivilrechtliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sonderregelungen für Schottland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Criminal Justice and Licensing Scotland Act 2010 . . . c) Würdigung des Protection from Harassment Act 1997 . . . . . . . . . . . aa) Strafrechtliche Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Straftatbestand der Belästigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis (2) Straftatbestand des Versetzens eines Menschen in Furcht vor Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zivilrechtliche Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Gesetzgebungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesellschaftspolitische Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Standpunkt in der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gang der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgestaltung des Straftatbestandes der Nachstellung nach § 238 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzgeberisches Regelungsbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Systematische Stellung im Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schutzgut des § 238 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen . . . . . (1) Ansichten in Schrifttum und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . (a) Schutzgut des individuellen Lebensbereichs . . . . . . . . . (b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Schutzgut des individuellen Rechtsfriedens . . . . . . . . . . (d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Schutzgut des individuellen Rechtsfriedens im Rahmen des § 241 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Gründe für einen spezifizierten Gefühlsschutz . . . (cc) Allgemeine Gründe gegen einen spezifizierten Gefühlsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (dd) Besondere Gründe gegen einen spezifizierten Gefühlsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Schutzgut aus der Zusammenführung mittel- und unmittelbarer Folgen des Nachstellens . . . . . . . . . . . . . . . . . (f) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schutzgut der Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Der objektive Tatbestand des § 238 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Tathandlung des Nachstellens in ihren jeweiligen Begehungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zur inhaltlichen Bestimmbarkeit der Tathandlung . . . . . . . . (2) Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . (3) Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . (4) Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 3 StGB . . . . . . . . . . . . . (5) Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis (6) Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB . . . . . . . . . . . . . (a) Zur Frage der Bestimmtheit der Auffangklausel . . . . . . (aa) Vorgaben des Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . (bb) Ansichten in Rechtsprechung und Schrifttum . . . . (b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Merkmal der Unbefugtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gesetzgeberische Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kritik im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Rolle und Funktion der Unbefugtheit i. R. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Rolle und Funktion der Unbefugtheit i. R. d. § 238 Abs. 1 Nr. 3 und 4 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Merkmal der Beharrlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gesetzgeberische Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kritik in Rechtsprechung und Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . (a) Hinsichtlich der objektiven Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . (b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Hinsichtlich der subjektiven Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . (d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Taterfolg der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gesetzgeberische Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Auslegung durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Auslegung im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zu zentralen Kritikpunkten im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . (a) Kritik hinsichtlich des Erfolgserfordernisses im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Kritik hinsichtlich des konkreten Erfolgserfordernisses (aa) Unbestimmtheit des Taterfolgs . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Verkürzung des Opferschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . (dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Der subjektive Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Qualifikationen des § 238 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Qualifikationstatbestand des § 238 Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . bb) Erfolgsqualifikation des § 238 Abs. 3 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . h) Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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i) Strafandrohung des § 238 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 j) Strafantragserfordernis und Ausgestaltung als Privatklagedelikt . . . 223 k) Flankierende strafprozessuale Vorschrift des § 112a Abs. 1 Nr. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 § 4 Würdigung der rechtlichen Reaktion in Deutschland unter strafrechtsdogmatischen Gesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Anforderungen in Hinblick auf die Legitimation und Ausgestaltung . . I. Verfassungsrechtsorientierte Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassungsgerichtliches Prüfungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erfordernis eines qualifizierten Schutzguts als eigenständiges Legitimationskriterium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prüfungsgegenstand und Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Hinsichtlich der zugrunde liegenden Verhaltensanweisung . . . . bb) Hinsichtlich der Strafbewehrung der Verhaltensanweisung . . . . cc) Hinsichtlich der konkreten Strafandrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kritik an dem verfassungsgerichtlichen Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . 2. Verfassungsrechtsorientierte Ansätze im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erfordernis eines qualifizierten Schutzguts als eigenständiges Legitimationskriterium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prüfungsgegenstand und Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kritik an den Modellen Appels und Lagodnys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Strafrechtsorientierte Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Lehre vom Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Historischer Abriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gegenwärtige gesetzgebungskritische Rechtsgutskonzepte . . . . . . . . c) Kritik an den bestehenden gesetzgebungskritischen Rechtsgutskonzepten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begriffsbezogene Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik in Hinblick auf die Herleitung materialer Kriterien . . . . . (1) Hinsichtlich einer dem positiven Recht vorgelagerten Werteordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Hinsichtlich eines vorherrschenden gesellschaftlichen Wertemodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Hinsichtlich einer objektiven Werteordnung aus der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ansätze zur Ergänzung des Rechtsgutskonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ergänzung durch das Kriterium der Sozialschädlichkeit . . . . . . bb) Ergänzung durch Kriterien aus der anglo-amerikanischen Legitimationsdebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

226 226 227 229 229 231 232 233 233 236 238 238 239 242 242 244 247 248 253 256 256 257 258 259 260 262 264 264 265

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Inhaltsverzeichnis (1) Präzisierende Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Mediating Principles als Ergänzung neben dem Rechtsgutskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis zu den Ergänzungsansätzen . . . . . . . . . . . 2. Zum Verbleib der Kriterien der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit a) Zum Kriterium der Strafbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zum Kriterium der Strafwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Richtpunkte für die Begrenzung strafbaren Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . a) Legitimität der zugrunde liegenden Verhaltensanweisung . . . . . . . . . b) Legitimität der Sanktionsnorm – Adäquität des Strafeinsatzes . . . . . B. Legitimität des Nachstellungstatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Legitimität der dem Nachstellungstatbestand zugrunde liegenden Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Vorgaben für die Legitimität der Verhaltensnorm . . . . . . . . 2. Die im Rahmen des § 238 Abs. 1 StGB betroffenen Interessen und Güter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhaltensnorm als Ausdruck einer Güter- und Interessenabwägung . . . a) Inhalte und Wertungen aus der Primärrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . aa) In Hinblick auf die tatbestandlichen Auswirkungen . . . . . . . . . . (1) Schutzanordnung nach § 1 Abs. 1 GewSchG . . . . . . . . . . . . . (2) Unterlassungsanspruch nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Grundlagen des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Schutzumfang im Rahmen des Unterlassungsanspruchs nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB . . . . (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) In Hinblick auf das Nachstellungsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Nachstellungsverhalten i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB . . . (a) Bezogen auf ein Zweipersonenverhältnis . . . . . . . . . . . . (b) Bezogen auf ein Dreipersonenverhältnis . . . . . . . . . . . . . (2) Nachstellungsverhalten i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 3 StGB . . . (a) Recht auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . (b) Namensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Schutz vor Veranlassung zur Kontaktaufnahme . . . . . . . (d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Nachstellungsverhalten i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB . . . (a) Personales Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Unzumutbare Belästigung i. S. d. § 1 Abs. 2 GewSchG (4) Nachstellungsverhalten i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB . . .

266 269 269 269 270 272 273 274 275 278 288 288 288 289 289 292 292 293 295 297 299 301 303 304 305 306 306 307 308 309 309 309 310 313 315

Inhaltsverzeichnis (a) Eindringen in die Wohnung, Geschäfts- oder Arbeitsräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Aufsuchen der räumlichen Nähe in der Öffentlichkeit . (aa) Allgemeine Vorgaben für die Untersagung des Aufsuchens der räumlichen Nähe in der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Rechtsmissbräuchliches Verhalten . . . . . . (bb) Unzumutbare Belästigung i. S. d. § 1 Abs. 2 GewSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Erkenntnisse für die Legitimität der dem Nachstellungstatbestand zugrundeliegenden Verhaltensnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Legitimität der Sanktionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur tatbestandlichen Reichweite des gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses zum Schutz der Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anforderungen an ein i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB tatbestandsmäßiges Nachstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 315 316

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331 334

§ 5 Schlussbetrachtung und Unterbreitung eines Alternativvorschlages . . . . . . 337 I. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 II. Alternativvorschlag für die Ausgestaltung eines Straftatbestandes zum Schutz vor Nachstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367

§ 1 Einführung in die Thematik I. Zur (straf)rechtlichen Relevanz des Phänomens Stalking Die gesellschaftliche und insbesondere (straf)rechtliche Bewältigung des Phänomens Stalking verliert nach wie vor nicht an Brisanz.1 Längst hat Stalking umfangreichen Eingang nicht nur in tagesaktuelle Medien, sondern auch in zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen wie der Psychologie und Psychiatrie, der Sozial- und Rechtswissenschaften gefunden.2 Im Kern handelt es sich bei Stalking um ein sich aus einzelnen – zum Teil stark heterogenen – Verhaltensweisen zusammensetzendes Verhaltenskonstrukt.3 Die einzelnen Handlungen sind dadurch gekennzeichnet, dass der Täter wiederholt mit dem Opfer gegen dessen Willen im weitestgehenden Sinne interagiert. Infolge des Verhaltens kann es mitunter zu schwerwiegenden psychischen Erkrankungen und einer nicht unerheblichen Veränderung der bisherigen Lebensführung des Opfers kommen.4 Hinsichtlich der einzelnen Verhaltensweisen ist zwischen sog. schweren Stalking und sog. mildem Stalking zu unterscheiden.5 Unter letztgenannte Kategorie fallen alltägliche Verhaltensweisen wie bspw. das Aufsuchen der räumlichen Nähe des Opfers, das Schreiben von Briefen oder Telefonanrufe.

1 Siehe hierzu etwa die Sendung „Krank durch Stalking“ als Schwerpunktthema im Rahmen der Sendereihe Sprechstunde im Deutschlandfunk vom 17.01.2012. Für Informationen hierzu und den entsprechenden Link zum Nachzuhören: www.dradio.de/dlf/ sendungen/sprechstunde/1651734. Ein guter Überblick hinsichtlich der Verbreitung des Stalking als gesellschaftliches Problem und die bestehenden Anti-Stalking-Gesetze ist bspw. bei Löhr, Notwendigkeit, S. 148 ff., 214 ff. zu finden; siehe auch De Fazio, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 229 (231); Albrecht, FPR 2006, 204 (206 f.). 2 Siehe etwa für den Bereich der Psychologie: Voß/Küken, FPR 2006, 180 ff.; für den Bereich der Psychiatrie: Dreßing/Kühner/Gass, Psychiatrische Praxis 2005, 73 ff.; für den Bereich der Sozialwissenschaften: Hoffmann, Stalking, S. 15 ff.; für den Bereich der Rechtswissenschaften siehe auch Löhr, Notwendigkeit, S. 292 m.w. N. 3 Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (263 f.); Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 10. 4 Siehe hierzu Kühner, FPR 2006, 186 (186 f.); Morewitz, Stalking and Violence, S. 39 ff. 5 Zu dieser Einteilung Löbmann, MschrKrim 2002, 25 (25 f.); vgl. auch Bieszk/Sadtler, NJW 2007, 3382 (3384); Fiedler/Fydrich, Psychotherapeut 2007, 139 (140 f.)

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§ 1 Einführung in die Thematik

Trotz mancher Skepsis6 gegenüber der Einschätzung, Stalking sei als soziales und rechtlich relevantes Phänomen auch in der gesellschaftlichen Realität Deutschlands angekommen,7 zeigt sich aufgrund der recht hohen Verbreitungsrate und der mitunter enormen Auswirkungen auf die Betroffenen der Bedarf für eine Auseinandersetzung mit dieser Erscheinungsform auch im Strafrecht. Den beiden bislang in Deutschland durchgeführten repräsentativen Studien zufolge werden knapp 12% der Bevölkerung mindestens ein Mal in ihrem Leben über eine Zeitspanne von mindestens zwei Wochen mit mindestens zwei unterschiedlichen Methoden verfolgt, belästigt oder bedroht und dadurch in Angst und Schrecken versetzt.8 Einen ersten Schritt zur Bekämpfung des Stalking hat der deutsche Gesetzgeber bereits mit dem zum 1. Januar 2002 in Kraft getretenen und genuin zivilrechtlich geprägten Gewaltschutzgesetz unternommen. Dieses stand jedoch nicht zuletzt aufgrund von Umsetzungsdefiziten nachhaltig in der Kritik, einen effektiven Opferschutz nicht gewährleisten zu können.9 Daher verabschiedete der Bundestag am 30.11.2006 mit dem 40. StrÄndG das „Gesetz zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen“.10 Dabei handelt es sich um einen Kompromissvorschlag aus den Entwürfen der Bundesregierung und des Bundestages.11 Der Straftatbestand zum Schutz vor beharrlichen Nachstellungen (§ 238 StGB) ist zum 31.03.2007 in Kraft getreten. Auch knapp vier Jahre nach der grundlegenden Entscheidung des BGH vom 19.11.200912 steht der Straftatbestand zum Schutz vor Nachstellungen vor allem im Schrifttum in vielfacher Hinsicht in der Kritik.13 Das Gros der bisher ver6 Vgl. hierzu die von Zurückhaltung geprägten Ausführungen von Fischer, StGB, § 238 Rn. 3 und Albrecht, Stalking – Wissenschaftliche Perspektiven, in: Weiß/Winterer (Hrsg.), Stalking und häusliche Gewalt, S. 15 (16 ff., 43). 7 So die Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Schaffung eines Straftatbestandes zum Schutz vor Stalking, siehe BT-Drs. 16/575, S. 1. 8 Siehe hierzu die im Jahre 2005 in Mannheim durchgeführte Studie, diesbzgl. Dreßing/Kühner/Gass, Psychiatrische Praxis 2005, 73 (74 ff.), sowie die von der an der TU Darmstadt eingerichteten Arbeitsgruppe Stalking durchgeführte Studie mittels Internetbefragung, siehe die Ergebnisse bei Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 33 ff. 9 So die eigene Einschätzung der Bundesregierung, siehe BT-Drs. 16/575, S. 1. 10 Das 40. StrÄndG ist abgedruckt in BGBl. Teil 1 Nr. 11, Jahrgang 2007, S. 354. Zum Gesetzentwurf in der Fassung der Beschlussempfehlung des 6. Ausschusses siehe BT-Drs. 16/3641, S. 4 ff., teilweise mit Verweis auf BT-Drs. 16/575. 11 Entscheidend in Hinblick auf die letztendliche Fassung hat dabei der Rechtsausschuss mitgewirkt, dessen Beschlussempfehlung schließlich angenommen wurde. Siehe hierzu und zur Entstehungsgeschichte des § 238 StGB ausführlich Buß, Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 191 ff. 12 Abgedruckt in BGHSt 54, 189 ff. 13 Für eine Auswahl Fischer, StGB, § 238 Rn. 3 ff.; Krüger, FPR 2011, 219 (220 ff.); NK-StGB/Sonnen, § 238 Rn. 29 ff.; Löhr, Notwendigkeit, S. 296 ff., 372 ff.; Wei-

I. Zur (straf)rechtlichen Relevanz des Phänomens Stalking

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öffentlichten wissenschaftlichen Untersuchungen geht dabei der Frage nach, inwieweit Stalking bislang strafrechtlich erfasst war14 bzw. ob zur Gewährleistung eines effektiven Opferschutzes eine Stärkung des bisherigen rechtlichen Schutzniveaus im Wege des Ausbaus vor allem zivilrechtlicher Vorschriften genügt hätte15. Gleichwohl ist nicht zu erwarten, dass der Gesetzgeber nach der durchaus kontrovers geführten Debatte16 um die Einführung des § 238 StGB und der Ankündigung, mit dem Straftatbestand „ein Zeichen setzen“ 17 zu wollen, gewichtige Änderungen an der Ausgestaltung des Nachstellungstatbestandes vornehmen oder den Straftatbestand im Gesamten abschaffen wird. Ferner ist auch nicht zu erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht den Nachstellungsstraftatbestand im Gesamten für verfassungswidrig erklären wird. Bislang hat das Bundesverfassungsgericht noch keine Strafvorschriften aus dem Besonderen Teil des Strafgesetzbuches in Hinblick auf die Notwendigkeit der Strafbewehrung für ungeeignet oder nicht erforderlich gehalten und für verfassungswidrig erklärt.18 Ausgehend von dieser Bestandsaufnahme soll mit der vorliegenden Untersuchung ein anderer Weg beschritten werden. Angesichts der Kritik, dass § 238 Abs. 1 StGB wegen der recht konturenlosen Tatbestandsmerkmale wenig greifbare Anforderungen an die Tathandlung stelle19 und angesichts des Umstandes, dass mit § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB auch Verhaltensweisen erfasst werden, nitschke, Rechtsschutz gegen Stalking de lege lata et ferenda, 127 ff., 195 ff.; Neubacher/Seher, JZ 207, 1029 (1036); Rackow, GA 2008, 552 (554); Gazeas, JR 2007, 497 (498 ff., 505). 14 Siehe etwa die Arbeiten von Aul, Stalking – Phänomenologie und strafrechtliche Relevanz, S. 143 ff.; Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 127 ff. 15 Siehe etwa die Arbeiten von Löhr, Notwendigkeit, S. 401 ff.; Weinitschke, Rechtsschutz gegen Stalking de lege lata et ferenda, S. 199 ff.; noch vor Einführung des § 238 StGB auch Schmischek, Stalking, S. 131 ff. 16 Einen guten Überblick hierüber bieten die Ausführungen von Gazeas, KJ 2006, 247 (248 ff.). 17 So die Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz vom 30.11.2006 kurz nach Verabschiedung des Gesetzes zur Schaffung des § 238 StGB, abrufbar unter www.bmj.de. 18 Vgl. hierzu Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 22 mit Verweis auf die Ausführungen von Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 61 ff., der sich auf Entscheidungen des BVerfG bezieht, die in der Zeit vor 1990 ergingen. Grund hierfür ist, dass sich das BVerfG eine äußerst eingeschränkte gerichtliche Kontrolldichte auferlegt, um dem Gesetzgeber in seiner Einschätzungsprärogative genügend Spielraum zu lassen. Demnach betont das BVerfG immer wieder, es sei Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns im Einzelnen verbindlich festzulegen, siehe hierzu BVerfGE 27, 18 (29 f.); 50, 142 (162); 90, 145 (173); 96, 10 (26); zuletzt in seiner Inzest-Entscheidung in BVerfGE 120, 224 (240). 19 Siehe vorab die Kritik an der Tathandlung des Nachstellens in Hinblick auf die unrechtsspezifisch recht schwachen Anforderungen Rackow, GA 2008, 552 (561 ff.).

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§ 1 Einführung in die Thematik

die sozialadäquat20 erscheinen und an sich kein strafwürdiges Unrecht darstellen21, ist zu untersuchen, wie der Anwendungsbereich des Tatbestandes zu bestimmen ist, damit nur ein solches Nachstellen unter Strafe gestellt wird, das letztlich auch den Einsatz von Strafe verdient. Im Zentrum der vorliegenden Untersuchung steht damit die Frage nach der Konturierung des tatbestandsmäßigen Anwendungsbereichs des § 238 Abs. 1 StGB. II. Gang der vorliegenden Untersuchung Um den strafrechtlich relevanten Anwendungsbereich des Nachstellungstatbestandes bestimmen zu können, bedarf es zunächst einer eingehenden Untersuchung der spezifischen Besonderheiten des Stalking nicht nur vor strafrechtlichem Hintergrund. Der erste Teil befasst sich daher mit einer disziplinübergreifenden Analyse des Phänomens. Zunächst sind hierfür die Herleitung und der Inhalt des Begriffes Stalking, die Entwicklung und der gesellschaftliche Hintergrund des Phänomens zu beleuchten, bevor in einem zweiten Schritt auf die Verbreitung, die verschiedenen Erscheinungsformen, die Dauer und den üblichen Verlauf des Stalking sowie auf die Auswirkungen auf Betroffene einzugehen sein wird. Dem folgt eine Darstellung gängiger Täter- und Opfertypologien, um einen Überblick über die möglichen Beteiligten des Verhaltenskonstruktes, deren Verhältnis zueinander und die das Täterverhalten leitende Motivation gewinnen zu können. Grundlage für diese Untersuchungen bilden nationale und internationale Studien. Eine zentrale Rolle nimmt am Ende der Analyse die Frage ein, inwieweit besondere Eigenarten des Stalking die (straf)rechtliche Erfassung und Bekämpfung des Phänomens möglicherweise erschweren können. Der zweite Teil der Untersuchung geht unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus der disziplinübergreifenden Analyse der Frage nach, wie internationale und insbesondere der deutsche Gesetzgeber die Materie des Stalking aufgegriffen und einer (straf)rechtlichen Regelung zugeführt haben. Stellvertretend für die verschiedenen internationalen (straf)rechtlichen Tatbestandsmodelle zum Schutz vor Stalking wird zunächst auf den US-amerikanischen Model Anti-Stalking Code for States aus dem Jahr 1993 eingegangen, der sich für eine genauere Betrachtung besonders eignet, da er zu einem frühen Zeitpunkt nach Aufkommen 20 Der Begriff sozialadäquat impliziert nicht per se, dass das Verhalten auch zugleich rechtmäßig ist. Vermerkt sei jedoch an dieser Stelle, dass eine Verhaltensweise rechtlich nicht hinreichend erfasst wird, solange nicht zusätzlich die Zweck- und Zielsetzung des Handelnden Beachtung finden, welche in der sozialen Realität dem äußerlichen Verhalten seinen sozialen Sinn geben. Erst dann kann beurteilt werden, ob sich das äußerlich durchaus alltäglich erscheinende Verhalten bei umfassender Würdigung nicht u. U. doch als kriminelles Verhalten anzusehen ist, vgl. hierzu Otto, FS Amelung, S. 225 (228). 21 So bereits die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf, siehe hierzu BT-Drs. 16/ 575, S. 7: „Die unter den Nummern 1 und 2 konkretisierten Nachstellungshandlungen umfassen auch grundsätzlich sozialadäquates Verhalten.“

II. Gang der vorliegenden Untersuchung

19

des Phänomens als Modelltatbestand ein US-bundesstaatlich einheitliches (straf)rechtliches Schutzniveau gewährleisten sollte. Dies gilt ebenso für dessen Nachfolger, den US-amerikanischen Model Stalking Code aus dem Jahr 2007, der auf dem bisherigen Höhepunkt der interdisziplinären wissenschaftlichen Aufarbeitung des Phänomens entwickelt wurde. Von Interesse ist ferner aufgrund seiner tatbestandlichen Weite der Protection from Harassment Act 1997 des Vereinigten Königreichs. Im Anschluss daran ist auf den deutschen Nachstellungstatbestand (§ 238 StGB) einzugehen. Besonderes Augenmerk soll dabei auf die konkrete Ausgestaltung des § 238 Abs. 1 StGB und dessen Auslegung durch das Schrifttum und die hierzu bislang ergangene Rechtsprechung gelegt und etwaige Unzulänglichkeiten in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht herausgearbeitet werden. Der dritte Teil der vorliegenden Untersuchung widmet sich der Würdigung des Nachstellungstatbestandes unter strafrechtsdogmatischen Gesichtspunkten. Um sich dabei der Frage zu nähern, wann ein Verhalten den Einsatz von Strafe verdient, sind zunächst verfassungsrechtliche und insbesondere verfassungsgerichtliche, sowie strafrechtsorientierte Modelle in Hinblick auf die Legitimität einer Strafrechtsnorm einer eingehenden Würdigung zu unterziehen. Im Anschluss daran ist auf Richtpunkte für die Begrenzung strafbaren Verhaltens einzugehen, die sich insbesondere aus der Bedeutung und dem Stellenwert der (Kriminal-) Strafe – als dem äußersten dem Staat zur Verfügung stehenden Interventionsmittel22 – ergeben. Vor dem Hintergrund dieser besonderen strafrechtsspezifischen Anforderungen ist in einem zweiten Schritt zu untersuchen, inwieweit dem Opfer des Stalking bereits nach der vorstrafrechtlichen Rechtsordnung das Recht zukommt, vor i. S. v. § 238 Abs. 1 StGB tatbestandlich relevantem Nachstellungsverhalten verschont zu bleiben, da ein strafrechtlicher Schutz in der Regel erst an dieses Schutzniveau anzuknüpfen vermag. Dies leitet hin zu der Beantwortung der im Zentrum dieser Untersuchung stehenden Frage nach der Notwendigkeit der Konturierung des tatbestandsmäßigen Anwendungsbereichs des § 238 Abs. 1 StGB, an deren Ende im Rahmen des zusammenfassenden vierten und letzten Teils ein Alternativvorschlag für die Ausgestaltung eines entsprechenden Straftatbestandes zum Schutz vor Stalking zu finden sein wird.

22 Siehe hierzu Wohlers, Strafrecht als ultima ratio – tragender Grundsatz eines rechtsstaatlichen Strafrechts oder Prinzip ohne eigenen Aussagegehalt?, in: von Hirsch/ Seelmann/Wohlers (Hrsg.), Mediating Principles, S. 54 (54) m.w. N.

§ 2 Analyse des Phänomens Stalking I. Begriff, historische Entwicklung und Hintergrund des Phänomens Stalking 1. Zur Herleitung und zum Inhalt des Begriffes Stalking

Der mittlerweile auch im deutschen Sprachraum gängig verwendete1 Begriff Stalking entstammt der englischen Jägersprache und bezeichnet in seiner ursprünglichen Bedeutungsweise übersetzt das Jagen und Verfolgen von Tieren,2 das Einkreisen der Beute,3 aber auch das Anschleichen und auf die Pirsch Gehen4. Der Wandel zu einer Übertragung auf spezifisch auf Menschen ausgerichtetes Verhalten geschah erst in den späten 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Den Anstoß hierzu lieferte die Ermordung der bekannten US-amerikanischen Schauspielerin Rebecca Schäfer, deren Tod eine knapp zweijährige, liebesbedingte Verfolgung5 durch ihren späteren Mörder voranging.6 Der Vorfall erregte eine enorme öffentliche Aufmerksamkeit, deren Wahrnehmung durch ein gewaltiges Medienecho noch verstärkt wurde. Hierbei wurde der Begriff Stalking erstmals verwendet, um dem vorangegangenen Geschehen bis zur Ermordung Schäfers einen griffigen Namen zu geben.7 Bezog sich der Terminus Stalking damit in diesem Kontext zunächst nur auf die Vorgehensweise von fanatischen Bewunderern gegenüber den gesellschaftlich exponierten und von ihnen verehrten Personen,8 wurde der Begriff schon bald auf 1

So wird Stalking als Terminus bspw. bereits im Duden geführt, siehe Wermke u. a. (Hrsg.), Duden, Bd 1, S. 961. 2 Hoffmann, Stalking, S. 1; Smischek, Stalking, S. 47. 3 Bettermann, Stalking – Möglichkeiten und Grenzen der Interention: Eine Einleitung, in: Bettermann/Feenders (Hrsg.), Stalking, S. 3 (3); Kerbein/Pröbsting, ZRP 2002, S. 76 (77). 4 Langenscheidt, Englisch I, S. 573; Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (15). 5 Diese Verfolgung geschah in Gestalt ständigen Zusendens von Briefen und Geschenken, mit welchen der spätere Täter um die berühmte Schauspielerin warb, welche jedoch von Schäfer stets zurückgewiesen wurden. 6 Finch, Criminalisation of Stalking, S. 104. 7 Vgl. hierzu McGuire/Wraith, The Journal of Forensic Psychiatry 2000, 316 (316); Pathé, Surviving Stalking, S. 7. 8 Und damit auf den Bereich des sog. Star-Stalking, bei dem sich die Auswahl der verfolgten Personen ausschließlich auf den Kreis gesellschaftlich exponierter Personen beschränkt; vgl. hierzu Phillips, Celebrity and Presidential Targets, in: Pinals (Hrsg.),

I. Begriff, historische Entwicklung und Hintergrund

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vergleichbare Verhaltensweisen übertragen, die gegenüber Personen des Alltagslebens ausgeübt wurden.9 So entwickelte sich das unter Stalking verstandene Verhalten zunächst im angloamerikanischen und später im europäischen Raum innerhalb kurzer Zeit zu einer ernst zu nehmenden öffentlichen Erscheinung mit einem unvorstellbarem Medieninteresse, sowie gesetzgeberischem und polizeilichem Tätigwerden.10 Nicht selten basierte das zuletzt genannte legislative und administrative Engagement auf einem vehementen gesellschaftlichen Druck, der durch schicksalhafte Einzelfallschilderungen in den Medien und das dadurch sensibilisierte Sicherheitsgefühl der Bevölkerung beständig wuchs.11 Gleichzeitig fand das Phänomen Stalking aber auch Eingang in zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen wie die der Psychologie und Psychiatrie, der Sozial- und Rechtswissenschaften, wie auch insbesondere der Kriminologie.12 Hierbei wurden mitunter Verbindungen zu bereits etablierten sozialen Problemen wie der Gewalt gegen Frauen oder der Gewalt im sozialen Nahraum hergestellt,13 was der Entwicklung des Phänomens Stalking eine besondere Dynamik verschaffte.14 Doch weder auf rechtswissenschaftlichem, noch auf verhaltenswissenschaftlichem oder psychiatrischem Fachgebiet ist es bislang gelungen, eine (inter)disziplinär anerkannte Definition von Stalking zu lancieren.15 Die zur BeStalking, S. 227 (227 ff.); ausführlich hierzu auch Hoffmann, Stalking, S. 91 ff. Zu den gesellschaftlich exponierten Personen zählen beispielsweise Schauspieler, Musiker, Produzenten, aber auch Politiker und Lehrer. 9 Matthias-Bleck, Stalking, S. 27; Albrecht, FPR 2006, 204 (204). 10 Mullen, Preface, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. XI; Petch, The Journal of Forensic Psychiatry 2002, 19 (19). 11 Vielfach kann dieses Tätigwerden daher auch mit Aktionismus umschrieben werden. In diese Richtung argumentierend Albrecht, Stalking – Wissenschaftliche Perspektiven, in: Weiß/Winterer (Hrsg.), Stalking und häusliche Gewalt, S. 15 (17 ff.); etwas vorsichtiger Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (13 f.). 12 Vgl. hierzu Fischer, StGB, § 238 Rn. 3; für den Bereich der Psychologie etwa Voß/ Küken, FPR 2006, 180 (180 f.). 13 Baldry, From Domestic Violence to Stalking: The Infinite Cycle of Violence, in: Boon/Sheridan (Hrsg.), Stalking and Psychosexual Obsession, S. 83 (86 ff.); Fiedler, Stalking, S. 11; ausführlich hierzu Logan/Walker, Trauma, Violence, & Abuse 2009, S. 247 (247 ff.). 14 Albrecht, FPR 2006, 204 (204); Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/ Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (13 f.); Finch, Criminalisation of Stalking, S. 87. 15 Siehe Rackow, GA 2008, 552 (553 f.) m.w. N.; Dreßing/Kühner/Gass, ZRP 2006, 176 (177). Bspw. findet sich in § 238 StGB weder eine Legaldefinition noch wird der Begriff in der Überschrift oder im Tatbestand ein einziges Mal aufgeführt. Auch andere Rechtsordnungen vermeiden den Ausdruck Stalking in ihren spezifischen Tatbeständen, vgl. Kerbein/Pröbsting, ZRP 2002, S. 76 (77); in Hinblick auf das englische Recht siehe Samuels State Law Review 1997, 244 (244). Übersichtlich zu den verschiedenen Definitionsansätzen aus nationaler wie internationaler Sicht Aul, Stalking, S. 38 ff. Zur Forderung nach einer verbindlichen Definition in den anderen Disziplinen vgl. Westrup, Applying Functional Analysis to Stalking Behaviour, in: Meloy (Hrsg.), Psychology of Stalking, S. 275 (276 f.); dabei wäre es gerade in diesem Bereichen wichtig, zur Aus-

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§ 2 Analyse des Phänomens Stalking

griffsbestimmung des Stalking zu findenden Ansätze sind nahezu so facettenreich wie die einzelnen Handlungen und Verhaltensweisen, die allgemein unter dem Phänomen verstanden werden. Die Definitionsansätze reichen von Beschreibungen des Stalking als eine Konstellation von Verhaltensweisen, in deren Rahmen ein Individuum ein anderes mit wiederholten, unerwünschten Zudringlichkeiten und Kommunikation überzieht,16 über ein auf eine bestimmte Person ausgerichtetes obsessives Verfolgen, das aus einem abnormalen oder lange andauernden Verhaltensmuster aus Drohungen oder Belästigungen besteht und der Zielperson nicht erwünscht ist und damit zunehmend als bedrohlich empfunden wird,17 bis hin zu einem fortgesetzten Verhalten, welches durch heimliches Annähern und Verfolgen gekennzeichnet ist und von der Intention begleitet wird, das Stalking-Objekt zu verletzen oder es in seine Gewalt zu bringen.18 Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie hinsichtlich einer genaueren Beschreibung der Vorgehensweise des Stalkers19 äußerst vage bleiben. Der Grund hierfür ist, dass unzählige Möglichkeiten für den Stalker bestehen, mit der von ihm ausgesuchten Person Kontakt aufzunehmen.20 Stellt man die einzelnen Ansätze zur Begriffsbestimmung einander gegenüber, so lässt sich vor allem unter Bezugnahme auf restriktivere Definitionen das Phänomen Stalking als ein dyadisches Verhaltenskonstrukt beschreiben, das aus einem Muster von mehreren und zumeist unterschiedlichen Einzelhandlungen besteht, welche auf eine Kontaktaufnahme gegen den Willen der kontaktierten Person abzielen. Dieses Muster ist geeignet, dem Opfer in erster Linie psychisch erheblich zuzusetzen und es speziell in seinem Freiheitsempfinden wie auch letztlich in seiner Lebensführung negativ zu beeinträchtigen. Allen unter Stalking zu fassenden Handlungen ist gemein, dass der Stalker mittels Kontaktaufnahme eine – im weitestgehenden Sinne zu verstehende – Beziehung zu der von ihm spezifizierten Person herzustellen und infolgedessen beständig deren Aufmerksamkeit zu erringen versucht.21 Dabei kann die Motivation des Täters sowohl wertung und Übertragung von empirischen und epidemiologischen Studien einen vergleichbaren Maßstab zu haben. 16 So Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 7. 17 So der Ansatz von Meloy, Psychology of Stalking, in: Meloy (Hrsg.), Psychology of Stalking, S. 1 (2 f.); Meloy/Gothard, American Journal of Psychiatry 1995, S. 258 (258). 18 Dies entspricht einem in der Öffentlichkeit verbreitet wahrgenommenen Verständnis, vgl. McCann, Stalking in Children, S. 8 f. 19 Im Folgenden wird der Begriff Stalker aus Gründen der Vereinfachung als Umschreibung für sowohl männliche wie auch weibliche Täter gebraucht. 20 Vgl. die Aufstellung zumeist verwendeter Methoden bei Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (21); Bieszk/Sadtler, NJW 2007, 3381 (3384); Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, 41 ff.; Pathé, Surviving Stalking, S. 8 ff. 21 Vgl. Kinzig/Zander, JA 2007, 481 (481).

I. Begriff, historische Entwicklung und Hintergrund

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positive als auch negative Gefühle gegenüber dem Betroffenen umfassen, für das Opfer hingegen sind diese Verhaltensweisen jedoch stets unerwünscht und werden als zudringlich empfunden.22 Einige dieser Handlungen bewegen sich in einer rechtlichen Grauzone zwischen noch sozialadäquatem und bereits kriminellem Verhalten.23 Entscheidendes Merkmal des Stalking ist die Wiederholung und Kontinuität der gleichsam durch ein inneres Band miteinander verknüpften unterschiedlichen Handlungsweisen und der ihnen innewohnenden Wirkweise.24 Erst durch diese Kontinuität gewinnen die Handlungen an dem für das Phänomen Stalking typischen und für das Opfer bedrohlichen Potential.25 2. Zur historischen Entwicklung des Phänomens Stalking

Betrachtet man das unter dem Begriff Stalking verstandene Verhaltensmuster genauer, so fällt auf, dass es sich hierbei nicht um eine neue Erscheinung handelt.26 Zu einem der ersten überlieferten Fälle von Stalking kann man die alttestamentarischen Erlebnisse von Joseph in Ägypten zählen.27 Doch auch die griechische Mythologie der Antike zeigt sich durchsetzt von Verhaltensweisen, welche heute dem Begriff des Stalking zuzurechnen sind.28 Das unter Stalking zu subsumierende Verhalten ist demgemäß nicht neu, jedoch haben sich die gesellschaftliche Wahrnehmung und Reaktionen auf dieses Verhaltensmuster stark verändert.29 Waren manche, zum Teil auch selbstaufopfernde Nachstellungen – 22 Vgl. hierzu Finch, The Howard Journal 2002, 422 (422); vgl. auch Kerbein/ Pröbsting, ZRP 2002, 76 (77). 23 Gemeint sind damit Fälle insbesondere des sog. milden Stalking, siehe hierzu Rackow, GA 2008, 552 (564); Löbmann, MschrKrim 2002, 25 (25); Kinzig, ZRP 2006, 255 (255 f.); aus anglo-amerikanischer Sicht siehe etwa Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 277 ff. 24 Meyer, ZStW 2003, 249 (253). 25 Siehe hierzu mit zahlreichen weiteren Nachweisen McEwan/Mullen/McKenzie, Law and Human Behavior 2009, 149 (149 ff.); ferner Fiedler, Stalking, S. 32 f.; Purcell/Pathé/Mullen, The Journal of Forensic Psychiatry and Psychology 2004, 571 (579 f.). 26 Sheridan/Blaauw/Davies, Trauma, Violence & Abuse 2003, 148 (149); Mullen/ Pathé/Purcell/Stuart, American Journal of Psychiatry 1999, 1244 (1244); Gazeas, KJ 2006, 247 (247 f.). 27 Nachdem Joseph von seinen Brüdern verstoßen wurde, gelangte er in die Dienste des Pharaos in Ägypten. Die Frau des Pharaos versuchte ihn mehrmals zum gemeinsamen Geschlechtsverkehr zu bewegen, was Joseph jedoch stets ablehnte. Daraufhin verbreitete sie das Gerücht, er hätte sich an ihr vergangen, sodass er eingesperrt wurde, vgl. 1. Buch Mose (Genesis) 39, 7 ff. 28 So bspw. das Verhalten Agamemnons, der als zurückgewiesener Liebhaber Helenas selbige durch seine Freunde und Helfer verfolgen ließ, vgl. hierzu Mullen/Pathé/ Purcell, Autralian and New Zealand Journal of Psychiatry 2001, 9 (9) . 29 Mullen/Pathé/Purcell, Australian and New Zealand of Psychiatry 2001, 9 (10); Dreßing/Gass, in: Dreßing/Gass, Stalking!, S. 11 (12).

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§ 2 Analyse des Phänomens Stalking

insbesondere von durch amouröse Sehnsucht geleiteten Männern gegenüber Frauen – bspw. noch im 18. Jahrhundert in der Gesellschaft durchaus nicht unüblich und wurden damals mit einer gewissen Bewunderung zur Kenntnis genommen,30 so erscheint die Gesellschaft heute aufdringlichen Kontaktversuchen gegenüber stark sensibilisiert und tritt Verhalten, welches sich außerhalb der gesellschaftlichen „Norm“ bewegt äußerst kritisch bis hin zur völligen Ablehnung entgegen. Die Gründe für dieses gesellschaftliche Umdenken und die veränderte Wahrnehmung sind allerdings vielfältig und lassen sich bisweilen auch nicht von einander trennen.31 3. Zum Hintergrund des Phänomens Stalking

Aus sozialpsychologischer Sicht liegt es nahe, dass sowohl die Häufigkeit des Stalking-Verhaltens selbst als auch die Bereitschaft, aufdringliche Sozialkontakte als bedrohlich zu empfinden mit der zunehmenden Anonymisierung des gesellschaftlichen Lebens einhergehen.32 Grund hierfür ist unter anderem, dass sowohl die gewachsenen sozialen Strukturen wie etwa familiäre Bindungen, als auch der außerfamiliäre soziale Zusammenhalt immer mehr an Tragweite zu verlieren scheinen, so dass sich viele Menschen in einer zunehmend anonymisierten Umwelt bewegen, welche eo ipso als potentiell bedrohlich empfunden wird.33 In Bezug auf das sog. Star-Stalking wird noch eine weitere Komponente relevant. In dem Umfang, in dem familiäre und andere soziale Bindungen zwischen Individuen zurückgehen, gewinnen gesellschaftlich exponierte Personen eine immer größere Bedeutung.34 Doch auch hinsichtlich des Verfolgens von Menschen, 30 Geleitet oder wohl zumindest inspiriert durch die sehr zudringlichen Liebesgedichte an die idealisierten Geliebten aus den Federn der italienischen Dichter Francesco Petrarca und Dante Alighieri aus dem 13. und 14. Jahrhundert, vgl. Finch, Criminalisation of Stalking, S. 28 ff.; ausführlicher Skoler, in: Meloy (Hrsg.), Psychology of Stalking, S. 85 (86 ff.). 31 Eine ausführliche Darstellung der einzelnen psychologischen sowie psychiatrischen Erklärungsansätze kann nicht Gegenstand dieser Arbeit sein. Vielmehr sollen im Folgenden nur einige zentrale Aspekte angesprochen werden. Zu den verschiedenen Stalkingtheorien siehe ausführlich Hoffmann, Stalking, S. 33 ff. Es bleibt zu bedenken, dass ein durch juristische Merkmale geprägter inhomogener Verhaltenskomplex wie das Verhaltenskonstrukt Stalking, welcher das Ziel eines Eingriffs in sozialpsychologisch und juristisch determinierte Persönlichkeitsrechte zum Gegenstand hat, sich weder psychologisch noch psychopathologisch vollständig aufklären lässt, siehe hierzu grundlegend Fiedler, Stalking, S. 41. 32 Albrecht, Stalking – Wissenschaftliche Perspektiven, in: Weiß/Winterer (Hrsg.), Stalking und häusliche Gewalt, S. 15 (26); Fischer, StGB, § 238 Rn. 3 m.w. N. 33 Vgl. hierzu Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking, S. 11 (14). 34 Dabei wird diesen Personen nicht nur die Rolle des Vorbildes zugeschrieben, sondern sie werden von dem Täter auch als Projektionsflächen für negative Gefühle und als verantwortliche Person für sein persönliches Scheitern betrachtet. Nicht selten bilden gesellschaftlich exponierte Personen auch einen notwendigen Bestandteil einer vom

I. Begriff, historische Entwicklung und Hintergrund

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die keine Berühmtheiten darstellen, vermag der Rückgang familiärer und anderer sozialer Bindungen eine Ursache darzustellen. In Zeiten steigender Anonymisierung und persönlicher Kontakte ohne tiefere Bindungen weisen Intimkontakte und partnerschaftliche Verbindung eine wichtige Orientierungs- und Selbsterfahrungsfunktion auf,35 welche auch bei einem Zerbrechen der Beziehung nicht von der entsprechenden Person aufgegeben werden wollen. Diese Entwicklung begünstigend kommt hinzu, dass die Fluktuation von Beziehungen von Generation zu Generation deutlich zugenommen hat.36 Darüber hinaus führt eine zum Teil veränderte Grundlagenbestimmung in den Partnerbeziehungen zu einer immensen Instabilität intimer zwischenmenschlicher Beziehungen.37 Ein zusätzlicher Aspekt für die erhöhte Wahrnehmung von Stalking könnte in der vermehrten Darstellung von entsprechenden Fällen in den Medien liegen, bei der meist tragische und schicksalhafte Einzelfälle in den Vordergrund gestellt werden, und bei der der Eindruck einer allgegenwärtigen Gefahrenlage vermittelt und demnach vom Opfer bisweilen auch so empfunden wird.38 Flankiert wird dies von einer sich jahrzehntelang im Aufbau befindlichen Emanzipationsbewegung, die vor allem die Rechte der Frauen in das Bewusstsein der weiblichen Bevölkerung ruft und einen strikteren Umgang mit Verstößen fordert.39 Auch die Veränderung in dem rechtlichen und gesellschaftlichen Umgang mit häuslicher Gewalt lässt sich hierzu aufführen.40 Stalker zur Flucht aus der Realität erfundenen Phantasiewelt, siehe hierzu Füllgrabe Kriminalistik 2001, 163 (163 f.). 35 Dies stützt auch die auffallende Häufigkeit der Konstellationen von Stalking, die nach einer Beziehungsbeendigung einsetzen: In den meisten Fällen dieser Kategorie versucht der Stalker durch sein Verhalten, die Wiederaufnahme der Beziehung herbeizuführen. Nach Voß/Hoffman/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 63 unterfallen knapp 49% aller Stalking-Fälle dieser Kategorie. 36 Schmidt et al., Zeitschrift für Sexualforschung 2003, 195 (213); Tölke, Partnerschaft und Eheschließung – Wandlungstendenzen in den letzten fünf Jahrzehnten, in: Bertram (Hrsg.), Die Familie in Westdeutschland, S. 113 (125); Matthias-Bleck, Jenseits der Institution?, S. 43; wobei hier auch anzumerken ist, dass sich eine schablonenhafte Übertragung auf sämtliche Beziehungen verbietet. 37 Den zentralen Gesichtspunkt für die moderne Beziehungsgestaltung bildet zumeist die persönliche Befriedigung der Partner, vgl. Schneider, Gesellschaft – Wirtschaft – Politik 2002, 511 (511 f.). Ein Grund für die mitunter auffallende Fragilität von Beziehungen resultiert daher aus dem Umstand, dass die persönliche Befriedigung nicht mehr gewährleistet ist oder sich eine bessere Möglichkeit der Zufriedenstellung gefunden hat. Besonders im Bereich der nur gering institutionalisierten, namentlich den nichtehelichen Partnerschaften, lässt sich dies vermehrt feststellen, vgl. Matthias-Bleck, Stalking, S. 23. 38 Vgl. Albrecht, Öffentliche Meinung, Kriminalpolitik und Kriminaljustiz, in: Walter/Kania/Albrecht (Hrsg.), Alltagsvorstellungen von Kriminalität, S. 491 (499); Althoff, KrimJ 2004, 203 (203 ff.); Weber-Hassemer, ZRP 2006, 69 (69). 39 Vgl. Albrecht, Stalking – Wissenschaftliche Perspektiven, in: Weiß/Winterer (Hrsg.), Stalking und häusliche Gewalt, S. 15 (17). 40 Dies wirkt sich vor allem auch auf die vermehrte Anzeigenbereitschaft der Betroffenen aus, vgl. Mörstedt, Polizei & Wissenschaft 2007, 19 (24).

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§ 2 Analyse des Phänomens Stalking

Ein weiterer, diese Entwicklung vorantreibender Grund kann zudem in der wachsenden Möglichkeiten einer Informationsgesellschaft gesehen werden, bei der nicht nur die Beschaffung von persönlichen Daten, sondern auch der Datenaustausch anonym, schneller und in Hinblick auf das Internet auch kostengünstiger gestaltet werden kann.41 Letztlich aber ist zu bedenken, dass die zunehmende Verbreitung und Wahrnehmung des Phänomens Stalking auch darauf zurückzuführen ist, dass es nunmehr einen der facettenreichen Erscheinungsform einen Namen gebenden Begriff gibt, weshalb eine Thematisierung und Kommunikation darüber einfacher erscheint.42 II. Prävalenz, Erscheinungsformen, Dauer und Verlauf des Stalking 1. Zur Prävalenz des Stalking

Hinsichtlich der Prävalenz von Stalking lassen sich auf internationaler Ebene zahlreiche Studien finden, die den Schluss nahe legen, dass es sich bei Stalking um ein sehr weit verbreitetes und daher ernst zu nehmendes soziales Phänomen handelt.43 Auch wenn sich die jeweiligen Ergebnisse dieser Umfragen und Erhebungen letztlich sehr ähneln, bestehen doch hinsichtlich einer verallgemeinernden Übertragung oder einer Bildung von allgemeinen Rückschlüssen auf die jeweiligen nationalen Prävalenzzahlen aus mehreren Gründen tiefgreifende Bedenken. Hauptursache für diese Bedenken bildet der Umstand, dass bislang keine allgemein anerkannte Begriffsbestimmung bezüglich Stalking existiert.44 Den verschiedenen Umfragen und Studien liegen teilweise sehr unterschiedliche Defini41 Vgl. Purcell/Pathé/Mullen, The Journal of Forensic Psychiatry & Psychology 2004, 571 (572) m.w. N. 42 So im Ergebnis auch Sheridan/Graham, Legal and Criminological Psychology 2001, S. 3 (3 f.); vgl. auch Matthias-Bleck, Stalking, S. 27. 43 Da Stalking als Phänomen zuerst in den U.S.A. aufkam, sind hier auch die ersten größer angelegten und hinsichtlich der Repräsentativität aussagekräftigen Studien zu finden. Hierbei nimmt die von Tjaden und Thoennes 1998 durchgeführte Umfrage eine Vorreiterrolle ein, siehe die Ergebnisse bei Tjaden/Thoennes, Stalking in America, S. 1 ff. Eine aktuelle und über 12 Monate angelegte Studie in den Vereinigten Staaten bestätigt in etwa die gefundenen Ergebnisse, weicht jedoch hinsichtlich der Prävalenz nach oben ab, vgl. hierzu Baum/Catalano/Rand/Rose, Stalking Victimization in the United States – Findings from the National Crime Victimization in the United States, U.S. Department of Justice 2009, S. 1 ff. Für Ergebnisse aus England siehe Budd/Mattinson, Home Office Research Study 210, S. 1 ff.; aktueller und mit vergleichbaren Ergebnissen Walby/Allen, Home Office Study 276, S. 1 ff.; ferner Finney, Home Office Online Report 12/06, S. V ff.; verschiedene Studien gegenüberstellend Blaauw/Winkel/ Arensman/Sheridan/Freeve, Journal of Interpersonal Violence, S. 50 (50 ff.); einen Überblick über unter epidemiologischen Gesichtspunkten ausgewählte Studien bieten ferner Giorgi-Guarnieri/Norko, Stalking: Introduction, Definition and Epidemiology, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 3 (10 ff.).

II. Prävalenz, Erscheinungsformen, Dauer und Verlauf des Stalking

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tionen zugrunde, was bisweilen nachhaltige Auswirkungen auf die Aussagekraft der daraus zu gewinnenden Erkenntnisse haben kann. Ferner lassen sich zwischen den Studien hinsichtlich der Befragungsmethodik und des Teilnehmerkreises erhebliche Unterschiede feststellen, was einer Verallgemeinerung der den Studien zu entnehmenden Aussagen entgegensteht. Letztlich verbietet sich jedoch auch aufgrund der nationalen kulturellen Unterschiede eine vorbehaltlose Übertragung der Prävalenzzahlen auf andere Länder, da anzunehmen ist, dass die für Stalking bedeutsamen Empfindungen und Auswirkungen auf die Betroffenen stark von soziokulturellen Faktoren abhängig sind.45 Diesen Umständen eingedenk wird sich die vorliegende Arbeit schwerpunktmäßig mit den in Deutschland durchgeführten Studien und Erhebungen befassen. Hierfür können bislang zwei auf repräsentativer Ebene angelegte Studien angeführt werden.46 Nach einer im Jahr 2004 in Mannheim durchgeführten, epidemiologischen Untersuchung werden knapp 11,6% der Bevölkerung mindestens ein Mal in ihrem Leben über eine Zeitspanne von mindestens zwei Wochen mit mindestens zwei unterschiedlichen Methoden verfolgt, belästigt oder bedroht und dadurch in Angst und Schrecken versetzt.47 Mit 87,2% an weiblichen Betroffenen lässt sich unter den Stalking-Opfern ein signifikantes Überwiegen von Frauen feststellen, wohingegen nach Auskunft der Opfer 85,5% der Täter männlich sind.48 Eine an der TU Darmstadt Anfang des 21. Jahrhunderts durchgeführte Studie sind mit diesen Zahlen in etwa vergleichbar.49 44 Siehe hierzu Rackow, GA 2008, 552 (553) m.w. N.; Kinzig, ZRP 2006, 255 (255); für den naturwissenschaftlichen Bereich etwa Dreßing/Kühner/Gass, FPR 2006, 176 (177). 45 Vgl. Dreßing/Kühner/Gass, Psychiatrische Praxis 2005, 73 (74); ferner Albrecht, Stalking – wissenschaftliche Perspektiven, in: Weiß/Winterer (Hrsg.), Stalking und häusliche Gewalt, S. 15 (16 f.). 46 Zur ersten epidemiologischen und in Deutschland (Mannheim) im Jahre 2004 durchgeführten Studie: Dreßing/Kühner/Gass, Psychiatrische Praxis 2005, S. 73 ff.; zu den Ergebnissen der Arbeitsgruppe Stalking an der TU Darmstadt, deren Erhebungen auf einer Internetbefragung im Zeitraum von 2002 bis 2005 beruht, siehe Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 33 ff.; jedoch bestehen hinsichtlich der Repräsentativität der Internetbefragung einige Bedenken, siehe hierzu Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 27 f. Teilweise decken sich die gefundenen Ergebnisse mit den Erkenntnissen aus dem angelsächsischen Bereich, vgl. Dreßing/Gass, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (23 f.). Zu beachten ist jedoch, dass Zahlen über die Häufigkeit von Stalking kritisch in Hinblick auf die zugrunde liegende Stalking-Definition interpretiert werden müssen – je weiter die Definition gehalten ist, desto mehr weichen die Zahlen nach oben ab. 47 Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (23). Diese Definition ist im Vergleich zu anderen in Studien verwendeten Definitionen sehr restriktiv und kommt auch hinsichtlich der Auswirkungen noch eher dem Verhaltenskonstrukt nahe, welches der Gesetzgeber nun mit § 238 StGB unter Strafe gestellt hat. 48 Dreßing/Kühner/Gass, Psychiatrische Praxis 2005, 73 (74). 49 Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 33 ff.; wobei anzumerken ist, dass diese Studie mittels einer Internetbefragung durchgeführt wurde, die naturgemäß

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§ 2 Analyse des Phänomens Stalking 2. Zu den Erscheinungsformen des Stalking

Wie bereits erwähnt beschreibt der Begriff Stalking ein vielschichtiges Verhaltensmuster. Die darunter fallenden Verhaltensweisen sind so facettenreich, dass eine abschließende Aufzählung oder Kategorisierung der unterschiedlichen Vorgehensweisen nicht möglich ist.50 Immerhin lässt sich zumindest eine grobe Einteilung treffen, die nicht nur für die Sozialwissenschaften, sondern auch für die Strafrechtswissenschaft und Kriminologie von Bedeutung ist. Entsprechend der Intensität und Erscheinungsform der einzelnen, dem Verhaltenskonstrukt unterfallenden Verhaltensweisen kann zwischen sog. milden und sog. schwerem Stalking unterschieden werden.51 Schweres Stalking zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass jede Verhaltensweise für sich genommen schon einen oder mehrere Straftatbestände erfüllt. Dazu zählen etwa Sachbeschädigungen, Beschimpfungen, Drohungen, sexuelle Belästigungen, Nötigungen, Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs, sowie Gewalt in Form von leichter oder zum Teil auch gefährlicher oder schwerer Körperverletzung und mitunter – meist jedoch in einem fortgeschrittenen Stadium des Stalking-Verlaufs – auch die Tötung des Opfers.52 Dagegen unterfallen die unterschiedlichen Handlungsformen des milden Stalking jeweils für sich genommen nicht dem Verdikt der Strafbarkeit. Sie erschöpfen sich zumeist in völlig alltäglichen Handlungen. Entsprechende Verhaltensweisen des milden Stalking sind beispielsweise Telefonanrufe, das Verfolgen oder das Aufhalten in der Nähe des Opfers, das Schreiben von Briefen, E-Mails, SMS, oder das Verschicken von Geschenken, die Kontaktherstellung über Dritte.53 Erst in der Kumulation mit anderen Verhaltensweisen des milden oder schweren Stalking und durch eine gewisse Häufigkeit und Hartnäckigkeit des Täters, der den Willen des Opfers in Ruhe gelassen zu werden ignoriert, entfalten diese Ver-

einige Problematiken hinsichtlich ihrer repräsentativen Aussage beinhaltet, vgl. hierzu Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 27 ff. 50 Eine Übersicht über die zumeist verwendeten Stalking-Verhaltensformen lässt sich bei Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (16 ff.) gewinnen. Versuche, die unterschiedlichen Herangehensweisen der Stalker zu kategorisieren, sind sehr häufig anzutreffen, vgl. nur Coleman, Journal of Interpersonal Violence 1997, 420 (422 ff.); Hoffmann, Stalking, S. 4 f. 51 Siehe hierzu Löbmann, MschrKrim 2002, 25 (25 f.); Bieszk/Sadtler, NJW 2007, 3382 (3384); Rackow, GA 2008, 552 (553); Fiedler/Fydrich, Psychotherapeut 2007, 139 (140 f.). 52 Meyer, ZStW 2003, 249 (254); Fiedler, Stalking, S. 15; eher zurückhaltend Albrecht, Stalking – Wissenschaftliche Perspektiven, in: Weiß/Winterer (Hrsg.), Stalking und häusliche Gewalt, S. 15 (28); sehr kritisch hingegen SK-StGB/Wolters, § 238 Rn. 3. 53 Siehe hierzu Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (20 ff.); Bieszk/Sadtler, NJW 2007, 3382 (3384); Löbmann, MschrKrim 2002, 25 (25 f.); Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 102.

II. Prävalenz, Erscheinungsformen, Dauer und Verlauf des Stalking

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haltensweisen eine negative Wirkung auf das Opfer und erlangen so (straf)rechtliche Relevanz.54 Nach der in der Stadt Mannheim durchgeführten Studie lässt sich insbesondere im Bereich des milden Stalking bisweilen ein gleichförmiges Muster an den zum Einsatz gebrachten Verhaltensweisen erkennen.55 Danach stellen unerwünschte Telefonanrufe, Drohungen, In-der-Nähe-Herumtreiben, Auflauern und Verfolgen die mit Abstand häufigsten Verhaltensweisen dar. Zugleich war in besagter Studie festzustellen, dass sich Stalking als Verhaltenskonstrukt in den allermeisten Fällen aus durchschnittlich bis zu fünf verschiedenen Verhaltensweisen zusammensetzt.56 3. Zur Dauer des Verhaltensmusters

Der prägende Charakter des Phänomens Stalking besteht in der Kontinuität und gleichgerichteten Wirkweise, die die einzelnen zu Stalking gehörenden Handlungen miteinander verbindet und gleichsam wie durch ein unsichtbares Band zusammenhält.57 Stalking zeichnet sich daher zumeist durch eine ausgesprochen lange Dauer aus, wobei jedoch im Einzelfall deutliche Unterschiede hinsichtlich der zeitlichen Komponente bestehen können.58 Während ausländische Studien ein Durchschnittszeitraum von knapp 1859 bis hin zu 33 Monaten60 für das Andauern des jeweiligen Verhaltensmusters ermitteln,61 wird für Deutschland eine durch54 Albrecht, Stalking – Wissenschaftliche Perspektiven, in: Weiß/Winterer (Hrsg.), Stalking und häusliche Gewalt, S. 15 (25 f.); Rackow, GA 2008, 552 (554); SK-StGB/ Wolters, § 238 Rn. 2. 55 Siehe hierzu Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (20 f.); Dreßing/Kühner/Gass/Habermeyer, Gesundheitswesen 2005, 869 (869). Die in dieser Studie ermittelten Ergebnisse lassen sich mit denen anderer internationaler Studien vergleichen, vgl. etwa Mullen/Pathé/Purcell/Stuart, American Journal of Psychiatry 1999, 1244 (1246), bei der durchschnittlich drei bis fünf verschiedene Stalking-Methoden zur Anwendung kamen oder etwa Blaauw/Winkel/Arensman/Sheridan/Freeve, Journal of Interpersonal Violence 2002, 50 (55), bei der von durchschnittlich sechs Verhaltensweisen die Rede ist. 56 Dreßing/Kühner/Gass, Psychiatrische Praxis 2005, 73 (77). 57 So treffend bzgl. der Metapher des Bandes schon Meyer, ZStW 2003, 249 (253). 58 Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (19 f.). 59 Ermittelt nach den Daten einer auf zwölf Monate angelegten, aktuellen Studie aus den U.S.A., siehe Baum/Catalano/Rand/Rose, National Crime Victim Survey NCJ (224527) 2009, S. 2. 60 So Blaauw/Winkel/Arensman/Sheridan/Freeve, Journal of Interpersonal Violence 2002, 50 (56) entsprechend einer Erhebung in den Niederlanden. 61 Dazwischen liegen bspw. mit einem Durchschnittszeitraum von 24 Monaten die Ergebnisse einer Studie für Australien, siehe Pathé/Mullen, British Journal of Psychiatry 1997, 12 (13).

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§ 2 Analyse des Phänomens Stalking

schnittliche Dauer von 28 Monaten angenommen.62 Mit Dreßing lässt sich daher sagen, dass Stalking ein chronisches63 Phänomen darstellt, welches sich im Durchschnitt über einen längeren Zeitraum von über einem Jahr erstreckt.64 4. Zum üblichen Verlauf des Stalking

Bezogen auf die Eingriffsintensität der einzelnen Verhaltensweisen unterliegt Stalking in den allermeisten Fällen einem prozesshaften, sich spiralförmig steigernden Verlauf.65 Hintergrund hierfür mag der Umstand sein, dass der Stalker mit fortschreitender Dauer mitunter erhebliche Investitionen in zeitlicher, finanzieller und emotionaler Hinsicht tätigt, augrund derer er sich in dem Glauben wähnt, einen Anspruch auf die von ihm erwünschte und beabsichtigte Reaktion des Opfers zu haben.66 Diese – zum Teil wahnhafte – Fixierung auf den vermeintlichen Anspruch und die entsprechende Durchsetzung lässt den Stalker dann zu immer drastischeren Mitteln greifen. Ein damit einhergehender Motivationsumschwung seitens des Täters kann sich dabei besonders einschneidend auf den Intensitätsgrad der bisherigen Verhaltensweisen auswirken. War der Stalker bspw. bislang von dem amourösen Empfindungen gegenüber der von ihm ausgewählten Person geleitet und stand ihr damit bislang eher positiv gegenüber, kann sein Gefühl der Zuneigung aufgrund der beständigen Ablehnung seines Wunsches trotz seines gesteigerten Einsatzes in Zorn und Hass umschlagen. Dies kann für das Opfer bisweilen eine große Gefahr darstellen, da die negativen Gefühle mit den Gefühlen des Verlusts der bisherigen Investitionen aufgeladen und sich gleichsam katalysierend auf den Verlauf des Stalking auswirken können. III. Auswirkungen des Stalking auf Betroffene Der Umfang und die Intensität der Auswirkungen des Stalking auf die Betroffenen werden meist unterschätzt. Betrachtet man erste Studien und Berichte über das Phänomen gerade in Hinblick auf die Folgewirkungen für die Opfer, so kann man mitunter erkennen, dass die Intensität dieser Einwirkungen sogar die am jeweiligen Forschungsprojekt beteiligten Wissenschaftler überraschte.67 Da diese 62 Vgl. Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (19). 63 Den Begriff der Chronizität verwenden in diesem Zusammenhang auch Voß/Küken, FPR 2006, 180 (180). 64 Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (19); ferner Dreßing/Kühner/Gass, Psychiatrische Praxis 2005, 73 (75). 65 Siehe hierzu Fiedler, Stalking, S. 33 ff. 66 Vgl. hierzu Matthias-Bleck, Stalking, S. 27. 67 Vgl. hierzu die anhand direkter Befragungen der Betroffenen erstellten Studien von Pathé/Mullen, British Journal of Psychiatry 1997, 12 (16); Meloy, Aggression and Violent Behavior 1996, 147 (155); demgegenüber die mittels standardisierter Mess-

III. Auswirkungen des Stalking auf Betroffene

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mitunter massiven Auswirkungen für Außenstehende jedoch nicht leicht nachzuvollziehen sind, gilt hier angesichts der zum Teil erheblichen Langzeitfolgen besondere Vorsicht, die Belastungen für von Stalking Betroffene nicht zu unterschätzen.68 Die Auswirkungen sind in erster Linie psychischer Natur.69 Man geht davon aus, dass das kontinuierliche Nachstellen und Verfolgen einer bestimmten Person gewisse archetypische Angstgefühle bei den Betroffenen auslöst,70 die geeignet sind, das Opfer in seinen seelischen Grundfesten zu erschüttern – in Ausnahmefällen sind bei den Betroffenen auch spätere Suizidversuche zu verzeichnen.71 Diese Erschütterungen spielen sich insbesondere in dem Bereich der Vertrauensbildung zum Opfer selbst und zu dessen Umwelt ab und zeitigen daher mitunter weitreichende Konsequenzen.72 Das Opfer erfährt mit dem fortschreitenden Erinstrumente zu psychischen Symptomen durchgeführten Studien von Blaauw/Winkel/ Arensman/Sheridan/Freeve, Journal of Interpersonal Violence 2002, 50 (59 ff.); Kamphius/Emmelkamp, American Journal of Psychiatry 2001, 795 (797), die gewisse Vergleiche mit Referenzdaten von klinischen und nichtklinischen Stichproben ermöglichen. Speziell für Deutschland mit entsprechend eigener Studie Dreßing/Kuehner/ Gass, Psychiatrische Praxis 2005, 73 (77 f.) und Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 144 ff.; vgl. auch Wondrak/Hoffmann, Psychische Belastung von Stalking-Opfern: Therapie und Beratung, in: Weiß/Winterer (Hrsg.), Stalking und häusliche Gewalt, S. 45 (46). 68 Vgl. Meloy, Criminal Behaviour and Mental Health 2007, 1 (4 f.). 69 Allgemein hierzu Logan/Walker, Trauma, Violence, & Abuse 2009, 247 (252); Pathé/Mullen, British Journal of Psychiatry 1997, 12 (14); Finch, The Howard Journal 2002, 422 (424 f.); McGuire/Wraith, The Journal of Forensic Psychiatry 2000, 316 (323 f.); Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (273); speziell für Deutschland siehe Kühner/Weiß, Gesundheitliche Folgen und Möglichkeiten der Therapie für Stalking-Opfer, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 79 (82 f.); Hoffmann, Stalking, S. 151 ff.; Wondrak/Hoffmann, Psychische Belastung von Stalking-Opfern: Therapie und Beratung, in: Weiß/Winterer (Hrsg.), Stalking und häusliche Gewalt, S. 45 (46 ff.); Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 144 ff.; Timmermann, StraFo 2007, 358 (359). 70 Vgl. Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (14) in Hinblick auf die Verfolgung durch einen offensichtlich psychisch gestörten Täter, der von der Obsession beherrscht wird, einem anderen aufzulauern. Dieser Aspekt des Hervorrufens menschlicher Urängste lässt sich jedoch auf nahezu jede andere Konstellation eines Stalking-Falles übertragen, vgl. Blaauw/Winkel/Arensman/Sheridan/Freeve, Journal of Interpersonal Violence 2002, 50 (59 f.) 71 Hoffmann, Stalking, S. 151; Kühner/Weiß, Gesundheitliche Folgen und Möglichkeiten der Therapie für Stalking-Opfer, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 79 (83); Während Blaauw/Winkel/Arensman/Sheridan/Freeve, Journal of Interpersonal Violence 2002, 50 (57 f.) von wiederholten Selbstmordgedanken bei 31% der im Rahmen ihrer Studie befragten Stalking-Opfer sprechen, kommen Pathé/Mullen, British Journal of Psychiatry 1997, 12 (14) in ihrer Studie auf eine Anzahl von 24% an Opfern, die während der Stalking-Phase ernsthaft über Selbstmord nachgedacht oder dies in die Tat umzusetzen versucht haben. 72 Kühner/Weiß, Gesundheitliche Folgen und Möglichkeiten der Therapie für Stalking-Opfer, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 79 (81 f.); Pathé/Mullen, British Journal of Psychiatry 1997, 12 (14 f.); Sheridan/Blaauw/Davies, Trauma, Violence, &

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§ 2 Analyse des Phänomens Stalking

leben jeder neuen dem Verhaltenskonstrukt zuordenbaren Verhaltensweise eine Stresssituation, die zumeist durch Angst und Schrecken gekennzeichnet ist.73 Infolge der immer wieder auftretenden Verhaltensweisen, deren Frequenz und Intensität die Betroffenen nahezu kaum beeinflussen können, werden die Stresssituationen chronisch. Daher kommt es bei den Opfern – auch ohne den konkreten Einsatz von physischer Gewalt oder Drohungen durch den Stalker – zu bedrückenden Gefühlen der Hilflosigkeit, des Kontrollverlustes und einer gewissen Ohnmacht.74 Daneben sind die am häufigsten bei den Opfern auftretenden Auswirkungen auf psychischer Seite Schreckhaftigkeit, Hypervigilanz, Konzentrationsstörungen, Depressionen und zahlreiche dadurch bedingte somatische Beschwerden.75 Konkret war anhand der in Mannheim durchgeführten Studie festzustellen, dass die psychischen Folgen von Zuständen innerer Unruhe, andauernder Angstsymptome, über depressive Verstimmungen bis hin zu Panikattacken reichten.76 Diese anhaltende psychische Belastungssituation manifestiert sich auch in negativer Weise anhand körperlicher Symptome. So klagen die Opfer von Stalking über Schlafstörungen, Appetitschwankungen, anhaltende Übelkeit, Magenbeschwerden und Kopfschmerzen.77 Nach der in Mannheim durchgeführten Studie litten die Betroffenen überwiegend an Schlafstörungen, an Magenbeschwerden und bisweilen auch an anhaltenden Kopfschmerzen. Die gesundheitlichen Schäden können jedoch auch aus unmittelbaren körperlichen Einwirkungen herAbuse 2003, 148 (153). Die Auswirkungen sind damit nicht nur psychischer Natur, sondern werden zudem an Hand physischer, charakterlicher und sozialer Veränderungen, sowie in den Veränderungen der Lebensumstände und -gewohnheiten sichtbar, vgl. Voß/ Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 144 ff.; Kühner, FPR 2006, 186 (187 f.); Finch, The Howard Journal 2002, 422 (424 f.); Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (273); übersichtlich mit den Ergebnissen vieler Studien hierzu siehe Newman/Appelbaum, Stalking: Perspectives on Victims and Management, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 107 (114 ff.) 73 Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (33); Logan/Walker, Trauma, Violence, & Abuse 2009, 247 (257); Hoffmann, Stalking, S. 151; Fiedler, Stalking, S. 33. 74 Hoffmann, Stalking, S. 151; Löbmann, MschrKrim 2002, 25 (29); Fiedler, Stalking, S. 33. Ausführlich zu den negativen und weitreichenden Auswirkungen eines solchen Kontrollverlustes für die menschliche Psyche siehe Logan/Walker, Trauma, Violence, & Abuse 2009, 247 (257 f.); Hoffmann, Stalking, S. 151; Löbmann, MschrKrim 2002, 25 (29); Fiedler, Stalking, S. 33. 75 Kühner/Weiß, Gesundheitliche Folgen und Möglichkeiten der Therapie für Stalking-Opfer, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 79 (81); vgl. hierzu die Ergebnisse der Studien von Pathé/Mullen, British Journal of Psychiatry 1997, 12 (14) und Blaauw/ Winkel/Arensman/Sheridan/Freeve, Journal of Interpersonal Violence 2002, 50 (57 f.). 76 Kühner, FPR 2006, 186 (187); Dreßing/Kuehner/Gass, Psychiatrische Praxis 2005, 73 (75). 77 Hoffmann, Stalking, S. 153, Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 144 f.; Pathé/Mullen, British, Journal of Psychiatry 1997, 12 (14); Sheridan/Blaauw/ Davies, Trauma, Violence, & Abuse 2003, 148 (153 f.).

III. Auswirkungen des Stalking auf Betroffene

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rühren, die im jeweiligen Fall unter Umständen Teil des Verhaltensmusters sind. Etwa ein Drittel der Betroffenen machten im Rahmen der Mannheim-Studie Angaben zu aggressiven Übergriffen durch den Stalker.78 Eine daneben nicht zu unterschätzende, jedoch nicht konkret messbare Folge des Stalking für die Betroffenen stellen die mitunter nachhaltigen Auswirkungen auf das Sozialleben dar.79 So beschreiben Betroffene häufig, dass sie sich infolge des Stalking gefühlsmäßig von anderen Menschen entfremden und Aktivitäten aufgeben, die ihnen früher wichtig waren.80 In benannter Studie gaben über ein Drittel der Opfer an, dass sie durch die negativen Erfahrungen insgesamt erheblich misstrauischer und verschlossener wurden.81 Dies manifestierte sich neben einer sozialen Isolierung unter anderem in der Vornahme von Schutzmaßnahmen, bspw. der Änderung der Telefonnummer, dem Mitführen von Reizgas und sogar dem Wohnortwechsel oder Arbeitsplatzwechsel.82 Nahezu jeder fünfte Teilnehmer dieser Studie ließ sich infolge des Stalking zumindest ein Mal krankschreiben.83 Die Auswirkungen sind damit nicht nur psychischer Natur, sondern werden zudem an Hand physischer, charakterlicher und sozialer Veränderungen, sowie in Veränderungen der Lebensumstände und -gewohnheiten sichtbar.84 Doch auch die wirtschaftlichen Folgen für Betroffene können erheblich sein.85 78 Unter aggressiven Übergriffen wurden auch leichtere Formen von Gewaltätigkeit wie bspw. Festhalten, Ohrfeigen, usw. verstanden – jedoch ausschließlich solches Verhalten, welches entsprechend die speziellen Straftatbestände gegen die körperliche Unversehrtheit, gegen die persönliche Freiheit und ggf. gegen die sexuelle Selbstbestimmung verwirklicht. 79 Allgemein hierzu Logan/Walker, Trauma, Violence, & Abuse 2009, 247 (259); Hoffmann, Stalking, S. 153; Pathé/Mullen, British Journal of Psychiatry 1997, 12 (15); Sheridan/Davies/Boon, The Howard Journal 2001, 215 (227); Fiedler, Stalking, S. 35. 80 Kühner, FPR 2006, 186 (187). 81 Kühner, FPR 2006, 186 (187); dabei kann der konsequente soziale Rückzug in Zeiten erhöhter Belastung eine Abkapselung von wichtiger sozialer Unterstützung bedeuten, was schließlich zu einem Teufelskreis bezüglich der seelischen Belastung der Betroffenen führen kann. Nach der an der TU Darmstadt durchgeführten Studie gaben zwei Drittel der Befragten an, ein verstärktes Misstrauen gegenüber Fremden, Personen des anderen Geschlechts, neuen Bekanntschaften und sogar vertrauten Personen des eigenen sozialen Umfelds zu haben, vgl. Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 144. 82 Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. (11) 36. 83 Dreßing/Kuehner/Gass, Psychiatrische Praxis 2005, 73 (77). 84 Wondrak, Auswirkungen von Stalking aus Sicht der Betroffenen, in: Bettermann/ Feenders (Hrsg.), Stalking, S. 21 (22); Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 144 ff.; Kühner, FPR 2006, 186 (187 f.); Finch, The Howard Journal 2002, 422 (424 f.); Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (273); übersichtlich mit den Ergebnissen vieler Studien hierzu siehe Newman/Appelbaum, Stalking: Perspectives on Victims and Management, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 107 (114 ff.)

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§ 2 Analyse des Phänomens Stalking

Betrachtet man die jeweiligen Veränderungen anhand einzelner Fälle des Stalking, so wird deutlich, dass das Betroffensein zumeist ein einschneidendes Erlebnis in der Biografie des Opfers darstellt.86 Es ist daher nicht verwunderlich, dass diese Auswirkungen zumindest indirekt eine Veränderung in der bisherigen Lebensführung des Opfers mit sich bringen können.87 Nach der in Mannheim durchgeführten Studie fanden sich über zwei Drittel der Betroffenen, die ihr alltägliches Verhalten und ihren Lebensstil zum Teil erheblich umstellten, um sich so dem Fokus des Stalkers zu entziehen.88 Hinsichtlich der Intensität der Auswirkungen ist weiter zu beachten, dass vor allem das Zusammenspiel von Wiederholung der einzelnen Verhaltensweisen und Hartnäckigkeit des Täters den betroffenen Personen zusetzt.89 Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen steht die Häufigkeit der jeweiligen dem Gesamtkonstrukt Stalking unterfallenden Einzelhandlungen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Intensität der psychischen Beschwerden und körperlichen Symptome.90 Das von Stalking betroffene Opfer ist somit vor allem bei einem lang anhaltenden Verlauf des Verhaltensmusters fortwährend Stresssituationen ausgesetzt, die

85 Vor allem in Hinblick auf finanzielle Belastungen durch Umzüge und durch die Vornahme von Schutzmaßnahmen, siehe hierzu Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (35). 86 Vgl. auch die Schilderungen Betroffener in: Cox/Speziale, Affilia: Journal of Women and Social Work 2009, 5 (11 f.). 87 Siehe hierzu aus australischer Sicht Pathé, Surviving Stalking, S. 52. 88 Siehe Dreßing/Kuehner/Gass, Psychiatrische Praxis 2005, 73 (77). Diese Umstellungen beinhalteten bspw. gewohnte Wege oder Plätze zu meiden, das Haus nur in dringenden Fällen zu verlassen oder das Aussehen zu verändern. Allgemein zu den Umstellungen der Lebensgewohnheiten infolge des Stalking siehe Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 56 f., 144; Fiedler, Stalking, S. 35; Newman/Appelbaum, Stalking: Perspectives on Victims and Management, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 107 (118 f.); Pathé/Mullen, British Journal of Psychiatry 1997, 12 (14); McGuire/Wraith, The Journal of Forensic Psychiatry 2000, 316 (324), Meloy, Criminal Behaviour and Mental Health 2007, 1 (5). 89 Fiedler, Stalking, S. 32 f.; Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 54; angedeutet bei Blaauw/Winkel/Arensman/Sheridan/Freeve, Journal of Interpersonal Violence 2002, 50 (60 f.); vgl. auch Mullen/Pathé/Purcell, Advances in Psychiatric Treatment 2001, 399 (401); Pathé, Surviving Stalking, S. 51; siehe hierzu mit zahlreichen weiteren Nachweisen McEwan/Mullen/McKenzie, Law and Human Behavior 2009, 149 (149 ff.). 90 Kühner/Weiß, Gesundheitliche Folgen und Möglichkeiten der Therapie für Stalking-Opfer, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 79 (81); Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 33, 54; Fiedler, Stalking, S. 33, 39; siehe hierzu die aussagekräftigen Ergebnisse der Studie von Blaauw/Winkel/Arensman/Sheridan/Freeve, Journal of Interpersonal Violence 2002, 50 (60 f.): In dieser Studie fanden sich jedoch auch Betroffene, deren Belastungsstörungen mit zunehmendem Zeitablauf während des andauernden Stalking abnahmen. Diese Besonderheit ist mit einer gewissen Habituierungswirkung zu erklären, die (wiederum) Rückschlüsse auf und Parallelen zu einer posttraumatischen Belastungsstörung zulassen.

III. Auswirkungen des Stalking auf Betroffene

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auch zur Entstehung von Traumata mit Langzeitfolgen führen können.91 So sind die in zahlreichen Studien nachgewiesenen psychischen Symptome vieler Opfer von länger andauerndem Stalking vergleichbar mit den Symptomen einer sog. posttraumatischen Belastungsstörung (PTB).92 Die konkrete Diagnostizierung einer PTB wird jedoch bei den meisten Opfern des Stalking im Einzelfall dadurch verhindert, dass beide zur Feststellung einer PTB heranzuziehenden Diagnosesysteme – DSM-IV und ICD-10 – unter anderem die Konfrontierung mit einem oder mehreren Ereignissen fordern, die den „tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzungen oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen oder der anderer Personen beinhalten“.93 Gemeint ist demnach das Vorliegen physischer Bedrohung und Gewalt.94 Jedoch ist ein solcher physischer Angriff nicht Teil eines jeden Verhaltensmusters, sodass nur in einer bestimmten Anzahl von Fällen – insbesondere dem schweren Stalking – alle Bedingungen für das Feststellen einer PTB vorliegen. In anderen Konstellationen ohne konkrete physische Bedrohung oder Gewalt ist eine solche Diagnose nicht möglich, obwohl die psychische Verfassung der Opfer zumeist als geradezu prototypisch für das Vorliegen einer PTB angesehen werden kann.95 Allerdings ist zu bedenken, dass sich eine PTB infolge einer zu91 Logan/Walker, Trauma, Violence, & Abuse 2009, 247 (257); Mullen/Pathé/Purcell, Advances in Psychiatric Treatment 2001, 399 (401); Löbmann, MschrKrim 2002, 25 (29); Kühner/Weiß, Gesundheitliche Folgen und Möglichkeiten der Therapie für Stalking-Opfer, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 79 (82); Spitzberg, Trauma, Violence, & Abuse 2002, 261 (274 f.). 92 Fiedler, Stalking, S. 36; Kühner/Weiß, Gesundheitliche Folgen und Möglichkeiten der Therapie für Stalking-Opfer, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 79 (82); Kamphius/Emmelkamp, American Journal of Psychiatry 2001, 795 (797). Gemeint sind damit sog. posttraumatische Belastungsstörung gemäß DSM-IV-TR (nach der American Psychiatric Association [Hrsg.], Diagnostic and statistical manual mental disorders) bzw. ICD-10 (nach der Weltgesundheitsorganisation [Hrsg.], Internationale Klassifikation psychischer Störungen) siehe hierzu die jeweils deutsche Übersetzung von Saß/ Wittchen/Zauding (Hrsg.), Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen, S. 487 ff. und Dilling/Dilling/Dittmann/Freyberger/Schulte-Markwort, Abschnitt F 4 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen, in: Dilling/Mombour/ Schmidt/Schulte-Markwort (Hrsg.), Internationale Klassifikation psychischer Störungen, S. 123 f. 93 Zitierung nach dem DSM-IV-TR, siehe hierzu Saß/Wittchen/Zaudig (Hrsg.), Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen, S. 487 ff. 94 Fiedler, Stalking, S. 37; Saß/Wittchen/Zaudig (Hrsg.), Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen, S. 487 ff.; Pathé/Mullen, British Journal of Psychiatry 1997, 12 (15). 95 Fiedler, Stalking, S. 37 f.; Pathé, Surviving Stalking, S. 54 f.; Newman/Appelbaum, Stalking: Perspectives on Victims and Management, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 107 (114 f.) eingehend auf die Ergebnisse einer Studie aus der Feder von Pathé/Mullen, British Journal of Psychiatry 1997, 12 (15). Teilweise wurde aufgrund dieses Missstandes bereits vorgeschlagen, eine eigene und allgemein gültige Klassifikation der „Stalking Traumatisierung“ (sog. stalking trauma syndrome) einzuführen, vgl. hierzu mit weiteren Nachweisen Fiedler, Stalking, S. 33.

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§ 2 Analyse des Phänomens Stalking

mindest einmaligen lebensbedrohlichen Erfahrung feststellen lässt, die Opfer von Stalking sich jedoch im Regelfall mit einer über längere Zeit fortwährenden Stresssituation konfrontiert sehen.96 Diese Beständigkeit hat zur Folge, dass die Betroffenen oftmals unter sich aufdrängenden Erinnerungen oder Wiedererleben der Situation aufgrund von bedrückenden Nachhallerinnerungen (sog. Flashbacks) leiden.97 So kann das Erleben dieser Flash-backs die Betroffenen erneut vor plötzliche Stresssituationen stellen, auch wenn der Stalker schon längst das Interesse an dem (ehemaligen) Opfer verloren hat oder das Stalking aus sonstigen Gründen beendet wurde.98 IV. Täter- und Opfertypologie(n) Modelle zur Typisierung des Stalkers und der von Stalking Betroffenen wurden schon früh in den 1990ger Jahren entwickelt.99 Bezeichnender Weise lassen sich hier vor allem US-amerikanische Untersuchungen finden, in denen aufbauend auf empirischen Studien versucht wurde, der Vielschichtigkeit dieses Verhaltenskonstruktes mittels Kategorisierung gerecht zu werden.100 96 Pathé/Mullen, British Journal of Psychiatry 1997, 12 (15); Blaauw/Winkel/Arensman/Sheridan/Freeve, Journal of Interpersonal Violence 2002, 50 (60 f.); Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (33 f.); vgl. Logan/ Walker, Trauma, Violence, & Abuse 2009, 247 (261 f.). 97 Dabei können bestimmte situative Merkmale der vergangener Stalking-Handlung (wie das Läuten des Telefons, eine dem Stalker ähnliche Gestalt oder Stimme) bei dem Opfer sensorische Eindrücke und Gefühle, welche bei den erinnerten Situationen vorherrschten, in voller Stärke wieder erlebt werden; vgl. hierzu Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (34); Fiedler, Stalking, S. 38 f.; Pathé/Mullen, British Journal of Psychiatry 1997, 12 (15). 98 Kühner/Weiß, Gesundheitliche Folgen und Möglichkeiten der Therapie für Stalking-Opfer, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 79 (79); Wondrak/Hoffmann, Psychische Belastung von Stalking-Opfern: Therapie und Beratung, in: Weiß/Winterer (Hrsg.), Stalking und häusliche Gewalt, S. 45 (48). 99 Vgl. Dietz et al., Journal of Forensic Sciences 1991, 185 (186 ff.); Holmes, Journal of Contemporary Criminal Justice 1993, 317 (320 ff.); Zona/Palarea/Lane, Psychiatric Diagnosis and the Offender-Victim Typology of Stalking, in: Meloy (Hrsg.), The Psychology of Stalking, S. 70 (76 ff.); Coleman, Journal of Interpersonal Violence 1997, 419 (425 ff.) m.w. N. Gleichsam als Vorläufer zu diesen Forschungen sind die Abhandlungen des französischen Psychiaters Gatain de Clérambault anzusehen. Dieser veröffentlichte im Jahr 1921 seine Ergebnisse zu den Untersuchungen von sechs Patienten, die allesamt an der als Erotomanie (Liebeswahn) bezeichneten Krankheit litten. Unter dem später auch unter dem als „de Clérambault Syndrom“ bekannt gewordenen Verhalten wird der wahnhafte Glaube des Patienten umschrieben, nach dem sich eine zumeist sozial höher stehende Person in den Patienten verliebt habe. Einhergehend mit dieser sicheren Überzeugung sind häufig Belästigungen, Bedrohungen oder sogar Angriffe auf den mutmaßlichen Liebhaber durch den Patienten zu verzeichnen – und damit ein nunmehr als Stalking anzusehendes Verhalten, vgl. hierzu Lloyd-Goldstein, De Clérambault on-Line, in: Meloy (Hrsg.), Psychology of Stalking, S. 193 (194). 100 Burgess et al., Journal of Family Violence 1997, 389 (391 ff.); McCann, Journal of Adolescence 1998, 667 (668 ff.); Meloy, Aggression and Violent Behavior 1996, 147

IV. Täter- und Opfertypologie(n)

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Zwar mag es kaum gelingen, alle verschiedenen und von Fall zu Fall mitunter sehr kontrovers ausfallenden Aspekte in einem Modell zu erfassen,101 doch verspricht eine ausdifferenzierte Kategorisierung Aussagen darüber zu ermöglichen, in welchem psychischen Zustand sich der Täter befindet, welchen Verlauf das jeweilige Verhalten im Einzelfall annehmen kann, welches Risikopotenzial diesem im Bezug auf das Opfer innewohnt und welche Maßnahmen geeignet erscheinen, um das dyadische Verhaltenskonstrukt zu beenden.102 National wie international lassen sich eine Vielzahl an unterschiedlichen Typologisierungsmodellen finden.103 Im Folgenden soll die Darstellung daher nur auf eine Auswahl der jeweils gängigsten Modelle beschränkt werden. 1. Tätertypologie(n)

a) Hergebrachte Modelle Eines der ersten Modelle zur Typologisierung des Stalkers stammt aus der Feder der Wissenschaftler Zona, Palarea und Lane.104 Im Rahmen dieses sich anhand etablierter medizinischer Kategorien orientierenden Klassifikationsmodels sind insgesamt drei Gruppen von Stalkern zu unterscheiden. Dabei bilden an Erotomanie erkrankte, psychisch beeinträchtigte wie auch psychisch gesunde Stalker die erste Gruppe (erotomanic), während in der zweiten Gruppe (love obsessionals) ausschließlich an weitergehenden psychischen Störungen105 leidende Täter (149 ff.); Mullen/Pathé/Purcell/Stuart, American Journal of Psychiatry 1999, 1244 (1245 ff.). 101 Zur Komplexität des Verhaltenskonstrukts Stalking hinsichtlich der mannigfaltigen Möglichkeiten der Herangehensweisen des Täters an sich tritt noch die außergewöhnliche Heterogenität der Stalker hinzu (psychiatrischer Zustand des Täters, Motivation, bisherige Beziehung zu dem Opfer, soziale Rolle des Opfers usw.), vgl. Löhr, Notwendigkeit, S. 100; Pinals, Classification and Typology, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 27 (28); sehr kritisch hierzu aufgrund der erwähnten Vielschichtigkeit der Aspekte Voß/Küken, FPR 2006, 180 (183). Eine Unterscheidung nach dem psychischen Zustand des Täters empfiehlt sich jedoch vor allem deswegen, weil bisherige Studien ergaben, dass die gängigen Prognoseinstrumente (HCR 20, PCL) für die Vorhersage schwerer Gewaltdelikte im Kontext von Stalking nur bedingt aussagekräftig sind, vgl. Dreßing/ Gass, Polizei & Wissenschaft 2007, 13 (17). 102 Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 76; Mullen/Pathé/Purcell, Advances in Psychiatric Treatment 2001, 335 (335 f.); Pinals, Classification and Typology, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 27 (28); äußerst zurückhaltend und kritisch gegenüber einer Einteilung mittels Typologisierung: Voß/Küken, FPR 2006, 180 (183). 103 Dreßing/Maul-Backer/Gass, NStZ 2007, 253; Smischek, Stalking, S. 60; Löbmann, MschrKrim 2002, 25 (25 ff.); Albrecht, Stalking – Wissenschaftliche Perspektiven, in: Weiß/Winterer (Hrsg.), Stalking und häusliche Gewalt, S. 15 (20); Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (26). 104 Zona/Palarea/Lane, Psychiatric Diagnosis and the Offender-Victim Typology of Stalking, in: Meloy (Hrsg.), The Psychology of Stalking, S. 70 (76 ff.). 105 Darunter fallen zumeist Stalker, die an Schizophrenie oder einer anderen Erkrankung leiden, die zur Folge hat, dass der Stalker Wahnsymptome entwickelt, im Rahmen

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§ 2 Analyse des Phänomens Stalking

zu finden sind.106 In der dritten Gruppe (simple obsessionals) wird hingegen der Fokus darauf gelegt, ob zwischen dem Stalker und dem Betroffenen im Vorfeld eine Beziehung existierte.107 Während das vorgenannte Modell noch anhand einer zweidimensionalen Kategorisierung entwickelt wurde, folgt das von Mullen, Pathé und Purcell entworfene Modell einem multiaxialen Ansatz.108 Dieses Modell gilt aufgrund der Möglichkeit einer vielschichtigen Darstellung als renommiert und hat bislang innerhalb der wissenschaftlichen Stalking-Forschung breite Zustimmung erfahren.109 Mullen, Pathé und Purcell unterscheiden in ihrem Modell auf der ersten Achse nach der zugrunde liegenden Motivation des Täters und dem Kontext, in welchem das Verhalten eingebettet ist. Auf der zweiten Achse wird danach differenziert, ob zwischen Täter und Opfer bislang eine Beziehung bestand, während auf der dritten Achse anhand der psychiatrischen Diagnose des Stalkers unterschieden wird.110 Hiernach lassen sich fünf verschiedene Typen von Stalkern unterscheiden, wobei das Modell eine flexible Handhabung hinsichtlich einer möglichen Überschneidung von Kategorien, nicht jedoch hinsichtlich etwaiger Veränderungen in der Motivation des Stalkers zulässt.111 Die Kategorien beschreiben jeweils den zurückgewiesenen Stalker (rejected stalker), den Intimität, bzw. Liebe suchenden Stalker (intimacy-seeking stalker), den inkompetenten Stalker (incompetent stalker), den rachsüchtigen Stalker (resentful stalker) und den „beutelüsternen“ Stalker (predatory stalker).112 Ein weiteres Modell bildet die von Sheridan und Boon entwickelte Kategorisierung, die mit dem „Ex-Partner Stalking oder Belästigung“ (ex-partner stalking or harassment), „Belästigung aus Verliebtheit“ (infatuation harassment), „Stalderer er einer Realitätsverzerrung unterliegt, welche ihn Glauben machen, er selbst wäre das Opfer der Verfolgung, vgl. Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/ Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (26). 106 Zona/Palarea/Lane, Psychiatric Diagnosis and the Offender-Victim Typology of Stalking, in: Meloy (Hrsg.), The Psychology of Stalking, S. 70 (77 ff.). 107 Diese Beziehung kann aus ehemaligen Intimbeziehungen, nachbarschaftlichen, bekanntschaftlichen oder kollegialen Verhältnissen herrühren, siehe Zona/Palarea/Lane, Psychiatric Diagnosis and the Offender-Victim Typology of Stalking, in: Meloy (Hrsg.), The Psychology of Stalking, S. 70 (76). 108 Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 66 ff.; Mullen/Pathé/Purcell/ Geoffrey, American Journal of Psychiatry 1999, 1244 (1245 ff.). 109 Vgl. Voß/Küken, FPR 2006, 180 (183); Pinals, Classification and Typology, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 27 (46); Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/ Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (28). 110 Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 66 f.; Mullen/Pathé/Purcell/ Geoffrey, American Journal of Psychiatry 1999, 1244 (1245 ff.). 111 Mullen/Pathé/Purcell/Geoffrey, American Journal of Psychiatry 1999, 1244 (1248). 112 Siehe Mullen/Pathé/Purcell/Geoffrey, American Journal of Psychiatry 1999, 1244 (1248). Ausführlich hierzu Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 69 ff.

IV. Täter- und Opfertypologie(n)

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king aus wahnhafter Fixierung“ (delusional fixation stalking) und „sadistisches Stalking“ (sadistic stalking) insgesamt vier verschiedene Gruppen von Stalkern unterscheiden.113 b) Besonderheiten und Übertragbarkeitshindernisse Den vorgenannten Modellen ist gemein, dass sie anhand von Studien erarbeitet wurden, die nicht ohne weiteres verallgemeinerbar sind.114 Dies liegt zum einen an der Auswahl der Studienteilnehmer und zum anderen daran, dass den verschiedenen Studien keine einheitliche Definition des Stalking zugrunde gelegt wurde.115 Darüber hinaus wurden diese Modelle nahezu ausschließlich vor dem Hintergrund einer angelsächsischen Rechtstradition entwickelt, sodass diese Studien innerhalb eines anderen Rechtskreises nicht ohne Weiteres verwertbar sind.116 c) Multiaxiales Modell nach Dreßing, Gass und Kühner Aufgrund der Übertragbarkeitshindernisse angelsächsischer Modelle auf den kontinentaleuropäischen Rechtsraum entwickelten die deutschen Wissenschaftler Dreßing, Gass und Kühner ein Typologisierungsmodell, das einem multiaxialen Ansatz folgt.117 Dieses Modell, das auf der ersten Achse dem psychopathologischen Befund des Stalkers [aa)] großes Gewicht beimisst, auf der zweiten Achse die Täter-Opfer-Beziehung [bb)] beleuchtet und auf der dritten Achse die jeweilige Motivation des Täters [cc)] erfasst, ist geeignet, den vielfältigen Aspekten

113 Sehr detailliert hierzu Sheridan/Boon, Stalker Typologies, in: Boon/Sheridan (Hrsg.), Stalking and Psychosexual Obsession, S. 61 (71 ff.). 114 Zu diesem Aspekt siehe auch Finch, Criminalisation of Stalking, S. 52. 115 Pinals, Stalking: Classification and Typology, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 27 (30 f.); vgl. hierzu auch Rackow, GA 2008, 552 (553). 116 Vgl. Albrecht, Stalking – Wissenschaftliche Perspektiven, in: Weiß/Winterer (Hrsg.), Stalking und häusliche Gewalt, S. 15 (16 f.). Bspw. steht einer Übertragbarkeit des bereits dargelegten Modells von Mullen, Pathé und Purcell entgegen, dass die verschiedenen Typen den Eingangskategorien der §§ 20, 21 StGB nicht zuzuordnen sind, siehe hierzu Dreßing/Kühner/Gass, FRP 2006, 176 (177 f.); Dreßing/Gass, Polizei & Wissenschaft 2007, 13 (14). Demgemäß sind die hergebrachten Modelle für die Praxis der Schuldfähigkeitsbegutachtung sowie der Prognosebeurteilung mit den etwaigen Konsequenzen einer Anordnung des Maßregelvollzugs bzw. der Zwangsunterbringung in der Psychiatrie nach den entsprechenden Vorschriften des deutschen Rechts nur bedingt aussagekräftig. Vgl. zu kulturellen Unterschieden und Übertragbarkeitshindernissen auch die zurückhaltenden Schlüsse von Jagessar/Sheridan, Criminal Justice and Behaviour 2004, 97 (113 ff.). Siehe hierzu auch Habermeyer/Hoff, Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie 2002, 542 (543 ff.). 117 Dreßing/Kühner/Gass, FRP 2006, 176 (177); Dreßing/Gass, Polizei & Wissenschaft 2007, 13 (14).

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§ 2 Analyse des Phänomens Stalking

eines Stalking-Falles in seiner Gesamtheit und speziell in Hinblick auf die Besonderheiten des deutschen Rechtskreises Rechnung zu tragen.118 aa) Die psychopathologische Ebene Innerhalb der auf der ersten Achse angesiedelten psychopathologischen Ebene ist anhand von drei Kategorien zu unterschieden, ob der Stalker einer psychopathischen Störung unterliegt, eine progrediente psychopathologische Entwicklung gegeben oder von keiner krankheitswerten psychiatrischen Störung des Stalkers auszugehen ist.119 Während sich vereinzelt die Auffassung hält, dass die meisten Stalker an einer psychischen Erkrankung leiden,120 besagen wissenschaftliche Studien mittlerweile nahezu einhellig, dass nur maximal 10% der Stalker wirklich psychisch krank sind.121 Nach dieser ersten Einteilung anhand psychopathologischer Kriterien122 ist innerhalb der ersten Achse weiter zu untersuchen, welche Auswirkungen die gegebenenfalls vorliegende psychopathologische Symptomatik auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Betroffenen hat. (1) Der psychotische Stalker In dieser ersten Gruppe, in der bei dem jeweiligen Stalker die Merkmale des § 20 oder § 21 StGB erfüllt sind, kann die psychotische Symptomatik den unmittelbaren Grund für die Aufnahme des Stalking darstellen.123 In einem solchen Fall wird der Stalker bisweilen durch wiederholtes Wahnerleben zum Stalking 118 Dreßing/Gass, Polizei & Wissenschaft 2007, 13 (14 ff.). Dieses Modell basiert laut den beteiligten Wissenschaftlern zudem auf umfangreicher eigener gutachterlicher Erfahrungspraxis, vgl. Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (32). 119 Dreßing/Gass, Polizei & Wissenschaft 2007, 13 (14). Eingehender hierzu noch Dreßing/Kühner/Gass, FRP 2006, 176 (178): So soll der psychotische Stalker die Eingangsmerkmale einer krankhaften Störung gem. §§ 20, 21 StGB eindeutig erfüllen, während diese Eingangsmerkmale im Rahmen der psychopathologischen Entwicklung nur bedingt gegeben sind und in Fällen fehlender krankheitswertiger psychiatrischer Störung überhaupt nicht vorliegen. 120 Siehe die Angaben bei Hoffmann, Kriminalistik 2003, 726 (729); der dies vor allem im Kontext mit den aus Liebeswahn agierenden Stalkern in der Bevölkerung feststellt. 121 Habermayer, Stalking: Forensisch-psychiatrische Aspekte, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 39 (46 ff.). 122 Bspw. nach den Kategorien ICD 10 F2 und ICD 10 F3, vgl. hierzu Dreßing/Gass, Forensisch-psychiatrische Begutachtung von Stalkern, in: Rusch (Hrsg.), Tagungsband zum 2. Internationalen Stalking-Symposium, S. 45 (46). 123 Dreßing/Kühner/Gass, FRP 2006, 176 (178). Beispiele für die psychotische Symptomatik sind etwa Liebes-, Verfolgungs- oder Beeinträchtigungswahn. Vgl. hierzu auch Kamleiter/Laakmann, Psychiatrische Praxis 2003, 152 (153 ff.), Habermayer/ Norra, Gesundheitswesen 2004, 337 (338 f.).

IV. Täter- und Opfertypologie(n)

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angetrieben. Dabei ist regelmäßig zumindest von einer erheblichen Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit des Stalkers auszugehen.124 Auf der anderen Seite kann es jedoch durchaus Fälle geben, in denen das Stalking überhaupt nicht mit dem psychotischen Wahnvorstellungen des Täters in Zusammenhang steht, sondern vielmehr auf einer sog. psychotischen Residualsymptomatik, bspw. einer komorbiden antisozialen Persönlichkeitsstörung des Stalkers, beruht.125 In einem solchen Fall ist es denkbar, dass – sofern die Psychose nicht auf die allgemeine Fähigkeit der Einsichts- und Impulskontrolle einwirkt – trotz des Vorliegens der Eingangskriterien des § 20 oder § 21 StGB die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Stalkers in Hinblick auf das Verhaltensmuster durchaus gegeben ist.126 (2) Stalker mit psychopathologischer Entwicklung Hinsichtlich der Stalkergruppe mit einer psychopathologischen Entwicklung ist zunächst zu beurteilen, ob das Ausmaß der psychopathologischen Symptomatik zumindest das Merkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit i. S. d. § 20 StGB erfüllt.127 Eine schwere andere seelische Abartigkeit kann in diesem Zusammenhang insbesondere dann vorliegen, wenn assoziierte psychopathologische Symptome wie beispielsweise eine fortschreitende Einengung des Denkens, eine Störung der Realitätsprüfung oder eine affektive Einengung bei dem Betroffenen festzustellen sind.128 Das Nachstellen bestimmt in dieser Kategorie zunehmend den Lebensrhythmus des Verfolgenden und kann mitunter obsessive Züge annehmen.129 Damit einhergehend kommt es bei dem Stalker zudem zu einer Persönlichkeitsveränderung.130 Die meisten Fälle dieser Art entstammen dem Bereich gescheiterter Beziehungen, wobei sowohl die dem Täter schon zuvor innewohnende Persönlichkeitsstö124 Dreßing/Maul-Backer/Gass, NStZ 2007, 253 (253); Dreßing/Kühner/Gass, FRP 2006, 176 (178); Dreßing/Kühner/Gass, Nervenarzt 2007, 764 (766 f.). 125 Dreßing/Kühner/Gass, FRP 2006, 176 (178); Dreßing/Gass, Forensisch-psychiatrische Begutachtung von Stalkern, in: Rusch, Tagungsband zum 2. Internationalen Stalking-Symposium, S. 45 (47). 126 Habermeyer, Stalking: Forensisch-psychiatrische Aspekte, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 39 (49); Dreßing/Maul-Backer/Gass, NStZ 2007, 253 (253); Dreßing/Kühner/Gass, FRP 2006, 176 (178). 127 Dreßing/Kühner/Gass, FRP 2006, 176 (178). Nicht selten besteht für diese Begutachtung ein Ermessensspielraum, wobei die wesentliche Beurteilungsgrundlage dabei die Rekonstruktion der psychopathologischen Symptomatik bildet. 128 Dreßing/Maul-Backer/Gass, NStZ 2007, 253 (254), Dreßing/Gass, Polizei & Wissenschaft 2007, 13 (15); zu den – mitunter sehr kontrovers diskutierten – Feststellungsmethoden hinsichtlich einer schweren anderen seelischen Abartigkeit i. S. d. § 20 StGB siehe Theune, ZStW 2002, 300 (307 ff.). 129 Dreßing/Gass, Polizei & Wissenschaft 2007, 13 (15); auch Dreßing/Maul-Backer/Gass, NStZ 2007, 253 (254). 130 Dreßing/Kühner/Gass, Nervenarzt 2007, 764 (768).

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§ 2 Analyse des Phänomens Stalking

rung als auch die in Folge der Trennung in Gang gesetzte psychopathologische Entwicklung mitunter das Eingangskriterium einer schweren anderen seelischen Abartigkeit i. S. d. § 20 StGB erfüllen können.131 (3) Stalker ohne psychiatrische Diagnose In der Mehrzahl erfüllen die Stalker erkennbar keines der Eingangskriterien des § 20 oder § 21 StGB, bei ihnen ist die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit also vollumfänglich gegeben.132 Mitunter lassen sich in dieser Gruppe einige Auffälligkeiten133 des Täters in der jeweiligen Persönlichkeitsstruktur feststellen, jedoch sind diese nicht derart ausgeprägt, dass ihnen Krankheitswert zugesprochen werden könnte.134 Strafrechtliche Sanktionen zeitigen hierbei auf den Täter nur bedingt abschreckende Wirkung. Häufig lässt sich bei diesem Stalkertypus ein biografisch weit zurückverfolgbarer Hang zur Verletzung sozialer Normen diagnostizieren.135 Da der Täter im Verlauf seines Verhaltens immer weniger auf (straf)rechtliche Reaktionen „anspricht“, empfiehlt sich daher bei diesem Stalkertypus eine frühzeitige und deutliche Intervention seitens der Polizei bzw. der Gerichte.136 131 Der Bereich der gescheiterten Intimbeziehung nimmt nach den o. g. deutschlandspezifischen Studien mit knapp 32% (laut der in Mannheim durchgeführten Studie, siehe hierzu Dreßing/Kühner/Gass, Psychiatrische Praxis 2005, 73 [75]) bzw. 49% (laut der durch die TU Darmstadt durchgeführten Studie, siehe Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 63) mit Abstand den größten Anteil in der Kategorie „Verhältnis Stalker/Stalkingopfer“ ein. Dies liegt daran, dass in der Gruppe der psychopathologischen Entwicklungen häufig charakteristische Beziehungskonstellationen und Interaktionen zwischen Stalker und Opfer zu finden sind. Dabei weist der Täter regelmäßig eine schon früh begründete krankheitsbedingte Persönlichkeitsstörung auf. Verstärkt wird die psychopathologische Entwicklung des Stalkers – und damit der Person, welche unter der Trennung leidet und diese rückgängig zu machen versucht – durch den Umstand, dass die gescheiterte Beziehung meist nicht konsequent beendet wird, es also immer wieder zu teilweisen Versöhnungen oder „letzten Aussprachen“ kommt; siehe hierzu ausführlich Dreßing/Kühner/Gass, FPR 2006, 176 (178). 132 Vgl. Dreßing/Kühner/Gass, FPR 2006, 176 (179). 133 Diese bestehen dann meist in Akzentuierungen der Persönlichkeitsstruktur, häufig aufgrund dissozialer und/oder narzisstischer Züge. Folge davon ist, dass die dieser Gruppe zuzuordnenden Stalker von dem Willen gelenkt sind, Macht und Kontrolle über das Opfer auszuüben und somit eigene narzisstische Bedürfnisse zu befriedigen. Dreßing/Kühner/Gass, FPR 2006, 176 (179) sehen in dieser Gruppe auch eindeutig die gewaltgeneigten Täter vertreten, die teilweise schon zuvor durch ihr gewalttätiges und übergriffiges Verhalten auffällig wurden. 134 Dreßing/Gass, Polizei & Wissenschaft 2007, 13 (16); Dreßing/Gass, Forensischpsychiatrische Begutachtung von Stalkern, in: Rusch, Tagungsband zum 2. Internationalen Stalking-Symposium, S. 45 (50). 135 Dreßing/Gass, Polizei & Wissenschaft 2007, 13 (16); Dreßing/Gass, Forensischpsychiatrische Begutachtung von Stalkern, in: Rusch, Tagungsband zum 2. Internationalen Stalking-Symposium, S. 45 (51). 136 Dreßing/Gass, Forensisch-psychiatrische Begutachtung von Stalkern, in: Rusch, Tagungsband zum 2. Internationalen Stalking-Symposium, S. 45 (51).

IV. Täter- und Opfertypologie(n)

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bb) Die Beziehungsebene Auf der zweiten Achse ist danach zu differenzieren, welche Beziehung zwischen Stalker und Opfer vor dem Beginn des Verhaltensmusters bestand. Zu unterscheiden ist hier zwischen Fällen, in denen das Opfer eine exponierte Person des öffentlichen Lebens (sog. Star-Stalking) oder ein ehemaliger Intimpartner (sog. Ex-Partner Stalking) ist oder letztlich danach, ob zwischen Täter und Opfer (bislang) eine andere Beziehungskonstellation bestand.137 Unter letztere Kategorie fallen etwa Bekannte, professionelle Kontakte, aber auch Fremde. Es mag dabei unter Umständen irritieren, dass dem Bereich des Fremden-Stalking hinsichtlich der tatsächlichen Verbreitung nur eine untergeordnete Rolle zukommt, handelt es sich doch bei dieser Gruppe nach dem Laienverständnis eigentlich um den typischen Fall des Stalking. Tatsächlich liegt die Anzahl der von Fremden gestalkten Personen unter 25%; dagegen stellt die mit Abstand größte Gruppe die der ehemaligen Beziehungspartner dar.138 Mittels dieser Einteilung und unter Berücksichtigung der Kategorie auf der ersten Achse des Modells lassen sich auch Prognosen hinsichtlich der Gefährlichkeit des Verlaufs des Verhaltensmusters erstellen.139 cc) Die Motivationsebene Die dritte und letzte Achse geht auf die Motivation des Stalkers ein. Hierbei muss jedoch zunächst festgehalten werden, dass oftmals verschiedene oder im Verlauf des Stalking wechselnde Motivationen des Täters zusammenspielen können. Daher kann es auf dieser Kategorisierungsebene nur um eine sehr vereinfachende Gruppeneinteilung gehen, die jedoch einen ersten Anhaltspunkt für eine weitergehende individuelle Analyse bilden kann.140 Grundsätzlich wird zwischen positiven und negativen Gefühlen des Täters unterschieden. Positiv geprägte Motive können dabei Liebe, Zuwendung und Versöhnung darstellen. Negativ geprägte Motive können hingegen Rache, Wut, Eifersucht und das Bedürfnis sein, über das Opfer Macht und Kontrolle auszuüben (sog. narzisstische Bedürfnisse).

137 Vgl. Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (32). 138 Siehe hierzu Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (32). 139 Siehe hierzu mit eigener Studie McEwan/Mullen/MacKenzie Law and Human Behaviour 2009, 149 (155 ff.). 140 Dreßing/Kühner/Gass, Nervenarzt 2007, 764 (770 f.); Dreßing/Gass, Polizei & Wissenschaft 2007, 13 (17).

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§ 2 Analyse des Phänomens Stalking

dd) Aussagefähigkeit des Modells für Risikoanalysen Zwar handelt es sich bei der Prognoseforschung hinsichtlich der Gefährlichkeit von Stalkingfällen noch um ein relativ junges Forschungsgebiet,141 jedoch zeichnet sich ab, dass die gängigen Prognoseinstrumente zumindest für die Vorhersage bei sog. schwerem Stalking zur Vorhersage schwerer Gewaltdelikte nicht geeignet sind.142 Grund hierfür ist nicht zuletzt, dass Stalking durch ein recht eigenständiges Delinquenzmuster geprägt ist.143 Stalker, welche im Verlauf des Stalking schwere Gewaltdelikte begehen, zeichnen sich durch besondere soziodemografische Merkmale aus, welche sich bei anderen Straftätern regelmäßig nicht finden lassen.144 Die gängigen Prognoseinstrumente können also nur für die Vorhersage von Formen leichter bis hin zu mittelschwerer Gewalt herangezogen werden. Damit werden vor allem diejenigen Täter erfasst, die zuvor auf der psychopathologischen Ebene als Stalker ohne psychiatrische Diagnose145 eingeordnet wurden und die daher strafrechtlich uneingeschränkt als schuldfähig anzusehen sind.146 Besonderes Gewicht kommt bei der Prognose der Gefährlichkeit des Stalkingverlaufs der Beziehungsebene zu.147 Während der Täter beim sog. Star-Stalking eher selten zur Begehung von Gewaltdelikten neigt, muss hingegen beim Ex-

141

Vgl. Resnick, Stalking Risk Assessment, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 61 (61). Dies meint insbesondere die Prognoseinstrumente HCR 20 und PCL, siehe Dreßing/Gass, Polizei & Wissenschaft 2007, 13 (17); Dreßing/Kühner/Gass, Nervenarzt 2007, 764 (770). Vgl. hierzu auch James/Farnham, Journal of the American Academy of Psychiatry and Law 2003, 423 (426). Zu den verschiedenen Modellen der RisikoAnalyse und den unterschiedlichen Risikofaktoren allgemein siehe Resnick, Stalking Risk Management, in: Pinals (Hrsg.) Stalking, S. 61 (62 ff.). Zu deren beschränkten Aussagefähigkeit siehe White/Cawood, Threat Management of Stalking Cases, in: Meloy (Hrsg.), Psychology of Stalking, S. 295 (311 f.); ferner Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 250. Noch kritischer hierzu Davis/Stewart/Soita, Future Prediction of Dangerousness and Violent Behavior, in: Davis (Hrsg.) Stalking Crimes and Victim Protection, S. 261 (262 ff.); Brewster, Predictor of Physical Violence, in: Davis u. a. (Hrsg.), Stalking, S. 292 (304 f.). 143 Dreßing/Maul-Backer/Gass, NStZ 2007, 253 (255); Dreßing/Kuehner/Gass, Psychiatrische Praxis 2005, 73 (77); Dreßing/Gass, Forensisch-psychiatrische Begutachtung von Stalkern, in: Rusch, Tagungsband zum 2. Internationalen Stalking-Symposium, S. 45 (52). 144 So weisen die „schweren“ Stalker durchweg ein fortgeschrittenes Lebensalter auf, sind nicht vorbestraft und sind auch nicht wegen Suchtmittelmissbrauchs auffällig in Erscheinung getreten, vgl. Dreßing/Gass, Polizei & Wissenschaft 2007, 13 (17). 145 Also Stalker, bei denen bis auf eine zumeist narzisstisch geprägte oder dissoziale Persönlichkeitsakzentuierung keine schwere psychiatrische Erkrankung festzustellen ist. 146 Dreßing/Kühner/Gass, Nervenarzt 2007, 764 (770); Dreßing/Gass, Polizei & Wissenschaft 2007, 13 (17). 147 Dreßing/Kühner/Gass, FPR 2006, 176 (179); allgemein zur Prognose innerhalb der Beziehungskategorie Mullen/Pathé/Purcell/Stuart, American Journal of Psychiatry 1999, 1244 (1248). 142

IV. Täter- und Opfertypologie(n)

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Partner-Stalking zumindest auch bei denjenigen Tätern mit dem Einsatz von Gewalt gerechnet werden, bei denen keine psychotischen Züge festzustellen sind.148 Dabei hat sich gezeigt, dass vor allem bei diesem Stalkertypus ein frühzeitiges und entschiedenes Vorgehen unter Ausnutzung aller juristischen Möglichkeiten Erfolg versprechend sein kann.149 Weitere relevante Prognosekriterien lassen sich erfahrungsgemäß insbesondere innerhalb der Motivationsebene finden. Hegt der Stalker gegenüber seinem Opfer überwiegend positive Gefühle, so ist das Risiko eines gewalttätigen Übergriffs zunächst relativ gering.150 Dies kann sich jedoch mit dem Umschlagen von bislang positiven Gefühlen des Täters in eine eindeutig negative oder feindlich eingestellte Gesinnung drastisch ändern. Ab diesem Zeitpunkt wohnt dem Verhalten ein besonderes Risiko in Hinblick auf die Verwirklichung von Gewaltdelikten inne.151 Hinsichtlich der negativen Motivation gehen die Wissenschaftler Dreßing, Kühner und Gass davon aus, dass – sofern Gefühle wie Rache, Wut und Eifersucht deutlich überwiegen und das Verhalten gleichsam steuern – in knapp dreißig Prozent der Fälle mit einem gewalttätigen Verlauf zu rechnen ist.152 Dabei besteht ein besonderes Risiko vor allem dann, wenn der Täter dazu übergegangen ist, Gewalt explizit anzudrohen oder sexuell motivierte Androhungen zu äußern.153 Weitere gewichtige Prognosekriterien bilden das ausgeprägte Gefühl des Täters „im Recht zu sein“, die Persönlichkeitsstörung des Täters und/oder dessen soziale Isolation.154 148

Dreßing/Gass, Polizei & Wissenschaft 2007, 13 (16 f.); ausführlich zur Risikoanalyse bei Ex-Partner Stalking unabhängig vom multiaxialen Ansatz: Logan/Walker, Trauma, Violence, & Abuse 2009, 247 (249 ff.). 149 Dreßing/Gass, Polizei & Wissenschaft 2007, 13 (18). So auch hinsichtlich der Frühzeitigkeit Matthias-Bleck, Stalking, S. 27; ausführlich zum sog. Risk Management: Knoll, Risk Management of Stalking, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 85 (86 ff.); Hoffmann/Wondrak, Stalking und häusliche Gewalt – Grundlagen und Fallmanagement, in: Weiß/Winterer (Hrsg.), Stalking und häusliche Gewalt, S. 55 (64 ff.). 150 Dreßing/Gass, Polizei & Wissenschaft 2007, 13 (17); vgl. allgemein zur Bedeutung der Motivationsebene für die Risikoanalyse: Habermeyer, FPR 2006, 196 (198); ausführlich: Resnick, Stalking Assessment, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 61 (62 ff.). 151 Dreßing/Gass, Polizei & Wissenschaft 2007, 13 (18); Dreßing/Kühner/Gass, Nervenarzt 2007, 764 (771). Vgl. ferner Fiedler, Stalking, S. 78. Hat ein solches Umschlagen seinen Grund in der direkten Konfrontation mit dem Stalker zwecks Unterbindung des Stalkingverhaltens (sog. intervention dilemma), so ist das Risiko darauf folgender Gewaltanwendung besonders hoch, vgl. Knoll, Risk Management of Stalking, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 85 (85). 152 Dreßing/Gass, Polizei & Wissenschaft 2007, 13 (18); Dreßing/Kühner/Gass, Psychiatrische Praxis 2005, 73 (75). 153 Dreßing/Kühner/Gass, FPR 2006, 176 (179); siehe hierzu auch allgemein Fiedler, Stalking, S. 64, der mit dem Auftreten weiterer Merkmale wie dem Vorliegen einer gescheiterten Intimbeziehung, der früheren Auffälligkeit durch Gewalt und der Androhung von Gewaltanwendung gegenüber Dritten jeweils eine stark erhöhte Gefährlichkeit feststellen will. 154 Dreßing/Maul-Backer/Gass, NStZ 2007, 253 (255).

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§ 2 Analyse des Phänomens Stalking 2. Opfertypologie(n)

Immer wieder lässt sich in der breiten Öffentlichkeit die Vorstellung finden, Stalking sei vor allem dadurch geprägt, dass eine zumeist männliche Person das weibliche Opfer durch permanentes und heimliches Annähern in Angst und Schrecken zu versetzten oder sogar in seine Gewalt zu bringen versucht. Doch nur hinsichtlich der Rollen- und Geschlechterverteilung trifft dies auch im Regelfall zu: So lässt sich in den bisher in Deutschland erstellten repräsentativen Studien mit bis zu 87,2% ein signifikantes Überwiegen von weiblichen Opfern feststellen,155 während die Anzahl der männlichen Stalker bei knapp 85% liegt.156 Während vor allem im angelsächsischen Raum bereits verschiedene Modelle zur Kategorisierung von Opfern entwickelt wurden, die sich vornehmlich anhand der Beziehung des Stalkers zu seinem Opfer orientieren,157 lassen sich für den deutschsprachigen Raum bislang kaum speziell entwickelte Modelle fin-

155

Vgl. Dreßing/Kühner/Gass, Nervenarzt 2007, 764. Nach der von der TU Darmstadt durchgeführten Studie liegen die Anteile hingegen bei knapp 63%, vgl. im Rahmen der demographischen Daten Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 33. Auf internationaler Ebene werden teilweise sogar Anteile von knapp 92% ermittelt, vgl. Sheridan/Davies, Criminal Behaviour and Mental Health 2001, 102 (104 f.). 156 So nach den Ergebnissen der in Deutschland bislang betriebenen Studien, vgl. Dreßing/Kuehner/Gass, Psychiatrische Praxis 2005, 73 (75). Diese Zahl ist jedoch auch in etwa vergleichbar mit den Ergebnissen internationaler Studien, vgl. die Übersicht bei Sheridan/Blaauw/Graham, Trauma, Violence, & Abuse 2003, 148 (154 f.). 157 Vgl. hierzu sehr übersichtlich Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 61 f. und Meloy, Aggression and Violent Behaviour 1996, 147 (155 ff.) mit zahlreichen w.N. Nach Zona, Palarea, Lane sind die Opfer von Stalking in zwei Hauptkategorien zu unterschieden, je nachdem, ob eine Beziehung zwischen dem Stalker bestand (prior relationship) oder nicht (no prior relationship), siehe hierzu Zona/Palarea/Lane, Psychiatric Diagnosis and the Offender-Victim Typology of Stalking, in: Meloy (Hrsg.), The Psychology of Stalking, S. 70 (76 ff.). Meloy/Gothard, American Journal of Psychiatry 1995, 258 (259) teilten die Opfer zunächst in zwei Kategorien ein, welche man übersetzt mit Fremde (stranger) und frühere Intimpartner (former intimate) wiedergeben würde. Später sprach sich Meloy, Aggression and Violent Behaviour 1996, 147 (156) jedoch im Rahmen einer vergleichenden Studie für ein dreigliedriges Modell aus, welches keine Mehrfachbelegung zulässt und zwischen früheren Bekannten (prior acquaintances), früheren Sexualpartnern (prior sexual intimates) und völlig Fremden (complete strangers) unterscheidet. Auch Harmon/Rosner/Owens, Journal of Forensic Sciences 1995, 188 (190) legten ihren Studien dieses Modell zugrunde und bestätigen dessen Vorzüge. Ein ausdifferenziertes Modell entwickelten hingegen Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 45 ff., die neben dem Aspekt der Beziehung auch den Kontext des Stalking-Verhaltens beleuchtet wissen wollen. Hiernach wird zwischen den Kategorien der früheren Intimpartner (prior intimates), der zufälligen Bekanntschaften und Freunde (casual acquaintances and friends), der Kontakte im Rahmen einer freiberuflichen Tätigkeit (professional contacts), der Kontakte am Arbeitsplatz (workplace contacts), der Fremden (strangers), der Berühmten (famous) sowie der sekundären Stalking-Opfer (secundary victims) unterschieden. Mehrfachbelegungen sind dabei theoretisch nicht ausgeschlossen, die praktische Einordnung ist jedoch in einem solchen Fall ermessensabhängig.

IV. Täter- und Opfertypologie(n)

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den.158 Eine ganz bestimmte Zielgruppe, die ausschließlich Adressat des Stalking wird, existiert ausweislich einschlägiger Studienergebnisse nicht; vielmehr kann jeder Mensch unabhängig von der sozialen Schicht und der individuellen Persönlichkeitsstruktur ein potenzielles Opfer sein.159 Einige Charakteristika sprechen jedoch für eine erhöhte Anfälligkeit. Sehr häufig sind die Opfer von Stalking alleinstehende Personen oder haben gerade eine Beziehung zu ihrem bereits als Stalker agierenden oder später dergestalt agierenden ehemaligen Partner beendet.160 Weiter gibt es zunehmend Hinweise darauf, dass Angehörige exponierter Berufsgruppen aufgrund ihrer intensiven professionellen Kontakte zu anderen Menschen ein erhöhtes Risiko aufweisen, gestalkt zu werden.161 Dies betrifft auch prominente Personen des öffentlichen Lebens.162 Hinsichtlich der Persönlichkeitsstruktur weisen Stalking-Opfer deutlich häufiger eine dependente Charakterstruktur auf.163 Bemerkenswert ist aber der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Opfern. Nicht nur der prozentuale Anteil der männlichen Opfer ist weitaus geringer als der der weiblichen, auch die Bereitschaft männlicher Opfer, entsprechende Verhaltensmuster als Stalking aufzufassen, als (straf-)rechtlich relevant anzusehen und gegebenenfalls auch zur Anzeige zu bringen,164 ist deutlich geringer als bei weiblichen Opfern.165 Grund hierfür mag der Umstand sein, dass 158 Vgl. Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (36 f.). 159 Dreßing/Martini/Witthöft/Bailer/Gass, Gesundheitswesen 2007, 699 (700). 160 Vgl. Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass, Stalking!, S. 11 (36). 161 Dreßing/Martini/Witthöft/Bailer/Gass, Gesundheitswesen 2007, 699 (700) und für die Schweiz Krammer/Stepan/Baranyi/Kapfhammer/Rothenhäusler, Nervenarzt 2007, 809 (814 ff.). Besonders gefährdete Berufe sind bspw. Psychiater, Psychologen, Ärzte, Krankenschwestern, Politiker, Professoren, Lehrer, vgl. hierzu Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (36). 162 Hoffmann, Stalking, S. 92 ff.; Weber-Hassemer, ZRP 2006, 69 (69). 163 Dreßing/Kuehner/Gass, Psychiatrische Praxis 2005, 73 (76). Von dependenter Charakterstruktur kann dann gesprochen werden, wenn die entsprechende Person die Verantwortung für wichtige Bereiche des eigenen Lebens anderen Personen überlässt und zumeist eigene Bedürfnisse den Interessen anderer unterordnet. Ein besonderes Risiko, Opfer eines Stalkers zu werden, kommt einer Person mit dependenter Charakterstruktur gerade deshalb zu, weil sie – bspw. nach Beendigung einer Beziehung – nicht entschieden genug den nötigen „Schlussstrich“ zu ziehen vermag und so durch ihre eigene Unsicherheit dem Stalker ungewollt in seiner Motivation bestärkt oder zumindest nicht bremsen kann; vgl. hierzu Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (37). Zur sog. Vulnerabilität siehe auch Hoffmann, Stalking, S. 154 f.; vgl. weiter auch Blaauw/Winkel/Arensman/Sheridan/Freeve, Journal of Interpersonal Violence 2002, 50 (59 ff.) Dies bedeutet jedoch auf keinen Fall, damit den Opfern die Schuld oder eine gewisse Teilschuld zuzusprechen. 164 Hierzu Stadler, Viktimologie des Stalkings, S. 54 f.; Keller, Stalking und Opferhilfe, S. 47; ausführlich auch Müller, Männer als Opfer von Stalking, S. 116 ff. 165 Ausführlich hierzu Lenz, Männliche Opfer, in: Bettermann/Feenders (Hrsg.), Stalking, S. 273 (275 ff.).

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§ 2 Analyse des Phänomens Stalking

männliche Opfer des Stalking aufgrund der mit ihrem Geschlecht verbundenen tradierten gesellschaftlichen Vorstellungen und Wertungen als Opfer weit weniger ernst genommen werden als dies bei weiblichen Betroffenen der Fall ist.166 Unter den Opfern von Stalking finden sich jedoch auch Personen, die sich als Opfer sehen, es in Wahrheit jedoch nicht sind.167 Diese „falschen“ Opfer agieren aus unterschiedlichen Motiven heraus. So können zum einen persönliche Rachegefühle gegen die zu Unrecht beschuldigte Person, Aufmerksamkeits- und Zuwendungsbedürfnisse oder die Hoffnung auf eine finanzielle Entschädigung der Antrieb für das Vorgehen sein.168 Zum anderen kann es bei dem vermeintlichen Opfer aufgrund von früheren Erfahrungen mit Stalking oder anderen Gewalttaten zu einer erhöhten Sensibilisierung gegenüber möglichen Annäherungsverhalten anderer Personen kommen, infolge derer das eigentlich sozialkonforme Verhalten anderer von der betroffenen Person als Stalking empfunden wird.169 Darüber hinaus sind auch Fälle bekannt, in denen eine psychische Erkrankung des vermeintlichen Opfers – welche in der Regel zumeist psychotischer Natur ist – dazu geführt hat, dass sich vermeintlich Betroffene als Opfer sehen.170 Der Anteil „falscher“ Stalking-Opfer wird ausweislich vieler Studien mit etwa 2 bis 10% zwar als niedrig eingeschätzt,171 die negativen Folgen für das Justizsystem und die öffentliche Wahrnehmung von Stalking können aber umso gravierender sein.172 V. Erkenntnisse für die Notwendigkeit gesetzgeberischen Tätigwerdens Die vorstehende Analyse hat gezeigt, welches enorme sozialschädliche Potential dem vielschichtigen Verhaltenskonstrukt Stalking innewohnen kann. Beson166

Hierzu ausführlich Stadler, Viktimologie des Stalkings, S. 88 f. Vgl. hierzu mit eingehender Auseinandersetzung mit den bestehenden Ansätze in der Literatur Newman/Appelbaum, Stalking: Perspectives on Victims and Management, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 107 (126 ff.); ausführlich mit eigener Klassifizierung daneben Mohandie/Hatcher/Raymond, False Victimization Syndromes, in: Meloy (Hrsg.), Psychology of Stalking, S. 225 (227 ff.). Siehe auch Pathé/Mullen/Purcell, British Journal of Psychiatry 1999, 170 (171 f.), die eine eigene Kategorisierung mit fünf Untergruppen vorschlagen. 168 Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (37); vgl. Pathé/Mullen/Purcel, Advances in Psychiatric Treatment 2001, 399 (400). 169 Vgl. hierzu Hoffmann, Stalking, S. 193; Pathé/Mullen/Purcell, British Journal of Psychiatry 1999, 170 (171). 170 Hoffmann, Stalking, S. 192 f.; in diesem Fall sieht sich der Stalker als das eigentliche Opfer. Sehr häufig geschieht dies im Rahmen einer sog. Erotomanie, die von Wahnvorstellungen bestimmt wird. 171 Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (37); Hoffmann, Stalking, S. 191; sehr eingehend hierzu mit eigener Studie Sheridan/ Blaauw, Criminal Justice and Behavior 2004, 55 (65 f.). 172 Eingehend Wondrak, Falsche Stalking-Opfer, in: Wondrak (Hrsg.), Stalking, S. 61 (61 f.). 167

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ders ins Gewicht fällt dabei, dass das Verhaltensmuster im Regelfall über einen längeren Zeitraum andauert, was für die betroffenen Personen zumeist mit einer chronischen und kaum kontrollierbaren Stresssituation einhergeht.173 Dieser besonderen Belastung fühlen sich die Betroffenen zumeist mehr oder minder hilflos ausgesetzt. Hilflos zum einen, weil sie aufgrund der vor allem psychischen Beeinträchtigungen bisweilen sehr eingeschüchtert reagieren und daher zurückhaltend sind, überhaupt rechtlichen Schutz in Anspruch zu nehmen. Hilflos zum anderen aber auch, weil sich die Betroffenen im Falle einer Inanspruchnahme rechtlichen Schutzes, zumindest vor der Einführung spezieller Gesetze zum Schutz vor Stalking, mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert sahen. Sei es, dass das bisherige rechtliche Instrumentarium gegenüber der Besonderheit des Verhaltenskonstruktes als zu wirkungsschwach erschien,174 oder dass die Betroffenen aufgrund der relativen Unbekanntheit des Phänomens von den Behörden schlichtweg nicht ernst genommen wurden. Dabei handelt es sich bei der Verbreitung von Stalking – folgt man den nationalen wie internationalen Studien – nicht bloß um das Auftreten einiger weniger schicksalhafter Einzelfälle.175 Angesichts dieser Erkenntnisse erscheint es nicht verwunderlich, dass bereits früh nach der erstmaligen Thematisierung des Verhaltensmusters unter der Bezeichnung Stalking in Wissenschaft und Gesellschaft Stimmen laut wurden, die 173 Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (21); Kühner, FPR 2006, 186 (186 f.); Hoffmann, Stalking, S. 151 ff.; siehe auch Blaauw/Winkel/Arensman/Sheridan/Freeve, Journal of Interpersonal Violence 2002, 50 (59 ff.). 174 Vgl. hierzu recht oberflächlich Kerbein/Pröbsting, ZRP 2002, 76 (76 f.); Borchert, FPR 2004, 239 (239); im Rahmen einer ersten umfangreichen und profunden Untersuchung für den deutschen Rechtsraum auch Meyer, ZStW 2003, 249 (256 ff.); ferner dann auch Löhr, Notwendigkeit, S. 372 ff.; Weinitschke, Rechtsschutz gegen Stalking de lege lata et de lege ferenda, S. 13 ff. Dies gilt vor allem für den Bereich des milden Stalking; schweres Stalking kann mitunter bereits mit den herkömmlichen Vorschriften des StGB erfasst werden, siehe hierzu den Beschluss des OLG Karlsruhe vom 24.01.2001, Az.: 3 Ss 131/00; vgl. aus anglo-amerikanischer Perspektive etwa Petch, The Journal of Forensic Psychiatry 2002, 19 (21 ff.); Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 273 ff.; 282 ff.; Finch, Criminalisation of Stalking, S. 173. 175 Für Deutschland siehe Dreßing/Kühner/Gass, Psychiatrische Praxis 2005, 73 (74 ff.); Dreßing/Kühner/Gass, FPR 2006, 176 (180); allgemein hierzu mit einem Überblick über die Lebenszeitprävalenzzahlen für ausgewählte Staaten siehe Fiedler, Stalking, S. 20 ff.; für die Vereinigten Staaten von Amerika vgl. ferner Tjaden/Thoennes, Stalking in America, S. 1 ff.; Baum/Catalano/Rand/Rose, Stalking Victimization in the United States – Findings from the National Crime Victimization in the United States, U.S. Department of Justice 2009, S. 1 ff. Für Untersuchungen in England siehe Budd/ Mattinson, Home Office Research Study 210, S. 1 ff.; aktueller und mit vergleichbaren Ergebnissen Walby/Allen, Home Office Study 276, S. 1 ff.; ferner Finney, Home Office Online Report 12/06, S. V ff.; verschiedene internationale Studien gegenüberstellend Blaauw/Winkel/Arensman/Sheridan/Freeve, Journal of Interpersonal Violence 2002, S. 50 (50 ff.); einen Überblick über unter epidemiologischen Gesichtspunkten ausgewählten Studien bieten ferner Giorgi-Guarnieri/Norko, Stalking: Introduction, Definition and Epidemiology, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 3 (10 ff.).

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eine (straf)rechtliche Reaktion des Gesetzgebers forderten.176 Geprägt wurde die gesellschaftliche Debatte dabei durch eine starke Medienpräsenz und eine breite Öffentlichkeitsarbeit verschiedener Opferverbände, was die gesellschaftliche Diskussion bisweilen auch enorm verschärft hat.177 Besonders eindrucksvoll konnte man diese Entwicklung vor der Einführung des § 238 StGB in Deutschland beobachten.178 1. Bedenken hinsichtlich der Notwendigkeit gesetzgeberischen Tätigwerdens

Die vorstehende Analyse hat jedoch zugleich gezeigt, dass es Gründe dafür gibt, den Forderungen nach einem (straf)gesetzgerberischen Tätigwerden mit einer gewissen Zurückhaltung zu begegnen. a) Im Allgemeinen Stalking wird zwar als ein neuartiges Phänomen wahrgenommen, ist aber letztlich ein altes Verhaltensmuster in neuem Gewand. Das Verhalten, welches heute landläufig unter dem Begriff Stalking verstanden wird, lässt sich zum Teil bereits im Alten Testament der Bibel wiederfinden und durch nahezu jedes Jahrhundert hinweg verfolgen.179 Bislang ging damit jedoch nicht zwangsläufig die Auffassung einher, dass es sich bei dieser Art von Erscheinung um ein ernst zu nehmendes soziales Problem handelt. Die Veränderung in der gesellschaftlichen Wahrnehmung scheint vielmehr darauf zu beruhen, dass sich innerhalb der Gesellschaft entscheidende Parameter in Hinblick auf die Wertung eines solchen Verhaltens grundlegend geändert haben. So trägt zum einen der Umstand Rechnung, dass Stalking sehr früh mit anderen bereits in der Wissenschaft etablierten Problemen – wie der Gewalt gegen Frauen, der Gewalt im sozialen Nahbereich, sowie Delikten, die man gemeinhin als Verbrechen am Seelenleben bezeichnet180 – in Verbindung gebracht 176 Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 293 f.; Coleman, Journal of Interpersonal Violence 1997, 420 (430 ff.); speziell auch in Hinblick auf Deutschland Gazeas, JR 2007, 497 (497). 177 Deutlich wurden diese Zusammenhänge zwischen gesellschaftlicher Thematisierung und legislativer Reaktion zunächst in Kalifornien um 1990, sind aber auch anhand der Anti-Stalking-Gesetzgebung im gesamten anglo-amerikanischen Rechtsraum zu verfolgen. Siehe hierzu mit weiteren Nachweisen Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 293 f.; Gazeas, JR 2007, 497 (497). 178 Vgl. hierzu ausführlich Buß, Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 191 ff., insbesondere 194 ff.; hinsichtlich des bereits Ende 2001 verabschiedeten Gewaltschutzgesetzes Gazeas, KJ 2006, 248 (249 f.). Siehe hierzu auch die kritischen Bemerkungen von Albrecht, FPR 2006, 204 (204). 179 Vgl. hierzu Sheridan/Blaauw/Davies, Trauma, Violence & Abuse 2003, 148 (149); Mullen/Pathé/Purcell/Stuart, American Journal of Psychiatry 1999, 1244 (1244); Gazeas, KJ 2006, 247 (247 f.).

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wurde.181 Zum anderen ist nicht zu übersehen, dass auch die gesellschaftliche Bewertung der sozialen Beziehungen im Allgemeinen einer starken Veränderung unterlag und noch immer unterliegt.182 Darüber hinaus ist ein vermehrtes Auftreten des Phänomens dem technischen Fortschritt geschuldet, durch den eine nunmehr vereinfachte, effektivere und zudem oftmals kostengünstigere Kontaktaufnahme zu einer anderen Person ermöglicht wird. Nicht zuletzt aber trägt der Umstand, dass die bisweilen sehr unterschiedlichen Einzelhandlungen des Verhaltensmusters nunmehr unter einem gemeinsamen Begriff gefasst werden, sein Übriges dazu bei, dass Stalking auch vermehrt thematisiert und wahrgenommen wird.183 Eine besondere Dynamik erfährt das gleichsam neu entdeckte Phänomen Stalking durch die Einbettung in ein Klima einer allgemein empfundenen Kriminalitätsfurcht und eines in der Gesellschaft weit verbreiteten kriminalitätsgenerierten Unsicherheitsgefühls.184 Nicht zuletzt diese Umstände bildeten den Nährboden für die „sehr erfolgreiche Karriere“ 185 des Verhaltenskonstrukts, die letztlich auch in der Bezeichnung als „Phänomen“ Ausdruck findet. Stalking breitete sich innerhalb kürzester Zeit vom angelsächsischen Rechtsraum ausgehend pandemiegleich über sämtliche westlichen Demokratien hinweg aus und setzte eine enorme gesellschaftliche, wissenschaftliche und rechtspolitische Debatte in Gang.186 Angesichts der ver180 Vgl. hierzu Küper, Das Verbrechen am Seelenleben, passim. Hierunter fallen auch beispielsweise neuere Erscheinungen wie beispielsweise Mobbing, siehe hierzu Litzcke/Schuh, Stress, Mobbing und Burn-out am Arbeitsplatz, S. 119 ff.; Bieszk/Sadtler, NJW 2007, 3382 (3382 ff.). 181 Albrecht, FPR 2006, 204 (204 f.); Melton Criminal Justice Review 2000, 246 (247 f.); Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 293 f.; Hoffmann, Stalking, S. 185 ff.; ferner Coleman, Journal of Interpersonal Violence 1997, 420 (430 ff.). 182 So bspw. in Hinblick auf den Bestand von engen Beziehungen, siehe hierzu Matthias-Bleck, Stalking, S. 27; ferner Finch, Criminalisation of Stalking, S. 87 ff. 183 So im Ergebnis auch Sheridan/Graham, Legal and Criminological Psychology 2001, S. 3 (3 f.); genauer noch Matthias-Bleck, Stalking, S. 27. Dies scheinen die Auswertungsergebnisse nationaler wie internationaler Studien zu bestätigen, nach denen die Anzahl der Stalking-Fälle und der prozentuale Anteil der Lebenszeitprävalenz stetig steigt, vgl. hierzu mit einem Überlick über die Lebenszeitprävalenz von Stalking in ausgewählten Ländern Fiedler, Stalking, S. 20 ff.; ferner Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (270 ff.). Zu einer anderen Ansicht gelangt hingegen Spitzberg, Trauma, Violence, & Abuse 2002, 261 (265 ff.) nach einer Auswertung von 103 verschiedenen Studien. 184 Albrecht, FPR 2006, 204 (204); ferner Neubacher, ZStW 2006, 854 (864 f.). Er spricht in diesem Zusammenhang von dem Import einer bestimmten Problemwahrnehmung. Vgl. ferner Fischer, StGB, § 238 Rn. 3; Albrecht, FPR 2006, 204 (204 f.); Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 293 f. Allgemein zu dem Anschein eines steigenden Sicherheitsbedürfnisses in der Gesellschaft siehe ausführlich Klimke, Wach- & Schließgesellschaft Deutschland, S. 97 ff. 185 So Albrecht, FPR 2006, 204 (204). 186 Vgl. hierzu mit einem sehr guten Überblick über die Gesetzgebung in den verschiedenen Ländern De Fazio, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 229 (231 ff.); ferner Albrecht, Stalking – wissenschaftliche Perspektiven, in:

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schiedenen Faktoren, die zu dieser Entwicklung des Verhaltensmusters beigetragen haben, besteht immer auch Raum für Übertreibungen.187 b) Im Besonderen: Fehlen einer allgemein anerkannten Definition Abgesehen von der Gefahr einer übersensibilisierten Wahrnehmung zwingt jedoch noch ein anderer Grund zur Zurückhaltung, der bei der Einschätzung der Bedeutung des Stalking bislang nicht in ausreichendem Maße thematisiert wurde. Stalking entzieht sich auch nach über zwanzig Jahren seit seiner erstmaligen öffentlichen Thematisierung unter dieser Bezeichnung noch immer einer feststehenden und allgemein anerkannten Definition.188 Das gilt nicht nur für juristische Definitionsansätze,189 sondern auch für Definitionsansätze im Rahmen anderer wissenschaftlicher Disziplinen wie etwa der Soziologie, der Psychiatrie und der Psychologie.190 Im Kern stimmen die unterschiedlichen Ansätze nahezu alle darin überein, dass Stalking allgemein durch folgende Wesensmerkmale charakterisiert wird: Es handelt sich um ein auf eine Person ausgerichtetes Verhaltenskonstrukt, welches sich aus einzelnen Handlungen zusammensetzt, die durch eine wiederholte einseitige Kommunikation oder Kontaktaufnahme des Täter gegen den Willen des Opfers geprägt sind, länger andauert und bei dem Opfer negative Auswirkungen hervorruft.191 Über die Frage jedoch, wie diese Wesensmerkmale im Einzelnen zu bestimmen sind, herrscht über die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen hinweg und sogar innerhalb dieser große Uneinigkeit. Weiß/Winterer (Hrsg.), Stalking und häusliche Gewalt, S. 15 (16 ff.); Blaauw/Winkel/ Arensman/Sheridan/Freeve, Journal of Interpersonal Violence 2002, 50 (50 f.); Neubacher, ZStW 2006, 855 (864) spricht in diesem Zusammenhang auch vom „Import einer bestimmten Problemwahrnehmung“. 187 Bspw. geht Müller, Notwendigkeit eines eigenständigen Stalking-Straftatbestandes im Hinblick auf dessen praktische Relevanz, in: Krüger (Hrsg.), Stalking als Straftatbestand, S. 17 (24) davon aus, dass „in 0,25% aller Fälle das Opfer getötet“ werde, was schon laut der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht stimmen kann, nach der 2008 knapp 800 vollendete Tötungsdelikte insgesamt vorlagen, vgl. Bundeskriminalamt (Hrsg.), Polizeiliche Kriminalstatistik 2008 für die Bundesrepublik Deutschland, S. 132, siehe hierzu Fischer, StGB, § 238 Rn. 2. 188 Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (263 ff.); zuletzt auch Rackow, GA 2008, 552 (553 f.); Dessecker, FS Maiwald, S. 103 (104). 189 Siehe hierzu Kinzig, ZRP 2006, 255 (256 f.); aus anglo-amerikanischer Sicht ferner Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 287. 190 Vgl. hierzu Westrup, Functional Analysis to Stalking Behaviour, in: Meloy (Hrsg.), Psychology of Stalking, S. 275 (277). 191 Siehe hierzu Giorgi-Guarnieri/Norko, Stalking: Introduction, Definition and Epidemiology, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 5; Tran, Hastings International and Comparative Law Review 2003, 445 (455); vgl. aus deutscher Sicht Dreßing, Allgemeiner Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (16); Hoffmann, Stalking, S. 2 f.

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Die Verschiedenheit der Definitionsansätze resultiert zum einen aus den unterschiedlichen Blickwinkeln, aus denen heraus Stalking beleuchtet wird. Je nach Fachrichtung lässt sich eine besondere Akzentuierung bei der Bestimmung der einzelnen Wesensmerkmale des Stalking feststellen. So wird beispielsweise auf dem Gebiet der allgemeinen Verhaltenswissenschaften eine Definition bevorzugt, die den Schwerpunkt eher auf die Beschreibung des Verhaltens und weniger auf dessen Auswirkung auf das Opfer legt.192 Dagegen wird im Rahmen von psychologischen Definitionsansätzen stark darauf geachtet, dass insbesondere die Motivation und Steuerungsfähigkeit des Täters und die Auswirkungen auf das Opfer ausreichend differenziert erfasst sind.193 Aus der strafrechtlichen Perspektive ist dagegen nicht zuletzt von Interesse, ob mithilfe der entsprechenden Definition die tatsächlich sozialschädlichen und daher rechtlich relevanten Verhaltensweisen von anderen, nicht reglementierungswürdigen Verhaltensweisen abgegrenzt werden können.194 Diese Verschiedenartigkeit der Bestimmungsansätze hat jedoch weitreichende Konsequenzen. Schon auf die Frage, ab wann – das heißt, ab welcher Qualität und Quantität der Einzelhandlungen und gegebenenfalls ab welchem Grad an entsprechenden Auswirkungen auf das Opfer – überhaupt von Stalking gesprochen werden kann, wird über sämtliche wissenschaftliche Disziplinen hinweg mit teilweise deutlich Unterschiedlichem geantwortet.195 Hierdurch differieren wiederum nicht nur die Angaben über die Beschaffenheit des Verhaltenskonstruktes an sich,196 sondern auch die Auswertungsergebnisse der empirischen Untersu192 Vgl. hierzu den Definitionsansatz von Mullen/Pathé/Purcell, Advances in Psychiatric Treatment 2001, 335 (337), der sich in etwa auf einer Linie befindet mit dem Ansatz von Meloy, The American Journal of Psychotherapy 1997, 174 (174). 193 Vgl. Voß/Küken, FPR 2006, 180 (182 ff.). 194 Vgl. Meloy, Psychology of Stalking, in: Meloy (Hrsg.), Psychology of Stalking, S. 275 (275); Bettermann, Stalking – Möglichkeiten und Grenzen der Intervention: Eine Einleitung, in: Bettermann/Feenders (Hrsg.), Stalking, S. 3 (3); Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 282 f.; Finch, Criminalisation of Stalking, S. 229. 195 Vgl. die Übersicht über die Abweichungen der den entsprechenden Studien zugrunde gelegten Definitionen bei Sheridan/Blaauw/Davies, Trauma, Violonce, and Abuse 2003, 148 (149 ff.); Johnson/Kercher, Journal of Interpersonal Violence 2009, 886 (867); angedeutet bei Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 286 ff.; allgemein Dreßing/Kühner/Gass, FPR 2006, 176 (177). Der Leser sei an dieser Stelle bereits darauf hingewiesen, dass sich diese Schwäche in der Handhabung des Phänomens an anderer Stelle mit weitaus größerer Bedeutung wiederfinden wird – namentlich bei der Frage, wann der deutsche (Strafrechts-)Gesetzgeber von einem strafwürdigen Stalkingverhalten nach § 238 StGB ausgeht, genauer: wie nun im Einzelnen die Tatbestandsmerkmale der beharrlichen Nachstellung und insbesondere der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensführung auszulegen sind, vgl. zu der entsprechenden Verwirrung und Ratlosigkeit vorab Mitsch, NJW 2007, 1237 (1240). Nunmehr auch der BGH, der um eine äußerst restriktive Auslegung des Taterfolges bedacht ist, siehe BGHSt 54, 189 (196 ff.). 196 Wie etwa zunächst einmal die Frage, ob die drei abstrakten Kriterien der Wiederholung von Verhaltensweisen, der spezifischen Motivation des Täters bzw. die Uner-

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chungen hinsichtlich der Prävalenz und der Auswirkungen auf die Opfer.197 Letztendlich weichen damit jedoch auch die Aussagen über die Sozialschädlichkeit des Phänomens bisweilen deutlich von einander ab. Einheitliche und allgemeingültige Untersuchungsergebnisse lassen sich wegen der den verschiedenen Studien zugrunde liegenden unterschiedlichen Definitionen somit nur eingeschränkt und unter Verzicht auf bedeutsame Differenzierungskriterien gewinnen.198 2. Auswirkungen des Fehlens einer allgemein anerkannten Definition aus strafrechtlicher Sicht im Allgemeinen

Aus strafrechtlicher Sicht stellt das Fehlen einer einheitlichen Stalking-Definition eine denkbar ungünstige Ausgangslage dar, wenn es um die Frage nach dem Bedarf eines gesetzgeberischen Handelns zum Schutz vor Stalking geht. Zunächst ist zu bedenken, dass eine einheitliche Definition unerlässlich ist, um die kriminalpolitische Notwendigkeit eines (straf)gesetzgeberischen Tätigwerdens anhand homogener Aussagen sachgerecht beurteilen und gegebenenfalls dieses Bedürfnis nach einer Pönalisierung auch empirisch untermauern zu können.199 Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse der verschiedenen Studien zur Prävalenz des Stalking und insbesondere die Ergebnisse der in Mannheim im Jahre 2005 durchgeführten epidemiologischen Studie genauer zu betrachten.200

wünschtheit dieser Kontaktversuche beim Opfer und ein gewisser Grad an Auswirkungen auf das Opfer jeweils wesensnotwendige Bestandteile einer Definition des Verhaltenskonstruktes sind, vgl. hierzu Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 287; Dessecker, FS Maiwald, S. 103 (105 f.). Im Weiteren aber auch, welche Verhaltensweisen überhaupt zu dem Verhaltenskonstrukt Stalking zu zählen sind und ab welchem Grad der Anwendung bzw. Wiederholung eigentlich von Stalking gesprochen werden kann, vgl. hierzu Dreßing/Kühner/Gass, FPR 2006, 176 (177); aus anglo-amerikanischer Sicht Purcell/Pathé/Mullen, The Journal of Forensic Psychiatry and Psychology 2004, 571 (572 ff.); Johnson/Kercher, Journal of Interpersonal Violence 2009, 866 (867). 197 Vgl. Rackow, GA 2008, 553 (553). Eingängig auch Dreßing/Kühner/Gass, FPR 2006, 176 (177). Zu diesem Aspekt mit erkennbarer Skepsis ferner Albrecht, Stalking – wissenschaftliche Perspektiven, in: Weiß/Winterer (Hrsg.), Stalking und häusliche Gewalt, S. 15 (19); für dem anglo-amerikanischen Bereich siehe etwa Sheridan/Blaauw/ Davies, Trauma, Violence, & Abuse 2003, 148 (150 ff.). 198 Vgl. Tjaden/Thoennes, Stalking in America, S. 1 (10 f.); Johnson/Kercher, Journal of Interpersonal Violence 2009, 886 (867). 199 Vgl. hierzu Dreßing/Kühner/Gass, FPR 2006, 176 (177); ferner auch Sheridan/ Blaauw/Davies, Trauma, Violonce, & Abuse 2003, 148 (158 f.). Gemeint ist hier in erster Linie der kriminal-phänomenologische Aspekt im Sinne einer empirischen Überprüfung der Sozialschädlichkeit der entsprechenden Verhaltensweisen, vgl. zu diesem Aspekt Zipf, Kriminalpolitik, S. 110. 200 Siehe zu dieser Studie die Ausführungen von Dreßing/Kühner/Gass, Psychiatrische Praxis 2005, 73 (73 ff.).

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Diese Studie gilt als repräsentativ.201 Zudem wählten die für die Anfertigung der Studie verantwortlichen Wissenschaftler vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim eine im Vergleich zu anderen internationalen Studien auffallend restriktive Stalking-Definition.202 So wurde erst dann von Stalking ausgegangen, wenn es zu mindestens zwei unerwünschten Kontaktaufnahmen mit multiplen Verhaltensweisen gekommen war, dieses Muster über mindestens zwei Wochen anhielt und bei dem Betroffenen zumindest Angst auslöste.203 Darüber hinaus weist die Studie die Besonderheit auf, dass sämtliche Teilnehmer, unabhängig davon, ob sie Stalkingopfer waren oder nicht, einen „WHO-5 WellBeing-Index“ 204-Fragebogen ausfüllen mussten. Auf diese Weise war es möglich, Vergleiche zwischen den Opfern von Stalking und der von Stalking nicht betroffenen Allgemeinbevölkerung zu ziehen. Dabei stellte sich heraus, dass die von Stalking Betroffenen einen signifikant erniedrigten Indexwert aufwiesen, was deutlich für eine Beeinträchtigung der psychischen Befindlichkeit spricht.205 Teilweise wird jedoch bemängelt, dass die der Studie zugrunde liegende Definition angesichts des geforderten Mindestzeitraums von zwei Wochen eine viel zu kurze Zeitspanne verlange.206 Die nach der Studie ermittelte Lebenszeitprävalenzrate von 11,6% müsse um ein knappes Drittel niedriger ausfallen, wenn man nur diejenigen Fälle erfasse, bei denen das Verhaltensmuster mindestens vier 201

Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11

(23). 202 Siehe Dreßing/Kühner/Gass, FPR 2006, 176 (177). Vgl. im Gegensatz dazu die den meisten anglo-amerikanischen Studien zu Grunde liegende und recht weit geratene Definition von Meloy/Gothard, American Journal of Psychiatry 1995, 258 (258 ff.), nach der Stalking umschrieben wird als „the willful, malicious and repeated following and harassing of another person that threatens his or her safety“ – wohl auch in Anlehnung an die Vorschrift § 646.9 des California Penal Code (West, 1990; Supp. 1994); ferner auch die von Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 3, nach denen Stalking „a situation in which one individual imposes on another unwanted and fearinducing intrusions in the form of communication or approaches“ darstellt. 203 Dreßing/Kühner/Gass, Psychiatrische Praxis 2005, 73 (74). Diese Umschreibung für Stalking ist im Vergleich zu anderen Umschreibungen noch relativ nah an dem Grad, welchen der deutsche Gesetzgeber nunmehr mit § 238 StGB als strafwürdig ansah. 204 Dieser „WHO-5 Well-Being-Index“ ist eine Skala zur Einschätzung der psychischen Befindlichkeit, der sich in epidemiologischen Studien auch als Screening-Instrument zur Depressionsdiagnostik durchaus bewährt hat, vgl. Henkel/Mergl/Kohnen/ Maier/Moeller/Hegerl, British Medical Journal 2003, 200 (201). 205 Siehe hierzu Dreßing/Kühner/Gass, Psychiatrische Praxis 2005, 73 (78). 206 Vgl. Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 12 f. Darüber hinaus wird bemängelt, ob die Erhebung in einer Großstadt wie Mannheim wirklich als repräsentativ für ganz Deutschland gelten könne. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass Mannheim mit einer Einwohnerzahl von etwa 310.000 Bürgern und aufgrund des großen Einzugsgebiets mit Stadtteilen wie Friedrichsfeld, Seckenheim und Sandhofen, die zum Teil auch ländlich geprägt sind, durchaus ein Mittelmaß in Bezug auf die Bevölkerung auf eher ländlichem Gebiet und der Bevölkerung in deutschen Großstädten darstellt und die Studie somit an ihrer Repräsentativität nichts einbüßt.

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Wochen andauerte.207 Doch selbst wenn man für Stalking einen Mindestzeitraum von vier Wochen zugrunde legen würde, würde nach vorbenannter Studie die Lebenszeitprävalenzrate immerhin noch etwa 7,73% betragen.208 Im Vergleich zu anderen nationalen und internationalen Studien stellt eine solche Rate eher die Seltenheit dar, sie liegt deutlich unterhalb der üblicherweise ermittelten Zahlen.209 Berücksichtigt man die bislang veröffentlichten epidemiologischen Studien aus überwiegend westlichen Demokratien, so lässt sich hinsichtlich der Lebenszeitprävalenzrate sogar ein Durchschnittswert ermitteln, nach dem ungefähr 12 bis 16% der Frauen und etwa 4 bis 7% der Männer ein Mal in ihrem Leben Opfer von Stalking werden.210 Nach der in Mannheim durchgeführten Studie werden hierzulande hingegen – legt man die an eine restriktivere Definition angeglichene Lebenszeitprävalenzrate von 7,73% zugrunde – etwa 6,74% der weiblichen und knapp 1% der männlichen Bevölkerung in ihrem Leben von einem Stalker verfolgt. Angesichts einer Gesamtbevölkerungszahl von ca. 82 Millionen in Deutschland lebenden Menschen bei einem Anteil an weiblicher Bevölkerung von knapp 51% wären danach hierzulande mehr als 2,8 Millionen Frauen und knapp 0,4 Millionen Männer in ihrem Leben zumindest ein Mal von Stalking betroffen.211 Angesichts dieser Verbreitungszahlen und der mitunter immensen Auswirkungen des Stalking auf die Betroffenen,212 ist davon auszugehen, dass es sich bei 207 Vgl. Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 13. Die Lebenszeitprävalenzrate meint dabei das Vorkommen von Stalking innerhalb einer Lebenszeit des Betroffenen in Hinblick auf die Gesamtbevölkerung in Prozent. Im Rahmen der Lebenszeitprävalenzrate von 11,6% befanden sich laut der Studie 87,2% Frauen und 12,8% Männer, siehe hierzu Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (23), so dass davon auszugehen ist, dass knapp 17,3% der Frauen und 3,7% der Männer in Deutschland ein Mal in ihrem Leben Opfer von Stalking werden. 208 Würde man bei dieser Quote von 7,73% auch von einer in etwa gleichbleibenden geschlechtsorientierten Aufteilung der Betroffenen (87,2% Frauen und 12,8% Männer) ausgehen, so ergäbe sich ein Bild, nach dem etwa 6,74% der weiblichen Bevölkerung und knapp 1% der männlichen Bevölkerung in Deutschland zumindest ein Mal im Leben Opfer von Stalking werden. 209 Einen guten Überblick bieten Sheridan/Blaauw/Davies, Trauma, Violence, and Abuse 2003, 148 (152 f.); siehe auch Fiedler, Stalking, S. 20 ff.; ferner Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (270 f.). 210 Sheridan/Blaauw/Davies, Trauma, Violence, and Abuse 2003, 148 (152); Hoffmann, Stalking, S. 10; Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in Dreßing/Gass (Hrsg.), S. 11 (23). 211 Zur Quelle hinsichtlich des Bevölkerungsstandes nach Geschlecht siehe die Angaben des Statistischen Bundesamtes unter www.destatis.de. 212 Siehe zu den Auswirkungen Kühner, FPR 2006, 186 (186 ff.); zu den entsprechenden Erkenntnissen aus der an der TU Darmstadt durchgeführten Studie Voß/ Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 53 ff.; allgemein Fiedler, Stalking, S. 31 ff.; Pathé/Mullen, British Journal of Psychiatry 1998, 12 (12 ff.); ausführlich zu den psychischen Auswirkungen auf die Betroffenen bei sog. Ex-Partner-Stalking siehe Logan/Walker, Trauma, Violence, & Abuse 2009, 247 (252 ff.).

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Stalking auch in Deutschland um ein durchaus ernst zu nehmendes soziales Problem handelt.213 3. Auswirkungen des Fehlens einer allgemein anerkannten Definition aus strafrechtlicher Sicht im Besonderen

Eine Definition des Stalking ist aus strafrechtlicher Sicht nicht nur Voraussetzung für die Beantwortung der Frage, ob ein (straf)gesetzgeberischen Tätigwerden aus kriminalpolitischen und empirischen Gesichtspunkten notwendig erscheint, sondern sie findet im Falle einer Strafbewehrung des Verhaltens auch unmittelbar214 oder zumindest mittelbar Niederschlag in der betreffenden (straf)rechtlichen Regelung. Demnach bedarf es einer feststehenden Definition, um überhaupt beurteilen zu können, ob – vor allem in Hinblick auf das sog. milde Stalking – gegebenenfalls nur einzelne Elemente des Verhaltenskonstruktes oder das Verhaltenskonstrukt im Gesamten unter Strafe zu stellen ist. Wie bereits beschrieben existieren für den Stalker unzählige Möglichkeiten, mit dem Opfer in Kontakt zu treten und so das Verhaltensmuster in Gang zu setzen oder aufrechtzuerhalten. 215 Zwar gibt es den Studien zufolge einen festen Kern an Verhaltensweisen, welche regelmäßig zum Einsatz kommen.216 Allerdings sind auch immer wieder außergewöhnliche Kontaktaufnahmen auszuma213 Vgl. Dreßing/Maul-Backer/Gass, NStZ 2007, 253 (253); mit einer guten Übersicht über die Situation in den Vereinigten Staaten von Amerika, Australien, Kanada und einigen westeuropäischen Ländern De Fazio, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 229 (230 ff.); Baum/Catalano/Rand/Rose, Stalking Victimization in the United States – Findings from the National Crime Victimization in the United States, U.S. Department of Justice 2009, S. 1 ff.; siehe auch die Ergebnisse der vgl. ferner die Ausführungen der Modena Group on Stalking hinsichtlich des im Auftrag der EU-Kommission durchgeführten Projekts Daphne mit dem Titel „Pathways to survive stalking for women victims“ (Daphne Project 04-1/091/W, S. 9 ff.) abrufbar unter: http://stal king.medlegmo.unimo.it. 214 Je nachdem, ob der Gesetzgeber es für notwendig erachtet, das Verhaltensmuster im Gesamten unter Strafe zu stellen – und wenn ja, unter welcher Akzentuierung der einzelnen Wesensmerkmale des Stalking – oder nur einzelne Elemente des Verhaltenskonstrukts. 215 Siehe hierzu die Ausführungen in § 2 II. 2. 216 Dies sind bspw. das Aufsuchen räumlicher Nähe, Telefonanrufe, Zusenden von Briefen, Mails, SMS, unerwünschte Geschenke. Für die in Mannheim durchgeführte Studie siehe Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass, Stalking!, S. 11 (21); für die an der TU Darmstadt angefertigte Studie siehe Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 41; aus anglo-amerikanischer Sicht siehe beispielsweise Melton, Journal of Interpersonal Violence 2007, 3 (6 ff.); Purcell/Pathé/Mullen, The Journal of Forensic Psychiatry and Psychology 2004, 571 (578 ff.). Diese Verhaltensweisen finden sich auch als Kernbestandteil des Repertoires eines Stalkers in den unterschiedlichsten Studien wieder, vgl. Fiedler/Fydrich, Psychotherapeut 2007, 139 (140 f.); Blaauw/Winkel/Arensman/Scheridan/Freeve, Journal of Interpersonal Violence 2002, 50 (55 ff.); Sheridan/Davies/Boon, Journal of Interpersonal Violence 2001, 151 (156 f.).

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§ 2 Analyse des Phänomens Stalking

chen, die dem Verhaltenskonstrukt Stalking letztlich zugeschrieben werden müssen.217 Vor dem Hintergrund des strafrechtlichen Bestimmtheitserfordernisses liegt also bereits eine besondere Schwierigkeit darin, sämtliche potentiell reglementierungswürdigen Angriffswege eines Stalkers normativ zu erfassen.218 Davon abgesehen geschehen viele dieser einzelnen Kontaktaufnahmen im Gewand alltäglicher Handlungen, so im Bereich des sog. milden Stalking etwa durch das bloße Aufsuchen räumlicher Nähe beim täglichen Einkauf oder Spaziergang.219 Eine Unterscheidung dahingehend, ob sich beispielsweise dieses Zusammentreffen in der Öffentlichkeit nur zufällig ereignet und damit noch ein sozialtypisches Verhalten darstellt oder bereits einen regelungswürdigen Bestandteil des Stalking darstellt, kann in einem solchen Fall kaum (ausschließlich) anhand objektiver Kriterien festgemacht werden.220 Angesprochen sind hier vor allem auch Verhaltensweisen, die unterhalb einer subjektiv verankerten Schwelle kulturell und gesellschaftlich anerkannt und sogar erwünscht sind. So wird vor allem in der westlich geprägten Kultur durchaus erwartet, dass zur Anbahnung oder Aufrechterhaltung von sozialen Beziehungen und insbesondere von Intimbeziehungen eine höher frequentierte Kontaktaufnahme erfolgt.221 Erst wenn diese höher frequentierte Kontaktaufnahme nahezu vollkommen einseitig und (erkennbar) gegen den Willen des Betroffenen geschieht und damit die impliziten Regeln sozialer Interaktion222 deutlich überschritten werden, kann

217 Hierunter fallen etwa das Töten von Haustieren, das Aufgeben einer Todesanzeige mit dem Namen des Opfers oder das Zusenden von Särgen, vgl. hierzu Löhr, Notwendigkeit, S. 45. 218 Für Deutschland in Hinblick auf die Anforderungen des Art. 103 II GG siehe Meyer, ZStW 2003, 248 (278 ff.), Gazeas, KJ 2006, 247 (257); für den anglo-amerikanischen Rechtsraum Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (262 ff., 265 ff.); Infield/Platford, The Law of Harassment and Stalking, S. 16; siehe für Österreich bspw. Sadoghi, Österreichisches Anwaltsblatt 2007, 340 (340). 219 Nach der repräsentativen Studie, welche in Mannheim durchgeführt wurde, stellt dieses Aufsuchen räumlicher Nähe in der Öffentlichkeit die zweithäufigste Verhaltensweise (knapp 63%) dar, siehe Dreßing/Kühner/Gass, British Journal of Psychiatry 2005, 168 (169). Dies korreliert mit anderen nationalen Studien, vgl. etwa Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 41. Aus anglo-amerikanischer Sicht vgl. hierzu Sheridan/Davies, Legal and Criminological Psychology 2001, 133 (136 ff.). 220 So sprechen bspw. Sheridan/Davies, Legal and Criminological Psychology 2001, 133 (136) davon, dass Stalker ein Verhalten gebrauchen „that is ostensibly routine and harmless and not, in itself, illegal“; vgl. ferner Finch, Criminalisation of Stalking, S. 87 ff.; aus deutscher Sicht siehe bspw. Fischer, StGB, § 238 Rn. 3. 221 Vgl. hierzu Voß, Zur Psychologie des Stalkings, in: Bettermann/Feenders (Hrsg.), Stalking – Möglichkeiten und Grenzen der Intervention, S. 37 (45 f.). 222 Gemeint sind dabei vor allem auch die beziehungsspezifisch implizierten Regeln der Interaktion. Die Beziehungsschemata, welche oftmals auch normative Vorstellungen enthalten, stehen dabei in Wechselwirkung zu dem Interaktionsmuster, vgl. hierzu Asendorpf/Banse, Psychologie der Beziehung, S. 5 f.

V. Erkenntnisse für die Notwendigkeit gesetzgeberischen Tätigwerdens

59

im Allgemeinen von Stalking gesprochen werden.223 Somit sind es im Falle des milden Stalking neben der Häufigkeit an ungewollten Kontaktaufnahmen vor allem (inter)subjektive Merkmale, die bestimmten Verhaltensweisen die Eigenschaft verleihen, einzelne Komponenten des Verhaltenskonstrukts Stalking zu sein.224 Dies betrifft sowohl die Motivation und subjektive Zwecksetzung des Täterhandelns, als auch das entsprechende subjektive Erleben der Zielperson des Stalking. Dies führt zu einem weiteren bedenkenswerten Aspekt in Hinblick auf die (straf)rechtliche Relevanz vor allem des sog. milden Stalking. Hierbei lassen sich hinsichtlich der Auswirkungen auf das Opfer in erster Linie negative Beeinträchtigungen des psychischen Wohlbefindens und allgemein der Psyche feststellen.225 Diese Auswirkungen hängen bezüglich ihrer Intensität stark von der jeweiligen psychischen Konstitution des Opfers und von der Vehemenz des Vorgehens des Täters, namentlich der Qualität und Quantität der einzelnen Verhaltensweisen, ab.226 Dabei stehen jedoch bereits die subjektive Beurteilung der Vehemenz des Täterhandelns durch das Opfer und das subjektive Erleben der Kontaktaufnahmehandlungen als stalkingspezifische Angriffe in einer besonderen Abhängigkeit zu der entsprechenden Konstitution des Opfers.227 Es ist daher durchaus möglich, dass in ihrer Intensität objektiv nahezu identisch erscheinende Verhaltensweisen von Opfer zu Opfer völlig unterschiedliche Folgen hervorrufen

223 Natürlich kann darüber hinaus noch erforderlich sein, dass die hochfrequentierten Kontaktaufnahmen bei der betroffenen Person auch eine gewisse negative Beeinträchtigung hervorrufen. Das hängt davon ab, welche Wesensmerkmale man der Definition zuschreibt, vgl. hierzu auch Löhr, Notwendigkeit, S. 47 ff.; Zu den impliziten Regeln sozialer Interaktion vgl. insbesondere Hoffmann, Stalking, S. 3 f.; Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 287 ff. 224 In diesem Zusammenhang ist auf die bildhafte Darstellung von Meyer, ZStW 117 (2003), 249 (253) zu verweisen, der von einem komplexen Täterverhalten spricht, das vor allem dadurch gekennzeichnet ist, dass die zum Teil stark heterogenen und in kontinuierlicher Häufigkeit angewandten Verhaltensweisen durch ein inneres Band miteinander verknüpft sind. 225 Siehe Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (34 f.); Kühner, FPR 2006, 186 (186 f.). Diese Erkenntnisse decken sich weitestgehend mit den Auswirkungen von Verhaltensformen, welche in anderen Studien mehrheitlich als mildes Stalking ausgemacht wurden, vgl. Finch, The Howard Journal 2002, 422 (424 ff.); Baum/Catalano/Rand/Rose, National Crime Victim Survey NCJ (224527) 2009, S. 1 (1 f.). 226 Kühner/Weiß, Gesundheitliche Folgen und Möglichkeiten der Therapie für Stalking-Opfer, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 79 (81); vgl. zu diesem Aspekt ferner Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 33 (54); ferner Fiedler, Stalking, S. 33 (39); vgl. hierzu auch die aussagekräftigen Ergebnisse der Studie von Blaauw/Winkel/Arensman/Sheridan/Freeve, Journal of Interpersonal Violence 2002, 50 (60 f.). 227 Demnach befinden sich zwei besondere Wesensmerkmale des Stalking in einem starken Wechselspiel, vgl. hierzu McEwan/Mullen/MacKenzie, Law and Human Behavior 2009, 149 (150).

60

§ 2 Analyse des Phänomens Stalking

können. Ursächlich hierfür ist das sog. initiale Schwellenproblem228, dem das Phänomen Stalking unterliegt. Danach ist vor allem das subjektive Erleben der Zielperson ausschlaggebend dafür, dass ein Verhalten als Stalking zu qualifizieren ist, auch wenn es sich nach außen hin als ein Verhalten darstellt, das sich üblicherweise noch im Rahmen des kulturell Erlaubten bewegt.229 Die Konsequenzen des sog. initialen Schwellenproblems werden bereits anhand der Gegenüberstellung männlicher und weiblicher Opfer deutlich. Während bei Männern die (psychische) Beeinträchtigungsschwelle allgemein sehr hoch angesiedelt ist, liegt diese Schwelle bei Frauen im Allgemeinen durchaus niedriger.230 Bereits diese geschlechtsspezifische Unterscheidung zeigt, dass es grundsätzlich möglich ist, dass zu Stalking zu zählende Verhaltensweisen bei entsprechender Wiederholung beispielsweise bei einer besonders empfindsamen Person schwerwiegende Beeinträchtigungen hervorrufen können, während absolut vergleichbare und mit identischer Frequenz angewandte Verhaltensweisen bei einer psychisch gefestigten Person nur leichte Gemütsverstimmungen hervorrufen.231 Im zuletzt genannten Beispiel setzt die für Stalking typische und aus psychischen Gesichtspunkten so verheerend wirkende chronische Stresssituation beim Opfer gerade nicht ein.232 Das Opfer mag hier zwar bei jeder neuen Kontaktaufnahme des Täters kurzfristig genervt sein und sich belästigt fühlen, letztlich aber davon nicht ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen werden. Vor allem bei Verhaltensweisen aus dem Bereich des milden Stalking dürfte sich eine solche Konstellation jedoch noch im Rahmen dessen bewegen, was allgemein noch als hinnehmbar gilt und was geflissentlich unter dem Stichwort des sozialadäquaten Verhaltens behandelt wird.233 228 Siehe Voß/Hoffmann, Zur Phänomenologie und Psychologie des Stalking, in: Hoffmann/Voß (Hrsg.), Psychologie des Stalking, S. 9 (22); auf diesen Aspekt auch eingehend Löhr, Notwendigkeit, S. 341 f. 229 So bspw. im Verlauf der Anbahnung und Aufrechterhaltung engerer, intimer Kontakte, im Rahmen derer das gezielte Aufsuchen der räumlichen Nähe, wiederholte Telefonanrufe usw. – zeitweise auch gegen den Willen der betroffenen Personen – dazugehören, zu diesem Beispiel Voß/Hoffmann, Zur Phänomenologie und Psychologie des Stalking, in: Hoffmann/Voß (Hrsg.), Psychologie des Stalking, S. 9 (22). 230 Vgl. hierzu Stadler, Viktimologie des Stalking, S. 56 ff.; Lenz, Männliche Opfer, in: Bettermann/Feenders (Hrsg.), Stalking, S. 273 (273); Müller, Männer als Opfer von Stalking, S. 120 ff.; allgemein für Großbritannien siehe etwa Finch, The Howard Journal 2002, 422 (424 f.); für den anglo-amerikanischen Rechtsraum ferner Purcell/Pathé/ Mullen, American Journal of Psychiatry 2001, 2056 (2056, 2058 f.). 231 Siehe hierzu mit vielen weiteren Nachweisen Löhr, Notwendigkeit S. 341 f.; vgl. ferner Finch, The Howard Journal 2002, 422 (424 f.); ferner Purcell/Pathé/Mullen, American Journal of Psychiatry 2001, 2056 (2056, 2058 f.). 232 Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (33). 233 Den Topos von sozialadäquaten, weil alltäglichen Handlungen bringt hierzulande bereits Meyer, ZStW 2003, 249 (284) in die Diskussion ein; ferner ist dieser auch ausdrücklich in der Gesetzesbegründung zu § 238 StGB zu finden, siehe BT-Drs. 16/575,

V. Erkenntnisse für die Notwendigkeit gesetzgeberischen Tätigwerdens

61

Somit offenbart sich hier eine weitere Schwierigkeit für die Bestimmung einer den (straf)rechtlichen Anforderungen gerecht werdenden Definition. Stalking bewegt sich in einer Grauzone zwischen sozial noch toleriertem und sozial nicht mehr toleriertem Verhalten. Die Sozialschädlichkeit bestimmter und dem Verhaltenskonstrukt potentiell zuzurechnender Verhaltensweisen bestimmt sich im Rahmen des milden Stalking nahezu ausschließlich anhand subjektiver Faktoren, die jedoch zugleich zu einem nicht unbedeutenden Teil von der jeweiligen Empfindsamkeit und psychischen Konstitution der betroffenen Person abhängen. Hier begegnet man jedoch der Problematik, dass es grundsätzlich an einer Standardisierbarkeit intersubjektiv vermittelter und vor allem psychisch wirkender Vorgänge sowie der menschlichen Psyche allgemein fehlt.234 Demnach ist es vor allem im Bereich des milden Stalking schwierig, sowohl hinsichtlich der Qualität und Quantität der Verhaltensweisen als auch hinsichtlich der Auswirkungen Anforderungen aufzustellen, die eine abstrakt gültige und zugleich aussagekräftige Schwelle festzulegen imstande sind, ab der überhaupt von einem rechtlich und insbesondere strafrechtlich relevanten Verhalten gesprochen werden kann – ohne in dieser Grauzone (ausschließlich) auf die unterschiedlichen Empfindsamkeiten der Betroffenen abstellen zu müssen.

S. 7 und wird daher später auch in sämtlichen wissenschaftlichen Beiträgen zu dem neuen Nachstellungsparagraphen aufgegriffen. Allgemein zum Begriff der Sozialadäquanz siehe Roeder, Einhaltung des sozialadäquaten Risikos, S. 14 ff. 234 Siehe hierzu bereits Schrag, Gefühlszustände als Rechtsgüter im Strafrecht, S. 120 ff.; ferner Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 346 f.; Bloy, FS Eser, S. 233 (238, 252 f.). Dies ist auch der Grund, warum im deutschen Strafrecht ein Rechts- bzw. Schutzgut der Psyche nicht oder zumindest nur in einem eng umgrenzten Bereich anerkannt wird, vgl. hierzu ausführlich ders., FS Eser, S. 233 (234 ff.).

§ 3 Gesetzgeberische Reaktionen auf das Verhaltensmuster Stalking I. Überblick über gesetzgeberische Reaktionen im Ausland Das Phänomen Stalking fand bislang nicht nur Eingang in den gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs, sondern wurde auch Gegenstand zivil- und strafrechtlicher Gesetzgebung in verschiedenen Ländern auf der ganzen Welt.1 Mittlerweile verfügen vor allem westlich geprägte Länder wie die Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada, Großbritannien, Dänemark, Belgien, die Niederlande, Deutschland, Italien,2 Malta, Irland, aber auch Australien, Neuseeland und Japan über spezielle Strafvorschriften zum Schutz vor Stalking.3 Dabei unterscheiden sich die strafrechtlichen Tatbestände jedoch zum Teil erheblich von einander.4 Bis zu einem gewissen Grad hat dies seine natürliche Bewandtnis in dem Umstand, dass die verschiedenen Staaten über unterschiedliche Rechtssysteme verfügen, in deren Kontext die jeweiligen Tatbestände zu betrachten sind. Darüber hinaus lassen sich die Unterschiede maßgeblich anhand zweier Merkmale festmachen. Das erste Merkmal bildet dabei die Ausgestaltungsform des Tatbestandes. Grob betrachtet lassen sich diesbezüglich drei verschiedene Tatbestandsmodelle unterscheiden. Die meisten Staaten greifen bei der strafrechtlichen Bekämpfung des Phänomens Stalking auf Straftatbestände zurück, die das verbotene Verhalten einzeln auflisten (sog. list model 5).6 Andere Staaten setzen auf eine Ausgestal-

1

De Fazio, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 229 (229 f.). Siehe zu dem italienischen Straftatbestand Atti persecutori Art. 612-bis des italienischen codice penale Maiwald, FS Schöch, S. 531 (532 ff.). 3 Allgemein hierzu Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (262 f.); Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 276 ff.; vgl. ferner Dessecker, FS Maiwald, S. 103 (103 f.). In der Aufzählung bildet Dänemark dabei eine Ausnahme, da das dänische Strafgesetzbuch bereits seit 1933 mit § 265 des dänischen Strafgesetzes Straffeloven über einen Tatbestand verfügt, welcher unter anderem auch Handlungen umfasst, die heute unter dem Begriff Stalking gehandelt werden, vgl. hierzu Cornils/Greve, Das dänische Strafgesetz Straffeloven, in: Sieber/Albrecht (Hrsg.), Sammlung ausländischer Strafgesetzbücher in deutscher Übersetzung, S. 166. 4 Siehe hierzu De Fazio, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 229 (231 ff.); Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 287. 5 Siehe hierzu Lamplugh/Infield, The George Washington International Law Review 2003, 853 (861 f.). 2

I. Überblick über gesetzgeberische Reaktionen im Ausland

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tungstechnik, bei welcher statt genauer Handlungsumschreibungen übergeordnete Begriffe für die üblichen Vorgehensweisen des Stalkers – wie beispielsweise das Belästigen, Drohen, Verfolgen oder Stalking an sich7 – verwendet werden.8 Bisweilen werden auch beide Ausgestaltungstechniken kombiniert; ein solcher Straftatbestand beinhaltet dann einen oder mehrere verhaltensspezifische Oberbegriffe, die durch eine Auflistung einzelner Verhaltensweisen näher umschrieben werden.9 Trotz dieser Unterschiede in der Ausgestaltungstechnik weisen nahezu alle Straftatbestände zum Schutz vor Stalking einige Gemeinsamkeiten auf. Sie beruhen darauf, dass sich in beinahe allen Straftatbeständen zum Schutz vor Stalking drei Merkmale wiederfinden, die nach allgemeiner Ansicht das Wesen des Verhaltenskonstruktes charakterisieren.10 So handelt es bei den jeweils unter Strafe gestellten Handlungen im Kern um Verhaltensweisen, bei denen der Täter gegen den Willen des Opfers mit diesem Kontakt aufzunehmen beabsichtigt. Ferner ist sämtlichen Straftatbeständen gemein, dass sie nicht nur eine einzelne Handlung unter Strafe stellen, sondern vielmehr ein aus mehreren Handlungen bestehendes Verhaltensmuster im Blick haben.11 Einhergehend mit dieser Voraussetzung einer iterativen Handlung wird zudem verlangt, dass das Verhalten des Täters gewisse negative Auswirkungen auf die betroffene Person tatsächlich hervorruft oder zumindest geeignet ist, diese hervorzurufen.12 Anhand dieser Übereinstimmungen ist zu konstatieren, dass die verschiedenen Straftatbestände zur Kriminalisierung stalkingtypischen Verhaltens das Verhal6 Kapley/Cooke, Trends in Antistalking Legislation, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 141 (142 f.); Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (265). 7 Eine gute Übersicht über die entsprechende Handhabung in ausgewählten Staaten bietet der Beitrag von De Fazio, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 229 (234 f.). 8 Siehe hierzu Bromley/Garcia, Stalking Laws, in: Fisher/Lab (Hrsg.), Encyclopedia of Victimology and Crime Prevention, S. 906 (907); ferner Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 287; Lamplugh/Infield, The George Washington International Law Review 2003, 853 (863 f.); vgl. ferner Melton, Criminal Justice Review Georgia State University 2000, 426 (253 ff.); Gibbons, European Journal on Criminal Policy and Research 1998, 133 (137 ff.). 9 Meloy, Psychology of Stalking, in: Meloy (Hrsg.), Psychology of Stalking, S. 1 (2). 10 Siehe hierzu Giorgi-Guarnieri/Norko, Stalking: Introduction, Definition and Epidemiology, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 5; Tran, Hastings International and Comparative Law Review 2003, 445 (455); vgl. aus deutscher Sicht Dreßing, Allgemeiner Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (16); Hoffmann, Stalking, S. 2 f. 11 Siehe hierzu Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (265); Kinzig, ZRP 2006, 255 (256 ff.); Kapley/Cooke, Trends in Antistalking Legislation, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 141 (142 f.). 12 Siehe Albrecht, FPR 2006, 204 (206 ff.); Kapley/Cooke, Trends in Antistalking Legislation, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 141 (142 f.); Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 287 f.

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§ 3 Gesetzgeberische Reaktionen auf das Verhaltensmuster Stalking

tensmuster im Gesamten unter Strafe stellen.13 Darin erschöpfen sich jedoch die Gemeinsamkeiten, denn die drei benannten Wesensmerkmale des Verhaltenskonstrukts werden auf Tatbestandsebene – entsprechend den bereits skizzierten Unterschieden in der Definition des Stalking – in den Strafvorschriften völlig unterschiedlich konkretisiert. So weichen die Straftatbestände schon bei der Auswahl der Handlungen, die kriminalisiert werden sollen, von einander ab. Darüber hinaus unterscheiden sie sich aber auch in der Frage, wie vieler Handlungen es bedarf und welche Auswirkungen diese konkret oder lediglich potentiell hervorrufen müssen, um von strafbarem Stalking auszugehen. Die den einzelnen Tatbeständen jeweils zugrunde liegende Definition von Stalking bildet demnach den zweiten Faktor für die Unterschiedlichkeit der Straftatbestände. Im Folgenden sind nun entsprechende Strafvorschriften zu untersuchen, die jeweils die drei angesprochenen Wesensmerkmale von Stalking beinhalten, an diese jedoch unterschiedliche Anforderungen stellen. Es handelt sich dabei um dis Straftatbestände zum Schutz vor Stalking aus den Vereinigten Staaten von Amerika, England und Deutschland. 1. Vereinigte Staaten von Amerika

a) Zur Gesetzgebungsgeschichte Den Ausgangspunkt nahm die strafrechtliche Gesetzgebung zum Schutz vor Stalking in den Vereinigten Staaten von Amerika. Nach dem gewaltsamen Tod der populären Schauspielerin Rebecca Schäfer im Jahre 1989 und dem mehrerer anderer Frauen, dem jeweils eine Serie an belästigendem und bedrohendem Verhalten vorausging, setzte Kalifornien als erster US-amerikanischer Bundesstaat im Jahr 1990 einen eigenen Straftatbestand gegen Stalking-Verhalten in Kraft.14 Bereits drei Jahre später verfügten alle weiteren 49 US-Bundesstaaten15 über einen speziellen Straftatbestand zum Schutz vor Stalking, ehe der US-amerikanische Bundesgesetzgeber mit einer entsprechenden Vorschrift im Jahre 1996 nachzog.16 Einen bundesweiten Modellvorschlag für eine strafgesetzliche Regelung 13 Vgl. hierzu De Fazio, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 229 (237). 14 Spitzberg, Trauma, Violence, & Abuse 2002, 261 (261 f.); Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 285 f.; Kapley/Cooke, Trends in Antistalking Legislation, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 141 (141); Morewitz, Stalking and Violence, S. 57; Gregson, Golden Gate University Law Review 1998, 221 (221 f.). 15 Einschließlich dem District of Columbia. 16 Tran, Hastings International and Comparative Law Review 2003, 445 (449 ff.); Albrecht, Stalking – Wissenschaftliche Perspektiven, in: Weiß/Winterer (Hrsg.), Stalking und häusliche Gewalt, S. 15 (18); Schell/Lanteigne, Stalking, Harassment and Murder in the Workplace, S. 143; Saunders, The Legal Perspective on Stalking, in: Meloy (Hrsg.), Psychology of Stalking, S. 25 (25). Der bundesweite Straftatbestand zum Schutz vor

I. Überblick über gesetzgeberische Reaktionen im Ausland

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hatte es schon im Jahre 1993 gegeben, der als der sog. Model Anti-Stalking Code for the States17 bekannt wurde.18 Erst nach Abschluss dieser ersten US-Gesetzgebungswelle folgten auch Länder wie Kanada, Australien und Großbritannien dem US-amerikanischen Beispiel.19 Die Vereinigten Staaten von Amerika übernahmen somit in den frühen neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts eine Vorreiterrolle in der strafrechtlichen Gesetzgebung zum Schutz vor Stalking.20 Mit dieser US-amerikanischen Vorreiterrolle ging allerdings – zumindest anfangs – im Vergleich zu anderen Ländern, die bislang noch über keine speziellen Gesetze zur Bekämpfung des Phänomens Stalking verfügten, nur bedingt eine Verbesserung des Opferschutzes einher.21 Grund dafür war, dass das Handeln der US-amerikanischen Gesetzgebungspolitik größtenteils auf einem immensen Druck der Öffentlichkeit basierte, der die Behörden und Parlamente dazu veranlasste, auch ohne ausreichendes Informationsmaterial anhand entsprechender Statistiken, Studien und Erfahrungsberichten möglichst rasch und symbolträchtig tätig zu werden.22 So wurden über die gesamten Vereinigten Staaten hinweg Strafgesetze zur Bekämpfung von Stalking erlassen, ohne dass überhaupt eine angemessene Informationslage über die Beschaffenheit des Phänomens und dessen weitreichende Auswirkungen bestand.23 Stalking lautet „Interstate Stalking Punishment and Prevention Act of 1996“ (Title 18 USC Section 2261). 17 Im Weiteren nur noch als Model Anti-Stalking Code benannt. 18 Siehe hierzu die Veröffentlichung des National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States, Washington, D.C.: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdffiles/stlkbook.pdf (Appendix B). Anstoß hierzu gab ein Gesetz, welches vom US-amerikanischen Kongress verabschiedet wurde und zum Inhalt hatte, dass das US-amerikanische Bundesjustizministerium mit der Erstellung eines model stalking law beauftragt wird, siehe Pub. L. N. 102–395 (1992), vgl. auch allgemein Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (262). 19 Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 286 f. 20 Siehe hierzu Bromley/Garcia, Stalking Laws, in: Fisher/Lab (Hrsg.), Encyclopedia of Victimology and Crime Prevention, S. 906 (907); Finch, Criminalisation of Stalking, S. 98 f.; Pechstaedt, Spezifischer Rechtsschutz, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 101 (103). 21 Schell/Lanteigne, Stalking, Harassment, and Murder in the Workplace, S. 143; Beatty, Stalking Legislation in the United States, in: Brewster (Hrsg.), Stalking, Ch. 2-1 (2-2 f.); Kapley/Cooke, Trends in Antistalking Legislation, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 141 (141 f.); Hall, Criminal Law and Procedure, S. 113. 22 Sinwelski/Vinton, Stalking: The Constant Threat of Violence, in: Turner (Hrsg.), Social Work Diagnosis, S. 334 (334), Morewitz, Stalking and Violence, S. 57 f.; zum Apsekt des symbolträchtigen Handelns siehe Schell/Lanteigne, Stalking, Harassment and Murder in the Workplace, S. 143. 23 Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 288 f.; dies andeutend auch Beatty, Stalking Legislation in the United States, in: Brewster (Hrsg.), Stalking, Ch. 2-1 (2-2 f.).

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§ 3 Gesetzgeberische Reaktionen auf das Verhaltensmuster Stalking

Dies hatte zur Folge, dass die meisten Anti-Stalking-Gesetze in ihrer Wirkung zunächst äußerst ineffektiv waren, da sie entweder einen viel zu engen oder einen viel zu weiten Anwendungsbereich aufwiesen. Die entsprechenden Tatbestände mit der zuletzt genannten Eigenschaft waren zudem zum Teil auch erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt.24 Verschiedene US-Bundesstaaten waren daher gehalten, die bestehenden Strafvorschriften zum Schutz vor Stalking nachzubessern.25 Auch der US-amerikanische Kongress sah sich in der Pflicht zu handeln und betraute per Gesetz das USBundesjustizministerium mit der Erarbeitung eines sog. Model Anti-Stalking Code.26 In diesen sollten die Ergebnisse sämtlicher bis dato angestellten empirischen Forschungen und die bisherigen Erfahrungen mit den bereits geltenden Strafgesetzen in den einzelnen US-Bundesstaaten einfließen. Man versprach sich davon einen Gesetzesvorschlag, der einen effektiven Opferschutz gewährleisten und dabei zugleich möglichst unbedenklich in Hinblick auf seine Vereinbarkeit mit der Verfassung sein sollte.27 Der sog. Model Anti-Stalking Code sollte Modellcharakter für die Stalking-Gesetzgebung in den einzelnen US-Bundesstaaten haben und so auch die bundesweite Vereinheitlichung legislativen Tätigwerdens zum Schutz vor Stalking bewirken.28 Diesen Vorstellungen des US-amerikanischen Kongresses wurde jedoch nur zu einem gewissen Teil entsprochen.29 Zwar änderten einige US-Bundesstaaten innerhalb kurzer Zeit nach der Veröffentlichung des Model Anti-Stalking Code ihre bereits bestehenden Strafgesetze zum Schutz vor Stalking, allerdings nicht in dem erwarteten Umfang.30 Viele Gesetzesnovellierungen liefen darauf hinaus, 24 Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (465, 499 ff.); Strikis, Georgetown Law Journal 1993, 2771 (2777 f., 2782 ff.) mit vielen weiteren Nachweisen; Guy, Vanderbilt Law Review 1993, 991 (992 f., 1010 ff.); Perez, American Journal of Criminal Law 1993, 263 (270 f.). vgl. ferner Kapley/Cooke, Trends in Antistalking Legislation, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 141 (141 f.). 25 Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (262 f.); vgl. auch Gregson, Golden Gate University Law Review 1998, 221 (233 ff.). 26 Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (501 ff.); Morewitz, Stalking and Violence, S. 57 f.; Tjaden, Prevalence and Characteristics of Stalking, in: Brewster (Hrsg.), Stalking, Ch. 1-1 (1-3). 27 Tran, Hastings International and Comparative Law Review 2003, 445 (451 f.); Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 288; Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (261 ff.); Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (502 f.). 28 Tran, Hastings International and Comparative Law Review 2003, 445 (451 f.). Beatty, Stalking Legislation in the United States, in: Brewster (Hrsg.), Stalking, Ch. 2-1 (2-2 f.). 29 Vgl. Melton, Criminal Justice Review 2000, 246 (257). 30 Vgl. Gregson, Golden Gate University Law Review 1998, 221 (242 f.); Beatty, Stalking Legislation in the United States, in: Brewster (Hrsg.), Stalking, Ch. 2-1 (2-3); Cass, Individual Perceptions of Stalking, S. 18.

I. Überblick über gesetzgeberische Reaktionen im Ausland

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dass nur einzelne Versatzstücke des Model Anti-Stalking Code übernommen wurden.31 Die vom US-amerikanischen Kongress anvisierte Vereinheitlichung der strafrechtlichen Bekämpfung des Verhaltensmusters Stalking blieb somit weitgehend auf der Strecke.32 Seit der ersten Gesetzgebungsphase und der mit dem Model Anti-Stalking Code in Zusammenhang stehenden Novellierungen hat sich die Diskussion um die strafrechtliche Bekämpfung des Verhaltensmusters Stalking in den Vereinigten Staaten von Amerika jedoch nicht beruhigt. Sie unterliegt vielmehr sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene einer ständigen Weiterentwicklung.33 Angetrieben werden die jeweiligen Gesetzgebungsprojekte von einer ausgeprägten wissenschaftlichen Aufarbeitung des Phänomens, die auch zu einem großen Teil auf staatlicher Initiative und Förderung beruht.34 Hinzu kommt ein immenses Engagement der Öffentlichkeit, einflussreicher Medien und Opferverbände.35 Dabei ist der Einfluss der Opferverbände nicht zu unterschätzen. So konzipierte beispielsweise das National Center for Victims of Crime36 mehr als zehn Jahre nach der Einführung des Model Anti-Stalking Code eine grundlegende Überarbeitung des Modelltatbestandes, die auf die mittlerweile erhebliche technische

31 Siehe hierzu den Bericht des National Institute of Justice, Domestic Violence, Stalking, and Antistalking Legislation – An Annual Report to Congress under the Violence Against Women Act, S. 3, 6 (und insbesondere die tabellarische Übersicht in Appendix A und E), aus dem Jahr 1996, abrufbar unter www. http://www.ncjrs.gov/ pdffiles/stlkbook.pdf. Die Auswahl erfolgte dabei weniger anhand sachlicher Kriterien, sondern nicht zuletzt aufgrund des medialen Drucks anhand politisch vorteilhafter Erwägungen, vgl. Walsh, Dickinson Journal of International Law 1996, 373 (385 f.). 32 Kapley/Cooke, Trends in Antistalking Legislation, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 141 (141 f.). 33 Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (262 f.). 34 Siehe bspw. zuletzt die groß angelegte Studie von Baum/Catalano/Rand/Rose, Stalking Victimization in the United States – Findings from the National Crime Victimization in the United States, U.S. Department of Justice 2009, S. 1 ff. und die 1998 veröffentlichte und bis dato grundlegende Studie von Tjaden/Thoennes, Stalking in America, S. 1 ff. Allgemein hierzu auch Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (262 f.). 35 Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 286. Einhergehend mit den gesetzlichen Reformvorhaben und deren zumindest teilweisen Umsetzungen strengten die US-amerikanischen Behörden immer wieder verschiedene Maßnahmen an, um die Wahrnehmung des Phänomens auch bei den betreffenden Behörden und Strafverfolgungseinrichtungen noch weiter zu schärfen, vgl. hierzu Beatty, Stalking Legislation in the United States, in: Brewster (Hrsg.), Stalking, Ch. 2-1 (2-3). 36 Das National Center for Victims of Crime ist eine sog. Non-Profit-Organization, die teils mit staatlichen Geldern, teils auf Spendenbasis finanziert wird und in den Vereinigten Staaten von Amerika im Bereich der Unterstützung und gesellschaftlichen Wiedereingliederung von Verbrechensopfern bundesweit als führend anerkannt ist. Sie arbeitet zur stetigen Verbesserung des Opferschutzes eng mit regionalen, landes- und bundeseigenen Einrichtungen und Behörden zusammen.

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§ 3 Gesetzgeberische Reaktionen auf das Verhaltensmuster Stalking

Weiterentwicklung sowie neuere wissenschaftliche Erkenntnisse in der StalkingForschung reagieren sollte.37 Die Neufassung des ursprünglichen Modellgesetzes wurde schließlich im Januar 2007 unter dem Titel The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking veröffentlicht.38 Den einzelnen US-Bundesstaaten sollte mit dem Reformakt ermöglicht werden, den Opferschutz durch eine Anpassung ihrer Vorschriften an den verbesserten und aktualisierten Modellvorschlag auszubauen.39 Zur Erreichung dieses Zieles wurde dem Model Stalking Code 2007 eine Stalking-Definition zugrunde gelegt, von der man sich versprach, auch die modernsten technischen Kommunikationsmöglichkeiten berücksichtigen und zugleich den Ergebnissen empirischer Erhebungen Rechnung tragen zu können.40 Im Gegensatz zu den Erwartungen, welche von Seiten des US-amerikanischen Kongresses an den ursprünglichen Model Anti-Stalking Code gestellt wurden, setzte man bei dem Model Stalking Code 2007 nicht darauf, dass dieser Modellstraftatbestand von den jeweiligen US-Bundesstaaten im Gesamten übernommen werde. Vielmehr sollte der Model Stalking Code 2007 den einzelnen US-Bundesstaaten dazu dienen, die bestehenden Strafgesetze zum Schutz vor Stalking auf ihre Wirksamkeit hin untersuchen und für verbesserungsbedürftig erkannte Elemente entsprechend verändern zu können.41 Kernstück bildete dabei eine neu konzipierte Definition von Stalking, die der Tathandlung des Model Stalking Code 2007 zugrunde liegt.42 Manche Vorgaben des überarbeiteten Modelltatbestandes wurden tatsächlich von einigen US-Bundesstaaten aufgenommen und in die entsprechenden bestehenden Straftatbestände eingearbeitet.43 Dies führte bisweilen in den betreffenden Staaten zu einer Verbesserung des Opferschutzes, jedoch blieb eine spürbare bundesweite Vereinheitlichung der Strafgesetze zum Schutz vor Stalking aus.44 37

National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 3 ff. 38 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 3 ff. 39 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 3 ff. 40 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 9 f. 41 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 30 f. 42 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 9. 43 Amar, Journal of the American Psychiatric Nurses Association 2007, 210 (210); Bromley/Garcia, Stalking, in: Fisher/Lab (Hrsg.), Encyclopedia of Victimology and Crime Prevention, S. 909 f. 44 Bromley/Garcia, Stalking, in: Fisher/Lab (Hrsg.), Encyclopedia of Victimology and Crime Prevention, S. (906) 909.

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Festzuhalten ist somit, dass die strafrechtliche Gesetzgebung zum Schutz vor Stalking selbst in dem Land, in dem sie vor mittlerweile über zwei Jahrzehnten ihren Ursprung nahm, noch immer einem beständigen Weiterentwicklungsprozess unterliegt.45 Von Bundesstaat zu Bundesstaat ergibt sich in den Vereinigten Staaten dabei allerdings immer noch ein sehr uneinheitliches Bild,46 was letztlich bereits auf eine zum Teil völlig unterschiedliche Begriffsbestimmung von Stalking zurückzuführen ist.47 Im Folgenden wird auf die beiden Straftatbestände eingegangen, die bei der US-amerikanischen Gesetzgebungspolitik zur strafrechtlichen Bekämpfung des Stalking maßgebliche Impulse gesetzt haben – namentlich den Model Anti-Stalking Code aus dem Jahr 1993 und die überarbeitete Version, den Model Stalking Code 2007. Zur besseren Veranschaulichung der Unterschiede zu bestehenden Straftatbeständen zum Schutz vor Stalking der US-amerikanischen Bundesstaaten soll dabei an geeigneten Stellen der entsprechende kalifornische Straftatbestand herangezogen werden.48 b) Der Model Anti-Stalking Code for the States von 1993 Der Model Anti-Stalking Code for the States49 aus dem Jahr 1993 bezeichnet Stalking erstmals offiziell als Verbrechen.50 Er wurde im Auftrag des US-amerikanischen Senats federführend vom National Institute of Justice als Modelltatbestand entwickelt, um den einzelnen US-Bundesstaaten eine einheitliche Vorgabe

45 Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (262 f.); Geistman, Attitudes of Criminal Justice and other Majors toward the Crime of Stalking, S. 82 f. 46 Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (262 f.); Geistman, Attitudes of Criminal Justice and other Majors toward the Crime of Stalking, S. 82 f.; vgl. auch Schell/Lanteigne, Stalking, Harassment and Murder in the Workplace, S. 143. 47 Cass, Individual Perceptions of Stalking, S. 18; vgl. Beatty, Stalking Legislation in the United States, in: Brewster (Hrsg.), Stalking, Ch. 2-1 (2-3 ff.); Amar, Journal of the American Psychiatric Nurses Association 2007, 210 (210). 48 Der § 646.9 des California Penal Code gilt aufgrund seiner besonderen Stellung als erster US-amerikanischer Straftatbestand zum Schutz vor Stalking als Vorreiter in der frühen Strafgesetzgebungspolitik anderer US-Bundesstaaten und hat diese maßgeblich beeinflusst, vgl. hierzu Spitzberg, Trauma, Violence, & Abuse 2002, 261 (261 f.); Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 285 f.; Kapley/Cooke, Trends in Antistalking Legislation, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 141 (141); Morewitz, Stalking and Violence, S. 57; Gregson, Golden Gate University Law Review 1998, 221 (233 ff.). 49 Im Folgenden Model Anti-Stalking Code genannt. 50 Vgl. hierzu die Analysis and Commentary on Code Language bei National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States, Washington, D.C.: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdffiles/stlkbook.pdf (Appendix B).

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für einen Straftatbestand zum Schutz vor Stalking zu bieten.51 Dieser sollte zum einen eine effektive Strafbewehrung und zum anderen die Vereinbarkeit mit der US-amerikanischen Verfassung gewährleisten.52 Zusätzlich zu der Gesetzesvorlage verfasste das National Institute of Justice eine entsprechende Begründung zu diesem Modelltatbestand anhand eines erläuternden Kommentars. aa) Regelungsgehalt Der Model Anti-Stalking Code setzt sich aus zwei Abschnitten (sections) zusammen, wobei der erste ausnahmslos Erläuterungen einzelner Merkmale des Tatbestandes aus dem zweiten Abschnitt enthält.53 Der zweite Abschnitt beinhaltet die Regelung zum Schutz vor Stalking, welche sich in drei wesentliche Voraussetzungen [(a)–(c)] untergliedert, deren kumulatives Vorliegen Bedingung für die Erfüllung des Tatbestandes ist. Nach section 2 (a) des Model Anti-Stalking Code macht sich demnach des Stalking schuldig, wer absichtlich ein Verhaltensmuster an den Tag legt, welches auf eine bestimmte Person (aus)gerichtet ist und geeignet ist, bei einer vernünftigen Person (reasonable person) die Furcht (fear) vor einer Beeinträchtigung der eigenen körperlichen Unversehrtheit oder dem Tod respektive die Furcht vor einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder dem Tod eines unmittelbaren Familienangehörigen hervorzurufen.54 Zudem muss das vom Täter konkret ins Visier genommene Opfer gemäß section 2 (c) auch tatsächlich in eine solche Furcht versetzt werden.55 Weiter wird nach section 2 (b) verlangt, dass der Täter weiß oder hätte wissen müssen, dass sein Verhalten vernünftigerweise eine solche Furcht bei der von ihm spezifizierten Person auch tatsächlich hervorruft.56 51 Siehe hierzu Bromley/Garcia, Stalking Laws, in: Fisher/Lab (Hrsg.), Encyclopedia of Victimology and Crime Prevention, S. 906 (907 f.). 52 Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (465); Strikis, Georgetown Law Journal 1993, 2771 (2777 f.; 2782 ff.) mit vielen weiteren Nachweisen; Guy, Vanderbilt Law Review 1993, 991 (992 f., 1010 ff.); Perez, American Journal of Criminal Law 1993, 263 (270 f.). vgl. ferner Kapley/Cooke, Trends in Antistalking Legislation, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 141 (141 f.). 53 Siehe hierzu National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States, Washington, D.C.: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdf files/stlkbook.pdf (Appendix B). 54 Siehe hierzu National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States, Washington, D.C.: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdf files/stlkbook.pdf (Appendix B). 55 Siehe hierzu National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States, Washington, D.C.: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdf files/stlkbook.pdf (Appendix B).

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Verhaltensmuster (course of conduct) meint dabei nach section 1 (a) das wiederholte Herstellen visueller oder physischer Nähe zu einer Person oder das wiederholte Behelligen einer Person mit verbal geäußerten, schriftlich abgefassten oder konkludent mittels Verhalten implizierter Drohungen oder einer Kombination aus diesen Verhaltensweisen.57 Gemäß section 1 (b) beinhaltet das Merkmal wiederholt, dass es zwei oder mehr dieser Vorkommnisse bedarf. Section 1 (c) sieht vor, dass die Bezeichnung unmittelbare Familienangehörige auch den Ehepartner, Elternteile, Kinder, Geschwister oder jede andere Person umfasst, die regelmäßig denselben Haushalt bewohnt oder in den vergangenen sechs Monaten regelmäßig in demselben Haushalt gewohnt hat.58 bb) Würdigung Auffallend an der Ausgestaltung des Model Anti-Stalking Code ist, dass der Terminus Stalking selbst innerhalb des Tatbestandes Verwendung findet.59 Darin unterscheidet sich der US-amerikanische Modelltatbestand bereits innerhalb des anglo-amerikanischen Sprachraumes von den meisten internationalen und auch einigen nationalen Strafgesetzen, die zwar den Schutz vor Stalking zum Inhalt haben, in ihren jeweiligen Tatbeständen jedoch auf andere Begriffe zurückgreifen, die entweder typische Stalking-Handlungen oder aber die verschiedenen Auswirkungen von Stalking kennzeichnen.60 Dies sind beispielsweise Begriffe wie Belästigung (harassment)61 oder strafbare Beunruhigung (criminal harassment)62.63 56 Siehe hierzu National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States, Washington, D.C.: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdf files/stlkbook.pdf (Appendix B). 57 Siehe hierzu National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States, Washington, D.C.: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdf files/stlkbook.pdf (Appendix B). 58 Siehe hierzu National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States, Washington, D.C.: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdf files/stlkbook.pdf (Appendix B). 59 Siehe hierzu National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States, Washington, D.C.: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdf files/stlkbook.pdf (Appendix B). 60 Innerhalb anderer Sprachräume fehlt es schon aufgrund des Umstandes, dass Anglizismen selten in Straftatbeständen zu finden sind, an einer vergleichbaren Lage. Eine Ausnahme hiervon bildet jedoch beispielsweise Japan, siehe hierzu Nishihara, FS Eser, S. 577 (579). 61 So zum Beispiel der Straftatbestand zum Schutz vor Stalking aus dem Vereinigten Königreich Großbritannien, namentlich der Protection from Harassment Act 1997, siehe hierzu Finch, Criminalisation of Stalking, S. 218; Lamplugh/Infiled, The George Washington International Law Review 2003, 853 (863 ff.).

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§ 3 Gesetzgeberische Reaktionen auf das Verhaltensmuster Stalking

Die Verwendung des Terminus Stalking innerhalb eines Straftatbestandes kann sowohl Vor- als auch Nachteile haben. Auf der einen Seite kommt dieser Verwendung innerhalb des Tatbestandes eine gewisse Signalwirkung zu, die zu einer Sensibilisierung der Gesellschaft und insbesondere der Strafverfolgungsbehörden und Gerichten hinsichtlich der besonderen Eigenart der Thematik beitragen kann. Das setzt jedoch voraus, dass der Tatbestand auch eine möglichst präzise und verständliche Umschreibung des Verhaltenskonstruktes enthält. Auf der anderen Seite bringt diese Vorgehensweise erhebliche Schwierigkeiten mit sich, denn damit werden alle im vorigen Abschnitt angesprochenen Unwägbarkeiten in der Bestimmung des Verhaltenskonstruktes auf die Tatbestandsebene übertragen. Nach dem Model Anti-Stalking Code wird Stalking definiert als ein vom Täter absichtlich in Gang gesetztes Verhaltensmuster, das auf eine bestimmte Person (aus)gerichtet ist und sich aus mindestens zwei Verhaltensweisen zusammensetzt, die entweder das wiederholte (Wieder)Herstellen visueller oder physischer Nähe oder das wiederholte Behelligen einer Person mit verbal geäußerten, schriftlich abgefassten oder konkludent durch Verhalten zum Ausdruck gebrachten Drohungen zum Inhalt haben. Darüber hinaus muss das Verhaltensmuster geeignet sein, bei einer vernünftigen Person die Furcht vor einer Beeinträchtigung der eigenen körperlichen Unversehrtheit oder dem Tod respektive die Furcht vor einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder dem Tod eines unmittelbaren Familienangehörigen hervorzurufen. Dieser Grad an Furcht muss allerdings bei der konkret anvisierten Person auch tatsächlich hervorgerufen werden.64 Der Modelltatbestand enthält folglich die drei Grundmerkmale, die gemeinhin als wesensnotwendig für die Umschreibung des Verhaltenskonstruktes Stalking gelten.65

62 So zum Beispiel der Straftatbestand zum Schutz vor Stalking – section 264 des kanadischen Strafgesetzes – vgl. hierzu Crocker, Canadian Journal Of Women & the Law 2008, 87 (95). 63 In anderen Sprachräumen lässt sich durchaus ein ähnliches Ausweichen auf umschreibende Begriffe feststellen. So etwa bei dem entsprechenden österreichischen Straftatbestand (Verfolgung), vgl. hierzu Jurtela, Häusliche Gewalt und Stalking, S. 240, oder bei dem entsprechenden französischen Straftatbestand (harcèlement moral – seelsische Peinigung), siehe Bauknecht/Lüdicke, Das französische Strafgesetzbuch Code pénal, in: Sieber/Albrecht (Hrsg.), Sammlung ausländischer Strafgesetzbücher in deutscher Übersetzung, S. 169. 64 Siehe hierzu National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States, Washington, D.C.: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdf files/stlkbook.pdf (Appendix B). 65 Siehe hierzu Giorgi-Guarnieri/Norko, Stalking: Introduction, Definition and Epidemiology, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 5; Tran, Hastings International and Comparative Law Review 2003, 445 (455); vgl. aus deutscher Sicht Dreßing, Allgemeiner Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (16); Hoffmann, Stalking, S. 2 f.

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Somit vermag der Model Anti-Stalking Code eine Antwort darauf zu geben, was nach US-amerikanischem Verständnis als strafbares Stalking anzusehen ist. Im Folgenden gilt es daher, die einzelnen Bestandteile des Tatbestandes näher zu untersuchen. (1) Tatbestandshandlungen Bereits auf den ersten Blick wird deutlich, dass der Model Anti-Stalking Code auf die Regelungsform eines sog. list model66, also eine Spezifizierung des Verhaltensmusters anhand einer enumerativen Auflistung einzelner Verhaltensweisen, verzichtet.67 Section 2 des Model Anti-Stalking Code spricht lediglich von einem Verhaltensmuster (course of conduct), welches bei einer vernünftigen Person die Furcht vor einer Beeinträchtigung der eigenen körperlichen Unversehrtheit oder dem Tod bzw. die Furcht vor einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder dem Tod eines unmittelbaren Familienangehörigen hervorrufen würde und bei der konkret vom Täter anvisierten Person auch tatsächlich hervorruft.68 Demnach liegt bei der Bestimmung der Tathandlung zumindest ein Schwerpunkt in der potentiellen Konsequenz des Verhaltens. Das Verhalten muss zunächst einmal geeignet sein, sich bei einer wiederholten Anwendung zu einem solchen Verhaltensmuster zu verdichten, das bei einer vernünftigen Person einen gewissen Grad an Furcht hervorrufen würde. Auf dieses abstrakte Eigenschaftserfordernis wird an späterer Stelle zurückzukommen sein.69 Welche Verhaltensweisen dabei konkret in Frage kommen, ergibt sich aus den gesetzlichen Erläuterungen in section 1 (a) des Model Anti-Stalking Code. Danach kann jede Handlung Teil des unter Strafe gestellten Verhaltensmusters sein, die das (Wieder)Herstellen der visuellen oder physischen Nähe zu der betroffenen Person zum Inhalt hat oder die eine verbal geäußerte, schriftlich abgefasste oder eine konkludent mittels Verhalten implizierte Drohung gegenüber der betroffenen Person darstellt. Der Modelltatbestand weist demnach eine lediglich in geringem Maße spezifizierte Handlungsumschreibung auf, die nur durch zwei einschränkende Merk66 Siehe hierzu Lamplugh/Infield, The George Washington International Law Review 2003, 853 (861 f.). 67 Siehe hierzu National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States, Washington, D.C.: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdf files/stlkbook.pdf (Appendix B). 68 Siehe hierzu National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States, Washington, D.C.: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdf files/stlkbook.pdf (Appendix B). 69 Siehe hierzu die Ausführungen in § 3 I. 1. b) bb) (2).

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§ 3 Gesetzgeberische Reaktionen auf das Verhaltensmuster Stalking

male schärfere Konturen erhält. Er scheint daher imstande zu sein, viele auch atypische Stalking-Verhaltensweisen erfassen zu können. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen, da – wie die vorstehende Analyse gezeigt hat – unzählige Möglichkeiten bestehen, mit dem Opfer in Kontakt zu treten und das Verhaltenskonstrukt Stalking auf diese Weise in Gang zu setzen oder aufrechtzuerhalten. 70 Diese Regelungstechnik ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass viele US-Bundesstaaten bis dato auf eine Regelungsform zurückgegriffen hatten, die eine enumerative Aufzählung einzelner Stalking-Verhaltensweisen vorsah.71 Mit diesem sog. list model72 war jedoch auch immer die Ungewissheit verbunden, ob eine leicht abweichende Stalking-Handlung noch unter eine der ausdifferenzierten tatbestandlichen Handlungsumschreibungen subsumiert werden konnte oder nicht. Viele US-amerikanischen Gerichte gelangten zu der Auffassung, dass diese enumerativen Aufzählungen abschließend seien.73 Infolgedessen waren leicht atypische und eher selten angewandte Verhaltensweisen, die nicht explizit im jeweiligen Straftatbestand aufgezählt wurden, aber letztlich dem Verhaltensmuster Stalking zuzurechnen sind, nicht vom Anwendungsbereich der entsprechenden Strafnorm erfasst.74 Dieser Umstand öffnete vor allem einfallsreichen Stalkern Tür und Tor, die die entsprechenden strafrechtlichen Regelungen zu umgehen wussten.75 Gegen eine recht weit ausgestaltete Tathandlung, wie sie im Rahmen des Model Anti-Stalking Code verwendet wird, ist jedoch grundsätzlich einzuwenden, dass sie keinen Eindruck davon vermittelt, welche Verhaltensweisen im Einzelnen unter Strafe gestellt sind.76 Ohne sich jedoch ein genaueres Bild von den

70 Vgl. die Aufstellung zumeist verwendeter Methoden bei Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (21); Bieszk/Sadtler, NJW 2007, 3381 (3384); Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, 41 ff.; Pathé, Surviving Stalking, S. 8 ff. 71 Vgl. Kapley/Cooke, Trends in Antistalking Legislation, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 141 (143). 72 Siehe hierzu Lamplugh/Infield, The George Washington International Law Review 2003, 853 (861 f.). 73 Vgl. Tran, Hastings International and Comparative Law Review 2003, 445 (458 f.). 74 Tran, Hastings International and Comparative Law Review 2003, 445 (458 f.); vgl. auch Lamplugh/Infield, The George Washington International Law Review 2003, 853 (862). 75 Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (490 f., 504); Bradfield, Harvard Women’s Law Journal Review 1998, 229 (248). 76 Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (504). Vorliegend ändern auch die gesetzlichen Erläuterungen in section 1 (a) des Model Anti-Stalking Code nichts. Sogar der dem Modelltatbestand bei seiner Veröffentlichung vom National Institute of Justice beigefügte Gesetzeskommentar vermag auf die Frage nach den gängigen Stalking-Handlungen keine weiterführenden Erkenntnisse zu vermitteln.

I. Überblick über gesetzgeberische Reaktionen im Ausland

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typischen Verhaltensweisen machen zu können, fällt es schwer, die besondere Eigenart und den Unrechtskern des Verhaltenskonstruktes überhaupt nachzuvollziehen.77 Vor dem Hintergrund, dass sowohl die meisten politischen Entscheidungsträger als auch die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte das Verhaltenskonstrukt Stalking in seiner spezifischen Eigenart zu dem damaligen Zeitpunkt nicht ausreichend erfasst hatten und sich dies teilweise auch bis dato nicht geändert hat,78 erscheint dieser Aspekt umso gewichtiger. Angesichts der besonderen Rolle, die dem Modelltatbestand für die Stalking-Gesetzgebungspolitik der einzelnen US-Bundesstaaten zugedacht war, wäre daher eine genauere Umschreibung des Verhaltensmusters anhand der jeweiligen Verhaltensweisen wünschenswert gewesen. Des Weiteren ist bei einem Tatbestand mit einem nur in geringem Maße spezifizierten Tathandlungserfordernis grundsätzlich zu beachten, dass das damit einhergehende weit ausgestaltete Verhaltensverbot auch erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken hervorrufen kann.79 Übertragen auf die US-amerikanische Rechtsordnung meint dies zum einen die Vereinbarkeit des Tatbestandes mit dem Übermaßverbot (overbreadth doctrine80). Dieses ist zumindest dann verletzt, wenn das tatbestandliche Verhaltensverbot Verhaltensweisen umfasst, welche unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten als freiheitlich geschützt anzusehen sind.81 Zum anderen geht es um die Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot (void of vagueness doctrine), welches insbesondere bei einem Straftatbestand einen für die Gesellschaft verständlichen Anwendungsbereich fordert, damit der Einzelne überhaupt in die Lage versetzt wird, sein Verhalten an den (straf)rechtlichen Vorgaben auszurichten.82 Angesichts der Tatsache, dass in der Mehrzahl der Stalking-Fälle Verhaltensweisen an den Tag gelegt werden, die aus dem Be77 Vgl. Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (504); Bradfield, Harvard Women’s Law Journal 1998, 229 (248). Dabei ist natürlich zu bedenken, dass über eine genauere Bezeichnung der beiden anderen Grundmerkmale – namentlich dem Grad an Wiederholung und dem tatbestandlichen Erfolg – es möglich erscheint, das Verhaltenskonstrukt trotz eines weiten Handlungsgebotes zu konkretisieren. An dieser Stelle sei vorweggenommen, das dies nicht der Fall ist – zumindest nicht in einer solchen Weise, die der Eigenart von Stalking gerecht werden könnte. 78 Siehe hierzu Bromley/Garcia, Stalking Laws, in: Fisher/Lab (Hrsg.), Encyclopedia of Victomology and Crime Prevention, S. 906 (907 f.); ferner Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (263). 79 Siehe hierzu Strikis, The Georgetown Law Journal 1993, 2771 (2782 ff.); Guy, Vanderbilt Law Review 1993, 991 (1012 ff.); vgl. Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (484). 80 Grundlegend zur sog. overbreadth doctrine siehe Sargentich, Harvard Law Review 1969–1970, 844 (844 ff.). 81 Vgl. hierzu insbesondere in Bezug auf Stalking Strikis, The Georgetown Law Journal 1993, 2771 (2782 ff., 2786). Grundlegend zur sog. overbreadth doctrine Sargentich, Harvard Law Review 1969–1970, 844 (844 ff.). 82 Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (484).

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§ 3 Gesetzgeberische Reaktionen auf das Verhaltensmuster Stalking

reich des sog. milden Stalking83 stammen, beinhalten einige US-amerikanischen Straftatbestände mit einem weit ausgestalteten Verhaltensverbot daher Passagen, in denen ausdrücklich verfassungsrechtlich geschützte Tätigkeiten von dem Anwendungsbereich des Tatbestandes ausgenommen werden.84 Abgesehen von diesen allgemeinen Erwägungen ist die vom National Institute of Justice angestellte Überlegung, durch eine recht weit gefasste Tathandlung auch einen größeren Anwendungsbereich des Tatbestandes zu gewährleisten, nur überzeugend, wenn dieser größere Anwendungsbereich auch wirklich gewährleistet wird. Tatsächlich bestehen diesbezüglich jedoch Bedenken. Wie bereits erwähnt setzt sich das Verhaltensmuster des Model Anti-Stalking Code aus Handlungen zusammen, die entweder das wiederholte (Wieder)Herstellen visueller oder physischer Nähe zum Inhalt haben oder das wiederholte Behelligen mittels einer Drohung beinhalten.85 Zweifellos können dabei unter die erste Handlungsalternative eine ganze Reihe von Verhaltensweisen subsumiert werden, die allgemein zu dem Kernbereich der Stalking-Aktivitäten gezählt werden.86 Dies sind beispielsweise das Herumtreiben in der Nähe des Opfers, das Auflauern oder Verfolgen des Opfers. Das erste Kriterium erfasst jedoch eindeutig nicht diejenigen Fälle, in denen der Täter das Opfer immer wieder durch die Verwendung von Fernkommunikationsmitteln kontaktiert oder zu kontaktieren sucht.87 Laut aktuellen Studien werden bei Stalking sehr häufig gerade technische Kommunikationsmittel verwendet, da diese für den Täter eine bequeme und zugleich preisgünstige Möglichkeit der Kontaktaufnahme bieten.88 Solange sich jedoch die Kontaktaufnahmen mittels Kommunikationsmittel nicht zu einer Drohung verdichten und damit unter die zweite Handlungsalternative des section 1 (a) des Model Anti-Stalking Code zu subsumieren sind, unterfallen sie nicht dem Anwendungsbereich des Modelltatbestandes.

83 Gemeint sind für den Bereich des milden Stalkings Handlungen, die isoliert und nach objektiven Gesichtspunkten betrachtet ganz alltäglich und eben nicht sozialschädlich erscheinen. 84 Vgl. dazu Strikis, The Georgetown Law Journal 1993, 2771 (2786). 85 Siehe section 1 (a) des Model Anti-Stalking Code von 1993, National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States, Washington, D.C.: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993. 86 Siehe hierzu Blaauw/Winkel/Arensman/Sheridan/Freeve, Journal of Interpersonal Violence 2002, 50 (58 f.); Morewitz, Stalking and Violence, S. 11 ff.; Dreßing/Klein/ Bailer/Gass/Gallas, Nervenarzt 2009, 833 (833 ff.). 87 Sei es mittels schon seit längerem gängigen Kommunikationsmitteln wie dem Telefon oder durch das Zusenden von Briefen, Faxen oder Geschenken, sei es mittels erst seit kurzem in Gebrauch stehenden, aber mittlerweile fest etablierten Kommunikationsmitteln wie dem Internet im Allgemeinen oder dem Zusenden von E-Mails oder SMS im Besonderen. 88 Vgl. Purcell/Pathé/Mullen, The Journal of Forensic Psychiatry & Psychology 2004, 571 (572) m.w. N.

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Die zweite Handlungsalternative, das Behelligen mittels einer verbal geäußerten, schriftlich fixierten oder konkludent mittels Verhalten zum Ausdruck gebrachten Drohung, erfasst demgegenüber jedes Verhalten, das letztlich als Drohung interpretiert werden kann.89 Demnach vermag diese Handlungsalternative durchaus der Vielgestaltigkeit der Vorgehensweisen des Täters gerecht zu werden – allerdings nur, solange es sich letztendlich um eine Drohung handelt.90 Der Einsatz von Drohungen ist bei Stalking jedoch nicht die Regel. Statistisch gesehen droht nur etwa jeder dritte Stalker seinem Opfer.91 In der Mehrzahl der Fälle kommt es demnach nicht zum Einsatz (expliziter und qualifizierter) Drohungen,92 so dass davon auszugehen ist, dass diese Handlungsalternative nur selten vorliegt. (2) Der Taterfolg Der Model Anti-Stalking Code verlangt gemäß section 2 (c) als Taterfolg, dass das Verhalten des Täters bei dem konkret anvisierten Opfer die Furcht vor einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder dem Tod entweder in Bezug auf die eigene Person oder in Bezug auf die eines unmittelbaren Familienangehörigen hervorruft.93 Damit unterscheidet sich der Model Anti-Stalking Code zum Teil deutlich von den entsprechenden Straftatbeständen vieler US-Bundesstaaten.94 Diese Unterschiede können exemplarisch am ehesten anhand des entsprechenden kalifornischen Straftatbestandes verdeutlicht werden.95 Nach section 646.9 (a) des Cali89 Vgl. hierzu Analysis and Commentary on Code Language bei National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States, Washington, D.C.: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdffiles/stlkbook.pdf (Appendix B). 90 Wobei hier wiederum zu klären gilt, was genau unter einer Drohung zu verstehen ist bzw. welcher Maßstab bei einer solchen Beurteilung anzulegen ist, vgl. hierzu Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (504). 91 Baum/Catalano/Rand/Rose, Stalking Victimization in the United States – Findings from the National Crime Victimization in the United States, U.S. Department of Justice 2009, S. 1 (8); Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass, Stalking!, S. 11 (21). 92 Siehe hierzu die Tabelle Nr. 13 bei Baum/Catalano/Rand/Rose, Stalking Victimization in the United States – Findings from the National Crime Victimization in the United States, U.S. Department of Justice 2009, S. 1 (8). 93 National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States, Washington, D.C.: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdffiles/stlk book.pdf (Appendix B). 94 Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (266 f.); vgl. ferner Kapley/Cooke, Trends in Antistalking Legislation, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 141 (143 f.). 95 Der § 646.9 des California Penal Code gilt aufgrund seiner besonderen Stellung als erster US-amerikanischer Straftatbestand zum Schutz vor Stalking als Vorreiter in der frühen Strafgesetzgebungspolitik anderer US-Bundesstaaten, vgl. hierzu Spitzberg,

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§ 3 Gesetzgeberische Reaktionen auf das Verhaltensmuster Stalking

fornia Penal Code muss der Täter eine glaubhafte Drohung aussprechen und dabei lediglich die Absicht verfolgen, das Opfer in Furcht um die eigene Sicherheit oder die der unmittelbaren Familienangehörigen zu versetzten.96 Auf das tatsächliche Hervorrufen einer solchen Furcht kommt es im Gegensatz zum Model AntiStalking Code gerade nicht an. Der entsprechende kalifornische Straftatbestand verzichtet demnach ganz auf ein Taterfolgserfordernis. Abgesehen von dieser grundsätzlichen Vorverlagerung stellt der entsprechende kalifornische Stalkingstraftatbestand verglichen mit dem Model Anti-Stalking Code eine weitaus geringere Anforderung an die Beschaffenheit des Furchtempfindens. Section 646.9 (a) California Penal Code bestimmt, dass es die Furcht um die eigene Sicherheit oder die eines unmittelbaren Familienangehörigen sein muss, die der Täter durch sein Handeln beim Opfer hervorzurufen beabsichtigt.97 Dabei stellt das Kriterium der eigenen Sicherheit ein Merkmal dar, welches nahezu ausschließlich anhand opferspezifischer Erwägungen zu konkretisieren ist.98 Zugleich erweist es sich als ein unbestimmtes Merkmal, da es letztlich diverse Anknüpfungspunkte zu seiner Bestimmung zulässt und zudem auch völlig unterschiedlich intensive Formen des Furchtempfindens zu umfassen vermag.99 Demgegenüber weist der Model Anti-Stalking Code mit dem Erfordernis der Furcht vor körperlichen Verletzungen bzw. dem Tod über ein weitaus präziseres und dazu noch höherschwelliges Merkmal auf.100 Der Grund für diese im Vergleich zu anderen entsprechenden Straftatbeständen sehr hohen Anforderungen liegt nach Ansicht des National Institute of Justice in Trauma, Violence, & Abuse 2002, 261 (261 f.); Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 285 f.; Kapley/Cooke, Trends in Antistalking Legislation, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 141 (141); Morewitz, Stalking and Violence, S. 57; Gregson, Golden Gate University Law Review 1998, 221 (233 ff.). 96 Siehe hierzu section 646.9 (a) California Penal Code 1990 und section 646.9 (a) California Penal Code 2008. So bestimmt section 646.9 (a) des California Penal Code von 2008: „Any person who willfully, maliciously, and repeatedly follows or willfully and maliciously harasses another person and who makes a credible threat with the intent to place that person in reasonable fear for his or her safety, or the safety of his or her immediate family is guilty of the crime of stalking, punishable by imprisonment in a county jail for not more than one year, or by a fine of not more than one thousand dollars ($ 1.000), or by both that fine and imprisonment, or by imprisonment in the state prison.“ 97 Gregson, Golden Gate University Law Review 1998, 221 (246). 98 Vgl. hierzu Diacovo, Southwestern University Law Review 1995, 389 (410 f.). 99 Vgl. hierzu Gregson, Golden Gate University Law Review 1998, 221 (246); Diacovo, Southwestern University Law Review 1995, 389 (410 f.). 100 Gregson, Golden Gate University Law Review 1998, 221 (246). Anzumerken ist an dieser Stelle, dass der kalifornische Straftatbestand in seiner ursprünglichen Version von 1990 noch die Furcht vor körperlicher Verletzung oder dem Tod forderte, dies aber aufgrund der erheblichen Auswirkungsschwelle aus Opferschutzgesichtspunkten 1994 vom kalifornischen Gesetzgeber in die heutige Version geändert wurde, vgl. hierzu Diacovo, Southwestern University Law Review 1995, 389 (411 f.).

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der Natur des Delikts.101 Angesichts der ausdrücklichen Klassifizierung von Stalking als Verbrechen dürfe der Model Anti-Stalking Code nur solche Handlungen erfassen, die aufgrund der Schwere des durch sie verwirklichten Unrechts eine so hohe Strafe erfordern. Da der Tatbestand seinem Wortlaut nach jedoch auch objektiv sozialadäquat erscheinendes Verhalten umfasse, müsse allein auf die Wirkung des Verhaltens abgestellt werden, um zu beurteilen, ob das Verhalten zu kriminalisieren sei. Als taugliches Abgrenzungskriterium für die Unterscheidung von erlaubtem und strafbarem Verhalten komme daher nur der Grad an tatsächlich hervorgerufener Furcht in Betracht. Dieser Grad an Furcht müsse daher bei einem Verbrechenstatbestand wie dem Model Anti-Stalking Code besonders hoch angesiedelt werden, zumal das Auslösen von leichteren Formen der Furcht bereits von anderen Straftatbeständen wie beispielsweise dem der Beunruhigung (harassment) oder dem des Übergriffes auf die Person (trespassing) erfasst und unter Strafe gestellt werde.102 Die Frage nach der Strafbarkeit von Verhaltensweisen bestimmt sich im Rahmen des Model Anti-Stalking Code somit weitestgehend anhand der Auswirkungen auf das Opfer.103 Angesichts des Umstandes, dass Stalking vermehrt auch durch Handlungen, die einzeln und nach objektiven Kriterien betrachtet nicht strafwürdig erscheinen, aber aufgrund ihrer Häufigkeit und ihrer Wirkung von dem Anwendungsbereich eines Straftatbestandes zum Schutz vor Stalking umfasst sein müssten, scheint dies eine gangbare Lösung. Dem stehen jedoch grundsätzliche Bedenken entgegen. Aufgrund des qualifizierten Taterfolgserfordernisses des Model Anti-Stalking Code lässt sich zwar sicherstellen, dass nur Handlungen tatbestandsmäßig sein können, bei denen aufgrund der erheblichen Folgen regelmäßig auch von deren Strafwürdigkeit auszugehen ist.104 Zu bedenken ist jedoch, dass der konkrete Taterfolg ausschließlich an opferspezifischen Erwägungen festmacht.105 Dabei handelt es sich um ein 101 Vgl. hierzu Analysis and Commentary on Code Language bei National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States, Washington, D.C.: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdffiles/stlkbook.pdf (Appendix B). 102 Vgl. hierzu Analysis and Commentary on Code Language bei National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States, Washington, D.C.: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdffiles/stlkbook.pdf (Appendix B). 103 Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (505 f.); vgl. Gregson, Golden Gate University Law Review 1998, 221 (246); Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (266). 104 Vgl. Beatty, Stalking Legislation in the United States, in: Brewster (Hrsg.), Stalking, Ch. 2-1 (2-10 f.). Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (266); Diacovo, Southwestern University Law Review 1995, 389 (410 f.). 105 Beatty, Stalking Legislation in the United States, in: Brewster (Hrsg.), Stalking, Ch. 2-1 (2-10); vgl. Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (505).

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subjektiv-individuell determiniertes Merkmal, das von den Vorgängen innerhalb der Psyche des Opfers abhängig und daher nahezu ausschließlich anhand nichtobjektiver Merkmale zu bestimmen ist.106 Neben grundsätzlichen Fragen der Nachweisbarkeit ist zu bedenken, dass gerade diese psychischen Auswirkungen, auch wenn sie auf vergleichbare Stalking-Verhaltensweisen zurückzuführen sind, von Opfer zu Opfer oftmals völlig unterschiedlich ausfallen. Während beispielsweise manche Betroffene bei jeder neuen Kontaktaufnahme durch den Stalker nur kurzfristig aus der Ruhe gebracht werden und lediglich genervt scheinen, reagieren andere bereits auf wenige Kontaktaufnahmen eingeschüchtert bis traumatisiert. Nicht auszuschließen ist daher, dass ein hypersensibles Opfer sich bereits in einem frühen Stadium des Verhaltensmusters – auch bei bloß mildem Stalking – in seiner gesamten Existenz bedroht fühlt und Todesängste aussteht.107 Bei einem ausschließlich anhand des Opferempfindens zu bestimmenden Erfolgserfordernis müsste die Schwelle der Strafbarkeit von Seiten des Opfers definiert werden. In Ermangelung objektiver oder objektivierbarer Kriterien zur Standardisierung und Nachweisbarkeit der Auswirkung liefe dies jedoch letztlich auf einen äußerst willkürlichen Bewertungsmaßstab hinaus.108 Um zur Bestimmung der Strafbarkeit aber nicht ausschließlich auf diesen subjektiven Maßstab zurückgreifen zu müssen, kommt im Rahmen des Model AntiStalking Code zum Tragen, was bereits im Rahmen der Tathandlung angesprochen wurde. Als tatbestandsmäßiges Verhalten kommt nur ein solches Verhalten in Betracht, welches grundsätzlich geeignet ist, den im Rahmen des Taterfolgs bei dem Opfer tatsächlich hervorgerufenen Grad an Furcht potentiell auch bei einer vernünftigen Person hervorzurufen. Somit dient das abstrakte Tathandlungserfordernis als objektives Korrektiv zu dem subjektiv determinierten Taterfolgserfordernis.109 Auch wenn es letztlich der Literatur und Rechtsprechung überlassen bleibt, das Furchtempfinden einer vernünftigen Person im Einzelnen zu konkretisieren, so kann der Model Anti-Stalking Code bei der Frage nach einem strafwürdigen Verhaltensmuster auf ein Abgrenzungskriterium zurückgreifen, das sowohl nach subjektiven als auch nach objektiven Kriterien zu bestimmen ist.110 Ein willkürlicher Beurteilungsstandard wird somit vermieden. Trotz dieses durchaus effektiven Zusammenspiels hat die konkrete Ausgestaltung des Taterfolgserfordernisses auch erhebliche Kritik erfahren. So wird be106

Siehe hierzu Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (505). Finch, Criminalisation of Stalking, S. 26, 230; vgl. Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 290. 108 Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 290; Beatty, Stalking Legislation in the United States, in: Brewster (Hrsg.), Stalking, Ch. 2-1 (2-11). 109 Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (266); Diacovo, Southwestern University Law Review 1995, 389 (410 f.). 110 Vgl. Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 290; Beatty, Stalking Legislation in the United States, in: Brewster (Hrsg.), Stalking, Ch. 2-1 (2-11). 107

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mängelt, dass ein so hoher Grad an Furcht, wie er im Rahmen des Taterfolgs des Model Anti-Stalking Code verlangt werde, angesichts des objektiven Bewertungsmaßstabs auf der Tathandlungsebene hinfällig sei.111 Letztendlich verhindere eine solch hohe Strafbarkeitsschwelle eine frühzeitige strafrechtliche Ahndung des Verhaltens und sei daher aus Opferschutzgesichtspunkten verfehlt.112 In der Tat ist zu bedenken, dass es statistisch gesehen eher selten vorkommt, dass ein Opfer von Stalking in Angst vor körperlicher Beeinträchtigung oder sogar in Todesangst versetzt wird.113 Da nur in wenigen Fällen eine qualifizierte Drohung durch den Täter ausgesprochen wird, ist es für das Opfer größtenteils überhaupt nicht absehbar, was der Täter als Nächstes beabsichtigt.114 Eine konkrete Furcht des Opfers vor körperlichen Übergriffen besteht daher nur in etwa einem Drittel der Fälle, während sich eine konkrete Todesangst lediglich in etwa einem Zehntel der Fälle ermitteln lässt.115 In den allermeisten Situationen leidet das Opfer unter einem schwer definierbaren Gefühl latenter Bedrohung im Sinne einer nachhaltigen Bedrängung der Person und des persönlichen Lebensbereiches.116 Darüber hinaus wird kritisiert, dass die Angst vor sexuellen Übergriffen nicht von dem Furchterfordernis des Model Anti-Stalking Code umfasst ist.117 Dieser Einwand ist berechtigt, denn insbesondere in Stalking-Fällen, denen eine gescheiterte Intimbeziehung vorangeht, ist eine Furcht des Opfers vor sexuellen Übergriffen durchaus häufig festzustellen.118 Angesichts des Umstands, dass die Mehrzahl der Stalking-Fälle aus einer bestehenden oder gescheiterten (Intim)Be111 Siehe hierzu Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (505); Sheridan/Davies, The British Psychological Society 2001, 3 (4). 112 Vgl. Bromley/Garcia, Stalking Laws, in: Fisher/Lab (Hrsg.), Encyclopedia of Victomology and Crime Prevention, S. 906 (908); Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (505). 113 Newman/Appelbaum, Stalking: Perspectives on Victims and Management, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 107 (115 f.) mit weiteren Nachweisen. 114 Vgl. Baum/Catalano/Rand/Rose, Stalking Victimization in the United States – Findings from the National Crime Victimization in the United States, U.S. Department of Justice 2009, S. 1 (7, table 10); vgl. auch Fiedler, Stalking, S. 32 f.; Morewitz, Stalking and Violence, S. 40. 115 Vgl. Baum/Catalano/Rand/Rose, Stalking Victimization in the United States – Findings from the National Crime Victimization in the United States, U.S. Department of Justice 2009, S. 1 (7, table 10). 116 Vgl. Gregson, Golden Gate Law Review 1998, 220 (228); Blaauw/Winkel/Arensman/Sheridan/Freeve, Journal of Interpersonal Violence 2002, 50 (52); Hoffmann, Stalking, S. 151 ff.; Fiedler, Stalking, S. 33; vgl. Sheridan/Davies, The British Psychological Society 2001, 3 (4). Die Angst vor körperlichen Übergriffen oder sogar dem Tod stellt sich meist erst dann ein, wenn Stalking über einen sehr langen Zeitraum andauert. 117 Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (504 f.); Bradfield, Harvard Women’s Law Journal 1998, 229 (253). 118 Speziell hierzu Logan/Walker, Trauma, Violence, & Abuse 2009, 247 (260) mit vielen weiteren Nachweisen.

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ziehung des Opfers zu dem Täter heraus erwachsen, fällt diese Beschränkung des Taterfolgs durchaus negativ ins Gewicht.119 Positiv ist in an dieser Stelle zu erwähnen, dass der Model Anti-Stalking Code auch Fälle erfasst, in denen sich die Furcht des Opfers nicht auf das eigene Wohl, sondern auf das eines Dritten bezieht. Zwar suggeriert der Modelltatbestand in section 2 (a), dass bei dem zusätzlich umfassten Personenkreis von vornherein nur ein unmittelbares Familienmitglied in Betracht kommt.120 Die Erläuterungen in section 1 (c) Model Anti-Stalking Code stellen in Hinblick auf dieses Merkmal jedoch unmissverständlich klar, dass hierfür nicht nur enge Familienangehörige wie beispielsweise der Ehegatte, Kinder oder Eltern in Frage kommen, sondern auch Personen, die sich regelmäßig in demselben Haushalt aufhalten.121 Demnach wird der Model Anti-Stalking Code auch Konstellationen gerecht, in denen der Ehegatte nach einer gescheiterten Beziehung selbst zum Stalker wird und beispielsweise aus Eifersucht den neuen Beziehungspartner seines ehemaligen Ehepartners „ins Visier nimmt“. (3) Wiederholungsmerkmal Nach einhelliger Meinung ist gerade die Wiederholung verschiedener oder gleichartiger Kontaktaufnahmehandlungen ein konstituierendes Merkmal für das Verhaltenskonstrukt Stalking.122 Da der Model Anti-Stalking Code das Verhal119 Vgl. Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (504 f.). Zwar gibt der erläuternde Kommentar zu dem Model Anti-Stalking Code an, dass Fälle, in denen das Opfer Angst vor sexuellen Übergriffen entwickelt, unter das Merkmal der Furcht vor der Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit zu subsumieren seien, da das Opfer letztlich nur Angst davor habe, sich bei der Zurwehrsetzung zu verletzen oder bei einer Vergewaltigung mit dem HIV-Virus angesteckt zu werden und dies in der Tat als Körperverletzung zu deklarieren sei. Dass eine solche Überlegung jedoch nicht der Realität entspricht und nicht im Entferntesten die Bandbreite an sexuellen Übergriffen abzudecken vermag, bedarf hier keiner weiteren Diskussion. 120 Vgl. hierzu Analysis and Commentary on Code Language bei National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States, Washington, D.C.: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdffiles/stlkbook.pdf (Appendix B). 121 Vgl. hierzu Analysis and Commentary on Code Language bei National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdffiles/stlkbook.pdf (Appendix B). 122 Siehe hierzu Giorgi-Guarnieri/Norko, Stalking: Introduction, Definition and Epidemiology, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 3 (5 f.); Hoffmann, Stalking, S. 3; Mullen/ Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 287; Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (465); Lamplugh/Infield, The George Washington International Law Review 2003, 853 (855); Sheridan/Blaauw/Davies, Trauma, Violence, & Abuse 2003, 148 (149 ff.); Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (15 f.). Mustaine, Stalking, in: Fisher/Lab (Hrsg.), Encyclopedia of Victomology and Crime Prevention, S. 900 (900 f.).

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tensmuster Stalking im Gesamten unter Strafe stellt, enthält er notwendigerweise auch dieses Merkmal. Bereits dem in section 2 (a) Model Anti-Stalking Code verwendeten Begriff Verhaltensmuster (course of conduct) lässt sich entnehmen, dass der Modelltatbestand als strafbares Verhalten nicht nur eine einzelne Handlung, sondern vielmehr ein aus mehreren Handlungen zusammengesetztes Handlungsbündel verlangt.123 Gemäß section 1 (a) und (b) Model Anti-Stalking Code setzt sich dieses aus in mindestens zwei Fällen vorgenommenen Verhaltensweisen zusammen.124 Mit der Forderung nach mindestens zwei Handlungen reiht sich der Model Anti-Stalking Code in den Kreis der entsprechenden Straftatbestände verschiedener US-Bundesstaaten ein, die als absolute Untergrenze das Vorliegen von mindestens zwei Handlungen vorsehen.125 Weder dem Model Anti-Stalking Code noch dem erläuternden Kommentar sind dabei Angaben zur üblichen Anzahl der nötigen Handlungen oder ein entsprechender Richtwert zu entnehmen.126 Insoweit ist es dem Tatrichter oder der Jury127 zur Entscheidung überlassen, festzustellen, wie vieler Handlungen es im Einzelnen bedarf, um von einer Verwirklichung des Tatbestandes auszugehen. Angesichts der Verschiedenartigkeit der einzelnen Stalking-Verhaltensweisen und der seelischen Verfassung der Opfer bietet dies eine begrüßenswerte Flexibilität für den Einzelfall. Die Forderung nach mindestens zwei Handlungen ist insoweit konsequent, als eine Wiederholung bereits begrifflich zumindest die nochmalige Durchführung einer gewissen Handlung oder eines Handlungstypus voraussetzt. Im vorliegenden Kontext wird aber noch etwas anderes deutlich. Der Model Anti-Stalking Code lässt keinen Zweifel daran, dass der Täter unter Umständen bereits mit zwei (tatbestandsmäßigen) Handlungen den Straftatbestand zum Schutz vor Stalking verwirklichen kann.128 Angesichts der Tatsache, dass der Modelltatbestand 123 Vgl. hierzu Analysis and Commentary on Code Language bei National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdffiles/stlkbook.pdf (Appendix B). 124 Vgl. hierzu Analysis and Commentary on Code Language bei National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdffiles/stlkbook.pdf (Appendix B). 125 Vgl. hierzu Kapley/Cooke, Trends in Antistalking Legislation, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 141 (142); National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 41 f. 126 Vgl. hierzu Analysis and Commentary on Code Language bei National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdffiles/stlkbook.pdf (Appendix B). 127 Vgl. zu der Spruchkörperbesetzung in US-amerikanischen Strafgerichtsverfahren Grube, Richter ohne Robe, S. 163 (172). 128 Vgl. hierzu Analysis and Commentary on Code Language bei National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States: U.S.

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Stalking als Verbrechen kennzeichnet, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass es in manchen Fällen überhaupt nicht darauf ankommt, dass verschiedene StalkingHandlungen in einer bestimmten Frequenz zum Einsatz gebracht werden. Vielmehr kann gewissen Stalking-Verhaltensweisen bereits für sich genommen ein ungemein hoher Unrechtsgehalt innewohnen. (4) Das Vorsatzerfordernis Entsprechend den kontinentaleuropäischen Gesetzen ist auch dem US-amerikanischen Strafrecht gemein, dass der Täter bei der Begehung einer Straftat auch eine subjektive Komponente erfüllen muss.129 In Bezug auf diese subjektive Seite des Tatbestandes verlangt der Model AntiStalking Code, dass der Täter weiß oder hätte wissen müssen, dass er mit seinem Verhaltensmuster das Opfer in die begründete Furcht vor einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder dem Tod in Bezug auf sich selbst oder auf einen unmittelbaren Familienangehörigen versetzt.130 Der Täter muss nur die Tathandlungen willentlich vornehmen und dabei zumindest hätte erkennen müssen, was diese für eine Auswirkung auf das Opfer haben können – völlig unabhängig davon, ob er den konkreten Eintritt der Folgen überhaupt will.131 Der Model Anti-Stalking Code unterscheidet sich damit auch in dieser Hinsicht von den meisten anderen Straftatbeständen der US-Bundesstaaten.132 So verlangt Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdffiles/stlkbook.pdf (Appendix B). 129 Im common law wird in diesem Zusammenhang von der sog. mens rea gesprochen. Dieser Begriff hat sich jedoch im Laufe der Zeit immer mehr zu einem Topos entwickelt, zu dessen genauerer Bestimmung verschiedenste Ansätze bestehen, siehe hierzu ausführlich mit weiteren Nachweisen Sayre, Harvard Law Review 1931–1932, 974 (974 ff.). Vgl. insgesamt hierzu Dubber, Einführung in das US-amerikanische Strafrecht, S. 54 ff. Eine Ausnahme bildet bei der Forderung nach einer subjektiven Komponente jedoch die strafrechtliche Haftung nach der sog. strict liability, die eine Strafbarkeit des Täters völlig ohne Vorliegen eines solchen subjektiven Elements vorsieht, siehe hierzu Bähr, Strafbarkeit ohne Verschulden – (Strict Liability) im Strafrecht der USA, S. 23 ff., 89 ff.; ferner mit Schwerpunkt auf dem englischen Recht Hörster, Die strict liability im englischen Strafrecht, S. 8 ff. 130 Siehe hierzu Analysis and Commentary on Code Language bei National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States, Washington, D.C.: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdffiles/stlkbook.pdf (Appendix B). 131 Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (505); Gregson, Golden Gate University Law Review 1998, 221 (245). 132 Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (264 f.); Beatty, Stalking Legislation in the United States, in: Brewster (Hrsg.), Stalking, Ch. 2-1 (2-8). Eine gute Übersicht über die verschiedenen Vorsatzerfordernisse ausgewählter Straftatbestände vermögen auch die Ausführungen des National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code – Revistited, S. 32 ff. zu verschaffen.

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beispielsweise der kalifornische Tatbestand die Absicht des Täters, das Opfer mit einer glaubhaften Drohung in Furcht um die eigene Sicherheit zu versetzen.133 Im Rahmen des § 646.9 (a) California Penal Code kommt es jedoch nicht darauf an, dass eine solche Furcht bei dem Opfer auch tatsächlich hervorgerufen wird.134 Vielmehr handelt es sich bei dem Absichtserfordernis um eine Art überschießende Innentendenz, die im US-amerikanischen Rechtsraum gemeinhin als eine Spielart des spezifischen Vorsatzes (specific intent) gilt.135 Von einem spezifischen Vorsatz ist immer dann die Rede, wenn der Täter die Absicht entwickelt, mit einem bestimmten Verhalten ein bestimmtes Ziel zu erreichen, sein Vorsatz sich also auf diese beiden Punkte bezieht.136 Knapp die Hälfte aller US-Bundesstaaten verwendet in ihren Straftatbeständen zum Schutz vor Stalking diese Form des Vorsatzerfordernisses.137 Bezogen auf den kalifornischen Straftatbestand bedeutet dies, dass der Täter sowohl hinsichtlich des Ausspruchs der glaubhaften Drohung als auch hinsichtlich des Auslösens der Furcht vorsätzlich handeln muss. Dies gilt auch für den Fall, dass er überhaupt nicht beabsichtigt, seine Drohung tatsächlich wahr werden zu lassen.138 Dieser spezifische Vorsatz ist im Einzelfall jedoch schwer nachweisbar, denn auch wenn der Täter wusste oder hätte wissen müssen, dass sein Verhalten die Furcht des Opfers um die eigene Sicherheit hervorrufen würde, kann er immer noch einer Strafe entgehen, solange er glaubhaft darzulegen vermag, dass er die entsprechenden Folgen seines Verhaltens nicht herbeiführen wollte.139 Insbesondere in Fällen, in denen der Täter beständig Kontakt zu dem Opfer sucht, um es liebesbedingt zu einer (Wieder-)Aufnahme einer gemeinsamen Beziehung zu bewegen, ist eine solche Glaubhaftmachung nicht fernliegend. Demgegenüber lässt der Model Anti-Stalking Code bereits ein generelles Absichtserfordernis des Täters ausreichen.140 Im Unterschied zum spezifischen Vorsatz verlangt ein generelles Vorsatzerfordernis gerade nicht die Absicht des

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Diacovo, Southwestern University Law Review 1995, 389 (410 f.). Siehe hierzu Gregson, Golden Gate University Law Review 1998, 221 (245). 135 Gregson, Golden Gate University Law Review 1998, 221 (239, insbes. 245, 247); Vanoli, Stalking S. 165; vgl. allgemein hierzu auch Dubber, Einführung in das US-amerikanische Strafrecht, S. 67. 136 Gregson, Golden Gate University Law Review 1998, 221 (247); allgemein hierzu auch Dubber, Einführung in das US-amerikanische Strafrecht, S. 67. 137 Vgl. hierzu die Ausführungen des National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code – Revistited, S. 33. 138 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code – Revistited, S. 33; Vanoli, Stalking, S. 164 ff.; Gregson, Golden Gate University Law Review 1998, 221 (245 f., 247). 139 Vgl. hierzu Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (483 f.); Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (265 f.). 140 Gregson, Golden Gate University Law Review 1998, 221 (245). 134

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§ 3 Gesetzgeberische Reaktionen auf das Verhaltensmuster Stalking

Täters in Bezug auf die Folgen seines Verhaltens.141 Der Täter muss demnach nur die Tathandlungen willentlich vorgenommen haben und dabei zumindest wissen müssen, was diese für eine Auswirkung auf das Opfer haben können – völlig unabhängig davon, ob er nun den konkreten Eintritt der Folgen überhaupt wollte.142 In Bezug auf die subjektive Seite des Model Anti-Stalking Code ist daher lediglich nachzuweisen, dass der Täter die entsprechenden Tathandlungen aus eigenem Entschluss vornehmen wollte, nicht aber, dass er auch den Eintritt der Folgen forcierte.143 Hier reicht es aus, wenn der Tatrichter oder die Jury davon überzeugt sind, dass der Stalker zumindest grob fahrlässig verkannt hat, dass die von ihm beabsichtigten Handlungen das Opfer in eine begründete Furcht vor körperlichen Verletzungen oder dem Tod versetzen.144 Im Ergebnis kann nun auch derjenige Stalker nach dem Model Anti-Stalking Code strafbar sein, der nach seiner eigenen Ansicht nur die besten Absichten für die von ihm „ins Visier“ genommenen Person hegte.145 c) Der Model Stalking Code 2007 Im Januar des Jahres 2007 veröffentlichte das National Center for Victims of Crime unter dem Titel The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking eine grundlegend überarbeitete Version des Model Anti-Stalking Code.146 Damit sollte dem mittlerweile erheblichen Fortschritt auf technischem Gebiet sowie in der wissenschaftlichen Erforschung des Stalking Rechnung getragen werden.147 In diese Neufassung sollten auch die von der Hilfsorganisation bundesweit gesammelten Erfahrungen im Umgang mit Betrof-

141 Siehe hierzu National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code – Revistited, S. 32. 142 Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (505); Gregson, Golden Gate University Law Review 1998, 221 (245). 143 Gregson, Golden Gate University Law Review 1998, 221 (247); Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (505). 144 Der im Model Anti-Stalking Code an dieser Stelle verwendete Terminus „should know“ wird unter US-amerikanischen Gesichtspunkten regelmäßig mit criminal negligence in Verbindung gebracht, vgl. Tran, Hastings International and Comparative Law Review 2003, 445 (459, supra note 115). Dabei kann die Vorsatzform negligence hierzulande am ehesten mit der der unbewussten Fahrlässigkeit verglichen werden, siehe hierzu ausführlich Dubber, Einführung in das US-amerikanische Strafrecht, S. 72. 145 Tran, Hastings International and Comparative Law Review 2003, 445 (459). 146 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, abrufbar unter: www. ncvc.org/src/main.aspx?dbID=DB_publications127. 147 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 3 ff.

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fenen und insbesondere den verschiedenen strafrechtlichen Instrumentarien der jeweiligen US-Bundesstaaten einfließen.148 aa) Regelungsgehalt Wie schon sein Vorgänger aus dem Jahr 1993 stuft auch der Model Stalking Code 2007 Stalking als Verbrechen ein.149 Obgleich der überarbeitete Modelltatbestand keinen konkreten Vorschlag zur Festsetzung des Strafrahmens enthält, soll die ausdrückliche Einordnung als Verbrechen die bundesweit einheitliche Klassifizierung des Delikts fördern.150 Den Kern des Model Stalking Code 2007 bildet ein in vier Abschnitte unterteiltes Regelwerk,151 dessen erster Abschnitt die Intention zur Schaffung des Modelltatbestandes wiedergibt.152 Der zweite Abschnitt beinhaltet den Tatbestand als solchen, während der dritte Abschnitt konkretisierende Angaben zu einzelnen Merkmalen des vorangestellten Abschnitts enthält.153 Schließlich führt der vierte Abschnitt verschiedene Umstände auf, die trotz ihres Vorliegens oder auch nur behaupteten Vorliegens die Verwirklichung des Tatbestandes nicht ausschließen und die der Täter im Rahmen der Strafverfolgung nicht erfolgreich als möglichen Einwand geltend machen kann.154 Gemäß section 2 des Model Stalking Code 2007 macht sich des Stalking schuldig, wer absichtlich ein Verhaltensmuster an den Tag legt, das auf eine bestimmte Person (aus)gerichtet ist und der dabei weiß oder wissen müsste, dass dieses bei einer vernünftigen Person entweder die Furcht um deren eigene Sicherheit bzw. um die einer dritten Person hervorrufen oder seelisches Leid verursachen würde.155 148 Bromley/Garcia, Stalking Laws, in: Fisher/Lab (Hrsg.), Encyclopedia of Victomology and Crime Prevention, S. 906 (908). 149 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 54 f. 150 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 53 ff. 151 Im Grunde genommen enthält der Modelltatbestand im Gesamten sechs Abschnitte, von denen aber die letzten beiden wahlweise zusätzlich übernommen werden können, vgl. National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 24 f. 152 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 54 f. 153 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 24 f. Der Rest betrifft Vorschriften, die je nach Bedarf zusätzlich übernommen werden können. 154 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 24 f. 155 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 24 f.

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Nach section 3 (a) des Model Stalking Code 2007 verlangt ein Verhaltensmuster das Vorliegen von zwei oder mehreren Handlungen, die – ohne darauf beschränkt zu sein – zum Inhalt haben, dass der Stalker eine Person direkt, indirekt oder durch Dritte mittels jedweder Handlung, jedwedem Vorgehen, jedwedem (technischen) Instrumentarium oder sonst irgendeinem beliebigen Hilfsmittel verfolgt, überwacht, beobachtet, bedroht, auskundschaftet, mit ihr oder über sie kommuniziert oder ihr Eigentum beeinträchtigt.156 Seelisches Leid wird nach section 3 (b) Model Stalking Code 2007 definiert als signifikante seelische Befindlichkeitsstörung oder Leiden, welches eine medizinische oder andere professionelle Behandlung oder Betreuung notwendig machen kann, dies aber nicht muss.157 Weiter ist gemäß section 3 (c) Model Stalking Code 2007 bei der jeweiligen Bewertung der Situation von dem Maßstab einer vernünftigen Person auszugehen und zwar von einer solchen, die aus der Perspektive des Opfers heraus entscheidet respektive empfindet.158 Darüber hinaus ist nach dem Model Stalking Code 2007 bestimmt, dass sich der Täter im Falle der Strafverfolgung nicht darauf berufen kann, dass er über die Unerwünschtheit seines Verhaltens nicht in Kenntnis gesetzt wurde oder dass er nicht die Absicht gehabt habe, das Opfer in Furcht zu versetzen oder ihm seelisches Leid zuzufügen.159 bb) Würdigung Genau wie bei seinem Vorgänger aus dem Jahr 1993 findet bei dem Model Stalking Code 2007 der Begriff Stalking bereits im Tatbestand Erwähnung. Und genau wie der erste von offizieller Seite vorgestellte Modelltatbestand weist auch die vom National Center for Victims of Crime grundlegend überarbeitete Fassung sämtliche allgemein als wesensnotwendig betrachteten Grundmerkmale des Stalking auf.160 Demnach stellt der Model Stalking Code 2007 das Verhaltenskonstrukt im Gesamten unter Strafe.

156 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 24 f. 157 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 24 f. 158 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 24 f. 159 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 24 f. 160 Also wiederholt und einseitig gegen den Willen des Opfers betriebene Kontaktaufnahmehandlungen, die eine gewisse Auswirkung negativer Art auf das Opfer zeitigen oder zumindest zeitigen können, vgl. hierzu Kapley/Cooke, Trends in Antistalking Legislation, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 141 (142 f.).

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(1) Tatbestandshandlungen Den Schwerpunkt bei der Reformierung des Modelltatbestandes bildete die Überarbeitung des tatbestandlichen Verhaltensverbots. Da dem Täter äußerst viele Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme zur Verfügung stehen, um Stalking in Gang zu setzen oder aufrechtzuerhalten, und der Model Anti-Stalking Code aus dem Jahr 1993 diesem Umstand nicht einmal annähernd gerecht werden konnte, bestand hier nach Auffassung des National Center for Victims of Crime der größte Handlungsbedarf.161 Der bisherige Modelltatbestand aus dem Jahr 1993 sah als Tathandlung ein relativ unspezifiziertes Verhaltensmuster vor, welches lediglich durch zwei sehr abstrakt gehaltene Merkmale eingeschränkt wurde. Auf eine Aufzählung einzelner Verhaltensweisen innerhalb des Tatbestandes, ein sog. list model,162 wurde bewusst verzichtet. Der dahinter liegende Gedanke war, dass ein solcher Katalog an Verhaltensweisen von den Gerichten als abschließend betrachtet werden könnte. Dies hätte zur Folge, dass leicht veränderte oder neuartige StalkingHandlungen dem Anwendungsbereich des entsprechenden Straftatbestandes entzogen wären. Nur ein weit gefasstes tatbestandliches Verhaltensverbot ist nach Ansicht des National Institute of Justice imstande, den unzähligen Möglichkeiten, die dem Stalker zur Verfügung stehen, um zu seinem Opfer Kontakt aufzunehmen, auch gerecht zu werden.163 Der Wille, möglichst alle denkbaren Angriffswege zu erfassen, lag auch der Überarbeitung des Model Stalking Code 2007 zugrunde.164 Das National Center for Victims of Crime entschied sich dabei jedoch für eine Methode, die dem list model sehr ähnelt. So zählt der Modelltatbestand anhand von insgesamt sieben Verben bestimmte Tätigkeiten auf, die Bestandteile des tatbestandlichen Verhaltensmusters sein können, bestimmt aber zugleich, dass sich das Verhaltensverbot des Straftatbestandes nicht auf diese Tätigkeiten beschränkt.165 Bei den aufgezählten Verhaltensweisen handelt es sich mit dem Verfolgen, Überwachen, Beobachten, Bedrohen, Auskundschaften, Kommunizieren oder der 161 Bromley/Garcia, Stalking Laws, in: Fisher/Lab (Hrsg.), Encyclopedia of Victomology and Crime Prevention, S. 906 (908). 162 Vgl. hierzu Infield, The George Washington International Law Review 2003, 853 (861 f.). 163 Tatsächlich erwies sich jedoch die konkrete Ausgestaltung des Model Anti-Stalking Code aufgrund der zwar abstrakt gehaltenen, aber in Wirklichkeit den Tatbestand auf wenige Fälle beschränkenden Eigenschaftsmerkmale der Tathandlung – namentlich das Herstellen visueller oder räumlicher Nähe oder das Behelligen mittels einer Drohung – in der Praxis als untauglich. 164 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 24 f.; 46 f. 165 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 24 f.

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Sachbeschädigung um Handlungen, die regelmäßig und mit am Häufigsten in Stalking-Fällen zum Einsatz gebracht werden.166 Der Model Stalking Code 2007 bestimmt damit nicht nur, welche Verhaltensweisen zunächst in Frage kommen, überhaupt Bestandteil des Verhaltensmusters zu sein. Indem er die üblichen Vorgehensweisen des Täters einzeln umreißt, vermag er zugleich einen Eindruck von den Kernverhaltensweisen und damit zugleich von der besonderen Eigenart des Verhaltenskonstruktes zu vermitteln. Darüber hinaus weist er aber aufgrund der Vorgabe, dass der Anwendungsbereich letztlich nicht auf diese Verhaltensweisen beschränkt ist, die nötige Flexibilität auf, auch leicht abweichende oder völlig atypische Handlungen erfassen zu können.167 In Bezug auf das tatbestandliche Verhaltensverbot des Model Stalking Code 2007 lassen sich jedoch noch weitere Veränderungen feststellen. Die entsprechenden Verhaltensweisen können direkt, indirekt oder durch einen Dritten mittels jedweder Handlung, jedwedem Vorgehen, jedwedem (technischen) Instrumentarium oder sonst irgendeinem beliebigen Hilfsmittel ausgeführt werden.168 Bezogen auf die konkrete Vorgehensweise des Täters stellt der Model Stalking Code 2007 keinerlei besonderen Anforderungen – es reicht aus, wenn der Täter durch sein Handeln eine der aufgezählten Kernverhaltensweisen erfüllt. Darüber hinaus umfasst er zugleich auch ein Abweichen von diesen Kernverhaltensweisen, falls es besondere Umstände erfordern. Damit weist der Tatbestand hinsichtlich des konkreten Verhaltensverbots nunmehr eine äußerst große Flexibilität und Weite auf.169 Angesichts der beiden neu eingefügten Passagen direkt, indirekt oder durch einen Dritten sowie jedwedes Instrumentarium oder sonst irgendein beliebiges Hilfsmittel umfasst der der Model Stalking Code 2007 nun auch Handlungen, bei denen der Täter sowohl mittels seit langem gängigen Kommunikationsmittel 170 als auch mittels moderner Kommunikationsmittel171 Kontakt zum Opfer aufnimmt.172 Nach dem Model Anti-Stalking Code aus dem Jahr 1993 war das Vorgehen des Täters unter Zuhilfenahme dieser Kommunikationsinstrumente bislang 166 Vgl. hierzu die aktuelle Studie von Baum/Catalano/Rand/Rose, Stalking Victimization in the United States – Findings from the National Crime Victimization in the United States, U.S. Department of Justice 2009, S. 2 f. 167 Bromley/Garcia, Stalking Laws, in: Fisher/Lab (Hrsg.), Encyclopedia of Victomology and Crime Prevention, S. 906 (908). 168 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 24 f. 169 Bromley/Garcia, Stalking Laws, in: Fisher/Lab (Hrsg.), Encyclopedia of Victomology and Crime Prevention, S. 906 (908). 170 Zu denken ist hier insbesondere an das Telefon, Briefverkehr, Fax usw. 171 Zu denken ist hier an die verschiedenen Kommunikationsmöglichkeiten mittels Mobiltelefon, also vor allem das Versenden von geschriebenen Kurzmitteilungen oder Bildern, sog. SMS bzw. MMS, aber auch mittels Internet.

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noch straffrei, sofern der Täter dabei nicht die räumliche oder visuelle Nähe zum Opfer suchte oder ihm dabei drohte. Dies erwies sich in der Praxis eindeutig als ein großer Schwachpunkt des bisherigen Modelltatbestandes,173 denn gerade das wiederholte Anrufen auf dem Telefon, das Zusenden von Briefen, Mails oder SMS zählt zu dem Kernbestand an typischen Stalking-Verhaltensweisen.174 Der Model Stalking Code 2007 schließt nun diese Strafbarkeitslücke und geht dabei sogar noch einen Schritt weiter. Da weder der vorgegebene Begriff Instrumentarium noch der Begriff Hilfsmittel im Rahmen des aktualisierten Modellgesetzes näher bestimmt werden, ist der Anwendungsbereich des Tatbestandes nicht auf bereits bestehende Kommunikationsmittel und -formen begrenzt, sondern vermag auch zukünftige technische Entwicklungen auf diesem Gebiet einzuschließen.175 Doch nicht nur die Kontaktherstellung mittels technischer Gerätschaften, auch die Möglichkeit, dass der Täter über Dritte den Kontakt zu dem Opfer sucht – das sog. stalking by proxy176 – berücksichtigt der Model Stalking Code 2007. Der Passus direkt, indirekt oder durch einen Dritten zielt auf Konstellationen ab, in denen der Täter das Opfer über eine dritte, dem Opfer nahestehende Person, kontaktiert.177 (a) Besondere Eignungserfordernisse der Tathandlung Wie schon der ursprüngliche Modelltatbestand aus dem Jahr 1993 verlangt auch der Model Stalking Code 2007 die generelle Eignung der Tathandlung, bestimmte negative Auswirkungen bei einer vernünftigen dritten Person hervorzu-

172 Bromley/Garcia, Stalking Laws, in: Fisher/Lab (Hrsg.), Encyclopedia of Victomology and Crime Prevention, S. 906 (908). 173 Siehe hierzu Boland, Criminal Justice Magazine 2005, 41 (43); vgl. auch Bromley/Garcia, Stalking Laws, in: Fisher/Lab (Hrsg.), Encyclopedia of Victomology and Crime Prevention, S. 906 (908). 174 Vgl. hierzu die aktuelle Studie von Baum/Catalano/Rand/Rose, Stalking Victimization in the United States – Findings from the National Crime Victimization in the United States, U.S. Department of Justice 2009, S. 2 f.; ferner auch Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (20 ff.); Bieszk/Sadtler, NJW 2007, 3382 (3384); Löbmann, MschrKrim 2002, 25 (25 f.); Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 102. 175 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 47 f. 176 Siehe hierzu Logan/Walker, Trauma, Violence, & Abuse 2009, 247 (250); Spitzberg, Trauma, Violence, & Abuse 2002, 261 (269). 177 Siehe National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 47. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Täter über Freunde des Opfers diesem Grüße bestellen lässt, Geschenke abgeben lässt usw., vgl. zu diesen Fällen auch Spitzberg, Trauma, Violence, & Abuse 2002, 261 (269).

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§ 3 Gesetzgeberische Reaktionen auf das Verhaltensmuster Stalking

rufen.178 Anders als sein Vorgänger fordert der aktualisierte Modelltatbestand aber nicht, dass diese Auswirkungen bei dem konkret betroffenen Opfer auch tatsächlich eingetreten sein müssen. Vielmehr genügt es nach dem Model Stalking Code 2007, wenn das Verhalten des Täters bei einem in die Lage des Opfers zu denkenden vernünftigen Dritten entweder die Furcht um dessen eigene Sicherheit oder die eines anderen Dritten hervorrufen oder eigenes seelisches Leid verursachen würde.179 Dabei stellen diese beiden Tateignungserfordernisse zum Teil weitgehende Änderungen gegenüber dem bisherigen Model Anti-Stalking Code aus dem Jahr 1993 dar. (aa) Hervorrufen von Furcht um die Sicherheit Neben dem Absehen von einem Taterfolgserfordernis weist der Model Stalking Code 2007 gegenüber dem ursprünglichen Modelltatbestand auch einige Änderungen in Bezug auf die abstrakte Eignung des tatbestandlichen Verhaltens auf. Der Model Anti-Stalking Code von 1993 verlangt das (potentielle) Hervorrufen von Furcht vor einer Beeinträchtigung der eigenen körperlichen Unversehrtheit oder dem Tod. Dagegen genügt nach dem aktualisierten Modelltatbestand die Eignung der Tathandlung, eine vernünftige dritte Person in Furcht um die eigene Sicherheit oder die eines Dritten zu versetzen.180 Mit dem Abstellen auf das Hervorrufen von Furcht um die Sicherheit bedient sich der Model Stalking Code 2007 eines spezifischen Furchterfordernisses, das in gleicher Form in dem entsprechenden kalifornischen Straftatbestand enthalten ist. Wie bereits dargelegt handelt es sich dabei um ein Merkmal, das im Vergleich zu dem Model Anti-Stalking Code von 1993 sehr viele und dabei recht unterschiedliche Anknüpfungspunkte zulässt.181 Gegenüber dem Erfordernis des Hervorrufens von Furcht vor einer Körperverletzung oder dem Tod enthält das Furchterfordernis des Model Stalking Code 2007 somit deutlich geringere Anforderungen. Darüber hinaus muss es sich nach dem Model Stalking Code 2007 bei der Furcht um die Sicherheit nicht notwendigerweise um die eigene Sicherheit handeln, vielmehr kann auch die Sicherheit eines Dritten betroffen sein, die das Opfer in Furcht versetzen würde.182 An die Eigenschaft dieser dritten Person werden 178 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code sponding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 24 f. 179 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code sponding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 24 f. 180 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code sponding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 24 f. 181 Siehe hierzu § 3 I. 1. b) bb) (4). 182 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code sponding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 24 f.

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dabei keinerlei weitergehende Anforderungen gestellt.183 Somit umfasst der Model Stalking Code 2007 gegenüber dem ursprünglichen Modellgesetz aus dem Jahr 1993 im Rahmen der Furcht um das Wohl anderer auch Personen, die nicht in einem engen familiären Kontext zu dem Opfer stehen oder eine zeitlang mit dem Opfer in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben.184 (bb) Hervorrufen von seelischem Leid Eine weitere Änderung stellt im Rahmen des Model Stalking Code 2007 die neu eingefügte Alternative zu dem abstrakten Furchterfordernis der Tathandlung dar. Bei diesem Erfordernis handelt es sich um die Eignung der Tathandlung, bei einer vernünftigen Person seelisches Leid hervorzurufen.185 Der Model Stalking Code 2007 sieht dieses Merkmal dann als gegeben an, wenn das Verhalten des Täters bei einer vernünftigen Person eine signifikante seelische Befindlichkeitsstörung oder ein signifikantes seelisches Leiden verursachen würde, welche eine medizinische oder andere professionelle Behandlung und Betreuung notwendig machen können.186 Dabei bildet das Bedürfnis für eine Betreuung oder Behandlung nur eine Orientierungshilfe, denn es kommt schließlich nicht darauf an, dass eine solche Betreuung oder Behandlung konkret notwendig ist.187 Die Erweiterung der Tathandlungseignung um diesen Aspekt des seelischen Leids und die genauere Bestimmung seines Inhalts war nach Ansicht des National Center for Victims of Crime längst überfällig.188 Viele Stalking-Handlungen seien demnach nicht darauf angelegt oder überhaupt imstande, das Opfer in Furcht um die eigene Sicherheit zu versetzen. Vielmehr würden diese Handlungen das seelische Gleichgewicht des Opfers negativ beeinträchtigen und mit der Zeit gewisse seelische Verletzungen verursachen, die mit dem Furchterfordernis oder mit sonstigen Straftatbeständen gerade nicht erfasst werden könnten.189

183 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 42 f. 184 Daher vermag der Model Stalking Code 2007 auch diejenigen Personen zu schützen, die in jeglicher denkbaren Weise in engerem Kontakt zu dem Opfer stehen. Dies betrifft insbesondere Fälle des sog. partner stalking, siehe hierzu ausführlich Logan/ Walker, Trauma, Violence, & Abuse 2009, 247 (248 ff.). 185 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 24 f. 186 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 24 f.; 39 f. 187 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 24 f.; 39 f. 188 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 48 f. 189 Vgl. hierzu National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 40 f.

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§ 3 Gesetzgeberische Reaktionen auf das Verhaltensmuster Stalking

In der Tat ist die Berücksichtigung der psychischen Auswirkungen, die gerade nicht zwangsläufig das Hervorrufen von Furcht zum Inhalt haben, aus Opferschutzgesichtspunkten durchaus von großer Bedeutung. Ausweislich der bereits dargelegten Ergebnisse zahlreicher Studien sind die Auswirkungen von Stalking nicht immer von Furchtgefühlen dominiert oder hierdurch verursacht. Die mit dem fortschreitenden Erfahren jeder neuen Stalking-Handlung vom Opfer durchlebte chronische Stresssituation lässt sich nicht ausschließlich auf Gefühle der Furcht zurückführen.190 Oftmals beruht das Empfinden von Stresssituationen vielmehr auf einer gewissen psychischen Überreizung des Opfers infolge seiner Hilflosigkeit oder Ohnmacht gegenüber dem Verhalten des Stalkers, das sich dann vor allem in Hypervigilanz, Konzentrationsstörungen, Depressionen und zahlreichen dadurch bedingten somatischen Beschwerden äußert.191 Hierunter fallen auch ein unnatürlich gesteigertes Misstrauen gegenüber anderen Personen, die soziale Isolierung sowie Veränderungen in den Lebensgewohnheiten und der Lebensgestaltung des Opfers bis hin zu enormen Spätfolgen wie posttraumatischen Belastungsstörungen oder ernsthaften Suizidgedanken.192 Folglich kann Stalking auf psychischer Ebene enorme Auswirkungen haben, auch ohne dass sich diese in der Furcht um die eigene Sicherheit, vor einer der Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder dem Tod äußern oder eine psychisch bedingte Krankheit nach sich ziehen.193 Die Erweiterung der Tathandlungseignung um den Aspekt des seelischen Leids ist demnach aus Opferschutzgesichtspunkten nur konsequent. Bis zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung des aktualisierten Modelltatbestandes verfügte nahezu die Hälfte aller US-Bundesstaaten über einen Straftatbestand zum Schutz 190 Allgemein hierzu Logan/Walker, Trauma, Violence, & Abuse 2009, 247 (252); Pathé/Mullen, British Journal of Psychiatry 1997, 12 (14); Finch, The Howard Journal 2002, 422 (424 f.); McGuire/Wraith, The Journal of Forensic Psychiatry 2000, 316 (323 f.); Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (273); speziell für Deutschland siehe Kühner/Weiß, Gesundheitliche Folgen und Möglichkeiten der Therapie für Stalking-Opfer, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 79 (82 f.); Hoffmann, Stalking, S. 151 ff.; Wondrak/Hoffmann, Psychische Belastung von Stalking-Opfern: Therapie und Beratung, in: Weiß/Winterer (Hrsg.), Stalking und häusliche Gewalt, S. 45 (46 ff.); Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 144 ff.; Timmermann, StraFo 2007, 358 (359). 191 Kühner/Weiß, Gesundheitliche Folgen und Möglichkeiten der Therapie für Stalking-Opfer, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 79 (81); vgl. hierzu die Ergebnisse der Studien von Pathé/Mullen, British Journal of Psychiatry 1997, 12 (14) und Blaauw/ Winkel/Arensman/Sheridan/Freeve, Journal of Interpersonal Violence 2002, 50 (57 f.). 192 Wondrak, Auswirkungen von Stalking aus Sicht der Betroffenen, in: Bettermann/ Feenders (Hrsg.), Stalking, S. 21 (22); Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 144 ff.; Kühner, FPR 2006, 186 (187 f.); Finch, The Howard Journal 2002, 422 (424 f.); Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (273); übersichtlich mit den Ergebnissen vieler Studien hierzu siehe Newman/Appelbaum, Stalking: Perspectives on Victims and Management, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 107 (114 ff.). 193 Vgl. hierzu auch Sheridan/Davies, The British Psychological Society 2001, 3 (4).

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vor Stalking, bei dem die Tathandlung ein solches Eignungserfordernis alternativ zu dem Furchterfordernis verlangte.194 (b) Zwischenergebnis Es hat sich gezeigt, dass der Model Stalking Code 2007 hinsichtlich der Anforderungen an die Tathandlung im Vergleich zu seinem Vorgänger aus dem Jahr 1993 nahezu komplett überarbeitet wurde. Dem dabei federführenden National Center for Victims of Crime scheint es gelungen zu sein, sämtliche Veränderungen darauf abzustimmen, dass der aktualisierte Modelltatbestand nunmehr alle bereits bekannten und künftig denkbaren Herangehensweisen und Angriffswege des Täters zu erfassen vermag. Einhergehend mit dieser Umgestaltung wurde auch das abstrakte Eignungserfordernis der Tathandlung, namentlich das Furchterfordernis, modifiziert. So muss die Tathandlung nicht mehr geeignet sein, bei einer vernünftigen Person die Furcht vor einer Körperverletzung oder dem Tod hervorzurufen, sondern vielmehr (nur) die Furcht um die Sicherheit. Weiter wurde als Alternative zu diesem Furchterfordernis ein zusätzliches Kriterium eingeführt, das die in der Praxis sehr häufig auftretenden Fälle erfassen kann, in denen das Opfer stark unter der psychischen Beeinträchtigung leidet, jedoch keine Furchtgefühle entwickelt. Dabei wurde die Verwirklichungsschwelle dieser beiden Kriterien der Tathandlungseignung im Rahmen Model Stalking Code 2007 verglichen mit den hohen Anforderungen des früheren Model Anti-Stalking Code deutlich herabgesenkt. Parallel zu dieser Entwicklung verzichtet der Model Stalking Code 2007 zudem auf ein Taterfolgserfordernis, verlangt also nicht, dass die Auswirkungen, die bei einer vernünftigen Person auftreten würden, bei dem konkreten Opfer auch tatsächlich vorliegen.195 Entscheidend ist also allein die abstrakte Eignung der Handlung, bei einer vernünftigen Person die Furcht um die eigene Sicherheit oder die eines Dritten hervorzurufen oder seelisches Leid zu erzeugen. Der aktualisierte Modelltatbestand bemisst demnach die Strafwürdigkeit des Verhaltenskonstrukts anhand der potentiellen Gefährlichkeit des Verhaltens, unabhängig davon, ob diese Gefahr tatsächlich eingetreten ist oder nicht.196

194 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 48. Allerdings mangelte es überwiegend an einer entsprechenden Definition des Terminus seelisches Leid. Auch diese Lücke wird nun durch den aktualisierten Modelltatbestand geschlossen, siehe National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 25. 195 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 36. 196 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 36.

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§ 3 Gesetzgeberische Reaktionen auf das Verhaltensmuster Stalking

Der Vorteil einer solchen Ausgestaltung liegt auf der Hand. Der Model Stalking Code 2007 vermeidet es, für die Frage der Strafbarkeit auf die tatsächliche Reaktion des Opfers abzustellen und umgeht auf diese Weise, dass der Rechtsanwender auf einen willkürlichen Bewertungsmaßstab angewiesen ist. Um jedoch zugleich einem allzu objektivierten Standard vorzubeugen, verlangt der Model Stalking Code 2007, dass die anstelle des Opfers zur Beurteilung imaginär heranzuziehende vernünftige Person in sämtliche Umstände des Einzelfalles hineinzuversetzen ist.197 So wird vermieden, dass der Täter gezielt die Schwachstellen des Opfers ausnutzt, um es mit gezielten, aber vergleichsweise harmlosen Handlungen anzugehen, die eine vernünftige Person für sich genommen nicht aus der Ruhe bringen würden, bei dem konkreten Opfer aber verheerend wirken können. Trotz des Verzichts auf einen konkreten Taterfolg kann der Model Stalking Code 2007 auf diese Weise den Umständen des Einzelfalles – genauer: der psychischen Konstitution des Opfers – ausreichend Rechnung tragen, ohne jedoch zugleich auf einen allzu subjektiven und damit willkürlichen Bewertungsmaßstab angewiesen zu sein. (2) Wiederholungsmerkmal Wie schon der Model Anti-Stalking Code stellt auch der Model Stalking Code 2007 nicht eine einzelne Handlung, sondern vielmehr ein Verhaltensmuster unter Strafe.198 Dabei verlangt der aktualisierte Modelltatbestand, dass mindestens zwei Handlungen vorliegen müssen, damit von einem Verhaltensmuster gesprochen werden kann.199 Angesichts dieser Mindestanzahl von zwei Handlungen ist es wiederum dem Tatrichter oder der Jury200 zur Entscheidung überlassen, wie vieler Handlungen es im Einzelnen bedarf, um von einer Verwirklichung des Tatbestandes auszugehen. Angesichts des Umstandes, dass auch der Model Stalking Code 2007 Stalking als ein Verbrechen kennzeichnet, bedeutet dies wiederum, dass es in manchen Fällen überhaupt nicht darauf ankommt, dass verschiedene Stalking-Handlungen in einer bestimmten Frequenz zum Einsatz gebracht werden; vielmehr kann gewissen Stalking-Verhaltensweisen bereits für sich genommen ein ungemein hoher Unrechtsgehalt innewohnen.

197 Siehe hierzu National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 37. 198 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 44 f. 199 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 44 f. 200 Vgl. zu der Spruchkörperbesetzung in US-amerikanischen Strafgerichtsverfahren Grube, Richter ohne Robe, S. 163 (172).

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(3) Das Vorsatzerfordernis In Bezug auf die subjektive Seite des Tatbestandes verlangt der Model Stalking Code 2007 lediglich, dass der Täter weiß oder hätte wissen müssen, dass er mit seinem an den Tag gelegten Verhaltensmuster bei einer vernünftigen Person in den Umständen des Opfers die Furcht um die eigene Sicherheit oder die eines Dritten hervorrufen oder seelisches Leid erzeugen würde.201 Demnach verzichtet der aktualisierte Modelltatbestand ebenso wie sein Vorgänger aus dem Jahr 1993 auf ein spezifisches Absichtserfordernis (specific intent)202 und belässt es bei der Forderung nach einem generellen Absichtsmerkmal, im Rahmen dessen sich der Vorsatz des Täters nur auf die Vornahme der entsprechenden Handlung beziehen muss.203 Ein darüber hinaus gehender Vorsatz des Täters ist nicht erforderlich. Dies zeigt sich schon daran, dass der Model Stalking Code 2007 section 4 (b) einen möglichen Einwand des Täters, er habe mit seinem Verhalten das Opfer nicht in Furcht versetzen oder ihm psychisch schaden wollen, schon von vornherein als unwirksam zurückweist.204 Genau wie im Rahmen des Model Anti-Stalking Code aus dem Jahr 1993 sind die Strafverfolgungsbehörden beim Model Stalking Code 2007 daher lediglich gehalten, den Beweis anzutreten, dass der Täter die entsprechenden Tathandlungen aus eigenem Entschluss vornehmen wollte, nicht aber, dass er auch den Eintritt der Folgen forcierte.205 Es genügt demnach, wenn der Tatrichter oder die Jury zu der Überzeugung gelangen, dass der Stalker zumindest grob fahrlässig verkannt hat, dass die von ihm beabsichtigten Handlungen eine vernünftige Person in den Umständen des Opfers in Furcht um die eigene Sicherheit oder die eines Dritten versetzen würden.206

201 Vgl. National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 32 ff., 34. 202 Gregson, Golden Gate University Law Review 1998, 221 (239, insbes. 245, 247); Vanoli, Stalking S. 165; vgl. allgemein hierzu auch Dubber, Einführung in das US-amerikanische Strafrecht, S. 67. 203 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 32. 204 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 25. 205 Vgl. National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 33 f.; vgl. ferner Gregson, Golden Gate University Law Review 1998, 221 (247); Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (505). 206 Der im Model Stalking Code 2007 verwendete Terminus „should know“ wird unter US-amerikanischen Gesichtspunkten regelmäßig mit criminal negligence in Verbindung gebracht, vgl. Tran, Hastings International and Comparative Law Review 2003, 445 (459, supra note 115). Dabei kann die Vorsatzform negligence hierzulande am ehesten mit der der unbewussten Fahrlässigkeit verglichen werden, siehe hierzu ausführlich Dubber, Einführung in das US-amerikanische Strafrecht, S. 72.

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d) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass der Model Stalking Code 2007 einige wertvolle Impulse in der US-amerikanischen Strafgesetzgebungspolitik zum Schutz vor Stalking setzt.207 Im Vergleich zu der Mehrzahl der entsprechenden Straftatbestände der einzelnen US-Bundesstaaten sieht der Modelltatbestand zum Teil erhebliche Neuerungen und letztlich auch Verbesserungen vor.208 Auf der anderen Seite wird aber deutlich, dass ein nicht geringer Teil der geltenden Straftatbestände zum Schutz vor Stalking in den Vereinigten Staaten von Amerika bereits Elemente enthält, die dem National Center for Victims of Crime zufolge kaum verbesserungbedürftig sind. Diese Elemente lassen sich folglich auch dergestalt oder geringfügig modifiziert im Model Stalking Code 2007 wiederfinden.209 Verglichen mit dem Model Anti-Stalking Code aus dem Jahr 1993 stellt der Model Stalking Code 2007 jedoch eine deutliche Weiterentwicklung in der strafrechtlichen Bekämpfung des Phänomens dar. Bei der Erarbeitung des Model Anti-Stalking Code von 1993 wurden zwar durchaus gute Ansätze verfolgt, diese wurden aber letztlich nicht wirksam umgesetzt.210 Der Model Anti-Stalking Code von 1993 war daher ungeeignet, in der Praxis zu einem verbesserten Opferschutz beizutragen.211 Er darf demnach auch nur als ein frühes bundesweites Pilotprojekt in der strafrechtlichen Bekämpfung des Phänomens Stalking gesehen werden, dessen sicherlich größter Verdienst in der symbolträchtigen Kennzeichnung des Delikts als Verbrechen liegt.212 Die grundlegend überarbeitete Fassung des Modelltatbestandes, der Model Stalking Code 2007, erweist sich dagegen als ein Produkt aus einer Zeit, in der sich die US-amerikanische Wissenschaft auf dem Höhepunkt der Erforschung des Phänomens Stalking befindet.213 Auf der Grundlage der derzeitigen Erkenntnisse soll ein wirksamer Straftatbestand zum Schutz vor Stalking nach Ansicht 207 Vgl. hierzu Bromley/Garcia, Stalking Laws, in: Fisher/Lab (Hrsg.), Encyclopedia of Victimology and Crime Prevention, S. 906 (907). 208 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 24 ff. 209 Angesprochen sind in diesem Zusammenhang insbesondere das generelle Absichtserfordernis, das Wegfallen des Erfolgserfordernisses, das alternative Erfordernis der Tathandlungseignung hinsichtlich der Verursachung seelischen Leids, der Mindestanzahl an Handlungen oder das abgeschwächte Niveau der Strafbarkeitsschwelle. 210 Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (262 f.). 211 Vgl. Beatty, Stalking Legislation in the United States, in: Brewster (Hrsg.), Stalking, Ch. 2-1 (2-11). 212 Vgl. Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (262 f.); Beatty, Stalking Legislation in the United States, in: Brewster (Hrsg.), Stalking, Ch. 2-1 (2-11). 213 Siehe hierzu Bromley/Garcia, Stalking Laws, in: Fisher/Lab (Hrsg.), Encyclopedia of Victimology and Crime Prevention, S. 906 (907).

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des National Center for Victims of Crime keine abschließende Liste an infrage kommenden Tathandlungen aufweisen, sondern muss auch Raum zur Erfassung neuer Verhaltensweisen bieten, die sich beispielweise innerhalb kurzer Zeit durch den Gebrauch des Internets ermöglicht haben. Zugleich sei auf ein konkretes Taterfolgserfordernis zu verzichten. Entscheidend für die Bestimmung der Strafbarkeit eines Verhaltens sei bei einem Straftatbestand zum Schutz vor Stalking letztlich nur die Frage, ob das Verhalten des Täters aus der Sicht einer vernünftigen Person in den Umständen des Opfers die Furcht um die eigene Sicherheit oder um die eines Dritten hervorrufe oder emotionales Leid verursache.214 Um den Anwendungsbereich des aktualisierten Modelltatbestandes zu erweitern und damit einen effektiveren Opferschutz zu gewährleisten, greift das National Center for Victims of Crime auf eine Umschreibung der Tathandlung zurück, die in Hinblick auf die sie konstituierenden abstrakten Anforderungen gegenüber dem ursprünglichen Modelltatbestand aus dem Jahr 1993 insgesamt erheblich herabgesenkt wurden. Nicht zuletzt aufgrund des Wegfalls des Erfolgserfordernisses wird offensichtlich, dass der Model Stalking Code 2007 im Vergleich zu dem ursprünglichen Modelltatbestand aus dem Jahr 1993 eine deutlich niedrigere Strafbarkeitsschwelle aufweist, um auf diese Weise eine effektivere Strafverfolgung zu gewährleisten. Vor dem Hintergrund der Forderung nach einem verhältnismäßigen Einsatz von Strafe, wie es auch der entsprechende Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung verlangt,215 ist jedoch die Tatsache, dass auch der aktualisierte Modelltatbestand wie schon sein Vorgänger aus dem Jahr 1993 als Verbrechenstatbestand ausgestaltet ist, nicht unbedenklich. 2. Vereinigtes Königreich

a) Zur Gesetzgebungsgeschichte Erste wissenschaftliche Veröffentlichungen über das Phänomen Stalking und dessen Verbreitung in Großbritannien erschienen bereits 1992. Im Jahre 1996 waren es bereits über 350 zum Teil rein wissenschaftliche Beiträge, in denen der Frage nachgegangen wurde, ob und inwieweit die damalige Gesetzeslage Schutz vor Stalking bot.216

214 Siehe zum Ganzen National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 24 ff. 215 Vgl. hierzu insbesondere in Bezug auf Stalking Strikis, The Georgetown Law Journal 1993, 2771 (2782 ff., 2786). Zur sog. overbreadth doctrine siehe grundlegend Sargentich, Harvard Law Review 1969–1970, 844 (844 ff.). 216 Finch, Criminalisation of Stalking, S. 109, 111.

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§ 3 Gesetzgeberische Reaktionen auf das Verhaltensmuster Stalking

Zu dieser Zeit stand die konservative Regierung einer Einführung eines eigenständigen Tatbestandes zum Schutz vor Stalking zunächst ablehnend gegenüber. Ein entsprechender Gesetzesvorschlag aus den Reihen der Labour Party wurde noch zu Beginn des Jahres 1996 zurückgewiesen.217 Grund für das anfängliche Zögern der konservativen Regierung war, dass die entscheidende Frage, ob die bestehenden rechtlichen Regelungen bereits einen hinreichenden Schutz gewährten, kontrovers diskutiert wurde.218 Einige gelangten dabei zu der Überzeugung, dass die bisherigen rechtlichen Instrumentarien ausreichen würden, um effektiv gegen Stalking vorzugehen.219 Eine von der konservativen Regierung im Jahre 1996 in Auftrag gegebene Studie des Home Office kam jedoch zu dem Ergebnis, dass nach der damaligen Gesetzeslage ein ausreichender Schutz vor Stalking nicht gegeben sei.220 Nach der Veröffentlichung dieser Studie änderte die konservative Regierung noch im Laufe des Jahres 1996 ihren Kurs und ließ noch bis zum Ende des Jahres einen entsprechenden Regelungsvorschlag erarbeiten.221 Kurz nach seiner Verabschiedung vom britischen Parlament trat der Protection from Harassment Act 1997 (PfHA 1997) in England, Schottland und Wales im Juni 1997 in Kraft.222 Dass bei der Beurteilung der Frage nach der Notwendigkeit eines spezifischen Tatbestandes auch ein weitgehender parlamentarischer Ermessensspielraum bestand, zeigt der Umstand, dass der schottische Gesetzgeber im Rahmen derselben Frage zu einem gegenteiligen Ergebnis gelangte.223 Er verzichtete zunächst auf die Einführung eines eigenständigen Tatbestandes auf genuin strafrechtlicher Ebene und setzte nur gesonderte Vorschriften des PfHA 1997 um, die vornehmlich zivilrechtliche Bestimmungen zum Inhalt haben.224 Für das Gebiet Schott217

Vgl. Finch, Criminalisation of Stalking, S. 111. Petch, Journal of Forensic Psychiatry 2002, 19 (24); Finch, Criminalisation of Stalking, S. 111; Billings, Journal of Civil Liberties 1996, 183 (196 ff.); Mullen/Pathé/ Purcell, Stalkers and their victims, S. 274. 219 Wells Criminal Law Review 1997, 463 (470); vgl. auch Ormerod, Smith and Hogan Criminal Law, S. 653. 220 Home Office, Stalking – The Solutions: A Consultation Paper, 1996. 221 Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 274; Finch, Criminalisation of Stalking, S. 111. 222 Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 274. Der Protection from Harassment Act 1997 wurde am 1. September 1998 vollständig wirksam und galt damit fortan auch in Nordirland. Anzumerken ist weiter, dass die entsprechende Vorschrift für Nordirland, die Protection from Harassment (Nothern Ireland) Order (1997), dieselben Regelungen wie der ursprüngliche Protection from Harassment Act 1997 enthält, allerdings mit einer veränderten Nummerierung, vgl. hierzu Pechstaedt, Spezifischer Rechtsschutz, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 101 (109). 223 Vgl. Bunnigton, New Law Journal 1996, 1394 (1394); ablehnend zu der Frage nach dem Bedarf eines spezifischen Tatbestandes siehe auch Wells Criminal Law Review 1997, 463 (464 f.); allgemein skeptisch Elliot/Quinn, Criminal Law, S. 121. 224 Vgl. Smartt, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 2001, 209 (220); Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 275. 218

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land gelten daher die speziellen Vorschriften der sections 8 ff. PfHA 1997. Grund für diese besondere Regelung war, dass das schottische Parlament mit Blick auf die bestehenden Regelungen die Einführung eines eigenständigen Straftatbestandes zum Schutz vor Stalking nicht für notwendig hielt.225 Dabei stellte es insbesondere auf das schottische common law ab, nach welchem Stalking als Friedensbruch (breach of the peace) unter Strafe gestellt ist, sofern es in den einzelnen Fällen lediglich zu Belästigungen, Hervorrufen von Furcht oder Verärgerungen kommt.226 In der Tat war das rechtliche Schutzniveau, was sowohl die Untersagung der typischen Vorgehensweisen eines Stalkers als auch die Vermeidung der spezifischen Auswirkungen dieser Handlungen anbelangt, bereits zum Zeitpunkt der Diskussion im Jahre 1996 in dem Vereinigten Königreich bemerkenswert hoch.227 In Hinblick auf die gängigen Vorgehensweisen können beispielsweise unerwünschte Telefonanrufe wegen der damit verbundenen missbräuchlichen Verwendung des öffentlichen Telekommunikationssystems nach den Vorschriften des Telecommunications Act 1984 geahndet werden.228 Das unerwünschte Zusenden von Briefen oder anderweitigen Nachrichten ist nach dem Malicious Communications Act 1988 strafbar.229 Gegen manche Verhaltensweisen kann auch im Rahmen des durch Richterrecht entwickelten Delikts des groben Unfugs (public nuisance230) sowohl strafrechtlich als auch zivilrechtlich vorgegangen werden.231 Allerdings ist diesen Tatbeständen gemein, dass sie maßgeblich dazu konzipiert wurden, nur das der jeweils einzelnen Handlung innewohnende Unrecht zu erfassen, nicht aber das spezifische Unrecht eines Verhaltensmusters, dessen besonderes Unrechts in der Wiederholung bestimmter bzw. die Vornahme mehrerer einzelner Handlungen besteht.232 225 Vgl. Smartt, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 2001, 209 (220). 226 Siehe Middlemiss/Sharp, The Journal of Criminal Law 2009, 89 (91). 227 Siehe hierzu Gibbons, European Journal on Criminal Policy and Research 1998, 133 (134); ausführlich Finch, Criminalisation of Stalking, S. 119 ff. 228 Vgl. hierzu chapter 12 section 43 Telecommunications Act 1984. 229 Vgl. hierzu section 1 Malicious Communications Act 1988. Ausführlich hierzu Finch, Criminalisation of Stalking, S. 130 ff., 141 ff.; Petch, Journal of Forensic Psychiatry 2002, 19 (23). 230 Siehe hierzu ausführlich Buckley, The law of public nuisance, S. 67 ff. 231 Siehe hierzu Finch, Criminalisation of Stalking, S. 137 ff.; vgl. Buckley, The law of public nuisance, S. 67 ff. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass bei Verwirklichung dieses Delikts ein öffentliches Interesse betroffen sein muss. Sofern ausschließlich private Interessen gefährdet sind oder geschädigt werden, bedarf es einer gewissen Anzahl von Betroffenen, um ein solches öffentliches Interesse zu bejahen, vgl. hierzu Ormerod, Smith and Hogan Criminal Law, S. 1089, 1092. 232 Wie beispielsweise das wiederholte Zusenden von Geschenken, vgl. hierzu Petch, Journal of Forensic Psychiatry 2002, 19 (23); Finch, Criminalisation of Stalking, S. 173 ff.

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Auf der anderen Seite sah die Rechtsordnung des Vereinigten Königreiches schon damals den Schutz vor Handlungen vor, mit denen Folgen verbunden sind, die für Stalking typisch sind.233 So stellt beispielsweise der Public Order Act 1986 Verhaltensweisen unter Strafe, bei denen der Täter absichtlich bedrohende, schmähende oder beleidigende Worte oder Handlungen gegenüber dem Opfer gebraucht, die aller Voraussicht nach auf die betroffene Person belästigend, verängstigend oder bedrängend wirken.234 Ein solches Verhalten ist auch nach dem Public Order Act 1986 strafbar, wenn es dem Täter darum geht, das Opfer Glauben zu machen, eine körperliche Auseinandersetzung stünde kurz bevor oder der Täter provoziere eine solche körperliche Auseinandersetzung.235 Das Hervorrufen bestimmter Auswirkungen, die auch in Stalking-Fällen vorkommen können, war demzufolge bereits vor der Einführung eines spezifischen Tatbestandes nach dem englischen Recht untersagt.236 Es existierte jedoch keine geschriebene Vorschrift, die gerade den Schutz der Psyche zum Inhalt hatte.237 Einen ausreichenden strafrechtlichen Schutz vor physischen Verletzungen boten jedoch schon damals die Vorschriften des Offences Against the Person Act 1861.238 In Ermangelung einer spezifischen Vorschrift zum Schutz vor psychischen Schäden wendeten die Gerichte schließlich bestimmte Vorschriften des Offences Against the Person Act 1861 auch auf Sachverhalte an, in denen das Opfer vornehmlich in seiner Psyche negativ beeinträchtigt wurde.239 Anknüpfungspunkt war hierbei insbesondere das in vielen Vorschriften des Offences Against the Person Act 1861 verwendete Merkmal der Körperverletzung (bodily harm),240 welches nach einem grundlegenden Urteil im Jahre 1934 auch dann erfüllt ist, wenn der Täter berechnend das Wohlbefinden oder die Gesundheit des Opfers

233

Vgl. hierzu Ashworth, Principles of Criminal Law, S. 309 ff., 325, 327 ff.; Petch, Journal of Forensic Psychiatry 2002, 19 (23); siehe auch ausführlich Finch, Criminalisation of Stalking, S. 119 ff. Als Auswirkungen kommen dabei insbesondere Folgen wie die negative psychische Beeinträchtigung, soziale Isolation, Umstellung der Lebensgewohnheiten, aber auch körperliche Beeinträchtigungen in Betracht. 234 Vgl. chapter 64 section 5 (1) (a) Public Order Act 1986. 235 Vgl. chapter 64 section 4 (1) (a) Public Order Act 1986. 236 Vgl. hierzu Ashworth, Principles of Criminal Law, S. 309 ff., 325, 327 ff.; Petch, Journal of Forensic Psychiatry 2002, 19 (23); siehe auch ausführlich Finch, Criminalisation of Stalking, S. 119 ff. 237 Vgl. hierzu Finch, Criminalisation of Stalking, S. 171 f. 238 Siehe hierzu sections 18, 20 und 47 Offences Against the Person Act 1861. Vgl. hierzu auch Ormerod, Smith and Hogan Criminal Law, S. 606 ff.; Ashworth, Principles of Criminal Law, S. 309 ff. 239 Finch, Criminalisation of Stalking, S. 187 ff.; Ormerod, Smith and Hogan Criminal Law, S. 608. 240 Siehe hierzu auch Ashworth, Principles of Criminal Law, S. 309 ff.

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negativ zu beeinträchtigen sucht.241 Allerdings wurde für das Vorliegen einer Körperverletzung i. S. d. Offences Against the Person Act 1861 weiterhin verlangt, dass sich diese negativen Beeinträchtigungen der Psyche auch anhand körperlicher Symptome bei dem Opfer manifestieren.242 Demnach reichen psychische Auswirkungen wie beispielsweise Furcht, Panik, Bedrängung oder Schmerz allein nicht aus, um eine Körperverletzung im Sinne des Offences Against the Person Act 1861 darzustellen, solange diese nicht Teil einer ernst zu nehmenden oder anerkannten psychischen Erkrankung sind oder sich zu einer solchen verdichten. Trotz der extensiven Auslegung entsprechender Vorschriften fällt daher eine große Anzahl an Stalking-Fällen nicht unter den Anwendungsbereich der jeweiligen Tatbestände des Offences Against the Person Act 1861.243 Somit bestanden im Vereinigten Königreich bereits vor der Einführung eines spezifischen Straftatbestandes zum Schutz vor Stalking einige geschriebene und ungeschriebene rechtliche Regelungen, mit denen gegen einzelne typische Verhaltensweisen des Stalking vorgegangen werden konnte.244 Mittlerweile haben sich jedoch auch die rechtlichen Interventionsmöglichkeiten des schottischen common law als unzureichend erwiesen, einen adäquaten Schutz vor Stalking zu gewährleisten. Dies führte zu immer größerer Kritik an der Haltung des schottischen Gesetzgebers.245 Nunmehr hat auch das schottische Parlament seine Auffassung zu der Frage der Notwendigkeit einer strafrechtlichen Bekämpfung von Stalking korrigiert. Das schottische Parlament verabschiedete im Juni 2009 den sog. Criminal Justice and Licensing (Scotland) Act 2010, in welchem ein Abschnitt der Strafbarkeit von Stalking gewidmet ist.246

241 R v Donovan [1934] 2 KB 498, per Swift J, p 502. Diese Rechtsprechung wurde immer wieder bestätigt, auch in Fällen, die sich explizit mit Stalking beschäftigten, siehe R v. Ireland and Burstow [1998] AC 147; Constanza [1997] 2 CR App R 492. Vgl. zuletzt Dhaliwal [2006] 2 Cr App R 348. 242 Und sei es nur anhand psychiatrischer Erscheinungen bzw. anerkannter psychischer Erkrankungen, vgl. hierzu Ashworth, Principles of Criminal Law, S. 310; Ormerod, Smith and Hogan Criminal Law, S. 608. 243 Finch, Criminalisation of Stalking, S. 215; Ashworth, Principles of Criminal Law, S. 325. Dies betraf neben der Erfassung spezifischer Handlungen oder Auswirkungen insbesondere die Erfassung des Unrechts, welches sich erst durch die entsprechende Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen ergibt. 244 Petch, Journal of Forensic Psychiatry 2002, 19 (23 f.); Finch, Criminalisation of Stalking, S. 119 ff., 217; vgl. auch Ashworth, Principles of Criminal Law, S. 325; Billings, Journal of Civil Liberties 1996, 183 (196 ff.). 245 Ausführlich hierzu Middlemiss/Sharp, The Journal of Criminal Law 2009, 89 ff. 246 Siehe hierzu Criminal Justice and Licensing (Scotland) Act 2010 in der Fassung, wie er am 30. Juni 2010 durch das schottische Parlament verabschiedet und am 6. August 2010 von Seiten des Königshauses zugestimmt wurde. Das Dokument ist abrufbar unter www.legislation.gov.uk/asp/2010/13/enacted/data.pdf.

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§ 3 Gesetzgeberische Reaktionen auf das Verhaltensmuster Stalking

b) Ausgestaltung des Protection from Harassment Act 1997 aa) Bezogen auf England, Wales und Nordirland Neben der Tatsache, dass der Protection from Harassment Act 1997 (PfHA 1997) sowohl straf- als auch zivilrechtliche Tatbestände enthält, ist das Regelwerk maßgeblich dadurch gekennzeichnet, dass es zwei verschiedene Straftatbestände zum Schutz vor Stalking beinhaltet. Diese unterscheiden sich in erster Linie in dem Verbot von Handlungen mit einem unterschiedlich hohen Unrechtsgehalt. So sieht der eine Tatbestand die strafrechtliche Ahndung von Handlungen vor, die auf das Opfer belästigend wirken, während sich der andere Tatbestand mit Handlungen befasst, die das Opfer in Furcht vor Gewalt versetzen.247 Darüber hinaus beinhaltet der PfHA 1997 zwei genuin zivilrechtlich geprägte Deliktstatbestände. (1) Straftatbestand der Belästigung Nach den sections 2 (1), 1 PfHA 1997 macht sich strafbar, wer ein Verhaltensmuster verfolgt, das zu einer Belästigung eines anderen führt, und dabei weiß oder wissen sollte, dass sein Verhalten diesen anderen belästigt. In Bezug auf das Wissen des Täters stellt der Tatbestand in section 1 (2) PfHA 1997 klar, dass die schwächere Anforderungsform – das Erfordernis, dass der Täter (zumindest) wissen sollte, was sein Verhalten für eine Konsequenz hat – zumindest dann erfüllt ist, wenn ein vernünftiger Dritter, der über dieselben Informationen verfügt wie der Täter, zu der Ansicht gelangen würde, dass das Verhaltensmuster auf die andere Person belästigend wirkt.248 Neben dieser Ausführung enthält der Straftatbestand der Belästigung einige Merkmale, die innerhalb des PfHA 1997 mit Geltung für das gesamte Regelwerk legal definiert werden.249 So ist ein Verhaltensmuster im Sinne des PfHA 1997 durch die Vornahme einer Tätigkeit zu mindestens zwei Gelegenheiten gekennzeichnet,250 wobei auch Äußerungen als Tätigkeit anzusehen sind.251 Welche Tätigkeiten dabei konkret infrage kommen, lässt der Straftatbestand der Belästigung allerdings offen. Die Handlungen müssen lediglich geeignet sein, zu einer Belästigung einer anderen Person zu führen – wobei das Belästigen einer Person auch das Verängstigen (alarming) oder Beunruhigen (causing distress) dieser Person umfasst.252

247 248 249 250 251 252

Vgl. hierzu sections 2 (1), 1 bzw. section 4 Protection from Harassment Act 1997. Vgl. section 1 (2) Protection from Harassment Act 1997. Vgl. hierzu section 7 Protection from Harassment Act 1997. Vgl. section 7 (3) Protection from Harassment Act 1997. Vgl. section 7 (4) Protection from Harassment Act 1997. Vgl. section 7 (2) Protection from Harassment Act 1997.

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Die Anwendbarkeit des Straftatbestandes der Belästigung ist jedoch nach section 1 (3) PfHA 1997 in drei verschiedenen Konstellationen ausgeschlossen: Ein Verhaltensmuster ist demnach nicht tatbestandsmäßig, wenn der mutmaßliche Täter nachweisen kann, dass sein Verhalten dazu bestimmt war, ein Verbrechen aufzudecken oder zu verhindern.253 Ferner, wenn der Täter sein Verhalten gemäß eines Beschlusses oder einer Gesetzesvorschrift vornahm oder es dem Zweck diente, eine Auflage oder Pflicht zu erfüllen, welche eine Person gemäß einer Bestimmung erlassen hatte.254 Darüber hinaus ist die Anwendung des Tatbestandes ausgeschlossen, wenn der mutmaßliche Täter nachweisen kann, dass es unter Beachtung der gegebenen Umstände vernünftig (reasonable) war, ein solches Verhaltensmuster an den Tag zu legen.255 Für den Fall, dass eine Person alle genannten Voraussetzungen des Tatbestandes der Belästigung erfüllt und kein Grund für einen Tatbestandsausschluss vorliegt, hat sich diese Person einer Belästigung nach sections 2 (1), 1 PfHA 1997 schuldig gemacht. Sie kann gemäß section 2 (2) PfHA 1997 mit einer Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten, einer Geldstrafe bis zu 5.000 Pfund oder beidem bestraft werden.256 (2) Straftatbestand des Versetzens eines Menschen in Furcht vor Gewalt Deutlich schwerwiegenderes Unrecht verwirklicht hingegen, wer durch sein Verhaltensmuster einen Menschen zu mindestens zwei Gelegenheiten in Furcht vor Gewalt versetzt und dabei weiß oder wissen sollte, dass sein Verhalten diesen anderen zu jeder der Gelegenheiten in eine solche Furcht versetzt.257 Diese Person hat sich gemäß section 4 PfHA 1997 des Versetzens eines Menschen in Furcht vor Gewalt schuldig gemacht und kann im Falle der Verurteilung im Rahmen eines nicht beschleunigten Gerichtsverfahrens mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, mit einer Geldstrafe oder beidem bestraft werden.258 Da das Belästigen i. S. d. sections 2 (1), 1 PfHA 1997 auch Verängstigungen bzw. Beunruhigungen beinhalten kann, gilt der Straftatbestand des Versetzens eines Menschen in Furcht vor Gewalt als Qualifikation des Straftatbestandes der Belästigung.259 253

Vgl. section 1 (3) (a) Protection from Harassment Act 1997. Vgl. section 1 (3) (b) Protection from Harassment Act 1997. 255 Vgl. section 1 (3) (c) Protection from Harassment Act 1997. 256 Allerdings in einem sog. beschleunigten Verfahren, vgl. section 2 (2) Protection from Harassment Act 1997 i.V. m. section 17 Criminal Justice Act 1991. 257 Vgl. section 4 Protection from Harassment Act 1997. 258 Vgl. section 4 (1), (4) (a) Protection from Harassment Act 1997. Im Rahmen eines beschleunigten Verfahrens sieht das Strafmaß eine Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monate, eine Geldstrafe von bis zu 5.000 Pfund oder beides vor, vgl. section 4 (4) (b) Protection from Harassment Act 1997. 259 Vgl. auch Finch, The Howard Journal 2002, 422 (423). 254

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Wie bei dem zuvor in Rede stehenden Tatbestand ist auch im Rahmen des vorliegenden Straftatbestandes von einem Verhaltensmuster dann auszugehen, wenn der Täter eine Tätigkeit bei mindestens zwei Gelegenheiten vornimmt, wobei auch Äußerungen eine solche Tätigkeit darstellen können.260 Welche Tätigkeiten allerdings konkret infrage kommen, lässt auch der Qualifikationstatbestand offen – die Handlungen müssen lediglich geeignet sein, das Opfer zu zwei Gelegenheiten in Furcht vor einer Anwendung von körperlicher Gewalt zu versetzen.261 Gemäß section 4 (2) PfHA 1997 ist die schwächere Anforderungsform an das Wissenselement des Täters – namentlich das Erfordernis, dass der Täter (zumindest) wissen sollte, dass sein Verhalten bei dem Opfer die Furcht vor Gewalt hervorruft – dann erfüllt, wenn ein vernünftiger Dritter, der über dieselben Informationen verfügt wie der Täter, zu der Ansicht gelangen würde, dass das Verhaltensmuster bei der anderen Person eine solche Furcht vor Gewalt hervorruft.262 Wird eine Person wegen des Versetzens eines Menschen in Furcht vor Gewalt nach section 4 PfHA 1997 angeklagt, stehen dieser Person Möglichkeiten der Verteidigung zur Verfügung. Diese können – wenn der Täter deren Vorliegen zu beweisen vermag – gemäß section 4 (3) PfHA 1997 rechtfertigend wirken. So kann sich der Täter entweder darauf berufen, dass sein Verhalten der Aufdeckung oder Verhinderung eines Verbrechens diente oder dass er sein Verhalten gemäß eines Beschlusses oder einer Gesetzesvorschrift vornahm oder es dem Zweck diente, eine Auflage oder Pflicht zu erfüllen, welche eine Person gemäß einer Bestimmung erlassen hatte.263 Eine Rechtfertigung des infrage stehenden Verhaltens ist ferner, wenn der Täter beweisen kann, dass sein Verhalten zur Selbstverteidigung oder zur Verteidigung einer anderen Person respektive des eigenen oder fremden Eigentums angezeigt (reasonable) war.264 Für den Fall, dass jemand wegen des Versetzens eines Menschen in Furcht vor Gewalt angeklagt wird und die Jury die Person im Rahmen der Hauptverhandlung dieser Straftat nicht für schuldig befindet, bestimmt section 4 (5) PfHA 1997, dass die Jury den mutmaßlichen Täter dennoch wegen der Straftat der Belästigung nach den sections 2 (1), 1 PfHA 1997 für schuldig befinden kann. Dieser Verweis legt zudem den Schluss nahe, dass es sich bei dem in Rede stehenden Straftatbestand um die Qualifikation des Straftatbestandes der Belästigung nach section 2 (1), 1 PfHA 1997 handelt.265 260

Vgl. section 7 (4) Protection from Harassment Act 1997. Vgl. section 4 (1) Protection from Harassment Act 1997. 262 Vgl. section 4 (2) Protection from Harassment Act 1997. 263 Vgl. section 4 (3) (a) und (b) Protection from Harassment Act 1997. 264 Vgl. section 4 (3) (c) Protection from Harassment Act 1997. 265 Vgl. auch Finch, The Howard Journal 2002, 422 (423); dafür spricht auch der Umstand, dass die Belästigung als Taterfolg in section 2 (1), 1 PfHA 1997 auch Verängstigungen und Beunruhigungen umfasst und die Furcht vor Gewalt letztlich als eine qualifizierte Form dieser Gemütszustände verstanden werden kann. 261

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(3) Zivilrechtliche Regelungen Daneben enthält der PfHA 1997 auch zwei genuin zivilrechtlich geprägte Tatbestände, welche in section 3 und section 5 geregelt sind. Flankierend zu der Freiheits- und/oder Geldstrafe im Rahmen der Straftatbestände sehen diese in erster Linie die Möglichkeit des Erlasses einer einstweiligen Verfügung vor, sofern entweder der Straftatbestand der Belästigung oder der Straftatbestand des Versetzens eines Menschen in Furcht vor Gewalt verwirklicht worden sind. Dabei unterscheiden sich die zivilrechtlichen Tatbestände innerhalb des PfHA 1997 maßgeblich darin, welcher Straftatbestand verwirklicht wurde und wem die Initiierung des Verfahrens zum Erlass einer einstweiligen Verfügung obliegt.266 Das Zuwiderhandeln gegen eine solche einstweilige Verfügung stellt nach section 3 wie auch nach section 5 PfHA 1997 wiederum eine Straftat dar.267 Eine Verwirklichung oder versuchte Verwirklichung des Tatbestandes der Belästigung i. S. v. section 1 PfHA 1997 kann nach section 3 PfHA 1997 auch Gegenstand einer zivilrechtlichen Klage und eines Verfahrens vor dem Zivilgericht sein. In diesem Rahmen steht es dem Opfer frei, für die erlittene Angst sowie die erlittenen finanziellen Einbußen Schadensersatz zu verlangen.268 Alternativ hierzu kann das Opfer jedoch auch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Inhalt stellen, dass der Täter Handlungen zu unterlassen hat, die eine Belästigung der betroffenen Person zur Folge haben.269 Sollte der Antragsgegner ohne einen vernünftigen Grund den Bestimmungen einer solchen einstweiligen Verfügung zuwiderhandeln, begeht er nach section 3 (6) PfHA 1997 eine Straftat. In einem beschleunigten Verfahren kann er deswegen mit einer Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten, einer Geldstrafe bis zu 5.000 Pfund oder beidem, im Rahmen eines normalen Gerichtsverfahrens dagegen mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, einer Geldstrafe oder beidem belegt werden.270 Dagegen kann das Strafgericht selbst, welches bereits über die Strafbarkeit des Täters nach section 2 oder section 4 PfHA 1997 befunden hat, neben einer Frei266

Vgl. De Fazio, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 229

(232). 267 Finch, Criminalisation of Stalking, S. 217; Petch, The Journal of Forensic Psychiatry 2002, 19 (26). 268 Vgl. section 3 (1), (2) und (3) Protection from Harassment Act 1997. 269 Vgl. section 3 (1), (3) (a) Protection from Harassment Act 1997. 270 Vgl. section 3 (9) Protection from Harassment Act 1997. Anzumerken ist, dass für den Fall, dass das Gericht eine einstweilige Verfügung erlassen hat und die von der Belästigung betroffene Person zu der Auffassung gelangt, dass der Antragsgegner gegen Bestimmungen der einstweiligen Verfügung verstößt, selbige einen Antrag auf Erlass eines Haftbefehls stellen kann, vgl. 3 (5) Protection from Harassment Act 1997. Voraussetzung für einen erfolgreichen Antrag ist allerdings, dass der Antragssteller, namentlich die belästigte Person, unter Eid die Zuwiderhandlung des Antragsgegners erklärt und der zuständige Richter vernünftige Gründe dafür sieht, dass der Antragsgegner den Anordnungen zuwidergehandelt hat, vgl. 3 (5) Protection from Harassment Act 1997.

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heits- und/oder Geldstrafe nach section 5 PfHA 1997 auch eine einstweilige Verfügung erlassen. Dafür bedarf es keines Antrags des Geschädigten oder der Strafverfolgungsorgane, das befindende Strafgericht wird von Amts wegen tätig. In einer auf diesem Wege erlassenen einstweiligen Verfügung kann das Strafgericht dem Angeklagten die weitere Vornahme von Verhaltensweisen untersagen, die entweder zu einer Belästigung des Opfers führen oder bei diesem die Furcht vor Gewalt auslösen.271 Sollte der Anklagte ohne einen vernünftigen Grund den Bestimmungen einer vom Strafgericht erlassenen einstweiligen Verfügung zuwiderhandeln, begeht er nach section 5 (5) PfHA 1997 eine Straftat und kann in einem beschleunigten Verfahren mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten, einer Geldstrafe bis zu 5.000 Pfund oder beidem bestraft werden. Im Rahmen eines nicht beschleunigten Gerichtsverfahrens ist für einen solchen Verstoß dagegen eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren, eine Geldstrafe oder beides vorgesehen.272 bb) Sonderregelungen für Schottland Noch bis zum Juni des Jahres 2010 existierte in Schottland nur ein einziger spezifischer Tatbestand zum Schutz vor Stalking, der das Belästigen einer Person zivilrechtlich untersagte. Dieser Tatbestand befindet sich in den Vorschriften der sections 8 ff. PfHA 1997, welche eigens für das schottische Gebiet in Abgrenzung zu den zuvor besprochenen Regelungen für England, Wales und Nordirland in den PfHA 1997 aufgenommen wurden.273 Inhaltlich lehnen sich diese Bestimmungen jedoch sehr an den entsprechenden Tatbestand der Belästigung i. S. d. section 3 PfHA 1997 an. Nach section 8 (2) PfHA 1997 kann eine sog. Belästigungsklage (action of harassment) vor dem Zivilgericht erheben, wer durch das Verhaltensmuster einer anderen Person belästigt wurde oder wird. Grundvoraussetzung für eine solche Klage ist zunächst, dass der Täter ein Verhaltensmuster an den Tag legt, mit welchem er entweder eine Belästigung der Person beabsichtigt oder welches in den Augen einer vernünftigen Person geeignet ist, eine Belästigung darzustellen.274 Parallel zu den entsprechenden Vorschriften für England und Wales finden sich auch in den für Schottland geltenden Normen einige Tatbestandsmerkmale, für die der PfHA 1997 Legaldefinitionen vorsieht. So umfasst ein Verhaltensmuster im Sinne von section 8 PfHA 1997 bei dem infrage kommenden, jedoch nicht näher beschriebenen Verhalten auch Äußerungen.275 Zudem muss das Verhalten, um von einem Verhaltensmuster sprechen zu können, mindestens zweimal an den 271 272 273 274

Vgl. section 5 (2) Protection from Harassment Act 1997. Vgl. section 5 (6) Protection from Harassment Act 1997. Vgl. hierzu Middlemiss/Sharp, The Journal of Criminal Law 2009, 89 (91). Vgl. section 8 (1) Protection from Harassment Act 1997.

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Tag gelegt werden.276 Ferner ist unter einer Belästigung auch das Verängstigen (alarming) oder Beunruhigen (causing distress) einer Person zu verstehen.277 Im Rahmen der sog. Belästigungsklage sind für das erkennende Gericht zwei Möglichkeiten der Entscheidung vorgesehen. Es kann entweder dem Opfer für die erlittene Furcht oder für sonstige mit dem Verhalten des Täters in Zusammenhang stehende finanzielle Einbußen Schadensersatz zusprechen278 oder – sofern dies notwendig ist – eine Anordnung erlassen, in welcher dem Täter weiteres Verhalten untersagt wird, das zu einer Belästigung der betroffenen Person führt.279 Gegen eine Belästigungsklage kann der Klagegegner jedoch bestimmte Umstände einwenden, bei deren tatsächlichem Vorliegen das vorgeworfene Verhalten gerechtfertigt ist.280 Diese Rechtfertigungsgründen folgen den entsprechenden Tatbestandsausschlussgründen, die bereits im Rahmen des Straftatbestandes der Belästigung nach sections 2 (1), 1 PfHA 1997 für die Gebiete England, Wales und Nordirland vorgestellt wurden. Der Verstoß gegen eine vom Gericht ausgesprochene Anordnung stellt nach section 9 (1) PfHA 1997 wiederum eine Straftat dar. Er kann in einem beschleunigten Verfahren mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten, einer Geldstrafe bis zu 5.000 Pfund oder beidem bestraft werden, im Rahmen eines nicht beschleunigten Gerichtsverfahrens dagegen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren, einer Geldstrafe oder beidem.281 Exkurs: Criminal Justice and Licensing Scotland Act 2010 Inzwischen hat der schottische Gesetzgeber den rechtlichen Schutz vor Stalking auch auf die strafrechtliche Ebene ausgeweitet.282 Der Criminal Justice and 275

Allerdings lässt der Tatbestand wiederum offen, aus welchen Verhaltensweisen sich das Verhaltensmuster nun konkret zusammenzusetzen hat; es wird lediglich verlangt, dass es sich um Verhalten handelt, welches in den Augen einer vernünftigen Person belästigend erscheinen würde, vgl. section 8 (1) Protection from Harassment Act 1997. 276 Vgl. section 8 (3) Protection from Harassment Act 1997. 277 Vgl. section 8 (3) Protection from Harassment Act 1997. 278 Vgl. section 8 (5) (a) Protection from Harassment Act 1997. 279 Sog. non-harassment order, vgl. hierzu section 8 (5) (i), (ii) Protection from Harassment Act 1997. 280 So zum Beispiel, wenn das Verhaltensmuster durch eine Bestimmung oder eine Rechtsnorm legitimiert war oder wenn es zum Zwecke der Verhinderung oder Aufdeckung eines Verbrechens verfolgt wurde, oder wenn es unter bestimmten Umständen vernünftig (reasonable) war, vgl. section 8 (4) Protection from Harassment Act 1997. 281 Vgl. section 9 (1) Protection from Harassment Act 1997. 282 Siehe hierzu Criminal Justice and Licensing (Scotland) Act 2010 in der Fassung, wie er am 30. Juni 2010 durch das schottische Parlament verabschiedet und am 6. Au-

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Licensing Scotland Act 2010 (CJL Scotland Act 2010) sieht in section 39 einen Straftatbestand vor, in welchem sowohl die Strafbarkeit des Stalking als auch der Begriff selbst eine zentrale Rolle einnehmen.283 Demnach macht sich des Stalking schuldig, wer ein Verhaltensmuster vornimmt, das Furcht (fear) oder Verängstigung (alarm) hervorruft und dies beabsichtigt, weiß oder zumindest nach den Umständen wissen sollte, dass ein solches Verhalten eine andere Person voraussichtlich in Furcht oder Verängstigung versetzen wird.284 Gemäß section 39 (6) CJL Scotland Act 2010 setzt sich ein Verhaltensmuster aus Verhaltensweisen zusammen, die in mindestens zwei Situationen begangen werden müssen. Anders als die entsprechenden Strafvorschriften des PfHA 1997 werden dabei jedoch einzelne Verhaltensweisen aufgelistet, die als Bestandteile eines tatbestandsmäßigen Verhaltensmusters infrage kommen.285 Zur Rechtfertigung des vorgeworfenen Verhaltens kann vor Gericht geltend gemacht werden, dass das Verhalten durch eine Bestimmung oder eine Rechtsnorm legitimiert war oder die Verhinderung oder Aufdeckung einer Straftat zum Inhalt hatte. Ferner kann das Vorliegen bestimmter Umstände geltend gemacht werden, die das Verhalten vernünftig erscheinen lassen.286 Im Vergleich zu den entsprechenden Vorschriften des PfHA 1997 fällt das in section 39 CJL Scotland Act 2010 vorgesehene Strafmaß – zumindest was eine Verurteilung im beschleunigten Verfahren anbelangt – deutlich höher aus.287 Wer sich nach section 39 CJL Scotland Act 2010 des Stalking schuldig gemacht hat, kann in einem beschleunigten Verfahren mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwölf Monaten, einer Geldstrafe oder beidem, im Rahmen eines normalen Gerichtsverfahrens dagegen mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, einer Geldstrafe oder beidem belegt werden.288 Für den Fall, dass eine Person wegen Stalking angeklagt wird und die Jury diese im Rahmen der Hauptverhandlung nicht für schuldig befindet, bestimmt section 39 (8), (9) CJL Scotland Act 2010, dass das Gericht diese Person jedoch wegen des bedrohlichen oder beleidigenden Verhaltens nach section 38 CJL Scotland Act 2010 verurteilen kann. *** gust 2010 von Seiten des Königshauses zugestimmt wurde. Das Dokument ist abrufbar unter www.legislation.gov.uk/asp/2010/13/enacted/data.pdf. 283 Siehe hierzu section 39 CJL Scotland Act 2010. 284 Vgl. section 39 (1), (2), (3), (4) Criminal Justice and Licensing (Scotland) Act 2010. 285 Vgl. section 39 (6) Criminal Justice and Licensing (Scotland) Act 2010. 286 Vgl. hierzu insgesamt section 39 (5) Criminal Justice and Licensing (Scotland) Act 2010. 287 Vgl. section 39 (7) Criminal Justice and Licensing (Scotland) Act 2010. 288 Vgl. section 39 (7) Criminal Justice and Licensing (Scotland) Act 2010.

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c) Würdigung des Protection from Harassment Act 1997 Auffallend an dem für den Bereich England, Wales und letztlich auch Nordirland geltenden PfHA 1997 ist zunächst, dass er nicht nur zwei unterschiedliche Straftatbestände, sondern auch genuin zivilrechtliche Vorschriften zum Schutz vor Stalking enthält, welche den Erlass einer einstweiligen Verfügung zum Schutz des Opfers vorsehen. Auf den ersten Blick scheint der PfHA 1997 demnach ein vielgestaltiges und daher umfassendes Regelungswerk zum Schutz vor Stalking darzustellen. Die Vermischung der zivil- und strafrechtlichen Tatbestände innerhalb des PfHA 1997 und insbesondere die Ausgestaltung der einzelnen Vorschriften werden jedoch zum Teil heftig kritisiert.289 Im Zentrum der Kritik steht dabei, dass der Begriff Stalking an keiner Stelle des gesamten PfHA 1997 Erwähnung findet.290 Eine entsprechende Definition des Stalking sucht man in der Tat auf Tatbestandsebene vergebens. Stattdessen stellen die einzelnen Vorschriften entweder auf den extrem weiten Begriff der Belästigung ab oder fordern das Versetzen eines Menschen in Furcht vor Gewalt. Der britische Gesetzgeber entschied sich bei der Schaffung des PfHA 1997 bewusst gegen eine Definition des Stalking auf Tatbestandsebene, um mit dem Regelwerk neben Stalking auch Formen der Belästigung im weiteren Sinne zu erfassen.291 Dies hat jedoch letztlich dazu geführt, dass die einzelnen Vorschriften nun mehrheitlich auf Sachverhalte angewendet werden, die gerade nicht mit Stalking in Verbindung stehen.292 Nach einer vom Home Office in Auftrag gegebenen Studie sind es vor allem kleinere Nachbarschaftsstreitigkeiten, Auseinandersetzung im häuslichen Bereich und Demonstrationen, die unter den Vorschriften des PfHA 1997 verhandelt werden.293

289 Siehe hierzu Ormerod, Smith and Hogan Criminal Law, S. 653 f.; Lamplugh/Infield, The George Washington International Law Review 2003, 853 (863 ff.); Finch, Criminalisation of Stalking, S. 217 ff.; vgl. Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 276. 290 Lamplugh/Infield, The George Washington International Law Review 2003, 853 (863 f.). 291 Siehe hierzu Morgan, Cambridge Law Journal 2001, 382 (401 f.); Finch, The Howard Journal 2000, 422 (422 f.). Dies sind beispielsweise Belästigungen in Form von Schikanierungen am Arbeitsplatz (Mobbing) oder in der Schule, Nachbarschaftsstreitigkeiten oder ähnliche Auseinandersetzungen. 292 Vgl. die hierzu im Jahre 2000 veröffentliche Studie im Auftrag des Home Office, siehe Harris, An evaluation of the use and effectiveness of the Protection from Harassment Act 1997, S. 51 f. 293 Harris, An evaluation of the use and effectiveness of the Protection from Harassment Act 1997, S. 51 f.; siehe in Bezug auf Demonstrationen Ormerod, Smith and Hogan Criminal Law, S. 659.

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aa) Strafrechtliche Tatbestände Insbesondere die Strafvorschriften des PfHA 1997 müssen in Hinblick auf den Vorwurf einer allzu großen tatbestandlichen Weite gesondert untersucht werden, da diese den Anforderungen an strafrechtliche Regelungen – zu nennen ist hierbei insbesondere der Bestimmtheitsgrundsatz294 – Rechnung tragen müssen. (1) Straftatbestand der Belästigung Der Straftatbestand der Belästigung nach sections 2 (1), 1 PfHA 1997 stellt in Bezug auf das tatbestandsmäßige Verhalten lediglich die Anforderung, dass der Täter Verhaltensweisen zu mindestens zwei Gelegenheiten vornimmt, die das Opfer belästigen – wobei eine Belästigung auch das Verängstigen oder Beunruhigen einer Person umfasst.295 Welche Verhaltensweisen dabei konkret infrage kommen und wann von einer tatbestandsmäßigen Belästigung auszugehen ist, geht aus dem Straftatbestand jedoch nicht hervor.296 In Hinblick auf die Auslegung des Tatbestandes beschränkte sich der britische Gesetzgeber darauf, auf die gängige Rechtsprechung zu den entsprechenden Vorschriften des Public Order Act 1986 zu verweisen, in denen sich der Begriff Belästigung wiederfindet.297 Während jedoch die entsprechenden Normen des Public Order Act 1986 das infrage kommende Verhalten jeweils genau konkretisieren, fehlt es an einer solchen Spezifizierung des strafbaren Verhaltens im Rahmen des Straftatbestandes der Belästigung.298 Der britische Gesetzgeber hat vielmehr bewusst auf eine nähere Umschreibung der infrage kommenden Verhaltensweisen verzichtet. Grund hierfür war, dass der Straftatbestand nach Auffassung des britischen Gesetzgebers auf diese Weise nicht nur Belästigungen im weiteren Sinne zu erfassen vermochte, sondern auch jegliche Verhaltensweisen des Stalking, seien sie noch so atypisch oder derzeit unvorstellbar.299 Zudem war es dem Gesetzgeber auf diese Weise möglich, eine schwierige Ausdifferenzierung zwischen noch sozialadäquaten und zu verbietenden Verhal294 Sog. principle of maximum certainty, siehe hierzu Ashworth, FS Eser, S. 49 (50 ff.); ders., Principles of Criminal Law, S. 74 f. 295 De Fazio, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 229 (232). 296 Morgan, Cambridge Law Journal 2001, 382 (402). 297 Vgl. hierzu Finch, Criminalisation of Stalking, S. 227; Ormerod, Smith and Hogan Criminal Law, S. 654. Während jedoch die entsprechenden Normen des Public Order Act 1986 das Verhalten jeweils genau spezifizieren, fehlt eine solche Kennzeichnung im Rahmen des Straftatbestandes der Belästigung nach dem PfHA 1997. 298 Vgl. hierzu De Fazio, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 229 (232); Finch, Criminalisation of Stalking, S. 227. 299 Vgl. hierzu Ormerod, Smith and Hogan Criminal Law, S. 653; Sheridan/Davies, Legal and Criminological Psychology 2001, 3 (4); Finch, Criminalisation of Stalking, S. 227; Lamplugh/Infield, The George Washington International Law Review 2003, 853 (862).

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tensweisen auf Tatbestandsebene zu umgehen und hierdurch zunächst dem Vorwurf einer Missachtung des Übermaßverbotes entgegen zu treten. Der britische Gesetzgeber hatte im Rahmen der Schaffung des PfHA 1997 erkannt, dass es nur schwer möglich ist, bestimmte Handlungen wie etwa das Zusenden von Blumen oder Pralinen aus dem Alltagsleben zu sondieren und als Teil des Verhaltenskonstruktes Stalking unter Strafe zu stellen.300 Infolgedessen sieht der Straftatbestand der Belästigung nun vor, dass eine solche Abgrenzung von noch sozialadäquatem und bereits strafwürdigem Verhalten weniger anhand einer konkreten Handlungsbeschreibung als vielmehr ausschließlich anhand der entsprechenden Auswirkungen auf das Opfer zu erfolgen hat.301 Wie bereits gezeigt, lag ein solches Konzept bereits dem US-amerikanischen Model Anti-Stalking Code aus dem Jahr 1993 zugrunde.302 Aber genau wie dort stehen den Vorteilen einer solchen Handhabung auch hier ernst zu nehmende Einwände gegenüber. Zunächst ist zu bedenken, dass nach dem Straftatbestand der Belästigung nicht deutlich wird, welche Verhaltensweisen nach Auffassung des britischen Gesetzgebers nun im Einzelnen überhaupt als Teil des Verhaltenskonstruktes Stalking in Frage kommen.303 Der Straftatbestand verlangt lediglich, dass das zu zwei Gelegenheiten vorgenommene Verhalten eine Person belästigt. Dabei wird jedoch das Merkmal der Belästigung nicht näher konkretisiert,304 da der Straftatbestand nach dem Willen des Gesetzgebers Belästigungen im weiteren Sinne erfassen soll. Legt man zugrunde, dass Stalking aufgrund der wiederholten und vom Opfer ungewollten Kontaktaufnahme in der Tat immer auch eine Belästigung des Opfers impliziert, bedeutet dies, dass jeder Fall von Stalking eine Belästigung i. S. d. sections 2 (1), 1 PfHA 1997 darstellen kann, umgekehrt jedoch nicht jede Belästigung im Sinne dieses Straftatbestandes als Stalking zu qualifizieren ist.305 Infolge dieses Umstandes ist jedoch nicht nur schwer nachzuvollziehen, welches Verhalten überhaupt das Handlungsunrecht des Stalking ausmacht, sondern auch, 300

Siehe hierzu Ormerod, Smith and Hogan Criminal Law, S. 653. Vgl. hierzu Samuels, Statute Law Review 1997, 244 (245 f.); Finch, Criminalisation of Stalking, S. 227; dies andeutend ferner Petch, The Journal of Forensic Psychiatry 2002, 19 (20). 302 Vgl. hierzu Analysis and Commentary on Code Language bei National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States, Washington, D.C.: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdffiles/stlkbook.pdf (Appendix B). 303 Vgl. hierzu auch Sheridan/Davies, Legal and Criminological Psychology 2001, 3 (4). 304 Morgan, Cambridge Law Journal 2001, 382 (402); Ormerod, Smith and Hogan Criminal Law, S. 654. 305 Finch, Criminalisation of Stalking, S. 2. 301

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was genau den spezifischen Unrechtsgehalt von Stalking im Gesamten kennzeichnet.306 Der Straftatbestand der Belästigung vermag demnach nur einen sehr groben Eindruck davon zu vermitteln, was nach Ansicht des britischen Gesetzgebers unter Stalking zu verstehen ist. Unabhängig von diesem speziell auf das Phänomen Stalking bezogenen Aspekt ist jedoch zu kritisieren, dass der Straftatbestand der Belästigung im Allgemeinen recht undeutlich lässt, welches Verhalten unter Strafe gestellt werden soll. Die Vagheit des Straftatbestandes erweist sich schon deswegen als problematisch, weil es wegen der immensen Unbestimmtheit für Normadressaten nur schwer einzuschätzen ist, wann ein erlaubtes Verhalten zu einem strafbaren wird. Dies erscheint vor allem vor dem Hintergrund, dass Strafnormen aufgrund ihrer besonderen Stellung innerhalb der Rechtsordnung als Vorschriften, die sozialschädliches Verhalten mit Strafe und zugleich sozialethischem Tadel belegen,307 bedenklich. Zwar war dem britischen Rechtssystem ein dem deutschen Bestimmtheitsgebot nach Art. 103 Abs. 2 GG vergleichbares Prinzip bislang eher fremd. Nicht zuletzt durch die Inkraftsetzung des Human Rights Act 1998308 und die bindende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte gilt nunmehr, dass insbesondere Strafgesetze hinreichend bestimmt sein müssen, damit der Bürger diese verstehen kann und in die Lage versetzt wird, sein Verhalten daran auszurichten.309 Zu bedenken ist an dieser Stelle, dass eine solche hinreichende Bestimmtheit jedoch bereits für das Tatbestandsmerkmal der Belästigung im Rahmen des Public Order Act 1986 angezweifelt wird.310 Und das, obwohl die entsprechende Vorschrift des Public Order Act 1986 im Gegensatz zu dem Straftatbestand der Belästigung des PfHA 1997 zumindest das unter Strafe gestellte Verhalten näher beschreibt. Konturen im Sinne von Einschränkungen erfährt die extreme Weite des Straftatbestandes der Belästigung nur durch bestimmte Umstände, die im entsprechenden Fall zu einem Tatbestandsausschluss des infrage stehenden Verhaltens führen können. Demnach macht sich nicht wegen Belästigung strafbar, wer ein Verhaltensmuster an den Tag legt, mit dessen Hilfe er entweder ein Verbrechen auf306

Vgl. Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their Victims, S. 276. Hierzu Ashworth, Principles of Criminal Law, S. 1 f. 308 Vgl. hierzu insbesondere Art 7 EMRK. 309 Sog. principle of maximum certainty, siehe hierzu Ashworth, FS Eser, S. 49 (50 ff.); ders., Principles of Criminal Law, S.74 f. 310 Vgl. hierzu mit Verweis auf section 5 Public Order Act 1986 insbesondere Ashworth, Principles of Criminal Law, S. 23 f. In Hinblick auf den Straftatbestand der Belästigung ist dies umso gewichtiger, wenn man sich vor Augen führt, dass im Rahmen des Public Order Act 1986 das Verhalten jeweils genau spezifiziert wird, während eine solche Kennzeichnung im Rahmen des Straftatbestandes der Belästigung nach dem PfHA 1997 gänzlich fehlt. 307

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decken oder verhindern möchte oder das mit Bestimmungen und gesetzlichen Regelungen im Einklang steht.311 Darüber hinaus ist die Anwendung des Tatbestandes ausgeschlossen, wenn es unter Beachtung der gegebenen Umstände vernünftig (reasonable) war, dass der mutmaßliche Täter ein solches Verhaltensmuster an den Tag legte.312 Aber auch hier ist zu beachten, dass es sich bei dem Begriff reasonable um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, der der richterlichen Wertung im Einzelfall unterliegt. Da es aber letztlich sehr von situativen Faktoren abhängt, wann ein Verhalten als vernünftig anzusehen ist, besteht für den Bürger keine klare Orientierung darüber, wann sein Verhalten vom Straftatbestand der Belästigung ausgenommen ist und wann nicht.313 Festzuhalten ist demnach, dass der Straftatbestand über einen äußerst weiten und schwer zu bestimmenden Anwendungsbereich verfügt, der seine Korrektur über ebenso weite wie schwer zu interpretierende Tatbestandsausschlussgründe erfährt. Darüber hinaus ist die Überlegung, strafbares Verhalten allein anhand der Folgen der entsprechenden Handlungen zu bestimmen, in Fällen von Stalking durchaus nicht unbedenklich. Im Rahmen des vorliegenden Straftatbestandes entscheidet sich die Strafbarkeit des Verhaltens in erster Linie danach, ob das entsprechende Verhalten zu einer Belästigung des Opfers führt oder nicht. Diese Belästigung des Opfers ist jedoch ausschließlich anhand opferspezifischer Erwägungen festzumachen; das heißt, ein Verhalten des Täters ist schon dann tatbestandsmäßig, wenn sich das Opfer belästigt fühlt. Der Taterfolg der Belästigung ist demnach ausschließlich anhand subjektiver Erwägungen zu bestimmen. Während im Rahmen des US-amerikanischen Model Anti-Stalking Code jedoch mit dem abstrakten Tathandlungserfordernis zusätzlich ein objektiviertes Merkmal über die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens und damit über dessen Strafbarkeit entscheidet,314 fehlt eine solche objektivierte Wertungsstufe im Rahmen des Straftatbestandes nach sections 2 (1), 1 PfHA 1997.315 Dies hat zur Folge, dass die Schwelle der Strafbarkeit im Rahmen des Straftatbestandes der Belästigung allein von Seiten des Opfers definiert wird.316

311

Vgl. hierzu section 1 (3) (a) und (b) PfHA 1997. Vgl. section 1 (3) (c) Protection from Harassment Act 1997. 313 Vgl. hierzu Ormerod, Smith and Hogan Criminal Law, S. 658; ferner Maiwald, FS Schöch, S. 531 (532). 314 Und damit als objektives Korrektiv zu dem subjektiv determinierten Taterfolgserfordernis fungiert, siehe hierzu Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (266); Diacovo, Southwestern University Law Review 1995, 389 (410 f.). 315 Vgl. Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their Victims, S. 275. 316 In Bezug auf den Protection from Harassment Act 1997 vgl. Lamplugh/Infield, The George Washington International Law Review 2003, 853 (865). 312

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Dieses Fehlen eines objektiven Bewertungsmaßstabes erscheint umso bedenklicher, wenn man sich vor Augen führt, dass der vorliegende Straftatbestand angesichts des unscharfen Begriffs Belästigung über eine niedrige Strafbarkeitsschwelle verfügt. Verlangt wird im Rahmen der sections 2 (1), 1 PfHA 1997 lediglich, dass das Verhaltensmuster aus Verhaltensweisen zu mindestens zwei Gelegenheiten bestehen muss, durch die sich das Opfer auch tatsächlich belästigt fühlt. Zur Annahme einer Strafbarkeit genügt es also, wenn sich beispielsweise eine hypersensible Person von den zweifach aufgetretenen Verhaltensweisen einer anderen Person belästigt fühlt, ohne dass diese Reaktion der betroffenen Person einer genaueren Untersuchung unterzogen werden müsste. In Ermangelung objektiver oder objektivierbarer Kriterien zur Standardisierung und Nachweisbarkeit der entsprechenden Auswirkung läuft dies letztlich auf einen willkürlichen Bewertungsmaßstab mit einer äußerst niedrigen Strafbarkeitsschwelle hinaus.317 Erschwerend kommt hinzu, dass sich dieser weite Anwendungsbereich des vorliegenden Straftatbestandes hinsichtlich der geringen Anforderungen auf der subjektiven Seite des Tatbestandes fortsetzt. So muss der Täter lediglich wissen oder wissen müssen, dass sein Verhalten eine Belästigung der entsprechenden Person darstellt. Dabei kann gemäß section 1 (2) PfHA 1997 von einem WissenMüssen des Täters ausgegangen werden, sofern eine vernünftige Person mithilfe der Informationen, über die der Täter verfügt, davon ausgehen würde, dass das entsprechende Verhalten des Täters eine Belästigung einer anderen Person darstellt. Dieses Abstellen auf einen vernünftigen Dritten zur Objektivierung der entsprechenden Sorgfaltsanforderungen ist dem englischen Recht durchaus geläufig.318 Zur Bejahung des subjektiven Tatbestandes genügt es demnach, wenn der Täter eine Einstellung aufweist, die im deutschen Recht mit der unbewussten Fahrlässigkeit vergleichbar ist.319 Es kommt nicht einmal darauf an, ob sich der Täter der Gefährlichkeit seines Verhaltens überhaupt bewusst war, sondern nur, ob eine vernünftige Person in dieser Lage von einer solchen Gefährlichkeit ausgegangen wäre. Bei dem Vorsatzerfordernis des vorliegenden Straftatbestandes der Belästigung handelt es sich demnach um die schwächste Form, die in subjektiver Hinsicht eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Täters begründen kann.320 Der Straftatbestand der Belästigung nach sections 2 (1), 1 PfHA 1997 erweist sich somit als ein Delikt mit einem extrem weiten Anwendungsbereich und einer 317 So in Bezug auf den amerikanischen Straftatbestand von 1993 Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 290; Beatty, Stalking Legislation in the United States, in: Brewster (Hrsg.), Stalking, Ch. 2-1 (2-11). 318 Siehe hierzu Hörster, Die strict liability des englischen Strafrechts, S. 12. 319 Siehe hierzu allgemein Ashworth, Principles of Criminal Law, S. 64 f.; siehe hierzu Hörster, Die strict liability des englischen Strafrechts, S. 12. 320 Damit ist die Form der sog. negligence gemeint, siehe hierzu Hörster, Die strict liability des englischen Strafrechts, S. 12.

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niedrigen Strafbarkeitsschwelle, die nahezu ausschließlich anhand der Reaktion des jeweiligen Opfers festmacht und damit einem willkürlichen Bewertungsmaßstab unterliegt. Dieses Ergebnis wird nur korrigiert durch einige Tatbestandsausschlussgründe, von denen der weitestgehende verlangt, dass das Verhalten des (mutmaßlichen) Täters vernünftig erscheint. Zwar kann in dem Merkmal der Vernünftigkeit nun der objektivierte Bewertungsmaßstab gesehen werden, auf den der Gesetzgeber für die Frage nach dem Vorliegen einer Belästigung verzichtet hat. Allerdings ist zu beachten, dass es sich bei dem Begriff reasonable um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, der letztlich maßgeblich von situativen Faktoren abhängt und der richterlichen Wertung im Einzelfall unterliegt. Insofern bietet er für Normanwender wie Normadressat keine klare Orientierung, wann das in Rede stehende Verhalten vom Straftatbestand der Belästigung ausgenommen ist und wann nicht.321 Demzufolge ist der Tatbestandsausschlussgrund der Vernünftigkeit grundsätzlich nicht geeignet, ein objektiviertes Korrektiv für eine ansonsten anhand rein subjektivindividueller Kriterien zu bestimmende Strafbarkeit darzustellen, die noch dazu über eine nur geringe Verwirklichungsschwelle verfügt. Einerseits gestattet eine niedrige Strafbarkeitsschwelle ein frühes Einschreiten der Strafverfolgungsbehörden, was vor dem Hintergrund zu begrüßen ist, dass mit einer ernsthaften Interaktion zu einem frühen Zeitpunkt des Stalking-Verlaufs sehr große Erfolgsaussichten bestehen, dass der Stalker von einer weiteren Verfolgung des Verhaltensmusters absieht. Andererseits wirft eine solch niedrige Strafbarkeitsschwelle die Frage auf, ob das tatbestandsmäßige Fehlverhalten des Täters wirklich den Einsatz von Strafe erfordert. Letztlich ist mit dem sog. principle of minimum criminalization auch dem englischen Recht ein dem deutschen Recht vergleichbares ultima-ratio-Prinzip für den Einsatz von Strafe bekannt.322 Im Ergebnis zeigt sich damit, dass es sich bei dem Straftatbestand der Belästigung nach den sections 2 (1), 1 PfHA 1997 um einen Tatbestand mit einem überaus weiten Anwendungsbereich handelt, dem jedoch ein extensiver und in seinen Grenzen schwer zu bestimmender Tatbestandsausschließungsgrund der Vernünftigkeit gegenübersteht. Aufgrund seiner Ausgestaltung ruft der Straftatbestand der Belästigung in vielfacher Hinsicht massive Bedenken hervor. Darüber hinaus ist er wegen der mit ihm verfolgten Untersagung von Belästigungen im weiteren Sinne nicht speziell auf die Ahndung von Stalking zugeschnitten. Er vermag demnach nicht deutlich zu machen, was nach Auffassung des britischen Gesetzgebers als strafbares Stalking anzusehen ist und was nicht. Zudem verliert der Straftatbestand der Belästigung durch seinen weiten und zudem schwer bestimmbaren Anwendungsbereich, seine niedrige Strafbarkeitsschwelle und dem recht 321 322

Vgl. hierzu Ormerod, Smith and Hogan Criminal Law, S. 658. Vgl. hierzu Ashworth, Principles of Criminal Law, S. 64 f.

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geringen Strafrahmen an Wirkung. In Hinblick auf die Bekämpfung von Stalking wurde er daher schon als kraftlos bezeichnet.323 (2) Straftatbestand des Versetzens eines Menschen in Furcht vor Gewalt Der Straftatbestand des Versetzens eines Menschen in Furcht vor Gewalt nach section 4 PfHA 1997 stellt eine Qualifikation des Straftatbestandes der Belästigung dar.324 Ebenso wie der Grundtatbestand enthält auch der Qualifikationstatbestand keine nähere Umschreibung des für ein tatbestandsmäßiges Verhaltensmuster infrage kommenden Verhaltens – es muss lediglich geeignet sein, das Opfer in Furcht vor Gewalt zu versetzten. Anders als der Straftatbestand der Belästigung verlangt der qualifizierte Straftatbestand jedoch, dass das Verhalten eine solche Furcht in mindestens zwei Situationen hervorruft.325 Demnach muss jede einzelne Verhaltensweise für sich genommen geeignet sein, den entsprechenden Grad an Furcht hervorzurufen.326 Auf eine weitere Qualifizierung oder Bezeichnung der dabei infrage kommenden Verhaltensweisen wurde jedoch von Seiten des britischen Parlaments bewusst verzichtet.327 So treffen den Straftatbestand des Versetzens eines Menschen in Furcht vor Gewalt letztlich die Kritikpunkte, die bereits im Rahmen des Straftatbestandes der Belästigung vorgebracht wurden: Auch im Rahmen des Qualifikationsstraftatbestandes wird in Ermangelung des Begriffes Stalking oder einer näheren Umschreibung der einzelnen Verhaltensweisen nicht deutlich, was den Kern des Handlungsunrechts und des Stalking an sich ausmacht. Weiter handelt es sich bei dem Taterfolgserfordernis des Versetzens eines Menschen in Furcht vor Gewalt wiederum um ein ausschließlich anhand der Reaktion des Opfers zu bestimmendes, demnach um ein subjektiv-individuelles Merkmal. Dieses Merkmal stellt im Vergleich zu dem entsprechenden Merkmal des Grundtatbestandes deutlich höhere Anforderungen an die Reaktion des Opfers und setzt damit die Strafbarkeitsschwelle gegenüber dem Straftatbestand der Belästigung herauf. In der Regel kann deshalb auch davon ausgegangen werden, dass mit dem Straftatbestand des Versetzens eines Menschen in Furcht vor Gewalt nur Verhaltensweisen unter Strafe gestellt werden, bei denen aufgrund der

323 Infield/Platford, Stalking and the Law, in: Boon/Sheridan (Hrsg.), Stalking and Psychosexual Obsession, S. 221 (231 ff.). 324 De Fazio, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 229 (232); Petch, The Journal of Forensic Psychiatry 2002, 19 (25 f.); Ormerod, Smith and Hogan Criminal Law, S. 658 f. 325 Vgl. Ormerod, Smith and Hogan Criminal Law, S. 659. 326 Vgl. Ormerod, Smith and Hogan Criminal Law, S. 659. 327 Vgl. Ashworth, Principles of Criminal Law, S. 326.

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erheblichen Folgen auch von deren Strafwürdigkeit auszugehen ist.328 Eine Ausnahme hiervon – zumindest was die objektive Sozialschädlichkeit des Verhaltens an sich betrifft – ist jedoch denkbar, da die Strafbarkeit des vorgeworfenen Verhaltens im Rahmen des Qualifikationstatbestandes nach section 4 PfHA 1997 nahezu ausschließlich von diesem subjektiv-individuellen Merkmal abhängt und dabei keinerlei objektive oder objektivierbare Kriterien zugrunde gelegt werden. Es kann demnach durchaus vorkommen, dass ein sehr sensibles Opfer sich bereits in einem frühen Stadium des Verhaltensmusters – auch bei bloß mildem Stalking – in seiner gesamten Existenz bedroht fühlt, Todesängste aussteht und Furcht vor körperlichen Übergriffen des Stalkers entwickelt.329 Da dem Straftatbestand des Versetzens eines Menschen in Furcht vor Gewalt ein objektivierendes Merkmal gerade nicht innewohnt, bedarf es trotz des immensen Strafmaßes von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe keines „handfesten“ Nachweises, dass es bei dem Opfer zu psychiatrischen Erscheinungen bzw. Störungen (sog. psychiatric injury)330 gekommen ist.331 Selbst auf subjektiver Seite des Straftatbestandes wird dieses Ergebnis nicht durch eine erhöhte Anforderung an den Vorsatz des Täters korrigiert. Hier reicht es ebenso wie beim vergleichbaren Straftatbestand der Belästigung aus, wenn eine vernünftige Person das Risiko des Hervorrufens einer solchen Furcht in der entsprechenden Lage erkannt hätte.332 Es kommt demnach nicht darauf an, ob der Täter das Risiko tatsächlich erkannt hat, erst recht nicht, ob er den Eintritt des Erfolges überhaupt wollte.333 Damit erfasst der Straftatbestand des Versetzens eines Menschen in Furcht vor Gewalt auch diejenigen Fälle, in denen der Täter in seinen Augen nur das vermeintlich Beste für die von ihm verfolgte Person unternimmt und ihr keinen Schaden zufügen möchte, also in Fällen des liebesbedingten Stalkers.334 Die Kehrseite dieses niedrigen Vorsatzerfordernisses ist jedoch, dass dem Täter die Folgen seines Verhaltens nicht einmal bewusst gewesen sein müssen. Angesichts des hohen Strafrahmens von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe im Rah328

Vgl. Ashworth, Principles of Criminal Law, S. 325. Finch, Criminalisation of Stalking, S. 26, 230; vgl. Mullen/Pathé/Purcell, Stalkers and their victims, S. 290. 330 Dies ist vor allem im Rahmen der Vorschriften des Offences Against the Person Act 1861 vonnöten, siehe hierzu Ashworth, Principles of Criminal Law, S. 310; Ormerod, Smith and Hogan Criminal Law, S. 608. 331 Vgl. Petch, The Journal of Forensic Psychiatry 2002, 19 (26); Sheridan/Davies, Legal and Criminological Psychology 2001, 3 (5). 332 Vgl. section 4 (1), (2) Protection from Harassment Act 1997. 333 Es genügt demnach ein mit der unbewussten Fahrlässigkeit nach dem deutschen Strafrecht vergleichbarer Standard, sog. negligence. Vgl. allgemein hierzu Hörster, Die strict liability des englischen Strafrechts, S. 12. 334 Siehe zu den gängigen Modellen der Tätertypologie die Ausführungen unter § 2 IV. 1. 329

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men eines üblichen Gerichtsverfahrens und des rein subjektiv-individuell determinierten Merkmals zur Abgrenzung des strafbaren Verhaltens erscheint dies überaus problematisch.335 Der Täter kann sich nur verteidigen, indem er nachweist, dass sein Verhalten der Aufdeckung oder Verhinderung eines Verbrechens diente oder dass er sein Verhalten gemäß eines Beschlusses oder einer Gesetzesvorschrift vornahm oder es dem Zweck diente, eine Auflage oder Pflicht zu erfüllen, welche eine Person gemäß einer Bestimmung erlassen hatte.336 Ferner gilt es als Verteidigung, wenn der Täter beweisen kann, dass sein Verhalten zur Selbstverteidigung oder zur Verteidigung einer anderen Person respektive des eigenen oder fremden Eigentums vernünftig (reasonable) war.337 Im Vergleich zu den Tatbestandsausschlussgründen des Straftatbestandes der Belästigung reicht es hier also nicht aus, wenn das Verhalten des Täters generell vernünftig war. Vielmehr muss es zum Schutz des Opfers selbst oder dem einer anderen Person oder des eigenen oder fremden Eigentums notwendig gewesen sein. Deutlich wird damit zweierlei. Während die vergleichbaren Umstände im Rahmen des Straftatbestandes der Belästigung bereits zum Tatbestandsausschluss führen, ist der Täter im Falle des Versetzens eines Menschen in Furcht vor Gewalt gehalten, das Vorliegen dieser Umstände im Rahmen des Verfahrens einzuwenden. Erst wenn er das Gericht davon überzeugen kann, ist das ihm vorgeworfene Verhalten gemäß section 4 (3) PfHA 1997 als gerechtfertigt anzusehen.338 Des Weiteren erweisen sich die Tatbestandsausschlussgründe im Rahmen des Straftatbestandes deutlich weiter als die entsprechenden Rechtfertigungsgründe im Rahmen des Qualifikationsstraftatbestandes.339 Diese Unterscheidung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass es sich bei dem Straftatbestand der Belästigung um einen äußerst weit gefassten Straftatbestand handelt, der durch weitreichende Tatbestandsausschlussgründe beschränkt wird. Demgegenüber ist eine Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes nur bei dem Vorliegen wesentlich engerer und präziserer Voraussetzungen gerechtfertigt. Zu bedenken ist jedoch, dass der Rechtfertigungsgrund eines vernünftigen Verhaltens auf diese Weise nicht als objektivierter Bewertungsmaßstab der Strafbarkeit im Rahmen des Qualifikationstatbestandes herangezogen werden kann. 335

Vgl. Ashworth, Principles of Criminal Law, S. 325 f. Vgl. section 4 (3) (a) und (b) Protection from Harassment Act 1997. 337 Vgl. section 4 (3) (c) Protection from Harassment Act 1997. 338 Vgl. section 4 (3) Protection from Harassment Act 1997. 339 Diese Unterscheidung macht insofern Sinn, als dass es sich bei dem Straftatbestand der Belästigung um einen äußerst weit gefassten Straftatbestand handelt, zu dessen „Korrektur“ weitreichende Tatbestandsausschlussgründe gehören, während eine Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes nur bei dem Vorliegen wesentlich engerer und präziserer Voraussetzungen gerechtfertigt ist. 336

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Das dem Täter vorgeworfene Verhalten ist vorliegend nur dann gerechtfertigt, wenn der mutmaßliche Täter nachweisen kann, dass es zum Schutz der eigenen oder einer anderen Person beziehungsweise des eigenen oder fremden Eigentums vernünftig war. Es reicht jedoch nicht aus, wenn der Täter nachweisen kann, dass es generell vernünftig war oder vernünftige Gründe dafür bestanden, dass er ein solches Verhalten an den Tag gelegt hat. Handelt der (mutmaßliche) Täter demnach nicht zum Schutz der eigenen oder einer anderen Person respektive zum Schutz von Eigentum, bildet allein die Reaktion des Opfers die Grundlage für die Würdigung, ob das Verhalten strafbar ist oder nicht. Ungeachtet der Bedenken hinsichtlich eines subjektiv-individuell determinierten Merkmals zur ausschließlichen Bestimmung strafbaren Verhaltens hat im Rahmen des vorliegenden Straftatbestandes auch die konkrete Ausgestaltung des Taterfolgserfordernisses in mehrfacher Hinsicht Kritik erfahren. So ist der Qualifikationstatbestand nur dann erfüllt, wenn sich das Opfer durch das Verhalten des Täters in zwei Fällen in Furcht vor gewaltsamen Übergriffen versetzt wird. Es reicht demnach nicht aus, wenn das Opfer infolge der andauernden Kontaktaufnahme durch den Täter anderweitige Angstgefühle entwickelt, seien sie auch bezüglich der Schwere mit der Furcht vor Gewalt vergleichbar. Ebenso erfasst der vorliegende Straftatbestand auch nicht diejenigen Konstellationen, in denen das Opfer ernsthaft psychisch geschädigt wird oder beispielsweise traumatisiert wird, solange sich dabei keine Furcht vor Gewalttätigkeiten des Täters realisiert. Wie bereits im Rahmen der Untersuchung des Model Anti-Stalking Code dargelegt, stellen jedoch diejenigen Konstellationen, in denen das Opfer von Stalking in Angst vor körperlicher Beeinträchtigung versetzt wird, statistisch gesehen gerade nicht die Regel dar.340 Da nur in wenigen Fällen eine explizite Drohung durch den Täter ausgesprochen wird und sich damit die meisten Fälle im Bereich des milden Stalking abspielen, ist es für das Opfer größtenteils überhaupt nicht vorhersehbar, was der Täter als Nächstes beabsichtigt.341 Eine konkrete Furcht vor körperlichen Übergriffen hat das Opfer daher nur in etwa einem Drittel der Fälle.342 In den allermeisten Situationen leidet das Opfer unter einem schwer definierbaren Gefühl latenter Bedrohung im Sinne einer nachhaltigen Belästi340 Newman/Appelbaum, Stalking: Perspectives on Victims and Management, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 107 (115 f.) mit weiteren Nachweisen. 341 Vgl. Baum/Catalano/Rand/Rose, Stalking Victimization in the United States – Findings from the National Crime Victimization in the United States, U.S. Department of Justice 2009, S. 1 (7, table 10); vgl. auch Fiedler, Stalking, S. 32 f.; Morewitz, Stalking and Violence, S. 40. 342 Vgl. Baum/Catalano/Rand/Rose, Stalking Victimization in the United States – Findings from the National Crime Victimization in the United States, U.S. Department of Justice 2009, S. 1 (7, table 10).

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§ 3 Gesetzgeberische Reaktionen auf das Verhaltensmuster Stalking

gung oder Bedrängung der Person innerhalb des persönlichen Lebensbereiches.343 Es handelt sich demnach bei den psychischen Folgen des Stalking weniger um eine physische Bedrohung als vielmehr um eine psychische Bedrängnis.344 Das Zuspitzen des Taterfolgserfordernisses auf das Versetzen eines Menschen in Furcht vor Gewalt stellt sich damit in der Praxis als ein den Anwendungsbereich des Straftatbestandes sehr beschränkendes Merkmal dar.345 Darüber hinaus wird kritisiert, dass der in Rede stehende Straftatbestand verlangt, dass sich die Furcht des Opfers vor körperlichen Übergriffen auf die eigene Person beziehen muss.346 Der Straftatbestand des Versetzens eines Menschen in Furcht vor Gewalt scheidet dann aus, wenn sich die Furcht des Opfers nicht auf das eigene, sondern auf das körperliche Wohl einer anderen Person bezieht. Sobald also das Opfer davon ausgeht, selbst nicht von den möglichen körperlichen Übergriffen des Täters betroffen zu sein, sondern vielmehr Angst um das körperliche Wohl beispielsweise eines Familienangehörigen oder des (neuen) Beziehungspartners hat, ist der Straftatbestand nicht einschlägig. Allerdings kommt eine solche Konstellation insbesondere in Fällen, in denen der Stalker aus vermeintlicher Liebe zu dem Opfer agiert, durchaus häufig vor.347 Da jedoch auch die bisherigen Versuche in der Rechtsprechung, diesen offensichtlichen Missstand durch eine extensive Auslegung des Straftatbestandes zu korrigieren, aufgrund des eindeutigen Wortlautes der Strafnorm in der jeweils nächst höheren Instanz scheiterten, bleibt eine solche Konstellation für den Täter nach section 4 PfHA 1997 straffrei.348 bb) Zivilrechtliche Tatbestände Wie bereits dargelegt, enthält der Protection from Harassment Act 1997 auch genuin zivilrechtliche Regelungen, deren Möglichkeit der Geltendmachung jedoch jeweils von der Verwirklichung entweder des Straftatbestandes der Belästigung oder des Straftatbestandes des Versetzens eines Menschen in Furcht vor Gewalt abhängt.349 343 Vgl. Gregson, Golden Gate Law Review 1998, 220 (228); Blaauw/Winkel/Arensman/Sheridan/Freeve, Journal of Interpersonal Violence 2002, 50 (52); Hoffmann, Stalking, S. 151 ff.; Fiedler, Stalking, S. 33; vgl. Sheridan/Davies, The British Psychological Society 2001, 3 (4). Die Angst vor körperlichen Übergriffen oder sogar dem Tod stellt sich meist erst dann ein, wenn Stalking über einen sehr langen Zeitraum andauert. 344 Vgl. Sheridan/Davies, Legal and Criminological Psychology 2001, 3 (4); Mitsch, NJW 2007, 1237 (1238 f.). 345 So etwa Addison/Lawson-Cruttenden, Harassment Law and Practice, S. 41; Ormerod, Smith and Hogan Criminal Law, S. 659; Finch, Criminal Law Review 2002, 702. 346 Vgl. Ormerod, Smith and Hogan Criminal Law, 659. 347 Vgl. hierzu die Ausführungen unter § 2 II. 1. 348 Siehe hierzu Finch, Criminalisation of Stalking, S. 241 f.; Ormerod, Smith and Hogan Criminal Law, S. 660. 349 Vgl. hierzu Finch, Criminalisation of Stalking, S. 217.

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Strengt das Opfer im Falle einer Belästigung i. S. d. section 1 PfHA 1997 eine Klage vor dem Zivilgericht an, so hat es die Möglichkeit der Wahl zwischen zwei unterschiedlichen Verfahrenszielen. Das Opfer kann entweder für die erlittenen Beeinträchtigungen Schadensersatz in Geld verlangen,350 oder aber den Erlass einer einstweiligen Verfügung zum zukünftigen Schutz vor Belästigungen des Täters erwirken.351 In beiden Fällen liegt jedoch die Verfahrenslast maßgeblich auf den Schultern des Opfers. Da die Beweislastverteilung den Grundsätzen des Zivilprozesses und nicht denen des Strafprozesses folgt, muss das Opfer nicht nur von sich aus die Klage erheben, sondern auch für das Vorliegen einer Belästigung oder des Versetzens in Furcht vor Gewalt Beweis erbringen und die Lasten des Verfahrens im Falle eines Unterliegens tragen.352 Etwas anderes gilt dagegen, wenn das Gericht bereits eine einstweilige Verfügung gemäß section 3 (1), (3) (a) PfHA 1997 erlassen hat und der Täter gegen diese Anordnung verstößt. In diesem Fall stellt der Verstoß gegen die Anordnungen des Gerichts eine Straftat dar, deren gerichtliche Ahndung demgemäß auch den Grundsätzen des Strafprozesses unterliegt und eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, eine Geldstrafe oder beides nach sich ziehen kann.353 Der Verstoß gegen eine bereits erlassene einstweilige Verfügung kann jedoch auch im zivilrechtlichen Klageweg durch das Opfer geltend gemacht werden, wenn das Opfer damit eine richterliche Anordnung für die Ingewahrsamnahme des Täters durchsetzen will.354 Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass das klagende Opfer eine entsprechende Erklärung unter Eid abgibt und das erkennende Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass sich der Angeklagte entgegen den Bestimmungen verhalten hat.355 Auf der anderen Seite kann eine einstweilige Verfügung neben einer Freiheitsund/oder Geldstrafe auch durch das Strafgericht selbst erlassen werden, das über die Strafbarkeit des Täters nach den sections 2 (1), 1 PfHA 1997 oder nach section 4 PfHA 1997 befunden hat.356 Der eindeutige Vorteil auf Opferseite liegt darin, dass es hierfür keines Antrags des Geschädigten bedarf. Das Opfer treffen auch keinerlei Beweis- oder Nachweispflichten dafür, dass entweder der Straftatbestand der Belästigung oder der Straftatbestand des Versetzens in Furcht vor Gewalt durch den Täter verwirklicht wurden. Dies gilt ebenso für den Fall, in dem der Anklagte ohne einen vernünftigen Grund den Bestimmungen einer bereits vom Strafgericht erlassenen einstweili350 351 352 353 354 355 356

Vgl. hierzu section 3 (1), (2) Protection from Harassment Act 1997. Vgl. hierzu section 3 (1), (3) (a) Protection from Harassment Act 1997. Siehe hierzu Finch, Criminalisation of Stalking, S. 244 f. Vgl. hierzu section 3 (6), (3) (a) Protection from Harassment Act 1997. Vgl. section 3 (3) Protection from Harassment Act 1997. Vgl. section 3 (5) Protection from Harassment Act 1997. Vgl. section 5 (1) Protection from Harassment Act 1997.

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gen Verfügung zuwiderhandelt. Ein solcher Verstoß stellt gemäß section 5 PfHA 1997 eine Straftat dar und kann in einem beschleunigten Verfahren nach den Grundsätzen des Strafprozesses mit einer Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten, einer Geldstrafe bis zu 5.000 Pfund oder beidem, im Rahmen eines normalen Gerichtsverfahrens dagegen mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, einer Geldstrafe oder beidem belegt werden.357 Es zeigt sich damit, dass innerhalb der genuin zivilrechtlich geprägten Vorschriften des PfHA 1997 die Antrags- und Beweispflichten zum Teil völlig unterschiedlich verteilt sind und damit einhergehend auch die Verfahrenslasten zum Teil völlig unterschiedlich zu tragen sind. Diese Vermischung von unterschiedlichen Standards des Straf- und des Zivilprozesses innerhalb eines Regelungswerkes und teilweise innerhalb ein und derselben Vorschrift ist daher auch scharf kritisiert worden.358 Eine diesbezüglich einheitliche Regelung stellen lediglich die ausschließlich für Schottland geltenden Zivilrechtsvorschriften des PfHA 1997 dar.359 Hier trifft das Opfer jedoch auch die gesamte Verfahrenslast des Prozesses.360 d) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass die einzelnen Vorschriften des PfHA 1997 sehr geringe Anforderungen sowohl in Hinblick auf den objektiven als auch in Hinblick auf den subjektiven Tatbestand stellen. Ferner verfügen sie über eine Strafbarkeits- respektive Rechtswidrigkeitsschwelle, die ausschließlich an der Reaktion des Opfers festmacht und dabei über keinerlei ernst zu nehmenden objektiven oder objektivierten Bewertungsmaßstab verfügt. Dies ist insbesondere im Rahmen des Straftatbestandes der Belästigung bedenklich, da diese Vorschrift neben einer enormen tatbestandlichen Weite auch eine äußerst niedrige Strafbarkeitsschwelle aufweist. Während der Straftatbestand der Belästigung das Grunddelikt darstellt, gilt der Straftatbestand des Versetzens eines Menschen in Furcht vor Gewalt als Qualifikation. Zwar verfügt die Qualifikationsnorm über einen Tatbestand mit wenig ausdifferenzierten Anforderungen und scheint daher hinsichtlich des Anwendungsbereichs recht weit ausgestaltet zu sein. Tatsächlich erweist sich jedoch das Abstellen auf ein Hervorrufen von Furcht vor Gewalt – zumindest in der Praxis – als eine enorme Begrenzung dessen Anwendungsbereichs. Dies gilt insofern, als das Opfer in den meisten Fällen gerade nicht Angst vor körperlichen Übergriffen des Täters entwickelt, sondern ihm anderweitige Furchtgefühle oder psychische 357

Vgl. section 5 (6) Protection from Harassment Act 1997. Finch, Criminalisation of Stalking, S. 244. 359 Vgl. hierzu sections 8 ff. Protection from Harassment Act 1997. 360 Vgl. Kapley/Cooke, Trends in Antistalking Legislation, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 141 (156). 358

II. Deutschland

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Folgen zusetzen. Zugleich vermag der Qualifikationstatbestand diejenigen Fälle nicht zu erfassen, in denen sich die Furcht des Opfers nicht auf das eigene körperliche Wohl bezieht, sondern auf das einer anderen, dem Opfer nahestehenden Person. Der Beschränkung des Anwendungsbereichs auf das Hervorrufen einer Furcht vor Gewalt im Rahmen des Qualifikationstatbestandes steht eine enorme Weite des Straftatbestandes der Belästigung gegenüber. Der Straftatbestand der Belästigung ist daher nicht nur als Grund- sondern in erster Linie auch als Auffangtatbestand zu verstehen, der imstande ist, sämtliche Stalking-Fälle zu erfassen, auch wenn diese in ihrem Unrechtsgehalt über eine Belästigung hinausgehen. In diesem Zusammenhang ist auch die Entscheidung des Gesetzgebers zu verstehen, der in section 4 (5) PfHA 1997 geregelt hat, dass das erkennende Gericht, sollte es zu der Überzeugung gelangen, dass sich der Täter nicht wegen der Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes strafbar gemacht hat, diesen immer noch einer Straftat nach dem Grundtatbestand der Belästigung für schuldig befinden kann. Die Kehrseite eines solchen Gesamtkonzepts liegt jedoch auf der Hand. Keiner der beiden Straftatbestände vermag einen Eindruck dessen zu vermitteln, was nach Ansicht des britischen Gesetzgebers unter Stalking zu verstehen ist. Mehr noch: Indem der Qualifikationstatbestand nur auf Fälle anwendbar ist, in denen das Opfer tatsächlich in Furcht vor Gewalt versetzt wird, findet er in der Praxis eher selten Anwendung. Der Grundtatbestand ist mit der Forderung nach dem Vorliegen einer Belästigung demgegenüber in erster Linie auf das Erfassen sehr niederschwelligen Unrechts ausgelegt. Allerdings können diejenigen Fälle – zumindest mit den Vorschriften des PfHA 1997 – nicht adäquat unter Strafe gestellt werden, in denen das Opfer zwar keine Angst vor Gewalt erleidet, in denen ihm aber hinsichtlich des Wirkungsgrades vergleichbare, wenn nicht sogar schwerere Folgen widerfahren. Letztere bilden aber die Mehrheit der Fälle des Stalking. Es ist demnach durchaus nachzuvollziehen, dass der PfHA 1997 mehr im Rahmen von Bagatelldelikten wie beispielweise Nachbarschaftsstreitigkeiten Anwendung findet als im Rahmen der Ahndung gravierenden Stalking.361 II. Deutschland 1. Zur Gesetzgebungsgeschichte

Die Diskussion um die Einführung eines eigenständigen Straftatbestandes zum Schutz vor Stalking setzte in Deutschland im Vergleich zu den meisten übrigen westlichen Ländern erst spät ein.362 361 Siehe hierzu Infield/Platford, Stalking and the Law, in: Boon/Sheridan (Hrsg.), Stalking and Psychosexual Obsession, S. 221 (234). 362 Vgl. De Fazio, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 229 (231 ff.).

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§ 3 Gesetzgeberische Reaktionen auf das Verhaltensmuster Stalking

Gesetzgeberischen Handlungsbedarf für die Verbesserung des Opferschutzes in Bezug auf bestimmte Bereiche des Stalking sah der Bundestag erstmals im Jahre 2001. Damals richtete sich der Fokus auf die Verbesserung des Schutzes vor Gewalttaten und Nachstellungen bei Ehegatten, also insbesondere im Rahmen von Auseinandersetzungen im häuslichen Bereich mit familiärem Hintergrund.363 Das sog. Gewaltschutzgesetz, das zum 01.01.2002 in Kraft trat, sah diesen Schutz jedoch lediglich primär auf zivilrechtlicher Ebene vor.364 a) Gesellschaftspolitische Ausgangssituation Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des GewSchG entfaltete sich in Deutschland eine allgemeine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen Stalking, auch über den spezifischen Kontext der häuslichen Gewalt hinaus.365 In der Öffentlichkeit verband man mit dem Begriff Stalking bis dahin meist nur das fortwährende Verfolgen von Berühmtheiten des öffentlichen Lebens durch ihre Anhänger und wahnhafte Verehrer.366 Abgesehen von der Aufarbeitung einzelner Fälle beruhten die bis zum Jahr 2005 publizierten wissenschaftlichen Beiträge mangels breit angelegter nationaler Grundlagenforschung zu Stalking jedoch noch ausschließlich auf den Erkenntnissen internationaler Studien. Aussagen in Bezug auf die Beschaffenheit, die Auswirkungen oder allgemein die Verbreitung von Stalking gründeten daher auf Zahlen, die anhand von Studien vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien oder Australien ermittelt wurden.367 Ungeachtet dessen wurde die Forderung nach der Einführung eines eigenen Straftatbestandes zum Schutz vor Stalking auch nach dem Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes immer lauter.368 Als Vorbild galt diesen Stimmen die kurze, 363

Siehe hierzu BT-Drs. 14/7327. Siehe hierzu das Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz – GewSchG) vom 11. Dezember 2001, abgedruckt in BGBl. I S. 3513. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 b) GewSchG konnte gegen denjenigen eine einstweilige Verfügung mit der Maßgabe des Unterlassens weiterer Handlungen erlassen werden, der eine andere Person widerrechtlich und vorsätzlich dadurch unzumutbar belästigt, indem er ihr gegen den ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt oder sie unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln verfolgt. Das Zuwiderhandeln gegen eine solche einstweilige Verfügung stellte jedoch gemäß § 4 GewSchG eine Straftat dar. 365 Dies wird deutlich, wenn man die folgenden Beiträge von Löbmann, MschrKrim 2002, 25 (25 ff.); Hoffmann, Kriminalistik 2001, 34 (34 ff.); Schäfer, Kriminalistik 2000, 587 (587 ff.) betrachtet. 366 Siehe hierzu Meyer, ZStW 2003, 249 (249 f.). 367 Für einen Nachweis siehe vor allem Löbmann, MschrKrim 2002, 25 (25 ff.); Stange/Rilinger, StraFo 2003, 194 (195, 198). Zu bedenken ist zudem, dass keine allgemein gültige oder anerkannte Definition von Stalking existiert, vgl. hierzu Rackow, GA 2008, 552 (553) mit vielen weiteren Nachweisen. 364

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aber sehr intensive Entwicklungsgeschichte des Phänomens unter seiner erstmaligen Bezeichnung als Stalking vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika und die dortige Gesetzgebungspolitik zur Bekämpfung des neu entdeckten Phänomens.369 Vor diesem Hintergrund ist letztlich zu verstehen, dass die Notwendigkeit einer Einführung eines spezifischen Straftatbestandes in Deutschland – auch ohne eine ausreichende Aufarbeitung des Phänomens anhand spezifisch nationaler Erkenntnisse – zu einem großen Teil nachdrücklich vertreten wurde.370 Eine besondere Dynamik erfuhr diese Diskussion insbesondere durch eine anhaltende Berichterstattung in den Massenmedien über Einzelfälle, in deren Verlauf das Opfer umgebracht oder zumindest ernsthaft mit dem Tode bedroht wurde. Die Darstellung dieser Fälle ließ dabei den Schluss zu, dass es sich dabei geradezu um den typischen Fall von Stalking handeln würde und dies auch keine Einzelschicksale seien, sondern mit Stalking vielmehr ein weit verbreitetes und allgegenwärtiges Phänomen vorläge.371 Oftmals wurde dabei im Rahmen der Berichterstattungen das bestehende rechtliche Instrumentarium zum Schutz der Opfer als unzureichend dargestellt und der Ruf nach einem spezifischen Straftatbestand zur Bekämpfung des Stalking erneuert, mit dem man sich ein effektives, da frühes Einschreiten auch der Polizei versprach.372 Dabei erhielt der in den Medien vermittelte Eindruck einer besonderen Gefährdungs- und Bedrohungslage insbesondere dadurch Antrieb, dass die einzelnen Stalkingfälle nicht nur Berühmtheiten des öffentlichen Lebens, sondern auch gerade normale Bürgerinnen und Bürger betrafen.373 Angesichts dieser öffentlichen Wahrnehmung war es möglich, dass Stalking das Sicherheitsgefühl jedes Einzelnen tangieren und sich hierzulande in ein Klima allgemein empfundener Kriminalitätsfurcht und eines in der Gesellschaft weit verbreiteten kriminalitätsgenerierten Unsicherheitsgefühls einbetten konnte.374 Das Zusammentreffen dieser verschiedenen Aspekte kann als Grund dafür gesehen werden, dass die Bekämpfung von Stalking recht schnell zu einem Be368 Siehe hierzu Kerbein/Pröbsting, ZRP 2002, 76 (78); Stange/Rilinger, StraFo 2003, 194 (195 f., 198); zurückhaltender dagegen, da differenzierend Meyer, ZStW 2003, 249 (259 ff., 293); dies andiskutierend auch Löbmann, MschrKrim 2002, 25 (31). Ablehnend dagegen unter Anführung äußerst plausibler Gründe Borchert, FPR 2004, 239 (240 f.). 369 Kerbein/Pröbsting, ZRP 2002, 76 (78); vgl. hierzu Fischer, StGB, § 238 Rn. 3. 370 Vgl. hierzu Fischer, StGB, § 238 Rn. 3 f. 371 Meyer, ZStW 2003, 249 (249 f.). 372 Vgl. hierzu Neubacher, ZStW 2006, 854 (865). 373 Vgl. Löbmann, MschrKrim 2002, 25 (31). 374 Albrecht, FPR 2006, 204 (204); ferner Neubacher, ZStW 2006, 854 (864 f.). Letzterer spricht in diesem Zusammenhang von dem Import einer bestimmten Problemwahrnehmung. Allgemein zu dem Anschein eines steigenden Sicherheitsbedürfnisses in der Gesellschaft siehe ausführlich Sessar, MschrKrim 2010, 361 (363 ff.); Klimke, Wach- & Schließgesellschaft Deutschland, S. 97 ff.

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standteil des gesteigerten Sicherheitsbedürfnisses innerhalb der Gesellschaft und demnach auch zum Gegenstand des gesetzgebungspolitischen Diskurses wurde. b) Standpunkt in der Rechtswissenschaft Bis zur parlamentarischen Debatte um die Einführung eines spezifischen Straftatbestandes zum Schutz vor Stalking wurden die wissenschaftlichen Beiträge immer zahlreicher, die sich mit der Notwendigkeit eines spezifischen Straftatbestandes befassten und zur Schließung von Strafbarkeitslücken eine solche gesetzliche Regelung für zwingend notwendig erachteten.375 Auf der anderen Seite gab es jedoch auch Stimmen, die der Einführung eines solchen spezifischen Straftatbestandes kritisch gegenüber standen und sich stattdessen für einen verstärkten Schutz auf zivilrechtlicher Ebene, etwa durch den Ausbau der Vorschriften des GewSchG, aussprachen.376 Sie begründeten dies mit dem Argument, dass die Formen des schweren Stalking mit den bereits bestehenden strafrechtlichen Vorschriften der §§ 223 ff. StGB ausreichend erfasst seien.377 Dies gelte zwar nicht für die Formen des milden Stalking, allerdings verspräche in diesen Fällen die Verstärkung zivilrechtlicher Schutzmaßnahmen bzw. der Ausbau polizeilicher Eingriffsbefugnisse immer noch einen früher eingreifenden und schließlich effektiveren Schutz als der Einsatz des Strafrechts.378 Darüber hinaus gaben sie zu bedenken, dass sich das komplexe und facettenreiche Phänomen Stalking angesichts der verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen nicht in einem Straftatbestand erfassen lasse.379 c) Gang der Gesetzgebung Der deutsche Bundesrat befasste sich erstmals im Jahr 2004 mit verschiedenen Entwürfen für ein Strafgesetz zur Bekämpfung des Phänomens Stalking, die auf 375 Vgl. hierzu Smischek, Stalking – Eine strafrechtswissenschaftliche Untersuchung, S. 240 ff., 279 ff., 344 f.; Habermeyer, FPR 2006, 196 (198); Sommerfeld/Voß, SchlHA 2005, 326 (327, 331) (Seminar); v. Pechstaedt, Spezifischer Rechtsschutz, in: Dreßing/ Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 101 (125 f.). 376 Siehe hierzu unter Anführung äußerst plausibler Gründe zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Diskussion Borchert, FPR 2004, 239 (240 f.); ferner Pollähne, StraFo 2006, 398 (401); etwas später, jedoch noch vor Einführung des Straftatbestandes Kinzig, ZRP 2006, 255 (256, 258). 377 Vgl. hierzu Kinzig, ZRP 2006, 255 (256, 258) mit Verweis auf die Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 24.01.2001, Az.: 3 Ss 131/00. 378 Vgl. Kinzig, ZRP 2006, 255 (256, 258); so auch Borchert, FPR 2004, 239 (240 f.). 379 So allen voran bereits im Jahre 2004 Borchert, FPR 2004, 239 (240 f.). Kritisch angesichts der drohenden Unbestimmtheit des Straftatbestandes ferner Pollähne, StraFo 2006, 398 (401).

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die Initiativen der Bundesländer Hessen380, Baden-Württemberg381 und Schleswig-Holstein382 zurückgingen. Aus diesen Entwürfen und einer Empfehlung des Rechtsausschusses des Bundesrates ging schließlich ein Gesetzentwurf des Bundesrates hervor.383 Dieser sah die Einführung eines § 238 StGB-E vor, nach dem sich strafbar macht, wer unbefugt und in einer Weise, die geeignet ist, einen Menschen in seiner Lebensgestaltung erheblich zu beeinträchtigen, eine andere Person nachhaltig belästigt.384 Eine nachhaltige Belästigung im Sinne dieses Tatbestandes konnte nur begehen, wer fortwährend zumindest eine der vier vom Tatbestand vorgegebenen Handlungsvarianten vornimmt, von denen eine angesichts ihrer äußert weiten Ausgestaltung als Auffangklausel dienen sollte. Nicht zuletzt aufgrund dieser Auffangvariante wurde der Gesetzentwurf des Bundesrates nach einer ersten Einbringung in den Bundestag im Jahre 2005 von der rot-grünen Bundesregierung zurückgewiesen. Die damalige Bundesregierung teilte zwar die im Gesetzentwurf des Bundesrates zum Ausdruck gebrachte Einschätzung, dass der (strafrechtliche) Schutz der Opfer von Stalking verbessert werden müsse, lehnte jedoch den entsprechenden Entwurf aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken in Bezug auf das Bestimmtheitsgebot ab.385 Damit war die gesetzgeberische Debatte um die Einführung eines Straftatbestandes zum Schutz vor Stalking vorläufig gestoppt. Die gesellschaftliche und gesetzgeberische Diskussion um die Notwendigkeit eines entsprechenden spezifischen Straftatbestandes nahm ob neuer empirischer Erkenntnisse noch im Jahr 2005 jedoch wieder Fahrt auf. Die ersten repräsentativen nationalen Studien erhärteten den Eindruck von Stalking als einem ernst zu nehmenden sozialen Problem auch in Deutschland. Eine in Mannheim durchgeführte repräsentative und epidemiologisch angelegte Studie gelangte zu dem Ergebnis, dass knapp 11,6% der Bevölkerung in Deutschland mindestens ein Mal in ihrem Leben über eine Zeitspanne von mindestens zwei Wochen durch mindestens zwei Verhaltensweisen verfolgt, belästigt oder bedroht und dadurch in Angst versetzt werden.386 Im selben Jahr gelangte eine Arbeitsgruppe an der TU 380

Siehe hierzu BR-Drs. 551/04. Das Land Baden-Württemberg trat in der Sitzung des Bundesrates vom 18. März 2005 dem entsprechenden Antrag des Landes Hessen bei, siehe den Stenografischen Bericht des Bundesrates der 809. Sitzung des Bundesrates vom 18.03.2005, S. 85. 382 Siehe hierzu BR-Drs. 551/2/04. 383 Siehe hierzu BT-Drs. 15/5410. Zur parlamentarischen Entstehungsgeschichte des Nachstellungsparagraphens siehe die sehr detaillierte Übersicht des C. H. Beck-Verlages im Rahmen seines Online-Dienstes, abrufbar unter http://rsw.beck.de/rsw/shop/de fault.asp?docid=163951. In leicht veränderter Form zu finden bei Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 165; vgl. ferner Gazeas, KJ 2006, 247 (248 ff.). 384 Vgl. hierzu BR-Drs. 551/04. 385 Siehe hierzu BT-Drs. 15/5410, S. 9 (Anlage 2). 386 Dreßing/Kühner/Gass, Psychiatrische Praxis 2005, S. 73 (75). 381

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Darmstadt mittels einer breit angelegten Internetbefragung auf repräsentativer Ebene zu vergleichbaren Erkenntnissen.387 Nach der ersten Zurückweisung des Gesetzentwurfes des Bundesrats durch den Bundestag im Juni 2005 beschloss die Bundesregierung im August selbigen Jahres einen Gesetzentwurf.388 Dieser sah die Einführung eines § 241b StGB-E vor, nach dem mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird, wer einer anderen Person durch beharrliches Verhalten nachstellt und dadurch deren Lebensgestaltung schwerwiegend und unzumutbar beeinträchtigt. 389 Eine Nachstellung im Sinne des § 241b StGB-E konnte jedoch nur begehen, wer in beharrlicher Weise zumindest eine der insgesamt fünf verschiedenen, im Tatbestand abschließend aufgezählten und näher bezeichneten Handlungsvarianten ausübte. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung stieß jedoch in der Länderkammer auf deutliche Ablehnung. Im Gegensatz zu dem bereits im Bundestag verworfenen Gesetzentwurf des Bundesrates verfügte der Gesetzentwurf der Bundesregierung hinsichtlich der die Tathandlung kennzeichnenden Handlungsvarianten nicht über eine Auffangalternative.390 Während man im Bundesrat der Auffassung war, dass hinsichtlich der Tathandlungsvarianten nur ein Auffangtatbestand der Vielgestaltigkeit der Vorgehensweisen, die dem Stalker zur Kontaktaufnahme gegen den Willen des Opfers zur Verfügung stehen, gerecht werden könne, lehnte der Bundestag diesen Auffangtatbestand aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken wegen der damit einhergehenden Unbestimmtheit ab.391 Die Ablehnung des Zypries’schen Gesetzentwurfes war demnach aus der Sicht des Bundesrates nur konsequent.392 Obgleich sich Bundestag und Bundesrat damit in der Gesetzgebung gegenseitig blockierten, war zu diesem Zeitpunkt nicht zuletzt aufgrund der öffentlichen Stimmung die Einführung eines eigenständigen Straftatbestandes zum Schutz vor Stalking absehbar. Einen Grundstein hierzu legte die der rot-grünen Regierung im Herbst 2005 nachfolgende große Koalition, als sie sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf einigte, das Nachstellen künftig in einem eigenen Straftatbestand unter Strafe zu 387

Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 159 f. Siehe hierzu BR-Drs. 617/05. Dieser Gesetzentwurf stammte aus der Feder des Bundesjustizministeriums unter Leitung der damaligen Justizministerin Brigitte Zypries und wurde daher immer mit ihr in Verbindung gebracht. 389 Vgl. hierzu BR-Drs. 617/05, Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen, Entwurfseite 1. 390 Vgl. hierzu BR-Drs. 617/05 und BR-Drs. 551/04. 391 Für die Ansicht des Bundesrates siehe BR-Drs. 617/1/05, für die Ansicht des Bundestages hingegen siehe BT-Drs. 15/5410, S. 9 (Anlage 2). 392 Vgl. hierzu BR-Drs. 617/1/05. 388

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stellen.393 Die Frage war demnach nicht mehr, ob und wann ein solcher Straftatbestand geschaffen und in Kraft treten werde, sondern vielmehr, wie die Strafvorschrift im Einzelnen auszugestalten sei. Einen ersten Versuch zur Beantwortung dieser Frage unternahm die neue Bundesregierung, indem sie zu Beginn des Jahres 2006 dem Bundesrat den zunächst gescheiterten Entwurf aus der Feder des Bundesjustizministeriums erneut vorlegte.394 Innerhalb der Länderkammer wurde dieser Vorschlag der Bundesregierung erwartungsgemäß als unzureichend kritisiert. Im Gegenzug brachte der Bundesrat wiederum seinen bereits im Vorjahr im Bundestag gescheiterten Gesetzentwurf eines § 238 StGB-E im Parlament ein, da dieser inzwischen der Diskontinuität unterfallen war.395 In seiner Sitzung vom 11.05.2006 debattierte das Parlament erstmals wieder über die Gesetzesvorschläge von Bundesregierung und Bundesrat und einigte sich auf einen Kompromissvorschlag.396 Dieser orientierte sich maßgeblich an der Ausgestaltung des § 241b StGB-E und damit an dem Gesetzentwurf der Bundesregierung.397 Lediglich die vorgesehene Nummerierung des Straftatbestandes, dessen übergeordnete Tathandlung398 sowie der zweite Absatz über die Qualifikation bzw. der dritte Absatz über die Erfolgsqualifikation waren dem Gesetzentwurf des Bundesrates entnommen.399

393 Zur parlamentarischen Entstehungsgeschichte des Nachstellungsparagraphens siehe die sehr detaillierte Übersicht des C. H. Beck-Verlages im Rahmen seines OnlineDienstes, abrufbar unter http://rsw.beck.de/rsw/shop/default.asp?docid=163951. In leicht veränderter Form zu finden bei Buß, Stalkingstraftatbestand, S. 165; vgl. ferner Gazeas, KJ 2006, 247 (248 ff.). 394 Vgl. hierzu BT-Drs. 16/575. 395 Vgl. hierzu den Beschluss des Bundesrates zur Einbringung des Vorschlages in den Bundestag in BR-Drs. 48/06, bzw. selbigen Gesetzentwurf bei seiner Einbringung in den Bundestag schließlich in BT-Drs. 16/1030. 396 Siehe hierzu das Plenarprotokoll der 35. Sitzung des Bundestages vom 11.05. 2006, S. 2969 ff. Anzumerken ist jedoch, dass es sich bei dieser ersten Lesung um eine äußerst kuriose Sitzung handelte. Die Gesetzentwürfe der Bundesregierung und des Bundesrates existierten zum Zeitpunkt der Beratungen nicht mehr, die entsprechenden Vorschlagsverfasser hatten sich bereits vor der Sitzung des Bundestages auf einen Kompromissvorschlag geeinigt, der vorab in einer Pressemeldung des BMJ (siehe hierzu die Pressemeldung des BMJ vom 11.05.2006; abrufbar unter: www.bmj.bund.de) veröffentlicht wurde. Den Parlamentariern stand daher zur „Beratung“ nur der Kompromissvorschlag, nicht aber die beiden ursprünglichen Gesetzentwürfe zur Verfügung. Vgl. insoweit die Ausführungen des Redners der Fraktion Bündnis90/Die Grünen Montag in dem Plenarprotokoll der 35. Sitzung des Bundestages vom 11.05.2006, S. 2973 f. 397 Vgl. hierzu die Pressemitteilung des BMJ vom 11.05.2006, abrufbar unter www. bmj.de. 398 Im Rahmen des Kompromissvorschlags beschrieb die Tathandlung das unbefugte Belästigen eines Menschen. 399 Vgl. hierzu § 238 StGB-E „Schwere Belästigung“ im Rahmen der Pressemitteilung des BMJ vom 11.05.2006, abrufbar unter www.bmj.de.

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Der Kompromissvorschlag wurde dem Rechtsausschuss des Bundestages zur federführenden Beratung vorgelegt, der sich damit im Oktober 2006 beschäftigte und hierzu auch eine Sachverständigenanhörung durchführte. Nach eingehenden Beratungen einigte man sich schließlich innerhalb des Rechtsausschusses auf eine geringe Modifizierung des Kompromissvorschlages, für die sich der Rechtsausschuss am 29.11.2006 im Rahmen seiner Empfehlung aussprach.400 Diese Modifizierung hatte unter anderem zum Inhalt, dass die übergeordnete Tathandlung des zu verabschiedenden Straftatbestandes nicht länger im unbefugten Belästigen, sondern vielmehr im unbefugten Nachstellen einer Person bestehen sollte. Darüber hinaus einigte man sich im Rechtsausschuss auf das Hinzufügen einer Auffangalternative im Rahmen der die übergeordnete Tathandlung des unbefugten Nachstellens konkretisierenden Handlungsvarianten.401 Somit sah der vom Rechtsausschuss zur Empfehlung vorgelegte Gesetzentwurf keine abschließende Aufzählung der zur Spezifizierung der Tathandlung infrage kommenden konkretisierten Handlungsvarianten vor, wie sie noch der entsprechende Gesetzentwurf der Bundesregierung kannte.402 Dies galt als notwendiges Zugeständnis an den Bundesrat, da sich bereits der Kompromissvorschlag sehr stark an dem Gesetzentwurf der Bundesregierung orientierte und statt eines Eignungsdelikts – wie im Rahmen des Gesetzentwurfs des Bundesrates –, einen als Erfolgsdelikt ausgestalteten Straftatbestand zum Schutz vor Stalking zum Inhalt hatte. Am 30.11.2006 nahm der Bundestag diesen Kompromissvorschlag in der Fassung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses in zweiter und dritter Lesung an und verabschiedete ihn daraufhin als Gesetz.403 Das Gesetzgebungsver400

Siehe hierzu BT-Drs. 16/3641, S. 14 ff. Das Fehlen einer solchen Auffangalternative zur Vermeidung einer abschließenden Aufzählung der die Tathandlung konkretisierenden Handlungsvarianten war im Rahmen des ursprünglichen Gesetzentwurfes der Bundesregierung immer wieder durch den Bundesrat stark kritisiert worden. Nach Auffassung des Bundesrates konnte nur eine solche Auffangklausel der Vielgestaltigkeit der Vorgehensweisen des Täters gerecht werden und zu einem verbesserten Opferschutz beitragen, vgl. hierzu BR-Drs. 617/1/05. 402 Die Bundesregierung verzichtete zunächst bewusst auf eine solche Auffangklausel, da diese nach Ansicht des Bundestages aufgrund ihrer Unbestimmtheit erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken hervorrief, vgl. hierzu BT-Drs. 15/5410, S. 9 (Anlage 2). 403 Siehe hierzu den Gesetzentwurf in der Fassung der Beschlussempfehlung des 6. Ausschusses in BT-Drs. 16/3641, S. 4 ff. Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses in BT-Drs. 16/3641, S. 14 in Hinblick auf die Begründungen zu § 238 StGB weitestgehend auf die Begründungen zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 16/575, S. 6 ff.) verweist. Der Rechtsanwender ist daher gehalten, sich im Rahmen der Interpretation des § 238 StGB die Erläuterungen und Begründungen aus den verschiedenen Entwurfsbegründungen zu den jeweils umgesetzten Passagen zusammenzusuchen. Kritisch hierzu daher zu Recht Buß, Straftatbestand, S. 187. 401

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fahren galt zum 16.02.2007 als inhaltlich abgeschlossen.404 Nur einen Tag später wurde das Gesetz zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen im Bundesgesetzblatt verkündet.405 § 238 StGB ist damit zum 31.03.2007 in Kraft getreten. 2. Ausgestaltung des Straftatbestandes der Nachstellung nach § 238 StGB

a) Regelungsgegenstand Der als Erfolgsdelikt ausgestaltete § 238 StGB stellt in seinem Grunddelikt im Rahmen des ersten Absatzes das unbefugte Nachstellen, durch das die Lebensgestaltung eines anderen Menschen schwerwiegend beeinträchtigt wird, unter Strafe. Die Tathandlung des Nachstellens wird dabei anhand der in den Nummern 1 bis 5 normierten Handlungsvarianten konkretisiert. Die Handlungsvariante in Nummer 5 dient dabei angesichts ihrer Bezeichnung als „andere vergleichbare Handlung“ als Auffangklausel.406 Im Einzelnen stellt damit i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB nach, wer die räumliche Nähe eines anderen Menschen aufsucht (Nr. 1), unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu ihm herzustellen versucht (Nr. 2), unter missbräuchlicher Verwendung von dessen personenbezogenen Daten Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für ihn aufgibt oder Dritte veranlasst, mit diesem Kontakt aufzunehmen (Nr. 3), ihn mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit seiner selbst oder einer ihm nahe stehenden Person bedroht (Nr. 4), oder eine andere vergleichbare Handlung vornimmt (Nr. 5). Die Handlungen müssen jeweils beharrlich und damit wiederholt vorgenommen werden, um ein Nachstellen im Sinne des § 238 Abs. 1 StGB darzustellen. Dieses Nachstellen muss zudem unbefugt sein, was nach dem Willen des Gesetzgebers in der Regel dann anzunehmen ist, wenn der Täter gegen den Willen des Opfers handelt und sich der Täter nicht auf eine Befugnisnorm stützen kann.407 Der zweite und dritte Absatz des § 238 StGB enthält eine qualifizierte bzw. erfolgsqualifizierte Strafschärfung zum besonderen Schutz der Gesundheit und des Lebens des Opfers. Absatz vier regelt das Strafantragserfordernis im Falle der Verwirklichung des § 238 Abs. 1 StGB für diejenigen Konstellationen, in de404 Hintergrund war, dass der Bundesrat in seiner Sitzung vom 16.02.2007 beschlossen hatte, von seinem Recht auf Antragstellung zur Einberufung des Vermittlungsausschusses gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG in Bezug auf das vom Deutschen Bundestag am 30.11.2006 verabschiedete Gesetz zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen keinen Gebrauch zu machen, vgl. BR-Drs. 46/07. 405 Vgl. hierzu BGBl. 2007, Teil 1 Nr. 11, S. 354. 406 Vgl. hierzu den Beschluss des Bundestages BT-Drs. 16/3641, S. 13 f. 407 Siehe BT-Drs. 16/575, S. 7.

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nen die Strafverfolgungsbehörde mangels besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für nicht geboten hält.408 Der Gesetzgeber hat demnach mit § 238 Abs. 1 StGB ein Verhaltenskonstrukt im Gesamten unter Strafe gestellt.409 Innerhalb des Tatbestandes der Nachstellung finden sich die einzelnen Kriterien wieder, die allgemein als Wesensmerkmale des Stalking gelten.410 So haben die zur Konkretisierung der Tathandlung des Nachstellens in den Nummern 1 bis 5 normierten Verhaltensweisen die unbefugte – und damit vom Opfer ungewollte – Kontaktaufnahme gemein.411 Des Weiteren müssen diese Verhaltensweisen beharrlich und demnach wiederholt vorgenommen werden. Schließlich ist auch der Taterfolg, namentlich die schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, als negative Folge des Stalking zu werten. b) Gesetzgeberisches Regelungsbedürfnis Obgleich der Begriff Stalking weder in der gesetzlichen Überschrift des § 238 StGB noch im Straftatbestand selbst Erwähnung findet, steht außer Frage, dass der Straftatbestand in erster Linie zur Bekämpfung des als soziales Problem ausgemachte Phänomen Stalking geschaffen und eingeführt wurde. Den Gesetzesbegründungen zufolge waren die Vorschriften des erst im Jahr 2002 in Kraft getretenen Gewaltschutzgesetzes aufgrund von Umsetzungsdefiziten in Bezug auf den Opferschutz nicht ausreichend genug gewesen, um der neuartigen Erscheinungsform entgegenzutreten.412 Mit den strafrechtlichen Bestimmungen zum Schutz des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der persönlichen Freiheit, sowie des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs und der sexuellen Selbstbestimmung sei man aufgrund der lediglich punktuellen Unrechtserfassung bis dato nicht imstande gewesen, den spezifischen Unwertgehalt von beharrlichem Verhalten in ausreichender Weise zu erfassen.413 Das bisherige strafrechtliche Instru408 Der Straftatbestand der Nachstellung nach § 238 StGB stellt demnach ein (relatives) Antragsdelikt dar. 409 Vgl. auch Rackow, GA 2008, 552 (552). 410 Es handelt sich demnach um ein auf eine Person ausgerichtetes Verhaltenskonstrukt, welches sich aus einzelnen Handlungen zusammensetzt, die durch eine wiederholt einseitige Kommunikation oder Kontaktaufnahme geprägt sind, länger andauert und bei dem Opfer bestimmte negative Auswirkungen hervorruft, vgl. hierzu Giorgi-Guarnieri/ Norko, Stalking: Introduction, Definition and Epidemiology, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 3 (5); Tran, Hastings International and Comparative Law Review 2003, 445 (455); vgl. aus deutscher Sicht Dreßing, Allgemeiner Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (16); Hoffmann, Stalking, S. 2 f. 411 Vgl. auch die die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/3641, S. 14. 412 Siehe hierzu den Verweis in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses auf die Ausführungen im Rahmen des Gesetzentwurfes des Bundesregierung (BT-Drs. 16/ 575, S. 7 f.). 413 Siehe hierzu die vom Bundestag angenommene Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drs. 16/3641, S. 14) mit Verweis auf die Begründung des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung (BT-Drs. 16/575, S. 6 ff.).

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mentarium habe sich im Bezug auf den Schutz vor Stalking als unzulänglich erwiesen.414 Außerdem – und dies wird deutlich hervorgehoben – werde mit der Einführung eines eigenen Anti-Stalking-Paragraphens das Ziel verfolgt, den Strafverfolgungsbehörden, Gerichten und der Öffentlichkeit die zum Teil schwerwiegenden Auswirkungen des Stalking auf die Betroffenen und die Gefahren einer Marginalisierung vor Augen zu führen.415 Man wolle mit der Schaffung einer speziellen Vorschrift zum Schutz vor beharrlichen Nachstellungen ein eindeutiges Zeichen setzen.416 c) Systematische Stellung im Gesetz Der Straftatbestand zum Schutz vor beharrlichen Nachstellungen ist durch das 40. StrÄG in Gestalt des § 238 StGB in das Strafgesetzbuch eingefügt worden und zum 31.03.2007 in Kraft getreten.417 Er übernimmt damit die Platznummer des durch das 6. StrRG im Jahre 1998 aufgehobenen § 238 StGB a. F., welcher unter anderem die Voraussetzungen der Verfolgung einer Entziehung oder Entführung nach den §§ 235–237 StGB a. F. zum Inhalt hatte.418 Systematisch befindet sich die Vorschrift zum Schutz vor beharrlichen Nachstellungen damit im 18. Abschnitt des Besonderen Teils über die Straftaten gegen die persönliche Freiheit.419 Dies hat insofern seinen Sinn, als ausweislich der entsprechenden Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu § 238 StGB-E eine massive Beeinträchtigung der Freiheitssphäre als typische Folge von Stalking-Handlungen angesehen wird.420 Die Platzierung des Nachstellungstatbestandes in unmittelbarer Nähe zur Freiheitsberaubung nach § 239 StGB wird damit begründet, dass die Qualität und insbesondere die Intensität einer stalkingspezifischen Beeinträchtigung der Freiheitssphäre einer Einschränkung der Freiheit zur Ortsveränderung in nichts nachstehe.421

414 Siehe hierzu die vom Bundestag angenommene Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drs. 16/3641, S. 14) mit Verweis auf die Begründung des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung (BT-Drs. 16/575, S. 6 ff.). 415 Siehe hierzu die vom Bundestag angenommene Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drs. 16/3641, S. 14) mit Verweis auf die Begründung des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung (BT-Drs. 16/575, S. 6 ff.). 416 So die Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz vom 30.11.2006 kurz nach Verabschiedung des Gesetzes zur Schaffung des § 238 StGB, abrufbar unter www. bmj.de. 417 Siehe hierzu BGBl. 2007, Teil 1 Nr. 11, S. 354. 418 Vgl. hierzu Dreher/Tröndle, Strafgesetzbuch, 46. Auflage 1993, § 238 Rn. 2. 419 Einen knappen Überblick hierüber verschafft Schroeder, JuS 2009, 14 (14 ff.). 420 Siehe hierzu den Beschluss des Bundestages BT-Drs. 16/3641, S. 14. 421 Siehe hierzu den Beschluss des Bundestages BT-Drs. 16/3641, S. 14.

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d) Schutzgut des § 238 Abs. 1 StGB Während die Begründungen des Gesetzgebers zur systematischen Stellung des § 238 StGB präzise und schlüssig sind, erscheinen die Ausführungen zum Schutzgut des Nachstellungstatbestandes jedoch missverständlich und vage. Grund hierfür ist nicht zuletzt, dass der Nachstellungstatbestand auf einen Kompromissvorschlag des Rechtsausschusses zurückgeht, der auf den Gesetzentwürfen der Bundesregierung und des Bundestages basiert und der Gesetzgeber – entsprechend der Empfehlung des Rechtsausschusses – auf die entsprechenden Entwurfsbegründungen zu den jeweils in § 238 StGB umgesetzten Passagen verweist.422 Da das Schutzgut einer Strafnorm jedoch niemals ausdrücklich im Tatbestand genannt wird, bleibt offen, auf welche Entwurfsbegründung zur Bestimmung des Schutzgutes zurückgegriffen werden kann. Letztlich kommen hierfür die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, die Begründung zum Gesetzentwurf des Bundesrates und die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses in Betracht. Der Rechtsausschuss hat in seiner Beschlussempfehlung jegliche Ausführungen zum Schutzgut des Nachstellungstatbestandes vermieden. Lediglich im Rahmen der zur systematischen Stellung angestellten Erwägungen lassen sich der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses erste Anhaltspunkte zur Bestimmung des Schutzgutes entnehmen. Danach sei die massive Beeinträchtigung der Freiheitssphäre des Opfers eine typische Folge des Stalking.423 Diese komme in ihrem Schweregrad der Einschränkung der Freiheit zur Ortsveränderung gleich. Ferner sei die Behinderung der Fortbewegungsfreiheit nicht selten eine Konsequenz des Täterverhaltens.424 Da der Tatbestand der Nachstellung in den einzelnen, die Tathandlung des Nachstellens konkretisierenden Handlungsweisen eine unmittelbare physische Zwangseinwirkung durch den Täter jedoch nicht vorsieht, kommt die Fortbewegungsfreiheit als mögliches Schutzgut des § 238 StGB nicht in Betracht. Auch die Begründung zum entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung schweigt in Hinblick auf eine konkrete Bezeichnung des Schutzgutes.425 422 Vgl. zum Verweis auf die Begründungen der entsprechend übernommenen Passagen BT-Drs. 16/3641, S. 14. Demnach ist bei der Ermittlung des gesetzgeberischen Willens – je nach der in § 238 StGB umgesetzten Passage – entweder auf die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 16/575, S. 6 ff.) oder auf die Begründung zum Gesetzentwurf des Bundesrates (BT-Drs. 16/1030, S. 6 ff.) abzustellen. Zudem sind die Ausführungen des Rechtsausschusses im Rahmen seiner Beschlussempfehlung (BT-Drs. 16/3641, S. 14 ff.) zu beachten. Instruktiv hierzu Gazeas, JR 2007, 497 (497). 423 Siehe hierzu BT-Drs. 16/3641, S. 14. Diese Ausführungen sind maßgeblich der Begründung zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates entnommen, siehe entsprechend BT-Drs. 16/1030, S. 6. 424 Siehe hierzu BT-Drs. 16/3641, S. 14. 425 Vgl. BT-Drs. 16/575, S.6 ff.

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Zwar sind auch ihr einige Anhaltspunkte für eine Bestimmung des Schutzgutes zu entnehmen, allerdings lassen diese verschiedene Schlüsse zu. So führt die Bundesregierung in der Begründung zu ihrem Gesetzentwurf aus, den spezifischen Unrechtsgehalt der beharrlichen Nachstellung kennzeichne eine Beeinträchtigung der Handlungs- und Entschließungsfreiheit des Opfers.426 Als mögliches Schutzgut des § 238 Abs. 1 StGB kommt demnach die Handlungsund Entschließungsfreiheit in Betracht.427 Gegen ein solches Schutzgut spricht jedoch, dass in der Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung an mehreren Stellen von Stalking als „einem strafwürdigen Eingriff in den individuellen Lebensbereich des Betroffenen“ die Rede ist.428 Demnach könnte auch der individuelle bzw. der persönliche Lebensbereich das Schutzgut des § 238 StGB darstellen. Wiederum hiergegen könnte sprechen, dass die Bundesregierung in der Begründung zu ihrem Gesetzentwurf zudem konstatiert, dass Stalking negative Auswirkungen insbesondere auf die Psyche der Opfer habe.429 So werde das Opfer durch das Verhalten des Täters psychisch beeinträchtigt, da es „sich in die Enge getrieben, ständig beobachtet, gejagt und bedroht fühle“.430 Die Betroffenen litten demnach häufig unter Angstzuständen, Schlaflosigkeit, Nervosität und Depressionen.431 Diesen Ausführungen zufolge soll vor allem die psychische – und in besonders schwerwiegenden Fällen zugleich die physische – Unversehrtheit des Opfers durch den Nachstellungsparagraphen geschützt werden.432 Letzteres deckt sich wiederum mit den Ausführungen des Bundesrates in der Begründung zu seinem Gesetzentwurf.433 Angesichts der Uneinheitlichkeit der jeweiligen Gesetzentwurfsbegründungen kommen demnach zur Bestimmung des Schutzgutes verschiedene Anknüpfungspunkte in Betracht, die letztlich zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können.434 So soll § 238 StGB die Handlungs- und Entschließungsfreiheit als Aus426 Dies kommt gleich an zwei Stellen der entsprechenden Entwurfsbegründung deutlich zur Sprache, siehe hierzu BT-Drs. 16/575, S.6 (rechte Spalte oben) und 7 (linke Spalte mittig). 427 Ähnlich der Bundesrat in der Begründung zu seinem Gesetzentwurf, siehe BTDrs. 16/1030, S. 6: „Entschließungs- und Handlungsfreiheit“. Allerdings nennt die Begründung des Gesetzentwurfes daneben noch die Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens. 428 Siehe hierzu BT-Drs. 16/575, S. 7 f. 429 Siehe hierzu BT-Drs. 16/575, S. 6. 430 BT-Drs. 16/575, S. 8. 431 Siehe hierzu BT-Drs. 16/575, S. 6. 432 Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 6. 433 Hiernach soll der Nachstellungstatbestand in erster Linie die Entschließungs- und Handlungsfreiheit des Opfers, aber auch die Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens gewährleisten, vgl. BT-Drs. 16/1030, S. 6. 434 Ausdrücklicher äußert sich hierzu der Bundesrat in den Begründungen zu seinem entsprechenden Gesetzentwurf, siehe BT-Drs. 16/1030, S. 6: „Der neue § 238 will in

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druck der persönlichen Lebensgestaltung schützen, zugleich aber auch den individuellen Lebensbereich sowie die psychische und physische Unversehrtheit bis hin zum Schutz des Lebens. Festzuhalten ist demnach, dass die undurchsichtige Verweistaktik des Rechtsausschusses und die uneinheitlichen und sprunghaften Ausführungen der Bundesregierung und des Bundesrates in ihren jeweiligen Entwurfsbegründungen zugleich mehrere Schlüsse zulassen, was nach der Intention des Gesetzgebers als Schutzgut des Nachstellungstatbestandes anzusehen ist. Erschwerend kommt hinzu, dass der Taterfolg, welcher üblicherweise im Rahmen eines Erfolgsdelikts einen zuverlässigen Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Schutzgutes bildet, aufgrund seiner Neuartigkeit und seiner Reichweite auf den ersten Blick keine greifbaren Konturen aufweist, um Rückschlüsse auf das von § 238 Abs. 1 geschützte Gut zu erhalten.435 aa) Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ansätzen Zunächst ist anzumerken, dass die Unsicherheit in der Bestimmung des Schutzgutes des Nachstellungsparagraphens insofern nicht verwunderlich ist, als Stalking ein überaus facettenreiches Phänomen darstellt. Hierzu trägt nicht zuletzt der Umstand Rechnung, dass Stalking verschiedenartige Auswirkungen haben kann und zugleich hinsichtlich der Tatbegehung sehr unterschiedliche Modalitäten zulässt.436 Indem der Gesetzgeber nunmehr dieses komplexe Verhaltenskonstrukt im Gesamten unter Strafe stellt,437 schlagen die Schwierigkeiten in der (straf)rechtlichen Handhabung des Phänomens auf die Bestimmung eines entsprechenden Schutzgutes durch. Die meisten Ansätze innerhalb der Literatur tragen diesem Umstand Rechnung, indem sie auf ein sehr weites und zudem recht vages Schutzgut zurückgreifen.438 Doch dies scheint die geschilderte Problematik hinsichtlich der straferster Linie die Entschließungs- und Handlungsfreiheit des Opfers, aber auch die Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens gewährleisten.“ 435 Lackner/Kühl, § 238 Rn. 1 konstatiert letztlich, dass es sich bei dem Schutzgut des Nachstellungstatbestandes um ein relativ offenes, unbestimmtes Rechtsgut handelt, welches an sich ungeeignet sei, den Bereich des Unrechts und damit des Strafbaren näher zu bestimmen. Für einen ersten Überblick zu den verschiedenen Bestimmungsansätzen in Literatur und Rechtsprechung siehe NK-StGB/Sonnen, § 238 Rn. 14; A/W/ Weber, Strafrecht Besonderer Teil, S. 288; 436 Siehe hierzu die entsprechenden Ausführungen in Teil § 2 II. 2. und III. 437 Hierzu Rackow, GA 2008, 552 (560 f.). 438 Etwa das Schutzgut des individuellen Lebensbereichs in Anlehnung an die Ausführungen des Gesetzgebers in BT-Drs. 16/575, S. 6, siehe etwa Fischer, StGB, § 238 Rn. 2; ebenso Lackner/Kühl, § 238 Rn. 1; Valerius, JuS 2007, 319 (321); Smischek, Stalking, S. 315 f., allerdings zu ihrem eigenen Vorschlag eines Stalkingstraftatbestandes; in diese Richtung tendieren auch Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1030): Schutz

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rechtlichen Handhabung des Phänomens nur zu verlagern. Bezeichnenderweise konstatiert Kühl in diesem Zusammenhang, dass im Falle eines relativ weiten Rechtsguts die erforderliche Konkretisierung des Tatbestandes durch die möglichst bestimmte Umschreibung der Angriffsarten zu erfolgen habe.439 Ein Unterfangen, dass spätestens bei der Bestimmung einer anderen vergleichbaren Handlung im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB zum Scheitern verurteilt ist.440 Doch nicht nur die Tathandlungsvariante des § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist ob ihrer Unbestimmtheit problematisch,441 der gesamte Tatbestand der beharrlichen Nachstellung steht in der Kritik, eine Reihe von unbestimmten und wertausfüllungsbedürftigen Merkmalen zu vereinen.442 Angesichts der zahlreichen offenen Rechtsbegriffe sollte aber gerade das entsprechende Schutzgut im Interesse einer restriktiven teleologischen Interpretation hinreichend bestimmt sein, will man den beiden sonst möglichen Gefahren entgehen, dass der Tatbestand ob seiner Vagheit bei der konkreten Auslegung ausufernd interpretiert oder dass er gerade wegen der Unbestimmtheit der einzelnen Merkmale wiederum aus Vorsicht vor einer zu weiten Auslegung zu restriktiv gehandhabt wird.443

vor Beeinträchtigung der Freiheitssphäre; ganz ähnlich zu letzterem Sadtler, Stalking, S. 287: Freiheit der Lebensgestaltung; zur Handlungs- und Entschließungsfreheit auch Mrosk, NJ 2009, 416 (416). Demgegenüber benennen andere den individuellen Rechtsfrieden als Schutzgut, siehe etwa schon Meyer, ZStW 2003, 249 (284), jedoch hinsichtlich seines eigenen Entwurfs eines Anti-Stalking-Paragraphens; zu § 238 StGB nunmehr Mitsch, NJW 2007, 1237 (1238), der bei der Begriffsfindung eher tastend von einer Art Gefühlsschutz spricht und sich schließlich für das Rechtsgut des individuellen Rechtsfriedens als zumindest gangbare Lösung entscheidet; sich diesem anschließend Gazeas, JR 2007, 497 (498); unter Bezug auf das Schutzgut des § 241 StGB ferner Kinzig, ZRP 2006, 255 (257): Freisein von Furcht; ähnlich Aul, Stalking, S. 208; auch Weinitschke, Stalking, S. 128: Freiheit des Opfers zu ungestörter Willensentschließung und Willensbetätigung, wobei er dies einer stark subjektivierten Sicht unterwirft. Beide verbindend gleichsam Löhr, Notwendigkeit, S. 301; Peters, NStZ 2009, 238 (239). Gleichsam als Quintessenz sämtlicher Freiheitsrechtsgüter Mosbacher, NStZ 2007, 665 (666); ähnlich Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 204 f.: „§ 238 StGB schützt ein vielschichtiges Rechtsgut, das nur in seiner Gesamtheit interpretiert und nicht in seine Bestandteile zerlegt werden kann.“ 439 So Kühl, Stellungnahme, S. 3 f. 440 Dies räumt Kühl, Stellungnahme, S. 9 selbst ein, wenn er davon spricht, dass „eine Öffnungsklausel kaum mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar“ ist. 441 Diese weite Formulierung spricht auch der BGH in seiner erstmals zu § 238 StGB ergangenen Entscheidung als sehr bedenklich an, siehe BGHSt 54, 189 (193 f.) 442 Das kann bereits der bloßen Lektüre des § 238 StGB entnommen werden. Darüber hinaus Rackow, GA 2008, 552 (560 f.); Gazeas, KJ 2006, 247 (266); Kinzig/Zander, JA 2007, 481 (485 f.); Neubacher, ZStW 2006, 855 (869); Mitsch, JURA 2007, 401 (401): „Eine Fülle von Substumtionsproblemen [. . .] werfen die vielen Tatbestandsvarianten des § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB auf.“ 443 So daher zu Recht Kinzig/Zander, JA 2007, 482 (481), nach denen nur eine am Schutzgut orientierte Auslegung Zweifelsfragen bei einzelnen Tatbestandsmerkmalen klären kann.

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(1) Ansichten in Schrifttum und Rechtsprechung Innerhalb des Schrifttums finden sich bislang sehr unterschiedlich akzentuierte Ansätze zur Bestimmung des Schutzguts des § 238 Abs. 1 StGB. Im Großen und Ganzen lassen sich jedoch drei Strömungen ausmachen.444 Sie unterscheiden sich vor allem darin, dass sie jeweils unterschiedliche Aspekte des Phänomens Stalking als maßgebend anerkennen und somit bei ihrer Schutzgutbestimmung jeweils unterschiedliche Ausgangspunkte verfolgen. Daneben findet man vereinzelt auch Auffassungen, die ohne weitere Begründung die verschiedenen Aspekte verbinden und in ihrer Schutzgutbestimmung vereinen.445 Hierzu lässt sich wohl letzten Endes auch die Rechtsprechung zählen.446 (a) Schutzgut des individuellen Lebensbereichs Recht häufig stößt man innerhalb der Literatur auf Stimmen, die durch Stalking die Freiheitssphäre des Opfers beeinträchtigt sehen und daher das Schutzgut des Nachstellungstatbestandes an dem Topos des individuellen Lebensbereichs festmachen wollen.447 Der Begriff individueller Lebensbereich ist den Ausführungen der Bundesregierung im Rahmen der Zielsetzung ihres Gesetzentwurfes448 entnommen und bezeichnet in abstrakter Weise die Freiheitssphäre der Betroffenen, die gemäß der Vorstellung des Gesetzgebers regelmäßig durch die Stalkinghandlungen massiv beeinträchtigt wird.449 Die Ausgestaltung des individuellen Lebensbereichs orientiert sich den entsprechenden Vertretern in der Literatur450 zufolge an dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, welches aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitet wird und auch im Bereich des Zivilrechts umfangreichen Niederschlag gefunden hat.451 Mitunter werden auch Parallelen zum Schutzgut des höchstpersönlichen Lebensbereichs i. S. d. § 201a Abs. 1 StGB gezogen. Hierbei soll jedoch dem indivi444

Vgl. hierzu dies zumindest andeutend A/W/Weber, Strafrecht Besonderer Teil, S. 288. 445 Bspw. Mosbacher, NStZ 2007, 665 (665 f.); NK-StGB/Sonnen, § 238 Rn. 14. 446 Vgl. BGHSt 54, 189 (192 f.). 447 Siehe hierzu Fischer, StGB § 238 Rn. 2; Mrosk, NJ 2009, 416 (416), vgl. auch Smischek, Stalking, S. 271; Lackner/Kühl, § 238 Rn. 1; auch SK-StGB/Wolters, § 238 Rn. 2: der Lebensbereich des Einzelnen, um ihm den Raum zu belassen, sein Leben aus freien Entschlüssen und freien Handlungen zu gestalten; ferner auch Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1030): Beeinträchtigung der Freiheitssphäre; vgl. auch Peters, NStZ 2009, 238 (238), der jedoch die persönliche Freiheit – und darin ist letztlich wohl der individuelle Lebensbereich als Ausdruck aller individuellen Freiheits-Gewährleistungen zu sehen – nur als einen Teilsaspekt umfasst sehen will. 448 Siehe hierzu BT-Drs. 16/575, S. 6. 449 Siehe BT-Drs. 16/3641, S. 14. 450 So Fischer, StGB, § 238 Rn. 2; Lackner/Kühl, § 238 Rn. 1. 451 Siehe zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht in seiner verfassungs- und zivilrechtlichen Dimension Ehmann, JURA 2011, 437 (437 ff.).

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duellen Lebensbereich i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB schon aufgrund des tatbestandlichen Erfolgs der Beeinträchtigung der Lebensgestaltung eine weitaus größere Reichweite zukommen als dem ausschließlich auf die Intimsphäre beschränkten Schutzgut des § 201a Abs. 1 StGB.452 Unter dem Schutz des individuellen Lebensbereichs i. S. d. § 238 StGB sei demnach der Schutz einer Gesamtheit an im allgemeinen Persönlichkeitsrecht begründeten individuellen Freiheitsgewährleistungen zu verstehen. Diese seien jeweils aus den Individual-Rechtsgütern der körperlichen und psychischen Integrität (§ 223 StGB), der Fortbewegungsfreiheit (§ 239 StGB), aber auch der Handlungs- und Entschließungsfreiheit (§ 240 StGB), des informationellen Selbstbestimmungsrechts (§§ 201 ff. StGB), der Freiheit von Furcht (§ 241 StGB) und der Ehre (§§ 185 ff.) abzuleiten.453 Die Anknüpfung an die persönliche Freiheitssphäre der Person erkläre sich dabei letztlich sowohl aus dem Begriff der Lebensgestaltung als tabestandlichen Erfolg des § 238 StGB als auch aus der Einordnung in den 18. Abschnitt des Besonderen Teils454 des Strafgesetzbuches.455 Zu dieser Strömung lassen sich letztlich auch diejenigen zählen, die lediglich die entsprechende Formulierung des Gesetzgebers im Bezug auf den tatbestandlichen Erfolg des § 238 StGB schlagwortartig übernehmen und damit pauschal die Freiheit der persönlichen Lebensgestaltung zum Schutzgut des Nachstellungsparagraphens bestimmen.456 Die Freiheit der persönlichen Lebensgestaltung ist jedoch genauer besehen nichts anderes als das konkrete Nutzen und Ausleben – also die persönliche Ausgestaltung – des (geschützten) individuellen Lebensbereichs.457 452 Siehe hierzu Fischer, StGB § 238 Rn. 2.; Kühl, Stellungnahme, S. 3 f.; ebenso Valerius, JuS 2007, 319 (320 f.), der jedoch den Ausdruck Lebensgestaltung zur Bezeichnung des Schutzgutes verwendet; vgl. auch Smischek, Stalking, S. 271 f. 453 Fischer, StGB, § 238 Rn. 2; dies andeutend auch Lackner/Kühl, § 238 Rn. 1; deutlicher noch Kühl, Stellungnahme, S. 3 f. 454 Einen knappen Überblick über die Straftaten gegen die persönliche Freiheit vermag Schroeder, JuS 2009, 14 (16) zu verschaffen, der eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung als weitere Vorverlagerung der Gefährdung der Freiheit zum Handeln oder Unterlassen sehen will. 455 Fischer, StGB, § 238 Rn. 2; Lackner/Kühl, § 238 Rn. 1; ebenso Valerius, JuS 2007, 319 (320 f.); vgl. auch Peters, NStZ 2009, 238 (238). 456 Wessels/Hettinger, Strafrecht BT I, Rn. 369a; im Ergebnis ebenso, jedoch mit entsprechender Auseinandersetzung mit der Komplexität des Begriffes und der Forderung nach zusätzlicher Umfassung der Lebensführung Krüger, Stalking als Straftatbestand, in: Krüger (Hrsg.), Stalking als Straftatbestand, S. 81 (86 ff.); ebenso Valerius, JuS 2007, 319 (320 f.); ferner auch Buß, Der Weg zu einem deutschen Straftatbestand, S. 204 ff., der die Freiheit der Lebensgestaltung als Konkretisierung des individuellen Lebensbereichs zu begreifen scheint. 457 Bezeichnender Weise verwendet Valerius, JuS 2007, 319 (320 f.) in seinen Ausführungen beide Ausdrücke zur Umschreibung des von § 238 StGB geschützten Interesses. Ebenso A/W/Weber, Strafrecht Besonderer Teil, S. 288, der von der in Art. 2 Abs. 1 GG garantierten Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung spricht, welche aufgrund

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(b) Stellungnahme Der Auffassung, § 238 StGB schütze den individuellen Lebensbereichs – und damit ist im Folgenden auch die Freiheit der persönlichen Lebensgestaltung gemeint –, ist zuzugestehen, dass sich mit ihr die Verortung des Nachstellungstatbestandes im 18. Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches ohne weiteres erklären ließe. Für sie spricht weiter, dass die Gewährleistung eines individuellen Lebensbereichs durchaus geeignet ist, das zu unterbinden, was für das Verhaltenskonstrukt Stalking prägend ist: die ständige, einseitige und ungewollte Kontaktaufnahme seitens des Täters.458 Der individuelle Lebensbereich als Schutzgut des § 238 Abs. 1 StGB wäre damit ein durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht konturierter und geschützter Bereich, in dem die betroffene Person vor solcherart Kontaktaufnahmen geschützt wird, gleichsam also ein Bereich der „Anti-Kommunikation“. Allerdings bestehen durchgreifende Bedenken hinsichtlich eines solchen Schutzguts: Zum einen ist der Begriff individueller Lebensbereich kein innerhalb des Verfassungs- oder Zivilrechts einheitlich verwendeter Begriff mit entsprechend aussagekräftigen und trennscharfen Konturen.459 Vielmehr handelt es sich hier um eine recht weite und schließlich auch vage Bezeichnung, die für eine praktische Anwendung die notwendige Deutlichkeit vermissen lässt.460 Der Rückgriff auf solch einen unbestimmten Begriff wirft daher sehr viele, zum Teil elementare Fragen auf, zu denen sich auch die entsprechenden Vertreter der Literatur bislang kaum oder zumindest nicht in zufriedenstellender Weise geäußert haben.461 So mag der Schutz des individuellen Lebensbereichs zwar hinsichtlich einer Sicherung der Intimsphäre noch möglich sein,462 aber vor allem in Bereichen schwer zu gewährleisten sein, in denen sich das Opfer im sozialen Leben und in der Öffentlichkeit bewegt. Dies betrifft insbesondere die Tatvariante des Aufsuchens räumlicher Nähe in § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB, deren Begehung nicht der Quellenangaben wohl als Synonym sowohl für den individuellen Lebensbereich als auch für die Freiheit der persönlichen Lebensgestaltung gebraucht wird. 458 Siehe hierzu Fielder, Stalking, S. 21 f.; Hoffmann, Stalking, S. 1 ff.; Habermeyer/ Hoff, Fortschritt Neurologische Psychiatrie 2002, 542 (542). 459 Vgl. hierzu LK-StGB/Schünemann, Vor § 201 Rn. 2 ff. 460 So auch bzgl. der Unbestimmtheit Gazeas, JR 2007, 497 (498); Krüger, Stalking als Straftatbestand, in: Krüger (Hrsg.), Stalking als Straftatbestand, S. 81 (87): „etwas zu diffus“; Steinberg, JZ 2006, 30 (32); sehr deutlich auch Eiden, ZIS 2008, 123 (124). 461 Hier sei an die Ausführungen von Kühl, Stellungnahme, S. 3 f. erinnert, der zunächst bei der Bestimmung eines bereits sehr weiten Schutzgutbegriffs (individueller Lebensbereich) unvermittelt abbricht, um dann eine Konkretisierung anhand der einzelnen Angriffsweisen zu erreichen. Ein Versuch, der letztlich bei der Konkretisierung der anderen vergleichbaren Handlung im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht zu gelingen vermag, was Kühl schließlich zu der Aussage verleitet: „Gefordert sind Rechtsprechung und Wissenschaft!“ 462 Vgl. hierzu LK-StGB/Schünemann, Vor § 201 Rn. 5 ff.

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notwendigerweise mit der Nähe zu den unmittelbaren Räumlichkeiten der Wohnung des Opfers – also einem räumlich begrenzten privaten und intimen Bereich – zusammenfallen muss. Das Aufsuchen räumlicher Nähe meint vielmehr auch die Kontaktaufnahme im öffentlichen Raum, bspw. auf öffentlichen Plätzen, im öffentlichen Personennahverkehr sowie auch in örtlichen Einkaufsmöglichkeiten.463 Hier erfasst auch der zivilrechtlich ausgestaltete Persönlichkeitsschutz nicht alle Möglichkeiten, sich der bloßen Wahrnehmung anderer zu entziehen,464 denn „es ist weder rechtlich noch moralisch geboten, die Augen vor anderen in der Öffentlichkeit niederzuschlagen“ 465. Es ist äußerst fraglich, wie dieser strafrechtliche individuelle Lebensbereich ausgestaltet sein soll, wenn ein Handeln des Täters in den entsprechenden Bereichen selbst nach dem zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht, welches einen deutlich weiteren Anwendungsbereich haben müsste als ein entsprechendes strafrechtlich geschütztes allgemeines Persönlichkeitsrecht,466 nur schwerlich untersagt werden kann. An dieser grundsätzlichen Frage ändert sich auch nichts, wenn man den individuellen Lebensbereich im Sinne einer Freiheit der Person gleichsam als Einheitsrechtsgut aller (strafrechtlichen) Freiheitsgewährleistungen begreift, welches hinsichtlich des Schutzumfangs noch über das Schutzniveau der bisherigen Delikte zum Schutz der Handlungs- und Entschließungsfreiheit, der körperlichen und seelischen Unversehrtheit sowie der Fortbewegungsfreiheit hinausginge.467 Dies käme letztlich einer Entdifferenzierung der einzelnen strafrechtlichen Individualrechtsgüter mit Freiheitsbezug gleich, mit der durchaus gravierenden Folge, dass bisherige Abstraktions- und Differenzierungsleistungen468 in diesem Bereich mit einem Schlag zunichte gemacht werden würden.

463 Siehe hierzu Fischer, StGB, § 238 Rn. 12 ff.; Weinitschke, Stalking, S. 129 ff.; Wessels/Hettinger, Strafrecht Besonderer Teil I, Rn. 369c. 464 Siehe hierzu MüKo-BGB/Rixecker, Anhang § 12 Rn. 89. Anders, wenn der Täter bereits straffällig geworden ist und/oder gegen ihn eine Schutzanordnung nach §§ 823, 1004 I 2 BGB analog bzw. § 1 GewSchG erlassen wurde. Noch zu Beginn des StalkingVerhaltens oder beim Andauern fortgesetzten Verhaltens ist auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht imstande, eine solche Sphäre für das Opfer zu schaffen. Zur sog. Sphärentheorie nach dem BVerfG vgl. Ehmann, JURA 2011, 437 (444). 465 So MüKo-BGB/Rixecker, Anhang § 12 Rn. 89. 466 Siehe zum sekundären Charakter des Strafrechts bereits Binding, Handbuch des Strafrechts, Band 1, S. 326 ff., 360; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 112 f. In diesem Sinne argumentiert auch Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 186: „An erster Stelle stehen die Gesetze, die positiv Selbständigkeit in einem Staat konkretisieren: Gesetze des Privat- und auch des öffentlichen Rechts. Gedanklich erst an diesem schon geschaffenen Zustand setzt das Strafrecht ein, das die Vernichtung allgemein anerkannter Freiheit [. . .] zum Gegenstand hat.“ 467 So aber Fischer, StGB, § 238 Rn. 2. 468 Zum Schutzgut der Freiheitsdelikte und den entsprechenden Differenzierungen vgl. S/S-Eser/Eisele, Vorbem §§ 234 ff. StGB; ferner auch Fezer, JZ 1974, 599 (600 ff.).

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Gleiches gilt auch für den Versuch, das Schutzgut des § 238 StGB mittels einer Anlehnung an das allgemeine Persönlichkeitsrecht, wie es bspw. bereits ausgiebig in zivilrechtlichen Vorschriften Berücksichtigung findet, zu bestimmen und zu benennen. Der Gesetzgeber hat bisher davon abgesehen, den zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz durch eine allgemeine strafrechtliche Bestimmung zu flankieren.469 Zum strafrechtlichen Schutz der Person hat er sich auf bestimmte fest umrissene Teilbereiche470 beschränkt und es ist ihm dadurch gelungen, das allgemeine Persönlichkeitsrecht mittels dieser Teilbereiche strafrechtlich hinreichend zu konkretisieren und zu schützen.471 Mit einem generalklauselartigen Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ließe sich auch schwerlich operieren, zumal ein solches unbestimmtes Schutzgut mithilfe generalklauselartig weiter Rechtfertigungsgründe wie der Wahrnehmung berechtigter Interessen wieder begrenzt werden müsste.472 Möchte man die allseits dem Strafrecht zugeschriebenen Eigenschaften und Prinzipien, wie bspw. den des fragmentarischen Charakters473 oder der ultima-ratio-Funktion474 des Strafrechts ernst nehmen, kann es hinsichtlich eines strafrechtlichen Schutzes der Person nur darum gehen, die Ausübung elementarer Ermöglichungsbedingungen für die Persönlichkeitsentfaltung zu garantieren.475 Diese elementaren Ermöglichungsbedingungen werden dabei durch den strafrechtlichen Schutz von Individualrechtsgütern gewährleistet, welche konsequenterweise nur in einem eng umgrenzten Bereich und nicht vollumfänglich den Schutz der Person zum Gegenstand haben können.476

469 Siehe hierzu Kinzig, ZRP 2006, 255 (257); ders./Zander, JA 2007, 481 (482); dies andeutend letztlich sogar Kühl, Stellungnahme, S. 3 f. 470 Zu nennen sind neben dem schon recht diffusen Schutzgut der Ehre in den §§ 185 ff. auch der Schutz des Rechts am eigenen Bild als Ausdruck des höchstpersönlichen Lebensbereichs nach §§ 201 ff. StGB. 471 Vgl. LK-StGB/Schünemann, Vorb. § 201 Rn. 13. 472 Vgl. zu diesem Aspekt A/W-Hilgendorf, Strafrecht BT, § 7 Rn. 1. 473 Der Begriff des fragmentarischen Charakter des Strafrechts wird allgemein auf Binding, Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts, BT, 1. Bd. 2. Auflage, 1902, S. 20, zurückgeführt. Danach weise das Strafgesetzbuch Lücken auf, welche Handlungen ohne Strafe ließen, die ihrem Unwert nach gleich schwer wögen wie andere, die im Gesetz beschrieben und damit strafbar seien. Während Binding in dieser Unstimmigkeit einen Nachteil sah, erblickt man heute darin eher einen Vorteil – und zwar dergestalt, dass er zur Mahnung einer Begrenzung der ausufernden Strafrechtsgesetzgebung dient, vgl. hierzu Maiwald, FS Maurach, S. 9 (9 ff.). So soll die Strafbarkeit auf Handlungen begrenzt sein, die wegen ihrer Gefährlichkeit, Verwerflichkeit und Sozialschädlichkeit im Interesse des Gesellschaftsschutzes eindeutig den Tadel der öffentlichen Strafe erfordern und darüber hinaus angesichts ihres empirisch fassbaren schadensstiftenden Effekts diesen auch verdienen. 474 Danach ist das Strafrecht als subsidiärer Rechtsgüterschutz zu verstehen, d.h. strafrechtliche Schutzmaßnahmen sind erst dann einzusetzen, wenn andere Mittel der sozialen Problemlösung, also auf zivilrechtlichem oder öffentlichrechtlichem Wege, nicht geeignet genug erscheinen; siehe hierzu Appel, Verfassung und Strafe, S. 404 ff. 475 Hierzu Bloy, FS Eser, S. 233 (248 f.).

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Diese Ausdifferenzierung und vor allem Beschränkung ginge durch eine allgemeine Bestimmung zum Schutz des individuellen Lebensbereichs schließlich nicht nur verloren, sondern würde – wie gezeigt – auch hinsichtlich des Umfangs noch über das im Zivilrecht geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht hinausgehen. Ein solches Ergebnis kann letztlich nicht gewollt sein. Ferner würde ein Schutzgut des individuellen Lebensbereichs im Rahmen des Nachstellungsparagraphens in Fällen des § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB zu unüberwindbaren Widersprüchen führen. Zum einen bietet ein solches Schutzgut keinen Anknüpfungspunkt für die Bedrohungsvariante. Zum anderen würden sich auch erhebliche Wertungswidersprüche in Hinblick auf das Schutzgut des nahezu wortgleichen § 241 StGB ergeben.477 Überzeugend kann ein Festhalten an dem vorbenannten Schutzgut nur sein, wenn man insbesondere auch die psychische Integrität in den individuellen Lebensbereich mit einbezieht. Doch besteht damit die Gefahr, dass dies ein durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geprägtes Schutzgut des individuellen Lebensbereichs damit völlig überdehnen würde. Der Begriff individueller Lebensbereich ist auch nicht geeignet, die opfervermittelten Auswirkungen des Stalking zu umschreiben, die vor allem durch die Vorgänge innerhalb der Psyche des Opfers ausgelöst werden.478 Die Beeinträchtigung der Handlungs- und Willensbetätigungsfreiheit, die letztendlich zu der erheblichen Umstellung der Lebensgewohnheiten und damit der Lebensgestaltung führen kann, resultiert nicht unmittelbar und vor allem nicht zwangsläufig aus dem Eingreifen des Täters in den Lebensbereich des Opfers. Um es anhand eines Beispiels deutlich zu machen: Das bloße beharrliche Aufsuchen der räumlichen Nähe zum Opfer i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB führt bei dem Opfer nicht zu einer faktischen Verhinderung der Freiheitsausübung, sich wie gewohnt an bestimmte Orte zu begeben, wie dies etwa der Fall wäre, wenn der Täter das Opfer einschließen oder sonst in irgendeiner Weise festhalten würde. Vielmehr fühlt sich das Opfer aufgrund der psychischen Belastung – sei es aus Angst oder Furcht vor dem Wiedersehen mit dem Täter oder aufgrund anderer psychischer Reaktionen – innerlich so stark gehemmt, dass es den auch vom Täter frequentierten Platz nicht wie gewohnt aufsucht. Es geht also nicht um eine faktische 476 Vgl. zum Aspekt der Notwendigkeit der fragmentarischen Gewährleistung strafrechtlichen Schutzes Frisch, Straftat und Strafsystem, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (141 ff., insbes. 147 ff.). 477 Siehe hierzu Kinzig, ZRP 2006, 255 (257). Das Schutzgut des mit dem § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB nahezu wortgleichen § 241 StGB ist nach h. M. der individuelle Rechtsfriede, siehe hierzu mit weiteren Nachweisen S/S-Eser/Eisele, § 241 Rn. 2; anders hingegen Kinzig, ZRP 2006, 255 (257) mit Verweis auf Lackner/Kühl, Vorb. § 234 Rn. 1: „Freisein von Furcht“. 478 So treffend auch Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1030): „Charakteristisch ist vielmehr die – rechtlich nicht als Zwang fassbare – indirekte, psychisch vermittelte Einwirkung auf die Handlungs- und Entschließungsfreiheit.“

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Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit durch das Eindringen in den individuellen Lebensbereich des Opfers, sondern um eine opfervermittelte Hemmung in der Ausübung der Freiheitsgewährleistungen,479 welche wiederum nur im weiteren Sinne als eine Art Beeinträchtigung der Freiheitssphäre bezeichnet werden kann.480 Damit wird deutlich, dass der Ausdruck individueller Lebensbereich nicht geeignet erscheint, das Schutzgut des Nachstellungstatbestandes zu umschreiben und die notwendige Koordination der konfligierenden Interessen mittels Umreißung von Verantwortungsbereichen zum Ausdruck zu bringen. Darüber hinaus bleiben letztlich auch die Stimmen in der Literatur eine Erklärung auf die Frage schuldig, ob ein derart weitgehendes und unbestimmtes Interesse wie das des individuellen Lebensbereichs auch ein durch das Strafrecht zu gewährleistendes Schutz- bzw. Rechtsgut sein kann.481 (c) Schutzgut des individuellen Rechtsfriedens Einen anderen Anknüpfungspunkt wählen diejenigen Stimmen in der Literatur, die das Schutzgut des Nachstellungstatbestandes mit der Gewährleistung des individuellen Rechtsfriedens umschreiben und dabei in erster Linie die psychischen Auswirkungen des Stalkingverhaltens im Blick haben.482 Der Begriff individueller Rechtsfrieden ist dabei nicht den Gesetzesmaterialien zu § 238 StGB entnommen, sondern wird bereits im Zusammenhang mit der Rechtsgutsbestimmung des § 241 StGB verwendet. Er beschreibt dort nach herrschender Meinung das zu schützende Vertrauen des Einzelnen auf seine durch das Recht gewährleistete Sicherheit vor besonders gravierenden Bedrohungen.483 479 Hieraus erklärt sich auch die im Falle länger andauerndem Stalking verbundene schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung: Diese ist in den meisten Fällen als Ausprägung des im Beispiel angedeuteten sog. Vermeideverhaltens als Fluchtreaktion des Opfers zu begreifen. 480 Treffend daher auch die Ausführungen von Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1030, 1034). Mitsch, NJW 2007, 1237 (1237 f.) ist daher Recht zu geben, wenn er in diesem Zusammenhang feststellt, dass der Begriff Freiheit, wofür der Standort des Tatbestands im 18. Abschnitt des Besonderen Teils des StGB spreche, zwar prägnant sei, jedoch den Kern des betroffenen Gutes nicht genau genug treffe. 481 Lediglich Kühl, Stellungnahme, S. 4 verweist darauf, dass es sich beim individuellen Lebensbereich um ein Rechtsgut mit dem erforderlichen Freiheitsbezug und um ein Individualrechtsgut von höchstpersönlichem Charakter handelt, welches des Schutzes durch das Strafrecht würdig sei. 482 So nach Abwägung der einzelnen Möglichkeiten Mitsch, NJW 2007, 1237 (1238) unter Bezugnahme auf die Ausführungen von Meyer, ZStW 2003, 249 (284); ebenso Gazeas, JR 2007, 497 (498). Mitsch gibt jedoch auch zu bedenken, dass aufgrund der Begrenztheit der (deutschen) Sprache eine exakte und zugleich prägnante Umschreibung nicht möglich erscheint und der Terminus individueller Rechtsfrieden nicht die Patent-, aber zumindest eine gangbare Lösung bietet. Siehe auch Timmermann, StraFo 2007, 358 (360).

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Daran anknüpfend soll der Begriff des individuellen Rechtsfriedens den entsprechenden Stimmen in der Literatur zufolge im Rahmen des § 238 Abs. 1 StGB jeweils verschiedene – und innerhalb dieser Strömung unterschiedlich akzentuierte – vor allem psychisch geprägte Schutzaspekte umfassen. Nach Mitsch handelt es sich bei Stalking vor allem um Psychoterror.484 Inhaltlich müsse es bei dem Schutzgut des § 238 Abs. 1 StGB daher um eine Art „Gefühlsschutz“, um das seelische Wohlbefinden, um die Freiheit von Furcht gehen.485 Er stellt darauf ab, dass ein Opfer von Stalking angesichts der StalkingAttacken sich nichts mehr wünsche, als von dem Täter endlich in Ruhe gelassen zu werden.486 Daher sei der Begriff individueller Rechtsfrieden zur Umschreibung des Schutzguts die wohl am ehesten geeignete Bezeichnung.487 Gazeas pflichtet dieser Argumentation Mitschs im Grundsatz bei, indem er ausführt, dass es bei Stalking in der Regel um Psychoterror gehe und das Opfer davor geschützt werden müsse, durch die ständigen Stalking-Attacken in Angst und Furcht zu leben.488 Allerdings gibt er zu bedenken, dass das Opfer der Nachstellungshandlungen nicht immer (nur) durch Angst und Schrecken zu der Veränderung der Lebensgestaltung angetrieben werde, sondern auch starke Gefühle der Belästigung das Opfer zu solch einem Schritt veranlassen können.489 Da dies jedoch auch unter den Wunsch des Opfers, in Ruhe gelassen zu werden, subsumiert werden könne und teilweise auch als Bestandteil des entsprechenden Schutzguts i. R. d. § 241 StGB angesehen werde,490 sei die Bezeichnung individueller Rechtsfrieden für das Schutzgut des Nachstellungstatbestandes durchaus treffend.491

483 So S/S-Eser/Eisele, § 241 Rn. 2 mit vielen weiteren Nachweisen. Eine etwas andere Nuancierung wählt hingegen Teuber, Bedrohung, S. 39 ff., 63: Freisein des Opfers vor Angst und Schrecken; ebenso Schroeder, FS Lackner, S. 665 (671); in diese Richtung tendiert letztlich auch Lackner/Kühl, § 241 Rn. 1: Gefühl der Rechtssicherheit des Einzelnen oder schließlich auch Bloy, FS Eser, S. 233 (255): individuelles Sicherheitsgefühl. 484 Siehe Mitsch, NJW 2007, 1237 (1238). 485 Siehe Mitsch, NJW 2007, 1237 (1238). 486 Siehe Mitsch, NJW 2007, 1237 (1238). 487 Siehe Mitsch, NJW 2007, 1237 (1238); sich diesem ohne eingehende Begründung anschließend Weinitschke, Stalking, S. 128. 488 Siehe Gazeas, JR 2007, 497 (498). 489 Gazeas, JR 2007, 497 (498). 490 So Gazeas, JR 2007, 497 (498) mit Verweis auf MüKo-StGB/Sinn, 2003, § 241 Rn. 2; S/S-Eser/Eisele, § 241 Rn. 2. 491 Gazeas, JR 2007, 497 (498). So im Ergebnis auch Timmermann, StraFo 2007, 358 (360), der jedoch in dem Wortpaar des individuellen Rechtsfriedens, welches bereits dem § 241 StGB als Schutzgut diene und welches die Freiheit des Einzelnen vor Furcht mitumfassen soll, nur eine weitere Umschreibung für den Begriff Lebensgestaltung sehen will.

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In dieselbe Richtung tendiert Kinzig, der sich im Rahmen des § 238 Abs. 1 StGB für ein Schutzgut des Freiseins von Furcht ausspricht und sich dabei inhaltlich stark an die Schutzgutbestimmung des § 241 StGB anlehnt, ohne den dort mehrheitlich verwendeten Terminus des individuellen Rechtsfriedens zu gebrauchen.492 Er argumentiert, dass die Opfer von Stalking den empirischen Untersuchungen zufolge vor allem Angst und Furcht empfinden.493 Da die Freiheit des Einzelnen von Furcht – wenn auch beschränkt auf die Bedrohung mit einem Verbrechen – im Zusammenhang mit dem § 241 StGB entgegen der dort herrschenden Meinung vereinzelt als Schutzgut genannt werde,494 müsse ein Straftatbestand zum Schutz vor Stalking das Freisein von Furcht schützen.495 Somit ist das in diesem Sinne von Kinzig verstandene Freisein von Furcht eine spezielle Umschreibung des von Mitsch und Gazeas entsprechend gedeuteten Wortpaares individueller Rechtsfrieden.496 Auch Mitsch und Gazeas erblicken in dieser Umschreibung ja gerade eine Art „Gefühlsschutz“ im Sinne eines Freiseins von Angst- und Furchtgefühlen.497 Einen ähnlichen Vorschlag zur Schutzgutbestimmung eines Stalking-Straftatbestandes hat Meyer498 bereits lange vor der parlamentarischen Debatte499 um die Einführung eines entsprechenden Straftatbestandes gemacht. Auf der Grundlage der damaligen empirischen Erkenntnisse sah er den individuellen Rechtsfrieden als das von den Stalkinghandlungen bedrohte Gut an, da dieses gerade die Freiheit des Einzelnen vor Furcht und die Handlungs- und Entschließungsfreiheit umfasse, deren Beeinträchtigung mit dem hohen Maß an Beunruhigung einhergehe.500 Dabei beinhaltet dieses Schutzgut Meyer zufolge auch den Schutz der persönlichen Lebenssphäre vor wesentlichen Beeinträchtigungen.501 492

Kinzig, ZRP 2006, 255 (257); ders./Zander, JA 2007, 481 (482). Kinzig, ZRP 2006, 255 (257); ders./Zander, JA 2007, 481 (482). Hier zeigt sich deutlich die Parallele zur Argumentation von Mitsch, NJW 2007, 1237 (1238). 494 So Kinzig, ZRP 2006, 255 (256 f.); ders./Zander, JA 2007, 481 (482) mit Verweis auf die Ausführungen von Schroeder, FS Lackner, S. 665 (671). 495 Kinzig, ZRP 2006, 255 (257); ders./Zander, JA 2007, 481 (482). 496 Wobei anzumerken ist, dass Gazeas neben dem Aspekt des Schutzes vor Angstund Furchtgefühlen dabei auch den Schutz vor Belästigungen umfasst sehen will, siehe Gazeas, JR 2007, 497 (498). 497 Siehe hierzu Mitsch, NJW 2007, 1237 (1238), der in seiner Argumentation auf Kinzig, ZRP 2006, 255 (257) verweist; Gazeas, JR 2007, 497 (498). 498 ZStW 2003, 249 (284). 499 Siehe zur parlamentarischen Entwicklungsgeschichte des Nachstellungsparagraphens die sehr detaillierte Übersicht des C. H. Beck-Verlages im Rahmen seines OnlineDienstes, abrufbar unter http://rsw.beck.de/rsw/shop/default.asp?docid=163951. In leicht veränderter Form zu finden bei Buß, Stalkingstraftatbestand, S. 165; vgl. ferner Gazeas, KJ 2006, 247 (248 ff.). Danach beschloss der Bundesrat erstmals im März 2005 auf Vorschlag der Länder Baden-Württemberg und Hessen eine Gesetzesvorlage, mit der ein entsprechender Straftatbestand der „Schweren Belästigung“ als § 238 in das StGB eingeführt werden sollte. 500 So Meyer, ZStW 2003, 249 (284). 493

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(d) Stellungnahme Die Vertreter eines Schutzguts des individuellen Rechtsfriedens – und darunter wird im Folgenden auch Kinzigs Vorschlag eines Freiseins von Furcht verstanden – orientieren sich vor allem an den stalkingbedingten Auswirkungen auf die Psyche des Opfers. Allerdings wird mit einer vor allem an emotionalen Gesichtspunkten orientierten Deutung des Begriffs individueller Rechtsfrieden ein nicht unumstrittener Pfad beschritten.502 Denn dass es bei dem Tatbestand der Bedrohung nach § 241 StGB letztlich um einen spezifizierten Gefühlsschutz geht, ist nicht unumstritten503 und wird nicht mit der entschiedenen Deutlichkeit ausgesprochen.504 (aa) Schutzgut des individuellen Rechtsfriedens im Rahmen des § 241 StGB Der Ausdruck individueller Rechtsfrieden beschreibt nach herrschender Meinung im Rahmen des § 241 StGB das zu schützende Vertrauen des Einzelnen auf seine durch das Recht gewährleistete Sicherheit vor besonders gravierenden Bedrohungen.505 Hierin einen speziellen Gefühlsschutz zu sehen, wie dies der Deutung von Mitsch, Gazeas und Kinzig entspricht, ist insofern problematisch als der Begriff Rechtsfrieden bzw. Vertrauen bereits in einem anderen, gegenüber dem spezifizierten Gefühlsschutzansatz konträr anmutenden Kontext verwendet wird. 501

Meyer, ZStW 2003, 249 (284). Die herrschende Meinung in der deutschen Strafrechtswissenschaft lehnt Strafverbote zum Schutz von Gefühlen überwiegend ab, vgl. hierzu mit weiteren Nachweisen Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 1 (Fn. 4), 105 ff. 503 Vgl. hierzu nur S/S-Eser/Eisele, § 241 Rn. 2; Teuber, Bedrohung, S. 37 ff.; insbesondere aber Küper, JuS 1996, 783 (787). 504 Zur begründeten Zurückhaltung, ein Gefühl als Rechtsgut zu bezeichnen, Bloy, FS Eser, S. 233 (245); Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 105. 505 Siehe hierzu mit weiteren Nachweisen S/S-Eser/Eisele, § 241 Rn. 2. Kritisch hierzu hingegen Teuber, Bedrohung, S. 63, indem er ableitend aus der historischen Entwicklung des Bedrohungstatbestandes in dem schlagwortartigen Begriff des individuellen Rechtsfriedens im Ergebnis nichts anderes als das Freisein des Opfers vor Angst und Schrecken sehen will, vgl. Teuber, Bedrohung, S. 39 ff., 63. In diese Richtung argumentiert zunächst auch Schroeder, FS Lackner, S. 665 (671), der jedoch den weiteren Ausführungen Teubers nur partiell folgt, siehe Schroeder, GA 2003, 54 (54 f.). Für eine stärkere Nuancierung auf emotionaler Ebene letztlich auch Lackner/Kühl, § 241 Rn. 1, wenn vom Gefühl der Rechtssicherheit des Einzelnen die Rede ist; schließlich auch Bloy, FS Eser, S. 233 (255): individuelles Sicherheitsgefühl. Andere erblicken aufgrund der systematischen Stellung des § 241 StGB in der Bedrohung ein rudimentäres Nötigungsdelikt, das auf eine vage Beeinflussung des Verhaltens des Opfers ziele. Daher sei bei § 241 StGB eigentlich die Willensbildungsfreiheit betroffen, siehe hierzu mit weiteren Nachweisen Fischer, GA 1989, 445 (461). Allerdings ist dies nur ein Zusatzaspekt, der außerhalb des Tatbestandes steht. Vordergründig geht es schließlich um das Sicherheitsgefühl. 502

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Der Begriff Rechtsfrieden taucht bereits in der Diskussion um das Rechtsgut des § 126 StGB auf. Nach überwiegender Auffassung beschreibt er dort als Teil der Definition des Topos öffentlicher Frieden das Vertrauen der Bevölkerung in die Geltung der Rechtsordnung, mithin einen Zustand allgemeiner Rechtssicherheit.506 Dieses Vertrauen der Bevölkerung könnte damit gleichsam als ein „subjektiver öffentlicher Friede“ im Sinne eines sozialpsychologischen Phänomens als ein kollektives Rechtsgut und damit gerade nicht als ein Individualrechtsgut zu begreifen sein.507 Allerdings ist dagegen einzuwenden, dass ein Rechtsgut des Vertrauens in die Rechtssicherheit bzw. des subjektiven öffentlichen Friedens zuallererst individualpsychologische Zustände beschreibt. Das Vertrauen der Bevölkerung ist nicht mehr als die Summe des Sicherheitsgefühls der einzelnen Bürger,508 welches dann aber auch wiederum durch die Verunsicherungen und Ängste Einzelner beeinträchtigt werden kann. Somit müsste man aber dieses „Vertrauen in der Bevölkerung“ als kollektives Rechtsgut notwendigerweise auch unter dem Stichwort Gefühlsschutz behandeln.509 Zu Recht stellt Hörnle daher in diesem Zusammenhang fest, dass die Konstruktion eines kollektiven, sozialpsychologisch definierten Guts nicht nur überflüssig sei, sondern auch die Zusammenhänge mit dem Gefühlsschutzansatz verschleiere.510 Noch ein anderer Aspekt spricht gegen die Auffassung, das „Vertrauen der Bevölkerung“ sei ein kollektives Rechtsgut. So weist Fischer darauf hin, dass das „Vertrauen der Bevölkerung“ in der Rechtsprechung und Lehre denn auch nicht als empirische Gegebenheit behandelt werde, sondern als Verweis auf den „Wertkonsens der Gesellschaft“, also letztlich das sei, „was alle wollen sollen“.511 Im Ergebnis sei damit aber nichts anderes gemeint als ein rein normativer Begriff, gleichsam die Legitimation des (Straf-)Rechts selbst.512 Der „Wertkonsens der Gesellschaft“ wird aber wie die allgemeine Rechtssicherheit durch alle Strafgesetze geschützt. Mit anderen Worten handelt es sich somit um einen normativen Vertrauenstatbestand513, der durch jede Straftat in Frage gestellt wird 506 Vgl. hierzu statt vieler S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, § 126 Rn. 1 mit weiteren Nachweisen. 507 S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben, § 126 Rn. 1. 508 So bereits Fischer, GA 1989, 445 (451 f.); ferner auch Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 105. 509 So auch Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 105, die der herrschenden Meinung in der deutschen Strafrechtswissenschaft vorwirft, letztlich inkonsequent zu sein, wenn sie einerseits Strafverbote zum Schutz von Gefühlen ablehne, andererseits aber das Vertrauen in der Bevölkerung als kollektives Rechtsgut anerkenne. 510 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 105. 511 Fischer, GA 1989, 445 (451 f.); ders., NStZ 1988, 159 (163); noch ausführlicher ders., Öffentlicher Friede, S. 530 ff. 512 Fischer, NStZ 1988, 159 (163). 513 So Bloy, FS Eser, S. 233 (244) mit Verweis auf Beck, Unrechtsbegründung und Vorfeldkriminalisierung, S. 143 ff.; Fischer, NStZ 1988, 159 (161 ff.). Eine Rechtsfrie-

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und damit eindeutig nicht um ein Rechtsgut.514 Als eigenständig schützenswerten Zustand und damit auch als Rechtsgut könne man das Vertrauen in die allgemeine Sicherheit somit nur dann ansehen, wenn man es psychologisch definiert.515 Somit kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass der individuelle Rechtsfriede als Schutzgut des § 241 StGB das zu schützende Vertrauen des Einzelnen auf seine durch das Recht gewährleistete Sicherheit bezeichnet und es sich dabei um einen spezifizierten Gefühlsschutz handelt.516 (bb) Gründe für einen spezifizierten Gefühlsschutz Der von den Vertretern eines Schutzgutes des individuellen Rechtsfriedens gewählte Ansatzpunkt, anhand der vor allem psychischen Auswirkungen des Stalking das Schutzgut des Nachstellungstatbestandes zu bestimmen, überzeugt grundsätzlich. Stalking bewirkt bei den betroffenen Personen in der Tat zunächst und zuvörderst negative Folgen in Hinblick auf das psychische Wohlbefinden.517 Man geht davon aus, dass das kontinuierliche Nachstellen und Verfolgen einer bestimmten Person gewisse archetypische Angstgefühle bei den Betroffenen auslöst, die geeignet sind, das Opfer in seinen seelischen Grundfesten zu erschüttern. Das Opfer erfährt mit dem fortschreitenden Erleben jeder neuen Stalking-Handlung eine chronische Stresssituation, die zumeist durch Angst und Schrecken gekennzeichnet ist.518 Infolge solcher immer wieder auftretender Stresssituationen, deren Frequenz und Intensität die Betroffenen nahezu kaum beeinflussen können, kommt es bei ihnen – auch ohne den konkreten Einsatz von physischer Gewalt oder Drohung durch den Stalker – zu bedrückenden Gefühlen der Hilflosigkeit, des Kontrollverlustes und einer gewissen Ohnmacht gegenüber dem Stalker.519 Das Staldensstörung in diesem Sinne wäre damit die generalpräventive Komponente des objektiven Handlungsunrechts, vgl. hierzu Bloy, FS Eser, S. 233 (244). 514 So Fischer, GA 1989, 445 (453 f.). Bloy, FS Eser, S. 233 (244) zufolge handelt es sich dabei um die generalpräventive Komponente des objektiven Handlungsunrechts. 515 So unter Verweis auf die Argumentation von Fischer, Öffentlicher Friede, S. 514, 530 ff. auch Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 105 f. 516 SK-StGB/Horn, § 241 Rn. 2; Fischer, GA 1989, 445 (451); Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 229 f.; Bloy, FS Eser, S. 233 (244 f.); 517 Mitsch, NJW 2007, 1237 (1238) spricht daher in diesem Zusammenhang von „Psychoterror“. Ähnlich Albrecht, FPR 2006, 204 (204), der Stalking in die Nähe der Verbrechen am Seelenleben rückt. 518 Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (33); Logan/Walker, Trauma, Violence, & Abuse 2009, 247 (257); Hoffmann, Stalking, S. 151; Fiedler, Stalking, S. 33. 519 Hoffmann, Stalking, S. 151; Löbmann, MschrKrim 2002, 25 (29); Fiedler, Stalking, S. 33. Ausführlich zu den negativen und weitreichenden Auswirkungen eines sol-

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king-Verhaltensmuster zeitigt damit mitunter massive Auswirkungen auf die Betroffenen, die sich vor allem in der negativen Beeinträchtigung der psychischen, im weiteren Verlauf aber auch physischen Integrität und des sozialen Bereichs des Opfers niederschlagen. Im Allgemeinen geht mit einer längeren Belastung durch das Stalking-Verhalten auch eine – bisweilen erhebliche – Veränderung in den Lebensgewohnheiten und Lebensstil einher.520 Diese Umstellungen beinhalten u. a., dass die von Stalking betroffene Person gewohnte Wege oder Plätze meidet, ihre Wohnung nur in dringenden Fällen verlässt oder ihr Aussehen verändert.521 Vereinzelt kann das Opfer auch unter stressbedingten Langzeitfolgen mit den Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden.522 Demnach trifft Mitsch mit seiner Behauptung, dass Stalking vor allem Psychoterror sei und das Opfer sich daher wünsche, in Frieden gelassen zu werden, durchaus den Kern des Stalking-Geschehens.523 Auch ein rechtsvergleichender Blick auf entsprechende Straftatbestände spricht für die Annahme, dass es sich bei dem Nachstellungstatbestand um einen – wenn auch in gewisser Weise spezifizierten – Schutz der menschlichen Psyche chen Kontrollverlustes für die menschliche Psyche siehe Logan/Walker, Trauma, Violence, & Abuse 2009, 247 (257 f.); Hoffmann, Stalking, S. 151; Löbmann, MschrKrim 2002, 25 (29); Fiedler, Stalking, S. 33. 520 Siehe Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 56 f., 144; Fiedler, Stalking, S. 35; Newman/Appelbaum, Stalking: Perspectives on Victims and Management, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 107 (118 f.); Pathé/Mullen, British Journal of Psychiatry 1997, 12 (14); McGuire/Wraith, The Journal of Forensic Psychiatry 2000, 316 (324), Meloy, Criminal Behaviour and Mental Health 2007, 1 (5). 521 Siehe Dreßing/Kuehner/Gass, Psychiatrische Praxis 2005, 73 (77). 522 Logan/Walker, Trauma, Violence, & Abuse 2009, 247 (257); Mullen/Pathé/Purcell Advances in Psychiatric Treatment 2001, 399 (401); Löbmann, MschrKrim 2002, 25 (29); Kühner/Weiß, Gesundheitliche Folgen und Möglichkeiten der Therapie für Stalking-Opfer, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 79 (82); Spitzberg, Trauma, Violence, & Abuse 2002, 261 (274 f.). Fiedler, Stalking, S. 36; Kühner/Weiß, Gesundheitliche Folgen und Möglichkeiten der Therapie für Stalking-Opfer, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 79 (82); Kamphius/Emmelkamp, American Journal of Psychiatry 2001, 795 (797). Gemeint sind damit sog. posttraumatische Belastungsstörung gemäß DSM-IV-TR (nach der American Psychiatric Association [Hrsg.], Diagnostic and statistical manual mental disorders, S. 57) bzw. ICD-10 (nach der Weltgesundheitsorganisation [Hrsg.], Internationale Klassifikation psychischer Störungen, S. 33), siehe hierzu die jeweils deutsche Übersetzung von Saß/Wittchen/Zaudig (Hrsg.), Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen, S. 487 ff. und Dilling/Dilling/Dittmann/ Freyberger/Schulte-Markwort, Abschnitt F 4 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen, in: Dilling/Mombour/Schmidt/Schulte-Markwort (Hrsg.), Internationale Klassifikation psychischer Störungen, S. 123 f. 523 Mitsch, NJW 2007, 1237 (1238); siehe auch Albrecht, FPR 2006, 204 (204), der Stalking in die Nähe der „Verbrechen am Seelenleben“ rückt. Ferner aus psychotherapeutischer Sicht Kühner, FPR 2006, 186 (186): „psychologische Terrorisierung“. Auch die Auswertungen der empirischen Untersuchungen, wie sie Kinzig und Meyer ihrer jeweiligen Argumentation zugrunde legen, stimmen mit den dargelegten Ergebnissen dieser Arbeit überein.

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handelt.524 Im Rahmen der englischen Rechtsordnung wird nach section 1 (1) bzw. section 4 (1) des Protection from Harassment Act von 1997 betraft, wer durch sein Verhalten bei einer Person eine gewisse Bedrängung (harassment)525 erregt oder sie in Angst und Schrecken (fear) versetzt.526 Ebenso sieht der vom National Center for Victims of Crime konzipierte US-amerikanische Model Stalking Code 2007 in section 2 die Bestrafung desjenigen vor, der absichtlich ein Verhaltensmuster an den Tag legt, das auf eine bestimmte Person (aus)gerichtet ist und der dabei weiß oder wissen müsste, dass dieses bei einer vernünftigen Person entweder die Furcht um deren eigene Sicherheit bzw. um die einer dritten Person hervorrufen oder seelisches Leid verursachen würde.527 (cc) Allgemeine Gründe gegen einen spezifizierten Gefühlsschutz Die Vertreter eines Schutzguts des individuellen Rechtsfriedens im Sinne des Freiseins von Furcht treffen demnach in ihrer Argumentation durchaus den Kern des (Stalking-)Geschehens. Mit der Festlegung auf einen solchen spezifizierten Gefühlsschutz als Schutzgut des § 238 Abs. 1 StGB lassen sie allerdings weitere entscheidende Fragen offen. Unbeantwortet bleibt die grundlegende Frage, ob es sich bei dem Schutzgut des individuellen Rechtsfriedens um ein mit dem Instrumentarium des Strafrechts zu schützendes (Rechts-)Gut handelt. Der bloße Verweis darauf, dass der individuelle Rechtsfriede im Sinne des Freiseins von Furcht bereits im Rahmen des Bedrohungstatbestandes geschützt werde, kann im Ergebnis nicht überzeugen. Aufgrund der Eigenart des Nachstellungstatbestandes müsste dieser Terminus im Rahmen des § 238 Abs. 1 StGB einen deutlich umfangreicheren Inhalt besitzen als im Rahmen des sehr spezifizierten Tatbestandes der Bedrohung, der 524 Einen ersten Überblick verschafft hierzu Albrecht, FPR 2006, 204 (206). Vgl. ferner unter Schwerpunktsetzung auf die rechtliche Lage in Australien Löhr, Notwendigkeit, S. 143 ff.; siehe auch Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 30 ff. 525 Wobei harassment nach section 7 (1) des Protection of Harassment Act 1997 alarming the person or causing the person distress beinhaltet. 526 Siehe hierzu bspw. Petch, The Journal of Forensic Psychiatry 2002, 19 (20 ff.); Finch, The Howard Journal 2002, 422 (422 ff.); Sheridan, Legal and Criminological Psychology 2001, 3 (5 ff.). 527 Im Original: „Any person who purposefully engages in a course of conduct directed at a specific person and knows or should know that the course of conduct would cause a reasonable person to: (a) fear for his or her safety or the safety of a third person; or (b) suffer other emotional distress is guilty of stalking.“ Im Vergleich zum Model Stalking Code aus dem Jahre 2003 wurden damit die entsprechenden Anforderungen an die psychischen Auswirkungen für eine Strafbarkeit erheblich herabgesetzt, siehe hierzu National Center for Victims of Crime, Model Stalking Code Revisted, abrufbar unter www.ncvc.org/ncvc/AGP.Net/Components/documentViewer/Download. aspxnz?DocumentID=41822. Dort auf S. 24.

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nur auf Fälle angst- und furchtbedingter Auswirkungen ausgerichtet ist. Das ausschließliche Abstellen auf eine Art Gefühlsschutz, welcher mit dem Schutzgut des § 241 StGB vergleichbar sein soll und damit am ehesten noch am Sicherheitsgefühl der jeweiligen Person festzumachen wäre, würde voraussetzen, dass die Opfer von Stalking- bzw. Nachstellungshandlungen durchweg nur durch Angst und Furcht bewegt sind und daraus ihre psychische Beeinträchtigung resultiert. Zwar ist diese angst- und furchtbedingte Einwirkung in Hinblick auf den tatbestandlichen Erfolg des § 238 Abs. 1 StGB durchaus naheliegend und vermag – legt man die empirischen Untersuchungen zugrunde – auch den Regelfall des Nachstellens darzustellen.528 Es sind allerdings auch Konstellationen bekannt, in denen die Auswirkungen und das Verhalten des Opfers nicht durch Angst und Schrecken gekennzeichnet sind. Das Opfer fühlt sich dabei nicht durch die Verhaltensweisen des Stalkers bedroht, wird aber durch das unbefugte und beharrliche Nachstellen im Sinne eines dauerhaften Schikanierens trotzdem derart psychisch beeinflusst, dass es zu den entsprechenden Auswirkungen und letztlich dem Taterfolg kommt.529 Freilich kann dem entgegen gehalten werden, dass der Gesetzgeber mit § 238 StGB nur den Schutz vor angst- oder fruchtbedingter psychischer Beeinträchtigung gewährleisten wolle. Es liegt nahe, dass das eingeschüchterte Opfer im Gegensatz zu dem „lediglich“ durch Schikanieren beeinträchtigten Opfer in besonderer Weise des strafrechtlichen Schutzes bedarf, da letztere Opfergruppe psychisch stabil genug sei, insbesondere zivilrechtlichen Schutz in Anspruch zu nehmen. Diese Argumentation überzeugt jedoch nicht. Weder in den Gesetzesmaterialien noch im Wortlaut des § 238 Abs. 1 StGB lassen sich hierfür Anhaltspunkte finden.530 Darüber hinaus ist zu bedenken, dass stark belästigende, da hochgradig schikanierende Nachstellungen im Regelfall dieselben nachhaltigen Ohnmachts- und Bedrängungsgefühle bei dem Opfer auslösen können, wie dies bei furcht- und angstbedingten Empfindungen der Fall ist. Überdies befand der Gesetzgeber das gesetzliche Schutzniveau vor Einführung des § 238 StGB allgemein als zu gering und bisweilen wirkungsschwach.531 528

Siehe hierzu die Ausführungen unter § 2 III. Diese Fälle sind zudem nicht selten, vgl. hierzu Dreßing/Kühner/Gass, Nervenarzt 2007, 764 (770 f.); Dreßing/Gass, Polizei & Wissenschaft 2007, 13 (17). 530 Siehe zu den Gesetzesmaterialen BT-Drs. 16/575, S. 6 ff. 531 Siehe BT-Drs. 16/575, S. 1: „Dies hängt nur zum Teil mit Umsetzungsdefiziten und der Tatsache zusammen, dass Strafverfahren nach § 4 des Gewaltschutzgesetzes bislang noch eher selten sind und gut drei Viertel aller Anzeigen nicht zu einer gerichtlichen Ahndung führen. Staatsanwälte und Opfer beklagen vielmehr die Schwierigkeit, Polizei und Gerichte von der Relevanz der Beeinträchtigung zu überzeugen. Dies entspricht auch den Erkenntnissen neuerer empirischer Studien, die zu dem Ergebnis gelangen, dass viele Opfer sich von der Polizei nicht hinreichend unterstützt fühlten. Dies wird auch darauf zurückgeführt, dass es keinen Straftatbestand gibt, der dem Gesamt529

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Der Ausschluss einer ebenso schutzbedürftigen Opfergruppe hochgradig schikanierender Nachstellungen vom Tatbestand des § 238 Abs. 1 StGB kann demnach nicht ernsthaft gewollt sein. Letzten Endes müsste es sich im Rahmen des § 238 StGB – wenn man an der psychischen Beeinträchtigung festmacht – demnach um eine über den Sicherheitsaspekt hinausgehende, weitgreifende Art von Gefühlsschutz i. S. d. Freiheitsempfindens handeln, also um einen gleichsam nahezu vollumfänglichen Schutz der psychischen Integrität. Dass es innerhalb der psychischen Integrität jedoch einer Spezifizierung bedarf, ergibt sich aus dem Umstand, dass die Anerkennung der gesamten psychischen Integrität als entsprechendes Schutzgut des § 238 Abs. 1 StGB nicht nur aus Gründen der Unbestimmtheit zum Scheitern verurteilt wäre. Der Gesetzgeber zeigte nicht ohne Grund Zurückhaltung, als er im Rahmen der Begründungen zum entsprechenden Gesetzesentwurf des Nachstellungsparagraphens die massive Beeinträchtigung der Freiheitssphäre des Opfers und nicht die psychische Verfassung des Opfers in den Vordergrund stellte, obwohl er zugleich auch die Auswirkungen von Stalking auf die Psyche des Opfers beschrieb.532 Die Diskussion um die Einführung eines genuin die (gesamte) psychische Integrität schützenden Straftatbestandes ist der deutschen Strafrechtswissenschaft zwar nicht fremd.533 Ansätze für einen vollumfänglichen strafrechtlichen Schutz der menschlichen Psyche lassen sich bis weit in das 19. Jahrhundert zurückverfolgen und erlebten mit der Feuerbachschen Kasper-Hauser-Schrift unter dem Begriff Verbrechen am Seelenleben534 ihren Höhepunkt in der damaligen strafrechtswissenschaftlichen Diskussion. Entsprechende Vorstellungen eines strafgesetzlichen Schutzes finden sich ferner in zwei Entwürfen für ein Strafgesetzbuch des Königreiches Sachsen Anfang des 19. Jahrhunderts535. Die Anerkennung eibild der Taten gerecht wird. Vor diesem Hintergrund wird mit der Aufnahme eines Straftatbestandes in das Kernstrafrecht die Erwartung verknüpft, dass dadurch ein besserer Opferschutz erreicht werden kann und Strafbarkeitslücken geschlossen werden.“ 532 Siehe hierzu die Begründungen zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung in BTDrs. 16/575, S. 6: „neben Auswirkungen auf die Psyche der Opfer [. . .] führt die systematische Nachstellung in vielen Fällen zu einschneidenden Verhaltensänderungen der Betroffenen“ und BT-Drs. 16/575, S. 8: „Das durch das Verhalten des Täters psychisch beeinträchtigte Opfer, das sich in die Enge getrieben, ständig beobachtet, gejagt und bedroht fühlt, kann wegen der beharrlichen Nachstellungen nicht mehr so leben wie zuvor.“; demgegenüber aber auch die Begründungen des Entwurfes des Bundesrates, in denen von Terror und Vertrauen in die Rechtsordnung die Rede ist, siehe BR-Drs. 551/ 04, S. 6. 533 Siehe hierzu die Monographie von Tittmann, dissertatio de delictis in vires mentis humanae commissis, aus dem Jahr 1795. 534 Siehe Feuerbach, Kaspar Hauser: Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben des Menschen, Ansbach 1832; hierzu ausführlich Küper, Das Verbrechen am Seelenleben, S. 95 ff. 535 Siehe hierzu R. Schmidt, GS 42 (1889), 57 (58).

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nes eigenständigen Schutzgutes der psychischen Integrität konnte sich in der deutschen Strafrechtswissenschaft zwar nicht durchsetzen, die menschliche Psyche erfährt in der gegenwärtigen Fassung – unabhängig von § 238 StGB – des Strafgesetzbuchs denn auch nur in einzelnen Bereichen und auch dort wiederum teilweise nur als „Begleiterscheinung“ beschränkten Schutz.536 Exemplarisch sei hier der Schutz der Psyche im Zusammenhang mit der körperlichen Unversehrtheit im Rahmen des § 223 Abs. 1 und des § 225 StGB,537 der Gefährdung der psychischen Entwicklung von jungen Menschen und widerstandsunfähigen Personen,538 der Verletzung der Willensbildungsfreiheit539 und insbesondere dem Gefühlsschutz540 genannt. Dass der Schutz der psychischen Integrität aber nicht nur aufgrund des fragmentarischen Charakters des Strafrechts lediglich bruchstückhaft gewährleistet werden kann, folgt aus den Gegebenheiten des menschlichen Zusammenlebens, mit dem die – gewollte oder ungewollte – Zufügung seelischer Verletzungen unvermeidbar verbunden ist.541 Auch erscheint das Strafrecht in Hinblick auf die 536 Eingehend hierzu Bloy, FS Eser, S. 233 (233 ff.); ferner auch Steinberg, JZ 2009, 1053 (1060), der sich daher für die Einführung eines Straftatbestandes zum Schutz vor psychischen Verletzungen ausspricht. 537 Im Rahmen der körperlichen Misshandlung i. S. d. § 223 Abs. 1 nach h. M. erst dann, wenn es durch die seelischen Einwirkung zu körperlichen Auswirkungen, also zu einem pathologischen, somatisch objektivierbaren Zustand infolge der psychischen Belastungen gekommen ist, siehe hierzu S/S-Eser/Sternberg-Lieben, § 223 Rn. 1, 3 f. Umfangreicheren Schutz der Psyche wird dem Merkmal der Gesundheit i. S. d. § 223 Abs.1 StGB zugesprochen, nach h. M. zumindest dann, wenn eine Erregung oder Steigerung einer psychisch pathologischen oder psycho-vegetativen Störung vorliegt, wobei die Befindlichkeitsstörung einen medizinisch bedeutsamen Krankheitswert besitzen muss, siehe hierzu S/S-Eser/Sternberg-Lieben § 223 Rn. 6. Eine weitergehende Ansicht vertritt hingegen Wolfslast, Psychotherapie, S. 19 ff. Eine Ausnahme zu dem in § 223 Abs. 1 StGB geschützten Umfang bildet hingegen der hinsichtlich des Betroffenenkreises jedoch beschränkte § 225 Abs. 1 StGB („reines Sonderdelikt“), der auch seelische Leiden umfasst, welche sich nicht als Körperverletzung i. S. d. § 223 StGB objektivieren lassen, siehe hierzu SK-StGB/Horn/Wolters, § 225 Rn. 11; ferner MüKo-StGB/Hardtung, § 225 Rn. 17. 538 Siehe hierzu Bloy, FS Eser, S. 233 (237 f.). Nunmehr lassen sich in den §§ 225 Abs. 3 Nr. 2, 171, 174, 176, 180, 182, 184b StGB weitergehende Konkretisierungen erkennen. 539 Allen voran ist hier an die Nötigung nach § 240 StGB und an sämtliche Straftatbestände zu denken, die ein Nötigungselement enthalten. Eine Sonderstellung nimmt in diesem Rahmen § 343 Abs. 1 StGB mit der Handlungsvariante des seelischen Quälens ein, bei der auch in anderer Weise als durch Drohung oder Gewaltanwendung auf die Willensbildung des Opfers eingewirkt werden kann, vgl. Fischer, StGB, § 343 Rn. 9. 540 Hierzu zählen der Schutz des Ehrgefühls, der vor allem in den Beleidigungsdelikten nach §§ 185 ff. StGB Niederschlag gefunden hat. Weiter des Pietätsempfindens (§§ 189, 167a und 168 StGB), des Schamgefühls (§ 183 StGB), des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs (§§ 201 ff. StGB) und schließlich des Sicherheitsgefühls (§ 241 StGB). 541 Siehe hierzu schon Schrag, Gefühlszustände als Rechtsgüter im Strafrecht, S. 120 f.

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Ausgestaltungsmöglichkeiten eines solchen Straftatbestandes, welcher dem ganzheitlichen Schutz der psychischen Integrität dienen soll, nicht geeignet. Der Gesetzgeber wäre beispielsweise bei Vorschriften, die als Erfolgsdelikt oder konkrete Gefährdungsdelikte ausgestaltet sind, gezwungen, zumindest annäherungsweise den Grad der psychischen Beeinträchtigung zu bestimmen, um nicht jegliche Auswirkung für eine Strafbarkeit ausreichen zu lassen. Eine solche Bestimmung erscheint jedoch gerade in Bezug auf die Messbarkeit rein psychischer Beeinträchtigungen nicht möglich, solange dies aus der seelischen Verletzung selbst heraus – also anhand des Taterfolges – versucht wird.542 Ein solches Vorgehen würde schon daran scheitern, dass sich menschliche Empfindungen nicht hinreichend standardisieren lassen.543 Zudem müsste innerhalb des Tatbestandes auf die jeweils unterschiedlichen Empfindsamkeiten der Opfer Rücksicht genommen werden, was nicht nur wegen des Bestimmtheitsgebots nach Art. 103 Abs. 2 GG in Bezug auf eine allgemeingültige tatbestandliche Umschreibung bedenklich erscheint, sondern auch in Hinblick auf eine opferdefinierte Strafbarkeit544. Der zuletzt genannte Aspekt wirkt noch umso schwerer, wenn man sich vergegenwärtigt, dass gerade der Tatbestand der beharrlichen Nachstellung in den Angriffsformen der § 238 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB für sich genommen genuin sozialadäquate Verhaltensweisen umschreibt. Daher kann es bei dem Schutzgut des Nachstellungstatbestandes, wenn man sich auf einen Schutz der psychischen Integrität einließe, vernünftigerweise nicht um einen ganzheitlichen Schutz der psychischen Integrität gehen, sondern nur darum, die strafwürdigen und strafbedürftigen Grenzen einer erlaubten Beeinträchtigung abzustecken.545 Man wäre daher gehalten, aus der gesamten psychischen Integrität den für das von § 238 StGB geschützten Bereich zu spezifizieren und zu konturieren. (dd) Besondere Gründe gegen einen spezifizierten Gefühlsschutz Dieser Bereich müsste zudem mit dem tatbestandlichen Erfolg des § 238 Abs. 1 StGB, namentlich der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensge542 Und nicht anhand objektivierbarer Kriterien wie bspw. (psycho-)somatische, psycho-vegetative Störungen oder krankheitswerte Zustände. Aus diesem Grund erklärt Eiden, ZIS 2008, 123 (124) jeglichen Versuch zur Konturierung des Rechtsgutsbegriffes im Rahmen des § 238 StGB für aussichtslos. 543 Vgl. hierzu Bloy, FS Eser, S. 233 (235 ff.). 544 Dies hätte sich zwar in einer Tendenz eines immer mehr viktimologisch orientierten Strafrechts befunden, jedoch einer ausführlichen Begründung durch den Gesetzgeber bedurft, vgl. zu dem viktimologischen Gedanken statt vieler Eser, FS Mestmäcker, S. 1005 (1005 ff., 1022 ff.); ferner Hörnle, JZ 2006, 950 (950 ff., 954 ff.); Schünemann, FS für Faller, S. 357 (361 ff.). 545 Kritisch zu einem Schutzgut der psychischen Integrität allgemein Schrag, Gefühlszustände, S. 125 f., nach dem das Strafrecht letztlich ein zu grobes Werkzeug für einen Gefühlsschutz sei; ferner Bloy, FS Eser, S. 233 (243 f., 255).

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staltung, in Einklang zu bringen sein. Eine Vereinbarkeit ist aber nur dann zu realisieren, wenn man die schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung als eine mittelbare Folge der negativen Beeinträchtigung der (noch zu spezifizierenden Form der) psychischen Integrität des Opfers begreifen würde.546 Als Schutzgut des Nachstellungsparagraphens käme daher nur eine Art elementarer Gefühlsstabilität infrage, welche zugleich eine in der Psyche begründete Voraussetzung für die Selbstentfaltung der betroffenen Person sein müsste.547 Insofern ließe sich an das individuelle Sicherheitsgefühl einer jeden Person anknüpfen.548 Allerdings bedarf es noch eines weiteren (Schutz-)Aspekts, der den Fällen gerecht wird, in welchen die schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung nicht durch Furcht- sondern Belästigungsgefühle erzeugt wird – dies wäre wohl am ehesten mit dem Gefühl weitgreifender Bedrängung bzw. Belästigung umschrieben. An eine solche Festlegung schließen sich jedoch wiederum weitere Fragen an. Denn ungeklärt bleibt auch innerhalb des Lagers im Schrifttum, dessen Stimmen ein Schutzgut des individuellen Rechtsfriedens im Rahmen des § 238 StGB favorisieren, warum hier bestimmte Bereiche der psychischen Integrität geschützt werden sollen, nicht aber in anderen Fällen, in denen bspw. eine Person einer anderen vorspiegelt, diese leide an einer unheilbaren Krankheit, was bei der betreffenden Person zu einer schwerwiegenden Furchterregung führt.549 Noch viel entscheidender ist aber eine andere Frage: Das auf bestimmte Bereiche der Psyche550 fixierte Schutzgut des § 238 StGB wäre nur die Vorbedingung für die freie Entfaltung und damit für die freie Lebensgestaltung der Person. Dies wirft die Frage auf, ob diese Vorbedingung schon als ein selbstständiges (strafrechtliches) Rechtsgut anzuerkennen ist oder es sich nicht doch letztlich um den Schutz der frei- und eigenverantwortlichen Lebensgestaltung handelt. (e) Schutzgut aus der Zusammenführung mittel- und unmittelbarer Folgen des Nachstellens Ein weiterer Ansatz zur Bestimmung des Schutzgutes im Rahmen des § 238 StGB kann in der Vereinigung beider vorgenannter Ansätze gesehen werden, also 546 So im Ergebnis auch Krüger, Stalking als Straftatbestand, in: Krüger (Hrsg.), Stalking als Straftatbestand, S. 81 (93), der jedoch die Freiheit von Furcht und die psychische Integrität nur als Reflex mitgeschützt sehen will. 547 Die innere Voraussetzung für die Selbstentfaltung der betroffenen Person ist dabei auch der notwendigen Rückbindung an den tatbestandlichen Erfolg des § 238 Abs. 1 StGB geschuldet. 548 Für die Qualität des Sicherheitsgefühls als Schutzgut, allerdings in Bezug auf § 241 Abs. 2 StGB siehe Bloy, FS Eser, S. 233 (250). 549 Vgl. Schroeder, FS Lackner, S. 665 (671), der für sein Beispiel an die Ausführungen von Glaser, Abhandlungen aus dem Österreichischen Strafrecht, S. 10 f. anknüpft. 550 Namentlich auf das individuelle Sicherheitsgefühl und das Gefühl weitgreifender Bedrängung bzw. Belästigung.

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eine Vereinigung des Schutzes des individuellen Lebensbereiches und dem Schutz (bestimmter Bereiche) der psychischen Integrität. Hierzu lassen sich als Vertreter neben Teilen der Literatur auch die Rechtsprechung zählen. So sah bspw. das LG Heidelberg in einer frühen Entscheidung zu § 238 StGB den typischen Fall der Nachstellung dadurch gekennzeichnet, dass sich das durch das Verhalten des Täters psychisch beeinträchtigte Opfer, welches sich in die Enge getrieben, ständig beobachtet, gejagt und bedroht fühlt, aufgrund der beharrlichen Nachstellungen gezwungen sieht, auf die aufgedrängte und permanente Konfrontation mit dem Täter nur durch Veränderung seiner Lebensgestaltung zu reagieren.551 Hieraus kann sowohl die Tendenz zur Annahme eines vor allem an den psychischen Auswirkungen des Stalking-Verhaltens orientierten Schutzguts, als auch die Tendenz zum Schutz des individuellen Lebensbereichs abgeleitet werden, allerdings unterließ das LG trotz weitgreifender, auch grundsätzlicher Ausführungen zur neuen Regelung des Nachstellungsparagraphens eine genauere Schutzgutbestimmung.552 Zurückhaltender noch äußerte sich das OLG Rostock in seinem Beschluss vom Mai 2009.553 Nach dem Sinn und Zweck des Nachstellungsparagraphen soll der persönliche Freiheitsbereich des Opfers geschützt werden – allerdings nicht gegen jedes belästigende Verhalten, sondern nur dann, wenn es zu unzumutbaren über das normale Maß hinausgehende negativen Veränderungen in den Lebensverhältnissen einer Person kommt.554 Danach würden von der betroffenen Person lediglich subjektiv empfundene Nachteile, selbst wenn damit gravierende psychische Folgen verbunden seien, den Tatbestand des § 238 StGB nicht erfüllen, solange dadurch nicht deren Lebensgestaltung objektivierbar beeinträchtigt werde.555 Eng an den Gesetzesbegründungen zu § 238 StGB orientiert sich hingegen das OLG Zweibrücken in seinem Urteil vom Januar 2010.556 Danach umfasse der Nachstellungstatbestand alle Handlungen, die darauf ausgerichtet seien, durch unmittelbare oder mittelbare Annäherung an das Opfer in dessen persönlichen Lebensbereich einzugreifen und dadurch seine Handlungs- und Entschließungsfreiheit zu beeinträchtigen.557 551 Siehe die Entscheidung des LG Heidelberg vom 06.05.2008 (AZ: 2 KLs 22 Js 6935/07), Rn. 69. 552 Siehe die Entscheidung des LG Heidelberg vom 06.05.2008 (AZ: 2 KLs 22 Js 6935/07), Rn. 69. 553 Siehe den Beschluss des OLG Rostock vom 27. 05. 2009 (AZ: 1 Ss 96/09 I 40/ 09), Rn. 19; besprochen von Jahn, in JuS 2010, 81 (82 f.). 554 Siehe den Beschluss des OLG Rostock OLGSt StGB § 238 Nr. 1 (dort auf S. 4). 555 Siehe den Beschluss des OLG Rostock OLGSt StGB § 238 Nr. 1 (dort auf S. 4). 556 Siehe das Urteil des OLG Zweibrücken OLGSt StGB § 238 Nr. 2 (dort auf S. 3 f.). 557 Siehe das Urteil des OLG Zweibrücken OLGSt StGB § 238 Nr. 2 (dort auf S. 3 f.).

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Mittlerweile hat auch der BGH zu dem neu geschaffenen § 238 StGB Stellung genommen. In Bezug auf das Schutzgut verweist er in seinem November 2009 ergangenen Beschluss auf den Willen des Gesetzgebers, nach dem der Nachstellungstatbestand Handlungen unter Strafe stellen solle, die einschneidend in das Leben des Opfers eingriffen.558 Mit Verweis auf Mosbacher559 soll der neue Straftatbestand in den Worten des BGH „dem Schutz der eigenen Lebensführung vor gezielten, hartnäckigen und schwerwiegenden Belästigungen der Lebensgestaltung“ dienen.560 Der BGH belässt es dabei und übernimmt nicht die weiteren Ausführungen Mosbachers, der bei dem Schutz der eigenen Lebensführung vorrangig die Freiheitsrechtsgüter wie die Handlungs- und Entschließungsfreiheit sowie die Fortbewegungsfreiheit, daneben aber auch hinsichtlich § 238 Abs. 1 Nr. 3 StGB das Vermögen sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, hinsichtlich § 238 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 3 StGB einen Kernbereich des „Rechts, in Ruhe gelassen zu werden“, und bezüglich § 238 StGB Abs. 2 und 3 StGB das Leben und die körperliche Unversehrtheit umfasst sehen will;561 letztlich also ein Konglomerat an dem Strafrecht mehr oder minder vertrauten (Rechts-)Gütern, das jedoch hinsichtlich des Schutzgutes bei § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB keine Aussage zu treffen vermag. Auf diesen Weg begibt sich auch – jedoch ohne entsprechende Begründung – Sonnen, wenn er konstatiert, dass § 238 Abs. 1 StGB die freie Lebensgestaltung gegen Psychoterror, wie er in den einzelnen fünf Tatvarianten beschrieben werde, schütze.562 Ähnlich äußern sich hierzu zunächst auch Neubacher/Seher.563 Danach sei der typische Taterfolg der beharrlichen Nachstellungen nicht in der Verletzung, sondern in der durch psychischen Zwang vermittelten Beeinträchtigung der Freiheitssphäre zu sehen, deren Intensität zumeist erst durch die individuelle Opferreaktion vermittelt werde.564 In selbige Richtung tendiert auch der Vorschlag von Eisele, der in der Handlungs- und Entschlussfreiheit des Opfers hinsichtlich seiner persönlichen Lebensgestaltung das von § 238 StGB geschützte Rechtsgut ausmachen will.565 (f) Stellungnahme Der Blick in die zu § 238 StGB ergangene Rechtsprechung ergibt in Bezug auf das Schutzgut des Nachstellungsparagraphens kein einheitliches Bild. Eine aus558 So die Entscheidung des BGH vom 19.11.2009, Rn. 14; nunmehr abgedruckt in BGHSt 54, 189 (192 f.). 559 Mosbacher, NStZ 2007, 665 (665 f.). 560 Siehe BGHSt 54, 189 (193). 561 Mosbacher, NStZ 2007, 665 (665 f.). 562 NK-StGB/Sonnen, § 238 Rn. 14. 563 Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1030). 564 Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1030). 565 Siehe S/S-Eisele, § 238 Rn. 4. Ähnlich auch Weinitschke, Stalking, S. 128: Freiheit des Opfers zu ungestörter Willensentschließung und Willensbetätigung, wobei er dies einer stark subjektivierten Sicht unterwirft.

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drückliche Stellungnahme zu Art und Umfang des Schutzgutes sucht man bislang vergebens. Unmittelbare Folgen des Stalking wie etwa die negativen Auswirkungen auf die Psyche der Opfer lassen sich hier als Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Schutzgutes ebenso finden wie mittelbare Folgen, etwa die Beeinträchtigung der Handlungs- und Entschließungsfreiheit oder der Lebensführung bzw. der Lebensgestaltung des Opfers. Man gewinnt dabei den Eindruck, dass das Schutzgut aus Sicht der Rechtsprechung nur bestimmt werden kann, wenn man die unmittelbaren und mittelbaren Folgen des Stalking zusammen zum Ausdruck bringt. In Betracht kommt danach eine Schutzgutkombination, nach der § 238 StGB schwerpunktmäßig vor den mittelbaren Folgen schützen soll, die sich – da sonst aufgrund der Weite des Schutzgutes kaum weiterführend – allerdings als Ergebnis (typischer) unmittelbarer Folgen darstellen lassen müssen.566 Ein deutlicheres Bild hierzu zeichnen dagegen diejenigen Stimmen in der Literatur, die auch dem Lager der Rechtsprechung zuzuschreiben sind, da sie sich für eine solche Kombination unmittelbarer und mittelbarer Folgen aussprechen.567 Jedoch bleiben sie in Bezug auf die von ihnen ausgemachten mittelbaren Folgen des Stalking – namentlich die Beeinträchtigung der Freiheitssphäre568, die (persönliche) Lebensgestaltung569 oder die eigene Lebensführung570 – und damit zugleich bei dem Schwerpunkt ihrer Schutzgutbestimmung zu unpräzise. bb) Schutzgut der Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass die Schwierigkeiten in der (straf-)rechtlichen Handhabung des facettenreichen Phänomens Stalking auch auf die Bestimmung des entsprechenden Schutzgutes durchschlagen. Bisherige Lösungsvorschläge entpuppen sich bei näherer Betrachtung als unzureichend. Weder ein Abstellen auf den Topos des individuellen Lebensbereichs noch auf

566 Siehe vor diesem Hintergrund den Beschluss des BGH in BGHSt 54, 189 ff., nach dessen Worten der Tatbestand der Nachstellung „dem Schutz der eigenen Lebensführung vor gezielten, hartnäckigen und schwerwiegenden Belästigungen der Lebensgestaltung“ (193) dienen soll. 567 Vgl. Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1030); Mosbacher, NStZ 2007, 665 (665 f.); NK-StGB/Sonnen, § 238 Rn. 14; S/S-Eisele, § 238 Rn. 4. 568 So Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1030). 569 So NK-StGB/Sonnen, § 238 Rn. 14. Mit dem Zusatz persönlichen S/S-Eisele, § 238 Rn. 4. 570 So Mosbacher, NStZ 2007, 665 (665 f.), der sich jedoch nicht auf diesen Aspekt beschränken will, sondern zugleich auch Freiheitsrechtsgüter wie die Handlungs- und Entschließungsfreiheit sowie die Fortbewegungsfreiheit, mit Blick auf Abs. 2 und 3 daneben auch Leben und körperliche Unversehrtheit, mit Blick auf Abs. 1 Nr. 3 das Vermögen sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und mit Blick auf Abs. 1 Nr. 1, 2 und 3 einen Kernbereich des „Rechts, in Ruhe gelassen zu werden“ umfasst sehen will.

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das bereits im Rahmen des § 241 StGB gehandelte Schutzgut des individuellen Rechtsfriedens oder eine Kombination beider Varianten vermögen eine zufriedenstellende Lösung bieten. Dies ändert jedoch nichts an der Notwendigkeit einer präzisen Schutzgutbestimmung, um angesichts der vielen unbestimmten Tatbestandsmerkmale eine sachgerechte Auslegung des Nachstellungsparagraphens zu ermöglichen. Die Schwierigkeiten in der Präzisierung des Schutzgutes auf die Tatbestandsebene abzuwälzen, vermag angesichts dessen Weite nicht zu überzeugen – denn dies würde nur die Frage hervorrufen, mit Rücksicht auf welche zu schützenden Interessen diese unbestimmten Tatbestandsmerkmale letztlich auszulegen sind.571 Für den Versuch einer Bestimmung des Schutzgutes im Rahmen des § 238 StGB kann an genannte Notwendigkeiten angeknüpft werden: Zunächst ist zu bedenken, dass sich das Schutzgut des § 238 StGB an den typischen Folgen der beharrlichen Nachstellungen orientieren muss. Allerdings kommt dabei nicht jegliche der möglichen Folgen in Betracht, sondern nur solche, die sich mit dem tatbestandlichen Erfolg des § 238 StGB vereinbaren lassen. Sie müssen demnach entweder direkt die freiverantwortliche und unbeeinträchtigte Lebensgestaltung betreffen oder eine entsprechende Vorbedingung hierfür darstellen. Darüber hinaus muss es sich möglichst um ein anerkanntes strafrechtliches Schutzgut handeln, möchte man sich nicht dem Vorwurf ausgesetzt sehen, dass sich Rechtsgüter beliebig erfinden und einem Strafbedürfnis unterlegen ließen.572 Ferner sollte sich das Schutzgut auch mit den gesetzgeberischen Begründungen in Einklang bringen lassen und der systematischen Stellung des § 238 StGB innerhalb des Abschnitts über die Freiheitsdelikte Rechnung tragen. Vor diesem Hintergrund ist dem Gesetzgeber insoweit zuzustimmen, als das beharrliche Nachstellen neben Auswirkungen auf die Psyche der Opfer in vielen Fällen zu einschneidenden Verhaltensänderungen der Betroffenen führt.573 Zutreffend sind ferner seine Ausführungen, nach denen das durch das Verhalten des Täters psychisch beeinträchtigte Opfer, das sich in die Enge getrieben, ständig beobachtet, gejagt und bedroht fühle, wegen der beharrlichen Nachstellungen nicht mehr so leben könne wie zuvor.574 Vor dem Hintergrund der Ergebnisse im Rahmen der Analyse des Phänomens zu Beginn dieser Arbeit ist ferner zu bestätigen, dass die Opfer infolge des Stalking ihre sozialen Kontakte einschränken, bestimmte Orte meiden, Sicherungsvorkehrungen für sich und nahestehende Personen treffen und im Extremfall Wohnung und Arbeitsplatz wechseln, um dem Verfolger zu entgehen.575 571 Diese entscheidende Frage vermag auch Kühl, Stellungnahme, S. 3 ff. nicht zu klären. 572 So die Kritik von Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1030 f.). 573 Siehe hierzu BT-Drs. 16/575, S. 6. Siehe auch die Ausführungen unter § 2 III. 574 Siehe hierzu BT-Drs. 16/575, S. 8. Siehe auch die Ausführungen unter § 2 III.

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Der Nachstellungsparagraph sieht als tatbestandlichen Erfolg die schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung vor. Da sich bisherige vor allem hieran festmachende Bestimmungsversuche wegen ihrer Unbestimmtheit als unzureichend erwiesen, bedarf es einer Schutzgutbestimmung, die an das anknüpft, was in einem tatbestandlichen Fall des Nachstellens immer beeinträchtigt wird. Dabei scheidet jedoch aus bereits genannten Gründen das unmittelbare Abstellen auf die psychische Integrität des Opfers aus. Ferner verbietet sich auch das Abstellen auf (weiter entfernte) mittelbare Auswirkungen, da ein entsprechender Begriff hierfür – schon allein vor dem Hintergrund, dass er verschiedenste Auswirkungen umfassen müsste – im Ergebnis an seiner Vagheit scheitern muss. Demnach bleibt nur das Anknüpfen an ein im Taterfolg notwendigerweise immer mitverwirklichtes „Durchgangsstadium“, bei dem auch die psychische Beeinträchtigung des Opfers ausreichend Berücksichtigung findet. Dies ist vorliegend die Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers.576 Das entsprechendes Schutzgut des § 238 StGB ist demnach die Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit. Ein solches Schutzgut ließe sich zudem mit dem Taterfolg des Nachstellungsparagraphens vereinbaren. Einer (schwerwiegenden) Beeinträchtigung der Lebensgestaltung liegt demnach regelmäßig die Verletzung der Willensbildungsund Willensbetätigungsfreiheit zugrunde. Die Besonderheit besteht jedoch darin, dass die Beeinträchtigung nicht Folge einer physisch bewirkten Einschränkung der Willensbildung und Willensbetätigung durch den Täter ist, denn eine solche rein körperliche Einflussnahme sieht keine der in § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB normierten Begehungsformen des Nachstellens vor. Vielmehr ist die auf Seiten des Opfers bewirkte Beeinträchtigung der Willensbildung und Willensbetätigung Folge einer durch die wiederholten Nachstellungshandlungen bewirkten psychisch vermittelten Pression, durch welche sich das Opfer zu Umstellungen im Bereich seiner Lebensführung gezwungen sieht, um so der ungewollten Kontaktaufnahme zu entgehen. Dieses Ergebnis lässt sich zudem mit dem Willen des Gesetzgebers vereinbaren. Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien soll das Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB alle Handlungen umschreiben, die darauf ausgerichtet sind, durch unmittelbare oder mittelbare Annäherungen an das Opfer in dessen persönlichen Lebensbereich einzugreifen und dadurch seine Handlungs- und Entschließungsfreiheit zu beeinträchtigen.577 Auch der BGH führt in Anlehnung an die Geset575

Siehe hierzu BT-Drs. 16/575, S. 6. Siehe auch die Ausführungen unter § 2 III. Der Konzeption der Rechtsprechung und einigen Teilen der Literatur (vgl. Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 [1030]; Mosbacher, NStZ 2007, 665 [665 f.]; S/S-Eisele, § 238 Rn. 4), ist demnach im Ansatz durchaus zuzustimmen, sie schießen allerdings mit dem Anknüpfen an zu späte mittelbare Folgen über das Ziel hinaus. 577 Siehe BT-Drs. 16/575, S. 7. 576

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zesbegründung zu § 238 StGB aus, dass der Begriff der Lebensgestaltung „ganz allgemein die Freiheit der menschlichen Entschlüsse und Handlungen“ umfasst.578 Dabei kann die Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit als Bestandteil der Handlungs- und Entschließungsfreiheit gesehen werden. Da es sich hierbei um ein Individualrechtsgut handelt, welches ferner einen unverzichtbaren Bestandteil für die eigene Daseins- und Entfaltungsbedingung darstellt, handelt es sich zudem um ein anerkennenswertes strafrechtliches Schutzgut. § 238 Abs. 1 StGB stellt demnach das unbefugte und beharrliche Nachstellen unter Strafe, das infolge der durch das Nachstellungsverhalten bewirkten psychisch vermittelten Pression auf das Opfer zu einer Beeinträchtigung dessen Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit – und damit letzten Endes zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung – führt.579 Hierfür spricht letztlich auch die systematische Stellung des Nachstellungsparagraphens innerhalb des 18. Abschnittes über die Straftaten gegen die persönliche Freiheit.580 e) Der objektive Tatbestand des § 238 Abs. 1 StGB aa) Tathandlung des Nachstellens in ihren jeweiligen Begehungsformen Nach der Konzeption des Gesetzgebers beschreibt das Nachstellen nicht nur den Kern der Tathandlung, sondern ist auch als der zentrale Oberbegriff des Tatbestandes zu verstehen.581 Die Tathandlung des Nachstellens steht dabei sinngemäß für den Begriff Stalking.582 Das Nachstellen wird in § 238 StGB Abs. 1 StGB noch durch das Adjektiv unbefugt ergänzt. 578

Siehe BGHSt 54, 189 (196). In eine ähnliche Richtung tendieren letztlich auch Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1034): „§ 238 StGB schützt die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit gegen psychisch vermittelte Einwirkungen, die zwar durchweg unterhalb der Schwelle einer Nötigung bleiben, aber dennoch einen penetranten und durch die Beharrlichkeit des Täterverhaltens zunehmenden Druck auf das Opfer ausüben, spezifische Vermeidereaktionen zu entwickeln“, vgl. auch Seher, JZ 2010, 582 (583), der von einer psychisch vermittelten gravierenden Beeinträchtigung der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit durch die Nachstellungshandlungen spricht. Ferner auch Weinitschke, Stalking, S. 128: Freiheit des Opfers zu ungestörter Willensentschließung und Willensbetätigung, wobei er dies einer stark subjektivierten Sicht unterwirft. 580 Einen knappen Überblick über diesen Abschnitt verschafft Schroeder, JuS 2009, 14 (14 ff.). 581 Vgl. hierzu BT-Drs. 16/575, S. 7. 582 Vgl. hierzu BT-Drs. 16/575, S. 7. Damit konnte sich die Bundesregierung gegen die Bestrebungen des Bundesrates durchsetzen, der in seinem Gesetzentwurf die Tathandlung der schweren Belästigung bevorzugte. Sogar die dem Rechtsausschuss übergebene Kompromisslinie zwischen Bundesregierung und Bundesrat sah als Tathandlung eine schwere Belästigung vor. Erst innerhalb des Rechtsausschusses einigte man sich auf das Nachstellen als Tathandlung. 579

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Zur Erläuterung, was unter dem Terminus Nachstellen im Allgemeinen zu verstehen ist, verweist der Gesetzgeber innerhalb der Gesetzesbegründung auf die Verwendung des Begriffs im Rahmen der §§ 292 Abs. 1 Nr. 1, 329 Abs. 3 Nr. 6 StGB.583 Dort soll der Begriff Nachstellen das Anschleichen, Heranpirschen, Auflauern, Aufsuchen, Verfolgen, Anlocken, Fallen stellen und das Treibenlassen durch Dritte umfassen. Übertragen auf § 238 Abs. 1 StGB umschreibe der Begriff somit alle Handlungen, die darauf ausgerichtet seien, durch unmittelbare oder mittelbare Annäherungen an das Opfer in dessen persönlichen Lebensbereich einzugreifen.584 Das unbefugte Nachstellen wird auf Tatbestandsebene anhand einzelner Verhaltenweisen konkretisiert, die der Täter beharrlich vorgenommen haben muss. Bei diesen Verhaltensvarianten handelt es sich um die in § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 StGB normierten Begehungsformen des Nachstellens, die durch die Auffangklausel des § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB ergänzt werden.585 (1) Zur inhaltlichen Bestimmbarkeit der Tathandlung Der Versuch des Gesetzgebers, anhand der Verwendung des Begriffs Nachstellen innerhalb der §§ 292 Abs. 1 Nr. 1, 329 Abs. 3 Nr. 6 StGB Erkenntnisse für dessen Begriffsbestimmung im Rahmen des § 238 StGB abzuleiten,586 hat im Schrifttum viel Kritik erfahren.587 Es wird überwiegend abgelehnt, die Erkenntnisse in der Auslegung des Begriffs der Nachstellung im Rahmen der §§ 292 Abs. 1 Nr. 1, 329 Abs. 3 Nr. 6 StGB unmittelbar auf den Nachstellungsparagraphen zu übertragen.588 Jedoch wird dem Verweis auf den Tatbestand der Jagdwilderei durchaus das Potential zugesprochen, die Tathandlung des § 238 Abs. 1 StGB zumindest im übertragenen Sinne zu umschreiben.589

583

Siehe BT-Drs. 16/575, S. 7. Siehe BT-Drs. 16/575, S. 7. 585 Ausweislich der Gesetzesbegründung handelt es sich bei den die Tathandlung konkretisierenden Begehungsformen nach den zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes aktuellen empirischen Studien um die häufigsten Nachstellungshandlungen. Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 7. 586 Siehe BT-Drs. 16/575, S. 7. 587 Siehe hierzu Kinzig/Zander, JA 2007, 481 (483); Mosbacher, NStZ 2007, 665 (666); zurückhaltender dagegen Fischer, StGB, § 238 Rn. 9; Gazeas, KJ 2006, 248 (254); ders., JR 2007, 497 (498); Sadtler, Stalking, S. 293. 588 Vgl. nur Gazeas, KJ 2006, 248 (254); Kinzig/Zander, JA 2007, 481 (483). 589 Vgl. hierzu Sadtler, Stalking, S. 293; Valerius, JuS 2007, 319 (321); Kinzig/Zander, JA 2007, 481 (483); SK-StGB/Wolters, § 238 Rn. 7; Arzt/Weber/Weber, Strafrecht Besonderer Teil, S. 289; Löhr, Notwendigkeit, S. 304 f.; a. A. Gazeas, KJ 2006, 248 (254); ders., JR 2007, 497 (498); Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1031); kritisch ferner Rackow, GA 2008, 552 (562), Dessecker, FS Maiwald, S. 104 (107 f.); S/S-Eisele, § 238 Rn. 6. 584

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Der Begriff des Nachstellens fungiert im Rahmen des Tatbestandes des § 292 Abs. 1 Nr. 1 StGB, an den sich auch § 329 Abs. 3 Nr. 6 StGB stark anlehnt, als Synonym für das der Jägersprache entstammende Auf-dem-Anstand-Stehen, das Heranpirschen, das Verfolgen, das Treibenlassen durch Treiber, das Auslegen vergifteter Köder, also letztlich für jede Handlung, mit welcher der Täter nach seiner Vorstellung zum Fangen, Erlegen oder Sich-Zueignen unmittelbar ansetzt.590 Ein Nachstellen liegt in diesem Zusammenhang folglich bereits mit dem bloßen Durchstreifen des Forstes mit einsatzbereiter Jagdwaffe vor, also mit denjenigen Handlungen, welche nach der Vorstellung des Täters die Durchführung weiterer tatbestandlicher Handlungen wie des Fangens oder des Erlegens des Wildes unmittelbar bezwecken.591 Damit unterscheidet sich das Nachstellen i. S. d. § 292 Abs. 1 Nr. 1 StGB aber in mehrfacher Hinsicht von dem Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB.592 Zum einen ist das Tatobjekt bei § 238 Abs. 1 StGB nicht Tier, sondern Mensch. Zum anderen aber bestehen auch deutliche Unterschiede in der Zwecksetzung des Verhaltens. Bei § 292 Abs. 1 Nr. 1 StGB handelt es sich um ein unechtes Unternehmensdelikt mit einer bestimmten subjektiven Tätertendenz, mithin einer finalen Komponente.593 Im Rahmen des Jagdwildereitatbestandes muss das Nachstellen aus der Sicht des Täters unmittelbar der anschließenden Erlegung oder der Erlangung physischer Herrschaft über das Tier dienen, eine bloße Beunruhigung des Wildes bspw. durch Aufscheuchen soll gerade nicht umfasst sein.594 Der Stalker hat hingegen im Regelfall nicht im Sinn, Leben auszulöschen oder die physische Gewalt über das Opfer zu gewinnen,595 ein solches Verhalten sieht der Tatbestand des § 238 Abs. 1 StGB auch nicht vor. Ob das Handeln des Täters eine andere finale Komponente aufweisen muss, ist unklar. Zumindest handelt es sich bei § 238 Abs. 1 StGB – anders als bei § 292 Abs. 1 Nr. 1 StGB – nicht um ein unechtes Unternehmensdelikt, sondern um ein vorsätzliches Erfolgsdelikt. Dies verlangt den Vorsatz des Täters in Hinblick auf den tatbestandlichen Erfolg, welcher allerdings bereits dann zu bejahen ist, wenn der Täter um die Umstände der Möglichkeit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers, derentwegen sein Handeln missbilligt ist, weiß und (weiter)handelt.596

590

S/S-Heine, § 292 Rn. 5; Fischer, StGB, § 292 Rn. 11. S/S-Heine, § 292 Rn. 5. 592 Die bisherige zu den einzelnen Tatbeständen ergangene Rechtsprechung und erschienene Literatur lassen sich demnach nicht auf § 238 Abs. 1 StGB übertragen. So im Ergebnis auch Gazeas, KJ 2006, 247 (254); Mosbacher, NStZ 2007, 665 (666); Rackow, GA 2008, 552 (562). Dies ist jedoch nicht (nur) der Relativität der Rechtsbegriffe geschuldet; siehe hierzu Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 11; ferner Wank, juristische Begriffsbildung, S. 110 ff. 593 Siehe S/S-Heine, § 292 Rn. 5. 594 Vgl. hierzu LK-StGB/Schünemann, § 292 Rn. 45 ff. 595 Siehe hierzu die gängigen Typologieansätze unter § 2 IV. 1. 591

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Auch ein Blick auf das Nachstellen im Rahmen des § 1 Abs. 2 Nr. 2 b) GewSchG verspricht keine weiterreichenden Erkenntnisse. Ausweislich der gesetzgeberischen Begründung zum GewSchG sollen von diesem Begriff unter anderem die wiederholte Beobachtung einer Person, die ständige demonstrative Anwesenheit des Täters in der Nähe der Person, die „körperliche“ Verfolgung und die räumliche Annäherung umfasst sein;597 letztlich also Handlungen, die der Angriffsweise nach § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB entsprechen. Auf die anderen Angriffsformen des § 238 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 StGB lassen sich diese Ausführungen aber nicht übertragen. Hierfür spricht nicht zuletzt, dass § 1 Abs. 2 Nr. 2 b) GewSchG zwischen dem Nachstellen gegen den Willen der betroffenen Person und der Verfolgung unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln differenziert. Letzteres Vorgehen hat sinngleich in § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB als eine (untergliederte) Angriffsform des Nachstellens Niederschlag gefunden. Dem Nachstellen muss im Rahmen des § 238 Abs. 1 StGB demnach ein erheblich weiterer Anwendungsbereich zukommen als im Rahmen des § 1 Abs. 2 Nr. 2 b) GewSchG. Die inhaltliche Bestimmung des Nachstellens i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB ist anhand der einzelnen Begehungsformen unter Berücksichtigung des Schutzgutes und in Hinblick auf den tatbestandlichen Erfolg vorzunehmen. Den einzelnen Angriffsformen des § 238 Abs. 1 bis 5 StGB ist die einseitige Kontaktaufnahme von Seiten des Täters gemein, die – dies wird anhand des Merkmals unbefugt deutlich – gegen den Willen des Opfers wiederholt vom Täter vorgenommen wird. Diese Kontaktaufnahmen müssen ferner geeignet sein, die Willensbildung und Willensbetätigung des Betroffenen zu beeinträchtigen, und der Täter zumindest um diese Möglichkeit wissen. Da diese Beeinträchtigung jedoch nicht Folge eines physischen Drucks oder einer entsprechenden Zwangseinwirkung seitens des Täters ist, muss sie vielmehr aus einer seitens des Täters vermittelten psychischen Pression resultieren. Darüber hinaus müssen die Kontaktaufnahmen geeignet sein, die Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers nicht nur kurzzeitig zu beeinträchtigen, sondern dergestalt, dass sich das Opfer unfreiwillig in seiner Lebensgestaltung zu schwerwiegenden Änderungen veranlasst sieht, und der Täter zumindest um diese Möglichkeit weiß.598

596 Siehe zu den Anforderungen an die Vorsatzform des dolus eventualis ausführlich Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 496 ff. 597 Siehe hierzu BT-Drs. 14/5429, S. 29. 598 Dem ist zuzugestehen, dass es sich hierbei um eine objektiv-subjektive Spiegelung des tatbestandlichen Erfolgs handelt. Allerdings wäre ein Verhalten, das nicht die Möglichkeit dieser Folge beinhaltet bzw. von deren missbilligter Risikoeigenschaft der Täter nicht weiß oder ein solches Bewirken des tatbestandlichen Erfolges er überhaupt nicht will, schon kein vorsätzliches Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB.

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(2) Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB Das Nachstellen wird anhand des § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB konkretisiert, nach welchem unbefugt nachstellt, wer beharrlich die räumliche Nähe des Opfers aufsucht. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen hierunter alle physischen Annäherungen an das Opfer fallen wie beispielsweise das Auflauern, Verfolgen, sich Aufhalten vor dem Haus des Opfers oder eine sonstige häufige Präsenz in der Nähe der Wohnung oder der Arbeitsstelle des Opfers.599 Allerdings soll nur das gezielte Aufsuchen der räumlichen Nähe zum Opfer von § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB umfasst sein, eine lediglich zufällige zeitgleiche Anwesenheit zu anderen Zwecken genüge demnach nicht.600 Der Forderung nach einer besonderen, über den Wortlaut des Aufsuchens und entsprechend den Tatvorsatz zur räumlichen Annäherung hinausgehenden subjektiven Zwecksetzung – wie dies in der Gesetzesbegründung anklingt und im Schrifttum verschiedentlich vertreten wird601 – ist jedoch zu widersprechen. Einer solchen Zwecksetzung bedarf es zur Abgrenzung gegenüber Fällen, in denen der Täter unverhofft auf das Opfer trifft, schon deshalb nicht, weil der Täter im letztgenannten Fall die Nähe zum Opfer überhaupt nicht sucht, es daher bereits an einem entsprechenden Tatvorsatz mangelt.602 Außerdem führt die Forderung nach einer innerpsychischen Zwecksetzung in der Praxis zu erheblichen Problemen in Hinblick auf die Nachweisbarkeit.603 Unerheblich ist dagegen, ob sich der Täter nähert oder ob er eine bestimmte Stelle aufsucht, um dort das Erscheinen des Opfers abzuwarten.604 Dem erfindungsreichen Täter wäre sonst Tür und Tor geöffnet, einen bestimmten Ort aufzusuchen, den das Opfer für gewöhnlich passiert, um hernach zu behaupten, das Opfer hätte selbst die räumliche Nähe gesucht.605 Um ein Aufsuchen der räumlichen Nähe im Sinne des § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB kann es sich dagegen im Regelfall nicht bei einem Zusammentreffen aufgrund eines orts- oder zweckspezi599

Vgl. hierzu BT-Drs. 16/575, S. 7. Wie beispielsweise das zufällige gemeinsame Warten an einer in der Nähe der Wohnung befindlichen Bushaltestelle, der Einkauf im Supermarkt, der Besuch eines Kinos, vgl. hierzu BT-Drs. 16/575, S. 7. 601 Vgl. hierzu BT-Drs. 16/575, S. 7. Für Nachweise im Schrifttum siehe Mitsch, NJW 2007, 1237 (1238 f.); Gazeas, JR 2007, 497 (499); Mosbacher, NStZ 2007, 665 (667 f.); Kinzig/Zander, JA 2007, 481 (483). 602 Vgl. hierzu Fischer, StGB, § 238 Rn. 13a. 603 Siehe hierzu aus praktischer Sicht Peters, NStZ 2009, 238 (239 f.), der es konsequenterweise auch nicht genügen lässt, die subjektive Einschätzung der Betroffenen zur Grundlage der Bestimmung zu nehmen, ob es sich um ein gezieltes Aufsuchen handelt. 604 Siehe Valerius, JuS 2007, 319 (321); Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 232; S/S-Eisele, § 238 Rn. 9; Fischer, StGB, § 238 Rn. 13. 605 Siehe auch Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 232. 600

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fisch gemeinsamen Lebensbereichs handeln.606 Ein klassisches Beispiel hierfür bildet die im Rahmen einer Lebensgemeinschaft naturgemäß (bereits) bestehende räumliche Nähe, etwa im Rahmen der Nutzung der gemeinsamen Wohnung.607 Bis zu einer entsprechenden richterlichen Trennungsanordnung verbietet sich hier ferner, die bloße Weigerung sich zu entfernen gleichsam als ein Aufsuchen durch Unterlassen zu betrachten.608 Ein Aufsuchen i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB vermag darüber hinaus auch dann nicht vorzuliegen, wenn das Zusammentreffen daraus resultiert, dass der Täter – bspw. der ehemalige (Beziehungs-)Partner – seinen üblichen berufsbezogenen Verpflichtungen oder anderen Gewohnheiten nachgeht wie zuvor,609 also etwa zur gewöhnlichen Zeit und im gewöhnlichen Umfang seine alltäglichen Freizeitaktivitäten pflegt.610 Uneinigkeit besteht hinsichtlich der Frage, wie nah der Täter dem Opfer gekommen sein muss, um von einem Aufsuchen der räumlichen Nähe sprechen zu können.611 Teilweise wird unter Verweis darauf, dass erst die physische Präsenz des Täters stalkingtypische Auswirkungen bei dem Opfer zeitigen könne, eine Annäherung mindestens auf Sichtweite gefordert.612 Andere hingegen wollen 606 So etwa bei Nachbarn, (noch) zusammenlebenden Ehepartnern oder generell (Beziehungs-)Partnern, Arbeitskollegen, Mitgliedern eines bestimmten Vereins mit entsprechender Anwesenheitspflicht bei Sitzungen, etc. 607 Siehe hierzu S/S-Eisele, § 238 Rn. 9. Mitsch, NJW 2007, 1237 (1238 f.) konstatiert, dass von einem Aufsuchen dann keine Rede mehr sein kann, sondern vielmehr von einem dem Anwendungsbereich des § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht unterfallenden Aufrechterhalten der räumlichen Nähe. In diesem Fall könne die Person jedoch auch nach § 2 GewSchG vorgehen. Der Einwand von Sadtler, Stalking, S. 305, dass eine Partnerschaft das Aufsuchen räumlicher Nähe nicht per se ausschließe, trifft daher nicht ganz, da Mitsch (a. a. O.) ein Entfallen des § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB erkennbar nur auf den Bereich des räumlichen Zusammenlebens beschränken möchte. In der Öffentlichkeit ist auch im Rahmen der Lebensgemeinschaft ein Aufsuchen der Nähe denkbar. 608 Siehe hierzu Mitsch, NJW 2007, 1237 (1238 f.). Dies gilt entsprechend auch für den Fall, in welchem der Täter bei einer zufälligen Begegnung am Ort verharrt und sich nicht entfernt, vgl. auch Mosbacher, NStZ 2007, 665 (667), der Bedenken äußert, ob die Entsprechungsklausel des § 13 StGB hinsichtlich der spezifischen Begehungsweise des Aufsuchens überhaupt anwendbar ist. Anders jedoch, wenn der Täter das Opfer nach dem zufälligen Zusammentreffen verfolgt, siehe hierzu OLG Zweibrücken OLGSt StGB § 238 Nr. 2. 609 Z. B. dann, wenn der Täter weiterhin denselben Bus zur Arbeit nimmt oder zur gewohnten Zeit seinen Kurs im Fitnessstudio besucht, Joggen geht usw., vgl. hierzu S/S-Eisele, § 238 Rn. 9, der zu diesen Beispielen anmerkt, dass grundsätzlich niemand verlangen könne, dass jemand seine Lebensgewohnheiten umstelle, nur weil einer anderen Person ein Zusammentreffen unerwünscht sei. 610 Wobei darüber hinaus auch fraglich wäre, ob der Vorsatz für ein tatbestandlichen Handeln überhaupt vorliegt. 611 Gazeas, JR 2007497 (499); S/S-Eisele, § 238 Rn. 8; Mosbacher, NStZ 2007, 665 (667); Kinzig/Zander, JA 2007, 481 (483). 612 Kinzig/Zander, JA 2007, 481 (483); Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 233; Mosbacher, NStZ 2007, 665 (667); Gazeas, JR 2007, 497 (499); S/S-Eisele, § 238 Rn. 8.

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eine solche Entfernung genügen lassen, in der das Opfer zumindest unter Zuhilfenahme optischer Hilfsmittel wie bspw. einem Fernglas den Täter entdecken könnte.613 In diesem Zusammenhang wird kontrovers diskutiert, ob das Opfer den Täter tatsächlich wahrgenommen haben muss oder ob bereits ein heimliches Annähern des Täters dem § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB unterfällt. Vereinzelt wird auch darauf abgestellt, ob das Opfer den Täter hätte wahrnehmen können, entscheidend ist demnach die bloße Wahrnehmbarkeit seitens des Opfers.614 Der Wortlaut des Gesetzes lässt Spielraum für alle drei Möglichkeiten. Sinn und Zweck der Norm scheinen jedoch dafür zu sprechen, dass das Opfer den Täter wahrgenommen haben muss.615 Zur Begründung wird auf die für Stalking wesenstypische Auswirkung auf die Psyche des Opfers verwiesen. An einer solchen fehle es, wenn das Opfer die bewusste Annäherung des Täters schon überhaupt nicht hätte wahrnehmen können oder tatsächlich nicht wahrgenommen hat.616 Dies überzeugt im Grundsatz. Eine entsprechende Handlung des Täters, von der das Opfer niemals Kenntnis nimmt, wird sich in Hinblick auf das Bewirken des tatbestandlichen Erfolgs auch nicht als kausal und überdies keinen Verstoß gegen das Schutzgut des Nachstellungstatbestandes darstellen.617 Hieraus ergeben sich auch die Vorgaben zur Klärung der Frage, wie nah der Täter dem Opfer gekommen sein muss, um von einem Aufsuchen der räumlichen Nähe sprechen zu können. Ein Abstellen auf einen in Metern bestimmbaren Mindestabstand verbietet sich hier. Vielmehr wird von dem Aufsuchen der räumlichen Nähe i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB regelmäßig nur dann zu sprechen sein, wenn der Täter bewusst die Nähe zum Opfer dergestalt sucht, dass seine physische Präsenz vom Opfer unmittelbar wahrgenommen wird.618 Erst dann kann das Verhalten des Täters auch geeignet sein, in Hinblick auf den tatbestandlichen Erfolg überhaupt kausal zu werden.

613

Valerius, JuS 2007, 319 (321); Fischer, StGB, § 238 Rn. 12. Valerius, JuS 2007, 319 (321). 615 So auch Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1032); Krüger, Stalking als Straftatbestand, in: Krüger (Hrsg.), Stalking als Straftatbestand, S. 81 (113); ders., NStZ 2010, 546 (549); Mitsch, NJW 2007, 1239 (1239); Gazeas, JR 2007, 497 (499); letztlich wohl auch Mosbacher, NStZ 2007, 665 (667); ablehnend dagegen S/S-Eisele § 238 Rn. 8. 616 Mitsch, NJW 2007, 1237 (1239); Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1032); Krüger, NStZ 2010, 546 (549); i. E. auch Mosbacher, NStZ 2007, 665 (667); SK-StGB/Wolters, § 238 Rn. 10. 617 Unmittelbare Auswirkung hat hier demnach die Bestimmung des Schutzgutes. Sieht man – entgegen der hier vertretenen Meinung – den individuellen Lebensbereich als Schutzgut des § 238 Abs. 1 StGB an, dann ließe sich auch die heimlichste Annäherung als Eingriff in diesen Bereich annehmen, den das Opfer nicht bemerken muss. 618 Hierbei kann es einerlei sein, ob es sich um eine visuelle, akustische, haptische oder olfaktorische Wahrnehmung handelt. 614

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Bei § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB handelt es sich ferner um ein eigenhändiges Delikt. Bereits der Wortlaut des Gesetzes (indem er beharrlich die räumliche Nähe aufsucht) lässt hier ein tatbestandliches Handeln in mittelbarer Täterschaft nicht zu. (3) Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB Nach § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB macht sich strafbar, wer unbefugt nachstellt, indem er beharrlich unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu ihm herzustellen versucht. Diese Handlungsvariante des Nachstellens umfasst insbesondere diejenigen Fälle, in denen der Täter den Kontakt zu dem Opfer nicht zwangsläufig mittels räumlicher Nähe herzustellen versucht, sondern eine etwaige mangelnde räumliche Präsenz mithilfe technischer Geräte oder über Dritte zu überwinden bzw. zu überbrücken sucht.619 Trotz des insoweit missverständlichen Wortlauts wird übereinstimmend auch das erfolgreiche Herstellen einer kommunikativen Verbindung zwischen Täter und Opfer als Handlung unter § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB subsumiert.620 Ausweislich der Gesetzesbegründung erfasst das Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB sowohl diejenigen Konstellationen, in denen der Täter mithilfe von technischen Geräten Kontakt zu dem Opfer sucht, als auch diejenigen Konstellationen, in denen er das Opfer über andere Personen kontaktiert.621 Danach sind nicht zuletzt unerwünschte Anrufe, E-Mails, SMS, Briefe, schriftliche Botschaften an der Windschutzscheibe des Kraftfahrzeugs oder ähnliche Verhaltensweisen ebenso unter § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu subsumieren wie unmittelbare Kontaktaufnahmen über Dritte.622 Dabei kann es im Rahmen der zweiten Variante, namentlich des Vorgehens mit „sonstigen Mitteln der Kommunikation“, jedoch nicht darauf ankommen, ob es 619 Gemäß § 3 Nr. 22, Nr. 23 TKG bedeutet Telekommunikation den technischen Vorgang des Aussendens, Übermittelns und Empfangens von Signalen mittels Telekommunikationsanlagen, wobei unter Telekommunikationsanlagen technische Einrichtungen oder Systeme zu verstehen sind, die als Nachrichten identifizierbare elektromagnetische oder optische Signale senden, übertragen, vermitteln, empfangen, steuern oder kontrollieren können. 620 Siehe hierzu BGHSt 54, 189 (194); Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1032); S/SEisele, § 238 Rn. 11; Fischer, StGB, § 238 Rn. 14. 621 Vgl. hierzu BT-Drs. 16/575, S. 7. 622 Vgl. hierzu BT-Drs. 16/575, S. 7. Andere Personen sind danach Angehörige des Opfers oder sonstige Personen aus dessen Umfeld. Zu der Variante des sog. CyberStalking siehe insbesondere Dreßing/Klein/Bailer/Gass/Gallas, Nervenarzt 2009, 833 (833 ff.).

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sich gerade um schriftliche Mitteilungen oder Nachrichten handelt.623 Eine solche Beschränkung findet keine Stütze im Wortlaut des § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Sinn und Zweck der Norm gebieten es ferner, auch diejenigen Fälle von § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB umfasst zu sehen, in denen der Täter dem Opfer zwar keine Textbotschaft zukommen lässt, dafür aber Gegenstände, die ihrem sozialen Sinngehalt nach eine (deutliche) Botschaft enthalten – wie beispielsweise das Zusenden von Blumensträußen, Pralinen oder Tonbändern mit aufgesprochenen Liebesbotschaften.624 Die Gegenmeinung, die aus Gründen der Restriktion unter den von ihr als zu unbestimmt ausgemachten Terminus Mittel der Kommunikation ausschließlich Akte „verbaler Kommunikation“ fassen möchte,625 übersieht nicht nur, dass eine solche Beschränkung keine Stütze im Wortlaut des § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB findet, sondern angesichts der Strafbarkeit des bloßen Kontaktaufnahmeversuchs, den § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB ausdrücklich nennt, auch zu Wertungswidersprüchen führen würde. Warum sollte die erfolgreiche Kontaktherstellung mit sonstigen Mitteln nur auf Formen verbaler Kommunikation beschränkt sein, wenn der Tatbestand zugleich Fälle erfasst, in denen der Täter nur den Kontakt herzustellen versucht, bei denen es also völlig dahinstehen kann, ob dies mittels geschriebenem oder gesprochenem Wort erfolgt.626 Auf eine Kommunikation in Gestalt des geschriebenen oder gesprochenen Wortes kann es demnach nicht (ausschließlich) ankommen.627 Entscheidend ist vielmehr die Geeignetheit der Kontaktherstellung, in Hinblick auf die schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung zu wirken. Irritierend ist daher auf den ersten Blick, dass der Gesetzgeber auch den Versuch des Kontaktherstellens in § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB normiert hat. Angesichts des Wortlauts kämen demnach für § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB auch Fälle in Betracht, in denen der Täter bspw. dutzende Briefe an das Opfer abschickt, diese aber – wegen falscher Adresse und mangels ausreichender Frankierung – niemals 623 In diesem Sinne auch Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 235; Fischer, StGB, § 238 Rn. 14b; Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1032); Mitsch, NJW 2007, 1237 (1239); a. A. dagegen Gazeas, JR 2007, 497 (500); Mosbacher, NStZ 2007, 665 (668); wohl auch Mitsch, NJW 2007, 1237 (1239), der dies anhand des „Rosenfalls“ in Frage stellt. Ausführlich zum Rosenfall Smischek, Stalking, S. 116 f. m.w. N. 624 Zumal diese Art von Botschaften eine nicht zu unterschätzende Anzahl von typischen Stalking-Handlungen darstellt, vgl. hierzu Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (17). 625 So etwa Gazeas, JR 2007, 497 (500); Mosbacher, NStZ 2007, 665 (668); SKStGB/Wolters, § 238 Rn. 11. 626 So bspw., wenn der Täter das Opfer mehrmals auf dem Handy zu erreichen sucht und das Opfer später die Anzeige von den nichtangenommenen Anrufen des Täters auf ihrem Handybildschirm zur Kenntnis nimmt. 627 Somit ist auch der Fall, in welchem der Täter dem Opfer Rosen zuschickt oder eigens vor die Haustüre legt, auch von § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB umfasst. Im Ergebnis ebenso Fischer, StGB, § 238 Rn. 14.

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bei dem Opfer ankommt und es daher keine Kenntnis davon nimmt. Teleologische Gründe sprechen jedoch dafür, dass auch der Kontaktversuch des Täters, soll er in Hinblick auf den tatbestandlichen Erfolg in irgendeiner Art und Weise kausal werden, von dem Opfer zumindest zur Kenntnis genommen werden muss.628 Gerade die Variante des Kontaktherstellungsversuchs in § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB deckt in praxi eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Fällen ab, da sie auch diejenigen Fälle umfasst, in denen das Opfer dem Kommunikationswillen des Täters auszuweichen sucht, indem es bspw. eingehende Anrufe des Täters auf dem (Mobil)Telefon nicht entgegennimmt oder erst später in der Telefonanzeige davon erfährt.629 Entscheidend aber wird sein, dass der von dem Opfer zumindest zur Kenntnis genommene Kontaktversuch aus Sicht des Opfers dem Täter zuzuordnen ist.630 § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB umfasst demnach die erfolgreiche oder versuchte Kontaktherstellung über Dritte. In Betracht kommen dabei sowohl dem Opfer nahestehende Personen wie etwa Familienmitglieder, Freunde, Arbeitskollegen, als auch dem Opfer (bis dahin) unbekannte Fremde.631 Nicht von Belang ist, ob die zwischengeschaltete dritte Person gut- oder bösgläubig ist.632 Die dritte Person tritt dabei als Kontakt(ver)mittler auf. Entscheidend muss aber auch hier wiederum die tatsächliche Kenntnisnahme durch das Opfer sein. (4) Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 3 StGB Die in § 238 Abs. 1 Nr. 3 StGB normierte Präzisierung des Nachstellens begeht, wer unter missbräuchlicher Verwendung der personenbezogenen Daten des Opfers Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für dieses aufgibt oder Dritte veranlasst, mit diesem Kontakt aufzunehmen. Hierunter fallen demnach zwei Handlungsalternativen, bei denen der Täter nicht selbst – und nur mittelbar – mit dem Opfer in Kontakt tritt, indem er Dritte veranlasst, mit diesem in Kontakt zu treten oder sich diesem gegenüber in bestimmter Weise zu verhalten.633 628 Im Ergebnis ebenso Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1032); Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 237; Fischer, StGB, § 238 Rn. 14. 629 Insbesondere der „Telefonterror“ stellt eine weitverbreitete und sehr häufig frequentierte Stalkinghandlung dar, siehe hierzu Dreßing/Kühner/Grass, FPR 2006, 176 (179); für die Gerichtspraxis Peters, NStZ 2009, 238 (240). 630 Vgl. Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1032). 631 Gazeas, JR 2007, 497 (500); Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 236 f.; S/S-Eisele, § 238 Rn. 14. 632 Vgl. Fischer, StGB, § 238 Rn. 14. Bei Gutgläubigkeit des Dritten handelt es sich um eine Form der tatbestandlich vertypten mittelbaren Täterschaft, vgl. S/S-Eisele, § 238 Rn. 14; Mitsch, NStZ 2007, 1237 (1239). 633 Vgl. hierzu BT-Drs. 16/575, S. 7; Gazeas, JR 2007, 497 (500).

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§ 3 Gesetzgeberische Reaktionen auf das Verhaltensmuster Stalking

Die erste Variante des § 238 Abs. 1 Nr. 3 StGB umfasst dabei diejenigen Konstellationen, in denen der Täter unter missbräuchlicher Verwendung der personenbezogenen Daten des Opfers die Lieferung von vorgeblich im Namen des betroffenen Opfers bestellten Waren oder Dienstleistungen an das Opfer auf allen denkbaren Kommunikationswegen634 veranlasst. Hierunter fallen bspw. das Bestellen von Waren aus dem Internet, bei Versandhäusern, im Rahmen von spezialisierten Heimlieferservices, die Beauftragung eines Handwerkers oder die Inanspruchnahme von Rettungsdiensten.635 Dabei kann es in Hinblick auf den tatbestandlichen Erfolg des Nachstellungsparagraphens nicht darauf ankommen, ob dem Opfer dadurch ein wirtschaftlicher Nachteil entsteht,636 entscheidend ist vielmehr die Einwirkung auf das Opfer. Die Entgeltlichkeit der Leistung spielt demnach keine (zwingende637) Rolle, oftmals geht es dem Täter darum, mit der Bestellung der Leistung das Opfer in der (begrenzten) Öffentlichkeit und in seinem sozialen Umfeld zu diffamieren oder zu kränken.638 Missbräuchlich ist die Verwendung der personenbezogenen Daten des Opfers dann, wenn die Daten ohne oder gegen den Willen des Opfers durch den Täter genutzt werden.639 Ein Einverständnis des Opfers in die Verwendung der Daten schließt den Tatbestand des § 238 Abs. 1 Nr. 3 StGB aus. Insofern bestehen gewisse Redundanzen zum Tatbestandsmerkmal der Unbefugtheit. Da es nicht notwendigerweise auf ihre elektronische oder digitale Verkörperung ankommen kann, kann zur Klärung des Begriffs der personenbezogenen Daten nicht auf dessen Gebrauch im Rahmen des § 202a Abs. 2 StGB abgestellt werden.640 Als personenbezogene Daten können vielmehr alle entsprechende Daten i. S. d. § 3 Abs. 1 BDSG angesehen werden, also sämtliche Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person.641 Die zweite Variante des § 238 Abs. 1 Nr. 3 StGB soll dagegen diejenigen Konstellationen umfassen, in denen der Täter unter missbräuchlicher Verwendung der 634 Vgl. hierzu BT-Drs. 16/575, S. 7. Etwa per Telefon, Fax, Internet oder auf dem Postwege. 635 Vgl. S/S-Eisele, § 238 Rn. 16; Gazeas, JR 2007, 497 (500). 636 In der Regel ist ein solcher auch angesichts des § 241a Abs. 1 BGB auszuschließen, vgl. hierzu MüKo-BGB/Kramer, § 241a Rn. 3 ff., 32. 637 Denn natürlich kann der Aspekt der Entgeltlichkeit insofern von Bedeutung sein, als das Opfer bei dem Empfang vieler, äußerst teurer Waren bedeutend mehr eingeschüchtert bzw. in den Wahnsinn getrieben wird als bei dem Empfang eines Gratisprodukts. 638 Vgl. hierzu Fischer, StGB, § 238 Rn. 15a. So etwa durch die Zulieferung pornographischer Bestellkataloge, extremistischer Zeitschriften etc. 639 Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1032); Steinberg, JZ 2006, 30 (32). 640 Vgl. Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1032 f.); ebenso S/S-Eisele, §238 Rn. 17. 641 Vgl. Krüger, Stalking als Straftatbestand, in: Krüger (Hrsg.), Stalking als Straftatbestand, S. 81 (126).

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personenbezogenen Daten des Opfers dritte Personen veranlasst, Kontakt mit diesem aufzunehmen. Ausweislich der Gesetzesmaterialien soll hierunter insbesondere das Schalten von unrichtigen Anzeigen in Zeitungen fallen – so etwa, wenn der Täter eine Kontaktanzeige mit dem Angebot sexueller Dienstleistungen unter Angabe der Telefonnummer des Opfers aufgegeben hat.642 Nicht im Sinne des § 238 Abs. 1 Nr. 3 StGB handelt hingegen, wer eine falsche Traueranzeigen aufgibt, mit welcher der angebliche Tod des Betroffenen verlautbart wird, da diese nicht zur Kontaktaufnahme seitens Dritter dient;643 in Betracht kommt aber eine Begehung des Nachstellens nach § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Nicht eindeutig dem Wortlaut des § 238 Abs. 1 Nr. 3 StGB („. . . aufgibt oder Dritte veranlasst, Kontakt mit diesem aufzunehmen“) zu entnehmen ist allerdings, ob es letztendlich zu einer erfolgreichen Kontaktaufnahme durch die beauftragte oder veranlasste Partei gekommen sein muss. Einige Stimmen im Schrifttum reduzieren die Tatvollendung auf den bloßen Akt der Kontaktanbahnung seitens des Drittens, wollen also auf eine tatsächliche Kontaktherstellung verzichten.644 Dagegen ist einzuwenden, dass eine solche Beschränkung dem Sinn und Zweck der Norm widersprechen dürfte. Möchte man hier auf die Notwendigkeit einer tatsächlichen Kontaktherstellung verzichten, ist es dennoch unentbehrlich, dass das Opfer von den Vorgängen zumindest Kenntnis erlangt645 – und sei es bspw. nur dadurch, dass es auf der Straße darauf angesprochen wird bzw. ihm davon berichtet wird. Ein entsprechendes Handeln des Täters, das in seiner Folge dem Opfer (auch später) völlig unbekannt bleibt, wird sich in Hinblick auf die täterbewirkte Beeinträchtigung der Lebensgestaltung auch schwerlich als kausal erweisen. (5) Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB Nach § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB macht sich strafbar, wer einem Menschen unbefugt nachstellt, indem er ihn beharrlich mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit seiner selbst oder einer ihm nahe stehenden Person bedroht. Von § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB umfasst ist jedoch nur 642 Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 7 f. Als weitere Beispiele sind hier die missbräuchliche Verwendung der persönlichen Daten des Opfers in sog. Chatrooms, die Eingabe von Klarnamen in Sex-Hotlines oder Partner-Suchforen zu nennen, siehe Fischer, StGB, § 238 Rn. 15b. 643 Vgl. Mosbacher, NStZ 2007, 665 (668); Gazeas, JR 2007, 497 (501); anders jedoch, wenn es um Geburtstags- oder Hochzeitsvermeldungen geht, da sich in der Tat hierdurch Leute veranlasst sehen, zwecks Beglückwünschung Kontakt zu dem Opfer aufzunehmen. 644 So Mitsch, NJW 2007, 1237 (1239); wohl auch Gazeas, JR 2007, 497 (501). 645 Vgl. S/S-Eisele, § 238 Rn. 18; restriktiver dagegen Fischer, StGB, § 238 Rn. 15c, der verlangt, dass es zu einem Kontakt oder zumindest zu einem Zugang kommunikativer Akte kommt.

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§ 3 Gesetzgeberische Reaktionen auf das Verhaltensmuster Stalking

das Bedrohen des Opfers oder einer ihm nahe stehenden Person, nicht hingegen die tatsächliche Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit.646 Ähnlichkeiten weist die Begehungsform des § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB mit dem Tatbestand der Bedrohung nach § 241 Abs. 1 StGB und dem Tatbestand der Nötigung nach § 240 StGB auf. Zur Bestimmung des Begriffs der Drohung können daher die Erkenntnisse in Bezug auf seine Verwendung innerhalb der §§ 241 Abs. 1, 240 StGB herangezogen werden.647 Anders als bei den Tatbeständen der Nötigung oder der Bedrohung ist von § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB hingegen auch die Bedrohung mit Akten unterhalb der Verbrechensschwelle i. S. d. § 12 Abs. 1 StGB umfasst. Das Schutzgut der Freiheit meint dabei insbesondere die Fortbewegungsfreiheit i. S. d. § 239 StGB, da die Freiheit zur Willensbildung und Willensbetätigung bereits das Schutzgut des § 238 Abs. 1 selbst darstellt. Das Schutzgut der Gesundheit umfasst sowohl die physische als auch die psychische Integrität.648 Neben dem Opfer kann die Drohung auch an diesem nahestehende Personen gerichtet sein, entscheidend ist jedoch, dass Empfänger der Drohungserklärung das Opfer selbst ist.649 Zum Kreis der dem Opfer i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB nahe stehenden Personen kann auf § 35 StGB verwiesen werden.650 (6) Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB Schließlich wird das Nachstellen in § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB anhand einer Auffangklausel präzisiert, nach welcher das beharrliche Vornehmen einer anderen vergleichbaren Handlung unter Strafe gestellt wird. Die Handlungsvariante des § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB ergänzt als Auffangtatbestand die in den Nummern 1–4 konkret bezeichneten Handlungsvarianten. Die Aufnahme dieser Auffangklausel in den Tatbestand der Nachstellung ist als Zugeständnis der Bundesregierung an den Bundesrat anzusehen, dessen Gesetzent646 Diese Fälle sind aber laut S/S-Eisele, § 238 Rn. 19 womöglich unter § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB zu subsumieren; dem stehen jedoch gewichtige Argumente entgegen, siehe hierzu Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1033). 647 Vgl. Kinzig/Zander, JA 2007, 481 (483); S/S-Eisele, § 238 Rn. 19. Danach meint Drohung das Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf dessen Eintritt der Täter Einfluss hat oder zu haben vorgibt und dessen Verwirklichung er nach dem Inhalt seiner Äußerung für den Fall des Bedingungseintritts will, vgl. auch BGHSt 16, 386 (387). 648 Vgl. S/S-Eisele, § 238 Rn. 19; Fischer, StGB, § 238 Rn. 16; SK-StGB/Wolters, § 238 Rn. 13. 649 Vgl. S/S-Eisele, § 238 Rn. 19; Fischer, StGB, § 238 Rn. 16; SK-StGB/Wolters, § 238 Rn. 13. 650 Vgl. Gazeas, JR 2007, 497 (501); S/S-Eisele, § 238 Rn. 19; Fischer, StGB, § 238 Rn. 16; SK-StGB/Wolters, § 238 Rn. 13.

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wurf sich letztlich in der gemeinsamen Kompromisslinie der Bundesregierung und des Bundesrates nur in sehr geringem Maße durchsetzen konnte.651 Während die Bundesregierung bis zur Tagung des Rechtsausschusses im Herbst 2006 eine solche Auffangklausel aufgrund der ihr eigenen Unbestimmtheit ablehnte, vertrat der Bundesrat die Ansicht, dass ein Straftatbestand zum Schutz vor Stalking ohne eine solche Auffangklausel angesichts der Vielgestaltigkeit der Vorgehensweisen des Täters geradezu ineffektiv sei.652 Ausweislich der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, der sich der Bundestag bei Verabschiedung des § 238 StGB schließlich angeschlossen hat, soll die Auffangklausel des § 238 Abs. 5 StGB nicht nur solche Verhaltensweisen erfassen, die sich nicht unter einer der vorgesehenen Fallgruppen subsumieren lassen, sondern auch künftigen technischen Entwicklungen Rechnung tragen.653 Bereits diese Überlegung hat im Schrifttum viel Kritik erfahren. Die Notwendigkeit einer Auffangklausel wird von vielen Seiten bezweifelt.654 Demnach seien mit den bestehenden Handlungsvarianten der Nr. 1 bis 4 bereits die gängigsten Stalkinghandlungen erfasst.655 Anderen, nicht unter die vorstehenden Nummern subsumierbaren Handlungen könne mit dem bestehenden Instrumentarium an entsprechenden Straftatbeständen (§§ 185 ff., 223 ff., 303 StGB) begegnet werden.656 In der Tat zeigen erste Erkenntnisse aus der Praxis, dass stalkingtypische (und für den Tatbestand in Betracht kommende) Handlungen, die nicht bereits von § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 StGB erfasst werden können, die Seltenheit darstellen.657 Die Gefahr eines unzureichenden Opferschutzes ist demnach weniger in einer möglicherweise mangelnden Flexibilität des Tatbestandes zu sehen, sondern rührt vielmehr daher, dass der Tatbestand aufgrund der Auffangklausel Fehlinterpretationen von Seiten mutmaßlicher Opfer provoziert, die mit ihrem „kuriosen Anzeigeerstattungen“ den eigentlichen Anwendungsbereich des Nachstellungstatbestandes deutlich verfehlen.658 651 Siehe hierzu das Plenarprotokoll der 35. Sitzung des Bundestages vom 11.05. 2006, S. 2969 ff. 652 Vgl. hierzu für die Ansicht des Bundesrates BR-Drs. 617/1/05, für die Ansicht des Bundestages hingegen BT-Drs. 15/5410, S. 9 (Anlage 2). 653 Siehe hierzu BT-Drs. 16/3641, S. 14. 654 Peters, NStZ 2009, 238 (240 f.); Mitsch, NJW 2007, 1237 (1239); Fischer, StGB, § 238 Rn. 17. 655 Peters, NStZ 2009, 238 (240 f.); Mitsch, NJW 2007, 1237 (1239); Fischer, StGB, § 238 Rn. 17. 656 Mitsch, NJW 2007, 1237 (1239). 657 Peters, NStZ 2009, 238 (240 f.). 658 Peters, NStZ 2009, 238 (241). Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1033) weisen darauf hin, dass die Aufnahme der Auffangklausel den Eindruck vermittle, dass man darauf warte, was sich der Täter ausdenken würde, um ihm nach der Tat zu sagen, dass seine Handlung unter § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB fiele.

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(a) Zur Frage der Bestimmtheit der Auffangklausel Auch die zu Beginn der Gesetzgebungsdebatte zur Einführung eines eigenständigen Straftatbestandes zum Schutz vor Stalking von Seiten der Bundesregierung geäußerten Bedenken659 hinsichtlich der Vereinbarkeit der Auffangklausel des § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB mit dem Bestimmtheitsgebot erleben nach Einführung des Nachstellungstatbestandes in Rechtsprechung und Schrifttum eine Renaissance. Diese Kritik ist jedoch nicht unberechtigt. In der Tat ergeben sich aufgrund der Komplexität und der Heterogenität der Angriffsweisen der Nummern 1 bis 4 des § 238 Abs. 1 StGB schon auf dem ersten Blick erhebliche Bedenken hinsichtlich einer Vereinbarkeit der Auffangklausel mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG. (aa) Vorgaben des Art. 103 Abs. 2 GG Gemäß Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur dann mit Strafe geahndet werden, wenn die Strafbarkeit des Verhaltens bereits vor dem Zeitpunkt der Tat gesetzlich bestimmt war. In Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip wird hieraus die Verpflichtung des Gesetzgebers abgeleitet, die Voraussetzungen der Strafbarkeit in den jeweiligen Tatbeständen so konkret zu umschreiben, dass sich die Tragweite und der Anwendungsbereich jedes Tatbestandes schon aus dem Gesetz selbst erkennen bzw. durch Auslegung ermitteln und konkretisieren lassen.660 Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass der Bürger in Hinblick auf die Gesetzeslage sein Verhalten eigenverantwortlich einrichten kann und keine unvorhersehbaren oder willkürlichen staatlichen Reaktionen befürchten muss.661 Das Bestimmtheitsgebot verschafft dem Bürger so die notwendige Rechtssicherheit, damit er seine Freiheitsrechte im Vertrauen darauf ausüben kann, dass der Staat nur dasjenige Verhalten als strafbare Handlung verfolgt und bestraft, das zum Zeitpunkt der Tat gesetzlich bestimmt war.662 Für den besonders grundrechtssensiblen Bereich des materiellen Strafrechts gelten darüber hinaus insbesondere die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze, nach denen der Gesetzgeber im Bereich der Grundrechtsausübung alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und Rechtsvorschriften derart präzise zu fassen hat, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte 659

Siehe hierzu BT-Drs. 15/5410, S. 9 (Anlage 2). Vgl. BVerfGE 126, 170 (195); ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfGE 105, 135 (152 ff.); 25, 269 (285); 73, 206 (234); 75, 329 (340 f.); 78, 473 (381 f.). Das BVerfG verfolgt seine Überprüfung von Strafrechtsnormen hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 2 GG grundsätzlich in vollem Umfang. Daher kann im Folgenden auf seine zu Art. 103 Abs. 2 GG entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. 661 Vgl. BVerfGE 126, 170, 194 f.; 105, 135 (153) mit Verweis auf BVerfGE 64, 369 (393 f.); 85, 69 (72 f.). 662 Vgl. BVerfGE 95, 96 (130 ff.). 660

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mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist.663 Der Legislative obliegt damit, die Voraussetzungen und Grenzen der Strafbarkeit in einem demokratisch-parlamentarischen Willensbildungsprozess zu klären, sie in abstrakt-genereller Weise selber zu bestimmen und diese Entscheidung nicht anderen staatlichen Gewalten zu überlassen.664 Die abstrakt-generelle Regelungsweise ist dabei nicht zuletzt der Vielgestaltigkeit und Komplexität des Lebens geschuldet.665 Das Bestimmtheitsgebot verlangt in diesem Zusammenhang, dass der Wortlaut von Strafnormen so zu fassen ist, dass die Normadressaten im Regelfall bereits anhand des Wortlauts der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist der nicht.666 Bisweilen ist es für den Gesetzgeber jedoch unvermeidlich, in einer Strafnorm auch ausfüllungsbedürftige Begriffe zu verwenden, die im Einzelfall einer Deutung und Konkretisierung durch die Strafjustiz bedürfen.667 Dies steht dem Bestimmtheitsgebot insoweit nicht entgegen, als die Verwendung wertungsausfüllungsbedürftiger Begriffe bis hin zu Generalklauseln im Strafrecht nicht von vornherein ausgeschlossen ist.668 Gehen damit jedoch gewisse Unsicherheiten über den Anwendungsbereich der Norm einher, da die Norm aufgrund der Generalklausel verhältnismäßig weit oder unscharf gefasst ist und selbst keine zuverlässige Grundlage für ihre Auslegung und ihre Anwendung bietet, ist es Aufgabe der Rechtsprechung, im Wege der Auslegung die verbleibenden Unklarheiten über den Anwendungsbereich der Norm durch Präzisierung und Konkretisierung nach Möglichkeit auszuräumen.669 Die Rechtsprechung hat so an der Erkennbarkeit der Voraussetzungen der Strafbarkeit mitzuwirken, die normativen Voraussetzungen einer Bestrafung hat jedoch der Gesetzgeber festzulegen.670 (bb) Ansichten in Rechtsprechung und Schrifttum Angesichts der mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot einhergehenden Vorgaben hat die Aufnahme der Auffangklausel in § 238 Abs. 1 StGB in Rechtsprechung und Literatur vehement Kritik erfahren. Der BGH ließ es sich nicht nehmen, in seiner erstmaligen Entscheidung zum Nachstellungsparagraphen vom November 2009 auf § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB einzugehen.671 Dabei 663

Vgl. BVerfGE 126, 170 (195). Vgl. BVerfGE 105, 135 (153) mit Verweis auf BVerfGE 75, 329 (341); 78, 374 (382); 95, 96 (131). 665 Siehe zu diesem Aspekt insbesondere BVerfGE 14, 245 (251); 28, 175, (183); 47, 109 (120). 666 Vgl. BVerfGE 48, 48 (56 f.); 92, 1 (12). 667 Siehe hierzu BVerfGE 28, 175 (183); 37, 201 (208). 668 Vgl. BVerfGE 126, 170 (196); 48, 48 (56 f.); 92, 1 (12); ferner BVerfGE 75, 329 (341 f.). 669 Vgl. BVerfGE 126, 170 (198). 670 Vgl. BVerfG NVwZ 2009, 239 (239). 671 Siehe hierzu BGHSt 54, 189 (193 f.). 664

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betonte er, dass die Auffangklausel das Spektrum möglicher Tathandlungen in kaum überschaubarer Weise öffne.672 Zugleich ließ er Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot anklingen.673 Deutlichere Worte findet dagegen das Schrifttum.674 Im Fokus der Kritik stehen die zur Konkretisierung der Auffangklausel vorgebrachten Verweise des Rechtsausschusses auf die strukturell ähnlichen Paragraphen § 315 Abs. 1 Nr. 4 und § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB und die daraus hervorgehenden Vorschläge für eine innertatbestandliche Analogie zur Konkretisierung der Auffangvariante.675 Zur Zerstreuung der anfänglichen Bedenken der Bundesregierung hinsichtlich einer solchen Auffangklausel hatte der Rechtsausschuss in seiner Beschlussempfehlung auf andere Normen des StGB verweisen, die über einen Auffangtatbestand verfügen.676 Nach Auffassung des Rechtsausschusses handelt es sich bei § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB um eine verfassungsrechtlich zulässige, innertatbestandliche Analogie.677 Die Auslegung habe sich an den vier konkret beschriebenen Handlungsvarianten des § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 StGB zu orientieren; erfasst seien demnach Handlungen, die ihrer Bedeutung nach den entsprechenden Handlungsvarianten der § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 StGB entsprächen, also sowohl qualitativ als auch quantitativ eine vergleichbare Schwere aufwiesen und in ihrem Handlungs- und Erfolgsunwert diesen gleichkämen.678 Zwischen der Funktion und Wirkweise der Öffnungsklauseln im Rahmen der § 315 Abs. 1 Nr. 4 und § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB, die einen im Vergleich zu den vorher normierten Verhaltensweisen „ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff“ fordern, und der Auffangklausel des Nachstellungstatbestandes bestehen jedoch erhebliche Unterschiede.679 Im Rahmen der §§ 315 Abs. 1 Nr. 4, 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB wird es allgemein als möglich erachtet, einen „ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff“ anhand der einzelnen Handlungsvarianten und der Konstruk672

Siehe BGHSt 54, 189 (193). Siehe BGHSt 54, 189 (194). 674 Vgl. Gazeas, JR 2007, 497 (501); Neubacher/Seher, JZ 2007 1029 (1033); S/SEisele, § 238 Rn. 21 ff.; Peters, NStZ 2009, 238 (240 f.); Fischer, StGB, § 238 Rn. 17 ff.; Löhr, Notwendigkeit, S. 318 ff.; Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftabestand, S. 240 ff.; Kinzig/Zander, JA 2007, 481 (484); Mitsch, NJW 2007, 1237 (1239); Rackow, GA 2008552 (565); a. A. dagegen Mosbacher, NStZ 2007, 665 (668 f.); zurückhaltend Valerius, JuS 2007, 319 (321). 675 Gazeas, JR 2007, 497 (501); Mitsch, NJW 2007, 1237 (1239); Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 241 ff.; S/S-Eisele, § 238 Rn. 23; Löhr, Notwendigkeit, S. 322 ff. 676 Vgl. hierzu BT-Drs. 16/3641, S. 14. Genannt werden § 315 Abs. 1 Nr. 4 und § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB. 677 Vgl. hierzu BT-Drs. 16/3641, S. 14. 678 Vgl. hierzu BT-Drs. 16/3641, S. 14. 679 Löhr, Notwendigkeit, S. 322 ff.; S/S-Eisele, § 238 Rn. 23; Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 242 f.; Rackow, GA 2008, 552 (565 f.). 673

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tion des Tatbestandes zu bestimmen, da u. a. durch die Merkmale der Gefährlichkeit und der Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs eine hinreichende tatbestandliche Bestimmtheit gewährleistet werden könne.680 Daher könne im Rahmen der §§ 315 Abs. 1 Nr. 4, 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB einigen Stimmen im Schrifttum zufolge insbesondere im Handlungs- und Erfolgsunwert der jeweiligen Tathandlungsvarianten ein tertium comparationis gesehen werden.681 Einen hinreichenden Bezugspunkt stelle demnach der vergleichbare Unrechtsgehalt der jeweiligen Tathandlungsvarianten der §§ 315 Abs. 1 Nr. 4, 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB dar, was jedoch im Falle des § 238 Abs. 1 StGB nicht zuträfe.682 (b) Stellungnahme In der Tat ergeben sich auch im Wege einer – vom Rechtsausschuss als hinreichend vorgeschlagenen – innertatbestandlichen Analogie683 keine zwingenden Vorgaben für die Auslegung des § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Bereits die beiden ersten Tatbestandsvarianten – namentlich das Aufsuchen der räumlichen Nähe und die Kontaktherstellung mittels Kommunikationsmitteln oder über Dritte – bilden unter Gesichtspunkten der Nähe bzw. Distanz eine geschlossene Verhaltensgruppe und unterscheiden sich kategorial.684 Gemeinsamkeiten weisen die einzelnen Tatbestandsvarianten demnach nur hinsichtlich des Oberbegriffs der Tathandlung des Nachstellens auf, da sie alle entsprechende Angriffsweisen des Nachstellens beschreiben und demnach – zumindest abstrakt – Elemente aufweisen, die sie mit dem Nachstellen gemein haben. Der Zusammenschau der einzelnen Verhaltensweisen der Nummern 1 bis 4 des § 238 Abs. 1 StGB lassen sich also lediglich sehr abstrakte Implikationen entnehmen. Unter Rückgriff auf den Oberbegriff des Nachstellens müsste demnach eine „andere vergleichbare Handlung“ i. S. d. § 238 Abs. 5 StGB eine einseitige unmittelbare oder mittelbare Kontaktaufnahme von Seiten des Täters darstellen, die gegen den Willen des Opfers wiederholt vom Täter vorgenommen wird und von der das Opfer (in irgendeiner Weise) Kenntnis erlangen muss. Diese Kontaktaufnahme müsste ferner geeignet sein, bei beharrlicher Vornahme die Willensbildung und Willensbetätigung des Betroffenen zu beeinträchtigen. Da diese Beeinträchtigung jedoch nicht aus einem physischen Zwang seitens des Täters heraus resultiert, müssen diese viel680 So in Bezug auf § 315b Abs. 1 Nr. 4 StGB siehe BGHSt 22, 365 (366 f.); vgl. ferner S/S-Sternberg-Lieben/Hecker, § 315b Rn. 9; Fabricius, GA 1994, 164 (166 ff.); krit. bereits hierzu Mitsch, NJW 2007, 1237 (1239). 681 Vgl. Rackow, GA 2008, 552 (565); ferner Löhr, Notwendigkeit, S. 323. 682 Vgl. Rackow, GA 2008, 552 (565 f.); ferner Löhr, Notwendigkeit, S. 323 f. 683 Siehe zur Zulässigkeit des Auslegungsinstruments einer innertatbestandlichen Analogie bereits Rieger, Der sog. „ähnliche, ebenso gefährliche Eingriff“ im Sinne von § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB als Beispiel analoger Tatbestandsanwendung im Strafrecht, S. 28 ff. 684 Vgl. Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1033).

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mehr Folge einer psychisch vermittelten Pression sein. Darüber hinaus müssten die beharrlich vorgenommenen Kontaktaufnahmen geeignet sein, die Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers nicht nur kurzzeitig zu beeinträchtigen, sondern dergestalt, dass sich das Opfer in seiner Lebensgestaltung zu schwerwiegenden unfreiwilligen Änderungen gezwungen sieht. Demnach können einige abstrakte Merkmale zur Bestimmung der Auffangvariante des § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB in Ansatz gebracht werden, die im Wege der Zusammenschau mit den anderen Angriffsweisen des Nachstellens zumindest einen Schritt hin zu der notwendigen Konkretisierung darstellen. Hinreichend ist dieser Konkretisierungsversuch jedoch nicht. Die Wendung „andere vergleichbare Handlung“ i. R. d. § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB bietet aber auf den ersten Blick keinen anderen Vergleichspunkt. Der Verweis des Rechtsausschusses auf den Unwertgehalt der vorgenannten Tatbestandsvarianten des § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 StGB, der als weiterer tertium comparationis zur Konkretisierung beitragen könne, drängt sich zumindest nicht auf. Ein solcher Bezugspunkt ist bereits im Rahmen der §§ 315 Abs. 1 Nr. 4, 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB umstritten, erscheint jedoch angesichts der tatsächlichen Vergleichbarkeit der Tatbestandsvarianten der jeweiligen Vorschriften hinsichtlich ihres Unrechtsgehalts noch möglich.685 Deutlich mehr Schwierigkeiten bereitet dagegen, in einer vergleichenden Zusammenschau der einzelnen Verhaltensvarianten im Rahmen des § 238 Abs. 1 StGB einen gemeinsamen und gleichartigen Bezugspunkt in Hinblick auf den entsprechenden Unrechtsgehalt zu begründen. Während § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB mit den jeweiligen Vorgehensweisen Verhalten umschreiben, die sich zumindest objektiv erst durch das Zusammenwirken der Merkmale beharrlich und unbefugt von alltäglichen und eigentlich harmlosen Handlungen abheben und damit sog. milden Stalking zuzuschreiben sind, fällt im Rahmen der Nummern 3 und 4 – Fällen des sog. schweren Stalking686 – der Unrechtscharakter der Handlungen bereits ins Auge, auch ohne dass es dafür eines Zusammenwirkens mit den Merkmalen der Beharrlichkeit oder Unbefugtheit bedarf.687 Sicherlich kommt für Nachstellungshandlungen, die ausschließlich in Gestalt der Angriffsformen des § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB begangen werden, nur solches Verhalten als tatbestandlich in Betracht, welches geeignet ist, bei dem Opfer eine 685 Eingehend hierzu Rieger, Der sog. „ähnliche, ebenso gefährliche Eingriff“ im Sinne von § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB als Beispiel analoger Tatbestandsanwendung im Strafrecht, S. 85 ff.; ablehend Mitsch, NJW 2007, 1237 (1239). 686 Vgl. zu dieser Kategorisierung Löbmann, MrschKrim 2002, 25 (25 f.); ferner auch Fischer, StGB, § 238 Rn. 10. 687 Deutlich wird dies bereits daran, dass befugtes Handeln im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB bereits tatbestandsausschließende Wirkung hat, im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 3 und 4 StGB dagegen (lediglich) rechtfertigende Wirkung, siehe hierzu Mitsch, NJW 2007, 1237 (1240).

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schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung hervorzurufen und diese auch tatsächlich hervorruft. Insofern lässt sich eine Vergleichbarkeit in Bezug auf den Erfolgsunwert der verschiedenen Tatbestandsvarianten begründen. Woraus sich eine solche Vergleichbarkeit in Bezug auf den Handlungsunwert angesichts der erheblichen Unterschiede im Rahmen der Tatbestandsvarianten der Nummern 1 und 2 bzw. 3 und 4 des § 238 Abs. 1 StGB ergeben sollen, ist jedoch nicht zu (er)klären. Entfällt damit ein Abstellen auf einen vergleichbaren Unrechtsgehalt als möglicher weiterer tertium comparationis, sind die Möglichkeiten in der Wahl des Bezugspunktes für eine Konkretisierung im Wege des Vergleichs ausgereizt. Festzuhalten ist somit, dass sich die Voraussetzungen der Strafbarkeit im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht ohne weiteres ermitteln lassen. Selbst die Einbeziehung des anhand der einzelnen Angriffsvarianten konkretisierten Oberbegriffs der Tathandlung des Nachstellens unter Berücksichtigung des Schutzgutes der Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit lässt letztlich nicht die Möglichkeit einer hinreichenden Konkretisierung zu. Deutlich wird zudem, dass sich Anwendungsbereich und Grenzen des § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB angesichts der erheblichen Unterschiede (zumindest) des Handlungsunwerts der Tatbestandsvarianten der Nummern 1 und 2 bzw. 3 und 4 des § 238 Abs. 1 StGB auch nicht durch ein Abstellen auf die Vergleichbarkeit des Unwertgehaltes der Tatbestandsvarianten ermitteln lassen. Die Auffangklausel des § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist demnach nicht mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar und folglich als verfassungswidrig anzusehen. bb) Merkmal der Unbefugtheit Des Weiteren muss das Nachstellen unbefugt sein, der Täter muss gegen den Willen des Opfers handeln. Unbefugt handelt dagegen nicht, wer sich auf ein ausdrückliches oder konkludentes Einverständnis des Opfers berufen kann.688 (1) Gesetzgeberische Konzeption Bei dem Begriff unbefugt handelt es sich dem Gesetzgeber zufolge um ein zum Tatbestand gehörendes Merkmal, das dessen Anwendungsbereich auf strafwürdige Fälle beschränken soll.689 Es soll zum einen klarstellen, dass ein ausdrückliches oder konkludentes Einverständnis des Opfers den Tatbestand bereits entfallen lasse.690 Zum anderen 688 Dies ist insoweit unbestritten, vgl. für weitere Nachweise S/S-Eisele, § 238 Rn. 26. 689 Vgl. hierzu BT-Drs. 16/575, S. 7. 690 Vgl. hierzu BT-Drs. 16/575, S. 7.

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soll es gewährleisten, dass auch ein Handeln im Rahmen einer Befugnisnorm den Tatbestand ausschließe.691 So sei das Handeln des Täters dann nicht unbefugt, wenn der Täter auf der Grundlage amtlicher oder privatautonom begründeter Befugnisse oder Erlaubnisse agiere.692 Hintergrund hierfür ist, dass die Handlungsvarianten des § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 5 StGB nach Ansicht des Gesetzgebers bisweilen auch sozialadäquate Handlungen umfassen, deren Begehung die Rechtswidrigkeit nicht eo ipso indiziere.693 (2) Kritik im Schrifttum Die Auffassung des Gesetzgebers findet vor allem im Schrifttum nur zu einem Teil Zustimmung.694 Für zutreffend werden dabei die Ausführungen695 des Gesetzgebers erachtet, dass die in § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB normierten Handlungsvarianten als einzelne Handlungen sozialadäquat seien, das Merkmal der Unbefugtheit in diesem Zusammenhang den Tatbestand auf strafwürdige Fälle beschränke und daher in diesem Zusammenhang als Tatbestandsmerkmal anzusehen sind.696 Allerdings wird vereinzelt unter Verweis auf die Doppelfunktion der Unbefugtheit im Rahmen des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB angemerkt, dass der Schluss, es müsse sich bei der Unbefugtheit um ein Tatbestandsmerkmal handeln, nicht zwingend sei.697 Auch ein Rechtfertigungsgrund lasse die Strafwürdigkeit entfallen.698 (3) Stellungnahme Der Kritik von Seiten der Literatur ist im Grundsatz zuzustimmen. Überwiegend fungiert daher in Fällen, in denen sich das unter den Tatbestand zu subsumierende Verhalten nur unter Einbeziehung der Unbefugtheit – also gerade wegen des Handelns gegen den Willen des Opfers – von sonstigem neutralen und sozialüblichen Verhalten unterscheidet und eine strafwürdige Prägung erfährt, die

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Vgl. hierzu BT-Drs. 16/575, S. 7. Vgl. hierzu BT-Drs. 16/575, S. 7. 693 Vgl. hierzu BT-Drs. 16/575, S. 7. 694 Siehe S/S-Eisele, § 238 Rn. 26; Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1031); Mosbacher, NStZ 2007, 665 (667); Gazeas, JR 2007, 497 (502); Mitsch, NJW 2007, 1237 (1240); ders., JURA 2007, 401 (402); Fischer, StGB, § 238 Rn. 26; im Gesamten kritisch hierzu jedoch Rackow, GA 2008, 552 (563 f.). 695 Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 7 f. 696 Siehe S/S-Eisele, § 238 Rn. 26; Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1031); Fischer, StGB, § 238 Rn. 26. 697 Mitsch, JURA 2007, 401 (402); ders., NJW 2007, 1237 (1240). 698 Siehe hierzu Mitsch, NJW 2007, 1237 (1240); ders., JURA 2007, 401 (402); so auch Gazeas, JR 2007, 497 (502). 692

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Unbefugtheit als Tatbestandsmerkmal.699 Dies betrifft regelmäßig Fälle des sog. milden Stalking, demnach Handlungen nach § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB.700 (a) Rolle und Funktion der Unbefugtheit i. R. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB Allerdings ist auch in diesem Zusammenhang fraglich, ob gerade dem Merkmal der Unbefugtheit i. S. e. entgegenstehenden Willens des Opfers die ausschlaggebende Wirkung zukommen kann, die der Gesetzgeber in dieses Merkmal hineingelesen wissen will. Noch vergleichsweise einfach lässt sich dies im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB begründen. Ein Verbot des ständigen Kontaktierens einer Person per Brief oder Telefon i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB kann unter Verweis auf den (ausdrücklich erklärten) entgegenstehenden Willen der betroffenen Person begründet werden. Das ständige Kontaktieren gegen den Willen der betroffenen Person stellt einen Verstoß gegen das personale Selbstbestimmungsrecht dar, das als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gilt.701 Aus diesem wird das Recht des Einzelnen abgeleitet, angesichts der unbedingten Achtung seines privaten Lebensbereichs „in Ruhe gelassen zu werden“ 702. Der Betroffene soll allgemein vor Belästigungen geschützt werden, die von unerwünschten Kontaktaufnahmen ausgehen.703 Damit einhergehend wird das Recht des Betroffenen begründet, seine Privatsphäre von unerwünschter Einflussnahme durch andere freizuhalten und die Möglichkeit, selbst darüber zu entscheiden, mit welchen Personen und gegebenenfalls in welchem Umfang er mit ihnen Kontakt in seinem privaten Bereich haben will.704 Es kommt also im Rahmen des Verhaltens nach § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB gerade auf den eindeutig erklärten Willen der Betroffe699 Siehe hierzu Mitsch, NJW 2007, 1237 (1240); ders., JURA 2007, 401 (402); ferner S/S-Eisele, § 238 Rn. 26; Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1031); Mosbacher, NStZ 2007, 665 (667); Gazeas, JR 2007, 497 (502); Fischer, StGB, § 238 Rn. 26; a. A. jedoch Rackow, GA 2008, 552 (563 f.). 700 Siehe hierzu S/S-Eisele, § 238 Rn. 26; Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1031); Mosbacher, NStZ 2007, 665 (667); Fischer, StGB, § 238 Rn. 26. Gazeas, JR 2007, 497 (502 f.) ist darin beizupflichten, dass hierunter streng genommen auch Verhaltenskonstellationen nach § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB zu zählen sind. 701 So aus zivilrechtlicher Sicht LG Oldenburg, NJW 1996, 62 (63) in Fortführung der ständigen Rspr. des BGH zur Telefon- und Prospektwerbung, vgl. BGHZ 106, 229 ff.; BGH, NJW 1989, 2820; NJW-RR 1995, 613 f. Angesichts des Stellenwertes des privaten Bereichs für eine individuelle Lebensführung wird hierbei eindeutig dem Recht des Einzelnen, seinen privaten Bereich von unerwünschtem Kontakt freizuhalten, der Vorrang vor dem Interesse des Kontaktsuchenden eingeräumt. 702 BVerfGE 6, 32 (41); 27, 1 (6 f.); 35, 202 (220); 44, 197 (203). 703 So aus zivilrechtlicher Sicht BGH, NJW 2011, 1005 (1006); LG Oldenburg, NJW 1996, 62 (63). 704 So aus zivilrechtlicher Sicht erstmals LG Oldenburg, NJW 1996, 62 (63).

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nen Person im Kontext ihres privaten Bereichs an und darauf, dass dieser Wille zu respektieren ist.705 Eine Missachtung stellt zugleich immer auch eine rechtwidrige Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Betroffenen dar.706 Ein solcher Ansatz trägt jedoch nicht im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB, bei welchem es nicht zu einer unmittelbaren Kontaktaufnahme i. S. e. Ansprechens durch den oder der Kommunikation mit dem Täter kommen muss, sondern seine bloße physische Wahrnehmung durch das Opfer genügt. Hier erfasst auch der zivilrechtlich ausgestaltete Persönlichkeitsschutz nicht alle Möglichkeiten des Betroffenen, sich der bloßen Wahrnehmung anderer zu entziehen,707 denn „es ist weder rechtlich noch moralisch geboten, die Augen vor anderen in der Öffentlichkeit niederzuschlagen“ 708. Sofern sich das Opfer in der Öffentlichkeit bewegt, fehlt es zum einen an dem Bezug zu einem privaten Bereich,709 der ein Recht auf Ausschließlichkeit oder Ausschließbarkeit begründen könnte. Zum anderen fehlt es an einer unmittelbaren Kontaktaufnahme in den Fällen, in denen der Täter nicht unmittelbar mit dem Opfer bspw. durch Ansprechen kommuniziert. Vor diesem Hintergrund kann dem entgegenstehenden Willen des Opfers nicht diejenige strafbegründende Wirkung zukommen wie im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB – sofern der Täter nicht bereits straffällig geworden ist und/ oder gegen ihn eine Schutzanordnung nach §§ 823, 1004 I 2 BGB analog bzw. § 1 GewSchG erlassen wurde710. Damit bleibt aber die Frage offen, warum ein ansonsten sozialübliches Verhalten wie das Aufsuchen bestimmter Orte in der Öffentlichkeit, das an sich nicht – zumindest nicht in Bezug auf den Willen einer anderen Person – befugnisbedürf705

Vgl. aus zivilrechtlicher Sicht LG Oldenburg, NJW 1996, 62 (63). Dies löst auf zivilrechtlicher Ebene einen Unterlassungsanspruch nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog aus, siehe hierzu BGH, NJW 2011, 1005 (1006); LG Oldenburg, NJW 1996, 62 (63). 707 Siehe hierzu MüKo-BGB/Rixecker, Anhang § 12 Rn. 89. Anders, wenn der Täter bereits straffällig geworden ist und/oder gegen ihn eine Schutzanordnung nach §§ 823, 1004 I 2 BGB analog bzw. § 1 GewSchG erlassen wurde. Noch zu Beginn des StalkingVerhaltens oder beim Andauern fortgesetzten Verhaltens ist auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht imstande, eine solche Sphäre für das Opfer zu schaffen. 708 So MüKo-BGB/Rixecker, Anhang § 12 Rn. 89. 709 Nach BVerfGE 35, 202 (220) können sich Einschränkungen des ausschließlichen Bestimmungsrechts über den Privatbereich ergeben, soweit dieser nicht zum unantastbaren innersten Lebensbereich gehört. 710 In diesem Sinne sind sich auch die Ausführungen von Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1032) zu verstehen, nach denen sich der Anwendungsbereich des § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB auf Fälle beschränken wird, in denen sich der Täter bereits durch die Herstellung räumlicher Nähe gegen gesetzliche oder richterliche Pflichten verstößt (z. B. bei Hausfriedensbrüchen oder Verstößen gegen Weisungen). 706

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tig ist,711 (allein) durch den entgegenstehenden Willen des Opfers in ein strafwürdiges Verhalten umschlagen soll.712 Demnach kann es i. R. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB für die Frage nach der Untersagung des Verhaltens nicht (ausschließlich) auf die Unbefugtheit als strafbarkeitsbegründendes Element des Opfers ankommen, sofern dieses Merkmals (in erster Linie nur) den entgegenstehenden Willen des Opfers zum Ausdruck bringen soll. (b) Rolle und Funktion der Unbefugtheit i. R. d. § 238 Abs. 1 Nr. 3 und 4 StGB Dagegen wohnt der missbräuchlichen Verwendung von Daten oder dem Drohen mit einer Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit gegenüber dem Opfer von vornherein kein sozialübliches Moment inne.713 Der Unbefugtheit des Nachstellens kann demnach im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 3 und 4 StGB nicht mehr die Rolle zukommen wie im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB. Zumindest nicht insofern, als der dem Handeln des Täters entgegenstehende Wille des Opfers bei der missbräuchlichen Verwendung von Daten oder dem Drohen mit einer Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit gegenüber dem Opfer nicht den entscheidenden Ausschlag dafür gibt, ob das Verhalten strafwürdig ist oder nicht. Die Unbefugtheit des Nachstellens ist demnach im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 3 und 4 StGB nicht strafbegründend. Ein befugtes Handeln des Täters kann daher nicht bereits den Tatbestand des § 238 Abs. 1 Nr. 3 und 4 StGB entfallen lassen. Überwiegend wird daher im Schrifttum vertreten, dass die Unbefugtheit im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 3 und 4 StGB auf der Ebene der Rechtswidrigkeit zu würdigen sei,714 da ein Tatbestandsmerkmal der Unbefugtheit in diesem Zusammenhang regelmäßig leerlaufen würde.715 711 Zu dem Aspekt mangelnder Befugnisbedürftigkeit Rackow, GA 2008, 552 (563), der in diesem Zusammenhang auf das österreichische Pendant zum deutschen Nachstellungstatbestand, § 107a ÖStGB, verweist, in dessen Rahmen statt des Begriffes der Unbefugtheit der Begriff der Widerrechtlichkeit als Hinweis auf etwaige Rechtfertigungsgründe Verwendung findet. 712 Vielmehr ist daran zu denken, dass mit der Unbefugtheit i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB andere Konstellationen als die vorliegende gemeint sein müssten. 713 Vgl. auch S/S-Eisele, § 238 Rn. 26; Fischer, StGB, § 238 Rn. 26; Mitsch, NJW 2007, 1237 (1240). 714 Siehe hierzu Mitsch, NJW 2007, 1237 (1240); ders., JURA 2007, 401 (402); Gazeas, JR 2007, 497 (502); Fischer, StGB, § 238 Rn. 26; S/S-Eisele, § 238 Rn. 26; Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 238 f.; a. A., da der Auffassung des Gesetzgebers folgend Mosbacher, NStZ 2007, 665 (667); Valerius, JuS 2007, 319 (322 f.); Weinitschke, Rechtsschutz gegen Stalking, S. 146 f.; Sadtler, Nachstellung, S. 299 ff., die die Ansicht, die Unbefugtheit sei durchweg als Tatbestandsmerkmal anzusehen, auch mit den Belangen der Pressearbeit begründet. Dieses Argument ist jedoch nur im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB wirklich sinnvoll, denn es ist nicht nachvollziehbar, warum vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG eine journalisti-

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Festzuhalten ist demnach, dass der Begriff unbefugt eine Doppelnatur aufweist. Im Rahmen der Nummern 1, 2 und bisweilen 5 des § 238 Abs. 1 StGB handelt es sich bei der Unbefugtheit um ein Tatbestandsmerkmal, im Rahmen der Nummern 3 und 4 dagegen um ein auf der Ebene der Rechtfertigung zu würdigendes Element. cc) Merkmal der Beharrlichkeit Ein Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB setzt weiter voraus, dass der Täter beharrlich eine der in den Nummern 1 bis 5 des § 238 Abs. 1 StGB umschriebene Angriffsweise verwirklicht. Dies kann grundsätzlich auch durch die Kombination von verschiedenen Begehungsweisen des § 238 Abs. 1 StGB erfolgen.716 Eine andere Lesart des § 238 Abs. 1 StGB ist zwar durchaus möglich, jedoch mit Sicherheit nicht gewollt, da empirischen Erkenntnissen zufolge ein Stalker nur äußert selten immer wieder auf exakt dieselbe Angriffsweise zurückgreift.717 Vielmehr kennzeichnet sein Verhalten gerade die Kombination aus verschiedenen tatbestandlichen Verhaltensformen bzw. Einzelhandlungen.718 Das Erfordernis der Beharrlichkeit des Täterverhaltens bezieht sich demnach auf das Gesamtverhalten des Täters im Rahmen des § 238 Abs. 1 StGB. (1) Gesetzgeberische Konzeption Der Begriff beharrlich ist dem StGB nicht fremd, er findet sich in mehreren Tatbeständen des Allgemeinen und Besonderen Teils.719 Zur Erläuterung, welche Funktion und welcher Inhalt der Beharrlichkeit im Rahmen des § 238 Abs. 1 StGB zukommt, verweist der Gesetzgeber auf die Verwendung des Begriffes in den anderen Strafvorschriften des StGB.720 Danach beinhalte der Begriff beharrlich zunächst ein wiederholtes oder andauerndes Verhalten.721 Darüber hinaus bezeichne der Begriff zudem eine in der Tatbegehung zum Ausdruck kommende besondere Hartnäckigkeit und eine gesteigerte Gleichgültigkeit des Täters gegenüber dem gesetzlichen Verbot, die zugleich die Gefahr weiterer Begehung indische Tätigkeit umfasst sein sollte, die darin besteht, unter missbräuchlicher Verwendung von Daten Bestellungen für eine Person aufzugeben oder ihr zu drohen. 715 Vgl. Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1031). 716 Eine solche Auslegung ergibt sich anhand der Konjunktion oder am Ende von § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB, deren Verwendung die Möglichkeit einer Kumulation verschiedener Angriffsweisen eröffnet, vgl. Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1032). 717 Vgl. hierzu die Ausführungen unter § 2 II. 2. 718 Vgl. auch Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1032). 719 Beispielsweise § 56 f Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3, § 67g Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3, § 70b Abs. 1 Nr. 2 und 3, § 184d StGB. 720 Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 7. 721 Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 7.

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ziert.722 Über die bloße Wiederholung der Handlungen hinaus sei demnach erforderlich, dass der Täter aus Missachtung des entgegenstehenden Willens oder aus Gleichgültigkeit gegenüber den Wünschen des Opfers mit dem Willen agiert, sich auch in Zukunft immer wieder entsprechend zu verhalten.723 Die Beharrlichkeit ergebe sich dabei aus einer Gesamtwürdigung der verschiedenen Handlungen, in deren Rahmen es maßgeblich auf den zeitlichen Abstand zwischen den einzelnen Handlungen und deren inneren Zusammenhang ankomme.724 Zusammen mit dem Merkmal der Unbefugtheit soll das Merkmal der Beharrlichkeit als Abgrenzungskriterium dienen, zwischen grundsätzlich grundrechtlich schützenswertem und sozialadäquatem Verhalten und grundrechtlich nicht schützenswertem, da strafbarem Verhalten zu unterscheiden.725 Der Gesetzgeber spricht dabei die Notwendigkeit eines solchen Abgrenzungskriteriums vor allem im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB an, da davon auch an sich sozialadäquate Verhaltensweisen umfasst seien.726 (2) Kritik in Rechtsprechung und Schrifttum Das Merkmal der Beharrlichkeit soll sich nach dem Willen des Gesetzgebers sowohl aus objektiven Kriterien wie der Wiederholung einzelner oder mehrerer verschiedener Nachstellungsbegehungsweisen als auch aus subjektiven Kriterien wie der Missachtung des entgegenstehenden Willens des Opfers zusammensetzen. Diese Konzeption des Gesetzgebers stößt in Rechtsprechung und innerhalb des Schrifttums nicht nur auf Zustimmung. (a) Hinsichtlich der objektiven Kriterien In Bezug auf die objektiven Kriterien der Beharrlichkeit wird nahezu einheitlich begrüßt, dass der Gesetzgeber bewusst von einer Vorgabe für eine Mindestanzahl an Handlungen, die zur Annahme eines beharrlichen Vorgehens des Täters vorliegen müssen, abgesehen hat und dagegen auf den jeweiligen Einzelfall abstellen möchte.727 Da das Merkmal der Beharrlichkeit zumindest einen ge722

Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 7. Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 7. 724 Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 7. Beispielsweise sollen demnach auch mehrere schriftliche und telefonische Versuche eines Elternteils, mit dem ehemaligen Partner Kontakt aufzunehmen, um Absprachen über das Umgangsrecht mit einem gemeinsamen Kind zu treffen, das Tatbestandsmerkmal nicht erfüllen. Auch die Arbeit von Journalisten soll, sofern sie presserechtlich zulässig und nicht bereits aufgrund der verfassungsrechtlich geschützten Pressefreiheit über das Merkmal „unbefugt“ aus dem Tatbestand auszuscheiden sind, nicht das Merkmals erfüllen. 725 Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 7. 726 Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 7. 727 Der (in großen Teilen nicht umgesetzte) Vorschlag des Bundesrates sah vor, dass innerhalb des Gesetzentwurfes der „Schweren Belästigung“ nach § 238 StGB-E bzgl. 723

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wissen Grad an Wiederholung einzelner bzw. Kombination verschiedener Begehungsweisen des Nachstellens impliziert, vermag ein einmaliges Vorgehen des Täters das Merkmal nicht zu erfüllen.728 Daher wird durchweg das Vorliegen zumindest zweier Handlungen gefordert.729 Aussagen über handfeste, darüber hinausgehende Mindestbestimmungen in Hinblick auf den Grad der Wiederholung einzelner oder der Kombination verschiedener Begehungsweisen, insbesondere der Frage des Intervalls zwischen den einzelnen Handlungsakten, vermag weder die Rechtsprechung noch das Schrifttum zu treffen.730 (b) Stellungnahme Angesichts der Heterogenität der nach dem Nachstellungstatbestand für strafbar erklärten Vorgehensweisen – der verschiedensten Möglichkeiten, die Tathandlung des Nachstellens i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB zu begehen – und insbesondere den deutlichen Unterschieden zwischen den einzelnen Begehungsweisen des Nachstellens in Bezug auf deren jeweiligen Unwertgehalt verbietet sich hier jegliche Festlegung von vornherein.731 Dem Gesetzgeber ist auch darin zuzustimmen, dass der zeitliche Abstand und der innere Zusammenhang zwischen den Einzelhandlungen ausschlaggebend für die (zu fordernde) Anzahl an Handlungen sind.732 Ferner von Bedeutung ist das Gewicht der einzelnen Verhaltensweisen in Hinblick auf den tatbestandlichen Erfolg. (c) Hinsichtlich der subjektiven Kriterien Weitaus mehr Kritik haben jedoch die Ausführungen des Gesetzgebers hinsichtlich der Anforderungen an die subjektive Seite des Merkmals der Beharrlichkeit erfahren. Nach dem Willen des Gesetzgebers setzt ein beharrliches Handeln voraus, dass der Täter aus Missachtung des entgegenstehenden Willens oder das Tatbestandsmerkmal „fortgesetzt“ eine Anzahl von grundsätzlich mindestens fünf Handlungen notwendig sei, vgl. hierzu BT-Drs. 15/5410, S. 7. 728 So deutlich der 3. Strafsenat des BGH in BGHSt 54, 189 (198). 729 So auch OLG Zweibrücken OLGSt StGB § 238 Nr. 2; vgl. auch LG Lübeck, SchlHA 2008, 213 (213), besprochen von Jahn, JuS 2008, 553 (553 f.); BGHSt 54, 189 (195); ebenso Fischer, StGB, § 238 Rn. 18; Mitsch, NJW 2007, 1237 (1240); Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1032); Mosbacher, NStZ 2007, 665 (666): mehrfache Begehung; Löhr, Notwendigkeit, S. 337; Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 213. 730 Vgl. Fischer, StGB, § 238 Rn. 18; BGHSt 54, 189 (198); Gazeas, JR 2007, 497 (502), der aufgrund der Vielgestaltigkeit des Stalking eine pauschale Festlegung einer Mindestzahl an Wiederholungen für inadäquat hält; mit einem Überblick über die bislang hierzu ergangene Rspr. siehe Krüger, NStZ 2010, 546 (550). 731 Darin zuzustimmen ist BGHSt 54, 189 (198); vgl. auch Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 213 ff. 732 Vgl. hierzu die Ausführungen unter § 2 II. 2. und III.

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aus Gleichgültigkeit gegenüber den Wünschen des Opfers mit dem Willen agiert, sich auch in Zukunft immer wieder entsprechend zu verhalten.733 In Verbindung mit dem Merkmal der Unbefugtheit soll das Merkmal der Beharrlichkeit als Abgrenzungskriterium dienen, um für sich genommen grundsätzlich sozialadäquates Verhalten von strafbarem Verhalten zu unterscheiden.734 (d) Stellungnahme Ein solchermaßen mit subjektiven Elementen „aufgeladenes“ Merkmal erscheint zunächst zu einem gewissen Grad überflüssig zu sein. Die Forderung des Gesetzgebers, ein beharrliches Vorgehen müsse die Missachtung des entgegenstehenden Willens des Opfers durch den Täter oder dessen Gleichgültigkeit gegenüber den Wünschen des Opfers zum Ausdruck bringen, ist insofern redundant, als der entgegenstehende Wille des Opfers bereits innerhalb des Begriffs unbefugt dokumentiert wird und sich hierauf auch der Vorsatz des Täters zu beziehen hat.735 Der Täter muss, um unbefugt i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB zu handeln, zumindest in Kenntnis des entgegenstehenden Willens des Opfers agieren. Ein darüber hinausgehendes Erfordernis, etwa dass der Täter gerade in besonderer Missachtung des entgegenstehenden Willens des Opfers oder in gesteigerter Gleichgültigkeit gegenüber den Wünschen des Opfers gehandelt haben muss, ließe sich in Hinblick auf den Taterfolg des Nachstellungstatbestandes und den Normzweck zudem nur schwer begründen.736 Es geht im Rahmen des § 238 Abs. 1 StGB um den Schutz des Opfers vor Beeinträchtigungen seiner Willensbildung und Willensbetätigung und insbesondere um den Schutz der eigenverantwortlichen Lebensgestaltung vor wiederkehrenden bedrängenden Handlungen des Täters. Entscheidend ist demnach, dass der Täter bewusst gegen den Willen des Opfers agiert, nicht aber, welche Haltung oder innere Einstellung seinem Handeln dabei zugrunde liegt.737 Unabhängig von etwaigen damit einhergehenden Beweisschwierigkeiten738 spricht noch ein weiterer Grund gegen die Forderung nach einer subjektiven „Aufladung“ des Beharrlichkeitsmerkmals. Dem Gesetzgeber zufolge soll die subjektive Seite des Beharrlichkeitsmerkmals dazu dienen, neben dem Merkmal der Unbefugtheit anhand der Einstellung des Täters das bisweilen grundsätzlich sozialadäquate Verhalten im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB aus-

733 734 735 736 737 738

Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 7. Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 7. Siehe zu diesem Aspekt auch Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1032). Siehe zu diesem Aspekt auch Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1032). Ebenso Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1032). Vgl. dazu Gazeas, JR 2007, 497 (502); Löhr, Notwendigkeit, S. 336 f.

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scheiden zu können.739 Die (zusätzliche) Subjektivierung des Beharrlichkeitsmerkmals hat demnach ausschließlich den Zweck, die Einstellung des Täters zur Rechtsordnung und die besondere Verwerflichkeit des Täterhandelns zu dokumentieren, um strafwürdiges Nachstellungsverhalten von sozialadäquatem und straflosem Verhalten zu unterscheiden. In dieser Funktion kommt dem Merkmal der Beharrlichkeit – und dabei insbesondere den subjektiven Erfordernissen – zugleich strafbarkeits(mit)begründende Bedeutung zu.740 Nicht ohne Grund bezweifeln daher verschiedene Stimmen innerhalb der Literatur, dass das Beharrlichkeitsmerkmal mit den Grundsätzen eines Tatstrafrechts nicht zu vereinbaren ist.741 Es ist aber noch ein anderes zu beachten: Steht das Beharrlichkeitsmerkmal bereits in seiner Eigenschaft, die Einstellung des Täters zur Rechtsordnung und die besondere Verwerflichkeit des Täterhandelns zu dokumentieren, einem Gesinnungsmerkmal gleich,742 ist unverzichtbare Voraussetzung seiner rechtsstaatlichen Legitimation, dass sich die Haltung des Täters an eine äußere Tat anbinden lässt, die in sich bereits eine Freiheitsverletzung trägt.743 Andernfalls käme allein der inneren Einstellung des Täters strafbarkeitsbegründende Bedeutung zu, da das an sich straflose Verhalten (allein) aufgrund der inneren Einstellung des Täters in strafbares Verhalten umschlüge. Genau dies ist jedoch zumindest im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB letztlich der Fall. Dem Gesetzgeber zufolge entscheiden im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB die Merkmale unbefugt und beharrlich darüber, ob es sich um strafbares oder sozialadäquates und daher strafloses Verhalten des Täters handelt.744 Wie gezeigt hat das Merkmal der Unbefugtheit jedoch zumindest im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht die vom Gesetzgeber intendierte strafbarkeitsbegründende Bedeutung. Hier soll ein ansonsten sozialübliches Verhalten wie das Aufsuchen bestimmter Orte in der Öffentlichkeit, das an sich nicht 739 Die Notwendigkeit des Merkmals der Beharrlichkeit zur Abgrenzung von sozialadäquatem gegenüber strafbarem Verhalten hebt der Gesetzgeber ausdrücklich hervor, siehe BT-Drs. 16/575, S. 7. 740 Im Ergebnis ebenso Dessecker, FS Maiwald, S. 103 (106 f.). 741 Zweifel hinsichtlich einer Vereinbarkeit mit dem Tatstrafrecht äußern auch – jedoch bisweilen ohne nähere Erläuterung – Löhr, Notwendigkeit, S. 336; S/S-Eisele, § 238 Rn. 24; Dessecker, FS Maiwald, S. 103 (106 f.); Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1032); Gazeas, JR 2007, S. 497 (502); Lackner/Kühl, StGB, § 238 Rn. 3. Aus Gründen der Unklarheit kritisch gegenüber dem gleichlaufenden Merkmal der Beharrlichkeit im Rahmen des § 184d StGB (a. F.) MüKo-StGB/Hörnle, 1. Auflage 2005, § 184d Rn. 5. In dem zum 03.05.2011 in Kraft getretenen § 184d StGB hat der Gesetzgeber nunmehr von der Normierung des Merkmals abgesehen. 742 Vgl. zu den (im Einzelnen äußerst umstrittenen) Merkmalen eines Gesinnungsmerkmals Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen im Strafrecht, S. 27 ff., 117 ff., 131 ff., 477 ff. 743 Ausführlich zu den limitierenden Bedingungen derartiger Merkmale Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen im Strafrecht, S. 481 ff. 744 Siehe BT-Drs. 16/575, S. 7.

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– zumindest nicht in Bezug auf den Willen einer anderen Person – befugnisbedürftig ist, (allein) durch den entgegenstehenden Willen des Opfers in ein strafwürdiges Verhalten umschlagen. Kann demnach dem Merkmal unbefugt nicht die vom Gesetzgeber vorgegebene strafbarkeits(mit)begründende Bedeutung zukommen, verbleibt hierfür allein das Merkmal der Beharrlichkeit. Nach den Ausführungen des Gesetzgebers kann es jedoch im Rahmen der Beharrlichkeit für die Frage nach der Strafbarkeit des Verhaltens nicht (allein) auf die bloße Wiederholung des Täterhandelns ankommen. Bspw. reichen mehrmalige Versuche eines Elternteils, mit dem ehemaligen Partner Kontakt aufzunehmen, um das Umgangsrecht mit dem gemeinsamen Kind zu regeln, nicht aus.745 Somit ist es letztlich allein die innere Einstellung des Täters, der im Rahmen des Nachstellungsverhaltens nach § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbarkeitsbegründende Bedeutung zukommen müsste. Festzuhalten ist somit, dass ein dergestalt subjektiv „aufgeladenes“ Merkmal der Beharrlichkeit, wie es der Gesetzgeber § 238 Abs. 1 StGB zugrunde legen möchte, weder mit dem Grundsatz des Tatstrafrechts zu vereinbaren noch aus (anderen) rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zu legitimieren ist. (3) Zwischenergebnis Muss aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten auf eine Subjektivierung des Merkmals der Beharrlichkeit verzichtet werden, weist der Begriff demnach lediglich einen rein objektiven Inhalt auf. In diesem Rahmen besitzt das Merkmal beharrlich die Aufgabe, die in der ständigen Kontaktaufnahme des Stalkers zum Ausdruck kommende Besonderheit des Verhaltens zu dokumentieren. Dies meint nicht nur die zeitliche Dimension des Täterverhaltens, sondern auch dessen Intensität – da das Täterverhalten letztlich geeignet sein muss, auf das Opfer dergestalt einzuwirken, dass es sich gezwungen sieht, erhebliche Änderungen in seiner Lebensgestaltung vorzunehmen.746 Angesichts der einzig sinnvollen Lesart des § 238 Abs. 1 StGB, nach der das Verwirklichen einer Nachstellung auch durch eine (in beharrlicher Weise begangene) Kombination an verschiedenen tatbestandlichen Handlungsformen möglich ist,747 muss sich das Merkmal der Beharrlichkeit auf das tatbestandsrelevante Gesamtverhalten des Täters beziehen. Entscheidend ist dabei nicht ausschließlich die bloße Anzahl der Einzelhandlungen, sondern zudem auch deren Gewicht und Beitrag in Hinblick auf den tatbestandlichen Erfolg.748 745

Siehe das Beispiel des Gesetzgebers in BT-Drs. 16/575, S. 7. Im Ergebnis ebenso Dessecker, FS Maiwald, S. 103 (106 f.); ferner Neubacher/ Seher, JZ 2007, 1029 (1032). 747 Siehe hierzu auch Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1032). 748 Vgl. auch Gazeas, JR 2007, 497 (502); S/S-Eisele, § 238 Rn. 25; BGHSt 54, 189 (194 f.; 198). 746

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dd) Taterfolg der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung Der als Erfolgsdelikt ausgestaltete Straftatbestand der Nachstellung verlangt, dass die Lebensgestaltung des Opfers durch das Verhalten des Täters schwerwiegend beeinträchtigt wird. (1) Gesetzgeberische Konzeption Nach Ansicht des Gesetzgebers umfasst der Begriff der Lebensgestaltung in § 238 Abs. 1 StGB ganz allgemein die Freiheit der menschlichen Entschlüsse und Handlungen.749 Angesichts des Merkmals schwerwiegend seien jedoch vom Tatbestand der Nachstellung nur „ins Gewicht fallende, gravierende und ernst zu nehmende Beeinträchtigungen, die über durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende und zumutbare Beeinträchtigungen erheblich und objektivierbar hinausgehen“, erfasst.750 Nicht darunter fielen danach weniger gewichtige Maßnahmen der Eigenvorsorge wie beispielsweise die Benutzung eines Anrufbeantworters und die Einrichtung einer Fangschaltung zum Zwecke der Beweissicherung.751 Durchaus als schwerwiegend seien dagegen weitergehende Schutzvorkehrungen des Opfers anzusehen, etwa wenn das Opfer die Wohnung nur noch in Begleitung Dritter verlässt oder sich gezwungen sieht, den Arbeitsplatz oder die Wohnung zu wechseln.752 Der ursprüngliche Gesetzentwurf des Bundesrates sah (lediglich) vor, dass die Täterhandlung geeignet sein müsse, das Opfer nachhaltig zu belästigen.753 Danach kam eine Belästigung bereits dann in Betracht, wenn durch die Handlung des Täters bei dem Opfer Unlustgefühle wie Angst, Schrecken oder Abscheu hervorgerufen werden.754 Dagegen sah der Gesetzentwurf der Bundesregierung als Taterfolg ursprünglich noch das Erfordernis einer schwerwiegenden und unzumutbaren Beeinträchtigung der Lebensgestaltung vor.755 Im Rahmen des Merkmals unzumutbar sollte angesichts der – isoliert betrachtet – sozialadäquaten Angriffsweisen in § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB eine Abgrenzung der Freiheits-

749

Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 7. Siehe BT-Drs. 16/3641, S. 14. 751 Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 8. 752 Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 8. 753 Siehe BT-Drs. 15/5410, S. 5. 754 Siehe BT-Drs. 15/5410, S. 6 mit Verweis auf den Gebrauch des Begriffes der Belästigung im Rahmen des § 183 StGB und § 1 GewSchG. Der Gesetzgeber folgte diesem Vorschlag jedoch nicht, vgl. BT-Drs. 15/5410, S. 9. Diese Entscheidung stieß in der Literatur jedoch nicht nur auf Zustimmung, vgl. Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1034). 755 Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 5. 750

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sphären von Täter und Opfer erfolgen.756 Gegen dieses normative Merkmal der Unzumutbarkeit des ursprünglichen Gesetzentwurfes führte der Rechtsausschuss jedoch ins Feld, dass eine schwerwiegende Beeinträchtigung zugleich immer auch eine unzumutbare Beeinträchtigung darstellen würde und daher dieses zusätzliche Erfordernis überflüssig sei.757 Beide Begriffe beschrieben letztlich Vergleichbares. Abgesehen davon verstärke die Verwendung beider Begriffe aufgrund der jeweiligen Auslegungsbedürftigkeit nur die Komplexität des Tatbestandes. Der Rechtsausschuss plädierte daher dafür, aus Klarstellungsgründen ausschließlich auf eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung abzustellen,758 was in § 238 Abs. 1 StGB letztlich auch Umsetzung fand. (2) Auslegung durch die Rechtsprechung In der bislang zu § 238 Abs. 1 StGB ergangenen Rechtsprechung wird der Taterfolg der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung durchweg äußerst restriktiv ausgelegt.759 Als unverzichtbar wird dabei das Vorliegen objektivierbarer Auswirkungen angesehen.760 So hat das OLG Hamm in seinem Beschluss vom November 2008 ein amtsgerichtliches Urteil aufgehoben, in dessen Rahmen (allein) die psychische Instabilität des Opfers als tatbestandlicher Erfolg des § 238 Abs. 1 StGB angesehen wurde, ohne dass dabei nennenswerte objektivierbare i. S. v. zu Tage tretenden Auswirkungen festgestellt wurden.761 Solange es nicht zu einer objektivierbaren Beeinträchtigung der Lebensgestaltung kommt, stellt nach der Rechtsprechung somit auch das Leben in einer Atmosphäre ständiger Bedrohung kein Taterfolg i. S. d. § 238 StGB dar, selbst wenn mit den Nachstellungshandlungen gravierende psychische Folgen für das Opfer verbunden sind.762 Rein psychische Vorgänge, die keine objektivierbaren Auswirkungen zeitigen, scheiden demnach nach Ansicht der Rechtsprechung als tatbestandsmäßige schwerwiegende Beeinträchtigung(en) der Lebensgestaltung aus.763

756

Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 8. Vgl. BT-Drs. 16/3641, S. 14. 758 Vgl. BT-Drs. 16/3641, S. 14. 759 Allen voran der 3. Strafsenat des BGH in BGHSt 54, 189 (196 f.). Einen ersten Überblick über die bislang ergangene Rspr. vor allem in Hinblick auf die Auslegung des Taterfolgs bietet Krüger, NStZ 2010, 546 (551 f.). 760 Siehe auch BGHSt 54, 189 (196 f.); OLG Rostock OLGSt StGB § 238 Nr. 1 (S. 5), besprochen von Jahn, JuS 2010, 81 (82 f.). 761 Siehe den Beschluss des OLG Hamm vom 20.11.2008 mit Az: 3 Ss 469/08. 762 Vgl. OLG Rostock OLGSt StGB § 238 Nr. 1 (S. 5), besprochen von Jahn, JuS 2010, 81 (82 f.). 763 Vgl. OLG Hamm, NStZ-RR 2009, 175 (175); OLG Rostock OLGSt StGB § 238 Nr. 1 (S. 5), besprochen von Jahn, JuS 2010, 81 (83). Vgl. in Bezug auf Schlafstörungen Krüger, NStZ 2010, 546 (552 f.). 757

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Allerdings stellt nicht jegliche objektivierbare Folge zugleich eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB dar. Zwar handelt es sich bei der Lebensgestaltung nach Ansicht des BGH um ein äußerst weites Tatbestandsmerkmal, da es allgemein die Freiheit der menschlichen Entschlüsse und Handlungen umfasse.764 Eine Beeinträchtigung der Lebensgestaltung ist danach bereits dann anzunehmen, wenn das Opfer durch die Handlungen des Täters veranlasst wird, ein Verhalten an den Tag zu legen, welches es ohne Zutun des Täters nicht vorgenommen hätte.765 Der Rechtsprechung des BGH zufolge muss es sich bei der Beeinträchtigung der Lebensgestaltung demnach um eine erzwungene Veränderung der Lebensumstände handeln. Das weite Tatbestandsmerkmal der Lebensgestaltung erfahre jedoch bereits anhand des Wortlauts des § 238 Abs. 1 StGB eine massive Einschränkung, der eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung fordere.766 In starker Anlehnung an die Gesetzgebungsmaterialien verlangt der BGH als tatbestandlichen Erfolg i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB ins Gewicht fallende, gravierende und ernst zu nehmende Folgen, die über durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende und zumutbare Modifikationen der Lebensgestaltung erheblich und objektivierbar hinausgehen.767 In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte das Opfer infolge mehrerer Drohungen erhebliche Teile seiner Freizeitaktivitäten aufgegeben, die Wohnung und Arbeitsstätte nur unter besonderen Schutzmaßnahmen verlassen und es tunlichst vermieden, abends aus dem Haus zu gehen oder die Haustüre zu öffnen.768 Nach Auffassung der Rechtsprechung können demnach auch Vorsorge- und Schutzmaßnahmen des Opfers als Reaktion auf die Nachstellungshandlungen des Täters einen tatbestandlichen Erfolg i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB darstellen. Dies ist bspw. auch dann der Fall, wenn sich das Opfer aus Angst vor den Nachstellungshandlungen des Täters gezwungen sieht, die Öffentlichkeit nur noch in Begleitung aufzusuchen und Veranstaltungen des sozialen Lebens ohne Begleitung zu meiden.769 Allerdings wird auch hierbei verlangt, dass die Selbstschutzmaßnahmen von einigem Gewicht und einer bestimmten Dauerhaftigkeit sind. Ausschließlich kurzzeitige Beeinträchtigungen in Form eines Wechsels der Telefonnummer, ein nur temporäres vorübergehendes Umziehen in ein Ferienhaus oder die eingeschränkte Nutzung eines Wochenendgrundstücks kommen nicht als Tat764 So BGHSt 54, 189 (196 f.) mit Verweis auf die entsprechende Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/575, S. 7. 765 Vgl. BGHSt 54, 189 (197). 766 Vgl. BGHSt 54, 189 (197). 767 Siehe BGHSt 54, 189 (197) mit Verweis auf BT-Drs. 16/3641, S. 14; ferner auch OLG Hamm, NStZ-RR 2009, 175 (175). Betrachtet man die Gesetzesbegründungen, so fällt auf, dass sich der BGH in seinen Ausführungen sehr eng an deren Wortlaut hält. 768 Vgl. BGHSt 54, 189 (192, 197). 769 Vgl. LG Lübeck, SchlHA 2008, 213 (213).

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erfolg des § 238 Abs. 1 StGB in Betracht.770 Darüber hinaus stellen etwaige Beeinträchtigungen, die sich in den Grenzen zumutbarer Selbstschutzmaßnahmen bewegen und in Hinblick auf das Merkmal schwerwiegend ausschließlich anhand einer individuellen Betrachtungsweise zu bestimmen sind, keine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB dar. So hat das OLG Rostock Schutzmaßnahmen des Opfers, die sich mit dem üblichen Verhalten weiter Teile der Bevölkerung decken, – vorliegend ging es um das Schließen des Hoftores und der Haustüre sowie das eingeschränkte Lüften des Hauses durch Kippen der Fenster – nicht als schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung angesehen.771 (3) Auslegung im Schrifttum Da der Terminus schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung dem Strafgesetzbuch in dieser Form bislang fremd war,772 wirft seine Auslegung viele Fragen auf und kann nach der überwiegenden Meinung im Schrifttum im Einzelfall durchaus Schwierigkeiten bereiten.773 Für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Lebensgestaltung wird vereinzelt auf die semantische Ähnlichkeit mit dem Taterfolg des § 201a Abs. 1 StGB verwiesen,774 der eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches verlangt. Dabei wird jedoch zugleich konstatiert, dass der Lebensgestaltung i. R. d. § 238 Abs. 1 StGB angesichts der verschiedenen Angriffsweisen zur Begehung des Nachstellens ein deutlich größerer Anwendungsbereich zukommen müsse als i. R. d. § 201a StGB. Denn Letzterer beziehe sich erkennbar nur auf einen räumlich eng begrenzten Bereich der Privat- bzw. Intimsphäre, von dem öffentlich zugängliche Örtlichkeiten – wie sie nach § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB umfasst sind – stets ausgenommen seien.775 770

Vgl. AG Löbau StV 2008, 646 (647). Vgl. OLG Rostock OLGSt StGB § 238 Nr. 1 (S. 5 f.), besprochen von Jahn, JuS 2010, 81 (83). 772 Vgl. hierzu Gazeas, JR 2007, 497 (503). Eine Ausnahme bildet der Begriff der schwerwiegenden Beeinträchtigung, der bereits in § 218a Abs. 2 StGB Verwendung findet. Die hierzu bestehende Rechtsprechung und Literatur (vgl. etwa Fischer, StGB, § 238 Rn. 25 f.) kann allerdings nicht herangezogen werden, da der schwerwiegenden Beeinträchtigung in dem dortigen Zusammenhang eine andere Bedeutung zukommt, vgl. hierzu Gazeas, JR 2007, 497 (503). 773 Vgl. Gazeas, JR 2007, 497 (503); S/S-Eisele, § 238 Rn. 29; Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1034); Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 225 ff.; Löhr, Notwendigkeit, S. 339 ff.; Kinzig/Zander, JA 2007, 481 (484). 774 Sadtler, Stalking, S. 319 f.; Lackner/Kühl, § 238 Rn. 2. 775 So bereits in seiner Stellungnahme vor dem Rechtsausschuss Kühl, Stellungnahme, S. 8; vgl. ferner Sadtler, Stalking, S. 319 f.; Lackner/Kühl, § 238 Rn. 2; Kinzig/ Zander, JA 2007, 481 (484); Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 224; Fischer, StGB, § 238 Rn. 2. 771

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Die überwiegenden Stimmen innerhalb des Schrifttums orientieren sich bei der Auslegung des Taterfolgs des Nachstellungstatbestandes weitestgehend an den Gesetzgebungsmaterialien und der Auslegung durch die Rechtsprechung.776 In Einklang mit den Gesetzgebungsmaterialien und der Rechtsprechung des BGH wird daher gefordert, dass es sich um eine durch die Nachstellung des Täters erzwungene Änderung der Lebensgestaltung von einigem Ausmaß handelt. In Betracht zu ziehen seien im konkreten Kontext ins Gewicht fallende, gravierende und ernst zu nehmende Beeinträchtigungen, die über durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende und zumutbare Beeinträchtigungen hinausgingen.777 Unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien zu § 238 StGB778 wird dabei vielfach betont, dass es auf eine „Abgrenzung der Freiheitssphären von Täter und Opfer“ ankomme.779 Vereinzelt wird das Erfordernis einer Abgrenzung der Freiheitssphären dahingehend konkretisiert, dass hierbei „normative Wertungen der Rechtsgemeinschaft“ zu berücksichtigen seien, die im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles eine „normative Interessenabwägung“ notwendig machen würden.780 Darüber hinaus betonen einzelne Stimmen innerhalb der Literatur, dass bei der Gesamtwürdigung aller Umstände im Rahmen des Taterfolgs kein ausschließlich subjektiver Maßstab zu wählen sei.781 Um die Gefahr einer opferdefinierten Strafbarkeit zu vermeiden, sei es nötig, auf einen objektiv-subjektiven Maßstab abzustellen, wie er beispielsweise innerhalb des Nötigungstatbestandes Verwendung finde.782 Zur Bewertung der Beeinträchtigung müsse zwar unausweichlich auf das Opfer abgestellt werden, nicht jedoch ohne Zugrundelegung einer objektivierten Sicht. Zu fragen sei daher, ob das Opfer den Nachstellungshandlungen des Täters nicht in besonnener Selbstbehauptung hätte standhalten können oder vielmehr müssen.783

776 Vgl. S/S-Eisele, § 238 Rn. 29 ff.; Fischer, StGB, § 238 Rn. 21 ff.; Mosbacher, NStZ 2007, 665 (667); NK-StGB/Sonnen, § 238 Rn. 45 ff.; Gazeas, JR 2007, 497 (503); Valerius, JuS 2007, 319 (323). 777 So zu finden bei Gazeas, JR 2007, 497 (503); Sadtler, Stalking, S. 321 ff.; Kinzig/Zander, JA 2007, 481 (484); NK-StGB/Sonnen, § 238 Rn. 45; S/S-Eisele, § 238 Rn. 30; kritisch hierzu Rackow, GA 2008, 552 (561). 778 Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 8. 779 Vgl. Krüger, FPR 2011, 219 (222); Peters, NStZ 2009, 238 (241) unter Bezugnahme auf Mosbacher, NStZ 2007, 665 (667). 780 Vgl. Mosbacher, NStZ 2007, 665 (667); Peters, NStZ 2009, 238 (241), sich diesen anschließend Krüger, FPR 2011, 219 (222). 781 Vgl. Valerius, JuS 2007, 319 (323); Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 225 f.; NK-StGB/Sonnen, § 238 Rn. 48; Gazeas, JR 2007 497 (503); S/S-Eisele, § 238 Rn. 30. 782 Vgl. Löhr, Notwendigkeit, S. 341 f., 344 ff.; S/S-Eisele, § 238 Rn. 30; Mrosk, NJ 2009, 416 (419); ähnlich Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 224 f.

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(4) Zu zentralen Kritikpunkten im Schrifttum Die Ausgestaltung des Nachstellungstatbestandes als Erfolgsdelikt hat innerhalb des Schrifttums zum Teil erhebliche Kritik hervorgerufen.784 Die Kritik bezieht sich dabei auf die Ausgestaltung des Nachstellungstatbestandes als Erfolgsdelikt im Allgemeinen und das Erfordernis einer schwerwiegenden Beeinträchtigung im Besonderen. (a) Kritik hinsichtlich des Erfolgserfordernisses im Allgemeinen Bereits die Ausgestaltung des Nachstellungstatbestandes als Erfolgsdelikt hat im Schrifttum Kritik hervorgerufen.785 Stalking kennzeichne gerade das unbeirrbare und vom (entgegenstehenden) Willen des Opfers unbeeindruckte Vorgehen des Täters, der Schwerpunkt des Unrechts liege demnach in der Art und Weise des Täterhandelns.786 Das Erfordernis des Eintritts eines tatsächlichen Taterfolgs (und das Absehen von einer Versuchsstrafbarkeit) verschiebe jedoch diesen Schwerpunkt hin auf die Auswirkungen des Stalking.787 Gegen einen Straftatbestand zum Schutz vor Stalking in Gestalt eines Erfolgsdelikts spreche ganz allgemein, dass die stalkingspezifischen Auswirkungen schwer nach- bzw. beweisbar seien.788 Aufgrund der Auswirkungen auf die psychische Integrität des Opfers bzw. der psychisch vermittelten Vorgänge seien im Rahmen eines Erfolgsdelikts Nachweisschwierigkeiten im Rahmen der Kausalität und objektiven Zurechnung vorprogrammiert, die im Falle eines Eignungsdelikts nicht bestünden.789 Zudem 783 So Mrosk, NJ 2009, 416 (419); Valerius, JuS 2007, 319 (323); S/S-Eisele, § 238 Rn. 30; Kraus, Zivilrechtlicher Schutz gegen Nachstellen, S. 55; Löhr, Notwendigkeit, S. 345. 784 Siehe Rackow, GA 2008, 552 (561); Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1034); Löhr, Notwendigkeit, S. 338 ff.; Seher, JZ 2010, 582 (583 f.). 785 Vgl. die Kritik bei Löhr, Notwendigkeit, S. 338 ff.; Sadtler, Stalking, S. 321 f. Bereits die ersten Gesetzentwürfe des Bundesrates, die auf die Initiativen der Länder Baden-Württemberg, Hessen und Schleswig-Holsteins zurückgingen und später nahezu unverändert in dem eigenen Entwurf des Bundesrates aufgingen, fordern als Straftatbestand ein Eignungsdelikt, siehe hierfür BR-Drs. 551/04, BR-Drs. 551/02/04 und schließlich BT-Drs. 16/1030, S. 5, 7. Vgl. ebenso die Entwürfe aus dem Schrifttum, so bspw. Meyer, ZStW 2003, 249 (287), der sich für ein reines Tätigkeitsdelikt ausspricht; vgl. auch Nack, Stellungnahme, S. 3, der zumindest für das milde Stalking einen eigenen Absatz mit der Deliktsstruktur eines Absichtsdelikts favorisiert; vgl. ferner auch Vander, KritV 2006, 81 (94); Wagner, FPR 2006, 208 (211). Zur Deliktsstruktur der Gefährdungsdelikte allgemein Ostendorf, JuS 1966, 426 (426 ff.). 786 Vgl. zu diesem Aspekt Löhr, Notwendigkeit, S. 338 f.; Sadtler, Stalking, S. 321. 787 Vgl. Sadtler, Stalking, S. 321; ferner auch Löhr, Notwendigkeit, S. 338 f. 788 Vgl. Kinzig/Zander, JA 2007, 481 (484); Sadtler, Stalking, S. 321; Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1034); Löhr, Notwendigkeit, S. 339; noch vor Einführung des § 238 StGB Meyer, ZStW 2003, 249 (285), Wagner, FPR 2006, 208 (211); sowie Smischek, Stalking, S. 341. 789 Vgl. Löhr, Notwendigkeit, S. 344 f.

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greife der Opferschutz nicht zuletzt mangels Versuchsstrafbarkeit erst dann ein, wenn das Opfer schwerwiegend beeinträchtigt sei – also in der Regel am Ende der Eskalationsspirale.790 Gegen eine Ausgestaltung als Erfolgs- und für eine Ausgestaltung als Eignungsdelikt führt Mitsch darüber hinaus an, dass nahezu sämtliche spezifischen Folgen des Nachstellungsverhaltens im Rahmen des § 46 Abs. 2 StGB bei der Strafzumessung berücksichtigt werden könnten ohne dabei dem Verdikt der Doppelverwertung nach § 46 Abs. 3 StGB anheim zu fallen.791 (b) Stellungnahme Der Kritik an der Ausgestaltung des § 238 StGB ist insoweit zuzustimmen, als sich etwaige Kausalitäts- und Zurechnungsfragen, wie diese beispielsweise im Rahmen eines Erfolgsdelikts auftauchen, im Rahmen eines Eignungsdelikts792 nicht in derselben Weise stellen. Wäre § 238 Abs. 1 StGB als Eignungsdelikt ausgestaltet, müsste lediglich festgestellt werden, ob das Verhalten des Täters abstrakt geeignet ist, (bspw.) eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung bei dem Betroffenen hervorzurufen. Wann von solch einer Eignung auszugehen ist, könnte dabei anhand eines objektiven Maßstabs, bspw. einer vernünftigen dritten Person zu bestimmen sein. In den Vereinigten Staaten von Amerika hat man diese Überlegungen bei der Schaffung des Model Stalking Code 2007 bereits zugrunde gelegt und sich die entsprechenden Vorteile zu Nutze gemacht.793 Der Vorgänger des Model Stalking Code 2007 aus dem Jahr 1993, der Model Anti-Stalking Code, war dagegen als Erfolgsdelikt ausgestaltet,794 wobei nicht zuletzt das Erfordernis des tatsächlichen Eintritts eines Taterfolgs als großes Hindernis für eine effektive Strafverfolgung ausgemacht wurde.795 Allerdings lassen sich auch Argumente gegen eine Ausgestaltung des Nachstellungstatbestands als Eignungsdelikt finden. Zwar könnte mithilfe eines ent790

So Sadtler, Stalking, S. 321 mit weiteren Nachweisen. Siehe hierzu Mitsch, NJW 2007, 1237 (1240); diesen Aspekt greift auch Sadtler, Stalking, S. 321 auf. 792 Als spezielle Ausformung der abstrakten Gefährdungsdelikte, siehe ausführlich zum Deliktstypus eines Eignungsdelikten Hoyer, Die Eignungsdelikte, S. 18 ff. 793 National Center for Victims of Crime, The Model Stalking Code Revisited – Responding to the New Realities of Stalking, Washington 2007, S. 24 f. 794 National Criminal Justice Association, Project to Develop a Model Anti-Stalking Code for States, Washington, D.C.: U.S. Department of Justice, National Institute of Justice, October 1993, abrufbar auch im Internet unter www.ncjrs.gov/pdffiles/stlk book.pdf (Appendix B). Siehe auch Tjaden, European Journal on Criminal Policy and Research 2009, 261 (266 f.); vgl. ferner Kapley/Cooke, Trends in Antistalking Legislation, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 141 (143 f.). 795 Vgl. Bromley/Garcia, Stalking Laws, in: Fisher/Lab (Hrsg.), Encyclopedia of Victomology and Crime Prevention, S. 906 (908); Patton, Rutgers Law Journal 1994, 465 (505). 791

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sprechenden Eignungsdelikts gewährleistet werden, dass der Unrechtsgehalt des mit Strafe zu bewehrenden Verhaltens aufgrund des generalisierenden Maßstabes – zu denken ist an die Person eines vernünftigen Dritten – objektiviert und zugleich von einigem Gewicht sein muss. Andererseits könnte aber mithilfe eines solchen Eignungsdelikts nicht mehr dasjenige Opfer geschützt werden, welches sehr sensibel ist und damit den Maßstab einer vernünftigen dritten Person unterschreitet. Der Täter könnte demnach unbehelligt die Hypersensibilität des Opfers ausnutzen ohne dabei Gefahr zu laufen, strafrechtlich belangt zu werden, da er mit seinem Verhalten bewusst unterhalb der Schwelle bliebe, nach der eine vernünftige dritte Person eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung erleiden würde. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass auch § 238 Abs. 1 StGB entsprechend seiner Auslegung in Rechtsprechung und Schrifttum nicht dem Schutz eines hypersensiblen Opfers dienen soll.796 Trotz der verschiedenen Argumente, die vorliegend für die Ausgestaltung als Eignungsdelikts sprechen, bestehen gegen eine solche Deliktsform im Falle der Strafbewehrung von Stalking jedoch dogmatische Bedenken. Anknüpfungspunkt für eine Pönalisierung von Verhalten bildet im Rahmen von Eignungsdelikten797 regelmäßig die generelle Gefährlichkeit einer Handlung, ohne dass es im Einzelfall zu einem tatsächlichen Eintritt der Gefahr gekommen sein muss.798 Strafgrund ist somit nicht die tatsächliche Beeinträchtigung oder Verletzung eines Rechtsguts, sondern bereits dessen bloße und generell mit der Handlung einhergehende Möglichkeit. Es handelt sich demnach um eine Vorverlagerung der Strafbarkeit, die jedoch nicht zuletzt aus Gründen des Übermaßverbotes und des Schuldgrundsatzes nur dann legitimierbar erscheint, wenn eine generelle Gefährlichkeit bzw. eine ex ante zu beurteilende Eignung des Verhaltens in Bezug auf die Beeinträchtigung eines besonders schützenswerten Rechtsguts besteht.799 Vor diesem Hintergrund erscheint fraglich, ob die Nachstellungshandlungen eine generelle Gefährlichkeit in Bezug auf die uneingeschränkte Ausübung der Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit darstellen. Gegen eine solche generelle Gefährlichkeit spricht zunächst, dass es sich bei manchen Nachstel796 Zumindest gibt dies der BGH vor, siehe nur BGHSt 54, 189 (197) mit Verweis auf die entsprechende Literatur. 797 Als spezielle Ausformung der abstrakten Gefährdungsdelikte, siehe ausführlich zum Deliktstypus eines Eignungsdelikten Hoyer, Die Eignungsdelikte, S. 18 ff. 798 Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 10 Rn. 123 und § 11 Rn. 146 ff.; S/S-Lenckner/ Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 129. 799 Vgl. hierzu Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 11 Rn. 146 ff.; Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (91 ff.); ausführlich zu dem Deliktstypus Hoyer, Die Eignungsdelikte, S. 18 ff. Zu den abstrakten Gefährdungsdelikten als weitestgehende Vorverlagerung eines strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes siehe Ostendorf, JuS 1982, 426 (426); Kuhlen, ZStW 1993, 697 (771 f.); kritisch zum Typus der abstrakten Gefährdungsdelikte Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 96 ff.; ausführlich hierzu Wohlers, Deliktstypen, S. 287 ff.; Schmidt, Untersuchungen zur Dogmatik, S. 11 ff.

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lungshandlungen – bspw. dem Aufsuchen räumlicher Nähe oder dem Versenden von Grußkarten i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 StGB – bei isolierter Betrachtung um Verhalten handelt, das generell nicht strafwürdig ist. Darüber hinaus hängt die mit dem Nachstellungsverhalten einhergehende Gefährlichkeit in Bezug auf die Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit aufgrund des psychischen Moments der Auswirkungen sehr stark von der psychischen Konstitution des Opfers ab.800 Während sich eine sensible Person schon durch wenige Kontaktaufnahmen durch den Täter bedroht fühlen mag, empfindet eine konstitutionell gefestigte Person ein gleichartiges Verhalten dagegen lediglich als belästigend, aber noch als im Rahmen gesellschaftlich akzeptierten Verhaltens. Auch der Tatbestand des § 238 Abs. 1 StGB unterliegt demnach dem stalkingspezifischen sog. initialen Schwellenproblem801. Aufgrund dieses individuellen und von Betroffenen zu Betroffenen zum Teil deutlich unterschiedlich ausgeprägten subjektiven, aber für die Strafbarkeit des Nachstellens erheblichen Moments,802 verbietet es sich, insbesondere im Bereich des milden Stalking von einer generellen Gefährlichkeit des Verhaltens auszugehen. Die Ausgestaltung eines Straftatbestandes zum Schutz vor Stalking als Erfolgsdelikt ist aus dieser Sicht – zumindest im Grundsatz – zu begrüßen.803 (c) Kritik hinsichtlich des konkreten Erfolgserfordernisses Auch das Erfordernis einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung hat in der Literatur Kritik erfahren. Die kritischen Stimmen richten sich dabei zum einen gegen den unbestimmten Wortlaut des Taterfolgserfordernisses und zum anderen dagegen, dass dieses Erfordernis einer objektivierbaren i. S. e. objektiv zu Tage tretenden Auswirkung eine überflüssige Konstruktion sei, die den Opferschutz unnötig verkürze. (aa) Unbestimmtheit des Taterfolgs In der Kritik steht die gesetzgeberische Formulierung des Taterfolgs des Nachstellungstatbestandes, die mithin als zu unbestimmt angesehen wird und dadurch 800 Voß/Hoffmann, Zur Phänomenologie und Psychologie des Stalking, in: Hoffmann/Voß (Hrsg.), Psychologie des Stalking, S. 9 (22); darauf eingehend Löhr, Notwendigkeit, S. 341. 801 Siehe hierzu Voß/Hoffmann, Zur Phänomenologie und Psychologie des Stalking, in: Hoffmann/Voß (Hrsg.), Psychologie des Stalking, S. 9 (22); Löhr, Notwendigkeit, S. 341. 802 Steinberg, JZ 2006, 30 (32 f.) spricht in diesem Zusammenhang von der psychischen Typizität. 803 Ebenfalls kritisch zu einer Ausgestaltung als Gefährdungsdelikt Smischek, Stalking, S. 333 f.; Kühl, Stellungnahme, S. 6 f.; Gazeas, KJ 2006, 247 (253); Sadtler, Stalking, S. 321; befürwortend dagegen Meyer, ZStW 2003, 249; Mitsch, NJW 2007, 1237 (1240).

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Schwierigkeiten in Hinblick auf die Auslegung der Norm bereite.804 Bereits das Tatbestandsmerkmal der Lebensgestaltung sei zu unbestimmt805 und begrifflich kaum fassbar.806 Da sich ein Rückgriff auf die Erkenntnisse des ähnlich lautenden Taterfolgs i. R. d. § 201a Abs. 1 StGB aufgrund struktureller Unterschiede verbiete,807 bliebe lediglich die Möglichkeit eines Anknüpfens an den Schutzbereich der freien Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG, der einen grundrechtlichen Auffangtatbestand darstelle808. Angesichts dessen sei es mehr als fraglich, ob der Taterfolg mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar sei.809 Auch wenn es gelänge, den Terminus der Lebensgestaltung zu präzisieren, verbliebe dem Richter bei der Auslegung des weiten Tatbestandsmerkmals immer noch ein erheblicher Beurteilungsspielraum.810 Selbst die Einschränkung, dass es sich um eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung handeln muss, vermag manchen Stimmen in der Literatur zufolge dem Taterfolgserfordernis diese Vagheit nicht zu nehmen.811 Zwar sei unverkennbar, dass der Begriff schwerwiegend zum Ausdruck bringen soll, dass nicht jedwede, sondern nur eine gravierende und über dem Durchschnitt liegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung als Taterfolg infrage kommen.812 Wo aber genau das Maß liegen soll, ab dem von einer schwerwiegenden Beeinträchtigung gesprochen werden könne, sei selbst der immer wieder hierfür angeführten Gesetzesbegründung813 nicht zu entnehmen.814 Der Gesetzesbegründung zufolge müsste eigentlich zunächst das Maß üblicher und noch hinzunehmender Beeinträchtigung

804 Vgl. die Kritik bei Steinberg, JZ 2006, 30 (32 f.); S/S-Eisele, § 238 Rn. 29; Mitsch, NStZ 2010, 513 (514); Rackow, GA 2008, 552 (561); Eiden, ZIS 2008, 123 (127). 805 Vgl. die Kritik bei Mitsch, NStZ 2010, 513 (514); Steinberg, JZ 2006, 30 (32 f.); Rackow, GA 2008, 552 (561). 806 Vgl. Steinberg, JZ 2006, 30 (32 f.); recht deutlich Eiden, ZIS 2008, 123 (127): „uferlos weit“. 807 Vgl. Gazeas, JR 2007, 497 (503); Kinzig/Zander, JA 2007, 481 (484); vgl. ferner Sadtler, Stalking, S. 319 f.; Lackner/Kühl, § 238 Rn. 2; Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 224; Fischer, StGB, § 238 Rn. 2. 808 Vgl. zu dieser Möglichkeit Steinberg, JZ 2006, 30 (32); Löhr, Notwendigkeit, S. 339; Eiden, ZIS 2008, 123 (127). 809 Steinberg, JZ 2006, 30 (32); Eiden, ZIS 2008, 123 (127). 810 Vgl. hierzu Mitsch, NStZ 2010, 513 (514); vgl. ferner Löhr, Notwendigkeit, S. 341; Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 225 f. Nach Auswertung einiger erstinstanzlicher Urteile spricht NK-StGB/Sonnen, § 238 Rn. 48 in diesem Zusammenhang von einem schmalen Grat zwischen Freispruch und Verurteilung. 811 Kritisch Mitsch, NStZ 2010, 513 (514); Kinzig/Zander, JA 2007, 481 (484). 812 Vgl. Mitsch, NStZ 2010, 513 (514); ähnlich Rackow, 2008, 552 (561 f.). 813 Vgl. BT-Drs. 16/3641, S. 14. 814 Löhr, Notwendigkeit, S. 340; Rackow, GA 2008, 552 (561) merkt an, dass bei der Formulierung des Gesetzgebers lediglich die Begriffe schwerwiegend und erheblich ausgetauscht werden würden.

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– wo immer dieses auch liege – bestimmt werden, um dann zu prüfen, ob die konkreten Auswirkungen erheblich darüber hinausgingen.815 (bb) Stellungnahme Der Gesetzgeber hat mit dem Begriff der Lebensgestaltung ein sehr weites Tatbestandsmerkmal in den § 238 Abs. 1 StGB eingebracht, das lediglich durch das Erfordernis einer schwerwiegenden Beeinträchtigung eingeschränkt wird. Trotz dieser Einschränkung, die letztlich nur eine Begrenzung in quantitativer Hinsicht beschreibt, bleibt unklar, welcher Bereich der Lebensgestaltung in dieser Art und Weise überhaupt nach der Ansicht des Gesetzgebers im Rahmen des § 238 Abs. 1 StGB geschützt werden soll. Um dies zu ermitteln, ist zunächst der Terminus der Lebensgestaltung näher zu untersuchen. Allgemein ist unter dem Begriff der Lebensgestaltung die Lebensführung, die Lebensgewohnheit und die Lebensweise zu verstehen,816 also jedes Handeln, Dulden und Unterlassen, das die individuelle Gestaltung des Lebens betrifft. Ausschlaggebend ist dabei nicht jegliches Verhalten, das mit der Lebensführung des Opfers in Zusammenhang steht, sondern nur solches, das auf die Lebensführung und den Lebensstil nicht nur in punktueller Hinsicht Einfluss hat. Dies macht deutlich, dass es eines gewissen zeitlichen Umfangs bedarf. Eine Einschränkung auf einen räumlich umgrenzten Bereich, etwa der Privatsphäre wie sie im Rahmen des § 201a StGB (auch) geschützt wird,817 kommt nicht Betracht, da sonst die Bestimmung des § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB leer laufen würde. Eine Konkretisierung des Merkmals der Lebensgestaltung i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB lässt sich folglich auch nicht mittels Wortlautauslegung erreichen. An diesem recht vagen Erkenntnisgewinn ändert sich auch nichts, wenn man im Rahmen der Auslegung das Schutzgut des Nachstellungstatbestandes – namentlich die Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit – berücksichtigt. Hierdurch wird lediglich die Art und Weise der negativen Beeinträchtigung der Lebensführung verdeutlicht. Die Verletzung der Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers ist eine Vorausbedingung für den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs; dies gilt unabhängig davon, ob beide Ereignisse zeitlich zusammenfallen. Die Beeinträchtigung der Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers ist demnach die notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für den Taterfolg. Da der Tatbestand der Nachstellung darüber hinaus in Bezug auf einzelne Verhaltensweisen in § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB keine körperliche Zwangseinwirkung vorsieht, handelt es sich demnach um eine psychische Einwirkung des 815

So der – wohl nicht ganz ernst gemeinte – Vorschlag von Rackow, GA 2008, 552

(561). 816 Siehe Müller (Hrsg.), Duden, Band 8: Die sinn- und sachverwandten Wörter, S. 417. 817 Vgl. S/S-Lenckner/Eisele, § 201a Rn. 2.

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Täters auf die freie Lebensgestaltung des Opfers, das aufgrund dieser bedrängenden Einflussnahme des Täters nicht mehr so selbstbestimmt und „unbefangen“ 818 entscheiden und agieren kann wie zuvor. Diese Art und Weise der Einwirkung stellt jedoch keine Konkretisierungshilfe in Bezug auf die Auslegung des Begriffs der Lebensgestaltung dar. Grundsätzlich kommt demnach weiterhin jeder Bereich der Lebensführung des Opfers in Betracht, der von einem gewissen zeitlichen Ausmaß und nicht nur punktueller Relevanz ist. Hinzukommen muss nach dem Gesetzeswortlaut, dass es sich um eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung handelt. Da jedoch bereits der Bereich dessen unklar bleibt, was genau unter Lebensgestaltung fällt, ist es schwer zu beurteilen, welche Veränderung als schwerwiegend zu betrachten ist. Die Bestimmung, welches unfreiwillige Verhalten des Opfers als schwerwiegende negative Veränderung der Lebensgestaltung anzusehen ist, bleibt damit richterlicher Dezision überlassen. Den kritischen Stimmen innerhalb der Literatur ist somit darin zuzustimmen, dass es sich bei der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung um ein äußerst unbestimmtes Taterfolgserfordernis handelt. Vergegenwärtigt man sich die Ausführungen des Gesetzgebers im Rahmen der Gesetzgebungsmaterialien819, gewinnt man darüber hinaus den Eindruck, dass der Gesetzgeber bewusst auf eine Qualifizierung des Lebensbereiches verzichtet hat, um angesichts der vom ihm selbst konstatierten vielfältigen Auswirkungen des Stalking820 nicht gezwungen zu sein, den Taterfolg auf einen bestimmten Bereich festzulegen und darauf zu beschränken. Letztlich ermöglicht der das gesamte Spektrum der Lebensführung abdeckende Terminus der Lebensgestaltung, sämtliche Gewohnheiten, Verhaltensweisen, und Gebräuche des Opfers als mögliche Bereiche für eine negative Veränderung miteinzubeziehen. 821 (cc) Verkürzung des Opferschutzes Weiter wird von den kritischen Stimmen innerhalb der Literatur vorgebracht, das Erfordernis einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung verkürze den Schutzumfang des Nachstellungstatbestandes erheblich.822 Ange818

BT-Drs. 16/575, S. 8. Siehe hierzu BT-Drs. 16/575, S. 7 ff.; BT-Drs. 16/3641, S. 14 ff. 820 Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 6: „Neben Auswirkungen auf die Psyche der Opfer, die häufig unter Angstzuständen, Schlaflosigkeit, Nervosität und Depressionen leiden, führt die systematische Nachstellung in vielen Fällen zu einschneidenden Verhaltensänderungen der Betroffenen. Opfer schränken ihre sozialen Kontakte ein, meiden bestimmte Orte, treffen Sicherungsvorkehrungen für sich und nahestehende Personen und wechseln im Extremfall Wohnung und Arbeitsplatz, um dem Verfolger zu entgehen.“ 821 Ähnlich hierzu auch Löhr, Notwendigkeit, S. 339. 822 Siehe hierzu Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1034); Seher, JZ 2010, 582 (583 f.); Mrosk, NJ 2009, 416 (419). 819

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sichts der vom Gesetzgeber intendierten und von der Rechtsprechung weitestgehend befolgten restriktiven Auslegung des Taterfolgs sowie der mangelnden Versuchsstrafbarkeit beschreiben manche Stimmen in der Literatur den Taterfolg als das „subsumtionstechnische Nadelöhr“ des § 238 Abs. 1 StGB.823 Es wird beanstandet, dass der strafrechtliche Schutz des § 238 Abs. 1 StGB recht spät einsetze.824 Mangels Versuchsstrafbarkeit könne der Täter solange unbehelligt agieren wie eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Opfers nicht nachzuweisen sei.825 Auf diese Weise schütze der Nachstellungstatbestand weder denjenigen, der den massiven Nachstellungshandlungen standhalte und seine Lebensgestaltung nicht verändere, noch denjenigen, der unmittelbar nach der ersten nachstellungstypischen Handlung sein Leben umstelle.826 Genau dieses Ergebnis wird jedoch von anderen Stimmen begrüßt, denn der Nachstellungstatbestand schütze auf diese Weise weder Überängstliche noch besonders Hartgesottene, die sich durch das Nachstellen nicht beeindrucken ließen.827 Neubacher/Seher zufolge ist das Erfolgserfordernis an sich schon ungeeignet, in Bezug auf das Schutzgut des Nachstellungstatbestandes einen adäquaten Opferschutz zu gewährleisten.828 Sie berufen sich dabei auf Studien, nach denen die primären Belastungen vor allem psychischer Art sind.829 Diese stalkingtypischen psychischen Belastungen seien es, die in ihrer Massierung das Schutzgut des Nachstellungstatbestandes – Neubacher/Seher zufolge die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit – beeinträchtigen.830 Danach genüge für eine Verletzung des Schutzgutes, dass das Opfer durch die Nachstellungshandlungen des Täters in seiner bisherigen Lebensgestaltung negativ beeinflusst werde.831 Dies könne bereits dadurch geschehen, dass dem Opfer die Bewältigung seines Alltags erheblich erschwert wird, indem das Opfer bspw. seinen gewohnten Tätigkeiten nur noch mit großer Mühe und enormer Standhaftigkeit nachkommen kann. Um das Opfer hiervor zu schützen, sei es jedoch verfehlt, erst auf das tatsächliche Um823 So Peters, NStZ 2009, 238 (241); Krüger, NStZ 2010, 546 (551); ders., FPR 2011, 219 (222). 824 Vgl. S/S-Eisele, § 238 Rn. 29; Mrosk, NJ 2009, 416 (419); Dessecker, FS Maiwald, S. 103 (110 f.). 825 Vgl. Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1034). 826 Vgl. S/S-Eisele, § 238 Rn. 29; Dessecker, FS Maiwald, S. 103 (111); Seher, JZ 2010, 582 (583). 827 So Mitsch, NJW 2007, 1237 (1240); Mosbacher, NStZ 2007, 665 (667); SKStGB/Wolters, § 238 Rn. 2; Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 225; diese Aussage übernimmt auch – unreflektiert – der 3. Strafsenat des BGH in BGHSt 54, 189 (197). 828 Siehe Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1034 f.); nunmehr auch Seher, JZ 2010, 582 (583). 829 Siehe Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1034); nunmehr auch Seher, JZ 2010, 582 (583). 830 Seher, JZ 2010, 582 (583); vgl. auch Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1034). 831 Seher, JZ 2010, 582 (583); vgl. auch Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1034).

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stellen der Verhaltensweisen des Opfers abzustellen.832 Die vom Opfer infolge der Nachstellungshandlungen vorgenommenen unfreiwilligen Veränderungen der Lebensgestaltung seien lediglich eine sekundäre Folge des Stalking, auf deren Art und Weise der Täter in der Regel zudem keinen konkreten Einfluss habe.833 Hierdurch würden sich auch Schwierigkeiten in Bezug auf die objektive Zurechnung ergeben.834 (dd) Stellungnahme Die Kritik aus dem Schrifttum, der Opferschutz werde durch das Erfordernis einer schwerwiegenden tatsächlichen Veränderung seiner Lebensgestaltung weit nach hinten verlagert, ist nicht unberechtigt. In der Tat neigt die Rechtsprechung dazu, das Erfolgserfordernis des Nachstellungstatbestandes dem Willen des Gesetzgebers entsprechend äußerst restriktiv auszulegen. Dies führt unzweifelhaft zu einer Verkürzung des Opferschutzes. Angesichts der vom Gesetzgeber mehrfach betonten Notwendigkeit eines verbesserten Opferschutzes835 ist dies jedoch insofern verwunderlich, als die primären Auswirkungen von Stalking nicht in der Veränderung der Lebensgestaltung liegen. Die von dem Nachstellungsverhalten Betroffenen leiden in erster Linie unter den bisweilen immensen psychischen Folgen.836 Stalkingbedingte Veränderungen in der Lebensgestaltung des Opfers, die im Regelfall als Ergebnis einer Kumulation von sog. Vermeideverhalten zu begreifen sind, stellen demnach eine aus den primären psychischen Auswirkungen resultierende sekundäre Folge des Stalking dar.837 Diesen entscheidenden Aspekt im Wirkungszusammenhang der Nachstellungshandlungen übersieht der Gesetzgeber offenbar, wenn er davon ausgeht, dass für die meisten Opfer „primäre Folge des Nachstellungen eine erzwungene Veränderung ihrer Lebensumstände“ 838 sei.839 832

Seher, JZ 2010, 582 (583); vgl. auch Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1034). Seher, JZ 2010, 582 (583); vgl. auch Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1034). 834 Vgl. Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1034 f.); Seher, JZ 2010, 582 (583). 835 Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 1; BT-Drs. 16/3641, S. 1 f. 836 Vgl. Kühner, FPR 2006, 186 (186 ff.), nach der Stalking in erster Linie „psychologische Terrorisierung“ darstellt. Hoffmann, Stalking, S. 151; Löbmann, MschrKrim 2002, 25 (29); Fiedler, Stalking, S. 33. Ausführlich zu den negativen und weitreichenden Auswirkungen eines solchen Kontrollverlustes für die menschliche Psyche siehe Logan/Walker, Trauma, Violence, & Abuse 2009, 247 (257 f.); Hoffmann, Stalking, S. 151; Löbmann, MschrKrim 2002, 25 (29); Fiedler, Stalking, S. 33. 837 Siehe zu den Lebensveränderungen als weitergehende Folge einer psychischen Beeinträchtigung Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 56 f., 144 f.; Fiedler, Stalking, S. 35; Newman/Appelbaum, Stalking: Perspectives on Victims and Management, in: Pinals (Hrsg.), Stalking, S. 107 (118 f.); Pathé/Mullen, British Journal of Psychiatry 1997, 12 (14); McGuire/Wraith, The Journal of Forensic Psychiatry 2000, 316 (324), Meloy, Criminal Behaviour and Mental Health 2007, 1 (5). 838 Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 8. 839 Richtig gesehen von Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1034). 833

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§ 3 Gesetzgeberische Reaktionen auf das Verhaltensmuster Stalking

Der Gesetzgeber hat demnach mit dem Erfordernis einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung nicht nur an eine sekundäre Folge des Stalking angeknüpft, sondern zudem an eine in der Regel innerhalb des Fallverlaufs recht spät eintretende Folge. Dadurch können sich jedoch wiederum erhebliche Schwierigkeiten nicht nur in Bezug auf die objektive Zurechnung, sondern auch den entsprechenden Vorsatz des Täters ergeben. Das i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB tatbestandliche Nachstellen stellt in erster Linie eine psychische Beeinflussung des Opfers dar, bei der es für den tatsächlichen Eintritt des tatbestandlichen Erfolges eines Verhaltens des Opfers als Ausdruck seiner psychischen Reaktion auf das Nachstellungsverhalten bedarf. Dies wirft zum einen die Frage auf, ob das die schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung bedingende Verhalten des Opfer wirklich eine dem Täter zurechenbare Folge des Nachstellens darstellt, mithin also auf dessen psychische Pression zurückzuführen ist oder vielmehr ein (noch) eigenverantwortliches Verhalten des Opfers darstellt. Im letzteren Fall könnte die schwerwiegende Veränderung in der Lebensgestaltung des Opfers dem Täter nicht zugerechnet werden, der Täter bliebe straflos. Ebenso straflos bliebe das Täterverhalten dann, wenn der Täter nicht einmal mit der Möglichkeit des (konkreten) Erfolgs gerechnet hat, vielleicht weil er die Reaktion des Opfers nicht dergestalt antizipiert hat. Fraglich ist jedoch, welche Gründe dafür sprechen, eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung zu verlangen. Angesichts der Schwierigkeiten des Nachweises psychischer Beeinträchtigungen ist zunächst zu bedenken, dass ein Anknüpfen an einen objektiv zu Tage tretenden Erfolg die Nachweisbarkeit und Standardisierung des tatsächlichen Erfolgseintritts erheblich vereinfacht. Jedoch kann dieser Aspekt nicht der alleinige Grund für den Gesetzgeber gewesen sein, da sonst jegliche zutage tretende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung genügt hätte und der Gesetzgeber sich die Kritik um die Forderung nach einer schwerwiegenden Beeinträchtigung hätte ersparen können.840 Der einzig verbleibende plausible Grund für eine solche Ausgestaltung des Taterfolges könnte darin liegen, dass der Gesetzgeber nicht an jegliche, sondern nur an solche Auswirkungen anknüpfen wollte, die nach seiner Auffassung die Strafbarkeit indizieren. Betrachtet man die Gesetzgebungsmaterialien zu § 238 StGB, so fällt auf, dass der Gesetzgeber stets bemüht ist, gerade wegen der in § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB normierten Verhaltensweisen, die „grundsätzlich sozialadäquates Verhalten“ umschrieben,841 innerhalb des § 238 Abs. 1 StGB das strafwürdige Verhalten von nicht strafwürdigem Verhalten zu unterscheiden. Dies zeigt sich besonders eindrucksvoll an Passagen der Gesetzesbegründung, die nunmehr auch der 840 Der ursprüngliche Gesetzentwurf der Bundesregierung sah sogar noch das zusätzliche Erfordernis einer unzumutbaren Beeinträchtigung vor, vgl. BT-Drs. 16/575, S. 6, 8. 841 So der Gesetzgeber in BT-Drs. 16/575, S. 7.

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BGH842 übernommen hat: „Erfasst werden damit im konkreten Kontext ins Gewicht fallende, gravierende und ernst zu nehmende Beeinträchtigungen, die über durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende und zumutbare Beeinträchtigungen erheblich und objektivierbar hinausgehen.“ 843 Objektivierbar meint dabei – dies wird angesichts der Gesetzesmaterialien deutlich, die sich auch bisweilen in der Rechtsprechung wiederfinden844 – lediglich die Notwendigkeit, dass die Auswirkungen offen zutage treten und im weiteren Sinne äußere Gestalt annehmen.845 Dies macht insofern Sinn, als sie nur auf diese Weise nachvollziehbar, messbar und ohne Weiteres dem konkreten Nach- und Beweis zugänglich sind. Eine Objektivierung des Taterfolges im Sinne einer von individuell-subjektiven Aspekten weitgehend unabhängigen und in Ansehung der Tathandlung unter standardisierbaren Vorzeichen zu bestimmenden Folge fordern Gesetzgeber und Rechtsprechung jedoch nicht. Sie verlangen lediglich, dass die Beurteilung, ob die Beeinträchtigung eine schwerwiegende darstellt, nicht insoweit auf individuelle Gepflogenheiten gestützt werden soll, als das Opfer meint, schwerwiegend beeinträchtigt zu sein. Zur Bestimmung einer schwerwiegenden Beeinträchtigung sei vielmehr auf allgemein übliche Maßstäbe abzustellen, sofern sich das sonstige Verhalten des Opfers nicht „mit dem allgemein üblichen täglichen – und nicht von Nachstellungen geprägten – Verhalten weiter Teile der Bevölkerung“ 846 decke.847 Diese Objektivierung bezieht sich aber erkennbar nur auf den Grad der Auswirkung, nicht jedoch auf die Frage, ob das Opfer das Täterverhalten auch unter standardisierbar objektiven Vorzeichen zum Anlass für seine Reaktion, die letztlich den Taterfolg der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestal842

Siehe BGHSt 54, 189 (197). BT-Drs. 16/3641, S. 14. 844 Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 8; BGHSt 54, 189 (193); OLG Rostock OGSt StGB § 238 Nr. 1 (S. 5 f.); vgl. auch OLG Brandenburg, NStZ 2010, 519 (520). 845 Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 8: Die die Tathandlung des Nachstellens konkretisierenden Handlungen „führen nur dann zur Strafbarkeit, wenn sie zu objektivierbaren Beeinträchtigungen geführt haben“. Daher sind nach OLG Rostock OLGSt StGB § 238 Nr. 1 lediglich subjektiv empfundene körperliche Reaktionen kein Ausdruck einer Änderung der Lebensgestaltung, da es sich hierbei um eine rein subjektive Einschätzung handele, die nicht weiter objektiviert worden – also messbar zutage getreten – ist. Siehe auch OLG Brandenburg, NStZ 2010, 519 (520). 846 So der Beschluss des OLG Rostock vom 27.05.2009, abgedruckt in OLGSt StGB § 238 Nr. 1 (S. 5 f.). 847 Demnach sind Änderungen innerhalb der Lebensgestaltung des Opfers nicht als schwerwiegend anzusehen, wenn sie sich mit dem Verhalten weiter Teile der Bevölkerung decken, siehe hierzu OLG Rostock OGSt StGB § 238 Nr. 1 (S. 5 f.). In diesem Fall ging es um das Verschließen des Hoftores und der Haustüre, das das Opfer – offensichtlich im besonderen Vertrauen auf seine Umwelt in einem dörflich geprägten Wohngebiet – erst als Reaktion auf die Nachstellungshandlungen vornahm. Nach dem AG Löbau, StV 2008, 646 (647) liegt eine schwerwiegende Beeinträchtigung nur dann vor, „wenn es zu unzumutbaren über das normale Maß hinausgehende negative Veränderungen in den Lebensverhältnissen einer Person kommt“. 843

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tung herbeiführt, nehmen durfte. Die konsequente Mahnung des Gesetzgebers und der Rechtsprechung848 zu einer restriktiven Auslegung des Taterfolgs dient demnach in erster Linie dem Zweck, Unsicherheiten in der Bestimmung der Strafbarkeitsschwelle auszugleichen.849 Allerdings greift der dabei offenbar gezogene (Erst-Recht-)Schluss, der Grad an negativer Veränderung der Lebensgestaltung ermögliche objektivierbare und handfeste Aussagen über die Beeinträchtigung des Opfers und lasse so Rückschlüsse auf den Unrechtsgehalt und die Strafwürdigkeit gerade auch des beeinträchtigenden Verhaltens zu, zu kurz. Grund hierfür ist das dem Stalking immanente sog. initiale Schwellenproblem850, das einer für die Beurteilung der Strafbarkeitsschwelle notwendigen Standardisierbarkeit entgegensteht. Dieses Schwellenproblem lässt sich nicht umgehen, indem man nur auf die zutage tretenden greifbaren Auswirkungen des Stalking abstellt, auch wenn diese eine in der Regel innerhalb des Stalking-Verlaufs recht spät eintretende Folge darstellen. Letztlich handelt es sich bei der tatbestandlichen Beeinträchtigung der Lebensgestaltung in Wirklichkeit um psychisch bedingte Schutz- bzw. Kompensationsmaßnahmen des Opfers in Reaktion auf das Verhalten des Täters.851 In dem Opferverhalten spiegelt sich also regelmäßig die Beeinträchtigung seiner psychischen Integrität wieder. Die Beeinträchtigung der Lebensgestaltung stellt demnach eine „Verlängerung“ der psychischen Beeinträchtigung dar, ist also gleichsam deren objektives Abbild. Daher können aus der Schwere der psychisch bedingten Opferreaktion nicht zugleich Rückschlüsse auf die Schwere des Handlungsunrechts des Täters gezogen werden. Dies lässt sich anhand eines Beispiels verdeutlichen: Bereits wenige und bisweilen eher 848

Siehe hierzu BGHSt 54, 189 (197) m.w. N. Dies wird schon daran deutlich, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 16/575, S. 8), der noch eine schwerwiegende und unzumutbare Beeinträchtigung der Lebensgestaltung vorsah, zugleich verlangte, dass „eine Interessenabwägung und eine Abgrenzung der Freiheitssphären von Täter und Opfer vorzunehmen [ist], die schon deshalb erforderlich ist, weil die in den Nummern 1 und 2 des Tatbestands enthaltenen Handlungsalternativen als einzelne Handlungen sozialadäquat sind.“ Aufgrund der Streichung des Merkmals unzumutbar durch den Rechtsausschuss (siehe hierzu BTDrs. 16/3641, S. 14) mit dem Argument, es sei nicht erkennbar, „welche Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers zwar schwerwiegend, aber nicht unzumutbar sein könnte und umgekehrt“ und beide Merkmale „Vergleichbares beschreiben“ würden, ruht nun nahezu das gesamte Gewicht zur Abgrenzung strafbaren von nicht strafbaren Verhaltens auf dem Merkmal schwerwiegend. 850 Siehe hierzu Voß/Hoffmann, Zur Phänomenologie und Psychologie des Stalking, in: Hoffmann/Voß (Hrsg.), Psychologie des Stalking, S. 9 (22); Löhr, Notwendigkeit, S. 341. 851 Diesen Schluss lassen zumindest Forschungsergebnisse zu, die Änderungen in der Lebensgestaltung des Opfers als eine im Stalkingverlauf spät einsetzende Folge der Nachstellungshandlungen einordnen, vgl. hierzu Kühner/Weiß, Gesundheitliche Folgen und Möglichkeiten der Therapie für Stalking-Opfer, in: Dreßing/Kühner/Gass, Stalking, S. 79 (83 ff.). 849

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harmlos wirkende Nachstellungshandlungen wie etwa das Versenden von Blumen können auf einen schreckhaften und sensiblen Adressaten derart bedrohlich wirken und ihn in Panik versetzen, dass er sich gezwungen sieht, seine Lebensgewohnheiten erheblich umzustellen, um jeglicher Konfrontation mit dem Täter auf diese Weise zu entgehen.852 Demnach hat der Gesetzgeber mit dem Erfolgserfordernis einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung lediglich an eine objektive – i. S. e. die äußere Gestalt annehmende und messbare – Auswirkung angeknüpft. Dem Nachstellungstatbestand wohnt damit jedoch nicht zugleich eine objektivierte – i. S. e. unter standardisierbaren Vorzeichen zu bestimmende – Beurteilungsgrundlage in Hinblick auf die strafrechtliche Relevanz des Verhaltens inne.853 Der Aussage, der Tatbestand schütze weder Überängstliche noch besonders Hartgesottene, die sich durch das Nachstellen nicht beeindrucken ließen,854 kann daher nur zu einem Teil gefolgt werden. Denn nach der von Gesetzgeber sowie Rechtsprechung und überwiegenden Teilen des Schrifttums bevorzugten Lesart schützt der Tatbestand angesichts des weitgehend anhand individueller Besonderheiten des Opfers zu bestimmenden Taterfolgs und der schwachen, da äußerst unbestimmten Anforderungen an den Unrechtsgehalt der Tathandlung, letztlich auch solche Opfer, die in Anbetracht der konkreten Tathandlung überreagieren, nicht jedoch diejenigen, die dem Nachstellungen standhalten. Dass der Straftatbestand der Nachstellung dem Gesetzgeber und der Rechtsprechung zufolge keinen Schutz für besonders Hartgesottene bieten soll, stößt bei Neubacher/Seher auf Kritik.855 Dieser Kritik ist zuzugestehen, dass es nicht überzeugen mag, warum derjenige nicht (auch) schutzwürdig ist, der den Nachstellungshandlungen zumindest objektiv betrachtet standhält. Gerade bei Stalking können die psychischen Belastungen auch in sog. posttraumatischen Belastungsstörungen zum Ausdruck kommen, ohne dass das Opfer sein Verhalten infolge der Nachstellungshandlungen gravierend umstellt. Schließlich ist auch die Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit als Schutzgut des Nachstellungstatbestandes bereits dann verletzt, wenn das Opfer seinen Gewohnheiten infolge des Nachstellungsverhaltens nur noch mit großer Mühe nachgehen kann.856 Neu852 Vgl. hierzu Mullen/Pathé/Purcell, Australian and New Zealand of Psychiatry, 9 (15); zu finden auch bei Löhr, Notwendigkeit, S. 341. 853 Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 8: Die die Tathandlung des Nachstellens konkretisierenden Handlungen „führen nur dann zur Strafbarkeit, wenn sie zu objektivierbaren Beeinträchtigungen geführt haben“. Objektiviert in diesem Sinne meint jedoch lediglich die Notwendigkeit offen zutage tretender, also messbarer Auswirkungen. 854 Diese Formulierung verwendet erstmals Mitsch, NJW 2007 1237, (1240). Mittlerweile stellt sogar der BGH auf diese pauschale Formulierung ab, siehe hierzu BGHSt 54, 189 (197). 855 Siehe Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1034); Seher, JZ 2010, 582 (583). 856 Insoweit ist Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1034); Seher, JZ 2010, 582 (583) zuzustimmen.

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bacher/Seher ziehen daraus den Schluss, dass es im Rahmen des § 238 Abs. 1 StGB entscheidend auf den durch die Nachstellung erzeugten tatsächlichen Druck auf die Lebensgestaltung des Opfers ankommt und eine Beeinträchtigung der Lebensgestaltung nicht erst in der tatsächlichen Umstellung des Verhaltens zu sehen ist.857 Für diese Auslegung des Tatbestandes spricht, dass damit auf einen objektivierbaren i. S. e. handfesten Nachweis über die Beeinträchtigung des Schutzgutes verzichtet werden und der Tatbestand zudem auch augenscheinlich hartgesottene Betroffene schützen könnte. Zudem stellen sich bei einer solchen Auslegung keine Schwierigkeiten in Hinblick auf Fragen einer etwaigen eigenverantwortlichen Selbstschädigung des Opfers, da es grundsätzlich keines den Taterfolg bedingenden zusätzlichen Verhaltens des Opfers bedürfte.858 Gegen die Lesart von Neubacher/Seher spricht aber der Umstand, dass ein Abstellen allein auf die psychische Beeinträchtigung des Opfers enorme Nachweisschwierigkeiten mit sich bringen würde. Denn wie soll und wie kann aus Sicht des Opfers im konkreten Fall glaubhaft dargelegt werden, dass sich das Opfer schwerwiegend in seiner Lebensgestaltung beeinträchtigt fühlt. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass damit das sog. initiale Schwellenproblem bzw. die mangelnde Standardisierbarkeit psychischer Auswirkungen auf diese Weise unmittelbar Einzug in die Auslegung des Nachstellungstatbestandes erhalten. Gerade nach der Lesart von Neubacher/Seher ist der Taterfolg nahezu ausschließlich subjektiv determiniert. Angesichts der in Hinblick auf den (Verhaltens)Unrechtsgehalt äußerst vagen Anforderungen an die Tathandlung des Nachstellens würde eine solche Auslegung des Taterfolgs grundsätzliche Fragen über eine opferdefinierte Strafbarkeit aufwerfen. Das entscheidende Argument gegen die Lesart von Neubacher/Seher ist jedoch die Tatsache, dass eine völlige Individualisierung der Voraussetzungen des Taterfolgserfordernisses nur dort sinnvoll erscheint, wo damit zu rechnen ist, dass der Täter um diese individuellen Maßstäbe weiß. Dies wird in Bezug auf die psychische Konstitution des Opfers, die in Hinblick auf das für Stalking typische sog. initiale Schwellenproblem von grundlegender Bedeutung ist, angesichts der zahlreichen Faktoren, die für deren Beschaffenheit eine Rolle spielen, nur äußerst selten der Fall sein. Stellung zu nehmen ist auch zu der von einigen Stimmen in der Literatur für notwendig erachteten objektiven Korrektur des Tatbestandes. Danach sei im Rah-

857

Vgl. Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1034); Seher, JZ 2010, 582 (583). Zur Problematik der eigenverantwortlichen Selbstschädigung angesichts der Reaktion des Opfers siehe nur Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1034); dies andeutend ferner Seher, JZ 2010, 582 (583). Allgemein zur Frage der Eigenverantwortlichkeit der Selbstgefährdung siehe Roxin, Strafrecht AT, Bd. 1, § 11 Rn. 113 ff. 858

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men des § 238 Abs. 1 StGB ähnlich wie bei § 240 Abs. 1 StGB859 darauf abzustellen, ob das Opfer den Nachstellungshandlungen des Täters in besonnener Selbstbehauptung standhalten muss.860 Zu fragen sei daher, ob das Opfer angesichts seiner konkreten Situation die Nachstellungshandlungen des Täters auch bei besonnener Selbstbehauptung zum Anlass für seine Reaktion genommen hätte.861 Eine solche Auslegung des Nachstellungstatbestandes ist angesichts des sog. initialen Schwellenproblems bei Stalking und des weitgehend subjektiv determinierten Taterfolgserfordernis einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung zunächst grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings ist zu bedenken, dass eine solche Korrektur des subjektiv determinierten Taterfolgs keine Stütze innerhalb des Wortlautes des § 238 Abs. 1 StGB findet. Ferner lässt sich auch den Gesetzesmaterialien kein solcher Wille des Gesetzgebers entnehmen, eine Korrektur des Tatbestandes über die hypothetische Reaktion eines besonnenen Dritten zu verlangen. Doch noch ein weitaus gewichtigeres Argument streitet gegen eine (alleinige) Korrektur des Tatbestandes auf der Grundlage einer hypothetischen Reaktion eines besonnenen Dritten. Ein solches Vorgehen filtert nur dasjenige Verhalten aus dem Anwendungsbereich des Nachstellungstatbestandes aus, das zwar dem Wortlaut des § 238 Abs. 1 StGB unterfällt, dabei aber eine solche Beengung der Willensbildung und Willensbetätigung darstellt, durch die sich eine vernünftige Person ohnehin nicht beeinflussen ließe. Es vermag jedoch keine Antwort auf die vorrangige Frage zu geben, ob es legitim erscheint, das Nachstellungsverhalten bereits deswegen strafrechtlich zu untersagen, weil es – selbst wenn man den Maßstab eines besonnenen Dritten zugrunde legen würde – geeignet ist, die Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers zu beeinträchtigen und es auf Seiten des Opfers zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung kommt.862 Anders ausgedrückt: Ob allein die Tatsache, dass das Nachstellungsverhalten geeignet ist, die Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers zu beeinträchtigen, die (straf)rechtliche Missbilligung des Verhaltens indiziert; zumal sich das Nachstellungsverhalten auch in Handlungen erschöpfen kann, die für sich genommen eigentlich der Handlungsfreiheit des Täters unterfallen und

859 Vgl. zur dortigen objektiviert-subjektiven Auslegung des empfindlichen Übels S/S-Eser/Eisele, § 240 Rn. 9; Arzt, JZ 1984, 428 (429); BGHSt 31, 195 (201 f.). 860 Vgl. hierzu Mrosk, NJ 2009, 416 (419); Valerius, JuS 2007, 319 (323); S/S-Eisele, § 238 Rn. 30; Kraus, Zivilrechtlicher Schutz gegen Nachstellen, S. 55; Löhr, Notwendigkeit, S. 345. 861 Siehe auch Valerius, JuS 2007, 319 (323). 862 Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die Tathandlung des Nachstellens eine Vielzahl an unbestimmten Merkmalen aufweist und zudem zumindest in Hinblick auf § 238 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB auch sozialadäquate Verhaltensweisen erfasst, demnach also recht vage Anforderungen an den Unrechtsgehalt der Tathandlung gestellt werden.

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dem Opfer prinzipiell schon gar kein Anspruch zusteht, von deren Vornahme verschont zu bleiben. Diese Frage, die einer Korrektur des tatbestandlichen Anwendungsbereichs im Wege der Forderung nach einer besonnenen Selbstbehauptung notwendigerweise vorangeht, wird man erst zutreffend beantworten können, wenn man untersucht hat, wann der Täter durch sein Nachstellungsverhalten überhaupt seine rechtlich garantierte Handlungsfreiheit überschreitet und in den dem Einzelnen von der Rechtsordnung zugestandenen Bereich dessen Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit eindringt. Dass dies nicht zwangsläufig der Fall ist, sobald es auf Seiten des Opfers zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung kommt, lässt sich schon aus dem Umstand schließen, dass das Opfer bereits im Rahmen der vorstrafrechtlichen Rechtsordnung kein Recht für sich in Anspruch nehmen kann, von sämtlichem Verhalten, das dem Wortlaut des § 238 Abs. 1 StGB unterfällt, verschont zu bleiben.863 (5) Zwischenergebnis Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass es sich bei dem Terminus der Lebensgestaltung i. R. d. § 238 Abs. 1 StGB um einen äußerst unbestimmten Begriff handelt, dessen Konkretisierung nicht nur im Einzelfall durchaus Schwierigkeiten bereitet. Daran ändert letztlich auch das Erfordernis einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung wenig, da dies lediglich Auskunft darüber zu geben vermag, wie stark eine Beeinträchtigung der Lebensgestaltung sein muss, um dem Tatbestand der Nachstellung zu unterfallen. Der Nachstellungstatbestand zielt mit dem Erfordernis einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung darüber hinaus auf eine sekundäre Folge des Stalking ab, für dessen tatsächliches Vorliegen es eines entsprechenden „selbstschädigenden“ Verhaltens des Opfers in Bezug auf die eigene Lebensgestaltung bedarf. Vor diesem Hintergrund wirft die Unbestimmtheit des Erfolgserfordernisses nicht nur Fragen in Hinblick auf den nötigen Vorsatz des Täters und 863 Zu denken ist hier insbesondere an die verschiedenen Begehungsweisen im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB und den Umstand, dass die Tathandlung des Nachstellens eine Vielzahl an unbestimmten und daher recht vagen (Unrechts)Merkmalen aufweist, die u. U. letztlich über die Anforderungen an eine bloße Wiederholung des Verhaltens nicht hinausreichen. Dementsprechend sind Verhaltensweisen, die sich darin erschöpfen, dass der Täter wenige Male die räumliche Nähe zu dem Opfer in der Öffentlichkeit aufsucht, ohne es dabei anzusprechen oder ihm physisch zu nahe zu kommen, wegen eines möglichen Eingriffs in das (zivilrechtliche) allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB und demgemäß nicht mittels zivilrechtlicher Vorschriften zu untersagen. Darauf wird im Einzelnen noch einzugehen sein, siehe hierzu detaillierte Ausführungen unter § 4 B. I. 3. a). Vgl. jedoch vorab die Einschätzung von Rixecker, in MüKo-BGB/Rixecker, Anhang zu § 12, Rn. 94: „Keine rechtliche oder auch nur moralische Regel gebietet, die Augen vor anderen in der Öffentlichkeit niederzuschlagen.“

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insbesondere dessen Vorstellungen auf, sondern auch in Hinblick darauf, ob das (selbstschädigende) Verhalten des Opfers in Reaktion auf das Täterverhalten dem Täter überhaupt objektiv zurechenbar ist. Bei dem Taterfolgserfordernis der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung handelt es sich in erster Linie um psychisch bedingte Schutzbzw. Kompensationsmaßnahmen des Opfers in Reaktion auf das Täterverhalten. Die für den Taterfolg relevante Reaktion des Opfers ist also letztlich ein objektiviertes Abbild der mittels psychischer Beeinflussung durch das Nachstellungsverhalten des Täters erwirkten Verletzung seiner Willensbildung und Willensbetätigung. Zwar vermeidet es der Gesetzgeber damit, unmittelbar auf die psychische Beeinträchtigung des Opfers als die primäre Folge des Stalking abstellen zu müssen, womit naturgemäß erhöhte Nach- bzw. Beweisschwierigkeiten einhergingen. Allerdings ist zu bedenken, dass das Taterfolgserfordernis einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung – trotz der geringen Anforderungen an die Tathandlung des Nachstellens – nahezu ausschließlich anhand subjektiv-individueller Aspekte in Gestalt des konkreten Opfers zu bestimmen ist. Soweit Gesetzgeber und Rechtsprechung in Bezug auf den Nachstellungstatbestand ausführen, er erfasse „Beeinträchtigungen, die über durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende und zumutbare Beeinträchtigungen erheblich und objektivierbar hinausgehen“ 864 meint „objektivierbar“ in diesem Zusammenhang vor allem die Notwendigkeit, dass die Auswirkungen zutage treten und im weiteren Sinne äußere Gestalt annehmen müssen.865 Eine Objektivierung des Erfolg im Sinne einer von individuell-subjektiven Aspekten weitgehend unabhängigen und in Ansehung der Tathandlung unter standardisierbaren Vorzeichen zu bestimmenden Folge fordern Gesetzgeber und Rechtsprechung nur insoweit, als gerade das Merkmal schwerwiegend nicht anhand dessen zu beurteilen ist, was bereits nach Ansicht und in der Person des Opfers eine schwerwiegende Beeinträchtigung darstellt. Dies mag zwar die Anforderungen an den Taterfolg im Einzelfall erhöhen, trifft jedoch aufgrund des stalkingspezifischen sog. initialen Schwellenproblems866 nicht zwangläufig eine standardisierbare Aussage über die Schwere 864

BT-Drs. 16/3641, S. 14; siehe auch BGHSt 54, 189 (197). Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 8: Die die Tathandlung des Nachstellens konkretisierenden Handlungen „führen nur dann zur Strafbarkeit, wenn sie zu objektivierbaren Beeinträchtigungen geführt haben“. Daher sind nach OLG Rostock OLGSt StGB § 238 Nr. 1 lediglich subjektiv empfundene körperliche Reaktionen kein Ausdruck einer Änderung der Lebensgestaltung, da es sich hierbei um eine rein subjektive Einschätzung handele, die nicht weiter objektiviert worden – also messbar zutage getreten – ist. Siehe auch OLG Brandenburg, NStZ 2010, 519 (520). 866 Vgl. hierzu Voß/Hoffmann, Zur Phänomenologie und Psychologie des Stalking, in: Hoffmann/Voß (Hrsg.), Psychologie des Stalking, S. 4 (22); Löhr, Notwendigkeit, S. 341. Danach hängt es vom subjektiven Erleben der Zielperson ab, ob ein Verhalten als bedrohlich und damit sanktionswürdiges Stalking anzusehen ist oder noch als ein solches Verhalten zu bewerten ist, dass sich im Rahmen gesellschaftlicher Akzeptanz bewegt. 865

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des verwirklichten Unrechts – vor allem in Hinblick auf das Täterverhalten. Damit erweist sich der vom Gesetzgeber offenbar gezogene Schluss, eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung indiziere zugleich die Strafwürdigkeit des Nachstellungsverhaltens, letztlich als Trugschluss. Die von einigen Stimmen in der Literatur867 vorgeschlagene Korrektur des Tatbestandes im Wege einer dem Opfer abzuverlangenden besonnenen Selbstbehauptung zielt in die richtige Richtung, greift jedoch zu kurz. Sie vermag nicht die vorrangige Frage zu beantworten, ob allein die Tatsache der Beeinträchtigung der Willensbildung und der Willensbetätigung von dem Umfang einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung zugleich auch die (straf)rechtliche Missbilligung des Nachstellungsverhaltens indiziert. Entscheidend ist vielmehr, inwieweit der Täter mit seinem Verhalten überhaupt in die dem Einzelnen von der Rechtsordnung zugestandene Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit eingreift und ein solches Verhalten daher den Einsatz von Strafe verdient. Vor diesem Hintergrund ist es mehr als bedauerlich, dass der Gesetzgeber dem Vorschlag des Rechtsausschusses gefolgt ist und das Merkmal der Unzumutbarkeit aus dem ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung gestrichen hat. Gerade das Merkmal der Unzumutbarkeit hätte eine normative Interessenabwägung und eine Abgrenzung der Freiheitssphären von Täter und Opfer erforderlich gemacht.868 Der Rechtsausschuss hat als Argument für die Streichung des Merkmals unzumutbar angeführt, dass die kumulative Verwendung der Begriffe schwerwiegend und unzumutbar „Vergleichbares beschreiben“ würde und dies die Frage aufwerfe, „welche Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers zwar schwerwiegend, aber nicht unzumutbar sein könnte“.869 Angesichts des sog. initialen Schwellenproblems und der mangelnden Standardisierbarkeit psychischer Reaktionen erweist sich diese Überlegung als Trugschluss. Letztlich beruht die Feststellung, ob eine Beeinträchtigung schwerwiegend ist, auf einer Beurteilung der individuell-subjektiven Opferreaktion, die keine standardisierbaren objektiven Rückschlüsse auf die „Schwere“ des Täterverhaltens zulässt, während für die Frage der Unzumutbarkeit der Beeinträchtigung auf normative Kriterien zurückzugreifen wäre. Zwar bedürfte es hierfür wiederum der richterlichen Beurteilung im Einzelfall, allerdings bestehen für die Handhabung einer solchen Interessen- und Güterabwägung allgemein und rechtlich anerkannte Parameter (auch) aus der (zivilrechtlichen) Rechtsprechung.870 867 Vgl. hierzu Mrosk, NJ 2009, 416 (419); Valerius, JuS 2007, 319 (323); S/S-Eisele, § 238 Rn. 30; Kraus, Zivilrechtlicher Schutz gegen Nachstellen, S. 55; Löhr, Notwendigkeit, S. 345. 868 Vgl. hierzu BT-Drs. 16/575, S. 8. 869 Siehe hierzu BT-Drs. 16/3641, S. 14. 870 So sind beispielsweise im Rahmen der Interessen- und Güterabwägung die soziale und persönliche Nützlichkeit der gefährdenden Handlung in das Verhältnis zur Wahrscheinlichkeit und Größe des zu erwartenden Nachteils auf Seiten des Opfers zu

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f) Der subjektive Tatbestand § 238 Abs. 1 StGB verlangt hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes, dass der Täter vorsätzlich, das bedeutet zumindest mit dolus eventualis, handelt.871 Der Vorsatz des Täters muss sich bei jeder Vornahme einer tatbestandlichen Nachstellungshandlung sowohl auf die Unbefugtheit seines Handelns als auch auf die schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers beziehen. Schwierigkeiten können sich dabei unter anderem bezüglich der vielfältigen Möglichkeiten der Opferreaktion in Hinblick auf die negative Veränderung der Lebensgestaltung ergeben. Diese muss der Täter – zumindest in der Größenordnung einer Veränderung der Lebensgestaltung – für möglich gehalten, sich also vorgestellt haben, um diesbezüglich auch vorsätzlich zu handeln. Dabei ist es zudem von Belang, dass sich der Täter bei der Vornahme jeder einzelnen die Tathandlung des Nachstellens konkretisierenden Handlungsweise die Vorstellung ins Bewusstsein ruft, das Opfer werde mit einem solchen Vermeideverhalten reagieren, welches er sich zumindest in groben Zügen vor Augen geführt haben muss. Sofern sich der Täter über die Unbefugtheit seines Handelns bzw. über den entgegenstehenden Willen des Opfers irrt, liegt in Hinblick auf die die Tathandlung des Nachstellens konkretisierenden Verhaltensweisen in Nr. 1 und 2 ein Tatbestandsirrtum872, in Hinblick auf Nr. 3 und 4 dagegen einen Erlaubnistatbestandsirrtum873 vor. g) Qualifikationen des § 238 StGB Neben dem Grundtatbestand nach § 238 Abs. 1 StGB beinhaltet der Straftatbestand der Nachstellung zwei strafschärfende Qualifikationen, die den Schutz der körperlichen Unversehrtheit und des Lebens des Opfers oder einer ihm nahe stehenden Person zum Inhalt haben. Die beiden Qualifikationsstufen sind dem Bundesratsentwurf entnommen.874 setzen, siehe hierzu aus der Rechtsprechung zur vergleichbaren Situation eines Eingriffs in das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht BGH, NJW 1988, 1270 (1270) mit Verweis auf BGH, NJW 1978, 2151 (2152); vgl. ferner BGHZ 45, 296 (304); 50, 133 (143). 871 Vgl. NK-StGB/Sonnen, § 238 Rn. 49; S/S-Eisele, § 238 Rn. 33. 872 Dies beruht auf der Ansicht, dass es sich im Rahmen der Nr. 1 und 2 des § 238 Abs. 1 StGB bei dem Merkmal der Unbefugtheit um ein Tatbestandsmerkmal handelt. Streng genommen müsste man dies sogar auch für die das Nachstellen konkretisierende Verhaltensweise in § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB annehmen. 873 Dies beruht wiederum auf der Ansicht, dass es sich im Rahmen der Nr. 3 und 4 des § 238 Abs. 1 StGB bei dem Merkmal der Unbefugtheit um einen Rechtfertigungsgrund handelt. Streng genommen müsste man dies sogar auch für die das Nachstellen konkretisierende Verhaltensweise in § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB annehmen. 874 Diese Handhabung ist bereits als „Gesetzgebungstechnik à la Textbausteinsystem“ gerügt worden, vgl. zu der Kritik die Nachweise bei NK-StGB/Sonnen, § 238 Rn. 54. Zuzustimmen ist der Kritik insoweit als der stimmige Aufbau der Bundesratsinitiative – Eignungsdelikt in Abs. 1, konkretes Gefährdungsdelikt in Abs. 2 und Er-

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aa) Qualifikationstatbestand des § 238 Abs. 2 StGB Bringt der Täter das Opfer, einen Angehörigen des Opfers oder eine andere dem Opfer nahestehende Person durch die Tat in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung, so hat er sich gemäß § 238 Abs. 2 StGB strafbar gemacht. Voraussetzung ist jedoch, dass es sich um eine konkrete Gefahr handelt, in die der Täter das Opfer, einen Angehörigen oder eine andere dem Opfer nahestehende Person bringt.875 Der Täter muss insoweit nach § 15 StGB auch vorsätzlich handeln.876 Das Erfordernis einer schweren Gesundheitsschädigung verlangt, dass das Opfer in eine ernste, langwierige Krankheit verfällt oder eine dauernde oder langwierige, schwer wiegende Beeinträchtigung der Gesundheit, der Arbeitskraft oder anderer körperlicher Fähigkeiten oder eine nachhaltige Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Stabilität gegeben ist.877 Der geschützte Personenkreis umfasst neben dem Opfer der Nachstellungshandlungen auch Angehörige des Opfers (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB) und ihm nahestehende Personen. Letztere sind in Anlehnung an den Meinungsstand zu § 35 StGB zu bestimmen.878 Nach Ansicht des Gesetzgebers ist die Einbeziehung von weiteren Personen aus dem nahen Umfeld des Opfers geboten, da die Täter nicht vor Pressionen gegenüber dem sozialen Umfeld des Opfers zurückschrecken würden.879 Ferner seien die „dem Opfer nahestehenden Personen – für den Täter erkennbar und von diesem jedenfalls billigend in Kauf genommen – von zahlreichen Stalkinghandlungen mit betroffen“.880 folgsqualifikation in Abs. 3 – letztlich aufgrund der Ausgestaltung des § 238 Abs. 1 StGB als Erfolgsdelikt durchbrochen wurde. 875 Es handelt sich daher bei § 238 Abs. 2 StGB um ein konkretes Gefährdungsdelikt, vgl. Kinzig/Zander, JA 2007, 481 (485); Gazeas, JR 2007, 497 (504); NK-StGB/ Sonnen, § 238 Rn. 54; vgl. ferner das Urteil des LG Heidelberg vom 06.05.2008 mit Az.: 2 KLs 22 Js 6935/07; a. A. Valerius, JuS 2007, 319 (323), der entgegen des eindeutigen Wortlautes in § 238 Abs. 2 StGB eine Erfolgsqualifikation erblickt. 876 Vgl. NK-StGB/Sonnen, § 238 Rn. 56; S/S-Eisele, § 238 Rn. 37; Fischer, StGB, § 238 Rn. 35; Gazeas, JR 2007, 497 (504); vgl. ferner das Urteil des LG Heidelberg vom 06.05.2008 mit Az.: 2 KLs 22 Js 6935/07; a. A. entsprechend Valerius, JuS 2007, 319 (323), der aufgrund seiner Einschätzung, bei § 238 Abs. 2 StGB handele es sich um eine Erfolgsqualifikation, entsprechend bereits Fahrlässigkeit des Täters genügen lassen will. 877 Vgl. S/S-Eisele, § 238 Rn. 37; Nach den Ausführungen des Gesetzgebers reiche der Begriff weiter als der der schweren Körperverletzung i. S. d. § 226 StGB, da er daneben auch langwierige ernsthafte Erkrankungen sowie den Verlust oder die erhebliche Einschränkung im Gebrauch der Sinne, des Körpers und der Arbeitsfähigkeit umfasse, siehe BT-Drs. 16/3641, S. 14. 878 Gazeas, JR 2007, 497 (504); Valerius, JuS 2007, 319 (323); Fischer, StGB, § 238 Rn. 36. 879 Vgl. BT-Drs. 16/3641, S. 14. 880 So BT-Drs. 16/3641, S. 14.

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In der Tat ist neben dem Opfer oftmals auch das soziale Umfeld von den Nachstellungshandlungen betroffen – insofern, als sich manche Akte des Täters direkt gegen die dritte Person richten können oder aber das (enge) Umfeld des Opfers aufgrund der psychischen Beeinträchtigung des Opfers in Mitleidenschaft gezogen wird.881 Allerdings handelt es sich dabei in der Regel nur um mittelbar von den Nachstellungshandlungen ausgehende Beeinträchtigungen. Bedenken löst die Einbeziehung weiterer, von den Nachstellungshandlungen als Opfer nicht konkret betroffenen Personen daher insoweit aus, als damit von dem Schutzbereich der Qualifikation nach § 238 Abs. 2 StGB Personen umfasst werden, die außerhalb des Schutzbereiches des Grunddeliktes nach Abs. 1 stehen, obgleich die Qualifikation auf dem Grunddelikt aufbaut.882 Dem Wortlaut des § 238 Abs. 2 StGB lässt sich lediglich dem Grundsatz nach entnehmen, auf welche Weise der Täter das Opfer oder eine ihm entsprechend nahe stehende Person in die konkrete Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringen muss („durch die Tat“). In Betracht kommt demnach jegliches unbefugte Nachstellen, das eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung indiziert oder hervorgerufen hat. Erforderlich ist, dass der spezifische Gefahrzusammenhang zwischen dem Grunddelikt nach Abs. 1 und der Qualifikation nach Abs. 2 besteht.883 In der Regel scheitert also eine tatbestandliche Einbeziehung eines Angehörigen des Opfers oder einer diesem nahestehenden Person daran, dass das weitere Opfer nur mittelbar von der Nachstellung des Täters betroffen ist und es demnach bereits an einem spezifischen Gefahrzusammenhang mangelt. bb) Erfolgsqualifikation des § 238 Abs. 3 StGB Verursacht der Täter durch die Tat nach § 238 Abs. 1 StGB den Tod des Opfers, eines Angehörigen des Opfers oder einer anderen dem Opfer nahestehenden Person, erfüllt dies den Tatbestand des § 238 Abs. 3 StGB. Bei § 238 Abs. 3 StGB handelt es sich um eine Erfolgsqualifikation, daher genügt es gemäß § 18 StGB, wenn dem Täter in Hinblick auf die Verwirklichung

881 Denkbar sind hier Fälle, in denen der Täter den neuen Lebenspartner seiner ehemaligen Beziehungspartnerin angeht oder sich die vom Täter durch die Nachstellungshandlungen verursachte psychische Pression auf das – nunmehr durch die Mutter nach der Trennung allein erzogene – gemeinsame Kind überträgt. 882 Zur Kritik siehe Krüger, in: Krüger (Hrsg.), Stalking als Straftatbestand, S. 81 (201 f.); kritisch ferner Neubacher/Seher, JZ 2006, 1029 (1035); Fischer, StGB, § 238 Rn. 36. 883 Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1035); NK-StGB/Sonnen, § 238 Rn. 55; Fischer, StGB, § 238 Rn. 36. Nach NK-StGB/Sonnen, § 238 Rn. 55 können Anknüpfungspunkt hierfür sowohl die Nachstellungshandlung als auch der Nachstellungserfolg sein.

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der schweren Folge zumindest Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann.884 Erforderlich ist jedoch auch im Rahmen des § 238 Abs. 3 StGB, dass sich gerade der spezifische Gefahrzusammenhang in der Erfolgsqualifikation aus dem Grunddelikt nach § 238 Abs. 1 StGB verwirklicht. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen mit § 238 Abs. 3 StGB neben Fällen, in denen das Opfer durch den Täter in den Selbstmord getrieben wird, vor allem Konstellationen umfasst werden, in denen das Opfer, Angehörige des Opfers oder ihm nahe stehende Personen auf der Flucht vor dem nachstellenden Täter zu Tode kommen.885 Zur Begriffsbestimmung eines Angehörigen oder einer dem Opfer nahestehenden Person kann wiederum auf § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB bzw. § 35 StGB verwiesen werden.886 Die Einbeziehung weiterer Personen in den Schutzbereich des § 238 Abs. 3 StGB begründet der Gesetzgeber damit, dass dem Opfer nahestehende Dritte häufig unmittelbar von den Stalkinghandlungen betroffen seien.887 In diesem Fall ist eine Verwirklichung des § 238 Abs. 3 StGB jedoch in der Regel nur anzunehmen, wenn der zu Tode kommende Angehörige oder dem Opfer Nahestehende auch wirklich als (zusätzlicher) „Adressat“ der Nachstellungshandlungen angesehen werden kann, da es ansonsten bereits an einem spezifischen Gefahrzusammenhang zwischen Grunddelikt und Erfolgsqualifikation mangelt. Trotz eines im Vergleich zur Strafandrohung des Grundtatbestandes deutlich erhöhten Strafrahmens, welcher dem Tatbestand des § 238 Abs. 3 StGB Verbrechenscharakter verleiht, bleiben sowohl der erfolgsqualifizierte Versuch als auch die versuchte Erfolgsqualifikation straflos, da für das Grunddelikt keine Strafbarkeit des Versuchs vorgesehen ist und die Erfolgsqualifikation keine strafbegründende Wirkung entfalten kann.888 h) Konkurrenzen Lange Zeit umstritten war die Frage, ob es sich bei dem Tatbestand der Nachstellung um ein sog. Dauerdelikt handelt.889 In der Tat weist die Struktur des 884

S/S-Eisele, § 238 Rn. 38; Fischer, StGB, § 238 Rn. 37; Gazeas, JR 2007, 497

(504). 885

Vgl. hierzu BT-Drs. 16/3641, S. 14. So schon zu den insoweit gleichlautenden Passagen innerhalb des § 238 Abs. 2 StGB Gazeas, JR 2007, 497 (504); Valerius, JuS 2007, 319 (323); Fischer, StGB, § 238 Rn. 36. 887 Vgl. hierzu BT-Drs. 16/3641, S. 14. 888 Dies ist freilich nicht unumstritten, siehe für die Strafbarkeit beider S/S-Eisele, § 238 Rn. 38; Gazeas, JR 2007, 497 (505); anders hingegen Fischer, StGB, § 238 Rn. 37, der zwischen einem straflosen erfolgsqualifizierten Versuch und einem strafbaren Versuch der Erfolgsqualifikation differenziert. Letzterem ist jedoch zu widersprechen, da sonst § 18 StGB nicht greift. 889 Siehe zum Meinungsstand Sadtler, Stalking, S. 289 f.; vgl. ferner Seher, JZ 2010, 582 (584). Der vom Bundesrat eingebrachte Gesetzentwurf eines § 238 StGB-E sah angesichts des Merkmals fortgesetzt vor, den Tatbestand als Dauerdelikt auszugestalten, 886

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Nachstellungstatbestandes Eigenschaften auf, die denen eines Dauerdelikts durchaus ähneln. So werden als Dauerdelikte solche Tatbestände angesehen, bei denen der Täter den von ihm geschaffenen rechtswidrigen Zustand willentlich aufrechterhält890 oder die deliktische Tätigkeit ununterbrochen fortsetzt891.892 Das Unrecht der Tat nimmt dabei mit der beständigen Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustandes zu.893 Der Tatbestand der Nachstellung verfügt letztlich über eine ähnliche Struktur. Auch dort erneuert und intensiviert jede einzelne der verschiedenen tatbestandlichen und das Nachstellen konkretisierenden Handlungen die Herbeiführung des Taterfolges.894 Gegen die Annahme, bei dem Nachstellungstatbestand handle es sich um ein Dauerdelikt, spricht allerdings, dass die Herbeiführung des rechtswidrigen Zustandes im Rahmen eines Dauerdelikts regelmäßig durch die Vornahme einer einzigen Handlung erfolgt.895 Dagegen bedarf es für ein Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB, dass der Täter einzelne das Nachstellen konkretisierende tatbestandliche Handlungsweisen wiederholt vornimmt, die erst in ihrer Kumulation den Taterfolg – und damit den rechtwidrigen Zustand – herbeiführen. Weiter spricht gegen ein Dauerdelikt als Nachstellungstatbestand, dass in einem zeitlich gestreckten und mit einigen Ruhephasen versehenen Fall des Stalking auch in den angriffsfreien Zeitabschnitten eine Notwehrlage i. S. d. § 32 StGB gegeben wäre. Damit stünde der von Stalking betroffenen Person auch in Zeiten, in denen sich der Täter passiv verhält und mit einem weiteren Angriff nicht zu rechnen ist, das schneidige Notwehrrecht i. S. d. § 32 StGB zu.896 vgl. BT-Drs. 16/1030, S. 16. Für eine Ausgestaltung als Dauerdelikt ferner Meyer, ZStW 2003, 249 (270, 287); Smischek, Stalking, S. 320 ff.; insbes. 323. 890 Vgl. Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 10 Rn. 105; BGHSt 36, 255 (257); 42, 215 (216 ff.); SK-StGB/Samson/Günther, Vor § 52 Rn. 49. 891 Jescheck, FS Welzel, S. 683 (687); S/S-Stree/Sternberg-Lieben, Vorbem §§ 52 ff. Rn. 81; Werle, Konkurrenz bei Dauerdelikt, S. 31 f. 892 Vgl. Kühl, Strafrecht AT, § 14 Rn. 22. Die ständige Erneuerung des Handlungsentschlusses kann dabei durch aktives Tun oder durch Unterlassen geschehen, siehe LKStGB/Rissing-van Saan, Vor § 52 Rn. 49 f. 893 SK-StGB/Samson/Günther, Vor § 52 Rn. 49; regelmäßig bildet dies neben der vom Willen des Täters abhängigen Aufrechterhaltung des kriminellen Zustandes und des zeitlichen Auseinanderfallens von Vollendung und Beendigung das Abgrenzungsmerkmal zu den sog. Zustandsdelikten; siehe hierzu Werle, Konkurrenz bei Dauerdelikt, S. 32 f. 894 Vgl. zu diesem Aspekt der Intensivierung Valerius, JuS 2007, 319 (324); von einer gewissen Ähnlichkeit spricht auch der BGH in BGHSt 54, 189 (200); zustimmend – zumindest in Bezug auf den Aspekt der Intensivierung – Seher, JZ 2010, 582 (584). 895 Und dies meint eine Handlung im natürlichen Sinne, bspw. durch das widerrechtliche Eindringen in eine Wohnung im Rahmen des § 123 StGB oder durch ein Sichbemächtigen im Rahmen des § 239 StGB. 896 Dies ist insofern problematisch als die durchschnittliche Dauer von Stalking etwa ein Jahr beträgt, teilweise jedoch bis zu fünf Jahre andauern kann, siehe hierzu Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking, S. 19 f. Gazeas, JR 2007,

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Aufgrund der Besonderheit des Nachstellungstatbestandes, bei dem jede einzelne der verschiedenen tatbestandlichen und das Nachstellen konkretisierenden Verhaltensweisen die Herbeiführung des Taterfolges erneuert und intensiviert, ist im Rahmen des § 238 Abs. 1 StGB vielmehr von einer sukzessiven Tatbegehung auszugehen.897 Da § 238 Abs. 1 StGB mit dem Nachstellen ein beharrliches Handeln des Täters verlangt, bilden die einzelnen tatbestandlichen Handlungsweisen des Täters, die erst in ihrer Gesamtheit eine Nachstellung darstellen und erstmals zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung führen, im Wege einer tatbestandlichen Handlungseinheit eine Tat im materiellen Sinne.898 Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die jeweiligen Einzelhandlungen zu demselben tatbestandlichen Erfolg führen bzw. beitragen899 und darüber hinaus ein ausreichender räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht900. Von Tatmehrheit ist dagegen auszugehen, wenn der Täter nach dem erstmaligen Eintritt des Taterfolgs erneut Nachstellungshandlungen vornimmt.901 Verwirklicht der Täter mit einer der das Nachstellen nach § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB konkretisierenden Handlungsweise zugleich einen anderen Tatbestand, der dem Schutz desselben Rechtsguts dient, so besteht Tateinheit.902 Dabei 497 (504) spricht daher in diesem Zusammenhang von einem „Freibrief zur Selbstjustiz“. Zu den Besonderheiten der Notwehrlage bei Dauerdelikten Kühl, Strafrecht AT, § 7 Rn. 45. Bisweilen wird gegen die Annahme eines Dauerdeliktes zudem ins Feld geführt, dass der Täter bereits bei der Vornahme der ersten tatbestandsmäßigen Handlung den Vorsatz auf eine dauerhafte Begehung bilden und demnach einen gewissen Gesamtvorsatz aufweisen müsse, vgl. Weinitschke, Rechtsschutz gegen Stalking de lege lata et ferenda, S. 182; Sadtler, Stalking, S. 289 f. Gegen dieses – an sich schlüssige – Argument ist jedoch einzuwenden, dass dieses Erfordernis bereits im subjektiven Tatbestand aufgrund des Merkmals der Beharrlichkeit und des Taterfolgs als ein gewisser Gesamtvorsatz vorliegen muss, so zutreffend Seher, JZ 2010, 582 (584). 897 Siehe BGHSt 54 189 (200 f.); Gazeas, JR 2007, 497 (504); Weinitschke, Rechtsschutz gegen Stalking de lege lata et ferenda, S. 183 f.; Seher, JZ 2010, 582 (584). 898 BGHSt 54 189 (200 f.); vgl. auch Weinitschke, Rechtsschutz gegen Stalking de lege lata et ferenda, S. 183 f.; ferner Gazeas, JR 2007, 497 (504); Seher, JZ 2010, 582 (584); vgl. auch NK-StGB/Sonnen, § 238 Rn. 60; Valerius, JuS 2007, 319 (323); S/SEisele, § 238 Rn. 39. 899 BGHSt 54, 189 (201); S/S-Eisele, § 238 Rn. 39; Gazeas, JR 2007, 497 (504). 900 So BGHSt 54 189 (200 f.), nach dem jedoch kein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang des strafbaren Verhaltens zu fordern sei, sondern zwischen den Handlungen erhebliche Zeiträume liegen können, vgl. zu der ähnlich gelagerten Struktur des § 99 StGB BGHSt 43, 1 (3). 901 Gazeas, JR 2007, 497 (504); Mosbacher, NStZ 2007, 665 (669). 902 Tateinheit ist demnach mit § 240 StGB anzunehmen. Unterscheiden sich dagegen das Rechtsgut des zugleich verwirklichten Tatbestandes vom Rechtsgut des § 238 StGB – dies ist bspw. bei den §§ 123, 177 ff., 185 ff., 223 ff., 303 StGB der Fall – steht jeder weitere verwirklichte Tatbestand in Idealkonkurrenz, vgl. S/S-Eisele, § 238 Rn. 39. Dies soll auch für § 4 GewSchG gelten, vgl. Mosbacher, NStZ 2007, 665 (670); Kinzig/ Zander, JA 2007, 481 (485).

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können auch Straftaten, die eigentlich in Tatmehrheit zueinander stehen, bei paralleler Verwirklichung des § 238 StGB im Wege der Klammerwirkung zur Tateinheit verbunden werden, soweit die Tatbestände im Verhältnis zum zugleich verwirklichten Tatbestand der Nachstellung annähernd wertgleich sind oder der Tatbestand der Nachstellung das schwerste der verwirklichten Delikte darstellt.903 Gegenüber der früheren Gesetzeslage kann dies zu einer erheblichen Strafmilderung des Täters führen, was aus kriminalpolitischen Gründen sowie Aspekten des Opferschutzes äußerst bedenklich ist.904 i) Strafandrohung des § 238 StGB Die Verwirklichung des Straftatbestandes der Nachstellung ist in seinem Grunddelikt nach § 238 Abs. 1 StGB mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht. Gemäß § 238 Abs. 1 i.V. m. § 12 Abs. 2 StGB stellt die Begehung des Grundtatbestandes demnach ein Vergehen dar. Der Qualifikationstatbestand des § 238 Abs. 2 StGB stellt aufgrund seines Strafrahmens von drei Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe gemäß § 12 Abs. 2 StGB ebenfalls ein Vergehen dar. Etwas anderes gilt jedoch für die Erfolgsqualifikation nach § 238 Abs. 3 StGB. Mit einem Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe stellt das Verursachen des Todes des Opfers oder einer ihm entsprechend nahestehenden Person durch die Nachstellungen gemäß § 238 Abs. 3 i.V. m. § 12 Abs. 1 StGB ein Verbrechen dar. j) Strafantragserfordernis und Ausgestaltung als Privatklagedelikt Sofern die Strafverfolgungsbehörde ein Einschreiten von Amts aufgrund mangelndem besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung für nicht geboten hält, wird in Fällen des § 238 Abs. 1 StGB die Tat nur auf Antrag verfolgt. Der Straftatbestand der Nachstellung stellt demnach ein relatives Antragsdelikt dar, solange nicht die Voraussetzungen einer Qualifikation i. S.d § 238 Abs. 2 oder Abs. 3 StGB vorliegen.905 Damit hängt es in Fällen des § 238 Abs. 1 StGB in Regel von der Entscheidung des Opfers ab, die Strafverfolgung durch einen eigenen Strafantrag nach § 77 Abs. 1 StGB einzuleiten und ggf. gemäß § 374 Abs. 5 StPO auf dem Privatklageweg zu betreiben. Der Gesetzgeber begründet diese Regelung damit, dass regelmäßig nur das Opfer Art, Umfang und Intensität der Handlungen und ihrer Auswirkungen darstellen könne.906 Ferner sei nur das Opfer in der Lage, einzu903 Vgl. die Kritik bei Valerius, JuS 2007, 319 (324); Seher, JZ 2010, 582 (584); S/SEisele, § 238 Rn. 39. 904 Vgl. auch die Kritik bei Valerius, JuS 2007, 319 (324); Seher, JZ 2010, 582 (584). 905 Vgl. auch S/S-Eisele, § 238 Rn. 40; Neubacher/Seher, JR 2007, 1029 (1035). 906 Siehe BT-Drs. 16/575, S. 8.

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schätzen, ob es sich den Belastungen, die mit der Durchführung eines Strafverfahrens verbunden sind, tatsächlich stellen möchte.907 Diese Wahlmöglichkeit entfalle bei einer Ausgestaltung des Nachstellungsparagraphens als Offizialdelikt – das Opfer könne sich dann einem Verfahren nicht entziehen, auch wenn es aus nachvollziehbaren Gründen eine Strafverfolgung nicht wünsche.908 Dies ist an sich zutreffend.909 Die Ausgestaltung als relatives Antragsdelikt ist daher auch in solchen Fällen sinnvoll, in denen das Opfer mental stabil genug ist, eine solche Strafverfolgung zu initiieren und ein Privatklageverfahren zu betreiben. Ist das Opfer dagegen aufgrund der beständigen Nachstellungen bereits psychisch angeschlagen und durch das Verhalten des Täters womöglich stark eingeschüchtert,910 kann der Verweis auf den Privatklageweg für eine (berechtigte) Strafverfolgung durchaus hinderlich sein.911 Diese Konstellation wird durchaus nicht unüblich sein. Die Besonderheit bei § 238 StGB besteht doch gerade darin, dass sich die Nachstellungshandlungen primär auf die Psyche des Opfers auswirken und dessen Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit, das Schutzgut des § 238 Abs. 1 StGB, regelmäßig verletzt wird. Für eine besondere Schutzbedürftigkeit eines Nachstellungsopfers spricht auch die Tatsache, dass nach § 374 Abs. 1 StPO aus dem Bereich der Freiheitsdelikte außer für den Tatbestand der Nachstellung für kein weiteres Delikt – bis auf den Straftatbestand der Bedrohung, das jedoch als Offizialdelikt ausgestaltet ist – die Möglichkeit einer Verweisung auf den Privatklageweg vorgesehen ist. Zusätzliche Hindernisse bereiten die zumeist nur sehr rudimentären Kenntnisse des Opfers über die Ausgestaltung und Voraussetzungen eines Verfahrens auf dem Privatklageweg,912 die finanzielle Risikoverteilung913 sowie die psychischen Belastungen, dem Täter im Verfahren direkt gegenüber treten zu müssen. Angesichts dieser Besonderheiten ist es mehr als verwunderlich, dass der Gesetzgeber trotz seiner Ankündigung, „zu einem effizienteren Schutz der Opfer 907

Siehe BT-Drs. 16/575, S. 8. Siehe BT-Drs. 16/575, S. 8. 909 Zustimmend Mitsch, NJW 2007, 1237 (1241); aus praxisorientierter Sicht ferner Peters, NStZ 2009, 238 (242). 910 Dies kann bereits durch das allgemeine Nachstellungsverhalten des Täters der Fall sein. Denkbar ist aber auch, dass der Täter dem Opfer speziell für den Fall einer Anzeigenerstattung mit (weiteren und härteren) Repressalien droht. 911 Zur Kritik an der Ausgestaltung als relatives Antragsdelikt Büttner, ZRP 2008, 124 (125 f.); Löhr, Notwendigkeit, S. 367 ff.; zur Kritik an der Ausgestaltung als Privatklagedelikt allgemein vgl. Pechstaedt, Spezifischer Rechtsschutz gegen Stalking im internationalen Vergleich, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 101 (117). 912 Vgl. Pechstaedt, Spezifischer Rechtsschutz gegen Stalking im internationalen Vergleich, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 101 (117); ferner Löhr, Notwendigkeit, S. 367. 913 So muss das Opfer meist Kostenvorschuss – bspw. für die Beauftragung eines Rechtsanwalts – leisten und trägt nach § 471 Abs. 2 StPO das Kostenrisiko bei Verfahrenseinstellung oder Freispruch. 908

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beitragen“ zu wollen,914 dem Opfer von Nachstellungshandlungen in Wirklichkeit sehr hohe verfahrensrechtliche Hindernisse zumutet. Zu begrüßen ist dagegen, dass dem von den Nachstellungshandlungen Betroffenen im Falle einer erhobenen öffentlichen Klage nach § 395 Abs. 1 Nr. 4 StPO die Möglichkeit zum Anschluss mit einer Nebenklage offensteht.915 k) Flankierende strafprozessuale Vorschrift des § 112a Abs. 1 Nr. 1 StPO Parallel zu den materiell-rechtlichen Vorschriften des § 238 StGB hat der Gesetzgeber den Straftatenkatalog des § 112a Abs. 1 Nr. 1 StPO um Taten nach § 238 Abs. 2 bzw. 3 StGB erweitert. Demnach kann, sofern gegen eine Person der dringende Tatverdacht besteht, einen der Qualifikationstatbestände nach § 238 Abs. 2 bzw. 3 StGB verwirklicht zu haben und Wiederholungsgefahr vorliegt, diese Person in polizeiliche Sicherungshaft (Untersuchungshaft) genommen werden. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll hiermit die Möglichkeiten strafrechtlicher Zwangsmaßnahmen um eine zeitnahe und effektive Handlungsvariante erweitert werden.916 Nach den Erfahrungen aus der Praxis könne dem Opfer in gravierenden Fällen nur dadurch wirksam geholfen werden, dass die bereits eingetretene Eskalation durch die Verhängung von Untersuchungshaft unterbrochen werde.917 Gerade in Fällen des § 238 Abs. 2 bzw. 3 StGB handle es sich um eskalierende Fallkonstellationen, in denen es dringend geboten sei, den besonders gefährlichen Täter in sog. Deeskalationshaft zu nehmen.918 In der Literatur hat die Hereinnahme qualifizierter Nachstellungshandlungen in den Straftatenkatalog des § 112a StPO erhebliche Kritik erfahren.919 So wird bereits bezweifelt, ob die im Wege der Deeskalationshaft vorgenommene Intervention zum Schutz des Opfers überhaupt Sinn mache, da alle Qualifikationstatbestände des § 238 StGB voraussetzen, dass es bereits zu einem massiven Übergriff gekommen sein muss und damit in den meisten Fällen bereits das Ende der Eskalationsspirale erreicht sei.920

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So BT-Drs. 16/575, S. 2. Vgl. Neubacher/Seher, JR 2007, 1029 (1035). 916 Vgl. BT-Drs. 16/3641, S. 15. 917 Vgl. BT-Drs. 16/3641, S. 15. 918 Vgl. BT-Drs. 16/3641, S. 15. 919 Siehe hierfür Gazeas, KJ 2006, 247 (264 f.); Dessecker, FS Maiwald, S. 103 (111 ff.). 920 Vgl. zur Kritik Dessecker, FS Maiwald, S. 103 (113); vor allem in Hinblick auf § 238 Abs. 2 StGB Gazeas, KJ 2006, 247 (264 f.). 915

§ 4 Würdigung der rechtlichen Reaktion in Deutschland unter strafrechtsdogmatischen Gesichtspunkten Die Analyse des Phänomens im Rahmen der vorliegenden Untersuchung hat maßgebliche Aspekte verdeutlicht, die für Stalking wesenstypisch sind, zugleich jedoch eine (straf)rechtliche Handhabung und Bewältigung des Phänomens erschweren. Nachfolgend wurde dargelegt, wie der US-amerikanische, englische und schließlich auch der deutsche Strafgesetzgeber auf das Phänomen im Allgemeinen wie auch auf die vorbenannten Aspekte im Speziellen reagiert haben. Im Folgenden wird nun zu klären sein, ob die Reaktion des deutschen Strafgesetzgebers auch den in Deutschland vorherrschenden straf- und verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht werden kann. Hierzu müssen jedoch zunächst die abstrakten Anforderungen dargelegt werden. Dies betrifft insbesondere die Frage nach der Legitimität der Strafnorm.

A. Anforderungen in Hinblick auf die Legitimation und Ausgestaltung In einem jeden Strafrechtssystem nimmt die Frage, welche Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen sind und welche nicht, eine zentrale Stellung ein. Nahezu unbestritten ist in der heutigen deutschen Strafrechtslehre, dass der Strafnorm die Rolle einer ultima ratio im Instrumentarium des Gesetzgebers zukommt.1 Danach soll der gesetzlich geregelte Einsatz von Strafe als Reaktion auf ein bestimmtes Verhalten nur nach sorgfältiger Abwägung und unter besonderer Zurückhaltung erfolgen.2 Hintergrund dabei ist, dass mit der Einsatz der Strafe eine 1 Vgl. BVerfGE 39, 1 (47); 120, 224 (239 f.); Appel, Verfassung und Strafe, S. 141 ff., 333; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, S. 3; Zipf, Kriminalpolitik, S. 52; Günther, JuS 1978, 8 (11); ders., Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 192 f. mit vielen weiteren Nachweisen; ferner Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 1; Kindhäuser, Strafe, Strafrechtsgut und Rechtsgüterschutz, in: Lüderssen/Nestler-Tremel/Weigend (Hrsg.), Modernes Strafrecht und ultima-ratio-Prinzip, S. 29 (29); Stächelin, Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat, S. 236 mit vielen weiteren Nachweisen; kritisch hingegen Wohlers, Strafrecht als ultima ratio – tragender Grundsatz eines rechtsstaatlicher Strafrechts oder Prinzip ohne eigenen Aussagegehalt?, in: von Hirsch/Seelmann/Wohlers (Hrsg.), Mediating Principles, S. 54 (54 ff.). Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass unter Strafnorm im Folgenden nur Vorschriften aus dem Bereich des Kriminalstrafrechts gemeint sind. Diese Beschränkung gilt auch, wenn im Folgenden allgemein von Strafrecht die Rede ist. 2 Vgl. hierzu Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 1; Wohlers, Strafrecht als ultima ratio – tragender Grundsatz eines rechtsstaatlicher Strafrechts oder Prinzip ohne eige-

I. Verfassungsrechtsorientierte Ansätze

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besondere Missbilligung des Täterhandelns zum Ausdruck gebracht werden soll: Die Strafe beinhaltet – unabhängig von general- oder spezialpräventiven Aspekten – nicht nur eine missbilligende Reaktion auf die Tat, sondern auch ein sozialethisches Unwerturteil.3 Für sich genommen hat das Prinzip, welches den Einsatz von Strafe nur nach sorgfältiger Abwägung und als das letzte dem Staat zur Verfügung stehende Mittel erlaubt, nur äußerst geringe Aussagekraft, sofern unklar bleibt, was den Bezugspunkt für eine solche Abwägung bildet. Denn die Mahnung zur ultima ratio des Strafeinsatzes besagt nur, dass und gegebenenfalls wie etwas in Relation zu setzen ist, nicht aber, welche Aspekte und Faktoren überhaupt infrage kommen, in einen solchen Abwägungsvorgang eingestellt zu werden, noch, vor welchem Hintergrund eine solche Abwägung zu erfolgen hat. Dies ist im Einzelnen äußerst umstritten.4 In Bezug auf die Frage nach dem Einsatz der Strafe lassen sich im Wesentlichen zwei Strömungen ausmachen, die sich vor allem darin unterscheiden, von welchem Standpunkt aus bzw. aus welchem Blickwinkel sie sich dieser Frage nähern. So ist zu unterscheiden zwischen Ansätzen, die die entsprechende Frage nahezu ausschließlich anhand der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu beantworten suchen und Ansätzen, die aus dem Strafrecht her kommend die Besonderheiten der Strafrechtsdogmatik in den Vordergrund stellen. I. Verfassungsrechtsorientierte Ansätze Das Strafrecht gilt als Bestandteil des öffentlichen Rechts, da es – anders als das Zivilrecht – nicht auf dem Prinzip der Gleichordnung beruht, sondern auf dem der Unterordnung des Einzelnen unter die Staatsgewalt, die ihm durch die Strafnorm befehlend gegenübertritt.5 Das Recht zu strafen (ius puniendi) gebührt dabei dem Staat.6 Ihm obliegt sowohl die Strafgesetzgebung, also die positivnen Aussagegehalt?, in: von Hirsch/Seelmann/Wohlers (Hrsg.), Mediating Principles, S. 54 (54). 3 Vgl. hierzu Otto, Gedächtnisschrift für Schmitt, S. 53 (54); BVerfGE 25, 269 (286); 27, 18 (29); 88, 203 (258); 120, 224 (241). Dementsprechend stellt das mit Strafe bewehrte Verbot eines Verhaltens und die Vollstreckung der Strafe bei einer entsprechenden Zuwiderhandlung nicht nur einen schweren Eingriff in die Freiheit, sondern auch in die Persönlichkeitsrechte des Normübertretenden dar, vgl. hierzu Otto, Gedächtnisschrift für Schmitt, S. 53 (54). 4 Siehe hierzu Appel, Verfassung und Strafe, S. 328 ff.; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 11 ff. 5 Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht Allgemeiner Teil, 28; Roxin, Strafrecht AT, Band I, § 1 Rn. 5; Maurach/Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil, Teilb. 1, S. 21; vgl. ferner auch Schmidhäuser, Strafrecht Allgemeiner Teil: Studienbuch, S. 1; Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 1 Rn. 1. 6 Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 9; Maurach/Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil, Teilb. 1, S. 21; vgl. ferner Roxin, Strafrecht AT, Band I, §1 Rn. 5, der auf Art. 74 Nr. 1 GG verweist.

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rechtliche Bestimmung strafbaren Verhaltens, als auch das Gewaltmonopol zur Verhängung und Durchführung der in der Strafnorm angedrohten Sanktion im Falle einer Zuwiderhandlung.7 Dabei ist die Staatsgewalt an die Vorgaben der Verfassung und insbesondere der Grundrechte gebunden.8 Bei der gesetzlichen Bestimmung strafbaren Verhaltens hat der in Gestalt der Legislative agierende Staat demnach sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht die Vorgaben der Verfassung und insbesondere der Grundrechte zwingend zu beachten.9 Vor diesem Hintergrund ist in der Rechtsprechung und in jüngerer Zeit auch in der Literatur versucht worden, darzulegen, dass die Bestimmung strafbaren Verhaltens dem Gesetzgeber obliege, dessen Entscheidungen lediglich an den im Grundgesetz enthaltenen abwehrrechtlichen Vorgaben zu messen seien.10 Den Dreh- und Angelpunkt für die Bestimmung strafbaren Verhaltens nimmt nach den verfassungsrechtsorientierten Legitimationsansätzen damit die Verfassung mit dem darin enthaltenen Grundrechtskatalog sowie den dem Grundgesetz zu entnehmenden Prinzipien – allen voran den rechtsstaatlichen Garantien11 – ein. Danach seien die im Grundgesetz enthaltenen abwehrrechtlichen Bestimmungen die einzig zwingenden rechtlichen Vorgaben, an denen die Entscheidungen des Gesetzgebers – und vor allem die des Strafgesetzgebers – zu messen seien.12 Den Ausgangspunkt für diese Argumentation bildet Art. 1 Abs. 3 GG, nach dem die Gesetzgebung an die Grundrechte gebunden ist. 7

Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 38, 41. Allgemein zur Bindung an die Verfassung und ihre Prinzipien wie bspw. an das Rechtsstaatsprinzip vgl. Hamann, Grundgesetz und Strafgesetzgebung, S. 14 ff., 25 ff. Zur Bindung an die Grundrechte siehe Art. 1 Abs. 3 GG, vgl. hierzu Herdegen, in Maunz/Dürig (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Band 1, 60. Ergänzungslieferung 2010, Art. 1 Abs. 3 Rn. 92. 9 Vgl. Müller-Dietz, Strafe und Staat, S. 7. 10 Hierzu Appel, Verfassung und Strafe, S. 46 ff., 336 ff.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 145 ff.; zustimmend im Bezug auf den rechtlichen, nicht aber kriminalpolitischen Aspekt Sternberg-Lieben, Rechtsgut, Verhältnismäßigkeit und die Freiheit des Strafgesetzgebers, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 65 (65); Stächelin, Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat, S. 102 ff., 165 f.; vgl. ferner zum Verhältnis Strafrecht und Verfassungsrecht Naucke, Die Legitimation strafrechtlicher Normen – durch Verfassung oder durch überpositive Quellen?, in: Lüderssen (Hrsg.), Aufgeklärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das Böse?, S. 156 (163 ff.). Die Debatte um das Verhältnis des Strafrechts zum Grundgesetz setzte vermehrt bereits Ende der 50er bzw. Anfang der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts sein. Vgl. hierzu Hamann, Grundgesetz und Strafgesetzgebung, S. 25 ff., der sich in seinen Erwägungen auf Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, in: Bettermann/ Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Band III/2, S. 923 ff. bezieht; ferner Stree, Deliktsfolgen und Grundgesetz. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts siehe insbesondere BVerfGE 90, 145 (171 ff.); 120, 224 (239 ff.). 11 Vgl. hierzu Günther, JuS 1978, 8 (9 ff.). 12 Nach BVerfGE 27, 18 (30) muss die Entscheidung des Gesetzgebers materiell in Einklang mit der verfassungsrechtlichen Wertordnung stehen und auch den ungeschriebenen Verfassungsgrundsätzen und den Grundentscheidung des Grundgesetzes entspre8

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Eine bedeutende Rolle innerhalb der verfassungsrechtsorientierten Ansätze nimmt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein, die die verfassungsrechtliche Vereinbarkeit strafrechtlicher Normen zum Inhalt hat.13 An dieser höchstrichterlichen Rechtsprechungspraxis orientieren sich maßgeblich die in der Literatur vorherrschenden verfassungsrechtsorientierten Stimmen. Im Folgenden soll daher zunächst auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und im Anschluss daran auf die anhand dieses Modells entwickelten Ansätze in der Literatur eingegangen werden. 1. Verfassungsgerichtliches Prüfungsmodell

Das Bundesverfassungsgericht verfolgt bei seiner Rechtsprechung zur Vereinbarkeit strafrechtlicher Vorschriften mit der Verfassung von jeher einen sehr zurückhaltenden Prüfungsmaßstab.14 So betont das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen immer wieder, dass es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers sei, den Bereich strafbaren Handelns im Einzelnen verbindlich festzulegen.15 Um dieser Prämisse ausreichend Wirkung zu verleihen, beruft es sich bei seiner Prüfung immer wieder auf die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers und leitet daraus eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolldichte ab.16 Im Einzelnen kommt diese eingeschränkte Prüfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts sowohl bei der Auswahl der strafrechtlich zu schützenden Güter als auch bei der Ausgestaltung des entsprechenden Straftatbestandes zum Tragen. a) Erfordernis eines qualifizierten Schutzguts als eigenständiges Legitimationskriterium? Bereits bei der Bestimmung von Gütern, die überhaupt infrage kommen, mit den Mitteln des Strafrechts geschützt zu werden, unterwirft sich das Bundesverfassungsgericht einer weitgehenden Prüfungsbeschränkung. Zwar mahnt es unter chen. Mittlerweile ist dies st. Rspr., vgl. hierzu auch BVerfGE 80, 244 (255); 120, 224 (240 f.); Appel, Verfassung und Strafe, S. 336 ff., 431 ff.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 145 ff., 162 f. 13 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 21 ff.; Schünemann, Das Rechtsgüterschutzprinzip als Fluchtpunkt der verfassungsrechtlichen Grenzen der Straftatbestände und ihrer Interpretation, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 133 (142 ff.); Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (44 f.). 14 So hat das BVerfG noch nie einen Straftatbestand aus dem Besonderen Teil des Strafgesetzbuches für verfassungswidrig erklärt, vgl. hierzu Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 22 mit Verweis auf die Ausführungen von Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 61 ff., der sich auf Entscheidungen des BVerfG bezieht, die in der Zeit vor 1990 ergingen. 15 So BVerfGE 27, 18 (29 f.); 50, 142 (162); 90, 145 (173); 96, 10 (26); zuletzt in seiner Inzest-Entscheidung in BVerfGE 120, 224 (240). 16 BVerfGE 90, 145 (173, 183); 96, 10 (26); 120, 224 (240).

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Verweis auf den besonderen Charakter der Strafe, die Auswahl der entsprechenden Güter auf den Kreis „gewichtiger“ oder „elementarer Werte des Gemeinschaftslebens“ 17 bzw. auf „in besonderer Weise sozialschädliches“ und „für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträgliches Verhalten“ 18 zu beschränken. Worin ein solcher gewichtiger bzw. elementarer Wert des Gemeinschaftslebens bzw. für das geordnete Zusammenleben unerträgliches Verhalten im Einzelnen bestehen soll, lässt das Bundesverfassungsgericht in Anbetracht der dem Gesetzgeber zugestandenen Einschätzungsprärogative jedoch bewusst offen.19 Das Bundesverfassungsgericht beschränkt sich darauf, die infrage kommenden Schutzgüter gleichsam negativ zu bestimmen, indem es lediglich deren Vereinbarkeit mit der Verfassung fordert.20 In der Praxis bedeutet dies jedoch, dass hierfür jeder mit der Verfassung in Einklang zu bringende Zweck bzw. jedes Gut, dessen Schutz mit der Verfassung vereinbar ist, genügt. Damit erteilt das Bundesverfassungsgericht anderen Legitimationsansätzen, die dem Gesetzgeber für die Auswahl an Schutzgütern oder Schutzzwecken Vorgaben machen – wie bspw. die in der Strafrechtslehre zu findende Rechtsgutstheorie21 – eine deutliche Absage.22 Hintergrund hierfür ist, dass die in der Strafrechtswissenschaft vorherrschenden rechtsgutsorientierten Legitimationskonzepte als unzulänglich empfunden werden. So wird zum einen bemängelt, dass innerhalb dieser Lehren weder Kon17

BVerfGE 27, 18 (29 f.); 39, 1 (46); 45, 187 (254); 50, 142 (162); 90, 145 (184). BVerfGE 88, 203 (258); 96, 10 (25 f.); 120, 224 (239). 19 Siehe hierzu BVerfGE 120, 224 (240); ferner bereits angedeutet in BVerfGE 27, 18 (30); 50, 142 (162). 20 Vgl. BVerfGE 27, 18 (30). In den Worten von BVerfGE 90, 145 (175): „Gemeinschaftsbelange[n], die vor der Verfassung Bestand haben“. Demnach würde das BVerfG ein entsprechendes Strafgesetz nur dann sicher für verfassungswidrig erachten und für nichtig erklären, wenn der Gesetzgeber mit der Vorschrift (eindeutig) verfassungswidrige Ziele verfolgt, wie bspw. bei rassistischen, demokratiefeindlichen oder die Menschwürde missachtenden Zwecken oder wenn mit der Strafbarkeit die absolute Untergrenze der Strafwürdigkeit unterschritten und auf den Bereich des Ordnungs- bzw. Verwaltungsunrechts erweitert werden würde, vgl. zum letztgenannten Aspekt BVerfGE 96, 10 (26). 21 Zu den verschiedenen Spielarten der Rechtsgutstheorie siehe NK-StGB/Hassmer/ Neumann, Vor § 1 Rn. 109 ff. sowie in den verschiedenen Beiträgen in Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, 2002. Zur Kritik an diesem Modell siehe die Beiträge ebenda. 22 Bereits in der sog. Cannabis-Entscheidung in BVerfGE 90, 145 (173 ff.) angedeutet, nunmehr mit sehr deutlichen Worten im sog. Inzest-Urteil in BVerfGE 120, 224 (241) bestätigt: Es habe darüber zu wachen, „dass die Strafvorschrift materiell im Einklang mit den Bestimmungen der Verfassung steht und den ungeschriebenen Verfassungsgrundsätzen sowie Grundentscheidungen des Grundgesetzes entspricht. [. . .] Strafnormen unterliegen von Verfassungs wegen keinen darüber hinausgehenden, strengen Anforderungen hinsichtlich der mit ihnen verfolgten Zwecke. Insbesondere lassen sich solche nicht aus der strafrechtlichen Rechtsgutslehre ableiten.“ 18

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sens darüber bestehe, welche Maßstäbe überhaupt zur Bestimmung strafbaren Verhaltens heranzuziehen seien.23 Selbst den einzelnen strafrechtsgutsorientierten Strömungen ließen sich hinsichtlich der jeweils für einschlägig erachteten Maßstäbe keine präzisen Angaben zu deren Begründung und Reichweite entnehmen.24 Zum anderen wird kritisiert, dass die rechtsgutsorientierten Legitimationskonzepte ihre jeweils anerkannten Maßstäbe als verbindliche Vorgaben für den Gesetzgeber betrachteten, ohne dabei begründet darzulegen, wo sich im Gesetz ein entsprechender Rückhalt für eine solche Vorgabe finden lasse.25 Mit der Anerkennung von Maßstäben, die keinerlei Stütze im Gesetz finden, missachte man letztlich, dass die Definitionsmacht darüber, was das Strafrecht zu schützen habe und was nicht, dem demokratisch legitimierten und allein (verfassungs)rechtlich gebundenen Gesetzgeber obliege.26 b) Prüfungsgegenstand und Prüfungsmaßstab Auch in Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung eines Straftatbestandes, also auf die Frage nach der Umsetzung der – mit der Verfassung im Einklang stehenden – Strafbarkeitsentscheidung, überlässt das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber einen weiten Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum.27 Die Grenze bilde wiederum nur das Grundgesetz mit seinen abwehrrechtlichen Vor23 Vgl. BVerfGE 120, 224 (241 f.) – kritisch hierzu hingegen das Sondervotum von Hassemer, in BVerfGE 120, 255 (268 ff.); Appel, Verfassung und Strafe, S. 380; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 21 ff.; Stächelin, Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat, S. 42 ff. 24 Sehr deutlich nunmehr BVerfGE 120, 224 (241). 25 Vielmehr werde in diesem Zusammenhang auf überpositivistische, also der Rechtsordnung bzw. dem Gesetz vorgelagerte Kriterien und Maßstäbe verwiesen, vgl. hierzu Appel, Verfassung und Strafe, S. 358 ff. Selbst dort, wo man bei der Frage nach geeigneten Maßstäben pauschal auf die objektive Werteordnung der Verfassung verweist – vgl. etwa Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 2 Rn. 7 –, entpuppt sich diese Anknüpfung an grundgesetzliche Aussagen letztlich als halbherziger Legitimationsversuch für die Verbindlichkeit der auf diese Weise „ermittelten“ Wertungen, eingehend hierzu Appel, Verfassung und Strafe, S. 376 ff. 26 Zwar findet der Begriff des Rechtsguts in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mehrfach Verwendung – dass mit diesem Begriff jedoch lediglich das durch den jeweiligen Straftatbestand geschützte Objekt umschrieben und dies nicht als ein Verweis auf ein systemkritisches Legitimationsmodell zu verstehen sein soll, macht das Gericht in seiner jüngsten Entscheidung zum Inzestverbot deutlich, siehe hierzu BVerfGE 120, 224 (241): „Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich darüber zu wachen, dass die Strafvorschrift materiell im Einklang mit den Bestimmungen der Verfassung steht und den ungeschriebenen Verfassungsgrundsätzen sowie Grundentscheidungen des Grundgesetzes entspricht. [. . .] Strafnormen unterliegen von Verfassungs wegen keinen darüber hinausgehenden, strengen Anforderungen hinsichtlich der mit ihnen verfolgten Zwecke. Insbesondere lassen sie sich nicht aus der strafrechtlichen Rechtsgutslehre ableiten.“ Vgl. ferner Appel, Verfassung und Strafe, S. 387 f.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 162 f. 27 Vgl. hierzu BVerfGE 27, 18 (29 f.); 90, 145 (172 ff.); 120, 224 (239 ff.).

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gaben.28 Danach habe der Gesetzgeber vor allem die dem Grundgesetz unmittelbar zu entnehmenden Vorgaben – wie bspw. das Gleichheitsgebot nach Art. 3 Abs. 1 GG oder das Bestimmtheitsgebot nach Art. 103 Abs. 1 GG – zu beachten.29 In der Prüfungspraxis des Bundesverfassungsgerichts kommt dabei vor allem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unter dem Gesichtspunkt der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit und insbesondere dem Übermaßverbot eine entscheidende Rolle zu.30 Das Bundesverfassungsgericht legt seiner Prüfung einen dreistufigen Aufbau zugrunde. Es unterscheidet hierzu im Rahmen der entsprechend zu prüfenden Strafnorm zwischen dem der Norm zugrunde liegenden Verhaltensverbot bzw. -gebot auf der einen Seite und der Strafbewehrung eines solchen Verbots bzw. Gebots auf der anderen Seite.31 Schließlich prüft das Gericht auch die konkrete Strafandrohung mit der in ihr enthaltenen Art und Höhe der in Aussicht gestellten Sanktion.32 Das Bundesverfassungsgericht begründet diese Vorgehensweise mit der unterschiedlichen Eingriffsqualität in das jeweils grundrechtlich geschützte Freiheitsrecht und den daraus resultierenden unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Legitimationsanforderungen auf den jeweiligen Stufen.33 aa) Hinsichtlich der zugrunde liegenden Verhaltensanweisung Das Bundesverfassungsgericht prüft auf der ersten Stufe die Verfassungsmäßigkeit der dem Straftatbestand zugrunde liegenden Verhaltensanweisung. Hierzu untersucht das Gericht, ob die mit dem Verhaltensverbot bzw. -gebot einhergehende Beschränkung des entsprechend betroffenen Grundrechts – regelmäßig das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG – verhältnismäßig ist.34 Da es auf dieser ersten Stufe nur um die der Strafnorm zugrunde liegende Verhaltensanweisung als solche geht, fließen keine strafrechtsspezifischen Gesichtspunkte in die Prüfung der Verhältnismäßigkeit ein. Das Bundesverfassungsgericht nimmt daher bei der Prüfung der Rechtfertigung des mit der

28 So müsse die Strafvorschrift materiell im Einklang mit den Bestimmungen der Verfassung stehen und den ungeschriebenen Verfassungsgrundsätzen sowie den Grundentscheidungen des Grundgesetzes entsprechen, siehe hierzu BVerfGE 27, 18 (30); 120, 224 (241). 29 Vgl. BVerfGE 27, 18 (30); 120, 224 (240 f.). 30 Siehe BVerfGE 90, 145 (172 f.); 120, 224 (240 f.); ferner insbesondere zu den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit BVerfGE 88, 203 (258). 31 Vgl. hierzu BVerfGE 27, 18 (29); 90, 145 (171 ff., 183 f.); 120, 224 (239 ff.). 32 Vgl. hierzu BVerfGE 27, 18 (29); 90, 145 (171 ff., 183 f.); 120, 224 (239 ff.). 33 Vgl. hierzu BVerfGE 90, 145 (171 ff.). Zur Frage des Grundrechtseingriffs bereits durch Inkrafttreten des entsprechenden Gesetzes, siehe Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 85. 34 Vgl. hierzu BVerfGE 90, 145 (171 ff.).

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Verhaltensanweisung einhergehenden Grundrechtseingriffs eine „einfache“ Verhältnismäßigkeitsabwägung vor. Hierbei räumt es dem Gesetzgeber nicht nur bei der Auswahl des Verbots- bzw. Schutzzwecks, sondern auch bei der Geeignetheits- und Erforderlichkeitsabwägung einen weiten Entscheidungs- und Ermessensspielraum ein.35 bb) Hinsichtlich der Strafbewehrung der Verhaltensanweisung Gesteigerte Bedeutung kommt der Verhältnismäßigkeitsabwägung dagegen auf der zweiten Prüfungsstufe zu. Auf dieser Stufe untersucht das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit der Strafbewehrung des Verhaltensverbots bzw. -gebots. Da mit der Strafbewehrung einer Verhaltensanweisung nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts zugleich ein sozialethisches Unwerturteil verbunden ist, stellt bereits die bloße Strafbewehrung einen Eingriff in die Menschenwürde – genauer: den Wert- und Achtungsanspruch – des Normübertretenden dar.36 Demnach sei die Verhältnismäßigkeitsabwägung im Rahmen der Strafbewehrung einer Verhaltensanweisung vor dem Hintergrund eines Eingriffs in den Wert- und Achtungsanspruch des potentiell Zuwiderhandelnden vorzunehmen, wobei dem Übermaßverbot besondere Bedeutung zukomme.37 cc) Hinsichtlich der konkreten Strafandrohung Auf der dritten Stufe prüft das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit der konkreten Strafandrohung, mithin die Strafart und Strafhöhe der in Aussicht gestellten Sanktion.38 Hierbei komme wiederum dem Übermaßverbot besondere Bedeutung zu. Die Intensität des gesetzgeberischen Eingriffs in den Wert- und Achtungsanspruch bestimme sich dabei nach dem Inhalt des mit der

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Vgl. hierzu BVerfGE 90, 145 (174 ff.; 181 ff.). Zum besonderen sozialethischen Unwerturteil siehe BVerfGE 25, 269 (286); 27, 18 (29); 88, 203 (258); 120, 224 (241). Bislang hat das BVerfG diesen Aspekt unter dem Hinweis auf die Beachtung des Übermaßverbotes, des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Schuldprinzips gewürdigt, vgl. BVerfGE 120, 224 (240 f.) m.w. N. Dass das mit der Strafe zum Ausdruck gebrachte sozialethische Unwerturteil auch das Grundrecht der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG betreffen kann, wird zumindest in mehreren neueren Entscheidungen des BVerfG in Bezug auf strafgerichtliche Verurteilungen betont, siehe BVerfGE 96, 245 (249); 101, 275 (287); vgl. auch die Nichtannahmebeschlüsse BVerfG (2 BvR 1226/07) vom 06.07.2007 und (2 BvR 486/05) vom 08.03.2006. An dieser Stelle sei angemerkt, dass der Grundrechtseingriff nicht erst durch die entsprechende rechtskräftige Verurteilung auf der Grundlage des Strafgesetzes erfolgt, sondern bereits – wenn auch in abstrakt-genereller Form – in der gesetzlichen Anordnung des Straftatbestandes, siehe hierzu ausführlich Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 107 ff. 37 BVerfGE 120, 224 (240). 38 BVerfGE 90, 145 (173); 120, 224 (241). 36

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Strafnorm implizierten Unwerturteils,39 welches in der konkreten Strafandrohung – hier: der Strafart und Strafhöhe – seinen Ausdruck finde40. Dies habe in Anbetracht der Strafhöhe auch für das durch die Wahl der Strafart unmittelbar betroffene Grundrecht zu gelten.41 So bewirkten freiheitsentziehende Sanktionen regelmäßig einen Eingriff in das Grundrecht der Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, was im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Berücksichtigung finden müsse.42 Aus dem Schuldprinzip sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folge insbesondere, dass die Strafandrohung in Hinblick auf das unter Strafe gestellte Verhalten nicht schlechthin unangemessen sein dürfe, vielmehr seien Tatbestand und Rechtsfolge sachgerecht aufeinander abzustimmen.43 Auf den beiden letztgenannten Stufen räumt das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber insbesondere bei der Verhältnismäßigkeitsabwägung zur Rechtfertigung des jeweiligen Grundrechtseingriffes einen weiten Entscheidungs- und Ermessensspielraum ein. So überlässt das Gericht bereits die Entscheidung, worin der mit der Sanktionsnorm verfolgte Zweck bestehen soll, nahezu völlig der Dezision des Gesetzgebers.44 Insbesondere vermeidet es das Bundesverfassungsgericht, zu den verschiedenen Straftheorien kritisch Stellung zu beziehen.45 Dies hat zur Folge, dass es aus verfassungsgerichtlicher Sicht bereits ausreicht, wenn die Strafbewehrung bzw. die Strafandrohung geeignet und erforderlich erscheinen, wenigstens einem anerkannten Strafzweck – im Sinne des Schuldausgleichs, der Prävention, der Resozialisierung des Täters bzw. der Sühne und Vergeltung für begangenes Unrecht – zu dienen.46 39 So in Bezug auf das in der strafgerichtlichen Verurteilung ausgesprochene sozialethische Unwerturteil als Konkretisierung des mit der Strafnorm zum Ausdruck gebrachten Unwerturteils: BVerfGE 96, 245 (249). 40 Vgl. BVerfGE 27, 18 (29): „Jede Strafnorm enthält ein mit staatlicher Autorität versehenes sozial-ethisches Unwerturteil über die von ihr pönalisierte Handlungsweise. Der konkrete Inhalt dieses Unwerturteils ergibt sich aus Straftatbestand und Strafandrohung. Der Abstufung der verschiedenen Straftaten nach ihrem Unrechtsgehalt entsprechen im Rechtsstaat die nach Strafart und Strafhöhe gestaffelten Sanktionen.“ 41 So bestimmt sich bei einem mit Freiheitsstrafe bewehrten Delikt die Intensität des Eingriffes in das Grundrecht auf Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich anhand der konkret in dem Straftatbestand festgesetzten Strafhöhe, vgl. hierzu unter zusätzlicher Betonung des Schuldprinzips BVerfGE 120, 224 (239 ff.). 42 Vgl. BVerfGE 90, 145 (172); 120, 224 (239). 43 So die ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfGE 120, 224 (241) mit Verweis auf BVerfGE 90, 145 (173) m.w. N. 44 So kommen als legitime Zwecke für das BVerfG infrage: Schuldausgleich, Prävention, Resozialisierung des Täters bzw. Sühne und Vergeltung für begangenes Unrecht, vgl. hierzu BVerfGE 32, 98 (109); 45, 187 (253 f., 256 ff.); 64, 267 (271), zum Aspekt der Generalprävention insbesondere BVerfGE 39, 1 (57). 45 Siehe BVerfGE 45, 187 (253 f.; 256 ff.); 64, 261 (271); sehr deutlich nunmehr auch BVerfGE 120, 224 (241 f.). 46 Vgl. hierzu BVerfGE 32, 98 (109); 45, 187 (253 f., 256 ff.); 64, 267 (271), zum Aspekt der Generalprävention insbesondere BVerfGE 39, 1 (57); insgesamt hierzu Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (46 ff.).

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Ferner räumt das Gericht dem Gesetzgeber auf den beiden Prüfungsstufen der Strafbewehrung und Strafandrohung im Rahmen der Rechtfertigung des entsprechenden Grundrechtseingriffes bezüglich der jeweiligen Geeignetheits-, Erforderlichkeits- und Angemessenheitsabwägung einen weiten Entscheidungs- und Ermessensspielraum ein.47 So verlangt das Bundesverfassungsgericht bei der Prüfung der Geeignetheit der Strafbewehrung bzw. der konkreten Strafandrohung nicht, dass der gewünschte Erfolg im konkreten Einzelfall auch tatsächlich erreicht wird, vielmehr genügt die bloße Möglichkeit der Zweckerreichung.48 Damit beschränkt sich das Bundesverfassungsgericht auf die Prüfung, ob das Gesetz „objektiv ungeeignet“ 49 oder „schlechthin ungeeignet“ 50 ist, den vom Gesetzgeber bestimmten Zweck zu erreichen. Eine mangelnde Eignung kann das Gericht damit in der Praxis „nur selten und nur in besonders gelagerten Fällen“ 51 feststellen. Einen ebenso großen Ermessensspielraum gesteht das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber auch in der Frage der Erforderlichkeit der Strafbewehrung bzw. der konkreten Strafandrohung zu.52 Hierzu führt es aus: „Bei der Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit des gewählten Mittels zur Erreichung der erstrebten Ziele sowie bei der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Einschätzung und Prognose der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit drohenden Gefahren steht dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zu, welcher vom Bundesverfassungsgericht je nach Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter und den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, nur in begrenztem Umfang überprüft werden kann.“ 53 Das Bundesverfassungsgericht beschränkt sich somit darauf, zu prüfen, ob der entsprechenden Strafnorm eine verhaltenssteuernde oder normstabilisierende Wirkung zugeschrieben werden kann und in Bezug auf die Strafbewehrung und Strafandrohung keine offensichtliche Fehleinschätzung gemacht wird oder das Übermaßverbot unberücksichtigt bleibt.54

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Siehe hierzu BVerfGE 90, 145 (173); 120, 224 (240). Vgl. BVerfGE 120, 224 (240) mit Verweis auf BVerfGE 96, 10 (23). 49 BVerfGE 17, 306 (317); 47, 109 (117). 50 BVerfGE 19, 119 (126 f.). 51 So BVerfGE 47, 109 (117) mit Verweis auf BVerfGE 30, 250 (263 f.). 52 BVerfGE 90, 145 (172 f.); 120, 224 (240). 53 Siehe BVerfGE 120, 224 (240) wiederum mit Verweis auf BVerfGE 90, 145 (172 f.). 54 Zum letztgenannten Aspekt siehe insbesondere BVerfGE 120, 224 (252). Ausführlich hierzu mit entsprechender Kritik Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 51 f.. In dem Sondervotum der Richterin Graßhof zum sog. Cannabis-Urteil des BVerfG in BVerfGE 90, 199 (203) erteilt sie einer zusätzlichen Prüfung des Übermaß48

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c) Kritik an dem verfassungsgerichtlichen Prüfungsmaßstab Es fällt auf, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung zur verfassungsrechtlichen Vereinbarkeit von Strafnormen auf der einen Seite stets die besonderen Anforderungen an den Einsatz der Strafe betont, auf der anderen Seite jedoch darum bemüht ist, die Erfüllung dieser Anforderungen äußerst zurückhaltend zu überprüfen. Diese Zurückhaltung hat zur Folge, dass der Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts bereits von einem sehr restriktiven Prüfungsansatz geprägt ist, der an einzelnen Prüfungspunkten aufgrund der dem Gesetzgeber zugestandenen Einschätzungsprärogative eine äußerst geringe Kontrolldichte aufweist. Besonders augenfällig wird dies im Rahmen der beiden letzten Prüfungsstufen des Bundesverfassungsgerichts, namentlich bei der Strafbewehrung der Verhaltensanweisung und der konkreten Strafandrohung. Auf diesen beiden Stufen soll nach Ansicht des Gerichts der Verhältnismäßigkeitsprüfung aufgrund des mit dem Strafeinsatz zum Ausdruck gebrachten sozial-ethischen Unwerturteil eigentlich gesteigerte Bedeutung zukommen.55 In Wirklichkeit lässt das Gericht dem Gesetzgeber hierfür jedoch bereits bei der Wahl, worin der Zweck der entsprechenden Strafbewehrung bzw. Strafandrohung überhaupt bestehen soll, einen weiten Entscheidungsspielraum. Hintergrund mag der Umstand sein, dass sich insbesondere Zwecke wie die – allgemein gesprochen – Abschreckung oder Normstabilisierung empirisch nicht eindeutig belegen noch widerlegen lassen, da es schlichtweg an einem empirischen Nachweis56 oder möglicherweise generell an einer entsprechenden empirischen Nachweisbarkeit mangelt.57 Indem sich das Bundesverfassungsgericht jedoch auch in der Frage, ob der vom Gesetzgeber gewählte Strafzweck mit der Regelung wirklich erreicht wird, auf die gesetzgeberische Einschätzungsprärogative beruft, wird die Erreichung des mit der Strafnorm verfolgten Zwecks – zumindest was generalpräventive Zwecke anbelangt – zur „Vermutung, deren Widerlegbarkeit nicht geprüft wird“.58 Folgen hat dies nicht nur für die Untersuchung der Frage, ob die Strafbewehrung der Verhaltensanweisung überhaupt geeignet ist, den vom Gesetzgeber angegebenen Zweck zu erreichen, sondern auch für die Frage der Erforderlichkeit der Strafbewehrung. Denn letztlich lassen sich ohne Erkenntnisse über die Eigverbotes eine Absage, da der Einzelne durch ein Gesetz, welches an sich geeignet und erforderlich ist, nicht unzumutbar belastet werden könne. 55 BVerfGE 90, 145 (173); 120, 224 (241). 56 Vgl. hierzu Wohlers, Strafrecht als ultima ratio – tragender Grundsatz eines rechtsstaatlichen Strafrechts oder Prinzip ohne eigenen Aussagegehalt?, in: von Hirsch/Seelmann/Wohlers (Hrsg.), Mediating Principle, S. 54 (60). 57 Siehe hierzu mit vielen weiteren Nachweisen Weigend, FS Hirsch, S. 917 (932 f.); Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (47). 58 So Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 51 in Bezug auf BVerfGE 39, 1 (57).

I. Verfassungsrechtsorientierte Ansätze

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nung bestimmter Mittel keine Aussagen darüber treffen, wie diese Mittel nun in Relation zueinander oder zu anderen Mitteln stehen.59 Letztlich hat der weitgehende Verzicht des Bundesverfassungsgerichts auf die Überprüfung der Geeignet- oder Erforderlichkeit der Strafbewehrung jedoch auch Auswirkungen auf die Aussagekraft der verfassungsgerichtlichen Prüfung insgesamt. Das Bundesverfassungsgericht beschränkt seine Überprüfung darauf, nur dann kritische Erwägungen anzustellen, wenn die Strafnorm „schlechthin ungeeignet“ 60 erscheint, den vom Gesetzgeber verfolgten Zwecken zu dienen. Tatsächlich liegt eine solche Konstellation „nur selten und in besonders gelagerten Fällen“ vor.61 Daran zeigt sich nicht nur die geringe Kontrolldichte, sondern auch die damit einhergehende Unzulänglichkeit des Kontrollinstrumentariums: Denn eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, der von vornherein als unverrückbare Prämisse zugrunde liegt, dass die Strafbewehrung einer Verhaltensanweisung ein besonderes sozialethisches Unwerturteil enthält, so dass sie auch eine gewisse (präventive oder normstabilisierende) Wirkung in der Gesellschaft entfalten müsse, nimmt das Ergebnis der Prüfung – namentlich die Feststellung der Eignung und Erforderlichkeit der Strafbewehrung bestimmter Verhaltensanweisungen – regelmäßig vorweg.62 Und solange der vorweggenommene Eignungs- und Erforderlichkeitsbefund nicht infrage gestellt bzw. tatsächlich kritisch untersucht wird, bleibt diese zirkuläre Argumentation des Bundesverfassungsgerichts undurchbrochen. Aus alledem folgt, dass die verfassungsgerichtliche Vorgabe, der Einsatz von Strafe solle wegen des mit der Strafe einhergehenden besonderen sozialethischen Unwerturteils äußerst zurückhaltend erfolgen, angesichts der wohlwollenden verfassungsgerichtlichen Überprüfungspraxis kaum Durchsetzungskraft besitzt.63 Das Bundesverfassungsgericht beschränkt sich bei seiner Untersuchung von Strafnormen auf ihre verfassungsrechtliche Vereinbarkeit maßgeblich auf eine rein negative Verfassungsmäßigkeitskontrolle. Daher verwundert es wenig, dass das Bundesverfassungsgericht bislang noch keine Strafvorschriften aus dem Besonderen Teil des Strafgesetzbuches in Hinblick auf die Notwendigkeit der Straf-

59 So Weigend, FS Hirsch, S. 917 (932 f.); vgl. ferner Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 51 f., der auf die Entscheidung BVerfGE 39, 1 (57) Bezug nimmt. 60 So BVerfGE 19, 119 (126 f.); 30, 250 (263); 77, 84 (106). 61 So BVerGE 47, 109 (117) mit Verweis auf BVerfGE 30, 250 (263 f.). 62 Vgl. auch Weigend, FS Hirsch, S. 917 (932 f.). Zur von der durch die geringe Kontrolldichte bedingten Schwäche zu unterscheidenden grundsätzlichen „Anfälligkeit“ des Verhältnismäßigkeitsprinzips und seiner Leistungsfähigkeit siehe Neumann, Das Verhältnismäßigkeitsprinzip als strafbegrenzendes Prinzip, in: von Hirsch/Seelmann/Wohlers, Mediating Principles, S. 128 (129 f.). 63 Im Ergebnis ebenso Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 24; Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (48 f.); Schünemann, Das Rechtsgüterschutzprinzip als Fluchtpunkt der verfassungsrechtlichen Grenzen der Straftatbestände und ihrer Interpretation, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 133 (142 ff.); Vogel, StV 1996, 110 (113 f.).

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§ 4, A. Anforderungen in Hinblick auf Legitimation und Ausgestaltung

bewehrung für ungeeignet oder nicht erforderlich gehalten und eine Strafnorm im Gesamten für verfassungswidrig erklärt hat.64 2. Verfassungsrechtsorientierte Ansätze im Schrifttum

In der Literatur finden sich mehrere Ansätze, die sich zur Beantwortung der Frage, welche Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen sind, maßgeblich an der Prüfungspraxis des Bundesverfassungsgerichts orientieren.65 Ihnen ist gemein, dass sie sich dabei auf eine verfassungsrechtliche Prüfung der Strafbarkeitsentscheidungen des Strafgesetzgebers beschränken wollen.66 Sie sind demnach zu der Gruppe verfassungsrechtsorientierter Ansätze zu zählen, aus deren Mitte stellvertretend die Ansätze Appels und Lagodnys dargestellt werden sollen.67 a) Erfordernis eines qualifizierten Schutzguts als eigenständiges Legitimationskriterium? In gleicher Weise wie das Bundesverfassungsgericht68 erteilen Appel und Lagodny denjenigen aus der Strafrechtslehre stammenden Theorien eine Absage, die die Strafbarkeitsentscheidung des Gesetzgebers von vornherein auf einen eng umgrenzten Bereich an Gütern festlegen wollen und sich dabei nicht unmittelbar an verfassungsrechtlichen Vorgaben orientieren.69 Eines strafrechtsgutsorientierten Legitimationskonzepts, das zur Gewährleistung einer maßvollen Beschränkung des Strafgesetzgebers auf vorpositive (und vorkonstitutionelle) Maßstäbe

64 Vgl. hierzu Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 22 mit Verweis auf die Ausführungen von Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 61 ff., der sich auf Entscheidungen des BVerfG bezieht, die in der Zeit vor 1990 ergingen. 65 Siehe die Monographien von Appel, Verfassung und Strafe; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte; Stächelin, Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat; vgl. ferner den Beitrag von Vogel, StV 1996, 110 (110 ff.). 66 Ausgangspunkt ist hierbei wiederum Art. 1 Abs. 3 GG und das Prinzip der Gewaltenteilung, vgl. weiter Appel, Verfassung und Strafe, S. 336 ff., 431 ff.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 145 ff., 162 f. Zur bundesverfassungsgerichtlichen Sicht siehe BVerfGE 27, 18 (30), danach muss die Entscheidung des Gesetzgebers materiell in Einklang mit der verfassungsrechtlichen Wertordnung stehen und auch den ungeschriebenen Verfassungsgrundsätzen und den Grundentscheidung des Grundgesetzes entsprechen. Mittlerweile ist dies st. Rspr., vgl. hierzu auch BVerfGE 80, 244 (255); 120, 224 (240 f.). 67 Siehe hierzu die Monographien Appel, Verfassung und Strafe; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte. 68 Siehe hierzu die Ausführungen des BVerfG in seiner jüngsten Inzest-Entscheidung BVerfGE 120, 224 (241 f.). 69 Siehe hierzu Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 143 ff.; 424 ff.; ders., Das materielle Strafrecht als Prüfstein der Verfassungsdogmatik, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 83 (84 f.); Appel, Verfassung und Strafe, S. 340 ff. und insbes. S. 381 ff.

I. Verfassungsrechtsorientierte Ansätze

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zurückgreife, bedürfe es nach der Verabschiedung des Grundgesetzes schon angesichts seines umfassenden Grundrechtskatalogs nicht mehr.70 Appel und Lagodny relativieren von vornherein auch die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, dass es sich bei den mit Strafe bewehrten Schutzobjekten um gewichtige oder elementare Werte des Gemeinschaftslebens71 handeln müsse.72 Es genüge vielmehr, dass das vom parlamentarischen Gesetzgeber gewählte Schutzobjekt bzw. der Schutzzweck verfassungskonform sei.73 Darüber hinaus werde das, was der Gesetzgeber mit den Mitteln des Strafrechts für schützenswert erklärt, bereits zum Gemeinwohlinteresse.74 Appel und Lagodny legen damit den maßgeblichen Schwerpunkt weniger auf die Strafbarkeitsentscheidung als solche als vielmehr auf die Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit der Ausgestaltung des Straftatbestandes.75 b) Prüfungsgegenstand und Prüfungsmaßstab Angelehnt an das Prüfungsmodell des Bundesverfassungsgerichts unterscheiden Appel und Lagodny bei der Untersuchung der Strafnorm auf ihre verfassungsrechtliche Vereinbarkeit hinsichtlich der Ausgestaltung des Straftatbestandes zwischen der der Strafnorm zugrunde liegenden Verhaltensvorschrift und der Sanktionsvorschrift, wobei sie im Rahmen der Sanktionsvorschrift noch einmal zwischen der Strafbewehrung als solcher und der konkreten Strafandrohung differenzieren.76 Auf der ersten Stufe prüfen Appel und Lagodny die Vereinbarkeit der dem Straftatbestand zugrunde liegenden Verhaltensanweisung mit der Verfassung, da bereits die der Strafnorm zugrunde liegende Verhaltensvorschrift in die Freiheit des Bürgers eingreife.77 Da jedoch hierbei noch keinerlei spezifisch strafrecht70

Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 147 f.; Appel, Verfassung und Strafe, S. 390. 71 BVerfGE 27, 18 (29 f.); 39, 1 (46); 45, 187 (254); 50, 142 (162); 90, 145 (184). 72 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 138 ff., 162; Appel, Verfassung und Strafe, S. 514 ff. 73 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 138 ff., 162; ders., Das materielle Strafrecht als Prüfstein der Verfassungsdogmatik, in: Hefendehl/von Hirsch/ Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 83 (84 f.). 74 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 143 f.; 162; 517 f.; vgl. hierzu Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 27. 75 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 144; 162 ff.; Appel, Verfassung und Strafe, S. 515 ff. 76 Appel, Verfassung und Strafe, S. 559; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 127 ff., zur Unterscheidung innerhalb der Sanktionsvorschrift siehe insbesondere S. 105 f. 77 Appel, Verfassung und Strafe, S. 433 ff., 437; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 77 ff.

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§ 4, A. Anforderungen in Hinblick auf Legitimation und Ausgestaltung

lichen Fragen berührt werden,78 müssen auf dieser ersten Stufe die Eingriffe in das entsprechend durch die Verhaltensanweisung betroffene Grundrechte geprüft und anhand einer „einfachen“ Verhältnismäßigkeitsabwägung gewürdigt werden.79 Dabei sei der Gesetzgeber in der Wahl des mit der Verhaltensanweisung verfolgten Zwecks nahezu frei. Zu beachten habe er letztlich nur die sich aus der Verfassung ergebenden Grenzen.80 Dabei komme dem Gesetzgeber auch bei der Geeignetheits-, Erforderlichkeits- und Angemessenheitsabwägung zur Rechtfertigung des durch die Verhaltensanweisung bedingten Grundrechtseingriffes ein weiter Einschätzungsspielraum zu.81 Einen deutlich komplexeren Prüfungsmaßstab verfolgen Appel und Lagodny hingegen auf der zweiten und dritten Prüfungsstufe. Ebenso wie das Bundesverfassungsgericht qualifizieren sie auf der zweiten Stufe das mit der Strafbewehrung der Verhaltensnorm zum Ausdruck gebrachte und mit staatlicher Autorität versehene sozial-ethische Unwerturteil als einen Eingriff in den sozialen Ehrund Achtungsanspruch des Betroffenen.82 Anders als das Bundesverfassungsgericht sehen Appel und Lagodny dadurch jedoch nicht das Grundrecht auf Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG,83 sondern vielmehr das Grundrecht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 1 GG betroffen84. Davon zu unterscheiden ist die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der 78 Zwar ermächtigt die Verletzung der Verhaltensvorschrift u. U. zu einem präventivpolizeilichen Eingriff, dieser beinhaltet jedoch nicht das mit staatlicher Autorität versehene sozial-ethische Unwerturteil der Kriminalstrafe, vgl. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 275; Appel, Verfassung und Strafe, S. 569 f. 79 Appel, Verfassung und Strafe, S. 569 f.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 85 ff.; 164 ff. 80 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 143 f., 162; Appel, Verfassung und Strafe, S. 572 f. 81 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 178, 182 ff., 274, 511 f. Damit sind zwar strafrechtsspezifischen Erwägungen auf der ersten Prüfungsstufe grundsätzlich außer Acht zu lassen, Appel betont dennoch in diesem Zusammenhang die Bedeutung einer verfassungsmäßigen Verhaltensnorm, da nur verfassungsmäßige staatliche Verhaltensanweisungen auch taugliche Objekte einer Strafbewehrung sein können, vgl. Appel, Verfassung und Strafe, S. 559; ebenso Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 112 f.; ders., FS Stree und Wessels, S. 69 (95 f.). 82 Siehe für das Bundesverfassungsgericht BVerfGE 96, 245 (249); 101, 275 (287); vgl. auch die Nichtannahmebeschlüsse BVerfG (2 BvR 1226/07) vom 06.07.2007 und (2 BvR 486/05) vom 08.03.2006. Entsprechend für die Literatur Appel, Verfassung und Strafe, S. 575; Lagodny, Strafrecht vor den Grenzen der Grundrechte, S. 116 ff.; 127 f. Sofern es sich bei dem Sanktionsmittel um die Freiheitsstrafe handelt, siehe Lagodny, Strafrecht vor den Grenzen der Grundrechte, S. 130; Appel, Verfassung und Strafe, S. 590. 83 Siehe BVerfGE 96, 245 (249); 101, 275 (287); vgl. auch die Nichtannahmebeschlüsse BVerfG (2 BvR 1226/07) vom 06.07.2007 und (2 BvR 486/05) vom 08.03. 2006. 84 Appel, Verfassung und Strafe, S. 575; Lagodny, Strafrecht vor den Grenzen der Grundrechte, S. 116 ff.; 127 f.

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Strafandrohung, die Gegenstand der dritten Prüfungsstufe ist. Appel und Lagodny zufolge stellt die Strafandrohung je nach der konkreten Strafart entweder einen Eingriff in das Grundrecht der Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG85 oder das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG86 dar. Innerhalb der zweiten und dritten Prüfungsstufe verfolgen beide Autoren jedoch eine unterschiedliche Vorgehensweise. Während Lagodny die Rechtfertigung der jeweiligen Grundrechtseingriffe – namentlich den Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Bezug auf die Strafbewehrung und den Eingriff in das Recht auf Freiheit der Person bzw. in die allgemeine Handlungsfreiheit in Bezug auf die konkrete Strafandrohung – und die damit einhergehende Verhältnismäßigkeitsprüfung einer gemeinsamen Würdigung unterziehen möchte,87 plädiert Appel für eine getrennte Prüfung.88 Auch im Rahmen der jeweiligen Verhältnismäßigkeitsabwägung zur Rechtfertigung des entsprechenden Grundrechtseingriffs verfolgen beide Autoren einen unterschiedlichen Prüfungsmaßstab. So lässt Lagodny dem Gesetzgeber in der Wahl des mit der Sanktionsnorm verfolgten Strafzwecks freie Hand, solange dem entsprechenden Strafzweck Gemeinwohlinteressen innewohnen.89 Im Rahmen der Rechtfertigung der jeweiligen Grundrechtseingriffe orientiert sich Lagodny bei der Verhältnismäßigkeitsabwägung an der Rechtsprechungspraxis des Bundesverfassungsgerichts.90 Demnach komme dem Gesetzgeber in der Frage der tatsächlichen Wirksamkeit des mit der Sanktionsnorm verfolgten Strafzwecks eine weitreichende Einschätzungsprärogative zu – solange die Ungeeignetheit der Strafbewehrung nicht positiv nachgewiesen werden könne, sei die Strafbewehrung nicht von vornherein für ungeeignet zu erklären.91 85 Sofern es sich bei dem Sanktionsmittel um die Freiheitsstrafe handelt, siehe Lagodny, Strafrecht vor den Grenzen der Grundrechte, S. 130; Appel, Verfassung und Strafe, S. 590. 86 Sofern es sich bei dem Sanktionsmittel um die Geldstrafe handelt, siehe Lagodny, Strafrecht vor den Grenzen der Grundrechte, S. 133; Appel, Verfassung und Strafe, S. 591. 87 Lagodny, Strafrecht vor den Grenzen der Grundrechte, S. 132. 88 Appel, Verfassung und Strafe, S. 574 ff. und 590 ff. 89 Nach Lagodny, Strafrecht vor den Grenzen der Grundrechte, S. 289 ff., 301 ff. sind dies die negative Generalprävention, die positive Generalprävention, die Spezialprävention im weiteren Sinne, die Schuldvergeltungstheorien und die Vereinigungstheorien. Seiner Meinung nach stehen alle diese Strafzwecke gleichberechtigt nebeneinander, wobei er eine Tendenz zu präventiv orientierten Strafzwecken erkennen lässt, vgl. Lagodny, Strafrecht vor den Grenzen der Grundrechte, S. 288 ff., 301 ff., insbes. 316 f. 90 Lagodny, Strafrecht vor den Grenzen der Grundrechte, S. 318 ff., 362 f., 365 f. 91 Selbiges gelte auch für die Frage der Erforderlichkeit – die verpflichtende Wahl einer milderen Maßnahme statt des Einsatzes der Kriminalstrafe komme nur dann in Betracht, wenn die vergleichbare Wirksamkeit der milderen Maßnahme empirisch belegbar sei, siehe zur Geeignetheit und Erforderlichkeit Lagodny, Strafrecht vor den Grenzen der Grundrechte, S. 318 ff., 362 f., 365 f.

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Dagegen sieht Appel den einzig zulässigen Zweck strafrechtlicher Sanktionsnormen darin, die Geltungsbedeutung der Verhaltensnormen zu untermauern, im Falle der Normverletzung die Geltung der Norm zu rehabilitieren und die (künftige) Normgeltung zu sichern.92 Dabei vermeidet er es, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsabwägung auf einen empirisch begründeten und nachzuweisenden Normeffekt abzustellen. Solange sich der Strafzweck auf die Normrehabilitierung bezieht, vermag Appel die Geeignetheits- und Erforderlichkeitsprüfung somit keine Schwierigkeiten zu bereiten: Ein (mit Strafe bewehrter) Vorwurf der defizitären Einstellung zur Norm leistet in aller Regel immer auch einen positiven Beitrag zur Normrehabilitierung.93 c) Kritik an den Modellen Appels und Lagodnys Den Ansätzen Appels und Lagodnys ist gemein, dass sie dem Gesetzgeber die grundsätzliche Entscheidung zur Bestimmung der Strafbarkeit menschlichen Verhaltens überlassen und sich auf die verfassungsrechtliche Kontrolle dieser Entscheidung beschränken. Der dabei gewählte Prüfungsansatz ist im Grundsatz der Rechtsprechungspraxis des Bundesverfassungsgerichts entnommen, hinsichtlich des Prüfungsprogramms jedoch deutlich präzisiert worden. An den entscheidenden Stellen – genauer: bei der Verhältnismäßigkeitsabwägung im Rahmen der Rechtfertigung des mit der Regelung entsprechend einhergehenden Grundrechtseingriffs auf der zweiten (bzw. dritten) Prüfungsstufe – weist aber auch dieses Prüfungsprogramm einen eingeschränkten Prüfungsmaßstab auf. 3. Zwischenergebnis

Auf die Frage, auf welche Verhaltensweisen mit Strafe zu reagieren ist und auf welche nicht, geben die verfassungsrechtsorientierten Ansätze einschließlich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur bedingt eine Antwort. Grund hierfür ist zunächst der Blickwinkel, aus dem heraus diese Ansätze die Bestimmung strafbaren Verhaltens untersuchen: Sie beschränken sich allesamt auf die Überprüfung, ob die gesetzgeberischen Strafbarkeitsentscheidungen den Vorgaben der Verfassung genügen und mit ihnen in Einklang stehen. Angesichts dieser Beschränkung auf eine negative Verfassungsmäßigkeitskontrolle können den verfassungsrechtsorientierten Ansätzen keine positiv formulierten Aussagen zur Frage nach dem Einsatz der Strafe entnommen werden. Ein weiterer Grund für die begrenzte Aussagekraft der verfassungsrechtsorientierten Ansätze in Hinblick auf die Frage nach dem Einsatz von Strafe liegt ne92

Appel, Verfassung und Strafe, S. 458. Appel, Verfassung und Strafe, S. 579; vgl. hierzu auch Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 29. 93

I. Verfassungsrechtsorientierte Ansätze

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ben der Entscheidung für den entsprechenden Prüfungsansatz in der Wahl des konkreten Prüfungsmaßstabes.94 Hierbei orientieren sich die verfassungsrechtsorientierten Ansätze an den Vorgaben der Verfassung und räumen dem Gesetzgeber an entscheidenden Punkten eine Gestaltungs- und Einschätzungsprärogative ein. Diese Vorgehensweise ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, da für das Bundesverfassungsgericht das Zugeständnis einer Gestaltungs- und Einschätzungsprärogative und der damit einhergehenden Beschränkungspflicht zur Prüfung im Rahmen der bestehenden Gesetze zwingend aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung folgt.95 Allerdings handelt es sich um ein weitreichendes Zugeständnis einer Gestaltungs- und Einschätzungsprärogative. Dies hat zur Folge, dass grundsätzliche Prämissen, die der Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungs- und Einschätzungsprärogative aufstellt, grundsätzlich für zutreffend erachtet und nur dann untersucht werden, wenn die gesetzgeberischen Entscheidungen „schlechthin ungeeignet“ 96 erscheinen, die angegebenen Ziele zu erreichen. Da ein solcher Befund jedoch regelmäßig nicht zu erwarten ist, belassen es die verfassungsrechtlichen Ansätze – und insbesondere das Bundesverfassungsgericht – dabei, die Argumentation des Gesetzgebers nur auf grobe Unstimmigkeiten hin zu untersuchen. So wird beispielsweise die Erreichung des mit der Strafnorm vom Gesetzgeber verfolgten Zwecks – zumindest was generalpräventive Zwecke anbelangt – zur „Vermutung, deren Widerlegbarkeit nicht geprüft wird“.97 Damit sind insbesondere die Abwägungen innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Rechtfertigung der mit der Sanktionsnorm einhergehenden Grundrechtseingriffe regelmäßig determiniert, da die vom Gesetzgeber angestellten Erwägungen und aufgestellten Prämissen bei einem ersten Anzeichen der Stichhaltigkeit nicht weiter untersucht und überprüft werden. Aufgrund der derart eingeschränkten Kontrolldichte kann die Unzulässigkeit der gesetzgeberischen Strafbarkeitsentscheidung nur in Fällen eindeutig verfassungswidriger oder grob fehlerhafter Entscheidungen des Gesetzgebers festgestellt werden. Angesichts dieser eingeschränkten Kontrolldichte sind dem Gesetzgeber damit hinsichtlich seiner Strafbarkeitsent94 Dabei ist die Vorgehensweise, zwischen der dem Straftatbestand zugrundeliegenden Verhaltensanweisung, der Strafbewehrung und der Strafandrohung zu unterscheiden, aus Klarstellungsgründen grundsätzlich zu begrüßen. Eine ähnliche Vorgehensweise wählt auch Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (82 f.). 95 Eingehend hierzu Simons, Grundrechte und Gestaltungsspielraum, S. 69 ff.; 114 ff.; 291 ff. Vgl. ferner Clemens, Das Bundesverfassungsgericht im Rechts- und Verfassungsstaat, in: Piazolo (Hrsg.), Das Bundesverfassungsgericht, S. 13 (13 ff.). Siehe zum Grundsatz der Gewaltenteilung als besonderen Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG auch Herzog/Grzeszick, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20 Rn. 66 ff. Diese Pflicht obliegt dagegen den in der Literatur vorherrschenden verfassungsrechtsorientierten Ansätzen nicht. 96 BVerfGE 19, 119 (126 f.). 97 So Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 51 in Bezug auf BVerfGE 39, 1 (57).

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§ 4, A. Anforderungen in Hinblick auf Legitimation und Ausgestaltung

scheidung und für den entsprechenden Erlass von Straftatbeständen in Wirklichkeit praktisch keine Grenzen gesetzt.98 Diesem Ergebnis diametral entgegen steht die Forderung des Bundesverfassungsgerichts, dass der Einsatz von Strafe wegen des damit zum Ausdruck kommenden sozial-ethischen Unwerturteils nur als ultima ratio erfolgen und nur zur Untersagung von besonders schwerwiegendem sozialschädlichen Verhalten erfolgen dürfe. Da sich das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich seines Prüfungsmaßstabes eine weitgehende Selbstbeschränkung auferlegt hat, mangelt es dieser Forderung weitestgehend an einer entsprechenden Durchsetzungskraft und wird zum bloßen Lippenbekenntnis. Festzuhalten bleibt, dass sich den verfassungsrechtsorientierten Ansätzen aufgrund ihres Prüfungsansatzes einer rein negativen Verfassungsmäßigkontrolle der gesetzgeberischen Strafbarkeitsentscheidungen und ihres eingeschränkten Prüfungsmaßstabs keine handfesten positiven Aussagen zum Einsatz von Strafe entnehmen lassen. Sie bieten lediglich die verfassungsrechtlichen bzw. verfassungsgerichtlichen Mindestanforderungen an eine gesetzgeberische Strafbarkeitsentscheidung. Davon zu unterscheiden sind die Anforderungen an eine rationale Kriminalgesetzgebung, der notwendigerweise andere Maßstäbe zugrunde liegen müssen als den für das Bundesverfassungsgericht justiziablen verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen,99 an denen sich auch die verfassungsrechtsorientierten Ansätze innerhalb des Schrifttums maßgeblich orientieren. II. Strafrechtsorientierte Ansätze Zur Bestimmung legitimationsbezogener Grenzen in Hinblick auf den Einsatz von Strafe wird aus strafrechtswissenschaftlicher Sicht spätestens seit dem Ende des 18. Jahrhunderts gemeinhin der materielle Verbrechensbegriff ins Feld geführt – danach sollen nur diejenigen Verhaltensweisen unter Strafe gestellt werden, die strafwürdig und strafbedürftig sind.100 Jedoch herrscht Uneinigkeit darüber, was im Einzelnen unter Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit zu verstehen ist.101 98 Vgl. auch Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 25; im Ergebnis ebenso Swoboda, ZStW 122 (2010), S. 24 (48 f.). 99 Klar gesehen von Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 34. 100 Vgl. Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (69); Appel, Verfassung und Strafe, S. 337; Zipf, Kriminalpolitik, S. 106 ff.; vgl. ferner Günther, JuS 1978, 8 (9 ff.); Volk, ZStW 97 (1985), S. 871 (897 f.). 101 Oftmals wird bereits eine begriffliche Auftrennung des materiellen Verbrechensbegriffs in Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit nicht vollzogen, vgl. etwa Zipf, Kriminalpolitik, S. 108 f. oder Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Band III/2, S. 923, 925, 927, der den Begriff der Strafwürdigkeit als Oberbegriff sieht und darunter „Strafe-Verdienen“ und „StrafeBedürfen“ fasst; weitere Nachweise bei Günther, JuS 1978, 8 (11 ff.). Gallas, Beiträge

II. Strafrechtsorientierte Ansätze

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Überwiegend wird im Rahmen der Strafwürdigkeit zwischen der normativ geprägten Komponente der Gerechtigkeit und der eher empirisch geprägten Komponente der Zweckmäßigkeit unterschieden.102 Beide Elemente sind jedoch nicht unabhängig von einander zu beurteilen, sondern bedingen und begrenzen einander in einem Spannungsverhältnis.103 Unter dem Kriterium der Strafbedürftigkeit wird gemeinhin die Forderung verstanden, dass der Gesetzgeber von der Strafbewehrung eines Verhaltensverbotes Abstand nehmen müsse, wenn ihm wirksamere oder gleich wirksame Mittel zur Verfügung stehen.104 Schwierigkeiten bereitet dagegen die Bestimmung der Komponente der Gerechtigkeit innerhalb der Strafwürdigkeit: Als präzisierende Kriterien werden hierfür mit unterschiedlicher Akzentuierung sowohl verfassungsrechtliche Anforderungen – wie beispielsweise der Bestimmtheitsgrundsatz, das Gebot der Verhältnismäßigkeit105 des Strafeinsatzes usw. – als auch strafrechtstheoretische Anforderungen ins Feld geführt.106 Insbesondere letztere seien unmittelbar aus der Aufgabe des Strafrechts abzuleiten. Die Aufgabe des Strafrechts wird heute überwiegend in dem (subsidiären) Schutz von Rechtsgütern gesehen.107 Nach dieser Ansicht ist das Strafrecht auf zur Verbrechenslehre, S. 16 definiert strafwürdig als „so gefährlich und verwerflich, so unerträglich als Beispiel sozialwidrigen Verhaltens, dass zum Schutze der Allgemeinheit eine Reaktion mit der Strafe als dem schärfsten Mittel staatlichen Zwangs und dem stärksten Ausdruck sozialer Missbilligung notwendig und angemessen“ ist und beschreibt so Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit als Einheit. 102 Vgl. hierzu NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 50 ff., 57 ff. Diese Aufteilung ist freilich nicht unumstritten. Oftmals wird die Komponente der Zweckmäßigkeit im Rahmen der Strafbedürftigkeit behandelt, vgl. hierzu beispielsweise Schmidhäuser, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 6; Otto, Gedächtnisschrift für Schröder, S. 53 (56 f.). 103 Vor dem Hintergrund eines rechtsstaatlichen Strafrechts macht dies auch Sinn: Ein ausschließlich an der Zweckmäßigkeit des Strafeinsatzes ausgerichteter Begriff der Strafwürdigkeit, der sich nicht (auch) an der Gerechtigkeit festmacht, vermag im rechtsstaatlichen Sinne kein taugliches Konzept darzustellen, vgl. hierzu Marxen, Der Kampf gegen das liberale Strafrecht, S. 182 ff., der dies am Beispiel eines terrorisierenden Gesinnungsstrafrechts deutlich macht. 104 Vgl. hierzu Günther, JuS 1978, 8 (8 ff.); Müller-Dietz, Strafe und Staat, S. 35; BVerfGE 39, 1 (47). Teilweise wird im Rahmen der Strafbedürftigkeit zusätzlich verlangt, dass dabei das Mittel zu wählen ist, welches weniger gravierend in die Rechte des Bürgers eingreift, vgl. BVerfGE 39, 1 (46 f.); 45, 297 (335); BGHSt 19, 245 (257); 26, 298 (304). Damit werden jedoch unzulässigerweise Aspekte der Verhältnismäßigkeitsabwägung mit Erforderlichkeitserwägungen vermischt, vgl. zum Ganzen Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 194 f. 105 Siehe hierzu insbesondere Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 199 ff. 106 Vgl. hierzu auch Schmidhäuser, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 6, der jedoch nicht in verfassungsrechtliche und strafrechtsdogmatische Elemente auftrennt; für weitere Nachweise siehe NK-StGB/Hassmer/Neumann, Vor § 1 Rn. 109. 107 So die ganz überwiegende Auffassung, vgl. Roxin, Strafrecht AT, Band I, § 2 Rn. 1; NK-StGB/Hassmer/Neumann, Vor § 1 Rn. 109; Baumann/Weber/Mitsch, Straf-

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den Schutz von Rechtsgütern vor bestimmten Gefährdungen und Verletzungen bezogen und zugleich darauf beschränkt.108 Auf diese Weise sollen – je nach dem konkreten Definitionsinhalt des Rechtsguts unterschiedlich akzentuiert, jedoch im Wesentlichen – werthafte Zustände geschützt109 bzw. der Kernbereich an Daseins- und Entfaltungsbedingungen oder Funktionseinheiten gesichert werden.110 Einhergehend mit dem Prinzip des Rechtsgüterschutzes wird – teilweise in Ergänzung,111 teilweise aber auch zur Ersetzung des als nicht hinreichend befundenen Rechtsgüterschutzgedankens112 – der Topos der Sozialschädlichkeit ins Feld geführt.113 Oftmals wird das Postulat des Rechtsgüterschutzes jedoch (narecht AT, § 3 Rn. 10; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, § 1 III; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 1; SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 2; Günther, JuS 1978, 8 (9); Otto, Rechtsgut und Deliktstatbestand, in: Müller-Dietz (Hrsg.), Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, S. 1 (1); grundlegend Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 15 ff., insbesondere S. 330 ff., der versucht, das Strafrecht von der sozialen Systemtheorie her zu fundieren. Kritisch zu dem Rechtsgutskonzept ferner Stratenwerth, FS Lenckner, S. 377 (378 ff., 388); Kindhäuser, Strafe, Strafrechtsgut und Rechtsgüterschutz, in: Lüderssen/Nestler-Tremel/Weigend (Hrsg.), Modernes Strafrecht und ultima-ratio-Prinzip, S. 29 (30 ff.); ferner Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2/22. Eine weiter ausgreifende Konzeption vertritt dagegen Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 4 f., der als Aufgabe des Strafrechts den Schutz der elementaren sozialethischen Gesinnungs- und (Handlungs-)werte und erst darin eingeschlossen den Schutz der einzelnen Rechtsgüter erblicken will. Anders hingegen das BVerG: In seinen Worten gilt das Strafrecht dem Schutz der elementaren Werte des Gemeinschaftslebens, vgl. BVerfGE 45, 187 (253); BVerfG, NJW 1975, S. 573 (576). Es rekurriert dabei aber auf den Schutz von Rechtsgütern als Bezugspunkt, siehe BVerfGE 120, 224 (240). 108 Vgl. hierzu die Nachweise bei Frisch, Wesentliche Strafbarkeitsvoraussetzungen einer modernen Strafgesetzgebung, in: Eser/Kaiser/Weigend (Hrsg.), Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, S. 201 (202); ferner Hirsch, Moderne Strafgesetzgebung und die Grenzen des Kriminalstrafrechts, in: Lilie (Hrsg.), Strafrechtliche Probleme, Band II, S. 21 (24). 109 So die Rechtsgutsdefinition nach H. Mayer, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 52; in diese Richtung auch tendierend ferner Jäger, Strafgesetzgebung und Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten, S. 13. 110 Vgl. Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 41; Rudolphi, FS Honig, S. 151 (163, 166) spricht in diesem Zusammenhang von den für den Bestand unserer Gesellschaft in ihrer konkreten Ausgestaltung erforderlichen und deshalb werthaften sozialen Funktionseinheiten. 111 Vgl. hierzu Günther, JuS 1978, 8 (9); Rudolphi, FS Honig, S. 151 (161 f., 166), der den Aspekt der Sozialschädlichkeit zwangsläufig bemüht, weil er in den infrage kommenden Rechtsgütern werthafte soziale Funktionseinheiten erblickt. Die Sozialschädlichkeit bemüht anstatt des Rechtsgüterschutzgedankens als zu betonendes, jedoch nicht hinreichendes Konzept ferner Hirsch, Die aktuelle Diskussion über den Rechtsgutsbegriff, in: Lilie (Hrsg.), Strafrechtliche Probleme, Band II, S. 121 (128). Den gesellschaftstheoretischen Unterbau hebt ferner Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 346 ff., 361, 394 stärker hervor. 112 Unter Abstellen auf die Prämisse, dass die Strafe nur mit gesellschaftsimmanenten Notwendigkeiten und somit über ihre soziale Leistung zu rechtfertigen sei und daher der Rechtsgüterschutzgedanken durch den Topos der Sozialschädlichkeit ersetzt werden müsse Müller-Emmert, GA 1976, 291 (294). 113 Siehe hierzu Maurach/Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil, Teilband 1, S. 168 f.

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hezu) ausschließlich als Grundlage für die Legitimation einer Strafrechtsnorm herangezogen.114 Für die hier interessierenden Zwecke kann damit zunächst festgehalten werden, dass das mit Strafe bewehrte Verbot eines Verhaltens in Rückanknüpfung an den Terminus des materiellen Verbrechensbegriffs nur zu legitimieren ist, wenn das entsprechende Verhalten wegen seines rechtsgutsbeeinträchtigenden oder bisweilen auch nur rechtsgutsgefährdenden Charakters strafwürdig und strafbedürftig erscheint.115 Um jedoch aus dieser Aussage handhabbare Folgerungen für die Frage nach der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit von Verhaltensweisen in Hinblick auf § 238 Abs. 1 StGB ableiten zu können, gilt es, zunächst den zentralen Bezugspunkt – das Rechtsgut – auf seine Funktion und Leistungsfähigkeit hin zu untersuchen. 1. Die Lehre vom Rechtsgut

Der Begriff des Rechtsguts bzw. des rechtlichen Gutes weist angesichts seines bisher über 170-jährigen Bestehens innerhalb der Strafrechtswissenschaft eine überaus wechselvolle Geschichte in Hinblick auf seinen Inhalt und seine Funktion auf.116 Um die gesetzgebungskritische Potenz eines rechtsgutsbezogenen Legitimationsmodells ausloten zu können, bedarf es zunächst eines kurzen Eingehens auf diese historische Entwicklung.

114 Dementsprechend beginnt eine Vielzahl wissenschaftlicher Abhandlungen bei der Prüfung der Strafwürdigkeit menschlichen Verhaltens mit der Bestimmung des zu schützenden Rechtsgutes, vgl. hierzu das diese Reihenfolge gleichsam begründende Werk von Jäger, Strafgesetzgebung und Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten, S. 15 ff.; sich dieser Vorgehensweise anschließend Hohmann, Umweltdelikte, S. 5 ff., 50 ff.; Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 69 ff.; jüngst auch Karst, Die Entkriminalisierung des § 173 StGB, S. 111 ff., die jedoch einräumt, dass die Rechtsgutstheorie stark in der Kritik stehe und daher auch eine Ergänzug des Rechtsgüterschutzgedankens durch den anglo-amerikanischen Ansatz des harm principle zu ergänzen sucht (S. 171 ff.). Für den Bereich des Stalking beispielsweise Löhr, Notwendigkeit, S. 372 f. Anders hingegen das BVerG: Mit der Entscheidung zum Inzestverbot in BVerfGE 120, 224 (241 f.) bekräftigt das Bundesverfassungsgericht die ablehnende Haltung gegenüber einer gesetzgebungskritischen Rechtsgutstheorie, die es bereits in der sog. Cannabis-Entscheidung, BVerfGE 90, 145 (187 ff.) andeutete. Danach könne der Rechtsgüterschutzgedanke lediglich im Sinne einer ratio legis als Anknüpfungspunkt für die Gesetzesauslegung und die Verhältnismäßigkeit dienen. Darüber hinaus sei er aber nicht in der Lage, den Gesetzgeber bei der Formulierung von Strafgesetzen anzuleiten, also die Güter- und Interessenverletzungen zu benennen, die einer Strafe würdig wären, vgl. BVerfGE 120, 224 (241 f.). 115 Vgl. hierzu auch Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (70); zu dem Zusammenhang zwischen materiellem Verbrechensbegriff und Rechtsgüterschutzgedanken vgl. Zipf, Kriminalpolitik, S. 107. 116 Grundlegend hierzu Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 15 ff.

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a) Historischer Abriss Der Begriff des rechtlichen „Gutes“ wurde erstmals 1834 von Birnbaum als Umschreibung des Verbrechensobjekts in die strafrechtliche Diskussion eingebracht.117 Im Gegensatz zu Feuerbachs Rechtsverletzungstheorie, die zur Beschreibung des eigentlichen Verletzungsobjektes eines Verbrechens auf eine mittelbar staatszweckorientierte Meta-Ebene subjektiver Rechte ausweichen musste,118 sollte das von Birnbaum entwickelte „Gut, welches uns rechtlich zusteht“ 119 den unmittelbar von der Straftat betroffenen Gegenstand bezeichnen und zudem einen „natürlichen“ 120, vom positiven Recht unabhängigen und demnach transpositiven Begriff des Verbrechens liefern.121 Obgleich Birnbaum keine präzise Umschreibung der strafrechtlich schutzwürdigen Objekte gelang, leitete er mit seinem gegenstandsbezogenen Gutsbegriff eine konzeptionelle Wende ein, die nicht nur die allgemeine Abkehr von der Rechtsverletzungslehre, sondern zugleich auch die Lossagung von der darin enthaltenen Sozialvertragstheorie bewirken sollte.122 Was aber auf der einen Seite die Begründung der späteren Eckpfeiler der modernen Strafrechtsdogmatik ermöglichte und sich demnach als Gewinn herausstellte,123 bedeutete auf der anderen Seite mit dem Wegfall des Begründungsmodells der Sozialvertragstheorie den Verlust eines sozialtheoretischen Funda117 Siehe Birnbaum, Archiv des Criminalrechts Neue Folge 1834 (Band 15), 149 ff., der erstmals von einem „Gut, welches uns rechtlich zusteht“ (S. 172) sprach. 118 Siehe Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, § 21. Grundlegend hierzu Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 33 f. 119 Siehe Birnbaum, Archiv des Criminalrechts Neue Folge 1834 (Band 15), 149 (172). 120 Siehe Birnbaum, Archiv des Criminalrechts Neue Folge 1834 (Band 15), 149 (175 f.). 121 Siehe hierzu Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 44 f.; ferner Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (27). Diese Auffassung ist jedoch nicht unbestritten, vgl. Honig, Die Einwilligung des Verletzten, S. 60 f., der in Birnbaum einen unmittelbaren Vorläufer seiner rein positivistischen Güterlehre zu erblicken meint. 122 Vgl. Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 46 ff. Nach der Lehre vom Sozialvertrag (contrat social) wird der Staat als vertraglicher Zusammenschluss der Menschen betrachtet, um damit die größtmögliche Freiheit aller Bürger zu sichern. Auf diese Weise sollte der Staat die Rechte seiner Bürger und die ihm im Rahmen des Vertrages zur Wahrnehmung seiner Aufgaben übertragenen Rechte schützen, siehe hierzu Rudolphi, FS Honig, S. 151 (154). Innerhalb dieses Modells ist die Strafe nur dann rational und vernünftig, wenn das inkriminierte Verhalten die Rechte oder Freiheiten anderer oder die Gesellschaftsordnung verletzt oder zu verletzen droht. 123 Das Verständnis von dem Verbrechen als einer Verletzung eines geschützten (Rechts-)Guts förderte das bessere Verständnis von Versuch und Vollendung und erlaubte eine systembegründete Abgrenzung zwischen (Tat-)Unrecht und Schuld entlang der Trennlinie zwischen objektiver und subjektiver Tatseite. Ferner schärfte sie den Blick für die Differenzen zwischen Gefährdungs- und Verletzungsdelikten, siehe hierzu Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (28).

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ments.124 Indem Birnbaum mit seinem Gutsbegriff auf Objekte abstellte, deren Wert nach einer „natürlichen“ Ansicht bestimmt werden sollte,125 machte er – da er sich des philosophisch geprägten sozialtheoretischen Begründungsmodells entledigt hatte – aus einer Wahrheits- eine reine Wertungsfrage.126 Zugleich aber gab er, da es ihm nicht gelang, fundiert darzulegen, was nun unter der „natürlichen“ Ansicht konkret zu verstehen sei, die Bestimmung des Gutes letztlich der politischen Beliebigkeit preis.127 So bedeutend die Güterlehre Birnbaums in bestimmten Punkten war, vermochte sie doch einen gesetzgebungs- oder systemkritischen Diskurs nicht zu leisten.128 Der Verbreitung der Konzeption Birnbaums stand zunächst das Aufkommen der hegelianischen Verbrechenslehre entgegen,129 die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Verbrechen nur formal als „Bruch des Rechts“ beschrieb und damit die Strafe nicht an die Verletzung von Rechten oder Gütern knüpfte, sondern an den „Bruch des Rechts“ 130 überhaupt. Gegenstand der Verletzung ist demnach das Recht an sich, nach den Vorstellungen Hegels also der allgemeine Wille in seiner jeweiligen Besonderung.131 Um den Inhalt dieses allgemeinen Willens näher zu umschreiben, griff jedoch schon Hälschner, einer der späteren von Hegel her zu verstehenden Kriminalisten,132 zum Teil auf Birnbaums Begriff 124 Das Sozialvertragsmodell ist Ausfluss der Aufklärungsphilosophie, die glaubte, die Bedingungen des menschlichen Zusammenlebens objektiv bestimmen zu können, vgl. hierzu Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 48, 50. 125 Vgl. Birnbaum, Archiv des Criminalrechts Neue Folge1834 (Band 15), 149 (150, 174, 175, 176). 126 Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 50, der in der Entstehung des Rechtsgutsbegriffes die lange Reihe der Versuche beginnen sieht, die sozialen Folgen des Verbrechens ohne eine präzise Vorstellung vom Sozialen selbst beschreiben zu müssen (S. 48). 127 Siehe Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 49 f. in Bezug auf die Ausführungen Birnbaums im Archiv des Criminalrechts Neue Folge 1834 und 1836 (Band 15 und 17), 149 ff. und 560 ff. 128 Zwar spricht Birnbaum in seinem 1836 erschienen Beitrag im Archiv des Criminalrechts Neue Folge 1836 (Band 17), 560 ff. ausdrücklich von einer vorpositiven Verbrechenslehre (S. 570 ff.) – womit der Interpretation Honigs (a. a. O.) endgültig eine Absage zu erteilen ist. Freilich ist diese Aussage Birnbaums vor dem Hintergrund der damaligen Zeit zu deuten. Hiernach entpuppt sich der von ihm geforderte „natürliche“ Begriff des Verbrechens letztlich als so weit, dass er alle Bereiche abzudecken vermag, die Birnbaum gern dem staatlichen Schutz anvertrauen will. Hierzu zählen u. a. auch die guten Sitten und die Gottesfurcht, so dass sich der liberale Gehalt der Lehre Birnbaums in Grenzen hält, vgl. hierzu Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 46 f., 49 f. 129 Vgl. Sina, Die Dogmengeschichte des strafrechtlichen Begriffs „Rechtsgut“, S. 36 f. 130 So Abegg, Untersuchungen aus dem Gebiete der Strafrechtswissenschaft, S. 57 f. 131 Vgl. hierzu Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 90 ff. 132 Siehe Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 301 f.

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der rechtlichen Güter zurück.133 Freilich beinhaltete der Begriff des Gutes auch in diesem Kontext keine system- oder gesetzgebungskritische Potenz, im Gegenteil: Nach dem Verständnis der Hegelschen Systemtheorie standen die einzelnen Begriffe in einer dialektischen Werdensbeziehung, durch die sie immer wieder neu – je nach dem gegenwärtigen Stand des dialektischen Prozesses – ihre wirkliche Bedeutung und ihr Gewicht erlangen sollten.134 Dadurch verloren sie jedoch ihr substantielles Eigengewicht, so dass das als „rechtliches Gut“ bezeichnete Element des allgemeinen Willens keinen materialen Gehalt aufwies. Erst die endgültige Überwindung der hegelianischen Verbrechenslehre machte einer ausgeprägten (Weiter-)Entwicklung und Verbreitung des Güterschutzgedankens den Weg frei.135 Es war schließlich Binding, der den Begriff (Rechts-)Gut der Lehre Birnbaums wieder aufgriff und nicht nur terminologisch – es war nun nicht mehr die Rede vom Verbrechen als Gutsverletzung, sondern vielmehr als Rechtsgüterverletzung136 – weiterentwickelte, sondern ihm auch den entscheidenden Anstoß zur Bedeutungserlangung gab.137 Bindings Verbrechenslehre setzt bei der staatlichen Zwangsgewalt und der Unterscheidung zwischen Norm und Strafgesetz an: Danach sind Normen den Strafgesetzen vorgelagerte Rechtssätze, die Verhaltenspflichten begründen, auf deren Einhaltung („Botmäßigkeit“) der Staat ein subjektives Recht hat.138 Aus der schuldhaften Verletzung dieser normbegründeten Verhaltenspflichten („Unbotmäßigkeit“) erwächst das Recht des Staates auf Strafe. Das Verbrechen ist danach der schuldhafte Bruch einer Norm – jedoch nicht jeder Norm, sondern nur einer solchen, die der Gesetzgeber zugleich durch Strafgesetz für strafbar erklärt hat.139 Binding erkannte aber die Notwendigkeit, diese formal geprägte Verbrechensbestimmung um ein materielles Element zu bereichern. Er suchte und fand dieses im Zweck der Normen, die nach seiner Konzeption die nicht die bloße Sicherstellung des Bestandes subjek-

133 Hälschner, Das Gemeine deutsche Strafrecht, S. 450 f. und zwar zur Umschreibung der besonderen Rechte, die im Staat zusammen mit den allgemeinen Rechten zur Einheit kommen, vgl. Sina, Die Dogmengeschichte des strafrechtlichen Begriffs „Rechtsgut“, S. 36 f. Allerdings ist hier anzumerken, dass in dieser Zeit mehrere Spielarten der Lehre Hegels vorherrschten, siehe hierzu Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 294 ff.; ferner Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 53 ff. 134 Vgl. hierzu Sina, Die Dogmengeschichte des strafrechtlichen Begriffs „Rechtsgut“, S. 36 f. 135 Vgl. hierzu die Nachweise bei Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 52. 136 Vgl. Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band I, 2. Auflage, S. 329. 137 Vgl. Sina, Die Dogmengeschichte des strafrechtlichen Begriffs „Rechtsgut“, 41 f. 138 Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S. 308 f. 139 Vgl. hierzu Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 73 ff.; Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (29 f.).

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tiver Rechte, sondern vielmehr darüber hinaus die „Sicherstellung sämmtlicher Bedingungen eines gesunden Rechtslebens“ ermöglichen sollen, während diese Bedingungen „an Personen, Dingen und Zuständen“ festzumachen sind.140 Wegen ihrer Guts-Eigenschaft für das Rechtsleben verwendete Binding für diese den Begriff Rechtsgüter.141 Dabei schwebte ihm ein Rechtsgutsbegriff ohne systemkritischen Ansatz vor: Rechtsgut war nach Binding „alles, was in den Augen des Gesetzgebers als Bedingung gesunden Lebens der Rechtsgemeinschaft für dieses von Wert ist“ und was der Gesetzgeber daher zum schützenswürdigen „Objekt“ der Norm erklärt.142 Der so verstandene Rechtsgutsbegriff war demnach positiviert, vorgezeichnet von dem aus der Feder des Gesetzgebers stammenden „Güterkapital der Rechtsordnung“ 143 und damit nahezu gänzlich entmaterialisiert.144 Die anschließenden Versuche Bindings, darauf aufbauend mittels einer induktiven Analyse der geltenden Strafgesetze generalisierende Aussagen über den materiellen Gehalt des Verbrechens zu gewinnen, misslangen.145 Dieses Vorgehen Bindings stieß vor allem bei Franz von Liszt auf scharfe Kritik.146 von Liszts Rechtsgutsbegriff basierte auf einem gänzlich anderen Verständnis des Strafrechts. Entgegen der formal-normativen Verbrechensdeutung Bindings betrachtete von Liszt das Verbrechen als Verletzung rechtlich geschützter Interessen, die maßgeblich aus dem transjuristischen Bereich des Gesellschaftlichen entstammen sollen.147 Die Aufgabe des Rechtsguts sah er darin, Verbot und Sanktion in ihren Wirkungen mit dem Bereich des Gesellschaftlichen zu verbinden.148 Unter starkem Einfluss des von Ihering proklamierten Zweck-

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Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band I, 3. Auflage, S. 339. Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band I, 3. Auflage, S. 340. 142 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band I, 3. Auflage, S. 353 ff.; 340. 143 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band I, 3. Auflage, S. 340: „Der Inbegriff der durch Normen gesicherten Güter bildet das Güterkapital der Rechtsordnung. Es sind dieselben Rechtsgüter, um deren willen sowol die Verursachungs- als auch die Gefährdungsverbote als die Verbote schlechthin erlassen werden.“ 144 Nach Binding existierte nahezu kein Prinzip, das den Gesetzgeber bei der Konstituierung von Rechtsgütern beschränkte. Er forderte lediglich, dass der Gesetzgeber mit „Umsicht und Übung“ vorgehen sollte und dabei nur durch seine eigene „Erwägung und durch die Logik“ beschränkt sei, vgl. Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band I, 3. Auflage, S. 340. Eingehend hierzu Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 73 ff. 145 So resigniert Binding bald und stellt fest, dass hinter Verbot und Gebot – also bei der Bestimmung der materiellen Rechtswidrigkeit und des materiellen Begriffes des Rechtsgutes – für den, der nach der Rechtswidrigkeit sucht, tiefster undurchdringlicher Nebel beginnt, siehe die Nachweise bei Sina, Die Dogmengeschichte des strafrechtlichen Begriffs „Rechtsgut“, S. 45. 146 Siehe hierzu von Liszt, ZStW 1886, 663 (676), der von einer „tumultuarischen Aufzählung“ spricht. 147 Vgl. Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 82 ff. 148 Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (31). 141

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gedankens149 fungierte der Rechtsgutsbegriff bei von Liszt als „Grenzbegriff abstrahierender juristischer Logik“ 150, der zugleich Aussagen über das Ziel der Strafnorm – hier: den Schutz rechtlich geschützter menschlicher Interessen – treffen sollte.151 Indem von Liszt jedoch der Kriminalpolitik die Aufgabe überlässt, die schützenswerten menschlichen Interessen zu bestimmen, mangelt es seinem Vorhaben, der staatlichen Strafgewalt durch einen Rechtsgutsbegriff mit transpositivem Gehalt Grenzen zu setzen, letztendlich an der gesetzgebungskritischen Potenz.152 Insbesondere unter dem Einfluss des Neukantianers Honig wurde gegen Ende des Ersten Weltkrieges der Begriff des Rechtsguts schließlich bemüht, um den „vom Gesetzgeber in den einzelnen Strafrechtssätzen anerkannte[n] Zweck in seiner kürzesten Formel“ 153 zu beschreiben. Während von Liszt in seiner Verbrechenslehre das Zweckmoment dazu gebrauchte, um die Bindung des Strafrechts an gesellschafts- und kriminalpolitische Ziele auszudrücken, sollte bei Honig damit allein die vom Gesetzgeber anerkannte Zielsetzung als eine der Strafrechtswissenschaft schon immer vorgegebene Größe umschrieben werden.154 Honigs Konzeption eines Rechtsgutsbegriffs verzichtete von vornherein auf eine gesetzgebungs- oder systemkritische Ausrichtung, sie wandte sich von den unbefriedigenden Güterlehren der Zeit vor 1914 ab und suchte, indem sie zwischen Handlungs- und Schutzobjekt unterschied, im Bereich der Wertung – namentlich der gesetzlichen und damit der gesetzgeberischen Wertung – das eigentlich fruchtbare Element des Gutsbegriffes.155 Der Rechtsgutsbegriff diente also maßgeblich als Grundlage für die zur Auslegung der Tatbestände notwendige Ermittlung des gesetzgeberischen Willens.156 Obgleich sich die Rechtsgutstheorie Honigs auf längere Sicht nicht durchzusetzen vermochte, ist (zumindest) die methodische Bedeutung des Rechtsgutsbe149 Nach von Liszt bedeutete die Fruchtbarmachung des Zweckgedankens (auch) für das Strafrecht, „daß alles Recht um der Menschen willen da ist“, siehe ders., ZStW 1888, 133 (139). Ausführlich zu dem Einfluss Iherings auf das Strafrechtsbild von Liszts: Hurwicz, Rudolf von Ihering und die deutsche Rechtswissenschaft, S. 105 f. 150 So von Liszt, ZStW 1886, 663 (672). Gemeint ist damit, dass der Begriff des Rechtsguts in seiner Funktion zwischen Jurisprudenz und anderen Sozialwissenschaften vermittelt, da er auf einer gemeinsamen Grenze liegt, vgl. ders., ZStW 1888, 133 (139). 151 Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 84; Sina, Die Dogmengeschichte des strafrechtlichen Begriffs „Rechtsgut“, S. 48 f. 152 Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (31). 153 So Honig, Die Einwilligung des Verletzten, S. 94. Ihm nachfolgend – mit gewissen Nuancierungen – Schwinge, Teleologische Begriffsbildung im Strafrecht, S. 22 ff. Ferner Grünhut, der in Anknüpfung an Honig von einem Rechtsgut als „Abbreviatur des Zweckgedankens“ spricht, vgl. ders., Festgabe für Frank, S. 1 (8). 154 Vgl. hierzu Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 49 f. 155 Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 134. 156 Siehe hierzu Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (29 f.); Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 132 f.

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griffs für eine systematische Interpretation geltender Strafgesetze heute unbestritten.157 Mit der Deutung als formale Größe und Angelpunkt der Auslegung der Strafrechtsnorm nach der Konzeption Honigs befindet sich die Entwicklungsgeschichte des Rechtsgutsbegriffs noch nicht an ihrem Endpunkt.158 Als gesicherte Erkenntnis kann lediglich angesehen werden, dass sich der Rechtsgutsbegriff in seiner Funktion als Abbreviatur des Zweckgedankens der Norm und als Angelpunkt der teleologischen Auslegung – also als systemimmanente Größe – mittlerweile in der Strafrechtswissenschaft durchgesetzt hat.159 Der historische Abriss hat darüber hinaus gezeigt, dass durchaus Strafrechtskonzepte entwickelt wurden, in deren Rahmen dem Rechtsgutsbegriff eine den Strafgesetzgeber limitierende Funktion zugedacht war, dieser aber mangels gesetzgebungsunabhängiger Fundierung ein wirklich gesetzgebungskritisches Potential nicht aufzuweisen vermochte. b) Gegenwärtige gesetzgebungskritische Rechtsgutskonzepte Die Frage, ob unabhängig von einem systemimmanenten Rechtsgutsbegriff auch ein Rechtsgutsbegriff mit gesetzgebungskritischer und strafrechtsbegrenzender Funktion in der Strafrechtswissenschaft denk- und begründbar ist, hat an Aktualität nicht verloren.160 Noch immer wird über einen solchen materiellen und systemkritischen Rechtsgutsbegriff lebhaft und kontrovers diskutiert.161 Die Ansichten reichen dabei von der völligen Ablehnung einer gesetzgebungskritischen und strafrechtsbegrenzenden Rechtsgutslehre162 über den Versuch einer Zusammenführung einer solchen Konzeption mit weiteren ethisch-rechtli-

157 Vgl. hierzu Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (32); Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 130 f. 158 Vgl. Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 146 ff. 159 Siehe Rönnau, JuS 2009, 209 (211); Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 149 f.; vgl. ferner Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (32 f.). 160 So zumindest Hefendehl, GA 2007, 1 ff., der den Rechtsgutsbegriff in seiner gesetzgebungskritischen Funktion gleichsam zum „Jahrhundertthema“ (S. 1) stilisiert. Anders hingegen Roxin, Strafrecht AT, Band I, § 2 Rn. 120, der von einer „gewissen Rechtsgutsmüdigkeit“ spricht. 161 Siehe die Bestandsaufnahme bei Hefendehl, GA 2007, 1 (3 ff.). 162 So etwa Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 155 f., 162 f., der ein strafrechtslimitierendes Rechtsgutskonzept angesichts der Grundrechtsbindungen des heutigen Gesetzgebers nunmehr für überflüssig hält. Ferner Appel, Verfassung und Strafe, S. 381, der eine systemkritische Rechtsgutstheorie bereits aus Gründen der für untauglich befundenen Konzeption verwirft. Ablehnend zu den system- und gesetzgebungskritischen Leistungen einer Rechtsgutstheorie hat sich nunmehr auch das BVerfG in seinem Inzesturteil geäußert, siehe hierzu BVerfGE 120, 224 (241); kritisch auch Stratenwerth, FS Lenckner, S. 377 (388 ff.).

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chen Wertungsprinzipien163 bis hin zu der Überzeugung, dass Aussagen über die Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit von Verhaltensweisen ohne eine gesetzgebungskritische und strafrechtsbegrenzende Rechtsgutslehre nicht möglich seien164.165 Die Vertreter derjenigen Ansätze, die für einen Rechtsgutsbegriff mit systemund gesetzgebungskritischer Potenz streiten, berufen sich dabei vor allem auf die Erfolge einer solchen Legitimationskonzeption im Rahmen der Abschaffung der sog. Sittlichkeitsdelikte oder auf die Festschreibung des Rechtsgüterschutzgedankens in § 2 Abs. 1 des Alternativentwurfs der Strafrechtslehrer aus dem Jahr 1969.166 Aus dem Kreis der gegenwärtig vertretenen system- und gesetzgebungskritischen Rechtsgutstheorien seien an dieser Stelle stellvertretend die Konzepte Hassemers, Roxins und Rudolphis herausgegriffen.167 In Hassemer findet die Lehre einer Rechtsgutskonzeption mit gesetzgebungskritischem und strafrechtsbegrenzendem Hintergrund seinen bekanntesten und wohl auch entschiedensten Vertreter.168 Hassemer definiert den Rechtsgutsbegriff recht allgemein als „strafrechtlich schutzbedürftiges menschliches Interesse“ 169, das sich sowohl auf gesellschaftliche Wertentscheidungen170 als auch auf kriminalpolitische Entscheidungen des Strafgesetzgebers171 gründet. Er plädiert dabei für eine am Menschen orientierte Rechtsgutslehre, innerhalb derer 163 Vgl. von Hirsch, GA 2002, 2 (8 ff.), der versucht, die Ansätze der anglo-amerikanischen Diskussion um das Harm Prinicple innerhalb der als zu unzureichend empfundenen Rechtsgutstheorie fruchtbar zu machen. 164 Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 19 ff.; Roxin, Strafrecht AT, Band I, § 2 Rn. 50. 165 Siehe hierzu Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (32 f.). 166 Zu letzterem Aspekt siehe Baumann u. a. (Hrsg.), Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches AT, S. 7. § 2 Abs. 1 AE-StGB lautet: „Strafen und Maßregeln dienen dem Schutz der Rechtsgüter und der Wiedereingliederung des Täters in die Rechtsgemeinschaft.“ 167 Siehe zum Überblick über die bestehenden systemkritischen Rechtsgutskonzepte siehe Hefendehl, GA 2007, 1 (3 ff.); ders., Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 27 ff. 168 Vgl. bereits seine Habilitationsschrift aus dem Jahre 1973: Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 25 ff. Er wird in diesem Zusammenhang auch als der Schöpfer des Adjektivs systemkritisch angesehen, vgl. hierzu Amelung, Der Begriff des Rechtsguts in der Lehre vom strafrechtlichen Rechtsgüterschutz, in: Hefendehl/von Hirsch/ Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 155 (160). 169 Vgl. NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 144. 170 Gleichsam als normative gesellschaftliche Verständigung darüber, was ein Gut darstellen soll, vgl. NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 140. 171 Danach könne der Strafgesetzgeber den Inhalt des Rechtsgutes nicht schlicht der sozialen Wirklichkeit entnehmen. Die Inhaltsbestimmung erfolge vielmehr erst durch den Strafgesetzgeber, der kriminalpolitische Gesichtspunkte wie etwa Häufigkeit, Bedarfsintensität, Bedrohung, normative Verständigung in seinen Entscheidungsprozess einzustellen hat, vgl. hierzu ausführlich Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 193.

II. Strafrechtsorientierte Ansätze

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Interessen der Allgemeinheit nur insoweit als Rechtsgüter zu legitimieren sind, als sie wiederum den Interessen der individuellen Person dienen und auch im weitestgehenden Sinne darüber bestimmt werden können.172 Diese individualinteressenorientierte Rechtsgutskonzeption gerät jedoch vor allem im Bereich neuerer Strafvorschriften wie etwa dem Umweltstrafrecht der §§ 324 StGB oder anderen Straftatbeständen mit einer erheblichen Vorverlagerung der Strafbarkeit – wie bspw. dem Wirtschaftsstrafrecht – in erhebliche Begründungsnot.173 Einen ungleich flexibleren Rechtsgutsbegriff legt Roxin seinem Verständnis einer systemkritischen Rechtsgutskonzeption zugrunde.174 Unter der Prämisse, dass die einzig verbindliche Vorgabe für den Strafgesetzgeber in den Prinzipien der Verfassung zu finden sei, sind unter Rechtsgütern für ihn „alle Gegebenheiten oder Zwecksetzungen zu verstehen, die für die freie Entfaltung des Einzelnen, die Verwirklichung seiner Grundrechte und das Funktionieren eines auf dieser Zielvorstellung aufbauenden staatlichen Systems notwendig sind“ 175. Ebenfalls unter starker Betonung einer an den Vorgaben der Verfassung ausgerichteten Rechtsgutslehre bestimmt Rudolphi Rechtsgüter „als für unsere verfassungsgemäße Gesellschaft und damit auch für die verfassungsgemäße Stellung und Freiheit des einzelnen Bürgers unverzichtbare und deshalb werthafte Funktionseinheiten“ 176. Obgleich die Rechtsgutsumschreibungen von Roxin und Rudolphi im Vergleich zu der Rechtsgutsdefinition des monistisch-personalen Ansatzes Hassemers deutlich weniger präzise sind, sollen sie ebenfalls gesetzgebungs- und systemkritisches Potential besitzen.177

172 NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 132; Hassemer, Grundlinien einer personalen Rechtsgutslehre, in: ders. (Hrsg.), Strafen im Rechtsstaat, S. 160 (167). Er entscheidet sich demnach gegen eine theoretisch unbefriedigende, aber konsequente Unterscheidung zwischen Rechtsgütern der Person und Rechtsgütern der „Gesamtheit“ und damit gegen einen dualistischen Ansatz und für eine monistische personale Rechtsgutslehre. 173 Angesichts dieser Entwicklungen hin zu einem „modernen“ Präventionsstrafrecht regt Hassemer, ZRP 1992, 378 (383) an, die nach seiner Lehre (strafrechtlich) nicht zu legitimierenden Vorschriften in ein vom Strafrecht zu unterscheidenden „Interventionsrecht“ zu verlagern. Zur Kritik hieran siehe auch Hirsch, Moderne Strafgesetzgebung und die Grenzen des Kriminalstrafrechts, in: Lilie (Hrsg.), Strafrechtliche Probleme, Band II, S. 21 (25); Seher, Prinzipiengestützte Strafnormlegitimation und der Rechtsgutsbegriff, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 39 (42). 174 Roxin, Strafrecht AT, Band I, § 2 Rn. 7. 175 Roxin, Strafrecht AT, Band I, § 2 Rn. 7. 176 SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 8. 177 Dies ist freilich immer vor dem Hintergrund zu sehen, dass die die einzelnen Autoren den Rechtsgutsbegriff als notwendigen, aber nicht (allein) hinreichenden Drehund Angelpunkt für die Legitimation strafrechtlicher Vorschriften – teilweise auch als Beurteilungsmaßstab – gebrauchen, vgl. Roxin, Strafrecht AT I, § 2 Rn. 50, der von einer recht konkreten Argumentationshilfe spricht; SK-StGB/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 8; Hassemer, Darf es Straftaten geben, die ein strafrechtliches Rechtsgut nicht in Mitlei-

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§ 4, A. Anforderungen in Hinblick auf Legitimation und Ausgestaltung

c) Kritik an den bestehenden gesetzgebungskritischen Rechtsgutskonzepten Die Vertreter einer Rechtsgutskonzeption, die eine gesetzgebungs- und systemkritische Funktion wahrnehmen soll,178 sehen sich jedoch auch starker Kritik ausgesetzt.179 Angesichts des Leistungsprogramms, die eine gesetzgebungs- und systemkritischer Rechtsgutskonzeption zu erfüllen imstande sein muss, ist dies auch nicht verwunderlich, da sie letztlich verschiedensten Anforderungen gerecht werden muss.180 Die Kritik an einer gesetzgebungs- und systemkritischen Rechtsgutskonzeption richtet sich zum einen auf die Leistungsfähigkeit des Rechtsgutsbegriffs, zum anderen auf seine dogmatische Herleitung. aa) Begriffsbezogene Kritik Bezweifelt wird die Leistungsfähigkeit einer gesetzgebungs- und strafrechtslimitierenden Rechtsgutskonzeption auf der Grundlage eines entsprechenden systemkritischen Rechtsgutsbegriffs bereits aus terminologischer Sicht. Anhand des Rechtsgutsbegriffs müssten sich sowohl bestehende (und vor seinem Hintergrund berechtigte) Strafvorschriften legitimieren, als auch vor seinem Hintergrund unberechtigte Straftatbestände delegitimieren lassen – er muss also zugleich Grund und Grenze der Legitimation zum Ausdruck bringen. Angesichts der Verschiedenartigkeit der Güter, deren strafrechtliche Schutzbedürftigkeit bereits außer Frage steht, bedarf es eines recht offenen Rechtsgutsbegriffes, der dieser Verschiedenartigkeit auch gerecht wird.181 Somit gerät der Rechtsgutsbegriff regelmäßig in ein Spannungsverhältnis zwischen zwei an sich widerstreitenden, aber wesentlichen Anforderungen: Zum einen die Forderung nach einer möglichst trennscharfen Definition – welche aus der Überlegung folgt, dass nur ein präziser und trennscharf formulierter Rechtsgutsbegriff imstande ist, die gewünschte Abgrenzungsfunktion wahrzunehdenschaft ziehen?, in: Hefendehl/Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 57 (64). 178 Siehe zum Überblick Hefendehl, GA 2007, 1 (3 ff.); ders., Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 27 ff. 179 Siehe zur Kritik Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (71 ff.); ders., Rechtsgut, Recht, Deliktsstruktur und Zurechnung im Rahmen der Legitimation staatlichen Strafens, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 215 (216 ff.); Jakobs, Strafrecht AT, S. 39 ff.; Appel, Verfassung und Strafe, S. 381. Ferner nunmehr auch das BVerfG (BVerfGE 120, 224 [241 f.]). 180 Vgl. auch Seher, Prinzipiengestützte Strafnormlegitimation und der Rechtsgutsbegriff, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 39 (42), der die Überforderung des Rechtsgutsbegriffs daran festmacht, dass dieser inhaltlich divergierende Aussagen transportieren muss. Vgl. ferner Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 151 f. 181 Mit einer Übersicht über die gängigen Definitionsansätze: Stratenwerth, FS Lenckner, S. 377 (378 ff.).

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men.182 Zum anderen die Forderung nach einem derart formulierten Rechtsgutsbegriff, der sämtliche Straftatbestände in seine Definition miteinbezieht und unangetastet lässt, deren strafrechtliche Legitimation außer Frage steht. Die Vertreter einer system- und gesetzgebungskritischen Rechtsgutskonzeption sehen sich somit bereits bei der Formulierung eines entsprechenden Rechtsgutsbegriffs mit „der unerfreulichen Wahl zwischen Vagheit und Selektivität“ 183 konfrontiert. Dass eine Auflösung dieses Spannungsverhältnisses realiter nicht zu gelingen vermag, zeigt sich bereits daran, dass es bislang keinerlei Einigkeit über den Inhalt des Rechtsgutsbegriffs gibt.184 Die bestehenden Definitionsansätze lösen dieses Spannungsverhältnis regelmäßig zu Ungunsten eines präzisen und trennscharfen Rechtsgutsbegriffes auf – doch diese aus der Not geborene Entscheidung für einen vagen Rechtsgutsbegriff gibt wiederum regelmäßig Anlass zur Kritik an der Leistungsfähigkeit einer darauf aufbauenden Rechtsgutskonzeption.185 bb) Kritik in Hinblick auf die Herleitung materialer Kriterien Die Kritik an den bestehenden gesetzgebungs- und strafrechtslimitierenden Rechtsgutskonzepten betrifft nicht nur die Bestimmung eines den jeweiligen Konzepten entsprechend zugrunde liegenden systemkritischen Rechtsgutsbegriffs, sondern auch deren dogmatische und methodische Fundierung. Soll anhand eines systemkritischen Rechtsgutsbegriffs ein gesetzgebungs- und strafrechtslimitierender Diskurs ermöglicht werden, müssen diesem Rechtsgutsbegriff notwendigerweise Kriterien und Maßstäbe innewohnen, die der Gesetzgeber nicht von selbst bestimmen kann, sondern die diesem vorgegeben sind. Um die Auswahl und Festlegung dieser Kriterien jedoch nicht in das Belieben des jeweiligen Betrachters zu stellen, bedarf es einer nachvollziehbaren und überzeugenden Darlegung, aus welchen rechtlich verbindlichen Quellen die Maßstäbe und Kriterien herzuleiten sind.186 182 Vgl. hierzu Frisch, Rechtsgut, Recht, Deliktsstruktur und Zurechnung im Rahmen der Legitimation staatlichen Strafens, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 215 (216 f.). 183 So Hefendehl, GA 2002, 21 (22) mit Verweis u. a. auf Stratenwerth, Strafrecht AT, § 2 Rn. 7. 184 Siehe hierzu mit deutlichen Worten BVerfGE 120, 224 (241) mit Verweis auf die Beiträge in Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie. Siehe ferner mit einer Übersicht über die gängigen Definitionsansätze: Stratenwerth, FS Lenckner, S. 377 (378 ff.). 185 Vgl. die verbreiteten Definitionsansätze bei Stratenwerth, FS Lenckner, S. 377 (378); ferner Otto, Rechtsgutsbegriff und Deliktstatbestand, in: Müller-Dietz (Hrsg.), Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, S. 1 (2 f.); Koriath, GA 1999, 561 (565); zuletzt Hefendehl, GA 2007, 1 (4 ff.). 186 Da jedoch – wie gezeigt – bereits mit Birnbaums Absage an die Rechtsverletzungstheorie auch eine Lossagung von der philosophisch begründeten Sozialvertrags-

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§ 4, A. Anforderungen in Hinblick auf Legitimation und Ausgestaltung

In Hinblick auf die Herleitung der dem Gesetzgeber vorgegebenen Maßstäbe und Kriterien weisen die gegenwärtigen systemkritischen Rechtsgutskonzeptionen im Maßgeblichen drei unterschiedliche Begründungsansätze auf.187 Danach sind die entsprechenden Maßstäbe und Kriterien einer dem positiven Recht vorgelagerten Werteordnung188, einem Wertemodell, das an der jeweils vorherrschenden gesellschaftlichen oder sozialen Verfasstheit festmacht189 oder der objektiven Werteordnung der Verfassung190 zu entnehmen.191 Im Folgenden sollen diese drei Ansätze daraufhin untersucht werden, ob sie imstande sind, rechtlich verbindliche Kriterien und Maßstäbe zur angestrebten Begrenzung der Strafbarkeit und letztlich des Strafgesetzgebers zu begründen. (1) Hinsichtlich einer dem positiven Recht vorgelagerten Werteordnung Gegen eine Herleitung verbindlicher gesetzgebungs- und strafrechtslimitierender Maßstäbe aus einer dem positiven Recht vorgelagerten, außerrechtlichen theorie und der Sozialschadenslehre der Aufklärung einherging, bedürfen die entsprechenden Rechtsgutskonzeptionen eines zwingenden sozialtheoretischen Begründungsmodells, vgl. Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 50, der in der Entstehung des Rechtsgutsbegriffes die lange Reihe der Versuche beginnen sieht, die sozialen Folgen des Verbrechens ohne eine präzise Vorstellung vom Sozialen selbst beschreiben zu müssen (S. 48). 187 Appel, Verfassung und Strafe, S. 358; vgl. ferner Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (35). 188 So vor allem die älteren Rechtsgutslehren, vgl. dazu Gallas, FS Gleispach, S. 50 (65 f.); Wolf, Festgabe für R. von Frank, Band II, S. 516 (530), deren Gedanke, das Strafrecht limitierende Kriterien an einer außerrechtlichen Wertordnung festzumachen, sich auch in der Rspr. niederschlugen, vgl. BGHSt 6, 46 (52 f.). 189 Vgl. Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 227 ff., der sich auf einen gesellschaftlichen Sozialvertrag beruft; vgl. auch bereits die Konzeption v. Liszts, ZStW 1886, 663 (672). Zur Notwendigkeit eines Bezugs zur gesellschaftlichen Verfasstheit, sofern man sich auf die Rechtsgutsdiskussion einlässt Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (71 f.) mit Verweis auf Müller-Dietz, FS R. Schmitt, S. 95 (104 f.) 190 So unter Hervorhebung der Gewährleistung aller verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte Roxin, Strafrecht AT, Band I, § 2 Rn. 7; ferner Rudolphi, FS Honig, S.151 (158, 166), der jedoch später seine Ansicht dahingehend abmildert, dass neben der gesellschaftsgestaltenden Kraft der Verfassung auch die tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse Einfluss auf den Kreis der möglichen strafrechtlichen Schutzgüter haben, siehe ders., SK-StGB, Vor § 1 Rn. 6; ferner Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, S. 12. Eine solche Anbindung des Strafrechts an die Grundrechte ist vor allem das Verdienst von Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Band III/2, S. 909 (910 ff.), der dies mit dem Verweis insbesondere auf die Aussage des Art. 1 Abs. 3 GG begründet. Vgl. ferner Hamann, Grundgesetz und Strafgesetzgebung, S. 25 ff. und die Nachweise bei Naucke, Legitimation strafrechtlicher Normen – durch Verfassungen oder durch überpositive Quellen?, in: Lüderssen (Hrsg.), Aufgeklärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das Böse?, Band I: Legitimationen, S. 156 (157 f.). 191 Siehe zu dieser Aufteilung Appel, Verfassung und Strafe, S. 358; ebenso Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (35).

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Werteordnung spricht, dass unklar ist, auf welche kulturellen und sozialethischen Wertevorstellungen zur Bestimmung dieser Werteordnung konkret zurückzugreifen ist und wem die Definitionshoheit hierbei obliegt.192 Der entscheidende Schwachpunkt dieser Konzeption liegt darin, dass sie eines in der Gesellschaft konsentierten „Katalogs“ bedarf, aus dem heraus sich eine konkrete Rangfolge kultureller und sozialethischer Wertevorstellungen gewinnen ließe. Vermutlich war ein solcher Konsens über kulturelle und sozialethische Wertevorstellungen bis vor 200 Jahren noch möglich. In einer modernen pluralistischen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts ist eine solche Übereinkunft über kulturelle und sozialethische Überzeugungen, anhand derer sich ein hinreichend abgrenzbarer Wertebestand festmachen ließe, jedoch mehr als fraglich.193 Vielmehr besteht eine große Gefahr, dass die Festlegung kultureller und sozialethischer Wertevorstellungen in Wirklichkeit in das Belieben einiger weniger gestellt ist. Ferner erscheint es unmöglich, aus einer solchen subjektivierten Übereinkunft heraus eine hinreichend bestimmte und objektivierbare Rangordnung festzulegen.194 (2) Hinsichtlich eines vorherrschenden gesellschaftlichen Wertemodells Einen äußerst geringen Erkenntnisgewinn erlangt ferner, wer die dem Gesetzgeber vorgegebenen Maßstäbe aus den tatsächlichen gesellschaftlichen Gegebenheiten, der gesellschaftlichen und sozialen Verfasstheit und ihren Systembedingungen abzuleiten versucht. Legt man einer gesetzgebungs- und strafrechtslimitierenden Rechtsgutskonzeption diesen Ansatz zur Herleitung systemkritischer Maßstäbe zugrunde und begreift das Rechtsgut – so eine gängige Formel195 – als „werthaften Zustand“ 196, wird bereits die bedingte Aussagekraft dieses Ansatzes deutlich: Die entsprechend für schützenswert befundenen tatsächlichen Bedingungen der Gesellschaft werden zum Bestandteil des Rechtsgutsbegriffs, indem sie als dem (Straf-)Gesetzgeber vorgegebene systemkritische Kriterien dienen. Diese Kriterien bilden die Maßstäbe für die Strafgesetzgebung und finden sich in 192 Zur Kritik insbesondere Appel, Verfassung und Strafe, S. 363; Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (35). 193 Vgl. Amelung, Der Begriff des Rechtsguts in der Lehre vom strafrechtlichen Rechtsgüterschutz, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Rechtsgutstheorie, S. 155 (163); ablehnend auch in Hinblick auf eine Übereinkunft in Bezug auf Individual- und Universalrechtsgütern Hirsch, Moderne Strafgesetzgebung und die Grenzen des Kriminalstrafrechts, in: Lilie (Hrsg.), Strafrechtliche Probleme, Band II, S. 21 (25 f.); siehe auch Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (35). 194 Vgl. zu diesem Aspekt Appel, Verfassung und Strafe, S. 363 ff. 195 Für eine Übersicht NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 142 ff. 196 So etwa Jäger, Strafgesetzgebung, S. 13; hierzu auch Otto, Rechtsgutsbegriff und Deliktstatbestand, in: Müller-Dietz (Hrsg.), Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, S. 1 (2 f.); vgl. ferner auch die Nachweise bei NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 143.

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§ 4, A. Anforderungen in Hinblick auf Legitimation und Ausgestaltung

den vom Gesetzgeber erlassenen Strafgesetzen wieder, werden also zu gesellschaftlichen Sollensanforderungen.197 Daraus folgt letzten Endes, dass das, was die betreffende Gesellschaft tatsächlich für werthaft erklärt und mit dem Strafrecht zu schützen sucht, mithilfe des entsprechenden Rechtsgutsbegriffes nicht kritisch hinterfragt werden kann.198 Umgekehrt kann ein aus den tatsächlichen gesellschaftlichen Gegebenheiten und der gesellschaftlichen und sozialen Verfasstheit abgeleiteter Maßstab, auf dem die gesetzgebungs- und strafrechtslimitierende Rechtsgutskonzeption beruhen soll, auch nicht gegen das vorgebracht werden, was die betreffende Gesellschaft ohnehin nicht für werthaft erachtet – denn dies wird der Gesetzgeber bereits aus ökonomischen Gesichtspunkten nicht mit den Mitteln des Strafrechts schützen.199 (3) Hinsichtlich einer objektiven Werteordnung aus der Verfassung Einwände lassen sich ferner gegen den Ansatz vorbringen, die dem Gesetzgeber vorgegebenen Maßstäbe einer gesetzgebungs- und strafrechtslimitierenden Rechtsgutskonzeption aus der objektiven Werteordnung der Verfassung abzuleiten bzw. mithilfe eines Verweises auf diese abzusichern.200 Ein bloßer Verweis auf die Wertentscheidungen der Verfassung genügt bereits insofern nicht, als die Verfassung keine (positiv formulierten) Aussagen darüber trifft, welche Werte nun konkret auch als strafrechtliche Rechtsgüter infrage kommen und mit den Mitteln der Strafe zu schützen sind.201 So vermag ein bloßer Verweis auf die Verfassung nicht zu begründen, warum bestimmte einzelne Verfassungswerte geschützt werden sollen, andere zentrale Werte von Verfassungsrang hingegen nicht.202 Zwar gibt es einen bestimmten Kreis an verfassungsrechtlich garantierten Werten und Gütern wie etwa das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Bewegungsfreiheit und das Eigentum, welche auch zum Kernbereich des Strafrechts zählen und deren Anerkennung als durch das Strafrecht zu schützende Rechtsgüter niemand ernsthaft bezweifeln würde.203 Warum dies nicht zugleich 197

Vgl. hierzu Appel, Verfassung und Strafe, S. 369 f. Vgl. hierzu Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (72); im Ergebnis ebenso, jedoch unter anderem Blickwinkel Jakobs, Strafrecht AT, 2/23. 199 Vgl. hierzu Frisch, Wesentliche Strafbarkeitsvoraussetzungen einer modernen Strafgesetzgebung, in: Eser/Kaiser/Weigend (Hrsg.), Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, S. 201 (205); ders., FS Stree und Wessels, S. 69 (72). Kritisch zu den gesellschaftstheoretischen Ansätzen insgesamt ferner Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil I, S. 33. 200 Siehe hierzu mit einer Fülle an stichhaltigen Argumenten Appel, Verfassung und Strafe, S. 373 ff. 201 Hierzu Appel, Verfassung und Strafe, S. 378; ferner Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (36), die die grundgesetzlichen Aussagen für zu wenig konturiert hält. 202 Vgl. hierzu Appel, Verfassung und Strafe, S. 377 f. 203 Hierzu Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (71 f.). 198

II. Strafrechtsorientierte Ansätze

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für andere Werte von Verfassungsrang – zu denken ist hier beispielsweise an den Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG oder die Gleichbehandlung nichtehelicher Kinder nach Art. 6 Abs. 5 GG – gilt, ist einem bloßen Verweis auf die objektive Werteordnung der Verfassung nicht zu entnehmen. Hinzukommt, dass die entsprechenden Werte zumeist aus vage formulierten Normen des Grundgesetzes abgeleitet werden, was die Gefahr in sich birgt, dass angesichts der Unschärfe verfassungsrechtlicher Generalklauseln – zu nennen sind hier etwa Art. 1 Abs. 1, Art. 2 und Art. 20 GG – nahezu jegliches Gut durch einen Verweis auf eine verfassungsrechtliche Verankerung zum Strafrechtsgut erhoben werden kann.204 Darüber hinaus sprechen ganz allgemeine strukturelle Erwägungen gegen den Ansatz, die dem Gesetzgeber vorgegebenen Maßstäbe einer gesetzgebungs- und strafrechtslimitierenden Rechtsgutskonzeption aus der objektiven Werteordnung der Verfassung abzuleiten. Das objektive Wertesystem der Verfassung ist ein auf absolute Wertgeltung angelegtes System, in dem jeder Wert als solcher abstrakt und allgemein, unmittelbar und unbedingt gilt.205 Eine Rang- und Stufenordnung einzelner Werte lässt sich demnach der objektiven Werteordnung nur schwerlich entnehmen, sie vermag nur auf eine abstrakte Rangstufe der einzelnen Bereiche verweisen, denen die Werte zugehören.206 Eine Rangfolge der einzelnen Werte wird vielmehr erst innerhalb eines subjektiven Wertdenkens – genauer: innerhalb einer subjektiven Entscheidung für eine Theorie der Fundierungsverhältnisse zwischen den Werten sowie einer Unterscheidung zwischen Werthöhe und Dringlichkeit eines Wertes – möglich.207 Das Strafrecht hingegen kennzeichnet aber gerade – allgemein gesprochen – die Beschränkung der „Interessen“ des einen um der Gewährleistung der „Interessen“ des anderen bzw. „allgemeiner Interessen“ willen.208 Dabei handelt es 204 Vgl. hierzu die Beiträge von Sternberg-Lieben, Rechtsgut, Verhältnismäßigkeit und die Freiheit des Strafgesetzgebers S. 65 (71 f.), Wohlers, Die Tagung aus der Perspektive eines Rechtsgutsskeptikers, S. 281 (281 f.) und Frisch, Rechtsgut, Recht, Deliktsstruktur und Zurechnung im Rahmen der Legitimation staatlichen Strafens, S. 215 (216 f.), jeweils in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie. 205 Vgl. hierzu Böckenförde, Zur Kritik der Wertbegründung des Rechts, in: ders. (Hrsg.), Recht, Staat, Freiheit, S. 67 (76 f.); ausführlich Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 138 ff., 143. 206 Vgl. hierzu Böckenförde, Zur Kritik der Wertbegründung des Rechts, in: ders. (Hrsg.), Recht, Staat, Freiheit, S. 67 (79). Danach können die Werte nur objektiv nach der Ranghöhe der verschiedenen Bereiche geordnet werden, denen sie zugehören. Für Böckenförde gibt es eine Werthierarchie vom Nützlichen (Bereich der Bedürfnisse) zum Wahren (Wissenschaft), Schönen (Kunst) und Heiligen (Religion), siehe hierzu Böckenförde, Zur Kritik der Wertbegründung des Rechts, in: ders. (Hrsg.), Recht, Staat, Freiheit, S. 67 (77). 207 Vgl. hierzu Böckenförde, Zur Kritik der Wertbegründung des Rechts, in: ders. (Hrsg.), Recht, Staat, Freiheit, S. 67 (77, 79). 208 Vgl. hierzu Frisch, Wesentliche Strafbarkeitsvoraussetzungen einer modernen Strafgesetzgebung, in: Eser/Kaiser/Weigend (Hrsg.), Von totalitärem zu rechtsstaatli-

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§ 4, A. Anforderungen in Hinblick auf Legitimation und Ausgestaltung

sich bei den zu beschränkenden Interessen in der Regel zumindest um die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG – und damit um ein grundrechtlich geschütztes Recht.209 Leitet man nun die zu schützenden „Interessen“ aus Maßstäben ab, die einem an der objektiven Werteordnung der Verfassung orientierten Rechtsgutsbegriff entnommen sind, hat dies zur Folge, dass sich letztendlich zwei verfassungsrechtlich geschützte Werte in einem Spannungsverhältnis gegenüberstehen. Schon allein aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten bedarf es hier eines ausdifferenzierten Wertungs- und Abwägungsprozesses, welchem Interesse hierbei der Vorrang einzuräumen ist.210 Entsprechende Vorgaben für die Lösung eines solchen Spannungsverhältnisses lassen sich der objektiven Werteordnung der Verfassung angesichts ihrer Abstraktheit jedoch gerade nicht entnehmen.211 Ihr ist eine Handlungsvorgabe für eine ausdifferenzierte Rangfolgenbestimmung für einzelne Werte bereits ansatzbedingt fremd.212 An dieser Stelle zeigt sich bereits eine generelle strukturbezogene Unzulänglichkeit der Rechtsgutskonzeption. Ein bloßer Verweis auf die objektive Werteordnung der Verfassung genügt demnach nicht und kann auch nicht genügen, um Rückschlüsse auf die dem Strafgesetzgeber vorgegebenen Maßstäbe einer gesetzgebungs- und strafrechtslimitierenden Rechtsgutskonzeption abzuleiten. d) Zwischenergebnis Der historische Abriss hat verdeutlicht, dass das Rechtsgut in seiner Funktion als systemimmanente Größe und Angelpunkt einer teleologischen Auslegung einer Strafnorm in der Strafrechtswissenschaft mittlerweile unumstritten

chem Strafrecht, S. 201 (207 f.); deutlich in Bezug auf die der Strafnorm zugrunde liegende Verhaltensanweisung ders., FS Stree und Wessels, S. 69 (82 f.); ferner Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 1 Rn. 17. Siehe auch Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 152. 209 Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 1 Rn. 17. 210 Vgl. allgemein Müller-Dietz, Strafe und Staat, S. 34 f., der im Rahmen der dem Gesetzgeber obliegenden Rückanbindung an das Rechtsstaatsprinzip von der Sachgerechtigkeit der Pönalisierung spricht. 211 Böckenförde, Zur Kritik der Wertbegründung des Rechts, in: ders. (Hrsg.), Recht, Staat, Freiheit, S. 67 (79). 212 Ein solcher Wertungs- und Abwägungsprozess ist selbstverständlich auch vor dem Hintergrund der Verfassung zu leisten, namentlich anhand des verfassungsdogmatischen Instrumentariums des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Dies ist jedoch ein von der objektiven Wertordnung der Verfassung strikt zu trennender Aspekt, vgl. hierzu ausführlich Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 138 ff., 143, der überzeugend darlegt, dass jeglicher Versuch, der Werteordnung der Verfassung eine Rangordnung grundrechtlicher Wertung entnehmen zu wollen, scheitern muss: Das Wertsystem der Verfassung ist auf absolute Wertgeltung angelegt, ein Spannungsverhältnis dagegen lässt sich nur in einem Abwägungsmodell lösen.

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ist.213 Ebenso deutlich wurde, dass jeder darüber hinausgehende (und funktionell von der eben genannten Eigenschaft zu trennende) Versuch, dem Rechtsgutsbegriff einen system- und gesetzgebungskritischen Ansatz zu verleihen, um auf diese Weise Aussagen über strafrechtstheoretische Anforderungen an die Pönalisierung von Verhaltensweisen zu gewinnen, bislang zu keinem unanfechtbaren Ergebnis geführt hat. Die Gründe hierfür sind zum einen terminologischer, zum anderen struktureller Natur. So vermag keine Spielart der bestehenden Rechtsgutstheorien bislang überzeugend darzulegen, woraus sich die dem Gesetzgeber vorgegebenen Maßstäbe abzuleiten sind, ohne dabei das jeweilige Begründungsmodell letztendlich einer gewissen betrachterischen Beliebigkeit preiszugeben. Damit kann eine gesetzgebungs- und strafrechtslimitierende Rechtsgutskonzeption jedoch ihrer primären Aufgabe – dem Strafrecht(sgesetzgeber) gleichsam aus eigener Kraft kritische Maßstäbe vorzugeben – nicht gerecht werden.214 Selbst wenn man sich trotz dieser Unzulänglichkeiten auf einen gesetzgebungs- und strafrechtslimitierenden Rechtsgutsbegriff einließe, bliebe seine Aussagekraft in Hinblick auf die strafrechtlichen Anforderungen an den Einsatz von Strafe gering. Mit einem entsprechenden Rechtsgutsbegriff kann schon seines Ansatzes wegen nur zum Ausdruck gebracht werden, dass dem als Rechtsgut identifizierten Interesse verbotsindiziernde Bedeutung zukommt, es dient lediglich als ein Indikator für den Einsatz von Strafe. Damit ist aber nicht gesagt, in welcher Art und Weise und in welchem Umfang der Einsatz von Strafe zu erfolgen hat. Gemeint ist die Frage der tatbestandlichen Ausgestaltung einer strafrechtlichen Schutznorm – also die Frage nach den zu verbietenden Angriffswegen und die zu fordernde Art der Beeinträchtigungen215 des als Rechtsgut ausgemachten Interesses. Darüber hinaus sind ihr keine Aussagen darüber zu entnehmen, ob und gegebenenfalls auf welche Weise dem Täter die Verantwortung für die Gefährdung oder Beeinträchtigung des Rechtsgutes zugeschrieben werden kann.216 Letztlich bleibt eine am Rechtsgutsbegriff orientierte gesetzgebungsund strafrechtslimitierende Rechtsgutskonzeption auch eine Antwort auf die Fra-

213 Siehe Rönnau, JuS 2009, 209 (211); vgl. ferner Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (32 f.). Daher kann unumwunden gesagt werden, dass der maßgebliche Zweck des Strafrechts im Schutz von Rechtsgütern besteht. 214 Vgl. hierzu Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (33 ff.). 215 Dies meint die Frage, ob nur Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen sind, die – dem Täter zurechenbar – bereits zu einer tatsächlichen Beeinträchtigung des Rechtsgutes geführt haben oder nur solche Verhaltensweisen, die das Rechtsgut lediglich in die Gefahr einer Beeinträchtigung bringen könnten oder tatsächlich gebracht haben. 216 Vgl. hierzu u. a. von Hirsch, Der Rechtsgutsbegriff und das „Harm Principle“, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 13 (20), ders./Wohlers, Rechtsgutstheorie und Deliktsstruktur – zu den Kriterien fairer Zurechnung, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 196 (197 ff.).

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ge schuldig, welche Strafart und welche Strafhöhe bei einer entsprechenden Gefährdung oder Verletzung des Rechtsguts anzudrohen ist.217 Das Leistungsspektrum der strafrechtslimitierenden Rechtsgutskonzeptionen ist demnach von vornherein auf rein delegitimierende Aussagen beschränkt.218 Positive Aussagen in Hinblick auf den Einsatz von Strafe lassen sich einer gesetzgebungs- und strafrechtslimitierenden Rechtsgutskonzeption schon von ihrem Ansatz her nicht entnehmen. Vielmehr verstellt eine zu starke Fokussierung auf eine gesetzgebungs- und strafrechtslimitierende Rechtsgutskonzeption den Blick auf notwendige, darüber hinaus zu klärende Fragen in Hinblick auf die Legitimation des Strafeinsatzes, die (ebenso) von zentraler Bedeutung sind.219 e) Ansätze zur Ergänzung des Rechtsgutskonzepts Die Kritik an der Leistungsfähigkeit der gesetzgebungs- und strafrechtslimitierenden Rechtsgutskonzeption hat dazu geführt, dass manche derjenigen Stimmen, die die Notwendigkeit eines systemkritischen Rechtsgutsbegriffs als solchen nicht infrage stellen, ihren Ansatz mit Aspekten anderer (strafrechtlicher) Legitimationskonzepte zu ergänzen suchen. aa) Ergänzung durch das Kriterium der Sozialschädlichkeit Zur Ergänzung einer als unzulänglich empfundenen gesetzgebungs- und strafrechtslimitierenden Rechtsgüterschutzkonzeption wird oftmals der Gedanken der Sozialschädlichkeit ins Spiel gebracht.220 Danach sollen nur solche Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen sein, die nicht nur das zum Rechtsgut bestimmte 217 Vgl. dazu Wohlers, GA 2002, 15 (17); ferner ders., Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 291 f. 218 Vgl. Wohlers, GA 2002, 15 (17); Frisch, Wesentliche Strafbarkeitsvoraussetzungen einer modernen Strafgesetzgebung, in: Eser/Kaiser/Weigend (Hrsg.), Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, S. 201 (208 f.). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass auch mehrere Autoren, die sich zu den Fürsprechern strafrechtsgutsbezogenen Legitimationsansätze zählen lassen, bezüglich der Leistungsfähigkeit eines system- und gesetzgebungskritischen Legitimationskonzepts immer wieder zumindest dessen negative Ausgrenzungsfunktion betonen, siehe hierzu Hefendehl, GA 2007, 1 (4); Roxin, Strafrecht AT Band 1, S. § 2 Rn. 121; Hassemer, Gedächtnisschrift für Ellen Schlüchter, S. 133 (151 ff.). 219 Vgl. hierzu Frisch, Rechtsgut, Deliktsstruktur und Zurechnung im Rahmen der Legitimation staatlichen Strafens, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 215 (222 ff.). 220 Vgl. hierzu Günther, JuS 1978, 8 (9); Rudolphi, FS Honig, S. 151 (161 f., 166), der den Aspekt der Sozialschädlichkeit zwangsläufig bemüht, weil er in den infrage kommenden Rechtsgütern werthafte soziale Funktionseinheiten erblickt. Die Sozialschädlichkeit bemüht anstatt des Rechtsgüterschutzgedankens als gewichtigen, jedoch nicht hinreichenden Aspekt ferner Hirsch, Die aktuelle Diskussion über den Rechtsgutsbegriff, in: Lilie (Hrsg.), Strafrechtliche Probleme, Band II, S. 121 (128). Den Aspekt der Sozialschädlichkeit als Anknüpfungspunkt für den gesellschaftstheoreti-

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Interesse in einer bestimmten Weise tangieren, sondern die darüber hinaus auch sozialschädlich sind.221 Die Anwendbarkeit einer solchen Konzeption in der Praxis ist jedoch insofern zweifelhaft, als es sich bei dem Begriff der Sozialschädlichkeit um einen schwer fassbaren Topos handelt.222 Versteht man ihn – da es sich bei dem Recht um eine soziale Erscheinung handelt – als Ausdruck für die Verbots- oder Gebotswidrigkeit eines bestimmten Verhaltens, bringt er nichts weiter als die allgemeine Rechtswidrigkeit des Verhaltens zum Ausdruck.223 Damit erhält eine um diesen Ansatz bereicherte gesetzgebungs- und strafrechtslimitierende Rechtsgüterschutzkonzeption aber immer noch keine Aussagen darüber, in welcher Art und Weise und in welchem Umfang der Einsatz von Strafe zu erfolgen hat. Versteht man den Topos dagegen im Sinne einer „gesteigerten Sozialschädlichkeit“ 224, der den Kreis der zu schützenden Rechtsgütern enger zieht als der ursprüngliche Rechtsgutsansatz, bleibt der Begriff weiterhin durchaus vage. Mangels greifbarer Konturen vermag auch seine Einbindung in eine gesetzgebungsund strafrechtslimitierende Rechtsgüterschutzkonzeption keinen weitergehenden Erkenntnisgewinn zu versprechen. bb) Ergänzung durch Kriterien aus der anglo-amerikanischen Legitimationsdebatte Weiter ist versucht worden, den system- und gesetzgebungskritischen Rechtsgutsansatz um Kriterien zu bereichern, die ursprünglich von Legitimationskonzeptionen aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis stammen.225 Zu unterscheischen Unterbau eines strafrechtlichen Legitimationskonzeptes hebt auch Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 346 ff., 361, 394 stärker hervor. 221 Siehe hierzu Maurach/Zipf, Strafrecht Allgemeiner Teil, Teilband 1, S. 168 f. A.A. hingegen Müller-Emmert, GA 1976, 291 (294), der unter Abstellen auf die Prämisse, dass die Strafe nur mit gesellschaftsimmanenten Notwendigkeiten und somit über ihre soziale Leistung zu rechtfertigen sei, konstatiert, dass der Rechtsgüterschutzgedanken daher durch den Topos der Sozialschädlichkeit ersetzt werden müsse. 222 Vgl. zu diesem Aspekt Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (76 f.). 223 Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (76 f.). Darüber hinaus vermag er den Gedanken eines gesetzgebungs- und strafrechtslimitierenden Rechtsgüterschutzkonzeptes nur bedingt zu ergänzen, da das, was nach den verschiedenen strafrechtsgutsbezogenen Theorien als strafbar gilt, regelmäßig auch als sozialschädlich angesehen werden wird. 224 Hierzu Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (76 f.), der den Topos der Sozialschädlichkeit als Ausdruck einer „maßgeblichen qualitativen Gemeinsamkeit jenes engeren Kreises verbots- und gebotswidrigen Verhaltens, das Strafeinsatz legitimiert und als Straftat anzusehen ist“ interpretiert. 225 Siehe hierzu von Hirsch, GA 2002, 2 (5 ff.); Seher, Prinzipiengestützte Strafnormlegitimation und der Rechtsgutsbegriff, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 39 (45 ff.); ferner Hoerster, ZStW 82 (1970), 538 (543 ff.).

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den sind hierbei rechtsgutsbezogene Ansätze, die insbesondere die Vagheit des Rechtsgutsbegriffs unter Rückgriff auf entsprechende anglo-amerikanische Legitimationsprinzipien zu präzisieren suchen226 und Ansätze, die die anglo-amerikanischen Legitimationsprinzipien zusätzlich zu dem Rechtsgutsbegriff für ihr Legitimationskonzept in Ansatz bringen227. (1) Präzisierende Ansätze Zur Konkretisierung des für unzulänglich befundenen Rechtsgutsbegriffs wird teilweise auf das Legitimationsmodell des Schädigungsprinzips (harm principle) bzw. des Belästigungs- oder Störungsprinzips (offense principle) zurückgegriffen, welches auf dem Legitimationsmodell Joel Feinbergs228 fußt, der sich wiederum maßgeblich auf Gedanken John Stuart Mills229 stützt.230 Ausgangspunkt des harm bzw. offense principle ist dabei die Überlegung, dass nur Verhalten unter Strafe zu stellen ist, dem ein gewisser Unwertgehalt innewohnt. Zur Bestimmung dieses Unwertes gibt es grundsätzlich zwei Anknüpfungspunkte: Das Unrecht liegt entweder in den negativen Folgen einer Handlung – wobei hier zwischen Folgen in Bezug auf andere Personen und in Bezug auf den Täter zu unterscheiden ist – oder in der Handlung selbst bzw. der Einstellung des Täters zu seiner Handlung.231 Nach dem Schädigungsprinzip (harm principle) ist der Einsatz von Strafe dann zu legitimieren, wenn das die Strafbarkeit indizierende Verhalten die Interessen 226 Vgl. hierzu von Hirsch, GA 2002, 2 (5 ff.); ders., Seher, Prinzipiengestützte Strafnormlegitimation und der Rechtsgutsbegriff, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 39 (47 ff.). 227 So anhand sog. mediating principles, siehe hierzu den Beitrag in von Hirsch/Seelmann/Wohlers, Einführung: Was sind Mediating principles?, in: von Hirsch/Seelmann/ Wohlers (Hrsg.), Mediating Principles, S. 13 (15 ff.), die als sog. mediating principles die – zum Teil auch in der strafrechtlichen Legitimationsdebatte hierzulande eine Rolle spielenden – Kriterien Selbstschutz, Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit, Toleranz und Veranwortungsstreuung ausmachen, vgl. ferner weitere Beiträge in diesem Band und Hefendehl, GA 2007, 1 (6). 228 Siehe hierzu Joel Feinberg, The Moral Limits of the Criminal Law, welches in vier Bände untergliedert ist: Band 1: Harm to Others, Band 2: Offense to Others, Band 3: Harm to Self, Band 4: Harmless Wrongdoing. 229 Siehe hierzu den 1859 von John Stuart Mill veröffentlichten Essay „On Liberty“ in der deutschen Übersetzung Mill, Über die Freiheit, Stuttgart 1995 (Nachdruck). Mill war der Ansicht, dass sich der Einsatz von Strafe allein nach dem harm principle bestimmen sollte, vgl. hierzu von Hirsch, GA 2002, 2 (3 f.). 230 Siehe von Hirsch, GA 2002, 2 (3); für weitere Nachweise auch Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (37 f.). Zu weiteren Legitimationsmodellen bzw. -rastern siehe Seher, Prinzipiengestützte Strafnormlegitimation und der Rechtsgutsbegriff, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 39 (45 f.). 231 Seher, Prinzipiengestützte Strafnormlegitimation und der Rechtsgutsbegriff, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 39 (45 f.).

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eines anderen, insbesondere dessen lebenswichtige Grundinteressen (welfare interests)232, in rechtswidriger und schuldhafter Weise (wrongful) verletzt.233 Ziel ist die möglichst optimale Sicherung einzelner Freiheitssphären, in der sich der jeweilige Bürger frei entfalten kann.234 Geraten dabei Interessen verschiedener Personen in Widerstreit, so soll der Schutz des einen Interesses durch Aufgabe des Schutzes des anderen Interesses gewährleistet werden; welches Interesse dabei zu schützen bzw. zu vernachlässigen ist, ist anhand einer vorgegebenen Interessenhierarchie zu entscheiden.235 Neben diesem Schädigungsprinzip, das gleichsam als Prototyp zur Ermittlung strafbaren Verhaltens gilt,236 etabliert Feinberg ein Belästigungs- und Störungssystem (offense principle), nach welchem der Einsatz von Strafe auch aufgrund der belästigenden bzw. störenden Wirkung eines Verhaltens legitimierbar erscheint.237 Im Vordergrund steht damit die Wirkung des Verhaltens, ihr kommt indizielle Bedeutung zu. Da die Belästigung bzw. Störung gegenüber der Schädigung eine mindere Beeinträchtigung darstellt und nicht jegliche Beeinträchtigung Strafe nach sich ziehen soll, stellt Feinberg an eine strafbare Belästigung bzw. Störung qualifizierte Anforderungen. So muss das Verhalten eine erhebliche Belästigungswirkung aufweisen, derer sich die betroffene Person nicht ohne weiteres zu entziehen vermag.238 Ferner muss es vom Täter mit einer gewissen Intensität und Dauer betrieben werden, ohne dass dieser dabei für ihn nützliche Ziele verfolgt.239 Im Einzelnen bedient sich Feinberg hierbei eines vielschichtigen Abwägungssystems, in welchem er verschiedenartige Störungseinwirkungen wie 232 Vgl. hierzu Feinberg, The Moral Limits of the Criminal Law: Band 1, Harm to Others, S. 37 f. Zu weiteren in diesem Zusammenhang relevanten Interessen vgl. Seher, Prinzipiengestützte Strafnormlegitimation und der Rechtsgutsbegriff, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 39 (46 f.). 233 Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (38); Seher, Prinzipiengestützte Strafnormlegitimation und der Rechtsgutsbegriff, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 39 (45 f.). Eine andere Terminologie verwendet hingegen von Hirsch, GA 2002, 2 (6), der statt von Interessen von Ressourcen spricht. In der Sache besteht jedoch wohl kein nennenswerter Unterschied. 234 So der Gedanke des klassischen Liberalismus, vgl. Feinberg, The Moral Limits of the Criminal Law, Band 1: Harm to Others, S. 7 ff.; 14 f.; vgl. hierzu auch von Hirsch, GA 2002, 2 (4). 235 Siehe hierzu ausführlich Seher, Liberalismus und Strafe, S. 55 ff. 236 Vgl. hierzu von Hirsch, GA 2002, 2 (4 f.). 237 Siehe hierzu Feinberg, The Moral Limits of the Criminal Law, Band 2: Offense to Others, S. 1 f. 238 Vgl. Feinberg, The Moral Limits of the Criminal Law, Band 2: Offense to Others, S. 35, 44. Eingehend Seher, Liberalismus und Strafe, S. 111 ff. und ders., Prinzipiengestützte Strafnormlegitimation und der Rechtsgutsbegriff, in: Hefendehl/von Hirsch/ Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 39 (49 f.). 239 Feinberg, The Moral Limits of the Criminal Law, Band 2: Offense to Others, S. 35, 44. Eingehend Seher, Liberalismus und Strafe, S. 111 ff. und ders., Prinzipiengestützte Strafnormlegitimation und der Rechtsgutsbegriff, in: Hefendehl/von Hirsch/ Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 39 (49 f.).

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bspw. auf das vegetative Nervensystem (Ekel) oder auf die Empfindung einer anderen Person (religiöse oder sittliche Gefühle, Erregung von Furcht oder Demütigung) als taugliche Anknüpfungspunkte zur Legitimation des Strafeinsatzes anerkennt.240 Grundsätzlich bedarf es für den Einsatz von Strafe einer Schädigung der Interessen bzw. Belästigung oder Störung einer anderen Person – und nicht Einbußen oder Beeinträchtigungen, die sich der Handelnde selbst zufügt. Nur in Ausnahmefällen, namentlich in Fällen, in denen der Fürsorgeaspekt eine große Rolle spielt, erkennt Feinberg auch eine paternalistische Zwecksetzung im Strafrecht an.241 Trotz eines differenzierenden Legitimationsrasters, das das harm principle in Verbindung mit dem offense principle bereit hält, hat die Ausarbeitung Feinbergs auch Kritik erfahren. So vermag Feinberg nicht näher zu begründen, woraus ein individuelles Interesse – ein sog. welfare interest – im Rahmen des harm principle letztlich bestehen soll.242 Weiter bleibt unbegründet, ob es aus normativen Gesichtspunkten Gründe dafür gibt, warum im Rahmen des offense principle sich strafbar macht, wer durch belästigendes Verhalten negative Empfindungen bei dem Opfer hervorruft und ob dies zugleich einen hinreichenden Grund für eine Pönalisierung darstellt.243 Ferner erscheint insbesondere das komplexe Abwägungssystem nicht umfassend und ausdifferenziert genug, sondern unterscheidet lediglich einzelne Fälle und unterteilt diese in Kategorien.244 Letzten Endes vermag das Legitimationsraster des harm bzw. offense principle somit zwar ein rechtsgutsbezogenes Legitimationskonzept in manchen Punkten um bisweilen245 transparentere Legitimationsaspekte zu bereichern, jedoch nicht in zufriedenstellendem Maße zu präzisieren. 240 Siehe hierzu Feinberg, The Moral Limits of the Criminal Law, Band 2: Offense to Others, S. 14 ff. 241 Siehe hierzu Feinberg, The Moral Limits of the Criminal Law, Band 3: Harm to Self, S. 12 ff. 242 In den Worten Feinbergs, The Moral Limits of the Criminal Law, Band 1: Harm to Others, S. 38:„a person has an interest in some outcome when he ,has a stake‘ in it“, zur Kritik hieran siehe von Hirsch, GA 2002, 2 (6); Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (39); insbesondere hinsichtlich der welfare interests auch Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 75 f.; Bloy, GA 2006, 656 (658). 243 Vgl. hierzu von Hirsch, Das Rechtsgut und das „Harm Principle“, in: Hefendehl/ von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 13 (22), der die die in dem entsprechenden belästigenden Verhalten zum Ausdruck kommende Respektlosigkeit anderen Personen gegenüber als einzig tauglichen Anknüpfungspunkt erblickt. Für die unabdingbare Erforderlichkeit eines Schadens plädiert demgegenüber Hörnle, Buffalo Criminal Law Review 5 (2001), 255 (258 ff.). 244 Siehe zur Kritik Seher, Liberalismus und Strafe, S. 111 ff. 245 Dies meint insbesondere die Begründung für die Strafbarkeit von belästigendem oder störendem Verhalten, vgl. hierzu mit eigenem Ansatz von Hirsch, GA 2002, 2 (13). Zur Kritik an wiederum diesem Ansatz Hörnle, Buffalo Criminal Law Review 5 (2001), 255 (258 ff.).

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(2) Mediating Principles als Ergänzung neben dem Rechtsgutskonzept Als Ergänzung zu einer gesetzgebungs- und strafrechtslimitierenden Rechtsgutskonzeption werden neuerdings unter dem Stichwort der sog. mediating principles zusätzliche Kriterien ins Gespräch gebracht, die die Debatte um die Legitimation strafrechtlicher Normen bereichern sollen.246 Als solche werden im Einzelnen Prinzipien wie bspw. Selbstschutz, Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit, Toleranz247 und Verantwortungsstreuung und insbesondere auch Deliktsstrukturerwägungen248 genannt, die auf einem systemkritischen Rechtsgutsbegriff als dem materialen Anknüpfungspunkt zur Limitierung des Strafeinsatzes aufbauen sollen.249 Auf diese Weise kommt den jeweiligen Prinzipien jedoch keine eigenständige Bedeutung zu, sie können nur in Kombination mit dem Rechtsgutsbegriff zur Anwendung kommen, da sie auf dessen Ausgrenzungsbefund aufbauen. Allerdings steht dabei der systemkritische Rechtsgutsbegriff mit all seinen – bereits dargelegten – Unzulänglichkeiten im Zentrum des entsprechenden Legitimationsansatzes und bildet somit das Einfallstor für nachhaltige Kritik. (3) Zwischenergebnis zu den Ergänzungsansätzen Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass auch diejenigen Ansätze, welche in der Frage nach dem Einsatz von Strafe nicht ausschließlich auf eine gesetzgebungsund strafrechtslimitierende Rechtsgutskonzeption abstellen und sie stattdessen um weitere Prinzipien ergänzen, nicht überzeugen können. Sie scheitern entweder daran, dass sie den zugrunde liegenden systemkritischen Rechtsgutsbegriff nicht hinreichend präzisieren können oder daran, dass sie die Bedenken hinsichtlich seiner dogmatischen Fundierung und der Herleitung der mit ihm zum Ausdruck gebrachten systemkritischen Maßstäbe nicht zu zerstreuen vermögen. 2. Zum Verbleib der Kriterien der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit

Im Verlauf dieser Untersuchung wurde zunächst festgehalten, dass das mit Strafe bewehrte Verbot eines Verhaltens nach allgemeiner Meinung nur zu legiti246 Siehe hierzu die – diesbzgl. kontroversen – Beiträge in: von Hirsch/Seelmann/ Wohlers (Hrsg.), Mediating Principles, Baden-Baden 2006. 247 Kritisch bereits zum Gebrauch des Begriffes Toleranz im Strafrecht und insbesondere in Hinblick auf die Leistungsfähigkeit dieses Begriffs im Rahmen einer Legitimationsdebatte zur Begrenzung des Strafeinsatzes siehe Frisch, Toleranz als Prinzip der Strafrechtsbegrenzung, in: von Hirsch/Seelmann/Wohlers (Hrsg.), Mediating Principles, S. 83 (84 ff.; 91 ff.). 248 Siehe hierzu insbesondere in Bezug auf Gefährdungsdelikte Wohlers, Delikttypen und Präventionsstrafrecht, S. 281 ff.; ferner von Hirsch/Wohlers, Rechtsgutstheorie und Deliktsstruktur – zu den Kriterien fairer Zurechnung, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie S. 196 (198 ff.). 249 Vgl. hierzu Hefendehl, GA 2007, 1 (6).

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mieren ist, wenn das entsprechende Verhalten wegen seines rechtsgutsbeeinträchtigenden oder bisweilen auch nur rechtsgutsgefährdenden Charakters strafwürdig und strafbedürftig erscheint.250 Erweist sich jedoch der system- und gesetzgebungskritische Rechtsgutsbegriff als Dreh- und Angelpunkt eines solchen Legitimationskonzepts als untauglich, verbleiben zur Eingrenzung des Strafbaren nur noch die Kriterien der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit.251 Doch auch die Leistungsfähigkeit dieser beiden Kriterien ist fraglich. a) Zum Kriterium der Strafbedürftigkeit In der Regel wird unter dem Kriterium der Strafbedürftigkeit verstanden, dass die Kriminalisierung eines Verhaltensverbotes dann entfallen müsse, wenn dem Gesetzgeber wirksamere oder gleich wirksame Mittel, regelmäßig auf zivil- oder öffentlich-rechtlicher Ebene, zur Verfügung stehen.252 In diesem Zusammenhang wird – bisweilen in Anlehnung an den Begriff der Strafbedürftigkeit – vielfach von der Erforderlichkeit des Strafeinsatzes gesprochen.253 Übersehen wird dabei meistens, dass der kritische Gehalt einer solchen Strafbedürftigkeits- bzw. Erforderlichkeitserwägung auch – zumindest mittelbar – davon abhängt, welches Strafverständnis ihr zugrunde gelegt wird.254 Versteht man unter Strafe lediglich ein dem Täter von staatlicher Seite auferlegtes Übel mit generalpräventiver Wirkung, ist die Aussagekraft des Strafbedürftigkeits- bzw. Erforderlichkeitskriteriums eher begrenzt und das Ergebnis regelmäßig vorgegeben. Die Strafbewehrung einer Verhaltensanweisung wird aufgrund der grundsätzlich gesteigerten generalpräventiven Wirkung der Verhaltenskriminalisierung regelmäßig eine größere Befolgungswirkung beinhalten als die schlichte Regelung auf vorstrafrechtlichem Gebiet – etwa dem Zivilrecht oder dem öffentlichen 250 Vgl. hierzu die Nachweise bei Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (70); zu dem Zusammenhang zwischen materiellem Verbrechensbegriff und Rechtsgüterschutzgedanken vgl. Zipf, Kriminalpolitik, S. 107. 251 Auf diese wurde bereits vor mehr als 200 Jahren zu Zeiten der Aufklärung in diesem Zusammenhang zurückgegriffen, vgl. Quistorp, Grundsätze des deutschen Peinlichen Rechts, S. 25; Henke, von dem Maaßstabe der Strafbarkeit, in: Henke, Eduard (Hrsg.), Beiträge zur Criminalgesetzgebung, S. 129 (132 f.). 252 Vgl. hierzu Günther, JuS 1978, 8 (8 ff.); Müller-Dietz, Strafe und Staat, S. 35; BVerfGE 39, 1 (47). 253 Siehe hierzu mit vielen weiteren Nachweisen Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 192 f. Davon zu unterscheiden ist die gleichnamige Erforderlichkeitsprüfung im Rahmen von Verhältnismäßigkeitsaspekten. Erstere unterscheidet sich von Letzterer bereits insofern, als bei der Erforderlichkeitserwägung i. R. d. Strafbedürftigkeit der mit der Strafe verbundene Eingriff in die Rechte des Bürgers nicht zu berücksichtigen ist, siehe hierzu Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 193 f. 254 Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (78); Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 193 f.

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Recht.255 Diese Argumentation ist grundsätzlich auch schwer zu erschüttern, da ein empirischer Nachweis für diese Aussage regelmäßig nicht geführt wird oder vielmehr geführt werden kann.256 Damit lässt sich die Annahme, die Strafbewehrung bewirke aufgrund der grundsätzlich gesteigerten generalpräventiven Wirkung der Verhaltenskriminalisierung regelmäßig eine größere Befolgungswirkung als die schlichte Regelung auf vorstrafrechtlichem Gebiet, zwar „gleichsam normativ“ begründen, aber letztlich empirisch weder be- noch widerlegen. Bedeutend mehr Aussagekraft gewinnt das Kriterium der Strafbedürftigkeit bzw. der Erforderlichkeit dagegen, wenn man neben dem Wirksamkeitsbefund der Strafe auch die Schwere der Strafe – genauer: die mit ihr verbundenen Eingriffe in die Rechte und Rechtsgüter des Täters und ggf. den damit einhergehenden Vorwurf – in die Mittelabwägung mit einstellt.257 Das Ausgrenzungspotential eines solchen Strafbedürftigkeits- bzw. Erforderlichkeitskriteriums, in dessen Rahmen auch Erwägungen hinsichtlich der Schwere der Strafe unmittelbar einfließen und in Bezug zu anderen Mitteln gesetzt werden, ist erwartungsgemäß höher.258 Mehr noch: Es steht in enger Abhängigkeit zu dem entsprechend zugrunde gelegten Strafverständnis. Versteht man unter Strafe eine besondere Missbilligung des Täterverhaltens, die sich nicht in der Auferlegung einer Freiheitsoder Geldstrafe erschöpft, sondern soll mit ihr auch ein sozialethisches Unwerturteil zum Ausdruck gebracht werden,259 wäre im Rahmen der Strafbedürftigkeit bzw. der Erforderlichkeit (auch) danach zu fragen, ob ein solch qualifizierter Vorwurf als Reaktion auf das Verhalten des Täters überhaupt erforderlich erscheint. Damit wird aber zugleich deutlich, dass es im Rahmen einer so verstandenen Strafbedürftigkeits- bzw. Erforderlichkeitserwägung nicht mehr allein auf den Vergleich verschiedener Mittel in Hinblick auf ihre Wirksamkeit ankommt, sondern (auch) darum, ob die in der Strafe zum Ausdruck kommende besondere Missbilligung der Tat in Hinblick auf das Verhalten des Täters angemessen er255 Vgl. hierzu Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 192 f.; ferner Frisch, Wesentliche Strafbarkeitsvoraussetzungen einer modernen Strafgesetzgebung, in: Eser/Kaiser/Weigend (Hrsg.), Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, S. 201 (220); ders., FS Stree und Wessels, S. 69 (78). 256 Kritisch daher zur Leistungsfähigkeit des Kriteriums der Strafbedürftigkeit Müller-Dietz, Strafe und Staat, S. 35 ff.; zum Aspekt der mangelnden Empirie siehe ferner Wohlers, Strafrecht als ultima ratio – tragender Grundsatz eines rechtsstaatlicher Strafrechts oder Prinzip ohne eigenen Aussagegehalt?, in: von Hirsch/Seelmann/Wohlers (Hrsg.), Mediating Principles, S. 54 (60). 257 Diese Auslegungsweise bevorzugt bspw. Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 2 Rn. 97 f.; siehe auch mit vielen weiteren Nachweisen Volk, ZStW 97 (1985), 871 (896), ferner Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil I, S. 35. 258 Vgl. Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 193 f.; Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (78 f.). 259 Zu diesem Strafverständnis Otto, Gedächtnisschrift für Schmitt, S. 53 (54); BVerfGE 25, 269 (286); 27, 18 (29); 88, 203 (258); 120, 224 (241); Androulakis, ZStW 108 (1996), 300 (309 ff.; 312 ff.).

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scheint. Es geht hierbei also nicht mehr um Strafbedürftigkeits- oder Erforderlichkeitserwägungen im eigentlichen Sinne, sondern bereits um Verhältnismäßigkeitsaspekte, die im Rahmen der Strafwürdigkeit ihren Platz haben.260 b) Zum Kriterium der Strafwürdigkeit Verspricht das Kriterium der Strafbedürftigkeit nur einen äußerst geringen Erkenntnisgewinn, stützt sich die maßgebliche Last der Bestimmung des Strafbaren nahezu ausschließlich auf das Kriterium der Strafwürdigkeit.261 Zur Präzisierung des Kriteriums der Strafwürdigkeit werden mit unterschiedlicher Akzentuierung sowohl verfassungsrechtliche Anforderungen – wie beispielsweise der Bestimmtheitsgrundsatz, das Gebot der Verhältnismäßigkeit262 des Strafeinsatzes usw.263 – als auch strafrechtstheoretische Anforderungen genannt.264 Im Mittelpunkt steht dabei regelmäßig der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.265 Hier besteht auch die größte Uneinigkeit hinsichtlich Art und Umfang der Verhältnismäßigkeitsabwägung.266 So setzen manche im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsabwägung das Gewicht der Tat in Bezug zu dem mit der Strafe verbundenen Eingriff in die Rechte und Rechtsgüter des Täters, ohne dabei weitergehende Aspekte der Strafe wie insbesondere den mit der Strafe zum Ausdruck gebrachten besonderen sozialethischen Tadel zu berücksichtigen.267 Andere hingegen wollen diesen sozialethischen Tadel in den Verhältnismäßigkeitsdiskurs ausdrücklich miteinbezogen wissen.268 260 Siehe zum Ganzen auch Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 194 f.; Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (78 f.). 261 Vgl. hierzu NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 57 ff. Diese Aufteilung ist freilich nicht unumstritten. Oftmals wird die Komponente der Zweckmäßigkeit im Rahmen der Strafbedürftigkeit behandelt, vgl. hierzu beispielsweise Schmidhäuser, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 6; Otto, Gedächtnisschrift für Schröder, S. 53 (56 f.). 262 Siehe hierzu insbesondere Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 199 ff.; vgl. NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 58 ff., 73. 263 Vgl. hierzu auch die Nachweise bei Naucke, Legitimation strafrechtlicher Normen – durch Verfassungen oder durch überpositive Quellen?, in: Lüderssen (Hrsg.), Aufgeklärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das Böse?, Band I: Legitimationen, S. 156 (157 f.). 264 Vgl. NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 57 ff., 70 ff.; vgl. hierzu auch Schmidhäuser, Strafrecht Allgemeiner Teil: Studienbuch, S. 6, der jedoch nicht einzeln zwischen verfassungsrechtlichen und strafrechtsdogmatischen Elementen unterscheidet. 265 Vgl. Bunzel, Die Potenz des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips als Grenze des Rechtsgüterschutzes in der Informationsgesellschaft, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 96 (116); Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 210 f. 266 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 216 f. 267 Zumindest nicht ausdrücklich, vgl. hierzu Müller-Emmert, GA 1976, 291 (301 f.); Woesner, NJW 1966, 1729 (1730 f.). 268 Vgl. Kühl, FS Lampe, S. 439 (441, 443); Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil I, S. 35, der in der Strafe den „denkbar härtesten Eingriff des Staates in die

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Die Ergebnisse der jeweiligen Verhältnismäßigkeitsprüfungen unterscheiden sich erwartungsgemäß deutlich von einander. Dies verwundert nicht, da das Verhältnismäßigkeitsprinzip – typischerweise unterteilt in Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit – ein Abwägungsinstrumentarium ist, welches spätestens auf der Stufe der Erforderlichkeit verschiedene Größen wertend in Bezug zu einander setzt, ohne dass es dabei selbst eine entsprechende Wertung vorzugeben imstande ist.269 Die Implikationen für den entsprechenden Wertungsmaßstab ergeben sich vielmehr aus den in den Abwägungsvorgang eingestellten und in Bezug zu einander zu setzenden einzelnen Größen und der den jeweiligen Größen dabei zuerkannten Wertung.270 Besonders deutlich wird dies, wenn man – wie gezeigt – bei den jeweiligen Verhältnismäßigkeitsabwägungen ein unterschiedliches Strafverständnis in Ansatz bringt. Je mehr man der Strafe an Schwere zukommen lässt und je größer der mit ihr verbundene sozialethische Tadel neben der konkreten Strafart und Strafhöhe ausfällt, desto zurückhaltender fällt der Prüfungsbefund aus, sie in Reaktion auf das Verhalten des Täters einzusetzen. Festzuhalten ist damit, dass Art, Umfang und kritische Leistungsfähigkeit der Verhältnismäßigkeitserwägungen – und damit letztlich auch des Kriteriums der Strafbedürftigkeit – unmittelbar damit zusammenhängen, welches Strafverständnis man bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung in Ansatz bringt. Das kritische Potential des Strafwürdigkeitskriteriums steht und fällt demnach damit, was man unter Strafe genau versteht.271 3. Zwischenergebnis

Als Zwischenergebnis lässt sich somit festhalten, dass die gängigen verfassungsrechts- wie auch strafrechts(guts)orientierten Legitimationsansätze im Ergebnis nur eine äußerst begrenzte Aussagekraft für die Frage nach der Begrenzung des Strafeinsatzes besitzen. Die verfassungsrechtsorientierten Ansichten lassen dem Gesetzgeber einen weitreichenden Einschätzungs- und Entscheidungsspielraum und beschränken sich von vornherein auf eine Kontrolle der gesetzgeberischen Entscheidungen vor Persönlichkeitsrechte des Betroffenen“ sieht und daher einen sehr zurückhaltenden Strafeinsatz fordert. 269 Eingehend Neumann, Das Verhältnismäßigkeitsprinzip als strafbegrenzendes Prinzip, in: von Hirsch/Seelmann/Wohlers (Hrsg.), Mediating Principles, S. 128 (130, 132 ff.). 270 Vgl. Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 216 f.; so wohl auch Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (79 f.). 271 Vgl. hierzu auch Naucke, Die Wechselwirkung zwischen Strafziel und Verbrechensbegriff, S. 18 ff.; siehe auch Kuhlen, Strafrechtsbegrenzung durch einen materiellen Straftatbegriff?, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 77 (86 ff.); ferner Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (81, 85).

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dem Hintergrund verfassungsrechtlicher Mindestanforderungen. Positiv formulierte Aussagen über den Einsatz von Strafe lassen sich hieraus nicht gewinnen. Eine kriminal- bzw. rechtspolitische Leitfunktion kann den verfassungsrechtsorientierten Ansichten demnach schon ihrem Ansatz nach nicht zukommen. Dagegen legen die strafrechts(guts)orientierten Ansätze bei ihrem Legitimationskonzept einen anderen Blickwinkel zugrunde. Diejenigen unter ihnen, die sich dabei (nahezu) ausschließlich an der Ausgrenzungsfunktion eines systemkritischen Rechtsgutsbegriffs festmachen wollen, sehen sich zum einen wiederum der Kritik ausgesetzt, einen rein delegitimierenden Ansatz zu verfolgen. Weitaus verheerender trifft sie aber der Vorwurf, dass die rechtsgutsbezogenen Legitimationskonzepte nicht überzeugend darlegen können, woraus sie ihre Maßstäbe und Kriterien für die Bestimmung strafbaren Verhaltens ableiten und warum genau diese dem Gesetzgeber als mehr oder minder verbindlich vorgegeben sind. Lehnt man dagegen eine rechtsgutsorientierte Ausrichtung ab und widmet sich stattdessen der (verbleibenden) Kriterien der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit, zeigt sich recht schnell, dass die mit ihnen verbundenen Maßstäbe einen nur geringen Erkenntnisgewinn versprechen können. Der Grund hierfür liegt unter anderem in der Unklarheit darüber, wie der Begriff auszufüllen ist, der einem strafrechtlichen Legitimationskonzept notwendigerweise als Dreh- und Angelpunkt zugrunde liegt: Dies ist der Begriff der Strafe selbst. Somit kann die Frage danach, welche Kriterien aus strafrechtsspezifischer Sicht als Leitprinzipien bei der Bestimmung strafbaren Verhaltens zu berücksichtigen sind, nur beantwortet werden, wenn Klarheit darüber besteht, was mit dem Instrumentarium der Strafe überhaupt ausgedrückt werden kann und soll.272 4. Richtpunkte für die Begrenzung strafbaren Verhaltens

Haben sich somit die gängigen Modelle zur Begrenzung des Strafeinsatzes als unzureichend und im Ergebnis nur geringfügig erkenntnisreich erwiesen, bedarf es alternativer Erwägungen. Da sich die Erarbeitung eines entsprechenden Legitimationskonzepts bereits aus Platzgründen verbietet, sollen im Folgenden Richtpunkte erörtert werden, die vor dem Hintergrund der Schaffung oder Überprüfung einer Strafnorm als Maßstäbe für die Frage nach der Kriminalisierung eines Verhaltens dienen können. In diesen finden sich auch bereits diskutierte Prinzipien und Begrenzungsinstrumentarien wieder. Vorauszuschicken ist dabei, dass sich aus den Richtpunkten kein eng geflochtenes Legitimationsmodell mit exakten und trennscharfen Kriterien entwickeln lassen wird, vielmehr sollen die 272 Androulakis, ZStW 108 (1996), 300 (331) spricht in diesem Zusammenhang von dem „Primat der Strafe“. Siehe auch zum Zusammenhang zwischen den Voraussetzungen des Strafens und den Zwecken und Zielen, die mit der Bestrafung verbunden werden, Müller-Dietz, Strafe und Staat, S. 6.

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Richtpunkte Maßstäbe aufstellen, die dem Gesetzgeber für die Frage nach der Kriminalisierung eines Verhaltens als Leitkriterien dienen können. Im Mittelpunkt steht dabei ein qualifiziertes Strafverständnis: Soll die Forderung, dass die Strafe das schärfste dem Staat zur Verfügung stehende Interventionsmittel bildet, tatsächlich von Bedeutung sein, so muss den einzelnen Richtpunkten ein gleichsam ebenso restriktives Verständnis von Strafe zugrunde gelegt werden.273 a) Legitimität der zugrunde liegenden Verhaltensanweisung Von den besonderen Strafeinsatzerwägungen an sich zu unterscheiden ist dabei zunächst die Frage nach der Legitimität der dem Straftatbestand zugrunde liegenden Verhaltensanweisung. Dieser erste Schritt folgt aus der Überlegung, dass nur ein legitimierbares Verhaltensverbot bzw. -gebot tauglicher Anknüpfungspunkt einer darauf aufbauenden Sanktionsnorm sein kann.274 Hier gelangen strafbezogene Erwägungen nur insoweit zur Anwendung, als dem Strafrecht nach der hier vertretenen Auffassung grundsätzlich die Aufgabe zukommt, die Geltungskraft derjenigen vorstrafrechtlich geregelten Verhaltensanweisungen zu bekräftigen und zu sichern, welche dem Schutz wesentlicher Interessen und Güter innerhalb der Gesellschaft – regelmäßig Daseins- und Entfaltungsbedingungen – dienen.275 Da273 Siehe zu diesem Gedanken Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (81 f.); ders., Straftat und Straftatsystem, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (141 f.); ebenso Naucke, Die Wechselwirkung zwischen Strafziel und Verbrechensbegriff, S. 13, 37. Kritisch Kuhlen, Strafrechtsbegrenzung durch einen materiellen Straftatbegriff?, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 77 (85 f., 87), der die Wahl eines solchen Strafverständnisses nicht als zwingend betrachtet und daher den Einwand der Beliebigkeit vorbringt. 274 Siehe hierzu Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 112 f.; ders., FS Stree und Wessels, S. 69 (95 f.); Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 2 Rn. 8. Diese Überlegung lässt sich auch innerhalb der verfassungsrechtsorientierten Prüfungsansätze finden. Auch hier wird zwischen der Verhaltensanweisung auf der einen Seite und der Strafbewehrung dieser Verhaltensanweisung auf der anderen Seite unterschieden und die Verfassungsmäßigkeit der Verhaltensnorm als Grundvoraussetzung für eine legitime Sanktionsnorm gesehen, vgl. Appel, Verfassung und Strafe, S. 79 f., 559; BVerfGE 90, 145 (171 ff.). 275 Siehe hierzu Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (82 f.); ders., Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs, 74 f., 112 f. Dabei wird es sich in der Regel um Bereiche handeln, die bereits auf der vorstrafrechtlichen Ebene des Zivil- oder beispielsweise Verwaltungsrechts geregelt sind und die aufgrund ihrer Bedeutung auch mit den Mitteln des Strafrechts geschützt werden sollen, indem der Gesetzgeber „holzschnittartig“ (so Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 [83]) durch die Strafbewehrung der entsprechenden vorstrafrechtlichen Verhaltensnorm ihren Geltungsanspruch zu bekräftigen und zu sichern versucht, vgl. zu einem solchen Strafverständnis Stratenwerth/ Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil I, S. 14; Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 1 Rn. 12; Frisch, Rechtsgut, Recht, Deliktsstruktur und Zurechnung im Rahmen der Legitimation staatlichen Strafens, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 215 (219 f.).

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bei scheiden von vornherein Verhaltensregelungen aus, mit denen ein Zweck verfolgt wird, der nicht in den staatlichen Regelungs- und Aufgabenbereich fällt.276 Zunächst ist somit zu klären, ob das der Strafnorm zugrundeliegende Verhaltensverbot bzw. -gebot überhaupt rechtlich zu legitimieren ist. Die Verhaltensanweisung hat die Regelung über den Ausgleich sich widerstreitender Interessen zum Inhalt, sie ist demnach regelmäßig Ausdruck einer Güter- und Interessenabwägung.277 Vor diesem Hintergrund erscheint das Verhaltensverbot bzw. -gebot nur legitimierbar, wenn das in der Regelung privilegierte Interesse das zurückstehende Interesse auch wirklich überwiegt und sich die Regelung als angemessene Konfliktlösung erweist.278 Da das der Strafnorm zugrundeliegende Verhaltensgebot bzw. -verbot für den Normadressaten immer auch einen staatlichen Eingriff zumindest (und in der Regel) in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG beinhaltet, muss die Verhaltensanweisung mit den Prinzipien der Rechtsordnung und insbesondere mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar sein.279 Dabei ist vor allem der verfassungsrechtlich verankerte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren.280 Die zu legitimierende Verhaltensnorm muss demnach geeignet, erforderlich und schließlich auch angemessen sein.281 Strafrechtsspezifische Erwägungen sind dabei nicht zu berücksichtigen, es geht also um eine (vorstraf)rechtliche Bewertung der im Einzelnen kollidierenden Güter und Interessen.282 Darüber hinaus muss die in der Verhaltensnorm zum Ausdruck kommende Güter- und Interessenabwägung, soll sie innerhalb der Gesellschaft (zumindest überwiegend) Akzeptanz finden, eine Entscheidung für das eindeutig überwiegende Interesse beinhalten.283 Mehr noch: Es muss sich bei dem entsprechenden Ver276 Siehe hierzu Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 52; ders., Strafrecht Allgemeiner Teil, § 1 Rn. 15 f. 277 Allgemein gesprochen geht es um die Abwägung der in Widerstreit tretenden Interessen – und zwar desjenigen, der ein Interesse an der Ausübung des in Streit stehenden Verhaltens hat und in dessen Freiheitsrechte ein entsprechendes Verbot eingreift und desjenigen, der ein Interesse an dem Unterbleiben des Verhaltens hat, siehe zum Ganzen Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (82 f.); vgl. auch Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 1 Rn. 17. 278 Vgl. Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 52. 279 Vgl. hierzu Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (82 f.); Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 1 Rn. 17; ferner im Ansatz auch Meyer, ZStW 2003, 249 (285). 280 Vgl. hierzu Appel, Verfassung und Strafe, S. 171 ff., 563. 281 Dies folgt notwendigerweise aus der Überlegung, dass auch für das Strafrecht die Legitimationsanforderungen hoheitlicher Rechtsbegrenzungen und Rechtseingriffe gelten, siehe hierzu Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 1 Rn. 17 ff.; BVerfGE 27, 18 (29); 45, 187 (253 ff.); Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 46 ff. 282 Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 1 Rn. 20; insbesondere zur Angemessenheitsbeurteilung bei der Güter- und Interessenabwägung Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 74 f., 129 ff., 137 ff. 283 Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 1 Rn. 20.

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haltensverbot bzw. -gebot um das Ergebnis einer Güter- und Interessenabwägung handeln, bei der wechselseitig anerkannte Freiheiten und Güter in Ausgleich gebracht werden und deren Ergebnis letztlich auch einen rechtlich begründbaren Ausschnitt aus einem Geflecht gegenseitiger Anerkennungsverhältnisse darstellt.284 Nur so kann gewährleistet werden, dass der Einzelne, der als Vernunftwesen innerhalb der Gesellschaft als Gleicher zu behandeln ist,285 die jeweilige Privilegierung bzw. Begrenzung der in Widerstreit geratenen Interessen, Freiheiten oder Güter akzeptiert und das Abwägungsergebnis daher auch gegen sich selbst gelten lassen will und muss.286 Obgleich strafrechtsspezifische Aspekte auf dieser Prüfungsebene nicht zu berücksichtigen sind, können spezifische Aspekte der (strafrechtlichen) Zurechnung für die Abgrenzung der Freiheitssphären der Betroffenen von Relevanz sein. Sie bieten hilfreiche Kriterien für die Beantwortung der Frage, ob eine Person bspw. in Hinblick auf die Verwirklichung des tatbestandlichen Erfolges ein über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehendes und innerhalb seines eigenen Verantwortungsbereichs begründbares missbilligtes Risiko geschaffen hat.287 Nur ein solches Verhalten kann rechtlich untersagt werden.

284 Hierzu Frisch, Straftat und Straftatsystem, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (146). Es muss sich gerade um eine (rechtlich begründbare) Konstellation aus wechselseitig anerkannten Freiheiten, Gütern (und damit ist auch die Teilhabe an Allgemeingütern umfasst) oder Rechten handeln, vgl. hierzu Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 194 ff.; eingehend zu dem von Fichte formulierten gegenseitigen Anerkennungsverhältnis als Weiterentwicklung des Kantschen kategorischen Imperativs Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 130 ff.; ferner E. A. Wolff, ZStW 97 (1985), 786 (810 ff.). Es geht hier jedoch nicht nur um die unmittelbare Anerkennung von Individuen und ihrer speziellen Freiheiten, da auch der Staat und juristische Personen (vermittelt) Subjekte solcher Rechte oder Güter sein können, vgl. hierzu Frisch, Straftat und Straftatsystem, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (146). Siehe zum Recht als Ausdruck eines gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses auch E. A. Wolff, Die Abgrenzung von Kriminalunrecht zu anderen Unrechtsformen, in: Hassemer (Hrsg.), Strafrechtspolitik: Bedingungen der Strafrechtsreform, S. 137 (178 ff., 194 ff.). 285 Dies ist eine der Grundvoraussetzungen für die Funktionsfähigkeit eines gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses: Der Einzelne als vernunftbegabte und zu autonomen Entscheidungen fähige Person ist innerhalb der Gesellschaft gleich zu behandeln und hat sich an dem staatlichen Recht, welches das gegenseitige Anerkennungsverhältnis als Rechtsverhältnis im Einzelnen konkretisiert, zu orientieren. Dies ist letztlich auch Ausdruck seiner eigenen Vernunftleistung. Auf diese Weise kann der Anspruch begründet werden, dass der Einzelne – auch wenn er im konkreten Fall ein anderes Urteil fällen würde – grundsätzlich das staatliche Recht als Vernunfturteil zu akzeptieren hat, siehe hierzu Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 196 f. 286 Vgl. hierzu Frisch, Rechtsgut, Recht, Deliktsstruktur und Zurechnung im Rahmen der Legitimation staatlichen Strafens, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 215 (224 f.). 287 Siehe zu diesem Aspekt Frisch, Rechtsgut, Recht, Deliktsstruktur und Zurechnung im Rahmen der Legitimation staatlichen Strafens, in: Hefendehl/von Hirsch/

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b) Legitimität der Sanktionsnorm – Adäquität des Strafeinsatzes Von der Frage nach der Legitimität der Verhaltensanweisung ist die Frage nach der Legitimität der Sanktionsnorm, also nach der Adäquität des Strafeinsatzes, zu unterscheiden. Hier stehen das Wesen und der Begriff der Strafe und damit strafrechtsspezifische Aspekte im Mittelpunkt. Nicht zuletzt aus kriminal- und rechtspolitischer Sicht ist bei der Beurteilung der Legitimität der Sanktionsnorm ein Strafverständnis zugrunde zu legen, das die Rolle und Funktion des Strafrechts innerhalb der Rechtsordnung im Allgemeinen sowie der Strafe im Besonderen berücksichtigt: Die Strafe288 gilt als das schärfste dem Staat zur Verfügung stehende Interventionsmittel.289 Sie stellt innerhalb der Rechtsordnung das äußerste Regelungsinstrumentarium dar, da sie nicht nur einen Ausgleich der Rechtsverletzung durch Auferlegung eines Übels bewirken soll, das nicht zuletzt die Schwere des begangenen Unrechts und die Schuld des Täters dokumentieren soll, sondern mit ihr immer auch eine besondere Missbilligung der Tat und des Täters verbunden ist.290 Sie ist also bereits hiernach ultima ratio.291 Mit dem Einsatz von Strafe werden zugleich mehrere Zwecke verfolgt.292 Neben den bereits erwähnten repressiven Zwecken dient die Strafe auch präventiven Zwecken.293 In erster Linie soll die Strafe in ihrer repressiven Funktion durch die Missbilligung des Rechtsbruches und des Rechtsbrechers mittels Auferlegung eines Übels, welches die Schwere des begangenen Unrechts und die Schuld des

Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 215 (228 f.). Dazu, dass es sich bei den Zurechnungsfragen in Wirklichkeit nicht nur um Fragen der objektiven Zurechnung im eigentlichen Sinne, sondern (vorab) letztlich wiederum um Fragen der Freiheitsabgrenzung geht, siehe grundlegend ders., Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 50 ff., 73 ff.; vgl. ferner ders., FS Roxin, S. 213 (231 ff.). 288 Wenn im Folgenden von Strafe die Rede ist, ist damit immer die Kriminalstrafe gemeint. 289 Dies ist unumstritten, vgl. BVerfGE 90, 145 (172); 25, 108 (286); Appel, Verfassung und Strafe, S. 141. 290 So bereits v. Bar, Handbuch des deutschen Strafrechts, Band 1, S. 314 f.: „Das missbilligende Urtheil gilt zunächst der Tat; aber es richtet sich mit Nothwendigkeit auch gegen den Thäter; denn eine That kann ohne Thäter nicht gedacht werden.“ Mittlerweile ist dies nahezu unbestritten, siehe hierzu mit vielen weiteren Nachweisen Geiger, Die Rechtsnatur der Sanktion, S. 74 f.; BVerGE 22, 125 (132); 88, 203 (258); 90, 145 (172); 120, 224 (249); Stree, Deliktsfolgen und Grundgesetz, S. 51 f.; sehr deutlich Androulakis, ZStW 106 (1996), S. 300 (310), der von einer Stigmatisierung des zu Bestrafenden spricht. 291 Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (86). 292 Dies ist freilich nicht unumstritten, allein aus Platzgründen muss hierzu jedoch auf eine ausführliche Darstellung verwiesen werden. Weiterführend Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 3 Rn. 1 ff.; ferner auch Geiger, Die Rechtsnatur der Sanktion, S. 74 f. 293 Vgl. hierzu Noll, Die ethische Begründung der Strafe, S. 18 ff. Zu den verschiedenen Strafzwecken bzw. -theorien siehe NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 101 ff., 266 ff.

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Täters dokumentieren soll, die Manifestation des Rechts gewährleisten.294 Zum anderen soll sie mit Blick auf die Zukunft den Täter sowie andere potentiell hierzu disponierte Personen von der Verwirklichung (weiteren) strafrechtlichen Unrechts abhalten.295 Der Sinn und Zweck der Strafe kann in einem säkularisierten Staat dabei letztlich nur im gesellschaftlichen, nicht jedoch im transzendenten Bereich liegen;296 demnach ist die Strafe auch nur in Hinblick auf ihre soziale Notwendigkeit zu legitimieren.297 Sie dient – zumindest mittelbar – dem Schutz von Interessen, Freiheiten und Gütern, indem das Strafrecht als sekundäre Normenordnung die Geltungskraft bestimmter vorstrafrechtlicher Verhaltensnormen, welche den Schutz gewichtiger Daseins- und Entfaltungsbedingungen bzw. Freiheiten und Gütern vorsehen, mittels Strafbewehrung bekräftigt.298 Das Strafrecht wird auf diese Weise seinem sekundären Charakter gerecht.299 Ein erster Richtpunkt zur Begrenzung des Strafeinsatzes lässt sich unmittelbar aus der Rolle des Strafrechts innerhalb der Rechtsordnung und dem Charakter der Strafe ableiten. Er ergibt sich jedoch auch aus Vernünftigkeits- wie auch aus Gerechtigkeitserwägungen. Danach ist die Strafe nicht per se als Regelungsinstrumentarium einzusetzen, wo vorstrafrechtliche Normierungen nicht wirksam genug erscheinen oder – ganz allgemein gesprochen – Unrecht besteht. Um die besondere Rolle des Strafrechts innerhalb des Gefüges der Rechtsordnung zu wahren, darf die Strafe vernünftigerweise nur dort zum Einsatz kommen, wo ge-

294 Noll, Die ethische Begründung der Strafe, S. 19. Ähnlich Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 1 Rn. 8 ff., der von der Wiederherstellung des gestörten Rechtsfriedens und der Geltungskraft der (verletzten) Norm durch eine angemessene missbilligende Reaktion auf einen begangenen Normverstoß spricht; ferner Appel, Verfassung und Strafe, S. 460 ff. 295 Wiederum ist an dieser Stelle anzumerken, dass dies nicht unumstritten ist. Für eine ausführliche Darstellung in Bezug auf sog. absolute und relative Straftheorien sowie zur sog. Vereinigungstheorie siehe Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 3 Rn. 1 ff.; vgl. auch Geiger, Die Rechtsnatur der Sanktion, S. 74 f. 296 NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 104 f.; vgl. ferner Schmidhäuser, Studienbuch Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 20. 297 Vgl. NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 105; Schmidhäuser, Studienbuch Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 20. 298 Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 1 Rn. 8 f., 12; vgl. Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluss, S. 155; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 112 f.; Appel, Verfassung und Strafrecht, S. 449 f. 299 Siehe hierzu bereits Binding, Handbuch des Strafrechts, Band 1, S. 326 ff., 360; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 112 f. In diesem Sinne argumentiert auch Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 186: „An erster Stelle stehen die Gesetze, die positiv Selbständigkeit in einem Staat konkretisieren: Gesetze des Privat- und auch des öffentlichen Rechts. Gedanklich erst an diesem schon geschaffenen Zustand setzt das Strafrecht ein, das die Vernichtung allgemein anerkannter Freiheit [. . .] zum Gegenstand hat.“ Zum sekundären – i. d. S. akzessorischen – Charakter des Strafrechts siehe auch Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 1 Rn. 12.

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rade die Schwere des betreffenden Unrechts eine Reaktion mit Strafe unverzichtbar macht.300 Der Strafeinsatz ist somit auf einen bestimmten Kernbereich zu beschränken, um die Bedeutung der Strafe nicht durch eine zu starke Ausdehnung in quantitativer Hinsicht zu verwässern, noch durch eine Ausdehnung auf verschiedene in qualitativer Hinsicht stark unterschiedliche Bereiche zu nivellieren.301 Für letzteren Aspekt streiten nicht zuletzt auch Gerechtigkeitsaspekte: Würde die Strafe auf nahezu sämtliche Unrechtssachverhalte ausgedehnt, so liefe man Gefahr, auf weniger gewichtige Taten mit Strafe zu reagieren und damit die Schwere der Strafe demjenigen aufzubürden, dessen Verhalten eine solche Reaktion überhaupt nicht verdient.302 Selbst die Möglichkeiten, qualitative Unterschiede in dem Täterverhalten durch eine qualitative oder quantitative Abstufung auf Seiten der Strafe – etwa durch Unterschiede in der Strafart oder der Strafhöhe – zu kompensieren, sind begrenzt. Trotz dieser Möglichkeiten bliebe unbeantwortet, warum qualitativ stark Unterschiedliches mit demselben Verdikt kriminellen Unrechts gekennzeichnet werden soll.303 Es muss sich bei dem unter Strafe zu stellenden Verhalten in der Sache also um Taten handeln, bei denen die Schwere des betreffenden Verhaltens eine Reaktion mit Strafe unverzichtbar macht.304 Eine notwendige Konkretisierung erfährt dieser erste Richtpunkt anhand des in der Strafe zum Ausdruck kommenden sozialethischen Vorwurfs. Das sozialethische Unwerturteil impliziert, dass es sich bei den mit Strafe bewehrten Verhaltensanweisungen um Normen mit einer starken sozialethischen Fundierung handeln muss.305 Dieser Aspekt wirkt umso gewichtiger vor dem Hintergrund, 300 Siehe hierzu Frisch, Straftat und Straftatsystem, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (142 f.). In diese Richtung argumentiert auch Schmidhäuser, Studienbuch Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 21. 301 Zu diesem Gedanken Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (86). 302 Vgl. Frisch, Straftat und Straftatsystem, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (141 f.). Es wäre überdies eine Reaktion, die in keinem Verhältnis mehr zur Tat stünde, mithin auch nicht mehr als Vergeltung des vorgeworfenen Verhaltens anzusehen wäre. Abgesehen von einem Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit würde dies auch noch weit über die Vorgaben des sog. Talionsprinzips hinausgehen, siehe hierzu v. Bar, Handbuch des Deutschen Strafrechts, Band 1, S. 318 f. 303 Vgl. hierzu Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (86 ff.); ders., Straftat und Straftatsystem, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (148). 304 Vgl. Naucke, Die Wechselwirkung zwischen Strafziel und Verbrechensbegriff, S. 35; in diesem Sinne ist wohl auch Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 187 zu verstehen, wenn er davon schreibt, dass das Gewicht strafrechtlichen Unrechts auch am Gewicht der gemeinschaftlichen Reaktion Strafe deutlich wird. 305 Siehe hierzu Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (86).

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dass die Strafe nur in Hinblick auf ihre soziale Notwendigkeit zu legitimieren ist306. Da Sinn und Zweck der Strafe innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu suchen sind, muss es sich bei dem Verhalten, auf das mit Strafe zu reagieren ist, um ein Verhalten handeln, das sich negativ auf die Anforderungen des Gemeinschaftslebens auswirkt.307 Mit Blick auf die Schwere der Strafe bieten sich zur weiteren Konkretisierung Anknüpfungspunkte in zweifacher Hinsicht. Zum einen kommen nicht jegliche Aspekte des Gemeinschaftslebens in Betracht, sondern nur solche, die als Existenz- und Entfaltungsbedingungen von zentraler Bedeutung sind.308 Andernfalls würde die Strafe auf Bereiche ausgedehnt, die relativ unbedeutend sind. Der Einsatz von Strafe würde an Gehalt, die Strafe an Aussagekraft verlieren. Zum anderen muss es sich in Bezug auf die Beeinträchtigungen um besondere, in der Regel gravierende Beeinträchtigungen – verstanden als besondere Gefährdungen oder tatsächliche Verletzungen – der zentralen Existenzund Entfaltungsbedingungen handeln.309 Darüber hinaus impliziert der sozialethische Vorwurf, der mit der Strafe zum Ausdruck gebracht wird, noch ein Drittes. Soll das Verhalten des Täters sozialethisch missbilligt und mit Strafe geahndet werden, setzt dies voraus, dass das entsprechende Verhalten dem Täter auch in dieser besonderen Weise überhaupt zum Vorwurf gemacht werden kann.310 Das der Strafe bedürfende Verhalten muss die zu missbilligende Einstellung des Täters gegenüber dem betroffenen Gut und damit gerade sein sozialethisches Versagen dokumentieren. Voraussetzung hierfür ist, dass der Täter in qualifizierter Weise die Anforderungen der zentralen Existenz- und Entfaltungsbedingungen (anderer) negiert.311 Ein Verhalten scheint danach typischerweise dann den Einsatz von Strafe zu legitimieren, wenn der Täter mit Bedacht ein missbilligtes Risiko in Hinblick auf die dann tatsächlich eintretende Beeinträchtigung zentraler Existenz- und Entfaltungsbedingungen schafft. Demnach erscheint vor allem in Fällen beabsichtigter und in diesem Sinne erfolgreicher Versagung der Anerkennung zentraler Existenz- und Entfaltungsbedingungen und entsprechender Freiheiten anderer der 306 Vgl. NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 105; Schmidhäuser, Studienbuch Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 20. 307 Vgl. hierzu schon v. Bar, Handbuch des Deutschen Strafrechts, Band 1, S. 317, 319 ff., 360: „Das Strafrecht beruht auf der in gewissem Umfange nothwendigen sittlichen Missbilligung unsittlicher, d.h. den Bedingungen der Existenz und der Fortentwicklung der menschlichen Gesellschaft schädlicher (bezw. gefährlicher) Handlungen. Diese Missbilligung ist insofern nothwendig, als die Sittlichkeit überhaupt auf einer gewissen Solidarität des sittlichen Urtheils Aller beruht und sich fortbildet.“ 308 Vgl. hierzu Frisch, Straftat und Straftatsystem, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (141 f.). 309 Siehe hierzu Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (86 f.). 310 Siehe hierzu Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (87). 311 Zur Notwendigkeit eines personalen – dem Täter vorwerfbaren – Fehlverhaltens siehe auch Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 201.

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§ 4, A. Anforderungen in Hinblick auf Legitimation und Ausgestaltung

Einsatz von Strafe adäquat.312 Jedoch ist die Kennzeichnung des Bereichs strafbaren Verhaltens nicht nur auf Verhalten beschränkt, welches die absichtliche Versagung der Anerkennung beinhaltet. Vielmehr versagt auch derjenige die rechtlich geschuldete Anerkennung, der die Gefahren seines Verhaltens in Bezug auf die Beeinträchtigung der Freiheits- und Gütererhaltungsinteressen anderer für möglich hält und sich, da er sich (trotzdem) entsprechend verhält, über diese hinwegsetzt.313 Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Vorschriften des Strafgesetzbuches, so fällt auf, dass es einen bestimmten Kernbereich an Verhaltensweisen gibt, deren strafrechtliche Bewehrung in der Gesellschaft schon seit langem konsentiert ist und deren Verbleib im Strafgesetzbuch – unabhängig von der temporären gesellschaftlichen Verfasstheit – niemand ernsthaft bezweifeln würde.314 Dies betrifft insbesondere Verhaltensweisen, die die Beeinträchtigung von Individualgütern oder auch die Verletzung bestimmter Universalgüter zur Folge haben.315 Deutlich wird zudem, dass der Einsatz von Strafe immer dann problematisch erscheint, wenn der Gesetzgeber sich in zunehmendem Maße von diesem Kernbereich entfernt – sei es in Bezug auf weniger zentrale Existenz- und Entfaltungsbedingungen, deren Schutz in der Gesellschaft zudem weniger konsentiert ist, oder durch die Einbeziehung geringer qualifizierter Negativ-Entscheidungen316 des Täters in Hinblick auf das betroffene Gut.317 Weniger problematisch erscheint eine Strafbarkeitsentscheidung dagegen, wenn sie mit dem anerkannten Kernbereich hinreichend vergleichbar ist.318 Mangelt es dagegen an einer solchen

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Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (87). Zu diesem Aspekt Frisch, Straftat und Straftatsystem, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (168 f.). Der Bereich strafbaren Verhaltens ist jedoch nicht nur vorsätzliches Verhalten beschränkt, vielmehr kann (u. U.) auch fahrlässiges Verhalten strafbar sein, ausführlich hierzu Frisch, Straftat und Straftatsystem, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (169 ff.); ders., FS Stree und Wessels, S. 69 (91 ff.). 314 Näher zu diesem Kernbereich Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (86 ff.). 315 Siehe hierzu Frisch, Rechtsgut, Recht, Deliktsstruktur und Zurechnung im Rahmen der Legitimation staatlichen Strafens, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 215 (232 f.). Näher zu den Universalgütern Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 59 ff.; 73 ff.; 83 ff. 316 Zu denken ist hier etwa an Strafnormen, die auch fahrlässiges Handeln unter Strafe stellen. 317 Frisch, Rechtsgut, Recht, Deliktsstruktur und Zurechnung im Rahmen der Legitimation staatlichen Strafens, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 215 (233). 318 Zu denken ist insbesondere an eine Fortschreibung der Strafbarkeitserklärung im Zuge der technischen Weiterentwicklung, bspw. § 263a StGB. 313

II. Strafrechtsorientierte Ansätze

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Vergleichbarkeit, fehlt es der Strafbarkeitsentscheidung womöglich auch an Akzeptanz im weiteren Sinne.319 Von zentraler Bedeutung für die Frage nach dem Einsatz von Strafe scheint demnach die hierzu bestehende Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft zu sein.320 Um jedoch diesem Aspekt handfeste Konturen zu verleihen und zudem nicht den Vorwurf einer positivistischen Argumentation zu provozieren, gilt es im Folgenden, die Gründe für einen solchen Konsens – und damit letztlich auch Leitkriterien für die Frage nach dem Einsatz von Strafe – auszumachen. Einen ersten Anknüpfungspunkt für die Frage nach den Gründen für einen solchen Konsens bietet dabei die – nicht zuletzt wegen des (auch) verfassungsrechtlich verankerten Schuldgrundsatzes – unverzichtbare Voraussetzung, dass das Verhalten, welches die Strafe indiziert, Unrecht darstellt. Mehr noch: Dem Gewicht und der Bedeutung der Strafe entsprechend muss es sich um qualifiziertes Unrecht handeln.321 Um bei der Kennzeichnung des qualifizierten Unrechts jedoch nicht gewichtige Aspekte zu übergehen, ist vorab zu klären, wann ein Verhalten grundsätzlich als Unrecht anzusehen ist. Hierzu ist zunächst beim Recht selbst anzusetzen.322 Das (kodifizierte) Recht dient der Bewältigung des gemeinsamen Daseins im Wege einer äußeren Gesamtorganisation, indem es mittels Interessen- und Güterabwägungen gegenseitige Anerkennungsverhältnisse festlegt und zu deren Befolgung anhält, um damit ein gemeinsames Dasein zu gewährleisten, das die gleichmäßige Existenz- und Entfaltungsfreiheit des Einzelnen ermöglicht.323 Dieser Gedanke liegt auch der Verfassung zugrunde.324 Das Recht ist gekennzeichnet 319 Siehe zum Ganzen Frisch, Rechtsgut, Recht, Deliktsstruktur und Zurechnung im Rahmen der Legitimation staatlichen Strafens, in: Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 215 (232 ff.), ders., FS Stree und Wessels, S. 69 (86 ff.). 320 Zu diesem Erfordernis einer gewissen Abhängigkeit von der gesellschaftlichen Verfasstheit und deren Akzeptanz siehe Frisch, FS Stree und Wessels, S. 69 (86 f.). 321 Siehe hierzu E. A. Wolff, Die Abgrenzung von Kriminalunrecht zu anderen Unrechtsformen, in: Hassemer (Hrsg.), Strafrechtspolitik: Bedingungen der Strafrechtsreform, S. 137 (138 ff.); Frisch, Straftat und Straftatsystem, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (145 f.). 322 Zu einer solchen Vorgehensweise Frisch, Straftat und Straftatsystem, in: Wolter/ Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (145 f.); siehe auch E. A. Wolff, Die Abgrenzung von Kriminalunrecht zu anderen Unrechtsformen, in: Hassemer (Hrsg.), Strafrechtspolitik: Bedingungen der Strafrechtsreform, S. 137 (157 ff.). 323 Siehe hierzu E. A. Wolff, Die Abgrenzung von Kriminalunrecht zu anderen Unrechtsformen, in: Hassemer (Hrsg.), Strafrechtspolitik: Bedingungen der Strafrechtsreform, S. 137 (194 f.); Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 130 ff.; 170 ff. 324 Vgl. hierzu Kirchhof, JZ 1989, 453 (459): „Die grundrechtliche Freiheit ist prinzipiell jedem Menschen [. . .] gewährleistet, begründet damit eine Gleichheit in der Freiheit für jedermann. Bereits dadurch ist rechtlich gesicherte Freiheit begrenzt durch das gleiche Freiheitsrecht des anderen.“

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§ 4, A. Anforderungen in Hinblick auf Legitimation und Ausgestaltung

durch ein Geflecht von Verhältnissen wechselseitiger Anerkennung,325 in welchem sich der Einzelne als Rechtsperson und Träger von Rechten und Pflichten möglichst frei entfalten können soll.326 Auf diese Weise kann (überwiegend) gewährleistet werden, dass der Einzelne, der als Vernunftwesen innerhalb der Gesellschaft wie andere gleich zu behandeln ist,327 die im Recht zum Ausdruck kommenden Freiheitsabwägungen anerkennt und auch gegen sich gelten lässt oder zumindest gelten zu lassen hat.328 Dabei geht es letzten Endes nicht nur um die Anerkennung von Individuen und deren Interessen, Freiheiten oder Gütern, letztlich können auch der Staat, juristische Personen oder sog. Universalgüter als Zurechnungssubjekte der Anerkennung infrage kommen.329 Dieses Verständnis von Recht als einem Geflecht von gegenseitigen Anerkennungsverhältnissen ist für die Kennzeichnung des Unrechts unverzichtbar. Unrecht ist danach zunächst einmal als der (vom Täter bewirkte) Bruch eines entsprechenden Anerkennungsverhältnisses anzusehen.330 Da sich diese Umschreibung angesichts der Schwere der Strafe und des in ihr zum Ausdruck kommenden sozialethischen Vorwurfs zu unspezifisch erweist, bedarf es einer straf(rechts)spezifischen Konkretisierung dieses Moments des Bruchs. In Anknüpfung an das oben Gesagte verwirklicht danach Unrecht im strafrechtsrelevanten Sinn, wer durch sein Verhalten das – bisweilen durch den Gesetzgeber konturierte – gegenseitige Anerkennungsverhältnis zum Schutz rechtlicher Freiheiten und rechtlich konstituierter Güter, welche als Existenz- und Entfaltungsbedingungen von zentraler Bedeutung sind, in qualifizierter Weise bricht, also negiert und typischerweise missachtet.331 Das strafrechtsrelevante Unrecht lässt sich dem325 So Frisch, Straftat und Straftatsystem, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (146). 326 Siehe hierzu E. A. Wolff, Die Abgrenzung von Kriminalunrecht zu anderen Unrechtsformen, in: Hassemer (Hrsg.), Strafrechtspolitik: Bedingungen der Strafrechtsreform, S. 137 (194 ff.); eingehend Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 130 ff.; vgl. auch Köhler, Der Begriff der Strafe, S. 45 f.; vgl. auch Murmann, Die Nebentäterschaft im Strafrecht, S. 168 ff. 327 Siehe hierzu Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 196 f. Eingehend zur (rechts)philosophischen Begründung Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 130 ff., 165 ff.; ferner E. A. Wolff, ZStW 97 (1985), 786 (810 ff.). 328 Siehe hierzu auch Murmann, Die Nebentäterschaft im Strafrecht, S. 168 ff. 329 Vgl. Frisch, Straftat und Straftatsystem, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (146); ferner E. A. Wolff, Die Abgrenzung von Kriminalunrecht zu anderen Unrechtsformen, in: Hassemer (Hrsg.), Strafrechtspolitik: Bedingungen der Strafrechtsreform, S. 137 (201 ff.); Zaczyk, Der Begriff „Gesellschaftsgefährlichkeit“ im deutschen Strafrecht, in: Lüderssen/Nestler-Tremel/Weigend (Hrsg.), Modernes Strafrecht und ultima-ratio-Prinzip, S. 113 (122 ff.). 330 Siehe hierzu Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 196 ff., 201. 331 Frisch, Straftat und Straftatsystem, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (146); vgl. ferner Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 196 ff., 201 ff.

II. Strafrechtsorientierte Ansätze

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nach begreifen als die Nichtanerkennung – im Sinne einer gravierenden Gefährdung oder Verletzung – rechtlich konstituierter Freiheiten oder Güter anderer durch den Täter.332 Der Täter begehrt gegen die Anerkennung des wechselseitigen Anerkennungs- und Rechtsverhältnisses auf und „wandelt das ursprünglich durch ihn mitgetragene Gleichheitsverhältnis in ein von ihm beherrschtes Verhältnis der Ungleichheit“ 333. Ein weiterer Richtpunkt für die Frage nach dem Einsatz von Strafe konkretisiert das zuvor genannte Erfordernis eines personalen Moments der Strafbarkeit.334 Soll mit dem Einsatz von Strafe zumindest auch die Geltungskraft der Norm bestärkt werden, so ist Voraussetzung für eine Strafbarkeitserklärung, dass der Täter mit seinem Verhalten die Geltungskraft der Norm auch tatsächlich infrage stellt.335 Dies setzt voraus, dass der Täter in der konkreten Situation seines Handelns oder Unterlassens überhaupt in der Lage war, sich normgerecht zu verhalten. War er dies nicht und ist ihm daher sein Verhalten nicht als Fehlverhalten in diesem Sinne vorzuwerfen, wäre es ungerecht und mit dem verfassungsrechtlichen Schuldprinzip unvereinbar, ihn zu bestrafen und mit einem sozialethischen Tadel zu belegen.336 Unverzichtbares Element für eine Strafbarkeitserklärung ist demnach, dass es sich bei dem unter Strafe gestellten Verhalten um vom Täter verschuldetes Unrecht handelt.337 Besteht bereits eine gesetzgeberische Strafbarkeitsentscheidung in Form eines Straftatbestandes, so bestimmt sich das strafrechtliche Unrecht grundsätzlich anhand des Tatbestands. Vor allem innerhalb eines vorsätzlichen Erfolgsdelikts ist zwischen Handlungs- und Erfolgsunrecht zu unterscheiden.338 Entscheidend für 332 Vgl. zum Ganzen Frisch, Straftat und Straftatsystem, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (169). 333 So Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 201. 334 Zur Notwendigkeit eines personalen – dem Täter vorwerfbaren – Fehlverhaltens siehe auch Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 201. 335 Frisch, Straftat und Straftatsystem, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (162); ferner Freund, Strafrecht AT, § 1 Rn. 21; vgl. hierzu auch Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 196 ff. 336 Vgl. hierzu Freund, Strafrecht AT, § 1 Rn. 21; Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 5 Rn. 24 f. 337 Frisch, Straftat und Straftatsystem, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (161 f.); ausführlich ders., Wesentliche Strafbarkeitsvoraussetzungen einer modernen Strafgesetzgebung, in: Eser/Kaiser/Weigend (Hrsg.), Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, S. 201 (241 ff.). 338 Dies ist jedoch nicht unbestritten, siehe zum Meinungsstand Hirsch, Handlungs-, Sachverhalts- und Erfolgsunwert, in: Lilie (Hrsg.), Strafrechtliche Probleme, Band II, S. 226 (226 ff., 230 ff.). Im Sinne der vorstehenden Erwägungen Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 10 Rn. 88 ff., dort auch zu den verschiedenen Spielarten monistischer und dualistischer Unrechtsauffassungen mit vielen weiteren Nachweisen. Anders hingegen Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, S. 25 ff., 139, der sich

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§ 4, A. Anforderungen in Hinblick auf Legitimation und Ausgestaltung

die Bestimmung des Handlungsunrechts ist dabei die Finalität des Täterhandelns als notwendiges Element des täterbezogenen personalen Unrechts, welches in der (schuldhaften) Zuwiderhandlung gegen die Verhaltensanweisung des Straftatbestandes zum Ausdruck kommt.339 Das Erfolgsunrecht bildet hingegen der Eintritt des tatbestandlichen Erfolges, bei vorsätzlichen Erfolgsdelikten regelmäßig die Rechtsgutsverletzung.340 Den Tatbestand verwirklicht der Täter jedoch nur, wenn sich der Erfolg gerade als das Werk seines Handelns darstellt. Demnach genügt also nicht der bloß kausale Erfolgseintritt, es bedarf vielmehr einer besonderen Beziehung zwischen Täterverhalten und Erfolg. Diese besondere Beziehung zu konturieren ist Gegenstand der Zurechnungslehre.341 Handlungs- und Erfolgsunrecht sind dergestalt aufeinander bezogen, dass sich im zurechenbaren Erfolg der Handlungsunwert manifestiert.342 Eine Strafbarkeit des Täters scheidet dagegen trotz Eintritt des Erfolgs aus, wenn ein entsprechendes Handlungsunrecht nicht vorliegt. Mitbestimmend für die Frage des Handlungs- und Erfolgsunrechts sind daher die Kriterien der Zurechnung. Der Eintritt des (Unrechts)Erfolgs muss sich gerade als die Realisierung der Gefahr darstellen, die die spezifische Folge des unrechten Verhaltens des Täters ist und derentwegen das Verhalten durch die rechtliche Verhaltensanweisung missbilligt ist.343 Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass es sich um strafrechtsrelevantes – und in diesem Sinne qualifiziertes – Unrecht handelt. Dieses liegt zwar in der Regel mit der Erfüllung der Tatbestandsmerkmale bei gleichzeitigem Fehlen von Rechtfertigungsgründen vor, erschöpft sich jedoch nicht darin.344 Vielmehr sind Verhaltensweisen, obgleich sie eigentlich dem Wortlaut des Straftatbestandes unterfallen, vom Anwendungsbereich des Straftatbestandes auszunehmen, wenn sie zwar für eine Trennung von Handlungs- und Erfolgsunrecht ausspricht, jedoch das strafrechtliche Unrecht nur auf das Handlungsunrecht gründen und dem Erfolgsunrecht eine selbstständige Bedeutung für die Unrechtsbegründung absprechen will. Für die Notwendigkeit einer Einbeziehung des Erfolgsunrechts in die tatbestandliche Unrechtsbestimmung siehe Gallas, FS Bockelmann, S. 155 (156 ff.). 339 Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 10 Rn. 93 ff. 340 Auch dies ist nicht unumstritten, siehe zum Meinungsstand Hirsch, Handlungs-, Sachverhalts- und Erfolgsunwert, in: Lilie (Hrsg.), Strafrechtliche Probleme, Band II, S. 226 (226 ff., 229). 341 Siehe hierzu Frisch, JuS 2011, 19 (22 f.); ferner Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 98 ff., 128 ff. 342 Trotzdem ist es möglich, dass der Täter auch bei Ausbleiben des Erfolgs Unrecht verwirklicht und sich strafbar gemacht hat, so im Falle des (strafbaren) Versuchs. In diesem Fall bildet die zweckgerichtete Umsetzung des Verwirklichungswillens des Täters die Basis für die Bestimmung des Handlungsunrechts, die im Wesentlichen geringer ist als bei (zurechenbarem) Eintritt des Erfolgs. 343 Frisch, JuS 2011, 19 (23). 344 Frisch, Straftat und Straftatsystem, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (163).

II. Strafrechtsorientierte Ansätze

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schon von der vorstrafrechtlichen Rechtsordnung nicht untersagt werden (können) und in den „Bereich der allgemeinen Freiheit“ fallen.345 Zu denken ist hierbei an bestimmte Konstellationen der Nötigung oder allgemein Fälle sozialadäquaten – und damit nicht mehr strafbaren – Verhaltens.346 Ein weiterer materialer Richtpunkt ist als zwingende Vorgabe dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip zu entnehmen. Danach darf Strafe als Reaktion auf ein missbilligtes Verhalten nur dann folgen, wenn der Einsatz der Strafe in Anbetracht des Verhaltens insgesamt verhältnismäßig erscheint.347 Hier ist insbesondere das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit zu beachten.348 Handelt es sich nach dem Gesagten bei dem infrage stehenden Verhalten um Unrecht, dessen Verwirklichung den Einsatz von Strafe adäquat erscheinen lässt, sind für die Ausgestaltung des Tatbestandes in formaler Hinsicht unverzichtbare verfassungsrechtliche Anforderungen zu beachten. Dies betrifft insbesondere das Bestimmtheitsgebot und den Gesetzlichkeitsgrundsatz nach Art. 103 Abs. 2 GG.349 Gemäß Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur dann mit Strafe geahndet werden, wenn die Strafbarkeit des Verhaltens bereits vor dem Zeitpunkt der Tat gesetzlich bestimmt war. In Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip wird hieraus die Verpflichtung des Gesetzgebers abgeleitet, die Voraussetzungen der Strafbarkeit in dem jeweiligen Tatbestand so konkret zu umschreiben, dass sich der Anwendungsbereich und die Tragweite jedes Straftatbestandes schon aus dem Gesetz selbst erkennen bzw. durch Auslegung ermitteln und konkretisieren lassen.350 Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass der Bürger sich in Hinblick auf die Gesetzeslage eigenverantwortlich verhalten kann und keine unvor345 So Frisch, Straftat und Straftatsystem, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (163); ferner Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 113. Darin kommt der sekundäre Charakter des Strafrechts zum Tragen, das Strafrecht setzt an dem bereits durch die Gesetze des Privatrechts und des öffentlichen Rechts geschaffenen Zustand an, vgl. hierzu auch Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 186 f. 346 Siehe zu letzterem unter dem Aspekt, dass es sich dabei in der Regel um Konstellationen handelt, in welchen es an der objektive Zurechenbarkeit mangelt, Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 138 ff. 347 Die in diesem Rahmen anzustellenden Erwägungen und Abwägungen gleichen jedoch größtenteils der Frage nach der Adäquität des Strafeinsatzes, siehe zu letztgenanntem Aspekt Frisch, Straftat und Straftatsystem, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (141 ff.). 348 Hierzu Appel, Verfassung und Strafe, S. 558 ff., 563 f. 349 Siehe hierzu auch Freund, Strafrecht AT, § 1 Rn. 22; vgl. ferner Appel, Verfassung und Strafe, S. 558 ff. 350 Vgl. BVerfGE 126, 170 (195); ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfGE 105, 135 (152 ff.); 25, 269 (285); 73, 206 (234); 75, 329 (340 f.); 78, 473 (381 f.). Das BVerfG verfolgt seine Überprüfung von Strafrechtsnormen hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit

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§ 4, B. Legitimität des Nachstellungstatbestandes

hersehbaren oder willkürlichen staatlichen Reaktionen befürchten muss.351 Das Bestimmtheitsgebot verschafft dem Bürger so die notwendige Rechtssicherheit, damit dieser seine Freiheitsrechte im Vertrauen darauf ausüben kann, dass der Staat nur dasjenige Verhalten als strafbares Verhalten verfolgt, das zum Zeitpunkt der Tat als solches gesetzlich bestimmt war.352 Für den besonders grundrechtssensiblen Bereich des materiellen Strafrechts sind darüber hinaus insbesondere die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze zu beachten, nach denen der Gesetzgeber im Bereich der Grundrechtsausübung alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und Rechtsvorschriften derart präzise zu fassen hat, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist.353

B. Legitimität des Nachstellungstatbestandes In Hinblick auf die Legitimität des Nachstellungstatbestandes nach § 238 Abs. 1 StGB ist zwischen der Legitimität der dem Tatbestand zugrunde liegenden Verhaltensnorm und der Legitimität der Sanktionsnorm zu unterscheiden. I. Legitimität der dem Nachstellungstatbestand zugrunde liegenden Verhaltensnorm Zunächst ist zu untersuchen, ob die im Rahmen des Nachstellungstatbestandes zum Ausdruck kommende Verhaltensanweisung – also die unabhängig von einer Strafbewehrung zu beurteilende Untersagung des Nachstellens – rechtlich zu legitimieren ist. 1. Allgemeine Vorgaben für die Legitimität der Verhaltensnorm

Entsprechend den vorherigen Ausführungen354 muss die der Strafnorm zugrunde liegende Verhaltensnorm Ausdruck einer Güter- und Interessenabwägung sein, in deren Rahmen die in Widerstreit tretenden, wechselseitig anerkannten Freiheiten und Güter in Einklang mit den Vorgaben der Rechtsordnung und insbesondere der Verfassung in einen angemessenen Ausgleich zu bringen sind. Voraussetzung ist dabei zunächst, dass es sich bei den entsprechenden Freiheiten der Beteiligten überhaupt um rechtlich anerkannte Freiheiten handelt. Art. 103 Abs. 2 GG grundsätzlich in vollem Umfang. Daher kann im Folgenden auf seine zu Art. 103 Abs. 2 GG entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. 351 Vgl. BVerfGE 126, 170, 194 f.; 105, 135 (153) mit Verweis auf BVerfGE 64, 369 (393 f.); 85, 69 (72 f.). 352 Vgl. BVerfGE 95, 96 (130 ff.). 353 Vgl. BVerfGE 126, 170 (195). 354 Siehe hierzu § 4 A. II. 4.

I. Legitimität der Verhaltensnorm

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2. Die im Rahmen des § 238 Abs. 1 StGB betroffenen Interessen und Güter

Nach § 238 Abs. 1 StGB ist es untersagt, einem anderen Menschen unbefugt nachzustellen, indem man beharrlich dessen räumliche Nähe aufsucht, unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu ihm herzustellen versucht, unter missbräuchlicher Verwendung von dessen personenbezogenen Daten Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für ihn aufgibt oder Dritte veranlasst, zu diesem Kontakt aufzunehmen. Ferner ist es nach § 238 Abs. 1 StGB untersagt, einem anderen Menschen unbefugt nachzustellen, indem man ihn beharrlich mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit seiner selbst oder einer ihm nahe stehenden Person bedroht oder eine andere vergleichbare Handlung vornimmt. Dieses Verhalten ist jedoch nur insoweit verboten, als es auf Seiten des Opfers zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung dessen Lebensgestaltung führt. Der Normadressat des § 238 Abs. 1 StGB ist demnach durch diese Regelung regelmäßig in seinem Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit betroffen. Die allgemeine Handlungsfreiheit gehört zu den wechselseitig anerkannten Freiheiten und findet ihren Schutz in Art. 2 Abs. 1 GG. Auf Seiten des Opfers ist entsprechend dem Schutzgut des § 238 Abs. 1 StGB dessen Willensbildung und Willensbetätigung betroffen. Allerdings ist damit nicht jegliche negative Beeinflussung der Willensbildung oder Willensbetätigung gemeint. Da die schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung letztlich nur Ausdruck einer nicht nur punktuellen Beeinträchtigung der Willensbildung und Willensbetätigung sein kann, kommen nur solche Beeinträchtigungen in Betracht, die für die Lebensführung des Opfers von Gewicht sind.355 Demnach ist davon auszugehen, dass es sich bei der im Rahmen des § 238 Abs. 1 StGB geschützten Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit um eine wechselseitig und rechtlich anerkannte Freiheit handelt.356 3. Verhaltensnorm als Ausdruck einer Güter- und Interessenabwägung

Betrachtet man das tatbestandliche Nachstellen allein in Bezug auf die bei dem Opfer hervorgerufenen Auswirkungen, so ist es durchaus naheliegend, dass 355 Siehe entsprechend die Ausführungen zum Taterfolg des § 238 Abs. 1 StGB unter § 3 II. 2. e) dd). 356 Die Gewährleistung der freien Willensbildung und Willensbetätigung als Voraussetzung für eine freie Entfaltung und Achtung der Persönlichkeit ist bereits aufgrund der engen Beziehung zur Menschenwürde als dem höchsten Wert der Verfassung als zentrale Daseins- und Entfaltungsbedingung anzusehen, vgl. hierzu bereits BVerfGE 35, 202 (221).

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§ 4, B. Legitimität des Nachstellungstatbestandes

angesichts der Auswirkungen auf die Lebensgestaltung des Opfers die allgemeine Handlungsfreiheit des Täters gegenüber der Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit des Opfers zurückzustehen hat. Allerdings ist zu überlegen, ob von diesem Grundsatz Ausnahmen zu machen sind – ob also in bestimmten Konstellationen dem Interesse des Täters nicht doch der Vorrang gegenüber dem Interesse der von dem Nachstellungsverhalten betroffenen Person einzuräumen ist. Hintergrund dieser Überlegung ist die Tatsache, dass es sich bei der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB um psychisch bedingte Schutz- bzw. Kompensationsmaßnahmen des Opfers handelt und der Taterfolg letztlich die Folge einer psychisch vermittelten Pression des Täters auf die Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers ist.357 Mangels einer Objektivierung des Taterfolges im Sinne einer von individuell-subjektiven Aspekten weitgehend unabhängigen und in Ansehung der Tathandlung unter standardisierbaren Vorzeichen zu bestimmenden Folge wird das stalkingspezifische sog. initiale Schwellenproblem358 innerhalb des Taterfolgserfordernisses des § 238 Abs. 1 StGB nicht entschärft. Dazu kommt, dass die Anforderungen an den Unrechtsgehalt der Tathandlung des Nachstellens aufgrund der vielen unbestimmten Tatbestandsmerkmale letztlich sehr gering sind359 und der Tatbestand darüber hinaus mit § 238 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB auch Handlungen des sog. milden Stalking360 umfasst, die für sich genommen grundsätzlich nicht von sog. sozialadäquatem Verhalten361 zu unter357

Siehe entsprechend § 3 II. 2. e) dd). Vgl. hierzu Voß/Hoffmann, Zur Phänomenologie und Psychologie des Stalking, in: Hoffmann/Voß (Hrsg.), Psychologie des Stalking, S. 4 (22); Löhr, Notwendigkeit, S. 341. 359 Siehe hierzu § 3 II. 2.) e) aa) bis cc). 360 Siehe zu dieser Kategorisierung des stalkingspezifischen Verhaltens Löbmann, MschKrim 2002, 25 (25 f.). 361 Nach der Lehre von der Gestattung sozialadäquaten Verhaltens, die maßgeblich auf Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 55 ff. zurückgeht, stellen Handlungen, die sich „innerhalb der geschichtlichen sozialethischen Ordnung“ des Gemeinschaftslebens bewegen gewissermaßen den „Normal“-Zustand sozialer Handlungsfreiheit dar (S. 56 f.). Ein sog. sozialadäquates Verhalten kann zwar unter Umständen in die Rechte und Güter eines anderen eingreifen, wird jedoch nicht zuletzt aufgrund seines lediglich sozialnormalen Unrechtsgehalts und seiner Üblichkeit normativ gestattet und grundsätzlich nicht als tatbestandsmäßig angesehen, auch wenn es dem Wortlaut nach unter den Tatbestand subsumiert werden kann. Die (strafrechtliche) Lehre von der Sozialadäquanz ist freilich nicht unumstritten und weist sowohl in Hinblick auf die dogmatische Fundierung als auch in Hinblick auf die Verortung im Deliktsaufbau im Straf- und Zivilrecht eine wechselvolle Geschichte auf, siehe hierzu Zipf, ZStW 82 (1970), 633 (639 ff.); Roxin, Strafrecht AT, Bd. I, § 10 Rn. 33 ff. Siehe zur Rolle des sozialadäquaten Verhaltens im Zivilrecht und dort zur normativen Gestattung eines solchen Verhaltens vor dem Hintergrund, dass eine strikte Untersagung jeglicher Beeinträchtigung von Rechten oder Gütern zu einer unnötigen Hemmung der allgemeinen Handlungsfreiheit und des sozialen Umgangs führen würde und etwaige Beeinträchtigungen im Rahmen der sozialen Üblichkeit und Akzeptanz daher hinzunehmen sind Baston-Vogt, Der sachliche Schutz358

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scheiden und demnach eigentlich nicht zu untersagen sind362. Damit ist das subjektive Erleben der Zielperson (mit)entscheidend dafür, ob ein entsprechendes Nachstellungsverhalten auf das Opfer bedrohlich wirkt und infolge dessen zu einer Beeinträchtigung dessen Willensbildung und Willensbetätigung führt oder sich noch im Rahmen gesellschaftlich akzeptierter und hinnehmbarer Beeinträchtigung bewegt. Des Weiteren verlangt ein i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB tatbestandliches Nachstellen nicht, dass es dem Täter gerade auf das Bewirken des Taterfolges angekommen sein muss, es genügt vielmehr, dass er die bloße Möglichkeit des Eintritts erkannt und (trotzdem) gehandelt hat. Ein grundsätzliches Überwiegen des Opferinteresses führt vor diesem Hintergrund gerade in denjenigen Fällen zu untragbaren Ergebnissen, in denen sich das Nachstellungsverhalten bspw. darin erschöpft, dass der Täter mehrere Male der betroffenen Person gegen deren Willen Geschenke zuschickt oder ihre Nähe in der Öffentlichkeit aufsucht363 und die betroffene Person aufgrund einer gesteigerten Sensibilität derart intensiv reagiert, dass es zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihrer Lebensgestaltung kommt. Unter strafrechtsdogmatischen Gesichtspunkten lässt sich dieser Gedanke wie folgt verorten: Der Täter schafft mit seinem Nachstellungsverhalten zwar ein Risiko, das sich im Eintritt des tatbestandlichen Erfolges realisiert. Allein die Realisierung des tatbestandlichen Erfolgs bedeutet aber angesichts der Ausgestaltung des Nachstellungstatbestandes, des stalkingspezifischen initialen Schwellenproblems und der mangelnden Standardisierbarkeit psychischer Prozesse nicht zugleich, dass es sich dabei um eine unter strafrechtlichen Gesichtspunkten relevante missbilligte Risikoschaffung gehandelt hat.364 Vielmehr ist dies eine Frage der Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens,365 in deren Rahmen auch die Frage zu beantworten ist, inwieweit das Verhalten überhaupt unter (straf)rechtlichen Gesichtspunkten zu untersagen ist.

bereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 158; vgl. auch Wiese, FS Duden, S. 719 (728 f.). 362 Vgl. BVerwG, NJW 1989, 2409 (2410) für den Fall, dass es sich um eine Belästigung handelt, die sich unter den heute üblichen Bedingungen eines sozialverträglichen Zusammenlebens jedermann gefallen lassen muss. 363 So bspw. dann, wenn es sich um sog. liebesbedingtes Stalking handelt, siehe zu den unterschiedlichen Stalkertypologien die Ausführungen unter § 2 IV. 1. im Rahmen dieser Untersuchung; ferner Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 15 f. 364 Nicht jegliches erfolgsgeeignetes Verhalten kann grundsätzlich als verboten angesehen werden, da ein bei jeglichem Risiko ansetzendes Verhaltensverbot angesichts dessen, dass nahezu jedes Verhalten irgendein Risiko der Beeinträchtigung von Interessen und Freiheiten anderer beinhalten kann, zu einer völligen Knebelung der Handlungsfreiheit führen würde, zu diesem Gedanken Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 72. 365 Grundlegend zur Eigenständigkeit des tatbestandsmäßigen Verhaltens als dogmatische Kategorie Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 67 ff., 71 ff.

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a) Inhalte und Wertungen aus der Primärrechtsordnung Das Strafrecht knüpft entsprechend seinem Charakter als sekundäre und akzessorische Normenordnung für die Frage nach der Strafbewehrung von Verhalten regelmäßig an Inhalte und Wertungen an, die der Gesetzgeber bereits in gesetzlichen Normen der Primärordnung – bspw. zivilrechtlichen oder öffentlich rechtlichen Vorschriften – konturiert hat.366 Daher ist zunächst zu untersuchen, ob sich Anhaltspunkte für die Untersagung des Nachstellungsverhaltens aus der vorstrafrechtlichen Primärrechtsordnung finden lassen.367 Aussagen können sich dabei insbesondere aus dem durch das Zivilrecht vermittelten Schutzniveau vor Stalking ergeben. Schließlich vermag ein strafrechtliches Nachstellungsverbot – eingedenk des akzessorischen Charakters des Strafrechts368 – in der Regel erst an diesen Regelungszustand anzuknüpfen. Dabei spielt eine zentrale Rolle, wann das Nachstellungsverhalten in Hinblick auf die Bewirkung des Taterfolges im Allgemeinen zu untersagen ist. Sofern dabei festzustellen ist, dass sich das Nachstellungsverhalten nicht per se bereits aufgrund des Hervorrufens einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung infolge der Verletzung der Willensbildung und Willensbetätigung untersagen lässt, wird weiter zu untersuchen sein, inwieweit das Nachstellungsverhalten im Besonderen ausgestaltet sein muss, damit die Untersagung eines solches Verhaltens nach zivilrechtlichen Maßstäben geboten erscheint. Besonderes Augenmerk ist dabei darauf zu legen, wann und inwiefern dem Betroffenen nach der vorstrafrechtlichen Normenordnung (überhaupt) ein Recht zukommt, vor i. S. v. § 238 Abs. 1 StGB tatbestandlichen Nachstellungsverhaltensweisen verschont zu bleiben. aa) In Hinblick auf die tatbestandlichen Auswirkungen Zu untersuchen ist demnach zunächst, ob ein Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB vor dem Hintergrund der durch ein solches Verhalten bewirkten schwer366 Siehe hierzu bereits Binding, Handbuch des Strafrechts, Band 1, S. 326 ff., 360; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 112 f. In diesem Sinne argumentiert auch Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 186: „An erster Stelle stehen die Gesetze, die positiv Selbständigkeit in einem Staat konkretisieren: Gesetze des Privat- und auch des öffentlichen Rechts. Gedanklich erst an diesem schon geschaffenen Zustand setzt das Strafrecht ein, das die Vernichtung allgemein anerkannter Freiheit [. . .] zum Gegenstand hat.“ Zu dieser Sichtweise auch Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 1 Rn. 8 f., 12; vgl. Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluss, S. 155; Appel, Verfassung und Strafrecht, S. 449 f. 367 Dies ist auch insoweit von Interesse, als eine Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG nur durch die Rechte anderer, die verfassungsrechtliche Ordnung oder das Sittengesetz i. S. d. Art. 2 Abs. 1 GG möglich ist. 368 Siehe hierzu Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 1 Rn. 12; Frisch, Voraussetzungen einer modernen Strafgesetzgebung, in Eser/Kaiser/Weigend (Hrsg.), Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, S. 201 (211 ff.).

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wiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung mittels zivilrechtlicher Vorschriften zu untersagen ist. Angesichts der dabei in Betracht kommenden Vielzahl an möglichen Erscheinungsformen des Taterfolgs soll im Folgenden untersucht werden, welches Nachstellungsverhalten nach der vorstrafrechtlichen Primärordnung gerade in Hinblick auf die Verletzung der Willensbildung und Willensbetätigung untersagt ist. (1) Schutzanordnung nach § 1 Abs. 1 GewSchG Als rechtliche Grundlage für die Untersagung des Nachstellungsverhaltens kommt zunächst die zivilrechtliche Schutzanordnung nach § 1 Abs. 1 GewSchG in Betracht. Mit dem GewSchG hat der Gesetzgeber zum 01.01.2002 spezielle Vorschriften eingeführt, die eine verfahrensrechtliche Grundlage für gerichtliche Schutzanordnungen vor stalkingspezifischen Verhaltensweisen bilden können.369 Nach § 1 Abs. 1 GewSchG hat das Gericht für den Fall, dass eine Person vorsätzlich den Körper, die Gesundheit oder die Freiheit einer anderen Person widerrechtlich verletzt, auf Antrag der verletzten Person die zur Abwendung weiterer Verletzungen erforderlichen Schutzanordnungen zu treffen. Die Regelung des § 1 Abs. 1 GewSchG stellt eine spezielle gesetzliche Verfahrensregelung des allgemeinen Unterlassungsanspruchs nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB370 dar,371 für die auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB vorliegen müssen. Daher kann zur Auslegung der einzelnen Merkmale des § 1 Abs. 1 GewSchG auf die zu § 823 Abs. 1 BGB entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden.372 Aus dem Katalog der nach § 823 Abs. 1 BGB geschützten absoluten Rechte kommt zunächst das Rechtsgut der Freiheit in Betracht. Der Freiheitsbegriff ist im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB nach nahezu einhelliger Meinung eng auszulegen.373 Angesichts des Umstandes, dass ein umfangreicher Freiheitsbegriff im Sinne eines Rechts zur allgemeinen freien Willensbildung einen uferlosen An369

MüKo-BGB/Krüger, Vorbem. zum GewSchG Rn. 1. Zu dem richterrechtlich entwickelten quasi-negatorischen Anspruch auf Unterlassung, der die Abwehr künftiger Störungen der Rechtsgüter- und Interessensphäre des Einzelnen bezweckt, siehe v. Hutten, Der Unterlassungsanspruch, in: Götting/Schertz/ Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, S. 738 ff.; insbesondere in Bezug auf Stalking siehe v. Pechstaedt, NJW 2007, 1233 (1233 ff.); Winterer, FPR 2006, 199 (201); vgl. in Bezug auf einige für das Nachstellen relevante Verhaltensweisen Fischer, MDR 1997, 120; BGH, NJW 1985, 809 (809). 371 Vgl. Palandt/Brudermüller, GewSchG, § 1 Rn. 4. 372 Zu dieser Vorgehensweise OLG Rostock, NJW-RR 2007, 661 (662 f.). Insoweit stimmen die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 1 GewSchG mit denen des § 823 Abs. 1 BGB überein, vgl. Palandt/Brudermüller, GewSchG, § 1 Rn. 4; MüKo-BGB/Krüger, GewSchG § 1 Rn. 10. 373 Siehe hierzu MüKo-BGB/Wagner, § 823 Rn. 99; Palandt/Sprau, § 823 Rn. 6; a. A. dagegen Eckert, JuS 1994, 625 (627 ff.). 370

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wendungsbereich der deliktischen Generalklausel des § 823 Abs. 1 StGB zur Folge hätte,374 soll das Rechtsgut Freiheit nur die körperliche Fortbewegungsfreiheit umfassen,375 wie sie vergleichbar in § 239 StGB geschützt wird.376 Für eine restriktive Auslegung des Freiheitsbegriffs spricht ferner, dass mit einem umfangreichen Freiheitsbegriff die Differenzierungsleistungen innerhalb des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das auch durch § 823 Abs. 1 BGB sowie die Sondertatbestände der §§ 824, 825 BGB geschützt wird und in dessen Rahmen die konfligierenden Interessen gegeneinander abzuwägen sind, unterlaufen werden würden.377 Demnach verlangt eine Freiheitsbeeinträchtigung i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB immer auch einen entsprechenden körperlichen Bezug.378 Dieser ist regelmäßig im Zusammenhang mit der Fortbewegungsfreiheit anzunehmen, bspw. wenn eine Person in einem Raum eingesperrt wird.379 Dagegen ist die allgemeine Willensund Handlungsfreiheit als solche nach einhelliger Meinung nicht vom Freiheitsbegriff des § 823 Abs. 1 bzw. § 1 Abs. 1 S. 1 GewSchG umfasst.380 Eine Beeinträchtigung der Freiheit i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB liegt demnach auch dann nicht vor, wenn das Opfer durch Drohung, Zwang oder Täuschung zu einer Handlung genötigt wird.381

374 Bereits das Reichsgericht hat betont, dass die Hereinnahme der freien Willensbildung in den Freiheitsbegriff nach § 823 Abs. 1 BGB einen umfassenden Freiheitsschutz zur Folge hätte, der zugleich aber wiederum deren weitgehende Aufhebung bedeuten müsse, vgl. hierzu RGZ 48, 114 (123 f.); 97, 343 (113 f.). Würde man den Freiheitsbegriff des § 823 Abs. 1 BGB nicht auf die Bewegungsfreiheit beschränken, müsste der Schutz des Rechtsguts Freiheit letztlich auch den Schutz der Rechtsgüter Leben, Körper, Gesundheit und Eigentum umfassen, da der Schutz dieser Rechtsgüter nichts anderes bedeutet als der Schutz der freien Selbstbestimmung in Bezug auf diese Rechtsgüter, siehe hierzu Erman-BGB/Ehmann, Anhang § 12 Rn. 269. 375 Siehe hierzu MüKo-BGB/Wagner, § 823 Rn. 99; Palandt/Sprau, § 823 Rn. 6; Ehmann, JURA 2011, 437 (438); Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 176 f.; OLG München OLGZ 1985, 466 (467); anders hingegen Eckert, JuS 1994, 625 (627 ff.), der sich dabei maßgeblich auf dessen Entstehungsgeschichte beruft. 376 Siehe hierzu MüKo-BGB/Wagner, § 823 Rn. 100; vgl. Kaboth, ZUM 2003, 342 (343). In Bezu auf § 1 Abs. 1 GewSchG siehe OLG Rostock, NJW-RR 2007, 661 (661 f.). 377 Vgl. MüKo-BGB/Wagner, § 823 Rn. 99 f.; siehe auch die entsprechenden Argumente und Nachweise bei Eckert, JuS 1994, 625 (630). 378 So bereits RGZ 48, 114 (123 f.) in Bezug auf den Ausschluss der Willensfreiheit; zur aktuellen Diskussion MüKo-BGB/Wagner, § 823 Rn. 99 f. 379 MüKo-BGB/Wagner, § 823 Rn. 99; Staudinger-BGB/Hager, Das Recht der unerlaubten Handlungen, § 2 Rn. 220; Palandt/Sprau, § 823 Rn. 6. 380 Siehe MüKo-BGB/Wagner, § 823 Rn. 99 f.; Palandt/Brudermüller, GewSchG, § 1 Rn. 4; MüKo-BGB/Krüger, GewSchG § 1 Rn. 11; OLG Rostock, NJW-RR 2007, 661 (661 f.); Ehmann, FS Georgiades, S. 113 (154 f.). 381 So die ganz herrschende Meinung, siehe nur MüKo-BGB/Wagner, § 823 Rn. 99; Staudinger-BGB/Hager, Das Recht der unerlaubten Handlungen, § 2 Rn. 220; Palandt/ Sprau, § 823 Rn. 6; Ehmann, FS Georgiades, S. 113 (154 f.); a. A. OLG Rostock, NJWRR 2007, 661 (661 f.); Grziwotz, NJW 2002, 872 (873).

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Die schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB ist jedoch regelmäßig nicht Folge eines physisch vermittelten Zwangs des Täters auf das Opfer. Dies ergibt sich schon daraus, dass eine konkrete physische Zwangseinwirkung auf die körperliche Integrität oder Bewegungsfreiheit in keiner der Verhaltensweisen nach § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB normiert ist.382 Schließlich ist auch die Fortbewegungsfreiheit als solche nicht von den Nachstellungshandlungen betroffen, denn der Täter wird sich nur selten dem Opfer in den Weg stellen oder dieses an einem bestimmten Ort festhalten. Vielmehr handelt es sich im Rahmen des § 238 Abs. 1 StGB um einen psychisch vermittelten Zwang, der auf Seiten des Opfers zur Beeinträchtigung dessen Willensbildung und Willensentfaltung führt und schließlich eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung zur Folge hat. Rein physisch könnte das Opfer einen von ihm entsprechend gefassten Willen in die Tat umsetzen. Durch die beständigen Nachstellungen sieht sich das Opfer jedoch zu Umstellungen in seiner Lebensführung gezwungen, um so der ungewollten Kontaktaufnahme durch den Stalker zu entgehen. Das Opfer ist psychisch dermaßen gehemmt oder eingeschüchtert, in Hinblick auf die eigene Lebensgestaltung unbeeinflusst einen eigenständigen Willen zu bilden oder einen eigenständig gebildeten Willen umzusetzen. Das Verhalten des Opfers ist vielmehr dadurch bestimmt, dem Täter auszuweichen bzw. seiner Aufmerksamkeit zu entgehen. Da es demnach bei einem Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB an einem entsprechenden körperlichen Bezug mangeln wird, scheidet eine Verletzung des Rechtsguts Freiheit i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB aus. Aus demselben Grund kann in Fällen des i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB tatbestandlichen Nachstellens regelmäßig auch keine Freiheitsverletzung i. S. d. § 1 Abs. 1 S. 1 GewSchG gesehen werden. (2) Unterlassungsanspruch nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB Im Folgenden ist zu untersuchen, ob ein Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB, das die Willensbildung und Willensbetätigung des Betroffenen beeinträchtigt und zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung führt, einen widerrechtlichen Eingriff in das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellt. Da das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB als sonstiges Recht geschützt wird,383 kann ein solches Ver382 Die einzelnen Verhaltensweisen in § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 StGB beschreiben allesamt Handlungen, die keine unmittelbare körperliche Einflussnahme des Täters darstellen. Demnach müsste ein solches Verhalten auch im Rahmen der Auffangvariante des § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht umfasst sein, vgl. Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1033). 383 Siehe hierzu MüKo-BGB/Wagner, § 823 Rn. 178; Götting, Grundlagen des Persönlichkeitsrechts, in: Götting/Schertz/Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, S. 1 (3 ff.); grundlegend hierzu Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 12 ff., 349 ff.

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halten Gegenstand eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB384 sein. Allgemeine Voraussetzung für einen solchen Unterlassungsanspruch ist, dass die Gefahr einer weiteren Begehung (Wiederholungsgefahr) besteht.385 Im Rahmen des Unterlassungsanspruchs nach §§ 823 Abs. 1 i.V. m. 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB ist auch ein vorbeugender Rechtsschutz möglich, ohne dass es zu einer vorherigen Beeinträchtigung gekommen sein muss.386 Voraussetzung eines sog. vorbeugenden Unterlassungsanspruchs387 ist jedoch, dass sich die drohende Verletzungshandlung in tatsächlicher Hinsicht so greifbar abzeichnet, dass eine zuverlässige Beurteilung unter rechtlichen Gesichtspunkten möglich ist.388 Der Klärung bedarf zunächst, ob die Willensbildung und Willensbetätigung dem zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht i. S. e. sonstigen Rechts nach § 823 Abs. 1 BGB unterfallen. Die eigenständige und freie Willensbildung und Willensbetätigung sind unabdingbare Voraussetzungen für die individuelle Entfaltungs- und Entwicklungsfreiheit einer Person.389 Daher erscheint es nahe384 Zu dem richterrechtlich entwickelten quasi-negatorischen Anspruch auf Unterlassung, der die Abwehr künftiger Störungen der Rechtsgüter- und Interessensphäre des Einzelnen bezweckt, siehe v. Hutten, Der Unterlassungsanspruch, in: Götting/Schertz/ Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, S. 738 ff.; insbesondere in Bezug auf Stalking siehe v. Pechstaedt, NJW 2007, 1233 (1233 ff.); Winterer, FPR 2006, 199 (201); vgl. in Bezug auf einige für das Nachstellen relevante Verhaltensweisen Fischer, MDR 1997, 120; BGH, NJW 1985, 809 (809). 385 Siehe hierzu Staudinger-BGB/Gursky, § 1004 Rn. 213 ff.; vgl. zu den einzelnen Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs ferner v. Hutten, Der Unterlassungsanspruch, in: Götting/Schertz/Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, S. 738 ff.; BGH, NJW 2005, 594 (595). Grundsätzlich ist auch der Schutz vor einer Erstbegehung umfasst, es handelt sich dabei um eine sog. vorbeugende Unterlassungsklage, vgl. hierzu BGH, NJW 1993, 1580 (1581); Baur, JZ 1966, 381 (381 f.). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass sich die drohende Verletzungshandlung in tatsächlicher Hinsicht so greifbar abzeichnet, dass eine zuverlässige Beurteilung unter rechtlichen Gesichtspunkten möglich ist, vgl. BGH, NJW 1992, 2292 (2294) mit weiteren Nachweisen; vgl. ferner Staudinger-BGB/Gursky, § 1004 Rn. 214. 386 Siehe hierzu Baur, JZ 1966, 381 (381 f.), der die missverständliche Terminologie kritisiert, da ein Unterlassungsanspruch per se in Bezug auf Beeinträchtigungen präventiven Charakter habe und statt von einem sog. vorbeugenden Unterlassungsanspruch besser von einem „Unterlassungsanspruch ohne vorgängige Beeinträchtigung“ die Rede sein müsste; vgl. ferner MüKo-BGB/Baldus, § 1004 Rn. 9. Insofern handelt es sich um eine richterrechtliche Fortentwicklung zu § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB, der die Gefahr „weitere(r)“ Beeinträchtigungen fordert, siehe hierzu Staudinger-BGB/Gursky, § 1004 Rn. 214. 387 Siehe hierzu Baur, JZ 1966, 381 (381 f.); MüKo-BGB/Baldus, § 1004 Rn. 9; Staudinger-BGB/Gursky, § 1004 Rn. 214 ff.; BGH, NJW 1993, 1580 (1581). 388 Eine relevante Erstbegehungsgefahr muss vorliegen, siehe hierzu BGH, NJW 1992, 2292 (2294) mit weiteren Nachweisen; vgl. ferner Staudinger-BGB/Gursky, § 1004 Rn. 214. 389 Siehe hierzu Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 175 ff., 181 f., 253 ff.; Wiese, FS Duden, S. 719 (732 f., 735); vgl. auch BGH VersR 1981, 379 (381); ferner vor verfassungsrechtlichem Hintergrund Kirchhof, JZ 1989, 453 (459).

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liegend, dass auch die Willensbildung und Willensbetätigung als Bestandteile des Selbstbestimmungsrechts persönlichkeitsrechtlichem Schutz unterliegen.390 Grundsätzlich soll der Einzelne auf der Grundlage selbständiger und freier Entscheidungsbildung Entschlüsse fassen und umsetzen können. Das Interesse an einer freien und unbeeinflussten Willensbildung und Willensbetätigung kann jedoch nicht uneingeschränkt geschützt werden. Dies folgt schon daraus, dass es in einer pluralistischen Gesellschaft grundsätzlich legitim und auch wesensnotwendig ist, im Rahmen eines Meinungs- und Gedankenaustausches den Willen einer anderen Person zu beeinflussen, indem man diese Person bspw. von etwas überzeugt oder von etwas abrät.391 Ferner erscheint es unmöglich, eine absolut unbeeinflusste und freie Willensbildung und Willensbetätigung zu gewährleisten: Der Einzelne steht in vielfältigen und komplexen Beziehungen und Bindungen zu seiner Umwelt und befindet sich in einem Spannungsfeld wechselseitiger Einwirkungen, die sich (auch) auf die Willensbildung und Willensbetätigung erstrecken.392 Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass nicht jegliche Beeinflussung der Willensbildung und Willensbetätigung zugleich eine widerrechtliche Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt. Dies ergibt sich zudem bereits aus der Struktur des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts und daraus, in welcher Art und Weise es als sonstiges Recht im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB Schutz findet. (a) Grundlagen des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts Das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht beruht auf richterlicher Rechtsfortbildung und weist nur bedingt Parallelen zum verfassungsrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf, das überwiegend aus Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet wird.393 Der Schutz des zivilrechtlichen allgemei390 Vgl. hierzu Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 179; Wiese, FS Duden, S. 719 (732 f.); anders hingegen Ehmann, JURA 2011, 437 (442), der jedoch wiederum an anderer Stelle – siehe etwa Ehmann, FS Georgiades, S. 113 (156) – das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht als „brauchbares und hinreichendes Rechtsmittel gegen das Stalking“ bezeichnet. 391 Vgl. zu diesem Aspekt Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 466. 392 Vgl. Wiese, FS Duden, S. 719 (735). Aus verfassungsrechtlicher Sicht formuliert dies das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 35, 202 (220): „Wenn der einzelne als ein in der Gemeinschaft lebender Bürger in Kommunikation mit anderen tritt, durch sein Sein und Verhalten auf andere einwirkt und dadurch die persönliche Sphäre von Mitmenschen oder Belange des Gemeinschaftslebens berührt, können sich Einschränkungen seines ausschließlichen Bestimmungsrechts über seinen Privatbereich ergeben, soweit dieser nicht zum unantastbaren innersten Lebensbereich gehört.“ 393 Ein grundsätzlicher funktioneller Unterschied zwischen dem zivilrechtlichen und dem verfassungsrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts (APR) besteht schon

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nen Persönlichkeitsrechts als „sonstiges Recht“ ist in § 823 Abs. 1 BGB normativ verankert.394 Seine Aufgabe besteht im Wesentlichen in der Koordination von rechtlich geschützten aber widerstreitenden Verhaltensweisen, in deren Rahmen die rechtlich gleichermaßen geschützte Persönlichkeitsentfaltung verschiedener Personen in Ausgleich zu bringen ist.395 Bei dem zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht handelt es sich um ein sog. Rahmenrecht, das eine Konkretisierung erst durch eine Güter- und Interessenabwägung im Einzelfall erfährt396 bzw. erhalten hat.397 Ist der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch ein Verhalten betroffen, so indiziert dies nicht zugleich die Rechtswidrigkeit des infrage stehenden Verhaltens.398 Die Rechtswidrig- bzw. Widerrechtlichkeit des infrage stehenden Verhaltens ist erst im Wege einer Güter- und Interessenabwägung zu ermitteln,399 bei der auch das Handlungsunrecht und dabei insdarin, dass das grundrechtlich geschützte APR den Bürger unmittelbar vor staatlichen Eingriffen schützen, das zivilrechtliche APR den Ausgleich von Freiheitsausübungen unter den Bürgern regeln soll, siehe grundlegend zum zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 12 ff., 349 ff.; ferner Ehmann, FS Georgiades, S. 113 (121 ff.); ders., JURA 2011, 437 (438 ff.). Eine Verbindung kann dabei lediglich aus der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte und dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag des Gesetzgebers nach Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet werden, siehe hierzu Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 36 ff.; vgl. ferner Ladeur, Schutzpflicht gegenüber privaten Gefährdungen, in: Götting/Schertz/Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, S. 165 (173 f.); siehe auch MüKo-BGB/Rixecker, Anhang zu § 12 Rn. 2 f. 394 Siehe hierzu Götting, Grundlagen des Persönlichkeitsrechts, in: Götting/Schertz/ Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, S. 1 (3 ff.); grundlegend hierzu Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 12 ff., 349 ff. 395 Siehe hierzu MüKo-BGB/Rixecker, Anhang zu § 12 Rn. 9 ff. 396 Siehe hierzu Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 152; Götting, Grundlagen des Persönlichkeitsrechts, in: Götting/Schertz/Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, S. 1 (3 ff.); Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 159 f.; vgl. BGHZ 15, 249 (261); 24, 72 (80); 50, 133 (141, 143); vgl. ferner BVerfGE 66, 116 (132). 397 Siehe zu den einzelnen durch die Rechtsprechung mittlerweile entwickelten Fallgruppen Ehmann, FS Georgiades, S. 113 (145 ff.); MüKo-BGB/Rixecker, Anhang zu § 12 Rn. 8 ff.; Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 207 ff.; Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 175 ff. 398 MüKo-BGB/Rixecker, Anhang zu § 12 Rn. 9; Götting, Grundlagen des Persönlichkeitsrechts, in: Götting/Schertz/Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, S. 1 (3 f.); Ehmann, JURA 2011, 437 (438). Zu dem sich daraus ergebenden zweistufigen Prüfungsaufbau, in dessen Rahmen zunächst die Schutzbereicheröffnung und hernach die Rechtswidrigkeit des Handelns zu untersuchen ist, siehe Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 154 ff. 399 Siehe hierzu auch Ehmann, JURA 2011, 437 (443): „Das offene Rahmenrecht des APR kann daher verstanden werden als eine Art Selbstermächtigung der Rechtsprechung, die es ermöglicht, in offener Wertung der im Spiele befindlichen Interessen einen Fall so zu entscheiden wie der Gesetzgeber ihn entschieden hätte, wenn er das Problem des Falles durch einen Rechtsatz hätte regeln müssen.“

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besondere die Art und Form der Eingriffshandlung und die Interessen des Eingreifenden Berücksichtigung finden.400 Die Güter- und Interessenabwägung bildet dabei das Instrumentarium, anhand dessen die schützenswerte Handlungs- und Selbstbestimmungsfreiheit und die schützenswerte allgemeine Handlungsfreiheit der Beteiligten in Ausgleich zu bringen sind. Die Schutzwirkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entfaltet sich dabei grundsätzlich in zweierlei Hinsicht: Zum einen in statischer und exklusiver Sicht, also in dem Recht auf Ausschließlichkeit und dem Anspruch in Ruhe gelassen zu werden.401 Zum anderen in dynamischer Sicht, namentlich in dem Recht auf freie Entfaltungsmöglichkeit und aktive Entschließungs- und Handlungsfreiheit.402 (b) Schutzumfang im Rahmen des Unterlassungsanspruchs nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB Die vorangegangenen Ausführungen zum zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht haben verdeutlicht, warum trotz des Vorliegens einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung und einer damit einhergehenden Beeinträchtigung der Willensbildung und Willensbetätigung nicht zugleich auf eine widerrechtliche Verletzung des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts geschlossen werden kann. Das Nachstellungsverhalten begründet nur dann einen widerrechtlichen Eingriff in das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht des Opfers, wenn das Verhalten sich im Rahmen einer Interessen- und Güterabwägung gerade unter Berücksichtigung des Handlungsunrechts als eine missbilligenswerte Beeinträchtigung der Willensbildung und Willensbetätigung erweist. Das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht findet nur als sog. Rahmenrecht403 innerhalb des § 823 Abs. 1 BGB Schutz. Demnach ist von einer rechtlich missbilligten Beeinträchtigung der Willensbildung und Willensbetätigung nicht bereits dann auszugehen, wenn das Opfer in seiner Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt 400 Ausführlich hierzu Ehmann, FS Georgiades, S. 113 (143 f.). Zu dem sich daraus ergebenden zweistufigen Prüfungsaufbau, in dessen Rahmen zunächst die Schutzbereicheröffnung und hernach die Rechtswidrigkeit des Handelns zu untersuchen ist, siehe Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 154 ff. 401 Götting, Grundlagen des Persönlichkeitsrechts, in: Götting/Schertz/Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, S. 1 (4). 402 Vgl. Götting, Grundlagen des Persönlichkeitsrechts, in: Götting/Schertz/Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, S. 1 (4). 403 Siehe hierzu Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 152; Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 159 f.; vgl. BGHZ 15, 249 (261); 24, 72 (80); 50, 133 (141, 143); vgl. ferner BVerfGE 66, 116 (132).

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wird. Entscheidend für die Untersagung eines Nachstellungsverhaltens i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB im Wege eines Unterlassungsanspruches nach § 823 Abs. 1 i.V. m. § 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB ist vielmehr auch, auf welche Weise der Täter die Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers beeinflusst. Die Untersagung des Verhaltens folgt letztlich aus einer normativen Güter- und Interessenabwägung. Neben der Schwere und Folge des Nachstellungsverhaltens spielen dabei insbesondere die Art und Form des Nachstellungsverhaltens, sowie der Zweck und die Dauer des Verhaltens eine gewichtige Rolle. Für die Gewichtung der Interessen hat die Rechtsprechung einen allgemeinen Grundsatz entwickelt, nach welchem die soziale oder persönliche Nützlichkeit der gefährdenden Handlung zur Wahrscheinlichkeit und Größe des erwarteten Nachteils in Beziehung zu setzen sind.404 Vor diesem Hintergrund kann von einer Verletzung des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts als sonstiges Recht i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB erst dann ausgegangen werden, wenn das Nachstellungsverhalten eine rechtlich missbilligte Art der Beeinträchtigung der Willensbildung und Willensbetätigung darstellt. In diese Richtung sind auch die Ausführungen des Reichsgerichts in Zivilsachen noch vor der Entwicklung eines zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu verstehen. Danach sei es ausgeschlossen, „daß das Gesetz die Einwirkung auf den fremden Willen schon aus dem Grunde für widerrechtlich erklären wolle, weil kein besonderes Recht zu dieser Einwirkung bestünde. Vielmehr würde die Einwirkung auf die freie Willensbetätigung den Charakter der Widerrechtlichkeit erst durch die Form annehmen, in der sie auftritt, also bei Täuschung, Drohung, Zwang . . .“ 405. Eine solche rechtlich missbilligte Form der Einwirkung ist allgemein dann anzunehmen, wenn der Eingriff in das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht bspw. durch bewusste Manipulation, Täuschung, Nötigung, unzulässigen Druck oder Zwang erfolgt.406 Die Unzulässigkeit des durch den Täter bewirkten Drucks ergibt sich dabei nicht ausschließlich aus der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, sondern muss stets aus dem Ergebnis einer normativen Interessen- und Güterabwägung folgen. Erst in Ansehung der Art und Weise der Begehung lässt sich somit die Frage beantworten, ob das Nachstellungsverhalten einen widerrechtlichen Eingriff in das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellt und das Täterverhalten bei Vorliegen einer Erstbegehungs- oder Wieder404 Siehe hierzu OLG Stuttgart, NJW 1988, 1270 (1270) mit Verweis auf BGH, NJW 1978, 2151 (2152). 405 Siehe hierzu RGZ 58, 24 (28). 406 Vgl. hierzu unter allgemeinen Aspekten in Hinblick auf die Beeinflussung der Willens- und Entschließungsfreiheit Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 466 f.; ferner Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 183, der jedoch zugleich anmerkt, dass sich jeder jenen Druck gefallen lassen muss, der nach unserer Kulturauffassung als zulässig angesehen wird.

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holungsgefahr im Wege eines entsprechenden (vorbeugenden) Unterlassungsanspruchs nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB untersagt werden kann. (3) Zusammenfassung Ein Nachstellungsverhalten i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB kann trotz der mit der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung einhergehenden Verletzung der Willensbildung und Willensbetätigung nicht in jedem Fall mittels eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB untersagt werden. Von einer widerrechtlichen Verletzung des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts i. S. e. sonstigen Rechts nach § 823 Abs. 1 BGB ist erst dann auszugehen, wenn der Täter durch das Nachstellungsverhalten die Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers in rechtlich missbilligter Weise beeinflusst. Da das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht innerhalb des § 823 Abs. 1 BGB als sog. Rahmenrecht geschützt wird, kann nicht bereits aus der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung auf eine zu missbilligende Beeinträchtigung der Willensbildung und Willensbetätigung geschlossen werden. Vielmehr ist die Rechtswidrigkeit bzw. Widerrechtlichkeit einer solchen Beeinträchtigung normativ im Rahmen einer Interessen- und Güterabwägung in Ansehung des Verhaltensunrechts zu bestimmen. Dabei kommt es neben der Schwere und Folge des Nachstellungsverhaltens vor allem auf die Art und Form des Nachstellungsverhaltens, sowie den Zweck und die Dauer des Verhaltens an. Zudem ist die soziale oder persönliche Nützlichkeit der gefährdenden Handlung zur Wahrscheinlichkeit und Größe des erwarteten Nachteils in Beziehung zu setzen.407 Danach ist ein i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB tatbestandliches Nachstellen im Wege eines Unterlassungsanspruchs nach § 823 Abs. 1 i.V. m. § 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB regelmäßig dann zu untersagen, wenn der Täter das Verhalten in dem Bewusstsein und ausschließlich zu dem Zweck vornimmt, das Opfer zu einer schwerwiegenden Veränderung der Lebensgestaltung zu drängen und das Bewirken des Taterfolgs i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB auch Folge einer (psychischen) Pression auf das Opfer ist. In einem solchen Fall pervertiert der Täter geradezu seine Handlungsfreiheit, um die Freiheit der betroffenen Person zu beschränken. Die Interessen- und Güterabwägung wird daher in der Regel zu Ungunsten des Täters ausfallen. Dies wird insbesondere Fälle des sog. rachsüchtigen Stalkers betreffen.408

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Siehe hierzu OLG Stuttgart, NJW 1988, 1270. Siehe zur Kategorisierung des Stalkertypus die Ausführungen unter § 2 III.

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Dagegen ist die Untersagung eines i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB tatbestandlichen Nachstellungsverhaltens schwerer zu begründen, wenn es dem Täter gerade nicht darauf ankommt, die Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers zu verletzen und eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung zu bewirken, obgleich er die Möglichkeit eines solchen Bewirkens zumindest erkannt hat. Die für die Bestimmung der Widerrechtlichkeit des Eingriffs in das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht vorzunehmende Güter- und Interessenabwägung wird jedoch regelmäßig wiederum zu Ungunsten des Täters ausfallen, sofern der Täter dem Opfer dabei in den Formen des sog. schweren Stalking – also i. S. e. Nachstellens nach § 238 Abs. 1 Nr. 3 und 4 StGB – nachstellt. Schließlich ist eine entsprechende Drohung i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB stets rechtlich missbilligt409 und stellt nach § 823 Abs. 1 BGB auch eine unzulässige und rechtlich missbilligte Pression des Täters auf das Opfer dar. Ob dies auch für Fälle gelten kann, in denen sich das Nachstellen in sog. mildem Stalking410 und bspw. darin erschöpft, dass der Täter wenige Male in der Öffentlichkeit die räumliche Nähe des Opfers gegen dessen Willen aufsucht, ohne es dabei anzusprechen oder physisch zu nahe zu kommen und ohne dass es dem Täter auf das Bewirken des Taterfolges ankommt, ist nicht ohne Weiteres zu beantworten411 und bedarf daher einer eingehenden Untersuchung. Von Interesse ist damit die Bestimmung desjenigen Nachstellungsverhaltens, das einen rechtlich missbilligten Eingriff in die Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers darstellt. Im Folgenden ist daher zu untersuchen, ob die in § 238 Abs. 1 StGB genannten Verhaltensweisen an sich und ohne Berücksichtigung des Hervorrufens einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung nach zivilrechtlichen Maßstäben zu untersagen sind. Die Beantwortung dieser Frage lässt zugleich Rückschlüsse auf die Bestimmung desjenigen Nachstellungsverhaltens zu, das zwar dem Wortlaut des § 238 Abs. 1 StGB unterfällt, allerdings vom Opfer hinzunehmen ist, da dem Opfer – schon nach der vorstrafrechtlichen Normenordnung – kein Recht zukommt, von solcherart Nachstellungen verschont zu bleiben. Hierbei wird zu untersuchen sein, welche (konkretisierenden) Anforderungen an ein Nachstellungsverhalten im Mindesten zu stellen sind, damit ein solches Verhaltens nach zivilrechtlichen Maßstäben überhaupt untersagt werden kann. 409 Vgl. hierzu nur die Möglichkeit eines hiergegen gerichteten Unterlassungsanspruchs nach § 823 Abs. 2 BGB, § 241 StGB i.V. m. § 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB. 410 Hierunter sind diejenigen Verhaltensweisen zu verstehen, die in § 238 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB normiert sind. 411 Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass ein solches Verhalten – zumindest für sich genommen oder bei einer nur sehr geringen Anzahl an Wiederholungen – grundsätzlich keinen Eingriff in das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellt, vgl. hierzu MüKo-BGB/Rixecker, Anhang zu § 12 Rn. 94: „Keine rechtliche oder auch nur moralische Regel gebietet, die Augen vor anderen in der Öffentlichkeit niederzuschlagen.“

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bb) In Hinblick auf das Nachstellungsverhalten Einen ersten Anknüpfungspunkt für die vorstrafrechtliche Untersagung (allein) des Nachstellungsverhaltens bietet wiederum der zivilrechtliche Unterlassungsanspruch nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB.412 Voraussetzung für einen solchen Unterlassungsanspruch ist, dass der von dem Nachstellungsverhalten Betroffene in einem seiner Rechte aus § 823 Abs. 1 BGB widerrechtlich verletzt wird und die Gefahr einer weiteren Begehung (Wiederholungsgefahr) besteht.413 Ferner kommt ein entsprechender zivilrechtlicher Unterlassungsanspruch auch wegen des Verstoßes gegen ein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB in Betracht.414 In Bezug auf stalkingspezifische Verhaltensweisen hat der Gesetzgeber nunmehr zum 01.01.2002 auch zwei Teilbereiche des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in den Vorschriften des GewSchG gesondert geregelt.415 Zum Teil finden sich diese spezifischen Verhaltensweisen auch in der Tathandlung des Nachstellens nach § 238 Abs. 1 StGB wieder.416 Dies betrifft nach § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GewSchG die Drohung mit einer Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit sowie nach § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 GewSchG unzumutbare Belästigungen in Form von Verletzungen des Hausrechts, wiederholter Nachstellungen oder der Verfolgung mittels Telekommunikationsmitteln. § 1 Abs. 2 412 Zu dem richterrechtlich entwickelten quasi-negatorischen Anspruch auf Unterlassung, der die Abwehr künftiger Störungen der Rechtsgüter- und Interessensphäre des Einzelnen bezweckt, siehe v. Hutten, Der Unterlassungsanspruch, in: Götting/Schertz/ Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, S. 738 ff.; insbesondere in Bezug auf Stalking siehe v. Pechstaedt, NJW 2007, 1233 (1233 ff.); Winterer, FPR 2006, 199 (201); vgl. in Bezug auf einige für das Nachstellen relevante Verhaltensweisen Fischer, MDR 1997, 120; BGH, NJW 1985, 809 (809). 413 Siehe hierzu Staudinger-BGB/Gursky, § 1004 Rn. 213 ff.; vgl. zu den einzelnen Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs ferner v. Hutten, Der Unterlassungsanspruch, in: Götting/Schertz/Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, S. 738 ff.; BGH, NJW 2005, 594 (595). Grundsätzlich ist auch der Schutz vor einer Erstbegehung umfasst, es handelt sich dabei um eine sog. vorbeugende Unterlassungsklage, vgl. hierzu BGH, NJW 1993, 1580 (1581); Baur, JZ 1966, 381 (381 f.). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass sich die drohende Verletzungshandlung in tatsächlicher Hinsicht so greifbar abzeichnet, dass eine zuverlässige Beurteilung unter rechtlichen Gesichtspunkten möglich ist, vgl. BGH, NJW 1992, 2292 (2294) mit weiteren Nachweisen; vgl. ferner Staudinger-BGB/Gursky, § 1004 Rn. 214. 414 Siehe hierzu Staudinger-BGB/Hager, § 823 Rn. E 10; MüKo-BGB/Baldus, § 1004 Rn. 6; vgl. auch Baur, JZ 1966, 381 (383). Zu den entsprechenden Schutzgesetzen i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB siehe Staudinger-BGB/Hager, § 823 Rn. G 1 ff., insbes. G 42 f. 415 Vgl. hierzu BT-Drs. 14/5429, S. 18 f.; vgl. auch Palandt/Brudermüller, GewSchG § 1 Rn. 4. 416 Vgl. § 1 Abs. 2 S. 1 GewSchG. Dies meint vor allem die widerrechtliche Drohung mit der Verletzung der in Absatz 1 genannten Rechtsgüter des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit und des Lebens, zum anderen unzumutbare Belästigungen, vgl. hierzu auch BT-Drs. 14/5429, S. 29.

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GewSchG stellt jedoch lediglich eine Verfahrensvorschrift dar; die genannten Schutzanordnungen ergehen auf der materiell-rechtlichen Grundlage der allgemeinen Unterlassungsansprüche nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB.417 Entsprechend bedarf es für den Erlass einer Schutzanordnung nach § 1 GewSchG des Vorliegens eines materiell-rechtlichen Anspruchs, welcher sich nach den allgemeinen Vorschriften des Rechts der unerlaubten Handlung richtet.418 Dabei ist weiter zu beachten, dass die jeweiligen Schutzanordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz sowie auch die Unterlassungsansprüche nach § 823 Abs. 1 i.V. m. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB aufgrund des Eingriffs in die grundrechtlich geschützte allgemeine Handlungsfreiheit des Täters bereits aus Gründen des rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zwingend zeitlich zu befristen sind.419 Eine globale Unterlassungsanordnung kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn sich die Belästigungen umfassend gegen das Selbstbestimmungsrecht der Person als Bestandteil des (zivilrechtlichen) allgemeinen Persönlichkeitsrechts richten.420 Eine wiederholte einfache Beleidigung, Belästigung, üble Nachrede oder sonstige Rufschädigung rechtfertigt regelmäßig nur deren Verbot; werden nur einzelne Teile des Persönlichkeitsrechts verletzt, kann ein Verbot nur darauf erstreckt werden. Lässt sich dagegen aus dem Verhalten des Täters ein umfassender Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht des Opfers als Teil dessen allgemeinen Persönlichkeitsrechts herauslesen, kommt ein allgemeines Kontaktverbot in Betracht.421 Da sich ein Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB an den Nachstellungshandlungen i. R. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 StGB orientiert, für sich genommen jedoch aufgrund seiner Unbestimmtheit nur unzureichende Anknüpfungspunkte zur Bestimmung eines solchen Verhaltens beinhaltet, wird im Folgenden lediglich auf Nachstellungshandlungen i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 StGB eingegangen. (1) Nachstellungsverhalten i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB Nach § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB ist es dem Täter untersagt, unbefugt einem anderen Menschen nachzustellen, indem er ihn in beharrlicher Weise mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit seiner selbst oder einer ihm nahe stehenden Person bedroht. 417 Zur Ausgestaltung als verfahrensrechtliche Rechtsgrundlage BT-Drs. 14/5429, S. 17 f. Kritisch vor allem in Bezug auf § 1 Abs. 1 GewSchG Kraus, Zivilrechtlicher Schutz gegen Nachstellen, S. 28 ff., insbes. 34. 418 Vgl. hierzu Palandt/Brudermüller, GewSchG, § 1 Rn. 4. 419 Vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 GewSchG; vgl. ferner OLG Saarbrücken FamRZ 2010, 1810 (1810); Palandt/Brudermüller, GewSchG § 1 Rn. 7. 420 Siehe hierzu den Beschluss des LG Oldenburg vom 04.07.2007 (Az.: 5 T 874/07). 421 Siehe hierzu den Beschluss des LG Oldenburg vom 04.07.2007 (Az.: 5 T 874/07).

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(a) Bezogen auf ein Zweipersonenverhältnis In Fällen, in denen sich die Drohungssituation auf ein Zweipersonenverhältnis bezieht, kann die Untersagung eines solchen Verhaltens auf § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GewSchG gestützt werden. Danach kann das Gericht eine Schutzanordnung erlassen, wenn eine Person einer anderen mit einer Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit widerrechtlich gedroht hat.422 Die materielle Grundlage hierfür bildet – zumindest wenn die Verwirklichung des angedrohten Verhaltens ein Verbrechen i. S. d. § 12 Abs. 1 StGB darstellt – der Unterlassungsanspruch des Betroffenen nach §§ 823 Abs. 2, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB i.V. m. § 241 StGB.423 Da es sich bei § 241 StGB um ein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB handelt,424 ist ein Verhalten nach § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB – zumindest wenn die Verwirklichung des angedrohten Verhaltens ein Verbrechen i. S. d. § 12 Abs. 1 StGB darstellt – grundsätzlich auch Gegenstand eines Unterlassungsanspruches nach §§ 823 Abs. 2, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB i.V. m. § 241 StGB. Anders als bei den Tatbeständen der Nötigung oder der Bedrohung umfasst § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB hingegen auch die Bedrohung mit Akten unterhalb der Verbrechensschwelle i. S. d. § 12 Abs. 1 StGB.425 In der Regel wird das in der Bedrohung angekündigte Verhalten jedoch nicht nur eine einfache Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB oder eine Freiheitsberaubung nach § 239 Abs. 1 StGB darstellen, so dass davon auszugehen ist, dass § 241 StGB grundsätzlich nahezu sämtliche Fälle eines Verhaltens i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB abdeckt. Rechtsschutz gegen ein solches Verhalten in Gestalt eines Unterlassungsanspruchs nach §§ 823 Abs. 2, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB i.V. m. § 241 StGB ist auch vorbeugend möglich. Es muss demnach nicht zu einer vorherigen Beeinträchtigung gekommen sein.426 Voraussetzung eines sog. vorbeugenden Unterlas422

Vgl. MüKo-BGB/Krüger, GewSchG § 1 Rn. 16. § 1 Abs. 2 GewSchG stellt lediglich eine Verfahrensvorschrift dar, die genannten Schutzanordnungen ergehen auf der materiell-rechtlichen Grundlage der allgemeinen Unterlassungsansprüche nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB. Zur Ausgestaltung als verfahrensrechtliche Rechtsgrundlage BT-Drs. 14/5429, S. 17 f. Kritisch vor allem in Bezug auf § 1 Abs. 1 GewSchG Kraus, Zivilrechtlicher Schutz gegen Nachstellen, S. 28 ff., insbes. 34. 424 Siehe hierzu MüKo-BGB/Wagner, § 823 Rn. 369; Staudinger-BGB/Hager, § 823 Rn. G 42. 425 Aufgrund der allgemeinen Bezugnahme auf die Schutzgüter der körperlichen Unversehrtheit, Gesundheit und Freiheit kommen im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB auch bspw. die einfache Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB oder die Freiheitsberaubung nach § 239 Abs. 1 StGB in Betracht. 426 Siehe hierzu Baur, JZ 1966, 381 (381 f.), der die missverständliche Terminologie kritisiert, da ein Unterlassungsanspruch per se in Bezug auf Beeinträchtigungen präventiven Charakter habe und statt des sog. vorbeugenden Unterlassungsanspruchs besser von einem „Unterlassungsanspruch ohne vorgängige Beeinträchtigung“ die Rede sein 423

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sungsanspruchs427 ist jedoch, dass sich die drohende Verletzungshandlung in tatsächlicher Hinsicht so greifbar abzeichnet, dass eine zuverlässige Beurteilung unter rechtlichen Gesichtspunkten möglich ist.428 In Fällen, in denen sich das Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB seinem Inhalt nach auf die Vornahme von Verhaltensweisen bezieht, die unterhalb der Verbrechensschwelle des § 12 Abs. 1 StGB liegen, kommt ein sog. vorbeugenden Unterlassungsanspruch nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB in Betracht. Die Rechtsgüter Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und Eigentum finden im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB Schutz.429 In der Regel lässt eine Drohung i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB bzw. zumindest die wiederholte Vornahme einer solchen Kundgabe den Schluss zu, dass der Eintritt der Verletzung eines der geschützten Güter alsbald zu erwarten ist. Droht der Täter also seinem Opfer in beharrlicher Weise mit der Verletzung von dessen Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit, geht damit regelmäßig auch eine relevante Erstbegehungsgefahr in Hinblick auf eine Verletzung benannter Schutzgüter einher.430 (b) Bezogen auf ein Dreipersonenverhältnis In Bezug auf den im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB umfassten Dritten kommt dagegen ein Unterlassungsanspruch nach §§ 823 Abs. 2, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB i.V. m. § 240 Abs. 1 StGB in Betracht, wenn die Verwirklichung der Nötigung gleichzeitig ein Übel für das eigentliche Opfer der Nachstellungshandlung darstellt.431 (2) Nachstellungsverhalten i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 3 StGB Nach § 238 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist es dem Täter untersagt, einen anderen Menschen unbefugt nachzustellen, indem er in beharrlicher Weise unter missbräuchlimüsste; vgl. ferner MüKo-BGB/Baldus, § 1004 Rn. 9. Insofern handelt es sich um eine richterrechtliche Fortentwicklung zu § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB, der die Gefahr „weitere(r)“ Beeinträchtigungen fordert, siehe hierzu Staudinger-BGB/Gursky, § 1004 Rn. 214. 427 Siehe hierzu Baur, JZ 1966, 381 (381 f.); MüKo-BGB/Baldus, § 1004 Rn. 9; Staudinger-BGB/Gursky, § 1004 Rn. 214 ff.; BGH, NJW 1993, 1580 (1581). 428 Eine relevante Erstbegehungsgefahr muss vorliegen, siehe hierzu BGH, NJW 1992, 2292 (2294) mit weiteren Nachweisen; vgl. ferner Staudinger-BGB/Gursky, § 1004 Rn. 214. 429 Vgl. auch MüKo-BGB/Wagner, § 823 Rn. 65 ff. 430 Vgl. zu dem Erfordernis der Erstbegehungsgefahr BGH, NJW 1992, 2292 (2294) mit weiteren Nachweisen; ferner Staudinger-BGB/Gursky, § 1004 Rn. 214. 431 Siehe zur Erstreckung des § 240 Abs. 1 StGB auf einen Dritten S/S-Eser/Eisele, § 240 Rn. 11. Bei § 240 Abs. 1 StGB handelt es sich ebenfalls um ein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB, siehe hierzu Staudinger-BGB/Hager, § 823 Rn. G 42 mit Verweis auf BGH, NJW 1962, 910 (911); NJW 1976, 1143 (1145).

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cher Verwendung von dessen personenbezogenen Daten Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für ihn aufgibt oder Dritte veranlasst, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Ein solches Verhalten kann aufgrund des damit unter Umständen verbundenen Eingriffs in das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht Gegenstand eines Unterlassungsanspruchs nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB sein. Der Schutz des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts als „sonstiges Recht“ ist in § 823 Abs. 1 BGB normativ verankert.432 Zur Bestimmung des Schutzbereiches des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bieten sich vorliegend mehrere Anknüpfungspunkte. In Betracht kommt sowohl ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, als auch ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aufgrund der unbefugten Nutzung des Namens des Betroffenen. Darüber hinaus kann auch ein widerrechtlicher Eingriff in das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht bereits in der Art und Weise liegen, mit welcher der Dritte veranlasst wird, mit dem Opfer Kontakt aufzunehmen. (a) Recht auf informationelle Selbstbestimmung Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist zunächst einmal Ausfluss des verfassungsrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts.433 Danach steht es der einzelnen Person grundsätzlich zu, selbst darüber zu bestimmen, ob, wann und in welchem Rahmen sie eigene persönliche Daten preisgibt bzw. in die Öffentlichkeit bringt.434 Dies gilt unabhängig von einer automatisierten oder nicht automatisierten Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten und unabhängig davon, ob sie auf staatlicher oder privater Veranlassung beruht.435 Betreffend das Verhältnis unter Privatpersonen vermag das informationelle Selbstbestimmungsrecht als Ausfluss des verfassungsrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht jedoch nicht vor der Erhebung und Verarbeitung sämtlicher personenbezogener Daten zu schützen, da das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht lediglich mittelbar auf dem verfassungsrechtlichen allgemeinen 432 Siehe hierzu Götting, Grundlagen des Persönlichkeitsrechts, in: Götting/Schertz/ Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, S. 1 (3 ff.); grundlegend hierzu Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 12 ff., 349 ff. 433 Siehe zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung MüKo-BGB/Rixecker, Anhang zu § 12 Rn. 102 ff. Grundrechtliche Anerkennung genießt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung spätestens seit dem sog. Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, siehe hierzu BVerfGE 65, 1 (23 ff.). 434 Siehe hierzu MüKo-BGB/Rixecker, Anhang zu § 12 Rn. 102 f.; Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 351 f. 435 Siehe hierzu die Leitentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 78, 77 (84) – Entmündigung I und BVerfGE 84, 192 (194 f.) – Entmündigung II. Teilweise sind diese auch Gegenstand spezieller gesetzlicher Regelungen geworden, siehe hierzu §§ 1 ff. BDSG.

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Persönlichkeitsrecht fußt. Um der ausdifferenzierten Regelungsweise des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts und insbesondere der Bedürfnisse des Privatrechtsverkehrs gerecht zu werden, wird die Bestimmung der Reichweite des Schutzbereiches im Einzelfall von dem Vorliegen bestimmter Kriterien abhängig gemacht.436 Hierzu zählen neben der Herkunft, Sensibilität, Persönlichkeitsnähe und des Umfangs der jeweiligen Informationen auch die Art und Weise ihrer Erlangung und die entsprechenden Verwendungszwecke bzw. auch die bloßen Verwendungs- oder Missbrauchsmöglichkeiten.437 Vor diesem Hintergrund erscheint bereits fraglich, ob das Opfer in seinem informationellen Selbstbestimmungsrecht als Teil des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen ist. In der Regel wird dem Täter die missbräuchliche Verwendung des Namens und der (Wohn)Anschrift des Opfers genügen, um für dieses Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen aufzugeben oder Dritte zu veranlassen, mit diesem Kontakt aufzunehmen. Bei dem Namen und der Adresse handelt es sich jedoch zumeist nicht um sensible personenbezogene Daten, sondern um solche, die im öffentlichen Verkehr benutzt werden und der Öffentlichkeit in der Regel – etwa durch einen Blick in das Telefonbuch oder auf entsprechende Klingel- oder Briefkastenschilder am Haus – frei zugänglich sind. Demnach greift ein Handeln nach § 238 Abs. 1 Nr. 3 StGB in der Regel nicht in das zivilrechtliche informationelle Selbstbestimmungsrecht ein. (b) Namensrecht Ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das im vorliegenden Zusammenhang eine einfachgesetzliche Ausprägung in § 12 BGB findet, kann jedoch zumindest in der unbefugten Nutzung des Namens des Betroffenen liegen. Verwendet der Täter die personenbezogenen Daten des Opfers ohne eine entsprechende Vertretungs- oder Auftragsbefugnis des Opfers und gegen dessen Willen, um in dessen Namen Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen aufzugeben oder Dritte zu veranlassen, mit diesem Kontakt aufzunehmen, geht damit regelmäßig eine Namensanmaßung einher. Hierdurch erzeugt der Täter auf Seiten des Unternehmers oder des Dritten die Vorstellung, die Person des Opfers nehme selbst die Handlungen vor und sei Vertrags- bzw. Ansprechpartner. Angesichts der damit einhergehenden Schwierigkeiten in der Zuordnung der Person, vor der auch § 12 BGB schützen soll,438 fällt eine solche Namensanmaßung in den 436 Siehe hierzu Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 368 f. Diese Kriterien finden sich auch größtenteils in den Leitentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts wieder, siehe etwa die Ausführungen im sog. Volkszählungsurteil in BVerfGE 65, 1 (45). 437 Umfassend hierzu Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 369; vgl. ferner Hufen, JZ 1984, 1072 (1076). 438 Siehe hierzu MüKo-BGB/Bayreuther, § 12 Rn. 150 f.; zum entsprechenden hieraus entstehenden Unterlassungsanspruch Staudinger-BGB/Habermann, § 12 Rn. 352 ff.

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Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts und ist in der Regel auch widerrechtlich.439 (c) Schutz vor Veranlassung zur Kontaktaufnahme Darüber hinaus kann ein widerrechtlicher Eingriff in das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht jedoch im Einzelfall auch bereits in der Art und Weise liegen, mit welcher der Dritte veranlasst wird, mit dem Opfer Kontakt aufzunehmen. Nach dem gesetzgeberischen Willen soll die Handlungsvariante des § 238 Abs. 1 Nr. 3 StGB vor allem Fälle erfassen, in denen der Täter unrichtige und diffamierende Anzeigen in Zeitungen schaltet oder im Namen des Opfers Kontaktanzeigen mit dem Angebot sexueller Dienstleistungen aufgibt.440 Etwaige hiermit verbundene ehrverletzende Aussagen oder Darstellungen in Bezug auf das Opfer können einen widerrechtlichen Eingriff in das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellen.441 (d) Zwischenergebnis Festzuhalten ist somit, dass bei Vorliegen einer entsprechenden Wiederholungs- bzw. Erstbegehungsgefahr442 ein Verhalten i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 3 StGB aufgrund des rechtswidrigen Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen regelmäßig Gegenstand eines Unterlassungsanspruchs nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB ist. (3) Nachstellungsverhalten i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB Nach § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist es dem Täter untersagt, einem anderen Menschen nachzustellen, indem er unbefugt und in beharrlicher Weise unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu diesem aufnimmt. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll das Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB sowohl diejenigen Konstellationen erfassen, in denen der Täter mithilfe von technischen Geräten Kontakt zu dem Opfer sucht, als auch diejenigen Konstellationen, in denen er das Opfer über andere Personen kontaktiert.443 Da439 In Bezug auf die Aufgabe eines unechten Leserbriefes vgl. Erman-BGB/Ehmann, Anhang zu § 12 Rn. 106; vgl. ferner MüKo-BGB/Rixecker, Anhang zu § 12 Rn. 127 ff. 440 Vgl. BT-Drs. 16/575, S. 7 f. 441 Grundsätzlich zum Ehrschutz in Gestalt des Indentitätsschutzes als Teilbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Erman-BGB/Ehmann, Anhang zu § 12 Rn. 104 ff.; ferner MüKo-BGB/Rixecker, Anhang zu § 12 Rn. 73 ff. 442 Vgl. zu den Voraussetzungen Staudinger-BGB/Gursky, § 1004 Rn. 213 ff. 443 Vgl. hierzu BT-Drs. 16/575, S. 7.

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nach sind unerwünschte Anrufe, E-Mails, SMS, Briefe, schriftliche Botschaften an der Windschutzscheibe des Kraftfahrzeugs oder ähnliche Verhaltensweisen ebenso unter § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu subsumieren wie unmittelbare Kontaktaufnahmen über Dritte.444 Umfasst ist nach § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB auch das erfolgreiche Herstellen einer kommunikativen Verbindung zwischen Täter und Opfer.445 Viele von diesen Verhaltensweisen sind alltägliche Handlungen, die zur Begründung und Aufrechterhaltung menschlicher Kontakte und Beziehungen unerlässlich sind. Ihre Untersagung erscheint auf den ersten Blick schon nach Art und Weise der Kontaktaufnahme nicht mittels zivilrechtlicher Vorschriften angezeigt, mögen sie auch beharrlich erfolgen.446 Als Anknüpfungspunkt für die Untersagung des Verhaltens soll hier nach den Vorstellungen des Gesetzgebers der entgegenstehende Wille der kontaktierten Person dienen. Dieser findet seinen Niederschlag in dem Tatbestandsmerkmal der Unbefugtheit, dem die Bedeutung zukommen soll, den Anwendungsbereich des Tatbestandes „auf die strafwürdigen Fälle“ zu beschränken.447 Daher ist zu untersuchen, ob die unbefugte und beharrliche Kontaktaufnahme unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln, sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte gerade vor dem Hintergrund der Missachtung des entgegenstehenden Opferwillens Gegenstand eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs nach § 823 Abs. 1 i.V. m. § 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB sein kann. Voraussetzung hierfür ist wiederum, dass der entgegenstehende Wille des Opfers durch das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt ist. (a) Personales Selbstbestimmungsrecht Vorliegend kommt aufgrund der Missachtung des entgegenstehenden Willens eine Verletzung des personalen Selbstbestimmungsrechts in Betracht.448 Als Ausfluss des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts schließt das personale Selbstbestimmungsrecht auch den Schutz des ausdrücklich geäußerten Wil444 Vgl. hierzu BT-Drs. 16/575, S. 7. Andere Personen sind bspw. Angehörige des Opfers oder sonstige Personen aus dessen Umfeld. Zu der Variante des sog. CyberStalking siehe insbesondere Dreßing/Klein/Bailer/Gass/Gallas, Nervenarzt 2009, 833 (833 ff.). 445 Siehe hierzu BGHSt 54, 189 (194); Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1032); S/SEisele, § 238 Rn. 11; Fischer, StGB, § 238 Rn. 14. 446 Man stelle sich etwa den ständigen und gehäuften Brief- oder E-Mailverkehr zwischen zwei frisch verliebten Personen vor. 447 So BT-Drs. 16/575, S. 7. 448 Zur Bedeutung des Rechts auf personale Selbstbestimmung als das wohl bedeutendste Persönlichkeitsinteresse im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts siehe Baston-Vogt, Der sachliche schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 214 ff.

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lens der betroffenen Person mit ein, im privaten Bereich in Ruhe gelassen zu werden.449 Umfasst ist danach die Entscheidung des Einzelnen darüber, ob und in welchem Umfang er in Kontakt mit anderen Menschen treten möchte.450 Dabei kann dahinstehen, in welcher Art und Weise die Kontakte zuvor stattgefunden und ob sie verletzenden Charakter gehabt haben. Entscheidend ist allein die Nichtbeachtung des Willens des Adressaten im Rahmen seiner Privatsphäre bzw. seines Lebensbereichs.451 Jeder hat diesen Willen zu respektieren, sofern der Adressat ihn ausdrücklich erklärt hat oder er für den Kontaktsuchenden aus den Umständen heraus erkennbar war.452 Die Missachtung dieses Willens stellt einen widerrechtlichen Eingriff in das personale Selbstbestimmungsrecht und demnach in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen dar. Etwas anderes kann dagegen nur insoweit gelten, als die Äußerung des entgegenstehenden Willens eine unzulässige Rechtsausübung darstellt.453 Dabei ist grundsätzlich zu beachten, dass nach dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nur das Interesse an der Selbstbestimmung geschützt werden kann. Der Wille des Einzelnen ist nur dann persönlichkeitsrechtlich relevant, wenn er sich auf die entsprechende Person oder auf solche Angelegenheiten bezieht, die aufgrund der Persönlichkeitsnähe unmittelbarer mit der Person verbunden sind.454 Demnach ist ein umfassendes Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen in der Re449 Siehe hierzu zuletzt BGH, NJW 2011, 1005 (1006) mit vielen weiteren Nachweisen. 450 Grundlegend hierzu LG Oldenburg, NJW 1996, 62 (63). Dabei handelt es sich um eine Weiterentwicklung der bisherigen Rechtsprechung zum Schutz vor Brief- und Telefonwerbung. Die in diesem Zusammenhang aufgestellten Grundsätze, nach denen der Wille der Person, zu Hause nicht weiter wegen etwaiger Angebote kontaktiert zu werden, grundsätzlich dem Interesse des Werbenden vorgeht, solange es an einem Einverständnis des Kontaktierten zu einer solchen Kontaktaufnahme fehlt, wurden nunmehr vom LG Oldenburg auch auf die Konstellation zweier Privatpersonen übertragen. Zu den vorstehend benannten Grundsätzen siehe BGHZ 60, 296 (299 f.); 106, 229 (232 ff.); OLG Hamburg, NJW 1991, 2914 (2914); OLG Karlsruhe, NJW-RR 1990, 244 (244); BVerwG, NJW 1989, 2409 (2409 ff.). Dabei ist zu beachten, dass diese Grundsätze letztlich aufgrund des Rahmencharakters des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts Ergebnisse einer Güter- und Interessenabwägung sind. 451 LG Oldenburg, NJW 1996, 62 (63); MüKo-BGB/Rixecker, Anhang zu § 12 Rn. 101; Ehlers, JZ 1991, 231 (233); vgl. auch OLG München, NJW 1984, 2422 (2422 f.); zuletzt BGH, NJW 2011, 1005 (1006). 452 Vgl. LG Oldenburg, NJW 1996, 62 (63); MüKo-BGB/Rixecker, Anhang zu § 12 Rn. 96 ff., 101; siehe auch BGH, NJW 2011, 1005 (1006), der zutreffend darauf hinweist, dass in einer bloßen und als solchen nicht ehrverletzenden Kontaktaufnahme regelmäßig nur dann eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegen kann, wenn sie gegen den eindeutig erklärten Willen des Betroffenen erfolgt, weil ansonsten die Freiheit kommunikativen Verhaltens schwerwiegend beeinträchtigt wäre. Zur Frage der Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens siehe Erman-BGB/Ehmann, Anhang zu § 12 Rn. 287. 453 Vgl. zu diesem Aspekt Ehlers, JZ 1991, 231 (233). 454 Siehe zu diesem Aspekt Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 249.

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gel ohne weiteres anzunehmen, wenn der Wille im engen Zusammenhang mit dem räumlich-gegenständlichen Privatbereich der betroffenen Person steht.455 In diesem Zusammenhang ist auch der Regelungsgehalt des Merkmals der Unbefugtheit innerhalb des § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu verstehen. So fallen mehrere schriftliche oder telefonische Kontaktversuche eines Elternteils zwecks Absprache mit dem ehemaligen Partner über das Umgangsrecht mit einem gemeinsamen Kind456 schon deshalb nicht unter § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB, da der Kontaktierende sein Recht aus § 1684 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BGB ausübt. Ein die Kontaktversuche abweisendes Handeln des kontaktierten Elternteils unter Berufung auf das personelle Selbstbestimmungsrecht wäre demnach rechtsmissbräuchlich. Wird nach diesen Grundsätzen der ausdrücklich erklärte Wille der betroffenen Person, zulässigerweise nicht im privaten Bereich kontaktiert zu werden, durch den Täter missachtet, bedeutet dies einen widerrechtlichen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person.457 Dieses Verhalten kann demnach – sofern die weiteren Voraussetzungen einer Wiederholungs- bzw. Erstbegehungsgefahr458 gegeben sind – mittels eines Unterlassungsanspruchs nach §§ 823 Abs. 1 i.V. m. 1004 Abs. 1 analog BGB untersagt werden.459 Zu bedenken ist dabei, dass zwar bereits ein einmaliges Ignorieren des entgegenstehenden Willens einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht als sonstiges Recht i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB darstellen kann. Ausnahmen aufgrund 455 Das Verständnis von Privatsphäre ist in der Rechtswissenschaft traditionell mit höchstpersönlichen oder räumlichen Merkmalen verbunden, vgl. hierzu Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 56, 147 ff.; siehe auch Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 223 (dort Fn. 70). Zur Bedeutung der Existenz von Rückzugsräumen für die Selbstentfaltung und die Entwicklung der Persönlichkeit siehe auch BVerfGE 32, 54 (68 ff., 73), 76, 83 (88); 89, 1 (6 ff.); 101, 361 (382 f.); ferner auch BGHZ 121, 116 (123). Entscheidend hierbei ist wohl auch die Frage der Ausweichmöglichkeit des Opfers, die im Rahmen des privaten (räumlichen) Bereichs wegen des Charakters als Rückzugsraum im Rahmen der Abwägung grundsätzlich verneint werden muss. 456 Dieses Beispiel findet sich auch in der Gesetzesbegründung, siehe BT-Drs. 16/ 575, S. 7. 457 Eine entsprechende Erstreckung des Schutzbereichs auch auf Bereiche außerhalb der Privaträume kann in Bezug auf die Kommunikation über das (Mobil)Telefon oder auch das Versenden von E-Mails aufgrund von damit einhergehenden Belästigungen gesehen werden, siehe etwa BGH, NJW 1985, 809 (809). Besondere Bedeutung kommt hierbei der Frage nach der Ausweich- oder Entziehungsmöglichkeit des Betroffenen zu, die im Falle der Kommunikation über Festnetz- oder Mobiltelefon bzw. E-Mails nicht (so leicht) möglich ist. 458 Vgl. zu den Voraussetzungen Staudinger-BGB/Gursky, § 1004 Rn. 213 ff. 459 Dies gilt jedoch nur insoweit, als sich die Äußerung des entgegenstehenden Willens auf die betroffene Person oder auf solche Angelegenheiten bezieht, die aufgrund der Persönlichkeitsnähe unmittelbar mit der Person verbunden sind und die Bekundung des Willens keine unzulässige Rechtsausübung darstellt, siehe zu den Voraussetzungen einer unzulässigen Rechtsausübung Staudinger-BGB/Looschelders/Olzen, 2009, § 242 Rn. 217 ff.

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eines möglicherweise sozialadäquaten Verhaltens kommen dagegen – unabhängig von der von der betroffenen Person tatsächlich empfundenen Belastung oder Belästigung – von vornherein nicht in Betracht.460 Ein solcher einmaliger Vorfall vermag allerdings regelmäßig kein umfassendes Kontaktverbot nach §§ 823 Abs. 1 i.V. m. 1004 Abs. 1 analog BGB zu rechtfertigen, da nicht jede Belästigung, Beleidigung, Körperverletzung oder sonstige Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu einem Unterlassungstitel führt, der zeitlich unbefristet und umfassend alle möglichen Beeinträchtigungen untersagt.461 Insoweit ist das umfassende Kontaktverbot als Auffangtatbestand oder ultima ratio zu verstehen.462 Es kommt erst dann in Betracht, wenn sich das Verhalten des Täters umfassend gegen das Selbstbestimmungsrecht der von dem Verhalten betroffenen Person richtet. Sind nur einzelne Elemente des Persönlichkeitsrechts verletzt, kann ein Verbot nur auf den betroffenen Teil des Persönlichkeitsrechts erstreckt werden.463 Um ein umfassendes Kontaktverbot begründen zu können, bedarf es daher in der Regel einer Vielzahl von Kontaktaufnahmen gegen den Willen des Opfers, um daraus ableiten zu können, dass sich das Verhalten des Täters gegen das Selbstbestimmungsrecht des Opfers im Gesamten richtet. (b) Unzumutbare Belästigung i. S. d. § 1 Abs. 2 GewSchG Gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) Var. 2 GewSchG kann das Gericht auf entsprechenden Antrag des Opfers eine Schutzanordnung erlassen, wenn der Täter unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation wiederholt Kontakt zu ihm gegen seinen ausdrücklich erklärten Willen aufnimmt und es durch dieses Verhalten unzumutbar belästigt wird. Voraussetzung für den Erlass einer solchen Schutzanordnung ist, dass der Täter das Opfer dabei unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln widerrechtlich und vorsätzlich verfolgt.464 Der Vorsatz des Täters muss sich dabei auch auf das unzumutbare Belästigen des Opfers beziehen,465 zumindest muss der Täter die Möglichkeit einer unzumutbaren Belästigungswirkung seines Han460 Siehe hierzu insofern eindeutig BGH, NJW 2011, 1005 (1006); LG Oldenburg, NJW 1996, 62 (63); vgl. auch Kaboth, ZUM 2003, 342 (343 f.); anders hingegen noch BVerwG, NJW 1989, 2409 (2410), das eine vor dem Hintergrund des geringen Belästigungseffekts des den Kontoauszügen beigelegten Werbematerials eine Interessen- und Güterabwägung für notwendig hielt. 461 So das LG Oldenburg vom 04.09.2007 (Az: 5 T 874/07). 462 Vgl. LG Oldenburg vom 04.09.2007 (Az: 5 T 874/07). 463 So beispielsweise im Falle einer einmaligen Beleidigung, die nur zu einem Verbot weiterer solcher Äußerungen oder zu einer entsprechenden Widerrufspflicht führen kann, nicht aber zu einem umfassenden Kontaktverbot, vgl. LG Oldenburg vom 04.09. 2007 (Az: 5 T 874/07). 464 Vgl. § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) Var. 2 GewSchG. 465 Siehe MüKo-BGB/Krüger, GewSchG § 1 Rn. 13.

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delns erkannt haben. Da die Vorschrift des § 1 Abs. 2 GewSchG als eine spezielle Regelung zum Schutz des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts anzusehen ist,466 handelt nach den oben dargelegten Grundsätzen widerrechtlich, wer den ausdrücklich erklärten Willen der betroffenen Person missachtet, nicht im persönlich-privaten Bereich kontaktiert zu werden.467 Wann in einem Fall des § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) Var. 2 GewSchG von einer Unzumutbarkeit der Belästigung auszugehen ist, bleibt der Beurteilung durch den Richter vorbehalten.468 Der Gesetzgeber nennt als Beispiele für eine unzumutbare Belästigung ständige Kontaktversuche durch das Hinterlassen von Mitteilungen unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln wie Telefax, Internet oder Mobiltelefonen sowie Telefonterror.469 Deutlich wird anhand der Gesetzgebungsmaterialien zunächst, dass an das Merkmal der Wiederholung erhöhte Anforderungen zu stellen sind. Ein zweimaliges Kontaktieren gegen den Willen der kontaktierten Person reicht demnach nicht aus, um die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) Var. 2 GewSchG zu erfüllen, selbst wenn sich das Opfer hierdurch belästigt fühlen mag. Vielmehr bedarf es einer so häufigen Kontaktaufnahme, dass bereits aus dem Grad der Wiederholung der Belästigungscharakter deutlich hervorgeht. Dies lässt sich auch aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) Var. 2 GewSchG („verfolgt“) schließen. Das Erfordernis eines erhöhten Wiederholungsgrades bedeutet jedoch zugleich, dass das Merkmal der Unzumutbarkeit nicht von dem individuellen Empfinden der betroffenen Person abhängt und demnach auch nicht anhand des individuellen Opferempfindens zu bestimmen ist. Im Rahmen des § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) Var. 2 GewSchG ist das Merkmal der Zumutbarkeit demnach normativ zu bestimmen. Eine unzumutbare Belästigung liegt dagegen gemäß § 1 Abs. 2 S. 2 GewSchG nicht vor, wenn die Handlung der Wahrnehmung berechtigter Interessen dient.470 Dies gilt unabhängig davon, ob sich das Opfer belästigt fühlt oder nicht. Welche Interessen dabei infrage kommen, ist jedoch unklar. Die Übernahme der zu § 193 StGB von Literatur und Rechtsprechung entwickelten Kasuistik liegt nahe.471 466 Vgl. hierzu BT-Drs. 14/5429, S. 18 f.; vgl. auch Palandt/Brudermüller, GewSchG § 1 Rn. 4. 467 Vgl. LG Oldenburg, NJW 1996, 62 (63); MüKo-BGB/Rixecker, Anhang zu § 12 Rn. 101; Ehlers, JZ 1991, 231 (233); vgl. auch OLG München, NJW 1984, 2422 (2422 f.); zuletzt BGH, NJW 2011, 1005 (1006). Zumindest dann, wenn der Wille des Einzelnen persönlichkeitsrechtlich relevant ist und das von Seiten des Opfers ausgesprochene Kontaktverbot kein rechtsmissbräuchliches Verhalten darstellt. 468 Vgl. jurisPK-BGB/Leis, GewSchG § 1 Rn. 37. 469 Vgl. BT-Drs. 14/5429, S. 29. 470 MüKo-BGB/Krüger, GewSchG § 1 Rn. 17; BT-Drucks. 14/5429 S. 29. 471 Zu den Kriterien im Rahmen des § 193 StGB S/S-Lenckner/Eisele, § 193 Rn. 8 ff. mit vielen weiteren Nachweisen. Danach kommt es nach der h. M. darauf an, dass der Täter in berechtigter Wahrnehmung rechtlich anerkannter Interessen handelt.

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Folgt man dem, müsste es vor allem darauf ankommen, ob der Täter in berechtigter Wahrnehmung rechtlich anerkannter Interessen handelt.472 Ob und wann dies bei einer Auseinandersetzung einer früheren Lebensgemeinschaft der Fall ist, ist aufgrund der teilweise sehr komplexen emotionalen Gemengelage schwierig und muss im Einzelfall durch den Richter entschieden werden. Teilweise wird in der Literatur in diesem Zusammenhang vertreten, dass jedem Partner eine den anderen möglichst wenig beeinträchtigende Möglichkeit verbleiben muss, mit diesem aus sachlich begründetem Anlass Kontakt aufzunehmen.473 Vor dem Hintergrund, dass es sich bei der berechtigten Wahrnehmung von Interessen um rechtlich anerkannte Interessen handeln muss, kann die wiederholte Kontaktaufnahme nur insoweit keine unzumutbare Belästigung darstellen, als es beispielsweise um die Absprache über den Verbleib bestimmter Gegenstände geht, an denen der ehemalige Partner ein absolutes oder relatives Recht hat.474 (4) Nachstellungsverhalten i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB Nach § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist es dem Täter untersagt, unbefugt einem anderen Menschen nachzustellen, indem er in beharrlicher Weise dessen räumliche Nähe aufsucht. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen hierunter alle physischen Annäherungen an das Opfer fallen wie beispielsweise das Auflauern, Verfolgen, sich Aufhalten vor dem Haus des Opfers oder eine sonstige häufige Präsenz in der Nähe der Wohnung oder der Arbeitsstelle des Opfers.475 Weiter soll nur das gezielte Aufsuchen der räumlichen Nähe zum Opfer von § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB umfasst sein, eine lediglich zufällige zeitgleiche Anwesenheit zu anderen Zwecken genüge demnach nicht.476 (a) Eindringen in die Wohnung, Geschäfts- oder Arbeitsräume Die Untersagung eines Verhalten i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB erscheint zumindest dann leicht begründbar, sofern der Täter die räumliche Nähe zum Opfer aufsucht, indem er gegen dessen Willen vorsätzlich in dessen Wohnung, Geschäfts- oder Arbeitsräume oder dessen befriedetes Besitztum eindringt. Bei Vor472 Siehe zur berechtigten Wahrnehmung rechtlich anerkannter Interessen im Rahmen des § 193 StGB S/S-Lenckner/Eisele, § 193 Rn. 8. 473 So zumindest Grziwotz, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, § 12 Rn. 115. 474 So etwa, wenn der Gegenstand in Allein- oder Miteigentum des ehemaligen Partners steht oder an diesem ein gemeinsames Mietrecht, so bspw. in Bezug auf die gemeinsame Wohnung, besteht. 475 Vgl. hierzu BT-Drs. 16/575, S. 7. 476 Wie beispielsweise das zufällige gemeinsame Warten an einer in der Nähe der Wohnung befindlichen Bushaltestelle oder das zufällige Aufeinandertreffen im Supermarkt, vgl. hierzu BT-Drs. 16/575, S. 7.

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liegen einer Wiederholungs- bzw. Erstbegehungsgefahr477 hat das Opfer hiergegen einen entsprechenden Unterlassungsanspruch nach §§ 823 Abs. 2, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB i.V. m. § 123 Abs. 1 StGB. Darüber hinaus kann das Opfer auch den Erlass einer entsprechenden Schutzanordnung auf der Grundlage des § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. a) GewSchG beantragen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Täter widerrechtlich und vorsätzlich in die Wohnung einer anderen Person oder deren befriedetes Besitztum eindringt.478 Entscheidend ist ein erfolgreiches Eindringen, der Versuch des Eindringens allein genügt nicht.479 (b) Aufsuchen der räumlichen Nähe in der Öffentlichkeit Deutlich schwieriger erscheint die Untersagung eines Nachstellungsverhaltens i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB mittels eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB jedoch dann, wenn der Täter die räumliche Nähe des Opfers im öffentlichen Raum – bspw. auf öffentlichen Straßen, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder auf öffentlichen Plätzen – aufsucht.480 Hierbei handelt es sich laut entsprechender Studien in Deutschland allerdings um eine der meist verbreiteten Handlungsweisen in Stalking-Fällen.481 Oftmals ist dieses Verhalten dadurch geprägt, dass der Täter dabei ein gezieltes Ansprechen der betroffenen Person auf der Straße unterlässt und vielmehr einen gewissen Mindestabstand hält.482 Dies gilt vor allem für Fälle, in denen sich das 477 Vgl. zu den Voraussetzungen Staudinger-BGB/Gursky, § 1004 Rn. 213 ff. vgl. zu den einzelnen Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs ferner v. Hutten, Der Unterlassungsanspruch, in: Götting/Schertz/Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, S. 738 ff. 478 MüKo-BGB/Krüger, GewSchG § 1 Rn. 15. 479 Siehe hierzu mit weiterem Nachweis MüKo-BGB/Krüger, GewSchG § 1 Rn. 16. 480 Das Aufsuchen räumlicher Nähe meint nach einhelliger Meinung auch die Kontaktaufnahme im öffentlichen Raum, bspw. auf öffentlichen Plätzen, im öffentlichen Personennahverkehr sowie auch in örtlichen Einkaufsmöglichkeiten, siehe hierzu Fischer, StGB, § 238 Rn. 12 ff.; Weinitschke, Stalking, S. 129 ff.; Wessels/Hettinger, Strafrecht Besonderer Teil I, Rn. 369c. 481 Siehe hierzu in Bezug auf die Verbreitung des Phänomens in Deutschland Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (17 f.); vgl. ferner Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 41. 482 In der Regel ist das Aufsuchen der räumlichen Nähe auch tatsächlich dadurch geprägt, dass es in einigem Abstand erfolgt und es zu keinem direkten Ansprechen des Opfers kommt, vgl. hierzu Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (17 f.). Entscheidend ist danach nur die Wahrnehmung durch das Opfer, siehe zu diesem Erfordernis die Ausführungen unter § 3 II. 2. e) aa) (2), sowie bei Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1032); Krüger, Stalking als Straftatbestand, in: Krüger (Hrsg.), Stalking als Straftatbestand, S. 81 (113); ders., NStZ 2010, 546 (549); Mitsch, NJW 2007, 1239 (1239); Gazeas, JR 2007, 497 (499); letztlich wohl auch Mosbacher, NStZ 2007, 665 (667); ablehnend dagegen S/S-Eisele, § 238 Rn. 8.

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Nachstellen darin erschöpft, dass der Täter in der Öffentlichkeit nur wenige Mal die räumliche Nähe zu dem Opfer aufsucht, es dabei aber nicht anspricht oder ihm physisch zu nahe kommt,483 das Opfer dieses Verhalten jedoch als bedrängend oder belästigend empfindet und infolge dessen seine Lebensgestaltung schwerwiegend umstellt. Hier erscheint bereits fraglich, ob das Opfer in seinem zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht überhaupt betroffen ist. In Betracht kann hier nur eine Verletzung der privaten Sphäre autonomer Lebensgestaltung kommen, die traditionell zu den Schutzgütern des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts zählt.484 Grundsätzlich greift allein das Beobachten einer Person und das Fixieren ihrer Gestalt und Bewegung außerhalb ihres Privatbereichs485 nicht in deren zivilrechtliches allgemeines Persönlichkeitsrecht ein, auch wenn dies gegen deren Willen geschieht.486 Da sich das Opfer in der Öffentlichkeit regelmäßig außerhalb eines Bereichs bewegt, der der Privatsphäre zuzuordnen ist, kommt dem Willen des Opfers im öffentlichen Raum nicht dieselbe Wirkung zu wie dies bspw. im Rahmen des § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB der Fall sein kann.487 Hier vermag die betroffene Person grundsätzlich kein Recht auf Ausschließlichkeit bzw. „Ausschließbarkeit“ für sich in Anspruch zu nehmen.488 Erschöpft sich demnach das Nachstellen darin, dass der Täter wenige Male die räumliche Nähe zu dem Opfer in 483 Das Aufsuchen räumlicher Nähe meint nach einhelliger Meinung auch die Kontaktaufnahme im öffentlichen Raum, bspw. auf öffentlichen Plätzen, im öffentlichen Personennahverkehr sowie auch in örtlichen Einkaufsmöglichkeiten, siehe hierzu Fischer, StGB, § 238 Rn. 12 ff.; Weinitschke, Stalking, S. 129 ff.; Wessels/Hettinger, Strafrecht Besonderer Teil I, Rn. 369c. 484 Siehe hierzu MüKo-BGB/Rixecker, Anhang zu § 12 Rn. 89. 485 Also außerhalb ihrer Wohnung, ihres befriedeten Besitztums oder außerhalb von damit im Zusammenhang stehenden Orten. Unter Umständen kann auch das Aufsuchen eines erkennbar abgeschiedenen Ortes trotz dessen Belegenheit in öffentlich zugänglichen Bereichen eine dem Privatbereich vergleichbare Wirkung zukommen oder zumindest einen Anhaltspunkt für eine „berechtigte Erwartung“ an den Schutz der Persönlichkeit darstellen, vgl. hierzu die Grundsatzentscheidung des EGMR, NJW 2004, 2647 (2650 f.) – Caroline von Hannover/Deutschland; vgl. auch BVerfGE 101, 361 (382 ff.) – Caroline I; BVerfG, NJW 2008, 1793 (1797 ff.) – Caroline II; ferner BGH, NJW 2011, 744 (745 f.). 486 Siehe hierzu MüKo-BGB/Rixecker, Anhang zu § 12 Rn. 94; vgl. ferner Wiese, FS Duden, S. 719 (728 f.). 487 Sofern der Täter nicht bereits straffällig geworden ist und/oder gegen ihn eine Schutzanordnung nach §§ 823 Abs. 1, 1004 I 2 BGB analog bzw. § 1 GewSchG erlassen wurde. 488 Gerade im öffentlichen Raum erweist sich damit das Unbefugtheitserfordernis als Abgrenzungskriterium für die Frage nach der Untersagung von Nachstellungshandlungen nach § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB als wenig effektiv. Darüber hinaus wäre ein Recht zum Ausschluss anderer im öffentlichen Raum auch schon deshalb fraglich, weil der betroffenen Person grundsätzlich Möglichkeiten des Ausweichens zur Verfügung stehen.

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der Öffentlichkeit aufsucht, es dabei aber nicht anspricht oder ihm physisch zu nahe kommt, stellt allein dieses Verhalten keinen widerrechtlichen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar. Dies gilt unabhängig davon, ob das Verhalten zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB führt. Hier ist bereits fraglich, ob das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht betroffen ist. Zumindest aber wird ein solches Nachstellen nach Art und Form sowie dem zugrundeliegenden Zweck und der Dauer des Verhaltens im Rahmen der Güter- und Interessenabwägung regelmäßig keine rechtlich zu missbilligende Form der Beeinflussung der Willensbildung und Willensbetätigung darstellen. Ein solches Verhalten des Täters ist also nicht als missbilligenswerter psychischer Druck oder Zwang auf das Opfer anzusehen. Somit lässt es sich auch nicht mittels eines hiergegen gerichteten zivilrechtlichen Unterlassensanspruchs nach § 823 Abs. 1 i.V. m. § 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB untersagen. (aa) Allgemeine Vorgaben für die Untersagung des Aufsuchens der räumlichen Nähe in der Öffentlichkeit Fehlt es für die Untersagung eines Nachstellens, das sich darin erschöpft, dass der Täter wenige Male die räumliche Nähe zu dem Opfer in der Öffentlichkeit aufsucht, es dabei aber nicht anspricht oder ihm physisch zu nahe kommt, an entsprechenden Vorgaben des Gesetzgebers oder der Rechtsprechung, ist zu überlegen, ob im Rahmen einer allgemeinen Interessen- und Güterabwägung nicht auf generelle normative Grundsätze zurückgegriffen werden kann. Hierzu sind die jeweilige Inanspruchnahme von Rechten bzw. rechtlichen Freiheiten der beteiligten Personen und das Rechtsverhältnis zwischen beiden Beteiligten näher zu untersuchen. Die Überlegungen können anhand eines Beispiels verdeutlicht werden: Sucht der Täter auf öffentlichen Straßen oder öffentlichen Plätzen die Nähe zum Opfer auf, ohne dass er es anspricht oder ihm physisch zu nahe kommt, bewegt er sich grundsätzlich im Rahmen seines subjektiven öffentlichen Rechts auf gleichmäßige Teilnahme an der Nutzung der Straße nach den Vorschriften des entsprechenden Straßen- und Wegegesetzes (sog. Gemeingebrauch).489 Danach ist innerhalb der verkehrsüblichen Grenzen jedermann der Gebrauch der öffentlichen 489 Straßen- bzw. Wegerecht ist grundsätzlich Landesrecht. Siehe zu den einzelnen landesrechtlichen Vorschriften betreffend den Gemeingebrauch im Rahmen der Widmung §§ 13 Abs. 1, 2 Abs. 1, 5 Abs. 1 StrG BW; §§ 14 Abs. 1, 6 Abs. 1 BbgStrG; §§ 14 Abs. 1, 6 Abs. 1 BerlStrG; Artt. 14 Abs. 1, 6 Abs. 1 BayStrWG; §§ 15 Abs. 1, 5 Abs. 1 BremLStrG; §§ 16 Abs. 1, 6 Abs. 1 HWG; §§ 14, 4 Abs. 1 HStrG; §§ 21 Abs. 1, 7 Abs. 1 StrWG-MV; §§ 14 Abs. 1, 6 Abs. 1 NStrG; §§ 14 Abs. 1, 6 Abs. 1 StrWG-NRW; § 34 Abs. 1 LStrG-RP; §§ 14 Abs. 1, 6 Abs. 1 saarl. StrG; §§ 14 Abs. 1, 6 Abs. 1 StrG LSA; §§ 20 Abs. 1, 6 Abs. 1 StrWG-SH; §§ 14 Abs. 1, 6 Abs. 1 ThürStrG; §§ 14 Abs. 1, 6 Abs. 1 SächsStrG. Im Folgenden soll nur auf das Landesrecht Baden-Württemberg abgestellt werden.

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Straßen, hierzu zählen auch öffentliche Plätze und Fußgängerzonen, im Rahmen der Widmung und der Straßenverkehrsvorschriften gestattet.490 Dieses subjektive öffentliche Recht unterliegt als Ausfluss der persönlichen Entfaltung dem grundrechtlichen Schutz nach Art. 2 Abs. 1 GG.491 Vom Gemeingebrauch erfasst ist auch der sog. kommunikative Verkehr, der dem Fußgänger nicht nur jedes Fortbewegen, sondern auch das kurzeitige Verweilen, Niederlassen auf Bänken usw. erlaubt.492 Sucht der Täter demnach die räumliche Nähe zum Opfer im öffentlichen Raum auf, bewegt er sich grundsätzlich innerhalb seines ihm zustehenden straßenrechtlichen Rechts und damit innerhalb der ihm rechtlich zugestandenen Freiheiten. Etwas anderes kann jedoch dann gelten, wenn der Täter sein Recht nicht dazu gebraucht, seine eigene rechtlich geschützte Freiheit zu entfalten, sondern bewusst zweckentfremdet, um die Freiheit des anderen einzuschränken.493 Das Rekurrieren des Täters auf die ihm grundsätzlich erlaubte Nutzung des öffentlichen Raums innerhalb des straßenrechtlichen Gemeingebrauchs würde eine unzulässige Rechtsausübung darstellen.494 In einem solchen Fall ist das Verhalten des Täters nicht mehr von seiner allgemeinen Handlungsfreiheit gedeckt. Fraglich ist allerdings, wann im Allgemein von einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten auszugehen ist und ob sich hieraus Grundsätze für eine allgemeine Güter- und Interessenabwägung zur Untersagung eines Nachstellens i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB herleiten lassen. Eine zentrale Vorschrift hierzu stellt § 242 BGB dar.495 Hiernach handelt rechtsmissbräuchlich, wer ein ihm zustehendes 490 Hierzu und zur Begründung des subjektiven öffentlichen Rechts vgl. Lorenz/Will, Hk-StrG BW, § 13 Rn. 10; Stahlhut, Der schlichte Gemeingebrauch, in: Kodal (Hrsg.), Straßenrecht, Kap. 25 Rn. 14 f.; 43 f. 491 Vgl. hierzu BVerwG, NJW 1969, 284 (285); NJW 1975, 357 (357 f.). 492 Vgl. Lorenz/Will, Hk-StrG BW, § 13 Rn. 16 ff., insbes. 24 ff. 493 Vgl. entsprechend das sog. Schikane-Verbot nach § 226 BGB. Zur bewussten Zweckentfremdung als Haupterscheinungsfall des Rechtsmissbrauchs vgl. bereits Hager, Abhandlungen zum Privatrecht und Zivilprozeß des Deutschen Reiches 26 (1913), S. 1 (13); vgl. ferner allgemein zu den Grundlagen und der Entstehungsgeschichte der Figur des Rechtsmissbrauchs Haferkamp, Die heutige Rechtsmißbrauchslehre – Ergebnis nationalsozialistischen Rechtsdenkens?, S. 20 ff. 494 Allgemein zu den Rechtsfolgen eines Rechtsmissbrauchs siehe etwa StaudingerBGB/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 226. Zu bedenken ist dabei, dass der öffentlichrechtliche Gemeingebrauch als der jedermann gestattete Gebrauch einer Straße im Rahmen der Widmung und der Verkehrsvorschriften einem Rekurs auf das v. a. im Zivilrecht ausgebildete Institut des Rechtsmissbrauchs nicht entgegensteht, da ersteres auf einer rechtlich anderen Ebene liegt und zivilrechtlichen Ansprüchen nicht entgegengesetzt werden kann. Das nach den Regeln des Gemeingebrauchs öffentlichrechtlich Erlaubte kann deshalb durchaus zivilrechtlich untersagt werden, siehe hierzu OLG Stuttgart, NJW 1988, 1270. 495 Weitere Vorschriften, die den Rechtsmissbrauchsgedanken spezialisieren, sind etwa §§ 826, 226 BGB, vgl. hierzu auch Haferkamp, Die heutige Rechtsmißbrauchslehre – Ergebnis nationalsozialistischen Rechtsdenkens?, S. 15; zum Verhältnis der einzelnen Vorschriften vgl. MüKo-BGB/Roth, § 242 Rn. 211. Dabei kann dahinstehen, dass die typischen Fälle der unzulässigen Rechtsausübung eine Sonderbeziehung vo-

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Recht bewusst zur Schädigung der Gegenpartei zweckentfremdet oder wer ein ihm zustehendes Recht ausübt, das aus anderen Gründen dem Gebot von Treu und Glauben widerspricht.496 Exkurs: Rechtsmissbräuchliches Verhalten Grundsätzlich sind nach der Lehre von der unzulässigen Rechtsausübung zwei Kategorien von Rechtsmissbrauch zu unterscheiden.497 Danach liegt ein sog. individueller Missbrauch vor, wenn die Ausübung eines Rechts nach Abwägung im Einzelfall gegen Treu und Glauben verstößt.498 Davon zu unterscheiden ist der sog. institutionelle Missbrauch, bei dem die Rechtsfolgen eines Rechtsinstituts deshalb zurücktreten müssen, weil es sonst zu schlechthin untragbaren Ergebnissen kommen würde.499 In beiden Fällen bedarf es für eine entsprechende Unzulässigkeitsentscheidung einer sorgfältigen Abwägung der beteiligten Interessen, die es als untragbar erscheinen lässt, das aus der Gesetzesanwendung folgende Resultat zu akzeptieren.500 Während sich im Rahmen des institutionellen Missbrauchs der Rechtsmissbrauch bereits aus dem entgegenstehenden Sinn und Zweck des Rechtsinstituts herleiten lässt, resultiert der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs im Rahmen des individuellen Missbrauchs hingegen aus dem individuellen Verhalten des Beteiligten in Bezug auf die konkrete Rechtsausübung.501 Einen typischen Fall von individuellem Missbrauch stellt die missbilligte Rechtsausübung als solche dar.502 Diese kann darin gesehen werden, dass die Rechtsausübung entweder der Art oder den Begleitumständen nach ungehörig ist raussetzen, etwa im Rahmen eines bestehenden Schuldverhältnisses. Die entsprechende Existenz eines Rechtsverhältnisses ist nicht notwendige Voraussetzung für die Anwendung der Grundsätze des Rechtsmissbrauchs, siehe zu diesem Aspekt MüKo-BGB/ Roth, § 242 Rn. 193. 496 Siehe Staudinger-BGB/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 218 mit weiteren Nachweisen. 497 Siehe hierzu MüKo-BGB/Roth, § 242 Rn. 185; Staudinger-BGB/Looschelders/ Olzen, § 242 Rn. 218. 498 Siehe hierzu MüKo-BGB/Roth, § 242 Rn. 185; Staudinger-BGB/Looschelders/ Olzen, § 242 Rn. 218. 499 Siehe hierzu MüKo-BGB/Roth, § 242 Rn. 185; Staudinger-BGB/Looschelders/ Olzen, § 242 Rn. 218. 500 So Staudinger-BGB/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 220. Ein grundsätzlicher Unterschied ist jedoch darin zu sehen, dass im Falle des institutionellen Missbrauchs eine mehr oder minder generalisierende Interessenabwägung stattzufinden hat, vgl. hierzu MüKo-BGB/Roth, § 242 Rn. 185. 501 Siehe hierzu Staudinger-BGB/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 218; MüKo-BGB/ Roth, § 242 Rn. 185. 502 Siehe hierzu MüKo-BGB/Roth, § 242 Rn. 211. Zu den anderen Gruppen missbilligenswürdiger Rechtsausübung bspw. wegen des entgegenstehenden früheren Verhaltens oder wegen des mangelnden korrespondierenden Verhaltens siehe MüKo-BGB/ Roth, § 242 Rn. 217 ff.

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oder weil sie anderweitige Pflichten verletzt.503 Darüber hinaus ist die Rechtsausübung zu missbilligen, wenn ihr gar kein schutzwürdiges Interesse des Ausübenden zugrunde liegt und der einzig „sinnstiftende“ Grund in der Benachteiligung des Betroffenen liegt.504 Neben der Würdigung objektiver Gesichtspunkte der Schutzwürdigkeit des jeweiligen Interesses kommt dabei einer wertenden Gesamtbetrachtung entscheidende Bedeutung zu. In deren Rahmen können vor allem auch subjektive Elemente – wie etwa die Frage nach dem Verschulden, der Gesinnung bzw. der Absicht des Handelnden – eine Rolle spielen.505 Dabei ist der Übergang zu einer weiteren Fallgruppe des individuellen Missbrauchs fließend, bei der allein ein Interessenungleichgewicht ausschlaggebend sein soll.506 Die Annahme eines individuellen Missbrauchs setzt dabei jedoch eine Interessenabwägung im Einzelfall voraus; hierbei kann ein Missbrauch nur in Fällen mit einem schlechthin untragbaren Ergebnis infrage kommen.507 *** Vor diesem Hintergrund lässt sich in Bezug auf die allgemeine Güter- und Interessenabwägung zur Untersagung eines Nachstellens, bei dem der Täter die räumliche Nähe des Opfers nur wenige Male und ohne ein direktes Ansprechen oder konkrete körperliche Annäherung aufsucht, folgende Aussage treffen: Stellt der Täter dem Opfer nach, ohne dass sein Verhalten grundsätzlich als ein widerrechtlicher Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Opfers erscheint, ist sein Verhalten zumindest dann nicht mehr von seiner allgemeinen Handlungsfreiheit gedeckt, wenn es ihm gerade darum geht, durch die Wahrnehmung seines Freiheitsrechts das Opfer in der Ausübung dessen Freiheit zu beeinträchtigen. Hier wird das eigentliche Freiheitsrecht des Täters gezielt von diesem zweckentfremdet, um die Freiheit des Opfers zu beeinträchtigen. In diesem Fall ist auch das Interesse des Täters an der Wahrnehmung seines Freiheitsrechts nicht schutzwürdig. Von einem rechtsmissbräuchlichen und demnach einem rechtlich missbilligten Verhalten ist also vor allem in Fällen des Rache suchenden Stalkers auszugehen.508 Dagegen ist fraglich, ob sich der Gedanke des Rechtsmissbrauchs auch auf Konstellationen übertragen lässt, in welchen es der Täter gerade nicht darauf an503

MüKo-BGB/Roth, § 242 Rn. 211. MüKo-BGB/Roth, § 242 Rn. 211. 505 Vgl. MüKo-BGB/Roth, § 242 Rn. 186 ff., 211. 506 Siehe MüKo-BGB/Roth, § 242 Rn. 371; vgl. ferner Staudinger-BGB/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 223. 507 Vgl. MüKo-BGB/Roth, § 242 Rn. 371; ferner Staudinger-BGB/Looschelders/Olzen, § 242 Rn. 223. 508 Siehe zu dieser Fallgruppe Dreßing, Aktueller Forschungsstand, in: Dreßing/Gass (Hrsg.), Stalking!, S. 11 (28 ff.); ferner auch Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 16. 504

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legt, die Freiheit des Opfers zu beeinträchtigen. Dies wird regelmäßig bei sog. liebesbedingten Stalkern der Fall sein.509 Hier stellt der Täter dem Opfer nach, indem er beharrlich dessen Nähe aufsucht, weil er sich bspw. zu ihm hingezogen fühlt und immer „in dessen Nähe“ sein möchte. Der Täter verfolgt dabei dem Opfer gegenüber (vermeintlich) nur positive Absichten und handelt grundsätzlich nicht in dem Willen, die Freiheiten des anderen zu beeinträchtigen. Hier liegt eine bewusste Zweckentfremdung eher fern. Sofern demnach der Täter wenige Male die Nähe des Opfers in der Öffentlichkeit aufsucht, ohne es dabei anzusprechen oder ihm körperlich zu nahe zu kommen, und es dem Täter – selbst wenn er die möglichen Folgen seitens des Opfers erkannt hat – dabei gerade nicht darauf ankommt, die Freiheitssphäre des Opfers zu beeinträchtigen, erscheint ein solches Verhalten grundsätzlich nicht rechtsmissbräuchlich und ist demnach nicht rechtlich missbilligt. An dieser Stelle sind jedoch auch praktische Erwägungen anzustellen. In einem zivilgerichtlichen Verfahren, das die Untersagung eines solchen Verhaltens nach § 823 Abs. 1 i.V. m. § 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGBG zum Gegenstand hat, trägt die Beweislast für das Vorliegen eines solchen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der Anspruchssteller – und damit das Opfer.510 Regelmäßig wird es schwierig sein, eine solche rechtsmissbräuchliche Absicht des Täters nachzuweisen. Der rechtsmissbräuchliche Charakter wird sich in der Regel aus dem Gesamtverhalten des Täters ergeben. In diesem Rahmen wird ein hoher Grad an Wiederholung die Rechtsmissbräuchlichkeit des Verhaltens indizieren. (bb) Unzumutbare Belästigung i. S. d. § 1 Abs. 2 GewSchG Eine gesetzliche Regelung zur Untersagung des Nachstellens, bei dem der Täter die räumliche Nähe zu dem Opfer in der Öffentlichkeit aufsucht, besteht auf zivilrechtlicher Ebene für den Fall, in welchem das Verhalten des Täters eine unzumutbare Belästigung des Opfers darstellt. Nach § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) Var. 1 GewSchG kann eine gerichtliche Schutzanordnung erlassen werden, wenn eine Person widerrechtlich und vorsätzlich eine andere Person dadurch unzumutbar belästigt, dass er ihr gegen den ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt. Ein Nachstellen i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) Var. 1 GewSchG erfasst dabei auch das Aufsuchen der räumlichen Nähe zum Opfer.511 509 Diese Gruppe von Stalkern stellt den Statistiken zufolge eine durchaus große Zahl dar, unabhängig davon, ob der Stalker ein Fremder, Bekannter oder etwa ehemaliger Beziehungspartner ist, vgl. ferner auch Voß/Hoffmann/Wondrak, Stalking in Deutschland, S. 68 ff. 510 Siehe hierzu auch Weinitschke, Rechtsschutz gegen Stalking de lege lata et ferenda, S. 61. 511 Vgl. BT-Drs. 14/5429, S. 29; Grziwotz, NJW 2002, 872 (873); Kaboth, ZUM 2003, 342 (345).

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Voraussetzung für den Erlass einer Schutzanordnung ist zunächst, dass der Täter in Bezug auf die unzumutbare Belästigung vorsätzlich handelt, er muss also zumindest um die Möglichkeit der unzumutbaren belästigenden Wirkung seines Verhaltens gewusst haben. Ferner muss der Täter dem Opfer gegen dessen ausdrücklich erklärten Willen nachstellen;512 eine solche Erklärung soll jedoch entbehrlich sein, wenn sich bereits aus der Natur der Störung der reine Belästigungscharakter des Verhaltens ergibt.513 Wann von einer unzumutbaren Belästigung des Opfers auszugehen ist, hängt nicht von dem jeweiligen Empfinden des Opfers ab, sondern ist der Entscheidung durch den Richter vorbehalten. Der Gesetzgeber nennt im Rahmen der Gesetzesbegründung als Beispiele für ein tatbestandliches Verhalten die wiederholte Überwachung und das Beobachten der betroffenen Person, die ständige demonstrative Anwesenheit des Täters in der Nähe der Person, die ständige Verfolgung oder Annäherung an die betroffene Person.514 Es muss sich demnach um ein Verhalten handeln, das bezüglich seines Unwertgehalts vor allem durch den gesteigerten Grad an Wiederholung gekennzeichnet ist. Das Merkmal der Unzumutbarkeit ist wiederum – genau wie im Rahmen des § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) Var. 2 GewSchG – normativ zu bestimmen und damit nicht von der individuellen Empfindsamkeit des Opfers abhängig.515 Eine solche Auslegung des Tatbestandsmerkmals findet auch Stütze innerhalb der Rechtsprechung, nach der das GewSchG „keine Rechtsgrundlage für beliebige Maßnahmen aus einem allgemeinen Gefühl der Verfolgung heraus“ 516 sein soll. Es muss sich demnach bei einem Nachstellen i. S. d. § 1 Abs. 2 S.1 Nr. 2 lit. b) Var. 1 GewSchG um ein beständiges Aufsuchen der räumlichen Nähe handeln, in dessen Rahmen der hohe Grad an Wiederholung des Aufsuchens gerade die Unzumutbarkeit der Belästigung indiziert. Eine unzumutbare Belästigung kommt gemäß § 1 Abs. 2 S. 2 GewSchG allerdings nicht in Betracht, wenn die Handlung der Wahrnehmung berechtigter Interessen dient. Hierfür ist wiederum auf die zu § 193 StGB entwickelten Grund-

512 Siehe hierzu auch den Beschluss des OLG Brandenburg vom 12.10.2005 (Az.: 9 UF 137/05). 513 So etwa der Beschluss des LG Oldenburg vom 04.09.2007 (Az.: 5 T 874/07). 514 So BT-Drs. 14/5429, S. 29. 515 Dafür spricht zudem, dass § 1 Abs. 2 GewSchG eine besondere Regelung des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt, in deren Rahmen die Rechtswidrigkeit erst im Wege einer Güter- und Interessensabwägung zu ermitteln ist, bei der auch das Handlungsunrecht und dabei insbesondere die Art und Form der Eingriffshandlung und die Interessen des Eingreifenden Berücksichtigung finden müssen. Ausführlich hierzu Ehmann, FS Georgiades, S. 113 (143 f.). 516 So die Ausführungen des LG Oldenburg in seinem Beschluss vom 04.09.2007 (Az.: 5 T 874/07).

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sätze zurückzugreifen, nach denen es vor allem darauf ankommt, ob der Täter in berechtigter Wahrnehmung rechtlich anerkannter Interessen handelt.517 Obgleich es sich bei § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) Var. 1 GewSchG lediglich um eine Verfahrensvorschrift handelt,518 soll diese Vorschrift nach dem Willen des Gesetzgebers eine spezielle Regelung zum Schutz des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen.519 Die entsprechende Schutzanordnung ergeht auf der materiell-rechtlichen Grundlage des allgemeinen Unterlassungsanspruchs nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB. Demnach ist auch hier die Rechtswidrigkeit des Verhaltens im Rahmen einer Güter- und Interessenabwägung zu bestimmen. Soweit das zuständige Gericht jedoch bereits festgestellt hat, dass es sich um eine nach normativen Maßstäben zu bestimmende unzumutbare Belästigung handelt, wird es regelmäßig zu dem Ergebnis kommen, dass mit der Unzumutbarkeit der Belästigung zugleich ein widerrechtlicher Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vorliegt.520 (5) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass ein Nachstellungsverhalten i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 StGB – zumindest bei Vorliegen einer Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr – schon allein aufgrund des Verhaltens Gegenstand eines hiergegen gerichteten zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB sein kann. Es kommt also nicht einmal darauf an, ob ein solches Nachstellungsverhalten tatsächlich zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung auf Seiten des Opfers führt. Etwas anderes gilt hingegen für Verhaltensweisen, die dem Wortlaut des § 238 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB unterfallen. Diese Verhaltensweisen sind nicht ohne Weiteres im Wege eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB zu untersagen und entsprechend zugleich rechtlich missbilligt. In Betracht kommen hierbei insbesondere Fälle, in denen der Täter nur wenige Male gegen den Willen des Opfers dessen räumliche Nähe in der Öffentlichkeit aufsucht, ohne es dabei anzusprechen oder körperlich zu bedrängen. Obgleich ein solches Verhalten dem Wortlaut des § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB unterfällt, kann es – sofern man die Erfolgsgeeignetheit des Verhaltens und das tatsächliche Bewirken der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensge517 Siehe zu diesem Aspekt im Rahmen des § 193 StGB S/S-Lenckner/Eisele, § 193 Rn. 8. 518 Zur Ausgestaltung als verfahrensrechtliche Rechtsgrundlage BT-Drs. 14/5429, S. 17 f. Kritisch vor allem in Bezug auf § 1 Abs. 1 GewSchG Kraus, Zivilrechtlicher Schutz gegen Nachstellen, S. 28 ff., insbes. 34. 519 Vgl. hierzu BT-Drs. 14/5429, S. 18 f.; vgl. auch Palandt/Brudermüller, GewSchG § 1 Rn. 4. 520 Vgl. hierzu auch Kaboth, ZUM 2003, 342 (344 f.).

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staltung außer Acht lässt – für sich genommen nicht mittels eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB untersagt werden. Dies kann letztlich auch für den Fall gelten, dass ein solches Nachstellungsverhalten auf Seiten des Opfers zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung führt. Denn für die Bestimmung eines widerrechtlichen Eingriffs in das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht aufgrund einer Verletzung der Willensbildung und Willensbetätigung kommt es auf die Feststellung eines rechtlich missbilligten Eingriffs in die Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers an.521 Diese Feststellung muss letztlich das Ergebnis einer Interessen- und Güterabwägung sein. Neben der Schwere und Folge des Nachstellungsverhaltens spielen dabei insbesondere die Art und Form des Nachstellungsverhaltens, sowie der Zweck und die Dauer des Verhaltens eine gewichtige Rolle. Sofern aber bereits das bloße Nachstellungsverhalten nicht im Wege eines Unterlassungsanspruchs nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB zu untersagen ist, kann es sich dabei regelmäßig nicht um einen rechtlich unzulässigen – und letzten Endes widerrechtlichen – Eingriff in die Willensbildung und Willensbetätigung als Teil des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts handeln. Die Interessen- und Güterabwägung wird demnach in der Regel zu Ungunsten des Opfers ausfallen. Insoweit hat das Opfer ein solches Nachstellungsverhalten hinzunehmen, vor dem es bereits nur in Hinblick auf das Verhalten als solches im Allgemeinen nicht das Recht in Anspruch nehmen kann, verschont zu bleiben. Etwas anderes kann dagegen gelten, wenn man für eine Untersagung des Verhaltens an allgemeine rechtliche Erwägungen – etwa an den Gedanken rechtsmissbräuchlichen Verhaltens – anknüpft. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Täter das Verhalten in dem Bewusstsein und ausschließlich zu dem Zweck vornimmt, das Opfer zu einer schwerwiegenden Veränderung der Lebensgestaltung zu drängen und das Bewirken des Taterfolgs i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB auch Folge einer (psychischen) Pression auf das Opfer ist. In einem solchen Fall wird die Interessen- und Güterabwägung in der Regel zu Ungunsten des Täters ausfallen. Eine ausdrückliche und allgemein gültige gesetzliche Regelung für die Untersagung von Verhaltensweisen i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB besteht jedoch für Konstellationen, in denen der Täter die räumliche Nähe zum Opfer derart häufig aufsucht, dass seine ständige demonstrative Anwesenheit eine unzumutbare Belästigung darstellt. Hiergegen kommt der Erlass einer Schutzanordnung nach § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) Var. 1 GewSchG in Betracht. Der Gesetzgeber hat mit § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) GewSchG den Schutz wichtiger Teilbereiche des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verfahrensrechtlich normiert und damit zugleich positiv-rechtlich zum Ausdruck gebracht, wann im Rahmen einer Güter- und In521

Siehe hierzu § 4 B. I. 3. a) aa).

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§ 4, B. Legitimität des Nachstellungstatbestandes

teressenabwägung für die Bestimmung eines widerrechtlichen Eingriffs in das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht den Freiheitsrechten des Betroffenen der Vorzug zu geben ist. Danach muss das Nachstellungsverhalten eine nach normativen Gesichtspunkten zu bestimmende unzumutbare Belästigung darstellen. Dabei soll gerade der hohe Grad an Wiederholung die Unzumutbarkeit der Belästigung indizieren.522 Ähnliches gilt auch für die Untersagung von Verhaltensweisen i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Zwar ist bereits die bloße Wiederholung einer Kontaktaufnahme gegen den Willen des Opfers ein widerrechtlicher Eingriff in das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht i. S. e. sonstigen Rechts nach § 823 Abs. 1 BGB. Dies gilt zumindest dann, wenn der Wille des Einzelnen persönlichkeitsrechtlich relevant ist, das von Seiten des Opfers ausgesprochene Kontaktverbot kein rechtsmissbräuchliches Verhalten darstellt oder der Täter nicht in Wahrnehmung berechtigter Interessen handelt. Allerdings wird es in der Regel einer Vielzahl von solchen Handlungen bedürfen, um einen hiergegen gerichteten globalen Unterlassungsanspruch nach § 823 Abs. 1 i.V. m. § 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB zu begründen. Denn erst aus einer Vielzahl einzelner Kontaktaufnahmen lässt sich ein umfassender Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht des Opfers herauslesen.523 Vor diesem Hintergrund ist auch die Norm des § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) Var. 2 GewSchG zu verstehen. Danach muss das Verhalten, um Gegenstand einer hiergegen gerichteten gerichtlichen Schutzanordnung sein zu können, eine unzumutbare Belästigung darstellen. Wiederum ist hierbei die Frage nach der Unzumutbarkeit der Belästigung nicht anhand des Opferempfindens, sondern anhand normativer Erwägungen zu bestimmen. In der Regel sind für den Erlass eines umfassenden Kontaktverbots nach § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) Var. 2 GewSchG aber – dies macht der Wortlaut (verfolgt) deutlich – an den Grad der Wiederholung hohe Anforderungen zu stellen. Festgehalten werden kann darüber hinaus noch ein anderes: Für die Untersagung des Nachstellungsverhaltens im Wege eines Unterlassungsanspruchs nach §§ 823 Abs. 1 i.V. m. § 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB kommt dem entgegenstehenden Willen des Opfers – und damit dem Merkmal der Unbefugtheit i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB – innerhalb der einzelnen Verhaltensweisen der § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 StGB jeweils unterschiedliche Bedeutung zu. So ist der entgegenstehende Wille des Opfers bspw. im Rahmen eines Verhaltens nach § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB nahezu ausschließlich entscheidend dafür, ob das Verhalten in das personale Selbstbestimmungsrecht als Ausschnitt des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingreift oder nicht. Sofern der Wille des Opfers per-

522 Dies legen zumindest die Beispiele des Gesetzgebers für eine unzumutbare Belästigung nahe, siehe hierzu BT-Drs. 14/5429, S. 29. 523 Vgl. hierzu den Beschluss des LG Oldenburg vom 04.07.2007 (Az.: 5 T 874/07).

I. Legitimität der Verhaltensnorm

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sönlichkeitsrechtlich524 relevant ist, das von Seiten des Opfers ausgesprochene Kontaktverbot kein rechtsmissbräuchliches Verhalten darstellt oder der Täter in Wahrnehmung berechtigter Interessen handelt, kann das Opfer entscheiden, ob und in welchem Umfang es in Kontakt mit anderen Menschen treten möchte.525 Von untergeordneter Rolle ist der Wille des Opfers dagegen dann, wenn der Täter dem Opfer i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB wiederholt nachstellt, indem er die räumliche Nähe zu dem Opfer in der Öffentlichkeit aufsucht, ohne es anzusprechen oder ihm psychisch zu nahe zu kommen. Sofern das Verhalten des Täters nicht eine nach normativen Gesichtspunkten zu bestimmende unzumutbare Belästigung ist, vermag der Wille des Opfers gerade keinen Anspruch auf Ausschließlichkeit begründen. Einhergehend mit dieser Erkenntnis ist festzuhalten, dass bereits aus zivilrechtlicher Sicht für die Untersagung eines Nachstellungsverhaltens i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB auch an den entsprechenden Wiederholungsgrad – und damit an das Merkmal der Beharrlichkeit i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB – innerhalb der einzelnen Verhaltensweisen der § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 StGB unterschiedliche Anforderungen zu stellen sind. Diese stehen in enger Abhängigkeit zu der Frage, ob der entgegenstehende Wille des Opfers einen Anspruch auf Ausschließlichkeit begründen kann oder nicht. Bedeutung hat dies insbesondere für Fälle des § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB, in denen der Täter wiederholt gegen den Willen des Opfers seine räumliche Nähe in der Öffentlichkeit aufsucht, ohne es dabei anzusprechen oder ihm körperlich zu nahe zu kommen. In solchen Fällen bedarf es für die zivilrechtliche Untersagung des Verhaltens trotz des Eintritts einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung zumindest eines so hohen Grades an Wiederholungen, dass von einer – normativ zu bestimmenden – unzumutbaren Belästigung des Verhaltens auszugehen ist. Die Merkmale der Unbefugtheit und der Beharrlichkeit erweisen sich demnach für die Frage nach der Untersagung allein des Nachstellungsverhaltens und des524 Dies ist dann der Fall, wenn der Wille sich auf die entsprechende Person oder auf solche Angelegenheiten bezieht, die aufgrund der Persönlichkeitsnähe unmittelbar mit der Person verbunden sind. Siehe zu diesem Aspekt Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 249. 525 Grundlegend hierzu LG Oldenburg, NJW 1996, 62 (63). Dabei handelt es sich um eine Weiterentwicklung der bisherigen Rechtsprechung zum Schutz vor Brief- und Telefonwerbung. Die in diesem Zusammenhang aufgestellten Grundsätze, nach denen der Wille der Person, zu Hause nicht weiter wegen etwaiger Angebote kontaktiert zu werden, grundsätzlich dem Interesse des Werbenden vorgeht, solange es an einem Einverständnis des Kontaktierten zu einer solchen Kontaktaufnahme fehlt, wurden nunmehr vom LG Oldenburg auch auf die Konstellation zweier Privatpersonen übertragen. Zu den vorstehend benannten Grundsätzen siehe BGHZ 60, 296 (299 f.); 106, 229 (232 ff.); OLG Hamburg, NJW 1991, 2914 (2914); OLG Karlsruhe, NJW-RR 1990, 244 (244); BVerwG, NJW 1989, 2409 (2409 ff.). Dabei ist zu beachten, dass diese Grundsätze letztlich aufgrund des Rahmencharakters des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts Ergebnisse einer Güter- und Interessenabwägung sind.

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§ 4, B. Legitimität des Nachstellungstatbestandes

sen Verhaltensunwert vor allem in Bezug auf das sog. milde Stalking526 gleichsam als „Stellschrauben“. 4. Erkenntnisse für die Legitimität der dem Nachstellungstatbestand zugrundeliegenden Verhaltensnorm

Der Blick auf die vorstrafrechtliche Rechtsordnung hat gezeigt, dass sich Anhaltspunkte für die Untersagung eines Nachstellungsverhaltens i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB bereits aus gesetzgeberischen Entscheidungen und richterrechtlich entwickelten Grundsätzen aus dem Bereich des Zivilrechts entnehmen lassen. Ein Nachstellungsverhalten i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB kann aufgrund einer Verletzung der Willensbildung und Willensbetätigung als Teil des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das als sonstiges Recht i. R. d. § 823 Abs. 1 BGB geschützt wird, im Rahmen eines hiergegen gerichteten Unterlassungsanspruchs nach §§ 823 Abs. 1 i.V. m. § 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB untersagt werden. Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen einer Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr. Das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht und insbesondere die Konturierung seines Schutzumfangs beruhen maßgeblich auf richterlicher Rechtsfortbildung.527 Das Persönlichkeitsrecht wird dabei i. R. d. § 823 Abs. 1 BGB als sog. Rahmenrecht geschützt. Demnach indiziert die Verletzung des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht zugleich die Rechtswidrigkeit des verletzenden Verhaltens.528 Vielmehr ist die Rechtswidrigbzw. Widerrechtlichkeit des infrage stehenden Verhaltens im Wege einer Güterund Interessensabwägung zu ermitteln,529 für die auch das konkrete Täterverhalten und dabei insbesondere die Art und Form der Eingriffshandlung sowie der Zweck und die Dauer des Verhaltens eine gewichtige Rolle spielen.530 Danach ist von einer widerrechtlichen Verletzung des zivilrechtlichen allgemeinen Persön526 Hierunter sind diejenigen Verhaltensweisen zu verstehen, die in § 238 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB normiert sind, vgl. zu dieser Einteilung auch Löbmann, MschKrim 2002, 25 (25 f.). 527 Siehe zu den einzelnen durch die Rechtsprechung mittlerweile entwickelten Fallgruppen Ehmann, FS Georgiades, S. 113 (145 ff.); MüKo-BGB/Rixecker, Anhang zu § 12 Rn. 8 ff.; Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 207 ff.; Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 175 ff. 528 Vgl. MüKo-BGB/Rixecker, Anhang zu § 12 Rn. 9; Götting, Grundlagen des Persönlichkeitsrechts, in: Götting/Schertz/Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, S. 1 (3 f.); Ehmann, JURA 2011, 437 (438). 529 Siehe hierzu auch Ehmann, JURA 2011, 437 (443): „Das offene Rahmenrecht des APR kann daher verstanden werden als eine Art Selbstermächtigung der Rechtsprechung, die es ermöglicht, in offener Wertung der im Spiele befindlichen Interessen einen Fall so zu entscheiden wie der Gesetzgeber ihn entschieden hätte, wenn er das Problem des Falles durch einen Rechtsatz hätte regeln müssen.“ 530 Zudem ist die soziale oder persönliche Nützlichkeit der gefährdenden Handlung zur Wahrscheinlichkeit und Größe des erwarteten Nachteils in Beziehung zu setzen.

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lichkeitsrechts i. S. e. sonstigen Rechts nach § 823 Abs. 1 BGB in der Regel erst dann auszugehen, wenn der Täter durch das Nachstellungsverhalten die Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers in rechtlich missbilligter Weise beeinflusst. Dies ist bei Verhaltensweisen i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 StGB ohne Weiteres der Fall. Bedeutung hat dies jedoch insbesondere dort, wo eine solche Güter- und Interessenabwägung zur Bestimmung des widerrechtlichen Eingriffs in das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht per se zu Ungunsten des Täters ausfällt. So etwa dann, wenn allein das Nachstellungsverhalten – ungeachtet der Erfolgsgeeignetheit des Verhaltens und des tatsächlichen Bewirkens einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung – bereits für sich genommen nicht im Wege eines hiergegen gerichteten Unterlassungsanspruchs nach § 823 Abs. 1 i.V. m. § 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB untersagt werden kann. Dies betrifft vor allem Verhaltensweisen, die dem Wortlaut des § 238 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB unterfallen. Hier ist eine Untersagung des Verhaltens mittels eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs nach § 823 Abs. 1 i.V. m. § 1004 Abs. 1 S. 2 analog BGB regelmäßig erst dann möglich, wenn es zu einer Vielzahl von einzelnen Nachstellungshandlungen gekommen ist.531 In diesem Sinne ist auch die Regelung des § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) GewSchG zu verstehen. Hierbei hat der Gesetzgeber eine allgemein gültige Regelung für die Untersagung allein solcher Verhaltensweisen getroffen, die – ungeachtet der Erfolgsgeeignetheit des Verhaltens und des tatsächlichen Bewirkens einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung – auch dem Wortlaut des § 238 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB unterfallen. Mit § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) GewSchG hat der Gesetzgeber den Schutz wichtiger Teilbereiche des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts geregelt und damit zugleich auch positiv-rechtliche Aussagen für die Bestimmung der o. g. Güter- und Interessenabwägung getroffen. Im Rahmen des § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) GewSchG kommt es für den Ausgleich der in Widerstreit tretenden Interessen der Beteiligten nicht auf das Empfinden des Opfers in Reaktion auf das Täterverhalten an, sondern maßgeblich darauf, ob das Verhalten unter normativen Gesichtspunkten unzumutbar ist. Um von einer Unzumutbarkeit der Belästigung ausgehen zu können, bedarf es in Bezug auf dieses Verhalten jedoch hoher Anforderungen an den 531 Etwas anderes kann dagegen dann gelten, wenn sich für eine Untersagung des Verhaltens an allgemeine rechtliche Erwägungen – etwa an den Gedanken rechtsmissbräuchlichen Verhaltens – anknüpfen ließe, da dann stets von einem rechtlich unzulässigen und daher rechtlich missbilligten Eingriff in die Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers gesprochen werden kann. Dies setzt jedoch voraus, dass der Täter das Verhalten in dem Bewusstsein und ausschließlich zu dem Zweck vornimmt, das Opfer zu einer schwerwiegenden Veränderung der Lebensgestaltung zu drängen und das Bewirken des Taterfolgs i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB auch Folge einer (psychischen) Pression auf das Opfer ist.

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§ 4, B. Legitimität des Nachstellungstatbestandes

Grad der Wiederholung.532 Von Bedeutung ist hierbei weiter, dass eine unzumutbare Belästigung gemäß § 1 Abs. 2 S. 2 GewSchG zumindest dann nicht vorliegt, wenn die Handlung der Wahrnehmung berechtigter Interessen des Täters dient oder das von Seiten des Opfers ausgesprochene Kontaktverbot ein rechtsmissbräuchliches Verhalten darstellt. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang für die Legitimität die dem Straftatbestand des § 238 Abs. 1 StGB zugrunde liegende Verhaltensnorm also ein Zweifaches: Nicht allein das Bewirken einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung unter Verletzung der Willensbildung und Willensbetätigung kann ausschlaggebend dafür sein, ob ein Nachstellungsverhalten i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB zu untersagen ist. Hier kommt es nicht (ausschließlich) auf die psychisch bedingte Reaktion des Opfers und insbesondere nicht darauf an, ob sich das Opfer beeinträchtigt fühlt. Vielmehr bedarf es für die Untersagung des Nachstellungsverhaltens – vor allem in Hinblick auf § 238 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB – einer normativen Interessen- und Güterabwägung in Ansehung des konkreten Täterverhaltens und der Gesamtumstände. 5. Ergebnis

Die dem Straftatbestand des § 238 Abs. 1 StGB zugrundeliegende Verhaltensnorm ist nicht schon allein aufgrund des Vorliegens einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung legitimierbar. Sie ist dies regelmäßig nur dann, wenn das Verhalten gerade ein rechtlich missbilligtes Eingreifen in die Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers darstellt. Während einzelne Verhaltensweisen, die dem Wortlaut des § 238 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 StGB unterfallen, an sich schon zivilrechtlich missbilligt sind, ist die rechtliche Missbilligung eines Verhaltens, das unter den Wortlaut des § 238 Abs. 1 Nr. 2 und insbesondere Nr. 1 StGB fällt, erst im Einzelfall festzustellen. Hierfür verbietet es sich – das zeigt schon die Vorschrift des § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b) GewSchG, die keine Rechtsgrundlage für beliebige Maßnahmen aus einem allgemeinen Gefühl der Verfolgung heraus sein soll533 – allein anhand der durch das Nachstellungsverhalten bedingten Auswirkungen auf die rechtliche Missbilligung des Verhaltens zu schließen. Vielmehr ist diese anhand einer Güter- und Interessenabwägung normativ zu bestimmen und im Rahmen eines Verhaltens i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 1 StGB dann anzunehmen, wenn das Verhalten unter normativen Gesichtspunkten unzumutbar ist, was regelmäßig erst dann der Fall ist, wenn das Verhalten einen hohen Grad an Wiederholung aufweist. 532 Dies legen die Beispiele des Gesetzgebers für eine unzumutbare Belästigung nahe, siehe hierzu BT-Drs. 14/5429, S. 29. 533 Siehe hierzu den Beschluss des LG Oldenburg vom 04.09.2007 (Az.: 5 T 874/07).

II. Legitimität der Sanktionsnorm

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II. Legitimität der Sanktionsnorm Im Rahmen der Legitimität der Sanktionsnorm des § 238 Abs. 1 StGB soll vorliegend Gegenstand der Untersuchung sein, ob das Nachstellungsverhalten vor dem Hintergrund der Bedeutung der (Kriminal-)Strafe den Einsatz von Strafe verdient.534 Zu verorten ist diese Frage nach der der Adäquität des Strafeinsatzes im Rahmen der Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB noch vor bzw. zur Konturierung der Frage, ob der Täter durch sein Verhalten in Hinblick auf den Nachstellungstatbestand überhaupt ein tatbestandlich missbilligtes Risiko geschaffen hat, das sich im tatbestandlichen Erfolg niedergeschlagen hat.535 1. Zur tatbestandlichen Reichweite des gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses zum Schutz der Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit

Zur Konturierung des Bereichs des nach § 238 Abs. 1 StGB Strafbaren genügt es nicht, festzustellen, dass es sich bei dem Schutzgut des Nachstellungstatbestandes aufgrund seines Individualcharakters um ein „zweifellos schutzwürdige(s) Rechtsgut“ 536 handelt, um bei einer entsprechenden tatbestandlichen Verletzung dieses Schutzgutes auf die Strafwürdigkeit des Verhaltens zu schließen.537 Dies folgt schon daraus, dass auch ein strafrechtsbegrenzendes Rechtsgut der Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit 538 nicht imstande wäre, einen Straftatbestand zu legitimieren, der Schutz vor jeglicher – und insbesondere vom Opfer empfundenen – Beeinträchtigung der Willensbildung und Willensbetätigung gewährleistet. Es erscheint unmöglich, eine absolut unbeeinflusste und freie Willensbildung und Willensbetätigung zu gewährleisten, da der Einzelne in vielfältigen und komplexen Beziehungen und Bindungen zu seiner Umwelt steht und sich in einem Spannungsfeld wechselseitiger Einwirkungen befindet, die sich (auch) auf seine Willensbildung und Willensbetätigung erstrecken.539 Dass 534 Dabei soll weitgehend außer Betracht, ob insbesondere Strafart und/oder Strafmaß zu beanstanden sind. 535 Siehe zur Eigenständigkeit des tatbestandsmäßigen Verhaltens als dogmatische Kategorie grundlegend Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 67 ff., 71 ff. Kritisch hierzu Roxin, Strafrecht AT, Bd. I, § 11 B 51 m.w. N. 536 So Mitsch, NJW 2007, 1237 (1237 f.). 537 Siehe zu dieser Vorgehensweise Mitsch, NJW 2007, 1237 (1237 f.), vgl. auch Buß, Der Weg zu einem deutschen Stalkingstraftatbestand, S. 207; ähnlich die Vorgehensweise auch bei Löhr, Notwendigkeit, S. 372 ff. 538 Sofern man dem umstrittenen Legitimationsmodell eines systemkritischen und strafrechtsbegrenzenden Rechtsguts Folge leisten will und das im Rahmen dieser Untersuchung herausgearbeitete Schutzgut des § 238 Abs. 1 StGB gleichsam auch als entsprechendes (strafrechtsbegrenzendes) Rechtsgut anerkennen würde. 539 Vgl. zu diesem Gedanken Wiese, FS Duden, S. 719 (735). Aus verfassungsrechtlicher Sicht formuliert dies das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 35, 202 (220): „Wenn der einzelne als ein in der Gemeinschaft lebender Bürger in Kommunikation mit

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§ 4, B. Legitimität des Nachstellungstatbestandes

ein Verbot jeglicher Beeinflussung der freien Willensbildung und Willensbetätigung auch rechtlich nicht gewollt sein kann, folgt schon daraus, dass es in einer pluralistischen Gesellschaft grundsätzlich legitim und auch wesensnotwendig ist, die Willensbildung und Willensbetätigung eines anderen zu beeinflussen, bspw. indem man diese Person von einer bestimmten Meinung überzeugt.540 Auch wenn man die möglichen Beeinträchtigung der freien Willensbildung und Willensbetätigung auf den i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB tatbestandlich relevanten Bereich beschränken würde, müsste es sich bei einer derart ausgestalteten Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit um ein Rechtsgut handeln, das schon aus zivilrechtlicher Sicht nicht vor jeglicher Beeinflussung geschützt werden soll und geschützt wird, die der Wortlaut des § 238 Abs. 1 StGB zulässt. Bereits das Reichsgericht in Zivilsachen hat ausgeführt, dass es ausgeschlossen sei, „daß das Gesetz die Einwirkung auf den fremden Willen schon aus dem Grunde für widerrechtlich erklären wolle, weil kein besonderes Recht zu dieser Einwirkung bestünde. Vielmehr würde die Einwirkung auf die freie Willensbetätigung den Charakter der Widerrechtlichkeit erst durch die Form annehmen, in der sie auftritt“ 541. In Hinblick auf die möglichen Begehungsweisen eines Nachstellens umfasst der Wortlaut des § 238 Abs. 1 StGB jedoch auch Verhaltensweisen, die – wie gezeigt542 – an sich nicht zivilrechtlich zu untersagen sind. Insoweit kann also ein strafrechtsbegrenzendes Rechtsgut der Willensbildungs- und Willensentfaltungsfreiheit keinen vollumfänglichen Schutz vor jeglicher tatbestandlich erfasster Einflussnahme bieten. Ein strafrechtsbegrenzendes Rechtsgut der Willensbildungs- und Willensentfaltungsfreiheit kann demnach nicht per se und uneingeschränkt bestehen, sondern es erhält seine Konturen erst in der Verflechtung mit den geschützten Freiheiten und sonstigen Rechten anderer im Einklang mit der Rechtsordnung. Zu einer weitaus differenzierteren Antwort auf die Frage nach der Adäquität des Strafeinsatzes in Bezug auf das nach § 238 Abs. 1 StGB relevante Verhalten gelangt man daher, wenn man sich die Erkenntnisse aus dem vorherigen Teil dieser Untersuchung543 vergegenwärtigt. Danach verdient ein Verhalten nur dann den Einsatz von Strafe, wenn der Täter in qualifizierter und ihm vorwerfbarer Weise die Anforderungen zentraler Existenz- und Entfaltungsbedingungen anderer geradezu negiert. Demnach ist zu fragen, ob der Täter durch sein Verhalten in anderen tritt, durch sein Sein und Verhalten auf andere einwirkt und dadurch die persönliche Sphäre von Mitmenschen oder Belange des Gemeinschaftslebens berührt, können sich Einschränkungen seines ausschließlichen Bestimmungsrechts über seinen Privatbereich ergeben, soweit dieser nicht zum unantastbaren innersten Lebensbereich gehört.“ 540 Vgl. zu diesem Aspekt Baston-Vogt, Der sachliche Schutzbereich des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, S. 466. 541 Siehe hierzu RGZ 58, 24 (28). 542 Siehe hierzu § 4 B. I. 3. bb) (3) und (4). 543 Siehe hierzu § 4 A. II. 4.

II. Legitimität der Sanktionsnorm

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qualifizierter und ihm vorwerfbarer Weise ein gegenseitiges Anerkennungsverhältnis missachtet, das den Schutz von im Einklang mit der Rechtsordnung stehenden (gewichtigen) rechtlich konstituierten oder zumindest konstituierbaren Freiheiten oder Gütern zum Gegenstand hat. Folglich ist das im Rahmen des Nachstellungstatbestands relevante tatbestandsmäßige Verhalten nicht als Ausdruck eines gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses zu verstehen, welches die betroffene Person vor jeglichem Verhalten schützt, das unter den Wortlaut des Nachstellungstatbestands subsumiert werden kann und das geeignet ist, ihre Willensbildung und Willenbetätigung in einer den Taterfolg bewirkenden Weise zu beengen. Das gegenseitige Anerkennungsverhältnis erhält vielmehr seine Konturen durch den Inhalt und die Reichweite der dem Einzelnen von der Rechtsordnung zugestandenen rechtlichen Freiheiten. Das Strafrecht knüpft entsprechend seinem Charakter als sekundäre Normenordnung für die Frage nach der Strafbewehrung eines Verhaltens regelmäßig an Inhalte und Wertungen an, die der Gesetzgeber bereits im Rahmen der vorstrafrechtlichen Primärrechtsordnung getroffen hat.544 Daher ist von Bedeutung, inwieweit der Betroffene ein schon vorstrafrechtlich begründetes Recht hat, von bestimmten Nachstellungshandlungen des Täters, die einen Angriff auf seine Willensbildung und Willensbetätigung beinhalten, verschont zu bleiben. Schließlich gibt die Beantwortung dieser Frage zugleich Aufschluss darüber, in welchem Rahmen das Opfer ein Nachstellungsverhalten, das seine Willensbildung und Willensbetätigung tangiert, hinzunehmen hat und welches Nachstellungsverhalten damit, obgleich es dem Wortlaut des Tatbestandes unterfällt, nicht tatbestandsmäßig sein kann. Vor diesem Hintergrund ist auf das zurückzugreifen, was bereits im Rahmen der vorliegenden Untersuchung herausgearbeitet wurde.545 Danach ist ein Nachstellungsverhalten regelmäßig nur dann im Wege eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs untersagbar, wenn die schwerwiegende Lebensgestaltung des Opfers Folge eines rechtlich missbilligten Eingriffs des Täters in die Willensbildung und Willensbetätigung als Bestandteil des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Opfers ist. Dabei kann für die rechtliche Missbilligung des Nachstellungsverhaltens – insbesondere in Hinblick auf § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 544 Siehe hierzu bereits Binding, Handbuch des Strafrechts, Band 1, S. 326 ff., 360; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 112 f. In diesem Sinne argumentiert auch Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 186: „An erster Stelle stehen die Gesetze, die positiv Selbständigkeit in einem Staat konkretisieren: Gesetze des Privat- und auch des öffentlichen Rechts. Gedanklich erst an diesem schon geschaffenen Zustand setzt das Strafrecht ein, das die Vernichtung allgemein anerkannter Freiheit [. . .] zum Gegenstand hat.“ Zu dieser Sichtweise auch Freund, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 1 Rn. 8 f., 12; vgl. Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluss, S. 155; Appel, Verfassung und Strafrecht, S. 449 f. 545 Siehe hierzu § 4 B. I. 3. a) und folgende Ausführungen.

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§ 4, B. Legitimität des Nachstellungstatbestandes

Nr. 2 StGB – nicht allein ausschlaggebend sein, ob es bei dem Opfer infolge des Nachstellungsverhaltens zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung gekommen ist. Allein aus der Schwere der tatbestandlichen Auswirkungen kann nicht ohne Weiteres auf die Notwendigkeit der (straf)rechtlichen Missbilligung des Verhaltens geschlossen werden. Hierfür spricht aus strafrechtlicher Sicht auch der Umstand, dass die tatbestandliche schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung letztlich eine Kompensationsmaßnahme des Opfers in Reaktion auf die Einwirkung auf seine Psyche ist und der Tatbestand der Nachstellung dem stalkingspezifischen sog. initialen Schwellenproblem unterliegt. Ein alleiniges Abstellen auf das individuelle Opfer und dessen psychisch bedingte Reaktion sowie dessen psychische Konstitution würde einem Strafrecht, dem regelmäßig ein gewisses Durchschnittsurteil zugrunde liegen muss,546 bereits angesichts der stark abweichenden individuellen Besonderheiten der psychischen Konstitution des Menschens zuwiderlaufen. Folglich ist von einem strafrechtlich relevanten Bruch des gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses nicht schon dann auszugehen, wenn der Täter ein unter den Wortlaut des § 238 Abs. 1 StGB fallendes Verhalten an den Tag legt, das bei dem Opfer zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung führt. Entscheidend ist vielmehr auch, ob nach Art und Weise des Eingriffs in die Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers im Rahmen einer Interessenund Güterabwägung von einem rechtlich missbilligten Verhalten gesprochen werden kann. Denn vor der Konfrontation mit einem solchen Verhalten wird dem Einzelnen nach der vorstrafrechtlichen Rechtsordnung Schutz gewährt. Gerade in Bezug auf die Vornahme eines solchen Verhaltens hat der Einzelne auch ein vorstrafrechtliches Recht, hiervon verschont zu bleiben. Erst insoweit erfährt das gegenseitige Anerkennungsverhältnis zum Schutz der Willensbildungs- und Willensbetätigung auf der Ebene der Primärrechtsordnung seinen Inhalt und seine Reichweite.547 2. Anforderungen an ein i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB tatbestandsmäßiges Nachstellen

Folgt man dieser Überlegung, sieht man sich dem Umstand gegenüber, dass die unrechtsspezifischen Anforderungen an die Tathandlung des Nachstellens vor allem in Bezug auf die Verhaltensweisen des § 238 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB 546 Vgl. zu diesem Aspekt Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 128, der gerade bei stark abweichenden individuellen Maßstäben anmerkt, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Täter um die konkreten individuellen Maßstäbe auch weiß – und deshalb in der Regel nicht imstande sein wird, die Organisation seines Verhaltens in Hinblick darauf einzurichten, ob er sich mit seinem Verhalten strafbar macht oder nicht. 547 Oder aber, wenn man dem umstrittenen Legitimationsmodell eines systemkritischen und strafrechtsbegrenzenden Rechtsguts Folge leisten will, konturiert sich insoweit erst das Rechtsgut der Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit.

II. Legitimität der Sanktionsnorm

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äußerst gering sind.548 Bereits der Blick in die Zivilrechtsordnung hat gezeigt, dass ein solches Nachstellungsverhalten an sich nicht ohne Weiteres zu untersagen ist. Die rechtliche Missbilligung des Nachstellungsverhaltens ist in diesem Zusammenhang (erst) Ausdruck einer normativen Interessen- und Güterabwägung in Ansehung der Gesamtumstände und regelmäßig erst dann anzunehmen, wenn der Täter dem Opfer in nach normativen Gesichtspunkten unzumutbarer Weise nachstellt. Demgegenüber sind die Verhaltensweisen, die dem Wortlaut des § 238 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 StGB unterfallen, ungeachtet der Erfolgsgeeignetheit des Verhaltens und des tatsächlichen Hervorrufens einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, für sich genommen schon zivilrechtlich missbilligt und können Gegenstand eines hiergegen gerichteten zivilrechtlichen Unterlassungsanspruches sein.549 Daraus ergibt sich für die strafrechtliche Missbilligung eines Nachstellungsverhaltens folgende Maßgabe550: Um von einem i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB tatbestandsmäßigen Verhalten ausgehen zu können, muss die tatbestandliche Missbilligung des Nachstellungsverhaltens – in Hinblick auf eine Gefahrschaffung, die sich in der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers realisiert – gerade Ausdruck einer Interessen- und Güterabwägung sein, in deren Rahmen das Nachstellungsverhalten auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles eine unter normativen Gesichtspunkten unzumutbare psychische Pression des Täters auf die Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers darstellt. Dabei kommt es neben der Schwere des Taterfolgs vor allem auf die Art und Weise des Nachstellungsverhaltens, sowie den zugrundeliegenden Zweck und die Dauer an, wobei sich der Schluss allein von der Schwere der Auswirkungen auf die rechtliche Missbilligung des Verhaltens verbietet.

548

Siehe hierzu § 3 II. 2. e). So zumindest in Bezug auf die Feststellung eines widerrechtlichen Eingriffs in das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht i. S. e. sonstigen Rechts nach § 823 Abs. 1 BGB, nicht jedoch zugleich bzgl. einer Wiederholungsgefahr als notwendige Voraussetzung für den Erlass eines Unterlassungsanspruchs nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB. 550 Mindestmaßgabe insofern, als an dieser Stelle – eingedenk der Ausführung unter § 4 A. II. 4. – auch dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen ist. Zu den gesetzgeberischen Erwägungen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit i. e. S. siehe BT-Drs. 16/575, S. 1 ff. und BT-Drs. 16/3641, S. 1 f., 13 ff.; zur Kritik hieran siehe Löhr, Notwendigkeit, S. 372 ff., 436 ff.; Weinitschke, Rechtsschutz gegen Stalking de lege lata et ferenda, S. 11 ff., 195 ff. Insoweit ist jedoch auch das dem Gesetzgeber einzuräumende Ermessen und dessen Einschätzungsprärogative zu bedenken. Daher ist im Folgenden auf diejenigen Anforderungen an ein tatbestandsmäßges Nachstellen einzugehen, die unter den unter § 4 A. II. 4. dargestellten Grundsätzen im Mindesten zu fordern sind. 549

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§ 4, B. Legitimität des Nachstellungstatbestandes

Während diese normative Interessen- und Güterabwägung im Falle eines Nachstellungsverhaltens i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 StGB – auch bei einer geringen Anzahl an Wiederholungen regelmäßig zu Ungunsten des Täters ausfallen wird, ist von der Tatbestandsmäßigkeit eines Nachstellungsverhaltens i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 sowie Nr. 2 StGB erst dann auszugehen, wenn der Täter das Opfer durch das Nachstellen zu einer schwerwiegenden Veränderung der Lebensgestaltung geradezu zwingt. Dies setzt voraus, dass das Kompensationsverhalten des Opfers Folge einer in Ansehung des entsprechenden Täterverhaltens rechtlich missbilligten psychischen Pression auf das Opfer ist. Das Verhalten des Täters muss danach in unter normativen Gesichtspunkten unzumutbarer551 Weise und derart massiv auf die Lebensführung des Opfers einwirken, dass das Opfer nicht mehr frei entscheiden und sich entschließen kann. Daher ist in Hinblick auf die tatbestandlichen Verhaltensweisen nach § 238 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB, für deren Untersagung dem entgegenstehenden Willen des Opfers schon nach der vorstrafrechtlichen Normenordnung zumindest keine ausschließlich verbotsindizierende Bedeutung zukommen kann, regelmäßig eine sehr hohe Anzahl an Wiederholungen zu verlangen. Etwas anderes kann dagegen nur dann gelten, wenn der Täter um die individuelle Konstitution des Opfers weiß und dies gezielt ausnutzt, um es durch ein sich in wenigen Wiederholungen erschöpfendes und demnach im oben genannten Sinne nicht tatbestandsmäßig erscheinendes Nachstellungsverhalten i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB zu (be)drängen mit der Folge einer schwerwiegenden Beeinträchtigung seiner Lebensgestaltung. Hier ließe sich für eine strafrechtliche Missbilligung eines solchen Verhaltens – dies haben vorstrafrechtliche Wertungen gezeigt – an die Grundsätze rechtsmissbräuchlichen Verhaltens anknüpfen. Voraussetzung ist jedoch, dass der Täter um die individuellen Besonderheiten der psychischen Konstitution des Opfers und um die Wirkung der Nachstellungsverhaltensweisen weiß und es ihm gerade darauf ankommt, durch sein Verhalten eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung auf Seiten des Opfers zu bewirken. In einem solchen Fall pervertiert der Täter die ihm von der Rechtsordnung eigentlich zugestandene Freiheit geradezu, um die Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers in rechtsmissbräuchlicher Weise zu beschränken. Allerdings werden in Bezug auf die Kenntnis und das Ansinnen des Täters sehr hohe Anforderungen zu stellen sein, deren Vorliegen in praktischer Hinsicht in der Regel nur schwer nach- und beweisbar sein wird.

551 Ein solches normativ determiniertes Merkmal der Unzumutbarkeit verlangt auch der österreichische Straftatbestand der beharrlichen Verfolgung, vgl. § 107a Abs. 2 StGB, eingehend hierzu Jurtela, Häusliche Gewalt und Stalking, S. 240, 244.

§ 5 Schlussbetrachtung und Unterbreitung eines Alternativvorschlages I. Schlussbetrachtung Stalking ist ein vielschichtiges und komplexes Phänomen, das in Bezug auf Begehungsweise, Motivation des Täters und die Auswirkungen auf die davon betroffene Person eine Vielzahl von Erscheinungsformen umfasst. Stalking entzieht sich bislang einer allgemein anerkannten Definition. Im Kern wird das Phänomen als ein Verhaltenskonstrukt aus einzelnen, zum Teil stark heterogenen Verhaltensweisen beschrieben, das dadurch gekennzeichnet ist, dass der Täter wiederholt mit dem Opfer gegen dessen Willen – im weitestgehenden Sinne – interagiert. Vor allem infolge der Anhäufung von einzelnen Interaktionshandlungen kommt es auf Seiten des Opfers in erster Linie zu negativen Auswirkungen auf dessen Psyche. Diese Auswirkungen können von einem Gefühl der Belästigung und leichten psychischen sowie psychosomatischen Beschwerden bis hin zu schwerwiegenden psychischen Erkrankungen und einer nicht unerheblichen Veränderung der bisherigen Lebensführung des Opfers reichen. Entsprechend der unterschiedlichen einzelnen Verhaltensweisen, jedoch ungeachtet des Ausmaßes der Auswirkungen auf das Opfer, ist zwischen sog. schwerem Stalking und sog. mildem Stalking zu unterscheiden. Unter letztgenannte Kategorie fallen alltägliche Verhaltensweisen wie bspw. das Aufsuchen der räumlichen Nähe des Opfers, das Schreiben von Briefen oder Telefonanrufe. In diesem Bereich hängt die Abgrenzung zwischen gesellschaftlich (noch) akzeptiertem Verhalten und (straf)rechtlich relevantem Stalking mitunter ausschließlich von dem subjektiven Erleben und der psychischen Konstitution der Zielperson ab.1 Trotz des Fehlens einer allgemein anerkannten Definition des Stalking steht mittlerweile außer Frage, dass es sich bei einigen Erscheinungsformen des Stalking um ein durchaus ernst zu nehmendes und häufig auch sozialschädliches Verhalten handelt. Verschiedene Erscheinungsformen, die entsprechend der allgemeinen Merkmale dem Phänomen Stalking zuzurechnen sind, waren daher auch Gegenstand zivil- und strafrechtlicher Gesetzgebung verschiedener Staaten. Mittlerweile verfügen vor allem westlich geprägte Länder über spezielle Strafvorschriften zum Schutz vor Stalking. Diese weisen zum Teil sehr unterschiedliche 1 Dies wird als „initiales Schwellenproblem“ umschrieben, siehe hierzu Voß/Hoffmann, Zur Phänomenologie und Psychologie des Stalking, in: Hoffmann/Voß (Hrsg.), Psychologie des Stalking, S. 9 (22).

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§ 5 Schlussbetrachtung und Unterbreitung eines Alternativvorschlages

Anforderungen an das pönalisierte Verhalten auf, umfassen jedoch regelmäßig Verhaltensweisen sowohl des schweren als auch des milden Stalking. Mit dem Model Anti-Stalking Code for States aus dem Jahr 1993 und Model Stalking Code aus dem Jahr 2007 sowie dem Protection from Harassment Act 1997 wurden stellvertretend die prägnantesten Straftatbestände der Vereinigten Staaten von Amerika sowie von England, Wales und Nordirland einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Dabei hat sich gezeigt, dass die strafrechtlichen Vorschriften zum Schutz vor Stalking durchweg in der Kritik stehen, nicht geeignet zu sein, einen effektiven Opferschutz zu gewährleisten und zugleich den rechtsstaatlichen Anforderungen an eine Strafnorm in ausreichendem Maße Rechnung zu tragen. Auch der in Deutschland zum 31.03.2007 im Zuge einer ausgeprägten medialen und parlamentarischen Debatte um die Einführung eines Straftatbestandes zum Schutz vor Stalking in Kraft getretene Straftatbestand zum Schutz vor Nachstellung (§ 238 StGB) steht in vielfacher Hinsicht in der Kritik. Auf der Grundlage einer ausführlichen Analyse des Phänomens hat sich die vorliegende Untersuchung mit zentralen Kritikpunkten auseinandergesetzt und dabei zu zahlreichen noch offenen und kontrovers diskutierten Fragen Stellung genommen. So ist die schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung als Folge einer durch das Nachstellungsverhalten bewirkten psychisch vermittelten Pression des Täters anzusehen, durch welche sich das Opfer zu Umstellungen im Bereich seiner Lebensführung gezwungen sieht. Das Schutzgut des Nachstellungstatbestandes bildet gleichsam als strafrechtlich schutzwürdige Vorbedingung für die Selbstentfaltung und Lebensgestaltung des Einzelnen die Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit. Dieses Schutzgut ist am ehesten geeignet, sowohl der Typik des Stalking als psychisch vermittelte Pression des Täters auf das Opfer, als auch dem Willen des Gesetzgebers zu entsprechen. Zudem bedarf es nicht der Konstruktion eines letztlich konturenlos erscheinenden Schutzguts des individuellen Lebensbereichs oder eines ebenso wenig greifbaren Schutzguts des individuellen Rechtsfriedens als Ausdruck eines (spezifizierten oder allgemeinen) Gefühlsschutzes. Recht vage und wenig greifbar sind jedoch die Anforderungen an die Tathandlung des Nachstellens, die durch die einzelnen Verhaltensweisen i. R. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 StGB konkretisiert und durch die Auffangklausel in Nr. 5 StGB ergänzt wird. Während die Verhaltensweisen i. R. d. § 238 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 StGB typische Fälle des schweren Stalking umfassen, kann sich ein Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB in wiederholten Handlungsweisen erschöpfen, die allgemein dem Bereich des milden Stalking zuzurechnen sind. Dabei hat sich gezeigt, dass die Auffangklausel des § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar und demnach verfassungswidrig ist. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass eine solche Auffangklausel in der Praxis nicht von Relevanz und daher überflüssig ist.2

I. Schlussbetrachtung

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Die einheitliche Auslegung und Bestimmung des Taterfolges der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung bereitet sowohl der Rechtssprechung als auch dem Schrifttum Schwierigkeiten, nicht zuletzt aufgrund des Umstandes, dass das Tatbestandsmerkmal der Lebensgestaltung dem Strafgesetzbuch bislang fremd war. Darüber hinaus ist der Taterfolg durchweg anhand der subjektiv-individuellen Opferreaktion festzumachen. Eine Objektivierung des Taterfolges im Sinne einer von individuell-subjektiven Aspekten weitgehend unabhängigen und in Ansehung der Tathandlung unter standardisierbaren Vorzeichen zu bestimmenden Folge fordern Gesetzgeber und Rechtsprechung nur insoweit, als die Beurteilung, ob es sich bei der Beeinträchtigung um eine schwerwiegende handelt, nicht auf individuelle Gepflogenheiten des Opfers gestützt werden soll. Zudem verlangt die Rechtsprechung eine restriktive Auslegung des Taterfolgserfordernisses, um damit die Strafbarkeitsschwelle des Tatbestandes zu erhöhen und einem etwaigen Missbrauch von Seiten des Opfers vorzubeugen. Allerdings überzeugt der von der Rechtsprechung gezogene Schluss, eine restriktive Handhabung des Taterfolgs ermögliche zugleich die Erhöhung der Strafbarkeitsschwelle, nicht. Grund hierfür ist, dass der Tatbestand dem für Stalking typischen sog. initialen Schwellenproblem unterliegt, welches angesichts der geringen Anforderungen an die Tathandlung des Nachstellens und des Umstandes, dass sich das Nachstellungsverhalten auch in Handlungen erschöpfen kann, die als sozialadäquates Verhalten für sich genommen eigentlich erlaubt sind, nicht entschärft wird. In weiten Teilen des Schrifttums wird daher gefordert, den Tatbestand erst als erfüllt anzusehen, wenn das Opfer der Pression des Täters auch in besonnener Selbstbehauptung nicht hätte standhalten können. Dieser dem Tatbestand der Nötigung entlehnte Korrekturversuch ist durchaus sinnvoll, da er dasjenige Verhalten aus dem weiten Anwendungsbereich des Nachstellungstatbestandes ausfiltert, das zwar dem Wortlaut des § 238 Abs. 1 StGB unterfällt, dabei aber eine solche Beengung der Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers darstellt, durch die sich eine vernünftige Person ohnehin nicht beeinflussen ließe. Allerdings findet die Forderung nach einer besonnenen Selbstbehauptung keine Stützte innerhalb des Wortlautes und in den entsprechenden Gesetzesmaterialien. Noch entscheidender ist jedoch, dass ein solches Vorgehen nicht die dieser Korrektur notwendigerweise vorangehende Frage beantworten kann, ob allein die Tatsache, dass das Nachstellungsverhalten geeignet ist, die Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers derart zu beeinträchtigen, dass es zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung kommt, die (straf)rechtliche Missbilligung des Verhaltens zu indizieren vermag. Diese Frage kann jedoch erst zutreffend beantwortet werden, wenn man sich vergegenwärtigt, wann der Täter durch sein Nachstellungsverhalten überhaupt seine rechtlich garantierte Handlungsfrei2

Siehe hierzu aus der Praxis Peters, NStZ 2009, 238 (240 f.).

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§ 5 Schlussbetrachtung und Unterbreitung eines Alternativvorschlages

heit überschreitet und in den dem Einzelnen von der Rechtsordnung zugestandenen Bereich der (straf)rechtlich geschützten Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit eindringt. Das Strafrecht ist als ultima ratio und sekundäre Normenordnung zu begreifen, welche vor allem die Geltungskraft vorstrafrechtlicher Verhaltensnormen, die den Schutz gewichtiger Daseins- und Entfaltungsbedingungen bzw. Freiheiten und Güter vorsehen, mittels des Einsatzes von Strafe bekräftigen soll. Danach verwirklicht Unrecht im strafrechtsrelevanten Sinne, wer durch sein Verhalten das – bisweilen durch den Gesetzgeber konturierte – gegenseitige Anerkennungsverhältnis zum Schutz rechtlicher Freiheiten und rechtlich konstituierter Güter missachtet, welche als Existenz- und Entfaltungsbedingungen von zentraler Bedeutung sind. Vorliegend ist im Rahmen des strafrechtlichen Nachstellungstatbestandes von einem strafrechtlich relevanten Bruch des gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses nicht bereits dann auszugehen, wenn der Täter ein unter den Wortlaut des § 238 Abs. 1 StGB zu fassendes Verhalten an den Tag legt, das bei dem Opfer zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung führt. Entscheidend ist – vor allem in Hinblick auf ein Nachstellen i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB Nr. 1 und Nr. 2 StGB – vielmehr, dass nach der Art und Weise des Eingriffs in die Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers von einem rechtlich missbilligten Verhalten auszugehen ist. Dabei bestimmt sich die rechtliche Missbilligung nicht (ausschließlich) anhand der Erfolgsgeeignetheit des Verhaltens und des tatsächlichen Bewirkens des Taterfolgs, sondern ist letztlich das Ergebnis einer normativen Güter- und Interessenabwägung in Ansehung der Gesamtumstände und insbesondere des konkreten Tatverhaltens. Das Nachstellen muss danach eine unzumutbare und daher rechtlich missbilligte Beeinträchtigung der Willensbildung und Willensbetätigung darstellen. Denn erst insoweit erhält das gegenseitige Anerkennungsverhältnis zum Schutz der Willensbildung und Willensbetätigung auf der Ebene der Primärrechtsordnung seinen Inhalt und seine Reichweite; erst insoweit konturiert sich die strafrechtliche Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit des Opfers, deren i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB tatbestandliche Verletzung den Einsatz von Strafe verdient. Auf der Grundlage der im Rahmen dieser Untersuchung herausgearbeiteten Erkenntnisse ist folglich von einem i. S. d. § 238 Abs. 1 StGB tatbestandsmäßigen Nachstellungsverhalten auszugehen, wenn die schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers Folge eines (straf)rechtlich missbilligten Eingriffs in die Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit des Opfers ist. Hierfür muss das unter den Wortlaut des § 238 Abs. 1 StGB subsumierbare Nachstellungsverhalten gerade eine strafrechtlich missbilligte Gefahrschaffung darstellen, die sich in der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung realisiert. Die tatbestandliche Missbilligung des Verhaltens hat dabei – um überhaupt von einem strafrechtlich relevanten, tatbestandsmäßigen Nachstel-

II. Alternativvorschlag zum Schutz vor Nachstellungen

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lungsverhalten ausgehen zu können – aus dem Ergebnis einer normativen Interessen- und Güterabwägung zu folgen. In diesem Rahmen muss sich das Nachstellungsverhalten auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles als eine unter normativen Gesichtspunkten unzumutbare psychische Pression des Täters auf die Willensbildung und Willensbetätigung des Opfers erweisen. Neben der Schwere der tatbestandlichen Folge(n) des Nachstellens sind dabei insbesondere die Art und Form des Nachstellungsverhaltens, sowie der dabei zugrundeliegende Zweck und die Dauer zu würdigen, wobei sich der Schluss allein von der Schwere der Auswirkungen auf die rechtliche Missbilligung des Verhaltens verbietet.

II. Alternativvorschlag für die Ausgestaltung eines Straftatbestandes zum Schutz vor Nachstellungen Findet die Forderung nach einer im Rahmen der Gesamtbetrachtung vorzunehmenden normativen Interessen- und Güterabwägung keine Stütze im Wortlaut des § 238 Abs. 1 StGB, führt dies zur Notwendigkeit der Einführung eines Tatbestandsmerkmals, anhand dessen eine solche normative Interessen- und Güterabwägung vorzunehmen ist. Auf der Grundlage der Erkenntnisse aus der vorliegenden Untersuchung ist demnach folgender Alternativvorschlag für die Ausgestaltung eines strafrechtlichen Nachstellungstatbestandes innerhalb des deutschen Strafgesetzbuches zu unterbreiten: „§ 238 Nachstellung (1) Wer einem Menschen unbefugt nachstellt, indem er beharrlich 1. seine räumliche Nähe aufsucht, 2. unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu ihm herzustellen versucht, 3. unter missbräuchlicher Verwendung von dessen personenbezogenen Daten Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für ihn aufgibt oder Dritte veranlasst, mit diesem Kontakt aufzunehmen, 4. ihn mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit seiner selbst oder einer ihm nahe stehenden Person bedroht und dadurch in unzumutbarer Weise seine Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter das Opfer, einen Angehörigen des Opfers oder eine andere

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§ 5 Schlussbetrachtung und Unterbreitung eines Alternativvorschlages

dem Opfer nahestehende Person durch die Tat in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt. (3) Verursacht der Täter durch die Tat den Tod des Opfers, eines Angehörigen des Opfers oder einer anderen dem Opfer nahe stehenden Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. (4) In den Fällen des Absatzes 1 wird die Tat nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörden wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.“

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Stichwortverzeichnis Allgemeines Persönlichkeitsrecht 140 ff., 297 ff. Auffangklausel 129, 176 ff., 338 Beharrlichkeit 133 f., 182, 188 ff., 327 Besonnene Selbstbehauptung 198, 213 f., 339 Bundesrat 128 ff., 136 f., 176 f. Bundestag 16, 126, 129 ff., 136, 177 Cyberstalking siehe Internet Daten 173 ff., 187, 307 f. Dritter 28, 82, 90 f., 171, 173, 306 Einstweilige Verfügung siehe Unterlassungsanspruch Gesetzgebungsgeschichte – Deutschland 125 ff., 128 ff. – Vereinigte Staaten von Amerika 64 ff. – Vereinigtes Königsreich 99 ff. Gewalt 21, 28, 32, 35, 44, 126, 151, 166 Gewaltschutzgesetz 16, 126 ff., 293 ff., 303 f., 313 f., 322 ff. Individueller Lebensbereich 81, 137 f., 140 ff., 338 Individueller Rechtsfrieden 139, 146 ff., 338 Initiales Schwellenproblem 60, 202, 212 f., 290 f., 334 Internet 26, 99, 174, 314

Lebensgestaltung 94, 129, 194 ff., 292, 335 Letzte Aussprache 42 Liebesbedingtes Stalking 20, 24, 43, 119, 291, 322 Nachstellung 23, 164 ff., 303 ff. Partnerstalking 25, 38, 169, 312, 315 Psyche 31 ff., 59, 224, 334, 337 Rache 43, 45, 48, 321 Räumliche Nähe 168 ff., 315 ff., 322 Rechtsgut (als Legitimationsmodell) 245 f., 247 ff., 262 f., 331 f. Rechtsmissbrauch 319 ff., 325 f., 336 Risikoanalyse 44 f. Schutzgut 136 ff., 161 ff., 331 ff., 338 Stalking (als Phänomen) 20 ff. Telekommunikationsmittel 101, 171 ff., 303, 309 f. Unbefugtheit 133, 182, 183 ff., 217, 326 f. Unterlassungsanspruch 186, 293, 295 ff., 299 ff. Willensbildungs- und Willensbetätigungsfreiheit 161 ff., 331 ff., 338 ff.