Die Heimtücke im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB – ein das vortatliche Opferverhalten berücksichtigendes Tatbestandsmerkmal? [1 ed.] 9783428540549, 9783428140541

Obwohl das Heimtückemerkmal des § 211 Abs. 2 StGB eines der am häufigsten verwirklichten Mordmerkmale ist, steht bisher

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Die Heimtücke im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB – ein das vortatliche Opferverhalten berücksichtigendes Tatbestandsmerkmal? [1 ed.]
 9783428540549, 9783428140541

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 242

Die Heimtücke im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB – ein das vortatliche Opferverhalten berücksichtigendes Tatbestandsmerkmal? Von

Alexandra Zorn

Duncker & Humblot · Berlin

ALEXANDRA ZORN

Die Heimtücke im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB – ein das vortatliche Opferverhalten berücksichtigendes Tatbestandsmerkmal?

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 242

Die Heimtücke im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB – ein das vortatliche Opferverhalten berücksichtigendes Tatbestandsmerkmal?

Von

Alexandra Zorn

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Volker Erb, Mainz Der Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz hat diese Arbeit im Jahre 2012 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-14054-1 (Print) ISBN 978-3-428-54054-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-84054-0 (Print & E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Monika und Hans-Joachim Zorn Andreas Deyhle

Vorwort Ich danke meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Volker Erb für seine Unterstützung und insbesondere die wirklich hervorragenden Arbeitsbedingungen an seinem Lehrstuhl. Bei Herrn Prof. Dr. Michael Hettinger bedanke ich mich für die überaus schnelle Anfertigung des Zweitgutachtens. Ferner möchte ich meinen damaligen Kollegen für ihre stete Diskussionsbereitschaft danken, allen voran Frau Dr. Mareike Rehbein und Herrn Prof. Dr. Frank Peter Schuster. Der LangHinrichsen-Stiftung danke ich für den großzügigen Druckkostenzuschuss. Mein ganz besonderer Dank gilt meinem Freund Andreas Deyhle, der mich bei dem Projekt „Dissertation“ in jedem Stadium sehr unterstützt hat. Ihm und meinen Eltern, die mich stets vorbehaltlos unterstützt haben, ist diese Arbeit gewidmet. Mainz, im Sommer 2013

Alexandra Zorn

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung und Gegenstand der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit der bisherigen Heimtückedefinition – Bestandsaufnahme und Bewertung bislang erfolgter Modifizierungen . . . . I. Die Grundformulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Arglosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Intensität der Opfervorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der sachliche Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der maßgebliche Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Hinterhalt- oder Fallen-Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vorsatzwechsel des Täters/vorsatzlos herbeigeführte Wehrlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenbilanz und weitere Ausnahmefälle . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Problematik der konstitutionell Arglosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Opfertauglichkeit permanent Argloser, insbesondere von Kleinkindern und Geisteskranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die grundsätzliche Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Ausnahmen aus Sicht der herrschenden Meinung . . . . . bb) Die Opfertauglichkeit Schlafender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die (un)berechtigte Arglosigkeit: Darf das Opfer arglos sein oder hätte es argwöhnisch werden müssen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Fiktion des Argwohns in der „Erpresser“-Entscheidung . . . (1) Zum Argument des geringeren Tückegehalts . . . . . . . . . . . . (2) Zum Argument des Wertungsgleichklangs der Heimtücke mit dem Notwehrrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die begriffslogische (Un)Zugänglichkeit der Heimtücke für eine wertende Betrachtung und insbesondere die Opferverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Die Verallgemeinerungsfähigkeit der „Erpresser“-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Faktische und fingierte Arglosigkeit bei objektiv offen-feindseligem Auftreten des Täters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 17 17 18 18 20 21 21 26 27 31 37 38 39 39 45 48 52 52 53 57 61

67 73 76 77

10

Inhaltsverzeichnis

II.

(1) Der „Hirschfängermesser“-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der „Wartehallen“-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die „Beruhigungs“-Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Der „Zigarettenschmuggler“-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der Komplex „Tyrannen“-Tötungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Wehrlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die eigenständige Bedeutung der Wehrlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die die Wehrlosigkeit ausschließenden Abwehrmöglichkeiten . . . . . aa) Verbale Umstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Hilferuf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sonstige Abwehrmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Kausalität der Arglosigkeit für die Wehrlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . a) Konstitutionell bedingt arglose Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Tötung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die subjektive Seite: Vorsatz und Ausnutzungsbewusstsein des Täters a) Das Verhältnis von Ausnutzungsbewusstsein und Heimtückevorsatz b) Die Relevanz der Heimtückelage für das Ob der Tötung aus Sicht des Täters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassende Bewertung der Grunddefinition . . . . . . . . . . . . . . . . Einschränkungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Überlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die feindliche Willensrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Spezielle Bedenken in Bezug auf die Fallgruppe des gescheiterten Mitnahmesuizids . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Spezielle Bedenken bei den Euthanasiefällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die feindliche Willensrichtung in Bezug auf die Tötungsmodalität e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der verwerfliche Vertrauensbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliche Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die einzelnen Spielarten der Vertrauenslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Typenkorrekturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Rechtsfolgenlösung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Einwand der Kompetenzüberschreitung und der Begriff des contra legem-Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Vorwurf der Unbestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kritikpunkte im Hinblick auf den mit der Rechtsfolgenlösung erzielbaren Schuldspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79 82 83 86 87 88 94 95 95 99 100 102 105 105 106 107 110 110 114 118 120 120 124 125 127 128 130 130 131 131 134 136 137 140 143 148 149

Inhaltsverzeichnis d) Die Befürchtungen einer Ausweitung der Unterschreitung gesetzlicher Strafrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. § 213 StGB und das Konstrukt des „minder schweren Mordes“ . . . . . . a) Zur Existenz von Kollisionslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Rechtsnatur des § 213 StGB beziehungsweise das Verhältnis der §§ 211, 213 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Frage einer „Ausstrahlungswirkung“ des § 213 StGB . . . . . . . . . d) Abschließende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Der „Tücke“-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Claus Roxins Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ersetzungs- und Neuregelungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Herbert Michael Veh: „Tötung bei vorwerfbarem Fehlen einer zuvor offen-feindseligen Täter-Opfer-Begegnung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kurt Schmoller: Die „im Verborgenen besonders weitgehend vorbereitete“ Tötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Maria-Katharina Meyer: „Heimtücke als Mißbrauch sozial-positiver Verhaltensweisen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bernd Müssig: Zweistufiges Modell der Tötungsdelikte mit einer Differenzierung nach Kriterien der objektiven Zurechenbarkeit . . . . . . . . . 5. Ersatzloses Streichen des Heimtückemerkmals, insbesondere der AE-Leben 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einzelne Stimmen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Alternativ-Entwurf Leben (AE-Leben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsätzliche Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik hinsichtlich der Streichungen der Mordmerkmale ,Heimtücke‘ und ,niederer Beweggrund‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Kerngehalt der Heimtücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erkenntnisse aus dem natürlichen Wortsinn des Begriffs . . . . . . . . . . . . . 2. Die besondere Verwerflichkeit, die besondere Tatschuld und die verwerfliche Gesinnung des Täters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die besondere Gefährlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Abschließende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Der zu bevorzugende Bezugsrahmen der Heimtücke: Die Ein-, Zwei- oder Dreistufigkeit der Tötungsdelikte – ein rechtsvergleichender Blick auf die Gestaltung der Tötungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Dreistufigkeit in der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Einheitstatbestand in Dänemark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das zweistufige, privilegierungsausgerichtete Konstrukt in Österreich

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Inhaltsverzeichnis 4. Zusammenfassende Bewertung und Präferenz des vorzugswürdigen Systems der Tötungsdelikte für Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 VI. Hauptergebnisse der Bestandsanalyse und Gang der weiteren Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

C. Die Begründung des eigenen Ansatzes: Die normative Auslegung der Heimtücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die normative Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Normative und/oder deskriptive Natur von Rechtsbegriffen als allgemeine Strukturfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Speziell die Zugänglichkeit der Heimtücke für wertende Aspekte . . . . II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens bei ausgewählten Regelungszusammenhängen des Allgemeinen Teils des StGB sowie einigen Delikten des Besonderen Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Meinungsbild zu der Frage, ob das Verhalten des Opfers im Vorfeld der Tat für die strafrechtliche Würdigung der Tat im Tatbestand oder bei der Strafzumessung zu berücksichtigen ist . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Thomas Hillenkamp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die grundsätzliche Position Hillenkamps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Hillenkamps Einwand der unzulässigen Tatbestandskorrektur sowie verfassungsrechtliche Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Hillenkamps Einwand der zu weitreichenden Konsequenzen tatbestandlicher Berücksichtigung von Opferverhalten . . . . . . . dd) Speziell auf die Delikte gegen das Leben bezogen: Das Argument der Indisponibilität des Rechtsguts Leben . . . . . . . . . . . . . . ee) Kriminalpolitische Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bernd Schünemann und Gunther Arzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Horst Schüler-Springorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Tatjana Hörnle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Raimund Hassemer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die eigene grundsätzliche Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Regelungszusammenhänge und Rechtsfiguren des Allgemeinen Teils . . a) Die objektive Zurechenbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Überblick über verschiedene Ansätze und allgemeine Bedenken dagegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Katharina Beckempers Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Sozialadäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Vertrauensgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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cc) Der Ansatz von Peter Frisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Einwilligung und Überlegungen aus der Beteiligungslehre . . . . aa) Allgemeine Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Konzeption Ralf-Peter Fiedlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Partielle Rechtfertigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit sowie der materielle Verbrechensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Heranziehung des Rechtsgedanken des § 254 BGB im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Die Maxime der Eigenverantwortung – vor allem der Ingerenzgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Eine Auswahl von Delikten, die Opferverhalten berücksichtigen . . . . . . a) Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen, § 174 StGB . . . . . . . . . b) Wechselseitig begangene Beleidigungen, § 199 StGB . . . . . . . . . . . . c) Verletzung von Privatgeheimnissen, § 203 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . d) Nötigung, § 240 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Diebstahl, § 242 StGB und Unterschlagung, § 246 StGB . . . . . . . . . f) Betrug, § 263 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Irrtum über Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum . . . cc) Der Vermögensschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Vereinbarkeit der Berücksichtigung des Opferverhaltens bei der Auslegung des Heimtückemerkmals mit allgemeinen Grundlagen des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der ultima ratio-Gedanke und das Subsidiaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . a) Vorbemerkung und Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Kritik des Vorrangs staatlicher Maßnahmen gegenüber privaten Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Bedeutung des ultima ratio-Prinzips für die grundsätzliche Möglichkeit, den Privaten für seinen Rechtgüterschutz zu verpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Idee eines Gesellschaftsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Menschenbild unserer Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Höchstwertigkeit des Rechtsguts Leben und die Geeignetheit des Selbstschutzes für den hinreichenden Rechtsgüterschutz . . . . . . . . . . . . . 3. Die Bestimmtheit einer Obliegenheit zum Selbstschutz . . . . . . . . . . . . . . 4. Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

246 249 249 250 251 253 253 257 258 259 263 264 264 266 268 268 270 273 274 279 280 281 281

283 284 284 287

288 290 293 294 297 301

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Inhaltsverzeichnis 5. Der Verwirkungsgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Konkretisierung opferseitiger Obliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Passive und aktive Selbstschutzverletzungen sowie das Wiederaufleben des Heimtückeschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Primäre und sekundäre Pflichten gegenüber sich selbst . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Relevanz von Vorverhalten des Opfers, das keine Vorsatztat darstellt – sozial unerwünschtes Verhalten und fahrlässige Vortaten . . . . . . a) Nichtdeliktisches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fahrlässiges Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Umfang des zu erwartenden Angriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Einfluss der Rechtfertigung des Täters auf die Verneinung der Arglosigkeit des Opfers im Rahmen der wertenden Auslegung . . . . . . . 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

D. Die Anwendung der anhand der Erpresser- und Tyrannen-Konstellation entwickelten Heimtückedefinition auf die übrigen Problemfälle der Heimtücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Hinterhalt- und Fallen-Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Heimtückemord durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Tötung konstitutionell bedingt Argloser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Tatsächliche Arglosigkeit trotz objektiv offen-feindseligem Auftreten des Täters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die „Onkel“-Entscheidung (BGHSt 30, 105 ff.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Mitnahmesuizide und sonstige Tötungen zum vermeintlich Besten des Opfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

303 304 305 305 307 308 308 309 310 310 311 312

313 313 315 316 316 317 318 319

E. Endergebnis und Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344

A. Einleitung und Gegenstand der Arbeit Das Mordmerkmal Heimtücke ist eines der am häufigsten verwirklichten Mordmerkmale1. Deshalb haben die zahlreichen Probleme, die bei der herkömmlichen Definition der Heimtücke als das bewusste Ausnutzen der auf Arglosigkeit beruhenden Wehrlosigkeit auftreten, große praktische Relevanz. Im ersten Teil dieser Arbeit soll nicht nur die Lücke einer umfassenden Würdigung des Heimtückemerkmals im Bereich der Monographien2 geschlossen werden, sondern vor allem sollen die verschiedenen Lösungsansätze zu den problembehafteten Fallgruppen analysiert und bewertet werden, um erstens ein Urteil über die Leistungsfähigkeit des Heimtückemerkmals abgeben zu können, und um zweitens eine Grundlage zu schaffen, auf der die in dieser Arbeit zu entwickelnde Heimtücke-Definition bewertet werden kann. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Legitimität einer normativen Deutung der Arglosigkeit, ein Ansatz, der durch die 2003 ergangene Erpresser-Entscheidung3 wieder verstärkt in Diskussion geraten ist. Ebenso wie bei den zahlreichen Tyrannen-Morden besteht die – zunächst einmal tatsächliche – Besonderheit, dass das Opfer im Vorfeld der Tat ebenfalls deliktisch gehandelt hat. Dadurch wird bei der Tyrannen-Tötung ein gewisses Mitgefühl mit dem Täter geweckt, das stellvertretend mit dem Titel Franz Werfels Novelle „Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig“ zu umschreiben ist. Bei der Erpresser-Tötung wird durch das Opferverhalten ebenfalls der Vorwurf erzeugt, der Erpresser sei zu einem Teil selbst an seiner Tötung schuld. Aufgabe des zweiten Teils die1 Leider finden sich weder in der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik, noch im Periodischen Sicherheitsbericht Zahlen über die Verteilung der Mordmerkmale. Es ist aber naheliegend, dass die Heimtücke und die niederen Beweggründe die beiden häufigsten Merkmale sind. Laut Maurach/Schroeder/Maiwald, § 2 III Rn. 23 macht in den Jahren 1945 bis 1975 die Heimtücke 39% aller Mordmerkmale aus in einer vom BVerfG in Auftrag gegebenen Umfrage. Bei Rieß, MschKrim 52 (1969), 28 (32) ist die Heimtücke zusammen mit der Verdeckungsabsicht das am häufigsten vorkommende Mordmerkmal in einem Untersuchungszeitraum von 12 Jahren (1954 bis 1966) bezüglich aller Schwurgerichtsurteile des LG Hamburgs (N=102). 2 Eine umfassende Behandlung der zahlreichen Präzisierungsversuche des Heimtückemerkmals fehlt bislang erstaunlicherweise in der Reihe der Dissertationen. Es gibt zwar drei Dissertationen, die im Titel die Heimtücke beinhalten, zwei behandeln im Schwerpunkt jedoch die lebenslange Freiheitsstrafe des Mordtatbestandes, nämlich die Werke von Veh, siehe unten ab S. 171 und Schlechtriem. Die dritte und neueste Dissertation von Morris untersucht im Schwerpunkt die nationalsozialistische Prägung des § 211 StGB. 3 BGHSt 48, 207 ff.

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A. Einleitung und Gegenstand der Arbeit

ser Arbeit ist es, das in solchen Fällen bestehende ergebnisorientierte Empfinden, das Opferverhalten im Vorfeld der Tat stehe der Bewertung der Tat als Heimtückemord entgegen, rechtlich zu erfassen. Darüber hinaus ist es erstrebenswert, eine Definition für die Heimtücke vorzuschlagen, mit der der Vorwurf zu entkräften ist, es bestünden mehr Ausnahmen als Regelfälle bei dem Heimtückemerkmal4. Damit wäre die zum Teil herrschende Resignation beseitigt, dass durch keine noch so filigrane Präzisierungsarbeit eine für alle Fälle passende Heimtückedefinition aufzustellen sei5. Daher ist vor allem Ziel dieser Arbeit, eine Definition zu entwickeln, die fallgruppenunabhängig zu gebrauchen ist. Idealerweise sollten also auch die mit der herkömmlichen Definition verbundenen Problemfälle, die im ersten Teil herausgestellt werden, mit der neuen Definition zufriedenstellend zu lösen sein. Nicht Gegenstand dieser Arbeit sind die beiden folgenden Probleme: Zum einen wird das Verhältnis des Totschlags zum Mord nicht untersucht; hier wird der Standpunkt zugrundegelegt, dass der Mord die Qualifikation zum Totschlag ist. Wo dieser Streit Auswirkungen hat, wird aber auf die Konsequenzen der Auffassung eines Exklusivitätsverhältnisses eingegangen. Zum anderen wird die Debatte um die Verfassungskonformität der absoluten lebenslangen Freiheitsstrafe nicht aufgegriffen6. Denn ein durchaus begrüßenswerter flexibler Strafrahmen würde zwar zufriedenstellende Ergebnisse im Hinblick auf die Strafhöhe ermöglichen, kann aber das Problem der Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag nicht lösen.

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Otto, NStZ 2004, 142 (142). Geilen, JR 1980, 309 (312). 6 BVerfGE 45, 187 ff.; siehe die Dokumentation der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht von Jescheck/Triffterer mit weiterführenden Literaturhinweisen. Zu dem Problem auch Geilen, GS Schröder, 235 (235 ff.); Grünwald, FS Bemmann, 160 (160 ff.); Reizel, S. 195 ff. und Vehs Dissertation. 5

B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit der bisherigen Heimtückedefinition – Bestandsaufnahme und Bewertung bislang erfolgter Modifizierungen Jeder Versuch einer Problemlösung muss sich zunächst die Schwachstellen und die sachgerechten Aspekte der bestehenden Ansätze bewusst machen:

I. Die Grundformulierung Ausgangspunkt für die Umschreibung der Heimtücke, wie er in jedem Lehrbuch zu finden ist, ist die „bewusste Ausnutzung der auf Arglosigkeit beruhenden Wehrlosigkeit des Opfers durch den Täter“. Manch einer mag bei der Bezeichnung dieser Definition als Grunddefinition Widerspruch erheben, weil die „feindliche Willensrichtung“ in ständiger Rechtsprechung als weiteres Definitionsmerkmal verwendet wird und dies zusammen mit dem eben genannten Passus als „Standard-Definition“ der Heimtücke verstanden wird1. Auch dies stellt aber bereits eine noch zu besprechende Ergänzung dar2, die fallgruppenbezogen, nämlich bei den Tötungen zum vermeintlich Besten des Opfers, entwickelt wurde und die beispielsweise bei den Tyrannen-Morden nicht zur Anwendung kommt. Die Heimtücke wird trotz der in ihr enthaltenen subjektiven Komponente des Ausnutzens den objektiven Mordmerkmalen zugeordnet3. Das heißt allerdings nicht, dass bei Korrekturbestrebungen nicht auch subjektiv geprägte Zusätze vorgeschlagen werden, man denke wiederum an die feindliche Willensrichtung. Bei dem Versuch, eine Heimtückedefinition zu erarbeiten, die ohne zahlreiche fallabhängige Modifikationen auskommt, ist es als erster Schritt erforderlich, die Grunddefinition genauestens auf ihre Leistungsfähigkeit hin zu untersuchen. Dabei soll nicht nur durch eine Darstellung von Fallgruppen die jeweilige Schwäche der Definition und der Modifikationsvorschlag nachgezeichnet werden, sondern vor allem durch Gegenüberstellungen analysiert werden, was die Basisdefinition zu leisten vermag und an welchen Stellen die bisherige Praxis mit Widersprüchen 1

Geppert, JURA 2007, 270 (272). Siehe ausführlich zur feindlichen Willensrichtung ab S. 113. Gleiches gilt für den „verwerflichen Vertrauensbruch“, der ebenfalls teils als Bestandteil der Grunddefinition verstanden wird, siehe beispielsweise Langer, JR 1993, 133 (138). Zum Überblick zu den Zusätzen der Basisdefinition und den Sachverhalten, die jeweils Anlass dazu lieferten, Kerner, FS Universität Heidelberg, 419 (434 ff.); Kargl, StraFo 2001, 365 (368 ff.). 3 Siehe beispielsweise Kett-Straub, JuS 2007, 515 (517); Kaspar, JA 2007, 699 (699). 2

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

oder reinen Behauptungen arbeitet. Eine solche Aufarbeitung der Basisdefinition ist unabdingbar, um aus diesen Erkenntnissen eine neue Definition zu entwickeln, die die Schwächen der bislang gebrauchten Definition überwindet.

1. Die Arglosigkeit Die Arglosigkeit ist zweifelsohne der „Primärbegriff“ innerhalb der Heimtückedefinition4. Das will nicht meinen, dass die anderen Bestandteile weniger wichtig oder gar verzichtbar wären, sondern dass sich die Frage, ob die Heimtücke in einem Fall vorliegt, regelmäßig an dieser Stelle entscheidet. Der Großteil der Problempunkte des Heimtückemordes ist mit dem Arglosigkeitsbegriff verbunden: Es ist zu klären, wie intensiv das Opfer eine Vorstellung von seiner Sicherheitslage haben muss beziehungsweise umgekehrt, welche Erwartungshaltung der Arglosigkeit entgegensteht. Weiter ist der maßgebliche Zeitpunkt der Arglosigkeit herauszustellen und letztlich wird auf etwaige Ausnahmen und Problemfälle hinsichtlich dieser Punkte eingegangen. a) Die Intensität der Opfervorstellung Richtigerweise bedarf es für die Arglosigkeit keines „konkret problembewussten Vorstellungsbildes“ im Sinne eines positiven Unbedenklichkeitsurteils des Opfers von seiner Situation, weil ein solches so gut wie nie vorhanden wäre. Denn Menschen denken über ihre Sicherheit nur bewusst nach, wenn sie diese als beeinträchtigt einstufen, nicht aber, wenn alles normal im Sinne der opferspezifischen Alltäglichkeit erscheint5. Daher wird die Arglosigkeit als „Abwesenheit von Misstrauen“ oder als „Fehlen von Argwohn“ umschrieben6. Konsequenterweise können durch diesen individuellen Maßstab beim Bestimmen der mit Ungefährlichkeit gleichgesetzten Normalität auch Menschen mit Anlass zu vorsorglichem Personenschutz arglos sein7. In diesem Zusammenhang wird zwar zu be4

Küper, JuS 2000, 740 (741), dort hervorgehoben. MüKo/Schneider § 211 Rn. 124; NK StGB II/Neumann § 211 Rn. 53; Dreher, MDR 1970, 248 (249). Fischer § 211 Rn. 35, 42 differenziert sprachlich zwischen dem Arglosen, der eine positive Sicherheitsvorstellung hat und dem „Ahnungslosen“, der sich keine Vorstellung macht. Zum Teil wird für die Verwirklichung der Heimtücke durch Unterlassen ein positives Erwarten der Rettungshandlung gefordert, siehe hierzu ab S. 107. 6 Küper, JuS 2000, 740 (745), gleichermaßen SK StGB II/Horn § 211 Rn. 30. Ob hiervon auch konstitutionell bedingt Arglose erfasst werden, ist strittig, siehe ausführlich ab S. 38. 7 BGHSt 18, 87 (88) (Staschynskij-Fall) für Personenschutz und vorsorgliche Bewaffnung; BGHSt 41, 72 (79) für von Berufs wegen „rollenbedingt“ vorsichtige Personen wie Polizisten. Richtig auch BGH NStZ-RR 2004, 14 (15). Mit BGH NJW 2006, 1008 ff. (2. Beruhigungs-Fall) ist keine Änderung der Rechtsprechung eingeleitet, denn 5

I. Die Grundformulierung

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denken gegeben, dass man sich vernünftigerweise in manchen Situationen gar nicht arg- und wehrlos bewegen könne; es wird aber auch gesehen, dass dies dann „paradoxerweise bei einer Konfrontation mit § 211 bedeuten würde, daß gerade die Gefährlichkeit der Situation die Qualifikation beseitigt“ 8. Noch wichtiger ist, dass das gegenüber der als normal empfundenen Sicherheitssituation gesteigerte Bedrohtheitsgefühl des konkreten Opfers sich nicht danach bestimmen lässt, was von einem verständigen Bürger als nicht mehr alltäglich-tolerabel eingestuft wird. Um die Arglosigkeit auszuschließen, muss das Bedrohtheitsgefühl geeignet sein, den subjektiv empfundenen Bedarf an Schutzvorkehrungen im Vergleich zum alltäglichen Maß zu steigern, und das ist nur mit einem opferspezifischen Maßstab zu bestimmen. Der Argwohn muss sich soweit konkretisieren, dass Ort, Zeit, Mittel oder Täter konkreter befürchtet werden als bei einem allgemeinen Misstrauen9. Kriminalpolitische Einwände gegen die ansonsten bestehende Konsequenz, dass man zum Beispiel einen Gefängniswärter oder einen Menschen, der in einer gewaltgeprägten Beziehung lebt, nicht heimtückisch ermorden könnte, sind so offenkundig, dass sie hier nicht ausgeführt zu werden brauchen. Folglich ist die Frage der Arglosigkeit von einer individuellen Opferperspektive aus zu beantworten. Dabei ist noch zu klären, ob im Einzelfall der Vorwurf an das Opfer, die Situation nicht richtig eingeschätzt zu haben, rechtliche Konsequenzen entfalten kann. Diese Frage, ob der Argwohn entgegen der konkret-individuellen Einschätzung des Opfers begründet werden kann, indem man es für ausreichend erachtet, dass das Opfer den Angriff hätte erkennen müssen, hat durch den sogenannten Erpresser-Fall10 im Jahr 2003 Aktualität erlangt. Diese Frage geht allerdings über den Gegenstand dieses Punktes, der erforderlichen Intensität der Opfervorstellung, hinaus und gehört zu dem Problem, ob der Arglosigkeitsbegriff normativ zu verstehen ist. Im Verlauf dieser Arbeit wird sich häufig zeigen, dass diese Frage in der wissenschaftlichen Diskussion immer wieder anders eingekleidet auftaucht – dies ist ein Zeichen einerseits für die Dringlichkeit ihrer Beantwortung und andererseits für ihre bisher mangelnde dogmatische Aufbereitung.

bei dem seit Jahren in Angst vor einem tödlichen Anschlag lebenden Opfer war für die Verneinung der Heimtücke nicht die Dauerangst ausschlaggebend, sondern, dass unmittelbar vor der Tat eine Autohetzjagd stattfand. 8 Geilen, FS Bockelmann, 613 (619 f.). 9 Zu dem Erfordernis eines konkreten Argwohns Baumann, NJW 1963, 561 (562). Dass es zur Verneinung der Arglosigkeit nicht genügt, dass das Opfer grundsätzlich Angst vor dem Täter hat, betont der BGH immer wieder, so beispielsweise in NStZ 2009, 501 (502); 2010, 450. 10 BGHSt 48, 207 ff.

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

b) Der sachliche Bezug Nach der Entscheidung, dass nur eine positive Erwartungshaltung über eine konkret-gesteigerte Gefahrensituation tauglich ist, die Arglosigkeit des Opfers zu verneinen, schließt sich die Frage an, ob sich dafür jeder Angriff in der Vorstellung des Opfers eignet oder ob er gewisse Mindestanforderungen hinsichtlich der Intensität erfüllen muss11. Der opferfreundlichsten Auffassung nach ist das Opfer so lange arglos im Rahmen des § 211 StGB, wie es keinem Angriff auf sein Leben entgegensieht12. Der extremen Gegenposition zufolge darf sich das Opfer hingegen keinerlei Feindseligkeit seitens des Täters gewahr sein; schon die Erwartung auf einen nur verbalen Angriff schließe die Arglosigkeit und damit die Heimtücke aus13. Für die vermittelnde Position ist hierfür ein in der Vorstellung des Opfers zumindest Angriff auf die körperliche Integrität erforderlich14. Meist wird dabei zu Recht eine nicht unerhebliche Intensität verlangt, denn sonst gäbe es für das Opfer nahezu keinen Unterschied zu der Situation, in der es sich gar keines körperlichen Übergriffs versieht15. Für die enge Auslegung (wonach die Arglosigkeit nur dadurch auszuschließen ist, dass das Opfer einen Angriff auf sein Leben erwartet) mag auf den ersten Blick sprechen, dass bei einem erwarteten Angriff geringeren Ausmaßes das von § 211 StGB geschützte Rechtsgut nicht berührt ist16. Dem ist aber erstens entgegenzuhalten, dass auch ein Angriff tödlich enden kann, der nach dem vermuteten Tatplan nur eine Körperverletzung nach sich ziehen soll, so dass das von § 211 StGB geschützte Rechtsgut immerhin objektiv betroffen sein kann. Zweitens ist das Abwehrverhalten, das man gegen einen erheblichen Angriff auf die körperliche Integrität an den Tag legt, häufig kein anderes als jenes, welches man ausüben würde, würde man einen Angriff auf sein Leben befürchten. Insofern ist der

11 Zum Streitstand und der Entwicklung in der Rechtsprechung Schmoller, ZStW 99 (1987), 389 (395 ff.); Geilen, GS Schröder, 235 (239 ff.); Otto, JR 1991, 382 (382). 12 So früher die Rechtsprechung in BGHSt 7, 218 (221) und wieder BGHSt 23, 119 (120). 13 BGHSt 27, 322 (323 f.), schon im Leitsatz heißt es, dass es unerheblich sei, ob sich das Opfer gerade eines tätlichen Angriffs versehe; gleichermaßen eng BGH NStZ 1983, 34 (35). 14 BGHSt 20, 301 (302); BGHSt 33, 363 (365 f.), bemerkenswerterweise führt der BGH aus, dass es nicht auf ein verständiges Opfer, das mit einem Angriff hätte rechnen müssen, ankommen soll – damit spielt die schon aufgeworfene Frage, ob ein verständiges Opfer als Maßstab für die Arglosigkeit gelten soll, auch hier eine Rolle. Auch BGH GA 1967, 244 (245) konstatiert die Irrelevanz der Frage, ob das Opfer mit einem Angriff hätte rechnen müssen. Vertieft dargestellt wird dieser Streitpunkt bei der ErpresserEntscheidung und der sonst objektiv-offen Feindseligkeit ab S. 52. 15 BGH StV 1985, 235 (235); BGH NJW 1991, 1963 (1964); BGH NStZ 1993, 341 (342); Schmoller, ZStW 99 (1987), 389 (396); Kargl, StraFo 2001, 365 (368). 16 So argumentiert beispielsweise Hofmann, NStZ 2011, 66 (66).

I. Die Grundformulierung

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Aussage zu widersprechen, dass derjenige, der sich keiner Lebensgefahr ausgesetzt sehe, auch keine lebensschützenden Aktivitäten einleite17. Als sachlicher Bezugspunkt der Arglosigkeit beziehungsweise des Argwohns ist daher eine vom Opfer für möglich gehaltene Bedrohung seiner körperlichen Integrität von einigermaßen erheblichem Gewicht anzusehen18. c) Der maßgebliche Zeitpunkt Weiter ist der Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem das Opfer arglos sein muss. aa) Der Grundsatz In zeitlicher Hinsicht kann der Rechtsprechung zufolge grundsätzlich derjenige Heimtückeopfer sein, der „bei dem Beginn des auf seine Tötung zielenden Angriffs arg- und wehrlos war“ 19. Bisweilen wird diese „Zeitregel“ 20 präzisiert durch den Zusatz „d.h. beim Eintritt der Tat in das Versuchsstadium“ 21. Ob dieser Erläuterung beizupflichten ist und somit der Beginn des Angriffs mit der Unmittelbarkeit im Sinne des § 22 StGB gleichzusetzen ist oder ob der Angriff grundsätzlich auch im Vorbereitungsstadium beginnen kann, wird unterschiedlich gesehen. Es erstaunt, dass der grundsätzlich maßgebliche Zeitpunkt für die Arglosigkeit häufig ohne Begründung postuliert wird. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass es im Ergebnis zumeist nicht auf die Frage des grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkts ankommt. Denn in den Konstellationen, bei denen mit den unterschiedlichen Ansichten zu dem maßgeblichen Zeitpunkt abweichende Ergebnisse erzielt werden würden, konstituieren diejenigen, die grundsätzlich auf den Versuchszeitpunkt abstellen, eine Ausnahme und kommen so zum gleichen Ergebnis wie mit der Gegenansicht. Dies ist bei der Bewertung einer Tötung in einer „Falle“ oder aus einem „Hinterhalt“ heraus zu beobachten22. Das meint die Tötung eines im Zeitpunkt des Versuchsbeginns argwöhnischen Opfers, dem der Täter zuvor mit Tötungsvorsatz eine Falle gestellt hat oder das er in einen Hinterhalt gelockt hat und das deshalb zum Zeitpunkt der Tat immer noch wehrlos ist. 17

Otto, JURA 1994, 141 (149), noch vorsichtiger ders., JR 1991, 382 (382). So auch die Rechtsprechung, beispielsweise BGH JR 1991, 380 (381). Zu der Frage, ob bei einer ursprünglich einverständlichen Schlägerei die Arglosigkeit anzunehmen ist, wenn abredewidrig eine Waffe eingesetzt wird, Hofmann, NStZ 2011, 66 (66 f.). 19 BGH NJW 1980, 792 (793); BGH NStZ 1993, 438 (438); BGH NStZ-RR 1999, 234 (234) (Kaffeeglas-Fall); BGH NStZ 2012, 35 (35). 20 MüKo/Schneider § 211 Rn. 131. 21 BGHSt 32, 382 ff. (Fesselungs-Fall); BGH NJW 1991, 1963 (1963); BGH NStZRR 1996, 98 (98). 22 Siehe aus der Rechtsprechung vor allem BGHSt 22, 77 (79 f.); weitere Nachweise bei Küper, JuS 2000, 740 (743 Fn. 34). Ausführlich zu dieser Konstellation ab S. 27. 18

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

Es fragt sich somit nicht nur, ob eine Vorverlagerung des maßgeblichen Zeitpunkts in der Rechtsprechung zu der Fallen-Konstellation zu befürworten ist, sondern auch, ob sie wirklich nur die Ausnahme darstellen oder vielmehr die Regel sein sollte. Zunächst ist daher zu klären, wann allgemein die Arglosigkeit für die Heimtücke vorzuliegen hat. Auf dieser Basis ist anschließend über etwaige Abweichungen im Einzelfall zu befinden. Namentlich Neumann trägt nun für die weite Auslegung, die die Arglosigkeit grundsätzlich im Vorfeld der Tat als ausreichend erachtet, Folgendes vor23: Auch ein Angriff auf die Freiheit könne vom Tötungsvorsatz getragen sein, wobei der „Tötungsvorsatz“ hier kein technischer, auf die Versuchsphase beschränkter Vorsatz sei. Arg- und Wehrlosigkeit könnten „gestaffelt“ ausgenutzt werden. Eine zeitliche Koinzidenz von Arglosigkeit und Versuchsbeginn sei nämlich entgegen anderer Auffassung24 nicht erforderlich, wenn die früher herbeigeführte Wehrlosigkeit bis zum Versuchsbeginn fortdauere, weil dann der „funktionale Bezug“ zu der die Mordstrafe rechtfertigenden Gefährlichkeit erhalten sei. Daran ist zunächst richtig, dass mit dem Simultanitätsprinzip im Sinne des § 8 StGB nicht zu begründen ist, dass Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zum Zeitpunkt der Tat vorliegen müssen. Anders wäre dies, wenn das Gesetz ausdrücklich beides als Tatbestandsmerkmal vorsehen würde. De lege lata ist aber die Heimtücke das Tatbestandsmerkmal und wie dieses auszulegen ist, also aus welchen Definitionselementen sich dieses Merkmal zusammensetzt, ist erst festzusetzen. Es ist demnach durchaus möglich, eine vor dem Versuchsbeginn bestehende Arglosigkeit unter den Voraussetzungen genügen zu lassen, dass erstens die daraus resultierende Wehrlosigkeit zum Tatzeitpunkt noch besteht und zweitens der Täter bei der Wehrloswerdung des Opfers im Vorbereitungsstadium bereits diesen Umstand für eine spätere Tötung einplant. Klarzustellen ist auch, dass eine solche Auslegung keine Vorverlagerung der Strafbarkeit bewirkt, denn der Versuchsbeginn ist weiterhin nach allgemeinen Grundsätzen zu bestimmen. Teilt man diesen Standpunkt, sollte er als allgemeine Regel und nicht nur als Ausnahme verstanden werden25. Gegen dieses weite Verständnis der Heimtücke sprechen jedoch mehrere Überlegungen: So weit ersichtlich wird für keine von Literatur oder Rechtsprechung entwickelten Definition zu einem Tatbestandsmerkmal eines anderen Delikts an einen Umstand angeknüpft, der ausschließlich im Vorfeld der Tat vorgelegen hat. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Vorbereitungsphase grundsätzlich rechtlich irrelevant und nur ausnahmsweise rechtlich erheblich ist, wenn Vorberei23 NK StGB II/Neumann § 211 Rn. 66; in diesem Sinn auch Otto, JK 90 StGB § 211/19. 24 Siehe hierzu Rengier, FS Küper, 473 (474). 25 Otto, JK 90 StGB § 211/19. Bei Wessels/Hettinger, StR BT I, § 2 Rn. 106 ist insofern von zwei typischen „Erscheinungsformen“ der heimtückischen Begehungsweise und nicht von einem Regel-Ausnahmeverhältnis die Rede.

I. Die Grundformulierung

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tungshandlungen ausdrücklich im Gesetz als strafbar normiert sind. Mit der weiten Auslegung hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunkts für die Arglosigkeit läge indes eine wesensbestimmende Komponente der Heimtücke nur in der Vorbereitungsphase vor, ohne dass sich eindeutig aus dem Gesetz ergibt, dass dies ausreicht. Dieser nur vor der Tat bestehende Aspekt der Arglosigkeit ist zudem keine Vorbereitungshandlung des Täters26, sondern eine Umschreibung eines inneren Zustands des Opfers, die sich nur vermittelt über die subjektive Einstellung des Täters strafschärfend auswirken würde. Denn die Arglosigkeit vor Versuchsbeginn soll für die Annahme der Heimtücke ja nur genügen, wenn der Täter im Zeitpunkt der Wehrloswerdung bereits einen Tötungsplan hat. Der im Vorfeld bestehende Plan, sich später wegen der vor Versuchsbeginn bestehenden Arglosigkeit einem wehrlosen Opfer gegenüberzusehen, stellt damit eine subjektive Bedingung der Strafbarkeit dar, wie sie das Strafgesetzbuch sonst nicht kennt; die Vorbereitungsphase ist damit keineswegs mehr irrelevant27. Demzufolge führt die Beachtung der Vorbereitungsphase durch den Vorsatz des Täters zwar nicht zu einer zeitlichen Vorverlagerung der Strafbarkeit, bewirkt aber eine qualitative Änderung der Bedeutung der (psychischen) Situation des Opfers. Denn diese ist nicht unmittelbar relevant, wie man es von einem objektiven Merkmal erwarten würde, sondern nur vermittelt durch den Täterplan. Man könnte nun einwenden, es sei eine anzuerkennende Eigenart des Heimtückemerkmals, dass der vor Versuchsbeginn bestehende Vorsatz hinsichtlich der Arglosigkeit und der Tötung eine strafschärfende Auswirkung hat, wenn nach allgemeinen Grundsätzen zur Tötung angesetzt wird, obwohl die Arglosigkeit als wesensbestimmendes Element der Heimtücke dann nicht mehr besteht. Es ist zugegebener Maßen kein zwingendes Argument gegen diese Konstruktion, dass sie von keinem anderen Merkmal her bekannt ist. Da diese Konstruktion aber mit dem Grundsatz, dass die Vorbereitungsphase rechtlich irrelevant ist, nicht zu vereinbaren ist, ist allein die sprachliche Möglichkeit einer solchen Begriffsbestimmung keine tragfähige Begründung für eine solche Ausnahmekonstruktion. Zudem muss man sich Folgendes vor Augen führen: Wenn die Strafbarkeit des § 211 StGB von der subjektiven Einstellung des Täters in der Vorbereitungsphase abhängt, ist die Strafbarkeitsbegründung für den Heimtückemord bedenklich weit in die Nähe des Gesinnungsstrafrechts gerückt. Diese Nähe zum Gesinnungsstrafrecht ist auch nicht damit zu bestreiten, dass objektiv die Arglosigkeit

26 Eine vorbereitende Handlung des Täters wird jedenfalls nicht zur Strafbegründung herangezogen. Zwar wird der Täter häufig eine Falle selbst eingerichtet haben oder das Opfer dort hingelockt haben und es fragt sich, wie der BGH entscheiden würde, wenn das Opfer ohne Zutun des Täters in eine naturgegebene Falle läuft und der Täter ihm dort auflauert, etwa weil er weiß, dass das Opfer regelmäßig eine einsame Strecke spazieren geht. Der entscheidende Aspekt im Vorfeld soll aber nicht die Vorbereitungshandlung, sondern die Arglosigkeit zum Zeitpunkt des Fallen-Zuschnappens sein. 27 Dies kritisiert zutreffend MüKo/Schneider § 211 Rn. 130, 132.

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

vor Versuchsbeginn besteht und objektiv die Wehrlosigkeit deshalb auch noch im Tatzeitpunkt gegeben ist. Das Fortwirken der Wehrlosigkeit bis zum Zeitpunkt der Tat bedeutet nämlich nicht, dass auch die Arglosigkeit in verstärkter oder gewandelter Form fortwirkt. Denn die Arglosigkeit ist keine Vorstufe der Wehrlosigkeit und in dieser enthalten, sondern ein Aliud28 im Verhältnis zur Wehrlosigkeit. Wenn die Arglosigkeit zur Tatzeit nicht vorliegt und ihr früheres Vorliegen wegen des ebenfalls frühen Tätervorsatzes ausreichen soll, verstärkt dies das Gewicht der Tätervorstellung damit über das Maß dessen hinaus, welches der Bedeutung eines Vorsatzes normalerweise zukommt: Der Vorsatz ist dann nicht mehr nur die subjektive Entsprechung der objektiven Merkmale, die zur Tatzeit vorliegen. Mit der weiten Auslegung des maßgeblichen Zeitpunkts für die Arglosigkeit würde die Heimtücke darüber hinaus eine höchst eigenartige subjektive Prägung erhalten. Will man aber nicht zur alten Abgrenzung nach der „überlegten Tötung“ zurückkehren29, kann der Plan des Täters vor dem Versuchsbeginn keine Relevanz haben30. Die Erklärung dafür, eine vor dem Versuchsbeginn bestehende Arglosigkeit für die Bejahung der Heimtücke genügen zu lassen, knüpft wohl an den Gedanken an, dass eine Tat nur als heimtückisch zu verstehen ist, wenn das Opfer sinnvolle Abwehrmaßnahmen hätte treffen können, hätte es das Vorhaben des Täters durchschaut31. Dem ist auch weiterhin zuzustimmen. Nun kann bereits vor Versuchsbeginn der letzte Moment verstrichen sein, zu dem das Opfer sich hätte wappnen können. Deshalb den Betrachtungszeitraum für die Arglosigkeit auszudehnen, ist aber freilich eine nur ergebnisbezogene Argumentation. Es ist ja gerade die Frage, ob eine Arglosigkeit vor Versuchsbeginn für das Heimtückemerkmal genügt. Aus noch zwei weiteren Gründen kann die Bejahung der Heimtücke bei einem im Versuchsbeginn argwöhnischen Opfer nicht auf den gefährlichkeitsbezogenen Opferschutzgedanken gestützt werden: Erstens würde dann eine Ungereimtheit im Vergleich zu einer anderen Konstellation erzeugt, bei der sich das Opfer ebenfalls nur vor dem Versuchsbeginn der Tötung schützen kann, ohne dass man dort deswegen die Heimtücke bejaht32: Wenn der Täter zunächst ohne Tötungsvorsatz die Wehrlosigkeit des Opfers herbeiführt und er diese in dem anschließend gefassten Tötungsvorsatz ausnutzt, 28 Das Aliudverhältnis wird dadurch deutlich, dass jemand wehrlos sein kann, ohne arglos gewesen zu sein. Ferner beschreibt die Arglosigkeit eine subjektive Bewusstseinslage des Opfers und die Wehrlosigkeit den objektiven Zustand einer Person. 29 Zur Relevanz der Überlegung und der Gefährlichkeit für die Zeitpunktfrage Otto, JR 1991, 382 (383). Bei der Überlegung war ebenfalls strittig, wann diese vorzuliegen hat, siehe zur Überlegung ab S. 120. 30 So auch SK StGB II/Horn § 211 Rn. 33. 31 Zu diesem Erklärungsversuch M.-K. Meyer, JR 1986,133 (136 f.); Kargl, StraFo 2001, 365 (368); kritisch zu dieser Erwägung aus Opferschutzgründen MüKo/Schneider § 211 Rn. 130 und Rengier, FS Küper, 473 (474). 32 Zu dem folgenden Vergleich Rengier, FS Küper, 473 (474 f.).

I. Die Grundformulierung

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wird richtigerweise die Heimtücke verneint33. Das wäre im Ergebnis mit der hier diskutierten weiten Auslegung des maßgeblichen Zeitpunkts nicht anders zu entscheiden, da in dem Zeitpunkt der Wehrloswerdung kein Tötungsvorsatz besteht. Für das Opfer stellt sich aber die Situation unabhängig von der Vorstellung des Täters genauso gefährlich dar – der letzte Zeitpunkt, zu dem es sich gegen den später erfolgenden Angriff auf sein Leben verteidigen kann, liegt im Vorfeld der Tötung. Daher kann der gefährlichkeitsbezogene Opferschutzgedanke kein Grund dafür sein, die frühe Arglosigkeit nur genügen zu lassen, wenn der Täter einen Tötungsplan hat; wäre der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem sich das Opfer noch rüsten kann, müsste man konsequenterweise auch bei Verlust der Arglosigkeit durch eine vorsatzlos herbeigeführte Wehrlosigkeit die Heimtücke bejahen, wenn der Täter später das immer noch wehrlose Opfer umbringt. Zweitens ist bei dieser ergebnisorientierten Betrachtung Folgendes zu bedenken: Die Meinung, für die die Arglosigkeit zu einem Zeitpunkt im Vorbereitungsstadium genügt, ist dadurch motiviert, die Tötung in einer Falle oder aus dem Hinterhalt heraus als Heimtückemord einordnen zu wollen. Aber selbst für diese Fallgruppe überzeugt die Bejahung der Heimtücke nicht ausnahmslos. Man denke sich einen Fall, in dem der Täter eine Frau in eine Falle lockt, sich ihrer dort mit der Absicht bemächtigt, sie zunächst jahrelang (völlig isoliert von der Umwelt und gegebenenfalls gefesselt) festzuhalten und zu missbrauchen und sie erst dann zu töten, wenn er ihrer überdrüssig ist. Dies ist gewiss eine Extremvariante der Fallen-Konstellation34. Das Beispiel verdeutlicht aber durch die zeitliche Streckung des Geschehens, dass in der Fallen-Konstellation nicht die Tötung, sondern ihre Vorbereitung heimtückisch erfolgt35. Ein Opfer, das über Jahre dauernd mit seiner Tötung rechnet, ist nicht Opfer einer heimtückischen Tötung, nur weil es sich nicht wehren kann, seit es in die Gewalt des Täters geraten ist. Der Mordtatbestand wäre hier eventuell wegen einer Verdeckungsabsicht, wegen Grausamkeit oder wegen niederer Beweggründe verwirklicht, nicht aber wegen heimtückischer Begehungsweise. Da in der normalen Fallen-Konstellation der Zeitraum zwischen dem Arglosigkeitsverlust und dem Versuchsbeginn sehr klein ist, neigt man dazu, die sonst übliche Grenze des Versuchsbeginns zu

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Siehe ausführlich zu diesen Fällen den nachfolgen Punkt bb). Bei einem gestreckten Geschehen, bei dem zwischen der Bemächtigung des zu diesem Zeitpunkt arglosen Opfers und dessen Tötung eine halbe Stunde lag, lehnte BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke Nr. 6 die Heimtücke im Hinblick auf die FallenRechtsprechung mit der Begründung ab, dass der allgemeine Tötungsplan zu wenig konkretisiert sei. Bei dem hier gebildeten Beispiel müsste er daher die Heimtücke ebenfalls ablehnen. 35 Arzt/Weber, § 2 Rn. 48. Freilich ist dies ein zirkelhaftes Argument, da es ja gerade die Frage ist, was noch unter die heimtückische Begehungsweise fällt. Das eigentliche Argument lautet, dass man sich nicht intuitiv für den weiten Heimtückebegriff aussprechen sollte, weil die Elemente, die die Heimtücke ausmachen, irgendwann einmal vorlagen. Diese müssen stattdessen in der Tatausführung verwirklicht sein. 34

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

vernachlässigen und die davor bestehende Arglosigkeit für die Annahme der Heimtücke ausreichen zu lassen. Die dazu verleitende Wertung, dass die Herstellung der Wehrlosigkeit des Opfers vor Versuchsbeginn niederträchtig und gefährlich ist, ist nachvollziehbar – sie trifft aber auch in dem Extrem-Beispiel zu, ohne dass man dort deshalb die Heimtücke bejaht. Die Fallen-Konstellationen sind nicht je nach Dauer der Fallenvorkehrung anders zu beurteilen und erst recht liegt bei einer jahrelangen Unterhaltung der Falle kein geringeres Unrecht vor als bei der raschen Tötung des Opfers nach seinem Eintritt in die Falle. Beide Male handelt es sich richtigerweise unter dem Gesichtspunkt der Heimtücke nur um einen Totschlag, eventuell um einen besonders schweren Fall gemäß § 212 Abs. 2 StGB. Es ist demnach der Rechtsprechung in dem Punkt zu folgen, dass grundsätzlich der maßgebliche Zeitpunkt für die Arglosigkeit der des Versuchsbeginns ist. Auch die Voraussetzungen in der Person des Opfers müssen demzufolge zur Tatzeit zur Gänze gegeben sein36. Das ergibt sich zusammengefasst daraus, dass die Gegenansicht allein fallgruppen- und ergebnisorientiert argumentiert, aber selbst in der Fallgruppe, die sie hauptsächlich vor Augen hat, das Ergebnis ,Heimtücke‘ nicht immer überzeugt. Außerdem vermag sie es nicht zu begründen, dass die Vorbereitungsphase relevant sein soll. Da diese grundsätzlich irrelevant ist, reicht die sprachliche Möglichkeit hierfür bei der Auslegung nicht, um eine Ausnahme von diesem Grundsatz zu begründen. Weil die Arglosigkeit in der Vorbereitungsphase nur bei einem entsprechenden Plan des Täters relevant sein soll, wäre letztlich eine Rückkehr zu dem überkommenen Merkmal der Überlegung und zu dem Gesinnungsstrafrecht eingeleitet, die nicht zu begrüßen wäre. bb) Die Ausnahmen Nach der Festlegung des Grundsatzes, dass die Arglosigkeit im Zeitpunkt des Versuchsbeginns gegeben sein muss, ist nun zu klären, ob bei „verfrühter Arglosigkeit“ 37 die Bejahung der Heimtücke ausnahmsweise möglich ist. Für zwei Fallgruppen wird eine ausnahmsweise Vorverlagerung des maßgeblichen Zeitpunktes für die Arglosigkeit diskutiert: Genannt wurde bereits die Rechtsprechung zu der Tötung eines Opfers, welches in eine Falle gelockt wurde. Auch die zweite erwogene Ausnahme wurde schon mit der Tötungsvariante angesprochen, wonach der Täter ohne Tötungsabsicht die Wehrloswerdung des Opfers herbeiführt und diese Wehrlosigkeit später bei der Tötung nutzt. In diesem Fall scheidet die Heimtücke an sich entweder aus, weil das Opfer seine Arglosigkeit mit der 36 Wenn die Arglosigkeit vor Versuchsbeginn wegfällt, ist zu überlegen, ob nicht die Verdeckungsabsicht einschlägiges Mordmerkmal ist. Arzt, JR 1979, 7 (10) weist auf die „Schaukel“ zwischen Heimtücke und Verdeckung hin. Siehe beispielsweise zu dieser Abgrenzungsproblematik BGH NStZ-RR 1999, 234 (234) (Kaffeeglas-Fall). 37 Küper, JuS 2000, 740 (744).

I. Die Grundformulierung

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Wehrloswerdung eingebüßt hat oder weil eine immer noch bei der Entschlussfassung zur Tötung bestehende Arglosigkeit nicht ursächlich für die Wehrlosigkeit des Opfers ist. Die vorgebrachten grundsätzlichen Bedenken gegen die generelle Festsetzung des maßgeblichen Zeitpunkts auf einen Zeitpunkt vor dem Versuchsbeginn der Tötung gelten natürlich auch hinsichtlich einer ausnahmsweisen Anerkennung dieses frühen Zeitpunkts in den beiden genannten Konstellationen. Trotz dieser grundsätzlichen Bedenken ist aber zu untersuchen, ob aufgrund einzelfallbezogener Erwägungen eine Ausnahme zu befürworten ist. Eine Ausnahme in die Gegenrichtung, also die Erforderlichkeit einer über den Versuchsbeginn hinausreichenden Arglosigkeit, wird nicht diskutiert. Die Arglosigkeit muss nicht bis zur Vollendung der Tat erhalten bleiben38. (1) Die Hinterhalt- oder Fallen-Fälle Die erste Ausnahme von der Zeitregel wird nun wie gesagt mit großer Akzeptanz für die Konstellation angenommen, dass der Täter mit Tötungsvorsatz entweder dem Opfer eine Falle stellt oder es in einen Hinterhalt lockt und ihm anschließend dort offen-feindlich entgegentritt39. Das Fallenaufstellen beziehungsweise das Hineinlocken stellt nach überwiegender Ansicht keinen Versuchsbeginn der Tötung dar40 und trotzdem soll es für die Heimtücke genügen, wenn das Opfer sich arglos in die Falle oder den Hinterhalt begibt und dort die vom Täter ausgehende Gefahr erkennt, bevor dieser zur Tötung ansetzt41. Voraussetzung soll sein, dass die im Vorfeld geschaffene „günstige Gelegenheit“ ununterbrochen bis zum Zeitpunkt der eigentlichen Tatausführung weiter besteht42. Es wird demnach eine Kontinuität gefordert, die sich aber nur auf die Wehrlosigkeit bezieht. Diese soll nur bei einem Tötungsvorsatz des Täters bei der Herbeiführung der Wehrlosigkeit zur Begründung der Heimtücke genügen. An diese besondere subjektive Voraussetzung knüpft die folgende Begründung für die ausnahmsweise Anerkennung eines frühen Zeitpunkts der Arglosigkeit an: 38 SK StGB II/Horn § 211 Rn. 33; NK StGB II/Neumann § 211 Rn. 67. Anderes gilt nach allgemeiner Ansicht für die Wehrlosigkeit. 39 BGHSt 22, 77 (79 f.), gebilligt von BVerfGE 45, 187 (264); BGH NStZ 1984, 261 (261). Siehe auch die Einschränkung BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke Nr. 6, wonach ein allgemeiner Tötungsplan nicht genüge, sondern die Tötungsweise nach Bemächtigung des Opfers konkret geplant sein müsse. 40 Siehe beispielhaft BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke Nr. 6. 41 Zu dem Problem, ob es sich dabei um mittelbare oder unmittelbare Täterschaft handelt, sei kurz bemerkt, dass sich diese Abgrenzung richtigerweise danach richtet, ob der Täter selbst in der günstigen Fallensituation zuschlägt oder die Opfermitwirkung erhoffter, wesentlicher und letzter Tatbeitrag ist. Dazu mit weiterführender Literatur Murmann, S. 462 ff. 42 BGH NStZ 1989, 364 (365) und unlängst in NStZ 2010, 450 (450); Kargl, StraFo 2001, 365 (368).

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

Aufgrund der herausragenden „Tücke“ in diesen Fällen sei die Heimtücke zu bejahen43. Es fragt sich also, ob die Tücke das Fehlen der Arglosigkeit im Zeitpunkt des Versuchsbeginns kompensieren kann, beziehungsweise das Verschieben des maßgeblichen Zeitpunkts für die Arglosigkeit nach vorne rechtfertigen kann. Ohne an dieser Stelle schon näher auf den Begriff der Tücke einzugehen44, muss allein vom Wort ,heimtückisch‘ her gedacht auch im Normalfall der heimtückischen Tötung ein erhebliches Maß an Tücke vorhanden sein. Es ist daher äußerst zweifelhaft, ob die fehlende Arglosigkeit durch ein Kriterium ausgeglichen werden kann, das schon im Normalfall der heimtückischen Tötung vorliegt. Gewiss ist als tatsächliches Charakteristikum bei den Hinterhalt-Fällen das längere Planen gegeben und man wird sagen können, dass deshalb in den Hinterhalt-Fällen die Tücke besonders deutlich zum Ausdruck kommt. Nur weil der tatsächliche Umstand der Planung nicht grundsätzlich für das Heimtückemerkmal vonnöten ist, heißt das indes nicht, dass er ein rechtliches Merkmal ersetzen oder ausgleichen kann. Das Charakteristikum Planung kann als Grund dafür dienen, das Ergebnis einer Verneinung der Heimtücke im konkreten Fall als nicht zufriedenstellend zu bewerten; den methodischen Weg zu einem anderen Ergebnis vermag es indes nicht zu liefern. Ein Mehr auf der subjektiven Seite kann das objektive zeitliche Minus nicht ausgleichen. Dass ein Verhalten aufgrund der Planung besonders tückisch wirkt, ist nicht zu bestreiten, es wird dadurch aber nicht zum Bestandteil der Tat, denn deren Grenzen sind nicht durch Charakteristika der Vorbereitung zu bestimmen. Bei der Betonung des subjektiven Elements zur Lösung der Hinterhalt-Fälle wird auch von der „Klammerfunktion“ des Vorsatzes gesprochen. Hierunter versteht man, dass der Täter die Arglosigkeit des Opfers vor der Überschreitung der Versuchsgrenze erfasst haben muss. „Kennzeichen der Heimtücke ist demnach, daß auf die Arglosigkeit bereits der Schatten des Tötungsvorsatzes fällt.“ 45 Es ist selbstverständlich richtig, dass der Täter vor seiner den Versuchsbeginn markierenden Handlung die Situation (insbesondere die Arglosigkeit des Opfers) erfasst haben muss, sonst läge kein finales Handeln vor. Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass die erfasste Arglosigkeit nicht auch objektiv bestehen bleiben muss, bis die Versuchsgrenze überschritten ist. Das Problem, ob in den Fallen-Konstellationen die frühe Arglosigkeit genügt, wird durch ein Ende 2007 ergangenes Urteil des BGH komplexer. Zunächst zu dem Sachverhalt: Das Opfer schuldete dem Täter einen erheblichen Geldbetrag. Darüber gerieten beide am Vortag der Tat in einen heftigen Streit. Der Täter nahm sich vor, seinen Schuldner umzubringen, falls dieser ihm nicht am nächs-

43 44 45

BGHSt 22, 77 (80). Siehe zu dem Tückeansatz ausführlich ab S. 163. Bosch/Schindler, JURA 2000, 77 (79).

I. Die Grundformulierung

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ten Tag das Geld zurückzahle. Er schickte einen Bekannten zur Eintreibung des Geldes zu dem Opfer. Dort telefonierte er mehrmals mit beiden, weswegen das Opfer den Täter an einem 30 km entfernten Ort wähnte. Während eines der Gespräche forderte der Täter seinen Bekannten auf, unter dem Vorwand eines Toilettenbesuchs die Haustür zu öffnen. So gelangte der Täter in die Wohnung und es kam zu einem erneuten Streit mit dem Opfer, als er von diesem bemerkt wurde. Dabei befürchtete das Opfer Gewaltanwendung, bemerkte aber die mitgeführte Pistole des Täters nicht. Der Täter erschoss sein Opfer von hinten, als dieses aufgebracht durch den Raum lief. Der BGH verneint die Heimtücke bei dieser Fallen-Konstellation aus zwei Gründen (zur Falle wurde die Wohnung des Opfers durch das unbemerkte Einschleusen des Täters durch dessen Bekannten). Zum einen sei das Opfer schon vor der Fallen-Einrichtung argwöhnisch gewesen. Darin ist dem BGH zuzustimmen. Erstaunlich ist aber seine zweite, hilfsweise Begründung. Danach soll keine Vorverlagerung des maßgeblichen Zeitpunkts für die Arglosigkeit stattfinden, wenn der Täter eine Falle stellt, deren tödliches Zuschnappen er vom Verhalten des Opfers abhängig macht46. Der BGH lehnt die Heimtücke hier ab, weil der Täter sich zur Tötung erst entschlossen habe, als aus seiner Sicht die Bedingung für die Tötung (also die Nichtzahlung der Schulden) eingetreten sei47. Das lässt vermuten, dass der BGH vor diesem Zeitpunkt lediglich von einer Tatgeneigtheit des Täters ausgegangen ist. Richtigerweise muss man hier aber einen Vorsatz unter einer objektiven Bedingung und nicht nur eine bloße Tatgeneigtheit annehmen. Zu klären ist dann, ob die Frage der Heimtücke von der Art des Vorsatzes abhängen kann. An keiner Stelle des Gesetzes wird indes zwischen einem Vorsatz mit oder ohne Bedingung unterschieden. Das wäre auch sachwidrig, denn der Vorsatz unter einer Bedingung ist ein vollwertiger Vorsatz. Die Bedingung, unter der der Täter seinen Tötungsvorsatz gefasst hatte, ist nicht geeignet, eine Gegenausnahme zu der Frage des maßgeblichen Zeitpunkts der Arglosigkeit zu begründen. Es bleibt abzuwarten, ob der BGH wirklich eine solche Gegenausnahme kreieren wollte48, ob er also in einem Fall, bei dem das Opfer arglos in die Falle geht, die Heimtücke wegen eines unter einer objektiven Bedingung bestehenden Vorsatzes verneint. Zu begrüßen wäre dies nicht. Ein letzter Kritikpunkt gegen die ausnahmslose Geltung der Zeitregel ist zu entkräften: Besonders unangemessene Ergebnisse werden durch die strenge Anwendung der Zeitregel angeblich dann erzielt, wenn das Opfer hinterrücks niedergestreckt werden soll, sich aber Sekunden vor der Handlung zufällig oder

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BGH NStZ 2008, 273 (275). BGH NStZ 2008, 273 (275). 48 Dagegen spricht BGH NStZ 2008, 569 (569), allerdings entschied hier ein anderer Senat. 47

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

auch auf Zuruf umdreht49. Besonders unangemessen wirken die Ergebnisse deshalb, da in den typischen Fallen-Konstellationen wenigstens ein erkennbarer Zeitraum zwischen dem Wegfall der Arglosigkeit und dem Versuchsbeginn besteht. Dahingegen sei in den eben genannten Fällen die fehlende Zeit bis zu dem maßgeblichen Zeitpunkt verschwindend gering und die Zufälligkeit spiele somit eine entscheidende Rolle. Es ist unmittelbar einleuchtend, dass die Heimtücke nicht durch spontanes Umdrehen des Opfers ausgeschlossen werden kann. Ebenso wenig kann der Täter mit einem für das Opfer in Bezug auf seine Verteidigungschancen irrelevanten Zuruf die Heimtücke beseitigen. Dieser kurze Moment zwischen Umdrehen und In-Anschlag-bringen der Waffe ist in beiden Fällen offenkundig nicht dazu geeignet, die Heimtücke auszuschließen. Das Ganze ist aber nur ein Scheinproblem. Denn bei korrekter Anwendung der allgemeinen Versuchsregeln ist bei einem Zuruf oder beim In-Reichweite-Kommen des Opfers und erst recht beim In-Richtung-zum-Täter-Drehen die Schwelle des Jetzt-geht’slos bereits überschritten und auch die Gefahr ist objektiv gesteigert, so dass das Erkennen der Gefahr und damit die Beseitigung der Arglosigkeit kurz nach dem Zeitpunkt des Versuchsbeginns erfolgen50. Das Opfer in einem solchen Fall wird also regelmäßig heimtückisch getötet und es entscheidet in diesen Fällen weder eine Zufälligkeit noch das Kalkül des Täters über dessen Strafbarkeit. Zusammenfassend muss in den Fallen-Konstellationen eine Ausnahme vom maßgeblichen Zeitpunkt, zu dem das Opfer arglos sein muss, abgelehnt werden. Eine Ausnahme aus Wertungsgesichtspunkten wegen des Planungsplus’ gleichwohl zu befürworten, ist noch wenigstens vom Ergebnis her verständlich, die etwaige Gegenausnahme aber ist jedenfalls entschieden abzulehnen. Die FallenFälle gehören nach landläufiger Meinung zwar zu den Paradefällen der heimtückischen Tötung, genau genommen ist aber lediglich die Vorbereitung durch heimtückische Begehungsweise zu beschreiben. Die Behandlung dieser heimtückeähnlichen Fälle nach § 212 Abs. 2 StGB überzeugt daher dogmatisch und vom Ergebnis her. 49 Hierzu Rengier, FS Küper, 473 (477); ein Beispiel für die Variante des Zurufs BGH NStZ-RR 1997, 168 (168). Genaugenommen handelt es sich hier aber um keine Falle, es sei denn man will jede Rückenstellung des Opfers als Falle oder Hinterhalt sehen, sondern um die Problemkonstellation des offen-feindlich auftretenden Täters. 50 Somit ist in Fällen wie BGH NStZ-RR 2005, 309 f., bei denen von der Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem Erfolgen des unmittelbaren Angriffs die Rede ist, der Annahme des Gefahrerkennens vor Versuchsbeginn zu widersprechen. Die Argumentation der Rechtsprechung, dass „heimliches“ Vorgehen nicht erforderlich sei und es für die Heimtücke genüge, wenn zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff eine so kurze Zeit liege, dass keine Möglichkeit der Verteidigung bestehe, ist damit nicht nur überflüssig, sondern falsch. Zu widersprechen ist nämlich der mit dieser Formulierung des BGH verbundenen Suggestion, dass die Arglosigkeit vor Versuchsbeginn wegfallen würde. SK StGB II/Horn § 211 Rn. 33 ist gleichermaßen der Auffassung, dass das Vorbereitungsstadium in solchen Fällen bereits verlassen wurde und deshalb die Beseitigung der Arglosigkeit ohne Belang ist.

I. Die Grundformulierung

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(2) Vorsatzwechsel des Täters/vorsatzlos herbeigeführte Wehrlosigkeit Ebenfalls zu der Kategorie „verfrühte [. . .] Arglosigkeit“ 51 zählen die Fälle, bei denen die Wehrlosigkeit vom Täter ohne Tötungsvorsatz herbeigeführt wird und der Täter erst danach einen Tötungsentschluss fasst. Dessen Umsetzung ist durch die immer noch bestehende Wehrlosigkeit erleichtert. Die Arglosigkeit besteht also nur zu einem Zeitpunkt, zu dem der Täter noch keinen Tötungswillen hat, sondern die Wehrlosigkeit des Opfers allenfalls mit Körperverletzungsvorsatz oder sogar ganz ohne deliktischen Gedanken verursacht. Daher unterscheiden sich diese Fälle von der Fallen-Konstellation durch die subjektive Täterseite im Vorfeld der Tat. Trotzdem hat die Rechtsprechung bei diesen Fällen nur teilweise die Heimtücke abgelehnt, in einigen Fällen hat sie die Heimtücke hingegen bejaht52. Bekannte Fallbeispiele für eine vorsatzlos herbeigeführte Wehrlosigkeit sind der „Fesselungs“-Fall sowie der „Kaffeeglas“-Fall53. Im Fesselungs-Fall ließ sich das Opfer von der Täterin bereitwillig fesseln, um deren Vertrauen nach einer vorangegangenen Streitigkeit im Anschluss an homosexuelle Handlungen wiederzugewinnen. Nach der Fesselung kam es erneut zum Streit und die Täterin entschloss sich zur Tötung. Im Kaffeeglas-Fall war das Stadium der Wehrloswerdung des späteren Tötungsopfers hingegen gar nicht von Feindseligkeit geprägt. Dort verletzte sich das kindliche Opfer im Treppenhaus beim Spielen mit dem Nachbarn und begab sich zur Wundversorgung in dessen Wohnung. Als das Kind die Wohnung verlassen wollte, wurde der Täter von der Angst beseelt, in eine peinliche Lage zu geraten. Um das Kind am Gehen zu hindern, fügte er ihm mit einem Kaffeeglas starke Kopfverletzungen zu. Dann erst fasste er den Tötungsentschluss und erwürgte es schließlich54. In beiden Fällen wurde die Heimtücke 51 Küper, BT Definitionen, S. 197, eine ähnliche Problematik ist auch beim Mordmerkmal „grausam“ diskutiert, siehe Küper, BT Definitionen, S. 188. 52 Abgelehnt wurde die Heimtücke in BGHSt 32, 382 ff.; BGH NStZ-RR 1999, 234 f.; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke Nr. 23; bejaht wurde sie hingegen in BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke Nr. 3 (hier war unklar, ab wann der Tötungsvorsatz bestand, der BGH erklärte es aber für irrelevant, ob der erste Angriff schon mit Tötungsvorsatz erfolgte und das Opfer damit nach oder vor dem Versuchsbeginn seine Arglosigkeit verlor) und BGH NStZ 2006, 502 f. 53 BGHSt 32, 382 ff. (Fesselungs-Fall) und BGH NStZ-RR 1999, 234 f. (KaffeeglasFall), wobei interessant ist, dass beide Fälle gemeinhin jeweils mit einem charakteristischen Wort betitelt werden, das einen dem eigentlichen Tötungsdelikt vorgelagerten Aspekt betrifft. Siehe auch BGH bei Holtz MDR 1977, 282 (282); BGH NStZ 1993, 438 (438) und BGH StV 1998, 545 (545). 54 Man kann darüber streiten, wann die Wehrlosigkeit des Opfers eingetreten ist: mit dem Sich-Hineinbegeben in die Wohnung, der Kopfverletzung oder dem Würgen. BGH NStZ-RR 1999, 234 (234) stellt auf den letzen Zeitpunkt ab, da das Kind nach der erlittenen Kopfverletzung noch laut schreien konnte. Von der grundsätzlichen Frage abgesehen, ob ein Hilferuf überhaupt die der Heimtücke entgegenstehende ausreichende Wehrhaftigkeit begründen kann, muss jedenfalls dann, wenn einem Dritten das Zuhilfe-

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

verneint und auf Totschlag erkannt. Anders, also die Heimtücke bejahend, entschied der BGH hingegen in den vergleichbaren „Küchenmesser“-Fällen55. Bei diesen Fällen würgte der Täter zunächst jeweils ohne Tötungsvorsatz das Opfer und griff dann mit Tötungsvorsatz zu einem Messer, um das geschwächte Opfer zu erstechen. Eine solche der Rechtssicherheit nicht zuträgliche unterschiedliche Behandlung dieser Fälle erstaunt. Es fragt sich, ob und wodurch eine Durchbrechung der Zeitregel (eventuell nur in einem Teil der Fälle) zu rechtfertigen ist. Für Bosch/ Schindler ist im Kaffeeglas-Fall aus zwei Gründen ein Heimtückemord entgegen dem BGH zu bejahen: Erstens sei die Wehrlosigkeit zwar ohne Tötungsvorsatz, aber immerhin von derselben Person herbeigeführt worden, die später das Opfer tötete56. Mit dem Aspekt der Personenidentität beschreibt man aber letztlich nur die reine Kausalität. Das gutgemeinte Angebot der Wundversorgung im Kaffeeglas-Fall stellt dabei kein vorwerfbares Verhalten dar (ebenso wenig wie im Fesselungs-Fall der Aufforderung des Sexualpartners nachzukommen, ihn zu fesseln). Insbesondere fehlt für die Vorwerfbarkeit die tötungsbezogene Finalität57. Eine nicht final verursachte Wehrlosigkeit kann aber nicht entsprechend zu der Falleneinrichtung oder dem Locken in den Hinterhalt zu einer für den Täter nachteiligen Auslegung des Mordmerkmals herangezogen werden. Denn eine Kongruenz zwischen objektiv bestehender und subjektiv vom Täter angenommener Arglosigkeit besteht zu keinem Zeitpunkt, hinsichtlich dem man entsprechend diskutieren könnte, ob das Geschehen als Heimtückemord qualifiziert wird. Zweitens stellen Bosch/Schindler im Kaffeeglas-Fall für die Bejahung der Heimtücke auf den Vertrauensaspekt ab: Besonders gefährlich sei, dass retroperspektivisch im Zeitpunkt der Herbeiführung der Wehrlosigkeit das von dem Opfer entgegengebrachte Vertrauen sogar berechtigt war58. Das entgegenbrachte besondere Vertrauen hebe die Arglosigkeit auf ein höheres Niveau, und diese qualifizierte Form der „erhöhten Arglosigkeit“ kompensiere den fehlenden Tötungsvorsatz59. Unklar ist schon, was dieses höhere Niveau der Arglosigkeit ausmachen soll. Möglicherweise ist dieses höhere Niveau mit einem Vertrauenskommen wegen der geschlossenen Räumlichkeiten nicht ohne weiteres möglich ist, die Tauglichkeit des Hilferufs als wehrhaftes Mittel verneint werden. Demnach lag die Wehrlosigkeit mindestens ab dem Zeitpunkt vor, ab dem dem Opfer der Weg nach draußen versperrt war. Ähnlich Bosch/Schindler, JURA 2000, 77 (78). 55 BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke Nr. 3 und BGH NStZ 2006, 502 (503). 56 Bosch/Schindler, JURA 2000, 77 (79, 81). 57 Selbst wenn man im Kaffeeglas-Fall die Wehrloswerdung erst durch die Schwächung aufgrund der lediglich mit Körperverletzungsvorsatz zugefügten Schläge auf den Kopf für begründet hält, liegt immer noch keine tötungsbezogene Finalität vor. 58 Bosch/Schindler, JURA 2000, 77 (81). Zum berechtigten Vertrauen Lange, GS Schröder, 217 (233). 59 Bosch/Schindler, JURA 2000, 77 (81).

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missbrauch60 zu begründen. Allerdings lag im Kaffeeglas-Fall in dem Zeitpunkt, in dem das Vertrauen entgegengebracht wurde, kein deliktischer Vorsatz und somit auch kein Missbrauch vor. Zwar spielt die durch das Vertrauen des Opfers entstandene Situation später für die Ausführung des dann bestehenden Tatentschlusses eine Rolle. Diesen späteren Missbrauch qualifizierend heranzuziehen, lastet indes dem Täter letztlich auch die anfänglich echte Hilfsbereitschaft an. Deshalb kann mit dem Vertrauensmissbrauch hier jedenfalls nur mit Vorsicht argumentiert werden61. Verlangt man stattdessen, dass der Heimtückevorsatz im Zeitpunkt des Entgegenbringens von Vertrauen bestehen muss, müsste dessen Fehlen im Kaffeeglas-Fall ausgeglichen werden. Nach Bosch/Schindler ist das fehlende subjektive Element dadurch zu kompensieren, dass das ursprüngliche echte Hilfsangebot und die spätere Attacke aus der „gleichen Motivation“, nämlich der Vermeidung einer peinlichen Situation, erfolgt sind62. Motive sind für die Heimtücke aber nicht tatbestandsrelevant und für das Vorliegen der Heimtücke kommt es schon gar nicht auf eine vor der Tat bestehende allgemeine Einstellung des Täters an. Es befremdet, die allgemeine Motivation, Peinlichkeiten zu vermeiden, straferschwerend heranzuziehen, da sie nicht tatbestandsbezogen ist und als solche auch nicht negativ zu bewerten ist. Ein solches Vorgehen kommt dem Gesinnungsstrafrecht noch näher als die Begründung der Heimtücke in den Fallen-Fällen, bei denen im Vorfeld der Tat wenigstens eine tatbestandsbezogene Motivation besteht. Die anschließenden Ausführungen von Bosch/ Schindler können jedenfalls unabhängig davon, ob man nun die Missbrauchsintension des Täters schon zum Zeitpunkt des Entgegenbringens von Vertrauen fordert, keinesfalls überzeugen: Sie meinen, dass ein erhöhtes Vertrauen im Fesselungs-Fall nicht gegeben und daher ein Gleichlauf mit dem Kaffeeglas-Fall nicht sachgerecht sei. Die Fesselung sei nämlich erfolgt, um fehlendes Vertrauen wiederherzustellen63. Dass im Fesselungs-Fall das Vertrauen fehlt, kann aber doch nur für die Seite des Täters gelten – das Opfer hat sich dem Täter sehr wohl anvertraut! Der Perspektivenwechsel, im Kaffeeglas-Fall auf das Vertrauen des Opfers, im Fesselungs-Fall jedoch auf das des Täters abzustellen, ist nicht nachvollziehbar. Es ist demnach festzuhalten: Wenn man zur Bejahung der Heimtücke wie hier vertreten die Arglosigkeit ausnahmslos zum Zeitpunkt des Versuchsbeginns fordert, muss die Heimtücke bei der Tötung eines zuvor vorsatzlos wehrlos gemach60 Das Wort Missbrauch gebrauchen die beiden Autoren nicht; nur einen Missbrauch könnte man dem Täter aber anlasten. Wenn sie von dem Ausnutzen der besonderen Beziehung sprechen, was besonders verwerflich sei, dürften sie der Sache nach aber das gleiche meinen. 61 Nicht nur der zeitliche Aspekt ist bei den Vertrauensbruch-Ansätzen umstritten, siehe hierzu ausführlich ab S. 131. 62 Bosch/Schindler, JURA 2000, 77 (81). 63 Bosch/Schindler, JURA 2000, 77 (81).

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ten Opfers verneint werden. Denn falls im Versuchszeitpunkt das Opfer überhaupt noch arglos ist, ist diese Arglosigkeit jedenfalls nicht ursächlich für die Wehrlosigkeit. Auch wenn man in den Fallen-Fällen unter den geschilderten Voraussetzungen64 eine dem Versuchsbeginn vorgelagerte Arglosigkeit genügen lässt, muss man aber die Heimtücke bei der Tötung eines zuvor ohne Tötungsvorsatz wehrlos gemachten Opfers verneinen. Denn der Unterschied zwischen den Fallen-Fällen und den Fällen der vorsatzlos herbeigeführten Wehrlosigkeit besteht darin, dass bei letzteren die Arglosigkeit und die Möglichkeit, aufgrund dieser wehrlos zu werden, nur vor dem Tötungsentschluss des Täters gegeben sind. Es ist zwar richtig, dass sich das Opfer in diesen Fällen zum Zeitpunkt der Wehrloswerdung keines Angriffs versieht. Das Opfer versieht sich indes nicht fälschlicherweise keines Angriffs. Die Heimtücke zeichnet sich aber durch dieses Irrtumselement aus, und dieses ist nicht gegeben, wenn es keinen Tötungsplan gibt. Dabei ist noch auf Folgendes hinzuweisen: Wenn der Täter wenigstens mit Körperverletzungsvorsatz die Wehrlosigkeit des Opfer herbeiführt, lässt sich scheinbar argumentieren, dass dann die fehlende Erwartung eines Angriffs doch ein Irrtumsmoment beinhaltet. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass sich der Irrtum, der die Heimtücke ausmacht, auf das von § 211 StGB geschützte Rechtsgut beziehen muss. Es mag für die Begründung des Argwohns zwar ausreichen, dass das Opfer einem erheblichen Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit entgegensieht, aber tatsächlich muss der Angriff, um dessen Bewertung es geht, ein Angriff auf das Leben des Opfers sein. Nur für diesen ist nämlich die Frage zu stellen, ob er heimtückisch erfolgt. Bei der Definition des Irrtums als das Auseinanderfallen von Vorstellung und Wirklichkeit gilt der Maßstab ,erhebliche Körperverletzung‘ somit nur für die Frage, welche Vorstellung des Opfers geeignet ist, den Argwohn zu begründen. Hinsichtlich der Wirklichkeit ist hingegen nach einem Tötungsvorhaben zu fragen. Anderenfalls gibt es in Bezug auf die tatbestandlich relevanten Umstände nichts, was man verkennen kann. Besteht zu dem Zeitpunkt der Wehrloswerdung also überhaupt kein verborgener Angriff auf das Leben des Opfers, gibt es auch keinen dem Versuchsbeginn vorgelagerten Angriff solcher Art, welchen man entsprechend zu der Fallen-Konstellation als heimtückischen Angriff bewerten könnte. Ob die Verursachung der Wehrlosigkeit dem Täter wenigstens im Hinblick auf ein anderes Delikt vorzuwerfen ist, scheint gleichwohl für die Rechtsprechung der entscheidende Punkt für die Heimtückefrage bei der Tötung eines zuvor (tötungs)vorsatzlos wehrlos gemachten Opfers zu sein. Bei den Küchenmesser-Fällen ist nämlich die Wehrloswerdung des Opfers dem Täter im Rahmen der vorsätzlichen Körperverletzung vorzuwerfen und dort sah der BGH die Heimtücke gegeben. Demgegenüber hat der BGH die Heimtücke im Kaffeglas-Fall abge64 Diese waren zum einen der Tötungsvorsatz im Vorfeld der Tat und zum anderen das Fortbestehen der Wehrlosigkeit bis zur Beendung der Tötung.

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lehnt, bei welchem dem Täter die Wehrlosmachung des Opfers nicht vorzuwerfen ist65. Nach dieser Differenzierung die Heimtücke anzunehmen, wenn bei der Verursachung der Wehrlosigkeit ein deliktischer Vorsatz bestand, überzeugt aber nach dem Vorgesagten nicht. Eine solche (für den Täter nicht vorhersehbare) Nachwirkung eines Vorsatzes ist vom Gesetz nicht vorgesehen und eine solche Differenzierung kann auch dem Wortsinn des Begriffs ,heimtückisch‘ nicht entnommen werden. Diese Differenzierung nach der deliktisch oder nicht deliktisch verursachten Wehrlosigkeit ist folglich abzulehnen. Die Rechtsprechung, die grundsätzlich betont, dass das Ausnutzen der Wehrlosigkeit allein unzureichend ist66, erläutert die dieser Aussage widersprechende Annahme der Heimtücke in den beiden Küchenmesser-Fällen ferner wie folgt: Ein nicht von einem Tötungswillen getragener Angriff, der die Arglosigkeit des Opfers entfallen lässt, soll dann für die Bejahung der Heimtücke ausreichen, wenn der „ursprüngliche Verletzungswille derart schnell in Tötungsvorsatz umschlägt“, dass die Wirkungen des ersten nicht gegen das Leben gerichteten Angriffs immer noch so stark sind, dass das Opfer gegen den Angriff auf sein Leben keine Verteidigungsmittel einsetzen kann67. Begründet wird dies mit dem Vergleich zu zwei Fällen, bei denen die Arglosigkeit bei einem offen-feindselig entgegentretenden Täter auch anzunehmen sei, weil zwischen dem Erkennen des Angriffs und dem Erfolgen des Angriffs keine Zeit zur Gegenwehr verbleibt68. Dieser Vergleich ist aber zum einen teilweise schief, denn bei einem von den beiden vergleichend herangezogenen Fällen, bei dem das Opfer „im letzten Augenblick“ 69 vor seinem Tod den Angriff erkennt, fällt die Arglosigkeit erst kurz nach dem Versuchsbeginn der Tötung fort70. Der Annahme der Heimtücke liegt deshalb gerade keine Ausnahme von der Zeitregel zugrunde. Vielmehr wird damit der Zeitregel entsprochen, so dass sich daraus keine (weitere und angeblich vergleichbare) Ausnahme für den Fall des Vorsatzwechsels ableiten lässt. Zum 65 Dort verfolgte der Täter bei der Verursachung der Wehrlosigkeit des Opfers überhaupt keinen deliktischen Plan. Es ist auch kein Fahrlässigkeitsvorwurf zu erheben, wenn man die Wehrloswerdung in dem Zeitpunkt erblickt, in dem das Opfer in die Wohnung des Täters geht. 66 BGHSt 19, 321 (322); BGHSt 32, 383 (383 ff.). 67 BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke Nr. 3; BGH NStZ 2006, 502 (503). 68 BGH NStZ 2006, 502 (503). 69 BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke Nr. 15. 70 So bei BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke Nr. 15 (der Sachverhalt dieser Entscheidung ist ausführlicher bei BGHSt 37, 397 ff. zu lesen, dort sind allerdings die Gründe zur Heimtückefrage nicht abgedruckt); auch BGH NStZ 2006, 96 f. erklärt, dass die Heimtücke vorliegen kann, wenn „der Täter ihm [dem Opfer] zwar offen entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen“ – auch dort befand sich der Täter richtigerweise aber bereits im Versuchsstadium, als das Opfer die Gefahr erkannte. Siehe zu dieser Ungenauigkeit hinsichtlich des Versuchsbeginns auch nochmals oben S. 30.

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anderen war bei dem zweiten vergleichend angeführten Fall ungeklärt, wann der Täter seinen Tötungsentschluss fasste, und damit war ebenfalls unklar, ob das Opfer vor oder nach Versuchsbeginn der Tötung Argwohn schöpfte71. Der BGH erklärt dort diese Frage für irrelevant, da so oder so keine Zeit für Gegenmaßnahmen bestünde. Damit stützt sich der BGH auf das Argument der gleichen Gefährlichkeit. Das meint, dass die Todesgefahr für das Opfer letzten Endes genauso groß ist, ob die Wehrlosigkeit nun mit oder ohne Tötungsabsicht entstanden ist. Hierbei wird aber wiederum außer Acht gelassen, dass zu dem Zeitpunkt der Wehrloswerdung noch gar kein Angriff auf das Leben, auch nicht untechnisch verstanden, vorliegt. Die von dem Heimtückebegriff vorausgesetzte Wehrlosigkeit muss aber richtigerweise auf eine Arglosigkeit gegenüber einem tatsächlich bevorstehenden Angriff auf das Leben zurückzuführen sein. Damit ist den beiden vergleichend herangezogenen Entscheidungen kein überzeugender Grund dafür zu entnehmen, die Heimtücke in Fällen zu bejahen, in denen das wehrlose Opfer bereits vor Tötungsbeginn argwöhnisch ist. Will man gleichwohl die Heimtücke bei der Tötung eines zuvor ohne Tötungsvorsatz wehrlos gemachten Opfers bejahen, müsste zudem erklärt werden, warum es einen Unterschied machen soll, ob die Wehrlosigkeit im Vorfeld aus Unachtsamkeit beziehungsweise als Nebeneffekt eines anderen deliktischen Geschehens durch den Täter verursacht wurde oder ob ein dritter, von der Person des Täters unabhängiger Umstand den Täter ein von Anfang an wehrloses Opfer vorfinden lässt. Denn für diese letze Variante wird die Heimtücke nicht in Betracht gezogen. Eine Erklärung für eine derartige Differenzierung ist aber nicht ersichtlich. Vielmehr besteht die Gemeinsamkeit, dass in allen drei Fällen die Wehrloswerdung des Opfers nicht im Plan des Täters vorgesehen ist. Das ist der schon herausgestellte entscheidende Unterschied zu den Hinterhalt-Fällen. Soweit ein anderer deliktischer Plan zum Zeitpunkt der eintretenden Wehrlosigkeit bestand, wird man bei der späteren Tötung an den Verdeckungsmord zu denken haben. Für die fahrlässige oder gar schuldlose Herbeiführung der Wehrlosigkeit ist das Ergebnis, dass das Tötungsdelikt als Totschlag zu bewerten ist, indes nicht unbillig. Folglich kann der Täter an einem zum Zeitpunkt des Versuchsbeginns bereits wehrlosen Opfer nur noch einen Totschlag begehen, gleich aus welchem Grund sich das Opfer in diesem Zustand befindet. Schlussendlich ist also die Ausnutzung der ohne Tötungsvorsatz verursachten Wehrlosigkeit nicht unter den Heimtückebegriff zu subsumieren, und zwar auch dann nicht, wenn man sich mit der Rechtsprechung zu den Hinterhalt-Fällen einverstanden erklärt. Hat dort wenigstens das Ergebnis wertungsmäßig überzeugt, ist hier nicht einmal das unbedingt der Fall. Die ausweitenden Tendenzen der Rechtsprechung sind daher nicht zu begrüßen.

71

Bei BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke Nr. 3.

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cc) Zwischenbilanz und weitere Ausnahmefälle Der Grundsatz, dass Arg- und Wehrlosigkeit im Zeitpunkt des Versuchsbeginns vorliegen müssen, gilt ausnahmslos und erstreckt sich daher auch auf die diskutierten Ausnahmefälle. Dass deshalb bei den Hinterhalt-Fällen die Heimtücke zu verneinen ist, erscheint zwar nicht befriedigend, diesem Defizit kann aber mit § 212 Abs. 2 StGB und der dortigen Möglichkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe für heimtückeähnliche Fälle entgegengetreten werden. In den Fällen des Vorsatzwechsels erscheint deren Nichterfassung durch die herkömmliche Heimtückedefinition auch im Ergebnis angemessen. Eine Konstellation, bei der die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts eine erhebliche Rolle spielt, wurde bislang ausgeblendet. Gemeint ist die Tötung schlafender Opfer. Dort soll eine Vorverlagerung des Betrachtungszeitpunkts vom normalerweise relevanten Zeitpunkt des Versuchsbeginns auf den Zeitpunkt des Einschlafens angezeigt sein, da das Opfer seine Arglosigkeit in der Regel mit in den Schlaf nehme72. Mit diesem Fortbestehen der Bewusstseinslage während des Schlafens wird genaugenommen nicht nur (wie bei den vorstehend besprochenen Ausnahmen) auf einen Zeitpunkt, sondern auf einen Zeitraum abgestellt, so dass die Beschreibung ,Vorverlagerung‘ nicht ganz treffend ist. Vordergründig erinnert dieser Aspekt des Fortbestehens an die Ausnahmekonstruktion der Rechtsprechung bei den Fallen-Fällen. Denn dort soll auch ein Dauerelement die Heimtücke begründen, obwohl ein wesentliches Element der Heimtücke zur Tatzeit fehlt. Ähnliches wird hier bei den schlafenden Opfern suggeriert. Allerdings soll in den Fallen-Fällen die Wehrlosigkeit fortbestehen, während es bei den schlafenden Opfern um ein Fortbestehen der Arglosigkeit geht. Außerdem wäre vor allem erst zu zeigen, dass bei dem schlafenden Opfer ein Element der Heimtückeformel nicht erfüllt ist, das mit dem Dauerelement ausgeglichen werden soll; denn nur dann stellt die Bejahung der Heimtücke bei der Tötung Schlafender eine Ausnahme dar. Da für die Arglosigkeit die Abwesenheit von Argwohn (statt eines positiven Sicherheitsgefühls) genügt73, verwundert es nämlich, dass die Annahme von Heimtücke bei schlafenden Opfern eine Ausnahme darstellen soll. Denn die Bewusstseinslage des Schlafenden erfüllt mühelos das Kriterium des abwesenden Argwohns. Offensichtlich wird hier die erforderliche Intensität der Situationsreflexion um das Erfordernis der Fähigkeit zum Argwohnhegen im maßgeblichen Zeitpunkt erweitert. Da die sich dadurch ergebende Konsequenz missfällt, dass Schlafende nicht heimtückisch umgebracht werden könnten, wird zudem der zeitliche Aspekt durch die geschilderte Vorverlagerung modifiziert. Bei Bewusstlosen soll hingegen nur die erste Modifizierung gelten (das Opfer muss also grundsätzlich Argwohn hegen können); die 72 73

BGHSt 23, 119 (120 f.). Zur erforderlichen Intensität der Opfervorstellung siehe nochmals S. 18.

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Zeitregel (dass der maßgebliche Moment der Versuchsbeginn ist) soll abweichend von schlafenden Opfern aber aufrecht erhalten bleiben, so dass Heimtücke grundsätzlich nicht in Frage kommt74. Bei Kleinkind-Opfern, bei denen zwar immer die „Abwesenheit von Argwohn“ zu bejahen ist, aber weder vor noch bei Versuchsbeginn die Fähigkeit zum Argwohnhegen besteht, soll die Heimtücke ebenfalls grundsätzlich ausscheiden75. Diesem ganzen Problemkomplex, bei dem zeitliche Aspekte mit qualitativen Anforderungen verwoben sind und bei dem daher nicht nur von einer Ausnahme der Zeitregel die Rede sein kann, widmet sich das folgende Unterkapitel. d) Die Problematik der konstitutionell Arglosen ’Konstitutionell bedingt arglose Opfer‘ ist der Sammelausdruck für Kleinkinder, bewusstlose, geisteskranke und schlafende Opfer76. Ihnen ist gemeinsam, dass sie im Zeitpunkt des Versuchsbeginns keinen Argwohn hegen. Der Grund dafür ist aber keine Fehlbewertung ihrer Situation, sondern dass sie nicht zur Reflexion ihrer Sicherheitslage fähig sind und deshalb keine andere Situationseinschätzung treffen können. Sie unterscheiden sich danach, ob dieses Unvermögen nur kurzfristig im Zeitpunkt der Tat oder langfristig besteht. Nun ist wie gesehen ein positives Sicherheitsgefühl aber gerade nicht Voraussetzung der Arglosigkeit. Gleichwohl ist klärungsbedürftig, ob die Anforderungen an die Bewusstseinslage so niedrig zu halten sind, dass tatsächlich immer dann, wenn die Abwesenheit von Argwohn gegeben ist, die Arglosigkeit zu bejahen ist, oder ob als Mindestanforderung die Voraussetzung gegeben sein muss, dass das Opfer sich im entsprechenden Zeitpunkt verstandesmäßige Gedanken hätte machen können. Kleinkinder (bei normaler Entwicklung bis ca. drei Jahre77), Bewusstlose und nicht ansprechbare Kranke werden von der überwiegenden Ansicht im Grundsatz78 aus dem Kreis der tauglichen Heimtückeopfer mit der Begründung herausgenommen, dass solche als essentielle Voraussetzung die Fähigkeit zum Argwohnhegen besitzen müssen und dies bei eben diesen Opfergruppen nicht der Fall ist79. Erste aufzuwerfende Frage ist somit, ob diese Grundsatzforderung nach 74

Siehe zunächst einführend Rauber, S. 44 f. Rauber, S. 44. 76 Arzt/Weber, § 2 Rn. 47 sprechen von „kreatürlich“ Arglosen; SK StGB II/Horn § 211 Rn. 30 gebraucht die „natürliche“ Arglosigkeit als Umschreibung. 77 BGH NJW 1978, 709 (709); BGH NStZ 1995, 230 (231). 78 Zu den Ausnahmen siehe ab S. 45. 79 Küper, JuS 2000, 740 (744) mit weiteren Nachweisen in Fn. 39; Rauber, S. 43 ff.; Schlechtriem, S. 19 ff.; Kargl, StraFo 2001, 365 (368); aus der Rechtsprechung für Kleinkinder BGHSt 3, 330 (332); BGHSt 4, 11 (12); BGHSt 8, 216 (218); BGH NJW 1978, 709 (709); BGH NStZ 2006, 338 (338 f.); für Besinnungslose BGH NJW 1966, 1823 (1824) mit der Besonderheit, dass die Besinnungslosigkeit von der Täterin selbst 75

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der Fähigkeit zum Argwohnhegen tatsächlich aufzustellen ist und ob hiervon Ausnahmen zuzulassen sind. Demgegenüber wird Schlafenden überwiegend die Tauglichkeit zugestanden, Opfer einer heimtückischen Tötung zu werden, da sie die Arglosigkeit mit in den Schlaf nähmen80. Ein Zugeständnis ist dies deshalb, da das Opfer die Fähigkeit, Argwohn zu hegen, zwar generell besitzt, im konkreten Zustand des Schlafens, also zum Zeitpunkt des Versuchsbeginns, aber nicht nutzen kann; die etwaige Mindestanforderung, dass hypothetisch verstandesmäßige Gedanken angestellt werden könnten, wäre also nicht erfüllt. Als zweite Frage wird daher der unterschiedlichen Behandlung von Kleinkindern, Bewusstlosen sowie nicht ansprechbaren Kranken einerseits und Schlafenden andererseits auf den Grund zu gehen sein. aa) Die Opfertauglichkeit permanent Argloser, insbesondere von Kleinkindern und Geisteskranken Zunächst sei der Blick auf die ständig oder zumindest langandauernd Arglosen gerichtet. (1) Die grundsätzliche Behandlung Die Verneinung der Opfertauglichkeit für einen Heimtückemord bei Kleinkindern, Bewusstlosen und nicht verstandesklaren Kranken versteht sich nicht von selbst. Es bedarf einer Erklärung dafür, dass es nicht belanglos ist, ob das Opfer nur situativ zur Tatzeit (wie das normale oder schlafende Opfer) oder fortdauernd arglos ist. Denn in beiden Fällen hat sich der Täter ein leichtes Opfer ausgesucht, das ahnungslos in Bezug auf den bevorstehenden Angriff und daher auch wehrlos ist. Konsequenz könnte so gesehen genauso gut sein, dass man bei allen Fällen der Arglosigkeit aus konstitutiven Gründen die Arglosigkeit im Sinne des Heimtückebegriffs bejaht, da ein positives Sicherheitsbewusstsein ja gerade nicht erforderlich ist81. Dieser Sicht wird entgegengehalten, es sei nach der Abschaffung des Privilegierungstatbestandes der Kindstötung (§ 217 StGB a. F.) besonders wichtig, dass

verursacht wurde; BGH StV 1998, 545 (545); für Geisteskranke BGH JZ 1974, 512 (512). 80 BGHSt 23, 119 (120 f.); aus neuerer Zeit BGH NStZ 2006, 338 (338 f.), anderer Ansicht ist Kretschmer, JURA 2009, 590 (592) mit weiteren Nachweisen. 81 Gössel/Dölling, § 4 Rn. 100: „selbstverständlich und erst Recht ohne Arg ist, wer noch gar nichts befürchten kann“; Dreher, MDR 1970, 248 (249); Otto, JURA 1994, 141 (149) moniert, dass Kleinkinder, Bewusstlose und Schlafende zumindest immer gleich zu behandeln seien; ebenso Krey/Heinrich, BT I, § 1 Rn. 44 f. Zur Frage der Bewusstseinslage siehe oben S. 18.

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bei solchen Opfern nicht immer automatisch § 211 StGB Anwendung findet82. Ebenfalls gegen die grundsätzliche Bejahung der Arglosigkeit bei konstitutionell bedingt Arglosen spricht sich Schmoller aus, allerdings weniger wegen Bedenken bezüglich eines Ausuferns der Mordstrafe als aufgrund der Überlegung, dass der Täter die Arglosigkeit in diesen Fällen nicht so leicht beseitigen könne; oft stehe er vor der Wahl, entweder heimtückisch zu töten oder gar nicht83. Das kann aber schwerlich objektiv unrechtsmindernd wirken. Dem Täter diesen ,Zwiespalt‘ zu Gute zu halten – so makaber es klingt – wäre allenfalls bei der subjektiven Seite der Heimtücke möglich. Zu problematisieren ist dies bei der Frage, ob im Rahmen des Ausnutzungsbewusstseins die Arglosigkeit nicht nur wahrgenommen werden muss, sondern ob sie darüber hinaus als Vorsatzbedingung zu verstehen ist. Damit ist die Diskussion gemeint, ob es die Annahme der Heimtücke hindert, wenn der Täter um die Arglosigkeit weiß, aber auch ohne diese die Tat begangen hätte84. Es soll an dieser Stelle indes nicht entschieden werden, ob die Heimtücke in subjektiver Hinsicht zu verneinen ist, wenn es dem Täter nicht darauf ankommt, ein argloses Opfer umzubringen85. Es genügt hier festzuhalten, dass die innere Situation des Täters nicht dazu geeignet ist, dem aus konstitutionellen Gründen Arglosen die objektive Opfertauglichkeit für einen Heimtückemord zu nehmen. Der Kern dieser Ansätze, den Mordparagraphen restriktiv zu handhaben, hat aufgrund der absoluten Strafandrohung des § 211 StGB aber seine Berechtigung. Deswegen erscheint es durchaus fragwürdig, wenn bei einer Opfergruppe nahezu automatisch ein Mordmerkmal einzugreifen droht. Andererseits weist aber jeder Tatbestand typische Fälle seiner Verwirklichung auf. Daher spricht auch beim Heimtückemord alleine die Klassifikation einer Opfergruppe als typisch nicht dagegen, dass die Tötung eines Menschen aus dieser Opfergruppe häufig zur Mordstrafe führt. Die Alternative, dass eine Gruppe bestimmter Menschen per se aus dem Schutzbereich des Heimtückemerkmals herausfällt, befremdet aber vor allem noch stärker. Das Anliegen, eine restriktive aber differenzierende Auslegung vorzunehmen, mag ein Grund sein, weshalb für die heimtückische Tötung konstitutionell Argloser mitunter einschränkend gefordert wird, dass der Täter in 82 Arzt/Weber, § 2 Rn. 47; Für Fischer § 211 Rn. 43 ist die Voraussetzung Argwohn hegen zu können weder tatsächlich noch begrifflich begründet, stattdessen sei diese Forderung pragmatisch zur zahlenmäßigen Verringerung der Verurteilung wegen Mordes motiviert. Eine Ausuferung der Mordstrafe bei konstitutioneller Arglosigkeit will auch Bürger, JA 2004 298 (298) vermeiden. 83 Schmoller, ZStW 99 (1987), 389 (399 f.); auch bei Arzt/Weber, § 2 Rn. 47 klingt der Vorwurf an, dass bei der Tötung konstitutionell Argloser die Heimtücke immer zu bejahen wäre. 84 Beispielsweise hat BGH StV 1990, 544 (544) bei der Tötung eines Schlafenden das Ausnutzungsbewusstsein bezweifelt, weil der Täter lautstark ins Haus eingedrungen war. 85 Siehe zu diesem Problem aber ausführlich ab S. 114.

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einem Garantenverhältnis zum Opfer stehen müsse86. Ausdrücklich begründet wird dies indes damit, dass die „kreatürlich-undifferenzierte Erwartung eines Menschen, niemand werde ihm Böses antun“ nur im Rahmen der Beziehung zu bestimmen Personen gerechtfertigt sei und außerhalb einer Garantenbeziehung der Täter bloße Hilflosigkeit ausnutze87. Es wird aber nicht erläutert, woraus sich diese Rechtfertigung ergeben soll. Wenn für das Vorliegen der Heimtücke wirklich entscheidend wäre, ob es sich bei dem Täter um einen Garanten handelt oder nicht, hinge die Heimtückefrage zudem von einer Unterscheidung ab, die das Opfer selbst nicht vornehmen kann. Eine solche Beschränkung ist daher abzulehnen. Da für die Arglosigkeit kein positives Sicherheitsbewusstsein erforderlich ist, kann der Grund für die Herausnahme der konstitutionell bedingt Arglosen aus dem Kreis der auch rechtlich als arglos Angesehenen nicht sein, dass sich das Opfer keine Gedanken über seine Sicherheitslage macht; der Grund dafür kann nur sein, dass das betreffende Opfer nicht fähig ist, Argwohn zu hegen, es sich also keine Gedanken über seine Sicherheitslage machen kann. Das ist der Ausgangspunkt für die Überlegung, dass der Entzug von Selbstschutzmöglichkeiten die unrechtsteigernde Wirkung habe, die die Tat zum Mord qualifiziere und dass dieser Entzug bei konstitutionell Arglosen fehle88. Der maßgebliche Gedanke der hypothetischen Gefahrerhöhung setze aber denknotwendig voraus, dass das Opfer an sich in der Lage ist, die Gefahr als solche zu erkennen89. Auch die Rechtsprechung erläutert ihr Vorgehen damit, dass „man eine böse Absicht aber nur vor jemandem verheimlichen kann, der an sich in der Lage ist, sie wahrzunehmen“ 90 und dass die Ausnutzung tückischer Mittel nur als Ausnutzung von Arg- und Wehrlosigkeit zu verstehen sei, wenn „sonst“ dem Angriff hätte entgegentreten werden können91. Das „sonst“ kann man nur so verstehen, dass eine Verteidigungschance bestehen würde, würde man sich den die Arglosigkeit ausmachenden Umstand wegdenken. Dieses Gedankenexperiment ,Wegdenken des Grundes für die Arglosigkeit‘ lässt sich aber bei dem momentan Unaufmerksamen wie bei dem Besinnungslosen, dem Schlafenden oder dem Kleinkind gleichermaßen vornehmen92. Ungleich ist allein die Realisierbarkeit der Beseitigung des Grundes, der die Arglosigkeit ausmacht. Einen Schlafenden kann man leicht wecken, ein 86

Arzt/Weber, § 2 Rn. 47. Arzt/Weber, § 2 Rn. 47; anderer Auffassung ist BGHSt 8, 216 (219) zu einer Kleinkindtötung unter Ausräumung schutzbereiter Dritter. 88 MüKo/Schneider § 211 Rn. 133; Kargl, JURA 2004, 189 (192). 89 Küper, JuS 2000, 740 (744); auch Kargl, JURA 2004, 189 (192) fordert, dass das Opfer die Geschehnisse hätte beeinflussen können. 90 BGHSt 8, 216 (218). 91 BGHSt 4, 11 (13), wobei nicht nur das Opfer in Person, sondern auch bereits das Abstellen auf einen schutzbereiten Dritten als ausreichend erachtet wurde; siehe auch BGHSt 18, 37 (38). 92 In diese Richtung Dreher, MDR 1970, 248 (250), jedoch nimmt er das Kleinkindsein nicht näher begründet hiervon aus. 87

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Kleinkind kann man nur langsam sich entwickeln lassen (also nicht zur Tatzeit), einen Geisteskranken wird man oft niemals heilen können. Doch ist nicht die Gefährlichkeit des Täters umso größer, je geringer die Chance der Wehrhaftwerdung des Opfers ist, weil er ein besonders leicht umzubringendes Opfer wählt? Diese Frage kann man mit der obigen Argumentation, die auf den Entzug von Selbstschutzmöglichkeiten als Ausdruck der erhöhten Gefährlichkeit abstellt, nur verneinen, wenn man das Defizit an Selbstschutzmöglichkeiten des Opfers durch einen individuellen Vergleichsmaßstab bestimmt und nicht durch einen generellen. Individuell meint dabei die Möglichkeiten der Verteidigung im Zeitpunkt der Tat im Vergleich zu den Möglichkeiten, die das konkrete Opfer üblicherweise sonst hat93. Als generell ist der Maßstab hingegen zu bezeichnen, wenn die zur Tatzeit bestehenden Schutzmöglichkeiten des Opfers auch mit den Schutzmöglichkeiten eines durchschnittlichen Opfers verglichen werden. Damit ist die Ausgangsfrage, ob für die Arglosigkeit die Fähigkeit zum Argwohnhegen zu fordern ist, nicht lediglich eine quantitative Frage, deren Beantwortung zu einem weiten oder engen Heimtückebegriff führt94. Sie ist vor allem mit der inhaltlichen Frage verknüpft, was Bezugspunkt einer mordqualifizierenden Gefahrerhöhung ist: Entweder ist hierfür nur auf die individuellen Möglichkeiten der Verteidigung abzustellen (was zur Folge hätte, dass ein konstitutionell bedingt argloses Opfer stets gleichermaßen gefährdet ist und damit keiner mordqualifizierenden erhöhten Gefahr ausgesetzt sein kann), oder es ist auch die generell erhöhte Erfolgswahrscheinlichkeit im Vergleich zum herkömmlichen Tötungsopfer ausreichend, um die gesteigerte Gefährlichkeit zu bejahen. In dieser Debatte wird oftmals suggeriert, dass die Fähigkeit zum Argwohnhegen und der tatsächliche Entzug von Selbstschutzmöglichkeiten denknotwendige Voraussetzungen der Arglosigkeit seien. Richtigerweise sind dies aber keine zwingenden begriffslogischen Voraussetzungen, sondern allenfalls normativ festgesetzte: Mit diesen beiden Voraussetzungen würde man nämlich neben den beiden Bewusstseinslagen ,argwohnhegend‘ oder ,arglos‘ eine dritte Rubrik neu schaffen, die sich aus dem natürlichen Wortsinn gerade nicht ergibt. Wenn nicht jeder, der keinen Argwohn hegt, auch arglos im Sinne des Heimtückemerkmals ist, lassen sich die Opfer nicht mehr nach dem allgemeinen Verständnis von Arglosigkeit und Argwohn in diese beiden Gruppen aufteilen. Gelten beispielsweise Kleinkinder als nicht arglos, sind sie nicht mit den beiden Kategorien ,argwohnhegend‘ und ,arglos‘ zu erfassen. Auch ist es sprachlich unstimmig, diese dritte Kategorie (einerseits tatsächlich keinen Argwohn zu hegen, andererseits aber 93 Diesen Maßstab legt beispielsweise Küper, JuS 2000, 740 (742) an, der das Interesse des Opfers an der Erhaltung seiner potentiellen Abwehrmöglichkeiten als „normative Selbstschutzgarantie“ bezeichnet. 94 Siehe zu den pragmatisch-quantitativen Überlegungen nochmals oben S. 40 und dort Fn. 82.

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nicht arglos im Rechtssinne zu sein) als ,konstitutionelle Arglosigkeit‘ zu bezeichnen, wenn diese Opfer gerade nicht als Arglose behandelt werden. Der sprachlogische Aspekt spricht folglich sogar für die Behandlung der konstitutionell bedingten Arglosigkeit als Arglosigkeit im Rechtssinn, weil nicht ersichtlich ist, weshalb die konstitutionelle Arglosigkeit keine Untergruppe der Arglosigkeit sein soll. Es ist also lediglich eine Behauptung oder Festsetzung, wenn für die Arglosigkeit gefordert wird, dass der Arglose fähig sein müsse, Argwohn zu hegen, aber keine aus dem Wort ,Arglosigkeit‘ abgeleitete Voraussetzung. Die Arglosigkeit setzt richtigerweise nicht voraus, dass die betreffende Person ein Gegenteil kennt – sondern nur, dass man ein Gegenteil kennt, um den Zustand des Opfers zu beschreiben. Ob jemand geisteskrank ist, hängt ja auch nicht davon ab, ob er versteht, was Verstandesklarheit ist. Dies spricht hinsichtlich der den Mord qualifizierenden Gefahrerhöhung dafür, nicht unbedingt eine nur momentane Steigerung der Gefährdung und somit einen Entzug von Verteidigungsmitteln bei dem konkreten Opfer zu verlangen. Entscheidend ist, dass mit dieser Auffassung, die nur auf die jeweilige Wehrfähigkeit des konkreten Opfers blickt, nur deshalb keine Steigerung der Gefährlichkeit bei einem permanent Arglosen auszumachen ist, weil das Maximum an Gefährlichkeit schon vorliegt – deshalb ist aber der Täter beziehungsweise seine Handlung nicht weniger gefährlich. Einen generellen Maßstab für die Frage der Gefahrerhöhung anzulegen, stellt keinen Widerspruch zu der oben95 aufgestellten Maxime dar, dass es für die Arglosigkeit bei Personen mit Anlass zum Personenschutz auf die individuelle Perspektive des Opfers ankommt. Es mag bei dieser Gegenüberstellung zunächst widersprüchlich erscheinen, dass ein individueller Maßstab zur Begründung der Arglosigkeit einmal herangezogen wird (beim personengeschützten Opfer) und einmal abgelehnt wird (beim konstitutionell bedingt Arglosen). Dieser scheinbare Widerspruch löst sich aber dadurch auf, dass die Fragestellung und damit der Bezugspunkt des jeweiligen individuellen Maßstabs verschieden sind. Beim vermehrt Präventivmaßnahmen ergreifenden Opfer geht es um die Bestimmung des normalen Gefahrenpotentials und um eine etwaig empfundene Steigerung des Gefahrenpotentials. Beim konstitutionell bedingt Arglosen hingegen lautet die mit dem individuellen Maßstab verbundene Frage, ob dem Opfer durch das Vorgehen des Täters weniger Abwehrmöglichkeiten zur Verfügung stehen, als dieses normalerweise zur Verfügung hat. Betrachtet man den individuellen Maßstab hinsichtlich dieser beiden Bezugspunkte bei der jeweils anderen Opfergruppe, zeigt sich Folgendes: Fragt man erstens beim konstitutionell bedingt Arglosen danach, ob seine individuell wahrgenommene alltägliche Lage eine den Argwohn auslösende Situationseinschätzung aufkommen lässt, ist dies zu verneinen. Wie bei dem sich verstärkt schützenden Opfer folgt auch hier aus der objektiven Gefahrerhöhung kein ständiger Argwohn. Auch beim konstitutionell 95

Siehe S. 18.

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bedingt Arglosen wird durch eine individuelle Perspektive der tatsächlichen Arglosigkeit zur rechtlichen Geltung verholfen96. Für die Frage des als normal empfundenen Gefahrengrades kommt der individuelle Maßstab also bei beiden Opfergruppen zu einem sachgerechten Ergebnis. Wird zweitens beim Personengeschützten danach gefragt, ob dem Opfer durch das Vorgehen des Täters Schutzmöglichkeiten entzogen werden, die es sonst gehabt hätte, so führt dies auch hier regelmäßig zu dem Ergebnis, dass die Verteidigungsmittel nicht weniger, sondern umfassend verfügbar sind. Hiergegen könnte man allerdings vorbringen, der unter erhöhtem Schutz Stehende könne Schutzvorkehrungen verstärken und dies nicht zu tun, sei eine Schwächung der Verteidigungsfähigkeit. Dabei wird man aber wiederum einräumen müssen, dass die quantitative Steigerung der Verteidigungsmittel die qualitative Sicherheit oftmals nicht oder nur unerheblich erhöht. Umgekehrt geht das Unterbleiben einer quantitativen Ausweitung des Schutzmittels nicht unbedingt mit einer höheren Gefährdung einher. Man stelle sich ein Staatsoberhaupt vor, welches bei tendenziell erhöht gefährlichen Auftritten immer von zwanzig Personenschützern umgeben ist, immer eine kugelsichere Weste trägt und auf geheimen Routen zum Veranstaltungsort gebracht wird. Für diesen Fall ändert die Aufstockung der Personenschützer wenig an der Wahrscheinlichkeit, dass ein etwaiger Scharfschütze einen tödlichen Schuss abgibt. Anders liegt es natürlich, wenn ganz andere Schutzmittel unterbleiben. Es kann aber jedenfalls festgehalten werden, dass es bei beiden Opfergruppen zumindest nicht unbedingt weiterhilft, danach zu fragen, ob das Opfer aufgrund des Täterverhaltens irgendwelche ihm sonst mögliche Schutzvorkehrungen nicht getroffen hat. Zudem wäre mit dem individuellen Maßstab der Verteidigungsmöglichkeiten innerhalb des Arglosigkeitsbegriffs ein die Wehrlosigkeit betreffender Aspekt herangezogen. Denn der Entzug von Verteidigungsmitteln lässt keine Arglosigkeit entstehen, sondern ist letztlich Ausdruck einer weiter fortgeschrittenen Wehrlosigkeit. Zwar sind Arglosigkeit und Wehrlosigkeit zwei eng miteinander verbundene und sich aufeinander beziehende Begriffe, die Bedingungsrichtung verläuft aber nur von der Arglosigkeit zur Wehrlosigkeit und nicht umgekehrt. Nach alledem kann die Einschränkung, dass das Opfer im Zeitpunkt des Tötungsversuchs die Fähigkeit zum Argwohnschöpfen haben muss, nicht überzeugen. Egal aus welchen konstitutionellen Gründen das Opfer keinen Argwohn schöpfen kann, es ist arglos und damit taugliches Opfer einer heimtückischen Tötung97.

96 Gilt dies beim Fall des unter Personenschutz Gestellten, der selbst die gesteigerte Gefahr (in Bezug auf den Normalbürger) realisiert, hat das erst recht zu gelten, wenn das Opfer diese nicht wahrnimmt oder wahrnehmen kann. Das ist so selbstverständlich, dass die Fragestellung bei dieser Opfergruppe gar nicht diskutiert wird. 97 So auch aus neuerer Zeit Fahlbusch, S. 181.

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(2) Die Ausnahmen aus Sicht der herrschenden Meinung Vom Standpunkt dieser Arbeit aus sind die Ausnahmen hinfällig, die die Rechtsprechung und große Teile der Literatur vornehmen, um trotz der von ihnen verneinten Arglosigkeit des Opfers dessen heimtückische Tötung zu begründen. Trotzdem lohnt ein (deshalb nur kurzer) Blick auf die Herleitungen der Ausnahmen aus zwei Gründen. Erstens lässt sich die eigene Position der Annahme von Arglosigkeit bei fehlender Fähigkeit zum Argwohnschöpfen vielleicht bestärken. Das wäre der Fall, wenn in den entsprechenden Fallgruppen das Bedürfnis groß ist, wieder zur Heimtücke zu gelangen, aber gleichzeitig die Begründungen hierfür angreifbar sind. Zweitens werden an diesen Problemgruppen Eigenheiten des Heimtückemordes deutlich, die es bei einer neuen Definition zu beachten gilt. Im Hinblick auf die Kleinkinder hat die Rechtsprechung nun zwei Ausnahmen gebildet. Zum einen soll es für die Annahme von Arglosigkeit genügen, wenn natürliche Abwehrmechanismen des kindlichen Opfers überwunden werden98. Zum anderen soll die heimtückische Tötung des Kleinkindes zu bejahen sein, wenn der Täter die Arglosigkeit eines schutzbereiten Dritten ausnutzt99. Neuerdings wendet der BGH konsequent diese Ausnahme auch bei Besinnungslosen an100. Der ersten Ausnahmeregel, dass das Überwinden natürlicher Instinkte die heimtückische Tötung begründen können soll, liegen die sogenannten Brei-Fälle zugrunde, bei denen Gift in Babynahrung untergemischt wird, damit dessen Aufnahme nicht instinktiv aufgrund des bitteren Geschmacks verweigert wird101. Der Schwachpunkt dieser Begründung liegt darin, dass der natürliche Abwehrinstinkt ein Defizit der Arglosigkeit kompensieren müsste, tatsächlich aber dieser Instinkt der Wehrhaftigkeit zuzuordnen ist. Denn die Auslösung dieses Instinktes ist nicht abhängig von einer reflektierten Erkenntnis über eine Gefahr. Das intuitive Verweigern von übelschmeckender Nahrung ist ein Gefahren abwehrender Schutzmechanismus, der unabhängig von der Vorstellung des Opfers über die Nahrung und damit über seine Sicherheit ist. Durch die komplette Ausschaltung der in diesem Sinn ungesteuerten Wehrhaftigkeit entsteht aber nicht die Fähigkeit, Argwohn hegen zu können. Wenn man dem Opfer auch das letzte Verteidigungsmit98

BGHSt 8, 216 (218 f.); BGH bei Dallinger MDR 1973, 901 (901). BGHSt 3, 330 (332); BGHSt 4, 11 (12); BGHSt 8, 216 (219); Neumann, StV 2009, 526 (526 mit weiteren Nachweisen in Fn. 7). 100 BGH NStZ 2008, 93 (94); BGH StV 2009, 524 (525). Abgelehnt wurde eine Ausweitung in dem Fall, in dem ein Gefangener zwar Schutz von dem Lagerchef erhielt, dieser aber in seiner Abwesenheit in trügerischem Vertrauen von dem Täter vertreten wurde, BGHSt 18, 37 (38). 101 BGHSt 8, 216 (218 f.), dort wurde dem Babybrei Schlaftabletten beigemischt. Ähnlich fast 20 Jahre später BGH bei Dallinger MDR 1973, 901 (901), dort wurde dem Brei ein Reinigungsmittel untergerührt. 99

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tel nimmt, ändert dies immer noch nichts an seiner Bewusstseinslage. Verlangt man für die Heimtücke die Fähigkeit, Argwohn zu hegen, hilft es über einen diesbezüglichen Mangel nicht hinweg, nur die völlige Wehrlosigkeit herbeizuführen. Hinsichtlich der Arglosigkeit bleibt die Lage unverändert. Auch wird bemängelt, dass es als zufällig erscheint und nicht verhältnismäßig ist, die Entscheidung über Mord oder Totschlag daran festzumachen, ob der Täter ein süßes oder bitter schmeckendes Gift einsetzt102. Damit ist zur zweiten Ausnahme zu kommen, der Tötung unter Ausnutzung der Arglosigkeit schutzbereiter Dritter. Hierbei wird für die Arglosigkeit nicht auf das Opfer, sondern den Dritten geblickt103; für die Wehrlosigkeit und die Kausalitätsverbindung soll wiederum die Person des Opfers maßgeblich sein. Fraglich ist, ob dieser „Perspektivenwechsel“ von dem Opfer zum Dritten für eine Komponente der Heimtücke möglich ist104. Sprachlich ist dies nicht ausgeschlossen105. Auch könnte dafür sprechen, dass die Heimtücke ein überwiegend objektives Merkmal ist, weil es die Art und Weise der Tatbegehung umschreibt. Da das Heimtückemerkmal eine Situation beschreibt, ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, diese Situation umfassend zu betrachten, also den Blick nicht nur auf eine Person zu beschränken. Eine solche Aufspaltung des Heimtückemerkmals ist aber zumindest ungewöhnlich und überraschend. Denn zunächst betrachtet man intuitiv die Situationseinschätzung des Opfers, weil es um dessen Tötung geht106. Es verwundert daher nicht, dass eine entsprechende Aufspaltung eines Merkmals für opferbezogene Merkmale in anderen Delikten nicht ersichtlich ist107. Hinsichtlich der überwiegenden Objektivität des Merkmals ist zu sagen, dass gerade mit der Arglosigkeit aber eine subjektive Komponente des Merkmals betroffen ist und die Erstreckung eines subjektiven Merkmals auf mehrere Personen grundsätzlich schwierig ist. Dies ist bei subjektiven Elementen 102

BVerfGE 45, 187 (266 f.); Rengier, MDR 1980, 1 (6). Nach herrschender Ansicht nicht nur objektiv, sondern auch aus Sicht des Täters, Hettinger, JuS 2011, 910 (914). 104 Zustimmend MüKo/Schneider § 211 Rn. 135 und Mitsch, JuS 1996, 213 (213). 105 Für die Arglosigkeit auf einen Dritten zu blicken, stellt keine Zurechnung von Drittverhalten zum Opfer dar, weil § 211 StGB nicht explizit von der Tötung eines arglosen Menschen spricht. Deshalb handelt es sich hier nicht um das Problem der Fremdzurechnung von Drittverhalten, wie es auf der Täterseite beispielsweise von der Mittäterschaft her bekannt ist. Daher greifen die Einwände, dass nur Objektives zurechenbar ist und dies eine Zurechnungsnorm braucht, hier nicht entsprechend. 106 Unlängst betont auch Köhne, JURA 2009, 748 (750), dass „die Arglosigkeit gerade des Opfers das ganz zentrale Element“ sei. 107 Einziges ersichtliches Gegenbeispiel ist die Lagertheorie bei der Abgrenzung von Wegnahme und Verfügung. Dort besteht aber die Besonderheit, dass das Rechtsgut Vermögen und auch die Betätigungsfelder der Täter einen großen Bezug zur Wirtschaft und damit zu privatrechtlichen Konstruktionen (also auch der verschiedenen Zurechnungen auf beiden Seiten eines Geschäfts) aufweisen. Außerdem hat die Zurechnung dort keine strafrahmenerhöhende, sondern nur eine nominale Wirkung. Insofern ist diese Sonderkonstellation nicht vergleichbar für den Mord heranziehbar. 103

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problematischer als bei objektiven Elementen, weil die Sinnhaftigkeit der Situation naturgemäß wesentlich davon abhängt, was die jeweilige Person weiß und denkt. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Arglosigkeit des Dritten ausnahmsweise das Defizit bei dem grundsätzlich maßgeblichen Opfer aufwiegen soll und noch weniger ist in der umgekehrten Situation einzusehen, warum der konstitutionell bedingt Arglose per se nicht heimtückisch getötet werden können soll, wenn der Dritte argwöhnisch ist. In der ersten Variante ist die Heimtückebejahung über den schutzbereiten Dritten lediglich ergebnisorientiert zu erklären. Selbst wenn man so der Begründung der konstitutionell Arglosen als Heimtückeopfer über den schutzbereiten Dritten und den Perspektivenwechsel für die Arglosigkeit zustimmt, ist jedenfalls festzuhalten, dass sich dieses Folgeproblem aus der Forderung, dass das Opfer einen Angriff gegen sich als solchen erkennen können muss, nur mit einer umständlichen und angreifbaren Konstruktion lösen lässt. Soweit bei der Tötung konstitutionell Argloser unter Ausschaltung eines schutzbereiten Dritten „Parallelen“ zu den Hinterhalt-Fällen gesehen werden108, ist zuzugeben, dass es sicherlich ebenso als Falle zu begreifen ist, den schutzbereiten Dritten wegzulocken und ein deshalb unbehütetes Opfer vor sich zu haben, wie das Opfer in eine Falle hineinzulocken. Darin erschöpft sich die Ähnlichkeit aber auch schon: Bei der als Falle bezeichneten Konstellation geht es um die Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunktes für die Arglosigkeit. Mit einer Veränderung des maßgeblichen Zeitpunkts wäre bei den konstitutionell bedingt arglosen Opfern mit schutzbereiten Dritten aber nichts gewonnen, weil aus Sicht der herrschenden Meinung das Opfer die ganze Zeit über als nicht arglos gilt und der Dritte die ganze Zeit über arglos ist. Bei den konstitutionell bedingt Arglosen mit schutzbereiten Dritten steht hingegen der Wechsel der maßgeblichen Perspektive für die Arglosigkeit in Rede. Es ist aber ein wesentlicher Unterschied, ob man begründen möchte, dass die Arglosigkeit einer Person zu einem früheren Zeitpunkt der Heimtücke genügt, oder ob man darlegen möchte, dass es auf eine ganz andere Person ankommt, weil das Opfer zu gar keinem Zeitpunkt als arglos gilt. Aus einer Argumentation für eine zeitliche Vorverlagerung der Arglosigkeit ist daher nichts für die Ausdehnung der maßgeblichen Bewusstseinslage auf eine andere Person als das Opfer zu entnehmen. Aus dem Vergleich zu den HinterhaltFällen ist also unabhängig von den dagegen prinzipiell bestehenden Bedenken keine Begründung für die Heimtückebejahung in den Fällen der Tötung konstitutionell bedingt Argloser unter Ausschaltung schutzbereiter Dritter abzuleiten. Vom Standpunkt der hier vertretenen Ansicht, die von der Opfertauglichkeit im Sinne von § 211 StGB bei konstitutionell bedingter Arglosigkeit ausgeht, stellt sich aber eine andere Frage. Die Frage lautet dann, ob umgekehrt die gegebene (wenn auch nicht erfolgreiche) Schutzbereitschaft Dritter die Tat nur als 108

Rengier, MDR 1980, 1 (6).

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Totschlag erscheinen lässt. Wenn man die Schutzbreitschaft Dritter richtigerweise nicht als Element der Arglosigkeit versteht, sondern als eines der Wehrhaftigkeit, könnte das dazu führen, dass das Opfer trotz seiner umfassenden Arglosigkeit kein Heimtückeopfer ist, weil es nicht ausreichend wehrlos ist109. Es begeht also beispielsweise derjenige nur einen Totschlag, der einen Säugling erschießt, obwohl sich die Mutter schützend davor wirft. Für die Wehrfähigkeit nicht nur auf die Person des Opfers zu blicken, ist nicht so ungewöhnlich oder überraschend wie es bei der Arglosigkeit der Fall ist. Denn der Begriff ,Wehrlosigkeit‘ ist aus sich heraus intuitiv weiter zu verstehen. Jede nicht körpereigene Abwehrmöglichkeit, wie etwa eine Waffe, liegt nicht in der Person des Opfers. Die Verfügbarkeit einer Schusswaffe ist mit der Einsatzbereitschaft einer fürsorglichen Mutter, einer Krankenschwester oder eines engagierten Bodyguards vergleichbar. Auch bei konstitutionell bedingt Arglosen kann die Heimtücke somit unter Umständen verneint werden, nämlich dann wenn ein schutzbereiter Dritter die Wehrfähigkeit begründet. Das entkräftet die aufgezeigte Kritik an der hier vertretenen Annahme der Arglosigkeit bei konstitutioneller Arglosigkeit, wonach dadurch eine zu weite automatische Bejahung der Heimtücke einhergehe110. Damit sind die Begründungen für die Fälle, bei denen ausnahmsweise eine heimtückische Tötung konstitutionell Argloser möglich sein soll, äußerst angreifbar. Da die Prämisse, dass die Fähigkeit zum Argwohnhegen zu fordern sei, nicht überzeugt, war aber zu erwarten, dass auch ihre Ergebniskorrekturen in der Begründung nicht vollauf überzeugen können. Es ist insgesamt daran festzuhalten, dass das Opfer eines Heimtückemordes nicht fähig sein muss, Argwohn zu hegen. Somit ist die Tötung von Kleinkindern, Bewusstlosen oder nicht verstandesklaren Kranken häufig die Tötung eines Arglosen. Die zweite aufgeworfene Frage, ob schlafende Opfer im Grundsatz genauso zu behandeln sind, steht daher nun in einem anderen Licht. Aus Sicht dieser Arbeit sind sie wie alle anderen Fälle konstitutionell bedingter Arglosigkeit zu behandeln und damit taugliche Opfer heimtückischer Tötungen. bb) Die Opfertauglichkeit Schlafender Schlafenden wird nun selbst von denjenigen, die dem Heimtückeopfer grundsätzlich abverlangen, im Zeitpunkt des Versuchsbeginns Argwohn schöpfen zu können, das rechtliche Arglossein ausnahmsweise zugestanden. Denn der sich 109 Es liegt nicht nahe, diesen Schluss auch bei den Abwehrinstinkten zu ziehen, weil dieses letzte Quäntchen an Wehrhaftigkeit gewiss zu wenig ist. Letztlich verfügt nahezu jedes Opfer über eine minimale Abwehrmöglichkeit, die aber das erforderliche Maß an Erfolgsaussicht nicht erreicht. 110 Zur Erinnerung: Auch die Gegenmeinung wird von dem Vorwurf getroffen, Ergebnisse automatisch zu erzielen, dies nur in Form der umfassenden Verneinung des Merkmals.

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zum Schlafen Niederlegende nehme die Arglosigkeit mit in den Schlaf, die Tötung eines Schlafenden sei auch das „geradezu klassische Beispiel“ der Heimtücke111. Diese Ausnahme soll allerdings nicht gelten, wenn das Opfer vom Schlaf übermannt112 wurde oder wenn es den Angriff auch im Wachzustand nicht hätte erkennen können113. Die Formulierung ,zugestanden‘ deutet sprachlich auf eine normative Betrachtung hin. Einer solchen bedarf es aus Sicht der Prämisse, dass für den Arglosigkeitsbegriff die Fähigkeit, Argwohn hegen zu können, notwendig sei. Denn das Ergebnis ,Arglosigkeit‘ ist dann eine Fiktion, weil Schlafende die Fähigkeit zum Argwohnschöpfen zwar grundsätzlich besitzen, aber gerade nicht im Zustand des Schlafes und damit im Zeitpunkt des Versuchsbeginns. Somit ist jene Mindestanforderung, dass hypothetisch verstandesmäßige Gedanken hätten angestellt werden können und diese nur aufgrund einer Fehleinschätzung der Situation ausgeblieben sind, ebenso wenig wie bei den sonstigen Fällen konstitutioneller Arglosigkeit erfüllt. Allerdings wäre diese Voraussetzung vergleichsweise einfach durch Wecken wiederherzustellen – darin liegt der Unterschied zu den übrigen Gruppen konstitutionell bedingt Argloser. Jedenfalls bräuchte es für die Wiederherstellung der Wahrnehmungsfähigkeit aber eines Anreizes von außen (beispielsweise eines Weckrufes), und auch beim zufälligen Aufwachen im richtigen Zeitpunkt läge dem keine autonom-willentliche Steuerung zugrunde – das ist der Unterschied zu den normalkonstituierten Opfern. Das schlafende Tötungsopfer steht also zwischen beiden Opfergruppen. Für die Heimtückefrage des schlafenden Opfers ist es naheliegend, eine vergleichende Betrachtung des besinnungslosen Opfers anzustellen. Grund dafür ist, dass Bewusstlosigkeit in der Regel ein relativ kurz andauernder und überwindbarer Zustand ist, der nicht das Wesen des Opfers ausmacht. Deshalb sind sich die Fallgruppen der Schlafenden und der Bewusstlosen sehr ähnlich. Wegen dieser Ähnlichkeit wird moniert, dass eine unterschiedliche Behandlung von Schlafenden und Bewusstlosem „einem verständnisvollen Laien“ nicht glaubhaft gemacht werden könne114. Dieser Einwand gilt unabhängig davon, ob die Fähigkeit zum Argwohnhegen vorausgesetzt wird. 111 BGHSt 7, 218 (221) erklärte noch ganz im Sinne der hier vertretenen Ansicht, es sei unerheblich, ob das Opfer schläft oder sonst den Angriff nicht wahrnimmt. BGHSt 23, 119 (121) führte dann das Konstrukt des die-Arglosigkeit-mit-in-den-Schlaf-Nehmens aus; auf dieser Linie auch BGHSt 32, 382 (386); BGH NStZ 1997, 490 (491); BGHSt 48, 255 (256); BGH NStZ 2006, 338 (338 f.). Siehe aus der Literatur Staiger, Jescheck/Triffterer, 181 (186) und Dreher, MDR 1970, 248 (250). 112 BGH NStZ 2007, 523 (524). Bereits BGHSt 23, 119 (121) sprach diese Gegenausnahme an, ließ eine Entscheidung aber letztlich offen. 113 So in BGH NStZ 1997, 490 (491) für das nicht verstandesklare, schlafende Opfer entschieden. 114 Dreher, MDR 1970, 248 (249); zudem spreche gegen die unterschiedliche Behandlung Schlafender und Bewusstloser die Gefahr von Schutzbehauptungen. Freilich wären entsprechende Einlassungen in der Regel als nicht glaubwürdig zu entlarven,

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Was macht nun trotz dieser Gemeinsamkeit den entscheidenden Punkt aus, nur beim Bewusstlosen an der Maxime festzuhalten, dass das Opfer im Zeitpunkt des Versuchsbeginns in der Lage sein muss, Argwohn hegen zu können115? Mit Blick auf das Vorfeld könnte es die hypothetische Frage nach der Abwendbarkeit des die Arglosigkeit bedingenden Umstandes sein, die die andere Behandlung der Schlafenden gegenüber Bewusstlosen erklärt. Fragt man nämlich danach, ob das Opfer im Tatzeitpunkt auch wehrlos geworden wäre, wenn es im Zeitpunkt des Einschlafens beziehungsweise des Bewusstloswerdens Kenntnis von dem bevorstehenden Angriff gehabt hätte, ergibt sich folgender Unterschied: Beim Einschlafenden kommt man zu dem Ergebnis, dass dieser sich aller Voraussicht nach nicht in die Wehrlosigkeit begeben hätte; der Bewusstloswerdende hingegen hätte sein Schicksal nicht beeinflussen können. Somit sei dem Einschlafenden, aber nicht dem Bewusstloswerdenden, eine potentielle Verteidigungsmöglichkeit entzogen116. Diese Sichtweise stellt eine Differenzierung nach dem Freiwilligkeitsaspekt dar, was den Beginn des jeweiligen Zustandes anbelangt117. Als Argument für eine unterschiedliche Behandlung schlafender und bewusstloser Opfer kann das aber wenig überzeugen. Denn man kann vom Schlaf unfreiwillig „übermannt“ werden und die Bewusstlosigkeit vorsätzlich herbeiführen118. In diesem Zusammenhang ist für Neumann eine Gleichbehandlung beider Fallgruppen angezeigt, weil das Opfer gleichermaßen besonders schutzlos aus situativen Gründen sei und es für den Gesichtspunkt der Gefährlichkeit keinen Unterschied mache, ob diese Schutzlosigkeit vom Opfer beeinflussbar entstanden sei oder nicht119. Anderer Ansicht ist Rengier, der die gegensätzliche Behandlung dadurch gerechtfertigt sieht, dass das bewusstlose Opfer im Gegensatz zum schlafenden Opfer durch in der Regel zuvor erfolgte Tätlichkeiten „vorgewarnt“ gewesen sei und somit zumindest eine Chance der Abwehr gehabt habe120. In der Tat wird der Täter nicht häufig ein bewusstloses Opfer zufällig in diesem Zustand vorfinden, sondern diesen selbst herbeiführen. Soweit dies ohne Tötungsvorsatz erfolgt, liegt die vorsatzlos herbeigeführte Wehrlosigkeit vor, die auch für MüKo/Schneider § 211 Rn. 137; zur Gleichbehandlung auch Kretschmer, JURA 2009, 590 (592). 115 Für den Bewusstlosen siehe nämlich beispielsweise BGHSt 23, 119 (120); BGH StV 1998, 545 (545). 116 Kargl, JURA 2004, 189 (191 f.). Hinsichtlich des Entzugs von Verteidigungsmöglichkeiten ist natürlich dieselbe Kritik wie bei der entsprechenden Argumentation für normalkonstituierte Opfer zu üben: auf eine individuelle Steigerung der Gefahrenerhöhung kommt es nicht an. Zudem ist die Bewusstlosigkeit ebenfalls hypothetisch wegdenkbar. 117 Beispielhaft BGHSt 23, 119 (120): „Den Bewußtlosen hingegen überkommt sein Zustand, ohne daß er es hindern könnte“. Dem schließt sich Rauber, S. 45 f. an. 118 Statt vieler Dreher, MDR 1970, 248 (248). 119 NK StGB II/Neumann § 211 Rn. 57. 120 Rengier, MDR 1980, 1 (6).

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die Rechtsprechung keine Heimtücke begründet121. Wenn die Bewusstlosigkeit hingegen mit Tötungsvorsatz herbeigeführt wird, beginnt aufgrund des einheitlichen Lebenssachverhalts mit dieser Handlung schon der Mordversuch. Dann bedarf es der zeitlichen Vorverlagerung für den maßgeblichen Zeitpunkt der Arglosigkeit aber überhaupt nicht. Insgesamt kann die Frage der Beeinflussbarkeit des Einschlafens beziehungsweise des Bewusstloswerdens also nicht weiterhelfen. Mit einem ähnlichen, ebenfalls auf die Beeinflussbarkeit blickenden Ansatz ist auf die Möglichkeit abzustellen, dass das Opfer in den Wachzustand zurückgerät, was beim Schlafenden in der Regel leichter und schneller zu bewerkstelligen ist als beim Bewusstlosen122. Aber eben nur in der Regel, denn auch diese Differenzierung ist nicht wirklich trennscharf, wenn man bedenkt, dass zum Beispiel ein starkes Schlafmittel die Grenze zur Bewusstlosigkeit verwischen kann123. Diese Differenzierung nach der Beendbarkeit des Zustandes und der Gedanke, dass nur beim Schlafenden die Dinge auch leicht anders hätten verlaufen können, erinnern an die Überlegungen zur Gefahrenerhöhung124 als ein das Mordunrecht qualifizierendes Merkmal: Bei der hypothetischen Betrachtung der Verteidigungslage wird hier nicht der Umstand weggedacht, der die Arglosigkeit bedingt, sondern es wird die Wahrscheinlichkeit einer anderen Entwicklung trotz dieses Umstandes betrachtet. Aber wiederum gilt, dass derjenige, der den Bewusstlosen umbringt, das im Vergleich zum Schlafenden sicherere Opfer wählt und somit aufgrund der höheren Erfolgsaussicht der gefährlichere Täter ist. Im Übrigen müssten Vertreter der Auffassung, die für die Arglosigkeit die Fähigkeit des Argwohnhegens voraussetzt, die Vorverlagerung des maßgeblichen Zeitpunktes legitimieren. Aus den vorstehenden Begründungen geht aber stattdessen nur hervor, dass der Schlafende als Person überhaupt in der Lage ist, eine Gefahr zu erkennen. Dagegen ist nichts zu einzuwenden, das erklärt nur die Vorverlagerung nicht. Erkennt man die Ausnahme der Fallgruppe des In-den-Hinterhalt-Lockens an, bei welcher ebenfalls eine Vorverlagerung des maßgeblichen Zeitpunkts der Arglosigkeit vorgenommen wird, ist fraglich, ob hier eine Parallele zu finden ist. Für Kargl besteht eine solche nicht: Der Täter lege allein bei den Fallen-Konstellationen listiges Verhalten an den Tag; hingegen zeige der Täter im Zeitpunkt des Einschlafen seines Opfers gerade kein „tückisch-verschlagenes“ Verhalten, weswegen die Vorverlegung der Arglosigkeit bei der Tötung schlafender Opfer nicht 121

Siehe oben S. 31 ff. Haverkamp, GA 2006, 586 (589): „Eine Differenzierung zwischen Schlafenden und Bewusstlosen legt vor allem der Einwand nahe, dass sich Besinnungslose in einem Defektzustand ohne Selbstbefreiungschance befinden. Demgegenüber kann ein Schlafender aufgrund endogener Kräfte aufwachen und Gegenwehr leisten“. Siehe auch KettStraub, JuS 2007, 515 (519). 123 Das erkennt ebenso Haverkamp, GA 2006, 586 (589). 124 Siehe oben S. 41. 122

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gerechtfertigt sei125. Dies übersieht zunächst, dass auch das planvolle Abwarten, bis das Opfer schläft, Ausdruck der Tücke sein kann, unabhängig davon, ob das Tückeelement ein taugliches Unterscheidungsmerkmal ist. Eine grundsätzliche Vergleichbarkeit von schlafenden Opfern mit Opfern, die in eine Falle gelockt werden, ist damit allerdings nicht belegt. Denn das planvolle Abwarten, bis das Opfer schläft, muss nicht vorliegen, der Täter kann sein Opfer auch zufällig schlafend vorfinden. Überdies ist nach der Ansicht, für die eine Arglosigkeit vor Versuchsbeginn ausreicht, zumindest ein Tötungsplan des Täters zum Zeitpunkt der Arglosigkeit notwendig. Auch dieses Kriterium ist bei der Tötung eines zufällig schlafend vorgefundenen Opfers nicht erfüllt; eine solche Tat ist mit den Fällen der vorsatzlos herbeigeführten Wehrlosigkeit eher zu vergleichen als mit den Fallen-Fällen. Es besteht demzufolge keine grundsätzliche Parallele zwischen den Fallen-Fällen und den Tötungen Schlafender. cc) Zusammenfassung Alle konstitutionell bedingt Arglosen sind auch rechtlich als arglos zu verstehen. Die Gegenansicht kann weder ihre zusätzliche Voraussetzung der Fähigkeit, Argwohn hegen zu können, begründen, noch kann sie die deshalb erforderlichen Ausnahmen überzeugend erklären, bei denen von dieser Voraussetzung abgesehen wird. Bei diesen Korrekturbemühungen ist insbesondere die Vermengung der Elemente Arglosigkeit und Wehrlosigkeit in der Argumentation auffällig und zu beanstanden. e) Die (un)berechtigte Arglosigkeit: Darf das Opfer arglos sein oder hätte es argwöhnisch werden müssen? Das auf Arzt zurückzuführende Schlagwort der berechtigten Arglosigkeit126 entspricht der Frage, ob das Opfer sich arglos wähnen durfte oder vielmehr die Geschehnisse hätte voraussehen müssen. Diese Fragestellung bringt ein zweistufiges Vorgehen bei der Begriffssubsumtion mit sich. Zunächst ist danach zu fragen, ob das Opfer tatsächlich arglos ist. Wenn ja, ist auf einer zweiten, wertenden Stufe zu hinterfragen, ob dies rechtlich auch berücksichtigt werden soll – wofür bei den konstitutionell bedingt Arglosen soeben plädiert wurde – oder aber ein die Heimtücke ausschließender Argwohn fingiert werden soll (Fiktion des Argwohns). Ist bereits die erste Frage nach der tatsächlichen Arglosigkeit verneint worden, wie in den Fallen-Fällen, ist zu überlegen, ob mit einer wertenden Be125

Kargl, JURA 2004, 189 (192); siehe auch schon ders., StraFo 2001, 365 (368). Arzt, JR 1979, 7 (12). Dabei wählt er primär den Ausdruck der „begründeten“ Arglosigkeit, was durch einen Klammerzusatz „berechtigten“ erläutert wird. Im Folgenden wird allein der Klammerzusatz aufgegriffen, da dieser weniger anfällig für das Missverständnis ist, dass irgendein Grund reicht. 126

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trachtung auch die Arglosigkeit fingiert werden kann (Fiktion der Arglosigkeit). Um einen Zugang zu dieser Problematik zu erhalten, werden zunächst diejenigen Fälle untersucht, die diese Diskussion prägen. aa) Die Fiktion des Argwohns in der „Erpresser“-Entscheidung127 Anfang 2003 beschritt der 1. Strafsenat des BGH im „Erpresser“-Fall einen neuen, als nahezu „revolutionär“ 128 bezeichneten Weg bei der Auslegung des Heimtückemerkmals. Diesem Urteil wird das „Potenzial, zu einer der wichtigsten Entscheidungen des BGH zum Mordmerkmal der Heimtücke zu avancieren“ 129, bescheinigt. Einerseits wird diesem Urteil das Zeugnis „hoher gedanklicher Eleganz“ 130 ausgestellt, andererseits wird es kritisch als Beginn einer Aufweichung des Heimtückemerkmals gesehen131. Diesem kontrovers gesehenen Urteil liegen folgende Geschehnisse zu Grunde: Das spätere Opfer wurde mit einem Begleiter von dem befreundeten späteren Täter in dessen Wohnung eingelassen und verlangte dort zum wiederholten Male vierstellige Geldbeträge. Hierzu drohte der später getötete Erpresser mit der Benachrichtigung von Polizei und Finanzamt über den Handel mit sogenannten Raubpressungen von CDs (an dem der Erpresser ebenfalls beteiligt war) sowie mit dem Demolieren der Wohnung beziehungsweise der Mitnahme von Wertgegenständen und auch damit, den späteren Täter „aufschlitzen“ zu lassen. Der Erpresser und sein um Streitschlichtung bemühter Begleiter tranken etliche Gläser Wodka, so dass der Erpresser zur Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration zwischen 3,03 und 3,26 Promille aufwies. Der Erpresste trank nur wenig. Nachdem der Erpresser und sein Begleiter bekundeten, gehen zu wollen, holte der Erpresste mindestens 2700 DM und 500 US-Dollar in einer Tüte aus dem Nebenzimmer und gab diese dem Begleiter im Vorbeigehen. Sogleich trat er für das Opfer völlig überraschend hinter dieses, riss ihm den 127 BGHSt 48, 207 ff., ausführlicher sind die Gründe in JR 2004, 295 ff. wiedergegeben. Zum Verfahrensgang: Das LG Nürnberg-Fürth hatte am 15.03.2002 – 5 Ks 103 Js 358/01 wegen Heimtückemord zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die daraufhin erhobene Revision führte zu der hier primär interessierenden Entscheidung BGHSt, 48, 207 ff. vom 12.02.2003, bei der der BGH mit seiner Vorgabe einer normativen Lesart des Heimtückemerkmals zum LG zurückverwies. Das Schwurgericht sah mit Urteil vom 18.12.2003 – 7 Ks 103 Js 385/01 die Verdeckungsabsicht und verminderte Schuldfähigkeit gegeben und verhängte ein Strafmaß von 12 Jahren. Die hiergegen angestrebte Revision blieb ohne Erfolg, siehe das Urteil vom 06.10.2004 des BGH in NStZ 2005, 332 ff. Da in tatsächlicher Hinsicht bei der Entscheidung BGHSt 48, 207 ff. vieles ungeklärt war, ist hier der Sachverhalt wiedergegeben, wie er in dem unveröffentlichten Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 18.12.2003 festgestellt ist. 128 H. Schneider, NStZ 2003, 428 (429); Roxin, FS Widmaier, 741 (741) spricht vom „neuen Gedanken“. 129 H. Schneider, NStZ 2003, 428 (429). 130 Widmaier, NJW 2003, 2788 (2791). 131 H. Schneider, NStZ 2003, 428 (431).

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

Kopf zurück, schlug darauf ein und schnitt mehrfach den Hals des Erpressers durch. Der Niedergestochene verstarb sofort; sein völlig überraschter Begleiter verließ ungehindert mit dem Geld die Wohnung. Nunmehr fragte der BGH hinsichtlich der Heimtücke nicht mehr allein danach, ob sich das Opfer der Tötung tatsächlich keines Angriffs versah, sondern ob es auch arglos sein durfte. Dieses „Dürfen“ gebraucht der 1. Senat nicht ausdrücklich. Aber Passagen wie die, dass das Opfer mit einem Angriff „rechnen musste und deshalb nicht gänzlich arglos sein konnte“ 132 oder dass es mit der Gegenwehr hätte rechnen müssen, weil dies „von der strafrechtlichen Werteordnung und damit normativ prägend vorgegeben“ 133 sei, lassen sich auf die Kurzformel des Arglosseindürfens bringen. Man könnte meinen, der Senat habe sogar noch eine dritte Kategorie von Arglosigkeit beziehungsweise Argwohn zwischen den zwei Stufen des tatsächlichen inneren Zustands und seiner rechtlichen Bewertung einführen wollen134 oder gehe von einem sich graduell in verschiedenen Intensitäten darstellenden faktischen Arglosigkeitsbegriff aus, wenn man liest: „Büßt der später Getötete wegen seines eigenen [. . .] Angriffs nicht gänzlich seine Arglosigkeit [. . .] ein, so fehlt es an der Heimtücke selbst dann, wenn der sich Wehrende das Überraschungsmoment bewußt ausnutzt“ 135. Gleiches vermittelt die Aussage, dass das Überraschtsein des Opfers der Annahme von Argwohn nicht entgegenstehe, sondern „lediglich“ belege, dass das Opfer „die Aussichten falsch eingeschätzt hat, seinen Rechtsbruch ohne Gegenwehr zu Ende führen zu können“ 136. Sprachlich wird hier und auch an anderen Stellen in den Urteilsgründen der Eindruck erweckt, dass ein Mangel in der faktischen Arglosigkeit besteht. Stattdessen ist aber anzunehmen, dass der BGH die Arglosigkeit nicht in tatsächlicher Hinsicht in Zweifel 132

BGHSt 48, 207 (209). BGHSt 48, 207 (210). 134 Roxin, JZ 2003, 966 (966) beanstandet, dass der scheinbare Widerspruch zweier Grundsätze, nämlich einerseits der Beurteilung der Arglosigkeit „grundsätzlich nach seiner tatsächlich vorhandenen Einsicht“ (BGHSt 48, 207 [210]) und andererseits der Forderung, mit Gegenwehr „muß jeder Angreifer [. . .] grundsätzlich rechnen“ (BGHSt 48, 207 [210]) durch die Mischgruppe der Fälle eines „geringen Rests von Argwohn“ aufgelöst werden soll. Auch Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (467) arbeitet die verschiedenen Kategorien des Arglosigkeitsbegriffs des BGH heraus und umschreibt den vom Strafsenat geschilderten ,Beinahe-Argwohn‘ als „angekränkelte Arglosigkeit“; im Ergebnis ordnet er diese ebenfalls der normativen Kategorie zu. 135 BGHSt 48, 207 (212); irritierend ist das „nicht gänzlich“ (im Original nicht hervorgehoben). Diese ,Ein-wenig-Arglosigkeit‘ wäre durch einen Zusatz wie „fehlt es normativ/rechtlich“ oder „muss die Heimtücke rechtlich selbst dann verneint werden“ dem wertenden Arglosigkeitsbegriff (also der tatsächlich bestehenden und rechtlich anzunehmenden Arglosigkeit) leicht zuordenbar gewesen. Neben diesen beiden Begriffsebenen ist eine dritte Kategorie der Arglosigkeit, sei sie nun vom BGH gewollt oder nicht, jedenfalls überflüssig. 136 BGHSt 48, 207 (211 f.); Unverständnis genau dieser Passage gegenüber äußert auch Quentin, NStZ 2005, 128 (129) mit Blick auf das Ergebnis ,Argwohn‘. 133

I. Die Grundformulierung

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zieht, sondern diese bewertet und dem Opfer letztlich nicht zugesteht, ohne jedoch diese Wertungsstufe als solche deutlich offenzulegen137. Die Marginalisierung der restlichen Arglosigkeit wirkt auf den ersten Blick befremdlich, ist aber im Gesamtzusammenhang dahingehend zu verstehen, dass eine lediglich faktisch bestehende Arglosigkeit für die Annahme der Heimtücke nicht genügt. Freilich ist es misslich, dass die Wortwahl des BGH suggeriert, er wolle durch die Annahme eines nur unzureichenden Grades an Arglosigkeit die tatsächliche Arglosigkeit in Abrede stellen. Richtigerweise wird man diesen ,Beinahe-Argwohn‘ aber als Umschreibungsversuch eines normativierten Arglosigkeitsbegriffs verstehen dürfen. Begründet wird die Neuerung nun mit zwei Argumenten. Zum einen sei der Grad des Tückischen einer solchen Gegenwehr nicht ausreichend für den erforderlichen Unwertgehalt des Mordmerkmals Heimtücke138. Zweitens gebiete ein anzustrebender „Wertungsgleichklang mit dem Notwehrrecht“ eine solch normative Einschränkung, da das ursprüngliche Opfer meist auf Überraschungseffekte bei seiner Verteidigungsstrategie baue und es dann im Falle der Überschreitung des Notwehrrechts nicht „systemgerecht“ erscheine, den Tatbestand des Mordes aus dieser Eigenheit heraus als erfüllt ansehen zu müssen139. Völlig neu ist dieses Vorgehen zur Bestimmung der Arglosigkeit indes nicht, wie schon mit dem Hinweis auf Arzt eingangs angedeutet wurde140. Arzt hat bereits 1979 – wenn auch nur für die Fallgruppe der Familientyrannen – dafür plädiert, nach der „,begründeten‘ (berechtigten) Arglosigkeit“ zu fragen141. Auch 137 So wäre es auch statt: „Der Erpresser ist in der von ihm gesuchten Konfrontation mit dem Erpressten im Blick auf einen etwaigen wehrenden Gegenangriff des Opfers auf sein Leben jedoch nicht arglos, wenn er in dessen Angesicht im Begriff ist, seine Tat zu vollenden und zu beenden“ (BGHSt 48, 207 (209 f.), kursive Hervorhebung nicht im Original), präziser gewesen, zu formulieren: „Der Erpresser darf sich nicht/ kann sich rechtlich nicht arglos wähnen in der von ihm gesuchten Konfrontation [. . .]“. 138 BGHSt 48, 207 (211). 139 BGHSt 48, 207 (211), dem zustimmend Roxin, JZ 2003, 966 (966). 140 Als Beispiel aus der Rechtsprechung sei BGHSt 28, 210 (211) genannt, dort hat der 2. Senat sich gegen eine vom LG Trier vorgenommene Auslegung der Arglosigkeit ausgesprochen, die der nun proklamierten entspricht. Gleichermaßen fragt das LG Wuppertal danach, ob das Opfer mit einem Angriff hätte rechnen müssen, eine Fragestellung, die der 3. Strafsenat ebenfalls damals ablehnte, BGHSt 33, 363 (365). BGH NStZ-RR 2002, 233 (234) hingegen stellt darauf ab, dass mit dem Angriff gerechnet werden müsse, irritierend ist dabei der Verweis auf BGHSt 33, 363 ff. Ob dem kurz vor der Erpresser-Entscheidung ergangenen Beschluss des 5. Senats (BGH NStZ-RR 2002, 233 [234]), demzufolge die Opfer „ersichtlich“ mit einem Angriff rechnen „mussten“ (nicht: gerechnet haben), die gleiche normative Überlegung zu Grunde liegt, ist nicht eindeutig feststellbar. Einen ähnlichen Vorschlag der Tatbestandsrestriktion bei rechtswidrigem Vortatverhalten des Opfers unterbreitet für das Merkmal der Verdeckungsabsicht Timpe, NStZ 1989, 70 (71 f.). 141 Arzt, JR 1979, 7 (12), vergleiche auch Arzt/Weber, § 2 Rn. 45. Schmoller, ZStW 99 (1987), 389 (397) beanstandet hieran die unscharfe Abgrenzung. Die Kritik Frommels, StV 1987, 292 (294), dass der Ansatz Arzts gegen das generelle Tötungsverbot

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

Jähnke hat schon vor dem Erpresser-Fall in seiner Kommentierung des § 211 StGB vertreten, dass ein Opfer in einer tätlichen Auseinandersetzung nicht auf die Einhaltung der „Spielregeln“ vertrauen könne und daher nicht arglos sein könne142. Die Argumentation, dass man mit Gegenwehr rechnen muss, ist ebenfalls in etwas anderem Zusammenhang bekannt, nämlich im Rahmen der Einschränkung der Notwehr bei Provokationen143. Offen ist, ob die Erpresser-Entscheidung ein ,Ausreißer‘ ist oder tatsächlich eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung eingeleitet hat. Für ersteres spricht, dass der gleiche Senat wenige Wochen darauf bei einer Familientyrann-Konstellation144 die normative Lesart der Heimtücke nicht erwähnte, obwohl sich dies aufdrängte145. Stattdessen bejahte der Senat die Heimtücke. Andererseits hat sich der 4. Senat 2005 zumindest im Grundsatz den Ausführungen zum Erpresser-Fall angeschlossen146. Dies könnte jedoch ein bloßes Lippenbekenntnis sein, da die Arglosigkeit der Sache nach wieder allein im Tatsächlichen verhaftet verstanden wird; denn sie wird nur deshalb bejaht, weil das Opfer dem Täter den Rücken zuwandte147. Deutlicher gegen die Normativierung hat der verstoße, weil man auf dessen Einhaltung immer berechtigt vertrauen können müsse, verkennt, dass die Aberkennung der Arglosigkeit nicht der Erlaubnis zum Töten gleichkommt. Ausdrücklich lehnte BGHSt 30, 105 (113) noch die Überlegung ab, ob die Arglosigkeit begründetermaßen bestand. 142 LK/Jähnke § 211 Rn. 42; nicht stimmig ist allerdings, dass er zunächst konstatiert, es sei „ohne Belang, ob das Opfer die Gefahr erkennen konnte“, dann aber formuliert: „Hat das Opfer dagegen selbst eine Tätlichkeit verübt, rechnet es mit einer tätlichen Gegenreaktion [. . .]. Befindet es sich in einer tätlichen Auseinandersetzung, kann es ferner nicht auf die Einhaltung der ,Spielregeln‘ vertrauen und selbstverständlich scheidet Arglosigkeit aus, wenn das Opfer die konkrete Angriffsabsicht erkannt [. . .] hat“. 143 Siehe beispielsweise Montenbruck, S. 34. 144 BGHSt 48, 255 ff. 145 Zu Recht wird von einigen dieses Versäumnis bemängelt, so unter anderem Rengier, NStZ 2004, 233 (236); Otto, NStZ 2004, 142 (143) und zwar auch, wenn der Weg in der Sache abgelehnt wird, so beispielsweise Hillenkamp, JZ 2004, 48 (49 f.); bezeichnend auch, dass Mitsch, JZ 2008, 336 (337) bei seinem Rückblick auf die Rechtsprechung zu § 211 StGB der letzten 30 Jahre gerade dieses Beispiel mangelnder Kontinuität zur Demonstration für die „Rutschbahn in immer tiefere Konfusion“ wählt. Näher zur Vergleichbarkeit ab S. 88. 146 BGH NStZ 2005, 691 (692), dort ist neben dem Verweis auf die Erpresser-Entscheidung auch sprachlich davon die Rede, ob das Opfer einen Angriff erwarten „musste“; wieder offengelassen von demselben Senat in BGH NStZ 2007, 523 (524). 147 BGH NStZ 2005, 691 (692). Zwar wird die opferseitige Aggressivität genannt, die (entsprechend zu der Argumentation im Erpresser-Fall) zu der Wertungsfrage führt, ob das Opfer mit einem Angriff hätte rechnen müssen. Der BGH betont hier aber nur die tatsächliche Arglosigkeit, die aus dem anfänglichen Bemühen des Täters um eine Streitbeilegung und der abgewandten Körperhaltung des Opfers gegenüber dem Täter zu erschließen sei. Ob dies in einer wertenden Betrachtung gegen die Fiktion des Argwohns spricht, wird aber nicht ausgeführt (BGHSt 48, 207 [211] ließ ausdrücklich offen, ob es solche Gründe geben kann).

I. Die Grundformulierung

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2. Senat 2005 im „Beruhigungs“-Fall mit der Aussage Stellung bezogen, dass Arg- und Wehrlosigkeit faktische, aber keine normativen Begriffe seien148. Die Rechtsprechung hat bislang also zu keiner einheitlichen Linie gefunden. Wie eine solche im Idealfall aussehen sollte, ergibt sich aus der Betrachtung des Für und Wider der Erpresser-Entscheidung: (1) Zum Argument des geringeren Tückegehalts Erstes Argument für die Normativierung soll sein, dass bei Fällen eines vorangegangenen opferseitigen Angriffs der Tückegehalt der anschließenden Tötungshandlung des Täters das erforderliche Maß des für das Mordmerkmal erforderlichen Unwerts nicht erreiche149. Interessant an der Begründung für den geringeren Tückegehalt bei der Erpresser-Tötung ist, dass der 1. Senat dabei mit der Formulierung, dass das Opfer als der „wirkliche Angreifer“ erscheine150, an eine bereits 1991 gebrauchte Erklärung anknüpft. Damals hieß es: „Daß ein tätlicher Angriff in Rechnung gestellt worden ist, kann sich aber auch allein schon aus dem vorausgegangenen Verhalten des später Getöteten selbst ergeben. Hat er mit den Tätlichkeiten in einer Weise begonnen, daß er einen (durch Notwehr nicht gerechtfertigten) Angriff des Täters herausfordert, erscheint er [. . .] in aller Regel selbst als Angreifer, der tätliche Gegenreaktionen des späteren Täters einkalkuliert, mag er sich auch in den Chancen, sie siegreich zu bestehen, verschätzen.“ 151 Weiter wird dort ausgeführt, dass deshalb die der Heimtücke innewohnende besondere Gefährlichkeit sowie dem Totschlag gegenüber gesteigertes Unrecht und Schuld nicht gegeben seien. Maßgeblich für die Verneinung der Arglosigkeit wurde das sich für das Opfer aufdrängende Bevorstehen des Angriffs aufgrund der erkennbaren Erregung des Täters erachtet. Quentin zweifelt den geringeren Tückegehalt indes an: Im Rahmen der Heimtücke bezeichne die Tücke „eine innere Haltung, die darauf abzielt, eine vorhandene (böse) Absicht zu verheimlichen, um diese unter Ausnutzung des Überraschungsmoments besser verwirklichen zu können“ und so verhalte es sich auch beim Sachverhalt der Erpresser-Entscheidung152. Dabei übersieht er aber, dass 148

BGH NStZ 2005, 688 (689), näher hierzu S. 83. BGHSt 48, 207 (211). Obwohl Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (472, 477 ff.) der Urteilsbegründung insgesamt ablehnend gegenübersteht, sieht er die Entlastung des Täters im Erpresser-Urteil über den Tückebegriff ebenfalls als möglich an, allerdings unter Zuhilfenahme der Verwerflichkeit. 150 BGHSt 48, 207 (210). 151 BGH JR 1991, 380 (381). In BGHSt 23, 327 (328) erklärt der BGH bereits, ein rechtswidriger Angriff sei eine Selbstgefährdung, die rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann (in besagtem Fall wurde damit die Garantenstellung des Angegriffenen gegenüber dem Angreifer bei Gegenwehr verneint). 152 Quentin, NStZ 2005, 128 (131). 149

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

der in einer Notwehrlage Handelnde seine Absicht, Gegenwehr zu verüben, umständehalber gar nicht so gut verbergen kann, wie der Täter gegenüber einem Opfer, dem nichts anzulasten ist. Denn ein solches Opfer ist durch die von ihm selbst geschaffene deliktische Atmosphäre naturgemäß zumindest sensibilisiert für einen Angriff, wenn es einen solchen nicht sogar in Rechnung stellt. Dann ist der Überraschungsgrad und damit der Tückegehalt aber in der Regel sehr wohl ein anderer. Die Unzulänglichkeit eines normativierten Arglosigkeitsbegriffs, unterschiedliche Unwertgehalte auszudrücken, trete laut Quentin aber noch in einer weiteren Überlegung zu Tage: Oftmals fehle der tatsächliche Argwohn des Opfers, obwohl er sich einem besonnenen Menschen aufdränge, nämlich aus Gründen der Naivität, nicht nachvollziehbarem blinden Vertrauen oder auch aus Überheblichkeit. Für die Arglosigkeit aus diesen Gründen sei die Umschreibung „damit hätte das Opfer rechnen müssen“ gleichermaßen treffend, ohne dass aber eine Privilegierung des Täters in der Sache erstrebenswert sei153. Diese Kritik der unbilligen Bevorteilung des Täters setzt aber fälschlicherweise voraus, dass die Normativierung zwangsläufig zu einer Fiktion des Argwohns führt, wenn das Opfer seine Lage gleich aus welchen Gründen verkennt. Doch lässt sich die Forderung „damit hätte das Opfer rechnen müssen“ nicht nur als Erwartungshaltung eines besonnenen Beobachters verstehen, man kann damit stattdessen auch die durch Abwägung verschiedener Umstände gewonnen Anforderungen der Rechtsordnung an das Opfer meinen. Das Ergebnis dieser Abwägung kann bei Opfern mit zu missbilligendem Vorverhalten anders als bei naiven Menschen ausfallen. Eine derartige Differenzierung ist nicht willkürlich, sondern entspricht der gesellschaftlichen Erwartung. Eine unbillige Entlastung des Täters bei gutmütigen Opfern ist demnach nicht zwangsläufig zu befürchten, wenn man die normative Auslegung grundsätzlich befürwortet. Bendermacher stimmt der Urteilsbegründung zu, da der Täter „vorhersehbar“ gehandelt habe und daher dieser Handlung das Merkmal der „List“ als Ausdruck der Tücke fehle154. Vorhersehbar und nicht tückisch sei das Verhalten deshalb, weil bei dem Opfer nicht mehr das „Grundvertrauen der Gesellschaft“ in legales Verhalten vorhanden sei, sondern vielmehr ein „latentes Gefährdungsbewusstsein aufgrund des Vorverhaltens bestehe, das keine aktuelle Reflexion voraussetze155. Dieses latente Bewusstsein hindere im konkreten Fall die Annahme einer besonderen Gefährlichkeit als Unterscheidungsmerkmal von Totschlag und Heimtückemord156. Durchgängig stützt sich Bendermacher auf die tief in der Gesellschaft 153

Quentin, NStZ 2005, 128 (132 f.). Bendermacher, JR 2004, 301 (302 f.). 155 Bendermacher, JR 2004, 301 (303). Damit ist die abstrakte Ebene der Vorhersehbarkeit auf die konkrete Ebene des Opferbewusstseins heruntergebrochen. 156 Bendermacher, JR 2004, 301 (303). 154

I. Die Grundformulierung

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verwurzelten Grundgedanken der Rechtfertigungsgründe, den Rechtsbewährungsgedanken und das Selbstschutzprinzip, und will die Heimtücke verneinen, solange das Täterverhalten mit dem Grundgedanken eines Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrundes objektiv in Einklang steht157. Mit dem latenten Gefährdungsbewusstsein stellt Bendermacher einen entscheidenden Punkt heraus. Diese natürliche Sensibilisierung für Aggressionen aufgrund der eigenen gegenwärtigen Aggression schwächt die Irrtumskomponente der Arglosigkeit (das meint das Verkennen eines Anlasses zur gesteigerten Vorsicht, also den bevorstehenden Angriff) erheblich ab und verringert damit die Erfolgswahrscheinlichkeit und die Gefährlichkeit der Tat158. Das latente Gefährdungsbewusstsein des Tötungsopfers erinnert an das sachgedankliche Mitbewusstsein beim Vorsatz auf Täterseite. Auch wenn der BGH diese Parallele nicht explizit zieht, erinnert die Konstatierung, dass das Notwehrrecht generell im Rechtsbewusstsein der Bevölkerung tief verwurzelt sei159, doch stark daran160. Es wird der Einwand erhoben, ein solches Mitbewusstsein des Opfers reiche nicht aus, um den Argwohn zu begründen: Ein „,rollenbedingt‘ mitschwingendes ,generelles Misstrauen‘“ könne nicht zum Verlust der Arglosigkeit führen, weil dies beispielsweise bei Polizeibeamten ebenfalls nicht ausreiche, wenn sich diese Empfindung nicht zu „einer konkreten Befürchtung in der Tatsituation verdichtet“ 161. Diese Argumentation übersieht allerdings, dass es in einem Fall wie dem Erpresser-Fall sehr wohl eine Verdichtung gegenüber dem allgemeinen Bedrohtheitsgefühl gibt: Beim Polizisten genügt für die Beseitigung der Arglosigkeit nicht die generelle Erwartung, aufgrund des vermehrten Umgangs mit Kriminellen irgendwann irgendwie Opfer irgendeines Kriminellen zu werden. Entsprechend wäre bei dem Erpresser die Arglosigkeit nicht ausgeschlossen, wenn er lediglich die generelle Erwartung hegt, irgendeines seiner Opfer könne sich irgendwann und irgendwie einmal wehren. Dem ist auch zuzustimmen. In einer konkret-aktuellen Konfliktlage grenzt sich aber diese allgemeine Überlegung auf einen konkreten Täter und Zeitpunkt ein. Der BGH bezieht daher zu Recht seine Ausführungen zu dem neuen Arglosigkeitsverständnis auf eine Situation, in der sich das Tötungsopfer bei „einer konkreten Tathandlung im Angesicht des [er-

157

Bendermacher, JR 2004, 301 (304 f.). Wegen der gesenkten Erfolgswahrscheinlichkeit ist entgegen Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (476) eine solche Auslegung der Heimtücke, die die Arglosigkeit verneint, wenn das Opfer mit einem Angriff hätte rechnen müssen, durchaus vereinbar mit der ratio des § 211 StGB. 159 BGHSt 48, 207 (211). 160 Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (473 f.); für den dieser Vergleich nicht weiterführend ist, weil die Fiktion damit nicht überwunden werde könne. Es müsste allerdings erst gezeigt werden, dass die Fiktion auf Opferseite anders als auf Täterseite unzulässig ist. 161 Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (474). Siehe zu dem Problem oben S. 18. 158

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

pressten] Opfers“ befindet162. Beim Polizisten käme dies der Bewusstseinslage beispielsweise bei einer schwierigen Festnahme eines aggressiven Menschen gleich, wobei regelmäßig der Argwohn vorliegen wird. Insgesamt überrascht, dass der BGH sich der „Tücke“ bedient, um seine Auffassung zu stützen, da er sonst betont, dass es auf das Vorliegen einer besonderen Tücke oder Verschlagenheit für die Heimtücke gerade nicht ankomme163. Immerhin beruft sich der 1. Senat aber hier nicht pauschal auf die Tücke, sondern konkretisiert diese durch die Frage, ob das Opfer arglos sein durfte. Der Tückegehalt der Gegenwehr des Erpressten sei gering, weil das Opfer „der wirkliche Angreifer“ sei164. An dieser schon erwähnten Erläuterung wird zwar zu Recht moniert, dass ihr kein Aussagewert zukomme, weil Angreifer jeder sei, der Rechtsgüter anderer bedrohe und dieser Betitelung noch kein endgültiges Missbilligungsurteil anhafte165. Diese Formulierung drückt aber gleichwohl das nachvollziehbare Bestreben aus, das Vortatverhalten des Opfers in die Betrachtung der Strafbarkeit des Täters einzustellen, wenn es das Gesamtgeschehen maßgeblich geprägt hat. Hierfür darf am Tückebegriff indes nicht stehengeblieben werden. Die ,Tücke‘ umschreibt eher ein ergebnisorientiertes Rechtsgefühl, als dass sie eine dogmatische Handhabe bietet, das als gerecht empfundene Ergebnis zu erreichen. Daher dient sie mehr als Kontrollfrage denn als Strafbegründungsmerkmal. Dem Bedürfnis, das vortatliche Opferverhalten bei der Strafbarkeitsprüfung zu beachten, kann nicht allein aus Wertungsgesichtspunkten nachgegeben werden, sondern dieses Ziel muss auf einem dogmatischen Weg erreicht werden. Ein erster Schritt in diese Richtung ist mit dem latenten Gefährdungsbewusstsein als dem faktischen Gegenstück zu der abstrakten Vorhersehbarkeit getan. Das latente Gefährdungsbewusstsein (und die deshalb geringere Gefährdung) ist Voraussetzung dafür, dass das Opfer den Angriff nicht nur vorhersehen hätte müssen, sondern dies auch gekonnt hätte. Dass das Opfer den Angriff hätte vorhersehen können, ist dabei nicht (wie bei der Frage der konstitutionell bedingt Arglosen diskutiert) Voraussetzung für die Begründung der Arglosigkeit, sondern Voraussetzung eines normativen Ausschlusses der Arglosigkeit. Letztlich ist die Forderung der Rechtsordnung an das Opfer, es hätte den Angriff erwarten müssen, zwar bestimmter als der herkömmliche Tückebegriff, trotzdem besteht erheblicher Präzisierungsbedarf hinsichtlich der Fragen, wieso eine solche Pflicht oder „Obliegenheit“ 166 besteht und unter welchen genauen Voraussetzungen ein Opfer mit einem Angriff rechnen muss.

162 163 164 165 166

BGHSt 48, 207 (210). Beispielsweise BGHSt 11, 139 (144) oder BGH NJW 1958, 189 (189). BGHSt 48, 207 (210 f.). Quentin, NStZ 2005, 128 (Fn. 3). Diese Forderung ordnet Küper, GA 2006, 310 (312) als Obliegenheit ein.

I. Die Grundformulierung

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(2) Zum Argument des Wertungsgleichklangs der Heimtücke mit dem Notwehrrecht Zweite und hauptsächliche Begründung für die Normativierung auf der Tatbestandsseite soll die Gewährleistung eines Wertungsgleichklangs des Heimtückemerkmals mit dem Notwehrrecht sein167. Es sei nicht „systemgerecht“, dem zunächst unterlegenen Opfer einer Erpressung „das Risiko aufzulasten, bei Überschreitung der rechtlichen Grenzen der Rechtfertigung oder auch der Entschuldigung sogleich das Mordmerkmal der Heimtücke zu verwirklichen“, sondern es sei vielmehr „unausweichlich [. . .], bei der Verteidigung einen Überraschungseffekt auszunutzen“ 168. Für den BGH wirkt sich dabei die Notwehrlage auf die Heimtückefrage unabhängig davon aus, ob die übrigen Voraussetzungen einer Rechtfertigung vorliegen169. Wenn man grundsätzlich fordert, dass das Opfer unter gewissen Umständen mit einem Angriff rechnen muss, so ist diese Forderung richtigerweise auch aufzustellen, wenn die Tötung trotz der Notwehrlage im Ergebnis rechtswidrig ist: Ist die Rechtfertigung beispielsweise wegen der Überschreitung der Erforderlichkeit ausgeschlossen, darf der Täter sich immerhin mit einem Angriff zur Wehr setzen, wenn auch nicht mit dem tatsächlich verübten. Auf tatsächlicher Ebene ist nun wie gesehen für den Ausschluss der Arglosigkeit nicht die Vorstellung des Opfers von einem lebensgefährlichen Angriff Voraussetzung, sondern es genügt für den Argwohn schon die Vorstellung eines Angriffs auf die körperliche Unversehrtheit von erheblicher Intensität170. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb auf der normativen Ebene ein anderer Maßstab anzuwenden sein sollte. Es muss also für den normativen Ausschluss der Arglosigkeit ebenfalls genügen, dass ein erheblicher Angriff auf die körperliche Unversehrtheit hätte erwartet werden müssen. Eine Verteidigung, die über das erlaubte Maß hinausgeht, kann also die Fiktion des Argwohns nicht wegen der Überschreitung des Erlaubten grundsätzlich hindern. Weder für den tatsächlichen noch für den normativen Ausschluss der Arglosigkeit ist zu fordern, dass das Opfer einen Angriff auf das Leben erwartet beziehungsweise dass ein solcher Angriff zulässig wäre. Gewiss kann aber nicht jeder Exzess von der Forderung umfasst sein, dass das Opfer damit hätte rechnen müssen171.

167

BGHSt 48, 207 (211). BGHSt 48, 207 (211). 169 BGHSt 48, 207 (209). 170 Siehe oben ab S. 20. 171 Besteht das erforderliche Mittel beispielsweise in einem leichten Beiseitestupsen, muss der die Notwehrlage Begründende sicherlich nicht mit einem Kopfschuss rechnen. Siehe zu weiteren Beispielen Roxin, FS Widmaier, 741 (751). Das ist eine Frage der Voraussetzungen und des Umfangs einer etwaigen Obliegenheit, die noch zu klären sein wird. 168

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

Umgekehrt ist aber zu überlegen, ob es bei einer Rechtfertigung oder Entschuldigung überhaupt auf die Tatbestandsfrage ankommt, denn straffrei ist der Täter unabhängig davon. Dabei ist zu unterscheiden: Bei einer entschuldigten Tat ist die Tatbestandsfrage schon auf Grund von eventuellen Beteiligungsfragen nicht entbehrlich. Da die entschuldigte Tat auch keine Billigung von der Rechtsordnung erfährt, wird die Wahrnehmung der Tat von der Öffentlichkeit wie die Identifikation des Täters mit seiner Tat sehr wohl davon beeinflusst, ob ein Totschlag oder ein Mord entschuldigt ist. Für den Fall der Entschuldigung ist der ergebnisorientierten Ansicht, wonach es bei einer Entschuldigung nicht mehr darauf ankommen soll, ob das Vorgehen des Täters heimtückisch ist172, also zu widersprechen. Ist die Tat hingegen gerechtfertigt, ist sie unter Billigung der Rechtsordnung erfolgt. Nachfolgende Beteiligungsfragen treten ebenfalls nicht auf. Damit kommt es bei einer Rechtfertigung auf die Tatbestandsfrage nicht mehr entscheidend an173. Konkret im Erpresser-Fall ist eine Rechtfertigung durch Notwehr an verschiedenen Stellen problematisch174: Das LG Nürnberg-Fürth sah zunächst die objektive Notwehrlage mangels Gegenwärtigkeit des rechtswidrigen Angriffs nicht gegeben, da der Begleiter des Tötungsopfers das Geld bereits erlangt hatte. Damit war der Angriff auf das Vermögen des Täters aber nur vollendet und nicht beendet, was für die Gegenwärtigkeit im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB genügt175. Bezweifeln kann man aber die Geeignetheit176. Vor allem ist die Erforderlichkeit richtigerweise zu verneinen, da die Tötung nicht das mildeste Mittel war177. Fer172

Kaspar, JA 2007, 699 (701). Fischer § 211 Rn. 52; Widmaier, NJW 2003, 2788 (2789); Schneider, NStZ 2003, 428 (430). Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (470) gibt allerdings zu bedenken, dass trotz der umfassenden Entlastung durch eine Rechtfertigung zwar nicht rechtlich, aber faktisch der „,Vorwurf‘ schwersten Unrechts“ dem Täter anhaften bleiben und seinen Charakter in der öffentlichen Wahrnehmung kennzeichnen kann. 174 Für einen Überblick siehe Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (470). Die vier Entscheidungen zu diesem Fall ergingen teilweise auf unklarer Tatsachenbasis, wodurch unterschiedliche Auffassungen zu den Rechtfertigungsproblemen zum Teil zu erklären sind. Zum Verfahrensgang siehe nochmals Fn. 127. 175 So zu Recht BGHSt 48, 207 (208 f.) entgegen der Vorinstanz. Allerdings wurde aufgrund der unklaren Handlungsmotivation des Täters auch diskutiert, ob nur eine Präventivnotwehr gegenüber zukünftigen Geldforderungen vorlag, siehe hierzu BGH JR 2004, 295 (298 f.). 176 Da der Täter denjenigen angriff, der nicht das Geld hatte, bezweifeln Roxin, JZ 2003, 966 (967) und Zaczyk, JuS 2004, 750 (752) die Geeignetheit; zustimmend Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (469). 177 Für BGH JR 2004, 295 (297 f.) spricht noch einiges für die Erforderlichkeit; zustimmend Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (469). Im Anschluss daran schließt LG Nürnberg-Fürth die Rechtfertigung nur durch den fehlenden Verteidigungswillen aus, spricht jedoch im Zusammenhang mit der verminderten Schuldfähigkeit von einem deswegen erfolgten „massiven Exzess“, siehe S. 76 im Urteil vom 18.12.2003 – 7 Ks 103 Js 358/ 2001. In dem Revisionsurteil BGH NStZ 2005, 332 ff. gibt es ebenfalls keine Ausführungen zur Erforderlichkeit. 173

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ner wird problematisiert, ob die Verteidigung geboten war und sich noch innerhalb der sozialethischen Grenzen bewegte. In diesem Zusammenhang werden hauptsächlich178 die etwaig zwischenzeitlich eingetretene verminderte Schuldfähigkeit des Erpressers aufgrund seiner Alkoholisierung179, ein vermindertes Rechtsbewährungsinteresse bei der Schweigegelderpressung (,Chantage‘)180 und etwaige Provokationen diskutiert181. Letztlich könnte der Täter auch ohne Verteidigungswillen gehandelt haben, da es ihm bei seiner Gegenwehr überhaupt nicht um die Wiedererlangung des Eigentums ging, sondern ausschließlich darum, seine Taten nicht von dem Opfer zur Anzeige bringen zu lassen182. Deshalb den Teile der Literatur verneinen demgegenüber grundsätzlich die Tötung als erforderliches Mittel gegen eine Erpressung: Für Arzt, MDR 1965, 344 (344 f.) ist einziges Notwehrmittel eines jedes Erpressten die Nichtzahlung; weitere Rechte bestünden nur gegenüber gegenwärtigen Durchsetzungsversuchen des Erpressers. Hinsichtlich der Anzeigenverhinderung stehe die Rechtsordnung dem Erpressten bei einer Gegenanzeige nur im Rahmen des § 154c StPO zur Seite; ähnlich Baumann, MDR 1965, 346 (346); anderer Ansicht ist Kaspar, JuS 2009, 830 (834). Selbst wenn man mit Haug, MDR 1964, 548 (548 ff.) die Tötung unter Umständen als erforderliches Mittel einer Erpressungsabwehr erachtet, sind konkret aber mildere Mittel denkbar: Die Drohung mit einer „Gegenanzeige“ erscheint aussichtsreich, da der Erpresser aufgrund seiner Beteiligung am CD-Handel ein Interesse an der Geheimhaltung hatte, siehe S. 8 f., 29, 61 im Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 18.12.2003 – 7 Ks 103 Js 358/2001. Schwieriger zu beurteilen ist, ob das tatsächliche Anzeigen milderes Mittels gewesen wäre; für Kaspar, JuS 2009, 830 (835) ist die Inanspruchnahme staatlicher Hilfe beispielsweise stets ungeeignete Verteidigung, weil damit das Bekanntwerden von Tatsachen gerade nicht verhindert werde. Eine Drohung mit dem Messer sowie leichtere Verletzungen wären aber jedenfalls mildere Mittel gewesen, so auch Zaczyk, JuS 2004, 750 (752 f.) und Roxin, JZ 2003, 966 (967 f.). Zwar sah sich der Erpresste zwei Männern gegenüber, jedoch waren beide im Gegensatz zum Täter stark alkoholisiert. Der Begleiter bemühte sich zudem um eine Streitbelegung, weswegen zweifelhaft ist, dass er dem Erpresser geholfen hätte, siehe hierzu S. 16, 45 f., 49 im Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 18.12.2003 – 7 Ks 103 Js 358/2001. Ausführlich zur Erforderlichkeit im Erpresser-Fall Widmaier, NJW 2003, 2788 (2789 f.). 178 BGH JR 2004, 295 (300) erwägt, eine neue Fallgruppe für die Einschränkung des Notwehrrechts anzuerkennen, nämlich eine Einschränkung durch eine „Gesamtschau“ der zahlreichen Gründe, die fast die Notwehr einschränken. Letztlich lehnt der BGH dies ab. 179 Siehe hierzu Roxin, JZ 2003, 966 (968) und Zaczyk, JuS 2004, 750 (754). 180 Da dem Erpressten nicht nur mit einer Anzeige, sondern auch mit körperlichen Übergriffen gedroht wurde, lag hier allerdings eine „gemischte Drohkulisse“ vor, die gegen die Einschränkung des Notwehrrechts wegen der Schutzunwürdigkeit des Interesses am Unterbleiben der Anzeige spricht, BGH JR 2004, 295 (300). 181 Sehr ausführlich diskutiert BGH JR 2004, 295 (297 ff.) das nicht naheliegende Vorliegen einer Provokation wegen des CD-Handels und des Einlassens in die Wohnung, nennt aber zugleich die Aspekte, die dagegen sprechen; ablehnend auch Roxin, JZ 2003, 966 (967). 182 Siehe S. 3, 62 f. des Urteils vom LG Nürnberg-Fürth vom 18.12.2003 – 7 Ks 103 Js 385/01: Das Fehlen des Verteidigungswillen wurde daraus geschlossen, dass zum einen der Täter nicht denjenigen angriff, der das Geld hatte und zum zweiten in verschiedenen Äußerungen des Täters zum Ausdruck kommt, dass es ihm auf die Wiedererlangung seines Eigentums überhaupt nicht ankam. Alleinige Handlungsmotivation

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

Verteidigungswillen abzulehnen, setzt freilich voraus, dass man mit der Rechtsprechung ein zielgerichtetes Wollen der Verteidigung fordert183. Auch aus Sicht der Rechtsprechung kommt es damit mangels Rechtfertigung im Erpresser-Fall auf die vorgelagerte Tatbestandsfrage an. Die zahlreichen Probleme der Rechtfertigung dieses Falles können hier nicht umfassend besprochen werden. Die Behandlung der Rechtfertigungsprobleme würde bei der Heimtückefrage auch nicht weiterführen. Es genügt vielmehr, für die nachfolgende Diskussion festzuhalten, dass der Täter nicht gerechtfertigt handelte, aus Sicht der Rechtsprechung mangels Verteidigungswillen, aus hier vertretener Ansicht schon wegen der fehlenden Erforderlichkeit. Die Ausführungen zu der Tatbestandsfrage im Erpresser-Fall sind aber auch unabhängig von einer etwaigen Rechtfertigung in jedem Fall von gesteigertem Interesse, weil diese Überlegungen bei anderen eindeutig rechtswidrigen Tötungen relevant sein können. Gerade der Aspekt der Verallgemeinerungsfähigkeit ist für diese Arbeit von besonderem Interesse. Gegen das Argument des anzustrebenden Wertungsgleichklangs zwischen Notwehr und Heimtücke wird nun eingewendet, hierfür fehle schon der gemeinsame Bezugspunkt184. Ähnlich wird beanstandet, dass die Auslegung eines Tatbestandsmerkmals und die Notwehr einer „Harmonisierung“ nicht zugänglich seien185. Im Grundsatz ist zwar richtig, dass der Tatbestand ein allgemeines Unrechtswerturteil ausdrückt und die Rechtfertigung Ausnahmecharakter hat. Trotzdem sind die unterschiedlichen Ebenen des Unrechtstatbestandes nicht isoliert zu betrachten und es kommt keiner Einebnung zweier Wertungsstufen gleich, wenn man einen Wechselbezug einer Rechtfertigungslage zu einem Tatbestandsmerkmal (das typischerweise in einer solchen Rechtfertigungslage verwirklicht ist) zulässt. Das Argument der Systemgerechtigkeit zwischen Tatbestand und Rechtfertigung knüpft auch sehr wohl an einen gemeinsamen Bezugspunkt an. Bei einer Tötung in Notwehr wie bei einer Tötung, bei der die Heimtücke über einen normativen Arglosigkeitsbegriff ausgeschlossen werden soll, ist nämlich jeweils das vortatliche Verhalten des Opfers Anlass für die jeweilig ungünstige Stellung

war die Verdeckungsabsicht. In dem hierzu ergangenen Revisionsurteil sind der Sachverhalt sowie dessen rechtliche Würdigung hinsichtlich des Verteidigungswillens gut nachzulesen, BGH NStZ 2005, 332 ff. Zu den Schwierigkeiten bezüglich des Verteidigungswillen im Erpresser-Fall BGH JR 2004, 295 (298). 183 Aus dieser Sicht vermag eine eventuell bezweckte Vorbeugung von späteren körperlichen Attacken oder weiteren Erpressungen die voluntative Komponente des Rechtfertigungselements nicht zu begründen, da diese Angriffe nicht gegenwärtig wären. Für die gegenteilige Ansicht, die grundsätzlich die Kenntnis der Notwehrlage für das subjektive Rechtfertigungselement genügen lässt, siehe MüKo/Erb § 32 Rn. 215. 184 Fischer § 211 Rn. 52. 185 Haverkamp, GA 2006, 586 (592); in diese Richtung auch Zaczyk, JuS 2004, 750 (752): „Heimtücke ist eines und Notwehr ist etwas anderes.“

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des Opfers186. Es werden aber noch weitere systematische Argumente gegen einen Wertungsgleichklang von Tatbestand und Rechtfertigung vorgebracht: Quentin moniert, eine Fiktion des Argwohns in einem Fall wie der Erpresserkonstellation laufe der Wertung der §§ 32, 33 StGB zuwider. § 32 StGB sei keine komparative Norm, weswegen partielle Rechtfertigungen das Unrecht nicht derart verkleinern könnten, dass die Heimtücke entfällt187. Die Begünstigung des Täters in einer Situation mit Rechtfertigungsnähe sei allein in § 33 StGB auf Schuldebene unter engen Voraussetzungen vorgesehen und außerhalb dieser Voraussetzungen sei der Täter voll zur Verantwortung zu ziehen188. Das verkennt aber, dass die Verneinung der Heimtücke aufgrund einer objektiven Rechtfertigungslage nicht die Straffreiheit des Täters zur Folge hätte. Für die Verwirklichung des § 212 StGB ist der Täter dann weiterhin voll zur Verantwortung zu ziehen. Nur für die Folge ,Straffreiheit‘ benennt § 33 StGB aber abschließend die Voraussetzungen für eine dem Täter vorteilhafte Auswirkung einer Notwehrlage trotz des Überschreitens des Notwehrrechts189. Außerdem ist die rechtfertigungsnahe Situation nicht immer mit der Situation vergleichbar, wie sie § 33 StGB vor Augen hat. Wenn nämlich eine objektive Notwehrlage besteht und die Rechtfertigung an dem subjektiven Rechtfertigungsmoment scheitert190, ist das Verhalten des Täters in einer solchen Situation – anders als bei § 33 StGB – hinsichtlich der Art und Weise des Angriffs nicht zu beanstanden. Das Erfolgsunrecht ist anders als bei § 33 StGB durch die objektiven Voraussetzungen der Rechtfertigung ausgeglichen. Selbst wenn die Situationen vergleichbar sind, die Rechtfertigung also an der Erforderlichkeit scheitert, spricht § 33 StGB aber (unabhängig von der Rechtsfolge) nicht gegen die wertende Auslegung der Arglosigkeit als Element der Heimtücke. Denn in § 33 StGB wird in Bezug auf das Opfer nur die Wertung ausgedrückt, dass es einen derartigen Angriff nicht erdulden muss. Das ist aber eine ganz andere Frage als die, womit ein Opfer hätte rechnen müssen. Hätte ein Opfer mit einem Angriff rechnen müssen, bedeutet dies nicht unbedingt, dass es diesen auch hätte erdulden müssen. Beispielsweise hätte sich das Opfer im Erpresser-Fall gegen den Angriff zur Wehr setzen dürfen, auch wenn 186 Bei der gerechtfertigten Tat besteht der Nachteil des Opfers in dem fehlenden Beistand der Rechtsordnung und eventuell in der eigenen Strafbarkeit, falls das Opfer überlebt; bei dem nahezu gerechtfertigt verletzten Opfer besteht die Einbuße im Verlust der Heimtückeschutzes. 187 Quentin, NStZ 2005, 128 (132) – „tertitum non datur“ wie Quentin formuliert, entweder ein Verhalten sei gerechtfertigt oder nicht, dazwischen liege nichts. 188 Quentin, NStZ 2005, 128 (131 f.). 189 Quentin, NStZ 2005, 128 (132) bemerkt dies zwar, hält aber gleichwohl daran fest, dass ein Wertungsgleichklang zwischen der Heimtücke und den §§ 32 ff. StGB nicht zu begründen sei. 190 Teils ist dies im Erpresser-Fall angenommen worden. Auch wenn man richtigerweise dort schon die Rechtfertigung an der mangelnden Erforderlichkeit scheitern lässt, sind zumindest andere Fälle denkbar, bei denen die Rechtfertigung nur daran scheitert.

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

man die Heimtücke verneint. Damit läuft eine wertende Bestimmung der Arglosigkeit der Wertung des § 33 StGB bezüglich des Opfers nicht zuwider. Es erscheint daher insgesamt verfehlt, aus § 33 StGB etwas gegen eine wertende Begriffsbestimmung der Arglosigkeit ableiten zu wollen; weder stimmen die angestrebten Rechtsfolgen bei § 33 StGB und bei der normativen Bestimmung der Arglosigkeit überein, noch werden Wertungen oder Voraussetzungen des § 33 StGB durch die normative Begriffsauslegung der Heimtücke in partiellen Rechtfertigungslagen unterlaufen. Fraglich ist aber noch unter einem anderen Aspekt, ob das Notwehrrecht nicht nur nicht für eine Normativierung spricht, sondern sogar dagegen. So trägt Günther etwa vor: „Es würde dem systematischen Verhältnis von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des Mordes widersprechen, wenn unrechtsmindernde Notwehr- und Notstandselemente den Mordtatbestand ausschlössen, während Notwehr und rechtfertigender Notstand selbst die Tatbestandsverwirklichung voraussetzen“ 191. Käme man wirklich in partiellen Rechtfertigungslagen zu einem Totschlag, während bei voller Rechtfertigung ein zwar straffreier (weil gerechtfertigter), aber tatbestandlicher Mord vorläge, wäre dies in der Tat ein nicht einzusehender Widerspruch. Dieser besteht aber nicht. Denn bei voller Rechtfertigung liegt ebenfalls tatbestandlich nur ein Totschlag vor. Wenn sich nämlich das Opfer aufgrund seines Vorverhaltens nicht arglos wähnen darf gegenüber Angriffen des Täters, die keine Rechtfertigung des Täters (mehr) begründen, dann darf es doch erst recht nicht arglos sein gegenüber völlig legitimer Abwehr des Täters! Denn der Täter hätte ja noch mehr an Gegenwehr leisten können (wohlgemerkt: nicht dürfen), ohne sich aus dem Tatbestand des § 212 StGB heraus zu bewegen. Zu Günthers Aussage kann man nur kommen, wenn man im Fall der vollen Rechtfertigung auf der tatsächlichen Ebene der Arglosigkeit stehen bleibt und keine normative Überprüfung vornimmt. Dies wäre aber ein methodischer Bruch. Entweder man berücksichtigt immer nur die faktische Ebene der Arglosigkeit oder man bezieht immer auch die zweite Ebene der Wertungskontrolle bei der Auslegung mit ein. Klarzustellen ist, dass die wertende Auslegung weder bei einer vollen, noch bei jeglicher partiellen Rechtfertigung automatisch zur Verneinung des Mordmerkmals Heimtücke führt192. Es besteht allerdings noch enormer Präzisierungsbedarf hinsichtlich der Frage, welche Umstände der Annahme der Heimtücke entgegenstehen. Insbesondere die Fragen, ob hierfür nur eine Notwehrlage oder auch sonstige Rechtfertigungslagen in Betracht kommen und ob nur durch vorsätzlich-deliktisches Vorverhalten des Opfers die tatsächliche Arg191

Günther, JR 1985, 268 (274); siehe auch bereits zuvor Günther, S. 377. Beispielsweise bei einem geistig behinderten Opfer, welches zuvor den Täter angegriffen hat, ist bei einer wertenden Auslegung das Ergebnis eines gerechtfertigten Mordes trotz einer vollen oder partiellen Rechtfertigung denkbar. Allgemein wird bei partiellen Rechtfertigungslagen die Heimtückefrage bei einer wertenden Auslegung oftmals davon abhängen, wie groß der Exzess des Täters ist. 192

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losigkeit normativ ausgeschlossen werden kann, müssen an dieser Stelle noch offenbleiben. (3) Die begriffslogische (Un)Zugänglichkeit der Heimtücke für eine wertende Betrachtung und insbesondere die Opferverantwortung Dass jemandem, der tatsächlich arglos ist, dieser Zustand rechtlich abgesprochen wird und er als argwöhnisch gilt, ist natürlich eine „Fiktion“ 193. Jede normative Betrachtung beinhaltet ein solches Element der Festsetzung und Ausgrenzung übriger Sachverhalte194. Diese Festsetzung darf nur nicht über die Wortlautgrenze hinaus gehen. Die mit der Fiktion verbundene Assoziation, dass etwas tatsächlich nicht so ist, wie es angenommen wird, ist für sich genommen kein Argument gegen die Fiktion des Argwohns, wie es aber oft suggeriert wird195. Es kann nicht kritisiert werden, dass die Fiktion nicht zu dem tatsächlichen Vorliegen des Merkmals Argwohn führt – es ist ja gerade das Wesen einer Fiktion, dass etwas unterstellt wird. Kritikpunkt kann vielmehr allein sein, dass eine Fiktion bei einem bestimmten Merkmal nicht sachgerecht oder gar unzulässig ist. Das müsste für die Heimtücke aber erst belegt werden. Das Gesetz, das selbst gar nicht von Arglosigkeit spricht, gibt hier gerade keine Richtline vor196. Gleichwohl ist für manche die Möglichkeit, den Argwohn zu fingieren, begriffslogisch abzulehnen, da die Arglosigkeit einen Ist-Zustand beschreibe, und dieser einer normativen Deutung nicht zugänglich sei197. Dies kann Ergebnis, aber nicht Begründung sein, denn es ist ja gerade die Frage, ob die Arglosigkeit nur rein tatsächlich-psychologisch zu verstehen ist. Hillenkamp zieht zur Untermauerung der These, dass die Arglosigkeit nur einen Ist-Zustand meine, eine Entscheidung des BGH heran, wonach die Arglosigkeit anhand der „tatsächlich vorhandenen Einsicht in das Drohen einer Gefahr“ zu ermitteln sei und nicht durch Kriterien, „die auf die Feststellung eines fahrlässig verschuldeten Mangels an Abwehrbereitschaft hinauslaufen“ 198. Damit ist neben dem zirkelhaften Argu193 Hillenkamp, JZ 2004, 48 (49) und ders., FS Rudolphi, 463 (473); Haverkamp, GA 2006, 586 (591); Quentin, NStZ 2005, 128 (130). 194 Ähnlich Roxin, JZ 2003, 966 (966), der ausführt, dass die Arglosigkeit „zwar ein in ihrem Kernbereich deskriptiver Begriff ist, dass sie aber wie alle Rechtsbegriffe im Randbereich normativer Präzisierung bedarf“. 195 Siehe beispielsweise Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (473) „Einwand bloßer Fiktion“ oder auch Quentin, NStZ 2005, 128 (130). 196 Widmaier, NJW 2003, 2788 (2791) stellt zu Recht klar, dass es sich bei der Arglosigkeit um einen „normativen Hilfsbegriff zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Heimtücke“ handelt; ebenso Roxin, FS Widmaier, 741 (749). 197 Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (475); ähnlich Reizel, S. 189 f. Auf den Punkt gebracht ist die Gegenposition mit dem Postulat, Arg- und Wehrlosigkeit seien faktische, aber keine normativen Begriffe, BGH NStZ 2005, 688 (689). 198 Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (475), das angeführte Urteil findet sich in BGHSt 33, 363 (365).

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

ment des Ist-Zustandes ein anderer Aspekt angesprochen, nämlich der der „Opfermitverantwortung“ – den der Senat als rechtlich irrelevant erklärte. Dem Urteil des BGH lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Das Opfer hatte sich dem Täter in dessen Wohnung sexuell genähert, weswegen dieser das Opfer aus der Wohnung verwies. Das Opfer kam dem sofort nach, allerdings folgte der Täter ihm und beschimpfte es als „schwule Sau“. Das Opfer lachte und ging weiter. Der Täter folgte ihm weiter mit Beschimpfungen. Schließlich schlug der Täter mit einem Stein von hinten auf den Kopf des Opfers. Nachdem dieses zu Boden sackte, stach der Täter viermal in den Hals des Opfers. Die Vorinstanz, das LG Wuppertal, hatte die Arglosigkeit verneint, da das Opfer die demonstrierte Aggressionsbereitschaft des Täters nicht hätte unterschätzen dürfen, sondern mit einer Attacke des Täters hätte rechnen müssen. Dagegen argumentiert der BGH, dass eine Normativierung der Heimtücke durch die Frage, ob das Opfer mit einem Angriff hätte rechnen müssen, grundsätzlich abzulehnen sei; anderenfalls würde eine vorangegangene Feindseligkeit, die bei einem objektiven Beobachter Argwohn wecken würde, stets zur Verneinung der Arglosigkeit des Opfers führen199. Diese Argumentation unterstellt also, dass die Arglosigkeit immer durch eine normative Bestimmung zwingend zu verneinen wäre, wenn ein objektiver Beobachter die Situation richtig zu deuten wüsste. In diesem Fall wären tatsächlich unbillige Ergebnisse zu befürchten, denen mit einem faktischen Arglosigkeitsbegriff vorzubeugen wäre. Dass ein vernünftiger Mensch aufgrund der vorausgegangenen Feindseligkeit einen erheblichen Angriff erwartet hätte, ist aber kein Wertungsaspekt, der die gegenteilige Einschätzung des konkreten Opfers zwingend überwiegt und quasi automatisch zu der Forderung führt, auch das Opfer hätte den Angriff vorhersehen müssen. Für eine Fiktion genügt nicht, dass ansatzweise ein Wertungsaspekt für sie spricht; vielmehr ist eine Abwägung aller Wertungsaspekte notwendig. Lässt man sich auf eine Wertungsfrage zur Bestimmung der Arglosigkeit ein, können schützenswerte Umstände diejenigen überwiegen, die für eine Fiktion sprechen; im Ergebnis wird dem Opfer seine tatsächliche Arglosigkeit dann auch normativ zugebilligt und eine Fiktion des Argwohns wird abgelehnt200. Das Opfer darf dann entgegen der Vernunft arglos sein, weil ihm dies von der Rechtsordnung zugestanden wird. Im vorstehenden Fall könnte sich das vor allem daraus ergeben, dass das Opfer der Aufforderung des Täters, sich zu entfernen, nachkommen wollte. Das LG Wuppertal hätte dann die Frage, ob das Opfer mit dem Angriff hätte rechnen müssen, nicht falsch gestellt, sondern eventuell falsch beantwortet. Jedenfalls ist die Prämisse, die der Aussage des Senats zugrunde liegt, widerlegt: Bei differenzierter Betrachtung der Opferverantwortung führt der Umstand, dass ein verständiger Beobachter Argwohn geschöpft hätte, nicht unbedingt zum Ausschluss der Heimtücke. Die Einbeziehung

199 200

BGHSt 33, 363 (364). So beispielsweise bei konstitutionell bedingter Arglosigkeit.

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opferseitiger Nachlässigkeit in den Arglosigkeitsbegriff ist damit freilich noch nicht gerechtfertigt, sie ist nur nicht von vornherein abzulehnen. Festzuhalten bleibt aber hinsichtlich einer Opfermitverantwortung, dass die Forderung, ein Opfer hätte mit einem Angriff rechnen müssen, nicht mit der objektiven Vorhersehbarkeit gleichzusetzen ist. Mit dieser Klarstellung ist auch der folgende Vorwurf zu entkräften: Der normativen Arglosigkeit wird ein Widerspruch zu „begrifflichen Prämissen“ zur Last gelegt, der darin bestehen soll, dass es für die Arglosigkeit bei einer vorangegangenen Feindseligkeit gerade nicht auf die „Erkennbarkeit“ des Angriffs ankommen soll201. Die Erkennbarkeit eines Angriffs und die Forderung, ein bestimmtes Opfer hätte mit einem Angriff rechnen müssen, meinen aber Unterschiedliches. Denn die Erkennbarkeit ist ein reines Wahrscheinlichkeitsurteil und lediglich eine andere Bezeichnung für die Situationseinschätzung durch den objektiven Beobachter oder die objektive Vorhersehbarkeit. Daher gilt das zu der Argumentation des BGH eben Gesagte: Die Forderung, das Opfer hätte den Angriff erkennen müssen, beinhaltet über die Erkennbarkeit hinaus eine weitergehendere Bewertung. Danach kann die Arglosigkeit anzuerkennen sein, obwohl sich objektiv die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs aufdrängt. Die Differenzierung zwischen der Erkennbarkeit aus Sicht eines verständigen Beobachters einerseits und der wertenden Begriffsbestimmung der Arglosigkeit andererseits löst auch die Kritik auf, wonach der Schwachpunkt des fingierten Argwohns sei, dass er sich auf keine Erfahrungsregel zurückführen lasse202. Wer einen statistischen Regelfall als Legitimation für die Fiktion des Argwohns verlangt, argumentiert nämlich wiederrum nur auf die tatsächliche Ebene bezogen. Es mag beispielsweise sein, dass der Erpresser im Regelfall keinen tatsächlichen Argwohn gegenüber dem ihm bislang immer Unterlegenen hegt. Das ist aber für die Legitimation einer Fiktion des Argwohns schlicht irrelevant, wenn man der Opfermitverantwortung mit der Forderung, das Opfer hätte mit dem Angriff rechnen müssen, keine Wahrscheinlichkeitsschätzung, sondern die wertungsorientierte Erwartungshaltung der Rechtsordnung zugrundelegt. Zu dem Gedanken der Opfermitverantwortung äußert sich schließlich Rengier kritisch: Er befürwortet die Betonung der subjektiven Komponente der Heimtücke, will aber eine Verstärkung des Subjektiven nur auf den Täter bezogen erreichen; eine opferbezogene Erweiterung der Heimtücke „um eine Art Fahrlässigkeitskomponente“, um mit dieser der „Mitverantwortung des Opfers“ Rechnung zu tragen, lehnt er hingegen ab203. Es bleibt indessen offen, warum die 201

Otto, JURA 2003, 612 (618) mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (474 f.), Küper, GA 2006, 310 (313); bereits allgemein vor der Erpresser-Entscheidung Schmoller, ZStW 99 (1987), 389 (396) mit weiteren Nachweisen. 203 Rengier, MDR 1979, 969 (972 f.); die subjektiven Komponenten nachvollziehbarer heftiger Gemütserregungen des Täters nennt er „Gegenindikationen“. Ähnlich gegen 202

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

opferseitige Verantwortung für die Tat das Wesentliche nicht treffe, nicht verallgemeinerungsfähig sei und die Abgrenzung von Mord und Totschlag zu sehr auf die Opferseite verlagere, wie er erklärt204. Mit der Anforderung, dass das Opfer nicht nur faktisch, sondern auch wertend betrachtet zugestandenermaßen arglos gewesen sein muss, wird die Opferseite im Übrigen nicht stärker subjektiviert. Für die Normativierung der Arglosigkeit wird zwar an der subjektiven Komponente der Heimtücke angesetzt und diese wird betont, die Arglosigkeit wird aber mit der wertungsoffenen Frage, ob das Opfer mit einem Angriff rechnen muss, ein Stück weit objektiviert. Hinter der ablehnenden Haltung gegenüber einer die Opfermitverantwortung einbeziehenden Auslegung der Heimtücke verbirgt sich das Motiv, den Opferschutz nicht zurücknehmen zu wollen. So wird beispielsweise erklärt, mit der Ablehnung eines fingierten Argwohns solle der Verwirkung strafrechtlichen Schutzes eine Absage erteilt werden205. Die Verneinung der Heimtücke aufgrund einer dem Opfer abverlangten Erwartungshaltung kommt indes nicht der Verwirkung seines Lebensrechts gleich206. Der Opferschutz besteht durch die Strafandrohung für den Totschlag sehr wohl fort, das Opfer ist keineswegs „vogelfrei“. Es ist an dieser Stelle zu früh, um zu der Normativierung der Heimtücke über einen das Opferverhalten miteinbeziehenden Arglosigkeitsbegriff endgültig Stellung zu beziehen. Es kann aber festgehalten werden, dass die normative Verneinung der Heimtücke aufgrund opferbezogener Umstände im Vorfeld der Tat nicht so offenkundig ausscheidet, wie es zum Teil jedoch suggeriert wird. Gegen eine Normativierung der Heimtücke wird weiter vorgebracht, diese sei unvereinbar mit dem Grundsatz, mit einem Begriff gleiche Sachverhalte beziehungsweise mit verschiedenen Begriffen verschiedene Sachverhalte zu bezeichnen. Ein Opfer, das nicht mit der Tat rechnet, obwohl es das hätte tun müssen, sei nämlich im gleichen Maße gefährdet wie eines, das nicht mit der Tat rechnet und dies wertend betrachtet auch nicht musste207. Dass die Gefährlichkeit identisch ist und damit zwei unterschiedlichen Arglosigkeitsbegriffen derselbe Gefährlichkeitsgrad zugeordnet wäre, ist aber zu bestreiten. Denn erstens ist in den Fiktionsfällen aufgrund des Vortatverhaltens des Opfers die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Tötung wegen der gesteigerten Vorhersehbarkeit der Tat eine andere. Diese Verknüpfung erachtet Hillenkamp zwar als eine „schiefe“, da man nicht „missbilligtes Opferverhalten zur Reduktion von Tatbestandsmerkmalen

die Betonung der Opferseite Bürger, JA 2004, 298 (299) und auch Roxin, FS Widmaier, 741 (749, 753, 756). 204 Rengier, MDR 1979, 969 (973). 205 Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (476). 206 Zu den Unterschieden zwischen der normativen Auslegung und der Verwirkung siehe ab S. 303. 207 Hillenkamp, JZ 2004, 48 (49) und ders., FS Rudolphi, 463 (476).

I. Die Grundformulierung

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missbrauchen“ dürfe208. Warum dies schief sein soll, ist allerdings nicht einsichtig. Genau genommen wird damit das Tatbestandsmerkmal auch nicht reduziert, es ist nur nicht erfüllt. Aus objektiver ex ante-Sicht ist in einem solchen Fall vorangegangener opferseitiger deliktischer Tätigkeit die Gefährlichkeit gegenüber sonstigen Fällen geringer, weil die Tat näherliegend ist209. Vor allem ist zweitens an den von Bendermacher herausgestellten Gesichtspunkt des latenten Gefährdungsbewusstseins210 zu erinnern, der einen Unterschied nicht nur auf objektiver, sondern auch auf individueller Ebene begründen kann. Letzten Endes ist die Kritik Ausdruck eines unterschiedlichen Gefährlichkeitsbegriffs, wie es schon bei der konstitutionell bedingten Arglosigkeit der Fall war211. Der Gefährlichkeitsaspekt steht dem neuen wertungsoffenen Heimtückeverständnis damit nicht zwangsläufig entgegen. Andere sehen die Heimtücke als grundsätzlich der Normativierung zugänglich an, ohne dass damit aber unbedingt die konkrete Art der wertenden Bedeutungszuschreibung, wie sie der 1. Senat in der Erpresser-Entscheidung gewählt hat, befürwortet wird212. Mosbacher konstatiert, auch bei deskriptiven Merkmalen brauche es an den Konturen Normativierungen, um die Entscheidung treffen zu können, ob ein bestimmter Sachverhalt, der weitgehend vom Idealbild eines Begriffes abweicht, noch unter diesen zu subsumieren ist oder nicht213. Widmaier sieht die Arglosigkeit sogar im Ganzen als normativen Hilfsbegriff zur Auslegung des Tatbestandmerkmals Heimtücke an214. Küper erkennt zwar eine normative Komponente der Heimtücke, die „normative Selbstschutzgarantie“, an, doch bestehe für wertende Überlegungen nur dort Raum, wo diese im Begriff selbst angelegt seien und ein rein deskriptives Bestimmen nicht möglich sei. Die Bewusstseinslage aber sei deskriptiv fassbar und entziehe sich deshalb einer normativen Ersetzung oder „Überformung“ 215. Daher 208

Hillenkamp, JZ 2004, 48 (49) und ähnlich ders., FS Rudolphi, 463 (476 f.). Hillenkamp, JZ 2004, 48 (50) merkt selbst an, dass Opfer nach eigenem zu missbilligenden Verhalten mit lebensbedrohlichen Befreiungsschlägen ihrer Opfer in Situationen eigener Schwäche rechnen müssten. 210 Siehe oben S. 58. 211 Siehe oben S. 42. 212 Beispielsweise in BGHSt 30, 105 (117) konstatiert der Große Senat, dass die Heimtücke ein normatives Merkmal sei und verschiedene Restriktionsansätze darauf gründeten. Auch W. Hassemer, JuS 1971, 626 (629) stellt zutreffend heraus, dass die gängigen Restriktionsversuche normativer Natur sind. An der Erpresser-Entscheidung ist die Normativierung der Heimtücke als solche nicht neu, sondern nur die konkrete normative Belegung des Begriffs. 213 Mosbacher, NStZ 2005, 690 (690). 214 Widmaier, NJW 2003, 2788 (2791). 215 Küper, GA 2006, 310 (312); der von Roxin geprägte Begriff der „Überformung“, auf den sich auch Küper bezieht, stammt aus der Urteilsanmerkung Roxin, JZ 2003, 966 (966). 209

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

widerspreche die wertende Frage, ob das Opfer mit dem Angriff rechnen muss, dem deskriptiven Begriffsinhalt des Argwohns216. Es ist aber nicht dargelegt, weshalb ein solcher Vorrang des Deskriptiven bestehen soll. Eine Fiktion mittels wertender Auslegung ist kein zweitrangiges Mittel zur Tatsachenfeststellung, das nur zur Anwendung kommt, wenn tatsächliche Erkenntnislücken bestehen. Die Fiktion ist vielmehr eine bewusste Entscheidung gegen eine tatsächliche Begebenheit als Grundlage für die weitere rechtliche Betrachtung. Eine Normativierung steht dem Deskriptiven qualitativ nicht nach, sondern ist etwas anderes. Besondere Aufmerksamkeit verdient ein weiteres Argument Küpers gegen eine normative Verneinung der Arglosigkeit: Die Forderung, das Opfer hätte mit einem Angriff rechnen müssen, setze eine Rechtspflicht oder besser Obliegenheit voraus, eine solche bestünde jedoch nicht217. In der Tat steht nirgends positiv geschrieben, dass ein Angreifer mit einen Gegenangriff rechnen muss. Küpers Logik besticht daher zunächst. Gleichwohl ist zu hinterfragen, ob die notwendige Obliegenheit, also eine Verpflichtung gegen sich selbst, deren Verletzung nicht zu einer Strafe, sondern zu einer bloßen Rechtseinbuße führt218, nicht anderweitig zu begründen ist. Beispielsweise ist zu überprüfen, ob sich eine Obliegenheit aus dem Notwehrrecht wie folgt konstruieren lässt: Wenn jemand einem Angriff aufgrund des Notwehrrechts nicht einmal entgegentreten darf, soll er sich erst recht nicht darauf berufen können, dass er sich nicht dagegen wappnen konnte, weil er ihn nicht erwartet hat219. Gegen diese Argumentation spricht, dass das Opfer der Notwehrtat nur keine aktive Gegenwehr leiten darf, auszuweichen bleibt ihm hingegen erlaubt. Dieses Recht zum Ausweichen wird durch die Annahme einer Obliegenheit, mit dem Angriff rechnen zu müssen zwar nicht rechtlich negiert, de facto belaufen sich die Fluchtchancen eines normativ betrachtet argwöhnischen Opfers aber gen Null, da es im Gegensatz zu einem tatsächlich argwöhnischen Opfer keinen Anlass zur Flucht sieht. An dieser Stelle muss noch offenbleiben, ob und wie eine Obliegenheit für das Opfer, unter gewissen Umständen mit einem Angriff rechnen zu müssen, überzeugend aus anderen Überlegungen zu begründen ist. Einstweilen soll die Erkenntnis genügen, dass die Befürwortung einer wertend zu ermittelnden Arglosigkeit entscheidend von dieser Frage abhängt. 216 Küper, GA 2006, 310 (312), ihm zustimmend Wessels/Hettinger, StR BT I, § 2 Rn. 111a. 217 Küper, GA 2006, 310 (312 f.); ähnlich argumentiert Roxin, FS Widmaier, 741 (750): da die Rechtsordnung keinen Argwohn gebiete, könne fehlender Argwohn den Täter nicht entlasten. 218 Zur Definition der Obliegenheit findet sich aus der strafrechtlichen Literatur wenig, siehe aber Hruschka, S. 415 ff. Ob es sich bei der Forderung, einen Angriff unter bestimmten Umständen erwarten zu müssen, tatsächlich um eine Obliegenheit handelt, wie es beispielsweise Küper, GA 2006, 310 (312) ausdrückt, wird zu klären sein, dazu vor allem ab S. 305. 219 Ablehnend Küper, GA 2006, 310 (313).

I. Die Grundformulierung

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(4) Die Verallgemeinerungsfähigkeit der „Erpresser“-Entscheidung Die wertungsbezogene Bestimmung der Arglosigkeit wird außerdem abgelehnt wegen der Befürchtung angeblich unbilliger Weiterungen über die Konstellation des in einer Notwehrlage handelnden Täters hinaus220. Wenn die „abschüssige Bahn“ erst einmal betreten sei, sei bald nur noch Arglosigkeit anzunehmen, wenn das Opfer einen „berechtigten Grund zur Sorglosigkeit“ habe, was einen größeren Konturenverlust als die Anwendung der negativen Typenkorrektur darstelle und der Öffnung der „Büchse der Pandora“ gleichkäme221. Ob eine Ausweitung negativ oder positiv222gesehen wird, richtet sich natürlich danach, wie man das Erpresser-Urteil bewertet und welche Weiterung gemeint ist. Dass Übertragungen aber denkbar sind, sollte nicht ernsthaft bezweifelt werden. Deshalb gibt es auch nur wenige Stimmen, die die Verallgemeinerungsfähigkeit gar nicht gegeben sehen223. Als mögliche Ausweitungen werden die entsprechende Behandlung der Tötung schlafender Familientyrannen oder allgemeiner die Konstellation des teilweisen Vorliegens von Notstandsvoraussetzungen genannt224. Auch bei anderen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungselementen könnte die Arglosigkeit und damit die Heimtücke verneint werden225. Ferner ist es nicht ausgeschlossen, bei tatsächlich bestehendem Argwohn aus Wertungsgesichtspunkten die Arglosigkeit zu fingieren. Das wäre eine umgekehrte Fiktion in dem Sinne, als nicht (wie bislang diskutiert) die tatsächliche Arglosigkeit aus Wertungsgesichtspunkten verneint wird, sondern die tatsächlich nicht bestehende Arglosigkeit rechtlich angenommen wird. Mit einer solchen Fiktion der Arglosigkeit könnte beispielsweise in den Hinterhalt-Fällen trotz der fehlenden tatsächlichen Arglosigkeit im Versuchsbeginn die Heimtücke normativ bejaht werden. Schließlich könnte die Miteinbeziehung des Opfervorverhaltens bei der Auslegung des Heimtückemerkmals ent-

220

H. Schneider, NStZ 2003, 428 (430 f.); Altvater, NStZ 2004, 23 (26). H. Schneider, NStZ 2003, 428 (431). 222 Otto, NStZ 2004, 142 (143); Haverkamp/Kaspar, JuS 2006, 895 (897); Kaspar, JA 2007, 699 (701); Kett-Straub, JuS 2007, 515 (521). 223 So Quentin, NStZ 2005, 128 (133) mit der Begründung, dass der Ansatz nur einem Gerechtigkeitsgefühl entspringe und sich nicht aus dem Gesetz ergebe; zwar nicht bezogen auf die Erpresser-Entscheidung, aber auf den ähnlichen Ansatz der begründeten Arglosigkeit von Arzt, siehe Rengier, MDR 1979, 969 (973). 224 H. Schneider, NStZ 2003, 428 (431). Zur Vergleichbarkeit der Tötung des Erpressers zu der Tötung des Tyrannen siehe ausführlicher ab S. 88. 225 Siehe nochmals Bendermacher, JR 2004, 301 (303 ff.), für die die Entscheidung verallgemeinerbar ist, weil ein latentes Gefährdungsbewusstsein des Opfers bei allen in Betracht kommenden Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen gegeben sei, wenn das Täterverhalten mit deren Grundgedanken übereinstimmt; dann bestehe die gesteigerte Gefährlichkeit als Grund der Strafschärfung des Mordes gegenüber dem Totschlag nicht. 221

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

sprechende Bestrebungen in anderen Tatbeständen forcieren226. Der Gedanke des Wertungsgleichklangs zwischen Tatbestand und Notwehrrecht findet sich nämlich in der Grundsatzdebatte wieder, ob opferbezogene Strafwürdigkeits- oder Schutzwürdigkeitsaspekte bei der Auslegung von Tatbeständen eine Rolle spielen können227. Insofern ist der Grundgedanke der Erpresser-Entscheidung gar nicht so neu, wie man aufgrund der Reaktionen auf dieses Urteil denken könnte. Hinsichtlich des zu erwartenden Umfangs etwaiger Ausweitungen kann die Klärung der Frage weiterführen, was der 1. Senat des BGH selbst mit seiner Neuerung in der Erpresser-Entscheidung diesbezüglich beabsichtigte. Haverkamp zufolge will der 1. Senat die normative Auslegung des Heimtückemerkmals nur innerhalb der zeitlichen Grenze des Notwehrrechts eröffnen228. Altvater schließt aus den Ausführungen des BGH ebenfalls, dass die Neuerung nur auf unmittelbar gegenwärtige Angriffe des späteren Tötungsopfers Anwendung finden soll229. Nur eine „Lösung des Einzelfalls“ sieht auch Trüg in der „Vorwirkung“ des Notwehrrechts, also dem Hineinwirken des Rechtswidrigkeitselements in den Tatbestand230. Auch Küper sieht in der Entscheidung keinen neuen Grundsatz aufgestellt, sondern eine Ausnahmekonstellation231. Hillenkamp vermutet ebenfalls, dass die Normativierung der Heimtücke allein bei Notwehrlagen gewollt ist232. Diese Beschränkung wird aus der Formulierung des BGH, in einem „Fall wie dem vorliegenden“ sei die normative Belegung des Begriffs möglich, gefolgert233. Dies erscheint aber als Überinterpretation; der 1. Senat hatte in der Erpresser-Entscheidung eben konkret eine Notwehrkonstellation zu berücksichtigen. Auch an der Klarstellung in den Gründen, dass die Heimtücke bei einer Erpressung vorliegen kann, bei der die Drohung eine Dauergefahr darstellt und

226 Beispielsweise diskutiert Kaspar, JuS 2009, 830 (833 f.) kritisch eine Übertragung der Grundsätze aus der Erpresser-Entscheidung auf das Merkmal der Hinterlist im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Auch sind Auswirkungen bei § 263 StGB dahingehend denkbar, dass bei Zweifeln des Opfers wertend der Irrtum verneint wird, siehe zu dieser Diskussion eingehend ab S. 274. 227 MüKo/Freund Vor § 13 ff. Rn. 22 f. speziell dafür, dass Rechtfertigungsgründe auf die Ebene des Tatbestandes „durchschlagen“ können sollen und Rn. 43 ff. für die Frage, ob die Schutzwürdigkeit den Rechtsgutbegriff ausformen kann. Zu dem Streit, ob die Strafwürdigkeit eine selbstständig im Tatbestand zu prüfende Strafbarkeitsvoraussetzung ist, siehe ab S. 222. 228 Haverkamp, GA 2006, 586 (591); die dort angeführten Stimmen Roxins und Widmaiers, die eine angebliche Einschränkung begrüßen sollen, pflichten zwar der Entscheidung tatsächlich bei, allerdings nur dieser und nicht einer Einschränkung, wie sie Haverkamp versteht. Siehe auch Haverkamp/Kaspar, JuS 2006, 895 (897). 229 Altvater, NStZ 2004, 23 (26). 230 Trüg, JA 2004, 272 (273 f.). 231 Küper, BT Definitionen, S. 194. 232 Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (468 f.). 233 Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (469).

I. Die Grundformulierung

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somit nur eine Notstandslage besteht234, lässt sich nicht eine Absicht des BGH festmachen, eine nur auf die Notwehrlage zugeschnittene, nicht verallgemeinerungsfähige Lösung zu etablieren. Vielmehr beugt diese Erläuterung lediglich einer schematischen Verneinung der Arglosigkeit in allen Rechtfertigungslagen vor. Außerdem spricht der BGH von der Systemgerechtigkeit zwischen Heimtücke und Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen235 und weist damit auf umfassendere Möglichkeiten einer Verneinung der Arglosigkeit aus Wertungsgründen hin. Dass sich der normative Ansatz auf Fälle in Notwehrlagen beschränken soll, ist den Entscheidungsgründen folglich nicht zu entnehmen. Vorbehalte gegen eine Übertragung der Idee der normativen Arglosigkeit auf andere Konstellationen lassen sich nun zum Teil mit der Befürchtung erklären, dass die dadurch erfolgende Entlastung des Täters zu weit gehen könnte und die Arglosigkeit beispielsweise auch demjenigen abgesprochen werden könnte, der im Vorfeld unbewusst oder schuldlos rechtswidrig in den Rechtskreis des Täters eingreift236. Dieses eingewendete Beispiel basiert auf der Idee, dass auch bei einem unbewusst Angreifenden eine Notwehrlage entsteht. Wie gesehen ist in der Normativierung des Heimtückebegriffs aber keineswegs ein Automatismus angelegt, der bei jeder vorgelagerten Notwehrsituation zur rechtlichen Verneinung der Arglosigkeit führt. Nicht jeder Umstand der Verbrechensgenese, der aus der Opfersphäre stammt, muss zur Verneinung der Heimtücke führen, wenn man die Möglichkeit der Verneinung aus Wertungsgründen grundsätzlich bejaht. Es wäre jedenfalls im Sinne der Rechtsicherheit von Vorteil, eine einheitliche Definition des Begriffs unabhängig von der Fallkonstellation zu gebrauchen. Es ist bislang auch kein Grund ersichtlich, warum das Heimtückemerkmal nur für den einen Fall einer normativen Auslegung zugänglich sein soll, dass das Opfer noch im Begriff ist, einen Angriff auf den Täter zu verüben237. Vielmehr sind neben der Notwehrlage andere Umstände denkbar, die es nahelegen, dem Opfer Argwohn zuzuschreiben, obwohl es tatsächlich nicht argwöhnisch ist. Beispielsweise im Fall der Dauergefahr, insbesondere beim Familientyrannen, kann eine derartige Entlastung des Täters gleichermaßen sachgerecht erscheinen, wenn dort wie im Erpresser-Fall das getötete Opfer im Vorfeld erheblich in die Rechtssphäre des Täters übergegriffen hat und deshalb eine ähnliche Notlage des Täters besteht. Der Gefahr, dass die Anwendung des normativierten Arglosigkeitsbegriffs in anderen Konstellationen zu unbilligen Ausuferungen führt, ist damit wirksam zu begegnen, dass die notwendige Vergleichbarkeit genauestens überprüft wird. Da234 BGHSt 48, 207 (212). Daran knüpft die Einschätzung Trügs, JA 2004, 272 (273) an, es handele sich um eine „,schlanke‘ Lösung des Einzelfalls“. Siehe hierzu auch Bürger, JA 2004, 298 (299). 235 BGHSt 48, 207 (211). 236 Bürger, JA 2004, 298 (300) bemängelt, dass der BGH dies nicht vorbeugend klargestellt hat, siehe auch erneut Quentin, NStZ 2005, 128 (132 f.). 237 So auch Bürger, JA 2004, 298 (300); Rengier, NStZ 2004, 233 (237).

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

für müssen die Voraussetzungen und die Reichweite der Forderung, dass das Opfer mit einem Angriff zu rechnen hat, noch präzisiert werden. Auch dieser letzte Einwand gegen die Normativierung, die angebliche Ausuferungsgefahr, hat sich somit als nicht stichhaltig erwiesen. Freilich kann die Position des Senats nicht schon deshalb geteilt werden, weil die dagegen vorgebrachten Kritikpunkte nicht zu erhärten sind. Es ist erst noch zu zeigen, dass die normative Auslegung der Heimtücke mittels eines das Opferverhalten miteinbeziehenden Arglosigkeitsbegriffs dogmatisch überzeugt. Die größte Aufgabe dabei ist es, die Obliegenheit des Opfers zu begründen, unter bestimmten Umständen mit einem Angriff rechnen zu müssen. (5) Zwischenergebnis Der Begründungsaufwand für die Normativierung des Arglosigkeitsbegriffs erscheint in der Tat sehr hoch. Da das Heimtücketatbestandsmerkmal jahrelang rein deskriptiv verstanden wurde, ist eine Neuerung, die dieses Paradigma angreift, naturgemäß Widerständen ausgesetzt. Es wird noch genauer darauf einzugehen sein, was man mit einer Normativierung in Bezug auf die Heimtücke zu leisten vermag; vorweggenommen werden kann jedoch, dass die normative Begriffsbestimmung keine grundsätzlich schlechtere Methode als die der deskriptiven Auslegung ist. Es liegt nicht an der Methode ,normative Begriffsbestimmung‘, wenn bislang vorgeschlagene normative Korrekturversuche der herkömmlichen Heimtücke-Definition nicht konsensfähig sind, sondern die streitbaren Punkte ergeben sich aus dem Inhalt des jeweils konkreten normativen Vorschlags. Der Normativierung der Arglosigkeit in der Form, dass arglos ist, wer sich keines Angriffs versieht und auch nicht versehen muss, ist jedoch bislang kein durchschlagender Einwand entgegenzusetzen. Insbesondere droht durch diese proklamierte Definition kein Unterlaufen der Voraussetzungen der §§ 32 ff. StGB. Auch ist der normative Arglosigkeitsbegriff mit der oben aufgestellten Prämisse zu vereinbaren, dass der Maßstab des Bedrohtheitsgefühls, das den Argwohn begründet, ein individueller ist. Denn auch durch eine Bewertung des jeweils speziellen Vorverhaltens des Opfers bleibt dieses ein opferspezifischer Umstand, da es nicht auf die objektive Erkennbarkeit der Gefahr ankommt. Allerdings ist herausgestellt worden, dass erheblicher Präzisierungsbedarf hinsichtlich der Frage besteht, welche Umstände aus dem Vortatgeschehen bei der Normativierung der Arglosigkeit berücksichtigt werden können. Ein ganz wesentlicher klärungsbedürftiger Punkt ist ferner, ob und wie die bei der Normativierung der Arglosigkeit vorausgesetzte Obliegenheit des Opfers, mit dem Angriff rechnen zu müssen, begründet werden kann. Bei dieser normativen Auslegung wird nämlich auf eine solche Verpflichtung abgestellt, ohne dass deren Bestehen zuvor nachgewiesen wurde. Da eine Verpflichtung etwas rechtlich Nachteiliges ist und für den Betreffenden erkennbar sein muss, kann sie nicht

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allein aus Wertungsgründen angenommen werden. Sie muss vielmehr eigenständig begründet werden und kann erst dann bei der Auslegung der Heimtücke herangezogen werden. Sie kann also Voraussetzung, aber nicht Ergebnis einer wertenden Begriffsbestimmung sein. Diese Lücke in der Begründung der normativen Arglosigkeit muss also noch geschlossen werden. Zunächst wird jedoch auf die übrigen Fälle eingegangen, bei denen die Fiktion des Argwohns oder der Arglosigkeit diskutiert wird. Zusammenfassend kann man diese als Fallgruppe der offen-feindlich entgegentretenden Täter bezeichnen. bb) Faktische und fingierte Arglosigkeit bei objektiv offen-feindseligem Auftreten des Täters Bei der Fallgruppe der offen angreifenden Täter sind zwei Gruppen zu unterscheiden: Zum einen ist dies die Konstellation, in der das Opfer zwar die Attacke des Täters als solche sofort bemerkt, aber von diesem Zeitpunkt an bis zur Vollendung kein ausreichendes Zeitintervall besteht, in dem das Opfer Verteidigungsmittel einsetzen könnte238. Das stellt keinen Problemfall dar, denn der Zeitpunkt des offenen Angriffs fällt hier mit dem Versuchsbeginn zusammen239. Wenn durch den Versuchsbeginn die Arglosigkeit fortfällt, wie es sogar häufig der Fall sein wird, steht das der Annahme der Heimtücke nicht entgegen240. Vor diesem Hintergrund ist auch der Satz des BGH, „Heimtückisches Handeln erfordert kein ,heimliches‘ Vorgehen“ 241 nachvollziehbar – die Heimlichkeit muss nicht bis zur Vollendung gegeben sein. Eine präzisere Formulierung wäre: „Heimtückisches Handeln erfordert kein ,heimliches‘ Vorgehen bis zum Ende“. Dem BGH ist also darin zuzustimmen, dass er in ständiger Rechtsprechung in solchen Situationen die Heimtücke bejaht. Eine Ausnahme von der Zeitregel setzt die Bejahung der Arglosigkeit in diesen Fällen indes nicht voraus242. Interessanter ist folgende zweite Variante: Vor Versuchsbeginn gibt es objektiv eindeutige Anzeichen eines Angriffs, welche das Opfer zwar wahrnimmt, jedoch 238 So lag es in BGH NStZ-RR 2006, 10 oder auch BGH NStZ-RR 1997, 168, wo auf den Ruf „Hey“ der tödliche Schuss erfolgte, bevor das Opfer sich richtig umdrehen konnte. Siehe zu derartigen Fällen schon oben S. 30. 239 Siehe so richtig BGH NStZ-RR 2004, 14 (16); BGH NStZ-RR 2006, 10 (10). 240 Siehe oben S. 21. 241 BGH NStZ-RR 1997, 168 (168); BGH NStZ-RR 2005, 309 (309). 242 Teils klingt dies danach, wenn der BGH betont, dass Arglosigkeit vorliege, wenn trotz des offen-feindseligen Auftretens des Täters die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff zu kurz für eine Reaktion sei, siehe beispielsweise BGH NStZ 2006, 167 (169), statt dass er feststellt, dass im Zeitpunkt des Versuchsbeginns die Arglosigkeit gegeben ist und dies ausreicht, wie in BGH NStZ 2003, 146 (147) oder BGH NStZ-RR 2004, 14 (16) geschehen. Zu unterscheiden davon sind indes Fälle des Vorsatzwechsels.

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

falsch bewertet. Das Opfer hätte zwar genügend Zeit und auch die physische Möglichkeit zu reagieren oder zu fliehen, unterlässt dies jedoch, weil es die objektiven Zeichen eines bevorstehenden Angriffs nicht ernst nimmt. Entweder glaubt das Opfer also dem Täter dessen Ankündigungen nicht oder es traut ihm deren erfolgreiche Umsetzung nicht zu. Was die Frage der Arglosigkeit anbelangt, hat die Rechtsprechung in solchen Fällen unterschiedlich entschieden243. Diese Fälle, bei denen die Arglosigkeit wegen der Unvernunft des Opfers in Rede steht244, sind mit der Erpresser-Konstellation insofern vergleichbar, als jeweils ein opferbezogener Umstand aus dem Vorfeld der Tat Anlass zur Diskussion über die rechtliche Verneinung der tatsächlich bestehenden Arglosigkeit gibt. Der Unterschied besteht darin, dass das Opfer im Erpresser-Fall mit seinem Verhalten einen Straftatbestand erfüllt und Rechtsgüter des Täters verletzt, während das Opfer in den Fällen des offen-feindlich auftretenden Täters lediglich unvernünftig in eigenen Angelegenheiten ist. Es stellt sich dabei die Frage, ob das Opfer die Ernsthaftigkeit des bevorstehenden Angriffs hätte erkennen müssen und ob deshalb der Argwohn fingiert werden kann. Zwar wurde bereits gesagt, dass die bloße objektive Erkennbarkeit des Angriffs die Forderung an das Opfer, es hätte den Angriff erwarten müssen, nicht begründen kann245 und daran ist auch festzuhalten. Die hierzu ergangenen Entscheidungen sind aber daraufhin zu untersuchen, ob sie weitere Argumente für oder gegen eine Normativierung des Arglosigkeitsbegriffs enthalten. Da es Ansätze gibt, die das Kriterium der offenen Feindlichkeit (beziehungsweise das Gegenstück, die Heimlichkeit) als alleiniges Kriterium der Abgrenzung von Heimtückemord und Totschlag ansehen246, ist vorab noch kurz klarzustellen, dass hier mit der offen gezeigten Feindlichkeit lediglich eine mögliche Fallgruppe des Heimtückemordes bezeichnet ist. Als alleiniges Abgrenzungskriterium kann die offene Feindseligkeit nämlich aus mehreren Gründen nicht überzeugen: Würde man sich bei der Entscheidung zwischen Heimtückemord und Totschlag allein daran orientieren, bräuchte der schon zur Tötung entschlossene Täter bloß einen „verbalen Streit vom Zaun zu brechen“, damit die Tat aus der 243 Siehe einerseits die Arglosigkeit bejahend BGH NStZ 2007, 268 (269) und andererseits verneinend BGHSt 27, 322 (324) und BGH NStZ 2009, 30 (31). Auffällig häufig wird bei dieser Fallgruppe das Ausnutzungsbewusstsein bezweifelt, so zum Beispiel bei BGH NStZ 2007, 268 (269); BGH NStZ 2007, 524 (524 f.); BGH NStZ 1986, 504 (505). 244 Hinsichtlich der Arglosigkeit können nur die Fälle diskutiert werden, bei denen das Opfer vor Versuchsbeginn Anzeichen eines Angriffs verkannt hat. Denn nach Versuchsbeginn bedarf es der Arglosigkeit nicht für die Annahme der Heimtücke. Es ist dann allenfalls zu fragen, ob objektiv bestehende aber subjektiv für nicht erforderlich gehaltene Verteidigungsmöglichkeiten der Annahme der Wehrlosigkeit entgegenstehen. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob die Wehrlosigkeit objektiv oder aus Sicht des Opfers zu bestimmen ist, siehe hierzu ab S. 102. 245 Siehe oben ab S. 69. 246 So bei Veh, siehe unten ab S. 171 und Schmoller, siehe unten ab S. 175.

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Mordkategorie herausfällt247. Damit wäre nicht nur der im Eifer des Gefechts hingerissene Täter privilegiert, sondern auch der kühl kalkulierende Täter; die offene Feindseligkeit ist also eine zu „veräußerlichte Betrachtung“ 248. Auch wird auf den Gewohnheitseffekt bei konfliktträchtigen Beziehungen hingewiesen. Das meint, dass die offene Feindseligkeit nicht geeignet ist, eine über das gewohnte Maß hinausgehende Alarmbereitschaft zu wecken, wenn in einer Beziehung Gewalttätigkeiten üblich sind249. Schwierigkeiten bestünden auch bei der Klärung der Fragen, ab wann eine relevante Feindseligkeit und nicht nur eine Unhöflichkeit vorliegt und ob die Auseinandersetzung zeitlich nahe genug an die Tat heranreicht, um sich noch auszuwirken250. (1) Der „Hirschfängermesser“-Fall251 Zunächst kam es dem BGH für die Arglosigkeit bei einer Tötung nach einer vorangegangenen Auseinandersetzung von Täter und Opfer darauf an, ob das Opfer die vorausgegangene Feindseligkeit für beendet hielt und wieder arglos war oder nicht252. 1977 hat der 2. Strafsenat des BGH dann in der Hirschfängermesser-Entscheidung erklärt, seine bisherige Rechtsprechung zu ändern und es nunmehr bei objektiv offensichtlich in Angriffsabsicht auftretenden Tätern als irrelevant zu betrachten, wenn sich das Opfer gleichwohl keines Angriffs versieht253. Folgender Sachverhalt bot sich in dieser Entscheidung dar: Die 30 Jahre lang bestehende Ehe des Täters war zerrüttet, man lebte getrennt. Der Täter wollte trotz jahrelang erlittener Demütigungen die Ehe retten und stieg daher nachts in die Wohnung seiner Frau ein. Dort wurde er von ihr erkannt und beschimpft. Die Frau schenkte im Laufe des Wortgefechts der Ankündigung des Täters, sie zu attackieren, keinen Glauben und zeigte sich auch unbeeindruckt von dem hirschfängerartigen Messer in seiner Hand, indem sie im Bett liegen blieb. Der Täter erstach seine Frau. Der Senat verneint das Mordmerkmal der Heimtücke und führt dabei zwei Argumente für die Wendung in seiner Rechtsprechung an: Zum einen sei es vorteilhaft, dass dem Tatrichter nicht mehr die Klärung schwieriger Fragen der inneren Tatseite auferlegt sei, zum anderen solle die Entscheidung, ob Mord oder Totschlag vorliegt, nicht von den Vorstellungen des Opfers abhängen254. 247 Geilen, GS Schröder, 235 (246), gleichermaßen Otto, JURA 2003, 612 (617); dagegen M.-K. Meyer, JR 1986, 133 (135 Fn. 34). 248 Geilen, GS Schröder, 235 (246). 249 Geilen, GS Schröder, 235 (247 und 251); ebenso Eser, JR 1981, 177 (181). 250 Rengier NStZ 1986, 505 (505). 251 BGHSt 27, 322 ff. 252 BGHSt 7, 218 (221); 11, 139 ff. 253 BGHSt 27, 322 (324). 254 BGHSt 27, 322 (324 f.); siehe ähnlich Eser, JR 1981, 177 (182).

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

Vordergründig scheint diese Position der Haltung des BGH in der ErpresserEntscheidung ähnlich zu sein. Man müsste nur fragen, ob das Opfer sich arglos wähnen durfte oder die offen zu Tage tretenden Umstände als bevorstehenden Angriff hätte richtig deuten müssen. Tatsächlich existiert aber ein erheblicher Unterschied in der jeweiligen Begründung, mit der die tatsächlich vorliegende Arglosigkeit aufgrund normativer Erwägungen rechtlich verneint wird. In der „Hirschfängermesser“-Entscheidung wird die normative Verneinung der Arglosigkeit nicht wie in der Erpresser-Entscheidung mit dem deliktischen Vortatverhalten des Opfers, sondern mit dem Vorverhalten des Täters begründet. Denn der entscheidende Grund für die Ablehnung der Heimtücke soll nicht die jahrelang vom Opfer betriebene Tyrannei, sondern das objektiv nicht heimliche Vorverhalten des Täters sein255. Das deliktische Vortatverhaltenden des Opfers hat hier auch eine völlig andere Qualität: Die jahrelangen Demütigungen dauerten anders als das opferseitige deliktische Verhalten im Erpresser-Fall nicht mehr an, und die Peinigerin war sogar diejenige, die die Trennung und damit das Ende der Demütigungen herbeiführte. Auch die Beschimpfungen durch das Opfer unmittelbar vor der Tat erreichen nicht die Intensität eines massiven Übergriffs in die Rechtsphäre des Täters, zumal dieser in die Wohnung der Ehefrau eingedrungen ist. Aufgrund dieser anderen Qualität des opferseitigen Vorverhaltens und vor allem dadurch, dass der Umstand, der den Täter begünstigen soll, aus dessen Sphäre stammt, steht die normativ-rechtliche Verneinung der Arglosigkeit in einem ganz anderen Licht als bei der Erpresser-Entscheidung. Die Parallele zu der Erpresser-Konstellation, dass beide Täter zuvor Opfer ihrer späteren Tötungsopfer waren, spricht folglich nur vordergründig für die Vergleichbarkeit beider Fälle. Wegen dieser Unterschiede ist auch M.-K. Meyer entgegenzuhalten, dass ihre Ausführungen zu der Hirschfängermesser-Entscheidung hinsichtlich einer Obliegenheit des Opfers für den wertenden Ausschluss der Arglosigkeit nicht weiterführen: Meyer zufolge ist die Forderung an das Opfer, mit einem Angriff rechnen zu müssen, mit dem Strafgrund des § 211 StGB zu vereinbaren, wenn man „in ihm incidenter das Opfer normativen Anforderungen zum eigenen Schutz unterworfen sieht“ – dann könne der Mord nämlich verneint werden, weil das Opfer sich aus einem „,Verschulden gegen sich selbst‘ in diese Gefahr gebracht hat“ 256. Das lenkt den Blick entgegen der Begründung des BGH auf die Opferseite. Wie ausgeführt legen hier aber weder die Erkennbarkeit des Angriffs noch das Vorverhalten des Opfers eine entsprechende Verpflichtung des Opfers nahe und mit Blick auf das Opfer müsste man die Arglosigkeit und damit die Heimtücke bejahen.

255 Hier handelt es sich aufgrund des offenen Handelns des Täters nicht um einen typischen Tyrannen-Fall, zumal der Täter mit seiner Tat auch keine ,Erlösung‘ von seinem Peiniger anstrebte. 256 M.-K. Meyer, JR 1979, 441 (442 ff.).

I. Die Grundformulierung

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Es fragt sich folglich, ob andere nicht opferbezogene Gründe für eine Fiktion des Argwohns sprechen. Damit ist zu der Begründung des BGH zurückzukehren, mit der er in diesem Fall die Arglosigkeit aus normativen Gründen ausschließt. Dem ersten Argument, wonach es erstrebenswert sei, dass der Richter keine subjektiven Merkmale festzustellen habe, kann nicht zugestimmt werden. Man kann nicht auf subjektive Merkmale verzichten, weil objektive Merkmale einfacher festzustellen sind. Bei der Vorsatzfrage oder auch bei nicht aussagebereiten, nicht aussagefähigen oder nicht auffindbaren Zeugen stellen sich Probleme der schwierigeren Ermittlung ebenfalls und deren Bewältigung wird den Richtern unbestritten abverlangt. Auch das zweite Argument, wonach die Entscheidung zwischen Mord und Totschlag „letztlich“ vom Vorstellungsbild des Opfers abhänge, wenn die offen gezeigte Feindseligkeit des Täters die Heimtücke nicht ausschließe, vermag die Verneinung der Heimtücke nicht überzeugend zu begründen. Erstens muss der Täter das Vorstellungsbild des Opfers immerhin in seinem Vorsatz aufgenommen haben und deshalb kommt es immer auch auf die Vorstellung des Täters an. Zweitens hängt die Bejahung der Heimtücke von der Person des Opfers nicht in der Weise ab, dass das Opfer willkürlich Einfluss darauf nehmen könnte. Nur bei einer Steuerungsmöglichkeit des Opfers wäre eine Abhängigkeit der Heimtückefrage von der Person des Opfers aber ein Kritikpunkt. Das vom BGH gebrauchte Bild, die Arglosigkeit dürfe nicht angenommen werden, wenn der Täter dem Opfer nur noch mit einer „Gedankenoperation“ zu Bewusstsein bringen könne, was er vorhabe257, umschreibt wohl die entscheidende zum Wechsel der Rechtsprechung führende Überlegung. Rein tatsächlich kann die Arglosigkeit eindeutiger nicht gegeben sein. Sie trotzdem zu verneinen, kann nur auf einer normativen Einschränkung des Merkmals beruhen. Umstände, die bei einer wertenden Betrachtung für die Verneinung der Arglosigkeit sprechen, führt der BGH aber keine an. Der unausgesprochene Vorwurf, dass das Opfer selbst schuld sei, wenn es die offensichtlichen Anzeichen des bevorstehenden Angriffs nicht nutzt, um sich zu wappnen, kann dabei nicht genügen. Das liefe auf die reine abstrakte Erkennbarkeit hinaus, die gerade nicht ausreicht258. Diese kann Anlass – nicht aber Begründung – für eine Bewertung tatsächlich vorhandener Arglosigkeit als Argwohn im Rechtssinne sein. Da im Hirschfängermesser-Fall das objektiv-feindselige Verhalten des Täters der maßgeblich entlastende Punkt sein soll, ist zu überlegen, ob dieser Umstand bei einem täterbezogenen Prüfungspunkt anzusprechen ist. Insbesondere der Vorsatz und das Ausnutzungsbewusstsein kommen hierfür in Betracht259. Der Täter 257

BGHSt 27, 322 (324). Siehe nochmals oben S. 69. 259 So wurde ein Fall vorheriger telefonischer Ankündigung des Tötungsvorhabens gelöst. Zwar habe das Opfer sich vielleicht nicht eines Angriffs versehen, der Täter aber 258

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

hat registriert, dass das Opfer seinen Drohungen keinen Glauben schenkt, also arglos ist. Der Vorsatz bezüglich der Heimtücke wäre demzufolge zu bejahen. Für das Ausnutzungsbewusstsein kommt es darauf an, wie man es bewertet, dass es der Täter nicht auf den taterleichternden Umstand angelegt hat und auch ohne diesen zur Tötung geschritten wäre. Folgt man der überwiegenden Ansicht, wonach es für das bewusste Ausnutzen genügt, dass sich der Täter des Situationsvorteils bewusst ist, unabhängig davon wie handlungsleitend dieser für ihn ist, ist hier das Ausnutzungsbewusstsein gegeben und die Heimtücke entgegen dem BGH zu bejahen260. Insgesamt können die Argumente des BGH zur Verneinung der Heimtücke nicht überzeugen, und auch mit den Grundsätzen der Erpresser-Entscheidung sowie mit der Verortung des Problems im Ausnutzungsbewusstsein ist das Ergebnis des BGH im konkreten Fall nicht zu begründen. Damit ist allerdings noch nicht geklärt, ob die Fiktion des Argwohns immer abzulehnen ist, wenn das Opfer nicht wie im Erpresser-Fall noch andauernd deliktisch handelt. (2) Der „Wartehallen“-Fall261 Im „Wartehallen“-Fall hatte der Täter einen im Warteraum eines Bahnhofs schlafenden Mann die Brieftasche abgenommen und deshalb einen Faustschlag von diesem in den Bauch erhalten. Daraufhin verließ der Täter den Bahnhofsinnenbereich. Er kehrte mit einem Baustellenschild bewaffnet zu dem wieder dösenden Opfer zurück und zertrümmerte diesem den Schädel. Auch hier stellte der 2. Strafsenat auf die Erkennbarkeit ab, allerdings nicht auf die des Angriffs, sondern auf die der Arglosigkeit des Opfers262. Anders als bei der Hirschfängermesser-Entscheidung bejahte der BGH die Heimtücke. Die offene Feindseligkeit sei nicht nur zeitlich zu weit zurückliegend und auch durch ein räumliches Entfernen des Täters beendet gewesen, sondern maßgeblich komme es darauf an, dass das Opfer seine wiedergewonnene Arglosigkeit nach außen demonstrierte, indem es sich wieder zum Schlafen auf die Bank legte. Der Senat lehnt die vom Landgericht angestellte Überlegung, ob das Opfer mit dem Angriff hätte rechnen müssen, ab. Dass der BGH gleichwohl die Erkennbarkeit der Arglosigkeit hervorhätte davon ausgehen dürfen, dass seine Drohung ernst genommen wird, BGH NStZ 2007, 268 (269). Unklar bleibt hier, ob der BGH bereits den Vorsatz nicht gegeben sah oder nur das Ausnutzungsbewusstsein verneint. Auch der umgekehrte Fall, dass der Täter trotz einer vorherigen Ankündigung glaubt, das Opfer sei arglos, es aber tatsächlich Argwohn geschöpft hat, ist sachgerecht mit dem Ergebnis Mordversuch eventuell in Tateinheit mit vollendetem Totschlag zu lösen, vergleiche BGH NStZ 2006, 501 (502). 260 Der Einwand der Vermeidestrategie ginge damit hier fehl. Zu der strittigen Frage, ob die Arglosigkeit handlungsleitend sein muss für das Ausnutzungsbewusstsein, siehe ab S. 114. 261 BGHSt 28, 210 ff. 262 BGHSt 28, 210 (211).

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hebt, liegt aller Wahrscheinlichkeit nach daran, dass innere Begebenheiten mittelbar über eine äußere Manifestation erschlossen werden. Es ist davon auszugehen, dass der BGH die Erkennbarkeit als Ausdruck einer tatsächlich vorliegenden Arglosigkeit versteht und nicht auf einen normativen Aspekt abstellt. Mit dieser Entscheidung ist der BGH also zur alten Sicht zurückgekehrt. Die Besonderheit des Falls liegt in der Wiedererlangung der Arglosigkeit. Solange Argwohn und Wiederargloswerdung im Vorfeld der Tat liegen, hindert der frühe Argwohn die Annahme der Heimtücke nicht. Dass die Arglosigkeit im Versuchsbeginn notwendig, aber auch hinreichend ist, führt dazu, dass es für die Annahme der Heimtücke ausreicht, wenn das Opfer im Vorfeld Argwohn hegt, diesen aber ebenso im Vorfeld beilegt und so zum Zeitpunkt des Versuchsbeginns die Arglosigkeit wiederhergestellt ist263. (3) Die „Beruhigungs“-Fälle Beim hier hauptsächlich interessierenden „1. Beruhigungs“-Fall264 trug sich Folgendes zu: In einem Streit nach Beendung einer Beziehung richtete der stark erregte und angespannte Täter aus kurzer Distanz eine Schusswaffe auf sein Opfer. Der Täter hatte in der Vergangenheit des Öfteren Drohungen nicht wahr gemacht. Das Opfer versuchte ein elfjähriges Kind zu beruhigen und versicherte diesem, es werde nichts passieren. Diese Aussage kränkte den Täter, weil er sich nicht ernstgenommen fühlte. Er erschoss daraufhin das Opfer265. Der BGH sah hier das Heimtückemerkmal verwirklicht. Diese Entscheidung bildet den Höhepunkt einer gegenläufigen Rechtsprechung zum Erpresser-Urteil, denn der 2. Strafsenat tat kund, Arg- und Wehrlosigkeit seien faktische, aber keine normativen Begriffe266. Es wurde bereits bei der Besprechung der Erpresser-Entscheidung gezeigt, dass dieses begriffslogische Argument nicht überzeugt. Die Entscheidung ist aber noch unter einem anderen Gesichtspunkt bemerkenswert. Interessant ist nämlich die Annahme in den Gründen, dass die Arglosigkeit des Opfers faktisch gegeben sei. Dies verwundert, weil dem Opfer in einem offenen Streit eine Pistole ins Gesicht gehalten wurde267. 263 So lagen die Dinge auch bei BGHSt 11, 139 ff., dort aber nicht als Ausschlussgrund für die Heimtücke diskutiert; siehe ebenfalls BGH MDR 1980, 329 (329 f.) und BGH NStZ 1984, 261 (261). Strenggenommen kann man nicht von Wiederherstellung reden, weil es schlicht irrelevant ist, was das Opfer vor dem maßgeblichen Zeitpunkt dachte. 264 BGH NStZ 2005, 688 ff. 265 Da nach den Feststellungen der Täter erst nach der Äußerung des Opfers den Tötungsentschluss fasste, hat hier ein Vorsatzwechsel stattgefunden. Das kann aber ausgeblendet werden, da die Situationseinschätzung des Opfers vor und nach dem Vorsatzwechsel des Täters die gleiche war. 266 BGH NStZ 2005, 688 (688). 267 Mosbacher, NStZ 2005, 690 (690).

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

Das tatsächliche Bestehen der Arglosigkeit schließt der BGH nun zum einen daraus, dass das Opfer dem anwesenden Kind versicherte, es werde nichts passieren268. Das Beruhigen eines Kindes im Angesicht von Gefahr ist aber regelmäßig gerade kein Ausdruck der Arglosigkeit, denn Erwachsene sagen Kindern in gefährlichen Situationen meist etwas Beruhigendes und verbergen die Wahrheit vor ihnen269. Diese Äußerung des Opfers ist hier aber nicht nur für das Vorliegen einer tatsächlichen Arglosigkeit von Belang, sondern darüber hinaus auch dafür, ob der Täter in subjektiver Hinsicht von einem arglosen Opfer ausgeht. Die Empfindung des Täters, nicht ernstgenommen zu werden, und die deshalb erfolgte Schussabgabe sprechen dafür, dass er dem Opfer glaubte und es als arglos einschätzte. Es läge dann bei Verneinung der Arglosigkeit in objektiver Hinsicht immerhin ein versuchter Heimtückemord vor. Zum anderen folgert der BGH die faktisch bestehende Arglosigkeit daraus, dass in der Vergangenheit „leere“ Todesdrohungen erfolgt waren und das Opfer nicht nach der auf es gerichteten Schusswaffe griff, sondern in der Schusslinie verharrte270. Die Erfahrung, dass der Täter frühere Drohungen nicht verwirklicht hat, erscheint bei einer erneuten Drohung grundsätzlich eher geeignet, eine faktisch bestehende Arglosigkeit anzunehmen. Allerdings befand sich hier der Täter anders als bei vergangenen Streitgesprächen in einer Ausnahmesituation, da sich das Opfer von ihm nun erst endgültig getrennt hatte. Es ist normalerweise auch eher ein Zeichen der Angst als Ausdruck von mangelndem Gefahrbewusstsein, wenn sich ein Opfer im Angesicht einer Schusswaffe nicht bewegt oder nicht nach ihr greift. Bereits in tatsächlicher Hinsicht ist die Arglosigkeit des Opfers hier also entgegen dem BGH stark zu bezweifeln. Trotzdem die Arglosigkeit im Rechtssinne aus Wertungsüberlegungen (etwa wegen eines zwar vielleicht nicht konkret bestehenden, aber gemeinhin eintretenden Gewöhnungseffekts durch wiederholte Drohungen) begründen zu wollen, würde die Möglichkeit einer Fiktion der Arglosigkeit voraussetzen271. Der Täter müsste dann allein wegen der von ihm geschaffenen Erfahrungswerte damit rechnen, dass das Opfer auch dieses Mal glaubt, mit der Drohung davonzukommen. Das klingt zunächst plausibel. Jedoch hätte diese Fiktion der Arglosigkeit in verschiedener Hinsicht eine andere Qualität als die Fiktion des Argwohns, wie sie in der Erpresser-Entscheidung getätigt wurde: Bei der Fiktion des Argwohns wird

268

BGH NStZ 2005, 688 (689). Mosbacher, NStZ 2005, 690 (691); ebenso der 5. Senat im „2. Beruhigungs“-Fall, BGH NJW 2006, 1008 (1010); dem zustimmend auch Küper, JZ 2006, 608 (609). 270 BGH NStZ 2005, 688 (689). 271 Mosbacher, NStZ 2005, 690 (690) konstatiert in diesem Zusammenhang, der BGH habe den „Heimtückebegriff normativ verwendet“. Richtigerweise hat der Senat allerdings nur mit einer tatsächlichen Vermutung gearbeitet, der nicht zu folgen ist. Eine wertende Begriffsbestimmung wollte er gerade nicht vornehmen. 269

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das opferbezogene Heimtückeelement ,Arglosigkeit‘ aufgrund des vortatlichen Verhalten des Opfers fingiert. Dahingegen würde man bei einer Fiktion der Arglosigkeit das opferbezogene Element wegen des Vorverhaltens des Täters fingieren. Da das zu fingierende Element der Heimtücke und der Wertungsaspekt, der die Fiktion begründen soll, nicht auf die gleiche Person bezogen sind, erscheint die Fiktion nicht mehr als normative Bestimmung eines Begriffselements, sondern als umfassende wertende Reduktion des Merkmals. Bei der Fiktion der Arglosigkeit wäre es schwieriger, eine Obliegenheit für den Täter zu begründen, wonach er von einem arglosen Opfer auszugehen hat. Aufgrund der strafschärfenden Wirkung einer solchen Verpflichtung sind die Anforderungen an die Bestimmtheit hoch. Hierbei ist nicht ersichtlich, wie für den Täter vorhersehbar sein soll, wann die tatsächlichen Befürchtungen des Opfers auch den Argwohn begründen und wann gleichwohl rechtlich die Arglosigkeit anzunehmen ist. Zu beachten ist dabei, dass eine Fiktion der Arglosigkeit auch dann gelten müsste, wenn der Täter nicht wie im vorliegenden Fall wenigstens subjektiv (wenn auch irrtümlich) von der Arglosigkeit des Opfers ausgeht. Dieser Irrtum führt im vorliegenden Fall immerhin dazu, dass richtigerweise ein versuchter Heimtückemord in Tateinheit mit dem vollendeten Totschlag vorliegt. Es erscheint zweifelhaft, darüber hinaus das Opfer trotz seines tatsächlichen Argwohns unter den Schutz des Heimtückemerkmals zu stellen. Neben den Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit ist eine Fiktion der Arglosigkeit auch nicht mit dem Grundgedanken der Heimtücke zu vereinbaren. Denn dieser besagt, dass ein Opfer dann unter dem Schutz des § 211 StGB stehen soll, wenn es wehrlos ist, weil es sich keines Angriffs versieht – das trifft aber auf das Opfer bei einer Fiktion der Arglosigkeit gerade nicht zu. Eine Fiktion der Arglosigkeit lässt sich folglich zumindest nicht wegen des wiederholten deliktischen Verhaltens des Täters begründen. Im „2. Beruhigungsfall“ 272 bestand eine Familienfehde, bei der das spätere Opfer ständig mit einem Anschlag rechnete. Während einer Auto-Hetzjagd redete das Opfer beruhigend auf seine Kinder ein und ließ sie vor der Haustür mit der Aufforderung aussteigen, schnell hineinzurennen. Der Vater fuhr weiter und wurde im Auto erschossen. Das LG Göttingen hatte hier das Heimtückemerkmal als erfüllt angesehen. In tatsächlicher Hinsicht ist aber nicht anzuzweifeln, dass das Opfer einen Angriff auf sein Leben befürchtete und mithin argwöhnisch war. Ein Dauerargwohn ist zwar zu unspezifisch, um die Arglosigkeit in tatsächlicher Hinsicht auszuschließen, er sorgt aber sicherlich dafür, dass beim geringsten Anlass konkreter Argwohn geschöpft wird. Das konkrete Verhalten des Opfers, seine Kinder möglichst schnell von ihm weg in Sicherheit zu bringen, spricht hier dementsprechend dafür, dass das Opfer durch die Verfolgungsjagd argwöhnisch geworden war. Entgegen dem LG ist von den beruhigenden Worten gegenüber den 272

BGH NJW 2006, 1008 ff.

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

Kindern nicht auf die tatsächliche Arglosigkeit zu schließen273. Der BGH verneinte so auch zutreffend die Arglosigkeit aufgrund der aktuellen Verfolgungsjagd. Es sind keine Wertungsgesichtspunkte ersichtlich, die für eine Fiktion der Arglosigkeit sprechen könnten. (4) Der „Zigarettenschmuggler“-Fall274 Im Zigarettenschmuggler-Fall herrschte eine höchst aggressive Atmosphäre zwischen dem Täter und seinen Bekannten, die im Zigarettenschmuggel tätig waren. Der Täter forderte seine Bekannten mehrfach auf, seine Wohnung zu verlassen. Die unerwünschten Gäste beleidigten hingegen weiter die Freundin des Täters auf das Gröbste. Als der Täter die Polizei rufen wollte, drohten die Opfer damit, die Freundin des Täters des Drogenhandels zu bezichtigen. Der Täter gab nun einen Warnschuss ab und kündigte seinen Bekannten an, sie zu erschießen, wenn sie seine Wohnung nicht innerhalb von 15 Minuten verlassen würden. Keiner der Besucher nahm dies ernst; man wollte die Wohnung als Schlafstätte nutzen. Der Täter machte seine Drohung nach Ablauf des Ultimatums wahr und erschoss einen der eingeschlafenen Wohnungsbelagerer. Hier interessiert lediglich275, ob das tatsächliche Nichternstnehmen der Drohung in der aggressiven Atmosphäre auch bei einer wertenden Betrachtung zur Arglosigkeit führt oder ob die Rechtsordnung normativ an das Opfer die Forderung stellen kann, es hätte mit einem Angriff rechnen müssen. Die Nähe zur Erpresser-Entscheidung, dass ein andauernder Übergriff in die Rechte des Täters bestand, ist offensichtlich. Der BGH zweifelte die Heimtücke zwar an, dies allerdings nicht wegen des vorangegangen deliktischen Verhaltens des Opfers oder der deutlichen Drohungen des Täters, sondern weil das Opfer möglicherweise vom Schlaf übermannt worden sei. Der BGH verneinte ausdrücklich die Übertragbarkeit der Begründung des Argwohns, wie sie im Erpresser-Fall vorgenommen wurde276. Gründe hierfür sind leider nicht mitgeteilt. Nach hier vertretener Ansicht ist es für die tatsächliche Arglosigkeit irrelevant, ob das Opfer sich schlafen legt, weil es den Ankündigungen des Täters nicht glaubt oder ob es vom Schlaf übermannt wird. Von diesem Standpunkt aus ist es für die Bejahung der Heimtücke hier entscheidend, ob der Argwohn durch eine Fiktion des Argwohns zu begründen ist. Entsprechend könnte zu dem Ansatz der Erpresser-Entscheidung wegen des deliktischen Vorverhaltens des Opfers eine Fiktion zu befürworten sein. Die Offenlegung der Verteidigungsabsicht seitens 273 Dass das LG darauf abstellte, ist den Gründen der BGH-Entscheidung zu entnehmen, siehe BGH NJW 2006, 1008 (1010). 274 BGH NStZ 2007, 523 ff. 275 Die Rechtfertigungsproblematik soll hier ausgeblendet werden. 276 BGH NStZ 2007, 523 (525).

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des Täters spricht im Vergleich zum Erpresser-Fall sogar noch stärker für eine Fiktion. Damit hätte ein offen-feindseliges Vorgehen des Täters nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit dem deliktischen Vorverhalten des Opfers eine Bedeutung erlangt. Wenn sich die Lücken in der Begründung für eine Obliegenheit eines Tötungsopfers, mit einem Angriff rechnen zu müssen, schließen lassen, wäre demnach auch in dem Zigarettenschmuggler-Fall tatbestandlich nur ein Totschlag gegeben. (5) Zusammenfassung Das objektiv-feindliche Auftreten eines Täters beseitigt erwartungsgemäß oftmals faktisch die Arglosigkeit. Auffällig ist bei der Betrachtung solcher Fälle, dass die Heimtücke aber oft bejaht wurde. Häufig wurde dabei die tatsächliche Situation verkannt, teilweise setzte sich die Rechtsprechung aber auch bewusst darüber hinweg. Richtigerweise ist der Heimtückemord in solchen Fällen jedenfalls nur mittels einer fingierten Arglosigkeit anzunehmen. Auf den ersten Blick erscheint es zwar plausibel, dem Täter sein Vortatverhalten zur Last zu legen, indem man mit dem dadurch geschaffenen Erfahrungswert die Vorstellung des Opfers fingiert, dass es wie sonst auch jetzt nichts über die Maßen Schlimmes befürchtet. Es wurde aber gezeigt, dass eine Fiktion der Arglosigkeit jedenfalls für die hier besprochenen Konstellationen abzulehnen ist: Eine solche für den Täter nachteilige Fiktion fällt nicht mehr unter die normative Deutung eines Elements der Heimtücke. Die Verpflichtung, von einem arglosen Opfer auszugehen, ist nicht durch das Gesetz bestimmt und nicht vorhersehbar. Letztlich entspricht eine Fiktion der Arglosigkeit auch nicht dem Grundgedanken der Heimtücke, wonach ein Opfer dann unter dem Schutz des § 211 StGB stehen soll, wenn es wehrlos ist, weil es sich keines Angriffs versieht. Nur wenn das Opfer trotz der objektiv eindeutigen Anzeichen tatsächlich von keinem erheblichen Angriff ausgeht, ist folglich ein Heimtückemord denkbar. In einer solchen Konstellation die Arglosigkeit zu verneinen, ist nur unter Zuhilfenahme einer Fiktion des Argwohns möglich. Festzuhalten ist dabei, dass allein die objektive Deutlichkeit des bevorstehenden Angriffs solch eine Fiktion nicht begründen kann. Kommt jedoch hinzu, dass das Opfer im Vorfeld in erheblicher Weise in den Rechtsgebereich des Täters übergegriffen hat, kann das offen-feindselige Auftreten des Täters die Annahme eines fingierten Argwohns erleichtern, weil es einen weiteren Wertungsgesichtspunkt darstellt. Bei einem Exzess des Täters ist auch vorstellbar, dass seine Ankündigung sich zu wehren, den Ausschlag für die Fiktion des Argwohns gibt. Das könnte dann der Fall sein, wenn das Opfervorverhalten alleine von zu geringer Intensität ist, um eine Obliegenheit zu begründen, das Opfer hätte mit einem erheblichen Angriff rechnen müssen. Das ist im Einzelfall zu entscheiden; allgemein festzuhalten bleibt, dass nur wegen einem offen-feindseligen Auftreten des Täters die Heimtücke normativ nicht ausgeschlossen werden kann.

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cc) Der Komplex „Tyrannen“-Tötungen Mit den Tyrannen-Fällen ist eine Opfergruppe angesprochen, bei der es schwierig ist, das damit verbundene Problem präzise zu benennen. Das Ergebnis ,Heimtückemord‘ wird bei diesen Fällen häufig als unangemessen empfunden, ohne dass man dies aber an einem bestimmten Prüfungspunkt der Strafbarkeit festmachen könnte. Oftmals ist die Tyrannen-Tötung kombiniert mit der Opfergruppe der konstitutionell Arglosen, da die gequälte Ehefrau häufig den „hünenhaften Wüterich“ 277 im Schlaf umbringt278. Interessanterweise wurde kurz nach der Erpresser-Entscheidung von demselben Senat eine Tyrannen-Tötung entschieden, wobei er die Heimtücke bejahte, ohne auf die von ihm in der Erpresser-Entscheidung neu aufgestellten Grundsätze mit einem Wort einzugehen279. Bevor auf die rechtliche Bewertung der Tyrannen-Tötung eingegangen wird und dabei insbesondere die Vergleichbarkeit zur Erpresser-Konstellation untersucht wird, seien zunächst in tatsächlicher Hinsicht die Eigenheiten der Tötungen von Familientyrannen dargelegt: Schon Feuerbach berichtet anschaulich über eine im Jahr 1817 erfolgte Tötung eines Familientyrannen in der Schilderung „Der Vatermord auf der Schwarzmühle im Sittenthale“ 280. Es handelt sich dabei um den Müller Friedrich Kleinschrot, der mit seiner „widerwärtigen menschenfeindlichen Gemütsart“ entsprechenden Handlungen seinen Vater, seine „sehr gutmütige, verträgliche, wohlwollende Frau“ und seine „wohlgearteten Kinder“ über Jahre hinweg oft lebensgefährlich misshandelte281. Die erwachsenen Kinder blieben nur aus Sorge um die Mutter im Haushalt. Die ersuchte Hilfe bei Gericht blieb ohne Erfolg. Gemeinschaftlich brachten der Tagelöhner Wagner, die beiden Söhne und die Ehefrau des Opfers den Müller um, nachdem sie ihn aus der Schlafstube lockten und im Dunkeln hinterrücks schlugen und erstachen. Die Tragik dieser Ereignisse drückt ein Sohn des Opfers mit folgenden Worten aus: „Solange wir auf dieser Welt sind, haben wir noch keine Ruhe und keine Freude gehabt. Vor unseres Vaters Tod wurden wir gepeinigt von ihm, und nach seinem

277 Diese gebräuchliche Bezeichnung des Tyrannen stammt aus BGH NJW 1966, 1824 (1824). 278 Bei der (allerdings eventuell) unvollständigen Reihe höchstrichterlicher Entscheidungen (RGSt 60, 318 ff.; BGHSt 3, 183 ff.; BGH NJW 1966, 1823 ff.; BGHSt 27, 322 ff.; BGH JZ 1983, 967; BGH NStZ 1984, 20 [Urteil vom 22.09.1983 – 4 StR 369/ 83]; BGH NStZ 1987, 322 f.; BGH NStZ-RR 2002, 203 ff.; BGHSt 48, 255 ff.; BGH NStZ 2005, 154 f.; BGH NStZ-RR 2006, 200 f.) gab es immerhin bei vieren ein schlafendes Opfer (nämlich bei BGH JZ 1983, 967; BGH NStZ 1984, 20; BGHSt 48, 255 ff.; BGH NStZ 2005, 154 f.). Ob das Zufall ist, was aufgrund der kleinen Anzahl möglich ist, muss hier offen bleiben. 279 BGHSt 48, 255 ff. Zur Kritik wegen des fehlenden Vergleichs beider Fälle durch den BGH siehe die Nachweise in Fn. 145. 280 Feuerbach, Aktenmäßige Darstellung I, S. 358 ff. 281 Feuerbach, Aktenmäßige Darstellung I, S. 358, (S. 368 ff.).

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Tode peinigt uns unser Gewissen.“ 282 Feuerbach kommentiert: „Er selbst war der sträfliche Ursacher [. . .] und in sittlicher Beziehung hat er selbst die schwere Schuld des an ihm verübten Mordes mit zu verantworten.“ 283 Für solche Fälle, in denen Opfer jahrelanger Gewaltmartyrien in einem Akt der Verzweiflung aufbegehren und ihren Peiniger töten, ist es typisch, dass man dem Täter großes Mitgefühl entgegenbringt und man ihn trotz des von ihm begangenen Kapitaldelikts mehr als Opfer denn als Täter betrachtet284. Diese Emotion kommt auch in der bereits in der Einleitung erwähnten Novelle Werfels „Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig“ 285 und in der von Jescheck gebrauchten Umschreibung der heimlichen Tyrannen-Tötung als die „Waffe des Schwachen“ zum Ausdruck286. Die Heimtücke stehe manchmal nicht für die Verschlagenheit des Täters und spiele bei Tötungsverbrechen am Ehemann, Vater oder Stiefvater in der Gesamtwürdigung der Tat oftmals eine untergeordnete Rolle287. Daneben gibt es auch tyrannische Frauen288. Diesbezüglich stellt Oberlies bei der Auswertung einer Fülle von vollendeten und versuchten Tötungsfällen Folgendes heraus: Der Beziehungshintergrund zwischen Täter und Opfer im Vorfeld der Tat sei, wenn das Opfer eine Frau und der Täter ein Mann ist, nahezu identisch zu der umgekehrten Situation. Beide Male gehe eine intensive und lange Gewaltphase dem Tötungsgeschehen voraus und es erscheine fast zufällig, wer bei dem Tötungsdelikt Täter, wer Opfer ist289. Dass manche Tötungsopfer selbst „eine Person der Gewalt“ gewesen sind und dass bei einer strafrechtlichen Beurteilung jeweils nur ein kleiner Ausschnitt eines an sich komplexeren Gesche282

Feuerbach, Aktenmäßige Darstellung I, S. 358, (S. 376). Feuerbach, Aktenmäßige Darstellung I, S. 358, (S. 376). 284 Hillenkamp, JZ 2004, 48 (48); die sozial-psychologischen Mechanismen, die einerseits die Opfereigenschaft des Täters betonen und die andererseits die durch das Vorverhalten neutralisierte „leugbare“ Opfereigenschaft des Opfers erklären, schildert Hillenkamp, FS Miyazawa, 141 (146 f.) mit weiteren Nachweisen. 285 Spendel, StV 1984, 45 (46) äußert zu einem Tyrannen-Fall: „Wenn je das oft leichtfertig gebrauchte Wort, daß nicht der Täter, sondern der Ermordete der Schuldige sei, zutrifft, dann hier“. 286 Jescheck, JZ 1957, 386 (387); Woesner, NJW 1980, 1136 (1138); Geilen, JR 1980, 309 (312); Oberlies, S. 120, 136, 150 f., 195 spricht daher von „Diskriminierung“ des Schwächeren, Frommel, StV 1987, 292 (293) von „struktureller Benachteiligung“. In einem der Erpresser-Entscheidung ähnlichem Fall hat BGH NStZ 1995, 231 (232) aufgrund der körperlichen Unterlegenheit des Täters gegenüber seinem Erpresser das heimtückische Vorgehen als gewissermaßen „unausweichlich“ bezeichnet und so einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Rechtsfolgenlösung für möglich gehalten. Gegen diese Argumentation Köhne, JURA 2009, 748 (753). 287 Jescheck, JZ 1957, 386 (387). 288 BGHSt 27, 322 ff.; Schöch, FS Usteri, 119 (130 f.); von Hentig, Einzeldelikte, S. 272 f.; ders., Verbrechen II, S. 455 ff. mit einer Schilderung der weiblichen Methoden von Tyrannei. 289 Oberlies, S. 99 f., 151, obwohl die „Chance“ der Frau, Opfer zu werden, sechs Mal höher sei, als die „Gefahr“, Täterin zu werden. 283

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hens betrachtet wird, veranlasst auch Paasch zu folgendem Resümee: „Manchmal ist es nur der Zufall, der einen Menschen zum Täter oder zum Opfer werden lässt.“ 290 Dieser Eindruck von der zufälligen Täterrolle und die Sympathie für den Täter verstärken sich, wenn man bedenkt, dass die Mordstrafe nicht in Betracht käme, hätte der Täter in einer der ihn demütigenden Situationen den Despoten getötet – zumal dann der Totschlag oder die Körperverletzung mit Todesfolge häufig sogar gerechtfertigt wären. Das Ergebnis Heimtückemord für die Tötung des Tyrannen trifft zudem auf Unverständnis, weil umgekehrt der Tyrann nur eine Körperverletzung mit Todesfolge oder einen Totschlag, nicht aber einen Mord begangen hätte, wenn er sein Opfer bei einer seiner Drangsalierungen getötet hätte291. Einer solchen emotional-intuitiven Verteidigungshaltung gegenüber dem Täter hält Hillenkamp entgegen, dass der Peiniger nichts mehr zu seiner Rehabilitation sagen kann292 und der Täter durch das „Verharren“ in der „gefährlichen Gemeinschaft“ auch verantwortlich für das Zuspitzen der Lage im Vorfeld sei293. Diese Mitverantwortung, insbesondere das Verweilen in der dauerhaft kritischen Situation spielt im Rahmen des § 35 Abs. 1 StGB bei der Frage der anderen Abwendbarkeit eine Rolle. Daran scheitert oftmals die Entlastung des Täters294. Überhaupt fällt bei den Tyrannen-Fällen auf, dass gehäuft Probleme bei der Prüfung von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen bestehen295. So wird beispielsweise hinsichtlich der Gegenwärtigkeit des Angriffs im Sinne des § 32 StGB kritisiert, dass durch die hierfür gebräuchliche Definition Frauen im Notwehrrecht diskriminiert werden würden, weil sie meist aufgrund ihrer körper290 Paasch, S. 57; vergleiche auch Kube, Kriminalistik 1980, 152 (153) und von Hentig, Journal of Criminal Law and Criminology 1940, 303 (307); H. J. Schneider, DRiZ 1978, 141 (145); Sessar, MSchKrim 80 (1997), 1 (12). 291 Den Vergleich zur hypothetischen Strafbarkeit des Tyrannen ziehen auch Haverkamp, GA 2006, 586 (586) und Lange, GS Schröder, 217 (230 f.). Der Mordtatbestand ist natürlich durch andere Mordmerkmale, insbesondere die niederen Beweggründe, erfüllbar. 292 Vergleiche von Hentig, Verbrechen II, S. 450: „dem Toten ist der Mund verschlossen, und von dem andern kommt die Sachdarstellung.“ 293 Hillenkamp, FS Miyazawa, 141 (146 f.). 294 Bei der Entscheidungsreihe in Fn. 278 war dies häufig der Fall. Interessant sind die Beobachtungen Neumanns, FS Eser, 431 (437) bezüglich des Irrtums im Sinne des § 35 Abs. 2 StGB, dass Beschreibungen der subjektiven Seite der Täterin wie diejenige, keinen anderen Ausweg mehr gesehen zu haben, keine Beschreibung des Informationsstandes sei, der für § 35 Abs. 2 StGB gerade maßgeblich ist, sondern eher eine psychologische Verfassung zum Ausdruck bringe, die dem „Fehlen der sozialen Kompetenz, alternative Handlungs- und Lösungsmöglichkeiten zu realisieren“, entspreche. 295 Siehe hierzu neben der Lehrbuchliteratur Spendel, StV 1984, 45 (46 ff.); Haverkamp, GA 2006, 586 (592 ff.); Welke, ZRP 2004, 15 (16 f.); Beckemper, JA 2004, 99 (102 ff.); Buchkremer, S. 46 ff. Rengier, NStZ 1984, 21 (22) und ders., NStZ 2004, 233 ff.

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lichen Unterlegenheit im Vergleich zum männlichen Gegenüber nicht innerhalb dieser zeitlichen Grenze handeln können296. Deshalb wird der Vorschlag unterbreitet, den zeitlichen Rahmen der Notwehr danach zu bestimmen, ob ein Zuwarten bis zur Gegenwärtigkeit des Angriffs die Verteidigungschancen erheblich mindern würde297. Richtigerweise sind für die Bestimmung des Beginns der Gegenwärtigkeit im Sinne des § 32 StGB zwar nicht die Versuchsregeln heranzuziehen, sondern die Gegenwärtigkeit ist bereits mit der versuchsnahen Vorbereitungsphase der abzuwehrenden Tat zu bejahen298. Mit dem Abstellen auf die Vorbereitungsphase sollte aber der zeitliche Rahmen für die Notwehr nicht zu sehr ausgeweitet werden. Wer aktuell keine kritische Situation hin zur Versuchsgrenze voranbringt, darf nicht schon vorbeugend allein aufgrund „seines Mißverhaltens, seiner Lebensführung“ des Rechtsgüterschutzes verlustig gehen299. Wenn ein Tyrann schlafend umgebracht wird, ist eine Rechtfertigung durch Notwehr deshalb abzulehnen. Auf weitere300 Besonderheiten der Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe bei der Tötung eines Tyrannen vertieft einzugehen, würde von der hier interessierenden Frage der Tatbestandsqualität einer Tyrannen-Tötung zu weit fortführen. Mit diesem kurzen Exkurs sollte lediglich demonstriert werden, dass bei dieser Opfergruppe die Tatbestandsfrage in der Regel enorm wichtig ist. Es verhält sich hier ähnlich wie bei der Erpresser-Tötung, der pragmatische Hinweis auf das eventuelle Eingreifen eines Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrundes kann hier wie dort nicht umfassend weiterhelfen. Hinsichtlich der tatbestandlichen Vergleichbarkeit der Tyrannen-Tötung und der Tötung des Erpressers ist es im Übrigen wie gesagt für viele naheliegend, die Grundsätze der Erpresser-Entscheidung bei der Tyrannen-Tötung gleichermaßen anzuwenden. Dementsprechend hätte der Despot dann mit einem Angriff aufgrund der von ihm betriebenen Tyrannei rechnen müssen. Dabei ist zu überlegen, ob diese Parallele deswegen abzulehnen ist, weil in den Tyrannen-Fällen regel-

296 Zum Beispiel führt Welke, ZRP 2004, 15 (15, 19) aus, dass das Notwehrrecht auf einer „Mann-gegen-Mann“-Situation beruhe und sich der Umstand, dass die Handlungsmöglichkeiten der beiden Geschlechter in der Notwehrsituation grundverschieden aufgrund anderer körperlicher Konstitutionen sind, im zeitlichen Moment des Notwehrparagraphen nur ungenügend niederschlage. 297 Nachweise zu dieser sogenannten „Effizienzlösung“ bei Rotsch, JuS 2005, 12 (15); zusammenfassend zur Präventivnotwehr, auf die dies letztlich hinausläuft, Suppert, S. 356 ff. 298 MüKo/Erb § 32 Rn. 98 ff. 299 Hillenkamp, FS Miyazawa, 141 (153 f.), dort teilweise hervorgehoben; ablehnend auch Haverkamp, GA 2006, 586 (592 f.); Rotsch, JuS 2005, 12 (15); Spendel, StV 1984, 45 (47). 300 Virulent wird auf Rechtfertigungsebene ferner insbesondere der Streit, ob im Ausnahmefall (entgegen dem Grundsatz der Unabwägbarkeit von Leben gegen Leben) die Tötung des Gefahrverursachers durch § 34 StGB gerechtfertigt sein kann; siehe hierzu die Hinweise bei Rotsch, JuS 2005, 12 (16).

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mäßig mangels Gegenwärtigkeit keine Notwehrlage besteht301. Jedoch ist beiden Fallgruppen gemeinsam, dass jeweils ein erhebliches deliktisches Verhalten des Opfers der Tat vorausging. Dieses ist beim Tyrannen (wenn es auch eine gegenwärtige Notwehrlage nicht begründet) auch nicht völlig abgeschlossen, denn immerhin geht von diesem eine Dauergefahr im Sinne des § 34 StGB für den Täter aus302. Der BGH führt in der Erpresser-Entscheidung diesbezüglich aus, dass die normative Einschränkung der Heimtücke „in einer konkreten Tathandlung im Angesicht des Opfers“ der Erpressungstat gelten soll und dass in dem ErpresserFall nicht nur die „erpressungstypische [. . .] Dauergefahr“ vorliege303. Weiterhin stellt er klar, dass bei einer Dauergefahr die Heimtücke bejaht werden kann304, wofür er auf eine andere Entscheidung zu einer Tötung im Rahmen einer Erpressung verweist. Aus alledem ist indes nicht zu schließen, dass eine Dauergefahr niemals den ausreichenden Anlass für eine normativ begründete Verneinung der Heimtücke darstellen kann. Zunächst formuliert der BGH selbst, dass die Heimtücke bei einer Dauergefahr vorliegen kann und nicht, dass sie es muss. Außerdem ging in dem beispielhaft angeführten Fall für einen Heimtückemord bei einer Erpressungs-Dauergefahr (anders als in der neuen Erpresser-Entscheidung) die konkret-tödliche Konfrontation von dem Erpressten aus305. Das betont auch der BGH306. Da bei den Tyrannen-Fällen eine ständige räumliche Nähe zwischen Täter und Opfer besteht, ist dort der Umstand, wer von beiden den anderen aufsucht und damit die Konfrontation herbeiführt, jedenfalls kein Kriterium, das für die normative Bestimmung der Arglosigkeit entscheidend sein kann. Das vom BGH angeführte Beispiel einer heimtückisch erfolgten Tötung trotz der vom Opfer ausgehenden Dauergefahr bedeutet also nicht, dass die Dauergefahr, die von dem Tyrannen ausgeht, generell keinen Einfluss bei der normativen Auslegung der Heimtücke hat. Allgemein spricht der BGH vielmehr von der Systemgerechtigkeit zwischen Heimtücke und Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen307, was für die wertende Bestimmung der Arglosigkeit auch bei einem sich im Notstand befindenden Opfer spricht308.

301 Für den BGH könnte dies der entscheidende Unterschied für die verschiedene Behandlung der beiden Fälle sein, denn BGHSt 48, 207 (210) betont, dass im ErpresserFall nicht nur eine Dauergefahr vorhanden sei. Zu dieser Interpretation Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (468 f.). 302 Roxin, FS Widmaier, 741 (753) betont, dass die erpressungstypische Dauergefahr vergleichbar sei mit derjenigen Dauergefahr, in der sich das geschundene Opfer eines Familientyrannen befindet; ebenso Rengier, NStZ 2004, 233 (236 f.). 303 BGHSt 48, 207 (210). 304 BGHSt 48, 207 (212). 305 BGH NStZ 1995, 231 (232). 306 BGHSt 48, 207 (212). 307 BGHSt 48, 207 (211). 308 Siehe nochmals oben ab S. 73 zur allgemeinen Frage der Verallgemeinerungsfähigkeit der Erpresser-Entscheidung.

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Dass die Arglosigkeit des Familientyrannen rechtlich zu verneinen ist, weil dieser aufgrund seiner Tyrannei mit Gegenwehr hätte rechnen müssen, lässt sich schlussendlich auch nicht damit ablehnen, dass der Tyrann wegen einer unter Umständen langjährigen Widerstandslosigkeit seines gegängelten Opfers im Laufe der Zeit immer weniger mit Gegenwehr rechnet309. Das ist nämlich eine deskriptive Betrachtung, die dem normativen Blickwinkel nicht entgegengehalten werden kann. Die wertend begründete Annahme des Argwohns mag sich zwar mit jedem weiteren Akt der Tyrannei immer mehr von der tatsächlichen Lage entfernen, jedoch ist die Nähebeziehung des normativ begründeten Argwohns zum tatsächlichen Befund kein Maß für die Qualität der Normativierung. Bei wertender Bestimmung der Arglosigkeit wird derjenige, der einen rechtswidrigen Zustand länger zu verantworten hat, nicht mit zunehmender Zeit seiner Taten wieder schutzwürdiger gegenüber seiner erstmalig erfolgenden deliktischen Handlung! Es kann also für die Annahme der Arglosigkeit nicht im Sinne eines Vertrauensschutzes aufgrund einer gleichmäßigen Übung mit „verbrecherischer Arroganz“ argumentiert werden; das Opfer muss nicht ankündigen, künftig eine andere Haltung gegenüber den jederzeit drohenden Übergriffen einnehmen zu wollen310. Vom Standpunkt einer wertenden Begriffsbestimmung aus fordert die Rechtsordnung von dem Tyrannen stattdessen, damit zu rechnen, dass er das Fass irgendwann zum Überlaufen bringt311. Das beinhaltet eine zeitliche Ausweitung gegenüber dem, was die Rechtsordnung dem Erpresser abverlangt, der während seines noch gegenwärtigen Angriffs mit Gegenwehr zu rechnen hat. Das erscheint aber nicht unbillig. Zum einen ist das erlittene Martyrium nämlich ebenfalls zeitintensiver als die deliktische Lage, in der sich ein Erpresster typischerweise befindet. Denn eine Erpressung erfolgt selten jahrelang und der Erpresste ist in der Regel auch nicht permanent mit dem Gefahrverursacher konfrontiert. Zum anderen ist zu beachten, dass die Dauergefahr nicht pauschal einen Dauerargwohn begründet312, sondern gegenläufige Wertungsaspekte denkbar sind, die für eine wertend begründete Annahme der Arglosigkeit trotz des Vorverhaltens sprechen können. Hierfür kommt beispielsweise ein besonders defensives (wenn auch nur episodenhaft vorliegendes) Verhalten des Tyrannen in Betracht, wie man es bei ernsthaften Therapiebemühungen annehmen kann313. 309 Dass das bisherige widerstandslose Erdulden von Gewalt nicht gegen das Opfer sprechen kann, kommt auch bei Haverkamp/Kasper, JuS 2006, 895 (896) zum Ausdruck, wenngleich im Rahmen des entschuldigenden Notstands. 310 Widmaier, NJW 2003, 2788 (2791). 311 Für die Gleichstellung des Dauergewalttäters im Sinne des § 34 StGB mit dem Angreifer im Sinne des § 32 StGB, weil beide damit zu rechnen haben, dass das Opfer sich wehrt Otto, NStZ 2004, 142 (143 f.); Rengier, NStZ 2004, 233 (236 f.). 312 Freilich wird der Dauerargwohn aber häufig anzunehmen sein, siehe hierzu Rengier, NStZ 2004, 233 (237). 313 Für die Annahme der Arglosigkeit trotz noch bestehender Dauergefahr kann es sprechen, das der tyrannische Partner mit einer Trennung vom gedemütigten Ehepartner

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Dafür, dass bei der normativen Bestimmung der Arglosigkeit eine durch das Opfer verursachte Notstandslage in vergleichbarer Weise wie eine Notwehrlage herangezogen werden kann, stützt sich Otto auf eine weitere Entscheidung des BGH314: Im Rahmen einer Tötung in Notwehr wertete der BGH dort den rechtswidrigen Angriff des später getöteten Opfers als dessen „Akt eigenverantwortlicher Selbstgefährdung“ 315. Auch bei der Tyrannen-Tötung sei das getötete Opfer in diesem Sinne verantwortlich. Das erinnert an die Argumentation in der Erpresser-Entscheidung, wonach der Getötete der „wirkliche Angreifer“ 316 sei. Insgesamt spricht einiges dafür, dass die Grundsätze der Erpresser-Entscheidung auf die Tyrannen-Fälle angewendet werden können. Ziel ist es darüber hinaus, eine Definition für die Heimtücke zu entwickeln, die bei allen Fallgruppen sachgerechte Ergebnisse hervorbringt, ohne fallgruppenspezifisch Modifizierungen vornehmen zu müssen. f) Resümee Aus der Analyse, was der Arglosigkeitsbegriff zu leisten vermag, kann nun eine Reihe von Erkenntnissen und Prämissen zusammengetragen werden, die im Folgenden als Grundlage für die Bewertung der Modifikationsvorschläge sowie für die daran anschließende Entwicklung des eigenen Definitionsvorschlags dienen. Festzuhalten bleibt erstens, dass die Arglosigkeit kein positives Sicherheitsdenken erfordert, sondern ein Nichtargwohnhegen ausreichend ist. Ohne Weiteres genügt daher die Arglosigkeit aus konstitutionellen Gründen dem rechtlichen Begriff der Arglosigkeit. Es steht bei der konstitutionellen Arglosigkeit der Annahme der Arglosigkeit im Rechtssinne auch nicht entgegen, dass der Betreffende grundsätzlich nicht in der Lage ist, einen Angriff als solchen zu erkennen. Zweitens ist ein Opfer argwöhnisch, sobald es einen Angriff gegen seine körperliche Integrität befürchtet. Eine gewisse Erheblichkeit ist jedoch erforderlich. Die Arglosigkeit muss drittens im Zeitpunkt des Versuchsbeginns der Tötung bestehen. Eine dem Versuchsbeginn vorgelagerte Arglosigkeit ist nicht ausreichend. Deshalb kommt man in den Hinterhalt-Fällen auf dogmatisch überzeugendem Weg nicht zu dem Ergebnis ,Heimtückemord‘. Es wird zwar noch zu klären sein, ob in den Fallen-Konstellationen eine Fiktion der Arglosigkeit dogmatisch die Tyrannei zukünftig beenden will; so lag es in BGH NJW 1978, 1061 ff. (Hirschfängermesser-Fall). 314 Otto, NStZ 2004, 142 (143 f.); die angesprochene Entscheidung ist BGHSt 23, 327 ff. 315 BGHSt 23, 327 (328). 316 BGHSt 48, 207 (210); auch Rengier, NStZ 2004, 233 (236 f.) argumentiert, derjenige, der eine Notstandslage schaffe, sei in diesem Sinne gleichermaßen der „wirkliche Angreifer“ wie derjenige, der eine Notwehrsituation begründet.

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nachvollziehbar zu begründen ist. Gegen eine solche Fiktion sprach bei der Betrachtung der Fälle der (tötungs)vorsatzlos herbeigeführten Wehrlosigkeit jedoch bereits schon einiges und es ist unwahrscheinlich, dass diese Bedenken überwunden werden können. Viertens kann bei vorangegangenen erheblichen Tätlichkeiten das naive oder unverständige Verkennen der Gefahr durch das Opfer nicht per se die Verneinung der Arglosigkeit bewirken. Allerdings ist damit keine generelle Absage an eine Normativierung der Heimtücke erteilt. Vielmehr ist vor allem bei partiellen Rechtfertigungen des Täters, wie in den Tyrannen-Fällen und dem Erpresser-Fall der Möglichkeit einer rechtlichen Verneinung der tatsächlich vorhandenen Arglosigkeit aufgrund von Wertungsüberlegungen nachzugehen. Klärungsbedürftig ist dabei insbesondere, ob lediglich Umstände in der Opfersphäre oder auch das Tätervorverhalten tauglicher Anknüpfungspunkte einer Normativierung sein können. Die beiden Fallgruppen Tyrannen und Erpresser lassen sich unter der Opfergruppe, die sich durch ein vorwerfbares Vortatverhalten auszeichnen, zusammenfassen. Der seit der Erpresser-Entscheidung vermehrt in Kritik geratene normative Arglosigkeitsbegriff erscheint vielversprechend für die Erarbeitung einer Heimtückedefinition, die fallgruppenunabhängig überzeugt. Die zahlreichen Kritikpunkte konnten als nicht durchschlagend bewertet werden. Allein die bislang fehlende Rechtfertigung, dass das Opfer überhaupt auferlegt bekommen kann, einen Angriff erwarten zu müssen und die Konkretisierung der Umstände, die diese Erwartung begründen, stehen aus. Diese Frage, ob die Heimtücke ein Tatbestandsmerkmal ist, bei dessen Auslegung das vortatliche Opferverhalten berücksichtigt werden kann, ist die zu klärende wesentliche Frage dieser Arbeit. Für die Berücksichtigung des Opferverhaltens im Tatbestand werden aber auch andere Möglichkeiten als die Verortung des Opferverhaltens bei der Arglosigkeit zu diskutieren sein. Doch zunächst werden die übrigen Elemente der Grunddefinition und ihrer Modifizierungen daraufhin untersucht, was sie zu leisten vermögen und wo sie versagen. Dabei wird das Augenmerk vor allem darauf gelenkt, ob sich an weiteren Stellen eine Normativierung etabliert hat oder dies wünschenswert wäre.

2. Die Wehrlosigkeit Zweiter Begriff der Basisformel ist die Wehrlosigkeit. a) Die eigenständige Bedeutung der Wehrlosigkeit Auffällig ist, dass der Umfang an Literatur über die Arglosigkeit immens größer ist verglichen mit dem zur Wehrlosigkeit. Womöglich erachten deswegen ei-

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nige Stimmen die Wehrlosigkeit als überflüssig317. Tatsächlich erklärt sich der geringe Literaturumfang aber dadurch, dass die Wehrlosigkeit begrifflich eindeutiger ist und oftmals die Heimtücke schon abgelehnt wird, bevor man zur Frage der Wehrlosigkeit gelangt, weil diese Komponente erst nach der Arglosigkeit zu prüfen ist. Deshalb und nicht weil die Wehrlosigkeit bedeutungslos für die Heimtücke wäre, ist die Wehrlosigkeit als „Annex“ zu verstehen, der den „führenden Primärbegriff“ der Arglosigkeit ergänzt318. Im Unterschied zur Arglosigkeit, die bei einem gestreckten Tötungsgeschehen regelmäßig mit Versuchsbeginn wegfällt, muss die Wehrlosigkeit bis zur Vollendung der Tat bestehen319. Auch deswegen kann der Wehrlosigkeit neben der Arglosigkeit nicht jegliche Relevanz abgesprochen werden. Dass die beiden Begriffe nicht als Synonym zu verstehen sind, zeigt sich zudem dadurch, dass einerseits der Arglose zwar regelmäßig auch wehrlos ist, andererseits der Wehrlose aber umgekehrt nicht unbedingt auch arglos ist. Beides ist für sich genommen leicht vorstellbar. Denn die Arglosigkeit ist ein innerer Zustand, der die Wehrlosigkeit zwar häufig hervorrufen wird; für die unter der Wehrlosigkeit zu verstehenden geringen Handlungsmöglichkeiten sind aber ohne Weiteres auch andere Gründe denkbar. Dahingegen ist vergleichsweise schwer vorstellbar, dass jemand arglos sein kann, ohne zugleich wehrlos zu sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn man die Wehrlosigkeit nicht nur bei totaler Hilflosigkeit, sondern bereits bei einer erheblich verminderten Wehrfähigkeit annimmt. Ausgeschlossen ist ein wehrhaft-argloses Opfer, dessen Tötung im Ergebnis ,nur‘ einen Totschlag darstellen würde, jedoch nicht. Dies wurde beispielsweise durch die Fallgruppe des kindlichen Opfers mit einem ihm beistehenden, schutzbereiten Dritten gezeigt320. Man wird von einem Fall der Wehrhaftigkeit trotz Arglosigkeit ferner dann sprechen können, wenn ein grundsätzlich im erhöhten Maße Abwehrbereiter einem dilettantischen Angriff durch routinemäßige Schutzvorkehrungen erfolgreich begegnen kann, ohne dass er den Angriff als solchen wahrnehmen müsste321. Die Kombination von Arglosigkeit und Wehrhaftigkeit liegt vor allem auch dann vor, wenn im Zeitpunkt des Versuchsbeginns zwar ein argloses und deshalb wehrloses Opfer gegeben ist, dieses aber im Verlauf des Gesche317 So SK StGB II/Horn § 211 Rn. 30 a. E., der formuliert, „dass das Merkmal der Wehrlosigkeit für sich gesehen keine Funktion“ habe, den Fall, dass jemand arglos, aber nicht wehrlos sei, gebe es nicht. Schmoller, ZStW 99 (1987), 389 (393 Fn. 13) sieht in der Ausnutzungskomponente die Wehrlosigkeit enthalten. 318 Küper, BT Definitionen, S. 195, dort mit Hervorhebung. 319 MüKo/Schneider § 211 Rn. 139; beispielsweise lag in BGH NStZ 1989, 364 (365) deshalb das Mordmerkmal nicht vor. 320 Siehe S. 48. 321 Dabei darf man aber nicht von der erfolgreichen Abwehr auf die Wehrhaftigkeit schließen, weil das eine ex post-Bestimmung wäre. Gewiss ist hier die Grenzziehung zwischen einem (grob unverständlichem) heimtückischen Mordversuch und dem Ausschluss der Wehrlosigkeit schwierig vorzunehmen.

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hens die Wehrhaftigkeit wiedererlangt und deshalb im Ergebnis der Heimtückemord nicht vollendet ist. An dieser Variante wird Folgendes deutlich: Auch wenn man die Wehrhaftigkeit durch die Arglosigkeit immer ausgeschlossen sähe, wäre die Heimtückefrage nicht durch die Feststellung der Arglosigkeit entschieden. Denn aufgrund des unterschiedlich langen erforderlichen Zeitraums für die beiden Komponenten kann ein endgültiges Urteil über das Vorliegen der Heimtücke in dem für die Arglosigkeit relevanten Zeitpunkt gar nicht gefällt werden. Daher führt diese Frage, ob die Arglosigkeit die Wehrlosigkeit immer nach sich zieht, letztlich nur bedingt weiter. Von praktischem Interesse ist aber die Frage, warum das alternative Vorliegen nur der Arg- oder Wehrlosigkeit dem Heimtückebegriff nicht genügt322. Diese beiden Elemente werden nahezu einmütig und stillschweigend kumulativ gefordert. Dass allein die Wehrlosigkeit auszunutzen nicht reicht, um die Heimtücke zu bejahen, hat dabei zur Folge, dass in den Hinterhalt-Fällen die Heimtücke nicht angenommen werden kann. Ebenso ist die angekündigte Tötung eines Gefangenen oder eines bewegungs- und sprechunfähigen Patienten regelmäßig die eines bloß Wehrlosen und damit keine heimtückische Tötung. Dass die Wehrlosigkeit und die Arglosigkeit jeweils auch allein erfüllt sein können, erklärt aber nicht, weshalb es nicht hinreichend für den Heimtückevorwurf ist, ein nur argloses oder ein nur wehrloses Opfer umzubringen. Es steht vielmehr bei der Tötung des nur wehrlosen Opfers die Begründung dafür aus, dass die Arglosigkeit ein unverzichtbares, das Wesen der Heimtücke ausmachendes Element ist. Gleiches gilt umgekehrt für die Wehrlosigkeit bei der Tötung des arglosen, aber wehrhaften Opfers. Die beiden Komponenten der Heimtücke werden gewiss auch deshalb kumulativ gefordert, weil beide Aspekte typischerweise kumulativ auftreten. Auch spielt hierfür sicherlich das Bestreben eine Rolle, den Mordtatbestand restriktiv auslegen zu wollen. Zufriedenstellend sind diese Erklärungen indes nicht, da sie keine am Heimtückebegriff orientierte Begründung beinhalten. Vielleicht kann aber der folgende Gedanke weiterführen: Beim arglos-wehrhaften Opfer ähnelt das Nichtwehren trotz der objektiv naheliegenden Möglichkeit dazu der bewussten Fahrlässigkeit (einmal vernachlässigt, dass dieser Begriff der Strafbarkeitsprüfung des Täters zugehörig ist). Speziell für den wohl häufigsten Fall des nur arglosen Opfers, wenn nach Versuchsbeginn die Wehrfähigkeit wiedererlangt wird, besteht sogar unter Umständen eine Nähe zur Billigung, weil durch den in der Regel erfolgenden Wegfall der Arglosigkeit das Wissenselement gegeben ist. Nun ist es bei Delikten gegen das Leben schwierig, das auf den gleichen Erfolg zulaufende Verhalten von Täter und Opfer in eine rechtliche Beziehung zu setzen, weil das 322 Die Formulierung Arg- oder Wehrlosigkeit in BGHSt 18, 87 (88) ist ein Versehen laut BGHSt 19, 321 (322). Zu diesem kurzen Intermezzo in Rechtsprechung und Lehre Baumann, NJW 1963, 561 (561).

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

Opfer untauglicher Täter ist und auch nicht in die eigene Tötung einwilligen kann. Wenn die Passivität des Opfers trotz der an sich bestehenden Möglichkeit einer Schutzmaßnahme die Heimtücke ausschließt, würde mit dem Heimtückebegriff der Korrespondenz von Opfer- und Täterverhalten aber Rechnung getragen, ohne gegen diese Grundsätze zu verstoßen. Insbesondere käme ein solcher Einfluss des Opferverhaltens auf das Heimtückemerkmal keiner Umgehung des Einwilligungsverbots gleich, da dem Täter trotz der Quasi-Sanktionierung des Opfers (das meint den Verlust des Heimtückeschutzes) eine Strafbarkeit aus § 212 StGB droht. Opferverhalten, welches demgegenüber das Tötungsvorhaben nicht quasi-fahrlässig begünstigt und trotzdem keine ausreichende Gegenwehr für das konkrete Tötungsvorhaben sein kann, wäre ein Ausdruck der Wehrlosigkeit und als ein dem Heimtückebegriff immanentes Element zu verstehen. Diese Begründung für das Kumulationserfordernis (zumindest in die eine Richtung, dass die alleinige Arglosigkeit nicht hinreichend ist) bedeutet nichts anderes, als rechtliche Konsequenzen für die Verletzung der Obliegenheit, selbstverantwortlich für das eigene Leben zu sorgen, zu verlangen323. Demzufolge wäre der bei den Sonderkonstellationen des Erpressers und des Tyrannen herausgestellte Aspekt der Selbstverantwortung des Opfers auch ganz allgemein bei der Heimtücke relevant. An dieser Stelle kommt eine solche Aussage mehr einer Behauptung denn dem schlüssigen Ergebnis einer Beweiskette gleich. Insbesondere sind Begründung und Inhalt einer angeblichen Obliegenheit erneut offengelassen. Umgekehrt lässt sich beim argwöhnisch-wehrlosen Opfer der Grundsatz der Selbstverantwortung nicht gleichermaßen überzeugend zur Begründung dafür heranziehen, dass die Ausnutzung nur der Wehrlosigkeit nicht ausreicht, sondern auch die Arglosigkeit für die Bejahung der Heimtücke zu fordern ist. Eine etwaige Obliegenheit, für sich selbst zu sorgen, kann jedenfalls nur bestehen, wenn das Opfer anders hätte handeln können und wenn es vor allem dem von ihm Erwartetem hätte nachkommen können. Bei einem nur wehrlosen Opfer liegen der Wehrlosigkeit aber zumeist Umstände zu Grunde, die durch Argwohn zum maßgeblichen Zeitpunkt gerade nicht beseitigt werden können. Dann wäre eine Obliegenheit aber nicht vorwerfbar verletzt. Anders könnte dies möglicherweise nur sein, wenn dem Opfer vorgehalten werden könnte, dass es überhaupt in eine Situation geraten ist, in der der geschöpfte Argwohn nicht mehr genügt, um die Wehrhaftigkeit herbeizuführen. Häufig wird das nicht zutreffen. Letztlich stellt dies eine Frage der Begründung und des Umfangs der Obliegenheiten dar, die noch zu klären sind. 323 Der aus einer Obliegenheitsverletzung zu entnehmende Vorwurf kann sich dabei für den Fall, dass die Wehrhaftigkeit von Anfang an bestand, nur darauf richten, keinen die Wehrfähigkeit zum Einsatz bringenden Argwohn geschöpft zu haben, obwohl das erwartet werden konnte. Für den Fall der zwischenzeitlich wiedererlangten Wehrfähigkeit kann sich ein Vorwurf entweder dagegen richten, dass zu spät Argwohn gehegt wurde und die Wehrhaftigkeit deshalb zu spät wiederherstellt wurde oder dass die Wehrhaftigkeit gar nicht genutzt wurde.

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Unabhängig davon ist aber ein anderer Grund dafür auszumachen, weshalb die Arglosigkeit immer neben der Wehrlosigkeit gegeben sein muss, um die Heimtücke bejahen zu können. Der Heimtücke wohnt nämlich ein Überraschungsmoment oder ein Wirken im Verborgenen inne, welches sich nur im Arglosigkeitsbegriff wiederfindet324. Beim nur wehrlosen Opfer fehlt dieses Wissensdefizit oder diese Irrtumskomponente. Mit einer solchen Argumentation für das kumulativ erforderliche Vorliegen von Arg- und Wehrlosigkeit setzt man sich auch nicht in Widerspruch zu der Prämisse, dass beim konstitutionell Arglosen die fehlende Fähigkeit, Argwohn hegen zu können, nicht der Annahme von Heimtücke entgegensteht. Zunächst könnte man zwar vorbringen, der aus konstitutionellen Gründen Arglose könne nicht überrascht werden, weil das ja voraussetzt, dass er die Gefahr als solche erkennt, wenn auch zu spät. Das Überraschungsmoment ist aber nur ein hypothetisches Element. Nicht erforderlich ist, dass das Opfer tatsächlich überrascht ist. Wenn beispielsweise das Opfer von hinten erschossen wird, so dass es auf der Stelle tot ist und den Schuss nicht reflektieren kann, wird man die Heimtücke auch nicht wegen der mangelnden tatsächlich eingetretenen Überraschung verneinen. Die Überraschung ist mehr eine Emotion, die die Lage aus Sicht eines Beobachters beschreibt, der sich vorstellt, anstelle des Opfers zu sein. Ein Wissensdefizit hat aber auch der aus konstitutionellen Gründen Arglose und das genügt. Dass die Gefährlichkeit bei der Tötung eines nur wehrlosen Opfers vergleichbar ist, macht das Wissensdefizit nicht entbehrlich, weil sich der Wortsinn der Heimtücke nicht in der Gefährlichkeit erschöpft. In solchen Fällen ist die Höchststrafe nur mittels anderer Mordmerkmale oder über § 212 Abs. 2 StGB zu erreichen. Wertungsmäßig überzeugt es ebenfalls, die bloße Wehrlosigkeit nicht genügen zu lassen, weil sonst zu viele Weiterungen zu beklagen wären. Beispielsweise müssten dann nämlich die Fälle der vorsatzlos herbeigeführten Wehrlosigkeit unter die Heimtücke subsumiert werden. Schlussendlich ist an dem Kumulationserfordernis demnach festzuhalten: Die Wehrlosigkeit ist wegen des Grundsatzes der Selbstverantwortung für den Heimtücketatbestand immer erforderlich. Die Arglosigkeit ist wegen des Aspekts der Heimlichkeit oder des Wissensdefizits, das man auch als Irrtumskomponente der Heimtücke bezeichnen kann, stets für das Heimtückemerkmal zu fordern. b) Die die Wehrlosigkeit ausschließenden Abwehrmöglichkeiten Nach allgemeiner Ansicht müssen für die Wehrlosigkeit die Selbstverteidigungsmöglichkeiten nicht völlig negiert sein. Es reicht aus, wenn ein beachtliches Defizit an Abwehrmöglichkeiten im Vergleich zu der normalen Situation vorliegt, das Opfer also in seinen Verteidigungschancen erheblich eingeschränkt ist325. 324

Soviel ist offensichtlich, ausführlich zu dem Kerngehalt der Heimtücke ab S. 194. Küper, JuS 740 (741); NK StGB II/Neumann § 211 Rn. 68; Kargl, StraFo 2001, 365 (368); MüKo/Schneider § 211 Rn. 138; BGH GA 1971, 113 (114). 325

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aa) Verbale Umstimmung Vor diesem Hintergrund verwundert es, dass die Rechtsprechung die Wehrlosigkeit verneint, wenn die theoretische Möglichkeit einer verbalen Umstimmung besteht beziehungsweise wenn diese nicht auszuschließen ist326. Schon weil Umstimmungsversuche im Erfolg vom Täter abhängen, ist deren Einordnung als ein die Wehrlosigkeit ausschließendes Abwehrmittel abzulehnen, denn das wäre eine Gefahrenabwendung mit und nicht gegen den Täter327. Darüber hinaus ist es schwierig, die Grenze zwischen aussichtslosem Anflehen einerseits und einem Umstimmungsversuch mit der Intensität einer Abwehrmöglichkeit andererseits zu bestimmen. Hierbei im Zweifel für den Täter eine Umstimmungsmöglichkeit anzunehmen, überzeugt aus mehreren Gründen nicht: Die Rechtsprechung schließt von dem gescheiterten Umstimmungsversuch auf sein aussichtsreiches Bestehen328. Die Hoffnung des Opfers, die es vielleicht (!) bei seinem Überredungsversuch hatte, ist aber kein taugliches Indiz für eine schwankende Gemütslage des Täters. Sie kann realistisch oder unbegründet und Ausdruck der Verzweiflung sein. Darüber mittels des Zweifelssatzes hinwegkommen zu wollen, ginge zu weit. Es bedürfte stattdessen objektiv-täterbezogener Kriterien, um die psychische Situation des Täters zu ermitteln. Selbst wenn in einem Fall ohne Zweifel eine Umstimmungsmöglichkeit bestand, wäre es aber zynisch, die Heimtücke zu verneinen, weil das Opfer diese nicht „richtig“ genutzt hat. Ganz offenkundig kann es für die Beurteilung der Tat nicht darauf ankommen, ob das Opfer im Angesicht des Todes die „richten Worte“ findet oder nicht329. Es abzulehnen, dass die Wehrfähigkeit durch Umstimmungsmöglichkeiten zu begründen ist, verkennt auch nicht, dass die Wehrhaftigkeit nicht nur vorliegt, wenn das Mittel erfolgreich gebraucht wird. Wenn beispielsweise das durch den Besitz einer 326 Schon im Umkehrschluss aus BGHSt 11, 139 (143) zu erschließen; sodann BGHSt 32, 382 (384); BGH NStZ 1989, 364 (365) stellt die enge Voraussetzung auf, dass Wehrlosigkeit nur gegeben sei, wenn der Entschluss des Täters „nach seiner Festigkeit und unter Berücksichtigung des Charakters des Angekl. so unumstößlich war, daß jeder Versuch, ihn davon abzubringen, mit Sicherheit zum Scheitern verurteilt war“, denn nur dann sähe das Opfer sich „unentrinnbar“ der Übermacht des Täters ausgesetzt; BGH NStZ 2009, 29 (30). 327 NK StGB II/Neumann § 211 Rn. 68; ihm zustimmend Puppe, NStZ 2009, 208 (209). 328 BGH NStZ 2009, 29 (30) („Garotten“-Fall) meint, dass es der Geschädigten möglich gewesen wäre, den Täter umzustimmen oder wenigstens hinzuhalten, weil die Geschädigte (zu einem Zeitpunkt, in dem der Täter noch ohne Tötungsvorsatz handelte!) zweimal versuchte, den Täter verbal zum Aufhören seiner Attacke zu bewegen. Dies kritisiert zu Recht Puppe, NStZ 2009, 208 (209). 329 Otto, JURA 1994, 141 (149). Deshalb sind die Anforderungen aus BGH NStZ 1989, 364 (365), siehe Fn. 326, nicht haltbar. Wenn schon Verbalitäten die Abwehrfähigkeit begründen können sollen, dann müssen sich die Erfolgsaussichten eines Umstimmungsversuchs für das Opfer förmlich aufdrängen, beispielsweise weil es schon einmal erfolgreich den Täter umgestimmt hat oder weil dieser sein Schwanken offenlegt.

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Schusswaffe wehrhafte Opfer daneben schießt und sodann den Tod durch die Hand des Täters findet, ist das nämlich nicht damit zu vergleichen, dass es nicht die richtigen Worte findet und das durch den Täter in Gang gesetzte und beherrschte Geschehen zu seinem Tod führt: Das schießende Opfer hat eine in seiner Hand liegende Möglichkeit vertan, gegen den Täterwillen dessen Vorhaben zu beenden. Gegenüber dem redenden Opfer muss der Täter nur seinen Willen aufrecht erhalten und genauso sein Vorhaben weiterführen, wie er es auch bei einem stillen Opfer getan hätte. Es bedarf keines aus Sicht des Täters glücklichen Zufalls im Kausalverlauf wie bei dem Danebenschießen; der Täter hat das Geschehen die ganze Zeit allein in der Hand. Aus diesen Gründen sind das Fehlgehen eines Schusses und die Nichterweckung eines Rücktrittswillens330 nicht vergleichbar und die trotzdem vorgenommene Gleichbehandlung mutet zynisch an. Dass verbalen Umstimmungsbemühungen keine Abwehreigenschaft zugeschrieben werden kann, ergibt sich auch aus folgender Überlegung: Beim Rücktritt schadet die Veranlassung zum Ablassen von der Tat durch einen Dritten oder durch das Opfer für die Annahme des Rücktritts nicht, solange die Täterentscheidung autonom ist, weil der Schwerpunkt in der Bewertung des sozialen Bedeutungsgehalts beim Täter liegt. Dabei bleibt die Verantwortung für das nachfolgende Verhalten also allein bei dem Täter und falls dieser von der weiteren Tatausführung absieht und die übrigen Rücktrittsvoraussetzungen vorliegen, hat dies günstige Folgen für ihn. Es wäre widersprüchlich, bei der Heimtückefrage einen Teil der Verantwortung für den Fortgang des Geschehens auf das Opfer zu verlagern, indem die Wehrlosigkeit wegen der Umstimmungsmöglichkeit verneint wird. Für den Fall, dass der Täter seine Tat vollendet, hätte dies ebenfalls eine günstige Folge, nämlich die Verneinung der Heimtücke. Damit hätte das Ablassen wie das Sich-nicht-abhalten-Lassen einen positiven Effekt für den Täter und dies noch dazu in offensichtlich widersprüchlicher Weise, indem einmal betont wird, dass der Täter das Geschehen noch alleine beherrscht und einmal, dass er es nicht alleine in der Hand hat. Außerdem ist zu bedenken, dass verbale Beeinflussungsversuche auch aggressionsfördernd und damit kontraproduktiv sein können331. Eine solche Befürch330 Das Fehlgehen von Worten kann man nicht formulieren, denn sie erreichen den Täter und sind nur nicht wirkungsvoll. Bei einer Schussvariante wäre das vergleichbar mit einer ungefährlichen Farbpatrone. 331 So lag es eventuell in BGH NStZ 2009, 29 (29 f.), wo der Täter von einer Lüge bei dem Versuch der Beschwichtigung ausging und sein Opfer erneut würgte. Gerade wenn wie dort der Entschlossenheitsgrad des Täters zweifelhaft ist, das Opfer bereits verbal das Ablassen des Täters zu erreichen versucht hat und dies eine Verschärfung der Lage zur Folge hatte, ist ihm das Risiko (weiterer!) Aggressionsförderung durch verbale Umstimmungsversuche nicht aufzubürden. Allerdings scheidet konkret die Heimtücke aus, weil der Täter zunächst ohne Tötungsvorsatz handelte. Zudem könnte die Wehrhaftigkeit wiedererlangt sein, weil das Opfer zwischenzeitlich einen Schürhaken ergriff.

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tung, sei sie im konkreten Fall zutreffend oder nicht, muss ein Opfer davon abhalten dürfen, Umstimmungsversuche zu wagen, ohne sich damit des Heimtückeschutzes zu entledigen. Und ebenso wie bei überlegtem Schweigen darf auch die aus purer Angst versagende Fähigkeit, den Täter verbal umzustimmen, dem Täter nicht helfen. Bloß eventuell psychisch kausal wirkendes Opferverhalten hat die Erheblichkeitsschwelle für Abwehrmöglichkeiten damit nicht überschritten. Lässt sich der Täter im Einzelfall tatsächlich umstimmen, hat das Opfer folglich Glück gehabt (wohlgemerkt kommt dem Täter dies durch die Rücktrittsvorschriften ebenfalls zu Gute), aber nicht den Angriff im Rechtssinn abgewehrt332. Absolut handlungsuntauglich muss das Opfer also nicht sein, um als wehrlos zu gelten. bb) Der Hilferuf Zwar auch verbaler Natur, aber im Erfolg nicht allein vom Täter abhängig ist der Hilferuf 333. Es mag zwar gelegentlich zutreffen, dass der Täter allein durch den Ruf des Opfers aus Angst vor Entdeckung oder Überwältigung von Dritten vom Opfer ablässt, doch in der Regel zielt der Hilferuf auf eine Intervention Dritter ab. In dieser weitgehenden Unabhängigkeit von der Person des Täters ist der entscheidende Unterschied zu den verbalen Umstimmungsversuchen zu erblicken. Die Möglichkeit andere herbeizurufen, verkörpert allerdings nur einen geringen Anteil an Selbstverteidigung, da die entscheidende Abwehrhandlung von dem Dritten ausgeführt werden muss. Durch den Hilferuf hat der Täter das Geschehen indes nicht mehr alleine in der Hand und das ist ausschlaggebend. Wie ist aber zu entscheiden, wenn das Opfer fälschlicherweise glaubt oder sich der Unsicherheit bewusst nur unbegründet hofft, ein Dritter sei in Hörweite und hilfsbereit? Offensichtlich kann hier allein die subjektive Vorstellung des Opfers eine echte Wehrhaftigkeit nicht begründen. Schwieriger ist der umgekehrte Fall zu beurteilen, wenn tatsächlich ein Dritter in Hörweite ist, das Opfer aber nicht um Hilfe ruft. Hierbei ist zu unterscheiden: Zunächst kann das Opfer auf den Hilferuf verzichten, weil es die Möglichkeit verkennt, dadurch gerettet zu werden. Wenn die tatsächliche Verfügbarkeit eines

Kube, Kriminalistik 1980, 152 (155) rät vom Schreien ab, allerdings ist unklar, ob die von ihm herangezogenen Fälle mit tödlichem Ausgang deswegen dieses Ende nahmen. 332 Mit Recht meint auch Puppe, NStZ 2009, 208 (209), niemand dürfe verächtlich von einem Opfer denken, das um sein Leben bettelt oder in Todesangst falsche Liebesschwüre bekundet, aber solche Demütigungen zu verlangen, sei zynisch und menschenwürdeverachtend. 333 Hierzu BGHSt 2, 60 (61); 11, 139 (143 f.). Im „Fesselungs“-Fall BGHSt 32, 382 (387 f.) wird zwar zunächst festgestellt, dass das Opfer eine nicht von vornherein aussichtlose Rettungschance hatte, indem es einen in der Wohnung schlafenden Dritten mit Hilferufen wecken und zur Rettung hätte animieren können, trotzdem bejaht der BGH letztlich die Wehrlosigkeit und verneint nur die Arglosigkeit.

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hilfsbereiten Dritten für das Opfer so unwahrscheinlich ist, dass es erst gar nicht versucht, um Hilfe zu schreien, kann man die Wehrlosigkeit nur bejahen, indem man auch auf die subjektive Einschätzung des Opfers abstellt. Fragt man dabei, ob das Opfer die bestehende Möglichkeit, jemanden herbeizurufen, verkennen durfte, ob also ein verständiges Opfer ebenfalls dem Irrtum erlegen wäre, ist damit die wertende Frage aufgetan, wie viel Irrationalität oder Dummheit man einem Opfer zugestehen muss – diese Vorgehensweise ist der normativen Bestimmung der Arglosigkeit im Erpresser-Fall ähnlich. In der ganz überwiegenden Anzahl der Fälle wird man hier aber (anders als bei der Normativierung in der Erpresserentscheidung) zu einem für den Täter ungünstigen Ergebnis kommen und die Wehrlosigkeit bejahen. Die Gründe für das Verkennen der Rettungsmöglichkeit werden nämlich in der Regel nicht geeignet sein, den entsprechenden Vorwurf an das Opfer zu richten, es hätte die Möglichkeit des Hilferufes erkennen müssen. Denn für das Argwöhnischsein war über die objektive Erkennbarkeit hinaus dem Opfer das eigene Vorverhalten anzulasten; Entsprechendes wird hingegen für die Forderung, das Opfer hätte die objektiv erkennbare Rettungsmöglichkeit erkennen müssen, zumeist nicht ersichtlich sein. Allein die objektiv erkennbare Möglichkeit des Hilferufes kann also jedenfalls in der Regel nicht die Wehrhaftigkeit begründen. Anders liegt dies, wenn das Opfer die Möglichkeit der Rettung erkennt, aber den Hilferuf aus Angst unterlässt. Dann fehlt dem Opfer nämlich nicht die Kenntnis von dem verfügbaren Abwehrmittel und die Frage, ob man verlangen kann, dass es dieses einsetzt, muss bejaht werden. Das hierfür streitende Argument, wonach es sonst von der Entscheidung des Opfers abhängt, ob der Täter heimtückisch handelt, ist dabei zwar nicht durchschlagend. Denn dem ließe sich entgegenhalten, dass es dem Opfer gewiss lieber ist, zu überleben und den Täter nur eines versuchten Totschlags beschuldigt zu sehen, als dass es stirbt und die Tat ein Mord ist. Zwingend für die Verneinung der Wehrlosigkeit spricht in einem solchen Fall aber, dass das Opfer eben eine wehrhafte Verteidigungsmöglichkeit hat. Angst mag die Wahrscheinlichkeit schmälern, dass das zur Verfügung stehende Mittel erfolgreich zum Einsatz kommt. Diese Möglichkeit ist dadurch aber nicht ausgeschlossen, zumindest solange nicht, wie ein echter Schockzustand nicht erreicht ist. Für die Wehrhaftigkeit ist dabei zu fordern, dass es sich bei dem in Hörweite befindlichen Dritten tatsächlich um einen schutzbereiten und schutzfähigen Dritten handelt. Anderenfalls bestünde die Möglichkeit der Abwehr schon objektiv nicht beziehungsweise wäre das Unterbleiben des Hilferufes nicht kausal für die erfolgreiche Tat des Täters. Für die Schutzbereitschaft und Schutzfähigkeit darf gewiss nicht auf die allgemeine Zivilcourage Fremder abgestellt werden, insbesondere nicht wenn der Täter eine Schusswaffe hat. Es müssen ernsthafte Anhaltspunkte objektiv und für das Opfer erkennbar dafür bestehen, dass der Dritte mit Erfolgsaussichten versucht hätte, ihm zu helfen. Ein Garantenverhältnis zwischen dem Opfer und dem Dritten ist aber nicht

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vorauszusetzen. Demzufolge ist zwar einerseits vom Opfer zu verlangen, dass es nach schutzbereiten und schutzfähigen Dritten ruft, die Wehrhaftigkeit des Opfers ist aber andererseits nicht schon anzunehmen, wenn es nur überhaupt schreien kann und weiß, dass irgendwer das hört. Interessant ist auch die dritte Konstellation, dass ein Dritter in Reichweite schutzbereit zugegen ist und das Opfer aus Angst oder aus Unkenntnis den Dritten nicht herbeiruft, dieser aber gleichwohl einschreitet. Will man die Wehrhaftigkeit bejahen und damit die Heimtücke verneinen, müsste hier ein rein objektives Bestehen der Abwehrmöglichkeit genügen334. Bei der Opfergruppe der konstitutionell Arglosen wurde bereits diskutiert, ob die Schutzbereitschaft Dritter die Wehrhaftigkeit des Opfers begründen kann335. Nichts anderes beinhaltet die Frage, ob ein Hilferuf, der die Schutzbereitschaft Dritter schaffen und oder in Anspruch nehmen kann, der Wehrhaftigkeit genügt. Denn ein Unterschied zu jenen Fällen der konstitutionell bedingten Arglosigkeit besteht nur darin, dass beim Hilferuf die Arglosigkeit nach Versuchsbeginn wegfällt und die Hilfe eingefordert werden kann. Einerlei ob der Dritte nun aufgrund eines Hilferufs, wegen seiner Stellung als Pfleger, als Elternteil oder aus sonstigen Gründen dem Opfer beisteht, hat der Täter das Geschehen aber nicht mehr alleine in der Hand und das Opfer wird nicht nur vom naturgesetzlichen Zufall (wie dem Danebenschießen des Täters) geschützt. Die Vergleichbarkeit der Fälle spricht dafür, den nicht vom Opfer eingeforderten erfolgten Beistand Dritter ebenfalls als Wehrfähigkeit des Opfers aufzufassen. Schlussendlich kann der Hilferuf eine geeignete Abwehr sein. Ob das der Fall ist, ist dabei nicht nach dem Erfolg des Abwehrmittels (also zum einen die Veranlassung der Hilfeleistung und zum anderen deren erfolgreiche Durchführung) zu entscheiden. Die Wehrhaftigkeit kann immer nur aus einer ex ante-Sicht beurteilt werden; mehr kann der Täter auch nicht in sein Bewusstsein aufnehmen. Dabei muss das Abwehrmittel ,Herbeirufen eines schutzbereiten und schutzfähigen Dritten‘ objektiv bestehen und das Opfer muss Kenntnis davon haben. Nutzt das Opfer seine Kenntnis von der objektiv bestehenden Möglichkeit, Dritte zur Hilfe zu animieren, nicht, ist die Wehrlosigkeit in der Regel zu verneinen. Hat das Opfer keine Kenntnis von dem Dritten, ist damit die Wehrhaftigkeit insgesamt aufgrund der Zurechnungsmöglichkeit von Hilfeleistungen Dritter aber noch nicht ausgeschlossen. Das Abwehrmittel heißt dann nur nicht Hilferuf, sondern allgemein Schutzbereitschaft Dritter, der sich das Opfer gerade nicht bewusst sein muss.

334 Man wird aber einen versuchten Mord annehmen können, wenn der Täter von der anfänglichen Verfügbarkeit des schutzbereiten Dritten nichts weiß beziehungsweise wenn der Dritte erst später hinzukommt und Nothilfe leistet. 335 Siehe oben S. 45.

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cc) Sonstige Abwehrmöglichkeiten Die Fluchtmöglichkeit ist ebenfalls eine Form der Angriffsabwehr, auch wenn sie defensiv ist. Anders als im Notwehrrecht, bei der das Opfer dem Unrecht nicht zu weichen braucht, ist das Ausweichen taugliches Mittel, um die Wehrlosigkeit zu verneinen. Ebenso eindeutig ist die Wehrhaftigkeit gegeben, wenn das Opfer eine funktionstüchtige Waffe, insbesondere eine Distanzwaffe, griffbereit hat. Problematisch wird es hier allenfalls, wenn das Opfer aus mentalen Gründen die Waffe nicht oder nicht richtig gebraucht. Zunächst einmal kommt es dabei auf den Erfolg des verfügbaren Abwehrmittels nicht an. Objektiv verfügbar und subjektiv bekannt ist das Mittel. Dass das subjektive Unvermögen eines verängstigten Opfers die objektive Möglichkeit effektiver Gegenwehr negiert und damit die Wehrlosigkeit im Sinne des Heimtückemerkmals begründet, wird man noch nicht sagen können, wenn es beispielsweise mit zitternder Hand schießt oder vor Aufregung nicht entsichert. Nur wenn das Opfer vor Angst förmlich gelähmt ist und in diesem Schockzustand nahezu handlungsunfähig ist, liegt die Wehrlosigkeit vor.

3. Die Kausalität der Arglosigkeit für die Wehrlosigkeit Die Wehrlosigkeit soll aufgrund der Arglosigkeit bestehen336. Dies bedeutet, beides muss nicht nur kumulativ vorliegen, sondern sich auch derart bedingen, dass die Arglosigkeit für die verminderten Selbstschutzmöglichkeiten des Opfers ursächlich ist337. Begründet wird das Kausalitätserfordernis unter anderem damit, dass in dieser Verknüpfung das Tückeelement zum Vorschein komme338. Andere sehen in dieser Verknüpfung eine gesteigerte Gefährlichkeit gegenüber dem Totschlag339. Offensichtlich hängt die Begründung des Kausalitätserfordernisses mit dem Strafgrund der Heimtücke zusammen, auf den noch gesondert eingegangen wird340. Es gibt nicht viele Entscheidungen, bei denen das Opfer arg- und wehrlos ist, ohne dass ein Zusammenhang zwischen beidem besteht und daher die Annahme der Heimtücke an der Kausalität scheitert. Im Wesentlichen sind zwei Fallgruppen diesbezüglich zu diskutieren:

336 337 338 339 340

BGH NStZ 1997, 490 (491). MüKo/Schneider § 211 Rn. 139. Kargl, StraFo 2001, 365 (368 mit weiteren Literaturnachweisen). Kargl, ebenda. Siehe ab S. 194.

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a) Konstitutionell bedingt arglose Opfer Fraglich ist, ob bei konstitutionell bedingt Arglosen grundsätzlich die Kausalität fehlt und ihre Tötung deswegen generell keine heimtückische sein kann. Es wurde bereits gezeigt, dass es für das Heimtückemerkmal nicht auf die Fähigkeit des Opfers, Argwohn zu entwickeln, ankommt, sondern dass konstitutionell bedingt Arglose stets arglos sind. Zu fragen ist nun an dieser Stelle, ob Menschen dieser Opfergruppe nicht nur kraft ihrer Konstitution stets arglos sind, sondern ob sie auch kraft ihrer Konstitution grundsätzlich wehrlos sind, was zur Konsequenz hätte, dass die Wehrlosigkeit nicht auf der Arglosigkeit beruht341. Man wird zur Beantwortung dieser Frage nach verschiedenen Arten von Gründen für die konstitutionelle Arglosigkeit differenzieren müssen: Auf der einen Seite gibt es Gründe für die konstitutionell bedingte Arglosigkeit, die nicht mit der physischen Unmöglichkeit sich zu wehren einhergehen. So liegt es beispielsweise bei geistig behinderten Menschen. Bei ihnen beruht die Wehrlosigkeit nur auf dem inneren Zustand der Arglosigkeit, denn die physische Möglichkeit, sich zu wehren, besitzen diese Opfer. Sie nutzen diese nur nicht, weil ihnen die Bedeutung der Lage, in der sie sich befinden, nicht verständlich ist. Ihre Konstitution bedingt daher zwangsläufig die Arglosigkeit und diese bedingt die Wehrlosigkeit. Bei Kleinkindern verhält es sich ähnlich. Sie haben die physische Möglichkeit, sich zu wehren (und sei es nur, dass sie schreien oder weglaufen könnten), nutzen diese aber nicht, da sie aufgrund ihrer geistigen Konstitution die Lage nicht richtig erfassen können. Daher wird bei Kleinkindern wie bei geistig behinderten Menschen in der Regel die Kausalität zu bejahen sein. Auf der anderen Seite gibt es Gründe für die konstitutionelle Arglosigkeit, die zugleich eine völlige physische Handlungsunfähigkeit mit sich bringen. So liegt es bei einem komatösen, bei einem bewusstlosen und auch bei einem schlafenden Opfer. Bei ihnen bedarf es für die Wehrlosigkeit keiner Vermittlung über die Arglosigkeit. Der innere Zustand des Opfers ist nicht ausschlaggebend für die Wehrlosigkeit, denn der psychische und der physische Zustand beruhen auf demselben Grund. Denkt man sich nur die Arglosigkeit hinfort (und nicht den Umstand, der die Arglosigkeit begründet, was zugegebenermaßen eine rein theoretische Überlegung ist), ist das komatöse, bewusstlose oder schlafende Opfer immer noch wehrlos. Bei der Tötung eines Komapatienten, eines Bewusstlosen oder eines Schlafenden ist die Kausalität zwischen Arg- und Wehrlosigkeit folglich zu verneinen. Häufig werden diese heimtückeähnlichen Fälle einen besonders schweren Totschlag im Sinne des § 212 Abs. 2 StGB darstellen. Dies muss aber natürlich nicht der Fall sein, beispielsweise bei der Tötung des schlafenden Familientyrannen können gegenläufige Aspekte dazu führen, dass lediglich ein Totschlag nach § 212 Abs. 1 StGB anzunehmen ist. 341

Morris, S. 126 ff.

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Somit kann festgehalten werden, dass die Diskussion um die konstitutionell bedingt Arglosen zumeist an der falschen Stelle geführt wird. Denn die Frage, ob solch ein Opfer heimtückisch getötet werden kann, ist richtigerweise keine Frage der Arglosigkeit, sondern entscheidet sich danach, ob die Arglosigkeit kausal für die Wehrlosigkeit ist. Hierzu kann keine pauschale Antwort gegeben werden, vielmehr ist nach dem Einzelfall und vor allem nach dem Grund für die konstitutionelle Arglosigkeit zu entscheiden, ob diese konstitutionelle Arglosigkeit kausal für die Wehrlosigkeit ist. b) Die Tötung durch Unterlassen Eine unabhängig von einer Arglosigkeit bestehende Wehrlosigkeit soll nach Rauber immer dann vorliegen, wenn der Täter durch Unterlassen tötet, so dass es den Heimtückemord durch Unterlassen ihrer Meinung nach nicht geben kann342: Alle durch Unterlassen getöteten Opfer sind ihr zufolge als „konstitutionell wehrlos anzusehen“, weil die Unterlassensstrafbarkeit voraussetzt, dass das Opfer sich selbst nicht helfen kann. Schon der einfache Totschlag durch Unterlassen habe ein Opfer vor Augen, dessen Selbstverteidigungsmöglichkeiten nicht gegeben sind. Damit sei dieses Charakteristikum nicht mehr dem Heimtückemord vorbehalten; Totschlag durch Unterlassen und Heimtückemord durch Unterlassen seien nicht mehr zu unterscheiden. Rauber kommt aber nicht zu dem Ergebnis, dass deshalb immer der Heimtückemord gegeben sei. Stattdessen soll immer ein Totschlag durch Unterlassen vorliegen, weil die Wehrlosigkeit des Opfers nicht auf der Arglosigkeit beruhe. Diese These von der unabhängig von der Arglosigkeit bestehenden konstitutionellen Wehrlosigkeit baut auf der Prämisse auf, dass das Opfer um arglos zu sein, positiv die Rettungshandlung erwarten muss, also die Gefahr, die Garantenstellung und die Garantenpflicht kennen muss343. Unter dieser Prämisse ist die Folgerung zwar konsequent, dass die Wehrlosigkeit nicht auf der Arglosigkeit (im Sinne eines fälschlicherweise gehegten Vertrauens auf die Vornahme der Rettungshandlung) beruht344, sondern durch die von dem Opfer zunächst nicht erkannte Gefahr begründet worden ist. Die zugrundegelegte Prämisse ist aber angreifbar: Wer ein positives Erwarten der Rettungshandlung sowie das deshalb vorauszusetzende Wissen um Gefahr, Garantenstellung und Garantenpflicht für die Annahme der Arglosigkeit fordert, verkennt, dass das Opfer immer schon dann ohne Arg ist, wenn es schlicht nichts von der Gefahr weiß. Damit beruht die Wehrlosigkeit aber in den Fällen auf der Arglosig-

342 Rauber, S. 91 ff., ferner sei die Entsprechensklausel nicht erfüllbar, Rauber, S. 100 ff. 343 Rauber, S. 83 ff., siehe ähnlich argumentierend auch Arzt, FS Roxin, 855 (859 f.) sowie Bachmann/Goeck, NStZ 2010, 510 (511). 344 Rauber, S. 90 f.

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keit, in denen der Täter den Angriff auf das Leben tätigt, bevor sich die Gefahr, in Lebensgefahr zu geraten, tatsächlich zur Lebensgefahr verdichtet, wenn also die Gefahr aufgrund des pflichtwidrigen Untätigbleibens des Täters zum Angriff wird. Denn das Opfer könnte beispielsweise ausweichen oder um Hilfe rufen, wäre es sich der Ausgangsgefahr bewusst. Hilflos ist es nur, weil es nichts von dieser Gefahr weiß. Die Tötung eines Opfers durch Unterlassen ist demzufolge nicht immer die eines konstitutionell wehrlosen Opfers. Es ist weiter zwar richtig, dass auch beim Totschlag durch Unterlassen aufgrund der Entsprechensklausel und der Voraussetzung der Unterlassensstrafbarkeit, dass sich das Opfer selbst nicht helfen kann, die Selbstschutzmöglichkeiten aufgehoben sein müssen. Es macht aber einen Unterschied, ob das Umschlagen der Ausgangsgefahr in die akute Lebensgefahr ein allgemeines Risiko des Lebens darstellt (beziehungsweise dem Verantwortungsbereich Dritter zuzuordnen ist) oder ob schon die Ursprungsgefahr vom Täter abzuwenden ist. Nur wenn der Täter es vorsätzlich unterlässt, schon die anfängliche Gefahr (in eine lebensbedrohliche Situation zu kommen) abzuwenden, tötet er nämlich unter heimtückischen Umständen, also mithin unter Umständen, die die Erfolgsaussichten des Erfolgseintritts durch Unterlassen erhöhen345, ja hier sogar erst ermöglichen. Anderenfalls, wenn er erst nach dem Eintritt der Lebensgefahr handlungspflichtig wird, besteht ein schon wehrloses Opfer und die Heimtücke scheidet aus. Konkret: Droht die Ehefrau aufgrund einer Allergie gegen Wespengift zu ersticken und unterlässt es der nach Eintritt der Erstickungsgefahr hinzukommende Ehemann, einen Arzt zu rufen, ist dies als Totschlag durch Unterlassen zu bewerten. Der Täter hat hier allein die Lebensgefahr nicht pflichtgemäß abgewendet. Sieht er indes bei dem gemeinsamen Picknick, dass ein Wespenschwarm von hinten auf seine Ehefrau zuschwirrt oder dass diese im Begriff ist, an einer Limonade zu trinken, in der eine Wespe schwimmt, wohlwissend, dass sie allergisch gegen Stiche ist, und unterlässt er es, seiner Hinweispflicht nachzukommen, ist das Geschehen als Heimtückemord durch Unterlassen zu werten. Denn hier wäre er schon verpflichtet gewesen, die Gefahr für das Opfer abzuwenden, in die Todesgefahr zu gelangen. Dabei zur Heimtückebegründung auf die der akuten Lebensgefahr vorgelagerte Gefahr abzustellen, ist keine Vorverlagerung entsprechend zu den Hinterhalt-Fällen. Der Mordversuch beginnt nämlich mit dem Zeitpunkt, zu dem der Täter realisiert, dass ein Wespenstich gefährlich nahe bevorsteht und nicht erst mit dem Nichtherbeirufen des Arztes nach dem Stich. Der Anruf kann hier allenfalls ein Rücktritt sein. Das tatbestandsmäßige Verhalten ist also ein anderes als in der ersten Variante des später hinzukommenden Ehemanns.

345 Anderer Auffassung ist Rauber, S. 95. Kritisch auch Kudlich, JA 2009, 901 (903) zu dem entsprechenden Problem beim Mord mit gemeingefährlichen Mitteln.

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Arzt argumentiert zunächst ähnlich wie Rauber, führt aber noch ein weiteres Argument gegen die Möglichkeit an, durch Unterlassen heimtückisch zu töten: Er meint, eine heimtückische Tötung durch Unterlassen könne es nicht geben, weil die Unterlassenstat aufgrund der „Plötzlichkeit der Tatsituation“ nicht mit der aktiven Begehungsweise vergleichbar sei, es fehle das „Planungselement“ bei der Tötung durch Unterlassen346. Auch für die aktive Verwirklichung des Heimtückemerkmals ist aber richtigerweise gerade kein Planungselement erforderlich347. Außerdem ist das Ausnutzen der günstigen Gelegenheit vielleicht nicht als Planung im Sinne einer die Gefahr initiierenden List zu verstehen, es kommt wegen des planvollen Abwartens aber sicherlich der Planung nahe, so dass bei einem Heimtückemord durch Unterlassen die Planung teils sogar eher gegeben sein wird, als bei der aktiven Begehungsweise. Im Ergebnis ist die Heimtücke also sehr wohl durch Unterlassen zu verwirklichen: Die Tötung eines Menschen durch Unterlassen kann, muss aber nicht die Tötung eines nur wehrlosen Menschen sein. Dies hängt wie auch beim aktiven Begehen zum einen von der Erwartungshaltung des Opfers und zum anderen von der Frage ab, ob die Wehrlosigkeit auf einem Nichterwarten eines Angriffs beruht. Hinsichtlich der Arglosigkeit ist danach zu fragen, ob das Opfer mit einem Angriff rechnet. Da als Angriff jedes Verhalten gilt, das sich in erheblicher Weise gegen die körperliche Unversehrtheit oder das Leben richtet, kann dies ein Tun oder ein Unterlassen sein. In beiden Fällen ist die Arglosigkeit nur zu verneinen, wenn das Opfer den Angriff hinreichend konkret erwartet. Im Falle der Begehung durch Unterlassen, wird dies regelmäßig dann der Fall sein, wenn das Opfer mit der Untätigkeit des Täters bezogen auf eine bestimmte Gefahr rechnet und um die Garantenstellung und -pflicht weiß348. Für die Arglosigkeit ist umgekehrt keine konkrete Erwartungshaltung im Hinblick auf eine pflichtgemäße Rettungshandlung notwendig. Es genügt vielmehr, wenn das Opfer schon keiner Gefahr entgegensieht, die der Täter zum Angriff nutzen könnte. Der Entsprechungsklausel wird damit Rechnung getragen, dass der Täter nicht nur den Erfolg durch einen schon beginnenden Kausalverlauf pflichtwidrig eintreten lassen muss, sondern er schon die Umstände abzuwenden verpflichtet ist, die ihn überhaupt erst in die Lage versetzen, die Tötung durch Unterlassen zu begehen. Darin ist der gesteigerte Verhaltensunwert zu erblicken, der die Art und Weise des Tötungsgeschehens als heimtückisch charakterisiert349. 346

Arzt, FS Roxin, S. 855 (860), die Zitate sind dort hervorgehoben. Dies hält MüKo/Schneider § 211 Rn. 213 Arzt zu Recht vor. 348 Macht sich das Opfer über die Begehungsweise keine Vorstellung, aber über die sonstigen Bedingungen wie Zeitpunkt oder Ort und Person des Täters schon, reicht dies unter Umständen, um den Argwohn anzunehmen, auch wenn keine Merkmale der Unterlassensstrafbarkeit von dem Opfer erwartet werden. Die Befürchtung des Opfers muss aber über ein allgemeines Misstrauen hinausgehen. 349 Anders Rauber, S. 101. 347

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4. Die subjektive Seite: Vorsatz und Ausnutzungsbewusstsein des Täters Das Ausnutzungsbewusstsein ist naheliegenderweise oftmals der Anknüpfungspunkt für Restriktionsversuche bei der Auslegung des Heimtückemerkmals, die die subjektive Seite betonen350. Andere kritisieren die Ausnutzungskomponente hingegen deshalb als systemfremd, weil sie ein an sich objektives Tatbestandsmerkmal subjektiviert, wodurch unscharfe Konturen entstünden, die in die Nähe der negativen Typenkorrektur weisen351. Dieser Teil der Basisdefinition wirft tatsächlich Fragen auf. So gilt zu klären, was das Ausnutzungsbewusstsein vom normalen Vorsatz unterscheidet und damit zusammenhängend, welche Relevanz die Opfersituation der Arg- und Wehrlosigkeit im Täterbewusstsein hat. a) Das Verhältnis von Ausnutzungsbewusstsein und Heimtückevorsatz Ungeklärt ist, ob beziehungsweise womit das Ausnutzungsbewusstsein über das Wissen und Wollen der Arg- und Wehrlosigkeit hinausgeht352. Oftmals bleibt es dann aber bei dem Aufwurf dieser Frage, was ein Indiz dafür ist, dass das Ausnutzungsbewusstsein tatsächlich ein Vorsatz in anderem Gewand ist. Ebenfalls als Hinweis auf eine bloß deklaratorische Bedeutung des Ausnutzungsbewusstseins ist es zu werten, dass es mitunter nicht als positive Voraussetzung der Strafbarkeit behandelt wird353. Einer obligatorischen Prüfung des Ausnutzungsbewusstseins bedarf es nämlich dann nicht, wenn dies entweder eine inhaltsgleiche zweite Vorsatzprüfung wäre oder wenn das Ausnutzungsbewusstsein als Ausschlusskriterium im Einzelfall zu bedenken wäre. Dass letzteres nicht gewollt ist, ergibt sich daraus, dass das Ausnutzen Bestandteil der Basisdefinition der Heimtücke ist. Noch stärker für die These der Gleichbedeutung spricht die standardmäßige Umschreibung der Rechtsprechung für das Ausnutzungsbewusstsein, der 350 So beispielsweise Horstkotte, S. 130 ff. für die feindliche Willensrichtung. Zur Kritik hieran siehe ab S. 124. 351 MüKo/Schneider § 211 Rn. 143; Spendel, JR 1983, 269 (273) fordert bei den Mordmerkmalen eine Rückkehr zum Objektivismus. Dass der Vorwurf der Rechtsunsicherheit gehäuft auf das Ausnutzungsbewusstsein bezogen ist, liegt sicherlich nicht nur an der mangelnden Konkretisierung des Begriffs, sondern auch an der unsteten Rechtsprechung hierzu. Eser, JR 1981, 177 (181) äußert diesbezüglich, es gäbe kaum noch eine Erregung, die nicht geeignet sei, beim Täter das Ausnutzungsbewusstsein zu verneinen. 352 Für MüKo/Schneider § 211 Rn. 141 steht die konstitutive Wirkung des Merkmals außer Streit, seine Konturen seien aber „merkwürdig unscharf“. Zu den verschiedenen Ansichten Morris, S. 133 ff. 353 So betont beispielsweise BGH NStZ-RR 2005, 264 (265), das Ausnutzungsbewusstsein bedürfe „bei einem psychisch normal disponierten Täter keiner näheren Darlegung“ und zwar auch nicht bei „Taten aus rascher Eingebung“.

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Täter müsse die objektiven Umstände, die die Heimtücke begründen, kennen und in sein Bewusstsein aufnehmen354. Denn das Kennen der Umstände ist bedeutungsgleich zu dem Wissen um Umstände, wie man es beim Vorsatz ausdrückt. Allein das Ins-Bewusstsein-Dringen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers könnte ein Mehr als das herkömmliche intellektuelle Moment des Vorsatzes beinhalten355. Dafür müsste man die Vergegenwärtigung der Umstände im Bewusstsein des Täters so verstehen, dass ein gesteigerter Bewusstseinsgrad für die Wissenskomponente des Vorsatzes verlangt wird. Anders als beim herkömmlichen Eventualvorsatz wäre ein „sachgedankliches Mitbewusstsein“ dann nicht hinreichend für die subjektive Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals ,Heimtücke‘, sondern dem würde erst eine aktuell-klare „Bedeutungskenntnis“ genügen356. Zwar ist sich der Täter der Arg- und Wehrlosigkeit typischerweise nicht nur mit latentem Bewusstseinsgrad gewahr. Denn selbst bei einer etwaigen emotionalen Aufwühlung, die über das normale Maß hinausgeht, das ein Täter gewöhnlich aufgrund des Ausnahmecharakters der Tat hat, wird der Täter naturgemäß erfolgsgerichtet seine Aufmerksamkeit auf die Opfersituation richten357. Es ist aber nicht undenkbar, dass ein nur latenter Bewusstseinsgrad vorliegt. Insbesondere bei Spontantaten erscheint dies möglich. Allerdings ist dann die Abgrenzung dazu, dass die auch beim Vorsatz erforderliche soziale Bedeutungskenntnis völlig fehlt, vorzunehmen. Eine große praktische Relevanz hätte dieses Verständnis des Ausnutzungsbewusstseins daher wohl nicht. Denn es werden kaum Fälle auftreten, bei denen die Bejahung der Heimtücke an dem Bewusstseinsgrad scheitert, ohne dass schon der Vorsatz fehlt. Wenn das Ausnutzungsbewusstsein dergestalt zu verstehen ist, dass ein sachgedankliches Mitbewusstsein nicht ausreicht, wäre jedenfalls auch nur eine erhöhte Anforderung an die Wissens-Komponente des Vorsatzes aufgestellt und es bestünde kein eigenständiges Element 354 BGHSt 6, 120 (121). Des Öfteren äußert der BGH, der Täter müsse die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers nicht nur in „äußerlicher Weise wahrgenommen“ haben, sondern zudem den Sachverhalt in seiner Bedeutung für die Lage des Opfers „erfasst“ haben, also die „für die Heimtücke maßgebenden Gesichtspunkte in sein Bewusstsein aufgenommen“ haben, BGH StV 1981, 523 (524) mit weiteren Nachweisen; BGH NStZ 1981, 140 (140); BGH NStZ 1985, 216 (216) mit weiteren Nachweisen; BGH NStZ 1987, 554 (555); BGH NStZ 2008, 510 (511). Die mangelnde Differenzierung von Vorsatz und Ausnutzungsbewusstsein ist auch gut in BGH NStZ 2007, 268 (269) zu sehen. 355 Schaffstein, FS Mayer, 419 (422 ff.) sieht die Umschreibung des Sich-bewusstSeins dahingegen als Synonym zum Vorsatz an. 356 Zum sachgedanklichen Mitbewusstsein BayObLG NJW 1977, 1974 (1974); in Richtung einer erhöhten Anforderung an die Wissenskomponente ist wohl auch der erste Teil der Erläuterung, „dass die Lage des Opfers dem Vorstellungsbild des Täters vom Tatablauf erreicht und motivational beeinflusst haben muss“ zu verstehen, MüKo/ Schneider § 211 Rn. 140. Zur „Bedeutungskenntnis“ oder synonym dazu zum „Sinnverständnis“, die nicht identisch zum Ausnutzungsbewusstsein sein sollen, BGHSt 30, 105 (117) und unten S. 140. 357 Dannhorn, NStZ 2007, 297 (299); BGH NStZ 2008, 510 (512) spricht von einem „Normalfall“ affektiver Erregung bei vorsätzlichen Tötungsdelikten.

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neben dem Vorsatz358. Neu daran wäre, dass nicht in den bekannten Formen des dolus directus erhöhte Anforderungen an die innere Tatseite gestellt werden würden, sondern die Schwelle zur niedrigsten Vorsatzform in Abgrenzung zur Fahrlässigkeit angehoben werden würde. Es liegt auf der Hand, dass die deliktsspezifische Modifikation einer Voraussetzung aus dem Allgemeinen Teil des StGB äußerst angreifbar ist. Das Ausnutzungsbewusstsein soll noch unter einen weiteren Gesichtspunkt eine eigenständige Funktion erfüllen: Mit dem Ausnutzungsbewusstsein werde dem Umstand Rechnung getragen, dass „spezifische Schuldelemente“ 359 oder „schuldrelevante Affektmomente“ 360 den Totschlag vom Mord scheiden. Diesen Zusammenhang lohnt es, näher zu betrachten, auch wenn die Rechtsprechung des Öfteren betont, dass eine affektive Erregung das Ausnutzungsbewusstsein gerade nicht zwingend ausschließe361. Eine Untersuchung über die Beziehung zwischen Affekt, Mord und Totschlag und der Ausgestaltung der Täter-Opferbeziehung hat Bernsmann Ende der 1980er Jahre vorgelegt. Darin konstatiert er zunächst, dass in dem Beziehungsmuster „abstoßendes Tatopfer/armer, d.h. bemitleidenswerter Täter“, in dem das Opfer die Tat durch sein Vortatverhalten „mitverschuldet“ hat, die Rechtsprechung häufig anhand der subjektiven Komponente zu einer tätergünstigen Beurteilung komme. Dahingegen sei bei vergleichbarer subjektiver Tätersituation in Fällen, bei denen keine derart unsympathische „Opfer-Spezies“ vorliegt, die Tatbewertung für den Täter ungünstiger362. Diese Praxis der Urteilsfindung, bei der „in Wahrheit die Täter-Opfer-Verstrickung das praktische Endergebnis weitaus mehr zu steuern scheint als die Täterpsyche“ sei methodisch nicht offengelegt, sondern stehe unausgesprochen wohl im „Dienste der Erzielung eines dem allgemeinen Rechtsempfinden entsprechenden Strafbarkeitsergebnisses“ 363. In einem zweiten Schritt zeigt Bernsmann indes auf, dass diese unterschiedliche Behandlung des Täters trotz gleicher psychischer Lage nicht so unbillig sei,

358 Für einige Autoren kreiert der BGH beim Heimtückemord eine „Vorsatzform sui generis“, Kaspar, JA 2007, 699 (702); Küper, JuS 2000, 740 (741) spricht von einem „speziellen Heimtückevorsatz“; Rotsch, JuS 2005, 12 (13) von einem „spezifischen Heimtückevorsatz“. Allerdings wird das jeweils Spezifische leider nicht näher präzisiert. 359 Dencker, NStZ 1983, 398 (400). 360 Eser, JR 1981, 177 (181), allerdings solle man sich hiervon „nicht zu viel erhoffen“; Köhler, JuS 1984, 762 (764 f.); kritisch Rengier, MDR 1980,1 (2), an die affektartige Erregung anzuknüpfen, laufe letztlich auf eine Verwerflichkeitsprüfung hinaus. 361 BGHSt 11, 139 (144); BGH bei Holtz MDR 1978, 803 (805); BGH NStZ-RR 2000, 166 (167); BGH NStZ 2002, 540 (541); BGH NStZ 2006, 167 (169); BGH NStZ 2006, 503 (504); BGH NStZ 2008, 510 (511). 362 Bernsmann, NStZ 1989, 160 (163 f.). 363 Bernsmann, NStZ 1989, 160 (164 f.).

I. Die Grundformulierung

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wie es zunächst erscheint364. Hinsichtlich der sachlichen Berechtigung für diese unterschiedliche Behandlung sind die Ausführungen zu den Verantwortlichkeitssphären von Opfer und Täter herauszugreifen: Die vom Opfer mitzutragende Tat läge „in unmittelbarer Nähe zu Fällen der notwehrähnlichen Lage, des Notwehrexzesses, des (rechtfertigenden oder entschuldigenden) Dauer-Notstandes (§§ 34, 35), des § 213 und anderer spezieller Privilegierungen des provozierten Täters“ 365. Bei rechtswidrigem Vortatverhalten des Opfers und daraus resultierenden Affekttaten des Täters, die sich außerhalb der genannten Normen bewegen, sieht er auf Schuldebene im Rahmen der „tiefgreifenden Bewusstseinsstörung“ eine Möglichkeit dafür gegeben, den Täter zu entlasten und damit dem Vorverhalten des Opfers Rechnung zu tragen366. Für die Konkretisierung des Ausnutzungsbewusstseins helfen diese Erkenntnisse bezüglich der Rechtfertigung- oder Entschuldigungsnähe indes nicht weiter. Vielmehr ist das Ausnutzungsbewusstsein als Mittel unausgesprochener Wertungskorrektur überführt367. Als letztes ist kurz zu erörtern, ob das Ausnutzungsbewusstsein fallgruppenspezifisch eine eigene, neben dem Vorsatz bestehende Funktion erfüllt. Im Hinblick auf die Hinterhalt-Fälle ist dabei zu überdenken, ob dort mit dem Ausnutzungsbewusstsein die Heimtücke doch begründet werden kann, weil der Täter planmäßig die im Vorfeld hergestellte Situation ausnutzt, dass dem Opfer Schutzmöglichkeiten entzogen sind. Dann müsste das planmäßige Ausnutzen allerdings darüber hinweghelfen können, dass die Arglosigkeit im Versuchszeitpunkt nicht vorliegt. Warum das der Fall sein soll, ist aber nicht ersichtlich. Selbst wenn man mit dem Ausnutzungsbewusstsein die Fallen-Konstellation zu einem typischen Heimtückemord erklären würde, würde das Ausnutzungsbewusstsein aber keine Aufgabe erfüllen, die man nicht auch ohne es bewältigen könnte. Denn es bedarf keines weiteren Merkmals, um wegen des Planungsplus’ das Fehlen der Arglosigkeit im Versuchszeitpunkt für unschädlich zu erklären. Das wäre schon wie dargestellt mit der Festlegung des Zeitpunkts möglich, zu dem die Arglosigkeit vorzuliegen hat. Da das ,Ausnutzen‘ Bestandteil der allgemeinen Heimtückedefinition ist, wäre es außerdem merkwürdig, wenn es nur für eine einzelne Fallgruppe relevant wäre. Es bleibt demzufolge dabei, dass die Tötungen eines in einen Hinterhalt gelockten Opfers keine heimtückische ist. Noch am sinnhaftesten für die Abgrenzung von Vorsatz und Ausnutzungsbewusstsein wäre also die Annahme, dass das Ausnutzungsbewusstsein zu einer gesteigerten Vorsatzform führt. Die Verschärfung läge darin, dass ein sachgedank364

Bernsmann, NStZ 1989, 160 (165 f.). Bernsmann, NStZ 1989, 160 (165). 366 Bernsmann, NStZ 1989, 160 (166). 367 Siehe hierzu auch Rengier, FS Küper, 473 (478 ff.); MüKo/Schneider § 211 Rn. 143 bemängelt, dass dem Ausnutzungsbewusstsein die Funktion einer apokryphen Verwerflichkeitskontrolle zukäme. 365

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

liches Mitbewusstsein ausnahmsweise nicht genügt. Eine solche Vorsatzform ist jedoch unverträglich mit den Grundsätzen der Vorsatzlehre des Allgemeinen Teils. Insgesamt ist also nicht ersichtlich, weshalb es des Ausnutzungsbewusstseins bedarf. Nicht nur, dass bislang keine eigene Funktion für dieses Element der Heimtückedefinition ersichtlich ist, lädt es zu versteckten Wertungskorrekturen ein368. Infolgedessen erscheint diese Komponente der Heimtückedefinition verzichtbar. b) Die Relevanz der Heimtückelage für das Ob der Tötung aus Sicht des Täters Uneins ist man sich weiter über das Ausmaß der Relevanz der Opfersituation für die Planung des Täters. Die einen fordern, dass der Täter sein Tötungsvorhaben von der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers abhängig machen muss369. Damit käme dem Ausnutzungsbewusstsein dann doch eine eigene Funktion zuteil, nämlich die Arg- und Wehrlosigkeit zu einer Vorsatzbedingung für die Tötung zu machen. Diese Fragen nach der subjektiven Relevanz der Heimtückelage für die Tatumsetzung und nach dem Bedeutungsgehalt des Ausnutzungsbewusstseins greifen also letztlich ineinander. Für die anderen ist zwar die Kenntnis von der Arg- und Wehrlosigkeit erforderlich, handlungsleitend muss diese aber nicht sein370. Danach hilft es dem Täter nicht, wenn er auch ohne die taterleichternden Umstände das Opfer getötet hätte. Dass der Täter die objektiven Umstände der Heimtücke sogar gefördert oder hervorgerufen haben muss, wird hingegen nicht verlangt371. 368 Der Begriff „Vermeidestrategie“ von Eser, 53. DJT, D 53 ff., ist dabei zum geflügelten Wort der Kritik geworden; Rengier, NStZ 1986, 505 (505) spricht gar von „Super-Vermeidestrategie“; Staiger, Jescheck/Triffterer, 181 (186); Dannhorn, NStZ 2007, 297 (297); siehe aber auch Rengier, FS Küper, 473 (478 ff.), der vom „rettenden Anker“ spricht und dem Vorwurf der Vermeidestrategie entgegenstellt, dass von einer seltenen Beanstandung der Verneinung des Ausnutzungsbewusstseins seitens des BGH nicht mehr die Rede sein könne, da bei 30 von 140 seit 2000 ergangenen Entscheidungen zur Heimtücke beim BGH auf das Ausnutzungsbewusstsein näher eingegangen wurde und in 13 Fällen die Verneinung des Ausnutzungsbewusstseins beanstandet wurde; siehe zu dieser Einschätzung auch Bachmann/Goeck, NJ 2011, 397 (400 ff.). 369 So Seebode, StV 2004, 596 (598); Köhne, JURA 2009, 748 (751, 753); siehe auch Eser, NStZ 1981, 383 (387 f.), gestützt auf die aus der Reihe fallende Entscheidung des BGH StV 1981, 400 f.; zwar hält er in S/S/Eser § 211 Rn. 25 a. E. daran fest, dass die objektiven Umstände der Heimtücke für den Tatentschluss kausal geworden sein müssen, es genüge aber nunmehr, dass der Tatentschluss davon „mitgeprägt“ werde, ein Auslösen des Tatentschlusses sei nicht erforderlich. 370 So beispielsweise BGHSt 22, 77 (80) oder BGH StV 2004, 596 (596). 371 Küper, JuS 2000, 740 (741). Auch das von RGSt 77, 41 (44) geforderte Bestärken der Arglosigkeit vor der Tat, hat sich nicht durchgesetzt. Für die Rechtsprechung genügt es ebenfalls, dass der Täter ein argloses und deshalb wehrloses Opfer vorfindet und dies erkennt, BGHSt 8, 216 (219); BGHSt 18, 87 (88); BGHSt 27, 322 (324); BGHSt 32, 382 (384); BGH NStZ 1985, 216 (216); BGH NStZ 2006, 338 (339); BGH NStZ 2008, 93 (94).

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Dafür, dass eine Ursächlichkeit des situativen Vorteils für den Tatentschluss zu fordern sei, wird geltend gemacht, man könne, wenn der Täter „ohne jede Risikokalkulierung“ auf der Stelle zur Tat schreitet und die Schwäche das anderen nicht „als Handlungsantrieb entscheidend in Rechnung“ stellt, dabei nicht mehr von Ausnutzen sprechen372. Diese Sicht, die stark an das alte Merkmal der Überlegung erinnert373, hat aber den engen Ausschnitt von Spontantötungen im Bereich des § 213 StGB vor Augen374. Aus einer Sonderkonstellation ist jedoch nicht der Maßstab für den Regelfall zu entnehmen, zumal die unbefriedigenden Ergebnisse beim Zusammentreffen der Voraussetzungen der §§ 211, 213 StGB aus grundsätzlichen systematischen Vorbegebenheiten resultieren und nicht durch das Ausnutzungsbewusstsein aufzulösen sind375. Zudem wird vorgebracht, dass unabhängig davon, ob der gegebene situative Vorteil eine Bedingung für den Tatplan darstellt, die Gefährlichkeit für das Opfer die gleiche sei; gerade die Gefährlichkeit qualifiziere aber den Mord376. Will man gleichwohl die Arg- und Wehrlosigkeit zur Motivationsbedingung des Täters erklären, hätte dies folgende Konsequenz: Die Heimtücke läge dann nur vor, wenn der Täter ohne den Vorteil der Überraschung nicht gehandelt hätte; umgekehrt gewendet würden alle Fälle aus dem Anwendungsbereich der Heimtücke ausscheiden, in denen dem Täter zwar die Arglosigkeit und die daraus resultierende Wehrlosigkeit bewusst sind, er das Opfer aber auch ohne diese für ihn günstigen Umstände getötet hätte377. Damit wären Fälle, bei denen die Tötung des Opfers nur als Nebenfolge eines anderen Hauptziels in Kauf genommen wird, nicht mehr als Heimtückemord einzustufen378. Ein demgegenüber „zielgerichtetes Ausnutzen“ würde die heimtückische Tötung auf die Absichtsfälle des dolus directus ersten Grades beschränken379. 372

Bernsmann, JZ 1983, 45 (51). Noch stärker ist diese Parallele bei Köhler, JuS 1984, 762 (765) zu sehen, für den das „Vorverständnis von ,Tücke‘“ und eine schuldgeleitete Auslegung zu der Umschreibung „unrechtsbewußt-überlegt“ führen müsste. Zum Überlegungsmerkmal siehe ab S. 120. 374 Das merkt Bernsmann, JZ 1983, 45 (51) selbst an. 375 Siehe hierzu S. 156 ff. 376 Bornemann, S. 92 f. 377 So vertreten von NK StGB II/Neumann § 211 Rn. 72 und ders., StV 2009, 526 (526 f.) zu einem Fall, in dem die Täterin für die Anwesenheit des arglosen, schutzbereiten Dritten sorgte; Eser, NStZ 1981, 383 (387 f.), anders S/S/Eser § 211 Rn. 25 a. E. In BGH NStZ 1985, 216 (216) war aufgrund der überlegenen körperlichen Statur des Täters dessen Einlassung glaubwürdig, er habe nicht wissen können, ob das Opfer ihm den Rücken zudreht, als er sich zur Tötung im Nachbarzimmer entschloss. 378 Und das, obwohl der kaltblütige Täter, der den Tod eines Menschen als bloßen Nebeneffekt zur Erreichung seiner Ziele in Kauf nimmt, dem Vorstellungsbild eines Mörders sicherlich entspricht. Andere Mordmerkmale sind selbstverständlich nicht ausgeschlossen. 379 So die Kritik von Miehe, JuS 1996, 1000 (1003). Neumann, StV 2009, 526 (526) fordert, dass der Täter die Umstände „gezielt manipuliert“ oder sie sich „planmäßig zunutze macht“; Bei Gössel/Dölling, § 4 Rn. 114, 28 ist auf zielgerichtetes Handeln im 373

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Danach wäre das Ausnutzungsbewusstsein wiederum eine Vorsatzform mit gesteigerten Voraussetzungen, nur dass sich die erhöhte Anforderung nicht wie oben auf das Wissenselement, sondern auf das voluntative Element bezieht. Diese strenge Anforderung an die innere Tatseite der Heimtücke wird auch auf den Tückeansatz gestützt380: Ein tückisches Verhalten setze voraus, dass der Täter sich die objektiven Umstände der Heimtücke „planmäßig zunutze macht“ 381. Namentlich schlägt Schwalm eine auf das Tückeelement aufbauende Definition des Ausnutzens vor, das Ausnutzen bedeutet nämlich für ihn, die Arg- und Wehrlosigkeit „ohne achtenswerten Beweggrund benutzen“ 382. Zutreffend wird hieran kritisiert, dass die Unterscheidung zum niedrigen Beweggrund inhaltlich nur eine marginale ist, die dazu führen würde, dass bei der Heimtücke nicht mehr die Begehungsweise, sondern das Motiv die erhöhte Strafe nach sich zieht383. Die Notwendigkeit einer Abhängigkeit des Vorsatzes von der Heimtückelage mit der Tücke zu begründen, ist ein intuitiv-sprachlicher Annäherungsversuch an den allgemeinen Bedeutungsgehalt der Heimtücke. Eine dogmatisch überzeugende Handhabe gerade für problematische Fälle bietet der Tückebegriff indes nicht. Nach der Rechtsprechung genügt es für das Ausnutzungsbewusstsein nach alledem zu Recht, dass der Täter die die Arg- und die Wehrlosigkeit begründenden Umstände sowie deren Bedeutung für die Tat kennt, ohne dass er sie zur Bedingung der Tatumsetzung gemacht haben muss384. Das Erfassen der Bedeutung Sinne von „darauf ankommen“ abgestellt, jedoch ausdrücklich ohne dass die Kenntnis der objektiven Heimtücke-Umstände zum Motiv werden müsse oder gar ursächlich für den Tatentschluss sein müsse. 380 Dagegen BGHSt 11, 139 (144), eine besondere Tücke sei nicht vorausgesetzt. 381 NK StGB II/Neumann § 211 Rn. 72. Ähnlich Wessels/Hettinger, StR BT I, § 2 Rn. 114 Arg- und Wehrlosigkeit müssen „im Wege des listigen, hinterhältigen oder planmäßig-berechnenden Vorgehens bewusst“ ausgenutzt werden; ohne allerdings explizit zu erklären, dass der Täter sein Tötungsvorhaben von dem Vorliegen der objektiven Heimtücke-Umstände abhängig machen muss. 382 Schwalm, MDR 1957, 260 (261). Die Nähe zur Typenkorrektur ist nicht zu übersehen. De lege ferenda plädiert er für die Streichung des Heimtückemerkmals und die allgemeine Prüfung des Vorhandenseins eines achtenswerten Beweggrundes bei den übrigen Mordmerkmalen. 383 Schaffstein, FS Mayer, 419 (427). 384 BGHSt 2, 251 (254); BGHSt 6, 120 (121); BGHSt 22, 77 (80); 39, 353 (369); BGH NStZ 1984, 506 (507); BGH NStZ 1985, 216 (216); BGH NStZ 1987, 173 (173); BGH NStZ-RR 2004, 139 (140); BGH NStZ 2005, 688 (290). Aus dieser Reihe fällt BGH StV 1981, 400 (400) heraus. Wenn wie in BGH StV 1990, 544 (544) das Ausnutzungsbewusstsein bezweifelt wird, weil der Täter das Opfer auch ohne die Arglosigkeit umgebracht hätte – konkret war der Täter, bevor er das schlafende Opfer getötet hat, lautstark in das Haus eingedrungen – so ist das eher als Ausdruck der kritisierten versteckten Vermeidestrategieen denn als Votum für eine generelle Voraussetzung der Ursächlichkeit der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu werten. Siehe aber auch den vergleichbaren Fall BGH NStZ 2008, 510 (511), bei dem das Licht angemacht wurde, bevor die noch im Bett liegende Ehefrau erdrosselt wurde. Das Lichteinschalten sollte dort der Annahme des Ausnutzungsbewusstseins nicht entgegenstehen, obwohl

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dieser Umstände für die Tat könne „mit einem Blick“ geschehen385. Dies erscheint zustimmungswürdiger, als indirekt eine Absicht zu etablieren, und spricht wiederum dafür, dass das Ausnutzungsbewusstsein in dem Vorsatz aufgeht. Abschließend soll für die Frage, ob das Ausnutzen einen eigenen Bedeutungsgehalt aufweist, noch ein Blick auf einige Tatbestände geworfen werden, bei denen der Begriff ausdrücklich im Gesetz genannt ist. Interessanterweise verweist die Rechtsprechung beispielsweise bei § 316a Abs. 1 StGB auf die entsprechenden Anforderungen beim Heimtückemerkmal und es ist in diesem Zusammenhang ebenfalls die Klarstellung zu lesen, dass ,Ausnutzen‘ in subjektiver Hinsicht nicht bedeute, dass der Täter die Taterleichterung zur ursächlichen Bedingung seines Vorhabens macht386. Ebenso wird bei den Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung die taterleichternde Wirkung der jeweiligen Umstände als ausreichend für das Ausnutzen angesehen387. Auch bei § 243 Abs. 1 Nr. 6 StGB reicht die Erleichterung388. Anders wird das Ausnutzen allerdings bei § 239a Abs. 1 StGB verwendet. Dort ist dieses Merkmal Ansatzpunkt des sogenannten „funktionalen Zusammenhangs“ und zwar bei der Entführungsvariante innerhalb der Absicht389 und bei der Ausnutzungsvariante im Rahmen der Tathandlung390. Dass bei § 239a Abs. 1 StGB dem Ausnutzen beziehungsweise der Absicht dazu mit dem funktionalen Zusammenhang eine eigenständige Bedeutung zugewiesen wird in dem Sinn, dass die Zielgerichtetheit im Täterplan eine beherrschende Stellung haben muss391, ist auf die Heimtücke aber nicht übertrag-

dies wie die Lärmverursachung nahelegt, dass es dem Täter nicht darauf ankam, dass das Opfer bis zur Tötungshandlung arglos bleibt. 385 BGHSt 6, 120 (121); bereits BGHSt, 2, 60 (61) entschied, dass die aus einer „raschen Eingebung“ entsprungene Tat der Bedeutungskenntnis nicht entgegensteht, ebenso BGH NStZ 1981, 140 (140). 386 BGHSt 50, 169 (172); ebenso Günther, JZ 1987, 369 (381). Insgesamt fällt auf, dass bei der Erläuterung des Begriffs ,Ausnutzen‘ häufig nur gesagt wird, was er nicht bedeutet, so soll beispielsweise bei § 264 Abs. 2 Nr. 3 StGB „die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt“ nicht bedeuten, dass eine besondere Beeinflussung des Amtsträgers stattgefunden haben muss, S/S/Perron § 264 Rn. 78; auch in anderen Kommentaren findet sich gerade zu § 264 Abs. 2 Nr. 3 StGB keine Definition für das Ausnutzen, beispielsweise schweigt SK/Hoyer § 264 Rn. 92 f. hierzu völlig, bei Fischer § 264 Rn. 48 gibt es einen vagen Eingrenzungsversuch („wird stets gegeben sein“). 387 MüKo/Renzikowski § 174a Rn. 28; SK/Wolters § 177 Rn. 13c; MüKo/Renzikowski § 182 Rn. 37, 53. 388 NK StGB II/Kindhäuser § 243 Rn. 39; allerdings fordert MüKo/Schmitz § 243 Rn. 54 das zielgerichtete Nutzen oder eine erhebliche Erleichterung. 389 MüKo/Renzikowski § 239a Rn. 48. 390 MüKo/Renzikowski § 239a Rn. 66; anderer Ansicht ist Fischer § 239a Rn. 10, für den der Begriff des Ausnutzens keine Handlung bezeichnet, sondern nur das Verhältnis der Handlung zu ihren Bedingungen, das Ausnutzungsbewusstsein sei auch hier eine rein subjektive Voraussetzung; die angestrebte Taterleichterung soll wieder genügen. 391 Fischer § 239a Rn. 7.

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bar: Bei § 239a Abs. 1 Alt. 1 StGB ist anders als bei § 211 StGB die Absicht sprachlich im Gesetz festgeschrieben, sie ergibt sich dabei nicht aus dem Begriff Ausnutzen, sondern aus dem „um“. Eine Parallele zum Heimtückemord könnte also allenfalls zu der 2. Alt. gezogen werden. Auch das ist aber nicht zu bewerkstelligen, denn der Heimtückemord ist kein zweiaktiges Delikt, bei dem mit der handlungsleitenden Bedeutung des Ausnutzens die beiden Teilakte verbunden werden. Vor allem ist bei der Ausnutzungsalternative des § 239a StGB der Ausnutzungsentschluss gerade nicht ursächlich für den ersten Teilakt, weshalb die tatauslösende Wirkung insgesamt daraus nicht abzuleiten ist. Dies auf die Heimtücke zu übertragen, hieße, dass der Täter die auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit des Opfers ohne Tötungsvorsatz herbeigeführt haben müsste und dies dann nachträglich zur Tötung nutzt. Abgesehen davon, dass die Tötung allein in den Händen des Täters liegt, während die Erpressung im Erfolg nicht vom Täter abhängig ist, zeigt sich daran die Widersinnigkeit einer Übertragung der Funktion des Ausnutzens bei § 239a Abs. 1 Alt. 2 StGB auf die Heimtücke. Denn die vorsatzlos herbeigeführte Wehrlosigkeit soll ja gerade nicht als Heimtückemord einzustufen sein. Im Übrigen sind die Ausführungen in den Kommentierungen der Normen des StGB, bei denen das Ausnutzen ausdrückliche Voraussetzung ist, hierzu gleichermaßen knapp und vage wie im Rahmen der Heimtücke. Auch die hier wie da zu findende Umschreibung, der Täter müsse den jeweiligen Umstand zur Tatbegehung „instrumentalisiert“ haben392, ist nicht ergiebig. Schlussendlich muss der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers nicht zur Bedingung der Tötung machen. Somit wohnt dem Ausnutzungsbewusstsein auch unter diesem Gesichtspunkt kein eigener über den Vorsatz hinausgehender Aussagegehalt inne. Daher ist das Ausnutzungsbewusstsein verzichtbar und die Heimtücke-Definition sollte dahingehend modifiziert werden, dass eine heimtückische Tötung die vorsätzliche Tötung eines arg- und deshalb wehrlosen Opfers ist.

5. Zusammenfassende Bewertung der Grunddefinition Auch wenn hier zahlreiche Probleme geschildert wurden, ist die Basisdefinition für das Heimtückemerkmal so schlecht nicht. Es werden überwiegend sachgerechte Lösungen erzielt, so dass die Fälle, die dem Gefühl nach als heimtückisch zu bewerten sind, auch als solche erfasst werden393. Erklärtes Ziel dieser Arbeit ist es, eine einzige Heimtückedefinition sowohl für die typischen als auch

392 BGH NStZ 2006, 167 (169), BGH NStZ 2006, 503 (504); MüKo/Sander § 316a StGB Rn. 38. Diese nüchterne Formulierung wird jedenfalls nicht die stärkste Form der Ausprägung des voluntativen Elements meinen und stellt so ein weiteres, zugegeben nicht starkes, Indiz gegen die Annahme eines dolus directus ersten Grades dar. 393 Zu dieser Einschätzung auch LK/Jähnke § 211 Rn. 48.

I. Die Grundformulierung

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für die problematischen Fallgruppen anzubieten. Hierfür erscheint es erfolgversprechend, einen wertenden Arglosigkeitsbegriff heranzuziehen, wie es der BGH im Erpresser-Fall angestoßen hat. Allerdings hat sich dort wie auch an zahlreichen anderen Stellen herausgestellt, dass die damit zusammenhängende Annahme einer Obliegenheit des Opfers, mit einem Angriff rechnen zu müssen, noch zu rechtfertigen ist. Auch die Voraussetzung sowie der Umfang einer solchen etwaigen Obliegenheit sind zu präzisieren. Um den eigenen Definitionsvorschlag später bewerten zu können, war es wichtig, die problematischen Fallgruppen aufzuzeigen. Dabei konnte registriert werden, dass die hauptsächlichen Streitpunkte die Arglosigkeit betreffen, also den Teil der Heimtücke, der in die Opfersphäre reicht. Auf diese Friktionen aus der Bewertung der Opfersphäre wird bislang nicht richtig reagiert. Es ist zu vermuten, dass auch bei der nun folgenden Analyse der Einschränkungsvorschläge für die Heimtücke der Anlass hierzu jeweils aus dem Kontext der Opfereigenschaften oder des Opferverhaltens stammt und dass die inhaltliche Neuerung in dem jeweiligen Modifikationsbestreben ebenfalls opfer- oder beziehungsbezogen ist. Der normative Ansatz, danach zu fragen, ob das Opfer tatsächlich und rechtlich unter Wertungsgesichtspunkten arglos ist, ist im Übrigen die Fortführung eines wertenden Arglosigkeitsbegriffs, der schon länger (wenn auch umstritten) besteht. Die wertende Entscheidung, den aus konstitutionellen Gründen Arglosen als taugliches Heimtückeopfer zu betrachten, ist nämlich nichts anders als die wertende Beantwortung der gleichen Frage, ob jemand, der sich tatsächlich keines Angriffs versieht, auch arglos im Rechtssinne ist. Dass dieser wertende Arglosigkeitsbegriff im Ergebnis richtigerweise einmal zu Gunsten des Täters (im Erpresser-Fall) und einmal zu seinen Lasten (bei konstitutioneller Arglosigkeit) geht, belegt dabei, dass keine einseitige Bevor- oder Benachteiligung des Täters beziehungsweise des Opfers zu befürchten ist. Hinsichtlich der Wehrlosigkeit konnte festgestellt werden, dass diese notwendige aber nicht hinreichende Voraussetzung der Heimtücke ist. Dass dabei nicht nur ein kumulatives Vorliegen genügt, sondern zudem ein Zusammenhang zwischen der Arglosigkeit und der Wehrlosigkeit erforderlich ist, lässt sich vermutlich damit begründen, dass der Strafgrund der Heimtücke ein zweifacher ist, nämlich die Verwerflichkeit und die Gefährlichkeit394. Was das Ausnutzungsbewusstsein anbelangt, so konnte kein eigener, über den Vorsatz hinausgehender Inhalt, nachgewiesen werden. Auf diese Komponente der Heimtückedefinition ist demnach zu verzichten. Lücken entstehen dadurch nicht, was ein weiteres Indiz für die Entbehrlichkeit dieses Elements ist.

394

Siehe hierzu ab S. 197.

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II. Einschränkungsvorschläge Nachdem bislang die Basisdefinition untersucht wurde, ist nun das Augenmerk auf die entwickelten Modifikationen zu richten. Teils wird mit diesen eine fallgruppenbezogene Reduktion des Heimtückebegriffs angestrebt, teils wird eine allgemeine Korrektur der Auslegung des Heimtückebegriffs vorgeschlagen. Da die verschiedenen Ansätze argumentativ häufig ineinandergreifen, sind Überschneidungen in der Darstellung nicht immer vermeidbar.

1. Die Überlegung Die ,Überlegung‘ als altes Abgrenzungskriterium von Totschlag und Mord wird unter der geltenden Gesetzeslage nicht ausschließlich, aber vornehmlich zur Präzisierung der Heimtücke diskutiert. In der deutschen Gesetzgebungsgeschichte taucht das Überlegungsmerkmal im Zusammenhang mit den Tötungsdelikten erstmals in der bayerischen Partikulargesetzgebung von 1813 in den Art. 146 und 151 auf. Wesentlich geprägt wurde das bayerische StGB von Feuerbach, der wiederum vom französischen code pénal von 1791 beeinflusst wurde. Auch die §§ 175, 176 des preußischen StGB von 1851 bedienten sich der Überlegung als Abgrenzungsmerkmal. Die Bedeutung des Überlegungsmerkmals wandelte sich allerdings. Besorgte man damit anfänglich die Abgrenzung zum privilegierten Fall der Tötung, diente es später der Abgrenzung zum qualifizierten Fall395. Auch im § 211 des Reichsstrafgesetzbuchs von 1871 war dies weiterhin alleiniges Kriterium zur Differenzierung von Totschlag und Mord bis 1941, als es dann von der heute noch geltenden tatbestandlichen Fassung des § 211 StGB abgelöst wurde396. In anderen Rechtsordnungen ist die Überlegung mitunter aktuell noch ausdrücklich genanntes Qualifizierungsmerkmal397. In Deutschland wurde im E 1962398 bei den absoluten Mordmerkmalen des § 135 Abs. 1 E 1962 auf die Heimtücke verzichtet und das alte Überlegungsmerkmal in § 135 Abs. 2 S. 1

395

Zu diesem Funktionswechsel Eser, 53. DJT, D 118 f. Siehe zur historischen Diskussion Goltdammers Kommentierung in Materialien II, S. 369 ff.; Reizel, S. 5 ff. stellt die Genese des Prämeditationsmerkmals ebenfalls gut dar, dort sind auch alle Gesetztestexte abgedruckt; siehe zudem Eser, 53. DJT, D 27 ff. 397 Beispielsweise grenzt der Vorbedacht in Art. 221-3 des französischen Strafgesetzbuches den Mord vom einfachen Totschlag ab. Der Vorbedacht wird oftmals synonym zur Überlegung gebraucht, siehe zum Beispiel Hälschner, S. 96. Allerdings gebrauchte Art. 146 des bayStGB von 1813 die Begriffe mit einem „oder“ dazwischen, zu dieser Frage Reizel, S. 17 oder Simson/Geerds, S. 14. In Ungarn ist die Planung im Voraus, die aber auch nur ein kurzes Moment ausmachen kann, qualifizierend, § 166 Abs. 2a) uStGB. Siehe auch die rechtsvergleichende Betrachtung bei von Liszt, Vergleichende Darstellung V, S. 1 (S. 37 ff.). 398 BT-Drs. IV/650. 396

II. Einschränkungsvorschläge

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E 1962 wieder aufgenommen, allerdings relativiert durch einen Verweis auf den vorrangigen § 134 Abs. 3 S. 2 E 1962 mit einer schuldmildernden Motivationsklausel. Wenn man auch für das Heimtückemerkmal keine Planung voraussetzt, verbindet man herkömmlich mit der heimtückisch erfolgten Tat doch ein Element der Kaltblütigkeit und Rationalität, des Reflektierens und Vorüberlegens und keinen impulsiven Täter, dem die Tat im Eifer des Gefechts „durchgeht“ 399. Nach Geilens Einschätzung ist diese Zweiteilung der Bewertung von Tötungsdelikten trotz aller Einwände immer noch tief verwurzelt in der praktischen Urteilsfindung400. Man könnte meinen, die alte Differenzierung schwinge immer noch im Merkmal des Ausnutzungsbewusstseins mit401. Denn immerhin sind die Überlegung und das Ausnutzungsbewusstsein subjektive Voraussetzungen und beide sollen jeweils neben dem Vorsatz bestehen. Ob dem so ist, hängt auch davon ab, mit welcher Intensität und zu welchem Zeitpunkt die Überlegung beziehungsweise das Ausnutzungsbewusstsein vorliegen sollen. Bei der Überlegung waren dies Streitpunkte402, die nie beigelegt werden konnten. Auch die Verfechter ihrer Wiedereinführung bieten keine überzeugende Lösung für derlei Fragen an. Die Unzulänglichkeit des Begriffs der Überlegung für die Abgrenzung von Mord und Totschlag zeigt sich beispielsweise an einer Tat, bei der der Täter zur Tötung mehrere Schlag- und Stechgerätschaften einsetzt: Dies könnte einerseits als Zeichen für einen an alle Eventualitäten denkenden, überlegt handelnden Täter gewertet werden, aber ebenso gut könnte es ein Zeichen für den im Affekt Handelnden sein, der wahllos alles Greifbare einsetzt403. Daran wird ersichtlich, dass die Überlegung zunächst einmal „neutral“ ist; sie kann durch besonders verwerfliche wie durch menschlich begreifliche Motive bedingt sein und verbürgt nicht den

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Geilen, JR 1980, 309 (313). Geilen, JR 1980, 309 (313); er hält in der Konzeption, wie sie dem E 1962 zugrunde lag, die Überlegung immer noch für „brauchbar“, Geilen, FS Bockelmann, 613 (646). 401 Siehe zu dieser Verknüpfung LK/Jähnke § 211 Rn. 45 mit weiteren Nachweisen in Fn. 203. 402 Zum Überblick und mit weiterführenden Nachweisen, Eser, 53. DJT, D 28 f. 403 RGSt 42, 260 (261 f.), dort wird vertreten, die Überlegung müsse nicht bei der Entschlussfassung, sondern bei der Ausführung vorhanden sein, so wie es der Wortlaut des § 211 RStGB, anders noch als § 175 preußStGB, auch formulierte. Dass dies nicht kumulativ zu verlangen sei, konstatierte bereits RGSt 8, 276 (277 f.); RGSt 32, 253 (254) und RGSt 62, 196 (197 f.). Die theoretisch so klare Trennung ist praktisch nicht immer leicht zu ziehen gewesen. Besonders heikel wurde es, wenn die Ausführungshandlung mit Überlegung begonnen, aber ohne sie zu Ende geführt wurde oder umgekehrt, vergleiche RGSt 70, 257 (259 f.), dort als nicht ausreichend für den Mord erachtet, anders zuvor RGSt 3, 295 (296) hinsichtlich eines Tötungsversuchs. Nach dem Willen des E 1962 sollte die bei Ausführungsbeginn gegebene Überlegung wiederum reichen, BT-Drs. IV/650, S. 273. Eine noch weitere Vorverlagerung des maßgeblichen Zeitpunkts vertritt Schmoller, ZStW 99 (1987), 387 (415), siehe ausführlich S. 175 ff. 400

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

herausragenden Unwertgehalt des Mordtatbestandes404. Das Überlegungsmerkmal wurde daher zu Recht verworfen, weil es oftmals einer Einordnung von Fällen in Totschlag oder Mord unter Schuldgesichtspunkten zuwiderläuft; beispielsweise erscheint die Annahme eines Mordes unbillig bei den handlungsleitenden Motiven des Mitleids oder der Verzweiflung, bei denen aber die Überlegung zweifelsohne vorhanden ist405. Woesner spricht sich trotzdem für die Wiedereinführung der Überlegung aus, da seiner Ansicht nach die meisten der jetzigen Mordmerkmale dadurch zu erfassen seien.406 Überraschend daran ist, dass er „streng nach rationalen Gesichtspunkten“ vorgehen möchte, was eher eine objektive Ausrichtung der Mordmerkmale erwarten lässt. Den Vorwurf der Unbilligkeit, dass derjenige als Mörder bezeichnet wird, der mit sich ringt und lange überlegt, der aber immerhin Skrupel hat, wohingegen der schnellentschlossene, aus dem Augenblick heraus handelnde Täter nur Totschläger sein soll, weist Woesner zurück: Den Zaudernden erreiche den Appell des Gesetzes und für den unüberlegt Handelnden sei die Tat „eher eine Entgleisung“ 407. Hinsichtlich der Gefährlichkeit lässt sich eine solche Differenzierung aber nicht aufrechterhalten. Und auch unter dem Verwerflichkeitsaspekt bleibt unklar, warum derjenige, der zwar bewusst aber aus menschlich begreiflichen Motiven gegen den gesetzlichen Appell handelt, benachteiligt werden soll gegenüber demjenigen, der etwa aus Rechtsgleichgültigkeit nicht erreicht wird; denn emotionale Abgebrühtheit und Rechtsgleichgültigkeit können gleichermaßen zu spontan-unüberlegten Handlungen führen408. Dessen ungeachtet ergreift auch Köhler für die Wiedereinführung des Überlegungskriteriums das Wort. Es sei abgrenzungstauglich, weil es sich bei „aktuell reflektiert-freier Entscheidung, also beim überlegten Entschluß“ um die „Vollform der Schuld“ handele409. Der Überlegungsbegriff sei identisch mit dem allgemeinen Begriff des „aktuellen Unrechtsbewußtseins“ 410 und diese Form 404 Graf von Gleispach, Gürtner, S. 371 (S. 372); Jähnke, MDR 1980, 705 (708) mit weiteren Nachweisen; Fahlbusch, S. 5 f. mit weiteren Nachweisen. 405 Arzt, ZStW 83 (1971), 1 (8 und 27); Reizel, S. 18 f. mit weiteren Nachweisen; Rieß, MschKrim 52 (1969), 28 (39) legt ebenfalls dar, dass das Überlegungsmerkmal weder unter dem Gesichtspunkt der Verwerflichkeit noch unter dem der Gefährlichkeit taugliches Abgrenzungsmerkmal innerhalb der Tötungsdelikte ist. Kritik hat auch Vöhringer, S. 231 f. zusammengetragen. 406 Woesner, NJW 1980, 1136 (1139 f.), für die übrigen Fälle gesteigerter Gefährlichkeit ohne Überlegung schlägt er ergänzend vier Merkmale vor und für die Fälle der überlegten Tötung, die die höchste Sanktion nicht rechtfertigen, einen Milderungstatbestand. 407 Woesner, NJW 1980, 1136 (1139). 408 Siehe auch BT-Drs. IV/650, S. 272 f., deshalb sah der Entwurf in § 135 Abs. 2 S. 2 eine Schuldmilderungsklausel vor. 409 Köhler, GA 1980, 121 (130, 141). 410 Köhler, GA 1980, 121 (133, 141).

II. Einschränkungsvorschläge

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„normbewußt-überlegten Handelns“ entspräche speziell bei der Heimtücke dem „Vorverständnis von Tücke“ 411. Dabei bleibt offen, wie die Überlegung Unterscheidungsmerkmal zweier Tatbestände sein kann, wenn man voraussetzt, dass bei jedem Vorsatzdelikt die Schuldformen identisch und vollständig anzutreffen sind. Zwar gibt auch Köhler zu, dass es auch den „überlegten Totschlag“ gibt, sieht dies aber nicht als Hinderungsgrund für die Abgrenzungseignung an, da das Überlegungsmerkmal nicht alleiniges Abgrenzungsmerkmal sei412. Wenn es jedoch beim Totschlag wie beim Mord vorhanden sein kann, dann ist eben eines der anderen Merkmale für die Abgrenzung ausschlaggebend und nicht jenes Merkmal aus der Schnittmenge413. In der historischen Debatte wurde das Problem, dass es auch den überlegt handelnden Totschläger gibt, durchaus gesehen. Die damalige Argumentation, dass die Überlegung beim Mord „qualitativ“ doch eine andere sei414, überzeugt nicht. Die Überlegung des Mörders ist die Bezeichnung für „das normale Verhalten, des zu seiner That frei sich selbst bestimmenden Menschen, welches [. . .] erfordert, daß der That selbst eine verständige Reflexion [. . .] vorangegangenen, und daß die That wirklich das Ergebnis des aus einer solchen verständigen Erwägung erwachsenen Entschlusses sei.“ 415 Was daran qualitativ anders sein soll als bei sonstigen Vorsatzdelikten ist nicht ersichtlich. Die Erwägung griff das Reichsgericht auf: Nur wenn „der Täter bei der Ausführung in genügend klarer Erwägung über den zur Erreichung seines Zweckes gewollten Erfolg der Tötung, über die zum Handeln drängenden und von diesem abhaltenden Beweggründe sowie über die zur Herbeiführung des gewollten Erfolges erforderliche Tätigkeit handelt, führt er die Tat mit Überlegung aus.“ 416 Das lässt sich freilich für jedes Delikt entsprechend formulieren und es ist nicht ersichtlich, inwieweit die Erwägung im Rahmen des Mordes über den Vorsatz hinausgeht. In neuerer Zeit macht sich Gerhard Wolf für die Wiedereinführung des Merkmals stark417, ohne allerdings dessen angebliche Vorzugswürdigkeit stichhaltig zu begründen. Soweit er sich auf die nationalsozialistische Herkunft des § 211 StGB beruft418, ist Folgendes zu sagen: Das Aufbegehren der Nationalsozialisten gegen alles „Undeutsche“ und damit auch gegen ein ursprünglich dem französischen

411

Köhler, JuS 1984, 762 (765). Köhler, GA 1980, 121 (137). 413 Auch Otto, ZStW 83 (1971), 39 (53 f.) spricht der Überlegung die Differenzierungstauglichkeit ab, da sie auch den Totschlag charakterisiere. 414 Hälschner, S. 96 Fn. 2. 415 Hälschner, S. 96; noch unverständlicher war, dass der Affekt dies nicht notgedrungen ausschließen solle. 416 RGSt 42, 260 (262). 417 G. Wolf, FS Schreiber, 519 (532). 418 Dies tut ihm Bornemann, S. 97 gleich; siehe hierzu auch Thomas, S. 277 ff. und Sessar, MSchKrim 63 (1980), 193 (194) sowie umfassend Morris, S. 59 ff. 412

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

Recht innewohnendes Merkmal mag Anlass gegeben haben, nationalsozialistisches Gedankengut in der Gesetzesnovelle von 1941 zu vermuten; tatsächlich lehnte sich der die Mordmerkmale umfassende Abs. 2 des § 211 RStGB aber an die Kasuistik in der Schweiz an, wie sie dort seit Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Entwurf von Carl Stooß vorherrschte419. Das erklärt auch, weshalb der Paragraph nach dem zweiten Weltkrieg nicht außer Kraft gesetzt wurde. Arzt enttarnt das Befürworten des Überlegungskriteriums als Rettungsversuch für die generalpräventive Wirkung bei der vorsätzlichen Tötung; es sei nämlich Ausdruck der „Illusion“, dass der unter anderem auch die Folgen überlegende Täter, der sich gleichwohl nicht von der Tat abhalten lässt, vielleicht bei noch empfindlicheren Folgen anders entschieden hätte420. Wenn aber die Strafdrohung den überlegenden Täter tatsächlich davon abhalten könnte, sein Vorhaben umzusetzen, dann wäre das Merkmal ,Überlegung‘ nicht nur bei den Tötungsdelikten, sondern ganz allgemein bei allen Vorsatzdelikten zu fordern421. Letztlich kann man vielleicht in einigen Fällen durch das Überlegungskriterium einen gesteigerten Unrechtsgehalt der Tat bescheinigen, jedoch erfasst dieses Kriterium weder alle, noch ausschließlich Fälle, die unter § 211 StGB fallen sollen. Ein Spezifikum der Heimtücke stellt das Kriterium der Überlegung somit nicht dar.

2. Die feindliche Willensrichtung Erstmals aufgetaucht ist das Korrektiv der fehlenden feindlichen Willensrichtung beziehungsweise das Handeln „zum Besten“ des Opfers in BGHSt 9, 385 ff.422. Dort wurde dieses Korrektiv zunächst rein subjektiv verstanden. Denn an einer „feindseligen Willensrichtung“ sollte es auch fehlen, wenn der Täter nur aus „krankhafter Verblendung“ glaubte, „zum Besten“ des Opfers zu handeln423. Später sollte bei einer krankhaften Verblendung allerdings die feindliche Willensrichtung nicht ausgeschlossen werden. Diese Gegeneinschränkung nahm der BGH bei Fällen gescheiterter Mitnahmesuizide vor, in denen eher der Täter das Zukunftsbild nicht verkraftet, als er dies von seinem Opfer glaubt und daher

419 Reizel, S. 23 f.; MüKo/Schneider § 211 Rn. 5; Eser, 53. DJT, D 31 f.; vergleiche auch Lange, GS Schröder, 217 (217). 420 Arzt, ZStW 83 (1971), 1 (7 ff.). 421 Arzt, JR 1979, 7 (9). 422 Dem zustimmend als Konkretisierung des Ausnutzungsbewusstseins, Horstkotte, S. 130 f. 423 BGHSt 9, 385 (390); fortgeführt in BGHSt 11, 139 (143), weiterentwickelt auf Rechtsfolgenseite in BGHSt 30, 105 (119); wiederum auf Tatbestandsseite BGH StV 1989, 390 (390); ebenso BGH bei Holtz MDR 1989, 857 (858).

II. Einschränkungsvorschläge

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eine egoistische Motivation vorliegt424. Bei den Euthanasiefällen modifizierte die Rechtsprechung dann noch deutlicher das vormals rein tatsächlich-subjektive Merkmal der feindlichen Willensrichtung dahingehend, dass nicht jedes Mitleid hinreichend für den Ausschluss der Heimtücke sein soll. Der BGH stellt nunmehr eine normative Betrachtung an und fragt danach, ob die mitleidsmotivierte und altruistische Handlung einer „objektiv nachvollziehbaren Wertung des Täters“ entspringt und so das Merkmal der Heimtücke „aus Rechtsgründen“ zu verneinen ist425. Dahingegen soll die Heimtücke vorliegen, wenn die Mitleidsmotivation nur „oberflächlich“ ist und der Täter seine Opfer „nach eigenen Wertmaßstäben ,selektiert‘ und von sich aus selbstherrlich das Leben“ nimmt426. Auch ein Motivbündel soll nicht ausreichen, der Täter müsse „allein zum (vermeintlich) Besten des Opfers“ handeln427. a) Allgemeine Bedenken Gegen den Ausschluss des Heimtückemerkmals bei fehlender feindlicher Willensrichtung wird vorgetragen, dass dieser Restriktionsversuch begriffslogisch nicht möglich sei, weil jede Tötung eine feindliche sei428. Allerdings geht niemand soweit, die vom Opfer ungewollte Tötung in den altruistisch motivierten 424 BGH NJW 1978, 709 (709), dort war sogar fraglich, ob ein Suizid geplant war. Eine Objektivierung liegt auch darin, dass ein mit dem Opfer übereinstimmender Wille zum gemeinsamen Ausscheiden aus dem Leben gefordert wird. Ganz ähnlich hinsichtlich Tatumständen und rechtlichen Ausführungen BGH NStZ 1995, 230 (230 f.), der Angeklagte habe mehr aus „Eigensucht“ und „Rachegefühl“ gehandelt. Es geht gewiss zu weit, bei einem „erweiterten Suizid“ immer einen gemeinsam gewollten Suizid zu verlangen, vergleiche die Anmerkung zur letztgenannten Entscheidung von Winckler/ Foerster, NStZ 1996, 32 (32 f.). Nach diesem zwischenzeitlich engen Erfordernis differenziert BGH NStZ-RR 2000, 327 (327) auch wieder: Grundsätzlich stehe der erklärte gegenteilige Wille des Opfers der Annahme, der Täter handele zum Besten des Opfers entgegen, eine Ausnahme könne aber wegen krankhafter Verblendung gelten (konkret wurde diese abgelehnt). 425 BGHSt 37, 376 (377); BGH NStZ-RR 1997, 42 (43); dies fordert auch Gössel, wenn er das subjektive Merkmal der feindlichen Willensrichtung von der Perspektive eines objektiven Beobachters aus beurteilen will, Gössel/Dölling, § 4, Rn. 118; dieser Gegenkorrektur zustimmend Otto, JURA 1994, 141 (148). Unlängst BGH NStZ 2008, 93 (94): „Es reicht jedoch nicht jede Mitleidsmotivation aus [. . . g]erade in einer oberflächlich vorhandenen Mitleidsmotivation kann sich Feindseligkeit [. . .] äußern“, was insbesondere bei Komapatienten, die keine Schmerzen erleiden, naheliegend sei. Hiergegen nicht überzeugend Bosch, JA 2008, 389 (391), dies läge „völlig neben der Sache“. 426 BGHSt 37, 376 (377 f.) (Pistazieneis-Fall); BGH StV 1998, 583 (584); BGH StV 2009, 524 (524 f.) fordert ein Handeln aus „individuellem Mitleid“ für den Ausschluss der Heimtücke. 427 BGH NStZ 2006, 338 (338) wiederum bei einem erweiterten Suizidversuch. 428 Bosch, JA 2008, 389 (390); Langer, JR 1993, 133 (139 und 143); auch MüKo/ Schneider § 211 Rn. 14 führt aus, jede vorsätzliche Tötung sei feindlich, ausgenommen die Fälle des § 216 StGB.

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

Fällen als eine freundliche oder erlösende Tötung zu bezeichnen. Mit der feindlichen Willensrichtung ist nur der Ausschluss der gegenüber dem Totschlag erhöhten Verwerflichkeit gemeint. Auch wenn man daher nicht von einem begriffsunlogischen Ansatz sprechen kann, ist zuzugeben, dass die Beschreibung einer Tötung in feindlicher Willensrichtung insofern sprachlich unpassend ist, als es im Gegensatz dazu keine „freundliche“ gibt, denn rein rechtsgutbezogen betrachtet ist nun mal jede vorsätzliche Tötung eine feindliche429. Gleiches bemerkt Hassemer, der den Terminus der feindlichen Willensrichtung daher als „Fehlen achtenswerter Beweggründe“ verstanden haben will430. Auch Schaffstein verteidigt das Merkmal der feindlichen Willensrichtung, es dürfe dieses nicht rechtsgutbezogen, sondern müsse „auf das Opfer als Person“ bezogen verstanden werden431. Langer bringt ein methodisches Argument gegen diesen Korrekturversuch vor, indem er beanstandet, dass das Merkmal der feindlichen Willensrichtung als ein die Heimtücke verneinendes Ausschlusskriterium gebraucht werde, obwohl zunächst einmal die positive Begründung der Heimtücke anstehe432. Er geht noch einen Schritt weiter. Als Anhänger des Vertrauensbruchkriteriums fordert er für dieses, dass der Täter als Vertrauensnehmer nicht nur das Lebensrecht des Opfers negiere, sondern auch dessen Menschenwürde missachte433. Handele der Täter aber mit feindlicher Willensrichtung, verletze er die Menschenwürde gerade nicht, weil er sein Opfer als Subjekt und nicht als Objekt vernichten wolle, weswegen die feindliche Willensrichtung Ausdruck der nichtheimtückischen Tötung sei434. Dem Beginn seiner Ausführungen, mittels eines Negativkorrektivs ein Merkmal nicht positiv begründen zu können, könnte noch ein weiterer Kritikpunkt gegen die Verneinung der Heimtücke über die feindliche Willensrichtung innewohnen. Es ist nämlich zu überlegen, ob dieser Restriktionsversuch der negativen Typenkorrektur entspricht435. Da die Rechtsprechung letztere ausdrücklich ablehnt436, wäre es dann widersprüchlich, dass sie das Korrektiv der feindlichen Willensrichtung anwendet. Fraglich ist indes, ob die negative Typenkorrektur und 429 Schwalm, MDR 1957, 260 (260), der allerdings nur diejenigen vorsätzlichen Tötungen als in feindlicher Willensrichtung begangen anerkennt, bei denen dem Täter kein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht; ihm zustimmend Lange, GS Schröder, 217 (231); siehe auch Mitsch, JuS 1996, 213 (214); Eser, JR 1981, 177 (181). 430 W. Hassemer, JuS 1971, 626 (629) bezieht sich dabei auch ausdrücklich auf Schwalm. 431 Schaffstein, FS Mayer, 419 (423). 432 Langer, JR 1993, 133 (139 und 142). 433 Langer, JR 1993, 133 (140 f.). 434 Langer, JR 1993, 133 (141). Zu diesem Ansatz als Spielart der Vertrauenslösung eingehend im nächsten Unterpunkt ab S. 135. 435 So Roxin, NStZ 1992, 35 (35 f.); MüKo/Schneider § 211 Rn. 123. 436 Beispielsweise BGHSt 9, 385 (389) und BGHSt 11, 139 (143); BGH NStZ 1981, 344 (345).

II. Einschränkungsvorschläge

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die normativ zu bestimmende Feindseligkeit wirklich nur zwei Ausdrücke derselben Vorgehensweise sind. Roxin sieht einen – seiner Meinung nach jedoch nicht bedeutsamen – Unterschied darin, dass die normative Betrachtung innerhalb des Mordmerkmals vorgenommen wird, dieses selbst demnach gegebenenfalls schon zu verneinen ist, wohingegen die Typenkorrektur nach der Feststellung des Mordmerkmals ansetzt437. Belanglos ist dieser Unterschied indes nicht. Denn der Vorwurf ,heimtückische Tötung, aber nicht besonders verwerflich‘ ist schwerwiegender als der der ,nicht heimtückischen Tötung‘ und auch für den Teilnehmer ist diese Differenzierung natürlich von Bedeutung. Folglich ist es nicht widersprüchlich, wenn die Rechtsprechung einerseits die Typenkorrektur ablehnt und andererseits die Prüfung der feindlichen Willensrichtung vornimmt. Ferner wird aber zu bedenken gegeben, dass das Motiv, zum Besten des Opfers handeln zu wollen, nicht allein der heimtückischen Tötung immanent, sondern bei jeder Tötung denkbar sei, so dass die Privilegierung des heimtückisch Handelnden nicht erklärbar sei438. Zudem stelle auch innerhalb der Heimtücke die Ergänzung der Heimtückedefinition um die feindliche Willensrichtung de facto nur einen „ganz sektoralen, im Grunde auf nur zwei Fallgruppen zugeschnittenen Korrekturversuch“ dar439. Gerade bei diesen beiden Anwendungsfällen des Mitnahmesuizids und der Euthanasie seien aber in der Regel herkömmliche und Unbilligkeit vermeidende Wege gangbar, womit die Heranziehung der §§ 20, 21 StGB gemeint ist440. b) Spezielle Bedenken in Bezug auf die Fallgruppe des gescheiterten Mitnahmesuizids Bei der Fallgruppe des erweiterten Suizids ist es höchst zweifelhaft, die Tötung eines Dritten deshalb als weniger strafwürdig zu betrachten, weil der Täter zugleich sein eigenes Leben beenden will441. Auf diese Selbsttötungsabsicht wird aber Wert gelegt442. Die Ausweglosigkeit kann der Täter indes auch ausschließlich für sein Opfer sehen – bei der zweiten Fallgruppe, der Sterbehilfe, verlangt 437

Roxin, NStZ 1992, 35 (36). Mitsch, JuS 1996, 213 (214). BGH NStZ 2005, 101 ff. zur Altruismusdebatte im Rahmen der Tötung aus niederen Beweggründen, wobei allerdings nicht zum Wohle des Opfers, sondern zum Wohle Dritter getötet wurde. 439 Geilen, JR 1980, 309 (312). 440 Geilen, JR 1980, 309 (312); Otto, JURA 1994, 141 (147). Ob dies nicht bloße Vermeidestrategie ist, wäre noch zu ergründen. Zu den Erscheinungsformen des erweiterten Suizids Witteck, JA 2009, 292 (292 ff.). 441 Schwalm, MDR 1957, 260 (262). 442 Zum einen, weil eine dritte Gruppe der „erlösenden“ Tötung neben schwerster Krankheit und Mitnahmesuizid nicht gebildet wird und zum anderen, weil die Ernsthaftigkeit der eigenen Tötungsabsicht ausdrücklich relevant sein soll, siehe beispielsweise BGH NJW 1978, 709 (709). 438

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

ja auch niemand den solidarischen Akt des Täters, sich umzubringen. Sicherlich liegen der ersten Gruppe meist wirtschaftliche Bedrängnisse oder familiäre Trennungen zu Grunde, vor deren Folgen die Kinder bewahrt werden sollen und es liegt der Schluss nahe, dass (auch aus Sicht des Täters) ein Kind dies verkraften kann, solange der Täter dies erträgt. Wenn man sich aber auf die verquere Sicht der Dinge einlässt, ist nicht ausgeschlossen, dass ein Täter glauben kann, für das Verschulden an dieser Situation ,mit dem Leben büßen‘ zu müssen und nur sein Kind ,erlösen‘ zu können. c) Spezielle Bedenken bei den Euthanasiefällen Bosch ist einerseits der Meinung, dass in jeder Tötung eine feindselige Willensrichtung gegenüber dem Lebensrecht zum Ausdruck komme und deshalb der Ansatz der feindlichen Willensrichtung schon im Grundsatz verfehlt sei; andererseits überzeugt ihn die Gegenausnahme der Rechtsprechung nicht, die Heimtücke bei einer bloß oberflächlichen Mitleidsmotivation zu bejahen, weil selbst eine nur oberflächliche Mitleidsmotivation jedenfalls nicht zugleich feindselig sein könne443. Damit setzt er sich selbst in Widerspruch, denn wenn jede Tötung eine feindselige ist, dann ist es auch die oberflächlich mitleidsmotivierte. Der Fall, der seiner Urteilsanmerkung zugrundeliegt, weist ferner die Besonderheit auf, dass der Täter eine von mehreren schutzverpflichteten Personen war. Bosch sieht für die Frage der Arglosigkeit grundsätzlich den Wechsel von der Opferperson zu der schutzbereiten dritten Person kritisch und will jedenfalls, wenn der Täter zum Kreis der Schutzbereiten gehört, die Heimtücke aus folgendem Grund verneinen: Wenn das Strafwürdige der Heimtücke in der besonderen Gefährlichkeit zu erblicken sei, habe „die stellvertretend ausgeübte Schutzbereitschaft und -fähigkeit von Anfang an Lücken, so dass nach der gebotenen objektiven Betrachtung keine Heimtücke gegeben sein“ könne444. Das ist nicht nachvollziehbar. Ein optimaler Abwehrschutz wird beim arglosen Opfer nicht verlangt – weshalb sollte dies in der Variante des schutzbereiten Dritten anders sein? Wenn der Täter zum Kreis der Schutzverpflichteten gehört, steigert dies doch vor allem die Verwerflichkeit sowie die Gefährlichkeit. Denn die übrigen schutzbereiten Personen werden gerade von Seiten des zu ihnen gehörenden Täters keinen Angriff erwarten! Dass es weiter in einem „wertenden Vergleich mit den Grundfällen der Heimtücke“ nicht einleuchte, allein die Schutzbereitschaft und -fähigkeit des Dritten für die Annahme der Heimtücke ausreichen zu lassen445, stellt keine durchschlagende Kritik, sondern eine nicht belegte These dar.

443 444 445

Bosch, JA 2008, 389 (390 f.). Bosch, JA 2008, 389 (391). Bosch, JA 2008, 389 (390).

II. Einschränkungsvorschläge

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Bezüglich der geschilderten Gegenausnahme der Rechtsprechung, wonach die Heimtücke zu bejahen ist, wenn der Täter sein Opfer nach seinen Wertmaßstäben „selektiert“ und „selbstherrlich“ über das Leben entscheidet, wird moniert, dass dies auch bei den normativ gesehen nichtfeindseligen Tötungen der Fall sei446. Gewiss legt der Täter dann ebenfalls einen eigenen Wertmaßstab an, aber in diesen Fällen ist die Tätermotivation von der Auffassung der Rechtsordnung wenigstens nicht so weit entfernt, dass der Tat jegliches Einfühlungsvermögen abzusprechen wäre. Dass die objektivierte Voraussetzung der menschlich begreiflichen Motivation für die entlastende Wirkung notwendig ist, ergibt sich daraus, dass eine anderenfalls radikalisierte Subjektivierung des Mitleids, die sonst nur aus dem Genre der Satire, wie bei dem Filmklassiker des schwarzen Humors „Arsen und Spitzenhäubchen“, bekannt ist, nicht akzeptabel für die Rechtsordnung ist447. Zudem ist die rein subjektiv begründete Besserstellung des Täters aus folgender Überlegung abzulehnen: Wollte man allein wegen der Mitleidsmotivation des Täters die Heimtücke verneinen, müsste dies unabhängig von einem etwaig geäußerten Lebenswillen des Opfers geschehen. Denn auch bei einer Bekundung des Lebenswillens kann der Täter zum Besten des Opfers handeln wollen. Oft wird der Täter sein Opfer nur nicht fragen, ob es sterben wolle, weil er davon ausgeht, dass das Opfer aus seiner Sicht nicht stark genug sein wird, das ,Richtige‘ zu tun und die Frage verneinen wird. Überspitzt formuliert ist in den Fällen, bei denen das Opfer ausdrücklich kundtut, am Leben festhalten zu wollen, die Entscheidung des Täters für diesen eine noch schmerzlichere und altruistischere, da er sich von dem Opfer unverstanden fühlt. Eine solche Argumentation für den Ausschluss der Heimtücke löst offensichtlich Widerwillen aus, da sie allein das Ausmaß der Bevormundung und krankhaften Verblendung umschreibt. In dem Erfordernis der objektiven Nachvollziehbarkeit ist der Wille des Opfers daher selbstredend als gewichtigster Faktor einzustellen. Wenn das so ist, kann die Strafbarkeit des Täters nicht von der Zufälligkeit abhängen, ob sich das Opfer zu seinem Lebenswillen äußert beziehungsweise ob der Täter es danach fragt. Der BGH betonte vor der Einführung des Merkmals der feindlichen Willensrichtung, dass die Motive des Täters für die Frage, ob er heimtückisch handelt, irrelevant sind448. Daran ist festzuhalten. Die Gesinnung ist bei der Strafbegründung irrelevant und das sollte auch bei der Strafbegrenzung der Fall sein. Auch auf den Gefährlichkeitsaspekt abstellend muss man so entscheiden, denn die Gefährlichkeit im Sinne einer Erfolgssicherheit bestimmt sich nicht durch die Gründe des Täters für sein Handeln449. 446 447 448 449

Roxin, NStZ 1992, 35 (36). Geilen, FS Spendel, 519 (522 und 525). BGHSt 3, 183 (186) und BGHSt 330 (332 f.). MüKo/Schneider § 211 Rn. 148 f.

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

d) Die feindliche Willensrichtung in Bezug auf die Tötungsmodalität Wenn die Rede davon ist, dass der Täter dem Opfer Leiden ersparen will, werden zum Teil nicht die mit dem Weiterleben verbundenen Leiden (wie Schmerzen oder Schande) gemeint, sondern die Leiden des mit aus gänzlich zu missbilligenden Gründen motivierten Tötens an sich angesprochen. Der Täter verfolgt also mit der Tötung ein auch nicht im Entferntesten nachzuempfindendes Ziel, will aber das Opfer beim Sterben wenig leiden lassen und wählt daher einen schnellen und möglichst schmerzfreien Tod. Deswegen den Täter nicht mehr des Heimtückemordes, sondern nur des Totschlags zu beschuldigen450, kann keinesfalls überzeugen. Augenscheinlich ist Todesangst verbunden mit einer noch so kleinen Chance auf erfolgreiche Abwehr besser als eine die Nerven zwar schonende, aber gerade deshalb einfach gelungene Tötung451. Nur weil eine mit quälender Todesangst verbundene und damit grausame Tötung keine Voraussetzung für die Heimtücke ist, kann eine nichtgrausame Tötung nicht automatisch zum Ausschluss der Heimtücke führen452. Außerdem wird wie gesehen453 zu Recht nicht verlangt, dass der Täter seinen Tötungsvorsatz unter der Bedingung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers trifft. Nichts anderes wäre es aber, würde derjenige nicht der heimtückischen Begehungsweise bezichtigt, der nicht zur Erfolgssicherung, sondern nur zur Gestaltung einer leidensarmen Tötung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers nutzt. e) Fazit Es bleibt festzuhalten, dass die feindliche Willensrichtung als Lösung der Probleme der Heimtückedefinition gänzlich ungeeignet ist; diese Modifikation 450 NK StGB II/Neumann § 211 Rn. 73 a. E.; ebenso ist wohl auch Otto, JURA 1994, 141 (149) zu verstehen, ders., JURA 2003, 612 (618); Schmidhäuser, S. 233; Roxin, FS Widmaier, 741 (743). Zu dieser Sicht im Zusammenhang nationalsozialistischer Verbrechen, wobei beispielsweise die verdeckte Hinführung zur Gaskammer als „so etwas wie einen humanen Zug im grausigen Gesamtgeschehen“ zu sehen sein soll oder die Täter aus „einem Rest von Scham vor den Opfern auf die Heimlichkeit geradezu bedacht gewesen sein mögen“, Hanack, JZ 1967, 297 (302). Haverkamp, GA 2006, 586 (604) berichtet von der strafmildernden Wirkung der Tötung eines Schlafenden aufgrund der ihm ersparten Leiden aus einem schwedischen Prozess. Nach Mitsch, JuS 1996, 213 (214) soll allenfalls das Ausnutzungsbewusstsein fehlen können; ähnlich verneint Köhne, JURA 2009, 748 (753) die Heimtücke, wenn der Täter dem Opfer Leiden der Tötung ersparen will unter der Voraussetzung, dass der Täter das Opfer aber auch ohne die objektiven Umstände der Heimtücke getötet haben würde. 451 Geilen, GS Schröder, 235 (259). 452 Morris, S. 98 sieht einen zu engen Zusammenhang zwischen der Heimtücke und Grausamkeit dergestalt, dass der Täter oftmals bei der Tötung zwangsweise eines der beiden Merkmale verwirklichen müsse, nämlich die Heimtücke, wenn er sein Tötungsvorhaben Vorhaben verbirgt und die Grausamkeit, wenn er es nicht tut. Diese Sichtweise verkennt, dass die Grausamkeit mehr voraussetzt als eine bloße Ankündigung der Tötung. 453 Siehe S. 114.

II. Einschränkungsvorschläge

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ist teils zu weit und teils zu eng454. Im Auge zu behalten ist aber die Beziehungskomponente, die auch beim folgenden Ansatz des verwerflichen Vertrauensbruchs wichtig ist.

3. Der verwerfliche Vertrauensbruch Nach anderer Ansicht ist die Heimtücke durch einen Vertrauensmissbrauch gekennzeichnet. Der besondere Unwert des Vertrauensbruchs soll zum einen in der Gefährlichkeit455 zu erblicken sein und wird zum anderen damit begründet, dass die Rechtsordnung darauf angewiesen ist, auf ein Mindestmaß sozialverträglichen Miteinanders vertrauen zu können, da andernfalls das gesellschaftliche Miteinander durch eine Grundstimmung allgegenwärtigen Misstrauens lahmgelegt wäre456. Dabei wird aber zumeist einschränkend gefordert, dass das Vertrauen gerade gegenüber der Person des Täters konkretisiert bestehen muss457. Zu Beginn der Rechtsprechung des BGH hat dieser zwar in einem Erstrechtschluss das Vertrauensbruchkriterium zur Bejahung der Heimtücke herangezogen458. Als notwendiges Merkmal des Heimtückebegriffs erkennt die Rechtsprechung dies aber gerade nicht an459. Doch auch in neuerer Zeit findet diese Restriktionsbemühung in der Rechtswissenschaft immer noch Zustimmung460. a) Grundsätzliche Kritik Bevor auf einzelne Strömungen der Vertrauenslösungen461 eingegangen wird, sollen kurz allgemeine Kritikpunkte skizziert werden, die die meisten der Spielarten des Vertrauensbruchs betreffen. Auf der Hand liegt zunächst, dass die Unbestimmtheit des Begriffs ,Vertrauensbruch‘ kritisiert wird462: Welche Intensität 454

Dieses Fazit zieht auch Bockelmann, ZStW 74 (1962), 304 (306 f.). von Hentig, Einzeldelikte, S. 174 meint, der mechanischen Wehrlosigkeit stehe die psychologische Schutzlosigkeit wegen des Vertrauens gleich. 456 Otto, ZStW 83 (1971), 39 (63). 457 Beispielsweise S/S/Eser § 211 Rn. 26. Zur weitergehenden normativen Einschränkung des berechtigten Vertrauens Lange, GS Schröder, 217 (233). 458 BGHSt 2, 60 (61); siehe vormals das Reichsgericht RGSt 77, 41 (44). 459 Siehe die Auflistung der Entscheidungen bei LK/Jähnke § 211 Rn. 40 Fn. 171. 460 Beispielsweise bei Geppert, JURA 2007, 270 (272); Krey/Heinrich, BT I, § 1 Rn. 69; Miehe, JuS 1996, 1000 (1004). Eine Weiterentwicklung des Vertrauensbruchansatzes hat M.-K. Meyer, siehe unten S. 179 ff., unternommen. Mit einem weiten Vertrauensbegriff will Ellmer, S. 271 ff. im Rahmen des Betrugs dem Opfer Bedeutung für die Auslegung des Tatbestandes einräumen. Ausdruck eines allgemeinen viktimologischen Prinzips könnte dies insofern sein, als jeweils der Interaktion damit eine entscheidende Rolle zuteilwird. 461 Siehe zum Überblick Lackner/Kühl § 211 Rn. 6. 462 Arzt, JR 1979, 7 (11) kritisiert die „ziehharmornikaartige Dehnbarkeit“ des Begriffs; Fahlbusch, S. 204 f.; verschiedene Möglichkeiten der Ausfüllung des Begriffs 455

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

und Dauer sind zu fordern? Soll das Vertrauen im Sinne von nichts Böses zutrauen zu verstehen sein, also ein grundsätzliches Gesinnungsurteil darstellen oder soll es im Einzelfall negativ im mangelnden Misstrauen oder positiv im Sinne echter Erwartung zu verstehen sein? Dass die Unbestimmtheit des Vertrauenskriteriums bei anderen Tatbeständen wie der Untreue oder der Unterschlagung nicht derart kritisiert wird463, ist dabei nur eine schwache Verteidigung. Richtig ist aber, dass das Argument der Unbestimmtheit nicht vorschnell angeführt werden sollte. Stärker gegen den Vertrauensbruchansatz spricht, dass die eigentlich „klassischen Fälle“ des Heimtückemordes nicht mehr unter die Heimtücke subsumierbar wären, womit die Tötung Unbekannter gemeint ist, die nach dem Rechtsempfinden der Bevölkerung als heimtückisch betrachtet wird – also der typische „Meuchelmord“, der Auftragsmord oder ein terroristischer Akt464. Es überrascht, dass einige Autoren dies deshalb nicht als Mangel empfinden, weil diese Lücke meist durch ein anderes Mordmerkmal aufgefüllt werde465. Eine solche vom Ergebnis der Strafe her orientierte Argumentation kann für das Verständnis eines Begriffs nicht überzeugen. Schwerer wiegt das Argument, dass eine Lücke deshalb nicht beklagenswert sei, weil die heimliche und überraschende Tötung der Normalfall der Tötung (also des Totschlags) sei und beim Auftragsmord oder dergleichen die Höchststrafwürdigkeit deshalb allenfalls durch die Motive zu begründen sei466. Allerdings müsste man dann konsequenterweise über die Entbehrlichkeit der Heimtücke insgesamt und nicht nur über die Herausnahme der klassischen Fälle reden. Es ist aber zu bezweifeln, dass die Heimtücke insgesamt entbehrlich ist. Nicht stichhaltig für die Entbehrlichkeitsthese ist dabei die Argumentation, die Überrumpelung treffe nicht notwendig den Arglosen, sondern nur den Langsameren467. Das ist richtigerweise eine Frage der Kausalität zwischen Arglosigkeit und Wehrlosigkeit beziehungsweise der Problematik, ob der nur wehrlose heimtückisch getötet werden kann, und spricht nicht gegen die Berech-

stellt Geilen, GS Schröder, 235 (249 ff., 255) vor; H. J. Hirsch, FS Tröndle, 19 (29); Woesner, NJW 1980, 1136 (1137). Gar als unvereinbar mit jeglicher Auslegungsmethode erachtet Kargl, StraFo 2001, 365 (369) das Vertrauenskriterium. 463 Schaffstein, FS Mayer, 419 (428 ff.), der sich dort für eine Kombination von Vertrauensbruch und feindlicher Willensrichtung ausspricht. 464 Schmoller, ZStW 99 (1987), 387 (405 f.); NK StGB II/Neumann § 211 Rn. 49; MüKo/Schneider § 211 Rn. 20; Geilen, GS Schröder, 235 (238 und 253); Kargl, StraFo 2001, 365 (369); Rengier, MDR 1980, 1 (4 f.) hat Fallbeispiele gesammelt, die weitere Ungereimtheiten bei mittäterschaftlich begangenen Tötungen oder Tatortvarianten aufzeigen. Ausdrücklich nimmt diese Konsequenz hingegen S/S/Eser § 211 Rn. 26 in Kauf für den hinterrücks überfallenen ahnungslosen Passanten. 465 Geppert, JURA 2007, 270 (272 Fn. 31); Miehe, JuS 1996, 1000 (1004). 466 Miehe, JuS 1996, 1000 (1004); ähnlich Staiger, Jescheck/Triffterer, 181 (185); M.-K. Meyer, JR 1979, 485 (487) und dies., JR 1986,133 (135). 467 Jakobs, JZ 1984, 996 (998).

II. Einschränkungsvorschläge

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tigung des Heimtückemerkmals überhaupt. Vor allem ist nicht bei jedem Heimtückemord zugleich ein anderes Mordmerkmal verwirklicht und es ist auch nicht belegt, dass der Normalfall einer Tötung tatsächlich eine heimtückische ist, zumindest ist dies in den Statistiken nicht zu erkennen. Außerdem ist nicht einzusehen, warum die Tötung eines Familienmitglieds im Erwachsenenalter verwerflicher sein soll als die eines Familienmitglieds, welches noch Säugling und daher des reflektierten Vertrauensgefühls unfähig ist468. Kleinkinder scheiden zwar auch ohne das Vertrauenskriterium aus dem Kreis tauglicher Opfer aus, wenn man entgegen der hier vertretenen Ansicht die Fähigkeit fordert, grundsätzlich Argwohn hegen zu können. Nach diesem Verständnis der Heimtücke fehlt es dann jedoch an dem positiven Element ,Arglosigkeit‘, mit niedrigerer Verwerflichkeit lässt sich dabei indes nicht argumentieren. Gleich aus welchem Grund das Opfer keinen Argwohn hegt, verwerflich ist das Ausnutzen dieses Umstandes allemal. Ob es bloß nicht misstraut oder ob es positiv vertraut, kann für den Verwerflichkeitsgehalt nicht von solch immenser Bedeutung sein, dass dieser graduelle Unterschied über die grundsätzliche Einordnung in Totschlag oder Mord entscheidet. Bei Schlafenden würden ebenfalls Ungereimtheiten auftreten. Diesbezüglich führt Geilen vor Augen, dass es nicht nachvollziehbar ist, warum der Ehemann, der seine Frau im Schlaf umbringt, als Mörder zu bestrafen sei, wenn er zuvor gemeinsam mit dem Opfer zu Bett gegangen ist, aber nur als Totschläger belangt werde, wenn er vorgibt, anderen Ortes zu übernachten und dann heimlich in die Wohnung eindringt469. Mit diesem an den von Schmidhäuser470 gebildeten Fall des „Schlafgenossen“ angelehnten Beispiel zeigt Geilen auf, dass das Vertrauenskriterium nicht unbedingt den Kerngehalt des Heimtückebegriffs ausmachen muss. Er bringt weitere Fallvarianten der Tötung durch den Ehepartner an, bei denen je nach Tatort oder Tatumständen das Vertrauenselement wichtig oder irrelevant für das Geschehen ist471. Diese Zufälligkeiten über die Kategorie Mord oder Totschlag entscheiden zu lassen, erscheint deshalb nicht zustimmungswürdig. In den vorgestellten Fällen hat sich das Vertrauensmissbrauchskriterium im Hinblick auf eine erhöhte Verwerflichkeit oder einen gesteigerten Unwert gerade nicht als differenzierungstauglich erwiesen472. Die mangelnde Eignung des Vertrauenskriteriums, einen erhöhten Unwert des Heimtückemordes gegenüber dem Totschlag auszudrücken, kommt auch darin zum Ausdruck, dass beim Totschlag durch Unterlassen der Garant ebenfalls in einem besonderen Verhältnis zum Op-

468 469 470 471 472

Schmoller, ZStW 99 (1987), 387 (407); Geilen, GS Schröder, 235 (254). Geilen, GS Schröder, 235 (256). Schmidhäuser, S. 235. Geilen, GS Schröder, 235 (257). Anschaulich auch LK/Jähnke § 211 Rn. 48 ff.

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

fer steht und dieses Verhältnis die vertrauensvolle Erwartung des rettenden Beistands wecken darf, ohne dass deshalb die Tat zum Mord wird473. Die diversen Strömungen des Vertrauensbruchansatzes vermögen es nicht, diesen Bedenken Stichhaltiges entgegenzusetzen: b) Die einzelnen Spielarten der Vertrauenslösung Eine strenge Form des Vertrauensansatzes fordert, dass der Täter gezielt einen besonderen Vertrauenszustand beim Opfer hervorgerufen haben muss. Jakobs betrachtet den Heimtückemord dabei als zweiaktiges Delikt; erster Akt sei das Fordern von Vertrauen schon zum Zweck des Missbrauchs, zweiter Akt das Töten unter Nutzung dieses so geschaffenen Vertrauens474. Das „missbräuchliche Verlangen“ sei auch außerhalb institutionalisierter Vertrauensbeziehungen möglich und qualifiziere die Tötung zum Mord, weil derartiges Täterverhalten die „Bedingungen von Gemeinsamkeit“ verletze475. Die Schaffung einer besonderen Vertrauenslage zu fordern, ist im Wesentlichen identisch mit der Forderung, der Täter müsse die Arglosigkeit des Opfers hervorgerufen haben. Insofern gelten hier die gleichen Einwände. Es ist nicht ersichtlich, warum nur der Täter wegen Mordes verurteilt werden soll, der das später zur Tötung ausgenutzte Vertrauen des Opfers bewusst schürt, und der Täter lediglich einen Totschlag begeht, der ein besonders leichtgläubiges Opfer ausgesucht hat, obwohl er das gleiche Vertrauen ausnutzt. Auch ist es nicht unbedingt ein Zeichen von größerer Verschlagenheit oder Hinterlist, eine Vertrauenslage zu schaffen. Verschlagenheit und Hinterlist kann ein Täter genauso gut beim sorgfältigen Aussuchen seines Opfers nach dem Kriterium der Naivität oder veranlagter Gutgläubigkeit zum Einsatz bringen476. Wenn auch durch diese enge Voraussetzung des in-Vertrauen-Wiegens dem Vorwurf der Unbestimmtheit entgegengetreten wäre, würde „sich die Bedeutung der Heimtücke auf ein nicht vertretbares Maß reduzieren“ 477. Langer fordert immerhin nicht das Hervorrufen des Vertrauens durch den Täter, aber es soll für das Vertrauen auch nicht nur ein tatsächliches Entgegenbringen seitens des Opfers genügen, sondern der spätere Täter müsse das Vertrauen 473 Rauber, S. 98 f. Es ist offensichtlich, dass das rechtliche Vertrauendürfen nicht unbedingt bedeutet, dass das Opfer faktisch vertraut. Auch hieran wird deutlich, dass mit Vertrauen Unterschiedliches gemeint sein kann. 474 Jakobs, JZ 1984, 996 (997). 475 Insofern steht er der Auffassung M.-K. Meyers (siehe hierzu unten S. 179 ff.) nahe, wie er selbst anmerkt Jakobs, JZ 1984, 996 (997 f.). 476 Interessant ist gleichwohl die Beobachtung von von Hentig, Einzeldelikte, S. 216 f., dass häufig der Mörder zunehmend freundlich wird nach der Fassung seines Tötungsentschlusses. Symptomatisch ist dies für gewachsene Konfliktverhältnisse, die Vertrauensschaffung stellt damit eine Eigenart dieser Tötungskonstellation dar, kennzeichnet die Heimtücke aber nicht allgemein. 477 Rengier, MDR 1980, 1 (4).

II. Einschränkungsvorschläge

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annehmen und das spätere Opfer müsse dies wiederum erkennen478. Er betont weiter, dass der Vertrauensmissbrauch das Tückische im Begriff der Heimtücke ausmache479. Das spezifisch Bösartige tückischer Gesinnung bei der heimtückischen Tötung sei dann gegeben, wenn der Täter nicht nur das Lebensrecht eines anderen, sondern darüber hinaus die Menschenwürde seines Opfers missachte, was wiederum der Fall bei Tötungen aus nichtigen Anlässen sei480. Hinsichtlich der qualifizierten Vertrauensbildung ist bemerkenswert, dass auf Seiten des Vertrauensnehmers, also des späteren Täters, ein lediglich in „sozialtypischer Weise“ begründetes Vertrauensverhältnis genügen soll, während auf Seiten des Vertrauenden, also des späteren Opfers, höhere Anforderungen in tatsächlicher Weise zu stellen seien: So reiche beispielsweise die Institution des Pflegerberufs auf Seite des Täters zur Vertrauensbegründung aus, umgekehrt die Eigenschaft Patient zu sein aber nicht; hier müsse das Opfer sich „tatsächlich vorbehaltslos anvertrauen“ 481. Nach der Feststellung „der Tötung aus nichtigem Anlass und der darüber hinaus menschenunwürdigen Behandlung des Opfers“ sei die heimtückische Gesinnung des Täters jedoch noch nicht abschließend beurteilt, es müsse noch eine übergreifende Wertung des Gesamtgeschehens vorgenommen werden, wobei vor allem Momente des Irrtums oder des Mitleids der abschließenden Beurteilung der Tätergesinnung als „menschenverachtend“ entgegenstehen könnten482. Man mag schon bezweifeln, dass sich solch ein Fall von Irrtum oder Mitleidsmotivation zusammen mit dem vorher zu prüfenden nichtigen Anlass denken lässt483. Der Umstand, dass es einer Art Gegenkorrektur über die Wertung des Gesamtgeschehens bedarf, verdeutlicht aber jedenfalls, dass die Formel Langers nicht nur zu eng in den Fällen der Anonymität, sondern auch zu weit an anderen Stellen ist. Zudem läge in Fällen, bei denen die Heimtücke zu bejahen wäre, gleichzeitig auch ein Mord aus niederen Beweggründen vor. Denn das Handeln aus nichtigem Anlass als Kennzeichen eines die Menschenwürde verachtenden Verhaltens, welches wiederum maßgeblich für die Heimtücke gegenüber dem Totschlag sein soll, wird regelmäßig auch einen niederen Beweggrund darstellen. Bei diesem Verständnis der Heimtücke könnte man aber gänzlich auf sie verzichten, denn eine eigene Funktion kommt dem Mordmerkmal dann nicht zu484. 478 479 480 481 482

Langer, JR 1993, 133 (140). Langer, JR 1993, 133 (140 f.). Langer, JR 1993, 133 (141). Langer, JR 1993, 133 (143). Langer, JR 1993, 133 (143), damit nähert sich Langer der Typenkorrektur wieder

an. 483 Dies ist für die Mitleidsmotivation allenfalls möglich, wenn man eine Verblendung genügen lässt; beim Irrtum wird es noch schwieriger. 484 Ähnlich bezeichnet Arzt, JR 1979, 7 (10 f.) es als „sinnlos“, in Fallkonstellationen mit einer „Schaukel“ zwischen zwei Mordmerkmalen große Mühen um die Restriktion eines Mordmerkmals an den Tag zu legen. Es ist aber keinesfalls irrelevant, ob der Täter dieses oder jenes Mordmerkmal oder gar beide verwirklicht.

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

Auch ist nicht verständlich, weshalb unterschiedliche Anforderungen an die Vertrauensbildung auf Opfer- und Täterseite gestellt werden sollen, zumal die erforderliche Intensität des Vertrauens trotzdem unklar bleibt. Dass der Täter eines Totschlags „zwar nicht das Leben, aber wenigstens die Person des Getöteten ernstgenommen“ 485 habe, dass also der maßgebliche Punkt zur Unterscheidung des Heimtückemordes vom Totschlag in der Missachtung der Menschenwürde des Opfers zu erblicken sei, vermittelt überdies den Eindruck, als sei es die Menschenwürde und nicht das Leben, das primär von § 211 StGB geschützt wird. Darüber hinaus überzeugt es nicht, dass eine Tötung als Achtung der Menschenwürde zu verstehen sein soll und deshalb der strafrechtliche Lebensschutz geringer sein soll. Otto will den Vertrauensbegriff nicht nur auf ein gegenseitiges Verhältnis beziehen, auch das einseitig entgegengebrachte Vertrauen soll ausreichen486. Interessant ist, dass er zwischen schutzwürdigem und nicht schutzwürdigem entgegengebrachten Vertrauen differenziert, obwohl er zuvor einer Normativierung eine Absage erteilt487. Die Schutzwürdigkeit sei zu verneinen, wenn das Opfer mehr in sich – in seine Stärke oder Machtposition gegenüber dem Täter – vertraue als in eine persönliche Vertrauensbeziehung zum Täter488. Er führt zwei anschauliche Beispiele für nichtschutzwürdiges Vertrauen an489: Erstens sei der Erpresser nicht schutzwürdig, der auf das Ausbleiben von Gegenwehr vertraue. Der Erpresserfall von 2003 macht diese Aussage wieder aktuell und diskussionswürdig. Zweitens sei beim Familientyrannen, dem jahrelang kein Widerstand von seinem Opfer entgegengebracht wurde, bei entgegen dieser Gewohnheit erfolgter Gegenwehr, das Vertrauen des Tyrannen auf das weitere Ausbleiben nicht schutzwürdig. Letzteres macht deutlich, dass die Vertrauensansätze gerade in den problematischen Fällen der Tyrannen-Tötungen in Erklärungsnot kommen, denn dort ist ein faktischer Vertrauensbruch „schwerlich zu leugnen“ 490. c) Fazit Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich das Vertrauensbruchkriterium nicht bewährt hat. Bemerkenswert ist aber, dass durch dieses Kriterium erneut das Verhältnis zwischen Opfer und Täter in den Vordergrund gerückt ist. 485

Langer, JR 1993, 133 (144). Otto, ZStW 83 (1971), 39 (64). Vertrauen, welches dem Opfer vom Täter entgegengebracht wird, wird selbstverständlich nirgends gefordert. Das Wort Vertrauensverhältnis stellt nur die Interaktion zwischen Täter und Opfer in den Vordergrund. 487 Otto, ZStW 83 (1971), 39 (51 und 64). 488 Otto, ZStW 83 (1971), 39 (64). 489 Otto, ZStW 83 (1971), 39 (64); er tritt mit beidem Schaffstein, FS Mayer, 419 (430) entgegen. 490 Roxin, FS Widmaier, 741 (747). 486

II. Einschränkungsvorschläge

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4. Die Typenkorrekturen Nach der Idee der Typenkorrekturen wird die besondere Verwerflichkeit gesondert festgestellt beziehungsweise ausgeschlossen, je nachdem ob man eine positive oder negative Typenkorrektur befürwortet491. Die Verwirklichung eines Mordmerkmals hat demzufolge nur indizielle Wirkung492. Bei der positiven Typenkorrektur kommt der Verwerflichkeit der Rang eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals zu, wohingegen bei der negativen Typenkorrektur die Mordmerkmale durch rechtsfortbildende teleologische Reduktion zu Regelbeispielen umfunktionalisiert werden493. Die Typenkorrekturen sind nicht auf die Heimtücke beschränkt, werden jedoch dort verstärkt diskutiert494. Für eine allgemeine Verwerflichkeitskontrolle plädiert Geilen, der postuliert, dass die Rechtsprechung dies versteckt sowieso praktiziere495. Auch ein Vergleich mit § 212 Abs. 2 StGB spreche de lege lata für die Zulässigkeit der Typenkorrektur; denn es sei andernfalls ein „auffallender Kontrast“ zu beklagen, wenn die zu Lasten des Täters gehende mögliche Umgehung der Mordmerkmalkasuistik in § 212 Abs. 2 StGB bestünde, wohingegen die den Täter begünstigende Umgehung innerhalb des § 211 StGB nicht möglich sein soll496. Diese Überlegung zeigt, dass die absolute Sanktion des § 211 StGB höchst bedenklich ist. Von der inhaltlichen Prüfung her geschieht bei der negativen Typenkorrektur letztlich nichts anders als bei der noch ausführlich zu besprechenden Rechtsfolgenlösung, auch wenn letztere gerade bemüht ist, sich von der Typenkorrektur abzusetzen497. Daher verwundert es nicht, dass Kritiker monieren, das eine (die Verwerflichkeitsfrage bei der Typenkorrektur) sei so unbestimmt wie das andere (das Vorliegen der außergewöhnlichen Umstände bei der Rechtsfolgenlösung)498, wobei die Typenkorrektur verstärkt auf „emotionale Entrüstung“ angelegt sei und so § 211 StGB zum „Spielball moralisierender Wertungen“ mache499. Typenkor491 Zu einer Übersicht über die verschiedenen Arten der Typenkorrektur siehe Arzt, JR 1979, 7 (8). 492 Eser, JR 1981, 177 (183) erklärt, aufgrund dieser Gemeinsamkeit sei es nur von sekundärer Bedeutung, ob man die positive oder negative Variante einer Typenkorrektur vertrete. 493 MüKo/Schneider § 211 Rn. 36; zu dem Begriff und den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, siehe im folgenden Kapitel ab S. 143. 494 Für eine Anwendbarkeit auch bei den anderen Mordmerkmalen Otto, JURA 1994, 141 (144). 495 Geilen, JR 1980, 309 (313). 496 Geilen, JR 1980, 309 (311). 497 BGHSt 3, 330 (332 f.); BGHSt 9, 385 (389); BGHSt 11, 139 (143); BGHSt 30, 105 (115). 498 Lackner, NStZ 1981, 344 (349), Mitsch, JuS 1996, 121 (122). 499 MüKo/Schneider § 211 Rn. 15; Eser, 53. DJT, D 160 f.; Woesner, NJW 1978, 1025 (1026); ähnliche Kritik klingt bei Neumann, FS Eser, 431 (432) an.

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

rektur und Rechtsfolgenlösung sollen sich aber doch in einem Punkt unterscheiden: Die Rechtsfolgenlösung hebe stärker hervor, dass das „Lebenslang“ die „Leitwährung“ des Mordes ist, wohingegen die Typenkorrektur leichter zu überwindende Hürden aufstelle, da sie mehr Raum für Subjektives lasse und somit in mehr Fällen zur zeitigen Freiheitsstrafe komme500. Ob sich das zahlenmäßig jedoch tatsächlich so darstellen würde, ist nicht belegt. Dass die Typenkorrekturen an der zu großen Unbestimmtheit des Verwerflichkeitsbegriffs, Überschreitung der richterlichen Kompetenz und Überforderung des Rechtsanwenders leiden, beanstanden bekanntermaßen etliche Rechtswissenschaftler501. Den Vorwurf der Kompetenzverschiebung betreffend geht das soweit, dass die Sorge kundgetan wird, der Richter könne dort, wo überhaupt kein Mordmerkmal vorhanden sei, wegen der Verwerflichkeit auf Mord erkennen502. Man kann solcher Befürchtung mit dem Hinweis begegnen, dass die Mordmerkmale immer noch notwendige Voraussetzungen des Mordes sind503. Richtigerweise wird jedoch kritisiert, dass Tatbestandsmerkmale mit einer nur indiziellen Wirkung der Sache nach zu Regelbeispielen umgewandelt werden504. Die Typenkorrektur wird aus Sicht ihrer Befürworter rechtsstaatlich für bedenkenfrei erklärt, da sie nur zugunsten des Täters wirke505. Für Eser ist eine Typenkorrektur auf Basis der jetzigen Gesetzeslage die einzige Möglichkeit, sowohl der Einzelfallgerechtigkeit als auch der Rechtssicherheit zu genügen: Im Vergleich zu einzelfallorientierten Einschränkungsversuchen sei sie „sachlich adäquater“, weil bei der Vielschichtigkeit menschlichen Verhaltens absolute Lösungen von vornherein nicht angebracht erscheinen, und „methodisch redlicher“, weil sie die „sachimmanente Relativität der Mordmerkmale bewußt offenlegt“ 506. Ähnlich argumentiert Saliger, der sich explizit jedoch nur für eine Anwendung der negativen Typenkorrektur ausspricht507. Für das methodische Vorgehen bei der Abgrenzung von Mord und Totschlag folgert er aus dem Umstand, dass es kein einheitliches Leitprinzip für alle Mordmerkmale gibt, dass man die drei Leitprinzipien ,Überlegung‘, ,besondere Verwerflichkeit‘ und ,besondere Gefährlichkeit‘ unter 500

MüKo/Schneider § 211 Rn. 47. Maurach/Schroeder/Maiwald, § 2 III Rn. 25; Mitsch, JuS 1996, 121 (122); MüKo/Schneider § 211 Rn. 15; Woesner, NJW 1978, 1025 (1026 f.); Lackner, NStZ 1981, 344 (349); Roxin, FS Widmaier, 741 (745); Albrecht, JZ 1983, 697 (699) referiert Kritikpunkte mit weiteren Nachweisen. 502 Arzt/Weber, § 2 Rn. 15 f. 503 Bockelmann, ZStW 74 (1962), 304 (308) erklärt, gerade die niederen Beweggründe würden das Zutrauen des Gesetzgebers hinsichtlich der richterlichen Feststellung eines Mordmerkmals bekunden. 504 Kargl, StraFo 2001, 365 (369). 505 Bertram, Jescheck/Triffterer, 157 (175). 506 Eser, JR 1981, 177 (183 f.). 507 Saliger, ZStW 109 (1997), 302 (332). 501

II. Einschränkungsvorschläge

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dem Begriff der „Höchststrafwürdigkeit der Tötung“ zusammenfassen könne und mittels dieses Kriteriums die Indizwirkung der Mordmerkmale verneinen könne508. Dabei stellt er klar, dass die drei Fälle der Höchststrafwürdigkeit für sich genommen weder notwendige, noch hinreichende Bedingungen seien, sondern ihrerseits ebenfalls indiziellen Charakter hätten; bei dieser Methode sei jedoch hinsichtlich Bestimmtheit und Rechtssicherheit weniger zu befürchten als bei den sonstigen Restriktionsversuchen509. Teils wird bedauert, dass mit den Typenkorrekturen dem Bestreben die Absage erteilt werde, einen Universalgrund der Mordmerkmale herauszustellen510. Von einigen wird das fehlende einheitliche Leitprinzip sogar als Schwachstelle der Typenkorrektur gesehen511. Dies impliziert, dass ein erfolgversprechendes Restriktionsvorhaben ein solches notwendig voraussetzt. Dem ist aber zu widersprechen. An den jeweiligen Mordmerkmalen ausgerichtete differenzierte Verwerflichkeits- und Gefährlichkeitsüberlegungen sind im Vergleich zu der Idee eines einheitlichen Leitprinzips nicht unbedingt weniger wert. Ferner wird die gefährliche Nähe zum Täterstrafrecht als Schwachstelle des Ansatzes erkannt512. Auch ist zu überlegen, ob mit der Verwerflichkeitsfrage nicht einfach die Frage, ob ein niederer Beweggrund vorliegt, reformuliert ist513. Diese Überlegung liegt immer dann nahe, wenn betont wird, dass es für die Heimtücke entscheidend sei, „was ihn [den Täter] dazu gebracht hat“ 514. Nach diesem kurzen Abriss lässt sich bereits ein für diese Arbeit ausreichendes Fazit ziehen. Es ist zu bezweifeln, dass allein die besondere Verwerflichkeit den Heimtückemord vom Totschlag scheidet. Zudem ist der ,normale‘ Totschlag ebenfalls als verwerflich zu betrachten, und was nun die Besonderheit der Verwerflichkeit der den Mord erfüllenden Tötung ausmachen soll, ist schwer zu fassen515. Es ist nicht abzustreiten, dass die Typenkorrektur Rechtsfortbildung ist516. Ob dies unzulässig ist, ist eine Grundsatzfrage des Verfassungsrechts und ähnlich 508

Saliger, ZStW 109 (1997), 302 (333 f.). Saliger, ZStW 109 (1997), 302 (334); eindeutig beispielsweise soll der Mord zu bejahen sein, wenn kumulativ alle drei Leitprinzipien verwirklicht sind, und umgekehrt ebenso eindeutig sei Totschlag gegeben, wenn keines der drei vorliegt. 510 Otto, JURA 1994, 141 (144). 511 Bornemann, S. 98 mit weiteren Nachweisen. 512 Maurach/Schroeder/Maiwald, § 2 III Rn. 25; siehe aber auch Bockelmann, ZStW 74 (1962), 304 (308 f.). 513 Treffend Woesner, NJW 1978, 1025 (1026). 514 Beispielsweise Bockelmann, ZStW 74 (1962), 304 (310). 515 Anders Eser, 53. DJT, D 160 f., der Unterscheidung von Totschlag und Mord lägen unterschiedliche Verwerflichkeitsgrade zugrunde, nur darüber hinaus (um beim Mord de lege ferenda zwischen zeitiger oder lebenslanger Freiheitsstrafe zu entscheiden) einen „Superlativ der Verwerflichkeit“ zu fordern, sei rational schwerlich umzusetzen. 516 MüKo/Schneider § 211 Rn. 15, 43. 509

140

B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

wie bei der Rechtsfolgenlösung zu bewerten – dazu gleich. Jedenfalls aber ist eine Präzisierung des Heimtückemordes durch Definitionsarbeit an dem Tatbestandsmerkmal vorzugswürdiger als eine freischwebende Verwerflichkeitsprüfung.

5. Die Rechtsfolgenlösung der Rechtsprechung Unter dem Ausdruck ,Rechtsfolgenlösung‘ können verschiedene Ansätze zur Begrenzung der Mordstrafbarkeit erfasst werden. So sind Vorschläge wie die Mordmerkmale de lege ferenda in Regelbeispieltechnik517 zu listen, die zeitige (eventuell neben lebenslanger) Freiheitsstrafe vorzusehen518 oder einen minder schweren Mord anzuerkennen beziehungsweise zu schaffen519 allesamt Ansätze, die auf der Rechtsfolgenseite das im Einzelfall bestehende Problem der schuldangemessenen Strafe bei Vorliegen eines Mordmerkmals beheben wollen. All dies soll hier aber nicht angesprochen werden. Die hier als Rechtsfolgenlösung betitelte und auch allgemein so bekannt gewordene Ansicht meint allein die analoge Heranziehung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB in Mordfällen mit „außergewöhnlichen Umständen“ 520. Der BGH ist diesen Weg zur Vermeidung schuldunangemessener Freiheitsstrafen 1981 im sogenannten „Onkel“-Fall zum ersten Mal gegangen und hat ihn als „Strafrahmen- und Strafzumessungslösung“ bezeichnet521. Diesem Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Frau des Angeklagten wurde von dessen Onkel in der ehelichen Wohnung vergewaltigt. Aufgrund dieses dem Angeklagten zunächst verschwiegenen Ereignisses versuchte die Ehefrau mehrmals, sich das Leben zu nehmen und strebte schließlich aus Scham die Scheidung an. Als der Angeklagte, wie sein Onkel türkischer Staatsangehöriger, von diesem die Rückzahlung eines Darlehens forderte, brüstete sich der Onkel gegenüber seinem Neffen mit der Vergewaltigung, stellte ihm gleiches in Aussicht und drohte ihm mit dem Tod in naher Zukunft. Zu Hause fasste der Angeklagte den Entschluss, seinen Onkel zu töten und ging mit dieser Absicht zu der Kneipe, in der er ihn zutreffend vermutete. Dort erschoss der Angeklagte sein in ein Kartenspiel vertieftes Opfer mit 14–16 Schüssen. In dieser Grundsatzentscheidung, die nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur lebenslangen Freiheitsstrafe erging522, konstatiert der Große 517

Mitsch, JuS 1996, 121 (123) mit weiteren Nachweisen. Siehe hierzu aus neuer Zeit der AE-Leben, näher hierzu ab S. 189. 519 Siehe dazu ausführlich im nächsten Unterkapitel ab S. 152. 520 BGHSt 30, 105 ff., bereits im Leitsatz sind die außergewöhnlichen Umstände angeführt. 521 BGHSt 30, 105 (120); die Anwendung dieses Strafrahmens sei beim Vorliegen der außergewöhnlichen Umstände zwingend, da es keine Ausnahmen vom Übermaßverbot gäbe. Die Freiheitsstrafe kann dann gemäß den §§ 49 Abs. 1 Nr. 1, 38 Abs. 2 StGB 3 bis 15 Jahre betragen. 522 BVerfGE 45, 187 ff. 518

II. Einschränkungsvorschläge

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Senat zunächst, dass das normative Tatbestandsmerkmal Heimtücke ein „Sinnverständnis“ oder synonym hierzu gebraucht eine „Bedeutungskenntnis“ des Täters voraussetze523. Diese Bedeutungskenntnis (beziehungsweise das Sinnverständnis) ist dabei nicht gleichbedeutend mit dem Ausnutzungsbewusstsein als Element der Definition für das Heimtücketatbestandsmerkmal. Vielmehr behandelt der BGH das Ausnutzungsbewusstsein nur als Teil der Bedeutungskenntnis. Dies ergibt sich daraus, dass die Bedeutungskenntnis laut des BGH fehlen können soll, „auch wenn der Täter die tatsächlichen Umstände, welche seine Tötungshandlung zu einer objektiv-heimtückischen machen, nicht verkennt“ 524. Die Umstände nicht zu verkennen, bedeutet nämlich nichts anderes, als sich ihrer bewusst zu sein und dies wiederum genügt für die Bejahung des Ausnutzungsbewusstseins525. Demzufolge soll das Ausnutzungsbewusstsein (und damit tatbestandlich das Heimtückemerkmal) vorliegen können, ohne dass auch die Bedeutungskenntnis gegeben sein muss. Umgekehrt kann sich folglich die Bedeutungskenntnis nicht in dem Ausnutzungsbewusstsein erschöpfen, sondern muss einen zusätzlichen Aspekt beinhalten. Wenn Bedeutungskenntnis und Ausnutzungsbewusstsein Synonyme wären, läge im Übrigen bei fehlender Bedeutungskenntnis schon tatbestandlich keine Heimtücke vor und es bestünde dann gar keine Notwendigkeit § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB heranzuziehen. Diese Situation, dass der Täter heimtückisch, aber ohne Bedeutungskenntnis handele, kann dem BGH zufolge dann eintreten, wenn dem Täter „Entlastungsfaktoren“ von erheblichem Gewicht zur Seite stehen, welche zwar nicht von ausdrücklich vorgesehenen Milderungsgründen erfasst sind, die jedoch den „Charakter außergewöhnlicher Umstände“ aufweisen526. Diese Entlastungsfaktoren ließen die absolute Strafandrohung für einen Mord nicht mehr als schuldangemessen erscheinen527. Damit wird man die Bedeutungskenntnis als das verwerflich bewertete Ausnutzen verstehen dürfen, wobei diese Bewertung aufgrund einer von der Rechtsordnung angestellten Gesamtbetrachtung erfolgt. Davon zu unterscheiden ist das Ausnutzungsbewusstsein im Sinne der Heimtückedefinition, was als das wertfreie Wahrnehmen der Heimtückeumstände durch den Täter zu begreifen ist.

523

BGHSt 30, 105 (117 f.). BGHSt 30, 105 (118) ohne die Hervorhebungen. 525 Diese Gleichsetzung ist zwingend, wenn man es (wie hier und von der Rechtsprechung vertreten) genügen lässt, dass dem Täter die Erleichterung seiner Tat durch die objektiv-heimtückischen Umstände bewusst sind und nicht fordert, dass er sein Tötungsvorhaben davon abhängig macht. Zu diesem Problem siehe oben ab S. 114. 526 BGHSt 30, 105 (118 f.). 527 BGHSt 30, 105 (118 f.). Ein Fall mit außergewöhnlichen Umstände sei ein „Grenzfall“ im Sinne der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung zur lebenslangen Freiheitsstrafe, BVerfGE 45, 187 ff. 524

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

Als Beispiele für außergewöhnliche Umstände werden nun die „notstandsnahe, ausweglos erscheinende Situation“, Taten „in großer Verzweiflung“ oder „aus tiefem Mitleid“ sowie „aus gerechtem Zorn“ oder „auf Grund einer schweren Provokation“ und letztlich Taten aus „vom Opfer verursachten und ständig neu angefachten, zermürbenden Konflikt“ genannt528. Es wird aber auch betont, dass nicht jeder Umstand, der bei einem Totschlag zu einem minder schweren Fall im Sinne des § 213 StGB führen würde, zur Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB führen könne529. Wichtig sei zudem, dass alle gesetzlich vorgesehenen Milderungen, die auf § 49 StGB verweisen, vorrangig in Betracht gezogen werden, bevor auf die außergewöhnlichen Umstände zurückgegriffen wird, um die Milderung gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB analog herbeizuführen530. Grund hierfür sind nicht nur dogmatische Erwägungen, sondern auch der Umstand, dass beides zwar zum gleichen Strafrahmen führt, im Ergebnis der Weg über eine ausdrücklich vorgesehene Milderung für den Täter aber trotzdem der günstigere ist. Denn bei der konkreten Festsetzung der Strafe wiegen diejenigen Umstände, die für die Eröffnung der außerordentlich gewährten Milderung herangezogen wurden, nicht mehr so stark, wie in den Fällen gesetzlich vorgesehener Strafmilderungen, bei denen sie sich bislang nirgends niedergeschlagen haben531. Die Betonung der Subsidiarität wird von einigen als Versuch des 5. Strafsenats gewertet, die Geister zu vertreiben, die der Große Senat mit BGHSt 30, 105 ff. gerufen habe532. Dies verkennt allerdings, dass die geschilderten strengen Maßstäbe von vornherein in der Rechtsfolgenlösung angelegt sind und der Appell an sie nicht als eine Revidierung, sondern als Klarstellung zu verstehen ist533. Die zunächst verständliche Besorgnis, die Rechtsfolgenlösung hemme das Bemühen um eine tatbestandlich präzise Definition der Mordmerkmale534, ist erfreulicherweise nicht zu bestätigen. 528 BGHSt 30, 105 (119); weiter bejaht in BGH NStZ 1982, 69 (69); verneint bei BGH NJW 1983, 54 (55); BGHSt 41, 72 (93 f.); BGH NStZ 1984, 20 (20) im Fall eines Tyrannenmordes. 529 BGHSt 30, 105 (118). 530 BGH JZ 1983, 967 (967); befürwortend Eser, NStZ 1983, 433 (438); BGHSt 48, 255 (258); aus neuerer Zeit zur Befürchtung „vereinfachter Urteilsfindung“ entgegen dem tatsächlich zurückhaltenden Gebrauchen der Rechtsfolgenlösung Fahlbusch, S. 197. 531 BGH JZ 2004, 44 (47); BGH NStZ-RR 2006, 200 (201); anderer Auffassung ist Hillenkamp, JZ 2004, 48 (52). 532 W. Hassemer, JZ 1983, 967 (967), der das gleiche Bild wie Spendel, JR 1983, 269 (271) gebraucht. 533 So hat sich die Befürchtung Lackners, NStZ 1981, 348 (349 f.), dass durch die neue „Vermeidungsstrategie“ der Rechtsprechung das weitere Bestreben, den Heimtückebegriff passender zu formulieren, gehemmt werden könnte und die Praxis gehäuft den „bequemeren Weg einer Gesamtwürdigung von Tat und Täter“ gehe zumindest nicht in schlimmster Form bewahrheitet. 534 Unter anderem Spendel, StV 1984, 45 (45).

II. Einschränkungsvorschläge

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Der BGH hat sich mit der Erpresser-Entscheidung auch nicht von der Rechtsfolgenlösung verabschiedet, wie man es durchaus hätte vermuten können535. Denn später ergangene Entscheidungen wenden die Rechtsfolgenlösung weiter an beziehungsweise verneinen das Vorliegen von außergewöhnlichen Umständen im Einzelfall, was deren grundsätzliche Anerkennung voraussetzt536. Zwar ist die Rechtsfolgenlösung zu den Mordmerkmalen Heimtücke und Verdeckungsabsicht konstruiert worden, dies erklärt sich aber dadurch, dass Anlass der Entscheidung eben ein entsprechend gelagerter Fall war. Stimmt man der Rechtsfolgenlösung grundsätzlich zu, muss man sie konsequenterweise darüber hinaus für alle Mordmerkmale gelten lassen537. Sich der Kontroverse über die Rechtsfolgenlösung anzunehmen, kann aufgrund der umfassenden Besprechung, die es hierzu gibt, nicht durch die Hoffnung motiviert sein, neue Erkenntnisse oder Argumente für oder gegen diesen Lösungsweg aufzuzeigen. Gleichwohl ist es für das Thema dieser Arbeit unverzichtbar, auf die Schwachpunkte dieses Ansatzes einzugehen, um den eigenen Lösungsvorschlag später an diesen messen zu können. a) Der Einwand der Kompetenzüberschreitung und der Begriff des contra legem-Handelns An der Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB in gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehenen Fällen wird sehr scharf kritisiert, dass dies nicht durch den Wortlaut der Norm zugelassen sei und dies die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschreite538. Selbst wenn man grundsätzlich die Lückenschließung im Wege der Analogie als „Fortsetzung der Auslegung“ 539 und damit als zulässige richterliche Rechtsfortbildung betrachte, habe sich hier jedenfalls ein Kompetenzübergriff ereignet, der gegen Art. 20 Abs. 3 GG verstoße und damit verfassungswidrig sei540. Die Kompetenzüberschreitung liege darin, dass der Große Senat 535

Kett-Straub, JuS 2007, 515 (516). LG Bremen StV 2007, 418 (418). Auch der BGH geht in späteren Entscheidungen hierauf ein, so beispielsweise in seinem Beschluss vom 03.04.2008 – 5 StR 525/07 oder BGH NStZ-RR 2006, 200 (201); allerdings hat nicht derselbe Senat wie im Erpresser-Fall entschieden. 537 Eser, JR 1981, 177 (177); MüKo/Schneider § 211 Rn. 40; Jähnke, FS Spendel, 537 (545); Lackner, NStZ 1981, 348 (348 f.). BGHSt 42, 301 (304) ist daher entgegenzutreten. 538 Bruns, JR 1981, 358 (360 ff.); Bornemann, S. 100; H. J. Hirsch, FS Tröndle, 19 (28 f.); Schlechtriem, S. 44 ff.; Fahlbusch, S. 195 f.; NK StGB II/Neumann Vor 211 Rn. 149 bezeichnet die Rechtsfolgenlösung als „Pyrrhussieg“; Maurach/Schroeder/Maiwald, § 2 III Rn. 27 sprechen von einer „krampfhaft originellen“ Lösung; Spendel, JR 1983, 269 (271) sogar von Rechtsbeugung zumindest vom objektiven Tatbestand her. 539 Larenz, Larenz/Canaris, S. 187. 540 Statt der eigenmächtigen Sanktionsbildung wäre der Weg über Art. 100 GG einzuschlagen gewesen, Mitsch, JuS 1996, 121 (122); Bruns, JR 1981, 358 (362). 536

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

eine Analogie zu tätigen vorgäbe, deren Voraussetzungen tatsächlich aber nicht bestünden: Für die einen besteht schon keine Regelungslücke, so dass der BGH contra legem, also gegen positives Gesetz, handele541; für die anderen ist die Lückenschließung fehlerhaft542. An dieser Stelle ist bedeutsam, zwei Dinge auseinanderzuhalten, die mit den Worten contra legem verbunden werden543. Der Vorwurf, in nicht gesetzlich vorgesehener Weise zu handeln, ist das eine. Erstaunlicherweise ist der Ausdruck des contra legem-Handels aber nicht nur mit negativer Kritik an der Rechtsfolgenlösung verbunden, sondern er wird daneben im Rahmen einer positiven Forderung an den Richter gebraucht, in absoluten Notfällen contra legem zu handeln. Der Rechtsfolgenlösung wird dadurch aber keineswegs Gefolgschaft geleistet, denn die Methode des BGH über eine Analogie zur Durchbrechung der absoluten Strafandrohung zu gelangen, wird von dieser Position aus gleichermaßen kritisiert. Stattdessen wird eine offen ausgesprochene Vorgehensweise contra legem unter den engen Voraussetzungen dieses „Richterrechts“ 544 gefordert. Beispielsweise sieht Köhler bei dem Mordtatbestand die Bedingungen des ausnahmsweise zulässigen contra legem-Judizierens, die „Dringlichkeit einer Problemlösung, die Unmöglichkeit entsprechender Normtextauslegung“ und „die dauernde Untätigkeit des Gesetzgebers“, als erfüllt an545. Ähnlich steht Neuner auf dem Standpunkt, dass es bei einer „exorbitanten Abweichung vom Normaltypus“ legitim sei, formal gegen das Gesetz zu entscheiden, da der Gesetzgeber nur abstrakt-generelle Regelungen treffe und eine solche abweichende Entscheidung dann keine Missachtung des Gesetzgebers sei, sondern im Gegenteil der materiellen ratio des Gesetzes und so der Volkssouveränität eher Tribut gezollt werde, als es der Fall wäre, wenn eine dem Volk unbegreifliche Entscheidung getroffen werden würde546. Dem Gesetzgeber bleibe es zudem unbenommen, für die Zukunft derartige Konstellationen, die der Richter konkret-individuell zu entscheiden hatte, abstrakt-generell zu regeln, so dass eine echte Verschränkung der Gewalten oder ein Kompetenzübergriff gar nicht bestünde547. Was zunächst nach Verteidigung der Rechtsfolgenlösung die Kompetenzfrage betreffend klingt, lässt trotzdem eine deutliche Kritik an der „Onkel“-Entscheidung in methodischer

541 Bruns, FS Kleinknecht, 49 (59), das Ganze sei ein „Etikettenschwindel“; Spendel, JR 1983, 269 (271). 542 Veh, S. 123 f., der ebenfalls bereits die Lücke schon nicht eindeutig gegeben sieht. 543 Zu den verschiedenen Zusammenhängen G. Hirsch, S. 17 ff. 544 Für einen kurzen, aber kritischen Einstieg in diese Problematik Neuner, S. 52 ff. 545 Köhler, JuS 1984, 762 (769); gleichermaßen MüKo/Schneider § 211 Rn. 43. 546 Neuner, S. 163 f.; er nimmt sich der contra-legem-Frage zwar nicht von einem spezifisch strafrechtlichen Blick aus an, exemplifiziert dies aber als erstes an der „Onkel“-Entscheidung, S. 164 ff. 547 Neuner, S. 57 f.

II. Einschränkungsvorschläge

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Hinsicht zu: Neuner bemängelt, dass das der Sache nach vorliegende contra legem-Judizieren nicht als solches kenntlich gemacht wurde, sondern versucht wurde, eine „Scheinlegalität“ zu wahren, was das System schwäche sowie den beklagenswerten Nebeneffekt habe, dass der sachgerechtere Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB nicht herangezogen wurde548. Diejenigen, die sich für die Zulässigkeit des ausnahmsweise contra-legem-Judizierens stark machen, sind also deutlich von dem Lager der Rechtsfolgenlösung zu unterscheiden. Insbesondere ist ihnen mit den Kritikern der Rechtsfolgenlösung gemein, dass sie die Voraussetzungen einer legitimen Analogie zu Gunsten des Täters als nicht gegeben ansehen. Es wird nun kaum bestritten, dass die Fortbildung des Rechts Aufgabe der Gerichte ist549. Was genau unter Rechtsfortbildung zu verstehen ist, ist jedoch höchst strittig. Ziemlich einmütig wiederum wird das Schließen einer ungewollten Lücke mittels Analogie (im Strafrecht nur zu Gunsten des Täters) als zulässiges Richterrecht aufgefasst. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass einige das Problem des contra legem-Handelns lösen (oder besser vermeiden) wollen, indem die zu schließende Lücke denkbar weit definiert wird550. So besteht für Zippelius neben der offensichtlich am Wortlaut erkennbaren „Formulierungslücke“ die sogenannte Lücke aus „Wertungsmängeln“, die entweder zu schließen sei mit der Herausnahme von sprachlich eindeutig unter die Norm fallenden Sachverhalten, wenn sie sachlich ungleich sind, oder umgekehrt mit der Hereinnahme von Vergleichbarem entgegen dem Wortsinn551. Damit ist einer Legitimation durch den Gleichbehandlungsgrundsatz der Weg bereitet. Üblichere Bezeichnung des ersten Falls der Herausnahme ist die Reduktion oder auch Restriktion, auch wird dies wegen des Fehlens einer Ausnahmeregelung als „verdeckte Lücke“ bezeichnet552. Voraussetzung dieser „offenen Rechtsfortbildungen“ im Interesse eines materiell widerspruchsfreien Systems soll sein, dass die Gründe im Einzelfall hierfür schwerer wiegen als das Interesse der Allgemeinheit an Gewaltenteilung und Rechtssicherheit553. Wo das Gesetz seiner Aufgabe nicht 548 Neuner, S. 166 f., 171; auch für Günther, NJW 1982, 353 (357) wäre eine etwaige Regelungslücke mit dem Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB zu schließen gewesen. 549 Dies kommt auch in zahlreichen Gesetzen zum Ausdruck, beispielsweise § 543 Abs. 2 Nr.2 ZPO, § 74 Abs. 2 Nr. 2 GWB, § 219 Abs. 2 Nr. 3 BEG; § 83 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG, § 100 Abs. 2 Nr. 2 PatG, § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG. Siehe auch BVerfGE 34, 269 (286 ff.); 65, 182 (190 ff.); 94, 375 (394 f.). 550 Zur obendrein schwierigen Abgrenzung von Lückenhaftigkeit und Fehlerhaftigkeit des Gesetzes Larenz, Larenz/Canaris, S. 194 f., zum verbleibenden Bereich für das contra-legem-Urteil, S. 250 f. 551 Zippelius, Methodenlehre, S. 64 ff.; zum weiten Lückenbegriff auch Larenz, Larenz/Canaris, S. 246, 251. 552 Larenz, Larenz/Canaris, S. 191 ff., 210 ff.; verdeckt, weil das Fehlen nicht gleich offensichtlich ist. 553 Zippelius, Methodenlehre, S. 70; dabei ist die Rechtssicherheit mit der Zeit wiederzuerlangen, Zippelius, Methodenlehre, S. 80.

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

gerecht werde, ein Problem nach den geltenden Maßstäben der Gemeinschaft zu regeln, ist nach Zippelius weiter die „produktive Kritik“ des Richters in Form von eigener Tatkraft sogar gefordert, da in Art. 20 Abs. 3 GG nicht nur die Bindung des Richters an das „Gesetz“, sondern auch an das „Recht“ aufgeführt ist554. Larenz ist der ähnlichen Auffassung, dass die richterliche Arbeit in drei Stufen mit fließenden Übergängen zu unterteilen sei: Beginnend mit der Auslegung, gefolgt von der Rechtsfortbildung im Rahmen des ursprünglichen gesetzgeberischen Plans („gesetzesimmanente Rechtsfortbildung“), schließe sich die letzte Stufe, die „gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung“ an, die weder am Wort noch am Telos der Norm, sondern nur an den leitenden Prinzipien der Gesamtrechtsordnung orientiert ist555. Zu letzterem sei der Richter allerdings nur unter gesonderten Bedingungen angehalten556. Dann sei dieses Verhalten nicht als contra legem zu werten, sondern als „intra ius“, wenn auch „extra legem“ 557. Bei der Eingruppierung der Rechtsfolgenlösung in die genannten Kategorien richterlicher Methoden muss man genau betrachtet sagen, dass der Große Senat zwei Rechtsfortbildungsvarianten hintereinandergeschaltet hat, was das eigentlich neue und befremdliche ist558: Erster Schritt ist die Reduktion des Anwendungsbereichs der Rechtsfolge „Lebenslang“. Normalerweise ist das Ergebnis einer Restriktion, dass der herausgenommene Sachverhalt entweder gar keiner Norm mehr unterfällt oder automatisch in den Anwendungsbereich einer anderen Norm fällt. Anders liegt es hier, da nicht auf Tatbestandsebene eine Reduktion vorgenommen wird, sondern auf Strafzumessungsebene die vorgesehene Rechtsfolge nicht zur Anwendung kommen soll und so derselbe Tatbestand immer noch erfüllt, aber sanktionslos ist559. In einem zweiten Schritt hat der BGH die durch diese Reduktion aufgezeigte (um nicht zu sagen hervorgerufene) Lücke mit einer Analogie zu schließen versucht. Ob eine solche doppelte Rechts(er)findung durch 554 Zippelius, Methodenlehre, S. 83 f.; Larenz, Larenz/Canaris, S. 189; freilich wird Art. 20 Abs. 3 GG argumentativ auch von der Gegenmeinung herangezogen, siehe nochmals S. 143; Nachweise zur umstrittenen Bedeutung des Art. 20 Abs. 3 GG bei Larenz, Larenz/Canaris, S. 189 f. 555 Larenz, Larenz/Canaris, S. 187 f. 556 Larenz, Larenz/Canaris, S. 188; 245 ff. 557 Larenz, Larenz/Canaris, S. 232, dabei wird die Lücke in Abgrenzung zum contralegem-Judikat weit verstanden, S. 246, 251. 558 Die methodischen Bedenken an der Zulässigkeit der Rechtsfortbildung bei den Typenkorrekturen dürften deshalb weniger schwer wiegen, weil dort keine Kopplung von Reduktion und Analogie vorgenommen, sondern nur eine Restriktion getätigt wird. 559 Dass hier wirklich eine Reduktion vorgenommen wird, die zunächst zu einer Lücke führt, und nicht lediglich neben der vorgesehenen Sanktion lebenslanger Freiheitsstraße die Anwendung des § 49 StGB als zulässig erklärt wird, liegt deshalb nahe, weil der BGH selbst von einer „Ersetzung“ und nicht Ergänzung des Strafrahmenes spricht, vgl. BGHSt 30, 105 (118). Auch heißt es in dieser Entscheidung, dass der Strafrahmen des § 49 I Nr. 1 StGB „an die Stelle lebenslanger Freiheitsstrafe“ trete, BGHSt 30, 105 (121).

II. Einschränkungsvorschläge

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Richterrecht nun anzuerkennen ist, ist eine Frage primär des Staats- und Verfassungsrechts, der hier nicht weiter nachgegangen werden kann und muss, denn jedenfalls ist dieser Ansatz nur in Betracht zu ziehen, wenn der Versuch der tatbestandlichen Konkretisierung der Heimtücke scheitern würde. Damit ist zu dem Selbstverständnis der Rechtsfolgenlösung zurückzukehren. Der Große Senat erachtet die für die Analogie erforderliche Regelungslücke zwar als nicht ursprünglich planwidrig vorhanden, stellt dem aber den Fall gleich, dass die Rechtsordnung einen Wandel erfahren habe, auf den der Gesetzgeber es bislang versäumt habe, zu reagieren560. Verwandt damit ist die Frage, ob bei der Auslegung insbesondere bei unbestimmten Rechtsbegriffen der historische oder der momentane Gesetzgeberwille zu ermitteln ist561. Stimmt man hier für die ex nunc-Maßgeblichkeit, lässt sich die Ansicht der Rechtsprechung zur Analogie (als Fortsetzung der Auslegung) damit gut stützen. Wie gesagt stößt diese Gleichstellung in der Fachliteratur überwiegend auf Ablehnung, das Vorhandensein der planwidrigen Regelungslücke wird bestritten. Darüber hinaus sei die Vorschrift des § 49 StGB allgemein nicht analogiefähig, auch nicht zugunsten des Täters, da eine derartige Generalklausel der außergewöhnlichen Umstände die Einzelverweisungen andernfalls sinnlos machen würde562. Diesen Einwänden wird entgegengesetzt, dass die analoge Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB methodisch gar nicht so neu sei, wofür auf die Entscheidung zum übergesetzlichen Entschuldigungsgrund der „Verstrickung in ein Unrechtssystem“ 563 verwiesen wird, die vom Bundesverfassungsgericht gebilligt wurde564. Auch habe der BGH mit dieser Methode bereits 1952 einen ähnlichen Sanktionsengpass bewältigt565. Allerdings kann aus dem Umstand, dass die in dieser Entscheidung 560 BGH NStZ 1981, 344 (347); zur nachträglichen Lücke Larenz, Larenz/Canaris S. 199 ff. 561 Siehe hierzu Zippelius, Methodenlehre, S. 25 ff.; Larenz, Larenz/Canaris, S. 137 ff. 562 Bruns, JR 1981, 358 (362). 563 LG Hamburg NJW 1976, 1756 ff., damals vom BGH noch abgelehnt, BGH NJW 1977, 1544 (1545) und erneut BGH NJW 1978, 1336 (1336). 564 Rengier, NStZ 1982, 225 (226), dabei verweist er auf BVerfGE 54, 100 ff. Dort wurde dem BGH zwar im Ergebnis Rückendeckung gegeben, weil der übergesetzliche Entschuldigungsgrund nicht als zwingend gegeben erachtet wurde. Indirekt lassen die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts aber eine grundsätzlich gegebene Möglichkeit der Heranziehung eines übergesetzlichen Schuldmilderungsgrundes erkennen, BVerfGE 54, 100 (111 ff.), was vor allem dem Verweis auf BVerfGE 34, 269 ff. zu entnehmen ist. Dort bestand zwar ein zivilrechtlicher Hintergrund, es heißt aber verallgemeinerbar auf S. 286: „Das Recht ist nicht mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze identisch“; auch sind in dieser Entscheidung weitere Nachweise zur bundesverfassungsrechtlich abgesegneten Rechtsfortbildung enthalten. 565 Jähnke, FS Spendel, 537 (542 f.) bezieht sich auf die Entscheidung BGHSt 2, 194 ff.; offen heißt es dort: „Er [der Richter] würde den Grad der Schuld nicht immer hinreichend berücksichtigen können, wenn er an den ordentlichen Strafrahmen gebunden wäre.“, BGHSt 2, 194 (209 f.). Allein die Wiederholung einer Vorgehensweise ist

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

erfolgte Rechtsschöpfung des BGH später im § 17 S. 2 StGB in Gesetzesform gegossen wurde, nicht der Schluss gezogen werden, es habe von Anfang an keine unzulässige Rechtsschöpfung vorgelegen566. Denn eine nachträgliche gesetzliche Normierung, die richterlich geschöpftem Recht entspricht, ist kein Beleg für eine vormals zulässige Vorgehensweise ohne diese gesetzliche Grundlage. Es soll nun weiter folgende Überlegung für das Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke sprechen: Diese sei seit der Abschaffung des § 211 Abs. 3 StGB gegeben, der für „besondere Ausnahmefälle“ eine Milderung für die damals angedrohte Todesstrafe des § 211 Abs. 1 StGB a. F. vorsah, nämlich lebenslanges Zuchthaus. Mit dem dritten Strafrechtsänderungsgesetz vom 04.08.1953 wurde zwar die nach der Abschaffung der Todesstrafe vorgenommene richterliche Lückenfüllung der lebenslangen Freiheitsstrafe für die abgeschaffte Todesstrafe normiert, der Gesetzgeber habe es aber versäumt, auch den Abs. 3 des § 211 StGB anzupassen. Mit dem Wegfall der Todesstrafe sei diese Norm nicht etwa obsolet geworden, sondern sie hätte ebenfalls auf die neue Höchststrafe bezogen angepasst werden müssen – darin sei die planwidrige Lücke zu erblicken567. Denn vor dem Änderungsgesetz war ein fein abgestuftes Sanktionensystem in den §§ 211 ff. StGB ausgeformt, insbesondere § 211 Abs. 3 und § 212 Abs. 2 StGB gewährleisteten die fließenden Sanktionshöhen und der Gesetzgeber von 1953 habe dieses ausgeklügelte System nicht umgestalten wollen, sondern lediglich an die Abschaffung der Todesstrafe anpassen wollen. Um diesen „Plan“ umzusetzen, keine inhaltliche Neukonzipierung vorzunehmen, hätte er richtigerweise das Lebenslang in § 211 Abs. 3 StGB nicht ersatzlos streichen dürfen, sondern stattdessen eine zeitige Strafe vorsehen müssen, da sich nur der Bezugspunkt der Höchststrafe geändert hat, nicht aber das Bedürfnis nach einer Regelung für minder schwere Fälle568. b) Der Vorwurf der Unbestimmtheit Selbst wenn man so über das Problem der erforderlichen planwidrigen Lücke hinwegkommt beziehungsweise der Ansicht anhängt, ausnahmsweise sei hier ein contra legem-Handeln zulässig, erfährt die Rechtsfolgenlösung auch wegen der selbstverständlich keine Legitimation für die selbige, wenn nicht auch die übrigen Voraussetzungen des Gewohnheitsrechts erfüllt sind. Vergleichbare Fälle von Rechtsschöpfung können aber selbstverständlich der Erkenntnisgewinnung zuträglich sein und der hier interessierenden Entscheidung zumindest die Außenseiterstellung nehmen. 566 Jähnke, FS Spendel, 537 (542 f.). 567 Jähnke, FS Spendel 537 (540 ff.); ebenso MüKo/Schneider § 211 Rn. 40 Fn. 102; vergleiche auch Veh, S. 123 f., der zwar die planwidrige Regelungslücke für die Vermeidung der Höchststrafe anerkennt, nicht hingegen doch deren Schließung. Anderer Auffassung ist Vöhringer, S. 278. 568 Jähnke, FS Spendel, 537 (540 f.); daraus sei die Anwendbarkeit der Rechtsfolgenlösung für alle Mordmerkmale zu folgern, Jähnke, FS Spendel, 537 (545).

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zu großen Unbestimmtheit der „außergewöhnlichen Umstände“ Ablehnung569. Relativiert wird diese Kritik allerdings mit dem Hinweis, dass die Bindungsdichte auf Strafzumessungsebene naturgemäß geringer sei als auf Tatbestandsseite und Einzelfallkorrekturen deshalb an dieser Stelle angesiedelt sein sollten570. Es sei systematisch korrekt, einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitserwägungen auf der Rechtsfolgenseite und nicht auf der Tatbestandsseite vorzunehmen571. Das Argument der Unbestimmtheit wird nicht selten in juristischen Debatten pauschal, ohne substantiierten Verbesserungsvorschlag vorgetragen; da dann nur einseitig die Rechtssicherheit und nicht die mit ihr in ein Gleichgewicht zu bringende situationsbezogene Gerechtigkeit betont wird, ist das Argument der Unbestimmtheit deshalb oftmals nicht durchschlagend. Mit der bemängelten Unbestimmtheit hängt auch die befürchtete „Gefahr moralisierender Entscheidungen“ zusammen sowie das Bedenken, es hänge vom tatrichterlichen Ermessen ab, ob schon außergewöhnliche und damit mordausschließende Umstände oder noch gewöhnliche Umstände vorliegen572. Der Richter macht seine Überzeugungen aber nicht in willkürlicher Weise zum Maßstab, sondern es sind objektive Anhaltspunkte für die Fallgruppen der außergewöhnlichen Umstände herauszustellen. Auch sonst ist es richterliche Aufgabe, den einen vom anderen Fall zu unterscheiden. c) Kritikpunkte im Hinblick auf den mit der Rechtsfolgenlösung erzielbaren Schuldspruch Schwerer als die Unbestimmtheit wiegt das Bedenken, durch die Rechtsfolgenlösung werde ein Wertungswiderspruch erzeugt, weil für einen Mord, bei dem die „außergewöhnlichen Umstände“ bejaht werden, auf die Mindeststrafe von drei Jahren gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB erkannt werden kann, die damit erheblich unter der Mindeststrafe des Totschlags nach § 212 Abs. 1 StGB von fünf Jahren liegt573. Das System der Tötungsdelikte sei zudem noch weitgehender durchbrochen, da die neue Konstruktion die Anwendung des § 212 Abs. 1 StGB und des

569 Lackner, NStZ 1981, 348 (349), Günther, NJW 1982, 353 (357); W. Hassemer, JZ 1983, 967 (968); Mitsch, JuS 1996, 121 (122); Fahlbusch, S. 196 f. 570 MüKo/Schneider § 211 Rn. 44; Kratzsch, JA 1982, 401 (405). 571 Gössel/Dölling, § 4, Rn. 14; Kratzsch, JA 1982, 401 (405); MüKo/Schneider § 211 Rn. 44 mit weiteren Nachweisen; das gleiche Maß an Bestimmtheit für Tatbestandsmerkmale wie Strafzumessungspunkte fordert hingegen Mitsch, JuS 1996, 121 (122). 572 Lackner, NStZ 1981, 348 (350). Dagegen, dass die richterliche Wertung der Gesamtumstände über das Vorliegen von Totschlag oder Mord entscheidet, schon früh BGHSt 9, 385 (389). 573 Günther, NJW 1982, 353 (355), ebenso H. J. Hirsch, FS Tröndle, 19 (28); Neuner, S. 167 mit weiteren Nachweisen.

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§ 212 Abs. 2 StGB faktisch verdränge574. Dieser Befürchtung liegt zum einen die Überlegung zugrunde, dass beim Vorliegen von „außergewöhnlichen Umständen“ entweder der Täter heimtückisch handelt und §§ 211, 49 StGB angewendet werden oder der Täter nicht heimtückisch handelt und §§ 212, 213 StGB greifen. Das soll ein Leerlaufen des § 212 Abs. 1 StGB zur Folge haben. Hinsichtlich § 212 Abs. 2 ergebe sich die Befürchtung des Bedeutungsloswerden, weil es sich verbiete einen besonders schweren Fall des Totschlags bei Fällen anzunehmen, deren Tötungsweisen nahezu das Heimtückemerkmal verwirklichen, wenn schon „Grenzfälle heimtückischer Tötung“ die lebenslange Freiheitsstrafe nicht verdienen. Diesen Argumenten ist zu widersprechen: Dass § 212 Abs. 1 StGB nicht minder oft zum Tragen kommt, hat die Realität bewiesen, und § 212 Abs. 2 StGB wurde auch vor der Etablierung der Rechtsfolgenlösung nicht häufig herangezogen. Insgesamt kommt § 212 StGB also nicht weniger Bedeutung zu als vor der Rechtsfolgenlösung. Dem verbleibenden Einwand, dass das Unterschreiten der Mindeststrafe des Totschlags sachwidrig sei, ist so pauschal sicherlich auch nicht beizupflichten. Denn bei Fällen, bei denen dem Täter ein sehr großes Solidarisierungsgefühl der Rechtsordnung entgegengebracht wird (beispielsweise aufgrund seines eigenen erlittenen schweren Martyriums, zugefügt durch das Opfer), unterschreitet eine Strafe von drei Jahren nicht unbedingt die Schuldschwere. Die Kritik, dass der weniger strafwürdige Tatbestand die gravierendere Rechtsfolge nach sich zöge575, schlägt letztlich auch nicht durch. Überschneidungen hinsichtlich der Sanktionshöhe bei mehreren Delikten sind häufig festzustellen. Aufzulösen sind solche Widersprüche aber jedenfalls nicht damit, eine unangemessen hohe Strafe – hier in Form der lebenslangen Freiheitsstrafe – vorzuziehen. Zudem ist zu bedenken, dass bei § 212 StGB die Milderungsmöglichkeit des § 213 StGB besteht, so dass eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe denkbar ist. Im Zusammenhang mit der durch die Rechtsfolgenlösung erzielbaren Strafe wird daneben kritisiert, dass es gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoße, trotz zeitiger Strafe im Tenor den Mord gemäß § 260 Abs. 4 S. 1 StPO aufzuführen576. Allerdings ist eine solche Schuldspruchbemakelung dem Strafrechtssys-

574 Günther, NJW 1982, 353 (355 f.), gleichermaßen Fahlbusch, S. 193 f.; das Bedenken, für § 212 Abs. 1 StGB verbleibe kaum Raum, klingt auch bei Eser, NStZ 1981, 383 (384 Fn. 10) an. 575 Fahlbusch, S. 194. 576 Günther, NJW 1982, 353 (356), er betont dabei, dass es die „Verrufswirkung“ des erkannten Tatbestandes sei, die es auch sonst so wichtig erscheinen lässt, Tatbestände sauber abzugrenzen und aus der heraus sich im Zusammenhang mit der Wahlfeststellung das Kriterium der „rechtsethischen und psychologischen Gleichwertigkeit“ erklären lässt; vergleiche auch Grünwald, FS Bemmann, 160 (165) und H. J. Hirsch, FS Tröndle, 19 (28); Schlechtriem, S. 52 ff.; Miehe, JuS 1996, 1000 (1003); Fahlbusch, S. 194; Roxin, FS Widmaier, 741 (745); Bornemann, S. 116 hingegen relativiert die Un-

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tem auch sonst nicht fremd. Kommt beispielsweise § 21 StGB zur Anwendung, so wird der gleiche Effekt hingenommen577. Es wird auch bezweifelt, dass dieser Einwand de facto schwer wirkt, da der Normalbevölkerung der Unterschied zwischen Mord und Totschlag überwiegend nicht bewusst sei578. Interessant ist dabei, dass hinsichtlich der Rechtsfolge ganz überwiegend die Vorstellung besteht, in Deutschland könne man nicht mehr als 15 Jahre im Gefängnis verbringen, weil dies unter lebenslang zu verstehen sei579. Obwohl der juristische Laie oft den Unterschied zwischen Mord und Totschlag nicht genau benennen kann, wird trotzdem die Vorstellung vorherrschen, dass der Mord das schlimmere Delikt ist. Insoweit ist der Makel durch den Schuldspruch zwar diffus, aber doch vorhanden. Kratzsch zeigt hier entsprechende Gegenmaßnahmen auf; diese könnten beispielsweise in der Tenorierung oder der Begründung, sowie in gezielter Öffentlichkeitsarbeit zu erblicken sein580. Letztlich kann aber vor allem das Argument, dass der Täter mit einer Täterkategorie betitelt wird, die unverhältnismäßig über seine Schuld hinaus geht, nicht dazu führen, dass die höhere Strafe verhängt wird581! Denn ein so erreichter Gleichlauf von Strafe und Betitelung verstößt noch weitgehender gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Der Einwand der übertriebenen Stigmatisierung geht demnach völlig fehl. d) Die Befürchtungen einer Ausweitung der Unterschreitung gesetzlicher Strafrahmen Soweit eine Dammbruchgefahr befürchtet wurde, die darin bestehen soll, dass auch bei anderen Tatbeständen das Unterschreiten der gesetzlichen Mindeststrafe kein Tabuthema mehr sei582, ist zu bemerken, dass sich dies in den Jahren seit der Entscheidung zur Rechtsfolgenlösung nicht bewahrheitet hat. Auch innerhalb des Mordtatbestandes wurden die besonderen Umstände nicht häufig angenom-

angemessenheit der Stigmatisierungswirkung bei der Tenorierung auf Mord trotz zeitiger Strafe. 577 MüKo/Schneider § 211 Rn. 46; ebenso Rengier, NStZ 1982, 225 (226). 578 So beispielsweise Rengiers Einschätzung in NStZ 1982, 225 (229); anders Günther, NJW 1982, 353 (356). 579 Diese Beobachtung, dass „lebenslang“ nach landläufiger Meinung höchstens 15 Jahre bedeutet, teilt auch Triffterer, ZRP 1970, 38 (42 Fn. 132) mit. 580 Kratzsch, JA 1982, 401 (405). 581 Kritiker der Rechtsfolgenlösung wollen diese Konsequenz wohl zumeist nicht durch diese Kritik der unverhältnismäßigen Bezeichnung positiv fordern, schlagen jedoch aber auch keinen alternativen Weg vor, wie die lebenslange Freiheitsstrafe de lege lata zu vermeiden wäre, also die Anwendung von § 211 StGB vermieden werden könnte. 582 H. J. Hirsch, FS Tröndle, 19 (28); Bruns, JR 1981, 358 (360); Kerner, FS Universität Heidelberg, 419 (440 f. mit weiteren Nachweisen); Schlechtriem, S. 59 ff.; kürzlich erst Fahlbusch, S. 199.

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men583, was nach der geschilderten und von der Rechtsprechung betonten Subsidiarität dieser Lösung nicht verwundert. e) Zusammenfassende Würdigung Einerlei ob man die Voraussetzungen der Analogie bejaht oder das Judizieren contra legem in Ausnahmefällen befürwortet, die hierauf fußende Lösung ist für die Praxis, die nun mal mit Mordfällen der besonderen Art konfrontiert ist, derzeit nicht wegzudenken. Der Rechtsfolgenlösung ist durchaus die Anerkennung auszusprechen, zu berechenbaren und der Einzelfallgerechtigkeit genügenden Ergebnissen zu gelangen. Aus dogmatischer Sicht hingegen bleibt sie, wenn auch das kleinere Übel, trotzdem ein Übel. Zur „Ehrenrettung“ des BGH meint KettStraub, dass alle übrigen Ansätze im Konfliktfall der lebenslänglichen Freiheitsstrafe und dem Heimtückemerkmal in bestimmten Härtefällen auch nicht überzeugender seien – auch sieht sie de lege lata keine erfolgversprechende Möglichkeit, bei Beibehaltung der absoluten Strafdrohung dogmatisch überzeugend Herr dieser Härtefälle zu werden584. Eser bezeichnet es als „privilegierungsrelevant“, dass die Tat im „Onkel“-Fall im „Umfeld des Notwehrexzesses – und damit eines Mitverschuldens des Getöteten“ oder „im Umkreis des entschuldigenden Notstands“ liegt585. Diese Wertung der opferbezogenen Umstände als privilegierungsrelevant ist zunächst einmal für sich genommen im Auge zu behalten. Wenngleich Eser damit die für die Anwendung des § 49 StGB erforderlichen außergewöhnlichen Umstände belege wollte, wird zu überprüfen sein, ob diese Wertung nicht schon auf Tatbestandsebene berücksichtigt werden kann. Wenn das Bemühen in dieser Arbeit um eine befriedigende Auslegung des Heimtückemordes Erfolg hat, würden die Voraussetzungen für eine legitime Analogie und erst recht für ein ausnahmsweise erlaubtes Handeln contra legem wegbrechen.

6. § 213 StGB und das Konstrukt des „minder schweren Mordes“ Mit der Formulierung „minder schwerer Mord“ sind verschiedene Dinge gemeint586. Hiermit wird teils dafür plädiert, § 213 auf § 211 StGB anzuwenden587, wobei wiederum keine Einigkeit darüber herrscht, welcher Strafrahmen 583 Rengier, FS Küper, 473 (473 ff.). Das gilt auch für die Revisionsaktivität, wie Eser, NStZ 1983, 433 (438) für den Zeitraum von zwei Jahren nach der erstmaligen Anwendung der Rechtsfolgenlösung feststellt. 584 Kett-Straub, JuS 2007, 515 (516). 585 Eser, JR 1981, 177 (179). 586 Siehe SK StGB II/Horn § 211 Rn. 4 ff. 587 So Küper, GA 2006, 310 (313) gerade für den Erpresser-Fall.

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dann maßgeblich sein soll. Teils wird die (Wieder-)Einführung eines § 211 Abs. 3 StGB gefordert588. Nicht selten wird dies mit der Überlegung verknüpft sein, die größte Schwachstelle der Rechtsfolgenlösung, mit der man ja ebenfalls einem „minder schweren Mord“ gerecht werden möchte, zu beseitigen. Denn Hauptkritik an diesem Ansatz ist wie gesehen, dass die Rechtsprechung § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB bei „außergewöhnlichen Umständen“ anwendet, obwohl die hierfür erforderliche Verweisung fehlt. Es wird indes selten ausgesprochen, dass bei den Ansätzen, die § 213 StGB im Rahmen des Mordes zur Anwendung kommen lassen wollen, die Nähe zur Rechtsfolgenlösung mit dem Vorteil besteht, einen Anknüpfungspunkt im Gesetz zu haben589. Für die Rechtsprechung liegt es aufgrund ihres systematischen Verständnisses der §§ 211, 212 StGB konsequenterweise nicht nahe, sich auf § 213 StGB zu stützen590. Bei Befürwortern des Grunddelikt-Qualifikations-Verhältnisses der §§ 211, 212 StGB erklärt sich dies dadurch, dass § 213 StGB überwiegend als Strafzumessungsregel zu § 212 StGB verstanden wird, die keine Anwendung finden soll, wenn auch § 211 StGB erfüllt ist. Um die unterschiedlichen Konstrukte zu dem „minder schweren Mord“ zu entwirren, ist zunächst folgender gemeinsamer Ausgangspunkt festzuhalten: Allen Überlegungen liegt eine Situation zugrunde, in der unproblematisch ein minder schwerer Fall des Totschlags vorliegen würde, wenn man sich das Mordmerkmal wegdenken würde. Brisant ist nun, dass ein vorliegendes Mordmerkmal der Heranziehung des § 213 StGB entgegenstehen könnte und so die tatsächlichen Umstände, die zu dieser Norm weisen, keinerlei Beachtung in der rechtlichen Würdigung des Geschehens finden würden591. Aus Sicht der Rechtsprechung ist dies die Konsequenz aus der von ihr vertretenen Selbstständigkeit der §§ 211, 212 StGB592. Versteht man die §§ 211, 212 StGB als Grund- und Qualifikationstatbestand, so wie es in dieser Arbeit gesehen wird, ergibt sich dies, wenn man mit der ganz überwiegenden Ansicht § 213 StGB als Strafzumessungsnorm versteht, für die § 211 StGB keine Öffnung enthält und wenn man aus systematischen Gründen eine Heranziehung des § 213 StGB ohne eine einschlägige Verweisung ablehnt. Sieht man in § 213 StGB hingegen eine tatbestandliche Privilegierung, 588

Siehe beispielsweise Vöhringer, S. 271 f. Ein Gegenbeispiel stellt Rengier, MDR 1980, 1 (5) dar. 590 BGHSt 30, 105 (118 f.) betont nachvollziehbar, dass „außergewöhnliche Umstände“ der Rechtsfolgenlösung nicht schon per se bei gegebenen Voraussetzungen des § 213 StGB vorliegen. 591 Bornemann, S. 87 ff. und Reizel, S. 186 ff. für einen Überblick zum Verhältnis der §§ 211, 213 StGB. 592 Und zwar einerlei, ob § 213 StGB als Strafzumessungsregel oder echte Privilegierung verstanden wird. Der BGH vertritt die Selbstständigkeit der beiden Normen seit dem ersten Band der amtlichen Sammlung, BGHSt 1, 368 (370); zur Darstellung dieses Streits wird auf die umfangreiche Lehrbuch- und Kommentarliteratur verwiesen. Ob BGHSt 36, 231 ff. diesen Streit erledigt, bleibt abzuwarten. 589

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wobei dies ernsthaft jedoch nur für die Provokationsalternative vertreten wird593, ist weiter umstritten, in welche Richtung eine „Sperrwirkung“ 594 verläuft beziehungsweise ob es eine solche überhaupt gibt oder ob beim Zusammentreffen von Momenten des § 213 und § 211 StGB der § 212 Abs. 1 StGB einschlägig ist595. Eine weitere Ansicht will einzelfallbezogen den jeweiligen Strafrahmen ermitteln596. Dieser letzte Vorschlag stammt allerdings aus der Zeit, in der die obere Strafgrenze des § 213 StGB bei fünf Jahren lag597, und es ist fraglich, ob die Verfechter dieser Ansicht noch an ihr festhalten. Schlussendlich wird auch vertreten, dass § 213 StGB zwar keine echte Privilegierung sei, aber trotzdem im Zusammenhang mit § 211 StGB Beachtung finden soll. Ähnlich gelagert ist das Problem, wenn § 216 StGB und ein Mordmerkmal zusammenfallen598. Allerdings ist hier die Vorfrage der Rechtsqualität der Privilegierungsnorm im Gegensatz zu der des § 213 StGB nicht umstritten. Da ein Zusammentreffen des Heimtückemerkmals mit § 216 StGB schwerlich vorstellbar ist599 und eher Grausamkeit oder Habgier mit dem Tötungsverlangen korrelieren werden, wird die Diskussion um § 216 StGB aber im Weiteren ausgeblendet. a) Zur Existenz von Kollisionslagen Von einem Konkurrenzverhältnis im herkömmlichen Sinn kann also nur gesprochen werden, wenn man § 213 StGB zumindest teilweise als echten Privilegierungstatbestand begreift. Da dies gerade strittig ist, wird hier vorerst vom Kollisionsfall gesprochen, womit allein das tatsächliche Zusammentreffen von erschwerenden und milderungswürdigen Momenten gemeint ist. Unabhängig vom 593 Zwiehoff, S. 7 ff.; Maurach/Schroeder/Maiwald, § 2 III Rn. 28 f.; Deckers, FS Rieß, 651(666); Bockelmann, BT II, S. 7, 15; Horstkotte, S. 129. 594 Zur Herkunft dieses Ausdrucks und den verschiedenen Sachzusammenhängen seines Gebrauchs siehe Bornemann, S. 21; Seiler, S. 3 ff. 595 Eine ansprechende Darstellung des Meinungsstandes findet sich bei Neumann, FS Eser, 431 (434 ff.); siehe auch Zwiehoff, S. 25 Fn. 12–14 und 70. Einen Vorrang des § 211 StGB sieht die ständige Rechtsprechung, Nachweise bei Reizel, S. 186 Fn. 782; für einen Vorrang des § 213 StGB Arzt, ZStW 83 (1971), 1 (29); für die Anwendung des Strafrahmens des § 212 Abs. 1 StGB beispielsweise Rengier, MDR 1980, 1 (2) und Geilen, JR 1980, 309 (314). 596 Siehe statt vieler die Angaben bei Bornemann, S. 24 ff.; überwiegend ist mit der Einzelfallbezogenheit eine deliktsspezifische Entscheidung zu Gunsten der Privilegierung oder Qualifizierung gemeint und nur wenige wollen tatsächlich fallabhängig innerhalb derselben Deliktsgruppe entscheiden. 597 Zu Ungereimtheiten des früheren Strafrahmens Maatz, FS Salger, 91 (91 f.); ein historischer Abriss zu § 213 StGB findet sich ebenfalls bei Maatz, FS Salger, 91 (92 ff.). 598 Ausführlich Bornemann, S. 132 ff.; Seiler, S. 20 ff.; Vöhringer, S. 226 ff. 599 Anschaulich Seiler, S. 60 ff.; Vöhringer, S. 240 f., 250 mit weiteren Nachweisen; anders hingegen Bockelmann, BT II, S. 21.

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Rechtscharakter des § 213 StGB wird bereits bestritten, dass überhaupt eine Kollisionslage in dem dargelegten Sinne auftreten kann. Zugegebenermaßen ist es abstrakt zunächst schwer vorstellbar, dass erschwerende und privilegierende Merkmale gleichzeitig verwirklicht sind, und so verwundert es nicht, dass bemängelt wird, dies sei in sich widersprüchlich600 oder ein Verhalten könne nicht als verständliche „ausnahmsweise Entgleisung“ und zugleich als besonders verwerflich und gefährlich zu bewerten sein601. Dem wird zu Recht entgegengehalten, dass je größer die affektive Erregung des Täters ist, dieser umso eher zu einer Tötung hingerissen wird, die in der Tatmodalität einem Mord entspricht602. Denkt man an die Erpresser-Konstellation, wird dies plastisch und nachvollziehbar: Angenommen die Heimtücke wäre hierbei zu bejahen, ist eine affektive Erregung durch Zorn und das sofortige Hingerissensein zur Tat gleichzeitig vorstellbar603. Für ein Nebeneinander der Situationen des § 213 Alt. 1 StGB mit der Verwirklichung von Mordmerkmalen spricht daher, dass die vorangegangene Provokation anderenfalls durch die später erfolgende Art der Tötung irrelevant werden würde604. Noch weiter geht Rengier, für den die Merkmale des § 213 StGB gleich welcher Alternative als klassische „Gegenindikation“ 605 zum Mordtatbestand zu verstehen sind. Mit Gegenindikation bezeichnet er subjektive Aspekte des Täterverhaltens, die in der Lage sein sollen, dem objektiv geprägten Heimtückemerkmal die Indizienfunktion als Mordtat zu nehmen606. Es bleibt festzuhalten, dass rein tatsächlich betrachtet ein Zusammentreffen von erschwerenden und privilegierungswürdigen Umständen innerhalb eines Tötungsgeschehens durchaus denkbar ist. Dies ist kein erstaunliches Ergebnis, ist dies doch die Umschreibung für jene Fälle, bei denen die lebenslange Freiheitsstrafe trotz des Vorliegens eines Mordmerkmals unangemessen erscheint. Nachdem diese tatsächliche Vorfrage geklärt ist, steht nun die Beantwortung der Frage an, ob und wie die tatsächliche Gemengelage von erschwerenden und privilegierenden Umständen sich im rechtlichen Verhältnis der §§ 211, 213 StGB wieder600 S/S/Eser, § 211 Rn. 10b, allerdings für den minderschweren Mord bei der Rechtsfolgenlösung. 601 Otto, JURA 1994, 141 (143); siehe aber auch dazu Vöhringer, S. 266. 602 Zwiehoff, S. 36 f. 603 Neumann, FS Eser, 431 (433 f.) führt gleiches für die Tyrannenkonstellation aus. Entsprechend sieht Eser, JR 1981, 177 (179) im „Onkel“-Fall Raum für die 2. Alternative des § 213 StGB. 604 NK StGB II/Neumann Vor 211 Rn. 154 sowie ders., FS Eser, 431 (436 f.) exemplarisch für das Mordmerkmal gemeingefährliches Mittel. 605 Rengier, MDR 1980, 1 (1 und 3). 606 Rengier, MDR 1979, 969 (972); insgesamt sieht er die Mordmerkmale als „vertatbestandlichte Strafzumessungsgründe“ an, siehe ders., MDR 1980, 1 (3); zustimmend Frommel, StV 1987, 292 (295). Richtigerweise sind die Mordmerkmale als abschließend und zwingend, weswegen „vertatbestandlichte Strafzumessungsgründe“ in den beiden wichtigsten Eigenschaften gerade nicht wie Strafzumessungsgründe zu behandeln sind.

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findet, ob es also eine tatbestandliche Überschneidung gibt, die einer Konkurrenzlösung zuzuführen wäre. b) Die Rechtsnatur des § 213 StGB beziehungsweise das Verhältnis der §§ 211, 213 StGB Wie gesehen entsteht die Komplexität der Diskussion um einen „minder schweren Mord“ durch den Streit über die Rechtsqualität des § 213 StGB: Mit der Einordnung des § 213 StGB als Strafzumessungsnorm, wie sie überwiegend getroffen wird, ist die Konkurrenzfrage an sich obsolet, da § 211 StGB keinen Weg hin zu § 213 StGB vorsieht. Nur bei der Einordnung des § 213 StGB als echte tatbestandliche Privilegierung stellt sich überhaupt erst die Konkurrenzfrage zu § 211 StGB, da es nur dann von dem Grunddelikt des § 212 StGB zwei Abzweigungsmöglichkeiten zu entweder § 213 StGB oder § 211 StGB gibt. Diejenigen, die eine tatbestandliche Überscheidungsmöglichkeit sehen, unterscheiden dabei zwischen den beiden Alternativen des § 213 StGB: Der ersten Alternative, der Provokationsvariante, wird insofern eine größere Tatbestandsnähe bescheinigt, als sie im Vergleich zur zweiten Alternative, des sonstigen minder schweren Falls, bestimmter ist, so dass nur letztere als Strafzumessungsregel zu behandeln sei607. Dieser Ansicht, die zumindest bei der Provokationsalternative von einer tatbestandlichen Abwandlung des § 212 StGB ausgeht, setzt Neumann Folgendes entgegen608: Die Einordnung des § 213 StGB als tatbestandliche Privilegierung würde die Anwendbarkeit des § 16 Abs. 1 S. 1 StGB nach sich ziehen. Die Rechtsfolge eines Tatbestandsirrtums, dass der Täter lediglich unter Fahrlässigkeitsgesichtspunkten belangt werden kann, wäre aber unvereinbar mit dem Legitimationsgrund des § 213 StGB, der darin besteht, im Rahmen einer vorsätzlichen Tötung der Mitverantwortung des Opfers Rechnung zu tragen. Daraus zieht Neumann jedoch nicht den Schluss, dass § 213 StGB von § 211 StGB gesperrt sei, sondern er verdeutlicht vielmehr völlig zu Recht, dass die dogmatische Einordnung von § 213 StGB noch keine Entscheidung über die Strafrahmenfrage präjudiziert: Denn selbst wenn man die Tatbestandsqualität wenigstens der ersten Alternative bejahen würde, würde dies keinen Automatismus im Sinne eines Vorrangs des milderen Tatbestandes auslösen – einen solchen Grundsatz kennt das StGB nämlich nicht609. Soweit von der „Anwendbarkeit“ des § 213 StGB die Rede ist, impliziert dies nicht selten zugleich ein Votum für dessen Vorrang gegenüber § 211 StGB610. Richtigerweise sind dies aber zwei verschie-

607 Maurach/Schroeder/Maiwald, § 2 III Rn. 28 f.; Deckers, FS Rieß, 651 (666); Bockelmann, BT II, S. 7, 15; Zwiehoff, S. 24; Horstkotte, S. 129. 608 Neumann, FS Eser, 431 (438 mit weiteren Nachweisen). 609 Neumann, FS Eser, 431 (438 f.); zu dieser Diskussion siehe ab S. 161. 610 So unter anderem bei Bockelmann, BT II, S. 21.

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dene Fragen und erst einmal ist das Auftreten einer Konkurrenz- oder wenigstens Kollisionslage zu prüfen. Für die Betrachtung auch der zweiten Alternative des § 213 StGB im Zusammenhang mit § 211 StGB soll nach Neumann weiter der Umstand sprechen, dass diese Regelung die Funktion des gestrichenen Tatbestandes der Kindstötung (§ 217 StGB a. F.) mitübernehmen soll und diese gesetzgeberische Absicht leerliefe, würde man den Weg zu § 213 Alt. 2 StGB durch das Vorliegen eines Mordmerkmals als versperrt betrachten611. Schließlich führt er für die Heranziehung des § 213 StGB mit seinen beiden Alternativen zu § 211 StGB an, dass der durch das 6. Strafrechtsreformgesetz erhöhte Strafrahmen des § 213 StGB von einem bis zehn Jahren eine erhebliche Schnittmenge mit dem Strafrahmen der §§ 212, 38 Abs. 2 StGB mit fünf bis fünfzehn Jahren aufweist612. Diese Überschneidung von fünf Jahren soll deshalb für die Anwendbarkeit des § 213 StGB auf Mordfälle sprechen, weil es zunächst merkwürdig erscheine, dass ein minder schwerer Fall, der in der oberen Hälfte des Strafrahmens des § 213 StGB liegt, im Mittel der gesetzlichen Strafe für den Regelfall des Totschlags liegt. Sinn mache dies hingegen, wenn man die Privilegierung auch in den Fällen des § 211 StGB greifen lässt, da dies dann nicht nur eine verbale Privilegierung wäre, sondern auch eine, die sich im Strafmaß ausdrückt. Und dass im Ergebnis eine Strafe erzielt wird, die über der eines durchschnittlichen Totschlags angesiedelt ist, kann durchaus sachgerecht sein, eben weil der Fall kein minder schwerer Totschlag, sondern ein minder schwerer Mord ist. Der Strafrahmen ist dann nicht in Relation zur Ausgangsgröße von fünf bis fünfzehn Jahren gemildert, sondern vom Ausgangspunkt einer lebenslangen Freiheitsstrafe, also mindestens fünfzehn Jahren (§ 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB). Allerdings sind die Strafrahmen im StGB an einigen Stellen nicht harmonisiert, und die Stimmigkeit in diesem Fall könnte auch als Zufall statt als Argument für eine Konkurrenzlage gewertet werden. Zumindest nicht ohne weiteres überzeugen kann der Einwand der Gegenmeinung, schon der Wortlaut des § 213 StGB „Totschläger“ spreche gegen die Anwendung der Norm auf § 211 StGB613. Denn diese Nomenklatur rührt noch aus einer Zeit her, in der das Gesetz zwischen dem Mörder und dem Totschläger anhand des Überlegungskriteriums unterschied – eine Anwendung des § 213 Alt. 1 StGB auf § 211 StGB war damit tatbestandlich schon ausgeschlossen614. Es fragt sich nun aber, ob die sich durch den Wegfall des Kriteriums ,Überlegung‘ erge611 Neumann, FS Eser, 431 (439) mit Nachweisen zur gesetzgeberischen Absicht in Fn. 49. 612 Neumann, FS Eser, 431 (441). 613 So unter anderem Kargl, JURA 2004, 189 (193); Haverkamp, GA 2006, 586 (602); S/S/Eser § 211 Rn. 11 und § 213 Rn. 3; Bornemann, S. 108 und 129; Seiler, S. 87, 89 f.; Mitsch, JuS 1996, 121 (121). 614 NK StGB II/Neumann Vor 211 Rn. 153 mit weiteren Nachweisen.

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

bende denkbare Anwendungsmöglichkeit615 gewollt war und daher die fehlende ausdrückliche Miteinbeziehung des Mordes in den Privilegierungsbereich als gesetzgeberisches Versehen zu werten ist oder ob das Nichtändern des § 213 StGB konstitutiv wirken sollte616. Ergänzend wird von Befürwortern der Versehensthese vorgebracht, dass das Wortlautargument überhaupt nur tragfähig sei, wenn man ein Exklusivitätsverhältnis der §§ 211, 212 StGB annehme, denn anderenfalls sei jeder Mörder auch Totschläger617. Auch diese Sicht setzt aber voraus, dass § 213 StGB entweder eine echte tatbestandliche Privilegierung oder entsprechend anwendbar ist, begründet dies indes nicht. Lehnt man beides ab, kann die Wortlautargumentation doch überzeugen. Überwiegend und zu Recht wird § 213 StGB denn auch hinsichtlich beider Alternativen als Strafzumessungsregel verstanden, die der Gesetzgeber auch als Abs. 3 des § 212 StGB ausformen hätte können618. Hiergegen wendet die differenzierende Ansicht zwar ein, dass § 213 StGB früher eine echte Privilegierung war und mit der Einführung der zweiten Alternative nicht zwangsläufig eine Änderung der Rechtsnatur der ersten (und vormals einzigen) Alternative einhergehen müsse619. Befremdlich wäre es indes schon, wollte der Gesetzgeber in einem Satz eine tatbestandliche und eine strafzumessungsrechtliche Norm aufführen. Dass beide Alternativen des § 213 StGB Strafzumessungsregeln sind, leuchtet zudem aufgrund der einleitenden Formulierung der zweiten Alternative „oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor“ ein. Die erste benannte Alternative hat daher Maßstabscharakter für die zweite Alternative620. Dagegen wird vorgebracht, es könne nicht sein, dass der Anwendungsbereich des § 213 StGB bei gedachter Streichung der ersten Alternative identisch sei621. Dem ist aber zu widersprechen. Es steht dem Gesetzgeber frei, einen besonders typischen oder häufig

615 Bernsmann, JZ 1983, 45 (46): Die Anwendungsmöglichkeit ergibt sich dann, wenn man mit der überwiegenden Ansicht in der Literatur davon ausgeht, dass der Mord eine Qualifikation zum Totschlag ist, denn dann ist jeder Mord auch ein Totschlag; ebenso Küpper, FS Kriele, 777 (792 f.). 616 Für eine den § 213 StGB berichtigende Lesart Geilen, JR 1980, 309 (314) und ders., FS Dreher, 357 (383 ff.); MüKo/Schneider § 211 Rn. 40; gegen die Annahme eines gesetzgeberischen Versehens Bornemann, S. 110 f.; Seiler, S. 90. 617 Neumann, FS Eser, 431 (436); Rengier, MDR 1980, 1 (2); Küper, JuS 2000, 740 (746); Bernsmann, JZ 1983, 45 (46); hiergegen wiederrum Seiler, S. 90. 618 S/S/Eser § 213 Rn. 2; Wessels/Hettinger, StR BT I, § 2 Rn. 171. Zu Folgeproblemen aus dem Streit um die Rechtsnatur des § 213 StGB Zwiehoff, S. 5 f. und Maatz, FS Salger, 91 (100 ff.), letzter insbesondere zu der widersprüchlichen Rechtsprechungspraxis, den eventuell Provozierten über den in dubio pro reo-Grundsatz zu privilegieren, wohingegen dem tatsächlich, aber durch Irrtum Provozierten dies über die Vorschrift des § 16 Abs. 2 StGB verwehrt wird. 619 Deckers, FS Rieß, 651 (666). 620 Maatz, FS Salger, 91 (102). 621 Zwiehoff, S. 8.

II. Einschränkungsvorschläge

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auftretenden Fall zu benennen, ohne zugleich eine abschließende Regelung zu treffen; dies ist für Strafzumessungsnormen gerade typisch. Für die Lösung von Problemen des Heimtückemerkmals kann Folgendes festgehalten werden: Wenn man wie hier vertreten die erste Alternative des § 213 StGB als benannten Fall einer Strafzumessungsregel versteht, ist das Problem des tatsächlichen Zusammentreffens von Privilegierungsumständen im Sinne des § 213 StGB mit Mordmerkmalen rechtlich schlicht mit dem Hinweis zu lösen, dass eine tatbestandliche Konkurrenz nicht auftreten kann. Vor allem wird das Heimtückemerkmal eher mit der 2. Alternative des § 213 StGB (in tatsächlicher Hinsicht) zusammentreffen, welche nahezu unbestritten als Strafzumessungsregel verstanden wird. Deswegen ermöglicht § 213 StGB keine zufriedenstellende Behandlung der problematischen Heimtückefälle. c) Die Frage einer „Ausstrahlungswirkung“ des § 213 StGB Davon ausgehend, dass es sich bei § 213 StGB in beiden Alternativen um eine Strafzumessungsregel handelt, ist für einige trotzdem nicht endgültig geklärt, wie bei einer Kollision mit Mordmerkmalen zu verfahren ist622. Insbesondere wird eine „Ausstrahlungswirkung“ des § 213 StGB auf § 211 StGB diskutiert623. Schon angeklungen ist, dass der Grundsatz der Sperrwirkung zur Besserstellung des Täters gerade dann bemüht wird, wenn sich eine Norm im Ergebnis durchsetzen soll, die an sich (das meint: systematisch gesehen) gerade nicht vorrangig erscheint624. Oftmals wird dann auch vom Durchschlagen des Prinzips oder der Norm gesprochen625. Es ist daher zu untersuchen, ob mit diesem Grundsatz der Sperrwirkung lediglich ein gewünschtes Ergebnis postuliert oder ob dieses tatsächlich auch begründet wird: Gegen eine Strafmilderungsmöglichkeit bei Erfüllung des Mordtatbestandes wird nun vorgebracht, dies könne den Schutz des Lebens „relativieren“ 626. Auch bestehe nur beim Heimtückemerkmal de facto ein Milderungsbedürfnis, so dass eine alle Mordmerkmale betreffende Lösung nicht sachgerecht sei627. Befürchtet

622

Bernsmann, JZ 1983, 45 (47). Bernsmann, JZ 1983, 45 (47). 624 Hierzu Bornemann, S. 12: „Der Begriff der Privilegierung wird hierbei freilich nicht mehr nur im Sinne einer vertatbestandlichten Strafmilderung verwendet, sondern als Inbegriff einer jeden vom Gesetzgeber beabsichtigten Besserstellung des Täters.“ Auch Vöhringer, S. 238, 259 konstatiert, dass die Sperrwirkung mehr einem Rechtsgefühl entspräche, denn dogmatisch fundiert sei. Ansätze, die die Sperrwirkung als konkurrenzrechtliche Frage zu verorten versuchen, werden ebenfalls von Vöhringer, S. 254 ff. referiert. 625 Beispielsweise Bockelmann, BT II, S. 21. 626 Staiger, Jescheck/Triffterer, 181 (189 f.). 627 Staiger, Jescheck/Triffterer, 181 (189). 623

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

wird auch eine Überforderung der Richter dergestalt, dass sie im Zweifel den niedrigen Strafrahmen wählen würden628. Ähnlich ist das Bedenken zu verstehen, wonach die Entscheidung zwischen Mord und Totschlag nicht dem Tatrichter aufzubürden sein soll629. Dies übersieht aber, dass dem Richter bei der Anwendung von Mordmerkmalen Gleiches abverlangt wird und dass Strafzumessungserwägungen revisionsgerichtlich überprüfbar sind630. Außerdem sind die Ansichten auch darüber geteilt, ob tendenziell eher eine Über- oder eine Unterschreitung der schuldangemessenen Strafe zu befürchten sei631. Vor allem werden durch eine solche Blockadehaltung gegenüber der Anerkennung einer Milderungsmöglichkeit die Augen vor der Realität des enormen Bedarfs an Differenzierungsmöglichkeit verschlossen, der auch innerhalb eines Tötungsgeschehens besteht, das ein Mordmerkmal aufweist. Der Vorwurf der Relativierung des Lebensschutzes geht deswegen fehl; er rührt letzten Endes von einer Vermengung der Kategorien Rechtsgut und Unrecht her632. Gegen die Milderungsmöglichkeit de lege lata können richtigerweise nur systematische Gründe sprechen. Die Frage verengt sich damit darauf, ob dem Differenzierungsbedürfnis nur de lege ferenda Rechnung zu tragen ist oder ob dem de lege lata § 213 StGB gerecht werden kann. Für den Mittelweg, also die Anwendung des Strafrahmens des § 212 Abs. 1 StGB im Kollisionsfall von §§ 211, 213 StGB, wird angeführt, dass es Grenzfälle nicht nur aus einer Richtung betrachtet gebe; wenn man § 212 Abs. 2 StGB als durch die Grenzfälle des Totschlages hin zum Mord legitimiert betrachte, brauche man auch von der umgekehrten Richtung aus eine entsprechende Handhabe633. Zur Heranziehung des § 212 Abs. 1 StGB gelange man dadurch, dass die Momente des § 213 und die des § 211 StGB sich gegenseitig neutralisierten oder aufheben würden634. Sympathisch an dieser Lösung erscheint auf den ersten Blick, dass man sich in einer Situation, in der (tatsächlich betrachtet) nicht der reine Fall der Qualifizierung und nicht der der Privilegierung vorliegt, nicht für eines von beiden entscheiden und damit das jeweils andere ignorieren muss635, sondern die „goldene Mitte“ wählen kann636. Hierbei würden allerdings Um628

Staiger, Jescheck/Triffterer, 181 (190). Jähnke, MDR 1980, 705 (708). 630 Rengier, MDR 1980, 1 (3). 631 Eine mildere Strafpraxis erwartet das BVerfG (BVerfGE 45, 187 (261)) und ihm zustimmend Jähnke, MDR 1980, 705 (707); zum Ganzen optimistischer Gribbohm, ZRP 1980, 222 (226 mit weiteren Nachweisen). 632 Ausführlich wird dies diskutiert bei der Frage, in wie vielen Stufen die Tötungsdelikte ausgestaltet sein sollten, siehe näher dazu S. 208. 633 Arzt, Jescheck/Triffterer, 141 (143). 634 Statt vieler siehe die Nachweise bei Zwiehoff, S. 25 Fn. 71. Zum entsprechenden Gedanken bei der echten Privilegierung des § 216 StGB Herzberg, JZ 2000, 1093 (1097). 635 Ähnlich auch Geilen, JR 1980, 309 (314). 629

II. Einschränkungsvorschläge

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stände verrechnet, die nicht in gleichartige Rechengrößen zu übersetzen sind. Vollkommen gleichwertig müsste man diese Umstände allerdings nicht behandeln, da bei der Strafbestimmung im Rahmen des § 212 Raum für die Berücksichtigung eines eventuellen Übergewichts des privilegierenden oder qualifizierenden Umstands verbleibt. Etwas anderes spricht aber entscheidend gegen diesen Vorschlag: Mit der im Tatsächlichen verhafteten Kompensationsvorstellung wird nur das Ergebnis eines konkreten Strafrahmens, nicht aber die primär zu legitimierende „Ausstrahlungswirkung“ begründet. Damit ist der zweite Schritt vor dem ersten getan und diese Überlegungen sind allenfalls de lege ferenda als Zielvorstellung verwertbar. Es bleibt die Sperrwirkungsthese – in die eine oder andere Richtung. Dabei entspricht die Sperrwirkungsthese in die Richtung, dass sich der Strafrahmen des § 211 StGB durchsetzt, im Wesentlichen der systematisch argumentierenden Ansicht, die schon eine Konkurrenzlage zwischen §§ 211, 213 StGB ausschließt. Sie bedarf daher keiner besonderen Betrachtung. An der Sperrwirkungsthese in dem Sinn, dass § 213 StGB durchschlagen soll, wird zunächst kritisiert, dass die Fälle des „minder schweren Mordes“ in der Regel nicht gemindertes Unrecht in der Art aufweisen, dass zugleich ein minder schwerer Totschlag vorliegt, weswegen der Strafrahmensprung zu extrem sei637. Dass ein minder schwerer Mord im Mindest- und im Höchstmaß des Strafbannes unter dem des Totschlags liegt, erscheint tatsächlich zumindest nicht unmittelbar einleuchtend. Allerdings wird auch gesehen, dass sich dieser Kritikpunkt durch die schon erwähnte Anhebung des Strafrahmens des § 213 StGB von sechs Monaten auf ein Jahr an der unteren Grenze und von fünf auf zehn Jahren am oberen Ende abgeschwächt hat638. Die überwiegend behauptete, aber dogmatisch nicht begründete Vorrangigkeit der Privilegierung639 könnte sich nun daraus entwickelt haben, dass sich eine solche bei den Eigentumsdelikten systematisch aus dem Gesetz ergibt, und dies dann als Ausdruck einer allgemeinen Regel verstanden auch im Bereich der Tötungsdelikte angenommen wird640. Dabei ist der Terminus Privilegierung im 636 Herzberg, JZ 2000, 1093 (1097), zwar behandelt er das Zusammentreffen von Mordmerkmalen mit § 216 StGB, jedoch ist das Ausgeführte im Grundsatz auf das hier erörterte Problem übertragbar. Denn von der oftmals zufälligen gesetzlichen Ausgestaltung privilegierender Umstände als Tatbestand oder Strafzumessungsnorm abgesehen, sind beide rechtstechnischen Umsetzungen Ausdruck geminderten Unrechts im Vergleich zum Regelfall. Siehe daher auch Vöhringer, S. 269 f. 637 SK StGB II/Horn § 211 Rn. 5; ebenso Gössel/Dölling, § 4, Rn. 15; zum „Sanktionensprung“ auch Neumann, FS Eser, 431 (441). 638 So beispielsweise Neumann, FS Eser, 431 (442). 639 Herzberg, JZ 2000, 1093 (1093) zählt diese Behauptungen auf, die als unumstößlich behandelt aber nicht begründet werden. 640 Zu dieser möglichen Erklärung Herzberg, JZ 2000, 1093 (1096); Bornemann, S. 21 f.; zum Rechtsgedanken der Besserstellung des Täters über die tatbestandliche Privilegierung hinaus, Bornemann, S. 12 ff.

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

Rahmen der Eigentumsdelikte ebenfalls nicht als echte tatbestandliche Privilegierung zu verstehen, denn bei § 247 StGB handelt es sich gerade nicht um eine solche641. Der Grund dieser Übertragung in den Bereich der Delikte gegen das Leben mag darin liegen, dass man sich vor die „Wahl“ zweier Strafrahmen gestellt, für das kleinere Übel entscheidet und lieber etwas zu mild als etwas zu hart bestraft642. Umgekehrt kann jedoch der Umstand der uneinheitlichen Nomenklatur im Bereich der Tötungsdelikte (im Gegensatz zu den Eigentumsdelikten) auch der gegenläufigen Begründung dienen, dass also die Qualifizierung vorrangig sei643. Die Auswechselbarkeit der Richtungen ist schon erstes Indiz für die mangelnde Begründbarkeit einer Sperrwirkung beim Zusammentreffen von privilegierenden und qualifizierenden Momenten im Bereich der Tötungsdelikte de lege lata. Dieser Verdacht wird dadurch erhärtet, dass mal das eine, mal das andere Moment gewichtiger sein kann und so eine schematisch angewandte Vorrangsregelung sachwidrig ist. Es lohnt, einen Blick auf eine weitere Norm aus dem Gebiet des denkbaren Ursprungs der Sperrwirkungsthese, den Vermögensdelikten, zu werfen. In § 250 Abs. 3 StGB ist das Zusammentreffen der Raubqualifikation mit einem minder schweren Fall geregelt, obwohl der minder schwere Fall des einfachen Raubes ebenfalls normiert ist (§ 249 Abs. 2 StGB). Bei § 211 StGB fehlt aber ein entsprechender Abs. 3. Das spricht dafür, dass der Sperrwirkungsgrundsatz nur eine Umschreibung für ein Ergebnis einer gesetzlichen Vorgabe ist, er diese aber nicht ersetzen kann und demnach keinen eigenen konstitutiven Inhalt hat. Die Geltung eines solchen Grundsatzes in Bereichen ohne gesetzliche Regelung ist abzulehnen. Stattdessen müsste eine solche Regel ausdrücklich normiert werden, wie es bei der Rechtsfolgenlösung ebenfalls gefordert wird. Der Sache nach läuft es auf eine Rechtsfolgenlösung ähnlich der der Rechtsprechung hinaus, § 213 StGB als Strafzumessungsregel zu begreifen und trotz Verwirklichung eines Mordmerkmals heranzuziehen. Aufgrund der Strafzumessungsregelqualität des § 213 StGB bedarf es einer Anwendbarkeitserklärung des Gesetzes, ebenso wie bei § 49 StGB. Demnach leiden alle Ansichten, die § 213 StGB als Strafzumessungsregel verstehen und diesen Paragraphen beim Vorliegen eines Mordmerkmals trotzdem nicht ausblenden wollen, daran, dass sie diese Ausstrahlungswirkung nicht, auch nicht nur ansatzweise, begründen können. Stattdessen wird breit darüber gestritten, welcher der richtige Strafrahmen sei und unterstellt, der des § 211 StGB sei

641 §§ 247, 248a StGB privilegieren nicht durch eine Strafrahmenverschiebung, sondern durch die Normierung eines Antragserfordernisses. Einen Strafmilderungsgrund im engen Sinn stellen sie also nicht dar. 642 Dass dies keine Lückenschließung zu Gunsten des Angeklagten ist, erläutert Bornemann, S. 22 ff. 643 Herzberg, JZ 2000, 1093 (1096).

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eines tatsächlich bestehenden Bedürfnisses wegen beeinflussbar. Das kann nicht überzeugen, wenngleich das Motiv dieser Vorgehensweise verständlich ist. d) Abschließende Stellungnahme Wenn man, wie es hier vertreten wird, § 211 StGB als Qualifikation zu § 212 StGB erachtet, ist § 213 StGB im Falle eines vorliegenden Mordmerkmals nicht eröffnet. Die Einführung einer Verweisungsnorm von § 211 StGB auf § 213 StGB644 würde vermutlich zur Entspannung der Problematik des Heimtückemordes beitragen. Aber es wäre wiederum eine zu optimistische Einschätzung, mit einer solchen Verweisung die geschilderten problematischen Fälle der Heimtücke allesamt zufriedenstellend behandeln zu wollen. Eine tatbestandliche Lösung der Heimtückeproblematik bliebe vielmehr auch dann erforderlich. Denn zum einen trägt auch ein minder schwerer Mord den Makel eines Mordes und zum anderen ist zu bezweifeln, dass tatsächlich alle angesprochenen problematischen Fallgruppen des Heimtückemordtatbestandes unter § 213 StGB fallen. Von dort rührt auch die Diskussion um eine Erweiterung der Milderungsmöglichkeiten im Rahmen des § 213 StGB her645: Beispielsweise ist es bei den Tyrannen-Tötungen regelmäßig so, dass der Täter gerade nicht auf der Stelle hingerissen wird zu seiner Tat und auch nicht durch Zorn, sondern durch Angst oder Verzweiflung motiviert ist, so dass die erste Alternative des § 213 StGB nicht erfüllt wird. Dann die zweite Alternative zu bemühen, wie es teils vorgeschlagen wird, liefe auf eine Überdehnung der Norm hinaus, die vielmehr Fälle vor Augen hat, in denen das Hemmungsvermögen des Täters aufgrund seines situativen Erregungszustandes beeinträchtigt ist646. Durch eine Verweisung auf § 213 StGB im § 211 StGB wären also nicht alle Problemfälle der Heimtücke gelöst.

7. Der „Tücke“-Ansatz Vertreter des „Tücke“-Ansatzes wollen die subjektive Seite der Heimtücke stärker betont wissen. Die Tücke sei der „Kern“ des Heimtückebegriffs647. Als Synonym zur Tücke wird häufig der Begriff Verschlagenheit 648 gebraucht. Auch 644 Im AE-Leben, auf den noch genauer einzugehen sein wird, ist eine Kollisionsregel in § 212 Abs. 2 AE-StGB vorgesehen, Arbeitskreis AE, GA 2008, 193 (201). 645 Arzt, ZStW 83 (1971), 1 (26), der unter anderem die Streichung des sofortigen Hingerissenseins befürwortet. 646 S/S/Eser § 213 Rn. 1. 647 Spendel, StV 1984, 45 (46); ders., JR 1983, 269 (271); der sich in seinem Schlusswort de lege ferenda jedoch für eine objektive Tatbestandsformulierung ausspricht. Gegen die Betonung des Subjektiven siehe auch Arbeitskreis AE, GA 2008, 193 (216, 242). 648 Spendel, JR 1983, 269 (273); ders., StV 1984, 45 (46); Wessels/Hettinger, BT I § 2, Rn. 108, 114; Miehe, JuS 1996, 1000 (1003); Seebode, StV 2004, 596 (597 f.).

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von Hinterhältigkeit ist die Rede, welche auf die „heimliche, verschlagene und unehrliche“ Art der Tatbegehung hinweise, die „seit jeher zur Kennzeichnung einer im Unwert gesteigerten Tötung“ diene649. Dem subjektiven Moment der Arglosigkeit des Opfers müsse das subjektive Kriterium der Arglist auf Seiten des Täters gegenüberstehen650. Oftmals wird insbesondere gegen die Rechtsfolgenlösung vorgebracht, dass die Möglichkeiten der Restriktion auf Tatbestandsseite vorzugswürdig wären, aber nicht ausgeschöpft seien und gerade das Tücke-Element Ansatzpunkt für eine Restriktion im Tatbestand sein könne651. Allerdings wird zumeist nicht dargelegt, was dieser Begriff zu leisten vermag652. Immerhin wird aber der Prüfungsort der Tücke benannt; wegen der subjektiven Prägung der Tücke soll dieser beim Ausnutzungsbewusstsein liegen653. Auffällig ist, dass die Rechtsprechung diesen Begriff zur Begründung neuerdings ebenfalls wieder aufgreift654. Insgesamt kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Tücke-Element eher als verstärkendes Hilfsmoment zur Bestätigung eines Ergebnisses statt als maßgeblicher Punkt der Ergebnisgewinnung gebraucht wird. Dazu passt die Aussage, das Tückische im Verhalten lasse sich nicht in isolierten Merkmalen einfangen, sondern erwachse „aus dem Kontext einer gestalthaften Situation [. . .], der mit interpersoneller Evidenz vermittelt werden“ könne655. Es bleibt unklar, was genau mit einer gestalthaften Situation oder mit der interpersonellen Evidenz gemeint ist, aber immerhin wäre vorstellbar, dass der Tücke-Begriff durch den Bezug auf einen situativen Kontext trotz eines erforderlichen wertenden Elements eine objektive und erfahrbare Komponente erhalten würde. Dass die Tücke nicht als Tatbestandsvoraussetzung, sondern als Teil der ratio des Heimtückemordtatbestandes verstanden wird, wird auch dadurch deutlich, dass Vertreter verschiedener Heimtückedefinitionen oftmals für ihren jeweiligen Ansatz beanspruchen, in diesem drücke sich das besonders Tückische aus656. 649

Küpper, FS Kriele, 777 (787); Seebode, StV 2004, 596 (597 f.) erklärt ähnlich, das tückisch-hinterhältige Verhalten sei Charakteristikum der Heimtücke nach dem allgemeinen Sprachgebrauch. 650 Spendel, JR 1983, 269 (272 f.). 651 H. J. Hirsch, FS Tröndle, 19 (29); Lackner, NStZ 1981, 348 (349); Reizel, S. 49 f. mit weiteren Nachweisen. 652 Eine Ausnahme stellen die Vorschläge von Veh und M.-K. Meyer dar, die das Tückeelement mit Inhalt zu füllen versuchen. Sie fußen jedoch nicht allein auf der Tücke, und sind daher nur im weiten Sinn dem Tückeansatz zuzuordnen, siehe hierzu S. 171 ff. und S. 179 ff. 653 Wessels/Hettinger, BT I § 2, Rn. 108; Neumann, StV 2009, 526 (526). 654 BGHSt 48, 207 (211); BGH NStZ 2006, 338 (339); früher geschah dies beiläufig ebenfalls schon, siehe beispielsweise BGHSt 20, 301 (302); 23, 120 (121). 655 Kerner, FS Universität Heidelberg, 419 (442). Was genau interpersonelle Evidenz bedeutet, ist nicht zu erschließen. 656 Beispielsweise für Langer, JR 1993, 133 (140 f.) macht der Vertrauensbruch nebst Bösartigkeit das Tückische in der Heimtücke aus; ähnlich Schaffstein, FS Mayer, 419

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M.-K. Meyer stellt heraus, dass dem Tücke-Aspekt von der Rechtsprechung je nach Vorliegen der Regel- oder Ausnahmekonstellation des Heimtückemordes eine unterschiedliche Bedeutung zugemessen wird657. Dabei bezieht sich das Regel-Ausnahmeverhältnis auf die Zeitregel, wie sie oben658 vorgestellt wurde: Grundsätzlich maßgeblicher Zeitpunkt ist der Versuchsbeginn; ausnahmsweise soll in den Fallen-Konstellationen ein früherer Zeitpunkt für das Vorliegen der Arglosigkeit genügen. Die Rechtsprechung gebrauche nun das Tücke-Merkmal im Regelfall nicht konstitutiv, sondern kompensiere damit nur im Ausnahmefall das dort nicht vorhandene Arglossein des Opfers im Zeitpunkt des Versuchsbeginns659. Meyer beanstandet hieran, dass es gegen das grundsätzliche Begriffsverständnis von der Heimtücke spreche, wenn dieses einen so eindeutigen Fall wie das planvolle Stellen und Locken in eine Falle nicht erfasst660. Vor allem aber ist daran zu kritisieren, dass etwas, das im Regelfall wie im Ausnahmefall vorliegt, das Fehlen eines anderen Merkmals im Ausnahmefall nicht kompensieren kann. Zudem müsste die Verrechenbarkeit der beiden Größen ,Tücke‘ und ,Arglosigkeit‘ überhaupt erst einmal dargelegt werden. Die Tücke kann also auch unter dieser Betrachtung für keine Fallgruppe eine echte Tatbestandsvoraussetzung sein, vielmehr ist aufgrund dieser Überlegungen die Regel-Ausnahmekonstruktion des maßgeblichen Zeitpunkts der Arglosigkeit erneut in Frage zu stellen. Hillenkamp sieht in der Tückefrage ebenfalls ein Instrument der Ausnahmeregelung. Denn er schreibt ihr die Aufgabe zu, den gesteigerten Unwertgehalt, der durch die Erfüllung der Merkmale Ausnutzung der auf Arglosigkeit beruhenden Wehrlosigkeit indiziert werde, zu überprüfen661. Insofern sei die vorstehende Kurzformel im Regelfall die Umschreibung eines heimtückischen Vorgehens, welches aber ausnahmsweise, nämlich beim Fehlen von Tücke oder Verschlagenheit, zu verneinen sei. Dies sei nicht identisch mit der negativen Typenkorrektur oder einer allgemeinen Verwerflichkeitskontrolle, sondern der so verstandenen Tücke wohne die Kraft inne, über die Verneinung des heimtückespezifischen Handlungs- und Gesinnungswertes die Heimtücke auszuschließen662. Damit sei die Heimtücke zwar nicht beim Punkt Arglosigkeit, aber bei dem der Tücke einer normativ-einschränkenden Auslegung zugänglich663. Den Motiven des Täters

(427 f.); Kargl, StraFo 2001, 365 (368) begründet die jeweilige Lösung verschiedener Problem-Fallgruppen mit der Tücke; Roxin, FS Widmaier, 741 (757) sieht seinen Vorschlag als vom „Leitgedanken der Tücke“ geprägt an, siehe hierzu gleich. 657 M.-K. Meyer, JR 1986,133 (134). 658 Siehe S. 21 ff. 659 M.-K. Meyer, JR 1986, 133 (134). 660 M.-K. Meyer, JR 1986, 133 (134). 661 Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (478). 662 Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (478 f.). 663 Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (479); zur Ablehnung der normativen Einschränkung der Arglosigkeit, wie der BGH bei der Erpresser-Entscheidung vorging, Hillen-

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

eine so essentielle Rolle beizumessen, läuft aber stark auf ein Gesinnungsstrafrecht zu. Außerdem ist die Distanzierung Hillenkamps von der Typenkorrektur beziehungsweise der allgemeinen Verwerflichkeitskontrolle zu hinterfragen, denn auch bei diesen beiden Ansätzen spielen gerade die Motive des Täters eine entscheidende Rolle. Der Vorwurf der Unbestimmtheit wird natürlich auch gegenüber dem Tückeansatz erhoben und die Verteidigung hiergegen, dass auch anderen Mordmerkmalen eine bestimmte Vagheit durch Gesinnungsmomente anhafte664, kann diesen nicht entkräften. Letzten Endes ist die Hervorhebung des Tücke-Erfordernisses die Betonung der Kontrollfrage, ob ein Ergebnis mit dem Rechtsgefühl übereinstimmt665: Es exponiert zum einen Fälle, in denen das Rechtsgefühl entgegen dem an sich erzielten Ergebnis gegen eine Heimtückemordverurteilung spricht, wie bei den Tyrannen-Tötungen, hilft aber nicht bei der dogmatisch fundierten Herausnahme dieser Fälle aus dem § 211 StGB. Zum anderen exponiert die Tücke diejenigen Fälle, bei denen das Rechtsgefühl für eine Bejahung des Mordes spricht, ohne diese aber im Ergebnis darunter fassen zu können.

8. Claus Roxins Vorschlag „Heimtückisch ist die in feindseliger Willensrichtung vorgenommene Tötung eines Menschen unter Ausnutzung seiner Arg- und Wehrlosigkeit, es sei denn, die Tat erfolgt zur Rettung aus einer die soziale oder physische Existenz des Täters gefährdenden Notlage gemäß §§ 32, 34, 35 StGB.“ 666 So lautet der von Roxin unterbreitete Vorschlag, die Heimtücke zu definieren, wenngleich er de lege ferenda für die Streichung des Merkmals eintritt667. Dieser Vorschlag steht am Ende der Betrachtung zweier Fälle, deren ähnliche Problemlagerung nun schon mehrmals betont wurde. Gemeint sind der Erpresser-Fall und die Tyrannen-Tötung. Insofern bezeichnet Roxin selbst seine Lösung als „sektorale“ 668, wohl wissend, dass die Fallgruppenorientierung Angriffsfläche für Kritik bietet. Kritisch zu sehen ist nämlich, dass man entweder je nach Fallgruppe unterschiedliche Dekamp, JZ 2004, 48 (49) und ders., FS Rudolphi, 463 (475 ff.); ähnlich NK StGB II/Neumann § 211 Rn. 61. 664 Miehe, JuS 1996, 1000 (1003). 665 Fischer § 211 Rn. 53 formuliert, der Tückebegriff vermöge es nicht, der Heimtücke etwas Substanzielles hinzuzufügen. Roxin, Widmaier, 741 (750) bescheinigt dem Tückeelement ebenfalls eine Hinweisfunktion, es sei aber „kein subsumtionsfähiges Merkmal“. 666 Roxin, FS Widmaier, 741 (756). 667 Roxin, FS Widmaier, 741 (744) und als Mitautor des Arbeitskreises AE, GA 2008, 193 (241 ff.). 668 Roxin, FS Widmaier, 741 (757), dort ebenfalls hervorgehoben.

II. Einschränkungsvorschläge

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finitionen für die Heimtücke benötigt oder hinzunehmen ist (will man die vorgeschlagene Definition auf alle Fälle anwenden), dass ein Teil der vorgeschlagenen Definition in Fällen ohne Anhaltspunkt für eine Notlage des Täters völlig überflüssig ist669. Roxins erklärtes Ziel ist es, die Normativierung, wie sie in der Erpresser-Entscheidung vorgenommen wurde, von der Opferseite zurück zur Täterseite zu lenken670. Es sei nämlich nicht erklärbar, weswegen der Täter einen Vorteil dadurch erhalten soll, dass die Rechtsgemeinschaft der Ansicht ist, dass das Opfer aufgrund seines Vorverhaltens mit einem Angriff hätte rechnen müssen671. Zum einen gebiete das Gesetz keinen Argwohn und zum anderen helfe der Hinweis darauf, dass Argwohn zweckmäßig gewesen wäre, nicht über das tatsächliche Fehlen des Misstrauens hinweg672. Diese Gedankenführung trifft zwar genau das Manko der Erpresser-Entscheidung, ist aber in der Schlussfolgerung gleichwohl abzulehnen: Richtig ist, dass eine Pflicht zum Argwohnhegen nicht ausdrücklich normiert ist. Und richtig ist auch, dass eine solche Verpflichtung für den Adressaten erkennbar sein muss. Das heißt jedoch nicht, dass eine Obliegenheit nicht zu begründen wäre. Eine Pflicht, bei deren Verletzung eine Sanktionierung in Form der echten Kriminalstrafe droht und die deshalb eine Normierung im Gesetzestext braucht, ist in den beiden Roxin vorschwebenden Fällen nicht gewollt, auch von ihm nicht. Eine Obliegenheit hingegen kann sich aber auch aus dem Kontext mehrerer Rechtsfragen ergeben, ohne dass sie ausdrücklich festgeschrieben wäre, solange die Verhaltensanforderungen selbst erkennbar sind. Denn ihre Verletzung zieht jedenfalls keine echte Strafe, sondern höchstens eine Sanktionierung in Form der Einbuße einer Rechtsposition nach sich. Sicherlich fehlt bislang eine tragfähige Begründung dafür, dass das Opfer unter bestimmten Umständen mit einem Angriff rechnen müssen muss, undenkbar ist eine solche aber nicht. Auch dem zweiten Teil der Argumentation Roxins, wonach eine Bewertung der Situation, das Opfer hätte mit dem Angriff rechnen müssen, das tatsächlich fehlende Misstrauen nicht ersetzen kann, ist einerseits nicht zu widersprechen, andererseits aber auch nicht in der Konsequenz zu folgen: Selbstverständlich hilft die Einschätzung der Rechtsordnung, das Opfer hätte mit dem Angriff rechnen müssen, dem Opfer nicht aus seiner Gefährdungslage heraus. Das wird aber auch nicht behauptet. Die Argumentation Roxins vermengt zwei verschiedene Möglichkeiten der Begriffsauslegung, wie es Roxin selbst zuvor mit Recht den Kritikern einer Normativierung der Heimtücke vorgeworfen hat673, nämlich eine 669 670 671 672 673

Die Umständlichkeit der Definition sieht auch Roxin, FS Widmaier, 741 (756). Roxin, FS Widmaier, 741 (749, 753, 756). Roxin, FS Widmaier, 741 (750). Roxin, ebenda. Roxin, FS Widmaier, 741 (749).

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

rein im Tatsächlichen verhaftete Definition mit einer wertenden Definition. Demnach ist schon die Ausgangsmotivation seiner neuen Formel, von der Opferbetrachtung Abstand zu nehmen, in Frage zu stellen. Es sprechen daneben noch weitere Punkte gegen seinen Vorschlag: Dabei soll auf die Bedenken hinsichtlich des Elements der feindseligen Willensrichtung nicht erneut eingegangen werden. Roxin sieht bei der von ihm vorgeschlagenen Definition den Vorteil, dass damit die von Schneider geschilderte Gefahr gebannt sei, bei einer an den Grundsätzen der Erpresser-Entscheidung orientierten Auslegung werde die Heimtücke bei allen Provokationen und Fällen des § 213 StGB ausgeschlossen674. Dem ist entgegenzusetzen, dass die damit angesprochene Befürchtung der Dammbruchgefahr sich bei näherer Betrachtung nicht zu einem ernsthaften Bedenken verdichtet hat675. Speziell auf die Provokationen bezogen ist zu sagen, dass bei der auf eine Einzelfallprüfung angelegten Definition der Arglosigkeit in dem Sinne, dass sich das Opfer tatsächlich keines Angriffs versieht und auch nicht mit einem solchen rechnen muss, kein Automatismus in dem Sinne zu befürchten ist, dass bei jeglicher Provokation zugleich die Heimtücke ausgeschlossen wird. Ferner ist folgende Kritik zu üben: Es wurde bei der Diskussion über die Erpresser-Entscheidung dargelegt, dass die Wirkung partieller Rechtfertigungslagen im Vergleich zu der Wirkung einer vollen Rechtfertigung im Hinblick auf das Mordmerkmal keine größere ist676, und daran ist auch festzuhalten. Bei der Formel Roxins muss man aber doch fragen, ob nicht Wertungsebenen dadurch zu stark vermischt werden, dass subjektive Rechtfertigungs- und Entschuldigungselemente („zur Rettung aus einer die soziale oder physische Existenz des Täters gefährdenden Notlage gemäß §§ 32, 34, 35 StGB“) umfassend in den Tatbestandsbereich gezogen werden. Die Formel Roxins liefe darauf hinaus, dass es einen nach § 32 oder § 34 StGB gerechtfertigten beziehungsweise nach § 35 StGB entschuldigten Heimtückemord kaum noch geben wird. Damit würden durch die Definition eines Tatbestandsmerkmals potentielle Anwendungsfälle für Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe wegfallen. Im Unterschied dazu ist bei der wertenden Auslegung nach den Grundsätzen der Erpresser-Entscheidung weiterhin Raum für einen nach § 32 gerechtfertigten oder nach § 35 StGB entschuldigten Heimtückemord677. Zwar bliebe in Fällen, bei denen der Täter in 674

Roxin, FS Widmaier, 741 (757) mit Bezug auf H. Schneider, NStZ 2003, 428

(431). 675

Siehe nochmals S. 73. Siehe oben S. 66. 677 Dies ist immer dann der Fall, wenn das Opfer den Angriff nicht hat erkennen müssen und gleichwohl eine Rechtfertigung oder Entschuldigung des Täters vorliegt. Hier wird die Notwendigkeit abermals deutlich, die Begründung und den Umfang der Obliegenheit des Opfers zu bestimmen. Es ist aber davon auszugehen, dass das Erkennenmüssen nicht immer bei einer Rechtfertigung oder Entschuldigung des Täters gege676

II. Einschränkungsvorschläge

169

einer Bedrohungslage für nicht existenzielle Rechtsgüter handelt, das Ergebnis eines gerechtfertigten oder entschuldigten Heimtückemordes auch nach der Definition Roxins theoretisch erzielbar – wenngleich das praktisch nicht leicht vorstellbar ist. Jedenfalls überzeugt es aber nicht, dass nach der von Roxin vorgeschlagenen Definition über Mord und Totschlag entschieden wird, indem dem Täterverhalten seine Bedeutung in Abhängigkeit von dem (eventuell nur vermeintlich!) bedrohten Rechtsgut des Täters zugeschrieben wird. Dahingegen erfolgt bei der Auslegung nach den Grundsätzen der Erpresser-Entscheidung die Unterscheidung zwischen Heimtückemord und Totschlag objektiv über den sozialen Kontext bezogen auf das Rechtsgut des § 211 StGB. Denn mit der Frage, ob das Opfer mit einem Angriff hätte rechnen müssen, ist das tatbestandlich geschützte Rechtsgut im Mittelpunkt der Betrachtung. Das ist überzeugender, als auf Motive des Täters zurückzugreifen. Denn beispielsweise können nur bei einer wertenden Auslegung nach den Grundsätzen der Erpresser-Entscheidung mehrfach gestufte Aufschaukelungen sachgerecht berücksichtigt werden, also Situationen, in denen sich Täter und Opfer wechselseitig im Vorfeld der Tat verletzt haben. In einer solchen Fallkonstellation ist bei der wertenden Auslegung nach den Grundsätzen der Erpresser-Entscheidung anderes als nach der Definition Roxins nicht nur nach der akuten Existenzbedrohung des Täters zu fragen, sondern es ist das Vortatgeschehen in seiner sozialen Bedeutung bei der Prüfung des Heimtückemerkmals mit einzubeziehen678. Einiges lässt Roxin im Übrigen offen. So bleibt unklar, ob die existenzbedrohende Lage des Täters durch das Opfer verursacht sein muss. Gerade weil bei § 34 StGB die Gefahr nicht von dem Opfer ausgehen muss, ist dies nicht selbstverständlich, wenn man auch annehmen darf, dass Roxin eine entsprechende Einschränkung vorschwebt. Der schon angesprochene Umstand, dass die den Anwendungsbereich des Heimtückemerkmals einschränkende Voraussetzung der Existenzbedrohung als subjektives Merkmal vorgesehen ist („zur Rettung“), ist ferner im Hinblick darauf kritisch zu sehen, dass dadurch ein Verbotsirrtum oder ein Erlaubnistatbestandsirrtum bei einem Heimtückemord im Gegensatz zu allen anderen Mordmerkmalen nicht mehr möglich wäre. Dies ist kein zwingendes Argument gegen die vorgeschlagene Definition, erscheint aber zumindest ungewöhnlich. Weiterhin ist unstimmig, dass sich die gleiche Art Fehlvorstellung je

ben ist. Eindeutig ist dies beispielsweise bei konstitutionell bedingt arglosen Opfern der Fall, die einen Angriff auf den Täter verüben. Ebenso liegt es, wenn der im Nötigungsnotstand handelnde Täter das ahnungslose Opfer tötet, um sein gekidnapptes Kind zu retten. 678 Insoweit lässt Roxin offen, ob eine Rechtfertigungs- oder Entschuldigungslage im technischen Sinn vorausgesetzt sein soll, insbesondere ob der Angriff oder die Gefahr rechtswidrig sein muss. Der Formel, die eine „die soziale oder physische Existenz gefährdende Notlage“ verlangt, ist dies jedenfalls aber nicht zu entnehmen, zumal dieses Erfordernis rein subjektiv zu prüfen ist („zur Rettung“).

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

nach Rechtsgut beziehungsweise Delikt einmal schon beim Tatbestand auswirkt und einmal nur auf nachfolgender Ebene Bedeutung hat. Das soll zu dem jüngsten Vorschlag einer neuen Heimtückedefinition genügen. Insgesamt sind durch diesen wohl mehr Fragen aufgeworfen als geklärt worden. Sein Verdienst ist es aber zum einen, nochmals herauszustellen, dass dem Interaktionsprozess von Täter und Opfer bislang bei der rechtlichen Behandlung von Heimtückefällen zu wenig Beachtung geschenkt wurde und zum anderen, zu mahnen, dass bei der Behebung dieses Missstandes das Augenmerk nicht zu stark auf das Opfer verlagert werden darf. Auch trat nochmals deutlich die Notwendigkeit hervor, die Obliegenheit des Tötungsopfers zu begründen.

9. Zwischenergebnis Zusammenfassend betrachtet können die einzelnen Ansätze zur Präzisierung der Heimtücke oftmals nicht überzeugen, weil sie fallgruppenorientiert entwickelt wurden. Der Versuch, sie über die jeweilige Anlass-Fallgruppe hinaus anzuwenden, ist häufig offensichtlich zum Scheitern verurteilt. So kann man beispielsweise bei der Tötung des Familientyrannen beim besten Willen nicht abstreiten, dass das aufbegehrende gepeinigte Opfer sich seines Widersachers in feindlicher Willensrichtung entledigt. Der Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit ist eine derartig fallgruppenabhängige Definition der Heimtücke augenscheinlich nicht zuträglich. Gleichwohl ist die Betrachtung der verschiedenen Einschränkungsversuche nicht fruchtlos geblieben. Zum einen können nun weitere Problemfallgruppen registriert werden, die nach der Entwicklung der eigenen Lösung dazu dienen, diese auf ihre Allgemeintauglichkeit hin zu testen. Diese zur Überprüfung heranzuziehenden Gruppen sind vor allem die Tötungen zum vermeintlich Besten des Opfers sowie Tötungen, bei denen außergewöhnliche Umstände vorliegen. Zweitens hat sich die nach der Untersuchung der Grunddefinition aufgestellte Vermutung bewahrheitet: Den meisten Ansätzen ist gemeinsam, dass sie bei der Bewertung der Tat das Opfer oder die Beziehung des Täters zu dem Opfer mit einstellen oder zumindest als Anlass der Restriktion nehmen. Diese Betonung der Opferkomponente erfolgt bisweilen nur durch die Perspektive des Täters (wie bei der feindlichen Willensrichtung), andere Male knüpft sie an einem objektiven Umstand aus der Opfersphäre an (wie in der Regel bei den außergewöhnlichen Umständen). Die Unzulänglichkeiten der Basisdefinition können demnach in dem Punkt zusammengefasst werden, dass bislang mit ihr der Bedeutung des Beziehungsgeflechts zwischen Täter und Opfer nicht genügend Rechnung getragen wird. Der Beziehungsaspekt ist in der herkömmlichen Definition lediglich insofern angedeutet, als einerseits mit der Arg- und Wehrlosigkeit auf opferbezogene Aspekte abgestellt wird und andererseits der Täter bei seiner Tötungshandlung

III. Ersetzungs- und Neuregelungsvorschläge

171

mit Wissen und Wollen um diese gehandelt haben muss. Es sollte aber nicht nur die Opfer- und Täterseite des Geschehens für sich genommen, sondern auch die Beziehung zwischen beiden beachtet werden. Die Art der Beziehung dürfte insbesondere für die Bewertung der Arglosigkeit bedeutend sein; diese wird bislang aber nicht differenziert behandelt. Die Vermutung liegt nahe, dass die Bestrebung, der Opferposition mehr Aufmerksamkeit zu schenken, bei den nun im Folgenden zu behandelnden Vorschlägen zur Ersetzung der Heimtückedefinition verstärkt erkennbar ist.

III. Ersetzungs- und Neuregelungsvorschläge Wurden im vorstehenden Kapitel Lösungskonzepte vorgestellt, die eine Modifikation der Grunddefinition durch einen oft fallgruppenspezifischen Zusatz darstellten, werden nun Ansätze einzelner Rechtswissenschaftler besprochen, die das Heimtückemerkmal grundlegend anders definieren, also insbesondere nicht an der Basisdefinition der Heimtücke festhalten, oder die gänzlich auf das Heimtückemerkmal verzichten wollen. Natürlich sind mitunter Ähnlichkeiten zu den Restriktionsversuchen im vorherigen Kapitel gegeben. Die dortigen Einwände gelten dann hier entsprechend, ohne dass sie nochmals en detail ausgeführt werden.

1. Herbert Michael Veh: „Tötung bei vorwerfbarem Fehlen einer zuvor offen-feindseligen Täter-Opfer-Begegnung“ Veh zerlegt die Heimtücke in die Bestandteile „Heimlichkeit“ und „Tücke“ 679. Heimlichkeit soll dann bejaht werden, wenn keine offene feindselige Begegnung zwischen Täter und Opfer der Tat unmittelbar vorausgeht, aus der der Tötungsentschluss entstammt; Tücke sei gegeben, wenn dieses Fehlen der feindseligen Begegnung als mangelnder Konfliktlösungsversuch dem Täter vorzuwerfen ist680. Es sei verfehlt, bei der Ausfüllung des Begriffs Heimtücke primär die Vorstellung des Opfers von der Situation zu beleuchten681 und dem Täter die „Fehlvorstellungen des Opfers anzulasten“, vor allem wenn der Täter zuvor offen Aggressionen zum Ausdruck gebracht habe682. Den Mordmerkmalen müsse im Vergleich zum Totschlag ein erhöhter Unrechtsgehalt innewohnen; so wie die Rechtsprechung das Heimtückemerkmal versteht, sei dort ein solch gesteigerter 679

Veh, S. 164, 177. Veh, S. 166 ff., dabei soll für die feindselige Begegnung die einseitige Feindseligkeit des späteren Täters oder Opfers ausreichen. 681 Veh, S. 163 ff., das Merkmal Arglosigkeit sei deshalb verzichtbar. 682 Veh, S. 165 f., speziell bezogen auf die Hirschfängermesser-Entscheidung, der Veh keinen normativierten Arglosigkeitsbegriff, sondern den Verzicht auf das Merkmal entnimmt. 680

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

Unrechtsgehalt aber nicht feststellbar683. In seiner Definition sieht Veh demgegenüber das gesteigerte Unrecht darin, dass bei dem vorwerfbaren Fehlen einer vorangegangenen offenen feindseligen Begegnung das Opfer selbst keinen Einfluss auf das Geschehen nehmen konnte684. Diesem Vorschlag muss aus mehreren Gründen die Folgschaft versagt werden: Es ist Veh schon hinsichtlich der Annahme zu widersprechen, wonach es falsch sei, dem Täter die Fehlvorstellung des Opfers nach der herkömmlichen Definition anzulasten, weil der Täter nicht unbedingt etwas für den Irrtum könne. Dieser Kritikpunkt kann selbst dann nicht überzeugen, wenn der Täter die Arglosigkeit des Opfers nicht verursacht, sondern nur ausgenutzt, also im Wissen darum gehandelt hat. Denn darin ist eine Instrumentalisierung der Fehlvorstellung des Opfers gegen dieses zu erblicken und die Entscheidung, die Fehlvorstellung zu nutzen, ist dem Täter anzulasten. Die Forderung, nicht das Opfer, sondern den Täter in den Fokus der Strafbarkeitsprüfung zu setzen, verkennt das in der herkömmlichen Definition bestehende große Gewicht, das auf dem Vorsatz des Täters (beziehungsweise der Ausnutzungskomponente) liegt, obwohl die Heimtücke ein überwiegend objektives Merkmal ist685. Es überrascht, dass Veh auf das Merkmal der Arglosigkeit verzichten will686, ohne dieses zuvor auf seine Leistungsfähigkeit hin untersucht zu haben. Der erste Teil der vorgeschlagenen Definition, die „Heimlichkeit als Fehlen offener Feindseligkeit“ 687, ist wie gezeigt688 angreifbar. Hauptkritik ist, dass es für den Täter, der im Verborgenen alles vorbereitet und dann einen Streit anzettelt, ein Leichtes ist, seine Tat auf diese Weise von dem Mordvorwurf zu befreien689. Veh sieht diesen Einwand und versucht ihn damit zu entkräften, dass solche Scheinstreitigkeiten aus den offen-feindseligen Begegnungen herauszunehmen seien, indem der Tötungsentschluss aus der feindseligen Begegnung entstehen müsse690, um zum Totschlag zu gelangen. Doch damit ist die Tür für Schutzbehauptungen weit geöffnet. Außerdem wäre damit eine Affektnähe gefordert, die ähnlich dem Überlegungsmerkmal nicht alle Mordfälle von den Totschlagsfällen zu scheiden vermag. Beispielsweise wäre mit dem Ansatz von Veh die Heimtücke zu bejahen691, wenn der zur Tötung entschlossene Täter dem Op683 Veh, S. 141 ff., 150, 162; ebenso Schmoller, ZStW 99 (1987), 389 (400 f.); Beckmann, GA 1981, 337 (350) und Fahlbusch, S. 23 ff. 684 Veh, S. 170. 685 Gössel/Dölling, § 4, Rn. 88, 90. Dieser mittelbare Bezug reicht Veh nicht, Veh, S. 163. 686 Veh, S. 166. 687 Veh, S. 166. 688 Siehe oben S. 79 f. 689 Siehe die Nachweise im Verweis der vorstehenden Fn. und bei Veh, S. 169 Fn. 34. 690 Veh, S. 169. 691 Veh, S. 171.

III. Ersetzungs- und Neuregelungsvorschläge

173

fer sein Vorhaben früh ankündigt, weil die (verbale) Feindseligkeit weder unmittelbar der Tat vorausgeht, noch der Tötungsentschluss dieser entspringt. Das kann nicht überzeugen, weil in dieser Situation nicht die Spur einer Überraschung gegeben ist692. Weiter weist Veh selbst darauf hin, dass es schwer zu entscheiden ist, wann noch eine vorherige offene Feindseligkeit zu bejahen ist und wann die Zäsur zu groß ist. Auch dieses Problem will er damit lösen, dass der Tötungsentschluss aus dem Streit entsprungen sein müsse693. Doch dies stellt lediglich eine Problemverlagerung dar. Lag vorher die Schwierigkeit darin, zu erkennen, ob die zeitliche oder räumliche Unmittelbarkeit sowie die erforderliche Intensität der Auseinandersetzung gegeben sind, muss nun festgestellt werden, ob die innere Unmittelbarkeit der Tatentschussfassung zu bejahen ist. Auch hieran ist aber die Kritik zu üben, dass die Heimtücke zu bejahen wäre, obwohl das Opfer eventuell über einen langen Zeitraum hinweg mit einem Angriff rechnet. Es ist bereits für sich genommen angreifbar, wie Veh auf das allgemeine Sicherheitsgefühl abzustellen, um den Unrechtsgehalt einer Tat zu qualifizieren694. Generalpräventive Erwägungen können den Schuldgehalt der aktuellen Einzeltat nicht allein ausmachen. Abgesehen davon muss die Mitgestaltung des Geschehens durch das Opfer in einem vorangegangen Streitgespräch die Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls der Allgemeinheit nicht senken695. Es kann sogar im Falle einer Beeinflussungsmöglichkeit des Opfers das Sicherheitsgefühl der Allgemeinheit noch mehr beeinträchtigt sein im Vergleich dazu, dass das Opfer keine Einflussnahmemöglichkeit im Vorfeld gehabt hätte. Das ist der Fall, wenn das Opfer höchst diplomatisch und beruhigend eine Aussöhnung angestrebt hat, vielleicht sogar tatsächlich für den Moment eine gewisse Konfliktentschärfung herbeigeführt hat, sich also nicht besser hätte verhalten können, und der Täter trotzdem zur Tötung ansetzt. Denn dann bleibt nicht einmal der Gedanke, das Opfer hätte gegensteuern können, hätte es um die Feindseligkeit gewusst, sondern es stellt sich ein Gefühl der totalen Machtlosigkeit ein. Außerdem ist nicht zu erklären, warum der Unrechtsgehalt bei fehlender Beeinflussungsmöglichkeit durch das Opfer höher sein soll, wenn das Fehlen der offenen feindseligen Begegnung dem Täter vorzuwerfen ist, als dort, wo man ihm dies nicht vorwerfen kann696 – die Einflussnahmemöglichkeit als solche fehlt dem Opfer in beiden

692 Ähnlich Schmoller, ZStW 99 (1987), 387 (410), das sei mit dem Wortsinn der Heimtücke unvereinbar. 693 Veh, S. 167 ff. 694 Veh, S. 162, 170; siehe ferner zur generalpräventiven Legitimation der Heimtücke MüKo/Schneider § 211 Rn. 18 mit weiteren Nachweisen in Fn. 39 und neuerdings das Leitprinzip im AE-Leben, ausführlich unten ab S. 189 oder auch Fahlbusch, S. 39 f. für das Merkmal Mordlust. 695 So aber Veh, S. 170. 696 Die Vorwerfbarkeit sieht Veh, S. 170 f. als mit der „Tücke“ gleichgesetzt an, vergleiche hierzu den folgenden Absatz.

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

Fällen gleichermaßen. Vor allem ist der These zu widersprechen, dass die nicht offene Tötung aufgrund „abstrakter nicht von der Begegnung mit dem individuellen Opfer geprägter Überlegungen [. . .] Ausdruck genereller Rechtsgutgefährlichkeit“ sei697: Wenn das Opfer aus dem Nahbereich stammt, ist die Tötungsmotivation aufgrund eventuell jahrelanger Spannungen im höchsten Maß von einer individuell auf das Opfer bezogenen Überlegung bestimmt, auch wenn unmittelbar vor der Tat kein Konflikt ausgetragen wurde698. Nur weil keine offen feindselige Begegnung der Tat vorausgeht, muss das nicht zwangsläufig bedeuten, dass das Opfer aus Sicht des Täters „auswechselbar“ oder zufällig gewählt ist699. Und nochmals: Es trifft nicht zu, dass die Beliebigkeit des Opfers und damit einhergehend ein größeres Maß an Beeinträchtigung des allgemeinen Sicherheitsgefühls der maßgebliche Indikator für die Heimtücke ist700. Auch der Fassung des zweiten Definitionsteils kann nicht beigepflichtet werden. Veh sieht die „Tücke“ oder damit gleichbedeutend die „Verschlagenheit“ dann gegeben, wenn die fehlende offene Feindseligkeit dem Täter vorzuwerfen ist, er also keine erfolgversprechende Konfliktbewältigung unternommen hat701. Die Vorwerfbarkeit umschreibt aber die abschließende rechtliche Bewertung des Verhaltens, wohingegen die Betitelung eines Verhaltens als tückisch mehr eine tatsächliche Wirkung beschreibt, so dass fraglich ist, ob der Vorwurf der unterlassenen Konfliktbewältigung und die Tücke tatsächlich gleichgesetzt werden können. Zudem kritisiert Schmoller zutreffend, dass nicht jede offen-feindselige Begegnung Ausdruck einer ernst gemeinten Konfliktbewältigungsstrategie sein muss und umgekehrt friedvolle Begegnungen eine solche durchaus darstellen können702. Veh setzt sich darüber hinaus in Widerspruch zu seinen eigenen Vorgaben. Er vergleicht nämlich die Tötung eines Kleinkindes, um das Kind loszuwerden, mit der Tötung eines Kleinkindes, um einen Dritten zu erpressen, und kommt zu folgendem Ergebnis703: Im ersten Fall sei die Tücke abzulehnen, weil man sich mit einem Kleinkind konstitutionell begründet nicht offen auseinandersetzen kann und daher das Fehlen der Konfliktbewältigung nicht vorwerfbar sei. Bei der Kleinkindtötung in der Erpressungskonstellation hingegen bejaht er die Tücke beziehungsweise die Verschlagenheit, weil „die Kleinkindeigenschaft des Opfers 697

Veh, S. 170, dort zum Teil mit Hervorhebung. Es wird nicht selten so sein, dass der Täter in der Zeit zwischen Entschlussfassung und Ansetzen zur Tötung besonders freundlich ist, um das Opfer in Sicherheit zu wiegen. 699 Schmoller, ZStW 99 (1987), 387 (411). 700 So aber neuerdings wieder das Leitprinzip im AE-Leben, siehe hierzu ausführlich ab S. 189. 701 Veh, S. 170 f., als Negativbeispiel führt er den Haustyrannen-Fall an. 702 Schmoller, ZStW 99 (1987), 387 (411). 703 Veh, S. 175. 698

III. Ersetzungs- und Neuregelungsvorschläge

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für die Tatgenese ohne Belang“ sei704. Daran ist zu kritisieren, dass bei der Tötung des Kleinkindes, um der Erpressung Nachdruck zu verleihen, eine Auseinandersetzung mit dem Opfer aus denselben Gründen unmöglich ist wie in dem Fall, in dem der Täter primär das Kind loswerden will. Offensichtlich ist für Veh in der Erpressungsvariante die Vorwerfbarkeit des fehlenden Versuchs einer offenen Konfliktbewältigung mit dem Opfer nicht ausschlaggebend für die unterschiedliche Beantwortung der Frage, ob der Täter tückisch handelt. Für die Tücke-Frage auf das Erpressungsopfer abzustellen, kann dabei nicht helfen. In diesem Zusammenhang kann es richtigerweise nur auf das Tötungsopfer ankommen und nicht auf das Verhältnis zu Opfern von mit der Tötung verbundenen weiteren Delikten. Anderenfalls löst sich die Betrachtung nämlich noch weiter von der Opferperson als beim Abstellen auf schutzbereite Dritte im Zusammenhang mit konstitutionell bedingt Arglosen705. Letztlich stellt sich auch die Frage, ob bei einem Opfer, das konstitutionell bedingt zu einer Auseinandersetzung nicht fähig ist, die Tücke deshalb immer zu verneinen ist oder ob die Auswahl eines solchen Opfers die Vorwerfbarkeit des Fehlens der Auseinandersetzung gerade begründet. Insgesamt ist an dem Vorschlag Vehs zu begrüßen, dass er das Vortatgeschehen in den Vordergrund stellt. Auch dem Anliegen, dieses nicht zu einseitig opferbezogen zu bewerten, ist seine grundsätzliche Berechtigung nicht abzusprechen. Darüber hinaus führt dieser Ansatz jedoch nicht weiter.

2. Kurt Schmoller: Die „im Verborgenen besonders weitgehend vorbereitete“ Tötung Schmoller verwirft die herkömmliche Heimtückedefinition und will für das Heimtückeverständnis einen von Grund auf anderen Vorschlag unterbreiten706. Seiner Ansicht nach sind die Schwächen der Basisdefinition, die hauptsächlich aus dem Begriff der Arglosigkeit resultieren, nicht überwindbar707. Entscheidend für den Verzicht auf die Formel des Ausnützens der auf Arglosigkeit beruhenden 704

Veh, ebenda. Abgesehen davon, dass der Erpresste nicht unbedingt schutzbereiter Dritte sein muss (er muss das in der Gewalt des Täter befindliche Kind ja nicht einmal kennen), weiß der Erpresste um die Gefahr und ist gerade nicht arglos in dem Zeitpunkt, in dem der Erpresser seine Drohung wahrmachen würde, also zur Tötung ansetzt. Das ist damit ein Fall der lang vorher angekündigten Tötung, sollte es zu ihr kommen. Zudem besteht die Wehrfähigkeit aufgrund der Zahlungsmöglichkeit – Veh verzichtet zwar auf die Arglosigkeit, nicht aber auf die Wehrlosigkeit. Für die Tücke, nicht aber für die Wehrlosigkeit, auf die Person des Dritten abzustellen, wäre inkonsequent. 706 Schmoller, ZStW 99 (1987), 387 (394 ff. und insbesondere 401) spricht sich ausdrücklich dagegen aus, das Ausnützen von Arg- und Wehrlosigkeit als „Kerngehalt der Heimtücke“ zu verstehen. 707 Schmoller, ZStW 99 (1987), 387 (403). 705

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

Wehrlosigkeit ist für ihn aber ein anderer Aspekt. Er kann (insoweit Veh708 folgend) aus diesem herkömmlichen Ansatz nämlich keinerlei erhöhten Unrechtsund Schuldgehalt ableiten. Zwar wohne der Arglosigkeit und der daraus resultierenden Wehrlosigkeit aufgrund der gesteigerten Erfolgswahrscheinlichkeit eine erhöhte Gefährlichkeit inne, doch sei dies nicht allein der heimtückischen Begehungsweise immanent709. Anhand des natürlichen Wortsinns der Heimtücke will er nun deren Kerngehalt bestimmen, den man wie folgt wiedergeben kann: Heimtückisch ist etwas dann, wenn im Verborgen wirkende Kräfte eine Schädigung wahrscheinlich werden lassen, wobei diese Wirkung soweit fortgeschritten sein muss, dass bei ihrem Erkennen das Einleiten von Gegensteuerungsmaßnahmen wesentlich erschwert wäre710. Auf die vorsätzliche Tötung übertragen kommt er schließlich zu der Kurzdefinition des Heimtückemordes als „eine im Verborgenen besonders weitgehend vorbereitete“ Tötung711. Einzuräumen ist, dass man durch diese Definition bei Tötungen von Kleinkindern, Bewusstlosen oder Schlafenden zwanglos zu einleuchtenden Ergebnissen gelangt, da Umwege über den „schutzbereiten Dritten“ oder die Floskel „die Arglosigkeit mit in den Schlaf nehmen“ nicht mehr erforderlich sind. Allerdings überzeugen diese Ergebnisse wertungsmäßig nicht immer: Die Definition konsequent angewandt, kommt Schmoller in dem Fall, dass der Täter die Schlafgewohnheiten des Opfers gezielt ausforscht, zur Heimtücke, wohingegen in dem Fall des zufällig schlafend angetroffenen Opfers auf Totschlag zu erkennen wäre712. Beide Male spielt sich der Tatablauf jedoch in identischer Weise ab. Für einen Dritten, der das Geschehen beobachtet, ist nicht erkennbar, ob es sich um Mord oder Totschlag handelt, die Tat müsste allein durch schwierige Vorfeldanalysen beurteilt werden713. Entsprechend verhält es sich bei der Tötung eines Kleinkindes: Ist es nun eine besondere Tatvorbereitung, die schutzbereite Mutter kurz in den Keller zu schicken, um das Kind schnell erstechen zu können? Schmoller würde hier ein solches Weglocken wohl als heimtückisch erachten714. 708

Siehe abermals Veh, S. 141 ff. und auch Jakobs, JZ 1984, 996 (996 ff.). Schmoller, ZStW 99 (1987), 387 (400 f.); siehe auch Müssig, S. 301 und Lackner, NStZ 1981, 348 (349). 710 Schmoller, ZStW 99 (1987), 387 (414). 711 Schmoller, ZStW 99 (1987), 387 (415). Das Planungsmoment betont auch NK StGB II/Neumann § 211 Rn. 72, allerdings geht er nicht soweit, eine aktive Vorbereitung zu fordern. 712 Schmoller, ZStW 99 (1987), 387 (419). 713 BGH NStZ 2006, 338 (339) hat so auch festgestellt, dass es für die HeimtückeFrage nicht darauf ankommen kann, ob der Täter das Kind zu Bett gebracht hat, um es nach dem Einschlafen zu töten oder ob er diesen Entschluss erst später gefasst hat. 714 Siehe die beispielhafte Auflistung Schmollers, ZStW 99 (1987), 387 (419). Man könnte allenfalls an die Umstände des Weglockens höhere Anforderungen stellen, so zum Beispiel dass die Mutter aus dem Haus gelockt werden müsste. Daran ist die Unbestimmtheit des Begriffs ,Vorbereitung‘ demonstriert. Dies räumt Schmoller, ZStW 99 (1987), 387 (422) im Übrigen selbst ein. 709

III. Ersetzungs- und Neuregelungsvorschläge

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Im Fall des gesüßten Giftbreis hingegen verneint er die Heimtücke715. Die unterschiedliche Behandlung dieser Fälle, die in Aufwand und Raffinesse durchaus vergleichbar sind, ist unter dem Gesichtspunkt der Vorbereitung jedenfalls nicht zu rechtfertigen. Für den Täter wie für Dritte wirkt es willkürlich, hier einmal von Mord und einmal von Totschlag zu sprechen. Zur Abgrenzung von Heimtückemord und Totschlag die Unterscheidung zwischen einer „unüberlegt-spontanen und einer berechnend-durchdachten Tötung“ anhand des objektiven Merkmals des Vorbereitungsaufwandes zu vollziehen716, kann allenfalls bei den Extremfällen beider Kategorien gelingen; der Ansatz vermag aber keine trennscharfe Grenze zu ziehen. Dass mit der üblichen Definition der Heimtücke kein erhöhter Unrechtsgehalt gegenüber einer nichtqualifizierten Tötung erfasst werde, versucht Schmoller anhand von Beispielen für Tötungen zu belegen, die sich durch eine besondere Gefährlichkeit auszeichnen, ohne dass es ihm zufolge darauf ankommt, dass das Opfer bei der Tatausführung – präziser wäre bei Beginn der Tatausführung – arglos ist717. Er führt hierfür die Wahl des Tatmittels, des Tatortes oder der Tatzeit an, bei denen das Heimtückemerkmal nach herkömmlichem Verständnis in der Regel vorliegt. Zu behaupten, dass es dort auf die Arglosigkeit des Opfers nicht ankomme, übersieht indessen, dass der Erfolg des Tötungsvorhabens häufig davon abhängt, dass das Opfer bis zum Eintritt in den unmittelbaren räumlich und zeitlichen Gefahrenbereich keinen Argwohn schöpft. Soweit auf die Fallen-Fälle angespielt ist, bei denen die Arglosigkeit vor Versuchsbeginn wegfällt und trotzdem eine ausweglose Lage geschaffen ist, ist zwar zuzugeben, dass das Ergebnis Totschlag unbefriedigend ist. Aber eine Ausnahmefallgruppe sollte nicht den Maßstab für die Formulierung des Grundsatzes bilden. Nichts anders unternimmt Schmoller jedoch, wenn er seine Definition an den Fällen der Tatvorbereitung mit Wegfall der Arglosigkeit vor Versuchsbeginn ausrichtet. Schneider wirft diesem Ansatz vor, lediglich eine „Revitalisierung des bis 1941 gesetzlich normierten Überlegungsmerkmals zu sein“ 718. Genau genommen muss man noch weitergehen. Schmollers Ansatz, „eine im Verborgenen besonders weitgehend vorbereitete Tötung“ als Mord zu kennzeichnen, entspricht eher dem früheren Vorbedacht, der im Vorbereitungsstadium die planvolle Überlegung vor Augen hatte. Wie gesehen, war bei der Überlegung immer strittig, wann genau sie vorliegen muss. In der letzen Fassung des RStGB bis 1941 war 715

Schmoller, ZStW 99 (1987), 387 (420). Schmoller, ZStW 99 (1987), 387 (418 f.). 717 Schmoller, ZStW 99 (1987), 387 (400 f.). 718 MüKo/Schneider § 211 Rn. 154. So auch Haverkamp, GA 2006, 586 (590), jedoch sei bei Schmoller „der objektive Gehalt dieses Abschichtungskriteriums“ mehr betont als in dem ursprünglichen Überlegungskonstrukt. Dass Schmoller das Überlegungsmerkmal gebraucht, sagt er selbst, Schmoller, ZStW 99 (1987), 387 (416 ff.). Es fragt sich nur, ob dies zustimmungswürdig ist. 716

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

sie bei der Ausführung gefordert, so dass die Vorfeldüberlegung bei der Entschlussfassung oder Vorbereitung jedenfalls nicht genügte. Auch wenn Schmoller das Überlegungskriterium dahingehend weiterentwickelt, dass es durch eine Manifestation der Vorbereitung in der erfahrbaren Wirklichkeit objektiviert wird719 und die Feststellung der Überlegung so leichter zu bewerkstelligen ist, gelten die Vorbehalte gegen das Überlegungskriterium hinsichtlich der zeitlichen Komponente entsprechend. Gegen Schmollers Vorschlag spricht auch, dass der Täter richtigerweise die hilflose Lage des Opfers nicht selbst herbeigeführt oder verstärkt haben muss, um heimtückisch zu handeln. Das Tatunrecht ist in den Fällen, bei denen der Täter die hilflose Lage des Opfers zufällig vorfindet und ausnutzt, nicht geringer. Auch die Augenblickstat kann heimtückisch erfolgen720. Das Erfordernis eines Vorbereitens im Verborgenen würde aber Gegenteiliges bedeuten721. Auch Schmollers Bild der „zuschnappenden Falle“, das die eigentliche Tatausführung beschreiben soll722, impliziert das Erfordernis der Schaffung einer hilflosen Lage. Das Unrecht bei den Vorbereitungsfällen gegenüber den Fällen, bei denen der Täter das Opfer bereits hilflos vorfindet, als qualitativ größer zu werten, würde auf die Praktizierung eines Gesinnungsstrafrechts hinauslaufen: Nicht tatbestandsmäßigen Vorbereitungshandlungen eine mordqualifizierende Wirkung zuzumessen, sprengt den Rahmen des Tatstrafrechts. Die Fragwürdigkeit eines Ansatzes, der Vorbereitungen im Vorfeld zur Begründung der Mordqualifikation heranzieht, kommt auch in folgender Gegenüberstellung zum Ausdruck: Man wird zwar noch von einem Vorbereiten sprechen können, wenn der Täter die Tagesgewohnheiten seines Opfer beobachtet. Kennt der Täter die Gewohnheiten seines Opfers aber sowieso und macht er sich dieses identische Wissen zu Nutzen, wird man nicht mehr von einem Vorbereiten sprechen können. Diese Nuance im Vortatgeschehen kann nicht über Mord oder Totschlag entscheiden723. Insgesamt ist Schmollers vorgeschlagene Definition einerseits zu weit, da Vorfeldmaßnahmen zum quasitatbestandlichen Anknüpfungspunkt werden und andererseits zu eng, weil Fälle, in denen der Täter selbst nichts vorbereitet, nicht subsumiert werden können. Die Unschärfe des Begriffs der Vorbereitung würde

719

Schmoller, ZStW 99 (1987), 387 (418 f.). Aus der Rechtsprechung siehe beispielsweise BGH StV 1981, 339 (339 f.), wenngleich im konkreten Fall das Mordmerkmal abgelehnt wurde. 721 Bewusstes aber passives Aussuchen von Tatort oder Zeitpunkt ist schwerlich mit dem Begriff ,Vorbereiten‘ zu verbinden. Ein Unterschied hinsichtlich der Strafwürdigkeit bei aktiven Vorbereitungen und passivem Ausspionieren oder Warten auf den günstigen Augenblick ist aber nicht ersichtlich. 722 Schmoller, ZStW 99 (1987), 387 (415). 723 Dass der Umfang von Vorbereitungsbedarf situationsabhängig ist und nicht über den Unwert der Tat entscheiden kann, rügt unlängst auch Roxin, FS Widmaier, 741 (748). 720

III. Ersetzungs- und Neuregelungsvorschläge

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außerdem zu enormen Rechtsunsicherheiten führen. Somit ist ein Vorteil gegenüber der gängigen Definition nicht erkennbar.

3. Maria-Katharina Meyer: „Heimtücke als Mißbrauch sozial-positiver Verhaltensweisen“724 Ein Vortatkriterium ist auch für Meyer für die Unterscheidung des Heimtückemordes vom Totschlag maßgeblich, nämlich das Ausmaß an Interaktion zwischen Täter und Opfer im Vorfeld der Tat725. Dabei sei zwischen einer „allgemeinen Legalitätserwartung“, worunter abstrakte sozialkonforme Verhaltensmuster zu verstehen sind, und einer „speziell auf den Täter (bzw. dessen Verhalten) bezogenen Erwartung“ zu trennen – nur wenn letztere durch das Täterverhalten enttäuscht werde, sei die Heimtücke zu bejahen726. Meyer stellt verschiedene Formen des die Heimtücke begründenden Zurückbleibens des Täterverhaltens hinter der Rollenerwartung vor, denen gemeinsam ist, dass das Opfer sich jeweils „auf die im zwischenmenschlichen Verkehr geltenden sozialethisch wertvollen Verhaltensmuster“ verlässt727. Die Nähe zum Ansatz des verwerflichen Vertrauensmissbrauchs ist unverkennbar. Wie dort ist auch hier Konsequenz, dass aufgrund eines auf Interaktion beruhenden Heimtückeverständnisses die Paradefälle des Meuchelmordes aus dem Hinterhalt, also vor allem Distanztaten wie es Auftrags-Attentate typischerweise sind, aus der Kategorie Heimtückemord herausfallen728. Das verteidigt Meyer damit, dass die Abgrenzung von Totschlag und Heimtückemord nicht allein durch das Begriffspaar heimliches/offenes Vorgehen erfolge, sondern ein zusätzliches Element der Tücke maßgeblich sei729. Ebenfalls keine Heimtücke soll anzunehmen sein, wenn der Täter die Tötung unter Umständen vornimmt, deren Ausnutzung jedem Dritten auch möglich gewesen wäre, wenn also die vorangegangene Interaktion zwischen Täter und Opfer für die Tat nicht von Belang ist, wie beispielsweise bei der Tötung des Ehepartners im Straßenverkehr730. Es soll nicht 724

M.-K. Meyer, JR 1979, 485 ff. M.-K. Meyer, JR 1979, 485 (485); zwar erscheint nirgends der Begriff ,Interaktionismus‘, aber man kann das „Miteinander von Täter und Opfer“ oder den „Grad des Bekannt-Seins“ so zusammenfassen. 726 M.-K. Meyer, JR 1979, 485 (485). 727 M.-K. Meyer, JR 1979, 485 (485 ff.). 728 Dies stellt M.-K. Meyer, JR 1979, 485 (485, 487) selbst fest, freilich nicht als Kritikpunkt; nicht jede Überraschungstat sei ein Mord, da bei diesen nur die allgemeine Legalitäterwartung, nicht aber spezielle personengebundene Erwartungen enttäuscht seien. Kritisch hierzu MüKo/Schneider § 211 Rn. 159. 729 M.-K. Meyer, JR 1986,133 (133 f.). 730 M.-K. Meyer, JR 1979, 485 (487), für das angeführte Beispiel der Tötung des Partners im Straßenverkehr differenziert Meyer folgendermaßen: Nur wenn das Opfer den Täter nicht erkannt habe oder aber ihn zwar erkannt habe, ohne dass dies wiederum 725

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

jede Überraschungstat ein Heimtückemord sein, da die Überraschung nur dem Element der Heimlichkeit genüge; zusätzlich müsse das Tücke-Element gegeben sein, und dies sei durch das Erfordernis eines Missbrauchs sozial-ethisch positiver Verhaltensmuster zu gewährleisten731. Die erste Form des die Heimtücke begründenden Missbrauchs sozial-positiver Verhaltensmuster soll nun vorliegen, wenn der zuvor dem Opfer unbekannte Täter eine freundliche Grundstimmung schafft und dann anschließend ohne vorhergehende Warnung aus der damit verbundenen sozialen Rolle fällt. Als Beispiel für eine derartig „agressionshemmende Wirkung durch Begründung eines sozialen Kontakts“ wird das Anfangen eines freundlichen Gesprächs im Zugabteil genannt732. Sobald aus dem zuvor völlig Unbekannten ein wenn „auch nur in geringem Maße Bekannter“ geworden sei, seien die Reaktionen des Opfers von unbewusst-positiven Erwartungen speziell dem Täter gegenüber geprägt und nicht nur von einer allgemeinen Legalitätserwartung bestimmt. Falle der Täter nun durch lebensbedrohende Handlungen aus dem erwarteten Rollenmuster heraus, setze er sich nicht nur über den Wert des Lebens eines anderen, sondern auch über den Wert der Kommunikation hinweg733. Zu Recht wird daran kritisiert, dass diese zusätzliche Rechtsgutverletzung der unfreundlichen Kommunikation weder vom Strafgesetzbuch geschützt wird, noch einen derart gewichtigen Strafwürdigkeitsunterschied bezeichnen kann, dass der Sprung von § 212 zu § 211 StGB legitimiert ist734. Die zweite Missbrauchsvariante soll gegeben sein, wenn zwischen Täter und Opfer eine Nähebeziehung wie Freundschaft, Ehe oder Liebesverhältnis bestehe, welche durch ein besonderes Sich-Anvertrauen und Sich-Verlassen-Dürfen geprägt sei. Die Institution als solche genüge den Anforderungen an einen heimtückischen Mord allerdings nicht735, denn Meyers Ansicht nach soll diese Ausgangssituation der speziellen Legalitätserwartung durch die konkrete Situation überlagert werden können. Das heißt, eine feindliche Auseinandersetzung innerhalb eines sozial-negativen Verhaltensmusters soll die Heimtücke ausschließen können, insbesondere sei es dem Opfer verwehrt, darauf zu vertrauen, dass die aber dem Täter bewusst wird, sei ein Totschlag gegeben. In dem Fall, dass das Opfer den Täter erkennt und dieser dies registriert, sei Mord gegeben. 731 M.-K. Meyer, JR 1979, 485 (487); dies., JR 1986,133 (135). Dass das Überraschungsmoment allein die Heimtücke nicht ausmachen könne, weil es dem Normalfall der Tötung, also dem Totschlag entspreche, wurde schon von den Anhängern des verwerflichen Vertrauensbruchs gegen die Kritik, dass der Meuchelmord dann nicht mehr unter die Heimtücke falle, vorgebracht, siehe abermals Miehe, JuS 1996, 1000 (1004). 732 M.-K. Meyer, JR 1979, 485 (485). 733 M.-K. Meyer, JR 1979, 485 (485 f.); dieser und der zweiten Form stimmt Fahlbusch, S. 220 zu. 734 Roxin, FS Widmaier, 741 (748). 735 M.-K. Meyer, JR 1979, 485 (486); Fahlbusch, S. 221, deshalb werde der Tyrann von der Ehefrau regelmäßig nicht heimtückisch umgebracht.

III. Ersetzungs- und Neuregelungsvorschläge

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Aggressionen das in dieser Beziehung übliche Maß auch dieses Mal nicht überschreiten736. Das Opfer dürfe nämlich nur auf ein Nichtausbrechen aus einem positiven Verhaltensmuster vertrauen, nicht aber darauf, dass ein negatives Verhaltensmuster nicht noch negativer wird737. Dritter Fall soll der Missbrauch sozial-positiver und überwiegend impulsiver Reaktionen des Opfers sein; vor allem an die Hilfsbereitschaft anderer appellierende, inszenierte Unfälle sollen hierunter fallen738. Gerade bei dieser letzten Gruppe ist die Entfernung vom ursprünglichen Vertrauensbruchansatz offensichtlich. Die Vorbehalte gegen die mit dieser Variante assoziierten Vorfeldvorbereitungen entsprechen denen, wie sie bei Schmollers Ansatz herausgearbeitet wurden. In diesem Konzept ist insgesamt die Gefahr angelegt, dass Banalitäten des Alltags zur Abgrenzung von Mord und Totschlag herangezogen werden. Wenn dabei jede Art herkömmlicher Kommunikation zur Begründung des Mordes reicht, stellt dies eine erhebliche Ausweitung des Anwendungsbereiches des Mordmerkmals dar. Schließlich liegt nahezu jedem Tötungsakt eine zwischenmenschliche Interaktion zu Grunde. Derlei Trivialitäten als tatbestandliches Verhalten zu behandeln, lässt die erforderliche Rechtsgutbezogenheit vermissen. Daher betonen mehrere Stimmen in der Literatur zu Recht, dass jemand, der auf Nachfrage Feuer anbietet oder Auskunft zu Zeit- oder Wegfragen gibt, mit diesem Sozialverhalten dem Täter nicht sein Leben überantwortet, sondern allenfalls auf die Fortführung sozial-freundlichen Auftretens nach allgemeiner Lebenserfahrung baut739. Auch kann der Unrecht- und Schuldgehalt des Täterverhaltens nicht daran gemessen werden, ob ein Gruß „freundlich, überhaupt nicht oder unfreundlich erwidert“ wird740. Außerdem wird Meyer entgegengehalten, dass man Tötungen ohne vorausgehende Kommunikation erst recht als höchststrafwürdig einstufen müsste, wenn man die Kommunikationsbereitschaft schützen will, da dies „für die Kommunikationsbereitschaft besonders abträgliche Taten“ seien741. Schlussendlich sind Fälle, bei denen das Opfer nicht zur Misstrauensbildung fähig ist, nicht vom Heimtückemordtatbestand erfassbar742. 736

M.-K. Meyer, JR 1979, 485 (486). M.-K. Meyer, ebenda. 738 M.-K. Meyer, JR 1979, 485 (487). Fahlbusch, S. 222 stimmt dem Ansatz Meyers grundsätzlich zu, will diese Form aber herausnehmen, weil wegen der eher reflexartigen Hilfeleistung eine natürliche Reserviertheit gegenüber Fremden nicht überwunden werde und daher keine Höchststrafwürdigkeit bestehe. 739 MüKo/Schneider § 211 Rn. 160; Schmoller, ZStW 99 (1987), 387 (408); Roxin, FS Widmaier, 741 (748); ähnlich, aber allgemein auf den Vertrauensbruchansatz bezogen, Köhler, JuS 1984, 762 (764 Fn. 28). 740 Rengier, NStZ 1982, 225 (226). 741 Veh, S. 159. 742 Fahlbusch, S. 225 ff., der deshalb de lege ferenda das Heimtückemerkmal mit dem Ausnutzen eines konstitutionell bedingten Misstrauensmangels neben dem Missbrauch sozial-freundlicher-Kontakte ersetzen will. 737

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

Das Konstrukt Meyers ist folglich der gängigen Definition nicht vorzuziehen. Es gelten nicht nur die gleichen Einwände, die auch gegen die Vertrauenslösung vorgebracht wurden, es sind darüber hinaus noch weitere Ausuferungen und Unstimmigkeiten zu befürchten.

4. Bernd Müssig: Zweistufiges Modell der Tötungsdelikte mit einer Differenzierung nach Kriterien der objektiven Zurechenbarkeit Einen gänzlich anderen Vorschlag unterbreitet Müssig. Er nimmt die Abgrenzung von Totschlag und Mord über einen Rückbezug der beiden Kategorien auf eine Verantwortungszuschreibung mittels der Kriterien der objektiven Zurechnung vor743. Nach Müssig soll der Mord als Ausdruck der alleinigen Tatverantwortung des Täters Grunddelikt sein; ist dem Opfer hingegen auch ein Teil der Tatveranlassung zuzuschreiben und der Täter auf diese Weise spiegelbildlich um diesen Teil entlastet, soll die Privilegierung Totschlag vorliegen744. Da diese Differenzierung noch keine unterschiedlichen Schuldgrade berücksichtigt, sei eine Flexibilisierung des Strafrahmens wünschenswert und de lege lata die Rechtsfolgenlösung zwingend zu befürworten745. Losgelöst von einzelnen Mordmerkmalen sollen Verantwortungssphären abgegrenzt werden, indem „personale“ und „institutionelle Zurechnungsmuster“ herangezogen werden746. Innerhalb der personalen Zurechnung steht die Figur des „nichtigen Tatanlasses“ für die alleinige Zuschreibung der Tatverantwortung zur Tätersphäre747. Dabei kommt in dem Wort „nichtig“ schon zum Ausdruck, dass hierbei eine Wertung vorgenommen werden muss und nicht jegliche vom Opfer ausgehende „Tatveranlassung“ ausreicht, um einen Teil der Verantwortung der Opfersphäre zuzuschreiben und somit in den Bereich des Totschlags zu gelan743 Müssig, S. 129 ff., siehe auch die Rezension des Werkes von Ingelfinger, GA 2007, 364 ff. 744 Müssig, S. 243 f., 307. Den Mord als Grundtatbestand und den Totschlag als Privilegierung zu konzipieren, schlug bereits Arzt, ZStW 83 (1971), 1 (13 f.) vor. Zu einem zweistufigen Verständnis des Tötungsdelikte siehe Eser, 53. DJT, D 21, D 44, D 106 ff.; Reizel, S. 79 ff.; nicht zweistufig, aber mit dem Mord als Ausgangpunkt schwebt auch Kargl, JZ 2003, 1141 (1148) ein Konzept der Tötungsdelikte vor, weil der Mordtatbestand die typischen Fälle der vorsätzlichen Tötungen umschreibe; aktuell ist die Idee der Zweistufigkeit wieder aufgegriffen vom Arbeitskreis AE, GA 2008, 193 (198, 204, 218 ff.), siehe ausführlich unten S. 189 ff.; zu dem zweistufigen Konzept der Tötungsdelikte in Österreich siehe unten S. 207. 745 Müssig, S. 130, S. 388 und S. 431. 746 Müssig, S. 129, 172 ff., dabei reiche es, wenn eines der Zurechnungsmuster greift, siehe beispielsweise S. 428. 747 Müssig, S. 281 ff., dabei stellt er auch die Nähe zum Merkmal der niederen Beweggründe und der von der Literatur zum Teil vertretenen „Gesamtwürdigung“ der Tatumstände heraus.

III. Ersetzungs- und Neuregelungsvorschläge

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gen748. Die der Tätersphäre zugehörige Figur des „nichtigen Tatanlasses“ findet ihr Gegenstück in der Opfersphäre mit der Figur der „veranlaßten Tat“ 749 und zwar dergestalt, dass die Entlastung der einen Seite der Belastung der anderen entspricht750. Dabei nennt Müssig zwei Anknüpfungspunkte objektiver Zurechnung für eine den Täter entlastende Opfermitverantwortlichkeit: Zum einen sei dies die „rechtsverletzende Fremdorganisation“ und zum anderen die „eigenverantwortliche Selbstorganisation“ – das Opfer müsse demnach im Vorfeld entweder absolut geschützte Rechte des Täters verletzt oder seine eigenen gefährdet haben751. Auch Rechtfertigungsgründe seien Entlastungsfaktoren und Zeichen einer stark verminderten Verantwortungszuschreibung752. Dabei sei immer nur zu entscheiden, ob überhaupt ein rechtlich relevantes Entlastungsmoment gegeben ist; der genaue Umfang der Entlastung sei dann Frage der Strafzumessung753. Müssig bezieht auch zur geltenden Fassung der §§ 211, 212 StGB Stellung. Zwar bedürfe es der Mordmerkmale zur Abgrenzung der beiden Unrechtskategorien Mord und Totschlag nicht, jedoch seien sie durchaus in das Zurechnungsmuster zu integrieren. So findet er das Kriterium des „nichtigen Tatanlasses“ als Ausdruck für die alleinige Verantwortung des Täters im „niederen Beweggrund“ wieder, worunter auch die Merkmale „Mordlust“, „Habgier“, „Befriedigung des Geschlechtstriebs“, „Ermöglichungs- und Verdeckungsabsicht“ fallen sollen, da sie alle keine Verantwortung des Opfers zu erkennen geben754. Hinsichtlich der hier besonders interessierenden „Heimtücke“ konstatiert Müssig zunächst, dass sich die heimtückische Begehungsweise einer Tötung, so wie die Rechtsprechung sie versteht, von anderen Tatmodalitäten durch nichts unterscheide, da jeweils das hinreichende Maß an Gefährlichkeit vorhanden sei755. Dahingegen sei bei einem 748 Müssig, S. 265 ff. Ein faktischer Tatanlass genügt demzufolge nicht, er muss zudem als rechtlich missbilligtes Vorverhalten des Opfers gewertet sein, um dem Täter Entlastung in dem Sinn bringen zu können, dass von „Opfermitverantwortung“ und somit Totschlag die Rede sein kann. 749 Müssig, S. 311, er knüpft damit an das Leitprinzip der Tötung „sine causa“ des germanischen Rechts an, siehe Müssig, S. 16. 750 Müssig, S. 398; Entlastungsfaktoren außerhalb einer Täter-Opfer-Beziehung soll es dann geben, wenn das Opfer eine „institutionell auferlegte Pflicht zur Mindestsolidarität verletzt“, Müssig, S. 399 – im Folgenden wird dies aber vernachlässigt. 751 Müssig, S. 310; dass dabei allein absolute Rechte des Täters in Betracht kommen, führt Müssig auf S. 389 ff. und insbesondere S. 396 aus. 752 Müssig, S. 162; an diesem Punkt ähnelt das Konstrukt dem der Lehre der negativen Tatbestandsmerkmale, wie er selbst anführt. 753 Müssig, S. 317. 754 Müssig, S. 130 und S. 425 ff. 755 Müssig, S. 301 f. und S. 306 f. Zur Abrundung der Darstellung des Ansatzes sei kurz erwähnt, dass für Müssig die verbleibenden Merkmale „grausame“ und „gemeingefährliche“ Tatbegehung nicht in das System der normativen Verantwortungsverteilung hineinpassen. De lege lata könne ihnen aber Bedeutung zugemessen werden, wenn den Täter keine alleinige Verantwortung treffe und daher an sich ein Totschlag vorläge;

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

Heimtückeverständnis, welches an den Vertrauensbruch anknüpft, das objektive Kriterium der Verantwortungszuschreibung wiederzuerkennen. Denn Anknüpfungspunkt sei hier die „Selbstdarstellung“ des Täters beziehungsweise die mangelnde „Rollenkonstanz“ – also eine fehlende Entsprechung der Realität zu der durch die Selbstdarstellung geweckten Erwartung des Opfers – darin sei ein weiteres personales Zurechnungsmuster zu erblicken756. Zudem sei in der Heimtücke auch ein institutionelles Zurechnungsmuster angelegt, indem das Vertrauen nicht an ein tatsächliches Verhalten des Täters anknüpft, sondern diesem durch institutionelle Strukturen Verhaltenspflichten auferlegt seien, die in abstrakterer Weise Anknüpfungspunkt für die Tatverantwortung wegen „garantierten Vertrauens“ seien757. Interessant an dieser Konstruktion sich ergänzender758 Zurechnungsmuster ist, dass ein in Bezug auf die Vertrauenslösung vorgebrachter Einwand gerade nicht gilt, nämlich der der fehlenden Einordnung des „Meuchelmordes“ als Mord im Rechtssinne759. Denn in den Fällen der Tötung aus dem Hinterhalt soll das personale Begründungsmuster anwendbar sein, bei dem der Täter, der aus „nichtigem Tatanlaß“ handelt, die alleinige Tatverantwortung trägt und somit im Bereich des Mordes agiert. Auch bei den erweiterten Mitnahmesuiziden zum vermeintlich Besten der Opfer kommt Müssig zur Annahme eines Mordes, hier jedoch mit dem institutionell begründeten Zurechnungsmuster760. Die Tötung des Familientyrannen wäre ebenfalls sachgerecht als Totschlag zu bewerten: Ganz allgemein spricht Müssig konfliktbeladenen Vortatsituationen im Gegensatz zu Vertrauensverhältnissen Entlastungswirkung zu, womit allerdings die „beidseitige Verstrickung“ in rechtswidriges Vorverhalten gemeint ist761. Es spricht aber nichts dagegen, dies beim einseitig vom Opfer ausgehenden Konflikt genauso zu beurteilen, denn dies ist ja der Grundfall der Opfermitverantwortung im Sinne einer Tatveranlassung. Dass die Einfühlsamkeit von Tötungen im Grenzbereich

dann könne man das Minus an Verantwortung aufwiegen mit der Art der Begehung und so doch zum Mord gelangen, Müssig, S. 429 f. 756 Müssig, S. 305 f. 757 Müssig, S. 428, bereits auf S. 130 formuliert er: „Eine ,heimtückische Tötung‘ läge – in Anlehnung an Positionen der Literatur, die den besonderen Vertrauensbruch in den Vordergrund stellen – vor, wenn durch die Tat institutionell begründete Garantieverhältnisse verletzt worden wären, die gerade dem (Lebens-)Schutz des Opfers dienen.“ 758 Gerade beim Heimtückemerkmal wird deutlich, dass personale und institutionelle Zurechnungsmuster sich ergänzen sollen und nicht in einer Hierarchie oder in einem Ausschlussverhältnis stehen sollen, Müssig, S. 306 f. und S. 428. 759 Müssig, S. 428 Fn. 26. 760 Müssig, S. 411: „Besteht für Eltern die grundlegende Pflicht, Notlagen von ihren Kindern allgemein abzuwenden, so entspricht dem erst recht die Pflicht, eigene Notund Verzweifelungssituationen nicht auf ihre Schützlinge auszudehnen bzw. abzuwälzen.“ 761 Müssig, S. 342.

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der Rechtfertigung erst für die Schuldqualifizierung Bedeutung haben soll, sei „axiologisch ungereimt“ 762. Da das Opfer in den Tyrannen-Fällen ein von der Rechtsordnung nicht gebilligtes Vorverhalten an den Tag gelegt hat, müsste man dies im Müssig’schen Konzept folglich als Tatveranlassung und somit als Entlastungsfaktor werten, der zur Gewährung der Privilegierung Totschlag führt. Insgesamt ist dem Vorschlag Müssigs zu attestieren, dass er ein stimmiges Konzept darstellt, mit dem auf altbewährte Kriterien zur Begründung strafrechtlicher Verantwortung zurückgegriffen wird. Ob dieses Konstrukt aber zu präferieren ist, entscheidet sich zu einem großen Teil danach, wie man es bewertet, den Mord als Grundtatbestand und den Totschlag als dessen Privilegierung aufzufassen. Dagegen spricht folgende Überlegung: Sieht man den Mord als Ausgangspunkt der Tötungsdelikte an, sollte er nicht nur dogmatisch der Grund- oder Regelfall sein, sondern es sollte sich dies auch in der tatsächlichen Häufigkeit wiederspiegeln. Laut der Polizeilichen Kriminalstatistiken der letzten Jahre ist das jedoch nicht der Fall763. Dem lässt sich natürlich entgegenhalten, dass diese Statistik auf der geltenden Gesetzeskonstruktion des Totschlags als Grunddelikt764 basiert. Doch dürfte sich das Verhältnis nicht wesentlich verändern, wenn man die Fälle nach dem Konzept Müssigs eingruppieren würde. Schließlich korrelieren die geltenden Mordmerkmale ja mit der alleinigen Tatveranlassung des Täters. Gegen die Einordnung des § 212 StGB als Privilegierung spricht auch, dass dies mit sonstigen Privilegierungen, die einen Grund für die Erleichterung nennen, nicht vergleichbar wäre. Denn in § 212 StGB sind weder eine besondere Handlungsweise noch spezielle Motive vorgesehen. Weiterhin widerspricht Müssigs Konzeption von einer grundsätzlichen Verantwortungsteilung dem traditionellen Vorstellungsbild vom Totschlag, das einen alleinverantwortlichen Täter vor Augen hat. Bedenklich ist ferner, dass in dem Konstrukt Müssigs der Begründungsaufwand für den Totschlag höher ist als für den Mord, denn Entlastungsfaktoren müssen als Abweichung vom Regelfall, die die Privilegierung eröffnen, erst begründet werden765. In diesem Zusammenhang ist auch der Aussage zu widersprechen, dass Tötungen ohne normativ erheblichen Anlass dem Mord aus niederem Beweggrund entsprächen. Gemeinhin ist ein Beweggrund etwas positiv motivie762

Müssig, S. 247. Siehe auch im Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht, S. 74. Grundsätzlich dürfte das Verhältnis bei einer Verurteilungsstatistik noch stärker zu Gunsten des Totschlags ausfallen. 764 Auf den Streit, ob der Mord nun als Qualifikation zum Totschlag oder aber als eigenständiges Delikt zu verstehen ist, soll hier nicht eingegangen werden. 765 Dafür, dass eine Vermutung zu Gunsten der alleinigen Täterverantwortlichkeit und damit Mord bestehen soll, siehe Müssig, S. 262; Ingelfinger, GA 2007, 364 (368) moniert dabei, dass letztlich eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen sei, deren Vorteil gegenüber bislang Praktiziertem „zweifelhaft“ sei. 763

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rendes, wohingegen bei einer Tötung ohne Grund so etwas gerade fehlt. Es sind durchaus Fälle denkbar, in denen der Täter keinen normativ relevanten Grund für seine Entlastung geltend machen kann, ohne dass der tatsächlich gegebene (aber für die rechtliche Frage der Privilegierung irrelevante) Grund auf Stufe der niederen Beweggründe angesiedelt sein muss766. Die Gleichsetzung des nichtigen Tatanlasses mit den niederen Beweggründen ist daher schief. Folgender dogmatischer Einwand ist weiterhin zu erheben: Die Kriterien der objektiven Zurechnung sind von der Literatur als Korrektiv entwickelt worden, weil der Kausalitätsbegriff gemessen an Strafwürdigkeitsüberlegungen zu weit greift. Die Rechtsprechung behilft sich in diesen Fällen oftmals mit der Figur des Irrtums über den Kausalverlauf. Mit beiden Ansätzen kann man aber jeweils nur die Tatbestandserfüllung ausschließen, nicht jedoch Tatbestände voneinander abgrenzen. Bei jedem Delikt ist grundsätzlich zunächst einmal von dem gesetzlichen Leitbild auszugehen, das eine hundertprozentige Täterverantwortlichkeit vor Augen hat. Nach Müssig fungieren Kriterien der objektiven Zurechnung als Abgrenzungsmerkmal zweier Tatbestände und damit zugleich als deren Begründung, haben also eine ganz andere Funktion als die der Strafbegrenzung wegen zu weitreichender Kausalität. Zusammenfassend gesagt sind Klarheit und Stringenz dieses Ansatzes zwar zunächst bestechend, zumal auch die Ergebnisse bei den Problemgruppen der Tötung des Familientyrannen oder eines Kleinkindes überzeugen. Jedoch fügt sich dieser Vorschlag nicht in das bestehende Vorstellungsbild von strafrechtlicher Verantwortung ein. Diese liegt im Regelfall auch beim Totschlag allein beim Täter und nicht pauschal anteilig beim Opfer. Wenn man den Totschlag als Privilegierung des Mordes betrachten will, müssten Privilegierungsgründe benannt sein. Insbesondere bräuchte man einen Anknüpfungspunkt im Gesetz, um an nichttäterbezogenes Verhalten anknüpfen zu können, und es dürfte nicht der zahlenmäßig größte Teil der Tötungsdelikte davon erfasst sein. Beachtenswert für die weitere Untersuchung ist es aber, dass die Opferanteile am Tatgeschehen bereits bei der Strafbegründung und nicht erst auf Strafzumessungsebene beachtet werden, und dass dabei an einem Merkmal des Allgemeinen Teils angesetzt wurde. Konkret konnte zwar eine Verortung in dem dem Allgemeinen Teil zugehörigen Prinzip der objektiven Zurechnung nicht überzeugen, vor allem da das Prinzip der objektiven Zurechnung nicht wie sonst zur Eingrenzung der Strafbarkeit in Bezug auf die hierfür zu weitgreifende Kausalität gebraucht wird und damit zum Strafbarkeitsausschluss führt. Jedoch werden weitere Überlegungen über eine Berücksichtigung des Opferverhaltens im Rahmen von Kriterien der Strafbegründung aus dem allgemeinen Teil des StGB anzustellen sein.

766

Vergleiche BGH GA 1980, 23 (23).

III. Ersetzungs- und Neuregelungsvorschläge

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5. Ersatzloses Streichen des Heimtückemerkmals, insbesondere der AE-Leben 2008 Immer wieder wird vorgeschlagen, auf das Heimtückemerkmal de lege ferenda zu verzichten. Erwähnt wurde schon der E 1962, bei dem man glaubte, mit der Überlegung die Heimtückefälle zumindest in der Regel zu erfassen767. Meist gehen mit der Forderung, auf die Heimtücke zu verzichten, noch andere Veränderungsvorschläge für den Mordtatbestand einher. Exemplarisch sollen hier einige genannt werden: a) Einzelne Stimmen in der Literatur Im Reformvorschlag von Friedrich und Koch taucht die Heimtücke nicht mehr auf768. Auch Schwalm hat schon früh für die Streichung des Heimtückemerkmals plädiert769. Seine Begründung, dass dieses Merkmal Schwierigkeiten bereitet, ist indes nicht aussagekräftig. Auch Rüping schlägt vor, das Mordmerkmal Heimtücke ebenso wie das der sonstigen niederen Beweggründe ersatzlos zu streichen und im Übrigen eine Regelbeispieltechnik einzuführen770. Das Streichen der Heimtücke ist für ihn Konsequenz der Beurteilung, dass diese in den anderen Mordmerkmalen aufgehe und keine selbstständige Fallgruppe bilde771. Durch eine solche Radikallösung des Problems der Unbestimmtheit, das freilich nur in Grenzbereichen auftritt, wäre der Preis für mehr Bestimmtheit mit den hervorgerufenen Lücken aber zu hoch. Lücken entstehen entgegen Rüpings Ansicht nämlich durchaus und zwar vor allem bei Fällen, in denen die Heimtücke nahezu unbestritten bejaht wird. Man stelle sich nur den Meuchelmord772 als klassischen Fall der Heimtücke vor, welches andere Mordmerkmal soll hierbei immer erfüllt sein? In neuer Zeit machen sich Grünewald, Kargl, Haverkamp und Roxin für die Streichung des Heimtückemerkmals stark773. Auch Jähnke plädiert für seine 767 BT-Drs. IV/650, S. 273; dortiger Streichung der Heimtücke stimmt Dreher, MDR 1970, 248 (250) zu. 768 Friedrich/Koch, JuS 1972, 457 (461 ff.). 769 Schwalm, MDR 1957, 260 (261). 770 Rüping, JZ 1979, 617 (620 f.), das Regelbeispiel soll nicht als Strafzumessungsaspekt, sondern als Qualifikation ausgestaltet werden. Unklar bleibt, welche Gesetzestechnik das darstellen soll. 771 Rüping, JZ 1979, 617 (620 f.), die These, dass bei Heimtücke immer auch ein anderes Mordmerkmal erfüllt sei, belegt er indes nicht. 772 Jähnke, MDR 1980, 705 (707) zeigt entstehende Lücken auf. 773 Grünewald, S. 138; Kargl, JURA 2004, 189 (193); Haverkamp, GA 2006, 586 (603), der stattdessen immerhin das allgemeine Kriterium „Art der Ausführung“ in Anlehnung an das schweizerische StGB vorschwebt – auffällig hieran ist, dass die sonst so oft geforderte stärkere Berücksichtigung der subjektiven Seite damit zurückgedrängt würde; Roxin, FS Widmaier, 741 (744) und als Mitautor des AE Lebens.

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

Streichung, da sich das Postulat der gesteigerten Gefährlichkeit des Heimtückebegriffs als Legitimation für eine Straferhöhung des Mordes gegenüber dem Totschlag nicht in allen Konstellationen bewahrheite774. Dafür, dass die gesteigerte Gefährlichkeit nicht immer mit einem erhöhten Unrechtsgehalt einhergehen muss, nennt er die Haustyrannen-Fälle und die „rücksichtsvolle“ Tötung, bei der der Täter heimtückisch handelt, um dem Opfer Leid zu ersparen775. Letzteres Beispiel der „rücksichtvollen“ Tötung kann man durchaus anders bewerten776. Auch wenn in Einzelfällen das gesteigerte Unrecht tatsächlich nicht vorliegen mag, sollte die Lösung hierfür nicht gleich darin liegen, auf das Tatbestandsmerkmal ganz zu verzichten, denn dadurch würden erhebliche Lücken für Fälle eines erhöhten Unrechtsgehalts entstehen. Akzeptabel könnte die Zuordnung der klassischen Heimtückefälle zum Totschlag allenfalls dann sein, wenn § 212 Abs. 2 StGB dafür eine geeignete Norm wäre. Doch die Formulierung der „besonders schweren Fälle“ weist Ausnahmecharakter auf, mit dem es unvereinbar ist, den Regelfall der heimtückischen Tötung, immerhin eines der häufigsten Mordmerkmale, zu verbinden. Für Morris soll der Verzicht auf die Mordmerkmale de lege ferenda die Konsequenz aus dem nationalsozialistischen Hintergrund des § 211 StGB sein777. Dieser sei nicht nur in der Tätertypenlehre zu sehen, sondern auch in der Weite und Unbestimmtheit der Mordmerkmale; beides verdichtete sich zu einem strafbarkeitsbegründenten Analogiegebot in Form des § 2 StGB a. F.778 Die heute ganz herrschende Meinung, die in § 211 StGB kein spezifisch nationalsozialistisches Gedankengut verankert sieht, belegt ihre Ansicht mit dem schon genannten Hinweis auf den Schweizer Ursprung des Mordparagraphens, welchen Morris als zu „oberflächlich“ zurückweist779. Er meint, die Tatbestandsmerkmale seien trotz wörtlicher Übernahme vom Stooß’schen Vorentwurf in das deutsche Recht durch die Eingliederung in das nationalsozialistische System, also insbesondere dem Analogiegebot des § 2 StGB a. F., einem anderen, nämlich nationalsoziologischen Sinn zugeführt worden, und dieser bestünde auch heute noch. Dass in der Zeit des Nationalsozialismus der Mordparagraph ideologisch bedingt anders angewendet wurde als heute, soll indessen gar nicht bestritten werden. Daraus ist aber nicht zu folgern, dass die heutige Anwendung des § 211 StGB immer noch von nationalsozialistischem Gedankengut beeinflusst ist. Das genannte System 774 Jähnke, JURA 2004, 189 (193), zudem plädiert er auch für die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe, wobei auf diesen Punkt hier nicht näher eingegangen werden soll. 775 Jähnke, JURA 2004, 189 (193). 776 Siehe nochmals die Ausführungen ab S. 124, jedenfalls muss hier differenziert werden. 777 Morris, S. 90 f. 778 Morris, S. 65 ff. und zusammenfassend S. 84. 779 Morris, S. 83 ff.; Nachweise zum Vorentwurf des Schweizers Carl Stooß siehe in Fn. 419; siehe ferner ausführlich zu den Tötungsdelikten in der Schweiz ab S. 205.

III. Ersetzungs- und Neuregelungsvorschläge

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der täterungünstigen Analogiebildung besteht nicht mehr und die Rechtsprechung orientiert sich auch nicht an früheren ideologischen Kunstgriffen bei der Auslegung der Mordmerkmale, um zu einem möglichst weiten Verständnis des Mordtatbestandes zu gelangen. Daher ist auch aus historischen Gründen ein Verzicht auf die Mordmerkmale nicht angezeigt. b) Der Alternativ-Entwurf Leben (AE-Leben) Aufgrund seiner Aktualität ist auf den schon angesprochenen AE-Leben näher einzugehen, der in der ersten Jahreshälfte 2008 von 17 Professoren vorgelegt wurde780. In dem AE-Leben ist der Totschlag (§ 212 AE-StGB) in einem zweistufigen System nicht als Grunddelikt der vorsätzlichen Tötungsdelikte, sondern als Privilegierung konzipiert, ähnlich zu dem Gutachten von Eser und dem Vorschlag Müssigs781. Dem Mord (§ 211 AE-StGB) wird die Rolle des Grundtatbestandes zugewiesen, wobei zwei verschiedene Strafrahmen vorgesehen sind, der zeitige mit 5–15 Jahren und das Lebenslang unter den zwei Voraussetzungen, dass erstens ein Fall des § 211 Abs. 2 AE-StGB gegeben ist und zweitens das neu entwickelte Leitprinzip betroffen ist. Dieses Leitprinzip soll verwirklicht sein, wenn die Tat „die Lebenssicherheit der Allgemeinheit zu bedrohen geeignet ist“, wie es § 211 Abs. 2 AE-StGB formuliert. aa) Grundsätzliche Kritik Hinsichtlich des Ziels, den Mordmerkmalen einen einheitlichen Erschwernisgrund bescheinigen zu wollen782, ist zu bemerken, dass alternative oder kumulative Strafgründe der Mordmerkmale für die Auslegung der Mordmerkmale de lege lata nicht von Nachteil sind. Vor allem aber kann eine generalpräventiv verstandene „über die individuelle Tötung hinausgehende Gefährlichkeit“ 783 im Sinne einer „Gemeinschaftsbedrohlichkeit“ 784 bei der Suche nach einem einheitlichen Erschwernisgrund jedenfalls nicht die Lösung sein. Wenn für die Erschwernis tatsächlich Voraussetzung wäre, dass das Opfer „beliebig“ 785 ist, da780 Arbeitskreis AE, GA 2008, 193 ff.; siehe hierzu Kreuzer, FS Schöch, 495 (495 ff.). 781 Der Arbeitskreis AE, GA 2008, 193 (198, 200 f., 204, 218 ff.), knüpft ausdrücklich an Esers Gutachten zum 53. DTJ an; siehe dort vor allem D 106 ff. 782 Einer der Hauptkritikpunkte des Arbeitskreises an derzeitigen Interpretation des § 211 StGB ist das Fehlen eines einheitlichen Leitprinzips, Arbeitskreis AE, GA 2008, 193 (196 f.). 783 Arbeitskreis AE, GA 2008, 193 (222 f.). 784 Arbeitskreis AE, GA 2008, 193 (223). Eine ähnliche Idee liegt dem ungarischen Recht sogar in einer Regelung des Allgemeinen Teils zugrunde. Gemäß § 10 Abs. 1, 2 uStGB ist die Sozialgefährlichkeit Merkmal einer jeden Straftat. 785 Arbeitskreis AE, GA 2008, 193 (210 f., 221, 223) und passim.

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

mit jedes Gesellschaftsmitglied ein Bedrohtheitsgefühl entwickeln kann, es also keine Täter-Opferbeziehung geben darf, damit auch nicht nur die geringste Möglichkeit einer einfühlsamen Konfliktlage bestehen kann, dann wäre die Ansage des Arbeitskreises, das Rechtsgut Leben aufzuwerten786, nicht umgesetzt. Denn zunächst erscheint die Konzeption, dass der Ausgangspunkt einer jeden vorsätzlichen Tötung der Mord ist787, diesem Vorhaben der Aufwertung des Rechtsguts Leben zwar zuträglich. Das genannte Leitprinzip nimmt diesem Ziel jedoch die faktische Realisierbarkeit. Sicherlich kann die Beliebigkeit des Opfers ein möglicher Fall sein, in dem sich die höchste Strafwürdigkeit eines Tötungsgeschehens ausdrückt, weshalb in der jetzigen Fassung des Mordtatbestandes auch die Mordlust genannt ist788. Zu bestreiten ist aber, dass die Austauschbarkeit des Opfers der einzige Fall der im höchsten Maße strafwürdigen Tötung ist. Eine solche Abhängigkeit des Erschwernisgrundes von der Beliebigkeit des Opfers würde der Rechtsgemeinschaft im Übrigen kein gutes Zeugnis ausstellen, denn die größtmögliche Solidarisierung mit dem Opfer wäre ihr dann anscheinend ohne eine mögliche Selbstbetroffenheit nicht möglich. Wenn die Möglichkeit der Selbstbetroffenheit Voraussetzung für den größtmöglichen Schutz eines anderen Lebens ist, was die Höhe der Strafdrohung anbelangt, könnte man dies vielmehr gerade als Abwertung des Rechtsguts Leben verstehen789! Ebenso ist die Wiederholungsgefahr als notwendige Voraussetzung für die höchste Strafe abzulehnen. Der AE-Leben gebraucht das eher aus dem Bereich der Restaussetzung bekannte Wort „Wiederholungsgefahr“ 790 nicht immer, sondern spricht teils von „gesellschaftlichen Weiterungen“, die „über die Einzeltat hinaus zu befürchten sind“ 791. Der Sache nach läuft es aber jedenfalls auf das 786

Arbeitskreis AE, GA 2008, 193 (206, 211, 218 f.). Grundsätzliche Bedenken gegen die Einordnung des Mordes als Grundtatbestand wurden bei der Besprechung des Ansatzes von Müssig angemerkt, siehe oben S. 185, diese gelten hier selbstverständlich entsprechend, insbesondere die fehlende Entsprechung des dogmatischen Regelfalls zu der Lebenswirklichkeit sei in Erinnerung gerufen. 788 Das Leitprinzip geht nicht in der Mordlust auf. Einerseits ist es weniger, weil es nicht selbstständig, sondern nur in Bezug auf einen der benannten Fälle zu verstehen ist. Andererseits ist es mehr, weil es notwendiger Bestandteil einer jeden Begründung der Höchststrafe ist. Beiden Konstruktionen ist aber die Idee der völligen Anlasslosigkeit gemeinsam, bei der ein Mindestmaß an Nachvollziehbarkeit, selbstredend nicht im Sinne positiver Billigung, nicht festzustellen ist. 789 Veh, S. 162 verteidigt hingegen den Strafschärfungsgrund des verletzten Sicherheitsgefühls der Allgemeinheit für den Fall, dass eine gefährliche Einstellung zum Rechtsgut Leben über das konkrete Leben des verletzten Opfers hinausgehend in dem Verhalten des Täters zum Ausdruck kommt. 790 Arbeitskreis AE, GA 2008, 193 (240). Diese Begründung der Strafe ist nicht neu, siehe zur Wiederholungsgefahr im Zusammenhang mit der Gesinnung Binder, SchwZStr 67 (1952), 307 (325). 791 Arbeitskreis AE, GA 2008, 193 (223, 232 f., 243). 787

III. Ersetzungs- und Neuregelungsvorschläge

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Erfordernis einer solchen hinaus. Soll nun ein Opfer, welches der Täter aufgrund der erhofften Beute umbringt, aber wirklich unterschiedlich schützenswert sein, je nachdem, ob der Täter das Gewinnstreben einmalig über das Leben stellt oder ob zu befürchten ist, dass sich dies wiederholt792? Das wäre mit dem Schuldgrundsatz nicht zu vereinbaren793: Bei der Frage, ob ein Unrecht verwirklicht ist, das die höchste Strafe unsere Rechtsordnung verdient, kann es doch schwerlich darum gehen, ob gleiches noch einmal droht! Es handelt sich hier schließlich nicht um die Frage der Restaussetzung oder Sicherungsverwahrung, bei der Rückfallprognosen sinnvollerweise anzustellen sind. Die Tat an dem (ersten) Opfer ist vielmehr unabhängig von eventuellen weiteren Taten zu beurteilen – alles andere liefe auf die Quantifizierung des Wertes Leben hinaus. Eine Signalwirkung, bei der ersten Tat regelmäßig nicht mehr als 15 Jahre Freiheitsstrafe zu erhalten, wäre dem Lebensschutz nicht zuträglich. Damit soll keineswegs das Wort für ein grundsätzliches ,Lebenslang‘ erhoben werden, sondern lediglich verdeutlicht werden, dass die Einzelleben nicht gleich gewichtet sind, wenn die lebenslange Freiheitsstrafe nur bei (zumindest potentiellen) Mehrfachtötungen verhängt wird. Auch kann das Leitprinzip nicht durch die immer wieder im AE-Leben anklingende Erklärung legitimiert werden, dass einem „singulären partnerschaftlichen“ oder „opferbezogenen Konflikt“ diese Allgemeingefährlichkeit abzusprechen sei794. Zum einen ist schon die Richtigkeit der Aussage über die mangelnde Allgemeingefährlichkeit zu bezweifeln. Denn nicht jedes Konfliktverhältnis ist einmalig. Es mag sein, dass man beispielsweise seinen Vater nur einmal töten kann – umschreibt man das Konfliktverhältnis aber etwas weiter als Konflikt im Nahbereich, sind erneute Konflikte nicht auszuschließen. Vor allem aber gibt es nur sehr selten Tötungen, denen nicht ein irgendwie gearteter Konflikt vorausgeht. Nicht das Bestehen eines Konflikts an sich vermag es, dem Geschehen die Höchststrafwürdigkeit zu nehmen, sondern nur ganz bestimmte Konflikte aufgrund ihrer entlastenden Eigenheiten im Einzelfall. Wenngleich sich jetzt schon das Fazit dieser Arbeit andeutet, dass das Opferverhalten bei der Strafbarkeit des Täters zu berücksichtigen sein sollte, so schießt eine Einbeziehung, die bei jeder vortatlichen Beziehung der höchsten Strafe indifferent entgegensteht, jedenfalls über das Ziel hinaus. Um bei dem Beispiel des Vatermordes zu bleiben: Wenn das Konfliktpotential darin bestand, dass der Vater den Täter jahrelang auf das Schlimmste misshandelt hat, wird der Täter wahrscheinlich nicht noch einmal in einen ähnlichen Konflikt geraten. Anders liegt dies aber, wenn er seinen Vater getötet hat, um der Mutter, die eine neue Ehe eingehen möchte, einen Gefallen 792 In Ungarn hat durch § 166 Abs. 2 h), Abs. 5 uStGB eine Rückfalltat qualifizierende Wirkung. Wenigstens muss aber das wiederholende Ereignis eingetreten sein. 793 Der Arbeitskreis AE, GA 2008, 193 (210) bemerkt dies selbst, meint aber, sein Konstrukt sei hinreichend an das klassische Schuldprinzip angebunden. 794 Arbeitskreis AE, GA 2008, 193 (234 ff.).

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

zu tun oder um an die Erbschaft heranzukommen. Die pauschalisierende Betrachtung, dass aufgrund der Personengebundenheit die Höchststrafe nicht in Betracht kommen soll, provoziert hier Wertungswidersprüche. Ein weiteres Beispiel stellt die Tötung zum vermeintlich Besten des Opfers dar, auch hier wird dieses Ergebnis nur in Einzelfällen auf Verständnis stoßen795. Das derzeitige Problem, dass die Definitionen der Mordmerkmale teilweise zu weit gefasst sind, wird also im AE-Leben ins Gegenteil gekehrt, da nicht mehr alle höchststrafwürdigen Fälle als Mord erfasst werden würden. bb) Kritik hinsichtlich der Streichungen der Mordmerkmale ,Heimtücke‘ und ,niederer Beweggrund‘ Der fast 80seitige AE-Leben sieht mit einer Begründung von nur anderthalb Seiten vor, die beiden jetzigen Mordmerkmale Heimtücke und niederer Beweggrund nahezu ersatzlos zu streichen796. Damit wären die zwei am häufigsten verwirklichten Merkmale des derzeitigen Mordparagraphen beseitigt. Nahezu ersatzlos geschieht dies insofern, als es für die Heimtücke keinerlei Entsprechung geben soll, während als Ersatz für die niederen Beweggründe zwar einige der unter der jetzigen Rechtslage entwickelten Fallgruppen vom AE-Leben aufgegriffen wurden, diese jedoch abschließend normiert sind; vor allem aber wäre durch die Einschränkung mit dem im AE-Leben propagierten Leitprinzip nur noch ein minimaler Teil der jetzt unter die Fallgruppen fallenden Sachverhalte erfasst. Konsequenz dessen wäre, dass die typischen Heimtückefälle zwar als Mord einzuordnen, aber nach § 211 Abs. 1 AE-StGB mit zeitiger Freiheitsstrafe zu ahnden wären. Sie würden demnach nicht zu den höchststrafwürdigen Fällen gehören. Aber auch innerhalb des AE-Lebens erscheint es wenig konsistent, dass ausgerechnet die beiden derzeit am häufigsten verwirklichten Merkmale nicht übernommen werden sollen. Die Erklärung hierzu lautet: „Dem Kriterium der unrechtserhöhenden Gemeinschaftsbedrohlichkeit halten beide Mordmerkmale nicht stand.797“ Das lässt eigentlich vermuten, dass die im AE-Leben vorgesehenen Mordmerkmale allesamt aus dem Leitprinzip entwickelt worden wären und dies bei den beiden gestrichenen nicht gelungen sei. Tatsächlich aber wird das Leitprinzip nur zur Einschränkung des jeweiligen Merkmals gebraucht. Letzteres wäre indessen auch bei der Heimtücke ohne weiteres möglich, wenn man auch hier einschränkend verlangt, es müsse zu befürchten sein, dass der Täter ein weiteres Tötungsvorhaben gegen ein beliebiges Opfer in heimtückischer Weise aus795

Siehe abermals oben ab S. 124. Arbeitskreis AE, GA 2008, 193 (241 ff.); Eser, 53. DJT, D 180 ff., 200 sah immerhin noch einen die lebenslange Freiheitsstrafe auslösenden Regelfall vor, der einen kleinen Bereich der jetzigen Heimtücke erfasste, nämlich den Fall, dass der Täter „das Vertrauen des Opfers oder einer Schutzperson arglistig erschlichen oder bestärkt hat“. 797 Arbeitskreis AE, GA 2008, 193 (242). 796

III. Ersetzungs- und Neuregelungsvorschläge

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führen wird. Die Entbehrlichkeit der Heimtücke wird ferner damit begründet, dass die heimtückische Begehungsweise den Sprung zum Lebenslang im Vergleich zu dem offen auftretenden Täter nicht rechtfertige und typischerweise eine Täter-Opferbeziehung bestehe, die nach dem Leitprinzip der Annahme höchster Strafwürdigkeit entgegenstehe798. Beides kann nicht überzeugen: Die Annahme, dass das Bestehen einer Täter-Opferbeziehung immer der Höchststrafe entgegenstehen soll, wurde bereits widerlegt. Hinzu kommt, dass im Fall eines Attentats nicht einmal eine solche Beziehung bestehen muss. Wenn hier nicht gerade ein Berufskiller am Werk ist, bei dem § 211 Abs. 2 Nr. 8 AE-StGB (Streben nach wirtschaftlichen Vorteilen) zu bejahen ist, wäre die Verhängung der Höchststrafe bei diesem klassischen Fall der Heimtücke außerhalb der Motivationen des § 211 Abs. 2 Nr. 3 AE-StGB (dieser Katalog besteht aus Fallgruppen der bisherigen niederen Beweggründe) ausgeschlossen. Distanztaten sind aber auch ohne diese Motivationen denkbar. Der Gedanke, dass der Vergleich zum offen gegenübertretenden Täter die lebenslange Freiheitsstrafe nicht rechtfertige, spielt darauf an, dass Heimtücke die Waffe der Schwachen sei. Tatsächlich kann das im Einzelfall die Annahme der Heimtücke unangemessen erscheinen lassen. Die Heimtücke ist aber nicht regelmäßig die Waffe des Schwächeren; auch der starke, überlegene Täter will sein Opfer längst möglich in Sicherheit wiegen. Vor allem ist die Tauglichkeit eines Merkmals nicht anhand einer einzelnen Fallgruppe zu bewerten. Friktionen durch eine einzelne Fallgruppe müssen gelöst werden, aber die Abschaffung des Merkmals ist dabei die denkbar schlechteste Lösung, zumindest wenn die Zahl der hierdurch ausgelösten neuen Friktionen überwiegt. Am Rande bemerkt sei, dass auch die Streichung der ,niederen Beweggründe‘ zu unerträglichen Ergebnissen führt. Beispielsweise wäre der Ehrenmord nur noch mit zeitiger Freiheitsstrafe bedroht. Es erscheint aber kriminalpolitisch höchst bedenklich, wenn das angeblich ehrschädigende Verhalten des Opfers (sich beispielsweise der von der Familie beschlossenen Hochzeit zu widersetzen oder außerehelich mit einem Mann zu verkehren) zum Anlass der Tötung genommen wird, ohne dass der Täter die Höchststrafe befürchten muss. Wäre ein Mordmerkmal für den Ehrenmord im AE-Leben vorgesehen, würde sich daran die Absurdität der Argumentation mit der Wiederholungsgefahr zeigen – soll die Strafbarkeit davon abhängen, ob der Täter eine zweite ,nicht folgsame‘ Schwester oder Cousine hat? Insgesamt überzeugt der AE-Leben weder in seiner grundsätzlichen Konzeption noch speziell hinsichtlich der Abschaffung der Heimtücke. Zusammen mit den anderen Ansätzen, die für die Herausnahme der Heimtücke aus dem Mordtatbestand eintreten, ist diesem Verzichtsgedanken vorzuhalten, dass dies große, unerträgliche Lücken im Strafrechtsschutz hervorrufen würde. Schon unter der 798

Arbeitskreis AE, GA 2008, 193 (242).

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

derzeit gängigen Definition der Heimtücke sind die Friktionen nicht so groß, dass sie die Abschaffung des Merkmals nahelegen. Natürlich ist eine Verbesserung der Heimtückedefinition wünschenswert. Entbehrlich ist sie wegen der Verbesserungsbedürftigkeit indes nicht.

6. Zwischenergebnis Auffällig ist zunächst, dass den meisten besprochenen Ansätzen die These zugrundeliegt, die übliche Definition der Heimtücke sei auf keinen Strafschärfungsgrund, insbesondere nicht auf eine erhöhte Gefährlichkeit oder einen erhöhten Unrechtsgehalt zu stützen799. Dem wird im nächsten Kapitel nachzugehen sein. Den dargestellten Lösungen (mit Ausnahme der Streichung der Heimtücke) ist gemeinsam, dass sie in ihre Überlegungen das Opferverhalten vor der Tat miteinbeziehen. Dies ist eine Herangehensweise, die auch schon im Kapitel über die Einschränkungsversuche der klassischen Heimtückedefinition bemerkt wurde und die vor allem durch die Erpresser-Entscheidung und die Tyrannen-Fälle Aktualität gewonnen hat. Auf die Möglichkeiten der Berücksichtigung von Opferverhalten bei der Strafbarkeitsprüfung und insbesondere bei Elementen aus dem Allgemeinen Teil des StGB wird später vertieft einzugehen sein. Bislang erscheint für die Berücksichtigung des Opferverhaltens immer noch der Ansatz der berechtigten Arglosigkeit von Gunther Arzt800 am vielversprechendsten. Wenn dieser Ansatz trotzdem nicht gesondert erörtert wurde, dann deshalb, weil die Ausführungen hierzu sehr knapp sind und sich die Idee im Wesentlichen mit dem ausführlich erörterten Ansatz der Erpresser-Entscheidung deckt, obwohl er ursprünglich für eine andere Fallgruppe entwickelt wurde. Gerade diese fallgruppenübergreifende Anwendungsmöglichkeit macht den Gedanken der berechtigten Arglosigkeit sehr attraktiv.

IV. Der Kerngehalt der Heimtücke Vor der Erarbeitung einer Heimtückedefinition, die allen Fallgruppen gerecht wird, liegt es nahe, sich zunächst den Grundgedanken der Heimtücke zu verdeutlichen. Dies ist auch deshalb angebracht, weil wie herausgestellt vielfach bestritten wird, dass die Heimtücke auf einen solchen Grundgedanken zurückzuführen ist, der die Tat zum Mord qualifiziert und dadurch vom Totschlag abhebt.

799 Siehe nochmals Veh, S. 141 ff., 150, 161 f.; Schmoller, ZStW 99 (1987), 389 (400 f.); Beckmann, GA 1981, 337 (350); Fahlbusch, S. 23 ff.; Jähnke, JURA 2004, 189 (193); Müssig, S. 301 und Lackner, NStZ 1981, 348 (349); zudem Kargl, JZ 2003, 1141 (1144 und 1146). 800 Arzt, JR 1979, 7 (12).

IV. Der Kerngehalt der Heimtücke

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1. Erkenntnisse aus dem natürlichen Wortsinn des Begriffs Den Begriff ,Heimtücke‘ im Duden nachzuschlagen, führt zu den Ausdrücken „hämliche Dück“, „versteckte List“ und „hinterhältiger Streich“ und zu der Aufspaltung in „heimlich“ oder „hämisch“ sowie „Tücke“ 801. Zu „heimlich“ findet sich die Erläuterung „vertraulich, geheim; verborgen“ 802; „hämisch“ wird mit „versteckt, boshaft, hinterhältig“ erklärt und es wird darüber informiert, dass sich „hämisch“ und „heimlich“ vermischt haben803. Die „Tücke“ wird von „tuc“ abgeleitet als „Schlag, Stoß, Streich, schnelle Bewegung“ umschrieben804. Interessanterweise soll sich die „List“ ursprünglich auf Kampfestechniken und Kunstfertigkeiten bezogen haben und bekam erst im Verlauf der Zeit einen negativen Sinn von „geschickte Täuschung, Ränke“ 805. Zu beachten ist, dass „Arglist“ zusammen mit „Hinterlist, Hinterhältigkeit“ genannt wird806. Diese synonyme Verwendung von Heimtücke, Hinterhältigkeit und Hinterlist legt es nahe, einen Blick auf § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB („hinterlistigen Überfall“) oder § 232 Abs. 4 Nr. 1, 2, § 234 Abs. 1 StGB („List“) zu werfen. Die Rechtsprechung benutzt „hinterhältig“ auch teilweise, um die heimtückische Vorgehensweise zu beschreiben807, hat aber auch schon betont, dass hinterlistig mehr als heimtückisch sei808. Bemerkenswert ist, dass im amtlichen Vorentwurf von 1936 statt „heimtückisch“ „hinterlistig“ vorgesehen war809. Beschreibungen der Heimtücke, wie „in hinterhältiger Weise“ zu handeln oder „planmäßig-berechnend“ vorzugehen, „List, Falschheit oder verschlagene Berechnung“ an den Tag zu legen810, kommen dem herkömmlichen Bild von der Heimtücke sicherlich nahe, aber solche Beschreibungen vermögen es nicht, Randbereiche klarer abzustecken. Ein wesentlicher Unterschied der Hinterlist gegenüber der Heimtücke besteht aber jedenfalls darin, dass die Hinterlist kein opferbezogenes Element wie die Arglosigkeit bei der Heimtücke beinhaltet811. Vermutlich ist die Heimtücke 801

Duden Bd. 7, Heimtücke. Duden Bd. 7, heimlich. 803 Duden Bd. 7, hämisch. 804 Duden Bd. 7, Tücke. 805 Duden Bd. 7, List. 806 Duden Bd. 7, arg; ebenso Pekrun, hinter (Hinterlist wird definiert als heimtückische List). 807 BGH NStZ 2008, 93 (94). 808 Schon RGSt 65, 65 (66 f.) sagt dies zwar nicht ausdrücklich, legt aber dar, dass ein Angriff von hinten oder überhaupt das bewusste Ausnutzen der für das Opfer nachteiligen Situation nicht ausreiche und vor allem ein planmäßiges Vorgehen erforderlich sei; ebenso Fischer § 211 Rn. 34. 809 Graf von Gleispach, Gürtner, S. 371 (S. 385). 810 Wessels/Hettinger, StR BT I, § 2 Rn. 105 f., 114; Pekrun, Verschlag erläutert Verschlagenheit auch mit Hinterlist. 811 Kaspar, JuS 2009, 830 (832). 802

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

in den Fällen der Hinterlist häufig aufgrund des Planungselements gegeben. Das Listige an einem Verhalten ist richtigerweise Indikator der Heimtücke, aber kein Synonym812. Dem allgemeinen Sprachverständnis widmet sich auch Schmoller813. Er nennt einerseits den Bezug zu menschlichen Verhaltensweisen und andererseits die Verdinglichung der Eigenschaft, zum Beispiel die „heimtückische Krankheit“. Dabei versteht er diese als einen plötzlich zu Tage tretenden Zustand, dessen Ursachen zuvor unbemerkt im Körper gewirkt haben und bei früherem Registrieren wirksam bekämpft hätten werden können. Man könnte die „heimtückische Krankheit“ jedoch auch so verstehen, dass man diese zwar von Anfang an wahrnimmt, über deren Ursachen jedoch nicht genug weiß, um Gegenmaßnahmen treffen zu können und somit nur hilflos zusehen kann814. Diesem Verständnis wohnt dann nichts Überraschendes oder Unerwartetes inne, sondern eher ein Ausgeliefertsein und Machtlosigkeit. Es wäre zu überlegen, ob dies bei der Heimtücke im Rechtssinne dafür sprechen kann, dass die bloße Wehrlosigkeit ausreicht und so beispielsweise die Hinterhalt-Fälle von der Heimtücke zu erfassen sind. Dagegen spricht aber, dass die Wirkungsweise der Tötung, anders als die der unerforschten Krankheit, kein rätselhafter Vorgang ist, dem man machtlos ausgeliefert ist. Das Tötungsopfer, das über das Tötungsvorhaben im Bilde ist und nur wehrlos dagegen ist, kann damit also nicht verglichen werden, weil es kein Wissensdefizit hat. Fordert man für die Heimtücke im Sinne des § 211 StGB richtigerweise ein Wissensdefizit und nicht eine tatsächliche Überraschung, passen dazu auch die oben erzielten Ergebnisse zu der Frage, ob konstitutionell bedingt Arglose heimtückisch getötet werden können. Eine etymologische Betrachtung kann von vornherein nur eine beschränkte Hilfestellung bieten bei der Ermittlung des Sinngehaltes eines Rechtsbegriffes. Denn Rechtsbegriffe sind nichts soziologisch Gewachsenes, sondern etwas Festgesetztes. Gleichwohl ist der Zugang über ein allgemeines Sprachverständnis nicht überflüssig. Der Wortsinn ist für juristische Feinheiten vielleicht nicht heranzuziehen, aber als äußerste Grenze vermag er auch dem Juristen anzuzeigen, wo seine Definitionsmacht an Grenzen stößt. Das allgemeine Verständnis fungiert in diesem Sinn also als Negativ-Kontrolle. Es lässt sich somit festhalten, dass die Momente der Überraschung oder des Wissensdefizits sowie der Schwäche mit dem Heimtückebegriff assoziiert werden.

812 So verwundert es nicht, dass bei Normen mit ,List‘ als Tatbestandsmerkmal Probleme von der Heimtücke her bekannt sind und entsprechend behandelt werden, so beispielsweise bei der List gegenüber einem Bewusstlosen, vergleiche S/S/Eisele/Eser Vor § 234–241a Rn. 38. 813 Schmoller, ZStW 99 (1987), 387 (412 ff.). 814 So Spendel, JR 1983, 269 (272).

IV. Der Kerngehalt der Heimtücke

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2. Die besondere Verwerflichkeit, die besondere Tatschuld und die verwerfliche Gesinnung des Täters Der Mordtatbestand wird von vielen als Ausprägung eines Verwerflichkeitskonzepts angesehen815. Die besondere Verwerflichkeit als Basis der Mordmerkmale zu betrachten, ist wie gesehen der Ansatzpunkt der Typenkorrekturen, bei denen durch eine Gesamtbetrachtung die besondere Verwerflichkeit positiv festgestellt oder im Einzelfall verneint wird. Dass die Rechtsprechung jene Methode der Restriktion über eine zusätzliche Gesamtabwägung ablehnt816, steht dem Gedanken, dass sich die Mordmerkmale durch Verwerflichkeit auszeichnen, nicht entgegen. Denn die ratio einer Norm ist nicht mit einem Tatbestandsmerkmal zu verwechseln817. Die Verwerflichkeit als Tatbestandsmerkmal zu behandeln, birgt gewiss die Gefahren der Unbestimmtheit und der Moralisierung der Mordmerkmale in sich818. Als ratio einer Norm, die eine sachliche Konkretisierung durch die Mordmerkmale erfährt, ist diese Gefahr hingegen weitgehend gebannt und wird auch durch einen Rückbezug der Merkmale auf die ratio als Kontrollfrage nicht wiederbelebt – solange die Verwerflichkeitsprüfung lediglich den Anlass zur Überarbeitung der Definition liefert und nicht direkt zur Ergebniskorrektur herangezogen wird. Was macht nun die Besonderheit der Verwerflichkeit beim Mord gegenüber der beim Totschlag aus? Verschiedene Ansätze versuchen, dies so konkret zu fassen, dass daraus ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zu gewinnen ist, so zum Beispiel die Vertrauensbruchansätze. Neben den dort ausgeführten Kritikpunkten ist wiederum zu sagen, dass es nicht erfolgversprechend ist, aus einer ratio der Norm unmittelbar ein Tatbestandsmerkmal formen zu wollen. Auf die Verwerflichkeit als ratio bezogen, ließe sich nun mit Blick auf § 212 Abs. 2 StGB bestreiten, dass Totschlag und Mord durch Verwerflichkeitsaspekte zu scheiden sind. Denn wenn man voraussetzt, dass bei dem schweren Fall des Totschlags die Verwerflichkeit derart hoch ist wie beim Mord, dann kann dieses Kriterium nicht zugleich den Mord vom Totschlag abgrenzen. Andererseits könnte man aber auch den Standpunkt vertreten, dass das Verwerflichkeitskriterium durch den Mordtatbestand nicht quasi ,aufgebraucht‘ wird. Diese Annahme wäre 815 So beispielsweise Küpper, FS Kriele, 777 (780); Kerner, FS Universität Heidelberg, 419 (424, 439); Lackner, NStZ 1981, 348 (348 f.); Lange, GS Schröder, 217 (220); Eser, 53. DJT, D 30 ff. Im amtlichen Vorentwurf von 1936 war die Verwerflichkeit ausdrücklich als regelmäßig durch die Mordmerkmale erfüllt angesehen, vergleiche Graf von Gleispach, Gürtner, S. 371 (S. 385). 816 BGHSt 3, 184 (186); BGHSt 3, 330 (332); BGHSt 9, 385 (389); BGH NJW 1957, 70 (70 f.); BGHSt 11, 139 (143); BGH NJW 1958, 309 (309). 817 Zutreffend auch Arzt/Weber, § 2 Rn. 20; LK/Jähnke § 211 Rn. 1. 818 Woesner, NJW 1978, 1025 (1026); Beckmann, GA 1979, 441 (448 f.); anderer Meinung ist Veh, S. 113, die besondere Verwerflichkeit sei rechtsgutbezogen und als Kurzformel für die besondere Schwere der Tat und des Verschuldens des Täters zu begreifen.

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dann ein Mittelweg zwischen dem Versuch kasuistischer Erfassung der Verwerflichkeit und einem Konzept, das mit einer bloßen Generalklausel arbeitet. Damit sind die Schwächen beider Konzepte, also bei der kasuistischen Herangehensweise nicht alle Fälle zu erfassen und mit der Generalklausel zu viele zu erfassen, minimiert. Die verschiedenen Verwerflichkeitsgrade des dreistufigen Tötungssystems sollen nun mit unterschiedlichen Schuldgehalten korrelieren819. Der Unterschied zwischen Mord und Totschlag ist kein qualitativer, sondern ein „quantitativ-gradueller“ 820. Dass das Erfolgsunrecht bei allen Tötungstatbeständen das gleiche ist, steht dazu nicht im Widerspruch821. Dieser Teil des Unrechts entzieht sich zwar einer Steigerungsfähigkeit, aber das Unrecht besteht auch aus Handlungsunrecht, Zielsetzungen des Täters oder der Weise der Tatbegehung, und diesbezüglich sind durchaus Unterschiede auszumachen822. Der mit dem Unrechtsbegriff zusammenhängende Diskurs, ob die Mordmerkmale unrechtsqualifizierend oder schuldqualifizierend sind823, krankt an einem diesbezüglichen Missverständnis. Tötungsunrecht ist sehr wohl steigerungsfähig, ohne dass damit eine unterschiedliche Gewichtung von Einzelleben verbunden ist. Heute wird nur noch vereinzelt das Augenmerk auf die Gesinnung als Differenzierungsmerkmal gelenkt824. Diesen Begriff, mit dem so viel Unterschiedliches verbunden wird825, als Abgrenzungskriterium zu gebrauchen, läuft letztlich auf eine Verwerflichkeitsprüfung und damit auf die Typenkorrektur hinaus826. 819

Lackner, NStZ 1981, 348 (348); Köhler, JuS 1984, 762 (763). S/S/Lenckner/Eser Vor § 211 ff. Rn 3. Bei der besonderen Tatschuld oder Tatschwere als Legitimation der Mordmerkmale ist ebenfalls zu bedenken, dass eine Norm zur ausdrücklichen Prüfung im konkreten Fall nicht existiert. Insbesondere §§ 19, 20, 21 StGB und §§ 17, 33, 35 StGB behandeln die „normale“ Verantwortlichkeit des Täters und nicht die schwerwiegenden Besonderheiten der Tat. Hier setzt die Debatte über den materiellen Verbrechensbegriff an, auf den zurückzukommen sein wird. Die Grundaussage, Mordmerkmale als Ausdruck graduell höchsten Schuldgehalts zu verstehen, drückt sich allgemein in der Systematik der Tötungsdelikte aus und dient für den Einzelfall mehr der Kontrolle denn als Mittel der konkreten Strafhöhenfestsetzung. 821 Eser, 53. DJT, D 94 ff. Das verkennt beispielsweise Fahlbusch, S. 26. 822 Otto, JURA 1994, 141 (143) sieht den differenzierungsfreundlichen Teil des Unrechts in der Gesinnung, Rüping, JZ 1979, 617 (619) in der positiven Generalprävention. 823 Zum Meinungsstand Bornemann, S. 84 ff. 824 Otto, JURA 1994, 141 (143); Langer, JR 1993, 133 (137); zum Streit, ob Gesinnungsmerkmale das Unrecht und/oder die Schuld prägen, vergleiche Hartwig, ZStW 68 (1956), 14 (30 ff.) oder Horstkotte, S. 56 ff.; Lange, GS Schröder, 217 (221); zur Gesinnung siehe Schmidhäuser, S. 17 ff.; Eb. Schmidt, DRZ 1949, 241 (242, 245) speziell für die Heimtücke. 825 Siehe nur Herren, S. 76 ff. oder Schmidhäuser, S. 24 ff. 826 So urteilt auch MüKo/Schneider § 211 Rn. 13 ff.; siehe hierzu auch Rengier, MDR 1979, 969 (970). Deutlich wird das unter anderem bei Schmidhäuser, S. 236 f., der ausführt, dass es auf das „Gesamtbilde der Tat“ ankommt. 820

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Sicherlich ist die Gefahr eines Täterstrafrechts dabei aber größer827, weil die Gesamtwürdigung nur die innere Seite zum Gegenstand hat. Wer heute für die Betonung der subjektiven Seite eintritt, wird dabei jedoch kaum wie früher fordern, den Grad der „Gemeinschaftswidrigkeit“, der die Gesinnung ausdrücke, zum entscheidenden Faktor des Unrechts zu erheben und dem Erfolg nur „die Rolle eines Symptoms“ zuzuschreiben828. Nicht vorenthalten werden soll in diesem Zusammenhang die aus der Zeit des Nationalsozialismus stammende „Lehre vom normativen Tätertyp“, bei der die Tätergesinnung klassifiziert nach den Delikten im Vordergrund steht829. Es werden dabei die Umstände der Tatbestandsverwirklichung mit dem typischen Erwartungsbild verglichen, das der Norm zugrundeliegt, um zu vermeiden, dass atypische Fälle der formalen Tatbestandserfüllung einer Strafbarkeit zugeführt werden, obwohl das Volksempfinden dagegen spricht830. Möglich sei dies, weil der Tatbestand als Teil typisierten Unrechts das Volksempfinden beschreiben soll831. Die mangelnde Bestimmtheit springt als Einwand hiergegen ins Auge832. Das methodische Vorgehen dieser Lehre ist dem der Typenkorrektur oder einer allgemeinen Verwerflichkeitsprüfung sehr ähnlich und daher der gleichen Kritik ausgesetzt. Roxin stimmt dem für den Fall einer Erweiterung der Strafbarkeit zu, für die Strafbarkeitseinschränkung sei dieser Ansatz aber „nach wie vor nicht gänzlich obsolet“ und als „Interpretationsbehelf immer noch von (begrenztem) Nutzen“ 833. Das kann man nur unterstreichen. Das Rechtsempfinden kann Anlass einer restriktiven Auslegung oder auch Kontrolle sein, aber es kann das Ergebnis selbst nicht methodisch nachvollziehbar liefern. Die Verwerflichkeit als ratio des Mordtatbestandes, wohlgemerkt nicht als zu prüfendes Abgrenzungsmerkmal, erscheint damit plausibel.

827 Ausführlich zu dieser Gefahr im Zusammenhang mit der Gesinnung, Horstkotte, S. 46 ff. Eine umfassende Betrachtung des Vorlebens befürwortend, weil „ein gewisser Kern“ der Gesinnung „angeboren fast unveränderlich“ sei, Binder, SchwZStr 67 (1952), 307 (323), allerdings war die Gesinnung damals in der Schweiz Tatbestandsmerkmal. 828 So noch Hartwig, ZStW 68 (1956), 14 (20), allerdings sei die Heimtücke kein Gesinnungsmerkmal, vergleiche dort S. 27. Eine interessante Beobachtung teilt Binder, SchwZStr 67 (1952), 307 (315 ff.) mit: Seiner Urteilsanalyse zufolge werden die Tötungsdelikte nach Art der Gesinnung eingestuft, die über die Vorgeschichte und zwar vor allem hinsichtlich des Opferanteils zu erschließen ist. Der typische Mord zeichne sich dadurch aus, dass der Täter zuvor nicht unter dem Opfer gelitten habe. 829 Siehe hierzu Dahm, S. 4 ff., dabei soll nach dem Selbstverständnis dieser Ansicht gleichwohl ein Tatstrafrecht vorliegen, vergleiche Dahm, S. 7 f. Zu diesem Ansatz eingehend Rauber, S. 37 ff. 830 Dahm, S. 21 ff. 831 Dahm, S. 32 ff. 832 Siehe die Nachweise bei Roxin, AT I, S. 184 Fn. 35. Vertreter dieses Ansatzes sehen dies selbst, beispielsweise Dahm, S. 35. 833 Roxin, AT I, S. 184 f.

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3. Die besondere Gefährlichkeit Dass der herkömmlichen Heimtückedefinition die Fähigkeit abgesprochen wird, eine besondere Gefährlichkeit gegenüber dem Totschlag auszudrücken834, gründet mit darin, dass mit Gefährlichkeit Verschiedenes gemeint ist835. Es hat sich an verschiedenen Stellen dieser Arbeit gezeigt, dass dieser Begriff mit diversen Inhalten belegt wird, so beispielsweise im Diskurs über die Opfertauglichkeit konstitutionell bedingt Argloser836. Diejenigen, die nun glauben, mit dem Gefährlichkeitsbegriff einen erhöhten Unwert des Mordes gegenüber dem typischen Totschlag nachweisen zu können, stellen vermehrt spezial- oder generalpräventive Aspekte in den Fokus der Legitimation der höchsten Strafe837. Zu den jüngst im AE-Leben ausgeführten übersteigerten Anforderungen an das Gefährlichkeitselement in dem die lebenslange Freiheitsstrafe eröffnenden Leitmotiv der „Gemeinschaftsbedrohlichkeit“ wurde bereits Stellung bezogen838. Abgesehen davon, dass beim Mord allgemein Wiederholungsgefahren und Nachahmungseffekte nicht sehr hoch sind839, gehören solch vorwärtsgewandte Argumentationen zur Sicherungsmaßregel und nicht zur Kriminalstrafe840. Zwar können Präventiverwägungen bei der Gesetzgebung eine Rolle spielen und etwaige Abschreckungswirkungen sind willkommene Nebeneffekte. Aber es ist nicht mit dem Schuldprinzip zu vereinbaren, die konkrete Tatbestandserfüllung von solchen prognostischen Erwägungen abhängig zu machen841. Die Gefährlichkeit muss folglich auf die konkret erfolgte Einzeltat, auf deren besonders gefährliche Begehungsweise, bezogen sein842. 834 Roxin, FS Widmaier, 741 (743); Müssig, S. 301 f. und S. 306 f.; Jähnke, JURA 2004, 189 (193). Allgemein zur angeblich mangelnden Unwerterhöhung des Heimtückemerkmals gegenüber dem Totschlag siehe die Nachweise in Fn. 683. 835 Einen Überblick bietet MüKo/Schneider § 211 Rn. 16 ff.; ebenso mit weiterführenden Hinweisen Küpper, FS Kriele, 777 (781). 836 Siehe nochmals oben S. 41 ff. 837 Beispielsweise den spezialpräventiven Aspekt der Wiederholungsgefahr zieht Arzt, ZStW 1971, 1 (19) in Betracht; Rüping, JZ 1979, 617 (619) stellt auf die positive Generalprävention ab; ähnlich betont MüKo/Schneider § 211 Rn. 18, 101 die gesteigerte Sozialgefährlichkeit; Beckmann, GA 1981, 337 (355 ff.) schlägt eine Kombination von Strafe und Sicherungsverwahrung vor. 838 Arbeitskreis AE, GA 2008, 193 (223) und passim, dazu oben S. 189 ff. Inakzeptabel ist auch die von Beckmann, GA 1981, 337 (360) als Regelbeispiel vorgeschlagene Gemeingefährlichkeit. 839 Eser, JR 1981, 177 (179). 840 MüKo/Schneider § 211 Rn. 17; Arzt/Weber, § 2 Rn. 21. 841 Arzt/Weber, § 2 Rn. 21 f.; anderer Ansicht ist MüKo/Schneider § 211 Rn. 21 f., der jedoch praktische Schwierigkeiten zu bedenken gibt und deshalb präventive Gefährlichkeitsüberlegungen nur als „Orientierungsidee zur Erklärung der Mordmerkmale“ versteht. 842 Kett-Straub, JuS 2007, 515 (517 und dort Fn. 15 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).

IV. Der Kerngehalt der Heimtücke

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Darauf basierend wird die gesteigerte Gefährlichkeit häufig darin gesehen, dass die Erfolgssicherheit durch Effektivierung der Tathandlung durch den Täter erhöht werde843. Daran wird zum einen moniert, dass das Rechtsgut „Leben“ nur ganz oder gar nicht verletzt werden könne, und somit eine graduelle Steigerung der Gefährdung nicht möglich sei und zwar auch nicht im Hinblick auf die Ausführungsmodalitäten, denn diese spiegelten wie bei jedem Erfolgsdelikt lediglich den Unterschied zwischen Versuch und Vollendung wider844. In ähnliche Richtung weist die Argumentation, es gebe andere erfolgssichernde Begehungsweisen, die unter kein Mordmerkmal zu subsumieren seien, wie die Mitnahme einer Pistole; die Effektivitätssteigerung sei also nicht exklusiv der heimtückischen Tötung immanent845. Weiter wird an dem Erklärungsansatz der erhöhten Erfolgssicherheit kritisiert, dass unter dem Gesichtspunkt der Erfolgssicherheit eine Privilegierung von Affekttaten nicht zulässig wäre, weil Affekttaten durch ihre Unberechenbarkeit gerade besonders erfolgssicher und damit gefährlich seien846. Jene am Unrechtsgehalt orientierte Argumentation, dass bei jeder Tötung der Erfolgsunwert gleich ist, erinnert an das entsprechend Gesagte zur Verwerflichkeit und übersieht wie dort, dass sich das Unrecht nicht ausschließlich nach dem Erfolgsunrecht bemisst847. Schwerer wiegt der Einwand, die Effektivitätserhöhung sei auch bei Fällen des Totschlags anzutreffen. Man muss sich jedoch vergegenwärtigen, dass es zur gesetzgeberischen Prärogative gehört, bestimmte (vielleicht nur besonders häufig vorkommende) Fälle aufzulisten und es liegt in der Natur einer kasuistischen Vorgehensweise, nicht alle betreffenden Fälle zu erfassen. Wenn also Fälle aufgrund eines Umstandes im höchsten Maße strafwürdig sind, welcher auch die Heimtücke auszeichnet, sie der Heimtücke aber nicht unterfallen, ist dieser gesetzestechnisch bedingten Unzulänglichkeit de lege ferenda mit einer etwaigen Erweiterung beizukommen oder speziell beim heimtückeähnlichen Fall aufgrund ähnlicher Gefährlichkeit auf § 212 Abs. 2 StGB zurückzugreifen. Die Kritik, dass die Gefährlichkeit nur bei Gefährdungsdelikten oder bei versuchten Erfolgsdelikten ein sinnhaftes Kriterium sei, geht fehl. Selbstverständlich ist die Vollendung stärkste Form einer Gefährdung, ja übersteigt diese sogar. Trotzdem kann auch eine realisierte Gefahr unterschiedlich strafwürdig sein, je nachdem auf welche Motive oder Verhaltensweisen sie zurückzuführen ist. Die erhöhte Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Verletzung, also eine erhöhte Gefährlichkeit, kann dabei der Grund dafür sein, diese bestimmte Art der Erfolgsherbeiführung herauszugreifen und einer höheren Straf843

MüKo/Schneider § 211 Rn. 122. NK StGB II/Neumann § 211 Rn. 48; zur Untauglichkeit des Gefährdungsmerkmals bei vollendeten Erfolgsdelikten auch Veh, S. 142. 845 Beispielsweise Eser, 53. DJT, D 180; ähnlich auch Roxin, FS Widmaier, 741 (743). 846 Morris, S. 97. 847 Eser, 53. DJT, D 111; siehe dazu Müssig, S. 248 f. 844

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drohung zu unterstellen. Dass diese Strafdrohung dann auch jenseits des Gefährdungsstadiums greift, ist nicht zu beanstanden. Der Einwand, wonach eine Gefährdung nur bei konkreten Gefährdungsdelikten zu prüfen sei, dieses Durchgangsstadium bei Vollendungsdelikten aber irrelevant sei, vermengt folglich wiederum die Kategorien Tatbestandsmerkmal und ratio. Als ratio hat der Gefährdungsgedanke auch bei Vollendungsdelikten Sinn. Auch in Bezug auf die ratio von § 211 StGB halten es aber einige für verfehlt, auf die besondere Gefährlichkeit abzustellen, um dem Heimtückemord gegenüber dem Totschlag qualifiziertes Unrecht zu bescheinigen. Denn diese gefährlichere Vorgehensweise sei mitunter die Waffe des Schwachen, und das Bild vom Totschlag durch den „edlen Ritter“, der einen ihm ebenbürtigen Gegner offen herausfordert, entspreche nicht mehr dem Zeitgeist848. Es gebe sonst kaum noch einen Anwendungsbereich für den Totschlag, dürfe der Täter, um nicht heimtückisch zu handeln, das Opfer nicht hindern, sich zu verteidigen, zu fliehen, Hilfe herbeizurufen oder den Täter umzustimmen849. Diese eingängigen Bilder sind jedoch nur auf den ersten Blick überzeugend850: Zum einen spricht das Zahlenverhältnis von Mord und Totschlag faktisch gegen die Befürchtung, die durchschnittliche Tötung sei eine heimtückische851. Vor allem aber ist das Argument, dass körperlich dem Opfer unterlegene Täter „heimlich vorgehen müssen“ 852, eine zu pauschale und deshalb merkwürdig anmutende Solidarisierung mit dem Täter, denn zunächst einmal gilt das Tötungsverbot überhaupt. Soweit damit die Konstellationen gemeint sind, bei denen dem Täter tatsächlich Mitleid oder gar Sympathie entgegengebracht wird, ist es auch nicht die körperliche Unterlegenheit alleine, die dem Ergebnis Mord widerspricht. Eine entsprechende Einschätzung beruht vielmehr auf anderen oder ergänzenden Umständen, wie das Vorverhalten des Opfers. Aus dem Stärkeverhältnis zwischen Opfer und Täter folgen für das Heimtückemerkmal keine unmittelbaren Konsequenzen. Die grundsätzliche Aussage, dass die Tötung aus dem Verborgenen heraus gefährlicher ist, ist weder falsch noch überholt. Die Gefährlichkeit als grundsätzlich unrechtserhöhendes Merkmal zu betrachten steht auch nicht im Widerspruch zur der Privilegierungs848 Otto, JURA 1994, 141 (147); ähnlich bereits Otto, JR 1991, 382 ( 382); siehe zudem die Nachweise bei MüKo/Schneider § 211 Rn. 150. Interessanterweise war bis 1989 in der Schweiz in Art. 131 schwStGB der Zweikampf als Privilegierung ausgestaltet, wovon auch Sekundanten, Ärzte und andere Beteiligte profitierten. 849 Schaffstein, FS Mayer, 419 (425 f.); Niese, JZ 1953, 547 (549); Krey/Heinrich, BT I, § 1 Rn. 58. 850 Zu dem Argument der Funktionsloswerdung des Totschlags und zu den Gründen seiner Ablehnung Geilen, GS Schröder 235 (248, 258 f.). 851 Siehe beispielsweise im Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht, S. 74, der leider indifferent zwischen den einzelnen Mordmerkmalen ist. Ein deutliches Überwiegen des Totschlags gegenüber dem Mord insgesamt ist aber in allen ausgewiesenen Jahren erkennbar. 852 Krey/Heinrich, BT I, § 1 Rn. 58.

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fähigkeit von Affekttaten. Denn der Grund einer Privilegierung liegt nicht in einer geringeren Gefährlichkeit der Affekttat im Vergleich zu der ,normalen‘ Tötung, sondern in besonderen Umständen, die die Tat auslösen. Trotz eventuell vergleichbarer Gefährlichkeit kann eine andere rechtliche Beurteilung deshalb gerechtfertigt sein. Die Gefährlichkeit ist demnach wie die Verwerflichkeit ein Legitimationsgrund der Heimtücke. Gleichermaßen darf auch hier nicht der Fehler gemacht werden, von einer ratio, die sich naturgemäß an der Tendenz vieler Fälle orientiert, auf ein Tatbestandsmerkmal zu schließen. Die rückversichernde Frage, ob die gesetzgeberische Intention im Einzelfall erfüllt ist, darf selbstverständlich gestellt werden und falls sie verneint wird, kann dies auch zum Anlass genommen werden, nach einer dogmatisch abgesicherten, gerechten Lösung zu suchen.

4. Abschließende Stellungnahme Die Mordmerkmale und damit die Heimtücke sind als Ausprägungen verschiedener Strafschärfungsgründe zu verstehen. Das Fehlen eines allgemeinen „Leitprinzips“ wird kritisiert853. Es ist aber nicht einsichtig, weshalb es unbedingt einen universalen Grund für alle Mordmerkmale geben muss. Die Umstände, die eine vorsätzliche Tötung als Mord erscheinen lassen, sind derart vielschichtig, dass nicht von einem gemeinsamen kleinsten Nenner auszugehen ist, sondern die gesteigerte Gefährlichkeit wie die gesteigerte Verwerflichkeit in jeweils verschiedenen Facetten vorliegen854. Wichtig ist, dass Gründe der Tatbestandsberechtigung nicht als Tatbestandsmerkmale gehandhabt werden. Dadurch ist mancher Kritik die Grundlage entzogen. Verbleibender berechtigter Einwand gegen die Behandlung der Verwerflichkeit wie auch der Gefährlichkeit als maßgebliche Kriterien ist, dass nicht in allen Fällen, die formal mit der herkömmlichen Definition unter das Heimtückemerkmal zu subsumieren sind, die Legitimationsgründe der Strafschärfung wiederzuentdecken sind. Diese Fallgruppen sprechen aber nicht gegen die Legitimationsgründe oder gegen das Heimtückemerkmal überhaupt, sondern müssen auslegungstechnisch bewältigt werden. Für die umgekehrte Situation (also für den Fall, dass die Legitimationsgründe der Mordmerkmale zwar einschlägig sind, aber er gleichwohl nicht unter den Begriff eines entsprechenden Merkmals subsumiert werden kann) gilt, dass zum einen § 212 Abs. 2 StGB relevant wird und zum anderen, dass bei verallgemeinerungsfähigen Fallgruppen de lege ferenda 853 Neuerdings wieder vom Arbeitskreis AE, GA 2008, 193 (196 f.) kritisiert, freilich ohne einen überzeugenden Gegenvorschlag zu unterbreiten. 854 Wessels/Hettinger, BT I, § 2 Rn. 105; Otto, JURA 1994, 141 (143); Saliger, ZStW 109 (1997), 302 (306 Fn. 28 und 333 f.), der jedoch in der Überlegung noch ein drittes Leitprinzip sieht.

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ein weiteres Mordmerkmal zu befürworten wäre. Die Abschaffung eines geltenden Merkmals wird dadurch aber jedenfalls nicht indiziert. Für die Heimtücke ist nun festzuhalten, dass in ihr kumulativ die strafschärfenden Umstände erhöhter Gefährlichkeit und Verwerflichkeit zum Ausdruck kommen, dass also die Tötung unter verringerten Selbstschutzmöglichkeiten aufgrund der Arglosigkeit des Opfers erfolgt. Das meint aber nicht nur die Umgehung, Ausschaltung und damit den Entzug von Selbstschutzmöglichkeiten (individuelle Gefahrerhöhung innerhalb des opfereigenen Verteidigungsstandards), sondern auch die Tötung unter einem Umstand, der die Arglosigkeit festigt oder dessen Fehlen zu einer erhöhten Selbstschutzmöglichkeit führen würde (generelle Gefahrerhöhung in Relation zu konstitutionell nicht benachteiligten Opfern). Denn in beiden Fällen ist aufgrund des Ungleichgewichts der Handlungsmöglichkeiten und der deshalb gefährlicheren Handlung die Tötung nicht nur als solche strafwürdig, sondern verkörpert aufgrund des wegen dieses Ungleichgewichts „unfairen“ 855 Herbeiführens (Verwerflichkeitsaspekt) des Todes im Vergleich zum Totschlag gesteigertes Unrecht. Dass die bloße Wehrlosigkeit alternativ nicht ausreicht, ergibt sich dabei aus folgenden Überlegungen: Schon aufgrund der sprachlichen Assoziation des Wortes Heimtücke mit einem kognitiven Defizit des Opfers ist ein unterlegenes Opfer angesprochen, das in besonderer Weise unterlegen und wehrlos ist, nämlich aufgrund seiner Arglosigkeit (gleich aus welchen und wie lange anhaltenden Gründen das Wissensdefizit besteht). Ein solches Defizit liegt aber bei dem nur wehrlosen Opfer nicht vor. Dafür, dass dieses Defizit in der Definition des Heimtückemordes als die Tötung eines arg- und deshalb wehrlosen Opfers zum Ausdruck kommen sollte, spricht auch, dass anderenfalls die Tötung des ,normalen‘ nur wehrlosen Opfers, die man als Totschlag bewertet, nicht mehr trennscharf vom Heimtückemord zu unterscheiden wäre. Soweit man bei der Tötung eines lediglich wehrlosen Opfers entgegen dem herkömmlichen Sprachverständnis intuitiv einen Heimtückemord bejahen möchte, erklärt sich dies nicht allein durch die Wehrlosigkeit, sondern durch einen tatsächlichen Umstand im Vorfeld der Tat, der diese als höchststrafwürdig erscheinen lässt. So liegt es bei der Tötung eines in den Hinterhalt gelockten Opfers oder auch bei der Tötung des freiwillig gefesselten Opfers sowie bei dem gelähmten Opfer. Diese Wertungen sind der Sache nach Strafzumessungserwägungen und betreffen die Frage, ob ein Totschlag nach § 212 Abs. 2 StGB als besonders schwerer Fall aufzufassen ist, sollten aber nicht in den Heimtückebegriff gezwängt werden. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass Regelfälle des Totschlags dem Mordtatbestand zugeordnet werden, denn innerhalb der Opfergruppe der nur wehrlosen Opfer würde man schwerlich eine trennscharfe Differenzierung zwischen Totschlag und Mord finden. 855

tücke.

Dadurch charakterisiert beispielsweise auch Arzt, FS Roxin, 855 (860) die Heim-

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Legt man der Heimtücke demnach Gefährlichkeits- und Verwerflichkeitsaspekte als Strafschärfungsgründe zu Grunde, erklärt sich auch das Kausalitätserfordernis zwischen der Arglosigkeit und der Wehrlosigkeit. Denn das Opfer muss wie dargestellt in einer speziellen Art und Weise unterlegen sein.

V. Der zu bevorzugende Bezugsrahmen der Heimtücke: Die Ein-, Zwei- oder Dreistufigkeit der Tötungsdelikte – ein rechtsvergleichender Blick auf die Gestaltung der Tötungsdelikte Um das Heimtückemerkmal zu präzisieren, bietet sich weiter ein exemplarischer Blick auf andere Rechtsordnungen an. Grund für diesen kurzen Exkurs ist auch, dass bei den unterbreiteten Vorschlägen zur Erneuerung oder Ersetzung des Heimtückemerkmals und auch bei der Debatte um den Kerngedanken des Merkmals wiederholt die Richtigkeit oder Zweckmäßigkeit der geltenden Dreistufigkeit der Tötungsdelikte angezweifelt wurde856. Zum Teil weisen diese Vorschläge Parallelen zu ausländischen Systemen auf, so dass ein Blick auf diese schon praktizierten Konzepte ergiebig sein kann. Die folgenden kurzgehaltenen Ausführungen dienen ausdrücklich nicht der Bewertung eines fremden Rechtssystems, sondern es soll ausschließlich bewertet werden, ob eine Übertragung in das deutsche System zu empfehlen ist. Aus der Betrachtung der ausländischen Rechtsordnungen sowie der inländischen Vorschläge zur Reformierung der Tötungsdelikte sind zusammengefasst drei denkbare Modelle herauszukristallisieren857: Zunächst der Einheitstatbestand, dann ein zweistufiges Modell mit entweder einer Abstufung nach unten (privilegierungsausgerichtete Zweistufigkeit) oder nach oben (qualifikationsbezogene Zweistufigkeit) und letztlich ein dreistufiges Modell, wie es auch der jetzigen deutschen Fassung entspricht.

1. Die Dreistufigkeit in der Schweiz Es liegt nahe, das Schweizer System im Hinblick auf den Mordtatbestand zu betrachten, weil die deutsche Fassung auf einen Schweizer Entwurf zurückzuführen ist858. Mit dem Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötung, Art. 111 schwStGB, der Qualifikation Mord, Art. 112 schwStGB, und der Privilegierung 856 Hauptsächlich ist dies wie gesehen wegen der angeblich mangelnden Möglichkeit, das Tötungsunrecht in abgestuften Erscheinungsformen zu kategorisieren, erfolgt. 857 Zur Grundsatzdebatte Reizel, S. 71 ff.; Eser, 53. DJT, D 90 ff. 858 1941 wurde Art. 50 des schweizerischen Vorentwurfs von Carl Stooß ins deutsche Recht übernommen, der sich fast 50 Jahre zuvor in der Schweiz nicht durchsetzte. Siehe den Wortlaut und die Reaktionen in der Expertenkommission bei von Liszt, Vergleichende Darstellung V, S. 1 (56 ff.).

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

des Totschlags, Art. 113 schwStGB, besteht in der Schweiz zudem ebenfalls ein dreistufiges System der Tötungsdelikte. Die Bedeutung des Totschlags in der Schweiz unterscheidet sich allerdings von der des deutschen StGB, da der Totschlag in der Schweiz nicht das Grunddelikt, sondern eine Privilegierung darstellt. Der Mord ist nicht nach einem Enumerationsprinzip ausgestaltet. Seit 1989 ist die Mordhandlung in Art. 112 schwStGB als „besonders skrupellos“ definiert, erläutert durch den Nachsatz, „sind namentlich sein Beweggrund, der Zweck der Tat oder die Art der Tatausführung besonders verwerflich“. Damit sind Verwerflichkeits- und Gefährlichkeitsüberlegungen gleichermaßen festgeschrieben859, die Verwerflichkeit ausdrücklich, die Gefährlichkeit durch die Art der Tatausführung. Es liegt hier also eine Kombinationslösung vor, die nach dem Vorgesagten auch unserem System zu Grunde liegt. Die alternativen Sanktionen beim Mord, Lebenslänglich oder Freiheitsstrafe nicht unter 10 Jahren, sind für Deutschland sicherlich sehr empfehlenswert. Bemerkenswert ist Art. 48 schwStGB, wonach es als Strafmilderungsgrund unter anderem zu werten ist, wenn „der Täter durch das Verhalten der verletzten Person ernsthaft in Versuchung geführt worden ist“.

2. Der Einheitstatbestand in Dänemark Dänemark ist eines der wenigen Länder, das die Tötungsdelikte in einem Einheitstatbestand860 regelt, § 237 dänStGB. Auch wenn es einige Sondertatbestände gibt, wie die Tötung auf Verlangen, so sind Milderungsgründe allenfalls im Allgemeinen Teil geregelt, beispielsweise die Affekthandlung in § 85 dänStGB. Dementsprechend ist der Strafrahmen von 5 Jahren bis lebenslänglich sehr weit. Interessanterweise war in der dänischen Gesetzesgeschichte vor der jetzigen Fassung ebenfalls das Überlegungsmerkmal statuiert861. In Deutschland wurde im § 100 des Alternativentwurfs862 von 1970 ebenfalls ein Einheitstatbestand vorgeschlagen. Mordmerkmale waren als strafschärfende Regelbeispiele ausgeformt, ein heimtückeähnliches Merkmal war dabei nicht vorgesehen. Einen Einheitstatbestand mit Regelbeispielen und alternativ zeitiger oder lebenslanger Strafe forderte zuvor schon Horst Schröder863. 1980 verteidigte auch Gribbohm die Idee der „großen Lösung“ für die Tötungsdelikte im Sinne eines Einheitstatbestands mit verschiedenen Strafrahmen in Abhängigkeit von

859 Trechsel, Art. 112 Rn. 3; anderer Auffassung sind Arzt/Weber, § 2 Rn. 25, nur die Verwerflichkeit mache nach dieser Definition den Mord aus. 860 Siehe dazu Simson/Geerds, S. 11 ff. 861 Hierzu Reizel, S. 26. 862 Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches, Besonderer Teil, 1. Halbband, Tübingen 1970. 863 Schröder, Materialien, S. 283 (S. 285), Grund soll sein, dass eine tatbestandliche Differenzierung nach Abschaffung der Todesstrafe nicht mehr notwendig sei.

V. Der zu bevorzugende Bezugsrahmen der Heimtücke

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Regelbeispielen864. Begründung hierfür war, dass eine tatbestandliche Trennung den fließenden Übergängen bei der Bewertung der Lebenssachverhalte nicht entspreche und der Versuch, eine solche Trennung vorzunehmen, „zur juristischen Quadratur des Kreises“ führe865. Schon der Umstand, dass ein natürliches Bedürfnis besteht, innerhalb der Tötungsdelikte eine Abstufung vorzunehmen, weil „in der sozialen Einschätzung Tötung nicht gleich Tötung ist“ 866, spricht gegen eine solche Lösung867. Es widerstrebt beispielsweise dem Rechtsempfinden, denjenigen, der aus einer Laune heraus einen Holzklotz von einer Autobahnbrücke wirft mit demjenigen, der seinen Peiniger im Schlaf erschießt, gleichzusetzen. Deswegen wundert es nicht, dass weder der AE 1970 noch die dänische Gesetzgebung ein striktes Einheitsprinzip durchhalten, denn es werden jeweils auf Strafzumessungsebene Differenzierungspunkte herangezogen868. Die Einheitslösung mag auf den ersten Blick die Einfachheit ihrer Handhabung auf der Seite haben. Die Probleme sind indes damit nicht gelöst, sondern lediglich in den Strafzumessungsbereich verlagert869. Auch das für die Einheitslösung streitende Argument der angeblichen Aufwertung des Rechtsguts Leben870 überzeugt nicht. Wenn nämlich dann der Großteil der Tötungen im unteren Bereich des Strafrahmens eingeordnet wird oder gar eine Strafrahmenverschiebung über einen Milderungsgrund erfährt, entsteht ganz und gar nicht der Eindruck einer Aufwertung. Ein Urteil über die Leistungsfähigkeit des dänischen StGB kann und soll hier nicht getroffen werden. Es kann aber die Aussage getroffen werden, dass sich eine Transferierung ins deutsche Recht nicht empfiehlt.

3. Das zweistufige, privilegierungsausgerichtete Konstrukt in Österreich In Österreich ist der Mord, § 75 öStGB, keine Qualifikation, sondern erfasst zunächst jede vorsätzliche Tötung. Die §§ 76 ff. öStGB sehen Privilegierungen vor. Dabei ähnelt § 76 öStGB, der mit Totschlag überschrieben ist, nicht unserem § 212 StGB, sondern § 213 StGB. Der Strafrahmen für Mord ist flexibel, alterna864 Gribbohm, ZRP 1980, 222 (222 f., 255 ff.), siehe zudem Friedrich/Koch, JuS 1972, 457 (461 ff.). 865 Gribbohm, ZRP 1980, 222 (222 f.). 866 Eser, 53. DJT, D 94; Graf von Gleispach, Gürtner, S. 371 (S. 371). 867 Reizel, S. 74 f. allgemein zur Einheitslösung; ebenso MüKo/Schneider Vor 211 ff. Rn. 143. Anderer Auffassung sind Friedrich/Koch, JuS 1972, 457 (461 ff.). 868 Eser, 53. DJT, D 96. 869 Eser, 53. DJT, D 93. 870 Arzt, ZStW 83 (1971), 1 (12 f.), da die Mordmerkmale überschätzt würden und mit ihnen eine Geringschätzung des Rechtsguts Leben einhergehe. MüKo/Schneider Vor 211 ff. Rn. 141, 144 steht dieser „erstaunlichen These“ ablehnend gegenüber.

208

B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

tiv sind zeitige Strafe (10 bis 20 Jahre) oder Lebenslang vorgesehen. Bemerkenswert ist, dass in § 33 Nr. 6 öStGB die heimtückische Begehung als Erschwernisgrund der Strafzumessung für alle Delikte und nicht nur für den Mord normiert ist. § 41 Abs. 1 Nr. 1 öStGB ermöglicht umgekehrt eine außerordentliche Strafmilderung für Mord bei einem Überwiegen von Milderungsgründen. Damit weist das von Eser und auch der Professorengruppe des Alternativ-Entwurfs Leben von 2008 vorgeschlagene zweistufige, privilegierungsausgerichtete Konstrukt871 eine Nähe zu der österreichischen Konzeption auf. Für manch einen ist die europäische Tendenz dieser Zweistufigkeit Argument für eine Transferierung ins deutsche Recht872. Befürworter dieser Konstruktion argumentieren, dass diese einerseits der fehlenden Differenzierungsmöglichkeit der Einheitslösung entgegenwirke und andererseits die Abgrenzungsschwierigkeiten des dreistufigen Systems bewältige; außerdem werde das Rechtsgut Leben aufgewertet873. Genauer betrachtet sind dies aber bloße Scheinvorteile. Was die „Bewältigung“ der Abgrenzungsschwierigkeiten und Aufwertung des Rechtsguts betrifft, so gelten hier die gleichen Einwände, die schon gegen die Einheitslösung vorgebracht wurden. Denn de facto ist die Einheitslösung ein dem zweistufigen System angenähertes Konstrukt, da einzelfallbezogene Milderungen ebenfalls vorgesehen sind. Nicht nachvollziehbar ist ferner, weshalb es nur höchstverwerfliche oder privilegierungsfähige Tötungen, aber keinen „Durchschnittsfall“ einer Tötung geben soll874. Der Vorteil, auf tatbestandliche Mordmerkmale zu verzichten, um dem Einzelfall gerecht zu werden, ist nur ein scheinbarer, denn die Abgrenzungsprobleme verlagern sich lediglich, da bei § 33 öStGB letztlich die gleichen Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen wie unter der deutschen Fassung875.

4. Zusammenfassende Bewertung und Präferenz des vorzugswürdigen Systems der Tötungsdelikte für Deutschland Die vorliegende Arbeit hat zwar allein das Heimtückemerkmal zum Thema. Ein Mordmerkmal ist aber nicht völlig isoliert, sondern auch in seiner deliktssystematischen Einbettung zu begreifen, so dass die Frage einer sinnvollen Systema-

871 Eser, 53. DJT, D 106 ff.; Arbeitskreis AE, GA 2008,193 (198, 200 f., 204, 218 ff.). 872 Reizel, S. 79, 83. Auch für Vöhringer, S. 280, 293 hat sich das österreichische Konzept bewährt und sei für Deutschland interessant, vergleiche ihren Vorschlag de lege ferenda, Vöhringer, S. 302; ebenso Grünewald, S. 368 ff. 873 Reizel, S. 81 ff. 874 MüKo/Schneider Vor 211 ff. Rn. 143 Fn. 501, bezogen auf Eser, 53. DJT, D 97 ff. 875 Fahlbusch, S. 337.

V. Der zu bevorzugende Bezugsrahmen der Heimtücke

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tik der Tötungsdelikte de lege ferenda nicht gänzlich beiseitegeschoben werden kann. Auf die Systemfrage wird jedoch vergleichsweise knapp eingegangen, weil diese Vorentscheidung des konzeptionellen Bezugspunkts eines Mordmerkmals lediglich Rahmenbedingung für das Mordmerkmal ist. Dass mit einer Einheitslösung wie in Dänemark für Deutschland nichts gewonnen wäre, da sie wie gezeigt nur zu einer Problemverlagerung führen würde und obendrein dem Verständnis der Bevölkerung widerspricht, kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass sie hierzulande kaum gefordert wird876. Bei den zweistufigen Konzepten ist für den Fall der privilegierungsbezogenen Variante insgesamt auf die vorgebrachten Kritikpunkte gegen den Vorschlag Müssigs und den AE-Leben zu verweisen. Ein großer Schwachpunkt der zweistufigen, privilegierungsbezogenen Konzeption ist, dass es dem jetzigen Verurteilungsbild diametral entgegensteht, wenn jede Tötung zunächst einmal als höchststrafwürdige eingestuft wird – womit wohlgemerkt nicht etwa zum Ausdruck gebracht werden soll, dass das Leben nicht das höchste Gut sei. Umgekehrt geht mit der zweistufigen, privilegierungsbezogenen Konstruktion nicht wie behauptet eine Aufwertung des Rechtsguts Leben einher. Auch das damit zusammenhängende Argument, eine „Durchschnittstötung“, wie sie von einer dreistufigen Systematik suggeriert werde, gebe es nicht877, ist nicht überzeugend. Es werden hierbei zwei Dinge vermengt: Der dogmatische Ausgangspunkt der Fallprüfung, der Grundtatbestand, sowie der Regelfall der Verurteilung ist bei der derzeitigen Gesetzeslage tatsächlich der Totschlag. Das ist die eine Seite, bei der man ohne negativen Beigeschmack von einer (juristisch gemeinten) Normal- oder Durchschnittstötung sprechen kann. Die andere Sache ist die soziale Perspektive, wonach natürlich jedes gewaltsame Ende eines Menschenlebens gleichermaßen zu beklagen ist und sich dies der Einordnung in einen Durchschnitt entzieht. Man sollte das eine nicht mit dem anderen verknüpfen und schon gar nicht daraus ein Argument für eine dogmatische Neuerung ziehen. Bedenklich ist das privilegierungsausgerichtete zweistufige Konzept auch insofern, als sich die Begründungsrichtung verschiebt. Denn wird in einem dreistufigen oder in einem zweistufigen, qualifikationsbezogenen Konzept, das die Höchststrafe mit sich bringende Element begründet, so muss in dem zweistufigen privilegierungsausgerichteten System der Mangel an Höchststrafwürdigkeit belegt werden. Hierzu mögen die Befürworter dieser Lösung sagen, dass dies Ausdruck des angeblich verstärkten Rechtsgüterschutzes ist. Eher zu befürchten wäre, dass überproportional häufig Milderungsgründe zuerkannt würden, denn nur weil sich die Systematik ändert, steht nicht zu erwarten, dass ein extrem hö876 Eine der wenigen Autorinnen aus neuerer Zeit, die dies andenken, ist Grasberger, MschKrim 82 (1999), 147 (159). 877 Reizel, S. 83; Eser, 53. DJT, D 97 ff.; abermals dagegen MüKo/Schneider Vor 211 ff. Rn. 143 Fn. 501.

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B. Die Analyse der Leistungsfähigkeit

herer Prozentsatz der Tötungsdelikte im Vergleich zur jetzigen Verteilungslage mit der höchsten Strafe abgeurteilt würde. Soweit ersichtlich, wird eine zweistufige, qualifikationsausgerichtete Systematik in der rechtspolitischen Diskussion im Inland nirgends ernsthaft in Betracht gezogen, was auch gut so ist. Nach alledem ist eine dreistufige Konzeption mit tatbestandlichen Mordmerkmalen weiterhin zu befürworten. Allerdings sollte der Strafrahmen aus den bekannten Gründen im Sinne eines Nebeneinanders einer zeitigen und lebenslangen Freiheitsstrafe flexibilisiert werden. Trotzdem wäre es dann noch immer wichtig, das Vorliegen von Mordmerkmalen auf Tatbestandsebene präzise bejahen oder verneinen zu können.

VI. Hauptergebnisse der Bestandsanalyse und Gang der weiteren Untersuchung An der Grunddefinition der Heimtücke als das bewusste Ausnutzen eines argund deshalb wehrlosen Opfers wird im Wesentlichen festgehalten. Lediglich das Ausnutzungsbewusstsein erscheint entbehrlich. Somit lautet die Ausgangsbasis des Heimtückebegriffs, dass heimtückisch handelt, wer vorsätzlich ein arg- und deshalb wehrloses Opfer tötet. Grund für das Beibehalten des Passus ist die Tauglichkeit der Formel für den Großteil der Fälle. Trotzdem hat die genaue Betrachtung der Grunddefinition erwartungsgemäß zahlreiche Schwächen freigelegt, welche den Maßstab bilden, an dem sich die hier zu entwickelnde Definition am Ende messen muss. Keiner der Einschränkungsversuche oder Ersetzungsvorschläge zur Heimtücke konnte überzeugen. Daher bleibt am vielversprechendsten für die Entwicklung einer Modifikation, die möglichst alle Problemfälle der Grunddefinition sachgerecht erfasst, immer noch der normative Ansatz der Arglosigkeit in der Form, dass arglos ist, wer sich tatsächlich keines Angriffs versieht und auch nicht versehen muss. Dass die Rechtsordnung dem Opfer aber überhaupt abverlangen kann, einen Angriff erwarten zu müssen, ist erst zu belegen; ebenso sind die genauen Voraussetzungen und der Umfang an eine solche Erwartungshaltung zu präzisieren. Damit liegt der Schwerpunkt im Fortgang der Untersuchung zunächst darin, die der Erpresser- oder Tyrannen-Fallkonstellation zu Grunde liegende Besonderheit eines Solidarisierungsbedürfnis gegenüber dem Täter, dem man das rechtswidrige Vortatverhalten seines Opfers zu Gute hält, dogmatisch zu erfassen. Um einen rechtlichen Lösungsweg zu einem Ergebnis, das diesem Solidarisierungsgefühl entspricht, zu entwickeln, wird zunächst geklärt, was die bislang erfolgversprechendste Methode der normativen Auslegung überhaupt bedeutet. Anschlie-

VI. Hauptergebnisse der Bestandsanalyse

211

ßend ist zu analysieren, inwieweit Opferverhalten bei anderen Strafbarkeitsvoraussetzungen aus dem Allgemeinen Teil oder bei anderen Tatbeständen täterentlastend berücksichtigt wird. Danach ist zu klären, ob und auf welchem rechtstechnischen Weg mit diesen Erkenntnissen das vortatliche Opferverhalten in den Fällen der Erpresser- oder Tyrannen-Tötung zu berücksichtigen ist. Außerdem sind die Anforderungen an das Opferverhalten herauszustellen, damit dieses bei der Bewertung der Tat des Täters relevant wird. Abschließend wird die Verallgemeinerungsfähigkeit der normativen Definition an den übrigen Problemfällen der herkömmlichen Heimtückedefinition zu demonstrieren sein.

C. Die Begründung des eigenen Ansatzes: Die normative Auslegung der Heimtücke Im Folgenden wird zunächst erläutert, was es bedeutet, einen Begriff normativ auszulegen. Im Anschluss daran wird den verschiedenen rechtstechnischen Möglichkeiten einer Berücksichtigung vortatlichen Geschehens losgelöst von der Heimtücke nachgegangen. Hierbei wird zunächst auf die allgemeine Debatte eingegangen, ob das Opferverhalten innerhalb des Deliktsaufbaus schon tatbestandlich oder erst strafzumessungsrechtlich Beachtung finden sollte. Sodann werden Möglichkeiten untersucht, das Opferverhalten im Rahmen von Vorschriften oder Rechtsfiguren des Allgemeinen Teils des StGB zu berücksichtigen. Anschließend wird untersucht, wie in anderen Delikten des Besonderen Teils das Opferverhalten Berücksichtigung findet. Sodann wird in überprüft, ob gegen die Beachtung des Opferverhaltens im Vorfeld der Tat bei der Auslegung eines Tatbestandsmerkmals grundsätzliche Einwände Bestand haben, weil eine solche Auslegung mit allgemeinen Grundsätzen der Strafrechtsordnung unvereinbar wäre. Nach Widerlegung dieser Einwände können die Voraussetzungen konkretisiert werden, unter denen das vortatliche Opferverhalten bei der Bestimmung der Heimtücke relevant ist.

I. Die normative Auslegung Bei der Besprechung des Erpresser-Falls ist ein normtheoretisches Argument aufgefallen, dem es losgelöst von dem konkreten Fall nachzugehen lohnt. Gemeint ist die Behauptung der angeblich von vornherein ausgeschlossenen Möglichkeit der Normativierung bestimmter (oder nach noch weitergehender Ansicht sogar aller) Begriffe, wozu angeblich die Heimtücke zählen soll1. Wie gesagt lässt sich mit dem Argument der begrifflichen Struktur jedoch auch das Gegenteil vertreten, wenn man den Standpunkt teilt, dass bestimmte (oder um abermals eine extreme Position zu nennen: alle) Begriffe Wertungen der Rechtsgemeinschaft gegenüber offenstehen. Will man die Struktur eines Rechtsbegriffs für dessen Auslegung fruchtbar machen, muss also zunächst nachvollzogen werden, welcher Begriffsstruktur er überhaupt zuzuordnen ist.

1 Siehe abermals Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (475) und BGH NStZ 2005, 688 (Leitsatz): „Arg- und Wehrlosigkeit sind faktische, aber keine normativen Begriffe“.

I. Die normative Auslegung

213

1. Normative und/oder deskriptive Natur von Rechtsbegriffen als allgemeine Strukturfrage Die Einführung der normativen Tatbestandsmerkmale in den strafrechtlichen Diskurs zu Anfang des 20. Jahrhunderts ist Max Ernst Mayer zu verdanken. Dieser lag mit einer solchen Neuerung ganz auf der Linie seiner Zeit, in der die Durchbrechung des klassischen wertfreien und rein objektiven Tatbestandes, wie ihn Beling kreiert hatte2, vollzogen wurde. Mayer wollte das bis dahin vorherrschende Verständnis des wertfreien Tatbestandes allerdings möglichst wenig antasten und die normativen Tatbestandsmerkmale als immer noch rein objektive Merkmale verstanden wissen, welche die Rechtswidrigkeit nicht bloß anzeigen, sondern konstituieren sollten; er teilte sie in „unechte Tatbestandselemente“ und „echte Rechtswidrigkeitselemente“ ein3. Mezger führte diese Entwicklung einen Schritt weiter vom Beling’schen Konstrukt fort, indem er den Tatbestand als Ausdruck des Urteils „darüber, daß die ihm unterfallende Handlung bis auf weiteres unrecht ist“ verstand und eine Hinwendung zur Anerkennung subjektiver Tatbestandsmerkmale voranbrachte4. Der Umformungsprozess des Tatbestandsbegriffs gipfelte darin, sämtliche Rechtsbegriffe als normative zu bezeichnen5. Die Bewegung, die sich gegen eine normative Dogmatik wendet, erklärt sich aus dem Gedankengut der Aufklärung und des Liberalismus und hat den Rechtsanwender als reinen „Automaten“ vor Augen, der einen „rein rationalen, logischen“ Schluss subsumiert6. Letztlich hat sich eine vermittelnde Ansicht entwickelt, nach der jeder Rechtsbegriff teilweise deskriptiv und teilweise normativ ist und das Verhältnis dieser beiden Anteile variiert7. So verstanden sind die Bezeichnungen ,deskriptiv‘ und ,normativ‘ mehr eine Beschreibung des jeweiligen Übergewichts denn ein Gegensatz8. Einleuchtend ist, dass jede Wertung ihren 2

Beling, S. 147, 206 ff. M. E. Mayer, AT, S. 182 ff. erkannte subjektive Elemente außerhalb der Schuld jedoch auf Ebene der Rechtswidrigkeit an (S. 185); hierzu und auch zur weiteren Entwicklung Kunert, S. 28 ff.; Engisch, FS Mezger, 127 ff.; E. Wolf, Reichsgerichtsfestgabe V, 44 (44 ff., 54 ff.). 4 Mezger, FS Traeger, 187 (195, 206 ff.). 5 E. Wolf, S. 11 und 59; ders., Reichsgerichtsfestgabe V, 44 (46 und zusammenfassend 56); zu den begriffsgeschichtlichen Wurzeln des strafrechtlichen Normativismus siehe Schroeder, JZ 2011, 187 (188). 6 Seel, S. 18 ff. zum Gesetzespositivismus und dessen Unvereinbarkeit mit jedwedem Normativismus; zum Bild des „Subsumtionsautomaten“ Seel, S. 19, 32 f.; Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (528) zur These, dass alle Tatbestandsbegriffe deskriptiv seien. 7 Roxin, AT I, S. 309; Warda, JURA 1979, 71 (80) mit weiteren Literaturnachweisen; Grünhut, S. 8; Engisch, FS Mezger, 127 (138 f.); Küpper, S. 119 f. mit weiteren Nachweisen. 8 Zu der Unterscheidung der beiden Kategorien je nach Größe des unbestimmten Begriffshofs beziehungsweise des bestimmten Begriffskerns siehe Seel, S. 6 f. mit weiteren Nachweisen in Fn. 13. 3

214

C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

Anknüpfungspunkt oder Gegenstand der Betrachtung im Ontischen hat9. Jeder sinnvolle Diskurs über eine Wertungsfrage braucht als Basis eine beschreibbare Seinslage, die für alle Disputteilnehmer möglichst gleich ist. Hinsichtlich der Struktur von Rechtsbegriffen ist auch deshalb schwer eine Einigung zu erzielen, weil man sich schon uneins darüber ist, was unter deskriptiven beziehungsweise normativen Merkmalen zu verstehen ist10. Üblicherweise wird danach gefragt, ob ein Begriff „sinnlich wahrnehmbar“ und somit deskriptiv oder „lediglich geistig verstehbar“ und daher normativ ist11. Auf eine Kurzformel gebracht, geht es um „den Gegensatz zwischen Erkennen und Werten“ 12. Ähnlich formuliert wird: „,Deskriptive‘ Tatbestandsmerkmale betreffen Umstände, deren Vorliegen auf Grund sinnlicher Wahrnehmung ohne einen längeren Denkprozeß festgestellt werden kann. Alle anderen Merkmale sind ,normativer‘ Art.“ 13 Normativ wird dabei häufig mit „wertausfüllungsbedürftig“ erläutert14. „Werten“ wird nicht unbedingt als eine „emotional-irrationale Stellungnahme“, sondern auch als das unter Umständen zeitaufwendige „Erkennen von Sinnzusammenhängen“ verstanden15. Auch wird auf den methodischen Aspekt verwiesen, Begriffe durch ihre Funktion innerhalb des strafrechtlichen Regelungszusammenhangs zu verstehen16. Man soll also danach kategorisieren können, ob eine Eigenschaft dem Gegenstand der Betrachtung selbst anhaftet, mithin an diesem beobachtbar ist, oder mittelbar über den Kontext erschlossen werden muss17. Das führt dazu, dass teils anhand der Erfassungstätigkeit des Richters differenziert wird18. So werde von diesem bei deskriptiven Tatbestandsmerkmalen eine „lediglich kognitive Tätigkeit verlangt“ während die Erfassung von normativen Merkmalen „von ihm darüber hinaus eine normativ-wertende Tätigkeit“ fordere19.

9

Puppe, GA 1994, 297 (307 f.). Siehe die Zusammentragung der verschiedenen Umschreibungsversuche bei Küpper, S. 117 ff. oder Seel, S. 7 ff. 11 Welzel, JZ 1953, 119 (120); Warda, JURA 1979, 71 (79); dagegen Kindhäuser, JURA 1984, 465 (465 f., 474). 12 Bruns, S. 316. 13 Kunert, Einleitung. 14 Lenckner, JuS 1968, 249 (249 f. siehe dort auch Fn. 7); E. Wolf, Reichsgerichtsfestgabe V, 44 (55); Krüger, ZStW 54 (1935), 591 (639). 15 Kunert, S. 36 ff. 16 Neumann, ZStW 99 (1987), 567 (568 ff.). 17 In dieser Richtung differenziert schon früh Grünhut, S. 5 f., der „faktische Tatbestandsmerkmale“, die Erkennbares am Gegenstand der Betrachtung beschreiben, den „Denkgebilden der positiven Normenordnung“ gegenübergestellt sieht. 18 Beispielsweise Grünhut, S. 20 und Bruns, S. 314 ff. 19 Mezger, FS, 187 ff. (217 f.); ebenso Bruns, S. 314, 316 f.; teils wird die kognitive Tätigkeit jedoch als mit normativen Merkmalen korrelierend betrachtet, so Warda, JURA 1979, 71 (80). 10

I. Die normative Auslegung

215

Der Begriff ,normativ‘ wird bisweilen auch im Sinne von Normsetzung gebraucht. Durch die Einstellung eines Begriffs in ein gesetzliches Regelwerk werden Relationen des Begriffs zu dem Regelwerk hergestellt, ein Begriff wird zum Rechtsbegriff20. Das ist nicht anzugreifen. Zu bezweifeln ist aber, dass sich hierin die Bedeutung von Normativität erschöpft und schon deshalb wirklich jedes Tatbestandsmerkmal als normativ zu bezeichnen ist. Die Annahme umfassender Normativität wird daneben auch erkenntnistheoretisch damit begründet, dass jede Verständigung oder Vorstellung über einen Gegenstand subjektiv und somit normativ sei21. Dazu ist folgendes zu bemerken: Der Einwand, wonach es keine echte Objektivität gibt, trifft den Kern des Problems nicht. ,Werten‘ meint nämlich nicht nur die Wahrnehmungsperspektive. Es meint vielmehr zum einen auch die abstrakte Zuordnung nur einer Bedeutung des (notgedrungen perspektivisch) Vorgestellten aus diversen Bedeutungsmöglichkeiten zu dem zu definierenden Begriff22. Diese Zuordnung ist möglichst so zu kommunizieren, dass sich die Vorstellungen darüber decken. Zum anderen ist auch die konkrete Entscheidung, ob das (ebenfalls notgedrungen perspektivisch) Wahrgenommene hierunter fällt, ein normativer Akt. Grünhut wendet sich so gesehen zu Recht gegen die These, dass wegen der Aufnahme eines Merkmals in den gesetzlichen Tatbestand alle Tatbestandsmerkmale normative seien: Ein derartiger Gesetzespositivismus übersehe die „Verschiedenheit der logischen Struktur juristischer Begriffe“ 23. Drastischer bestreitet Krüger den Zusammenhang von Normsetzung und normativen Tatbestandsmerkmalen24: Der Weg vom allgemeinen Gesetz zum besonderen Fall über die Subsumtionsarbeit des Richters beinhalte kein wertendes Element, sondern stelle ein rein kognitives Vorgehen dar25. Demzufolge wären alle Tatbestandsmerkmale deskriptiv. Festzuhalten bleibt, dass für die Differenzierung zwischen normativen und deskriptiven Merkmalen der Umfang des Konsenses über 20 E. Wolf, S. 59; ders., Reichsgerichtsfestgabe V, 44 (46, 55 f.); siehe hierzu auch Küpper, S. 120 und MüKo/Freund Vor § 13 ff. Rn. 15 f. 21 E. Wolf, S. 11; für Kunert, S. 13 hingegen besteht diese Subjektabhängigkeit nur bei normativen Begriffen, denn diese sollen einen „realen Tatsachenleib“ und „einen vom jeweiligen Betrachter darauf gesetzten Begriffskopf“ haben. 22 Natürlich ist die Vorstellung über Gegenstände nie unabhängig vom Beobachter – deshalb greift dieser aber nicht in die Existenz des Gegenstandes ein, Gössel, FS Miyazawa, 317 (320 ff.); ders., FS Küper, 83 (83 ff.). Bei der Rechtsetzung kann zwar die maßgebliche Vorstellung festgesetzt werden, aber ontische Vorgegebenheiten sind dabei äußerste Grenze des Begriffsverständnisses, Gössel, FS Miyazawa, 317 (330). Zur Relativität der Sprache auch Altpeter, S. 12 ff. 23 Grünhut, S. 20. 24 Krüger, ZStW 54 (1935), 591 (602 ff.). Vielmehr seien sogar ursprünglich normative Begriffe durch das Gesetz „in ihre ursprüngliche deskriptiv-naturalistische Natur zurückverwandelt“, Krüger, ZStW 54 (1935), 591 (603 und 623). 25 Krüger, ZStW 54 (1935), 591 (604 ff., 623). Sogar das sonst als Paradebeispiel für ein normatives Merkmal dienende Merkmal „fremd“ sei nicht normativ, denn in Zweifelsfällen nehme der Richter eine „Tatsachenschätzung“ und keine „Rechtswertung“ vor, Krüger, ZStW 54 (1935), 591 (638).

216

C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

den abstrakten Bedeutungsinhalt eines Wortes (bei der Annahme eines automatisch zu vollziehenden Rechts wie auch bei dem Kriterium der Wertausfüllungsbedürftigkeit) maßgeblich ist26. Die Auswirkungen eines normativierenden Begriffsverständnisses werden durchaus ambivalent gesehen: „Die Normativierung strafrechtsdogmatischer Begriffe führt zu einer Erweiterung strafrechtlicher Argumentationsmöglichkeiten, allerdings auf Kosten der Stärke der Argumentation. [. . .] Normative Begriffe schaffen Raum [. . .] für angemessene strafrechtsdogmatisch[e] Regeln, aber sie füllen diesen Raum nicht aus.“ 27 Diese Beschreibung suggeriert einen Mangel. Tatsächlich wird aber nur eine strukturelle Eigenschaft wiedergeben. Der normative Teil eines Begriff kann die Kriterien dieser Bestimmung gar nicht in sich selbst tragen. Tiefer trifft hingegen der Vorwurf der Unbestimmtheit und Willkür: „Die Steigerung der Lösungskapazität strafrechtsdogmatischer Begriffe, die aus deren Normativierung resultiert, hat freilich ihren Preis. Auf normativ gebildeten Begriffen lastet die Hypothek ihrer künstlichen Zeugung; als Zweckkonstruktion sehen sie sich dem Vorwurf ausgesetzt, daß sich mit ihrer Hilfe alles und nichts begründen lasse.“ 28 Soweit in diesem Kontext normativ mit subjektiv gleichgesetzt wird, spielt dies neben der oben beschriebenen allgemeinen Subjektabhängigkeit der Wahrnehmung oder Vorstellung häufig auf die richterliche Ermessensausübung bei der Bestimmung eines Begriffes an29. Die Methode der Rechtsfindung mittels freien richterlichen Ermessens30 wird abgelehnt, weil der Richterspruch dann nicht einer „Erkenntnis“, sondern einem „Bekenntnis“ gleichkäme31. Jedoch ist derartige Kritik oftmals auf ein falsches Verständnis des Ermessensbegriffs zurückzuführen. Freies Ermessen ist keineswegs gleichbedeutend mit der Befugnis, nach eigenem Gutdünken ohne objektive Maßstäbe zu 26 Den Aspekt des Konsenses rückt auch Kindhäuser, JURA 1984, 465 (471) in den Vordergrund: Der Unterschied zwischen einem Seins-Urteil und Geltungs-Urteil sei im Schwierigkeitsgrad der Erzielung einer Einigung über die maßgeblichen Kriterien der Urteilsfindung zu erblicken. 27 Neumann, ZStW 99 (1987), 567 (573). 28 Neumann, ZStW 99 (1987), 567 (587). 29 Kunert, S. 53; in diese Richtung E. Wolf, Reichsgerichtsfestgabe V, 44 (55); Seel, S. 11 f. Fn. 33; zu anderen Assoziationen wie der Täterbezogenheit Mezger, FS Traeger, 187 ff. (197 ff., 222), der auch ausführt, dass subjektiv-psychische Vorgänge deskriptive Merkmale sein können. 30 Bereits die Verknüpfung von Ermessen und normativen Tatbestandsmerkmalen ist schief. Die terminologische Verortung des Ermessensbegriffs auf Rechtsfolgenseite im Unterschied zum unbestimmten Rechtsbegriff auf Tatbestandsebene sei an dieser Stelle aber vernachlässigt. Gemeint ist in diesem Kontext, dass bei wertoffenen Strafbarkeitsvoraussetzungen eine Wertentscheidung durch den Rechtsanwender getroffen werden muss, es aber nur eine richtige Entscheidung gibt. Zum unterschiedlichen Gebrauch des Wortes Ermessen im Strafrecht, vor allem im Vergleich zum Öffentlichen Recht siehe Seel, S. 10 ff. 31 Kunert, S. 36; verhaltener für die Fälle einer uneinheitlichen Werteauffassung der Rechtsordnung Lenckner, JuS 1968, 249 (251 f.).

I. Die normative Auslegung

217

entscheiden32. Auch verstärkt wertoffene Begriffe unterliegen Regeln, die gewährleisten, dass das Ergebnis ohne Willkür erzielt wird, und umgekehrt wohnen auch den angeblich rein deskriptiven Merkmalen Unsicherheiten inne, man denke an das Merkmal „Mensch“ 33. Letztlich ist jedes Wort ein Code, der entschlüsselt werden muss und hierbei hat jeder Mensch Assoziationen, die niemals identisch mit den Assoziationen anderer sind34. Insofern ist die Charakterisierung normativer Merkmale als unbestimmt und der Willkür offenstehend eine zu oberflächlich und eindimensional geratene Pauschalisierung. Den misslichen Ausdruck des freien Ermessens ins richtige Licht gerückt, verbleibt gleichwohl ein Rest an Entscheidungsspielraum. Normativierungsbestrebungen wird deshalb angekreidet, per se „Unklarheiten“ zu erzeugen, „Erosionserscheinungen“ der Begriffsschärfe zu verursachen und sich ins „Spekulative [zu] verflüchtigen“ 35. Dem Vorwurf der Unbestimmtheit normativer Rechtsbegriffe wird die an sich selbstverständliche Erkenntnis entgegengehalten, dass jedem Rechtsbegriff ein gewisses Maß an Unbestimmtheit innewohnt. Diese Eigenschaft der Geisteswissenschaft, keine absolute Trennschärfe zu bieten, ermöglicht es, übersehene oder neu entstandene Konstellationen im vorhandenen System zu verorten und gewährleistet eine ständige Überprüfung des Systems36. Natürlich sind Friktionen dadurch vorprogrammiert, dass jede Subsumtion die Beantwortung einer Ja-Nein-Frage ist, zu der die nicht immer eindeutig in zwei Kategorien einteilbaren Lebensvorgänge nicht passen37. Schlussendlich kann eine konkrete Form der Normativierung dem Vorwurf der Unbestimmtheit mit Recht ausgesetzt sein. Deswegen ist aber nicht jede Form wertender Begriffsauslegung abzulehnen. Nach alledem bleibt klarzustellen, welche Struktur Rechtsbegriffen in dieser Arbeit zugrunde gelegt wird. Mit deskriptiven und normativen Merkmalen ist nach hier vertretener Ansicht nur ein Übergewicht des jeweiligen Anteils in der 32

Lenckner, JuS 1968, 249 (250) bildet hierfür den Begriff „persönliches Ermessen“. Kunert, S. 38 f.; Bruns, S. 324; die „normative Objektivierungstendenz“ richterlicher Arbeit bei wertungsbedürftigen Begriffen betont schon Mezger, FS Traeger, 187 ff. (217); von „Deskriptivierung“ normativer Merkmale spricht E. Wolf, S. 60; ausführlich zum Merkmal „Mensch“ Küpper, S. 120 ff. 34 Zippelius, Methodenlehre, S. 21 ff., 46. 35 Küpper, passim und insbesondere S. 196 ff. Soweit das Bestimmtheitsgebot gegen eine Begriffsausformung durch Literatur oder Rechtsprechung ins Feld geführt wird, wird hieran teils kritisiert, dass das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG nur an den Gesetzgeber gerichtet sei und der Richter und die Literatur nicht unmittelbar dagegen verstoßen können. Dass eine Begriffskonkretisierung durch Literatur und Rechtsprechung nicht freigestellt von rechtsstaatlichen Vorgaben sein kann, ist jedoch selbstverständlich. BVerfG NJW 1995, 1141 (1141 mit weiteren Nachweisen) sieht in Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der der rechtsprechenden und vollziehenden Gewalt verwehre, über die Voraussetzungen einer Bestrafung selbst zu entscheiden. 36 Schünemann, Grundfragen, 1 (6 ff.); ähnlich Lenckner, JuS 1968, 249 (255). 37 Radbruch, Internationale Zeitschrift für Theorie des Rechts 1938, 46 (46). 33

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

Struktur des betreffenden Begriffs gemeint, es finden sich aber beide Elemente in jedem Begriff 38. Die Konsensfähigkeit in Bezug auf die Subsumierbarkeit eines Falles unter einen Rechtsbegriff ist dabei als Indiz für das jeweilige Übergewicht geeignet. Für den normativen Teil eines Begriffs müssen nachvollziehbare, objektivierbare Kriterien im Sinne der Betrachterunabhängigkeit gefunden werden. Dies ist keinesfalls Arbeit an zweitklassigen Begriffen. Normativierung ist keine Notlösung bei gescheiterter exakter juristischer Definitionsbildung, sondern sie führt bei richtiger Handhabung zu genauso nachvollziehbaren, vernunftgemäßen und in diesem Sinn exakten Ergebnissen. Kurz gefasst ist ein normatives Merkmal ein Merkmal, das in erhöhtem Maße verschiedenen Konkretisierungen zugänglich ist und Normativierung ist der Entwicklungsprozess der maßgeblichen Konkretisierung.

2. Speziell die Zugänglichkeit der Heimtücke für wertende Aspekte Nach dem vorstehend Gesagten liegt es auf der Hand, dass für die Frage nach der Normativierbarkeit des Heimtückemerkmals eine relative Antwort gesucht ist, ob also die Zugänglichkeit des Begriffs für wertende Aspekte gering oder beträchtlich groß ist. Dass die Definition stark umstritten ist, ist dabei erstes Indiz für einen hohen Grad an Einflussnahmemöglichkeit normativer Aspekte. Bereits in der Grundsatzentscheidung zur Rechtsfolgenlösung wurde ausgesprochen, dass die Heimtücke ein normatives Tatbestandsmerkmal ist39. Vor allem fiel bei der Betrachtung der gängigen Definition des Heimtückemerkmals, heimtückisch handelt, wer die auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit bewusst ausnutzt, auf, dass an allen Definitionsteilen Bedarf an wertender Entscheidung besteht. Zur Erinnerung seien die folgenden Beispiele genannt: Setzt die Arglosigkeit die grundsätzliche Fähigkeit zum Argwohnhegen voraus? Kommt es für die Frage der Wehrfähigkeit nur auf die Person des Opfers an oder können Dritte miteinbezogen werden? Kann man die tatsächlich bestehende Arglosigkeit unter wertenden Aspekten rechtlich verneinen? Damit ist die Heimtücke als überwiegend normatives Merkmal eingeordnet. Im Folgenden ist die normative Definition unter den denkbar vielen Möglichkeiten herauszuarbeiten, die am sachgerechtesten ist. Einige Möglichkeiten der Konkretisierung wurden bereits bewertet, denn die Restriktionsbemühungen im vorstehenden Kapitel stellen ja nichts anderes als Normativierungsversuche dar, die freilich in der konkreten Ausgestaltung abzulehnen sind. Vor diesem Hintergrund erstaunt die Haltung umso mehr, das Heimtückemerkmal als einer Normativierung nicht zugänglich anzusehen.

38 39

Siehe hierzu MüKo/Freund Vor § 13 ff. Rn. 15 f. BGHSt 30, 105 (117).

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

219

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens bei ausgewählten Regelungszusammenhängen des Allgemeinen Teils des StGB sowie einigen Delikten des Besonderen Teils Im Folgenden wird untersucht, ob der tatsächliche Aspekt, der den ErpresserFall und die Tyrannen-Tötung prägt, also das dem Täter zu Gute gehaltene rechtswidrige Vorverhalten des Opfers, in einer rechtlichen Kategorie zu erfassen ist. Dabei ist es wie gesagt rechtstechnisch gleichermaßen vorstellbar, diesen Anknüpfungspunkt für die Berücksichtigung des vortatlichen Opferverhaltens nur in der Strafzumessung oder bereits im Tatbestand zu suchen. Entscheidet man sich für letzteres, kann dies entweder im Rahmen von Regelungen des Allgemeinen Teils oder innerhalb deliktsspezifischer Merkmale umgesetzt werden. Diese verschiedenen Möglichkeiten, Opferverhalten Beachtung zu schenken, werden zwar losgelöst von der Heimtücke untersucht, die Frage einer Übertragung der jeweiligen Methode auf den Heimtückemordtatbestand ist dabei aber selbstverständlich immer richtungsweisend für die Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Ansatz.

1. Vorbemerkung Die Forderung, dass das Opfer in die Bewertung strafrechtlicher Fragen stärker mit einzubeziehen sei, kann in zweierlei Richtungen zielen. In den letzten Jahren war das Stichwort ,Opferperspektive‘ zumeist mit dem Ruf nach einer Stärkung der Opferrechte im Prozess verbunden40. Wenn im Rahmen dieser Arbeit eine verstärkte Einbeziehung der Opferposition angesprochen wird, ist hingegen eine gegenläufige Tendenz gemeint, nämlich im materiellen Recht den strafrechtlichen Schutz des Opfers beziehungsweise an sich zuvorderst die Bestrafung des Täters zurückzuschrauben. Bei unbedarfter Betrachtung neigt man intuitiv dazu, sich ersterer Bewegung solidarisch zu erklären, glaubt man doch, sich damit auf die Seite des Guten und Bemitleidenswerten zu stellen. Die moralischen Kategorien ,Gut‘ und ,Böse‘, deren man sich zur Entscheidung bei solch einer Solidaritätsbekundung bedient, entsprechen jedoch nicht immer den rechtlichen Kategorien ,Täter‘ und ,Opfer‘. Denn im Interaktionsprozess zwischen dem letztendlich Verletzten und dem diese Verletzung Herbeiführenden wechseln die Rollen oder

40 Siehe beispielsweise Jung, ZRP 2000, 159 ff.; im Schwerpunkt auch bei H. J. Hirsch, GS Armin Kaufmann, 699 ff.; zu diversen Ebenen der „Wiederentdeckung“ des Opfers auch Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (358); für einen Überblick zur Opferrechtsgesetzgebung und insbesondere zum 2. Opferrechtsreformgesetz (2009) Schroth, NJW 2009, 2916 (916 ff.).

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

gehen ineinander über41. Es kann also durchaus berechtigt sein, den Täter gegenüber einer zu weitreichenden Solidarisierung mit dem Opfer zu schützen. Richtigerweise sind diese beiden konträren Wirkungen der Miteinbeziehung der Opferposition die zwei Seiten derselben Münze und stehen nicht in einem Verhältnis von richtig und falsch42. Um jedweder Polemik vorzubeugen, sei an dieser Stelle klargestellt, dass es mit der Befürwortung einer täterentlastenden und damit verbundenen opferbelastenden Berücksichtigung des Opferverhaltens keinesfalls darum geht, Opfer grundsätzlich zu diffamieren43, eine Strategie, die man leider beispielsweise bei der Verteidigung gegen den Vorwurf von Sexualdelikten44 beobachten kann. Spricht man sich auf der einen Seite dafür aus, dass die Beachtung des Opferverhaltens mit einer Beschneidung des Opferschutzes einhergehen kann, trifft man damit für die Frage, ob in anderen Bereichen eine Stärkung der Opferposition wünschenswert ist, keine Vorentscheidung. Eine dem Täter ungünstige Tendenz ist dabei nicht auf den prozessualen Bereich beschränkt, denn auch in Auslegungsfragen oder bei Gesetzgebungsfragen kann durch die Beachtung von opferbezogenen Aspekten ein für den Täter ungünstigeres Ergebnis erzielt werden45. Konkretes Beispiel bei der Heimtücke dafür ist die Einordnung konstitutionell bedingt Argloser als taugliche Heimtückeopfer. Die ambivalente Wirkung gilt es immer zu bedenken, wenngleich im Folgenden überwiegend eine täterentlastende Opferbetrachtung im Fokus der Überlegungen steht. Eine Normativierung von Tatbestandsmerkmalen im Sinne einer Miteinbeziehung des Opferverhaltens aus dem Vorfeld der Tat zur Täterentlastung wurde Mitte der 70er bis Anfang der 80er Jahre schon einmal intensiv diskutiert46. Al41 Zu dieser Konsequenz, weil man aus einem komplexen, unter Umständen langjährigen, Geschehen nur die letzte Sequenz zur strafrechtlichen Beurteilung heranzieht, Paasch, S. 57; Kube, Kriminalistik 1980, 152 (153); Amelunxen, Kriminalistik 1969, 178 (178). 42 Zu den verschiedenen Wirkungen stärkerer Opferbeachtung siehe beispielsweise W. Hassemer, FS Klug, 217 (217 ff.); H. J. Hirsch, GS Armin Kaufmann, 699 (699 ff.); beachtlich auch die Aufsatzsammlung „Die Stellung des Opfers im Strafrechtssystem“, die von Schünemann und Dubber 2000 herausgeben wurde. 43 Das stellt beispielsweise Ellmer, S. 268 klar; vergleiche auch Kube, Kriminalistik 1980, 152 (153 f.). 44 Dass nicht jeder vom Opfer ausgehende Tatanreiz, wie gut auszusehen oder eine Frau zu sein, den Täter entlasten kann, ist zwar selbstverständlich, bedarf aufgrund teilweiser dubioser Verteidigungsstrategien aber der Feststellung, hierzu Ebert, JZ 1983, 633 (639). Zu dem Thema „blaming the victim“ auch Hillenkamp (1983), S. 17; Kühne/ Ammer, JuS 1986, 388 (391 f.); Beckemper, S. 218. 45 Dies betont beispielsweise Schünemann, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 18 (33). 46 Eine Auswahl hierzu: Giehring, GA 1973, 1 ff.; Naucke, FS Peters, 109 ff., der auch die Dissertation von Kurth zum Thema „Das Mitverschulden des Opfers beim Betrug“ betreute; Amelung, GA 1977, 1 ff.; Herzberg, GA 1977, 298 ff.; Schünemann, ZStW 90 (1978), 11 ff.; Ellmer, Betrug und Opfermitverantwortung; R. Hassemer, Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik; solche Ansätze der Opfermiteinbeziehung wurden alsbald als „viktimo-dogmatische“ oder „viktimologische“ An-

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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lerdings wurden in der Diskussion die Delikte gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit zumeist ausgespart47 oder gar explizit erklärt, dass die „spezielle Situation“ der Gewaltdelikte einer Einbeziehung des Opferverhaltens im Tatbestand entgegenstünde48. Im Folgenden wird zunächst den Begründungsmustern im Bereich der Nichtgewaltdelikte49 nachgegangen. Obwohl Vertreter der viktimologischen Ansätze und erst recht ihre Kritiker es von vornherein ablehnten, Grundsätze der Miteinbeziehung von Opferverhalten im Tatbestand eines Gewaltdelikts aufzustellen50, wird sodann dieser Versuch unternommen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit sind also auch die Ausführungen über sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen, wechselseitige Beleidigungen, den Geheimbereich, Nötigung, Unterschlagung und Betrug von der Absicht geleitet, einer sachgerechten Auslegung des Heimtückemerkmals näher zu kommen. Es kann vorweggenommen werden, dass die Erkenntnisse, die bei der Betrachtung von das Opferverhalten berücksichtigenden Normen und Rechtsfiguren gewonnen werden, nicht exakt auf die Heimtücke übertragen werden können. Denn rechtstechnisch handelt es sich teilweise um einen Strafausschluss, teilweise um Strafzumessungsregeln, vor allem aber handelt es sich häufig um Ausnahmevorsätze betitelt, siehe so beispielsweise Hillenkamp, S. 18 ff. für ersteres und SchülerSpringorum, FS Honig, 201 (208) sowie Schünemann, ZStW 90 (1978), 11 (32) für letzteres. Schünemann bevorzugt später jedoch auch den ersteren Begriff, Schünemann, Schünemann/Dubber, 1 (5), ders., FS Faller, 357 ff., dort auf S. 371 f. zum angeblichen Unterschied im Gegenstand der beiden Begriffen. Diese Begrifflichkeit wird im Folgenden nicht verwendet, um dem Verdacht vorzubeugen, es werde eine einseitige Opferbetrachtung angestrebt. Dieser beispielsweise von Günther, FS Lenckner, 69 (71 und 76 ff.) oder H. J. Hirsch, GS Armin Kaufmann, 699 (701) erhobene Vorwurf der Einseitigkeit mit vertauschten Rollen – vormals auf den Täter bezogen, nunmehr auf das Opfers – trifft einige Autoren, die den viktimologischen Ansatz entwickelten, sicherlich zu Unrecht. Doch bedarf es für eine interaktionistisch ausgerichtete Begriffsbestimmung der Disziplin Viktimologie nicht. Ebenso wie der Streit um das Verhältnis von Strafrecht, Kriminologie und Viktimologie führt auch die Bezeichnung einer Auslegung erkenntnismäßig nicht weiter. Zur Entwicklung der Begriffe Opfer und Viktimologie sowie dem Verhältnis zu anderen Disziplinen siehe Paasch, S. 6 ff.; Amelunxen, S. 10 ff., 33 ff. 47 Eine Ausnahme stellt wiederum Arzt, JR 1979, 7 (12) dar. 48 Schünemann, FS Faller, 357 (370), der Selbstschutzgedanke habe bei Gewaltdelikten wenig Raum; auch über 20 Jahre später steht eine Ausweitung der viktimologischen Maxime auf Gewaltdelikte für ihn wohl nicht zur Debatte, ders., Strafrechtssystem, S. 51 (66 f.), wenngleich er das viktimologische Prinzip als „Auslegungsrichtlinie für alle Straftatbestände“ verstanden haben will, ders., Strafrechtssystem, S. 51 (79). Roxin, FS Widmaier, 741 (750) leuchtet es gerade bei Tötungsdelikten nicht ein, auf den Selbstschutzgedanken zurückzugreifen; Beckemper, S. 213 f. kritisch für Fremdschädigungsdelikte; Hillenkamp, S. 8 f. und passim spricht sich grundsätzlich gegen eine Tatbestandslösung aus und speziell bezogen auf die Tötungsdelikte ders., S. 94 und ders., JuS 1977, 166 (169). 49 Siehe zum Überblick Schünemann, Verbrechensopfer, S. 407 (415 ff.). 50 Einen umfassenden Versuch in neuerer Zeit, Opferverhalten tatbestandlich zu berücksichtigen, hat jedoch Müssig unternommen, siehe ausführlich oben S. 182 ff.

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

schriften, aus denen sich schwer ein allgemeingültiger Satz gewinnen lässt51. Dessen ungeachtet kann die Struktur dieser zu einem großen Teil akzeptierten normativen Grundsätze den Weg zu einem neuen Begriffsverständnis des Heimtückemordes weisen, so dass sowohl der Meinungsstand zur Frage der Verwertbarkeit des vortatlichen Opferverhaltens ganz allgemein, wie auch im Rahmen einzelner Strafnormen oder Rechtsfiguren aufzuzeigen ist. Zudem wird dabei deutlich, dass die Idee der Miteinbeziehung des Opferverhaltens gar nicht so neuartig und daher naturgemäß skeptisch zu sehen ist, wie es manchen auf den ersten Blick erscheinen mag.

2. Das Meinungsbild zu der Frage, ob das Verhalten des Opfers im Vorfeld der Tat für die strafrechtliche Würdigung der Tat im Tatbestand oder bei der Strafzumessung zu berücksichtigen ist Losgelöst von einem bestimmten Delikt ist die Frage der Bedeutung des vortatlichen Opferverhaltens für die strafrechtliche Bewertung des Täterverhaltens bereits früher diskutiert worden. Die einen bejahen die Möglichkeit einer tatbestandlichen Berücksichtigung des Opferverhaltens52, die anderen sehen hierfür nur Raum im Strafzumessungsbereich53 – eine Möglichkeit, die beim Mordtatbestand ausgeschlossen ist, sieht man von der Rechtsfolgenlösung einmal ab. Selbst in deren Rahmen hätte eine strafzumessungsrechtliche Berücksichtigung des Opferverhaltens wohl keine große Bedeutung, da der außergewöhnliche Umstand schon bei der Eröffnung der Milderung zum Tragen kommt und deshalb bei der Bestimmung der Strafhöhe an Gewicht verliert. Falls sich die Strafzumessungslösung als allgemein überzeugend erweist, wäre dies allerdings ein weiterer Grund, die auch aus anderen Gründen abzulehnende absolute Freiheitsstrafe de lege ferenda abzuschaffen. a) Thomas Hillenkamp Hillenkamp widmet sich in seiner 1981 erschienen Arbeit „Vorsatztat und Opferverhalten“ der Frage, ob und wie das Verhalten der Opfers bei der Bewertung der Tat berücksichtigt werden sollte.

51 Dies schickt auch Schünemann, Verbrechensopfer, S. 407 (S. 410) seiner Betrachtung voraus; siehe zudem Arzt, MSchKrim 67 (1984), 105 (113). 52 Schünemann, FS Faller, 357 (362); Arzt, JR 1979, 7 (12); R. Hassemer, passim; Sigg, S. 252 f. 53 So Hillenkamp, passim; Schüler-Springorum, FS Honig, 201 (209); Hörnle, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 36 (37 ff.); Paasch, S. 99 und 119 ff.; Kellner, S. 66; Schultz, SchwZStR 71 (1956), 171 (188 ff.).

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

223

aa) Die grundsätzliche Position Hillenkamps Der neuralgische Punkt, der für Hillenkamp gegen eine Berücksichtigung von Opferverhalten im Unrechtstatbestand spricht, ist der, dass dies überwiegend zur Straffreiheit des Täters führe54. Damit werde die volle Verantwortlichkeit zu 100% umgekehrt, nicht aber eine Mitverantwortung von Täter und Opfer ausgedrückt55. Aus der Zielvorgabe, demgegenüber zu einer partitiven Verantwortungszuschreibung für das deliktische Geschehen zu gelangen, schlussfolgert Hillenkamp bereits in der Einleitung seiner Habilitation, dass der Ort für eine Berücksichtigung des Opferverhaltens ausschließlich die Strafzumessungsebene sei56. Als „Tatbestandsversenkung“ bezeichnet er demgegenüber die Konsequenzen, die sich durch die Miteinbeziehung des Opferverhaltens auf Tatbestandsebene ergeben würden57. Sein Vorwurf, Strafzumessungsgründe würden zu „Tatbestandskorrektiven“ erhoben58, erwächst daraus, dass bei der Subsumtion von Tatbestandsmerkmalen als Beantwortung einer Ja-Nein-Frage keine Abstufung möglich ist59. Wegen der auf Tatbestandsebene fehlenden Möglichkeit, das bislang vorherrschende Schwarz-Weiß-Bild durch ein „Einweben von Grautönen“ (der Mitverantwortung des Opfers entsprechend) zu verändern60, sollen nach Hillenkamp die „Subkategorien des Opferverhaltens“ als extreme Ausformungen von Strafzumessungsaspekten zu verstehen sein61. Vier von ihm vorgestellte Gruppen strafzumessungsrechtlich relevanten Opferverhaltens (einwilligungsnahe, notwehrnahe, verwirkungsnahe und beteiligungsnahe Fälle) sollen dabei abschließend sein62. De lege ferenda will er das Opferverhalten in den Katalog des § 46 Abs. 2 StGB aufnehmen, auch wenn dies de lege lata schon hineinlesbar sei63. 54 Hillenkamp, S. 1; siehe beispielsweise zur notwehrähnlichen Lage ders., S. 102 f., 120, eine Tatbestandsreduktion drehe lediglich das Bild einer Schwarz-Weiß-Konstellation in eine Weiß-Schwarz-Variante um oder zur Absichtsprovokation, ders., S. 128 ff., die Einwilligungslehre wie die Rechtsmissbrauchslösung schreiben die beidseitige Verantwortung einseitig dem Provokateur zu. 55 Hillenkamp, S. 7 f. und passim. 56 Hillenkamp, S. 8 f. 57 Hillenkamp, S. 18. 58 Hillenkamp, S. 67 zur Auffassung Schünemanns; gleichermaßen zu Bleis Ausführungen Hillenkamp, S. 81 f. Den Begriff „Tatbestandskorrektiv“ greift er von H. J. Hirsch auf, Hillenkamp, S. 12. Siehe auch Hillenkamp (1983), S. 13. 59 Hillenkamp, S. 40 f. 60 Hillenkamp, S, 211, 214 f. und passim. 61 Hillenkamp, S. 235 ff. 62 Hillenkamp, S. 309. 63 Hillenkamp, S. 313, dies befürwortet auch Ebert, JZ 1983, 633 (640). Nicht verschwiegen werden soll, dass Hillenkamp durchaus die Chance zu einer Umdefinition von Tatbestandsmerkmalen sieht, die von der Strafzumessungsebene aus als langfristiger Prozess ausgeht, hierzu Hillenkamp, S. 216, der das Beispiel der Gegenwärtigkeit (§ 32 StGB) bei Provokationen hierfür anführt. Gegenüber dieser abwartenden Haltung

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

bb) Hillenkamps Einwand der unzulässigen Tatbestandskorrektur sowie verfassungsrechtliche Bedenken Hillenkamp wirft einigen Kollegen, die bei der Auslegung eines Tatbestandsmerkmals das Opferverhalten berücksichtigen, vor, sie würden mit „Tatbestandskorrektiven“ die Grenzen der Auslegung überschreiten und seien korrigierend tätig64. Methodisch kann man von einer Korrektur aber nur sprechen, wenn ein erzieltes Ergebnis nachträglich berichtigt wird, wie es beispielsweise bei den Typenkorrekturen der Fall ist. Anders liegt es aber bei einer wertenden Auslegung. Dabei wird von vornherein ein bestimmtes Begriffsverständnis konstruiert und nicht im Nachhinein korrigiert. Auf Hillenkamps Vorwurf des „Hochstilisieren[s] von Strafzumessungserwägungen zu Tatbestandskorrektiven“ 65 wird ferner erwidert, dass dieser ins Leere laufe, weil Tatbestandsmerkmale vorweggenommene Strafzumessungserwägungen seien66 oder dass vielmehr umgekehrt tatbestandsrelevante Aspekte zu Strafzumessungsgesichtspunkten „degradiert“ würden67. Letztendlich führt aber weder das eine noch das andere zu einer stichhaltigen Kritik. Hinsichtlich der insbesondere auf Art. 103 Abs. 2 GG bezogenen verfassungsrechtlichen Bedenken, die sich gegen eine Begrenzung der Strafbarkeit durch die Mittel der Reduktion oder Analogie richten, greift Hillenkamp die verbreitete Meinung an, dass zumindest zu Gunsten des Täters eine Reduktion und Analogie zulässig sei68. Er gibt die Frage zu bedenken, ob Art. 103 Abs. GG ein Gebot eines Strafanspruches enthalte, so dass Art. 103 Abs. GG als „magna charta des potentiellen Opfers“ wirke und diese durch jene Argumentation mit der Wirkung zu Gunsten des Täters verletzt werden könne69. Die angebliche verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit sei kritisch zu hinterfragen, weil die Begünstigung des einen die Benachteiligung des anderen zur Folge habe70. Dieser Einwand Hilist jedoch Skepsis geboten: Ist ein Begriff durch opferbezogene Aspekte zu bestimmen, sollte dies sofort gelten. 64 So beispielsweise gegenüber Amelung in Bezug auf den Irrtumsbegriff bei § 263 StGB, Hillenkamp, S. 22 ff.; gegenüber Blei in Bezug auf die Auslegung der Unbefugtheit im Rahmen des § 201 StGB, Hillenkamp, S. 80 f. oder gegenüber Schünemanns Auslegung des Tatbestandes von § 203 StGB, Hillenkamp, S. 145. Dieser kontert, sein Kritiker verkenne den Unterschied von Restriktion und Reduktion, Schünemann, FS Faller, 357 (367 ff.). 65 Hillenkamp, S. 67. 66 Arzt, MschKrim 67 (1984), 105 (109). 67 Schünemann, FS Faller, 357 (371). 68 Hillenkamp, S. 153 f. 69 Hillenkamp, S. 154 f.; siehe auch Hillenkamp (1983), S. 13. Er spielt damit auf die Formulierung „das Strafgesetzbuch ist die magna Charta des Verbrechers“ von Liszt, Ausätze, S. 25 (60) an. 70 Hillenkamp, S. 157 ff., diese Benachteiligung des Opfers könne, falls die Begünstigung des Täters auf Rechtswidrigkeitsebene gewährt wird, sogar strafbarkeitsbegrün-

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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lenkamps kann aber von vornherein nur greifen, wenn es sich bei der Miteinbeziehung des Opferverhaltens in die Strafbarkeitsprüfung rechtstechnisch betrachtet um eine teleologische Reduktion oder eine Analogie handelt. In Bezug auf die Heimtücke ist dies aber schon deshalb nicht der Fall, weil die herkömmliche Definition der Heimtücke nicht im Gesetz verankert ist und die Ergänzung der Definition um eine opferbezogene Komponente den Wortlaut des Gesetzes in Bezug auf die Grenzen eines vertretbaren Wortsinnes des Begriffs ,Heimtücke‘ als solchen in keiner Weise strapaziert. cc) Hillenkamps Einwand der zu weitreichenden Konsequenzen tatbestandlicher Berücksichtigung von Opferverhalten Stärker gegen eine Beachtung von Opferverhalten mit der Folge der Straffreiheit für den Täter spricht auf den ersten Blick der Gedanke, dass die Nachlässigkeit des Verletzten im Hinblick auf seine Rechtsgüter nicht zur Negation der späteren vorsätzlichen Tat des Verletzenden führen kann71. Diese allgemein sicher richtige Überlegung übersieht einen wichtigen Aspekt der Situation, wie man sie beim Erpresser oder beim Tyrannen vorfindet. Denn bei diesen beiden Konstellationen kommt hinzu, dass das Opfer hinsichtlich seiner Vortat mit Vorsatz handelte. Bezugspunkt ist dabei freilich ein anderes Rechtsgut, worüber nicht hinweggetäuscht werden soll. Aber es besteht die Besonderheit, dass die fahrlässige Förderung des Hineingeratens in die eigene Opferrolle in der vorsätzlichen Tat gegen den späteren Täter liegt. Verknüpft sind beide Rechtsgutsschädigungen durch eine Beziehung, bei der es erst zu klären gilt, ob es eine rein kausale ist oder eine, die weitergehende Auswirkungen auf die Bewertung der zweiten Tat hat. Insofern darf man bei der Bewertung dieser zweiten Tat durchaus die Frage stellen, ob die erste quasifahrlässige Handlung (quasifahrlässig in Bezug auf die Selbstgefährdung durch eine vorsätzliche Schädigung des anderen) tatsächlich folgenlos bleiben soll. Es ist offensichtlich, dass es dabei aufgrund des Zusammentreffens von quasifahrlässiger Täterschaft und Opfereigenschaft nicht um eine echte Strafbarkeit gehen kann. Bei der normativen Auslegung wäre nicht jedwede Veranlassung relevant, sondern es stünde zumindest bislang nur die quasifahrlässige Veranlassung durch deliktisches Verhalten gegenüber dem späteren Täter in Rede. Wäre dies tragfähig zu begründen, wäre folglich sichergestellt, dende Wirkung für das Opfer haben. Zu dem strafkonstitutiven Nebeneffekt siehe Suppert, S. 193 f. mit weiteren Nachweisen, 295 ff., 371, der mit gewichtigen Argumenten darlegt, dass diese nur mittelbare Wirkung nicht von Art. 103 Abs. 2 GG erfasst wird. Zu dieser Wechselwirkung ebenfalls Lenckner, JuS 1968, 304 (310). Günther, S. 298 f. hält Hillenkamp entgegen, dass diese ambivalente Wirkung nicht zu beanstanden sei; zu Günthers Ausführungen siehe zusammenfassend Lagodny, S. 43 ff. 71 Hillenkamp, S. 41 mit Bezügen zum Zivilrecht; Merkel, S. 261; Arzt, MSchKrim 67 (1984), 105 (109) für die Konstellation, dass Opfer und Täter nacheinander fahrlässig den Erfolg herbeiführen.

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

dass das Vortatverhalten des Opfers von gewisser Erheblichkeit sein muss, um sich auf die Bewertung der Tat des vormaligen Opfers auswirken zu können. Freilich sind die genauen Anforderungen erst noch herauszuarbeiten. Wichtig ist, dass die Berücksichtigung des Opferverhaltens die Tötungstat ja keinesfalls zur Gänze negieren würde, sondern allein der Qualifizierung der Tat als Mord entgegenstünde. Dem ließe sich zwar entgegnen, dass dies ein durch die Konzeption der Tötungsdelikte bedingter Zufall ist. Andererseits steht aber hier nun einmal das konkrete Merkmal ,Heimtücke‘ im Blickpunkt und bei dessen Konkretisierungsversuch müssen die Konsequenzen für genau dieses Merkmal bedacht werden. Festgehalten werden kann daher, dass es für eine restriktive Auslegung der Heimtücke von ganz entscheidender Bedeutung ist, dass es sich dabei um ein Qualifikationsmerkmal handelt. dd) Speziell auf die Delikte gegen das Leben bezogen: Das Argument der Indisponibilität des Rechtsguts Leben Mit diesem Aspekt, dass die Heimtücke ein Qualifikationsmerkmal ist, ist auch ein weiterer Einwand Hillenkamps zu entkräften: Hillenkamp hält es nicht nur für grundsätzlich verfehlt, die Strafbarkeit des Täters wegen unvernünftigem Opferverhalten einzugrenzen72; darüber hinaus dürfe das Opferverhalten speziell bei Tatbeständen, die das Leben schützen, wegen der Indisponibilität des Rechtsguts Leben keine Beachtung finden, weil das beteiligte Opfer nicht mehr an Rechtsmacht haben dürfe als ein einwilligendes Opfer73. Dieser Argumentation ist ebenfalls der Hinweis auf die Qualifikationseigenschaft des Heimtückemerkmals entgegenzuhalten. Das Leben des Opfers wird durch die Beachtung seines Vorverhaltens nicht zur freien Disposition gestellt. § 212 StGB schützt es weiterhin. ee) Kriminalpolitische Bedenken Hillenkamp trägt weiter Argumente kriminalpolitischer Art im Zusammenhang mit verschiedenen Deliktsbereichen vor, die belegen sollen, dass eine Berücksichtigung des Opferverhaltens auf Tatbestandsebene ganz prinzipiell nicht sachgerecht sei74: Er warnt beispielsweise vor einem zu weitgehenden Freiheitserhalt des Täters mit dem Beispiel, dass die allein nach Hause gehende Frau im aufreizenden Minirock den Schutz des Strafrechts vor Sexualdelikten einbüßen könne75. Es bestünde nämlich die Gefahr, dass sich die Verteidigung in der 72 Siehe nochmals Hillenkamp, S. 87, mit der Begründung, dass dies die Strafwürdigkeit des Täterverhaltens nicht schmälere. 73 Hillenkamp, JuS 1977, 166 (169); ders., S. 94. 74 Hillenkamp, S. 192 ff. 75 Hillenkamp, S. 195; ders. (1983), S. 16.

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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„,Kunst‘ der Opferbeschuldigung“ schulen werde und dass derartige Verteidigungsstrategien gerade bei Vergewaltigungen, aber auch bei Betrugsfällen so demütigend seien, dass das Opfer von vornherein dieses Risiko durch Schweigen zu vermeiden suchen könnte76. Ferner befürchtet er die Förderung von Neutralisationstechniken mancher Täter durch die gesellschaftliche Anschuldigung des Opfers beziehungsweise durch derartiges Argumentieren und Bewerten im Prozess77. Drittens sieht Hillenkamp die Gefahr der „Freibrieferteilung“ aufgrund eines strafrechtsfreien Raums im Ganovenmilieu im Zusammenhang mit Delikten des Vermögensschutzes78. Als letzten Kritikpunkt nennt er eine mögliche „gesamtgesellschaftliche Klimaveränderung“, die er anhand einer Reihe von Beispielen einer Gesellschaft, die vom Sicherungswahn beherrscht wird, zu illustrieren versucht79. All dies sind überspitzte80 Zukunftsvisionen einer einseitigen Verantwortungsumschichtung zu Lasten des Opfers, die mit dieser Arbeit aber nicht angestrebt wird. Dass es nicht um das Abverlangen eines optimalen Selbstschutzes geht, also nicht jede faktische Möglichkeit des Schutzes reicht, um dem Opfer Verantwortung zuzuschreiben, sondern lediglich zumutbare Möglichkeiten in Rede stehen, wurde bereits klargestellt81. Überdies ist jene polemische Argumentation hinsichtlich der Heimtücke wenig realistisch82. Wenn man die Heimtücke 76

Hillenkamp, S. 199 f. Hillenkamp, S. 201 ff. Letztlich könne der Gesellschaft das Strafrecht überhaupt versagt werden, weil sie selbst am Auftreten von Verbrechen schuld sei, Hillenkamp (1983), S. 15. 78 Hillenkamp, S. 204 f. 79 Hillenkamp, S. 206 ff. Dieses Szenario einer von Angst und Sicherheitsbedürfnis beherrschten Gesellschaft zeichnen auch andere Autoren, auf die sich Hillenkamp auch teils beruft. So stellt Grünwald, wiedergegeben im Tagungsbericht von Berz, ZStW 90 (1978), 210 (214), gegen das Verständnis der Subsidiarität im Sinne Schünemanns die These auf, dass in einem solchen sozialfeindlichen Klima irgendwann jeder in seinem Nächsten einen potentiellen Feind sehen müsse. Dass Strafrechtsschutz gewährt werden müsse, auch wenn Möglichkeiten des Selbstschutzes bestehen, soll die von Arzt, S. 43 ff. durchgeführte Untersuchung im amerikanischen Raum belegen. Es ist nicht ganz für das hier in Rede Stehende treffend, wenn auf Arzts Beitrag in der Festschrift für Schaffstein (1975), 77 (86 ff.) hingewiesen wird, da dort die Selbstjustiz als Reaktion auf staatliche Untätigkeit Untersuchungsgegenstand ist. Hier interessieren umgekehrt die Konsequenzen des unterbliebenen privaten Selbstschutzes für die staatliche Reaktion. Siehe ferner zur angeblichen Verstärkung eines allgemeinen Angstklimas Roxin, AT I, S. 608; W. Frisch, S. 146, 165 Fn. 49; Steffen, Kriminalistik 1981, 502 (507); Kratzsch, FS Oehler, 65 (72) und ders., S. 362; Günther, FS Lenckner, 69 (79) und ders., S. 194; Hörnle, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 36 (46); Wohlers, von Hirsch/ Seelmann/Wohlers, 54 (62). 80 Amelung, GA 1984, 579 (581) bezeichnet Hillenkamps kriminalpolitische Erwägungen als „propagandistische[n] Horrorvisionen“; Fiedler, S. 134 als „überpointiert“. Gegen diese pauschalen Befürchtungen auch Brandt, S. 48 ff. Letztlich räumt Hillenkamp, S. 208 selbst ein, dass diese überspitzt sind. 81 Siehe oben S. 220. 82 Demgegenüber sieht Schünemann, FS Faller, 357 (370) die geschildeten Angstszenarien gerade als auf die Gewaltdelikte bezogen an. 77

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

in Fällen des Erpressers oder des Tyrannen ablehnt und ,nur‘ wegen Totschlags bestraft (wenn nicht eine Rechtfertigung oder Entschuldigung greift), wird dies sicherlich nicht zu einer Hysterie führen, in der der Einzelne Angst hat, Opfer einer Tötung zu werden und sich deshalb nicht mehr unter Menschen wagt. ff) Zusammenfassende Bewertung Insgesamt ist zu sagen, dass Hillenkamp für die Frage der Beachtung von Opferverhalten ein durchdachtes Konzept mit gewichtigen Argumenten gegen eine Tatbestandslösung vorgelegt hat. Gleichwohl kann bereits dem Ausgangspunkt, wonach die partitive Verantwortung nicht in das Ja- oder Nein-Ergebnis des Unrechtstatbestandes transferiert werden könne, nicht gefolgt werden. Dieser Standpunkt übersieht, dass es hierbei keinen mathematischen Verrechnungsschlüssel geben muss. Zunächst ist vielmehr die Verantwortung in die beiden Gruppen ,ganz überwiegende Verantwortlichkeit des Täters‘ (also Erfüllung der Strafbarkeitsvoraussetzungen) und ,erhebliche Verantwortlichkeit des Verletzen‘ (also keine Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals und diesbezüglich keine Strafbarkeit) einzuteilen. Damit sind entgegen Hillenkamp Feinabstufungen indes keinesfalls ausgeschlossen. Denn innerhalb der Kategorie ,ganz überwiegende Verantwortlichkeit des Täters‘ kann in einem zweiten Schritt dem geringeren Verantwortungsanteil des Opfers strafzumessungsrechtlich Rechnung getragen werden. Der Vorteil dieser tatbestandlichen Lösung, die die Instrumente der Strafzumessung nicht ungenützt lässt, wird vor allem bei der zweiten Kategorie sichtbar. Wollte man bei einem Fall der ,erheblichen Verantwortlichkeit des Opfers‘ diese auf Tatbestandsebene unbeachtet lassen, müsste man nämlich mit der rein strafzumessungsrechtlichen Lösung häufig eine Strafe verhängen, die den niedrigen Unwertgehalt der Tat übersteigt – hierzu käme es zwangsläufig, wenn das Mindeststrafmaß für den konkreten Unwertgehalt zu hoch ist. Anders verhält es sich bei der kombinierten tatbestandlich-strafzumessungsrechtlichen Lösung. Danach wird gänzlich von Strafe abgesehen, wenn durch die Verneinung des Tatbestandmerkmals aufgrund der das Opferverhalten miteinbeziehenden Auslegung keine Strafbarkeit nach einem anderen Delikt verbleibt. Dies wird in vielen Fällen eher erträglich sein, als alternativ eine deutlich zu hohe Strafe zu verhängen. Die Kritik Hillenkamps daran, dass sich das Schwarz-Weiß-Bild dann nur in ein WeißSchwarz-Bild umdrehe, ist zudem deutlich entschärft, wenn es um ein qualifiziertes Delikt geht. Denn greift eine Strafbarkeit für den dann immer noch erfüllten Grundtatbestand ein, kann von voller oder keiner Verantwortungszuschreibung als Umschreibung der Tatbestandslösung nicht die Rede sein83. Damit ist der 83 Bemerkenswert zum Unrechtsausschluss bei Qualifikationen Günther, S. 373 ff.; allerdings lehnt er zum einen eine tatbestandliche Lösung verminderter Unrechtskonstellationen ab (siehe Günther, S. 376 f.), zum anderen sollen sich aber Unrechtsausschließungsgründe auch nicht in Rechtfertigungsgründen erschöpfen und sich nicht mit

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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„Generalangriff“ 84 Hillenkamps auf eine tatbestandliche Lösung gerade für das Heimtückemerkmal abgewehrt. Nicht nur, dass für die Heimtücke seine strafzumessungsrechtliche Lösung de lege lata aufgrund des absoluten Strafrahmens nicht funktioniert, greifen vor allem seine Bedenken hinsichtlich der mangelnden Graduierbarkeit für die Heimtücke als Qualifikationsmerkmal nicht, da bei der Verneinung der Heimtücke die Strafbarkeit für das Grunddelikt nach § 212 StGB verbleibt. b) Bernd Schünemann und Gunther Arzt Schünemann befasst sich mit der Behandlung des vortatlichen Opferverhaltens zunächst punktuell im Rahmen der Geheimnisschutzdelikte85. Später propagiert er die Verallgemeinerung der dort entwickelten tatbestandlichen Lösung, allerdings mit Ausnahme der Gewaltdelikte86. Dem von Hillenkamp geschilderten Szenario der Entwicklung hin zur gesamtgesellschaftlichen „Einigelung“ 87 und einer „Robinson-Crusoe-Politik“ 88 widerspricht Schünemann im Wesentlichen nicht, hält seine Dimension aber für geringer, weil die Einigelungstendenzen allesamt Konsequenzen einer tatbestandlichen Berücksichtigung von Opferverhalten im Rahmen von Gewaltdelikten wären89. Im Bereich der Gewaltdelikte bestehe eine „spezielle Situation“, die für den Selbstschutzgedanken „wenig Raum“ lasse. Weil es bei den Gewaltdelikten unangebracht sei, Opferverhalten tatbestandlich zu berücksichtigen, dürfe man aber die Relevanz des Opferverhaltens bei der Auslegung sonstiger Tatbestände nicht ablehnen90. Nach Schünemann sei die Einbeziehung des Opferverhaltens bei der Würdigung des Täterverhaltens auf Tatbestandsebene eine auf das ultima ratio-Prinzip gestützte Auslegungsmaxime im „Rahmen zulässiger Tatbestandsauslegung“ 91. Ermögliche der entsprechende

dem Urteil der Rechtsmäßigkeit decken (siehe Günther, S. 255 ff., 301 ff., 331). Wie der Unrechtsausschluss seiner Vorstellung nach rechtstechnisch umgesetzt werden soll, bleibt leider offen. 84 Diese Betitelung stammt von Schünemann, FS Faller, 357 (364 f.), dort hervorgehoben. 85 Schünemann, ZStW 90 (1978), 11 (32 ff. und 54 ff.). 86 Schünemann, FS Faller, 357 (370), schon im Titel des Beitrags ist dies erkennbar, indem die viktimologische Maxime als „umfassendes regulatives Prinzip“ bezeichnet ist. 87 Hillenkamp, S. 206 ff., wobei sich der Begriff der „Einigelung“ auf die Schilderungen einer gesellschaftlichen Entwicklung bei verstärkt privater Wahrnehmung der Sicherheitsaufgaben von Arzt, Der Ruf nach Recht und Ordnung, S. 43 ff. bezieht; zu „Einigelungstaktiken“ auch Kunz, MschKrim 66 (1983), 162 (170 f.). 88 Hillenkamp (1983), S. 18. 89 Schünemann, FS Faller, 357 (369 f.). 90 Schünemann, FS Faller, 357 (370, dort auch insbesondere Fn. 40). 91 Schünemann, FS Faller, 357 (362), im Original hervorgehoben.

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

Tatbestand dies nicht, könne das Opferverhalten nur auf Strafzumessungsebene berücksichtigt werden92. Auch Arzt will das Opferverhalten in manchen Fällen innerhalb der Auslegung der Tatbestandsmerkmale und in anderen erst auf Ebene der Strafzumessung berücksichtigen93. Für ihn ist jedoch nicht die Art der Tatbestandsausgestaltung der entscheidende Differenzierungsfaktor, sondern das Maß der Opferverantwortung, das aufgrund der Vorstellung eines „mündigen Bürgers“ und dem daraus resultierenden „Selbstverantwortungsprinzip“ zu bestimmen sei94. Grundsätzlich bestehe eine „gleitende Skala der Verantwortung“ 95; das von Hillenkamp gebrauchte Schwarz-Weiß-Bild der Verantwortungsverteilung sei falsch und stattdessen ein „Graubereich“ existent – auch wenn man strafrechtlich von voller Entlastung eines Täters sprechen könne, sei damit nicht zwangsläufig die Alleinverantwortlichkeit des Opfers verbunden96. Damit schwebt beiden Autoren ebenfalls eine Kombinationslösung vor. Allerdings besteht ein Unterschied zu dem hier in der Bewertung des Hillenkamp’schen Konzepts entwickelten Ansatz darin, dass die Kombination nicht kumulativ und gestuft gemeint ist, sondern nur entweder eine tatbestandliche oder eine strafzumessungsrechtliche Verwertung des Opferverhaltens erfolgen soll. Hinsichtlich der von Hillenkamp monierten unbilligen Opferbelastung merkt Schünemann an, dass diese Bewertung normativer Auslegung von einem verfehlten Strafrechtskonzept, nämlich dem reinen Schuldvergeltungsstrafrecht, herrühre97: Nur auf dieser Basis komme dem Strafrecht allein die Funktion zu, Freiheitsräume der Bürger gegeneinander abzugrenzen. In „einem am ultima-ratioPrinzip geläuterten Präventionsstrafrecht“ sei die Überschreitung eines Freiraums hingegen notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung der Strafbarkeit. Dies käme rechtstechnisch unter anderem dadurch zum Ausdruck, dass die Straflosigkeit eines Verhaltens nicht dessen zivilrechtliche Rechtmäßigkeit indiziere. Dem ist auf das Strafrecht bezogen Folgendes hinzuzufügen: Wenn mit Blick auf das Vorverhalten des Opfers die Heimtücke verneint werden könnte, wäre in einem solchen Fall zwar der Mordtatbestand nicht erfüllt, aber selbstverständlich kann dann ein rechtswidriger Totschlag gegeben sein. Handelt es sich um ein qualifiziertes Delikt, könnte das Opferverhalten die Tatbestandsmäßigkeit der Qualifikation hindern, ohne zugleich das Täterverhalten gänzlich legitim erscheinen zu lassen. Für die Frage, ob Opferverhalten bei der Bewertung der Tat eine Rolle 92

Schünemann, FS Faller, 357 (371); ders., FS Bockelmann, 117 (130 Fn. 54). Arzt, MschKrim 67 (1984), 105 (106, 114). Zu einer Kombinationslösung auch Kurth, S. 234 für den Betrug und allgemein Roxin, AT I, S. 609. 94 Arzt, MschKrim 67 (1984), 105 (110 ff.). 95 Arzt, MschKrim 67 (1984), 105 (116). 96 Arzt, MschKrim 67 (1984), 105 (116 f.). 97 Schünemann, FS Faller, 357 (366). 93

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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spielen sollte, ist also wieder von wesentlicher Bedeutung, dass die Heimtücke ein Qualifikationsmerkmal ist. Als Hauptkritikpunkt wird Schünemann entgegengehalten, dass das ultima ratio- beziehungsweise Subsidiaritäts-Prinzip keine Grundlage einer das Opferverhalten miteinbeziehenden Auslegung sein könne, weil Adressat dieser Prinzipien lediglich der Staat sei, nicht aber der Bürger; das ultima ratio-Prinzip regele nur die Auswahl staatlicher Mittel, berücksichtige also keine Selbstschutzmöglichkeiten des Privaten98. Dem entgegnet Schünemann lediglich, dass dieses überkommene Verständnis zu eng sei und einer Ausweitung bedürfe99. Da der ultima ratio-Gedanke eine derart wichtige Rolle spielen soll, überrascht es, dass Schünemann diesem tragenden Pfeiler seines Konzepts nicht deutlichere Konturen verleiht. Demzufolge wird der Frage nachzugehen sein, wie weit sich der Anwendungsbereich des ultima ratio-Prinzips erstreckt und ob es tatsächlich eine restriktive, das Opferverhalten miteinbeziehende, Auslegung stützen kann beziehungsweise ob eine solche Auslegung zumindest mit dem ultima ratio-Prinzip vereinbar ist. Es kann das Resümee gezogen werden, dass Schünemann und Arzt äußerst interessante Ansätze zur Verwertung des Opferverhaltens im Tatbestand vorschlagen. Es ist zu überprüfen, ob eine Übertragung auf den Bereich der Gewaltdelikte, namentlich in Bezug auf die Heimtücke, nicht doch möglich und sinnvoll ist. c) Horst Schüler-Springorum Nach Schüler-Springorum soll das Opferverhalten nur bei der Strafzumessung berücksichtigt werden100. Er untersucht die Frage, ob und wie das Opferverhalten bei der strafrechtlichen Bewertung der Tat zu berücksichtigen sein sollte, anhand eines interessanten Falles. Geschildert wird eine Situation, in der der Täter einem vermeidbaren Verbotsirrtum über einen Rechtfertigungsgrund erliegt und das Opfer ebenfalls durch eine Fehleinschätzung der Situation einen Beitrag zur Tatverursachung leistet101. Interessant ist der Fall deshalb für die Diskussion der Opfermitverantwortung, weil hier entgegen den bislang erörterten Konstellationen kein ,böses Opfer‘ beteiligt ist, sondern es sich um ein nur unvernünftiges, vielleicht auch fahrlässig in eigenen Angelegenheiten handelndes Opfer handelt. Schüler-Springorum wirft die Frage auf, ob man zur Berücksichtigung des Opferverhaltens „gewissermaßen einen victimologischen Gegentatbestand konstruie98

So beispielsweise Roxin, AT I, S. 608. Schünemann, FS Faller, 357 (367). 100 Schüler-Springorum, FS Honig, 201 (209). 101 Schüler-Springorum, FS Honig, 201 (201), zwei Forstbeamte halten eine Familie im rückwärtsfahrenden Auto für Wilderer. Die Familie hält die Forstbeamten für Straßenräuber. 99

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

ren“ solle, also beispielsweise hinsichtlich des Opfervorsatzes nach einer „Parallelwertung in der Opfersphäre“ zu fragen sei; er verwirft diesen Gedanken aber und meint, dass die Aussagen, die das Opfer betreffen, „vergleichsweise pauschal“ gehalten werden müssen, weil sonst die Entfernung zum Strafgesetz zu groß sei102. Er unterscheidet bei der Einteilung des Opferverhaltens zwischen der Kategorie der bloßen „Befindlichkeiten“ und der Kategorie der „Zustände, mit denen das Opfer seinerseits in Unerlaubtem verweilt“ 103: Zu den „Befindlichkeiten“ gehören nicht vorwerfbare Eigenschaften des Opfers, die für den Täter einen Tatanreiz darstellen, das Opfer auszusuchen. Solchen Eigenschaften wie Alter oder Vermögensstand könne keine den Täter entlastende Wirkung zukommen, sondern es sei allenfalls eine erhöhte Tatschuld vorstellbar. Zu der zweiten Kategorie, bei denen das Opfer selbst unerlaubt handelt, bemerkt er leider ohne eingehendere Begründung, dass „feinere Nuancierungen im vorherigen Verhalten des Opfers“ dem Täter nicht zur Entlastung gereichen könnten. Nur ein „annähernd gleichwertiges Agieren des Opfers“, gemeint ist die Provokation, könne berücksichtigt werden. Letztlich müsse geklärt werden, wieweit man darauf vertrauen dürfe, nicht Opfer zu werden und wieweit umgekehrt der prädisponierte Täter vertrauen dürfe, dass ihn Versuchung und Provokation nicht überfordern. Den Ausgangsfall bezeichnet Schüler-Springorum daher als „tragischen“ Fall und lehnt eine Täterentlastung ab104. Mitzunehmen aus Schüler-Springorums Ausführungen ist auch hier, dass ein auf Tatbestandsebene verwertbares Opferverhalten jedenfalls von gewisser Qualität sein muss105. Es verstärkt sich die Vermutung, dass eine Beschneidung des strafrechtlichen Schutzes nicht in Frage kommt, wenn das Opferverhalten keine Straftat ist. Ein beidseitiger Irrtum ist dabei bei der heimtückischen Tötung kaum denkbar und kann daher im Folgenden ausgeblendet werden. d) Tatjana Hörnle Auch Hörnle konstatiert, dass nicht jeder vom Opfer ausgehende Tatanreiz den Täter privilegieren kann, vielmehr bedürfe es „zusätzlicher Umstände, die einen 102

Schüler-Springorum, FS Honig, 201 (210). Schüler-Springorum, FS Honig, 201 (210 ff.). 104 Schüler-Springorum, FS Honig, 201 (215). Das Tragische bei den Fällen der Opfermitverursachung betonen einige Autoren, so Matt, NStZ 1993, 271 (271); Oberlies, S. 120; Spendel, FS R. Schmitt, 205 (214). Neben den menschlichen Schicksalen ist tragisch, dass bei der Betrachtung des Ergebnisses ein Gefühl der Ungerechtigkeit entsteht und keine dogmatisch nachvollziehbare Lösung zu einem anderen Ergebnis führt. Mit dieser Einschätzung darf die Betrachtung des Falles beziehungsweise des dem zu grunde liegenden Problems natürlich nicht enden. 105 Siehe hierzu auch umfassend Bertel, ZStW 84 (1972), 1 (26 ff.). Dabei soll selbst die Erfüllung einer Straftat des Vortatverhaltens seitens des Opfers nicht immer reichen, Bertel, ZStW 84 (1972), 1 (33). 103

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massiven psychischen Druck erzeugen, und die über die Existenz einer besonders günstigen Tatgelegenheit hinausgehen. [. . .] Eine Strafminderung wegen gemindertem Unrecht ist nur gerechtfertigt, wenn das Opfer die Obligation hatte, die Schaffung einer Tatmöglichkeit oder eines Tatanreizes zu vermeiden.“ 106 Offensichtlich können dafür rein faktische Möglichkeiten, Viktimisierungen zu verhindern, wie beispielsweise die Anschaffung wertvoller Gegenstände zu unterlassen, um nicht bestohlen zu werden, nicht ausreichen, „da dies die Freiheit der Gestaltung des eigenen Lebens unmäßig einengen würde.“ 107 Gängige soziale Verhaltensmuster könnten nicht die alleinige Basis dafür sein, die Obligation zum Selbstschutz für das Opfer zu begründen, „da das Opfer legitime Interessen haben kann, sich in bestimmter Weise zu verhalten, auch wenn dies nicht den herkömmlichen Erwartungen entspricht.“ 108 Beim Umfang einer Obliegenheit, Selbstschutz zu üben, könne es sich nur um ein zumutbares Maß handeln, was sich anhand der Kompetenzen der jeweiligen konkreten Person und nicht einer objektiv verständigen Person bestimmen lassen müsse, da anderenfalls konstitutionell besonders schutzwürdige Bürger benachteiligt wären109. Zusammenfassend führt Hörnle aus: „Zum einen muß das Schutzverhalten sozial üblich sein, und zum anderen muß dieses Verhalten ohne die Verletzung ernsthafter entgegenstehender Interessen möglich sein.“ 110 Hinsichtlich der Umsetzung dieser Erkenntnis besteht für Hörnle auf der Ebene der Strafzumessung die sachgerechteste Möglichkeit, das Opferverhalten zu berücksichtigen111. Sie schlägt vor, de lege ferenda eine allgemeine Regel aufzustellen, die als Folge unterlassener zumutbarer Selbstschutzmaßnahmen das Absehen von Strafe oder eine Milderungsmöglichkeit eröffnet112. Sie begründet die strafzumessungsrechtliche Lösung in unverkennbarer Ähnlichkeit zu Hillenkamps Argumentation damit, dass eine tatbestandliche Lösung eine zu „starre Entweder-Oder-Entscheidung“ verkörpere, die dem Grad der Unrechtsminderung

106 Hörnle, Schünemann/Dubber, 175 (197) und Hörnle, von Hirsch/Seelmann/ Wohlers, 36 (43) zu einer gesellschaftsvertraglich begründeten Obliegenheit. 107 Hörnle, Schünemann/Dubber, 175 (197). Siehe auch Jakobs, AT, S. 49, das Subsidiaritätsprinzip könne nur angewendet werden, wo der Selbstschutz „eine sowieso angebrachte Maßnahme“ sei. Vergleiche kritisch Maiwald, ZStW 96 (1984), 70 (72 f.). 108 Hörnle, Schünemann/Dubber, 175 (198). Als Beispiel wird angeführt, dass kaum eine Frau nachts allein im Stadtpark spazieren geht, aber das Interesse an der eigenen Zeiteinteilung überwiege. 109 Hörnle, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 36 (43 f.). 110 Hörnle, Schünemann/Dubber, 175 (198). Hier dient als Beispiel, dass es zwar sozial üblich sei, Wohnungen oder Autos vor fremdem Zudringen zu schützen, jedoch beispielsweise das Interesse an Frischluft beim Schlafen das normale Sicherheitsverhalten überlagern könne. 111 Hörnle, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 36 (42); Hörnle, Schünemann/Dubber, 175 (175 ff., 195 ff.). 112 Hörnle, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 36 (37 und 42).

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

nicht immer gerecht werde113. Dogmatischer Ansatzpunkt der zu präferierenden Strafzumessungslösung im Allgemeinen Teil sei die durch den unterlassenen Selbstschutz verursachte Unrechtsminderung; es könne also verringertes Verhaltens- oder Erfolgsunrecht, niemals aber eine völlige Negierung des Unrechts vorliegen, was jedoch ein Absehen von Sanktionierung nicht unmöglich mache114. Zusammenfassend betrachtet ist Hörnles Bemühen um die Konkretisierung des für die Strafbarkeitsbewertung relevanten Opferverhaltens anzuerkennen. Das Stichwort Obligation ist erneut gefallen und es steht stark zu vermuten, dass die Möglichkeit zur Berücksichtigung von Opferverhalten davon abhängt, ob eine solche Verpflichtung gegen sich selbst begründet werden kann. e) Raimund Hassemer Mit seiner Dissertation „Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik“ streitet Raimund Hassemer für die tatbestandliche Berücksichtigung von Opferverhalten. Die Schutzbedürftigkeit des Opfers sei integraler Bestandteil der Erforderlichkeit des strafrechtlichen Schutzes115. Die Erforderlichkeit oder auch das Prinzip der Subsidiarität ergebe sich unmittelbar aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit oder dessen Ausprägung des Übermaßverbots116. Der Ansicht, wonach sich das Subsidiaritätsprinzip auf die Auswahl staatlicher Mittel beschränke, setzt Hassemer entgegen, dass sich die dafür bemühte verwaltungsrechtliche Literatur oftmals mit Situationen befasse, in der private Mittel gar nicht denkbar seien und daher dieser sachliche Unterschied zum Strafrecht einer unbesehenen Übertragung des Verständnisses von Subsidiarität entgegenstünde117. Die Inpflichtnahme Privater sei lediglich die Absage an einen „kumulativ“ zu gewährenden Rechtsgüterschutz; das potentielle Opfer werde nicht schutzlos gestellt, sondern nur seine eigene Schutzfähigkeit ernstgenom113 Hörnle, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 36 (42), dabei greift sie mit dem Ansatz der objektiven Zurechnung auch nur einen von vielen denkbaren Tatbestandslösungen heraus. 114 Hörnle, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 36 (42 f.); Voraussetzung für einen Sanktionsverzicht trotz des verbleibenden Unrechts soll ein von vornherein geringes Erfolgsunrecht sein. 115 R. Hassemer, S. 19. 116 R. Hassemer, S. 19 f., 80. Dabei ist einem denkbaren Missverständnis vorzubeugen: Man könnte meinen, dass die Ausführungen Hassemsers für das Heimtückemerkmal schon deshalb nicht relevant wären, weil das Rechtsgut Leben sich einer Abwägung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips entzieht im Gegensatz zu dem Rechtsgut Vermögen, welches von dem von Hassemsers primär untersuchten § 263 StGB geschützt wird. Diese Gedankenführung vermischt indes zwei Dinge. Die Frage nach der Schutzwürdigkeit des Rechtsguts ist eine vorgelagerte und andere als die nach der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes, siehe in diesem Sinne R. Hassemer, S. 20 f. 117 R. Hassemer, S. 23.

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men118. Das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit entstamme einer „bürgerlichliberalen“ Rechtsauffassung; der synonym gebrauchte Subsidiaritätsgrundsatz sei „janusköpfig“, da er nicht nur berechtige, sondern auch verpflichte119. Für die Einbeziehung des Eigenschutzes bei der Auslegung unterscheidet Hassemer zunächst nach zwei Typen von Tatbeständen, den kongruenten, bei denen Rechtsgut und Schutzbereich identisch seien und den inkongruenten, bei denen das Rechtsgut umfassender als der Schutzbereich sei, weil dieser nur bestimmte Angriffsarten erfasse120. Weiter differenziert er zum einen nach dem sogenannten „Beziehungsdelikt“, das eine „echte Interaktion“ zwischen Täter und Opfer in dem Sinn aufweise, dass das Opfer zu „einem dem deliktischen Vorhaben förderlichen Verhalten bewegt“ werde121. Zum anderen gäbe es das „Zugriffsdelikt“, bei dem eine Interaktion zwischen Täter und Opfer zwar vorkommen könne, aber nicht müsse122. Danach wäre der Totschlag Zugriffsdelikt und kongruenter Tatbestand; der Mord wäre ein inkongruenter Tatbestand, ob Zugriffs- oder Beziehungsdelikt wäre wohl für jedes Mordmerkmal gesondert zu entscheiden. Hinsichtlich der Heimtücke hängt diese Zuordnung davon ab, ob es als förderliches Verhalten zu verstehen ist, dass das Opfer aufgrund der Arglosigkeit keine Abwehrmittel einsetzt oder ob man hierfür aktives oder wenigstens finales Verhalten voraussetzt. Die Schutzbedürftigkeit des Opfers sei als das „konkret-individuelle Pendant des Postulats der Erforderlichkeit strafrechtlichen Schutzes“ oder als „Zuortbarkeit der Verletzungssituation zum Typus der Gefahrenintensität“ zu verstehen123. Dabei bestehe folgender Zusammenhang zwischen Schutzbedürftigkeit und Gefahrenintensität: Die Schutzbedürftigkeit des Opfers nehme im gleichen Maße ab, wie die konkrete Gefahrensituation durch Einflussnahme des Rechtsgutträgers wachse124. Dies sei zwar auf den ersten Blick deshalb überraschend, da man eher die Prämisse kenne, je größer die Gefahrensituation, desto mehr ist strafrechtlicher Schutz zu gewähren125. Doch bestehe der Widerspruch des geschilderten Zusammenhangs zu dieser Leitidee nur scheinbar, denn die Prämisse, auf 118

R. Hassemer, S. 25. R. Hassemer, S. 34 f.; dabei bezieht er sich auf von Münch, JZ 1960, 303 (305). 120 R. Hassemer, S. 46 ff. 121 R. Hassemer, S. 54 f., dies sei immer als inkongruenter Tatbestand ausgeformt, S. 64. Einen kurzen Abriss über die wertende Miteinbeziehung der Beziehung zwischen Opfer und Täter bis hin zu dem Konstrukt der Beziehungsdelikte bietet Schünemann, Verbrechensopfer, S. 407 (S. 408); ausführlich Sigg, S. 13 ff.; siehe auch Binder, SchwZStr 67 (1952), 307 (316 ff., 322). 122 R. Hassemer, S. 55; dies könne sowohl inkongruent als auch kongruent gefasst sein, ders., S. 64. 123 R. Hassemer, S. 72. 124 R. Hassemer, S. 73. 125 R. Hassemer, S. 73, veranschaulichend nennt er unter anderem die Heimtücke. 119

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

erhöhte Gefahrenintensität mit verstärktem Strafrechtsschutz zu reagieren, beziehe sich auf den Fall, dass die Erhöhung der Gefahr nicht aufgrund sozialinadäquaten Verhaltens des Opfers entstanden sei126. Das Vermindern oder Entfallen der Schutzbedürftigkeit aufgrund des Opferverhaltens soll nur eintreten, wenn das potentielle Opfer um die „Valenz seiner Handlung“ weiß, so dass der Rechtsgutträger, dem aufgrund seiner „strukturellen oder situativen Lage“ kein Vorwurf gemacht werden kann, nicht benachteiligt sei127. Weiter müsse alternatives Verhalten zumutbar sein, was deliktsspezifisch zu bestimmen sei128. Bei der Anwendung seiner Konzeption auf den Betrugstatbestand, stellt Hassemer einen weiteren Unterschied zwischen Beziehungsdelikten und Zugriffsdelikten heraus. Bei Beziehungsdelikten seien die Selbstschutzmöglichkeiten „total und nicht überwindbar“, da die Verletzung des Opfers „schlichtweg ausgeschlossen“ sei, solange es sich nicht zu einer Interaktion entschließe, wie sie der Täter möchte129. Demgegenüber gebe es bei Zugriffsdelikten derartige absolute Selbstschutzmöglichkeiten nicht130. Hinsichtlich der Einordnung der Heimtücke müsste man aufgrund dieser Präzisierung dazu kommen, dass es sich hierbei um ein Zugriffsdelikt handelt. Am ehesten wird dies deutlich bei der Attentatskonstellation, wovor sich das Opfer nicht „total, unüberwindlich und unbegrenzt“ schützen kann, um es mit Hassemers Worten auszudrücken131. Somit sind mehrere interessante Punkte für die Erarbeitung einer das Opferverhalten integrierenden Heimtückedefinition angesprochen worden: Erneut wurde das Subsidiaritätsprinzip aufgegriffen, insbesondere die Frage, ob sich dessen Wirkung überhaupt auf den Privaten erstreckt. Ebenso wurde der Eigenoder Selbstschutz des Opfers nochmals behandelt. Damit zusammenhängend ist die Frage aufgeworfen worden, welchen Einfluss der Gesichtspunkt der Beziehung132 auf die Heimtückedefinition haben kann. Schließlich wurde die Korrelation von Schutzwürdigkeit beziehungsweise -bedürftigkeit des Opfers auf der einen Seite und Strafwürdigkeit beziehungsweise -bedürftigkeit des Täters auf der anderen Seite angesprochen.

126 R. Hassemer, S. 73 f. Damit kommt es Hassemer nicht auf eine tatsächlich erhöhte Gefahr an sich, sondern auf eine strafrechtlich relevante an, siehe R. Hassemer, S. 64, 74. 127 R. Hassemer, S. 93 f. 128 R. Hassemer, S. 94. 129 R. Hassemer, S. 114 f. 130 R. Hassemer, S. 115. 131 R. Hassemer, S. 128. 132 Zum unterschiedlichen Gebrauch der Formulierung „Täter-Opfer-Beziehung“ siehe statt vieler Maeck, S. 30 und 36.

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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f) Die eigene grundsätzliche Position Die Sympathie gegenüber einem tatbestandlichen Lösungskonzept der Heimtückefrage dürfte bei der Bewertung der zusammengetragenen Ansichten deutlich geworden sein133. Allerdings sind eine stichhaltige dogmatische Grundlage und daraus resultierende Voraussetzungen der Miteinbeziehung von Opferverhalten bei der Auslegung von Unrechtsmerkmalen allgemein und des Heimtückemerkmals im Speziellen bislang nicht dargeboten. Wirklich befürworten lässt sich eine tatbestandliche Lösung natürlich nur, wenn diese Defizite in der Begründung behoben werden können. Immerhin ist aus dem Vorgesagten nicht ersichtlich, warum eine tatbestandliche Lösung im Grundsatz zu Gunsten einer strafzumessungsrechtlichen Lösung abzulehnen wäre. Insbesondere konnten die Bedenken im Hinblick auf eine zu einseitige Verlagerung der Verantwortung auf das Opfer wegen der angeblich fehlenden Möglichkeiten, das Opferhalten in gradueller Weise zu berücksichtigen, für das Heimtückemerkmal als unbegründet zurückgewiesen werden. Nach wie vor müssen aber die dogmatische Begründung und die genauen Voraussetzungen einer Obliegenheit des Opfers, für seine Rechtsgüter selbst Sorge tragen zu müssen, herausgearbeitet werden. Evident ist dabei jedenfalls, dass nicht jede faktische Möglichkeit des späteren Verletzten, sich besser zu schützen, genügen kann, um den Täter zu entlasten, was insbesondere Schüler-Springorum und Hörnle verdeutlicht haben. Im Folgenden sind die Ansichten zu betrachten, die die Zulässigkeit einer Verwertung des Opferverhaltens im Unrechtstatbestand meist nicht diskutieren, sondern diese voraussetzen und einen konkreten Vorschlag dafür unterbreiten, wie das Opferverhalten im Einzelnen zu berücksichtigen ist.

3. Regelungszusammenhänge und Rechtsfiguren des Allgemeinen Teils Auch wenn sich die problematischen Heimtückekonstellationen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht innerhalb der sich aus dem Allgemeinen Teil ergebenden Prüfungspunkte der Strafbarkeit lösen lassen, ist der Blick auf die Regelungszusammenhänge des Allgemeinen Teils mit den dort bestehenden Möglichkeiten der Berücksichtigung des Opferverhaltens nicht entbehrlich. Denn diese mangelnde Erfolgsaussicht ist bislang nur eine These, die es zu erhärten gilt. Zudem ist es möglich, dass bei der Betrachtung von Regelungen des Allgemeinen Teils Ausformungen allgemeiner Prinzipien herausgearbeitet werden können, deren Grundgedanken auch zur Ausarbeitung einer Definition für das Heimtükkemerkmal herangezogen werden können. 133 Vergleiche das zusammenfassende Plädoyer für eine einzeldeliktsspezif ische Verarbeitung opferbezogener Umstände bei Roxin, AT I, S. 608 ff.

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

a) Die objektive Zurechenbarkeit Da sich die objektive Zurechnung mit der Abgrenzung des dem Täter zugehörigen Verantwortungsbereichs gegenüber Dritten befasst, liegt auf den ersten Blick der Versuch nahe, das Opfer über die objektive Zurechnung in die Verantwortung zu nehmen134. aa) Überblick über verschiedene Ansätze und allgemeine Bedenken dagegen Speziell für die Abgrenzung der Tötungsdelikte hat Müssig wie gesehen135 die objektive Zurechnung untersucht. Deliktsunabhängig zieht Cancio Meliá den Selbstverantwortungsgrundsatz heran, um eine tatbestandliche Zurechnung des Schadens zum Opfer im Rahmen der objektiven Zurechnung vorzunehmen136. Unter dem Stichwort Eigenverantwortlichkeit verorten auch Beckemper und Wegner das Opferverhalten bei der objektiven Zurechnung, allerdings nur bei Selbstschädigungsdelikten137. Kurth will das Opferverhalten über das Subsidiaritätsprinzip ebenfalls als Frage der objektiven Zurechnung behandelt wissen138. Nach der Lehre vom Schutzbereich der Norm ist das mitschädigende Opferverhalten als Ausprägung des allgemeinen Lebensrisikos oder als Handeln auf eigene Gefahr strafbarkeitsausschließend139. Auch Pawlik zieht für die Berücksichtigung von Opferverhalten die Kriterien der objektiven Zurechnung heran140. Dabei soll dem Opferverhalten vorrangig auf Strafzumessungsebene Rechnung getragen werden und nur bei „grob obliegenheits- bzw. pflichtwidrig“ erscheinendem Verhalten der tatbestandliche Zurechnungszusammenhang zum Täter unterbrochen sein141. Das erinnert an die erwähnten Kombinationslösungen142. Hörnle legt gegen eine Ansiedelung der Eigenschutzproblematik in der objektiven Zurechnung zwei Gründe in die Waagschale: Zum einen modifiziere eine 134 Siehe zum Überblick Roxin, AT I, S. 606 f., der insbesondere das argumentative Nebeneinander von Selbstschutzgedanken und Subsidiaritäts- beziehungsweise ultima ratio-Prinzip aufgreift. 135 Siehe oben S. 182 ff. 136 Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (372 ff.). Seinen Überlegungen liegen allerdings einwilligungsnahe Fälle zugrunde. 137 Beckemper/Wegner, NStZ 2003, 315 (316) für § 263 StGB; Beckemper, S. 225 ff. für alle Selbstschädigungsdelikte. 138 Kurth, S. 145, 169 ff. 139 Kurth, S. 192, dies sei beispielsweise der Fall, wenn dem Opfer im Rahmen des § 263 StGB eine leicht durchzuführende Kontrollmöglichkeit eröffnet sei, es aber aus Bequemlichkeit darauf verzichte. 140 Pawlik, S. 227 ff., auch dort wird die Problematik im Kontext mit dem Betrugstatbestand erörtert. 141 Pawlik, S. 248. 142 Siehe insbesondere nochmals oben S. 230 die Ansätze von Schünemann und Arzt.

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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solche Lösung die Handhabung von Normen aus dem Besonderen Teil derart stark, dass dies zu weit vom Gesetzestext entfernt sei. Auch wenn die objektive Zurechnung ebenfalls nicht im Gesetz stehe, aber gleichwohl anzuerkennen sei, gehe eine Beachtung des Opferverhaltens im Rahmen der objektiven Zurechenbarkeit zu weit. Zum anderen sei die „starre Rechtsfolge, der Wegfall der Zurechnung zum Täter und damit die Verneinung der Tatbestandsmäßigkeit, nicht angemessen, weil der Grad der Unrechtsminderung sich oft schlecht in eine starre Entweder-Oder-Entscheidung umsetzen lässt. Graduelle Unrechtsminderungen, die sachverhaltsspezifisch unterschiedlich ausfallen können, verlangen nach einer flexibleren Rechtsfolgenlösung.“ 143 Letzteres rügt auch Maeck mit der Bezeichnung der Lösung mittels objektiver Zurechnung als „starres Alles-oderNichts-Prinzip“ 144. Die Affinität dieser Kritik zu Hillenkamps Argumentation ist unverkennbar. Allerdings steht diese Kritik hier in anderem Licht als in dem oben gegebenen Zusammenhang. Denn mit tatbestandlicher Lösung war dort in erster Linie eine das Opferverhalten miteinbeziehende Auslegung eines Tatbestandsmerkmals des Besonderen Teils gemeint, während hier eine Tatbestandslösung in Rede steht, die an einem Element ansetzt, welches für alle Delikte zu prüfen ist. Der Vorwurf, den Täter auf Kosten des Opfers unbillig zu entlasten, ist im Hinblick darauf anders zu bewerten. Beispielsweise ist es schwieriger, bei einem Element des Allgemeinen Teils nur deliktstypisches Vortatverhalten zu erfassen und so zu gewährleisten, dass der Bereich der täterentlastenden Berücksichtigung von Opferverhalten begrenzt ist. In diese Richtung weist die Kritik Ellmers. Er kritisiert an dem Vorschlag, das Opferverhalten mittels der objektiven Zurechnung zu berücksichtigen, aufgrund des „Spannungsverhältnis Universalisierung und Individualisierung“ die mangelnde Korrespondenz zwischen einem Institut des Allgemeinen Teils und den Fragen des Besonderen Teils145. Die Ansätze zur Verortung der Opfermitverantwortung im Rahmen der objektiven Zurechnung setzen voraus, dass es sich bei der Opfermitverantwortung um ein allgemeines, bei allen Delikten gleichförmig anzuwendendes Prinzip handelt146. Gerade das ist aber überaus zweifelhaft147. Die unterschiedlich starke Ausformung strafrechtlichen Schutzes verschiedener Rechtsgüter lässt vermuten, dass spiegelbildlich die Anforderungen an das Opfer bezüglich der eigenen Vorsorge ebenso variieren, vorausgesetzt die Strafbedürftigkeit und -würdigkeit des Täters korrelieren mit der Schutzbedürftigkeit und -würdigkeit des Opfers. Ein allgemeines Prinzip verleitet demgegenüber zu einer grobschematischen Berücksichtigung, die nur bei eindeu143

Hörnle, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 36 (41 f.). Maeck, S. 88. 145 Ellmer, S. 161, 163 f. mit weiteren Nachweisen. 146 Ausdrücklich Beckemper, S. 231 f.; ansonsten ergibt sich dies durch den systematischen Standort der objektiven Zurechnung. 147 Zur Recht Schünemann, Strafrechtssystem, S. 51 (69) speziell zu dem Ansatz Cancio Meliás. 144

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

tigen Fällen der Opferverantwortlichkeit (so bei willentlicher und freiverantwortlicher dazwischentretender Selbstschädigung) sachgerecht ist, nicht aber bei diffizilen Fallgestaltungen, bei denen insbesondere die unmittelbar schädigende Handlung nicht die des Opfers ist und der Erfolg vom Opfer nicht gewünscht ist. Insofern erscheinen die Ansätze zur Restriktion eines Merkmals des Straftatbestandes aus dem Besonderen Teil vielversprechender. bb) Katharina Beckempers Ansatz Gleichwohl favorisiert Beckemper die Lösung über die objektive Zurechnung; die Miteinbeziehung des Opferverhaltens bei der Auslegung eines konkreten Tatbestandsmerkmals sei unzulässige Reduktion, weil dies die Wortlautgrenze überschreite148. Letzterem ist erneut entgegenzuhalten, dass es sich bei der Berücksichtigung von Opferverhalten innerhalb der Heimtückedefinition rechtstechnisch um eine restriktive Auslegung handelt, welche schon deshalb den Wortsinn nicht überschreitet, da die einzelnen Elemente der Definition dem Gesetz gerade nicht zu entnehmen sind149. Beckempers weiteres Argument, wonach die objektive Zurechnung der einzig richtige Ort der Berücksichtigung von Opferverhalten sei, weil die Fragestellung nach der Eingrenzung des strafbaren Verhaltens die gleiche sei150, ist auch nicht stichhaltig. Denn diese Funktion der Abgrenzung von strafbarem und nichtstrafbarem Verhalten erfüllt letztlich jedes Prüfungsmerkmal und ist nicht der objektiven Zurechnung, ja nicht einmal dem Tatbestand, exklusiv zuzuschreiben. Beckemper entwickelt ihren Ansatz zusammen mit Wegner weiter: Da das Prinzip der objektiven Zurechnung zu „vage“ für eine Umsetzung im Bereich der Selbstschädigungsdelikte sei, sei das „Hilfsprinzip“ der „Selbstbehauptung“ heranzuziehen151. Damit soll danach gefragt werden, ob das Verhalten des Täters auch jeden Dritten zu dessen Selbstschädigung motiviert hätte152. Die Schwäche dieser Vorgehensweise liegt nun darin, dass dieser Ansatz nur für Selbstschädigungsdelikte konzipiert ist153 und innerhalb dieser auch nur für diejenigen Konstellationen, die vor der Selbstschädigung ein diese förderndes Täterverhalten aufweisen. Dies ist besonders problematisch, wenn man bedenkt, dass innerhalb des148

Beckemper, S. 222 für die Nötigung und S. 224 für den Betrug. Siehe bereits zu dieser Diskussion im Zusammenhang mit Hillenkamps Vorbringen, oben S. 224. 150 Beckemper, S. 227, 231. 151 Beckemper/Wegner, NStZ 2003, 315 (316); Beckemper, S. 233 ff. zunächst für § 240 StGB und dann verallgemeinert für alle Selbstschädigungsdelikte, siehe auch das Fazit auf S. 240 f. 152 Beckemper, S. 234, 240. 153 Der begrenzte Anwendungsbereich ist von Beckemper, S. 213 f. festgestellt, aber nicht kritisch betrachtet worden. 149

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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selben Tatbestandes die Reihenfolge von Täter- und Opferaktionen variieren kann. Für den Betrug hieße dies beispielsweise – und gerade anhand § 263 StGB soll ja der angeblich durch die vorgeschlagene Lösung zu verzeichnende Gewinn demonstriert werden154 –, dass die Fälle des Ausnutzens eines bestehenden Irrtums nicht immer zu erfassen wären. Vorausgesetzt, man erkennt den Heimtückemord wegen der den Erfolg förderlichen Passivität des Opfers als Selbstschädigungsdelikt an, sind auch beim Tötungsgeschehen Fallgestaltungen denkbar, bei denen die Reihenfolge der Täter- und Opferaktion variieren kann, womit die Bejahung des Mordmerkmals ebenfalls von diesem Zufall abhinge155. Wenn man sich wie Beckemper für eine „Lösung nur aus einer generalisierenden Formel“ 156 ausspricht, irritiert es, wenn die angebotene Lösung dann von vornherein auf wenige Delikte beschränkt ist und die Anwendbarkeit auch innerhalb dieses beschränkten Kreises von der Zufälligkeit abhängt, wer zuerst agiert. cc) Die Sozialadäquanz Teils wird das Opferverhalten nicht als neue Fallgruppe der objektiven Zurechnung diskutiert, sondern in deren vorhandene Unterkategorie Sozialadäquanz eingeordnet157. Die Sozialadäquanz ist insbesondere mit dem Namen Welzel verbunden, für den alle strafrechtlichen Tatbestandsmerkmale „soziale Beziehungsund Bedeutungsbegriffe [sind], d.h. Begriffe, deren Sinngehalt sich aus ihrer Funktion im sozialen Ganzen ergibt“ 158. Die soziale Adäquanz sei deshalb immanentes Prinzip der Tatbestandsbildung; beispielsweise seien „töten“ oder „verletzen“ nicht als tatsächliche Feststellung Tatbestandselemente, sondern als soziale Bedeutungsmomente zu verstehen159. Auch Nauckes Ansatz zur Lösung der Problematik des zweifelnden Opfers im Rahmen von § 263 StGB ist der einer adäquaten Kausalität160. R. Hassemer entwickelt in seiner Dissertation die Idee, dass bei sozialinadäquatem Opferverhalten, das die Rechtsgutgefährdung 154

Beckemper, S. 235 f. Auch fiele nach Beckempers/Wegners Ansatz ein an sich klassischer Fall aus dem Anwendungsbereich des Heimtückemordes heraus: Gemeint ist der Todesschuss aus dem Hinterhalt, der mangels Interaktion nicht vom Heimtückemerkmal zu erfassen wäre. 156 Beckemper, S. 232. 157 Soweit die Adäquanzlehre als Kausalitätslehre verstanden wird, wird dem hier nicht gefolgt. Zu weiteren Vorschlägen des systematischen Standorts Roxin, FS Klug, 303 (303 f.); ders., AT I, S. 295 ff.; S/S/Lenckner/Eisele Vor § 13 ff. Rn. 69 ff. Zu weiteren normativen Kausalitätsbegriffen W. Frisch, S. 16 ff. Zur Erfassung des Problems beim Schutzzweck der Norm Beckemper, S. 232 f.; Kurth, S. 192. 158 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (528). 159 Welzel, ZStW 58 (1939), 491 (529); dabei stellt er in Fn. 55 klar, dass Rechtfertigungsgründe aber nicht als Fälle sozialer Adäquanz verstanden werden sollen. 160 Siehe ausführlich ab S. 279. Es sei an dieser Stelle vernachlässigt, dass er dies als Kausalitätslehre und nicht als Kategorie der objektiven Zurechnung begreift. 155

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

erhöhe, die Schutzbedürftigkeit in gleichem Maße gemindert werde oder gar entfallen könne161. Ob das Täterverhalten oder das Verhalten des Opfers auf seine Sozialadäquanz hin überprüft wird, kann demnach variieren. Will man das Opferverhalten miteinbeziehen, bedeutet das im ersten Fall, zu fragen, ob die Reaktion des Täters auf das Vorgeschehen im Bereich des zu Erwartenden liegt. Im zweiten Fall fragt man danach, ob man bei einem Verhalten, wie es das Opfer an den Tag gelegt hat, typischerweise zum Opfer wird. Geprüft wird das gleiche, da aber die Strafbarkeit des zuletzt Handelnden interessiert, empfiehlt es sich, die erste Perspektive einzunehmen. Gegen die Sozialadäquanz werden nun rechtsstaatliche Bedenken geäußert und der Vorwurf erhoben, es werde damit nur verbalisiert, was als Ergebnis erwünscht sei, aber keine dogmatische Begründung geliefert162. Die Gefahr, dass die Entlastung des Täters nach Adäquanzgesichtspunkten zu leicht erreicht wird, ist sicherlich größer als bei einer Miteinbeziehung der Opferkomponente innerhalb der Auslegung eines Merkmals aus dem Besonderen Teil. Vor allem aber sind die Folgen zu weitgehend. Nicht jedes als sozial inadäquat zu bezeichnende Opferverhalten ist so schwerwiegend, dass es eine Entlastung des Täters rechtfertigt. Auch wenn es nicht auf die isolierte Inadäquanz des Opferverhaltens ankommt, sondern darauf, ob eine derartige Reaktion des Täters zu erwarten ist163 und eine deshalb notwendige deliktsspezifische Auslegung zu einem gewissen Grad innerhalb der Sozialadäquanz möglich ist (indem man nicht jede aggressive Reaktion als typische wertet), bleiben nämlich zwei Bedenken: Erstens droht eine Überfrachtung der (als allgemeine Rubrik gedachten) objektiven Zurechnung mit deliktsspezifischen Sonderkategorien164. Vor allem stellt sich zweitens die Frage, ob wirklich bei jeder Tat, die wegen des Vorgeschehens innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt, Entlastungsgründe vorliegen. Das muss man mit folgender Überlegung verneinen: Die Lehre von der Sozialadäquanz hat Handlungen vor Augen, welche „im sozialen Leben gänzlich unverdächtige“ 165 sind. Dieses Charakteristikum umschreibt Roxin als „den Gedanken, dass ein nicht nur ausnahmsweise im Einzelfall, sondern von vornherein und generell gebilligtes Verhalten keinen Delikts- und Unrechtstyp verkörpern [. . .] kann“ 166. In Bezug auf die Heimtücke passt das schon von der Grundidee her nicht als Auslegungshilfe. Denn ein dem Täter entgegengebrachtes Verständnis resultiert dort gerade 161

R. Hassemer, S. 75 und passim. Statt vieler siehe die Nachweise bei Roxin, FS Klug, 303 (303 Fn. 4, 310 ff.) oder Fiedler, S. 80 ff. 163 Zu dieser Einschränkung der Beachtlichkeit der Opferpartizipation Bertel, ZStW 84 (1972), 1 (33 ff.) im Rahmen von Überlegungen zur actio illicita in causa. 164 Siehe hierzu als Einschätzung einer allgemeinen Tendenz W. Frisch, S. 22 ff. 165 BGHSt 23, 226 (228); Kellner, S. 37 beschreibt dies als Betätigungen, die „völlig normal“ sind. 166 Roxin, AT I, S. 297. 162

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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nicht aus der tatbestandlichen Handlung selbst, sondern aus den Besonderheiten des vorgelagerten Kontexts. Die Bewertung des Verhaltens als sozialadäquat attestiert dem Handelnden, sich korrekt verhalten zu haben167, bei der Frage einer heimtückischen Tötung erscheint die Tötung aber durch das Vorverhalten des Opfers keinesfalls billigenswert und korrekt. Deswegen ist der Ansatz zu verwerfen, der Opferverantwortung im Rahmen der Sozialadäquanz Rechnung tragen zu wollen. dd) Fazit Schlussendlich kann mittels der Rechtsfigur der objektiven Zurechnung weder mit dem deliktsspezifischen Ansatz Müssigs noch mit einer deliktsunabhängigen Regelung die Lösung der Problematik ,Opferverhalten und Heimtücke‘ erzielt werden. b) Die Fahrlässigkeit Der zweite Bereich aus dem Allgemeinen Teil des StGB, auf den nun im Zusammenhang mit der Berücksichtigung des Opferverhaltens geblickt wird, ist das Fahrlässigkeitsdelikt. aa) Vorbemerkungen Im Folgenden greifen unter dem Schlagwort ,Fahrlässigkeit‘ zwei Überlegungen ineinander: Mit Fahrlässigkeit kann zum einen die Fahrlässigkeitstat des Täters, zum anderen die opferseitige (quasi)fahrlässige Förderung der eigenen Schädigung gemeint sein. Bei letzterem ist fraglich, ob man den Umstand vernachlässigen kann, dass das Opfer nicht Fahrlässigkeitstäter gegen sich selbst sein kann, und deswegen nur eine ,quasitäterschaftliche‘ Prüfung möglich ist168. Falls man diesen Umstand vernachlässigen kann, ist ferner fraglich, wie man diese quasitäterschaftliche Prüfung rechtstechnisch in die primär interessierende Strafbarkeitsprüfung des Täters integriert. Da diese Arbeit die vorsätzliche Tötung behandelt, liegt es auf den ersten Blick nicht nahe, die Fahrlässigkeitstat des Täters zu betrachten, um Erkenntnisse für die Berücksichtigung von Opferverhalten zu erhalten. Beim Fahrlässigkeitsdelikt wird aber Opferverhalten immerhin anerkanntermaßen berücksichtigt, weshalb die Betrachtung dieses Bereiches auch für das Thema dieser Untersuchung aufschlussreich sein kann169. Da der Fahrlässigkeitsbereich insgesamt offener ge167

BGHSt 23, 226 (228). Zu dem Gedankenspiel, ob das Opfer strafbar wäre, wäre es nicht selbst Opfer Sigg, S. 242 f. 169 Siehe zum hohen Anteil opferseitiger Mitverursachung bei Fahrlässigkeitsdelikten die Nachweise Maeck, S. 25 und speziell für Straßenverkehrsdelikte Hillenkamp, S. 11. Den unterschiedlichen Möglichkeiten, dies im Fahrlässigkeitsdelikt rechtstechnisch zu 168

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

genüber Bestrebungen der Strafbegrenzung ist als der Bereich der Vorsatzdelikte, ist jedoch Vorsicht bei der Übertragung täterentlastender Tendenzen geboten170. Dies gilt insbesondere bezüglich des Gedanken, man könne niemanden bestrafen, weil er das Wohl eines anderen nicht mehr geachtet habe, als dieser andere selbst, wolle man nicht in ein „bedenkliches Bevormundungssystem“ steuern171. Der Komplex Fahrlässigkeitstat und Opferverhalten kann für die Belange der hier zu untersuchenden Fragestellung eingegrenzt werden: Zunächst können diejenigen Sachverhalte außen vor bleiben, bei denen ein gänzlich unvernünftiges Opferverhalten die Vorhersehbarkeit des Geschehens für den Fahrlässigkeitstäter ausschließt172 – eine Entsprechung im Vorsatzbereich wäre eine Frage der Behandlung atypischer Kausalität beziehungsweise eine Vorsatzfrage, aber kein Grenzfall der Opferverantwortung, bei dem unklar wäre, an welcher Stelle in der Strafbarkeitsprüfung er anzusprechen wäre. Auch braucht auf die Diskussion, inwieweit die zivilrechtliche Kategorie des Handelns auf eigene Gefahr für das Strafrecht heranzuziehen ist, nicht umfassend eingegangen zu werden173. Denn die Ausgangslagen dieser zivilrechtlichen Fälle sind nicht mit denen der Tötungskonstellationen bei rechtswidrigem Vorverhalten des Opfers vergleichbar: Erstens ist das Ziel im Zivilrecht, der Schadensausgleich, ein anderes als das im Strafrecht174. Zweitens ist vor allem die Gefahr, die sich in den zivilrechtlichen Fällen verwirklicht, eine primär mit der Opferhandlung verbundene. Bei Fällen wie der Tyrannen- oder der Erpresser-Tötung ist die Gefahr, Opfer zu werden, hingegen nur eine nachrangige. Die primär durch das Opferverhalten geschaffene Gefahr ist die der Schädigung des späteren Täters. bb) Der Vertrauensgrundsatz Auf die hier bezogenen Sachverhalte passt von der Ausgangslage her besser der ebenfalls aus dem Zivilrecht stammende Vertrauensgrundsatz. Dieser besagt, dass man sich grundsätzlich auf regelgerechtes Verhalten anderer verlassen darf, aber eben nicht, wenn es Anhaltspunkte für regelwidriges Verhalten gibt175. Dabewerkstelligen, geht Peter Frisch in seiner Dissertation „Das Fahrlässigkeitsdelikt und das Verhalten des Verletzten“ nach. In seiner Untersuchung aus dem Jahr 1968 konstatiert Aebersold, S. 29 f., dass bei Straßenverkehrsdelikten das zu Schaden gekommene Opfer so häufig Anteil daran hat, dass es dem Täter vorgehalten wird, wenn dem einmal nicht so ist. 170 Hillenkamp, S. 13 ff. 171 Exner, FG Frank, 569 (590 f.); P. Frisch, S. 157; Hillenkamp, S. 14 f. 172 Siehe hierzu P. Frisch, S. 42, 58 f., das sind Fälle, bei denen ausnahmsweise nicht nur eine Strafmilderung, sondern ein Ausschluss der Strafbarkeit in Betracht kommt. 173 Siehe die Darstellung bei P. Frisch, S. 42 ff. 174 Wegner, AT, S. 187; Geppert, ZStW 83 (1971), 947 (948, 951 f., 989 f.). 175 Zu diesem aus dem zivilrechtlichen Problemkreis der Straßenverkehrsschäden herrührenden Grundsatz und seiner Adaptation im Strafrecht P. Frisch, S. 99 ff.;

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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runter fällt sicherlich auch das eigene regelwidrige Verhalten, das weitere Regelverstöße der von dem eigenen Regelverstoß Betroffenen veranlasst. Auf das Strafrecht gemünzt hieße dies, dass derjenige, der rechtswidrig in den Rechtskreis eines anderen übergreift, nicht auf dessen weitere Regelkonformität vertrauen darf176. Neben den schon genannten Bedenken gegenüber einer Übertragbarkeit ins Strafrecht kommt hier aber noch ein weiteres hinzu. Den Sachverhalten in den zivilrechtlichen Fällen ist gemeinsam, dass der zuerst rechtswidrig in den Rechtskreis des anderen Eindringende deshalb zu Schaden kommt, weil dieser andere eine Schutzmaßnahme (zumeist fahrlässig) unterlässt, nicht aber weil er seinerseits aktiv den zuerst rechtswidrig Handelnden schädigt177. Abgesehen von der Schwierigkeit, Tun und Unterlassen zu vergleichen, besteht immerhin die Gemeinsamkeit, dass der Vertrauensgrundsatz dem Schadenzufügenden im Zivilrecht wie im Strafrecht zu Gute kommt. Freilich geht es bei der strafrechtlichen Frage dabei nicht um die Bestrafung des Opfers im eigentlichen Sinn, sondern um eine Sanktionierung in Form der Zurückschraubung der Strafbarkeit des Täters. Weil es nicht um eine Kriminalstrafe, sondern um den Verlust des besonderen Schutzes des Heimtücketatbestandes geht, ist die dem Opferverhalten innewohnende Fahrlässigkeitskomponente im Hinblick auf die eigene Opferwerdung durch eine anschließende vorsätzliche Tat des zuvor Angegangenen deshalb besser als Obliegenheitsverletzung zu bezeichnen. Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit sind dabei nun Punkte, die im Zusammenhang mit der schon häufig genannten Eigenverantwortlichkeit des Opfers stehen und die man aus dem Bereich der Fahrlässigkeit kennt. Beide umschreiben die Situation des vortatlichen Verhaltens, geben aber keine Auskunft darüber, wie diese dogmatisch zu berücksichtigen ist. Denn die quasifahrlässige Selbstschädigung durch die Veranlassung eines anderen zu einer vorsätzlichen Schädigung ist in das herkömmliche Gerüst der Strafbarkeitsprüfung eines vorsätzlich handelnden Täters nicht einzustellen. Auch bleibt unklar, was genau zu den Obliegenheiten gehört. Im Zusammenhang mit dem Vertrauensgrundsatz steht die ebenfalls an sich zivilrechtliche Figur des „venire contra factum proprium“ 178. Diese besagt, dass sich der Handelnde unter gewissen Umständen an seinen vormaligen Handlungen Schumann, S. 7 ff.; weitere zivilrechtliche Fälle mit Bezügen zum Strafrecht bei Schwab, JZ 1967, 13 (13 ff.). Ausführlich für das Strafrecht Jakobs, AT, S. 208 ff.; Vogel, S. 207 ff., auf S. 212 konstatiert er, es könne sich niemand auf den Vertrauensgrundsatz berufen, der sich selbst norm- oder obliegenheitswidrig verhält. Anderer Ansicht, also dass der rechtswidrig Handelnde grundsätzlich weiterhin auf die Rechtskonformität der anderen vertrauen dürfe, ist Bertel, ZStW 84 (1972), 1 (35). 176 Demonstriert an einem Beispiel aus dem Nötigungsbereich, lehnt Jakobs, AT, S. 211 diesen Schluss ab. 177 Siehe die geschilderten Sachverhalte bei P. Frisch, S. 104 f. 178 Zu den zivilrechtlichen Rechtsfiguren „venire contra factum proprium“, „konkludente Einwilligung“ und „Handeln auf eigene Gefahr“ im Strafrecht siehe Geppert, ZStW 83 (1971), 947, (975, 988 ff.).

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

festhalten lassen muss, wenn er sich später widersprüchlich zu jenen Handlungen verhält, weil andere darauf vertrauen dürfen. Diese Zielrichtung besteht jedoch gerade nicht bei den strafrechtlichen Fällen, die von einem rechtswidrigen Vorverhalten des Opfers geprägt sind. Denn ein eventuelles Vertrauen des Opfers darin, dass der Täter weiterhin keinen Widerstand leistet, ist nicht schützenswert. Allenfalls könnte eine Gemeinsamkeit zwischen den zivilrechtlichen Fällen, die mit dem venire contra factum proprium-Grundsatz behandelt werden, und jenen strafrechtlichen Fällen darin gesehen werden, dass ein tatsächlicher Umstand rechtlich nicht berücksichtigt wird179, weil dies rechtsmissbräuchlich erscheinen würde. Ob sich eine Auslegung, wie sie im Erpresser-Fall vorgenommen wurde, tatsächlich auf den Gedanken der Rechtsmissbräuchlichkeit stützen lässt, wird später gesondert erörtert180; jedenfalls ist damit ebenfalls keine Präzisierung der Obliegenheiten erreicht. cc) Der Ansatz von Peter Frisch Einen Versuch der Präzisierung des Obliegenheitsbegriffs für das Strafrecht unternimmt Frisch, der in seiner Dissertation die Konsequenzen einer opferseitig erfolgenden fahrlässigen Förderung einer fahrlässigen Schädigung durch einen anderen nachgeht. Er versteht unter einer Obliegenheitsverletzung eine „Interessenverletzung“ des Rechtsgutträgers gegenüber seinen eigenen Rechtsgütern, die eine Einschränkung der Strafbarkeit des letztlich Verletzenden zur Folge hat181. Die Interessenverletzung sei gegeben, wenn der Rechtsgutinhaber die Möglichkeit zur Verhinderung der Schädigung durch den Dritten hatte, aber das erforderliche Maß an Sorgfalt nicht aufgebracht hat182. Dabei sei der Maßstab anzulegen, der auch bei der Pflicht zur Achtung fremder Rechtsgüter besteht; die Gefährdung müsse also erkennbar sein und es müsse zumutbar sein, den eigenen Verursachungsanteil an der Gefährdung der eigenen Rechtsgüter zu unterlassen183. Dann überwiege das Interesse des Täters an seiner Handlungsfreiheit das Interesse des Opfers an Rechtsgüterschutz184. Schüler-Springorum fasst dies als die Prüfung eines Gegentatbestandes zusammen185. Zwar mag es befremdlich wirken, umfangreich das Verhalten des Opfers und nicht nur das Verhalten des Tä179 Bei den zivilrechtlichen Fällen wäre dieser nicht beachtete Umstand die Tatsache, dass ein früheres Verhalten nicht mehr vorliegt, bei den strafrechtlichen Fällen wie dem Erpresserfall wäre es die tatsächliche Arglosigkeit, die rechtlich nicht angenommen wird. 180 Siehe unten ab S. 303. 181 P. Frisch, S. 118 ff. 182 P. Frisch, S. 119 f. 183 P. Frisch, S. 120 und 125. 184 P. Frisch, S. 118. 185 Schüler-Springorum, FS Honig, 201 (214). Gleiches ist gemeint, wenn von ,quasifahrlässig‘ oder ,quasitäterschaftlich‘ die Rede ist.

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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ters zu bewerten, obwohl es um die Strafbarkeit des Täters geht. Völlig ungewöhnlich ist diese Vorgehensweise jedoch nicht. Beispielsweise kann die inzidente Prüfung des Opferverhaltens bei der Rechtswidrigkeit des Angriffs im Sinne des § 32 StGB viel Raum einnehmen. Solange opferbezogene Erwägungen nicht isoliert, sondern in Anlehnung an ein Tatbestandsmerkmal (wie bei Frisch die Sorgfaltswidrigkeit) vorgenommen werden, schlägt die Kritik, es gehe nicht um die Strafbarkeit des Opfers, nicht durch. Eine Überlegung Frischs stimmt im Hinblick auf die Übertragung der paritätischen Verantwortungsteilung vom Fahrlässigkeitsbereich auf das Vorsatzdelikt indessen nachdenklich. Frisch argumentiert, wenn man die Sorgfaltswidrigkeit aufgrund der Obliegenheitsverletzung verneine, seien die Anforderungen an Opfer und Täter hinsichtlich der Verantwortung für den Rechtsgüterschutz identisch186. Für den Vorsatzbereich trifft dies jedoch nicht zu. Denn im subjektiven Bereich müsste das Opfer als Pendant zum Vorsatz des Täters mit seinem Vorverhalten in die eigene Schädigung einwilligen. Bezogen auf die Heimtücke ist das beim Tyrannen wie beim Erpresser gerade nicht der Fall, abgesehen davon, dass eine solche Einwilligung rechtlich nicht möglich ist. Es treffen in diesen Fällen stattdessen Fahrlässigkeitselemente auf Opferseite mit Vorsatzelementen auf Täterseite zusammen. Dieser Unterschied bezüglich des Opfer- und des Täterverhaltens spricht gegen die Möglichkeit einer paritätischen Verantwortungsteilung. Allerdings bleibt eine Verantwortungsteilung in dem Sinne denkbar, dass der Täter nicht um einen paritätischen, sondern um einen nur geringen Teil der Verantwortung entlastet wird. Für den Bereich des Heimtückemordes wäre eine solche Verantwortungsteilung aufgrund der Besonderheit, dass das Mordmerkmal ein Qualifikationstatbestandsmerkmal ist, durchaus möglich: Berücksichtigt man das quasifahrlässige Opferverhalten bei der Bewertung der vorsätzlichen Tötungshandlung des Täters, kann dies nämlich nur der Erfüllung des Qualifikationstatbestandes ,Heimtückemord‘ entgegen stehen; die Tötung kann nach dem Grunddelikt ,Totschlag‘ gleichwohl strafbar sein. Damit unterscheidet sich die Rechtsfolge in dieser Konstellation (bei der fahrlässiges Opferverhalten mit vorsätzlichem Täterverhalten zusammentrifft) von der Rechtsfolge ,Straffreiheit‘ der Situation paritätischer Verantwortungsteilung (in der Täter und Opfer fahrlässig handeln)187. Hinsichtlich des schon angesprochenen Problems, ob wegen der Indisponibilität des Rechtsguts Leben eine Miteinbeziehung des Opferverhaltens bei der Bewertung von Delikten gegen das Leben ausgeschlossen ist, weil selbst die Einwilligung nicht möglich ist, steht Frisch einer solchen Schlussfolgerung ablehnend gegenüber188. Es wird bereits allgemein angezweifelt, dass der Grundsatz der 186

P. Frisch, S. 121 f. Siehe hierzu P. Frisch, S. 120. 188 P. Frisch, S. 130 ff., siehe zur Frage der Indisponibilität des Rechtsguts Leben als Argument gegen eine opferbezogene Auslegung oben S. 226. 187

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

Indisponibilität überhaupt tangiert ist, wenn das Opferverhalten mangels Verfügungsbewusstsein keine Rechtsgutdisposition darstellt189. Ein Verfügungsbewusstsein ist dabei jedenfalls nicht gegeben, wenn das spätere Opfer nicht mit Gegenwehr rechnet oder glaubt, dieser überlegen zu sein. Eine bloß mittelbare Gefahr, selbst Opfer zu werden, nachdem man einen anderen geschädigt hat, hat § 216 StGB als Ausdruck des Indisponibilitätsgrundsatzes nicht im Blick. Selbst wenn dem so wäre, wäre es aber sogar kontraproduktiv, keine nachteiligen Folgen für den sein Leben Gefährdenden zuzulassen, weil dann keine Abschreckungswirkung hinsichtlich der Tat gegenüber dem späteren Täter erzielt wird, die die eigene Schädigung veranlasst. Daher ist jene Argumentation über die Indisponibilität in jedem Fall schief. Die Ansicht, dass derjenige, der in eine Verletzung nicht einwilligen kann, sich erst recht nicht unbewusst des Rechtsgüterschutzes entledigen können soll, greift zudem jedenfalls hinsichtlich der speziellen Frage nicht durch, ob das Opferverhalten bei der Heimtücke zu berücksichtigen sein kann. Denn das Opfer handelt nicht mit strafbefreiender Wirkung für den Täter. Die Tötung bleibt verboten und der Schutz des Lebens wird weiterhin durch § 212 StGB flankiert. § 216 StGB wird also in keinem Fall konterkariert. Vorgeworfen wird Frisch, dass das Mitverschulden des Opfers zum „Tatbestandskorrektiv“ erhoben werde190. Das Aufrechnen des Opfer- und Täterbeitrags sei in der Regel nicht sachgerecht, weil sich die Beiträge nicht „graduell entsprechen“ müssen191. Eine Miteinbeziehung des Opferverhaltens im Unrechtstatbestand sei daher abzulehnen. Beispielsweise meint Keller: „Solange der Verletzte nicht willentlich über seinen Rechtsgüterschutz verfügt, schützt ihn das Strafrecht, mag er sich auch noch so unvernünftig verhalten.“ 192 Ähnlich moniert Geppert, der Standpunkt des Verletzten sei „eine für das Strafrecht falsche Perspektive“ 193. Hierin kommt die Kritik zum Ausdruck, dass die Strafwürdigkeit unabhängig von Schutzwürdigkeitsaspekten zu bestimmen sei. Das ist eine grundsätzliche Frage, die auch für die Heimtückeproblematik zu klären sein wird194. Abschließend ist zu Frischs Werk zu sagen, dass aller Kritik zum Trotz die vorgeschlagene Art der Berücksichtigung von Opferverhalten im Fahrlässigkeits189 Siehe hierzu Kellner, S. 64 mit weiterführenden Nachweisen; P. Frisch, S. 132 und dort Fn. 118. 190 LK/Hirsch 9. A. § 51 Rn. 101; kritisch auch Hillenkamp, S. 12; ders., JuS 1977, 166 (171 f.), der diesen Vorwurf zum grundsätzlichen Einwand gegen jedwede das Opferverhalten berücksichtigende Auslegung ausbaut. 191 Kellner, S. 66 f. 192 Kellner, S. 66. 193 Geppert, ZStW 83 (1971), 947, (963, 990), der sich zwar im Schwerpunkt mit der Einwilligung beschäftigt, sich aber auch zu nur einwilligungsnahen Konstellationen äußert. Zur strafzumessungsrechtlichen Berücksichtigungsfähigkeit von Opferbeiträgen Geppert, ZStW 83 (1971), 947, (997). 194 Siehe ab S. 301.

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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delikt einige Überzeugungskraft besitzt. Im Rahmen dieser Arbeit sind diese Ergebnisse zwar nur bedingt weiterführend, weil es im Vorsatzdelikt kein Pendant zur Sorgfaltswidrigkeit im Fahrlässigkeitsbereich gibt und die Qualität der Fälle eine ganz andere ist. Bedeutsam für das Thema Heimtücke und Opferverhalten ist aber die Erkenntnis, dass der Grundsatz der Indisponibilität des Rechtsguts Leben einer Einschränkung der Strafbarkeit des Täters beziehungsweise des Opferschutzes nicht entgegensteht. Die diesbezüglich angestellten Überlegungen gelten für eine Fahrlässigkeitstat wie für die Vorsatztat des Täters gleichermaßen, da das jeweils in Rede stehende Opferverhalten quasifahrlässiges Handeln ist. dd) Fazit Erwartungsgemäß konnten aus der Betrachtung des Fahrlässigkeitsbereichs keine Erkenntnisse gewonnen werden, die eine Lösung der Heimtückeproblematik ohne weiteres ermöglichen. Auf das Heimtückemerkmal übertragbar waren aber die zusätzlichen Argumente dafür, dass der Indisponibilitätsgrundsatz, den § 216 StGB zum Ausdruck bringt, nicht durch die Berücksichtigung des Opferverhaltens verletzt wird. Deutlich wurde auch erneut die Aufgabe, Begründung und Inhalt der Obliegenheit eines Tötungsopfers zum Selbstschutz herauszuarbeiten und zu klären, welche Konsequenzen die Verletzung dieser etwaigen Pflichten hat. Zu beantworten ist dabei auch, ob die Obliegenheit, niemanden zu einer Tat gegen sich zu bewegen, nur das Unterlassen von vorsätzlichen Straftaten gegen den potentiellen Täter umfasst oder ob das Vortatverhalten des Opfers auch unterhalb dieser Schwelle bei der Bewertung des späteren Täterverhaltens eine Rolle spielen kann. Bemerkenswert ist im Übrigen, dass im Fahrlässigkeitsbereich beim sogenannten Übernahmeverschulden195 das Vortatverhalten des Täters strafbegründend, also zu seinen Lasten, wirken kann. Das soll hier nicht vertieft, sondern nur deshalb erwähnt werden, um die ambivalente Wirkung einer etwaigen Beachtlichkeit von Vortatverhalten erneut aufzuzeigen. c) Die Einwilligung und Überlegungen aus der Beteiligungslehre Als nächstes sind die Einwilligung und die Beteiligungslehre auf Aspekte hin zu untersuchen, die auch im Rahmen der Heimtücke für eine Berücksichtigung des Opferverhaltens sprechen könnten.

195 Ausführlich hierzu Neumann, S. 186 ff. Hierbei richtet sich der Vorwurf auf die Vorhersehbarkeit des eigenen Unvermögens, Neumann, S. 188 ff.

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

aa) Allgemeine Überlegungen Um das Aufkommen einer Fehlvorstellung zu verhindern, sei zu Beginn dieses Unterkapitels klargestellt, dass ein vortatlich-deliktisches Verhalten des Opfers, welches die Tat eines anderen gegen sich veranlasst, nicht zu der Fiktion einer rechtfertigenden Einwilligung führen kann. Die Einwilligung hat ein allein- oder vollverantwortliches Opfer vor Augen, während hier das Opfer für seine Schädigung bloß mitverantwortlich gemacht werden soll196. Abgesehen davon, dass die Einwilligung in die heimtückische Tötung nicht möglich ist (rechtlich wie tatsächlich) erfasst die Einwilligung nur diejenigen Fälle, in denen das Opfer die Schädigung oder nach anderer Ansicht wenigstens die Gefährdung möchte197. Das Tötungsopfer, das im Vorfeld rechtwidrig gegenüber dem Täter gehandelt hat, ist demgegenüber ein sozusagen quasifahrlässig einwilligendes Opfer. Dies ist eine an sich widersinnige Bezeichnung, da die Kategorien Fahrlässigkeit und Einwilligung gegensätzliche Bewusstseinslagen voraussetzen. Dass es die fahrlässige Einwilligung nicht gibt, wird oftmals nicht begründet198, versteht sich aber auch nahezu von selbst und kommt dadurch zum Ausdruck, dass zumindest der rechtsgutbezogene Irrtum als Wirksamkeitshindernis der Erklärung behandelt wird199. Liegt ein solcher vor, wird vom einwilligungsnahen Fall gesprochen, was allenfalls auf Strafzumessungsebene Berücksichtigung erfährt200. Da die Einwilligung oder das Einverständnis auf Opferseite dem Vorsatz auf Täterseite entspricht, stellt sich die Frage, ob es auf der Opferseite auch ein Pendant zum fahrlässigen Verhalten des Täters gibt. Damit wird unmittelbar an das vorherige Kapitel angeknüpft, denn die Obliegenheitsverletzung des Opfers, einen anderen zu einer Tat gegen sich zu veranlassen, ist nichts anderes als eine fahrlässige Beteiligung. Daher ist nun zu prüfen, ob Erkenntnisse aus der Beteiligungslehre für die Bewertung der Tötung eines solchen Opfers fruchtbar gemacht werden können: Das Verhalten eines solchen Opfers weist selbstschädigenden Charakter auf. Dieser selbstschädigende Charakter ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt bei der im Rahmen der Beteiligungslehre entwickelten Argumentation, dass die fahrlässige Beteiligung an der Selbstschädigung beziehungsweise -gefährdung eines anderen nicht strafbar sein könne, weil es die vorsätzliche Förderung auch nicht ist201. Fraglich ist jedoch, ob beide Konstellationen tatsächlich vergleichbar sind. Bei den Fällen mit einem im Vorfeld rechtswidrig handelnden Opfer sind im Vergleich zu den Fällen, die jener Regel aus der Beteiligungslehre zugrunde liegen, 196

Beckemper, S. 210. P. Frisch, S. 51 f., allerdings im Zusammenhang mit einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit des Dritten. 198 Ausdrücklich aber Jakobs, AT, S. 253; anderer Meinung ist Montenbruck, S. 37. 199 Beispielsweise Hillenkamp, S. 247. 200 Hillenkamp, S. 247, 294 ff.; kritisch zu dieser Lozierung Ellmer, S. 191. 201 BGHSt 24, 342 (343 f.) und 32, 262 (264) mit weiteren Nachweisen. 197

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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zwei Unterschiede auszumachen, die einer Vergleichbarkeit entgegenstehen könnten: Zum einen ist die Reihenfolge der Tatbeiträge von Opfer und Täter vertauscht. Zum anderen haben die Tatbeiträge von Opfer und Täter jeweils eine andere Qualität (fahrlässiges beziehungsweise vorsätzliches Handeln). Denn die Konstellation, die der Argumentation in der Beteiligungslehre zugrundeliegt, hat die fahrlässige Förderung einer nachfolgenden quasivorsätzlichen Selbsttötung durch einen Dritten vor Augen. Bei einer Tyrannen-Tötung oder dem ErpresserFall geht es demgegenüber um die quasifahrlässige Förderung durch das Opfer, der die Vorsatztat des Täters nachfolgt202. Da der letzte Tatbeitrag aufgrund der Zwangsläufigkeit des Ergebnisses stärkeres Gewicht hat und es deshalb entscheidend darauf ankommt, ob dieser Tatbeitrag vom Opfer stammt, kann man diese unterschiedlichen Konstellationen nicht vergleichen. Ebenso macht es einen ganz bedeutsamen Unterschied, ob bei dem Opferverhalten untechnisch gesehen Fahrlässigkeit oder Vorsatz besteht, und eine Gleichstellung dieser unterschiedlichen psychologischen Sachverhalte wurde deshalb bereits eingangs abgelehnt203. Aus den Überlegungen zur Straffreiheit der fahrlässigen Förderung einer Selbsttötung ist daher nichts für die hier interessierenden Fälle der Opfermitverantwortung bei der vorsätzlichen Tötung durch einen anderen zu erschließen. bb) Die Konzeption Ralf-Peter Fiedlers Eine Untersuchung, die demgegenüber den verschiedenen Qualitäten des Opferbeitrags Rechnung trägt, hat Fiedler angestellt. Er legt dabei eine Skala der Opferbeteiligung zu Grunde, an deren einem Ende die Einwilligung und am anderen Ende das allgemeine Lebensrisiko angesiedelt ist204. Als einverständliche Fremdgefährdung sind diejenigen Sachverhalte bezeichnet, die im mittleren Bereich der Reihe liegen und die von der Einstellung des späteren Opfers her denjenigen eines bewusst fahrlässig handelnden Täters entsprechen. Dies sind Fälle, 202 Ob noch eine Beteiligung an der Selbstschädigung oder schon eine Beteiligung an der Fremdschädigung gegeben ist, lässt sich unabhängig von der Reihenfolge der Beiträge daran entscheiden, wer die Entscheidungsherrschaft über den Beitrag hat, Jakobs, AT, S. 622 f. Diese auf Roxin zurückgehende Trennung der Verantwortungsbereiche von Täter und Opfer nach strafloser „Teilnahme an einer Selbstgefährdung“ und strafbarer „einverständlicher Fremdgefährdung“ wird also nur dann diskutiert, wenn das Opfer wenigstens die Handlung des Täters als solche möchte, dazu auch Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (366 ff.). 203 Dem Ineinandergreifen von Tatbeteiligung des Opfers und Einwilligungsmomenten geht auch Hillenkamp, JuS 1977, 166 (169 ff.) mit Blick auf eine eventuelle Entlastung des Täters nach, lehnt sie aber ab, da der Beteiligte nicht mehr Rechtsmacht haben solle als der Einwilligende. Das auf die Indisponibilität abzielende Argument spricht indes aus den oben auf S. 226 und S. 247 dargelegten Gründen nicht gegen die Berücksichtigung von Opferverhalten im Rahmen der Tötungsdelikte. Überdies setzt das Ausüben von Rechtsmacht ein darauf gerichtet bewusstes Handeln voraus, was hier nicht vorliegt. 204 Fiedler, S. 5.

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

bei denen das Opfer um die konkrete Gefährlichkeit der Situation weiß, diese gleichwohl aber nicht meidet, weil es auf das Ausbleiben des Schadens vertraut205. Diese Abstufung der Opferbeteiligung ist mit Blick auf die hier interessierenden Fallgruppen zu ergänzen: Um das Zusammenwirken von Täter- und Opferverhalten als einvernehmlich beschreiben zu können, muss das Opfer die Vornahme der gefährdenden Handlung des anderen wollen, also beispielsweise die Chauffeurdienste eines Betrunkenen in Anspruch nehmen wollen oder den ungeschützten Geschlechtsverkehr mit einem bekanntermaßen HIV-Infizierten vollziehen wollen206. Beim Fall der quasi-luxuria müsste also differenziert werden, ob das Opfer nur auf das Ausbleiben des Erfolges vertraut (wie in den eben genannten Fällen) oder auch auf das Ausbleiben der gefährdenden Handlung und des Erfolges vertraut (wie in den Fällen der Erpresser- oder Tyrannen-Tötung). Die Skala der Opferbeteiligung stellt sich dann wie folgt dar: Der niedrigste Grad ist bei Zufälligkeiten des allgemeinen Lebensrisikos gegeben. Es folgt die Konstellation, in der das Opfer eine objektiv erhöht gefährliche Situation schafft oder sich in eine solche begibt und sich dabei entweder keinerlei Gefahr bewusst ist oder aber auf das Ausbleiben der Täterhandlung und des dadurch herbeigeführten Erfolges vertraut. Dem schließt sich die einvernehmliche Fremdgefährdung an, bei der sich das Opfer der Gefährdung durch das Täterverhalten bewusst ist, diese aber gleichwohl im Vertrauen auf das Ausbleiben des Erfolgs gutheißt. Die Reihe endet mit dem Einverständnis oder der Einwilligung, bei denen das Opfer zudem den Erfolg billigt. An Intensität der Opferbeteiligung wird dies nur noch von der eigenhändigen unmittelbaren Selbstschädigung übertroffen207, die hier aber außen vor bleiben kann. Zwar ist Fiedlers primärer Untersuchungsgegenstand die einverständliche Fremdgefährdung208, es stimmt jedoch der Ausgangspunkt mit den hier interessierenden Fallgestaltungen überein, dass die Fälle der mittleren Beteiligungsintensität ausschließlich solche sind, bei denen die unmittelbar zum Erfolg führende Handlung die des Täters und nicht die des Opfers ist. Außerdem geht Fiedler ebenfalls der Frage nach, ob und wie sich diese Opferbeteiligung im Vorfeld auf die Strafbarkeit des Täters auswirkt. Interessant ist dabei, dass Fiedler das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit als eine allen von ihm begutachteten Ansät205

Fiedler, S. 6. Fiedler, S. 8 f. stellt zunächst einen Fall vor, bei dem das Opfer beim Geschlechtsverkehr mit dem Täter um dessen HIV-Erkrankung wusste, anschließend schildert er die Fährmann-Memel-Entscheidung RGSt 57, 172 ff. sowie diverse Konstellationen von Mitfahrerfällen. 207 Auch hier führt Fiedler, S. 11 f. ein Beispiel an. Diese Fälle scheiden hier aus der näheren Betrachtung aus, da die letztlich schädigende Handlung vom Opfer selbst in Kenntnis ihrer Gefährlichkeit vorgenommen wurde. 208 Fiedler, S. 7; die seiner Untersuchung vorangestellte Kasuistik S. 8 ff. offenbart jedoch, dass er schwerpunktmäßig die Fälle behandelt, bei denen das Opfer die Vornahme der gefährdenden Handlung des Täters möchte. 206

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

253

zen zu Grunde liegende Maxime herausarbeitet209. Er konstatiert, dass auf der Täterseite anerkanntermaßen das Eigenverantwortungsprinzip besteht, auf der Seite des Opfers dieses hingegen nur Makulatur sei210. Was für den Täter gelte, müsse aber auch für das Opfer gelten, da das Menschenbild das gleiche sei211, nämlich das eines zur Selbstverantwortung fähigen Menschen, was freilich für diesen „Würde und Bürde zugleich“ sei212. Fragen bleiben bestehen hinsichtlich der dogmatischen Umsetzung der an sich zustimmungswürdigen These, dass die Eigenverantwortung auf Täter- und Opferseite zu beachten ist. Fiedler spricht hier von einer „Interessenabwägung“ innerhalb teleologischer Tatbestandsauslegung213. Ihre konkrete Handhabung wird leider nicht geschildert. cc) Fazit Aspekte der Einwilligung und Beteiligung haben sich für die Frage der Miteinbeziehung von Opferverhalten bei dem Heimtückemerkmal trotz bestehender Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Problemstellungen letztlich als nicht weiterführend erwiesen. d) Partielle Rechtfertigungen Neben der Einwilligungsnähe sind weitere opfer- oder täterbezogene Umstände denkbar, die das Verhalten des Täters (nur) in die Nähe der Rechtfertigung rücken. Im Zusammenhang mit Tötungsdelikten sind partielle Rechtsfertigungslagen vor allem im Hinblick auf die Notwehr gem. § 32 StGB interessant. Häufig liegt hierbei eine Nahezu-Rechtfertigung bei den Tyrannen-Tötungen vor, nämlich dann, wenn ein von dem Tyrannen verübter Angriff vorüber ist und ein erneuter Angriff noch nicht wieder gegenwärtig ist. Ferner ist an Fälle zu denken, in denen der Täter nicht das mildeste Mittel einsetzt, er ohne subjektives Rechtfertigungselement handelt oder die Tat aufgrund sozialethischer Einschränkungen nicht gerechtfertigt ist. Im Zusammenhang mit dem Erpresser-Fall ist bereits eine weitere Fallgruppe partieller Rechtfertigung angesprochen worden, die Notwehrprovokation214. Hinsichtlich dieser letztgenannten Fallgruppe erscheint es allerdings zunächst fraglich, ob eine heimtückische Tötung im Zusammenhang mit einer Provokation 209

Fiedler, S. 116 ff. Fiedler, S. 120. 211 Fiedler, S. 121. 212 Fiedler, S. 119. 213 Fiedler, S. 180. 214 Siehe nochmals ablehnend BGH NStZ 2003, 425 (428) und oben Teil B. Fn. 229 auf S. 74. Verfehlt wäre es, die Provokation als einwilligungsnahen Fall zu sehen, Hillenkamp, S. 129. 210

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

überhaupt möglich ist, denn das Opfer eines heimtückisch begangenen Mordes leitest dem Täter keinen Widerstand, während es für eine Notwehrprovokation gerade charakteristisch ist, dass der Provozierte dem Provokateur entgegentritt. Näher betrachtet, löst sich dieser scheinbare Widerspruch jedoch auf: Dabei ist zu differenzieren, ob letztlich der Provokateur oder der Provozierte getötet wird. Die heimtückische Tötung des Provozierten ist nur dann möglich, wenn dieser irrig glaubt, der Provokateur erwarte seinen Angriff nicht. Das angreifende Opfer täuscht sich darüber, dass es sich in eine erwartete Kampfsituation begibt. Es stellt sich vor, der Täter habe es quasi fahrlässig provoziert, tatsächlich hat der Täter die Reaktion seines Opfers jedoch erwartet. Wenn das Opfer der Tötung der ursprüngliche Provokateur ist, ist für das Vorliegen der Heimtücke zwischen fahrlässigen, vorsätzlichen und absichtlichen Provokationen zu differenzieren. Die Arglosigkeit ist offensichtlich bei dem Opfer ausgeschlossen, das den Täter vorsätzlich oder absichtlich zu dem Angriff veranlassen will und sich in den Abwehrchancen verschätzt215. Schwieriger ist die Heimtückefrage zu beantworten, wenn die Provokation lediglich fahrlässig erfolgt. Zu beachten ist, dass dabei das provokative Verhalten selbst in aller Regel bewusst und gewollt vorgenommen wird. Lediglich der Quasivorsatz hinsichtlich der Reaktion des Provozierten ist in solchen Fällen nicht gegeben216. Der Provokateur rechnet also nicht mit einem Angriff, was für seine Arglosigkeit und damit im Falle seiner Tötung für die Bejahung der Heimtücke spricht. Gleichwohl hat der BGH in solchen Konstellationen die Heimtücke ähnlich wie in der späteren Erpresser-Entscheidung damit verneint, dass das Gesamtgeschehen auch ohne den (Quasi-)Vorsatz hinsichtlich der Reaktion des Provozierten den Angegriffenen als den eigentlichen Angreifer erscheinen lasse217. Dem BGH zufolge soll in solchen Fällen maßgeblich sein, dass es sich aufdränge, dass der Provozierte zur Tätlichkeit übergehen werde oder dass die für die Heimtücke erforderliche besondere Gefährlichkeit fehle, wenn der Täter „erkennbar“ stark erregt sei218. Neuartig an dieser zwischenzeitlich vertretenen Begründung der Verneinung der Heimtücke ist, dass die Arglosigkeit auf rein objektivem Weg verneint wird. 215 Roxin, ZStW 75 (1963), 541 (574) erklärt für die Frage der Rechtfertigung, dass Absichts- und Vorsatzprovokationen gleich zu behandeln sind, weil ohne ausdrückliche gesetzliche Regelungen alle Vorsatzformen gleich zu behandeln sind. 216 Zu diesem bedeutsamen Unterschied der inneren Situation hinsichtlich der Provokationshandlung und ihrer Folge Retzko, S. 58 ff. 217 BGH JR 1991, 380 (381) und später in der Erpresser-Entscheidung BGHSt 48, 207 (210). Das ist beispielsweise für Constadinidis, S. 124 ff. der entscheidende Faktor für die Ablehnung eines Angriffs im Sinne des § 32 StGB; hierzu auch Bockelmann, FS Honig, 19 (25 mit weiterführender Literatur in Fn. 31). 218 Siehe bereits BGH JR 1991, 380 (381). Es ist schwierig zu bestimmen, wer wie in diesem Fall bei einer Kette von Provokationen der sogenannte eigentliche Angreifer ist. Wenn ein gegenseitiges Aufschaukeln geplant ist, soll eine heimtückische Begehungsweise des Erstprovozierenden anzunehmen sein, BGH JR 1991, 380 (381); BGH NStZ 1984, 261 (261).

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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Festzuhalten ist demnach, dass auch im Zusammenhang mit einer Provokation eine heimtückische Tötung denkbar ist. Daher ist nun der Frage nachzugehen, ob Fälle wie die Tyrannen- oder Erpresser-Tötung mit Überlegungen aus der Rechtfertigungslehre überzeugend zu lösen sind. Roxin will wie gesehen219 bestimmten partiellen Rechtfertigungen (beziehungsweise Entschuldigungen) eine Wirkung auf den Tatbestand zusprechen, indem er die herkömmliche Heimtückedefinition um den Zusatz „es sei denn, die Tat erfolgt zur Rettung aus einer die soziale oder physische Existenz des Täters bedrohenden Notlage gemäß §§ 32, 34, 35 StGB“ ergänzt. Die hiergegen vorzubringenden Gründe sollen nicht wiederholt werden. Sie streiten auch nicht gegen eine auf Tatbestandsebene zu beachtende Wirkung partieller Rechtfertigung überhaupt. Es sei auch nochmals in Erinnerung gerufen, dass der angebliche Wertungswiderspruch, wonach eine sich tatbestandlich auswirkende partielle Rechtfertigung negiere, was die volle Rechtfertigung voraussetze (nämlich die Tatbestandsmäßigkeit), tatsächlich nicht besteht220. Damit spricht aus dem bislang in dieser Arbeit Gesagten nichts gegen eine Lösung der Heimtückefrage durch Rechtfertigungsaspekte. Wie gesagt sind die antizipierte Notwehr und die Notwehrprovokation die beiden hier namentlich interessierenden Fallgruppen, bei denen bei einer Teilverwirklichung von Rechtfertigungsgründen diskutiert wird, ob die konsequente Verneinung einer Rechtfertigung im Ergebnis überzeugt. Auf die zahlreichen Ansätze der Einschränkung oder des Ausschlusses des Notwehrrechts beim Vorliegen einer Notwehrprovokation kann hier nicht umfassend eingegangen werden221. Vielmehr soll ein Aspekt aus der Diskussion um diese Fallgruppe aufgegriffen werden, um zu demonstrieren, dass die Frage nach der Rechtfertigung bei teilweise vorliegenden Rechtfertigungsgründen letztlich für eine abschließende 219

Siehe ausführlich oben S. 166 ff. Siehe oben ab S. 66. Günther hält partielle Rechtfertigungslagen aber nicht für irrelevant: Zwar läge keine Rechtfertigung, aber eine Unrechtsmilderung beziehungsweise ein Unrechtsausschluss vor. Das heißt, das Opfer muss das Verhalten des Täters nicht erdulden, weil es nicht gebilligt wird, der Täter erhält aber gleichwohl kein strafrechtliches Unwerturteil, Günther, S. 324 ff. und vor allem S. 331. Dem liegt die Prämisse zu Grunde, dass Strafunrechtsausschließungsgründe als Ausdruck mangelnder Strafwürdigkeit die Straftatbestandsverwirklichung ausschließen, ohne aber die Rechtmäßigkeit des Verhaltens auszuweisen, Günther, S. 255 ff., das Verhalten ist schon rechtswidrig, aber noch nicht strafrechtswidrig („Rechtswidrigkeitensplitting“), Günther, S. 196 ff., 326, 359. Siehe hierzu auch Kratzsch, NJW 1974, 1546 (1546 f.). Zur strafrahmenverschiebenden Wirkung der Notwehr- oder Notstandsnähe im Sinne der Rechtsfolgenlösung Günther, JR 1985, 268 (272); zu anderen möglichen Auswirkungen auf Rechtfertigungs- oder Schuldebene Günther, JR 1985, 268 (274 f.). 221 Rechtstechnisch ist die Ablehnung der Rechtfertigung nirgends völlig überzeugend begründet. Neben der üblichen Lehrbuchliteratur bietet Neumann, S. 142 ff. einen ausführlichen Überblick über diverse Begründungen. Dies sind der fehlende Verteidigungswille, die Einwilligung des Provokateurs, die fehlende Gebotenheit, die Idee der Garantenstellung, die Verneinung eines Angriffs und letztlich die Figur der actio illicita in causa. Siehe hierzu auch Constadinidis, S. 15 ff. oder Retzko, S. 68 ff. 220

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

Beurteilung des Geschehens nicht immer die richtige ist und es deshalb falsch wäre, weniger Mühen auf die Klärung der Tatbestandsfrage zu verwenden in der Hoffnung, dass das richtige Endergebnis auf der Rechtfertigungsebene schon erzielt werden wird. Folgendes gilt es zu bedenken, schließt man das Notwehrrecht des Provokateurs aus beziehungsweise schränkt es nach der „Stufentheorie“ 222 auf weniger intensive Mittel der Verteidigung ein: Kommt der Provokateur jenen Anforderungen eines eingeschränkten Notwehrrechts nach beziehungsweise unterlässt die Verteidigung gänzlich, geht dies normalerweise nicht zwangsweise mit seiner eigenen tödlichen Verletzung einher, da es dem Angegriffenen unbenommen bleibt, dem Angriff auszuweichen223. Wenn jedoch faktisch kein anderer Ausweg als die Tötung des provozierten Angreifers besteht, kann der Provokateur der Strafe nur durch den Tod entgehen, was faktisch einer Duldungspflicht der eigenen Tötung gleichkäme224. Denn entweder der Provokateur wehrt sich nicht gegen seine Tötung und stirbt, oder er wehrt sich und wird wegen der Tötung des Angreifers bestraft, da ja die Notwehr ausgeschlossen ist. Mit dieser Kritik sollen die diversen Begründungen zur Einschränkung oder zum Ausschluss des Notwehrrechts bei Provokationen nicht allgemein bewertet werden, sondern es soll allein gezeigt werden, dass die Berücksichtigung von vortatlichem Verhalten innerhalb der Rechtfertigungsfrage jedenfalls im Bereich der Tötungsdelikte nicht immer überzeugt. Die Kritik, dass man den Täter zumindest in einer solchen geschilderten Extremsituation entweder voll rechtfertigen oder voll bestrafen muss, weist Parallelen zu der Diskussion auf Tatbestandsebene bei der Berücksichtigung von Vortatverhalten des Opfers auf. Wie dort besteht für den Fall des Zusammentreffens von heimtückischer Begehungsweise und (fahrlässiger) Provokation mit dem Ansatz der normativ zu bestimmenden Arglosigkeit ein Mittelweg, der zu dem sachgerechten Ergebnis des Totschlags führen kann. Diese tatbestandliche Lösung ist daher zumindest für die diskutierten Fälle vorzugswürdig, ohne damit ein Urteil für andere rechtfertigungsnahe Fälle auszusprechen, denn sie ist hier nur deshalb möglich, weil es sich bei der Heimtücke um ein Qualifikationsmerkmal handelt, weshalb sie nicht verallgemeinerungsfähig ist. Weiter ist nicht ersichtlich, wie die Ansätze zur Behandlung der Fälle, bei denen die vortatliche Provokation von dem Täter des letztlich erfolgten Tötungsdelikts ausgeht, für die Behandlung der Situation fruchtbar gemacht werden könnten, dass der Provokateur das Opfer der letztendlich erfolgten Tötung ist (wie es in der Tyrannen- oder Erpresserkonstellation der Fall ist). 222 Zur Stufentheorie Retzko, S. 158 mit weiteren Nachweisen; nach dieser Theorie muss der Angegriffene zunächst ausweichen, falls dies nicht möglich ist, ist ihm Schutzwehr und nur zuletzt Trutzwehr gestattet, wobei strittig ist, ob der Provozierte als letztes Mittel getötet werden darf. 223 Kratzsch, NJW 1974, 1546 (1547). 224 Zu diesem Problem Neumann, S. 180 f.; Montenbruck, S. 42; Günther, S. 324 ff.; Lenckner, GA 1961, 299 (302 ff., 311 ff.); Gribbohm, SchlHA 1964, 155 (158); Bertel, ZStW 84 (1972), 1 (18, 33); Schröder, JuS 1973, 157 (160).

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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Für die zweite hier interessierende Fallgruppe, die antizipierte Notwehr und damit vor allem die Tyrannentötung hat sich ein weiterer, ungeschriebener Rechtfertigungsgrund bislang nicht etabliert. Ein wesentlicher Grund hierfür ist wohl ebenfalls, dass eine volle Billigung der Tat nicht sachgerecht erscheint. Auch für diese Fälle ermöglicht der Ansatz der berechtigten Arglosigkeit mit dem Ergebnis Totschlag eine Lösung, die einerseits den zu hart empfundenen Schuldspruch Mord vermeidet, aber andererseits die Tat nicht billigt. Schlussendlich können rechtfertigungsnahe Situationen hilfreich bei der Erkennung und Beschreibung unberechtigt argloser Opfer einer Tötung sein. Darüber hinaus bringt die Betrachtung der Rechtfertigungsebene die Lösung problematischer Heimtückefälle jedoch nicht voran. e) Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit sowie der materielle Verbrechensbegriff Die Meinungen gehen darüber auseinander, ob Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit selbstständig zu prüfende Voraussetzungen der Strafbarkeit sind225. Bejaht man dies, hätte das zur Folge, dass neben dem Tatbestand, der Rechtswidrigkeit und der Schuld eine vierte Prüfungsebene vorzusehen wäre226. Lehnt man das ab, sind Strafbedürftigkeit und Strafwürdigkeit Aspekte, die Überlegungen des Gesetzgebers darstellen und sich mittelbar bei Auslegungsfragen auswirken. Hinter den Bemühungen, mit den Kategorien der Strafwürdigkeit und der Strafbedürftigkeit Ergebnisse der formalen Strafbarkeitsprüfung zu korrigieren, steckt die Hoffnung, einen materiellen Verbrechensbegriff dogmatisch zu etablieren227. Danach muss für die Strafwürdigkeit zwar notwendigerweise Unrecht und Schuld gegeben sein, das Strafwürdigkeitsurteil soll sich aber darüber hinaus durch das Gesamtgeschehen bestimmen lassen, was unter dem Punkt „Strafbarkeit“ geprüft werden könne228. Das erinnert an den Ansatz der Typenkorrektur im Kontext des Mordtatbestandes, mit dem Unterschied, dass der materielle Verbrechensbegriff deliktsunabhängig gelten soll. Die Einwände gegen diesen Ansatz sind daher ähnlich.

225

Siehe ausführlich zum Streitstand Altpeter, S. 47 ff. und Alwart, S. 32 ff. De lege ferenda wäre eine Norm im Strafzumessungsbereich denkbar, wie es beispielsweise mit § 42 StGB a. F. in Österreich oder § 3 des StGB der DDR der Fall war. 227 Volk, ZStW 97 (1985), 871 (873); Ellmer, S. 241. Zur Genese des Verbrechensbegriffs Appel, S. 337 ff.; Gallas, ZStW 67 (1955), 1 (1 ff.) und Roxin, AT I, S. 200 ff. 228 Muñoz-Conde, ZStW 84 (1972), 756 (777 f.); siehe auch Langer, S. 141 ff. und insbesondere S. 157 ff.; Sax, JZ 1977, 326 (332); ders., JZ 1975, 137 (144); ders., JZ 1976, 9 (9 ff.) sowie ders., JZ 1976, 80 (80 ff.); Schmidhäuser, AT, S. 28 ff.; 482 ff.; ders., GS Radbruch, 268 (279 f.). Kritisch hierzu Volk, ZStW 97 (1985), 871 (879 f.); Altpeter, S. 202 f.; Lampe, FS R. Schmitt, 77 (91); Bloy, S. 233 ff. 226

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

Für die Gegenansicht229 ist die Strafwürdigkeit kein eigenständiges Merkmal des Verbrechens, sondern Ausdruck des „Gesamtunwert[s]“ 230. Hierfür wird angeführt, dass für den materiellen Verbrechenbegriff die gleichen Umschreibungen wie für das ultima ratio-Prinzip, das Subsidiaritätsprinzip oder auch die Verhältnismäßigkeit gebraucht werden und kein darüber hinausgehender eigener Inhalt bezeichnet werde231. Ergebnisse einer Strafbarkeitsprüfung dürfen nicht mit Strafwürdigkeitsüberlegungen ohne dogmatische Begründung mit einer „magischen Formel“ oder „salvatorischen Klausel“ beliebig korrigiert werden232. Innerhalb der Auslegung von Strafbarkeitsmerkmalen sollen Strafwürdigkeitsaspekte aber richtungsweisend sein233. Dem ist zuzustimmen. Der Tatbestand des Heimtückemordes kann mit abstrakten Strafwürdigkeits- oder Strafbedürftigkeitsüberlegungen nicht präzisiert werden. Diese können nur den Anlass zu einer Korrektur innerhalb der Gesetzgebung oder Auslegung geben. Die Strafwürdigkeit hat eine eigenständige Bedeutung gegenüber den normierten Voraussetzungen der Strafbarkeit im Hinblick auf die Kontrollfunktion des Subsumtionsergebnisses, eine vierte Prüfungsebene der Strafbarkeit sollte sie aber nicht darstellen. f) Die Heranziehung des Rechtsgedanken des § 254 BGB im Strafrecht Diskutiert wird, den Gedanken des venire contra factum proprium, der den §§ 254, 242 BGB zugrunde liegt, auf das Strafrecht dergestalt zu übertragen, dass der „Staat als Inhaber des Strafrechtsanspruches [. . .] dem Opfer entgegenhalten [kann], es könne die Sorge, die es selbst nicht aufgewandt habe, nicht ganz vom Staat verlangen“ 234. Vernachlässige das Opfer seine Selbstschutzobliegenheiten, spiele der „Leitgedanke von § 254 BGB“ in die strafrechtliche Beurtei229 Günther, JuS 1978, 8 (13); ders., S. 241; Otto, GS Schröder, 53 (56) mit weiteren Nachweisen; Da Costa Andrade, Coimbra-Symposium, 121 (133, 137 f.); Altpeter, S. 239. 230 Bloy, S. 233. 231 Für Da Costa Andrade, Coimbra-Symposium, 121 (131) hat das Merkmal der Strafbedürftigkeit die Aufgabe, den Verfassungsprinzipien der Subsidiarität, der ultima ratio, der Verhältnismäßigkeit und des fragmentarischen Charakters zur Wirksamkeit zu verhelfen. Für Romano, Coimbra-Symposium, 107 (109) sind Strafbedürftigkeit und Strafwürdigkeit „nichts anderes als das Subsidiaritätsprinzip bzw. der Grundsatz des Strafrechts als ultima ratio“. Die gegenseitige Beschreibung zeichnet auch Appel, S. 333 ff. nach. Bezeichnend auch die Erklärungen Schmidhäusers, AT, S. 28 f.; Nestoruks, S. 16 und Altpeters, S. 35 f. 232 Volk, ZStW 97 (1985), 871 (873 f.); siehe auch Luzón Peña, Coimbra-Symposium, 97 (100 ff.) und Romano, Coimbra-Symposium, 107 (108, 118). 233 Volk, ZStW 97 (1985), 871 (873). 234 Hillenkamp, S. 59, 180 ff. Freilich lehnt er im Ergebnis eine auf das Eigenverantwortungsprinzip gestützte Opferbelastung ab, Hillenkamp, S. 191. Siehe auch Fiedler, S. 143.

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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lung des Täterverhaltens hinein235. Auf die Heimtücke bezogen würde dies bedeuten: Wenn das Opfer sich in die Gefahr eines tödlichen Angriffs bringt, indem es andere gegen sich aufbringt, verliert es den Schutz des § 211 StGB. Es erscheint in der Tat widersprüchlich, seine Rechtsgüter einerseits selbst zu gefährden und andererseits den denkbar umfangreichsten staatlichen Schutz derselben zu erwarten. Das Strafrecht kennt aber keine dem § 254 BGB entsprechende Norm236 und eine analoge Anwendung des zivilrechtlichen Paragraphen ist abzulehnen: Zwar greift die Kritik, wonach die zivilrechtliche Norm eine Anspruchskürzung und nicht dessen vollständigen Ausschluss beinhalte237, bezogen auf die Strafbarkeit im Fall etwaiger Heimtücke nicht, da jedenfalls eine Strafbarkeit wegen Totschlags bestehen bleibt und daher die Strafbarkeit nicht vollkommen ausgeschlossen ist, doch spricht die unterschiedliche Schutzrichtung der beiden Rechtsgebiete entscheidend gegen eine analoge Anwendung des § 254 BGB238. Denn der Schadensausgleich, auf den § 254 BGB Einfluss hat, ist grundverschieden zu einem Strafanspruch des Staates. Das heißt indes nicht, dass die ratio der zivilrechtlichen Norm nicht auch in strafrechtlichen Normen wiederzuentdecken ist. Nur erfolgt die Umsetzung der Wertung, dass ein eigenverantwortlich handelnder Mensch seine Rechtsgüter nicht aufs Spiel setzen und zugleich den umfänglichsten Schutz für sie erwarten darf, nicht in beiden Rechtsgebieten durch dieselbe Norm. Was im Zivilrecht allgemein über § 254 BGB geleistet wird, kann im Strafrecht nur einzelfallbezogen erreicht werden, zum Beispiel im Rahmen der Notwehr durch die sozialethischen Einschränkung bei Provokationen oder im Rahmen der Heimtücke durch die entsprechende Auslegung der Arglosigkeit. Diese lässt sich aber nicht auf § 254 BGB stützen, sondern muss durch strafrechtliche Regeln begründet werden. g) Die Maxime der Eigenverantwortung – vor allem der Ingerenzgedanke Mit dem Ziel der Strafbarkeitsbegrenzung wird der Grundsatz der Selbstverantwortung des Opfers in verschiedenen Bereichen diskutiert239. Abstrakt bedeu235

Seelmann, GA 1989, 241 (241). Fiedler, S. 58. 237 Beckemper, S. 200 f. (mit Nachweisen zur zivilrechtlichen Literatur). 238 Wegner, AT, S. 187. 239 Siehe beispielsweise Vogel, S. 200 ff. im Zusammenhang mit der Begrenzung der Garantenpflicht; Seelmann, NJW 1980, 2545 (2548 ff.) hinsichtlich des Betrugs; Engländer, JURA 2001, 534 (537) bezüglich der Frage einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit bei gegebener Rechtfertigung der Vorsatztat; umfassend die Werke von Walther und Renzikowski zur Beteiligung mit dem Schwerpunkt der Fahrlässigkeit sowie von Zaczyk zur Bestimmung des Unrechtsbegriffs. Umfassend zur Selbstverletzung in Abgrenzung zur einverständlichen Fremdschädigung Murmann, S. 317 ff.; Kühl, JA 2009, 321 (326 f.) für den Totschlag. 236

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

tet der Grundsatz der Eigen- oder Selbstverantwortung dabei, dass jeder für eigene Rechtsgutverletzungs- oder Gefährdungshandlungen verantwortlich ist, aber grundsätzlich gerade nicht für fremde240. Dem liegt die Vorstellung von einem selbstverantwortlichen Menschen zugrunde241. Es ist umstritten, ob dieses Menschenbild beziehungsweise ein hiervon abgeleitete Selbstverantwortungsprinzip lediglich bei der Entwicklung oder Bestimmung der ratio einer Norm herangezogen werden kann oder ob ein solches Prinzip auch innerhalb einer konkreten Strafbarkeitsprüfung eine subsumtionsfähige Rechtsfigur darstellt. Die einen erblicken in dem Selbstverantwortungsprinzip eine bloße „Leerformel“, die viel zu unbestimmt sei, um rechtlich damit arbeiten zu können242. Andere sehen die Selbstverantwortung demgegenüber als Zurechnungsprinzip für die Verteilung strafrechtlich relevanten Risikos an243, welches bei der konkreten Strafbarkeitsprüfung zu beachten sei; beispielsweise wird die Eigenverantwortlichkeit als Grundlage oder gar als eigene Fallgruppe der objektiven Zurechnung verstanden244. Da die Handlung des Tötungsopfers nicht die es unmittelbar schädigende ist, bedarf es unter dem Blickfeld der Eigenverantwortung, die ja auch dem unmittelbar handelnden Täter zuzuschreiben ist, einer gesonderten Begründung dafür, dass das Opfer die Gefahr der eigenen Opferwerdung erhöht hat, nicht sofort nachteilig für dieses auswirkt, sondern erst im Rahmen der Beurteilung der nachfolgenden Handlung des Täters. Schumann meint hierzu, dass den (mit Blick auf den Erfolg durch den Zweithandelnden) fahrlässig Ersthandelnden eine besondere „erweiterte Sorgfaltspflicht“ treffen muss245. Wenngleich seiner Untersu-

240 Schumann, S. 1 ff.; Seelmann, NJW 1980, 2545 (2548 mit weiteren Nachweisen); Walther, S. 79 ff.; Beckemper, S. 209 f. 241 Schumann, S. 1; Walther S. 79 ff. 242 W. Frisch, S. 143; ähnlich Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (371). 243 Engländer, JURA 2001, 534 (537 mit weiteren Nachweisen); Neumann, JA 1987, 244 (248 f.). 244 Kühl, JA 2009, 321 (326 f.) speziell für den Totschlag; Reyes, ZStW 105 (1993), 108 (109 ff.); Beckemper/Wegner, NStZ 2003, 315 (316); ähnlich Schünemann, Strafrechtssystem, S. 51 (61), die spezialdeliktisch diskutierte Opfermitwirkung sei ein „dogmatischer Zwilling“ des Selbstverantwortungsprinzips im Rahmen der objektiven Zurechnung; siehe auch ders., FS Bockelmann, 117 (130). Dabei meinen einige, dass das Autonomieprinzip ohne dogmatische Fundierung nur versteckt wirke, siehe Arzt, MschKrim 67 (1984), 105 (111); Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (360); Fiedler, S. 118. 245 Schumann, S. 107 ff.; hierzu auch Walther, S. 81 ff. Schumann, S. 42 ff. geht dem Zusammenhang zwischen Selbstverantwortungsprinzip und der Mitverursachung fremden Unrecht nach, erfasst allerdings nicht die Situation, dass das Opfer des Zweithandelnden der Ersthandelnde ist. Immerhin aber bedenkt er die Konstellation, dass sich der Ersthandelnde bei der Vornahme seiner Handlung der schädigenden Handlung des Zweithandelnden nicht bewusst ist, im Hinblick darauf also fahrlässig handelt, Schumann, S. 70, 72, 107 ff.

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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chung Fälle zugrunde liegen, die nur begrenzt hilfreich für die Heimtückefrage bei einem deliktisch handelnden Opfer sind, trifft ein Gedanke doch den Kern des auch in diesem Zusammenhang Maßgeblichen: Der Grundsatz, dass man nicht für die Reaktionen anderer auf sein Verhalten verantwortlich ist, kann nur durchbrochen werden, wenn sich der eigene Verantwortungsbereich auf die Handlung anderer erstreckt. Als Beispiel für eine solche Erstreckung des eigenen Verantwortungsbereichs auf Handlungen anderer führt Schumann nun den Garanten an246. Vor allem die Ingerenz als eine Form der Begründung einer Garantenstellung erscheint interessant für die Frage, wie eine Nachwirkung eigenverantwortlichen Verhaltens des Tötungsopfers auf die Beurteilung von eigenverantwortlichem Verhalten des Täters zu begründen ist. Dabei ist die Wertung aus dem Unterlassungsstrafbereich, wonach das unerwünschte Täterverhalten nur dann sanktioniert werden soll, wenn dem Opfer keine zumutbare Abwendungsmöglichkeit der Gefahr zur Verfügung stand247, ein Gedanke, der auch im Rahmen der Auslegung des Heimtückemerkmals bei Opfern mit rechtswidrigem Vorverhalten eine Rolle spielen könnte. Beiden Bereichen wäre dann der Gedanke gemeinsam, dass die eigene Gefährdung rechtlich solange irrelevant sein soll, wie nicht andere daran anknüpfend Unrecht begehen248. Dabei wird im Kontext der Unterlassensstrafbarkeit durch die Rechtsfigur der Ingerenz die Verantwortung für ein eigenverantwortliches Handeln in den Verantwortungsbereich eines anderen unter den Voraussetzungen erstreckt, dass sich nicht lediglich ein allgemeines Lebensrisikos realisiert und die Verantwortung auch nicht ausschließlich dem anderen anzulasten ist. Fraglich ist, inwieweit aus einer vergleichenden Betrachtung die Voraussetzungen für eine entsprechende Erstreckung der Verantwortung für eigenverantwortlichen Handeln des getöteten Opfers auf die Bewertung der Tötungshandlung konkretisiert werden können. 246 Schumann, S. 108, der Arzt, der der Mutter eines kranken Kindes falschen Rat erteile, sei anders zu beurteilen als die Nachbarin, die gleiches rate. Zwar geht es Schumann nicht um die Unterlassensstrafbarkeit, aber der rechtliche Gesichtspunkt, der beide Fälle letztlich unterscheidet, ist die Garantenstellung. Angedeutet ist dieser Gesichtspunkt auch bei Walther, S. 82. 247 Rauber, S. 88 ff.; Roxin, ZStW 93 (1981), 68 (93); das ist für Roxin unter anderem der Grund, weshalb für die umgekehrte Situation, dass derjenige obsiegt, der aufgrund seines Vorverhaltens von dem zuvor Angegangenen angegriffen wird, dieser keine Notwehrrechtseinschränkung aus dem Ingerenzgedanken hinnehmen muss. Zur Opferorientierung bei Garantenpflichten Seelmann, GA 1989, 241 (246 f., 255). 248 Insofern passt Jakobs’, AT, S. 803 f. Bemerkung, dass man die Position der Ingerenz „genuin“ hinsichtlich der eigenen Person innehabe. Hruschka, S. 287 f., 416 führt ebenfalls aus, dass die Obliegenheitsverletzung nicht als solche interessiert, sondern erst in Bezug auf die Auswirkungen auf den anderen strafrechtlich relevant wird. Dass unter Umständen das Vorverhalten selbst mit Strafe bedroht ist, steht nicht im Widerspruch zu der Aussage, dass die eigene Rechtsgutgefährdung rechtlich zunächst irrelevant ist, denn die Strafdrohung bezüglich des Vorverhaltens besteht ja zumindest nicht primär nicht wegen der erhöhten Gefahr, selbst Opfer zu werden, sondern zum Schutz anderer Rechtsgüter – vorliegend Rechtsgüter des Täters.

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

Interessanterweise macht Marxen den Ingerenzgedanken für die umgekehrte Situation fruchtbar, nämlich für den Fall, dass der vor dem Tötungsgeschehen deliktisch Handelnde in dem dadurch hervorgerufenen Gegenangriff obsiegt; es stellt sich dann die Frage nach der Beschränkung seines Notwehrrechts aufgrund der vorangegangen Provokation249. Marxens Ausführungen über Obliegenheiten desjenigen, welchem sein Vorverhalten vorgeworfen wird, sind aber unabhängig von dem Ausgang des durch die Provokation ausgelösten Angriffs interessant, wodurch sich erneut die Ambivalenz der Berücksichtigung von Opferverhalten bei der Strafbarkeitsprüfung zeigt: Obsiegt der vormals deliktisch Handelnde in dem Racheangriff des von ihm vormals Verletzten, kann sein Verhalten den Verlust des Notwehrrechts begründen, unterliegt er, kann es zur Verneinung der Arglosigkeit als Element der Heimtücke führen. Der Grund für beides ist aber der gleiche, nämlich das eigenverantwortliche Hineinmanövrieren in eine solche Lage. Marxen verlangt dem Provokateur nun ab, dass er „den in Gang gesetzten Geschehensablauf in eine für den Provozierten ungefährliche Bahn zu lenken“ hat250. Das sei aus § 13 StGB formell zu legitimieren251. Die Forderung, „den in Gang gesetzten Geschehensablauf in eine für den Provozierten ungefährliche Bahn zu lenken“, setzt voraus, dass sich die vormalige Pflicht andere nicht zu schädigen, in eine Deeskalierungspflicht wandeln kann, wenn die ursprüngliche Pflicht verletzt wurde. Diese Veränderung des Inhalts einer Verpflichtung ist ein bemerkenswerter Punkt; er trägt dem Umstand Rechnung, dass die ursprüngliche Verpflichtung (andere nicht zu schädigen) nicht mehr eingehalten werden kann, sobald die Schädigung erfolgt ist, und eine einmal erfolgte Missachtung dieser Verpflichtung auch nicht rückgängig gemacht werden kann. Hierauf wird zurückzukommen sein252. Der Vergleich zwischen Obliegenheit und Garantenpflicht kann weiter die oben entwickelte These bestärken, dass das Vorverhalten deliktisch gewesen sein muss, um von einer Verletzung der Obliegenheit zu sprechen. Denn richtigerweise ergibt sich die Garantenstellung aus Ingerenz bei der Unterlassensstrafbarkeit ebenfalls nur aus einem Verhalten, das gegen die Rechtsordnung verstößt253. Damit ist das für die Heimtücke Relevante hinreichend deutlich geworden: Die Eigenverantwortlichkeit ist Grundlage der Wertung, dass der Mensch auch für die negativen Folgen seines Verhaltens zur Verantwortung gezogen werden soll. Da249 Marxen, S. 58 ff. Dabei betont er, dass das Garantenprinzip das gesamte Strafrecht durchziehe, Marxen, S. 63. Auch Jakobs, AT, S. 403 sieht die Ingerenz nicht nur im Unterlassensbereich als Grund einer Verteilungsregel von Verantwortung. 250 Marxen, S. 58. Zur Deeskalierungspflicht des Garanten in einem Dreipersonenverhältnis unlängst wieder BGH NStZ 2009, 381 (382). 251 Marxen, S. 59. Gegen diese „Ausweitungstendenz“ des § 13 StGB, wie Marxen es selbst nennt, Roxin, ZStW 93 (1981), 68 (93 f.) mit beachtlichen Argumenten. 252 Siehe unten ab S. 307. 253 Jakobs, AT, S. 812; S/S/Stree § 13 Rn. 32 ff.

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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bei scheint die Verletzung der eigenen Verantwortung für den Rechtsgüterschutz auch bei nachfolgendem eigenverantwortlichem Verhalten anderer rechtlich relevant zu sein, wenn die beiden deliktischen Handlungen in einer Beziehung stehen, die mehr als nur kausal ist. Diese Verantwortungsüberschneidung könnte bei der Heimtücke durch die Auslegung beachtet werden, bei der Notwehrprovokation durch die sozialethischen Einschränkungen und bei der Unterlassensstrafbarkeit durch die Ingerenz. Allen ist gemeinsam, dass das Gebot, die erste Handlung zu unterlassen, auch dem Ziel des Rechtsfriedens und damit der Vermeidung fremder Taten dient254. Darin mag zwar nicht der vorherrschende Zweck der jeweiligen Norm bestehen, jedoch könnte dies als Obliegenheit mit der jeweiligen Norm verbunden sein. h) Zwischenergebnis Bei der Betrachtung von Ansätzen, die innerhalb von Prüfungspunkten oder Rechtsfiguren des Allgemeinen Teils das Opferverhalten bei Tötungsdelikten berücksichtigen wollen, hat sich herausgestellt, dass die Versuche, das Opferverhalten in die strafrechtliche Bewertung einzubinden, älter und häufiger sind, als es die Kritik an der Erpresser-Entscheidung vermuten lässt. Auch wurde mehrmals auf die ambivalente Wirkung einer etwaigen Beachtlichkeit von Vortatverhalten hingewiesen. Dringlich erscheint die Notwendigkeit, das Bestehen einer Obliegenheit zu begründen, sich selbst nicht dadurch zu gefährden, dass man andere verletzt und damit die Gefahr der eigenen Opferwerdung erhöht. Ferner muss die Konsequenz der Verletzung solcher Obliegenheiten, den besonderen Schutz des Heimtückemerkmals nicht zu genießen, begründet werden. Dabei lässt sich die These aufstellen, dass das Opfer durch deliktisches Verhalten den Täter zu seiner Tötungstat veranlasst haben muss. Ob das den Täter schädigende Verhalten vorsätzlich erfolgt sein muss oder eine Fahrlässigkeitstat genügt, ist dabei noch offen. Jedenfalls ist eine erhebliche Beeinträchtigung des Täters zu fordern. Hinsichtlich des Inhalts einer Obliegenheit zum Selbstschutz ist ferner herausgearbeitet worden, dass das ursprüngliche Gebot, andere nicht zu verletzen, nach einer solchen Pflichtverletzung in andere Verhaltensanforderungen, die der Deeskalierung dienen, übergehen muss. Diese Erkenntnis, dass verschiedenartige Obliegenheiten für das Opfer bestehen, ist ein erster Schritt für die Konkretisierung der Verhaltensanforderungen, die die Rechtsordnung an das Opfer stellt. Ferner ist die Erkenntnis bedeutsam, dass eine Eingrenzung der Strafbarkeit des Täters aufgrund des vortatlichen Verhaltens des Opfers nicht gegen den 254 Siehe zum Verhaltensgebot mit der weiten Intension, auch fremde Straftaten zu vermeiden Schünemann, JA 1975, 715 (718 f.) mit dem weiteren Beispiel der Vorschriften über die Aufbewahrung und Weitergabe von Giften und Feuerwaffen.

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

Grundsatz der Indisponibilität des Rechtsguts Leben verstößt. Weder verfügt das Opfer über sein Leben, noch bedingt sein Verhalten die völlige Straffreiheit des Täters. Schließlich konnte die Vermutung bekräftigt werden, dass für die Miteinbeziehung des Opferverhaltens bei der Beurteilung der Tat ein Ansatzpunkt innerhalb eines Merkmals des Besonderen Teils zu suchen ist und sich Kriterien aus dem Allgemeinen Teil hierfür nicht eignen, weil sich kein allgemeiner Ansatz als ergiebig erwiesen hat.

4. Eine Auswahl von Delikten, die Opferverhalten berücksichtigen Nach dem Vorgesagten ist nun das Augenmerk darauf zu richten, wie eine Partizipation des Opfers an der Tat rechtstechnisch innerhalb anderer Delikte Beachtung findet. In neuerer Zeit haben beispielsweise Exner und Remmers verschiedene Delikte auf die Art und den Umfang der Berücksichtigung von Opferverhalten hin untersucht, um für das Heimtückemerkmal zu entscheiden, ob auch dort eine Berücksichtigung des Opferverhaltens zu befürworten ist255. Auf ihre Schlussfolgerung wird nach der Analyse, wie das Opferverhalten bei anderen Delikten berücksichtigt wird, eingegangen256. a) Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen, § 174 StGB Im Rahmen des § 174 StGB kann das Verhalten des Opfers an zwei Stellen von Bedeutung sein. Zunächst könnte man bei dem Missbrauchstatbestand des § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB durch die Berücksichtigung des Opferverhaltens im Rahmen einer entsprechend restriktiven Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Mißbrauch“ zur Straflosigkeit gelangen257. Dieses Tatbestandsmerkmal könnte nämlich zu verneinen sein, wenn das Geschehen aufgrund der Initiative oder mit der 255 Exner/Remmers, ZIS 2011, 11 (18 ff.). Grünewald, S. 380 ff. entwickelt umgekehrt in einem zweistufigen, priviliegierungsausgerichtetem System der Tötungsdelikte Fallgruppen von Opferverhalten, die zur Privilegierung Totschlag führen sollen, und will diese Erkenntnisse auf andere Straftatbestände übertragen. Ellmer, S. 168 ff.; Schünemann, Verbrechensopfer, S. 407 (410 ff.) und Schwind, Kriminalistik 1979, 514 (516) vergleichen diverse Deliktstatbestände hinsichtlich der Berücksichtigung von Opferverhalten, allerdings nicht speziell mit dem Ziel, Erkenntnisse für die Auslegung der Heimtücke zu gewinnen. Schroeder, JZ 2011, 187 (189 ff.) geht ebenfalls auf diverse Tatbestände im Zusammenhang mit der normativen Auslegung ein. 256 Siehe unten S. 281. 257 Zwar noch zur alten Fassung, aber zum dort gleichgelagertem Problem Koeniger, NJW 1957, 161 (161 und 164), der einer einschränkenden Auslegung der Missbrauchsalternative bei Einwilligung oder Initiative des Schutzbefohlenen ablehnend gegenübersteht.

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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Einwilligung des Schutzbefohlenen erfolgt. Zustimmungswürdig ist dabei die differenzierende Ansicht, nach der eine Initiative oder Einwilligung des Schutzbefohlenen nur dann zur Ablehnung des Missbrauchs führt, wenn dies völlig unabhängig von dem Abhängigkeitsverhältnis erfolgt – damit kann die Initiative oder die Einwilligung des Schutzbefohlenen dem Missbrauch entgegenstehen, muss aber nicht258. Diese Möglichkeit, schon tatbestandlich die Strafbarkeit des Täters aufgrund des Opferverhaltens auszuschließen, besteht bei § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht, da das Wort „Mißbrauch“ dort nicht enthalten ist und es auch keinen anderen begrifflichen Ansatzpunkt für eine opferbezogene Betrachtung gibt. Für die Tatbestandserfüllung des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB genügt stattdessen das reine Vornehmen der Handlung beziehungsweise das Vornehmenlassen. Dahinter steckt die gesetzgeberische Einschätzung, dass selbst bei gewollt-provozierendem Verhalten des Schutzbefohlenen ein Einlassen des verführten Täters im Interesse des Schutzbefohlenen unterbunden werden soll, weswegen auch eine rechtfertigende Einwilligung nicht in Betracht kommt259. Eine Berücksichtigung des Opferverhaltens ist aber nach § 174 Abs. 4 StGB strafzumessungsrechtlich möglich. Danach kann der Richter von einer Strafe nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB (beziehungsweise nach § 174 Abs. 2 in Verbindung mit § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB) fakultativ absehen, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens des Schutzbefohlenen, also des Opfers, das Unrecht der Tat gering ist. Mit dieser Regelung soll ebenfalls dem Umstand Rechnung getragen werden, dass im Einzelfall ein sexuell erfahrener Jugendlicher den Täter verführt oder eine echte Liebesbeziehung zwischen beiden besteht260. § 174 Abs. 4 StGB hat dabei eine eigenständige Bedeutung neben der allgemeinen Möglichkeit, das Opferverhalten strafzumessungsrechtlich zu berücksichtigen. Denn mittels der herkömmlichen strafzumessungsrechtlichen Berücksichtigung kann man das Mindeststrafmaß nicht unterschreiten, während § 174 Abs. 4 StGB demgegenüber ein gänzliches Absehen von Strafe ermöglicht. Durch das Abstellen auf das Verhalten des Opfers in § 174 Abs. 4 StGB beinhaltet diese Norm das Element des zumutbaren Selbstschutzes. Initiiert der Schutzbefohlene sexuelle Handlungen mit dem Täter oder willigt er in solche 258 Fischer § 174 Rn. 15 mit weiteren Nachweisen; gleichermaßen S/S/Perron/Eisele § 174 Rn. 14. Dass es innerhalb des Merkmals Missbrauch auf das Abhängigkeitsverhältnis ankommt, obwohl das Merkmal Abhängigkeit ein eigenständiges Merkmal ist, erklärt sich dadurch, dass das Abhängigkeitsverhältnis als abstrakter äußerer Rahmen mit der Möglichkeit zum Missbrauch zu begreifen ist und der Missbrauch als konkrete Ausgestaltung eines Beziehungsverhältnisses zu verstehen ist. 259 Maeck, S. 119. Gegen eine Einwilligungsmöglichkeit spricht auch die Existenz des § 174 Abs. 4 StGB. 260 S/S/Perron/Eisele § 174 Rn. 21; zur Verführung durch das Opfer siehe die Zusammentragung diverser Studien bei Amelunxen, S. 76 ff.

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

ein, ohne dass ein aus dem Abhängigkeitsverhältnis hervorgehender Druck für das Opfer besteht, folgt dem ein „Strafverzicht aus der eigenverantwortlichen Vereitelung [des] Schutzzweckes durch den Obhutsunterworfenen“ 261. Wie bei der Berücksichtigung von Opferverhalten innerhalb von Regelungen des allgemeinen Teils des StGB kann also die Eigenverantwortlichkeit auch bei der deliktsspezifischen Beachtung von Opferverhalten eine Rolle spielen. Aufgrund des Ausnahmecharakters des § 174 Abs. 4 StGB ist aber aus dessen Betrachtung für die entsprechende Problematik beim Heimtückemord nur bedingt ein Gewinn zu erwarten und die Betrachtung kann hier abgebrochen werden. Zusammenfassend betrachtet ist an § 174 StGB vor allem bemerkenswert, dass das Opferverhalten einmal tatbestandlich (§ 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB) und einmal strafzumessungsrechtlich (§ 174 Abs. 4 StGB) relevant ist. Hieran wird deutlich, dass nicht bei allen Tatbeständen eine opferbezogene Auslegung möglich ist. Letztlich ähnelt diese Gesetzeskonstruktion der oben dargelegten gemischt-tatbestandlich-strafzumessungsrechtlichen Lösung262. b) Wechselseitig begangene Beleidigungen, § 199 StGB Nach § 199 StGB kann bei wechselseitiger Beleidigung der Richter einen oder beide Beleidiger straflos stellen. Mit dieser Norm wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der strafrechtlichen Würdigung einer Tat immer nur ein minimaler Ausschnitt aus der Interaktion zwischen Täter und Opfer zugrunde liegt, der manchmal zu klein ist, um den Verantwortungsteilen am Tatgeschehen gerecht zu werden263. Voraussetzung bei § 199 StGB ist, dass sich die beiden Interaktionsteile jeweils auf gleichartige Rechtsgüter, nämlich beide Male auf die Ehre, richten. Die gleiche Rechtsgutbezogenheit ist auch bei der Tötung immerhin denkbar und wohl nicht selten anzutreffen. Gerade bei den Tyrannenfällen hat das Opfer meist zuvor das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des späteren Täters angegriffen. Ein Blick auf die Struktur des § 199 StGB kann also lohnen264. Diese „Kompensation“ oder „Retorsion“ hat je nachdem, ob es sich um das Absehen von Strafe beim Erst- oder beim Zweitbeleidiger handelt, einen unter-

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Jung/Kunz, NStZ 1982, 409 (413). Siehe oben S. 230. 263 Diese Lebenswirklichkeit veranschaulicht Kargl, FS Wolff, 189 (210) für den Fall der gegenseitigen Beleidigung, oftmals wird die Rollenzuschreibung als Erst- oder Zweitbeleidiger nicht mit dem Anspruch gelingen, den sozialen Sinngehalt richtig wiederzugeben; gleiches belegt Kiehl, S. 139 ff. 264 Zur umstrittenen Rechtsnatur des § 199 StGB siehe BGH NJW 57, 1682 (1683); Zickendraht-Wendelstadt, S. 116 ff.; Reiff, NJW 1959, 181 (182), ders., NJW 1958, 982 (982 f.); Schwarz, NJW 1958, 10 (10). 262

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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schiedlichen Grund265. Hinsichtlich des Erstbeleidigers kann das Strafbedürfnis durch die erwiderte Beleidigung seines Opfers als quasi strafähnliche Wirkung für den Ersttäter kompensiert sein; hinsichtlich des Zweitbeleidigers kann durch das Vorverhalten des Ersttäters hingegen das Unrecht oder affektbedingt die Schuld gemildert sein266. Für die Annahme dieser geminderten Schuld muss nicht derselbe Intensitätsgrad an affektiver Erregung wie bei den §§ 20 f. oder § 213 StGB erreicht sein, dafür wird aber die identische Rechtsgutbetroffenheit gefordert. Da richtigerweise beim Zweittäter eine Kompensation des Strafbedürfnisses nicht in Frage kommt, aber trotzdem Anknüpfungspunkt der Straffreierklärung das Vorverhalten des Ersttäters ist, bedarf es für die Annahme einer Unrechtsminderung eine andere Begründung. Die hierbei oftmals genannte Nähe zur Notwehr267 erinnert an die Diskussion über die partielle Rechtfertigung, allerdings mit dem Unterschied, dass bei der obigen Debatte eine bestehende Norm einschränkend oder erweiternd ausgelegt werden sollte, während hier nur die ratio einer bestehenden Strafbarkeitseinschränkung erklärt werden soll. Die ratio einer strafbarkeitseinschränkenden Norm kann zwar nicht als Begründung einer strafbarkeitseinschränkenden Auslegung innerhalb einer anderen Norm dienen. Wenn diese ratio sich an verschiedenen Stellen des StGB als maßgeblich herausstellt, kann dies jedoch bedeuten, dass eine dementsprechende Auslegung auf der Linie eines das StGB durchziehenden Prinzips liegt. Schlussendlich ist zum einen an der Betrachtung des § 199 StGB interessant, dass diese Norm nicht allein den Täter oder das Opfer im Fokus hat, sondern deren Interaktion. Damit zusammenhängend ist zum anderen der Aspekt der Notwehrnähe als wesentlicher Grund für das Absehen der Strafe bemerkenswert. 265 S/S/Lenckner § 199 Rn. 1; zum Unterschied beider oftmals synonym verwendeter Begriffe Küper, JZ 1968, 651 (651); eine etymologische Aufarbeitung findet sich bei Kiehl, S. 7 f. 266 Zur Notwendigkeit dualistischer Begründung der Straffreiheit für Erst- und Zweittäter Küper, JZ 1968, 651 (653 ff.); anderer Ansicht ist Kiehl, S. 147. Auch der Vergleich zur Aufrechnung wird gezogen, so OLG Hamburg NJW 1965, 1611 (1611), das diese Umschreibung des LG wiedergibt. Zu dieser „Ausgleichstheorie“ Küper, JZ 1968, 651 (653 ff.), der konstatiert, dass sie nur bei der Straffreistellung des Ersttäters greifen kann. Das trifft zu, weil nur etwas ausgeglichen werden kann, was zeitlich zuerst da war. Kritisch führt Kargl, FS Wolff, 189 (197 ff.) aus, es bestehe wegen des Strafanspruchs des Staates keine Aufrechnungslage mit gegenseitigen Ansprüchen und auch die dann eigentlich richtige Rechtsfolge der beidseitigen Straffreiheit sei nicht vorgesehen. Zu den Spielarten der Ausgleichstheorie Kiehl, S. 54 ff. Küster, NJW 1958, 1659 (1660) rückt die „Genugtuung“ in den Vordergrund der Begründung; dagegen Reiff, NJW 1959, 181 (181 f.), für den die Nähe zur Gnade und Amnestie maßgeblich ist, siehe auch ders., NJW 1958, 982 (982 f.); hiergegen wiederum Kiehl, S. 59 f. Zum Ganzen Zickendraht-Wendelstadt, S. 59 ff. 267 Küper, JZ 1968, 651 (659) spricht von § 199 StGB als „Übergangsfall zur Notwehr“, die Privilegierung des Zweittäters sei „,Nachwirkung‘ der ursprünglich gegebenen Notwehrsituation“; Hillenkamp, S. 276 spricht von der „unrechtsmindernden Notwehrnähe“; kritisch Kargl, FS Wolff, 189 (202 f.).

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

c) Verletzung von Privatgeheimnissen, § 203 StGB Fragt man bei der Auslegung des Merkmals „Geheimnis“ in § 203 StGB mit der herrschenden „Interessentheorie“ danach, ob der Betroffene ein „schutzwürdiges Interesse“ an der Geheimhaltung hat268, ist eine Begrenzung der Strafbarkeit durch objektivierte opferbezogene Schutzwürdigkeitsüberlegungen schon auf Tatbestandsebene erzielt269. Hohe Anforderungen an die Schutzwürdigkeit werden dabei überwiegend nicht gestellt. Denn es soll mit der Voraussetzung des schutzwürdigen Interesses zum einen lediglich der Willkür des Geheimnisträgers vorgebeugt werden, damit dieser nicht die Strafbarkeit des Täters in Händen hält, und zum anderen sollen hiermit Bagatellfälle ausgeschlossen werden270. Die Schutzwürdigkeit des Geheimhaltungsinteresses hängt für Schünemann vor allem von der Wahrnehmung der als vorrangig postulierten Eigenschutzmöglichkeiten des Geheimnisträgers ab271. Weder die Verhinderung von Willkür, noch der Ausschluss von Bagatellfällen ist aber im Rahmen des § 211 StGB ein Ziel, das mit der das Opferverhalten berücksichtigenden Auslegung verfolgt wird. Von daher kann aus der Betrachtung des § 203 StGB nichts für die Definition der Heimtücke abgeleitet werden. d) Nötigung, § 240 StGB Eine dem § 203 StGB ähnliche Objektivierung eines in der Opfersphäre liegenden Merkmals ist im § 240 StGB bei der Drohungsalternative zu finden, nämlich in der hierzu entwickelten Voraussetzung, ein für einen „besonnenen Menschen“ 272 empfindliches Übel in Aussicht zu stellen. Der begriffliche Ansatzpunkt dieser restriktiven Definition ist in dem normativen Tatbestandsmerkmal der Empfindlichkeit zu erblicken. Damit das schwache Opfer nicht benachteiligt ist, soll ein opferbezogener individueller Maßstab angelegt werden273. Das sogenannte „Selbstbehauptungsprinzip“ entspricht dabei der Forderung, zumutba-

268 Wessels/Hettinger, StR BT I, § 12 Rn. 563; Gössel/Dölling, § 37 Rn. 133 verlangen ein „objektiv schutzwürdiges Interesse“; SK StGB II/Hoyer § 203 Rn. 5 setzt das berechtigte Interesse dem „objektiv verständlichen Interesse“ gleich; Otto, WISTRA 1999, 201 (202) fordert ein „sachlich begründetes“ Interesse; ein Interesse aus „verständlichen Gründen“ verlangt Bockelmann, BT II, S. 177. 269 Demgegenüber betonen Exner/Remmers, ZIS 2011, 11 (18) bei § 203 StGB die strafbegründende Wirkung der Opferposition. Auch hier zeigt sich also eine Ambivalenz. 270 S/S/Lenckner § 203 Rn. 7; Gössel/Dölling, § 37 Rn. 136; SK StGB II/Hoyer § 203 Rn. 7. 271 Schünemann, ZStW 90 (1978), 11 (32, 40 ff., 54 f.). 272 S/S/Eser § 240 Rn. 9. 273 Arzt/Weber, § 9 Rn. 48; auch S/S/Eser § 240 Rn. 9 betont die Berücksichtigungsfähigkeit individueller Besonderheiten.

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ren Selbstschutz wahrnehmen zu müssen274. Es sollen damit auf Tatbestandsebene Fälle ausgeschlossen werden, in denen „vom Opfer ein schwerwiegendes Verhalten mit relativ leichtem Druck verlangt wird“ und das Opfer dem nicht widersteht275. Interessant ist, dass die Rechtsprechung bei der Nötigung die Erwartungshaltung gegenüber dem Opfer einnimmt, selbstverantwortlich gewissen Widerstand leisten zu müssen276, während sie dies für das zweifelnde Opfer beim Betrug als ebenfalls typisches Selbstschädigungsdelikt ablehnt277. Vordergründig besteht zwar ein Unterschied hinsichtlich der (Un)bewusstheit über den schädigenden Charakter der eigenen Handlung. Jedoch ist gerade bei Fällen mit zweifelnden Betrugsopfern gut denkbar, auch im Rahmen des Betruges einen „besonnenen“ Verfügenden im Sinne zumutbaren Selbstschutzes zu verlangen. Hinsichtlich der Forderung nach Selbstbehauptung bei verhältnismäßig leichtem Druck unter Zugrundelegung eines individuellen Maßstabs wird der Einwand erhoben, dass die Strafbarkeit des Täters dann vom Opfer abhänge, genauer gesagt von dem Ausmaß seiner Notlage, das maßgeblich dafür ist, ob der Druck leicht oder schwer ist278. Diese Abhängigkeit ist aber keine der Willkür des Opfers überlassene, sondern eine durch objektivierbare Zumutbarkeitsüberlegungen bestimmbare Abhängigkeit279. Auch ist es in der Regel eindeutig, ob die Notlage nachvollziehbar ist oder nicht. Der Kritik, die Wortlautgrenze sei verletzt280 und die Abgrenzung zu unbestimmt281, ist daher nicht beizupflichten. Dass bei einer das Opfer berücksichtigenden Auslegung die Strafbarkeit des Täters in gewissem Maße von dem Opfer abhängt, wird wie gesehen auch hinsichtlich des Heimtückemerkmals beanstandet282. Ob die Strafbarkeit des Täters allein durch täterbezogene Überlegungen oder auch durch opferbezogene Aspekte bestimmt werden sollte, ist aber gerade erst die Frage, so dass die Opferbezogenheit einer Auslegung kein Argument gegen eine konkrete Auslegung sein kann. Die Abhängigkeit der Strafbarkeit von der Person des Opfers ist jedenfalls 274

Beckemper/Wegner, NStZ 2003, 315 (315); Beckemper, S. 221. Arzt, FS Welzel, 823 (836). 276 BGH JR 1983, 331 (333) führt zum empfindlichen Übel aus: „Diese (nicht nur faktische, sondern normative) Voraussetzung entfällt, wenn von diesem Bedrohten in seiner Lage erwartet werden kann, daß er der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält.“ Die hervorgehobenen Worte lassen dabei den Schluss auf einen zwar objektivierten, aber individuellen Maßstab zu. 277 Aus neuerer Zeit siehe beispielsweise BGH NStZ 2003, 313 (313). 278 Roxin, JR 1983, 333 (334 f.) befürchtet, diese Auslegung verstoße gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Arzt, FS Welzel, 823 (836 Fn. 42) bemerkt die Wichtigkeit des Ausmaßes der Notlage auch, wertet dies jedoch nicht negativ. 279 Volk, JR 1981, 274 (277) führt am Ende seines Beitrags den Zumutbarkeitsgedanken an. 280 Roxin, JR 1983, 333 (335). 281 Roxin, JR 1983, 333 (334). 282 Siehe beispielsweise nochmals Roxin, FS Widmaier, 741 (749, 753, 756). 275

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

auch bei einer Bestimmung der Arglosigkeit mittels der Frage, ob das Opfer mit einem Angriff hätte rechnen müssen, keine der Willkür des Opfers überlassene und insofern jedenfalls unbedenklich. Insgesamt ist festzuhalten, dass auch bei § 240 StGB die Forderung nach Selbstbehauptung für eine opferbezogene Auslegung herangezogen wird und dies daher keine nur dem Heimtücketatbestand vorbehaltene Überlegung wäre. e) Diebstahl, § 242 StGB und Unterschlagung, § 246 StGB Im Rahmen der Vermögensdelikte wird die Ursächlichkeit des Opferverhaltens für die Deliktsentstehung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen nicht nur beim typischen Selbstschädigungsdelikt Betrug diskutiert, sondern auch bei der Unterschlagung und bei dem Diebstahl. Beim Diebstahl ist der Gewahrsam die opferbezogene Voraussetzung der Strafbarkeit. Wer bei der Prüfung des Gewahrsams auf die Verkehrsanschauung abstellt, mit der Folge, dass einerseits der Gewahrsam in den Fällen der Gewahrsamslockerung als fortbestehend angesehen wird, obwohl eine unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit nicht besteht, und andererseits der Gewahrsam bei sozialen Abhängigkeitsverhältnissen verneint wird, obwohl die tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit besteht, nimmt eine wertende, an Besonderheiten der Opfersphäre ausgerichtete Begriffsauslegung vor283. Eine Parallele zur Diskussion über die Opferkonstitution im Rahmen des Heimtückemordes besteht hierbei bei der Frage, ob ein schlafendes oder bewusstloses Opfer bestohlen werden kann284. Hinsichtlich einer Strafbarkeitseingrenzung aufgrund opferbezogener Erwägungen hat sich die Debatte bei § 242 StGB namentlich auf den Ladendiebstahl konzentriert285, wobei vor allem auf Selbstbedienungsläden wegen ihrer durch das Opfer geschaffene „Versuchungssituationen“ geblickt wird286. Roxin lehnt dabei eine opferbezogene Auslegung, die einen Gewahrsamsbruch verneint, wenn der Täter eine besonders leicht zu erlangende Sache an sich nimmt, grundsätzlich mit der Begründung ab, dass dies Gesetzesänderung und nicht mehr nur 283

Siehe hierzu S/S/Eser § 242 Rn. 25 ff. Kretschmer, JURA 2009, 590 (590 ff.) untersucht den Rechtsgüterschutz des schlafenden oder bewusstlosen Opfers beim Diebstahl, der Freiheitsberaubung und beim Mord. 285 Thematisiert war dies insbesondere auf dem 51. Deutschen Juristentag 1976 in Stuttgart; zum Opferbeitrag beim Diebstahl allgemein siehe Maeck, S. 20 mit weiteren Hinweisen. 286 Arzt, JuS 1974, 693 (693); Schoreit, JZ 1976, 49 (50 mit weiterführender Literatur in Fn. 8); zum Zusammenhang von Selbstbedienungsläden und Diebstahlrate Nugel, S. 31 ff. Nugel, S. 209 f. wertet die „verzeihliche Versuchssituation“ als Indiz geringer Strafzumessungsschuld: Sie sei dem Ladenbetreiber bekannt und daher seiner „Risikound Schaffenssphäre“ zuzuschreiben, zumal oft nicht mit einer „ausreichenden Überwachung“ gegengesteuert werde. 284

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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Auslegung sei287. Im Einzelfall könne die Tat aber straffrei bleiben, jedoch nicht wegen eines allgemeinen, automatisch vorrangigen Prinzips der Opferverantwortlichkeit, sondern aufgrund spezieller Abwägung288. Damit ist Roxin in der Sache nicht weit entfernt von einer wertenden, auch Umstände aus der Opfersphäre berücksichtigenden Auslegung289. Um der Ladendiebstahlskriminalität gegenzusteuern, wurde ferner zeitweise ein neuartiger Vorschlag im Zusammenhang mit dem Eigenschutz des Opfers unterbreitet, nämlich eine echte Strafbarkeit des Ladeninhabers bei Versäumnis von zumutbaren Vorsorgemaßnahmen vorzusehen290. Das ist für den Diebstahl schon aufgrund der Disponibilität des Rechtsguts Eigentum abzulehnen291. Im Rahmen der Tötungsdelikte kann sich eine echte Strafbarkeit des Opfers wegen seines Vorverhaltens, das den Angriff auf sein Leben begünstigt, zwar dann ergeben, wenn das Vorverhalten selbst einen Tatbestand erfüllt – eine Strafbarkeit besteht dann aber nicht wegen des später erfolgenden Angriffs auf das Leben des Opfers, sondern wegen des Delikts, das mit dem Angriff auf den späteren Täter verwirklicht ist. Insofern führt dieser Vorschlag für die Heimtückeproblematik nicht weiter. Auch in der Debatte über eine Berücksichtigung der Opfermitverantwortung bei § 242 StGB wird klargestellt, dass nicht jeder vom Opfer ausgehende Tatanreiz Ansatzpunkt für eine Täterprivilegierung sein kann292: Damit tatförderndes Opferverhalten entlastend berücksichtigt werden könne, müsse die Mitwirkung des Opfers das vom dem jeweiligen Tatbestand vorausgesetzte Maß sozialer Akzeptanz überschreiten. In dem Maße, in dem das Opfer durch herausforderndes oder leichtfertiges Verhalten eine Rechtsgutgefahr begründe oder steigere, verwirke es den Strafrechtsschutz. Unterhalb solch „sozial-inadäquater Taterleichterung“ sei die Prädisposition umgekehrt eher ein Strafschärfungsgrund. Diese Argumentation ist den oben dargestellten Überlegungen zu der grundsätzlichen Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen das Opferverhalten bei der Würdigung der Tat zu berücksichtigen ist, sehr ähnlich293.

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Roxin, AT I, S. 607. Roxin, AT I, S. 608 f. 289 Schünemann, Strafrechtssystem, S. 51 (68 ff.) stellt ebenfalls klar, dass bei grundsätzlicher Befürwortung der Möglichkeit einer das Opferverhalten berücksichtigenden Auslegung eine solche nicht immer schon dann automatisch greift, wenn dies sprachlich möglich ist, sondern dass dies jeweils gesondert für jeden Begriff entschieden werden muss. 290 So beispielsweise Schoreit, JZ 1976, 49 (50 und 53). 291 Ebert, JZ 1983, 633 (642); ebenfalls ablehnend Günther, FS Lenckner, 69 (74 f.). Auch bezüglich einer Fremdschädigung (weil andere Kunden den einkalkulierten Verlust mit erhöhten Preisen bezahlen) kann die echte Opferbestrafung kein taugliches Präventionsmittel sein, da die durch das Opfer begünstigte Verletzung der Diebstahlsnorm das Vermögen der Kunden gar nicht schützt. 292 Ebert, JZ 1983, 633 (639 f.). 293 Siehe insbesondere nochmals S. 231 ff. 288

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

Doch es sind auch grundlegende Unterschiede gegenüber der Diskussion beim Mord auszumachen: Soweit beim Diebstahl von einem geringeren Strafbedürfnis die Rede ist, folgt dies nicht nur aus der Überlegung der Mitverantwortung des Opfers, sondern eine maßgebliche Rolle spielt hierfür auch, dass der Schaden und damit das Erfolgsunrecht aufgrund eines geringwertigen Objekts niedrig ist294. Damit ist der Entkriminalisierungsgedanke angesprochen, Bagatell- oder Kleinkriminalität vermehrt ins Ordnungswidrigkeitenrecht oder ins Zivilrecht zu verlagern295. Diese Überlegungen greifen im Mordtatbestand aber offensichtlich nicht: Zum einen wird bei der Bagatellkriminalität eine massenhafte Entkriminalisierung angestrebt, während beim Mordtatbestand eine täterentlastende Auslegung nur im Einzelfall diskutierbar ist. Zum anderen ist eine Restriktion über das Bagatellprinzip von vornherein nicht übertragbar auf Heimtückefälle, da das Rechtsgut Leben immer höchstwertig ist. Schon vom laienhaften Sprachverständnis her kann man beim Tod eines Menschen aufgrund des allgemeinen Achtungsanspruchs eines jeden menschlichen Lebens niemals von einer Bagatelle sprechen. Demzufolge ist die Basis der Argumentationen grundverschieden, weswegen die Diskussion in Bezug auf § 242 StGB für die Heimtückeproblematik nicht weiterführen kann. Auch bei der Unterschlagung wird dem Opfer verstärkt Beachtung geschenkt, um zu einer restriktiven Auslegung zu gelangen. Dabei wird hauptsächlich296 diskutiert, ob im Rahmen des § 246 Abs. 2 StGB nur begründetes Vertrauen bei der Gewahrsamsüberlassung geschützt werden soll297. Auch hier gerät unter dem Stichwort Opfermitverantwortung wiederum eine gängige Geschäftspraxis vieler Ladeninhaber ins Visier, gemeint ist die Übereignung unter Eigentumsvorbehalt298. In dieser Diskussion sind allerdings keine weiteren Aspekte für die Lösung von problematischen Heimtückefällen ersichtlich, so dass die Betrachtung hier abgebrochen werden kann. Es kann zusammengefasst werden, dass auch bei der Betrachtung der §§ 242 und 246 StGB die Selbstverantwortlichkeit als Grundlage einer das Opferverhalten miteinbeziehenden Auslegung auffällt. Insofern verstärkt sich der bereits bei der Betrachtung der §§ 174, 199, 203 und 240 StGB gewonnene Eindruck, dass eine solche auf die Selbstverantwortung abstellende, opferbezogene Auslegung nicht so ungewöhnlich ist, wie es in der Diskussion über die Heimtücke (insbesondere im Zusammenhang mit der Erpresserentscheidung) teils vermittelt wurde. 294

Nugel, S. 176. Arzt, Schoreit, S. 9 (9 ff. mit weiteren Nachweisen in Fn. 4). Auch die strafprozessuale Möglichkeiten der §§ 153, 153a StPO spielen hier eine Rolle. 296 Daneben wird die Straflosstellung der Fundunterschlagung diskutiert. 297 Die Differenzierung von begründetem und unbegründetem Vertrauen erinnert an den normativen Ansatz der Arglosigkeit. 298 Beispielsweise Arzt, JuS 1974, 693 (694 f.). 295

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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f) Betrug, § 263 StGB Es bietet sich an, den Betrug als typisches „Selbstschädigungsdelikt“ 299, „Beziehungsdelikt“ 300 und „Kommunikationsdelikt“ 301 daraufhin zu untersuchen, weshalb und in welchem Maße das Opferverhalten bei der Auslegung eine Rolle spielt302. Nun sollen diese Erkenntnisse letztlich jedoch für die Begründung einer restriktiven Definition der Heimtücke fruchtbar gemacht werden. Weil das Verhalten des Betrugsopfers als „notwendiger Teilnehmer“ die Betrugsstrafbarkeit aber gerade begründet, verbietet es sich nach einer Ansicht, das Opferverhalten im Rahmen des Betrugs auch auf eine gegenteilige, also zur Straflosigkeit oder Strafminderung führenden Wirkung hin zu untersuchen303. Jedoch gibt es viele Varianten selbstschädigenden Opferverhaltens und es ist nicht ausgeschlossen, dass diese unterschiedlichen und ambivalenten Einfluss bei der Bewertung der Strafbarkeit haben304. Daher kann die Betrachtung des Opferverhaltens beim Betrug durchaus für die Entwicklung einer restriktiven Heimtückedefinition hilfreich sein. Auch ein ganz anderer Umstand lässt es gerade mit Blick auf die Heimtücke als ratsam erscheinen, das Opferverhalten im Rahmen des Betrugs zu untersuchen: Früher war in etlichen Partikulargesetzen im Betrugstatbestand das Merkmal „Arglist“ ausdrücklich vorgesehen305 und die Verwandtschaft der Worte Arg299 Arzt/Weber, § 20 Rn. 28; LK/Tiedemann § 263 Rn. 5; Beckemper, S. 209; nach S/S/Cramer § 263 Rn. 41, 101 mit weiteren Nachweisen kommt der Betrug seinem Wesen nach nur bei unbewusster Selbstschädigung des Opfers in Frage. 300 R. Hassemer, S. 69 spricht vom Betrug als „klassischem Repräsentant der Beziehungsdelikte“; Schulz, SchwZStR 71 (1956), 171 (172 f.) mit dem Hinweis, dass häufig das Betrugsopfer danach ausgesucht werde, ob es selbst zu unredlichen Machenschaften bereit ist. 301 LK/Tiedemann § 263 Rn. 4. 302 Wie Pawlik, S. 51 und Ellmer, S. 40 oder auch Arzt/Weber, § 20 Rn. 6 feststellen, wird die Opfermitverantwortung anhand jedes der Merkmale des § 263 StGB diskutiert. Daraus können hier jedoch nur Aspekte aufgegriffen werden, die hinsichtlich der Auslegung des Heimtückemerkmals interessant sein könnten. Eine Auflistung empirischer Studien zu Opferbeiträgen beim Betrug findet sich bei Maeck, S. 21, eine fallgruppenorientierte Darstellung bei Ellmer, S. 257 ff. 303 Amelunxen, S. 95; Ellmer, S. 19 f., 254; Maurach/Schroeder/Maiwald, § 41 II Rn. 68. 304 Diese Überlegung klingt auch bei LK/Tiedemann Vor 263 Rn. 34 und 38 f. an, wenn er feststellt, dass das Mitverschulden des Opfers beim Betrug „konstitutiv“ sei und man gesteigerte Anforderungen an das Mitverschulden stellen müsse, um es täterentlastend berücksichtigen zu können, wenn man dieses Delikt nicht „demontieren“ wolle. 305 So in Art. 352 StGB für das Königreich Württemberg (1839), Art. 391 StGB für das Großherzogtum Hessen (1841), § 450 StGB für das Großherzogtum Baden (1845), Art. 386 StGB für das Herzogtum Nassau (1849); zum Ganzen Ellmer, S. 59 ff. und Friedsam, S. 37 ff. § 241 des Preußischen Strafgesetzbuches (1851) sah in hingegen wegen der als zu groß empfundenen Unbestimmtheit keine Arglist mehr vor. Es sollte aber mittels des Tatsachenbegriffs derselbe Zweck erreicht werden wie mit der Arglist,

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

list und Argwohn ist nicht zu übersehen. Ob der Täter mit Arg handelt oder das Opfer Arg erwartet, ist nur eine Frage der Perspektive, wobei allerdings nicht verschwiegen werden soll, dass mitunter für die Arglist mehr an Planung gefordert wird als für die Heimtücke306. Anhand des Arglistmerkmals sollte im Betrugstatbestand die qualifizierte von der straflosen einfachen Lüge unterschieden werden, wobei es entscheidend auf die Vermeidbarkeit des Irrtums auf Seiten des Opfers ankam – es lässt sich unschwer denken, dass die Einzelheiten stark umstritten waren307. Diese Frage nach der Vermeidbarkeit des Irrtums wäre im Rahmen der Heimtücke auf die Arglosigkeit (als Fehlvorstellung über die Sicherheitslage) übertragbar. aa) Der Irrtum über Tatsachen308 Zunächst ist für die Berücksichtigung einer Mitverantwortung des Opfers innerhalb der Auslegung des Betrugstatbestandes auf den Irrtumsbegriff einzugehen – vielversprechend ist dies insofern, weil der Irrtum innerhalb des Betrugstatbestandes wie die Arglosigkeit als Element des Heimtückemerkmals eine Fehlvorstellung betrifft. Ein Irrtum wird nun gemeinhin als „Widerspruch zwischen Vorstellung und Wirklichkeit“ umschrieben309. Diese Definition bietet im Rahmen des § 263 StGB einen möglichen Ansatzpunkt für eine opferbezogene Auslegung mit der Frage, ab wann die Vorstellung eine hinreichende ist, ob also die so genannte „ignorantia facti“ der Tatbestandserfüllung genügt310. Dies erinnert in Bezug auf die Heimtücke an die Debatte darüber, ob die Arglosigkeit ein positives Unbedenklichkeitsurteil voraussetzt311. nämlich den Verantwortungsbereich von Täter und Opfer abzugrenzen, siehe Goltdammer, Materialen II, 538, 542. Art. 314 des Bayerischen StGB (1861) enthielt wiederum in das Arglistmerkmal; das StGB für den Norddeutschen Bund (1870) verzichtete ebenso wie das Reichsstrafgesetzbuch (1871) darauf. Unterschiedlich wird gesehen, ob dies als bewusste Entscheidung gegen die Herausnahme der Leichtgläubigen aus dem Schutzbereich des Betrugstatbestandes zu werten ist, die mit dem Arglistmerkmal ja beabsichtigt war, und ob sich der Gesetzgeber des geltenden StGB diese Entscheidung zu Eigen gemacht hat, dagegen Ellmer, S. 76; dafür Hillenkamp, S. 87. Siehe hierzu auch unten S. 277. Knapp die Hälfte der Reformvorschläge sah das Arglistmerkmal wieder vor, hierzu Ellmer, S. 82 ff. 306 Beispielsweise bei § 109a StGB, bei dem die tatbestandliche Handlung gesetzlich als arglistig umschrieben wird, wird das Erfordernis einer „ausgeklügelten, raffinierten Weise“ betont, S/S/Eser § 109a Rn. 7–9. Ähnliches wird bei der Hinterlist des § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt, S/S/Stree § 224 Rn. 10. 307 Ellmer, S. 31 ff., 66 ff., 82 ff. (mit weiteren Nachweisen in Fn. 61 f., 78 ff.). 308 Ellmer, S. 40 ff. hat Ansätze zusammengetragen, die die Opfermitverantwortung an der Tatsache festmachen. Da der Irrtum sich auf Tatsachen bezieht, entsprechen sich die Diskussionen zu beiden Begriffen größtenteils, gleiches gilt für den Begriff des Täuschens. 309 Statt vieler siehe S/S/Cramer § 263 Rn. 33. 310 S/S/Cramer § 263 Rn. 36; Krack, S. 34. 311 Siehe oben ab S. 18.

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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Zweiter Ansatzpunkt einer Normativierung ist das Auseinanderfallen von Vorstellung und Wirklichkeit. Diesbezüglich wird kontrovers erörtert, ob die Abweichung noch groß genug ist und daher ein Irrtum im Sinne des § 263 StGB zu bejahen ist, wenn das Opfer Zweifel bezüglich der Wahrheit der Angaben des Täuschenden hegt312. Dabei ist selbstverständlich nicht zu bestreiten, dass auch der Zweifelnde tatsächlich irrt313. Es fragt sich nur, ob er stark genug irrt314. Überwiegend wird der Zweifelnde zwar nicht per se aus dem Schutzbereich des § 263 StGB herausgenommen315, jedoch gehen die Meinungen darüber auseinander, wie groß der Zweifel des Verfügenden sein darf, um noch von einem Irrtum im Sinne des § 263 StGB sprechen zu können. Dabei reicht die Spanne des Vertretenen vom bloßen Fürmöglichhalten bis hin zur überwiegenden Wahrscheinlichkeit316. Für letzteres spricht sich Giehring aus317: Bestehende Zweifel liefen ab einer gewissen Intensität dem Irrtumsbegriff zuwider, weil in dem Maß, in dem Zweifel bestünden, das Angriffsmittel List an Gefährlichkeit verliere und sich die Schutzwürdigkeit des Betroffenen vermindere318. Nicht jedweder Zweifel des Opfers soll diesem aber den Schutz des § 263 StGB nehmen können, weil in alltäglichen Situationen eine gewisse Unsicherheit über Tatsachengrundlagen nicht auszuräumen sei, ohne das Wirtschaftleben zu lähmen319. Was an bewusster Ungewissheit noch von § 263 StGB geschützt wird, soll anhand der Kriterien 312 Die Rechtsprechung lehnt dies ab, siehe aus neuerer Zeit BGH NStZ 2003, 313 (313). Ihre Ablehnung, an die eigene Verantwortung zu appellieren, bezeichnet Peters, FS Eb. Schmidt, 488 (496 Fn. 22) als „wohlfahrtsstaatliche Tendenz“. 313 LK/Tiedemann § 263 Rn. 86; Kaspar, JuS 2009, 830 (831); Beckemper/Wegner, NStZ 2003, 315 (316); Hillenkamp, S. 23. 314 Hillenkamp, S. 1 f., 7 ff., 22, 39 ff. und passim kritisiert an dieser Fragestellung, dass mit der Verneinung des Tatbestandes aufgrund zu starker Zweifel dem Opfer der strafrechtliche Schutz gänzlich versagt werde, obwohl es schutzwürdig (wenn auch vermindert) sei. Dieses Bedenken, einer nur graduellen Verantwortung des Opfers auf Tatbestandsebene nicht gerecht werden zu können, konnte beim Heimtücketatbestand damit entkräftet werden, dass das Opfer weiter von § 212 StGB geschützt wird. Da der Betrug kein Qualifikationstatbestand ist, entscheidet die Frage, ob die Strafwürdigkeitsund Strafbedürftigkeitsgrenze überschritten ist, aber über die Strafbarkeit insgesamt. Immerhin ist aber der Strafrahmen flexibel. 315 So pauschal aber Schünemann, Schünemann/Dubber, 1 (5). 316 Einen ausführlichen Überblick zu den unterschiedlich geforderten Intensitätsgraden bieten unter anderem SK/Hoyer § 263 Rn. 69 und Amelung, GA 1977, 1 (1 ff.); sowie Giehring, GA 1973, 1 (10 f.) und Krack, S. 37 ff. Naheliegend ist der Einwand der praktischen Schwierigkeit, den Intensitätsgrad des Zweifels beim Täter zu bestimmen, wie ihn SK/Hoyer § 263 Rn. 72 vorbringt. 317 Giehring, GA 1973, 1 (21), wobei es auch für die Bejahung des § 263 StGB genügen soll, wenn etwas gleichermaßen für wahrscheinlich oder unwahrscheinlich gehalten wird. 318 Giehring, GA 1973, 1 (18) daran ändere auch ein Vermögensschaden nichts, da dieses Risiko bewusst eingegangen worden sei; ähnlich sieht Ellmer, S. 109 es nicht als Aufgabe des § 263 StGB an, den Unbedachten zu schützen. 319 Giehring, GA 1973, 1 (17 ff.); ebenso Amelung, GA 1977, 1 (6 f.); die Balance zwischen Eigenschutz und zuzugestehendem, notwendigem Vertrauen demonstriert

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festgemacht werden, die von der Abgrenzung bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz bekannt sind320. Amelung greift den von Giehring in den Vordergrund gerückten Aspekt der fraglichen Schutzwürdigkeit des an der Wahrheit zweifelnden Verfügenden auf. Dieser könne Erkundungen einholen oder sicherheitshalber von dem Geschäft Abstand nehmen und sei daher weniger schutzbedürftig321. Der Irrtumsbegriff sichere die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips, worunter zu verstehen sei, dass das Strafrecht nicht greifen dürfe, wo das Opfer sich selbst durch weniger einschneidende Maßnahmen vor Schaden bewahren könne322. Einschränkend sei ein konkreter Anlass zu fordern, der geeignet ist, „konkret begründete Zweifel“ zu wecken; lediglich allgemeines Misstrauen soll nicht ausreichen, um den Irrtum des § 263 StGB auszuschließen323. An der von Amelung postulierten Funktion des Irrtums, dem Prinzip der Eigenverantwortung beziehungsweise der Subsidiarität des Strafrechts Geltung zu verleihen, wird die Kritik geübt, es sei nicht Aufgabe eines speziellen Tatbestandsmerkmals, allgemeine Prinzipien durchzusetzen, sondern umgekehrt würden allgemeine Prinzipien bei der Auslegung spezieller Merkmale helfen324. Ob einerseits die Bedeutung eines Begriffs durch allgemeine Prinzipien ermittelt wird oder ob andererseits betont wird, in diesem identischen Ergebnis komme ein allgemeines Prinzip zum Ausdruck, ist aber richtigerweise nur ein rein sprachlicher und kein methodischer Unterschied. Solange mit dem Irrtumsbegriff nicht allein die Funktionen des Subsidiaritätsprinzips erfüllt werden sollen und das ist nicht der Fall, wenn man beispielsweise nach dem tatsächlichen und nachvollziehbaren Auseinanderfallen von Vorstellung und Wirklichkeit fragt, kann von einer Ersetzung eines Tatbestandsmerkmals durch ein Prinzip nicht die Rede sein325. Daher geht auch der Vorwurf ins Leere, dass das gleiche Prinzip in unterschiedlichen Tatbeständen mit dem jeweiligen Tatbestandsmerkmal einen anderen Namen trage326. Denn auch wenn das Subsidiaritätsprinzip bei allen strafrechtlichen Normen zu bedenken ist, erschöpft sich ein Tatbestandsmerkmal Ellmer, S. 94 ff. ausführlich; schon früh Friedsam, S. 33 f. mit weiteren Nachweisen; zum Vertrauen im Wirtschaftsstrafrecht Nestoruk, S. 131 ff. 320 Giehring, GA 1973, 1 (19 f.). 321 Amelung, GA 1977, 1 (3 und 6). 322 Amelung, GA 1977, 1 (6); zustimmend R. Hassemer, S. 118. 323 Amelung, GA 1977, 1 (6 f.). 324 W. Frisch, FS Bockelmann, 647 (656); ebenso Hillenkamp, S. 22 f., der meint, statt zu interpretieren, ersetze Amelung den Wortlaut durch eine kriminalpolitische Entscheidung; gleiches moniert Beckemper, S. 224 mit weiteren Nachweisen. 325 So aber der Vorwurf Hillenkamps, S. 22 f., 139, Amelungs Irrtumsbegriff sei keine Auslegung innerhalb der Wortlautgrenze mehr, sondern das Merkmal Irrtum sei durch das Subsidiaritätsprinzip ersetzt; ihm zustimmend Beckemper, S. 223. 326 W. Frisch, FS Bockelmann, 647 (656).

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nicht hierin, sondern konkretisiert daneben die jeweilige rechtsgutbezogene Angriffsweise327. Herzberg überzeugt die Argumentation Amelungs im Hinblick auf die Eigenverantwortlichkeit des Opfers nicht, da seiner Meinung nach der Zweifelnde die Funktionen einer Strafdrohung, also den Rechtsgüterschutz nicht selbst besorgen kann328. Dabei ist zuzugeben, dass es sicherlich von individuellen Kompetenzen abhängt, die objektiv zur Vorsicht mahnenden Zeichen richtig zu deuten und auch Handlungskonsequenzen daraus zu ziehen, ohne dass die Art der Auslegung des Betrugstatbestandes Einfluss darauf hat. Insofern meint Herzberg, der Gang der entsprechenden Fälle sei schon jetzt Beleg dafür, dass das konkrete Opfer sich gerade nicht ausreichend selbst zu schützen vermocht habe329. Ähnlich wird vorgebracht, dass sich durch das stärkere Appellieren an den Eigenschutz keine Erziehungseffekte einstellen würden330. Diese Kritik überzeugt nicht, weil es bei einer die Eigenschutzmöglichkeiten des Opfers berücksichtigenden Auslegung gerade nicht darauf ankommt, ob das konkrete Opfer sich selbst schützt, sondern ob man dies von ihm erwarten kann. Dabei kann durchaus ein individueller Maßstab angelegt werden, um die Benachteiligung von Menschen mit Kompetenzdefiziten zu verhindern. Damit ist auf einen weiteren Einwand gegenüber Amelungs Vorschlag einzugehen: Nach dem bisher Gesagten scheint der Wertungswiderspruch zu bestehen, dass der besonders Leichtgläubige im erhöhten Maße schutzbedürftig ist, aber durch die Objektivierung vermindert geschützt würde331. Amelung meint hierzu, man könne ihm im Gegenteil eher vorwerfen, seine Konzeption sei eine ungerechtfertigte Privilegierung der „Schlafmützen“, die nicht einmal zweifeln, gegenüber den „Wachen“, die zweifeln, ohne dies freilich zur Schadensvermeidung 327

In dieser Richtung ebenfalls R. Hassemer, S. 121. Herzberg, GA 1977, 289 (294); dem zustimmend Krack, S. 39. 329 Zu einer derartigen Argumentation siehe Pawlik, S. 53 mit weiteren Nachweisen in Fn. 92. 330 Tröndle, JR 1974, 221 (224) „Vollends fern der Wirklichkeit“; für Hillenkamp, S. 90 sind Erziehungseffekte immerhin ein „diskutabler und beachtenswerter Aspekt“. 331 SK/Hoyer § 263 Rn. 73; S/S/Lenckner/Eisele Vor § 13 ff. Rn. 70 b. Für SchülerSpringorum, FS Honig, 201 (212) wirkt es daher eher straferhöhend, wenn der Täter ein leichtgläubiges Opfer wählt; für Ellmer, S. 89 besteht zumindest eine ambivalente Wirkung. Gegen eine erhöhte Schutzwürdigkeit unbedacht Handelnder Seelmann, JuS 1982, 268 (270). Kurth, S. 9 ff. stellt heraus, dass der historische Gesetzgeber zunächst Naivität oder Unaufmerksamkeit nicht schützte, da nur raffinierte Täuschungen für den Betrugstatbestand ausreichten. Anders der Gesetzgeber der Preußischen Staaten, Goltdammer, Materialien II, 544 f. Dass sich der Gesetzgeber des heutigen StGB ebenfalls für den Schutz der Leichtgläubigen entschied, ergibt sich für Kurth, S. 24 ff., 146 f. daraus, dass § 241 PrStGB dem StGB des Norddeutschen Bundes von 1870 und dem RStGB von 1871 als Vorbild diente; kritisch hierzu Ellmer, S. 75 f. Gegen den Schutz Leichtgläubiger unter dem RStGB Friedsam, S. 32 ff. 328

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zu nutzen332. Dies setzt voraus, dass es neben dem objektiv begründeten Anlass zum Zweifelhegen auch eines tatsächlich entstandenen Zweifels bedarf, um den Irrtum im Sinne des § 263 StGB zu verneinen333. Wenn also ein sich zwar objektiv aufdrängender, aber tatsächlich ausgebliebener Zweifel nicht ausreicht, um § 263 StGB zu verneinen, ist die Benachteiligung Leichtgläubiger abgewendet, gleich ob sie aus konstitutionellen oder situativen Gründen nicht zweifeln. Denn dann wird nur solchen Opfern der Schutz des § 263 StGB versagt, die sich tatsächlich veranlasst sehen und auch sehen müssen, Selbstschutzmaßnahmen zu ergreifen, dies jedoch unterlassen und bewusst das Risiko des Vermögensverlustes eingehen. Damit ist die These widerlegt, eine Obliegenheit zum Selbstschutz müsse mit der Prämisse kollidieren, dass das Strafrecht die „besonders leicht Ausbeutbaren“ zu schützen hat, wenn man keine Obliegenheiten aufstellt, die an einem abstrakt gedachten vernünftigen Menschen ausgerichtet sind, sondern dabei individuelle Maßstäbe anlegt334. Als letzter Punkt aus der Diskussion um eine opferbezogene Auslegung des Irrtumsbegriffs ist folgende Überlegung herauszugreifen: Gegen eine Auslegung, welche dieselbe Täuschungshandlung je nach Konstitution des Opfers als taugliche oder untaugliche tatbestandliche Handlung betrachtet und die sich bei dieser am Empfängerhorizont ausgerichteten Auslegung auf den Subsidiaritätsgedanken stützt, soll nach Geisler sprechen, dass der Subsidiaritätsgrundsatz im Verhältnis zwischen Täter und Opfer überhaupt nicht gelte335. Dieser Grundsatz, wonach das Strafrecht nur dann zum Einsatz kommen dürfe, wenn der Staat keine weniger einschneidenden Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung habe, gelte allein im Verhältnis von Täter und Staat. Wäre dies richtig, ließe sich eine das Opferverhalten berücksichtigende Auslegung auch im Rahmen der Heimtücke nicht auf den Subsidiaritätsgedanken stützen. Insofern wird auf diesen Punkt zurückzukommen sein336.

332 Amelung, GA 1977, 1 (9 f.); so unter anderem Pawlik, S. 55, 226 mit weiteren Nachweisen; Kurth, S. 145 f.; Maiwald, ZStW 96 (1984), 70 (75). 333 Explizit stellt Amelung kein kumulatives Erfordernis auf. Dass er aber so zu verstehen ist, liegt zum einen wegen der Formulierung nahe, dass der Irrende gegenüber dem Zweifelnden in der schlechteren Lage sei, „weil er eben keinen Anlaß zur Verteidigung sieht“, Amelung, GA 1977, 1 (10). Zum anderen kann dies aus den von ihm für eine Restriktion in Betracht gezogenen Konstellationen erschlossen werden, Amelung, GA 1977, 1 (11). Vergleiche auch R. Hassemer, S. 93 f. Anderer Ansicht ist Mühlbauer, NStZ 2003, 650 (651 ff.): Bei objektiv unplausiblen Begebenheiten soll das deshalb unvernünftig erscheinende Verhalten des Opfers unabhängig von tatsächlich gehegten Zweifeln aus dem Schutz des § 263 StGB herausfallen. 334 Hörnle, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 36 (44). 335 Geisler, NStZ 2002, 86 (88). 336 Siehe unten ab S. 285.

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bb) Der Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum Fordert man nicht nur einen äquivalenten Zusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum337, sondern darüber hinaus einen adäquaten oder funktionalen Zusammenhang zwischen diesen beiden Merkmalen338, stellt dies eine weitere Möglichkeit restriktiver Auslegung dar. Naucke betont, dass das Strafrecht kein flächendeckendes Mittel zur Verhinderung oder Sanktionierung sozial unerwünschter Handlungen ist. Das Vermögen auch gegen „durchsichtige Täuschungen“ strafrechtlich zu schützen, führe zu gesteigerter „Bequemlichkeit“ und fördere leichtsinnige Verhaltensweisen, sei also gesamtgesellschaftlich kontraproduktiv339. Folgende Passage seiner Ausführungen weist eine interessante Parallele zur im Erpresserfall dargestellten Normativierung der Arglosigkeit auf: „In der strafrechtsdogmatischen Figur des äquivalenten Zusammenhangs zwischen Täuschung und Irrtum beim Betrug zeigt sich eine Neigung, intellektuelle Hilflosigkeit und mangelnde Unterrichtung über einfache wirtschaftliche Sachverhalte als unveränderlich hinzunehmen [. . .] Diese Neigung wird [. . .] daran deutlich, daß beim Getäuschten auf die Verstandeskräfte abgestellt wird, die er aktiviert hat (und nicht auf die Verstandeskräfte, die er hätte aktivieren können) [. . .], daß nur der tatsächlich entstandene Irrtum, nicht aber die Möglichkeiten, den Irrtum zu vermeiden, betrachtet werden“ 340. Anders ausgedrückt bemängelt Naucke, dass es lediglich auf die tatsächliche Ebene des Irrtumsbegriffs ankommen soll und nicht die Frage gestellt wird, ob der Betroffene sich auch irren durfte. Dies entspricht im Kontext der Heimtücke dem Problem, ob es allein darauf ankommt, dass das Opfer tatsächlich arglos ist oder auch darauf, dass es dies sein darf. Naucke führt weiter aus, das Herausfiltern betrugsuntauglicher Täuschungen beziehungsweise Irrtümer könne durch das Merkmal des „adäquaten“ Zusammenhangs erreicht werden, wofür einerseits die Seite des Täters, namentlich die Intensität der Täuschung, und andererseits die Seite des Opfers in Form der „Gründe für die Täuschungsanfälligkeit“ in die normative Betrachtung eingestellt werden sollen341. Kritisch zu sehen ist hieran jedoch, dass Nauckes Be337

So beispielsweise LK/Tiedemann § 263 Rn. 93. Naucke, FS Peters, 109 (118) – siehe jedoch die kritische Haltung 10 Jahre zuvor Naucke, S. 165 ff., 171 f.; umfassend zu beidem Herzberg, MDR 1972, 93 (95 f.); ebenso Mühlbauer, NStZ 2003, 650 (652 mit weiteren Nachweisen in Fn. 44); Ellmer, S. 154 ff.; mit dem sozialadäquaten Ansatz sympathisiert Seelmann, JuS 1982, 268 (270), zieht den funktionalen Zusammenhang aber vor; siehe ders., NJW 1980, 2545 (2548) zu einem aus der Verkehrsüblichkeit abgeleiteten Prinzip der Eigenverantwortlichkeit. 339 Naucke, FS Peters, 109 (115 f.); kritisch hierzu Krack, S. 63 ff. sowie Hillenkamp, S. 83 ff. 340 Naucke, FS Peters, 109 (115); kursive Hervorhebungen stammen vom Verfasser. 341 Naucke, FS Peters, 109 (118). 338

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

griffsverständnis von Kausalität von dem sonst im Strafrecht vorherrschenden Verständnis abweicht342. Auch wenn die Adäquanz im Zivilrecht ein gängiger Filter ist und auch im Strafrecht die Äquivalenz als zu weitgehend betrachtet wird, haben sich im Strafrecht andere Filtermechanismen entwickelt, die unter dem Begriff der objektiven Zurechnung zusammengefasst werden343. Dieses System sollte nicht deliktsspezifisch durchbrochen werden. Nauckes Überlegungen lassen sich aber in die Auslegung des Irrtumsbegriffs integrieren, indem man fragt, ob der Verfügende sich irrt und auch irren darf, also kein sich aufdrängender Zweifelsgrund besteht. Dies liefe letztlich auf die geschilderte Forderung in Anlehnung an Amelung nach dem tatsächlich bestehenden und sich objektiv aufdrängenden Zweifel hinaus. cc) Der Vermögensschaden Auch beim Vermögensschaden ist die Zugänglichkeit für opferbezogene Erwägungen in mehrfacher Hinsicht festzustellen344. Anders als beim Irrtumsmerkmal kann dies aber nicht nur zu einer Einschränkung sondern auch zu einer Ausweitung der Strafbarkeit führen345. So soll es nach einer Ansicht bei den sogenannten „Spenden- oder Bettelfällen“, bei denen das Opfer sein Vermögen in dem Bewusstsein mindert, keinen wirtschaftlich gleichwertigen Gegenwert zu erhalten, dem Schaden gleichstehen, dass der erstrebte Zweck des Vermögensverlustes nicht erreicht wird346. Auch bei den Fällen des „persönlichen Schadenseinschlags“ wird der Schaden normativ begründet; das meint Fälle, in denen das Opfer zwar eine marktübliche Gegenleistung erhält, diese aber aus persönlichen Gründen unnütz für das Opfer ist347. Für die Heimtückeproblematik erscheint eine weitergehende Betrachtung nicht gewinnbringend. Allein die ambivalente Wirkung der Beachtung von Aspekten aus der Opfersphäre erscheint diesbezüglich bemerkenswert.

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Amelung, GA 1977, 1 (9 Fn. 43). Auch Beckemper, S. 230 stellt heraus, dass es sich bei der Adäquanz der Sache nach um die Kategorie der objektiven Zurechnung handelt. 344 Siehe ausführlich Ellmer, S. 130 ff. 345 Beispielsweise verneint Schmoller, JZ 1991, 117 (127 ff.) bei Täuschungen im Rahmen von Alltagsgeschäften den Schaden. Zu einer restriktiven Auslegung zählt auch der Ansatz, der das Vermögen bei sittenwidrigen oder strafbaren Geschäften nicht schützt; gegen eine solche Einschränkung des Vermögensbegriffes Wimmer, DRZ 1948, 116 (118); Hillenkamp, S. 108 ff. 346 Hierzu LK/Tiedemann § 263 Rn. 181 ff.; Schünemann, FS Faller, 357 (363 Fn. 23). 347 LK/Tiedemann § 263 Rn. 203 ff.; zu beiden Fallgruppen siehe Schmoller, JZ 1991, 117 ff. 343

II. Die Einbeziehung des Opferverhaltens

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dd) Fazit Auch bei der Betrachtung des Betrugstatbestandes hat sich gezeigt, dass eine das Opferverhalten berücksichtigende Auslegung nicht nur bei der Heimtücke diskutiert wird. Es wiederholen sich auch die Argumentationsmuster, die bei der Betrachtung der anderen Tatbestände herausgearbeitet wurden, denn beispielsweise die Stichworte Subsidiarität und Eigenschutz fielen bereits zuvor im Zusammenhang mit anderen Tatbeständen. Zwischen dem Betrug und dem Heimtückemord bestehen jedoch ganz erhebliche Unterschiede, die es ausschließen, die beim Betrug herausgestellten Vorschläge zur Berücksichtigung von Opferverhalten unmittelbar auf den Mord zu übertragen: Im Geschäftsleben ist das Gewinnstreben unter Einsatz des Mittels List bis zu einem gewissen Grad erlaubt. Insofern ist eine Grenzziehung nötig, was akzeptierter Eigennutz und was strafbare Täuschung ist348. Dahingegen stellt die heimtückische Tötung nicht die Überschreitung einer sonst in abgeschwächter Form sozial akzeptierten Verhaltensweise dar. Dieser Unterschied besteht nicht nur für die Verhaltensweisen, auch das Resultat ,Tod eines Menschen‘ ist anders als die Gewinnerzielung beim Betrug selbstverständlich grundsätzlich nichts anerkanntermaßen Erstrebenswertes. Es sei auch nochmals auf den Unterschied in den Konsequenzen hingewiesen, dass es beim Opferverhalten im Rahmen des Betrugs um die Strafbarkeit des Täters überhaupt geht, während beim Mord eine opferbezogene Tatbestandsverneinung den Totschlag unberührt lässt. Weiterführend war die Betrachtung des § 263 StGB aber insofern für das Thema dieser Arbeit, als verdeutlicht wurde, dass eine Obliegenheit zum Selbstschutz nicht zwangsläufig eine ungerechtfertigte Benachteiligung des Opfers bedeutet. Wichtig war auch zu erkennen, dass klärungsbedürftig ist, ob die Auslegung eines Tatbestandsmerkmals, die eine solche Obliegenheit des Opfers berücksichtigt, mit dem Subsidiaritätsprinzip zu vereinbaren ist. g) Zwischenergebnis Bei der Betrachtung der exemplarisch ausgewählten Delikte hat sich gezeigt, dass oft das Bedürfnis besteht, für die Beurteilung des Täterverhaltens auch das Opferverhalten zu berücksichtigen. Dem wird derzeit auch schon in der Praxis nachgekommen, wobei dies teils zu einer Begrenzung und teils zu einer Ausweitung der Strafbarkeit führt; immer aber wird die Berücksichtigung von Opferverhalten an einem konkreten Tatbestandsmerkmal festgemacht. Damit ist zum einen die Ambivalenz einer opferbezogenen Auslegung herausgestellt und dem Vorwurf begegnet, dies sei eine einseitige den Opferschutz verletzende Methode. Zum anderen ist die These bekräftigt worden, dass sich nicht jeder Tatbestand für 348

Ebenso Ellmer, S. 19, 38 f.

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

die Berücksichtigung von Opferverhalten eignet, da man hierfür einen begrifflichen Ansatzpunkt im Tatbestand braucht. Bei der Heimtücke ist ein solcher Anknüpfungspunkt die Arglosigkeit. Exner und Remmers, die bei diversen Tatbeständen darstellen, wie eine Berücksichtigung von Opferverhalten innerhalb der Auslegung von Tatbestandsmerkmalen stattfindet, befürworten eine solche Auslegung zwar grundsätzlich immer dann, wenn Tatbestandsmerkmale einen solchen Interpretationsspielraum eröffnen, lehnen dies aber speziell für den Heimtückemord ab349: Sie begründen dies damit, dass der Heimtückemord ein „Zugriffsdelikt“ sei, eine das Opferverhalten miteinbeziehende Auslegung aber nur dann zu befürworten sei, wenn eine gewaltfreie Verwirklichung eines „Beziehungsdelikts“ 350 erfolge, wenn also ein Tatbestand verwirklicht werde, der eine „Interaktion“ 351 zwischen Täter und Opfer voraussetze. Dieser Einschränkung ist entgegenzutreten: Für die Tatbestandsverwirklichung des Heimtückemordes ist ein spezielles Opferverhalten vorausgesetzt, nämlich das (irrtumsbedingte) Unterlassen angriffsabwehrender Maßnahmen und ein spezielles Täterverhalten, nämlich die Tötung eines solchen Opfers im Wissen um dessen Defizit. Es ist nicht ersichtlich, weshalb es für die Bejahung der Heimtücke nicht genügen soll, dass sich Opfer und Täter jeweils in dieser bestimmten Weise verhalten, sondern darüber hinaus eine echte Interaktion Voraussetzung sein soll. Die Wortlautgrenze der Auslegung ist jedenfalls dadurch nicht verletzt und auch sonst spricht nichts für eine unterschiedliche Behandlung des Heimtückemordes gegenüber den übrigen von Exner und Remmers untersuchten Delikten. Eine echte Interaktion, die im Rahmen der heimtückischen Tötung zwar nicht zwingend, aber doch häufig anzutreffen ist, ist lediglich als Indiz der Zugänglichkeit des Tatbestandes für eine das Opferverhalten berücksichtigende Auslegung anzusehen. Letztlich braucht es für eine solche Auslegung ein Tatbestandsmerkmal, das auf das Opfer bezogen ist – bei Begriffen, die eine Interaktion beschreiben, ist dies besonders deutlich, aber nicht ausschließlich der Fall. Wie erwartet wiederholen sich bei den verschiedenen Delikten innerhalb der jeweiligen Auslegung die Begründungen dafür, das Opferverhalten einzubeziehen. Deshalb liegt es nahe, dass die das Opferverhalten miteinbeziehende Ausle349

Exner/Remmers, ZIS 2011, 11 (20 ff.). Zum Beziehungsdelikt siehe auch Amelunxen, S. 50 ff.; Binder, SchwZStr 67 (1952), 307 (315 ff.); Sessar, MSchKrim 80 (1997), 1 (12) und Schultz, SchwzStr 71 (1956), 171 (171 ff.); Rössmann, Kriminalistik 1969, 420 (420 ff.). Statt Beziehungsdelikt verwendet Sigg, S. 240 ff. auch die Beschreibungen „,Mittäter-Mitopfer‘-Paar“ oder „Täter-Opfer-Dialektik“. Zu R. Hassemers Unterteilung in Zugriffsdelikte und Beziehungsdelikte siehe oben S. 234 ff. Auch der Ausdruck „Konflikttat“ ist als Synonym oft zu lesen, exemplarisch von Hentig, Einzeldelikte, S. 44 f., 55 ff., 208. 351 Zur „Interaktion“ in der Debatte um die Miteinbeziehung des Opferverhaltens siehe auch von Hentig, Journal of Criminal Law and Criminology 1940, 303 (303 ff.); H. J. Schneider, DRiZ 1978, 141 (142); Sessar, MSchKrim 80 (1997), 1 (12); Ellmer, S. 256, 269; Kiehl, S. 142 ff.; Amelung, GA 1977, 1 (17); ders., S. 350 ff.; Schünemann, Verbrechensopfer, S. 407 (409); Neumann, GA 1985, 389 (400 f.). 350

III. Die Vereinbarkeit der Berücksichtigung des Opferverhaltens

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gung von allgemeinen Grundsätzen geleitet wird, die bei vielen Tatbeständen zum Tragen kommen. Maßgeblich sind hierbei insbesondere die Maxime der Eigen- oder Selbstverantwortung sowie das Subsidiaritätsprinzip immer wieder in der Diskussion hervorgetreten. Deswegen ist nun im nächsten Kapitel der Frage nachzugehen, ob diese Aspekte für die vorgeschlagene Heimtückedefinition als die Tötung eines Opfers, welches wehrlos ist, weil es sich keines Angriffs versieht und auch nicht versehen muss, streiten oder ihr wenigstens nicht widersprechen. Weiter ist endgültig herauszustellen, ob sich die Obliegenheitsverpflichtung, mit einem Angriff rechnen zu müssen, legitimieren lässt und ob deren Voraussetzungen konkretisierbar sind.

III. Die Vereinbarkeit der Berücksichtigung des Opferverhaltens bei der Auslegung des Heimtückemerkmals mit allgemeinen Grundlagen des Strafrechts In der Forderung, das Opferverhalten bei der Auslegung der Heimtücke zu berücksichtigen, schwingt wie gesehen der Vorwurf mit, dass das Opfer im Vorfeld der Tat durch sein Verhalten selbst zu der Tat beigetragen hat. Dieser intuitive Vorwurf mag den Anlass für eine restriktive Auslegung liefern, er vermag es aber nicht aus sich heraus, die Verneinung des Heimtückeschutzes als rechtlich nachteilige Konsequenz der Vernachlässigung des eigenen Rechtsgüterschutzes zu begründen. Es gilt daher nun, den Vorwurf des Selbstverschuldens rechtlich zu erfassen. Hierfür sind zunächst allgemeine Grundlagen und Charakteristika des Strafrechts wie beispielsweise das Subsidiaritätsprinzip oder der ultima ratioGedanke daraufhin zu untersuchen, ob sie für oder gegen eine Einbeziehung des Vortatverhalten des Opfers bei der Auslegung sprechen. Dabei ist nicht zu erwarten, dass sich die Definition „heimtückisch handelt, wer ein tatsächlich und normativ betrachtet argloses und deshalb wehrloses Opfer tötet“ zwingend aus diesen abstrakten Begriffen ableiten lässt. Ergebnis dieser Untersuchung kann im besten Fall sein, dass sich diese Definition ohne Friktionen in Strukturen und Grundwertungen des Strafrechts einfügt, im schlechtesten Fall verstößt sie gegen diese. Gleichwohl ist eine Erörterung der Frage vonnöten, ob die favorisierte Definition der Heimtücke mit den genannten Grundlagen des Strafrechts vereinbar ist, weil wie gesehen teils argumentiert wird, eine solche das Opferverhalten miteinbeziehende Begriffsauslegung sei nicht auf jene Grundlagen zurückzuführen beziehungsweise verstoße gar gegen sie352. 352 Bislang ist dieses Argument deliktsbezogen aufgegriffen worden, siehe zuletzt S. 278; allgemeiner soll beispielsweise für Hillenkamp, S. 176 ff. aufgrund von Selbstschutzmöglichkeiten das Strafbedürfnis weder im Rahmen des ultima-ratio-Gedanken noch des Subsidiaritätsprinzips zu verneinen sein, da das ultima-ratio-Prinzip nur an den

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

1. Der ultima ratio-Gedanke und das Subsidiaritätsprinzip Zunächst ist zu klären, ob das ultima ratio-Prinzip beziehungsweise das Subsidiaritätsprinzip im Rahmen des Heimtückemordes eine das Opferverhalten berücksichtigende Auslegung stützt beziehungsweise wenigstens mit ihr vereinbar ist oder ob diese beiden Prinzipien gar gegen eine solche Auslegung eines Tatbestandsmerkmals sprechen. a) Vorbemerkung und Begriffsbestimmung Mit dem ultima ratio-Prinzip und dem Subsidiaritätsgrundsatz ist gemeint, dass nicht beliebige Mittel zum Rechtsgüterschutz verwendet werden dürfen, sondern diese nach Gesichtspunkten der Effektivität und größtmöglicher Schonung auszuwählen sind. Letztlich erwächst dies aus dem verfassungsmäßigen Verhältnismäßigkeitsprinzip353. Trotz der Wichtigkeit des ultima ratio-Prinzips aufgrund des Verfassungsrangs meint Schünemann allerdings, es sei de facto in der Rechtsprechung „zum bloßen Lippenbekenntnis degeneriert“ 354. Man muss jedoch bedenken, dass man von Prinzipien keine subsumtionsfähige Formel für einzelne Tatbestandsmerkmale, sondern nur eine Interpretationshilfe erwarten kann. Insofern wirken der ultima ratio-Grundsatz oder der Subsidiaritätsgedanke eher inhaltsbeschränkend als inhaltsbestimmend355. Weiter folgt nach Schünemann aus dem ultima ratio-Prinzip die Voraussetzung einer Strafbarkeit, dass die Handlung strafwürdig (das heißt, ein schützenswertes Rechtsgut wird hinreichend von einer schuldhaften Handlung beeinträchtigt) und strafbedürftig (das meint die Geeignetheit und Erforderlichkeit des Strafrechtsschutzes zur Verhinderung von Sozialschäden, wobei der Einsatz des Strafrechts keine unverhältnismäßig schädlichen Nebenfolgen haben darf) sein muss356. Die Staat und nicht an das Opfer als Bürger gerichtet sei; auch wird mit der Idee des Gesellschaftsvertrags gegen eine Mitverantwortlichkeit des Opfer argumentiert: Kratzsch, FS Oehler, 65 (72) meint hierzu beispielsweise, dass im geltenden Strafrecht auf eine „Mitverschuldens-Klausel“ verzichtet worden sei; Roxin, AT I, S. 608 meint, die Bürger hätten die Strafgewalt eingesetzt, um sich von Schutzaufgaben zu entlasten. Für W. Hassemer, FS Klug, 217 (233) soll das dem Strafrecht zugrundeliegende Menschenbild gegen das Bestehen entsprechender Obliegenheiten des Opfers sprechen. 353 Wohlers, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 54 (64); Schünemann, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 18 (21 mit weiteren Nachweisen); zu Versuchen diese Prinzipien abzugrenzen Brandt, S. 159 ff. 354 Schünemann, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 18 (21 Fn. 16); ähnlich urteilt Wohlers, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 54 (56) über die Praxis des Gesetzgebers; zur geringen Bedeutung von Effizienzerwägungen in der Strafgesetzgebung und -anwendung Haffke, FS Roxin, 955 (965). 355 Dementsprechend bezeichnet Neumann, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 128 (130 und 135 f.) das Verhältnismäßigkeitsprinzip zwar als „weiches Prinzip“, attestiert ihm aber gleichwohl die Eignung zur Strafbegrenzung. 356 Schünemann, FS Bockelmann, 117 (129).

III. Die Vereinbarkeit der Berücksichtigung des Opferverhaltens

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Ausdifferenzierung dieser Maximen im Besonderen Teil des StGB sei die „wichtigste dogmatische Aufgabe der nächsten Jahrzehnte“ 357. Dabei sei die „vermutlich wichtigste Konkretisierung“ der Strafbedürftigkeit beziehungsweise genauer der Erforderlichkeit des Strafrechtsschutzes die „Auslegungsmaxime, nur eine den möglichen und zumutbaren Selbstschutz des potentiellen Opfers ausmanövrierende Handlung dem Straftatbestand zu subsumieren“ 358. Die Strafbedürftigkeit ist also als die strafrechtliche Ausprägung des verfassungsrechtlichen Erforderlichkeitsgedanken zu verstehen359. Die Erforderlichkeit behandelt dabei bekanntermaßen die Frage, ob das angestrebte Ziel mit dem zu bewertenden Mittel wahrscheinlicher verwirklicht wird als ohne dessen Einsatz. Dabei wird keine Aussage über andere Mittel getroffen; dies erfolgt erst anschließend durch die Frage nach dem mildesten, gleichgeeigneten Mittel. Folgende Bedeutungen der verschiedenen Begriffe sind damit für die nachfolgende Diskussion festzuhalten: Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist als Oberbegriff für die Geeignetheit, die Erforderlichkeit und das mildeste Mittel zu verstehen. Strafrechtlichen Ausprägungen des Verhältismäßigkeitsprinzips sind die Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit360. Das ultima ratio-Prinzip und das Subsidiaritätsprinzip sind erforderlichkeitsbezogene, gerechtigkeitswahrende Voraussetzungen einer Strafdrohung; beide unterscheiden sich vom Verhältnismäßigkeitsprinzip dadurch, dass letzteres die Prüfungspunkte einer Maßnahme betrifft, während Subsidiaritäts- und ultima ratio-Prinzip mittelbar wirkend als Leitlinie einer Auslegung zu verstehen sind. Das ultima ratio-Prinzip bezieht sich dabei eher auf die Rechtsanwendung (namentlich auf die Auslegung), während das Subsidiaritätsprinzip mehr die Frage betrifft, ob überhaupt staatlich gehandelt wird361. Bevor nun die Aussage auf ihre Überzeugungskraft hin untersucht wird, dass der Staat nur dann eingreifen dürfe, wenn nichtstaatliche Maßnahmen dem Rechtsgüterschutz nicht ausreichend besorgen können, muss klargestellt werden, wie diese Aussage im Kontext der Heimtücke zu verstehen ist. Dies wird der Diskussion dieser These vorangestellt, da hierin der Ursprung vieler Missverständnisse liegt. Wenn gefragt wird, ob der Staat ersatzweise einzuspringen hat, in dem Fall, dass der Private möglichen und zumutbaren Selbstschutz nicht wahr357

Schünemann, FS Bockelmann, 117 (129 f.). Schünemann, FS Bockelmann, 117 (130). 359 Schünemann, FS Bockelmann, 117 (129); siehe auch Ellmer, S. 243. Kritisch zu einem Verständnis des ultima ratio-Gedanken als Erforderlichkeitsfrage Appel, S. 142 ff. 360 Siehe hierzu das ab S. 257. 361 Zwischen den Kategorien wird nicht immer getrennt, so dass im Folgenden auch Beiträge zum Subsidiaritätsprinzip aufgegriffen werden, obwohl dieses im Rahmen der Tötungskriminalität nie eine Zuständigkeit des Privaten an Stelle des Staates begründen kann. 358

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

nimmt, kann damit in keinem Fall die staatliche Abwehr der Tötungshandlung zur Disposition stehen. Das strafrechtliche Tötungsverbot gilt immer und tritt nicht erst nach einer privaten Mindestsorge für das eigene Leben in Kraft. Deshalb ist selbstverständlich die staatliche Abwehrzuständigkeit auch immer gegeben. Mit staatlichem Einspringen kann hier im Kontext einer Tötung nur die Einschlägigkeit der Strafdrohung des § 211 StGB gemeint sein. Zu klären ist demnach, ob ein Nebeneinander von privatem und staatlichem Schutz des Rechtsguts Leben derart besteht, dass der zusätzliche (zusätzlich in Bezug auf § 212 StGB und Privatmaßnahmen) Schutz des § 211 StGB mit dem Heimtückemerkmal nur solange besteht, wie opferseitig bestimmte Verhaltensregeln erfüllt sind. Dabei wird teils die Frage nach der Zuständigkeit für den Rechtsgüterschutz eher hinsichtlich des Subsidiaritätsprinzips und weniger mit dem ultima ratio-Prinzip verbunden362, oftmals wird allerdings nicht differenziert363. Unabhängig davon kann hinsichtlich der ineinandergreifenden Zuständigkeiten des Staates und des Privaten für den Rechtsgüterschutz jedenfalls aber Folgendes festgehalten werden: Die aktive Abwehr des Täters ist unstrittig primär dem Staat überantwortet; diese Zuständigkeit besteht auch immer unabhängig von einem etwaig vorwerfbarem Vorverhalten des Opfers. Das muss jedoch nicht in jeder Hinsicht die Abwehrmöglichkeiten des Opfers irrelevant werden lassen: Diejenigen Schutzmöglichkeiten, die weniger intensiv als eine konfrontative Verteidigung und die zeitlich vor dem Angriff gegeben sind (also vor allem regelkonformes Verhalten gegenüber anderen), wären dann bedeutsam, wenn eine diesbezügliche opferseitige Verfehlung in die Auslegung der Heimtücke hineinspielt. Insofern bestünde eine verschränkte Verantwortlichkeit des Staates und des Privaten, als das Verhalten des Privaten darüber entscheidet, ob sich die staatliche Gefahrenabwehr als Abwehr eines Totschlags oder eines Heimtückemordes darstellt. Bei der Tatbestandsauslegung hingegen das Opferverhalten unberücksichtigt zu lassen, liefe demgegenüber darauf hinaus, den Privaten zu verdrängen, da seine Handlung in Bezug auf die Tötung als rechtlich irrelevant erklärt wird. Der wesentliche Punkt bei alledem ist, dass die aktive Gefahrenabwehr des Staates niemals durch das Opfervorverhalten verdrängt wird. Daher ist es völlig verfehlt, zu fragen, ob bei einem den Privaten miteinbeziehenden Subsidiaritätsbegriff der Staat handeln darf, wenn der Private der zumutbaren Eigensorge nicht nachkommt und er so in die Situation gerät, in der er keine Gefahrenabwehr (mehr) leisten kann. Oftmals wird aber fälschlicherweise unterstellt, mit einer 362 Beispielsweise für Brandt, S. 167 und Prittwitz, Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts, S. 387 (391) ist dies der entscheidende Abgrenzungsfaktor für beide Prinzipien. 363 Beispiele für einen synonymen Gebrauch: Schünemann, ZStW 90 (1978), 11 (40 f., 54 f.); Krack, S. 38; Brandt, S. 123 mit weiteren Nachweisen in Fn. 3; Wohlers, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 54 (54); Nestoruk, S. 16; Hörnle, von Hirsch/Seelmann/ Wohlers, 36 (36 ff.); Seher, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 70 (70); Fiedler, S. 130.

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das Opferverhalten berücksichtigenden Auslegung wolle man für Selbstschutzmaßnahmen des Opfers als alleinige Handlungsalternative der aktiven Gefahrenabwehr plädieren. Dem ist entschieden zu widersprechen. b) Die Kritik des Vorrangs staatlicher Maßnahmen gegenüber privaten Schutzmaßnahmen Maiwald kritisiert an einem Subsidiaritätsverständnis, wonach private Selbstschutzmaßnahmen im Rahmen der Auslegung berücksichtigt werden, dass dies einen Vorrang privater Maßnahmen voraussetze und damit ein falsches Rangverhältnis staatlicher und privater Schutzmaßnahmen zugrundegelegt werde. Er verdeutlicht dies damit, dass nach einhelliger Meinung dem Privaten Abwehrrechte im Rahmen der Notwehr nur zustünden, wenn staatliche Hilfe nicht präsent ist; das Rangverhältnis bestünde also genau umgekehrt364. Dabei beziehen sich Maiwalds Ausführungen zum Subsidiaritätsprinzip auf Auslegungsfragen (!) und nicht etwa auf Fragen der Gesetzgebung oder der polizeilichen Intervention365. Seine Argumentation vermengt daher zwei grundverschiedene Dinge: Zu unterscheiden ist wie eben betont zwischen der aktiven Gefahrenabwehr einerseits und der Auslegung einer Norm im Rahmen der Bewertung der Tat andererseits. Auch nach der Ansicht, die das Verhalten des Opfers bei der Auslegung berücksichtigen will, hat das Opferverhalten auf die Gefahrenabwehr und die Zuständigkeit des Staates hierfür keinen Einfluss. Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass das Opferverhalten auch für die Auslegung irrelevant sein muss. Es ist enorm wichtig, aktive Schutzmöglichkeiten des Opfers nach Versuchsbeginn von passiven Selbstschutzmöglichkeiten zu unterscheiden, die es in der Regel vor der Entschlussfassung des Täters hat – ein Beispiel für passiven Selbstschutz ist vor allem das schlichte regelkonforme Verhalten. Der entscheidende Unterschied zwischen diesen beiden Selbstschutzarten liegt in Folgendem: Die von Maiwald mittels des Notwehrbeispiels angeführte Kollisionsregel, wonach staatliche Maßnahmen privaten vorzuziehen sind, setzt voraus, dass die Selbstschutzmaßnahme des Privaten mit einer tatbestandlichen Beeinträchtigung des anderen (das meint den späteren Täter des Tötungsdelikts) einhergeht. Bei dem hier diskutierten opferseitigen Selbstschutz, der im Rahmen der Auslegung relevant sein soll, ist das aber gerade nicht der Fall. Denn hätte der Familientyrann im Vorfeld seine Angehörigen nicht permanent malträtiert, hätte er diese damit gerade nicht verletzt; hätte der Erpresser von der Erpressung abgesehen, hätte er nicht in die Rechtsphäre des Erpressten eingegriffen. Soweit der in Rede stehende Selbstschutz zwar nicht den anderen verletzt, sondern Art. 2 GG auf der Seite desjenigen tan364 Maiwald, ZStW 96 (1984), 70 (73); siehe auch Hillenkamp, S. 176 mit weiteren Nachweisen und Sax, JZ 1959, 778 (779 f.). 365 Eigentlich wäre es nach dem in der Vorbemerkung Gesagten treffender, im Rahmen der Auslegung vom ultima ratio-Prinzip zu sprechen.

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giert, der später das Opfer der Tötung ist366, ist zu sagen, dass solchen Beeinträchtigungen des späteren Opfers bei der Frage der Zumutbarkeit des Selbstschutzes im Tatvorfeld Rechnung getragen werden kann. Der Maßstab, wann es zumutbar ist, Leben und Körper eines anderen nicht zu verletzen, ist dabei durch die gesetzlichen Wertungen der §§ 211 ff., 32 ff. StGB vorgegeben. Es bleibt dabei: Hinsichtlich der aktiven Gefahrenabwehr ist der Staat unbestritten primär zuständig und zwar unabhängig vom Vorverhalten des Opfers; solange das Opfer keine gegenwärtige Rechtfertigungslage des Täters begründet, ist sein Verhalten irrelevant für die Frage der Gefahrenabwehr. Bezogen auf die Auslegung kann das Opferverhalten hingegen relevant sein, nämlich beispielsweise für den Ausschluss der Arglosigkeit als Element des Heimtückemerkmals. Da Gefahrenabwehr und Auslegung völlig verschiedene Fragen betreffen, ist es nicht widersprüchlich, das Opferverhalten bei dem einen zu berücksichtigen und bei dem anderen für irrelevant zu erklären. c) Die Bedeutung des ultima ratio-Prinzips für die grundsätzliche Möglichkeit, den Privaten für seinen Rechtsgüterschutz zu verpflichten „Die Strafnorm stellt [. . .] die ,ultima ratio‘ im Instrumentarium des Gesetzgebers dar“ 367. Aus diesem Zitat des BVerfG soll sich nach einer Ansicht ergeben, dass sich das ultima ratio-Prinzip ausschließlich auf staatliche Maßnahmen der Verbrechensvorbeugung bezieht und private Schutzmöglichkeiten irrelevant sind368. Auch in einem Konzept ineinandergreifender Verantwortlichkeiten des Staates und des Privaten dergestalt, dass die Einschlägigkeit des § 211 StGB neben § 212 StGB von opferbezogenen Erwägungen abhängig ist, behält die Aussage des BVerfG aber ihre Richtigkeit. Innerhalb der Zuständigkeit des Staates ist das Strafrecht das letzte Mittel – wer daraus liest, dass nur der Staat für den Rechtsgüterschutz zuständig ist, geht davon aus, dass es nur einen Zuständigen gibt. Ob dem so ist oder eine Zuständigkeitsverschränkung von Staat und Privatem in der dargestellten Form anzunehmen ist, ist aber gerade die Frage und mit diesem Zitat nicht beantwortet369.

366 Maiwald bildet hierzu das Beispiel eines Betrogenen, dessen Recht es ist, auf unsicherer Tatsachenbasis Vermögensdispositionen zu treffen. 367 BVerfGE 39, 1 (47). 368 Hillenkamp, S. 176; zu diesem Zitat auch Maiwald, ZStW 96 (1984), 70 (71). 369 Auch Beckemper, S. 216 bemerkt, dass diese Entscheidung weder für, noch gegen die Miteinbeziehung des Einzelnen heranzuziehen sei. Ähnlich gibt R. Hassemer, S. 23 zu bedenken, dass sich die in dieser Debatte herangezogene öffentlich-rechtliche Literatur oftmals mit Situationen befasse, in denen private Mittel gar nicht denkbar seien und dass dieser sachliche Unterschied zum Strafrecht einer Übertragung des Verständnisses von Subsidiarität entgegenstehe.

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Nach anderer Ansicht besagt der ultima ratio-Grundsatz hingegen, dass vorrangig der Rechtsgutträger zum Schutz seiner Rechtsgüter zuständig sei370. Da das Strafrecht anderen Formen des Rechtsgüterschutzes gegenüber subsidiär sei, gelte das nämlich erst recht gegenüber möglichem und zumutbarem Selbstschutz371. Konkret für die Heimtücke stellt sich die Frage, ob diese postulierte Pflicht, zumutbaren Selbstschutz zu besorgen (also vor allem, andere nicht durch schwere Taten gegen sich zum tödlichen Angriff aufzubringen), dazu führen kann, dass bei einer Pflichtverletzung die Heimtücke zu verneinen ist. Rechtstechnisch ist dieses Ergebnis durch eine restriktive Bestimmung der Arglosigkeit als Element der Heimtücke erreichbar: Soll daher Arglosigkeit nur vorliegen, wenn sich das Opfer tatsächlich keines Angriffs versieht und von der Rechtsordnung auch nicht erwartet wird, dass es mit einen Angriff rechnet? Kann ein opferbezogener Umstand (wie das vorsätzliche Schädigen anderer als Verletzung des denkbar einfachsten Eigenschutzes372) die Forderung begründen, das Opfer hätte mit dem Angriff rechnen können und auch müssen373? Muss sich derjenige, der einen anderen vorsätzlich rechtswidrig schädigt, gewahr sein, neben der eigenen Strafbarkeit wegen dieses Verhaltens weitere Rechtseinbußen (nämlich den Verlust des besonderen Heimtückeschutzes gegenüber Handlungen dieser anderen Person) zu erleiden? Die unter C. II. 2. dargestellten grundsätzlichen Positionen über die Beachtlichkeit von Opferverhalten sollen hier nicht nochmals dargelegt werden, sondern es sollen ergänzend die Aspekte des ultima ratio-Gedanken angesprochen werden, die mit der Begründungsfähigkeit einer Obliegenheit des Opfers beziehungsweise mit den Konsequenzen einer Obliegenheitsverletzung im Zusammenhang stehen. Dabei wird wie geschildert oft postuliert, dass sich eine opferseitige Verpflichtung, in gewissem Maße selbst Sorge für das eigene Wohlergehen zu tragen, nicht mit dem ultima ratio-Prinzip vertrage. Dem ist nun nachzugehen; wenngleich sich konkrete Anforderungen gewiss nicht zwingend aus diesem Prinzip ableiten lassen, so ist klärungsbedürftig, ob eine Obliegenheit zum 370 Kühne/Ammer, JuS 1986, 388 (390); Mühlbauer, NStZ 2003, 650 (652); Dürig, JZ 1953, 193 (198); Fiedler, S. 123; Kurth, S. 142; Ellmer, S. 60, 234 f., 243; Beckemper, S. 216; Wohlers, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 54 (69); Blei, FS Henkel, 109 ff. 371 Beckemper, S. 216 mit weiteren Nachweisen. 372 Bereits in BGHSt 23, 327 (328) erklärt auch der BGH, dass ein rechtswidriger Angriff eine Selbstgefährdung sei, die rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann (konkret wurde die Garantenstellung des Angegriffenen gegenüber dem Angreifer verneint). 373 Dies bejaht für Tyrannen-Fälle unlängst Buchkremer, S. 89, es sei dogmatisch richtig, das pflichtwidrige Opferverhalten beim Mordtatbestand zu berücksichtigen. Leider gibt die Autorin in ihrer Dissertation, die die präventive Verteidigung von TyrannenOpfern zum Thema hat, keinerlei Hinweis darauf, wie dies technisch umzusetzen ist – beispielsweise geht sie nicht auf die normative Definition im Erpresser-Fall ein, die im kurz darauf folgenden Tyrannen-Fall vom BGH anzusprechen versäumt wurde – stattdessen wendet sie sich nach dieser Feststellung Rechtfertigungsfragen zu.

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

Selbstschutz vereinbar mit der ultima ratio-Maxime ist. Hierfür sei der Blick auf die Begründung dieses Prinzips gelenkt, auf den sogenannten Gesellschaftsvertrag und das Bild von einem vernünftigen, selbstverantwortlichen Menschen. aa) Die Idee eines Gesellschaftsvertrags Das Bestehen von Pflichten oder Obliegenheiten des Privaten neben der staatlichen Zuständigkeit für die Gefahrenabwehr soll nach einer Ansicht auf die Idee des Gesellschaftsvertrags zurückzuführen sein374. Hörnle lehnt hingegen wie gesehen eine „Pflicht zum Selbstschutz“ für das Opfer ab375. Neben den oben dargelegten Gründen überzeugt es sie nicht, die Grundlage für die Annahme einer solchen Obliegenheit in einem Gesellschaftsvertrag zu erblicken376: Zum einen läge nur hypothetisch und nicht tatsächlich ein Vertrag vor. Zum anderen würde eine Obliegenheit zum Selbstschutz negative Auswirkungen für das gesamtgesellschaftliche Miteinander erzeugen, was zumindest gegen eine Zustimmung aller Vertragsschließenden spreche. Um diesen Streit beurteilen zu können, muss zunächst erläutert werden, was die insbesondere von Schünemann377 zur Begründung einer Obliegenheit zum Selbstschutz angeführte Idee eines Gesellschaftsvertrages überhaupt besagt: Ursprünglich wurde das rechtsphilosophische Modell des Gesellschaftsvertrags als Beendigung eines vorgesellschaftlichen Naturzustandes zur Legitimation staatlicher Gewalt entwickelt378. Grundaussage war zunächst, dass ein wechselseitiger Freiheitsverzicht zur Sicherung derselben erfolgt und jeder nur solange egoistische Ziele verwirklichen soll, wie es mit den Interessen anderer vereinbar ist379. Verstöße gegen diese Regel müssen von einer höheren Instanz überwacht werden, weil sonst egoistisch-vernünftigerweise jeder einen Systembruch begehen würde und das das Vertragswerk auflösen würde380. 374 Mühlbauer, NStZ 2003, 650 (652), allerdings stehen seine grundsätzlichen Ausführungen im Zusammenhang mit § 263 StGB. Allgemeiner entwickelt Schünemann, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 18 (31 f.) aus der Idee des Gesellschaftvertrags den Grundsatz, dass das Opferverhalten bei der Tatbestandsauslegung zu berücksichtigen sei. 375 Hörnle, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 36 (37 ff.); siehe bereits oben S. 232. 376 Hörnle, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 36 (45 ff.) zu Schünemann, von Hirsch/ Seelmann/Wohlers, 18 (31 f.). 377 Schünemann, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 18 (31 mit weiterführender Literatur); ebenso Mühlbauer, NStZ 2003, 650 (652). 378 Zur Genese Kersting, Politische Philosophie, S. 1 ff.; Jellinek, S. 202 ff.; Engländer, JURA 2002, 381(382 ff.); Koller, S. 12 ff. Bekannteste Vertreter der klassischen Vertragstheorien sind Hobbes, Locke, Rousseau und Kant. 379 Das ist die Kernaussage Kants kategorischen Imperativs, Kant, Gemeinspruch, S. 22, A 235, S. 31, A 251, ders., Frieden, S. 91 B 88 und Kritik der praktischen Vernunft, S. 140. 380 Ausführlich Kant, Gemeinspruch, S. 30 ff., A 251 ff.

III. Die Vereinbarkeit der Berücksichtigung des Opferverhaltens

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Die Vertragsidee wurde sodann immer mehr von empirischen Vorstellungen abstrahiert381. Kritisch hinterfragt wurde aber unter anderem immer, weshalb ein fiktiver Vertrag reale Menschen binden soll382 und wie sich diese Bindungswirkung auf nachfolgenden Generationen erstrecken soll383. Diese Kritik kann freilich nur greifen, sofern der Gesellschaftsvertrag zur Legitimation staatlicher Gewalt herangezogen wird, wie es die klassischen Theorien ursprünglich auch taten – im Kontext der Frage, was eine Regelung als gerecht erscheinen lässt, verfängt sie hingegen von vornherein nicht384. Diesen Wechsel des Kontexts, den namentlich Kant eingeleitet hat, hat Rawls maßgeblich vorangetrieben und den hypothetisch anzunehmenden Gesellschaftsvertrag zu einem reinen Mittel der Erkenntnisgewinnung für die Frage, was Gerechtigkeit bedeutet, entwickelt; dabei wird die Gerechtigkeitsentscheidung in einem Verfahren, das man fiktiven Dialog nennen kann, ermittelt385. In diesem fiktiven Dialog soll ein für alle zustimmungsfähiges Ergebnis ermittelt werden. Nach Rawls sind allgemein akzeptanzfähige Entscheidungen solche, die jemand rational-egoistisch treffen würde, hätte er für alle verbindliche Entscheidungen unter der Bedingung zu treffen, dass er keine Kenntnis über die eigene soziale Position und körperliche Verfassung hat. Rawls nennt diese Bedingung den „Schleier des Nichtwissens“ 386. Dieser gewährleiste, dass jeder über andere wie über sich entscheide, vermeide damit das Übervorteilen einer Interessensgruppe und ermögliche ein einstimmiges Ergebnis387. Dem Gesellschaftsvertrag fällt bei diesem Ansatz die Aufgabe zuteil, die Gründe freizulegen, die, gebe es einen bindenden Vertrag, diesen für alle als abschlussfähig 381 Insbesondere Kant hat den Vertragsschluss nicht als tatsächlich-geschichtliches Ereignis verstanden, sondern als theoretisches Konstrukt weiterentwickelt, Kant, Gemeinspruch, S. 29, A 250, S. 35 f., A 261 f.; Kersting, Politische Philosophie, S. 180 ff.; ders., Wohlgeordnete Freiheit, S. 203 f.; W. Hassemer, ZRP 1992, 378 (379 f.). Danach ist der Gesellschaftsvertrag nicht faktisch staatskonstituierend, sondern dient der Rechtmäßigkeitskontrolle. 382 Dworkin, S. 253 ff.; ihm zustimmend Koller, S. 15; Engländer, JURA 2002, 381 (386); ders., ARSP 86 (2000), 2 (9 f.); Hörnle, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 36 (44); Kersting, Politische Philosophie, S. 33. 383 Hume, Essays, S. 306; hierzu Engländer, ARSP 86 (2000), 2 (5); Kersting, Politische Philosophie, S. 20, 34 ff. 384 Schon bei Kant bestand neben der Legitimationsfrage diese „Probierstein“-Aufgabe, Kant, Gemeinspruch, S. 29, A 250; dazu Kersting, Politische Philosophie, S. 202 ff.; ders., Wohlgeordnete Freiheit, S. 222 f., 311 ff. 385 Zu nennen ist für diese Entwicklung vor allem Rawls, siehe zu ihm Kersting, Politische Philosophie, S. 259 ff.; ders., John Rawls zur Einführung, S. 115 ff.; Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 112 ff.; Koller, S. 31 ff. 386 Rawls, S. 29, 36 f., 159 ff., 197. 387 Und zwar nicht wie bei den klassischen Vertragstheorien aufgrund der Grenzsituation, entweder im Naturzustand Unsicherheit und Tod zu finden oder das kleinere Übel, den Vertrag zu akzeptieren, zu wählen, sondern aufgrund echter Homogenisierung von Interessen. Jeder nimmt gedanklich jede denkbare Position ein und wird ein Ergebnis des fairen Kompromisses anstreben, vergleiche hierzu Kersting, Politische Philosophie, S. 269 f.

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

erscheinen lassen würden. Diese Gründe sollten den Überlegungen des echten Gesetzgebers zugrundeliegen oder bei der Auslegung der Gesetze helfen388. Strafgesetze sind denn auch so geschaffen, dass die bei ihrer Anwendung ermittelte Strafe von dem Rechtsbrecher als angemessen akzeptiert werden soll – dass Verurteilte tatsächlich häufig ihre Strafe nicht als akzeptabel empfinden, liegt daran, dass die unterstellte Gleichheit des fiktiven Dialogs tatsächlich nicht besteht389. Diese tatsächliche Diskrepanz stört aber das normative Gerechtigkeitsurteil nicht390. Denn jeder hat sein Handeln auf die konsensierten Maximen hin auszurichten und zwar ohne dass eine echte Bindungswirkung freiwillig-vertraglicher Natur dafür nötig wäre391. Die Frage, ob das ultima ratio-Prinzip den Privaten bei Schutzaufgaben mitberücksichtigt, kann auf dieser Grundlage bejaht werden. Es muss allen Dialogpartnern vernünftig erscheinen, dass jeder selbst im zumutbaren Umfang Sorge für den Erhalt seiner Rechtsgüter zu tragen hat, um die Allgemeinheit nicht zu belasten. Auf die Heimtückeproblematik bezogen ist die einfachste Form zumutbaren Selbstschutzes, sich regelkonform zu verhalten und vor allem Rechtsgüter anderer nicht vorsätzlich zu verletzen, um nicht selbst Opfer einer Rache- oder Verzweiflungstat zu werden. Die anschließende Frage, ob derjenige, der den ihm zuzumutenden Selbstschutz nicht übernimmt, einen Nachteil erleiden soll, ist gleichermaßen zu bejahen. In einem vernünftigen Dialog muss jeder einsehen, dass es Nachteile haben muss, wenn man den Schutz seiner Rechtsgüter nicht besorgt. Die nachteilige Konsequenz einer Obliegenheitsverletzung, im Rahmen der Auslegung des Heimtückemerkmals die Arglosigkeit zu verneinen, ist dabei nicht zwingend, aber mit diesem Ansatz zur Konkretisierung von Gerechtigkeitserwägungen mittels einer hypothetischen Vertragsverhandlung vernünftiger und eigenverantwortlicher Menschen vereinbar. Die eingangs geschilderte Kritik Hörnles, wonach der Gesellschaftsvertrag nicht zur Begründung einer Obliegenheit zum Selbstschutz herangezogen werden könne, weil er nur hypothetisch geschlossen werde und zudem die Zustimmung 388 Zwar ist der Vertrag als gedankliches Hilfsmittel der gerechten Entscheidungsfindung entbehrlich, weil es auf die ihn kennzeichnenden Prinzipien wie Gleichheit und Gegenseitigkeit ankommt und nicht auf den Vertrag selbst, gleichwohl dient der Vertragsjargon der Veranschaulichung und ist insofern hilfreich. 389 Individuellen Besonderheiten und der ungleichen Distribution von Eigenschaften, Fähigkeiten und Gütern gibt hingegen Buchanan Raum, dazu Kersting, Politische Philosophie, S. 334 f. 390 Im Gegenteil, die fingierte Gleichverteilung ist essentielle Voraussetzung für die Gewinnung eines Gerechtigkeitsurteils. Um diese Maximen in die Wirklichkeit zu projizieren, bedarf es nicht derselben Gleichheitsstrukturen, da Gerechtigkeit ein Ideal ist. Ähnliches kritisiert Kersting, Politische Philosophie, S. 348 an Buchanan. Zu der irrelevanten Diskrepanz von Allgemein- und Individualinteresse auch Jakobs, S. 65 f. 391 Zur Verbindlichkeit für denjenigen, der nicht zustimmt bei Kant siehe Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 349 ff.

III. Die Vereinbarkeit der Berücksichtigung des Opferverhaltens

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aller zu einem solchen Vertrag unrealistisch sei, konnte entkräftet werden. Beide Überlegungen beziehen sich auf einen empirisch gedachten Vertragsschluss zur Legitimation staatlicher Gewalt. Auf den Gesellschaftsvertrag als gedankliches Hilfsmittel im Rahmen der Ermittlung konsensfähiger Regelungen schlagen diese Überlegungen nicht als Kritik durch. Die Idee des Gesellschaftsvertrages spricht daher nicht gegen eine das Opferverhalten berücksichtigende Auslegung von Tatbestandsmerkmalen, sondern ist im Gegenteil sehr gut mit dieser vereinbar. bb) Das Menschenbild unserer Rechtsordnung Teils wird argumentiert das Menschenbild, das unserer Rechtsordnung zu Grunde liegt, könne nicht dazu herangezogen werden, Obliegenheiten zum Selbstschutz zu statuieren. Schmude ist beispielsweise der Ansicht, das Bild des „mündigen Bürgers“ sei nur Zielvorstellung und nicht Realität, so dass der Staat auch dort tätig werden müsse, wo der Einzelne sich „bestenfalls [. . .] hätte schützen können.“ 392 Daran ist richtig, dass die Vorstellung von einem selbstverantwortlich-vernünftigen Menschen nur ein Idealbild ist. Aber die Funktion dieses Ideals, Grundlage gerechter Rechtsgestaltung und -anwendung zu sein, wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass echte Menschen dem Ideal nicht immer entsprechen393. Aus dem Bild des Menschen als eine frei verantwortlich entscheidende Person soll daher nach anderer Ansicht die Anerkennung des Subsidiaritätsprinzips als Schutz des Bürgers vor dem Staat, aber auch als Schutz des Staates vor der Inanspruchnahme des Bürgers folgen – aufgrund der freien Verantwortlichkeit des Einzelnen entstünden nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten394. Da nun das Menschenbild in Bezug auf den Täter wie das Opfer dasselbe ist, müsste hinsichtlich der Selbstverantwortung ebenfalls für beide das Gleiche gelten. Trotzdem, so wird kritisiert, werde im Strafrecht die Selbstverantwortung oftmals nur einseitig dem Täter abverlangt395, während das Opfer einseitig unter „glückbrin392 Schmude, FS Ballerstedt, 481 (496) trifft diese Aussage in einer zivilrechtlichen Abhandlung, gerade die Teile, die sich auf das Menschenbild beziehen, sind aber verallgemeinerbar. Für W. Hassemer, FS Klug, 217 (233) soll das dem Strafrecht zugrundeliegende Menschenbild gegen das Bestehen entsprechender Obliegenheiten sprechen. 393 In diesem Sinn stellt Neumann, JA 1987, 244 (249, 254) klar, dass die Eigenverantwortlichkeit eine normative Zuständigkeit und keine empirische Fähigkeit sei. Kohlrausch, FG Güterbock, S. 1 (26) drückt dies wie folgt aus: „So ist das generelle Können tatsächliche Voraussetzung jedes Zurechnungsurteils, das individuelle Können aber wird zu einer staatsnotwendigen Fiktion“ und weiter Kohlrausch, FG Güterbock, S. 1 (27): „Das Sollen hat die Kraft des Könnens zu stählen.“ 394 Von Münch, JZ 1960, 303 (305); Kaufmann, FS Henkel, 89 (97 f.); Dworkin, S. 284; Engisch, Weltbild, S. 26 (33 f.); Fiedler, S. 119; Ellmer, S. 238; Roxin, JuS 1966, 377 (387); Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (373). 395 Fiedler, S. 121; Ellmer, S. 238 f., 250.

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

gender“ Bevormundung durch den Staat stehe396. Diesem „Wohlfahrtsstaat“ 397 und der Rolle des Staates als „Gouvernante“ 398 oder „Vater“ 399 wird das Bild des „mündigen Bürgers“ 400 entgegengehalten. Sicherlich sind dies teils übersteigerte Bilder, die oft nur allgemeine Tendenzen in der Rechtsgestaltung oder Rechtsprechung wiedergeben sollen und nicht die Situation speziell der Tötungsdelikte schildern. Aber ihrer Kernaussage, dass jedenfalls eine pauschale Nichtbeachtung des Opferverhaltens bei der Auslegung dem Menschenbild zuwiderläuft, ist zuzustimmen. Auch hier gilt letztlich: Gewiss ergeben sich aus dem Menschenbild keine konkrete Verhaltensanforderungen401. Unter Arglosigkeit zu verstehen, dass sich das Opfer keines Angriffs versieht und nicht versehen muss, steht aber jedenfalls im Einklang mit dem Bild eines selbstverantwortlichen Menschen. Daher ist diesbezüglich ebenfalls nicht festzustellen, dass die vorgeschlagene Auslegung des Heimtückemerkmals mit Grundsätzen unserer Rechtsordnung unvereinbar wäre.

2. Die Höchstwertigkeit des Rechtsguts Leben und die Geeignetheit des Selbstschutzes für den hinreichenden Rechtsgüterschutz Günther erhebt einen grundsätzlichen Einwand und weitere, speziell auf das Rechtsgut Leben bezogene, Einwände gegen die Statuierung einer Obliegenheit des Opfers zum Selbstschutz. Zunächst zu den auf das Rechtsgut Leben bezogenen Bedenken: Günther zufolge besteht allgemein ein Strafbedürfnis, wenn dem Subsidiaritätsprinzip folgend die Kriminalisierung das letzte Mittel der Verhaltenssteuerung innerhalb „des gesetzgeberischen Maßnahmekataloges“ ist; die Kriminalisierung sei die ultima ratio im Instrumentarium des Gesetzgebers402. Je höher der Erfolgsunwert der Tat, desto mehr müsse das Strafrecht eingreifen, wobei der Erfolgsunwert nicht nur für das „Ob“, sondern auch für den Umfang des Rechtsgüterschutzes maßgeblich sei. Da das Rechtsgut Leben das höchste Gut sei, schütze der Gesetzgeber es in einer „Rundumverteidigung“ 403. Soweit damit 396 Starck, JZ 1981, 457 (463); Ellmer, S. 239; Schünemann, JA 1975, 715 (724). Zur Bevormundung, wenn der Staat dem Bürger nicht die negativen Folgen seines Handelns tragen lässt auch Beckemper, S. 228; Roxin, JuS 1966, 377 (387); Exner, FG Frank, 569 (590 f.). 397 Starck, JZ 1981, 457 (463); Peters, FS Eb. Schmidt, 488 (496 Fn. 22). 398 H. J. Hirsch, FS Welzel, 775 (784). 399 Kant, Gemeinspruch, S. 22, A 226. 400 Ausführlich Ellmer, S. 238 ff. 401 Zöllner, FS Odersky, 123 (138); zur rechtstechnischen Bedeutung des Menschenbildes Häberle, S. 70 ff. 402 Günther, JuS 1978, 8 (11). 403 Günther, JuS 1978, 8 (13).

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der Schutz gegen verschiedene Angriffsweisen auf das Leben gemeint ist, ist tatsächlich davon auszugehen, dass das Strafgesetzbuch einen umfassenden strafrechtlichen Schutz vorsieht. Günther führt jedoch hinsichtlich des Schutzumfangs dieser umfassendsten Verteidigung etwas aus, das zweifelhaft erscheint. Er lehnt es nämlich ab, aufgrund des Vorverhaltens des Opfers eine verringerte Strafbedürftigkeit oder Strafwürdigkeit anzunehmen und damit eine Strafdrohung nicht greifen zu lassen. Seine Begründung hierfür lautet, dass dies eine Unterlaufung der positiven Generalprävention zur Folge hätte und Neutralisationstechniken des Täters verstärken würde404. Letzteres meint ein psychologisches Phänomen, bei dem der Täter die eigene Verantwortung vor sich leugnet, und sie anderen zuschreibt, also beispielsweise meint, das Opfer sei selbst schuld. Folgende Kritik ist an dieser Begründung zu üben: Wäre allein wegen der Höchstwertigkeit des Rechtsguts Leben eine Auslegung des Heimtückemerkmals abzulehnen, die das Opferverhalten berücksichtigt und deswegen den besonderen Schutz des § 211 StGB unter Umständen nicht greifen lässt, müsste man konsequenterweise die Höchststrafe der lebenslangen Freiheitsstrafe auch bei jeder anderen vorwerfbaren Verletzung des Lebens vorsehen. Damit wäre ein dreistufiges System der Tötungsdelikte wie das unsere nicht aufrechtzuerhalten. Vor allem suggeriert eine Argumentation mit der Höchstwertigkeit des Rechtsguts gegen eine Verpflichtung des Privaten, im zumutbaren Umfang Sorge für den Schutz seiner Rechtsgüter tragen zu müssen, dass diese Aufgabe ausschließlich dem Privaten überantwortet wäre und der staatliche Schutz von der Untätigkeit des Privaten suspendiert wäre. Dem ist aber nicht so. Einer solchen Sicht liegt jenes Missverständnis zugrunde, auf das in der Vorbemerkung hingewiesen wurde. Nochmals sei daher klargestellt, dass das Strafrecht die Pflicht zum Selbstschutz immer mit dem Schutz durch § 212 StGB flankiert. Das ist kein zweitklassiger Schutz, der das Rechtsgut Leben abwertet. Ähnlich wie das oben geschilderte Argument der Indisponibilität405 des Rechtsguts Leben spricht also auch der Wert dieses Rechtsguts an sich nicht gegen die Berücksichtigung von Opferverhalten bei der Bewertung einer Tötung. Auch ist die von Günther postulierte Verschlechterung der positiv-generalpräventiven Wirkung des Strafrechts bei der Geltung von opferseitigen Obliegenheiten zum Selbstschutz nicht zu belegen. Denn es müsste ja der Umstand, dass die Einschlägigkeit des § 211 StGB von einer Obliegenheitsverletzung in Form von deliktischem Vorverhalten beeinflusst wird, dazu führen, dass sich die 404 Günther, FS Lenckner, 69 (78). Roxin, FS Widmaier, 741 (750) ist ebenfalls speziell bei Tötungsdelikten dagegen, die Selbstschutzmöglichkeiten des Opfers zu berücksichtigen. Demgegenüber erwartet Kube, Kriminalistik 1980, 152 (154 ff.) gerade bei Tötungsdelikten positive Effekte für eine Prävention durch Selbstschutzmaßnahmen des Opfers. 405 Siehe oben S. 226 und S. 247.

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

abschreckende Wirkung des § 211 StGB allgemein verringert. Eine verminderte Rechtstreue könnte aber nur jemand entwickeln, der sich in einer vergleichbaren Situation befindet wie derjenige, der seinen Erpresser oder Peiniger umbringt. Selbst so eine Person würde aber nicht den Eindruck gewinnen, dass das Tötungsverbot insgesamt nicht mehr ernst zu nehmen sei. Entsprechendes gilt für die angeblichen Neutralisationseffekte: Wenn eine Tat wegen eines bestimmten Vortatverhaltens des Opfers nicht als heimtückisch bewertet wird, obwohl der Täter eine Situation ausnutzt, in der sein Opfer tatsächlich keinen Argwohn hegt, ist dies ein aufgrund von Einzelfallerwägungen gefälltes Urteil. Dies lässt aber nicht befürchten, dass Täter ihre Tötungshandlungen generell ,nur‘ noch als Totschlag verstünden, weil ihrer Ansicht nach immer dem Opfer etwas vorzuwerfen wäre. Damit ist zu dem allgemeineren Aspekt zu kommen, der für Günther gegen die Beachtung von Opferverhalten bei der Auslegung spricht. Günther meint, der eingetretene Rechtsgutschaden sei Beweis dafür, dass die Selbstschutzmöglichkeit des Opfers nicht ausreiche und damit nicht geeignet sei, den Schaden abzuwenden406. Zu Recht wird aber auch das angegriffen. Eine solche Beweisführung missversteht nämlich den Unterschied zwischen der Möglichkeit, sich erfolgreich zu schützen, und dem tatsächlichen Wahrnehmen dieser Möglichkeit. Schünemann setzt Günthers Argumentation deshalb zu Recht entgegen: „Allein die Existenz einer einzigen Straftat müßte nach seinen Prämissen die Geeignetheit und damit auch Erforderlichkeit des Strafrechtsschutzes widerlegen und damit die Abschaffung des staatlichen Strafrechts überhaupt gebieten.“ 407 Man kann von einem konkreten Schaden nicht darauf schließen, dass es keine geeigneten Selbstschutzmaßnahmen zur Vermeidung eines solchen Schadens gegeben hat; das wurde bereits bei der Erörterung des entsprechenden Arguments im Rahmen des Betrugstatbestandes erläutert408. Man kann auch nicht bestreiten, dass ein Opfer, das wesentlich zu dem deliktischen Geschehensablauf beiträgt, besser als jede Strafdrohung den Täter von der Tat hätte abhalten könnte. Denn ein solches Opfer kann die Tat nicht nur mit einem normativen Appell, sondern durch eine faktische Beeinflussung des Geschehens verhindern409. Eine solche Steuerungsmöglichkeit besteht zunächst einmal schlicht darin, den andern nicht vorsätzlich zu verletzen und damit erst gegen sich aufzubringen. Die Geeignetheit einer das Opferverhalten berücksichtigenden Auslegung für die Verbrechensvorbeugung wurde bereits in der Debatte um den Eigenschutz 406 Günther, S. 193 f. Zu dem angeblichen Zurückbleiben des privaten Schutzes hinter dem Strafrecht aufgrund präventiver Effekte im Rahmen des § 263 StGB siehe nochmals Herzberg, GA 1977, 298 (294 f.). 407 Schünemann, FS Faller, 357 (367). 408 Siehe oben S. 277. 409 Dieser Punkt steht bei Schünemann, von Hirsch/Seelmann/Wohlers, 18 (32) im Vordergrund; siehe auch Schünemann, Strafrechtssystem, S. 51 (64 f.).

III. Die Vereinbarkeit der Berücksichtigung des Opferverhaltens

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des Betrugsopfers mit der These angegriffen, dass sich durch die Etablierung von Obliegenheiten zum Selbstschutz keine Erziehungseffekte einstellen würden410. Entsprechend kann man in Bezug auf die Heimtücke die Position einnehmen, dass derjenige, der wertend betrachtet wegen seines Vorverhaltens nicht als arglos gilt, nicht durch diese drohende Konsequenz seiner Tat von dieser abgehalten wird. Das mag sogar auf einen großen Teil potentieller Tötungsopfer zutreffen, vor allem wenn dies keine kühl kalkulierenden Menschen sind (wie vielleicht noch der typische Erpresser), sondern eher emotionale, leicht aufbrausende und impulsive Menschen (wie typischerweise der Familien-Tyrann). Abgesehen davon, dass dies spekulativ ist, ist die Abschreckungswirkung aber auch nicht der einzige Zweck, der mit einer Strafdrohung erfüllt werden soll. Gerechtigkeit und schuldadäquates Strafen sind ebenfalls anzustrebende Ziele, die bei der Frage nach der Auslegung einer Norm zu berücksichtigen sind. Daher stellt es kein durchschlagendes Argument gegen die Annahme von Obliegenheiten dar, dass mit ihnen eventuell nur in geringem Ausmaß Erziehungseffekte erzielt werden. Insgesamt sprechen also weder die Höchstwertigkeit des Rechtsguts Leben noch Geeignetheitsüberlegungen im Hinblick auf die Prävention gegen die Annahme einer Obliegenheit, selbstverantwortlich seine Rechtsgüter in zumutbarem Umfang schützen zu müssen.

3. Die Bestimmtheit einer Obliegenheit zum Selbstschutz Jede restriktive, für den Täter günstige Auslegung eines Tatbestandsmerkmals kann sich für das Opfer nachteilig auswirken, wenn der entsprechende Tatbestand wegen der restriktiven Auslegung nicht erfüllt ist und so der strafrechtliche Schutz diesbezüglich entfällt411. Deshalb ist zu fragen, ob wegen dieser nachteiligen Folge für das Opfer das Bestimmtheitsgebot in Bezug auf diejenigen Verhaltensweisen des Opfers beachtet werden muss, die im Rahmen der Strafbarkeitsprüfung des Täters Beachtung finden412. Art. 103 Abs. 2 GG und der gleichlautende § 1 StGB werden in Bezug auf das Problem der Opferbenachteiligung als 410

Siehe oben S. 277. Siehe nochmals gegen eine Beschränkung der Strafbarkeit aufgrund opferbezogener Aspekte, allerdings durch eine nachträgliche Reduktion oder Analogie, den Einwand Hillenkamps, wonach das StGB als „magna charta des potentiellen Opfers“ ein Strafgebot enthalte, Hillenkamp, S. 154 f., 159 f. und oben S. 224. 412 Auf das Problem, ob sich das Bestimmtheitsgebot nur an den Gesetzgeber oder auch an den Rechtsanwender wendet, soll hier nicht vertieft eingegangen werden, siehe hierzu Hettinger/Engländer, FS Meyer-Goßner, 145 ff. Richtigerweise ist unmittelbarer Adressat des Gebots zwar der Gesetzgeber, „Nutznießer“ aber der Richter, weil die Rechtsanwendung hinter den Garantien nicht zurückbleiben kann, vergleiche NK StGB I/Hassemer/Kargl § 1 Rn. 14. 411

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

Folge der Täterentlastung häufig im Zusammenhang mit Erweiterungen von Rechtfertigungsgründen diskutiert413. In diesem Kontext wird überwiegend deshalb kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG angenommen, weil die Erweiterung dem Täter aufgrund des strafbefreienden Ergebnisses zum Vorteil gereicht414. Die Kritik hieran lautet, dass die Opferseite durch die Rechtfertigung des Täters unweigerlich eine Belastung erfährt; im Extremfall könne sogar eine Strafe begründet werden415. Es ist aber zweifelhaft, dass diese Gedankenführung auf die Auslegung des Heimtückemerkmals zu übertragen ist. Es macht nämlich einen erheblichen Unterschied, ob man einen Rechtfertigungsgrund erweitert oder die Auslegung eines qualifizierenden Tatbestandsmerkmals restriktiv vornimmt, auch wenn beides für den Täter vorteilhaft ist. Denn bei ersterem geht der Täter völlig straflos aus, während er sich im zweiten Fall noch für das Grunddelikt zu verantworten hat. Für das Opfer kann die Erweiterung eines Rechtfertigungsgrundes die eigene Strafbarkeit bedeuten, während bei der restriktiven Auslegung eines Qualifikationsmerkmals wie der Heimtücke dem Täter die Verletzung des Opfers durch das Grunddelikt immer noch bei Strafe verboten ist und das Opfer daher strafrechtlichen Schutz genießt. Die Bestimmtheit der Tatbestände soll nun zum einen für den Täter die Berechenbarkeit der Strafbarkeit gewährleisten und zum anderen für das Opfer die Garantie sein für „die Vorausberechenbarkeit dessen, wogegen der Bürger bei Androhung von Strafe geschützt, in welchem Umfang und in welcher Weise sein Rechtsgutbestand strafrechtlich abgesichert wird“ 416. Fraglich ist, ob diese beiden Ziele mit einem Heimtückeverständnis erreicht werden, wonach dasjenige Opfer als nicht heimtückisch getötet angesehen wird, das zuvor rechtswidrig den Täter in erheblicher Weise verletzt hat. Man wird die Frage bejahen können: Denn die Tötungshandlung bleibt von § 212 StGB verboten, so dass für den Täter die Vorausberechenbarkeit der Strafbarkeit (beziehungsweise für das Opfer die Vorhersehbarkeit dessen, wogegen man strafrechtlich geschützt wird) gegeben ist. Zwar erstreckt sich das Bestimmtheitsgebot auch auf die Rechtsfolgenseite und zwischen § 212 StGB und § 211 StGB besteht diesbezüglich ein erheblicher Unterschied, jedoch weisen beide Normen sehr empfindliche Strafdrohungen

413 S/S/Eser § 1 Rn. 14; MüKo/Schmitz § 1 Rn. 26. Dass normative und insofern naturgemäß unbestimmtere Rechtsbegriffe nicht grundsätzlich gegen Art. 103 Abs. 2 GG oder § 1 StGB verstoßen, legen unter anderem MüKo/Schmitz § 1 Rn. 42 f. und Lenckner, JuS 1968, 249 (252 ff.) dar. 414 Siehe Nachweise bei Günther, S. 298 Fn. 30. 415 Zu dem „strafkonstitutiven Nebeneffekt“ Hillenkamp, S. 157 f. 416 Hillenkamp, S. 159. Siehe auch Hruschka, JR 1968, 454 (456), der hinsichtlich der Garantien für das Opfer von der „Schutzfunktion“ spricht oder ähnlich Roxin, JuS 1966, 377 (383), dort ist von einer „Schutzordnung“ die Rede und bei Gallas, FS Bockelmann, 155 (162), liest man von der „Schutznorm“. Zur Doppelwirkung auch Müller-Emmert, GA 1976, 291 (291 ff.).

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auf 417. Die Warnfunktion des Bestimmtheitsgebots, dass bei Vornahme der Tötungshandlung eine erhebliche Freiheitsstrafe droht, ist daher gewahrt. Bedenken bezüglich einer unvorhersehbaren Benachteiligung des Opfers sind ebenfalls nicht zu teilen: Zunächst droht dem Opfer eine echte Kriminalstrafe nicht wegen des vernachlässigten Eigenschutzes (andere erheblich verletzt zu haben und deswegen selbst zum Angriffsobjekt zu werden), sondern nur aufgrund der mit der Eigengefährdung einhergehenden Delikte gegenüber dem anderen. Selbst wenn man unter „Strafbarkeit“ im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG (beziehungsweise § 1 StGB) auch eine Benachteiligung des Opfers durch die Verringerung des strafrechtlichen Schutzes versteht418, ist das Bestimmtheitsgebot jedenfalls dann nicht verletzt, wenn man die Arglosigkeit nur durch deliktisches Verhalten des Opfers in Frage gestellt sieht. Denn der gegenüber § 212 StGB zusätzliche Schutz des § 211 StGB wird dann nur versagt, wenn das Opfer ein normiertes und damit erkennbares Verbot verletzt hat: Im Fall des Erpressers ist es beispielsweise verboten, jemanden zu erpressen, im Fall des Tyrannen ist es verboten, jemanden körperlich und psychisch zu verletzen. Die jeweiligen Verhaltensweisen sind klar bestimmt. Mit ihnen lässt sich primär der jeweilige Tatbestand umschreiben, daneben sind sie aber auch als Obliegenheit zu begreifen419. Als Obliegenheit bezeichnet man gemeinhin eine Pflicht gegen sich selbst, deren Verletzung eine rechtliche Schlechterstellung bewirken kann420. Versteht man unter der Obliegenheit, andere nicht gegen sich aufzubringen, dass deliktisches Verhalten zu unterlassen ist, ist die Geltung dieser Obliegenheit zum Selbstschutz und auch ihr Inhalt durch das Gesetz hinreichend bestimmt. Die Obliegenheitsverletzungsfolge ist durch Auslegung zu ermitteln. Auf ihre hinreichende Bestimmtheit wird nach der Konkretisierung der Obliegenheiten zum Selbstschutz im Rahmen der Tötungsdelikte noch einzugehen sein421; einstweilen soll es genügen, festzustellen, dass eine Obliegenheit zum Selbstschutz mit dem Inhalt, sich nicht durch die Verletzung anderer in Gefahr zu bringen, grundsätzlich hinreichend bestimmt ist. Für den Erpresserfall bedeutet dies beispielsweise: Die in § 253 StGB normierte Obliegenheit ist darin zu erblicken, andere nicht zu erpressen, um nicht 417 MüKo/Schmitz § 1 Rn. 52 ff. zu den Gründen und problematischen Fällen einer abgeschwächten Geltung des Bestimmtheitsgebots für die Rechtsfolgenseite; siehe auch Fischer § 1 Rn. 6. 418 Fischer § 1 Rn. 4 meint, dass kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot vorliegen könne, wenn keine echte Kriminalstrafe begründet würde; das ergäbe sich aus dem in Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB vorgesehen Begriff der „Strafbarkeit“. 419 Zu solchen sekundären Geboten und Verboten Hruschka, S. 287. Das Bestimmtheitsgebot spricht dafür, dass die Annahme einer Obliegenheitsverletzung bei einem Verhalten, das exponierende Wirkung im Hinblick auf eine Opferwerdung hat und unterhalb der Schwelle eines erheblichen Delikts liegt, abzulehnen ist. Zu der Frage, woraus eine Obliegenheit abzuleiten sein kann ab S. 305. 420 Hruschka, S. 415 ff. 421 Siehe ab S. 305.

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

selbst von dem Erpressten angegriffen zu werden. Die Folge eines Verstoßes hiergegen kann im Rahmen des § 211 StGB dazu führen, die Arglosigkeit und damit die Heimtücke zu verneinen, weil der Erpresser mit einem Angriff hätte rechnen müssen. Damit wird mit einer das rechtswidrige Vortatverhalten des Opfers beachtenden Definition der Heimtücke von dem Opfer unter dem Stichwort Obliegenheiten nicht mehr verlangt, als das StGB ohnehin an Rechtskonformität verlangt. Eine solche Definition kann deshalb nicht gegen das Bestimmtheitsgebot verstoßen. Gleichwohl wird bestritten, dass das Opfer dazu verpflichtet ist, seine Rechtsgüter zu schützen. Beispielsweise meint Maeck, der die Bedeutung verschiedentlichen Opferverhaltens wie Provokationen oder Einwilligung für die Strafzumessung untersucht hat: „Die objektive bzw. subjektive Sorgfalt im Umgang mit den eigenen Rechtsgütern ist keine Rechtspflicht, die das Opfer sich, der Allgemeinheit oder etwa dem Täter (!) gegenüber zu erfüllen hätte.“ 422 Als Begründung führt er zum einen an, dass das StGB keine Norm kenne, die die Verletzung oder Gefährdung ausschließlich eigener Rechtsgüter sanktioniere423. Dieser Argumentation ist entgegenzuhalten, dass die Annahme einer Pflicht gegen sich selbst beziehungsweise deren Verletzung nicht für Sanktionen im Sinne echter Kriminalstrafen streiten soll. Es spricht auch nicht gegen die Existenz einer Obliegenheit, andere nicht zu schädigen, um nicht selbst Opfer zu werden, dass eine solche Verpflichtung nicht ausdrücklich im StGB geregelt ist. Sie besteht im Interesse einer am Rechtsfrieden interessierten Rechtsgemeinschaft und ergibt sich aus der Gesamtheit der das Verhalten regelnden Normen424. Zudem würde durch die hier diskutierte Definition der Heimtücke nicht ausschließlich die eigene Verletzung sanktioniert, denn die damit angesprochene Eigengefährdung erfolgt ja durch einen die Rechtsgüter des späteren Täters verletzenden Übergriff. Dieser ist primär im Rahmen einer Strafbarkeit des Opfers zu ahnden (wenn es denn überlebt) und zusätzlich soll er bei der Bewertung der nachfolgenden Tat des Täters im Rahmen der Heimtücke nach der hier vorgeschlagenen Definition beachtlich sein. Zum anderen ist nach Maeck die Annahme einer Obliegenheit zum Selbstschutz nicht mit der Überlegung zu rechtfertigen, dass diese den Zweck erfülle, andere davon abzuhalten, eine Straftat zu begehen; denn der Strafgrund der Teilnahme sei allein der Verletzungs- oder Gefährdungserfolg, nicht aber die Verantwortung für das Schuldigwerden des Täters425. Es bestünde also keine Pflicht zur Erhaltung der eigenen Rechtsgüter, sondern allenfalls ein Interesse426. Von Mit422

Maeck, S. 111. Maeck, S. 111 f. 424 Für Hruschka, S. 287 sind Obliegenheiten daher „sekundäre“ Gebote oder Verbote, die mit den eigentlichen, primären Rechtssätzen verbunden seien. 425 Maeck, S. 112. 426 Maeck, S. 112 f. 423

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verschulden könne aber niemals die Rede sein, weil sich das Verschulden immer auf ein Unrecht beziehe, das Opfer aber hinsichtlich seiner Rechtsgüter gerade kein Unrecht verwirkliche427. Auch diese Begründung ist indes in der Vorstellung einer mit der Obliegenheit verbundenen echten Strafbarkeit verhaftet und das eben Gesagte gilt gleichermaßen. Damit kann nun festgehalten werden, dass die Annahme einer den Strafvorschriften des StGB immanten Verpflichtung, sich selbst zu schützen, indem man sich nicht durch deliktisches Verhalten zum Angriffsobjekt macht, nicht gegen das Bestimmtheitsgebot verstößt. Zugleich hat sich die Vermutung erhärtet, dass das Vorverhalten des Opfers, das relevant für die Auslegung der Heimtücke sein kann, deliktisch sein muss.

4. Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit Auffällig ist, dass die Kategorien Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit weit seltener umschrieben werden als ihre Gegenstücke Strafwürdigkeit und -bedürftigkeit auf Täterseite. Behauptet wird nun, dass deliktische Handlungen des Opfers im Vorfeld keinen Einfluss auf die Schutzwürdigkeit hätten428. Bei unverminderter Schutzwürdigkeit bestehe folglich auch keine geringere Strafwürdigkeit. Wichtig ist dabei, den Bezugspunkt der Schutzwürdigkeit präzise zu benennen. Es geht bei der Schutzwürdigkeit richtigerweise nicht um diejenige des Rechtsguts429, sondern um diejenige des Opfers. Verhalten oder Eigenschaften des Opfers sind nicht geeignet, den Wert des Rechtsguts an sich zu beeinflussen430. Denn dieser stellt eine abstrakte Größe dar, die nicht durch konkrete Umstände zu beeinflussen ist. Wohl aber eignen sich konkrete opferbezogene Umstände dazu, die jeweilige Beurteilung über das Ausmaß der Missbilligung der konkreten Rechtsgutverletzung zu beeinflussen. Dieses Unwerturteil und die Wertschätzung des Rechtsguts sind zwei verschiedene Dinge, die es auseinander zu halten gilt. Diese Unterscheidung ist gerade bei dem Rechtsgut Leben wichtig:

427 Maeck, S. 113. Immerhin sieht Maeck, S. 114 ff. aber eine strafzumessungsrechtlich relevante Unrechtsminderung gegeben, wenn das Opfer Schutzmaßnahmen unterlasse, die ein verständiger Rechtsgutträger vornehmen würde und die ihm möglich wären. Dabei beurteile sich die Frage, was als Schutzmaßnahme opportun sei, objektiv nach der Verkehrsauffassung, und die Frage, ob und wieweit das konkrete Opfer dem nachzukommen in der Lage war, anhand eines individuellen Maßstabs. 428 Im Zusammenhang mit den Tötungsdelikten Bruns, FS Mezger, 335 (356 ff.); siehe auch schon oben beispielsweise S. 248 im Zusammenhang mit der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit. 429 So Wimmer, DRZ 1946, 116 (116 ff.); siehe hierzu auch mit weiten Literaturhinweisen und insbesondere bezogen auf den Familientyrann Hillenkamp, S. 189 ff., der eine Beeinflussung des deliktischen Vorverhaltens auf die Schutzwürdigkeit im Ergebnis freilich ablehnt. 430 Ebenso Maeck, S. 92.

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

Obliegenheitsverletzungen seitens des Opfers innerhalb einer restriktiven Auslegung zu beachten, bedeutet nicht, das Leben des Opfers geringzuschätzen. Ebenso wie die Hoffnung nicht bestärkt werden konnte, durch eine zusätzliche Strafbarkeitsprüfungsebene mit der Bezeichnung Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit den problematischen Fällen der Heimtücke gerecht zu werden, erscheint Entsprechendes auf der Opferseite gleichermaßen wenig aussichtsreich. Auch hier kann ein im Deliktsaufbau freischwebendes Kriterium der Schutzbedürftigkeit und -würdigkeit kein zu prüfendes Strafbarkeitsmerkmal sein, sondern nur mittelbar bei der Auslegung eines Tatbestandsmerkmals relevant sein. Die entscheidende Frage ist dabei wiederum, ob die Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit des Täters mit der Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des Opfers korrelieren, ob also die beiden Begriffspaare die zwei Schalen einer Waage sind und der Ausschlag der einen Seite den der anderen genau um diesen Teil bedingt. Diejenigen, die einen unmittelbaren Zusammenhang von Schutzbedürftigkeit beziehungsweise Schutzwürdigkeit des Opfers und Strafbedürftigkeit beziehungsweise Strafwürdigkeit des Täters sehen, treten dafür ein, bei der Auslegung von Tatbestandsmerkmalen das Opferverhalten zu berücksichtigen431. Und auch diejenigen Stimmen, die die beiden Begriffspaare als unabhängige Kategorien betrachten, argumentieren in bekannter Weise gegen den Einfluss von Opferverhalten auf die Strafbarkeit des Täters432. Stellvertretend kann die Begründung Bruns zur Ablehnung eines Einflusses der Schutzwürdigkeit auf die Strafwürdigkeit herausgegriffen werden433: „Niemand darf straflos sündigen an einem Opfer, das – weil es – selbst gesündigt hat!“ Eine Freibrieferteilung für den Täter durch das Opferverhalten sei abzulehnen434. Seiner Sicht der Dinge, dass die Beachtung des vorwerfbaren Verhaltens des Opfers im Vorfeld der Tat dazu führe, dass das Opfer als „,vogelfrei‘ an Leib und Leben“ erklärt werde435, ist mit dem Hinweis auf den maßgeblichen Bezugspunkt eines Schutzwürdigkeitsurteils zu widersprechen. Die verringerte Schutzwürdigkeit ist wie dargelegt nicht auf das Rechtsgut zu beziehen, das Rechtsgut Leben wird nicht freigegeben, sondern weiter von § 212 StGB geschützt. Es kann hier indes abgebrochen werden, weil sich die Argumentationen wiederholen. Mit den abstrakten Kategorien der Straf- beziehungsweise Schutzwürdigkeit und Straf- beziehungsweise Schutzbedürftigkeit heraus ist die Heimtücke431 Fiedler, S. 144; Schünemann, FS Faller, 357 (362); Ellmer, S. 242 f.; Beckemper, S. 215. 432 Paasch, S. 99, 119 ff.; Bruns, NJW 1954, 857 (861). Eine Ausnahme bildet Amelung, GA 1977, 1 (4), der die gegenseitige Beeinflussung von Strafwürdigkeit und Schutzwürdigkeit ablehnt, obwohl er beim Irrtumsbegriff des § 263 StGB für eine interaktionistische Auslegung streitet, Amelung, GA 1977, 1 (17). 433 Bruns, FS Mezger, 335 (356 ff.). 434 Bruns, FS Mezger, 335 (357 ff.). 435 Bruns, FS Mezger, 335 (337, 356 ff.), seine Ausführungen sind zwar auf den Betrug bezogen, sollen aber verallgemeinerungsfähig sein, Bruns, FS Mezger, 335 (336).

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definition nicht näher zu präzisieren, sondern allenfalls eine Definition auf ihre Leistungsfähigkeit hin zu überprüfen. Festzuhalten ist aber auch, dass Schutzwürdigkeitsüberlegungen der hier präferierten Heimtückedefinition nicht entgegenstehen. Wichtig war dabei zu erkennen, dass die Schutzwürdigkeit sich nie auf das Rechtsgut Leben an sich, sondern immer nur auf das konkrete Ausmaß der Missbilligung einer Tat bezieht.

5. Der Verwirkungsgedanke Die Arglosigkeit im Rahmen einer Definition für das der Heimtückemerkmal abzulehnen, weil das tatsächliche arglose Opfer wegen seines Vorverhaltens mit einem Angriff hätte rechnen müssen, ist der Kritik ausgesetzt, dass diese Fiktion des Argwohns einer Verwirkung gleichkäme, die im Strafrecht einer Grundlage entbehre436. Eine Rechtsverwirkung ist häufig umschrieben mit Redewendungen wie jemand werde mit etwas nicht gehört, könne sich auf etwas nicht berufen oder Rechtsschutz nicht verlangen437. Bezogen auf die Heimtückefrage bei einem im Vorfeld deliktisch handelnden Opfer ist damit gemeint, dass dieses mit seinem Vorbringen über die Abwesenheit von Argwohn nicht gehört wird, weil das rechtsmissbräuchlich wirken würde. Tatsächlich ist beispielsweise für Schünemann die Einschränkung des strafrechtlichen Schutzes, wenn zumutbare Selbstschutzmöglichkeiten nicht wahrgenommen wurden, neben der Subsidiarität auch in dem Verwirkungsgedanken begründet438. Diese beiden Stränge eines Prinzips der Opfermitverantwortung würden an unterschiedlichen Zeitpunkten ansetzen, nämlich die Subsidiarität vor der Schädigung und die Verwirkung danach439. Mit Verwirkung ist gemeint, dass jemandem ein ihm eigentlich zustehendes Recht nachträglich abgesprochen wird. Methodisch wird trotz erfülltem Tatbestand aufgrund einer nachträglichen Wertung die für den Tatbestand vorgesehene Rechtsfolge abgelehnt. Die aus dem Zivilrecht stammende Rechtsfigur der Verwirkung ist auf das Strafrecht aber nicht zu übertragen440. Abgesehen davon, dass der Heimtücke436 Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (476); ders., S. 184 ff. allgemeiner gegen die Möglichkeit strafrechtlichen Schutz zu verwirken, wobei auch dort explizit auf S. 184 und 191 das Beispiel des Familientyrannen angeführt wird. 437 Neumann, GA 1985, 389 (399 ff.); Gribbohm, SchlHA 1964, 155 (156, 158); Lenckner, GA 1961, 299 (301 allgemein und 311 für den Bereich der Tötungsdelikte); Roxin, ZStW 75 (1963), 541 (556, 567, 579); Schröder, JuS 1973, 157 (158). 438 Schünemann, Verbrechensopfer, S. 407 (411); für Hillenkamp, FS Rudolphi, 463 (476) ist der normativierte Arglosigkeitsbegriff ebenfalls auf die Verwirkungsidee zurückzuführen. 439 Schünemann, Verbrechensopfer, S. 407 (411). 440 Hillenkamp, S. 97 ff.; Marxen, S. 57 mit weiteren Nachweisen; Schmidhäuser, AT, S. 358. Anderer Meinung sind Bockelmann, FS Honig, 19 (28); Lenckner, GA 1961, 299 (301) und Schaffstein, MDR 1952, 132 (135).

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

schutz kein Recht ist, dessen Ausübung dem Rechtsinhaber untersagt werden könnte441, setzt die Verwirkung vor allem voraus, dass dieses Recht einmal bestand442. Selbst wenn man den Rechtsschutz einer Norm als tauglichen Verwirkungsgegenstand betrachtet443, muss man aber bei den Fällen der Tötung eines zuvor in erheblichem Maße deliktisch Handelnden sehen, dass diesem der Heimtückeschutz unter Zugrundelegung der hier vertretenen Heimtückedefinition konkret in dem zu prüfenden Geschehen nie zustand. Von einer nachträglichen Aberkennung des Heimtückeschutzes kann also nicht die Rede sein. Eine weitere Überlegung zeigt, dass die normative Auslegung der Heimtücke grundverschieden zu einer Verwirkung ist. Die Verwirkung soll sich daraus rechtfertigen, dass ein Rechtsmissbrauch, also die zweckwidrige Einsetzung formal regelgerechten Verhaltens, nicht zu gestatten sei444. Das Opfer, dessen Vorverhalten Anlass dazu gibt, die Arglosigkeit und damit die Heimtücke zu verneinen, handelt aber zu keinem Zeitpunkt formal rechtmäßig, um einen zweckwidrigen Erfolg zu erlangen – zum Zeitpunkt des Vorverhaltens handelt es rechtswidrig und zum Zeitpunkt der eigenen Opferwerdung verhält es sich zwar rechtmäßig, aber nicht, um einen zweckwidrigen Erfolg herbeizuführen. Das bedeutet, dass die normative Auslegung des Heimtückemerkmals mit einer Berücksichtigung des Vorfelds und der Verwirkungsgedanke weder von den Voraussetzungen noch von der methodischen Umsetzung her übereinstimmen. Damit ist jedweder Kritik der Boden entzogen, die behauptet, eine Definition der Heimtücke als das Töten eines Menschen, der wehrlos ist, weil er sich keines Angriffs versah und dies auch nicht musste, liefe auf die im Strafrecht unzulässige Verwirkung hinaus.

6. Fazit Alle Einwände gegen die grundsätzliche Annahme einer Obliegenheit des Opfers zum Selbstschutz haben sich als haltlos erwiesen: Weder das ultima ratiooder Subsidiaritätsprinzip, noch das unserer Rechtsordnung zugrundeliegende Menschenbild, die Höchstwertigkeit des Rechtsguts Lebens oder das Bestimmtheitsgebot sprechen grundsätzlich gegen die Annahme einer Verpflichtung, mit einem Angriff rechnen zu müssen, wenn man einen anderen erheblich verletzt hat. Wegen dieser Verpflichtung die Arglosigkeit und damit die Heimtücke zu verneinen, stellt auch keine unzulässige Heranziehung des Verwirkungsgedankens dar. 441 Aus einer ähnlichen Überlegung heraus lehnt Bertel, ZStW 84 (1972), 1 (3 f., 13) die Verwirkung des Notwehrrechts bei vorwerfbaren Provokationen ab; ebenso Marxen, S. 57 und Schmidhäuser, FS Honig, 185 (188 f.). 442 So statt vieler Gutmann, NJW 1962, 286 (287). 443 Verfehlt wäre es im Übrigen, auf den Strafanspruch als Verwirkungsgegenstand abzustellen, denn dieser besteht im Verhältnis des Staates zum Täter. 444 Knödler, S. 414; zum Missbrauchsprinzip als allen Rechten immanente Schranke Roxin, ZStW 75 (1963), 541 ff.

IV. Die Konkretisierung opferseitiger Obliegenheiten

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Da sich umgekehrt die Annahme einer Obliegenheit zum Selbstschutz zwar erwartungsgemäß nicht als zwingend, aber jendefalls als sehr gut vereinbar mit den genannten Grundsätzen unserer Rechtsordnung erwiesen hat, sind nun im folgenden Kapitel die konkreten Voraussetzungen und Grenzen einer opferseitigen Obliegenheit zum Selbstschutz zu präzisieren.

IV. Die Konkretisierung opferseitiger Obliegenheiten Allgemein bedeutet eine Obliegenheit, dass jemand Pflichten gegen sich selbst hat, deren Vernachlässigung zwar nicht strafbar ist, aber zu einer rechtlichen Schlechterstellung führen kann445. Der Umstand, dass das Opferverhalten bei der Auslegung der Heimtücke Einfluss nehmen darf, beantwortet noch nicht, mit welchen Angriffen das Opfer zu rechnen hat und was insgesamt zu den Obliegenheiten des Opfers gehört. Es ist also nun zum einen zu klären, welches Opferverhalten konkret dazu führt, dass das Opfer wertend betrachtet nicht als arglos gilt. Zum anderen ist herauszustellen, ob es für ein solches nicht argloses Opfer möglich ist, den besonderen Schutz des Heimtückemordtatbestandes wieder zu erlangen.

1. Passive und aktive Selbstschutzverletzungen sowie das Wiederaufleben des Heimtückeschutzes Als erster Anhaltspunkt zur Bestimmung dessen, was dem Opfer an Selbstschutzmaßnahmen zuzumuten ist, ist bereits die Regelkonformität des Opferverhaltens genannt worden. Damit ist gemeint, dass es jedenfalls zumutbar ist, es zu unterlassen, wichtige Rechtsgüter eines anderen vorsätzlich und rechtswidrig zu verletzen, um nicht selbst Opfer einer Straftat zu werden. Jede Strafnorm verfolgt zumindest auch den Zweck, zu verhindern, dass man durch Attackieren eines anderen selbst zu dessen Opfer wird. Es kann dabei nicht jeder opferseitige Verstoß gegen ein Verhaltensgebot oder -verbot dazu führen, dass das Opfer mit einem erheblichen Angriff gegen seine Person rechnen muss und damit der Argwohn fingiert wird. Die Rechtsverletzung, die der spätere Täter durch das Opfer erlitten hat, muss vielmehr von erheblichem Gewicht sein, denn das Tötungsopfer muss einen Angriff wegen seines Vorverhaltens erwarten446. Diese Erheblichkeit lässt sich nicht formal dadurch bestimmen, dass das Verhalten des Opfers im Vorfeld einen bestimmten Tatbestand 445

Siehe abermals Hruschka, S. 415 ff. Siehe zu der entsprechenden Anforderung des adäquaten Zusammenhangs hinsichtlich des beachtlichen Vorverhaltens auf Seite des Täters unter Heranziehung des Verwirkungsgedanken im Rahmen der Notwehreinschränkung Lenckner, GA 1961, 299 (312) und Schröder, JuS 1973, 157 (160) sowie unter Heranziehung der Ingerenz Marxen, S. 59 f. mit weiteren Nachweisen. 446

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

erfüllt oder ein bestimmtes Rechtsgut betrifft. Allerdings indizieren die Verletzung der Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit häufig eine Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle, zwingend liegt diese aber nicht vor. Auch die Fortbewegungsfreiheit, die Willensfreiheit und das Vermögen sind bei hinreichend starker Beeinträchtigung sicherlich Rechtsgüter, deren Verletzung zu der Annahme einer Obliegenheitsverletzung führen kann. Weniger eindeutig ist dies beispielsweise bei der Nötigung, dort sind erhebliche Unterschiede hinsichtlich des Nötigungsmittels oder des Erfolgs vorstellbar, die als Reaktion des Genötigten eine Tötung als völlig übertrieben oder als menschlich nachvollziehbar erscheinen lassen und je nach dem für das Opfer vorhersehbar sein muss oder nicht. Wenn das vom späteren Tötungsopfer gegen den späteren Täter verübte Delikt die Wahrscheinlichkeit steigert, selbst Opfer zu werden, ohne dass diese Risikoerhöhung durch schutzwürdige Interessen aufgewogen wird, stellen diese Deliktshandlungen neben einer strafbaren Handlung also auch eine Obliegenheitsverletzung dar. Diese kann als Unterlassung passiven Selbstschutzes bezeichnet werden, weil diese Art des Selbstschutzes keine Aktivitäten fordert, wie das Erlernen eines Kampfsportes oder das Einbauen einer Alarmanlage, sondern nur voraussetzt, sich (straf)rechtstreu zu verhalten und es insofern zu unterlassen, den Rechtskreis anderer zu verletzen. Wenn ein schwerer Übergriff in die Rechtsphäre des späteren Täters erfolgt ist, der zur Verneinung der Arglosigkeit führt, weil das Opfer mit einem Angriff gegen seine Person rechnen musste, kann der deswegen nicht greifende Heimtückeschutz gewiss nicht unwiderruflich entfallen. Insbesondere erscheint es angebracht, einer bestehenden tatsächlichen Arglosigkeit auch wieder rechtliche Relevanz zuzuschreiben, wenn zwischen der Tat des Opfers und seiner eigenen Opferwerdung ein großer Zeitraum liegt oder wenn sich das spätere Opfer ernsthaft um eine Wiedergutmachung bemüht hat447. Damit ist schon zu der Frage übergeleitet, ob ein aktiver Selbstschutz zumutbare Voraussetzung dafür sein kann, dass sich das Opfer (trotz seines deliktischen Vorverhaltens) arglos gegenüber einem Angriff gegen seine Person wähnen darf. Mit aktivem Selbstschutz ist dabei keine aktive Gegenwehr gegen den Tötungsangriff gemeint. Aktiver Selbstschutz liegt aber auch dann vor, wenn das Opfer, das zuvor den Täter attackiert hat, ernsthafte Konfliktlösungsversuche unternimmt. Wenn man dies verlangt, erstreckt sich die Verantwortung desjenigen, dem ein früheres Verhalten vorzuwerfen ist darauf, den dadurch „Provozierten in [eine] ungefährliche Bahn zu lenken“ 448. 447

Siehe hierzu Lenckner, GA 1961, 299 (311). Marxen, S. 58. Zwar geht er das Problem von der Perspektive der Notwehrprovokation aus an und hat somit ein anderes Ende des sich Konflikts vor Augen. Für den Obliegenheitsinhalt desjenigen, dem sein Vorverhalten zur Last zu legen ist, ändert dies aber nichts. Zur weiteren Begründung Marxens siehe oben ab S. 262. 448

IV. Die Konkretisierung opferseitiger Obliegenheiten

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2. Primäre und sekundäre Pflichten gegenüber sich selbst Das allen Strafnormen des StGB immanente Gebot, Straftaten gegen andere zu unterlassen, um die Wahrscheinlichkeit der eigenen Opferwerdung nicht zu erhöhen, kann man als von vornherein bestehende primäre oder originäre Obliegenheit bezeichnen. Die Forderung an das Opfer, es hätte mit dem Angriff rechnen müssen, ist indes keine von vornherein bestehende originäre Verpflichtung gegen sich selbst. Dies ergibt sich schon daraus, dass sie nicht gesetzlich normiert ist. Vor allem kommt man zu diesem Ergebnis, wenn man Folgendes bedenkt: Die Verletzung einer Obliegenheit zieht einen rechtlichen Nachteil mit sich, ihre Befolgung hingegen führt zur Erhaltung einer vorteilhaften Position. Hätte das Opfer aber tatsächlich mit dem Angriff gerechnet, wie es seiner postulierten Pflicht aufgrund seines Vorverhaltens entspräche, hätte es trotzdem nicht den Schutz des § 211 StGB genossen: Es hätte nicht heimtückisch getötet werden können, weil es tatsächlich dann gerade nicht ohne Arg gewesen wäre. Richtigerweise entsteht die Pflicht, mit einem Angriff rechnen zu müssen, erst mit dem deliktischen Verhalten des Opfers. Die ursprüngliche Obliegenheit, sich nicht zu gefährden, indem man andere nicht verletzt, wandelt sich in dem Zeitpunkt ihrer Verletzung folglich um: Ihr Inhalt besteht ab diesem Zeitpunkt zum einen darin, deeskalierend zu wirken, zum anderen darin, bis zu einer eingetretenen Deeskalation – sei es durch Zeit, sei es durch Versöhnung – mit einem Angriff zu rechnen. Die Obliegenheit, mit einem Angriff rechnen zu müssen, ist damit derivativer, sekundärer Natur; sie ist die Folge der Verletzung der primären Obliegenheit. Diese abgeleiteten Pflichten genügen rechtsstaatlichen Ansprüchen an die Bestimmtheit, denn sie hängen derart eng mit der ursprünglichen Obliegenheitsverletzung zusammen, dass sie sich geradezu aufdrängen. Nun könnte man den Einwand erheben, dass der Inhalt einer Pflicht in einem Tun oder ein Unterlassen besteht, nicht aber in einer Erwartungshaltung, die die angebliche Obliegenheit, mit einem Angriff rechnen zu müssen aber darstellt. Doch muss man sehen, dass die beiden sekundären Pflichten (auf eine Deeskalation hinzuwirken und bis zu dem Deeskalationserfolg mit einem Angriff zu rechnen) denknotwendig miteinander verbunden sind. Schließlich kann man auf eine Deeskalation nicht bewusst hinwirken, wenn man für den Fall der Untätigkeit eine Eskalation nicht erwartet. Damit wird von der Deeskalationspflicht inhaltlich ein Tun verlangt, die Erwartungshaltung, eventuell einem Angriff ausgesetzt zu sein, ist damit untrennbar verbunden. Zusammenfassend kann man sagen: Die Beachtung der primären Obliegenheit (niemanden zu verletzen, um nicht selbst attackiert zu werden) führt dazu, dass der besondere Schutz des § 211 StGB greift, wenn das Opfer tatsächlich arglos ist. Die Verletzung der primären Obliegenheit kann einen rechtlichen Nachteil bedeuten, nämlich dass das Heimtückemerkmal nicht erfüllt ist, weil das Opfer mit einem Angriff hätte rechnen müssen. Die Beachtung sekundärer Obliegenhei-

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

ten, einstweilen mit einem Angriff zu rechnen und deeskalierend zu handeln, kann § 211 StGB wieder einschlägig erscheinen lassen. Die Verletzung sekundärer Obliegenheiten erhält die Fiktion des Argwohns im Falle eines Tötungsdelikts aufrecht.

3. Die Relevanz von Vorverhalten des Opfers, das keine Vorsatztat darstellt – sozial unerwünschtes Verhalten und fahrlässige Vortaten Hinsichtlich der primären Obliegenheit, andere nicht zu verletzen, um nicht selbst Opfer zu werden, ist klärungsbedürftig, ob ein Verhalten, das unterhalb der Schwelle einer Vorsatztat liegt, im Rahmen der Auslegung des Heimtückemerkmals als Obliegenheitsverletzung in Betracht kommt. Es sind hier verschiedene Konstellationen zu differenzieren: a) Nichtdeliktisches Verhalten Grundsätzlich löst ein nichtdeliktisches Verhalten des Opfers im Vorfeld der Tat, welches die Wahrscheinlichkeit erhöht, von dem Täter angegriffen zu werden, nach dem bislang Gesagten schon deshalb nicht die Obliegenheit aus, mit diesem Angriff rechnen zu müssen, weil die den Täter aufbringende Handlung gesetzlich nicht verboten ist. Es wäre damit mangels gesetzlicher Normierung schon die primäre Obliegenheit, den anderen nicht zu schädigen, nicht hinreichend bestimmt, so dass eine aus ihrer Verletzung hervorgehende sekundäre Obliegenheit nicht entstehen kann. Ganz offenkundig fehlt es an der Bestimmtheit einer etwaig primären Obliegenheit hinsichtlich gefahrgeneigter Verhaltensweisen, die Ausdruck der allgemeinen Handlungsfreiheit sind, ohne die Rechtssphäre eines anderen zu beeinträchtigen. Beispiel hierfür ist das nächtliche Spazierengehen im Park. Nicht ganz so eindeutig irrelevant ist aber dasjenige Vorverhalten des Opfers für die Auslegung der Heimtücke, das ohne deliktisch zu sein, verständlicherweise den Unmut des späteren Täters hervorruft. Ein solch sozial unerwünschtes Verhalten ist beispielsweise der Ehebruch449. Hier ist zu überlegen, ob die Beteiligten des außerehelichen Verhältnisses mit einem Angriff rechnen müssen – häufig wird die potentielle Reaktion des Betrogenen sogar 449 Zwar wird im Zivilrecht in § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB eine Pflicht zur ehelichen Gemeinschaft normiert, die Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens ist jedoch nicht vollstreckbar (§ 120 Abs. 3 FamFG) und die Verletzung dieser Pflicht ist seit der Abschaffung des Schuldprinzips nicht sanktionierbar, wobei Folgen im Unterhaltsrecht hierbei vernachlässigt werden können. Denn jedenfalls bedarf es einer strafrechtlichen Normierung einer Pflicht, um an ihre Verletzung strafrechtlich negative Folgen zu knüpfen, siehe hierzu Neumann, JA 1987, 244 (251 ff.), der dies unter anderem anhand der (vermeintlichen) Liebhabertötung verdeutlicht. Umfassend zum Einfluss des Ehebruchs auf das Unrecht einer deshalb erfolgten Tötung Grünewald, S. 243 ff.

IV. Die Konkretisierung opferseitiger Obliegenheiten

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Thema zwischen den außerehelich Verkehrenden sein. Ist das der Fall, ist eventuell rein tatsächlich die Arglosigkeit schon ausgeschlossen. Denken die Beteiligten der Affäre darüber aber nicht nach oder schätzen sie die Reaktion des betrogenen Ehepartners völlig anders ein, stellt sich die Frage, ob die Arglosigkeit auch wertend betrachtet noch zu bejahen ist. In dieser Situation eine Obliegenheit anzunehmen, sich nicht in eine Lage zu bringen, die einen tödlichen Angriff auf einen selbst begünstigt, liefe auf die Forderung hinaus, nicht ehebrecherisch tätig zu sein. Eine solche Obliegenheit zu statuieren, würde aber verkennen, dass mit gutem Recht keine Strafbarkeit für solches Handeln besteht. Der Ehebruch ist der Bewertung durch das Strafrecht entzogen und diese gesetzgeberische Entscheidung würde durch die Annahme einer solchen Obliegenheit unterlaufen. Der bestehende Mangel an Bestimmtheit einer derartigen Obliegenheit, die ja nicht wie sonst primäre Obliegenheiten gesetzlich normiert ist, ist auch nicht durch etwaige sozial vorherrschende Regeln zu beheben. Denn abgesehen davon, dass diese nicht verbindlich sind, besteht auch bei einem etwaigen sozialen Gebot der ehelichen Treue viel Verständnis für Ausnahmefälle innerhalb der Gemeinschaft. Daher ist das Vorverhalten des Opfers nur relevant, wenn es als solches strafrechtlich-verbindlich verboten ist. b) Fahrlässiges Verhalten Ferner kann die Konstellation vorliegen, in der das deliktische Verhalten des späteren Tötungsopfers die Qualität einer Fahrlässigkeitstat hat. Es fragt sich, ob der Vorwurf der Fahrlässigkeitstat, man hätte die Gefahr der Verletzung eines Rechtsguts des späteren Täters erkennen und vermeiden müssen, darauf auszuweiten ist, dass man auch die Reaktion des Geschädigten auf seine Verletzung hätte erkennen müssen. Wie bei einem vorsätzlichen Vorverhalten des Opfers wird bei einer fahrlässigen Schädigung des späteren Täters die damit verbundene eigene Gefährdung verkannt. Fraglich ist aber, ob die Vorhersehbarkeit der eigenen Verletzung zu gering ist, wenn die Verletzung des anderen nur fahrlässig erfolgt. Immerhin verstößt aber das Verhalten des Opfers gegen ein normiertes Verbot und ist daher hinreichend bestimmt für die Ableitung einer sekundären Obliegenheit, mit einem Angriff als Reaktion rechnen zu müssen. Jedoch fehlt dem Opfer bei Vornahme der Fahrlässigkeitstat eventuell völlig das Bewusstsein, überhaupt Unrecht zu tun. Ebenso wie beim vorsätzlichen Vorverhalten eine gewisse Erheblichkeit für die Beachtlichkeit des Verhaltens im Rahmen der Auslegung des Heimtückemerkmals gefordert wird, erfüllt die subjektive Voraussetzung des Unrechtsbewusstseins die Funktion, den Argwohn des Opfers nur dann zu fingieren, wenn es wegen der Vortat mit der nachfolgenden Tat des Täters rechnen muss. Diese Obliegenheit setzt aber wie gesehen voraus, dass man sich der Gefahr einer Eskalation bewusst sein muss – auf jemanden, der sich bei der Fahrlässigkeitstat aber überhaupt keine Gedanken über etwaige schädigende Auswirkungen seines Verhaltens macht, trifft dies aber zumindest zunächst – das

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C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

meint bei der Vornahme der fahrlässigen Handlung – nicht zu450. Nach Eintritt der Verletzung wird das spätere Opfer jedoch zumeist erkennen, dass es diese verschuldet hat. Diese Erkenntnis muss es dazu veranlassen, über die Folgen der Tat nachzudenken. Ab diesem Zeitpunkt spricht daher nichts dagegen, die Obliegenheiten anzunehmen, die auch bei einem vorsätzlichen Verhalten des Opfers im Vorfeld gelten, also deeskalierend zu agieren und einstweilen mit einem Angriff als Reaktion auf die Schädigung zu rechnen. Nach dem Vorgesagten trifft die Annahme einer Obliegenheit, mit der nachfolgenden Tat des Täters zu rechnen, bei der bewussten Fahrlässigkeit noch weniger auf Bedenken als bei der unbewussten Fahrlässigkeit. Denn im Unterschied zu dieser denkt der bewusst fahrlässig Handelnde schon vor beziehungsweise während der Vornahme seiner fahrlässigen Handlung über die Folgen der Tat nach. Er vertraut nur auf den positiven Ausgang, weiß aber, dass er etwas für einen anderen Gefährliches tut. Insofern ist ihm von vornherein zuzumuten, für den Fall, dass seine Handlung doch kein positives Ende nimmt, mit einem Angriff gegen sich zu rechnen. Bei bewusst wie unbewusst fahrlässigem Verhalten des Opfers ist zu bedenken, dass das Handlungsunrecht gegenüber einer vorsätzlichen Tat geringer ist. Das kann Auswirkungen darauf haben, ob das Opfer trotz seines Verhaltens als arglos betrachtet werden kann: Eventuell ist der Zeitraum kleiner, in dem der Fahrlässigkeitstäter mit einem Angriff rechnen muss. Auch besteht mehr Raum für Wertungsaspekte, die gegen eine Verpflichtung des Opfers sprechen, mit einem Angriff zu rechnen. Zu denken ist hierbei vor allem an eine echte Bestürzung des Fahrlässigkeitstäters oder eine häufig sofort erfolgende Entschuldigung des Fahrlässigkeitstäters. c) Fazit Die Vermutung hat sich bestätigt, dass nur deliktisches Verhalten des Opfers bei der Auslegung der Heimtücke relevant sein kann. Die Obliegenheit, mit einem Angriff rechnen zu müssen, kann dabei auch durch fahrlässiges Verhalten des Opfers begründet werden. Im Falle der unbewussten Fahrlässigkeit ist für die Annahme einer solchen Obliegenheit aber Voraussetzung, dass das Opfer nachträglich seine Tat erkennt und nicht sofort deeskalierend handelt.

4. Der Umfang des zu erwartenden Angriffs Hinsichtlich der sekundären Obliegenheit, mit einem Angriff rechnen zu müssen, stellt sich die Frage, in welchem Umfang das Opfer mit einem Angriff hätte 450 Es trifft dies sogar noch weniger zu als unter Umständen bei demjenigen, der den Täter durch neutrale Handlungen provoziert – Beispiel hierfür ist wiederum der Ehebruch.

IV. Die Konkretisierung opferseitiger Obliegenheiten

311

rechnen müssen. Hierzu ist an verschiedenen Stellen bereits punktuell etwas ausgeführt worden, nun soll dies zusammenhängend dargelegt werden. Da die Obliegenheit des Opfers, mit einem Angriff rechnen zu müssen, nicht erst bestehen soll, wenn der Täter gerechtfertigt handelt, kann sich der Umfang dessen, womit das Opfer an Angriffsintensität zu rechnen hat, nicht in einem gerechtfertigten Angriff erschöpfen. Das ergibt sich auch aus folgender Überlegung: Bei der Begründung des Argwohns in tatsächlicher Hinsicht wurde es als ausreichend erachtet, dass das Opfer einen Angriff auf die körperliche Integrität von einigermaßen erheblicher Intensität befürchtet451. Es liegt nahe, einen solch weiten Maßstab auch auf der wertenden Ebene der Auslegung anzulegen. Wenn das Opfer also aufgrund des Notwehrrechts des Täters mit einem erheblichen Angriff rechnen musste, schließt dies bei einer wertenden Betrachtung die Arglosigkeit auch dann noch aus, wenn der Täter tatsächlich zu Mitteln der Verteidigung greift, die über das Notwehrrecht hinausgehen, also zu intensiv sind. Ähnlich verhält es sich, wenn die Notwehr daran scheitert, dass ein Angriff noch nicht (wieder) gegenwärtig ist, wie es in den Tyrannen-Tötungen häufig der Fall ist. Auch dann hat das Opfer aufgrund seines Vorverhaltens mit einem Präventivangriff zu rechnen. In diesen Fällen wäre die Erforderlichkeit zumeist gewahrt, nur der Zeitpunkt der Verteidigung ist zu früh. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, dass der Ausschluss der Arglosigkeit davon abhängen soll, dass der zu befürchtende Angriff in den zeitlichen Anwendungsbereich der Notwehr fällt. Wenn man von dem Opfer fordert, dass es mit Gegenwehr zu rechnen hat, muss man ihm auch abverlangen, dass es mit der Gegenwehr zu dem erfolgversprechendsten Augenblick rechnet. Und dies ist nun einmal häufig ein Zeitpunkt, der vor einer (erneuten) Notwehrlage liegt.

5. Der Einfluss der Rechtfertigung des Täters auf die Verneinung der Arglosigkeit des Opfers im Rahmen der wertenden Auslegung Nach dem eben Gesagten schließt sich die Frage an, welcher Zusammenhang nun zwischen der Rechtfertigung des Täters und der Obliegenheit des Opfers, mit einem Angriff rechnen zu müssen, besteht. Zunächst könnte man meinen, dass das Opfer immer einen Angriff gegen sich erwarten muss, wenn dieser gerechtfertigt ist. Wenn dem so wäre, würde die Rechtfertigung des Täters eine erhebliche Rolle für die Auslegung des Heimtückemerkmals spielen. Eine solche Korrelation von der Rechtfertigung des Täters und einem wertend angenommen Argwohn besteht jedoch näher betrachtet nicht immer und die Fiktion des Argwohns greift auch nicht ausschließlich bei einer Rechtfertigung des Täters:

451

Siehe oben ab S. 20.

312

C. Die Begründung des eigenen Ansatzes

Im Rahmen der wertenden Auslegung der Heimtücke ist die Arglosigkeit nicht nur bei einer Rechtfertigung des Täters auszuschließen, wie bereits beim Umfang des zu erwartenden Angriffs herausgestellt wurde452. Beispielsweise muss das Opfer vielleicht über einen gerechtfertigten Angriff hinaus eine Überschreitung der Notwehr im Sinne des § 33 StGB erwarten, ebenso vielleicht noch eine leichte Überschreitung der Erforderlichkeit ohne die von § 33 StGB vorausgesetzten Affekte. Ferner ist die behauptete Korrelation zwischen einer Rechtfertigung des Täters und der Obliegenheit des Opfers, mit einem Angriff rechnen zu müssen, auch zu weit formuliert. Denn es gibt Opfer, die den Angriff auch wenn er gerechtfertigt ist, wertend betrachtet nicht erwarten müssen. Besteht beispielsweise eine rechtfertigende Pflichtenkollision, wobei dem nicht geretteten Opfer im Vorfeld nichts vorzuwerfen ist und es nun nicht realisiert, in welcher Lage es sich befindet, kann das Opfer heimtückisch getötet werden453; dabei handelt der Täter gerechtfertigt. Ein weiteres Beispiel für das Zusammentreffen von gerechtfertigter Tat und der Erfüllung des Heimtücketatbestandes ist die Situation, in der ein Geisteskranker, der mithin aus konstitutionellen Gründen arglos ist, eine Rechtfertigungslage für den Täter begründet und dieser gerechtfertigt den arglosen Angreifer tötet. Auch hier liegt ein gerechtfertigter Heimtückemord vor. Damit ist die Rechtfertigung des Täters weder notwendige noch hinreichende Voraussetzung dafür, die Arglosigkeit im Rahmen einer wertenden Auslegung zu verneinen. Der Rechtfertigung kommt hierfür nur eine Indizwirkung zu.

6. Ergebnis Mit jeder Strafdrohung ist neben dem Verbot, die unter Strafe gestellte Handlung vorzunehmen, auch der Zweck verbunden, weitere Taten von denjenigen, die durch die strafbewährte Tat verletzt werden, als Reaktion auf diese Verletzung zu verhindern. Dieser Zweck ist als primäre Obliegenheit zu verstehen, sich nicht in Gefahr zu bringen, indem man andere durch schwerwiegende Straftaten gegen sich aufbringt. Verletzt man diese dem eigenen Schutz dienende Obliegenheit, was auch quasifahrlässig erfolgen kann, wandelt sich der Inhalt der Verpflichtung um; man hat nun auf eine Deeskalation hinzuwirken und bis diese erreicht ist, mit einem Angriff zu rechnen. Dabei muss man vom Umfang her mehr als nur gerechtfertigte Gegenangriffe erwarten. Den besonderen Schutz des Heimtückemerkmals kann ein im Vorfeld deliktisch handelndes Opfer wiedererlangen, indem es deeskalierend handelt oder ein großer Zeitraum seit seiner Tat vergangen ist. 452

Siehe oben S. 308. Dies setzt freilich voraus, dass man die Möglichkeit bejaht, jemanden heimtückisch durch Unterlassen umbringen zu können, siehe hierzu oben S. 107 ff. 453

D. Die Anwendung der anhand der Erpresser- und Tyrannen-Konstellation entwickelten Heimtückedefinition auf die übrigen Problemfälle der Heimtücke Im ersten Teil der Arbeit wurden etliche Fallgruppen registriert, die mit der herkömmlichen Definition der Heimtücke beziehungsweise ihres Elements Arglosigkeit nicht zufriedenstellend gelöst werden konnten oder für die nur mit einer fallgruppenspezifischen Modifikation sachgerechte Ergebnisse erzielt werden konnten. Nun ist zu prüfen, ob mit der vor allem anhand der Erpresser- und Tyrannenkonstellation entwickelten Definition der Arglosigkeit eine Definition gewonnen wurde, mit der fallgruppenunabhängig überzeugende Ergebnisse erzielt werden. Daher ist im Folgenden ihre Anwendung bei den übrigen problematischen Konstellationen zu betrachten:

I. Die Hinterhalt- und Fallen-Fälle Bei den Hinterhalt-Konstellationen erschien es unbefriedigend, das Heimtückemerkmal nicht bejahen zu können, obwohl in diesen Fällen eine Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe angemessen erscheint. Es fragt sich, ob nun ein anderes Ergebnis dadurch zu erzielen ist, dass man in diesen Fällen eine wertende Bestimmung der Heimtücke nach den oben entwickelten Grundsätzen vornimmt. Dementsprechend wäre dann zu fragen, ob bei dem Versuchsbeginn der Tötung das Opfer, das seine ausweglose Situation in der Falle zuvor realisiert, als rechtlich arglos anzusehen ist. Die Situation stellt sich damit im Hinblick auf die Fiktion umgekehrt zu der des getöteten Tyrannen oder Erpressers dar: Wird dort das tatsächlich arglose Opfer als rechtlich argwohnhegend angesehen, müsste man hier ein tatsächlich Argwohn hegendes Opfer rechtlich als arglos behandeln. Das liefe auf eine Fiktion der Arglosigkeit hinaus, welche in anderen Fällen bereits abgelehnt wurde1. Nachdem nun aber die Voraussetzungen und der Umfang der Obliegenheiten präzisiert wurden, soll speziell für die Fallen-Konstellation überprüft werden, ob eine derartige Fiktion der Arglosigkeit auch dort abzulehnen ist. Eine Fiktion der Arglosigkeit würde voraussetzen, dass sich eine Pflicht des Täters mit dem Inhalt begründen lässt, mit einem arglosen Opfer zu rechnen und zwar über den Zeitpunkt hinaus, in dem das Opfer tatsächlich arglos ist. Das 1

Siehe oben, S. 27 ff., S. 83 ff.

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D. Anwendung

überzeugt aus zwei Gründen nicht: Erstens kann diese Verpflichtung nicht als Obliegenheit bezeichnet werden. Wenn man die Arglosigkeit fingiert, hat die Verletzung der Pflicht, andere nicht in ausweglose Situationen zu bringen, für den Täter nicht lediglich einen rechtlichen Nachteil in Form eines geringeren strafrechtlichen Schutzes zur Folge, sondern eine echte Strafbarkeitserweiterung zur Konsequenz. Das Verhalten im Vorfeld der Tat, das die Pflichtverletzung ausmacht, also beispielsweise das Verabreden an einem abgelegenen Ort, ist zudem auch anders als bei den oben diskutierten Fällen relevanten Vorverhaltens des Opfers, nicht als Verbot normiert, so dass der Vorwurf der mangelnden Bestimmtheit hier berechtigt wäre. Zweitens ist nicht einsichtig, warum mit der Verpflichtung des Täters, von einem arglosen Opfer auszugehen, ein vollendeter und nicht nur ein versuchter Mord gegeben sein soll. Denn allein dass der Täter subjektiv von einem arglosen Opfer ausgehen muss, erstreckt die Arglosigkeit noch nicht auf das Opfer beziehungsweise den objektiven Tatbestand. Trotzdem einen vollendeten Mord anzunehmen, also auch objektiv von einem arglosen Opfer auszugehen, überzeugt nicht, weil dann ein Merkmal, das die psychologische Situation des Opfers beschreibt, nicht von diesem, sondern vom Täterverhalten abhängen würde. Es bleibt also dabei: Wenn das Opfer vor Versuchsbeginn Argwohn schöpft, ist auch für die Hinterhalts- und Fallen-Konstellation der Heimtückemord nicht zu begründen. Im Ergebnis ist die Tötung eines nur wehrlosen Opfers, das in eine Falle gelockt wurde, aber wertungsmäßig häufig dem Heimtückemord gleichzustellen. Genaugenommen ist dabei aber nur das Locken in die Falle als heimtückisch zu beschreiben und nicht die Tötung selbst. Diese Charakterisierung des Vorfelds führt dazu, dass man eine durch solche Umstände erleichterte Tötung als höchststrafwürdig betrachtet. Dieser heimtückeähnlichen Situation ist grundsätzlich mit § 212 Abs. 2 StGB angemessen Rechnung zu tragen. Sofern Motive zur Einrichtung einer Falle geführt haben, die ein anderes Mordmerkmal erfüllen und die zur Zeit der Tathandlung noch vorliegen, kommt die Bewertung der Tat als Mord natürlich unter einem anderen Gesichtspunkt als der Heimtücke in Betracht. Hinsichtlich der Attentats-Tötung als Spezialfall der Tötung aus dem Hinterhalt sei noch etwas angemerkt: Bei einem Attentat insbesondere durch einen dem Opfer unbekannten Auftragskiller liegt das Problem im Hinblick auf die Heimtücke nicht darin, dass das Opfer zu früh Argwohn schöpft, sondern darin, ob die Heimtücke auf der Grundlage des Vertrauensbruchsansatzes mangels vertrauensstiftender beziehungsweise vertrauensmissbrauchender Interaktion zwischen Opfer und Täter scheitert. Dementsprechend wurde an der Vertrauenslösung kritisiert, dass die Attentatstötungen als nahezu klassische Fälle heimtückischer Tötung nicht mehr als solche subsumierbar wären. Obwohl ein die Interaktion im Vorfeld in den Vordergrund rückender Heimtückebegriff, wie er hier vorgeschla-

II. Heimtückemord durch Unterlassen

315

gen wird, auf den ersten Blick dem gleichen Vorwurf ausgesetzt zu sein scheint, verhält es sich hier indes anders. Denn nur weil es keine der Tat vorausgehende Interaktion zwischen Täter und Opfer gibt und diese sich vielleicht überhaupt nicht kennen, ist die Heimtücke bei einer Auslegung, die durch die Beachtung des Opferverhaltens die Interaktion stark betont, nicht automatisch ausgeschlossen. Denn das Vertrauensbruchkriterium ist als ein positiv erforderliches Kriterium zur Begründung der Heimtücke zu verstehen, während eine Auslegung, die etwaiges Vorverhalten des Opfers berücksichtigt, eine negative Voraussetzung zur Eingrenzung der Strafbarkeit ist. Bei einem Attentat eines Auftragskillers oder eines politisch oder religiös motivierten Täters kommt man mit dem hier vorgeschlagenen normativen Arglosigkeitsbegriff also problemlos zur Bejahung der Heimtücke, da das Opfer hier regelmäßig nicht mit dem Angriff rechnen muss. Anders kann dies beispielsweise sein, wenn die Tat in Auftrag gegeben wurde, weil das Opfer den Auftraggeber tyrannisiert. Dann stellt sich allerdings die Frage, ob sich die Obliegenheit des Opfers, mit einem Angriff rechnen zu müssen, nur auf das durch sein Vorverhalten verletzte Opfer oder auch auf Dritte erstreckt. Bei einer Ausweitung auf unbeteiligte Dritte (bezogen auf das Vorgeschehen) wird man differenzieren müssen: Beispielweise ließe sich sagen, das Opfer müsse mit einer Tat eines Angehörigen des Tyrannisierten rechnen, aber nicht ohne weiteres mit der Tat eines ihm unbekannten Auftragskillers. Das soll hier nicht vertieft werden, da hier viele Faktoren des Einzelfalls zu berücksichtigen wären. Jedenfalls ist aber festzuhalten, dass ein das Vortatgeschehen berücksichtigender Heimtückebegriff nicht dem gleichen Vorwurf ausgesetzt ist, der gegenüber den Vertrauensbruchansätzen besteht und mit ihm den Besonderheiten des Einzelfalls in erhöhtem Maße Rechnung getragen werden kann. Als Ergebnis ist für Tötungen aus dem Hinterhalt zu konstatieren, dass sie als heimtückisch zu bewerten sind, wenn das Opfer bis zum Versuchsbeginn keinen Argwohn schöpft – so in der Regel bei Attentaten –; ansonsten liegt die Tötung eines nur wehrlosen Opfers vor, also keine heimtückische, sondern allenfalls eine heimtückeähnliche Tötung im Sinne des § 212 Abs. 2 StGB.

II. Heimtückemord durch Unterlassen Für die Bejahung der Arglosigkeit bei einem durch Unterlassen getöteten Opfer war in tatsächlicher Hinsicht richtigerweise nicht zu verlangen, dass das Opfer positiv auf eine Rettungshandlung des Täters vertraut. Auf der normativen Ebene der Arglosigkeit bestehen keinerlei Besonderheiten gegenüber Fällen mit aktiver Begehungsweise. Der hier empfohlenen Definition für die Heimtücke ist also diesbezüglich das Zeugnis der Verallgemeinerungsfähigkeit auszustellen. Besonderer Aufmerksamkeit ist bei der Tötung durch Unterlassen aber wie gesehen der Frage zu schenken, ob die Wehrlosigkeit auf der Arglosigkeit beruht.

316

D. Anwendung

III. Die Tötung konstitutionell bedingt Argloser Mit der herkömmlichen Definition gelangt man bei der Tötung eines konstitutionell bedingt arglosen Menschen zu dem überzeugenden Ergebnis, dass der Heimtückemord möglich ist, wenn man nicht zusätzlich die Fähigkeit des Opfers fordert, Argwohn hegen zu können2. Allerdings hat es bei manchen Fallgruppen der konstitutionellen Arglosigkeit an der Kausalität der Arglosigkeit für die Wehrlosigkeit gefehlt. Daran kann auch die das Vorverhalten berücksichtigende Bestimmung der Arglosigkeit nichts ändern, weil sie die nachfolgende Kausalitätsfrage nicht berührt. Dies vorausgeschickt, ist nun auf die Ergebnisse der hier befürworteten Definition für die Tötung konstitutionell bedingt Argloser zu blicken. Das kindliche, kranke, schlafende oder bewusstlose Opfer hat einen Angriff nicht erwartet und musste dies in der Regel auch nicht, weil die Rechtsordnung dies nicht verlangt. Der ausschlaggebende Gesichtspunkt, weshalb hier zumeist eine Obliegenheit des Opfers, mit dem Angriff rechnen zu müssen, abzulehnen ist, ist, dass das Opfer im Vorfeld nicht deliktisch gehandelt hat und daher keine primäre Obliegenheit verletzt hat, die sich in die sekundäre Obliegenheit, mit einem Angriff rechnen zu müssen, wandeln könnte. Anders kann sich dies aber zum Beispiel bei dem schlafenden Familientyrannen darstellen. Festzuhalten bleibt, dass auch in den Fällen der konstitutiv bedingt arglosen Opfer mit der hier befürworteten Heimtückedefinition sachgerechte Ergebnisse erzielt werden können und dieser insofern die Fallgruppenunabhängigkeit bescheinigt werden kann.

IV. Tatsächliche Arglosigkeit trotz objektiv offen-feindseligem Auftreten des Täters Unter der Fallgruppe der tatsächlichen Arglosigkeit trotz objektiv-feindseligen Verhalten des Täters sind wie gesehen unterschiedliche Konstellationen zusammengefasst, so dass eine differenzierte Antwort darauf zu geben ist, ob offenfeindliches Auftreten des Täters im Vorfeld es rechtfertigt, dem Opfer die Verpflichtung aufzuerlegen, mit dem Angriff rechnen müssen. Beispielsweise kann von demjenigen, der in einer von gegenseitiger Gewalt geprägten Beziehung selbst auch oft gewalttätig war, erwartet werden, dass er den verbalen oder nonverbalen Ankündigungen erheblicher weiterer Übergriffe Glauben schenkt. Auch muss der Tyrann oder Erpresser mit einem Angriff seines Opfers rechnen, wenn dieses ankündigt, sich nicht länger widerstandslos in die 2

Siehe zur Diskussion oben S. 41 ff.

V. Die „Onkel‘‘-Entscheidung

317

Opferrolle zu fügen. In beiden Fällen hat der Täter lediglich die sekundäre Obliegenheit des Opfers verbalisiert, mit einem Angriff rechnen zu müssen, als Folge der Obliegenheitsverletzung, sich nicht durch deliktisches Verhalten selbst zum Angriffsobjekt eines Delikts zu machen. Demgegenüber kann der Argwohn nicht bei demjenigen fingiert werden, der sich im Vorfeld nichts zu Schulden kommen lassen hat und Drohungen aus Naivität nicht ernst nimmt. Da ein solches Opfer gegen kein Verhaltensgebot oder -verbot verstoßen hat, ist eine Obliegenheit, mit dem Angriff rechnen zu müssen, nicht wegen des Vorverhaltens zu begründen. Eine solche Verpflichtung ist auch wie ausgeführt nicht aus der objektiven Erkennbarkeit des bevorstehenden Angriffs abzuleiten. Denn nicht immer, wenn der objektive Betrachter das Bevorstehende hätte erkennen können, musste dies auch das Opfer. Sonst wäre die Frage, ob das Opfer mit dem Angriff rechnen musste, eine statistische Wahrscheinlichkeitsfrage und keine Frage der wertenden Auslegung. Der Umstand, dass mit der hier befürworteten Auslegung der Heimtücke zu differenzierenden Ergebnissen innerhalb der Fallgruppe der offen-feindselig auftretenden Täter gelangt werden kann, ist ein Vorzug gegenüber herkömmlichen Ansätzen, welche die Heimtücke in Fällen mit dem Charakteristikum der offenen Feindlichkeit einheitlich bejahen oder ablehnen und so immer nur einen Teil der Fälle sachgerecht behandeln.

V. Die „Onkel“-Entscheidung (BGHSt 30, 105 ff.) Es gibt natürlich einige Fälle, bei denen die Rechtsprechung die Rechtsfolgenlösung angewendet hat. Um die Anwendung der hier vorgeschlagenen Definition exemplarisch zu demonstrieren, soll der Fall herausgegriffen werden, der Anlass für diese Rechtsprechung war. Bei dem Onkel-Fall gibt es nun in mehrerer Hinsicht deliktisches Verhalten des Opfers, welches zu der Verpflichtung des Opfers führen könnte, mit einem Angriff rechnen zu müssen: Das spätere Opfer, der Onkel des Täters, hatte dessen Frau vergewaltigt, ferner hatte der später Getötete Geld von seinem Neffen mit der Absicht erschlichen, dieses nicht zurückzuzahlen, und schließlich drohte der Onkel seinem Neffen, ihn ebenfalls sexuell zu missbrauchen und umzubringen. Die erforderliche Erheblichkeit dieser Übergriffe ist dabei zweifelsohne bei der Vergewaltigung und den Drohungen kurz vor der Tat zu bejahen, hinsichtlich der ausstehenden Geldbeträge kann man diesbezüglich geteilter Meinung sein. Dass die Vergewaltigung nicht gegenüber dem Täter, sondern einer ihm nahestehenden dritten Person verübt wurde, schadet dabei nicht für eine Annahme der Obliegenheit, künftig mit einem Angriff zu rechnen. Hierbei ist nicht etwa entscheidend, dass in dem Kulturkreis, dem Opfer und Täter angehören, vornehm-

318

D. Anwendung

lich der Ehemann vergewaltigter Frauen dafür zuständig ist, derartige Übergriffe zu rächen. Maßgeblich ist vielmehr, dass ein Vergewaltiger nach den oben aufgestellten Grundsätzen auch mit einem Angriff seitens Angehöriger seines Opfers rechnen muss. Problematisch erscheint aber, dass zwischen der Vergewaltigung und der Tötung des Vergewaltigers ein erheblicher Zeitraum lag. Es fragt sich also, ob das Opfer noch mit einem Angriff seitens des Ehemanns rechnen musste. Man muss hier allerdings bedenken, dass der Ehemann erst spät Kenntnis von der Vergewaltigung erlangt hat. Das alleine vermag zwar die Verpflichtung, mit dem Angriff zu rechnen, nicht länger aufrechtzuerhalten. Es kommt aber hinzu, dass das spätere Tötungsopfer wusste, dass der Ehemann seines Opfers erst zu diesem späten Zeitpunkt von der Vergewaltigung erfahren hat, ja dies sogar selbst dem Ehemann zur Kenntnis brachte, um ihn zu demütigen. Von einer Deeskalation wegen des Zeitraums des deliktischen Handelns des Opfers und des Angriff gegen das Opfer kann hier also keine Rede sein und es dürfte dem Vergewaltiger immer noch zuzumuten sein, mit einem Angriff zu rechnen. Daneben besteht diese Obliegenheit auch aufgrund der kurz vor der Tat ausgesprochenen Drohungen. Wer jemandem droht, ihn wie zuvor bereits eine diesem nahestehende Person zu vergewaltigen und darüber hinaus umzubringen, muss damit rechnen, dass der Bedrohte ihm zuvorkommen will. Dieser Fall wäre folglich nach der hier vertretenen Definition der Heimtücke als Totschlag, eventuell sogar als Fall des § 213 StGB, zu beurteilen. Dieser Weg zu einer schuldangemessenen Strafe zu gelangen, überzeugt dabei mehr als die Methode der Rechtsfolgenlösung.

VI. Mitnahmesuizide und sonstige Tötungen zum vermeintlich Besten des Opfers Im ersten Teil der Arbeit hat sich gezeigt, dass die Motivation des Täters, vermeintlich zum Besten des Opfers zu handeln, nicht dazu geeignet ist, der Tat die Mordqualität zu nehmen. Dass diese Motivation des Täters nicht honorierungsfähig ist, wird durch die hier präferierte Definition der Arglosigkeit bestätigt: Weder Familienangehörige des sich schämenden Arbeitslosen noch der schwerkranke Patient muss mit einem Angriff seitens Familienangehöriger beziehungsweise Pflegepersonals rechnen. Denn weder das Kranksein noch der drohende soziale Abstieg begründen eine Obliegenheit des Opfers, einen Angriff zu erwarten. Beides darf im Gegenteil eher die Erwartung der erhöhten Fürsorge aufkommen lassen.

VII. Fazit

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VII. Fazit Mit der vorgeschlagenen Definition für die Arglosigkeit, wonach das Opfer sich tatsächlich keines Angriffs versieht und auch nicht versehen muss, steht erstmals eine einheitlich für alle Fallgruppen der Heimtücke zu gebrauchende Definition zur Verfügung. Mit dieser Definition können alle bislang bekannten Fallgruppen sachgerecht behandelt werden, ohne dass auf die zuvor teils erforderlichen umständlichen und angreifbaren Modifikationen zurückgegriffen werden muss.

E. Endergebnis und Zusammenfassung Die wesentlichen Punkte, die zu dieser Definition der Heimtücke als die vorsätzliche Tötung eines tatsächlich und wertend betrachtet arglosen und deshalb wehrlosen Opfers führten, sollen hier noch einmal zusammengefasst werden: Im ersten Teil der Arbeit hat sich gezeigt, dass das Ausnutzungsbewusstsein eine funktionslose Komponente der herkömmlichen Heimtückedefinition ist. Es wurde daher ersatzlos darauf verzichtet. An den verbleibenden Teil der herkömmlichen Definition der Heimtücke, dem vorsätzlichen Töten eines sich keines Angriffs versehenden und daher wehrlosen Menschen, konnte angeknüpft werden, weil bereits ein Großteil der Fälle damit sachgerecht zu lösen ist. Die bei einigen Fallgruppen aber durchaus bestehenden Unstimmigkeiten sind durch die hier vorgeschlagene Definition der Arglosigkeit als Element der Heimtücke einer überzeugenden Lösung zugeführt worden. Als arglos wurde definiert, wer sich zum einen tatsächlich keines Angriffs versieht und sich zum anderen wertend betrachtet auch keines Angriffs versehen muss. Dass und unter welchen Voraussetzungen ein Angriff hätte erwartet werden müssen, konnte mit der Begründung einer Obliegenheit des Opfers, für seine Rechtsgüter im zumutbaren Umfang selbst Sorge zu tragen, gerechtfertigt und präzisiert werden. Dabei konnten die grundsätzlichen Einwände gegen eine Obliegenheit des Opfers, für seine Rechtsgüter im gewissen Umfang Sorge zu tragen, allesamt als haltlos zurückgewiesen werden: Zunächst konnte das Argument, dass die Verantwortung von Opfer und Täter für die Entstehung der Tat im Tatbestand angeblich nicht graduell zum Ausdruck zu bringen sei, für das Heimtückemerkmal als Qualifikationsmerkmal entkräftet werden. Eine Abstufung der Verantwortung ist sehr wohl auf Tatbestandsebene möglich: Bei einer vollen oder überwiegenden Verantwortlichkeit des Täters für das Geschehen ist wie nach der herkömmlichen Definition das Tatbestandsmerkmal ,Heimtücke‘ als erfüllt anzusehen. Bei einer erheblichen Verantwortlichkeit des Opfers für das Tatgeschehen ist das Heimtückemerkmal zwar nicht erfüllt, der Täter ist aber deswegen nicht insgesamt straffrei. Denn der in diesem Fall bestehende Teil der Verantwortlichkeit des Täters für die Tötung führt dazu, dass der Tatbestand des § 212 StGB erfüllt ist. Die Befürchtungen einer nachteiligen gesamtgesellschaftlichen Veränderung bei erhöhten Anforderungen an den Eigenschutz haben sich ebenfalls als nicht tragfähig erwiesen. Diese Befürchtungen wurden ursprünglich zumeist hinsichtlich der Entkriminalisierung von Massendelikten angestellt und bezogen sich zumeist auch nicht auf Gewaltdelikte. Sie schlagen daher nicht auf den Heimtücke-

E. Endergebnis und Zusammenfassung

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mordtatbestand durch. Ebenso ist nicht anzunehmen, dass sich die positiv-generalpräventive Wirkung des Tötungsverbots abschwächen würde, wenn man das vortatliche Opferverhalten bei der Auslegung des Mordtatbestandes beachtet. Auch die gegen die tatbestandliche Berücksichtigung von Opferverhalten ins Feld geführten Besonderheiten der Gewaltdelikte sprechen letztlich nicht gegen die vorgeschlagene Auslegung der Heimtücke. Mit Besonderheiten der Gewaltdelikte war teilweise die Indisponibilität des Rechtsguts Leben gemeint. Die Definition des arglosen Opfers als ein Opfer, das sich tatsächlich keines Angriffs versieht und rechtlich keines Angriffs versehen muss, steht nicht im Widerspruch zu dem Dogma der Indisponibilität des Rechtsguts Leben. Denn diese Definition führt weder dazu, dass das Opfer über sein Leben verfügt (es hat ja schon nicht den tatsächlichen Willen dazu), noch wäre durch diese Definition das Leben des Opfers von der Rechtsordnung ungeschützt. Denn das Tötungsverbot des § 212 StGB bleibt von einer das Opferverhalten mitberücksichtigenden Auslegung der Heimtücke unberührt. Aus gleichem Grund verfängt auch jene Argumentation mit der Höchstwertigkeit des Rechtsguts Leben nicht. Der Einwand, der Grundsatz der Vorrangigkeit staatlicher Gefahrenabwehr spreche gegen die Beachtlichkeit von vortatlichem Opferverhalten bei der Auslegung, fußt auf einem Missverständnis des ultima ratio-Prinzips und konnte daher nicht überzeugen. Die Frage, ob der Staat zur Gefahrenabwehr handeln darf, hat nämlich rein gar nichts mit der Frage zu tun, ob bei der Auslegung der Arglosigkeit das Vorverhalten eines Opfers relevant ist. Die aktive Gefahrenabwehr der Polizei ist selbstverständlich nicht durch das Vorverhalten des Opfers suspendiert. Die Vernachlässigung des Selbstschutzes durch das Opfer kann aber durch die entsprechende Auslegung den Heimtückeschutz suspendieren. Diese mit der Obliegenheit, mit einem Angriff rechnen zu müssen, einhergehende Benachteiligung des Opfers verstößt entgegen anders lautender Kritik nicht gegen das Bestimmtheitsgebot. Das Verhalten, das die Heimtücke aufgrund der Forderung ausschließt, man hätte wegen eines solchen Verhaltens mit einem Angriff gegen sich rechnen müssen, ist zwar nicht unmittelbar in § 211 StGB beschrieben. Da es sich aber bei dieser Verpflichtung nicht um eine echte Strafdrohung handelt, sondern um einen rechtlichen Nachteil dafür, dass man sich in Gefahr gebracht hat, indem man andere erheblich und vorwerfbar verletzt hat, genügt es dem Bestimmtheitsgebot, wenn sich das die Obliegenheit auslösende Verhalten aus den Normen des StGB insgesamt ergibt. Es wurde gezeigt, dass kein Argument gegen die grundsätzliche Möglichkeit einer Obliegenheit des Tötungsopfers zum Selbstschutz Bestand hat. Vielmehr ist eine Obliegenheit zum Selbstschutz derart, dass man sich nicht dadurch in Gefahr bringen darf, dass man andere vorwerfbar verletzt und damit gegen sich aufbringt, mit allgemeinen Grundsätzen unserer Rechtsordnung wie beispielsweise

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E. Endergebnis und Zusammenfassung

dem Bild eines selbstverantwortlichen Menschen oder dem ultima ratio-Prinzip sehr gut vereinbar. Darauf aufbauend konnte in einem zweiten Schritt der Inhalt und der Umfang der Obliegenheit konkretisiert werden: Das das Eingreifen des Heimtücketatbestand suspendierende Vorverhalten des getöteten Opfers muss deliktisch sein. Das ergibt sich schon aus dem Bestimmtheitsgebot. Die Vortat des Opfers muss dabei eine gewisse Erheblichkeit aufweisen. Wichtig war der Umstand, dass das Eingreifen des Heimtückeschutzes durch eine solche Tat lediglich suspendiert ist. Er greift zum einen wieder, wenn eine große Zeitspanne zwischen dem vorwerfbaren Verhalten des Opfers und dem Zeitpunkt der Tötungshandlung, in dem ja die Arglosigkeit vorliegen muss, besteht. Zum anderen kann der Schutz des § 211 StGB wiedererlangt werden, indem das Opfer sich ernstlich um eine Deeskalation des Verhältnisses zu dem vormals von ihm Verletzten bemüht – dann muss es nicht mehr mit einem Angriff rechnen. Hinsichtlich des Inhalts opferseitiger Obliegenheiten zum Selbstschutz lässt sich insgesamt differenzieren: Primär besteht die Obliegenheit, sich nicht in die Gefahr eines tödlichen Angriff zu bringen, indem man andere durch schwere Delikte gegen sich aufbringt. Verletzt man diese jeder Strafnorm immanente Obliegenheit, wandelt sich der Inhalt der Obliegenheit zum Selbstschutz um. Es entsteht dann zum einen die Deeskalationspflicht und andererseits die Verpflichtung, mit einem Angriff gegen sich zu rechnen. Diese Argwöhnungspflicht hat die Suspendierung des Heimtückeschutzes solange zur Folge, wie keine Deeskalation eingetreten ist. Abschließend ist damit die Fragestellung dieser Arbeit damit zu beantworten, dass das Heimtückemerkmal im Sinne des § 211 StGB ein das vortatliche Opferverhalten berücksichtigendes Merkmal im Strafrecht ist. Hierin liegt keinesfalls eine einseitige Benachteiligung des Opfers, es sind an vielen Stellen dieser Arbeit Punkte zu verzeichnen gewesen, bei denen die Berücksichtigung von Opferverhalten oder Opfereigenschaften im Rahmen der Bestimmung der Arglosigkeit zur Bejahung der Heimtücke führte. Die vorgeschlagene Definition für den Heimtückemord, wonach derjenige heimtückisch handelt, der vorsätzlich einen tatsächlich sowie wertend betrachtet arglosen und deshalb wehrlosen Menschen tötet, hat sich fallgruppenunabhängig als überzeugend erwiesen. Damit steht eine einheitliche Definition für alle Fallgruppen zur Verfügung, mit der berechenbare Ergebnisse erzielt werden können, mit der aber auch den Umständen des Einzelfalls in hohem Maße Rechnung getragen werden kann. Somit ist der immer wieder aufkommenden Forderung, de lege ferenda auf das Heimtückemerkmal zu verzichten, entschieden entgegenzutreten.

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Sachwortverzeichnis Ausnutzungsbewusstsein 40, 81 f., 110 ff., 141, 320 Eigenverantwortung 98 f., 230, 238, 253, 259 ff., 293 Erpresserfall 53 ff., 78 ff., 91 ff., 155, 167 ff., 299 f., 313 ff. Fallenfälle – siehe Hinterhaltfälle Familientyrann – siehe Tyrann Feindliche Willensrichtung 17, 124 ff. Gesellschaftsvertrag 284, 290 ff. Hinterhaltfälle 21, 25 ff., 47, 51 f., 97, 113, 165, 196, 131 ff.

Selbstverantwortung – siehe Eigenverantwortung Subsidiarität 231, 234 f., 238, 276, 278, 283 ff., 293 ff., 303 f. Tücke 28, 57 ff., 116, 123, 163 ff., 171 ff., 179 f., 195 Typenkorrektur 137 ff. Tyrann 88 ff., 247 ff., 316 Überlegung 115, 120 ff., 157, 177 f., 206 Ultima ratio 229 ff., 283 ff., 304, 321 f. Unterlassen 107 ff., 261 ff., 315,

Obliegenheit 60 f., 72, 76 f., 85, 98, 167, 233, 245 ff., 262 f., 278, 289 ff.

Verfrühte Arglosigkeit 26 ff. Vertrauensbruch 32 f., 126, 131 ff., 179 ff., 184, 314 f. Vertrauensmissbrauch – siehe Vertrauensbruch Verwirkung 70, 303 ff. Vorsatzlos herbeigeführte Wehrlosigkeit – siehe Vorsatzwechsel Vorsatzwechsel 24 f., 31 ff., 50 ff.

Rechtsfolgenlösung 137 f., 140 ff., 317 f.

Wehrlosigkeit 22 ff., 31 ff., 44 ff., 50, 95 ff., 105, 110 ff., 196, 204 f., 315 f.

Konstitutionelle Arglosigkeit 38 ff., 99, 104, 106 ff., 316 Menschenbild 253, 260, 293 f. Mitnahmesuizid 124 ff., 318