Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB und das Doppelverwertungsverbot: Untersuchungen zu den §§ 23 Abs. 2, 13 Abs. 2, 17 Satz 2, 35 Abs. 1 Satz 2 und 46 Abs. 3 StGB [1 ed.] 9783428453979, 9783428053971

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Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB und das Doppelverwertungsverbot: Untersuchungen zu den §§ 23 Abs. 2, 13 Abs. 2, 17 Satz 2, 35 Abs. 1 Satz 2 und 46 Abs. 3 StGB [1 ed.]
 9783428453979, 9783428053971

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 50

Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB und das Doppelverwertungsverbot Untersuchungen zu den §§ 23 Abs. 2, 13 Abs. 2, 17 Satz 2, 35 Abs. 1 Satz 2 und 46 Abs. 3 StGB

Von

Gerhard Timpe

Duncker & Humblot · Berlin

GERHARD

TIMPE

Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB und das Doppelverwertungsverbot

Strafrechtliche Abhandlungen • Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser ord. Professor der Rechte an der Universität Hamburg

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 50

Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB und das Doppelverwertungsverbot Untersuchungen zu den §§ 23 Abs. 2,13 Abs. 2, 17 Satz 2, 35 Abs. 1 Satz 2 und 46 Abs. 3 StGB

Von

Dr. Gerhard Timpe

D U N C K E R

&

H U M B L O T

/

B E R L I N

Z u r A u f n a h m e i n die R e i h e e m p f o h l e n v o n P r o f . D r . G ü n t h e r Jakobs, R e g e n s b u r g

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Timpe, Gerhard: Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB u n d das Doppelverwertungsverbot: Unters, zu d. §§ 23 Abs. 2, 13 Abs. 2, 17 Satz 2, 35 Abs. 1 Satz 2 u. 46 Abs. 3 StGB / von Gerhard Timpe. — B e r l i n : Duncker u n d Humblot, 1983. (Strafrechtliche Abhandlungen; N.F., Bd. 50) I S B N 3-428-05397-4 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1983 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1983 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 05397 4

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit hat i m Februar 1982 der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg als Dissertation vorgelegen. Herr Prof. Dr. Jakobs hat das Thema angeregt und zudem das Entstehen der Arbeit mit Geduld und großem Verständnis gefördert; dafür danke ich i h m herzlich. Dank schulde ich auch Herrn Prof. Dr. Schroeder für die wohlwollende Befürwortung der Veröffentlichung und Herrn Prof. Dr. Schmidhäuser für die Aufnahme der Arbeit i n die von i h m herausgegebene Reihe der Strafrechtlichen Abhandlungen. Die nach dem Abschluß des Manuskripts i m Mai 1982 erschienene Literatur ist noch bis zum Herbst 1982 i n die Anmerkungen eingearbeitet worden. Bei der Dissertation von Hettinger , Das Doppelverwertungsverbot bei strafrahmenbildenden Umständen (§§ 46 Abs. 3, 50 StGB), Schriften zum Strafrecht, Band 45, wäre es jedoch durch bloße Vermerke i m Text und i n den Anmerkungen nicht mehr mit der nötigen Klarheit möglich gewesen, die Unterschiede i n Ansatz und Ausgestaltung gegenüber der vorliegenden Arbeit herauszustellen. Die Unterschiede sollen deshalb hier kurz dargestellt werden. Hettinger gelangt zu dem Ergebnis, „die Gesamtwürdigung des konkreten Falls hindert nicht, einzelne Tatsachen innerhalb des gefundenen (milderen) Rahmens nochmals zu verwerten" (S. 197), so daß der Richter jedenfalls nicht des Doppelverwertungsverbots wegen gehindert sei, „bei der Rahmenwahl . . . alle strafzumessungsrelevanten Umstände . . . zu berücksichtigen" (S. 187): „Rahmenbildend (sei) die Summe aller berücksichtigten Faktoren, m i t h i n das Gesamtergebnis selbst" (S. 192), da bei den fakultativen Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB, i n der Auslegung, die ihnen die Rechtsprechung gegeben habe, erst mittels einer „Gesamtwürdigung" der „generelle Tattyp" (S. 197) zu bestimmen sei; dafür sei „zu prüfen, ob i m konkreten Fall eine Deliktsschwere erreicht ist, wie sie dem Gesetzgeber bei Schaffung des Regelstrafrahmens vorschwebt" (S. 191). — Aber nicht die Zulässigkeit einer Doppelverwertung „strafrahmenbildender Umstände" bei gebotener „Gesamtwürdigung" von Tat und Täter schon als Voraussetzung der Strafrahmenwahl ist das Problem der fakultativen Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB; denn bei gebotener „Gesamtwürdigung" aber unzulässiger Doppelverwertung der bewerteten Umstände müßte die Strafzumessung nach dem gewählten Strafrahmen

Vorwort

8

mangels verwertbarer Strafzumessungstatsachen ausfallen — ein nach der Ausgestaltung des positiven Rechts kaum plausibles Ergebnis. Problem der fakultativen Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB ist vielmehr, ob eine „Gesamtwürdigung" von Tat und Täter überhaupt zulässig ist; ein Problem, das Hettinger freilich nicht behandelt: „Nicht weiter vertieft werden soll hier, welche Umstände zur Strafrahmenwahl herangezogen werden dürfen", „weil dies ein Problem der ratio der einzelnen Vorschriften (sei), die eine Rahmenmilderung lediglich zulassen" (S. 188). — Hier setzt die vorliegende Arbeit an, die zu zeigen versucht, daß eine „Gesamtwürdigung" von Tat und Täter als Voraussetzung der Strafrahmenwahl schon deshalb verfehlt ist, weil sie den i n der Strafzumessungsdogmatik erreichten Diskussionsstand souverän leugnet: Die „Deliktsschwere" kann nicht, wie Hettinger (S. 191) wohl meint, absolut bestimmt werden, sondern nur relativ zu einem gegebenen Strafensystem. Bei dieser Lage ist aber ein Vorgehen bei der Strafrahmenwahl verfehlt, bei dem, wie es bei Hettinger (S. 214) heißt, m i t der „quantitativen Bewertung der Tat" über den anzuwendenden Strafrahmen entschieden werden soll, obgleich nur anhand eines bekannten — des anzuwendenden — Strafrahmens die „Deliktsschwere" überhaupt erst ermittelt werden kann (vgl. 1. Teil. II. B. 3.). — Statt u m eine „Gesamtwürdigung" von Tat und Täter muß es bei der Strafrahmenwahl bei den fakultativen Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB deshalb u m die Bildung konkretisierender Fallgruppen zu den einzelnen Strafmilderungen gehen, wie sie auch das Gesetz beschrieben hätte, wenn es i h m auf eine rechtssichere Handhabung der Strafrahmenwahl i n diesen Fällen angekommen wäre. Der Aufgabe, solche konkretisierenden Fallgruppen von Strafmilderungsgründen zu erarbeiten, unterzieht sich die vorliegende Arbeit i n ihrem 2. Teil i n den Abschnitten 1 . - 4 . Regensburg, i m März 1983 Gerhard

Timpe

Inhaltsverzeichnis Erster

Teil

Strafrahmenwahl und Gesamtbetrachtung bei den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderangen des Allgemeinen Teils des StGB, den besonders schweren Fällen und den minder schweren Fällen I. Der Meinungsstand

21 21

A . Die Strafrahmenwahl beim Versuch (§ 23 Abs. 2 StGB)

21

B. Die Straf rahmenwahl bei besonders schweren Fällen

22

C. Die Strafrahmenwahl bei den minder schweren Fällen

27

D. Das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB u n d die Doppelverwertung „strafrahmenbildender" Umstände

29

1. Die Ansicht der Rechtsprechung u n d der herrschenden Lehre

29

2. Die Lehre Drehers

30

I I . Z u r K r i t i k einer Gesamtbetrachtung als Voraussetzung der Strafrahmenwahl bei den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB, den besonders schweren Fällen u n d den minder schweren Fällen

32

A . Das Verbot der Doppelverwertung u n d die Gesamtbetrachtungslehren

32

1. Z u den Grundlagen des Doppelverwertungsverbotes des § 46 Abs. 3 StGB

32

a) Das Doppelverwertungsverbot als Ausfluß der „Arbeitsteilung v o n Gesetz u n d Richter" b) Z u den Möglichkeiten u n d den Grenzen einer „Arbeitsteil u n g v o n Gesetz u n d Richter" c) Folgerungen für Geltungsgrund u n d Geltungsumfang des Doppelverwertungsverbots 2. Die eigene Lösung: Das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB als generalisierender Anwendungsfall der materiell-rechtlichen Pflicht zur Begründung der Strafzumessungsentscheidung

32 35 41

44

a) Prozessualer Begründungszwang (§ 267 Abs. 3 StPO) u n d materiell-rechtliche Begründungspflicht der Strafzumessungsentscheidung 44 b) Folgerungen für Geltungsgrund u n d Geltungsumfang des Doppelverwertungsverbots 45 aa) Das Verbot der Doppelverwertung v o n Tatbestandsmerkmalen 45

10

nsverzeichnis bb) Die Modalitäten der Tatbestandsverwirklichung als erlaubte Strafzumessungsgründe cc) Z u den Erweiterungen des Doppelverwertungsverbots über Tatbestandsmerkmale hinaus aaa) Der Meinungsstand bbb) B G H M D R 1953, S. 148 ccc) Möglichkeiten u n d Grenzen der Berücksichtigung des Zwecks der Strafvorschrift u n d der Strafzwecke i m Rahmen der Strafzumessung 3. Zusammenfassung

50 54 54 56 57 63

B. Materiell-rechtliche u n d strafzumessungsmethodische lichkeiten der Gesamtbetrachtungslehren

Unzuläng-

64

1. Die K r i t i k Arzts an der Gesamtbetrachtung bei den besonders schweren Fällen

65

2. Die Beschränkung der fakultativen Strafmilderungen des A l l gemeinen Teils des StGB auf Versuch, Unterlassen usw. u n d die Gesamtbetrachtungslehren

65

3. Das Verhältnis v o n Schuldquantifizierung, Gesamtbetrachtung u n d Strafrahmen

67

4. Rechtssicherheit bei der Strafrahmenwahl u n d Gesamtbetrachtung; zugleich zu den Bedingungen der Schuldquantifizierung

71

5. Die Überschneidungen v o n Regel- u n d Sonderstrafrahmen u n d die Gesamtbetrachtungslehren

81

I I I . Die nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen fakultativen Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB, die besonders schweren Fälle u n d die minder schweren Fälle als A n o r d n u n g einer generellen Strafrahmenerweiterung

82

A . Der Meinungsstand

82

B. K r i t i k der Lehre v o n den „Strafrahmenerweiterungen"

83

I V . Zusammenfassung

88

Zweiter

Teil

Die fakultativen Strafmilderungen für den Versuch (§ 23 Abs. 2 StGB), das Unterlassen (§ 13 Abs. 2 StGB), das Handeln in vermeidbarer Rechtsunkenntnis (§ 17 Satz 2 StGB) und den entschuldigenden Notstand (§ 35 Abs. 1 Satz 2 StGB)

91

Erster Abschnitt Die fakultative

Strafmilderung beim Versuch (§ 23 Abs. 2 StGB)

I. Die Bedeutung der Erfolglosigkeit Versuch

für

die Strafzumessung

91 beim

91

nsverzeichnis A . Der Meinungsstand

92

1. Die strafmildernde Berücksichtigung der Erfolglosigkeit „verkappte Zufallshaftung"

als

92

2. Die Lehren Zielinskis, A r m i n Kaufmanns u n d Horns

93

3. Die Erfolglosigkeit des Versuchs als stets strafmildernde Strafzumessungstatsache

95

B. Die eigene Lösung: Die Strafmilderung gilt auch für den beendeten Versuch obligatorisch

99

I I . Die Voraussetzungen der Strafrahmenwahl beim Versuch A . Der Meinungsstand

102 102

1. Die Lehren Germanns u n d Welzeis

102

2. Die Lehre Zielinskis u n d A r m i n Kaufmanns

105

3. Die Lehre Drehers v o n den „versuchsbezogenen" Strafzumessungsgründen 106 B. Die eigene Lösung: Fallgruppendifferenzierung u n d Strafrahmenw a h l beim Versuch 107 1. Grundlagen

107

2. Der „grob unverständige Versuch" (§ 23 Abs. 3 StGB) u n d die Strafrahmenwahl beim Versuch 109 a) Der „grob unverständige Versuch" als angefangene (evident) inadäquate Kausalität 109 aa) Der Meinungsstand 109 bb) Adäquanz u n d Zurechnung beim Versuch 110 b) Der „grob unverständige Versuch" als (evidenter) nomologischer I r r t u m des Täters 118 aa) Der Meinungsstand 118 bb) Z u r K r i t i k dieser Lösung 120 c) Z u m Begriff des „groben Unverstandes" u n d zur Strafrahmenwahl beim Versuch 121 3. Rücktrittsähnliches Verhalten u n d Strafzumessung beim V e r such 127 a) Grundlagen 127 b) Die Strafrahmenwahl beim unbeendeten Versuch; zugleich zum fehlgeschlagenen Versuch 132 c) Die Strafrahmenwahl beim beendeten Versuch 142 I I I . Zusammenfassung

149 Zweiter Abschnitt

Die fakultative

Strafmilderung für das (§ 13 Abs. 2 StGB)

Garantenunterlassen

152

I. Die Diskussion über die Angemessenheit einer fakultativen Strafmilderung für das Garantenunterlassen 152

nsverzeichnis A . Ablehnende Stimmen

152

1. Die Forderung nach einer „doppelten Gleichstellungsprüfung" als G r u n d der Gleichwertigkeit v o n T u n u n d Garantenunterlassen 152 a) Der E 1962 152 b) Die Lehre Androulakis 152 c) K r i t i k der Notwendigkeit einer „zweistufigen" Gleichstellungsprüfung i n allen Fällen des Garantenunterlassens 153 2. Die Lehre H. Mayers B. Die Begründungen für die Angemessenheit einer Strafmilderung für das Garantenunterlassen

155 fakultativen

1. Die Begründungen i n der älteren Lehre 2. Die Begründung des 2. S t r Ä n d G

156 156 157

3. Die Verhaltensdifferenz v o n T u n u n d Unterlassen als G r u n d minderer Strafwürdigkeit des Garantenunterlassens 158 a) Die Lehre A r m i n Kaufmanns b) Die Lehre Roxins c) Die Lehre Herzbergs

158 159 160

C. Zur K r i t i k der These, aus der Verhaltensdifferenz v o n T u n u n d Unterlassen folge die Notwendigkeit einer fakultativen Strafmilderung f ü r das Garantenunterlassen; zugleich zu den Verkehrspflichten, zur Ingerenz u n d zu den „fürsorgerischen Garantieverhältnissen" 161 1. Die Verkehrspflichten

162

2. Die Haftung aus „vorangegangenem gefährdenden T u n "

163

a) Die Lehre Schünemanns b) Z u r K r i t i k der Verbindung v o n Unterlassung m i t Solidarität c) Der G r u n d der Zurechnung bei der Ingerenz aa) Zurechnung beim Begehen: das Zurechnungssubjekt als System bb) Zurechnung bei den Verkehrspflichten: über Werkzeuge u n d H i l f s m i t t e l definierte Systeme cc) Zurechnung bei der Ingerenz: über (revozierbare) Handlungsfolgen definierte Systeme

176

d) Z u m Haftungsumfang bei der Ingerenz

178

aa) Z u r K r i t i k der Adäquanzlösung bb) Die Lehre Pfleiderers cc) Z u r K r i t i k der Rechtswidrigkeitslösung e) Zusammenfassung 3. Die „fürsorgerischen Garantieverhältnisse"

163 169 171 171 174

178 180 181 187 188

a) Z u m Haftungsgrund bei den „fürsorgerischen Garantieverhältnissen" 188 b) Z u m Haftungsumfang bei den „fürsorgerischen Garantieverhältnissen" 190

nsverzeichnis aa) Die als Garanten verpflichtenden sozialen Sonderbeziehungen 190 bb) Z u m Pf lichtenumfang der Garanten 194 c) Zusammenfassung 197 I I . Die Teilnahmelehre beim Garantenunterlassen u n d die Strafmilderung des § 13 Abs. 2 StGB 197 A . Der „Einheitstäterbegriff" beim Garantenunterlassen

197

B. Differenzierende Teilnahmelehren beim Garantenunterlassen

201

1. Die Lehre Schröders u n d Herzbergs

201

2. K r i t i k u n d eigene Lösung

203

C. Folgerungen für die fakultative Strafmilderung des § 13 Abs. 2 StGB 206 I I I . Die Auslegung des § 13 Abs. 2 StGB

206

A . Das begehensgleiche Unterlassen u n d die Strafmilderung des § 13 Abs. 2 StGB 206 B. Zur Strafmilderung nissen"

bei den „fürsorgerischen

Garantieverhält-

207

1. Das Unterlassen der Rettung aus Sonderlagen

207

2. Materialisierung des Garantenbegriffs u n d Strafmilderung

212

3. Das Mitverschulden des Opfers als Strafmilderungsgrund

214

I V . Zusammenfassung

217 D r i t t e r Abschnitt

Die fakultative Strafmilderung beim Handeln in vermeidbarer Rechtsunkenntnis I. Der Meinungsstand

222 222

A . Die Lehre Horns: Zugleich zur Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums 222 B. Die Lehre Roxins

227

C. Die Auslegung des § 17 Satz 2 StGB durch Rspr. u n d h. L

229

1. Die fakultative Strafmilderung für ein Handeln i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis i m A E u n d i n den Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform 229 2. „Rechtsgleichgültigkeit"

230

3. Die Auslegung des § 17 Satz 2 StGB durch die Rspr

231

4. Normatives u n d Psychisches bei der Strafzumessung bei einem Handeln i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis 232 I I . Die eigene Lösung: B i l d u n g v o n Fallgruppen unterschiedlicher Strafw ü r d i g k e i t für die Strafrahmenwahl bei einem Handeln i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis 238

14

nsverzeichnis A . Die Entlastung des i n Rechtsunkenntnis Handelnden als Ausfluß der Positivierung des Rechts 238 B. Der Lebenskreis des i n Rechtsunkenntnis Handelnden als A n knüpfungspunkt für eine Fallgruppendifferenzierung 242 1. Grundlagen

242

2. Einzelne Fallgruppen a) Der Rechtsirrtum über Angelegenheiten des eigenen Lebenskreises b) Rechtsirrtum u n d Strafmilderung beim Überschreiten der Grenzen des eigenen Lebenskreises c) Rechtsänderungen, Rechtsirrtum u n d Strafmilderung

245 245 248 252

I I I . „Bedingtes Unrechtsbewußtsein" u n d Strafmilderung nach § 17 Satz 2 StGB 253 A . Der Meinungsstand

253

B. Z u den Möglichkeiten einer Strafmilderung beim Handeln m i t „bedingtem Unrechtsbewußtsein" 255 I V . „Täterschuld" u n d Strafzumessung beim Handeln i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis 260 A . Der Meinungstand

260

B. „Täterschuld" als Maßstabsbegriff

264

V. Zusammenfassung

271 Vierter Abschnitt

Die fakultative Strafmilderung für den Verursacher einer Notstandslage und für den sonst den Umständen nach zur Gefahrtragung Verpflichteten (§ 35 Abs. 1, Satz 2, 2. Halbsatz StGB) 275 I. Z u m G r u n d der Entschuldigung des Notstandstäters u n d zur Auslegung der fakultativen Strafmilderung des § 35 Abs. 1, Satz 2, 2. Halbsatz StGB 275 A . Die fakultative Strafmilderung des § 35 Abs. 1, Satz 2, 2. H a l b satz StGB i m E 1962 u n d i m A E 275 B. Die „psychische Drangstärke" der Notstandslage als G r u n d der Entschuldigung 277 1. Die Lehren Schröders u n d Braunecks

277

2. Die Lehre Bockelmanns

278

3. Die Lehre Gallas

279

4. Die Lehre Maurachs

279

5. Z u r K r i t i k einer subjektiven Deutung des entschuldigenden Notstandes 280 6. Die Lehre Schmidhäusers

282

nsverzeichnis C. Das Zusammentreffen einer Unrechtsminderung u n d einer Mindederung der Schuld als Grund der Entschuldigung des Notstandstäters 284 1. Die Lehre A r m i n Kaufmanns

284

2. Die Lehre Rudolphis

285

3. Die Grenzen des entschuldigenden Notstandes des § 35 Abs. 1, Satz 1 StGB u n d die fakultative Strafmilderung des § 35 Abs. 1, Satz 2, 2. Halbsatz StGB i n dieser Sicht 286 4. Stellungnahme

289

D. Die normative Deutung des entschuldigenden Notstandes i n der Lehre Roxins 294 E. Die eigene Lösung

297

1. Z u m G r u n d der Entlastung des Notstandstäters 2. Die Gefahrtragungspflichten des § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB a) Die „besonderen Rechtsverhältnisse" ; b) Das „Verursachen" einer Notstandslage aa) Der Begriff des „Verursachens" bb) Z u r Strafmilderung für den „Verursacher" einer N o t standslage

297 304 304 307 307 312

c) Die Verpflichtung zur Gefahrtragung sonst nach den U m ständen i. S. d. § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB 313 aa) Fallgruppen einer Gefahrtragungspflicht 313 bb) Z u r Strafmilderung für den sonst den Umständen nach zur Gefahrtragung Verpflichteten 315 I I . Zusammenfassung

317

Dritter

Teil

Zusammenfassung

320

Literaturverzeichnis

331

Abkürzungsverzeichnis a. A . AE a. F. Alt. amtl. Begr. ÄndG Anh. Anm. AöR Art. ARSP AT Aufl.

anderer Ansicht A l t e r n a t i v - E n t w u r f eines Strafgesetzbuches, Allgemeiner Teil, vorgelegt v o n Jürgen Baumann u. a., 2. Aufl., Tübingen 1969 alte Fassung Alternative amtliche Begründung Änderungsgesetz Anhang Anmerkung A r c h i v des öffentlichen Rechts (zitiert nach Jahr u n d Seite) Artikel A r c h i v für Rechts- u n d Sozialphilosophie (zitiert nach Band u n d Seite) Allgemeiner T e i l Auflage

BayObLG BayObLGSt

Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts i n Strafsachen, Neue Folge (seit 1950) (zitiert nach Jahr u n d Seite) BayZRPf Bayerische Zeitschrift für Rechtspflege (zitiert nach Jahr u n d Seite) Begr. Begründung Bespr. Besprechung BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGE Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts, amtliche Sammlung (zitiert nach Band, T e i l u n d Seite) BGH Bundesgerichtshof BGHSt. Entscheidungen des Bundesgerichtshofs i n Strafsachen (zitiert nach Band u n d Seite) BRDrS Drucksache des Bundesrates BT Besonderer T e i l BTDrS Drucksache des Deutschen Bundestages BTDrS V/4094 Erster schriftlicher Bericht des Sonderausschusses f ü r die Strafrechtsreform über den E n t w u r f eines Strafgesetzbuches (StGB), Deutscher Bundestag, 5. Wahlperiode BTDrS V/4095 Zweiter schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform über den E n t w u r f eines Strafgesetzbuches (StGB), Deutscher Bundestag, 5. Wahlperiode BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (zitiert nach Band u n d Seite) DAR DJ 2 Timpe

Deutsches Autorecht, hrsg. v o m Allgemeinen Deutschen A u t o mobil-Club (zitiert nach Jahr u n d Seite) Deutsche Justiz (zitiert nach Jahr u n d Seite)

18 DJT

Abkürzungsverzeichnis

DJZ Diss. DR DRiZ

Deutscher Juristentag. Verhandlungen des Deutschen J u r i stentages Deutsche Juristenzeitung (zitiert nach J a h r u n d Seite) Dissertation Deutsches Recht (zitiert nach Jahr u n d Seite) Deutsche Richterzeitung

DStr

Deutsches Strafrecht, Neue Folge (zitiert nach Jahr u n d Seite)

E E 1922

Entwurf E n t w u r f eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches (Entw u r f Gustav Radbruch), 1922, Tübingen 1952 Amtlicher E n t w u r f eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches nebst Begründimg (Reichsratsvorlage) E n t w u r f eines Strafgesetzbuches m i t Begründung, Bundestagsdrucksache III/2150 v o m 3. November 1960 E n t w u r f eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962 m i t Begründung, Bundestagsdrucksache IV/650 v o m 4. Oktober 1962 ( = Bundestagsdrucksache V/32 v o m 11. November 1965) Zeitschrift f ü r das gesamte Familienrecht (zuvor: Ehe u n d Familie i m privaten u n d öffentlichen Recht) (zitiert nach Jahr u n d Seite)

E 1925 E 1960 E 1962

FamRZ

GA

GG GS HESt

h. L . h. M . HRR

A r c h i v für Straf recht u n d Strafprozeß, begründet v o n Th. Goltdammer, 1880 - 1933 (zitiert nach Band u n d Seite); Goltdammer's A r c h i v f ü r Strafrecht, 1953 ff. (zitiert nach Jahr u n d Seite) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v. 23.5.1949, B G B l . S. 1 Der Gerichtssaal (zitiert nach Band u n d Seite) Höchstrichterliche Entscheidungen, Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte i n Strafsachen (zitiert nach Band u n d Seite) herrschende Lehre herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung (bis 1927: Die Rechtsprechung, Beilage zur Zeitschrift Juristische Rundschau) (zitiert nach Jahr u n d Nummer)

i. e. S. i. V. m.

i m engeren Sinne i n Verbindung m i t

JA JMB1 N R W JR JRR JuS JW JZ

Juristische Arbeitsblätter (zitiert nach Jahr u n d Seite) Justizministerialblatt für das L a n d Nordrhein-Westfalen Juristische Rundschau (zitiert nach Jahr u n d Seite) Jahrbuch f ü r Rechtssoziologie u n d Rechtstheorie Juristische Schulung (zitiert nach Jahr u n d Seite) Juristische Wochenschrift (zitiert nach Jahr u n d Seite) Juristenzeitung (zitiert nach Jahr u n d Seite)

KG

Kammergericht

Lb LG Lit. LK

Lehrbuch Landgericht Literatur Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar

Abkürzungsverzeichnis LM LZ

19

Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes, hrsg. v o n Lindenm a i e r - M ö h r i n g u. a., 1951 ff. (zitiert nach N u m m e r u n d §) Leipziger Zeitschrift für deutsches Recht (zitiert nach Jahr u n d Seite)

MDR m. w . N. MSchrKrim

Monatsschrift für deutsches Recht (zitiert nach Jahr u n d Seite) m i t weiteren Nachweisen Monatsschrift für Kriminologie u n d Strafrechtsreform (zitiert nach Jahr u n d Seite)

NArchCrim Nds.

Neues A r c h i v des Criminalrechts Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. 1 Bonn 1956, Bd. 2 bis 6 B o n n 1958, Bd. 7 bis 11 B o n n 1959, Bd. 12 bis 14 B o n n 1960 neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift (zitiert nach Jahr u n d Seite) Neue Zeitschrift für Strafrecht (zitiert nach Jahr u n d Seite)

n. F. NJW NStZ OGH OGHSt ÖJZ OLG OWiG

Oberster Gerichtshof für die britische Zone Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes f ü r die britische Zone i n Strafsachen (zitiert nach Band u n d Seite) österreichische Juristenzeitung (zitiert nach Jahr u n d Seite) Oberlandesgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten v. 24.5.1968 (BGBl. I S. 481)

Protokolle

Protokolle des Sonderausschusses des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform (zitiert nach Wahlperiode u n d Seite)

RG RGSt

Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts i n Strafsachen (zitiert nach Band u n d Seite) Reichsgesetzblatt Randnummer Rechtsprechung

RGBl Rdn. Rspr. S. SchlHA SchwZStr SJZ SK

sog. StÄndG StGB StPO str. StVO VDA vgl. 2*

Satz; Seite Schleswig-Holsteinische Anzeigen (zitiert nach Jahr u n d Seite) Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht (zitiert nach Jahr u n d Seite) Süddeutsche Juristenzeitung (zitiert nach Jahr u n d Seite) Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, verfaßt v o n Rudolphi, Horn, Samson, Schreiber, Bd. 1, Allgemeiner Teil, 2. Aufl., F r a n k f u r t 1977; Bd. 2, Besonderer Teil, Lose-BlattAusgabe, 2. Aufl., 1. Lieferung März 1980, verfaßt v o n Rudolphi, H o r n u n d Samson sogenannt Strafrechtsänderungs-Gesetz Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung i. d. F. v. 7.1.1975 (BGBl. I, S. 129) streitig Straßenverkehrsordnung Vergleichende Darstellung des deutschen u n d ausländischen Strafrechts. Allgemeiner Teil, Bd. I - V I , 1908 vergleiche

20

Abkürzungsverzeichnis

VRS

Verkehrsrechtssammlung (zitiert nach Band u n d Seite)

ZfRV ZRP ZStW

Zeitschrift Zeitschrift Zeitschrift nach Band

für Rechtsvergleichung (zitiert nach Jahr u n d Seite) für Rechtspolitik (zitiert nach Jahr u n d Seite) für die gesamte Strafrechtswissenschaft (zitiert u n d Seite)

Erster

Teil

Strafrahmenwahl und Gesamtbetrachtung bei den nach § 4 9 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB, den besonders schweren Fällen und den minder schweren Fällen I. Der Meinungsstand A. Die Strafrahmenwahl beim Versuch (§ 23 Abs. 2 StGB)

1961 entschied der Bundesgerichtshof, es müsse „dem Tatrichter überlassen bleiben", „seine Entscheidung (über die Strafrahmenwahl bei versuchter Tat nach den §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB) aufgrund einer Gesamtschau der Tatumstände i m weitesten Sinne sowie der Persönlichkeit des Täters zu treffen, u m die versuchte Tat als Ausfluß der Täterpersönlichkeit i n ihrer Bedeutung für die verletzte Rechtsordnung voll zu erfassen". 1 Ein Jahr später — 1962 — ist von „tatrichterlichem Ermessen" bei der Strafzumessung beim Versuch — was die Auswahl der dabei zu berücksichtigenden Strafzumessungsgründe anbelangt — nicht mehr die Rede: „Maßgebend für die Wahl des Strafrahmens wie für die Straffestsetzung (hat) die Gesamtbeurteilung aller wesentlichen Tatumstände und der Täterpersönlichkeit zu sein." 2 Der Bundesgerichtshof begründet die Notwendigkeit einer „Gesamtschau" aller Strafzumessungsgründe als Voraussetzung der Strafrahmenwahl damit, eine „Aufteilung" der Strafzumessungsgründe sei weder nach brauchbaren, überzeugenden Maßstäben möglich noch sachgemäß noch gerecht noch vom Gesetz geboten. Beim untauglichen oder soeben erst begonnenen, noch durch wenige Besonderheiten gekennzeichneten Versuch verbiete sich eine Trennung schon von selbst. Je mehr der Versuch andererseits der Vollendung näher gerückt sei, u m so mehr deckten sich die wesentlichen Strafzumessungstatsachen für 1

BGHSt. 16, S. 351 ff. (353). BGH St. 17, S. 266 f. (266); ebenso BGH G A 1965, S. 204; BGH M D R 1962, S. 748; aus der L i t e r a t u r Jagusch, L M § 44 Nr. 10; Frankel, L M Nr. 8 zu § 44 StGB; Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 443 ff.; ders., Leitfaden, S. 146; Busch, in: L K 9 , § 44 Rdn. 4; Maurach,, A T 4 , S. 516. 2

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d Straf rahmen w ä h l

Versuch und Vollendung, so daß eine Unterscheidung der Strafzumessungstatsachen hier schon deshalb unangebracht und sachwidrig sei 3 . Ähnlich hat Jagusch für eine „Gesamtschau" aller Strafzumessungstatsachen, gleich, ob sie der objektiven oder der subjektiven Tatseite zugehörten, geltend gemacht, „das Rechtsgefühl" sträube sich dagegen, „bei der Wahl des Strafrahmens, also bei der Entscheidung über die mildere Strafe von Rechts wegen ignorieren zu müssen, ob der Versuchstäter bereits fünfmal einschlägig vorbestraft ist, oder ob es sich u m eine einmalige Entgleisung handelt, die eher einen Denkzettel rechtfertigt." Eine Aufteilung der Strafzumessungstatsachen führe „unvermeidbar zur willkürlichen Zerlegung einheitlicher Persönlichkeitsund Tatbilder". Sie sei „chemisch rein" nicht durchzuführen, da „vielfache Umstände objektiver und subjektiver A r t . . . auf beide Seiten dieser lediglich theoretisch gedachten Zäsur" gehörten. A l l e i n an die „Erfolglosigkeit" für die Strafmilderung anzuknüpfen sei verfehlt: „Für sich allein genommen ist dieser Umstand nämlich rein formaler Natur. Er besagt lediglich, daß die Tat unvollendet geblieben ist. . . . Bei der ungeheuren Verschiedenheit sämtlicher Versuchsmöglichkeiten und -Stadien ist er geradezu sinnentleert" 4 . B. Die Strafrahmenwahl bei den besonders schweren Fällen

Die Rechtsprechung zur Strafmilderung beim Versuch ist — was die Berücksichtigung aller strafzumessungsrelevanten Umstände bei der Strafrahmenwahl und der Strafzumessung nach dem gewählten Strafrahmen anbelangt — keine Einzelerscheinung geblieben. Auch bei den besonders schweren Fällen 5 findet der „Grundsatz der Gesamtbewertung" 6 seine Anwendung 7 . Das Spektrum der zu den be3

BGHSt. 17, S. 266 f. (267); zuvor BGHSt. 16, S. 351 ff. (353). Jagusch, i n : L M § 44 Nr. 10; ebenso Busch, in: L K 9 , § 44 Rdn. 4; Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 445 f. 5 Die Gesetzgebungstechnik der besonders schweren Fälle u n d die Regelbeispielstechnik w i r d durchweg als Versuch begriffen, das Spannungsverhältnis zwischen „Rechtssicherheit" durch Vertatbestandlichung erschwerender Umstände auf der einen, u n d „Einzelfallgerechtigkeit" bei den herkömmlich kasuistisch formulierten Qualifizierungen auf der anderen Seite, aufzulösen: Der Gesetzgeber könne durch Aufnahme zahlreicher erschwerender Umstände als Tatbestandsmerkmale i n den Tatbestand enge Strafrahmen schaffen, Strafzumessung damit weitgehend antizipieren (dazu Schröder, Mezger-Festschrift, S. 428); oder es könne allgemeine Tatbestände m i t weiten Strafrahmen aufstellen u n d so dem Richter mehr Freiheit bei der Strafzumessung i m Einzelfall lassen. Der durch kasuistische Tatbestände erreichbaren Rechtssicherheit korrespondierten die bekannten Nachteile der Kasuistik: Uneinsichtige Grenzziehungen i m Einzelfall (dazu Wach, V D A V I , S. 38 f.). Der Weite des richterlichen Strafzumessungsermessens bei allgemein gehaltenen Tatbeständen m i t weiten Strafrahmen korrespondierten dagegen Gefahren für Rechtssicherheit u n d Gleichmäßigkeit der Bestrafung (dazu 4

I. Der Meinungsstand

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sonders schweren Fällen vorgeschlagenen Begriffsbestimmungen reicht von der häufig gebrauchten Formel, ein besonders schwerer Fall sei gegeben, „wenn die Tat bei Berücksichtigung aller Umstände die erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden und deshalb für den Spielraum des ordentlichen Strafrahmens schon bedachten Fälle an Strafwürdigkeit so übertrifft, daß der ordentliche Strafrahmen zur Sühne nicht aus-

Sarstedt, Gutachten zu 41. DJT, Bd. I I D 40). Der Gesetzgeber habe zwischen diesen Extremen durch die besonders schweren Fälle einen Kompromiß zu finden versucht: Durch B i n d u n g des richterlichen Strafzumessungsermessens an (relativ) enge Strafrahmen sollte eine Gleichmäßigkeit des Strafens erreicht werden; u n d durch elastisch formulierte Rechtsvoraussetzungen sollte „Einzelfallgerechtigkeit" hergestellt, u n d so sowohl die Nachteile strenger Kasuistik, w i e die weiter Strafrahmen vermieden werden (dazu Dreher, ZStW 77, S. 230 ff.). Sei es, daß benannte u n d unbenannte schwere Fälle einer Tatbestandsverwirklidiung derart kombiniert wurden, daß „ i m m e r aber nicht n u r " w e n n ein Beispiel v e r w i r k l i c h t w i r d , der Sonderstrafrahmen anzuwenden ist (wie bei §§ 292 Abs. 2; 293 Abs. 2 StGB; so Wessels, MaurachFestschrift, S. 296; BGHSt. 5, S. 211 ff. (211); O L G Hamm, N J W 1962, S. 601; anders O L G Koblenz, JZ 1953, S. 278 f. m i t zustimmender A n m . v o n Maurach); sei es, daß, bei der Regelbeispielstechnik, „unbenannte" m i t „benannten" erschwerenden Umständen derart kombiniert wurden, daß „nicht immer u n d auch nicht n u r " bei Vorliegen eines Beispiels auf den Sonder straf rahmen umzuschalten ist (dazu Wessels, Maurach-Festschrift, S. 296); sei es, daß ausschl. „unbenannte" besonders schwere Fälle geschaffen wurden. Zur Bewert u n g der Regelbeispielstechnik u n d der Technik der besonders schweren Fälle vgl. Kohlmann, JZ 1970, S. 590 f. (: „Kaschierung gesetzgeberischer Unfähigkeit"); Schänke / Schröder 17, § 243 Rdn. 1 a; Maurach, B T 5 , Nachtrag 1970, S. 17; Dreher, Z S t W 77, S. 236. 6

Dreher, ZStW 77, S. 235. Eine Gesdamtbetrachtung aller für die Strafzumessung bedeutsamen Umstände soll auch Voraussetzung für die Strafmilderung bei § 21 StGB sein (vgl. BGHSt. 7, S. 28 ff.; BGHSt. 16, S. 351 ff.). Zur Begründung meint der BGH (BGHSt. 7, S. 28 ff.), es gebe für die Strafzumessung bei § 21 StGB n u r zwei mögliche Alternativen: Entweder sei der Strafzumessung ein Schuldgehalt der Tat zugrunde zu legen, der sich „allein nach dem Grad der Z u rechnungsfähigkeit" des Täters bestimme (womit aus der fakultativen Strafmilderung des § 21 StGB eine obligatorische würde); oder es sei v o n einem Schuldgehalt der Tat auszugehen, bei dem es auf die „gesamten Umstände" ankomme, die „die Tat der Schuldseite nach als mehr oder minder schwer erscheinen" ließen (BGHSt. 7, S. 28 ff. (31)); lege man diese Auffassung zugrunde, ergebe die fakultative Strafmilderung des § 21 StGB einen Sinn: Dann sei es nämlich durchaus denkbar, „daß die Tat trotz erheblich v e r minderter Zurechnungsfähigkeit des Täters i h r e m Schuldgehalt nach immer noch schwerer wiegt, als der denkbar leichteste Regelfall" (BGHSt. 7, S. 28 ff. (31)). Den Meinungsstand eingehend darstellend Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 512 ff.; ders., Leitfaden, S. 119 ff., 174 ff. Gegen eine Gesamtbetrachtung für die Fälle des § 21 StGB aber Schweling, M D R 1971, S. 971 ff. — Z u m Unterlassen, § 13 Abs. 2 StGB: F ü r die Strafrahmenwahl maßgebend sei eine „Gesamtschau der t a t - u n d täterbezogenen Umstände", G. Hirsch, in: L K 1 0 , § 46 Rdn. 44; ebenso B G H N J W 1982, S. 393. Für das Handeln i n einem vermeidbaren Verbotsirrtum, § 17 Satz 2 StGB: Über die Straf rahmenw a h l entscheide eine Gesamtbetrachtung „aller wesentlichen Tatumstände u n d der Täterpersönlichkeit", G. Hirsch, in: L K 1 0 , v o r § 46 Rdn. 41; § 46 Rdn. 74. 7

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d S t r a f r a h m e n w h l

reicht" 8 ; über eine von Bruns 9 vorgeschlagene Definition des besonders schweren Falles, die allgemein auf „Strafwürdigkeitsgesichtspunkte" verweist und damit auf die gleichen Strafzumessungsgründe abstellt, die auch das „tatrichterliche Ermessen" bei der Strafzumessung i m engeren Sinn leiten: Sie müßten sich — u m die Anwendbarkeit des erschwerten Sonderstrafrahmens zu gestatten — nur bis zu einem „gewissen Grad" gesteigert haben, „ u m als Wertgruppen" besonderer Strafwürdigkeit i. S. der besonders schweren Fälle qualifiziert werden zu können. Daneben findet sich — seltener — eine einschränkende Begriffsbestimmung, nach der ein besonders schwerer Fall „nur i n einem Hergange gefunden werden (dürfe), der sich einigermaßen deutlich von dem gewöhnlichen Bilde einer strafbaren Handlung der i n Betracht kommenden A r t " i n einer den Täter belastenden Weise unterscheide 10 . Schließlich die — i n der Literatur häufige — Formel, ein besonders schwerer Fall sei gegeben, wenn i n dem T u n oder i n der Person des Täters außergewöhnliche Umstände vorhanden seien, die das „Unrecht oder die Schuld" 1 1 oder: „Unrecht und Schuld" 1 2 deutlich erhöhten; wenn auch der i n der Formel von der erheblichen „Unrechtsund/oder Schuldsteigerung" vorausgesetzte (: erheblich wozu?) „Vergleichsfall" unbestimmt bleibt: Die Skala diskutierter Bezugsfälle reicht von dem „Durchschnittsfall der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle" 1 3 über den „Regelfall" 1 4 , den — i m arithmetischen M i t t e l des Strafrahmens gedachten — „Durchschnittsfall" 1 5 , den „Durchschnittsfall des Regelbeispiels" 16 bis zu der differenzierenden Lösung Arzts: Für die Begründung eines „atypischen besonders schweren Falles" soll es als Vergleichsfall auf den „Normalfall" des Regelstrafrahmens ankommen; für die Widerlegung der Indizwirkung eines Regelbeispiels auf den „normalen Fall eines Regelbeispiels" dieser A r t 1 7 . 8 BGH N J W 1952, S. 234; B G H VRS 5, S. 288; B G H VRS 11, S. 51; BGH N J W 1953, S. 1480; B G H N J W 1958, S. 836; BGHSt. 5, S. 124 ff. (130); BGHSt. 12, S. 253 ff. (256); BGH JR 1954, S. 257; G. Hirsch, in: L K 1 0 , v o r § 46 Rdn. 45 f. 9 Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 107 f. 10 RGSt. 69, S. 164 ff. (169); ähnlich L G Berlin, M D R 1967, S. 571; BayObLG JZ 1973, S. 384 f.; BGH VRS Bd. 9, S. 350. 11 „ Alternativitätsprinzip"; Heimann-Trosien, in: L K 9 , § 243 Rdn. 4; Dreher, S t G B 8 7 § 243 A n m . 1; Hertz, Nachtatverhalten, S. 139 ff.; BGHSt. 20, S. 121 ff. (125). 12 „Kumulationsprinzip"; § 62 E 1962; Arzt, JuS 1972, S. 519. 13 Wessels, Maurach-Festschrift, S. 301. — Wobei freilich offen bleibt, w i e der Durchschnitt zu bestimmen ist: Aus den Fällen des Grunddelikts ohne oder unter Einschluß besonders schwerer Fälle? 14 B G H S t 20, S. 121 ff. (125). 15 Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 107; ders., Leitfaden, S. 47 f. 16 Horstkotte, Protokolle V , S. 269. 17 Arzt, JuS 1972, S. 389; anders Zipf, Die Strafzumessung, S. 11 ff., der für die „Gesamtbewertung der T a t " die als Voraussetzung, „ u m zur Annahme

I. Der Meinungsstand

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Vorschläge, das Problem der Begründung eines besonders schweren Falles ohne Bezugnahme auf eine Gesamtbetrachtung aller für die Strafzumessung erheblichen Tatsachen zu lösen, sind vereinzelt geblieben: Samson18 w i l l einen besonders schweren Fall „nur dann trotz Nichterfüllung eines Regelbeispiels" annehmen, „wenn die Beschränkung auf den Wortlaut der Regelbeispiele zu unvernünftigen Differenzierungen führte". Die Begründung eines besonders schweren Falles setze die „Ermittlung der Grundwertung der einzelnen Regelbeispiele" und die Prüfung voraus, ob der Einzelfall, wenn nicht vom Wortlaut, so doch von dessen Grundgedanken betroffen sei 19 . Weiter Wahle 20: „Die Generalklauseln von den besonders schweren Fällen" seien „ t y pisch" auszulegen. „Nur solche Umstände, die typischerweise einen spezifisch höheren Unwertgehalt als das Grunddelikt aufweisen, können einen besonders schweren Fall begründen". Die „Entscheidung des Einzelfalles muß immer . . . eine generalisierbare Entscheidung sein; . . . ein Fall, der sich als vereinzelte Ausnahme einer besonders strafwürdigen Verwirklichung eines Tatbestandes darstellt, (dürfe) nicht als besonders schwerer Fall gewürdigt werden". Und Wessels 21 fordert für die Begründung eines besonders schweren Falles, neben der Feststellung, daß „Unrecht und Schuld rein quantitativ erhöht sind" immerhin noch, „daß die erschwerenden Umstände . . . qualitativ geeignet sein müssen, dem Gesamtbild der Tat ein ihre Eigenart kennzeichnendes Gepräge zu geben". Für diese „Typen erhöhter Strafwürdigkeit" solle „indiziell" sein, daß „sich . . . eine Bezeichnung finden läßt, die ihre Typizität schlagwortartig charakterisiert" 2 2 : z. B. Amts-, Trick- oder Betriebsmitteldiebstahl. Allgemein: Die „Typen" seien „für jeden einzelnen Deliktstyp aus dem Leitbild seiner benannten Erschwerungsgründe zu entwickeln, die nicht notwendigerweise auch für andere Deliktsgruppen zu passen brauchen" 2 3 . eines . . . besonders schweren Falles gelangen zu können" (Zip/, Die Strafzumessung, S. 12) notwendig sei „nicht auf die Abweichung v o n einem w i e auch i m m e r zu bestimmenden Normal- oder Durchschnittsfall abstellt, sondern auf ein beträchtliches Überwiegen . . . der Erschwerungsgründe für die Annahme eines besonders schweren Falles abhebt" (Zip/, Die Strafzumessung, S. 14; vgl. auch ders., JR 1976, S. 26, zu den „minder schweren Fällen"). 18 Samson, in: SK StGB, B T , § 243 Rdn. 31 ff. 19 Samson, i n : SK StGB, BT, §§ 243 Rdn. 34; noch enger Calliess, JZ 1975, S. 117, der einen besonders schweren F a l l nur, aber nicht immer annehmen w i l l , w e n n ein Regelbeispiel v e r w i r k l i c h t wurde; dazu treffend Blei, JA 1975, S. 237. 20 Wahle, G A 1969, S. 170 f.; ders., Diss., S. 80 ff. 21 Wessels, Maurach-Festschrift, S. 300 ff. 22 Wessels, Maurach-Festschrift, S. 303 f. 23 Wessels, Maurach-Festschrift, S. 302; vgl. auch schon die amtliche Begründung zu § 62 E 1962, S. 184.

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d S t r a f r a h m e n w h l

Diese Vorschläge lösen das Problem der Begründung eines besonders schweren Falles ohne Bezugnahme auf eine Gesamtbetrachtung freilich nicht überzeugend. Die Lösung Samsons24 ist zu eng: Sie steht auf der einen Seite i n Widerspruch zu den Grundgedanken der Regelbeispielstechnik. Denn sie führt zu i n der Sache nicht begründeten Privilegierungen, wenn nicht nach dem Sonderstrafrahmen bestraft werden darf, weil der „Grundgedanke" des Regelbeispiels nicht getroffen wurde, der Täter aber unter Umständen handelte, die sein Tun als gleich oder gar belastender erscheinen lassen, als ein Handeln unter, nach dem „Grundgedanken" des jeweiligen Regelbeispiels, als belastend gewerteten Umständen: Gleiche Strafwürdigkeit führt, nach dem Satz, daß jeder Strafrahmenwechsel zu einem Wechsel der relativen Tatschuldschwere führt, zu unterschiedlichen Strafmaßen, je nachdem, ob nach den Zufälligkeiten des Gesetzgebungsverfahrens bei einem Tatbestand Beispiele vorgesehen sind oder nicht. Und Samson vermeidet auf der anderen Seite auch nicht die zu Recht gerügten unbefriedigenden Grenzziehungen strenger Kasuistik, wenn nur gestraft werden soll, wo der „Grundgedanke" eines Beispiels getroffen ist: Es ist nicht plausibel, daß die von kasuistisch gefaßten Qualifikationen gezogenen Grenzen des verschärft Strafbaren unbefriedigender sind, als die durch Ermittlung des „Grundgedankens" des jeweiligen Beispiels gezogenen Grenzen. Die Verlagerung der Grenze entbindet nicht von der Notwendigkeit, eine Grenze zu ziehen; eine Grenze, die dann freilich ebenso unbefriedigend ist, wie die durch kasuistische Regelungen gezogene Grenze. Maiwald 25 schließlich hat recht, wenn er Wessels vorhält, aus der „Aneinanderreihung der Regelbeispiele" zu einem bestimmten Tatbestand erhelle kein „tertium comparationes, das als leitender Gesichtspunkt" die zu den besonders schweren Fällen geforderte „Typenbildung" anleiten könne; und er hat auch recht, wenn er gegen Wessels einwendet, „die laienhaft kriminologischen Bezeichnungen, welche i m vor juristischen Bereich auf gewisse Diebstahlsfälle angewendet werden", könnten nicht notwendige und zugleich hinreichende Bedingung dafür sein, den Sonderstrafrahmen anzuwenden, ohne daß zuvor i n diesen „Typen" gravierende Momente entdeckt wurden 2 6 , die dann freilich unabhängig von der vor juristischen Benennung geeignet seien, einen besonders schweren Fall zu begründen 27 . 24 Die ohnehin n u r für durch Regelbeispiele erläuterte besonders schwere Fälle taugt. 25 Maiwald, Gallas-Festschrift, S. 157. 26 Maiwald, Gallas-Festschrift, S. 156. 27 Aus der Mangelhaftigkeit der Lösungen Samsons, Wahles u n d Wessels darf n u n freilich nicht der Schluß gezogen werden, eine Gesamtbetrachtung aller für die Strafzumessung erheblichen Umstände sei die richtige A l t e r native, die Probleme der Strafzumessung bei den besonders schweren Fällen

I. Der Meinungsstand

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C. Die Strafrahmenwahl bei den minder schweren Fällen W i e schon f ü r d i e besonders schweren F ä l l e w i r d auch b e i d e n m i n d e r schweren F ä l l e n ü b e r w i e g e n d a n g e n o m m e n , die B e s t i m m u n g d e r V o r a u s s e t z u n g e n d e r S t r a f r a h m e n w a h l sei v o n e i n e r „Gesamtschau" a l l e r f ü r die S t r a f z u m e s s u n g e r h e b l i c h e n T a t u m s t ä n d e a b h ä n g i g . Das S t G B u n t e r s c h i e d u r s p r ü n g l i c h besonders leichte F ä l l e , leichte F ä l l e u n d m i n d e r schwere F ä l l e a u f d e r e i n e n u n d „ m i l d e r n d e U m s t ä n d e " a u f d e r a n d e r e n Seite. Z u r A b g r e n z u n g dieser W e r t g r u p p e n n a h m das Reichsgericht 28 noch an, m i t d e n m i n d e r schweren F ä l l e n seien F ä l l e sachlich ( o b j e k t i v ) g e r i n g e r e r B e d e u t u n g g e m e i n t . F ü r die „ m i l d e r n d e n U m s t ä n d e " dagegen sei eine G e s a m t w ü r d i g u n g d e r S t r a f t a t m a ß g e bend. Ä h n l i c h u n t e r s c h i e d später auch d e r BGH: O b e i n F a l l als m i n der schwer z u w e r t e n sei, k ö n n e z w a r n u r aus d e r G e s a m t h e i t d e r ä u ß e r e n u n d i n n e r e n Tatsachen erschlossen w e r d e n ; b e i d e r B e u r t e i l u n g aber „ v o l l s t ä n d i g auszuscheiden h a b e n U m s t ä n d e , die d e r T a t selbst n i c h t i n n e w o h n e n u n d k e i n e n Z u s a m m e n h a n g m i t i h r h a b e n " 2 9 . i n den G r i f f zu bekommen: Eine „Gesamtschau" taugt nicht zur Konkretisierung der Voraussetzungen der Strafrahmenwahl bei den besonders schweren Fällen. — Auch der Schluß Maiwalds, Gallas-Festschrift, S. 159 ff., es handele sich bei der Gesetzestechnik der besonders schweren Fälle u m nichts anderes als u m eine Strafrahmenerweiterung, ist falsch (vgl. 1. T e i l I I I . B.). 28 RGSt. 59, S. 237 ff. (238); eingehend darstellend Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 109 ff. 29 BGHSt. 4, S. 8 ff. (11); vgl. auch B G H N J W 1960, S. 1869. — Z u m Umfang der Gesamtbetrachtung bei den minder schweren Fällen allgemein vgl. noch B G H bei Holtz, M D R 1976, S. 633: Entscheidend sei allein, ob „das gesamte T a t b i l d einschließlich aller subjektiver Momente u n d der Täterpersönlichkeit v o m Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle i n einem Maße abweicht, daß die A n w e n d u n g des Ausnahmestrafrahmens geboten ist"; vgl. auch BGHSt. 26, S. 97 ff., 98 f.; B G H G A 1976, S. 303 f., 304; B G H NStZ 1982, S. 26. — Speziell zum Verhältnis des § 213 StGB zu den Strafmilderungen des Allgemeinen Teils u n d hier besonders zu den V o r schriften der §§ 23 Abs. 2, 21 StGB BGH, Strafverteidiger 1982, S. 69 f., 70: „Bereits das bloße Vorliegen des § 21 StGB (könne) die A n w e n d u n g des § 213 StGB begründen"; vgl. auch BGH, Strafverteidiger 1982, S. 71 (zum Verhältnis der §§ 223 b Abs. 2, 177 Abs. 2 StGB zu den §§ 21, 23 Abs. 2 StGB); vgl. noch BGH, Strafverteidiger 1981, S. 519; BGH, Strafverteidiger 1982, S. 72; Dreher / Tröndle, StGB 4 0 , § 50 Rdn. 2, m . w . N. — Daß bei dieser E n t scheidungspraxis die „minder schweren Fälle" neuen Rechts geradeso k o n turenlos geblieben sind w i e es die „milderen Umstände" alten Rechts waren, verwundert nicht. Was freilich verwundert ist, daß die Rechtsprechung die i n der Strafzumessung gewonnenen Rationalität des Entscheidens bei der Strafrahmenwahl bei den minder schweren Fällen u n d hier besonders bei der Festlegung der Grenze zwischen den minder schweren Fällen auf der einen u n d den allgemeinen Strafmilderungen auf der anderen Seite ansatzweise preisgibt: Der Verdacht liegt nahe, daß die Gerichte i m Überschneidungsbereich der beiden Gruppen v o n Strafmilderungen — ohne Blick auf den anzuwendenden Strafrahmen — eine als „gerecht" empfundene Strafe i m Vorgriff haben, u m erst dann i m Wege einer „Gesamtbetrachtung" den zu dieser Strafe passenden Strafrahmen zu ermitteln. E i n Verfahren, das die Gerichte dazu verleitet, die oft schwierige Eingrenzung der „tatbestandlichen" Voraussetzungen des Milderungsgrundes zu vernachlässigen u n d für

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d S t r a f r a h m e n w h l

Der E 1962, der eine Unterscheidung i n verschiedene Wertgruppen leichter Fälle nicht mehr kannte, fragte für die Begründung eines minder schweren Falles danach, ob „Umstände, die zur Tat gehören oder ihr vorausgehen oder das Verhalten des Täters nach der Tat das Unrecht oder die Schuld wesentlich mindern". I n der Begründung heißt es dazu: Die unterschiedliche Regelung für minder schwere Fälle und besonders schwere Fälle, für die der Entwurf eine wesentliche Steigerung von Unrecht und Schuld vorsah 30 , sei geboten, u m „aus kriminalpolitischen Gründen die Möglichkeiten der Milderung des Strafrahmens beweglicher (zu halten) als die der Strafschärfung; denn nach allen Erfahrungen, welche die Praxis i m Bereich der mildernden Umstände . . . gemacht hat, besteht i n zahlreichen Fällen ein unabweisbares Bedürfnis der Strafmilderung allein aus Schuldgesichtspunkten" 31 . Von „hervorragender Bedeutung" bei der Begriffsbestimmung des minder schweren Falles i n § 63 E 1962 sei auch, daß „sie klarstellt, daß nur solche Umstände für die Anwendung des Strafrahmens herangezogen werden dürfen, die sich auf das Unrecht der Tat oder die Schuld des Täters auswirken. Dadurch werden zahlreiche Milderungsgründe ausgeschlossen, die bei der Strafzumessung innerhalb des anwendbaren Strafrahmens durchaus Berücksichtigung finden können": z.B. die Strafempfindlichkeit des Täters, eine m i t der Tat nicht zusammenhängende Notlage, die Auswirkungen der Strafe auf die Familie des Täters oder auch Verdienste, die sich der Täter i n der Vergangenheit erworben habe 32 . Freilich zeigt sich nun i n neuerer Zeit i n der Rechtsprechung 33 die Neigung, alle bewertungserheblichen Umstände schon bei der Frage zu berücksichtigen, ob ein minder schwerer Fall vorliegt oder nicht; den minder schweren Fall neuen Rechts also den „mildernden Umständen" alten Rechts anzugleichen: „Allerdings waren die Begriffe ,mildernde Umstände* und ,minder schwerer Fair i m bisherigen Recht nicht gleichwertig. Während ein »minder schwerer F a i r nur dann gegeben sein konnte, wenn die Tatumstände selbst die an sich verwerfliche Tat milder und deshalb einen außerordentlichen Strafrahmen angezeigt erscheinen ließen, waren zur Beurteilung, ob ,mildernde Umstände* vorlagen, alle Umstände heranzuziehen, die für die Wertung der Tat und des Täters i n Betracht kamen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst die Strafrahmenwahl u n v e r m i t t e l t auf allgemeine Strafzumessungserwägungen durchzugreifen, obgleich die Gewichtung des i n die Betrachtung einzustellenden Materials ohne vorgängige Kenntnis eines Strafensystems k a u m möglich ist; vgl. dazu noch 1. T e i l I I . B. 3. 80 Vgl. § 62 E 1962. 31 E 1962, Begründung, S. 185. 32 Vgl. E 1962, Begründung, S. 186. 33 Vgl. BGH JR 1976, S. 24.

I. Der Meinungsstand

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innewohnen, und sie begleiten oder ihr vorausgehen oder nachfolgen". Diese Unterscheidung hebt der BGH i n Übereinstimmung m i t dem Sonderausschuß für die Strafrechtsreform M auf: „Der ,minder schwere Fair (übernehme) die Funktion der bisherigen »mildernden Umstände' und des »besonders leichten Falles 4 mit Danach können für die Beurteilung, ob ein minder schwerer Fall i m Sinne des Strafgesetzbuches 1975 vorliegt, alle Umstände, seien sie objektiver oder (seien sie) subjektiver A r t , herangezogen werden, die die Anwendung des normalen gesetzlichen Strafrahmens für den konkreten Fall nicht angebracht erscheinen lassen. Sind »mildernde Umstände 4 nach dem bisherigen Recht gegeben, muß i n der Regel auch ein ,minder schwerer Fall 4 nach dem neuen Recht bejaht werden" 3 5 . A u f derselben Linie liegt es, wenn Z i p / 3 6 vorschlägt, einen minder schweren Fall „nur dann (zu) bejahen, wenn ein beträchtliches Überwiegen der entlastenden Faktoren gegenüber den belastenden Faktoren vorliegt. Die Bewertung einer Tat als minder schwerer Fall setzt . . . eine Gesamtabwägung und Beurteilung aller relevanten Strafzumessungsfaktoren voraus, die i m konkreten Fall ein beträchtliches Überwiegen der Milderungs- gegenüber den Erschwerungsgründen ergibt. Nur durch die Hereinnahme dieses K r i teriums des beträchtlichen Überwiegens der entlastenden Faktoren läßt sich vielleicht ein einigermaßen brauchbarer Damm gegen eine uferlose Anwendung des Begriffs der »minder schweren Fälle* errichten". D. Das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB und die Doppelverwertung „strafrahmenbildender" Umstände

1. Die Ansicht der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre M i t dem Abstellen auf eine „Gesamtschau" aller strafzumessungserheblichen Umstände schon als Voraussetzung der Strafrahmenwahl w i r d aber die Doppelverwertung der für Strafrahmenwahl und Straffestsetzung nach dem gewählten Strafrahmen benötigten Umstände unverzichtbar. Daß ein solches Vorgehen zulässig sei, ist i n der Rspr. unbestritten: Die für die „Wahl des Strafrahmens für die versuchte Tat zulässige Gesamtbeurteilung der Tat und des Täters hindert den Tatrichter . . . nicht, die schon verwerteten Gesichtspunkte bei der Bemessung der Strafe innerhalb des gewählten Strafrahmens nochmals m i t zu berücksichtigen. Hierin liegt keine unzulässige Doppelverwertung" 3 7 . 34 Vgl. BTDrs. 7/1232, S. 12; BTDrs. 7/1261, S. 4; u n d zuvor schon BTDrs. 7/550, S. 2 35 B G H JR 1976, S. 24 m i t A n m . Zip/. 36 Zip/, JR 1976, S. 26; vgl. auch ders., Die Strafzumessung, S. 14. 37 BGHSt. 16, S. 351 ff. (353 f.); BGHSt. 17, S. 266 f. (267).

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d S t r a f r a h m e n w h l

Zu den besonders schweren Fällen nennt es Arzt „unerfreulich, aber unvermeidlich", daß der Richter ein und denselben Umstand erst heranzieht „um den Strafrahmen zu bestimmen und dann nochmals verwertet, u m innerhalb dieses Strafrahmens die Strafe zuzumessen" 38 . Bruns hält diese A r t von Doppelverwertung nicht nur für „unvermeidlich", sondern, für die nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen, die minder schweren Fälle und die besonders schweren Fälle, auch bruchlos mit dem Verbot der Doppelverwertung des § 46 Abs. 3 StGB vereinbar: „Der für das Verbot der Doppelverwertung entscheidende Gesichtspunkt der Arbeitsteilung zwischen Gesetzgeber und Richter kommt hier gar nicht zum Zuge". Der Richter ziehe lediglich „aus (der) Besonderheit des konkreten Sachverhalts, aus einer für diesen Einzelfall typischen Tatsache . . . mehrere Folgerungen hintereinander" 3 9 . Das sei i h m auch nicht verwehrt, da die „strafrahmenbildenden Umstände" „bei der gesetzlichen Normierung noch nicht arbeitsteilig vorweg i n Rechnung gestellt werden (konnten)" 4 0 . Eine Ausnahme w i r d allein für die „Regelbeispiele der besonders schweren Fälle" gemacht, die i m Zusammenhang des Problems der Doppelverwertung wie Tatbestandsmerkmale behandelt werden: „Nimmt das Gericht einen besonders schweren Fall des Diebstahls deshalb an, weil der Täter gewerbsmäßig gehandelt hat . . . , so ist die Gewerbsmäßigkeit als solche . . . kein Strafschärfungsgrund innerhalb des Sonderstrafrahmens" 41 . Für die nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen soll allein der Fall m i t dem Doppelverwertungsverbot kollidieren, i n dem „die bloße Tatsache des Versuchs (des Handelns i m vermeidbaren Verbotsirrtum usw.) unter Absehen von den concreta des einzelnen Falles" als Strafzumessungsgrund verwertet w i r d 4 2 . 2. Die Lehre Drehers Dreher hat die Rspr. zur Strafmilderung beim Versuch (§ 23 Abs. 2 StGB) „unlogisch" genannt: Das Doppelverwertungsverbot gelte über Tatbestandsmerkmale und sonstige, schon bei der Aufstellung des 38

Arzt, JuS 1972, S. 519. Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 377; i m Ergebnis ebenso Koffka, LK9, § 13 Rdn. 91; zu den besonders schweren Fällen BGH VRS 9, S. 352; anders Wahle, Diss., S. 150 ff.; ders., G A 1969, S. 170. 40 Bruns, JR 1980, S. 226. 41 Koffka, in: L K 9 , § 13 Rdn. 92; Dreher / Tröndle, StGB 4 0 , § 46 Rdn. 37; G. Hirsch, in: L K 1 0 , § 46 Rdn. 106. 42 Busch, in: L K 9 , § 44 Rdn. 6; G. Hirsch, in: L K 1 0 , § 46 Rdn. 107; Jescheck, A T 3 , S. 706 f.; Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 447; Rudolphi, in: SK StGB 3 , § 23 Rdn. 4; B G H S t . 16, S. 351 ff. (353); BGHSt. 17, S. 266 f. (267). 39

I. Der Meinungsstand

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Strafrahmens berücksichtigte Umstände hinaus, auch für „parallele strafrechtliche Konstellationen" — als Verbot der „Doppelverwertung strafrahmenbildender Umstände". Das Doppelverwertungsverbot i m engeren Sinne sei zwar Ausfluß des arbeitsteiligen Verhältnisses von Gesetz und Richter. A l l e i n der Umstand aber, daß der Richter die Entscheidung über den anzuwendenden Strafrahmen treffe, ändere nichts an dem „logisch zwingenden Satz", daß Tatumstände, die den (Sonder-)Strafrahmen (mit) konstituierten, bei der Strafzumessung nach diesem Rahmen nicht nochmals verwertet werden dürften: Sie seien an jeder Stelle des Rahmens schon berücksichtigt und wirksam, und damit ungeeignet, die für die konkrete Tat angemessene Strafe mitzubestimmen, oder auch nur bestimmen zu helfen. Sie seien m i t der Strafrahmenwahl „verbraucht", da die die Strafe i m Einzelfall konstituierenden Strafzumessungstatsachen, gerade wie Tatbestandsmerkmale, jede Stelle des Sonderstrafrahmens besetzten, wenn der Richter ihretwegen auch den Sonderstrafrahmen gewählt habe. Anders zu entscheiden bedeute, „daß jede Strafe aus dem Rahmen für jede i n den Rahmen fallende Tat gerecht" wäre — ein Ergebnis, das den „Begriff des Rahmens, der (eine) Differenzierung nach den einzelnen Fällen verlangt, ad absurdum" führe 4 3 . Eine Ausnahme macht Dreher freilich bei den besonders schweren Fällen: Hier soll eine Gesamtbetrachtung „wegen der eigenartigen Struktur der Gruppe" unverzichtbar, und die Doppelverwertung strafrahmenbildender Umstände zulässig sein: „Wollte man darin eine Ausnahme vom Verbot der Doppelverwertung strafrahmenbildender Umstände sehen, so wäre sie m. E. nicht nur geboten, sondern auch gerechtfertigt" 4 4 .

43 Dreher, JZ 1957, S. 155 ff.; ders., JZ 1968, S. 213; ders., JZ 1956, S. 683; dersStGB 37, § 23 Rdn. 3; ebenso Dreher / Tröndle, StGB 4 0 , § 23 Rdn. 3; Eser, in: Schönke / Schröder 21 , § 23 Rdn. 7; Jescheck, A T 3 , S. 422 f.; Zip/, Strafmaßrevision, S. 33 f., der deshalb den „Ausweg" geht, i n den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen, die generelle Anordnung von „Strafrahmenerweiterungen" zu sehen; denn es lasse sich k e i n einziger „echter v e r suchsbezogener" Strafzumessungsgrund zeigen. Vgl. auch Maiwald, GallasFestschrift, S. 159 ff., der bei den besonders schweren Fällen ähnlich, auf Strafrahmenserweiterungen ausweicht: F ü r die Konkretisierung der besonders schweren Fälle könne nicht auf „Tattypen", sondern nur, quantitativ, auf „unspezifische strafschärfende Gesichtspunkte" abgestellt werden; deshalb habe das „Sich-Überschneiden der Strafrahmen keinen Sinn mehr". 44 Dreher, JZ 1957, S. 158; vgl. auch Dreher / Tröndle, StGB 4 0 , § 46 Rdn. 41 ff., 43.

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d S t r a f r a h m e n w h l

II. Zur Kritik einer Gesamtbetrachtung als Voraussetzung der Strafrahmenwahl bei den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB, den besonders schweren Fällen und den minder schweren Fällen A. Das Verbot der Doppelverwertung und die Gesamtbetrachtungslehren

1. Zu den Grundlagen des Doppelverwertungsverbotes des § 46 Abs. 3 StGB a) Das Doppelverwertungsverbot als Ausfluß der „Arbeitsteilung von Gesetz und Richter" Der Einwand Drehers gegen die Zulässigkeit einer Doppelverwertung strafrahmenbildender Umstände bei den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB ist m i t der Replik Bruns 46 noch nicht ausgeräumt. Bruns meint, der „für das Verbot der Doppelverwertung entscheidende Gesichtspunkt der A r beitsteilung von Gesetz und Richter (komme) hier gar nicht zum Zuge": § 46 Abs. 3 StGB verbiete keineswegs jede solche „doppelte Buchführung", sondern nur die Doppel Verwertung von Tatbestandsmerkmalen, weil nur sie „schon der Gesetzgeber berücksichtigt hat, nicht auch die mehrfache Berücksichtigung von Tatsachen, die gerade den Einzelfall determinieren und vom Richter an verschiedenen Stellen der Straffolgenbeurteilung i n die Waagschale der Entscheidung geworfen werden dürfen". Aber auch denen, die meinen, Voraussetzung der Strafrahmenwahl sei eine Gesamtbetrachtung aller für die Strafzumessung erheblichen Umstände des konkreten Falles, ist die Geltung des Doppelverwertungsverbotes i n den Fällen „zweistufiger" Strafzumessung nicht fremd: „ A l l das, was . . . nicht strafschärfend (doppelt) verwertet werden darf, (ist) gerade deshalb auch nicht geeignet, eine nach dem Gesetz bestehende Möglichkeit der Zubilligung mildernder Umstände allgemein (!) auszuschließen" 46 . Oder: Die Strafaussetzung zur Bewährung oder die Annahme eines besonders schweren Falles dürfe nicht allein wegen der „abstrakten Gefährlichkeit oder der generellen Strafwürdigkeit einer bestimmten Straftat verneint bzw. bejaht werden" 4 7 . Und hierher 45

Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 379 Fn. 15. Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 367. 47 Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 368; aus der Rspr. BGH VRS 24, S. 118 (120): Es sei unzulässig, „den inneren G r u n d der Strafbarerklärung der Unfallflucht u n d damit den I n h a l t des tatbestandlichen Unrechtsvorwurfs zur Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung" zu verwerten; BGH N J W 1958, S. 1100: „Gesichtspunkte, die für den Gesetzgeber bereits bei der Festsetzung des gesetzlichen Strafrahmens maßgebend waren, dürfen bei 46

I I . K r i t i k der Gesamtbetrachtung

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gehört auch, daß es — unbestritten — unzulässig ist, bei „zweistufiger" Strafzumessung i n den Fällen des § 49 Abs. 1 StGB die Tatsache der verminderten Schuldfähigkeit ( § 2 1 StGB), der Erfolglosigkeit beim Versuch, des „Verursachens" der Notstandslage (§ 35 StGB) oder der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums (§ 17 StGB) „nochmals" zugunsten des Täters bei der Strafzumessung zu verwerten 4 8 . Bruns meint nun freilich 4 9 , das „Doppelverwertungsverbot" gelte über diesen anerkannten Bereich hinaus schon deshalb nicht für „strafrahmenbildende Umstände", weil der „Gesetzgeber" bei den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen, den besonders schweren Fällen und den minder schweren Fällen, nichts vorentschieden habe. Der Richter entscheide deshalb an Stelle des Gesetzgebers, wende nicht Recht an, sondern schöpfe Recht. Das Argument von Bruns reicht aber nicht hin, die Unanwendbarkeit des Doppelverwertungsverbotes i n diesen Fällen plausibel zu machen: Die Voraussetzungen, nach denen i n diesem Argument Geltungsgrund und Geltungsumfang des § 46 Abs. 3 StGB bestimmt werden, lassen den Schluß auf die Nichtgeltung des Doppelverwertungsverbotes i n diesen Fällen allein nicht zu. Die Bestimmung von Geltungsgrund und Geltungsumfang des Doppelverwertungsverbotes i n dem Argument von Bruns verweist auf die gängige Begründung dieses Verbotes aus dem „arbeitsteiligen Verhältnis von Gesetzgeber und Richter". So meint Maurach 50, das Doppelverwertungsverbot finde seine Begründung darin, daß der Gesetzgeber (mit der Verkoppelung von Tatbeständen und Strafdrohungen) einen Teil der Strafzumessungsarbeit vorweggenommen habe; es sei deshalb verfehlt, wollte der Richter die gesetzliche Abstufung der standartisierten Unrechtssachverhalte nochmals zum Anlaß besonderer Straffolgen nehmen 51 . Und auch für Z i p / 5 2 ergibt sich die „Begründung für der . . . Frage, ob Strafaussetzung zu gewähren sei, nicht herangezogen werden"; RG J W 1938, S. 1878; BGH M D R 1956, S. 397; dagegen sei es nicht rechtsfehlerhaft, den Gedanken der „allgemeinen Abschreckung" bei der Bemessung der Strafe einzusetzen, u n d auch die Annahme des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung darauf zu stützen; vgl. BGH VRS 19, S.426; zustimmend Zip/, Die Strafzumessung, S. 42. 48 Vgl. dazu schon 1. T e i l I . D. 1. 49 Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 375 ff. 50 Maurach, A T 4 , S. 825, 845. 51 Dieser Begründung folgen seit Beling, J W 1924, S. 1721 f.: Jescheck, A T 3 , S. 706; Koffka, i n : L K 9 , § 13 Rdn. 86; Eh. Schmidt, Lehrkommentar StPO, T e i l I I , 1957, § 337 Rdn. 56; Gage / Sarstedt, Die Revision i n Strafsachen 3 , S. 189; Bruns, H. Mayer-Festschrift, S. 353 ff.; ders., Strafzumessungsrecht 2 , S. 363; ders., Leitfaden, S. 109; Dreher, JZ 1957, S. 155; ders., JZ 1968, S. 212 f.; ders., StGB 3 7 , § 46 A n m . 8; Dreher / Tröndle, StGB 4 0 , § 46 Rdn. 37; Seibert, M D R 1952, S. 457; ders., M D R 1959, S. 258 f.; ders., M D R 1966, S. 805, alle m. w . N.; vgl. auch Maiwald, Gallas-Festschrift, S. 148; Schröder, MezgerFestschrift, S. 426; vgl. noch Puppe, Idealkonkurrenz, S. 122 ff. aus der Rspr. 3 Timpe

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1. Teil. G e s a m t b e t r a c t u n g u n d S t r a f r a h m e n w h l

dieses Verbot . . . aus dem arbeitsteiligen Zusammenwirken . . . zwischen Gesetzgeber und Richter"; die Verwertung von Tatbestandsmerkmalen als Strafzumessungsgründen bedeute ein „Ausbrechen des Strafzumessungsrichters aus dem Rahmen des arbeitsteiligen Zusammenwirkens und Übergriff i n das exklusiv dem Gesetzgeber zustehende Gebiet" 5 3 . Diese heute geläufige Bestimmung des Geltungsgrundes und des Geltungsumfanges 54 des Doppelverwertungsverbotes aus dem „arbeitsteiligen Verhältnis von Gesetzgeber und Richter" verweist so auf das aufklärerische Gewaltenteilungsschema und damit auf ein „Modell" der Rechtsanwendung, das — grob vereinfacht — meint, die konkrete Rechtsentscheidung i n einem — streng logisch — schematischen Schlußverfahren aus der generellen Regel ableiten zu können: Der Richter vollziehe, was der Gesetzgeber gewollt habe. „Denn da dieser (der Juristen) ihr Geschäft nicht ist, über Gesetzgebung selbst zu vernünfteln, sondern die gegenwärtigen Gesetze des Rechts zu vollziehen, so muß ihm jede vorhandene gesetzliche Verfassung und, wenn diese höherenorts abgeändert wird, die nun folgende immer die beste sein; wo dann alles so i n seiner gehörigen mechanischen Ordnung ist" 5 5 . I n der systemsoziologischen Neuformulierung dieses „Zwei-EbenenModells": Der Richter finde seine Entscheidungsaufgabe überwiegend konditional programmiert vor. Das Entscheiden i m Rechtssystem beruhe auf einer „Wenn-dann-Struktur". A n bestimmte Tatbestände knüpften vorbezeichnete Folgen an. Der Programmvollzug determiRG J W 1931, S. 1612; RG J W 1937, S. 2399; RG DJZ 1913, S. 411; RG DRiZ 1926, Nr. 108; RG G A 74, S. 67 f.; RG J W 1924, S. 1721 m i t A n m . Beling; BGHSt. 19, S. 113 (116); Vorbehalte gegen das Doppelverwertungsverbot haben angemeldet Jagusch, L M § 44 StGB Nr. 10 u n d Sauer, System des Strafrechts, S. 580, Fn. 44; ders., G A 1957, S. 134 (dazu Spendel, ARSP 40, S. 159; ders., Strafmaß, S. 51), der gegen das Doppelverwertungsverbot freilich nicht mehr klarzustellen versucht, als daß die Tatbestandsmerkmale i n ihrer konkreten Ausgestaltung durchaus als Strafzumessungsgründe verwertbar seien: „Denn die Strafzumessung soll das Unrecht u n d die Schuld, die i n den gesetzlichen Tatbeständen abstrakt geprägt ist, graduell k o n k r e t i sieren". I n der Begründung des Doppelverwertungsverbotes abweichend Brandt, J W 1925, S. 2720: „der Grundsatz: ,ne bis i n idem' gilt auch für die Strafzumessung"; die V e r w e r t u n g eines Tatbestandsmerkmals als Strafzumessungsgrund sei unzulässig, da „dieser Umstand . . . bereits bei der Bejahung der Schuldfrage . . . verwertet (wurde)", u n d deshalb nicht „noch einmal bei der Beurteilung der Straffrage" verwertet werden dürfe (Jung, JR 1931, S. 18; vgl. auch Mattil, BayZRPfl. 1927, S. 134); dazu Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 363. 52 Zipf, Strafmaßrevision, S. 97; ders., Die Strafzumessung, S. 40. 53 Zipf, Strafmaßrevision, S. 100. 64 Dazu noch 1. T e i l I I . A . 1. b. 55 Kant, zitiert nach Ellscheid, in: Kaufmann / Hassemer, Rechtstheorie. S. 23.

K r i t i k der Gesamtbetrachtung

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niere den Handlungsablauf weitgehend 56 . Die Entscheidungsorganisation werde dadurch von der Aufgabe entlastet, für gesellschaftliche Unterstützung für ihre Tätigkeit zu sorgen und sie werde gegen K r i t i k des durch die Entscheidung negativ Betroffenen immunisiert: Der Richter habe die Folgen seines Handelns weder zu kalkulieren noch zu rechtfertigen; denn wollte man den Richter für die situationsbedingten Folgen seiner Entscheidung verantwortlich machen, i h m überdies abverlangen, mögliche Nebenfolgen seines Urteilsspruchs vorauszusehen und zu bewerten oder gar Wirtschaftlichkeitsberechnungen anzustellen, so würden die Funktionen des Konditionalprogrammes verfehlt, erwartbare Ereignisreihen zuverlässig i n Aussicht zu stellen 5 7 . Esser hat Luhmann das Festhalten an der Illusion „arbeitsteiliger" Entscheidungsfindung zwischen Gesetzgeber und Richter vorgehalten 5 8 . Zu der Befürchtung Luhmanns5Ö, richterliche Rechtsfortbildung werde die durch die Ausdifferenzierung des rechtlichen Entscheidungsganges i n Rechtsetzung und Rechtsprechung gewonnene „Reduktion der Komplexität" zunichte machen, merkt Esser 60 an, „Absorption von Komplexität" bedeute „keineswegs die Absorption von typischen für die Regelungsfrage relevanten, aber i m Regelungsmuster nicht aufgeführten Merkmalen"; sie sehe nur von den individuellen Situationsbesonderheiten ab, auf die i m Recht keine Rücksicht genommen werden könne. b) Zu den Möglichkeiten und den Grenzen einer „Arbeitsteilung von Gesetz und Richter" Einer der wenigen Punkte, über die innerhalb der zeitgenössischen Methodendiskussion Einigkeit besteht 61 , ist es demgegenüber, daß Rechtsanwendung nicht Reproduktion, sondern „Produktion von Norminhalten" 6 2 bedeutet. Oder: Daß Gesetzanwendung doch zumindest vom 56

Luhmann, Zweckbegriff, S. 166. Luhmann, Rechtsdogmatik, S. 24 f. u. ö. 58 Esser, Vorverständnis, S. 210. — Nicht ganz zu Recht: Auch Luhmann, Recht u n d A u t o m a t i o n i n der öffentlichen Verwaltung, S. 51 ff. (51, Fn. 3) meint nicht, „die Regeln der juristischen Entscheidungsdarstellung (legten) die Denkgesetze als Gesetze der realpsychischen Vorstellungsfolge i n der Zeit (fest). Sie haben nicht den Sinn, den A b l a u f des Überlegens zu bestimmen, sondern geben n u r Darstellungsregeln für die Präsentation des Resultates". 59 Luhmann, A ö R 94, S. 1 ff. 60 Esser, Vorverständnis, S. 142. 61 Vgl. n u r Wieacker, Gesetz u n d Richterkunst, S. 5 f.; Arthur Kaufmann, Analogie, S. 29; Esser, Grundsatz u n d Norm, S. 253; Zippelius, JZ 1970, S. 241. 62 Esser, Vorverständnis, S. 32; vgl. auch Hassemer, Tatbestand u n d Typus, besonders S. 118 ff., der zu dem Ergebnis gelangt, richterliches Handeln k o n stituiere den Bedeutungsumfang der Gesetzesworte erst i n der Auslegung des Gesetzes am Fall. 57

*

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d S t r a f r a h m e n w h l

„Anwender i n weitem Umfang Wertungen verlangt" 6 3 : „Daß die A n wendung der Gesetzesregel nichts anderes als eine logische Subsumtion unter begrifflich geformte Obersätze sei, kann . . . i m Ernst niemand mehr behaupten" 6 4 . Engisch 65 betont, daß „die Gesetze selbst . . . heute auf allen Rechtsgebieten so gebaut (sind), daß die Richter . . . nicht nur durch Subsumtion unter feste Rechtsbegriffe, deren Gehalt durch Auslegung sicher entfaltet wird, ihre Entscheidung finden und begründen, sondern daß sie aufgerufen sind, selbständig zu werten, mitunter gesetzgebergleich zu entscheiden und zu verfügen". Friedrich Müller 66 vertritt die Ansicht, „eine Jurisprudenz ohne Entscheidung und Wertung wäre weder praktisch noch real". Und KrieZe 67 kommt zu dem Ergebnis, man könne „dem wertenden, normativ-teleologischen, rechtspolitischen Moment, das i n jeder Interpretation steckt, schlechterdings nicht entgehen". Die Diskussion über Geltungsgrund und Geltungsbereich des Doppelverwertungsverbotes freilich wurde von den Konsequenzen der allgemeinen methodischen Erkenntnis, daß auch die „bloße Anwendung" einer Rechtsnorm einen „kreativen A k t " darstellt, weil es eine „lückenlose", „fertige" Rechtsnorm, unter die man nur zu subsumieren braucht, gar nicht gibt 6 8 , daß also Rechtsanwendung mehr ist als bloße Gesetzesexekution: daß sie auch andere Elemente enthält als den Ausspruch dessen, was das Gesetz für den einzelnen Fall angeordnet hat, nicht berührt. Hier gilt seit Beling 69 als „logisch zwingend" (Dreher) der Satz, „daß das Gericht einen Gesichtspunkt, den schon der Gesetzgeber bei der Aufstellung des Strafrahmens berücksichtigt hat, nicht noch einmal als einen die Strafzumessung innerhalb des Strafrahmens nach oben treibenden Gesichtspunkt verwerten darf. Denn ein derartiger Gesichtspunkt beherrscht das Strafminimum, das Maximum und alle dazwischenliegenden Straf großen unterschiedslos i n gleicher Weise". M i t dieser Begründung fand das Doppelverwertungsverbot auch unangefochten Aufnahme i n die Reformentwürfe für das Strafgesetz83

Lorenz, Methodenlehre 3 , S. 150. Lorenz, Methodenlehre 3 , S. 154. 65 Engisch, Einführung i n das juristische Denken 7 , S. 107. 66 F. Müller, Juristische Methodik 2 , S. 134. 67 Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 96. 68 Arthur Kaufmann, i n : Kaufmann / Hassemer, Rechtstheorie, S. 292; zur Entwicklung der Einsicht, daß sich richterliche Rechtsfindung nicht i n Gesetzesexekution u n d logischer Subsumtion erschöpft, die als Reaktion auf die „Begriffsjurisprudenz" begann, vgl. n u r Wieacker, Gesetz u n d Richterkunst, S. 3 ff.; ders., Privatrec±itsgeschichte 2 , S. 558 ff.; Larenz, Methodenlehre 3 , S. 47 ff.; Engisch, Konkretisierung, S. 85 ff.; Esser, Grundsatz u n d Norm, S. 84 ff., 193 ff., 207 ff., 286 ff. 69 Beling, J W 1924, S. 1721. 64

I I . K r i t i k der Gesamtbetrachtung

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b u c h 7 0 u n d schließlich, m i t § 46 A b s . 3 ( = § 13 A b s . 3 a. F.) S t G B , E i n g a n g i n das g e l t e n d e Recht. D i e E i n s i c h t aber, daß die V o r s t e l l u n g eines „ a r b e i t s t e i l i g e n V e r h ä l t nisses v o n Gesetz u n d R i c h t e r " „ I l l u s i o n " s e i 7 1 . O d e r : Daß es z u m i n d e s t eine „ s t r e n g e T r e n n u n g v o n gesetzgebender u n d r i c h t e r l i c h e r F u n k t i o n e n d a h i n , daß l e t z t e r e r n u r d e r A u s s p r u c h dessen z u f ä l l t , was erstere v o r h e r g e n e r e l l f ü r a l l e F ä l l e a n g e o r d n e t h a t " , n i c h t g i b t 7 2 , schließt aus, das D o p p e l v e r w e r t u n g s v e r b o t n a c h G e l t u n g s g r u n d u n d G e l t u n g s u m f a n g als F u n k t i o n eines „ M o d e l l e s " d e r R e c h t s a n w e n d u n g z u b e g r ü n d e n , das d i e Gesetze als A r s e n a l f e r t i g e r E n t s c h e i d u n g e n b e g r e i f t , die der Richter n u r f ü r den zur Entscheidung anstehenden F a l l zu f i n d e n u n d auszusprechen habe. E i n V e r s t ä n d n i s r i c h t e r l i c h e n E n t s c h e i d u n g s h a n d e l n s , das die F a l l e n t s c h e i d u n g als schlichtes I m p l i k a t des Gesetzeswortlautes b e g r e i f t , ist m i t d e r zeitgenössischen M e t h o d e n l e h r e n i c h t m e h r v e r e i n b a r . D e r R i c h t e r i s t m e h r als d e r „ M u n d des Gesetzes" (Montesquieu) 73; er geht m i t d e m Gesetz i m m e r auch „schöpferisch" um. 70

Vgl. E 1962, Begründung, S. 181; u n d zuvor schon E 1958; E 1960. Vgl. Esser, Vorverständnis, S. 157: „Es gibt fast keine Rechtsfrage, die nicht zugleich eine Zweckentscheidung wäre"; Rechtsanwendung sei n u r scheinbar e i n einziger A k t der Subsumtion: „Die entscheidenden Faktoren liegen i n zwei diesem Schluß vorangehenden Urteilen, nämlich über das Ob u n d Wie der Regelungsbedürftigkeit des zu entscheidenden K o n f l i k t s u n d über das »Passen' einer Norm, d . h . über deren optimale Eignung, dem erkannten Bedürfnis gerecht zu werden", Esser, Vorverständnis, S. 28. 72 Schreiber, Gesetz u n d Richter, S. 228. 73 Der Richter muß schon deshalb mehr sein als „la bouche qui prononce les paroles de la l o i " , w e i l die Effizienzbedingungen, unter denen Rechtsanwendung als Gesetzesexekution möglich ist, auf Voraussetzungen angewiesen sind, die das positive Recht nicht komplett herstellen kann: Das anzuwendende Recht muß nicht n u r allgemein u n d abstrakt, es muß auch bestimmt, d. h. eindeutig formuliert sein. Die unbestimmte N o r m erfordert eine konkretisierende Interpretation m i t der Folge, daß der Richter der „WennKomponente" seines Obersatzes einen bestimmten I n h a l t zuschreibt, d. h. sie erst herstellt. Unbestimmt sind i m geltenden Recht aber nicht n u r die „ n o r mativen", „wertausfüllungsbedürftigen" Tatbestandsmerkmale: Die „guten Sitten" i n § 226 a StGB, „verwerflich" i n § 240 Abs. 2 StGB u n d § 253 Abs. 2 StGB, „wichtige öffentliche Interessen" i n § 353 b StGB, oder Tatbestandsmerkmale w i e „rücksichtslos" i n § 315 c StGB, die „niedrigen Beweggründe" des § 211 StGB usw. (vgl. dazu Lenckner, JuS 1968, S. 249). Auch die sog. „deskriptiven" Tatbestandsmerkmale besitzen keine restlose logische E i n deutigkeit, so daß unter sie ohne Schwierigkeiten i n einer einfachen logischen Operation subsumiert werden könnte: Denn „die Gesetze (sind) nicht . . . i n einer Kunstsprache, sondern i n der gemeinsamen Sprache, die innerhalb eines Sprachraumes »Jedermann* versteht, abgefaßt . . . , eben damit möglichst jeder sich nach ihnen richten, aus ihnen unterrichten k a n n " (Lorenz, Methodenlehre 2 , S. 301, 320 f.; vgl. auch Hassemer, Tatbestand u n d Typus, S. 84 ff.; Zippelius, JZ 1970, S. 241 f.). Wenn aber schon ein System bestimmter Rechtssätze nicht existiert, setzt Rechtsanwendung als Subsumtion doch zumindest eine verbindliche Interpretationsanleitung voraus, die dem Richter erlaubt, seinerseits die „Lücken" zu schließen. Eine exakte Interpretations71

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d S t r a f r a h m e n w h l

D i e h e r k ö m m l i c h e B e g r ü n d u n g des D o p p e l v e r w e r t u n g s v e r b o t e s aus d e m G e d a n k e n d e r „ A r b e i t s t e i l u n g v o n Gesetz u n d R i c h t e r " ist d a m i t verlassen: Diese B e g r ü n d u n g k a n n die M o d e l l v o r s t e l l u n g e n n i c h t e i n lösen, die das D o p p e l v e r w e r t u n g s v e r b o t als „ l o g i s c h z w i n g e n d e " K o n sequenz p l a u s i b e l m a c h e n sollten. D i e „ A n w e n d u n g " auch eines s t r a f r e c h t l i c h e n Rechtssatzes — u n d das z u m i n d e s t ist h e u t e , unbeschadet aller tiefgreifenden Differenzen über Möglichkeit u n d Maß einer B i n d u n g r i c h t e r l i c h e n H a n d e l n s a n a l l g e m e i n e gesetzliche N o r m e n , gesic h e r t 7 4 — k a n n i n seiner B e d e u t u n g u n d R i c h t i g k e i t n i c h t als e i n ausschließlich oder auch n u r ü b e r w i e g e n d „logisches V e r f a h r e n " b e g r i f f e n w e r d e n 7 5 . Das a u f k l ä r e r i s c h e G e w a l t e n t e i l u n g s s c h e m a , aus d e m das D o p p e l v e r w e r t u n g s v e r b o t i n g ä n g i g e r B e g r ü n d u n g seinen m a t e r i e l l e n G e h a l t bezieht, ist eine „ F i k t i o n " (C. Schmitt); es ist „ i n W i r k l i c h k e i t n i c h t m e h r . . . als e i n . . . u n e r f ü l l b a r e s P r o g r a m m " 7 6 . E i n e n q u a l i t a t i v e n U n t e r s c h i e d v o n R e c h t s a n w e n d u n g u n d Rechtssetzung, d e r das D o p p e l v e r w e r t u n g s v e r b o t z u f u n d i e r e n v e r m a g , g i b t es n i c h t ; Rechtsetzung u n d R e c h t s a n w e n d u n g k ö n n e n f u n k t i o n e l l n i c h t s t r e n g getrennt werden77. anweisung, als letzter Garant dafür, daß der Richter das Recht nicht „erfindet", sondern „findet", gibt es aber nicht: Es ist bisher nicht gelungen, für die canones der Auslegung strikte K r i t e r i e n ihrer Rangfolge anzugeben, die erst erlauben würden, ein Ergebnis sicher zu begründen (dazu Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 85 ff.; Esser, Vorverständnis, S. 124 ff.; vgl. auch Neumann, Der „mögliche Wortsinn" als Auslegungsgrenze i n der Rechtsprechung der Strafsenate des BGH, i n : Neumann / Rahlf / v. Savigny, Dogmatik, S. 42 ff.). — A u f die Unbestimmtheit der canones als weiteren Mangel weist Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 86, h i n ; Friedrich Müller bezweifelt angesichts der Unbestimmtheit der canones, ob es sich bei ihnen überhaupt u m Regeln handelt; er meint, sie seien „abkürzende Bezeichnungen für bestimmte Untersuchungsrichtungen" (F. Müller, Juristische Methodik 2 , S. 167); Rottleuthner schließlich faßt sie als Anweisungen, „nach Relevanzgesichtsp u n k t e n zu fragen" auf (Richterliches Handeln, S. 30). 74 Dazu Engisch, Logische Studien 8 , S. 14 ff.; Schreiber, Gesetz u n d Richter, S. 223: Rechtsanwendung „ist weder s t r i k t logische Deduktion noch freie Dezision". 75 E i n Beleg dafür, daß das kodifizierte Recht den Richterspruch jedenfalls faktisch nicht determinieren kann, liefert die Erfahrung, daß sich die Rechtsprechung inhaltlich grundlegend ändern kann, ohne daß das jeweils einschlägige Gesetz geändert wurde; vgl. n u r Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung. Z u m Wandel der Privatrechtsordnung i m Nationalsozialismus, 1968; vgl. dazu noch Esser, Vorverständnis, S. 51, der meint, „die Verbindlichkeit der Tatbestandskriterien (sei) ebenso w i e die Relevanz der Sachverhaltsmerkmale ganz i n der H a n d des Rechtsanwenders"; „die Richtigkeit der Subsumtion hängt v o n der Richtigkeit der Obersatzbildung u n d der Sachverhalt swürdigung ab, u n d keines der beiden Urteile k a n n v o m Gesetzgeber vorfabriziert u n d zur Verfütterung an eine Datenverarbeitungsmaschine angeboten werden" (Esser, Vorverständnis, S. 60). 76 Bockelmann, Smend-Festschrift, S. 23. 77 Vgl. dazu n u r Wieacker, Gesetz u n d Richterkunst, S. 6 ff.; Esser, V o r verständnis, S. 45 ff.; Arthur Kaufmann, E. Wolff-Festschrift, S. 383 ff.

I I . K r i t i k der Gesamtbetrachtung

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Freilich bleibt die generelle Regel die Bedingung, unter der der Richter seine Entscheidung fällen und darstellen, begründen und rechtfertigen muß. Hier erlaubt der rechtspositivistische Argumentationsstil i n seiner spezifischen Begrifflichkeit und seinen juristischen Argumentationsstrategien dem Richter aber, die — wie immer hergestellte — Entscheidung als Deduktion eines eindeutigen Ergebnisses aus dem Gesetz darzustellen 78 : Der Richter „kann so tun" als „vollziehe" er, was der Gesetzgeber „gewollt" hat. Er braucht für die Begründung der Entscheidung, sofern sie sich i m „Vertretbarkeitsspielraum" hält, die nicht gesetzlich abgedeckten Entscheidungsgründe nicht als von i h m zu verantwortende offenzulegen. A l l e i n schon durch die Bereitstellung von Begründungsstrategien und die i n der juristischen Dogmatik eröffnete Möglichkeit, die Entscheidung als rational-logische Operation darzustellen, für deren Ergebnis „außerrechtliche" Faktoren als möglicherweise für die Entscheidungsfindung relevante Faktoren außer Betracht bleiben können, erlaubt die symbolisch-expressive Distanzierung der richterlichen Rechts(er-)findung von den expliziten politischen Voraussetzungen der Rechtssetzung und damit: Folgenentlastung und Abschirmung vor K r i t i k für den Richter durch die dargestellte (Schein-)Neutralität der Rechtsgewinnung —; vielleicht ein Grund, der die Persistenz des Gedankens vom „arbeitsteiligen Zusammenwirken von Gesetzgeber und Richter" trotz aller Angriffe seit der „Freirechtsbewegung" erklärt. Und hier, i n der Möglichkeit der Darstellung der Entscheidung als Deduktion aus dem Gesetz, und nicht i n einer qualitativ prinzipiell unterschiedlichen Struktur der Entscheidungsfindung, liegt der Unterschied zwischen den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen, den besonders schweren Fällen und den minder schweren Fällen, für die das Doppelverwertungsverbot nach einer verbreiteten 78 Vgl. dazu v o n der radikal-voluntaristischen Position der „Freirechtslehre" her Isay, Rechtsnorm u n d Entscheidung, 1929, S. 344, der meint, die richterliche Entscheidimg gründe i n der Mehrzahl der Fälle auf „ k o n s t r u k t i v e r Geschicklichkeit" m i t nachfolgender gefühlsmäßiger Wertung; oder auf I n t u i t i o n , wobei das Rechtsgefühl oder die praktische V e r n u n f t oder auch eine Verbindung v o n beiden w i r k s a m würden: Die p r i m ä r so entstandene Entscheidung werde erst i m Nachvollzug anhand v o n Rechtsnormen k o n t r o l l i e r t u n d sozusagen ganz am Ende m i t Hilfe der Rechtsnorm begründet, was i n Wahrheit bedeute, daß rechtliche Ergebnisse n u r scheinbar aus Rechtsnormen abgeleitet würden. Der Gedanke findet sich heute unter anderem wieder bei Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung 1 ; S. 312, Leitsatz 11 (: Die Legitimierung der i n vernunftrechtlicher Argumentation gefundenen Entscheidung erfolge erst sekundär an gesetzlichen Regelungen); Esser, Wertung, K o n s t r u k t i o n u n d Argument i m Z i v i l u r t e i l , S. 15 ff.; Dubischar, Grundbegriffe, S. 94, betont die Notwendigkeit, „daß eine jede Entscheidung als v o n einer generellen N o r m ableitbar gedacht werden k a n n . . . : dies sichert ihre Allgemeingültigkeit u n d ist die wirksamste K o n t r o l l e gegen die , W i l l k ü r von Einfällen" 4 .

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d S t r a f r a h m e n w h l

Ansicht nicht gelten soll auf der einen, und der Entscheidungsfindung bei den Tatbestandsmerkmalen, für die es unbestritten gilt auf der anderen Seite: Die von der Methodenlehre bereitgestellten Argumentationsstrategien taugen nicht, die Entscheidung als von „außerrechtlichen" Elementen freie logisch-rationale Operation zu begründen. Der Richter ist aufgerufen, die außerrechtlichen, rechtspolitischen Entscheidungsgründe als von i h m zu verantwortende offenzulegen. Denn „die Richtigkeit . . . der konkreten Rechtsfolgenanordnung ist nur m i t Argumentation zu zeigen und nicht m i t Subsumtion" 7 9 ; „das StGB gibt dem Strafrichter kein Argument an die Hand, welches das Verfahren zur Feststellung solcher Fälle (der besonders schweren Fälle und der minder schweren Fälle) leiten, begrenzen und verifizieren könnte" 8 0 . Die Unbestimmtheit der Voraussetzungen der Strafrahmenwahl i n diesen Fällen beinhaltet nun keinen Freibrief für die Rechtspolitik eines jeden Richters: Hier treten vielmehr bewährte Rechtsprechung und Lehre 8 1 als Sammelbecken entscheidungssteuernder, konsentierter Maximen i n ihr Recht, die dem Richter Argumentationshilfen liefern, durch die sich die Konsistenz des Entscheidens und damit eine wenigstens immanente Folgerichtigkiet der Entscheidungen wahren läßt. Eine Aufgabe, der sich die höchstrichterliche Rechtsprechung für die nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen, die besonders schweren Fälle und die minder schweren Fälle freilich bisher versagt, wenn sie das Doppelverwertungsverbot für unanwendbar erklärt und dem Richter erlaubt, die Entscheidung über die Strafrahmenwahl von einer „Gesamtbetrachtung aller Umstände der Tat" abhängig zu machen 82 . Denn sie ermöglicht dadurch dem Richter, die gesetzlich nicht abgedeckten Gründe seiner Entscheidung unter Verzicht auf generalisierungsfähige Aussagen i n der „intensiven Unendlichkeit" des Einzelfalles zu verstecken. Ein Vorgehen aber, das es dem Rechtsanwender gestattet, seine Entscheidung der unmittelbaren Dezision aus der A n schauung des Einzelfalles zu entnehmen, ist unzulässig. Es erlaubt dem Richter, seine Wertentscheidungen m i t dem Hinweis, es seien Einzelfallentscheidungen, vor Generalisierungen zu schützen und läßt so zu, daß er sie nahezu beliebig wechselt.

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Hassemer, Radbruch-Gedächtnisschrift, S. 285. Hassemer, Radbruch-Gedächtnisschrift, S. 290, Fn. 12. 81 Zunehmend bei der Strafzumessung i m engeren Sinn; vgl. n u r die A r b e i t e n v o n Spendel, Dreher, Bruns, Zipf, Henkel, Frisch, Stratenwerth u n d Haag u n d die dort nachgewiesene Rechtsprechung. 82 Vgl. dazu 1. T e i l I . A . 80

I I . K r i t i k der Gesamtbetrachtung

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c) Folgerungen für Geltungsgrund und Geltungsumfang des Doppelverwertungsverbots Bruns BZ hat gegen die Geltung des Doppelverwertungsverbotes für die nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen, die besonders schweren Fälle und die minder schweren Fälle vorgebracht, das Doppelverwertungsverbot gelte hier nicht, weil der Gesetzgeber i n diesen Fällen nichts vorab entschieden habe, der Richter deshalb anstelle des Gesetzgebers entscheide, nicht Recht anwende, sondern Recht schöpfe (: „Sie (die Strafzumessung) stellt nämlich . . . einen schöpferisch gestalteten Denkprozeß dar, der etwas Neues hervorbringt und damit i n einen gewissen Gegensatz t r i t t zum geistigen Nachvollziehen einer fremden Gedankenoperation, nämlich des Gesetzes") 84 . Dies ist freilich kein Argument gegen die Geltung des Doppelverwertungsverbotes i n diesen Fällen; es ist ein Argument gegen die Geltung des Doppelverwertungsverbotes überhaupt. Denn ist Geltungsgrund des Doppelverwertungsverbotes die strenge Trennung der gesetzgeberischen von der richterlichen Entscheidungsebene und damit eine Konzeption der Rechtsfindung, die meint, die richterliche Entscheidung könne, jedenfalls i m Regelfall, i n einem streng logisch-schematischen Verfahren aus dem Gesetz deduziert werden 8 5 — und soll auch der Geltungsumfang des Doppelverwertungsverbotes nach diesem „Modell" der Rechtsanwendung bestimmt werden —, dann hat das Doppelverwertungsverbot keinen Geltungsbereich mehr: Richterliche Entscheidungsfindung ist allenfalls i n Grenzfällen von richterlicher Wertung freie Gesetzesexekution. I m Regelfall ist richterliche Entscheidungsfindung aber von „volitiven", auf einer „Bewertungswahl" 8 6 beruhenden Elementen mitbestimmt. Es ist falsch, entgegen den Erkenntnissen von der Vagheit und Porosität von Gesetzesbegriffen oder vom je differenten richterlichen Vorverständnis 8 7 , darauf zu beharren, Rechtsgewinnung gründe i n einem „arbeitsteiligen Verfahren", i n dem der Richter nur vollziehe, was der Gesetzgeber angeordnet habe. Gesetzesvollzug und Rechtsschöpfung sind i n der richterlichen Entscheidungsfindung un83

Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 379 Fn. 15, u. ö. Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 650. 85 U n d die Dogmatik darauf beschränkt, möglichst exakte Ableitungsregeln auszuarbeiten u n d f ü r den Fall, daß der zu entscheidende Sachverhalt einen „Begriffshof" t r i f f t , Argumentationshilfen zu geben: Gesetzesworte gäben nicht i m m e r eindeutige Anweisungen; sie seien „porös" oder „vage"; „Grenze der Auslegung" sei aber der W o r t l a u t des Gesetzesbegriffs oder die „natürliche Wortbedeutung"; es sei zwischen einem — eindeutigen — „Begriffskern" u n d einem — vagen, auslegungsbedürftigen — „Begriffshof" zu unterscheiden. Jedenfalls bei ersterem könne m a n auf die determinierende Potenz der K o d i f i k a t i o n bauen (Baumann, M D R 1958, S. 394 ff.). 86 Wieacker, Gesetz u n d Richterkunst, S. 6. 87 Dazu Arthur Kaufmann, Gallas-Festschrift, S. 7 ff. 84

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d S t r a f r a h m e n w h l

unterscheidbar komplex: was Norminhalt ist, liegt stets auch am Interpreten. Wenn aber die richterliche Entscheidungsfindung stets auch von „volitiven" Elementen mitbestimmte Rechtsschöpfung ist, kann die herkömmliche Begründung des Doppelverwertungsverbotes aus der „Arbeitsteilung von Gesetz und Richter" nicht mehr plausibel machen, wieso der i n der Struktur der Entscheidungsfindung einheitliche Bereich der Rechtsanwendung durch qualitative Schnitte i n einen Bereich zu zerlegen ist, für den das Doppelverwertungsverbot gilt: für die Tatbestandsmerkmale i m „weitesten Sinn" 8 8 , und einen, für den es nicht gilt: für die nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen, die besonders schweren Fälle und die minder schweren Fälle. Aus dem Gedanken der „Arbeitsteilung von Gesetz und Richter" jedenfalls ist kaum zu begründen, daß das Doppelverwertungsverbot auf die „normativen" , „wertausfüllungsbedürftigen" Tatbestandsmerkmale unbestritten Anwendung findet, obgleich hier der Gesetzgeber geradesowenig „vorentschieden" hat, wie bei den besonders schweren Fällen oder den minder schweren Fällen 8 9 . Und mit dem Ansatz ist noch nicht erklärt, daß das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB auch für „sämtliche Erwägungen" gelten soll, die „den Gesetzgeber bereits bei der Normierung eines bestimmten Tatbestandes geleitet haben" 9 0 , „namentlich" für solche Umstände, die der Strafvorschrift „unausgesprochen" zugrunde liegen 9 1 : für die „regelmäßigen Begleitumstände" der Tat, die „allgemeine Strafwürdigkeit", den „kriminalpolitischen Grundgedanken", den Zweck der Strafvorschrift oder der Bestrafung, nicht aber für die kraft gesetzlicher Anordnung zugelassenen Strafrahmenmilderungen des § 49 Abs. 1 StGB, die besonders schweren Fälle und die minder schweren Fälle: Die genannten Erweiterungen des Doppelverwertungsverbotes 92 sind aus dem „arbeitsteiligen Verhältnis von Gesetz und Richter" nicht zu erklären. Der Richter kommt i n einer Vielzahl von Fällen nicht umhin, den „vernünftigen", „zweckmäßigen", „gegenwartsnahen" Sinngehalt der Gesetzesvorschrift erst herzustellen. Schon die Zeit bewirkt eine „natürliche Alterung" der 88

Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 364. Vgl. n u r BGHSt. 2, S. 196 zu § 240 Abs. 2 StGB: „ H i e r fällt . . . dem Richter die Aufgabe zu, an Stelle des Gesetzgebers durch unmittelbare W e r t u n g zu entscheiden, ob die . . . Nötigung i m Einzelfall rechtswidrig ist oder nicht." 90 Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 366. 91 Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 366; ebenso Zipf, Strafmaßrevision, S. 98 ff.; ders., Die Strafzumessung, S. 41; Jagusch, Praxis der Strafzumes21 sung, S. 103; Stree, i n : Schönke / Schröder , § 46 Rdn. 46; Horn, in: SK StGB 3 , § 46 Rdn. 84; Koffka, i n : L K 9 , § 13 Rdn. 86. 92 Vgl. dazu 1. T e i l I I . A . 2. aa. 89

I I . K r i t i k der Gesamtbetrachtung

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„Gesetzbücher" 98 . Der Richter w i r d m i t jedem Tag weiter von den ursprünglichen Bewertungen entfernt, die der Kodifikation zugrunde lagen. Es kann zu Umbrüchen i m Wertbewußtsein der Allgemeinheit kommen, die gesetzliche Wertungen als inakzeptabel erscheinen lassen 94 , oder einer eindeutigen Entscheidung über den Sinngehalt einer Vorschrift stehen Wertungswidersprüche i m Gesetzessystem entgegen, die i m Hinblick auf den Umfang der Gesetzesproduktion, aber auch i m Hinblick auf die unterschiedlichen Entstehungszeitpunkte kaum zu vermeiden sind etc. Was „hier und heute" der „kriminalpolitische Grundgedanke" einer Vorschrift ist, kann der Richter kaum je der gesetzgeberischen (Vor-)Entscheidung entnehmen. Dem Richter bleibt auch bei der Bestimmung des Gesetzeszweckes ein weiter Gestaltungsspielraum gegenüber dem Gesetz und die sog. „objektive Auslegungstheorie" hat es dem Richter geradezu zur Pflicht gemacht, diesen Spielraum auch zu nutzen: „Nicht entscheidend ist . . . die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt für deren Auslegung nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen (dem „objektivierten" Willen des Gesetzgebers) ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden" können 9 5 . Oder: „Das Gesetz geht, sobald es i n die Erscheinung getreten ist, i n ein soziales Kräftefeld ein, dem es von nun ab . . . seine inhaltliche Weiterbildung entnimmt" 9 6 . Obliegt es aber nicht selten dem Richter, den Sinngehalt einer Vorschrift erst festzulegen, fehlt es schon an einer „Arbeitsteilung von Gesetz und Richter". Dem Richter kann dann aber mangels einer „ A r beitsteilung" nicht stets verboten sein, wegen eines Verstoßes gegen das „arbeitsteilige Verhältnis von Gesetz und Richter" den ermittelten Sinngehalt, den „kriminalpolitischen Grundgedanken" der Vorschrift etc., bei der Strafzumessung einzusetzen: Der Grund des Verbotes der Doppelverwertung i n diesen Fällen ist dem Ansatz der Begründung bei der „Arbeitsteilung von Gesetz und Richter" nicht zu entnehmen. 93

Wieacker, Gesetz u n d Richterkunst, S. 4. Vgl. n u r Dreher, Gerechte Strafe, S. 71 f., zu der v o n i h m sog. „Revolution" der Rechtsprechimg gegen die „überalterten" Strafdrohungen des StGB, die dazu geführt habe, daß die Strafdrohungen des positiven Rechts i n weitem Umfang v o n den Gerichten durch eigene, richterliche, den gegenwärtigen Wertvorstellungen angepaßte „richterliche Strafrahmen" ersetzt wurden; vgl. dazu auch Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 72 f.; Haag, Rationale Strafzumessung, S. 77 f.; Seebald, G A 1975, S. 234; ders., G A 1974, S. 198 ff. 95 BVerfGE 1, S. 298 ff. (312). 9 « Mezger, ZStW 59, S. 573, Fn. 36. 94

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d S t r a f r a h m e n w h l

Und der Versuch, die Erweiterung des Doppelverwertungsverbotes auf die „regelmäßigen Begleitumstände" der Tat 9 7 aus der „Arbeitsteilung von Gesetz und Richter" zu erklären, heißt die Möglichkeiten des „Gesetzgebers" weit zu überschätzen: Denn vermag der Gesetzgeber schon bei der Tatbestandsbildung „nicht i n die Zukunft zu sehen" und „jedes Verbrechen i n seinen unendlich mannichfaltigen, eben darum von keinem endlichen Verstände vollständig zu erschöpfenden, möglichen Verschiedenheiten . . . verfolgen" 9 8 , wie soll er dann erst die „regelmäßigen Begleitumstände" voraussehen und schon bei der Bildung der Strafrahmen berücksichtigen können? 2. Die eigene Lösung: das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB als generalisierender Anwendungsfall der materiell-rechtlichen Pflicht zur Begründung der S trafzumessungsentscheidung Auch auf dem Hintergrund der Einsichten der zeitgenössischen Methodenlehre über Grenzen und Möglichkeiten einer „Arbeitsteilung von Gesetz und Richter" bleibt das „Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen" des § 46 Abs. 3 StGB mehr als ein, aus dem „Darstellungszusammenhang" der Entscheidungsfindung deduziertes, bloßes „Formalprinzip": Es ist, seinem materiellen Gehalt nach, zwar nicht als „logische Konsequenz" des aufklärerischen Gewaltenteilungsschemas zu erklären, wohl aber als Gebot zur Begründung der Strafzumessungsentscheidung des Richters. Als Gebot zu einer überprüfbaren Begründung dieser Entscheidung von auch prozessualer Bedeutung i n gewisser Nähe zu § 267 Abs. 3 StPO, i n erster Linie aber als generalisierender Anwendungsfall der materiell-rechtlichen Pflicht zur Begründung der Strafzumessungsentscheidung. a) Prozessualer Begründungszwang (§ 267 Abs. 3 StPO) und materiell-rechtliche Begründungspflicht der Strafzumessungsentscheidung § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO schreibt vor, die Urteilsgründe „müssen . . . die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind". Prozessual sind die „wahren" 9 9 Strafzumessungsgründe 97

Vgl. dazu 1. T e i l I I . A . 3., m i t Fn. 188. Feuerbach, Revision, S. 116. 99 Dazu Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 124; vgl. auch Eb. Schmidt, Lehrkommentar StPO, § 267 Erl. 1; Wimmer D A R 1953, S. 149; ders., DRiZ 1950, S. 271 (: („§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) stellt auf die,Wahrheit 4 der Urteilsgründe ab, nicht auf ihre materielle-rechtliche »Richtigkeit 4 oder Vollständigkeit. I h r ist genügt, w e n n die Umstände, die tatsächlich für die Strafzumessung bestimmend »gewesen4 sind, i n den Urteilsgründen aufgeführt werden; 98

I I . K r i t i k der Gesamtbetrachtung

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anzugeben. Die Umstände also, die für die Strafzumessung „bestimmend" waren, u m die „Nachprüfung (der Strafzumessungsentscheidung) durch das Revisionsgericht rein technisch (zu erleichtern, und) damit oft sachlich erst (zu ermöglichen)" 100 . § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO stellt nur die „Wahrheit" der Strafzumessungsgründe sicher. „Die A n gabe hinreichender, d.h. eine Überprüfung ermöglichender Strafzumessungsgründe" 101 , liegt außerhalb der Funktion des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO. Insoweit bedarf der „prozessuale Begründungszwang" der Ergänzung durch eine „materiell-rechtliche Begründungspflicht" 1 0 2 . Einer Pflicht, die ebenfalls die Prüfung der Strafzumessungsentscheidung daraufhin ermöglichen soll, „ob dem Vorderrichter sachlich-rechtliche Fehler bei der Ermessensausübung unterlaufen sind", die aber i n eine andere Richtung weist: „Da die Betätigung des richterlichen Ermessens Rechtsanwendung ist, muß das Urteil so abgefaßt werden, daß das Revisionsgericht i n die Lage versetzt wird, zu erkennen, ob der Tatrichter diese seine Aufgabe richtig gesehen und sie i m Sinne des Gesetzes gelöst hat. . . . Jede Entscheidung muß so begründet werden, daß sie dem Revisionsgericht die vollständige Nachprüfung i n sachlichrechtlicher Beziehung ermöglicht. Wenn also das Urteil mangels »hinreichender* (!) Strafzumessungsgründe nicht mehr zuverlässig auf seine materiell-rechtliche Richtigkeit h i n nachgeprüft werden kann, so muß es — gerade auch i m Strafzumessungsteil — schon auf die allgemeine Sachrüge h i n aufgehoben werden, weil nicht ausgeschlossen ist, daß es auf einem sachlich-rechtlichen Mangel b e r u h t " 1 0 3 . b) Folgerungen für Geltungsgrund und Geltungsumfang des Doppelverwertungsverbots aa) Das Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen Die Pflicht zu einer, durch das Revisionsgericht nachprüfbaren Begründung der Strafzumessungsentscheidung läuft aber leer, wenn es dem Richter gestattet ist, seine Entscheidung i m Strafmaß m i t Argumenten zu belegen, die für alle, einem bestimmten Tatbestand subsumierbaren Taten i n gleicher Weise gelten. M i t Argumenten also, die ob sie sachlich-rechtlich richtig oder falsch, erschöpfend oder lückenhaft sind, spielt für § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO gerade keine Rolle"); Geier, in: L R 2 1 , § 267 Rdn. 7; Gollwitzer, i n : L R 2 3 , § 267 Rdn. 68; vgl. auch BGH VRS 18, S. 423; BGHSt. 24, S. 268. 100 Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 123. 101 Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 130. 102 Dazu Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 128 ff. m. w. N. 103 Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 129; vgl. auch Warda, Ermessen, S. 187 ff.; Zip/, Die Strafzumessung, S. 79; BGH bei Daliinger, M D R 1970, S. 559.

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1. Teil. G e s a m t b e t r a c h t u g u n d S t r a f r a h m e n w h l

den Stellenwert dieser konkreten Tat nicht zu begründen vermögen: Eine Begründung eben durch die Wiederholung der Tatbestandsmerkmale. Beispielhaft: So ist eine Begründung der Strafzumessungsentscheidung nicht „hinreichend", die das ausgeworfene Strafmaß damit begründet, der Täter habe — bei den Tötungsdelikten — den Tod eines Menschen verursacht 1 0 4 ; fehlerhaft ist es auch, wenn die Beweisgefährdung beim Meineid 1 0 5 , die Beweisverkehrsgefährdung bei der Urkundenfälschung 106 , die Beamteneigenschaft bei den Amtsdelikten 1 0 7 , die Verpflichtung eines Rechtsanwaltes als Organ der Rechtspflege zur Wahrheitsfindung beizutragen beim Parteiverrat 1 0 8 . Bei der Beihilfe sei es fehlerhaft strafschärfend zu berücksichtigen, der Angekl. habe gemeinschaftlich m i t anderen gehandelt: „Beihilfe setzt indessen immer einen »anderen4 voraus (§ 27 Abs. 1 StGB), so daß hier die Erwägung der Strafkammer die unzulässige Verwertung eines Umstandes bedeutet, der schon Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes i s t " 1 0 9 . Der „Umstand, daß der Angeklagte seine Frau zur gewerbsmäßigen Unzucht angehalten hat" ist für die Strafzumessungsbegründung ungeeignet, „da dieser Umstand Tatbestandsmerkmal des § 181 StGB i s t " 1 1 0 ; und ungeeignet für die Strafschärfung sei auch der Hinweis auf die gewinnsüchtigen Motive des Täters beim Handel m i t Rauschmitteln 1 1 1 . Als Beispiele für sog. „verkappte Verstöße" 1 1 2 gegen das Doppelverwertungsverbot: Unzulässig sei es, strafmildernd die „abartige Triebrichtung" des Täters bei den Sexualdelikten zu verwerten 1 1 3 ; und beanstandet wurde, daß den Tätern als besonders erschwerend angerechnet wurde, sie hätten sich nicht gescheut, „ein unreifes und unerfahrenes Mädchen, selbst noch ein Kind, geschlechtlich zu mißbrauchen": Damit 104 Vgl. RGSt. 57, S. 379; RG J W 1931, S. 3376; RG DRiZ 1936, S. 431; RG DRiZ 1925, S. 135; RG J W 1925, S. 2773 f. m. A n m . Wegner; RG DRiZ 1926, S. 154; B G H VRS 24 (1963), S. 47 (50); u n d zu § 227 StGB hat es RG J W 1926, S. 818 als unzulässig beanstandet, erschwerend zu verwerten, beim Raufhandel sei ein „Menschenleben ausgelöscht" worden; anders aber RG G A 56, S. 96. 105 RG J W 1928, S. 2976 f.; RG HRR 1937 Nr. 616. 106 RG D R i Z 1929, S. 410. 107 RG Sächs. A r c h i v 1911, S. 225; RG DRiZ 1927, S. 182. 108 B G H M D R 1966, S. 727. 109 BGH, Strafverteidiger 1982, S. 70. 110 RG HRR 1937, Nr. 899; vgl. auch die Beispiele bei Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 364 f.; ders., Leitfaden, S. 109 f.; Koffka, i n : L K 9 , § 13 Rdn. 86; Dreher / Tröndle, StGB 4 0 , § 46 Rdn. 37; BGHSt. 19, S. 113 (116): „Wie aus der V e r w i r k l i c h u n g des der Strafzumessung zugrundeliegenden strafbaren T a t bestandes k e i n Strafschärfungsgrund hergeleitet werden darf, k a n n u n d darf aus i h r auch k e i n Strafmilderungsgrund hergeleitet werden." 111 BGH N J W 1980, S. 1344. 112 Dazu Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 365; ders., Leitfaden, S. 110. 118 Vgl. die Beispiele bei Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 365 f.

I I . K r i t i k der Gesamtbetrachtung

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werde „ i n Wirklichkeit lediglich noch einmal das Vorliegen einer tätlichen Beleidigung (festgestellt), die gerade durch die angeführten Umstände zur äußeren wie zur inneren Tatseite bedingt wird. Diese (könne) demnach nicht nochmals für die Beurteilung der Strafwürdigkeit der Tat (herangezogen werden). Die Strafwürdigkeit hätte . . . vielmehr neben der Persönlichkeit der Täter nach den besonderen Begleitumständen der Tat (geprüft werden müssen)" 114 . Bei der Strafzumessung nach § 249 StGB sei es fehlerhaft, dem Täter die aus der Tat sprechende „niedrige Gesinnung" erschwerend zur Last zu legen: Es sei nicht auszuschließen, „daß der Tatrichter . . . schon die bloße Absicht des Täters, sich fremde Sachen durch Gewalt anzueignen, als niedrige Gesinnung gewürdigt hat", da „besondere Gründe, die auf eine »niedrige Gesinnung* . . . schließen lassen könnten nicht dargetan" w u r den 1 1 5 . Bei einem Diebstahl m i t Waffen dürfe die besondere Gefährlichkeit, die von dem Besitz der Waffe ausgehe, nicht den Täter belastend als Strafzumessungsgrund eingesetzt werden 1 1 6 . Beim Betrug sei der Umstand, der Täter habe es verstanden „seine Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern für eine längere Zeit auf die Inhaberin des Kinderheimes abzuwälzen" kein zulässiger Strafzumessungsgrund: „Durch die . . . Wendung (werde) lediglich hervorgehoben, daß (der Täter) einen Betrug begangen habe, u m seinen Kindern den notwendigen Lebensunterhalt zu verschaffen" 117 . Bei einem, m i t einem Meineid tateinheitlich zusammentreffenden Prozeßbetrug sei es rechtsfehlerhaft, dem Täter anzulasten, er habe das Gericht „ i n übler Weise hinter das Licht" zu führen versucht 1 1 8 ; und bei der Jagdwilderei (§ 292 Abs. 2 StGB) sei die „besondere Verwerflichkeit der Verwendung von Schlingen" kein geeigneter Strafzumessungsgrund 119 . Bei der Unfallflucht sei es fehlerhaft, den Umstand, der Täter habe sich „nur deshalb vom 114

RG H R R 1938, Nr. 777. BGH bei Dallinger, M D R 1971, S. 15; u n d i n der Entscheidung BGH VRS 4, S. 359 ff. (361), zu § 142 StGB a. F. rügte der B G H , daß dem Täter erschwerend angelastet wurde, sein Verhalten „offenbare eine gemeine Gesinnung", da er den A n p r a l l bemerkt habe, aber ohne sich über das Geschehen noch zu informieren davongefahren sei: „Die A n w e n d u n g des (§ 142 a. F. StGB) (beruhe) gerade darauf, daß der Täter davonfährt, u m sich den Folgen seines Verhaltens zu entziehen, bzw. einem Übel, das er befürchtet, auszuweichen"; vgl. auch die Übersicht bei Weigelt, D A R 1960, S. 11; ders., D A R 1954, S. 246; Mösl, NStZ 1982, S. 157; ders., NStZ 1981, S. 131 ff.; vgl. ferner RG J W 1937, S. 3086 f.: „Die Schändung einer geisteskranken Frauensperson ist ihrem Wesen nach immer eine ,gemeine Handlungsweise'", so daß die „Gemeinheit" der Tat als Strafschärfungsgrund nicht verwertbar sei. 116 B G H bei Dallinger, M D R 1971, S. 15; anders aber Stree, in: Schönke / Schröder 21 , § 46 Rdn. 48; vgl. zu § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB auch: BGH Strafverteidiger 1981, S. 70 f. 117 B G H bei Dallinger, M D R 1957, S. 17. 118 RG H R R 1940 Nr. 324. 119 RGSt. 70, S. 220 ff. (223). 115

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d S t r a f r a h m e n w h l

U n f a l l o r t e n t f e r n t . . w e i l er die p o l i z e i l i c h e n F e s t s t e l l u n g e n ü b e r d i e A r t seiner B e t e i l i g u n g a n d e m U n f a l l scheute u n d insbesondere v e r h i n d e r n w o l l t e , daß er e i n e r B l u t p r o b e u n t e r w o r f e n w ü r d e " z u r B e g r ü n d u n g des Strafmaßes einzusetzen: d e n n d a m i t seien n u r „ d i e gesetzlichen M e r k m a l e des § 142 S t G B n a c h der o b j e k t i v e n u n d s u b j e k t i v e n Seite" w i e d e r h o l t w o r d e n 1 2 0 . B e i e i n e r V e r u r t e i l u n g w e g e n e i n e r V o r f a h r t s v e r l e t z u n g sei d e m R i c h t e r n i c h t e r l a u b t , d e m T ä t e r a n z u lasten, die andere Straße sei gegenüber d e r v o n i h m b e f a h r e n e n b e v o r r e c h t i g t g e w e s e n 1 2 1 . B e i d e r K i n d e s t ö t u n g (§ 217 S t G B ) schließlich sei es „nicht bedenkenfrei", belastend den „leichtsinnigen u n d w e n i g V e r a n t w o r t u n g zeigenden L e b e n s w a n d e l " d e r „ A n g e k l a g t e n auf s e x u e l l e m G e b i e t " z u v e r w e r t e n : „ D i e K i n d e s t ö t u n g des § 217 S t G B setzt e i n e n F a l l des u n e h e l i c h e n V e r k e h r s n o t w e n d i g voraus. E r g e h ö r t z u m T a t b e s t a n d u n d d a r f deshalb n i c h t strafschärfend ins G e w i c h t f a l l e n " 1 2 2 . 120

S. 11. 121

B G H VRS 6, S. 365 (366); vgl. auch die Übersicht bei Weigelt, D A R 1960,

O L G Hamm, VRS 35, S. 415 f. BGH bei Dallinger, M D R 1972, S. 570: „ I m übrigen hat das Geschlechtsleben der Angeklagten m i t dem Tötungsdelikt nichts zu t u n " ; vgl. noch die Beispiele bei Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 365 f. Unzulässig ist es, Tatbestandsmerkmale als Strafzumessungsgründe zu verwerten; zulässig aber, die „Modalitäten der Tatbestandsverwirklichung" bei der Strafzumessung einzusetzen (vgl. dazu sogleich 1. T e i l I I . A . b. bb.). Zweifelsfälle bleiben: M i t dem Doppelverwertungsverbot i n gängiger Begründung ist die, häufig behauptete, Zulässigkeit der V e r w e r t u n g v o n Tatbestandsmerkmalen bei der Strafzumessung i n den Fällen nicht zu erklären, i n denen i n einem Tatbestand mehrere „ungleichwertige Tatbestandsalternativen" enthalten sind (dazu Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 368 f.); bzw. w e n n verschiedenartige Taten oder vorsätzliche u n d fahrlässige Begehungsweisen i n einer Bestimmung zusammengefaßt u n d unter einen einheitlichen Strafrahmen gestellt sind (Koffka, in: L K 9 , § 13 Rdn. 87; G. Hirsch, in: L K 1 0 , § 46 Rdn. 101; Stree, in: Schönke / Schröder 21 , § 46 Rdn. 47; O L G Braunschweig, VRS 4, S. 213; BGH bei Dallinger, M D R 1966, S. 26; B G H bei Dallinger, M D R 1971, S. 363; vgl. auch schon JRGSt. 49, S. 401 ff. (402)). Beispiele: Die Herbeiführung des Todes beim Raufhandel (vgl. RG G A 56 (1909), S. 96; anders aber RG J W 1926, S. 818); die Gefährdung v o n Menschenleben infolge Trunkenheit am Steuer (§ 315 c StGB); die vorsätzliche Begehung i n den Fällen des § 323 a StGB; oder die „Schädigung eines anderen" bei einem Verstoß gegen die §§ 1, 49 StVO: Damit werde zwar ein Tatbestandsmerkmal strafschärfend verwertet; dies sei aber zulässig, „ w e i l § 1 StVO neben der Schädigung anderer auch deren bloße Behinderung, Belästigung oder Gefährdung unter Strafe stellt" (OLG Bremen, N J W 1952, S. 158). — Anders aber für die V o r satzvermutung des § 259 StGB a. F.: Hier sei es unzulässig, straf erschwerend zu verwerten, der Täter habe die strafbare H e r k u n f t der Sache eindeutig gekannt; denn „es handelt sich . . . u m eine widerlegbare gesetzliche V e r mutung, daß der Täter vorsätzlich gehandelt hat. Daraus folgt, daß weder die Feststellung des Vorsatzes zu einer Strafschärfung noch das Unvermögen, über den Vermutungstatbestand hinaus eine ausdrückliche Vorsatzfeststell u n g treffen zu können, zu einer milderen Beurteilung der Straftat führen k a n n " . (OLG Hamm, N J W 1952, S. 518; B G H bei Dallinger, M D R 1969, S. 17; vgl. auch BGHSt. 2, S. 146 f. (147); BGH bei Dallinger, M D R 1966, S. 199) (sog. „gleichwertige Tatbestandsalternativen"). Auch für die „ M o d a l i täten der gefährlichen Körperverletzung", für die Untreue u n d die „beiden 122

I I . K r i t i k der Gesamtbetrachtung

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D i e Beispiele zeigen: D e r R i c h t e r , d e r T a t b e s t a n d s m e r k m a l e z u r B e g r ü n d u n g d e r Strafzumessungsentscheidung w i e d e r h o l t , v e r l e t z t d i e i h m obliegende materiell-rechtliche Begründungspflicht. Die W i e d e r h o l u n g d e r T a t b e s t a n d s m e r k m a l e als B e g r ü n d u n g f ü r das M a ß d e r ausg e w o r f e n e n S t r a f e l i e f e r t k e i n e h i n r e i c h e n d e , also die U b e r p r ü f u n g d e r k o n k r e t e n Strafzumessungsentscheidung d u r c h das R e v i s i o n s g e r i c h t e r m ö g l i c h e n d e B e g r ü n d u n g . D e r R i c h t e r , d e r so v e r f ä h r t , v e r l e t z t i n d e r Regel auch schon d e n prozessualen B e g r ü n d u n g s z w a n g des § 267 A b s . 3 Satz 1 S t P O : D i e U m s t ä n d e , die er z u r B e g r ü n d u n g seiner S t r a f zumessungsentscheidung n e n n t , d i e T a t b e s t a n d s m e r k m a l e , w a r e n n i c h t d i e b e i d e r S t r a f z u m e s s u n g „ b e s t i m m e n d e n " G r ü n d e 1 2 3 . O d e r es l i e g t , w i e regelmäßig, ein „ D o p p e l f e h l e r " 1 2 4 vor: Die W i e d e r h o l u n g der T a t b e s t a n d s m e r k m a l e ist als B e g r ü n d u n g d e r Strafzumessungsentscheid u n g m a t e r i e l l r e c h t l i c h n i c h t „ h i n r e i c h e n d " ; u n d die B e g r ü n d u n g d e r Entscheidung i n der Strafzumessung m i t H i l f e der Tatbestandsmerkm a l e n e n n t , prozessual, n i c h t d i e „ b e s t i m m e n d e n " Strafzumessungsg r ü n d e . D i e Strafzumessungsentscheidung j e d e n f a l l s ist, b e i g e n e r a l i s i e r e n d e r B e t r a c h t u n g , r e c h t s f e h l e r h a f t . Sie v e r s e t z t das Revisionsg e r i c h t n i c h t i n d i e Lage, die v o m Tatsachengericht gegebene S t r a f z u messungsbegründung zu überprüfen. Formen der Eidesleistung" sei die „Vorfrage, ob es sich dabei w i r k l i c h u m gesetzlich ungleichwertige A l t e r n a t i v e n handelt" zu „verneinen" (Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 369). — Aus dem Doppelverwertungsverbot ist schließlich m i t dem Hinweis, „§ 18 Abs. 1 Satz 2 J G G (beziehe) sich auf alle Verbrechen, . . . für die das allgemeine Strafrecht mehr als 10 Jahre (Freiheitsstrafe) androht" (Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 368) nicht zu begründen, daß es dem Richter bei der Strafzumessung i m Rahmen des § 18 J G G erlaubt sei, die Merkmale des Tatbestandes als Strafzumessungsgründe „nochmals zu verwerten" (so aber Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 368 f., m . w . N . ; vgl. auch BGH G A 1956, S. 346): Gemessen am W o r t l a u t des § 46 Abs. 3 StGB ist das Doppelverwertungsverbot durch die V e r w e r t u n g v o n Tatbestandsmerkmalen i n diesen Fällen verletzt; u n d die V e r w e r t u n g der Tatbestandsmerkmale zur Begründung der Strafzumessungsentscheidung ist auch nach dem materiellen Gehalt des Doppelverwertungsverbotes als generalisierender Anwendungsfall der sachlici-rechtlichen Begründungspflicht falsch. Die Wiederholung der Tatbestandsmerkmale taugt nur, einen „engeren" Strafrahmen innerhalb des weiteren „Grundstrafrahmens", der alle „ungleichwertigen" A l t e r n a t i v e n bzw. alle Verbrechen umfaßt, für die § 18 J G G mehr als 10 Jahre Freiheitsentzug androht, zu begründen. Sie taugt nicht für eine kontrollierbare Begründung der k o n k r e t ausgeworfenen Strafe. Für diesen, durch die Benennung der Tatbestandsmerkmale begründeten „engeren" Strafrahmen, g i l t vielmehr, wie auch sonst für das Doppelverwertungsverbot, daß diese „Umstände . . . unterschiedslos auf alle t a t bestandsmäßigen Handlungen dieser Straftat i n gleicher Weise (zutreffen)" (Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 363), u n d ihnen deshalb „ k e i n konkreter Aussagewert über die generelle Aufnahme i n die Strafnorm hinaus zuk o m m t " (Zipf, Strafmaßrevision, S. 98). 123 Vgl. dazu schon Seebald, G A 1975, S. 233. 124 Dazu Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 130; Zipf, Die Strafzumessung, S. 79. 4 Tlmpe

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d S t r a f r a h m e n w h l

bb) Die Modalitäten der Tatbestandsverwirklichung als erlaubte Strafzumessungsgründe Die Geltung des „Verbotes der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen" (§ 46 Abs. 3 StGB) endet entsprechend dem materiellen Gehalt dieser Vorschrift wenn „die konkrete Ausgestaltung eines Tatbestandsmerkmales i m zu beurteilenden Fall" als Strafzumessungsgrund angeführt w i r d 1 2 5 , weil „sich damit ein vergrößertes oder verringertes Maß an Unrecht und/oder Schuld begründen l ä ß t " 1 2 6 . Beispiele: So sei es nicht unzulässig strafschärfend zu verwerten, „schon die geringste Nachlässigkeit" i m Straßenverkehr könne tödliche Folgen haben 1 2 7 ; die „Tatumstände, die für den Grad des fahrlässigen Verschuldens von Bedeutung sind (dürfen) bei der Höhe der Strafe m i t i n die Waagschale" geworfen werden. Zulässig sei auch, die „besonderren Folgen der Tat, nämlich die Tatsache, daß sieben Wageninsassen, zum Teil schwer, verletzt" w u r d e n 1 2 8 bzw. daß durch das Verhalten des Täters mehrere Menschen getötet w u r d e n 1 2 9 zum Nachteil des Täters zu verwerten. Bei der Strafzumessung nach § 217 StGB sei es erlaubt, straferschwerend zu berücksichtigen, „die Täterin (habe) den Entschluß, ihr K i n d zu töten schon mehrere Tage vor der Geburt gefaßt": Dies sei „nicht der gewöhnliche Fall der Kindestötung, bei dem die besondere Gemütserregung i n oder gleich nach der Geburt den Tatentschluß herv o r r u f t " 1 3 0 . I m Rahmen des § 142 a. F. StGB dürfe belastend verwertet werden, durch die Flucht sei die einwandfreie Aufklärung des Unfalls verhindert oder erschwert worden 1 3 1 . Gleiches gelte für die „ A r t und Weise der Flucht, z. B. die besondere Dreistigkeit" m i t der der Täter trotz belebter Straße davonfuhr 1 3 2 , oder für den Umstand, daß der Täter den „ i n seiner ersten Gefühlserregung gefaßten Vorsatz", seine Unfallbeteiligung zu verheimlichen „ m i t seltener Hartnäckigkeit" ver125 Stree, in: Schönke / Schröder 21 , § 46 Rdn. 48; Horn, in: SK StGB 3 , § 46 Rdn. 85; Jagusch, Die Praxis der Strafzumessung, S. 103; Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 369 ff.; G. Hirsch, in: L K 1 0 , § 46 Rdn. 102 f., m. w. N. 126 Horn, in: SK StGB 3 § 46 Rdn. 85; vgl. ferner OGHSt. 2, S. 50 ff. (56): „Nicht die V e r w i r k l i c h u n g des Tatbestandes der strafbaren Handlung, sondern n u r die A r t der Verwirklichung, die Größe des Unrechts u n d der Schuld k a n n für die Festsetzung der Strafe innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens v o n Einfluß sein"; ständige Rspr.; RG, Das Recht, 1906, S. 760; RG G A 56 (1909), S. 73; RG DRiZ 1926, S. 154 (Nr. 524); RG, Das Recht, 1928, S. 290; B G H bei Daliinger, M D R 1972, S. 386; BGH G A 1975, S. 84. 127 B G H VRS 5, S. 607 ff. (609). 128 B G H VRS 21, S. 356 ff. (359). 129 B G H M D R 1957, S. 369; B G H VRS 23, S. 228 ff. (231). 130 B G H bei Daliinger, M D R 1972, S. 570. 131 B G H VRS 4, S. 52 (53); B G H VRS 9, S. 136 ff. (137). 132 Weigelt, D A R 1960, S. 11.

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f o l g t e 1 8 3 . Z u l ä s s i g sei es auch, d e m T ä t e r b e i d e r S t r a f z u m e s s u n g n a c h §§ 1, 15 S t V O anzulasten, daß „es z u n i c h t u n e r h e b l i c h e n V e r k e h r s b e h i n d e r u n g e n g e k o m m e n s e i " 1 3 4 . U n d e r l a u b t sei d e m R i c h t e r auch, d e n „ e r h e b l i c h e n A n g r i f f a u f die Rechtspflege" b e i m M e i n e i d 1 3 5 s t r a f schärfend z u v e r w e r t e n . „ R e c h t l i c h b e d e n k e n f r e i " sei auch, d e m T ä t e r „ d i e zusätzliche S c h u l d (die er) d u r c h d i e t a t e i n h e i t l i c h e V e r w i r k l i c h u n g z w e i e r S t r a f t a t e n a u f sich g e l a d e n h a t , z u r S t r a f s c h ä r f u n g " a n zulasten136. Grenzfälle bei der V e r w e r t u n g v o n Tatbestandsmerkmalen i n i h r e r „ k o n k r e t e n A u s g e s t a l t u n g " z u r B e g r ü n d u n g der S t r a f z u m e s s u n g s e n t scheidung b l e i b e n : So s o l l es d e m R i c h t e r n a c h M a ß g a b e des D o p p e l v e r w e r t u n g s v e r b o t e s v e r w e h r t sein, sich a u f „ b l o ß e leere A u s s c h m ü k 133

BGH VRS 22, S. 35 ff. (37). O L G Bremen, VRS 23, S. 60 ff. (61). 135 BGH N J W 1958, S. 1832 f. (1833). 136 KG VRS 12, S. 453 ff. (455); vgl. auch BGH VRS 4, S. 52 ff. (54); O L G Celle, VRS 7, S. 103; BGH VRS 22, S. 121 ff. (124), u n d O L G Köln, M D R 1956, S. 374: „Ebenso w i e das ideell konkurrierende mildere Gesetz bei der Strafzumessung i m ganzen straferschwerend berücksichtigt werden kann, k a n n ein einzelnes seiner Merkmale straferschwerend ins Gewicht fallen, vorausgesetzt, daß der Tatbestand des härteren Gesetzes dieses M e r k m a l selbst nicht enthält" (Leitsatz); vgl. ferner O L G Düsseldorf, VRS 3, S. 351 f.; OGHSt. 2, S. 324 ff. (328), u n d die Zusammenstellung älterer Rspr. bei Brandt, JR 1931, S. 19; vgl. noch die Beispiele bei Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 369 f.; Stree, i n : Schönke / Schröder 21 , § 46 Rdn. 48. — Über den Grundsatz, daß nicht die Tatbestandsmerkmale, w o h l aber die Ausprägungen der Tatbestandsmerkmale i m konkreten F a l l als Strafzumessungsgründe verwertet werden dürfen, herrscht Einigkeit. Nicht geklärt ist dagegen, w i e unzulässige Begründungen der Strafzumessungsentscheidung durch bloße Wiederholung von Tatbestandsmerkmalen v o n Begründungen m i t Hilfe zulässiger „ K u r z formen der Darstellung" (dazu Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 370; Seibert, M D R 1959, S. 259; ders., M D R 1966, S. 805): ein „dreister" Diebstahl, ein „erheblicher" A n g r i f f auf die Rechtspflege usw., der Ausprägung eines T a t bestandsmerkmals i m Einzelfall zu unterscheiden sind. Koffka (in: L K 9 , § 13 Rdn. 89; vgl. auch Seebald, G A 1975, S. 233 u n d O L G Düsseldorf, VRS 2, S. 65 (66)) stellt auf den „Urteilszusammenhang" ab u n d fragt, „ob ein Eigenschaftswort (gefährlich, ekelerregend) oder Umstandswort (gröblich, verwerflich) eine Handlungsmodalität anzeigt oder n u r ein überflüssiges F ü l l w o r t ist, v o r allem, w e n n das W e r t u r t e i l nicht m i t Tatsachen untermauert ist, u n d ob andererseits die scheinbare bloße Bezugnahme auf ein Tatbestandsmerkmal nicht i n Wahrheit den Hinweis auf eine unausgesprochene Modalität . . . enthält"; vgl. auch G. Hirsch, in: L K 1 0 , § 46 Rdn. 103, m. w . N. — Freilich hat dazu Seibert (MDR 1952, S. 459) schon zu Recht angemerkt, daß der „unerschöpfliche B o r n des ,Urteilszusammenhanges'", „ein altes Zaubermittel des RG, m i t dem alles zu machen ist", zur Abgrenzung nicht taugt. Bruns (Strafzumessungsrecht 2 , S. 370) w i l l „ n u r solche Umstände . . für die Strafzumessung (heranziehen), die das einzelne D e l i k t gegenüber anderen gleichartigen Taten mehr oder weniger strafwürdig erscheinen lassen"; „dabei ist stets zu beachten, daß es sich bei bedenklich erscheinenden Strafzumessungsbegründungen oft . . . u m einen »falschen Zungenschlag', u m eine unbedachte Wendung handelt, die ein vielleicht sonst gutes U r t e i l zu F a l l bringen k a n n " (im Anschluß an BGH bei Daliinger, M D R 1957, S. 17; Seibert, M D R 1959, S. 259). 134

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d S t r a f r a h m e n w h l

kungen" der Tatbestandsmerkmale zur Begründung zu beschränken 137 . Oder: Der Richter genüge seiner Begründungspflicht nicht, wenn er auf „Ausschmückungen" zurückgreife, bei denen die Phrase „der Gegenphrase nicht Stich (hält)" 1 3 8 . Es sei unzulässig, strafschärfend zu verwerten, der Täter habe ein „junges Menschenleben" 139 , einen „Menschen i n jungen Jahren" 1 4 0 , ein „junges, blühendes Menschenleben" 141 , ein „junges, hoffnungsvolles Menschenleben" 142 ausgelöscht, bzw. einen „Mann auf der Höhe seines Schaffens", einen „rüstigen Greis, nach arbeitsamem Leben die verdiente Ruhe genießend" getötet 1 4 3 . „Zwar können bei der Strafzumessung sozial bedeutsame, auf bestimmte Tatsachen gestützte Eigenschaften des Opfers . . . berücksichtigt werden. . . . Um die bloße Wiederholung eines Tatbestandsmerkmales . . . handelt es sich dagegen, wenn zur näheren Kennzeichnung des Getöteten lediglich . . . die Bedeutung des menschlichen Lebens allgemein unterstreichende Eigenschaften hinzugefügt werden. . . . Das Lebensalter eines Menschen für sich allein genommen vermag keine beachtlichen Unterschiede zwischen den »Menschen4 zu begründen, die Opfer eines Tötungsdeliktes geworden sind. . . . Dem Leben eines älteren Menschen kommt vor der Rechtsordnung kein geringerer Wert zu als dem Leben eines jüngeren. Wer der Jugend des Opfers strafschärfende Wirkung einräumt, behandelt . . . die Menschen ohne sachlichen Grund ungleich" 1 4 4 . Die Verwertung solch „phrasenhafter Redewendungen" 145 als richterliche Entscheidungsgründe ist nun freilich nicht unzulässig, w e i l es sich „ i m Grunde lediglich (um) eine verkappte Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen" handelte 1 4 6 . Die Verwertung kann, auf den mate137 Vgl. BayObLG, N J W 1954, S. 1211 f.; vgl. ferner BayObLGSt. 1954, S. 28 ff. (32) (: Der Hinweis auf die „äußerst" leichtsinnige Fahrweise als Strafzumessungsgrund wurde beanstandet, da diese extreme Kennzeichnung „ i n den Urteilsgründen keine ausreichende Stütze" finde), u n d O L G Zweibrücken, M D R 1966, S. 1021 ( = N J W 1967, S. 364 m i t A n m . Seibert): Die Entscheidung i n der Strafzumessung sei dann rechtsfehlerhaft, w e n n i n i h r „phrasenhafte V o r w ü r f e (so sehr i m Vordergrund stehen), daß die Annahme, sie hätten das Strafmaß mitbestimmt, nicht v o n der Hand gewiesen werden kann". 138 Jagusch, Die Praxis der Strafzumessung, S. 103. 139 B G H VRS 5, S. 213. 140 O L G Köln, D A R 1963, S. 306. 141 O L G Hamm, VRS 7, S. 108 f. (109). 142 BayObLG N J W 1954, S. 1211. 143 Beispiele nach Jagusch, Die Praxis der Strafzumessung, S. 103; vgl. auch Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 370; G. Hirsch, i n : L K 1 0 , § 46 Rdn. 53. 144 O L G Köln, D A R 1963, S. 306; vgl. auch BayObLG, N J W 1974, S. 250 m i t A n m . F.-C. Schroeder. 145 Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 370. 146

Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 370.

I I . K r i t i k der G e s a m t b e t r a t u n g

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riellen Gehalt des Doppelverwertungsverbotes als generalisierender Anwendungsfall der sachlich-rechtlichen Begründungspflicht der richterlichen Strafzumessungsentscheidung bezogen, zunächst einmal fehlerhaft sein, weil diese Konkretisierungen der Tatbestandsmerkmale: „junges", „blühendes" Menschenleben usw., unter keinem der für die Bestimmung des Grades der Strafwürdigkeit der konkreten Tat erheblichen Wertungsgesichtspunkte: Schuld, General- oder Spezialprävention, geeignet sind, den i m Urteil ausgewiesenen Stellenwert der Tat zu begründen. Sie sind für die Bestimmung des Schuldmaßes gerade so irrelevant wie der Hinweis, das Opfer sei Brillenträger gewesen, habe ein grünes Hemd getragen usw., für die Begründung eines bestimmten Schuldmaßes irrelevant ist 1 4 7 . Die „Verwertung" solch „phrasenhafter Redewendungen" kann zum anderen deshalb fehlerhaft sein, weil sie das Fehlen einer Begründung der Strafzumessungsentscheidung mittels „realer Strafzumessungsgründe" 148 lediglich durch i m Tatsächlichen nicht fundierte Werturteile verschleiern: Der Täter habe „ i n hohem Maße leichtfertig und grob fahrlässig gehandelt"; er habe i n unverantwortlicher Weise (die) Grundregeln i m Straßenverkehr mißachtet" und sich „ i n seltener Sorglosigkeit . . . i m Straßenverkehr" bewegt 1 4 9 . Plausibel ist die Unzulässigkeit der Verwertung der Konkretisierung von Tatbestandsmerkmalen durch die Eigenschaftswörter: ein „junges", „blühendes" usw. Menschenleben als Strafschärfungsgrund freilich nur dem, der meint, das Rechtsgut („Mensch") sei quantitativ nicht differenzierbar. Die Unzulässigkeit ist dagegen dem nicht selbstverständlich, der, wenn auch nur i n Extremfällen, eine Differenzierung für möglich hält: Daß eben das Leben des zum Tode Verurteilten vor seiner Hinrichtung doch „weniger wert" sei, als das eines anderen, dessen „Ende nicht abzusehen ist". I n Ausnahmefällen jedenfalls könne und müsse die Lebenserwartung die Strafzumessung beeinflussen 150 . Zusammenfassend: Besteht gerade bei der Strafzumessung ein wechselseitiger Zusammenhang „zwischen der Begründung einer Entscheidung und ihrer rechtlichen Nachprüfbarkeit" derart, daß „sich die 147 Vgl. auch Stree, Deliktsfolgen, S. 74 f., der die V e r w e r t u n g des Lebensalters nicht wegen eines Verstoßes gegen das Doppelverwertungsverbot für unzulässig h ä l t (: „ Z u m Tatbestand der §§ 211 ff. StGB gehört n u r die Tötung eines Menschen, das A l t e r des Getöteten ist k e i n Tatbestandsmerkmal"), sondern wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz des A r t . 3 GG. 148 Z u r Unterscheidung „realer", „finaler" u n d „logischer" Strafzumessungsgründe vgl. i m Anschluß an Spendel, Z u r Lehre v o m Strafmaß, S. 191 ff.; ders., N J W 1964, S. 1759 f.; Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 52 ff. 149 Vgl. zu den Beispielen O L G Zweibrücken, M D R 1966, S. 1021; vgl. ferner BayObLGSt. 1954, S. 28 ff. (32). 150 So F.-C. Schroeder, N J W 1974, S. 251.

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d S t r a f r a h m e n w h l

Richtigkeit nicht alleine vom Ergebnis her . . . beurteilen" läßt, weil dafür „grundsätzlich erforderlich (ist), das Beschreiten des richtigen Weges zum Endstrafmaß nachvollziehen zu können" 1 6 1 , dann steht dem Fehlen einer Begründung der Strafzumessungsentscheidung eine Begründung gleich, m i t deren Hilfe der „Weg" zum Strafmaß nicht kontrollierbar ist: Eine Begründung durch die bloße Wiederholung der Tatbestandsmerkmale 152 . Das „Doppelverwertungsverbot" des § 46 Abs. 3 StGB ist seinem materiellen Gehalt nach eine generalisierende Ausprägung der sachlich-rechtlichen Begründungspflicht. § 46 Abs. 3 StGB generalisiert, weil unabhängig von der Qualität der Begründung i m übrigen, die Begründung der Strafzumessungsentscheidung immer dann schon als rechtsfehlerhaft gilt, wenn der Richter i n i h r Tatbestandsmerkmale als Strafzumessungsgründe wiederholt. § 46 Abs. 3 StGB beinhaltet also ein Gebot zu individualisierender Begründung der Entscheidung i n der Strafzumessung. Das Doppelverwertungsverbot begrenzt dadurch zugleich die rechtsprechende Gewalt, indem es sie zwingt, i n den immer noch weiten Grenzen des „Strafzumessungsermessens" „hinreichende" Gründe für die Entscheidung über das Strafmaß i m konkreten Fall zu nennen. Das Doppelverwertungsverbot h i l f t so, ein Mindestmaß an Kontrolle und Schutz vor W i l l k ü r i n der Strafzumessung zu erreichen: Dem Richter ist es jedenfalls nicht gestattet, beliebige Entscheidungen durch Argumente zu begründen, die für alle einem bestimmten Tatbestand subsumierbaren Sachverhalte i n gleicher Weise gelten 1 5 8 . cc) Zu den Erweiterungen des Doppelverwertungsverbots über Tatbestandsmerkmale hinaus aaa) Der Meinungsstand Der Geltungsbereich des Doppelverwertungsverbotes ist nicht auf Tatbestandsmerkmale i m engeren Sinne beschränkt geblieben. Bei den Erweiterungen aber, die das Doppelverwertungsverbot erfahren hat, ist die Herleitung des Geltungsgrundes dieses Verbotes aus dem „arbeitsteiligen Verhältnis von Gesetz und Richter" noch weniger plausibel als bei den Tatbestandsmerkmalen. Soll nämlich das Doppelverwertungsverbot für alle Merkmale gelten, „die bereits der Gesetzgeber selbst bei der Schaffung des Straftatbestandes entscheidend berück151

Zip/, Die Strafzumessung, S. 78. Vgl. dazu schon Seebald, G A 1975, S. 236. 153 Vgl. schon Zip/, Strafmaßrevision, S. 98: „Wo einem M e r k m a l k e i n k o n kreter Aussagewert über die generelle Aufnahme i n die Strafnorm hinaus zukommt, darf es nicht als Strafzumessungsfaktor eingesetzt werden"; „ m a n k a n n daher das Doppelverwertungsverbot . . . als Verstoß gegen die Notwendigkeit individueller Tatschuldwertung beschreiben". 152

I I . K r i t i k der Gesamtbetrachtung

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sichtigt h a t " 1 6 4 , ist der Richter aber, was den „Zweck der Strafdrohung oder Bestrafung" anbelangt, nicht selten gezwungen, den „zeitnahen" Gesetzeszweck anstelle des Gesetzgebers erst zu „erfinden", kann i h m die Verwertung des Zweckes als Strafzumessungsgrund jedenfalls kaum wegen eines Verstoßes gegen die „Arbeitsteilung von Gesetz und Richter" verwehrt sein 1 5 5 . Der Grund, dessentwegen dem Richter auch die Verwertung des von i h m „erfundenen" — generellen — Gesetzeszweckes als Strafzumessungsgrund verwehrt ist, ist bezogen auf den materiellen Gehalt des § 46 Abs. 3 StGB als Anwendungsfall der sachlich-rechtlichen Begründungspflicht kein anderer als bei den Tatbestandsmerkmalen: Eine Begründung der Strafzumessungsentscheidung, die sich auf die Wiederholung der generellen Aussage über den Gesetzeszweck beschränkt, ist keine „hinreichende", die Kontrolle durch das Revisionsgericht ermöglichende Begründung. Beispiele: Bei der Abtreibung erlaubt der Hinweis, daß sie „die Sittlichkeit und Kraft des Volkes verderbend, gemeingefährlich" sei 1 5 6 so wenig eine Kontrolle des ausgeworfenen Strafmaßes, wie, beim Meineid, der Verweis auf die „hervorragende Bedeutung des Eides für die Rechtspflege" 157 . „Die Notwendigkeit, Vollstreckungsbeamte energisch schützen zu müssen", ist, beim Widerstand gegen die Staatsgewalt, kein zulässiger Strafzumessungsgrund 158 . Und unzulässig ist es aus der Sicht der materiell-rechtlichen Begründungspflicht für die Strafzumessungsentscheidung auch, bei der Brandstiftung, zu Lasten des Täters zu verwerten, durch sie werde „die Volkswirtschaft geschädigt" 159 . Bei den Amtsdelikten ist dem Richter der Hinweis nicht gestattet, der Beamte sei „zu besonders treuer Dienstleistung dem Staate gegenüber verpflichtet" 1 6 0 . Und verwehrt ist 164 HGSt. 70, S. 292; ständige Rspr.; RG DRiZ 1927 Spalte 25 (Nr. 74); RG G A 53, S. 294; RG J W 1935, S. 360; RG J W 1935, S. 949 (Nr. 35) m i t A n m . Mezger; RG J W 1936, S. 3461; RG J W 1936, S. 2235; RG J W 1936, S. 2994; RG J W 1929, S. 1145 m i t A n m . zu Dohna; RGSt. 57, S. 379; RGSt. 59, S. 423; RGSt. 70, S. 221, 223; B G H M D R 1951, S. 276; BGH N J W 1958, S. 1832; B G H N J W 1966, S. 1276; BGH JR 1974, S. 237; aus der L i t e r a t u r Koffka, i n : L K 9 , § 13 Rdn. 86; Stree, i n : Schönke / Schröder 21 , § 46 Rdn. 46; Jagusch, Die Praxis der Strafzumessung, S. 103; Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 366 ff., m. w . N. 166 Vgl. dazu 1. T e i l I I . A . 1. c. 166 RG DRiZ 1926, Spalte 23 (Nr. 109) = RGSt. 59, S. 423 ff. (426); vgl. auch RG G A 74, S. 67. 167 RG HRR 1937, Nr. 616; ebenso schon RG, Das Recht, 1908, S. 638; RG DRiZ, 1926, Spalte 314 (Nr. 1093); RG DRiZ 1927, Spalte 22 (Nr. 108); RG J W 1931, S. 1569; vgl. auch BGHSt. 17, S. 321 ff. (324); BGH N J W 1958, S. 1832; BGH N J W 1966, S. 1276; BGH bei Dallinger, M D R 1953, S. 148; O L G Schleswig, HESt. 2, S. 253 f. (254). 158 KG J W 1928, S. 1070. 159 RG DRiZ 1926, Spalte 252 (Nr. 874). 160 RG DRiZ 1927, Spalte 181 (Nr. 503).

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d S t r a f r a h m e n w h l

i h m auch das Argument, „das öffentliche Interesse" fordere, „daß die öffentliche Verwaltung und das Beamtentum rein erhalten blieben" 1 6 1 , strafschärfend zu verwerten. Verwehrt ist dem Richter schließlich auch mit dem Hinweis, daß Zuwiderhandlungen „gegen die Steuergesetze . . . sich i n besonderem Maße gegen das Wohl der Allgemeinheit" richteten 1 6 2 , die Strafe zu schärfen. bbb) BGH MDR 1953, S. 148 Eine Abkehr von dieser gefestigten Rechtsprechung schien die Entscheidung BGH MDR 1953, S. 148 zu bringen. Es sei, führt der BGH aus, nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter i m Zusammenhang m i t den übrigen, den Täter belastenden Umständen strafschärfend verwerte, „das öffentliche Interesse verlange zum Schutze der Allgemeinheit schwerste Bestrafung von Gewaltverbrechen"; denn damit habe das Landgericht „ersichtlich nur gegenüber einer i n der Praxis bei der Strafzumessung für Gewaltverbrechen beobachteten ungerechtfertigten Milde darauf hinweisen (wollen), welchen Zweck das Gesetz bei der Aufstellung des ordentlichen Strafrahmens für solche Verbrechen verfolgt wissen w i l l . Daß der Tatrichter zum Ausdruck bringt, er habe bei den Erwägungen über die Strafzumessung den Grundgedanken der verletzten Strafvorschrift nicht aus den Augen verloren, ist keineswegs ein Fehler. Er wäre es nur dann, wenn den Strafzumessungsgründen . . . die Gewißheit oder auch nur die Möglichkeit zu entnehmen wäre, daß das Gericht sein Unwerturteil nicht allein nach dem richtig verstandenen Zweck des Strafgesetzes, sondern irrtümlich unter doppelter Heranziehung eines der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale gebildet hat". Über die Entscheidung BGH MDR 1953, S. 148 noch hinausgehend meint das OLG Köln, der Tatrichter dürfe „ohne Rechtsfehler auch i n gewissem Umfang den Grundgedanken der verletzten Strafvorschrift i m Rahmen der Strafzumessung nochmals berücksichtigen" 163 . 161

RG J W 1937, S. 169 (Nr. 31). RG J W 1937, S. 470 (Nr. 17) m i t A n m . Megow; vgl. schon RG J W 1935, S. 949 m i t A n m . Megow. 163 O L G Köln, N J W 1963, S. 775; anders aber O L G Hamm, D A R 1955, S. 284: „Die abstraket Gefährlichkeit, die i n mehr oder minder hohem Maße m i t jedem Vergehen nach § 24 StVG verbunden ist, darf nicht strafschärfend berücksichtigt werden" (Leitsatz). Z w a r sei es k e i n Fehler, w e n n der T a t richter zum Ausdruck bringe, „er habe bei den Erwägungen über die Strafzumessung den Grundgedanken der verletzten Vorschrift nicht aus den Augen verloren ( B G H M D R 1953, S. 148). Es ist aber nach derselben E n t scheidung ein Fehler, w e n n den Strafzumessungsgründen die Gewißheit oder auch n u r die Möglichkeit zu entnehmen ist, daß das Gericht sein U n w e r t u r t e i l nicht allein nach dem richtig verstandenen Zweck des Strafgesetzes, sondern i r r t ü m l i c h unter doppelter Heranziehung eines der gesetzlichen T a t bestandsmerkmale oder — w i e hinzuzufügen ist — eines Umstandes, der auf jede Straftat derselben A r t z u t r i f f t oder des die Strafnorm rechtfertigenden Grundes gebildet h a t " . 162

I I . K r i t i k der Gesamtbetrachtung

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Gage / Sarstedt 164 meinen zur Bewertung der Entscheidung BGH MDR 1953, S. 148, der unverbrüchliche Satz, die „erschwerende Berücksichtigung . . . von Umständen, die auf jede Straftat derselben A r t zutreffen (sei) ein Rechtsfehler, der zur Aufhebung führen müsse", sei gelockert worden. Und Koffka 165 glaubt, der Entscheidung immerhin noch entnehmen zu können, die Rechtsprechung neige zu einer „elastischeren Handhabung" des Doppelverwertungsverbotes i n diesen Fällen 1 6 6 . Demgegenüber ist Eb. Schmidt 167 der Auffassung, die Entscheidung BGH MDR 1953, S. 148 löse sich nicht von der bisherigen Linie der Rechtsprechung. Und Bruns 168 sieht keine „Teileinschränkung des Doppelverwertungsverbotes" „bei der unklar bleibt, wo sie beginnt und wo sie aufhören soll" 1 6 9 : „Nur eine Strafzumessung ,nach dem richtig verstandenen Zweck des Strafgesetzes', nicht aber eine solche unter »nochmaliger Verwertung seines Grundgedankens' ist . . . zulässig"; nur dies sei „ i n der Entscheidung BGH MDR 1953, S. 148 gesagt"; „es mag sogar nützlich sein, wenn (sich der Tatrichter) den Grund der Strafbarkeit bei jedem einzelnen Tatbestand klar macht" 1 7 0 . A u f derselben Linie liegt es, wenn Z i p / 1 7 1 den „Grundgedanken der verletzten Norm" ein zulässiges und sogar unentbehrliches Hilfsmittel für die richtige Einordnung der konkreten Tatschwere i n den gesetzlichen Strafrahmen nennt: „Unzulässig und untauglich" sei er nur „zur konkreten Tatschuldwertung und der sich daraus ergebenden Höhenmarke des Schuldrahmens". ccc) Möglichkeiten und Grenzen der Berücksichtigung des Zwecks der Strafvorschrift und der Strafzwecke i m Rahmen der Strafzumessung Dies ist i m Ergebnis richtig. Es ist zulässig, den Zweck der Strafvorschrift oder die generelle Bewertung der Strafwürdigkeit i n den Entscheidungsgründen zu nennen; aber nicht trotz des Doppelverwertungsverbotes, sondern weil das Doppelverwertungsverbot als generalisierender Anwendungsfall der materiell-rechtlichen Begründungspflicht nur für Tatbestandsmerkmale und nicht auch für die sonst ge184

Gage / Sarstedt, Die Revision i n Strafsachen 3 , S. 189. Koffka, JR 1955, S. 323. iß« vgl. a U c h V m Weber, Die richterliche Strafzumessung, S. 13.

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Eb. Schmidt, Lehrkommentar StPO T e i l I I , 1957, § 337 Rdn. 56. Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 372; ders., Leitfaden, S. 112 f. 169 Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 373, unter Hinweis auf O L G Hamm, D A R 1955, S. 284; B G H D A R 1957, S. 238. 170 Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 381; jetzt auch Koffka, in: L K 9 , § 13 Rdn. 89. 171 Zip/, Strafmaßrevision, S. 98 f.; vgl. auch Horn, i n : SK StGB 3 , § 46 Rdn. 84: Seebald, G A 1975, S. 234. 168

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wohnlich dem §§ 46 Abs. 3 StGB subsumierten Fallgestaltungen gilt. Nennt der Richter i n diesen Fällen die generelle Bewertung der Strafwürdigkeit einer Tat, auf deren Hintergrund er die Schwere der Tat i m konkreten Fall bestimmt hat, i m Urteil, „gilt" die richterliche Begründungspflicht nicht schon deshalb als verletzt. Das Doppelverwertungsverbot beinhaltet kein Auslegungsverbot. Was „hier und heute" Zweck der Strafdrohung oder Bestrafung ist, hat der Gesetzgeber dem Richter nicht stets verbindlich vorgegeben. Dem Richter bleiben häufig Spielräume eigener Bewertung gegenüber dem Gesetz — und daß der Richter die Wertungen offenlegt, nach denen er diese Freiräume füllt, begründet allein noch keinen Fehler seiner Strafzumessungsbegründung, sondern ist i m Interesse der Kontinuität und Gleichmäßigkeit der Rechtsanwendung bei der Strafzumessung nicht selten geboten 172 . Dem Richter ist es aber nicht nur erlaubt, den Zweck des Strafgesetzes i n seiner Strafzumessungsbegründung zu nennen, u m sodann nach „dem richtig verstandenen Zweck des Strafgesetzes" 173 die Bestimmung der Schwere der konkreten Tat vorzunehmen. Zulässig kann auch sein, den Zweck der Strafdrohung für die Strafzumessung nach dem, durch den zunächst festgelegten Zweck ausgelegten Strafrahmen, bei der Festsetzung der Strafe erneut zu verwerten. Denn auch die durch den Zweck der Strafdrohung oder Bestrafung beschriebenen Sachverhalte: daß der Beamte, bei den Amtsdelikten, „zu besonders treuer Dienstleistung dem Staate gegenüber verpflichtet" sei 1 7 4 , oder daß die 172 Auch die Bemerkung Niederreuthers (DJ 1938, S. 419; vgl. auch Peters, ZStW 57, S. 78 f., Fn. 55; ders. t Die kriminalpolitische Stellung, S. 101), „daß die Strafe nach A r t u n d Maß innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens doch ganz entscheidend v o n den i m Augenblick der A b u r t e i l u n g herrschenden allgemeinen Auffassungen über die Strafbarkeit solcher Taten abhängig" sei, so daß k a u m v o n einer „unzulässigen Strafzumessung" gesprochen w e r den könne, w e n n das „Gericht jenen Wandel der Strafwürdigkeit i m Auge" hat, bedeutet keine A b k e h r v o m Doppelverwertungsverbot i n diesen Fällen (wie Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 362, Fn. 6, meint); sie belegt n u r den Satz: „Daß nach einer Revolution die Auslegungsmethode dem bisherigen und dem neuen Recht gegenüber zwiespältig ist. Das alte Recht w i r d unter Umständen m i t objektiver Methodik der durch die Revolution geschaffenen neuen Ordnung angepaßt, das neue Recht w i r d dagegen p ü n k t l i c h gemäß dem W i l l e n des zur Macht gelangten revolutionären Gesetzgebers ausgelegt" CEngisch, Einführung, S. 98). Denn — so fährt Niederreuther (DJ 1938, S. 419) fort — „ w e n n allerdings einmal i m neuen (im nationalsozialistischen) StGB die Strafrahmen entsprechend den neuen Anschauungen festgesetzt sind, w i r d den Umständen . . . nicht mehr die Bedeutung zukommen w i e bisher"; solange das aber nicht geschehen sei „ f ü h r t das einmal erlassene Strafgesetz ein selbständiges Dasein, so daß der Richter auch bei der Strafzumessung innerhalb des einmal aufgestellten Strafrahmens den jeweiligen zeitlichen Bedürfnissen u n d Rechtsanschauungen Rechnung t r a gen kann" (Niederreuther, DJ 1938, S. 419; vgl. auch Freisler, DStR 1936, S. 392). 173 BGH M D R 1953, S. 148. 174 RG DRiZ 1927, Spalte 181 (Nr. 503).

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Volkswirtschaft durch Brandstiftungen geschädigt werde 1 7 5 , sind der Quantifizierung zugänglich und sie sind, quantifiziert, durchaus als Elemente einer hinreichenden Strafbegründung tauglich. So wie es dem Richter erlaubt ist, die Tatbestandsmerkmale i n ihrer Ausgestaltung i m Einzelfall für die Strafzumessung zu verwerten 1 7 6 , weil es möglich ist, i n den unterschiedlichen Ausprägungen der Tatbestandsmerkmale unterschiedlich schwere Grade einer Tatbestandsverwirklichung auszudrücken, so ist es auch möglich, bei der Strafzumessung Grade der Strafwürdigkeit nach dem Zweck des Strafgesetzes abzustufen. Dies belegt schon die Einsicht, daß tatbestandliche Typisierungen verbotenen oder gebotenen Verhaltens i n ihren Randbereichen immer auch ein weites Feld abstrakter Gefährdungen des geschützten Interesses erfassen. Denn die Extension tatbestandlicher Begriffe, d.h. die dem Tatbestand subsumierbaren Sachverhalte, ist regelmäßig weiter als die Intension tatbestandlicher Verhaltensbeschreibungen, d.h. als das materiell als strafwürdig mit dem Verbot eines bestimmten Verhaltens Gemeinte. Beispielhaft: Wer eigenmächtig Geld wechselt, indem er fremde Geldstücke wegnimmt und eine entsprechende Geldsumme i n Form anderer Geldstücke hergibt, verletzt regelmäßig so wenig Freiheitsinteressen des Eigentümers, wie der die Garantie einer „räumlich abgesteckten und vor dem Einblick Dritter geschützten häuslichen Privatsphäre" verletzt, deren Zweck die Entlastung von dem Konformitätsdruck der Gesellschaft 177 ist, der i n eine leerstehende, nur i m Sommer benutzte Zweitwohnung i m Winter eindringt und sich dort für einige Stunden einrichtet 1 7 8 . 175 Vgl. RG D R i Z 1926, Spalte 251 (Nr. 874); vgl. auch die Beispiele 1. T e i l I I . A . 2. cc. 176 Vgl. dazu 1. T e i l I I . A . 2. bb. 177 Schall, Hausfriedensbruch, S. 109,103. 178 Die geschilderte Inkongruenz v o n Extension u n d Intension tatbestandlicher Begriffe k a n n nicht oder doch n u r i n geringem Umfang durch i n t e r pretatorische Restriktionen vorsichtig korrigiert werden [bei den sog. „Geldwechselfällen" (dazu eingehend B. Rheineck, Zueignungsdelikte u n d Eigentümerinteresse, 1979) etwa durch die Rechtsfigur der „mutmaßlichen" E i n w i l l i g u n g i n der F o r m des „offenbar weichenden Interesses" (so Tiedemann, JuS 1970, S. 109); oder, m i t der Unterscheidung Roxins (H. Mayer-Festschrift, S. 467; ders., Welzel-Festschrift, S. 462): nicht das einzelne Geldstück, sondern die Geldsumme sei Gegenstand der Zueignung. Weiter, auf die I n teressen beim Eigentümer abstellend: Eser, i n : Schönke / Schröder 21 , § 242 Rdn. 4 a; Maiwald, Zueignungsbegriff, S. 146], ohne die F u n k t i o n der Formalisierung u n d Technizität des strafrechtlichen Güterschutzes zu unterlaufen: Die Sicherung der Freiheit des einzelnen vor unvorhersehbaren strafrechtlichen Sanktionen (vgl. Schreiber, in: SK StGB 2 , § 1 Rdn. 10 ff.) u n d die Sicherung vor einer ideologischen Reduzierung des Güterschutzes durch die Materialisierung dieses Schutzes; davor, daß durch Programme „richtiger" Persönlichkeitsentfaltung der liberal-individualistische Effekt, der durch die Technizität des Schutzes erreicht werden kann, praktisch relativiert werden könnte (Loos, Rechtsgutslehre, S. 77 f.).

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d S t r a f r a h m e n w h l

Hier ist es dem Richter bei der Strafzumessung nicht verwehrt, unter Hinweis auf den Zweck des Strafgesetzes die Strafe zu mildern, weil es an einer Verletzung des materiell durch die Norm geschützten Interesses fehlt und es bei einer nur abstrakten Gefährdung dieses Interesses geblieben ist. Der Richter ist durch das Doppelverwertungsverbot auch nicht gehindert, die Intensität der Verletzung des durch die Norm verfolgten Zweckes strafschärfend zu berücksichtigen; denn die Quantität des Unrechts einer tatbestandsmäßigen Handlung kann, bei den Individualschutztatbeständen, nicht dem Schaden gleichgesetzt werden, den der Täter am Angriffsobjekt anrichtete. Das Ausmaß der Betroffenheit des Opfers durch eine bestimmte Tat hängt immer auch davon ab, i n welchem Grad i m konkreten Fall das Interesse verletzt wird, das die normative Garantie bestimmter Gegenstände bezweckt. Beispielhaft: Ist es, neben anderem, auch Zweck der Eigentumsdelikte, durch den Schutz bestimmter Gegenstände die i n diesen Gegenständen geronnene Freiheit des Opfers, seine Handlungspotentiale, zu schützen, dann bedeutet der Verlust eines bestimmten Gegenstandes nicht für jedes Opfer und nicht für jedes Opfer i n jeder Situation den gleichen Verlust an Verhaltensalternativen. Die Rentnerin, der ein kleiner Betrag weggenommen wird, der aber einen beträchtlichen Teil ihrer Monatsrente ausmacht, kann durch den Verlust mehr betroffen sein als der Krösus, der den Verlust ohne Einbußen i n seiner Lebensgestaltung leicht verschmerzen kann. Das gilt freilich nicht i n jeder Situation: Auch der Reiche kann durch den Verlust eines geringen Geldbetrages i n seiner Lebensgestaltung erheblich betroffen werden, etwa wenn es sich bei dem weggenommenen Geld u m das Fahrgeld für ein Verkehrsmittel handelte, und er nun viele Kilometer zu Fuß laufen muß; und den Gelegenheitskraftfahrer schmerzt der Verlust seines Kraftwagens weniger als den Handelsvertreter, der auf seinen Wagen angewiesen ist, und der nun wichtige Kundenbesuche nicht unternehmen kann 1 7 9 . 179 Freilich ist die V e r w e r t u n g des Verlustes an Handlungsfreiheit bei den Betroffenen auch i m Rahmen der Strafzumessung, des Satzes n u l l a poena sine lege wegen, nicht bedenkenfrei: Mag materialer Endzweck strafrechtlicher Individualschutztatbestände auch die Sicherung individueller Entfalt u n g sein, so ist individuelle Entfaltung doch k e i n unmittelbarer Gegenstand strafrechtlichen Schutzes. Das positive Recht schützt Entfaltungschancen i m m e r n u r i n der Weise, daß bestimmte Voraussetzungen zur individuellen Entfaltung garantiert werden; u n d das geltende Recht schützt diese Gegenstände als verfügbare Voraussetzungen individueller Entfaltung auch nicht gegen jedes verletzende Verhalten, sondern regelmäßig n u r gegen Angriffe auf bestimmten, tatbestandlich beschriebenen Wegen (vgl. n u r §§ 242, 246, 249, 303 StGB für das Eigentum oder §§ 263, 266, 253 StGB für das V e r mögen); u n d es schützt verschiedene Gegenstände auch i n unterschiedlicher Stärke: Teils steht der Versuch unter Strafe, teils nicht; teils ist das Gut auch gegen eine fahrlässige Verletzung geschützt, teils n u r gegen eine vorsätzliche usw. W i r d n u n aber das jeweilige Angriffsobjekt auf das h i n t e r i h m stehende Freiheitsinteresse bezogen, werden die Formalisierung u n d Technizität des strafrechtlichen Güterschutzes u n d damit auch die Zwecke, die durch die

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Hier ist es dem Richter unter Hinweis auf den Zweck des Strafgesetzes bei der Strafzumessung jedenfalls nicht verwehrt nach dem Maß der Verletzung des materiell durch die Norm geschützten Interesses, die Strafe zu schärfen. Und entsprechend bei den Tatbeständen m i t überindividuellen Schutzgütern: Auch hier darf der Richter vom Zweck des Strafgesetzes her nach dem Ausmaß des Schadens fragen, der, bei der Wirtschaftskriminalität, für das Funktionieren der Volkswirtschaft durch die Tat entstand: Daß „zeitweise . . . das Preisgefüge auf dem internationalen Kaffeemarkt ins Wanken (geriet), als internationale Betrüger die Quotenbindung des Internationalen Kaffeeabkommens umgingen und m i t Hilfe gefälschter Kaffeerzeugnisse und Rechnungsbelege billigen Kaffee in die traditionellen Verbraucherländer einschleusten" 180 . Ebenso darf der Richter bei den Amtsdelikten den Grad der Schädigung der Funktionsfähigkeit staatlicher Verwaltung durch die Beeinträchtigung des Amtsethos der Funktionäre 1 8 1 erschwerend verwerten: Daß „bestochene Angehörige der Finanzverwaltung . . . den unrechtmäßigen jahrelangen Bezug von Ausfuhr- und Ausfuhrhändlervergütung durch fingierte Exportgeschäfte i n Millionenhöhe" förderten 1 8 2 ; oder auch den Grad des Verlustes des Vertrauens und der Bereitschaft des Publikums, i n der Organisation erarbeitete Entscheidungen als verbindlich zu akzeptieren 1 8 3 , nach spektakulären Bestechungsfällen i m Zusammenhang mit Bauvergaben usw. Fehlerhaft ist die Strafzumessungsbegründung erst, wenn der Richter den von i h m bei der Entscheidung zugrunde gelegten Zweck der Strafvorschrift nicht allein zur Bestimmung der Wertigkeit des Strafrahmens oder i n seiner quantitativen Ausprägung i m Einzelfall nennt, sondern i h n als Argument zur Begründung der Schwere der konkreten Tat verwertet 1 8 4 : Eine Strafe bestimmter Höhe sei allein deshalb ange(relative) Technizität des Schutzes intendiert sind, i n der Strafzumessung ansatzweise aufgehoben. Der Täter haftet n u n für den Verlust individueller Chancen bei dem durch die Tat Betroffenen aus dem Strafrahmen des durch die Verhaltensnormen geschützten Angriffsobjektes, obgleich das Freiheitsinteresse selbst allein gegen Nötigung, ansonsten aber n u r durch das A n griffsobjekt geschützt ist. Z u r Zurechnung „verschuldeter A u s w i r k u n g e n der Tat" i m Rahmen der Strafzumessung vgl. allgemein Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 421 ff.; Frisch G A 1972, S. 321 ff.; Zip/, Die Strafzumessung, S. 30 ff., alle m. w . N. 180 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht u n d Wirtschaftskriminalität, Bd. 1, S. 25. 181 Dazu Loos, Welzel-Festschrift, S. 885 ff., 888 ff. 182 Tiedemann, Wirtschaf tsstraf recht u n d Wirtschaftskriminalität, Bd. 1, S. 26. 183 Dazu Loos, Welzel-Festschrift, S. 885 ff., 888 ff. 184 Ebenso O L G Hamburg, JR 1954, S. 470; KG VRS 12, S. 453 (454); B G H D A R 1957, S. 238.

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d S t r a f r a h m e n w h l

messen, weil „Straftaten gegen die Steuergesetze sich i n besonderem Maße gegen das Wohl der Allgemeinheit" richteten 1 8 5 ; weil, bei der Abtreibung, die „zerstörende Wirkung" solcher Taten „auf die Sittlichkeit und Kraft des Volkes" 1 8 6 die ausgeworfene Strafe als angemessen erscheinen lasse usw. 1 8 7 . Was zur Berücksichtigung des Zweckes der verletzten Vorschrift i n der Strafzumessungsbegründung gesagt wurde, gilt entsprechend für die Verwertung der Strafzwecke: Dem Richter ist es nicht verwehrt, i n der Begründung der Strafzumessungsentscheidungen die Strafzwecke zu nennen, von denen er ausgegangen ist. Von der Wahl der Strafzwecke und der Bestimmung ihres Stellenwertes hängt nicht nur die Auswahl des für die Entscheidung relevanten Tatsachenmaterials ab; davon hängt auch die „Bewertungsrichtung" 1 8 8 dieser Tatsachen ab. Ohne Kenntnis der vom Richter zugrunde gelegten Strafzwecke ist die Kontrolle der Strafzumessungsentscheidung kaum möglich. Verwehrt ist dem Richter erst, sich zur Begründung der Strafzumessungsentscheidung auf die Benennung des — generellen — Strafzweckes zu beschränken: So ist es unzulässig, den „Gesichtspunkt der allgemeinen Abschreckung, den der Gesetzgeber bei der Aufstellung eines bestimmten Strafrahmens bereits berücksichtigt hat, . . . bei der Bemessung der Strafe innerhalb dieses Strafrahmens . . . lediglich unter Heranziehung der Tatbestandsmerkmale strafschärfend" zu verwerten 1 8 9 ; und ver185

Vgl. RG J W 1937, S. 470 m i t A n m . Megow. RGSt. 59, S. 423 ff. (426). 187 Zweifelsfälle bleiben, bezogen auf den materiellen Gehalt des Doppelverwertungsverbotes als Anwendungsfall der materiell-rechtlichen Begründungspflicht, i n Fällen, i n denen die Begründung bezogen auf die i m U r t e i l ausgewiesene Tatschwere trotz der Verwendung des — generellen — Zweckes der verletzten Strafvorschrift als Strafzumessungsgrund i m übrigen „hin-» reichend" ist: Bei der Tat habe es sich u m einen „erheblichen A n g r i f f auf die Rechtspflege" gehandelt; der Täter habe das Gericht i n raffinierter Weise getäuscht; w e i l der E i d v o n „hervorragender Bedeutung . . . für die Rechtspflege" sei, habe auf eine Strafe bestimmter Höhe erkannt werden müssen. I n Fällen dieser A r t ist eine „elastischere Handhabimg" des Doppelverwertungsverbotes, die erlaubt, „bei bedenklichen Wendungen" die Strafzumessungsbegründung durch eine wohlwollende „rechtsprechungskonforme" Auslegung, „das heißt durch die Verneinung einer unzulässigen Doppelverwertung, zu halten" (Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 374), jedenfalls dann am Platze, w e n n schon die i m U r t e i l angeführten, „erlaubten" Strafzumessungsgründe die i m Strafmaß ausgedrückte Tatschwere „hinreichend" begründen. — Wegen eines Verstoßes gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB aufzuheben ist die Entscheidung i n der Strafzumessung dagegen, w e n n sich die Begründung auf die Benennung des Zweckes der Straf Vorschrift beschränkt, oder w e n n die Begründung durch „erlaubte" Strafzumessungsgründe i m übrigen nicht hinreichend ist. 188 Dazu Zipf, Strafmaßrevision, S. 4; Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 48. 189 BGH M D R 1962, S. 664 f.; vgl. auch BGH N J W 1962, S. 1306 f. (1307); KG VRS 9, S. 218 f. (219); O L G Neustadt, D A R 1957, S. 236. 186

I I . K r i t i k der Gesamtbetrachtung

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wehrt ist dem Richter auch, „die erhebliche Bedeutung seiner Tat für die durch sie verletzte Rechtsordnung" 190 zu Lasten des Täters bei der Strafzumessung einzusetzen 191 . 3. Zusammenfassung Es hat sich gezeigt, daß allein die relative „Unbestimmtheit" der Rechtsvoraussetzungen bei den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen, bei den besonders schweren Fällen und den minder schweren Fällen, die den Richter nötigt anstelle des „Gesetzgebers" zu entscheiden, kein Argument für die Unanwendbarkeit des Doppelverwertungsverbotes i n diesen Fällen hergibt. Es gibt kein das Doppelverwertungsverbot fundierende Modell der Rechtsanwendung, aus dem „logisch zwingend" (Dreher) die Geltung des § 46 Abs. 3 StGB für die Tatbestandsmerkmale, den „Zweck der Strafvorschrift" etc. und die Nichtgeltung des Doppelverwertungsverbotes für die Fallgruppen „zweistufiger" Strafzumessung folgt. Auch die gegen die Anwendbarkeit des Doppelverwertungsverbotes i n diesen Fällen geltend gemachten Praktikabilitätsgründe, die Versuchs-, verbotsirrtumsbezogenen etc.

Strafzumessungsgründe seien nicht „chemisch rein" (Jagusch) von den übrigen Strafzumessungsgründen zu unterscheiden, gilt nur unter der Hypothese, daß Strafzumessung nach Maßgabe „versuchsbezogener" usw. Gründe darauf angewiesen sei konkrete Sachverhalte so zu zer190

B G H bei Dallinger, M D R 1971, S. 16. Dagegen soll eine generalpräventive Strafschärfung bei gesteigerter V e r breitungsgefahr zulässig sein: E t w a eine „außergewöhnliche Häufung v o n Straftaten der betreffenden A r t i n der letzten Zeit oder i m Bezirk des Gerichts" (BGHSt. 17, S. 321 ff., (324)), oder w e i l „erfahrungsgemäß i n ; Eheu n d Kindschaftssachen die meisten Meineide geleistet würden" ( B G H N J W 1966, S. 1276; vgl. auch BGHSt. 24, S. 40 ff.; u n d Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 404, 350; Koffka, i n : L K 9 , § 13 Rdn. 17). Bei der V e r w e r t u n g „regelmäßiger Begleitumstände" als Strafzumessungsgründe handelt es sich dagegen nicht mehr u m e i n Problem des Doppelverwertungsverbotes i m Sinne des § 46 Abs. 3 StGB, sondern u m eines des Umfanges der allgemeinen materiell-rechtlichen Begründungspflicht: Es ist nicht wegen des § 46 Abs. 3 StGB „denkfehlerhaft", dem Täter anzulasten, bei einem U n f a l l m i t tödlicher Folge habe „den Fahrer des m i t beteiligten P k w k e i n Verschulden an dem U n f a l l " getroffen weil, „der v o m Gesetzgeber . . . vorgestellte Regelfall der (sei), daß der Täter, der einen dieser Tatbestände v e r w i r k l i c h t hat, dies durch alleinige Schuld getan hat" ( B G H VRS 23, S. 228 ff. (232)). Oder: Der Dieb „einer Reihe von Kraftfahrzeugen" habe „den polizeilichen Fahndungsapparat i n Betrieb gesetzt . . . u n d . . . die Eigentümer der entwendeten K r a f t fahrzeuge (seien) durch den Verlust vorübergehend moralisch belastet w o r den" u n d sie hätten „eine Geldeinbuße . . . befürchten müssen" ( B G H bei Dallinger, M D R 1958, S. 565). — Oder der Umstand, daß das Kuppelunwesen zahlreiche Straftagen i m Gefolge zu haben pflegt (BayObLG N J W 1951, S. 574; B G H N J W 1967, S. 2416 zu §§ 242, 259 StGB; B G H bei Dallinger, M D R 1971, S. 362 zur Blutschande), ist allein deshalb ein fehlerhafter Strafzumessungsgrund, w e i l er nicht zur K o n t r o l l e der i n der Strafe ausgewiesenen Tatschwere „hinreicht". 191

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d S t r a f r a h m e n w h l

teilen. Das Argument gilt nicht für jedes andere Modell der Strafzumessung i n den genannten Fällen 1 9 2 . Freilich ist der Ansatz Drehers, der so verfährt, problematisch, weil er, gerade wie die Lehre von der Gesamtbetrachtung als Voraussetzung der Strafrahmenwahl, die Entscheidung über die Anwendbarkeit des nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmens immer noch der unmittelbaren Dezision aus der Anschauung des Einzelfalles überläßt, also keine Generalität der Ergebnisse liefert. Die Auslegung der Voraussetzungen der Strafrahmenwahl bei den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen, den besonders schweren Fällen und den minder schweren Fällen darf aber nicht beim Einzelfall stehen bleiben. Es gilt vielmehr, über den Einzelfall hinauszugelangen, und die für die Anwendung der Sonderstrafrahmen richtungsweisenden Wertgesichtspunkte derart zu konkretisieren, daß es durch die Bildung von Fallgruppen möglich w i r d feste und nachprüfbare Obersätze für die Handhabung der nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen, der minder schweren Fälle und der Strafschärfungen der besonders schweren Fälle zu gewinnen 1 9 3 . B. Materiell-rechtliche und strafzumessungsmethodische Unzulänglichkeiten der Gesamtbetrachtungslehren

Das Problem der Konkretisierung der Voraussetzungen der Strafrahmenwahl bei den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen, bei den besonders schweren Fällen und den minder schweren Fällen kann nicht auf den Gesichtspunkt der Doppelverwertung reduziert werden. Die Unzulässigkeit einer Gesamtbetrachtung als Voraussetzung der Strafrahmenwahl erweist sich auch an den Ergebnissen und methödischen Unzulänglichkeiten dieser Lehre.

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Dazu 1. T e i l I I I . B. Anders gesagt: Die Auslegung der nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen, der besonders schweren Fälle u n d der minder schweren Fälle hat das sicherzustellen, was Luhmann, Rechtssystem, S. 29, i n dem Begriff der „universalistischen Entscheidungspraxis" zu fassen versucht hat; vgl. auch Wieacker, Zepos-Festschrift, S. 411 ff.; ders., W. Weber-Festschrift, S. 440 ff., der i n der Universalisierbarkeit ein notwendiges M e r k m a l rechtlichen Entscheidens sieht u n d hierfür nicht n u r begriffliche (analytische) Argumente, sondern auch eine positiv-rechtliche Begründung anbietet: Damit die v o n den Prozeßgesetzen geforderten Begründungen „ v o n Instanzgerichten überprüfbar sind, müssen sie i n t e l l e k t u e l l objektiviert (in dem Sinne: rational sein); u n d w e i l sie v o n den Revisionsgerichten auf »Gesetzesverletzungen' . . . u n d »Nichtanwendung oder nicht richtige A n w e n d u n g des Gesetzes' . . . überprüft werden, müssen sie als Bestimmungsgründe eine allgemeine Regel (Gesetz oder Rechtssatz . . . ) erkennen lassen" (Wieacker, W. Weber-Festschrift, S. 442). 193

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1. Die Kritik Arzts an der Gesamtbetrachtung bei den besonders schweren Fällen Arzt hat die „mißlichen Konsequenzen" beschrieben, zu denen eine Gesamtbetrachtung bei den besonders schweren Fällen des § 243 StGB führt. Über das „Nachtatverhalten" würden „tatbestandsferne Momente ins Spiel gebracht", und durch die Berücksichtigung der „verschuldeten Auswirkungen der Tat" könne der „Diebstahl i n schweren Fällen — i n radikaler Abweichung vom qualifizierten Diebstahl — die Züge eines erfolgsqualifizierten Delikts annehmen". Von den atypischen besonders schweren Fällen drohe eine Deformation der Konkurrenzlehre: „Bei einer Handlung i m Rechtssinne, insbesondere . . . auch bei fortgesetzter Handlung, gilt das Asperationsprinzip (des § 74 a. F. StGB) nicht. . . . Die Strafe für fortgesetzten einfachen Diebstahl war also § 242 StGB zu entnehmen. Jetzt zeichnet sich die Möglichkeit ab, i n der »Fortsetzung' eines einfachen Diebstahls einen schweren Fall zu sehen: Fortsetzungszusammenhang ändert so den Strafrahmen, obgleich § 74 (a. F. = § 53 n. F.) StGB das Asperationsprinzip nur für die Realkonkurrenz vorsieht" 1 9 4 . Auch i m Verhältnis zu § 24 StGB zeigten sich i n folgendem F a l l 1 9 5 Ungereimtheiten: X w i l l gemäß § 243 Nr. 1 StGB einbrechen. Nach dem „Einbrechen" gibt X den Plan freiwillig auf. Dann Diebstahl aufgrund eines neuen Entschlusses (: § 242 StGB, bloße Ausnutzung der durch das frühere Einbrechen geschaffenen Gelegenheit); i m Wege einer „Gesamtwürdigung" aber: atypischer besonders schwerer Fall eines Diebstahls 196 . 2. Die Beschränkung der fakultativen Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB auf Versuch, Unterlassen usw. und die Gesamtbetrachtungslehren Soweit mit der „Gesamtschau" aller strafzumessungsrelevanten Tatumstände gemeint ist, daß als Voraussetzung der Strafrahmenwahl jeweils Unrechts- und Schuldquantitäten zu ermitteln und mit anderen, bekannten zu vergleichen seien, u m dann je nach dem Ergebnis des Vergleichs beim Versuch die Strafe nach Maßgabe der §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB zu mildern, oder, bei den besonders schweren Fällen, durch Anwendung des Sonderstrafrahmens zu schärfen, gerät die Lehre von 194 195 196

Arzt, JuS 1972, S. 519 f. Nach Dreher, StGB 8 7 , § 243 A n m . 2 C b. Arzt, JuS 1972, S. 520, Fn. 49.

5 Timpe

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d Strafrahmenwahl

der Gesamtbetrachtung i n Konflikt zu heute kaum noch bestrittenen Annahmen der Strafzumessungslehre. Die h. L. begreift Strafzumessung als zweiaktigen Vorgang: I m ersten Arbeitsgang sei, unter Ausschluß präventiver Gesichtspunkte, das Maß der (Tat-)Schuld und der ihr entsprechenden Strafe zu bestimmen. Diese „Schuldstrafe" sei sodann i n einem zweiten Arbeitsgang den unter präventivem Aspekt notwendigen Korrekturen zu unterziehen. Übertragen auf eine, an dem Maß von Unrecht und Schuld ausgerichtete Gesamtbetrachtung aller für die Strafzumessung erheblichen Tatumstände: Eine auf Schuldquantitäten abstellende Bestimmung der Voraussetzungen der Strafrahmenwahl beschreibt schlicht den ersten Arbeitsgang des — konkreten — Strafbemessungsvorganges. Sie verkennt dabei aber, daß damit Schuld ohne Zweckbezug für die Strafe konstitutiv ist, obgleich das „Schuldprinzip" nicht fordert, daß jede Schuld Strafe oder gar gleiche Strafe nach sich ziehen muß, sondern nur, daß keine Strafe ohne Schuld ausgesprochen werden darf: Schuld ist notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für Strafe und, sofern Strafe verhängt wird, für ihr Maß. Eine Begriffsbestimmung der Voraussetzungen von Strafschärfung und Strafmilderung, die sich darauf beschränkt, einen Arbeitsgang des Strafbemessungsvorganges für die Strafrahmenwahl heranzuziehen, muß alle auch für die Strafzumessung i m e. S. erheblichen Umstände schon bei der Strafrahmenwahl einstellen. Sie liefert dann aber keine sinnvolle Begründung der gesetzlichen Regelung mehr, da sie nicht erklären kann, warum nach dem positiven Recht nur wegen eines Versuches usw. die Strafe gemildert werden darf, daß es dem Richter aber nicht erlaubt ist, sich anläßlich eines Versuches (§ 23 Abs. 2 StGB) einer Tat i n erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB), einer Unterlassungstat (§ 13 Satz 2 StGB) usw. aus der Bindung an den Regelstrafrahmen zu befreien, wenn die Umstände, deretwegen er mildert, i n keiner Beziehung zu dem Umstand stehen, daß es beim Versuch usw. geblieben ist 1 9 7 . Ein Ergebnis, das Dreher bei der Strafzumessung zum Versuch „ungerecht" nennt. Es erlaube, den Täter aus Gründen, die i n 197 Stratenwerth, Versuch, S. 258; Jescheck, A T 3 , S. 422; Eser, in: Schönke/ Schröder 21 , § 23 Rdn. 7; Schweling f M D R 1971, S. 972; Dreher, JZ 1957, S. 156; vgl. auch: Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 447: „Das erscheint etwas unger e i m t " ; „aber der E i n w a n d wiegt nicht so schwer, daß er zur Beschränkung auf die versuchsbezogenen Gründe zurückführen müßte", zumal eine „gewisse K o r r e k t u r jener Folgerung . . . sich, w o h l dadurch . . . erreichen lassen (wird), daß m a n solche Strafmilderungsgründe nicht allzu leicht zum Anlaß n i m m t , v o m Regel- auf den Sonderstrafrahmen umzuschalten". N u r : Die „ K o r r e k t u r " , die Bruns vorschlägt, setzt gerade voraus, was kurz zuvor als unmöglich geleugnet wurde: Daß sich „solche" (: nicht versuchsbezogene Strafzumessungsgründe) v o n den versuchsbezogenen „chemisch r e i n " (Jagusch) t r e n nen lassen.

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keinem inneren Zusammenhang mit dem Versuchssachverhalt stehen, doppelt zu begünstigen: Die Tat sinke schon mit der Wahl des milderen Sonderstrafrahmens „auf eine niedrigere Stufe der insgesamt i n Frage kommenden Strafgrößen"; sie werde dann wegen derselben, nach den allgemeinen Strafzumessungsregeln mildernden Umstände, bei der Strafzumessung nach dem Sonderstrafrahmen noch „ein weiteres Mal auf eine niedrigere Strafgröße heruntergedrückt" — obgleich doch die gleichen unspezifischen Milderungsgründe bei vollendeter Tat nur einmal innerhalb des Regelstrafrahmens zugunsten des Täters berücksichtigt werden dürften 1 9 8 . Dreher w i l l so freilich nur für den Versuch und die übrigen nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderung des A. T. entscheiden. Er meint, aus der „Natur der Sache" sei es nicht zu vermeiden, jedenfalls bei den „besonders schweren Fällen", die Strafrahmenwahl von einer Gesamtbetrachtung abhängig zu machen. — I n Widerspruch zu den von ihm zum Versuch dargelegten Gründen: So wenig wie beim Versuch kann es Sinn der Gesetzgebungstechnik der besonders schweren Fälle sein, dem Richter zu erlauben, wegen straferschwerender Strafzumessungsgründe, die bei der Verwirklichung auch anderer als des zur Entscheidung stehenden Tatbestandes vorliegen können, sich aus der Bindung an den Regelstrafrahmen zu lösen. Gerade wie beim Versuch ist es auch bei den besonders schweren Fällen „ungerecht", den Täter wegen unspezifischer Strafschärfungsgründe doppelt zu belasten, je nachdem, ob nach den Zufälligkeiten der Gesetzgebungstechnik zu einem besonderen Tatbestand ein besonders schwerer Fall vorgesehen ist oder nicht. 3. Das Verhältnis von Schuldquantifizierung, Gesamtbetrachtung und Strafrahmen Freilich hält die Rspr. nicht ohne Grund an einer Gesamtbetrachtung aller Strafzumessungstatsachen bei der Bestimmung der Voraussetzungen der nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen des A. T. und bei den besonders schweren Fällen fest. Der Satz von der „Revolution der Richter gegen die soziologisch und kriminalpolitisch überholten Strafdrohungen" 1 9 9 des Gesetzes, u m den es nach der Strafrechtsreform stiller wurde, ohne daß sich an dem beschriebenen Phänomen (: die Strafen häufen sich i m unteren Drittel der Strafrahmen, Strafen aus der Mitte sind selten, das obere Drittel der Strafrahmen ist für die Strafzumessung so gut wie bedeutungslos) etwas geändert hätte, hat iss Dreher, JZ 1968, S. 213; ders., J Z 1957, S. 157 f. Dreher, JZ 1968, S. 212; ders., Gerechte Strafe, S. 69 i m Anschluß an Exner. 199

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d Strafrahmenwahl

an Aktualität nichts verloren 2 0 0 . Die Forderung nach einer „Gesamtschau" bei der Bestimmung der Voraussetzungen der Strafrahmenwahl kann als Versuch der Gerichte begriffen werden, den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen materiell die Funktion einer generellen Anordnung minder schwerer Fälle zuzuweisen. Sie erlaubt es den Gerichten — auf dem Wege über eine Gesamtbetrachtung — so bei Vorliegen der formalen Voraussetzung eines Milderungsgrundes (: daß ein Versuch vorlag, daß ein Täter i n erheblich verminderter Schuldfähigkeit handelte usw.) wegen beliebiger, nach den allgemeinen Strafzumessungsregeln mildernder Umstände, die nach unten als zu eng empfundene Bindung an den Regelstrafrahmen zu lösen. „Gesamtbetrachtung" i n dieser Sicht ist dann aber nicht nur eine Korrektur des Gesetzes contra legem: Der Gesetzgeber hat darauf verzichtet, eine dem § 6 3 E 1962 201 entsprechende Vorschrift i n das Gesetz aufzunehmen. Sie ist auch ein Verstoß gegen die Logik i n der Strafzumessung. Sie beachtet nicht, daß „Grade der Strafwürdigkeit" (Bruns) oder eine erhebliche „Schuldsteigerung" i n einer Ordnung nur nach einem positiv rechtlichen System der Strafrahmen bestimmbar ist: „Es ist wenig genug, was die Gerechtigkeit . . . bedeutet. Denn sie ist durchaus abhängig vom Strafensystem. Ob Hinrichtung, ob lebenslange Einsperrung, ob 10 Jahre Zuchthaus die gerechte Strafe ist, das können w i r erst sagen, wenn w i r wissen, ob das Strafensystem die Todesstrafe und lebenslange Freiheitsstrafe aufgenommen oder ob es als Maximum der zeitigen Freiheitsstrafe 10, 15, 20, 25 oder 30 Jahre aufgestellt hat. Gebt m i r das Strafensystem und ich gebe Euch die Gerechtigkeit" (v. Liszt). Die neuere Strafzumessungslehre sieht die Funktion der Strafrahmen nicht mehr darin, der richterlichen Strafzumessung Grenzen zu setzen, innerhalb derer der Richter nach „pflichtgemäßem Ermessen" einer, nach außerrechtlichen Wertungen bestimmten Schuldquantität eine Strafgröße zuordnet. Dem Strafrahmen komme vielmehr die entscheidende Leitfunktion bei der Schuldmaßbestimmung zu: Als genereller (Schuld-)Wertung der i m Gesetz formulierten Tattypen. Die Strafrahmen seien die i n einem arbeitsteiligen Verfahren geleisteten Beiträge des Gesetzgebers zur Strafzumessung. Sie ständen, wie es bei Frisch heißt, anstelle „eines Bündels einzeln ausformulierter Strafdrohungen Entsprechend der Funktion des Strafrahmens als des Surrogats 200 w i e neuere Untersuchungen über die Strafzumessungspraxis deutscher Gerichte zeigen Schöch, Strafzumessungspraxis, 1973; Rolinski, Prägnanztendenz, 1969. 201 § 6 3 E 1962 lautet: E i n minder schwerer F a l l liege vor, w e n n Umstände, die „zur Tat gehören oder i h r vorausgehen, oder das Verhalten des Täters nach der Tat das Unrecht oder die Schuld wesentlich mindern".

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f ü r e i n B ü n d e l a b s o l u t e r S t r a f d r o h u n g e n , die, v o n l e i c h t n a c h schwer ansteigend, j e d e r

Deliktsverwirklichung

eine

bestimmte

S t r a f große

z u o r d n e n w ü r d e n , k a n n aber d a n n die F e s t l e g u n g des S t r a f m i n i m u m s n u r e i n W e r t u r t e i l ü b e r d e n d e n k b a r leichtesten, die des S t r a f m a x i m u m s a l l e i n e i n solches ü b e r d e n d e n k b a r schwersten v o r k o m m e n d e n Fall beinhalten"202. R i c h t i g ist, daß S t r a f z u m e s s u n g a l l e n f a l l s r e l a t i v z u e i n e m gegebenen S t r a f e n s y s t e m e r f o l g e n k a n n . U n d r i c h t i g ist auch, daß, b e i m F e h l e n m e t r i s c h e r O r d n u n g e n , die B e s t i m m u n g des Schuldmaßes e i n e r k o n k r e t e n T a t n u r d u r c h e i n vergleichendes I n b e z i e h u n g s e t z e n dieser T a t m i t V e r g l e i c h s f ä l l e n b e k a n n t e r Schuldschwere m ö g l i c h i s t 2 0 3 . Z w e i f e l h a f t dagegen ist die z u r P r ä z i s i e r u n g des G e d a n k e n s e i n e r d u r c h d e n S t r a f r a h m e n n o r m i e r t e n r e l a t i v e n Schwereskala aufgestellte B e h a u p t u n g , die „ G r e n z g r ö ß e n d e r S t r a f r a h m e n ( m a r k i e r t e n ) j e d e s m a l auch d i e S c h w e r e g r e n z w e r t e v o n U n r e c h t u n d S c h u l d " 2 0 4 ; „ d i e S t r a f d r o h u n g (erfasse) n a c h d e r b i n d e n d e n E n t s c h e i d u n g des Gesetzgebers" 202 Frisch, Revisionsrechtliche Probleme der Strafzumessung, S. 161 f.; i m Anschluß an Dreher, Gerechte Strafe, S. 61 ff., S. 66; ders., JZ 1968, S. 211; Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 83; ders., Leitfaden, S. 46 ff.; ders., N J W 1979, S. 289 ff.; Henkel, Die „richtige" Strafe, S. 21; Horn, in: SK StGB 3 , § 46 Rdn. 51; G. Hirsch, i n : L K 1 0 , v o r § 46 Rdn. 33 f.; Schöch, Strafzumessungspraxis, S. 20 f.; O L G Stuttgart, M D R 1961, S. 343; BGHSt. 27, S. 2 f. (3). 208 v g l . dazu auch den Ansatz Haags, Rationale Strafzumessung, S. 11, der die Strafzumessung durch das Nutzbarmachen v o n i n den Wirtschaftswissenschaften entwickelten Methoden u n d „Entscheidungsmodellen" des "Operations research" für die Schwerebestimmung einer Tat „auf eine rationale wissenschaftliche Basis (stellen)" w i l l . Haag schlägt ein Verfahren vor, i n dem einheitlich bewertete Standardfälle als „ A n k e r " oder „Maßeinheit" als Vergleichsgrundlage dienen (Haag, Rationale Strafzumessung, S. 69). Er versteht sein Strafzumessungsmodell nicht als „rechnerischen Versuch" i m üblichen Sinne — denn er beruhe nicht auf einem „Taxensystem" — sondern als Versuch zu „volle(r) Individualisierung bei der Strafzumessung, verbunden m i t größtmöglicher Exaktheit u n d Gleichmäßigkeit" (Haag, Rationale Strafzumessung, S. 16). Die formalen Methoden u n d damit die EDV für die Rechtsanwendung u n m i t t e l b a r fruchtbar machen w i l l v. Linstow (Berechenbares Strafmaß, S. 14 ff.). E r weist den Richter f ü r die Strafzumessung an, nach einem, zu jedem Deliktstatbestand genau definierten Merkmalskatalog, alle strafzumessungsrelevanten Tatsachen i n einem ersten Schritt entsprechend mehr oder minder genau skalierten Maßstäben zu gewichten (vgl. v. Linstow, Berechenbares Strafmaß, S. 61 ff.). Der Richter habe dann nach tatbestandsspezifischen u n d etwaige Konkurrenzverhältnisse berücksichtigenden „Verknüpfungsregeln" aus diesen Werten die „Strafrohzahl" zu errechnen. Aus der „Strafrohzahl" könne er sodann anhand „allgemeiner E n t scheidungsregeln" u n d „Vorschriften" (vgl. v. Linstow, Berechenbares Strafmaß, S. 121 ff.) den konkreten Strafausspruch ermitteln. Beide Modelle leiden freilich daran, daß „die ganze ,Formalisierung' u n d ,Mathematisierung' der Fragen u n d Begriffe . . . eine Exaktheit (vorspiegelt), die angesichts der Fragwürdigkeit mancher Ausgangspunkte gar nicht besteht", Spendel, ZStW 83, S. 241; vgl. zur K r i t i k auch Schöch, Strafzumessungspraxis, S. 56 f.; Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 62 m i t Fn. 28; Hassemer, ZStW 90, S. 66 ff. 204

Dreher, Bruns-Festschrift, S. 149.

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d Strafrahmenwahl

„sowohl die denkbar schwersten als auch die denkbar leichtesten Fälle" des jeweiligen Delikttyps 2 0 5 . Schon A r z t 2 0 6 hat zur Gestaltung der Strafrahmen angemerkt, sie sollten „nach oben lieber so begrenzt sein, daß (eher) einige Straftäter zu milde (davonkämen), als daß relativ harmlose Täter (wegen des Einflusses, den die Obergrenze auf die Strafzumessung i n allen Fällen ausübt) zu hart bestraft werden. Wie auf der Tatbestandsseite auf die Einbeziehung von Grenzfällen verzichtet w i r d (Analogieverbot), so verzichtet man bei der Festsetzung der Strafrahmen auf die Grenzfälle — Dagegen ist der Strafrahmen nach unten so weit auszudehnen, daß die hinreichend milde Bestrafung auch i n Grenzfällen möglich ist"; „allenfalls ganz extrem gelagerte Sachverhalte brauchen bei der Festsetzung der Strafuntergrenze nicht berücksichtigt zu werden, sondern können der Gnade überlassen bleiben" 2 0 7 . Und Dreher 208 meint, die Grenzwerte der Strafrahmen seien nicht auf „den denkbar leichtesten und den denkbar schwersten Fall der Tat" zugeschnitten. „Wollte man nämlich den Versuch machen, einmal den denkbar leichtesten und den denkbar schwersten Fall eines Tatbestandes konkret zu exemplifizieren, so würde man rasch erkennen, daß dies kaum möglich ist. Jedesmal würde der Verdacht bleiben, es könnte einen noch leichteren oder noch schwereren Fall geben Man w i r d die Grenzwerte des Strafrahmens nicht theoretisch ausgeklügelten leichtesten und schwersten Fälle vorbehalten dürfen, sondern sie ganzen Gruppen von Fällen zuordnen müssen, die besonders leicht bzw. besonders schwer liegen." Einen „denkbar" leichtesten Fall, dem die Untergrenze, und einen „denkbar" schwersten Fall, dem die Obergrenze des Strafrahmens entspräche, gibt es nicht 2 0 9 . Zu allen „denkbaren" Fällen, die als Korrelate der Strafrahmengrenzen genommen werden, kann schon bei den Erfolgsdelikten schlicht durch die Halbierung des Erfolges ein „denkbar" leichterer Fall gedacht werden, oder durch die Verdoppelung des Erfolges ein „denkbar" schwererer: Zu dem Diebstahl einer Mark, der Diebstahl von 50 Pfennigen, von 25 Pfennigen, von 12 Pfennigen usw. Oder krasser: Zu der Entwendung eines entwerteten Kinobillets als „denkbar" leichtesten Fall des Diebstahls, die Entwendung eines halbierten entwerteten Billets usw. Zu der Tötung vieler Hundert Menschen durch das Verursachen des Absturzes eines Großraumflugzeuges, der Tod vieler Tausend Menschen durch die Sabotage an einem Stau205 208 207 208 209

BGHSt. 27, S. 2 ff. (3 f.), u n d die i n Fn. 202 Genannten. Arzt, JuS 1972, S. 386. Arzt, JuS 1972, S. 386, Fn. 5, m. w . N. Dreher, Bruns-Festschrift, S. 160. Vgl. zur K r i t i k auch Zipf, Strafmaßrevision, S. 28.

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dämm oder der Tod Zehntausender durch das Auslösen einer Atomkatastrophe usw. Daß der Gesetzgeber bei diesem Befund den — untauglichen — Versuch unternehmen wollte, durch die Strafrahmen das an Fallgestaltungen Denkbare zu regeln, ist wenig plausibel. Die Annahme liegt näher, daß durch die Festsetzung bestimmter Strafrahmengrenzen, unter Verzicht auf das Unpraktische aber Denkbare, das nach der k r i m i nologischen Erfahrung praktisch Vorkommende geregelt werden sollte. Gleich aber, ob die Strafrahmen des positiven Rechts zur Anleitung der Schuldmaßbestimmung taugen: Das Maß der Schuld kann nur relativ zu einem gegebenen Strafensystem festgestellt werden. Ist die These, daß Schuld nur i n einem positiv rechtlichen System bestimmt werden kann aber richtig, dann ist ein Abstellen auf „Schuldquantitäten" als Voraussetzung der Bestimmung eines Strafrahmens denkbar ungeeignet. Schon die Bestimmung des Schuldmaßes läßt sich nicht ohne Rückgriff auf ein Strafensystem leisten (und dann auf welches: das des Regel- oder das des Sonderstrafrahmens?). Anders gesagt: Eine Gesamtbetrachtung steht vor dem Dilemma, daß ohne Rückgriff auf ein Strafensystem Schuldquantifizierung nicht möglich ist, und daß ohne vorhergehende Bestimmung des Schuldmaßes die Bestimmung des Strafensystems ausgeschlossen ist. Aus der These, daß Schuld nur nach einem Strafensystem bestimmt werden kann, folgt weiter, daß jede Änderung des Strafensystems dieselbe Tat innerhalb des neuen Rahmens gegenüber dem alten an eine andere Stelle rücken läßt: Bei Milderung des Rahmens nach unten, bei Schärfung nach oben. Für die Gesamtbetrachtung als Voraussetzung der Strafrahmenwahl gilt also: Führt jede Änderung des Strafrahmens zu einer Änderung der — relativen — Tatschuldschwere i m konkreten Fall, dann setzt die Strafrahmenwahl, unter der Voraussetzung, daß jeweils das „relativ" richtige Schuldmaß über den anzuwendenden Strafrahmen entscheiden soll, die Kenntnis des zu wählenden Strafrahmens voraus. Das beschriebene Dilemma einer „Gesamtbetrachtung" verschärft sich: Die Strafrahmenwahl beim Versuch, bei den besonders schweren Fällen usw. setzt nun nicht nur den Rückgriff auf ein Strafensystem überhaupt, sondern die Kenntnis des zu wählenden Strafrahmens voraus. 4. Rechtssicherheit bei der Straf rahmenwahl und Gesamtbetrachtung; zugleich zu den Bedingungen der Schuldquantifizierung Strafrahmenwahl aufgrund einer „Gesamtschau" ist bei den besonders schweren Fällen und i n den Fällen der nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen des A. T. nur unter weitgehendem Ver-

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d Strafrahmenwahl

zieht auf jegliche Rechtssicherheit und Überprüfbarkeit der Ergebnisse möglich. Blei hat dem „Gedanken, jeweils die Gesamtheit der Strafzumessungsgründe" über die Strafrahmenwahl entscheiden zu lassen, vorgehalten, so werde „ein an sich gesundes Prinzip der Auffächerung von Strafdrohungen durch . . . eine beinahe unvermeidliche Grundsatzlosigkeit" ersetzt 210 . Auch die, als Korrelat zu der geschilderten Funktionsbestimmung des Strafrahmens für eine Rationalisierung der Strafzumessung vorgeschlagene „Methode typologischer Rechtsfindung" 2 1 1 leistet für die überprüfbare Bestimmung von Schuldmaßen oder von „Graden der Strafwürdigkeit" (Bruns) bei der Strafrahmenwahl bei den besonders schweren Fällen und den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen des A. T. wenig. „Typologische Rechtsfindung" ist, bei Fehlen metrischer Ordnungen, also i m Bereich der Strafzumessung, auf „sachverständige Schätzung" oder die „Entscheidung des Rechtsgefühls" (Zippelius) bei der Bestimmung der Abstände konkreter Fälle zu bekannten Typen angewiesen. Hempel / Oppenheim haben dazu schon klargestellt, „ i n einer Reihenordnung, die sich auf Individuen aus Indikatoren stützt", sei es unvermeidlich, daß „sich die Reihenfolge zuweilen erheblich (ändert), wenn ein anderer Indikator gewählt w i r d " 2 1 2 . Rechtsfindung durch Typenvergleich setzt für die Schuldmaßbestimmung voraus, daß „Typen" beschrieben sind, i n denen Schuld „rein" zum Vergleich steht: Eine noch nicht ansatzweise gelöste Aufgabe 2 1 3 . Eine Durchsicht der zur Bildung von Vergleichsfällen vorgeschlagenen Lösungen zeigt, daß die Probleme, die sich aus der Verbindung von Strafzweck, Strafrahmen und „Durchschnittsfall" ergeben, noch offen sind. Einige fragen vom Strafleid des Täters her und nehmen das „geometrische Mittel" aus der unteren und der oberen Strafrahmengrenze zur Beurteilung der Tatschwere bei der Ermittlung der „Normalstrafe" für den gedanklichen „Durchschnittsfall" 2 1 4 . Zur Begründung 210

Blei, Heinitz-Festschrift, S. 426. Dazu Frisch, Revisionsrechtliche Probleme, S. 161 f.; Zippelius, Methodenlehre, S. 73 f.; Engisch, Konkretisierung, S. 288 f.; Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 80 ff.; alle i m Anschluß an Hempel / Oppenheim, Der Typusbegriff i m Lichte der neuen Logik, 1936; vgl. dazu auch Puppe, Idealkonkurrenz, S. 84 ff. 212 Hempel / Oppenheim, Typusbegriff, S. 60; vgl. dazu auch: Hassemer, Tatbestand u n d Typus, S. 127. 213 Vgl. dazu die Vorschläge v o n Haag, Rationale Strafzumessung, S. 87 f.; Schöch, Strafzumessungspraxis, S. 137 ff.; Frisch, Revisionsrechtliche Probleme, S. 191 ff. 214 Haag, Rationale Strafzumessung, S. 73 ff.; eingehend darstellend Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 81 ff.; Schöch, Strafzumessungspraxis, S. 30 ff. 211

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w i r d auf das als „Arbeitshypothese" genommene Weber-FechnerscheGesetz der Sinnesphysiologie verwiesen 2 1 5 , demzufolge dem gleichen Reizzuwachs bei steigender Intensität des Primärreizes keineswegs ein gleicher Empfindungszuwachs entspreche 216 ; „ein Reizzuwachs (werde) nur bei Erhöhung der Freiheitsstrafe u m ein Viertel wirksam empfunden" 2 1 7 . Die Lösung vernachlässigt freilich die soziale Bedeutung der Tat für die Festlegung der Tatschwere des gedanklichen „Durchschnittsfalles". Sie ist schon deshalb kein Modell des geltenden Rechts, weil das positive Recht keine „Täterstrafrahmen" 2 1 8 kennt, sondern nur Strafrahmen, die an der sozialen Bedeutung von Taten ausgerichtet sind. Die Kriterien, nach denen die Strafrahmen gebildet sind, entsprechen m i t h i n nicht denen, nach denen dieser Ansicht zufolge der gedankliche „Durchschnittsfall" zu bilden ist. Die Leitfunktion der Strafrahmen für die Strafzumessung w i r d zugunsten eines i m positiven Recht nicht enthaltenen Transformationsmodells für die Einordnung bestimmter Taten i n den Strafrahmen aufgegeben und durch eine am „Strafleiden" des Täters ausgerichtete Strafenschichtung ersetzt, für die die den Strafrahmen des geltenden Rechts zugrundeliegenden Wertungen nicht mehr passen. Zu Recht hat Dreher 219 i n anderem, aber vergleichbarem Zusammenhang angemerkt, es sei „widersinnig", „die Strafrahmen untereinander primär nach Unrechts- und Schuldschweregesichtspunkten zu bestimmen, innerhalb der Rahmen selbst dann hingegen andere Gesichtspunkte dominieren zu lassen". Und Spendel 220 hat darauf aufmerksam gemacht, daß nach diesem Modell „die Erhöhung des gesetzlichen Strafmaximums — bei gleichbleibender Mindeststrafe — keinen fühlbaren Einfluß auf die als geometrisches Mittel berechnete Normalstrafe (hat), was nicht i m Sinne des Gesetzgebers gelegen haben kann"; „die Erhöhung des gesetzlichen Strafmaximums (bei der fahrlässigen Tötung i m Vergleich m i t der fahrlässigen Körperverletzung) um zwei Jahre hätte (danach) nur eine Erhöhung der Normalstrafe u m 10 Tage zur Folge" 2 2 1 . Wer dagegen den gedanklichen „Durchschnittsfall", i n dem Schuld rein zum Vergleich stehen soll, i m „mathematischen Mittel" des Strafrahmens ansetzt 222 , setzt voraus, daß die Strafdrohung eine, wenn auch 215

Haag, Rationale Strafzumessung, S. 74. Vgl. dazu Graßberger, Die Strafzumessung, 1932, S. 79 f. 217 Graßberger, Die Strafzumessung, 1932, S. 79. 218 Dazu Zip/, Strafmaßrevision, S. 57. 219 Dreher, Bruns-Festschrift, S. 149. 220 Spendel, ZStW 83, S. 239. 221 Spendel, ZStW 83, S. 239, m i t dem Hinweis, das Weber-FechnerscheGesetz gelte auch nicht f ü r alle sensorischen Bereiche; vgl. dazu auch Schöch, Strafzumessungspraxis, S. 55 f.; Spendel, Z u r Lehre v o m Strafmaß, S. 41 f. 216

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grobe Vorwertung des Tattypus nach seinem Unrechts- und Schuldgehalt durch den Gesetzgeber darstellt und daß die Strafrahmen alle „denkbaren" Fälle des jeweiligen Deliktstyps erfassen. Die Voraussetzungen aber, die die Lozierung des „Durchschnittsfalles" i m mathematischen Mittel des Strafrahmens plausibel machen sollen, treffen nicht zu. Zunächst ist schon ungeklärt, was eigentlich zur Bestimmung der Tatschwere heranzuziehen ist 2 2 3 : A l l e i n das „objektive Gewicht der Tat"; die „reine Tatschuld" 2 2 4 ; oder eine, wie immer definierte „Strafzumessungsschuld", die „völlig anders aufgebaut" sei, als die „Schuld der Verbrechenslehre" 225 . Wenn darüber hinaus auch die „Strafempfindlichkeit des Täters" 2 2 6 als schuldrelevante Strafzumessungstatsache für die Festlegung der Tatschwere berücksichtigt werden soll 2 2 7 , kann es nicht mehr „zwangsläufig" die „mathematische Mitte des Strafrahmens" sein 2 2 8 , der der „denkmäßige (theoretische) Durchschnittsfall" entsprechen muß. Denn m i t der „Strafempfindlichkeit" des Täters stellt sich nun auch i n diesem System das Problem, welcher Stellenwert dem Strafleid des Täters für die Ermittlung der „Normalstrafe" für den gedanklichen „Durchschnittsfall" zukommt. Dem gedanklichen „Durchschnittsfall" kann die mathematische Mitte des Strafrahmens schon deshalb nicht entsprechen, weil i n die Ermittlung der „Normalstrafe" auch der Gedanke eingehen muß, daß das Strafleiden m i t zunehmender Dauer überproportional ansteigt 2 2 9 : Wenn aber 4 Jahre Freiheitsstrafe nicht stets doppelt so schwer wiegen wie 2 Jahre Freiheitsstrafe und nicht stets halb so schwer wie 8 Jahre Freiheitsstrafe, ist, von der „Strafempfindlichkeit" des Täters her gesehen, die mathematische Mitte des Strafrahmens als Korrelat des gedanklichen „Durchschnittsfalles" noch nicht begründet 2 3 0 . Plausibel ist die These allenfalls für den, der allein „reine Tatschuld" für die Ermittlung der Tatschwere heranzieht; und dann freilich nur, wenn für die Festlegung der Strafrahmen die gleichen Kriterien bestimmend waren, die die Konstruktion des „Durchschnittsfalles", i n dem Schuld „rein" zum Vergleich steht, bestimmen sollen. Die Strafrahmen des geltenden Rechts stellen 222 Vgl. etwa Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 85; i m Anschluß an Dreher, Gerechte Strafe, S. 63. 228 Dreher, Gerechte Strafe, S. 65 f.; Frank, N J W 1977, S. 686. 224 Vgl. etwa Horn, in: SK StGB 2 , § 46 Rdn. 40. 225 Zipf, Strafmaßrevision, S. 94; ders., Die Strafzumessung, S. 28 f.; vgl. auch Lenckner, i n : Schönke / Schröder 21 , Rdn. 112 v o r § 13, m. w . N. 226 Zipf, Die Strafzumessung, S. 56 f.; Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 497 ff., m. w . N. 227 Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 497 ff.; Dreher, Bruns-Festschrift, S. 157 f. 228 Bruns, JR 1977, S. 165. 229 Vgl. dazu Rolinski, Prägnanztendenz, S. 94. 230 Frank, N J W 1977, S. 686.

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aber nicht, ja nicht einmal i n erster Linie, „Unrechts- und damit zugleich Schuldbewertungen dar, sorgfältig gestaffelt nach der Schwere des beschriebenen Unrechts" 2 8 1 . Die Strafrahmen erfüllen auch Aufgaben der Generalprävention. Sie reichen nicht vom „denkbar" leichtesten zum „denkbar" schwersten Fall: Die Strafrahmen regeln allein das praktisch Vorkommende unter Verzicht auf das Denkbare, aber Unpraktische 232 , womit „die Eignung der Grenzmaße als exakte Fixpunkte einer Schwereskala" zur Berechnung des gedanklichen „Durchschnittsfalles" „ins Wanken" gerät 2 3 3 . Vorab aber sind die Tatbestände wie die Strafrahmen Produkte des positiven Rechts und damit ein Produkt des Bemühens u m Ordnungserhalt. Die Strafrahmen sind Zweckschöpfungen, die, nach der sozialen Bedeutung des jeweiligen Tattyps, auf das an Strafe zum Ordnungserhalt Nötige zugeschnitten sind und i n diesem Sinne Produkte präventiven Denkens 2 3 4 . Anders gesagt: Die Kriterien, nach denen die Strafrahmen gebildet sind, entsprechen nicht denen, die für die Festlegung eines „Durchschnittsfalles" zu fordern sind, i n dem individualistisch verstandene Tatschuld „rein" zum Vergleich steht; daß der „Durchschnittsfan" gerade dem mathematischen Mittel des Strafrahmens entsprechen muß, ist schon von den Voraussetzungen dieser Ansicht her wenig plausibel. Auch der Versuch, aus der Strafzumessungspraxis „zentrale Grundtypen" als Ankerfälle zu entwickeln 2 3 5 , den Durchschnitt der praktisch vorkommenden Fälle zum Vergleichsfall zu erklären 2 3 6 , oder das „geheime Metermaß" 2 3 7 der Gerichte, die richterliche Tradition i n Form einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Strafzumessungspraxis 238 , für die quantifizierende Umsetzung des auf der Bewertung des schuldhaft begangenen Unrechts beruhenden Werturteils des Richters über eine bestimmte Tat zum Vergleich zu nehmen, leistet für eine Schuldmaßbestimmung nichts. Schöch 299 nennt zu Recht als Voraussetzung für den Erfolg eines solchen Unternehmens, „daß die Strafhöhe nur nach einer Dimension (z. B. Schuld) bemessen wird, oder daß zumindest verschiedene Maßprinzipien getrennt ausgewiesen werden". Solange aber durch die Berücksichtigung auch präventiver Überlegungen zur 231

Dreher, Bruns-Festschrift, S. 145. Vgl. 1. T e i l I I . B. 3. 233 Dreher, Bruns-Festschrift, S. 160. 234 Vgl. sogleich 1. T e i l I I . B. 5. 235 v g l . Schöch, Strafzumessungspraxis, S. 60 ff.

232

236

Vgl. Rolinski, Prägnanztendenz, S. 98. Dreher, M D R 1961, S. 34 f. 238 v g l . dazu Exner, Studien über die Strafzumessungspraxis der deutschen Gerichte, 1931, besonders S. 7 ff.; eingehend darstellend Schöch, Strafzumessungspraxis, S. 30 ff. 237

239

Schöch, Schaffstein-Festschrift, S. 269.

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Auffüllung des Spielraums zwischen der noch schuldangemessenen und der schon schuldangemessenen Strafe durch „die herkömmliche Lehre (und, wie hinzuzusetzen ist, die Praxis der Gerichte) — zumindest bei der Höhenbemessung (der Strafe) — i n einer A r t g e s a m t schau4 die Grenzen (zwischen den Anteilen der Prävention und der Schuld i m Strafmaß) verwischt" werden 2 4 0 , spricht nichts dafür, daß i n der allgemeinen Strafzumessungspraxis oder i n Grundfällen, die aus dieser Praxis gewonnen wurden, Schuld „rein" zum Vergleich steht. Die Ausrichtung an der Praxis oder an der Strafzumessungstradition mag zu mehr „Gleichmäßigkeit und Rechtssicherheit" bei der Strafzumessung verhelfen 2 4 1 . Eine „Indizwirkung der Gerichtspraxis für die schuldangemessene Strafe" 2 4 2 gibt es freilich nicht. Rechtsfindung durch Typenvergleich setzt ferner voraus, daß der Schuldgehalt der „Vergleichstypen" relativ zu einem Strafensystem bestimmt ist, das seinerseits Spiegelung „reiner", also von präventiver Bestimmung freier Schuld des jeweiligen Deliktstyps ist. Beide Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Aber selbst wenn es gelänge, Vergleichstypen „reiner" Schuld zu bilden, ist das Modell nicht geeignet, kontrollierbar Schuldquantifizierung anzuleiten. Denn „alles zum Vergleich herangezogene kann durch die Behauptung relativiert werden, beim Unterfall werde die Schuld nicht v o l l ausgeschöpft, oder aber umgekehrt, nur beim Unterfall sei volles Ausschöpfen notwendig" 2 4 3 . Auch das Strafensystem des geltenden Rechts ist nicht tauglich, Schuldquantifizierung anzuleiten. Zunächst einmal, weil die „Generalprävention als allgemeine Strafidee Existenz und Gestaltung" der Strafrahmen mitbestimmt 2 4 4 , und die Strafrahmen schon deshalb nicht Spiegelung „reiner" Schuld sind 2 4 5 . Das Strafensystem ist zu „grob", u m Leitfunktionen bei der richterlichen Strafzumessung übernehmen zu können: „Aus der Verhältnismäßigkeit der Delikte nach ihrem Schweregrad lassen sich allenfalls so allgemeine Aussagen entnehmen wie die, daß der qualifizierte Diebstahl schwerer zu bestrafen sei als der einfache" 2 4 6 , nicht aber Aussagen, die eine Abschichtung der Strafen 240

Schock, Schaffstein-Festschrift, S. 266. Vgl. Schöch, Schaffstein-Festschrift, S. 269. 242 Schöch, Schaffstein-Festschrift, S. 269. 243 Jakobs, Schuld u n d Prävention, S. 4; zur K r i t i k auch Lorenz, Methodenlehre 2 , S. 227 f. 244 Zip/, Strafmaßrevision, S. 106 f.; Haag, in: JRR Bd. 1, S. 430; Rolinski, Prägnanztendenz, S. 96. 245 Die präventive Ausrichtung der Strafrahmen läßt sich auch nicht durch den Hinweis auf eine — w i e begründete? — Harmonie zwischen Schuldangemessenem u n d präventiv Erforderlichem beiseite schieben (so aber w o h l Grünwald, ZStW 80, S. 95 f.). 246 Rolinski, Prägnanztendenz, S. 97. 241

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nach Monaten oder gar Tagen erlauben. Auch habe bei den „modernen Strafdrohungen" der „Gesetzgeber nicht immer die weittragende Bedeutung des gesetzlichen Höchstmaßes für die Strafrahmen und dessen grundlegende Bedeutung für die Strafzumessung v o l l erkannt" 2 4 7 : So sei es ein „eklatanter Verstoß" gegen den Gedanken einer durch den Strafrahmen normierten relativen Strafenschichtung, „wenn, wie i n § 224 Abs. 1, Abs. 2 das Höchstmaß des Regelstrafrahmens und das des minder schweren Falles dasselbe ist. Da das Höchstmaß des Regelstrafrahmens der Gruppe der denkbar schwersten Fälle der Tatbestandsverwirklichung vorbehalten ist, kann dieses Höchstmaß nicht auch für einen minder schweren Fall der Tat bestimmt sein. Entsprechendes gilt, wenn ein über das gesetzliche Mindestmaß hinaus angehobenes Mindestmaß zugleich das des Regelstrafrahmens wie auch des minder schweren Falles sein soll, wie i n § 83 Abs. 1" oder wenn sich das „Höchstmaß eines besonders schweren Falles . . . m i t dem des Regelstrafrahmens (deckt), wie das z. B. i n den §§ 176 Abs. 1 bis Abs. 3, 223 b Abs. 1, Abs. 2, 292 Abs. 2 der Fall ist"; zumindest „problematisch" sei es, wenn „das Gesetz den Strafrahmen qualifizierter Fälle nur i m Mindestmaß anhebt, wie das z. B. i n den §§ 221 Abs. 2, 292 Abs. 2, Abs. 3 1. Alt., 321 Abs. 2 1. A l t . und 356 Abs. 2 der Fall ist, oder wenn es das Höchstmaß des minder schweren Falles beim einfachen Raub m i t dem des minder schweren Falles beim schweren Raub gleichsetzt (§§ 249 Abs. 2, 250 Abs. 2)". „Fragwürdig" sei schließlich „das Verhältnis von § 239 Abs. 2 Satz 2 zu Abs. I " 2 4 8 . Die Strafrahmen des geltenden Rechts taugen auch deshalb nicht, die Schuldmaßbestimmung zu steuern, weil die Gerichte i m Wege „richterlicher Rechtsfortbildung" i n der Strafzumessungspraxis die gesetzlichen Strafrahmen weitgehend durch eigene „richterliche" Strafrahmen ersetzt haben 2 4 9 : Damit aber „ver247 Dreher, JZ 1968, S. 212; ders., Gerechte Strafe, S. 69; vgl. auch Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 75 ff. 248 Dreher, Bruns-Festschrift, S. 151; Frank, N J W 1977, S. 686 f. 249 Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 67, 72 f.; Haag, Rationale Strafzumessung, S. 77 f.; Hassemer, ZStW 90, S. 79; i m Anschluß an Exner, Studien über die Strafzumessungspraxis der deutschen Gerichte, S. 82 ff., 99 ff., der zeigen konnte, daß bei A b u r t e i l u n g v o n Verbrechen i n den Jahren 1925 bis 1927 i n 67 bis 96,4 °/o der Fälle mildernde Umstände zugebilligt wurden. Ähnliches w a r i n neuerer Zeit bei der Strafzumessung bei einfacher Homosexualität, Ehebruch u n d A b t r e i b u n g zu beobachten: I n der Strafzumessung zu diesen Delikten spielte sich v o r der Gesetzesänderung ein Wandel i n der W a h l der Strategien der Konflikterledigung ab. Es w a r nicht mehr selbstverständlich v o n den Bedingungen der Tat eine Bedingung, nämlich die Motivationslage beim Täter als strafrechtlich allein relevant zu isolieren. E i n gewisses V e r ständnis m i t dem enttäuschend Handelnden erlaubte i n diesem Bereich, die Ordnung zumindest ansatzweise preiszugeben. — Eine Strategie der K o n flikterledigung, die hier möglich wurde, w e i l schon die N o r m zur Disposit i o n stand. Denn i n den letzten Jahren v o r der Änderung der Abtreibungsbestimmungen usw. erwartete niemand mehr, Abtreibungen usw. w ü r d e n

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liert das Prinzip der kontinuierlichen Schwereskala wiederum viel von seiner Genauigkeit" 2 5 0 . Befunde überdies, die die optimistische Einschätzung der Möglichkeiten überprüfbarer Strafzumessungsentscheidungen — der Richter habe einen „gewissen Beurteilungsspielraum" bei der Strafzumessung (Bruns) — zweifelhaft, und die Einschätzung Drehers als realistischer erscheinen lassen, daß das „Vergreifen i n der Oktave" das „richtige Stichwort" bei der Kontrolle von Strafmaßen sei 2 5 1 . Der Gedanke einer „kontinuierlichen Schwereskala" funktioniere „zwar abstrakt einwandfrei Aber zum exakten Einordnen der konkreten Fälle, die erst die abstrakte Skala mit der nötigen materiellen Substanz füllen könnten, reicht sie allein nicht aus. Sie hat nur ein relatives Ungefähr" 2 5 2 . Vorab aber ist schon die Annahme, die Strafrahmen des geltenden Rechts seien generalisierte Wertungen individualistisch verstandener Tatschuld, nicht selbstverständlich: Das positive Recht hat die Strafrahmen auf Tattypen zugeschnitten, die nach dem Maß der Gefährlichkeit für die Ordnung bestimmt werden und nicht nach dem Maß zweckfrei verstandener Schuld. Beispielhaft: Wer zur Befriedigung des Geschlechtstriebes tötet, oder wer zur Verdeckung einer Straftat tötet, w i r d m i t einer härteren Strafe bedroht, als der, der ohne Mordmerkmale tötet. Freilich können diese Mordmerkmale auch dahin interpretiert werden, daß der Täter aus einem starken Trieberlebnis heraus oder mit einer Selbstbegünstigungstendenz tötete. Solche Merkmale sind aber auch als mildernde Merkmale bekannt 2 5 3 . Daß sie i n Zusammenhang m i t der Tötung eines anderen belasten, ist nur präventiv zu erklären: Der Geschlechtstrieb ist ein schwer zu beherrschender Trieb, und er w i r d nicht als Entschuldigungsgrund genommen, weil auch dem Rechtstreuen die Mögi m großen u n d ganzen unterbleiben, w e n n der Wunsch zur Tat bestand. Niemand erwartete mehr, daß man, so m a n enttäuscht wurde, bestätigt bekäme, daß sich der Enttäuschende falsch verhalten hatte. — Freilich ist Konflikterledigung durch Preisgabe der Ordnung ohne Schaden für die Ordn u n g allenfalls dann möglich, w e n n die N o r m schon als änderungsbedürftig definiert ist: Der Rückzug aus der Ordnung als Möglichkeit der K o f l i k t e r l e digung scheidet sonst als k o n f l i k t l a s t i g aus. Der K o n f l i k t k a n n nicht auf die änderungsbedürftige, aber nicht änderbare N o r m abgeschoben werden, u n d die Ordnung leidet, w e n n der K o n f l i k t unerledigt bleibt. Z u Recht hat das Schrifttum deshalb auch stets die Bindung des Richters an die Wertungen der Strafrahmen betont u n d allenfalls i n Extremfällen der genannten A r t Abweichungen akzeptiert; Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 67, 72; Frisch, Revisionsrechtliche Probleme, S. 163 A n m . 220; Koffka, in: L K 9 Rdn. 22 vor § 13; Dreher, Bruns-Festschrift, S. 162. 260 Dreher, Bruns-Festschrift, S. 162. 251 Dreher, JZ 1968, S. 212. 252 Dreher, Bruns-Festschrift, S. 160. 258 Vgl. auch die Beispiele bei Dreher, ZStW 77, S. 223 ff.

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lichkeiten, die die geschlechtliche Erregung für das Verhalten haben kann, i m Trieberlebnis ansatzweise nachvollziehbar sind; also werden Taten aus diesem Beweggrund besonders stark tabuisiert. Und bei der Tötung zur Verdeckung einer Straftat entlastet den Täter das durchaus verständliche Motiv der Selbstbegünstigung nicht, weil die Entstehung dieses Motivs nicht verlagert werden kann: Der Täter einer Straftat hat sich das Folgende selbst zuzuschreiben, und es w i r d i h m deshalb i n stärkst möglicher Form zur Erledigung zugerechnet. Das ist der Gedanke des versarii i n re illicita. Oder: Der Ehrenschutz des StGB ist recht schwach ausgebaut; der Eigentumsschutz ist erheblich stärker. Die Unterschiede sind aus unterschiedlichen Schuldgehalten allein nicht zu erklären. Denn auch beim Ehrschutz sind Fälle denkbar und kommen praktisch vor, bei denen die Störung der Ordnung und die Störung des Lebens eines anderen Menschen gewiß intensiver ist, als sie durch ein Eigentumsdelikt erreicht werden kann. Freilich, und darin liegt der Unterschied i n der Ausgestaltung von Ehrschutz und Eigentumsschutz, ist der Schutz des Privateigentums eine grundlegende Voraussetzung für das Funktionieren einer privatwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaft; der Ehrschutz nicht: Ehrschutz ist, von Ausnahmen abgesehen, eher ein Anliegen der Funktionsträger der Gesellschaft. Ehrschutz ist von praktischer Bedeutung regelmäßig nur für die, bei denen Identität intrinsisch oder zumindest doch i n bedeutsamer Weise m i t institutionellen Rollen verknüpft ist: Als Behauptung einer Diskrepanz zwischen dem durch die Rolle vorgeschriebenen und dem tatsächlich gezeigten Verhalten; für traditionsgebundene Berufsgruppen, Mediziner, den Offiziersstand oder auch für leitende Beamte, nicht aber für den Jedermann. Ehrschutz ist m i t h i n ein Delikt für Stände, die sich ohnehin i n der bürgerlichen Gesellschaft geschickt bewegen und den Schutz auch privatrechtlich durchsetzen können. Deshalb bedarf es eines starken Strafrechtsschutzes nicht. Die Beispiele zeigen: Das positive Recht kennt kein zweckfreies System von Tatbeständen und Strafrahmen, i n denen Schuld rein zum Vergleich steht. Tatbestände und Strafrahmen sind Produkte präventiven Denkens 2 5 4 . Das positive Recht hat die Strafrahmen auf Tattypen zugeschnitten, die nach dem Maß ihrer Gefährlichkeit für die Ordnung bestimmt werden 2 5 5 und nicht nach der Schwere von Unrecht und 254 Nicht der Spezialprävention u n d auch nicht (allein) der Generalprävent i o n i n i h r e m negativen Aspekt, der Abschreckung potentieller Täter: Präventive „Täterstrafrahmen" (dazu Zip/, Strafmaßrevision, S. 57, 80) kennt das geltende Recht so wenig w i e Strafrahmen, die ausschließlich „an Begehungsgefahr u n d Deliktshäufigkeit orientiert" sind (Dreher, Bruns-Festschrift, S. 146); w o h l aber die Generalprävention i. S. der Notwendigkeit v o n Zurechnung zur Stabilisierung einer Ordnung; dazu Jakobs, Schuld, S. 8 ff. 255 Der Schluß liegt nahe, daß auch die Schuld, die nach Strafrahmen zu messen ist, die Produkte präventiven Denkens sind, selbst ein Produkt des

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d Strafrahmenwahl

Schuld. Dies belegen auch das Umweltschutzrecht und das lange vernachlässigte und auch heute noch recht schwach ausgebildete W i r t schaftsstrafrecht; denn die Schädigungen durch Wirtschaftsstraftaten übersteigen doch i m materiellen und, als Schädigungen der Funktionsfähigkeit der Volkswirtschaft, i m immateriellen Bereich 2 5 6 die durch Raub, Erpressung und andere Gewaltdelikte verursachten Schäden deutlich 2 5 7 . Wenn die Tatbestände und die Strafrahmen des geltenden Rechts aber ein Produkt des Bemühens u m Ordnungserhalt und i n diesem Sinne ein Produkt präventiven Denkens sind, und wenn Schuld nicht schon als ein durch und durch präventiv bestimmtes Produkt aus dem zum Ordnungserhalt Nötigen verstanden wird, leistet das Strafensystem für die Bestimmung von Schuldmaßen nichts: „Relative Bestimmbarkeit ist eben keine Bestimmbarkeit, wenn die Bezugsbasis schwimmt" 2 5 8 . Zusammenfassend: Zweistufige Strafzumessung bei den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen, bei den minder schweren Fällen und den besonders schweren Fällen i m Wege einer „Gesamtbetrachtung" aller für die Strafzumessung erheblichen Tatumstände, die nach „Graden der Strafwürdigkeit" (Bruns) oder nach einer erheblichen Steigerung (bei den besonders schweren Fällen) oder Minderung (bei den minder schweren Fällen) von Unrecht und/oder Schuld fragt, gerät zunächst mit der These i n Konflikt, daß Schuld nur nach einem gegebenen Strafensystem gemessen werden kann: Die Strafrahmenwahl setzt schon die Kenntnis des anzuwendenden Strafrahmens voraus 2 5 9 . Sie ist auch nicht ohne Verlust an jeglicher Rechtssicherheit möglich. Schuldmaße können nur i n einem positiv-rechtlichen System der Strafrahmen bestimmt werden; und sie können, da metrische Ordnungen fehlen 2 6 0 , nur durch Fallvergleichung bestimmt werden. Die Voraussetzungen aber, unter denen eine „typologische Rechtsfindung" zur ScTiuZdmaßbestimmung allenfalls tauglich ist, sind nicht annähernd realisiert: Es fehlt an Vergleichsfällen, i n denen Schuld „rein" zum Vergleich steht 2 6 1 ; und auch das Strafensystem des positiven Rechts ist positiven Rechts u n d damit ein Produkt des Bemühens u m Ordnungserhalt u n d i n diesem Sinne durch u n d durch präventiv bestimmt ist; präventiv j e denfalls i n dem Maße, i n dem das positive Recht präventiv gemeint ist. Denn eine Schuld jenseits einer Schuld bei Übertretung des positiven Rechts u n d nach dessen M a x i m e n gibt es als Rechtsschuld schon wegen des Satzes n u l l a poena sine lege nicht; vgl. dazu Jakobs, Schuld, S. 7, 31 ff. 256 Dazu Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Bd. 1, S. 25 ff. 257 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Bd. 1, S. 20 ff. 258 Jakobs, Schuld, S. 4. 259 Vgl. 1. T e i l I I . B. 4. 260 Vgl. 1. T e i l I I . B. 4. 261 Vgl. 1. T e i l I I . B. 4.

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nicht tauglich, Schuldquantifizierung kontrollierbar anzuleiten. Die Strafrahmen sind nicht Spiegelung „reiner" Schuld des jeweiligen Deliktstyps, sondern an dem ausgerichtet, was an Strafe zum Ordnungserhalt nötig ist, und insoweit Produkte präventiven Denkens 262 . 5. Die Überschneidungen von Regel- und Sonderstrafrahmen und die Gesamtbetrachtungslehren Ein letztes: Sollen i m Wege einer „Gesamtschau" „Grade der Strafwürdigkeit" (Bruns) über die Strafrahmenwahl entscheiden, folgt die Unrichtigkeit dieses Gedankens schon aus dem Gesetz selbst. Die Strafrahmendifferenzierungen des positiven Rechts setzen voraus, daß die Strafrahmen für die Strafzumessung prinzipiell ausnutzbar sind: Daß die Strafrahmen also i n ihrer ganzen Breite stets der Strafzumessung offenstehen, ist der Interpretation der Voraussetzungen der Strafrahmenwahl systematisch vorgeordnet. Wo die Differenzierung der Strafrahmen i n der Rechtsanwendung keine sinnvolle Erklärung mehr findet, w i r d der Boden des Gesetzes verlassen. Dem geltenden Recht aber w i r d ein Versuch zur Lösung der Problematik der Strafzumessung bei den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen des A. T., den minder schweren Fällen und den besonders schweren Fällen nicht gerecht, der auf „Schuldquantitäten", oder, weiter noch, auf „Grade der Strafwürdigkeit" als Voraussetzung der Strafrahmenwahl abstellt. Denn damit werden generell die weiten Bereiche, i n denen sich Regel- und Sonderstrafrahmen überschneiden, für die Strafzumessung bei Versuch, Unterlassung, Verbotsirrtum, verminderter Schuldfähigkeit oder entschuldigendem Notstand und bei den besonders schweren Fällen und den minder schweren Fällen sinnlos 2 6 3 . Es ist aber kaum Sinn der Auffächerung der Strafrahmen durch das Zulassen von Strafmilderungen i n den Fällen des § 49 Abs. 1 StGB, den minder schweren Fällen oder von Strafschärfungen der besonders schweren Fälle, daß prinzipiell weite Bereiche der Strafrahmen, die gerade die Elastizität der Strafzumessung garantieren sollen, für die Strafzumessung schon durch die Begriffsbestimmung der Voraussetzungen der Strafrahmenwahl verschlossen sind. Wenn eine „erhebliche Steigerung von Unrecht und Schuld" für die Anwendung eines besonders schweren Falles vorausgesetzt ist, ist kaum ein besonders schwerer Fall mehr denkbar, der m i t einer Strafe aus dem unteren Bereich des Sonderstrafrahmens belegt werden kann. Und es ist kaum noch ein Fall eines einfachen Diebstahls vorstellbar, dessen Täter m i t einer 262

Vgl. 1. T e i l I I . B. 5. 263 Dazu Warda, Dogmatische Grundlagen, S. 109 f.

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Strafe aus dem oberen Drittel des Regelstrafrahmens zu rechnen h a t 2 6 4 . Entsprechendes gilt für die Strafzumessung bei den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen des A. T. und für die minder schweren Fälle: Durch die Verwendung gesamtbetrachtender Formeln bei der Definition der Voraussetzungen der Strafrahmenwahl kann nahezu nach Belieben der Regelstrafrahmen durch die Anwendung des Sonderstrafrahmens und der Sonderstrafrahmen (praktisch für durch Regelbeispiele erläuterte besonders schwere Fälle) durch die Anwendung des Regelstrafrahmens ausgehöhlt werden. I I I . Die nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen fakultativen Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB, die besonders schweren Fälle und die minder schweren Fälle als Anordnung einer generellen Strafrahmenerweiterung A. Der Meinungsstand

Die nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen des A. T., die minder schweren Fälle und die besonders schweren Fälle, bereiten i n der Strafzumessung denen keine Schwierigkeiten, die darin ohnehin bloße Strafrahmenerweiterungen sehen 265 . Zipf hat zu § 44 a. F. StGB ausgeführt, dem Richter stehe beim Versuch „von vorneherein" nur ein einheitlicher „nach unten auf ein Viertel der Mindeststrafe erweiterter Strafrahmen" zur Verfügung, „der a priori beide Möglichkeiten (Sonder- und Regelstrafrahmen)" erfasse 266 . 264

Dazu Arzt, JuS 1972, S. 389; Blei, Heinitz-Festschrift, S. 421. Ansätze i n dieser Richtung finden sich auch i n der Rechtsprechung. So hat der B G H (BGHSt. 7, S. 28 ff. (30) = JZ 1950, S. 504, zu § 51 Abs. 2 a. F.) entschieden, dem Richter stehe „ i n den Fällen, i n denen das Gesetz . . . einen Sonderstrafrahmen bestimmt, (ein) nach unten erweiterter Strafrahmen zur Verfügung"; die i n § 51 Abs. 2 StGB a. F. vorgesehene „fakultative Strafmilderung" erlaube dem Strafrichter n u r „eine Strafe (zu verhängen), die unter der unteren Grenze des Regelstrafrahmens . . . liegt, die das Gesetz für den Regelfall vorsieht"; mildere der Tatrichter die Strafe nicht gemäß § 5 1 Abs. 2 StGB a. F., bedeute dies nur, „daß er es als unangemessen erachtet, eine Strafe zu verhängen, die unter der unteren Grenze des Regelstrafrahmens . . . liegt"; vgl. auch BGHSt. 1, S. 115 ff. (117): „Grundsätzlich ist jedenfalls beim Versuch, sofern das Gericht die Strafe . . . m i l d e r n w i l l , v o n dem durch § 44 StGB a. F. i n Verbindung m i t der anzuwendenden Vorschrift gebildeten Strafrahmen für die versuchte Tat unmittelbar auszugehen u n d innerhalb dieses Rahmens auf diejenige Strafe zu erkennen, die der versuchten Tat entspricht"; m i t dem Zusatz freilich, „daß manche Gründe f ü r die gegenteilige Meinung sprechen könnten"; vgl. noch B G H bei Dallinger, M D R 1951, S. 403; O L G Hamm, N J W 1958, S. 1694. 266 Zip/, Strafmaßrevision, S. 33 f.; zuvor schon Börker, JZ 1956, S. 478; u n d zu § 44 StGB a. F. Koffka, in: L K 9 , Rdn. 39 v o r § 13 (anders dies., in: L K 9 , Rdn. 39 vor § 13 zu § 49 StGB i n der Fassung des 2. StrÄndG., das die h e r r schende Praxis zweistufiger Strafzumessung legitimiere); der „große V o r teil" dieser Auslegung sei „eine kontinuierliche Abstufung, k e i n Springen 263

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Zum neuen Recht hat Horn den Gedanken einer einheitlichen Strafzumessung i n einem erweiterten Strafrahmen auf § 49 Abs. 1 StGB zu übertragen versucht. Die „Vorschrift des § 49 Abs. 1 StGB (sei) für die Fälle einer Änderungszulassung (so zu verstehen), daß nicht eigentlich erlaubt wird, zwischen zwei, sondern innerhalb von zwei Strafrahmen zu wählen" 2 6 7 . Anderes gelte nur, wo die Strafmilderung obligatorisch sei (so in: §§ 28 Abs. 2, 27 StGB): „Hier löst die Erfüllung eines solchen Merkmals von vornherein den abgewandelten Strafrahmen aus" 2 6 8 . I n den besonders schweren Fällen sieht Maiwald 269 „ i n Wahrheit gar nicht zwei Strafrahmen . . . sondern der Sache nach nur einen erweiterten Strafrahmen, innerhalb dessen der Richter die Strafe zuzumessen h a t " 2 7 0 . Einen Zweck soll das nicht unerhebliche „Sich-Überschneiden der Strafrahmen" doch erfüllen: Durch „die Heraufsetzung auch des Mindeststrafrahmens für besonders schwere Fälle sollte . . . gerade dem Richter ein Hinweis gegeben werden, welche Marke er keineswegs unterschreiten dürfe, und vor allem, wo ungefähr das für einen besonders schweren Fall angemessene theoretische Mindestmaß der auszusprechenden Strafe zu liegen habe" 2 7 1 . Für das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB: „ I n diesen erweiterten Strafrahmen ist die versuchte Tat nach ihrem spezifischen Schuldgehalt einzuordnen, wobei alle Umstände mitberücksichtigt werden, die für die Strafzumessung (i. e. S.) insgesamt von Bedeutung sind. Hier findet die umfassende — und daher nur einmal durchführbare — Gesamtwertung von Tat und Täter statt" 2 7 2 : „Mangels Doppelverwertung entsteht m i t h i n auch kein Zulässigkeitsproblem" 273 . B. Kritik der Lehre von den „ Straf rahmener Weiterungen"

Dreher 274 wendet gegen den „Versuch . . . einen Gesamtrahmen anzunehmen, der Regel- und Ausnahmestrafrahmen zusammenzieht" ein, damit werde das „Prinzip des mittleren Maßes . . . verletzt; z. B. läge von Strafrahmen zu Strafrahmen" (Zip/, Strafmaßrevision, S. 35) u n d ihre „Zweckmäßigkeit" (Zip/, Straf maßrevision, S. 33). 267 Horn, in: SK StGB 3 , § 46 Rdn. 56. 268 Horn, in: SK StGB 3 , § 46 Rdn. 53; vgl. auch: Zip/, Strafmaßrevision, S. 29. 269 Maiwald, Gallas-Festschrift, S. 159 ff. 270 Maiwald, Gallas-Festschrift, S. 161. 271 Maiwald, Gallas-Festschrift, S. 156; — ebenso Zip/, Die Strafzumessung, S. 12: Innerhalb des „erweiterten einheitlichen Strafrahmens" w ü r d e n „durch diese Wertgruppen Zäsuren gesetzt". 272 Zip/, Strafmaßrevision, S. 33. 273 Horn, in: SK StGB 3 , § 46 Rdn. 89. 274 Dreher, Bruns-Festschrift, S. 156 Fn. 46. 6*

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dann der gedankliche Durchschnittsfall der Freiheitsstrafe für Diebstahl i m Fall des § 242 infolge von § 243 bei 5 V2 Jahren, einer Strafe, die § 242 gar nicht zuläßt". Hinzuzufügen ist, daß, wegen des Einflusses, den die Strafrahmenobergrenze auf die Tatschwere i m Einzelfall ausübt, bei dieser Betrachtungsweise nicht selten Zufälligkeiten des Gesetzgebungsverfahrens über das Strafmaß mitentscheiden: Werden von einem Grundtatbestand erschwerende Umstände durch qualifizierende Tatbestände abgeschichtet, w i r d der Täter des Grunddelikts aus dem Regelstrafrahmen gestraft; der Täter der Qualifikation aus dem erschwerten Strafrahmen. Erweist sich die Qualifikation aber i n ihrer praktischen Handhabung als untauglich, und löst sie der Gesetzgeber i n einen besonders schweren Fall auf, wie bei dem praktisch wichtigen § 243 StGB geschehen, oder fügt er dem Grundtatbestand besonders schwere Fälle hinzu, ändert sich allein durch diese gesetzgeberische Entscheidung die relative Tatschwere und damit auch das Strafmaß i m Einzelfall, obgleich eine Neubewertung der dem Grundtatbestand entsprechenden Fallgestaltungen durch die Einfügung besonders schwerer Fälle gerade nicht beabsichtigt war: Wer vor der Gesetzesänderung einen Diebstahl begangen hat, der vielleicht 2 Jahre Freiheitsstrafe bei einem Strafrahmen bis zu 5 Jahren wert war, der hat nach der Gesetzesänderung, bei einem Strafrahmen bis zu 10 Jahren (§§ 242 und 243 StGB), bei sonst gleichen Tatumständen eine deutlich schwerere Freiheitsstrafe zu gewärtigen. Das kann nicht richtig sein 2 7 5 . Eine Lösung der Strafzumessungsproblematik, bei den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen des A. T., den minder schweren Fällen und den besonders schweren Fällen, die meint, es handele sich u m nichts anderes als u m bloße Strafrahmenerweiterungen, bringt freilich auch sonst nur auf den ersten Blick Vorteile. Gegen sie spricht zunächst, daß sie mit dem Wortlaut des Gesetzes kaum noch zu vereinbaren ist: § 49 Abs. 1 StGB jedenfalls behandelt die fakultativen und die obligatorischen Strafmilderungen des Allgemeinen Teils gleich. Der Gedanke, es handele sich i n diesen Fällen u m nichts anderes als Strafrahmenerweiterungen, bringt auf der anderen Seite i n seiner Anwendung auf das geltende Recht Strafrahmen, die die richterliche Strafmaßbestimmung i m Einzelfall kaum noch kontrollierbar anleiten können: Bei der Erpressung, § 253 Abs. 1 StGB, umfaßt der Normalstrafrahmen neben Geldstrafe Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu 5 Jahren; kommen besonders schwere Fälle hinzu, reicht die Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu 15 Jahren. Werden nun die besonders schweren Fälle als „getarnte generelle Strafrahmenerweiterungen" 275 Entsprechend für die minder schweren Fälle: A l l e i n durch die gesetzgeberische Entscheidung, dem Grundtatbestand einen minder schweren Fall hinzuzufügen, w i r d hier schon der Täter eines „Normalfalles" begünstigt.

I I I . § 49 StGB als generelle Strafrahmenerweiterung?

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(Zipf) angesehen, reicht der Strafrahmen also von der Mindeststrafe von fünf Tagessätzen bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe. Der Strafrahmen der Erpressung umfaßt bei dieser Betrachtungsweise jede mögliche Strafgröße aus dem Bereich der Hauptstrafen 2 7 6 . Vorab aber prämiert der Gedanke einer generell angeordneten Strafrahmenerweiterung den besonders schweren Fall gegenüber dem qualifizierten Tatbestand. Er benachteiligt dafür aber die, für die eine Strafmilderung nach Maßgabe des § 49 Abs. 1 StGB, i n diesem System also: die Unterschreitung der Untergrenze des Regelstrafrahmens, i n Betracht kommt, gegenüber denen, für die die Milderung nach § 49 Abs. 1 StGB obligatorisch gilt; und er benachteiligt auch den minder schweren Fall gegenüber einem privilegierenden Tatbestand. Die Bestimmung der Schwere einer konkreten Tat ist nur relativ zu einem gegebenen Strafensystem möglich. Jede Änderung des Strafensystems führt zu einer Änderung der Tatschwere i m Einzelfall 2 7 7 . Für die nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen also: Bei einer, unter Einbeziehung der Obergrenze des Regelstrafrahmens gebildeten Strafenstaffel, fällt die relative Tatschwere i m Einzelfall anders, nämlich schwerer aus, als bei Anwendung eines, nach Maßgabe des Milderungsschlüssels des § 49 Abs. 1 StGB, gebildeten Strafrahmens. Muß bei den fakultativen Strafmilderungen des § 49 Abs. 1 StGB der Strafrahmen aber unter Einbeziehung der Obergrenze des Regelstrafrahmens gebildet werden, ist dagegen die Obergrenze des Normalstrafrahmens für die u m ein Viertel herabzusetzen, für die die Milderung obligatorisch gilt, hat die Lösung Zipfs folgende Konsequenz: Die Sachgerechtigkeit dieser Lösung setzt den Nachweis voraus, daß ein Handeln des vermindert Schuldfähigen, § 21 StGB, oder ein Handeln i n einem vermeidbaren Verbotsirrtum, § 17 Satz 2 StGB, bei generalisierender Betrachtung, u m soviel schwerer wiegt, als ein Handeln i n einem I r r t u m über das tatsächliche Vorliegen der Voraussetzungen des entschuldigenden Notstandes, § 35 Abs. 2 StGB, daß es deshalb generell einem schwereren Strafrahmen zu unterstellen ist. Oder: Daß die Beihilfe stets u m soviel leichter wiegt als eine Versuchstat, § 23 Abs. 2 StGB, oder als ein unechtes Unterlassen, § 13 Satz 2 StGB, daß sie deshalb generell einem milderen Strafrahmen zu unterstellen ist. Hinzu kommt, daß es ein „ungereimtes Ergebnis" ist, wie Dreher 278 i n anderem Zusammenhang zu Recht bemerkt, daß es „bei Straftaten von geringerer Schwere, für die keine besondere Mindeststrafe angedroht 276 277 278

Vgl. dazu auch die Beispiele bei Arzt, JuS 1972, S. 386 f. Vgl. dazu 1. Teil I I . B. 3. Dreher, JZ 1956, S. 683.

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d Strafrahmenwahl

ist, deshalb . . . keine ,mildere Bestrafung' gibt", weil der Strafrahmen für den Regelfall und den fakultativen Milderungsgrund gleich ist, „nicht hingegen bei schwerwiegenden Taten, für die eine besondere Mindeststrafe vorgesehen ist". Nur bei den zuletzt genannten Tatbeständen kann sich die nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassene Herabsetzung der Untergrenze des Strafrahmens auf die Strafenstaffel und damit auch auf die relative Tatschwere i m Einzelfall zugunsten des Täters auswirken: Der versuchte Diebstahl w i r d nach demselben Strafrahmen bestraft wie der vollendete; der versuchte Totschlag oder der versuchte schwere Raub dagegen nach einem, zugunsten des Täters deutlich i n der Strafrahmenuntergrenze verschobenen Strafrahmen. Bei den Tatbeständen, für die eine besondere Mindeststrafe nicht vorgesehen ist, kann die vom Gesetz durch das Bereitstellen einer fakultativen Strafmilderung angeordnete Besserstellung des Täters also nur erreicht werden, wenn es dem Richter i m Einzelfall erlaubt ist, die Strafrahmenobergrenze zugunsten des Täters herabzusetzen. Benachteiligt w i r d auch der minder schwere Fall gegenüber der Privilegierung. Bei den minder schweren Fällen, sind sie nichts anderes als bloße Strafrahmenerweiterungen, bestimmt stets die Obergrenze des Regelstrafrahmens den Strafrahmen mit, aus dem gestraft wird. Bei den privilegierenden Tatbeständen aber ist neben der Untergrenze häufig auch die Obergrenze des Regelstrafrahmens herabgesetzt. A m Beispiel der §§ 213, 216, 217 StGB: Bei § 213 StGB, einem minder schweren Fall, muß der Strafrahmen unter Berücksichtigung der Strafrahmenobergrenze des § 212 Abs. 1 StGB und, da der Gedanke der Strafrahmenerweiterung auch die besonders schweren Fälle umfaßt, auch des § 212 Abs. 2 gebildet werden: Der Täter eines minder schweren Falles des § 212 StGB ist aus einem Strafrahmen zu strafen, der von Freiheitsstrafe von sechs Monaten (§ 213 StGB) bis zu lebenslanger Freiheitsstrafe (§ 212 Abs. 2 StGB) reicht. Wer also durch eine schwere Beleidigung provoziert, oder, als Beispiele für unbenannte minder schwere Fälle, wer aus einem „verständlichen Zustand hoher Erregung" heraus tötet 2 7 9 , oder wer aus Verzweiflung über die Qual, die ein Verletzter erleidet, tötet 2 8 0 , w i r d aus einem Strafrahmen bestraft, dessen obere Grenze lebenslange Freiheitsstrafe ist. Der aber, der unter den Voraussetzungen des § 216 StGB tötet, hat nur eine Strafe aus einem Strafrahmen zu gewärtigen, dessen obere Grenze fünf Jahre Freiheitsstrafe beträgt. Und auch der Strafrahmen aus dem die Mutter, die i h r nichteheliches K i n d gleich nach der Geburt tötet, zu strafen ist, w i r d zumindest nicht durch die lebenslange Freiheitsstrafe mitbestimmt. Der 279 280

B G H N J W 1968, S. 757. Vgl. dazu Arzt, ZStW 83, S. 24 ff.

I I I . § 49 StGB als generelle Strafrahmenerweiterung?

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Strafrahmen der minder schweren Fälle ist, m i t den geschilderten Konsequenzen für die Tatschwere i m Einzelfall, deutlich schwerer als der der §§ 216, 217 StGB, ohne daß sich freilich zwischen den benannten Fällen des § 213 StGB und den Fällen der §§ 216, 217 StGB eine Differenz der Strafwürdigkeitsgrade erschließt, deretwegen es angezeigt ist, die minder schweren Fälle einem erheblich strengeren Strafrahmen zu unterstellen als die privilegierten Fälle des Totschlags. Bevorzugt w i r d aber der besonders schwere Fall i m Vergleich zu einem qualifizierten Tatbestand. Beim besonders schweren Fall w i r d i n dieser Auslegung ja die Untergrenze des Strafrahmens, aus dem zu strafen ist, durch den Regelstrafrahmen gebildet. A m Beispiel des § 292 Abs. 2 StGB: Wer i n den benannten Fällen des § 292 Abs. 2 StGB Qualifikationen sieht 2 8 1 , muß für die Strafzumessung von einem Strafrahmen ausgehen, der von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe reicht. Für die unbenannten besonders schweren Fälle des § 292 Abs. 2 StGB aber gilt der Regelstrafrahmen. Denn das Gesetz hat zur Strafschärfung hier nicht die Strafrahmenobergrenze heraufgesetzt, sondern die Strafrahmenuntergrenze angehoben: Die gesetzlich vorgesehene Anordnung einer Strafschärfung auch für unbenannte besonders schwere Fälle jedenfalls ist bei § 292 Abs. 2 StGB, wie auch i n allen anderen Fällen, i n denen durch die Aufnahme besonders schwerer Fälle der Strafrahmen nicht erweitert, sondern nur verengt wurde (vgl. z. B. §§ 129 Abs. 4, 173 Abs. 3 StGB), sinnlos, wenn es sich bei der Gesetzestechnik besonders schwerer Fälle u m nicht mehr als bloße Strafrahmen-„Erweiterungen" handeln soll. Aber auch für den, der i n den benannten Fällen des § 292 Abs. 2 StGB Regelbeispiele sieht 2 8 2 , ist die Anordnung einer schwereren Bestrafung für die Beispielsfälle sinnlos; denn auch der, der ein Beispiel verwirklicht, ist nur aus dem Regelstrafrahmen zu strafen. Eine Gesetzestechnik aber, die eine Strafschärfung für besonders schwere Fälle durch eine Verengung des Strafrahmens, und damit durch eine Änderung der Strafenstaffel zu Lasten des Täters, zu bringen versucht, ist nicht notwendig abwegig oder eine gesetzgeberische Fehlleistung 2 8 3 , die für die Systembildung unbeachtet bleiben kann. Auch diese Gesetzestechnik kann eine Strafschärfung für den besonders schweren Fall bringen. Sie kann es aber nur, wenn die Strafrahmenverengung für besonders schwere Fälle als Anordnung eines Sonderstrafrahmens ernst genommen w i r d : Durch die Verengung des 281

So: BGHSt. 5, S. 211; OLG Hamm, NJW 1962, S. 601; Schäfer, in: LK«,

§ 292 Rdn. 81. 282

So Eser, in: Schönke / Schröder 21, § 292 Rdn. 22; Maur ach / Sehr oeder,

BT, Bd. I, S. 352. 283 Vgl. aber Zip/, Die Strafzumessung, S. 13.

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d Strafrahmenwahl

Strafrahmens verschiebt sich, mit den genannten Konsequenzen für die Tatschwere i m Einzelfall, die relative Schwereskala des Strafrahmens zu Lasten des Täters. Das Gesetz macht i n den Fällen der Strafrahmenverengung mit dem Gedanken ernst, daß der Strafrahmen nicht nur dem richterlichen Ermessen bei der Strafzumessung Grenzen setzt, daß er vielmehr durch die durch i h n normierte Schwereskala auch die Tatschwere i m Einzelfall bestimmt. Wer das Gesetz nicht ernst nimmt und angesichts der Ausgestaltung des positiven Rechts darauf beharrt, die Gesetzgebungstechnik der besonders schweren Fälle bringe stets nicht mehr als Strafrahmenerweiterungen, behauptet, daß das Gesetz prinzipiell sinnlose Regelungen enthält. Er hat freilich auch mit dieser Auslegung noch nicht die Schwierigkeiten i n der Handhabung der nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen des A. T., der besonders schweren Fälle und der minder schweren Fälle überwunden, deretwegen der Ausweg erdacht wurde, man habe es allein m i t Erweiterungen des Regelstrafrahmens zu tun. Hat nämlich der Richter „innerhalb von zwei Strafrahmen" zu wählen 2 8 4 , muß immerhin noch begründet werden, warum trotz des Vorliegens eines fakultativen Strafmilderungsgrundes eine Strafe gewählt wurde, die über der oberen, durch § 49 Abs. 1 StGB gesetzten Zäsur lag, oder warum eine Strafe verhängt wurde, die i n den, durch § 49 Abs. 1 StGB gezogenen Grenzen, die Untergrenze des Regelstrafrahmens unterschritt. Zur Begründung der Wahl kann man sich nun aber nicht auf die „konkrete Tatschwere" zurückziehen. Die Herabsetzung der Strafrahmenuntergrenze ist nicht generell angeordnet, sondern nur für die i n § 49 Abs. 1 StGB bezogenen Fälle zugelassen und schon diese Begrenzung beweist, daß es dem Richter nicht erlaubt ist, sich gelegentlich eines Versuchs, eines Unterlassens usw. aus der Bindung an den Regelstrafrahmen zu lösen 2 8 5 : Die Frage nach je für den Milderungsgrund spezifischen Strafzumessungsgründen stellt sich m i t h i n auch für den, der meint, der Richter habe i n einem durch Zäsuren gegliederten Strafrahmen zu wählen. I V . Zusammenfassung Es bleibt dabei: Bei den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen, bei den minder schweren Fällen und den besonders schweren Fällen handelt es sich u m „zweistufige" Strafzumessung und nicht u m die generelle Anordnung der Erweiterung des Regelstrafrahmens. Abweichend vom Normalfall steht hier m i t der Feststellung der Tatbestandsmäßigkeit eines bestimmten Verhaltens der anzuwen284 285

Horn, in: SK StGB 8 , § 46 Rdn. 56. Vgl. dazu 1. T e i l I I . B. 2.

I V . Zusammenfassung

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dende Strafrahmen noch nicht fest. Die Festlegung des Strafrahmens hat vielmehr der Bestimmung der Strafe vorauszugehen. Die Strafrahmenwahl kann nun auch nicht i m Wege eine „Gesamtbetrachtung" aller Strafzumessungstatsachen geschehen: Die Lehre von der Gesamtbetrachtung konnte nicht erklären, warum das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB nicht auch i n den Fällen „zweistufiger" Strafzumessung gilt. Aus der gängigen Begründung dieses Verbotes aus dem Gedanken der „Arbeitsteilung von Gesetz und Richter" ist weder das Verbot der Doppelverwertung für Tatbestandsmerkmale als „logisch zwingend" (Dreher) zu begründen, noch — m i t dem Hinweis auf das Fehlen solcher Arbeitsteilung — die Nichtgeltung dieses Verbotes für die nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen, die minder schweren Fälle und die besonders schweren Fälle: Rechtsfindung und Rechtsetzung sind i m A k t der richterlichen Rechtsanwendung stets ununterscheidbar komplex 2 8 6 . Das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB ist ein generalisierender Anwendungsfall der materiell-rechtlichen Begründungspflicht der richterlichen Strafzumessungsentscheidung. Der Richter, der sich zur Begründung seiner Entscheidung i n der Strafzumessung auf die Wiederholung der Tatbestandsmerkmale beschränkt, mag zwar das Strafmaß aus zutreffenden Erwägungen heraus ausgesprochen haben. Ob das Strafmaß freilich „richtig" begründet ist, oder ob er von unzutreffenden Überlegungen ausging, oder ob er nur die i h m obliegende Begründungspflicht verkannt hat, kann das Revisionsgericht nicht kontrollieren, wenn die Urteilsgründe dazu schweigen 287 . Auch die Frage nach dem Geltungsumfang des Doppelverwertungsverbotes ist nicht aus dem Gedanken des „arbeitsteiligen Verhältnisses von Gesetz und Richter" deduzierbar. Sie ist vielmehr i n das allgemeinere Problem eingeordnet, welche Anforderungen an die Strafzumessungsbegründung zu stellen sind 2 8 8 . Vorab aber scheitert der Versuch, die Strafrahmenwahl bei den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen, bei den minder schweren Fällen und den besonders schweren Fällen von einer Gesamtbewertung aller Strafzumessungstatsachen abhängig zu machen, an den Ergebnissen dieser Lehre, ihren methodischen Unzulänglichkeiten und daran, daß bei einer Gesamtwertung nicht mehr zu erklären ist, weshalb wegen eines Versuches, eines Unterlassens usw. die Strafe zu mildern ist oder warum trotz eines Versuchs, eines Unterlassens usw.

286 287 288

Vgl. 1. T e i l I I . A . 1. b. Vgl. 1. T e i l I I . A . 2. a. Vgl. 1. Teil I I . A . 2. b.

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1. Teil. Gesamtbetrachtung u n d Strafrahmenwahl

von einer Strafmilderung abzusehen ist 2 8 9 . Auch die oft weiten Überschneidungsbereiche von Regel- und Sonderstrafrahmen, sind aus dem Gedanken einer Gesamtbetrachtung aller Strafzumessungstatsachen schon als Voraussetzung der Strafrahmenwahl nicht zu erklären 2 9 0 . Ziel der Auslegung der nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen der besonders schweren Fälle und der minder schweren Fälle muß es dementsprechend sein, die Nachteile einer Gesamtbetrachtung als Voraussetzung der Strafrahmenwahl zu vermeiden: Die Entscheidung, ob zu mildern ist oder nicht, darf nicht, unter weitgehendem Verzicht auf jede Rechtssicherheit, der unmittelbaren Dezision aus der Anschauung des Einzelfalles überlassen bleiben. A u f der anderen Seite aber sind bei der Auslegung der Strafrahmenänderungen des A. T., der besonders schweren Fälle und der minder schweren Fälle gegen die Behauptung, es handle sich bei dieser Gesetzgebungstechnik u m nichts anderes als „verkappte Strafrahmenerweiterungen" (Zipf) die Vorteile relativ enger und differenzierter Strafrahmen zu bewahren, die eher eine kontrollierbare Anleitung richterlichen Handelns bei der Strafzumessung erlauben, als die weiten Strafrahmen, die diese Lehre zur Folge hat. Es gilt also über den Einzelfall hinaus zu einer Fallgruppendifferenzierung nach Graden der Strafwürdigkeit zu gelangen; und daß es möglich ist, generalisierungsfähige Aussagen über die Anwendungsbereiche der Regelstrafrahmen und der Sonderstrafrahmen bei den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen des A. T. zu machen, soll nachfolgend am Beispiel der Strafmilderung für den Versuch, § 23 Abs. 2 StGB, das Unterlassen, § 13 Abs. 2 StGB, das Handeln i n einem vermeidbaren Verbotsirrtum, § 17 Satz 2 StGB, und für das Verursachen einer Notstandslage nach § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB gezeigt werden.

289 290

Vgl. 1. T e i l I I . B. 2. Vgl. 1. T e i l I I . B. 5.

Zweiter

Teil

D i e fakultativen Strafmilderungen für den Versuch (§ 2 3 Abs. 2 StGB), das Unterlassen (§ 1 3 Abs. 2 StGB), das Handeln i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis ( § 1 7 Satz 2 StGB) und den entschuldigenden Notstand (§ 3 5 Abs. 1 Satz 2 StGB) Erster

Abschnitt

Die fakultative Strafmilderung beim Versuch (§ 23 Abs. 2 StGB) I. Die Bedeutung der Erfolglosigkeit für die Strafzumessung beim Versuch Die durch die Vorschrift des § 23 Abs. 2 StGB eröffnete Möglichkeit einer Strafmilderung beim Versuch kann zweierlei bedeuten: M i t der fakultativen Strafmilderung des § 23 Abs. 2 StGB kann einmal gemeint sein, dem Richter sei erlaubt, das Ausbleiben des Erfolges bei der Strafzumessung zu vernachlässigen und auf eine Strafe zu erkennen, die der des vollendet gedachten Deliktes entspricht (hypothetische Vollendungsstrafe). Eine Auslegung des § 23 Abs. 2 StGB, die allgemeiner auf die Bedeutung des Erfolges für die Strafzumessung abzielt. Die fakultative Strafmilderung des § 23 Abs. 2 StGB kann aber auch meinen, dem Richter sei nur gestattet, einen nach der Vorschrift des § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen als Grundlage der Strafzumessung i m engeren Sinne zu wählen: Die Strafmilderung gilt dann obligatorisch soweit sie die hypothetische Vollendungsstrafe betrifft, fakultativ nur für die Strafrahmenwahl. Aus der Kombination dieser beiden, vom Wortsinn des § 23 Abs. 2 StGB zugelassenen Deutungsmöglichkeiten, ergeben sich m i t h i n für die Strafzumessung beim Versuch folgende Varianten: Der Richter entscheidet sich für die Anwendung des Regelstrafrahmens und verhängt die hypothetische Vollendungsstrafe. Oder: Er mildert die nach dem Regelstrafrahmen zuzumessende Strafe wegen der Erfolglosigkeit des Handlungsprojekts des Täters. Oder: Er wählt den nach § 49

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2. Teil. 1. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Versuch

Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen und mißt aus diesem Rahmen die Strafe zu 1 . A. Der Meinungsstand 1. Die strafmildernde Berücksichtigung der Erfolglosigkeit als „verkappte Zufallshaftung" Zunächst zu dem Problemkreis, ob die fakultative Strafmilderung des § 23 Abs. 2 StGB auch einschließt, bei Beibehaltung des Regelstrafrahmens, auf eine dem vollendet gedachten Delikt entsprechende Strafe (hypothetische Vollendungsstrafe) zu erkennen, auf die strafmildernde Verwertung der Erfolglosigkeit des Handlungsprojekts also zu verzichten. Die Meinungen sind geteilt: Für die einen ist der Erfolg, nach A r t und Ausmaß, stets unerheblich. Gerade entgegengesetzt meinen andere, die Strafmilderung könne insoweit nur obligatorisch gelten; der Erfolg und dementsprechend auch die Erfolglosigkeit sei eine stets relevante Strafzumessungstatsache. Für die erste Ansicht hat Roeder die Frage, ob die fakultative Strafmilderung für den Versuch insoweit angemessen sei, verneint. Er hat stattdessen die Gleichstellung des beendeten Versuchs m i t dem vollendeten Delikt gefordert: „Die Gleichbehandlung von Versuch und Vollendung" sei eine der „elementaren Folgen" der „Grundidee" der „subjektiven Versuchstheorie" 2 . Als weiteres Argument für die Gleichstellung von beendetem Versuch und Vollendung w i r d häufig die Unverträglichkeit von „Schuldprinzip" und Erfolgsberücksichtigung bei der Strafzumessung genannt: Die „obligatorische Milderung der Strafe bei jedem Versuch (sei) nichts anderes als eine negative Erfolgshaftung und damit eine »verkappte Zufallshaftung'". So wenig dem E i n t r i t t des Erfolges Bedeutung für Begründung oder Schärfung der Strafe zukom1 Dagegen ist es schon wegen des Satzes, daß jede Änderung des Strafrahmens zu einer Änderung der (relativen) Tatschwere führt, dem Richter verwehrt, den nach Maßgabe des § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen zu wählen u n d aus diesem Rahmen die hypothetische Vollendungsstrafe zuzumessen. 2 Roeder, Erscheinungsformen, S. 14. — A u f den Zusammenhang v o n subj e k t i v e r Versuchstheorie u n d n u r fakultativer Strafmilderung weisen auch h i n : Bockelmann, Niederschriften Bd. 2, S. 173; Schwalm, Niederschriften Bd. 2, S. 190; Zweiter schriftlicher Bericht des Sonderausschusses, BTDrs. 5/4095, S. 11; aus den Diskussionen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, Protokolle Bd. V, S. 1748 - 1750; aus der L i t e r a t u r Busch, LK®, § 44 Rdn. 3; Koffka, LK®, Rdn. 39 v o r § 13; Rudolphi, i n : SK StGB 3 , § 23 Rdn. 2. — F ü r eine eher „objektive Versuchstheorie" forderten eine obligatorische Strafmilderung für den Versuch Stackelberg, Niederschriften Bd. I I , S. 184, 189; Mezger, Niederschriften Bd. I I , S. 193. — Z u dem Argument Roeders aus der „subjektiven Versuchstheorie" hat freilich schon Stratenwerth klargestellt, daß aus der subjektiven Theorie n u r folgt, was an Unrecht zumindest f ü r eine Bestrafung vorauszusetzen ist, daß sie aber nichts über den Umfang des Unrechts aussagt; Stratenwerth, Versuch, S. 256.

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I. Erfolg u n d Strafzumessung

m e n d ü r f e , so w e n i g d ü r f e d e r E r f o l g l o s i g k e i t auch eine s t r a f m i l d e r n d e B e d e u t u n g z u k o m m e n . M i t e i n e m „ g e l ä u t e r t e n S t r a f r e c h t " sei es „ u n v e r e i n b a r , daß n i c h t selten die K u n s t d e r Ä r z t e ü b e r das S t r a f m a ß e n t scheidet." 3 2. Die Lehren

Zielinskis,

Armin

Kaufmanns

und

Horns

N e u e r d i n g s ist Zielinski, i n k o n s e q u e n t e r D u r c h f ü h r u n g des f i n a l e n U n r e c h t s b e g r i f f s , z u d e m E r g e b n i s gelangt, „ d i e v o n § 44 (a. F. = § 23 n. F.) S t G B vorgesehene S t r a f m i l d e r u n g (gelte) o b l i g a t o r i s c h u n d ausschließlich f ü r d e n u n b e e n d e t e n V e r s u c h " 4 . D e r H a n d l u n g s u n w e r t , d e r a l l e i n das U n r e c h t b e g r ü n d e , f ü l l e es i n h a l t l i c h auch a l l e i n aus 5 : „ M a n gels j e d e r B r ü c k e zwischen d e m E r f o l g s u n w e r t u n d d e m f i n a l e n A k t v e r m a g d e r E r f o l g s u n w e r t w e d e r die N o r m noch die P f l i c h t z u f u n d i e r e n . " „ U n r e c h t ist d e r p f l i c h t w i d r i g e f i n a l e A k t — u n d n u r er." „ D e r E r f o l g h a t k e i n e F u n k t i o n i m U n r e c h t " 6 ; er w i r d so z u r o b j e k t i v e n Bedingung der Strafbarkeit 7. 3 Roeder, Erscheinungsformen, S. 13 f.; zuvor schon E 1922 (Radbruch), S. 60; E 1925, S. 22 f. — F ü r ein „Willensstrafrecht" Begründung zu § 4 der Verordnung gegen Gewaltverbrecher v. 5.12.1939 (RGBL I, S. 2378); vgl. auch: Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 258 f., i m Anschluß an Kadeöka, M S c h r K r i m . 1931, S. 67. 4 Zielinski, Handlungs- u n d Erfolgsunwert, S. 217. 5 Zielinski, Handlungs- u n d Erfolgsunwert, S. 128,143. 6 Zielinski, Handlungs- u n d Erfolgsunwert, S. 142, 143, 200 u. ö. — Kritisch zur Fundierung des „Handlungsunwertes" i n der Verhaltensnormwidrigkeit Gallas, Bockelmann-Festschrift, S. 155 ff., 157 f., der einwendet, dies führe zu einer „Konfundierung v o n Unrecht u n d Schuld" (vgl. auch Mylonopoulos, Handlungs- u n d Erfolgsunwert, S. 59 ff.): „Denn entweder ist damit der Widerspruch zur potentiellen M o t i v a t i o n s w i r k i m g der N o r m i n concreto gemeint; dann würde es sich, da die N o r m n u r durch ihren Rechtscharäkter zu motivieren vermag, u m ein Schuld-, nicht u m ein Unrechtskriterium handeln. Oder es geht darum, daß sich der Täter trotz Erfüllbarkeit des N o r m anspruchs anders verhalten hat, als es dem Norminhalt entsprach. D a n n wäre i n Wahrheit der Schritt v o n der Bestimmungs- zur Bewertungsnorm getan". — Bei der „Bewertungsnorm" setzt auch Gallas, Bockelmann-Festschrift, S. 158, an, u m einen gegenüber der „Schuld selbständigen Unrechtsbegriff" zu bewahren: „Die menschliches Handeln regelnden Normen (weisen) zwei Seiten (auf): A l s Imperative oder »Bestimmungsnormen' verstanden, haben sie die . . . rechtspolitische F u n k t i o n . . . generell motivierend auf die Rechtsgenossen zu w i r k e n : daneben drücken sie als ,Bewertungsnormen' der Begehung der v o n ihnen verbotenen Handlungen den Stempel der rechtlichen M i ß b i l l i g u n g (Nicht-fim-sollen) auf u n d begründen damit den für das Unrecht konstitutiven ,Handlungsunwert 4 ." Der „Handlungsunwert" meine dabei nicht allein den „Intensionsunwert" der Handlung, sondern „die durch die tatbestandliche N o r m verbotene Handlung als eine final-kausale Sinneinheit u n d damit als einen Inbegriff subjektiver u n d objektiver M e r k male"; Gallas, Bockelmann-Festschrift, S. 161, Hervorhebungen i m Original; vgl. auch Mylonopoulos, Handlungs- u n d Erfolgsunwert, S. 63 ff. 7 Zielinski, Handlungs- u n d Erfolgsunwert, S. 212. — Zuvor schon Lüderssen, ZStW 85, S. 292; ders., Bockelmann-Festschrift, S. 193 ff.; u n d für die zivilrechtliche Unrechtslehre Münzberg, Verhalten u n d Erfolg, S. 61 ff.

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2. Teil. 1. Abschnitt Strafmilderungen. Der Versuch

Die Unterscheidung von vollendetem und versuchtem Delikt auf der Unrechtsebene sei sinnlos: Eine „qualitative Scheidelinie" verlaufe zwischen „beendetem Versuch (voll realisierter Handlungsunwert) und unbeendetem Versuch (nicht voll realisierter Handlungsunwert)" 8 . Auch eine Abstufung der Strafmaße von beendetem Versuch und vollendetem Delikt mittels am Erfolg ausgerichteter Strafmaßüberlegungen sei unzulässig: Die „Ausrichtung generalpräventiver Strafmaßerwägungen am Erfolg" sei wegen der „Zufälligkeit" des Erfolgseintrittes als „Tribut an irrationales archaisches Rachedenken . . . für ein an Unrecht und Schuld orientiertes Straf recht unannehmbar". Nur die durch die Verhaltensnormwidrigkeit „eingetretene Erschütterung des Rechts" dürfe durch Strafe ausgeglichen werden, wenn die Sanktion trotz „formaler Schuldangemessenheit" nicht zu „bloßer Erfolgsvergeltung" herabsinken solle: „Der Erfolg kann . . . immer nur Anlaß sein für eine strafrechtliche Reaktion" 9 . I m Ergebnis und i n der Begründung weitgehend übereinstimmend hat Armin Kaufmann gefordert, „auch unter der Herrschaft des geltenden" Strafgesetzes „von der fakultativen Strafmilderung beim beendeten Versuch keinen oder doch nur spärlichen Gebrauch zu machen" 10 . Horn, für den der Erfolg wie für Zielinski „objektive Strafbarkeitsbedingung" ist 1 1 , erklärt für die „Stellenwerttheorie" 1 2 , das für das Strafmaß relevante Unrecht sei mit der Vollendung des „Aktes" voll realisiert; Vollendung und beendeter Versuch stünden i m Schuldmaß — und damit auch i m Strafmaß — gleich 13 . Der Erfolg — und das 8

Zielinski, Handlungs- u n d Erfolgsunwert, S. 144. Zielinski, Handlungs- u n d Erfolgsunwert, S. 215. 10 Armin Kaufmann, Welzel-Festschrift, S. 403. 11 Der aber nicht, w i e Zielinski, den Erfolg zum K r i t e r i u m eines generalpräventiv bestimmten „Strafbedürfnisses" erklärt, sondern die F u n k t i o n des Erfolges, spezialpräventiv, v o m Eindruck der erfolgreichen Tat auf den Täter her bestimmt: Da Strafe — auch — den Zweck verfolge, den Täter i n einem Lernprozeß der Resozialisierung zu künftiger Normbefolgung anzuhalten, wähle der Gesetzgeber, u m dieses Ziel zu erreichen, aus den an sich strafwürdigen Handlungen die aus, bei denen der Täter deshalb am ehesten „resozialisierbar" erscheine, w e i l er durch den tatsächlichen Erfolgseintritt einen besonderen „Tateindruck" davon getragen habe; Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 100 f. 12 Eine Theorie der Strafzumessung, die versucht, den „spezifischen f u n k tionellen Stellenwert der Straf zwecke für den jeweiligen Teilabschnitt des Strafzumessungsvorgangs zu erfassen u n d einzusetzen": Repression bei der Feststellung der Dauer der Strafe, Prävention w e n n es darum geht, ob die Strafe zu verhängen oder gar zu verbüßen sei; Horn, in: SK StGB 3 , § 46 Rdn. 24; ders., Bruns-Festschrift, S. 165 ff., i m Anschluß an Henkel, Die „richtige" Strafe, S. 22 f.; ebenso Schöch, Strafzumessungspraxis, S. 91 ff.; ders., Schaffstein-Festschrift, S. 257 ff. — Z u r K r i t i k der „Stellenwerttheorie" vgl. Roxin, Bruns-Festschrift, S. 186 ff. 18 Horn, i n : SK StGB 8 , § 46 Rdn. 43 f. 9

I. Erfolg u n d Strafzumessung

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immerhin als Rechtfertigung der fakultativen Milderung auch für den beendeten Versuch nach geltendem Recht — übe eine (widerlegbare) „Beweisfunktion" dahin aus, daß die erfolglose Handlung i m Einzelfall einen geringeren Handlungsunwert als die erfolgreiche verkörpern könne 1 4 . 3. Die Erfolglosigkeit des Versuchs als stets strafmildernde Strafzumessungstatsache Der Verzicht auf jede Erfolgsberücksichtigung bei der Bestimmung des Unrechts und bei der Strafzumessung ist freilich nicht unbestritten geblieben. Für die Gegenposition hat Krauß schon früh aus dem Vergleich der §§ 1, 49 StVO m i t den §§ 222, 230, 315 c Abs. 1 StGB den Schluß gezogen, daß das geltende Recht dem Erfolg mehr als „indizielle" Bedeutung für das Unrecht beimesse. Denn nach diesen Vorschriften werde ein und derselbe Sorgfaltsverstoß auf dreierlei verschiedene Weise beurteilt, je nachdem, ob er folgenlos geblieben sei, zu einer Körperverletzung oder gar zu einer Tötung geführt habe 16 . Und auch Welzel hat stets die „rechtstatsächlichen Phänomene" betont: „ Z u m Mord gehört nun mal eine Leiche; ein Mordversuch ist eben nur ein versuchter Mord"; „Mörder ist eben nur, wer wirklich getötet hat" 1 6 , und auf die Unrechtsrelevanz des Erfolges nie verzichtet — ohne freilich einen Zweifel daran zu lassen, daß der „personale Handlungsunwert" der „generelle Unwert" aller Straftatbestände sei 17 , während es nicht leicht sei, „die Funktion zu bestimmen, die der Erfolg i m fahrlässigen Delikt besitzt" 1 8 . Stratenwerth hat der These Zielinskis, der Erfolg sei „Produkt des Zufalls" 1 9 , vorgehalten, daß sie i n eigenartigem Widerspruch zu der anderen These stehe: daß gerade der vom Vorsatz des Täters umfaßte Erfolg „Manifestation der Mißachtung" des Verbotes sei. Denn sei der Erfolg „Produkt des Zufalls", wie solle dann der (und nur der) vom Täter vorsätzlich verursachte Erfolg begangenes Unrecht manifestieren? 20 14

Horn, in: SK StGB 3 , § 46 Rdn. 43. Krauß, ZStW 76, S. 61 f.; ebenso Krümpelmann, Bagatelldelikt, S. 63, 66; Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 280; Lampe, Personales Unrecht, S. 95 f.; Preuß, Erlaubtes Risiko, S. 110; Schönehorn f G A 1981, S. 73; Stratenwerth, Schaffstein-Festschrift, S. 192: E i n allein auf den Handlungsunwert bezogenes System des Strafrechts müsse wesentlich anders aussehen als das geltende Recht. 16 Welzel, Lehrbuch 1 1 , S. 189. 17 Welzel, Lehrbuch 1 1 , S. 62. 18 Welzel, Fahrlässigkeit u n d Verkehrsdelikte, S. 20. 19 Zielinski, Handlungs- u n d Erfolgsunwert, S. 142 f. 15

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2. Teil. 1. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Versuch

Stratenwerth selbst h a t v o m f i n a l e n H a n d l u n g s b e g r i f f h e r v e r s u c h t , d e n E r f o l g als U n r e c h t s t e i l s u b s t r a t i n das S y s t e m des F i n a l i s m u s e i n z u bauen. E r ist f ü r d e n V e r s u c h z u d e m E r g e b n i s g e l a n g t , b e i A u s b l e i b e n des Erfolges sei die S t r a f e „ v e r g l i c h e n m i t d e r j e n i g e n Strafe, die b e i d e m s e l b e n T ä t e r u n d derselben T a t i m F a l l e d e r V o l l e n d u n g h ä t t e v e r h ä n g t w e r d e n k ö n n e n . . . stets" z u m i l d e r n . D a b e i b r a u c h e die gebotene S t r a f m i l d e r u n g f r e i l i c h n i c h t so w e i t gehen, „ d e n S t r a f r a h m e n z u w e c h s e l n " . A u s dieser Sicht sei m i t d e r K a n n - V o r s c h r i f t des § 23 Abs. 2 S t G B noch ein v e r n ü n f t i g e r S i n n zu verbinden: Obligatorisch sei, „ i m V e r g l e i c h z u m v o l l e n d e t e n D e l i k t , z w a r d i e S t r a f m i l d e r u n g als solche, n i c h t aber d e r Ü b e r g a n g a u f d e n m i l d e r e n S o n d e r s t r a f rahmen"21' 22. Schöneborn 23 k o m m t z u d e m E r g e b n i s , auch i n d e r U n r e c h t s l e h r e Zielinskis „(avanciere) d e r k o n k r e t e E r f o l g . . . z u m ganz entscheidend e n U n r e c h t s e l e m e n t " . „ W o das s o r g f a l t s w i d r i g e A u s g a n g s v e r h a l t e n einen Bezug zu mehreren Rechtsgütern aufweist" (wie z . B . bei den §§ 230, 222, 315 c A b s . 1 N r . 2 a S t G B ) k o p p e l e d i e „ e x t r e m - f i n a l i s t i s c h e U n r e c h t s l e h r e " „ n a c h E i n t r i t t eines m i l d e r e n E r f o l g e s v o n d e r u m f a s senden B e s t i m m u n g s n o r m (ab) u n d (strafe) n a c h M a ß g a b e des b e t r e f f e n d e n m i l d e r e n Rechtsguts". B e i s p i e l h a f t : „ B e i E i n t r i t t eines l e i c h t e n K ö r p e r v e r l e t z u n g s e r f o l g e s (werde) eine r e l a t i v n i e d r i g e S t r a f e gemäß 20

Stratenwerth, Schaffstein-Festschrift, S. 183. Stratenwerth, A T 2 , Rdn. 701; i m Ergebnis ebenso Krümpelmann, Bagatelldelikt, S. 103; Eser, i n : Schönke / Schröder 21 , § 23, Rdn. 6 f. 22 Z u r Begründung f ü h r t Stratenwerth, SchwZStr. 79, S. 245 ff., aus: „Der E i n t r i t t des rechtlich mißbilligten Erfolges k a n n nicht zur sog. Verbotsoder Gebotsmaterie . . . gehören" (Stratenwerth, SchwZStr. 79, S. 245); „von dem (späteren) E i n t r i t t des Erfolges k a n n es nicht abhängen, ob die Handl u n g (im Z e i t p u n k t ihrer Vornahme) verboten ist. Verbieten läßt sich n u r die auf den Erfolg abzielende (oder i h n möglicherweise bewirkende) Handl u n g " ; Stratenwerth, SchwZStr. 79, S. 245 f.; ders., Schaffstein-Festschrift, S. 182. Daraus folgt für Stratenwerth nicht, daß der Erfolg für die Bestimm u n g des Unrechts ohne Bedeutung sei: Der Erfolgsunwert, als Unrechtselement, gehöre zu den Umständen, „die die Bewertungsnorm über die Bestimmungsnorm hinaus erfaßt" (Stratenwerth, SchwZStr. 79, S. 250). Der Erfolgsunwert sei auch für das „Schuldmaß von Bedeutung": Schuld, als „Strafzumessungsschuld", meine nicht, w i e i n dem üblichen engeren V e r ständnis des „dogmatischen Schuldbegriffs", die Voraussetzungen, unter denen der Täter die Möglichkeit hatte, die rechtliche Sollensforderung zu erkennen u n d sich nach i h r zu richten; der Schuldbegriff des Strafzumessungsrechts sei vielmehr ein der „Rechtswirklichkeit" angepaßter, weiterer Begriff, der „die Verfehlung i n i h r e m vollen Erscheinungsbild, als Mangel an verantwortlichem Verhalten sowohl w i e als Verletzung des anderen, zu der sie f ü h r t " erfasse. E i n Schuldbegriff m i t h i n , den „die sozialethischen Phänomene sehr eindeutig" bezeugten u n d der — da er „überall der richterlichen Praxis zugrunde" liege — eine „Vernachlässigung des Erfolgsunwertes als der Sache unangemessen erscheinen" lasse (Stratenwerth, SchwZStr. 79, S. 254). 28 Schöneborn, G A 1981, S. 70 ff. 21

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§ 230 StGB (verhängt), obwohl der vermeidbare Intentionsunwert natürlich bis zum Bewertungsmaßstab ,Leben' hinaufreicht" 2 4 . Nicht „die Ergebnisse (der) Deduktion (Zielinskis) als kriminalpolitisch unannehmbar" 2 5 allein macht schließlich Paeffgen zum Gegenstand seiner K r i t i k ; „deren gedankliche Folgerichtigkeit" 2 6 selbst stellt er i n Frage: A u f den Gegensatz subjektiv-objektiv komme es für die Unrechtsbegründung nicht an; denn auch eine Handlung ohne tatbestandsmäßigen Erfolg habe noch eine objektive Seite: „ I n jedem Falle w i r d i n dem Augenblick, i n dem eine normwidrige Intention sich i n einem ersten A k t niederschlägt, auch der erste Punkt einer Gradiente gesetzt, die zu der Rechtsgutsgefährdung führt. Diese Steigungslinie reicht von der allerersten Vorbereitungshandlung bis mindestens zum beendeten Versuch. . . . Es soll nicht bestritten werden, daß . . . begrifflich zwischen beendetem Versuch und Erfolgseintritt eine Zäsur gemacht werden kann. Trotzdem sind i m Fall einer wirklichen Körperverletzung verobjektivierte Normwidrigkeit und Verletzung des Rechtsgutsobjektes letztlich nur zwei unterschiedliche Aspekte ein und derselben Handlung und damit i n dem Maße berechenbar, i n dem Geschehnisse von Menschen überhaupt vorhergesehen werden können. Demnach ist es auch möglich, wenn auch unter der Voraussetzung eines Wechsels der Perspektive, daß nicht der beendete Versuch, sondern das vollendete Delikt am Ende jener angesprochenen Gradiente der Rechtsgutsgefährdung steht" 2 7 . Und zu dem Argument, auf den Erfolgsunwert 24 Schöneborn , G A 1981, S. 74 f.; i m Anschluß an Stratenwerth, SchaffsteinFestschrift, S. 188. Vgl. zur K r i t i k auch Schünemann, J A 1975, S. 511 f.; ders., Schaffstein-Festschrift, S. 171 ff., der der Unrechtslehre Zielinskis die „Substratsadäquanz" bestreitet: „ I n einem substratadäquaten, d . h . die W e r t u n gen des Gesetzgebers absorbierenden System (nämlich empfingen die „obj e k t i v e n Bedingungen der Strafbarkeit") ,ihren I n h a l t nicht aus k r i m i n a l politischen, sondern aus davon unabhängigen allgemein rechtspolitischen Überlegungen'" (Schünemann, Schaffstein-Festschrift, S. 172 f., m i t Z i t a t v o n Roxin, K r i m i n a l p o l i t i k 2 , S. 36). U n d noch darüber hinaus sei die Unrechtslehre Zielinskis „substratwidrig": Sie interpretiere die fahrlässigen Erfolgsdelikte i n „abstrakte Gefährdungsdelikte" um, was nicht n u r eine Entleerung, sondern auch eine Verzerrung der Tatbestände zur Folge habe. Denn n u n sei es ausgeschlossen, die Ergebnisse der neueren Strafrechtsdogmatik w i e die die Lehre v o m Rechtswidrigkeitszusammenhang sinnvoll ins Gesamtgefüge einzubinden (Schünemann, Schaffstein-Festschrift, S. 173 f.). Schünemann, J A 1975, S. 511 f., resümiert, die Unrechtslehre Zielinskis münde letztlich i n ein „polizeistaatliches" Strafrecht, u n d passe daher schon de lege lata nicht. 25 Paeffgen, Verrat, S. 110. 29 Paeffgen, Verrat, S. 110. 27 Paeffgen, Verrat, S. 112 f. — Das Argument Paeffgens k a n n noch v e r schärft werden: Welche äußeren Umstände über die „objektive Seite" der Handlung den Verhaltensunwert m i t konstituieren, u n d welche als „objektive Bedingungen der Strafbarkeit" aus dem Unrecht herausfallen, k a n n nicht dem Handlungsbegriff entnommen werden, sondern ist gerade so zufällig, w i e die tatbestandlichen Handlungsbeschreibungen des positiven

7 Timpe

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2. Teil. 1. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Versuch

k ö n n e es f ü r die U n r e c h t s b e g r ü n d u n g n i c h t a n k o m m e n , „ w e i l er i n s e i n e m Sosein z u f ä l l i g s e i " 2 8 , m e r k t Paeffgen t r e f f e n d an, es sei „ n i c h t ersichtlich, w e s h a l b e i n (möglicher) B e s t a n d t e i l d e r H a n d l u n g , n ä m l i c h die E r f o l g s h e r b e i f ü h r u n g , aus d e r H a n d l u n g s a n a l y s e m i t d e m H i n w e i s ausgeblendet w e r d e n d a r f , er sei z u f a l l s b e d i n g t , w e n n doch j e g l i c h e O b j e k t i v i e r u n g v o n Gedanken i n Handlungen letztlich zufallsbeh e r r s c h t i s t " 2 9 : „ D e r A t t e n t a t s v e r s u c h beispielsweise k a n n n i c h t n u r a n d e r k u g e l s i c h e r e n Weste des Opfers, a m V e r s a g e n d e r W a f f e o. ä. scheit e r n , s o n d e r n auch deshalb, w e i l sich die W a f f e i n d e r Hosentasche v e r h a k t e oder — w e n n auch l e b e n s f r e m d , so doch i m m e r h i n d e n k b a r — w e g e n eines p l ö t z l i c h e n M u s k e l k r a m p f e s des T ä t e r s " 3 0 . Rechts zufällig sind. Beispielhaft: Beim Diebstahl bezeichnet die Begründung neuen Gewahrsams den Vollendungserfolg, der Bruch fremden Gewahrsams ist, auf der „ o b j e k t i v e n Handlungsseite", für den Verhaltensunwert konstit u t i v . Verzichtet der Gesetzgeber n u n auf die tatsächliche Begründung neuen Gewahrsams f ü r die Vollendung, scheidet der Bruch fremden Gewahrsams als Vollendungserfolg aus dem Unrecht aus. Oder: Die Gefährdung des Lebens ist — bei konkreten Gefährdungsdelikten, z. B. § 315 c Abs. 1 StGB —, der Unrechtslehre Zielinskis zufolge, als tatbestandlicher Erfolg für das Unrecht irrelevant. Die Lebensgefährdung k a n n aber auch, beim Versuch des Verletzungserfolgsdelikts des § 212 StGB, über die „objektive Handlungsseite" den Verhaltensunwert der Versuchshandlung mitbestimmen usw. — Die Beispiele zeigen: I n der Unrechtslehre Zielinskis kann, j e nach der t a t bestandlichen Verhaltensbeschreibung, ein u n d derselbe äußere Umstand einmal als „Erfolg" — u n d damit als „objektive Bedingung der Strafbarkeit" — aus dem Unrecht herausfallen; ein anderes m a l aber, auf der „obj e k t i v e n Seite der Handlung" für den Verhaltensunwert, u n d damit das Unrecht relevant sein, obgleich dieser Umstand i n beiden Fällen gleich „zufällig" ist. 28 Paeffgen, Verrat, S. 114. 29 Paeffgen, Verrat, S. 115. 30 Paeffgen, Verrat, S. 114 f. — Paeffgen, Verrat, S. 120 ff., selbst sieht den Erfolgsunwert als Unrechtsteilsubstrat i n dem „Komplementärverhältnis" fundiert, das „zwischen gewährendem u n d imperativem Rechtssatz (besteht), die sich beide aus der Bewertungsnorm ableiten"; „der Übergriff i n die fremde Rechtszuständigkeit verstößt . . . nicht n u r gegen den Imperativ, sondern w i r k t störend i n den einem anderen Rechtsgutsträger eingeräumten Rechtsbereich ein" (Paeffgen, Verrat, S. 121; ähnlich schon Krümpelmann, Bagatelldelikt, S. 82 ff.). Dabei genieße freilich „der Handlungsunwert bei der Unrechtsbegründung eine Vorrangstellung, bildet er doch die absolute Obergrenze dessen, was dem Täter ,zur Schuld vorgeworfen' werden kann", Paeffgen, Verrat, S. 122. — Vgl. auch schon Krümpelmann, Bagatelldelikt, S. 87 ff., u n d Gallas, Bockelmann-Festschrift, S. 162 f., der das „formelle Erfolgsunrecht" „aus einer, den strafrechtlichen Tatbeständen immanenten Schutzu n d Gewährleistungsnorm" herzuleiten versucht: Dem Strafgesetz lägen „entsprechend dem Dualismus v o n Täter u n d Opfer zwei — aufeinanderbezogene — Bewertungsnormen (zugrunde), v o n denen die eine als Verhaltensnorm die Vornahme der den Verletzten bedrohenden Handlung, die andere als ScTnziznorm die Beeinträchtigung der dem Verletzten gewährleisteten Unversehrtheit" mißbillige. Materiell gerechtfertigt sei die Berücksichtigung des Erfolges i m Unrecht, w e i l „das Erfordernis der Handlungsadäquanz als Voraussetzimg der objektiven u n d das Vorsatzerfordernis als Voraussetzung der subjektiven Zurechnung . . . die Erfolgsherbeiführung als eine Leistung des Täters erscheinen (lasse), für (die) . . . er m i t Recht einzu-

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B. Die eigene Lösung: Die Strafmilderung gilt auch für den beendeten Versuch obligatorisch

Der Streit u m die Stellung des Erfolges i m Unrecht ist für die Lösung von Sachproblemen der Strafzumessung nutzlos 31 : Die These, der Erfolg sei unrechtsirrelevant, ist für die Strafzumessung nur unter der Hypothese von Belang, daß Strafe der Ausgleich dafür sei, daß das Subjekt der Verhaltensnorm zuwidergehandelt habe. Nur unter dieser Hypothese sind die Elemente der Verhaltensnormwidrigkeit hinreichende und zugleich kumulativ notwendige Sanktionsvoraussetzungen. Ist Schuld aber nur notwendige, und nicht zugleich auch hinreichende Bedingung für Strafe und, sofern Strafe verhängt wird, für i h r Maß, ist es für die Strafzumessung gleich, ob Strafe nach einer durch das Ausmaß des Erfolges mitbestimmten Schuld bemessen w i r d oder ob nach Maßgabe des Erfolges eine allein nach dem Ausmaß des Handlungsunwertes gemessene Schuld ausgeschöpft wird. Ob der Erfolg jedenfalls insoweit als Anknüpfungspunkt präventiv ausgerichteter Strafmaßüberlegungen tauglich ist, läßt sich nur entscheiden, wenn nach der Funktion der Sanktion gefragt wird: Die Umstände, bei deren vorliegen ein Subjekt als sanktionswürdig erscheint und die, die das Maß der Sanktion bestimmen, sind als Funktion der Zwecke zu ermitteln, zu deren Verwirklichung die Sanktionsnorm aufgestellt ist. Konkret: Dient die Sanktion der Generalprävention als „Einübung i n Rechtstreue" 32 (und nicht dem abstrakten „Rechtsgüterschutz": die Sanktion kommt zum Schutz des Rechtsgutes stets zu spät) durch Darstellung der Fortgeltung i m Delikt enttäuschter „normativer Erwartungen", ist der Erfolg nach A r t und Ausmaß dann ein Umstand, der für die Sanktionsbedürftigkeit und das Sanktionsmaß bestimmend ist, wenn durch den Erfolg — i n den Worten Zielinskis — „die Breitenwirkung der Tat, die von ihr ausgelöste Empörung der Rechtsgemeinschaft, . . . wächst" 3 3 . Und: Daß Eintritt — oder Ausbleiben — des Erfolges für die Normgeltung nicht gleich sind, weiß auch Zielinski: „Je größer der angerichtete Schaden, je weniger er wieder gutzumachen ist, desto lauter w i r d der Ruf nach ausgleichender Vergeltung, nach Sühne, nach Wiederherstellung des Rechtsfriedens" 34 . stehen h a t " ; Gallas, Bockelmann-Festschrift, S. 164, Hervorhebungen i m Original. Vgl. eingehend auch Mylonopoulos, Handlungs- u n d Erfolgsunwert, S. 72 ff., 74 ff. 31 Vgl. dazu auch Jakobs, Studien, S. 120 ff. 32 Jakobs, Schuld, S. 10. 33 Zielinski, Handlungs- u n d Erfolgsunwert, S. 207. 34 Zielinski, Handlungs- u n d Erfolgsunwert, S. 203; — zuvor schon Roeder, Erscheinungsform, S. 13 f. — I m Ergebnis auch Krümpelmann, Bagatelldelikt, S. 69, 70, 93; Würtenberger, Geistige Situation, S. 58; Mittasch, Aus7*

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2. Teil. 1. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Versuch

Der Erfolgseintritt vermittelt eine intensivere Geltungsschädigung für die Norm als ein erfolgloses Handlungsprojekt. Dient die Sanktion aber gerade dem Zweck, die Fortgeltung von Normen zu garantieren, dann läuft der Verzicht auf Erfolgsberücksichtigung bei der Bemessung der Sanktion dem Zweck der Sanktion zuwider and stellt den durch das Delikt vermittelten Geltungsschaden auf Dauer — mit der Folge, daß die Institution i n der Zeit selbst problematisch wird. Ein Ergebnis, das dann auch dem Rechtsgüterschutz (Rechtsgut als durch die Verhaltensnorm geschützter Gegenstand) abträglich ist: Der Schutz von Rechtsgütern (in diesem Sinn) ist nur durch die Garantie der Geltung institutioneller Normen möglich. Und Garantie der Normgeltung ist nur durch eine — zum „Geltungsverlust" proportionale — Darstellung der Fortgeltung der Norm i n der Strafe möglich. Bezogen auf diesen Funktionszusammenhang von „Rechtsgüter-Schutz" und den Möglichkeiten des Schutzes 35 ist es durchaus kein „Tribut an irrationales archaisches Rachedenken" und damit dem „Schuldstrafrecht" fremd, den — auch durch den Erfolg vermittelten — intensiveren Geltungsschaden durch die intensivere Sanktion auszugleichen. Freilich ist die fakultative Versuchsmilderung, soweit sie die Möglichkeit einschließt den beendeten Versuch gleich der vollendeten Tat zu bestrafen, damit nicht widerspruchsfrei erklärt: Die These, daß der Erfolg Strafzumessungstatsache ist, fordert die obligatorische Strafmilderung auch für den beendeten Versuch. Die Gegenansicht, die meint, der Erfolg sei zwar für die Strafzumessung von Bedeutung, das Fakultativum sei aber gleichwohl angemessen, weil beim Versuch das Minus an „Erfogsunwert" durch einen „gesteigerten Handlungsunwert" 3 6 oder allgemein durch andere nach den allgemeinen Regeln der Strafzumessung erschwerende Umstände i m Wege einer „Gesamtschau" wieder ausgeglichen werden könne 3 7 , überzeugt nicht. Sie übersieht, daß bei vorausgesetzter strafmildernder W i r kung der Erfolglosigkeit des Handlungsplanes die Strafe für die versuchte Tat nicht mehr die gleiche sein kann wie bei einer unter denselben erschwerenden Umständen eingetretenen V o l l e n d u n g 3 8 ' 3 9 . Wirkungen, S. 87 f.; Salm, Versuch, S. 179 f.; Lampe, Personales Unrecht, S. 96. — Vgl. zur Zuschreibung v o n Verantwortlichkeit nach Maßgabe der Tatfolgen auch Schöneborn, G A 1981, S. 83 ff. 35 Dazu Welzel, Lehrbuch 1 1 , S. 3 ff. 86 So Lenckner, Notstand, S. 196 Fn. 32. 87 BGHSt. 16, S. 351 ff. (353); H. Mayer, A T , S. 293. 88 Stratenwerth, Versuch, S. 260; ders., A T 2 , Rdn. 700; ders., A T 3 , Rdn. 684. Eser, in: Schönke / Schröder 20 , § 23 Rdn. 6. 39 Ausnahmsweise kennt auch Zipf (Strafmaßrevision, S. 34) Fallgestaltungen, i n denen der Versuch der Vollendung i m Schuldmaß zumindest nahe stehe: Z w a r sei die „Erfolgskomponente" der T a t Element der „Strafzumes-

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sungsschuld" (vgl. Zipf, Strafmaßrevision, S. 87 ff., 94); die „Tatfolgen (seien aber) eine änderbare Größe", „so daß auch eine spätere Schadenswiedergutmachung durch den Täter das Ausmaß der Tatfolgen herabmindert". Deshalb könne „eine v o m Täter geschaffene ernste Gefährdung einer später durch Schadensverminderung abgemilderten Verletzung an Schuldgewicht m i n destens nahe kommen" (Zipf Strafmaßrevision, S. 34; ders., Die Strafzumessung, S. 36 ff.). — Der Gedanke Zipfs, es gebe „erfolgsbezogenes" Nachtatverhalten, das das Schuldmaß durch eine Minderung des Erfolgsunwertes der Tat unmittelbar herabsetze [oder, bei einer Schadensvertiefung, erhöhe, vgl. Zipf, Die Strafzumessung, S. 36 ff.] ist m i t dem Hinweis Horns, „ m i t der Vollendung der Tat (stünden) die beiden Größen Unrecht u n d Schuld für immer fest", sie könnten sich „also später nicht mehr ändern", „das Verhalten nach der Tat (sei) m i t h i n nicht mehr als ein Indiz" für den Unrechtsu n d Schuldgehalt der Tat (Horn, i n : SK StGB 3 , § 46 Rdn. 74; vgl. auch Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 259), noch nicht widerlegt. Schon dem positiven Recht ist die Ausdehnung des Verantwortungsbereiches des Subjektes i n der zeitlichen Dimension über die Vollendung der Tat hinaus zur Begründung oder zum Ausschluß seiner Schuld nicht fremd (vgl. dazu noch 2. Teil 3. A b schnitt I V . B.). Es kennt i m Schuldausschließungsgrund des freiwilligen Rückt r i t t s v o m Versuch, § 24 StGB, (Roxin, K r i m i n a l p o l i t i k 2 , S. 35 ff.; Rudolphi, i n : SK StGB 3 , § 24 Rdn. 6, m. w . N.) u n d i n den Vorschriften der §§ 83 a, 84, 87 Abs. 3, 98 Abs. 2, 139 Abs. 4,158, 163 Abs. 2, 310 StGB u n d i n § 316 a StGB für die Unternehmensdelikte (für eine entsprechende A n w e n d u n g der Rücktrittsregelungen der §§ 83 a, 316 a StGB auf diejenigen Unternehmensdelikte, die keine derartige Regelung enthalten: Schröder, Kern-Festschrift, S. 462 f.; Eser, i n : Schönke / Schröder 21 , § 11 Rdn. 63) Regelungen, wonach bei „tätiger Reue" auch bei vollendeten Delikten v o n Strafe abzusehen oder diese zu m i l dern ist: Die Annahme liegt nahe, daß der freiwillige Rücktritt v o m Versuch (§ 24 StGB) u n d die genannten Rücktrittsregelungen für vollendete Taten n u r besonders qualifizierte Formen v o n Nachtatverhalten sind (eingehend dazu Hertz, Nachtatverhalten, S. 90 ff.). I m System Zipfs ist aber der Schadensbegriff nicht hinreichend geklärt: Daß ein schadensminderndes „erfolgsbezogenes" Nachtatverhalten den Erfolgsunwert [und damit, nach dem Strafzumessungsschuldbegriff Zipfs (Strafmaßrevision, S. 94), auch die Schuld] herabzusetzen vermag, ist zunächst plausibel aus der Sicht der Formalisierung u n d Technizität des strafrechtlichen Güterschutzes bei den I n d i vidualschutztatbeständen, da das durch die Tat verletzte Angriffsobjekt häufig reparabel ist: Der, der eine fremde Sache zerstört hat, beschafft eine neue; der Dieb ersetzt den gestohlenen Geldbetrag usw. Die Betroffenheit des Opfers macht aber i n der Regel nicht der Verlust eines bestimmten A n griffsobjektes aus. Der strafrechtliche Individualschutz ist dem Typus nach zwar auf den Schutz v o n Gegenständen ausgelegt. Das Angriffsobjekt ist aber nicht u m seiner selbst w i l l e n geschützt (und der Verlust eines bestimmten Gegenstandes allein mindert die Chancen des Opfers häufig nicht, w i e die sog. „Geldwechselfälle" zeigen, vgl. 1. Teil, Fn. 178), sondern als Voraussetzung individueller Entfaltung (vgl. zur Problematik der Berücksichtigung des Ausmaßes des Freiheitsverlustes des Opfers bei der Strafzumessung, 1. Teil, Fn. 179). Bezogen auf das hinter dem Angriffsobjekt stehende Freiheitsinteresse braucht der Ausgleich des Schadens am Angriffsobjekt den Verlust an Entfaltungschancen durch die Tat i n der Tatsituation nicht n o t wendig auszugleichen: F ü r den, der v o r hat, m i t einem Verkehrsmittel einen Besuch zu unternehmen, der aber nach dem Diebstahl seiner Barschaft n u n auf den Besuch verzichten oder den Weg zu Fuß zurücklegen muß oder für den Vertreter, der einen dringenden Kundenbesuch nicht unternehmen kann, w e i l ein anderer seinen Kraftwagen vorsätzlich beschädigt hat, steht m i t dem Verlust des Gegenstandes der Verlust (oder doch die Gefährdung) der Freiheit i n der Tatsituation fest u n d es nutzt i h m wenig, daß der Täter i h m später „neue" Freiheit i n F o r m v o n Ersatzgegenständen leistet. Ersatz mag

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2. Teil. 1. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Versuch

II. Die Voraussetzungen der Strafrahmenwahl beim Versuch A. Der Meinungsstand

1. Die Lehren Germanns und Welzeis Germann hat die Abstufung der Strafbarkeit des Versuchs „nach subjektiven Prinzipien . . . innerhalb (eines) qualitativ einheitlichen allenfalls noch die Vertiefung des Freiheitsverlustes hindern. [Wenn auch nicht notwendig immer: Zählt m a n zur individuellen Entfaltung, die durch den Schutz bestimmter Gegenstände garantiert ist, auch reine „Erlebnischancen", die solipistisch wahrgenommen werden können, z.B. der ästhetische Genuß des Eigentümers beim Betrachten seines Bildes (vgl. dazu Loos, Rechtsgutslehre, S. 81 Fn. 13), ist der Verlust dieser Chancen m i t dem V e r lust des Gegenstandes endgültig u n d k a n n auch nicht durch Ersatzleistungen wieder ausgeglichen werden.] Die These Zipfs ist m i t h i n , bezogen auf das durch das Angriffsobjekt geschützte Freiheitsinteresse, n u r plausibel bei der Reparatur des Gegenstandes bei bloß abstrakter Gefährdung der Freiheit des Opfers durch den Entzug des Gegenstandes i n der Tatsituation. E i n letztes: So wenig ausgemacht ist, daß die Reparatur des verletzten A n g r i f f s objektes stets den Schaden mindert, so wenig erklärt der Erfolgsbezug des Nachtatverhaltens, daß m i t der bloßen Restitution des Schadens auch der durch die Verletzung des Angriffsobjektes vermittelte Geltungsschaden für die N o r m (vgl. dazu schon 2. T e i l 1. Abschnitt. I. B.) ausgeglichen w i r d . Nicht jedes schadensmindernde Verhalten k a n n den Täter entlasten: Der, der erst i n einem Schadenersatzprozeß verurteilt Ersatz leistet, verdient eine Strafmilderung nicht. Strafmilderung kann, auf der anderen Seite, aber schon für den angezeigt sein, der „ f r e i w i l l i g " , also aus normfreundlichen Motiven, n u r versucht, den angerichteten Schaden auszugleichen (vgl. auch die Beispiele bei Zip/, Die Strafzumessung, S. 49 f.). Die Beispiele zeigen, daß für die strafmildernde W i r k u n g eines „erfolgsbezogenen" Nachtatverhaltens i. S. Zipfs der Ausgleich des am Angriffsobjekt angerichteten Schadens als G r u n d der Milderung k a u m zutreffend benannt ist. Es geht, für die Begründung einer Strafmilderung i n diesen Fällen, nicht n u r u n d nicht einmal i n erster Linie, u m eine, durch den Schadensausgleich vermittelte, Unrechts (und damit auch Schuld-)minderung. B e i m Rücktritt, wie beim „erfolgsbezogenen" Nachtatverhalten als Strafmilderungsgrund (z. B. bei der Schadenswiedergutmachung), werden der schuldhafte Versuch oder die schuldhafte T a t v o l l endung u n d die nachfolgende freiwillige Aufgabe oder die Wiederherstellung des status quo v e r k l a m m e r t ; m i t dem Unterschied freilich, daß es beim Rückt r i t t u m das Ob v o n Strafe u n d beim Nachtatverhalten n u r noch u m das Maß der Strafe geht. Wobei aber — entgegen Zipf — das Nachtatverhalten, die Wiedergutmachung des Schadens, nicht notwendig ein Indiz für die M i n derung der Schuld des vorangegangenen Verbrechens i m Bilde einer schlichten A r i t h m e t i k des Ausgleichs schlechter durch gute Werke ist. Der G r u n d der strafmildernden W i r k u n g des „erfolgsbezogenen" Nachtatverhaltens liegt vielmehr i n der M i t a r b e i t des Täters an der Normstabilisierung: I n der „freiwilligen" Darstellung, daß die Tat nichtig war, daß er „falsch" handelte, u n d die, die auf die Normgeltung vertrauten, „richtig" erwarteten. (Zur Berücksichtigung des Nachtatverhaltens bei der Strafzumessung u n d zu den Konstruktionen, das Nachtatverhalten für die Strafzumessung verwertbar zu machen, vgl. Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 591 ff.; Horn, in: SK StGB 3 , § 46 Rdn. 74 ff.; Hertz, Nachtatverhalten, S. 66 ff., 110 ff.). Aus dieser Sicht mag es Fälle vollendeter Delikte geben, die, unter Einschluß des Nachtatverhaltens, dem beendeten Versuch an Strafwürdigkeit nahekommen. — Eine weitgehende Gleichstellung v o n Versuch u n d Vollendung mag darüber hinaus auch angezeigt sein, w e n n der E i n t r i t t des Erfolges i m Einzelfall v o n n u r marginaler Bedeutung für das Gesamtbild des deliktischen Geschehens war.

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Versuchsbegriffs" m i t der Behauptung unterschiedlicher Intensität des „deliktischen Willens" i n verschiedenen Versuchsstadien zu erklären versucht 40 : „Eine mildere Strafe w i r d . . . immer da gerechtfertigt sein, wo der verbrecherische Wille sich noch nicht voll verwirklicht hat und noch mit seelischen Hemmungen zu rechnen ist. Das w i r d beim . . . noch nicht abgeschlossenen Versuch (...) häufig der Fall sein, weil ja meist nicht vorauszusehen ist, wie sich der Täter weiter verhalten würde, hingegen beim vollendeten Versuch (...) wohl nur dann, wenn nach Abschluß der deliktischen Tat der Erfolg oder Mißerfolg noch aussteht, also sogenannte tätige Reue noch möglich wäre, in der Regel hingegen nicht beim fehlgeschlagenen Verbrechen" 41 . Welzel 42 knüpft zur Auslegung der fakultativen Versuchsmilderung an das „Unwertverhältnis zwischen Versuch überhaupt und Vollendung" an: „Wie die Größe der Tatverwirklichung grundsätzlich ein Maß für die Stärke des verbrecherischen Willens ist, so auch die Tauglichkeit des Versuchs innerhalb des Versuchsrahmens. Je tauglicher der Versuch, desto stärker ist grundsätzlich auch die verbrecherische Energie" 4 3 ; und über das „Unwertverhältnis zwischen dem untauglichen und dem tauglichen Versuch" heißt es: „ W o . . . d i e Versuchshandlung jeden Boden der Realität verläßt, . . . da fehlt dem Willen grundsätzlich jede Strafwürdigkeit. Ein solcher Wille kann die Realität des Rechtes als geistiger Macht nicht erschüttern" 4 4 . 40

Germann, Uber den G r u n d der Strafbarkeit des Versuchs, S. 177. Germann, SchwZStr. 60, S. 18 f.; ders., Verbrechen, S. 64 f.; ders., Über den G r u n d der Strafbareit des Versuchs, S. 177 ff.; ebenso Waiblinger, ZStW 69, 202 ff. 42 Welzel, Lehrbuch 1 1 , S. 193. 43 Kadeöka, M S c h r K r i m 1931, S. 67 f.; Roeder, Erscheinungsformen, S. 13 f. 44 Die Deutung, die Zielinski, Handlungs- u n d Erfolgsunwert, S. 129 f., u n d Armin Kaufmann, Welzel-Festschrift, S. 403, der Lösung Welzels geben (: hier werde die (objektive) Tauglichkeit des Versuchs als Gradmesser für das Maß des Handlungsunwertes genommen), ist freilich n u r eine mögliche Deutung. Bezogen auf das, was Welzel zu „Sinn u n d Aufgabe des Strafrechts" sagt, ist auch eine Auslegung der Ausführungen Welzels möglich, die eine generalpräventiv ausgerichtetes Modell zur Abstufung v o n Graden der Strafwürdigkeit beim Versuch ergibt: Die „tiefste Aufgabe des Straf rechts" sei nicht n u r der negativ-vorbeugende, polizeilich-präventive Rechtsgüterschutz, sondern „positiv sozialethischer Natur. Indem es den w i r k l i c h betätigten A b f a l l v o n den Grundwerten rechtlicher Gesinnung verfehmt u n d bestraft, offenbart es i n der eindrucksvollsten Weise, die dem Staat zur Verfügung steht, die unverbrüchliche Geltung dieser positiven A k t w e r t e , formt das sozial-ethische U r t e i l der Bürger u n d stärkt ihre bleibende rechtstreue Gesinnung", Welzel, Lehrbuch 1 1 , S. 3. Die strafrechtliche Garantie dieser „positiven A k t w e r t e " sei faktische Bedingung des Rechtsgüterschutzes. Denn „ n u r über die Sicherung der elementaren sozialethischen Handlungswerte ist ein w i r k l i c h e r dauerhafter u n d durchgreifender Schutz der Rechtsgüter zu erreichen", Welzel, Lehrbuch 1 1 , S. 4 (: „Positive Generalprävention" i n modernem Verständnis); dazu Loos, Rechtsgutslehre, S. 10 ff.; Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 273 ff.; Hassemer, Theorie u n d Soziologie des V e r 41

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2. Teil. 1. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Versuch

Aus unterschiedlichen Graden der „Intensität des verbrecherischen Willens" (Germann) oder aus dem Ausmaß der Erfolgsmächtigkeit des Handlungsprojektes (Welzel) folgt aber keine taugliche Erklärung der fakultativen Strafmilderung beim Versuch. Es ist zunächst verfehlt, m i t Germann, an die Möglichkeit „tätiger Reue" die Möglichkeit einer Strafmilderung zu binden. Nahezu immer dann, wenn „tätige Reue" noch geübt werden kann, hätte der Erfolg nach dem Vorsatz des Täters längst eintreten können: Daß i h m Zeit für „tätige Reue" bleibt, ist ein Zufall, der aber, nach dem System Germanns, gerade nicht über die Strafzumessung entscheiden soll 4 5 . Soweit die subjektive Lösung die objektive Tauglichkeit des Versuchs als Gradmesesr für das Maß des Handlungsunwertes nimmt, sind ihre Prämissen für eine Abstufung von Strafwürdigkeitsgraden beim Versuch unrichtig. Schon der Satz, daß die „ K r a f t des Willens beim Versuch doch schwächer sei als bei der Tatvollendung", ist falsch, und er w i r d nicht richtig durch die Umkehrung: die Strafmilderung beim vollendeten Delikt sei wegen grundsätzlich stärkerer verbrecherischer Kraft des Willens ausgeschlossen. Die Erfolglosigkeit des Handlungsprojekts kann auf unzureichender Planung oder mangelndem Durchhaltevermögen des Täters beruhen — aber auch das sorgfältig geplante und energisch durchgeführte Projekt kann wegen einer zufälligen, dem Plan ungünstigen Konstellation äußerer Umstände scheitern; und umgekehrt kann das mangelhaft geplante Projekt bei einer zufällig günstigeren Konstellation der Tatsituation zum Erfolg führen: Das tatsächliche Gewicht des verbrecherischen Willens kann, gemessen an der Erfolgsmächtigkeit des Handlungsprojektes, gerade umgekehrt zu der i n Erfolg oder Erfolglosigkeit angezeigten Intensität des Willens stehen. Aus der objektiven Tauglichkeit des Versuchs folgt nichts für den Grad des verbrecherischen Willens 4 6 . brechens, S. 78 ff. — Für den Versuch also: Der Versuch werde als auf eine „Deliktsverwirklichung zielende Willensbetätigung" gestraft (Welzel, L e h r buch 1 1 , S. 192), w e i l die Geltung der „Rechtsordnung . . . als eine das Volksleben gestaltende geistige Macht" „schon durch einen W i l l e n verletzt (wird), der Handlungen v o r n i m m t , die er für taugliche Ausführungshandlungen eines Verbrechens h ä l t " (Welzel, Lehrbuch 1 1 , S. 193). — Wo die Handlungen aber unverständig sind, ist Strafe — generalpräventiv — nicht angezeigt, u n d sie ist u m so weniger angezeigt, j e geringer die Tauglichkeit der Ausführungshandlungen ist. 45 Dazu auch Stratenwerth, Versuch, S. 254. 46 Zielinski, Handlungs- u n d Erfolgsunwert, S. 129 f.; Armin Kaufmann, Welzel-Festschrift, S. 403; Stratenwerth, Versuch, S. 253, der zu Recht anmerkt, die subjektive Interpretation mag „den Versuchsstrafrahmen v e r ständlich machen"; sie k a n n dann aber nicht den „Strafrahmen f ü r das v o l l endete D e l i k t " erklären, „insofern . . . nicht gestattet (ist), einen Mangel an

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2. Die Lehre Zielinskis und Armin

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Kaufmanns

Auch der Ansatz Zielinskis, der „zufällige" Erfolg sei allenfalls „Anlaß" strafrechtlicher Reaktion, der beendete Versuch sei dem vollendeten Delikt gleichzustellen und die Strafmilderung des § 23 Abs. 2 StGB sei für den unbeendeten Versuch obligatorisch 47 , erklärt die nach geltendem Recht — was die Strafrahmenwahl anbelangt — lediglich fakultative Versuchsmilderung nicht. Sie bringt die Strafmilderung für den Versuch nicht, wie Zielinski meint, i n Harmonie zum „Schuldgrundsatz": Zunächst bleibt auch i m System Zielinskis weiter der „Zufall" für die Strafzumessung mitentscheidend; der Zufall nämlich, der über das Steckenbleiben des Versuchs i m Stadium des „unbeendeten Versuchs" aufgrund äußerer, dem Täter nicht verfügbarer, also zufälliger Umstände i n der Tatsituation entscheidet. Und auch abgesehen davon, daß jedenfalls nach geltendem Recht der beendete Versuch von der Milderung nicht ausgenommen ist, führt die Forderung nach obligatorischer Milderung für den unbeendeten Versuch und nach Unterbleiben jeder Milderung beim beendeten Versuch zu Strafen, die gemessen an den jeweiligen Unrechtsgraden dieser Versuchssachverhalte nicht angemessen sind: Bei der von § 22 StGB geforderten engen Bindung des Versuchsbeginns an die tatbestandsmäßige Handlung korrespondiert der regelmäßig geringen Differenz der Quantitäten der Handlungsunwerte von unbeendetem und beendetem Versuch bei der Strafzumessung nach dem Satz, daß jede Änderung des Strafrahmens zu einer Änderung der relativen Tatschuldschwere führt, bei obligatorischer Anwendung des gemilderten Strafrahmens auf den unbeendeten Versuch stets eine erhebliche Differenz der relativen Tatschuldschweren; eine Differenz, die i n der quantitativen Differenz der Handlungsunwerte von unbeendetem und beendetem Versuch nicht angelegt ist. Die Forderung nach Gleichstellung des beendeten Versuchs m i t der Vollendung und obligatorischer Milderung für den unbeendeten Versuch widerspricht schließlich der heute weitgehend unbestrittenen A n nahme, daß Schuld notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für Strafe und für ihr Maß sei. Sie widerspricht auch der von Zielinski vertretenen Theorie der Strafzumessung, nach der Schuld die nach dem präventiven Bedürfnis bemessene Strafe limitiere: Wenn nämlich die Notwendigkeit einer obligatorischen Strafmilderung für den unbeendeten Versuch damit begründet wird, der unbeendete Versuch beinverbrecherischer Energie beim vollendeten D e l i k t i n demselben Maße zu berücksichtigen w i e beim Versuch". 47 Zielinski, Handlungs- u n d Erfolgsunwert, S. 216 f.; ebenso Armin Kaufmann, Welzel-Festschrift, S. 403.

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halte „notwendig und stets nicht v o l l realisiertes Handlungsunrecht" (: und damit i n der Regel mindere Schuld), während der „beendete A k t " „voll realisierter (Handlungs-)unwert" (: und damit i n der Regel volle Schuld) sei, sind allein die unterschiedlichen Schuldgehalte von beendetem und unbeendetem Versuch ohne Zweckbezug konstitutiv für die Schuldstrafe. Den beendeten Versuch stets nach dem Regelstrafrahmen, den unbeendeten dagegen stets nach dem Sonderstrafrahmen zu strafen, ist für eine Strafzumessungstheorie, die Strafe nach dem präventiven Bedürfnis, limitiert durch Schuld zumißt, kaum einsichtig: Es ist unter Strafzweckgesichtspunkten nicht plausibel, einen beendeten Versuch, der, ohne unverständig (§ 23 Abs. 3 StGB) zu sein, aber i n der Tendenz des unverständigen Versuchs angesiedelt ist, auch wenn präventiv Milderung indiziert ist, nach dem Regelstrafrahmen zu strafen. Und aus der Sicht der Strafzwecke ist auch unplausibel, den unbeendeten Versuch, der wegen zufälliger, dem Täter nicht verfügbarer Umstände gerade noch vor der Vornahme der „letzten", nach dem Tatplan erforderlichen Handlung scheitert, obligatorisch milder zu behandeln, gleich, ob präventiv Milderung angezeigt ist oder nicht, wenn eine Strafmilderung jedenfalls nach dem Schuldgehalt nicht gefordert ist. Anders gesagt: Der Handlungsunwert allein ist keine taugliche Grundlage zur Ermittlung der Rechtsfolgen versuchten Verhaltens; die Lehren Zielinskis und Armin Kaufmanns passen zur Ausgestaltung des positiven Rechts nur, wenn Rechtsfolge und Unrecht beim Versuch offen voneinander gelöst werden, wenn also i n Kauf genommen wird, daß die Möglichkeit der Strafmilderung beim Versuch mit dem Unrecht des beendeten Versuchs jedenfalls nichts zu t u n hat. 3. Die Lehre Drehers von den „ versuchsbezogenen" S trafzumessungsgründen Die K r i t i k an der Rspr. und der Lehre, die eine Gesamtschau aller für die Strafzumessung erheblichen Tatumstände über die Strafrahmenwahl beim Versuch entscheiden läßt, hat gezeigt, daß jede Auslegung der fakultativen Versuchsmilderung erklären muß, weshalb gerade wegen eines Versuchs die Strafe gemildert werden soll, oder wieso trotz eines Versuchs von einer Strafrahmenänderung nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB abzusehen w a r 4 8 . Ein Teil der Literatur hat nun, i m Anschluß an Dreher, versucht, diesem Erfordernis dadurch zu genügen, daß sie für die Strafrahmenwahl auf „versuchsbezogene" Strafzumessungsgründe abstellt. Diese Lösung leidet freilich an einem wesentlichen Mangel: Es läßt sich kein einziger Strafzumessungsgrund 48

Vgl. 1. T e i l I I . B. 2.

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zeigen, der streng auf den Versuch beschränkt ist — weder bei den Umständen i n der Person des Täters (seinen Motiven, Gesinnungen usw.) noch bei den Umständen i n den äußeren Tatmodalitäten. Es geht nicht an, als „versuchsbezogene Strafzumessungsgründe" „nur die Tatsache zu berücksichtigen, daß es beim Versuch geblieben ist" 4 9 : Die Erfolglosigkeit der Tat ist notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung der Strafmilderung. Verfehlt ist es auch, bei den „versuchsbezogenen" Strafzumessungsgründen parallel der subjektiven Deutung der Strafmilderung, „allein" danach zu fragen, „ob . . . die Tat nur Versuch blieb", weil sie „auf eine geringere kriminelle Intensität zurückgeführt werden kann, die es rechtfertigt, die Strafe einem m i l deren Rahmen zu entnehmen" 5 0 : Die Stärke der „kriminellen Intensität" ist kein i m strengen Sinn versuchsbezogener Strafzumessungsgrund — die Erfolgsmächtigkeit ist für die Stärke der kriminellen Intensität nicht indiziell. Für die Strafmilderung entscheidend ist auch nicht, daß „das Ausbleiben des Erfolges nicht das Verdienst des Täters gewesen ist": Bei Verdienst käme straf befreiender Rücktritt nach § 24 StGB i n Betracht 5 1 . Für die Strafmilderung kommt es schließlich nicht darauf an, „ob die versuchte Tat i n ihrem Unrechts- und Schuldgehalt so weit hinter der geplanten vollendeten Tat zurückbleibt, daß sie deshalb milder zu beurteilen ist" 5 2 : Eine auf die Quantifizierung von Unrecht und Schuld beschränkte Gesamtbetrachtung bleibt als Gesamtbetrachtung m i t den geschilderten Aporien behaftet 5 8 . B. Die eigene Lösung: Fallgruppendifferenzierung und Strafrahmenwahl beim Versuch

1. Grundlagen Die Ubersicht über Ansätze, die fakultative Strafmilderung beim Versuch zu erklären, hat gezeigt, daß die Lösung nicht i m Subjektiven an der „Stärke des verbrecherischen Willens" (Germann) festgemacht werden kann: Aus der Erfolgsmächtigkeit des Versuchs ist ein Schluß auf die Intensität des Willens i m Einzelfall nicht möglich. Auch die Unterscheidung von beendetem und unbeendetem Versuch kann die fakultative Strafmilderung des § 23 Abs. 2 StGB nicht erklären; denn 49

Jescheck A T 2 , S. 393; anders aber ders., A T 8 , S. 422 f. Dreher, JZ 1968, S. 213; vgl. auch: Dreher / Tröndle, StGB 4 0 , § 23 Rdn. 3; L G Frankfurt, N J W 1980, S. 1402 (1403). 51 Dazu Eser, in: Schönke / Schröder 21 , § 23 Rdn. 7 a m. w . N. 52 Rudolphi, in: SK StGB 2 , § 23 Rdn. 2; ähnlich Lackner, StGB 1 4 , § 23 A n m . 2 a. 53 Vgl. dazu 1. T e i l I I . B. 1. u n d 2. 50

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jedenfalls nach geltendem Recht gilt die Strafmilderung unterschiedslos für Fälle des beendeten wie des unbeendeten Versuchs. Für die Strafmilderung allein an „versuchsbezogene" Strafzumessungsgründe (Dreher) anzuknüpfen, gibt zwar A n t w o r t auf die Frage, warum gerade wegen eines Versuchs die Strafe gemildert wird. Sie überläßt aber, wie die Forderung nach einer Gesamtbetrachtung aller, für die Strafzumessung bedeutsamen Tatumstände als Voraussetzung der Strafrahmenwahl, die Entscheidung über die Strafmilderung der unmittelbaren Dezion aus der Anschauung des Einzelfalles; denn sie glaubt, die „versuchsbezogenen" Strafzumessungsgründe durch die Zerlegung komplexer, konkreter Versuchssachverhalte i n zwei einander ausschließende Gruppen gewinnen zu können, die hintereinander an verschiedenen Stellen des Strafzumessungsvorgangs einzusetzen seien. Es gilt aber für die Auslegung der Strafmilderungsregel des § 23 Abs. 2 StGB über den Einzelfall hinaus zu generalisierungsfähigen Aussagen zu gelangen, d. h. zur Bildung von Typen von Versuchssachverhalten minderer Strafwürdigkeit 5 4 , wobei diese Typenbildung an das nach positivem Recht als versuchsspezifisch strafmildernd Gewertete anknüpfen kann: A n die Regelungen über den „grob unverständigen Versuch" (§ 23 Abs. 3 StGB) und den freiwilligen Rücktritt vom Versuch (§ 24 StGB). Ansätze i n dieser Richtung sind vorhanden: So, wenn für die Strafmilderung auf die „Gründe des Fehlschlagens", die „geringe Tauglichkeit des Mittels", die Nähe zum Wahndelikt oder zu den Fällen des § 23 Abs. 3 StGB abgestellt w i r d 5 5 . Stratenwerth meint, den „Milderungsbefugnisse(n) der Versuchsvorschriften (liege) eine klare Stufenreihe der Grade der Gefährdung" der geschützten Rechtsgüter durch den Versuch zu Grunde 5 6 : Vom — tauglichen — unbeendeten Versuch, der „dem Erfolg regelmäßig noch ferner ist", und der deshalb i n der Regel milder bestraft werden müsse als der beendete Versuch 57 ; über den untauglichen, schon ex definitione, „ungefährlichen Versuch" 5 8 , bis h i n zum unverständigen Versuch, dem „selbst der Anschein einer Gefahr" fehle 59 . Wenn Stratenwerth freilich als ein Bestimmungselement der Strafrahmenwahl beim Versuch die Nähe zur „hypothetischen Vollendungs54

Darauf zielt neuerdings auch Dreher, Bruns-Festschrift, S. 155 Fn. 45. Eser, i n : Schönke / Schröder 21 , § 23 Rdn. 7 f.; zuvor schon Kern, ZStW 64, S. 278 f.; zum Problem auch O L G Hamm, VRS 35, S. 269. 56 Stratenwerth, Versuch, S. 266. 57 Stratenwerth, Versuch, S. 264. 58 Stratenwerth, Versuch, S. 264, 266. 59 Stratenwerth, Versuch, S. 266. 55

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strafe" 6 0 nennt und als allgemeine Richtlinie für die „Anwendung des (gemilderten Strafrahmens)" auf Fälle verweist, „ i n denen der Versuch erheblich hinter dem Unwertgehalt der vollendeten Tat zurückbleibt, oder schon die Vollendungsstrafe an der Untergrenze des Regelstrafrahmens gelegen hätte", dann ist die von i h m für das schweizerische Strafrecht vorgeschlagene Lösung — abgesehen von der Problematik, die Strafrahmenwahl mit einer (hypothetischen) Strafzumessung zu verbinden 0 1 — für das deutsche Recht nicht brauchbar; denn sie kann die nach geltendem Recht erheblichen Strafrahmenüberschneidungen nicht erklären: Es ist danach kein Versuchssachverhalt mehr denkbar, für den die Strafe durch Anwendung des nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmens herabgesetzt wird, und der zugleich mit einer Strafe aus dem oberen Drittel dieses Rahmens belegt werden kann. Zum anderen betont Stratenwerth bei der Abstufung der Versuchssachverhalte zu sehr das Objektive: Die Gefährdung des durch die Verhaltensnorm geschützten Gegenstandes als Bestimmungsgrund der Straf rahmenwahl; vernachlässigt aber, daß nicht einmal jede Vollendung eines Delikts zu einer Gefährdung (oder gar Verletzung) des Rechtsgutes führen muß, und daß deshalb Gefährdungsgrade allein für eine Abstufung von Versuchssachverhalten nach Graden der Strafwürdigkeit bei der Strafzumessung nichts hergeben. 2. Der „grob unverständige Versuch" (§ 23 Abs. 3 StGB) und die Straf rahmenwahl beim Versuch a) Der „grob unverständige Versuch" als angefangene (evident) inadäquate Kausalität aa) Der Meinungsstand Gössel 62 meint, der „unverständige Versuch" sei der, i. S. der „neueren objektiven (Versuchs-)theorie", ungefährliche Versuch: „Entscheidend ist, ob ein einsichtsfähiger Mensch die Undurchführbarkeit des geplanten verpönten Tuns ante actum auf Grund nachträglicher Prognose erkennen konnte." Enger Rudolphi 6S: Nicht schon die „Ungefährlichkeit" des Vorhabens i. S. der „neueren objektiven Theorie" be60

Stratenwerth, Versuch, S. 263. Dazu Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 448 f. 62 Gössel, G A 1971, S. 228; Maurach / Gössel, A T 2, S. 38; ebenso Maurach, A T 4 , S. 517. 63 Rudolphi, i n : SK StGB 3 , § 23 Rdn. 7; und, subjektive m i t objektiven Merkmalen, verbindend § 25 A E : „Der Versuch bleibt straflos, . . . w e n n er auf grobem Unverstand beruht u n d deshalb v o n vornherein ungefährlich ist." 61

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gründe die „Unverständigkeit" eines Versuches; vorausgesetzt sei vielmehr eine „qualifizierte" Ungefährlichkeit: „Der Versuch muß erstens konkret ungefährlich sein und zweitens muß diese Ungefährlichkeit für jedermann, der über einen gesunden Menschenverstand verfügt, von vornherein und ohne weiteres erkennbar sein". Sachlich weitgehend übereinstimmend definiert Stratenwerth u: Ein „unverständiger" Versuch sei ein Versuch, der „nach dem Erfahrungswissen der Zeit bei objektiver Prognose ex ante ungefährlich ist", wenn dies „bei durchschnittlichem Erfahrungswissen, also auch ohne besondere Sachkunde, für jedermann auf der Hand liegt" 6 5 . bb) Adäquanz und Zurechnung beim Versuch Die Gleichsetzung des „grob unverständigen" Versuches m i t der Gefahrlosigkeit bzw. der „evidenten" Gefahrlosigkeit des Handlungsprojektes führt für die Auslegung des § 23 Abs. 3 StGB nicht weiter: Zunächst nämlich werden „Vernunft" und „Unvernunft" i n den Begriffsbildungen Rudolphis und Stratenwerths zu einem Problem der Statistik und nicht der Zurechnung. Soweit m i t dem (offensichtlichen) Fehlen einer „Gefahr", das den „Unverstand" begründen soll, das Fehlen einer Gefahr für das durch die Verhaltensnorm geschützte Gut gemeint ist, ist dieser Ansatz den „grob unverständigen" Versuch begrifflich zu erfassen kein Modell des positiven Rechts: Er scheitert, wo nach der Ausgestaltung des geltenden Rechts die Tatbestandsverwirklichung schon längst vor einer auch nur entfernten Gefährdung eines Rechtsgutes eintreten kann, wie bei den „verkümmert zweiaktigen Delikten", z. B. bei § 267 1. A l t . StGB. Beispielhaft: Wer i m Winter unmittelbar ansetzt, u m Schecks zu fälschen, m i t denen er dann seinen Sommerurlaub zu finanzieren gedenkt, versucht den Tatbestand des § 267 1. A l t . StGB zu verwirklichen. Er gefährdet dadurch aber nicht notwendig auch nur entfernt das durch den Tatbestand geschützte Gut. Die „verkümmert zweiaktigen Delikte" bieten m i t h i n Beispiele für Fallgestaltungen, bei denen es auch i. S. Rudolphis und Stratenwerths „offensichtlich" ist, daß noch nicht der Versuch das durch die Norm geschützte Gut „konkret" gefährdet: Gefährdet w i r d das Gut erst nach Monaten durch den Gebrauch der gefälschten Schecks i m Sommerurlaub. Sinn der Regelung des § 23 Abs. 3 StGB ist es aber kaum, Versuche „verkümmert zweiaktiger Delikte" nahezu generell als „grob unverständige" Versuche der besonderen Strafmilderung des § 23 Abs. 3 StGB zu unterstellen. 64

Stratenwerth, A T 2 , Rdn. 693; ders., A T 3 , Rdn. 690. Vgl. auch Jescheck, A T 3 , S. 430; ders. f SchwZStr. 91, S. 30: „unverständig" sei der Versuch, w e n n er „nach dem durchschnittlichen Erfahrungswissen der Rechtsgenossen offensichtlich nicht zum Erfolg führen konnte". 65

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Die sog. neuere objektive Theorie 66 , die von Gössel, Rudolphi und Stratenwerth für die Auslegung des Begriffs des „groben Unverstandes" i n § 23 Abs. 3 StGB genommen wird, war ein Versuch, die Lehre von der „adäquaten Verursachung" für die Bestimmung des Umfangs strafbarer Versuchssachverhalte nutzbar zu machen 67 : Der strafbare Versuch war die „angefangene adäquate Kausalität" (v. Gemmingenf 8. Und i n ihrer Anwendung auf das geltende, einer „subjektiven" 6 0 oder einer „subjektiv-objektiven" oder „Eindruckstheorie" 7 0 , verpflichtete Recht: Der „grob unverständige" Versuch ist, als Anwendungsfall der Lehre von der „adäquaten Verursachung", die „angefangene (evident) inadäquate Kausalität". Bei der Übertragung der Gedanken der „neueren objektiven Theorie" auf die Auslegung des § 23 Abs. 3 StGB bleibt nun freilich zunächst der Stellenwert ungeklärt, der einer objektiven Begrenzung der Strafbarkeit nach Maßgabe der Gefährdung eines Rechtsgutes i n einem System der Versuchsstrafbarkeit zukommen soll, das den Strafgrund des Versuchs aus dem Gedanken der Generalprävention herleitet 7 1 . Denn daß der Bereich, i n dem, generalpräventiv, zur Garantie einer Ordnung dem Täter zuzurechnen ist, dem Bereich nicht notwendig harmoniert, i n dem wegen des (auch offensichtlichen) Fehlens einer Rechtsgutsgefährdung nicht zuzurechnen ist, hat die Diskussion u m die „neuere objektive Theorie" hinlänglich belegt 7 2 . Vorab aber leidet die Lösung Gössels, Rudolphis und Stratenwerths, den Begriff des „groben Unverstandes" mit Hilfe der neueren objektiven Versuchstheorie zu bilden, an den Mängeln der i n diese Versuchstheorie eingegangenen Lehre von der adäquaten Verursachung. Die Lehre von der adäquaten Verursachung w i l l für die objektiv nachträgliche Prognose, ob der zum Erfolgseintritt führende konkrete Kausalverlauf nach der „Lebenserfahrung" zu erwarten war oder nicht, das Wissen eines hypothetischen, „verständigen Beobachters" mit dem Sonderwissen des Täters kombinieren. Sie übersieht aber, daß sich 66 Vgl. dazu v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. I I , S. 425 ff.; Beling, GS 91, S. 360 ff.; Spendel, Stock-Festschrift, S. 105 ff. 67 Vgl. dazu v. Hippel, Bd. I I , S. 430; vgl. auch Engisch, Kausalität, S. 59. 88 V. Gemmingen, Versuch, S. 99. 69 Busch, in: L K 9 , § 43 A n m . 1; Schänke / Schröder 17, Rdn. 6 v o r § 43 m. w . N. 70 Jescheck, A T 3 , S. 416; Rudolphi, in: SK StGB 3 , Rdn. 14 vor § 22; Roxin, in: Neues Strafrecht 2 , S. 15; ders., JuS 1979, S. 1 ff.; Eser, in: Schönke / Schröder 2 1 , Rdn. 17 ff. v o r § 22; Grünwald, Welzel-Festschrift, S. 712. 71 Vgl. dazu n u r Jescheck, A T 2 , S. 400 f.: „Das Vertrauen der Allgemeinheit i n die Geltung der Rechtsordnung als einer das Sozialleben o b j e k t i v gestaltenden Macht würde erschüttert werden, w e n n straflos bliebe, wer sich eine erhebliche Straftat ernstlich vorgenommen u n d zu ihrer Ausführung angesetzt h a t " ; ders., A T 3 , S. 416. 72 Vgl. 2. Teil 1. Abschnitt I I . B. 2. a. bb.

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2. Teil. 1. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Versuch

ohne W i l l k ü r keine einigermaßen brauchbaren Ansatzpunkte für die Konstruktion des Beurteilers angeben lassen: Das Unternehmen der „Adäquanzlehre", mit dem Konstrukt des „verständigen Beobachters" „eine mittlere Linie zwischen höchster Abstraktion und rein täterbezogener Konkretisierung . . . zu finden, (scheitert) mangels eines geeigneten Maßstabes" 73 . Übertragen auf die Bestimmung der Grenzen der Versuchsstrafbarkeit besagt das Argument Samsons: Beim Versuch ist es, je nach der Konstruktion des „verständigen Beobachters", nahezu beliebig möglich, den „Schuß" mit einer ungeladenen Waffe oder den Schuß i n das Bett des gerade verreisten Opfers, die Verwertung eines harmlosen Abtreibungsmittels, die „Abtreibung" bei ernstlichen A n zeichen einer Schwangerschaft, die sich hinterher als nicht vorhanden erweist 7 4 für „gefährlich" oder für „ungefährlich" zu erklären. Und: Das Unterfangen, einen „verständigen Beobachter" zu konstruieren, muß auch scheitern, „wo sich noch kein Verkehrskreis gebildet hat, weil allein der Täter Handlungen dieser A r t vornimmt, was sich i m Bereich naturwissenschaftlicher Forschung leicht denken läßt" 7 5 . Die Lehre von der adäquaten Verursachung versucht, einen Maßstab zu formulieren, u m die Zurechenbarkeit eines Verhaltens auf das prinzipiell Steuerbare zu begrenzen: Zurechenbar sei dem Täter ein tatbestandlich beschriebener Erfolg seines Handelns nur, „wenn er i n seinem konkreten E i n t r i t t vom Willen zweckhaft gesetzt war", wozu zur Steuerung dem „verständigen Beobachter" der Ablauf zumindest „ i n seinen allgemeinen Zügen" 7 6 vorhersehbar sein müsse. Diese Formel versagt aber „ i n den Fällen einer Häufung je vereinzelter, insgesamt jedoch häufig erfolgbringender Verläufe als Folge einer Handl u n g " 7 7 . Sie paßt nicht bei Verläufen über nicht bekannte Zwischenfolgen bei bekannter Wirkungsweise des gebrauchten Mittels 7 8 ; und sie kann vorweg die Steuerung der wesentlichen Zwischenfolgen nicht anders erklären, als über die Steuerung der diesen vorgelagerten Z w i schenfolgen usw.: „Das Erfordernis der Steuerung bis i n die kleinste Zwischenfolge wäre nicht zu umgehen" 7 9 . Einwände, die als Einwände gegen die Adäquanzlehre zugleich Einwände gegen die „neuere objektive Versuchstheorie" als Derivat der 73

Samson, in: SK StGB 3 , A n h a n g zu § 16 Rdn. 13. Vgl. die Beispiele bei v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. I I , S. 429. 75 Samson, in: SK StGB 3 , A n h a n g zu § 16 Rdn. 13. 76 Welzel, Lehrbuch 1 1 , S. 73; vgl. auch Jescheck, A T 3 , S. 229 f., S. 475 f.; Maurach, A T 4 , S. 573 ff.; Cramer, i n : Schönke / Schröder 21 , § 15 Rdn. 178. 77 Jakobs, Studien, S. 93 f., Fn. 183. 78 Jakobs, Studien, S. 90, 93 f., Fn. 183; Samson, i n : SK StGB 8 , A n h a n g zu § 16 Rdn. 30. 79 Jakobs, Studien, S. 90. 74

I I . Die Strafrahmenwahl beim Versuch

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„Adäquanzlehre" sind: Es ist nicht möglich, auf dieser Lehre aufzubauen, und den „grob unverständigen Versuch" als „angefangene (evident) inadäquate Kausalität" zu definieren. Gegen die „neuere objektive Versuchstheorie" wie gegen die Lehre von der adäquaten Verursachung spricht schließlich, daß ihre Ergebnisse i n den „restlichen Fäll e n " 8 0 unter dem Aspekt „sinnenfälliger Gleichförmigkeit" gewonnene Handlungsbilder, also nicht unter dem Aspekt der Zurechnung „auf den Norminhalt oder Normzweck" bezogene Typisierungen sind. Was danach i m Einzelfall als erfolgswahrscheinlich oder erfolgsunwahrscheinlich erscheint, „richtet sich nach einem aus Anschaulichkeitsgesichtspunkten gewonnenen Quorum von Eigenschaften. Es w i r d ein Verlauf mit dem üblichen Erscheinungsbild konkretisiert, ohne daß der Verlauf selbst als üblich oder der inadäquate Verlauf als unbeherrschbar dargetan wäre" 8 1 , und ohne daß mit der Möglichkeit der Festlegung solch „sinnenfälliger Handlungsbilder" schon erwiesen wäre, daß der Bereich „sinnenfälliger Adäquanz" dem Bereich notwendig entspricht, i n dem aus der Sicht des Strafzweckes Zurechnung i m Interesse des Erhaltes einer Ordnung geboten oder nicht geboten ist: Die oft gezeigte kriminalpolitische Unzulänglichkeit der „neueren objektiven Theorie" 8 2 ist so nicht zufällig, sondern notwendig Konsequenz der Methode: Der Festlegung „sinnenfälliger Handlungsbilder" zur Bestimmung des Haftungsumfanges, unbekümmert u m die Erfordernisse von Strafzweck und Zurechnung. Ein Letztes: Wer zur Zurechnung zumindest die Kenntnis des Kausalverlaufes i n seinen wesentlichen Zügen verlangt, verkennt die Organisation des Wissens über soziale und technische Wirkungszusammenhänge i n der Alltagserfahrung. Das Wissen u m technische und soziale Zusammenhänge i n der Alltagswelt ist ein Wissen u m Rezepte über den Umfang mit bestimmten technischen und sozialen Einrichtungen, das allein das umfaßt, was der Handelnde für die Erreichung prakti80

Jakobs, Studien, S. 93 f., Fn. 183. Jakobs, Studien, S. 94, Fn. 183, der den Erfolg dem Handelnden dann zurechnet, w e n n sich „die Gefahr v e r w i r k l i c h t , die dem Erfahrungsmodell entspricht, auf Grund dessen der Täter den Erfolg voraussieht oder voraussehen kann" (Jakobs, Studien, S. 99): „ V e r w i r k l i c h u n g der Modellgefahr" (Jakobs, Studien, S. 92 f.); „ w e n n also die Ersetzung des Modells durch ein solches, aus dem der Enderfolg nicht prognostiziert werden kann, unmöglich ist, ohne daß auch der Enderfolg entfiele" CJakobs, Studien, S. 94). Erfolgszurechnung scheide dementsprechend aus, w e n n „der Erfolg durch die spezifischen Bedingungen n u r i n solchermaßen reduzierter F o r m bedingt ist, daß derselbe Erfolg auch durch ein A l i u d oder Minus an Bedingungen, das den Erfolg erfahrungsgemäß nicht (bringt), i h n also allenfalls als ein allgemeines Lebensrisiko auslösen würde, hätte bedingt werden können" (Jakobs, Studien, S. 92 f.). 82 Vgl. n u r Albrecht, Der untaugliche Versuch, S. 11 ff., m i t vielen Nachweisen. 81

8 Timpe

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2. Teil. 1. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Versuch

scher Zwecke seines Lebenskreises wissen muß: Der Kaufmann, der täglich ein Telefon benutzt, u m A n - und Verkäufe zu tätigen, weiß wie er m i t dem Telefon umzugehen hat, u m einen Anschluß herzustellen; d. h. jedoch nicht, daß er auch u m die komplexen technischen Vorgänge weiß, durch die ein Gespräch erst vermittelt wird. Und der Gelegenheitskraftfahrer kennt die Handgriffe, seinen Kraftwagen i n Betrieb zu setzen und i h n zu fahren; er weiß damit noch nicht notwendig, was technisch zu geschehen hat, wenn die eingeübten Verhaltensweisen einmal versagen. Er weiß dann freilich, an wen er sich zu wenden hat, u m den Defekt beheben zu lassen. Das Wissen u m den Betrieb eines Kraftwagens oder den Gebrauch eines Telefons ist ein Wissen über die Benutzung dieser Einrichtungen für praktische Zwecke. Den Telefonkunden oder Kraftfahrer interessiert regelmäßig weder, warum ein Kraftwagen oder ein Telefon funktioniert, noch interessiert i h n die Anhäufung naturwissenschaftlichen und technischen Wissens, die das Zustandekommen von Telefonnetzen oder den modernen Kraftverkehr überhaupt erst möglich machten. Für den Telefonkunden oder den Kraftfahrer ist für ihre praktischen Zwecke dieses Wissen regelmäßig irrelevant, solange nur die Rezepte über den Umgang m i t diesen Einrichtungen nicht versagen. Anders gesagt: Für praktische Zwecke reicht ein Wissen u m Zusammenhänge, das den Status von Gebrauchsanweisungen hat. I n einer bestimmten Situation — dem Anlassen eines Kraftwagens, der Bedienung eines Telefons — ist i n bestimmter Weise zu verfahren. Die Verwendung solcher Gebrauchsanweisungen hält technische 83 Abläufe i n ihren theoretischen Hintergründen undurchsichtig, zugleich aber für praktische Zwecke verwendbar. Der kontinuierliche praktische Erfolg des Gebrauchswissens garantiert seine Zuverlässigkeit auch für die Zukunft, und sie werden als Basiswissen habitualisiert 8 4 . Besteht aber das Wissen u m technische und soziale Zusammenhänge i n der Alltagswelt — i m Unterschied zum reichen und spezialisierten Wissen der Berufswelt — regelmäßig aus bestimmten Rezepten über den Umgang mit der Welt, dann ist Zurechnung zu dem, der mit Hilfe technischer Anlagen plant zu delinquieren, z. B. vor hat durch einen fahrenden Kraftwagen zu töten, allenfalls noch für den Fachmann, i m Beispiel einen Automechaniker oder den technisch interessierten Laien plausibel zu begründen, nicht aber für den, der nur die Rezepte, aber nicht die durch die Anwendung der Rezepte ausgelösten technischen Vorgänge detailliert oder auch nur i n ihren wesent83 U n d auch soziale Abläufe: Dem, der einen Paß oder einen Führerschein beantragt, reicht für seine Zwecke das Wissen u m die zuständige Stelle; die Behördenorganisation oder die A r t der Bearbeitung seines Antrages i n der Behörde dagegen braucht i h n nicht zu interessieren u n d interessiert i h n regelmäßig auch nicht. 84 Vgl. dazu 2. T e i l 1. Abschnitt I I . B. 2. c.

I I . Die Strafrahmenwahl beim Versuch

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liehen Zügen kennt. Ein Ergebnis, das den Schluß nahelegt, daß es auf die Kenntnis von Verläufen i m Detail oder auch nur i n Umrissen für die Zurechnung nicht ankommen kann. Zusammenfassend: Der Begriff des „groben Unverstandes" (§ 23 Abs. 3 StGB) kann nicht m i t Hilfe einer objektiven Versuchslehre gebildet werden. Die Formulierung des § 23 Abs. 3 StGB, nach der nur ein Versuch, der „überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte" ein, möglicherweise „unverständiger" Versuch sei, ist zumindest mißverständlich. Und es ist nicht weniger mißverständlich, wenn es i n der amtlichen Begründung zu § 23 Abs. 3 StGB heißt 8 5 , erst das Fehlen einer „konkreten und abstrakten" Gefährdung des Angriffsobjektes mache einen Versuch zu einem „unverständigen": Jeder Versuch ist i n diesem Sinne „untauglich". Der Fehlschlag beweist stets, daß die Rahmenbedingungen so gestaltet waren, daß das Vorhaben „überhaupt" nicht hätte vollendet werden können. Jeder Versuch ist aber zugleich auch „abstrakt" gefährlich. Nahezu jedes Vorhaben kann bei entsprechender Gestaltung der Rahmenbedingungen zur Vollendung gelangen. Denn auch das unter den konkreten Umständen oder nach der Erfahrung regelmäßig Ungefährliche kann i n bestimmten Situationen und i n den Händen bestimmter Personen durchaus ein Gefahrenpotential darstellen: Der Versuch, einen gesunden Dritten durch Zucker zu töten, ist regelmäßig „offensichtlich" ungefährlich und damit auch „grob unverständig". Der Versuch des Arztes aber, der ansetzt, einen an schwerer Diabetes leidenden Patienten durch gezielte Injektionen mit einer Zuckerlösung an der Gesundheit zu beschädigen, ist nicht „grob unverständig". Anders gesagt: Wenn es für den „groben Unverstand" auf das Fehlen einer konkreten und abstrakten Gefahr ankommen soll, dann ist entweder jeder Versuch „unverständig": der Fehlschlag beweist die Gefahrlosigkeit des Vorhabens, oder kein Versuch ist „unverständig": nahezu jedes Vorhaben kann unter anderen Rahmenbedingungen erfolgreich und damit „abstrakt" gefährlich sein. Der Begriff des „groben Unverstandes" kann auch nicht m i t Hilfe der Regeln der sog. „neueren objektiven Versuchstheorie" ausgelegt werden. Die „neuere objektive Versuchstheorie" taugt nicht, Zurechnung plausibel zu begründen oder auszuschließen. Beispielhaft: Der Arzt, der einem an Grippe erkrankten Patienten ein erfahrungsgemäß ungefährliches fiebersenkendes Mittel verabreicht, haftet nicht des Erfolges wegen, wenn der Patient wegen einer besonderen Überempfindlichkeit zu Tode kommt, wenn er (z. B. als Notarzt) diese Empfindlichkeit nicht kannte oder kennen konnte; er haftet, wenn er sie (z. B. als Hausarzt) kannte oder kennen konnte. Das extrem Ungewöhn85



BTDTS. V / 4 0 9 5 , S. 12.

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2. Teil. 1. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Versuch

liehe des Verlaufes, und damit: das Fehlen „sinnenfälliger Adäquanz" hindert Zurechnung nicht; und Zurechnung hindert auch nicht, daß jeder, auch der „sinnenfällig adäquate" Verlauf: der Versuch, durch ein hochwirksames Gift zu töten etc., bei hinreichend genauer Analyse „ i n seiner detaillierten Ausgestaltung vereinzelt ist" 8 6 : Das Gift kann nach der Konstitution des Täters nicht, wie erfahrungsgemäß belegt, schon i m Magen, sondern erst i m Darm resorbiert werden etc. — auch der ungewöhnliche Verlauf i m Einzelfall hindert Zurechnung bei gegebener Korrespondenz zum Handlungsbild nicht. Das Vorhaben den Begriff des „groben Unverstandes" durch die Regeln der „neueren objektiven Versuchstheorie" aufzufüllen, versagt schließlich auch i n den Fällen eines doppelten Irrtums des Täters. Beispielhaft: Das Vorhaben, einen anderen mit Zucker zu töten, ist nicht schon deshalb „verständig", weil sich der Täter vergreift und versehentlich ein hochwirksames Gift gibt; und der Versuch, einen anderen m i t Himbeersaft an der Gesundheit zu beschädigen, ist nicht deshalb „verständig", weil das Opfer, was der Täter nicht wußte, gegen die Gabe von Himbeersaft i n hohem Maße allergisch war, gleich, ob der „verständige Beobachter" das Kommende voraussah oder nicht. Daß der Erfolgseintritt nach der Gestaltung der Rahmenbedingungen nicht unwahrscheinlich war, ist gemessen an den dem Handelnden bekannten und von i h m bei seiner deliktischen Planung berücksichtigten Erfolgsbedingungen „zufällig". Der Täter hat sich an einem Modell der Welt ausgerichtet, i n dem, bei unterstellten „normalen" oder „üblichen" Verhältnissen 87 , der Erfolg allenfalls vermittelt durch eine dem Projekt ausnahmsweise günstige Konstellation äußerer Umstände eintreten konnte. Daß der Erfolg eintrat, oder sein Eintritt doch als nicht unwahrscheinlich prognostiziert werden konnte, beruht nicht auf der Wirkung der vom Täter bewußt gesetzten spezifischen Erfolgsbedingungen 88 . Der Erfolgseintritt oder die Erfolgswahrscheinlichkeit ist schon Zeichen für „anormale" Verhältnisse, also für eine Bedingungslage, auf die der vom Täter angenommene Erfahrungssatz nur „zufällig" paßt: ein „Zufall", der den Täter kaum belasten kann. Und umgekehrt: Der Versuch des Arztes, der vorhat, die schwere Diabetes oder die Allergie des Patienten auszunutzen, u m i h n durch 86

Jakobs, Studien, S. 93. Vgl. dazu Jakobs, Studien, S. 92 f. 88 Der Erfolg hätte geradeso durch beliebige andere Bedingungen, die, w i e die v o m Täter gesetzten, den Erfolg erfahrungsgemäß nicht bringen, also allenfalls „zufällig": als V e r w i r k l i c h u n g des Risikos der besonderen Uberempfindlichkeit des Opfers usw., auslösen, herbeigeführt werden können — i n den genannten Fällen also hätte jede Bedingung, die das Opfer i n eine, seine Allergie auslösende Situation bringt, den Erfolg gleich wahrscheinlich gemacht. 87

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die Gabe von Zucker oder Himbeersaft an der Gesundheit zu schädigen oder gar zu töten, ist „verständig", gleich, ob der „gedachte Beobachter" den Schadenseintritt voraussah oder nicht. Das Ausbleiben des Erfolges ist, gemessen an den vom Täter i n seiner Planung berücksichtigten Erfolgsbedingungen, „zufällig". Gemessen am Erfahrungswissen des Täters ist, gerade entgegengesetzt zu den zuerst genannten Beispielen, das Scheitern des Deliktsplanes Zeichen „unüblicher" Verhältnisse, einer Bedingungslage, auf die die vom Täter am Modellfall gemachte Erfahrung der Eignung solcher Bedingungen bei „üblichen" Verhältnissen nur „zufällig" nicht paßt: Der magenverstimmte Diabetiker erbricht den Zucker, der Allergische hat zuvor ein die Allergie hemmendes Medikament genommen. Erst diese, nach dem Wissen des Täters von der gewöhnlichen, gefährlichen Wirkung des i n seine Deliktsplanung eingegangenen Erfahrungsmodells, „ungewöhnliche" Gestaltung äußerer Umstände hindert „zufällig" den Erfolg des deliktischen Planes — ein „Zufall", der hier den Täter kaum entlasten kann; und auch der minutiös geplante aber dilettantisch ausgeführte Coup w i r d nicht deshalb zu einem „unverständigen" Versuch, weil i h m ein „verständiger Beobachter" keine Erfolgsaussichten bescheinigt. Der i m Sinne des § 23 Abs. 3 StGB „grob unverständige" Versuch kann nicht i m Objektiven nach dem Fehlen einer abstrakten oder konkreten Gefahr oder nach dem offensichtlichen Fehlen einer konkreten Gefahr i m Sinne der sog. „neueren objektiven Theorie" vom „verständigen" Versuch abgegrenzt werden. Und es geht auch sonst nicht an längst gescheiterte Versuche zur Abgrenzung des Bereiches strafbarer Versuchshandlungen i m Objektiven, die Unterscheidung der „älteren objektiven Theorie" von „absolut" und „relativ" untauglichen Versuchen 89 oder die „Lehre vom Mangel an Tatbestand" 9 0 für die Auslegung der Unverstandsklausel des § 23 Abs. 3 StGB wieder zu beleben. 89 Die „ältere objektive Theorie" fragte i n ihrer ursprünglichen Gestalt (Feuerbach, Lehrbuch 1 2 , S. 47 ff.) danach, ob die Handlung selbst nach ihrer äußeren Beschaffenheit m i t dem beabsichtigten Verbrechen i n Kausalzusammenhang stehe: N u r solch eine Handlung sei „ o b j e k t i v gefährlich" u n d deshalb strafbar. Eine Ansicht, der aber bald entgegengehalten wurde, die E r folglosigkeit beweise, daß die Handlung m i t dem Erfolg nicht i n einem Kausalzusammenhang stehen könne: Konsequenz sei die Straflosigkeit jeden Versuches (vgl. Lammasch, Gefährlichkeit, 1879, S. 5 ff.; Baumgarten, Die Lehre v o m Versuche der Verbrechen, 1888, S. 249 f.). Einwände, die Mittermaier, (NArchCrim. Bd. I, 1817, S. 183 ff.; ders., GS 11, S. 403 ff.) veranlaßten, die ursprüngliche Formel Feuerbachs durch die Unterscheidung von absolut u n d relativ untauglichen T a t m i t t e l n (bzw. absolut u n d relativ untauglichen Tatobjekten) zu ersetzen: „Absolut" untauglich sei der Versuch, w e n n M i t t e l oder Objekt „an sich": also nicht n u r unter den besonderen Umständen des Einzelfalles, ungeeignet seien, den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeizuführen (vgl. zur Entwicklung der Feuerbach / Mittermaiersehen Versuchslehre Germann, Über den G r u n d der Strafbarkeit des Versuchs, S. 13 ff.; Delaquis, Der untaugliche Versuch, 1909, S. 63 ff.). — Eine Lehre, der i n der

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2. Teil. 1. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Versuch b) D e r „ g r o b u n v e r s t ä n d i g e V e r s u c h " als ( e v i d e n t e r ) nomologischer I r r t u m des T ä t e r s

aa) D e r M e i n u n g s s t a n d D i e E i n s i c h t , daß es n i c h t m ö g l i c h ist, d e n „ u n v e r s t ä n d i g e n " v o m „ v e r s t ä n d i g e n " V e r s u c h n a c h d e n R e g e l n d e r sog. „ n e u e r e n o b j e k t i v e n T h e o r i e " abzuschichten, ist n i c h t n e u : „ E i n e e i n d e u t i g e A b g r e n z u n g nach o b j e k t i v e n K r i t e r i e n ist . . . n i c h t m ö g l i c h ; sie ist f r e i l i c h auch n i c h t n o t w e n d i g , w e i l das zusätzliche M e r k m a l des ,groben U n v e r s t a n d s ' d i e theoretische P r o b l e m a t i k w e i t g e h e n d e n t s c h ä r f t " 9 1 . D i e A b s c h i c h t u n g w i r d stattdessen i m S u b j e k t i v e n v e r s u c h t : Z u m „ g r o b e n U n v e r s t a n d " i m S i n n e des § 23 A b s . 3 S t G B f ü h r t e n „ n i c h t F e h l v o r s t e l l u n g e n ü b e r S a c h v e r h a l t e " , w o h l aber „ I r r t ü m e r ü b e r d i e Gesetze des Geschehens". A b e r n i c h t j e d e r „nomologische I r r t u m " b e g r ü n d e „ g r o b e n U n v e r s t a n d " ; „ g r o b e r U n v e r s t a n d l i e g t erst d a n n v o r , w e n n j e m a n d b e i seiner T a t v o n d e r A n n a h m e n a t u r g e s e t z l i c h e r Z u s a m m e n h ä n g e ausgeht, d e r e n N i c h t b e s t e h e n auch d e m u n v o r g e b i l d e t e n N o r m a l b ü r g e r o f f e n k u n d i g i s t " 9 2 . Z u v o r schon h a t t e es i n d e r B e g r ü n Folge genügsam nachgewiesen wurde, daß der Versuch, absolute v o n relativ untauglichen M i t t e l n bzw. Objekten zu unterscheiden, ohne W i l l k ü r nicht möglich ist (vgl. n u r Albrecht, Der untaugliche Versuch, S. 9 ff.). 90 Vgl. dazu Dohna, Güterbock-Festschrift, S. 35 ff.; ders., Aufbau 4 , S. 56 ff.; Beling, Verbrechen, 1906, S. 328 ff. — Die „Lehre v o m Mangel am T a t bestand" steht dogmengeschichtlich neben den Lehren der „objektiven Theorien" über den „untauglichen" Versuch (vgl. dazu Schmidhäuser, A T 2 , S. 606). Sie unterscheidet zwischen Tatumständen, die stets vorliegen müssen, damit v o n einem Versuch überhaupt die Rede sein kann, u n d solchen, die fehlen dürfen: Der äußere Erfolg, „das f ü r die Vollendung des Verbrechens objekt i v erforderliche Schlußstück" (v. Listz / Schmidt, StGB 2 0 , S. 298) als W i r k u n g der Handlung. Fehle es aber an anderen begleitenden Tatumständen, fehle es an einem strafbaren Versuch; denn „beim Versuch i r r t der Täter über ein Künftiges, über die Kausalität seines Verhaltens, beim Mangel am T a t b i l d über ein Gegenwärtiges, über einen Umstand, der zur Zeit seines Handelns bereits vorliegt, nicht erst durch dieses hervorgerufen werden soll" (Ritter, Strafrecht 2 , S. 256 f.). Eine Lehre, der freilich weder die Zweiteilung der obj e k t i v e n Tatbestandsmerkmale i n zukünftige u n d gegenwärtige, noch der Nachweis der rechtlichen Relevanz dieser Unterscheidung j e gelungen ist: Der Nachweis nämlich, daß zwischen den als „Mangel a m Tatbestand" straflosen Handlungen u n d den strafbaren Versuchshandlungen axiologische Differenzen bestehen, die eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. E i n Nachweis, den diese Lehre auch zu erbringen nicht i n der Lage ist, da sie i n ihrer A n w e n d u n g an die Gestaltung der Tatbestände des positiven Rechts gebunden u n d damit, i n i h r e n Ergebnissen (bei den „untauglichen M i t t e l n " ) , v o n den Zufälligkeiten der Gestaltung eben dieser Tatbestände i n der Gesetzgebung abhängig ist (vgl. zur K r i t i k nur: Finger, Binding-Festschrift, Bd. I, S. 257 ff.; Lammasch, Gefährlichkeit, S. 9 ff.). 91 Eser, in: Schönke / Schröder 21 , § 23 Rdn. 15; Roxin, in: Neues Strafrecht 2 , S. 18 f.; Lackner, StGB 1 4 , § 23 A n m . 3 b; Dreher / Tröndle, StGB 4 0 , § 23 Rdn. 6. 92 Roxin, in: Neues Strafrecht 2 , S. 19; ebenso Eser, i n : Schönke / Schröder 21 , § 23 Rdn. 17; eine Lösung, die als zwingende Konsequenz der sog. „ E i n druckstheorie" über den Strafgrund des Versuches ausgegeben w i r d —

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dung des E 1962 geheißen, „unter grobem Unverstand" „ist eine abwegige Vorstellung von gemeinhin bekannten Ursachenzusammenhängen zu verstehen. . . . Fälle dieser A r t nimmt kein besonnener Mensch ernst, und es wäre mißlich, wenn das Gesetz den Strafrichter zwänge, sie zu ahnden" 9 3 . Nach dieser Lehre ist der „unverständige Versuch" also ein Vorhaben, dessen Täter sich i n einem „evidenten nomologischen I r r t u m " befand; der (auch) evidente ontologische I r r t u m dagegen soll „groben Unverstand" nie begründen können 9 4 .

gerade w i e der Versuch, die „Unverstandsklausel" des § 23 Abs. 3 StGB i m Objektiven m i t H i l f e der „neueren objektiven Theorie" zu definieren als zwingende Konsequenz dieser Theorie ausgegeben wurde (vgl. dazu Roxin, i n : Neues Strafrecht 2 , S. 18 ff.; ders., JuS 1979, S. 1, einerseits; Rudolphi, in: SK StGB 3 , § 23 Rdn. 9 ff., Rdn. 11 ff. v o r § 22, andererseits): Die Beliebigkeit der Ergebnisse zeigt, daß aus der Formel der „Eindruckstheorie" als Obersatz mehr als der Satz, daß u m des Erhaltes einer Ordnung W i l l e n gestraft w i r d , nichts folgt u n d aus i h r jedenfalls k a u m m i t einiger Sicherheit Problemlösungen deduzierbar sind. 93 Daß eine Strafmilderung n u r f a k u l t a t i v angeordnet wurde, begründete der E 1962 (Begründung, S. 145) damit, daß der möglicherweise erhebliche verbrecherische W i l l e des „grob unverständig" Handelnden eine spätere Wiederholung m i t tauglichen M i t t e l n befürchten lasse. Weitergehend Waiblinger (ZStW 69, S. 189 ff.; vgl. auch Reinhard v. Hippel, Untersuchungen über den Rücktritt v o m Versuch, S. 26; Kohlrausch / Lange4S, Vorbemerkung I I I 3 v o r § 43 StGB), der generell, spezialpräventiv gewendet, für den Strafgrund des Versuchs nach der „Wiederholungsgefahr" fragt, die das Rechtsgut nach dem Fehlschlag weiter latent bedrohe: N u r die „untauglichen" V e r suchshandlungen seien straffrei, bei denen eine Gefahr der Erneuerung des deliktischen Angriffs m i t anderen, tauglichen M i t t e l n ausscheide; sei es, daß der Vorsatz des Täters auf ein bestimmtes „untaugliches" M i t t e l oder Objekt beschränkt w a r ; sei es, daß für den Täter m i t der Entdeckung des I r r t u m s zugleich das M o t i v zur Tatfortsetzung entfalle (Waiblinger, Z S t W 69, S. 220). Der spezialpräventive Ansatz Waiblingers beinhaltet freilich ein zweifelhaftes Vorhaben, den Strafgrund des Versuches zu bestimmen. A n die Stelle der Bestätigung v o n Werten i n der Strafe t r i t t hier die reine Abschreckung des fortsetzungswilligen Täters, wobei diese Abschreckung allein auf die Zurückdrängung des aktuellen rechtsuntreuen Wollens des zur Wiederholung m i t anderen M i t t e l n Entschlossenen u n d nicht mehr auf die Beseitigung der Folgen des Rechtsbruches zielt: Damit w i r d das Tatprinzip verlassen. Die Tat ist nicht mehr Strafgrund, sondern n u r noch Symptom f ü r den Strafgrund (vgl. dazu Roxin, i n : Neues Strafrecht 2 , S. 21). I m System Waiblingers bleibt auch unerfindlich, w a r u m allein beim „untauglichen" Versuch die Gefahr einer Wiederholung des Angriffs über die Strafbarkeit entscheiden soll, nicht aber auch beim tauglichen; u n d dem Ansatz Waiblingers k a n n nicht einmal Folgerichtigkeit attestiert werden: Selbst beim Fehlen einer „Fortsetzungsgefahr" soll es, n u n generalpräventiv gewendet, Fälle geben, bei denen „unter dem Gesichtspunkt einer Gefährdung des allgemeinen Rechtsfriedens" Strafe angezeigt sei (Waiblinger, Z S t W 69, S. 220): B e i m Versuch am untauglichen Objekt. Denn n u r hier, nicht aber bei einem Versuch m i t untauglichen M i t teln, habe der Täter „einen so k l a r e n Auflehnungswillen gegen die staatliche Rechtsordnung manifestiert, daß seine Tat allein deswegen schon s t r a f w ü r dig erscheint" (Waiblinger, Z S t W 69, S. 221). 94 Eser, in: Schönke / Schröder 21 , § 23 Rdn. 17.

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2. Teil. 1. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Versuch

bb) Zur K r i t i k dieser Lösung Die Unterscheidung nach A r t des Irrtumsgegenstandes ist nicht neu: Schon zu Dohna unterschied zwischen „ontologischem I r r t u m " (über den Sachverhalt) und „nomologischem I r r t u m " (über Erfahrungssätze). „Der Versuch ist (nur) dann straflos, wenn der Täter einen Erfolg seines Tuns nur u m deswillen erwarten konnte, weil sein nomologisches Urteil i n allgemein erkennbarer Weise falsch w a r " 9 5 . Die Wiederbelebung der Unterscheidung von ontologischem und nomologischem I r r t u m zur Abschichtung des verständigen vom unverständigen Versuch (§ 23 Abs. 3 StGB) zeigt nun freilich eines deutlich: Die Unterscheidung von „tauglichen" und „untauglichen" Versuchshandlungen, die durch die sog. „subjektiven Versuchstheorien" überwunden schien, taucht als Unterscheidung von (evidentem) „ontologischem" und „nomologischem" I r r t u m auf einer anderen Ebene wieder auf; auf der des „Wie" der Strafe und nicht mehr, wie i n den älteren objektiven Systemen, als Mittel zur Bestimmung des „Ob" der Versuchsstrafbarkeit 96 . Der Unterscheidung von ontologischen und nomologischen Irrtümern wurde i n der Fassung, die sie durch zu Dohna erhalten hatte, vorgehalten, sie sei zu weit: Sie erfasse jeden I r r t u m über Kausalgesetze und unterscheide nicht, ob der I r r t u m „jedermann" unterlaufen wäre, oder ob er der „exquisiten Dummheit" des Täters zu verdanken sei 97 . Die Unterscheidung sei i n ihrer Beschränkung auf Fälle nomologischen Irrtums auf der anderen Seite auch zu eng: Es sei „rechtlich ganz gleichgültig, ob offensichtliche Torheit des Täters auf Unkenntnis über ,Naturgesetze' oder auf sonstiger Unkenntnis" beruhe 9 8 . Oder: „Es soll nicht die Frage, ob der I r r t u m ein onto- oder nomologischer sei, entscheiden, sondern der Umstand, ob er einem normalen Täter oder einem naiven Tölpel wiederfuhr" 9 9 . Einwände freilich, die die Brauchbarkeit dieser Unterscheidung nicht i m Grundsätzlichen treffen: Entscheidend fällt gegen den Versuch, den „groben Unverstand" als (evidenten) „nomologischen I r r tum" zu begründen, ins Gewicht, daß die Unterscheidung der Irrtumsarten selbst undurchführbar ist. Das Wissen u m die Wirkungszusammenhänge der alltäglich erfahrenen Umwelt kann nicht nach „nomologischen" und „ontologischen" Wissensbeständen unterschieden werden. Es ist, jedenfalls i n typischen Situationen, ununter scheidbar komplex: 95 Zu Dohna, Güterbock-Festschrift, S. 61; vgl. auch Frank, StGB 1 8 , § 43 A n m . 3. 96 Vgl. dazu auch Maurach / Gössel, A T 2, S. 28. 97 Albrecht, Der untaugliche Versuch, S. 39, m. w . N. 98 v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. I I 1930, S. 438 Fn. 3; Roeder, E r scheinungsform, S. 30 ff. 99 Rälis, ZStW 61, S. 52.

I I . Die Strafrahmenwahl beim Versuch

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I m Wissenserwerb, „der Sedimentierung aktueller Erfahrungen nach Relevanz und Typik i n Sinnstrukturen, die ihrerseits i n die Bestimmung aktueller Situationen und Auslegung aktueller Erfahrungen eingehen" 1 0 0 , bauen sich Erfahrungen, und damit auch Wissensbestände, zwar „polythetisch auf"; „(der Sinn von Situationen) kann aber jedoch i n Blickzuwendungen — die wiederum »motiviert' sind — monothetisch erfaßt werden" 1 0 1 : „Für die routinemäßige Bestimmung von Situationen und den routinemäßigen Ablauf von Erfahrungen, also für Vorgänge, die sozusagen »automatisch4 sind und eine verhältnismäßig geringe Bewußtseinsanspannung voraussetzen" 102 , w i r d die polythetisch aufgebaute Wissensstruktur monothetisch reproduziert: als „einheitliche" „natürliche" Erfahrung 1 0 3 . „Jeder Mensch kennt eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten nebst ihren Folgen, etwa die Funktion eines Hammers und daß ein Schlag auf den Finger verletzt, die Funktion eines Lichtschalters und daß dessen Bedienung keine schädlichen Folgen bringt etc. Diese Folgen müssen nicht erst von einer Wissensbasis aus mit Hilfe von Lehrsätzen berechnet werden, sondern sind als »Eigenschaften' des Gegenstandes bekannt" 1 0 4 . Wenn aber „ontologische Basis und nomologisches Potential i n praxi zumindest teilweise komplex" sind 1 0 5 , ist ein Arbeiten mit der Unterscheidung von nomologischen und ontologischen Irrtümern ein Arbeiten mit Fiktionen: Ist das Wissen komplex, w i r d sich ein I r r t u m über das „nomologische Potential" kaum je rein isolieren lassen. c) Zum Begriff des „groben Unverstandes" und zur Strafrahmenwahl beim Versuch Die Zurechnung eines Verhaltens als „schuldhaft" ist ein Versuch, Konflikterledigung durch Vereinzelung zu erreichen: Ein personales Subsystem w i r d als allein relevante Konfliktursache isoliert, und i h m w i r d rechtstreues Wollen als eigene Aufgabe zugeschrieben — der Rechtsbrecher w i r d am Maßstab des Rechtstreuen gemessen, dem normgemäßes Verhalten noch eine erlebbare Alternative ist. Das dem Rechtstreuen selbstverständliche Können w i r d dem Rechtsbrecher als das zugeschrieben, was er zu können hat. Oder anders gesagt: Die Feststellung von „Schuld" bedeutet nicht die Feststellung eines unabhängig von Norm und Strafzweck existierenden psychisch-tatsächlichen Befundes; die Feststellung von „Schuld" ist auf das bezogen, was beim 100 101 102 103 104 105

Schütz / Luckmann, Schütz / Luckmann, Schütz / Luckmann, Schütz / Luckmann, Jakobs, Studien, S. Jakobs, Studien, S.

Strukturen, Strukturen, Strukturen, Strukturen, 84. 84.

S. S. S. S.

154. 255. 155. 156.

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2. Teil. 1. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Versuch

Rechtstreuen i n bezug auf die Norm tatsächlich ist, also auf einen Maßstab, i n dessen Gestaltung Norm und Strafzweck eingegangen sind 1 0 6 . Eine Feststellung von Schuld aber, die den Delinquenten am Maßstab des Rechtstreuen mißt, schließt die Solidarität des Rechtstreuen zum Rechtsuntreuen ein: Den Rechtsuntreuen am Wollen-Können des Rechtstreuen zu messen heißt zugleich, auch der Rechtstreue kann rechtsuntreu wollen; denn wie anders könnte er den Täter i m Wollen als seinesgleichen akzeptieren. Die Notwendigkeit von Zurechnung als „schuldhaft" verweist so auf die dem Rechtstreuen erlebbare Alternative eigenen rechtsuntreuen Wollens und damit auf sein Bedürfnis nach Bestätigung der Richtigkeit seines Wollens i n der Zurechnung zum Delinquenten. Die Notwendigkeit dem Handelnden als „schuldhaft" zuzurechnen endet dementsprechend, wo das Geschehen dem Rechtstreuen keine erlebbare Alternative eigenen rechtsuntreuen Wollens mehr ist: W i r d versucht, m i t Zucker oder Himbeersaft zu töten oder die Frucht durch Kamillentee abzutreiben, fehlt dem Beurteiler die Möglichkeit, die Tat spontan als eigene Verhaltensalternative zu erleben. Der Beurteiler weiß, der Täter hat sich an einem Modell der Welt ausgerichtet, das unter normalen Verhältnissen die Tatbestandsverwirklichung erfahrungsgemäß nicht bringen kann. Der Versuch ist dem „vernünftige Welt" erlebenden Bürger keine nachvollziehbare Alternative eigenen Wollens, weil es i n seiner Welt „unvernünftig" ist, bei der Gestaltung seines Lebens auf „anormale" Zustände und damit letztlich auf den „Zufall" zu bauen. Der, der aus „grobem Unverstand" handelt, hat die Solidarität der Rechtstreuen verloren, und m i t dem Verlust dieser Solidarität fehlt die Notwendigkeit, i h m zur Bestätigung der Richtigkeit des Wollens der Rechtstreuen als „schuldhaft" zuzurechnen. Das gilt freilich noch nicht für die häufig als problematisch empfundenen Fälle des Diebesgriffes i n eine leere Tasche, i n der der Täter die Geldbörse vermutet; des Tötungsversuches mit einem ungeladenen, aber für geladen gehaltenen Gewehr oder mittels eines Schusses i n ein leeres Bett, i n dem der Täter seinen schon verstorbenen oder gerade verreisten Feind vermutet; und auch der Versuch abzutreiben ist nicht „grob unverständig", wenn zur Tatzeit ernsthafte Anzeichen für eine Schwangerschaft bestanden, auch wenn sie sich nachträglich als falsch herausstellen: Hier hat der Täter seinem Deliktsplan ein Modell der Gestaltung der Welt zugrunde gelegt, für das der i n die deliktische Planung eingestellte Erfahrungssatz bei einer dieser Vorstellung entsprechenden, „gewöhnlichen" Gestaltung der Verhältnisse, das Urteil: die Tatbestandsverwirklichung sei nicht unwahrscheinlich, trägt. Das 106

Vgl. dazu Jakobs, Schuld, S. 8 ff.

I I . Die Strafrahmenwahl beim Versuch

123

Projekt scheitert nicht am „Unverstand" des Täters, sondern an den, gemessen an der Vorstellung des Täters von der Gestaltung der Situation i n ihren wesentlichen, und damit für den verwandten Erfahrungssatz i n der alltäglichen Praxis allein relevanten Bestimmungsmerkmalen, „ungewöhnlichen" Zuständen, am „Unverstand der Welt". „Grob unverständig" ist der Versuch erst, wenn die Anwendung des vom Täter seinem Deliktsplan zugrunde gelegten Erfahrungssatzes auf die Handlungssituation, wie er sie sich vorstellt, die Tatbestandsverwirklichung allenfalls als Verwirklichung eines „allgemeinen Lebensrisikos" auslösen kann: Der Erfolg des Handlungsprojekts ist schon Zeichen „anormaler" Zustände, einer seltenen, dem Projekt ausnahmsweise günstigen Konstellation äußerer Umstände, und die „Zufälligkeit" der Erfolgsmächtigkeit des Versuchs bei einer Anwendung dieses Erfahrungssatzes auf diese Situation ist dem „vernünftige Welt" erlebenden Bürger (: nicht notwendig auch den Mitgliedern des engeren Lebenskreises des Handelnden), offensichtlich: So bleibt der Versuch i n einer alltäglichen Situation mit Zucker zu töten, der unter allen Umständen für ein gefährliches Gift gehalten wurde, auch dann ein „unverständiger" Versuch, wenn nicht nur der Täter diesem Glauben anhing, sondern auch andere, Mitglieder einer Sekte von Gesundheitsaposteln, der der Täter angehört etc., seinen Glauben teilten. I n der Rechtslehre zeigt sich nicht nur vereinzelt 1 0 7 die Tendenz, die Regelung des § 23 Abs. 3 StGB i m Sinne eines obligatorischen Straferlasses auszulegen. Daran ist richtig, daß jedenfalls nicht die Gefahr, der Täter werde den Angriff m i t anderen, tauglichen Mitteln wiederholen, die Anordnung eines nur fakultativen Absehens von Strafe rechtfertigt 1 0 8 . Übersehen w i r d aber, daß die soziale Bedeutung eines Verhaltens auch durch die Gründe des Verhaltens mitbestimmt w i r d 1 0 0 . Zunächst kann nach der Regelung des § 23 Abs. 3 StGB die Unverständigkeit der Tat gegen das verständige Motiv durchschlagen; nicht aber umgekehrt die verständige Tat gegen das unverständige Motiv: Die i n § 23 Abs. 3 StGB genannten Momente der A r t des Gegenstandes und der A r t des M i t tels sind zwar nicht ausschließlich, aber doch als Ausschluß des nur unverständigen Motivs als Grund eines Straferlasses zu interpretie107 Vgl. Stratenwerth, A T 2 , Rdn. 692; Eser, in: Schönke / Schröder 21 , § 23 Rdn. 18; Roxin, in: Neues Strafrecht 2 , S. 21 f.; J. Meyer, ZStW 87, S. 615; vgl. auch die Begründung zu § 23 Abs. 3 StGB (BTDrs. 5/4095, S. 12), die durch das Voranstellen der Möglichkeit des Absehens v o n Strafe v o r der besonderen Strafmilderung des § 23 Abs. 3 StGB zum Ausdruck bringen wollte, daß der Richter i n erster L i n i e das Absehen v o n Strafe i n Erwägung zu ziehen habe. 108 Vgl. 2. T e i l 1. Abschnitt, Fn. 93. 109 Vgl. 2. T e i l 4. Abschnitt I. E. 2. b. bb.

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2. Teil. 1. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Versuch

ren: Die verständige Tat kann ja zur Vollendung führen, auch wenn sie aus unverständigen Motiven begangen wurde. Aus dem Umstand, daß die soziale Bedeutung des Geschehens von einem Doppelten: der „Unverständigkeit" der Tat und der „Verständigkeit" oder „Unverständigkeit" der Motive mitbestimmt wird, folgt auf der anderen Seite aber, daß der i m § 23 Abs. 3 StGB fakultativ angeordnete Straferlaß offen ist für Fallgestaltungen, i n denen die „Verständigkeit" des Motivs gegen die auch „grobe Unverständigkeit" der Tat (ein durchaus der Quantifizierung zugänglicher Begriff) durchschlägt. Ein obligatorischer Straferlaß ist m i t h i n nur bei einer unverständigen Tat aus unverständigen Gründen oder dann angezeigt, wenn der Unverstand der Tat gegen das verständige Motiv durchschlägt: Wer zur Rettung seiner Seele den Nachbarn durch Himbeersaft zu töten versucht, mag i n den Genuß des Straferlasses kommen; und bei einem Handeln aus „verständigen" Motiven mag das Unverständige der Tat den verständigen Grund noch überlagern: Für den, der aus Habgier durch telepathische Beeinflussung einen anderen zu einem tödlichen Unfall zu bringen versucht, ist ein Straferlaß noch angezeigt. Das gilt aber kaum noch bei einem Abtreibungsversuch durch Bäder m i t Kamillentee, u m die Unterhaltskosten für das erwartete K i n d zu sparen: Hier ist nicht Straferlaß, wohl aber die besondere, über die nach § 23 Abs. 2 i. V. m. § 49 Abs. 1 StGB vorgesehene, hinausgehende Strafmilderung wie sie § 23 Abs. 3 i. V. m. § 49 Abs. 2 StGB vorsieht, am Platze 1 1 0 . 110 S t r i t t i g ist, ob auch der irreale, abergläubische Versuch v o n der Regel u n g des § 23 Abs. 3 StGB erfaßt w i r d . Z u m T e i l w i r d angenommen, der irreale Versuch werde durch die Neufassung des § 23 Abs. 3 StGB, i m Gegensatz zur vorher geltenden Rechtslage, für strafbar erklärt; der Täter eines irrealen Versuchs könne deshalb n u r unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 StGB zu einem Straferlaß kommen (vgl. etwa Jescheck, A T 2 , S. 402 m i t Fn. 7 a; Baumann, A T 8 , S. 529; Stratenwerth, AT3, Rdn. 691). Dagegen meinen andere, der irreale Versuch sei nach wie v o r straffrei (vgl. n u r Maurach, A T 4 , S. 510; Mezger / Blei, A T 1 7 , S. 210; Bockelmann, Untersuchungen, S. 160 f.): „ W i r bestrafen die Zauberei nicht mehr, u n d daraus folgt, daß w i r auch die versuchte Zauberei nicht strafen dürfen. Dämonen anzurufen, die U n t e r w e l t zu beschwören oder den Zorn des H i m mels auf einen anderen herabzuflehen, steht jedermann frei". Maurach / Gössel, A T 2, S. 33, Gössel, G A 1971, S. 233, 235, meint, es liege überhaupt k e i n Versuch vor, „wo der Handelnde die Grenze der Realität dadurch überschreitet, daß er sein Handeln am W i r k e n irrealer K r ä f t e ausrichtet". Gössel übersieht freilich, daß das, was „Realität" ist, erst einmal ausgemacht werden muß. Was als „ W i r k l i c h k e i t " genommen w i r d , k a n n j e nach dem Zweck verschieden sein, zu dem W i r k l i c h k e i t konstruiert w i r d . K o n k r e t : Die Straflosigkeit des irrealen Versuchs erscheint als plausibel, w e i l die m i t dem Begriff des abergläubischen Versuchs gemeinten Sachverhalte (eingehend darstellend Gössel, G A 1971, S. 233 - 235) nicht zu der Schicht der Realität gehören, die das moderne Strafrecht m i t seinen Normen meint. A l l e gesellschaftliche Wirklichkeit, alles was als „real" erlebt w i r d , ist Produkt der Sinngehalte (kognitive u n d normative Realitätsdefinitionen) derer, die i n i h r

I I . Die Strafrahmenwahl beim Versuch

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I m Gegensatz zu den Fallgruppen eines Straferlasses oder einer besonderen Strafmilderung nach § 23 Abs. 3 StGB ist eine Strafmilderung auch nach den Regeln der §§ 23 Abs. 2 i. V. m. 49 Abs. 1 StGB aus den Gedanken des „grob unverständigen Versuchs" nicht angezeigt, wenn auch bei Zugrundelegung von Fachwissen die Ursache der Erfolgslosigkeit eines Versuches nicht zu erklären ist: Der gut gezielte leben (eingehend: Berger / Luckmann, Die gesellschaftliche K o n s t r u k t i o n der Wirklichkeit, S. 49 ff.; 139 ff.). Realität w i r d aber nicht als einheitliches Ganzes erfahren (Schütz, O n M u l t i p l e Realities, in: ders., Collected Papers, S. 207 ff., benennt das Problem m i t dem Begriff der „vielfachen Realitäten"): Als W i r k l i c h k e i t des Traumes, der gewöhnlichen Alltagswelt u n d auch als W i r k l i c h k e i t des Übernatürlichen, auf die der irreale Versuch zielt, wobei freilich der Realität des Alltagslebens ein Sonderstatus als „eigentlicher" Realität zukommt, während die anderen W i r k l i c h k e i t e n begrenzte Sinnprovinzen ausmachen, für die Schütz den v o n William James geprägten Begriff der „Subweiten" gebraucht. Die Wirklichkeitszone des Strafrechts ist die herausgehobene Zone der Alltagswelt, die W i r k l i c h k e i t des technisch-rationalen Bewußtseins, zu der der Umgang m i t Geistern oder verstorbenen A h n e n nicht gehört: W e m der verstorbene Großvater i m T r a u m anbietet, die ungeliebte Ehefrau zu töten, n i m m t das allenfalls zum Anlaß, seine Eßgewohnheiten zu ändern: das Abendessen w a r zu schwer, oder einen Psychiater aufzusuchen. Die W i r k l i c h k e i t des Traumes w i r d nach den „Plausibilitätsstrukturen" (zum Begriff vgl. Berger / Luckmann, Die gesellschaftliche K o n struktion der W i r k l i c h k e i t , S. 165 ff.) der gewöhnlichen Alltagswelt ausgelegt. W e m die Undeutung aber nicht gelingt, w e r also das Angebot am anderen Morgen am Grabe des Großvaters annimmt, der schließt sich aus der den anderen gemeinsamen W i r k l i c h k e i t einer modernen technisch-rationalen Gesellschaft aus: Seine Realitätsdefinition mag f ü r i h n auch i n den Konsequenzen real sein; sie ist aber, bezogen auf das v o m Straf recht i n seiner gegenwärtigen Ausgestaltung als Realität Gemeinte, nicht w i r k l i c h u n d deshalb irrelevant. Der Verlauf, den er zu produzieren meint, ist k e i n tatbestandlicher Verlauf: Der Eingriff verstorbener Vorfahren i n das alltägliche Leben ist eine Möglichkeit, die ausgeschlossen ist v o n Realitätsdefinitionen, die die Sozialisation u n d die moderne Erziehung beherrschen. Sie ist auch v o n der Realität ausgeschlossen, die v o n den Institutionen, die den modernen Menschen umgeben, als gegeben hingestellt w i r d . Die Realitätssicht des Strafrechts ist die Sicht der herrschenden, positivistisch-rationalen D o k t r i n moderner Gesellschaften, wobei auch der vereinzelte Umgang m i t dem Übernatürlichen keinen Plausibilitätsverlust für die „Alltagswelt" bedeutet. D a r i n zeigt sich freilich, daß der Anschluß des irrealen Versuchs aus dem Geltungsbereich des Straf rechts nicht Konsequenz eines jeden Rechtssystems ist, sondern Konsequenz einer bestimmten, historisch neuen Realitätssicht. Dementsprechend k a n n sich m i t einer Änderung der Sicht der W i r k l i c h k e i t auch die Behandlung des irrealen Versuchs ändern: So sind traditionsgebundene Gesellschaften bekannt, i n denen der Umfang m i t dem Übernatürlichen als gerade so real definiert ist, w i e i n modernen Gesellschaften der alltägliche Umgang m i t dem Kraftwagen. Die Realitäten traditionell bestimmter u n d moderner Gesellschaften unterscheiden sich kognitiv: Die Realitätssicht traditionell gebundener Gesellschaften schließt i n einer Kosmologie, die Gegenwärtiges u n d Vergangenes umfaßt, die Möglichkeit ein, daß es Verbindungen zu den Vorfahren w i r k l i c h gibt. I n modernen Gesellschaften werden zur E r k l ä r u n g solcher Traumgestalten biologische, physikalische oder chemische Kausaltheorien oder Psychologie bemüht. Ä n d e r t sich freilich die Wirklichkeitssicht, ändert sich auch der Realitätsgehalt der heute noch m i t dem Begriff des irrealen, abergläubischen Versuchs gemeinten Sachverhalte.

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2. Teil. . Abschnitt. Strafmilderungen.

D e r s

Schuß verfehlt das Opfer u m wenige Zentimeter usw.; oder wenn erst unter Zuhilfenahme von Sonderwissen gezeigt werden kann, daß der vom Täter auf eine Tatsituation bestimmter, vorgestellter Gestaltung angewandte Erfahrungssatz die Tatvollendung allenfalls zufällig, also nicht als Verwirklichung der vom Täter gesetzten spezifischen Erfolgsbedingungen, hätte bringen können: Der Versuch, einen anderen durch einige, dem Kaffee beigemischte Köpfe von Schwefelzündhölzern zu töten 1 1 1 ; der Versuch, m i t Kopfschmerztabletten abzutreiben 1 1 2 ; der Totschlagversuch m i t einer zu geringen Menge G i f t 1 1 3 . Und hierher gehört auch der Versuch ein hoch fliegendes Flugzeug durch eine Panzerfaust gängiger Bauart oder durch einen Schuß aus einem Karabiner zum Absturz zu bringen. Eine Strafmilderung nach § 23 Abs. 2 StGB ist auch für den Versuch, durch Senfbäder und Spülungen m i t Seifenwasser abzutreiben, nicht angezeigt: „Senfbäder und Spülungen m i t Seifenwasser, deren Untauglichkeit zur Abtreibung die Vorinstanz gestützt auf ein ärztliches Gutachten festgestellt hat, (...) stehen i n weiten Kreisen des Volkes i m Rufe der Tauglichkeit, und es gibt sogar Mediziner, welche sie für geeignet halten" 1 1 4 . Denn kann der Beurteiler die Aussichten des Vorhabens des Täters nicht beurteilen, weil erst ein besonderes Fachwissen zu der Einsicht verhilft, der Erfahrungssatz, den der Täter seiner Planung entsprechend auf eine Situation bestimmter vorgestellter Gestaltung anwandte, hätte die Tatvollendung nur zufäll i g bringen können, scheidet eine Strafmilderung aus, da der Versuch nach der Alltagserfahrung ja immerhin hätte erfolgreich sein können. Anders gesagt: Für Fallgruppen erhöhter oder verminderter Strafwürdigkeitsgrade i m Umkreis des „unverständigen" Versuchs ist von den Gründen des Scheiterns des Vorhabens auszugehen. Die Gründe des Scheiterns sind danach zu bewerten, ob es offensichtlich war, daß das Projekt nach dem von dem Täter auf eine Situation bestimmter Gestaltung angewandten Erfahrungssatz den Erfolg allenfalls zufällig hätte bringen können: Dies ist der Bereich des „grob unverständigen" Versuchs i. S. des § 23 Abs. 3 StGB. Ob erst Sonderwissen erklären kann, warum es nicht zur Tatvollendung kam, oder ob der Scheiternsgrund prinzipiell unaufklärbar ist: Dies ist der Bereich, für den auch eine Strafmilderung nach § 23 Abs. 2 StGB auszuscheiden hat. Verhilft dagegen schon die Verarbeitung der Tatsituation durch das Allgemeinwissen 1 1 5 zur Einsicht i n den Grund der Erfolglosigkeit des Projektes, 111

Vgl. die Beispiele bei Albrecht, Der untaugliche Versuch, S. 96. Vgl. RGSt. 17, S. 158 ff. 113 Vgl. BGHSt. 11, S. 324 ff. 114 BGE 70 I V 50; vgl. dazu Eser, in: Schönke / Schröder 21 , § 23 Rdn. 17. 115 Gemeint ist — i n einem sicher randunscharfen Sinn — ein Wissen, das aus gesellschaftlich objektivierten Lösungen v o n solchen Problemen besteht, 112

I I . Die Strafrahmenwahl beim Versuch

127

ist eine Strafmilderung nach § 23 Abs. 2 StGB angezeigt — für den Bereich also, i n dem der Grund des Scheiterns sich dem Beurteiler nicht spontan aufdrängt, i n dem es aber auch nicht eines besonderen Fachwissens zur Erklärung des Fehlschlages bedarf. 3. Rücktrittsähnliches

Verhalten und Strafzumessung beim Versuch

Eine Milderung der Strafe ist auch bei „verständigen" Versuchstaten dann möglich, wenn die Tat wertungsmäßig i n die Nähe des zweiten, nach dem positiven Recht als versuchsspezifisch gewerteten Milderungsgrundes rückt: dem „freiwilligen Rücktritt". a) Grundlagen Der Versuchstäter erlangt Straffreiheit durch freiwilliges Preisgeben seines Planes, wenn er den Versuch für unbeendet aber tauglich hält und der Versuch auch unbeendet und tauglich war (§ 24 Abs. 1 Satz 1 1. A l t . StGB). Auch der, der den Versuch für unbeendet und tauglich hielt, obgleich der Versuch in Wahrheit unbeendet und fehlgeschlagen war, erlangt durch freiwillige Preisgabe seines Planes Straffreiheit (§ 24 Abs. 1 Satz 1 1. A l t . StGB), ohne daß er Gegenmaßnahmen i. S. des § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB ergreifen müßte. Von dem Täter i n diesen Fällen das Ergreifen von Gegenmaßnahmen als Voraussetzung der Strafbefreiung zu fordern, bedeutete, daß ein strafbefreiender Rücktritt i n diesen Fällen nie stattfände. Denn der, der meint, er habe noch nicht alles zur Verwirklichung des Tatbestandes die für „Jedermann" relevant sind: Das Wissen darüber, bei Regen naß zu werden oder daß die Sonne w ä r m t ; das Wissen, das n ö t i g ist, eine T ü r zu öffnen, einen Brief aufzugeben, eine Bahnfahrt zu unternehmen, usw.; u n d auch das Wissen u m die gewöhnlichen Folgen des Gebrauchs alltäglicher Gegenstände: Daß der Genuß v o n Zucker keine schädlichen Folgen hat; daß m a n m i t Himbeersaft ohne Gefahr für die Gesundheit seinen Durst löschen kann; daß bei einem Druck auf den Lichtschalter das Licht angeht u n d keine schädlichen Strahlen freigesetzt werden, usw. I m Unterschied zum A l l g e meinwissen ist das Sonderwissen rollenspezifisch v e r m i t t e l t u n d damit i n einer Gesellschaft ungleichmäßig verteilt (vgl. dazu: P. Berger / B. Berger / Kellner, Das Unbehagen i n der Modernität, besonders S. 27 ff.; Schütz / Luckmann, Strukturen, S. 370 ff., 385 ff.). Die i n dem Begriff des „Jedermann" implizierte Gleichmäßigkeit i n der Verteilung des Allgemeinwissens darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß es eine vollkommene Gleichmäßigkeit i n der Verteilung auch dieses Wissens nicht gibt. Der „unverständige" Versuch als besonderer Strafmilderungsgrund lebt v o n der Ungleichmäßigkeit der Verteilung auch des Wissens über „gemeinhin bekannte" (E 1962, Begründung, S. 145) Erfahrungssätze. Freilich — u n d auch das macht die besondere Strafmilderung für den „unverständigen" Versuch plausibel — ist die Ungleichmäßigkeit i n der Verteilung dieses Wissens nicht, w i e beim Sonderwissen, rollenspezifisch, sondern Abweichungen i m Kenntnisstand sind i n der Einzigartigkeit j e individueller Biographien begründet u n d k ö n nen deshalb als Ausnahme u n d damit als „zufällig" gelten: Der Hinweis auf das Sozialisationsdefizit des Täters reicht zur Konflikterledigung aus.

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2. Teil. . Abschnitt. Strafmilderungen.

D e r s

E r f o r d e r l i c h e getan, w i r d n i e G e g e n f a k t o r e n setzen. V o n i h m das Setzen v o n G e g e n f a k t o r e n z u f o r d e r n , v o n d e m , d e r e i n e n u n b e e n d e t e n , t a u g l i c h e n V e r s u c h ins W e r k gesetzt h a t , aber n i c h t , hieße d e n g e f ä h r l i c h e r e n T ä t e r , d e n T ä t e r also, der e i n e n w i r k l i c h t a u g l i c h e n V e r s u c h schafft, besser z u s t e l l e n als d e n w e n i g e r g e f ä h r l i c h e n , d e r n u r U n t a u g liches z u s t a n d e b r i n g t . W e r m e i n t , d e r V e r s u c h sei u n b e e n d e t u n d t a u g lich, w ä h r e n d das ins W e r k Gesetzte aber schon z u r V o l l e n d u n g r e i c h t , h a f t e t n i c h t d e r V o l l e n d u n g wegen, s o n d e r n n u r f ü r e i n e n V e r s u c h ( u n d a l l e n f a l l s noch w e g e n F a h r l ä s s i g k e i t ) u n d k a n n d u r c h f r e i w i l l i g e s Preisgeben seines Planes (§ 24 A b s . 1 Satz 1 1. A l t . S t G B ) z u r S t r a f f r e i h e i t k o m m e n : D e r T a t b e s t a n d v e r w i r k l i c h t sich n i c h t als spezifische W i r k u n g der d e m T ä t e r b e k a n n t e n E r f o l g s b e d i n g u n g e n , s o n d e r n als Folge eines M i n u s a n B e d i n g u n g e n , als „ a l l g e m e i n e s L e b e n s r i s i k o " 1 1 6 . V e r s c h a f f t d e m T ä t e r aber e i n f r e i w i l l i g e s A b s t e h e n v o n s e i n e m P l a n S t r a f f r e i h e i t 1 1 7 , d a n n k o m m t er j e d e n f a l l s d a n n i n d e n Genuß d e r 116 Vgl. 2. Teil 1. Abschnitt I I . B. 2. a. bb. — Anders die h. L., die bei v o r zeitigem Erfolgseintritt nach der „Adäquanz der Abweichung des w i r k l i c h e n v o m vorgestellten Kausalverlauf" fragt, u n d Vollendung annimmt; Rudolphi, in: SK StGB 3 , § 24 Rdn. 16; Stratenwerth, A T 2 , Rdn. 715; Ulsenheimer, Grundfragen, S. 98 ff. m. w . N. I m Ergebnis w i e hier Schröder, JuS 1962, S. 82; oder den Täter wegen eines Versuches jedenfalls dann nicht haften läßt, w e n n der Rücktritt v o r der Tatvollendung erfolgte; Otto, Maurach-Festschrift, S. 99; Eser, in: Schönke / Schröder 21 , § 24 Rdn. 23. 117 E i n Preisgeben der einen Handlung also, bei dem sich der Täter nicht vorbehält, m i t der Tat später i n einer Weise fortzufahren, die als „natürliche Handlungseinheit" oder als „Fortsetzungszusammenhang" zu der aufgegebenen Handlung zu werten ist (so zwischen konkreter u n d abstrakter Betrachtungsweise v e r m i t t e l n d Stratenwerth, A T 3 , Rdn. 714). — „Aufgegeben" ist der Versuch aber, w e n n der Täter sich eine andere, real k o n k u r rierende Begehung vorbehält. Dagegen fordert die abstrakte Betrachtungs-i weise, der Täter müsse endgültig („definitiv") v o m gesamten Tatplan A b stand genommen haben (vgl. n u r BGHSt. 7, S. 296 ff. (297); 21, S. 319 ff.; BGH G A 1968, S. 279): Voraussetzung für eine Straffreiheit sei, „daß der Täter die Durchführung seines Tatentschlusses i m ganzen u n d endgültig aufgibt". E i n freiwilliger Rücktritt sei daher auch ausgeschlossen, „ w e n n der Täter die Durchführung des verbrecherischen Entschlusses später selbständig wiederholen" wolle (Busch, in: L K 9 , § 46 Rdn. 18). Die Forderung, „daß der Täter seinen Plan endgültig aufgegeben haben muß, w e n n er Straffreiheit erlangen w i l l " , sei auch kriminalpolitisch „ohne weiteres einleuchtend, w e i l das Verschieben der Ausführung auf die nächste günstigere Gelegenheit natürlich keine Rückkehr i n die Legalität" bedeute (Roxin, K r i m i n a l p o l i t i k , S. 38). Gegen die abstrakte Betrachtungsweise hat freilich schon Lenckner, Gallas-Festschrift, S. 303, geltend gemacht, der W o r t l a u t des § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB zwinge „zu der Interpretation, daß es genügen muß, w e n n der Täter auf die Fortsetzung der bereits begonnenen Tat verzichtet, denn n u r diese k a n n er begrifflich ,aufgeben', i m Unterschied zu einer künftigen Tat, bei der er nicht die Ausführung, sondern n u r die darauf gerichtete Absicht aufgeben könne". Maurach, A T 4 , S. 522, wendet ein, „das noch vertretbare M a x i m u m ethischer Anforderungen" sei i m Gesetz bereits „vorgenormt"; die abstrakte Betrachtungsweise stelle aber „seelenforschend auf Läuterung" ab, während sich die „realistischere konkrete Betrachtung" m i t dem „Augenblicksimpuls des Täters" begnügt (vgl. auch Maurach / Gös-

I I . Die Strafrahmenwahl beim Versuch

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Strafmilderung, wenn er aus Gründen von seinem Vorhaben absteht, die dem „freiwilligen Rücktritt" nahe sind (rücktrittsähnliches Verhalten). Dabei ist es für die Beurteilung der „Rücktrittsähnlichkeit" eines Verhaltens gleich, ob die Frage nach den Bedingungen der Freiwilligkeit des Rücktrittes psychologisierend als Frage nach dem dem Täter verbleibenden Freiheitsspielraum gestellt w i r d 1 1 8 ; ob von der Unterscheidung nach autonomen, freiwilligen, und heteronomen, unfreiwilligen, Rücktrittsgründen ausgegangen w i r d 1 1 9 ; ob, normativ, die Bewertung des Rücktrittsgrundes über die Freiwilligkeit entscheiden soll 1 2 0 : unfreiwillig sei ein Handeln entsprechend den „Normen der Verbrecherzunft" als „spiegelbildlicher Verkehrung" der „Rechtsmoral" 1 2 1 , freiwillig ein Handeln entgegen den „Regeln des Verbrecherhandwerks"; ob das Preisgeben des Planes dann als freiwillig gewertet wird, wenn der „Täter aus eigenem Antrieb unter die Rechtsordnung zurückgekehrt i s t " 1 2 2 ; ob danach gefragt wird, ob der Rücktritt „Ausdruck einer inneren Rückkehr zur Rechtsordnung" 123 sei oder „ob der Täter nach seinen Motiven zur Beachtung der Rechtsordnung zurückgekehrt i s t " 1 2 4 ; oder ob schließlich, mit Ulsenheimer 125, beim Rücktritt sei, A T 2, S. 47), u n d Schmidhäuser, A T 2 , S. 625, 631, ergänzt, Straffreiheit komme n u r i n Betracht, wo sich das Verbrechen „nicht als Auflehnung gegen den Gemeinwillen" behaupte, obwohl es sich behaupten könnte; stehe der Täter v o n der konkreten Ausführung ab, obwohl er seiner Vorstellung nach noch weiter handeln könnte, behaupte sich „das Verbrechen als Auflehnung gegen die Rechtsordnung nicht mehr i n dieser Tat, mag der Täter auch für später eine Wiederholung der Tat vorgesehen haben". W e n n n u n neuerdings Walter, Der R ü c k t r i t t v o m Versuch, S. 101, fordert, die Tataufgabe müsse „eine mehr grundsätzliche A b k e h r v o n entsprechenden D e l i k t e n beinhalten", w i r d übersehen, daß es für das Rücktrittsprivileg allein u m den Ausgleich des sozialen Schadens geht, der durch die Versuchstat entstand, u n d nicht, m i t Blick i n die Z u k u n f t , u m die Optimierung der Bedingungen des Güterschutzes, die bei k ü n f t i g e m W o h l verhalten des Täters zu erwarten ist; vgl. noch 2. T e i l 1. Abschnitt, Fn. 128. 118 BGHSt. 7, S. 296 ff. (299); 20, S. 279 f. (280); BGHSt. 21, S. 216 f.; B G H N J W 1980, S. 602; vgl. aber auch BGHSt. 9, S. 48 ff. (53), wo der Formulierung nach auf die Stärke des psychischen Druckes des Rücktrittsgrundes abgestellt w i r d , der Sache nach über F r e i w i l l i g k e i t oder U n f r e i w i l l i g k e i t aber die Bewertung dieses Grundes entscheidet. Eingehend darstellend Ulsenheimer, Grundfragen, S. 243 ff. 119 Vgl. dazu Schänke / Schröder 17, § 46 Rdn. 22 ff.; Schröder, M D R 1956, S. 323; Eser, in: Schönke / Schröder 21 , § 24 Rdn. 44 ff.; Maurach / Gössel, A T 2, S. 44. 120 Z u einem normativ-ethisierenden Verständnis des Begriffs der „ F r e i w i l l i g k e i t " i. S. d. § 24 StGB Bockelmann, Untersuchungen, S. 164 f.; ders., N J W 1955, S. 1421. 121 Roxin, Heinitz-Festschrift, S. 264; ders., ZStW 77, S. 97; zur K r i t i k eingehend Ulsenheimer, Grundfragen, S. 307 ff. 122 Jescheck, M D R 1955, S. 563. 123 Gutmann, F r e i w i l l i g k e i t , S. 151. 124 Seeger, Die Lehre v o n der F r e i w i l l i g k e i t des Rücktritts, S. 85. 125 Ulsenheimer, Grundfragen, S. 306 ff. 9 Timpe

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2. Teil. . Abschnitt. Strafmilderungen.

D e r s

vom Versuch die „respektvolle Haltung gegenüber der Legalität" 1 2 8 im Verein mit dem Ausbleiben des Erfolges, der gerade der Umkehr zu dieser respektvollen Haltung wegen ausbleibe, als hinreichender Grund angesehen wird, eine „Reduktion der Schuld bis auf einen ganz geringen und deshalb auch /verzeihlichen' Rest" 1 2 7 anzunehmen: Freiwilligkeit bedeute die „Rückkehr des Täters i n die Bahnen des Rechts" 128 . 128

Ulsenheimer, Grundfragen, S. 103. Ulsenheimer, Grundfragen, S. 103. 128 Ulsenheimer, Grundfragen, S. 314. — Eine Formel, die freilich gerade so randunscharf bleibt, w i e die zuvor v o n Ulsenheimer (Grundfragen, S. 306 ff.) wegen ihrer Unschärfe gerügte Formel Roxins. Auch Bottke, Strafrechtswissenschaftliche Methodik, S. 183 ff., 198 ff., 352 ff., 469 ff.; ders., JR 1980, S. 441 ff., greift für die Festlegung des Begriffs der F r e i w i l l i g k e i t auf die „Rückkehr zur Legalität" zurück, den er i m Wege einer „einzelfallnahen' Motivationsanalyse" aufzufüllen sucht. Bottke erläutert den Begriff der „Rückkehr zur Legalität", i m Anschluß an Roxin ( K r i m i n a l p o l i t i k 2 , S. 36) dahin, daß bei einem strafbefreienden Rücktritt Strafe weder spezialpräventiv (: das Wegsteuern v o m deliktischen Erfolg müsse auf Wertmustern beruhen, die den rechtlichen Anforderungen eines k o n f l i k t f r e i e n Zusammenlebens entsprächen), noch generalpräventiv indiziert sein dürfe (: die Motive des Rücktritts müßten den „schlechten Eindruck" korrigieren, den der V e r such auf die Rechtstreue der Allgemeinheit ausgeübt habe). — Freilich ist die Formel v o n der „Rückkehr zur Legalität" (Bottke) oder die v o n der „Rückkehr i n die Bahnen des Rechts" (Ulsenheimer) als Leitgesichtspunkt für die Bestimmung der Voraussetzungen des f r e i w i l l i g e n strafbefreienden Rückt r i t t s (§ 24 StGB) problematisch, w e i l sie m i t dem Abstellen auf die „respektvolle H a l t u n g gegenüber der Legalität" (Ulsenheimer) k e i n Verdienst des Täters benennt, sondern beschreibt, was dem Rechtstreuen i n bezug auf die N o r m selbstverständlich ist: Diese Formel k a n n begründen, daß die schlichte Rückkehr i n diese H a l t u n g (beim Abbruch des unbeendeten Versuchs) v o r weiterer Haftung bewahren kann. Sie k a n n nicht begründen, w i e allein durch die „Rückkehr i n die Bahnen des Rechts" schon v e r w i r k t e Haftung ausgeglichen werden soll. Die normative Betrachtung des Rücktritts m i t spezialpräventivem Denken zu verbinden, hat neuerdings Walter, (Der Rücktritt v o m Versuch als Ausdruck des Bewährungsgedankens i m zurechnenden Strafrecht, 1980) versucht. Walter setzt an der Bewertung der inneren Organisation des rücktrittsbereiten Subjekts an, u n d versucht, die Bedingungen des strafbefreienden Rücktritts dem Begriff der „Normbefolgungsbereitschaft" zu entnehmen (Walter, Der Rücktritt v o m Versuch, S. 40,55, 59 u. ö.). Der Tatentschluß des Rücktrittsbereiten stehe „wegen einer latent vorhandenen Normbefolgungsbereitschaft", die „ i n der Persönlichkeitsstruktur verankert u n d daher bereits i m Tatzeitpunkt latent vorhanden" sei (Walter, Der Rücktritt v o m Versuch, S. 29), „gewissermaßen auf tönernen Füßen". Der Tatentschluß des Rücktrittsbereiten erscheine als „weniger gefährlich als einer, der auf dem Sockel einer geradlinig normfeindlichen Sozialisation r u h t u n d darum n u r i m Wege rein situativer Anpassung erschüttert werden kann" (Walter, Der Rücktritt v o m Versuch, S. 29, 39). Strafbefreiend trete zurück, wer i n einer Situation, „die dem Rücktrittsbereiten noch die Perspekt i v e des vorsorgenden Verhaltens (eröffne)" (Walter, Der Rücktritt v o m Versuch, S. 47) („Bewährungssituation"), die i n der Versuchstat zu Tage getretene „intrapersonale K o l l i s i o n unterschiedlicher Sozialisationsinhalte . . . zu Gunsten normkonformer Inhalte" löse (Walter, Der Rücktritt v o m V e r such, S. 39, 64 u. ö.). Die Lösung Walters zerreißt n u n freilich die für das Rücktrittsprivileg des § 24 StGB spezifische Beziehung zwischen Versuchstat u n d Rücktritt, w e n n sie den Begriff der „Normbefolgungsbereitschaft" durch die „bange Frage" erläutert, „ob dieser Täter k ü n f t i g nicht doch wieder 127

I I . Die Strafrahmenwahl beim Versuch

131

G l e i c h also, ob d i e F r a g e n a c h d e r F r e i w i l l i g k e i t des R ü c k t r i t t s psychol o g i s i e r e n d oder n o r m a t i v gelöst w i r d , z w i s c h e n d e r „ s c h n e i d i g e n A n t i t h e s e " 1 2 9 v o n V e r s u c h , d e r n a c h d e m R e g e l s t r a f r a h m e n z u s t r a f e n ist, u n d S t r a f l o s i g k e i t als Folge eines f r e i w i l l i g e n R ü c k t r i t t s b l e i b e n g e n ü g e n d A b s t u f u n g e n , b e i d e n e n das A b s t e h e n v o m P l a n z w a r n i c h t als f r e i w i l l i g z u w e r t e n ist, d i e i h r e r sozialen B e d e u t u n g n a c h aber auch n i c h t aus d e m R e g e l s t r a f r a h m e n z u s t r a f e n sind. „(Es) b l e i b t eine U n sicherheitszone z w i s c h e n » f r e i w i l l i g e m 4 u n d » u n f r e i w i l l i g e m 4 R ü c k t r i t t . . . . D i e A l t e r n a t i v e : v ö l l i g e S t r a f l o s i g k e i t oder S t r a f b a r k e i t n a c h V e r suchsgrundsätzen ist z u k r a ß , z u s t a r r u n d d a m i t l e t z t l i c h u n g e r e c h t , w e n n n u r eine m e h r oder w e n i g e r a p p r o x i m a t i v e U m g r e n z u n g des Freiwilligkeitsbegriffs erreichbar i s t " 1 3 0 . straffällig werden muß" (Walter, Der R ü c k t r i t t v o m Versuch, S. 80), oder w e n n „auf die Sicherheit" abgestellt w i r d , die die „dominanten Uberzeugungs-Wert-Systeme" des Täters „ f ü r das Anliegen des Rechtsgüterschutzes" bieten (Walter, Der R ü c k t r i t t v o m Versuch, S. 80). Dann w i r d nämlich für die Strafbefreiimg beim Rücktritt nicht mehr danach gefragt, ob der Täter durch seinen Rücktritt den Schaden für die Normgeltung ausgeglichen hat. Es w i r d vielmehr, m i t Blick i n die Z u k u n f t , danach gefragt, ob v o n i h m k ü n f t i g w e i tere Rechtsgutsangriffe zu erwarten sind oder nicht. Damit aber ist nicht n u r der Boden des Tatstraf rechts verlassen; Walter bricht auch jede Brücke zwischen Tat u n d R ü c k t r i t t ab, da er verkennt, daß der R ü c k t r i t t den schuldhaften Verbrechensversuch u n d die nachfolgende Versuchsaufgabe oder E r folgshinderung auf der sozialen Ebene, als „Widerruf" des Versuchs u n d damit als Ausgleich des sozialen Schadens, den der Täter durch den Versuch anrichtete, verklammert. Diese Beziehung zwischen Versuchstat u n d Rücktritt löst der Ansatz Walters auf, da i n dieser Lösung nicht mehr der Ausgleich der Tat durch den Rücktritt i m B l i c k p u n k t steht, sondern der Täter als Garant k ü n f t i g e n normkonformen Verhaltens. W a r u m n u n noch der Durchbruch normkonformer Sozialisationsmuster gerade „ i n der Bewährungssituat i o n . . . reaktiv, d. h. als A n t w o r t auf das vorherige Verhalten" (Walter, Der R ü c k t r i t t v o m Versuch, S. 102) erfolgen muß, ist dem Ansatz nicht mehr zu entnehmen: Der, der nach einem gescheiterten Diebstahl dem Opfer sein Vermögen als Ausgleich anbietet, bringt w o h l die Dominanz normkonformer Sozialisationsmuster zum Ausdruck. Die U m k e h r ist für das Geschehene aber gleichgültig, w e i l dadurch das gescheiterte Vorhaben nicht mehr revoziert werden k a n n (vgl. Jakobs, JuS 1980, S. 717). Die E r w a r t u n g künftigen W o h l verhaltens allein kann, beim unbeendeten Versuch, das schon Geschehene nicht mehr tilgen: „Es geht (beim strafbefreienden Rücktritt) nicht u m das Verlassen des Verbrechensweges, sondern es geht — i m B i l d — darum, das schon gegangene Stück Weg wieder zurückzugehen; denn der i m m e r h i n geschehene Versuch muß getilgt werden; bloßes Wohlverhalten pro futuro reicht nicht" (Jakobs, JuS 1980, S. 717). E i n letztes: Wenn Walter den Begriff der „Normbefolgungsbereitschaft" aus einer „Gesamtwertung" erschließen w i l l , „die das Zusammenspiel u n d die A u s w i r k u n g e n der Wertvorstellungen berücksichtigen muß" (Walter, Der Rücktritt v o m Versuch, S. 81), w i r d unter weitgehendem Verzicht auf jegliche Rechtssicherheit die Entscheidung darüber, ob e i n Rücktritt strafbefreiend w a r oder nicht, der u n m i t t e l baren Dezision aus der Anschauung des Einzelfalles überlassen. 129 Ulsenheimer, Grundfragen, S. 347. 180 Ulsenheimer, Grundfragen, S. 346 f. — Ulsenheimer (Grundfragen, S. 347) fordert deshalb, die gegenwärtige Ausgestaltung des Rücktrittsrechts durch eine „elastischere Regelung" zu ersetzen, die „entsprechend den fließenden Ubergängen der einzelnen Fallgestaltungen eine gleitende Skala bei *

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2. Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen.

D e r s

b) D i e S t r a f r a h m e n w a h l b e i m u n b e e n d e t e n Versuch; z u g l e i c h z u m fehlgeschlagenen V e r s u c h F ü r den, d e r v o n s e i n e m d e l i k t i s c h e n P l a n u n f r e i w i l l i g absteht ist eine S t r a f m i l d e r u n g angezeigt, w e n n sein A b s t e h e n d e r „ G r a u z o n e " zwischen F r e i w i l l i g k e i t u n d U n f r e i w i l l i g k e i t z u g e h ö r t . E i n e S t r a f m i l d e r u n g , die, i n entsprechender A n w e n d u n g des § 23 A b s . 3 S t G B , b i s z u einem Absehen v o n Strafe reichen kann. K e i n e S t r a f m i l d e r u n g v e r d i e n t aber, w e r d e n V e r s u c h f ü r u n b e e n d e t u n d schon f ü r fehlgeschlag e n h ä l t : m a n g e l s e i n e r a n d e r e n A l t e r n a t i v e scheidet h i e r schon die T a t a u f g a b e aus. Z u m „fehlgeschlagenen V e r s u c h " 1 3 1 , f ü r d e n eine S t r a f m i l d e r u n g n i c h t i n B e t r a c h t k o m m t , g e h ö r e n zunächst die F a l l g e s t a l t u n g e n , i n der Strafzumessung" an die Stelle „der Antithese v o n Straflosigkeit u n d Strafbarkeit treten (läßt)"; vgl. zuvor schon Schröder, M D R 1956, S. 324; ders., H. Mayer-Festschrift, S. 381; Lang-Hinrichsen, Engisch-Festschrift, S. 372; Dreher, M D R 1967, S. 935; Eser, in: Schönke / Schröder 21 , § 24 Rdn. 82. 131 Z u m Begriff des fehlgeschlagenen Versuchs vgl. Blei, A T 1 7 , S. 216, für eine eher objektive Fassung: E i n Versuch sei fehlgeschlagen, w e n n die „Verhinderung der Vollendung" nicht „auf eine dahin zielende Tätigkeit des Täters" zurückgehe (vgl. auch Bockelmann, A T 3 , S. 211). — Eine Lösung, die freilich die Grenzen zum untauglichen Versuch verwischt, v o n dem der Täter jedenfalls solange zurücktreten kann, solange er noch an die Tauglichkeit seines Vorhabens glaubt (dazu Roxin, JuS 1981, S. 2). — Z u Recht auf den Täterplan abstellend Schmidhäuser, A T 2 , S. 627: Fehlgeschlagen sei der Versuch, „ w e n n der Täter zu der Meinung k o m m t , das Ziel dieses seines Handelns m i t den i h m zu dieser Zeit gegebenen Handlungsmöglichkeiten nicht (mehr) erreichen zu können". Vgl. auch Roxin, Heinitz-Festschrift, S. 253; ders., JuS 1981, S. 1 f. Die unterschiedlichen Begriffsbildungen eingehend darstellend: Gössel, ZStW 87, S. 3 ff.; Bottke, Strafrechtswissenschaftliche Methodik, S. 352 ff. — K r i t i k am Begriff des fehlgeschlagenen Versuchs haben Gössel, ZStW 87, S. 3 ff.; Maurach / Gössel, A T 2, S. 46 f. u n d Walter, Der Rücktritt v o m Versuch, S. 103 f., angemeldet. Gössel (Maurach / Gössel, A T 2, S. 46 f.) meint, „das Gesetz kennt keinen Begriff des fehlgeschlagenen V e r suchs"; es sei unzulässig, „ m i t Hilfe eines i m Gesetz nicht verwendeten Begriffs Strafbarkeit auch i n den Fällen eintreten (zu lassen), i n denen § 24 ausdrücklich Straflosigkeit gebietet". Dagegen hat Roxin, JuS 1981, S. 1, zu Recht geltend gemacht, dem positiven Recht sei der Begriff des fehlgeschlagenen Versuchs durchaus nicht fremd: Er sei i m Begriff der „Aufgabe" enthalten, da m a n „nach dem Sprachsinn des Wortes einen Versuch n u r dann (aufgeben könne), w e n n m a n i h n noch fortsetzen könnte". Der fehlgeschlagene Versuch „ist demnach ein Versuch, den m a n nicht weiterführen und daher auch nicht mehr aufgeben kann". — Walter, Der Rücktritt v o m V e r such, S. 102 ff., 104, rügt, die der „ F i g u r des fehlgeschlagenen Versuchs . . . innewohnende retrospektive Betrachtungsweise; bezeichnet w i r d das Fehlgeschlagene, der Fehlschlag n i m m t Bezug auf ein mißglücktes Streben, das i n der Vergangenheit liegt. Uns muß indessen die Zukunftsperspektive i n t e r essieren". Walter verliert m i t dieser Perspektive freilich das Spezifische des Rücktrittsprivilegs aus dem Blick: Der i m m e r h i n geschehene Versuch muß gegilgt, der soziale Schaden, den der Täter durch seine Versuchstat angerichtet hat, ausgeglichen werden. F ü r die Bedingungen aber, unter denen dem Täter aus dieser Sicht das Privileg des § 24 StGB zu Gute kommen kann, ist die „Zukunftsperspektive", i m System Walters also die E r w a r t u n g k ü n f t i gen Wohlverhaltens, unergiebig; vgl. dazu noch 2. T e i l 1. Abschnitt I I . B. 3. b.

I I . Die Strafrahmenwahl beim Versuch

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denen der Täter erkennt, daß der nach seiner Vorstellung von der Situation bei unterstellt „normalen" Verhältnissen gewöhnlich zur Tatbestandsverwirklichung taugliche Erfahrungssatz wegen der Inkongruenz seiner Vorstellungen mit der Wirklichkeit die Tatbestandsverwirklichung nicht mehr als Verwirklichung der von i h m beabsichtigten spezifischen Erfolgsbedingungen bringen kann 1 3 2 . Sei es, daß das Opfer entgegen der Vorstellung des Täters nicht anwesend ist: Der Wilderer, der angesetzt hat den Förster zu töten, erkennt, daß das, was er i m Dämmerlicht für den Förster hielt, nur ein Baumstumpf war. Sei es, daß der Täter erkennen muß, daß das Tatmittel für seine Zwecke nicht taugt: Der Arzt, der versucht, einen Patienten durch Gift zu töten, erfährt, der Patient sei gegen die Folgen des erfahrungsgemäß erfolgversprechenden Giftes wegen einer Impfung immun. Der Erfolg kann i n den Beispielen allenfalls noch als Verwirklichung eines „allgemeinen Lebensrisikos" eintreten: Der Patient erstickt an der Giftpille; der Förster stürzt, erschreckt durch den Schuß, von seinem Hochsitz und bricht sich das Genick, usw. Hierher gehören auch die Versuchsfälle, i n denen sich der Täter nicht mehr i n der Lage sieht zur Tatbestandsvollendung zu gelangen: Wer „bei einem Notzuchtversuch wegen Libidoverlustes den Geschlechtsverkehr nicht auszuüben i n der Lage ist"; wer „beim Einbruchsversuch nicht genügend Geschicklichkeit oder Kraft besitzt, die Tür aufzustemmen" 1 3 3 usw. Auch für den, dem es aus „rechtlichen Gründen" unmöglich wurde 1 3 4 , den Tatbestand zu verwirklichen, ist der Versuch fehlgeschlagen und eine Strafmilderung nicht angezeigt: Der Eigentümer gestattet dem beim Einbruch überraschten Dieb die Wegnahme usw. 1 3 5 . Auch das „schockbedingte Steckenbleiben einer Tat i m Versuchsstadium kann . . . nicht als »Aufgabe 4 der weiteren Ausführung gewertet werden" 1 3 6 . Dagegen hat Walter 137 von einem Ansatz her, der die normative Rücktrittslehre m i t spezialpräventivem Denken zu verbinden versucht, Bedenken angemeldet: Das „schockbedingte Aufhören 44 des Versuchstäters sei jedenfalls dann „privilegierbar", wenn der 132 Z u r „objektiven Unmöglichkeit" der Tat als G r u n d der „Tataufgabe" vgl. Ulsenheimer, Grundfragen, S. 318 ff. 133 Ulsenheimer, Grundfragen, S. 319. 134 Dazu Ulsenheimer, Grundfragen, S. 328; Roxin, JuS 1981, S. 3; vgl. auch Walter, Der R ü c k t r i t t v o m Versuch, S. 107, der danach unterscheidet, ob der Täter „die Umstände, welche die objektive Rechtmäßigkeit seines Tuns bedingen", kannte oder nicht: I m letzteren F a l l bleibe ein strafbefreiender Rücktritt möglich. 135 Vgl. dazu Roxin, Z S t W 77, S. 98; ders. f Heinitz-Festschrift, S. 259. 136 Ulsenheimer, Grundfragen, S. 331. 137 Walter, Der Rücktritt v o m Versuch, S. 98 f., 130.

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2. Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen.

D e r s

„Schock . . . Ausdruck einer hinreichenden Normbefolgungsbereitschaft" 1 3 8 war, da i h m „normkonforme Überzeugungswerte" 130 zu Grunde lagen. Und Bottke 140 meint, jedenfalls der Täter, der durch „schockbedingte innere Hemmungen" paralysiert sei, verdiene Straffreiheit, da der Schock auf eine „Persönlichkeitsstruktur schließen läßt, die sozialethisch wertvollen Verhaltensmustern zumindest nicht fremd gegenübersteht" 141 . Bei einem Täter, den das „Gewissen . . . so sehr drückt, daß er psychologisch' nicht mehr anders handeln konnte, als den Verbrechensentschluß »aufzugeben'", sei Strafe generalpräventiv nicht mehr angezeigt, da „der schlechte Eindruck korrigiert (sei), den der f r e i w i l l i g ' gefaßte und betätigte Tatentschluß begründete" 1 4 2 . Spezialpräventiv sei Strafe unangebracht, „da sie auf einen Täter, i n dem sozialethisch wertvolle Verhaltensregeln übermächtig wirksam sind, nicht sozialisationsfördernd, sondern eher desozialisierend w i r k e n kann"143. Den Argumentationen Walters und Bottkes ist zuzugeben, daß, spezialpräventiv gewendet, der Schock, den der Täter erlitt, i m Einzelfall Indiz dafür sein kann, daß aus der Sicht dieses Strafzweckes Strafe nicht mehr angezeigt ist, da künftiges Wohlverhalten zu erwarten steht. M i t der spezialpräventiven Perspektive ist aber das Sfra/rechtliche der Entlastung des Rücktrittsbereiten aus dem Blick geraten: Die Lösung erweist sich als Produkt polizeilich-präventiven Denkens, die, mit Blick i n die Zukunft, von den Bedingungen der Optimierung des Güterschutzes her, die Entlastung des Täters zu bestimmen versucht. Das spezifisch Strafrechtliche des Rücktrittsprivilegs ist damit freilich noch nicht ausgemacht: Ob nämlich, m i t zurückgewendetem Blick, durch das Aufhören allein schon der durch die Versuchstat angerichtete soziale Schaden ausgeglichen wurde; denn das Geschehene w i r d durch die Erwartung künftigen Wohlverhaltens allein nicht getilgt 1 4 4 . Auch die generalpräventive Argumentation Bottkes ist insoweit unschlüssig: Das Aufhören allein macht das Geschehene nicht ungeschehen. Der Ansatz Bottkes mag erklären, daß der Täter bei einem schockbedingten Aufhören, beim unbeendeten Versuch, vor weiterer Haftung bewahrt bleibt. Er erklärt aber nicht, wieso die schon begründete Haftung wieder erlischt: Der „schlechte Eindruck" 1 4 5 , der soziale Schaden, 138 139 140 141 142 143 144 145

Walter, Der Rücktritt v o m Versuch, Walter, Der R ü c k t r i t t v o m Versuch, Bottke, Strafrechtswissenschaftliche Bottke, Strafrechtswissenschaftliche Bottke, Strafrechtswissenschaftliche Bottke, Strafrechtswissenschaftliche Vgl. dazu schon 2. Teil, 1. Abschnitt, Bottke, Strafrechtswissenschaftliche

S. 99. S. 99. Methodik, Methodik, Methodik, Methodik, Fn. 128. Methodik,

S. S. S. S.

356 ff. 356. 359. 359.

S. 359.

I I . Die Strafrahmenwahl beim Versuch

135

der durch die Versuchstat entstand, w i r d nicht allein dadurch getilgt, daß es der Täter unterläßt, auf das Geschehene Schlechte weiter Schlechtes aufzuhäufen. Strafe jedenfalls bleibt generalpräventiv angezeigt. Mag auch, wie Walter und Bottke meinen, i m Einzelfall ein „schockbedingtes Aufhören" mit der Versuchstat „verdienstlich" sein, so braucht doch nicht alles Verdienstliche schon straffrei zu machen. Das zeigt schon das Nachtatverhalten des § 46 Abs. 2 StGB letzte Gruppe. Auch wenn kriminalpolitisch ein Interesse am Unterbleiben von Delikten besteht, trägt allein dieses Interesse das Ergebnis der Straffreiheit nicht: Die Erwartung künftigen Wohlverhaltens hindert nicht, dem Täter das zuzurechnen, was er an Deliktischem bereits verwirklicht hat. Der Täter eines qualifizierten Versuchs haftet für das Vollendete, auch wenn i h n ein i n „normkonformen Überzeugungswerten" 146 fundierter Schock an der Verwirklichung des weiter Geplanten hinderte. Ganz entsprechend hat auch der, der schockbedingt aufhören mußte, bevor er vollendet Deliktisches produzieren konnte, für das zu haften, was er bereits anrichtete. Freilich bleibt hier i m Einzelfall trotz des Fehlschlages eine Strafrahmenänderung nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB dann diskutabel, wenn das schockbedingte Aufhören schon rücktrittsähnlich war. Der Bereich, für den Strafmilderung nach § 23 Abs. 2 StGB wegen eines „Fehlschlages" der geplanten Tat ausscheidet, darf freilich nicht allein an die Möglichkeit der „formellen" Tatbestandsverwirklichung gebunden werden. Bei den Tatbeständen mit sog. „überschießenden Innentendenzen", bei denen der Täter m i t einer über den objektiven Tatbestand hinausgreifenden Absicht gehandelt haben muß, wie z. B. bei den kupierten Erfolgsdelikten (§§ 242, 263 StGB) oder den „verkümmert zweiaktigen" Delikten (z. B. § 267 Abs. 1 1. A l t . StGB) 1 4 7 oder bei den Dauerdelikten 1 4 8 , ist Strafmilderung auch dann nicht angezeigt, wenn der Täter zwar noch meint, die tatbestandsmäßige Handlung vollziehen zu können, er den Versuch insoweit also für unbeendet, aber tauglich hält, die materielle Beendigung aber nach seiner Vorstellung schon fehlgeschlagen ist: Der Dieb, der beim Diebstahl überrascht, die Sache noch wegnehmen, die Beute aber nicht mehr bergen oder sicherstellen kann und der deshalb von der Wegnahme absieht, verdient so wenig eine Strafmilderung, wie der Fälscher, der die Schecks einer bestimmten Bank zu fälschen versucht und von dem 146

Walter, Der R ü c k t r i t t v o m Versuch, S. 99. Vgl. dazu Hau, Die Beendigung der Straftat, S. 107; Kühl, gung des vorsätzlichen Begehungsdelikts, S. 104. 148 Vgl. dazu Jescheck, Welzel-Festschrift, S. 687 f. 147

Die Beendi-

136

2. Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen.

D e r s

Versuch absteht, weil die Schecks nach dem Konkurs dieser Bank „zur Täuschung i m Rechtsverkehr" untauglich wurden. Hier ist das Vorhaben des Täters „genau so gescheitert, wie wenn es i n einem früheren Stadium stecken b l e i b t " 1 4 9 . Freiwillig ist dagegen der Rücktritt, wenn der Fälscher die Schecks zur Finanzierung eines Urlaubes zu fälschen versucht und den Plan preisgibt, weil er wegen eines Beinbruchs den Urlaub nicht mehr antreten kann. Freiwillig t r i t t auch der Dieb zurück, der für seine Verlobung einen Ring stehlen w i l l , von der noch möglichen Wegnahme aber absieht, weil er erfährt, daß sich die Braut entlobt hat: Hier ist wegen des Wegfalls des Tatmotives allein die geplante Tat nicht fehlgeschlagen und der Rücktritt freiwillig. Ist nämlich die Tat i n der Planung des Täters regelmäßig nur Mittel zu anderen Zwecken, Baustein i n einem Gesamtplan, können wegen der strafrechtlichen Irrelevanz dieses Gesamtplanes, auch nicht Änderungen zu Gunsten oder zu Lasten des Täters i n diesem Bereich allein den Fehlschlag der geplanten Tat begründen. Für den, der beschließt, seinen Erbonkel zu töten, u m mit Hilfe des Erbes seine Schulden zu tilgen, eine Weltreise zu unternehmen etc., ist der Versuch nicht fehlgeschlagen, wenn er den Plan preisgibt, weil er erfährt, daß der Gläubiger i h m die Schulden erlassen hat, oder weil er eine Weltreise i n einem Preisausschreiben gewann; und auch für die Schwangere, die sich aus Sorge u m die Zukunft ihres Kindes zur Abtreibung entschließt und dann erfährt, daß der Schwängerer bereit ist, Unterhalt für das K i n d zu zahlen, und die deshalb von dem Schwangerschaftsabbruch absieht 1 5 0 , ist das Vorhaben nicht fehlgeschlagen. Verallgemeinert: Die These, „der Rücktritt (sei) auch dann (unfreiwillig), wenn das maßgebliche Tatmotiv weggefallen i s t " 1 5 1 , ist i n dieser allgemeinen Fassung nicht zutreffend. Beispielhaft: Für den, der seinen Erbonkel des Geldes wegen tötet, weil er meint, Geld mache glücklich, ist das Unsinnige des Motivs für die Mordstrafe gleichgültig, da er ja immerhin aus „Habgier" getötet hat. Steht er aber von dem tödlichen Schuß ab, weil i h m das Unsinnige seines Motivs aufgegangen ist, scheidet wegen des Wegfalls des wesentlichen Tatmotivs allein ein freiwilli149 Roxin, Heinitz-Festschrift, S. 254; ders., K r i m i n a l p o l i t i k 2 , S. 37; i m Ergebnis auch Bottke, Strafrechtswissenschaftliche Methodik, S. 511, der ausführt, Strafe sei i n Fällen dieser A r t präventiv angezeigt, da der Täter „das schlechte Beispiel, das er durch seinen Versuch gab, nicht k o r r i g i e r t (habe)"; sein „ r i s i k o - u n d feindbildgerechtes Verhalten" deute auf einen ,typischen* K r i m i n e l l e n h i n , der sich der V e r a n t w o r t i m g für seine Tat zu entziehen versucht u n d (re-)sozialisierender Strafe bedarf". 150 RG L Z , 1915, Sp. 302 f. 151 Eser, in: Schönke / Schröder 21 , § 24 Rdn. 47; ebenso Bottke, Strafrechtswissenschaftliche Methodik, S. 525 ff.; anders aber Ulsenheimer, Grundfragen, S. 343 f.

I I . Die Strafrahmenwahl beim Versuch

137

ger Rücktritt noch nicht aus. Das individuelle Erleben des Täters 1 5 2 , seine Zwecke, Motive usw. sind für die Frage, ob der Versuch fehlgeschlagen oder der Rücktritt unfreiwillig war, nur soweit relevant, als sie sich i n die strafrechtliche Ebene des Abstrakt-Sozialen transportieren lassen. Ob der Versuch fehlgeschlagen oder der Rücktritt unfreiw i l l i g war, kann mit der Frage, ob die Zwecksetzungen des Täters weggefallen waren oder nicht, schon deshalb nicht gleichgesetzt werden, weil schon die gesetzliche Ebene so abstrahiert, daß das individuelle Erleben des Täters ausgeblendet bleibt. Die Grenze ist erst erreicht, wenn das individuelle Erleben des Täters auf die abstrakt soziale Ebene des Strafgesetzes transponierbar ist: „Je mehr also dieser Zweck vom Unrechtstatbestand erfaßt w i r d und das Handlungsziel tangiert, desto eher führt der Zweckverlust zum fehlgeschlagenen Versuch". Für den, der versucht den Erbonkel seines Geldes wegen zu töten, bleibt „die Tötung — auch des verschuldeten — Erbonkels . . . möglich, aber nicht mehr ,aus Habgier' (s. § 211 Abs. 2 StGB). . . . Die Wende zum fehlgeschlagenen Versuch (wird) i n (folgendem) Beispielsfall 1 5 3 (noch klarer): Der Geldfälscher merkt während seiner Manipulationen, daß das herzustellende Geld inzwischen außer Kurs gesetzt worden ist. Da i m Falle des § 146 Abs. 1 Nr. 1 StGB die Absicht, das gefälschte oder verfälschte als gültiges (oder wenigstens gegen gültiges Geld eintauschbares) Geld dem Zahlungsverkehr zuzuführen oder das wenigstens zu ermöglichen, eindeutig zum subjektiven Unrechtstatbestand gehört, . . . sind hier die Manipulationen des Fälschers fehlgeschlagen. Die Münzen oder Scheine können zwar noch hergestellt werden, aber nicht mehr als (unechtes) Zahlungmittel" 1 5 4 . Zweifelsfälle bleiben; und sie bleiben i n Fallgestaltungen, i n denen Veränderungen i m Umfeld der geplanten Tat den durch die Tat erstrebten Nutzen ersetzen: Bei dem der zur Begleichung seiner Schulden zu betrügen oder zu stehlen versucht, aber von dem Plan absteht, w e i l er von einer Erbschaft oder einem Lotteriegewinn erfährt, die i h m erlauben, alle Außenstände zu begleichen, mag für ein psychologisierendes Verständnis ein freiwilliges „Abstehen" vom Vorhaben zu bejahen sein. Für eine normative Deutung ist das nicht zweifelsfrei: Für eine streng auf den Täterplan abstellende Beurteilung des Fehlschlages spricht in diesen Fällen immerhin, daß es dem Täter ja freisteht, ob er die Erbschaft oder den Gewinn für die Zwecke verwenden w i l l , für die die Diebstahlsbeute gedacht war. Gegen ein Fehlschlagen des Planes spricht aber entscheidend die Kumulierbarkeit der i n beliebigen Zweckzusammenhängen verwendbaren Beträge für den Täter. Die Be152 v g l zum folgenden Jakobs, Handlungsanalyse, S. 2. 153 154

Beispiel nach Schönke / Schröder 17 f § 46 Rdn. 25 a. Walter, Der R ü c k t r i t t v o m Versuch, S. 105 f.

138

2. Teil. . Abschnitt. Strafmilderungen.

D e r s

u r t e i l u n g ist anders, w e n n d i e K u m u l i e r u n g f ü r d e n T ä t e r n u t z l o s ist u n d er deshalb a u f

die w e i t e r

mögliche

Tatbestandsverwirklichung

v e r z i c h t e t : W e r eine N o t z u c h t versucht, aber v o n d e r F r a u abläßt, w e i l sie i h m nach e i n e r

„ k u r z e n Ruhepause"

die f r e i w i l l i g e

Hingabe

in

A u s s i c h t s t e l l t 1 5 5 , begeht e i n e n fehlgeschlagenen V e r s u c h 1 5 6 . Fehlgeschlagen ist d e r V e r s u c h auch, w e n n z w a r d i e Zwecke, die d e r T ä t e r d u r c h d i e T a t als M i t t e l v e r f o l g t , f ü r i h n noch e r r e i c h b a r sind, die noch m ö g l i c h e T a t b e s t a n d s v e r w i r k l i c h u n g aber als B a u s t e i n i n d e r G e s a m t p l a n u n g des T ä t e r s n u t z l o s i s t 1 5 7 : G e m e i n t s i n d die F ä l l e eines I r r t u m s oder e i n e r V e r w e c h s e l u n g des A n g r i f f s o b j e k t s oder e i n e r Ä n d e r u n g d e r B e g l e i t u m s t ä n d e . B e i s p i e l h a f t : F ü r den, d e r sich entschlossen h a t , d e n E r b o n k e l z u t ö t e n , v o n d e m Schuß, z u d e m er angesetzt h a t , aber absieht, w e i l er e r k e n n t , daß der, a u f d e n e r anlegte, n i c h t d e r E r b o n k e l , s o n d e r n e i n b e l i e b i g e r a n d e r e r ist, ist d e r V e r s u c h f e h l geschlagen u n d er v e r d i e n t so w e n i g eine S t r a f m i l d e r u n g w i e d e r D i e b , d e r i m A u f t r a g eines H e h l e r s D i a m a n t e n z u s t e h l e n v e r s u c h t , aber n u r R u b i n e v o r f i n d e t 1 5 8 , o d e r w i e der, d e r die T a t als h e i m l i c h e p l a n t , w e i l sie i h m n u r u n e n t d e c k t N u t z e n v e r s p r i c h t , u n d absteht, w e i l er sich entdeckt g l a u b t 1 5 9 . 155

Vgl. BGHSt. 7, S. 296 ff. Vgl. auch BGHSt. 9, S. 48 ff., u n d die Beispiele bei Roxin, Heinitz-Festschrift, S. 258 f., 260 ff., der freilich übersieht, daß die „geschmeidige deliktskonforme" Anpassung an die Situation (in den genannten Fällen, i. S. einer Planaufgabe) auch nach den Regeln der „Verbrecherzunft" bei einer Ä n d e r u n g der Situation zu Gunsten des Täters n u r dann offensichtlich „vernünft i g " ist, w e n n die positive Situationsveränderung den geplanten Deliktserfolg so ersetzt (oder zu ersetzen scheint: die Frau spielt i h m ihre Bereitschaft zur Hingabe n u r v o r etc.), daß die K u m u l i e r u n g des nicht deliktisch Erreichbaren m i t dem durch die Tatbestandsverwirklichung Erreichbaren für den Täter nicht mehr sinnvoll ist. — Wieder anders Walter, Der R ü c k t r i t t v o m Versuch, S. 95 f., der zu dem Ergebnis gelangt, „eine Privilegierung des Rückt r i t t s scheidet . . . stets aus, w e n n sich der Täter i h m entgegenkommende Umstände pragmatisch zunutze macht, ohne zu der die Versuchstat tragenden Überzeugung i n Distanz zu gehen"; zur K r i t i k vgl. 2. T e i l 1. Abschnitt, Fn. 128. Anders Busch, in: L K 9 , § 46 Rdn. 24 ff.; Maurach, A T 4 , S. 521; Oehler, JZ 1953, S. 561 f., die dem Täter den strafbefreienden R ü c k t r i t t mangels Freiw i l l i g k e i t versagen. — „Tataufgabe" verneinen schon Roxin, Heinitz-Festschrift, S. 254 A n m . 12; Jescheck, A T 3 , S. 440; Ulsenheimer, Grundfragen, S. 322; Rudolphi, i n : SK StGB 3 , § 24 Rdn. 8 f. iss v g l . auch die Beispiele bei Ulsenheimer, Grundfragen, S. 321 u n d Roxin, JuS 1981, S. 3 ff.; dort auch zu den Fällen eines „Quantitätsirrtums". — Roxin meint, i n Fällen, i n denen der Täter „eine geringere Beute vorfindet, als er angenommen hatte", liege ein Fehlschlag w o h l noch nicht allein deshalb vor, „ w e i l das Vorgefundene h i n t e r den Wünschen des Täters zurückb l e i b t " ; es komme „vielmehr . . . darauf an, ob der Täterplan auf eine bestimmte Größenordnung der Beute f i x i e r t w a r " ; Roxin, JuS 1981, S. 4. 156

159 Anders aber i n den Fällen der Entdeckung, w e n n nach dem Plan des Täters die Heimlichkeit für den Erfolg der geplanten Tat gleichgültig ist, w e n n er die Entdeckung durch bestimmte Personen einplant, oder w e n n er

I I . Die Strafrahmenwahl beim Versuch

139

Roxin m meint nun freilich, auf die „Beobachtungsfälle" gemünzt, die „Modalitäten der Ausführung (seien) zwar Begleitumstände auf dem Wege zum Ziel und als solche Bestandteil des Planes, nicht aber das Ziel . . . , dessen Nichterreichbarkeit für den Täter allein den Fehlschlag seines Versuchs begründen kann". Dies ergebe sich schon aus dem Gesetz selbst, das neben dem fehlgeschlagenen Versuch auch den unfreiwilligen Rücktritt vom Versuch kenne: Wolle man nämlich anders entscheiden, und mit Ulsenheimer 161 einen Fehlschlag auch annehmen, wenn der Täter „keine Chance mehr (sah), seinem Ziel durch Fortführung seines Tatkonzepts näher zu kommen", „wäre praktisch jeder Fall des unfreiwilligen Rücktritts ein fehlgeschlagener Versuch, weil die Unfreiwilligkeit des Rücktritts allemal darauf beruht, daß bestimmte Modalitäten des Geschehens sich verändert haben und dem Täter ein Abstandnehmen von seinem Plan geraten erscheinen lassen" 1 6 2 . Auch die Unterscheidung Ulsenheimers 163 zwischen Fällen „modaler Unmöglichkeit", die einen Fehlschlag begründe, und „ i m Regelfall völlig selbstverständlichen Voraussetzungen einer Straftat", „unreflektierte Erwägungen, allgemeinen Vorstellungen und Hoffnungen", die keine Bestandteile des Tatplanes seien, sei nicht praktikabel: Die Lösung Ulsenheimers leide daran, daß sie versuche, i n ein Kontinuum mehr oder weniger spezifizierter Tatpläne und mehr oder weniger weit vom Tatplan abweichender und i h n modifizierender Begleitumstände qualitative Schritte zu legen 1 6 4 . Roxin hat Recht, wenn er meint, nicht schon jede Abweichung der tatsächlichen von der vorgestellten Tatsituation könne einen Fehlschlag der geplanten Tat begründen: Wer hofft, er könne bei Sonnenschein delinquieren, für den ist der Versuch noch nicht fehlgeschlagen, wenn es regnet. Roxin übersieht aber, daß die „Begleitumstände auf dem Weg zum Ziel" von der Erreichbarkeit oder Nichterreichbarkeit des Ziels trotz einer Änderung der Begleitumstände nicht stets sauber geschieden werden können. Die Bedingungen der Zielverwirklichung sind i n der Handlungssituation regelmäßig ununterscheidbar komplex: v o n denen, die i h n p l a n w i d r i g entdeckten, keine Hinderung der Tatbestandsverwirklichung oder das Einleiten der Strafverfolgung befürchten zu müssen glaubt: Der Rücktritt scheitert wegen eines Fehlschlages jedenfalls noch nicht am „Abstehen" v o n der Tatbestandsverwirklichung. Eingehend darstellend Ulsenheimer, Grundfragen, S. 325 ff.; Walter, Der Rücktritt v o m Versuch, S. 83 f., 85, 89; Bottke, Strafrechtswissenschaftliche Methodik, S. 504 ff. 160 Roxin, JuS 1981, S. 5, unter Hinweis auf Schmidhäuser, A T 2 , S. 629 f. 161 Ulsenheimer, Grundfragen, S. 322 f. 162 Roxin, JuS 1981, S. 5. 168 Ulsenheimer, Grundfragen, S. 325 f. 164 Roxin, JuS 1981, S. 6.

140

2. Teil. . Abschnitt. Strafmilderungen.

D e r s

Ist für den der Versuch fehlgeschlagen, der einen anderen durch einen Pfeilschuß töten w i l l , aber absteht, weil ein plötzlicher W i n d einen sicheren Schuß unmöglich macht? Oder: Ist der Versuch fehlgeschlagen für den, der einen anderen durch Gift zu töten versucht, aber von seinem Plan absteht, weil er erfährt, daß der andere gegen die Folgen des Giftes immun ist oder ein wirksames Gegenmittel dabei hat? — Konstituiert allein die Individualität des Opfers das „Ziel" oder auch die körperliche Verfassung; ist die Möglichkeit sicheren Zielens Begleitumstand oder für die „Nichterreichbarkeit des Ziels" konstitutiv; denn unmöglich geworden ist die Erreichbarkeit des Ziels auf dem geplanten Weg allemal. Daß die Begleitumstände auf dem Weg zum Ziel nicht sauber von den Bedingungen der Zielerreichung unterschieden werden können, zeigt sich deutlich auch i n Fällen, i n denen die geplanten Modalitäten der Tatbestandsverwirklichung schon m i t dem „Ziel", wie es Roxin meint, zusammenfallen: Für den, der aus Mordlust tötet, ist die Tötung stets Beweggrund, und nicht selten, wie bei einer geplanten rituellen Tötung, auch die Tötungshandlung; weichen die Modalitäten der Ausführung hier vom Plan ab, ist der Versuch fehlgeschlagen. So kann nicht unterschieden werden; und so braucht auch nicht unterschieden zu werden. Denn das Ergebnis, eine Änderung der „Begleitumstände" könne nie einen Fehlschlag begründen, ist i m Lösungsansatz Roxins nicht angelegt. Der Satz, erst die „Nichterreichbarkeit des Ziels" begründe einen Fehlschlag, ist nur plausibel, weil Roxin als „Ziel" nicht allein die Tatbestandsverwirklichung nimmt, sondern den aus dem Konzept des Täters erschlossenen Beweggrund zur Tat: Der Versuchstäter w i r d i n das die geplante Tat fundierende Konzept hinein verlängert, das Motiv, die noch mögliche und vielleicht auch wie geplant durchführbare Tatbestandsverwirklichung zu vollziehen, zu einem „unvernünftigen" Motiv ergänzt und der Versuch deshalb als fehlgeschlagen definiert. Beispielhaft: Zu den „Irrtumsfällen" heißt es, der auf die Tatausführung gerichtete Plan des Täters werde auch „durch die Identität des Opfers konstituiert, soweit es dem Handelnden auf dessen konkrete Person ankommt" 1 6 5 . Zum „Quantitätsirrtum": „Ein geringerer Betrag hatte für den Täter (der für eine von i h m angestrebte Vertreterlaufbahn ein Anfangskapital von „etwa 300 D M " benötigte 166 ) ,keinen Zweck 4 " 1 6 7 ; und für die, die ein „Gazefenster" stehlen wollten, sei der Versuch fehlgeschlagen, nachdem sie das Fen-

165 166

167

Roxin, JuS 1981, S. 3. Bsp. nach BGHSt. 4, S. 56 ff.

Roxin, JuS 1981, S. 4.

I I . Die Strafrahmenwahl beim Versuch

141

ster „ i m Verlaufe der Wegnahme aus Ungeschicklichkeit so beschädigten, daß (es) wertlos oder doch für ihre Zwecke unbrauchbar (wurde)" 1 6 8 . So kann nun aber auch i n den „Beobachtungsfällen" unterschieden werden: Der Satz, eine Änderung der „Begleitumstände" allein könne nie einen Fehlschlag begründen, „weil das Ziel . . . erreichbar geblieben" sei 1 6 9 , ist auf dem Hintergrund des Lösungsansatzes Roxins nur verständlich, wenn das, was als „Ziel" zu gelten hat, i n diesen Fällen systemwidrig auf die trotz der Entdeckung noch mögliche Tatbestandsverwirklichung verkürzt wird. Das Ergebnis ist dem Ansatz Roxins aber dann nicht mehr zu entnehmen, legt man auch i n den „Beobachtungsfällen" den weiteren „Ziel"-Begriff zu Grunde, den Roxin sonst für die Bestimmung des Fehlschlags verwendet: Auch bei den „Beobachtungsfällen" sind Gestaltungen denkbar, bei denen die Heimlichkeit „ein essentielles Element des Tatplans w a r " 1 7 0 , so daß die Tat nach Maßgabe des Tatplans für die Zwecke des Täters m i t der Entdeckung nutzlos wurde. Auch eine Änderung der „Begleitumstände" kann i m Einzelfall einen Fehlschlag begründen. Freilich bleibt als Grenzfall der von Ulsenheimer 171 dem fehlgeschlagenen Versuch vorbehaltene Fall, „wo der Täter von einem detaillierten Plan ausgegangen ist, i n dem die Einzelheiten für die Erfolgsherbeiführung spezifische Bedeutung haben, . . . , wo also der Täter sich bewußt selbst gebunden hat", wenn der Täter nun von der Tatbestandsverwirklichung i m Bewußtsein anderer, erfolgsgeeigneter Handlungsalternativen absteht, weil er meint, er könne seinen ursprünglichen Tatplan nicht mehr verwirklichen. Für die Beurteilung dieses Falles müssen die gleichen Regeln gelten, die für Fallgestaltungen entwickelt wurden, i n denen der Täter einen nach seiner Vorstellung erfolgsgeeigneten A k t vollzogen hat und nach dem Scheitern andere, seiner Vorstellung nach erfolgsgeeignete Mittel nicht nutzte: Wer hier für eine „Gesamtbetrachtung" meint, der Vollzug sei nicht als fehlgeschlagener sondern als unbeendeter Versuch zu werten, kann auch keinen Fehlschlag annehmen, wenn es dem Täter schon unmöglich wurde, das als erfolgsgeeignet Geplante zu vollziehen 1 7 2 . Wer freilich für eine „Einzelbetrachtung" meint, mit dem Vollzug des der Vorstellung des Täters nach Erfolgsgeeigneten sei der Versuch fehlgeschlagen, w i r d auch einen Fehlschlag annehmen, wenn der beschränkt planende Täter das Geplante unterläßt, weil er es wegen einer Änderung der Situation nun nicht mehr für erfolgstauglich 168 169 170 171 172

Roxin, JuS 1981, S. 5; Bsp. nach RGSt. 45, S. 6 ff. Roxin, JuS 1981, S. 5. Roxin, JuS 1981, S. 5. Ulsenheimer, Grundfragen, S. 326. So Roxin, JuS 1981, S. 6.

142

2. Teil. . Abschnitt. Strafmilderungen.

D e r s

h ä l t 1 7 3 . Wobei freilich i n diesen Fällen wegen des Fehlschlags allein auch für eine „Einzelbetrachtung" die Anwendung des Regelstrafrahmens noch nicht festzustehen braucht: Eine Strafrahmenänderung nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB kann i m Einzelfall diskutabel sein, wenn das Nicht-Nutzen anderer Möglichkeiten schon als ein rücktrittsähnliches Verhalten zu werten ist. Für eine Abstufung nach Graden der Strafwürdigkeit kann hier nach den Gründen der „Selbstbindung" des Täters unterschieden werden: Für den, der plante, einen anderen auf einem bestimmten Weg zu töten, weil er dem Opfer Leiden ersparen wollte, und der nun ein anderes, aber für das Opfer qualvolleres Mittel nicht nutzt, ist der Versuch fehlgeschlagen, aber eine Strafmilderung noch angezeigt; für den aber, der sich für einen Betrug auf eine bestimmte A r t der Täuschung festlegte, weil er sich davon eine besondere Bloßstellung des Opfers erhoffte, und der einen anderen gangbaren Weg der Täuschung nicht geht, da auf diesem Weg die Blamage des Opfers nicht zu erreichen ist, ist der Versuch fehlgeschlagen, und eine Strafmilderung nicht angezeigt. c) Die Strafrahmenwahl beim beendeten Versuch Hält der Täter eines beendeten Versuchs den Versuch für beendet und war der Versuch auch tauglich beendet, erlangt er Straffreiheit durch freiwilliges Verhindern des Erfolgseintrittes (§ 24 Abs. 1 Satz 1 2. A l t . StGB). Eine Strafmilderung ist dann diskutabel für den, der freiwillig seinen Plan preisgibt, den Erfolg aber nur versehentlich hindert; oder für den, der sich entdeckt glaubt und deshalb unfreiwillig zurücktritt, aber maßgeblichen Anteil an der Rettung des Opfers hatte; oder für den, der den Erfolg hindert, seinen Plan aber nur aus Gründen nahe der Freiwilligkeit preisgab. Wer den Versuch für tauglich beendet hält, während der Versuch i n Wahrheit fehlgeschlagen ist, erlangt Straffreiheit, wenn er seinen Plan freiwillig preisgibt und sich ernstlich 1 7 4 u m die Hinderung des Erfolges bemüht (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB). Und eine Strafmilderung ist i n diesen Fällen immerhin noch angezeigt für den, der seinen Plan aus Gründen preisgibt, die der „Grauzone" zwischen Freiwilligkeit und Unfreiwilligkeit zugehören, wenn er sich ernstlich u m die „Erfolgsabwendung" bemüht und für den, der seinen Deliktsplan wohl freiwillig preisgibt und sich u m die Hinderung des Erfolges bemüht, wenn sein Bemühen aber noch nicht ernstlich war. Eine Strafmilderung ist i n den Fällen der fast schon freiwilligen Preisgabe des Planes oder des freiwilligen Abstehens bei noch nicht 173 174

So Ulsenheimer, Grundfragen, S. 325 f. Z u m Begriff Rudolphi, in: S K - S t G B 2 , § 24 Rdn. 30, m. w . N.

I I . Die Strafrahmenwahl beim Versuch

143

ganz ernstlichem Bemühen u m Erfolgsabwendung möglich, weil Freiwilligkeit und Ernstlichkeit quantifizierbare Begriffe mit einem Bereich quantitativ bestimmbarer Rücktrittsähnlichkeit sind 1 7 5 . Etwas anderes gilt aber i n den Fällen, i n denen der Täter den i n Wahrheit fehlgeschlagenen Versuch für beendet hält und von seinem Plan freiw i l l i g absteht und auch ansetzt, dem Opfer Hilfe zu bringen, weitere und nach seiner Vorstellung auch erforderliche Hilfe aber unterläßt, nachdem das zunächst gebrauchte Mittel versagte. Der Täter verdient bei dieser Lage so wenig Strafmilderung wie der, der eine freiwillig begonnene Hilfeleistung wieder abbricht. Denn die abgebrochene Erfolgshinderung ist nicht mehr als keine Erfolgshinderung. So wie auch ein abgebrochener Versuch keine Haftung auslöst, kann auch ein abgebrochener Rettungsversuch nicht — partiell — von Haftung freistellen. Keine Strafmilderung verdient auch der Täter, der den Versuch für beendet untauglich hält, wenn der Versuch i n Wahrheit fehlgeschlagen ist und der Täter nichts zur „Erfolgsabwendung" unternimmt und der, der den Versuch für beendet, aber fehlgeschlagen hält. Für Vollendung haftet, wer den Versuch für beendet fehlgeschlagen hält, während der Versuch aber beendet und tauglich war; und auch der haftet für eine vollendete Tat, der nach einem tauglich beendeten Versuch erfolglos Rettungsmaßnahmen einleitete, wenn sich der Erfolg trotz der eingeleiteten Maßnahmen als Folge der vom Täter gesetzten spezifischen Erfolgsbedingungen verwirklicht: Wer versucht, das angeschossene Opfer m i t seinem Pkw ins Krankenhaus zu transportieren, aber i n einem Verkehrsstau steckenbleibt, so daß das Opfer wegen der Verzögerung an der Schußverletzung stirbt. — Das „Erfolgsrisiko" versuchter Rettungsmaßnahmen liegt nach der Gestaltung des positiven Rechts beim Täter. Er haftet dagegen nicht wegen vorsäztlicher Vollendung, wenn das Opfer auf der Fahrt ins Krankenhaus bei einem Verkehrsunfall zu Tode kommt: Der Erfolg verwirklicht sich als Folge eines A l i u d an Bedingungen, als „allgemeines Lebensrisiko", und der Täter erlangt Straffreiheit nach § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB. Daß hier für den Täter trotz der Tatvollendung ein Rücktritt nach § 24 StGB möglich bleibt 1 7 6 , durchbricht nicht die Regel, Rücktritt sei nur bei fehlender Vollendung möglich. Der Täter haftet nur für einen Versuch, weil i h m der Erfolgseintritt schon nach allgemeinen Regeln nicht zurechenbar ist 1 7 7 . Grenzfälle bleiben i n Fallgestaltungen, i n denen sich i m Erfolgseint r i t t die vom Täter gesetzte spezifische Erfolgsgefahr verwirklicht, der 175 17f t

Vgl. schon 2. T e i l 1. Abschnitt I I . B. 3. a. Vgl. auch 2. T e i l 1. Abschnitt I I . B. 3. a., zu § 24 Abs. 1 Satz 1 1. A l t .

StGB. 177

Zutreffend Ulsenheimer,

Grundfragen, S. 100, 102.

144

2. Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen.

D e r s

Erfolg aber nur eintreten konnte, weil das Opfer die vom Täter angebotene Hilfe nicht annahm oder die Bemühungen des Täters u m die Erfolgsverhinderung positiv störte 1 7 8 . Otto w i l l den Täter von der Versuchshaftüng freistellen, weil der Zurechnungszusammenhang fehle 1 7 9 : Die die Zurechnung begründende „Beherrschung" des Geschehens ende, „wo eine andere Person — i m Rechtssinne frei — das Geschehen bewußt ihren eigenen Plänen gemäß gestaltet oder den zuvor Handelnden aus dem Einflußbereich auf das Risiko ausschließt" 180 . Eine Lösung, die freilich nicht erklärt, warum allein schon die „Beherrschung" durch den einen die Zurechnung zum anderen ausschließt, und warum trotz fehlender „Beherrschung des Geschehens" der Gehilfe (§ 27 StGB) oder der Anstifter (§ 26 StGB) des Erfolges wegen haftet 1 8 1 . Andere 1 8 2 behaupten, die Zurechenbarkeit des Erfolges scheide aus, weil i n Fällen dieser A r t der wirkliche vom vorgestellten Kausal verlauf wesentlich abweiche 183 ; oder sie setzen die gelungene Beseitigung der Rechtswidrigkeit des Erfolges (: das Opfer habe i n die Verletzung eingewilligt) der Verhinderung des Erfolges gleich; „Derjenige, der einen rechtmäßigen Erfolg verursacht, (dürfe) nicht schlechter stehen als derjenige, der nicht tatbestandsmäßig hand e l t " 1 8 4 . Eine Lösung, die versagt, wenn das Opfer i n den Verletzungserfolg nicht wirksam einwilligen kann (§ 216 StGB) oder die Tat trotz der Einwilligung rechtswidrig bleibt (§ 226 a StGB): Hier steht der Versuchstäter u m so schlechter, je verwerflicher die Zwecke sind, die das Opfer durch die Hinderung der Vermeidung des Erfolges der Tat i. S. d. § 226 a StGB verfolgt. Die Lösung hat auch axiologisch wenig befriedigende Differenzierungen zur Folge; denn je nachdem, ob man den Anwendungsbereich des § 226 a StGB auf die Körperverletzungsdelikte beschränkt oder meint, er gelte darüber hinaus i n allen Fällen einer Einwilligung hat diese Ansicht unterschiedliche Folgen: Warum also soll der nicht haften, der einen Betrug versucht und an der Verhinderung des Schadens durch das Opfer gehindert wird, weil sich das Opfer durch die bei Schadenseintritt fällig werdende Versicherungssumme einen Gewinn verspricht; und warum soll der haften, der nach einer versuchten schweren Körperverletzung (§ 224 StGB) an der Verhinderung der besonders schweren Folge durch das Opfer gehindert 178

Eingehend darstellend Ulsenheimer, Grundfragen, S. 97 ff. Otto, Maurach-Festschrift, S. 99. 180 Otto, Maurach-Festschrift, S. 97. 181 Vgl. Jakobs, ZStW 89, S. 9 Fn. 28. 182 Schröder, JuS 1962, S. 82; Munoz-Conde, G A 1972, S. 33 ff.; vgl. auch Lenckner, Gallas-Festschrift, S. 292 f. 183 Z u r K r i t i k der Adäquanzlehre, vgl. 2. T e i l 1. Abschnitt I I . B. 2. a. bb. 184 A r z f f g a 1964, S. 1; Ulsenheimer, Grundfragen, S. 100. 179

I I . Die Strafrahmenwahl beim Versuch

145

wird, das sich durch den Eintritt des Erfolges eine lebenslange Alimentierung erhofft? Rudolphi 185 meint, der Täter verdiene Straffreiheit, weil er durch sein ernsthaftes Bemühen u m die Verhinderung des Erfolges „seine Ungefährlichkeit und die Entbehrlichkeit seiner Bestrafung unter Beweis gestellt" habe. Rudolphi übersieht aber, daß bei dieser Argumentation, spezialpräventiv, die „Ungefährlichkeit" oder die „Gefährlichkeit" des Täters und nicht mehr die Tat der Strafgrund ist: Diese Lösung verbietet schon das Tatstrafrecht. Daß für den, den das Opfer hindert i h m zu helfen, Straffreiheit diskutabel wird, wenn er freiwillig versucht, Hilfe zu bringen, hat nichts mit der „Ungefährlichkeit" des reuigen Täters oder m i t mangelnder „Beherrschung" des Geschehens zu tun, sondern allein damit, daß das Verhindern der Hilfe die Möglichkeit anderweitiger Zurechnung des Konfliktes, die Zurechnung zum Opfer, eröffnet: Der für die Entstehung der Gefahrenlage verantwortliche Versuchstäter haftet dann nicht für den aus der Gefahrenlage entstandenen Schaden, wenn erst die W i l l k ü r des verantwortlichen Opfers die gefahrschaffende Versuchshandlung auf den Erfolg bezieht. Der Konflikt kann durch Zurechnung zur „ W i l l k ü r " des Opfers erledigt werden, wenn es die dem Täter zur Kompensation der Gefahr gebotene Handlung hindert; denn das Opfer darf verspielen was es hat; was es selbst w i l l , enttäuscht es nicht 1 8 6 . Vergröbernd also: Eine Strafmilderung scheidet für den Täter eines „verständigen" unbeendeten oder beendeten Versuchs aus, der seinen Tatplan preisgibt, weil er i h n für fehlgeschlagen hält. Es bedeutet keinen Wertungswiderspruch, den Täter eines fehlgeschlagenen Versuchs, den also, der nur „Untaugliches" zu Wege bringt, stets nach dem Regelstrafrahmen zu strafen, für den aber, der „Taugliches" ins Werk setzt, die Möglichkeit einer Milderung der Strafe offen zu halten. Nach der Ausgestaltung der Vorschriften über den freiwilligen Rücktritt i m positiven Recht trägt der Täter eines beendeten Versuchs nicht nur stets das „Erfolgsrisiko" seiner Rücktrittsbemühungen 1 8 7 . Beim Täter liegt auch das Risiko, daß er nach der Vornahme einer Handlung, die seiner Vorstellung nach die Tatbestandsverwirklichung bringen kann, überhaupt noch zurücktreten kann: Für den, der versucht, seinen Feind durch einen Gewehrschuß zu töten, aber sein Ziel verfehlt, steht m i t dem Fehlschlag die Haftung für eine Versuchstat fest; der Täter steht mangels einer Alternative nicht von seinem Plan ab, und er hat wegen des Fehlschlages auch die volle Haftung nach dem Regelstrafrahmen zu gewärtigen. Wer dagegen versucht einen anderen durch Gift zu töten 185

Rudolphi, i n : SK StGB 2 , § 24 Rdn. 28. Jakobs, ZStW 89, S. 16 f. 187 Schröder, JuS 1962, S. 82 (zu § 46 a. F.); Lenckner, S. 292. 188

10 Timpe

Gallas-Festschrift,

146

2. Teil. . Abschnitt. Strafmilderungen.

D e r s

und wenn dann noch Zeit zur Rettung bleibt, weil das Gift langsamer als erwartet w i r k t 1 8 8 , kann durch freiwilliges Hindern des Erfolges noch zur Straffreiheit wegen eines Tötungsdelikts gelangen; und er erlangt Straffreiheit noch, obgleich i n beiden Fällen nach der Vorstellung des Täters mit dem Vollzug der Handlung der Erfolg längst hätte eintreten können: Daß dem einen noch Zeit bleibt, Maßnahmen zur Rettung des verletzten Gutes einzuleiten, dem anderen aber nicht, ist Zufall. Daß es aber i m System des positiven Rechts nahezu i n allen Fällen, i n denen dem Täter Zeit zu „tätiger Reue" bleibt, dieser Zufall ist, der über Straffreiheit oder über Haftung entscheidet, kann durch die Auslegung der Strafmilderungsregel des § 23 Abs. 2 StGB nicht überspielt werden: „Es gibt keine strafrechtliche Maxime des Inhaltes, daß Zufall dem Täter nie zugute kommen dürfe" 1 8 9 . Auch für eine Auslegung des § 23 Abs. 2 StGB, die den Regelstrafrahmen dem fehlgeschlagenen Versuch vorbehält, und die das Fehlschlagen des Versuchs streng nach dem Täterplan bestimmt, bleiben Grenzfälle: Zweifel an der axiologischen Angemessenheit der Anwendung des Regelstrafrahmens auch nach einem Fehlschlag des Versuchs bleiben i n Fällen, i n denen der Täter nach dem Fehlschlag i m Bewußtsein weiterer, erfolgreicher Möglichkeiten, zur Tatbestandsverwirklichung zu kommen, seinen Plan preisgibt. Beispielhaft: Für den, der plant, seine Kinder schmerzlos und ohne ihr Wissen zu töten, und der ihnen zu diesem Zweck Schlaftabletten verabreicht, ist die geplante Tat fehlgeschlagen, wenn die Kinder aus dem Schlaf erwachen 190 ; für den, der m i t einer Handgranate bewaffnet i n eine Bank eindringt und dem allein anwesenden Kassierer droht, er werde die Granate zünden, wenn dieser nicht sofort alles Geld herausreiche, der Kassierer aber vor Schreck erstarrt und der Täter es nun nicht mehr über sich bringt, i h n weiter zu bedrohen 1 9 1 , ist bei einer streng auf den Täterplan ab188

Bsp. nach Jakobs, JuS 1980, S. 716. Jakobs, JuS 1980, S. 715. — Freilich k a n n den Täter auch nicht jeder Zufall entlasten: F ü r den, der plant, einen anderen durch einen Schuß zu töten u n d sein Ziel verfehlt, ist der Versuch zu sofortiger Tötung fehlgeschlagen. Es ist n u n aber „axiologisch ungereimt" (Jakobs, JuS 1980, S. 716), dem noch die Möglichkeit des Rücktritts offen zu halten, der das Opfer n u r schwer verletzt, dem aber nicht, der sein Ziel verfehlt: Auch i m ersten F a l l ist der Versuch zur sofortigen Tötung fehlgeschlagen. Jakobs (JuS 1980, S. 716) unterscheidet i n Fällen dieser A r t danach, ob „bei zufälligen (i. S. v o n unverdienten, da nicht planend vorbehaltenen) Rettungschancen . . . der ins W e r k gesetzte Verlauf anders als erwartet u n d n u r deshalb revozierbar" w a r ; dann sei „der Versuch, einen Verlauf der anfangs vorgestellten A r t zu produzieren, fehlgeschlagen. — Gelingt die Produktion des vorgestellten Verlaufs u n d ergibt sich wider E r w a r t e n eine Revokationschance, so ist deren Nutzung R ü c k t r i t t " . 190 Vgl. L G Arnsberg, N J W 1979, S. 1420. 191 Sachverhalt nach O L G Karlsruhe, N J W 1978, S. 331 f., m i t A n m . Küper, 189

I I . Die Strafrahmenwahl beim Versuch

147

stellenden Fragestellung der Nötigungsversuch beendet und fehlgeschlagen: Die sofortige Hingabe des Geldes ist unterblieben, der Täter hat mangels einer Alternative keine Tat mehr aufgegeben und keine Vollendung gehindert. Nach der Rechtsprechung aber, nach der bei sofortiger Wiederholbarkeit Rücktritt nach § 24 Abs. 1 Satz 1 1. A l t . StGB möglich bleibt 1 9 2 , ist der Täter strafbefreiend zurückgetreten, inN J W 1978, S. 956 f., u n d Entscheidungsrezension v o n F.-C. Schroeder, JuS 1978, S. 824 f. 192 Vgl. BGHSt. 10, S. 129 ff. (131); 14, S. 75 ff. (79); 22, S. 330 ff. (332); 23, S. 356 ff. (359). Die Rechtsprechung unterscheidet danach, ob der Täter v o n vornherein n u r die Verwendung eines ganz bestimmten Mittels plante (ein einziger Messerstich, ein Schuß etc.), — das Fehlgehen des geplanten Mittels hindere einen strafbefreienden Rücktritt, auch w e n n der Täter nach der Erfolglosigkeit des ersten Handelns auf den Gebrauch weiterer, erfolgversprechender Möglichkeiten verzichtet. Ohne eine vorherige Beschränkung des Tatplanes auf ein ganz bestimmtes T a t m i t t e l bzw. eine spezielle T a t modalität bleibe beim Unterlassen weiterer Möglichkeiten strafbefreiender Rücktritt v o m (unbeendeten) Versuch möglich: „Bestand bei Tatbeginn k e i n fester Plan, so sind die Überlegungen des Täters nach der letzten Ausführungshandlung entscheidend. Der Versuch ist beendet, w e n n der Täter glaubt, er habe alles für den E i n t r i t t des Erfolges Erforderliche getan, oder w e n n er über die W i r k u n g seines Handelns i m Zweifel ist, den E i n t r i t t des Erfolges aber für möglich h ä l t " ( B G H JZ 1980, S. 69), sonst unbeendet (die Rspr. eingehend darstellend Ulsenheimer, Grundfragen, S. 151 ff.; Otto, GA, 1967, S. 144 ff.; Geilen, JZ 1972, S. 335 ff.). Freilich entscheidet die Rspr. nicht, ohne ihre Ergebnisse durch Sachverhaltsunter Stellungen zu korrigieren (vgl. n u r BGHSt. 22, S. 176 ff. (177) u n d dazu zutreffend kritisch Dreher, JR 1969, S. 106). Der Unterscheidung der Rspr. w i r d vorgehalten (Busch, in: L K 9 , § 46 Rdn. 7 ff.; Ulsenheimer, Grundfragen, S. 182 ff.), nach i h r entscheide der Zufall oder die geschickte Einlassung des Täters über Strafe oder Straffreiheit. Sie begünstige den umfassend planenden (und damit gefährlicheren) Täter, sowie denjenigen, der keine Einzelheiten plane, benachteilige aber den Täter m i t beschränktem Plan. — Die Benachteiligung des Täters m i t beschränktem Plan wollen, bei Unterschieden i m einzelnen, i n der Literatur vermeiden Dreher, JZ 1969, S. 107; Otto, G A 1967, S. 144 ff. (149): Sie vertreten die Ansicht, daß, ohne Blick auf den Täterplan, mehrere, i n unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang stehende Tätigkeitsakte (mehrere Schüsse, mehrere Stiche m i t einem Messer etc.) als Einheit zu werten seien u n d der Versuch erst fehlgeschlagen sei, w e n n der Täter alle diese i h m möglichen A k t e vorgenommen habe (sog. erweiterte Gesamtbetrachtung; Blei, Strafrecht, A T 1 7 , S. 213; Dreher / Tröndle, StGB 4 0 , § 24 Rdn. 4; Lackner, StGB 1 4 , § 24 A n m . 2; Walter, Der Rücktritt v o m Versuch, S. 107 ff. (122); Bottke, Strafrechtswissenschaftliche Methodik, S. 407 ff. (467 ff.)). — Z u r K r i t i k Jakobs, JuS 1980, S. 716 f.: Die „Gesamtbetrachtung" verkenne, daß das Nicht-Nutzen einer möglichen Fortsetzung des Delikts nicht notwendig Indiz einer geringeren k r i m i n e l l e n T a t k r a f t sein müsse, da die Gründe für einen Verzicht auf Fortsetzung nicht auch bezüglich des schon Geschehenen gelten müßten; die „Gesamtbetrachtung" passe auch nicht bei Nebenfolgen. — Roxin (Heinitz-Festschrift, S. 256, 267 ff.; ders., JuS 1981, S. 6 ff.) fragt, „ob der Rücktritt Ausdruck eines — worauf auch immer beruhenden — Willens zur Rückkehr i n die Legalität oder eines nach den Normen des V e r brecherhandwerks lediglich zweckdienlichen Verhalten ist": V o m Standpunkt des „Totschlägerhandwerks" aus etwa sei es unvernünftig, nach dem ersten Messerstich aufzuhören, w e i l sich das Ziel ohne Erhöhung des Risikos weiter erreichen lasse (zur sog. Einzelbetrachtung, die i n ihrer K r i t i k an der Begünstigung des Täters m i t unbeschränktem Plan ansetzt, vgl. 2. T e i l 1. A b schnitt, Fn. 194). 10*

148

2. Teil. . Abschnitt. Strafmilderungen.

D e r s

dem er den fortdauernden Nötigungsdruck durch ein Sich-Entfernen aufhob (§ 24 Abs. 1 Satz 1 2. A l t . StGB) und weiteren Druck nicht ausübte (§ 24 Abs. 1 Satz 1 1. A l t . StGB 1 9 3 ). Anderes gilt i n Fällen dieser A r t für die, die für eine „Einzelbetrachtung" 1 9 4 der Ausführungshandlungen plädieren: Unabhängig von Plan und Lage sei Rücktritt schon dann ausgeschlossen, wenn der Täter auch nur einen „ i n seiner Vorstellung" erfolgsgeeigneten Teilakt vollzogen habe 1 9 5 . 193 Der Erpressungsversuch ist unbeendet: Der Täter konnte das Geld noch annehmen, die geplante sofortige Vollendung ebenfalls fehlgeschlagen. Der Rspr. zufolge bleibt aber wegen der fortbestehenden Möglichkeit der Wiederholung ein R ü c k t r i t t noch möglich; u n d auch ein „ f r e i w i l l i g e r " : Denn auch die psychologisierende Lösung zur F r e i w i l l i g k e i t h ä l t jedenfalls das normfreundliche M o t i v , ohne Blick auf die subjektive Gewichtigkeit, für „frei". 194 Vgl. dazu bei Unterschieden i m einzelnen Baumann, Strafrecht 9 , S. 516 f.; Burkhardt, Der „ R ü c k t r i t t " als Rechtsfolgebestimmung, S. 90 ff.; Geilen, JZ 1972, S. 337, 342 f.; Maiwald, Die natürliche Handlungseinheit, S. 92; Eser, in: Schönke / Schröder 20 , § 24 Rdn. 15 (: Rücktritt scheide aus, w e n n „der Täter Einzelakte vorgenommen hat, die nach seiner Vorstellung zur Erfolgsherbeiführung genügen u n d i n ihren A u s w i r k u n g e n f ü r i h n nicht mehr beherrschbar sind"; vgl. aber jetzt Eser, in: Schönke / Schröder 21 , § 24 Rdn. 19). Die Argumentationen eingehend darstellend Ulsenheimer, Grundfragen, S. 217 ff. A u f die Konsequenzen einer Einzelbetrachtung für Fallgestaltungen, „bei denen das schon vollzogene Verhalten nach der Vorstellung des Täters für sich zur V e r w i r k l i c h u n g des Tatbestandes hinreicht", hat Jakobs (JuS 1980, S. 715) aufmerksam gemacht: Werde die Problematik des Rückt r i t t s i n diesen Fällen am fehlgeschlagenen Versuch festgemacht (arg.: durch den Verzicht auf die Fortsetzung eines Aktes, der nach dem Vorsatz bei der Tat den Erfolg schon hätte bringen können, werde dieser A k t nicht aufgegeben, w e i l er, w i e das Ausbleiben des Erfolges zeige, fehlgeschlagen sei), gehe es „nicht mehr u m die Änderung des z u m Rücktritt erforderlichen V e r haltens beim Übergang v o m unbeendeten zum beendeten Versuch, sondern es geht u m den Ausschluß v o n Rücktritt überhaupt nach dem Übergang v o m tauglichen zum fehlgeschlagenen Versuch". Jakobs (JuS 1980, S. 716) schlägt für diese Fälle eine Lösung vor, nach der Rücktritt möglich bleibt; aber nicht mehr R ü c k t r i t t durch ein Nicht-Weiterhandeln, sondern n u r noch durch Revokation der W i r k u n g e n des vorangegangenen Handelns; u n d auch dann nur, w e n n dem Täter die „ P r o d u k t i o n des vorgestellten Verlaufs (gelingt) u n d . . . sich w i d e r E r w a r t e n eine Revokationschance (ergibt)"; vgl. auch 2. T e i l 1. Abschnitt, Fn. 189. 195 Ulsenheimer, Grundfragen, S. 240 f., m i t der Einschränkung, „ R ü c k t r i t t durch bloßes Unterlassen weiterer Rechtsgutsangriffe" komme nicht mehr i n Betracht, w e n n „der E i n t r i t t des Erfolges auf G r u n d der Ausführungshandlung(en) des Täters möglich w a r " . — Das Argument Ulsenheimers freilich, die „Nichtvollendung der T a t " dürfe nicht „als purer Zufall" erscheinen, da sonst der Z u f a l l „über . . . § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB privilegierend w i r k t " (Ulsenheimer, Grundfragen, S. 221, 225) geht fehl: „ B e i m Versuch ohne Rücktritt ist das Ausbleiben des Erfolges i m m e r Zufall u n d v o m Erfolgseint r i t t k a n n abhängen, ob (§ 23 Abs. 1) u n d auch wie gestraft w i r d " (Jakobs, JuS 1980, S. 715). Ebenso ist es i n nahezu allen Fällen „tätiger Reue" Zufall, daß dem Täter noch Zeit bleibt, Rettungsmaßnahmen einzuleiten, obgleich der Erfolg nach seiner Vorstellung längst hätte eintreten können: Dieser Zufall jedenfalls privilegiert den Täter; vgl. dazu schon 2. T e i l 1. Abschnitt I I . B. 3. c.

I I I . Zusammenfassung

149

Gleich wie diese Streitfrage zu entscheiden ist: Für den, der nach dem Fehlschlag den Plan preisgibt, ohne andere, nach seiner Vorstellung erfolgsgeeignete Mittel für die Verwirklichung des Tatbestandes zu nutzen, ist jedenfalls allein des Fehlschlags wegen die Anwendung des Regelstrafrahmens noch nicht geboten 196 . m . Zusammenfassung 1. Die Strafmilderung des § 23 Abs. 3 StGB gilt fakultativ nur für die Strafrahmenänderung des § 49 Abs. 1 StGB: Der Erfolg, nach A r t und Ausmaß, ist eine stets erhebliche Strafzumessungstatsache. Die Erfolglosigkeit des Handlungsprojekts mildert beim Versuch die Strafe stets 197 . Für das Problem der Relevanz des Erfolges als Strafzumessungstatsache ist der Streit u m die Stellung des Erfolges i m Unrecht nutzlos: Es ist gleich, ob die Strafe nach einer durch das Ausmaß des Erfolges mit bemessenen (Strafzumessungs-)Schuld bestimmt wird, oder ob nach Maßgabe des Erfolges eine allein nach dem Ausmaß des Handlungsunwertes gemessene Schuld ausgeschöpft w i r d 1 9 8 . Die erfolgreiche Tat jedenfalls vermittelt einen intensiveren Geltungsschaden für die Norm als die erfolglose, so daß die Erfolglosigkeit zumindest i n generalpräventiver Sicht die Strafe m i l d e r t 1 9 9 . 2. Die Strafrahmenänderung der §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB kann nicht i m Subjektiven nach der „Stärke des verbrecherischen Willens" (Germann) ausgelegt werden: Aus der Erfolgsmächtigkeit des Handlungsprojekts folgt nichts für die Intensität des deliktischen Willens i m Einzelfall 2 0 0 . Auch „versuchsbezogene" Strafzumessungsgründe (Dreher) gibt es nicht: Es läßt sich weder auf der objektiven noch auf der subjektiven Tatseite ein Strafzumessungsgrund zeigen, der strikt auf den Versuch beschränkt ist 2 0 1 . Die Lehre von den „versuchsbezogenen" Strafzumessungsgründen leidet zudem an demselben Mangel, an dem auch die Lehre von der „Gesamtbetrachtung" leidet: Sollen nämlich „versuchsbezogene" Strafzumessungsgründe aus der Zerlegung konkreter Versuchssachverhalte gewonnen werden, bleibt die Entscheidung 196 Vgl. auch Jakobs, JuS 1980, S. 717, der, für eine modifizierende „Einzelbetrachtung" i n diesen Fällen, zu dem Ergebnis gelangt, „ w e n n sich i n E i n zelfällen die Verdienstlichkeit des Aufgebens nach einem Fehlschlag dem strafbefreienden Rücktritt annähert — etwa nach dem Fehlschlag des noch mehr oder weniger als »Probelauf zum Warmwerden' gedachten ersten Deliktsversuchs —, k a n n dieses rürktrittsähnliche Verhalten G r u n d für eine Straf rahmenänderung nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB sein". 197 Vgl. 2. T e i l 1. Abschnitt I. B. 198 Vgl. 2. Teil 1. Abschnitt I. B. 199 Vgl. 2. T e i l 1. Abschnitt I. B. 200 Vgl. 2. T e i l 1. Abschnitt I I . A . 201 Vgl. 2. Teil 1. Abschnitt I I . A . 3.

150

2. Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen.

D e r s

über die Strafrahmenänderung auch hier unter Verzicht auf eine Generalisierbarkeit der Ergebnisse der unmittelbaren Dezision aus der Anschauung des Einzelfalles überlassen 202 . 3. Für die Abschichtung unterschiedlicher Grade der Strafwürdigkeit beim Versuch ist es aber möglich, zu einer Fallgruppendifferenzierung zu gelangen. Einer Differenzierung nach Fallgruppen, die Auskunft geben kann, weshalb wegen eines Versuchs gemildert oder trotz eines Versuchs von einer Strafmilderung abgesehen wird. Dabei kann die Bildung von Fallgruppen an das nach geltendem Recht als versuchsspezifisch strafmildernd Gewertete anknüpfen: A n die Regelung des § 23 Abs. 3 StGB über den „grob unverständigen" Versuch und an die Vorschrift des § 24 StGB über den freiwilligen strafbefreienden Rückt r i t t vom Versuch 203 . a) Der „grobe Unverstand" (§ 23 Abs. 3 StGB) kann nun aber nicht als Funktion der sog. „neueren objektiven Versuchstheorie" als „angefangene (evident) inadäquate Kausalität" bestimmt werden: Die Mängel der i n die „neuere objektive Versuchstheorie" eingegangenen Lehre von der „adäquaten Verursachung" erlauben keine schlüssige Begründung der Zurechnung oder des Zurechnungsausschlusses 204 . Es ist auch nicht möglich, den „groben Unverstand" des § 23 Abs. 3 StGB als „evidenten nomologischen I r r t u m " zu begründen: Ontologisches und nomologisches Potential sind i n praxi ununterscheidbar komplex, so daß ein nomologischer I r r t u m rein kaum zu isolieren ist 2 0 5 . Die Fälle eines „grob unverständigen" Versuchs sind Versuchsfälle, i n denen der Täter die Solidarität der Rechtstreuen verloren hat, da der Rechtstreue die Tat spontan nicht mehr als eigene Alternative rechtsuntreuen Wollens erleben kann: Strafe ist i n generalpräventiver Sicht zum Erhalt der Ordnung nicht geboten 208 . Über den „groben Unverstand" entscheidet eine Bewertung der Gründe des Scheiterns des Handlungsprojektes: War offensichtlich, daß das Projekt nach dem von dem Täter auf eine Situation bestimmter Gestaltung angewandten Erfahrungssatz den Erfolg allenfalls zufällig, als Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos, hätte bringen können, ist die besondere Strafmilderung der §§ 23 Abs. 3, 49 Abs. 2 StGB am Platze. Erklärt erst Sonderwissen den Grund des Scheiterns oder sind die Versagensgründe prinzipiell unaufklärbar, ist die Anwendung des Regelstrafrahmens angezeigt. Die Strafrahmenänderung der §§ 23 Abs. 2, 49 202 203 204 205 206

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l

1. Abschnitt 1. Abschnitt 1. Abschnitt 1. Abschnitt 1. Abschnitt

II. II. II. II. II.

B. B. B. B. B.

1. 1. 2. a. u n d b. 2. b. aa. u n d bb. 2. c.

I I I . Zusammenfassung

151

Abs. 1 StGB ist dagegen geboten, wenn schon die Verarbeitung der Tatsituation durch das „Allgemeinwissen" zur Einsicht i n den Grund der Erfolglosigkeit v e r h i l f t 2 0 7 . b) Auch ein rücktrittsähnliches Verhalten kann dem Versuchstäter zu einer Strafmilderung nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB verhelfen: Gleich, ob der Begriff der Freiwilligkeit des Rücktritts psychologisierend oder normativ bestimmt w i r d — zwischen den Fällen eines freiwilligen strafbefreienden Rücktritts und der Strafbarkeit wegen Versuchs aus dem Regelstrafrahmen bleiben genügend Abstufungen, die eine Strafrahmenänderung als axiologisch angezeigt erscheinen lassen. Ausgeschlossen ist eine Strafmilderung dagegen i n den Fällen des fehlgeschlagenen Versuchs 208 . Zum fehlgeschlagenen Versuch gehören neben anderen Fallgruppen die Fälle der Unmöglichkeit der Tatbestandsverwirklichung als Grund der „Tataufgabe"; das „schockbedingte Aufhören" mit dem Versuch, wobei bei Fällen dieser A r t freilich i m Einzelfall noch eine Strafmilderung möglich bleibt 2 0 9 ; bei den Tatbeständen mit überschießender Innentendenz oder den kupierten Erfolgsdelikten die Fälle unmöglich gewordener materieller Beendigung des Delikts 2 1 0 ; die Fälle eines Identitäts- und Quantitätsirrtums oder Fälle einer Änderung essentieller Begleitumstände 211 . Hat sich der Täter bei seiner Planung bewußt selbst gebunden und steht er von seinem Plan i m Bewußtsein anderer Handlungsmöglichkeiten ab, weil sein Tatkonzept nicht mehr zu verwirklichen i s t 2 1 2 oder nutzte er nach dem Fehlschlag einer, als erfolgsgeeignet vorgestellten Ausführungshandlung weitere, nach seiner Vorstellung erfolgversprechende Handlungen nicht, kann i m Einzelfall eine Strafrahmenänderung noch angezeigt sein 2 1 3 .

207

208 209 210 211 212 213

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

2. T e i l 2. Teil 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. Teil

1. Abschnitt 1. Abschnitt 1. Abschnitt 1. Abschnitt 1. Abschnitt 1. Abschnitt 1. Abschnitt

I I . B. I I . B. I I . B. I I . B. I I . B. I I . B. I I . B.

2. c . 3. a . 3. b. 3. b. 3. b. 3. b. u n d c. 3. b. u n d c.

Zweiter

Abschnitt

Die fakultative Strafmilderung für das Garantenunterlassen (§ 13 Abs. 2 StGB) I. Die Diskussion über die Angemessenheit einer fakultativen Strafmilderung für das Garantenunterlassen A. Ablehnende Stimmen

1. Die Forderung nach einer „doppelten Gleichstellungsprüfung" als Grund der Gleichwertigkeit von Tun und Garantenunterlassen a) Der E 1962 Der E 1962 hatte noch keine, dem § 13 Abs. 2 StGB entsprechende Regelung enthalten. I n der Begründung heißt es dazu: „Die Zulässigkeit einer Strafmilderung (stünde) . . . i n einem auffallenden Gegensatz zum Erfordernis der Gleichwertigkeit der Unterlassungstat". Die „Gleichwertigkeitsprüfung verlangt, daß alle Umstände des einzelnen Falles berücksichtigt werden." „Ungerechte Ergebnisse" seien bei einem Verzicht auf eine Strafmilderung nicht zu befürchten, da „solchen Fällen . . . bei der Strafzumessung innerhalb des Strafrahmens Rechnung getragen" werden könne und „der Gesichtspunkt der Gleichwertigkeit . . . zudem . . . oft zur Annahme einer Beihilfe des Unterlassens" führe 1 . b) Die Lehre Androulakis Androulakis hat gegen die Forderung nach einer Strafmilderung für das unechte Unterlassen eingewandt, „das unechte Unterlassungsdelikt (sei) nicht milder strafbar als das entsprechende Handlungsdelikt" 2 . Ein Ergebnis, das Konsequenz einer von Androulakis vertretenen „zweistufigen Gleichstellungslehre" ist, die das Garantenproblem von Problem der „Gleichwertigkeit" des Unterlassens m i t einem Tun unterscheidet. Androulakis trennt die „Unterlassung": das Ausbleiben 1 E 1962, Begründung, S. 126; i n der Großen Strafrechtskommission haben sich Bockelmann, Jescheck, Lange, Mezger u n d Sieverts für eine fakultative Strafmilderung ausgesprochen; für eine obligatorische Milderung t r a t Stakkelberg ein; s. dazu den Bericht v o n Dreher, ZStW 68, S. 83 ff. 2 Androulakis, Studien, S. 243.

I . Die Angemessenheit einer Strafmilderung

153

einer „zu erwartenden Handlung", von der „unechten" Unterlassung (: Garantenproblem): „Unechtheit" bedeute Annäherung an eine Handlung. K r i t e r i u m der „Unechtheit" sei die „ontologische Vergleichbarkeit" einer Unterlassung m i t einer „möglichen, wählbaren, sinnvollen Handlung". Gemeinsames K r i t e r i u m „ontologisch (dem Unterlassen) vergleichbarer" Handlungen sei das „Schon-vorher-Daneben-Sein" 3 . Von der „unechten" Unterlassung unterscheidet Androulakis das „unechte Unterlassungsdelikt" (: Problem der Gleichwertigkeit des Unterlassens mit einem Handeln), als Frage nach der dem Begehen gleichen Strafwürdigkeit des Unterlassens. Eine Frage, die generell nicht beantwortbar sei, sondern nur nach dem jeweiligen weltanschaulichen und sozialen Klima 4 . c) K r i t i k der Notwendigkeit einer „zweistufigen" Gleichstellungsprüfung i n allen Fällen des Garantenunterlassens M i t der Behauptung der Notwendigkeit einer „zweistufigen Gleichstellung" beim Unterlassen ist die Inadäquanz der Strafmilderung für das Unterlassungsdelikt freilich nicht zu begründen. Bei der „Gleichstellung" von Tun und Unterlassen geht es nicht u m das Herstellen einer „Gleichwertigkeit" i. S. einer quantitativen Entsprechung von Tun und Unterlassen. Es geht vielmehr, qualitativ, u m Gleichartigkeit i m Unrecht, die, für die reinen Erfolgsdelikte, schon durch das Bestehen einer Garantenstellung hergestellt w i r d (Handlungsäquivalenz) 6 . Für eine „zweite" Gleichstellungsprüfung fehlt es an jeder Möglichkeit der inhaltlichen Konkretisierung der Prinzipien, nach denen die Frage der „Gleichwertigkeit" beantwortet werden kann — m i t der Folge, daß bei Fehlen jeden Maßstabes m i t dem Verlust jeglicher Rechtssicherheit die Entscheidung darüber, ob ein Unterlassen einem Tun i m Einzelfall „gleichwertig" ist, der unmittelbaren Dezion aus der Anschauung des Einzelfalles überlassen bleibt; ein „Fallrecht" wäre notwendige Konsequenz dieser Ansicht. Die Forderung nach „zweistufiger" Gleichstellung birgt die Tendenz i n sich, zu einer Ausweitung der Garantenstellungen zu verleiten, da ja die Strafbarkeit i m Einzelfall immer noch i m Wege 3

Androulakis, Studien, S. 158 ff., 205 ff. Androulakis, Studien, S. 219 ff. — W e i l allein durch die „Garantenstellung", auch bei reinen Erfolgsdelikten, das Unterlassen dem T u n i m U n rechtsgehalt nicht ohne weiteres gleichgestellt werde, u n d deshalb eine zweite Gleichwertigkeitsprüfung erforderlich sei, haben sich auch Arthur Kaufmann / Hassemer, JuS 1964, S. 153 u n d Henkel, MSchrKrim, 1961, S. 178 f. gegen eine Strafmilderung für das unechte Unterlassen ausgesprochen. Ablehnend auch Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 458 f.; Schönke / Schröder 17, Vorbemerkung Rdn. 143 f.; Granderath, Rechtspflicht, S. 120 f.; aus der Rspr. BGHSt. 2, S. 150 ff. (153), B G H VRS 18, 415 ff. (421 f.). 5 Dazu Welp, Vorangegangenes T i m , S. 18; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 60; Maurach / Gössel, A T 2, S. 145. 4

154

2. Teil. 2. Abschnitt. Strafmilderungen. Das Unterlassen

e i n e r „ G e s a m t a b w ä g u n g " a l l e r U m s t ä n d e d u r c h H i n w e i s a u f die f e h lende „Entsprechung" abgewendet w e r d e n k a n n 6 . A n d e r e s g i l t f r e i l i c h b e i d e n T a t b e s t ä n d e n des Besonderen T e i l s des S t G B , i n d e n e n eine b e s t i m m t e A r t u n d Weise d e r E r f o l g s h e r b e i f ü h r u n g beschrieben ist ( v g l . e t w a §§ 263, 242 S t G B u s w . ) 7 . H i e r reicht d e r H i n w e i s , d e r T ä t e r h a b e als G a r a n t p f l i c h t w i d r i g u n t e r l a s s e n , n i c h t f ü r die B e g r ü n d u n g des Entsprechens i. S. d. § 13 A b s . 1 S t G B 8 . D e n n d a m i t ist n i c h t m e h r ausgesagt, als daß e i n „ n i c h t H i n d e r n d e r Rechtsgutsverl e t z u n g e i n e r V e r l e t z u n g dieses Rechtsgutes d u r c h »normales 4 T u n e n t s p r i c h t " 9 : B e i d e n v e r h a l t e n s g e b u n d e n e n D e l i k t e n setzt die G l e i c h s t e l l u n g des Unterlassens m i t d e m T u n eine z w e i t e , zusätzliche P r ü f u n g v o r a u s , die danach f r a g t , ob das U n t e r l a s s e n eine d e m B e g e h e n „ v e r gleichbare P r ä g u n g " b e s i t z t 1 0 ( „ M o d a l i t ä t e n ä q u i v a l e n z " 1 1 ) . — F r e i l i c h s i n d die K r i t e r i e n , nach d e n e n diese zusätzliche P r ü f u n g z u e r f o l g e n h a t , auch noch n i c h t a n n ä h e r n d g e k l ä r t 1 2 .

6 Eingehend zur K r i t i k Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 57 ff.; Roxin, ZStW 78, S. 234 ff.; Busch, v. Weber-Festschrift, S. 201, der die „Gleichwertigkeitsklausel" des § 13 E 1962 für ein so unbestimmt gefaßtes Regulativ hält, daß sie i m Grunde „die Entscheidung dem Wertgefühl des einzelnen Richters" überlasse. 7 Soweit m a n „verhaltensgebundene Delikte" überhaupt durch Unterlassen für selbständig begehbar hält. — Dagegen Schmidhäuser ( A T 2 , S. 682), der die Auffassung v e r t r i t t , n u r die „engeren" Erfolgsdelikte könnten „Auslegungs-Unterlassungsdelikte" sein; die verhaltensgebundenen Delikte dagegen seien durch Unterlassen überhaupt nicht selbständig begehbar. 8 U n d die Gleichstellung des unechten Unterlassens m i t dem T u n soll, bei den „verhaltensgebundenen Delikten", nach Herzberg, Garantenprinzip, S. 60 ff., nicht einmal voraussetzen, daß der Täter als Garant unterlassen hat: Bei den „verhaltensgebundenen Delikten" spiele die Garantenstellung für den unmittelbaren Täter zur Strafbegründung überhaupt keine Rolle; es komme n u r darauf an, ob ein Unterlassen seinem „Bedeutungsgehalt" nach als Tatbestandsverwirklichung erscheine. 9 Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 59. 10 AE, Begründung, S. 49; Gallas, ZStW 80, S. 20. 11 Welp, Vorangegangenes Tun, S. 19; Jescheck, i n : L K 1 0 , § 13 Rdn. 5; Maurach / Gössel, A T 2, S. 146. 12 Vgl. n u r E 1962, Begründimg, S. 125: durch eine „Gesamtbetrachtung aller Umstände" des konkreten Einzelfalles; ähnlich Henkel, MSchrKrim, 1961, S. 188 f.; oder als Problem der Auslegung der Tatbestände des B T Gallas, ZStW 80, S. 20; Welp, Vorangegangenes Tun, S. 18; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 57 ff., 64: Es sei zu prüfen, „ob das unechte U n t e r lassen auch gerade i n der Nichtabwendung eines auf die i n dem jeweiligen besonderen Tatbestand näher festgelegten A r t u n d Weise eingetretenen t a t bestandsmäßigen Erfolg besteht"; Jescheck, A T 3 , S. 418: „Wenn sich der Erfolg . . . i n der v o m Tatbestand geforderten Weise, also durch Täuschung, Zwang Verschaffung v o n Gelegenheit . . . v e r w i r k l i c h t h a t " ; ders., Niederschriften, Bd. 12, S. 96; ders., in: L K 1 0 , § 13 Rdn. 5.

I. Die Angemessenheit einer Strafmilderung

155

2. Die Lehre H. Mayers Auch Helmuth Mayer hat sich gegen eine fakultative Strafmilderung für das unechte Unterlassen ausgesprochen: Bei „tatbildmäßigen Verbrechen" (solchen, bei denen nur der Erfolg und nicht auch die Tätigkeit i m Tatbestand beschrieben ist) 1 3 , „läßt sich das Problem der unechten Unterlassung m i t Hilfe des teleologisch verstandenen Lebenssprachgebrauchs ohne Schwierigkeiten" lösen 14 . Die „Untätigkeit (sei) i m Rechtssinne als echtes Tun . . . aufzufassen, wenn diese unechte Unterlassung das gleiche Maß rechtsfeindlicher Willensenergie verlangt, wie die positive Tätigkeit"; „so muß die Kindsmutter, welche i h r K i n d durch Verweigerung von Nahrung und Pflege tötet, mindestens die gleiche Willensenergie aufbringen, als wenn sie das K i n d ertränken würde. Nicht etwa w i r d eine echte Unterlassung, aus irgendwelchen Rechtsgründen, dem T u n nur gleichgestellt, vielmehr ist sie i m Rechtssinn echtes Tun. Darum hat die Rechtssprache von vorneherein derartige unechte Unterlassungen i n die Tatbestandsbeschreibungen einbezogen. Inwieweit derartige Unterlassungen unter das Vorstellungsbild fallen, welches durch die Tatbestandsbeschreibung ausgedrückt wird, darüber entscheidet der natürliche Sprachgebrauch" 15 . Freilich beinhaltet der, als individualpsychologischer Befund verstandene „Impuls" zur Hilfe auch i m System H. Mayers keine hinreichende Bedingung der Haftung nach dem Erfolgsdelikt: Der besonders Mitfühlende ist nicht allein deshalb haftbar, weil das Unterlassen der Rettung irgendeines Dritten i h m so viel „Mühe" bereitete, wie einem anderen die Erfolgsverwirklichung durch Tun: Eine allgemeine, nach dem Erfolgsdelikt sanktionierte Pflicht zur Solidarität kennt das geltende Recht nicht. Der von H. Mayer geforderte Impuls zur Hilfe ist auch keine notwendige Bedingung für die Haftung: Die Mutter, die ihr K i n d durch Unterlassen der Ernährung zu Tode bringen w i l l und keinen Impuls zur Rettung verspürt, hat ihn, „rechtlich", zu spüren: „Es könnte allerdings sein, daß die Kindsmutter, welche ihr K i n d durch Nahrungsverweigerung tötet, daß der Arzt, der die Operation abbricht, daß der Streckenwärter, der vorsätzlich das Hindernis auf den Schienen liegen läßt, so verhärtet wären, daß sie den i n jedem natürlich empfindenden Menschen auftauchenden Willensimpuls zu helfen, gar nicht unterdrücken müßten. Doch eine solche Einstellung ist ja gerade erst recht als aktive Auflehnung gegen den Allgemein willen zu bewerten" 1 6 .

13 14 15 18

H. H. H. H.

Mayer, Mayer, Mayer, Mayer,

Lehrbuch, Lehrbuch, Lehrbuch, Lehrbuch,

S. S. S. S.

145 ff. 152. 113. 113.

156

2. Teil. 2. Abschnitt. Strafmilderungen. Das Unterlassen

Die Frage nach dem gleichen Maß an „Willensenergie" als K r i t e r i u m der Gleichstellung von Tun und Unterlassen ist nutzlos. So verschiebt nur den Standort der Gleichstellungsproblematik, ohne die anstehenden Sachfragen auch zu lösen. Das K r i t e r i u m des „natürlichen Sprachgebrauches" ist zu unbestimmt, u m allein danach entscheiden zu können, warum gerade die Mutter, und nicht irgendein anderer und eventuell welche anderen, „rechtlich" einen Impuls zu spüren haben 1 7 . Aus dem Ansatz H. Mayers folgt nicht mehr, als daß das Unterlassen der Rettung allein dem Tun nicht gleichsteht, ohne freilich Aussagen darüber zu erlauben, wann ein Unterlassen dem Tun gleichzuwerten ist: Die Verlagerung des Gleichstellungsproblems i n die subjektive Beziehung des Unterlassenden zum Gut löst das axiologische Problem der Gleichstellung nicht 1 8 . B. Die Begründungen für die Angemessenheit einer fakultativen Strafmilderung für das Garantenunterlassen

1. Die Begründungen

in der älteren Lehre

Während die Stimmen, die sich gegen eine Strafmilderung für das Garantenunterlassen ausgesprochen haben, eher vereinzelt geblieben sind, war der Ruf nach einer Strafmilderung i n der Literatur stets breit ausgebildet. Auch die Begründungen für die Notwendigkeit zumindest einer fakultativen Strafmilderung waren seit je, unabhängig vom konstruktiven Ansatz für die Gleichstellung von T u n und Unterlassen, stereotyp: Kissin 10 zog aus der Behauptung, der „Gehorsam gegen die Gebotsnorm (bringe) eine weit größere Beschränkung der Handlungsfreiheit mit sich als die Befolgung der Verbotsnorm" 2 0 , den Schluß, die „Tatbestandsverwirklichung durch positives Tun (stehe) i n ethischer Hinsicht niedriger als die durch ein Nichttun"; „der den Täter treffende moralische Vorwurf (sei) weniger bedeutsam, wenn der E i n t r i t t des Erfolges von der Existenz des Täters unabhängig und wenn die Verhütung des Schadens nur m i t bestimmten, verhältnismäßig schwer benutzbaren M i t t e l n möglich w a r " 2 1 . Sauer 22 meint, die „Strafwürdigkeit . . . bei der Unterlassung (erscheine) i n vielen Fällen wegen schwä17 Dazu Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 70 ff.; Herzberg, Garantenprinzip, S. 109 ff. 18 Eingehend zur K r i t i k Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 269 ff.; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 70 ff.; Herzberg, Garantenprinzip, S. 108 ff. 19 Kissin, Die Rechtspflicht zum Handeln, S. 93 f.; ebenso Schaff stein, Gleispach-Festschrift, S. 109. 20 Ebenso Engisch, Gallas-Festschrift, S. 173; dazu die K r i t i k bei Samson, Welzel-Festschrift, S. 586 f. 21 Kissin, Die Rechtspflicht zum Handeln, S. 93 f. 22 Sauer, Allgemeine Strafrechtslehre 3 , S. 89.

I. Die Angemessenheit einer Strafmilderung

157

cherer Energieentfaltung geringer" 2 3 . K e r n 2 4 schließt aus dem Umstand, daß das „geltende . . . Strafrecht . . . an einigen wenigen Stellen des Besonderen Teils das Unterlassen dem positiven Tun ausdrücklich gleichgestellt" hat, „daß bei allen übrigen Tatbeständen die Unterlassung weniger schwerwiegend angesehen w i r d " ; eine Ausnahme gelte nur für „gewisse Fälle", z.B. für das Verhältnis der Mutter zu ihrem Kind, die an Strafwürdigkeit, insbesondere i n ihrem Unrechtsgehalt, „doch dem positiven Tun vollkommen gleich" stünden 25 . 2. Die Begründung des 2. StrÄndG Die schon lange geforderte Strafmilderung für das unechte Unterlassen wurde mit § 13 Abs. 2 StGB Gesetz. I n der Begründung 2 6 heißt es dazu: „Unter sonst gleichen Umständen (wiege) das Unterlassen der Abwendung des tatbestandsmäßigen Erfolges regelmäßig weniger schwer . . . als die Herbeiführung dieses Erfolges durch ein positives Tun, (so daß) deshalb eine Strafmilderungsmöglichkeit geschaffen werden sollte". Die gegenüber dem § 13 E 1962 „geänderte Gleichwertigkeitsklausel setzt voraus, daß das Unterlassen der Tatbestandsverwirklichung durch ein Tun ,entspricht 4 . Dieser etwas neutralere Begriff als die Entwurfsformulierung »gleichwertig ist' wurde gewählt, weil sich der Ausschuß . . . für die Zulassung einer fakultativen Milderung entschied, für eine solche Regelung aber kein Raum gewesen wäre, wenn man an dem Erfordernis festgehalten hätte, daß die Unterlassung der aktiven Verwirklichung des Tatbestandes tatsächlich gleich sein muß". Eine Begründung, die nicht von K r i t i k verschont blieb: Herzberg sieht i n der Zulassung einer fakultativen Strafmilderung für das Garantenunterlassen einen „handfesten Widerspruch i m Gesetz", der so „ungereimt" sei, daß er nach seiner „Beobachtung selbst Nichtjuristen auffällt" 2 7 . Roxin fragt, „woraus sich die Strafmilderung begründen läßt", „wenn die Strafbarkeit der Unterlassung nicht nur die Verletzung einer Garantenpflicht, sondern darüber hinaus noch ein weitergehendes Gleichstehen beider Begehungsformen verlangt" 2 8 . Maurach 29 23 F ü r die Lehre v o m „Tätertyp": Schaff stein, Gleispach-Festschrift, S. 109; ders., DJ 1936, S. 768; Roeder, DStr. 1941, S. 110 f. I n der Begründung der Notwendigkeit einer zumindest fakultativen Strafmilderung i m Ergebnis übereinstimmend N agier, GS 111, S. 121, der aber, abweichend von Schaffstein, die Gleichstellung von T u n u n d Unterlassen als Tatbestandsproblem sieht. 24 Kern, ZStW 64, S. 280 f. 25 Kern, ZStW 64, S. 281. 20 BTDrs. V/4095, S. 8. 27 Herzberg, Garantenprinzip, S. 7 f. 28 Roxin, in: Neues Strafrecht 2 , S. 7. 29 Maurach, A T 4 , S. 598.

158

2. Teil. 2. Abschnitt. Strafmilderungen. Das Unterlassen

sieht als K o n s e q u e n z d e r B e g r ü n d u n g des § 13 A b s . 2 S t G B eine „ b i s her nicht vorhandene A u s w e i t u n g der Strafbarkeit bei Unterlassung e n " voraus, u n d Jescheck zo s p r i c h t v o n e i n e r d u r c h die B e g r ü n d u n g geschaffenen „ U n s i c h e r h e i t " . 3. Die Verhaltensdifferenz von Tun und Unterlassen als Grund minderer Strafwürdigkeit des Garantenunterlassens a) D i e L e h r e A r m i n K a u f m a n n s D i e f a k u l t a t i v e S t r a f m i l d e r u n g f ü r das unechte U n t e r l a s s u n g s d e l i k t sei, so w i r d auch h e u t e noch f ü r g e w ö h n l i c h a r g u m e n t i e r t , geboten, da zwischen T u n u n d U n t e r l a s s e n eine „ p r i n z i p i e l l e W e r t d i f f e r e n z " bes t ä n d e 3 1 . I n diesem S i n n h e i ß t es b e i Armin Kaufmann: „ U n t e r sonst gleichen U m s t ä n d e n w i e g t das U n t e r l a s s e n d e r A b w e n d u n g des E r folges w e n i g e r schwer als dessen v o r s ä t z l i c h e H e r b e i f ü h r u n g . D i e A k t i v i t ä t e r f o r d e r t E n t s c h l u ß - u n d T a t k r a f t ; die P a s s i v i t ä t b e r u h t a u f i h r e m F e h l e n . A u c h d i e , G a r a n t e n s t e l l u n g 4 v e r m a g diese p r i n z i p i e l l e W e r t d i f f e r e n z n i c h t e i n z u e b n e n ; ob d e r engagierte B e r g f ü h r e r d e n B e r g gast i n Todesgefahr i m Stiche l ä ß t oder ob er i h n erschlägt, das w i e g t an Unrechts- u n d Schuldgehalt nicht gleich"32' 3 3 . 30

Jescheck, A T 2 , S. 463. Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 301; vgl. auch Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 61; ders., i n : SK StGB 3 , § 13 Rdn. 65; ders., M D R 1967, S. 2. — Rudolphi w i l l n u n freilich für die Strafmilderung auf einen Vergleich des „Unrechts- u n d Schuldgehaltes der konkreten Unterlassung m i t dem Durchschnittsfall einer V e r w i r k l i c h u n g des Tatbestandes durch Tun" abstellen; Rudolphi, in: SK StGB 3 , § 13 Rdn. 66; Stratenwerth, A T 3 , Rdn. 1055; Dreher / Tröndl e, StGB 4 0 , § 13 Rdn. 20; Ulsenheimer, G A 1972, S. 26; Welzel, JZ 1958, S. 496; Stree, in: Schönke / Schröder 21 , § 13 Rdn. 64; Gallas, ZStW 80, S. 20; wieder anders Jescheck, A T 3 , S. 496; ders., in: L K 1 0 , § 13 Rdn. 61; Maurach, A T 4 , S. 598, für die, bei Gleichwertigkeit i m Unrecht, die Strafmilderung n u r ein Problem der persönlichen Schuld des Unterlassenden ist. 32 Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 301; ders., JuS 1961, S. 174. — Freilich kennt auch Armin Kaufmann beim Unterlassen Fälle „evidenter Gleichunwertigkeit", w e n n auch m i t „umgekehrtem Vorzeichen": Armin Kaufmann unterscheidet das Unterlassen der Rettungshandlung v o n dem Unterlassen der Beihilfe zur Rettungshandlung eines anderen u n d das Unterlassen der A n s t i f t u n g zur Rettungshandlung. Dabei sei „das Unterlassen der Beihilfe zur Rettungshandlung eines anderen . . . die Unterlassungsform m i t dem regelmäßig höchsten Unwertgehalt u n d insofern . . . der Begehungstäterschaft vergleichbar". Das Unterlassen der Rettungshandlung u n d das Unterlassen der „ A n s t i f t u n g zur Rettungshandlung" seien „oft weniger strafw ü r d i g " , „so daß diese Unterlassungsformen nach dem verminderten Grad der Strafwürdigkeit m i t der aktiven Beihilfe i n Parallele zu setzen" seien, Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 302 f., Fn. 214. 33 Androulakis (Androulakis, Studien, S. 241 f.) hat Armin Kaufmann Inkonsequenz vorgehalten: Die unechten Unterlassungsdelikte müßten entweder ausnahmslos m i t der vollen Strafe der Begehungstäterschaft, oder m i t der Strafe der aktiven Beihilfe bestraft werden. Eine fakultative Strafmilderung jedenfalls sei unangebracht. Auch unter der Hypothese, aus der Verhaltensdifferenz v o n T u n u n d Unterlassen folge eine „prinzipielle W e r t 31

I. Die Angemessenheit einer Strafmilderung

159

b) Die Lehre Roxins Roxin begründet die Strafmilderung, i n der Sache übereinstimmend, damit, daß das Unterlassen „zwar i n der Qualität der sozialethischen Wertwidrigkeit, aber keinesfalls i n der Schuldhöhe und i n der individuellen Strafwürdigkeit (dem Begehen) gleichgesetzt werden" könne 8 4 . Die Strafmilderung beim Unterlassen dürfe aber nur fakultativ (nicht obligatorisch) sein; „denn es gibt hier . . . Fälle, die denen einer Täterschaft durch positives Tun an Strafwürdigkeit nicht nachstehen" 35 . — Es sind dies die unechten Unterlassungsdelikte, die den „Pflichtdelikten" zugehören: „Richtigerweise hätte bei Handlungsdelikten eine Gleichstellung des Unterlassens mit dem positiven Tun nur dort erfolgen dürfen, wo Pflichtdelikte i n den Tatbestand eines Handlungsdeliktes eingelagert sind" 8 6 . „Denn bei der Ausübung straf rechtsunabhängiger sozialer Rollen, beim Kinderfüttern, Türenverschließen, Weichenstellen, Rechtsmitteleinlegen, w i r d die Bedeutung von Tun und Lassen allein durch ihren Stellenwert i m sozialen Beziehungsverhältnis bestimmt und erhält von daher ihre tatbestandliche Relevanz" 37 . Für die Strafwürdigkeit des Unterlassens: Ein Unterlassen „steht dem aktiven Handeln an Strafwürdigkeit immer dann völlig (gleich), wenn das gebotene Tun . . . i n den normalen Regelablauf des Lebens von vornherein eingeplant ist" 3 8 . Anderes gelte nur, wo der Unterlassende außerhalb „seiner sozialen Rolle" „zur Rettung aus ungewöhnlichen differenz" v o n T u n u n d Unterlassen, ist nicht ausgemacht, daß, nach dem Maß der Schuld v o n Begehen u n d Unterlassen, eine (von Ausnahmen abgesehen) regelmäßige Strafmilderung m i t der Folge einer durch den Strafrahmenwechsel vermittelten erheblichen Differenz der relativen Tatschweren angebracht ist (: w e r es p f l i c h t w i d r i g unterläßt, ein Feuer, das er leicht austreten k a n n zu löschen, ist der Verhaltensdifferenz von T u n u n d U n t e r lassen wegen k a u m weniger strafwürdig als der, der ein Zündholz anreißt, u m ein Feuer zu legen), oder ob eine Strafmilderung nach den durchweg weiten Strafrahmen des geltenden Rechts nicht ausreicht, der „prinzipiellen Wertdifferenz" v o n T u n u n d Unterlassen zu genügen. Die Forderung nach einer fakultativen Strafmilderung jedenfalls ist nicht die richtige Schlußfolgerung aus den Prämissen, auf deren Grundlage sie gefordert w i r d . Die Annahmen, aufgrund derer nach einer fakultativen Milderung gerufen w i r d (: finale Steuerung u n d das Gewicht der v o m Täter überwundenen inneren u n d äußeren Widerstände korreliere positiv m i t dem Maß der Schuld des Täters; dazu Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 458: „grobe Richtlinie") schließlich sind unbewiesen: I m m e r h i n w i r d der „Gewohnheitsverbrecher", für den normgemäßes Verhalten keine erlebbare Verhaltensalternative mehr ist, nicht deshalb milder bestraft, w e i l das Recht i h m kein „Hindernis" für seine Tat war. 34 Roxin, Täterschaft 3 , S. 502. 35 Roxin, Täterschaft 3 , S. 502. 36 „Verkappte Pflichtdelikte" oder „unechte Handlungsdelikte"; Roxin, K r i m i n a l p o l i t i k 2 , S. 18 f. Früher: Die Fälle „sozialer Tatherrschaft"; Roxin, Täterschaft 3 , S. 465 f. 37 Roxin, K r i m i n a l p o l i t i k 2 , S. 19. 38 Roxin, in: Neues Strafrecht 2 , S. 9.

160

2. Teil. 2. Abschnitt. Strafmilderungen. Das Unterlassen

Gefahren berufen ist" 3 9 . Fallgestaltungen, für die Roxin zunächst vorgeschlagen hatte, sie bei § 323 c StGB als qualifizierte Fälle zu regeln 4 0 , und für die er nun durch eine bei dieser Gruppe dringend gebotene Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB kriminalpolitisch dasselbe Ergebnis erzielen zu können glaubt 4 1 . c) Die Lehre Herzbergs Herzberg argumentiert i m Ansatz ähnlich, von dem von i h m konzipierten „negativen Handlungsbegriff" her: „Begehungs- wie Unterlassungsdelinquent (ließen sich) beide ein garantenpflichtwidriges Nichtvermeiden zuschulden kommen". Beim Begehenstäter komme aber hinzu, „daß das Nichtvermeiden ein Werk seines Willens, seiner zweckbewußt das Geschehen steuernden Energieentfaltung ist. Dieser Umstand erhöht . . . schon das Unrecht, auf jeden Fall aber die Schuld" 4 2 . Dies sei unmittelbar einleuchtend „freilich nur für die Fälle, i n denen eine Uberwachungsgarantenpflicht verletzt wird. Unter ihnen ist ja keine so elementar wie die, über die sich der Aktivtäter hinwegsetzt" 4 3 . „Wahr ist, daß die Unterlassung des Ingerenten i n ihrem kriminellen Gewicht hinter der entsprechenden Begehung zurückbleibt . . . ; (denn) je intensiver und aktueller die Herrschaft über den Erfolgsgrund, desto stärker auch das Werterlebnis besonderer Verantwortlichkeit" 4 4 . A n ders bei den „Beschützergaranten": Der Gedanke der straf erhöhenden Willensaktivität sei hier nicht ohne weiteres zwingend 4 5 ; „die A n t w o r t muß letztlich das Rechtsgefühl geben" 46 . Das Fakultativum der Strafmilderung erklärt Herzberg damit, daß „ausnahmslos geringfügiger . . . nur das Unrecht der Unterlassung" sei. „ I h r Schuldgehalt kann i m Einzelfall den einer vergleichbaren Begehung übersteigen und deren Strafrahmen angemessen erscheinen lassen" 4 7 ' 4 8 .

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Roxin, in: Neues Strafrecht 2 , S. 9; vgl. auch Arzt, J A 1980, S. 555. Roxin, K r i m i n a l p o l i t i k 2 , S. 19. 41 Roxin, in: Neues Strafrecht 2 , S. 10; kritisch dazu Blei, J A 1973, S. 462; Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendungen, S. 340, der i n dem Ansatz Roxins eine „unvertretbare Ausweitung der Strafbarkeit" angelegt sieht. 42 Herzberg, Garantenprinzip, S. 271; vgl. auch Arzt, J A 1980, S. 556. 43 Herzberg, Garantenprinzip, S. 271. 44 Herzberg, Garantenprinzip, S. 292 f. — Herzberg hat damit freilich k e i n „unterlassensspezifisches Phänomen" aufgedeckt: Wer durch einen K n o p f druck einen, durch komplizierte u n d i n ihrer F u n k t i o n vielleicht unverstandene technische Apparate vermittelten schädlichen Kausalverlauf auslöst, mag den Erfolg dem technischen Prozeß zuschreiben u n d sich minder v e r antwortlich fühlen — ohne daß solch ein „Werterlebnis" geringerer Verantwortlichkeit für das Strafmaß des Begehenstäters Konsequenzen hätte. 45 Herzberg, Garantenprinzip, S. 273. 46 Herzberg, Garantenprinzip, S. 272. 40

I. Die Angemessenheit einer Strafmilderung

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C. Zur Kritik der These, aus der Verhaltensdifferenz von T u n und Unterlassen folge die Notwendigkeit einer fakultativen Strafmilderung für das Garantenunterlassen; zugleich zu den Verkehrspflichten, zur Ingerenz und zu den „fürsorgerischen Garantieverhältnissen"

Die Ubersicht über Argumente, die für eine Strafmilderung beim unechten Unterlassen ins Feld geführt werden, hat gezeigt, daß es i m wesentlichen zwei Gründe sind, die die Strafmilderung rechtfertigen 47

Herzberg, Garantenprinzip, S. 273. A l s Argument für die generell mindere Strafwürdigkeit des Unterlassens gegenüber dem T u n hat Herzberg auch auf den Gesichtspunkt der Pflichtenkollision zurückgegriffen (Herzberg, Garantenprinzip, S. 272 f.). Er meint, die mindere Strafwürdigkeit der Unterlassung folge aus der geringeren Gewichtigkeit der Handlungspflicht gegenüber der Unterlassungspflicht. Der prinzipielle Vorrang der Unterlassungspflicht zeige sich schon darin, daß die Handlungspflicht bei der Kollision m i t einer Unterlassungspflicht stets zurücktrete: Die Mutter, die i h r K i n d n u r auf Kosten eines anderen, v o n i h r durch ein T u n zu tötenden D r i t t e n retten könne, löse den K o n f l i k t n u r richtig, w e n n sie sich zu Gunsten der Unterlassungspflicht entscheide; n u r dann handele sie rechtmäßig; entscheide sie zu Gunsten der Handlungspflicht, sei sie n u r entschuldigt (wie Herzberg entscheiden bei der Kollision von Unterlassungs- u n d Handlungspflicht u . a . Küper, JuS 1971, S. 474f.; Lenckner, Notstand, S. 5; ders., i n : Schönke / Schröder 21 , § 34 Rdn. 4; Rudolphi, in: SK StGB 3 , § 34 Rdn. 26, Rdn. 29 vor § 13; anders aber Otto, Pflichtenkollision 3 , S. 100). — Die Entscheidung zu Lasten der Handlungspflicht i n Fällen der Pflichtenkollision dieser A r t ist i m Ergebnis richtig; aus der Konstellation der Pflichtenkollision folgt aber k e i n Argument für eine p r i n zipiell mindere Strafwürdigkeit des Unterlassens. Daß die Unterlassungspflicht i m Falle der Kollision m i t einer Handlungspflicht vorgeht, hat seinen G r u n d i n einer unterschiedlichen Gestaltung der KonfliktZage, bei der K o l l i sion zweier Unterlassimgspflichten oder zweier Handlungspflichten auf der einen u n d der K o l l i s i o n einer Unterlassungspflicht m i t einer Handlungspflicht auf der anderen Seite, nicht aber i n unterschiedlichen Stärken der kollidierenden Pflichten: Die Entscheidung zu Gunsten der Handlungspflicht f ü h r t stets zu einer Umschichtung der Bestandsrisiken der v o n der K o n fliktlage betroffenen Güter zu Lasten des durch die Unterlassungspflicht geschützten Gutes. Diese situationsbedingte „Belastung" der Handlungspflicht muß aber bei der K o l l i s i o n einer Unterlassungspflicht m i t einer Handlungspflicht vorab i m Wege einer Interessenabwägung ausgeglichen sein, ehe der Täter, der eine Konfliktlage zu Gunsten der Handlungspflicht löst, rechtmäßig handelt. Beispielhaft: Rettet der Staudammwärter einen Schwimmer durch die Betätigung des Ablaßventils des Staudammes, tötet dadurch aber zugleich einen Wanderer vor dem Schleusenausgang, v e r w i r k licht sich für den Wanderer nicht n u r das Risiko, das ein Spaziergang vor einem Schleusentor n u n einmal m i t sich bringt. Durch das T u n des Staudammwärters w i r d dem Wanderer zusätzlich auch das Lebensrisiko des Schwimmers m i t angelastet. Anders gesagt: I n den Fällen einer Kollision zweier gleichwertiger Handlungspflichten ist die normative Garantie der kollidierenden Güter aufgehoben. Wie immer sich der Täter auch entscheidet, eines der Güter w i r d zerstört; w i e der Täter sich aber zu entscheiden hat, k a n n das Recht nicht präjudizieren. Dies ist anders i n den Fällen der Kollision einer Handlungs- m i t einer Unterlassungspflicht: Hier ist dem Opfer, dem durch die Unterlassungspflicht Begünstigten, i m m e r h i n noch n o r m a t i v garantiert, nicht m i t Bestandsrisiken belastet zu werden, die nicht schon i n der Konfliktlage seinem Lebenskreis zugehören, u n d der Täter ist gehalten, jedenfalls diese normative Garantie zu respektieren. 43

I i Timpe

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2. Teil. 2. Abschnitt. Strafmilderungen. Das Unterlassen

sollen: Einmal, aus der Verhaltensdifferenz von Tun und Unterlassen folge eine „prinzipielle Wertdifferenz" (Armin Kaufmann) der Strafwürdigkeitsgrade von Tun und Unterlassen; zum anderen, es gebe, wie Roxin meint, Garantenstellungen derart geringer Dignität, daß schon u m dieser Unterlassungsfälle willen eine Strafmilderung dringend geboten sei: Gemeint ist die Garantenstellung aus vorangegangenem gefährlichen Tun. W i l l man nun die Tragfähigkeit der Begründungen prüfen, die für die Angemessenheit einer Strafmilderung für das Unterlassen vorgebracht werden, kommt man nicht umhin, auf die Grundlagen der Garantenlehre zurückzugehen, also zu untersuchen, ob denn tatsächlich mit der Verhaltensdifferenz von Tun und Unterlassen notwendig stets eine Differenz der Unrechts- und/oder Schuldgehalte von Tun und Unterlassen korreliert, und ob denn die These richtig ist, daß die Garantenstellung aus vorangegangenem gefährlichen Tun sich dem System der Garantenstellungen nicht bruchlos fügt, oder ob sie nicht doch begehensgleich zu begründen ist, womit dann Roxins Argument von der Notwendigkeit einer Strafmilderung gerade dieser Fälle wegen hinfällig würde. 1. Die Verkehrspflichten Zum ersten Argument: Es gibt keine, durch die Verhaltensdifferenz von Tun und Unterlassen vermittelte „prinzipielle Wertdifferenz" (Armin Kaufmann) zwischen beiden Verhaltensweisen. A m Beispiel der Verkehrspflichten: I n sozialen und soziotechnischen Systemen ist es leicht möglich, durch Umstellungen i n der Organisation eine Handlungspflicht durch eine gleichwertige Pflicht zum Nichthandeln zu ersetzen (und umgekehrt) — ohne daß sich das Verhalten des Systems zu seiner Umwelt dadurch änderte. Umstellungen geschehen durch das Einschalten neuer Systemelemente: Sei es durch die Einstellung neuer Mitarbeiter oder durch Einführung neuer Maschinen. Beispielhaft: Hat ein Arbeiter regelmäßig bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine Handlung zu vollziehen, und muß er diese Handlung unterlassen, wenn andere Umstände hinzukommen, die die Handlung — ausnahmsweise — gefährlich machen, so ist es leicht möglich, den Arbeiter durch Einsatz einer neuen technischen Einrichtung von seinem Handeln zu entlasten. Die Maschine reagiert nach der Umstellung automatisch auf Signale, die mit dem E i n t r i t t der ersten Voraussetzung verbunden sind, und dem Arbeiter obliegt es nun nur noch i n den Gang des technischen Prozesses einzugreifen, wenn ausnahmsweise die gefährdenden Umstände eintreten. Der Einsatz der Maschine bedeutet für den Arbeiter eine Umstellung der von i h m geforderten

I. Die Angemessenheit einer Strafmilderung

163

Verhaltensweise i m System: Wo er vorher handeln mußte, braucht er nun nichts zu tun; dafür hat er i n Situationen zu handeln, i n denen er zuvor untätig bleiben mußte 4 9 . — Ist es aber nach dem jeweiligen Zuschnitt eines Systems zufällig, ob ein Tun oder ein Unterlassen für die Vermeidung identischer Folgen von den Systemmitgliedern gefordert wird, kann die jederzeit durch triviale organisatorische Manipulationen überspielbare Verhaltensdifferenz von T u n und Unterlassen kaum über einen Unterschied i n den Graden der Strafwürdigkeit von Tun und Unterlassen entscheiden 50 . Anders zu entscheiden, führte zu dem eigenartigen Ergebnis, es den findigen Betreibern von Industrieanlagen usw. zu überlassen, durch leicht mögliche Manipulationen an der Innenstruktur der von ihnen betriebenen soziotechnischen Systeme das eigene Haftungsrisiko durch die Wahl der Verhaltensform des Unterlassens herabzusetzen, oder aber das Haftungsrisiko anderer durch die Wahl der Verhaltensform des Tuns heraufzusetzen, wenn ihnen das eine oder das andere je nach den Umständen als vorteilhaft erschiene. 2. Die Haftung aus „vorangegangenem

gefährdenden

Tun"

a) Die Lehre Schünemanns Schünemann hat die These aufgestellt, eine Garantenpflicht aus vorangegangenem gefährlichen Tun gebe es überhaupt nicht 5 1 : Richtlinie der Gleichstellung von Tun und Unterlassen bei den „Erfolgsdelikten" sei die gegenwärtige, mit der Unterlassung zeitgleiche „Herrschaft über den Grund des Erfolges" 52 .

49

Dazu Philipps, Handlungsspielraum, S. 140 ff. I m Ergebnis ebenso Welp, Vorangegangenes Tun, S. 144 f.; Schünemann, Grund u n d Grenzen, S. 283; Philipps, Handlungsspielraum, S. 140 ff.; vgl. auch v. Caemmerer, DJT-Festschrift, 1960, Bd. 2, S. 71 ff. 51 Ä h n l i c h eng zuvor schon Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 286: „Die Herbeiführung der Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintrittes vermag nicht ohne weiteres eine Garantenposition zu begründen; es bedarf zusätzlicher Kriterien, u m hier die annähernde Gleichstellung der Strafwürdigkeit v o n Unterlassen u n d Handeln zu rechtfertigen" (Hervorhebungen i m Original); Welzel, Lehrbuch 1 1 , S. 215 f.: „Es liegt nicht der geringste sachliche G r u n d vor, w a r u m die bloße Verursachung der Gefahr eine Garantenstellung begründen solle"; Henkel, MSchrKrim, 1961, S. 191, meint, zur Gefahrschaffung müsse noch eine bestimmte „ A r t des m i t dem Betroffenen entstandenen »sozialen Kontaktes'" kommen. 52 Zur Deduktion des Begriffs aus dem (vorstrafrechtlichen) „ G r u n d der Bestrafbarkeit", Schünemann, G r u n d u n d Grenzen, S. 232 ff.: Bei den „ E r folgsdelikten" liege der „ G r u n d der Bestrafbarkeit" i n der Herrschaft der Person über den Erfolg; der G r u n d für diese Herrschaft wiederum liege i n 50

Ii*

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2. Teil. 2. Abschnitt. Strafmilderungen. Das Unterlassen

Für die Garantenstellung aus vorangegangenem gefährlichen Tun: „Die Herrschaft des Unterlassers liegt bei den Ingerenzfällen vollständig i n der Vergangenheit und weist daher nicht die . . . i n die Zukunft gerichtete Aktualität auf. Zum Zeitpunkt der Unterlassung unterscheidet sich der Ingerent i n keiner Weise von dem quivis ex populo, beide besitzen lediglich eine durch die Abwendungsmöglichkeit gekennzeichnete potentielle Herrschaft über das Geschehen. . . . Wenn der Ingerent plötzlich dolos wird, so ist das ein Vorsatz ohne Herrschaft und daher bloßer böser Wille ohne Tat. Eine Herrschaft bedarf eines gegenständlichen Substrats, i n dem sie w i r k t ; der bloße Kausalverlauf kommt dafür nicht i n Frage, wenn man nicht i n den Fehler verfallen w i l l , die (aktuelle) Herrschaft m i t der (potentiellen) Abwendungsmöglichkeit gleichzusetzen" 53 . Herzberg 64 hat Schünemann vorgehalten, er gebe „als zwingende Schlußfolgerungen (aus), was i n Wahrheit auch bei intrasystematischer Würdigung doch nur dezesionistische Festsetzungen sind"; „denn wieso eigentlich ist einerseits am Aktualitätsmerkmal unbedingt festzuhalten, was zur erklärten Folge hat, daß die altehrwürdige, i m Grundsätzlichen bislang unangezweifelte Ingerenzhaftung i n Acht und Bann getan werden muß, und wieso ist andererseits das Merkmal »wesentliche Erfolgsursache' verzichtbar, so daß an seine Stelle auch die »Hilflosigkeit des Opfers' treten kann? Schünemann hätte doch ebensogut die Ingerenz halten können, indem er für die Begehungsähnlichkeit genügen ließe, daß beim Unterlasser eine i n der Vergangenheit liegende aktuelle Herrschaft über eine wesentliche Erfolgsursache aufzuweisen ist, die sich zur potentiellen Herrschaft (Abwendungsmöglichkeit) verdünnt hat." Herzberg ist i m Ergebnis zuzustimmen: Aktuelle, der Unterlassung zeitgleiche Herrschaft ist zunächst bei den (herkömmlich:) „Beschützergaranten", i m System Schünemanns den Fällen einer Herrschaft über die besondere Hilflosigkeit des Opfers, sei es als Herrschaft über die „konstitutionelle" oder „partielle" Hilflosigkeit des Opfers, kraft existentieller Vorgegebenheit oder eigenen Zugriffs oder aufgrund fremder Beziehung zwischen der Person u n d der den Erfolg verursachenden K ö r perbewegung; diese Beziehung sei selbst wieder durch die Herrschaft der Person über den Körper gekennzeichnet, so daß die „Herrschaft über den G r u n d des Erfolges" für Begehungen, u n d als „Verbesonderung des allgemeinen Prinzips . . . , einen Erfolg derjenigen Person zuzurechnen, die die Herrschaft über den G r u n d des Erfolges ausübt" (Schünemann, G r u n d u n d Grenzen, S. 236) ein, auch für Unterlassungen gleichermaßen gültiges Z u rechnungsprinzip bei den Erfolgsdelikten sei. 53 Schünemann, G r u n d u n d Grenzen, S. 316; ders., G A 1974, S. 235. 54 Herzberg, Garantenprinzip, S. 192 f.; vgl. auch Maiwald, JuS 1981, S. 480 f.

I. Die Angemessenheit einer Strafmilderung

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den Vertrauensakts 55 , weder notwendige noch hinreichende Bedingung der Haftungsbegründung: So ist die Mutter, die an der tatsächlichen (aktuellen) Herrschaft verhindert ist, auch zur fernmündlichen Alarmierung anderer verpflichtet, wenn anders Schaden nicht von dem K i n d abgewendet werden kann; und der, der das hilflose K i n d findet, und i h m an Ort und Stelle Nahrung gibt, ist deshalb nicht allein verpflichtet, für das K i n d zu sorgen, wenn er es sich danach anders überlegt, selbst wenn er als einziger die „besondere Hilflosigkeit des Opfers" beherrscht. Das Mehr an faktischer Macht des Helfers gegenüber der Mutter führt i m System Schünemanns erst durch die „Veränderung der Hilflosigkeitsstruktur" 5 6 zur Haftung 5 7 . „Aktuelle Herrschaft" über die konstitutionelle oder partielle Hilflosigkeit des Opfers ist als Grund der Zurechnung bei den „Beschützergaranten" nur plausibel, wenn die i n die vorrechtlichen Verhaltensbilder (: Mutter-Kind-Beziehung; Lebensgemeinschaft; Übernahme) eingegangenen normativen Bestimmungen mitgedacht werden. Und das muß auch so sein, und ist kein „normativer, durch Wertungsakte auszufüllender Restbestand" 58 eines „weitgehend entnormativierten" Herrschaftsbegriffs, sondern ein — jedenfalls partieller — Verzicht auf „aktuelle" Herrschaft 59 für die Begründung von Haftung überhaupt. Ein Verzicht, der freilich nötig ist, wenn i n den Fällen „konstitutioneller oder partieller" Hilflosigkeit des Opfers überhaupt sinnvoll Pflichten begründet werden sollen. Schünemann verkennt nämlich, daß es bei den „Beschützergaranten" auch Pflichten zur Herstellung von Herrschaft gibt (die Mutter, die während eines Kaffeekränzchens von der Not ihres Kindes erfährt, ist verpflichtet, Herrschaft herzustellen, ihrem K i n d also zu helfen, wenn anders Hilfe nicht möglich ist), und nicht nur Pflichten aus begründeter Herrschaft. Und er übersieht auch, daß sich aus einer gegenwärtigen, der Unterlassung zeitgleichen Herrschaft über die „Anfälligkeit" des Opfers allenfalls Pflichten zum Erhalt des „status quo" für ein Gut, nicht aber Pflichten zu solidarischer Zuwendung zu einem Gut und damit zur Verbesserung der Lage eines Gutes i n der Zeit herleiten lassen: Die Mutter ist 6 0 kraft „existentiell vorgegebener Herrschaft" über die Hilflosigkeit des Kindes nicht nur verpflichtet, Krankheiten oder Unfälle von dem K i n d fernzuhalten, oder der Verschlechterung der Lage des erkrankten oder verunglückten 55 66 57 58 59 60

Schünemann, G r u n d u n d Grenzen, S. 341 ff. Schünemann, G r u n d u n d Grenzen, S. 351. Dazu Herzberg, Garantenprinzip, S. 194 f. Schünemann, G r u n d u n d Grenzen, S. 351. Dazu Herzberg, Garantenprinzip, S. 195. Auch i m System Schünemanns, G r u n d u n d Grenzen, S. 336 f., 342 f.

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2. Teil. 2. Abschnitt. Strafmilderungen. Das Unterlassen

K i n d e s e n t g e g e n z u w i r k e n ; sie ist auch v e r p f l i c h t e t , das K i n d z u p f l e gen u n d sonst f ü r seine Genesung zu s o r g e n 6 1 . V o n der „ H e r r s c h a f t ü b e r d e n G r u n d des E r f o l g e s " als G r u n d d e r Z u r e c h n u n g v o n E r f o l g e n z u m r e t t u n g s f ä h i g U n t e r l a s s e n d e n l ä ß t sich ü b e r h a u p t erst reden, w o es u m die B e s t i m m u n g d e r V e r a n t w o r t l i c h k e i t f ü r die F o l g e n der A u ß e n w i r k u n g e n des Lebenskreises des U n t e r lassenden geht: B e i d e n V e r k e h r s p f l i c h t e n ( i m S y s t e m Schünemanns:) der H e r r s c h a f t ü b e r eine „ S t a t i o n des K a u s a l v e r l a u f s s e l b s t " 6 2 . W e n n Schünemann sowohl bei den (herkömmlich:) „Beschützergarant e n " als auch b e i d e n „ Ü b e r w a c h e r g a r a n t e n " nach e i n e r die Z u r e c h n u n g b e g r ü n d e n d e n „ H e r r s c h a f t " f r a g t , v e r s c h l e i e r t die B e i b e h a l t u n g desselb e n W o r t e s „ H e r r s c h a f t " , daß d i e B e g r i f f s i n h a l t e „ S o l i d a r i t ä t " u n d „ V e r b e s s e r u n g d e r Lage eines G u t e s " a u f der einen, V e r a n t w o r t l i c h k e i t f ü r d i e F o l g e n auf d e r a n d e r e n Seite, so verschieden sind, daß i h r e Zusammenfassung unter einem Begriff keinen Nutzen m e h r b r i n g t 6 3 . 61

Entsprechend leistet der „unter Rückgriff auf das Herrschaftskriterium" gebildete Garantenbegriff Rudolphis (in: SK StGB 3 , § 13 Rdn. 23) nichts für die Begründung der Pflichten der „Beschützergaranten". Aus einer, durch ein „tatsächlich bestehendes Obhutsverhältnis" begründeten Herrschaft mag den Unterlassenden „die maßgebliche Entscheidung über den E i n t r i t t der Rechtsgutsverletzung" treffen (Rudolphi, in: SK StGB 3 , § 13 Rdn. 49). Aus gegenwärtiger Herrschaft sind aber keine Pflichten für künftige Zustände (: also für die Verbesserung der Lage eines Gutes) herzuleiten, w i e sie Rudolphi bei den „Beschützergaranten" aber als selbstverständlich annimmt. Auch das System Schünemanns bleibt für die „Beschützergaranten" i n der Einzelausgestaltung problematisch: So läßt sich die Verpflichtung der i n „Lebensgemeinschaft" Verbundenen k a u m auf ein „gewaltiges Bündel v o n konkreten Vertrauensakten . . . , die sich i n einem Integrationsprozeß de tous les j o u r immer wieder abspielen" (Schünemann, Grund u n d Grenzen, S. 356) gründen; sollen denn die Jungverheirateten (und entsprechend bei atypischen Ehegestaltungen die Ehegatten) einander nicht verpflichtet sein, w e i l es noch an durch Dispositionsakten begründeter Herrschaft fehlt, die lange Verheirateten dagegen umfassend; u n d wieso soll sich der Umfang der Haftung j e nach den zufällig eingelebten Abhängigkeiten bestimmen, gleich, wie unvernünftig das Eingelebte i m Einzelfall auch war? Wie soll der die jeweilige Herrschaft begründende „Dispositionsakt" i n der konkreten Lebensbeziehung festgestellt werden, w e n n nicht durch Rückgriff auf ein bestimmtes Ehemodell, also normativ? U n d wie soll eine Haftung nach dem vorsätzlichen Erfolgsdelikt schließlich überhaupt noch zu begründen sein (und nach dem fahrlässigen D e l i k t bei der „Tatsachenblindheit"), wo doch schon das Nicht-Retten des erkannt hilfsbedürftigen Partners regelmäßig Zeichen dafür ist, daß eingelebte Abhängigkeiten zerbrochen sind? 82 Schünemann, G r u n d u n d Grenzen, S. 241. 63 Vgl. Herzberg, Garantenprinzip, S. 193 f. — Das g i l t auch umgekehrt: Aus Beziehungen sozialer Nähe als Oberbegriff des Garantensystems [: der „engeren sozialen Ordnung" i m Sinne Vogts (ZStW 63, S. 381 ff.), dem „schon vorher Danebensein" Androulakis' (Studien, S. 208 ff.), oder der „sozialen Rolle" Bärwinkels (Garantieverhältnisse, S. 111 u. ö.)] mögen Pflichten zur Solidarität u n d Verbesserung der Lage eines Gutes folgen. Verkehrspflichten u n d Ingerenz werden dann freilich zum Mysterium: Die Verantwortlichkeit für Außenwirkungen eines Lebenskreises auf einen fremden Güter-

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Die „Herrschaft über den Grund des Erfolges" als Zurechnungsmaßstab ist freilich auch bei den Verkehrspflichten allein nicht tauglich, Zurechnung oder den Verzicht auf Zurechnung plausibel zu machen. Die „faktische", dem Unterlassen zeitgleiche Herrschaft, mag Haftung noch bei der „,klassischen' Ein-Mann-Herrschaft" 6 4 erklären: Der Hundehalter beherrscht den Hund; der Kraftfahrer den Kraftwagen; der Sicherungspflichtige Besitzer eines Einfamilienhauses die „Dachlawine". Ein diesen Formen der Beherrschung von Gegenständen abgezogener „Herrschaftsbegriff" erklärt aber nicht die durch die arbeitsteilige Organisation sozialer und soziotechnischer Systeme vermittelten Zuständigkeiten der Systemmitglieder für die Folgen bestimmter potentiell gefährlicher Organisationsabläufe. Die Zuständigkeiten der Systemmitglieder werden hier durch die Systemstruktur bestimmt, nicht aber durch „faktische" Herrschaft vermittelt: Der Abteilungsleiter eines Chemieunternehmens, der allein den Ablauf bestimmter Arbeitsvorgänge kennt und durch Weisungen steuert, aber selbst keine Möglichkeit hat, i n von i h m angewiesene Arbeitsverläufe „faktisch" einzugreifen, haftet, wenn er einen Arbeiter anweist einen Schieber zu öffnen, wenn durch das Öffnen Passanten zu Schaden kommen; er haftet, weil er gehandelt hat und er haftet als mittelbarer Täter, weil er über Ob und Gestaltung der Tat allein entschied. Soll aber „faktische" Herrschaft über Haftung entscheiden, haftet er nicht, wenn er entgegen dem Organisationsplan des Systems die Anweisung, einen Schieber zu schließen, an einen Arbeiter unterließ, der seinerseits über die Bedeutung seines Tuns i m Netzwerk des Systems nicht unterrichtet war, wenn durch das Nichtschließen Dritte verletzt werden; er haftet nicht, weil er unterlassen hat und das Wissen über Arbeitsabläufe und ihre Folgen und die „Beherrschung" anderer Systemelemente durch ein Direktionsrecht „faktische", dem Unterlassen „zeitgleiche" Herrschaft über den Arbeitsvorgang und die Person des Arbeiters allein nicht begründet. Anders gesagt: Wo Handeln (auch ohne faktische Einflußmöglichkeit auf den angewiesenen Handlungsvollzug) mittelbare Täterschaft „kraft überlegenen Wissens" 65 oder kraft der Stellung des Anweisenden i n einem „organisatorischen Machtapparat" 6 6 begründet, stellt Unterlassen unter sonst gleichen Umständen, i m System Schünemanns, hafbestand k a n n durch den Begriff gegenseitiger „Solidarität" nicht erklärt werden (dazu 2. T e i l 2. Abschnitt I. C. 1.). Die Ingerenz schafft n u n einmal keine ganz besondere, ausschließlich auf Gefahrenabwehr gerichtete Ordnung des Sozialprozesses, w i e Vogt, ZStW 63, S. 403 (ähnlich Androulakis, Studien, S. 214) meint. 64 Schünemann, G r u n d u n d Grenzen, S. 294. 85 Dazu Roxin, Tatherrschaft 3 , S. 170 ff. 88 Dazu Roxin, Tatherrschaft 3 , S. 242 ff., 596.

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2. Teil. 2. Abschnitt. Strafmilderungen. Das Unterlassen

tungsfrei, obgleich die Umstellung von Tun und Unterlassen 67 und damit die Freiheit von Haftung leicht durch organisatorische Manipulationen möglich ist und, wie Schiinemann selbst sagt, „die Kategorien der Handlung und der Unterlassung" hier doch nur „zufällige Spielarten" des Umgangs m i t sozio-technischem System sind, „die keinerlei Bewertungsunterschiede mehr zu tragen vermögen" 6 8 : Die Zuständigkeit für den Konflikt w i r d durch die Sytemstruktur für Tun und Unterlassen jedenfalls gleich festgelegt, und nicht durch gegenwärtige „faktische" Beherrschung der Systemmitglieder. Das Zurechnungsmodell Schünemanns w i r d der Wirklichkeit technischer Organisation nicht gerecht. Systeme werden über Informationen und normativ abgesicherte Weisungshierarchien nicht aber durch wechselseitige „faktische" Beherrschung der Systemelemente gesteuert. Ein über „Faktizität" definierter Begriff der Herrschaft als Zurechnungsgrund kann die sozialen Geschehenstypen auch nicht annähernd abbilden. „Herrschaft" als Zurechnungsgrund w i r d hier nur durch die, i n die sozialen Geschehenstypen eingegangenen normativen Bestimmungen plausibel. Ein letztes: Herrschaft über eine „wesentliche Ursache" des Erfolges ist auch i m System Schünemanns keine notwendige Bedingung 6 9 für die Begründung der Haftung bei den „Verkehrspflichten". Denn auch das „Unterlassen der Herrschaftsbehauptung" sei, bei „willentlicher Herrschaftsaufgabe" oder bei „unwillentlichem Herrschaftsverlust", geeignet, Haftung zu begründen: Der Lkw-Fahrer, der aus einer 67

Dazu 2. T e i l 2. Abschnitt I. C. 1. Schünemann, G r u n d u n d Grenzen, S. 283. 69 U n d auch keine hinreichende: F ü r den, der e i n „gefährliches Gelände" beherrscht, soll „gegenüber . . . rechtswidrig i n den Gefahrenbereich eindringenden Personen" „keine Sicherungspflicht bestehen" (Schünemann, G r u n d u n d Grenzen, S. 304). Das ist i m Ergebnis richtig; aber nicht, w e i l sich hier die „Fruchtbarkeit" „unserer übergeordneten Richtlinie" wieder „eindrucksvoll beweist" (Schünemann, G r u n d u n d Grenzen, S. 288), sondern w e i l Schünemann diese „übergeordnete Richtlinie" verleugnet: Mangels „ f a k t i scher" Herrschaft scheidet Zurechnung i n Fällen dieser A r t jedenfalls nicht stets aus. Der Ansatz leidet gerade unter dem Mangel, den Schünemann zuvor der Ingerenz anlastete: M i t dem starren Abstellen auf die Beziehung zwischen „Herrschaft über den Grund des Erfolges" (hier als „Herrschaft über eine wesentliche Erfolgsursache"; Schünemann, Grund und Grenzen, S. 281) u n d Erfolg als alleinigen Bestimmungselementen v o n G r u n d u n d Umfang der Zurechnung nicht abgewendeter Erfolge, w i r d der Durchgriff auf den „sozialen Bedeutungsgehalt der Situation" abgeschnitten, „ u n d die Palette der Rechtskriterien muß verarmen" (Schünemann, Grund u n d Grenzen, S. 285). — Der Zurechnungsverzicht hat seinen G r u n d i m Beispiel darin, daß ein K o n f l i k t allenfalls dann zur Haftung führt, w e n n er nicht als K o n sequenz seines Lebenszuschnitts dem Opfer angelastet werden kann. Die Möglichkeit der Entlastung des rettungsfähig Unterlassenden endet dementsprechend, wo das Opfer nicht belastbar ist: bei K i n d e r n oder Geisteskranken; richtig Schünemann, G r u n d u n d Grenzen, S. 304 f. m. w . N. 68

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Tongrube Ton abfährt, haftet wegen „sorgfaltswidriger Herrschaftsaufgabe" 7 0 , wenn er den verlorenen Ton auf der Straße liegen läßt. Der Ansatz, allein gegenwärtige aktuelle Herrschaft könne Haftung begründen, w i r d freilich brüchig, wo der Verlust der Herrschaft noch zu dem gewöhnlichen vorrechtlichen Verhaltensbild gehört. Die Inkongruenz von typischem Verhaltensbild und aktueller Herrschaft w i r d zu Lasten der Herrschaft aufgelöst, aber als Grenze noch die Anschaulichkeit des Bildes beibehalten: Daß Tonfahrer Ton verlieren ist selbstverständlich, wie verschmutzte Straßen tagtäglich beweisen; daß Kraftfahrer aber Bäume niederfahren, die „infolgedessen über die Straße" 7 1 fallen, nicht — und prompt scheidet Haftung aus: weil der „Baum ohne Willen des Fahrers i n Mitleidenschaft gezogen (wurde) und daher i n keinem Augenblick unter dessen Herrschaft" stand 72 . Wenn aber die „aktuelle" Herrschaft über den „Grund des Erfolges" für die Begründung der Haftung nicht notwendig und auch nicht hinreichend ist und deshalb partiell preisgegeben wird, ist nicht mehr einsichtig, wieso die Ingerenz wegen Fehlens eben dieser Herrschaft keinen Platz i m System mehr finden soll. Denn ist die Forderung nach aktueller Herrschaft nicht zwingend, muß es möglich sein die Grenzen der Verantwortungsbereiche der Zurechnungssubjekte, freilich unter Verlust von Anschaulichkeit, weiter, die Ingerenz umfassend, auf das zu erstrecken, was von dem Unterlassenden an Außenwirkungen seines Lebenskreises noch revoziert werden kann. b) Zur K r i t i k der Verbindung von Unterlassung mit Solidarität Was an der gegenwärtigen Ausgestaltung der Zurechnungslehre auffällt, ist die Stärke der Zurechnung zum Begehenstäter (hier soll (von der Lage des Regreßverbotes abgesehen) schon die vermeidbare Kausierung eines Erfolges zur Haftung genügen), und die Schwäche der Zurechnung zum Unterlassenstäter: Hier soll nicht schon die Entsprechung zur vermeidbaren Verursachung, die Abwendungsfähigkeit, Haftung begründen, sondern erst eine besonders festzustellende Beziehung des Rettungsfähigen zum bedrohten Gut. Samson sieht den Grund dieser Differenz i n folgendem 73 : „Die Verbote entstammen . . . individualistischem Denken, die Gebote bestimmen den Umfang der Pflicht zu gegenseitiger Solidarität" 7 4 . „Während 70

Schünemann, G r u n d u n d Grenzen, S. 300. Schünemann, G r u n d u n d Grenzen, S. 300. 72 Schünemann, G r u n d u n d Grenzen, S. 301. 73 Z u dem Versuch Engischs (Gallas-Festschrift, S. 173), die Differenz aus dem A u f w a n d an Energie u n d nach dem Maß an Freiheitsbeschränkung zu begründen, vgl. die K r i t i k Samsons, Welzel-Festschrift, S. 586. 74 Samson, Welzel-Festschrift, S. 595. 71

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die Rechtsordnung den Bestand des Rechtsgutes uneingeschränkt auf der Höhe erhalten w i l l , den es ohne die Existenz des Normadressaten hätte, intendiert sie nur i n Ausnahmefällen einen durch die Existenz von Normadressaten bedingten Rechtsgutsbestand" 75 . Samson hat recht, wenn er meint, die Stärke der Zurechnung zum Begehen sei nicht selbstverständlich, sondern Konsequenz eines bestimmten Sozialmodells. Eines Modells, i n dem Ordnung als Ordnung nebeneinander isolierter Sphäre begriffen wird: Vor dem Hintergrund dieses Sozialmodells hebt sich das Begehen als Einbruch i n einen fremden Güterbestand stets als etwas „Besonderes" ab. Er hat nicht recht 76 , wenn er meint, die Gebote seien durchweg durch nur ausnahmsweise zu begründende Pflichten zu positiv solidarischer Zuwendung substituiert, die aus dem Pflichtgrund der Verbote, der Garantie gegenseitiger Nichtbeeinflusung, nicht hergeleitet werden könnten: Wer als Verkehrssicherungspflichtiger Hauseigentümer hindert, daß Schnee von dem steil abfallenden Dach des Hauses abrutscht und als „Dachlawine" zu Schäden an Passanten oder an vor dem Haus geparkten Kraftfahrzeugen führt, oder wer ein schadhaftes Treppengeländer ausbessert, u m Gefahren von Besuchern abzuwenden, wendet dem fremden Lebenskreis keine positiv solidarischen Leistungen zu, sondern hindert nur den Einbruch schädlicher Auswirkungen des eigenen Lebenskreises i n einen fremden Güterbestand. Anders gesagt: Ein Zustand gegenseitiger Nichtbeeinflussung kann nicht durch Verbote allein garantiert werden, wenn Tun und Unterlassen (wie zunächst bei den Verkehrspflichten) beliebig austauschbar sind 7 7 und täglich ausgetauscht werden. Ist es aber nach der jeweiligen Ausgestaltung eines Lebenskreises zufällig, ob mit identischen Folgen getan oder unterlassen wurde, muß der Pflichtgrund für Tun und Unterlassen auch identisch sein: Die Garantie eines Zustandes isolierter Sphären. Die Differenz der Stärke der Zurechnung zum Begehen und der Schwäche der Zurechnung zum Unterlassen kann nicht an der Differenz von Tun und Unterlassen nach üblichem Verständnis: als Eingriff in einen fremden Lebenskreis und solidarischer Zuwendung zu einem fremden Gut, festgemacht werden. Daß Zurechnung zum rettungsfähig unterlassenden Verkehrspflichtigen oder Ingerenten „seltener" ist als die zum Verursacher eines Erfolges hat seinen Grund darin, daß beim Unterlassen die Möglichkeit anderweitiger Erledigung des Konfliktes ohne Inanspruchnahme des Rettungsfähigen eher akzeptabel zu be75 76 77

Samson, Welzel-Festschrift, S. 595. Zur K r i t i k Jakobs, ZStW 89, S. 2 f., Fn. 4. Dazu 2. T e i l 2. Abschnitt I. C. 1.

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g r ü n d e n ist als b e i m B e g e h e n 7 8 . B e i s p i e l h a f t : K o m m t e i n E i n b r e c h e r a u f e i n e r schadhaften T r e p p e u n t e r d e r L a s t des Diebesgutes z u F a l l u n d v e r l e t z t er sich, oder f a l l e n Schaulustige, die aus p u r e r N e u g i e r eine schlecht gesicherte B a u s t e l l e b e t r e t e n haben, i n eine G r u b e u n d k o m m e n so z u Schaden, k a n n d e r K o n f l i k t d e m O p f e r als e i n eigenes „ V e r s c h u l d e n " angelastet o d e r sonst ohne Z u r e c h n u n g als D e l i k t zu d e m r e t t u n g s f ä h i g U n t e r l a s s e n d e n d e n B e s t ä n d e n e i n e r n u n e i n m a l g e f ä h r l i c h g e w o r d e n e n W e l t zugeschlagen w e r d e n : A l s D e l i k t a n d e r e r Personen, als Schicksal, Z u f a l l u s w . — M ö g l i c h k e i t e n d e r K o n f l i k t v e r a r b e i t u n g , die b e i m B e g e h e n r e g e l m ä ß i g k a u m z u b e g r ü n d e n s i n d : W e n n d e r erboste B a u h e r r d e n S c h a u l u s t i g e n gerade i n dieselbe schlecht gesicherte G r u b e stößt, h i n d e r t schon die Z u r e c h e n b a r k e i t des V e r h a l tens z u m B a u h e r r n die Z u r e c h n u n g z u m O p f e r . c) D e r G r u n d d e r Z u r e c h n u n g b e i d e r I n g e r e n z 7 9 aa) Z u r e c h n u n g b e i m Begehen: das Z u r e c h n u n g s s u b j e k t als S y s t e m Schünemann h a t die „ a b s o l u t e H e r r s c h a f t d e r Person ü b e r d e n K ö r p e r " , d e n „ m i t t e l b a r e n G r u n d des E r f o l g e s " 8 0 , als d e n G r u n d d e r Z u r e c h n u n g b e i m B e g e h e n b e s t i m m t . Herzberg m e i n t , b e i entgegengesetztem A n s a t z 8 1 , die H e r r s c h a f t ü b e r d e n „ G e f a h r e n h e r d der eigenen 78

Dazu Jakobs, ZStW 89, S. 2 f. Das Folgende zur Begründung der Ingerenzhaftung beruht auf Jakobs, Das Problem der Ingerenzhaftung, unveröffentlichtes Manuskript, Regensburg 1978. 80 Schünemann, G r u n d u n d Grenzen, S. 235 f. 81 Schünemann (Grund u n d Grenzen, S. 233 ff.) fragt v o m (vorstrafrechtlichen) „ G r u n d der Bestrafbarkeit" des Begehens her nach dem „ T e r t i u m v o n Begehung u n d unechter Unterlassung", das er i n der „Herrschaft über den G r u n d des Erfolges" findet, u m dann beim Unterlassen nach Situationen zu suchen, i n denen dieser G r u n d gegeben ist (Schünemann, Grund u n d Grenzen, S. 278 ff., 343 ff.). Herzberg (Garantenprinzip, S. 170 ff.) sucht das Gemeinsame v o n T u n u n d Garantenunterlassen v o m Unterlassen her zu bestimmen, m i t dem Ergebnis, die „Handlung des Strafrechts (sei) das v e r meidbare Nichtvermeiden i n Garantenstellung" (Herzberg, Garantenprinzip, S. 177). W o m i t dann freilich der „negative Handlungsbegriff" (Herzberg, Garantenprinzip, S. 172 ff.) die Bedingungen eines umfassenden strafrechtlichen Grundbegriffes nicht erfüllt, da er die §§ 323 c, 138 StGB nicht zu erklären vermag (dazu Herzberg, Garantenprinzip, S. 176; zur K r i t i k eingehend Schöne, Unterlassene Erfolgsabwendung, S. 266 ff.; Stratenwerth, WelzelFestschrift, S. 296 ff.). Der „negative Handlungsbegriff" Herzbergs verspricht auch als Systemoberbegriff für das Garantenunterlassen wenig Nutzen: Der durch „geringfügige A b s t r a k t i o n " (Herzberg, Garantenprinzip, S. 174, 170 ff.) aus dem Begehenserfolgsdelikt gewonnene „negative Handlungsbegriff" ist allenfalls tauglich, die Garantenunterlassungen zu erklären, deren Pflichtgrund dem Pflichtgrund der Verbote identisch ist: Die Garantie eines Zustandes gegenseitiger Nichtbeeinflussung (die Verkehrspflichten u n d die Ingerenz). Er k a n n die Garantenunterlassungen nicht erklären, die den Ga79

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Person" sei es, die den Aktivtäter verpflichte, „vermeidbare Emanationen der eigenen Person . . . als Garant (zu) verantworten" 8 2 : „Der Mensch steht gewissermaßen i m Zentrum eines Herrschaftskreises , . . und das innerste Zentrum bildet . . . die Person selbst, i n ihrer Einheit von Leib und Seele" 83 . Bei aller Gegensätzlichkeit der Ansätze w i r d der Zurechnung beim Begehen mit der Festlegung der Zuständigkeit des Subjektes für Psyche und Körper ein Schlußpunkt gesetzt: Dem Subjekt w i r d der Bereich seiner Motivationen und Handlungen als Bereich zugeschlagen, für dessen Ausgestaltung es einzustehen hat. Daß der Zurechnungszusammenhang aber gerade bei der Person abgebrochen werden muß, und die Person nicht ihrerseits als durch sie nicht verfügbare Prozesse „beherrscht" 84 , und damit, wie Kausalität und Handlung, als bloße Durchgangsstation auf den Erfolg hindrängender Geschehnisse genommen wird, denen dann als „mittelbarer Grund des Erfolges" der Konflikt anzulasten ist, ist m i t der „Herrschaft der Person über den Körper" oder der Herrschaft über den „Gefahrenherd der eigenen Person" noch nicht begründet. Warum w i r d also der haltlose und willensschwache Rückfalltäter, der sich an ein kriminelles Leben gewöhnt hat und nun seiner Gewohnheit gemäß delinquiert, als verantwortlich genommen und i h m der Regreß auf die Genese seines Wollens i n Elternhaus oder Schule oder Haftanstalt abgeschnitten? Oder: Warum w i r d dem, der nach vielen Ehekonflikten i m Verlauf eines neuen schweren Konfliktes seine Ehefrau ersticht, der Verweis auf seine Ehekalamitäten nicht erlaubt; oder dem, der nach einem von dritter Seite verschuldeten Konkurs aus Angst u m seine Existenz andere schädigt, die Entlastung unter Hinweis auf ein Wirtschaftssystem, das solche Not produziert, nicht gestattet? Schünemann und Herzberg nehmen das Subjekt als etwas natürliches, vorrechtlich Gegebenes. Was aber ein Subjekt als Endpunkt strafrechtlicher Zurechnung ist, muß erst einmal ausgemacht werden. Wie soziale Wirklichkeit überhaupt 8 5 und die vom Strafrecht gemeinten Realität 8 6 ist auch das Subjekt als Schlußpunkt strafrechtlicher Zuranten zu positiv solidarischer Zuwendung verpflichten: Die durch bestimmte soziale Rollen oder Institutionen abgesicherten „fürsorgerischen Garantieverhältnisse". Denn die Verpflichtung zu Solidarität ist dem Pflichtgrund des Begehenserfolgsdeliktes, der gerade die Garantie isolierter Sphären zum Gegenstand hat, nicht zu entnehmen (vgl. dazu 2. T e i l 2. Abschnitt, I. C. 2. e.). 82 Herzberg, Garantenprinzip, S. 173 f. 88 Herzberg, Garantenprinzip, S. 172 f. 84 Gleich, w i e man das Problem der Willensfreiheit beurteilt: Auch w e r die Möglichkeit v o n Willensfreiheit anerkennt, leitet daraus nicht für den E i n zelfall die Behauptung v o n Freiheit her. 85 Vgl. dazu Berger / Luckmann, Die Gesellschaftliche K o n s t r u k t i o n der Wirklichkeit, S. 49 ff., 139 ff. 86 Vgl. 2. T e i l 1. Abschnitt, Fn. 110.

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rechnung nichts natürlich-organisches, sondern eine Konstruktion, deren Ergebnis von den Zwecken abhängig ist, zu denen das Subjekt konstruiert w i r d 8 7 . Zur Konstruktion des Subjekts: Der Rückfalltäter muß i m Interesse einer, in bestimmter Weise ausgestalteten Ordnung als verantwortlich genommen werden, weil die ihm nicht verfügbaren Ursachen des Konfliktes nicht als Konfliktursachen definiert werden können, oder nach der sozialen Planung dürfen. Deshalb hat er mit seinen Gewöhnungen allein fertig zu werden. Und der Totschläger und der Bankrotteur werden als verantwortlich genommen, weil sie alltägliche Konflikte: Konflikte, die jeder oder doch viele erleben, i n der Ehe, i m Beruf usw., selbst tragen müssen, wenn nicht die Ordnung überhaupt preisgegeben werden soll 8 8 . Anders gesagt: Der Zurechnung beim Begehen muß m i t der Festlegung der Zuständigkeit für Psyche und Körper ein Schlußpunkt gesetzt werden, weil nicht alle Bedingungen der Beeinträchtigung eines fremden Güterbestandes beliebig am Verursacher vorbei der Umwelt zugeschlagen werden können, wenn normative Garantien geleistet werden sollen. Die i n der Binnenwelt des Täters liegenden Bedingungen der Tat werden zur ureigenen Angelegenheit des Täters erklärt, für die er einzustehen hat. Das Subjekt als Endpunkt der Zurechnung beim Begehen w i r d so nicht i n seiner Individualität: mit seinen Eigenarten, Motiven, Neigungen, Gewohnheiten usw. genommen, sondern als unter Zurechnungsgesichtspunkten konstruiertes „System", und die Ausgestaltung dieses Systems richtet sich danach, was dem Subjekt i m Interesse der Erhaltung einer Ordnung als von i h m zu verantwortende Bedingung eines Erfolges zugeschlagen werden muß, und was am Subjekt vorbei anderen Subsystemen angelastet oder als Zufall, Verwirklichung eines „allgemeinen Lebensrisikos" usw. definiert werden kann 8 9 . Zu den vom Subjekt zu verantwortenden Bedingungen eines Erfolges gehört dabei vorab der Bereich, von dessen Ausgestaltung die anderen ausgeschlossen sind, und für den garantiert ist, daß er die anderen nach ihrer Lebensgestaltung nicht zu interessieren braucht. Der Bereich der Motivationen und Aktionen w i r d zum Verantwortungsbereich des Subjektes erklärt, weil die Institutionalisierung der Norm die Festlegung dessen ist, was als Verhalten erwartet werden kann und was als NichtErwartbares aus dem Rahmen der Ordnung fällt. Die Norm erlaubt so, bei der eigenen Verhaltensplanung von der Unberechenbarkeit fremder individueller Motive, Neigungen und Gewohnheiten abzusehen. 87 88 89

Vgl. dazu Jakobs, Handlungsanalyse, S. 3. Dazu Jakobs, Schuld, S. 8 ff. Z u r Einzelausgestaltung Jakobs, Schuld, S. 13 ff.

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Mit der Festlegung der Zuständigkeit des Subjektes für Psyche und Körper w i r d dem Subjekt die Organisation seiner Binnenwelt als verantwortliche Aufgabe zugeschrieben. — Die innere Organisation interessiert nicht und braucht nicht zu interessieren; sie ist Sache des Subjekts. Was interessiert, sind allein die i m Handeln manifest gewordenen Außenwirkungen dieses über Psyche und Körper definierten „Systems". Zurechnung zum Begehen kann mithin, vereinfacht, durch Rückführung der vermeidbaren Kausalität auf ein psycho-physisches Gefüge erklärt werden, das als ein unter Zurechnungsgesichtspunkten konstruiertes System genommen w i r d und nach dessen innerer Organisation nicht mehr gefragt wird. bb) Zurechnung bei den Verkehrspflichten: über Werkzeuge und Hilfsmittel definierte Systeme M i t der Festlegung der Zuständigkeit für Psyche und Körper sind die Möglichkeiten, für das Subjekt Verantwortungsbereiche festzulegen, nicht erschöpft — andere Bestimmungen von Verantwortungsbereichen erfassen die Haftung wegen eines Unterlassens originär: „Teils beliebig, teils von Geboten geleitet, bewegt sich der Mensch i n einem Spielraum, der durch Naturgesetze und Verbote begrenzt wird. Aber er vermag auch noch etwas anderes: selber die Rolle einer Grenze zu übernehmen, und durch seine Handlungen Klassen möglicher Vorgänge auszuschließen — zwar nicht schlechthin i n der Welt, aber doch in Bereichen, die seiner Herrschaft unterworfen sind. Insofern mögliche Vorgänge auszuschließen nach dem Gedanken von Leibniz die Erschaffung einer Welt bedeutet, kann man sagen, daß der Mensch sich künstliche Welten schafft; i m folgenden werden w i r von sozialen und technischen »Systemen4 sprechen" 90 . Systeme, deren Grenzen durch die Außenwirkungen der für die Systembildung benutzten persönlichen und sächlichen Hilfsmittel definiert sind. Grenzen aber, die nicht, wie bei den durch Naturgesetze gezogenen Grenzen, „starr" sind, sondern deren Erhalt Leistungen des organisierenden Subjektes erfordern. Wer auf dem Gehweg Baumaterialien lagert 9 1 , zur Ausführung von Bauarbeiten ein Baugerüst errichtet 9 2 , zum Zweck der Reinigung einer verkehrsreichen Schnellstraße eine langsam fahrende Kehrmaschine einsetzt 93 oder Abbrucharbeiten vornimmt 9 4 , ein Karussel betreibt 9 5 90

Phillips, Handlungsspielraum, S. 132. Vgl. O L G Stuttgart, VersR 1967, S. 485. 92 Vgl. BGH VersR 1963, S. 651. 93 Vgl. BGH M D R 1966, S. 743. 94 Vgl. BGH VersR 1966, S. 165. 95 Vgl. O L G Frankfurt, M D R 1962, S. 477; vgl. noch die Beispiele bei Jescheck, in: L K 1 0 , § 13 Rdn. 36 ff. 91

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usw., hat durch gegenständliche Schutzmaßnahmen, durch Warnschilder, oder als Kraftfahrer bei einem sonst drohenden Unfall, durch Bremsen, Hupen, Ausweichen, Anhalten oder andere Maßnahmen den von i h m organisierten Bereich so abzuschirmen, daß Benutzer, Passanten oder sonst ein fremder Güterbestand nicht durch schädliche Außenwirkungen des von dem Zurechnungssubjekt i n bestimmter Weise gestalteten Lebenskreises geschädigt werden. Das Zurechnungssubjekt ist i n den Beispielen aus demselben Grund zur Sicherung verpflichtet, der auch die Pflicht trägt, schädigendes Tun zu unterlassen: Die Garantie eines Zustandes gegenseitiger Nichtbeeinflussung 96 . Wo durch die Organisation eines Lebenskreises andere von der Einflußnahme auf diesen Bereich ausgeschlossen sind, ist es nach der jeweiligen Gestaltung der Organisation zufällig, ob schädliche Außenwirkungen der Organisation auf einem T u n oder Unterlassen beruhen. Beispielhaft: Wie die organisatorischen Abläufe i n einer chemischen Fabrik gestaltet sind, ist mit Blick auf die Nachbarn und Passanten gleich, solange keine schädlichen Einflüsse nach außen dringen. Dringen schädliche Einflüsse nach außen, ist es gleich, ob ein Schieber geöffnet wurde, ein Tun, oder nicht geschlossen wurde, ein Unterlassen. Dem Zurechnungssubjekt jedenfalls w i r d der Bereich als sein Verantwortungsbereich zugeschlagen, dessen Gestaltung die anderen i n ihrer Verhaltensplanung nicht berücksichtigen können, weil sie durch die Organisation von der Einflußnahme auf diesen Bereich ausgeschlossen sind. Die Gestaltung dieses Bereiches braucht die anderen auch nicht zu interessieren, weil der Garantie von Freiheitsspielräumen für den einzelnen für die Umwelt die Garantie entspricht, der Destinatär dieser Freiheit werde seinen Bereich so abschirmen, daß die i h m eingeräumte Freiheit andere nicht i n ihren Güterbeständen schädigt. Verallgemeinert: Konflikterledigung geschieht bei den Verkehrspflichten, für Tun und Unterlassen gleich, durch Rückführung der vermeidbaren Außenwirkungen auf ein „System", dessen innere Ordnung Angelegenheit des Zurechnungssubjektes ist, die Umwelt jedenfalls nicht interessiert und auch nicht zu interessieren braucht: Ob getan oder unterlassen wurde, zählt eins; was interessiert, ist allein der Einbruch i n einen fremden Güterbestand. 96 Ohne daß das, was an Sicherung jeweils erforderlich ist, absolut bestimmbar wäre: Schünemann, G r u n d u n d Grenzen, S. 281 ff., 288 ff.; Herberg, Garantenprinzip, S. 322 ff.; Heimann-Trosien / Wolf, in: L K 9 , Rdn. 186 ff.; Esser / Schmidt, Schuldrecht, BT, Bd. 2, S. 264 ff.; v. Caemmerer, D J T Festschrift, 1960, Bd. 2, S. 71 ff. Z u dem Versuch Welps, Vorangegangenes Tun, S. 262, die „Verkehrspflichten" i n „eine K o m b i n a t i o n v o n Ingerenz- u n d Übernahmegesichtspunkten" aufzulösen, vgl. die durchschlagende K r i t i k bei Schünemann, G r u n d u n d Grenzen, S. 284 ff.

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cc) Zurechnung bei der Ingerenz: über (revozierbare) Handlungsfolgen definierte Systeme Über die Bestimmung der Zuständigkeit des Zurechnungssubjekts für Psyche und Körper und der Definition von Verantwortungsbereichen über persönliche und sächliche Hilfsmittel hinaus, bleibt als dritte Möglichkeit, die Haftung nach vorangegangenem gefährlichen Tun umfassend, die Bestimmung von Verantwortungsbereichen über die Beeinflußbarkeit von Außen Wirkungen; sei es von Außenwirkungen der Person, sei es von Außenwirkungen des von der Person organisierten Bereiches. Der Verantwortungsbereich des Zurechnungssubjekts korrespondiert dann nicht mehr dem geläufigen B i l d einer sozialen Rolle, und er ist auch sonst nicht mehr gegenständlich begrenzt. Er ist vielmehr so weit ausgedehnt, wie das Subjekt Außenwirkungen seines Handelns oder des von i h m gestalteten Lebenskreises noch verhindern, korrigieren oder revozieren kann 9 7 . Beispielhaft: Zur Zuständigkeit des „Tonfahrers" gehört dann i m Beispiel Schünemanns 98 nicht nur der sorgfaltswidrige Verlust der Herrschaft über den geladenen Ton, sondern auch die Rettung der durch den verlorenen Ton verletzten Personen. Oder: Wer einen Steinbruch betreibt, hat bei Sprengungen den Verkehr auf einer nahen Landstraße nicht nur zu warnen, wenn die Gefahr besteht, daß Steinbrocken auf diese Straße geschleudert werden; er hat auf die Straße geschleuderte Steinbrocken auch zu beseitigen und, soweit erforderlich, auch für Verletzte zu sorgen. Zur Zuständigkeit des Zurechnungssubjekts gehört nun nicht mehr nur die Sicherung einer über Hilfsmittel gegenständlich definierten Grenze. Auch die Organisation der Rettung geschädigter Dritter w i r d i h m als zu seinem Verantwortungsbereich gehörig zugeschrieben, für dessen Ausgestaltung er einzustehen hat. Verantwortungsbereiche des Subjektes über die Beeinflußbarkeit von Außenwirkungen (Erfolgen) zu definieren, ist nicht nur möglich; es ist auch, wegen der Tatbestandsbildungen des positiven Rechtes, nötig: A l l e i n durch die Bestimmung der Zuständigkeit für Psyche und Körper und die Erweiterung des ursprünglichen Verantwortungsbereiches auf die Zuständigkeit für Werkzeuge und Hilfsmittel kann eine Ordnung gegenseitiger Nichtbeeinflussung nicht garantiert werden. Nach der Ausgestaltung des geltenden Rechtes erfolgt die Garantie eines Zustandes isolierter Sphären nicht allein durch das Verbot bestimmter Handlungen schlechthin (wie bei den abstrakten Gefähr97 98

Vgl. zum folgenden Jakobs, Ingerenzhaftung, S. 11 ff. Schünemann, Grund u n d Grenzen, S. 300.

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dungsdelikten etwa durch das Verbot Sprengstoff herzustellen, oder durch das Verbot i n betrunkenem Zustand Auto zu fahren usw.), sondern, und dieser Bereich ist für die Ingerenz von Bedeutung, verbotenes Verhalten w i r d über die potentielle Kausierung von Erfolgen und nicht über Verhaltensbeschreibungen definiert: Verboten ist jeder, aber auch nur der erfolgsintensionale A k t . Die die Erfolgsdelikte fundierenden Pflichten zur Vermeidung bestimmter Erfolge sind so stets gleichermaßen freiheitsbeschränkend wie freiheitserweiternd: Was verboten ist, ist situationsabhängig, weil nur das verboten ist, was erfolgsbezogen ist; die Erfolgsbezogenheit kann aber nicht ohne Blick auf die Bereitschaft des Handelnden i n der gegebenen Situation die Erfolgsintensionalität durch parallel laufende, die Gefahr paralysierende Handlungen zu kompensieren, bestimmt werden. Beispielhaft: Jedes Gasgeben beim Autofahren ist, ohne die Bereitschaft i m Falle einer Gefahr für Güter Dritter zu bremsen, deliktisch; mit dieser Bereitschaft ist es deliktisch völlig unauffällig. Wenn aber deliktisches Verhalten über Erfolge definiert ist, und wenn das Verbotensein von Handlungen des Erfolges wegen allein m i t Blick auf die Handlung solange nicht ausgemacht werden kann, wie der Handelnde noch die Chance der Kompensation möglicher Gefahren des Handlungsvollzuges für einen fremden Güterbestand nicht genutzt hat, kann der Zweck der Erfolgsdelikte, gegenseitige Nichtbeeinflussung zu garantieren, nur erreicht werden, wenn auch der Verantwortungsbereich des Subjektes über — revozierbare — Erfolge definiert wird, und nicht allein über die Zuständigkeit für Psyche und Körper und deren Erweiterung auf persönliche und sächliche Hilfsmittel und Werkzeuge". Anders gesagt: Sollen isolierte Sphären garantiert werden, und soll die Garantie über Erfolgsdelikte erfolgen, kann dies durch das Verbot geschehen, jedes — potentiell — erfolgsbedingende Handeln zu unterlassen: Umfassender Güterschutz w i r d dann freilich durch eine, einem Verbot jeglichen Handelns gleichbedeutende Pflicht erkauft. Hat Güterschutz aber seinen Sinn i n erster Linie i n der Sicherung von Handlungsfreiheit, kann das Problem des Güterschutzes nicht durch die Beseitigung dieser Freiheit gelöst werden — das genannte Modell ist kein Modell des geltenden Rechts, und auch kein Modell, nach dem eine Ordnung zu gestalten wäre. Soll beides garantiert sein: ein Zustand gegenseitiger Nichtbeeinflussung und Handlungsfreiheit, muß normativ garantiert werden, daß der, der erfolgsbedingend handelt, die i n seinem Handlungsvollzug angelegten Erfolgsbedingungen durch gegensteuernde Maßnahmen 99

Vgl. dazu Jakobs Ingerenzhaftung, S. 14 ff., 17 ff.

12 Timpe

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k o m p e n s i e r t — : er m u ß z u m G a r a n t e n „aus v o r a n g e g a n g e n e m g e f ä h r lichen T u n " werden. d) Z u m H a f t u n g s u m f a n g b e i der I n g e r e n z aa) Z u r K r i t i k d e r A d ä q u a n z l ö s u n g Eine Besonderheit weisen über revozierbare A u ß e n Wirkungen defin i e r t e V e r a n t w o r t u n g s b e r e i c h e i m Gegensatz z u d e n ü b e r W e r k z e u g e u n d H i l f s m i t t e l d e f i n i e r t e n Z u s t ä n d i g k e i t e n f r e i l i c h auf: W e g e n des F e h l e n s e i n e r g e g e n s t ä n d l i c h e n oder d e m t y p i s c h e n B i l d e i n e r sozialen R o l l e k o r r e s p o n d i e r e n d e n Grenze s i n d d i e a n d e r e n v o n d e r O r g a n i s a t i o n des d e m T ä t e r zugeschlagenen Bereiches n i c h t ausgeschlossen. Ü b e r d i e Ü b e r n a h m e d e r A u ß e n w i r k u n g e n des H a n d e l n s des T ä t e r s k ö n n e n verschiedene Subsysteme k o n k u r r i e r e n . Z u m P f l i c h t e n u m f a n g b e i d e r I n g e r e n z : Herzberg u n d Welp 100 meinen, d e r I n g e r e n t h a f t e , abgesehen v o n d e r L a g e des Regreßverbotes, f ü r die F o l g e n jedes, auch r e c h t m ä ß i g e n V o r v e r h a l t e n s d a n n , w e n n d u r c h das V o r v e r h a l t e n eine „ n a h e G e f a h r " 1 0 1 f ü r e i n G u t geschaffen 100 Herzberg, Garantenprinzip, S. 299; ders., JuS 1971, S. 74; Welp, Vorangegangenes Tun, S. 209-273; ders., JZ 1971, S. 433; vgl. auch Granderath, Rechtspflicht, S. 149 ff.; Maurach / Gössel, A T 2, S. 155; Arzt, J A 1980, S. 715 ff. alle m. w . N. 101 Daß heute f ü r gewöhnlich das Schaffen einer „nahen Gefahr" (Stree, in: Schönke / Schröder 21 , § 13 Rdn. 34; Maurach, A T 4 , S. 608; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 120 f.; Herzberg, Garantenprinzip, S. 301 ff. alle m. w . N.) als Haftungsvoraussetzung gefordert w i r d , darf nicht naturalistisch mißverstanden werden. Es steht n u r als Metapher dafür, daß der K o n f l i k t nicht der Lebensgestaltung des Opfers zugeschlagen, oder als V e r w i r k l i c h u n g eines allgemeinen Lebensrisikos i n einer n u n einmal gefährlich gewordenen Welt definiert werden kann: Wer eine Katze hält, ist dem Nachbarn, der, durch den A n b l i c k der Katze erschreckt, stürzt, nicht zur Hilfe verpflichtet. A b e r er ist nicht deshalb nicht verpflichtet, w e i l die „ o b j e k t i v nachträgliche Prognose" ergab, „daß unter den konkreten Umständen der E i n t r i t t gerade dieses Erfolges (nicht) nahelag" (Herzberg, Garantenprinzip, S. 301), also nicht der Inadäquanz des Verlaufes wegen; er ist nicht verpflichtet, w e i l der „Normalzustand" als nicht m i t diesem Risiko belastet definiert ist. Es w i r d keine „nahe Gefahr" prognostiziert, w e i l der Beurteilungsmaßstab dem Normalzustand des Sozialmodells, für das prognostiziert w i r d , angepaßt ist — u n d damit n u r relativ zu diesem Modell gültige Aussagen liefert (Gegenbeispiel: I n einer Gesellschaft ohne Katzen w i r d das Erschrecken v o r Katzen ebenso als „nahe Gefahr" prognostiziert, w i e i n einer Gesellschaft ohne Löwen das Erschrecken v o r Löwen). U n d auch wo, bei rechtmäßigem oder rechtswidrigem Vorverhalten, eine „nahe Gefahr" prognostizierbar ist, findet Zurechnung nicht stets statt, w e n n andere der K o n f l i k t eher als den U n t e r lassenden etwas angeht. Beispielhaft: Nach einem U n f a l l sind die U n f a l l beteiligten den schaulustigen Kraftfahrern, die durch Neugier über das U n fallgeschehen abgelenkt, zu Schaden kommen, nicht verpflichtet, auch w e n n der E i n t r i t t solcher Erfolge nahe lag; u n d der Gerichtsvollzieher, der pflichtgemäß die letzten Barschaften des depressiven Schuldners pfändete, ist nicht bei Strafe des § 212 StGB verpflichtet, den Schuldner v o m Sprung i n den Tod abzuhalten oder den cholerischen Schuldner davon, den Gläubiger zu

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wurde. Auch rechtmäßiges, gefahrschaffendes Vorverhalten stets zur Begründung einer Garantenpflicht ausreichen zu lassen, ist Konsequenz einer starr auf die Relation von Güterbestand des Opfers und Vermeidefähigkeit des Täters ausgerichteten Dogmatik der Zurechnung. Einer Dogmatik, für die, u m der Optimierung des Güterbestandes willen, das Unterlassen der Abwendung eines Erfolges allein deshalb Voraussetzung der Zurechnung zum rettungsfähig unterlassenden Ingerenten ist, weil das Gegenteil: die Abwendung des Erfolges, Voraussetzung des Gütererhaltes ist. — Der Schluß von der Rettungsfähigkeit auf die Rettungspflicht mag unter dem Gesichtspunkt des Gütererhaltes konsequent sein. Er ist es nicht aus der Sicht des Zurechnungszweckes: Der Bereich, i n dem zum Erhalt von Gütern Zurechnung zu dem, der eine Gefahr geschaffen hat, der Rettungsfähigkeit des Gefahrschaffers wegen möglich ist, entspricht nicht notwendig dem Bereich, i n dem unter dem Gesichtspunkt der Garantie einer i n bestimmter Weise ausgestalteten Ordnung Zurechnung auch nötig ist. Ginge es für die Zurechnung der Folgen eines Verhaltens allein u m die naturalistische Differenz zwischen einem Verhalten, das die „nahe Gefahr" einer Gutsverletzung bringt — und deshalb den Verursacher der Gefahr zur Rettung des gefährdeten Gutes verpflichtet — und einem anderen, das ein Gut allenfalls zufällig i n Gefahr bringt — und das deshalb zur Haftung aus vorangegangenem gefährdenden Tun nicht hinreicht —, müßte auch der, der fahrlässig (oder vorsätzlich) an fremder Selbstverletzung oder Selbstgefährdung m i t w i r k t , verpflichtet sein, der von dem anderen eigenverantwortlich ausgelösten Selbstgefährdung zu steuern. Beispielhaft: Wer ein Motorrad für Motorradrennen oder ein Kanu für Wildwasserrennen verleiht, wäre i n dieser Sicht dem, der bei der Ausübung des Sportes i n Gefahr gerät, bei Strafe des Erfolgsdeliktes zur Rettung verpflichtet, gleich, ob er den Fahrkünsten des Entleihers traute oder das Dilemma kommen sah. Daß überwiegend 1 0 1 3 , anders entschieden wird, und die Haftungsfreiheit des an der Selbstgefährdung einer anderen Mitwirkenden a fortiori aus der Straflosigkeit auch der vorsätzlichen Selbstmordteilnahme geschlossen w i r d 1 0 1 b , zeigt, daß die verprügeln — gleich, ob die Gefahr solchen Tuns „nahe lag" oder nicht; u n d w e r einen anderen überredet, an einem Fußballspiel gegen eine bekannt „ruppige" u n d häufig regelwidrig spielende Mannschaft teilzunehmen, ist nicht verpflichtet, den anderen v o r den Folgen zu bewahren. Er ist nicht verpflichtet, w e i l dem Opfer der K o n f l i k t als Konsequenz seines Lebenszuschnittes angelastet werden k a n n u n d nicht, w e i l es an einer „nahen Gefahr" fehlte. 101a Vgl. aber auch B G H JR 1979, S. 429 m. A n m . Hirsch; BGH bei Holtz, M D R 1980, S. 985; BGH NStZ 1981, S. 350; dazu Schünemann, NStZ 1982, S. 60 ff. loib Vgl. n u r Hirsch, JR 1979, S. 430; Schünemann, J A 1975, S. 720 f.; ders., NStZ 1982, S. 61, m. w . N. 12*

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Gefahrschaffung eine Sache, die haftungsbegründende Zuständigkeit für die geschaffene Gefahr aber eine andere Sache ist. Wer einen anderen durch das Überlassen gefährlicher Gegenstände zur Selbstgefährdung i n den Stand setzt, ist dem anderen nicht zur Rettung verpflichtet, wenn der andere sich gefährdet, weil das Opfer die überlassenen Gegenstände zur Gestaltung seines Lebens eingesetzt hat, und die drohende Gefahr eines Gutsverlustes deshalb seine Sache ist. Denn endet der Verantwortungsbereich des einen wo der des anderen beginnt, ist es nicht plausibel, die Verlustgefahr stets auch dann dem Lebenszuschnitt des Außenstehenden zuzuschlagen, wenn der drohende Verlust Konsequenz der Lebensgestaltung des Opfers ist. Der Ingerent haftet nicht für die Folgen jeden Vorverhaltens. U m die Abnahme der Folgen können verschiedene Subsysteme konkurrieren; und er haftet vorab dann nicht, wenn der Konflikt dem Opfer als Konsequenz seines Lebenszuschnitts angelastet werden kann. bb) Die Lehre Pfleiderers Pfleiderer 102 hat versucht, „aus der Anschauung des Grundfalles (den) Bereich der Garantenstellung" zu entwickeln, m i t dem Ergebnis, es genüge für die Haftung nach vorangegangenem Tun nicht, daß der Täter „schlicht" einen Kausalprozeß i n Gang gesetzt habe: Ein gefahrschaffendes Tun soll nur ausnahmsweise pflichtbegründend sein, „wenn die besonderen Umstände (der Grundfälle) i n gleicher oder ähnlicher Weise vorliegen" 1 0 3 , die i n der Rspr. Anerkennung gefunden haben: Die Verletzung der Verkehrspflicht für den häuslichen Bereich 1 0 4 ; der „Vertrieb gesundheitsschädlicher Lebens- oder Arzneimittel" für den gewerblichen Bereich 1 0 5 ; die mangelhafte Verwahrung eines bissigen Hundes durch den H a l t e r 1 0 6 oder die „Einschließung" eines anderen 1 0 7 ; die Überlassung von Gegenständen, die wegen ihrer Gefährlichkeit verwahrt zu werden pflegen, an Kinder und Geisteskranke 108 . Schünemann hat die Ergebnisse Pfleiderers „Produkte eines unverifizierbaren Rechtsgefühls" 109 genannt. Sie seien so „zufällig und schwankend wie die Topoi, von denen sie getragen werden" 1 1 0 . Für 102 Pfleiderer, Die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun, 1968; vgl. auch Schmidhäuser, A T 2 , S. 671 ff. 103 Pfleiderer, Die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun, S. 150. 104 Pfleiderer, Die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun, S. 128. 105 Pfleiderer, Die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun, S. 133 ff. 108 Pfleiderer, Die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun, S. 136 ff. 107 Pfleiderer, Die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun, S. 141 f. los pfleiderer, Die Garantenstellung aus vorangegangenem Tun, S. 144 f. 109 110

Schünemann, Schünemann,

G r u n d u n d Grenzen, S. 85. G r u n d u n d Grenzen, S. 91.

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Herzberg ist der Versuch, den Umfang der Ingerenz durch den Vergleich mit „Grundfällen" zu bestimmen, „nicht haltbar": Er „scheitert, weil eine wertmäßige Differenz zwischen seinen Grundfällen und den meisten, entgegen der h. L. für straffrei erklärten Konstellationen nicht besteht" 1 1 1 . Es sei „abwegig", aus der „Häufigkeit gewisser Konstellationen . . . zu schließen, die ,Grundfälle' höben sich auch unteraxiologischen Gesichtspunkten von andern ab" 1 1 2 . Die gerügte Beliebigkeit der Ergebnisse hat ihren Grund darin, daß Pfleiderer bei seinem Versuch, die Haftung nach vorangegangenem gefährlichen Tun zu begrenzen, die Ausgestaltung der Technik des positiven Rechts zum Schutz von Gütern nicht i n Rechnung gestellt hat: — Die Zufälligkeit der Ergebnisse ist Konsequenz der gesetzlichen Lage, die einen Zustand gegenseitiger Nichtbeeinflussung nicht (allein) durch einen numerus clausus benannter, potentiell gefährlicher Handlungen, sondern durch Erfolgsdelikte garantiert. Das Gut ist „nach außen" gegen jedermann geschützt, und die verbotenen Handlungen nicht anders zu umschreiben als dadurch, daß sie — potentielle — Kausierung eines Verletzungserfolges sind. Daß bei dieser Lage der Bereich des nach dem Erfolgsdelikt Strafwürdigen durch Handlungen, die als Verletzungshandlungen „bestraft" wurden, nicht annähernd zu beschreiben ist, ist für das Begehen evident. Wenn bisher nur durch Pistolen, Messer oder Gift getötet wurde und deshalb nur solche Tötungshandlungen i n der Rspr. (i. S. Pfleiderers:) als „Grundfälle" des Tötens „Anerkennung fanden", ist deshalb das Töten durch einen Kraftwagen nicht erlaubt und auch nicht minder strafwürdig, gleich, ob es sich den „Grundfällen" zuordnen läßt oder nicht. Und für die Ingerenz gilt, wegen des dem Begehen identischen Pflichtgrundes, nichts anderes: Die Verpflichtung nach vorangegangenem Tun ist Konsequenz der gesetzlichen Lage, die verbotenes Verhalten über Erfolge definiert, und deshalb auch die Zuständigkeit des Zurechnungssubjektes über — revozierbare — Erfolge definiert werden muß: Der Bereich des Gebotenen kann bei dieser Lage ohne W i l l k ü r nach A r t bestimmter Handlungen so wenig benannt werden wie der des Verbotenen. cc) Zur K r i t i k der Rechtswidrigkeitslösung Rudolphi hat für die Ansicht, nur ein rechtswidriges oder pflichtwidriges gefährdendes Vorverhalten verpflichte den Unterlassenden als Garanten aus vorangegangenem T u n 1 1 3 , angeführt, aus dem Vor111

Herzberg, Garantenprinzip, S. 287 f. Herzberg, Garantenprinzip, S. 288; ähnlich Otto, N J W 1974, S. 581; ders., MSchrKrim, 1971, S. 415 f. 113 Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 157 ff.; ders., in: SK StGB 3 , § 13 Rdn. 42; vgl. auch Henkel, MSchrKrim, 1961, S. 183 f. — Nicht jede 112

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liegen einer Erlaubnis zu bestimmten Risiken sei generell zu schließen, daß jedermann „ m i t diesem Verhalten rechnen und sich bei den eigenen Entschließungen darauf einstellen konnte und zur Wahrung der eigenen Interessen auch mußte" 1 1 4 . Das Argument Rudolphis ist freilich nur plausibel, wenn allein Fallgestaltungen i n den Blick kommen, bei denen es i m normativen Vorgriff auf die erwünschte Gestaltung eines Sozialmodells schon diskutabel ist, den Normalzustand dieses Modells als mit dem Risiko belastet zu definieren, wie beim sorgfältigen Umgang m i t Kraftfahrzeugen 1 1 5 . Es ist nicht plausibel bei Eingriffsrechten: Sei es, daß das Eingriffsrecht auf seltene Ausnahmesituationen bezogen ist — wie die Lage des rechtfertigenden Notstandes — die i m Handeln stets zu kalkulieren und das „eigene Verhalten darauf" einzustellen, der Einzelne kaum leisten kann. Wie soll, i m Beispiel Rudolphis 116, der abwesende Apotheker sein Verhalten darauf einrichten, daß Dritte i n der Lage des § 34 StGB i n die Apotheke eindringen, u m Verbandsmaterial zur Hilfe nach einem schweren Unfall zu besorgen; und sollen nicht die, die eindrangen, allein deshalb, weil sie rechtmäßig eindrangen, nicht mehr verpflichtet sein, die Tür zu schließen, wenn sonst ein erheblicher Schaden droht? Sieht das Gesetz Eingriffsrechte zum Erhalt hochwertiger Interessen vor, wie i n der Lage des rechtfertigenden Notstands, ist der Regelung nicht mehr zu entnehmen, als daß sich der aufgrund der Erlaubnis vorgenommene Eingriff zu Lasten des geringerwertigen Gutes auswirkt. Aus der Eingriffserlaubnis folgt aber nichts für die Verteilung der Verantwortlichkeit für die Folgen des erlaubten Eingriffs zwischen Eingreifendem und Opfer: Ob sie dem Opfer anzulasten sind (dem jedenfalls die Entstehung des Konflikts nichts angeht) oder dem Eingreifenden als Folge des Eingriffs — darüber sagt die Eingriffserlaubnis nichts. Wie die Erledigung des beim Opfer entstandenen Konfliktes zu geschehen hat, ist mit der Wertung Pflichtwidrigkeit des Verhaltens soll freilich zur Begründung v o n Haftung hinreichen; n u r die Mißachtung einer Vorschrift, die gerade die Vermeidung v o n Risiken der eingetretenen A r t zum Gegenstand habe, verpflichte den gefährdend Handelnden; Stree, i n : Schönke/ Schröder 21 , § 13 Rdn. 35; JeScheck, i n : L K 1 0 , § 13 Rdn. 34, der noch weiter einschränkt u n d meint, „ A r t u n d Gewicht des i n der Vorhandlung enthaltenen Pflichtverstoßes (müßten) zu der Größe, Nähe u n d Bedeutung der Gefahr i n einem angemessenen Verhältnis stehen", u n d Maiwald, JuS 1981, S. 483, der für den durch Notwehr Gerechtfertigten noch eine weitere Ausnahme machen w i l l : Der Verteidiger sei dem Angreifer nicht als Garant verpflichtet, w e i l bei der „Notwehr . . . der Angegriffene . . . schon i n der Handlungsphase gar nicht verpflichtet (sei), irgendwelche zusätzlichen Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen, . . . so daß sich hier auch nicht aus der Zufälligkeit des Geschehensablaufs ein Argument für eine Handlungsäquivalenz des Unterlassens der Rettung i n der späteren Phase ergeben k a n n " . 114 Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 178; ders., JR 1974, S. 161. 115 Vgl. die Beispiele bei Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 177 ff. 110 Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 182.

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der riskanten Haltung als erlaubt allein noch nicht begründet, wie auch die zivilrechtliche Ausgestaltung der Lage nach einem erlaubten Eingriff i n § 904 Satz 2 BGB zeigt. Entsprechend bei der Notwehr: Wo schon normativ garantiert ist, daß Normverstöße unterbleiben, gehen die Folgen der Notwehr als Folgen des Normverstoßes allein den normw i d r i g Handelnden etwas an und brauchen deshalb nicht von dem i n Notwehr Handelnden kalkuliert zu werden. Sie brauchen vom Notwehrer aber nicht deshalb nicht bedacht werden, weil i h n schon der Rechtmäßigkeit seines Handelns wegen die Folgen nichts angingen: Ob die Folgen eines rechtmäßigen Verhaltens dem Verletzer stets nichts angehen, ist aus der Lage des § 32 StGB so wenig deduzierbar wie aus der des § 34 StGB. Anders gesagt: Bei der Erlaubnis zu auffällig riskanten Verhaltensweisen ist mit, der rechtlichen Bewertung des Verhaltens als rechtmäßig über die Notwendigkeit der Zurechnung der Folgen zum Verursacher, noch nichts ausgesagt. Beispielhaft: Wer hochgiftige Abfälle aus Chemiewerken transportiert, oder wer als Dompeur, als Zirkusdirektor usw. erlaubtermaßen wilde Tiere hält, oder i n Ausnutzung eines Eingriffsrechts i n Abwesenheit des Eigentümers i n ein Haus eindringt, dem ist zwar erlaubt zu handeln, wie der. gehandelt hat. M i t der Erlaubnis zu bestimmten Sonderrisiken ist aber noch nicht ausgemacht, daß der Normalzustand des Sozialmodells, i n dem er handelt, als m i t dem Risiko belastet definiert werden kann, das er einging, und der Konflikt deshalb am Verursacher der Gefahr vorbei den Beständen einer nun einmal riskant gewordenen Welt oder, wie bei der Lage des § 32 StGB, dem Lebenszuschnitt des Opfers zugeschlagen werden kann. Dies sind Möglichkeiten der Konflikterledigung, die jedenfalls dann ausscheiden, wenn der Inanspruchnahme eines Sonderrisikos kein allgemeiner Sondernutzen entspricht; wenn sich, m i t anderen Worten, auch nicht mittelbar „jedermann" als Destinatär der Risikoerlaubnis ausweisen läßt. Die Risikoerlaubnis mag i n Fällen dieser A r t ja nur deshalb sozial geduldet sein, weil i m Fall einer Gefährdung durch Inanspruchnahme der Risikoerlaubnis eine Abwendungspflicht besteht. Der Konflikt freilich ist m i t dem Hinweis auf die nun einmal gefährlich gewordene Welt noch nicht geklärt; oder sollte der Dompteur beim Ausbruch der Löwen nicht verpflichtet sein, die Löwen einzufangen, oder der Notstandstäter nicht, die erbrochene Tür zu sichern? Verallgemeinert: Die Pflichtwidrigkeitslösung schneidet sich durch das Gleichstellen einer Form rechtlicher Bewertung eines Vorverhaltens mit der sozialen Bedeutung der bewerteten Handlung die Möglichkeit ab, nach den unterschiedlichen Gründen der Risikoerlaubnis zu differenzieren 117 . 117

Vgl. dazu Jakobs, Ingerenzhaftung, S. 23 ff.

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Ein letztes: Der Pflichtwidrigkeitslösung bei der Ingerenz passen auch die Verkehrspflichten nicht ins System. Sie kann nicht erklären wieso bei dem rechtmäßigen, wenn auch riskanten Betrieb eines soziotechnischen Systems der Betreiber bei drohender Gefahr für die Rechtsgüter anderer verpflichtet ist, die Gefahr zu kompensieren. Beispielhaft: Der Betrieb eines Chemieunternehmens oder auch nur eines Kraftwagens ist erlaubt; woher dann aber die Pflicht des Betreibers des Chemieunternehmens, ein bestimmtes Ventil nicht zu öffnen, wenn anders Dritte zu Schaden kommen oder die Pflicht des Kraftfahrers zu bremsen, wenn andernfalls ein Unfall droht? Richtig an der Rechtswidrigkeitslösung ist allein, daß bei Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens die Erledigung des Konfliktes am Verursacher der Gefahr vorbei nicht mehr zu begründen ist. I n gewisser Nähe zur Pflichtwidrigkeitslösung w i l l Otto ll s den als Garanten nach gefährlichem Vorverhalten für den Erfolg haften lassen, der „den jedermann rechtlich eingeräumten Handlungsspielraum dadurch erweitert, daß er Gefahren für Rechtsgüter anderer begründet, die sich i n deren Verletzung unmittelbar realisieren". Die Beschränkung des Pflichtenumfanges durch Otto ist zu eng: Konflikte entstehen nur, wenn sich zwei Lebenskreise überschneiden. Das Überschreiten des dem „Handelnden gewährten Handlungsspielraums" beschreibt eine Möglichkeit der Konfliktentstehung. Konflikte können auch bei beiderseits ordnungsgemäßem Handeln, oder durch beiderseitige gegenläufige Erweiterung des vom Recht eingeräumten Handlungsspielraums entstehen. Beispielhaft: Der sorgfältige Kraftfahrer verletzt den sorgfältigen Fußgänger; der unsorgfältige Kraftfahrer verletzt den unsorgfältigen Fußgänger. Wenn Otto hier den K r a f t fahrer jeweils haften lassen w i l l , w e i l das „Risiko des Autofahrens den Ausschlag" 1 1 9 gebe, ist Grund der Haftung schon nicht mehr der „Einbruch" i n einen fremden Rechtskreis, sondern die Gewichtung der Beiträge der Beteiligten: Der K o n f l i k t kann ohne Verlust an „Erwartenssicherheit" nicht einer n u n einmal gefährlich gewordenen Welt angelastet werden; „denn schon m i t dem Autofahren (dehne der Autofahrer) seinen Handlungsspielraum gegenüber Fußgängern aus" 1 2 0 . Anders gesagt: Ob Konflikte durch Zurechnung zum Unterlassenden zu verarbeiten sind, kann nur durch materiale Überlegungen ermittelt werden und ist aus der Beschreibung (einer Möglichkeit) der K o n f l i k t entstehung nicht herzuleiten. Das Bewirken einer gefährlichen Situation führt allenfalls dann zur Haftung, wenn der K o n f l i k t nicht als 118

119 120

Otto, NJW 1974, S. 534; ders., Strafrecht, A T , S. 162 f.

Otto, NJW 1974, S. 535. Otto, NJW 1974, S. 535.

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Verwirklichung eines allgemeinen Lebensrisikos oder als Konsequenz des Lebenszuschnitts anderer Personen abgeschoben werden kann. Die Zuständigkeit des Unterlassenden für den nicht abgewendeten Erfolg bestimmt sich nach denselben Kriterien, die auch für den Begehenstäter gelten — und muß sich wegen des identischen Pflichtgrundes von Tun und Ingerenz auch nach denselben Kriterien bestimmen. Kann der Konflikt ohne Inanspruchnahme des Unterlassenden nicht erledigt werden, findet Zurechnung statt: Der Konflikt w i r d als Delikt des Unterlassenden definiert. Ist Konflikterledigung ohne Inanspruchnahme des Abwendungsfähigen möglich (: sei es, daß der Konflikt dem Opfer als Konsequenz seiner Lebensgestaltung angelastet oder als Schicksal, Verwirklichung eines allgemeinen Lebensrisikos oder als natürliches Unglück definiert werden kann), scheidet Zurechnung aus. So sind ein „Epileptiker oder ein mit vis absoluta Gezwungener" 1 2 1 nicht zur Abwendung des abwendbaren Erfolges verpflichtet, „sobald ihnen das möglich w i r d " , weil sich der „Urheber des Kausal Verlaufs nach Behebung des Defekts von dem Erfolg distanzieren (kann): die Not des gefährdeten anderen ist nicht seine ,Tat'; sie geht ihn de jure nicht mehr an als jeder ,Unglücksfall 4 (§ 330 c StGB)" 1 2 2 . So hat auch die neuere Rspr. entschieden — und die Freiheit von Haftung von der Gewichtung der Beiträge mehrerer an einem Konflikt Beteiligter i n einer zwischen diesen Beteiligten (: Unterlassender, Opfer und eventuell dritter Subsysteme) auszuhandelnden Beziehung abhängig gemacht 123 . Sie hat nicht, wie Rudolphi meint, nach der rechtlichen Qualität des Beitrages des Unterlassenden unterschieden 124 . 121

Entgegen Kienapfel, JuS 1966, S. 286. Welp, Vorangegangenes Tun, S. 204. — Die Gegenposition, die meint, jedes, auch ein nicht „willensgetragenes" Vorverhalten sei geeignet, den Gefahrschaffer als Garanten zu verpflichten (vgl. Herzberg, Garantenprinzip, S. 300), mag für eine, auf die Relation von Rettungsfähigkeit u n d Erhalt des Güterbestandes blickende Zurechnungsdogmatik adäquat begründet sein; sie ist es nicht, w e n n — aus der Sicht des Zurechnungszwecks — v o m eingetretenen K o n f l i k t her gefragt w i r d , ob der K o n f l i k t durch Zurechnung zu dem, der die Gefahr geschaffen hat, erledigt werden muß, oder ob der K o n f l i k t ohne Schaden für die Ordnung als Zufall oder als Unglücksfall definiert werden kann. Dafür ist weder die rechtliche Qualität der Vorhandlung v o n Belang, noch ob sie „willensgetragen" w a r oder nicht, sondern allein, was dem Verantwortungsbereich des Unterlassenden zuzuschlagen ist u n d was ohne Schaden für die Ordnung v o r diesem Verantwortungsbereich gelassen werden kann. U n d nach der Ausgestaltung des positiven Rechts geht den, der durch ein nicht „willensgetragenes" Verhalten eine Gefahr geschaffen hat, diese Gefahr so wenig etwas an, w i e i h n die Folgen eines Unglücksfalles etwas angehen. 123 Vgl. dazu Jakobs, Ingerenzhaftimg, S. 13 f., 20 ff. 124 Rudolphi, JR 1974, S. 160; Herzberg, Garantenprinzip, S. 295; Jescheck, in: L K 1 0 , § 13 Rdn. 33; dazu Jakobs, ZStW 89, S. 22, Fn. 70. — Anders die 122

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2. Teil. 2. Abschnitt. Strafmilderungen. Das Unterlassen

So soll es m ö g l i c h sein d e n G a s t w i r t Z u g u m Z u g gegen die B e l a s t u n g des Gastes z u e n t l a s t e n 1 2 5 , u n d die M ö g l i c h k e i t d e r E n t l a s t u n g soll erst enden, w o d e r Gast m a n g e l s „ Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t " n i c h t m e h r b e l a s t b a r ist (: b e i V o l l t r u n k e n h e i t , § 20 S t G B ) . D e r , d e r sich i n N o t w e h r gegen e i n e n A n g r i f f v e r t e i d i g t , k a n n e n t l a s t e t w e r d e n , w e i l „ d i e V e r t e i d i g u n g gegen d e n A n g r e i f e r . . . d u r c h das r e c h t s w i d r i g e V e r h a l t e n des A n g r e i f e r s h e r a u s g e f o r d e r t u n d ausgelöst" w u r d e 1 2 6 : D e m A n g r e i f e r k a n n der K o n f l i k t als Folge seiner T a t angelastet w e r d e n 1 2 7 . E i n Kraftfahrer, der bei ordnungsgemäßem Verhalten einen U n f a l l verursachte u n d n i c h t h a l f , w u r d e m i t d e r B e g r ü n d u n g e n t l a s t e t , das O p f e r h a b e „ d u r c h sein v e r k e h r s w i d r i g e s V e r h a l t e n a l l e i n s c h u l d h a f t die Ursache f ü r d e n V e r k e h r s u n f a l l u n d d a m i t f ü r d i e e i g e n t l i c h e G e f a h r i m S i n n e des § 221 S t G B g e s e t z t " 1 2 8 . U n d die M ö g l i c h k e i t , d e n U n t e r lassenden Z u g u m Z u g gegen die B e l a s t u n g des Opfers z u e n t l a s t e n , endet, w o das O p f e r als n i c h t b e l a s t b a r d e f i n i e r t ist: B e i K i n d e r n o d e r Geisteskranken129. ältere Rspr., die die Ingerenzhaftung i m weitest möglichem Umfang anerk a n n t hatte; B G H S t . 11, S. 353 ff. (355): Wer ein Taschenmesser verleiht, ist, w e n n der Entleiher m i t diesem Messer einen D r i t t e n niedersticht, zur E r folgsabwendung „ohne Rücksicht darauf verpflichtet, ob er die . . . entstandene Gefahr schuldhaft oder ohne Schuld herbeigeführt" habe. — Z u r M e i n eidsbeihilfe durch Unterlassen B G H S t . 2, S. 129 ff. (134): „Wer Liebesbeziehungen . . . noch während des Scheidungsverfahrens m i t einer Frau fortsetzt u n d i m m e r enger gestaltet, die als Zeugin für dieses Verhältnis benannt ist, k a n n . . . durch die Fortsetzung seines Verhältnisses für sie die Versuchung herbeiführen, falsch auszusagen u n d einen Meineid zu schwören. Erkennt er, daß durch die Fortsetzung u n d i m m e r engere Gestaltung des Verhältnisses m i t der Frau diese Versuchung für sie entsteht oder größer w i r d , dann ist er von Rechts wegen zum Handeln verpflichtet"; vgl. auch B G H N J W 1958, S. 956 f.; BGHSt. 14, S. 229 ff.; BGHSt. 17, S. 321 ff. — Z u r Haftung des Gastwirtes nach dem Ausschenken alkoholischer Getränke BGHSt. 4, S. 20 ff., u n d zur Verpflichtung eines D r i t t e n bei einer v o n i h m veranlaßten T r u n k e n heitsfahrt KG JR 1956, S. 150: „Der Angeklagte (hat) durch sein M i t f a h r e n eine i h m erkennbare Gefahrenlage für den alsdann Verunglückten geschaffen, so daß i m Rahmen der Möglichkeit u n d der Zumutbarkeit, für i h n eine Pflicht zum Handeln entstand"; vgl. auch BGH JR 1954, S. 269. 125

So BGHSt. 19, S. 152 ff. (155); vgl. auch BGHSt. 26, S. 35 ff. (37 f.). BGHSt. 23, S. 327 f. (328). 127 U n d die Möglichkeit der Entlastung muß dementsprechend enden, w o die Belastung des Opfers ausscheidet, w e i l das Eingriffsrecht den E i n g r i f f i n am K o n f l i k t unbeteiligte Güter zuläßt: B e i m „aggressiven Notstand" k a n n der K o n f l i k t nicht als Konsequenz seines Lebens dem Opfer angelastet werden. U n d Entlastung muß auch ausscheiden beim Handeln i n einem I r r t u m über die „tatsächlichen Voraussetzungen" der Notwehr: Der Unterlassende k o m m t hier nicht v o n der Garantenstellung frei, w e i l sich das Opfer sein Dilemma nicht selbst zuzuschreiben hat. 128 BGHSt. 25, S. 218 ff. (222). 129 Hier zeigt sich, daß die Möglichkeit, den K o n f l i k t anderen Subsystemen u n d hier insbesondere dem Opfer anzulasten, Konsequenz der oben genannten Besonderheit der über Erfolge definierten Verantwortungsbereiche ist (: u m die Übernahme der Außenwirkungen können verschiedene Systeme 126

I . Die Angemessenheit einer Strafmilderung

187

Wie bei beiderseits ordnungsgemäßem Verhalten der am Unfall beteiligten Verkehrsteilnehmer zu entscheiden ist, ist offen. Die Entscheidung w i r d wohl davon abhängen, ob es nach der gegenwärtigen Lage möglich ist, die Risiken eines ordnungsgemäßen Straßenverkehrs schon als allgemeines, unvermeidliches Lebensrisiko zu definieren und damit als Folgekosten eines Zustandes abzubuchen, als dessen Destinatäre sich „alle" ausweisen lassen; oder ob der Normalzustand als von diesem Risiko frei definiert wird, m i t der Folge, daß der Kraftfahrer auch bei beiderseits ordnungsgemäßem Verhalten als Garant verpflichtet ist: Eine Lösung, die zumindest nach der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Haftung nach Unfällen naheliegt. e) Zusammenfassung Zusammenfassend: Die These Roxins, die Strafmilderung des § 13 Abs. 2 StGB sei besonders der Ingerenz wegen dringend geboten, hat sich als unrichtig herausgestellt. Die Verpflichtung aus vorangegangenem gefährdenden T u n ist Konsequenz der gesetzlichen Lage, nach der ein Zustand gegenseitiger Nichtbeeinflussung durch Erfolgsdelikte garantiert werden soll. Die Haftung des Ingerenten ist deshalb aus dem Grund, der auch das Verbot trägt, schädigendes T u n zu unterlassen, herleitbar. Gerade umgekehrt wie Roxin meint, sind die den „Pflichtdelikten" zugehörigen „fürsorgerischen Garantieverhältnisse", die Garantieverhältnisse, die den Garanten zu positiv solidarischer Zuwendung zu einem fremden Gut verpflichten, dem Pflichtgrund der Verbote nicht zu entnehmen und damit nicht „begehensgleich" zu begründen: Der Schnitt i n der Haftungsbegründung verläuft nicht zwischen Tun und Unterlassen, sondern zwischen den „fürsorgerischen Garantieverhältnissen" und den „Pflichtdelikten" auf der einen und Begehen, Verkehrspflichten und Ingerenz auf der anderen Seite. Zwischen den Pflichten also, die die Garantie isolierter Sphären zum Gegenstand haben und denen, die den Umfang gegenseitiger Solidarität festlegen.

konkurrieren), u n d zugleich auf diese A r t der Bestimmung v o n Zuständigkeiten beschränkt ist: Auch der sorgfältige Kraftfahrer ist, soweit er es noch w i r k s a m konnte, bei Strafe des Erfolgsdeliktes verpflichtet, v o r dem unsorgfältig auf der Fahrbahn auftauchenden Passanten zu bremsen. Er k a n n sich nicht darauf berufen, die Nachlässigkeit des Passanten habe die eigentliche Gefahr für den Zusammenstoß gesetzt. Für die Ausgestaltung des über das Werkzeug „Kraftwagen" definierten Zuständigkeitsbereiches „Autofahren" schließt er andere aus, u n d er haftet, w e n n die konkrete Ausgestaltung v o m Plan abweicht — ohne daß er, wie beim Unterlassen v o n Rettungsmaßnahmen nach dem Unfall, die erforderlichen Handlungen zur Sache des Opfers oder eines D r i t t e n erklären könnte.

188

2. Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen. D

3. Die „fürsorgerischen

ers

Garantieverhältnisse"

a) Z u m H a f t u n g s g r u n d b e i d e n „ f ü r s o r g e r i s c h e n Garantieverhältnissen" Z u r e c h n u n g k a n n a n E r f o l g s d e l i k t e a n k n ü p f e n : Das v e r b o t e n e V e r h a l t e n ist d a n n n i c h t anders z u beschreiben, als daß es p o t e n t i e l l e V e r u r s a c h u n g eines V e r l e t z u n g s e r f o l g e s ist. O d e r : S t r a f r e c h t l i c h e Z u r e c h n u n g k n ü p f t an a u s d i f f e r e n z i e r t e soziale R o l l e n oder soziale I n s t i t u t i o n e n an. D i e Z u r e c h n u n g v o n E r f o l g e n z u d e n R o l l e n t r ä g e r n oder d e n F u n k t i o n ä r e n sozialer I n s t i t u t i o n e n , die entgegen d e n L e i s t u n g s a n f o r d e r u n g e n d e r j e w e i l i g e n R o l l e o d e r e n t gegen d e n A n f o r d e r u n g e n d e r S y s t e m s t r u k t u r d i e A b w e n d u n g b e stimmter, i m Leistungsprogramm der Rolle oder der Systemstruktur vorgesehener E r f o l g e , u n t e r l a s s e n h a b e n , geschieht i n F ä l l e n dieser A r t , u m d e r G a r a n t i e der F u n k t i o n s f ä h i g k e i t dieser a u ß e r s t r a f r e c h t l i c h d u r c h g e f o r m t e n Lebenskreise w i l l e n ; g e m e i n t s i n d d i e „ P f l i c h t d e l i k t e " i. S. Roxins 130. 130 Roxin, K r i m i n a l p o l i t i k 2 , S. 18. — Dagegen gibt es Pflichten zur Verhüt u n g fremder Straftaten i n der eigenen Wohnung k r a f t institutioneller Z u ständigkeit nicht (so noch BGHSt. 27, S. 10 ff., 12, m i t ablehnender Entscheidungsrezension Tenckhoff, JuS 1978, S. 308 ff., u n d ablehnender A n m e r k u n g Naucke, JR 1977, S. 290 ff.; BZez, A T 1 7 , S. 295; ders., J A 1972, S. 15; Böhm, Die Rechtspflicht zum Handeln, S. 68 f.; Heimann-Trosien, i n : L K 9 , Einführung, Rdn. 176; Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 139 ff., 149 ff.; anders aber Rudolphi, i n : SK StGB 3 , § 13 Rdn. 37, 56; Stree, in: Schänke / Schröder 21, § 13 Rdn. 54; WeZp, Vorangegangenes Tun, S. 259 ff.; Herzberg, Garantenprinzip, S. 333 f.; Schiinemann, G r u n d u n d Grenzen, S. 361 f.; u n d jetzt auch BGH NStZ 1982, S. 245 f.) u n d auch nicht stets k r a f t Organisationszuständigkeit für den privaten Bereich; denn die Polizeifreiheit dieses Bereichs w i r d nicht durch ein Verhalten des Inhabers geschaffen, sondern ist dem Organisationsverhalten des Inhabers vorgegeben, so daß wegen der n u r faktischen Verbindung v o n Wohnung u n d fremdem D e l i k t der Wohnungsinhaber auch nicht als Destinatär der Polizeifreiheit für deren Folgen einzustehen hat. Was bleibt ist die allgemeine Haftung nach den Regeln der Verkehrspflichten, w e n n die Wohnung „vermöge ihre Eigenart i n dem konkreten A b l a u f der Straftat eine Rolle" spielt (Rudolphi, in: SK StGB 3 , § 13 Rdn. 37, 56). — B e i m Inhaber eines Monopols ist danach zu unterscheiden, ob die Begründung des Monopols auf dem allgemeinen Gebrauch der Handlungsfreiheit beruhte oder auf der Inanspruchnahme besonderer Freiheit: N u r i m zweiten F a l l haftet er als Garant; u n d er haftet als Garant wegen der Zuständigkeit für den von i h m organisierten Lebenskreis, u n d nicht als Garant k r a f t institutioneller Zuständigkeit (vgl. zum Problem Bockelmann, Nds., Bd. 12, S. 100, 477; anders aber ders., Strafrecht des Arztes, S. 19 ff.). Beispielhaft: Der Chirurg, der allein eine bestimmte Operationstechnik beherrscht, ist nicht bei Strafe des § 212 StGB verpflichtet, diese Technik allein deshalb i n jedem geeigneten F a l l anzuwenden, w e i l n u r er sie beherrscht; w e r als einziger i n einem abgelegenen D o r f einen P k w besitzt, ist nicht bei Strafe der Nötigung den Dorfbewohnern verpflichtet, sie zum Einkauf i n das w e i t entfernte Kaufhaus zu fahren; w e r ein fremdes K i n d , das i n einen Brunnen gefallen ist, nicht rettet, obgleich er als einziger die zur Rettung nötige Leiter besitzt, haftet nicht des Erfolges wegen; es bleibt aber § 323 c StGB. Dage-

I. Die Angemessenheit einer Strafmilderung

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D i e H a f t u n g des r e t t u n g s f ä h i g U n t e r l a s s e n d e n n a c h d e m E r f o l g s d e l i k t ist h i e r n i c h t begehungsgleich z u b e g r ü n d e n : Z u g e r e c h n e t w i r d n i c h t , u m e i n e n Z u s t a n d gegenseitiger N i c h t b e e i n f l u s s u n g z u g a r a n tieren, w i e bei der Zurechnung z u m Begehen u n d z u m Unterlassen des V e r k e h r s p f l i c h t i g e n u n d des I n g e r e n t e n . Z u r e c h n u n g z u m U n t e r lassenden d i e n t b e i d e n i n sozialen R o l l e n oder I n s t i t u t i o n e n f u n d i e r ten Garantieverhältnissen v i e l m e h r der Garantie v o n Pflichten zu solidarischer Z u w e n d u n g z u e i n e m f r e m d e n Lebenskreis, d e r auf diese S o l i d a r i t ä t angewiesen ist: Sei es, daß er i s o l i e r t , also ohne s o l i d a rische Z u w e n d u n g D r i t t e r , n i c h t l e b e n s f ä h i g ist (: i n d e r E l t e r n - K i n d B e z i e h u n g ) ; sei es, daß d e r Rechtsgutsträger nach d e n R e g e l n e i n e r a r b e i t s t e i l i g o r g a n i s i e r t e n Gesellschaft die S i c h e r u n g eigener G ü t e r a n d e r e n ü b e r t r a g e n h a t (: b e i d e r „ t a t s ä c h l i c h e n Ü b e r n a h m e " e i n e r S c h u t z f u n k t i o n ) 1 3 1 ; sei es, daß b e s t i m m t e soziale I n s t i t u t i o n e n ü b e r d i e gen ist der Architekt, der einen Bau konstruiert hat, bei Strafe des Erfolgsdelikts zur Herausgabe der Pläne verpflichtet, w e n n n u r durch die Herausgabe Schaden v o n den Bewohnern abgewendet werden kann, u n d er die Pläne einbehielt, u m sie als Vorlage für weitere Bauvorhaben zu gebrauchen. 131 Die Garantenstellung durch die Übernahme von Pflichten hat danach also zwei Wurzeln: Es geht einmal u m die Fälle einer tatsächlichen Übernahme, i n denen die Übernahme der G r u n d dafür ist, daß Güter D r i t t e r i n eine Lage gebracht werden, i n der Gutserhalt oder Sicherung des Gutes nötig werden; der Haftungsgrund der Übernahme entspricht hier dem Haftungsgrund der Ingerenz: Der Unterlassende hat für die Folgen der Organisation seines Lebenskreises durch das Ubernahmeverhalten für die Lebenskreise D r i t t e r einzustehen (auf diesen Haftungsgrund allein stellen ab Blei, H. Mayer-Festschrift, S. 119 ff.; Stree, H. Mayer-Festschrift, S. 145 ff.; Jescheck, A T 3 , S. 506; ders., in: L K 1 0 , § 13 Rdn. 27; Arzt, J A 1981, S. 655 f.; Samson, N J W 1978, S. 1185); die Verpflichtung des Übernehmenden entsteht dementsprechend nicht, w o Chancen für die Güter D r i t t e r durch das Übernahmeverhalten effektiv nicht verschlechtert w u r d e n u n d sie entsteht auch nicht, w e n n das Verhalten des Übernehmenden k e i n Risiko v o n rechtlich relevanter Dichte für die Güter D r i t t e r auslöst: Wer die Minderung des a l l gemeinen Bestandsrisikos übernimmt, ist nicht als Garant verpflichtet, der übernommenen Verpflichtung auch nachzukommen (treffend Blei, H. MayerFestschrift, S. 141: „exzentrische Schutzmaßnahmen"). Daneben gibt es aber* noch einen Bereich der Verpflichtung aus Übernahme, der sich auf die Z u ständigkeit für ein Organisationsverhalten nicht reduzieren läßt (zutreffend kritisch zu der alleinigen Ausrichtung der Übernahme am Gedanken der Ingerenz deshalb Herzberg, Garantenprinzip, S. 348 ff.; Philipps, Handlungsspielraum, S. 176 ff.): Es geht dabei u m Fälle berechtigten Vertrauens i n die Konstanz einer übernommenen Rolle, auch w e n n die Übernahme der Rolle unmittelbar für den Bestand v o n Gütern keine negativen Folgen hatte. Beispiele sind die Aufnahme von pflegebedürftigen Personen i n den Haushalt, ein Krankenhaus oder ein Altersheim, w e i l hier darauf vertraut w i r d , daß der die Person Aufnehmende sich nicht widersprüchlich verhält, also nicht das Versprechen, die v o r dem E i n t r i t t einer Notlage übernommene Sorge beim E i n t r i t t dieser Lage ohne plausiblen G r u n d zu brechen. Freilich begründet nicht allein die solidarische Zuwendung zu einem fremden Lebenskreis Pflichten zu dauernder Solidarität. Beispielhaft: Wer einem hilflosen Bettler einen geringen Geldbetrag spendet, ist nicht schon deshalb zur Sorge u m dessen künftiges Wohlergehen verpflichtet. Schiinemann, Grund und Grenzen, S. 343, argumentiert, n u r „eine die fremde Herrschaft begründende

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2. Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen. D

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S o l i d a r i t ä t i h r e r M i t g l i e d e r d e f i n i e r t w e r d e n u n d die i m N i c h t - R e t t e n expressiv w e r d e n d e A b w e n d u n g v o n d e r die I n s t i t u t i o n d e f i n i e r e n d e n Ideologie die I n s t i t u t i o n selbst p r o b l e m a t i s c h m a c h t (: b e i d e r E h e u n d d e r F a m i l i e ) : „fürsorgerische G a r a n t i e v e r h ä l t n i s s e " 1 3 2 . b) Z u m H a f t u n g s u m f a n g b e i d e n „ f ü r s o r g e r i s c h e n Garantieverhältnissen" D i e n t Z u r e c h n u n g aber d e r G a r a n t i e d e r L e i s t u n g s a n f o r d e r u n g soz i a l e r R o l l e n , ist d e r H a f t u n g s u m f a n g des j e w e i l i g e n R o l l e n t r ä g e r s i n e i n e m d o p p e l t e n S i n n d u r c h das S o z i a l m o d e l l , f ü r das die R o l l e oder soziale I n s t i t u t i o n g a r a n t i e r t w e r d e n soll, n o r m a t i v b e d i n g t . aa) D i e als G a r a n t e n v e r p f l i c h t e n d e n sozialen S o n d e r b e z i e h u n g e n D i e n o r m a t i v e B e d i n g t h e i t des H a f t u n g s u m f a n g e s z e i g t sich zunächst b e i d e r A u s w a h l d e r G r u p p e n , d e r e n M i t g l i e d e r e i n a n d e r als G a r a n t e n v e r p f l i c h t e t sind. D i e B e s t i m m u n g d e r R o l l e n t y p e n oder d e r T y p e n sozialer I n s t i t u t i o n e n , d i e d u r c h s t r a f r e c h t l i c h e S a n k t i o n e n n a c h d e m E r f o l g s d e l i k t z u g a r a n t i e r e n sind, k a n n n u r r e l a t i v z u e i n e m b e s t i m m t e n S o z i a l m o d e l l erfolgen. B e i s p i e l h a f t : O b n e b e n E h e u n d F a m i l i e auch das V e r l ö b n i s 1 3 3 , das „ K o n k u b i n a t " , oder andere F o r m e n des Z u Situationsveränderung" begründe Haftung aus Übernahme. Der Ansatz überzeugt nicht: Aus der naturalistischen Differenz (der Situationsveränderung) folgt nicht ohne weiteres eine Haftungsdifferenz. 132 Z u Versuchen, die Garantieverhältnisse generell aus Pflichten zu gegenseitiger Solidarität herzuleiten: Vogt, ZStW 63, S. 399 ff.; Androulakis, Studien, S. 159 u. ö., der auf den Begriff der „sozialen Nähe" zurückgreift; Bärwinkel, Garantieverhältnisse, S. 97 ff., 129 ff., der an den Begriff der „sozialen Rolle" anknüpft, u n d einem rettungsfähig Unterlassenden die unterlassene Erfolgsabwendung dann nach dem Erfolgsdelikt zurechnet, w e n n eine, durch eine soziale Rolle spezifizierte „sozialethische Pflicht" Hilfe für das bedrohte Gut gebot, u n d das Ausfüllen der Leistungsanforderungen dieser „sozialen Rolle" für ein „gedeihliches Zusammenleben" (: „Gemeinwohl") notwendig war. — Freilich gelingt es diesen „monistisch" aus dem Gedanken des „Pflichtdelikts" i. S. Roxins konzipierten Garantenlehren nicht, die V e r pflichtung des Ingerenten u n d des Verkehrspflichtigen i n dem institutionellen Rahmen unterzubringen, da der Pflichtgrund des Begehens, der Ingerenz u n d der Verkehrspflichten, der die Garantie einer Ordnung isolierter Sphären zum Gegenstand hat, m i t dem Pflichtgrund der „fürsorgerischen Garantieverhältnisse" nicht identisch ist, der gerade darauf abzielt, sonst nicht existenzfähige Lebenskreise zu erhalten (vgl. 2. T e i l 2. Abschnitt I. C. 2. e.). — Roxin ( K r i m i n a l p o l i t i k 2 , S. 19) hat das Dilemma i n der Pflichtenbegründung gesehen, den K o n f l i k t aber zu Lasten der Ingerenz gelöst, die er als m i t den „Pflichtdelikten" unverträglich, als qualifizierten F a l l dem § 323 c StGB zuschlägt, dabei aber übersieht, daß § 323 c StGB seinerseits das Mindestmaß gegenseitiger Solidarität festlegt u n d deshalb der Ingerenz unverträglich ist, deren Pflichtgrund gerade auf die Garantie gegenseitiger Nichtbeeinflussung zielt. 133 B G H JR 1955, S. 104 f.; Herzberg, Garantenprinzip, S. 343 f., m. w . N.

I. Die Angemessenheit einer Strafmilderung

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sammenlebens 134 , „Zechgemeinschaften", das Mitfahren i n einem Pkw und — i n „Ausnahmesituationen" — gar das Zusammenleben von „Gammlern und Vagabunden" 1 3 5 die Beteiligten einander zur Hilfe i n Notlagen verpflichten, kann nicht allein danach entschieden werden, ob ein, den familienrechtlichen Beziehungen „ähnliches" Gemeinschaftsverhältnis „tatsächlich" besteht. Herzberg begründet die Erweiterung der Garantieverhältnisse über Ehe und Familie hinaus auf Fälle „tatsächlichen Zusammenlebens" damit, daß „Ehe und nächste Verwandtschaft . . . zwar menschliches Verbundensein (formalisiere) und . . . es immun gegen faktische Auflösungsprozesse (mache). Dennoch trägt letztlich schon hier der Gedanke der Zusammengehörigkeit, nicht die Verwandtschaft als solche oder der Ehevertrag, die Garantiepflicht. . . . Insoweit unser Wertempfinden anderen Gemeinschaftsbeziehungen dieselbe Intensität und dieselbe solidarische Kraft zumißt wie der Ehe . . . ist es ein Gebot der Gerechtigkeit, allein aus diesem Grunde Garantiepflichten . . . anzunehmen" 1 3 0 . Die Ausweitung der Garantenhaftung auf andere, der Ehe an Dichte der Beziehung ähnliche soziale Sonderverbindungen ist i m System Herzbergs Konsequenz einer auf die Optimierung des Güterbestandes abstellenden Zurechnungslehre beim Unterlassen. Einer Zurechnungslehre, für die dann freilich die Fundierung der Pflichten zu positiv solidarischer Zuwendung zu bedrohten Gütern i n Beziehungen sozialer Nähe eine, aus dem Ansatz beim Güterschutz nicht zu begründende, Haftungseinschränkung bringt: Die Optimierung des Güterbestandes ist am sichersten dadurch zu erreichen, daß jeder Rettungsfähige zu jeder i h m möglichen Rettung verpflichtet ist. Ein Modell der Zurechnung, das kein Modell des geltenden Rechts ist, wie schon die Gegenüberstellung von § 13 Abs. 1 StGB und § 323 c StGB zeigt, der jedenfalls keine Haftung für den Erfolg bedeutet.

134

Herzberg, Garantenprinzip, S. 345 f.; Rudolphi, in: SK StGB 3 , § 13 Rdn. 51. 135 Herzberg, Garantenprinzip, S. 345; für das eheähnliche Zusammenleben Homosexueller A G Duisburg, M D R 1971, S. 1027. 136 Herzberg, Garantenprinzip, S. 344 f.; w o h l auch Maurach / Gössel, A T 2, S. 153. — Einschränkend Stratenwerth, A T 3 , Rdn. 985 ff., der verfassungsrechtliche Bedenken anmeldet; Geilen, FamRZ, 1961, S. 153, k n ü p f t an die „Rechtspflichtslehre" an u n d meint, „als Ausgleich für die transpositive Erweiterung der Garantenpflichten" sei wenigstens daran festzuhalten, „daß die die Garantenstellung begründende Lebensgemeinschaft auf sozialethisch festgefügtem Boden steht"; vgl. auch Jescheck, in: L K 1 0 , § 13 Rdn. 21. — Schünemann (Grund u n d Grenzen, S. 358, 221 ff.) sucht eine Einschränkung der Garantieverhältnisse nach dem v o n i h m sog. „Sekundaritätsprinzip" zu erreichen: E i n Verhalten dürfe nicht bestraft werden, w e n n es nach der engeren rechtlichen Ordnung erlaubt sei; dazu kritisch Herzberg, Garantenprinzip, S. 218 ff.; vgl. noch Döring, M D R 1972, S. 664.

1 9 2 2 .

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. Abschnitt. Strafmilderungen. D

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Bei der gegebenen gesetzlichen Lage kann der Güterschutz allein den Grund für die wechselseitige Verpflichtung zur Hilfe durch soziale Sonderbeziehungen Verbundener nicht liefern. Den Grund der Haftung des Rollenträgers oder der Funktionäre sozialer Institutionen liefert vielmehr die Garantie der durch das Nichthindern von Erfolgen i n ihrem Funktionieren gestörten Sonderbeziehung. Die Fundierung von Pflichten i n sozialen Rollen oder sozialen Institutionen ist dann nicht eine, dem Güterschutz hinderliche und aus dem Haftungsgrund nicht deduzierbare Einschränkung der Haftung, sondern der Haftungsgrund selbst, mit den aus der normativen Bedingtheit des Haftungsgrundes folgenden Konsequenzen auch für die Bestimmung des Haftungsumfanges. Der Appell an die Evidenz, mit dessen Hilfe Herzberg die Ausweitung der Garantenstellungen begründet, ist sicher i n einem Bereich wertender Auswahl aus Alternativen legitimes Mittel der Entscheidungsfindung. Es ist aber unzulässig, bei der spontanen Wertung stehenzubleiben, ohne die getroffene Wertung durch eine Rückführung auf übergeordnete Strukturzusammenhänge zu überprüfen. Konkret: Jedes Auferlegen besonderer Hilfspflichten bedeutet immer auch die normative Garantie des Zusammenschlusses, dem der Pflichtige angehört. Herzberg übersieht nun aber, daß i n einer, i n bestimmter Weise ausgestalteten Ordnung nicht durch das Auferlegen von Hilfspflichten beliebige, den nach der sozialen Planung vorgesehenen Institutionen konkurrierende Gruppen substituiert werden können. Denn für die Lösung der Folgeprobleme, die stets entstehen, wenn sich Verhaltensmuster institutionell verfestigen, ist nicht gesorgt. — Folgeprobleme, die für Ehe und Familie durch ein differenziertes Normensystem i n formalisierten Verfahren abgearbeitet werden. Und Herzberg bedenkt auch nicht die Folgen der Garantie beliebiger Gruppen für die, i n einer bestimmten Ordnung vorgesehenen institutionellen Verhaltensmuster: Die Garantie der Ehe und der Familie konkurrierender Formen der Lebensgestaltung symbolisiert stets auch, daß Alternativen zu Familie und Ehe bestehen. Ein Leben i n Ehe und Familie ist jedenfalls nicht der „Normalzustand" und auch nicht der einzige, bei Gefahr des Verlustes an sozialem Ansehen wählbare Zustand. Das Fortbestehen sozialer Institutionen gründet sich aber auf ihrer gesellschaftlichen Anerkennung als permanente Lösung permanenter Probleme und die Institution verliert, ins Licht anderer Möglichkeit gesetzt, m i t ihrer Exklusivität auch ihren Geltungsanspruch als ausschließliche Problemlösungsstrategie 137 . Freilich, die Moderne pluralisiert Institutionen: Le137

Richtig Bärwinkel, Garantie Verhältnisse, S. 171: Die Konstituierung v o n Garantenpflichten dürfe „nicht zur Erzwingung außerehelicher, eheähnlicher Lebensgemeinschaften führen, die die grundgesetzliche Garantie der Ehe i n

I. Die Angemessenheit einer Strafmilderung

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bensläufe sind nicht selten Abfolgen von Wahlmöglichkeiten; von Wahlen hinsichtlich der Bildungs- und Berufslaufbahn, der Ehepartner, alternativer Erziehungsziele und schließlich auch hinsichtlich der beinahe unbegrenzten Vielfalt freiwilliger sozialer Bindungen. Es darf aber nicht übersehen werden, daß eine unmittelbare Beziehung besteht zwischen der Kohäsion von Institutionen und dem subjektiven Zusammenhalt der die Institutionen legitimierenden Weltanschauungen: Menschen sind auf soziale Bestätigung ihrer Realitätssicht angewiesen 138 . Körperlicher Schmerz mag seine Plausibilität noch ohne soziale Vermittlung aufdrängen. Der Fortbestand sozialer Institutionen aber bedarf besonderer Bestätigung, wenn sie für den einzelnen plausibel werden oder bleiben sollen. Unterbleibt die Bestätigung oder w i r d auch bestätigt, daß es jedenfalls nicht falsch ist, alternative Beziehungen einzugehen, hat dies einen Plausibilitätsverlust für die nach der sozialen Planung vorgesehenen Sonderbeziehungen zur Folge. Es ist deshalb nicht zufällig, daß Ehe und Familie, die für Simmel am wenigsten stabile aller möglichen gesellschaftlichen Beziehungen, stets auf soziale Bestätigung und heteronome Legitimierung angewiesen waren: Früher durch Naturrecht, oder als i n der menschlichen Natur gegründete Institution ontologisiert, ist es heute eine „Funktion der gegenwärtigen Psychologie, diese wenig abgesicherte Welt dadurch zu stützen, daß sie zum Normalzustand erklärt w i r d — eine Auffassung, die diese Welt legitimiert . . . und individuell bezogene Mittel zur Beseitigung von Krisen" bereitstellt 1 3 9 . Nur Institutionen, die wegen ihrer Bedeutung für das soziale Gefüge einer Gesellschaft den Pflichten gleichstehen, die ihren Pflichtgrund i m Begehenserfolgsdelikt haben, begründen ein Garantieverhältnis. Und unter der Voraussetzung, daß Ehe und Familie für diese Ordnung unverzichtbar sind, ist es falsch, andere Formen des Zusammenlebens durch strafrechtliche Garantie zu stabilisieren: Als Garanten sind die ihrer Ausschließlichkeit beeinträchtigt u n d damit die . . . Rechtsinstitution der Familie gefährdet"; vgl. auch Maiwald, JuS 1981, S. 481 u n d Bockelmann, Nds., Bd. 8, S. 402: „Soll der Schwängerer zwei Frauen haben, eine, m i t der er verheiratet ist u n d eine, m i t der er ein eheähnliches Verhältnis unterhalten muß, w e i l das Strafrecht dies von i h m fordert?" RGSt. 73, S. 52 ff., 55 f.: Es gebe keine Pflicht der Konkubine des Ehemannes, auch bei t a t sächlichem Zusammenleben i n der Familie des Mannes, den M o r d an der Ehefrau zu verhindern. 138 Die Beziehung zwischen sozialem K o n t e x t u n d Bewußtsein gilt freilich nicht absolut: Es gibt i m m e r Ausnahmen, Abweichler u n d Einzelgänger, die auch bei fehlender sozialer Bestätigung ihre Ansichten v o n der Welt u n d v o n sich beibehalten. Diese Ausnahmen widerlegen aber nicht die — probalistische — Hypothese, daß menschliche Wertvorstellungen oder der Zusammenhang sozialer Institutionen n u r bei dauernder sozialer Bestätigung plausibel bleiben. 139 Berger / Kellner, Soziale Welt, 1965, S. 231. 13 Timpe

1 9 4 2 .

Teil.

Ehegatten nur pflichtet 1 4 0 .

. Abschnitt. Strafmilderungen. D

einander

ers

und ihren minderjährigen

Kindern

ver-

Für andere Gemeinschaftsverhältnisse als Ehe 1 4 1 und Familie ist eine Haftung allenfalls dann noch zu begründen, wenn die Beziehung über den ihr von den Partnern unterlegten Sinn von den, nach der sozialen Planung vorgesehenen Gemeinschaftsverhältnissen distanziert werden kann. Beispielhaft: Optimierung von Lebensglück bei der Ehe auf der einen und Erhalt von (Rest-)Lebenschancen bei Pflegegemeinschaften oder bei der Aufnahme pflegebedürftiger Personen i n den Haushalt auf der anderen Seite; eventuell auch bei dem Zusammenleben Alter oder Behinderter. Garantieverhältnisse auf Grund besonderer Gemeinschaftsbeziehungen sind schließlich noch diskutabel i n Fällen, i n denen der Zusammenschluß zeitlich begrenzt zur Lösung spezifischer Probleme aus einsichtigen Gründen eingegangen wurde: Bei Gefahrengemeinschaften, Expeditionen u. ä. 1 4 2 Verallgemeinert: Wo aus plausiblen Gründen eine „Sondersituation" als Motiv des Zusammenschlusses ohne Schaden für die Ordnung geltend gemacht werden kann. bb) Zum Pflichtenumfang der Garanten Die normative Bedingtheit des Haftungsumfanges bei den „fürsorgerischen Garantieverhältnissen" zeigt sich zum anderen bei der Festlegung der Pflichten derer, die durch eine als Garantieverhältnis ausgezeichnete soziale Sonderverbindung verpflichtet sind. Der Pflichtenumfang der Mitglieder eines solchen Zusammenschlusses hängt von der funktionalen Ausgestaltung dieses Zusammenschlusses für die Ordnung ab, für die er durch strafrechtliche Zurechnung garantiert werden soll. 140

Zweifelsfälle bleiben: Sind auch die K i n d e r i h r e n E l t e r n (so BGHSt. 19, S. 167 ff., 169) u n d die E l t e r n ihren v o l l j ä h r i g e n K i n d e r n als Garanten verpflichtet? Begründet auch u n d bejahendenfalls i n welchem Umfang, „enge Verwandtschaft" Gar antenpflichten: f ü r die Geschwister untereinander (so Herzberg, Garantenprinzip, S. 339); für die Großeltern gegenüber den E n k e l n (so RGSt. 72, S. 373 ff., 374); für den Schwager gegenüber der Schwägerin (so RGSt. 73, S. 389; BGHSt. 13, S. 162 ff.)? K o m m t es auf den „tatsächlichen Bestand" (so Stratenwerth, A T 3 , Rdn. 1018) der Familiengemeinschaft an oder reicht das formale Band der Ehe (so Geilen, FamRZ 1961, S. 148); hat die „Zerrüttung" der Ehe Einfluß auf die Haftung der Ehegatten? Oder ist zu differenzieren: Je enger das formale Band der Verwandtschaft, desto eher k a n n auf ein tatsächliches Zusammenleben verzichtet werden — u n d umgek e h r t (so: Stree, in: Schönke / Schröder 21 , § 13 Rdn. 20; Jescheck, in: L K 1 0 , § 1 3 Rdn. 23). F ü r die Lösung w i r d es darauf ankommen, welches Familienmodell — vergröbernd —: „Groß- oder Kleinfamilie", als aus normativen Gründen: also als f u n k t i o n a l für eine Ordnung bestimmter Gestaltung durch strafrechtliche Zurechnung garantiert werden soll. 141 Auch für die Ehe ist das Ergebnis nicht unproblematisch: I m m e r h i n zeichnet sich m i t dem neuen Eherecht ein Wandel des Eheverständnisses ab, das die Ehe aus ihrer bisherigen werthaft überhöhten Position auf eine anderen jederzeit kündbaren Gemeinschaftsbeziehungen vergleichbare Ebene setzt. 142 Vgl. dazu Jescheck, i n : L K 1 0 , § 13 Rdn. 25.

I. Die Angemessenheit einer Strafmilderung

195

Beispielhaft: Daß die Ehegatten einander zum Schutz von Leib und Leben verpflichtet sind, ist, von Zweifelsfällen abgesehen (: ein Ehegatte findet den anderen zufällig verunglückt auf einer einsamen Straße) 143 heute unbestritten. Eine Pflicht, für das Vermögen des anderen Ehegatten zu sorgen, kann dagegen generell kaum ausgemacht werden. Und eine Pflicht, den Ehegatten von deliktischem Tun abzuhalten 1 4 4 , war nur für ein Modell der Ehe plausibel, i n dem die Ehe als rollenübergreifende Produktionseinheit erschien; sie ist nicht mehr diskutabel, nachdem durch weitgehende Verdrängung von Handwerk und Kleinhandel und durch Perfektionierung gesellschaftlicher Arbeitsteilung die Ehe ihre frühere Bedeutung verloren hat, und sich — bei strenger Trennung von Berufs- und Familienrollen — zur entfunktionalisierten, privatisierten „Kleinfamilie" umgestaltet h a t 1 4 5 . Der Funktionswandel der Ehe hat für den Pf lichtenumfang der Ehegatten Konsequenzen: Er kann nicht nach dem „Wesen der konkreten Beziehung" 1 4 6 bestimmt werden, weil es ein — vorrechtliches — Wesen der Ehe nicht gibt, sondern nur die Konkurrenz verschiedener Ehemodelle, wobei sich freilich das der privatisierten Kleinfamilie als funktional für die Ordnung i n ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung herausgestellt hat, so daß es heute dominiert. Aus der Sicht dieses Ehemodells aber schulden die Ehegatten einander Solidarität nur, so weit ihre gemeinsame Lebensgestaltung betroffen ist. Beispielhaft: So hat ein Ehegatte für den erkrankten anderen zwar den Arzt zu rufen und er ist, sofern der andere Ehegatte pflegebedürftig ist, auch verpflichtet, ihn zu pflegen. Die Pflicht zur Hilfe endet aber, wo nicht die Lebensgestaltung beider, sondern nur die eines der Partner betroffen ist: Der eine Ehepartner ist dem anderen nicht bei Strafe des § 263 StGB verpflichtet, ihn vor einem Betrug durch Dritte zu bewahren, soweit der andere i n seiner „Berufsrolle", als Kaufmann, Handlungsreisender usw., betrogen wird. Auch i n die Du-Beziehung der Ehegatten zueinander geht der Partner nicht i n seiner ganzen Individualität ein. Er ist immer auch Angehöriger einer bestimmten Berufsgruppe oder, als Beispiel für Hobby-Rollen, Kegelbruder oder Skatspieler: W i r d der 143 Die Entscheidung über die Haftung des nichtrettenden Ehegatten w i r d hier davon abhängen, ob die „Ehe" rational als eine auf ein räumlich gegenständliches Reich beschränkte „Versorgungsgemeinschaft" verstanden w i r d oder ideologisch über „romantische Liebe" definiert w i r d (dazu Berger / Kellner, Soziale Welt, 1965, S. 223); denn Demonstration v o n Lieblosigkeit ist auch das Nichtretten des zufällig i n Lebensgefahr gefundenen Ehegatten allemal. 144 So noch RGSt. 74, S. 283; vgl. dazu Schmidhäuser, A T 2 , S. 668, m. w . N. 145 Z u m Funktionswandel der Familie Radbruch, K u l t u r l e h r e des Sozialismus 5 , S. 63 ff.; Parsons, Das Verwandtschaftssystem, in: Rüschemeier, T. Parsons soziologische Theorie, S. 84 ff. 146 Herzberg, Garantenprinzip, S. 339 ff.

13*

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2. Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen. D

ers

P a r t n e r aber i n e i n e r R o l l e betrogen, die v o n seiner R o l l e als E h e p a r t n e r u n d d e m dieser R o l l e z u g e o r d n e t e n P f l i c h t e n b ü n d e l s e p a r i e r t ist, geht der B e t r u g a n d e m a n d e r e n d e n P a r t n e r a l l e i n d e r E h e w e g e n noch nichts a n 1 4 7 . M a g sich d e r P a r t n e r auch f ü r das R o l l e n v e r h a l t e n des a n d e r e n i m ü b r i g e n i n t e r e s s i e r e n oder, b e i d e r „ H a u s f r a u e n e h e " , auch v o n d e r a d ä q u a t e n G e s t a l t u n g e i n i g e r d e r a n d e r e n R o l l e n a b h ä n gen, so v e r p f l i c h t e t doch dieses Interesse a l l e i n d e n P a r t n e r noch n i c h t als G a r a n t e n , d e n a n d e r e n a n z u h a l t e n , seine R o l l e auch o r d n u n g s g e m ä ß z u spielen. A l s G a r a n t v e r p f l i c h t e t ist d e r E h e p a r t n e r erst, w o d e r E h e g a t t e b e i d e r P l a n u n g des g e m e i n s a m e n Lebens b e t r o g e n w i r d , b e i m K a u f eines Staubsaugers oder eines Teppichs f ü r d i e gemeinsame W o h n u n g u s w . — F r e i l i c h b l e i b t die B e s t i m m u n g des H a f t u n g s u m f a n g e s i n F ä l l e n dieser A r t r a n d u n s c h a r f : Reicht j e d e d r o h e n d e S c h ä d i g u n g oder erst e i n Schaden, d e r b e i e i n e r nach d e r L e b e n s p l a n u n g d e r G a t t e n ü b l i c h e n G e s t a l t u n g d r o h t , o d e r ist d e r E h e p a r t n e r erst z u r A b w e n d u n g des B e t r u g e s v e r p f l i c h t e t , w e n n „ e x i s t e n t i e l l e " B e l a n g e 1 4 8 (Bärwinkel) der gemeinsamen Lebensgestaltung betroffen s i n d ? 1 4 9 ' 1 5 0 147

Vgl. noch 2. T e i l 2. Abschnitt, Fn. 193. Vgl. auch Schmidhäuser, A T 2 , S. 668. 149 Anders i n der Beziehung der Eltern zu ihren minderjährigen Kindern: Ist die gemeinsame Lebensgestaltung umfassend, sind auch die Pflichten umfassend (für Personen- u n d Vermögensfürsorge unbestritten; vgl. n u r Rudolphi, in: SK StGB 3 , § 13 Rdn. 47 f., m . w . N . ) . Den M i n d e r j ä h r i g e n sind keine Lebensbereiche zu autonomer Gestaltung zugewiesen; werden ihnen Freiräume eingeräumt, dann nicht zu einer Gestaltung, die die E l t e r n „nichts angeht", sondern n u r zu spielerischer Einübung i n Rollenverhalten, unter A n l e i t u n g u n d K o n t r o l l e der Eltern, w i e schon § 832 B G B beweist. 150 Daß es bei den „fürsorgerischen Garantieverhältnissen" Pflichten zur „Verbesserung" der Lage eines Gutes gibt, ist nicht selbstverständlich: Die Haftung des Ingerenten u n d des Verkehrspflichtigen ist keine Haftung auf Schadensersatz; u n d auch i m Verhältnis der Ehegatten zueinander u n d der E l t e r n zu ihren m i n d e r j ä h r i g e n K i n d e r n sind die Pflichten zur Verbesserung nicht grenzenlos: Die M u t t e r ist zwar regelmäßig zur Ernährung des Säuglings (RG L Z 1925, Sp. 485) u n d auch zur Säuberung des Kleinkindes v o n Schmutz u n d K o t verpflichtet (RGSt. 76, S. 371 ff. (372)); u n d der Vater zum Beschaffen einer erforderlichen ärztlichen Behandlung (RGSt. 51, S. 127). Die Pflicht zur Verbesserung endet aber, w e n n die Lage des Gutes als „Schicksal", „natürliches Unglück" usw. erklärt werden k a n n u n d das Unterlassen der Verbesserung der Lage als „Annahme des Schicksals" als „vernünftig" definiert ist, der Versuch zur Verbesserung aber n u r als „exzentrisch" toleriert w i r d . Beispielhaft: So sind die E l t e r n verpflichtet, den A u f w a n d an Sorge für ein K i n d zu tragen, das bei einem U n f a l l dauernd geschädigt wurde. Sie sind aber nicht verpflichtet, m i t dem K i n d u m den Erdball zu reisen, u m einen Spezialisten zu konsultieren, der vielleicht Heilung bringen kann. Zwischen den Extremen vernünftiger u n d exzentrischer Lebensgestalt u n g liegt n u n freilich ein weiter Bereich, i n dem eine „ w i l l k ü r l i c h e " Gestaltung der Lebensbedingungen des Kindes durch die E l t e r n hingenommen w i r d : Die E l t e r n sind nicht bei Strafe der Nötigung verpflichtet, dem begabten K i n d den Besuch einer höheren Schule zu ermöglichen; u n d sie sind selbst dann nicht bei Strafe der Körperverletzung verpflichtet, das bei einem U n f a l l dauernd geschädigte K i n d zu einem leicht erreichbaren Rehabilita148

I I . Die Teilnahmelehre beim Unterlassen

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c) Zusammenfassung Aus der Verhaltensdifferenz von Tun und Unterlassen folgt nichts für eine Differenz von Strafwürdigkeitsgraden von Tun und Unterlassen, die die fakultative Strafmilderung des § 13 Abs. 2 StGB rechtfertigen könnte. Dies gilt nicht allein für die begehungsgleich konstruierbaren Garantenstellungen des Verkehrspflichtigen und des Ingerenten 1 5 1 , es gilt auch für „fürsorgerische Garantieverhältnisse": Vom Zurechnungsgrund her gesehen zählt es gleich, ob Pflichten, die die Funktionsfähigkeit einer sozialen Rolle oder Institution garantieren, nicht erfüllt werden, weil der Pflichtige sie tätig oder durch Unterlassen verletzt. Beispielhaft: Ob, für ein echtes „Pflichtdelikt", der Gefangenenwärter seinen Schützlingen durch ein Nichtverschließen oder durch ein Öffnen der Tür die Flucht ermöglicht, ist bezogen auf den Zurechnungsgrund für das Maß der Strafwürdigkeit des Verhaltens regelmäßig ebenso ohne Belang, wie es, bei einem unechten „Pflichtdelikt", für die Strafwürdigkeit der Mutter regelmäßig gleich ist, ob sie ihr K i n d verhungern läßt oder auf andere Weise durch Tun zu Tode bringt. I I . Die Teilnahmelehre beim Garantenunterlassen und die Strafmilderung des § 13 Abs. 2 StGB A. Der „Einheitstäterbegriff" beim Garantenunterlassen

Aus der Verhaltensdifferenz von Tun und Unterlassen folgt kein Argument für die Notwendigkeit einer Strafmilderung für das Garantenunterlassen. Damit aber ist das Arsenal der für die Angemessenheit einer Strafmilderung ins Feld geführten Argumente nicht erschöpft. Behauptet w i r d auch, die Teilnahmelehre mache die Strafmilderung nötig, da „bei den Unterlassungsdelikten . . . vom undifferenzierten Begriff des Unterlassenden auszugehen (sei), ein Analogon zum Eintionszentrum zu bringen, w e n n dort Hilfe möglich ist. — Dies ist Konsequenz eines Erziehungssystems, das die Sozialisation der K i n d e r i n der P r i vatsphäre garantiert, Kindererziehung auf der anderen Seite aber keineswegs n u r als private Aufgabe versteht, w i e §§ 1666 BGB, 170 d StGB zeigen. Wo hier die Grenzlinie zwischen privater u n d sozialer Sphäre zu ziehen ist, hängt (wieder) v o n normativen Grundentscheidungen über den Charakter eines Staates ab: Wer „die" Sozialisation i n „der" gegenwärtigen K l e i n familie für verfehlt hält, w i r d eher dazu neigen, die Privatheit der Familie, soweit sie Erziehungsfunktionen w a h r n i m m t , zurückzudrängen, als der, der den „status quo" für erhaltenswürdig h ä l t ; w o m i t freilich gerade bei den „fürsorgerischen Garantieverhältnissen die Gefahr besteht, den durch die Formalisierung u n d Technizität des strafrechtlichen Güterschutzes intendierten liberalen Effekt (vgl. 1. Teil, Fn. 178) durch ideologisch oktroyierte Programme „richtiger" Lebensgestaltung ansatzweise aufzuheben, 151 Vgl. 2. T e i l 2. Abschnitt I I . C. 2. c. aa.

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2. Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen. D

ers

h e i t s t ä t e r b e g r i f f " 1 5 2 . „Es g e h t aber n i c h t an, b e i d e r G l e i c h s t e l l u n g v o n N i c h t a b w e n d u n g u n d H e r b e i f ü h r u n g a u f der Unterlassungsseite v o n d e m U n t e r l a s s e n d e n s c h l e c h t h i n auszugehen, a u f d e r Begehungsseite h i n g e g e n n u r die T ä t e r s t r a f e z u b e r ü c k s i c h t i g e n . V i e l m e h r m u ß d e r S t r a f r a h m e n a u f b e i d e n S e i t e n g l e i c h w e i t gespannt w e r d e n . H a r r e n a u f d e r Unterlassungsseite a l l e G a r a n t i e p f l i c h t v e r l e t z u n g e n d e r G l e i c h s t e l l u n g , so m u ß h i e r z u v o m B e g e h u n g s d e l i k t d e r j e n i g e S t r a f r a h m e n herangezogen w e r d e n , d e r a l l e B e g e h u n g s f ä l l e deckt, also einschließlich d e r B e i h i l f e . Das b e d e u t e t i m E r g e b n i s die f a k u l t a t i v e S t r a f m i l d e r u n g f ü r d i e unechte U n t e r l a s s u n g bis z u m M i n d e s t s t r a f m a ß d e r a k t i v e n Beihilfe" 153. 152 Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 302. — Wie Täterschaft u n d Beihilfe beim Unterlassen zu unterscheiden seien, ist heillos umstritten: Einige meinen, der unterlassende Garant sei neben einem Begehungstäter stets n u r Gehilfe; so die ältere Lehre Nagler, GS 111, S. 73; ders., i n : L K 7 , Einleitung, A n h a n g 2 B I I a. Andere w o l l e n den Unterlassenden n u r so lange als Gehilfen strafen, w i e er sich der Betätigung fremder Tatherrschaft gegenüber sehe — als Täter aber, w e n n er n u r noch aufgerufen sei, die korrigierbaren W i r k u n g e n solcher Betätigung zu kompensieren; Gallas, JZ 1960, S. 687; Jescheck, A T 3 , S. 567; ders., i n : L K 1 0 , § 13 Rdn. 57; Kielwein, G A 1955, S. 227; ähnlich Schmidhäuser, A T 2 , S. 708 f.; zur K r i t i k Roxin, Täterschaft 3 , S. 462 ff.; ders., in: L K 1 0 , § 25 Rdn. 146. — Maurach, A T 4 , S. 693, unterscheidet nach dem „Ausmaß der Tatherrschaft"; vgl. auch F.-C. Schroeder, Der Täter h i n t e r dem Täter, S. 105 f.; Maurach / Gössel, A T 2, S. 255. Während andere nach der „Qualität der Pflichten" (im Ansatz so Gallas, J Z 1960, S. 686 f.) unterscheiden: Der Beschützergarant" sei i n der Regel Täter; der „Überwachergarant" i n der Regel Gehilfe (Schänke / Schröder 17, Rdn. 106 a ff. v o r § 47; Herzberg, Garantenprinzip, S. 257 ff.). — Streitig ist bei den Vertretern dieser Ansicht freilich, ob innerhalb der Pflichtengruppen weiter (und dann nach welchen Kriterien) zu differenzieren sei; vgl. Schänke / Schröder 17, Rdn. 112 v o r § 47, auf der einen, Herzberg, Garantenprinzip, S. 258 ff., auf der anderen Seite. Dagegen meinen Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 291 ff.; Grünwald, GA 1959, S. 110 ff.; Roxin, Täterschaft 3 , S. 501 ff.; ders., L K 1 0 , § 25 Rdn. 147 ff.; u n d Stratenwerth, A T 3 , Rdn. 1076 ff.), (mit j e unterschiedlichen Begründungen), beim Unterlassen sei v o n einem „Einheitstäterbegriff" auszugehen. — Streitig ist schließlich auch, ob der a k t i v beteiligte „Beschützergarant" stets Täter sei, gleich, ob sein Verhalten, gemessen an den Täterregeln des Begehungsdelikts, Täterschaft oder n u r Teilnahme begründet hätte; Herzberg, Täterschaft, S. 83 f.; ders., Garantenprinzip, S. 262 f.; Schänke / Schröder 17, Rdn. 107 vor § 47, einerseits, Roxin, Täterschaft 3 , S. 499 ff.; Grünwald, GA 1959, S. 114, andererseits, der eine „ A u f r o l l u n g der Teilnahmelehre v o m Unterlassungsdelikt her" befürchtet. Hier soll der Teilnahmelehre n u r so w e i t nachgegangen werden, w i e aus i h r Argumente für die Strafmilderung des § 13 Abs. 2 StGB hergeleitet werden. 153 Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 302 f.; zuvor schon Grünwald, Dissertation, S. 107 ff.; ders., G A 1959, S. 114 f., der zu dem Ergebnis gelangte, „der U n w e r t eines jeden Unterlassungsdeliktes (sei) — ceteris paribus — geringer als der des entsprechenden Handlungsdeliktes, geringer sogar als der U n w e r t einer bloßen Beihilfehandlung" (Grünwald, Dissertation, S. 107 f.; ders., G A 1959, S. 115). — E i n Ergebnis, dem Androulakis (Studien, S. 242) zu Recht entgegenhielt, es führe i n seiner Konsequenz zur Begründung der Straflosigkeit des Unterlassens schlechthin: ,„Genau so' nämlich wie (bei der Ingerenz die dem Vorverhalten) »nachfolgende' Unterlassung deshalb »unberücksichtigt' bleibt, w e i l sie gegenüber der Beihilfehandlung nicht ins Gewicht fällt,

I I . Die Teilnahmelehre beim Unterlassen

199

Das Argument aus der Teilnahmelehre ist auch zentral i n Roxins Rechtfertigung der Notwendigkeit einer zumindest fakultativen Strafmilderung für das Garantenunterlassen. Roxin versucht zunächst, der „negativen Beweisführung" Armin Kaufmanns (: sinnvolle Kriterien zur Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme beim Unterlassungsdelikt ließen sich nicht finden) 1 5 4 einen „positiven Begriff" des Unterlassungstäters entgegenzusetzen: Die Unterlassungsdelikte seien „Pflichtdelikte" 1 5 5 ; „Täter w i r d der Unterlassende . . . wegen der Verletzung einer Erfolgsabwendungspflicht" 156 ; „die Garantenstellung (hat) eine doppelte Funktion: Sie begründet die Strafbarkeit und gleichzeitig die Täterschaft" 1 5 7 . Daraus schließt Roxin für die Strafmilderung beim Garantenunterlassen: „Ein und dasselbe passive Verhalten stellt sich gleichzeitig als Beihilfe zur Verwirklichung des Begehungstatbestandes und als täterschaftliche Erfüllung des Unterlassungstatbestandes dar. . . . Die Unterlassungstäterschaft ist, wenn überhaupt ein Handelnder da ist, nie mehr als eine Begehungsbeihilfe und kann folglich auch nicht anders bestraft werden. . . . Da . . . prinzipielle Wertunterschiede zwischen den verschiedenen Formen der Unterlassung nicht aufweisbar sind, gilt das alles auch dann, wenn der Unterlassende ,Alleintäter 4 ist, wenn er also anstatt gegen Menschen gegen Naturgewalten pflichtwidrig nicht einschreitet" 1 5 8 . Freilich kommt auch die Lehre vom „Einheitstäter" nicht ohne Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme beim Garantenunterlassen aus: Der rettungsfähig unterlassende Garant soll nur Gehilfe sein, wenn er eine von i h m zu verhindernde Beihilfehandlung nicht hindert. „Er ist gewissermaßen Unterlassungstäter einer Beihilfe" 1 5 9 . Nur Gehilfe soll ein Garant auch sein, wo ein Tatbestand auch bei bestehender Garantenstellung durch ein Unterlassen selbständig nicht verwirklicht werden kann: Bei den „eigenhändigen Delikten", den „höchstpersönlichen Pflichtdelikten" und den „qualifizierten Herrschaftsdelikten" wie den Zueignungsdelikten 1 6 0 . Deliktsgruppen, für die, Roxin ,genau so4 müßten auch die unechten Unterlassungen i m allgemeinen »unberücksichtigt' bleiben, w e i l i h r U n w e r t sogar geringer als der U n w e r t einer bloßen Beihilfehandlung ist." 154 Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 294; ebenso Stratenwerth, A T 3 , Rdn. 1077. 155 Roxin, Täterschaft 3 , S. 459; ders., i n : L K 1 0 , § 25 Rdn. 147. 156 Roxin, Täterschaft 3 , S. 462. 157 Roxin, Täterschaft 8 , S. 477; Rudolphi, Gleichstellungsproblematik, S. 138 ff.; ders., i n : SK StGB 8 , Rdn. 37 ff. v o r § 13, u n d für die sog. „Beschützergaranten" Herzberg, Täterschaft, S. 83. 168 Roxin, Täterschaft 3 , S. 502; vgl. auch Armin Kauf mann, Dogmatik, S. 301. 169 Roxin, in: L K 1 0 , § 25 Rdn. 151 f.; Rudolphi, in: SK StGB 3 , Rdn. 42 v o r § 13. 160 Roxin, Täterschaft 3 , S. 479 ff.; ders., in: L K 1 0 , § 25 Rdn. 150; vgl. auch

2 0 0 2 .

Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen. D

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zufolge, auch die „konstruktive Möglichkeit der Beihilfe durch Unterlassen" 1 6 1 bestehe: Der unterlassende Garant sei stets Täter eines „Pflichtdeliktes" und Gehilfe eines Herrschaftsdeliktes; die, regelmäßig subsidiäre Teilnahme am Herrschaftsdelikt trete selbständig erst i n Erscheinung, wenn eine Täterschaft nach dem Pflichtdelikt ausscheide 162 . Roxin hält schließlich sogar die „Möglichkeit einer strafbaren Unterlassung ohne Erfolgsabwendungspflicht" 163 , die „als Beihilfe auf die Tat des aktiv Handelnden bezogen" sei 1 6 4 , für begründbar, wenn das Unterlassen als Erleichterung oder positive Förderung der Tat erscheine 165 . Von der Einzelausgestaltung abgesehen: Schon Roxins „positiver Begriff" des Unterlassenstäters ist nur für die „fürsorgerischen Garantieverhältnisse" schlüssig begründet. Der Begriff des Unterlassungstäters knüpft i m System Roxins an außerstrafrechtliche Pflichten zu positiv solidarischer Zuwendung zu einem fremden Lebenskreis, an „Pflichtdelikte", an. Aber nicht alle Garantenstellungen lassen,sich den „Pflichtdelikten" subsumieren, wie die Ingerenz zeigt, die nicht i n dem durch den Begriff des „Pflichtdeliktes" beschriebenen institutionellen Rahmen unterzubringen ist, und die auch nicht, als qualifizierter Fall des § 323 c StGB, vernachlässigt werden kann. Und auch nicht alle Garantenstellungen, die Roxin den „Pflichtdelikten" zurechnet, sind „Pflichtdelikte", wenn m i t dem Begriff die außerstrafrechtliche Verpflichtung zu solidarischer Zuwendung zu einem fremden Gut gemeint ist, wie die Verkehrspflichten lehren: Wer i m Straßenverkehr bremst, u m ein Kind, das i h m vor den Wagen gelaufen ist, nicht zu überfahren oder wer den Hund zurückpfeift, der den Briefträger anzufallen droht, wendet einem fremden Lebenskreis sowenig solidarisch eine Leistung zu, wie der, der es unterläßt, zu töten, zu stehlen oder zu vergewaltigen. Er verhindert nur, daß schädliche „Auswirkungen" seines eigenen Lebenskreises den anderer stören. Nur für die „Pflichtdelikte", die Delikte also, bei denen die Verpflichtung der Garanten i n positiv solidarischer Zuwendung zu einem fremden Lebenskreis gegründet ist, Herzberg, Täterschaft, S. 95; ders., Garantenprinzip, S. 116 ff., 262; Schänke / Schröder 17, Rdn. 108 v o r § 47; Eser, i n : Schänke / Schröder 21, Rdn. 91 v o r § 25; beiläufig auch Grünwald, G A 1959, S. 118 f., der — bei § 242 StGB — die Beteiligung durch Unterlassen den Beihilferegeln subsumieren w i l l u n d Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 299 f., der es — bei den „reinen A k t v e r b r e chen" u n d bei § 242 StGB — aus praktischen Gründen i m m e r h i n für v e r t r e t bar hält, „mehr schlecht als recht . . . m i t dem unpassenden Lückenbüßer der Beihilfe durch Unterlassen" zu arbeiten. 161 Roxin, Täterschaft 8 , S. 484. 162 Roxin, Täterschaft 3 , S. 484; vgl. auch Herzberg, Garantenprinzip, S. 261 f. 163 Roxin, Täterschaft 3 , S. 485. 164 Roxin, Täterschaft 3 , S. 485. 165 Roxin, Täterschaft 3 , S. 485 ff.

I I . Die Teilnahmelehre beim Unterlassen

201

gilt, daß der Unterlassende schon „wegen der Verletzung einer Erfolgsabwendungspflicht" 1 6 6 Täter ist. Sowenig aber die Verletzung einer das Begehenserfolgsdelikt fundierenden Pflicht den Verletzer notwendig zum Täter macht, wie die §§ 26, 27 StGB zeigen, sowenig ist die Verletzung der, dem Begehen dem Pflichtgrund nach identischen Pflichten des Verkehrspflichtigen und des Ingerenten notwendige und zugleich hinreichende Bedingung für eine Täterschaft des pflichtwidrig Unterlassenden. Anders gesagt: Für die Verkehrspflichten und die Ingerenz taugt der dem „Pflichtdelikt" i n diesem Sinne abgezogene „positive Begriff" des Unterlassungstäters nicht. Der Verkehrspflichtige und der Ingerent unterlassen nicht „außerstrafrechtlichen" Rollenanforderungen zuwider. Die Pflichtverletzungen, deretwegen ihnen zugerechnet wird, sind i m Pflichtgrund identisch den Pflichten, deretwegen beim Erfolgsdelikt dem Begehenstäter zugerechnet wird: Pflichten, die der Garantie eines Zustandes gegenseitiger Nichtbeeinflussung dienen. Verletzen aber Verkehrspflichtiger, Ingerent und Begehenstäter identische Pflichten, dann geht es nicht an, den, der dolos einen fremden Deliktsplan komplettiert, als Gehilfen zu strafen, den, der undolos komplettiert aber als Täter, wenn er das Delikt, das er undolos ermöglichte, nun dolos geworden, nicht hindert. Er stünde sonst schlechter als bei aktiver Beteiligung; denn die Strafmilderung der Begehensbeihilfe ist zwingend, die der Unterlassenstäterschaft nur fakultativ 1 6 7 . B. Differenzierende Teilnahmelehren beim Garantenunterlassen

1. Die Lehre Schröders und Herzbergs Bei den Verkehrspflichten und der Ingerenz ist eine Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme möglich. Es geht aber nicht an, nun jeden pflichtwidrig unterlassenden „Überwachergaranten" neben einem Handelnden nur als Gehilfen zu strafen 1 6 8 oder ihn doch, solange der aktiv Handelnde den Tatablauf noch „beherrscht", als Gehilfen zu behandeln 1 6 0 . 186

Roxin, Täterschaft 8 , S. 462. Herzberg, Täterschaft, S. 97; ders., Garantenprinzip, S. 260 —. Entsprechend beim Versuch: H ä l t der unterlassende Verkehrspflichtige einen anderen i r r i g für tatentschlossen, bleibt er bei A k t i v i t ä t straffrei. Er hat n u r einen Beihilfeversuch begangen, haftet aber i m Falle reiner Passivität wegen eines täterschaftlichen Unterlassungsversuchs, der, fakultativ, m i t der V o l l endungsstrafe bestraft werden k a n n (Herzberg, Täterschaft, S. 97). 188 Herzberg, Garantenprinzip, S. 260; ders., Täterschaft, S. 98. — Herzberg unterscheidet zwischen „Beschützergaranten": Der, der für jede dem Rechtsgut, das er zu beschützen hat, drohende Gefahr einzustehen hat, u n d der i n 187

2 0 2 2 .

Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen. D

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Das Ergebnis: generell Beihilfe des Unterlassenden neben einem aktiv Handelnden, w i r d m i t der Unterscheidung der „Funktionenl e h r e " 1 7 0 nach der Qualität der Pflichten des Unterlassenden i n „Beschützer« und Überwacherpflichten" begründet. Die Unterscheidung zwischen „Beschützer- und Überwachergaranten" leistet aber nichts für eine einigermaßen sichere Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme beim Unterlassen. Sie ist nur als Mittel zur Beschränkung einer anders begründeten Haftung tauglich, liefert aber kein System pflichtenbegründender Sachverhalte, an das eine Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme sinnvoll anknüpfen könnte. Denn abgesehen vielleicht vom Kernbereich pflichtenbegründender Sachverhalte, der Eltern-Kindbeziehung oder der Beziehung der Ehegatten untereinander, ist die Unterscheidung von Überwacher- und Beschützergarant unklar und nahezu beliebig vertauschbar — mit beliebigen Konsequenzen für die Teilnahmelehre. Beispielhaft: Ist der Bademeister „Beschützergarant" und damit Täter, wenn er einen Dritten, der sich anschickt, einen Gast i m Schwimmbecken zu ertränken, nicht hindert oder ist er, bezogen auf die Schwimmanlage als Gefahrenquelle, „Überwachergarant" und damit Gehilfe, wenn er nicht eingreift, wenn ein Gast durch einen Dritten mit Hilfe dieser Gefahrenquelle geschädigt w i r d ; wie ist es beim Bereitschaftsarzt, beim Schrankenwärter, beim Leibwächter, beim Kindermädchen oder beim Bergführer: hat der Bergführer die Gefahren der Gebirgswelt zu überwachen oder den Berggast vor diesen Gefahren zu schützen? Herzberg hjat zur Begründung ausgeführt, wegen der „Strukturgleichheit von Begehensdelikt und Unterlassungsdelikt des Überwachergaranten (müßten) die Täterkriterien hier wie dort dieselben" sein 1 7 1 . Ein Ergebnis, das auch ohne Übernahme des „negativen Handlungsbegriffes" evident sei: „Wenn nur Gehilfe ist, wer dem Mörder zweckbewußt die Pistole leiht und dann den Tod des Opfers nicht verhindert, . . . kann nicht Täter sein, wer dieselbe gefährliche Vorhandlung begeht, ohne die Folgen vorher zu sehen" 1 7 2 .

der Regel als Täter zu strafen sei; u n d die „Überwachergaranten", die i n der Regel als Gehilfen zu bestrafen seien; i m Anschluß an Schänke / Schröder 17, Rdn. 107 ff. v o r § 47, m i t weiteren Differenzierungen; ähnlich Schünemann, G r u n d u n d Grenzen, S. 377 f. — Kritisch zur Unterscheidbarkeit nach Beschützer- u n d Überwachergaranten aber Arzt, J A 1980, S. 559. 169 Gallas, JZ 1960, S. 687; Jescheck, A T 3 , S. 567; ders., in: L K 1 0 , § 13 Rdn. 57. 170 Vgl. dazu Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 283; Rudolphi, in: SK StGB 3 , § 13 Rdn. 24; Herzberg, Garantenprinzip, S. 259 f. 171 Herzberg, Täterschaft, S. 97; ders., Garantenprinzip, S. 260 ff. 172 Herzberg, Garantenprinzip, S. 260.

I I . Die Teilnahmelehre beim Unterlassen

2. Kritik

203

und eigene Lösung

Der Ansatz Herzbergs, für Begehung und Unterlassung des Überwachergaranten müßten gleiche Teilnahmekriterien gelten, trägt das Ergebnis, der Überwachergarant sei neben einem aktiv Beteiligten generell nur als Gehilfe zu strafen, nicht. Richtig ist, daß der, der undolos einen fremden Deliktsplan komplettiert und dann das folgende Delikt nicht hindert, nicht schlechter stehen darf als der, der dolos komplettiert. Aber nicht jeder neben einem Handelnden pflichtwidrig unterlassende Verkehrspflichtige oder Ingerent steht dem, der einen fremden Deliktsplan undolos komplettiert, axiologisch gleich: Aus der Analogie zu doloser und undoloser Komplettierung eines fremden Deliktsplans ist der Schluß, der rettungsfähige Überwachergarant stehe, von Ausnahmen abgesehen, stets einem Gehilfen gleich, nicht zulässig. Herzbergs Argumentation ist nur plausibel, solange Fallgestaltungen diskutiert werden, i n denen das pflichtwidrige Unterlassen den deliktischen Plan eines Begehungstäters komplettiert oder i n denen der Unterlassende einen durch undoloses Vorverhalten ermöglichten deliktischen Plan nicht hindert. Aber schon nicht jedes Unterlassen des Verkehrspflichtigen oder des Ingerenten, das einen fremden Deliktsplan komplettiert, führt zur Haftung wegen des Erfolges. Für die Verkehrspflichten: Der Hundehalter, der den Nachbarn nicht hindert, den Hund aus dem Zwinger zu holen, u m i h n auf den Gerichtsvollzieher zu hetzen, haftet nicht als Gehilfe. Für den Ingerenten: Der Bäcker, der dem zum Mord an der Ehefrau Entschlossenen Brötchen verkauft hat, die das Gift aufnehmen sollen, und der den Täter, dolos geworden, nicht an der Tat hindert, haftet nicht des Erfolges wegen. Der Bäcker und der Hundehalter haften nicht als Gehilfen, weil die Komplettierung fremder deliktischer Planung notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung ist, dem komplettierenden Unterlassenden das Geschehen als Beihilfe zuzurechnen 173 . Sie haften nicht, weil auch der i n gleicher Lage durch ein Tun einen fremden Deliktsplan Komplettierende des Regreßverbotes wegen nicht haften würde: Begehens- und Unterlassenstat können von der deliktischen Planung des Anderen distanziert werden, weil die Hingabe des Gegenstandes oder das Unterlassen der Hinderung der Wegnahme auch in anderen als deliktischen Zusammenhängen sinnvoll motivierbar ist. 178 Z u r Lehre v o m Regreßverbot Jakobs, ZStW 89, S. 1 ff., 17 ff.; vgl. auch Schänke / Schröder 17, Rdn. 112 v o r § 47, die danach unterscheiden, ob das vorangegangene T u n des Ingerenten p f l i c h t w i d r i g w a r : dann H a f t u n g nach Beihilferegeln; oder ob es pflichtgemäß w a r : dann Haftung n u r nach § 323 c StGB; -r- aus der Unterscheidung v o n pflichtgemäßem u n d pflichtw i d r i g e m Verhalten folgt freilich nichts für die Bestimmung des Haftungsumfanges des Ingerenten; vgl. 2. T e i l 2. Abschnitt I I . C. 2. d. cc.

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Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen. D

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Als Gehilfe haften der Verkehrspflichtige und der Ingerent erst, wenn ihr Unterlassen nicht anders als durch einen fremden Deliktsplan motivierbar erscheint: Der Apotheker, der es geschehen läßt, daß ein Dritter Gift für ein Tötungsdelikt an sich nimmt, das für den Laien überhaupt nur i n einem deliktisch motivierten Zusammenhang Verwendung finden kann, haftet als Gehilfe; und der Verkehrspflichtige und der Ingerent haften als Unterlassenstäter, wenn der Handelnde bezogen auf und angepaßt an einen, durch die deliktische Planung des pflichtwidrig Unterlassenden, definierten Entwurf der Welt h i n handelt. Beispielhaft (für den Verkehrspflichtigen:) Der Hundehalter, der den Hund nicht hindert, den Postboten anzufallen, haftet auch dann als Täter, wenn der Nachbar dem Hund den Weg zu seinem Opfer dadurch erleichtert, daß er die Gartentür öffnet. (Für die Ingerenz:) Der, der das Opfer nach rechtswidrigem Vorverhalten i n der Absicht liegen läßt, es sterben zu lassen, haftet auch dann als Täter nach dem Erfolgsdelikt, wenn ein Dritter, i n Kenntnis der Vortat, das Opfer so ins Gebüsch zieht, daß Hilfe Dritter erschwert wird. Oder, typisierend auf den Pflichteninhalt des jeweiligen Garantieverhältnisses h i n formuliert: Ist Inhalt der Pflicht die Verhinderung des Erfolges überhaupt (: wie regelmäßig für den, der durch ein vorangegangenes Tun eine nahe Gefahr für ein Gut geschaffen hat) oder der Tat (: wie bei Aufsichtspflichtigen, die gehalten sind, die unter ihrer Aufsicht Stehenden an der Schädigung Dritter zu hindern, oder wie bei den Ehegatten, die einander, oder bei den Eltern, die ihren minderjährigen Kindern zur „Rundumverteidigung" verpflichtet sind, aber auch Dritten zum Schutz vor Taten der Kinder) haftet der, der den Erfolg oder die Tat pflichtwidrig nicht hindert, neben dem Handelnden als Täter 1 7 4 » 1 7 5 . 174 Für das Verhältnis der Ehegatten untereinander also: Der Ehemann, der v o n der Ehefrau einen A n g r i f f auf deren Leben nicht abwendet, haftet als Täter neben dem Begehenden. Etwas anderes gilt aber, w e n n der Ehem a n n seine Frau verläßt, u m zu seiner Geliebten zu ziehen, obgleich die Frau gedroht hat, sie werde sich bei seinem Auszug töten, u n d sie sich nach dem Auszug auch tötet (Sachverhalt nach BGHSt. 7, S. 268 ff.): Hier haftet der Ehemann mangels Tatherrschaft nicht für sein T u n u n d als Gehilfe durch T u n nicht, w e i l es an einer tatbestandsmäßigen u n d rechtswidrigen Haupttat fehlt [nicht unbestritten; Schmidhäuser, Welzel-Festschrift, S. 801 ff., hält die Selbsttötung für tatbestandsmäßig u n d rechtswidrig, aber für entschuldigt: Teilnahme bleibt möglich; Schilling, JZ 1979, S. 159 ff., w i l l gar den Beteiligten als einzig i n Frage kommenden Verursacher einer Fremdtötung als Täter (aber: § 216 StGB) strafen: Als mittelbaren Täter durch Benutzung eines tatbestandslos handelnden Werkzeugs; gegen diese Lösung: Roxin, Dreher-Festschrift, S. 331 ff., 337 ff.; Hirsch, JR 1979, S. 429 ff.; zur Problem a t i k vgl. auch Herzberg, ZStW 91, S. 557 ff., m. w. N J ; u n d der Ehemann haftet nicht i n Umkehrung des § 13 Abs. 1 StGB als Täter nach einem Unterlassungsdelikt begangen durch Begehen (zu dem Problem, ob der sog. „Beschützergarant", gleich ob er getan oder unterlassen hat, neben dem Handelnden stets als Täter zu strafen ist vgl. Herzberg, Garantenprinzip,

I I . Die Teilnahmelehre beim Unterlassen

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Geht der Pflichteninhalt aber nur auf die Kompensation der Wirkung einzelner Gefahren (wie bei einem Waffenhändler, der seine Waffen unzugänglich zu halten hat oder bei einem Bauunternehmer, der Baugruben abzusichern hat etc.) oder auf das Fehlen von Tathindernissen (wie beim Wachpersonal etwa ein Tor verschlossen zu halten), haftet der, der entgegen seiner Pflicht die Gefahrenquelle nicht ordnungsgemäß sichert oder nicht für das Vorhandensein der Tathindernisse sorgt, neben dem Begehenden regelmäßig nur als Gehilfe.

S. 262; ders., Täterschaft, S. 83 f., einerseits, Roxin, Täterschaft 3 , S. 499 ff., andererseits): Er haftet nicht als Garant aus „Ehe"; denn hätte die Frau die Tötung beliebiger D r i t t e r angedroht, haftete der Ehemann nicht als Garant, da er insoweit n u r verpflichtet ist, seine Frau zu beschützen, nicht aber auch zu überwachen — u n d das k a n n bei der Selbsttötung einer verantwortlichen Person nicht anders sein. U n d er haftet nicht als Garant aus v o r angegangenem gefährlichen Tun, der Trennung, w e i l sich das Lebensrisiko durch die Trennung allein nicht erhöht, sondern n u r durch das hinzukommende w i l l k ü r l i c h e Tötungsverlangen der Ehefrau selbst. Hat die Ehefrau dagegen gedroht, das gemeinsame K i n d zu töten, u n d tötet sie es nach der Trennung, haftet der Ehemann neben der Frau als Täter eines Unterlassungsdelikts begangen durch Begehen. 175 Damit ist nicht gesagt, daß der Handelnde neben dem täterschaftlich Unterlassenden stets als Täter haftet. Er haftet n u r als Gehilfe, w e n n er durch sein T u n die Chance, daß sich das Geschehen noch zum Positiven wendet, verringert: W e n n er andere Hilfsbereite oder nach § 323 c StGB V e r pflichtete ausschließt (schließt er Garanten aus, haftet er als Täter. Beispielhaft: Wer den Vater hindert, dem K i n d zu Hilfe zu kommen, das die M u t t e r durch Unterlassen zu töten versucht oder dem v o n dritter Seite durch ein T u n ein Schaden droht, haftet neben dem Begehenden nicht als Täter durch Tun, w e i l es an der Tatherrschaft fehlt, aber als Garant aus Ingerenz als Täter aus einem Unterlassungsdelikt, begangen durch Tun) oder sonst Rettungsmaßnahmen erschwert. U n d er haftet auch dann n u r des Erfolges w e gen, w e n n sein Handeln allein aus der deliktischen Planung des Unterlassenden heraus interpretierbar ist; also als Gehilfe nur, w e n n die v o n i h m v e r ursachte Minderung der Chancen n u r des deliktischen Planes des pflichtw i d r i g Unterlassenden wegen erfolgte. Beispielhaft: Der Vermieter, der eine bekannt feuergefährdete Wohnung vermietet, die (auf ungeklärte Weise) i n Brand gerät, haftet als Garant für den Tod der Mieter als Täter eines U n t e r lassungsdelikts. Wer nach dem Ausbruch des Brandes die Telefondrähte durchschneidet, u m eine schnelle A l a r m i e r u n g der Feuerwehr zu verhindern, als Gehilfe durch T u n neben dem Vermieter als Unterlassenstäter. Der Postangestellte aber, der routinemäßig zur Überprüfung der Leitungen das Telefon unterbricht, haftet allein deshalb nicht des Erfolges wegen, sondern allenfalls aus § 323 c StGB: Er hat sich i n seinem Handeln nicht nach dem Modell einer Welt gerichtet, das n u r als „ m i t dem von der N o r m entworfenen Modell einer W e l t " unvereinbar interpretiert werden k a n n (,Jakobs, ZStW 89, S. 21). Sein T u n ist auch i n anderen Zusammenhängen denn als Teil seines Deliktsplanes „vernünftig" motivierbar. Er haftet nicht des E r folges wegen, w e i l es nicht Zweck des Verbotes v o n Beihilfe ist, ein Verhalten zu verbieten, das allein durch die W i l l k ü r eines anderen, eines Begehungstäters oder eines p f l i c h t w i d r i g Unterlassenden, auf einen rechtswidrigen Erfolg bezogen w i r d (vgl. zur Lehre v o m „Regreßverbot" Jakobs, ZStW 89, S. 1 ff., 17 ff.).

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2. Teil.

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C, Folgerungen für die fakultative Strafmilderung des § 13 Abs. 2 StGB

Beim Unterlassungsdelikt ist eine Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme möglich. Die Frage, ob jedenfalls bei den „Pflichtdelikten" der „Einheitstäterbegriff" gilt, ist müßig. Sie liefert auf jeden Fall kein Argument für die Angemessenheit der fakultativen Strafmilderung des § 13 Abs. 2 StGB: Für das Maß der Strafwürdigkeit des Unterlassens macht es bei den „Pflichtdelikten" — regelmäßig — so wenig einen Unterschied, ob der Pflichtige nicht hindert, daß ein D r i t ter das anvertraute Gut schädigt, oder ob der Schaden durch Naturgewalten droht 1 7 6 , wie es — regelmäßig — keinen Unterschied macht, ob der Pflichtige tätig schädigt oder nicht hindert, daß das Gut anders zu Schaden k o m m t 1 7 7 . Das „täterschaftliche" Unterlassen steht dem Unterlassen bei „Beteiligung Dritter" an Strafwürdigkeit so gleich, wie das Unterlassen der Pflichterfüllung der tätigen Pflichtverletzung gleichsteht. I I I . Die Auslegung des § 13 Abs. 2 StGB Weder aus der Verhaltensdifferenz von Tun und Garantenunterlassen folgt eine „prinzipielle Wertdifferenz", die ein Argument für die Angemessenheit der Regelung des § 13 Abs. 2 StGB hergeben könnte, noch ist die fakultative Strafmilderung für das unechte Unterlassen aus der Teilnahmelehre zu begründen. A. Das begehensgleiche Unterlassen und die Strafmilderung des § 13 Abs. 2 StGB

Gleichwohl ist der Schluß, deshalb zu empfehlen, § 13 Abs. 2 StGB als gesetzgeberische Fehlleistung nicht anzuwenden, verfrüht. Höpfner 178 hat schon früh darauf aufmerksam gemacht, „mildernde Umstände (seien) bei der Unterlassung häufiger . . . als bei der verursachenden Handlung". Eine Einsicht, die es erlaubt, die fakultative Strafmilderung des § 13 Abs. 2 StGB für das begehensgleiche Unterlassen der Verkehrspflichtigen und der Ingerenten materiell als generelle Anordnung „minder schwerer Fälle" zu den Unterlassungstatbeständen auszulegen, die dann jeweils zu den Tatbeständen des Besonderen Teils des StGB und nach den Regeln, die auch sonst für die Auslegung „minder schwerer Fälle" gelten, zu interpretieren sind. Daß beim Unterlassen häufiger und öfter nach den allgemeinen Strafzumessungsregeln mildernde Umstände auftreten, liefert auch eine Erklärung für die von 176 Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 302; Grünwald, Schänke / Schröder 17, Rdn. 107 v o r § 47. 177 Vgl. 2. T e i l 2. Abschnitt I I . C. 3. c. 178 Höfner, ZStW 36, S. 110.

GA

1959, S. 115;

I I . Die Strafrahmenwahl beim

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Armin Kaufmann 179 konstatierte „Neigung der Rspr. und h. L., die Fälle der unechten Unterlassung, wenn irgend möglich nur als »Beihilfe durch Unterlassen 4 zu erfassen": Als Versuch, schon zum alten Recht die für die Beihilfe vorgesehene Strafmilderung für das unechte Unterlassen materiell als Regelung „mildernder Umstände" (alten Rechts) auszunutzen. Hinzu kommt, daß beim „begehungsgleichen" unechten Unterlassen, dem Unterlassen des Verkehrspflichtigen und des Ingerenten, kein einziger Strafzumessungsgrund gezeigt werden kann, der streng auf das Unterlassen beschränkt ist, der also Auskunft darüber geben könnte, warum gerade wegen eines Unterlassens die Strafe zu mildern ist: Weder i m äußeren Tathergang, von der Verhaltensdifferenz von Tun und Unterlassen abgesehen, die für die Stärke der Zurechnung aber ohne Belang ist, noch bei den Umständen i n der Person des Täters, seinen Motiven, Gesinnungen usw. lassen sich unterlassungsspezifische Strafmilderungsgründe zeigen. B. Zur Strafmilderung bei den „fürsorgerischen Garantieverhältnissen"

1. Das Unterlassen der Rettung aus Sonderlagen Nicht nur für das begehungsgleiche Unterlassen des Verkehrspflichtigen und des Ingerenten ist eine Strafmilderung aus der Teilnahmelehre oder dem Gedanken einer geringeren verbrecherischen Energie des Unterlassenden i m Vergleich mit dem Begehungstäter nicht zu begründen. Auch für die „fürsorgerischen Garantieverhältnisse" und für die tatsächliche Übernahme einer besonderen Schutzfunktion folgt aus der Verhaltensdifferenz von Tun und Unterlassen keine Differenz der Strafwürdigkeitsgrade. Vom Zurechnungsgrund her gesehen, zählt es bei den „fürsorgerischen Garantieverhältnissen" und der tatsächlichen Übernahme einer besonderen Schutzfunktion gleich, ob die Pflichten, die die Funktionsfähigkeit einer bestimmten sozialen Institution garantieren, durch ein Tun oder durch ein Unterlassen verletzt wurden 1 8 0 . Soll eine Strafmilderung danach ausnahmsweise möglich sein, ist es, mit Roxin 1Si, richtig, die Strafmilderungsgründe als Funktion des Zurechnungsgrundes zu entwickeln, und die Möglichkeit einer Strafmilderung an das Bestehen anderweitiger Möglichkeiten der Konfliktverarbeitung zu binden: Eine Strafmilderung scheidet aus, wenn die Entlastung des pflichtwidrig Unterlassenden der pflichtenbegründen179 180 181

Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 301. Vgl. 2. T e i l 2. Abschnitt I I . C. 3. c. Roxin, in: Neues Strafrecht 2 , S. 9.

2 0 8 2 .

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den Institution zum Nachteil gereicht, und sie w i r d diskutabel, wenn die Entlastung des Unterlassenden ohne Belastung der Institution möglich ist. Ein Befund, den Roxin mit der Formel umschreibt, eine Strafmilderung sei nicht angezeigt, wo „ i m Regelablauf des Lebens" Eingeplantes unterlassen wurde, und sie sei geboten, wenn das Opfer aus „ungewöhnlichen Gefahren" nicht gerettet werde 1 8 2 . Die Unterscheidung Roxins markiert zweifellos Stufen der Strafwürdigkeit beim unechten Unterlassen 183 . Der Rückgriff auf das Unterlassen des i n den „Regelablauf des Lebens" von vornherein eingeplanten Tuns, und der Gegenbegriff des Unterlassens der Rettung aus „ungewöhnlicher Gefahr" ist freilich zu vieldeutig, u m den Bereich genau zu beschreiben, für den eine Milderung angezeigt oder ausgeschlossen ist. Die Formel läßt offen, ob das, was als „ungewöhnliche Gefahr" zu gelten hat, über Erfolge oder über Handlungen zu definieren ist. Beispielhaft: Unterläßt die Mutter die Rettung ihres Kindes aus einer ungewöhnlichen Gefahr, wenn das K i n d an einer äußerst seltenen Krankheit leidet, der Erfolg aber durch stereotype Handlungen hätte abgewendet werden können: die Mutter, deren K i n d an „schwarzem Fieber" erkrankt ist, unterläßt den rettenden A n r u f beim Arzt. Oder: Unterläßt der das i n den Regelablauf des Lebens Eingeplante, der die Beseitigung einer typischen Gefahr unterläßt: das K i n d ist an Grippe erkrankt, es hat sich ein Bein gebrochen usw., weil die Rettung ausnahmsweise nur unter besonderem Aufwand möglich war: Die Eltern unterlassen die Benachrichtigung des Arztes, weil ein Schneesturm die öffentlichen Kommunikations- und Verkehrssysteme unterbrochen hat, so daß sie deshalb einen beschwerlichen Weg hätten auf sich nehmen müssen. Anders gesagt: Die Beschreibung des Bereiches, für den eine Strafmilderung geboten ist, über das Ungewohnte der Gefahren, die abzuwenden der Unterlassende aufgerufen war, ist zu eng 1 8 4 . Ob eine Strafmilderung für den rettungsfähigen Unterlassenden angezeigt ist oder nicht, richtet sich vielmehr danach, ob er durch einen Bruch i n der Kontinuität des alltäglichen Erfahrungsablaufes i n eine Situation ungewohnter Komplexität, eine Sonderlage, geriet, auf die er zu seiner Entlastung verweisen kann, gleich, worauf das, relativ zum Lebenskreis des Unterlassenden, Ungewöhnliche beruhte: Für den Ehemann, 182 Vgl. auch Jescheck, in: L K 1 0 , § 13 Rdn. 62, der meint, Strafmilderung sei geboten, „ w e n n die gebotene Handlung v o n dem Unterlassungstäter keine mehr oder weniger selbstverständliche Tätigkeit, sondern den außergewöhnlichen Einsatz eines rechtstreuen Willens verlangt". 183 Vgl. dazu auch Herzberg, Garantenprinzip, S. 255 ff. 184 U n d auf der anderen Seite auch zu w e i t ; dazu sogleich 2. T e i l 2. A b schnitt I I I . B. 1.

I I . Die Strafrahmenwahl beim

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dessen Frau i n einem Tierpark von einem ausgebrochenen Löwen angefallen wird, und der zu ihrer Rettung nicht den Wärter zu Hilfe ruft, oder für den, der für seine Frau nach einem Unfall i n einem fremden Land nicht den Arzt ruft. Der Grund, daß eine Strafmilderung für den pflichtwidrig Unterlassenden diskutabel ist, der auf eine Sonderlage als Ursache seines Versagens verweisen kann, liegt i n der Verwandtschaft dieser Unterlassensfälle m i t den, beim fahrlässigen Begehungsdelikt unter dem Titel der Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens diskutierten Fallgestaltungen. Erscheint dort ein sorgfaltswidriges Tun als verzeihlich, wenn i n einer, auch dem Sorgfältigen nachvollziehbaren Sonderlage die gebotene Sorgfalt verletzt wurde (: die Ehefrau eilt, von einem schweren Unfall ihres Ehemannes benachrichtigt, ins Krankenhaus und vergißt, durch die Nachricht erregt, das Bügeleisen abzustellen 185 ), so kann dem, der pflichtwidrig i n einer Sonderlage einen als gangbar erkannten Rettungsweg nicht nutzte, sein Versagen immerhin noch nachgesehen werden, weil dem Rechtstreuen jedenfalls soviel plausibel ist, daß nicht selten auch der Sorgfältige angesichts des Ungewöhnlichen sogar schon den Rettungsweg nicht bedenkt. Denn ist die Situation offen, d.h. kann sie nicht routinemäßig bestimmt und bewältigt werden, muß sich der zum Gutserhalt Verpflichtete besinnen. Er muß versuchen, das Fremde zu i h m Bekannten i n Beziehung zu setzen, um überhaupt erst einen Weg zur Rettung des bedrohten Gutes zu finden. Die Erwartungen an die adäquate Bewältigung ungewohnt komplexer — problematischer — Situationen sind geringer, als die an die Bewältigung von Routine-Situationen. I n alltäglichen Situationen ist mit der Kenntnis der Situation das Wissen u m das gebotene T u n mitgegeben: Die Mutter, die ihr K i n d zu einer bestimmten Zeit schreien hört, weiß routinemäßig, daß es Hunger hat und der Weg, das Bedürfnis des Kindes zu befriedigen, gehört für sie zum Basiswissen; und auch der Schrankenwärter, dem die A n k u n f t eines Zuges gemeldet wird, weiß „automatisch" was zu t u n ist. Dieser Wertung entsprechend w i r d der nicht entlastet, der i n alltäglichen Situationen rollenspezifische, stereotype Handlungen (das Füttern das Kleinkindes durch die Mutter, der A n r u f beim Arzt, wenn das K i n d erkrankt ist usw.), zum Gutserhalt oder zur Abwendung nicht drastisch ungewöhnlicher Gefahren unterläßt. Beispielhaft: Den, der es unterläßt, für sein fieberndes K i n d den Arzt zu rufen, entlastet der Hinweis nicht, sein K i n d habe an einer außergewöhnlich seltenen Krankheit gelitten. Und Zweifel an der Angemessenheit einer Straf185 Eingehend dazu Jakobs, Studien, S. 141 ff.; Samson, in: SK StGB 3 , A n hang zu § 16 Rdn. 34 ff.

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milderung bleiben auch i n Fällen, i n denen der Unterlassende zwar zur Rettung aus einer drastisch ungewöhnlichen Gefahr aufgerufen war, aber Instanzen zur Beseitigung beliebiger, auch seltener und zufälliger Gefahren nach der sozialen Planung vorgesehen und situationsunabhängige Verhaltensrezepte zur Alarmierung verfügbar sind, wenn das Wissen um diese Rezepte für den Sorgfältigen schon zum Basiswissen gehört: Das Betätigen einer Notrufsäule bei einem Unfall; das Einschlagen eines Feuermelders bei einem Brand; der A n r u f beim Notarzt bei einer plötzlichen Erkrankung oder der Anruf bei der Polizei bei einem drohenden Delikt usw. Der, der nach einem Mordanschlag seine schwer verletzte, blutüberströmte Ehefrau findet und den A n r u f beim Notarzt zu ihrer Rettung unterläßt, verdient keine Strafmilderung; er war nicht mit einem ungewohnt komplexen Gestaltungsspielraum zur Abwendung der Gefahr konfrontiert, und dem Sorgfältigen ist das Unterlassen der Hilfe schon deshalb nicht mehr nachvollziehbar, weil i h m die Anpassung des Verhaltens an die Situation automatisch gelingt. Anderes gilt freilich für den, der nach einem Verkehrsunfall auf der Autobahn für seine verletzte Frau keine Hilfe ruft, weil die Notrufsäule versagt und er nun zur Alarmierung der Rettungsstelle vor einer ungewohnten Alternativenvielfalt steht: Er kann einen anderen Kraftfahrer anhalten und i h n bitten, den Notarzt zu benachrichtigen; er kann versuchen, auf einem nahen Gehöft einen Kraftwagen zu entleihen; er kann sich zu Fuß auf den Weg machen usw. Nicht jede besondere Situation kann freilich als Sonderlage gelten, auf die der Unterlassende zu seiner Entlastung verweisen darf: Der Mutter, die es unterläßt, ihr schwergeschädigtes K i n d zu versorgen, ist es verwehrt, den besonderen Aufwand geltend zu machen, den sie zur Versorgung des Kindes leisten muß. Verallgemeinert: Für das Bestehen einer Sonderlage, die den Unterlassenden entlastet, ist der Aufwand, der zur Erfüllung der Pflicht gefordert ist, weder notwendige noch hinreichende Bedingung. Wer das nach der Gestaltung seines Lebenskreises Alltägliche unterläßt, w i r d nicht entlastet, gleich wieviel die Erfüllung der übernommenen Aufgabe an Selbstaufopferung auch fordert 1 8 6 . 186 Damit ist nichts über die Bewertung der Fälle gesagt, i n denen die M u t t e r die Pflege eines, nach einem U n f a l l dauernd geschädigten Kindes erst gar nicht aufnimmt oder i n denen sie die Betreuung nach der Geburt eines erheblich mißgestalteten Kindes unterläßt. Hier mag das Versagen v o r einer unklaren, ungewohnten Situation für eine Strafmilderung ausreichen. Der Unterschied zwischen den Fallgestaltungen liegt darin, daß sich m i t der Aufnahme der Pflege die Selbstdarstellung der M u t t e r u n d damit auch die an sie gerichteten Erwartungen ändern. Wer das Ungewohnte annimmt, v e r pflichtet sich damit gleichsam durch sein Verhalten, die übernommene Rolle auch zu Ende zu spielen: Die M u t t e r ist nach dem U n f a l l u n d der angenommenen Aufgabe der Betreuung nicht mehr verwöhnte Ehefrau u n d M u t t e r eines wohlgeratenen Kindes; sie wurde zur selbstlos aufopfernden, w e n n auch bedauernswerten Pflegerin eines Invaliden, der freilich ein einseitiges L ö -

I I . Die Strafrahmenwahl beim

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211

Die Mutter, die die Pflege des behinderten Kindes unterläßt, befindet sich nicht i n einer Situation ungewohnter Komplexität, auf die sie zu ihrer Entlastung verweisen kann. Daß allein zur Vermeidung eines besonderen Aufwandes die Pflege unterlassen wird, trägt die Strafrahmendifferenz i m Vergleich m i t einer Tötung des Kindes durch ein T u n noch nicht. Das Beispiel der Mutter, die ihr behindertes K i n d nur unter Verzicht auf eigene Lebensgestaltung betreuen kann, zeigt, daß nicht jede besondere Lage und auch nicht jede Sonderlage dem garantenpflichtw i d r i g Unterlassenden zu einer Strafmilderung wegen eines Unterlassens nach § 13 Abs. 2 StGB verhelfen kann. Der Begriff des Unterlassens der Rettung aus einer „ungewöhnlichen Gefahr", wie i h n Roxin verwendet, birgt die Tendenz, dem entschuldigenden Notstand entnommene Wertungen der Strafmilderungsregel des § 13 Abs. 2 StGB zu unterlegen. Beispielhaft: Für die Eltern, die ihr K i n d nicht aus einem brennenden Haus retten oder für den Ehemann, der seine Ehefrau, die bei einem Spaziergang i n einen Fluß gestürzt ist, nur unter eigener Lebensgefahr retten kann 1 8 7 , und der deshalb die Rettung unterläßt, mag eine Strafmilderung angezeigt sein. Aber sie ist es, weil die Angst des Unterlassenden vor dem Verlust eigener Güter angesichts der Gefahrenlage auch dem Rechtstreuen verständlich ist. Die psychologische Plausibilität des Entschlusses, gebotene und mögliche Hilfe zu unterlassen, mag ein Grund sein, den Unterlassenden nach den Regeln des entschuldigenden Notstandes zu entschuldigen, oder, sofern er den Umständen nach verpflichtet war, die Gefahrenlage zu bestehen, seine Strafe nach § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB zu mildern. Der Milderungsregel des § 13 Abs. 2 StGB aber dürfen den Wertungen des § 35 Abs. 1 StGB abgezogene Milderungsgründe nicht unterlegt werden, da sonst die Gefahr bestünde, die Wertungen der Vorschrift des § 35 Abs. 1 StGB zugunsten des § 13 Abs. 2 StGB partiell zu unterlaufen. Beispielhaft: Der Unternehmer, der zur Rettung seiner erkrankten Frau den Arzt sungsrecht von der übernommenen Rolle nicht mehr gestattet ist. Dagegen scheinen die Erwartungen i n die K r a f t zur Neubestimmung eines festgelegten Selbstbildes auch angesichts einer Katastrophe geringer zu sein als die an das Durchhalten einer, w e n n auch beschwerlichen Rolle: Die Möglichkeit des Versagens v o r dem Ungewohnten ist i m ersten F a l l i n die Erwartungss t r u k t u r eingebaut. 187 Vgl. das Beispiel bei Roxin, in: Neues Strafrecht 2 , S. 9. — Die Bewertung des Verhaltens ist freilich anders, w e n n der Ehemann die Rettung der Ehefrau leicht durch die Betätigung einer am Fluß für solche Fälle aufgestellten Notrufsäule hätte bewerkstelligen können: Hier ist eine Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB nicht angezeigt. Daß er zur Rettung aus einer „ungewöhnlichen Gefahr" aufgerufen war, ändert daran nichts. Die Plausib i l i t ä t des Beispiels als F a l l minderer Strafwürdigkeit des Garantenunterlassens lebt davon, daß der v o m Ehemann zur Rettung zu leistende A u f w a n d mitgedacht w i r d . 1 *

2 1 2 2 .

Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen. D

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nicht ruft, weil er durch die Kosten der Heilbehandlung seine w i r t schaftliche Existenz bedroht sieht, ist nicht entschuldigt, und er verdient auch keine Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB, wenn die Beschränkung des Güterkataloges i n § 35 Abs. 1 StGB einen Sinn h a t 1 8 8 . Soll nach § 13 Abs. 2 StGB die Strafe gemildert werden, muß i m M i l derungsgrund deutlich sein, daß wegen eines Garantenunterlassens zu mildern ist 1 8 9 . Eine Strafmilderung scheidet schließlich auch für den pflichtwidrig Unterlassenden aus, der sich die Genese der Sonderlage selbst zuzuschreiben h a t 1 9 0 : Die Eltern, die mit einem Kleinkind aufs Land ziehen und auf den heute üblichen technischen Aufwand, auf Telefon, Kraftwagen usw., verzichten, werden zu ihrer Entlastung nicht damit gehört, sie hätten zur Rettung des Kindes wegen ihrer Lebensgestaltung vor einer, dem Stadtleben gegenüber ungewohnt komplexen Situation gestanden. 2. Materialisierung

des Garantenbegriffs

und

Strafmilderung

Über den Bereich hinaus, i n dem der rettungsfähig Unterlassende zu seiner Entlastung auf eine Sonderlage verweisen kann, sind bei den „fürsorgerischen Garantieverhältnissen " und der tatsächlichen Übernahme einer besonderen Pflichtenstellung Strafmilderungsgründe auch i n der Möglichkeit der Materialisierung des Garantenbegriffes angelegt. Bei den „fürsorgerischen Garantieverhältnissen" muß die Haftungsbegründung, der Rechtssicherheit wegen, an „Typen" sozial als unverzichtbar definierter sozialer Rollen oder Institutionen anknüpfen. Sei es formal (es reicht für die Begründung der Haftung, daß die Partner eine Ehe geschlossen haben usw.), sei es, daß materialisierend gefordert wird, die Partner müßten i n ihrem Verhalten zumindest das Pflichtengefüge der Institution als für sich verbindlich darstellen. Volle Materialisierung aber, also der Durchgriff auf die von den Partnern gelebte Wirklichkeit, scheidet für die Begründung der Haftung aus. Für die Strafmilderung des § 13 Abs. 2 StGB: I m Verhältnis der Ehegatten untereinander ist der Konflikt, bezogen auf den Zurechnungsgrund, weniger wegen des Verlustes an Gütern, sondern vielmehr wegen der Störung einer sozial als nicht verzichtbar definierten Institution problematisch. Kann der Konflikt aber ohne Schaden für die Institution anderweitig erledigt werden, ist eine Strafmilderung möglich. Sei es, daß der Unterlassende eine plausible Sondersituation gel188

Vgl. dazu 2. T e i l 4. Abschnitt I. E. 1. Vgl. dazu auch Jescheck, i n : L K 1 0 , § 13 Rdn. 63. 190 Vgl. dazu für die Lage beim entschuldigenden Notstand 2. T e i l 4. A b schnitt I. E. 2. b. aa. 189

I I . Die Strafrahmenwahl beim

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213

tend machen kann, die dem K o n f l i k t die Expressivität f ü r die F o r t g e l t u n g d e r I n s t i t u t i o n n i m m t : D i e v o n d e n P a r t n e r eingegangene B e z i e h u n g w a r z w a r f o r m a l als E h e k o n z i p i e r t , die P a r t n e r v e r f o l g t e n aber andere Z w e c k e als die, die d u r c h eine Ehe ü b l i c h e r w e i s e v e r f o l g t w e r d e n , so daß sie sich deshalb n i c h t anders als b e l i e b i g e D r i t t e gegenü b e r s t a n d e n , w i e e t w a b e i e i n e m Eheschluß z u m E r w e r b e i n e r Staatsa n g e h ö r i g k e i t 1 9 1 . Sei es, daß v o n dem, v o n d e n P a r t n e r n u r s p r ü n g l i c h als E h e g e l e b t e n Z u s a m m e n s c h l u ß ist b e i f o r t s c h r e i t e n d e r Z e r r ü t t u n g n i c h t m e h r als eine „ l e e r e H ü l l e " ü b r i g g e b l i e b e n ist u n d die E h e g a t t e n deshalb p l a u s i b e l m a c h e n k ö n n e n , sie h ä t t e n sich w i e b e l i e b i g e D r i t t e geg e n ü b e r g e s t a n d e n 1 9 2 . Sei es, daß der K o n f l i k t d e m O p f e r zugeschlagen w e r d e n k a n n , das sich a u f diesen P a r t n e r eingelassen h a t . E i n e Grenze f i n d e t die E r l e d i g u n g des K o n f l i k t e s d u r c h Z u r e c h n u n g z u m O p f e r f r e i lich, w e n n d e r andere n i c h t „ z u r e c h n u n g s f ä h i g " ist. F ü r die E h e : I n d e n F ä l l e n d e r §§ 20, 21 S t G B ; u n d i n d e r B e z i e h u n g d e r E l t e r n z u i h r e n m i n d e r j ä h r i g e n K i n d e r n scheidet M i l d e r u n g stets aus, w e i l d e r M i n d e r j ä h r i g e g e n e r e l l als n i c h t „ z u r e c h n u n g s f ä h i g " d e f i n i e r t i s t 1 9 2 a . 191 Es sei denn, die v o n den Partnern verfolgten anderen Zwecke waren nicht mehr akzeptabel u n d stellten einen Mißbrauch der Institutionen dar. 192 Dies bedeutet nicht, es den Unterlassenden zu gestatten, sich durch den Hinweis v o n dem K o n f l i k t zu distanzieren, der Partner habe i h m nichts mehr bedeutet, er habe i h m w i e einem Fremden gegenübergestanden: Die wechselseitige Verpflichtung der Partner findet i h r e n G r u n d i n der n o r m a t i v garantierten Gestaltung ihres gemeinsamen Lebens. M i t dem Verweis auf eine Sonderlage w i r d der unterlassende Ehepartner erst gehört, w e n n der Zerfall der I n s t i t u t i o n i n seinem Verhalten objektiviert ist; u n d er w i r d auch dann nicht damit gehört, w e n n der andere weiter deutlich macht, er w o l l e trotz der Zerrüttung an der Beziehung festhalten. E i n einseitiges Lösungsrecht gibt es nicht; das Ende des gemeinsamen ehelichen Lebens muß als „Zerrüttung" deutlich geworden sein. 192a Z u einem Grenzfall einer, auch i m Verhältnis der E l t e r n zu i h r e m minderjährigen K i n d denkbaren Strafmilderung vgl. BGH N J W 1982, S. 393: „ F ü r die Bewertung des Unrechtsgehalts der Unterlassung" spiele es eine „besondere Rolle", ob „die gebotene Handlung v o n dem Unterlassungstäter mehr verlangt als den normalen Einsatz rechtstreuen Willens"; die „festgestellten unterlassungsbezogenen Umstände" könnten „der Angeklagten das gebotene Verhalten . . . so erheblich erschwert haben, daß sie n u r bei größerer Willensanstrengung ihren Pflichten genügen konnte": Sie habe i n „schlechten familiären Verhältnissen (gelebt), ihre Ehe w a r zerrüttet, i h r Ehemann A l k o h o l i k e r " u n d sie selbst „ w a r zur Tatzeit eine i m Verhältnis zu i h r e m Lebensalter unreife, entwicklungsgestörte junge Frau m i t der Neigung zu Alkoholmißbrauch, zu infantilen Trotzreaktionen u n d psychischen Versagenszuständen". — Der B G H übersieht bei dieser Argumentation freilich, daß das „größere Maß der Willensanstrengung", das die pflichtw i d r i g unterlassende Angeklagte zur Rettung ihres Kindes hätte aufbringen müssen, Stufen des Strafwürdigen beim Unterlassungsdelikt nicht notwendig kennzeichnet. Denn daß der Täter gegenüber dem Rechtstreuen ein Mehr an „Willensanstrengung" erbringen muß, k a n n gerade an seiner Gleichgültigkeit dem Gut gegenüber liegen. So w i e es beim Begehen den Gewohnheitstäter k a u m entlasten kann, daß er die N o r m nicht mehr als Hindernis seines Wollens empfindet, so daß es i h m „leicht" fiel, die N o r m zu übertreten, k a n n auch beim Unterlassen den, dem die Kenntnis der Situation keinen Impuls

2 1 4 2 .

Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen. D

3. Das Mitverschulden

des Opfers

als

ers

Strafmilderungsgrund

D u r c h B e l a s t u n g des Opfers n e b e n d e m p f l i c h t w i d r i g U n t e r l a s s e n d e n z u e i n e r S t r a f m i l d e r u n g n a c h § 13 A b s . 2 S t G B z u gelangen, i s t auch b e i d e n G a r a n t i e v e r h ä l t n i s s e n aus tatsächlicher Ü b e r n a h m e e i n e r besonderen Schutzfunktion nicht selten möglich. Es ist d a n n m ö g l i c h , w e n n das O p f e r v e r t r a u t h a t , obgleich der, d e m v e r t r a u t w u r d e , e i n e m s o r g f ä l t i g auf d e n E r h a l t seiner G ü t e r B e d a c h t e n n i c h t als v e r t r a u e n s w ü r d i g erschienen w ä r e . I n der Du-Beziehung, der Beziehung zwischen nahen V e r w a n d t e n oder engen F r e u n d e n , w i r d d e r andere i n seiner I n d i v i d u a l i t ä t , m i t seinen V o r z ü g e n u n d Schwächen, e r l e b t . D e r , d e r v e r t r a u t , k a n n b e u r t e i l e n , ob das V e r t r a u e n i n d e n a n d e r e n g e r e c h t f e r t i g t oder l e i c h t s i n n i g zur Hilfe mehr vermittelt, seine Gleichgültigkeit nicht entlasten, obgleich er zur Rettung mehr an „Willensanstrengung" hätte aufbringen müssen als der, der i m m e r h i n noch Achtung vor dem Gut hat. U m die Quantifizierung eines psychischen Befundes bestimmter Qualität geht es dem BGH i n der Sache freilich auch nicht: Gemeint ist vielmehr, daß die Angeklagte zu ihrer zumindest partiellen Entlastung auf Befunde verweisen kann, die das Unterlassen der Rettung plausibel erscheinen lassen. Aber — das übersieht der B G H — nicht schon jede k o g n i t i v plausible Belastung des Subjekts taugt auch zur Distanzierung des rettungsfähig Unterlassenden v o m deliktischen Geschehen. Der Hinweis des BGH auf die desolate Sozialisation der Angeklagten, ihre Neigung zu Alkoholmißbrauch u n d die Zerrüttung der Ehe tragen die Strafmilderung jedenfalls allein nicht. Die Zerrüttung der Ehe mag — j e nach i h r e m Grad — taugen, die Angeklagte v o n einem pflichtw i d r i g e n Unterlassen gegenüber i h r e m Ehemann zu distanzieren (vgl. 2. T e i l 2. Abschnitt I I I . B. 2.); das K i n d braucht sich die Zerrüttung der Ehe seiner Eltern nicht zu seinem Nachteil vorhalten zu lassen, w e i l die Beziehung der E l t e r n jedenfalls zu ihren minderjährigen K i n d e r n schon nach der rechtlichen Ausgestaltung gegen tatsächliche Auflösungsprozesse i m m u n ist. Auch die Sozialisationsdefizite u n d die Neigung der Angeklagten zu A l k o h o l m i ß brauch tragen die M i l d e r u n g nicht. Nicht jede Belastung des Freiheitsspielraums des Subjekts, bei deren Vorliegen ein Versagen des Verpflichteten vor der Pflicht jedenfalls k o g n i t i v plausibel ist, taugt auch zur Entlastung des gebotswidrig Unterlassenden. Es ist verfehlt, w e n n der B G H diese kogn i t i v e Lage m i t einer für rechtliche Schuld relevanten Verminderung des „Freiheitsspielraums" der Angeklagten gleichsetzt. Eine als Gegenmotiv zur Pflichterfüllung plausible Belastung des Subjekts entlastet jedenfalls dann nicht auch n u r partiell, w e n n sie ubiquitär ist. Der B G H macht w o h l einen Katalog k o g n i t i v plausibler Belastungen des Freiheitsspielraums der Angeklagten auf, unterläßt es aber, die soziale Relevanz dieser Befunde als Strafmilderungsgründe zu diskutieren: Erst der nicht generalisierbare Befund entlastet; Alkoholmißbrauch und defizitäre Sozialisation aber sind Belastungen, m i t denen das Subjekt alleine fertigzuwerden hat. Was dann für die Begründung der Strafmilderung an Befunden bleibt, sind, wegen der M i n d e r j ä h r i g k e i t der Angeklagten, n u r ihre Unreife, ihre Neigung zu infant i l e n Trotzreaktionen u n d ihre Entwicklungsstörungen. Ob das zu zumindest partieller Entlastung hinreicht, hängt davon ab, ob es angeht, die M i n d e r j ä h r i g k e i t der M u t t e r gegen die des Kindes aufzurechnen; denn was ein geistig gesunder Volljähriger an Belastungen selbst zu tragen hat, entspricht, w i e die gesetzlichen Wertungen der §§ 19 StGB, 3 J G G zeigen, offensichtlich nicht dem, was ein M i n d e r j ä h r i g e r zu verantworten hat.

I I . Die Strafrahmenwahl beim

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215

ist. Weiß das Opfer aber, daß der andere nicht vertrauenswürdig ist und vertraut es i h m gleichwohl Güter an, hat es sich den Konflikt auch selbst zuzuschreiben. Der andere w i r d sonst i m alltäglichen Umgang regelmäßig nur als mehr oder weniger anonymer Typ erfahren 1 9 3 : Als Kaufmann, als Bankier, als Anwalt, als Bergführer oder als Krankenpfleger. Für den, der nach seiner Lebensgestaltung auf Vertrauen angewiesen ist, stellt sich damit aber das Problem, daß i h m für die Auswahl eines vertrauenswürdigen Partners die Kenntnis der den Typ bildenden Merkmale noch nicht die Gewißheit vermittelt, er dürfe dem anderen auch als Person vertrauen: Der Bergführer, dem der Berggast sein Leben für eine gefährliche Tour anvertraut, kann dem Trünke ergeben sein; der Bankier, dem er sein Geld anvertraut, kann vor dem Ruin stehen; der Arzt, auf den er sich zur Heilung seiner Leiden verläßt, kann rauschgiftabhängig sein usw. Anders gesagt: Das Wissen darum, daß der andere zu einem bestimmten Typ mit gewöhnlich erwartbaren Eigenschaften gehört, sagt nichts darüber aus, ob der bestimmte andere die fachliche Kompetenz und das Geschick besitzt, i h m anvertraute Güter vor Schaden zu bewahren; man kann nicht hinter die Fassade sehen. Freilich h i l f t die Fassade bei der Auswahl der Vertrauenswürdigen aus den Angehörigen eines bestimmten Typs. Es gibt i m sozialen Umgang eingespielte sekundäre Zeichen der Zuverlässigkeit als Orientierungshilfen 1 9 4 , die dem Sorgfältigen Hinweise auf die Vertrauenswürdigkeit des i n Aussicht genommenen Partners geben: Die gediegene Einrichtung des Bankiers, sein guter Ruf i n Fachkreisen, oder das schäbige Büro des Winkeladvokaten; der ausgeruhte und frische Bergfüh193 Auch i n die Du-Beziehung geht der Partner nicht i n seiner ganzen I n d i vidualität ein. Auch die Beziehung zu einem guten Freund u n d selbst die Beziehung der Ehegatten zueinander ist stets plural: Der andere ist einmal als ein bestimmter anderer, als Kegelbruder, als Bergkamerad oder als guter Ehemann zugegen. Er geht i n die Beziehung aber auch als Angehöriger eines bestimmten Typs ein: Der Kegelbruder ist Beamter i m Tiefbauamt; der Bergkamerad ist erfolgreicher A n w a l t ; der Ehemann ist Arbeiter i n einem Großunternehmen usw. Die Rollen, die der andere i n seinem Leben spielt, sind gegeneinander separiert, u n d enttäuschtes Vertrauen belastet das Opfer nur, w e n n es i n einem Rollensektor vertraute, der i n die D u Beziehung eingegangen ist: Der, der dem Freund bei einer Bergtour sein Leben anvertraut, obgleich er u m die Höhenangst des Partners weiß, hat sich den K o n f l i k t neben dem anderen selbst zuzuschreiben. Vertraut er dem Freund als A n w a l t aber seine Vertretung i n einem Verfahren an, braucht er sich allein deshalb, w e i l er u m die Unzuverlässigkeit des anderen bei Bergtouren weiß, noch nicht ein leichtfertiges Vertrauen vorhalten lassen, w e n n der Freund sich n u n auch i n seiner Berufsrolle als nicht vertrauensw ü r d i g erweist. 194 v g l . dazu noch 2. T e i l 3. Abschnitt I I . B. 2. b.

2 1 6 2 .

Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen. D

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r e r oder der, d e r a n g e t r u n k e n u n d ü b e r n ä c h t i g t z u e i n e r g e f ä h r l i c h e n T o u r erscheint. Dies s i n d A l t e r n a t i v e n d e r S e l b s t d a r s t e l l u n g , d i e nichts ü b e r die Q u a l i f i k a t i o n des P a r t n e r s aussagen. Sie stehen aber als M e t a p h e r n d a f ü r , daß sich der, d e r sich nach Z e i c h e n r i c h t e t , d i e d e n a n d e r e n als v e r t r a u e n s w ü r d i g erscheinen lassen, d e n g l e i c h w o h l e i n t r e t e n d e n K o n f l i k t n i c h t als „ m i t v e r s c h u l d e t " a n z u l a s t e n b r a u c h t , d e n n h i e r h ä t t e auch d e r S o r g f ä l t i g e v e r t r a u t . B e i s p i e l h a f t : W e r sein G e l d e i n e m B a n k i e r a n v e r t r a u t , d e r seiner P r ä s e n t a t i o n u n d s e i n e m R u f nach d e n u n g e t r ü b t e n A n s c h e i n des S o l i d e n v e r m i t t e l t , der b r a u c h t sich nichts v o r z u w e r f e n , w e n n d e r Schein n u r Schein w a r , u n d er sein G e l d b e i d e m R u i n d e r B a n k v e r l i e r t ; w e r aber sein L e b e n e i n e m e r s i c h t l i c h anget r u n k e n e n B e r g f ü h r e r a n v e r t r a u t , d e r m u ß es sich auch selbst zuschreiben, w e n n er d e n B e r g e r h e b l i c h blessiert v e r l ä ß t , u n d f ü r d e n B e r g f ü h r e r s p r i n g t eine S t r a f m i l d e r u n g heraus, w e n n d i e B l e s s u r e n des Gastes a u f s e i n e m p f l i c h t w i d r i g e n U n t e r l a s s e n b e r u h e n 1 9 5 .

195 Gerade bei den Garantieverhältnissen aus tatsächlicher Übernahme einer besonderen Schutzfunktion w i r d deutlich, daß die Voraussetzungen der Strafmilderung bei § 13 Abs. 2 StGB nicht allein aus „unterlassungsspezifischen Gründen" hergeleitet werden können, w e n n es sich dabei u m Strafzumessungsgründe handeln soll, die n u r auf das i n § 13 Abs. 1 StGB gemeinte „unechte" Unterlassen gemünzt sind. Die genannten Strafmilderungsgründe gelten, über den Anwendungsbereich des § 13 Abs. 1 StGB hinaus, soweit er „fürsorgerische Garantieverhältnisse" betrifft, für alle Tatbestände, die den „Pflichtdelikten" i m Sinne Roxins ( K r i m i n a l p o l i t i k 2 , S. 18) zugehören. Die Regelung des § 13 Abs. 2 StGB ist zu eng, w e i l sie i h r e m W o r t l a u t nach allein auf das „unechte" Unterlassen des § 13 Abs. 1 StGB bezogen ist. Die entsprechende A n w e n d u n g der Strafmilderungsregel des § 13 Abs. 2 StGB auf alle, auf dem Haftungsgrund der „Pflichtdelikte" beruhenden Tatbestände ist geboten (ebenso Maurach / Gössel, A T 2, S. 165; anders aber Rudolphi, in: SK StGB 3 , § 13 Rdn. 5 ff.), gleich, ob die Pflicht i m Einzelfall durch ein T u n oder durch ein Unterlassen verletzt wurde. Denn für das Maß der Strafwürdigkeit der Pflichtverletzung macht es keinen Unterschied, ob der offenbar unzuverlässige Bankier, dem das Opfer sein Geld anvertraute, den Betrag weisungswidrig verspekuliert, ein Tun, oder ob er die zum Erhalt des Kapitals nötigen Vorkehrungen unterließ. Das Opfer jedenfalls hat sich den K o n f l i k t , neben dem Bankier, auch selbst zuzuschreiben, w e i l es v e r traute, obgleich, dem Sorgfältigen offensichtlich, Vertrauen nicht angebracht war. Die Strafmilderungsregel des § 13 Abs. 2 StGB ist freilich auf der anderen Seite auch zu weit, da sie i h r e m W o r t l a u t nach auch die durch U n terlassen selbständig begehbaren „verhaltensgebundenen Delikte" (vgl. dazu 2. T e i l 2. Abschnitt I. A . 2.) umfaßt. „Bei den verhaltensgebundenen Delikten ist keine besondere Strafmilderung angebracht: w e n n m a n sich schon einmal entschließt, ,das demonstrative Verweigern des Handschlags bei einer öffentlichen Vorstellungstour 4 als Beleidigung oder das geflissentliche Verschweigen einer Tatsache als betrügerisches »Täuschen4 anzusehen . . . , so ist dafür auch eine Sanktion angemessen, die sich innerhalb des normalen Strafrahmens h ä l t " (Roxin, in: Neues Strafrecht 2 , S. 8; vgl. auch Herzberg, Garantenprinzip, S. 278 ff.). Auch für das fahrlässige Garantenunterlassen ist u n bestritten, daß es seiner Strafwürdigkeit nach dem fahrlässigen Begehen gleichsteht.

I V . Zusammenfassung

217

Freilich reicht die Möglichkeit der Belastung des Opfers Zug u m Zug gegen die Entlastung des Unterlassenden nur soweit, als dem Opfer ein Gestaltungsspielraum zur Wahrung seiner eigenen Interessen verblieben ist. Beispielhaft: Wer i n einer Notlage den Notarzt ruft oder bei einem Badeunfall auf die Hilfe des Bademeisters hofft, aber in seinem Vertrauen enttäuscht wird, braucht sich den Konflikt nicht m i t dem Hinweis zuschreiben zu lassen, der Notarzt sei ein bekannt unzuverlässiger Mann oder der Bademeister habe, was häufig vorkomme, betrunken i n seinem Wärterhaus gelegen. Und die Belastung des Opfers findet auch nicht statt zu Lasten anderer, i n den Möglichkeiten der Wahrung ihrer Interessen beschränkter Personen. Es geht nicht an, das Kindermädchen, das durch pflichtwidriges Unterlassen einen Unfall des Kindes verschuldete, zu entlasten, weil es offensichtlich unzuverlässig und von den Eltern schlecht ausgesucht war. Die Entlastung des Unterlassenden Zug u m Zug gegen die Belastung des Opfers findet ihre Grenze i n der „Zurechnungsfähigkeit" des Opfers. IV. Zusammenfassung 1. Die fakultative Strafmilderung beim Garantenunterlassen kann nicht aus der Verhaltensdifferenz von Tun und Unterlassen begründet werden. Aus der Verhaltensdifferenz von Tun und Unterlassen folgt keine „prinzipielle Wertdifferenz" (Armin Kaufmann) der Verhaltensweisen, wie schon die Verkehrspflichten zeigen: Ist es i n sozialen oder sozio-technischen Systemen möglich, Tun und Unterlassen durch triviale Umstellungen der Systemelemente bei identischen Außenfolgen zu vertauschen, dann kann auch das Strafmaß für den pflichtwidrig Unterlassenden nicht von den Zufälligkeiten der Organisation eines bestimmten Lebenskreises abhängen 196 . Die Vorschrift des § 13 Abs. 2 StGB kann auch nicht m i t dem Argument gerechtfertigt werden, es gebe Garantenstellungen so geringer Dignität, daß schon deretwegen eine zumindest fakultative Strafmilderung dringend geboten sei: Auch die Verpflichtung des Ingerenten kann nach Grund und Stärke begehensgleich begründet werden. Die Unterschiede i n der Stärke der Begründung von Zurechnung zwischen Tun und Unterlassen sind Konsequenz eines bestimmten Sozialmodells; eines Sozialmodells, das Gesellschaft als Ordnung gegeneinander isolierter Sphären begreift 1 0 7 . Vor dem Hintergrund dieses Sozialmodells ist das Tun, der Einbruch i n eine fremde Sphäre, stets etwas Besonderes, während die Garantenpflichten nur durch ausnahmsweise zu rechtfertigende Verpflichtungen zu gegenseitiger Solidarität fundiert schei196 197

Vgl. 2. Teil 2. Abschnitt I. C. 1. Vgl. 2. T e i l 2. Abschnitt I. C. 2. b.

2 1 8 2 .

Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen. D

ers

nen. Aber nicht alle Garantenpflichten können auf Pflichten zu gegenseitiger Solidarität reduziert werden: Ein Zustand gegenseitiger Nichtbeeinflussung kann durch Verbote allein nicht garantiert werden, wie schon die Verkehrspflichten zeigen 198 . Der Pflichtgrund der Gebote, die die Garantie isolierter Sphären zum Gegenstand haben, ist dem Pflichtgrund der Verbote nach Grund und Stärke identisch, und auf dem Pflichtgrund der Verbote beruht auch die Ingerenz: Zurechnung zum Begehen kann als Rückführung der vermeidbaren Kausalität auf das Zurechnungssubjekt beschrieben werden, wobei das Subjekt nicht als natürlich-organisch genommen wird, sondern als ein unter Zurechnungsgesichtspunkten konstruiertes psycho-physisches System. Ein System, dem der Bereich als sein Verantwortungsbereich zugeschrieben wird, von dessen Gestaltung die anderen ausgeschlossen sind, der Bereich seiner Motive und Handlungen 1 9 9 . Damit sind die Möglichkeiten, dem Subjekt Verantwortungsbereiche zuzuschneiden, nicht am Ende: Andere Systembildungen umfassen die Haftung des Unterlassenden originär. Der Verkehrspflichtige ist gehalten, einen über Werkzeuge und andere sächliche Hilfsmittel definierten Zuständigkeitsbereich so abzusichern, daß Dritten durch die Außen W i r k u n g e n dieses Bereichs kein Schaden droht 2 0 0 . Auch die Haftung des Ingerenten beruht auf der Festlegung eines Verantwortungsbereichs. Eines Verantwortungsbereichs aber, der nicht mehr über die Handlungen des Subjekts oder über sächliche Hilfsmittel definiert ist, sondern über die revozierbaren Folgen seines Handelns oder des Gebrauchs seiner Hilfsmittel 2 0 1 . Die Notwendigkeit, dem Subjekt diesen Bereich als seinen Verantwortungsbereich zuzuschlagen, folgt aus der gesetzlichen Lage, die gegenseitige Nichtbeeinflussung durch Erfolgsdelikte garantiert: Alles Erfolgsintentionale ist verboten; aber was als erfolgsintentional verboten ist, kann nicht situationsunabhängig bestimmt werden. Soll bei dieser gesetzlichen Lage gegenseitige Nichtbeeinflussung garantiert werden, dann muß entweder alles potentiell kausierende Verhalten verboten werden oder die Folgen eines gefährdenden Handelns müssen zur Sache des Handelnden erklärt werden: er w i r d zum Garanten nach „vorangegangenem gefährdenden T u n " 2 0 2 . Bei der Bestimmung des Haftungsumfanges des Ingerenten kommt die Besonderheit über revozierbare Erfolge definierter Verantwortungsbereiche zum Tragen: U m die Übernahme der Folgen eines Handelns können verschiedene Subsysteme konkurrieren. Deshalb geht es 198 199 200 201 202

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l

2. Abschnitt 2. Abschnitt 2. Abschnitt 2. Abschnitt 2. Abschnitt

I. I. I. I. I.

C. 2. b. C. 2. c. aa. C. 2. c. bb. C. 2. c. cc. C. 2. c. cc.

I V . Zusammenfassung

219

weder an, die Folgen eines gefährdenden Handelns stets dem Verantwortungsbereich des Handelnden zuzuschlagen (die Übernahme der Folgen kann auch Sache des Opfers sein 203 ), noch dem Handelnden die Folgen nur dann zuzurechnen, wenn er sie pflichtwidrig schuf: Die Pflichtwidrigkeitslösung argumentiert begriffsjuristisch, weil sie eine Form der rechtlichen Bewertung eines Verhaltens m i t der sozialen Bedeutung dieses Verhaltens gleichsetzt 204 . Der Pflichtenumfang des Ingerenten ist vielmehr als Funktion aus einer zwischen dem gefährdend Handelnden, dem Opfer und eventuell dritten Subsystemen auszuhandelnden Beziehung herzuleiten: Es ist zu fragen, ob der Konflikt nicht ohne Inanspruchnahme des Ingerenten dem Opfer als sein „Verschulden" oder sonst am gefährdend Handelnden vorbei, den Beständen einer gefährlich gewordenen Welt zugeschlagen werden kann 2 0 5 . 2. Auch bei den „fürsorgerischen Garantieverhältnissen" folgt aus der Verhaltensdifferenz von T u n und Unterlassen keine Differenz von Graden der Strafwürdigkeit zwischen Tun und Unterlassen: Bei den institutionell, i n sozialen Rollen oder sozialen Systemen fundierten Pflichten zu solidarischer Zuwendung zu einem fremden Gut steht es der Strafwürdigkeit des Verhaltens nach gleich, ob eine solche Pflicht tätig oder durch ein Unterlassen verletzt wurde 2 0 6 . Bei den „fürsorgerischen Garantieverhältnissen" ist der Haftungsumfang i n einem doppelten Sinn normativ bedingt: Welche sozialen Sonderbeziehungen als Garantieverhältnisse gelten können, kann nur relativ zu einem, als erhaltenswürdig definierten Sozialmodell ausgemacht werden, und welche Pflichten den Beteiligten an einer als Garantieverhältnis anerkannten sozialen Sonderbeziehung obliegen, kann nur nach der funktionalen Ausgestaltung der jeweiligen Gemeinschaftsbeziehung für ein bestimmtes Sozialmodell entschieden werden 2 0 7 . Nach der A r t der als Garanten verpflichtenden Gruppen kommen nur die Ehe, die Beziehung der Eltern zu ihren minderjährigen Kindern oder Sozialbeziehungen i n Betracht, die sich über den ihnen von den Partnern unterlegten, nach sozialer Wertung vernünftigen Sinn von Ehe und Familie distanzieren lassen: Pflegegemeinschaften oder gemeinsam unternommene gefährliche Unternehmen 2 0 8 . Andere Gemeinschaftsverhältnisse als Garantieverhältnisse durch strafrechtliche Sanktionen abzusichern, w i r f t Folgeprobleme auf, für die i n der Ordnung, wie sie ausgestaltet ist, 203 204 205 206 207 208

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

2. 2. 2. 2. 2. 2.

Teil Teil Teil Teil Teil Teil

2. Abschnitt 2. Abschnitt 2. Abschnitt 2. Abschnitt 2. Abschnitt 2. Abschnitt

I. I. I. I. I. I.

C. C. C. C. C. C.

2. 2. 2. 3. 3. 3.

d. aa. d. cc. e. c. a. u n d b. bb. a.

2 2 0 2 .

Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen. D

ers

Lösungsmuster fehlen 2 0 9 . Die Garantie anderer sozialer Sonderbeziehungen birgt auch die Gefahr, den anerkannten Institutionen durch eine Pluralisierung i n beliebig wählbare Beziehungen ihren Ausschließlichkeitsanspruch zu nehmen 2 1 0 . Als Ertrag der Gegenüberstellung der Verkehrspflichten und der Ingerenz auf der einen und der „fürsorgerischen Garantieverhältnisse" auf der anderen Seite, ist festzuhalten, daß die Unterscheidung i n der Haftungsbegründung nicht an der Unterscheidung von Tun und Unterlassen i m üblichen Verständnis anknüpfen kann: Der Schnitt i n der Haftungsbegründung verläuft vielmehr zwischen den Normen, die gegenseitige Nichtbeeinflussung garantieren, dem Begehen, den Verkehrspflichten und der Ingerenz auf der einen Seite, und denen, die auf den Erhalt eines isoliert nicht bestandsfähigen Lebenskreises zielen auf der anderen Seite: den „fürsorgerischen Garantieverhältnissen" 2 1 1 . 3. Auch die Teilnahmelehre gibt kein Argument für eine zumindest fakultative Strafmilderung für das Garantenunterlassen her: Der „Einheitstäterbegriff" gilt nur für die „fürsorgerischen Garantieverhältnisse" ; denn nur bei den institutionell fundierten Garantieverhältnissen ist es gleich, ob der Garant durch ein Tun oder durch ein Unterlassen schädigt, oder ob er gegen Naturereignisse nicht einschreitet oder gegen einen Dritten, der das anvertraute Gut deliktisch angreift 2 1 2 . Beim begehensgleichen Unterlassen des Verkehrspflichtigen und des Ingerenten kann dagegen zwischen Täterschaft und Teilnahme unterschieden werden: Als Täter haftet neben einem aktiv Handelnden regelmäßig der pflichtwidrig Unterlassende, der aufgerufen ist, den Erfolg abzuwenden oder die Tat zu verhindern; als Teilnehmer neben einem Aktivtäter haftet regelmäßig der Garant, der verpflichtet ist, für das Fehlen von Tathindernissen zu sorgen oder dem sonst die Überwachung gefährlicher Gegenstände obliegt 2 1 8 . 4. Für die Bedingungen, unter denen danach noch eine Strafrahmenänderung nach §§ 13 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB möglich bleibt, ist zwischen dem begehensgleichen Unterlassen des Verkehrspflichtigen und des Ingerenten und den „fürsorgerischen Garantieverhältnissen" zu unterscheiden. Für das begehensgleiche Unterlassen gilt die fakultative Strafmilderung des § 13 Abs. 2 StGB nur als generelle Anordnung „minder schwe209 210 211 212 213

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l

2. Abschnitt 2. Abschnitt 2. Abschnitt 2. Abschnitt 2. Abschnitt

I. C. 3. b. aa. I. C. 3. b. aa. I . C. 2. e. I I . C. I I . B. 2.

I V . Zusammenfassung

221

rer Fälle" zu den Unterlassungstatbeständen, die nach den Regeln, die auch sonst für „minder schwere Fälle" gelten, jeweils zu den Tatbeständen des Besonderen Teils des StGB auszulegen sind. Eine Regelung, die sich hier aus dem Umstand rechtfertigt, daß beim Unterlassen häufiger als beim Begehen strafmildernde Umstände anzutreffen sind 2 1 4 . Bei den „fürsorgerischen Garantieverhältnissen" ist dagegen eine Auslegung des § 13 Abs. 2 StGB nach „unterlassungsspezifischen" Strafmilderungsgründen i m Wege einer Fallgruppendifferenzierung möglich. Es ist danach zu unterscheiden, ob der Täter i n einer ungewohnt komplexen Situation, i n einer Sonderlage, gebotene Hilfe unterließ (dann ist eine Strafmilderung jedenfalls dann angezeigt, wenn sich der Unterlassende die Genese der Situation nicht selbst zuzuschreiben hat), oder ob er ein von i h m gefordertes stereotypes Verhalten unterließ: Dann scheidet eine Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB aus 2 1 5 . Unterlassungsspezifische Strafmilderungsgründe sind auch i n der Möglichkeit der Materialisierung des Garantenbegriffs bei den „fürsorgerischen Garantieverhältnissen" angelegt. Zurechnung zum rettungsfähig Unterlassenden knüpft hier, der Rechtssicherheit wegen, an Typen sozial als unverzichtbar definierter sozialer Rollen oder sozialer Institutionen an. Eine Strafmilderung w i r d möglich, wenn der Unterlassende geltend machen kann, er habe dem Partner nicht anders als ein beliebiger Dritter gegenübergestanden 216 . Eine Strafmilderung bei den „fürsorgerischen Garantieverhältnissen" , und hier vorab i n den Fällen der tatsächlichen Übernahme einer besonderen Schutzfunktion, ist auch möglich, wenn das Opfer sich den Konflikt neben dem Unterlassenden auch selbst zuzuschreiben hat: Wenn es vertraute, obgleich ihm bekannt war, daß der, i n den es sein Vertrauen setzte, nicht vertrauenswürdig war. Oder: Wenn es zwar nur die den Typ des anderen bildenden Merkmale kannte, aber einem anderen trotz der Kenntnis von Merkmalen vertraute, bei deren Kenntnis der Sorgfältige nicht mehr vertraut hätte. Den Konflikt auch dem Opfer anzulasten endet aber, wo dem Opfer ein Gestaltungsspielraum zur Wahrung eigener Interessen nicht mehr verblieb 2 1 7 .

214 215 216 217

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l

2. Abschnitt 2. Abschnitt 2. Abschnitt 2. Abschnitt

III. III. III. III.

A. B. 1. B. 2. B. 3.

Dritter

Abschnitt

Die fakultative Strafmilderung beim Handeln in vermeidbarer Recbtsunkenotnis I. Der Meinungsstand Die Angemessenheit einer fakultativen Strafmilderung für den i m vermeidbaren Verbotsirrtum Handelnden w i r d heute regelmäßig damit begründet, daß es dem Täter bei Kenntnis der Normwidrigkeit — ceteris paribus — leichter fallen würde, zur Vermeidung des Handlungsprojektes zu gelangen als bei Fehlen dieser Kenntnis: Der i n Normunkenntnis Handelnde hätte zur Normbefolgung mehr leisten müssen als jeder i n Kenntnis der Normwidrigkeit Delinquierende, da er die intellektuellen Voraussetzungen der Vermeidung sämtlich erst hätte aktualisieren müssen 1 . A. Die Lehre Horns: Zugleich zur Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums

Horn hat, für die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums, versucht, „die Fähigkeit zum Erkennen" von „innen heraus (zu) erfragen" 2 . Er ist zu dem Ergebnis gelangt, für die „Fähigkeit, zur Unrechtserkenntnis zu gelangen", sei mindestens der „unspezifische Zweifel" an der Rechtmäßigkeit des Handlungsprojektes, das aktuelle „Bewußtsein, daß die Handlung möglicherweise irgendwie verboten sein" könne, erforderlich 3 : „Erkennbarkeit des Unrechts (sei) nur gegeben . . . , wenn der 1 Welzel, Lehrbuch 1 1 , S. 164 f.; Armin Kaufmann , Normentheorie, S. 194, 199 ff. u. ö.; Rudolphi, in: SK StGB 3 , § 17 Rdn. 47 ff.; unrichtig aber ders.: Unrechtsbewußtsein, S. 121: „ Z u r Unterlassung der geplanten Rechtsgutsverletzung bedarf es . . . einer doppelten Anstrengung des Täters: er muß sich zunächst einmal die Kenntnis v o n der i h n treffenden konkreten Rechtspflicht verschaffen, u m sodann seinen Tatentschluß an dem i h m m i t der Erlangung der Unrechtskenntnis gegebenen Pflichtmotiv auszurichten." — Wenn Rudolphi meint, auch die „Anstrengung", sich der erkannten N o r m entsprechend zu verhalten mindere die Schuld des Täters übersieht er, daß das Fehlen des Willens erkanntes Recht zu befolgen Schuld selbst dann nicht mindert, w e n n der Täter subjektiv gute Gründe für die Normübertretung geltend machen kann: Die Befolgung des Rechts gilt als das beste M o t i v ; dies zeigt schon das Fehlen einer dem § 17 StGB entsprechenden Vorschrift für die „Befolgungsfähigkeit"; vgl. Jakobs , Schuld, S. 18 f.; ders. t Studien, S. 130. 2 Horn, Verbotsirrtum, S. 87. 3 Horn, Verbotsirrtum, S. 105 f.

I. Der Meinungsstand

223

Täter sich bewußt macht, daß er das (nach seiner Vorstellung möglicherweise) vorhandene spezifische Unrecht seines Handlungsprojektes nicht kennt" 4 ; „Schuld bedeutet . . . Unterlassenkönnen aus Einsicht i n das spezifische Handlungsunrecht (und) Unterlassenkönnen aus Kenntnis des unspezifischen schlichten Verbotenseins des Projekts. Schuld bedeutet aber nicht . . . Unterlassenkönnen wegen Einsichtsfähigkeit i n das spezifische Handlungsunrecht" 5 . Zur Schuldquantifizierung: Horn unterscheidet von „voller Schuld", die bei adäquater Einsicht i n die spezifische Pflichtqualität vorliege, eine „andere A r t der Pflichtbefolgungsfähigkeit". Eine A r t „verminderter Vermeidbarkeit", für die eine Strafmilderung angebracht sei, da die Strafrahmen „generell auf Fälle »voller Schuld' zugeschnitten" seien. Für die Bestimmung des Schuldmaßes sei „die tatsächlich vorhandene Rechtswidrigkeits- oder Unrechtsvorstellung des Täters dahin zu prüfen, welches Motivationsgewicht er angesichts dieser Vorstellung zu überwinden hatte, u m die als rechtswidrig erkannte Tat trotzdem zu begehen" 6 . Begehe der „Täter . . . objektiv »Ehebruch', subjektiv aber »Blutschande', . . . , (ist er) wegen Ehebruchs aus dem Strafrahmen der »Blutschande'" zu strafen. Gebe es die „vom Täter als Verbotsgrund angenommene Unrechtsqualität gar nicht" 7 , komme es darauf an, „wie die Rechtsordnung — hätte sie sie zum strafbewehrten Verbot gemacht — den normalen Motivationsdruck beurteilt und i n einem Strafrahmen ausgedrückt hätte" 8 . Unabhängig davon, wie „hypothetische Unrechtsqualitäten" und ein diesen Qualitäten zugeordneter (normaler) „Motivationsdruck" nun zu bestimmen sind, und unabhängig auch davon, daß Horn nicht ohne normative Bestimmungen, den „normalen" Motivationsdruck nämlich, jedenfalls bei der Quantifizierung der Schuld auskommt und damit den Schuldvorwurf gerade nicht uneingeschränkt individualisiert, befriedigt die Lösung Horns schon deshalb nicht, weil sie die Abstufung des Schuldmaßes an ein psychisches Faktum und nicht an einen Maßstab bindet: Sie prämiert den „Rechtsgleichgültigen" 9 , benachteiligt aber den, der rechtlichen Anforderungen gegenüber immerhin noch sensibel ist. Die These, Schuldmaße müßten dem individuell erlebten „Motivationsdruck" der Norm stets entsprechen oder, mit der h. L., die „ A n strengung" zur Rechtserkenntnis zu gelangen, mildere stets die Schuld, ist i n dieser Allgemeinheit falsch. Gerade das Desinteresse an einer 4 5 6 7 8 9

Horn, Horn, Horn, Horn, Horn, Dazu

Verbotsirrtum, S. 122. Verbotsirrtum, S. 99. Verbotsirrtum, S. 161. Verbotsirrtum, S. 162. Verbotsirrtum, S. 163. Stratenwerth, ZStW 85, S. 487.

224

2. Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

Norm kann ihre Aktualisierung i m Bewußtsein des Täters hindern — eine Einsicht, der sich die Entscheidung des Gesetzgebers für die „elastischere" und, wegen der nur beschränkten Strafbarkeit fahrlässigen Verhaltens auch lückenlosere Regelung der Schuldtheorie verdankt 1 0 . Der „Schuldtheorie" zufolge ist der, der eine Norm nicht aktuell reflektiert oder zumindest sachgedanklich kennt oder die Norm nicht einmal erkennen kann, nicht i n der Lage, sich an der Norm auszurichten — und für etwas, das er nicht könne, dürfe der Handelnde nicht bestraft werden. Für Horn nun ist erst der i n der Lage das intendierte Handlungsprojekt aus Einsicht i n das Unrechtmäßige des Geplanten zu unterlassen, der zumindest einen „unspezifischen Zweifel" an der Rechtmäßigkeit seines Handlungsprojektes hegt: „Handlungsfähig" sei nur, „wer das Ziel seiner Handlung kennt" 1 1 . Freilich braucht der „Anlaß", zur Rechtserkenntnis zu gelangen, nicht, wie Horn meint, individualpsychologisch verstanden werden 1 2 ; und er darf so auch nicht verstanden werden, w i l l das Recht nicht vor dem Faktum seiner Mißachtung kapitulieren. Die neuere Schuldlehre scheint zwar bei der Behandlung des Verbotsirrtums, wie gerade ihre Fortentwicklung durch Horn zeigt, m i t der Option für das „Können" des Täters als Haftungsgrund, die Zurechnung an einen Sachverhalt zu binden, der dem Zweck der Zurechnung 13 vorgegeben ist: Der Kenntnis oder doch der Erkennbarkeit des Rechts durch den Handelnden. Aber es scheint nur so, als fielen Zurechnungsgrund und Zurechnungszweck bei der Behandlung des Handelns i n Rechtsunkenntnis i n der neueren Schuldlehre auseinander. Bei aller Einfühlung i n die Mo10 Anders die Grenze v o n Vorsatz u n d Fahrlässigkeit, die als Grenze generell minderer Strafwürdigkeit des fahrlässigen Delikts ausgestaltet ist. Mater i e l l freilich unbefriedigend, da sich auch die Kenntnis des Verbotsgegenstandes gerade mangels Interesse an der N o r m nicht aktualisieren oder zumindest sachgedanklich einstellen kann: „Tatsachenblindheit" (Mezger, K o h l rausch-Festschrift, S. 184; Jakobs, Studien, S. 105); die Einsicht, daß der Stufung von aktuellem (oder sachgedanklichem) Unrechtsbewußtsein zum Fehlen des Unrechtsbewußtseins eine Stufung v o n höherer zu geringerer Schuld nicht notwendig entspricht, ist heute unbestritten; vgl. n u r Koffka, in: L K 9 , § 13 Rdn. 60; Jescheck, A T 8 , S. 370; Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 557. 11 Horn, Verbotsirrtum, S. 94. 12 Vgl. zur K r i t i k auch Jakobs, Studien, S. 136, Fn. 37; F.-C. Schroeder, in: L K 1 0 , § 17 Rdn. 29; Rudolph!, J u r B l 1981, S. 295; ders., i n : Unrechtsbewußtsein, hrsg. v. Bonner u n d Boor, S. 19, meint n u n das „(virtuelle) U n rechtsbewußtsein (verdanke) seine Anerkennung als Strafbarkeitsvoraussetzung . . . einer Konkretisierung der Schuldidee", i n der „konkreten Ausgestaltung der Lehre v o n Unrechtsbewußtsein u n d Verbotsirrtum (werde aber) i n nicht unerheblichem Maße generalpräventiven Bedürfnissen Rechnung getragen", a.a.O., S. 4, 19; vgl. dazu auch Roxin, Bockelmann-Festschrift, S. 289 f. 13 Dazu 2. T e i l 3. Abschnitt I V .B.

I. Der Meinungsstand

225

tivationsgründe der Täterperson u n d der Bindung der Schuld des Täters an sein „Können" bleibt doch ein ungeklärter — u n d psychologisierend nicht zu klärender — Rest. Zwischen der Kenntnis oder (doch) der Erkennbarkeit des Rechts u n d dem Können der Rechtsbefolgung besteht psychisch nicht notwendig eine Verbindung, wie jeder i n Kenntnis der N o r m w i d r i g k e i t Delinquierende beweist, u n d es ist nicht einmal psychologisch stets plausibel, eine Verbindung zwischen Kenntnis u n d Können auch n u r zu erwarten. Beispielhaft: F ü r den langjährigen überzeugten Anhänger der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas, der den Wehrdienst u n d auch den Ersatzdienst verweigert, ist normgemäßes Verhalten sowenig eine erlebbare Verhaltensalternative, wie für den am Rand der Gesellschaft lebenden Gewohnheitstäter, der i n Kenntnis des Rechts seiner Gewohnheit gemäß delinquiert. Die Verbindung von Kenntnis und Können besteht nicht notwendig i m Psychischen; sie besteht aber stets i m Normativen: Die Begründung von Schuld i n den Beispielen ist n u r plausibel, w e i l die psychisch plausible Kenntnis des Rechts ergänzt w i r d zur Kenntnis von etwas fraglos Richtigem und damit Vorzugswürdigem. Dem Rechtstreuen jedenfalls ist die Kenntnis des Rechts stets M o t i v zur Rechtsbefolgung; i h m ist es selbstverständlich, Normen, die er kennt, auch zu befolgen. Daß dem Rechtsgleichgültigen aber gerade umgekehrt die Nichtbefolgung des Rechts selbstverständlich ist, w i r d i m System der neueren Schuldlehre nicht diskutiert: I h m w i r d die Fähigkeit zur Rechtsbefolgung als eigene Aufgabe zugeschrieben. M i t dem „unspezifischen Unrechtszweifel" (Horn) oder sonst der Suche nach den Bedingungen der Kenntnis des Rechts als Bedingungen des Könnens der Rechtsbefolgung i n einem, dem Zweck der Zurechnung vorgegebenen psychischen Sachverhalt, i m „Anlaß", sich über das Recht zu informieren, ist das, was dem Handelnden zum V o r w u r f gemacht w i r d , das Unterlassenkönnen des intendierten Handlungsprojektes, noch nicht begründet. Die Tat beweist, daß nichts, auch nicht der Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Geplanten, zu ihrer Vermeidung veranlaßte. Die Suche nach den Bedingungen der Kenntnis des Rechts oder, i m System Horns, denen der „Handlungsfähigkeit", verschleiert das Normative der Zurechnung beim Handeln i n Unkenntnis des Rechts: Der Impuls zum Wissen-Können, u n d nicht das Wollen-Können w i r d zum Problem gemacht. Anders gesagt: Die Behandlung des Verbotsirrtums i n der neueren Schuldlehre bedeutet keine Wendung h i n zum „Können" des Handelnden, sondern — i n A b k e h r von der Rspr. des RG — eine Wendung weg 15 Timpe

226

2. Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

von dem, was dem Rechtstreuen an Wissen über das Recht selbstverständlich war, h i n zu dem, was dem Rechtstreuen bei gegebenem oder erreichbarem Wissen zu Wollen selbstverständlich ist. Aus dieser Sicht ist dann aber die „Kenntnis von der Kenntnislücke" (Horn) oder sonst ein psychischer Sachverhalt als Bedingung des Wissen-Könnens weder hinreichende noch notwendige Bedingung für das Funktionieren der Normbefolgung 14 : Ohne das Motiv zur Normbefolgung bleibt die Normkenntnis oder die Kenntnis des „unspezifischen schlichten Verbotenseins" für die Normbefolgung folgenlos, wie jeder i n Normkenntnis Delinquierende beweist 1 5 ; wo aber die Verarbeitung eines gegebenen Kenntnisstandes durch das Motiv zur Rechtsbefolgung den „Anlaß" produziert, ist Normbefolgung eine dem Handelnden subjektiv mögliche und, gemessen am Recht, objektiv sinnvolle Konsequenz. Für die Bedingungen der „Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums" also: Der Täter war i n der Lage, bei Verarbeitung seines Kenntnisstandes durch das Motiv zur Befolgung einer Norm des i n Frage stehenden Inhaltes die Norm als gegeben zu erkennen und i n Konsequenz dieser Kenntnis das vorgenommene Verhalten zu vermeiden 1 6 . Die Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums ist dagegen nicht m i t der Verletzung einer „Prüfungs- oder Erkundigungspflicht" zu begründen 17 . Armin Kaufmann hat gegen die Fundierung des Vermeidbarkeitsurteils beim Verbotsirrtum i n einer „Rechtsbeachtungspflicht" eingewandt, „die Verletzung der Rechtspflicht a (das Unrecht der — vorsätzlichen — Tatbestandsverwirklichung) (sei) nicht deshalb vorwerfbar . . weil eine andere Rechtspflicht b (die »Sorgfaltspflicht' zur Prüfung und Erkundigung) verletzt" werde 1 8 . Die normative Absicherung von Ver14

Z u m folgenden Jakobs, Studien S. 133 ff. U n d Voraussetzung der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums ist auch nicht das Naheliegen rechtlicher Regelungen für einen bestimmten Lebenskreis (Jescheck, A T 3 , S. 370; Stratenwerth, A T 3 , Rdn. 590) oder daß der Täter wenigstens weiß, daß sein Verhalten rechtlichen Regelungen unterliegt (Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 146): Bei dieser Kenntnislage mag es dem Täter leichter fallen, das geplante Verhalten aus Einsicht i n das Unrechtmäßige zu vermeiden; aber die Kenntnis bleibt für die Vermeidung folgenlos, w e n n dem Täter das M o t i v zur Rechtsbefolgung fehlt. Voraussetzung der Vermeidbarkeit k a n n bei der Gefahr eines regressus ad i n f i n i t u m (dazu Stratenwerth, ZStW 85, S. 484) auch nicht ein konkret „erkennbarer" Anlaß (vgl. etwa Welzel, JZ 1956, S. 241) sein. 10 Jakobs, Studien, S. 133 f. 17 So aber BGHSt. 3, S. 357 ff., 366; BayObLG, N J W 1980, S. 1058; BGHSt. 9, S. 164 ff., 172 (: bei einem „objektiven" Maßstab); vgl. auch Wolter, JuS 1979, S. 482 ff.; D. Meyer, JuS 1979, S. 250 ff.; H.-W. Schünemann, N J W 1980, S. 741 ff.; BayObLG N J W 1965, S. 1926; BGHSt. 21, S. 18 ff., 21: Der Verbotsi r r t u m sei „verschuldet", w e n n die Rechtsbeachtungspflicht verletzt wurde, gleich, ob das Unterlassen der Erkundigung für den Verbotsirrtum ursächlich w a r oder nicht. 18 Armin Kaufmann, Eb. Schmidt-Festschrift, S. 329 f.; ders., Dogmatik, S. 145. 15

I. Der Meinungsstand

227

haltensnormen sei ohne infiniten Regreß nicht zu leisten: „Der Verbotsirrtum ist nur verschuldet, wenn eine Prüfungspflicht verletzt wurde. War sich der Täter der Prüfungspflicht nicht bewußt, so ist dieser I r r t u m nur vorwerfbar, wenn die Pflicht, die Existenz der Prüfungspflicht zu prüfen, verletzt wurde usw." 1 9 . Entscheidend fällt auch gegen die Fundierung der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums i n der Verletzung einer „Prüfungspflicht" 2 0 ins Gewicht, daß die normative Absicherung von Verhaltensnormen nutzlos ist; sie bringt kein Mehr an Rechtsbefolgung: Für den, der am Recht interessiert ist, ist eine Rechtsbeachtungspflicht überflüssig; sie gibt keinen Anlaß, das Recht zu befolgen, über den Anlaß hinaus, den schon die Verhaltensnorm liefert. Dem aber, der am Recht uninteressiert ist, verhilft auch eine Pflicht zur Rechtsbeachtung nicht zur Normbefolgung 21 . B. Die Lehre Roxins 22

Roxin meint, „für den Regelfall beim Verbotsirrtum (müsse) eine Strafmilderung zwingend vorgeschrieben werden" 2 3 : „Denn von einem Menschen, der wenigstens subjektiv rechtstreu ist, kann erwartet werden, daß sein sozialethisches Fehlgreifen einmalig bleibt und daß er sich durch die Strafe belehren läßt" 2 4 . Etwas anderes könne nur gelten, wenn der Verbotsirrtum auf „Rechtsfeindschaft" beruhe: „Wer die Verbotskenntnis nur deshalb nicht hat, weil i h m Recht und Unrecht so gleichgültig sind, daß er sich absichtlich nicht darum kümmert, der ist auch nicht subjektiv rechtstreu und seine Schuld steht nicht hinter derjenigen eines anderen zurück, der sich immerhin ein Bewußtsein der Normenordnung und den prinzipiellen Willen, sich nach i h r zu richten, noch erhalten h a t " 2 5 . Die Anwendung des Regelstrafrahmens den Fällen der „Rechtsfeindschaft" vorzubehalten, i m Regelfall die Strafe aber obligatorisch zu mildern, würde „ i m Rahmen der Vorsatzstrafe . . . zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum, was die Strafhöhe anbelangt, 19

Armin Kaufmann, Eb. Schmidt-Festschrift, S. 330. Die K r i t i k eingehend darstellend Rudolphi, Unrechtsbewußtsein, S. 196 ff.; Horn, Verbotsirrtum, S. 60 ff. 21 Dazu Jakobs, Studien, S. 14. 22 Roxin, ZStW 76, S. 604 ff. 23 Roxin, ZStW 76, S. 605; zuvor schon Warda, ZStW 71, S. 252 ff. (262): Z u den „verfassungsrechtlichen Bedenken" Wardas gegen eine undifferenzierte „ K a n n - M i l d e r u n g " beim Handeln i n einem vermeidbaren Verbotsirrtum, vgl. Arthur Kaufmann, ZStW 76, S. 557 f. 24 Roxin, ZStW 76, S. 604. 25 Roxin, ZStW 76, S. 605. — Für Fälle der „Rechtsfeindschaft" ist die A n w e n d u n g des Regelstrafrahmens bei einem i m vermeidbaren Verbotsirrt u m Handelnden unbestritten; vgl. n u r : Rudolphi, in: SK StGB 3 , § 17 21 Rdn. 48; Cramer, in: Schönke / Schröder , § 17 Rdn. 3; Stree, in: Neues Strafrecht 2 , S. 51; Mangakis, ZStW 75, S. 535. 20

15*

228

2. Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

jenen gleitenden Übergang erlauben, der auch den dogmatischen Vorgegebenheiten allein gerecht" werde. „So sehr Tatbestands- und Verbotsirrtum i m Kriminalstrafrecht qualitative Verschiedenheiten kennzeichnen, so wenig sind sie — bildlich gesprochen — an den Grenzen durch einen breiten Graben voneinander getrennt. Vielmehr sind, da das Verstehen besonders der normativen Tatumstände immer schon eine mehr oder minder große Annäherung an das Sinnganze der Strafvorschrift und damit an die Verbotskenntnis mit sich bringt, die Grenzlinien fließend" 2 6 . Die „ i m Kern erfaßbare . . . Rechtsfeindschaft" leiste, bei allen Bedenken gegen die schwere Abgrenzbarkeit des Begriffes, „mehr an Rechtssicherheit als eine undifferenzierte ,Kann-Milderung'", die den „Richter über die Milderungsmaßstäbe vollkommen ratlos (läßt)" 2 7 . Roxin betont zu sehr die „gleitenden Übergänge" zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum als Vorzug seiner Lösung, vernachlässigt dabei aber die „qualitativen Unterschiede zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum" bei der Festlegung von Graden der Strafwürdigkeit für die i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis Handelnden. Konkret: Richtig ist, daß schon das Verstehen normativer Tatbestandsmerkmale eine Annäherung an „das Sinnganze der Strafvorschrift und damit an die Verbotskenntnis m i t sich b r i n g t " 2 8 . Aus der Einsicht i n die an den Rändern fließenden Übergänge zwischen der Kenntnis normativer Tatbestandsmerkmale und der Kenntnis des Verbotenseins aber Konsequenzen für das Sanktionsmaß herzuleiten, geht fehl. Denn Roxin redet auf der einen Seite, beim Tatbestandsirrtum und auch beim I r r t u m über normative Tatbestandsmerkmale und den Folgen dieser Irrtümer für das Strafmaß, von der psychischen Verfassung des Subjekts: Die Unterscheidung nach Graden der Strafwürdigkeit ist hier, bei der Abstufung zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsstrafe, allein an einem psychischen Befund ausgerichtet. Er fragt auf der anderen Seite, bei der Festlegung der Sanktion für den i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis Handelnden, nicht mehr nach der psychischen Verfassung des Subjekts, sondern nach einem Maßstab, der an das i m Kenntnisstand reduzierte Subjekt anzulegen ist. Die Gestaltung dieses Maßstabes kann nun aber nicht an der Quantität eines bestimmten psychischen Befundes beim Täter festgemacht werden, sondern allein daran, was von dem Subjekt trotz seiner psychischen Verfassung mit rechtlichem Nachdruck noch erwartet werden muß. Die „fließenden Übergänge" zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum, deretwegen Roxin seine Unterscheidungen empfiehlt, aber sind allein der psychischen Verfassung des Sub28 27 28

Roxin, ZStW 76, S. 606. Roxin, ZStW 76, S. 606. Roxin, ZStW 76, S. 606.

I. Der Meinungsstand

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jekts abgezogen und liefern deshalb kein Argument für eine Abstufung nach Graden der Strafwürdigkeit bei einem Handeln i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis. Der Grund, nach dem zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit abgestuft wird, ein psychischer Befund, kehrt als Grund unterschiedlicher Strafmaße für die i n vermeidbarer Verbotsunkenntnis Handelnden, wie die Unterscheidung Roxins zwischen „subjektiver Rechtstreue" und „Rechtsfeindschaft" zeigt, nicht wieder. Die Konstruktion des Maßstabes, der an den i n vermeidbarer Verbotsunkenntnis Handelnden anzulegen ist, kann nicht der psychischen Verfassung des Subjekts entnommen werden, sondern hängt auch von dem ab, was an Entlastung sozial noch tolerabel ist; und hier ist die Lösung Roxins axiologisch wenig befriedigend: Es ist i m Einzelfall nicht plausibel zu begründen, denjenigen, der aus Desinteresse an rechtlichen Regelungen delinquiert, den Rechtsgleichgültigen also, potentiell besser zu stellen, als den, der immerhin noch Aufmerksamkeit für das Recht aufbringt. Verallgemeinert: Die Bindung unterschiedlicher Grade der Strafwürdigkeit an einen psychischen Befund, ohne Blick auf einen Maßstab, mag, als generelle Grenzziehung, aus Gründen einer rechtssicheren Grenzziehung, bei der Unterscheidung von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsstrafe berechtigt sein. Er ist es nicht bei der vom Gesetz angebotenen „elastischen" Regelung des § 17 Satz 2 StGB. Für eine Unterscheidung nach Graden der Strafwürdigkeit kann hier nicht von der Quantität eines bestimmten psychischen Befundes ausgegangen werden. Erst ein Maßstab kann, an das i m psychischen reduzierte Subjekt angelegt, unterschiedliche Strafmaße liefern 2 9 . Der Gedanke freilich, daß die Unterscheidung von Strafmaßen beim Handeln i n einem vermeidbaren Verbotsirrtum eines Maßstabs bedarf, der nicht der psychischen Verfassung des Subjekts entnommen werden kann, ist bei der Auslegung des § 17 Satz 2 StGB allenfalls i n Ansätzen ausgebildet. C. Die Auslegung des § 17 Satz 2 StGB durch Espr. und h. L.

1. Die fakultative Strafmilderung für ein Handeln in vermeidbarer Rechtsunkenntnis im AE und in den Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform I n der Begründung zu § 20 A E 8 0 heißt es, die „Strafe (sei bei einem Handeln i n vermeidbarer Verbotsunkenntnis) i n der Regel . . . zu m i l dern". Der „AE geht . . . davon aus, daß der i m Verbotsirrtum handelnde Täter normalerweise minder schuldig ist. . . . Soll ausnahms29 30

Vgl. dazu 2. T e i l 3. Abschnitt I I . B. 1. AE, Begründimg, S. 58 f.

2 3 0 2 . Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

weise trotz Verbotsirrtums die volle Vorsatzstrafe verhängt v/erden, so bedarf dies . . . stets einer besonderen Begründung". Horstkotte 31 fand die „Differenz" zwischen der Regelung des AE und der Gesetz gewordenen Fassung des § 17 Satz 2 StGB „nicht groß"; „volle Vorsatzstrafe (werde sich) nur i n „bestimmten seltenen Ausnahmefällen" empfehlen. A u f die ausdrückliche gesetzliche Fixierung eines „Regel-AusnahmeVerhältnisses" habe man verzichtet, „weil sie nicht sagt, wie i m Einzelfall zu verfahren ist"; man habe statt dessen eine Lösung vorgezogen, „die es dem richtig verstandenen Schuldprinzip überläßt, hier regulierend zu w i r k e n " 3 2 . I n der Begründung zu § 17 Satz 2 StGB 3 3 heißt es dagegen: Milderung werde „meist . . . angebracht" sein; aber „die Fälle (seien) nicht ganz selten, i n denen ein solcher I r r t u m unter Schuldgesichtspunkten nicht weniger schwer wiegt wie die vorhandene Verbotskenntnis". Und auch Schwarzhaupt 34 kann sich „eine große Gruppe von Fällen vorstellen, wo eine Milderung nicht angebracht (sei), insbesondere i m Nebenstrafrecht" 35 . 2.

„Rechtsgleichgültigkeit"

Die Entscheidung der Frage, ob nun eine Gleichstellung des i n vermeidbarer Normunkenntnis Handelnden mit dem i n Kenntnis der Normwidrigkeit Delinquierenden rechtstatsächlich selten oder häufig ist, mag dahinstehen: Vorrangig gilt es, die Kriterien zu klären, nach denen die Strafmilderung beim vermeidbaren Verbotsirrtum auszulegen ist — eine Frage, für deren Lösung auch nicht ansatzweise ein System zu erkennen ist. Rudolphi 36 meint, die Strafmilderung dürfe „nicht von Umständen abhängig gemacht werden, die für die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums ohne jede Bedeutung sind" 3 7 . Der Regelstrafrahmen sei (die „Rechtsgleichgültigkeit" erfassend) anzuwenden i n Fällen, i n denen „die durch den vermeidbaren Verbotsirrtum bedingte Schuldminderung wegen ihrer Geringfügigkeit nicht ins Gewicht fällt": Wo sich dem „Täter die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens geradezu aufdrängte, er also nur aufgrund einer besonders groben Nachlässigkeit eine von 31

Horstkotte, Protokolle V, S. 1785 f. Vgl. auch Müller-Emmert, Protokolle V, S. 1789; Stree, i n : Neues Strafrecht 2 , S. 52; Jescheck, A T 3 , S. 372; Cramer, in: Schönke / Schröder 20 , § 17 Rdn. 24; Rudolphi, i n : SK StGB 3 , § 17 Rdn. 48; u n d eingehend darstellend F.-C. Schroeder, in: L K 1 0 , § 17 Rdn. 48. 33 BTDrS V/4095, S. 9 f. 34 Schwarzhaupt, Protokolle V, S. 1789. 35 Ä h n l i c h Köppler, Protokolle V, S. 1790; Dreher, Protokolle V, S. 1789. 36 Rudolphi, in: SK StGB 3 , § 17 Rdn. 49. 37 Ebenso Cramer, in: Schönke / Schröder 20 , § 17 Rdn. 24. 32

I . Der Meinungsstand

231

i h m ohne jede Mühe zu realisierende Möglichkeit zur Rechtswidrigkeitserkenntnis nicht genutzt h a t " 3 8 . 3. Die Auslegung des § 17 Satz 2 StGB durch die Rspr. Auch die Rspr. behandelt die Maßstäbe, anhand derer die fakultative Strafmilderung des § 17 Satz 2 StGB zu beurteilen sei, eher beiläufig; denn „die Entscheidung, ob und wieweit Strafmilderung einzutreten hat, gehört zur Strafzumessung und liegt daher dem Tatrichter ob" 3 9 . Die tatrichterliche Strafzumessungsentscheidung müsse nur „eindeutig ergeben, daß sich der Tatrichter der Möglichkeit einer Strafmilderung bewußt gewesen ist und von seinem Ermessen i n der einen oder anderen Richtung Gebrauch gemacht h a t " 4 0 . Eine Strafmilderung nach § 17 Satz 2 StGB scheide jedenfalls aus für den „abgestumpften Gewohnheitsverbrecher", der „durch strafbare Lebensführung die Ansprechbarkeit durch sittliche Werte und damit die Fähigkeit eingebüßt (habe), durch Gewissensanspannung zur Unrechtserkenntnis zu gelangen. Seine Schuld ist Lebensführungsschuld" 41 . — Eine Fallgruppe freilich, für die Schewe 42 schon klargestellt hat, daß es sich bei ihr gar nicht u m ein Problem des Verbotsirrtums handele: Der „Gewohnheitsverbrecher" mag „durch fortwährendes strafbares Tun, durch Einschleifung und Eingewöhnung deliktischer Verhaltensweisen die Fähigkeit" zur Normbefolgung verloren haben; „daß ein Normbezug aber sehr wohl vorhanden ist und daß die Normen tatsächlich als Widerstände und Hindernisse eine Rolle spielen, läßt sich ohne weiteres aufweisen: vor allem der Gewohnheitstäter handelt unter Berücksichtigung der jeweils betroffenen Strukturen der Rechtsordnung und i n bezug auf sie: der Dieb stiehlt heimlich, der Betrüger nutzt die rechtlich-sozialen Zusammenhänge aus, an die das Vertrauen der Getäuschten sich knüpft. I n jedem Fall erstrebt der Täter den Schutz derjenigen Rechtspositionen für sich, die er mit seinem Delikt verletzt. . . . Von einem mangelnden ,aktuellen 4 Bezug kann keine Rede sein, 88 Rudolphi, in: SK StGB 8 , Rdn. 48; — ähnlich Welzel, Lehrbüch 1 1 , S. 164 f.: Dem, der die „Rechtswidrigkeit positiv k e n n t " , stehe der gleich, der die Kenntnis „sogleich aktualisieren k a n n " ; Cramer, in: Schönke / Schröder 21 , § 17 Rdn. 24: Strafmilderung scheide aus bei „Selbstverständlichkeit der Pflicht"; Stree, in: Neues Strafrecht 2 , S. 52; G. Hirsch, i n : L K 1 0 , § 46 Rdn. 74; Maurach, A T 4 , S. 471; Horstkotte, Protokolle V, S. 1785. 89 BGHSt. 2, S. 194 ff., 209; O L G Hamm, VRS 10, S. 350; BGH bei Dallinger, M D R 1969, S. 359; BayObLG, G A 1960, S. 316; O L G Hamburg, N J W 1967, S. 214. 40 BGH bei Dallinger, M D R 1969, S. 359; O L G Hamm, VRS 10, S. 359; BayObLG, G A 1960, S. 316. 41 BGHSt. 2, S. 194 ff., 208 f. 42 Schewe, Bewußtsein u n d Vorsatz, S. 150 f.

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2. Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der V e r b o t s i r r t u m

allenfalls von einer habitualisierten Umkehrung (,Pervertierung') des Normbezuges" 43 . Der BGH hat zu § 138 StGB i m 19. Band der amtlichen Entscheidungssammlung (BGHSt. 19, S. 295 ff., 299) typisierende Richtlinien zur Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums beim Unterlassungsdelikt gegeben; Richtlinien, die ihrer Tendenz nach auch die Auslegung des § 17 Satz 2 StGB anleiten können: Es sei zu unterscheiden, ob „die Unkenntnis von einer Rechtspflicht (vorgeschützt wird), die schon i m allgemeinen sittlichen Bewußtsein der Menschen begründet ist", oder ob dem Täter ein „seinem Lebenskreis ferner liegendes Gebot unbekannt geblieben ist, z.B. die Verpflichtung des Grundeigentümers nach § 30 NatSchVO". Oder verallgemeinert: „Je weniger selbstverständlich das Gebot des Gesetzes ist, desto eher w i r d entschuldigt werden können, wer es aus Unkenntnis ü b e r t r i t t " 4 4 . Auch die Entscheidungssituation spiele für das Vermeidbarkeitsurteil eine Rolle: Es sei zu prüfen, „unter welchen Umständen" geirrt wurde: Ob der Irrende „ i n sehr knapper Überlegungszeit" imstande war, das Gebot zur Verbrechensanzeige zu erkennen; bei welchen „geistigen Fähigkeiten", bei welchem „Bildungsgrad" und i n welchem „Lebenskreis" geirrt wurde 4 5 . Aus der „Sonderstellung der unechten Unterlassungsdelikte" folgert die Rspr., „der Gebotsirrtum über Garantenpflichten w i r d häufiger entschuldbar sein als der Verbotsirrtum des Begehungstäters" 46 . 4. Normatives und Psychisches bei der Strafzumessung bei einem Handeln in vermeidbarer Rechtsunkenntnis Der Begriff der „Rechtsgleichgültigkeit", wie i h n Rudolphi verwendet, ist zu unbestimmt, u m die Strafzumessung zu § 17 Satz 2 StGB 43 Vgl. auch F.-C. Schroeder, in: L K 1 0 , § 17 Rdn. 26; Schmidhäuser f H. Mayer-Festschrift, S. 333: „Auch ein derartiger Täter (sei) sich bei seiner Tat — wenigstens sachgedanklich — des Unrechts bewußt gewesen." 44 BGHSt. 19, S. 295 ff., 299 ( = B G H N J W 1964, S. 1331); zuvor schon BGHSt. 16, S. 155 ff., 160; aus der L i t e r a t u r vgl. etwa Cramer , i n : Schönke / Schröder 21 , § 17 Rdn. 24; Dreher, Protokolle V, S. 1789; Schwarzhaupt, Protokolle V, S. 1789. 45 B G H N J W 1964, S. 1331. 46 BGHSt. 16, S. 155 ff. (160); zustimmend Geilen, JuS 1965, S. 426; Jescheck, A T 3 , S. 371; Herdegen, BGH-Festschrift, S. 199; unter Erweiterung auf U n terlassungsdelikte schlechthin: BGHSt. 19, S. 295; O L G Schleswig, SchlHA. 1962, S. 177: „Bei einem Verstoß gegen eine Verbotsnorm (schließe) i n der Regel bereits ein Zweifel einen v o n Buße freistellenden I r r t u m aus"; ein Verstoß gegen eine Gebotsnorm sei „jedenfalls dann anders zu beurteilen, w e n n die Anerkennung der Gebotspflicht . . . tiefgreifende Folgen . . . haben müßte. Unter solchen Umständen können mögliche Zweifel an der gewonnenen Uberzeugung (für die Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums) nicht ausreichen"; k r i t . dazu F.-C. Schroeder, in: L K 1 0 , Rdn. 31, der meint, das O L G Schleswig vermische i n bedenklicher Weise die Frage nach der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums m i t der Zumutbarkeit.

I. Der Meinungsstand

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kontrollierbar anleiten zu können: Es ist i n der Wertung unrichtig, den Begriff der „Rechtsgleichgültigkeit" über die „Leichtigkeit", zur Erkenntnis des Rechts zu gelangen, zu definieren. Wenn sich ein Beamter, Angestellter, Arbeiter usw. für Steuerrecht interessiert, mag er einen I r r t u m über strafbewehrte Normen des Steuerrechts bei der Abgabe seine Steuererklärung leicht vermeiden können, ohne daß er allein deshalb strafwürdiger ist als einer, der ohne solche privat erworbenen Kenntnisse i r r t ; und einem Steuerberater mag es noch so schwer fallen, Steuerstrafnormen zu aktualisieren, ohne daß er allein deshalb geringer strafwürdig als ein bewußt gegen das Recht Verstoßender ist. Anders gesagt: A u f die Leichtigkeit, zur Rechtserkenntnis zu gelangen, kommt es für eine Unterscheidung nach Graden der Strafwürdigkeit bei dem i n vermeidbarer Verbotsunkenntnis Handelnden nicht an, wenn die Vermeidung des Irrtums aufgrund eines Wissens leicht ist, das der Irrende „privat" erworben hat, weil es nicht zu seiner sozialen Rolle gehört — wo das Unterlassen von Wissenserwerb nicht belastet, kann auch das Nichtnutzen erworbenen Wissens nicht belasten. Und umgekehrt: Auch die „erhebliche" Anstrengung, zur Rechtserkenntnis zu gelangen, entlastet nicht, wenn der Irrende irrt, weil er das nicht wußte, was einem, der eine „soziale Rolle" wie der Irrende innehat, selbstverständliches Wissen ist. Die „Leichtigkeit" zur Vermeidung des Rechtsirrtums, die belasten soll, und die „Anstrengung", zur Rechtserkenntnis zu gelangen, die entlasten soll, können nicht individualpsychologisch aufgefüllt werden. Die Begriffe sind nicht mehr als Metaphern für einen, aus der Bewertung der Organisation der Täterperson gewonnenen normativen Befund: Daß nämlich habituell verfestigte Unsorgfalt belastet und daß ein „einmaliges Versagen" den Irrenden entlasten kann. Auch die Unterscheidung von Normbereichen nach Kern- und Nebenstrafrecht ist nicht geeignet, eine Differenzierung nach Strafwürdigkeitsgraden zu § 17 Satz 2 StGB anzuleiten: Die Normen des Kernstrafrechts gelten durchweg für jeden Lebenskreis; die Normen des Nebenstrafrechts (häufig) nur für bestimmte Lebenskreise. Nur: Wo über das geirrt wurde, was an Wissen zu einem bestimmten Lebenskreis als dem Sorgfältigen selbstverständlich gehört, wiegt der I r r t u m nicht schon deshalb leichter als ein Verstoß gegen dieselbe Norm i n Normkenntnis, weil sich der Handelnde über eine nebenstrafrechtliche Norm geirrt hat, sondern genau so schwer, weil schon der I r r t u m Zeichen habituell verfestigter Unsorgfalt ist. Deshalb führt auch die Unterscheidung der Rechtsprechung zwischen Verbots- und Gebotsirrtum nicht weiter: Für die Strafmilderung des § 17 Satz 2 StGB kann nicht nach A r t des Irrtumsgegenstandes unterschieden werden, sondern nur

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2. Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

danach, ob Verbot oder Gebot für den Lebenskreis des Irrenden Evidenz besaßen oder nicht. Verallgemeinert: Bei der Strafmilderung für den, der i n einem vermeidbaren Verbotsirrtum handelte, kann nicht ein bestimmtes Quant u m eines psychischen Befundes zum alleinigen Anlaß der Milderung genommen werden. Es kommt nicht auf das Maß eines psychischen Befundes an, sondern auf den Grund der Unkenntnis des Rechts (war der I r r t u m Konsequenz eines einmaligen Versagens oder schon habituell verfestigter Rechtsuntreue), auf einen Maßstab also, der von der psychischen Verfassung des Subjekts unabhängig ist. Die Konstruktion des Maßstabes kann nun aber nicht an einer Typisierung nach Normbereichen, Kern- oder Nebenstrafrecht, festgemacht werden, sondern muß vom jeweiligen Lebenskreis des Irrenden ausgehen: War das, worüber der Täter irrte, für seinen Lebenskreis an Wissen über das Recht selbstverständlich (oder hatte es doch zumindest selbstverständlich zu sein) oder nicht. Die Einsicht, daß es zur Schuldquantifizierung eines Maßstabes bedarf, ist nicht neu, wie schon die Behandlung der „Rechtsfeindlichen" und der „Rechtsgleichgültigen" zeigt, denen ohne Blick auf die individualpsychologische Plausibilität i m Einzelfall das Können der Normbefolgung als eigene Aufgabe zugeschrieben wird. Freilich w i r d dann einer psychologisierend dem Prinzip der Tatschuld verpflichteten Schuldlehre zum Problem, daß für den i m vermeidbaren Verbotsi r r t u m handelnden „Rechtsgleichgültigen", auf den der Regelstrafrahmen angewendet werden soll, die individualpsychologisch bestimmte Tatschuldmilderung durch eine „gewisse Lebensführungsschuld" 47 ausgeglichen werden muß. Unbekümmert ums Prinzip, daß „für die strafrechtliche Bewertung eines Verhaltens eine wie auch immer geartete Gesinnung des Täters . . . außer Ansatz zu bleiben (habe), und zwar auch bei der Bemessung des Schuld Vorwurfs" 4 8 , w i r d Schuld ganz gängig normativ oder generalisiert 49 oder als „Lebensführungsschuld" formuliert 5 0 , wenn die psychologisierende Bemessung des Sanktionsmaßes „zu lebensfremden und für das Rechtsgefühl unerträglichen 47

Rudolphi, i n : SK StGB 3 , § 17 Rdn. 48. Rudolphi, Unrechtsbewußtsein, S. 123. 49 Schaff stein, ZStW 77, S. 203; Mangakis, ZStW 75, S. 532; die, normativ, von der personalen Verantwortlichkeit des Menschen ausgehen u n d damit Freiheit voraussetzen, sich dann aber bei der Feststellung der Schuld m i t einer Abweichung des einzelnen Täters v o n einem generell vorausgesetzten Können begnügen; und, für ein „deterministisches" Schuldverständnis, Nowakowski, Rittler-Festschrift, S. 59 ff., der die Gefahr der „Knochenerweichung" des Strafrechts u n d einer „individualistischen Auflösung der Rechtsordnung" beschwört. 50 Heinitz, ZStW 63, S. 74 f. 48

I. Der Meinungsstand

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Ergebnissen" 51 führt. Denn daß der, der „durch die Tat eine Gesamteinstellung zeigt, die mit einer gesunden Anschauung von Recht und Unrecht unvereinbar i s t " 5 2 ' 5 3 , wie der bestraft werden soll, der i n Kenntnis des Rechts delinquiert, der „subjektiv" Rechtstreue dagegen regelmäßig milder zu behandeln sei, ist psychologisierend allein nicht zu begründen. Hier h i l f t nur eine normative Deutung der Strafmilderung des § 17 Satz 2 StGB weiter, der es selbstverständlich ist, daß bei gleichbemessener „Anstrengung" zur Rechtserkenntnis zu gelangen, die Schuldmaße nicht gleich zu sein brauchen, wenn der Zweckbezug nicht gleich ist. Ein letztes: Für eine psychologisierende Deutung der Strafmilderung für den i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis Handelnden ist auch nicht selbstverständlich, freilich auch nicht zufällig, für die Bedingungen der Strafmilderung an eine Typisierung nach Normbereichen anzuknüpfen, wobei die Nichtkenntnis oder das Verkennen der Verbotsnormen i m „Kernbereich des Straf rechts" jedenfalls bei geistig Gesunden ausgeschlossen sei. Arthur Kaufmann meint, innerhalb des „Kriminalstrafrechts" sei m i t der Kenntnis sämtlicher unrechtsbegründender Merkmale, insbesondere der normativen Tatbestandsmerkmale, stets das Bewußtsein der „Sozialschädlichkeit", das zur Verhängung der Vorsatzstrafe genüge, mitgegeben 54 . Auch Schewe kann sich i m „Kernstrafrecht" einen „verschuldeten" Verbotsirrtum nicht vorstellen: Die „Orientierung über die Position der Handlung i m Bezugssystem der Rechtsordnung" schließe „ i m Kernbereich der sittlichen Wertungen, d.h. abgesehen von den Ordnungsvorschriften, einen Verbotsirrtum" aus. „Jemand, der i n einer bestimmten Rechtsgemeinschaft lebt, kann doch gar nicht umhin, die grundlegenden rechtlichen Zusammenhänge zur Kenntnis zu nehmen und i n irgendeiner Form i n seinem Handeln zu berücksichtigen, und sei es auch, wie beim Gewohnheitsverbrecher, i n einem dem Rechts-

51

Mangakis, ZStW 75, S. 532. So der Begriff der „Rechtsfeindschaft" bei Mezger, Moderne Wege, S. 45; K r i t i k am Begriff der „Rechtsfeindschaft" bei Mezger hat Gössel, Über die Bedeutung des I r r t u m s i m Strafrecht, S. 310 f., angemeldet: „Setzt doch Rechtsfeindlichkeit die Kenntnis des feindlichen Rechts u n d damit das Unrechtsbewußtsein geradezu voraus . . . : w e r nicht weiß, daß sein Handeln i m Gegensatz zur Rechtsordnung steht, k a n n diese Handlung k a u m aus einer rechtsfeindlichen Einstellung heraus begehen, es sei denn, man betrachtet die rechtsfeindliche Einstellung als eine generelle, v o m konkreten F a l l losgelöste Haltung u n d würde damit die m i t Recht abgelehnte Theorie v o n der U n t e i l barkeit des Bewußtseins der R e c h t s w i d r i g k e i t . . . wieder einführen." 58 Ä h n l i c h Warda, ZStW 71, S. 275. 54 Arthur Kaufmann, Unrechtsbewußtsein, S. 143 ff., 153; ähnlich Nowakowski, ZStW 65, S. 385; Härtung, JZ 1955, S. 663 f. 52

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2. Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

befehl entgegengesetzten intentionalen Bezug" 5 5 . Enger freilich Roxin 56: Auch i m „Kernstrafrecht" gebe es eine „Grenzzone der Legalität, bei deren Überschreitung der Täter wohl ein ungutes Gefühl verspürt, aber nicht geradezu das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit haben muß" 5 7 . — Aber auch die, die i m Kernstrafrecht einen Verbotsirrtum zulassen, lassen keinen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu, und die Unkenntnis des Verbotes bleibt jedenfalls für das Strafmaß folgenlos. I m Kernstrafrecht unvermeidbare Rechtsunkenntnis regelmäßig auszuschließen, ist nicht nur auf dem Hintergrund der Lehre Platzgummers 58 vom „Mitbewußtsein" oder auf dem der Unterscheidung Schmidhäusers von „Sach- und Sprachdenken" 59 psychologisch plausibel. Es hat auch, normativ gewendet, so zu sein; denn wo Recht außer Streit ist, kann sich der Rechtstreue einen I r r t u m allenfalls noch bei Angehörigen fremder Kulturen vorstellen 6 0 . Gerade umgekehrt i m Nebenstrafrecht: Daß hier ein Verbotsirrtum häufiger vorkommen soll und eine Strafmilderung eher i n Betracht gezogen wird, ist so wenig zufällig, wie die Inplausibilität eines I r r tums i m Kernstrafrecht zufällig ist. Das Nebenstrafrecht ist ein Normbereich, für den früher von vielen gefordert wurde, der Handelnde müsse sich der staatlichen Anordnung bewußt gewesen sein, wenn er nach dem Vorsatzdelikt bestraft werden solle 61 . Und wenn heute auch die Schuldtheorie als Regelungsmodell für das Nebenstrafrecht gilt, so werden doch die der Schuldtheorie eigenen Möglichkeiten der Zurechnung von Normverstößen zum Täter häufig nicht voll genutzt. Göhler meint, bei den echten Unterlassungsdelikten des Nebenstrafrechts, „die i m Ordnungswidrigkeitenrecht sehr häufig vorkommen", zähle „ i m Zweifel" die Handlungspflicht zum Tatbestand 62 ; und er meldet auch 55

Schewe, Bewußtsein u n d Vorsatz, S. 193. Roxin, ZStW 78, S. 258. 57 Ebenso F.-C. Schroeder, L K 1 0 , § 17 Rdn. 26. 68 Platzgummer, Die Bewußtseinsform des Vorsatzes, S. 83 ff.; dazu die Auswertung Roxins für das Unrechtsbewußtsein; Roxin, ZStW 78, S. 258. 69 Schmidhäuser, H. Mayer-Festschrift, S. 235 ff.: Sprachdenken sei das „Denken, das sich vollzieht, indem der Denkende spricht, m i t anderen oder m i t sich selbst". Sachdenken sei dagegen der „sprachfreie meinende Umgang m i t den Dingen selbst": „Es vollzieht sich i n unmittelbarer Erfahrung m i t den Dingen auf dem Grunde einer sozusagen bildhaften Erinnerung, die die ursprünglich durch Sprache erfahrene Sache i n den Bereich sprachfreien Denkens übernommen h a t " u n d sei „schneller als Sprachdenken: manchmal scheint es gar keine Zeit zu brauchen, ist i m Augenblick da u n d auch schon abgeschlossen, ergreift einzelne Dinge u n d ganze Sachzusammenhänge". 60 Jakobs, Schuld, S. 17 f.; Welzel, Lehrbuch 1 1 , S. 172. 61 Hardwig, G A 1956, S. 372; u n d die Nachweise bei Tiedemann, ZStW 81, S. 876, Fn. 22; vgl. auch die Kontroverse zwischen Welzel, JZ 1956, S. 238 u n d Lange, JZ 1956, S. 73, 519. 62 Vgl. Göhler, O W i G 6 , § 11 Rdn. 14, 21 ff. 66

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keine Bedenken an, wenn „die tägliche Praxis" „ i n Grenzfällen zu der »milderen Beurteilung' des Tatbestandsirrtums (neige) und die Tat . . . nur als fahrlässiges Handeln (ahnde)" 63 . Rudolphi u hält es für möglich, bei den Blankettgesetzen „ i m Einzelfall" „das Bewußtsein der Existenz der Ausfüllungsnorm" zum Vorsatz zu fordern. Und Tiedemann 65 versucht durch „interpretatorische Restriktionen" i m Nebenstrafrecht, einem Geflecht von „Pflichtdelikten" 6 6 , der Schuldtheorie dadurch die Spitze zu nehmen, daß er das „abstrakte Gebot und Verbot dem Tatbestand zuordnen" w i l l . Cramer verlangt für das Urteil, ein Verbotsirrtum i m Nebenstrafrecht sei vermeidbar gewesen, daß „zumindest . . . der Täter den Anlaß gesehen hat, sich über das Bestehen bestimmter Vorschriften zu unterrichten", daß er sich „aber dann damit abgefunden hat, möglicherweise gegen das Recht zu verstoßen" 67 . Tiedemann 68 schließlich nennt zumindest noch den „effektiven Zweifel des Täters an der Rechtmäßigkeit seines Verhaltens" als Bedingung der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums. Die Großzügigkeit bei der Feststellung des Umfanges der nach dem Vorsatzdelikt strafwürdigen Pf licht verstoße und die Großzügigkeit bei der Bestimmung der Voraussetzungen der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums ist i m Nebenstrafrecht nicht nur psychologisch plausibel, weil nicht selten allein schon die Kenntnis der tatbestandsmäßigen Situation, sondern erst die Kenntnis der Situation als einer, nach einem Normensystem gewerteten Situation dem Täter einen Impuls zum Unterlassen des Geplanten vermittelt. Die Großzügigkeit kann man sich hier auch aus normativer Sicht leisten, weil Recht i m Nebenstrafrecht, mehr noch als i m Kernstrafrecht, „positives Recht" ist. Recht also, das sein Entstehen „nicht einer Erkenntnis, sondern einer Entscheidung" verdankt 6 9 und das deshalb durch Unkenntnis allein nicht i n Frage gestellt werden kann. Großzügig kann man i m Nebenstrafrecht auch sein, weil angesichts der Fülle nebenstrafrechtlicher Normen auch dem Rechtstreuen die Möglichkeit eines Irrtums über positives Recht plausibel ist. Die Großzügigkeit endet freilich, wo das nicht gewußt wurde, was an Wissen für einen bestimmten Lebenskreis selbstverständlich ist, oder nach der sozialen Planung doch selbstverständlich zu sein hat: Für den Steuerberater, der das Steuerstrafrecht nicht 63 64 65 66 87 68 69

Göhler, JZ 1968, S. 587; vgl. auch ders., OWiG«, § 11 Rdn. 10. Rudolphi, i n : SK StGB 2 , § 16 Rdn. 18 ff.; vgl. auch Jescheck, A T 3 , S. 371. Tiedemann, ZStW 81, S. 879. Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 110 f. Cramer, Grundbegriffe des Rechts der Ordnungswidrigkeiten, S. 71. Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 300. Dazu Jakobs, Schuld, S. 18.

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2. Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

kennt; für den Lebensmittelhändler, der das für i h n Wichtige aus dem Lebensmittelrecht nicht kennt usw. Die Behandlung des Verbotsirrtums ist i n den Beispielen nicht anders als i m Kernstrafrecht: Daß das an Recht für einen Lebenskreis Wichtige nicht gekannt wird, w i r d nur ausnahmsweise toleriert; und vermeidbare Unkenntnis entlastet den I r renden regelmäßig nicht 7 0 . I I . Die eigene Lösung: Bildung von Fallgruppen unterschiedlicher Strafwürdigkeit für die Strafrahmenwahl bei einem Handeln in vermeidbarer Rechtsunkenntnis A. Die Entlastung des in Rechtsunkenntnis Handelnden als Ausfluß der Positivierung des Rechts

Die Typisierung von Normbereichen spiegelt nicht nur die psychologische Inplausibilität eines unvermeidbaren Irrtums wider, wie i m Kernstrafrecht, oder die psychologische Plausibilität, wie i m Nebenstrafrecht; sie spiegelt auch unterschiedliche Typen sozialer Integration und auf diese unterschiedlichen Typen zugeschnittene spezifische Techniken der Konfliktverarbeitung wider: Ist Recht außer Streit, gilt als allein akzeptable Organisation des Subjekts, daß es die i m System institutionalisierten — äußeren — Normen als Motive seines Handelns i n seine Persönlichkeitsstruktur übernommen hat. Für jedes Mitglied einer Gesellschaft gilt: M i t der Kenntnis einer Situation, die ein Beispielsfall der Norm ist, ist prinzipiell die Kenntnis der Situation als Beispielsfall der Norm mitgegeben. Das Reichsgericht hat so für das ausgehende 19. Jahrhundert und das beginnende 20. Jahrhundert richtig judiziert, wenn es i n ständiger Rechtsprechung 71 das Unrechtsbewußtsein als Voraussetzung der Strafe für entbehrlich hielt. Das Reichsgericht judizierte für eine Gesellschaft, in der das Rechtsbewußtsein hinsichtlich der zentralen Normen noch derart ungebrochen war, daß schon das Nichtkennen zum Indiz für Sozialschädlichkeit wurde. Die Fülle und die Kontingenz des Rechts war noch kein für die strafrechtliche Systembildung relevantes Problem, und Exkulpation mußte ausscheiden, weil Unkenntnis fragloses Recht i n Frage stellte. Wo aber die Kontingenz und Fülle des Rechts auch damals sdion zum Problem wurde, exkulpierte auch das Reichsgericht: der „außerstrafrechtliche" I r r t u m jedenfalls entschuldigte wie der Tatirrtum. Wo aber die Hypothese der Internalisierung von Normen für eine Gesellschaft selbst zum Problem wird, weil hoher Normbedarf und 70

Deutlich Jescheck, A T 3 , S. 371. RGSt 2, S. 268 ff., 269; RGSt. 8, S. 182 ff., 183; RGSt. 20, S. 393 ff., 394; RGSt. 53, S. 81 ff., 85. 71

I I . Die .Strafrahmenwahl beim Verbotsirrtum

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hohe Ä n d e r u n g s b e r e i t s c h a f t f ü r das Recht m i t e i n e r I n t e g r a t i o n d u r c h W e r t k o n s e n s n i c h t v e r t r ä g l i c h sind, w i r d auch e i n u n v e r m e i d b a r e r V e r b o t s i r r t u m zugelassen. D i e H y p o t h e s e d e r I n t e r n a l i s i e r u n g v o n N o r m e n w ü r d e n ä m l i c h eine Gesellschaft i m m o b i l i s i e r e n , da N o r m ä n d e r u n g e n d a n n stets gleichsinnige Ä n d e r u n g e n d e r M o t i v a t i o n e n d e r N o r m u n t e r w o r f e n e n voraussetzten; M o t i v a t i o n s ä n d e r u n g e n , d i e b e i h o h e m Z e i t b e d a r f f ü r d e n W a n d e l v o n M o t i v a t i o n e n u n d der h ä u f i g geringen Zeit für einen N o r m w a n d e l nicht ohne Verlust der A n p a s sungsleistungen „ p o s i t i v e n Rechts" a n die U m w e l t m ö g l i c h w ä r e n . M o d e r n e Gesellschaften v e r z i c h t e n deshalb f ü r w e i t e Rechtsbereiche (nicht auch i m K e r n s t r a f r e c h t ) a u f die S o z i a l i s a t i o n i h r e r N o r m e n : Sie kontrollieren Systemerwartungen, nicht individuelle Motive; funktional ist n i c h t die K o n s e n t i e r u n g j e d e r N o r m , s o n d e r n n u r n o c h die B e r e i t schaft, v o n z u s t ä n d i g e r S t e l l e gesetztes Recht auch z u b e f o l g e n 7 2 ; d y s 72

Z u r Verdeutlichung: Traditionelle Gesellschaften versuchen Integrat i o n durch verinnerlichte Normen zu erreichen: sie kontrollieren über den Sozialisationsprozeß die M o t i v e u n d über das Motivationsgeschehen das Handeln der Gesellschaftsmitglieder (dies ist der Typ sozialer Integration, den Parsons meint: Zentrales Problem i m Verhältnis des sozialen Systems zum Persönlichkeitssystem sei die „ E n t w i c k l u n g u n d Aufrechterhaltung einer adäquaten M o t i v a t i o n zur Partizipation an sozial bewerteten u n d k o n t r o l l i e r ten Formen des Handelns", Parsons, Gesellschaften, S. 24). E i n Modell der Ordnung, das Integration durch Normkonsens herzustellen versucht, ist freilich n u r tauglich für eine Gesellschaft, die sich ihres Rechts sicher ist; wobei dann freilich Rechtsunkenntnis schon die Ordnung stört, w e i l die Norminhalte nicht zur Disposition stehen. Dies ist das Gesellschaftsmodell, für das das RG judizierte. Moderne Gesellschaften dagegen versuchen, I n t e gration durch die nicht-kontingente Verknüpfung zweier kontingenter Sachverhalte herzustellen: Aus welchen M o t i v e n auch immer legal gesetzte N o r men beliebigen Inhalts befolgt werden, ist gleich. Faktischer Konsens, die Übereinstimmung abzählbarer Meinungsäußerungen, zum positiven Recht ist für die Leistung der Integration f u n k t i o n a l indifferent. Worauf auch immer die Bereitschaft beruht, positives Recht zu befolgen, ist gleich: Ob auf Einsicht i n die Richtigkeit der Regelung, auf dem „Glauben an die Legal i t ä t der gesatzten Ordnung" (M. Weber); oder ob die Bereitschaft zur N o r m befolgung „ v o m Einzelnen oder ganzen Gruppen geheuchelt, aus materiellem Eigeninteresse praktisch geübt, aus individueller Schwäche u n d Hilflosigkeit als unvermeidlich hingenommen" (M. Weber, Wirtschaft u n d Gesellschaft, Bd. 1, S. 158) w i r d , zählt eins; f u n k t i o n a l ist allein die, worauf auch immer beruhende Bereitschaft, positives Recht zu befolgen: Norminhalte u n d Normbefolgungsmotive sind kontingent; die Normierung ist es nicht; (dies ist der T y p sozialer Integration, den Luhmann meint; zur F u n k t i o n der nicht-kontingenten Verbindung der kontingenten Sachverhalte N o r m u n d Normbefolgungsmotiv: „Zweckmotivation . . . besagt, daß das soziale System m i t seinen Zwecken nicht frei manövrieren kann, sondern den Mitgliederinteressen folgen muß. Es k a n n sein, daß es zur Erhaltung oder Erweiterung des Mitgliederbestandes genötigt ist, seine Zwecke umzuformulieren, zu aktualisieren oder ins Unbestimmte zu erweitern; stets aber ist eine solche Zweckänderung ein heikles Thema, w e i l sei A u s t r i t t s - oder Sezessionsgefahr heraufbeschwört", Luhmann, Zweckbegriff, S. 139). Freilich sind dies analytische Typen sozialer Integration, die i n w i r k l i c h existierenden Gesellschaften nicht rein vorkommen. Dies zeigt schon die Behandlung des Verbotsirrtums i m Kernstrafrecht, bei dem die psychologische Unplausibilität eines

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2. Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

funktional ist erst die Desavouierung des Geltungsgrundes positiven Rechts durch den unsorgfältigen Umgang mit dem Recht. Die Positivierung des Rechts ist sozial aber nur institutionalisierbar, wenn sie durch spezielle Techniken der Konfliktverarbeitung für den i n Rechtsunkenntnis Handelnden abgesichert wird: Wo Recht „nicht nur durch Entscheidung gesetzt (das heißt ausgewählt) wird, sondern auch kraft Entscheidung (also kontingent und änderbar) g i l t " 7 3 , ist, angesichts der Fülle des Rechts moderner Gesellschaften, auch dem Rechtstreuen plausibel, daß auch bei Kenntnis der Regelungssituation der Norm die „Psyche" des Handelnden, was die Bewertung der Situation als Beispielsfall der Norm anbelangt „tabula rasa" sein kann 7 4 : Die Entlastung des i n Normunkenntnis Delinquierenden ist nicht schon ausgeschlossen, weil die Unkenntnis Zeichen falscher Organisation des Subjektes ist. Die Entlastung des Irrenden erfolgt vielmehr Zug u m Zug gegen die Belastung der „Unübersichtlichkeit der Rechtsmassen" moderner Gesellschaften; und sie muß auch so erfolgen, wenn die „generelle Machbarkeit des Rechts akzeptabel oder zumindest duldbar" sein soll 7 5 . Die Entlastung des Irrenden Zug u m Zug gegen die Belastung des Rechts als allein relevanter Konfliktursache ist auch möglich, weil „veränderbare Normen . . . durch Unkenntnis nicht i n Frage gestellt werden (können), weil sie ihre Existenz nicht einer Erkenntnis, sondern einer Entscheidung verdanken" 7 6 . I r r t u m s über das Recht v o n der Hypothese lebt, schon das Motivationsgeschehen werde durch die Instanzen sozialer Kontrolle so gebildet, daß die N o r m T e i l der Persönlichkeitsstruktur wurde: E x k u l p a t i o n w i r d hier erst diskutabel, w e n n — vergleichbar den Fällen des § 20 StGB — das („richtig" sozialisierte) Subjekt fehlt: Bei Angehörigen fremder K u l t u r e n usw. Erst i n einer Gesellschaft, i n der weite Rechtsbereiche positiviert sind, k a n n sich die Rechtsunkenntnis zu einem Entschuldigungsgrund entwickeln: I n einer Ordnung, i n der allein die Normierung absolut ist, die Norminhalte aber kontingent, stört die Unkenntnis des Rechts die Ordnung noch nicht. Die Ordnung w i r d hier erst verletzt, w e n n die unvermeidbare Rechtsunkenntnis i m Einzelfall die Mechanismen i n Frage stellt, auf deren Funktionieren ein positivistisch organisiertes Rechtssystem fußt: die Bereitschaft der Rechtsunterworfenen, legal gesetztes Recht zur Kenntnis zu nehmen u n d zu befolgen. 73 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 210. 74 Dazu Jakobs, Studien, S. 128. 75 Jakobs, Schuld, S. 18. 76 Jakobs, Schuld, S. 18. — Abweichend freilich Stratenwerth, Zukunft, S. 34, der meint, „worauf auch i m m e r eine Rechtsnorm zurückgehen mag — nichts k a n n sie stärker i n Frage stellen als Unkenntnis". Richtig ist, daß Recht durch Unkenntnis stets i n Frage gestellt w i r d ; aber nicht die Garantie von Normen u m der Norminhalte w i l l e n ist Gegenstand der Zurechnung bei einem Verstoß gegen änderbares Recht, sondern der Geltungsgrund positivierter Normen (vgl.: Fn. 72): Die Garantie der generellen Bereitschaft, Recht, das i n ordnungsgemäßen Verfahren gesetzt w u r d e auch zu befolgen. Den Geltungsgrund positivierten Rechts stellt aber nicht schon jeder i n Rechts-

I I . Die Strafrahmenwahl beim Verbotsirrtum

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Die Gefahren für das Recht, die aus der Entlastung des i n Normunkenntnis Delinquierenden Zug u m Zug gegen Belastung der Normen entstehen, sind freilich nicht groß. Aus der Perspektive des alltäglichen Handelns werden Fülle und Kontingenz des Rechts moderner Gesellschaften nicht als unmittelbare Bedrohung für das eigene Verhalten empfunden. Sie werden nur als, i m Horizont 7 7 des Handelns mitgegeben, erlebt: Der einzelne lebt nicht i n „der" hochspezialisierten Welt; er lebt i n sinnvoll gegliederten „Unterabteilungen" dieser Welt, und für seine eigene Lebenswelt werden i h m am Recht erprobte Verhaltensmuster vermittelt, die für die Bewältigung der alltäglichen Probleme seines Lebenskreises hinreichend tauglich sind. — Verhaltensmuster, die, i n Prozessen primärer und sekundärer Sozialisation eingeübt, bei hinreichender Gewöhnung zu „Routinewissen" 7 8 sedimentieren. Das Wissen u m das zur Bewältigung einer alltäglichen Situation Nötige ist mit der Kenntnis dieser Situation als selbstverständlich m i t gegeben. Die zuvor eingeübten Verhaltensmuster laufen bei Situationskenntnis routiniert ab, ohne daß jeder einzelne Handlungsvollzug noch auf seine rechtliche Bedeutung h i n befragt werden müßte. Die rechtliche Relevanz oder Irrelevanz des einzelnen Handlungsvollzuges ist der Situationskenntnis immanent: Die Ausrichtung des Verhaltens an der Norm erfolgt unbewußt und ein ständiges Fragen nach der rechtlichen Beurteilung erübrigt sich 79 . Erst wo die dem Handelnden bekannten Bestimmungselemente stereotyper Situationen so aus dem Erfahrungshorizont des täglich Erlebten herausfallen, daß die eingeschliffenen Routinen der Situationsdefinition und der Situationsbewältigung versagen, kann das Subjekt über die Bewertung der Situation urteilen. Anders gesagt: Bestätigen die aktuellen Wahrnehmungen einer Situation nicht die automatischen Erwartungen an die gewöhnliche Gestaltung der Situation, zerbricht die Einheitlichkeit des Erfahrungszusammenhanges. Ein ungewohntes Element ist i m Blickfeld vorhanden, und die Typisierungen, die der Handelnde für die gewöhnlichen Prounkenntnis Handelnde allein der Unkenntnis wegen i n Frage, sondern erst der i m Umgang m i t dem Recht Unsorgfältige. 77 Der Begriff des „Horizonts" ist der Wissenssoziologie Schütz' entnommen (vgl. Schütz / Luckmann, Strukturen, S. 31 ff.). M i t dem Begriff ist gemeint, daß das, was jeweils gewußt w i r d , einen allgemeinen Bezugsrahmen voraussetzt; eine allgemeine Typologie, innerhalb der ein bestimmtes Wissenselement seinen Platz hat u n d die die verschiedenen Sektoren der i n d i viduellen Erfahrung zusammenhält. 78 Dazu: Berger / Luckmann, Die gesellschaftliche K o n s t r u k t i o n der W i r k lichkeit, S. 43 ff.; Schütz / Luckmann, Strukturen, S. 139 ff. 79 Dazu Jakobs, Studien, S. 83 ff.; dort auch zur F u n k t i o n der „Routinierung v o n Wissen": Der Entlastung von dem Druck einer problematisch gewordenen Welt. 16 Timpe

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bleme seines Lebenskreises erlernt oder erarbeitet hat, sind der neuen Situation nicht mehr angemessen. Beispielhaft: Der Sachbearbeiter der Rechtsabteilung eines Großunternehmens, der m i t der Abwicklung bestimmter Auslandsgeschäfte betraut ist und der deshalb bei der Behandlung i h m vorgelegter Vorgänge routinemäßig nur Vertrautes erwartet, findet unter den i h m zugeleiteten Vorgängen die Anweisung zur Behandlung eines Konkursfalles bei einer Lieferfirma. Das wahrgenommene ungewohnte Element w i r d i h m zum Problem. Der Gegenstand muß thematisiert werden. Die ungewohnte Arbeitsaufgabe rückt für den Sachbearbeiter aus dem Horizont des Erfahrungsablaufes (: er weiß, Konkurse kommen immer wieder vor; er weiß freilich auch, daß sein Wissen über Konkurse für seinen Lebenskreis irrelevant ist) i n den Brennpunkt der Aufmerksamkeit. Die Situation ist ungewiß. Dem rechtlich geschulten Sachbearbeiter w i r d noch die allgemeine Typisierung „Konkurs" geläufig sein; nur reicht der allgemeine Typ zur Bewältigung der Probleme der konkreten Aufgabe nicht aus. Der Sachbearbeiter w i r d nun, sofern i h m Rechtstreue dominantes Motiv ist, die Bearbeitung unterlassen (die Verarbeitung des Ungewohnten durch seinen Kenntnisstand vermittelt i h m nicht das von Zweifeln freie Ergebnis der Rechtmäßigkeit eines bestimmten Verhaltens), oder, wenn ein Unterlassen nicht i n Frage kommt, w i r d er sich u m Verfeinerung des i h m bekannten allgemeinen Bezugsschemas „Konkurs" nach den situationsbedingten Bedürfnissen bemühen: Er w i r d sich i m Zweifel erkundigen. Beruhigt er sich dagegen bei dem durch das Ungewohnte ausgelösten Bruch i n der Kontinuität seiner Alltagserwartungen an dem i h m mit der Kenntnis des allgemeinen Typs verfügbaren Wissen, thematisiert er das Ungewohnte nicht und, versucht er auch nicht zur Bewältigung der neuen Aufgabe das allgemeine Bezugsschema zu ergänzen und zu verfeinern, zeigt er damit schon, daß Rechtstreue jedenfalls nicht dominantes Motiv seines Handelns ist 8 0 . B. Der Lebenskreis des in Rechtsunkenntnis Handelnden als Anknüpfungspunkt für eine Fallgruppendifferenzierung

1. Grundlagen Welzel hat gezeigt, daß „der Mensch durch Erziehung und eigene Erfahrung, durch passives Aufnehmen und aktives Tun i n das soziale Leben hineinwächst", und sich so ein „unbewußtes Haltungsgefüge aufbaut" 8 1 . Die i n dieses Haltungsgefüge „eingegangenen Grundentscheidungen" steuerten „das Verhalten der Person schon weitgehend i m 80

Dazu noch 2. T e i l 3. Abschnitt I I . B. 1. Welzel, Lehrbuch 1 1 , S. 150; ders., Persönlichkeit u n d Schuld, i n : ders., Abhandlungen zum Strafrecht u n d zur Rechtsphilosophie, S. 200 ff. 81

I I . Die Strafrahmenwahl beim Verbotsirrtum

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Unbewußten" 8 2 . — Beim Sorglosen und Leichtsinnigen dagegen sei das unbewußte Gespanntsein auf Gefahren ungenügend ausgebildet; die „Schuld der einzelnen Tat" wurzele hier i n einem „bleibenden Moment, nämlich . . . i n einem vorwerfbaren Charakterfehler (sog. »Täterschuld')" 83 . Jakobs 84 hat als K e r n der Täterschuldlehre Welzels herausgearbeitet, daß sie „auf eine Typisierung des besonders sanktionswürdigen (Täters) als nicht nur aktuell, sondern aktuell und habituell leichtsinnig, und zwar i n den Fällen stereotyp normwidrigen Verhaltens, i n denen der habituell Sorgfältige schon durch automatische, also unbewußte, psychische Reaktionen die Normwidrigkeit vermieden hätte", ziele — und „nicht auf eine generelle Ersetzung des aktuellen Vermögens, sich an den Rechtsnormen zu orientieren durch ein vor dem Zeitpunkt der Vermeidbarkeit liegendes Vermögen zur Rechtsbeachtung": „Die Lebensführungsschuld bringt hier — ohne den tatzeitbezogenen formellen Schuldbegriff notwendig anzutasten — einzig materiale Konsequenzen: Sie charakterisiert den Täter, dessen normwidriges Verhalten nicht nur aus einmaliger, vielmehr aus habituell verankerter Unaufmerksamkeit folgt". Aus der Unterscheidung von habituell verfestigter und einmaliger Unsorgfalt ergeben sich Konsequenzen für die Strafmilderung bei § 17 Satz 2 StGB, wenn auch auf den ersten Blick axiologisch unbefriedigende Grenzziehungen zu bleiben scheinen. Denn daß habituell verfestigte Unsorgfalt belastet, gilt nur für den, der i n vermeidbarer Verbotsunkenntnis handelt. Für den aber, der i n unvermeidbarer Rechtsunkenntnis delinquiert, ist der Grund der Unkenntnis gleichgültig: Er ist jedenfalls entschuldigt. Auch Rechtsgleichgültigkeit kann entlasten, wenn der Täter der Unsorgfalt wegen schon das Verbotensein der geplanten Handlung nicht mehr aktualisieren kann. Benachteiligt w i r d aber der, der sich jedenfalls noch einen Rest an Sensibilität dem Recht gegenüber bewahrt hat 8 5 . Ähnlich unbefriedigende Grenzziehungen finden sich auch i m Verhältnis der §§ 20, 21 StGB zueinander: Wer sich durch den Genuß alkoholischer Getränke i n den Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) versetzt hat, ist entschuldigt, und haftet, von der Lage der actio libera i n causa abgesehen, allenfalls noch nach § 323 a StGB. Bei dem aber, der infolge des Genusses alkoholischer 82

Welzel, Lehrbuch 1 1 , S. 150. Welzel, Lehrbuch 1 1 , S. 150. 84 Jakobs, Studien, S. 154. 85 Die Diskrepanz k a n n n u r überwunden werden, w e n n m a n schon den Strafanlaß nicht an ein psychisches F a k t u m bindet: die Kenntnis oder doch die Erkennbarkeit des Rechts u n d Schuld auch zur Strafbegründung normat i v formuliert; vgl. zur „Täterschuld" noch 2. T e i l 3. Abschnitt I V . B. 83

16*

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2. Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

Getränke nur vermindert schuldfähig wurde, fragt zumindest die Rechtsprechung 86 nach dem Grund des psychischen Defekts und läßt den Täter nach dem Regelstrafrahmen haften, wenn der Rausch „verschuldet" w a r 8 7 . Unterscheidungen, die nicht befriedigen, weil das positive Recht die Entlastung des Täters bei den §§ 17 Satz 1, 20 StGB an das Maß eines bestimmten psychischen Befundes bindet, obgleich A b stufungen von Strafwürdigkeitsgraden nach dem Maß psychischer Befunde kaum je befriedigen, wie auch die Grenze von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsstrafe zeigt, die, als Grenze unterschiedlicher Strafmaße, jedenfalls der „Tatsachenblinden" wegen unbefriedigend ist 8 8 . Die zunächst ungereimten Differenzierungen finden ihren Sinn aber darin, daß es bei § 17 Satz 1 StGB 8 9 m i t der unvermeidbaren Rechtsunkenntnis und bei § 20 StGB mit dem psychischen Defekt des Täters strafrechtlich schon am Subjekt als Endpunkt der Zurechnung fehlt, während i n den Fällen der §§ 17 Satz 2, 21 StGB immerhin noch ein, wenn auch i m Psychischen reduziertes Subjekt da ist, an das ein Maßstab angelegt werden kann. Ein Maßstab, der der psychischen Verfassung des Subjekts allein nicht entnommen werden kann, sondern für dessen Gestaltung es auch stets auf den Grund des Defektes ankommt: Die Rechtsgleichgültigkeit bei § 17 Satz 2 StGB oder die „Verschuldung" der verminderten Schuldfähigkeit bei § 21 StGB. Die Abhängigkeit der Schuldquantifizierung von einem Maßstab ist das, was § 17 Satz 2 StGB mit § 21 StGB verbindet und was zugleich, i m Gegensatz zu §§ 17 Satz 1, 20 StGB, auf ihre gemeinsame Wurzel i m Gedanken der Zumutbarkeit verweist 9 0 . Zur Gestaltung des Maßstabes: Eine Milderung der Strafe für den i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis Handelnden w i r d i n der Regel ausscheiden, wo i n den alltäglichen Angelegenheiten des eigenen Lebenskreises i n Rechtsunkenntnis gehandelt wurde. Das erhöhte Strafbedürfnis trägt hier die Bewertung der inneren Organisation des irrenden Subjekts als fehlerhaft, da i n einem Bereich geirrt wurde, i n dem ein „ I r r t u m " schon Zeichen habituell verfestigter (und nicht nur einmaliger) Unsorgfalt ist. Denn dem Sorgfältigen ist es bei stereotypen Angelegenheiten des eigenen Lebenskreises selbstverständlich, daß schon die Ausrichtung des Verhaltens an den Normen „routiniert" gelingt.

86 Vgl. etwa: B G H bei Daliinger, M D R 1951, S. 657; BGH bei Daliinger, M D R 1972, S. 570; B G H bei Holtz, M D R 1977, S. 982. 87 Z u r Behandlung des „verschuldeten" Affekts Jakobs, Handlungsanalyse, S. 11 ff. 88 Vgl. dazu 2. T e i l 3. Abschnitt, Fn. 10. 89 Z u m folgenden Jakobs, Handlungsanalyse, S. 14. 90 Jakobs, Handlungsanalyse, S. 14.

I I . Die Strafrahmenwahl beim Verbotsirrtum

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Ist der aus Rechtsunkenntnis entstandene Konflikt aber Konsequenz einer dem Sorgfältigen „unverständlichen" Organisation des Irrenden, w i r d der Konflikt als „Fehler" thematisiert, der allein den Irrenden etwas angeht und jedenfalls nicht das Recht oder andere Unterabteilungen der Ordnung. Die Definition des Konfliktes als Fehler des Irrenden erfolgt unabhängig davon, ob der Konflikt nicht auch aus anderen, dem Irrenden nicht verfügbaren Ursachen seiner Rechtsunkenntnis erklärt werden kann. Andere Umstände als das Subjekt sind als Konfliktursachen immer verfügbar: Das Elternhaus, die Schule, oder andere Instanzen der Sozialisation können das Subjekt so geformt haben, daß es dem Recht gegenüber gleichgültig wurde. Die prinzipiell stets bestehende Möglichkeit aber, auf andere „Unterabteilungen" zu verweisen, w i r d durch die Belastbarkeit dieser Subsysteme begrenzt: Dem Gleichgültigen w i r d der Verweis auf die Genese seiner Gleichgültigkeit i n i h m nicht verfügbaren Ursachen dann abgeschnitten, wenn die Determinanten seiner Gleichgültigkeit ihrerseits nach der sozialen Planung nicht belastbar sind. Zweck dieser Einrichtungen ist die Einübung i n Rechtstreue, und sie werden i n ihrer Legitimation i n Frage gestellt, wenn sie als Produzenten von Rechtsuntreue definiert werden. Und dem Sorgfältigen ist der Verweis auf andere Determinanten der Unsorgfalt, etwa i n bestimmten Subkulturen, allein deshalb nicht plausibel, weil i h m schon die Lebensformung durch solche Subkulturen unverständlich ist. Nur i n normativ (§17 StGB) eng gezogenen Grenzen ist es dem Irrenden gestattet, auf i h m nicht verfügbare Umstände als Konfliktursachen zu verweisen: A u f die Vielfalt und Beliebigkeit des Rechts. Der Verweis ist i h m aber auch nur dann gestattet, wenn dem Gewissenhaften die Schwierigkeiten des Irrenden zur Rechtserkenntnis zu gelangen, nachfühlbar sind — und das jedenfalls ist bei einem I r r t u m i n alltäglichen Angelegenheiten i m Lebenskreis des Täters nur der Fall, wenn der Konflikt als einmaliges Versagen definiert werden kann. 2. Einzelne

Fallgruppen

a) Der Rechtsirrtum über Angelegenheiten des eigenen Lebenskreises Eine Strafmilderung ist für den, der i n wiederkehrenden Angelegenheiten des eigenen Lebenskreises vermeidbar über das Recht i r r t , nur ausnahmsweise angezeigt. Sie mag diskutabel sein, wenn die Organisation des Lebenskreises des Irrenden so gestaltet war, daß sie mit Blick auf die durch die Organisation verfolgten Zwecke und die Anforderungen der Umwelt angemessen war, so daß wegen der Fülle zu bearbeitender Probleme die Annahme plausibel bleibt, der Konflikt

2 4 6 2 .

Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

stelle als Ausnahme die Erwartung künftiger Rechtstreue nicht i n Frage. Beispielhaft: Versagt i n einem gut organisierten pharmazeutischen Unternehmen die Rechtsabteilung und i r r t der Unternehmer deshalb bei einer geschäftlichen Transaktion vermeidbar über das Recht, ist Strafmilderung nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil sich das Versehen auf einen alltäglichen Vorgang bezog; der Konflikt kann als Zufall, als ausnahmsweises Versagen, definiert werden. Dem Rechtstreuen ist nachvollziehbar, daß auch dem Sorgfältigen angesichts der Fülle der i n einem Großunternehmen anfallenden Probleme und angesichts der Gesetzesmengen moderner Gesellschaften Fehler unterlaufen können. Eine Strafmilderung ist aber nicht mehr möglich, wenn der Rechtsi r r t u m nicht als zufällig gelten kann, weil wegen einer ungenügenden Organisation des Lebenskreises des Irrenden schon die Anpassung an alltägliche Probleme, die dem Rechtstreuen routiniert gelingt, eher dem Glück des Handelnden als vorausschauender Planung zuzuschreiben ist. Beispielhaft: Wer für sein expandierendes Unternehmen nicht eine, den neuen Umständen gemäße Organisation entwickelt, die die Erledigung stereotyper Angelegenheiten bestimmten, ausdifferenzierten Unterabteilungen zuweist, zeigt schon mit der Desorganisation seines Lebenskreises, daß Rechtstreue jedenfalls nicht dominantes Motiv seines Handelns ist. Der I r r t u m über die rechtliche Bewertung wiederkehrender Angelegenheiten des eigenen Lebenskreises ist regelmäßig schon Ausdruck einer rechtsgleichgültigen Einstellung des Irrenden und eine Milderung der Strafe damit ausgeschlossen: Dem Rechtstreuen gelingt die rechtmäßige Bewältigung alltäglicher Situationen automatisch; die rechtliche Relevanz oder Irrelevanz des geplanten Verhaltens ist i h m m i t der Kenntnis der Situation mitgegeben 91 . Eine Strafmilderung für den i n den Angelegenheiten des eigenen Lebenskreises Irrenden w i r d erst diskutabel, wenn die Kontinuität des alltäglichen Erfahrungsablaufes durch das Auftreten ungewohnter Ereignisse unterbrochen wurde, und nun bei der Bewältigung des Fremden ein Fehler i n der rechtlichen Beurteilung unterlief. Beispielhaft: Dem Leiter eines pharmazeutischen Unternehmens, der m i t einem bestimmten Arzneimittel den Markt bedient, erlaubt eine Erfindung, einen neuen Markt zu erschließen; dem Kaufmann, der bisher allein mit dem Vertrieb unedler Metalle beschäftigt war, geht ein eiliges Angebot über den Verkauf edler Metalle zu; und beide, der Pharmazieunternehmer und der Kaufmann, irren bei der Bewältigung der ungewohnten Situation über das Recht. 91

Vgl. dazu 2. T e i l 3. Abschnitt I I . A .

I I . Die Strafrahmenwahl beim Verbotsirrtum

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Freilich gilt der Satz, daß ein I r r t u m über das relativ zum eigenen Lebenskreis Neue den vermeidbar über das Recht Irrenden entlastet, nicht grenzenlos. Ob der Handelnde wegen seines Irrtums entlastet werden kann, richtet sich auch nach den jeweils situationsspezifischen Handlungsbedingungen, die danach zu bewerten sind, ob der I r r t u m angesichts des Ungewöhnlichen als Versehen gelten kann, das dem Rechtstreuen noch Einfühlung erlaubt, oder ob er nach den Umständen auch Konsequenz des Leichtsinns des Täters war. Wie hier i m Einzelfall zu entscheiden ist, kann nun nicht nach der A r t generalisierender Formeln bestimmt werden. Die denkbaren Situationen sind zu vielgestaltig, als daß sie sich i n einem Oberbegriff einfangen ließen. Wie i m Einzelfall zu entscheiden ist, ist vielmehr als Funktion aus einem Quorum von Eigenschaften der Handlungssituation zu entwickeln 9 2 : Danach, ob vom Täter die Situationsbewältigung unter dem Druck zeitlicher Enge aktuell gefordert w a r 9 3 oder ob i h m Zeit blieb, die ungewöhnliche Lage aufzuklären: Wer sich, ohne zeitliche Bedrängnis und ohne Informationen einzuholen, unbekümmert u m rechtliche Regelungen auf eine i h m ungewohnte Situation einläßt, verdient keine Strafmilderung. Hier ist schon das Fehlen jeder Aufmerksamkeit i n einer Situation, die Sorgfalt erfordert, und — was die zur Verfügung stehende Zeit anbelangt — auch erlaubt, Indiz mangelnder Rechtstreue. Ob der Irrende die Entscheidung nicht ohne die Preisgabe eigener wichtiger Interessen vermeiden konnte, oder ob er sich leichtfertig, also ohne verständigen Anlaß, auf das Fremde eingelassen hat. Vorab aber danach, ob sich der i n Rechtsunkenntnis Handelnde die Genese der relativ zu seinem Lebenskreis ungewöhnlichen Situation selbst zuzuschreiben hat oder nicht; denn die Bereitschaft, den Konflikt als einmaliges Versagen zu definieren, das die Erwartung künftiger Rechtstreue nicht i n Frage stellt, endet, wo die Situation, i n der geirrt wurde, der Unsorgfalt des Irrenden selbst zuzuschlagen ist, gleich, ob der Irrende das Kommende voraussehen konnte oder nicht. Das gilt zunächst stets, wo die besondere Situation Folge eines nicht rechtmäßigen Verhaltens des Irrenden war. Beispielhaft: Der Unternehmer, der durch betrügerische Geschäfte i n eine nicht vorhersehbare Liquiditätskrise gerät, w i r d nicht entlastet, wenn er meint, es sei ein, nach den Regeln des Notstandes (§ 34 StGB) angemessenes Mittel, zur Vermeidung von Verlusten eine einem anderen zur Sicherheit übereignete Maschine anderweitig zu veräußern. Und über das rechtswidrige Verursachen einer Sonderlage hinaus gilt der Ausschluß einer Strafmilderung nach § 17 Satz 2 StGB auch für den, der sich durch das 92

93

Vgl. dazu auch 2. T e i l 3. Abschnitt I. C. 4., zu BGHSt. 19, S. 295 ff. (299).

Vgl. dazu F.-C. Schroeder, in: LK 1 0 , § 17 Rdn. 28; § 16 Rdn. 137, m. w. N.

2 4 8 2 .

Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

mutwillige Eingehen besonderer Risiken i n eine Lage versetzte, aus der er sich nun durch ein, nach der rechtlichen Wertung vermeidbar falsches Verhalten befreit: Für den, der durch riskante Börsenspekulationen i n eine Krise gerät, oder für den, dem durch eine, gemessen an seinen Möglichkeiten, wirtschaftlich offensichtlich nicht gerechtfertigte gewaltige Expansionspolitik hohe Verluste drohen. Etwas anderes gilt nur, wenn nach den Regeln des jeweiligen Lebenskreises das Eingehen bestimmter Risiken noch als vernünftig gilt: Für einen Kaufmann, der sich dem drohenden Verlust von Marktanteilen zu entziehen versucht, oder für den Holz verarbeitenden Kleinbetrieb, der meint, durch den riskanten Zukauf eines Sägewerkes eine günstigere Marktposition erreichen zu können. Hier ist, bei einer rechtlich falschen Behandlung der ungewohnten Probleme, eine Strafmilderung jedenfalls noch nicht deshalb ausgeschlossen, weil sich der Kaufmann oder der Sägewerksbesitzer den Konflikt selbst zuzuschreiben haben 9 4 . b) Rechtsirrtum und Strafmilderung beim Uberschreiten der Grenzen des eigenen Lebenskreises Hat sich der Irrende auf ein ihm fremdes Terrain begeben und dort vermeidbar über Recht geirrt, ist dem Rechtstreuen jedenfalls so viel plausibel, daß es gelegentlich nicht zu vermeiden ist, den eigenen Lebenskreis zu verlassen. Einsichtig mag i h m auch noch sein, daß der, der sich auf unbekanntes Gebiet begibt, nicht immer die Zeit hat, das spezifische Wissen, das für den fremden Lebenskreis gefordert ist, zuvor zu erwerben; denn Wissenserwerb auf Vorrat ist unrationell. Das ohne konkreten Anlaß erworbene Wissen w i r d selten gebraucht und sein Erwerb lenkt die Aufmerksamkeit von drängenden eigenen Angelegenheiten ab. Wegen des nur ausnahmsweisen Betretens eines fremden Bereichs würden so unnütz Handlungsenergien lahmgelegt. 94 U n d entsprechend w o über die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes geirrt wurde: Strafmilderung w i r d regelmäßig auch für den möglich sein, der die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes zu w e i t zieht, u n d deshalb über das Recht i r r t . Denn er hat sich v o n dem, nach den Maßstäben der Rechtsordnung Richtigen n u r wenig entfernt, u n d die Grenzen, über die er irrte, sind Produkte dogmatischen Bemühens u m Grenzziehungen u n d daher aus der Sicht neuer Erkenntnisse änderbar. — Fehleinschätzungen über die Reichweite eines Rechtfertigungsgrundes entlasten jedenfalls dann, w e n n i n plötzlich auftretenden Gefahrenlagen rasches Handeln notwendig ist (wie regelmäßig i n Notwehrsituationen, aber auch i n vielen Notstandssituationen) u n d der K o n f l i k t , w i e bei der Notwehr, (auch) dem Angreifer als Folge seiner Tat angelastet werden kann. Anders aber, wo i n Fällen einer Dauergefahr (wie häufig i n Notstandssituationen) eine genauere Überprüfung der Rechtfertigungssituation möglich blieb, u n d der Irrende diese i h m bekannte Möglichkeit nicht nutzte, u n d (wie beim aggressiven Notstand) der K o n f l i k t auch nicht dem, aus der Sicht des Täters, gänzlich unbeteiligten Gut zugeschlagen werden kann; Krümpelmann, G A 1968, S. 146 f.; Welzel, ZStW 67, S. 221.

I I . Die Strafrahmenwahl beim Verbotsirrtum

249

Strafmilderung für den i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis Handelnden ist aber auch hier nur diskutabel, wenn dem Irrenden nachgesehen werden kann, daß er sich überhaupt auf Ungewohntes eingelassen hat: Wie nämlich dem Rechtstreuen das Wissen u m die rechtliche Wertung alltäglicher stereotyper Handlungen selbstverständlich ist, ist i h m auch das Wissen u m eine nach sozialen Rollen spezifizierte Verteilung von Aufgaben und den Aufgaben zugeordneten Wissensbeständen selbstverständlich. Ein bestimmter Wissensstand ist nicht selten schon Zulassungsbedingung für einen Lebenskreis: Für den Arzt, den Apotheker, den Rechtsanwalt usw., wobei das Wissen u m solche Schranken schon zum Alltagswissen auch der anderen gehört. Eine Strafmilderung für den i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis Handelnden ist nicht mehr akzeptabel, wenn entgegen dem Wissen u m Zulassungsbedingungen ein verschlossener Lebenskreis betreten und dort über das Recht geirrt wurde. Freilich gilt dies so allgemein nur, wo der Erwerb von Sonderwissen schon Voraussetzung für die Aufnahme bestimmter Tätigkeiten ist: So w i r d der Bäcker nicht entlastet, der sich als Arzt niederläßt und nun über Arztrecht irrt. Sind dagegen Erlaubnisse und Genehmigungen für bestimmte Tätigkeiten von persönlicher Eignung abhängig, ist es schon zweifelhaft, ob allein wegen der Betätigung i n diesem Bereich für den vermeidbar Irrenden eine Strafmilderung ausscheiden muß. Wo schließlich allein aus formalen, von einem Ordnungsinteresse geleiteten Gründen eine Genehmigung oder vielleicht nur eine Anzeige gefordert ist, scheidet eine Strafmilderung nicht allein deshalb aus, weil der Irrende sich auf das i h m fremde Terrain begab: Eine Strafmilderung ist jedenfalls dann möglich, wenn der Irrende für das Überschreiten der Grenzen seines Lebenskreises dem Rechtstreuen einsichtige Gründe geltend machen kann. Eine Milderung der Strafe ist dagegen für den nicht angezeigt, der ohne Notwendigkeit die Grenzen des eigenen Lebenskreises überschritt und nun auf fremden Boden vermeidbar irrt. Hier macht es i n der Bewertung des Grundes einen Unterschied, ob sich ein Kaufmann, auch ohne den Druck „wirtschaftlicher Vernunft" einen neuen Erwerbszweig erschließt („Profitmaximierung" gilt, bezogen auf die Rolle eines Kaufmanns, schon als „guter Grund"), ob ein Beamter oder Angestellter gelegentlich Versicherungen vermitteln oder ob sie einen florierenden Vertrieb von Versicherungspolicen oder ähnlichem betreiben; und es macht auch einen Unterschied, ob sie, i n außerrechtlicher Klassifizierung: aus purer „Gewinnsucht" handelten, also aus einem beiläufigen Anlaß, oder u m den Kindern eine Ausbildung zu finanzieren usw. Wer sich auf unbekanntes Terrain begibt und sich i m Zweifel über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens befindet, w i r d das Verhalten i m

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2. Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

Zweifel unterlassen — er kann freilich der Notwendigkeit allzuviel zu unterlassen, entgehen, wenn er sich i m Zweifel erkundigt: Urteilt er aufgrund des durch die Erkundigung gewonnenen Erkenntnisstandes, das Verhalten sei rechtmäßig, ist der Verbotsirrtum unvermeidbar. Aber auch wo die Verarbeitung des erlangten Informationsstandes durch das Motiv zur Pflichtbefolgung dem vermeidbar Irrenden zu der Einsicht i n das Verbotensein verholfen hätte, bleibt Exkulpation dann noch möglich, wenn andere Subsysteme als der Irrende als Konfliktursache definiert werden können. Anders gesagt: Der Bereich des Handelns i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis ist dem Bereich nicht identisch, i n dem zur Bestätigung einer Ordnung dem Irrenden der Konflikt als schuldhaft zugerechnet werden muß (oder auch nur darf). Es gibt auch i m Bereich des Verbotsirrtums dem „erlaubten Risiko" der Tatfahrlässigkeit vergleichbare Konstellationen. Auch der Sorgfältige weiß, Informationen, die man erhält, treffen nicht immer zu: Sie können auch falsch sein. Der Sorgfältige weiß auch, daß der Empfänger von Informationen regelmäßig weder die Zeit noch das Wissen hat, erhaltene Informationen selbst auf ihre Richtigkeit h i n nachzuprüfen. Der, der sich über Recht erkundigt, kann die Informationen über das Recht, die er erhält, regelmäßig nur verwerfen oder annehmen. Wer bei Strafdrohung alles nachzuvollziehen hat, ist überfordert —: Sorgfalt läßt sich hier nur durch Beschränkungen i n der Zurechnung des Konflikts zum Irrenden optimieren. Beschränkungen, die auch i m Interesse des Erhaltes einer arbeitsteilig organisierten Gesellschaft geboten sind: Überschreiten nämlich die Informationen, die i n einer Ordnung zu verarbeiten sind, einen gewissen Umfang, w i r d es unrationell, eine gleichmäßige Informiertheit aller Mitglieder anzustreben — das System erhält ein „gegliedertes Gedächtnis". Für den Einzelnen heißt das, daß er sich bei dem Umgang mit der Fülle des Rechts und der Fülle der Informationen über das Recht mit der (freilich fiktiven) Unterstellung begnügen darf, Informationen, die von „kompetenter Stelle" erarbeitet wurden, träfen auch zu. Diese „Fiktion der Richtigkeit" erhaltener Informationen w i r d sozial abgesichert durch eine Modifikation der Strukturen der Zurechnung i m System: Normwidriges Verhalten i n Rechtsunkenntnis w i r d als Konsequenz unrichtiger Information dem informierenden Subsystem angelastet, oder als unerwünschte, aber unvermeidbare Folge eines alles i n allem begrüßenswerten arbeitsteiligen Fortschritts abgebucht. Aus der Perspektive des Informationsempfängers: Sein „Vertrauen" auf erhaltene Auskünfte w i r d garantiert — und muß auch garantiert werden, wenn Arbeitsteilung erhalten bleiben soll. Die Thematisierung des Konflikts als „Fehler" des vermeidbar Irrenden hieße, die Arbeitsteilung regressiv zu unterlaufen. Denn die Definition

I I . Die Strafrahmenwahl beim Verbotsirrtum

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des Konfliktes als „Pflichtwidrigkeit" des Irrenden zeigt immer auch an, es war falsch, sich auf Informationen zu verlassen, die i n den dafür nach der sozialen Planung vorgesehenen Unterabteilungen der Gesellschaft erarbeitet wurden. Eine effektive Arbeitsteilung aber ist bei dauernd geforderter Skepsis gegenüber anderen Unterabteilungen der Ordnung nicht möglich. „ K a n n man von einer einfachen Frau wirklich mehr verlangen", schreibt Roxin 95 zu Recht, „als daß sie sich aus Fachblättern über ihre zivilrechtlichen Ansprüche gegenüber Ladendieben belehren läßt?" Anders gesagt: Gefordert w i r d nicht die Kontrolle der inhaltlichen Richtigkeit erhaltener Auskünfte: Vertrauendürfen auf die Richtigkeit ist garantiert. Gefordert w i r d aber, daß sich der, der Auskünfte einholt, an bestimmten Standards, „sekundären Zeichen der Zuverlässigkeit" 9 6 orientiert, die auch dem Sorgfältigen als ausreichende Kennzeichen „berechtigten" Vertrauens i n Auskünfte plausibel sind. Beispielhaft: Der Ratsuchende muß nach der Zuständigkeit des Informanten fragen; man darf der Auskunft des Anwalts vertrauen, nicht aber der des Nachbarn oder eines guten Freundes. Denn das Wissen u m die Zuständigkeitsverteilung gehört i n einer arbeitsteilig organisierten Gesellschaft dem Sorgfältigen schon zum Basiswissen: Man weiß, an wen man sich zu wenden hat, wenn man einen Paß braucht, auch wenn man die Abläufe nicht kennt, die der Bearbeitung des Antrages dienen. Oder: Wer Rat sucht, muß auf die ausgewiesene fachliche Befähigung des Informanten sehen: Wer Informationen über das Steuerrecht sucht, geht nicht zum Strafverteidiger. Oder: Wer Informationen sucht, muß auf die Übereinstimmung der erhaltenen Auskunft m i t allgemein bekannten Tatsachen achten, aber auch auf die Aufmachung der erhaltenen Information als sorgfältig erarbeitet und genau überlegt 9 7 . Wo hier jeweils genau die Grenze zu ziehen ist zwischen vertrauenswürdigen und unzuverlässigen Auskünften, kann nur relativ zu einer bestimmten Ordnung bestimmt werden und nur danach, wie weit die Unterabteilungen dieser Ordnung als Konfliktursache belastbar sind —.; ein Problem, das freilich für die Frage nach den Bedingungen der Strafmilderung des § 17 Satz 2 StGB nicht von Belang ist: Wie immer man auch die Grenze zieht, bleiben doch für die Strafmilderung die Fälle, i n denen die Verarbeitung des erworbenen Kenntnisstandes 95

Roxin, JR 1976, S. 72; vgl. auch ders., Bockelmann-Festschrift, S. 289 f. Vgl. dazu schon 2. T e i l 2. Abschnitt I I I . B. 3. 97 Eingehend darstellend Rudolphi, Unrechtsbewußtsein, S. 241 ff.; F.-C. Schroeder, in: L K 1 0 , Rdn. 42 Kienapfel, ÖJZ 1976, S. 117 ff., m i t weiteren Beispielen; vgl. noch BayObLG N J W 1980, S. 1058, zum Vertrauen auf die Beurteilung der Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens i n der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft. 96

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2. Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

durch das Motiv zur Rechtsbefolgung dem Täter zur Einsicht i n das Unrechtmäßige seines Tuns verholfen hätte, das informierende Subsystem aber nicht mit dem Konflikt belastet werden kann. Eine Strafmilderung w i r d i n diesen Fällen regelmäßig geboten sein. Denn wenn auch der, der sich bei der Beschaffung von Wissen über das Recht nicht an den Standards ausrichtete, die dem Sorgfältigen selbstverständlich sind, nicht entlastet werden kann, so hat er doch i n seinem Verhalten so viel an Rechtstreue dargestellt, daß eine Milderung schon deshalb angezeigt ist, weil der Konflikt nicht Konsequenz einer dem Sorgfältigen unverständlichen Haltung dem Recht gegenüber, sondern „einmaliger" Sorglosigkeit ist. Das ist nur anders, wo die Darstellung von Sorgfalt i m Erkundigen allein der Verschleierung der Gleichgültigkeit dem Recht gegenüber dient: Sei es, der Täter glaubte, mit Hilfe der Auskunft durch eine Lücke des Gesetzes schlüpfen zu können 9 8 ; sei es, daß er die Unrichtigkeit schon bei „geringem Nachdenken" 99 hätte erkennen können, oder, daß er sich auf Gerichtsentscheidungen berief, die nicht der Rechtsverwirklichung, sondern dem „politischen Terror" dienten 1 0 0 . c) Rechtsänderungen, Rechtsirrtum und Strafmilderung Recht gilt kraft Entscheidung — und Recht kann kraft Entscheidung geändert werden: Der sozialen Absicherung der Positivierung des Rechts dient die durch § 17 StGB eröffnete Möglichkeit, den Konflikt des i n Rechtsunkenntnis Handelnden dem Recht zuzuschlagen. Wo Recht für einen Lebenskreis neu gesetzt ist, ist Milderung jedenfalls dann angezeigt, wenn ein Lebenskreis originär durch Recht strukturiert wird, oder die Rechtsänderungen doch so aus dem Erfahrungshorizont des Alltäglichen herausfallen, daß auch der Rechtstreue das Unterbleiben der Ableitung der neugesetzten Norm aus dem bekannten Normwissen verstehen kann. Beispielhaft: Fällt neu gesetztes Recht so aus dem Erwartenshorizont der Rechtsunterworfenen heraus, daß gerade das Gegenteil von dem bisher als Standart Praktizierten festgeschrieben wurde, reicht Aufklärung über neu gesetztes Recht, da der Konflikt die Erwartung künftiger Normtreue nicht i n Frage stellt 1 0 1 . 98

BGHSt. 3, S. 99 ff. (101). BGHSt. 2, S. 188 ff. (193). 100 BGHSt. 3, S. 110 ff. (127). 101 Auch sonst sind Diskrepanzen zwischen positivem Recht u n d tatsächlicher Übung denkbar: Soziale Normen entwickeln sich häufig dynamisch; Rechtsregeln neigen eher zu Statik; K o n f l i k t e zwischen beiden sind n a t ü r lich. Wo aber tatsächlich geübtes Verhalten unsicher gewordenem positivem Recht voraus ist, ist Strafmilderung für den, der i n Übereinstimmung m i t der sicheren Übung das positive Recht verkennt freilich n u r dann angezeigt, 99

I I I . Das „bedingte Unrechtsbewußtsein"

253

Schreibt Recht aber das i n einem Lebenskreis bisher als „vernünftig" Praktizierte fest oder bleibt eine Rechtsänderung i m Rahmen des Erwartbaren, ist dem vermeidbar Irrenden die Ableitung des Norminhaltes aus dem i h m bekannten Regelwissen „leicht": Die neue Norm besitzt für den jeweiligen Lebenskreis Evidenz und das Fehlen der Ableitung ist schon Zeichen mangelnder Ausprägung des Interesses an Normbefolgung i n der subjektiven Werthierarchie des Irrenden. Freilich ohne daß eine Strafmilderung auch i n diesen Fällen stets ausscheiden müßte. Denn der, der i n Kenntnis des als vernünftig Praktizierten, aber i n Unkenntnis der positiven Norm die Norm verletzt, oder der, der ein Strafgesetz verletzt, das er i r r i g als Ordnungswidrigkeit einordnete, handelt immerhin noch i n Unkenntnis der spezifischen Quantität der verletzten Norm nach der Werthierarchie der Ordnung, zu der sie gehört 1 0 2 . I I I . „Bedingtes Unrechtsbewußtsein" und Strafmilderung nach § 17 Satz 2 StGB A. Der Meinungsstand

Wer urteilt, das Verbotensein des intendierten Handlungsprojektes sei nicht unwahrscheinlich, hat das Projekt zu unterlassen — für den, der i m Zweifel handelt, w i r d eine Strafmilderung nur noch ausnahmsweise i n Betracht kommen 1 0 3 . Armin Kaufmann hat ausgeführt, wer „sich . . . i m Zweifel befindet über das Vorliegen einer (konkreten) Pflicht, der hat die Fähigkeit, w e n n eine Rechtsänderung ohnehin ansteht: Denn mögen auch die N o r m inhalte kontingent sein; die Normierung ist es nicht. U n d w o i n Übereinstimmimg m i t einer „überpositiven", für verpflichtend gehaltenen W e r t ordnung positives Recht vermeidbar verkannt wurde, ist eine Strafmilderung n u r möglich, w e n n die Entlastung des Irrenden den Grundkonsens über zentrale Werte der jeweiligen Ordnung nicht i n Frage stellt: Der Irrende k a n n als nicht „vollwertiger Partner des sozialen Bereichs, den das Recht regelt" (Jakobs, Schuld, S. 17) definiert werden. Eine Strafmilderung scheidet stets aus, wo dem K o n f l i k t die Ablehnung der Staatsstruktur aus ideologischen oder weltanschaulichen Gründen zugrunde liegt: Dies zeigt schon die unterschiedliche Behandlung der „Zeugen Jehovas" oder ähnlicher Glaubensgemeinschaften auf der einen u n d bestimmter Terroristengruppen auf der anderen Seite, obwohl für beide die Unfähigkeit zur Erkenntnis positiven Rechts (und auch zu dessen Befolgung bei hinreichender Gewöhnung an die Normen der jeweiligen Subkultur) psychologisch gleich plausibel ist. 102 Vgl. dazu G. Hirsch, in: L K 1 0 , § 46 Rdn. 74, m . w . N . ; u n d i n anderem Zusammenhang auch F.-C. Schroeder, in: L K 1 0 , § 17 Rdn. 7. los Yür eine Gleichstellung des bedingten Unrechtsbewußtseins m i t der Kenntnis des Verbotes bei ausnahmsweiser Strafmilderung nach § 17 Satz 2 StGB Warda, Welzel-Festschrift, S. 502 ff.; Stratenwerth, A T 3 , Rdn. 586; Blei, A T 1 7 , S. 179 f.; H. Mayer, Lehrbuch, S. 128: Wo der „Täter zu handeln genöt i g t oder verpflichtet" war, ohne daß er „seinen Rechtszweifel klären k a n n " , sei E x k u l p a t i o n angebracht.

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2. Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

sich an der Norm i n seinem Verhalten zu orientieren" 1 0 4 . „Diesen Zweifel hat der einzelne zugunsten des Wertes, also zugunsten der Pflicht, zu lösen" 1 0 5 . Eine Ausnahme macht Armin Kaufmann nur, wo „der Zweifel zwischen zwei Pflichten, d.h. also zwei Werten, besteht" 1 0 6 . Aber, so heißt es später, beim Handeln i m Unrechtszweifel sei „noch nicht gesagt, welcher Grad an Vorwerfbarkeit dem Handelnden i m Zweifel über die Rechtswidrigkeit zukommt" 1 0 7 . Dem, der das Rechtswidrige sicher kenne, falle es j a immerhin „leichter", der Pflicht zu folgen, als dem, der zweifle 1 0 8 . Für eine Abstufung von Schuldgraden bei dem, der i m Zweifel handle, nun sei „die Frage nach der »Gesinnung1 des Täters legitim": Für das Maß der Vorwerfbarkeit komme es auf die Einstellung des Täters zur Rechtsgutsverletzung an; die „Annahme einer hohen Wahrscheinlichkeit der Rechtswidrigkeit (sei) der Gewißheit gleichzuachten"; wer die Rechtswidrigkeit aber nur für möglich oder einfach wahrscheinlich halte, „muß . . . gegen diese gleichgültig gewesen sein" 1 0 9 , u m der Privilegierung des § 17 Satz 2 StGB verlustig zu gehen; war der Zweifel aber zugunsten „klarer Unrechtseinsicht" behebbar, verdiene der Täter die Privilegierung des § 17 Satz 2 StGB nie 1 1 0 . Schneider 111 meint, die Möglichkeit der Privilegierung auch des Zweifelnden ergebe sich „zwangsläufig aus dem Begriff der Vorwerfbarkeit selbst" 1 1 2 . Die Maßstäbe der Milderung seien durch die „Anwendung der Theorien, die herkömmlich zur Unterscheidung von bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit herangezogen werden" 1 1 3 zu gewinnen; und — entgegen Armin Kaufmann — sei auch bei „lösbaren Zweifeln" die Milderung nicht zwingend zu versagen 114 . Horn 115 hält es für unzulässig, „das Unrechtsbewußtsein bereits m i t voller Schuld gleichzusetzen": Wie bei dem i n Unrechtsgewißheit Handelnden, sei auch 104

Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 221; ders., ZStW 70, S. 84; ebenso Warda, Welzel-Festschrift, S. 504 f. los Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 221. 106 Armin Kaufmann, Normentheorie, S. 221; vgl. auch Schneider, Vermeidbarkeit, S. 76, der meint, jedenfalls i n Fällen, i n denen der Handelnde „diesen K o n f l i k t subjektiv auch als solchen empfunden h a t " , sei er entlastet. 107 Armin Kaufmann, Z S t W 70, S. 84. 108 Armin Kaufmann, ZStW 70, S. 84; ebenso Horn, Verbotsirrtum, S. 35 ff.; Warda, Welzel-Festschrift, S. 516. 109 Armin Kaufmann, ZStW 70, S. 85 f.; i m Anschluß an die Unterscheidung v o n bedingtem Vorsatz u n d Fahrlässigkeit bei Engisch, Vorsatz, S. 186 ff.; ähnlich F.-C. Schroeder, in: L K 1 0 , § 17 Rdn. 23; vgl. auch Jescheck, A T 3 , S. 367. 110 Armin Kaufmann, ZStW 70, S. 86. 111 Schneider, Vermeidbarkeit, S. 73 ff. 112 Schneider, Vermeidbarkeit, S. 73. 113 Schneider, Vermeidbarkeit, S. 74. 114 Schneider, Vermeidbarkeit, S. 75. 115 Horn, Verbotsirrtum, S. 35.

I I I . Das „bedingte Unrechtsbewußtsein"

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bei dem Zweifelnden zu fragen, „ob er sich . . . zur Pflichterfüllung motivieren konnte". Auch RudoVphi 116 kennt Fälle des „Unrechtszweifels", i n denen Exkulpation oder doch zumindest eine Strafmilderung angezeigt sei: Bei „unbehebbaren Zweifeln des Täters (über) die Existenz zweier einander ausschließender Rechtspflichten", wenn „keiner von ihnen der Vorrang ... gebührt, beide also ... gleichwertig sind".Warda 117 geht über die von Rudolphi als Ausnahme von der prinzipiellen Gleichstellung des bedingten Unrechtsbewußtseins m i t der Unrechtskenntnis genannte Fallgruppe hinaus und w i l l die Strafe mildern, wenn der Zweifelnde handelte, „ u m erhebliche Wertverluste von sich, Dritten oder der Allgemeinheit abzuwenden" und er die „Unrechtszweifel (nicht) beheben (kann), da er unter Entscheidungszwang steht" 1 1 8 . Eine Strafmilderung sei auch angezeigt, wenn der Zweifelnde „darauf verweisen kann, daß das i h m als verboten angelastete Tun i n anderen Gerichtsentscheidungen, Rechtsauskünften oder sonstigen rechtlichen Meinungsäußerungen als erlaubt bezeichnet w i r d " 1 1 9 , oder wenn das Handeln i m Zweifel m i t der Vorstellung verbunden sei, „auch durch die Nichtvornahme der Handlung strafbares Unrecht zu verwirklichen" 1 2 0 . B. Z u den Möglichkeiten einer Strafmilderung beim Handeln mit „bedingtem Unrechtsbewußtsein"

Die Übersicht zeigt, unter dem Titel „Strafmilderung bei bedingtem Unrechtsbewußtsein" w i r d ein bunter Strauß von Situationen geschildert, bei denen Exkulpation oder doch eine Strafmilderung nach den Regeln des § 17 Satz 2 StGB angezeigt sein soll. Freilich werden die die Ergebnisse tragenden Wertungen hinter einer „emotionalen Abgrenzung" des bedingten Unrechtsbewußtseins von dem Handeln i n Ver116

Rudolphi, Unrechtsbewußtsein, S. 139; ders., in: SK StGB 3 , § 17 Rdn. 13. Warda, Welzel-Festschrift, S. 508; vgl. auch Paeffgen, JZ 1978, S. 745. 118 Ebenso Blei, A T 1 7 , S. 179 f.; Stratenwerth, A T 2 , Rdn. 581; O L G Stuttgart, JZ 1967, S. 101; O L G Bremen, N J W 1960, S. 163. 119 Warda, Welzel-Festschrift, S. 511; ebenso jetzt Rudolphi, in: SK StGB 3 , § 17 Rdn. 13, der aus dem Gedanken der „ Z u m u t b a r k e i t " schließt, daß es dem Täter, „bei unbehebbaren Zweifeln über die Auslegung einer Rechtsn o r m unzumutbar (sei), der i h m ungünstigen Auslegung zu folgen, w e n n dies i h n zur Aufgabe seines Gewerbes zwingen w ü r d e " ; vgl. auch F.-C. Schroeder, in: L K 1 0 , § 17 Rdn. 39; Cramer, in: Schönke / Schröder 21 , § 17 Rdn. 19; O L G Bremen, N J W 1960, S. 164; Maurach, A T 4 , S. 483; u n d für widersprüchliche Entscheidungen v o n Gerichten gleicher Rangstufe O L G Schleswig, VRS 23, S. 30; zu widersprüchlichen Ansichten i m Schrifttum O L G Köln, VRS 8, S. 460, u n d zur rechtsirrigen Auslegung v o n Rechtsvorschriften durch V e r waltungsbeamte O L G Braunschweig, N J W 1951, S. 811 f. Anders aber: O L G Köln, M D R 1954, S. 374; O L G Köln, M D R 1954,S. 760: Das Risiko, gegen das Gesetz zu verstoßen, trägt . . . der Täter"; dagegen Maurach / Zipf, A T 1, S. 574; vgl. aber auch F.-C. Schroeder, i n : L K 1 0 , § 17 Rdn. 39. 120 Warda, Welzel-Festschrift, S. 508; ebenso Blei, A T 1 7 , S. 179 f. 117

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botskenntnis oder hinter dem Begriff der „ Z u m u t b a r k e i t " 1 2 1 oder, wie bei Warda, hinter dem „umfassenderen Begriff der Vorwerfbarkeit" 1 2 2 verschleiert. Denn damit ist nicht mehr gesagt, als daß es bei der Schuldquantifizierung beim Handeln i n bedingtem Unrechtsbewußtsein nicht ohne einen Maßstab abgeht, der dem Kenntnisstand des Subjekts allein nicht entnommen werden kann. Für die Ausgestaltung dieses Maßstabes aber bleiben die Hinweise auf den Gedanken der „Zumutbarkeit" oder den der „Vorwerfbarkeit" ohne Aussagewert. Immerhin überrascht die Selbstverständlichkeit, m i t der die h. L. das „bedingte Unrechtsbewußtsein" der Unrechtskenntnis bei nur ausnahmsweiser Entschuldigung oder Strafmilderung des Zweifelnden i n den Fällen eines aktuell unbehebbaren Zweifels über die Existenz zweier einander ausschließender Pflichten oder eines Handelns i m Zweifel zugunsten eigener erheblicher wirtschaftlicher Werte oder gar der bürgerlichen Existenz, gleichstellt. Denn i m Bereich des „bedingten Unrechtsbewußtseins" hängt es nicht selten von der Skrupelhaftigkeit des einzelnen Täters ab, ob bei i h m — etwa nach einer Auskunft — noch Unrechtszweifel verbleiben oder nicht. Der Schluß vom „bedingten Unrechtsbewußtsein" auf volle Schuld jedenfalls ist axiologisch — noch über die als Ausnahmen diskutierten Fallgruppen hinaus — nicht selten ungereimt: Er belastet den Skrupelhaften, entlastet aber den rechtlichen Anforderungen gegenüber schon indifferenten Täter. Wer sich unter sonst gleichen Umständen auf die Richtigkeit einer Auskunft vorschnell verläßt und deshalb i n vermeidbarer oder unvermeidbarer Unkenntnis des Rechts handelt, ist nicht geringer strafwürdig als der, der trotz der Auskunft noch zweifelt oder als der, der sich bei Kenntnis einander widersprechender Entscheidungen nicht an der i h m günstigen rasch beruhigt, sondern weitere Anhaltspunkte für das Verbotensein des von i h m Geplanten kalkuliert. Anders gesagt: Auch der ist zu entschuldigen, der sich mit gehöriger Sorgfalt u m die Ermittlung des zur Tatzeit geltenden Rechts gekümmert hat, gleich, ob er trotz seiner Erkundigungen an der Rechtmäßigkeit des von i h m Geplanten noch zweifelte oder nicht. Wer trotz gehöriger Sorgfalt i m Umgang mit dem Recht noch zweifelt, ist für den i m Zweifel verursachten Konflikt nicht zuständig, da als allein relevante Konfliktursachen die Subsysteme definiert werden können, die falsch oder unzulänglich über das Recht informierten. Und auch den, der i n Kenntnis einer kontroversen Rechtsprechung 123 handelt, mag man je121

Rudolphi, in: SK StGB 3 , § 17 Rdn. 13; Blei, Schönke / Schröder 21 , § 17 Rdn. 19. 122 Warda, Welzel-Festschrift, S. 530. 123 Dazu Groß, G A 1971, S. 13 ff.

A T 1 7 , S. 180; Stree,

in:

I I I . Das „bedingte Unrechtsbewußtsein"

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denfalls dann exkulpieren, wenn er sich auf das „höhere Gericht oder die jüngere Entscheidung des gleichen Gerichts" verlassen hat, soweit man meint, damit habe er die Sorgfalt walten lassen, die dem Rechtstreuen selbstverständlich ist, weil „die jüngere oder die Rechtsauffassung der höheren Stelle (dem Rechtsunkundigen) die allein maßgebliche" sei 1 2 4 . Von den übrigen Fällen eines Handelns i n „bedingtem Unrechtsbewußtsein" sind die unproblematisch, i n denen der Zweifelnde zur Erklärung seines Zweifels auf keine auch dem Rechtstreuen plausible Sonderlage als Ursache der Unkenntnis verweisen kann, die anderweitige Möglichkeiten der Erledigung des Konflikts eröffnete. Hier ist die Anwendung des Regelstrafrahmens selbstverständlich, ohne daß der i m Unrechtszweifel Handelnde zu seinen Gunsten geltend machen kann, i h m sei es wegen des Zweifels — ceteris paribus — „schwerer" gefallen, sich zur Normbefolgung zu motivieren als dem in Rechtskenntnis Delinquierenden 1 2 5 . Für das Zurechnungsmaß zählt nicht das Maß eines psychischen Befundes bestimmter Qualität. Denn es geht nicht an, kogn i t i v plausible Belastungen des Subjekts ohne Zweckbezug allein deshalb i n Entlastung umzusetzen, weil sie als Belastungen plausibel sind. Bei der Bestimmung des Strafmaßes geht es nicht ohne Maßstab ab. Der Maßstab fragt aber nicht nach der subjektiven Befindlichkeit des Zweifelnden, sondern nach der Zuständigkeit für den Zweifel: Wer nichts zur Erklärung seines Zweifels vorbringen kann, hat für die Kenntnis des Rechts selbst einzustehen und er w i r d mit dem Argument, die Rechtsbefolgung sei i h m mühseliger gewesen als dem, der das Recht kannte, zu seiner — partiellen — Entlastung nicht gehört. Wer i m aktuell unbehebbaren Zweifel über die Existenz zweier einander ausschließender Pflichten handelt, ist — entgegen Z i p / 1 2 6 und Stratenwerth 126a — nicht schon deshalb entlastet, weil er die Lage der Unsicherheit nicht zu vertreten hat. I n diesen Fällen kann die Zuständigkeit für den Konflikt nicht stets mit dem Argument auf Gesetz und Rechtsprechung geschoben werden, der Zweifelnde stehe sonst einem „Lotteriespieler" gleich oder anderenfalls beeinträchtige jede falsche Entscheidung eines Gerichts den „Freiheitsspielraum" des Einzelnen. Denn der „Freiheitsspielraum" des i m Zweifel Handelnden ist mit dem „Freiheitsspielraum" des durch die Tat Verletzten derart verschränkt, daß die Entschuldigung des Zweifelnden wohl dessen Freiheit aufhilft, die des Opfers aber beschneidet. Die These, nicht jede falsche Ent124 Cramer, in: Schönke / Schröder 21 , § 17 Rdn. 19; i m Ergebnis auch Schreiber, JZ 1973, S. 718; K n i t t e l , Z u r Problematik der Rückwirkung, S. 53 f. 125 Armin Kaufmann, ZStW 70, S. 85 ff. 126 Maurach / Zip/, A T 1, S. 574. 12ß a Stratenwerth, A T 8 , Rdn. 594.

17 Timpe

2 5 8 2 . Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

Scheidung der Gerichte dürfe die Freiheit des Täters verengen, erklärt nicht, weshalb der Verletzte stets für die Folgen der Handlungsfreiheit des Täters zuständig zu sein hat, mit der Folge, daß nun „jede falsche Entscheidung" die dem Opfer normativ garantierte Freiheit verkürzt. Wer bei einem Zweifel über zwei einander ausschließende Pflichten handelt, ist nicht schon der Unsicherheit wegen für den Konf l i k t stets unzuständig, sondern erst, wenn er den Konflikt — den er aus vernünftigen Gründen lösen muß — zugunsten der Alternative löst, die die dem durch die Handlung i m Zweifel Betroffenen garantierte Freiheit am ehesten schont. Beispielhaft: Zweifelt der Täter, ob es geboten sei, i n einer bestimmten Verkehrssituation rechts oder links abzubiegen und droht beim Linksabbiegen die Gefahr eines Sachschadens und biegt er gleichwohl links ab, ist er nur entlastet, wenn er zugunsten eigener anerkennenswerter Interessen handelte, die den Gefährdeten zumindest gleichstehen, und die anders nicht zu bewahren waren; i m übrigen nur, wenn er rechts abbiegt. I n den Fällen eines Handelns i m Unrechtszweifel zugunsten eigener wirtschaftlicher Werte oder gar der bedrohten bürgerlichen Existenz ist es dogmatisch zumindest ungesichert, für die Entschuldigung des Zweifelnden danach zu fragen, was i h m „zumutbar" w a r 1 2 6 b . Die gesetzlichen Beispiele ausgeschlossener Zumutbarkeit und hier insbesondere § 35 StGB, geben keine Entscheidungsmaximen für diese Fallgestaltung. Nach der Regelung des entschuldigenden Notstands ist die aus Not begangene Tat nur bei Vorliegen bestimmter Kollisionslagen entschuldigt, zu denen der Verlust auch erheblicher Vermögenswerte oder gar der bürgerlichen Existenz jedenfalls nicht gehören. Der entschuldigende Notstand fragt „nicht nach der . . . noch so plausiblen individuellen Präferenzordnung . . . , sondern nach dem zum Vertrauensschutz Notwendigen und i n diesem Sinn Objektiven" 1 2 6 0 . Die Aufzählung der K o l l i sionslagen i n § 35 StGB kennzeichnet nicht das, was determiniert i m Gegensatz zu anderen Befunden, die nicht determinieren, wie schon die Beispiele eines erheblichen Vermögensverlustes oder des Verlustes der bürgerlichen Existenz zeigen, sondern § 35 StGB nennt Determinanten, die nicht generalisierbar sind: Die Wertungen, die die Ausgestaltung des § 35 StGB tragen, zeigen, daß es ausgeschlossen ist — auch über § 35 StGB hinaus, i m Rahmen eines allgemeinen der Zumutbarkeit zugehörigen Schuldminderungsgrundes „verminderter Rechtsbefolgungsfähigkeit" — Belastungen des Freiheitsspielraums des Subjekts zu berücksichtigen, die auf mehr oder weniger ubiquitären Bedingun12

«b So aber O L G Bremen, N J W 1960, S. 163 f.; Warda, Welzel-Festschrift, S. 499 ff., 524 ff.; Cramer, in: Schönke / Schröder 21 , § 17 Rdn. 19; F.-C. Schroeder, in: L K 1 0 , § 17 Rdn. 39; Paeffgen, JZ 1978, S. 745. 12ß c Jakobs, Schuld, S. 21.

I I I . Das „bedingte Unrechtsbewußtsein"

259

gen beruhen, wie etwa der Verlust auch erheblicher Werte i n einem privatkapitalistisch organisierten Wirtschaftssystem. Freilich bedarf es für die Beurteilung der Fälle eines Handelns i m Rechtszweifel aus Eigeninteresse entgegen der Norm — entgegen der h. L. — auch nicht des Rückgriffs auf den Gedanken ausgeschlossener oder eingeschränkter Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens. Es geht vielmehr, wie auch sonst i m Bereich des „bedingten Unrechtsbewußtseins" u m die Erklärung des Zweifels, nicht aber, was die Zumutbarkeitslehre suggeriert, u m die Erklärung der aus Not begangenen Tat: Wie i n den gesetzlich geregelten Fällen ausgeschlossener Zumutbarkeit für die Erklärung der aus Not befreienden Tat nicht die Ungewißheit des Täters über die Rechtslage oder ein I r r t u m über das rechtliche Dürfen zählt, wenn der Täter nur aus einer offiziell als konfliktsträchtig definierten Sonderlage heraus gehandelt hat, interessiert für die Entlastung des Täters, der i m Rechtszweifel aus Eigeninteresse der Norm zuwider handelt, allein die Zuständigkeit für den Zweifel und nicht die Plausibilität der zur Tat drängenden Motive. Das bedeutet aber, und das beachtet die h. L. zuwenig, daß der Bereich, i n dem der Zweifelnde für seinen Zweifel zuständig ist, dem Bereich psychologisch plausibler Tatmotive nicht notwendig harmoniert: Wer sich nie u m das seinen Lebenskreis regelnde Recht gekümmert hat und nun i m Zweifel über das Recht zur Rettung erheblich wirtschaftlicher Werte das Recht verletzt, steht dem i n Rechtskenntnis Handelnden an Strafwürdigkeit gleich. Eine Entlastung oder auch nur eine Strafmilderung kommen nicht i n Betracht. Die als Tatantrieb kognitiv plausible Belastung des Subjekts bei drohendem Verlust erheblicher Werte kann nicht allein der kognitiven Lage wegen i n Entlastung umgesetzt werden, weil die Gründe der Belastung ubiquitär sind: I n einer privatkapitalistisch organisierten Wirtschaftsordnung kann jedermann bei Geschäften i n wirtschaftliche Not geraten; gerät er aber i n Not, legen allein die Normen des Konkurs- oder Vergleichsrechts und zum Schluß des Sozialhilferechts den Umgang mit der Not fest. Und der Zweifel trägt die Entlastung nicht, weil der Zweifelnde seiner Gleichgültigkeit wegen für die Rechtskenntnis zuständig ist. Entlastet werden kann erst der für den Zweifel Unzuständige: Wer sich stets sorgfältig um Rechtskenntnis bemüht hat, ist entschuldigt, wenn er i n aktuell unbehebbarem Zweifel über das zur Zeit geltende Recht zur Rettung erheblicher eigener Werte einer der Förderung seines Interesses günstigen Rechtsansicht folgt.

17«

260

2. Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

I V . „Täterschuld" und Strafzumessung beim Handeln in vermeidbarer Rechtsunkenntnis A. Der Meinungsstand

Eine Typisierung von Strafwürdigkeitsgraden bei der Strafmilderung des § 17 Satz 2 StGB kann nicht an einen psychischen Befund bestimmter Quantität anknüpfen. Stets ist auch nach dem Grund der Rechtsunkenntnis zu fragen: War die vermeidbare Unkenntnis des Rechts Konsequenz habituell verfestigter oder nur einmaliger Unsorgfalt? Die Unterscheidung von Graden der Strafwürdigkeit ist, mit anderen Worten, nicht ohne eine Bewertung der inneren Organisationen der Täterperson zu leisten. Sie setzt, i m gängigen Verständnis, den Rückgriff auf „Täterschuld" voraus. Arthur Kaufmann hat nun aber dem Gedanken der „Lebensführungsschuld" vorgehalten, er sei „juristisch . . . nicht zu verwerten"; es sei unmöglich, „zwischen schicksalhaft empfangenem und schuldhaft erworbenem Charakter" zu unterscheiden 127 . Baumann128 rügt, der Ersatz der Einzeltatschuld durch die „Lebensführungsschuld (bedeute) den Strafanknüpfungspunkt auf straffreies Gebiet vorzuverlegen und ist damit ein Verstoß gegen den nullum-crimen-Grundsatz" 1 2 9 . Jesc/iec/c130 sieht durch die „Täterschuld" „die Unverletzlichkeit eines gewissen Intimkreises der Individualität" bedroht, der „auch gegenüber der Strafrechtspflege nach Möglichkeit gewahrt bleiben" müsse 131 . Horn hat die These aufgestellt, „das Täterschuldproblem ist i n Wahrheit ein Unrechtsproblem" 1 3 2 : „Schuld setzt Unrecht, Vorwerfbarkeit etwas Vorzuwerfendes voraus. Lebensführungsschuld ist . . . jedenfalls auch und zunächst ,Schuld hinsichtlich der Lebensführung'" 1 3 3 ; gäbe es „allgemeine Charakterbildungs- und ähnliche Gebote" „so entsteht ein ganz »normaler Tatschuldfall'"; aber es „gibt . . . ein solches ,Haltungs-' oder spezielles ,Lebensführungs'-gebot tatsächlich nicht" 1 3 4 . Und selbst wenn es solche Gebote gäbe, bliebe „immer noch die außerordentlich schwierige . . . Aufgabe, i m Einzelfall die Vorwerfbarkeit dieses Haltungsfeh127 Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 190; ebenso Bruns, sungsrecht 2 , S. 542, 546 m. w . N. 128 Baumann, A T 8 , S. 372. 129 Vgl. auch Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 193.

Strafzumes-

130

Jescheck, Menschenbild, S. 40. Ä h n l i c h auch Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 183; Arthur mann, Schuldprinzip, S. 196 f.; Bruns, Strafzumessungsrecht 2 , S. 546. 132 Horn, Verbotsirrtum, S. 145; i m Anschluß an Armin Kaufmann, mentheorie, S. 211. 133 Horn, Verbotsirrtum, S. 145. 131

134

S. 145.

Horn,

i n : SK StGB 3 , § 48 Rdn. 6; anders noch ders.,

KaufNor-

Verbotsirrtum,

I V . Die „Täterschuld"

261

lers zu begründen" 1 3 5 . Stratenwerth 136 schließlich sieht i n den Lehren von der „Charakter- oder Dispositionsschuld" den „nur noch historisch (zu begreifenden) Versuch, das Prinzip der Spezialprävention durch Änderung des Etiketts für ein schuldorientiertes Vergeltungsstrafrecht hoffähig zu machen" 1 3 7 . Der Rückgriff auf „Lebensführungsschuld", soweit sie zur Begründung der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums dienen solle, sei „überflüssig". Sie diene, „wie bei der Rechtfertigung der Strafschärfung beim gefährlichen Gewohnheitsverbrecher", i m übrigen „nur dazu, Erwägungen der Spezialprävention zu kaschieren. Unter Schuldgesichtspunkten allein wäre niemand je auf den Gedanken gekommen, statt der Schuld für ein bestimmtes Delikt die Gesamtbilanz eines Lebens zum Bezugspunkt der Strafzumessung zu machen" 1 3 8 . „Lebensführungsschuld" soll, so kann man zusammenfassen, Strafe weder begründen, noch ihrem Maß nach bestimmen dürfen — Schuld sei Tatschuld, zur Strafbegründung wie zur Bestimmung des Schuldmaßes. Freilich: Auch der Begriff der „Tatschuld" ist noch nicht annähernd geklärt. Arthur Kaufmann fordert, i n der Tatschuld, „soll sie ihrem Wesen nach wirklich Schuld sein, (müsse) ein Stück Persönlichkeit" stecken 139 . Bruns 140 meint, die „gerechte Strafe" könne „nur durch Anpassung ihres Maßes an die Persönlichkeit des Täters gefunden werden" 1 4 1 . Und Rudolphi 142 plädiert immerhin noch für eine „eingeschränkte und streng auf den Tatzeitpunkt beschränkte Beachtung der Täterpersönlichkeit": „Für das Maß der Tatschuld (sei) allein die individuelle Täterpersönlichkeit, wie sie sich i n einer A r t Momentaufnahme i m Zeitpunkt der Tat darstellt", maßgeblich, gleich, wie „es zu diesem Persönlichkeitsbild gekommen ist". Stratenwerth 143 dagegen versucht, unter „Ausklammerung der Persönlichkeitskomponente" 144 „Tatschuld" allein „nach dem i n generalisierten Kategorien faßbaren Freiheitsspielraum des Täters" zu beurteilen 1 4 5 : „Die Aufklärung gilt . . . ausschließlich der 135 Horn, in: SK StGB 8 , § 48 Rdn. 6, i m Anschluß an Arthur Schuldprinzip, S. 191. 186 Stratenwerth, Tatschuld, S. 5 ff. 137 Stratenwerth, Tatschuld, S. 6. 188 Stratenwerth, Tatschuld, S. 7. 139 Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 195 f. 140 Bruns, JZ 1972, S. 414. 141 Vgl. auch Bruns, Welzel-Festschrift, S. 752 f. 142 Rudolphi, Z S t W 85, S. 113. 143 Stratenwerth, Tatschuld, S. 31. 144 Stratenwerth, Tatschuld, S. 34. 145 Stratenwerth, Tatschuld, S. 31.

Kaufmann,

2 6 2 2 .

Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

Situation, i n der die Tat begangen worden ist. A l l e i n sie bestimmt das Maß der Tatschuld" 1 4 6 . Die „Persönlichkeitskomponente" sei allein „unter dem Blickwinkel der Prävention von Bedeutung" 1 4 7 . Die Ausklammerung der „Täterperson" aus dem Begriff der Tatschuld allein hebt freilich den Zweckbezug des Schuldbegriffs noch nicht auf. Stratenwerth übersieht, daß die „generalisierten Kategor i e n " 1 4 8 , nach denen er Schuld begründen und bemessen w i l l , immer beliebig der Auffüllung durch das für zweckmäßig Gehaltene offen stehen. Wenn nämlich „der Beurteilungsgegenstand konstruiert wird, besteht kein Hindernis, ihn so zu konstruieren, wie er bei rechtlich intakter Vita aussähe. . . . M i t dem Abstellen auf Tatschuld läßt sich zwar eine Gesamtbewertung der Persönlichkeit verhindern (auch zu Lasten des Täters; die Lebensführungsunschuld kann nicht vorgebracht werden), nicht aber bei Herrichtung des Beurteilungsgegenstandes die Ergänzung der vorhandenen psychischen Fakten u m die Momente, die real oder vermeintlich zum Ordnungserhalt verlangt werden müssen" 1 4 9 . Arthur Kaufmann verkennt, daß dann, wenn auch i n der „Tatschuld" ein „Stück Persönlichkeit" stecken soll, das Unvermögen, zu unterscheiden, welcher Anteil des Haltungsgefüges auf dem erworbenen Charakter und welcher auf der Selbstformung des Subjekts beruhe, ein Argument gegen das Schuldprinzip i m gängigen Verständnis überhaupt ist: „Denn hat die Haltung des Täters Anteil am Zustandekommen der einzelnen Tat — und nur i n solchen Fällen geht es überhaupt u m Lebensführungsschuld — so stellt sich das Problem von Charakter und Selbstformung unmittelbar für die Determinanten der Tat, kann also auch bei Ermittlung der Tatschuld nicht übersprungen werden" 1 5 0 . Arthur Kaufmann übersieht auch, daß ein Verständnis der Schuld als „Willensschuld", für das „die bewußte Willensentscheidung gegen das Veto, das sich i n der Vorstellung von der . . . Herbeiführung eines unerlaubten Erfolgs" ankündige 1 5 1 , den materiellen Gehalt des Schuldvorwurfs ausmacht, den prämiert, der die Norm nicht mehr als entscheidungserheblich für sein Verhalten erlebt: Je größer die Indifferenz dem Recht gegenüber desto geringer die Schuld; eine Konsequenz, die freilich auch von den Vertretern eines strengen Begriffs der „Tatschuld" nicht gezogen wird. Hier h i l f t nun nur wieder der Rückgriff auf „Lebensführungsschuld" aus dem Dilemma, das die Bindung des 146

Stratenwerth, Tatschuld, S. 30. Stratenwerth, Tatschuld, S. 29; zuvor schon Zipf, S. 119, 218, 239, u n d öfter; ders., Die Strafzumessung, S. 24. 148 Stratenwerth, Tatschuld, S. 31. 149 Jakobs, Schuld, S. 27, Fn. 76. 150 Jakobs, Studien, S .145. 151 Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 153. 147

Strafmaßrevision,

I V . Die „Täterschuld"

263

Schuldmaßes an ein psychisches Faktum bringt, heraus. Stratenwerth 152 meint, bei der Frage nach der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums komme es „ausnahmsweise auf die Vorgeschichte" der Tat an. Die „volle Vorsatzstrafe" beim Handeln i m vermeidbaren Verbotsirrtum sei „bei völliger Gleichgültigkeit gegenüber rechtlichen Anforderungen" angebracht 153 . Rudolphi 154 kennt bei „Sondernormen", Normen, die die berufliche Tätigkeit oder andere spezielle Verhaltensweisen (etwa die des Kraftfahrens) regeln, einen auf „vor der eigentlichen Tat liegende Versäumnisse gegründeten (mittelbaren) Tatschuldvorwurf". Er rechtfertigt den „mittelbaren Tatschuldvorwurf" mit der kriminalpolitischen Notwendigkeit einer strafrechtlichen Sanktion i n diesen Fällen; denn anderenfalls brauche es der Täter „bloß von vornherein zu unterlassen, sich über die seine berufliche oder sonstige Tätigkeit regelnden ^Sondervorschriften zu informieren, u m sie dann später (im Zustand eines unvermeidbaren Verbotsirrtums) sanktionslos übertreten zu können" 1 ' 55 . Auch Baumann156 w i l l „ i m Straf recht . . . bei der Strafzumessung (der) Lebensführungsschuld Anspruch auf Beachtung" zukommen lassen. Die These Horns schließlich, das Täterschuldproblem sei i n Wahrheit ein Unrechtsproblem, ist nur unter der Voraussetzung plausibel, daß mit der Sanktion nichts anderes bezweckt ist, als Ausgleich dafür, daß der Täter Verhaltensnormen zuwider gehandelt hat. Ist Schuld aber nur notwendige und nicht auch hinreichende Bedingung für Strafe und für das Maß von Strafe, sind die Elemente, die den Grad der Sanktionswürdigkeit des Täters bestimmen, als Funktionen der Zwecke zu entwickeln, die durch die Sanktionsnorm verfolgt werden. Das, was nach den durch die Sanktion zu bewirkenden Wirkungen für die Sanktionswürdigkeit von Belang ist, hängt dann aber weder von den Pflich162

Stratenwerth, Tatschuld, S. 30. Stratenwerth, A T 3 , Rdn. 581. 154 Rudolphi, Henkel-Festschrift, S. 207 f.; ders., Unrechtsbewußtsein, S. 252 ff.; ders., in: SK StGB 2 , § 17 Rdn. 44 f.; ders., i n : Unrechtsbewußtsein, hrsg. v. Bonner u n d Boor, S. 20 ff.; ders., J u r B l 1981, S. 297 ff. 155 Rudolphi, Unrechtsbewußtsein, S. 264; anders: O L G Hamm, VRS 10, S. 359; O L G KöZn, G A 1956, S. 327: Parallel dem „Übernahmeverschulden" der Tatfahrlässigkeit sei ein vermeidbarer Verbotsirrtum dann anzunehmen, w e n n der i m Tatzeitpunkt unvermeidbare Verbotsirrtum darauf beruhte, daß der Täter sich vor seinem rechtswidrigen Verhalten nicht über die einschlägigen besonderen Normen unterrichtet habe. Stratenwerth, (ZStW 85, S. 494 f.) nennt den „mittelbaren Tatschuldvorwurf" Rudolphis „entbehrlich" u n d „bedenklich": „Der Täter muß . . . bei jeder i n den besonderen Bereich fallenden Tätigkeit damit rechnen, aus Unkenntnis Rechtsvorschriften zu übertreten. Das begründet seine Schuld, nicht die Verletzung einer Informationspflicht, die — stützt m a n sich hier auf sie — allzu leicht wieder auf den Gesamtbereich des Verbotsirrtums ausgedehnt werden kann." 156 Baumann, A T 8 , S. 372. 153

264

2. Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

ten des Subjektes ab, noch folgt daraus etwas für den Pf lichtenumfang des Handelnden 1 5 7 . Für das Sachproblem, die Frage nach den Elementen, die die Sanktionswürdigkeit des Täters mitbestimmen, ist allein von Bedeutung, ob der aus der Bewertung der Organisation des handelnden Subjektes erschlossene Grund des Rechtsirrtums nach dem von der Sanktionsnorm verfolgten Zweck für die Schuldquantifizierung ein geeigneter A n satzpunkt ist. — Aus dieser Sicht aber setzt der Rückgriff auf „Täterschuld" nicht notwendig die „Totalerkenntnis der fremden Person" 1 5 8 voraus. Es geht nur u m die Bewertung des Grundes der Rechtsunkenntnis, also um die Typisierung habitueller Momente der Täterperson als die materialen Träger eines erhöhten Strafbedürfnisses. B. „Täterschuld" als Maßstabsbegriff

Anders gesagt: Für Täterschuld, wie sie hier zur Abstufung von Graden der Strafwürdigkeit für den i n vermeibarer Rechtsunkenntnis Handelnden genommen wurde, ist das Problem die Bildung eines Maßstabes, nicht die Aufnahme eines, aus einem Längsschnitt durch die Vita des Täters gewonnenen Befundes seiner psychischen Verfassung. Und: Die Kriterien, die für die Konstruktion dieses Maßstabes von Bedeutung sind, können schon dem positiven Recht entnommen werden. Denn eine Beschränkung der Begründung von Schuld und des Schuldmaßes auf eine „ A r t Momentaufnahme (der Täterperson) i m Zeitpunkt der T a t " 1 5 9 ist dem positiven Recht i n einem doppelten Sinne fremd. Das geltende Recht kennt zunächst Fälle, i n denen für die Begründung von Schuld und für die Festlegung ihres Maßes auf Sachverhalte zurückgegangen wird, die zum Zeitpunkt der Tat schon abgeschlossen sind 1 6 0 : So setzt die volle Entlastung beim entschuldigenden Notstand (§ 35 StGB) voraus, daß der Täter nicht seinerseits die existenzielle Gefahr, aus der er sich befreit, „verursacht" 1 6 1 hat. Das „Verursachen" der Notstandslage also, ein Verhalten des Täters, das bei der Tat längst Vergangenheit sein kann und das für die psychische Verfassung des Täters zum Tatzeitpunkt regelmäßig gleichgültig ist, begründet erst seine Schuld. Und beim minder schweren Fall des Totschlags (§ 213 157 158

159

Dazu Jakobs, Studien, S. 152. Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 183.

Rudolphi, ZStW 86, S. 113.

160 v g l . zum folgenden Jakobs, Beispielen.

Handlungsanalyse, S. 9 ff., m i t weiteren

181 Z u m Begriff der „Verursachung" i. S. d. § 35 StGB vgl. 2. Teil 4. A b schnitt I. E. 2. b.

I V . Die „Täterschuld"

265

StGB) entscheidet über das Schuldmaß, ob der Totschläger durch den Getöteten zum Zorne gereizt wurde. Die Entlastung des Täters hängt wieder von einem Verhalten ab, diesmal von einem Verhalten des Opfers, das zum Tatzeitpunkt schon der Vergangenheit angehört. Auf der anderen Seite fragt das positive Recht zur Begründung von Schuld und zur Bestimmung des Schuldmaßes nicht allein nach der subjektiven Befindlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Tat: Beim entschuldigenden Notstand (§ 35 StGB) mag der, der eine Notstandslage „verursacht" hat, bei der Tat gerade so viel Angst gehabt haben wie der, der unverschuldet i n Not geriet 1 6 2 . Aber die Angst des Verursachers zählt nicht, weil das Gesetz zur Begründung seiner Schuld nicht nach einem psychischen Befund fragt, sondern einen Maßstab anlegt, der ohne Blick auf die psychische Verfassung des Subjekts danach ausgerichtet ist, was an Exkulpation bei gegebener Verursachung der Notstandslage noch tolerabel ist 1 6 3 . Beim minder schweren Fall des Totschlags (§ 213 StGB) entlastet nicht allein die psychische Lage des Täters bei der Tat. Das Gesetz fragt vielmehr danach, ob die Lage „verseinen Zorn leicht zügeln können: Das Gesetz ist der psychischen Verfassung des Subjektes gegenüber indifferent und fragt allein nach dem Grund der Verfassung. Auch bei der Kindestötung (§217 StGB) entlastet nicht allein der präsumierte psychische Druck: Die psychische Ausnahmelage muß wegen der Nichtehelichkeit des Kindes auch obj e k t i v plausibel sein. Das positive Recht fragt, wie die Beispiele zeigen, für die Bestimmung des Schuldmaßes nicht allein, ja nicht einmal i n erster Linie, nach einem aus einem Querschnitt durch die Täterperson zum Tatzeitpunkt gewonnenen psychischen Befund bestimmter Quantität. Es legt einen, der subjektiven Befindlichkeit des Täters nicht zu entnehmenden Maßstab an, der danach konstruiert ist, ob Entlastung noch tolerabel ist, wenn sich der Täter die Konfliktlage selbst zuzuschreiben hat: Durch ein „Verursachen" oder durch ein „Verschulden" des Konflikts, die es ausschließen, den Konflikt am Täter vorbei zu erklären 1 6 4 . Oder: Die Entlastung des Täters w i r d nach geltendem Recht davon abhängig gemacht, ob der Konflikt anderen Subsystemen eher als dem Täter angelastet werden kann. So entlastet beim Notwehrexzeß (§ 33 StGB) der asthenische Affekt nur, wenn er durch einen rechtswidrigen Angriff ausgelöst wurde, der Täter ihn also nicht verursachte und auch dann nur, wenn der Exzeß dem Opfer als dem Angreifer wegen des rechtswidrigen Angriffs zurechenbar ist 1 6 5 . Eine Angstlage der i n § 33 162

íes 164 165

Vgl. dazu 2. T e i l 4. Abschnitt I. C 4. 2. T e i l 4. Abschnitt I. E. 2. b.

V g l < d a z u n o d l

Vgl. dazu Jakobs, Schuld, S. 22 f. Vgl. dazu Jakobs, Schuld, S. 23 f.

266

2. Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

StGB bezeichneten A r t entlastet dagegen nicht, wenn sie zur Verletzung eines Dritten führt; und eine Angstlage entlastet auch nicht beim unvermeidbaren Putativnotwehrexzeß, weil es an einem wirklichen Angreifer fehlt, dem der K o n f l i k t zugerechnet werden k a n n 1 6 6 . Schließlich, noch deutlicher, kann eine Angstlage auch beim rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) entstehen und die Angst entlastet den Täter nicht: Dem Opfer, i n dessen Güter eingegriffen wird, ist seinerseits nichts zuzurechnen, so daß es bei der Haftung des Täters bleibt. Verallgemeinert: Das positive Recht fragt zur Festlegung von Graden der Strafwürdigkeit nach dem Grund der psychischen Verfassung des Subjekts; danach, ob die „Verursachung" der Konfliktlage schon die Erledigung des Konflikts ohne Inanspruchnahme des Täters ausschließt, oder danach, was an Entlastung des Täters Zug u m Zug gegen die Belastung anderer Subsysteme oder durch die Erklärung als Zufall, den das Opfer zu tragen hat an Konflikterledigung, möglich ist. Das geschilderte Zusammenspiel von Zurechnung und Entlastung des Täters Zug u m Zug gegen die Belastung anderer Subsysteme als allein oder neben dem Täter relevanter Konfliktursachen, oder durch Erklärung des Konflikts sonst am Verantwortungsbereich des Täters vorbei, bildet das Material, nach dem das positive Recht Schuld begründet und das Maß der Schuld festlegt. I n dieser Gestaltung des positiven Rechts steckt zugleich das Material, aus dem der Maßstab zu bilden ist, der den Begriff der Täterschuld i m hier gemeinten Sinne auffüllen kann: Ein Begriff der Täterschuld, bei dem der Täter nicht nach seiner, aus der Aufnahme eines prinzipiell unbegrenzten Persönlichkeitslängsschnitts ermittelten psychischen Verfassung beurteilt wird, wie es Mezger 1* 7 meint, wenn er die Schuld des Täters auch i n der „Einstellung" finden zu können glaubt, die „sich der Täter i m Laufe seines vorhergehenden Lebens i n Beziehung auf das Recht i m Ganzen gegeben hat": Das positive Recht ist, wie die Beispiele lehren, für die Bestimmung des Schuldmaßes an der Aufnahme eines Befundes über die psychische Verfassung des Subjekts weitgehend uninteressiert. Was interessiert, ist der Grund der Verfassung oder ob trotz des Befundes der Konflikt nicht sonst am Verantwortungsbereich des Täters vorbei erledigt werden kann. Deshalb ist Täterschuld hier auch nicht als „Lebensentscheidungsschuld" (Bockelmann) gemeint, die dem Täter zum V o r w u r f macht, er habe „vor den Scheideweg gestellt, die falsche Bahn (gewählt), sein schlechtes Selbst siegen (lassen) und (sei) dem dunklen Dämon (gefolgt). . . . Dieses Nachgeben, dies Ausweichen und 166

Vgl. dazu Jakobs,

Schuld, S. 24; Roxin,

Schaffstein-Festschrift, S. 117,

120.

167 Mezger, Moderne Wege, S. 45; vgl. auch ders. f S. 180 ff.

Kohlrausch-Festschrift,

I V . Die „Täterschuld"

267

Abgleiten ist der A k t , i n dem der Verbrecher nicht nur ein Schlechtes begeht, sondern durch den er sich zu einem Schlechten m a c h t . . ." 1 6 8 . Die „Lebensführungsschuld" Mezgers oder die „Lebensentscheidungsschuld" Bockelmanns greifen zu weit: Sie begründen nicht die Notwendigkeit der Belastung des Täters durch sein So-Geworden-Sein, wenn die Gründe des So-Seins des Täters nach der sozialen Planung ihrerseits zur Disposition stehen. Anders gesagt: „Täterschuld" muß nicht stets ein Instrument zur Belastung sein. Der Rückgriff auf den Gedanken der „Täterschuld" kann den Täter i m Einzelfall auch entlasten 1 6 9 . Denn werden i n der Ausgestaltung der durch Zurechnung zu garantierenden Ordnung Umstände ausgemacht, die fehlerhaft und korrigierbar sind, mag es angehen auch den habituell Unsorgfältigen zu entlasten, der unter diesen Bedingungen gelitten hat: Die Schwierigkeiten des Täters zur Rechtskenntnis zu gelangen, sind m i t dem Hinweis auf das, was sowieso geändert werden soll, hinreichend e r k l ä r t 1 7 0 . M i t dem Begriff der Täterschuld, wie er hier zur Unterscheidung verschiedener Grade der Strafwürdigkeit bei einem Handeln i m vermeidbaren Verbotsirrtum verwandt wurde, ist ein aus den Wertungen des positiven Rechts entwickelter Maßstab gemeint, der danach fragt, was von dem Subjekt rechtlich erwartet werden muß, weil anderen Subsystemen nicht zugerechnet und der K o n f l i k t auch sonst nicht am Verantwortungsbereich des Täters vorbei erledigt werden kann. Ein derart aus dem Material, das das positive Recht zur Abschichtung unterschiedlicher Schuldmaße bereithält, gebildeter, von der subjektiven Befindlichkeit des Täters aber unabhängiger Maßstab ist für die Strafzumessung zur Bestimmung des Strafmaßes nicht verzichtbar. Denn ob rechtmäßiges Wollen dem Delinquenten bei seiner Tat noch eine erlebbare Verhaltensalternative war, ist, wie Beispiele krimineller Lebensläufe zeigen, häufig psychologisch wenig plausibel; und noch weniger plausibel ist es, das Schuldmaß nach der psychischen Verfassung des Täters zu bestimmen. W i r d für die Schuldmaßbestimmung ein nach dem Bilde des gängigen psychologisierenden Schuldverständnisses konstruierter Schuldbegriff zugrundegelegt, ein Schuldbegriff also, der von Schuld nicht n u r als Maßstab, sondern als real-psychischem Faktum redet, privilegiert den Täter seine Gleichgültigkeit. Je größer die Indifferenz des Täters dem Recht gegenüber, desto geringer ist seine Schuld: Der Gewohnheitskriminelle, der Rechtsgleichgültige oder der Rechtsfeindliche müßtefl straffrei sein, da niemand behaupten 188 169 170

Bockelmann, Täterstrafrecht, Bd. 2, S. 153. Vgl. dazu Jakobs, Schuld, S. 27, Fn. 76. Vgl. sogleich 2. T e i l 3. Abschnitt I V . B.

2 6 8 2 .

Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

kann, sie hätten sich von ihrer jähre- oder jahrzehntelangen Einübung i n Rechtsuntreue i m Augenblick der Tat frei machen können. Der Verzicht auf den Gedanken der Täterschuld als Element der Strafmaßbestimmung ist zudem stark konfliktlastig. Denn die Entlastung des Gleichgültigen ist stets dadurch bedingt, daß i h m erlaubt w i r d auf i h m nicht verfügbare Ursachen des Konflikts zu verweisen: Sein Elternhaus habe versagt; Schule, Lehrzeit und schließlich der Strafvollzug hätten ihn zu einem gemacht, für den das Recht kein Hindernis seines Wollens mehr war. Nicht ein Motivationsfehler kann dann noch als alleine relevante Bedingung des Konflikts isoliert werden; ein Stück der Ordnung w i r d zur Disposition gestellt. Wenn Elternhaus oder Fürsorgeerziehung, Schule, Obdachlosenasyl oder Strafvollzug Täter hervorbringen, denen das Recht gleichgültig ist, dann taugen eben Elternhaus, Schule etc. nicht mehr als Instanzen der Sozialisation und der Strafvollzug taugt dann nicht als sozial vorgesehene Einrichtung zum Ausgleich von Sozialisationsschäden. Daß der Strafvollzug i n seiner gegenwärtigen Ausgestaltung dazu nicht taugt, ist hinlänglich bekannt. Aber der, der den Strafvollzug erlitten hat und der nun gleichwohl delinquiert, w i r d nicht entlastet. Denn Konflikterledigung durch Preisgabe eines Teiles der Ordnung, zu der eben auch der Strafvollzug gehört, ist nur möglich, wenn der Teil der Ordnung, auf den der Täter zu seiner Entlastung verweist, ohnehin schon zur Disposition steht: Von einer Ordnung her, die die Erziehung nicht mehr der Kleinfamilie anvertraut, sondern andere, kollektive Erziehungsformen vorgesehen hat, mag eine Entlastung für den, der noch die Erziehung der „alten" Ordnung erleiden mußte, diskutabel sein 1 7 1 . Wer zu seiner Entlastung die kriminogenen Wirkungen des Strafvollzuges ins Feld führt, kann entlastet werden, wenn die Institution des Vollzuges nicht nur als unzulänglich definiert ist, sondern auch Alternativen bereitstehen und praktisch realisierbar sind. Solange freilich Alternativen fehlen, oder, aus welchen Gründen auch immer, nicht durchgesetzt werden können, w i r d er mit dem Hinweis auf die Mängel des Strafvollzuges nicht gehört. I m Gegenteil: Für den, der das Strafleiden erfahren habe, und der nun erneut straffällig wird, sei eine Strafschärfung angezeigt, weil nun das „Bewußtsein von der Strafwürdigkeit seines Verhaltens" mit hinzukomme, das die Schuld der neuen Tat erhöhe 1 7 2 . Dies ist ein Versuch, „ohne Lösung des Problems der Schuld mit Hilfe der Schuld ein Problem zu lösen"; denn selbst wenn der Schluß „von der Strafbarkeit auf die Strafwürdigkeit zwingend sein sollte, kann nicht das Bewußtsein davon die Strafe erhöhen; andernfalls müßten zumindest Strafjuristen 171 172

Vgl. dazu auch die Beispiele bei Jakobs, Schuld, S. 27 f. Maurach, A T 4 , S. 856.

I V . Die „Täterschuld"

269

stets wie Rückfalltäter behandelt werden. Es geht vielmehr allenfalls um das Erlebnis des Bestraft-Werdens; dessen rechtlich positive Verarbeitung ist Sache des Täters. Der Täter kann, wie die Rückfalltat zeigt, das Erlebnis auch rechtlich negativ verarbeiten oder erst gar nicht vollziehen, so daß es i m Ergebnis nicht mehr u m ein feststellbares psychisches Faktum geht, vielmehr um die Zuschreibung einer Fähigkeit zum Erleben und zur Erlebnisverarbeitung, und da diese Zuschreibung (erhöhte) Schuld erst konstituiert, kann die Zuschreibung ihrerseits jedenfalls nicht mit Schuld begründet v/erden" 1 7 3 . Entlastet w i r d der Täter, der sich auf die Mängel des Erziehungssystems oder des Strafvollzuges als Grund seiner Gleichgültigkeit beruft, nicht. Denn Konflikterledigung durch Belastung dieser Institutionen Zug um Zug gegen die Entlastung des Täters ist konfliktlastig i n dem Sinne, daß die Ordnung leidet, wenn sie als Konfliktursache belastet werden darf, ohne daß realisierbare Alternativen i n Aussicht stehen; die Richtung einer möglichen Umgestaltung der Ordnung gerät außer Kontrolle. Für den Gleichgültigen die Strafe nicht zu mildern, sondern zu schärfen, hat, wie die Beispiele zeigen, mit Schuld i m Sinne eines bestimmten Könnens oder eines Freiheitsspielraums nichts zu tun, sondern nur mit einer Schuld, die ihren Gehalt aus der Notwendigkeit der Zurechnung zu einem bestimmten Täter zur Erledigung eines Konflikts zieht, der anders ohne Schaden für die Ordnung nicht erledigt werden kann. Zurechnung und die Festlegung des Zurechnungsmaßes sind immer auch kriminalpolitische Unternehmen. Der Verzicht auf den Gedanken der Täterschuld zumindest zur Festlegung des Maßes konterkariert das kriminalpolitisch Sinnvolle: Bei einem Verzicht auf Täterschuld, zumindest bei der Schuldquantifizierung, könnte der Täter, was hier allein interessiert, für die Festlegung des Maßes regelmäßig nicht mehr höchstpersönlich als allein relevante Konfliktursache definiert werden. Er müßte, gerade i n Fällen besonderer Gleichgültigkeit dem Recht gegenüber, als bloße Zwischenstation auf den Konflikt hindrängender, ihm nicht verfügbarer Ursachen seiner Indifferenz genommen werden. So wenig es aber fraglich ist, daß es andere relevante Gründe für k r i minelles Verhalten als das, gemessen am Recht, falsche Wollen des Täters gibt, so wenig kann es auch zweifelhaft sein, daß es die Ordnung nicht ohne Schaden zu nehmen verträgt, wenn sie stets neben dem Täter als Konfliktursache genommen wird. Der Möglichkeit, den Konflikt am Täter vorbei anderen Subsystemen anzulasten, sind durch die Gestaltung der Ordnung enge Grenzen gesetzt, wie schon ein Vergleich der §§ 20, 21 StGB m i t § 17 StGB zeigt: Mögen auch die Norminhalte 173

Jakobs, Schuld, S. 26 Fn. 76.

270

2. Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

kontingent sein; die Normierung ist es nicht. Dem Rechtstreuen ist noch plausibel, daß Recht nicht gekannt wird. Nicht mehr nachvollziehbar ist ihm aber, daß bekanntes Recht nicht befolgt wird; „so muß ein Analogon zu § 17 StGB für die Befolgungsfähigkeit fehlen" 1 7 4 . Die Ergebnisse eines psychologisierenden Schuldverständnisses führen zu axiologisch unbefriedigenden Grenzziehungen bei der Schuldquantifizierung. Sie wurden rein auch nie vertreten. Die Versuche, ihre Ergebnisse zu Gunsten anderer, und das heißt kriminalpolitisch vernünftiger Ergebnisse zu vermeiden, sind bekannt: Sei es, daß man den Täter offen für das einstehen ließ, was er ist (Charakterschuld) 175 und so das Normative zum Prinzip erhob; sei es, daß man, das Normative eher verschleiernd, die Person auf die sie konstituierenden grundlegenden Entscheidungen zurückführte (Lebensführungsschuld und Lebensentscheidungsschuld). Bei allen Unterschieden i n der Begriffsbildung freilich sind beide Wege i n einem Punkt funktional gleichwertig: Sie leisten, was durch Zurechnung als Versuch zur Konflikterledigung durch Vereinzelung eines Subjekts zu gelangen, geleistet werden soll: Die Isolierung eines personalen Subsystems als allein relevanter Konfliktursache. Die Täterschuld als Element der Bestimmung des Schuldmaßes bietet den doppelten Vorteil, daß nicht das Maß des Könnens des Täters zur Rechtsbefolgung für die Bemessung seiner Schuld allein bestimmend ist: Die Quantifizierung der Schuld bleibt gegenüber dem psychischen Faktum indifferent. Entscheidend ist die Bewertung des Grundes des rechtsuntreuen Wollens. Und auch nicht die Gestaltung der Ordnung muß zum Thema gemacht werden, da ja, für die Lebensführungsschuld und die Lebensentscheidungsschuld, wiederum Motivationsfehler, nun freilich i n der Lebensgeschichte des Täters, als Ursachen des Konflikts definiert werden können: Für den fehlerhaften Aufbau seines Haltungsgefüges w i r d der Täter höchstpersönlich als verantwortlich genommen. Für die Ausgestaltung des Täterschuldbegriffes kommt es, wie gezeigt, nicht darauf an, i n der Lebensgeschichte des Täters nach den Bausteinen seiner Vita zu stöbern: Dem Täter w i r d nur der Hinweis auf i h m nicht verfügbare Ursachen des Konflikts abgeschnitten. Wie er ist, interessiert nur so weit, als damit der Grund des rechtsuntreuen Wollens bezeichnet wird: Ob sein normwidriges Verhalten Konsequenz habituell verankerter Unaufmerksamkeit war oder nicht. Er w i r d i m übrigen für die Zurechnung als psycho-physisches Gefüge genommen, 174 175

Jakobs, Schuld, S. 19.

Engisch, 1967, S. 108.

ZStW 61, S. 170; ders., ZStW 66, S. 359; ders.,

MSchrKrim.

. Zusammenfassung

271

bei dem die Gründe der rechtsgleichgültigen inneren Organisation des Subjektes regelmäßig nicht interessieren. Das Argument, der Gedanke der Täterschuld verletze die personale Würde des Täters, da es danach um die „Totalerkenntnis der fremden Person gehen" 1 7 6 müsse, geht folglich fehl: Die innere Organisation der Person ist nicht Thema der Zurechnung und der Festlegung des Zurechnungsmaßes. Zusammenfassend: Der Gedanke der Täterschuld ist, vom Zweck der Zurechnung her gesehen, Konsequenz eines allgemeinen, auch die Tatschuld umfassenden Prinzips: Konflikterledigung durch Vereinzelung eines personalen Subsystems zu versuchen. Sich den Normen entsprechend zu motivieren ist allein Sache des Täters: Dem Täter muß der Hinweis auf die Genese seines Wollens i n i h m nicht verfügbaren Umständen abgeschnitten werden, soll die Ordnung nicht leiden. Der Gedanke der Täterschuld ist jedenfalls für die Bestimmung des Zurechnungsmaßes gegenwärtig nicht verzichtbar, weil ein Verzicht darauf hieße, Teile der Ordnung zur Disposition zu stellen, ohne daß auch nur i m Umriß Alternativen einer anderen Ausgestaltung i n Sicht wären. Er kann nicht durch „reine" Tatschuld ersetzt werden, wie die stoßenden Ergebnisse zeigen, zu denen ein Beharren auf einem psychologisierenden Schuldverständnis bei der Schuldquantifizierung führen muß. Der aber, der von Schuld als von einem „ i n generalisierten Kategorien faßbaren Freiheitsspielraum" 1 7 7 redet, meint Schuld schon nicht mehr als individuell-tatsächliches Faktum, sondern als Maßstab; als Maßstab freilich, der beliebig der Konstruktion nach dem kriminalpolitisch Vernünftigen offensteht 178 . V. Zusammenfassung 1. Die Voraussetzungen, unter denen ein Verbotsirrtum vermeidbar ist, können nicht an das Maß eines psychischen Befundes beim Täter gebunden werden: Das Wissen darum, möglicherweise Unrecht zu t u n oder sonst an einen aktuell-psychischen Anlaß zur Rechtserkenntnis zu gelangen 179 . Auch eine Unterscheidung nach Graden der Strafwürdigkeit für den i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis Handelnden kann nicht der psychischen Verfassung des Subjekts allein entnommen werden. Wer die Bedingungen des Könnens der Rechtsbefolgung i n einem psychischen Befund beim Täter sucht übersieht, daß es zwischen dem „Anlaß", zur Rechtserkenntnis zu gelangen, und dem Können der 176 177 178 179

Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 183. Stratenwerth, Tatschuld, S. 31. Dazu Jakobs,, Schuld, S. 26 Fn. 76. Vgl. 2. Teil 3. Abschnitt I. A .

2 7 2 2 . Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

Rechtsbefolgung i m Psychischen nicht notwendig eine Brücke g i b t 1 8 0 : Eine Beziehung zwischen Kenntnis und Können existiert i m Psychischen beim Delinquenten nie; sie besteht freilich i m Normativen stets. Dem Rechtstreuen ist es selbstverständlich, i h m bekanntes Recht auch zu befolgen. Ein individualpsychologisch verstandener „Anlaß" zur Rechtserkenntnis zu gelangen, ist weder notwendige noch hinreichende Bedingung für das Funktionieren der Rechtsbefolgung: Auch für den, dem erst die Verarbeitung seines Kenntnisstandes durch das Motiv zur Rechtsbefolgung zur Einsicht i n das Unrechtmäßige des von i h m Geplanten verhilft, ist das Unterlassen des Geplanten objektiv mögliche und subjektiv sinnvolle Konsequenz 181 . Nach der Quantität eines psychischen Befundes, beim Täter das Strafmaß für den i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis Handelnden abzustufen, führt zu axiologisch unbefriedigenden Grenzziehungen: Der w i r d privilegiert, dem das Recht schon gleichgültig ist; der aber benachteiligt, der sich noch einen Rest an Interesse für das Recht bewahrt h a t 1 8 2 . 2. Zur Beurteilung der Strafmilderung des § 17 Satz 2 StGB bedarf es eines Maßstabes, der der psychischen Verfassung des Subjekts allein nicht entnommen werden kann 1 8 3 . Es ist nun aber zu eng, den Ausschluß der Strafmilderung allein auf Fälle der „Rechtsfeindschaft" zu beschränken: Es sind auch Fälle der „Rechtsgleichgültigkeit" denkbar, die i m Einzelfall der Tatbestandsverwirklichung i n Unrechtskenntnis an Strafwürdigkeit nicht nachstehen 184 . Auch dem „Rechtsgleichgültigen" ist die Strafrahmenänderung der §§ 17 Satz 2, 49 Abs. 1 StGB zu versagen. Der Begriff der „Rechtsgleichgültigkeit" darf aber nicht über die psychische Verfassung des Subjekts, die Leichtigkeit zur Rechtserkenntnis zu gelangen, definiert werden: Es geht für die Unterscheidung nach Graden der Strafwürdigkeit für den i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis Handelnden stets u m einen, der Bewertung der inneren Organisation der Täterperson abgezogenen normativen Befund 1 8 5 . Auch eine Unterscheidung nach der A r t der übertretenen Norm zwischen Normen des Kern- oder Nebenstrafrechts oder zwischen Gebotsoder Verbotsnormen führt nicht weiter: Zu unterscheiden ist nach Lebenskreisen und danach, ob die verletzte Norm für den Lebenskreis des Täters Evidenz besaß oder nicht 1 8 6 . 180 181 182 183 184 185 186

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l

3. Abschnitt 3. Abschnitt 3. Abschnitt 3. Abschnitt 3. Abschnitt 3. Abschnitt 3. Abschnitt

I. I. I. I. I. I. I.

A. A. A. B. B. C. 4. C. 4.

V. Zusammenfassung

273

3. Die Möglichkeit der Entlastung des i n Rechtsunkenntnis Handelnden hat ihren Grund i n der Positivierung des Rechts: § 17 Satz 1 StGB erlaubt zur Konflikterledigung auf die „Rechtsmassen moderner Gesellschaften" zu verweisen 1 8 7 . Freilich ist das Risiko eines Handelns i n Rechtsunkenntnis für das Recht gering: Der Einzelne erlebt die Fülle des Rechts regelmäßig nicht als bedrohlich, sondern nur als i m Horizont seines Handelns mitgegeben. Für die Angelegenheiten seines Lebenskreises gehört das Wissen u m die rechtliche Bewertung alltäglicher Handlungen zum Basiswissen: Erst wenn die Gestaltung der Situation von der gewöhnlich erwarteten Gestaltung abweicht, kann er über die Bewertung seines Tuns urteilen 1 8 8 . Zur Strafmilderung: Eine Strafmilderung kommt bei einem Rechtsirrtum über alltägliche Angelegenheiten des eigenen Lebenskreises nur ausnahmsweise i n Betracht, wenn angesichts der Fälle des Rechts und der anfallenden Probleme dem Rechtstreuen noch plausibel ist, daß auch dem Sorgfältigen Fehler unterlaufen 1 8 9 . Der I r r t u m über Alltägliches des eigenen Lebenskreises ist sonst regelmäßig schon Zeichen habituell verfestigter Unsorgfalt: Für den Rechtstreuen gehört das Wissen u m die rechtliche Bewertung stereotypen Verhaltens zum Basiswissen 190 . Eine Strafmilderung w i r d erst diskutabel, wo Ungewohntes den Ablauf der alltäglichen Routinen stört. Aber nicht jeder Rechtsirrtum über Fremdes verhilft zu einer Strafmilderung: Welcher Rechtsirrtum eine Strafmilderung begründet, ist als Funktion aus einem Quorum an Eigenschaften der Handlungssituation zu ermitteln — der Überlegungszeit, den Handlungsgründen des Täters und vorab danach, ob sich der Irrende die Genese des relat i v zu seinem Lebenskreis Ungewohnten selbst zuzuschreiben hat oder nicht 1 9 1 . Für den, der die Grenzen seines Lebenskreiss überschreitet, scheidet eine Strafmilderung jedenfalls dann aus, wenn er sich auf ein Terrain begab, für das spezielle Zulassungsvoraussetzungen bestehen 192 . I m übrigen ist nach den Handlungsgründen zu unterscheiden, und danach, ob der Irrende sich noch i n den Randzonen eines „erlaubten Risikos" bewegt 1 9 3 . 4. Wer urteilt, es sei nicht unwahrscheinlich, daß das von i h m Geplante rechtswidrig sei („bedingtes Unrechtsbewußtsein"), hat das Geplante zu unterlassen. Handelt er gleichwohl, handelt er regelmäßig 187 188 189 190 191 192 193

18

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Timpe

2. Teil 2. Teil 2. Teil 2. Teil 2. Teil 2. Teil 2. Teil

3. Abschnitt 3. Abschnitt 3. Abschnitt 3. Abschnitt 3. Abschnitt 3. Abschnitt 3. Abschnitt

II. II. II. II. II. II. II.

A. A. B. 2. B. 2. B. 2. B. 2. B. 2.

a. a. a. u n d b. b. b.

2 7 4 2 . Teil. 3. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Verbotsirrtum

mit Unrechtsbewußtsein 194 . Aber auch bei einem Handeln i n „bedingtem Unrechtsbewußtsein" kann i m Einzelfall noch eine Entschuldigung des Zweifelnden angezeigt sein: Hier gilt nichts anderes als für die Entschuldigung des i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis Handelnden 1 9 5 . Denn der, der einer erhaltenen Auskunft oder einer über das Recht erarbeiteten Information noch skeptisch gegenübersteht, aber gleichwohl handelt, ist nicht strafwürdiger als der, der sich an der erhaltenen Rechtsauskunft rasch beruhigt 1 9 6 : War die erhaltene Auskunft vertrauenswürdig, sind beide für den aus Rechtsunkenntnis verursachten Konflikt unzuständig, weil andere Subsysteme, die, die falsch oder unzulänglich informierten, der Konflikt eher etwas angeht als den Zweifelnden oder den Irrenden. Ganz entsprechend sind auch die Fälle eines aktuell unlösbaren Zweifels über einander widerstreitende Pflichten und das Handeln i m Zweifel aus Eigeninteresse der Norm zuwider zu lösen: I m ersten F a l l 1 9 7 ist der entschuldigt, der die Pflicht wählt, die die Freiheit des Opfers am geringsten beschneidet, i m zweiten Fall der für den Zweifel Unzuständige 1973 '. 5. Eine Abstufung nach Graden der Strafwürdigkeit beim Handeln i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis kann nicht ohne Rückgriff auf den Gedanken der „Täterschuld" geleistet werden: Der Verzicht auf „Täterschuld" zumindest zur Strafmaßbestimmung führt zu axiologisch unbefriedigenden Unterscheidungen 198 . Er ist zudem stark konfliktlastig 1 9 9 . „Täterschuld" darf nun freilich nicht als Aufforderung zu einem prinzipiell unbegrenzten Längsschnitt durch die Täterperson mißverstanden werden 2 0 0 : Es geht u m die Bildung eines Maßstabes, dessen Gestaltung schon i m positiven Recht angelegt ist 2 0 1 . Der Täter w i r d dann als voll verantwortlich genommen, wenn i h m der Verweis auf i h m nicht verfügbare Ursachen des Konflikts abgeschnitten werden muß, weil er die Konfliktlage „verursachte", oder weil die anderen Ursachen des Konflikts nicht belastet werden können oder nach der sozialen Planung dürfen 2 0 2 . 194

Vgl. 2. T e i l 3. Abschnitt I I I . A . Vgl. 2. T e i l 3. Abschnitt I I I . B. 196 Vgl. 2. T e i l 3. Abschnitt I I I . B. 197 Vgl. 2. T e i l 3 .Abschnitt I I I . B. 197a Vgl. 2. T e i l 3. Abschnitt I I I . B. 198 Vgl. 2. T e i l 3. Abschnitt I V . B. 199 Vgl. 2. T e i l 3. Abschnitt I V . B. 200 Vgl. 2. T e i l 3. Abschnitt I V . B. 201 Vgl. 2. T e i l 3. Abschnitt I V . B. 202 Vgl. 2. T e i l 3. Abschnitt I V . B. 195

Vierter

Abschnitt

Die fakultative Strafmilderung für den Verursacher einer Notstandslage und für den sonst den Umständen nach zur Gefahrtragung Verpflichteten (§ 35 Abs.l, Satz 2, 2. Halbsatz StGB) I. Zum Grund der Entschuldigung des Notstandstäters und zur Auslegung der fakultativen Strafmilderung des § 35 Abs. 1, Satz 2, 2. Halbsatz StGB A. Die fakultative Strafmilderung des § 35 Abs. 1, Satz 2, 2. Halbsatz StGB im E 1962 und i m A E

Für den entschuldigenden Notstand des § 35 StGB die Möglichkeit einer Strafmilderung vorzusehen, ist neu 1 . Noch § 40 E 1962 sah für den, der die Notstandslage verursachte, die Möglichkeit einer Strafmilderung nicht vor: „Wer i n einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, u m die Gefahr von sich oder einer i h m nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld, wenn i h m nicht zugemutet werden kann, die Gefahr für das bedrohte Rechtsgut hinzunehmen." 2 Anders als § 40 E 1962 enthielt der A E i n § 23 eine „subjektive" Fassung der Vorschrift über den entschuldigenden Notstand: Die Entschuldigung setze nicht voraus, heißt es dazu, daß die Gefahr, deretwegen der Täter die Notstandshandlung beging, tatsächlich vorlag; für 1 § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB ist seinem W o r t l a u t nach enger als § 54 StGB a. F.: § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB stellt darauf ab, ob der Täter die Gefahr selbst „verursachte". Nach § 54 StGB a. F. k a m es demgegenüber darauf an, ob der „Notstand unverschuldet" w a r oder nicht, u n d § 52 StGB a. F. („Nötigungsnotstand") enthielt i n dieser Hinsicht überhaupt keine Einschränkungen. Für die Auslegung des § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB besteht Einigkeit, daß es für den Ausschluß der Entschuldigung nicht ausreiche, daß der Notstandstäter eine Güterkollision (Gefahr) „verursachte". Die Entschuldigung dürfe erst versagt werden, w e n n er die „Notstandslage": also neben der „Gefahr" für eigene Rechtsgüter „auch den Ausschluß aller anderen Rettungsmöglichkeiten . . . verursacht" habe; Rudolphi , in: SK StGB 3 , § 35 Rdn. 16; Straten werth , A T 3 , Rdn. 611; Welzel, Lehrbuch 1 1 , S. 180, alle m . w . N.; zum Begriff des Verursachens der Notstandslage i. S. d. § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB vgl. 2. T e i l 4. Abschnitt I. E. 2. b. aa. 2 So der Wortlaut des § 40 E 1962. 18*

276

2. Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen. Der

otst

die Entschuldigung komme es allein auf die „psychische Drangstärke" an, die der Täter empfand. Dafür aber sei es gleich, ob sich der Notstandstäter die Notlage nur vorstelle, oder ob sie auch tatsächlich gegeben war. § 23 AE unterschied auch nicht, wie das geltende Recht, nach bestimmten Fallgruppen, die „besonderen Rechtsverhältnisse" oder dem „Verursachen" einer Notstandslage, die den Täter trotz des Bestehens einer Notstandslage zum Erdulden dieser Lage verpflichten: „Wer eine rechtswidrige Tat begeht, u m eine gegenwärtige Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit von sich, einem Angehörigen oder einer anderen i h m nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld, wenn i h m ein anderes Verhalten nach den Umständen der Tat nicht zugemutet werden kann. Ist i h m ein anderes Verhalten zumutbar, kann die Strafe nach § 611 gemildert werden." Dem, der Gestaltung des § 23 A E zugrunde liegenden Gedanken, Grund der Entschuldigung des Notstandstäters sei der auf i h m lastende „psychische Druck", hat sich auch der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform angeschlossen3. Der Sonderausschuß entschied aber gegen eine „subjektive" Fassung der Vorschrift über den entschuldigenden Notstand 4 , weil „ i n der Konzeption des AE zu wenig den zwischen den einzelnen Fallgruppen bestehenden Unterschieden Beachtung geschenkt werde". Die Vorschrift verliere durch den allgemeinen Verweis auf die „Zumutbarkeit" „sehr stark an Konturen . . . und (schmälere dadurch) die Rechtssicherheit". „So könnte nach dieser Regelung von der besonderen Milderungsmöglichkeit selbst dann Gebrauch gemacht werden, wenn dem Täter m i t Rücksicht auf ein besonderes Rechtsverhältnis, i n dem er stand, zugemutet werden konnte, die Gefahr auf sich zu nehmen. Die AE-Fassung würde sogar nicht einmal ausschließen, daß i n einem solchen Fall das Vorliegen eines entschuldigenden Notstandes bejaht würde". Gegen die Fassung des § 40 E 1962 wandte der Sonderausschuß ein, „die Regelung des E 1962 (eröffne) nur die Wahl . . . , entweder einen Notstand anzunehmen und dann den Täter straflos zu lassen, oder aber gegen i h n eine dem normalen Strafrahmen zu entnehmende Strafe zu verhängen, was insbesondere bei Kapitalverbrechen zu unbilligen Ergebnissen führen kann". „ I m Gegensatz zum E 1962" sei der Sonderausschuß der Ansicht, daß i n den Fällen, „ i n denen dem Täter zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen" eine Strafmilderung angezeigt sei, da „auch hier der Überdruck, der auf die Motivation einwirkt, ähnlich groß sein kann, wie i n den eigent3 Horstkotte, Protokolle V , S. 1847 ff., 1854, 1857. — Dem Gedanken einer „Unrechtsminderung", der häufig als zusätzlicher Gesichtspunkt als G r u n d für die Entschuldigung des Notstandstäters genannt w i r d , wurde dagegen keine besondere Beachtung geschenkt. 4 BTDrS V/4095, S. 16.

I. Der G r u n d der Entschuldigung beim Notstand

277

liehen Notstandsfällen". Davon ausgenommen seien lediglich die „Fälle eines besonderen Rechtsverhältnisses": „ I n diesen Fällen haben die betroffenen Personen eine besondere Schutzpflicht gegenüber der A l l gemeinheit übernommen, aufgrund derer sie verpflichtet sind, eine Gefährdung ihrer Person hinzunehmen" 5 . B. Die „psychische Drangstärke" der Notstandslage als Grund der Entschuldigung

jf. Die Lehren Schröders und Braunecks Der Sonderausschuß sah den Grund der Entlastung des Notstandstäters i n dem „psychischen Druck" der Notlage. Eine Bestimmung des Entschuldigungsgrundes, die sich auch sonst häufig findet, und die i n reiner Gestalt danach fragt, ob die Lebens- oder Leibesgefahr oder der drohende Freiheitsverlust einen so starken Druck des „Selbsterhaltungstriebes" hervorgerufen habe, daß die gewöhnlich von den Rechtsnormen ausgehende motivatorische Kraft aufgehoben wurde: „Die tatbestandsmäßige Handlung (sei) wegen des ungewöhnlichen seelischen Drucks, der auf dem Täter lastet, subjektiv nicht pflichtwidrig . . . und (begründe) deshalb keinen Schuldvorwurf" 6 ; oder i n den Worten Braunecks 7: Das gewöhnliche B i l d einer Notstandtat sei das B i l d „der Panik, der blinden, instinktiven Rettungshandlungen eines Menschen, dessen System auf diese primitivsten Funktionen umgestellt ist und darum nicht funktionstüchtig 4 zur Abwägung und Befolgung des Rechts". Notstand und „Schuldunfähigkeit" (§ 20 StGB) hätten ihre gemeinsame Wurzel i n dem Sidi-nicht-anders-bestimmen-Können des Täters 8 . 5 Freilich w a r auch die Einführung einer Strafmilderung für den, der die Notstandslage „verursachte", i n den Beratungen des Sonderausschusses nicht unbestritten. Schwarzhaupt (Protokolle V, S. 2114) erklärte, sie sei dagegen, „ein Verhalten v o r der Tat zu privilegieren"; denn der Verursacher einer Gefahrenlage sei „sogar mehr als ein eingezogener Wehrpflichtiger verpflichtet, die Gefahr zu bestehen". Nach w i e v o r u m s t r i t t e n ist auch, ob nicht auch für den, der i n einem besonderen Rechtsverhältnis steht, u n d der deshalb verpflichtet ist, den Notstand zu bestehen, die Möglichkeit einer Strafmilderung hätte vorgesehen werden müssen; vgl. dazu Horstkotte, Protokolle V, S. 2114: „Unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten sei es . . . schwer einzusehen, w a r u m z. B. ein Feuerwehrmann, der ein w e n i g ängstlich sei, schlechter gestellt werden solle als jemand, der sich leichtfertig i n eine Notstandssituation begibt. Diese Differenzierung werde jedoch nicht unter Schuld- oder Gerechtigkeitsgesichtspunkten vorgenommen, sondern hier handele es sich u m nackte K r i m i n a l p o l i t i k " ; vgl. auch Stree, in: Neues Strafrecht 2 , S. 61. 8 Schänke / Schröder 17, § 52 Rdn. 1. 7 Brauneck, G A 1959, S. 261 ff. 8 Brauneck, G A 1959, S. 269. Die Parallele zur „Schuldunfähigkeit" findet sich schon bei Frank, StGB 1 8 , A n m . I u. I I v o r § 51 u n d § 52 A n m . I I I , m. w . N.; vgl. auch O L G Tübingen, N J W 1948, S. 700 f.

278

2. Teil. 4. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Notstand

Der Verweis auf den „psychischen Druck" der Notstandslage ist nun freilich ein Versuch, den Grund der Entschuldigung zu benennen, m i t nur geringem Erklärungswert. Schon die positiv-rechtliche Ausgestaltung der Vorschrift über den entschuldigenden Notstand, und hier insbesondere die Ausnahmen zur Grundnorm des § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB, zeigen, daß die Notstandslage die Fähigkeit des Notstandstäters zu pflichtgemäßer Selbstbestimmung nicht notwendig aufhebt. Denn wie anders ist es zu erklären, daß die, die i n einem „besonderen Rechtsverhältnis" standen, oder die, die die Notstandslage verursachten, sich nicht auf ihre besondere psychische Zwangslage berufen dürfen, obgleich sie dem gleichen „psychischen Druck" ausgesetzt sind, wie die Notstandstäter i n den Normalfällen des entschuldigenden Notstandes. Auch abgesehen von diesen Ausnahmen zur Grundnorm des § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB ist ein „Nicht-anders-handeln-Können" m i t der Notstandslage nicht stets zwingend verbunden: So ist dem, der durch einen Eingriff i n die Rechtsgüter eines Dritten die Gefahr einer Freiheitsentziehung oder einer Körperverletzung von einer nahestehenden Person abwendet, ein anderes Verhalten schwerlich „unmöglich" —; es wäre möglich, und daß trotz der Möglichkeit des „Anders-handeln-Könnens" der Handelnde entschuldigt wird, ist aus dem gewählten Ansatz nicht zu erschließen 9 . Anders gesagt: Das positive Recht ist gegenüber dem Maß des psychischen Druckes einer Notstandslage indifferent. Auch der, der sich leicht von seiner Angst hätte frei machen können, braucht sich darauf nicht verweisen zu lassen; und der, dem es schwer fiel, seine Angst zu zügeln, w i r d mit dem Maß seiner Angst nicht gehört, wenn er die Notlage „verursachte" oder wenn er i n einem besonderen Pflichtenverhältnis stand. 2. Die Lehre Bockelmanns Bockelmann 10 hat aus der Einsicht, daß die Notstandslage die Möglichkeit des „Anders-handeln-Könnens" nicht aufhebt, den Schluß gezogen, das positive Recht stelle den Notstandstäter trotz der Schuld, die er auf sich geladen habe, straflos, weil es auf die „humana fragilitas" Rücksicht nehme. Den Grund der Entschuldigung des Notstandstäters sieht Bockelmann weniger i m Psychologischen, sondern ethisierend i n der mangelnden Fähigkeit des Täters zur Selbstaufgabe. Ein Mangel, der weniger verwerflich sei als andere Charakterfehler, die sich gewöhnlich i n strafbaren Handlungen ausdrückten, so daß es angemessen sei, bei einem Notstandstäter auf das Erheben des an sich 9 Vgl. dazu Bockelmann, Untersuchungen, S. 84 f.; Armin Kaufmann, Dogm a t i k , S. 153 ff.; Rudolphi, ZStW 78, S. 75 f.; ders., in: SK StGB 3 , § 35 Rdn. 2; Jescheck, A T 3 , S. 408 f.; Hirsch, in: L K 9 , v o r § 51 Rdn. 167, m. w . N. 10 Bockelmann, Untersuchungen, S. 85; ders., Nds. Bd. 2, S. 154.

I. Der Grund der Entschuldigung beim Notstand

279

möglichen Schuld Vorwurfs zu verzichten: Die Selbstrettung aus einer die physische Existenz bedrohenden Gefahr jedenfalls sei eher verzeihlich 11 . 3. Die Lehre Gallas 12

Gallas begreift Schuld als „Vorwerfbarkeit der Tat mit Rücksicht auf die darin betätigte rechtlich mißbilligte Gesinnung" 1 3 . Der Notstandstäter nun sei entschuldigt, da er i n einer, auch die Widerstandskraft des gesetzestreuen „Durchschnittsbürgers" überfordernden Zwangslage wohl objektiv (und auch subjektiv) pflichtwidrig handelte, sein Verhalten aber unter diesen besonderen Umständen weder Ausdruck einer „rechtsfeindlichen oder rechtsgleichgültigen . . . Gesamteinstellung des Täters" 1 4 sei, einer Gesinnung also, die regelmäßig den vorsätzlichen Verstoß gegen eine Rechtspflicht kennzeichne. Die Pflichtwidrigkeit des Täters sei auch nicht Ausdruck einer leichtfertigen oder sorglosen Einstellung gegenüber fremden Gütern, einer Einstellung, wie sie regelmäßig der Vorwurf fahrlässiger Pflichtverletzung voraussetze: Die Exkulpation des Notstandstäters sei wegen des geringeren Unwerts der „ i n der konkreten Tat aktualisierten Haltung" 1 5 gerechtfertigt, die „sittliche Schuld" des Täters erreiche nicht das für den straf rechtlichen Schuldvorwurf notwendige Maß an „Rechtsschuld" 16 . 4. Die Lehre Maurachs Ganz anders Maurach 17: Das Problem der Entschuldigung des Notstandstäters sei kein Problem eines individuell bezogenen „AndersHandeln-Könnens", sondern eines der „Tatverantwortung". M i t der „Tatverantwortung" gemeint sei eine der Schuld vorgeschaltete besondere Deliktsstufe, die alle verallgemeinernden Merkmale aufnehme. Die Schuld i m eigentlichen Sinne ziele dagegen auf weitest mögliche 11 Vgl. auch Baldus, i n : LK®, § 52 Rdn. 4, 5: „Angesichts der Notlage (darf) m i t der motivierenden K r a f t des Gesetzes nicht mehr gerechnet werden, . . . w e i l dem Täter wegen des auf i h m lastenden seelischen Drucks nicht zugemutet werden kann, w i r k s a m Widerstand zu leisten . . . " . 12 Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, S. 56. 13 Ebenso Jescheck, A T 3 , S. 344. — Gallas, Beiträge zur Verbrechenslehre, S. 56, f ü h r t weiter aus, i m Bereich der Schuld werde „bei einer generalisierenden, an sozialethiscihen Wertmaßstäben orientierten Betrachtung" ein W e r t u r t e i l über die i n der Tat aktualisierte „Gesamteinstellimg des Täters zu den Anforderungen des Rechts" gefällt. 14 Gallas, Mezger-Festschrift, S. 323 f. 15 Gallas, Mezger-Festschrift, S. 324. 16 Vgl. auch Eggert, Die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens bei Fahrlässigkeits- u n d Unterlassungsdelikten, S. 61; Welzel, ZStW 63, S. 54 Fn. 12. 17 Maurach, A T 4 , S. 37; ders., Schuld u n d Verantwortung i m Straf recht, S. 42 ff.; Maurach / Zipf, A T 1, S. 460 ff.

280

2. Teil. 4. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Notstand

I n d i v i d u a l i s i e r u n g : „ A u f g a b e d e r r i c h t i g v e r s t a n d e n e n S c h u l d ist . . . e x t r e m e I n d i v i d u a l i s i e r u n g " 1 8 . D i e „ T a t v e r a n t w o r t u n g " dagegen w e r d e „ d u r c h d e n A b f a l l v o m r e c h t l i c h p r ä s u m i e r t e n K ö n n e n des D u r c h schnitts" b e g r ü n d e t 1 9 . F ü r d e n e n t s c h u l d i g e n d e n N o t s t a n d also: „Es h a n d e l t sich . . . u m F ä l l e gesetzlicher V e r t y p u n g solcher S i t u a t i o n e n , i n d e n e n e i n normgemäßes V e r h a l t e n d e m D u r c h s c h n i t t d e r Rechtsgenossen . . . , u n d i n f o l g e dessen auch d e m T ä t e r , als n i c h t z u m u t b a r u n t e r s t e l l t w i r d . . . . N a c h d e r psychologischen W i r k u n g d e r N o t l a g e a u f d e n k o n k r e t e n T ä t e r w i r d ebenso w e n i g gefragt w i e nach seiner i n d i v i d u e l l e n W i d e r s t a n d s k r a f t . . . . N i c h t der höchstpersönliche V o r w u r f e n t f ä l l t m i t d e r N o t h a n d l u n g , s o n d e r n das g e n e r a l i s i e r e n d e U r t e i l , daß d e r T ä t e r sich n i c h t entsprechend d e m D u r c h s c h n i t t v e r h a l t e n h a t " 2 0 . 5. Zur Kritik

einer subjektiven

des entschuldigenden

Deutung

Notstandes

D i e Ü b e r s i c h t zeigt, daß Bockelmann, Gallas u n d Maurach d e n G r u n d d e r E n t s c h u l d i g u n g des N o t s t a n d s t ä t e r s als A u s p r ä g u n g des n o r m a t i v e n P r i n z i p s d e r „ Z u m u t b a r k e i t " sehen, d e m z u f o l g e die R e c h t s o r d n u n g v o n den einzelnen Rechtsunterworfenen nicht i n allen Lebenssituationen e r w a r t e t , daß sie d e n r e c h t l i c h e n S o l l e n s n o r m e n Folge l e i s t e n 2 1 : Das ist 18

Maurach, A T 4 , S. 371; — so für die Beurteilung der „Schuldfähigkeit" u n d des potentiellen Bewußtseins der Rechtswidrigkeit. 10 Maurach, A T 4 , S. 377; — zur K r i t i k der „Tatverantwortungslehre" Maurachs, vgl. Bockelmann, Untersuchungen, S. 85 m i t Fn. 123; Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 159 ff. 20 Maurach, A T 4 , S. 386. — A u f ähnlichen Erwägungen beruht auch der Versuch Maihofers, Rittler-Festschrift, S. 152 ff., die Regelung des „entschuldigenden Notstandes" für eine „sozial-personale" Unrechtslehre als Rechtfertigungsgrund zu begründen: Der „personale (soziale) Verhaltensu n w e r t (bedürfe) der . . . Prüfung, ob dem Täter damit auch seine Verfehlung des generellen Sollens u n d Könnens vorgeworfen werden kann", Maihof er, a.a.O., S. 152 f.; denn die Zurechnung zur „personalen, sozialen V e r a n t w o r tung (setze voraus, daß dem Täter) m i t dieser Tat eine Verfehlung des sozialen (generellen) Könnens am Maßstab des sozialen (generellen) Könnens ,zur Last' (gelegt werden könne)"; „eine . . . bloße Verfehlung des sozialen Sollens ist niemals Unrecht, w e n n sie nicht auch v o n einer Verfehlung des sozialen Könnens begleitet w i r d " , Maihof er, a.a.O., S. 153. Der aber, der i n der Lage des § 35 StGB n. F. ( = §§ 52, 54 StGB a. F.) handele, handele so w i e auch ein „loyaler Staatsbürger: E i n Rechtstreuer, den Anforderungen der Rechtsgemeinschaft genügender Bürger" gehandelt hätte, Maihof er, a.a.O., S. 162; die §§ 52, 54 StGB a. F. legten generell die „soziale Könnens-Ordnung" fest; sie typisierten Situationen, i n denen der „Täter i n seiner Personalität als Sozialpersonen" nicht rechtmäßig handeln konnte, Maihof er, a.a.O., S. 158: E i n „Unrechtsvorwurf" dürfe nicht erhoben werden, da dem Täter keine „Verfehlung des sozialen Sollens u n d Könnens" vorzuwerfen sei; denn w i e „ i m Unrechtssachverhalt das Sollen am Dürfen, so findet i m Unrechtsvorw u r f das Sollen am Können seine Grenze", Maihof er, a.a.O., S. 158; vgl. auch: Gimbemat-Ordeig, Welzel-Festschrift, S. 485 ff. 1 l n u e n , er N s d , S. 5 .

I. Der Grund der Entschuldigung beim Notstand

281

das Gemeinsame dieser Lehren. Und gemeinsam ist ihnen auch, daß sie die „objektive" Fassung der positiv-rechtlichen Ausgestaltung der Vorschrift über den entschuldigenden Notstand nicht zu erklären vermögen: Ginge es nämlich bei der Exkulpation des Notstandstäters allein u m „Gesinnungsunterschiede" zwischen „normalem" vorsätzlichen oder fahrlässigen Handeln und dem Handeln i n einer Notlage, wie Gallas meint, oder u m die Präsumtion des Könnens des Durchschnitts i n der Lehre Maurachs von der „Tatverantwortung", dann müßte es allein auf die „subjektive Zwangslage" beim Täter ankommen. Warum aber das geltende Recht die Entschuldigung vom objektiven Vorliegen einer Notstandslage abhängig macht, bei einem vermeidbaren I r r t u m über die Voraussetzungen des Notstandes aber nur eine obligatorische Strafmilderung vorsieht, ist aus dieser Sicht nicht zu erklären. Der Versuch, den Grund der Exkulpation des Notstandstäters anhand einer Bewertung der sich i n der Tat zeigenden Gesinnung, zu erklären (Gallas), kann aber auch nicht plausibel machen, daß nicht andere als die i n § 35 StGB genannten Güter notstandsfähig sind: Wer zur Rettung unersetzlicher Werte handelt, handelt ebensowenig aus „böser Gesinnung" wie der „normale" Notstandstäter; und offen bleibt bei dieser Lösung auch, weshalb etwa in einer „verursachten" Gefahrenlage eine „rechtsfeindliche" Gesinnung bleibt, während sie bei der nicht „verursachten" 2 2 Gefahr fehlen soll. Auch Maurachs Lehre von der „Tatverantwortung" w i r d den Grenzen des entschuldigenden Notstands nach geltendem Recht nicht gerecht; denn die Ausnahmeregelungen des „Verursachens" einer Gefahrenlage oder des besonderen Rechtsverhältnisses bezeichnen nicht Fälle, i n denen der Durchschnitt „fähig" wird, der Norm zu folgen. — I n „normalen" Notstandslagen w i r d aber auch der entlastet, der i n Kenntnis der bestehenden Lage aus einer Gesinnung heraus handelt, die auch Grund eines „normalen" vorsätzlichen Pflichtverstoßes sein kann, aus Motiven also, bei denen dem „Durchschnitt" Rechtsbefolgung allemal noch zugemutet wird: Wer handelt, u m eine nahestehende Person aus einer Notlage zu befreien, u m hernach als Erbe eingesetzt zu werden oder wer seine Ehefrau aus einer Notlage befreit, nicht weil er sie liebt oder sich ihrem Wohlergehen sonst verpflichtet fühlt, sondern nur, weil er bei einem Unterlassen der Hilfe eine Minderung seines Ansehens fürchtet, ist entschuldigt, obgleich er aus Gründen handelte, die auch Beweggründe eines Delikts sein können: Für den etwa, der sich das Geld zur Sanierung seines Betriebs durch einen Betrug verschaffen w i l l , mag, gerade wie für den Ehemann, Beweggrund sein, nur so der gesellschaftlichen Ächtung entgehen zu können. 22 Vgl. dazu Rudolphi, Z S t W 78, S. 79; Roxin, Henkel-Festschrift, S. 176 f.; ders., ZStW 76, S. 608 ff.; Artur Kaufmann, Z S t W 76, S. 576 ff.

2 8 2 2 .

Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen. Der

otst

Darüber hinaus ist es noch nicht einmal selbstverständlich, daß beim Handeln i n einer Notstandslage überhaupt (bei Vorsatz:) eine „rechtsfeindliche" oder „rechtsgleichgültige" oder (bei Fahrlässigkeit:) eine „sorglose" Gesinnung des Täters notwendig stets fehlt: Der Notstand fragt nicht nach der Lauterkeit der Gründe, aus denen der Täter die Gefahr abwendet, sondern allein nach der Situation, i n der abgewendet wurde. Oder anders gesagt: Eine Unterscheidung nach „Gesinnungswerten" ist dem positiven Recht als Voraussetzung der Entschuldigung fremd. Das positive Recht generalisiert auch nicht i n Notlagen erwartbare Maße psychischer Befunde. Es ist, wie die Ausnahmen des entschuldigenden Notstandes zeigen, an der subjektiven Befindlichkeit des Täters weitgehend uninteressiert. Was das positive Recht interessiert, und das zeigen die objektive Fassung der Regelung über den entschuldigenden Notstand sowie die Ausnahmen von der Grundnorm des § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB, ist der Grund der psychischen Verfassung des Subjekts. 6. Die Lehre Schmidhäusers Die „Subjektivität des Notstandserlebnisses" betont auch Schmidhäuser 2S: Für die Entschuldigung komme es „allein auf das subjektive Erleben des Täters an, obgleich „nach der Schilderung des Gesetzes . . . die Notlage . . . objektiv vorliegen (müßte)"; denn der „Notstand (begreife) sachlich als Entschuldigungsgrund ein reines Moment der Schuldminderung", so daß „wirklicher Notstand und i r r i g angenommener Notstand (Putativnotstand) gleichermaßen zur Entschuldigung führen" 2 4 . Die Subjektivierung des Notstandes ist aber mit einem Schuldbegriff nicht bruchlos vereinbar, der den Grund der Schuld i n der „Teilhabe" des Täters „an den Grundwerten des Gemeinschaftslebens" sucht: „Hat der Täter schuldhaft Unrecht getan, so hat er i n seiner Tat seine eigene Teilhabe an den Grundwerten des Gemeinschaftslebens sozusagen verleugnet; er hat sich als subjektiv-geistiges Wesen über seine Teilhabe 25

Schmidhäuser, A T 2 , 11/11; ders., Studienbuch, 8/12. Vgl. auch die Begründung zu § 23 A E : „ I n § 40 E 1962 sind die Voraussetzungen des entschuldigenden Notstandes insofern o b j e k t i v geregelt, als hier die Gefahr, die den Täter zur Notstandshandlung veranlaßt, tatsächlich vorliegen muß. Das widerspricht jedoch dem Sinn dieses Entschuldigungsgrundes. Für die Frage, ob der Täter entschuldigt ist, k o m m t es i m m e r n u r auf die psychische Zwangssituation an, i n der er sich befindet, u n d diese ist die gleiche, ob er die Gefahrenlage zu Recht oder i r r t ü m l i c h . . . annimmt. I n beiden Fällen geht es allein darum, ob dem Täter rechtmäßiges Verhalten zumutbar ist oder nicht. . . . I m A E ist deshalb die Vorschrift über den entschuldigenden Notstand so umgestaltet worden, daß auch die irrige Annahme der Notstandsvoraussetzungen einbezogen ist. . . . Der sog. Putativ-Entschuldigungsnotstand ist echter Notstand", AE, Begründung zu § 23, S. 61. 24

I. Der Grund der Entschuldigung beim Notstand

283

am subjektiven Geist — bewußt oder unbewußt — hinweggesetzt" 25 . Diese Lösung zum materialen Gehalt des Schuldbegriffs kann nun aber nicht berücksichtigen, daß der Täter i n einer Lage nach § 35 StGB „Teilhaber" an den Grundwerten des Gemeinschaftslebens bleibt, ohne Schuld zu haben 2 6 . Schmidhäuser löst das Dilemma, indem er als „Prinzip der Entschuldigungsgründe" eine „spezifische A r t geminderter moralischer Schuld mit der Folge des Entfallens der Rechtsschuld" 27 aufzuzeigen sucht: Der „Grad der Verwerflichkeit (sei) zu gering, als daß man hier noch strafen ,möchte'" 28 . Damit w i r d dann aber zum Problem, daß dem „subjektiven Erlebnis der Notstandslage" eine Minderung „moralischer" Schuld beim Täter nicht notwendig entsprechen muß: Der entschuldigende Notstand ist an der Qualität der Motive des Täters so wenig interessiert, wie am Maß eines psychischen Befunds beim Täter. Gleichwohl sei aber, Schmidhäuser zufolge, auch der entschuldigt, der den „Stiefvater rettet, nur u m von i h m als Erbe eingesetzt zu werden, obwohl der Grundgedanke der Entschuldigung hier nicht zutrifft; derartige Hintergründe des menschlichen Wollens entziehen sich der Erfassung durch das Strafrecht" 29 . — Das sinnenfällige Faktum der Notstandslage überspielt mit anderen Worten das Fehlen der geminderten moralischen Schuld. Bei der von i h m vorgeschlagenen Subjektivierung übersieht Schmidhäuser nun freilich, daß der Satz, die Vorstellung vom Vorliegen der 25

Schmidhäuser, A T 2 , 6/22; siehe auch ders. t Gesinnungsmerkmale, S. 178. Vgl. schon Schmidhäuser, A T 1 , S. 364. — E i n Schuldbegriff v o n auch sonst nichtUmfassendem Erklärungswert: Bei der „unbewußten Fahrlässigk e i t " w i r d gerade umgekehrt zur Lage beim entschuldigenden Notstand zum Problem, daß nach der Ausgestaltung des positiven Rechts die „Rechtsschuld" k a u m zweifelhaft sein kann, ohne daß hier aber v o n einem „geistigen K o n t a k t zum verletzten W e r t " noch gesprochen werden könnte: Der Täter bedenkt die möglichen Folgen seines Verhaltens gerade nicht. Die Definition Schmidhäusers: „Die Fahrlässigkeit bedeutet als Schuldmerkmal, daß der Täter den i n der unrechten Tat verletzten Wertanruf des Rechtsguts nicht ernst n i m m t , indem er i h n zwar unbewußt unerlaubt verletzt, aber doch . . . fähig ist, sich der unerlaubten Verletzung bewußt zu werden" (Schmidhäuser, A T 2 , S. 428), bleibt i n seinem System ohne Stütze: Die Möglichkeit eines „Wertkontakts" k a n n nicht der aktuellen „geistigen Teilhabe", dem „NichtErnstnehmen" eines vernommenen „Wertanrufs", das i n diesem System erst Schuld zu begründen vermag, gleichgesetzt werden; u n d die Fähigkeit, „sich der unerlaubten Verletzung bewußt zu werden", k a n n nach der Lehre Schmidhäusers nicht anders als durch das individuelle „Können" begründet werden; — ein „Können" freilich, das Schmidhäuser zuvor ( A T 2 , S. 148) als Element der Schuldbegründung aus dem System ausgeschlossen hat; vgl. dazu Roxin, Henkel-Festschrift, S. 177 ff. 27 Schmidhäuser, A T 1 , S. 265; ders., A T 2 , S. 460. 28 Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 181; — m i t freilich zutreffend präventiv orientierten Spezifizierungen ders., A T 2 , 1 1 / 4 . 29 Schmidhäuser, A T 2 , 11/17. 26

2 8 4 2 .

Teil. . Abschnitt. Strafmilderungen. Der

otst

Voraussetzung des entschuldigenden Notstands hätte wegen der psychisch gleichen Lage immer dieselbe entschuldigende Wirkung wie die zutreffende Vorstellung, nicht ins System des positiven Rechts paßt: Er berücksichtigt nicht die Abhängigkeit der Entschuldigung des Notstandstäters von der Möglichkeit anderweitiger Konflikterledigung; denn was von einem Subjekt noch mit rechtlichem Nachdruck zu erwarten ist, läßt sich nicht nur - psychologisierend ermitteln, sondern muß auch i m Blick darauf bestimmt werden, ob andere Subsysteme einer Ordnung als Ursache der beim Täter vorhandenen Motivationserschwerung definiert werden können, ohne daß die Erwartung leidet, die Norm sei allgemein verbindlich. Für die Entschuldigung des Notstandstäters muß es dann aber auch — vorbehaltlich der Irrtumsregelung des § 35 Abs. 2 StGB 3 0 — auf die wirkliche und nicht auf die nur nach A n sicht des Täters bestehende Möglichkeit ankommen, den sozialen Konf l i k t am Täter vorbei zu erklären. Beispielhaft: Bei dem, der einen anderen i n einer vermeintlichen Notstandslage tötet, ist die „Angst" ein motivationsrelevanter Faktor; soll dem Täter aber erlaubt sein, zu seiner Entlastung darauf zu verweisen, daß er nun einmal Angst gehabt habe, so muß eine andere Zuständigkeit als die des Täters für den Tatantrieb „Angst" bestehen. Eine andere Zuständigkeit besteht aber nur, wenn die Antriebsgenese als adäquate Reaktion auf eine Situation definiert werden kann, für die der Täter unzuständig ist, weil sie ihrerseits als „ Z u f a l l " 3 1 oder — beim Nötigungsnotstand — als Tat Dritter erklärt werden kann, also nur beim wirklichen Vorliegen der Voraussetzungen des § 35 StGB. C. Das Zusammentreffen einer Unrechtsminderung und einer Minderung der Schuld als Grund der Entschuldigung des Notstandstäters

1. Die Lehre Armin

Kaufmanns

Die positivrechtliche Ausgestaltung des § 35 StGB kann nicht aus der „psychischen Drangstärke" bestimmter Situationen allein erklärt wer30 Schmidhäuser meint, die Regelung des § 35 Abs. 2 StGB erfasse allein die Fälle, i n denen die Gefahr noch nicht gegenwärtig sei; bei — vorgestellt — gegenwärtiger Gefahr schließe das „subjektive Erlebnis einer Notstandslage . . . die Annahme einer Vermeidbarkeit des I r r t u m s aus", A T 2 , 11/23. Die Lehre Schmidhäusers ist zu w e i t ; sie paßt insbesondere bei der Notstandshilfe nicht, w e n n die v o m Gesetz für die Notstandsfälle präsumierte M o t i v a tionsbelastung nicht w i r k l i c h vorliegt u n d der Täter aus M o t i v e n handelt, bei denen jedermann Normbefolgung allemal noch zugemutet w i r d . Beispielhaft: Dem, der seine Ehefrau nicht aus Zuneigung aus einer vermeintlichen Lebensgefahr rettet, sondern w e i l er den bei Untätigkeit drohenden Verlust v o n Ansehen fürchtet, ist nicht schon des „subjektiven Erlebnisses" der N o t standslage wegen v o l l entschuldigt, denn die bei i h m motivatorisch relevanten Faktoren versperrten i h m nicht schon per se den Zugang zu den „ G r u n d werten des Gemeinschaftslebens". 31 Vgl. 2. T e i l 4. Abschnitt I. E. 1.

I. Der Grund der Entschuldigung beim Notstand

285

den. Die Ungereimtheiten rein subjektiver Lösungsversuche w i l l nun ein Ansatz vermeiden, der aus der objektiven Fassung des § 35 StGB neben dem psychischen Druck der Notstandslage einen zweiten Grund der Entschuldigung des Notstandstäters zu entnehmen versucht. Auch Armin Kaufmann 32 versteht den entschuldigenden Notstand des § 35 StGB „als ein Problem des Ausmaßes der Schuld" 3 3 . Er ist aber der Ansicht, daß hier „zwei Schuldminderungsgründe zusammentreffen": I n der Lage des § 35 StGB sei „ i n der Regel . . . die Fähigkeit, den W i l len entsprechend der Unrechtseinheit zu bilden, gegenüber dem ,Normalf all 4 geringer . . . " : „Vom Gesetz (werde vielmehr) nur die Beeinträchtigung der Möglichkeit zu normgemäßer Motivation präsumiert" 8 4 . Der entschuldigende Notstand mindere aber auch „den Handlungsunwert und damit auch das von diesem abhängige Maß des Schuldvorwurfes": „(§ 35 StGB) enthält einen Unrechtsminderungsgrund, der . . . nach dem Prinzip der Erforderlichkeit strukturiert ist" 3 5 . Erst „beide Gründe" erklärten, „weshalb die Rechtsordnung angesichts des sehr geringen Schuldgehaltes ,aus rechtlicher Begrenzung 4 darauf verzichten kann, den Schuldvorwurf faktisch zu erheben. . . . Die Zumutbarkeit bildet also ein Problem nicht der Begründung der Vorwerfbarkeit, sondern der Quantifizierung des (bereits begründeten) Schuldvorwurfes" 36 . Und zu den Grenzen des entschuldigenden Notstandes: „Aber die Rechtsordnung erhebt den — an sich i n allen Fällen vorhandenen — Schuldvorwurf eben dann, wenn ohne Beeinträchtigung der Gesamtinteressen der Rechtsgemeinschaft nicht auf die Strafsanktion verzichtet werden kann" 3 7 . 2. Die Lehre Rudolphis Sachlich übereinstimmend sieht auch Rudolphi den Grund der Entschuldigung i n einer Unrechts- und einer Schuldminderung bei einem Handeln i n der Lage des § 35 StGB. Zunächst bewirke die Notstandssituation eine Minderung des „Erfolgsunwertes": „Der Täter wendet durch die Notstandstat zugleich die Gefahr für ein anderes Rechtsgut . . . ab" 3 8 . Der entschuldigende Notstand mindere auch den „Handlungsunwert", da die „Notstandstat . . . als A k t der Selbsterhaltung . . . maßgeblich von dem Rettungszweck . . . getragen" sei 39 : Diese „unrechtsmin32

Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 153 ff. Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 156. 34 Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 158. 35 Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 157. 36 Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 158; vgl. auch: Hirsch, in: L K 9 , Rdn. 167 vor § 51; Welzel, Lehrbuch 1 1 , S. 178 f. 37 Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 158. 38 Rudolphi, ZStW 78, S. 82. 39 Rudolphi, ZStW 78, S. 83. 33

2 8 6 2 .

Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen. Der

otst

dernde Wirkung des Notstandes . . . bewirkt . . . eine von ihr abhängige Minderung der Schuld" 4 0 . „Zum anderen (setzt) die Notlage und der durch sie ausgelöste Selbsterhaltungstrieb i n aller Regel die Fähigkeit des Betroffenen zu sinngemäßer Selbstbestimmung nicht unerheblich" herab, was den Schuldgehalt nochmals mindere 4 1 —; eine Beeinträchtigung der Selbstbestimmung freilich, die „ i m Einzelfall keiner besonderen Feststellung durch den Richter" bedürfe, sondern „von dem Gesetz unwiderleglich vermutet" werde 4 2 . 3. Die Grenzen des entschuldigenden Notstandes des § 35 Abs. 1, Satz 1 StGB und die fakultative Strafmilderung § 35 Abs. 1, Satz 2, 2. Halbsatz StGB in dieser Sicht

des

Zu den Grenzen der Regelung des entschuldigenden Notstandes: Beruhe die Entschuldigung auf einer doppelten Schuldminderung, deren eine ihren Grund i n dem verminderten Unrecht finde, deren andere auf dem besonderen Motivationsdruck der Notstandslage beruhe, könne der Ausschluß der Entschuldigung für den, der i n einem „besonderen Rechtsverhältnis" stehe oder die Notstandslage „verursacht" habe, ihren Grund nur darin finden, „daß besondere Umstände von der A r t hinzukommen, bei denen einem der beiden Schuldminderungsgründe die Basis entzogen" werde 4 3 . Für den, der durch ein „besonderes Rechtsverhältnis" i m Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB verpflichtet sei, die Lage zu tragen, und der dieser erhöhten Pflichtenbindung nicht genüge, werde „das i n der Notstandstat verwirklichte Unrecht u m den Unwert, der i n der Verfahlung dieser sozialen Pflicht zum Ausdruck kommt, erhöht. Daraus folgt, daß i n all diesen Fällen die durch die Notstandssituation bewirkte Unrechtsminderung gerade durch das i n dieser Pflichtverletzung liegende zusätzliche Unrecht wieder aufgewogen w i r d " , und Straffreiheit ausscheide, „weil eine Unrechtsminderung trotz der vorliegenden Notstandssituation nicht eingetreten ist" 4 4 . 40

Rudolphi, ZStW 78, S. 84. Rudolphi, ZStW 78, S. 85. 42 Rudolphi, ZStW 78, S. 85; ders., in: SK StGB 3 , § 35 Rdn. 3; ders., WelzelFestschrift, S. 631; Lenckner, in: Schönke / Schröder 21 , Rdn. 111 vor § 32; ders., Der rechtfertigende Notstand, S. 35 ff.; Jescheck, A T 3 , S. 387, 388; Küper, JuS 1971, S. 477; Hirsch, in: L K 9 , Rdn. 167 vor § 51, alle m . w . N.; vgl. zuvor schon Noll, ZStW 77, S. 1 ff. 43 Lenckner, in: Schönke / Schröder 21 , § 35 Rdn. 24; vgl. auch Jescheck, A T 3 , S. 391 f. 44 Rudolphi, ZStW 78, S. 84; ders., in: SK StGB 3 , § 35 Rdn. 11. — Für den Ausschluß der E x k u l p a t i o n für die i n einem „besonderen Rechtsverhältnis" Stehenden ebenso: Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 158 Fn. 171; Lenckner, in: Schönke / Schröder 21 , § 35 Rdn. 25, 27; Jescheck, A T 3 , S. 393. 41

I. Der G r u n d der Entschuldigung beim Notstand

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Der Ausgleich der Unrechtsminderung der Notstandstat durch andere, unrechtssteigernde Umstände soll i m System Rudolphis auch der Grund sein, dem, der die Notstandslage „verursachte", die Entschuldigung zu versagen: „Das an sich geminderte Unrecht der Notstandstat (werde) durch das i n der Verletzung einer besonderen Gefahrtragungspflicht liegende Unrecht wieder aufgewogen", so daß „nur einer der beiden die Entschuldigung nach § 35 StGB bewirkenden Umstände, nämlich die besondere seelische Drucklage, vorliegt" 4 5 . Das sei der Fall, wenn „der Täter unmittelbar durch sein vorangegangenes Verhalten i n objektiv pflichtwidriger Weise — wenn auch nicht schuldhaft — die Gefahr verursacht h a t " 4 6 ; „es müssen hier die gleichen Grundsätze gelten wie für das Entstehen einer Garantenpflicht auf Grund eines Vorverhaltens des Unterlassenden" 47 . Anders Lenckner 48: Waren für den Ausschluß der Entschuldigung für die, die i n einem „besonderen Rechtsverhältnis" standen, „unrechtsbezogene Erwägungen" bestimmend, so soll die „Verursachung der Gefahr" durch den Täter den zweiten, „aus der besonderen psychischen Zwangslage des Täters folgenden Schuldminderungsgrund (betreffen), der nach dem Prinzip, das auch der actio libera i n causa zu Grunde liegt, wieder aufgehoben w i r d " . Nur ein Verhalten, durch das der Täter „die Zwangslage, die Gefahr allein durch die Tat abwenden zu können, objektiv pflichtwidrig und subjektiv vorsätzlich bzw. fahrlässig herbeigeführt hat", führe „nach dem Gedanken der actio libera i n causa . . . zum Wegfall des einen den entschuldigenden Notstand tragenden Schuldminderungsgrundes" 49 . Daraus zieht Lenckner 50 für die nach § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB zugelassene Strafmilderung den Schluß, es entspreche „den Regeln über die actio libera in causa, daß von der Strafmilderungsmöglichkeit . . . kein Gebrauch gemacht wird, wenn der Täter die Notstandslage vorsätzlich provoziert hat, während gegen eine Strafmilderung keine Bedenken bestehen, wenn er diese nur fahrlässig verursacht hat (wobei die Notstandstat selbst vorsätzlich begangen worden ist)" 5 1 . 45

Rudolphi, in: SK StGB 3 , § 35 Rdn. 11; ders., ZStW 78, S. 83 f. Rudolphi, in: SK StGB 3 , § 35 Rdn. 15; ders., ZStW 78, S. 83 f.; i m Ergebnis ebenso: Wessels, A T 1 0 , S. 92; Blei, A T 1 7 , S. 187; Maurach / Zipf, A T 1, S. 477 f. 47 Rudolphi, in: SK StGB 3 , § 35 Rdn. 15; zur K r i t i k vgl. 2. T e i l 4. Abschnitt I. E. b. aa. 48 Lenckner, in: Schönke / Schröder 21 , § 35 Rdn. 25; w o h l auch Jescheck, A T 3 , S. 392. 49 Lenckner, in: Schönke / Schröder 21 , § 35 Rdn. 26. Z u m alten Recht deutete „Verschulden" i. S. d. § 54 StGB a.F. als „subjektive Pflichtwidrigkeit" Baldus, in: L K 9 , § 54 Rdn. 6; a. A . Binding, Handbuch, Bd. I, S. 777. 50 Lenckner, in: Schönke / Schröder 21 , § 35 Rdn. 26, 42. 51 Enger Dreher, StGB 3 7 , § 35 A n m . 3 D , der eine Strafmilderung i n der 46

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2. Teil. . Abschnitt. Strafmilderungen. Der

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Lenckner 52 kennt noch einen Bereich, für den die Strafmilderungsregel des § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB gelten soll: § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB habe nur Bedeutung für Fallgestaltungen, „ i n denen die Tat überhaupt die einzige Möglichkeit zur Abwendung der Gefahr war". I n den Fällen aber, „ i n denen der Täter an sich mehrere Möglichkeiten zur Abwendung der Gefahr hatte, (komme § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB) keine Bedeutung (zu)": Die Notstandshandlung sei nur entschuldigt, wenn sie „erforderlich" sei. Für die Frage nach der „Erforderlichkeit" aber komme es bei Notstandssituationen, i n denen dem Täter mehrere, ihn unterschiedlich belastende Möglichkeiten, sich aus der Notstandslage zu befreien, zur Wahl ständen, schon für die Auswahl aus diesen Alternativen darauf an, ob „ i h m ein Ausweichen auf ein milderes Mittel zumutbar ist". § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB enthalte „eine Einfallspforte für Zumutbarkeitserwägungen, und zwar solchen, wie sie auch i n Satz 2 von Bedeutung sind". So sei denen, die i n einem „besonderen Rechtsverhältnis" ständen oder die Notstandslage „verursacht" hätten, eher zuzumuten, das sie stärker belastende Mittel zu wählen, als „einem sonstigen Bürger". M i t der Folge, daß für den Täter, dem das Benutzen eines riskanten Ausweges zumutbar sei, auch die „Gefahr anders abwendbar war", so daß die Entschuldigung schon nach § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB ausscheide, und „eine Prüfung der Ausnahmeregel des Satzes 2 also entfällt". War i h m dies nicht zumutbar, „heißt dies zugleich, daß i h m ein Unterlassen der Tat und damit auch die Hinnahme der Gefahr i. S. des Satzes 2 nicht zugemutet werden konnte", „so daß auch hier Satz 2 keine selbständige Funktion mehr h a t " 5 3 . Die „Konsequenzen . . . dieser Verschiebung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten von Satz 2 nach Satz 1 für die Strafmilderungsmöglichkeit" seien, „die Strafmilderungsregel (in entsprechender Anwendung) auch i n den Fällen (anzuwenden), i n Regel „bei nicht verschuldeter Verursachung der Gefahr" für geboten h ä l t ; vgl. auch Dreher / Tröndle, StGB 4 0 , § 35 Rdn. 15. Horstkotte, Protokolle V, S. 1847, w i l l n u r den v o n der Strafmilderung ausnehmen, der sich „leichtfertig" i n Not begibt „ u n d sich dann auf Kosten eines Unschuldigen rettet"; vgl. noch Gilde, Protokolle V , S. 2113, der erst bei einem „groben Verschulden" v o n der Strafmilderung keinen Gebrauch machen w i l l . 52 Lenckner, in: Schönke / Schröder 21 , § 35 Rdn. 16; ebenso Jescheck, A T 3 , S. 390. 53 Eine Lösung freilich, die das als „Regel-Ausnahme-Verhältnis" gedachte Verhältnis v o n § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB u n d § 35 Abs. 2 Satz 2 StGB umkehrt, u n d die Zumutbarkeitsregelung des Satzes 2 ihrer Bedeutung beraubt. — Anders die Begründimg des Sonderausschusses zu § 35 StGB, die durch die Formulierung des § 35 StGB verdeutlichen wollte, „daß der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit der Gefahrenhinnahme n u r ausnahmsweise die Anerkennung eines entschuldigenden Notstandes ausschließt. Die Zumutbarkeit wurde deshalb v o n der G r u n d n o r m gelöst u n d i n einen neuen Satz 2 eingestellt" 0BTDrS V/4095 S. 16). Anders auch Lackner, StGB 1 4 , § 35 A n m . 2 a: Die „Ursache (der gegenwärtigen Gefahr) ist nicht für die Notstandslage unter Umständen aber für die Zumutbarkeit bedeutsam".

I. Der G r u n d der Entschuldigung beim Notstand

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denen eine Entschuldigung schon nach Satz 1 ausgeschlossen ist, w e i l der Täter auf ein i h m zumutbares milderes M i t t e l hätte ausweichen können". Bei Fällen dieser A r t sei „von einer Strafmilderung u m so eher abzusehen . . . , je offensichtlicher es ist, daß dem Täter die Benutzung des milderen Mittels zugemutet werden konnte" 5 4 . 4.

Stellungnahme

65

Rudolphi hat Lenckner vorgehalten, „daß selbst das verschuldete Herbeiführen der Notstandslage die seelische Zwangslage des Täters i m Zeitpunkt der Tat und die darauf beruhende zweite Schuldminderung i n keiner Weise zu beseitigen vermag und zudem i n diesen Fällen die möglicherweise nur fahrlässige Herbeiführung der Notstandslage einen Schuldvorwurf wegen der vorsätzlichen Notstandstat nicht zu rechtfertigen vermag". Der K r i t i k Rudolphis ist i m Ergebnis zuuzstimmen. Lenckner übersieht, daß die Duldungspflicht, die dem Verursacher einer Gefahr auferlegt ist, zur Begründung der (vollen) Haftung dann, wenn der Notstandstäter „sehenden Auges" i n die Gefahr hineinläuft, überflüssig ist. Hier reicht schon die Rechtsfigur der actio libera i n causa aus, volle Haftung zu begründen: Stürzt sich ein Pressereporter i n eine i n Panik geratene Menschenmenge und kann er, was er als möglich vorhersah, hernach sein Leben nur noch durch die Tötung anderer, i h n nicht rechtswidrig Angreifender retten, haftet er nach dem vorsätzlichen Tötungsdelikt schon nach den Regeln der actio libera i n causa 56 . Wenn Lenckner aber die Fälle, für die schon unabhängig von der Regelung des § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB volle Haftung des Notstandstäters zu begründen ist, — selbstverständlich — von der Strafmilderung ausnehmen w i l l , findet die fakultative Strafmilderung des § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB keine Erklärung mehr: Bedarf es zur Begründung der Haftung des die Notlage „verursachenden" Notstandstäters des Nachweises einer schuldhaft-fahrlässigen „Verursachung" dieser Lage, dann steht i m System Lenckners m i t der Begründung der Haftung zugleich die Anwendung des gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB i. V. m i t § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Sonderstrafrahmens fest. Lenckner bindet die Unterscheidung von Strafwürdigkeitsgraden i m Rahmen der Strafmilderungsregel des § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB an die Unterscheidung nach vorsätzlicher und fahrlässiger Herbeiführung der Notstandslage. Er übersieht dabei aber, daß die Stufung von Vorsatz nach Fahrlässigkeit nach der Gestaltung des geltenden Rechts zwar als 54

Lenckner, in: Schönke / Schröder 21 , § 35 Rdn. 16; vgl. auch Rdn. 42. Rudolphi, i n : SK StGB 3 , § 35 Rdn. 11. 56 Beispiel nach Schmidhäuser, A T 2 , S. 469; vgl. dazu auch Baldus, in: L K 9 , § 52 Rdn. 8, m. w . N.; BayObLG M D R 1955, S. 247. 55

Timpe

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Teil. . Abschnitt. Strafmilderungen. Der

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Grenze generell geringerer Strafwürdigkeit der fahrlässigen Tat ausgestaltet ist, daß der positiv-rechtlichen Ausgestaltung dieser Grenze materiell aber die Strafwürdigkeitsgrade von vorsätzlicher zu fahrlässiger Tat nicht notwendig entsprechen: Es bedeutet eine Privilegierung des „Leichtfertigen" und auch der „Tatsachenblindheit" 57 , die dem Grad der Strafwürdigkeit nach der vorsätzlichen Tat nicht nachsteht, den, der das Kommende voraussah, stets, den aber, der das Kommende aus Gleichgültigkeit u m die Folgen seines Handelns nicht voraussah nie nach dem Regelstrafrahmen zu bestrafen. Lenckner nennt als Grund des Ausschlusses der Entschuldigung für den, der die Notstandslage „verursacht", den Ausgleich der i m Normalfall des § 35 StGB geminderten Schuld durch ein „Verursachen" unter den Voraussetzungen der actio libera i n causa. Der Ansatz erklärt nun aber nicht, warum allein ein nach den Regeln der actio libera i n causa schuldausgleichendes Verhalten: ein „Verursachen" i. S. des § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB, die Exkulpation entfallen läßt, und warum nach dem Grundgedanken dieser Lösung nicht auch beliebige andere, nach den allgemeinen Strafzumessungsregeln schuldsteigernde Umstände: Motive, Zwecke, Absichten usw., geeignet sind, die Schuldminderung auszugleichen und dem Notstandstäter die Exkulpation zu versagen, wenn sie nur einen gewissen Grad erreichen 58 . Ein letztes: Der Vorschlag, die i n § 35 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz StGB vorgesehene Möglichkeit der Strafmilderung auch dann entsprechend anzuwenden, wenn die entschuldigende Wirkung der Notstandslage daran scheitert, daß dem Täter, der i n einem „besonderen Rechtsverhältnis" stand, oder der die Notstandslage „verursacht" hatte, oder sonst nach den Umständen verpflichtet war, die Not zu ertragen, zumutbar war, ein milderes Rettungsmittel zu wählen, führt für die Lösung von Sachproblemen der Strafzumessung für den, der die Gefahr „verursachte", nicht weiter. Denn ob man bei der Ausgestaltung des entschuldigenden Notstandes nach geltendem Recht 59 schon die „Erfor67

Dazu Jakobs, Studien, S. 105. Vgl. dazu die Bemerkung Lenckners, in: Schönke / Schröder 21 , § 35 Rdn. 24. 69 Anders nach altem Recht, das i n § 52 StGB a. F. keine der „Verschuldensklausel" des § 54 StGB a. F. entsprechende Regelung enthielt: Bei dieser Gesetzeslage lag der Versuch nahe, eine Angleichung an § 54 StGB a. F. durch die Hereinnahme des Regulativs der „ Z u m u t b a r k e i t " i n die Bestimm u n g des „Erforderlichen" bei § 52 StGB a. F. zu erreichen. Vgl. dazu Jescheck, A T 2 , S. 365; Maurach, A T 4 , S. 399: § 52 a. F. habe seine selbständige Bedeutung insoweit verloren. OGHSt. 2, S. 225 ff., 228, zu § 52 StGB a. F.: „Wenn auch die A n w e n d u n g des § 52 StGB — anders als bei § 54 StGB — nicht davon abhängig ist, daß sich der Genötigte unverschuldet dem Zwange aussetzt, so ist sein Verschulden doch nicht ohne Bedeutung. Wer sich i n vorwerfbarer Weise der Gefahr aussetzt, durch Drohungen für Leib u n d Leben zu einem Verbrechen bestimmt zu werden, dem sind unter Umständen 58

I. Der G r u n d der Entschuldigung beim Notstand

291

derlichkeit" der Notstandshandlung unter Berücksichtigung der i n § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB geregelten „Zumutbarkeitsgesichtspunkte" definiert, und den Ausgleich dann unter entsprechender Anwendung der Strafmilderungsregel des § 35 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz StGB sucht, oder ob man die „Erforderlichkeit" der Notstandshandlung ohne Blick auf die „Zumutbarkeit" bestimmt, die Einschränkung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB sucht, u m dann i n direkter Anwendung des § 35 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz StGB die Strafe zu mildern oder von der Milderung abzusehen, erleichtert weder die Definition des „Zumutbaren" noch entbindet sie von der Aufgabe, die Kriterien zu benennen, nach denen zu m i l dern ist. Freilich kann auch über diese Ergebniskritik hinaus der „präsumierte" psychische Druck einer Notstandslage zusammen m i t einer durch die Rettung von Gütern durch den Notstandstäter vermittelten Unrechtsminderung den Grund der Entlastung des Notstandstäters nicht erklären. Und auch die Grenzen der Regelung des entschuldigenden Notstandes sind m i t dem Hinweis nicht erklärt, diese Unrechtsminderung werde wieder ausgeglichen, wo entgegen den Pflichten „besonderer Rechtsverhältnisse" die Notstandslage nicht ertragen wurde, oder wo wegen der „Verursachung" der Notstandslage der Verursacher zum Tragen dieser Lage verpflichtet war. Horn 60 hat, für ein psychologisierendes Schuldverständnis, das „Schuldurteil" mit einem „Sieb m i t verstellbaren Maschen" verglichen, „das von dem, vom Täter verwirklichten Unrecht auf dem Weg i n die Strafe passiert werden muß": „Je nachdem, ob Unrechtsbewußtsein vorhanden, oder — wenn nicht — wie groß die Fähigkeit zur Unrechtseinsicht und zu entsprechender Motivation gewesen ist, fällt das gesamte Unrecht oder nur ein Teil davon ,in die Strafe durch'; bei Schuldunfähigkeit bleibt das gesamte verwirklichte Unrecht i m ,Schuldsieb' hängen". F ü r die A u s n a h m e n v o n d e r R e g e l u n g des e n t s c h u l d i g e n d e n N o t standes also: W e n n das A u s m a ß des U n r e c h t s so n u r m i t t e l b a r das A u s maß d e r S c h u l d m i t b e s t i m m t , d a n n b l e i b t b e i d e m Soldaten, d e r i m K u g e l h a g e l u m sein L e b e n b a n g t , u n d d e r b e i F a h n e n f l u c h t n i c h t e n t ganz andere Auswege zuzumuten, als w e n n er unverschuldet i n diese Lage geraten wäre". Wobei dann freilich, nach der Angleichung des § 52 StGB a. F. an § 54 StGB a. F. wieder der § 54 StGB a. F. dem § 52 StGB a. F. angeglichen werden mußte. Denn w i r d das Regulativ der Zumutbarkeit dogmatisch bei § 52 StGB a. F. bei der „Erforderlichkeit" der Notstandshandlung loziert, muß die n u n aufgerissene Divergenz der Vorschriften bei der Bestimmung des „Erforderlichen" dadurch korrigiert werden, daß auch bei § 54 StGB a. F. das „Erforderliche" der Notstandshandlung unter Berücksichtigung v o n „Zumutbarkeitserwägungen" definiert w i r d ; — die „ Z u m u t barkeitsregel" jedenfalls läuft als Ausnahmevorschrift leer. 60 Horn, in: SK StGB 5 , § 46 Rdn. 37; ders., Verbotsirrtum, S. 159 ff.

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Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen. Der

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schuldigt wird, oder bei dem Delinquenten i m Gefängnis, der zur Flucht den Wärter erschlägt oder auch nur die Mauer durchbricht, und nicht entschuldigt wird, nicht mehr an „verwirklichtem Unrecht i m Schuld,sieb' hängen" 6 1 , wie i n den Normalfällen des entschuldigenden Notstandes. Denn die Angst des Soldaten ist nicht notwendig geringer als die Angst des Schiffsbrüchigen beim Kampf u m den Platz i m Rettungsboot; und der Freiheitsverlust ist dem Gefängnisinsassen so wenig angenehm wie dem k r i m i n e l l Entführten. Und auch der Rauschgiftsüchtige, der sich, gequält von den Schmerzen der Entzugserscheinungen, durch einen Einbruch m i t den unentbehrlich gewordenen Rauschmitteln versorgt, w i r d m i t seinen körperlichen Qualen nicht gehört, auch wenn der „psychische Druck", der i h n zur Tat getrieben hat, größer war als bei dem, der sich einer mäßigen Freiheitsbeschränkung durch eine Körperverletzung entzog. Für den Soldaten, den Kriminellen und den Rauschgiftsüchtigen gilt gleichermaßen: „Der Täter hat sich die Suppe eingebrockt und muß sie auch auslöffeln" 6 2 . Anders gesagt: Der Versuch, der objektiven Fassung der Regelung des § 35 StGB durch den Aufweis eines „doppelten Grundes" für die Entschuldigung gerecht zu werden, vernachlässigt, daß — auch i m traditionellen Verständnis von Schuld — ein gleicher Erfolgsunwert nicht notwendig gleiche Schuld und verschiedene Erfolgsunwerte nicht notwendig verschiedene Schuldmaße zur Folge haben müssen. Bei gleicher oder gar geringerer Schuld dem, der entgegen den Pflichten eines „besonderen Rechtsverhältnisses" die Notstandslage nicht ertrug, die Exkulpation stets zu versagen und für den „Verursacher" der Notstandslage allenfalls noch eine Strafmilderung vorzusehen, harmoniert m i t dem sog. „Schuldprinzip" offensichtlich nicht, ist also aus diesem Ansatz noch nicht erklärt 6 3 . 61

Horn, in: SK StGB 3 , § 46 Rdn. 37. Jescheck, A T 2 , S. 363. 63 Der Vorschlag, den „gesteigerten Motivationsdruck" des Täters, der i n einem „besonderen Rechtsverhältnis" stand, „ i m Rahmen der Strafzumessung" nach dem Regelstrafrahmen zu berücksichtigen (so BTDrS V/4095, S. 16; u n d die Diskussion des Sonderausschusses: Protokolle V, S. 1853 ff.; Jescheck, A T 3 , S. 395) f ü h r t nicht weiter. Er erlaubt keine, den jeweiligen i n d i v i d u e l l bestimmten Schuldmaßen angemessene Bestimmung der Rechtsfolgen: Der „Motivationsdruck", dem auch der ausgesetzt ist, der i n einem „besonderen Rechtsverhältnis" steht, bedeutet für ein psychologisierend bestimmtes Schuldmaß zwingend verminderte Schuld; u n d die Minderung des Schuldmaßes muß i n einem dem „Schuldprinzip" verpflichteten Strafgesetz auch durch die A n w e n d u n g eines gemilderten Strafrahmens zum A u s druck kommen. — Wieso soll also der Soldat, der sein Leben durch Fahnenflucht zu retten versucht, nach dem Regelstrafrahmen bestraft werden, der aber, der durch den Eingriff i n fremde Güter eine Freiheitsentziehung oder leichte Körperverletzung v o n einer „nahestehenden Person" abwendet, entlastet wurden, obgleich die individualpsychologisch bestimmte „Schuld" des Soldaten jedenfalls nicht größer ist als die des anderen? 62

I. Der Grund der Entschuldigung beim Notstand

293

Die Ausnahmen von der Regelung des § 35 StGB sind mit entlastendem „psychischem Druck" verbunden m i t einer Verminderung des Unrechts und, eventuell, einer diese Minderung ausgleichenden, unrechtssteigernden Pflichtverletzung nicht zu erklären. — Auch die durch den Güterkatalog des § 35 StGB gezogenen Grenzen entschuldigender Notstandslagen sind so nicht zu begründen. Hier ist es zunächst individualpsychologisch kaum plausibel, den zu entlasten, der aus Angst u m Leben oder Freiheit handelt, den aber nicht zu entschuldigen, der i n Not u m sein Vermögen handelt — weil doch einsichtig ist, daß ein Mensch, der nun einmal sehr an seinem Vermögen hängt, vielleicht auch seine ganze Existenz darauf aufgebaut hat, durch den drohenden Verlust dieser Güter genauso zu einer Straftat animiert werden kann wie ein anderer durch Leibes- oder Lebensgefahr 64 . M i t dem „doppelten Grund" der Schuldminderung als Grund der Entlastung eines Notstandstäters ist nicht zu erklären, daß gleicher psychischer Druck und gleicher unrechtsmindernder Erhalt von Werten einmal entschuldigt und einmal nicht. Und von diesem Ansatz her ist auch nicht verständlich, daß bei einer alle i n gleicher Weise treffenden Not nicht entschuldigt wird: Daß „anderenfalls der Kampf aller gegen alle eine Bewältigung dieser Lage unmöglich machen könnte" 6 5 mag zutreffen; nur ist das Argument aus dem Ansatz kaum deduzierbar. Anders gesagt: Es sind Fallgestaltungen i n nicht geringer Zahl denkbar, die eine größere Unrechtsminderung und damit ein geringeres Unrechts- und Schuldmaß und auch einen zumindest nicht geringeren „psychischen Druck" aufweisen, wie i n den Normalfällen des entschuldigenden Notstandes für die Entschuldigung vorausgesetzt. Beispielhaft: So ist der entschuldigt, der zur Verhinderung einer Freiheitsbeschränkung einen anderen nicht nur unerheblich an der Gesundheit beschädigt, nie der aber, der auf Kosten fremder Freiheit eigene, i n Vermögenswerten vergegenständlichte Freiheit rettet, auch wenn unersetzliche oder zumindest erhebliche Werte auf dem Spiel stehen. Soll aber das Gewicht des materiellen Unrechts (auch) die Regelung des § 35 StGB erklären, dann w i r d zum Problem, daß auch erhebliche Fol64 Unrichtig Jescheck, A T 3 , S. 389, der meint, die Beschränkung der schutzfähigen Güter erkläre „sich aus dem Grundgedanken des Notstandes, denn n u r w e n n es u m Gefahren für fundamentale Rechtsgüter geht, läßt sich sagen, daß die normgemäße Selbstbestimmung wesentlich erschwert i s t " ; vgl. dazu Stree, i n : Neues Strafrecht 2 , S. 57. Der E 1962 hat auf eine E r w e i terung des Katalogs der notstandsfähigen Rechtsgüter n u r verzichtet, w e i l sie den entschuldigenden Notstand zu w e i t ausdehnen würde u n d geeignet wäre, den Ernst der Strafdrohungen i n Frage zu stellen; E 1962, Begründung, S. 161. 65 Rudolphi, in: SK StGB 3 , § 35 Rdn. 6; Baldus, in: L K 9 , § 54 Rdn. 12; Mawrach, A T 4 , S. 400 f.; Lenckner, i n : Schönke / Schröder 21 , § 35 Rdn. 40.

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Teil. . Abschnitt. Strafmilderungen. Der

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gen zur Verteidigung der i n § 35 StGB genannten Güter allemal, harmlose Folgen für die i n § 35 StGB genannten Güter zur Erhaltung anderer, dort nicht genannter, aber doch erheblicher Werte niemals entschuldigen. — Der Gedanke der Unrechtsminderung neben einer (präsumierten) Minderung der Schuld durch die „psychische Drangstärke" der Notsituation kann nicht die ratio des entschuldigenden Notstandes sein: Der Hinweis auf den „psychischen Druck" der Notstandssituation reicht weder allein noch i m Zusammenwirken m i t der Minderung des Unrechts aus, Grund und Grenzen der Regelung des § 35 StGB einsichtig zu machen. Zusammenfassend: Wie gezeigt ist eine, wie immer gestaltete psychologisierende Deutung der Regelung des § 35 StGB nicht adäquat. Alles psychologisch Plausible ist nur solange relevant, wie es die Ordnung nicht gefährdet. Für die Folgen der Tat spielt es keine Rolle, daß die „Schuld" des fahnenflüchtigen Soldaten, des Rauschgiftsüchtigen oder dessen, der i n Angst u m sein Vermögen handelt, gleich oder gar geringer ist als i n den Normalfällen des entschuldigenden Notstandes: Gleiche psychische Bedrängnis und gleicher unrechtsmindernder Erhalt von Werten führt nur dann zu gleichen Rechtsfolgen, wenn auch der Zweckbezug gleich ist. Die Beispiele zeigen, daß das positive Recht am Maß der Angst des Täters nicht interessiert ist: Die autonome Verarbeitung der Antriebe zur Tat angesichts einer Notlage w i r d dem Täter als eigene Aufgabe zugeschrieben, und seine Angst darf er erst geltend machen, wenn er auf die Bedrohung eines der i n § 35 StGB genannten Güter als Grund seiner Angst verweisen kann. Aus der psychischen Befindlichkeit des Täters ist für die Bestimmung von Grund und Grenzen des entschuldigenden Notstandes nichts zu entnehmen. Es bedarf für die Auslegung vielmehr eines Maßstabes, dessen Gestaltung nicht an der psychischen Verfassung des Subjekts festgemacht werden kann. Eines Maßstabes also, der danach fragt, was von dem Subjekt trotz seiner psychischen Verfassung noch rechtlich erwartet werden muß, weil der Konflikt nicht an seinem Verantwortungsbereich vorbei erledigt werden kann: Sei es, daß er die Konfliktlage „verursacht" hat, und deshalb eine anderweitige Verarbeitung des Konfliktes nicht mehr plausibel zu begründen ist; sei es, daß der Notstandstäter i n einer „besonderen Pflichtenstellung" stand, die es ausschließt, den Defektgrund am Täter vorbei anderen Subsystemen anzulasten (wie es beim Nötigungsnotstand möglich ist) oder als „Zufall" zu erklären. D. Die normative Deutung des entschuldigenden Notstandes In der Lehre Roxins

Roxin hat der Einsicht i n die Unzulänglichkeit einer psychologisierenden Deutung des § 35 StGB folgend, eine normative Erklärung ver-

I. Der Grund der Entschuldigung beim Notstand

295

sucht. Er verbindet i n seinem System Schuld und Prävention eng m i t einander: Die strafrechtliche Kategorie der Schuld werde „kriminalpolitisch von der Strafzwecklehre her geprägt" 6 6 . Bei der Frage nach der „Schuld" gehe es allein u m das Problem, „ob der Gesetzgeber den einzelnen für sein Tun . . . zur Verantwortung ziehen w i l l " oder ob und gegebenenfalls inwieweit das Strafbedürfnis bei einem prinzipiell m i t Strafe bedrohten Verhalten infolge irregulärer Umstände entfallen könne: Die A n t w o r t müsse aus den „kriminalpolitischen Prinzipien der Strafzwecklehre" hergeleitet werden 6 7 , die „die Systemkategorie tragen, die man gemeinhin als ,Schuld4 bezeichnet" 68 . „Vom Standpunkt einer solchen Konzeption aus ist freilich der Begriff der Schuld' zur Kennzeichnung der i n Rede stehenden Systemkategorie kaum noch geeignet" 69 , und Roxin ersetzt i h n durch den Begriff der „Verantwortlichkeit" 70. Für den „entschuldigenden Notstand": „Spezialpräventiv (sei) eine Sanktion unnötig, weil der Täter sozial voll integriert und nur durch die außergewöhnliche Situation zu seiner . . . Handlung gebracht worden ist". Generalpräventive Gründe forderten keine Strafe, „weil die Seltenheit solcher i m einzelnen meist unvergleichbaren Sachverhaltsgestaltungen es als überflüssig erscheinen läßt, die Abweichung vom erwünschten Regelverhalten u m der Allgemeinheit w i l l e n zu sanktionieren" 7 1 . Anders aber für den, der i n einem „besonderen Rechtsverhältnis" stand: Hier sei aus „generalpräventiven (d. h. hier: die Gesamtheit des jeweiligen Berufsstandes betreffenden) Gründen" ein Strafausschuß zu versagen, weil „das Bestehen berufsspezifischer Gefahren für das Funktionieren des sozialen Systems wesentlich" sei. Wollte man zulassen, daß der Täter sich „risikolos auf Kosten anderer" der Gefahr ent66

Roxin, K r i m i n a l p o l i t i k 2 , S. 33. Roxin, Henkel-Festschrift, S. 181. 68 Roxin, Henkel-Festschrift, S. 181. 89 Roxin, Henkel-Festschrift, S. 181. 70 Roxin, Henkel-Festschrift, S. 182. — Freilich ist auch i m System Roxins die Frage nach dem individuellen „Anders-handeln-können" als erste Schuldstufe durchaus nicht gestrichen. Sie w i r d lediglich durch eine v o n der Straf zwecklehre her konzipierte zweite Stufe ergänzt: Die „Deliktsstufe der »Verantwortlichkeit 1 " setze „zwar ein Anders-handeln-können" i m Sinne einer „Bestimmbarkeit durch die N o r m " voraus, schließe die „Schuld" i m überlieferten Verstände also ein, erschöpfe sich aber nicht i n ihrer Feststellung, sondern konkretisierte „weitergehend die Ergebnisse legislatorischer Strafzwecküberlegungen straf rechtsdogmatisch", Roxin, Schaf fstein-Festschrift, S. 126; vgl. aber auch ders., Henkel-Festschrift, S. 181 f., w o er n u n glaubt, er könne die eigentliche „Schuldfrage" dahinstehen lassen; vgl. zu einer Bestimmung der Schuld aus dem „präventiven Interesse" schon Noll, H. Mayer-Festschrift, S. 219 ff. 71 Roxin, Henkel-Festschrift, S. 183. 67

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. Abschnitt. Strafmilderungen. Der

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ziehe, „hätte das gesamtgesellschaftlich äußerst schädliche Folgen" 7 2 . Bei einer „selbstverschuldeten Notstandslage" schließlich sei es „generalpräventiv notwendig", den einzelnen durch ein Absehen von der Exkulpation zu „erhöhter Vorsicht anzuhalten"; denn der „Gesetzgeber (müsse) alles daransetzen, schon die Entstehung solcher Situationen zu verhindern" 7 3 . Roxin übersieht i n seiner Lösung aber, daß der Gedanke der Spezialprävention weder erklären kann, warum die Exkulpation auf Konfliktslagen für bestimmte Güter beschränkt ist, noch weshalb die Ausnahmen von der Entschuldigung für die, die i n einem „besonderen Rechtsverhältnis" stehen oder den Konflikt „verursacht" haben, bestehen. Der Gedanke der Spezialprävention kann die Regelung des § 35 StGB auch nicht erklären; die Bezeichnung der Notlage durch die Kollision von Gütern ist kaum als Typisierung von Personen nach einem, unter spezialpräventiven Aspekten minderen Strafbedürfnis zu begreifen. Auch der, der „resozialisierungsbedürftig" ist, kommt i n den Genuß der Exkulpation nach § 35 StGB, wenn er nur i n der Lage des entschuldigenden Notstands und i n Kenntnis dieser Lage gehandelt hat; und der nicht „Resozialisierungsbedürftige" kommt nicht i n den Genuß der Entschuldigung, wenn er zur Rettung von Gütern handelte, die der Katalog des § 35 StGB nicht umfaßt, oder weil er i n einem „besonderen Rechtsverhältnis" stand oder den Konflikt „verursachte". Die Grenzen der Entschuldigung und die Ausnahmen von der Entschuldigung des § 35 StGB, und das spezialpräventiv an Strafe Erforderliche stehen nicht i n Harmonie zueinander, weil § 35 StGB nicht, spezialpräventiv, minder strafwürdige Personen bezeichnet, sondern „besondere" Situationen typisiert 7 4 . Freilich, und das ist Roxin zuzugeben, erklärt die Aneinanderreihung aller diskutierter Topoi zur Bestimmung des Strafbedürfnisses: vom (individuellen) „Anders-Handeln-Können" über den positiven und negativen Aspekt der Generalprävention bis h i n zur Spezialprävention i n ihren Spielarten, auch die Regelung des § 35 StGB i n ihren Grenzen und i n ihren Ausnahmen: Wo Spezialprävention versagt, bringt Generalprävention als Argumentationstopoi das kriminalpolitisch sinnvolle Ergebnis (: wie z. B. bei dem Ausschluß der Entlastung für die, die i n einem „besonderen Rechtsverhältnis" stehen oder für die, die den Konflikt „verursacht" haben oder vorsätzlich zu Gunsten anderer als der i n § 35 StGB genannten Güter handelten); und wo Generalprävention versagt, die Spezialprävention (: wie z. B. bei der von 72 73 74

Roxin, Henkel-Festschrift, S. 183 f. Roxin, Henkel-Festschrift, S. 185. Vgl. dazu 2. T e i l 4. Abschnitt I. E. 1.

I. Der Grund der Entschuldigung beim Notstand

297

Roxin vorgeschlagenen Analogie zu § 35 StGB bei einer Bedrohung anderer „lebenswichtiger Güter" bei fahrlässigem Handeln des Notstandstäters 75 ), usw. — Die Kumulation der Prinzipien aber bringt kein Ergebnis: Spezial- und Generalprävention gemeinsam erklären Grenzen und Ausnahmen von § 35 StGB nicht. Kurz: Der Versuch, m i t Hilfe der Versatzstücke der gängigen Strafzwecklehre, der Vorschrift des § 35 StGB Herr zu werden, ist nicht von vornherein aussichtslos, bei aller Plausibilität der Einzelergebnisse aber doch u m den Preis des Verzichtes auf jede Systembildung erkauft; denn die Wertigkeit und die Beziehung der Argumentationstopoi zueinander ist nicht geklärt, m i t der Folge auch einer gewissen Beliebigkeit der Ergebnisse, je nach der Präferenz des Rechtsanwenders für den einen oder den anderen der Strafzwecke. Beispielhaft: Warum soll denn der, der zur Rettung seiner unverschuldet bedrohten „bürgerlichen Existenz" i n fremde Güter eingreift, nicht i n analoger Anwendung des § 35 StGB entlastet werden, obwohl spezialpräventiv regelmäßig keine Strafe angezeigt ist — warum geht hier Generalprävention vor? Und nach welchen Bewertungskriterien bestimmt sich der Vorrang des einen Strafzwecks vor dem anderen i m Einzelfall —; Kriterien, die, wie die Diskussion über das Rangverhältnis der Strafzwecke zeigt, dem Begriff des Strafzweckes nicht entnommen werden können, also keine (straf)rechtlichen sind. E. Die eigene Lösung

1. Zum Grund der Entlastung des Notstandstäters Ausnahmen und Grenzen der positivrechtlichen Ausgestaltung des entschuldigenden Notstandes zeigen, daß eine psychologisierende Deutung oder eine normative Deutung dieser Vorschrift nach der gängigen Strafzwecklehre den Grund der Entschuldigung nicht zu benennen vermögen: Daß bei gleichem psychischen Druck, i n gleicher Situation und bei gleichem präventiven Strafbedürfnis einmal entschuldigt w i r d und einmal nicht, und daß bei bestimmten Notlagen nie entschuldigt wird, zeigt, daß die Regelung des entschuldigenden Notstandes nicht nach „psychischer Drangstärke" oder den Bedürfnissen der Prävention i m gängigen Verständnis unterscheidet, sondern nach dem, was an Entlastung ohne Schaden für die Ordnung möglich ist. Die Regelung des entschuldigenden Notstandes unterscheidet nach A r t der Konflikte und nach dem i n diesem Sinne Objektiven. „Alltägliche" Konflikte: Konflikte also, die, wie der Verlust auch erheblicher Vermögenswerte, für die Ordnung, so wie sie ausgestaltet ist, typisch sind, entlasten nicht. M i t Konflikten, die vielleicht nicht 75

Roxin, Henkel-Festschrift, S. 192.

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Teil. . Abschnitt. Strafmilderungen. Der

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jeder, aber doch viele erleben, hat der, der solch einen Konflikt erlebt, selbst fertig zu werden — und die Verarbeitung typischer Konflikte muß i h m auch als eigene Aufgabe zugeschrieben werden, wenn nicht die Ordnung überhaupt preisgegeben werden soll 7 6 . Beispielhaft: Der Verlust wirtschaftlicher Werte ist i m Gegeneinander der Konkurrenten einer marktwirtschaftlichen Ordnung „alltäglich", und für die Verarbeitung der Folgen wirtschaftlicher Verluste sind Verfahren institutionalisiert, die von den Regeln der Einzelzwangsvollstreckung über Vergleich und Konkurs bis h i n zum Recht der Sozialhilfe reichen; Verfahren aber, die ihren Sinn verlören, wenn es dem Einzelnen stets gestattet wäre, sich aus einer Lage wirtschaftlicher Not durch den Eingriff i n einen fremden Güterbestand zu befreien. Konflikterledigung ohne Inanspruchnahme des enttäuschend Handelnden w i r d dagegen erst diskutabel, wo der Grund der Not nicht schon i n der Organisation der Ordnung, deren Garantie Zurechnung dient, selbst angelegt ist; wenn der Konflikt also, wie i n der Lage des entschuldigenden Notstandes, selten, die Konfliktlage nicht planbar ist, und der Konflikt deshalb als „Zufall" definiert werden kann. Die Definition des Konfliktes als „Zufall" zeigt, ganz parallel der Struktur der Entlastung des Handelnden bei den übrigen Entschuldigungsgründen, die Möglichkeit anderweitiger Konflikterledigung an: Die Verlagerung des Konfliktes am Täter vorbei auf i h m nicht verfügbare Umstände als allein relevante Ursachen seines Handelns. Beim entschuldigenden Notstand also die Rückführung der Genese des Tatentschlusses auf „besondere Situationen", die i n der alltäglichen Verhal76 Der Versuch dagegen, die E x k u l p a t i o n des Notstandstäters (auch) m i t der durch die Tat v e r m i t t e l t e n Unrechtsminderung zu begründen (Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 156 ff.; Rudolphi, ZStW 78, S. 79 ff.) muß fehlgehen, w e i l er meint, die soziale Bedeutung eines Verhaltens ohne Blick auf den sozialen K o n t e x t dieses Verhaltens u n d damit entnormativiert naturalistisch allein als Produkt aus „psychischem" Druck u n d dem Saldo v o n Erhalt u n d V e r nichtung v o n Gütern bestimmen zu können. Die hier getroffene Unterscheidung v o n „alltäglichen" u n d „zufälligen" K o n f l i k t e n zeigt, daß die Wertigkeit eines Verhaltens ohne Berücksichtigung des sozialen Umfeldes u n d damit auch: Der normativen Bestimmungen, die dieses Umfeld gestalten, nicht geleistet werden kann. Normative Bestimmungen, durch die zugleich festgelegt w i r d , was als „alltäglich" u n d was als „zufällig" zu gelten hat: So w i e die Bewertung eines Diebstahls i n einem Selbstbedienungsladen davon abhängt, ob die Präsentation der Waren nach der Gestaltung der Ordnung f u n k t i o n a l ist: Der Täter hat m i t dem Reiz der Präsentation als „alltäglichem" Reiz selbst fertig zu werden, u n d daß er es nicht wurde, ist schon Ausdruck gesteigerter „verbrecherischer Energie", oder ob die Präsentation für disfunktional gehalten w i r d : die „Verführung" durch die A r t der Darbietung der Ware w i r d zum Strafmilderungsgrund, ist für die Entschuldigung eines Handelns i n einer Konfliktlage nicht der Saldo maßgebend, den die Konfliktlösung bringt, sondern allein ob nach der Gestaltung der Ordnung die Verarbeitung des Konfliktes dem Täter als eigene Aufgabe zugeschrieben werden muß, oder ob er am Täter vorbei der Gestaltung der U m w e l t angelastet werden kann.

I. Der G r u n d der Entschuldigung beim Notstand

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tensplanung wegen ihrer Seltenheit als nicht entscheidungsrelevant nicht stets mitbedacht werden müssen 77 . Der Handelnde kann, ohne daß i h n schon das belastete, i n seiner Verhaltensplanung davon ausgehen, daß der „Normalzustand" der sozialen Ordnung, i n der er handelt, von solchen Sonderlagen frei ist; oder der K o n f l i k t kann, wo seine Erklärung als nicht entscheidungserheblicher „Zufall" ausscheidet, wie beim Nötigungsnotstand, m i t der Zurechnung zum Nötigenden bereinigt werden 7 8 . 77 S t r u k t u r e l l analog der Konfliktverarbeitung beim entschuldigenden Notstand ist es, dem, der i n einem unvermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 StGB) handelte, zur Erledigung des Konfliktes, den Verweis auf die „ U n übersichtlichkeit der Rechtsmassen moderner Gesellschaften" als i h m nicht verfügbare Konfliktursache jedenfalls dann zu gestatten, w e n n er sich bei seinem Verhalten an gewissen Sorgfaltsregeln orientierte: „ M i t § 17 StGB erkennt das Recht an, daß es nicht jedenfalls erkennbar ist. . . . (Das) Recht behandelt sich selbst als machbar u n d löst den Preis der Machbarkeit auch halb ein, indem es denjenigen nicht haften läßt, der nicht wissen kann, was da gemacht wurde" (Jakobs, Schuld, S. 18); — aber eben n u r halb: Z w a r w u r d e n die Norminhalte kontingent, nicht aber die Normierung; erkanntes Recht steht i m System nicht zur Disposition u n d motivatorische Gegenvorstellungen müssen deshalb notwendfig falsch u n d damit irrelevant sein. Bei den nach § 20 StGB wegen eines „biologischen" Defektes nicht Einsichtsfähigen ist G r u n d der Entlastung die Möglichkeit der Rückführung der Deliktsgenese auf „seine" K r a n k h e i t als i h m nicht verfügbare Konfliktursache, w e n n eine Wiederholung der Tat nicht zu befürchten steht oder w e n n es der Medizin gelungen ist, Rezepte zur Behandlung bereitzustellen (Jakobs, Schuld, S. 11, 17 f.). B e i m Notwehrexzeß (§ 33 StGB) lebt die Entlastung v o n der Möglichkeit, dem Angreifer den K o n f l i k t als Folge seiner Tat anzulasten: „Auch w e n n unvorhersehbar war, daß der Angegriffene sich überhaupt wehren würde, bleibt doch das Ergebnis der A b w ä g u n g der Enttäuschungsursachen eindeutig: Wenn der Angegriffene den k ü h l e n K o p f v e r liert, so ist dies doch gegenüber dem F a k t u m des Angriffs solange sekundär, wie die A b w e h r nicht drastisch deliktische Züge trägt (beim sthenischen Affekt). Die Rechtswidrigkeit des Terrains, auf dem sich der Angreifer bewegt, ist hier so deutlich, daß geringes schuldhaftes Verhalten des Angegriffenen zur Nebensache w i r d " ; Jakobs, Schuld, S. 23. 78 Z u r Erledigung v o n K o n f l i k t e n durch ihre E r k l ä r u n g als „Zuflal" v e r gleiche neben Jakobs, Schuld, S. 20 f.; Goffman, Rahmen-Analyse, S. 44 ff.: „Jemand, der seine Handlungen ordnungsgemäß unter K o n t r o l l e hat, w i r d m i t dem natürlichen Getriebe der W e l t auf eine Weise konfrontiert, die v o r auszusehen m a n nicht v o n (ihm) erwarten konnte, u n d die Folgen stellen sich ein. . . . M a n spricht hier v o n Zufall, Glück oder Pech usw. . . . (Der Begriff des) Zufalls (besitzt) erhebliche kosmologische Bedeutung. Da w i r glauben, daß sich die Welt gänzlich i. S. v o n Naturereignissen u n d orientierten Fähigkeiten sehen läßt, u n d jedes Vorkommnis ohne weiteres i n die eine oder andere Kategorie paßt, so w i r d deutlich, daß es eine Möglichkeit geben muß, (mit dem Unplanmäßigen) zu Rande zu kommen. (Der) i n der K u l t u r liegende Begriff des (Zufalls) erfüllt diese Aufgabe; (er) ermöglicht es, . . . Ereignisse zu verkraften, die sonst (die alltäglichen Auslegungsstereotypen v o n Situationen) i n Frage stellen w ü r d e n " ; „als w i e verhängnisvoll sich das Ereignis auch immer erweisen mag, das I n d i v i d u u m k a n n sich rasch wieder beruhigen, denn da h i n t e r dem Ereignis keine Absicht vermutet werden kann, k a n n es davon ausgehen, daß nicht m i t einer Wiederholung zu rechnen ist u n d daß darin k e i n Hinweis für k ü n f t i g e Ereignisse enthalten ist"; Goff mann, Das I n d i v i d u u m i m öffentlichen Austausch, S. 408.

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Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen. Der

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Anders gesagt: Die Regelung des entschuldigenden Notstandes ist nur vordergründig ein, wie die Rechtslehre heute überwiegend meint (neben dem „psychischen Druck" einer Zwangslage) nach dem Prinzip der Saldierung von Schaden und Nutzen der Notstandshandlung strukturierter Entschuldigungsgrund i n gewisser Nähe zu den Rechtfertigungsgründen der § 34 StGB, §§ 904, 228 BGB. Die Notstandsregelung ist mit der Beschränkung des Kataloges der schutzfähigen Güter auf „Personengüter" auch nur auf den ersten Blick Ausdruck des (nie rein durchgehaltenen) Dogmas vom prinzipiellen Vorrang der Wertigkeit der Person- vor den Sachgütern. Das belegt schon das Fehlen der „Ehre" als schutzfähiges Gut i m Katalog des § 35 StGB; und das zeigt sich noch mehr, wenn man i n Rechnung stellt, daß auch die i n § 35 StGB genannten „Personengüter", gerade wie die „Sachgüter" Eigentum, Vermögen usw., bei materialer Betrachtung alltäglich als Potentiale vergegenständlichter Freiheit zur Verwirklichung individueller Chancen benutzt werden und i n dieser Benutzung stets vom Verlust bedroht sind: Die Freiheit bei jedem Gebrauch eines Verkehrsmittels; Leib und Leben bei erwartbar lebensverkürzender Arbeit oder i m Straßenverkehr usw. 7 9 . Die Wertigkeit der Güter, seien es Personen- oder Sachgüter, w i r d nicht kontextunabhängig als Wertigkeit „an sich" bestimmt. Sie w i r d stets unter Bezug auf den unmittelbaren oder mittelbaren allgemeinen Nutzen, den die sozialen Bezüge vermitteln, i n die die Güter eingebaut sind, festgelegt: Der Nutzen eines reibungslosen A b laufes des Wirtschaftssystems oder des Straßenverkehrs bestimmt die Wertigkeit von Leib, Leben und Freiheit so mit, daß jedenfalls noch ein „erlaubtes Risiko" herausspringt. Der Versuch dagegen, die Wertigkeit von Leib und Leben als dem Sachwert stets vorgehenden Wert zu begründen, taugte allenfalls noch zur Begründung des Verbotes jeglichen Handelns. Die Regelung des entschuldigenden Notstandes unterscheidet nach der A r t der Konflikte zwischen „alltäglichen" oder „zufälligen" Konfliktlagen. M i t dieser Unterscheidung w i r d nun freilich der Güterkatalog des § 35 StGB nicht obsolet: Die Beschreibung der Konfliktlage nach A r t der Kollision bestimmter Güter dient der Typisierung der Situationen, i n denen der, freilich auch seltene, aber expressiv, also außerhalb des „Sozialadäquaten" und i n den Grundfällen auch „drastisch" drohende Verlust bestimmter Güter 8 0 nach der Gestaltung der 79

Entsprechend für den Ehrverlust: Wer „das Risiko einer Begegnung" eingeht u n d w e r k a n n sich diesem Risiko schon entziehen, ist der Gefahr „der Mißachtung u n d Entweihung ausgesetzt" (Go//man). 80 Eine Verlustgefahr also, die nicht als m i t dem Nützlichen notwendig verbunden, „schleichend" oder alltäglich erfahren w i r d u n d als selbstverständliche Kosten eines als allgemein definierten Nutzens hinzunehmen ist (wie z.B. die Lebensverkürzung bei dauernder A r b e i t m i t giftigen Dämp-

I. Der G r u n d der Entschuldigung beim Notstand

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Ordnung, ihrem Wertsystem oder ihrer Ideologie, mit Aussicht auf soziale Plausibilität, als „zufällig" zu gelten hat. Gemeint sind die Güter, die als nicht beliebig vermehrbar und als Gegenstand und Substrat jeder Lebensgestaltung als „werthaft" definiert und dicht mit „Tabuzonen", die schon vorrechtlich vor fremder Bemächtigung schützen 81 , umgeben sind: Freiheit, Leib und Leben 8 2 . Die Typisierung des „Zufälligen" durch das Aufstellen eines Güterkataloges leistet gesetzestechnisch, was durch eine Einzelaufzählung „zufälliger" Situation nicht zu leisten wäre 8 3 . Das sozialpsychologisch Plausible, die generalisierende Bestimmung „zufälliger" Sonderlagen nach A r t der Kollision der Güter, die nicht beliebig vermehrbar sind, und damit die Enge des Güterkataloges des § 35 StGB ist auch das unter normativem Aspekt Vernünftige: Nur bei Gütern, die mangels beliebiger Ersetzbarkeit nicht für den Einsatz i n Austauschbeziehungen taugen, ja die der Täter nicht einmal zu Gunsten besonders nahestehender Personen aufzuopfern verpflichtet ist 8 4 , ist garantiert, daß Sonderlagen, auf die der Handelnde als i h m nicht verfügbare Konfliktursachen verweisen darf, seltene Ausnahme bleiben. Jede Ausweitung des Güterkataloges dagegen, selbst eine Ausweitung auch nur auf „besonders personennahe" Güter 8 5 hätte zur Folge, daß der Verweis auf eine Sonderlage zur alltäglich verfügbaren Entschuldigung für beliebiges „Unglück" würde, das jeden anderen gerade wie den Täter bei gleicher oder ähnlicher Lebensgestaltung i n gleicher Weise treffen kann. Wo soll hier dann noch eine Grenze gezofen usw.): Der „Maschinenstürmer" w i r d hier nicht entlastet, selbst w e n n die A r b e i t an der Maschine i h n viele Lebensjahre kostet. 81 Vgl. dazu die Beispiele v o n „Interaktionsritualen" bei Goffman, Rahmen-Analyse, S. 98 ff. 82 Der i n die Regelung des § 35 StGB hineingelesene Grundsatz der „ V e r hältnismäßigkeit" (vgl. n u r Jescheck, A T 3 , S. 391; Maurach / Zipf, A T 1, S. 481; Lenckner, in: Schönke / Schröder 21 , § 35 Rdn. 38) ist i n dieser Interpretation freilich nicht mehr Ausdruck einer i n § 35 StGB m i t normierten Güterproportionalität u n d hat seinen G r u n d auch nicht darin, daß erst eine gewisse Erheblichkeit bedrohter eigener Interessen den „psychischen Druck" hervorbringt, der G r u n d der Entlastung sein soll (so Baldus, in: L K 9 , § 54 Rdn. 18). Er ist allgemeiner Ausdruck jener Solidarität, w i e sie i n § 323 c StGB geregelt ist — m i t einer freilich zu Lasten des eingreifenden N o t standstäters nach der Wertung des § 228 B G B verschobenen Proportionalität. 83 Gesetzestechnisch gerade entsprechend dem „Erfolgsdelikt": Die Bestimmung des „Verbotenen" als potentielle Kausierung eines Erfolges entbindet v o n der unmöglich zu leistenden Aufgabe, das Verbotene nach A r t bestimmter Handlungen anzugeben. 84 Beispiel: Der Ehemann ist der Ehefrau auch dann nicht als Garant v e r pflichtet, eine Niere zu spenden, w e n n anders deren Leben nicht zu retten wäre; nach Güterproportionalität w i r d bei Gütern dieser A r t nicht mehr gefragt. 85 Vgl. dazu Stratenwerth, A T 3 , Rdn. 606.

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2. Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen. Der

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gen werden; was sollen „besonders personennahe" Güter sein: Soll die alte Dame entschuldigt sein, die, wie wohl nicht selten, ihr Leben dem geliebten Schoßhund gewidmet hat und die nun den Tierarzt zur hoffnungslosen Behandlung nötigt. Oder: Soll zumindest das marottenhafte Motiv ausgeschlossen, und muß der Grund der Rettung zumindest „vernünftig" sein (bei einem Handeln zu Gunsten der i n § 35 StGB genannten Güter ist der Grund stets vernünftig). Wie ist dann das, was als „vernünftig" gelten kann, zu bestimmen: Soll Entschuldigung schon diskutabel sein für den, der sich einen Pkw, ein Eigenheim usw. vom Mund abgespart hat, und der nun zur Rettung seines Lebenszieles, des einzigen, das für ihn nach der Verteilung der Chancen i n der Gesellschaft erreichbar ist, Güter anderer verletzt. Oder: Muß das als vernünftig anerkannte Motiv, über die Vernünftigkeit nach der Präferenzordnung des Täters hinaus, auch einen allgemeinen mittelbaren oder unmittelbaren Nutzen bringen: Ist also erst der Unternehmer entschuldigt, der handelt, u m sein Lebenswerk zu retten, wenn die Rettung immerhin noch den Erhalt von Arbeitsplätzen bringt; soll es auch auf den Nutzen des Produzierten ankommen? Oder: Ist es schon „unvernünftig", zu Gunsten von Werten zu handeln, deren Verlust finanziell durch den Abschluß von Versicherungen abgesichert werden kann oder bei denen die sozialen Folgen durch Maßnahmen der Arbeitsförderung ausgeglichen werden können? Was bleibt dann aber noch für ein Handeln zur Rettung „personennaher Güter": Ist der Ehemann entschuldigt, der zur Rettung seiner Ehe den Rivalen verprügelt; der Künstler, der sein Selbst i n sein Werk entäußert hat, und der nun diese einmalige Leistung bedroht sieht. Oder, ohne unmittelbaren individuellen Bezug, der, der künstlerische Werke rettet, die für die kulturelle Identität einer Gemeinschaft allgemein anerkannt und unersetzbar sind? Die Beispiele zeigen: Jede Erweiterung des Güterkataloges hat zur Folge, daß beliebiges „Unglück" als Sonderlage diskutabel wird. Der Täter kann aber nach der Gestaltung der Ordnung nicht stets von der Verantwortung für einen Konflikt durch die Rückführung der Genese des Deliktsentschlusses auf eine Sonderlage entlastet werden, weil ein „Durchschnittsmensch" für irgend etwas verantwortlich sein muß, sollen normative Garantien überhaupt geleistet werden. Und soll durch die Festlegung des Verantwortungsbereiches des Subjektes auch Erwartenssicherheit i n dem Sinn hergestellt werden, daß den anderen garantiert ist, daß sie die Gestaltung des Lebenskreises des Täters nicht zu interessieren braucht 8 6 , muß der Verantwortungsbereich des Subjektes, der Bereich also, dessen Gestaltung i h m als seine Aufgabe zugeschrieben werden muß, erwartbar sicher von dem Bereich geschieden werden können, auf den es i m Konfliktsfall als i h m nicht verfüg86

Vgl. dazu 2. T e i l 2. Abschnitt I. C. 2. c. aa.

I. Der G r u n d der Entschuldigung beim Notstand

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b a r e Sonderlage v e r w e i s e n d a r f . D i e F e s t l e g u n g v o n Bereichen, a u f d i e d e r H a n d e l n d e z u r K o n f l i k t e r l e d i g u n g v e r w e i s e n d a r f , d a r f auch die K o m p l e x i t ä t des H a n d e l n s i m sozialen R a u m n i c h t ü b e r m ä ß i g steigern. J e d e r andere w ä r e ü b e r f o r d e r t , w e n n er j e d e r z e i t m i t i r g e n d e i n e s a n d e r e n „ U n g l ü c k " b e i d e r P l a n u n g seines V e r h a l t e n s rechnen m ü ß t e . Beides g a r a n t i e r t die E n g e des G ü t e r k a t a l o g e s des § 35 S t G B : D i e g e n e r a l i s i e r e n d e B e n e n n u n g e n t s c h e i d u n g s i r r e l e v a n t seltener K o n f l i k t e nach d e r A r t d e r K o l l i s i o n b e s t i m m t e r ( w e n i g e r ) G ü t e r . A n d e r s gesagt: D e r e n t s c h u l d i g e n d e N o t s t a n d f r a g t n i c h t nach d e m M a ß eines b e s t i m m t e n psychischen B e f u n d e s b e i m T ä t e r , seiner „ A n g s t " angesichts e i n e r N o t l a g e ; § 35 S t G B f r a g t a l l e i n n a c h d e m o b j e k t i v e n G r u n d d e r „ A n g s t " . D e r e n t s c h u l d i g e n d e N o t s t a n d g e n e r a l i s i e r t , u n d er m u ß auch generalisieren, w e i l anders E r w a r t e n s s i c h e r h e i t d u r c h s t r a f r e c h t liche Z u r e c h n u n g n i c h t g a r a n t i e r t w e r d e n k a n n . 8 7 87 Damit scheidet dann aber eine Analogie zu § 35 StGB für all die Fälle aus, i n denen „ f ü r den Täter eine Zwangssituation ähnlicher Stärke besteht w i e sie i n (§ 35 StGB) als schuldausschließend anerkannt w i r d " (so Baumann, A T 5 , S. 465; dagegen Rudolphi, i n : SK StGB 3 , § 35 Rdn. 5; Maurach, A T 4 , S. 389, 403): Die Verarbeitung „alltäglicher" K o n f l i k t e muß dem Handelnden als seine Aufgabe zugeschrieben werden, nicht nur, w e i l sonst normative Garantien für diese Ordnung nicht mehr geleistet werden könnten (vgl. dazu auch § 40 E 1962, Begründung, S. 161), sondern auch, w e i l sonst die nach der sozialen Planung für die Regelung solcher K o n f l i k t e vorgesehenen formalisierten Verfahren leicht beliebig durch die Notstandsregeln überspielt w e r den könnten. Damit ist aber die Frage nach einer Analogie zu § 35 StGB, die nicht nach „psychischer Drangstärke", sondern normativ, nach der Notwendigkeit v o n Zurechnimg fragt, noch nicht entschieden: Die Typisierung des entscheidungsirrelevant „Zufälligen" nach A r t der Kollision bestimmter Güter ist eine Möglichkeit, das Zufällige zu beschreiben. Eine andere, das „Zufällige" nach A r t bestimmter i n d i v i d u e l l bezogener Situationen bei einer Bedrohung beliebiger Güter i n diesen Situationen zu benennen: Der B l i t z schlag, der das Haus i n B r a n d setzt; der Dammbruch, der Leben u n d Eigent u m bedroht usw. — Eine Beschreibung des Zufälligen v o n erheblich größerer Randunschärfe als die Definition über die Kollision bestimmter Güter: Eine Einzelaufzählung ist nicht ohne Verlust jeglicher Rechtssicherheit zu leisten. Beide Begriffsbildungen harmonieren i n einem doppelten Sinne nicht: Nicht jede Gefahr für die i n § 35 StGB genannten Güter ist „zufällig" i m Sinne des natürlichen Sprachgebrauches. Dies ist die Folge einer Generalisierung dessen, was als zufällig zu gelten hat, die v o n der Situation absieht u n d deshalb n u r i n ihrem K e r n randscharf ist: Wenn die „besonderen" Güter i n „besonderen" Situationen kollidieren. Beispielhaft: B e i m K a m p f u m das letzte Brett bei einem Schiffsunglück; für die i n Not geratenen Bergsteiger, deren einer sich n u r auf Kosten der anderen retten k a n n usw. U n d auch nicht alles entscheidungsirrelevant „Zufällige" ist nach A r t der K o l l i sion der i n § 35 StGB genannten Güter zu erfassen. Die Begriffsbildungen stehen i n einer Beziehung sich überschneidender, aber nicht deckungsgleicher Kreise. Der Schluß liegt nahe, eine Analogie zu § 35 StGB zuzulassen, wo der drohende Verlust anderer als der i n § 35 StGB genannten Güter nach A r t der Situation, i n der der Verlust droht, als „zufällig" plausibel ist; etwa i n dem F a l l „(des drohenden Verlustes) der ganzen Habe durch einen Brand" (Stree, Neues Straf recht 2 , S. 57) wobei dann freilich die Unbestimmtheit der Grenzziehungen (vgl. 2. T e i l 4. Abschnitt I. E. 1.) u n d auch die Abhängigkeit der Zurechnung v o n der Möglichkeit einer versicherungsmäßigen Abdeckung

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Teil.

Abschnitt. Strafmilderungen. Der

2. Die Gefahrtragungspflichten

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des § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB

a) Die „besonderen Rechtsverhältnisse" Die Möglichkeit der Entlastung endet demzufolge, wo sich die Definition des Konfliktes als „zufällig" oder als Unglück, das es nun einmal i n der Welt gibt, nicht mehr mit Aussicht auf soziale Plausibilität durchhalten läßt: Für den, der i n einem „besonderen Rechtsverhältnis" steht; für Feuerwehrleute, Polizeibeamte, Soldaten, Ersatzdienstpflichtige, Ärzte, Krankenpflegepersonal usw. 8 8 , ist die Notsituation nicht „zufällig", und Entlastung oder auch nur eine Strafmilderung sind ausgeschlossen. Ihnen ist i m Rahmen solcher besonderen Rechtsverhältnisse die Ausgestaltung der übernommenen oder zugeschriebenen sozialen „Rolle" als eigene Aufgabe zugewiesen. Die Möglichkeit des Rückzuges ist dem Rollenträger stets, also ohne Blick auf eine i m Einzelfall vielleicht noch so plausible Möglichkeit der Darstellung der Genese seiner Angst i n der Notsituation, abgeschnitten. Und dem Rollenträger muß der Verweis auf die Genese seines Versagens i m Interesse des Funktionierens der jeweiligen Rolle oder Institution auch abgeschnitten werden: Durch die Entlastung des einzelnen würde sonst die „Innensteuerung" solcher sozialer Sonderbeziehungen gestört; sei es als Korrumpierung des „Durchhaltewillens" der anderen i n vergleichbaren Situationen durch die Entlastung des einen; sei es, daß die Entlastung des Rollenträgers i n bedrohlichen Situationen, i n denen gerade die übernommene oder zugeschriebene Verpflichtung zur Risikotragung aktuell wird, zu einer Unberechenbarkeit des Reagierens solcher Institutionen führt, das ein Vertrauen der Umwelt auf eine zweckentsprechende Bewältigung von Sonderlagen durch die dafür nach der sozialen Planung vorgesehenen Instanzen unmöglich macht. Beispielhaft: Wer an Pocken erkrankt ist oder als Bergmann i n einem Bergwerk arbeitet, mag dann noch erwarten, daß auf den Hilferuf ein Arzt kommt oder ein Wettermann vorhanden ist — er kann freilich nicht erwarten, daß der Arzt die für i h n risikoreiche Behandlung beginnt, oder der Wettermann vor einem Schlagwetter warnt, wenn die Behandlung oder die Warnung für sie mit Gefahren verbunden ist. des drohenden Verlustes zum Problem w i r d ; vgl. auch Stratenwerth, AT3, Rdn. 606, der eine Analogie für zulässig hält, w e n n „besonders persönlichkeitsnahe" Rechtsgüter kollidieren. 88 I m einzelnen zu den hier i n Betracht kommenden sozialen Sonderbeziehungen Otto, Pflichtenkollision, S. 89 ff.; Lenckner, in: Schönke / Schröder 21 , § 35 Rdn. 28 ff.; Baldus, i n : L K 9 , § 54 Rdn. 11; Jescheck, A T 3 , S. 393; Maurach, A T 4 , S. 402; Maurach / Zip/, A T 1, S. 479 f.; Rudolphi, in: SK StGB 3 , § 35 Rdn. 12; Kuhnt, Pflichten zum Bestehen des strafrechtlichen Notstands, S. 85 ff.; Watzka y Die Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens, S. 80 ff. — Nach der Begründung zu § 35 StGB, BTDrS V/4095, S. 16, soll n u r eine „Rechtspflicht", nicht aber auch eine moralische Pflicht reichen, den N o t standstäter zur Hinnahme der Gefahr zu verpflichten.

I. Der G r u n d der Entschuldigung beim Notstand

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Anders gesagt: W i r d Exkulpation oder auch nur Strafmilderung für den zugelassen, der i n einem „besonderen Rechtsverhältnis" steht, gehen die Vorteile verloren, die m i t der Institutionalisierung solcher sozialen Sonderbeziehungen erreicht werden sollen: Daß nicht mehr fremde individuelle Motive, Neigungen, Ängste usw. i n der eigenen Verhaltensplanung stets kalkuliert werden müssen. Erst der Ausschluß von Exkulpation und Milderung der Strafe schneidet dem Notstandstäter den Verweis auf die Genese seines Versagens ab und erspart der Umwelt die Unsicherheit, die ein „Sich-Einlassen-Müssen" auf fremde, unbekannte Individualität stets m i t sich bringt: Der andere kann als „Verhaltenstyp" m i t sicher erwartbar normierten Pflichten i n die eigene Verhaltensplanung eingestellt werden 8 9 . Dem Notstandstäter, der i n einem besonderen Rechtsverhältnis steht, den Verweis auf die Genese seiner Tat i n der Notsituation abzuschneiden, gilt freilich nur so weit, als das durch die „Rolle", die er innehat, normierte Leistungsprogramm reicht: So mögen der Arzt oder das Krankenpflegepersonal infolge ihrer berufsspezifischen Pflichten gehalten sein, bei einer Epidemie auch Ansteckungsgefahren auf sich zu nehmen — sie sind, bei einem Schiffsbruch, allein kraft ihres Berufes nicht verpflichtet, anderen den Vortritt zu den Rettungsbooten zu lassen 90 . Oder: Der Arzt ist verpflichtet, auch zu Lasten eigener Güter das nach seiner Rolle Gewöhnliche zur Rettung des Patienten zu unternehmen, ihn auch bei Ansteckungsgefahr untersuchen, seine Wunden verbinden usw. Er ist aber nicht verpflichtet, Blut für den Patienten 89

Lenckner, i n : Schönke / Schröder 21 , § 35 Rdn. 35, hat erwogen, i n den Fällen der Notstandshilfe zu Gunsten Angehöriger, die i n einem „besonderen Rechtsverhältnis" stehen (und deshalb die Notstandshelfer nach der Generalklausel des § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB verpflichtet seien, den Verlust der Güter ihres Angehörigen „hinzunehmen") „die Möglichkeit einer Strafmilderung nach dem 2. Halbsatz (zu eröffnen)". Er hat den Gedanken aber zu Recht verworfen, „da die generalpräventiven Gesichtspunkte, die bei Begehung der Tat durdh den Verpflichteten selbst zum Ausschluß einer Strafmilderung geführt haben, i n entsprechender Weise auch das richterliche Ermessen bei der Strafzumessung begrenzen müssen. Es wäre ein Widerspruch, z. B. dem Strafgefangenen, der bei einem Ausbruch einen Aufsichtsbeamten schwer verletzt, die Strafmilderung zu versagen, sie dem Angehörigen, der die gleiche Tat begeht, jedoch zu gewähren". 90 Vgl. dazu auch B G H N J W 1964, S. 730: Eine Gefahrtragungspflicht bestehe n u r für die, die jeweilige Berufstätigkeit kennzeichnenden Gefahren; Lenckner, in: Schönke / Schröder 21 , § 35 Rdn. 29; Rudolphi, i n : SK StGB 3 , § 35 Rdn. 13; Jescheck, A T 3 , 393 Fn. 19, alle m . w . N . Generell soll die Pflicht eine Notstandslage k r a f t besonderer berufsspezifischer Pflichtenstellungen zu bestehen enden, w o die „Gefahr" einer Einbuße an Rechtsgütern i n die erfahrungsgemäße Gewißheit einer Rechtsgutsverletzung umgeschlagen sei: Gefahrtragungspflichten seien Risikopflichten, keine Aufopferungspflichten; Henkel, Der Notstand, S. 132; Otto, Pflichtenkollision, S. 92 f.; Siegert, N o t stand u n d Putativnotstand, S. 55; Küper, Pflichtenkollision, S. 107; Maurach, A T 4 , S. 401. 20

Timpe

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2. Teil.

. Abschnitt. Strafmilderungen. Der

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z u spenden, auch w e n n i h n das B l u t s p e n d e n w e n i g e r belastete u n d f ü r d e n P a t i e n t e n z u sicherer H e i l u n g f ü h r t e . Was als G r u n d f ü r d e n Ausschluß d e r E n t l a s t u n g des N o t s t a n d s t ä t e r s b e i b e s t i m m t e n berufsspezifischen R i s i k o p f l i c h t e n ausgemacht w u r d e , g i l t ü b e r diesen B e r e i c h h i n a u s i m m e r auch d a n n , w e n n d u r c h die E n t l a s t u n g eines „ N o t s t a n d s t ä t e r s " das F u n k t i o n i e r e n a n d e r e r sozialer O r d n u n g s m o d e l l e gestört w i r d . So ist d e m S t r a f g e f a n g e n e n ebenfalls k r a f t eines „ b e s o n d e r e n Rechtsverhältnisses" v e r w e h r t , z u seiner B e f r e i u n g die G i t t e r z u zersägen oder g a r e i n e n W ä r t e r z u erschlagen; seine Rechte z u r D u r c h s e t z u n g seiner Interessen b e s t i m m e n sich a l l e i n nach dem Verfahrensrecht. D e n n w o die K o n f l i k t e r l e d i g u n g nach der j e w e i l i g e n A u s g e s t a l t u n g d e r O r d n u n g i n f o r m a l e r Weise d u r c h I n s t i t u t i o n a l i s i e r u n g v o n V e r f a h r e n geregelt ist, s i n d die d u r c h die V e r f a h r e n s r e g e l n d e f i n i e r t e n B e d i n g u n g e n d e r K o n f l i k t l ö s u n g auch i n d e m S i n n e abschließend, daß d i e erfolglose E r s c h ö p f u n g d e r d u r c h das V e r fahrensrecht gegebenen M ö g l i c h k e i t e n d e r R e c h t s v e r f o l g u n g z u r D u l d u n g des V e r l u s t e s eigener I n t e r e s s e n v e r p f l i c h t e t 9 1 . 91 Umstritten, u n d auch i m Sonderausschuß (Protokolle V, S. 1850 f.) offengeblieben, ist freilich die Frage, ob die Berufung auf § 35 StGB auch dann zwingend ausgeschlossen ist, w e n n der Täter zur Rettung seiner Freiheit, die i h m zwar i n einem rechtsstaatlich ordnungsgemäßen Verfahren, materiell aber zu Unrecht entzogen wurde, eine strafbare Handlung begeht: Während hier v o r dem rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens ein entschuldigender Notstand i n der Regel schon deshalb ausscheidet, w e i l die „Gefahr", solange das weitere Verfahren die Unschuld des Betroffenen ergeben kann, noch auf andere Weise „abwendbar" ist, w i r d der generelle Ausschluß des § 35 StGB angesichts der engen Voraussetzungen der Wiederaufnahmegründe nach Rechtskraft der V e r u r t e i l i m g zweifelhaft. Lenckner (in: Schönke / Schröder 21 , § 35 Rdn. 32) hat vorgeschlagen, dem Betroffenen i n diesem F a l l das Privileg des § 35 StGB nicht schlechthin zu versagen. Z w a r bestehe auch hier auf G r u n d des rechtskräftigen Urteils formal eine besondere Duldungspflicht, u n d damit ein „besonderes Rechtsverhältnis" i. S. d. § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB. Gleichwohl erscheine es i n bestimmten Fällen (etwa für den zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten, der Opfer eines Justizirrtums wurde, u n d alle legalen Möglichkeiten ausgeschöpft hat) „unzumutbar", den Verlust der Freiheit allein deshalb hinzunehmen, w e i l Gesichtspunkte der Rechtskraft einer Beseitigung des Urteils entgegen stünden. — Eine sympathische L ö sung, die aber, w e n n auch n u r i n Ausnahmefällen, die Regeln des Wiederaufnahmeverfahrens überspielt u n d dadurch der abschließenden Aufzählung der Wiederaufnahmegründe i m positiven Recht ihren Sinn n i m m t . Denn sie läßt es zu, daß es jedem der zu einer einigermaßen erheblichen Strafe v e r u r t e i l t ist, anheim gegeben ist, selbst zu beurteilen, ob seiner Auffassung nach das U r t e i l richtig oder falsch war. Die Duldungspflicht des Strafgefangenen soll aber generell dort ihre Grenze finden, w o die Freiheit auf G r u n d eines Urteils entzogen wurde, das nichts anderes als der „ A k t einer Terrorjustiz" gewesen sei (Baldus, i n : L K 9 , § 54 Rdn. 13; Jescheck, A T 2 , S. 357). Die Entlastung des Inhaftierten w i r d hier möglich, w e i l die „andere, die terroristische Ordnung", ohne Gefahr für die eigene, die „gute" Ordnung m i t dem K o n f l i k t belastet, u n d der Inhaftierte so zumindest v o n der „vollen" Schuld entlastet werden k a n n —. Die Parallele zur Stachinskij-Entscheidung des BGH (BGHSt. 18, 87 ff.) ist evident: Erst die Möglichkeit, die Drahtzieher

I. Der G r u n d der Entschuldigung beim Notstand

307

b) Das „Verursachen" einer Notstandslage aa) Der Begriff des „Verursachens" Für den, der i n einem „besonderen Rechtsverhältnis" steht, scheidet die Exkulpation aus, weil der Konflikt für ihn kein „Zufall" war, und Milderung, weil „überragende Gemeinschaftsinteressen" „eine auch nur begrenzte Nachsicht gegenüber dem Täter nicht erlauben" 9 2 : Der Konf l i k t kann ohne Inanspruchnahme des Handelnden nicht erledigt werden, weil die Erledigung am Handelnden vorbei nicht ohne Schaden für das Funktionieren bestimmter sozialer Ordnungsmodelle möglich ist. Strafmilderung, wenn auch nicht Entlastung, w i r d für den Täter aber möglich, wo er zwar verpflichtet war, die Notstandslage zu bestehen, weil die Lage für ihn kein „Zufall" war (er hatte sie „verursacht"), und die Verantwortung für den Konflikt läßt sich nicht vom Verursacher weg verschieben; der Verursacher ist wegen der Verursachung gehalten, den Konflikt zu ertragen. Aber trotz der Verursachung ist es gleichwohl nicht stets nötig, dem Täter den Verweis auf die Genese seines Versagens i n der von i h m verursachten Notsituation zu versagen: Eine Strafmilderung bleibt noch möglich. Aber nicht jedes auch sozialadäquate „Verursachen" einer Notstandslage verpflichtet den Verursacher zur Gefahrtragung. Beispielhaft: Wer als Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ordnungsgemäß kündigt und sich nun, von dem Arbeitnehmer angegriffen, nur auf Kosten eines Dritten i n Sicherheit bringen kann, ist so wenig verpflichtet, die von i h m „verursachte" Gefahrenlage zu bestehen, wie der, der i n eine Notstandslage gerät, weil er einen anderen wegen einer von diesem begangenen Straftat angezeigt hat oder als Gläubiger Zahlungsklage gegen den säumigen Schuldner erhoben hat. Hier reicht zur Erledigung des Konflikts die Definition als Delikt eines anderen und die Inanspruchnahme des „Verursachers" ist nicht erforderlich: Der gekündigte A r beitnehmer, der Straftäter und der säumige Schuldner haben m i t dem die Notstandslage verursachenden „alltäglichen" Verhalten allein fertig zu werden. Der „Verursacher" jedenfalls kann von dem die Notstandslage auslösenden Verhalten distanziert werden: Es ist ein Handeln, das von einem fremden Deliktsentschluß so weit entfernt ist oder Stachinskijs, die Auftraggeber i m sowjetischen Geheimdienst, die Agenten der „schlechten" Ordnung, als Konfliktursachen zu belasten erlaubte es, Stachinskij v o n „voller" Schuld zu entlasten — was dann dahin definiert wurde, Stachinskij sei n u r „Gehilfe": Eine Entscheidung zur Strafzumessung, die n u r als Entscheidung zu Täterschaft u n d Teilnahme formuliert ist. 92 Lenckner, in: Schönke / Schröder 21 , § 35 Rdn. 28, 37, der es aus „generalpräventiven Erwägungen" f ü r „geboten oder jedenfalls gerechtfertigt (hält), den Täter v o n der Möglichkeit einer Strafmilderung schlechthin auszunehmen". 20

3 0 8 2 .

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. Abschnitt. Strafmilderungen. Der

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e i n e m f r e m d e n D e l i k t s e n t s c h l u ß so n a h ist, w i e jedes T u n e i n e m f r e m d e n D e l i k t s e n t s c h l u ß n a c h oder f e r n ist, da n a h e z u jedes V e r h a l t e n Ursache eines f r e m d e n Deliktsentschlusses, o d e r B a u s t e i n i n e i n e m f r e m d e n D e l i k t s p l a n w e r d e n k a n n . N i c h t s anderes g i l t f ü r den, d e r b e i d e r A b w e h r eines v o n i h m d u r c h e i n „unbedachtes W o r t " ausgelösten A n g r i f f s eines G e i s t e s k r a n k e n e i n e n U n b e t e i l i g t e n v e r l e t z t : H i e r r e i c h t z u r E r l e d i g u n g des K o n f l i k t s die Q u a l i f i z i e r u n g als „ U n g l ü c k " , w e i l der G e i s t e s k r a n k e als K o n f l i k t u r s a c h e „ n i c h t v o l l w e r t i g e r P a r t n e r des sozialen Bereiches (ist), d e n das Recht r e g e l t " 9 3 . W e r schließlich b e i d e m s o r g f ä l t i g e n A b r i ß eines Hauses o d e r sonst d u r c h rechtmäßiges u n d n i c h t a u f f ä l l i g r i s k a n t e s V e r h a l t e n i n eine Notstandslage gerät, ist sol a n g e n i c h t als „ V e r u r s a c h e r " dieser L a g e g e h a l t e n , die N o t auch z u bestehen, w i e die D e f i n i t i o n des K o n f l i k t s als „ Z u f a l l " nach d e r A u s g e s t a l t u n g d e r O r d n u n g noch p l a u s i b e l b l e i b t : So l a n g e also w i e es m ö g l i c h ist, d e n „ N o r m a l z u s t a n d " d e r O r d n u n g als m i t d e m R i s i k o des d i e N o t s t a n d s l a g e v e r u r s a c h e n d e n V e r h a l t e n s belastet z u d e f i n i e r e n , w e i l sich — w e n n auch v i e l l e i c h t n u r m i t t e l b a r — i m m e r h i n noch „ j e d e r m a n n " als D e s t i n a t ä r d e r R i s i k o e r l a u b n i s ausweisen l ä ß t . V e r p f l i c h t e t , d i e v e r u r s a c h t e N o t s t a n d s l a g e z u b e s t e h e n 9 4 , i s t dagegen der, f ü r d e n d i e H a f t u n g aus d e r actio l i b e r a i n causa n u r z u r F a h r 93

Jakobs, Schuld, S. 17. Das „Verursachen" der Notstandslage ist notwendige, nicht auch h i n r e i chende Bedingung, den Verursacher zu verpflichten, alle Folgen dieser Lage zu bestehen: „Bei welchem Ausmaß v o n Verschulden . . . das Ertragen von Gefahren welcher Stärke noch zugemutet werden kann, läßt sich . . . n u r durch die richterliche W ü r d i g u n g aller Umstände des Einzelfalls i n direktem Rückgriff auf die Strafzwecke bestimmen", Roxin, Henkel-Festschrift, S. 185; ebenso LenckneT, in: Schönke / Schröder 21 , § 35 Rdn. 24 m. w . N.; (anders Maurach, A T 4 , S. 400, der freilich übersieht, daß die „Verursachens-Formel" die „Zumutbarkeitsregelung" des § 35 StGB nicht ersetzt, sondern n u r erweitert; anders jetzt auch Maurach / Zipf, A T 1, S. 477). — Anders gesagt: Daß der, der die Notstandslage „verursacht" hat, verpflichtet ist, diese Lage zu bestehen, heißt zunächst nur, daß er mehr an Einbußen eigener Güter zu erdulden hat als ein „normaler Notstandstäter" allgemein i n generalisierender A n w e n d u n g der Wertung des § 323 c StGB zu dulden hätte. W i e v i e l an Einbußen eigener Güter er zu dulden hat, hängt auch v o n der Qualität des verursachenden Verhaltens ab (und k a n n damit ohne Rückgriff auf eine „Gesamtwürdigimg des Einzelfalles", also nach generalisierungsfähigen K r i t e r i e n bestimmt werden): So mag es nicht selten angezeigt sein, dem, der rechtswidrig u n d schuldhaft (fahrlässig) verursachte (entsprechend der Wertung des § 32 StGB), v o l l die Kosten seiner Verursachung zuzuschlagen; wobei es dann freilich einen Unterschied macht, oder ob das Verursachen gar aus „Tatsachenblindheit" verursacht wurde, oder ob das Verursachen Folge eines Versehens, eines einmaligen Versagens war. Wer rechtswidrig verursachte, mag noch, i n entsprechender A n w e n d u n g der W e r t u n g des § 228 BGB, verpflichtet sein, den Verlust größerer Werte hinzunehmen als durch den E i n g r i f f erhalten würden, w e n n das Wertverhältnis zu Lasten des Verursachers n u r nicht unverhältnismäßig ist. Für den aber, der rechtmäßig verursacht, w i r d schon bei einer Gleichwertigkeit v o n erhaltenen u n d geopferten Gütern eine Entlastung trotz der Verursachung diskutabel sein. 94

I. Der G r u n d der Entschuldigung beim Notstand

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lässigkeit führt, bei dem aber wegen der Vermeidbarkeit der Notstandslage die Erklärung des Konflikts als „Zufall" nicht mehr plausibel ist. Wann der „Verursacher" einer Notstandslage i m übrigen zum Bestehen dieser Lage verpflichtet ist, ist umstritten und noch wenig geklärt. Rudolphi 95 erklärt, i n Parallele zur Ingerenzhaftung, den für verpflichtet, der die Lage i n „objektiv pflichtwidriger Weise — wenn auch nicht schuldhaft — . . . verursacht hat — Es müssen hier die gleichen Grundsätze gelten wie für das Entstehen einer Garantenpflicht aufgrund eines Vorverhaltens des Unterlassenden" 96 . Für die „Ingerenzlösung" Rudolphis spricht immerhin, daß die Haftung aus vorangegangenem gefährdendem Tun — gleichsam i m „Außenverhältnis" — festlegt, für die Folgen welchen Vorverhaltens (und für welche Folgen dieses Vorverhaltens) der, der durch sein Vorverhalten eine Gefahr für eine Ordnung schuf, deren „Normalzustand" als Zustand gegenseitiger Nichtbeeinflussung definiert ist, zur Kompensation der von i h m geschaffenen Gefahr verpflichtet ist, während das Verursachen einer Notstandslage — gewissermaßen spiegelbildlich dazu für das „Innenverhältnis" — dann festlegen würde, welche Folgen eines Handelns für den eigenen Güterbestand der, der pflichtwidrig eine Gefahr für fremde Güter geschaffen hat, i m Interesse der Garantie eines Zustandes gegenseitiger Nichtbeeinflussung hinzunehmen hat. Die Ingerenzlösung, die auch ein objektiv pflichtwidriges Verursachen einer Notlage für die Verpflichtung, die Lage der Not zu bestehen, genügen läßt, erklärt i n dieser Sicht immerhin, daß für das „Verursachen" i m Sinne des § 35 StGB weniger als ein, nach den Regeln der fahrlässigen actio libera i n causa zurechenbares Vorverhalten ausreicht 97 : Wer einen anderen m i t einer vertragswidrigen Liefersperre belegt, i h m zu Unrecht kündigt oder sonst einem anderen dessen rechtlich garantierte Freiheit beschneidet und dadurch i n eine Notstandslage gerät, ist als Verursacher dieser Lage stets verpflichtet, Einbußen an eigenen Gütern hinzunehmen. Die Erledigung des Konflikts ohne Inanspruchnahme des pflichtwidrig Verursachenden scheidet schon deshalb aus, weil der Pflichtwidrigkeit des Verursachens we95

Rudolphi, i n : S K - S t G B 8 , § 35 Rdn. 15. Ebenso Maurach / Zipf, A T 1, S. 478; Wessels, A T 1 1 , S. 96; Blei, A T 1 7 , S. 184; vgl. auch Dreher / Tröndle, StGB 4 0 , § 35 Rdn. 11, die meinen, „ a n sich (reiche) das bloße Verursachen, aber i m m e r n u r dann, w e n n daraus die Folgerimg der Zumutbarkeit der Gefahr zu ziehen ist", u n d Lackner, StGB 1 4 , § 35 A n m . 3 a, der fragt, ob das Verursachen „unter dem Gesichtspunkt der Ingerenz" „eine solche Pflichtenstellung m i t sich (gebracht habe), daß die rechtswidrige Lösung der K o l l i s i o n sozial-ethisch unerträglich erscheint". 97 So aber Lenckner, in: Schönke / Schröder 21 , § 35 Rdn. 26. 96

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gen anderen Subsystemen als dem Verursacher der Konflikt nicht angelastet werden kann 9 8 . Weiter aber trägt die Parallele zwischen einer — auf pflichtwidriges Vorverhalten beschränkten — Haftung aus Ingerenz und dem Verursachen einer Notstandslage nicht. Die Pflichtwidrigkeitslösung ist hier, wie auch bei der Haftung aus vorangegangenem gefährdendem T u n zu eng: Sie schneidet sich mit dem Gleichstellen einer Form rechtlicher Bewertung eines Verhaltens m i t der sozialen Bedeutung dieses Verhaltens die Möglichkeit ab 9 9 , nach den unterschiedlichen sozialen Bedeutungen dieser Verhaltensweise zu differenzieren. Die Pflichtwidrigkeitslösung scheitert an ihrem Vertrauen auf die durchgängige Homogenität strafrechtlicher Begriffe und bleibt deshalb i m Begriffsjuristischen stekken 1 0 0 . Axiologisch ist es jedenfalls nicht einsichtig, den, der i n einen gesicherten fremden Garten eindringt (§ 123 StGB), u m ein vermeintlich verletztes Rehkitz zu retten oder dem, der i n einer dem rechtfertigenden Notstand nahen Lage handelt und dabei die Lage des § 35 StGB verursacht, zu verpflichten, den Konflikt zu bestehen, den aber straffrei zu lassen, der bei einem Ehebruch überrascht, sich den drohenden Schlägen des Ehemanns nur dadurch entziehen kann, daß er i n den Rechtskreis eines Dritten eingreift, und auch den zu entschuldigen, der bei einem Schiffsunglück die vorhandene Schwimmweste nicht anlegt und der sich nun, was er nicht voraussah, nur retten kann, indem er einem anderen zu seiner Rettung die Schwimmweste wegnimmt. Die für die Erweiterung der Haftung aus vorangegangenem gefährdenden Tun auch auf rechtmäßiges Vorverhalten maßgebenden Wertungen 1 0 1 taugen nun aber nicht, die Bedingungen zu benennen, unter denen der Verursacher eine Notstandslage über die pflichtwidrige Verursachung dieser Lage hinaus gehalten ist, die Not zu bestehen. Die Pflicht aus Ingerenz kann auch aus vernünftigen, rechtlich notwendigen oder zu billigenden Vorhandlungen folgen: Auch der, der zur Entsorgung eines Chemieunternehmens giftige Abfälle transportiert, ist als Ingerent verpflichtet zu helfen, wenn der Transport fremde Güter i n Gefahr gebracht hat. Oder: Wer i m rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) i n ein Haus eindringt, ist verpflichtet, die Tür zu schließen, wenn anders Schaden nicht abgewendet werden kann, usw. Daß aber dem, der aus vernünftigen Gründen durch das Eingehen von Sonderrisiken oder die Inanspruchnahme von Sonderrechten auch stets die so ausge98

Jakobs, Schuld, S. 22 f. Weiter auch Dreher, StGB 3 7 , § 35 A n m . 3 A ; Dreher / Tröndle, § 35 Rdn. 11; Lackner, StGB 1 4 , § 35 A n m . 3 a. 100 Vgl. dazu 2. T e i l 2. Abschnitt I. C. 2. d. cc. 101 Vgl. dazu 2. T e i l 2. Abschnitt I. C. 2. d. cc. 99

StGB 4 0 ,

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lösten Gefahrenlagen anzulasten sind, ist m i t Blick auf die Verpflichtung aus Ingerenz Dritten gegenüber allein nicht zu begründen: So mag der Fahrer eines Krankentransports, der mit überhöhter Geschwindigkeit fährt, u m einen Schwerverletzten ins Krankenhaus zu bringen, wohl verpflichtet sein, für die Rettung eines Dritten zu sorgen, der durch die Fahrt i n Gefahr geriet; aber er ist allein der Inanspruchnahme von Sonderrechten wegen, als deren Destinatär sich ja immerh i n noch „jedermann" ausweisen läßt, nicht gehalten, eigene Güter preiszugeben, wenn er auf der Fahrt i n eine Notstandslage gerät. Jakobs 102 hat für die Verpflichtung des rechtswidrig eine Gefahrenlage Verursachenden ausgeführt, „auch auf verbotenem Terrain gibt es eine Garantie vor Enttäuschungen, aber i m Zweifelsfall eine gegenüber dem erlaubten Terrain schwächere, — und der Notstandstäter, der die Lage verursacht hat, d. h. durch rechtswidriges Verhalten i n die Lage geraten ist, hat sich die Schwächung seiner Position und damit den Verlust der zur Solidarität erforderlichen Gleichheit selbst zuzuschreiben: es kann plausibel gemacht werden, daß er keinen Grund zur Klage hat, wenn i h m als schuldhaft zugerechnet w i r d " . Aber nicht nur der, der pflichtwidrig eine Notstandslage verursachte, hat „den Verlust der zur Solidarität erforderlichen Gleichheit" allein zu vertreten. Auch der, der ohne plausiblen Grund durch das Eingehen von Sonderrisiken oder die Inanspruchnahme von Sonderrechten i n eine Lage der Not gerät, hat die Not zu bestehen. Denn die Notstandsbeschränkung des Verursachens der Gefahrenlage zielt darauf, die unnötigen, also außer den rechtlich Verbotenen auch die ohne akzeptablen Anlaß ausgelösten Gefährdungen dem Verursacher anzulasten. Die aus Eigennutz, leichtfertig oder m u t w i l l i g verursachten Notlagen können nicht den Kosten einer gefährlich gewordenen Welt zugeschlagen werden; nur der vernünftige Umgang mit den Gefahrenpotentialen der Welt ist der allgemeinen Wohlfahrt förderlich, und nur die Folgen des vernünftigen Umgangs m i t diesen Potentialen können deshalb als Kostenfaktor einer insgesamt allen nützlichen Ausgestaltung der Welt verbucht werden. Wer dagegen unvernünftig Risiken auslöst, hat sich die Folgen seiner Unvernunft selbst zuzuschreiben. Beispielhaft: Als Verursacher einer Notstandslage verpflichtet, diese Lage zu bestehen, ist deshalb der Ehebrecher, der bei einem Ehebruch überrascht, sich vor den Schlägen des Ehemannes nur auf Kosten eines Dritten i n Sicherheit bringen kann; der Segler, der, u m seinen Freunden seinen Mut zu beweisen, trotz einer Sturmwarnung ausfährt, und der sich dann i m Sturm nur noch auf Kosten eines anderen retten kann; der, der aus purer Neugier einen hohen Baum besteigt und dabei i n Not 102

Jakobs, Schuld, S. 22 f.

3 1 2 2 .

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gerät oder der Eifersüchtige, der aus Eifersucht einen Nebenbuhler beschimpft und sich dadurch i n eine Notstandslage manövriert. I n diesen Fällen ist es die Beiläufigkeit des Motivs, aus dem heraus gehandelt wurde, die es ausschließt, die verursachte Notlage am Verantwortungsbereich des Verursachers vorbei den Beständen einer riskant gewordenen Welt zuzuschlagen. Der Gefahrverursacher hat unnötig, aus unvernünftigem Grund, Risiken für eigene Güter ausgelöst. Er hat als Ehebrecher alltäglich mit seinem Geschlechtstrieb, als Eifersüchtiger mit seiner Eifersucht 1 0 3 und als Neugieriger m i t seiner Neugier fertigzuwerden. Nicht verpflichtet, die verursachte Notlage zu tragen, ist dagegen der, der die Lage durch gerechtfertigte Vorhandlung oder solche i n einem erlaubten Risiko, die aus einem rechtlich positiv bewerteten Anlaß vollzogen wurden, verursachte. bb) Zur Strafmilderung für den „Verursacher" einer Notstandslage Wer pflichtwidrig eine Notstandslage verursacht, ist — ohne Blick auf die Handlungsgründe — stets verpflichtet, diese Lage zu bestehen: Hier zählt für die Haftungsbegründung allein die Qualität des Verhaltens, weil der Konflikt, der Rechtswidrigkeit des Verursachens wegen, ohne Inanspruchnahme des Verursachers nicht bereinigt werden kann. Aber, und das gilt auch für das rechtswidrige Verursachen einer Notstandslage, die soziale Bedeutung eines Verhaltens ist allein der rechtlichen Qualität dieses Verhaltens nicht zu entnehmen: Es „(gibt) keine Handlung, . . . deren (soziale) Bedeutung nicht von den Gründen abhinge, die zu ihr führten" 1 0 4 . Fragt man aber nach den Gründen des pflichtwidrigen Verursachens einer Notstandslage, macht es für die Bewertung dieses Verhaltens nach dem Grad seiner Strafwürdigkeit einen Unterschied, ob aus vernünftigen oder doch noch verständlichen oder ob aus unvernünftigen oder gar nichtigen Gründen pflichtwidrig die Not herbeigeführt wurde. Eine Strafmilderung ist auch bei pflichtwidrigem Verursachen einer Notstandslage noch angezeigt für den, der i n einer dem rechtfertigenden Notstand nahen Lage i n Not geriet: Der Vertreter, der sich zur Rettung seiner unverschuldet bedrohten bürgerlichen Existenz mit einem defekten Kraftwagen auf den Weg zu einem Kunden macht, und der wegen der Verkehrsuntauglichkeit seines Kraftwagens i n eine 103 Vgl. dazu BGHSt. 3, S. 180 ff., 182 f., zu § 211 StGB: „Hemmungslose Eifersucht, die den Täter zur vorbedachten . . . T ö t i m g treibt, ohne daß er i h r den nötigen u n d den möglichen Widerstand entgegensetzt, m i t dem er auch anderen Leidenschaften u n d Trieben zu begegnen hat, k a n n durchaus v e r ächtlich . . . sein. Z w a r hat sie i h r e n Ursprung i n unglücklicher Liebe. Diese entbindet den Täter aber nicht v o n der Pflicht zur Beherrschung seiner Triebe 104 Goffman, Das I n d i v i d u u m i m öffentlichen Austausch, S. 149.

I. Der G r u n d der Entschuldigung beim Notstand

313

Notstandslage gerät, verdient eine Strafmilderung; er kann partiell entlastet werden, weil er immerhin noch darauf verweisen kann, daß seine Fahrt durch eine dem Rechtstreuen noch nachvollziehbare Sonderlage motiviert war. Eine Strafmilderung verdient dagegen nicht, wer rechtswidrig eine Notstandslage verursacht, wenn das rechtswidrige Verursachen nicht anders als aus einem deliktischen, nichtigen Anlaß heraus interpretiert werden kann: Wer ein Wohnhaus i n Brand steckt, u m die Versicherungssumme zu kassieren und sich nun selbst von den Flammen bedroht nur auf Kosten eines anderen i n Sicherheit bringen kann, ist aus dem Regelstrafrahmen zu bestrafen. Der Anlaß, dessentwegen er durch sein rechtswidriges T u n Risiken für sein Leben schuf, ist i n rechtlicher Bewertung völlig nichtig und sein „Verursachen" der Notstandslage ist auch nicht anders als deliktisch motiviert zu interpretieren 1 0 4 2 1 . Eine Strafmilderung ist schließlich auch nicht geboten für den, der m u t w i l l i g oder aus einem alltäglichen Anlaß oder sonst aus nicht akzeptablen, unvernünftigen Gründen durch rechtswidriges Verhalten oder durch das Eingehen von Sonderrisiken oder durch die Inanspruchnahme von Sonderrechten Gefahren für eigene, nach § 35 StGB notstandsfähige Güter schuf. c) Die Verpflichtung zur Gefahrtragung sonst nach den Umständen i. S. d. § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB aa) Fallgruppen einer Gefahrtragungspflicht Wer i n einem „besonderen Rechtsverhältnis" steht oder wer den Konflikt „verursacht" hat, ist verpflichtet, die Notstandslage zu ertragen. — Und eine Entschuldigung ist nach der Ausgestaltung des § 35 StGB auch ausgeschlossen, wenn dem Täter sonst „nach den Umständen . . . zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen" 1 0 5 .

io4a Anders gesagt: Es reicht f ü r die Begründung der Haftung u n d der Haftung nach dem Regelstrafrahmen nicht aus, daß der Täter gelegentlich eines rechtswidrigen, deliktisch motivierten Verhaltens i n eine Notstandslage gerät. Das nichtige M o t i v muß sich vielmehr i n dem rechtswidrig gesetzten Risiko f ü r die Güter des § 35 StGB objektiviert haben. Beispielhaft: So ist der Dieb, der auf einer Diebestour auf einer unbeleuchteten Straße bei dem Versuch, m i t Hilfe eines Nachschlüssels eine T ü r zu öffnen, i n eine neben der T ü r liegende schlecht gesicherte Baugrube stürzt, aus der er sich n u r durch einen Eingriff i n einen fremden Güterbestand befreien kann, nicht verpflichtet, diese Notstandslage zu bestehen. Hier v e r w i r k l i c h e n sich i n dem Sturz schon nicht die spezifischen Risiken des rechtswidrigen Tuns. Er hat den K o n f l i k t nicht i. S. des § 35 StGB verursacht. 105 So der durch die Beispiele des „besonderen Rechtsverhältnisses" u n d der „Gefahrverursachung" verdeutlichte W o r t l a u t der Generalklausel des § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB.

3 1 4 2 .

Teil. . Abschnitt. Strafmilderungen. Der

otst

Soweit der Notstandstäter nach der Generalklausel des § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB verpflichtet ist, eine bestimmte Notstandslage zu bestehen, sind für die Strafmilderung die Fallgestaltungen von Belang, die, wie die „besonderen Rechtsverhältnisse", auf dem Gedanken des „Institutionenschutzes" beruhen. Fallgestaltungen, bei denen es aber i m Interesse des Erhaltes einer i n bestimmter Weise ausgestalteten Ordnung nicht stets zwingend geboten ist, dem Notstandstäter den Verweis auf die Genese seines Versagens i n der Notstandssituation abzuschneiden 1 0 6 . Hierher gehören zunächst die „fürsorgerischen Garantieverhältnisse" 1 0 7 : Die Beziehung der Eltern zu ihren minderjährigen K i n d e r n 1 0 8 oder die Beziehung der Ehegatten zueinander. Der Pflicht, dem i n Not geratenen Partner oder minderjährigen K i n d zu helfen, korrespondiert die durch § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB festgelegte Pflicht, sich aus eigener Not nicht stets auf Kosten der „Sympathiepersonen" zu befreien; und die durch § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB festgelegte Pflicht muß der Garantenpflicht auch entsprechen: Soll nämlich durch Zurechnung der Bestand dieser sozialen Sonderbeziehungen garantiert werden 1 0 9 , dann muß es bei den über „gegenseitige Liebe" der Partner definierten Gemeinschaftsbeziehungen den Beteiligten verwehrt sein, sich stets auf Kosten des anderen einer drohenden Gefahr zu entziehen. Denn die i n der Rettung aus der Not auf Kosten des Partners zum Ausdruck kommende „Lieblosigkeit" symbolisiert zugleich die Belanglosigkeit solcher Beziehungen als Modelle der Lebensgestaltung 110 . Hierher gehören auch die der „tatsächlichen Übernahme" einer Schutzfunktion — außerhalb einer berufsspezifischen Pflichtenstellung 106 F ü r die Unterscheidung der „besonderen Rechtsverhältnisse" zu den nach der Generalklausel des § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB zum Ertragen der N o t standslage verpflichtenden „besonderen Gefahrtragungs- u n d Duldungspflichten"; Rudolphi, i n : SK StGB 3 , § 35 Rdn. 18; Lenckner, i n : Schönke/ Schröder 21 , § 35 Rdn. 37: Bei den letzteren handele es sich u m „Sonderpflichten", die dem Notstandstäter „lediglich m i t Rücksicht auf fremde I n d i v i d u a l interessen auferlegt sind". Bei den „besonderen Rechtsverhältnissen" u m Gefahrtragungspflichten gegenüber der Allgemeinheit. A n der Unterscheidung ist richtig, daß bei den „besonderen Rechtsverhältnissen" das Leistungsprogramm der übernommenen oder zugeschriebenen Rolle regelmäßig exakt definiert, die Leistungsgegenstände aber allein dem Typus nach bestimmt sind, während die Leistungsprogramme der sozialen Rollen, die sonst (den Umständen nach) zur Duldung einer Notstandslage verpflichten, i n der Regel diffus, der Leistungsgegenstand aber i n d i v i d u e l l bestimmt ist: Das Gemeinsame aber, das die Unterscheidung v o n Allgemein- u n d Sonderinteressen freilich verdeckt, ist der Gedanke des „Institutionenschutzes". 107

Dazu 2. T e i l 2. Abschnitt I. C. 3. a. Vgl. dazu auch Rudolphi, i n : SK StGB 3 , § 35 Rdn. 18. 109 Dazu 2. T e i l 2. Abschnitt I. C. 3. a. 110 Die Grenzen der Verpflichtung, Notlagen zu bestehen, sind analog den Grenzen der Garantenhaftung zu bestimmen: vgl. dazu 2. T e i l 2. Abschnitt I. C. 3. b. 108

I. Der G r u n d der Entschuldigung beim Notstand

315

— entsprechenden sozialen S o n d e r b e z i e h u n g e n u n d d i e der „ Ü b e r n a h m e " v e r w a n d t e n B e z i e h u n g e n aus e i n e r G e f a h r e n g e m e i n s c h a f t , e i n e r E x p e d i t i o n u s w . : A u c h aus diesen P f l i c h t e n s t e l l u n g e n k a n n sich die V e r p f l i c h t u n g ergeben, typische G e f a h r e n d e r j e w e i l i g e n G e m e i n schaften z u bestehen, K o n f l i k t e n i c h t z u L a s t e n d e r a n d e r e n B e t e i l i g t e n zu lösen111. Die V e r p f l i c h t u n g z u m Bestehen einer Notstandslage dient i n diesen F ä l l e n d e r G a r a n t i e v o n „ V e r t r a u e n " ; n i c h t i m S i n n e eines „ S y s t e m v e r t r a u e n s " als V e r t r a u e n i n das adäquate F u n k t i o n i e r e n ausd i f f e r e n z i e r t e r sozialer R o l l e n oder I n s t i t u t i o n e n ( w i e es d e m Ausschluß der E x k u l p a t i o n bei den „besonderen Rechtsverhältnissen" zugrunde liegt), sondern der Garantie i n d i v i d u e l l e n , personalen Vertrauens i n den rechtlich garantierten Grenzen 112; denn sollen V e r t r a u e n u n d die d u r c h „ V e r t r a u e n " v e r m i t t e l t e n sozialen L e i s t u n g e n n i c h t u n m ö g l i c h w e r d e n , d a n n m u ß es dem, d e m b e s t i m m t e G ü t e r a n v e r t r a u t w u r d e n , v e r w e h r t sein, sich stets a u f K o s t e n des V e r t r a u e n d e n aus e i n e r G e fahrenlage zu befreien 113. bb) Z u r S t r a f m i l d e r u n g f ü r d e n sonst d e n U m s t ä n d e n nach z u r G e f a h r t r a g u n g V e r p f l i c h t e t e n D i e Regeln, n a c h d e n e n f ü r den, d e r „sonst d e n U m s t ä n d e n nach" z u m E r t r a g e n d e r N o t s t a n d s l a g e v e r p f l i c h t e t ist, die S t r a f e zu m i l d e r n 111 Lenckner, i n : Schönke / Schröder 21 , § 35 Rdn. 37; Stratenwerth, AT3, Rdn. 613. 112 Z u der Unterscheidung Luhmann, Vertrauen, S. 40 ff., 50 ff. 113 Pflichten, die „sonst den Umständen nach" verpflichten, Notstandslagen zu bestehen, sind einmal das notwendige Korrelat zu institutionalisierten Hilfspflichten. Sie sind zum anderen aber die Korrelate v o n Pflichten, E i n griffe i n den eigenen Güterkreis zu dulden. So ist ein Notstandstäter auch dann „sonst den Umständen nach" verpflichtet, eine Notstandslage zu ertragen, w e n n das Auferlegen der Pflicht der Garantie der Effizienz i m A l l gemeininteresse angeordneter staatlicher Maßnahmen wegen nötig ist: Wer nach dem Impfgesetz zur I m p f u n g verpflichtet ist, darf sich dieser Pflicht regelmäßig so w e n i g unter Berufung auf einen entschuldigenden Notstand entziehen, w i e der, der nach § 81 a StPO zur Duldung einer Blutentnahme oder der Vollstreckung eines Haftbefehls oder nach § 127 StPO zur D u l d i m g seiner Verhaftung verpflichtet ist; Dreher, S t G B 3 7 , § 35 A n m . 3 C. a); Lenckner, i n : Schönke / Schröder 21 , § 35 Rdn. 30, der „gesetzlich institutionalisierte Duldungspflichten" der genannten A r t zu den „besonderen Rechtsverhältnissen" zählt, soweit der Notstandstäter „ v o m Gesetz i m öffentlichen I n t e r esse vorgesehene Eingriffe" hinnehmen muß: „ Z w a r spricht Satz 2 n u r v o n der Zumutbarkeit, ,die Gefahr* hinzunehmen; doch muß Satz 2 . . . erst recht gelten, w e n n der Betreffende nicht n u r die Gefahr einer Einbuße, sondern — noch weitergehend — den Verlust selbst auf sich zu nehmen hat" (ebenso Jescheck, A T 3 , S. 394). Duldungspflichten i. S. d. § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB können auch das Korrelat zu Eingriffsrechten sein, die i m Individualinteresse bestehen: Wer nach § 34 StGB verpflichtet ist, den Verlust v o n Gütern h i n zunehmen, k a n n sich dem drohenden Verlust nicht durch den E i n g r i f f i n einen fremden Güterkreis entziehen; oder: der, gegen den gemäß § 32 StGB Notwehr geübt w i r d , darf sich dem drohenden Verlust nicht auf Kosten anderer entziehen; Baldus, i n : L K 9 , § 54 Rdn. 6; Dreher, StGB 3 7 , § 35 Anm. 3 A.

316

2. Teil. 4. Abschnitt. Strafmilderungen. Der Notstand

ist, stimmen wegen der Parallelität zu der Haftungsbegründung für die „fürsorgerischen Garantieverhältnisse" weitgehend m i t denen überein, die für die Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB genannt wurden. Für die, die sonst den Umständen nach zur Gefahrtragung verpflichtet sind, ist eine Strafmilderung regelmäßig angezeigt, wenn die Gefahrtragungspflicht ihren Grund i n einem „fürsorgerischen Garantieverhältnis" hatte. Denn das ungewohnt Komplexe der Handlungssituation, das beim Unterlassen der Rettung als Grund der Strafmilderung ausgemacht w u r d e 1 1 4 ist auch bei denen regelmäßig gegeben, die sich aus einer Notstandssituation tätig auf Kosten des Partners befreien. Etwas anderes gilt hier nur für das Verhältnis der Eltern zu ihren minderjährigen Kindern und dann, wenn ein bestimmter Zusammenschluß gerade eingegangen wurde, u m ungewohnten Gefahren zu steuern: Für die i n einer Gefahrengemeinsachft oder einer Expedition Verbundenen ist eine Strafmilderung nicht angezeigt, wenn sich der eine auf Kosten des anderen aus einer für den Zusammenschluß typischen Gefahr befreit: Für den Strandwärter kommt eine Strafmilderung nicht i n Betracht, wenn er sich aus einer, durch seine Stellung bedingten Notstandslage auf Kosten eines Badegastes befreit, und für den Leibwächter nicht, der sich den Gefahren eines drohenden Attentats zu Lasten des Bewachten entzieht. Darüberhinaus ist es, i m Verhältnis der Ehegatten zueinander, auch möglich, i m Verweis auf die von den Partnern gelebte „Wirklichkeit" den, der eine bestimmte Notstandslage zu bestehen verpflichtet war, von dem Konflikt, den er zu Lasten des anderen löste, zu distanzieren; dann nämlich, wenn es verständlich ist, daß sich die Partner trotz formalen Verbundenseins durch eine Sonderbeziehung der genannten A r t nicht anders als beliebige Dritte gegenüberstanden. I n Fällen dieser A r t ist eine Strafmilderung angezeigt. Eine Strafmilderung scheidet dagegen aus, wenn die Sonderbeziehung, die einen der Beteiligten zum Tragen der Not verpflichtete, nach der rechtlichen Wertung gegen faktische Auflösungsprozesse i m m u n ist: I n der Beziehung der Eltern zu ihren minderjährigen Kindern. Den Eltern ist es verwehrt, sich darauf zu berufen, ihre Elternliebe sei am Ende; denn der Konflikt kann ohne Inanspruchnahme der Eltern nicht bereinigt werden: Nicht durch Zurechnung zum minderjährigen Kind, das nach der Gestaltung des positiven Rechts „zurechnungsunfähig" ist, und nicht durch die Erklärung als „Zufall": Eine Kindschaftsbeziehung ordnet die Kinder den Eltern „zu". Eine Strafmilderung ist schließlich, parallel zur Strafmilderung bei der „tatsächlichen Übernahme einer Pflichtenstellung", auch möglich, 114

Vgl. 2. T e i l 2. Abschnitt I I I . B. 1.

I I . Zusammenfassung

317

wenn das Opfer durch eigene Nachlässigkeit den Konflikt mitverschuldet h a t 1 1 5 : Wenn sich der Bergwanderer auf einen ersichtlich unzuverlässigen Bergführer eingelassen hat, der sich nun aus einer Notstandslage tätig auf Kosten des Gastes befreit, ist eine Strafmilderung angezeigt, da sich der Bergwanderer das Dilemma auch selbst zuzuschreiben hat. Strafmilderung scheidet dagegen regelmäßig aus, wenn die Pflicht zur Gefahrtragung Korrelat einer i m individuellen oder öffentlichen Interesse bestehenden Eingriffsbefugnis war: Für den Angreifer (§ 32 StGB), der sich, durch den Angegriffenen i n eine Notstandslage gebracht, auf Kosten eines Dritten rettet; für den nach § 34 StGB zur Duldung eines Eingriffs i n seine Güter Verpflichteten, der sich dem drohenden Verlust durch eine Notstandshandlung entzieht; oder für den, nach dem Impfgesetz zur Impfung Verpflichteten, der sich dem Eingriff zu Lasten der Güter Dritter entzieht. n . Zusammenfassung 1. Der Grund der Entschuldigung des Notstandstäters ist dem „psychischen Druck" der Notstandslage allein nicht zu entnehmen: Die Notstandslage hebt die Fähigkeit des Täters zum „Anders-handeln-können" nicht stets auf. Die positiv-rechtliche Ausgestaltung der Regelung des entschuldigenden Notstandes zeigt vielmehr, daß das geltende Recht am Maß der Angst des Täters weitgehend uninteressiert ist 1 1 6 . Jeder Versuch, die Regelung des § 35 Abs. 1 StGB allein i m Subjektiven, aus der psychischen Verfassung des Notstandstäters zu erklären, scheitert darüber hinaus an der objektiven Fassung der Vorschrift über den entschuldigenden Notstand und an der Irrtumsregelung des § 35 Abs. 2 StGB 1 1 7 . Auch eine Verbindung von Unrechts- und Schuldgesichtspunkten zur Erklärung der Entlastung des Notstandstäters führt nicht weiter: Auch der, der zu Gunsten anderer als der i m Katalog des § 35 Abs. 1 StGB aufgeführten Güter handelt, verwirklicht einen geringeren Erfolgs- und Handlungsunwert, und er lädt jedenfalls dann geringere Schuld auf sich, wenn er zu Gunsten für ihn existentiell wichtiger Güter handelt 1 1 8 . 2. Der Grund der Entschuldigung des Notstandstäters ist i m Normativen zu suchen und kann nicht der psychischen Verfassung des Täters abgezogen werden 1 1 9 . Freilich h i l f t dafür die Strafzwecklehre i m gängi115 118 117 118 119

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

2. T e i l 2. Teil 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l

2. Abschnitt 4. Abschnitt 4. Abschnitt 4. Abschnitt 4. Abschnitt

I I I . B. 3. I. B. I. B. 5. u n d 6. I. C. 4. I. C. 4.

2. Teil.

318

. Abschnitt. Strafmilderungen. Der

otst

gen Verständnis nicht weiter: Der Versuch, Grund und Grenzen des entschuldigenden Notstandes aus einer Kombination general- und spezialpräventiver Strafzwecküberlegungen zu begründen, ist u m den Preis des Verzichts auf jegliche Systembildung erkauft 1 2 0 . Die Regelung des entschuldigenden Notstandes unterscheidet nach A r t der Handlungssituation zwischen „alltäglichen" Situationen und Sonderlagen, auf die der Notstandstäter zu seiner Entlastung verweisen darf: Die Entschuldigung gründet i n der Möglichkeit, den Konflikt als entscheidungsirrelevant „zufällig" zu erklären 1 2 1 . § 35 Abs. 1 StGB typisiert das, was als „zufällig" gelten kann, nach der A r t der Kollision bestimmter, existentiell wichtiger und nicht beliebig vermehrbarer Güter; der entschuldigende Notstand generalisiert, und er muß auch generalisieren, wenn Erwartenssicherheit durch strafrechtliche Zurechnung garantiert werden soll 1 2 2 . 3. Die Möglichkeit der Entlastung des Notstandstäters endet, dem Grund der Entschuldigung entsprechend, wo der Konflikt nicht mehr als „zufällig" gelten kann: Für die, die i n einem „besonderen Rechtsverhältnis" standen und deshalb zur Gefahrtragung verpflichtet waren 1 2 3 , und auch für die, die die Notstandslage „verursachten" 1 2 4 . Die Notstandseinschränkung des „Verursachens" einer Gefahrenlage zielt darauf, die unnötigen, also neben den rechtlich verbotenen auch die ohne akzeptablen Grund ausgelösten Gefährdungen dem Verursacher anzulasten 125 . Die Notstandslage zu bestehen hat der Verursacher stets bei rechtswidriger Verursachung, sowie der, der aus inakzeptablen Gründen durch die Inanspruchnahme von Sonderrechten oder durch das Eingehen von Sonderrisiken i n Gefahr geriet 1 2 6 . Nicht verpflichtet ist dagegen, wer die Lage durch gerechtfertigte Vorverhandlungen oder durch solche i n einem erlaubten Risiko verursachte, die aus einem rechtlich positiv bewerteten Anlaß vollzogen wurden 1 2 7 . 4. Zur Strafmilderung: Wer rechtswidrig eine Notstandslage auslöst, ist stets gehalten, diese Lage auch zu bestehen. Die soziale Bedeutung eines Handelns hängt aber immer auch von den Gründen ab, deretwegen gehandelt wurde. Deshalb ist eine Strafmilderung für den rechtswidrigen Verursacher einer Notlage, der sich entgegen seiner Pflicht, diese 120 121 122 123 124 125 126 127

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l

4. Abschnitt 4. Abschnitt 4. Abschnitt 4. Abschnitt 4. Abschnitt 4. Abschnitt 4. Abschnitt 4. Abschnitt

I. I. I. I. I. I. I. I.

D. E. E. 1. E. 2. a. E. 2. b. E. 2. b. aa E. 2. b. bb. E. 2. b. bb.

I I . Zusammenfassung

319

Lage zu bestehen, auf Kosten Dritter aus der Not befreite, dann diskutabel, wenn er aus akzeptablen Gründen durch pflichtwidriges Verhalten i n Not geriet 1 2 8 . Eine Strafmilderung kommt aber nicht i n Betracht für den, der aus nichtigem Anlaß durch rechtswidrige Vorhandlungen i n Not geriet und für die, die durch Vorhandlungen i n einem erlaubten Risiko die aus nicht akzeptablen Gründen vollzogen wurden, eine Notstandslage verursachten 129 . Sonst den Umständen nach i. S. d. § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB zur Gefahrtragung verpflichtet sind zunächst die durch die „fürsorgerischen Garantieverhältnisse" Verbundenen 1 3 0 , aber auch die, die Eingriffe i n den eigenen Güterbestand zu dulden haben 1 3 1 . Zur Strafmilderung i n diesen Fällen: Für die i m Pflichtgrund der „fürsorgerischen Garantieverhältnisse" wurzelnden Gefahrtragungspflichten w i r d eine Strafmilderung wegen des ungewohnt Komplexen der Notstandssituation regelmäßig angezeigt sein 1 3 2 . Ausgenommen sind freilich die Eltern i m Verhältnis zu ihren minderjährigen Kindern und die Garanten, bei denen der Zusammenschluß gerade die Steuerung des ungewohnt Gefahrvollen bezweckte: Gefahrengemeinschaften, Expeditionen, der Leibwächter usw. 1 3 3 . Eine Strafmilderung scheidet dagegen aus für die, die sich einem erlaubten Eingriff i n ihren Güterbestand auf Kosten der Güter Dritter entziehen 134 .

128 129 130 131 132 133 134

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. Teil 2. T e i l 2. T e i l

4. Abschnitt I. E. 2. b. 4. Abschnitt I. E. 2. b. 4. Abschnitt I. E. 2. c. 4. Abschnitt, Fn. 113. 4. Abschnitt I. E. 2. c. 4. Abschnitt I . E. 2. c. 4. Abschnitt I. E. 2. c.

bb bb. aa. bb. bb. bb.

Dritter

Teil

Zusammenfassung I.

1. Der Streit über die Auslegung der nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB w i r d für gewöhnlich als Streit über die Geltung des Doppelverwertungsverbotes des § 46 Abs. 3 StGB i n diesen Fällen geführt: Sei es, daß für eine Gesamtbetrachtung behauptet wird, das Doppelverwertungsverbot gelte nicht wegen der i m Vergleich zu den Tatbestandsmerkmalen prinzipiell unterschiedlichen Struktur der Entscheidungsfindung bei den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen; denn der Richter wende hier nicht Recht an, er finde Recht. Das Doppelverwertungsverbot aber gründe i n dem Gedanken eines „arbeitsteiligen Verhältnisses von Gesetz und Richter", so daß es schon deshalb dem Richter nicht verwehrt sein könne, „strafrahmenbildende Umstände" (Strafbemessungsgründe) nochmals zu verwerten 1 . Sei es, daß für die Geltung des Doppelverwertungsverbots, auch für die nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafrahmenänderungen ins Feld geführt wird, es könne für die Anwendbarkeit des § 46 Abs. 3 StGB keinen Unterschied machen, ob der Gesetzgeber entscheide und der Richter die Entscheidung des Gesetzgebers nur vollziehe, oder ob der Richter an Stelle des Gesetzgebers entscheide. Das Doppelverwertungsverbot jedenfalls gelte i n beiden Fällen gleichermaßen. Eine „Gesamtbetrachtung" schon als Voraussetzung der Strafrahmenwahl sei demzufolge unzulässig, da sie zu einer „Doppelverwertung strafrahmenbildender Umstände" nötige: Für die Strafrahmenwahl sei allein auf Versuchs-, Unterlassens- oder verbotsirrtumsbezogene Strafzumessungsgründe abzustellen 2 . Freilich sind die Prämissen, unter denen der Streit über die Auslegung der nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen aus der Sicht des „Doppelverwertungsverbotes" des § 46 Abs. 3 StGB geführt wird, i m Lichte der Ergebnisse der neueren Methodenlehre unzutreffend 3 : Schon das Doppelverwertungsverbot für Tatbestandsmerk1 2 3

Vgl. 1. T e i l I. D. 1. Vgl. 1. T e i l I. D. 2. Vgl. 1. T e i l I I . A . 1. a.

Zusammenfassung

321

male ist nicht i n dem Gedanken der „Arbeitsteilung von Gesetz und Richter" fundiert. Rechtsanwendung ist immer mehr als bloße Gesetzesexekution; sie ist stets auch ein durch Willensakte und Wertungen des Rechtsanwenders mitbestimmter Prozeß der Rechtsschöpfung 4. Wenn es aber nicht selten der Richter ist, der das Recht i m A k t der Auslegung am Fall erst konstituiert, kann es i h m der „Arbeitsteilung von Gesetz und Richter" wegen nicht stets verboten sein, das von i h m „er"-fundene Recht i n der Strafzumessung nochmals zu verwerten 5 . Diese Sicht der Rechtsanwendung t r i f f t nun freilich nur die gängige Begründung des Doppelverwertungsverbotes, nicht aber die unter dem Titel der „Doppelverwertung" schon seit langem praktizierte Rechtsanwendung: Das Doppelverwertungsverbot ist ein generalisierender Anwendungsfall der materiell-rechtlichen Begründungspflicht der Strafzumessungsentscheidung. Eine Begründung der Entscheidung i n der Strafzumessung, die sich i n der Wiederholung der Tatbestandsmerkmale erschöpft, ist keine, die Kontrolle durch das Revisionsgericht erlaubende hinreichende Begründung 6 . So gesehen führt der Streit über die Auslegung der nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB nicht weiter, soweit er mit dem Argument geführt wird, eine Gesamtbetrachtung aller für die Strafzumessung erheblichen Umstände schon als Voraussetzung der Strafrahmenwahl sei trotz des Doppelverwertungsverbotes zulässig, oder, für die Gegenposition m i t dem Argument, eine Gesamtbetrachtung sei gerade des Doppelverwertungsverbotes wegen unzulässig: Ist das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB nur Derivat der materiell-rechtlichen Begründungspflicht der Strafzumessungsentscheidung, folgt aus i h m ein Argument weder für die eine noch für die andere Ansicht. Den Streit u m die Auslegung der nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB mit Argumenten aus dem Doppelverwertungsverbot zu führen, ist eine Scheinkontroverse, die die materiellen Probleme der Auslegung der fakultativen Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB eher verdunkelt als erhellt: Das Problem ist das der zureichenden Begründung der Strafrahmenänderung i n diesen Fällen, und nicht das des Erlaubtseins oder Verbotenseins einer Doppelverwertung „strafrahmenbildender Umstände". Diese Kontroverse verdunkelt vielmehr das Ziel der Auslegung der fakultativen Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB: Bei allen Unterschieden nämlich bleiben die „Gesamtbetrachtungslehren" wie auch die Lehre von den „ver4 5 6

21

Vgl. 1. Teil I I . A . 1. b. Vgl. 1. Teil I I . A . 1. c. Vgl. 1. Teil I I . A . 2. Timpe

322

3. Teil. Zusammenfassung

suchs-, Unterlassens- oder verbotsirrtumsbezogenen" gründen am Einzelfall haften.

Strafzumessungs-

Die Entscheidung über die Strafrahmenwahl bleibt, unter weitgehendem Verzicht auf jegliche Rechtssicherheit und generalisierungsfähige Aussagen der unmittelbaren Dezision aus der Anschauung des Einzelfalles überlassen 7 . Es gilt aber bei der Auslegung der fakultativen Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB, über den Einzelfall hinaus zu verallgemeinerungsfähigen Aussagen über die Bedingungen der Strafrahmenwahl zu gelangen, wofür sich der Weg einer Differenzierung nach Fallgruppen erhöhter oder verminderter Strafwürdigkeit jeweils zu dem fakultativen Strafmilderungsgrund des Allgemeinen Teils des StGB anbietet 8 . 2. Werden aber bei den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB die Bedingungen der Strafrahmenwahl i m Wege einer Fallgruppendifferenzierung konkretisiert 9 , ergeben sich für die Handhabung des Doppelverwertungsverbotes des § 46 Abs. 3 StGB keine Besonderheiten gegenüber den Tatbestandsmerkmalen: Das Doppelverwertungsverbot gilt als Anwendungsfall der materiell-rechtlichen Begründungspflicht der Strafzumessungsentscheidung auch für die fakultativen Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB. Der Richter darf mit dem Argument, der zur Entscheidung stehende Fall gehöre einer Fallgruppe minder strafwürdiger Fälle des jeweiligen Milderungsgrundes an, zwar seine Entscheidung i n der Strafrahmenwahl begründen; i h m ist es aber verwehrt, die Zugehörigkeit des zu entscheidenden Falles zu dieser Fallgruppe auch zur Begründung der nach dem gewählten Strafrahmen zu bemessenden Strafe zu verwerten. Eine Begründung der Entscheidung i n der Strafzumessung i. e. S., die sich auf die Angabe einer Fallgruppe beschränkt, ist keine hinreichende Begründung, da sie das Revisionsgericht nicht i n die Lage versetzt, die vom Tatsachengericht gegebene Strafzumessungsbegründung zu überprüfen. Beispielhaft: Der Richter darf den nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen mit der Begründung wählen, der Grund des Abstehens von der Tatbestandsverwirklichung sei schon als rücktrittsähnlich zu werten; i h m ist es aber nicht mehr gestattet, allein die Tatsache, daß die Aufgabe des Tatplanes rücktrittsähnlich war, für die Strafzumessung nach dem Sonderstrafrahmen nochmals zu verwerten. Erlaubt ist ihm aber die 7

Vgl. 1. Teil I I . A . 1. b. Vgl. 1. T e i l I I . A . 3. 9 Vgl. zu § 23 Abs. 2 StGB 2. T e i l 1. Abschnitt; zu § 13 Abs. 2 StGB 2. T e i l 2. Abschnitt; zu § 17 Satz 2 StGB 2. Teil 3. Abschnitt; zu § 35 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz StGB 2. T e i l 4. Abschnitt. 8

Zusammenfassung

323

konkrete Ausgestaltung dieses Umstandes i m Einzelfall bei der Strafzumessung i. e. S. zu berücksichtigen: Die größere oder geringere Nähe der schon rücktrittsähnlichen Tataufgabe zum strafbefreienden Rückt r i t t usw. Oder: Der Richter darf, beim Garantenunterlassen (§ 13 Satz 2 StGB), die Wahl des Sonderstrafrahmens damit begründen, daß die Ehegatten wegen der Zerrüttung ihrer Ehe sich nicht anders als beliebige Dritte gegenübergestanden hätten. Verwehrt ist i h m aber, die Strafe nach dem Sonderstrafrahmen allein unter Hinweis auf die Zerrüttung der Ehe nochmals zu mildern. Dagegen darf er das Maß der Zerrüttung der Ehe als Strafzumessungsgrund bei der Strafzumessung i. e. S. berücksichtigen. Oder: Beim Handeln i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis darf der Richter die Wahl des gemilderten Strafrahmens damit begründen, daß sich der i n Rechtsunkenntnis Handelnde immerhin noch erkundigt habe, wenn auch nicht bei einer vertrauenswürdigen Stelle. Dieser Umstand allein darf die nach dem Sonderstrafrahmen zu bemessende Strafe aber nicht erneut mildern, sondern nur seine Ausprägung i m konkreten Fall: Erst das Ausmaß des Leichtsinns des Täters ist für den Richter ein legitimer Strafzumessungsgrund. Beim Verursachen einer Notstandslage darf der Richter auf den Sonderstrafrahmen umschalten, wenn der Täter aus vernünftigen Gründen durch rechtswidriges Handeln die Notstandslage verursachte. Für die Strafzumessung aber darf er sich nicht auf die Wiederholung dieses Umstandes beschränken; er muß vielmehr den allgemeinen Milderungsgrund i n seiner konkreten Ausgestaltung i m Einzelfall für die Strafzumessung nach dem Sonderstrafrahmen zu Grunde legen. 3. Ein letztes: W i r d für die Strafrahmenwahl bei den nach § 49 Abs. 1 StGB zugelassenen Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB auf eine Unterscheidung nach Fallgruppen minderer Strafwürdigkeit abgestellt, sind bei einer Kumulierung von Strafmilderungsgründen nicht selten Fallgestaltungen denkbar, i n denen eine Strafmilderung nach Mäßgabe des Milderungsschlüssels des § 49 Abs. 1 StGB allein nicht ausreicht. Beispielhaft: Der Versuchstäter, der zu einem fast schon „grob unverständigen" Versuch ansetzt, gibt die Tat aus Gründen auf, die als rücktrittsähnlich zu werten sind. Oder: Der Ehemann, der mit seiner Frau i n einer ersichtlich gescheiterten Ehe zusammenlebt, rettet sich bei einem Brand des noch gemeinsam bewohnten Hauses auf Kosten der Ehefrau, obgleich er nach § 35 Abs. 1 Satz 2 StGB sonst den Umständen nach verpflichtet war, die Notlage zu bestehen usw. Kumulieren aber zu einem fakultativen Strafmilderungsgrund des StGB Strafmilderungsgründe, die je für sich zu einer Strafrahmenänderung nach § 49 Abs. 1 StGB hinreichen, ist eine mehrfache Anwendung des Milderungsschlüssels des § 49 Abs. 1 StGB gerade so angezeigt, wie beim Zusammentreffen verschiedener Milderungsgründe des 21*

324

3. Teil. Zusammenfassung

StGB, sofern die verschiedenen Strafrahmenänderungsgründe jeweils auf einer unterschiedlichen Tatsachengrundlage beruhen.

nur

Darüber hinaus sind auch sonst Fallgestaltungen denkbar, bei denen — bei Tatbeständen mit einer i m Strafminimum selten nicht unerheblich angehobenen Strafrahmenuntergrenze — eine Strafrahmenänderung nach § 49 Abs. 1 StGB allein dem Schuldgehalt der Tat nicht angemessen ist: Beim Handeln i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis nicht selten i n den Fällen eines indirekten Verbotsirrtums oder auch bei einem Handeln i n erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB). Hier kann es i m Einzelfall geboten sein, die Rechtsfolgeregelung der §§ 23 Abs. 3, 49 Abs. 2 StGB entsprechend anzuwenden: Liegt beim Handeln i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis oder i n erheblich verminderter Schuldfähigkeit ein Fall deutlich verminderter Strafwürdigkeit vor, dessen Schuldgehalt eine Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB allein nicht gerecht wird, kann ausnahmsweise eine besondere Strafmilderung analog § 23 Abs. 3 StGB angezeigt sein, die bis zu einem Absehen von Strafe reicht 1 0 ; freilich zu Lasten der Rechtssicherheit bei den dann entstehenden schon fast rechtsstaatswidrig weiten Strafrahmen. II. A. 1. a) Die Untersuchung hat nicht nur einen Weg für die Strafrahmenwahl nach § 49 Abs. 1 StGB aufgezeigt, 11 der rechtsstaatlichen Anforderungen eher genügt als eine „Gesamtbetrachtung" von Tat und Täter, sondern zudem Ansätze zu einer allgemeinen Definition der Zurechnung erbracht: Stets geht es bei der Zurechnung u m die Bildung von Zuständigkeiten und u m das Aushandeln von Zuständigkeiten zwischen Subsystemen einer Ordnung unter dem Aspekt des Ausgleichs einer sozialen Störung. Eine soziale Störung ist dabei nichts Gegenständliches: nicht der Verlust eines Gutes oder die Gefährdung eines Gutes, sondern die — wenn auch regelmäßig durch Gegenständliches vermittelte — Desorientierung sozialen Handelns durch einen Normbruch. b) Beim „grob unverständigen" Versuch 12 fehlt es nicht schon an einer sozialen Störung, weil i h m die Erfolgseignung fehlt. Für die Aus10 Vgl. dazu schon Welzel, Nds. Bd. 2, S. 9; Krümpelmann, G A 1968, S. 147 (: für den i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis Handelnden). Anders aber F.-C. Schroeder, in: L K 1 0 , § 17 Rdn. 49, der „ein Absehen v o n Strafe (für) unzulässig" hält, „jedoch . . . eine Einstellung nach § 153 StPO (für) möglich u n d naheliegend". 11 Vgl. 2. T e i l 1. Abschnitt I I . B.; 2. T e i l 2. Abschnitt I I I . A . u n d B.; 2. T e i l 3. Abschnitt I I I . ; 2. T e i l 4. Abschnitt I. E. 2. b. bb u n d c. bb. 12 Vgl. 2. T e i l 1. Abschnitt I I . B. 2. c.

Zusammenfassung

325

legung des Begriffs des „Unverstandes" kommt es auf die Vollendungseignung des vom Täter Geplanten überhaupt nicht an; denn kann ein Versuch zurechenbar zur Vollendung führen, ist er nicht unverständig; ist er aber unverständig, so ist er allenfalls zufällig tauglich und kann deshalb niemals zurechenbar zur Vollendung führen. 1 3 Der „grob unverständige" Versuch bringt keine soziale Störung, weil er aus der Sicht der anderen, an einer vernünftigen Welt orientierten Bürger keinen bösen Willen manifestiert. 14 Erst wenn das, was der Täter als Gegenmodell zu dem von der Norm entworfenen Modell einer Welt i n seinem Verhalten expressiv macht, zumindest noch als nachvollziehbare Alternative eigenen rechtsuntreuen Wollens plausibel ist, werden die Orientierungsleistungen der Normen problematisiert. Fehlt es daran, hat der „Unverständige" die Solidarität der Rechtstreuen verloren und mangels einer soziales Handeln desorientierenden Stellungnahme zum Recht fehlt das Bedürfnis, das ins Werk Gesetzte als „böse Tat" zu definieren. 15 2. a) Der für die Zurechnung dogmatisch gewichtige Schnitt verläuft für eine Zurechnungslehre, die für die Begründung von Haftung nach der Zuständigkeit des Täters fragt, nicht zwischen Begehung und Unterlassung, sondern zwischen den Herrschaftsdelikten und den Unterlassungsdelikten i n Verkehrspflichtigkeit und nach Ingerenz auf der einen, und den Pflichtdelikten als Handlungspflichtdelikten und den Unterlassungsdelikten i n „institutioneller Zuständigkeit" („fürsorgerische Garantieverhältnisse") auf der anderen Seite. 16 b) Wie beim Begehen der Bereich, für den der Täter eines Herrschaftsdelikts zuständig ist, davon abhängt, was als i h m zugehöriges System definiert wird, so hängen auch die Zuständigkeiten des Verkehrspflichtigen und des Ingerenten von der Definition ihrer Systeme ab. Beim Begehen 17 ist das dem Subjekt zugehörige System über Körper und Psyche definiert: Dem Subjekt w i r d derjenige Bereich als sein Zuständigkeitsbereich zugeschlagen, von dessen Ausgestaltung die anderen ausgeschlossen sind, seil, der Bereich seiner Motive und Handlungen. Bei den Verkehrspflichten 1 8 ist der Zuständigkeitsbereich des Subjekts über Werkzeuge und sächliche Hilfsmittel definiert; diesen Bereich hat er so abzusichern, daß Dritten durch Außenwirkungen kein Schaden entsteht. Bei der Ingerenz 19 schließlich w i r d das dem Subjekt zugehö13 14 15 16 17 18 19

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

2. Teil 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l

1. Abschnitt 1. Abschnitt 1. Abschnitt 2. Abschnitt 2. Abschnitt 2. Abschnitt 2. Abschnitt

I I . B. 2. a. bb. I I . B. 2. c. I I . B. 2. c. I. C. 2. e. I. C. 2. c. aa. I. C. 2. c. bb. I. C. 2. c. cc.

326

3. Teil. Zusammenfassung

rige System nicht über Handlungen oder über sächliche Hilfsmittel definiert, sondern über die revozierbaren Folgen eines gefährdenden Verhaltens oder des gefährdenden Gebrauchs sächlicher Hilfsmittel. Das Besondere der Ingerenz gegenüber der Handlung besteht einzig darin, daß bei der Handlung eine andere Zuständigkeit für Psyche und Körper als diejenige eines Subjekts nur noch ausnahmsweise diskutabel ist, während (bei Ingerenz) bei revozierbaren Folgen von Handlungen mehrere Subsysteme einer Ordnung u m die Zuständigkeit konkurrieren können. 20 Daß bei Begehungen die Zuständigkeit des Handelnden i n der Regel unproblematisch ist, während sie bei Unterlassung stets begründet werden muß (Garantenstellung), hat seinen Grund nach dieser Sicht allein darin, daß es beim Unterlassen eher als beim Begehen möglich ist, ohne Inanspruchnahme eines personalen Subsystems einer Gesellschaft andere Unterabteilungen der Ordnung als allein relevante Konfliktursachen zu definieren oder den Konflikt als Zufall zu erklären. 2 1 Dieser Unterschied zwischen Tun und Unterlassen bedeutet freilich keine Differenz i n der Begründung von Haftung zwischen T u n und Unterlassen; denn auch beim Begehen muß zur vermeidbaren Verursachung eine Zuständigkeit für die Folge hinzukommen, die zwar anders als beim Unterlassen praktisch i n der Regel gegeben ist, aber doch nicht immer. Die nur mittelbar vermeidbare Verursachung eines Erfolges ist nach der Lehre vom Regreßverbot 22 dann nicht notwendige und zugleich auch hinreichende Bedingung für die Zurechnung der Folgen, wenn das verursachende Verhalten zur Zeit seiner Vornahme seinem sozialen Sinn nach nicht nur bei einer Komplettierung durch eine tatbestandsmäßige Handlung sinnvoll motiviert war. 3. a) Über Schuld und Entschuldigung entscheidet nicht allein ein psychischer Befund bestimmter Quantität beim Täter; immer auch sind die sozialen Folgen einer Entlastung mit zu bedenken. Die Freiheit von Schuld muß auch sozial akzeptabel sein, und d.h.: Zwischen Täter, Opfer und Gesellschaft ist auszuhandeln, welche motivationsrelevanten Bedingungen der Tat zur Zuständigkeit des Täters gehören und auf welche Faktoren er als für i h n nicht verfügbar verweisen kann. b) Beim Verbotsirrtum und beim entschuldigenden Notstand interessiert deshalb für die Begründung von Schuld und die Festlegung ihres Maßes nicht die psychische Verfassung des Subjekts, sondern die Zuständigkeit des Subjekts für seine Verfassung. 23 20 21 22 23

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l

2. Abschnitt 2. Abschnitt 1. Abschnitt 3. Abschnitt

I. C. 2. d. cc. I . C. 2. b. I I . B. 3. b. I I . A . u n d B.

Zusammenfassung

327

aa) Für die Begründung von Schuld beim Handeln i n vermeidbarer Rechtsunkenntnis kann es schon deshalb nicht u m die Ermittlung eines psychischen Befundes gehen, weil schon bei Unrechtskenntnis ein faktisch verstandener Anlaß zur Rechtsbefolgung fehlt, wie die Tat beweist. 2 4 Darüber hinaus bringt die Bindung von Zurechnung und die Festlegung des Zurechnungsmaßes an einen psychischen Befund beim Täter nicht selten axiologisch ungereimte Ergebnisse: Sie belastet den Skrupelhaften, begünstigt aber den, der aus Gleichgültigkeit dem Recht gegenüber das Recht nicht bedenkt. 25 Bei der Frage nach der Schuldhaftigkeit eines Handelns i n Rechtsunkenntnis geht es vielmehr u m die Feststellung, ob die Handlung Ausdruck eines Mangels an Rechtstreue war oder ob der Täter von seinem I r r t u m distanziert werden kann. 2 6 Es ist also zu ermitteln, wieviel an sozialer Notwendigkeit dem Irrenden aufgebürdet werden muß, und wieviel an Unkenntnis des Täters von der Gesellschaft hingenommen werden kann, ohne daß jeweils die generalpräventive Funktion des Straf rechts leidet. Der Begriff der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums ist demnach ein vom Strafzweck abhängiger Begriff. bb) Auch die Ausgestaltung des entschuldigenden Notstandes nach geltendem Recht ist nur vom Strafzweck her verständlich. Daß beim entschuldigenden Notstand über die Zurechnung nicht die psychische Lage des Täters entscheidet, sondern allein die Zuständigkeit des Täters für diese Lage, zeigen die Notstandseinschränkungen des „Verursachens" einer Gefahrenlage und des besonderen Pflichtverhältnisses; denn i n den dort geschilderten Situationen bleibt der psychische Druck identisch gleich 27 . Die nicht psychologisierende, sondern normative Lösung zeigt sich auch daran, daß i m Güterkatalog des § 35 StGB ein Handeln zur Vermeidung des Verlustes auch erheblicher wirtschaftlicher Werte oder gar der bürgerlichen Existenz fehlt. I m Maß der psychischen Belastung besteht zwischen dem drohenden Verlust w i r t schaftlicher Werte und dem drohenden Verlust der i n § 35 StGB genannten Güter nicht notwendig ein Unterschied. Wohl aber besteht der Unterschied bei wertender Betrachtung: § 35 StGB nennt nicht das, was determiniert i m Gegensatz zu anderen psychisch belastenden Befunden, die nicht determinierten, sondern die Vorschrift unterscheidet zwischen nicht generalisierbaren Sonderlagen und ubiquitären Determinanten eines Handelns. 28 Ein Täter kann erst entschuldigt werden, wenn er für die Genese seiner Motivation unzuständig ist, weil die 24 25 26 27 28

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

2. Teil 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. Teil

3. Abschnitt 3. Abschnitt 3. Abschnitt 4. Abschnitt 4. Abschnitt

I. A . I I I . B. II. A. I. B. I. E.

328

3. Teil. Zusammenfassung

Genese ihrerseits als Zufall oder als Tat eines Dritten definiert werden kann. 2 9 Das „Verursachen" einer Gefahrenlage und das Bestehen eines besonderen Rechtsverhältnisses dagegen lassen auch bei einer nahen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit eine Verlagerung der Zuständigkeit des Subjekts für den Konflikt oder seine Erklärung als Zufall nicht mehr zu. Ubiquitäre Befunde, insbesondere auch die Angst vor dem Verlust des ganzen Vermögens, entlasten nie, gleich wie stark sie den Einzelnen auch belasten mögen; für die Verarbeitung solcher A n triebe muß jedermann zuständig sein, wenn gesellschaftliche Ordnung überhaupt organisierbar sein soll. B. 1. Versuch

Die Versuchsstrafe ist i m Vergleich zur hypothetischen Vollendungsstrafe stets zu mildern; denn ein voller Geltungsschaden für die Norm fehlt selbst noch beim beendeten Versuch. 80 Daß beim Versuch die Erfolglosigkeit die Strafe stets mildert, besagt aber noch nichts darüber, i n welchen Fällen innerhalb des Regelstrafrahmens zu mildern ist und i n welchen Fällen über § 49 Abs. 1 StGB. Über eine Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB entscheiden erst die Ähnlichkeit des Projekts mit einem unverständigen Versuch 31 oder rücktrittsähnliches Nachtatverhalten. 32 2.

Unterlassen

Beim Unterlassen kann die Zuständigkeit des Täters für die Folgen entweder institutionell vermittelt sein (fürsorgerische Garantieverhältnisse) oder aber durch die Zuschreibung von Herrschaftssphären. Ist die Zuständigkeit des Täters institutionell vermittelt, 3 3 so ist der Haftungsumfang der Garantieverhältnisse durch die Ausgestaltung der Ordnung normativ bedingt, für die die jeweilige Institution zu garantieren ist. Eine Erstreckung der Garantenpflicht über die nach der sozialen Planung vorgesehenen sozialen Sonderbeziehungen (Ehe, Eltern-Kind-Verhältnis) auf nur-individuell funktionale Äquivalente (die eheähnliche Lebensgemeinschaft usw.), kommt regelmäßig nicht i n Betracht, weil die Anerkennung dieser Äquivalente die Institution i n Frage stellen und Folgeprobleme aufwerfen würde, die m i t den gegenwärtig zur Verfügung stehenden Rechtsregeln nicht abzuarbeiten sind. 34 29 80 81 82 88 84

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l

4. Abschnitt 1. Abschnitt 1. Abschnitt 1. Abschnitt 2. Abschnitt 2. Abschnitt

I. E. 1. I. A . 3. I I . B. 2. c. I I . B. 3. a. I. C. 3. a. I. C. 3. b.

Zusammenfassung

329

Ist das dem Subjekt zugehörige System über revozierbare Folgen eines gefährdenden Verhaltens definiert 3 5 (bei der Ingerenz), ist mit der Zugehörigkeit der Folgen zu diesem System die Zuständigkeit des Subjekts für diese Folgen allein noch nicht begründet: Bei revozierbaren Folgen eines Verhaltens können mehrere Subsysteme einer Ordnung u m die Zuständigkeit der Folgen konkurrieren. Die Entscheidung der Konkurrenz ist dabei — entgegen der h. L. — nicht der Entgegensetzung von rechtmäßigem oder rechtswidrigem Verhalten zu entnehmen, sondern danach zu entscheiden, ob der Handelnde ein Sonderrisiko beanspruchte oder nicht. Die Beschränkung des pflichtbegründenden Verhaltens auf pflichtwidrige Gefährdung würde die Möglichkeit abschneiden, nach den unterschiedlichen Gründen einer Risikoerlaubnis zu differenzieren 36 . Beim Unterlassen des Verkehrspflichtigen und des Ingerenten ist eine Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme möglich. 37 Ist der Unterlassende zuständig für das Unterbleiben des Erfolges (oder der Tathandlung), so ist er auch neben einem aktiv Handelnden selbst Täter. Gehilfe neben einem Begehungstäter ist er, wenn er für die Nichtverfügbarkeit von Tatmitteln usw. zuständig ist. Anders bei den Garanten kraft „institutioneller Zuständigkeit" für ein Gut: 3 8 Da der Garant hier dafür einzustehen hat, daß ein Gut überhaupt Bestand hat und nicht nur dafür, daß der eigene Lebenskreis ein Gut nicht schädigend tangiert, ist die Beziehung des Garanten zum Gut stets unmittelbar, also ohne akzessorische Vermittlung und deshalb immer täterschaftlich, auch bei nur beiläufigem Beitrag durch Tun. 3. Verbotsirrtum

und bedingtes

Unrechtsbewußtsein

Beim Verbotsirrtum ist zwischen einem I r r t u m über die zum Kernbereich des Normenbestandes einer Gesellschaft zählenden Vorschriften und einem I r r t u m über änderbares, positiviertes Recht zu unterscheiden. I m ersten F a l l 3 9 gehört die Rechtskenntnis regelmäßig zur Zuständigkeit des Subjekts; etwas anderes gilt nur, wenn der Irrende als Befund eine restlos fremde Sozialisation zur Distanzierung von seiner Unkenntnis vorbringen kann. I m zweiten praktisch allein bedeutsamen Fall eines Irrtums über positiviertes Recht ist Thema der Zurechnung nicht die Garantie von Normen u m ihrer Inhalte willen, sondern die Garantie des Geltungs35 36 37 38 39

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

2. T e i l 2. Teil 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l

2. Abschnitt 2. Abschnitt 2. Abschnitt 2. Abschnitt 3. Abschnitt

I. C. 2. c. cc. I. C. 2. d. cc. I I . B. 2. I I . C. II. A.

330

3. Teil. Zusammenfassung

grundes positivierten Rechts. 40 Den Geltungsgrund änderbaren Rechts stellt ein Handeln i n Rechtsunkenntnis aber nicht stets i n Frage: Wer sich vor der Tat genügend sorgfältig u m Rechtskenntnis bemüht hat, greift den Geltungsgrund änderbaren Rechts nicht an, weil er vom Konflikt distanziert werden kann, gleich, ob er trotz seiner Erkundigung noch an der Rechtmäßigkeit des Geplanten zweifelt oder nicht. 4 1 Er ist für den Konflikt unzuständig, weil andere Unterabteilungen der Ordnung als allein relevante Konfliktursachen definiert werden können. Zuständig für die Rechtsunkenntnis ist erst der i m Umgang mit dem Recht Unsorgfältige; unsorgfältig verhält sich, wer i n stereotypen Angelegenheiten des eigenen Lebenskreises über das Recht i r r t , weil hier der I r r t u m nicht mehr als Konsequenz eines einmaligen Versagens definiert werden kann, sondern schon eine Haltung indiziert, die den Geltungsgrund änderbaren Rechts gefährdet. 42 Beim Handeln i n Rechtsunkenntnis kann zur Quantifizierung der Schuld auf „Täterschuld" 4 3 nicht verzichtet werden. Bei der Begründung von „Täterschuld" geht es dabei nicht darum, den Täter durch Vorhaltungen aus seiner Vita zu belasten, sondern i h m eine entschuldigende Berufung auf die eigene Konstitution i n den Fällen abzuschneiden, i n denen die Bedingungen dieser Konstitution (Elternhaus, Schule, Fürsorgeerziehung, Freiheitsstrafe usw.) nicht als Konfliktursachen definiert werden können, weil Alternativen zu ihnen nicht realisierbar sind. 4. Entschuldigender

Notstand

Trotz einer psychischen Belastung des Täters ist die Berufung auf Notstand eingeschränkt, wenn eine Entlastung nicht ohne sich verbreitende Desorientierung sozialen Handelns möglich wäre: Es geht, bei den besonderen Rechtsverhältnissen u m die Benennung sozialer Rollen, von deren Trägern Sonderleistungen erwartet werden müssen, wenn der betreffende Lebenskreis organisierbar sein soll. 44 Beim „Verursachen" einer Gefahrenlage geht es einmal u m Fälle, i n denen die Definition des Konflikts als „zufällig" inplausibel ist, weil die Lage dem Täter vermeidbar war; noch darüber hinaus werden die unnötigen Gefährdungen — also neben den rechtlich verbotenen Gefährdungen auch die ohne akzeptablen Grund ausgelösten — dem Verursacher angelastet 4 5 40 41 42 43 44 45

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l 2. T e i l

3. Abschnitt 3. Abschnitt 3. Abschnitt 3. Abschnitt 4. Abschnitt 4. Abschnitt

II. A. I I I . B. I I . B. 1. I V . B. I. E. 2. a. I. E. 2. b. aa.

Literaturverzeichnis Zeitschriftenaufsätze werden nach ihren Fundstellen zitiert; Kommentare m i t dem Namen des Bearbeiters; monographische Abhandlungen u n d L e h r bücher nach der an die folgenden Fundstellenangaben i n einer K l a m m e r angefügten Zitierweise. Unterschiedliche Auflagen sind durch Hochzahlen gekennzeichnet. Albrecht, Peter: Der untaugliche Versuch. Baseler Studien zur Rechtswissenschaft, Heft 101, Basel - Stuttgart 1973. Amelung, K n u t : Rechtsgüterschutz u n d Schutz der Gesellschaft. Frankfurt a. M. 1972 (zit.: Rechtsgüterschutz). Androulakis, Nikolaos K.: Studien zur Problematik der unechten Unterlassungsdelikte. München - B e r l i n 1963 (zit.: Studien). Arzt, Gunther: Z u r Erfolgsabwendung beim Rücktritt v o m Versuch, in: G A 1964, S. 1 ff. — Die Neufassung der Diebstahlsbestimmungen. Gleichzeitig ein Beitrag zur Technik der Regelbeispiele, in: JuS 1972, S. 385 ff., 515 ff., 576 ff. Die Delikte gegen das Leben, i n : ZStW 83, S. 1 ff. — Z u r Garantenstellung beim unechten Unterlassungsdelikt, in: J A 1980, S. 553 ff., S. 647 ff., S. 712 ff. Bärwinkel, Richard: Z u r S t r u k t u r der Garantieverhältnisse bei den unechten Unterlassungsdelikten. Strafrechtliche Abhandlungen, Neue Folge, Bd. 4, B e r l i n 1968 (zit.: Garantieverhältnisse). Baumann, AT5).

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