Vertrag und unlauterer Wettbewerb: Eine Untersuchung der wechselseitigen Beziehungen von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht zueinander [1 ed.] 9783428506934, 9783428106936

Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht gehören zu den zentralen Rechtsmaterien einer marktwirtschaftlich ausgerichteten Wirt

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Vertrag und unlauterer Wettbewerb: Eine Untersuchung der wechselseitigen Beziehungen von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht zueinander [1 ed.]
 9783428506934, 9783428106936

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CHRISTIAN ALEXANDER

Vertrag und unlauterer Wettbewerb

Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 147

Vertrag und unlauterer Wettbewerb Eine Untersuchung der wechselseitigen Beziehungen von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht zueinander

Von Christian Alexander

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Alexander, Christian: Vertrag und unlauterer Wettbewerb: eine Untersuchung der wechselseitigen Beziehungen von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht zueinander / von Christian Alexander. Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zum Wirtschaftsrecht ; Bd. 147) Zug!.: Greifswald, Univ., Diss., 2000/2001 ISBN 3-428-10693-8

Alle Rechte vorbehalten

© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 3-428-10693-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §

Vorwort Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht gehören zu den zentralen Rechtsmaterien einer marktwirtschaftlich ausgerichteten Wirtschaftsordnung. Beide Rechtsgebiete stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern beeinflussen sich in vielfältiger Weise. Deshalb bedarf es einer möglichst präzisen Abgrenzung der Regelungsgegenstände einerseits und einer Untersuchung des Zusammenwirkens der unterschiedlichen Regelungsmechanismen andererseits. Die vorliegende Arbeit unternimmt es, diese Aspekte näher zu beleuchten. Berücksichtigt ist der Stand der Gesetzgebung sowie die Rechtsprechung und Literatur bis zum März 2001. Im Wintersemester 2000/2001 wurde die Arbeit an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald als Dissertationsschrift angenommen; die Arbeit erhielt den Promotionspreis der Universität, gestiftet von der Gesellschaft der Freunde und Förderer der Ernst-Moritz-Arndt-Universität, und den Promotionspreis der Commerzbank AG Greifswald. Danken möchte ich Prof. Dr. Axel Beater für die umfassende Betreuung sowie die angenehme Arbeitsatmosphäre in der Zeit meiner Tätigkeit an seinem Lehrstuhl. Mit Dr. Andreas Pützhoven verbinden mich viele interessante Gespräche, von denen ich persönlich und fachlich profitiert habe. Während der Entstehung der Arbeit haben mich zudem Freunde und Kollegen unterstützt, denen ich ebenfalls großen Dank schulde: Anne Georgi, Sylvia Gransow, Ronny Hildebrandt, Antje Kinzelt und Rica Werner. Die Mühsal des Korrekturlesens, insbesondere im Hinblick auf die Tücken der neuen Rechtschreibung, haben Anne Pardeyke und Diana Steinbrenner auf sich genommen. Last but not least gilt Dank meinen Eltern, die mir die juristische Ausbildung ermöglicht haben. Berlin, im Sommer 2001

Christian Alexander

Inhaltsverzeichnis I. Teil

Einleitung und Grundfragen A. Einführung in die Problematik ......... . .............................. I. Gegenstand der Untersuchung .................................... 11. Bedeutung der Erkenntnisse über die Wechsel wirkungen zwischen Vertrag und Wettbewerb ............................................ 111. Abgrenzung .................................................... 1. Abreden mit wettbewerbswidrigem Inhalt ....................... 2. Individualansprüche des Abnehmers bei einem Wettbewerbsverstoß . IV. Terminologie................................................... 1. Wettbewerbs- und Vertragsrecht ................................ 2. Der Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Der Folgevertrag .............................................

19 19 19 21 22 22 23 24 24 25 26

B. Die Komplexität des Verhältnisses von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht 28 I. Der Abnehmer als Marktbeteiligter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 29 11. Die besondere Berücksichtigung der Interessenlagen auf Abnehmerseite 31 1. Rechtstatsächliche Befunde .................................... 31 2. Die wesentlichen Aspekte ..................................... 32 a) Beeinträchtigung des Entscheidungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . .. 35 b) Beeinträchtigung der Entscheidungsgrundlage ................. 35 c) Haftungsrisiken des Abnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 36 II. Teil

Vertrag und Wettbewerb A. Wettbewerb als Voraussetzung des Vertrages ............................ I. Das rechtliche und das tatsächliche Phänomen Wettbewerb . . . . . . . . . .. 11. Das Zusammenspiel von Vertrag und Wettbewerb ................... 1. Wettbewerb als Basis optimaler Ressourcenverteilung .......... . .. 2. Wettbewerb als Voraussetzung "fairer" Verträge .................. a) Wettbewerb als Korrektiv ................................... b) Marktversagen als Legitimation für ein Eingreifen der Rechtsordnung................................................... c) Die Verwendung unangemessener AGB als exemplarische Konstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

38 38 38 40 40 41 41 42 44

8

Inhaltsverzeichnis

B. Die Abgrenzung von Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht ................ I. Deliktische Ausrichtung des UWG ................................ 11. Der regelungsbedürftige Interessenkonflikt ......................... 1. Die gegensätzlichen Interessen im Vertragsverhältnis ............. 2. Die parallele Ausrichtung der Interessen im Wettbewerb .......... III. Der Aspekt der Breitenwirksamkeit ............................... IV. Tatbestandliche Folgerungen ..................................... I. Handeln im geschäftlichen Verkehr ............................. 2. Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs .......................... a) Der Vertragsschluss als entscheidende Zäsur im Marktgeschehen b) Keine Kompensation fehlender objektiver Marktrelevanz .......

45 46 49 49 50 52 55 55 56 57 59

1/1. Teil

Die Freistellung des Abnehmers von vertraglichen Verpflichtungen A. Das I. 11. III.

Rücktrittsrecht des getäuschten Abnehmers, § 13a UWG ............ Regelungskonzeption ............................................ Rechtsnatur .................................................... Die Relevanz des Rücktrittsrechts ................................. I. Geringe Schlagkraft der Norm am Beispiel der ergangenen Rechtsprechung ................................................... a) OLG Nümberg: "Alarmanlage" .............................. b) OLG Düsseldorf: "Top-Existenz" ............................ c) OLG Zweibrücken: "Absorbierende Wasserschutzkissen" ....... 2. Gründe für das Versagen der Norm ............................. IV. Die Voraussetzungen im Einzelnen. . . ... . . .. . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . .. 1. Anwendungsbereich .......................................... a) Persönlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Sachlich .................................................. 2. Öffentliche Werbeangaben ..................................... 3. Täuschendes Element ......................................... a) Unwahrheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Eignung zur Irreführung .................................... c) Die Einbeziehung täuschenden Verhaltens Dritter .............. aa) Zurechnung nach subjektiven Kriterien ................... bb) Zurechnung nach objektiven Kriterien .................... cc) Der Grundgedanke der Risikoverteilung bei unrichtiger Werbung .................................................. 4. Vertragswesentlichkeit und Kausalität ........................... V. Die Rechtsfolgen ............................................... 1. Rücktritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Besonderheiten bei der Rückabwicklung ........................

62 63 64 64 65 66 66 67 68 68 69 69 69 70 71 72 73 75 75 76 77 79 80 82 82 83

Inhaltsverzeichnis

9

VI. Konkurrenzen .................................................. 1. Unwirksamkeitsgründe ........................................ 2. Vertragslösungsrechte ......................................... 3. Schadensersatzansprüche ......................................

83 83 83 84

B. Bürgerliches Vertragsrecht ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

85 85 86 88 88 91 91 91 92 92 93 95 96 97 97 98 100 100 100

I.

11.

Nichtigkeit von unlauter angebahnten Verträgen .................... 1. Einzelfälle aus der Rechtsprechung ............................. 2. Wettbewerbsvorschriften als Verbotsgesetze gemäß § 134 BGB .... a) Das UWG selbst ........................................... b) Wettbewerbsrechtliche Nebengesetze ......................... aa) Preisangabenverordnung ................................ bb) Rabattgesetz und Zugabeverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Die entscheidenden Kriterien ................................ aa) Der Aspekt des Verbraucherschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Der Sanktionsaspekt .................................... cc) Gesetzgeberische Wertungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. dd) Folgen-Erwägungen .................................... ee) Schlussfolgerungen ..................................... d) Einfluss des Verbotsgesetzes auf die Rückabwicklung .......... 3. Sittenwidrigkeit und Wucher, § 138 BGB ....................... Anfechtbarkeit der Willenserklärung des Abnehmers ................ 1. Irrtümer bei der Willensentäußerung .................. .. ....... . a) Erklärungsirrtum, § 119 Abs. 1, 2. Alt. BGB .................. b) Fehlendes Erklärungsbewusstsein, § 119 Abs. 1, 2. Alt. BGB analog .................................................... c) Inhaltsirrtum, § 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB ...................... 2. Der Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften, § 119 Abs. 2 BGB ........................................................ a) Eigenschaften ............................................. b) Verkehrswesentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Die Bedeutung der Werbung zur Bestimmung der Verkehrswesentlichkeit ........................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Besondere Irrtümer ........................................... a) Preisirrtum ................................................ b) Irrtum über die fremde Kalkulation .......................... c) Rechtsirrtum .............................................. 4. Die Schadensersatzpflicht des Anfechtenden, § 122 BGB ......... 5. Täuschung und Drohung, § 123 BGB ........................... a) Vorsätzliche Irreführung .................................... b) Widerrechtliche Drohung ................................... c) Drohungsähnliche Zwangslagen .............................. 6. Anfechtbarkeit bei Fremdveranlassung ..........................

101 103 104 104 105 107 109 109 110 112 113 115 116 118 118 119

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Inhaltsverzeichnis III. Freistellung vom Vertrag als Naturalrestitution ...................... 1. Deliktische Haftung ........................................... a) Die explizit genannten Rechtsgüter ........................... b) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als geschütztes Rechtsgut ... c) Die Reichweite deliktischen Schutzes ........................ d) Die Dispositionsfreiheit als Gegenstand besonderer Schutzgesetze ..................................................... e) Deliktischer Vermögens schutz ............................... aa) § 823 Abs. 1 BGB ..................................... bb) § 823 Abs. 2 BGB ..................................... (1) § 263 StGB ........................................ (2) Die Vorschriften des Wettbewerbsrechts ............... cc) § 826 BGB ............................................ 2. Vorvertragliche Verschuldenshaftung ............................ a) Schutz der Entscheidungsfreiheit oder des Vermögens? ......... b) Reichweite und Grenzen der Haftung für vorvertragliches Verschulden .................................................. aa) Das Verschuldenserfordernis ............................. bb) Der maßgebliche Inhalt der Schutzpflichten ........... . ... cc) Die besondere Nähebeziehung der Vertragsparteien ......... IV. Billigkeitslösungen .............................................. 1. Treu und Glauben, § 242 BGB ................................. a) Die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung ................. b) Wegfall der Geschäftsgrundlage .............................. 2. Das "Sandhaufentheorem" .....................................

C. Spezial gesetzliche Widerrufsrechte .................................... I. Ausgangsüberlegungen .......................................... II. Geschäftsabschlüsse in unerwarteten Situationen .................... 1. Ähnlichkeit der Schutzzwecke in HWiG und UWG ............... a) Situationsbezogener Verbraucherschutz ....................... b) Die unterschiedliche Bewertung der Vertragsanbahnungssituationen in HWiG und UWG .................................... 2. Keine Ausdehnung des Widerrufsrechts aus § 1 Abs. 1 HWiG auf wettbewerbswidrig initiierte Verträge ........................... III. Geschäfte mit gesteigertem Fehlinformationsrisiko .................. IV. Geschäfte mit weitreichenden Verpflichtungen

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IV. Teil Vertragliche Einstandspflicht und Informationsverantwortung

165

A. Erfüllungsanspruch des Verbrauchers bei Gewinnzusagen ................ 167 I. Wettbewerbsrechtliche Ausgangslage .............................. 168 11. Die zivilrechtliche Beurteilung aleatorischer Werbung ............... 169

Inhaltsverzeichnis

11

III. Entstehung des § 661 a BGB ..................................... IV. Einzelheiten .................................................... 1. Die Funktionsweise der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die Voraussetzungen des Gewinnanspruchs ...................... a) Anwendungsbereich ........................................ b) Gewinnzusagen oder vergleichbare Mitteilungen ............... c) Eindruck eines Gewinns .................................... 3. Rechtsfolge: Erfüllungsanspruch des Gewinners ................. .

171 172 172 174 174 174 174 175

B. Haftung für die Vertragsgemäßheit der geschuldeten Leistung ............. I. Wettbewerbsrechtliche Ausgangslage .............................. 1. Täuschung über die Beschaffenheit des Leistungsgegenstandes .... . 2. Täuschung über die Bereitschaft bzw. die Fähigkeit zur ordnungsgemäßen Erfüllung ............................................. 11. Die vertragsrechtliche Ebene: Einbeziehung von Werbung in den Vertragsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Werbeangaben als Zusicherung von Eigenschaften ............... . a) Rechtsprechung und herrschende Lehre ....................... b) Abweichende Positionen ................................... . 2. Werbeangaben und Vertragsgemäßheit ........................... a) Rechtsprechung ............................................ b) Neuregelung durch die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie ......... c) Einzelheiten ............................................... aa) Konzept der Vertragsgemäßheit .......................... bb) Der notwendige Informationsgehalt der Werbeangaben . . . . . . (1) Verifizierbarkeit ..................................... (2) Objektiver Empfängerhorizont des Käufers . . . . . . . . . . . . . cc) Die Informationsverantwortung in der Absatzkette ......... (1) Gleichstellung von Verkäufer- und Drittwerbung ........ (2) Grenzen der Einstandspflicht ......................... (3) Regressmöglichkeit des Verkäufers .................... dd) Die Rechte des Käufers im Überblick ...... . .............

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182 183 183 185 188 190 191 192 193 194 195 198 200 201 202 203 204

C. Werbung und vertragliche Inhaltskontrolle .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangsüberlegungen .......................................... 11. Insbesondere: Garantien ......................................... 1. Grundfragen ................................................. a) Zivilrechtliche Einordnung .................................. b) Wettbewerbswidrige Garantieversprechen ..................... 2. Inhaltskontrolle von Garantie-AGB ............................. a) Verkäufergarantien ......................................... b) Herstellergarantien ......................................... c) Die Bedeutung der Werbung für die Inhaltskontrolle ........... 3. Neuregelung durch Art. 6 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie ......

204 205 207 208 208 209 211 211 212 214 215

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12

Inhaltsverzeichnis III. Unzulässige Preisklauseln ........................................ 1. Verdeckte Preistäuschungen ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Offene Preistäuschungen ...................................... IV. "Aushebelung" des wettbewerbsrechtlichen Schutzes am Beispiel von Telefonklauseln ................................................. 1. Wettbewerbsrechtliche Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhaltskontrolle nach dem AGBG ..............................

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D. Informationsverantwortung und Informationspflichten .................... 1. Bedeutung von Informationspflichten als Instrument des Verbraucherschutzes ....................................................... H. Das Sanktionsproblem .......................................... . 1. Die Fehlerhafte Widerrufsbelehrung als Wettbewerbsverstoß ...... . a) Verbraucherschutz als maßgeblicher Schutzzweck des wettbewerbsrechtlichen Verbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Reichweite des wettbewerbsrechtlichen Schutzes ............... 2. Anspruchsziel: Unterlassung der Unterlassung ................... III. Vorrang des § 22 AGBG ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

226

229 230 232 232

E. Beeinträchtigungen der Vertragsbeziehungen durch wettbewerbsrechtliche Verbote ............................................................ 1. Übertriebene Hinweispflichten ................................... . H. Vorvertragliche Informationen und vergleichende Werbung . . . . . . . . . . . 1. Legitimes Bedürfnis nach einem Leistungsvergleich .............. 2. Neuregelung durch § 2 UWG ................................. . a) Sachlichkeitsgebot ......................................... b) Der Begriff der Werbung in § 2 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zulässigkeit des Vergleichs auf Nachfrage ....................

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226 227 227

V. Teil Der Ausgleich von Haftungsrisiken A. Wettbewerbsrechtliches Durchsetzungsverbot bei systematischen Täuschungen 1. Ausgangssituation .............................................. . 1. Offerten für die Eintragung in Branchenverzeichnisse ............ . a) Wettbewerbsrechtliche Beurteilung der Täuschung ............. b) Fruchtziehungsverbot ...................................... . 2. Bedenken .................................................... a) Kein Handeln zu Wettbewerbszwecken ....................... b) Kein wettbewerbsrechtlicher Individualschutz ................. H. Individualvertragliche Beurteilung ................................ 1. Wirksamkeit der abgegebenen Willenserklärung ................. . 2. Anfechtbarkeit ............................................... 3. Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung ........................

245 245 246 246 247 248 251 252 252 254 254 256 258

Inhaltsverzeichnis

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III. Übertragbarkeit der Rechtsprechung auf sonstige Wettbewerbsverstöße 258 B. Das Zusenden unbestellter Ware ...................................... I. Bisherige Rechtslage ............................................ 1. Wettbewerbsrechtlich ......................................... 2. Bürgerlich-rechtlich ........................................... 11. Europäischer Anstoß zur Neuregelung ............................. III. Umfassendes Haftungsprivileg des Empfängers unbestellter Waren .... 1. Anwendungsbereich .......................................... 2. Keine vertragliche Verpflichtung ............................... 3. Keine quasivertragliche Verpflichtung ........................... 4. Keine außervertragliche Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausnahmen .................................................. IV. Kritische Würdigung der Vorschrift ............................... 1. Dingliche Rechtslage ......................................... 2. Die dogmatische Konstruktion des Haftungsausschlusses .......... 3. Strafrechtliche Aspekte ........................................ 4. Notwendigkeit einer sachenrechtlichen Bereinigung der Problematik .......................................................

260 261 261 262 264 265 266 266 268 269 271 272 272 273 274 275

VI. Teil Zusammenfassung und Ausblick

277

Literaturverzeichnis ................................................... 285 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. ABGB abI. ABI.-EG Nr. L Abs. AbzG AcP a.F. AfP AG AGB AGBG Alt. Anh. Anm. Art. AT Aufl. BB Bd.

Beil. Beschl. BGB BGBI. BGH BR BT BVerfG bzw. CR

anderer Ansicht am angegebenen Ort Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Teil L Absatz Gesetz betreffend die Abzahlungsgeschäfte Archiv für die civilistische Praxis alte Fassung Archiv für Presserecht Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Alternative Anhang Anmerkung( en) Artikel Allgemeiner Teil Auflage Der Betriebs-Berater Band; in Verbindung mit BGH und RG bezieht sich die Angabe auf den Band der amtlichen Entscheidungssammlung zum Zivilrecht, in Verbindung mit BGH(St) und RG(St) auf die amtliche Entscheidungssammlung zum Strafrecht, in Verbindung mit BVerfG auf den Band der amtlichen Entscheidungssammlung zum Verfassungsrecht Beilage Beschluss Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichshof Bundesrat Bundestag Bundesverfassungsgericht beziehungsweise Computer und Recht

Abkürzungsverzeichnis DAR DB ders. d.h. dies. DIN

Diss. DNotZ DZWir EG Einf. Ein!. endg. Erw. EU EuGH EWG EWiR EWS f., ff. FernAbsG FG Fn. FS GG GroßKomm GRUR GRUR Int. GS GWB HeidKomm HGB h.M. Hrsg. HWiG LE. InfVO i.S.d. i.S. v. i.V.m. JA JB!.

15

Deutsches Autorecht Der Betrieb derselbe das heißt dieselbe Deutsche Industrie-Norm Dissertation Deutsche Notarzeitschrift Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Gemeinschaft Einführung Einleitung endgültig Erwägungsgrund Europäische Union Europäischer Gerichshof Europäische Wirtschafts gemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende Seite(n) Fernabsatzgesetz Festgabe Fußnote Festschrift Grundgesetz Großkommentar/UWG Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil Gedächtnisschrift Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Heidelberger Kommentar Handelsgesetzbuch herrschende Meinung Herausgeber Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften im Ergebnis Verordnung über die Informationspflichten von Reiseveranstaltern im Sinne des / der im Sinne von in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Juristische Blätter

16 JR Jura JuS JZ KG KSchG LG lit. MDR MünchKomm MuW m.w.N.

NJW

NJW-RR Nr. NZV OGH OLG OLG-Rp öst. öUWG PreisAngVO ProdHaftG RabattG RG RL Rspr. Rz. S. std. StGB StrRG TzWrG UFITA Urt. UWG VerbrKrG VersR vgl. VO VuR WiB

Abkürzungsverzeichnis Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kammergericht Konsumentenschutzgesetz Landgericht litera Monatsschrift für Deutsches Recht Münchener Kommentar Markenschutz und Wettbewerb mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift NJW -Rechtsprechungsreport Zivilrecht Nummer Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Oberster Gerichtshof Oberlandesgericht OLG-Report österreichisch Österreichisches Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Preisangabenverordnung Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte Gesetz über Preisnachlässe Reichsgericht Richtlinie Rechtsprechung Randziffer Seite ständige Strafgesetzbuch Strafrechtsreformgesetz Gesetz über die Veräußerung von Teilzeitnutzungsrechten an Wohngebäuden Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Urteil Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Verbraucherkreditgesetz Versicherungsrecht vergleiche Verordnung Verbraucher und Recht Wirtschaftsrechtliche Beratung

Abkürzungsverzeichnis wistra WM WRP

WuW z.B. ZEuP ZHR Ziff. ZIP ZIR ZLR ZRP z.T. ZugabeVO zust.

2 Alexander

Zeitschrift für Wirtschaft - Steuer - Strafrecht Wertpapiennitteilungen Wettbewerb in Recht und Praxis Wirtschaft und Wettbewerb zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis Zeitschrift für Immobilienrecht Zeitschrift für das gesamte Lebensmitte1recht Zeitschrift für Rechtspolitik zum Teil Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze der Wirtschaft zustimmend

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I. Teil

Einleitung und Grundfragen A. Einführung in die Problematik I. Gegenstand der Untersuchung In der heutigen modemen, auf Arbeitsteilung beruhenden Gesellschaft besteht ein unabweisbares Bedürfnis nach dem Austausch von Gütern und Leistungen, da praktisch niemand zu einer autarken Lebensführung in der Lage ist. Zu den häufigsten Tatbeständen des Rechtslebens gehört deshalb die rechtsgeschäftliche Begründung von Schuldverhältnissen, deren Inhalt der Austausch von Leistungen bildet. Doch gleichgültig ob jemand nur eine Zeitung oder sonstige alltägliche Gebrauchsgegenstände kauft, eine Urlaubsreise bucht oder ein Kraftfahrzeug erwirbt, vollziehen sich diese Akte der Bedarfsdeckung, sieht man einmal von den Geschäften im reinen Privatbereich ab, in der Regel nicht durch das bloße Aufeinandertreffen und den Konsens der beteiligten Parteien, sondern sie finden in einer Situation des Marktes statt. Märkte sind überall dort zu finden, wo Akteure über Freiheitsspielräume verfügen und versuchen, diese durch das Eingehen von Austauschbeziehungen zum bestmöglichen Erreichen ihrer eigenen Ziele zu nutzen. Im Folgenden soll es ausschließlich um den wirtschaftlichen Aspekt des Marktes gehen. Markt in diesem Sinne bezeichnet die Gesamtheit der Austauschprozesse, die aus dem Zusammentreffen von Anbietern und Nachfragern erwachsen, wobei weder ein enger räumlicher noch ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen den Austauschprozessen erforderlich ist. I Das einzelne Austauschverhältnis zur Deckung des eigenen Bedarfs bildet dabei den Grundbaustein des Gesamtsystems; die Mehrzahl gleichartiger Prozesse lässt einen Markt entstehen. Markt bezeichnet darüber hinaus auch den wettbewerblichen Prozess, der mit der Konkurrenz um knappe Güter und den daraus resultierenden Anreizen zu Leistungssteigerungen einhergeht. Der funktionierende Markt führt zu einer Koordination der individuellen Handlungsmöglichkeiten ohne eine zentral lenkende Instanz. I

FritschlWeinlEwers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 6 f.

20

1. Teil: Einleitung und Grundfragen

Das Bestehen des Marktes erfordert eine Mehrspurigkeit rechtlicher Regelungen. Die einzelnen, auf dem Markt geschlossenen Austauschverhältnisse unterliegen als solche dem Vertragsrecht. Das Vertragsrecht regelt, wie ein Vertrag überhaupt zustande kommt und aus welchen Gründen die Parteien von dem Vertrag wieder Abstand nehmen können. Weiterhin konkretisiert es die aus dem Vertragsverhältnis erwachsenden Rechte und Pflichten und schließlich sieht das Vertragsrecht Regelungen für die verschiedenartigsten Störungen vor. Über das einzelne Austauschverhältnis hinaus greift die rechtliche Kontrolle durch das Wettbewerbsrecht. Regelungsgegenstand des Wettbewerbsrechts sind die rechtlichen Anforderungen an das Verhalten der Akteure auf dem Markt; das beinhaltet speziell die Frage, welche geschäftlichen Verhaltensweisen erlaubt und welche verboten sind. Beide Rechtsmaterien stehen nicht beziehungslos nebeneinander. Häufig sind Störungen im einzelnen Vertragsverhältnis auf bestimmte Geschäftspraktiken zurückzuführen, sodass Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht denselben Sachverhalt aus unterschiedlichen Blickwinkeln beurteilen. Es möge beispielsweise jemand ein Kraftfahrzeug erwerben wollen. Der Verkäufer versichert auf Grund der Angaben im Verkaufsprospekt des Herstellers, das gewünschte Fahrzeug verbrauche im Durchschnitt acht Liter Kraftstoff. Der Käufer erwirbt das Auto; es stellt sich im Verlaufe der Nutzung aber schnell heraus, dass das Auto wesentlich mehr Kraftstoff als angegeben benötigt, nämlich vierzehn Liter. Hier ist es zunächst Sache des Vertragsrechts festzulegen, ob es sich bei dem von der Prospektangabe erheblich abweichenden Verbrauch an Kraftstoff um einen rechtlich relevanten Umstand handelt und wenn ja, welche Rechte dem Käufer gegenüber seinem Vertragspartner daraus erwachsen. Das Wettbewerbsrecht dagegen fragt danach, ob die Verwendung eines Verkaufsprospekts, der über die Eigenschaft des verkauften Kraftfahrzeuges unrichtige Angaben enthält und damit Täuschungen verursachen kann, als Mittel im Wettbewerb erlaubt sein darf. Es geht also in bei den Fällen um die rechtliche Beurteilung der unzutreffenden Angabe im Werbeprospekt des Fahrzeugherstellers; allerdings wird die Bewertung jeweils aus einer anderen Perspektive vorgenommen. Die vorliegende Arbeit stellt es sich zur Aufgabe, die wechselseitigen Beziehungen zwischen Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht näher zu untersuchen. Dabei bedarf es zunächst der funktionellen und der tatbestandlichen Abgrenzung beider Rechtsgebiete gegeneinander. Sodann geht es um die wechselseitige Beeinflussung beider Materien durch die spezifischen Wertungen des jeweils anderen Rechtsgebietes. Es ist insbesondere zu problematisieren, ob und inwieweit beide Rechtsgebiete in der Beurteilung eines Lebenssacherhalts voneinander abhängig oder eben unabhängig sind und

A. Einführung in die Problematik

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welche rechtlichen Konsequenzen sich daraus für die individual vertragliche Beurteilung einerseits und für die lauterkeitsrechtliche Kontrolle andererseits ergeben. 11. Bedeutung der Erkenntnisse über die Wechselwirkungen zwischen Vertrag und Wettbewerb

Besonders greifbar zeigt sich die Notwendigkeit einer Untersuchung der wechselseitigen Beziehungen zwischen Vertrag und unlauterem Wettbewerb auf der vertragsrechtlichen Ebene. Infolgedessen ist dieser Bereich bislang auch am eingehendsten untersucht worden; problematisiert wird dies häufig unter dem Schlagwort der Folgeverträge? Verhält sich ein Unternehmer im Wettbewerb unlauter und bewirkt er auf diese Weise, dass ein Vertrag mit dem Konsumenten zustande kommt, wird die Frage akut, ob dem Abnehmer aus der unlauteren Anbahnung des Vertrages individuelle Rechtsbehelfe erwachsen können. Es kann dem Verbraucher sowohl daran gelegen sein, die vertragliche Bindung aufzulösen als auch den Unternehmer gerade zur Einhaltung abgegebener Werbeversprechen anzuhalten. Mitunter mag auch eine Anpassung des Rechtsgeschäftes an die veränderten Gegebenheiten genügen oder aber eine Inhaltskontrolle des Geschäftes. In allen diesen Fällen geht es um nachträgliche Korrekturen eines abgeschlossenen Rechtsgeschäftes wegen vorangegangenen unlauteren Verhaltens und damit um nicht weniger als ein mögliches Aufweichen des Grundsatzes pacta sunt servanda.

Der Blick auf wechselseitige Abhängigkeiten zwischen Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht vermag weiterhin den wettbewerbsrechtlichen Steuerungsprozess zu effektivieren. Nicht zu Unrecht ist der Satz geprägt worden, dass unlauterer Wettbewerb sich stets doch lohne. 3 Die Abstimmung von individuellen Rechtsbehelfen mit lauterkeitsrechtlichen Sanktionen kann den ökonomischen Anreiz zur Begehung von Unlauterkeiten beseitigen, sodass es zu einer Rückkopplung mit dem wettbewerbsrechtlichen Schutzanliegen kommt. Das Festlegen rechtlicher Verantwortungsbereiche trägt dazu bei, das unternehmerisches Verhalten auf dem Markt einem Optimierungsprozess unterwerfen wird. Dadurch kann längerfristig nicht nur rechtlich sondern auch wettbewerbsfunktionell unlauteres Verhalten vom Markt verdrängt werden. 4 Weiß der Unternehmer, dass als Konsequenz auf die Verwendung beispielsweise täuschender Angaben kein ökonomisch relevanter Verlust entsteht, muss er sich nicht um deren Vermeidung bemühen, 2

3 4

Siehe unten IV. 3. (S. 26). Schricker, GRUR 1979, S. 1,3. Lehmann, BB 1981, S. 1717, 1720.

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I. Teil: Einleitung und Grundfragen

was eine Verkürzung des Wettbewerbs um den Konkurrenzfaktor der Optimierung der Inforrnations- und Akquisitionsbemühungen der Anbieter durch lautere Werbung zur Folge hat. Dagegen kann die Kombination von wettbewerbsrechtlicher Kontrolle und individualvertraglichen Konsequenzen zu einem Mehr an Wettbewerb unter Verwendung des Marketinginstruments lauterer Wirtschaftswerbung führen. Die Kräfte des Marktes werden dadurch gestärkt und es kommt schließlich auch zur Herstellung einer "Waffengleichheit" zwischen Anbietem und der Nachfragerseite. 5 Wachsende Bedeutung kommt den europäischen Vorgaben zum Wettbewerbs- und Vertragsrecht zu. Damit einher gehen neue Konkurrenz- und Abstimmungsfragen, die grundlegend an das Verhältnis von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht anknüpfen. 6 Spezielle Vorschriften können das Wettbewerbsrecht einerseits entlasten.? Andererseits werden mit verbraucherschützenden Regelungen häufig lediglich Mindeststandards geschaffen, was die Frage aufwirft, ob das UWG, insbesondere wegen seiner flexiblen Generalklauseln, ergänzend anzuwenden ist, wenn der sondertatbestandliche Schutz nicht einschlägig ist oder besondere Schutzvoraussetzungen nicht vorliegen. g

III. Abgrenzung Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich auf die wechselseitigen Beziehungen hinsichtlich des Austauschverhältnisses bzw. des Austauschprozesses zwischen der Anbieterseite und den Nachfragern am Markt. Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht können darüber hinaus jedoch weitere Überschneidungen aufweisen, die sich entweder nur auf einer Seite des Marktes abspielen (unter 1.) oder aber eine andere rechtliche Fragestellung betreffen (unter 2.) und deswegen ausgeklammert werden müssen. 1. Abreden mit wettbewerbswidrigem Inhalt

Vertragliche Absprachen der Konkurrenten untereinander, die eine Unlauterkeit zum Gegenstand haben, betreffen wettbewerbsfunktional eine andere Ebene und weisen häufig Parallelen zum Kartellrecht auf. Das klassische Beispiel einer solchen Konstellation bildet der Benrather Tankstellenfall. Dort hatten sich mehrere Tankstellenbetreiber zu einer Konvention zusammengeschlossen, welche die Bedingungen für den Verkauf von Autotreibstoffen aufstellte, um Nichtmitglieder vom Markt zu verdrängen. 9 Neben 5 6 7

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Lehmann, BB 1981, S. 1717, 1723. Kur, in: Schricker/Henning-Bodewig, S. 122 ff. Kur, S. 123. Kur, S. 124 f.

A. Einführung in die Problematik

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der wettbewerbsrechtlichen Fragestellung geht es hierbei in vertragsrechtlicher Hinsicht allein um das Problem, ob die wettbewerbsrechtlichen Verhaltensgebote zur Nichtigkeit von Verträgen führen, in denen sich Wettbewerber untereinander zu unlauterem Verhalten verpflichten. Der zentrale Unterschied zu dem in dieser Untersuchung behandelten Problemkreis ist in der wettbewerbsfunktionalen Begrenzung auf einer Seite der Akteure im Marktgeschehen zu sehen. Genauso auszuklammern sind deshalb Absprachen, mit denen Nachfragemacht ausgeübt wird und die gewissermaßen die Umkehrung des Benrather Tankstellen-Falls bilden. Auch vertikale Verträge, d. h. Verträge zwischen verschiedenen Marktstufen, bleiben ausgeklammert, soweit es lediglich um die Modalitäten oder die Vorbereitung eines Wettbewerbsverstoßes geht. Wenn etwa ein Einzelhändler mit einem Hersteller einen Vertrag über die Belieferung mit Waren schließt, die der Einzelhändler entgegen dem in § I Abs. I Satz I ZugabeVO enthaltenen Zugabeverbot an seine Kunden weitergeben will, dann stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit dieses Kauf- bzw. Werkvertrages. 1O Ebenfalls betrifft diesen Aspekt die Abrede zwischen einer Werbeagentur und einem Fernsehsender, einen als redaktionellen Beitrag getarnten Werbefilm zu produzieren und diesen außerhalb des Werbeblocks zu senden. 11 Entsprechendes gilt für einen Mietvertrag zur Durchführung eines gegen § 8 UWG verstoßenden Räumungsverkaufes. 12 Der Grund für die Ausgrenzung dieses Fragenkreises ist wiederum ein wettbewerbsfunktionaler. In solchen Konstellationen sind die Nachfrager nicht in ihrer eigentlichen Funktion betroffen. Vielmehr bildet das Austauschverhältnis lediglich einen Ausschnitt des Wettbewerbsverstoßes und ist deswegen den oben genannten Fällen der Absprache von Wettbewerbern untereinander gleichzustellen. 2. Individualansprüche des Abnehmers bei einem Wettbewerbsverstoß

Eine weitere notwendige Unterscheidung ergibt sich aus der Berücksichtigung des Rechtsschutzinteresses des Verbrauchers. Ihm kann sowohl daran gelegen sein, die vertraglichen Folgen eines wettbewerbswidrigen VerhalRG, Urt. vom 18.12.1931, Bd. 134, S. 342 ff. (Benrather Tankstelle). OLG München, Urt. vom 13.3.1958, GRUR 1959, S. 250, ging in einem ähnlichen Fall wegen des bestehenden Zugabeverbots von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage aus. Unwirksamkeit nahm dagegen OLG Hamburg, Urt. vom 17.11.1977, WRP 1978, S. 900 ff. an. 11 OLG München, Urt. vom 22.9.1994, AfP 1995, S. 655 und OLG München, Urt. vom 30.4.1992, NJW-RR 1992, S. 1460 nahmen jeweils Unwirksamkeit wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot an. 12 OLG Stuttgart, Urt. vom 30.8.1996, NJW-RR 1997, S. 236, 237. 9

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I. Teil: Einleitung und Grundfragen

tens zu beseitigen als auch - gewissennaßen als Vorstufe - gegen die unlautere Handlung selbst vorzugehen und diese im Wege einer Unterlassungsklage zu verhindern und gegebenenfalls bei einer Verletzung geschützter Rechtsgüter Schadensersatz einzufordern. Treffend ist darauf hingewiesen worden, dass der Schutz vor unlauteren Werbemethoden und der Schutz vor einem unlauter initiierten Vertrag zwar an ein und dieselbe Ausgangssituation anknüpft, jedoch zwei rechtlich ganz verschiedene Sachverhalte betrifft. 13 Diese Unterschiedlichkeit schließt freilich nicht aus, dass es partielle Überschneidungen, etwa hinsichtlich der tatbestandlichen Reichweite des deliktischen Schutzes, geben kann. Dass es sich gleichwohl schon im Ausgangspunkt um rechtlich verschiedene Aspekte handelt, zeigt sich deutlich am wettbewerbsrechtlichen Rücktrittsrecht nach § 13 a UWG. Danach kann der Abnehmer vom unlauter angebahnten Vertrag zurücktreten, wenn er durch unwahre öffentliche Werbung zum Vertragsschluss bestimmt worden ist. Der Anspruch richtet sich dabei nur auf das Rückgängigmachen des Vertrages, setzt also voraus, dass ein solcher überhaupt zustande gekommen ist. Gegen die Irreführung als solche, d.h. die eigentlich missbilligte Verhaltensweise, steht dem Verbraucher dagegen kein Anspruch zu.

IV. Terminologie 1. Wettbewerbs- und Vertragsrecht

Unter Wettbewerbsrecht wird im Folgenden lediglich das Wettbewerbsrecht im engeren Sinne verstanden,14 einschließlich des UWG und der PreisAngVO sowie des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung. 15 Das Kartellgesetz, das üblicherweise zum Wettbewerbsrecht im weiteren Sinne gerechnet wird,16 bleibt auf Grund seiner abweichenden Schutzkonzeption außer Betracht. Das schließt freilich nicht aus, dass die hier entwickelten Grundgedanken auch für kartellrechtliche Zusammenhänge nutzbar gemacht Scherer, Verbraucherwerbung, S. 17 und 270. Dazu Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, § 1, I (S. 1 ff.); Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht § 1 Rz. 1; Schünemann, Wettbewerbsrecht, S. 23 f.; E. Ulmer, GRUR 1937, S. 769 f. 15 Zu den jüngsten Bemühungen zur Aufhebung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung vgl. den Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Rabattgesetzes und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften (Stand 1. Dezember 2000), BR-Drucksaehe 21101 vom 5.1.2001 und den Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung der Zugabeverordnung und zur Anpassung weiterer Rechtsvorschriften (Stand Dezember 2000), BR-Drucksache 13/01 vom 5.1.2001. 16 BaumbachlHefermehl, Allg. Rz. 88; Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, § 1 Rz. 1. 13

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A. Einführung in die Problematik

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werden können, insbesondere im Hinblick auf den kartellrechtlichen Schutz der Marktgegenseite. 17 Vertragsrecht im hier verstandenen Sinne umfasst die Gesamtheit aller Regelungen, die das Verhältnis rechtsgeschäftlich miteinander verbundenen Parteien betrifft. Verträge sind im Folgenden Austauschverträge. Sie stellen gewissermaßen die schlichteste Institution des Privatrechts dar, gleichwohl kommt ihnen exemplarische Bedeutung zu. Auf die rechtstechnische Umsetzung und auf dogmatische Einzelheiten soll es dabei nicht ankommen. Auch ist nicht ausgeschlossen, dass die rechtlichen Wirkungen im Einzelfall über den Austauschvertrag hinausgehen. Wenn beispielsweise ein Rechtsgeschäft wegen arglistiger Täuschung angefochten werden kann, dann erfasst der Anfechtungsgrund regelmäßig auch die dazugehörigen Verfügungsgeschäfte, etwa die Übereignung der gekauften Ware. 18 Für die hier zu untersuchenden Zusammenhänge zwischen Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht kann diese Problematik jedoch dahinstehen. 2. Der Verbraucher

Hinsichtlich des Verbraucherbegriffs gehen Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht getrennte Wege. Seit kurzem ist der Verbraucher im bürgerlichrechtlichen Sinne in § 13 BGB legaldefiniert als natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zweck abschließt,19 der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Die Definition wurde in das BGB aufgenommen, um die Begrifflichkeit der Verbraucherschutzgesetze zu vereinheitlichen?O Danach sind alle natürlichen Personen ohne Rücksicht auf ihren intellektuellen oder ökonomischen Status Verbraucher, soweit sie nicht im Rahmen ihres gewerblichen oder beruflichen Tätigkeitsbereiches handeln. 21 Der Terminus des Verbrauchers ist gekennzeichnet durch einen rollenbezogenes Element, das negativ formuliert, wer nicht als Verbraucher anzusehen ist und durch ein situationsbezogenes Element, das beschreibt, was die Person tun oder was mit ihr geschehen muss, damit sie als Verbraucher gilt. 22 Dazu GoU, GRUR 1976, S. 486, 490 ff. Grigoleit, AcP 199 (1999), S. 380 ff.; Medicus, BGB AT, Rz. 231 ff., 234. 19 Zum missverständlichen Tatbestandsmerkmal des Abschließens Palandt-Heinrichs, § 13 BGB Rz. 4 und Riehm, Jura 2000, S. 505. 20 BT-Drucksachen 1412658, S. 47; Bülow/Artz, NJW 2000, S. 2049, 2050 f.; Palandt-Heinrichs, § 13 BGB Rz. 5. Aufnahme in § 13 BGB fand die Definition erst auf Empfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucksache 14/3195, S. 32. Zur Entwicklung des Verbraucherbegriffs im deutschen Recht Medicus, FS Kitagawa, S. 471, 472 ff. 21 Palandt-Heinrichs, § 13 BGB Rz. 2. 22 Medicus, FS Kitagawa, S. 471, 481 ff. 17

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I. Teil: Einleitung und Grundfragen

Im weiteren Sinne als § 13 BGB wird der Begriff des Verbrauchers in den Vorschriften des Wettbewerbsrechts verwendet. § 1 Abs. 1 RabattG spricht etwa vom letzten Verbraucher und meint damit jeden Abnehmer, der eine Ware zum Gebrauch oder Verbrauch erwirbt, gleichgültig, ob es sich um einen Privatmann, Gewerbetreibenden oder Freiberufler handelt, der die eingekaufte Ware jedoch ohne den Willen erwirbt, sie weiter umzusetzen?3 Ähnlich wird der letzte Verbraucher in den §§ 6a, b UWG verstanden,z4 wobei allerdings im Hinblick auf Gewerbetreibende einige schwierige und im Einzelnen wenig einleuchtende Differenzierungen vorzunehmen sind,25 sodass letztlich keine Deckungsgleichheit der Begriffe vorliegt. 26 Auch in § 1 Abs. 1 Satz 1 PreisAngVO ist vom Verbraucher die Rede, nämlich vom Letztverbraucher. Das ist derjenige, der eine Leistung unmittelbar in Anspruch nimmt und dem sie letztlich zugute kommt bzw. derjenige, der die Ware erwirbt, ohne sie weiterzuverkaufen oder sie im Wege der Be- oder Verarbeitung weiterveräußern zu wollen?? Wegen § 9 Abs. 1 Nr. 1 PreisAngVO ist Letztverbraucher im preisrechtlichen Sinne jedoch ausschließlich der private Abnehmer. Im Folgenden orientiert sich der Begriff des Verbrauchers, sofern nicht besonders darauf hingewiesen wird, an einem weiten wettbewerbsfunktionalen Verständnis und erfasst sowohl den privaten als auch gewerblichen Abnehmer, der am Markt als Nachfrager auftritt und der die erworbene Ware oder in Anspruch genommene Leistung nicht weiter umsetzt. 3. Der Folgevertrag

Häufig wird die oben umrissene Problematik unter dem Stichwort des Folgevertrages behandelt. 28 Dies führt zu Unschärfen und schafft Raum für 23 Baumbach/Hefermehl, § 1 RabattG Rz. 11; Seydel, § 1 RabattG Rz. 13 jeweils m.w.N. 24 Baumbach/Hefermehl, § 6a UWG Rz. 9 ff. 25 Baumbach/Hefermehl, § 6a UWG Rz. 12. 26 Golt, GRUR 1976, S. 486, 487 f. 27 Gimbel/Boest, § 1 PreisAngVO Anm. 2; Köhler/Piper, § 1 PreisAngVO Rz. 9; Völker, § 1 PreisAngVO, Rz. 8 f. 28 Vgl. nur Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, § 14, 10 e (S. 203); von Gamm, WRP 1974, S. 1,4; BaumbachlHefermehl, § 1 UWG Rz. 913; Köhler/Piper, § 1 UWG Rz. 802; HeidKomm-Meckel, E 3 Rz. 64; Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, § 4 Rz. 51; Sack, WRP 1974, S. 445 ff. Der Begriff des Folgevertrages entstammt dem Kartellrecht und bezeichnet dort Verträge von Kartellmitgliedern mit unbeteiligten Dritten in Vollzug eines verbotenen Kartells, z. B. Lieferverträge auf Grund verbotener Preis-, Konditionen- oder Rabattkartelle; Bechtold, § 1 GWB Rz. 53; Emmerich, Kartellrecht, § 4, 6 b (S. 60); Traub, GRUR 1980, S. 673.

A. Einführung in die Problematik

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Missverständnisse, weil der Begriff mit unterschiedlichem Bedeutungsgehalt verwendet wird und deshalb in dieser Untersuchung auch weitgehend vermieden werden soll. Aus der Rechtsprechung sind mehrere Entscheidungen zu Folgeverträgen bekannt geworden, die auch mit diesem Schlagwort bezeichnet sind?9 In allen Fällen ging es um das Zustandekommen von Verträgen infolge einer irreführenden Werbung, die in einer rechungsähnlichen Gestaltung von Vertragsantragsformularen für die Eintragung in Branchenbücher oder dergleichen bestand. Folgeverträge in diesem Sinne sind Verträge, welche die vertragliche Bindung der Parteien durch spezielle Fortsetzungsklauseln jeweils um einen bestimmten Zeitraum verlängern, also gewissermaßen zu einem wiederholten Vertragsschluss nach einem einmaligen Wettbewerbsverstoß führen. Das kennzeichnende Merkmal eines Folgevertrages in diesem Sinne ist mithin, dass er in Folge eines bereits zuvor geschlossenen Vertrages zustande kommt. Weitere Umschreibungen wurden im Schrifttum entwickelt. Danach handelt es sich bei Folgeverträgen um Verträge zwischen dem unlauter Werbenden und einem Dritten, gleichgültig ob es sich dabei um einen Letztverbraucher oder einen Gewerbetreibenden handelt, wenn die unlautere Werbung irgendwie dazu beigetragen hat, dass es zu dem Vertrags schluss gekommen ist?O Zum Teil werden auch notwendige Folgeverträge, die eine unlautere Handlungsweise zwingend voraussetzen, und einfache Folgeverträge, die durch den Wettbewerbsverstoß lediglich veranlasst wurden, unterschieden?l Hauptanwendungsbeispiel für den notwendigen Folgevertrag soll die Boykottabrede zwischen Boykottierer und Adressaten sein. 32 Kurz gesagt gelten als Folgeverträge alle diejenigen Verträge des Abnehmers, die unlauter angebahnt wurden oder anders gewendet, Verträge, die in Folge eines Wettbewerbsverstoßes geschlossen wurden. Die verschiedenen Begriffsbestimmungen dürfen nicht überbewertet werden, denn sie haben keine inhaltliche Aussagekraft. Gleichgültig, welcher Bedeutung aus sprachlichen Gründen der Vorzug gegeben wird, leisten sämtliche Folgevertrags-Begriffe letztlich nicht mehr, als lediglich einen Ausschnitt der hier behandelten Problematik mehr oder minder deutlich zu umreißen. Keinesfalls lassen sich aus den Begrifflichkeiten Lösungsansätze entwickeln. Die Einordnung eines vom Abnehmer geschlossenen Vertrages als Folgevertrag darf auch nicht als Begründungsersatz gebraucht werden. 29 BGH, Urt. vom 7.10.1993 Bd. 123, S. 330 (Folgeverträge I); BGH, Urt. vom 26.1.1995 GRUR 1995, S. 358 (Folgeverträge 11); OLG Frankfurt a. M., Urt. vom 20.7.1978, GRUR 1978, S. 720 (Folgeverträge). 30 Köhler/Piper, § 1 UWG Rz. 802; Traub, GRUR 1980, S. 673, 674. 31 Körner, GRUR 1968, S. 348,351. 32 Körner, GRUR 1968, S. 348, 351; GroßKomm-Schünemann, Ein!. UWG Rz. E 89, verwendet hierfür den Begriff des Folgevertrages.

28

I. Teil: Einleitung und Grundfragen

Dass ein Vertrag unlauter angebahnt wurde, besagt weder etwas darüber, ob und warum individualrechtliche Reaktionen notwendig sind, noch wie Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht zueinander stehen.

B. Die Komplexität des Verhältnisses von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht lassen sich nicht von einem "archimedischen Punkt" aus erfassen. Bereits an der oben vorgenommenen Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes wird deutlich, dass zwischen den Rechtsgebieten mannigfaltige Überschneidungen möglich sind. Beide Materien unterliegen einer wechselseitigen Beeinflussung. Die Abhängigkeit voneinander lässt sich nur zutreffend bestimmen, wenn man von einer Vielschichtigkeit des Zusammenspiels ausgeht. Das Vertragsrecht stellt eine Fülle unterschiedlicher Regelungsmechanismen bereit, die auf jeweils spezifische Interessenkonflikte der Vertragsparteien untereinander ausgerichtet sind. Bereits ein Blick auf die Vielzahl möglicher Motive für eine Vertragauflösung 33 belegt deutlich, welche Komplexität das Vertragsrecht dabei zu bewältigen hat. Dass das BGB "viele, vielleicht allzu viele Behelfe" kennt,34 bedeutet deshalb zunächst einmal nur, dass es auf ganz unterschiedliche Interessenlagen zugeschnitten ist. Eine ähnliche Reichhaltigkeit an Regelungsbedürfnissen besteht auf der wettbewerbsrechtlichen Ebene, wenn es um die individualrechtlichen Konsequenzen einer unlauteren Handlung geht. Denn je nach der Art des Wettbewerbsverstoßes kann der Abnehmer ganz unterschiedliche Interessen haben, auf die dann sowohl das Wettbewerbsrecht als auch das Vertragsrecht reagieren müssen. Es greift deshalb zu kurz, die wechselseitigen Beziehungen zwischen Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht von vornherein auf eine bestimmte Interessenlage beschränken zu wollen; vielmehr bildet gerade die Unterschiedlichkeit der Interessenlagen der Abnehmerseite das tragende Grundelement für den Fortgang der weiteren Untersuchung. Auch methodisch führt die Beschränkung auf einen bestimmten Aspekt zu unbefriedigenden Ergebnissen. Ein Vergleich beider Rechtsgebiete auf Tatbestandsebene der bestehenden Vertragsauflösungsgründe läuft beispielsweise leicht Gefahr, ein kontrastarmes und verzerrtes Bild zu liefern. Die Anfechtungsrechte des bürgerlichen Rechts, insbesondere wegen Irrtums, 33 Medicus, JuS 1988, S. 1, 4 f. unterscheidet im Wesentlichen die vorsätzliche Täuschung und Drohung, sonstige Irreführungen, Überrumpelungen, Geschäfte mit besonders gefährlichem Inhalt, Eigenbedarf bei Gebrauchsüberlassungsverträgen, groben Undank, Störungen der Geschäftsgrundlage und - in ganz engen Grenzen die willkürliche Auflösung. 34 Schricker, GRUR 1979, S. 1, 3.

B. Verhältnis von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht

29

haben sich in einer Zeit entwickelt, der industrielle Massenproduktion und daraus resultierende Absatzprobleme unbekannt waren; sie weisen andere Wurzeln auf?5 Da unlautere Geschäftspraktiken demgegenüber keine oder nur eine verschwindend geringe Rolle spielten, musste das Vertragsrecht für entsprechende Phänomen keine eigenständigen Regelungen entwickeln. Hält man nun aus heutiger Sicht die flexible Generalklausel des UWG und die tatbestandlich eng umrissenen Anfechtungsrechte des BGB nebeneinander, ergibt sich beinahe zwangsläufig das Bild einer Schutzlücke zum Nachteil des Abnehmers. Entsprechendes gilt für die im heutigen Wirtschaftsleben überragend wichtige Werbung. Sie kommt als rechtlicher Bezugspunkt im BGB nicht vor, weil ihre wirtschaftliche Bedeutung zur Zeit der Kodifizierung noch nicht so immens war wie heute; ob die bürgerlich-rechtlichen Rechtsinstitute bei Werbung passen, ist deshalb Glücksache. 36 Bevor nun die wesentlichen Aspekte des komplexen Zusammenspiels von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht herausgegriffen werden sollen (unter 11.), bedarf es einiger Überlegungen zu der Stellung, die der Abnehmer im tatsächlichen und rechtlichen Geschehen des Marktes einnimmt (unter 1.). Erst vor dem Hintergrund der vom Abnehmer eingenommenen Rolle wird dann die Schlüsselfunktion des Vertragsschlusses im Marktgeschehen deutlich.

I. Der Abnehmer als Marktbeteiligter Mit dem Übergang von einer Knappheitswirtschaft zu einer Gesellschaft des Überflusses hat sich auf dem Konsumgütermarkt eine fundamentale Wandlung vollzogen. 37 Im Zeitalter der Massenproduktion besteht das ökonomische Hauptproblern heute nicht mehr in der Beschaffung von Rohstoffen oder der Produktion von Gütern, sondern vorrangig in deren Absatz. 38 In der Regel werden deshalb die Anbieter mit Hilfe der unterschiedlichsten Geschäftspraktiken aktiv und offensiv an den Markt herantreten und die Initiative für den Absatz ihrer Leistungen übernehmen, um den Nachfrager zu deren Erwerb zu veranlassen. Der so umworbene Nachfrager stand ursprünglich ganz außerhalb des wettbewerbsrechtlichen Schutzes?9 Schon sehr bald stellte sich aber heraus, 35 Eingehend zu den rechtshistorischen und rechtsphilosphischen Grundlagen des Irrtumsrechts Schermaier, ZEuP 1998, S. 60 ff. 36 Schricker, GRUR 1979, S. 1,3. 37 Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 64; Thieding, Suggestivwerbung und Verbraucherschutz, S. 4 ff. 38 Lehmann, S. 65. 39 Dezidiert etwa Baumbach, Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., S. 70: Nie und nimmer schütze das Wettbewerbsrecht das Publikum als Rechtssubjekt.

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I. Teil: Einleitung und Grundfragen

dass der Schutz bloß einer Seite der am Marktgeschehen Beteiligten, nämlich der miteinander konkurrierenden Anbieter, zu kurz griff und nicht alle nachteiligen Erscheinungen im Wettbewerb wirksam erfassen konnte. Neben dem alsbald anerkannten Schutz des Wettbewerbsbestandes und den Interessen der Allgemeinheit setzte sich zunehmend als eigenständiger Schutzzweck auch der Konsumentenschutz durch. 4o Heute wird diese Schutzrichtung, die 1965 mit der Aufnahme des Klagerechts für Verbraucherschutzverbände auch gesetzliche Anerkennung fand, nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt; sie gilt als allgemein anerkannt und selbstverständlich. 41 Mit der Anerkennung des Verbraucherschutzes durch das UWG und seiner Nebengesetze wurde nunmehr auch der Position der Nachfragerseite im Marktprozess verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet. Lobe hat seinerzeit den Wettbewerb als mehrseitiges Bemühen verschiedener Personen um dasselbe Ziel unter Einsatz bestimmter Tätigkeiten und Fähigkeiten beschrieben. Er sei vergleichbar mit Sportlern, die einander im gemeinsamen Wettkampf messen. 42 Diese Sichtweise ist zwar stark vereinfacht und entspricht nicht mehr dem heutigen differenzierten Wettbewerbsverständnis,43 gleichwohl lässt sich mit Hilfe dieses Bildes die Rolle der Nachfrageseite am Markt recht gut veranschaulichen. Wenn die Anbieter auf dem Markt mit Sportlern zu vergleichen wären, dann sind es die Konsumenten als Nachfrager der angebotenen Waren oder Leistungen, die über Sieg und Niederlage im Wettbewerb entscheiden. Sie übernehmen also bildlich gesprochen - die Rolle eines "Schiedsrichters" über die konkurrierenden Angebote auf dem Markt. 44 Von der Kaufentscheidung des Verbrauchers hängt es ab, ob sich die vom Anbieter auf dem Markt angebotenen 40 So bereits E. Ulmer, GRUR 1937, S. 769, 772, der allerdings noch nicht zwischen den Interessen der Allgemeinheit und der Konsumenten im Besonderen trennt. Schricker, GRUR 1974, S. 579 spricht von einem "Sieg der Konsumentenschutzidee"; ähnlich ders., GRUR Int 1996, S. 473, 476, es gelte für die Fortentwicklung der wettbewerblichen Schutzzwecke "ein Loblied des deutschen Richterrechts zu singen". Eingehend Beater, JZ 1997, S. 916 ff.; BaumbachlHejermehl, Ein!. UWG Rz. 40 ff. m.w.N. Vg!. auch Art. 1 der Richtlinie 1984/450/EWG über irreführende Werbung, wonach es Zweck der Richtlinie ist, den Verbraucher, geschäftlich tätige Personen sowie die Allgemeinheit vor irreführender Werbung und deren Auswirkungen zu schützen. 41 Vg!. nur Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, 3. Kapitel (S. 141 ff.); Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, § 1 Rz. 17 ff. Die Bedenken gegen den Verbraucherschutz zusammenfassend Samwer, GRUR 1969, S. 326 ff. Zu den Auswirkungen des wettbewerbsrechtlichen Verbraucherschutzes in der Praxis, von Falckenstein, Mitarbeiter-FS für Eugen Ulmer, S. 307 ff. 42 Lobe, Band I, S. 8 ff. 43 Eingehend Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 29 ff; BaumbachlHejermehl, Allg. Rz. I ff.; Meyer-Cording, WuW 1962, S. 461, 468 f. 44 BaumbachlHejermehl, Ein!. UWG Rz. 98; Scherer, Verbraucherwerbung, S. 35.

B. Verhältnis von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht

31

Waren oder Dienstleistungen absetzen lassen. Durch seine Entscheidung, ein bestimmtes Produkt zu konsumieren oder eine Leistung in Anspruch zu nehmen, bestimmt der Konsument den Absatzerfolg und damit Gewinn oder Verlust auf Anbieterseite. Die Verbraucher nehmen also nicht, wie lange Zeit angenommen wurde, lediglich eine passive Rolle auf dem Markt ein, sondern ihnen kommt eine eigenständige Bedeutung als Akteur im Marktgeschehen ZU. 45 Ein Wettbewerb ohne Konsumenten ist nicht denkbar, denn alle unternehmerischen Handlungen sind darauf ausgerichtet, Waren und Leistungen an den Konsumenten heranzubringen. 46 Der Konsument trifft seine Entscheidung, indem er einen Vertrag abschließt oder, weil er von dem Angebot nicht überzeugt ist, einen Vertrag gerade nicht eingeht. Der Vertragsschluss ist die elementare Voraussetzung für den vom Unternehmer angestrebten wirtschaftlichen Erfolg. Nur wenn sich der Verbraucher zum Erwerb einer Ware oder der Inanspruchnahme einer gewerblichen Leistung entschließt, erntet der Unternehmer die Früchte seiner Bemühungen in Form einer Gegenleistung. Man kann daher sagen, dass jedes unternehmerische Streben im Wettbewerb letztlich auf den Warenabsatz durch das Zustandebringen von Verträgen mit den Beteiligten der anderen Marktstufen zählt. 47 11. Die besondere Berücksichtigung der Interessenlagen auf Abnehmerseite 1. Rechtstatsächliche Befunde

Eine Untersuchung im Auftrage des Bundesministers der Justiz über die Schäden der Verbraucher durch unlauteren Wettbewerb im Rahmen eines verbraucherrechtlichen Forschungsprogramms des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrechts48 gelangte zu dem Ergebnis, dass die Verbraucher durch Wettbewerbsverstöße ganz unterschiedlich betroffen sein können. 49 Die Studie erfasst Wettbewerbsklagen vor Landgerichten aus den Jahren 1972 bis 1974, in denen Gewerbetreibende oder Verbände Wettbewerbsverstöße verfolgt und gerichtlich durchgesetzt hatten und in denen auch die Interessen der Verbraucher betroffen waren. 50 Den Ausgangspunkt bildete die Frage nach der Notwendigkeit eines wettbewerbsrechtlichen Schadensersatzanspruches 45 46

47 48 49 50

Burmann, WRP 1967, S. 240, 244 f.; Golt, GRUR 1976, S. 486, 487. Burmann, WRP 1967, S. 240, 244 f. Caltmann, Der unlautere Wettbewerb, S. 20. von Falckenstein, Schäden der Verbraucher durch unlauteren Wettbewerb, 1979. von Falckenstein, Rz. 36 ff. Zur Methode und zu den Einzelheiten der Erhebung, von Falckenstein, Rz. 7 ff.

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I. Teil: Einleitung und Grundfragen

für den einzelnen Verbraucher. Im Ergebnis wurden sieben Kategorien von typischen Verbraucherschäden durch unlautere Geschäftspraktiken unterschieden. 51 Im Einzelnen handelt es sich dabei um Schäden durch Anlockung und Umleitung, Aufwendungsschäden, Vertragsschäden, Differenzschäden, Preisirreführungen, Begleit- und Folgeschäden und Rechtsverfolgungskosten. Schäden durch Anlockung und Umleitung betreffen dabei ausschließlich die vorvertragliehe Situation und erfassen Sachverhalte, in denen der Abnehmer in Erwartung eines Vertrages vergebliche Aufwendungen macht. 52 Ebenfalls zu den Schäden außerhalb eines Vertrages gehören Schädigungen der Verbraucher durch untaugliche oder gefährliche Produkte und des Weiteren Kosten, die bei der Rechtsverfolgung entstehen. 53 Von zentraler Bedeutung für die Abnehmerseite ist aber der Vertrag, den der umworbene Verbraucher mit dem Anbieter von Waren oder Dienstleistungen abschließt. Die Schädigung des Verbrauchers kann hierbei in zweierlei Hinsicht auftreten. Schon der Vertrag als solcher, d.h. das Eingehen einer vertraglichen Bindung, kann für den Verbraucher einen Schaden bedeuten, wenn dieser ohne den unlauteren Einfluss den Vertrag gar nicht oder zu erheblich anderen Konditionen oder zu einem anderen Zeitpunkt abgeschlossen hätte. 54 Neben dem Eingehen einer vertraglichen Bindung kann die Abnehmerseite jedoch auch dadurch betroffen sein, dass die vertraglich geschuldete Leistung des Anbieters hinter den Werbeversprechen zurückbleibt. Der Verbraucher wird dann ganz häufig an dem Vertrag festhalten wollen; sein Interesse richtet sich auf das Beseitigen der Differenz zwischen den Anpreisungen in der Werbung und der tatsächlichen Beschaffenheit der Ware oder Leistung. 55 Ebenfalls zu diesen Differenzschäden werden in der Studie Irreführungen über den Preis gezählt, d.h. Fälle, in denen der Kunde über den tatsächlich zu entrichtenden Preis getäuscht wird oder im Unklaren belassen wird, sodass letztlich ein höherer Preis als angenommen gezahlt werden muss. 56 2. Die wesentlichen Aspekte

Aufbauend auf diese rechtstatsächlichen Erkenntnisse zeigt sich, dass die verschiedenen Formen unlauteren Verhaltens auf Verbraucherseite unterSi

52 53 54

55 56

von von von von von von

Falckenstein, Falckenstein, Falckenstein, Falckenstein, Falckenstein, Falckenstein,

Rz. Rz. Rz. Rz. Rz. Rz.

47; ders. WRP 1978, S. 502, 507 ff.

39.

45. 40. 43.

44.

B. Verhältnis von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht

33

schiedliche Interessenlagen hinsichtlich des geschlossenen Vertrages auslösen können. Untersuchungen zu dem soeben skizzierten Problemfeld beschränkten sich, obgleich häufig auf die genannte Studie Bezug genommen wurde, zumeist auf die Darstellung der rechtlichen Möglichkeiten des Konsumenten zur Abstandnahme vom Vertrag. Auch der Gesetzgeber hat die Lösung vom unlauter angebahnten Vertrag lange Zeit in den Vordergrund seiner Aktivität gerückt. So heißt es in der Begründung zum Entwurf eines Rücktrittsrechts des Abnehmers in § 13 b UWG aus dem Jahre 1978: "Die rechtstatsächlichen Untersuchungen haben ergeben, daß die für die Verbraucher die Möglichkeit einer Lösung vom Vertrag und einer Rückgabe der unter dem Eindruck einer irreführenden Werbeangabe erworbenen Gegenstände im Vordergrund des Interesses steht. Die Untersuchungen haben ferner ergeben, daß die Vertragspartner der zur Abnahme veranlaßten Verbraucher in einer sehr großen Zahl der Fälle zur Rückgängigmachung des Vertrages bereit waren, auch dann, wenn hierfür nach den Vorschriften des BGB keine Verpflichtung gegeben war und wenn über die Frage, ob ein Fall irreführender Werbung vorlag, zwischen den Parteien noch keine Übereinstimmung bestand. ,,57 Auch zu einem späteren Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahren bleibt es bei dieser Einschätzung: "Der Regelung des Rücktrittsrechts kommt somit eine Funktion zu, die der Erwartung der Mehrzahl der reklamierenden Verbraucher entspricht: Für sie steht die Möglichkeit einer Lösung vom Vertrag und einer Rückgabe der unter dem Eindruck einer irreführenden Werbeangabe erworbenen Gegenstände im Vordergrund des Interesses.,,58 Dass die Abstandnahme vom Vertrag als individualrechtliche Reaktion auf einen den Verbraucher betreffenden Wettbewerbsverstoß bislang im Mittelpunkt des Interesses stand, dürfte maßgeblich auf das im Wettbewerbsrecht dominierende Konkurrentenschutzdenken 59 zurückzuführen sein, das auch die individual vertragliche Betrachtung beeinflusst hat. Der Abnehmer ist nämlich keineswegs immer an einer Lösung des Vertrages interessiert, wohl aber nützt die Abstandnahme vom Vertrag stets dem Konkurrenten. Wenn der Abnehmer seine getroffene Entscheidung im Falle einer unlauteren Vertragsanbahnung rückgängig machen kann, steht er dem Wettbewerb als potenzieller Vertragspartner der übrigen Mitbewerber wieder zur Verfügung. Diese erhalten durch ein Vertragslösungsrecht gewissermaßen eine zweite Chance auf den Vertragsschluss. Macht man dagegen Ernst mit dem Verbraucherschutz im Wettbewerbsrecht und setzt diesen konsequent um, dann kann dies auch im Hinblick auf 57 BT-Drucksache 812145, S. 21. Zustimmend Ulrich, WRP 1978, S. 339. 58 BT-Drucksache 10/4741, S. 19. 59 Dazu Beater, Verbraucherschutz im Wettbewerbsrecht, S. 39 ff.; ders., JZ

1997, S. 916, 921. 3 Alexander

34

I. Teil: Einleitung und Grundfragen

das Verhältnis zum Vertragsrecht nicht ohne Konsequenzen bleiben. Insbesondere ist erforderlich, dass nicht ein Interesse des Verbrauchers überwertet und in den Vordergrund gerückt wird, sondern dass die unterschiedlichen Interessenlagen des Verbrauchers Beachtung finden. Die einzelnen Interessen gründen sich auf die spezifische Wirkung von unlauteren Geschäftspraktiken60 und sind davon abhängig, in welcher konkreten Form die Schiedsrichterfunktion der Abnehmer durch die unlautere Handlung gestört worden ist. Das macht eine differenzierte Betrachtung erforderlich. 61 Im Wettbewerbsrecht wird die Frage nach den spezifischen Gefahren, vor denen die Verbraucher im Marktgeschehen geschützt werden müssen, erst in jüngster Zeit so überhaupt gestellt;62 bislang begnügte man sich häufig mit dem Hinweis auf den Verbraucherschutz als Schutz zweck, ohne dessen Einzelheiten wirklich offen zu legen. Als wesentliche Schutzinteressen der Verbraucher werden einerseits der Schutz vor überhöhten Preisen und der Schutz vor nachteiligen Kaufentscheidungen andererseits genannt. 63 Bei letzteren können dann wiederum verschiedene weitere Schutzaspekte eine Rolle spielen: 64 eine Entscheidung kann nachteilig sein, weil der Abnehmer sie nicht ungestört treffen konnte oder sie ist nachteilig, weil er sich nicht auf Basis einer zutreffenden Informationsgrundlage entscheiden konnte. Ferner kann der Verbraucher mit einer Entscheidung auch schlichtweg überfordert sein. Ähnliche Unterscheidungen finden sich im Hinblick auf die Rechtsinstrumentarien des Verbraucherschutzes. 65 Ziele des Individualschutzes der Verbraucher sind danach die Gewährleistung einer optimalen Entscheidungsgrundlage beim Vertrags schluss, die Sicherung einer Entscheidungsfindung ohne äußeren Druck und die Möglichkeit zur Ausgestaltung und inhaltlichen Kontrolle der Geschäftsbeziehungen zwischen Anbieter und Verbraucher. 66 Die nachfolgend aufgeführten Gesichtspunkte unterschiedlicher Interessenlagen des Abnehmers im Verhältnis von Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht, an denen auch die weitere Untersuchung ausgerichtet wird, lehnen sich an die genannten Unterscheidungen an. Sie dürfen jedoch keineswegs als ein in sich geschlossenes System verstanden werden. Die hier vorgeBrandner, FS R. Fischer, S. 19, 23 f. Brandner, FS R. Fischer, S. 19, 24 f. 62 Beater, Verbraucherschutz im Wettbewerbsrecht, S. 121 ff.; GroßKomm-Schünemann, Ein!. UWG Rz. C 17 ff.; Scherer, Verbraucherwerbung, S. 62 ff. Im Ansatz bereits Schricker, GRUR Int. 1970, S. 32, 39. 63 Beater, Verbraucherschutz im Wettbewerbsrecht, S. 123 ff. 64 Beater, Verbraucherschutz im Wettbewerbsrecht, S. 125 ff. 65 Kemper, S. 185 ff. 66 Kemper, S. 186 ff., 220 ff., 257 ff., 326 ff. 60

61

B. Verhältnis von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht

35

nommene Unterteilung vermag nämlich, ähnlich der Fallgruppenbildung im Rahmen des § 1 UWG, keine materiell-rechtlichen Begründungen zu liefern. Auch gibt es keine trennscharfen Grenzen zwischen den einzelnen Konstellationen, die den Übergang zwischen den verschiedenen Interessenlagen markieren. Es besteht auch keine Identität zwischen den Fallgruppen des § 1 UWG und den hier zugrunde gelegten Interessenlagen. Die Bedeutung der Unterscheidung liegt vielmehr in der Erkenntnis, dass die Wechselwirkungen zwischen beiden Rechtsgebieten facettenreich sind. Durch neuartige Formen wettbewerbswidriger Praktiken, aber auch auf Grund gesetzgeberischer Aktivität können neue Regelungs- und Anpassungsbedürfnisse im Hinblick auf das Verhältnis von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht entstehen, die es notwendig machen, anhand der gefundenen Kriterien wiederum neue Lösungen zu entwickeln. a) Beeinträchtigung des Entscheidungsprozesses

Der Angriff auf den Entscheidungsprozess bildet die deutlichste Störung der Schiedsrichterfunktion des Abnehmers. Wird er unter Entscheidungsdruck gesetzt, dann richtet sich sein Interesse in vertraglicher Hinsicht in erster Linie auf das Ermöglichen einer unbeeinflussten Entscheidungsfindung. Das bedeutet, er möchte seine ursprüngliche "unfreie" Entscheidung zumindest nochmals überdenken und sie nötigenfalls wieder rückgängig machen. Während das Wettbewerbsrecht die Beeinträchtigung als solche bekämpft, können die verschiedenen individualvertraglichen Rechtsbehelfe zu einer Korrektur der getroffenen Entscheidung im Einzelfall führen und damit nachträglich korrigierend eingreifen. Dies ist die Domäne von Vertragsauflösungsrechten. Typische wettbewerbswidrige Verhaltensweisen, die ein solches Interesse begründen, sind Überraschungs- und Überrumpelungstaktiken, sowie physische und psychische Kaufzwänge. Dagegen wird der Abnehmer im Falle unlauterer Wertreklame eher an den Einhaltung des Vertrages interessiert sein, weil sich für ihn mit der unlauteren Geschäftspraktik ein handfester wirtschaftlicher Vorteil verbindet. b) Beeinträchtigung der Entscheidungsgrundlage

Differenziert zeigt sich die Interessenlage bei wettbewerblichen Fehlinformationen, also in Fällen, in denen der Abnehmer vor dem Vertragsschluss durch den Verkäufer oder einen Dritten unrichtig informiert worden ist. Die Schiedsrichterfunktion des Abnehmers ist hierbei gestört, weil sich der Verbraucher zwar frei entscheiden kann, allerdings auf Grundlage sachlich unzutreffender Informationen. Hier mag der Abnehmer nun wiederum 3*

I. Teil: Einleitung und Grundfragen

36

ein Interesse daran haben, die vertragliche Bindung aufzulösen, wie dies namentlich in § 13 a UWG vorgesehen ist. Eine Lösung vom Vertrag kommt für ihn insbesondere dann in Betracht, wenn er sich bei richtiger Information gar nicht für einen Vertrag oder jedenfalls nicht für einen Vertrag mit diesem Inhalt entschieden hätte. In diesem Zusammenhang erlangen auch Informationspflichten Bedeutung, die häufig in Spezialgesetzen enthalten sind und sicherstellen, dass der Abnehmer die für einen Vertragsschluss besonders wichtigen Informationen erhält. Das Wettbewerbsrecht kann dabei nötigenfalls gewährleisten, dass solche Informationspflichten auch tatsächlich erfüllt werden. Nicht selten fehlt es nämlich an einer wirksamen Sanktion für den Fall der Nichteinhaltung solcher Informationsgebote. Das Wettbewerbsrecht tritt dann gewissermaßen ergänzend neben die individualvertragliche Regelung und komplettiert diese. Obgleich die Interessenlage bei der Beeinträchtigung der Entscheidungsgrundlage zumindest teilweise derjenigen bei einer Beeinträchtigung des Entscheidungsprozesses entspricht, besteht zwischen beiden Fällen ein bedeutsamer Unterschied im Auflösungsmotiv: Wird der Entscheidungsprozess des Abnehmers beeinträchtigt, dann besteht ein Bedürfnis nach der Verlängerung der Überlegungsfrist. Dagegen ermöglicht die Vertragsauflösung im Falle einer Fehlinformation die Nachholung einer zuvor nicht möglichen informierten Entscheidung. 67 Die Auflösung des Vertrages muss aber nicht zwingend im Interesse des Abnehmers liegen. Wenn er nur mit einigen Konditionen des Vertrages nicht einverstanden ist, weil sie ihn unangemessen benachteiligen, dann bedarf es einer inhaltlichen Kontrolle und - wenn nötig - einer Korrektur, während der Vertrag im Übrigen wirksam bestehen bleibt. Verbindet sich mit der unlauteren Handlung sogar ein wirtschaftlicher Vorteil des Abnehmers, man denke hier nur an die Gewährung unzulässiger Rabatte, dann wird ihm häufig sogar sehr viel daran liegen, den Vertrag im Ganzen vollwirksam aufrecht zu erhalten. c) Haftungsrisiken des Abnehmers

Gefährlich für den Abnehmer sind schließlich Geschäftspraktiken, die zu einer unbeabsichtigten vertraglichen oder außervertraglichen Haftung führen. Die Beeinträchtigung des Abnehmers in seiner Schiedsrichterfunktion kann hier bei in zweierlei Weise geschehen. Im Extremfall ist dem Abnehmer gar nicht bewusst, dass er eine vertragliche Bindung eingeht, weil

67

Drexl, Selbstbestimmung, S. 457 zu § 13 a UWG.

B. Verhältnis von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht

37

er von der anderen Partei über die rechtliche Bedeutung einer Handlung getäuscht wird und ihm eine Entscheidung abgelistet wird. Das Gegenstück hierzu bilden Situationen, in denen sich der Abnehmer zwar scheinbar frei entscheiden kann, doch gleichgültig wie seine Entscheidung ausfällt, gerät in die Gefahr einer Haftung. Das klassische Beispiel hierfür ist das Zusenden unbestellter Waren. Der Empfänger konnte die Ware nutzen, musste sie dann aber bezahlen oder er bezahlte nicht, blieb aber zur Aufbewahrung verpflichtet. Letzterenfalls musste er im Falle des Untergangs oder der Verschlechterung der Ware gegebenenfalls Schadensersatz leisten. Obgleich diese Problematik über das Vertragsrecht hinausgreift, soll dieser Fragenkreis vorliegend mit einbezogen werden.

Il. Teil

Vertrag und Wettbewerb Bevor man sich den wechselseitigen Beziehungen und Synergieeffekten zwischen Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht im Detail zuwendet, ist es unabdingbar, zuvor den Gegenstand beider Rechtsgebiete und die unterschiedlichen Regelungskonzeptionen näher zu betrachten. Wettbewerb steht mit dem privatautonom geschlossenen Vertrag in einem ontologischen Zusammenhang. Das Fehlen von Wettbewerb bzw. die Beeinflussung des Wettbewerbs oder der Wettbewerbsbedingungen kann ein Eingreifen der Rechtsordnung zugunsten der dadurch unterlegenen Vertragspartei notwendig machen. Wettbewerb und Vertrag als rechtliche und tatsächliche Erscheinungen begründen jeweils unterschiedliche Interessenkonflikte, deren Lösung die Rechtsordnung gewährleisten muss. Dabei geht die Rechtsordnung jedoch keineswegs von einem wettbewerbsrechtlich und vertragsrechtlich identischen Maßstab aus. Vielmehr unterliegen beide Rechtsgebiete eigenen Prinzipien und Wertungen, die im Grundsatz verschiedenartige Regelungsansätze erfordern.

A. Wettbewerb als Voraussetzung des Vertrages I. Das rechtliche und das tatsächliche Phänomen Wettbewerb Wettbewerb gehört zu schillerndsten Begriffen und es wird mit Recht bezweifelt, dass es überhaupt möglich ist, einen für alle denkbaren Zusammenhänge und selbst nur einen für juristische Zwecke handhabbaren Wettbewerbsbegriff zu formulieren. 1 Der Gesetzgeber hat gut daran getan, den Begriff bei Schaffung des UWG nicht zu definieren, sondern in Form des Tatbestandsmerkmals "zu Zwecken des Wettbewerbs" lediglich als bestehend vorauszusetzen, was eine wirklichkeitsnahe und offene Interpretation zulässt,2 die nicht zuletzt für den langen Bestand des UWG und dessen Regelungserfolg verantwortlich sein dürfte. Es führt im vorliegenden Zusammenhang sicher nicht weiter, die unterschiedlichen Definitionen von 1 2

Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 597. Burmann, WRP 1967, S. 240, 241.

A. Wettbewerb als Voraussetzung des Vertrages

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Wettbewerb gewissennaßen vergleichend nebeneinander zu stellen und daraus Folgerungen abzuleiten. Vielmehr reicht hinzu, Wettbewerb als Inbegriff verschiedenartiger Phänomene sowohl rechtlicher als auch tatsächlicher Natur zu begreifen. Als Ausgangspunkt für rechtliche Zwecke wird das tatsächlich bestehende (reale) Phänomen Wettbewerb beschrieben als das selbstständige Streben sich gegenseitig im Wirtschaftserfolg beeinflussender Anbieter oder Nachfrager nach Geschäftsverbindungen mit Dritten. 3 Von dem Realphänomen Wettbewerb ist Wettbewerb als Ordnungsprinzip zu unterscheiden. 4 Wettbewerb wird als rechtliches Ordnungsprinzip und damit als Teil der durch die Prinzipien der Freiheit und Gleichheit aller Rechtspersonen verfassungsrechtlich statuierten Ordnung gewährleistet, innerhalb deren er und die Privatautonomie sich gegenseitig bedingen und ergänzen. 5 Das Vertragsmodell des BGB setzt eine solche auf das Bestehen von Wettbewerb gerichtete Ordnung voraus. 6 Umgekehrt ist der Vertrag nicht bloß das Mittel zur Ausübung von Privatautonomie, sondern ein zentrales Instrument der Marktwirtschaft. 7 Im Hinblick auf das Zustandekommen von Austauschverträgen zwischen der Anbieterseite und der Nachfragerseite am Markt kommt dem Wettbewerb als Realphänomen und dem Wettbewerb als rechtlichem Ordnungsprinzip eine Schlüsselfunktion zu. Zum einen sichert das Bestehen von (realem) Wettbewerb, dass es sowohl gesamtwirtschaftlich als auch im Einzelfall zum optimalen Einsatz der Ressourcen kommt. Zum anderen kann das Fehlen von Wettbewerb ein Indiz für die Notwendigkeit rechtlicher Kontrolle sein. Die marktwirtschaftliche Ordnung steht und fällt mit funktionsfähigem Wettbewerb; dem Staat kommt deswegen die Aufgabe zu, eine Wirtschaftsordnung zu schaffen und zu erhalten, in der sich Wettbewerb entfalten kann. 8 Die Rechtsordnung muss gewährleisten, dass bestehender Wettbewerb aufrechterhalten und funktionsgerecht ausgestaltet wird, und dass dort, wo kein Wettbewerb besteht, ein solcher hergestellt wird. 9

3 Burmann, WRP 1967, S. 240, 245; Fikentscher, WuW 1961, S. 788, 790 ff.; Baumbach/Hejennehl, Allg. Rz. 5 ff.; Meyer-Cording, WuW 1968, S. 461, 462. 4 Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 603 ff. 5 Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, § 5 Rz. 41. 6 Rittner, AcP 188 (1988), S. 101, 126 ff. 7 Pawlowski, FS Großfeld, S. 829, 832. 8 Drexl, Selbstbestimmung, S. 296 ff.; Eith, NJW 1974, S. 16, 19; alten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 16 ff. 9 Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 604; Drexl, Selbstbestimmung, S. 296 ff.; alten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 159 ff.

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11. Teil: Vertrag und Wettbewerb

11. Das Zusammenspiel von Vertrag und Wettbewerb 1. Wettbewerb als Basis optimaler Ressourcenverteilung

Ein Vertrag kommt nur zustande, wenn die beteiligten Parteien sich davon jeweils einen Vorteil versprechen. Dem Verkäufer liegt an dem Kaufpreis mehr als an der Ware; der Käufer seinerseits möchte in den Genuss der Ware kommen und ist bereit, dafür eine bestimmte Gegenleistung zu erbringen. Demjenigen, der eine fremde Leistung gegen eine eigene eintauschen möchte, bieten sich in aller Regel viele, im Zeitalter der Massenproduktion beinahe grenzenlose Auswahlmöglichkeiten. Seine eigene Leistung kann er aber nur ein einziges Mal erbringen. Je mehr dem Konsumenten an der zu erwerbenden Ware oder Leistung liegt, desto sorgfältiger wählt er zwischen den bestehenden Angeboten aus. 1O Er ist also bestrebt, aus den Angeboten dasjenige auszusuchen, das seinen Bedürfnissen am ehesten gerecht wird und das ihm als Gegenleistung für die eigene Leistung am würdigsten erscheint. Das Bestehen von Wettbewerb ermöglicht einen optimalen Einsatz an ökonomischen Ressourcen sowohl hinsichtlich eines einzelnes Geschäfts, als auch - bei einer Vielzahl geschlossener Geschäfte - gesamtwirtschaftlich betrachtet. 11 Wer im Wettbewerb gegenüber den Konkurrenten bestehen will, ist gehalten, die angebotenen Leistungen ständig zu verbessern und sie zu Konditionen anzubieten, die für den Abnehmer günstiger als die anderer Marktteilnehmer sind. Durch Wettbewerb ist stetige Fortentwicklung gesichert, er verhindert ein Verharren im status quo, da nur demjenigen der wirtschaftliche Erfolg gesichert ist, der Neuerungen entwickelt, frühzeitig aufkommenden Bedarf deckt und rationelle Produktions- und Verkaufsmethoden anwendet. 12 Diese Wirkungen von Wettbewerb hat eindrucksvoll bereits Josef Kohler beschrieben: "Keiner hat im Verkehr ein Anrecht darauf, daß sein Geschäft gedeiht, und das individualistische System unserer Zeit beruht gerade darauf, daß jeder mit seinen wirtschaftlichen Kräften sich bestrebt, das Beste zu erreichen und dadurch das kaufende Publikum zu gewinnen. Dadurch soll die Kraft der Nation aufs höchste gesteigert, Produktion und Handel zur höchsten Blüte gebracht werden. Jeder soll seinen Egoismus anspannen, um zu leisten, was er leisten kann; er soll Tag und Nacht auf Verbesserung sinnen, um dadurch sein Geschäft empor zu bringen und den Gegner aus dem Felde zu schlagen. Ein jeder ist daher der vernichtenden Tätigkeit eines einsichtsvolleren und wirtschaftlich mächtigeren Wettbewerbs Rittner, AcP 188 (1988), S. 101, 107. Adams, AcP 186 (1986), S. 453, 455 f.; FritschlWeinlEwers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 13 ff.; Kötz, Europäisches Vertragsrecht, § I 11 (S. 7 ff.); Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 16 ff. 12 Larenz, BGB AT, 7. Aufl., § 3 I (S. 53). 10 11

A. Wettbewerb als Voraussetzung des Vertrages

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preisgegeben, und keiner kann sich deswegen über den anderen beklagen.,,13 Im Wettbewerb "soll derjenige zum Ziele gelangen, welcher am besten für die Menschheit wirkt, also die beste Leistung gibt, und zwar gegen einen verhältnismäßig geringen Preis, so daß ein menschliches Gut möglichst vielen Personen zu Nutzen kommt. Wenn hier die Kräfte ringen und ein jeder mit allem Scharfsinn sich empor arbeiten will, so sorgt zwar der Einzelne für seinen Vorteil, aber diese Einzelbestrebung ist nur dann eine berechtigte, wenn sie in einer Weise geschieht, daß hierdurch die Ziele der Kultur erreicht und die Interessen der Gesamtheit gefördert werden.,,14

2. Wettbewerb als Voraussetzung "fairer" Verträge

Zu der verfassungsrechtlich garantierten Handlungsfreiheit gehört die Freiheit des Einzelnen, seine Rechtsverhältnisse privatautonom zu gestalten. Privatautonomie wird verstanden als Prinzip der SelbstgestaItung der Rechtsverhältnisse des Einzelnen nach seinem Willen. 15 Sie setzt voraus, dass der Einzelne auch die Macht zur Selbstbestimmung hat. 16 Privatautonomie gehört funktionell zu dem privatwirtschaftlichen System, das seine Leistungsfähigkeit gegenüber anderen Wirtschaftssystemen, insbesondere der staatlich gelenkten Planwirtschaft, unter Beweis gestellt hat. 17 Doch vermag die Privatautonomie ihre Funktion nur zu erfüllen, soweit ein Wirtschaftssystem besteht, dass Wettbewerb zulässt. 18

a) Wettbewerb als Korrektiv Es ist jedoch das ewige Dilemma der Privatautonomie, dass diese immer wieder durch ungleiche Machtverteilung in Frage gestellt wird. Einen Ausgleich dieser Ungleichgewichtslagen bietet die Existenz des Marktes und das Bestehen von Wettbewerb. 19 Die Macht der Selbstbestimmung wird allerdings nicht schon dadurch beeinträchtigt, dass sich wirtschaftlich ungleich starke Partner gegenüberstehen. Schon zur Zeit der Entstehung des BGB gab es wirtschaftliche Machtgefälle und es dürfte heute sogar schwerer sein, die wirtschaftliche Macht zu nutzen als dies damals der Fall gewesen ist. 20 So fehlte es seinerzeit an einer Kontrolle von Marktmacht, wie sie Kahler, Der unlautere Wettbewerb, S. 17. Kahler, Der unlautere Wettbewerb, S. 18. 15 Flume, BGB AT 11, § 1, 1 (S. 1). Zu weiteren Definitionen Bydlinski, Privatautonomie, S. 114 ff. 16 Flume, BGB AT 11, § 1, 7 (S. 10). 17 Medicus, Privatautonomie, S. 16. 18 Drexl, Selbstbestimmung, S. 94 f.; 300 ff. 19 Flume, BGB AT 11, § 1, 7 (S. 10). 20 Medicus, Privatautonomie, S. 17. 13

14

II. Teil: Vertrag und Wettbewerb

42

heute in erster Linie durch das GWB gewährleistet wird und des Weiteren stehen einer etablierten starken Marktposition heute als Gegengewicht Interessenverbände, Schutzvereinigungen, Bürgerinitiativen und dergleichen mehr gegenüber. Im Übrigen lässt sich das Verhandlungsgleichgewicht von Parteien nicht selten nur schwer bestimmen, weil ganz unterschiedliche Faktoren dafür heranzuziehen wären. 21 Der Markt eröffnet durch die Vielzahl von Anbieter und Nachfragern Ausweichmöglichkeiten, wodurch die bestehende Marktrnacht eines Marktteilnehmers wieder ausgeglichen wird. Im Idealfall bemüht sich der kapitalstarke Unternehmer intensiv auch um den "kleinen" Kunden, indem er ihm vorteilhafte Geschäftsbedingungen vermittelt. Denn täte er dies nicht, würde der Konsument, ganz seiner ökonomischen Schiedsrichterrolle gerecht werdend, zu einem anderen, ihm günstigeren Anbieter, wechseln. 22 Voraussetzung für die Macht zur Selbstbestimmung bei bestehenden Ungleichgewichtslagen ist jedoch, dass kraft einer Wirtschaftsordnung, die auf dem Prinzip der Selbstbestimmung beruht, die wirtschaftliche Macht des Stärkeren durch das Funktionieren des Marktes ausgeglichen wird. 23 Denn Wettbewerb setzt dem individuellen Streben nach günstigen Geschäften, also nach einer Gewinnmaximierung, Grenzen. Bei Existenz von Wettbewerb kann kein Beteiligter einseitig Marktrnacht ausüben und willkürlich Preise und Bedingungen diktieren. Der ausgleichende Marktmechanismus bewirkt eine Steuerung und Lenkung des Wirtschaftsprozesses?4 Das Vertragsmodell des BGB beruht auf der Existenz und dem Funktionieren des ausgleichenden Spiels von Angebot und Nachfrage, das der Wettbewerb ermöglicht. Privatautonomie und Wettbewerb bilden als Teil der verfassungsrechtlich statuierten Ordnung komplementäre Größen. 25 b) Marktversagen als Legitimation für ein Eingreifen der Rechtsordnung

Es wäre zu kurz gegriffen, wollte man aus der Nichtexistenz bzw. aus der Störung wettbewerblicher Prozesse kurzerhand auf die Fehlerhaftigkeit daraus resultierender Verträge schließen. Wer mit einem Monopolisten einen Vertrag eingeht, schließt deswegen nicht automatisch einen schlechten Medicus, Privatautonomie, S. 19 ff. Bydlinski, Privatautonomie, S. 170 f. 23 Adams, AcP 168 (1968), S. 453, 475 ff.; Flume, BGB AT II, § 1, 7 (S. 10); Meyer-Cording, WuW 1968, S. 461, 462. 24 Meyer-Cording, WuW 1968, S. 461, 462. 25 Drexl, Selbstbestimmung, S. 94 f.; Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, § 5 Rz. 41 ff.; ders. AcP 188 (1988), S. 101, 126 ff.; Wackerbarth, AcP 200 (2000), S. 45, 71. 21

22

A. Wettbewerb als Voraussetzung des Vertrages

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und nachteiligen Vertrag und es gibt auch keinen Grund, einem solchen Vertrag allein wegen der wirtschaftlichen Machtstellung einer Partei die rechtliche Anerkennung zu versagen. Auch wer durch eine Irreführung zum Vertrag verleitet worden ist, kann mit dem Vertrag gleichwohl zufrieden sein. Es mag sich ex post herausstellen, dass das erworbene Produkt zwar nicht die ursprünglich erwarteten Eigenschaften aufweist, wohl aber andere, die dem Kunden letztlich ebenso wichtig sind. Es gibt auch dann keinen Grund, die vertragliche Bindung der Parteien nicht zu respektieren. Zudem können bestehende Informationsdefizite auch einen Anreiz für das Hervorbringen von neuen Informationen sein; sie lösen den Selektionsmechanismus des Marktes aus und führen damit durch marktimmanente Prozesse zu einem Ausgleich durch ein Mehr an Informationen. 26 Es entspricht der Realität, dass sich kaum jemals gleich starke Verhandlungspartner gegenüberstehen. Das ist kein auf das Marktgeschehen beschränktes Phänomen, sondern kommt auch "im Kleinen" vor. Selbst bei Vertragsschlüssen zwischen Privatleuten können erhebliche wirtschaftliche und intellektuelle Unterschiede bestehen, die ein tatsächliches Machtgefälle zur Folge haben. Erst recht sind unterschiedliche Machtpositionen zu beobachten, wenn Konsumenten und Unternehmer miteinander in geschäftlichen Kontakt treten. Nun begründet aber die Übermachtstellung einer Partei, wie oben bereits dargelegt, für sich genommen noch keinen hinreichenden Grund, in deren wettbewerbliche oder vertragliche Betätigung einzugreifen. Es muss jedoch gewährleistet sein, dass die relative Verhandlungsstärke einer Seite durch funktionierende Marktmechanismen ausgeglichen wird?? Dies erfordert das Bestehen von Wettbewerb und dessen Funktionieren. Ein Eingreifen der Rechtsordnung wird erforderlich, wenn die Position der anderen Vertragspartei geschwächt wird, weil der Mechanismus gestört ist und ein Marktversagen vorliegt. Einer aus fehlendem oder eingeschränktem Wettbewerb resultierenden Machtstellung einer Vertragspartei wohnt ein Gefährdungspotenzial inne, das ein schützendes Eingreifen der Rechtsordnung legitimieren kann. Wo nicht nur ein starkes Machtgefälle besteht, sondern es zugleich auch an dem Ausgleich durch die Marktprozesse fehlt, vermag das Rechtsgeschäft seine Aufgabe, Rechtsgestaltung in Selbstbestimmung zu ermöglichen, nicht mehr zu erfüllen?8 Die Rechtsordnung darf dabei nicht die wirtschaftliche Überlegenheit als solche beseitigen, weil sie damit in den Kernbestand verfassungsrechtlich

26 27

28

Grundmann, JZ 2000, S. 1133, 1137. Medicus, Privatautonomie, S. 20 f. Bydlinski, Privatautonomie, S. 171; Drexl, Selbstbestimmung, S. 291.

44

II. Teil: Vertrag und Wettbewerb

geschützter Güter eingreifen müsste. Sie kann und muss aber Vorsorge treffen, damit Marktrnacht nicht missbraucht wird. 29 c) Die Verwendung unangemessener AGB

als exemplarische Konstellation

Verdeutlichen lässt sich das Marktversagen als Legitimation rechtlichen Eingreifens namentlich für die Inhaltskontrolle von vorformulierten Vertragsklauseln mit Hilfe des AGBG. 3o Von den in den Wirtschaftswissenschaften beschriebenen Erscheinungsformen des Marktversagens 31 liegt im Falle der Verwendung von inhaltlich unangemessenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Informationsasymmetrie 32 vor. 33 Die Selbststeuerung des Marktes ist gestört, weil es an den notwendigen Informationen für eine rational gewinn maximierende Entscheidung des Betroffenen fehlt. 34 Rechtliches Eingreifen ist erforderlich, wenn und weil der Markt strukturell versagt, da eine Seite ein bestehendes Informationsdefizit nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand beseitigen kann. 35 Vertragsinhalte werden vom Konsumenten nur wahrgenommen, wenn es sich um einfache Klauseln handelt. Im Übrigen unterbleibt meistens ein näherer Blick auf AGB-Klauseln und erst recht nimmt der Kunde keinen Vergleich einzelner Vertrags bedingungen unterschiedlicher Anbieter vor, weil dies für ihn einen erheblichen Aufwand und damit erhöhte Transaktionskosten bedeutet und weil ihm regelmäßig auch die notwendige Sachkunde fehlt, um vertragliche Risikozuweisungen und sonstige komplizierte rechtliche Regelungen im Klauselwerk überhaupt zu erkennen und hinsichtlich ihres Gehalts zu bewerten. 36 Zum Teil wird sogar angenommen, dass aus diesen Gründen gewissermaßen ein Wettbewerb um die schlechtesten Vertragsbedingungen herrsche. 37 Das ist sicherlich zu pointiert formuliert, 29 Henrich, FS Medicus, S. 199, 201; Lehmann, Mitarbeiter-FS Eugen Ulmer, S. 321, 328 ff. 30 Zu den unterschiedlichen Begründungen einer Inhaltskontrolle von AGB Lieb, AcP 178 (1978), S. 196 ff. 31 FitschlWeinlEwers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 91 ff. 32 Dazu FitschlWeinlEwers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, S. 262 ff. 33 LarenzIWolf, BGB AT, § 42 Rz. 8 f. 34 Grundmann, JZ 2000, S. 1133, 1136 f.; rechtvergleichend Henrich, FS Medicus, S. 199,201 ff.; von Hippel, Verbraucherschutz, § 4 II, III (S. 121 ff.; 127 ff.). 35 Grundmann, JZ 2000, S. 1133, S. 1137. 36 Canaris, AcP 200 (2000), S. 273, 321 ff.; Coester-Waltjen, FS Medicus, S. 63; von Hippel, Verbraucherschutz, § 4 I (S. 118 ff.); Kötz, Europäisches Vertragsrecht, § 8 IV 1 (S. 211 ff.), Lieb, AcP 178 (1978), S. 196,202; Medicus, JuS 1988, S. 761, 764; Wackerbarth, AcP 200 (2000), S. 45, 70. 37 Wackerbarth, AcP 200 (2000), S. 45, 70. Ähnlich Eith, NJW 1974, S. 16, 19.

B. Die Abgrenzung von Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht

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gleichwohl ist richtig, dass eine rechtliche Kontrolle notwendig ist, weil die Marktmechanismen eher die Gefahr begründen, dass nachteilige Klauseln Verbreitung finden, als dass sich im Wettbewerb die für den Verbraucher günstigsten Klauseln durchsetzen. Obgleich also der Wettbewerb das Streben um günstige Konditionen einschließt, ist er nicht in der Lage, eine Gewähr für angemessene Vertragsbedingungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu bieten. 38 Die Rechtsordnung kann auf funktionelles Versagen des Marktes unterschiedlich reagieren und hier nun liegt auch der Schlüssel zum Verständnis der wechselseitigen Beziehungen zwischen Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht. Sie kann sich damit begnügen, die zustande gekommenen Verträge lediglich im Einzelfall mit Hilfe des AGBG auf ihre inhaltliche Angemessenheit zu überprüfen und im Falle unangemessener Inhalte korrigierend eingreifen. Die Rechtsordnung kann andererseits auf "breiter Front" gegen unangemessene Klauseln vorgehen, indem die Verwendung solcher Klauseln dem Verdikt der Unlauterkeit unterworfen wird und damit die besonderen lauterkeitsrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten ausgelöst werden. Schließlich ist auch denkbar, dass beide Reaktionsmöglichkeiten komplementär eingesetzt werden, indem die Rechtsordnung sowohl individuell-reaktiv als auch generell-aktiv in das Geschehen eingreift. Dann bleibt wiederum zu klären, ob jeweils gleiche Maßstäbe angelegt werden müssen oder ob die Rechtsordnung auf Vertragsebene anderen Wertungen folgen muss als auf der wettbewerblichen Ebene.

B. Die Abgrenzung von Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht Stehen Wettbewerb und Vertrag in engem funktionalem Zusammenhang, bedarf es gleichwohl und gerade deswegen einer möglichst präzisen inhaltlichen und tatbestandlichen Abgrenzung bei der Rechtsmaterien. 39 Während das im BGB enthaltene Vertragsrecht Regelungen über das Zustandekommen und die Abwicklung privatautonom zustande gekommener Rechtsgeschäfte enthält, zielte das UWG ursprünglich auf einen deliktischen Konkurrentenschutz. Im Hinblick auf die Ausweitung der Schutzrichtungen des UWG muss die Abgrenzung nunmehr unter wettbewerbsfunktionalem Aspekt vorgenommen werden. 4o

38

70 f. 39 40

Drexl, Selbstbestimmung, S. 329 ff.; Wackerbarth, AcP 200 (2000), S. 45, Büchler, S. 89; Tilmann, GRUR 1979, S. 825, 827. Reichold, AcP 193 (1993), S. 204, 226 ff.

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11. Teil: Vertrag und Wettbewerb

UWG und BGB, die beiden zentralen Gesetze des Wettbewerbs- und Vertragsrechts, haben sich beinahe zeitgleich entwickelt, doch verfügt das Vertragsrecht über ungleich tiefere Wurzeln als das Wettbewerbsrecht, welches sich naturgemäß erst im Zuge der gravierenden Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse durch die zunehmende Industrialisierung herausbilden konnte. Das erste Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs trat 1896 in Kraft, also in dem Jahr, in dem auch das BGB fertiggestellt wurde. 41 Der Unterschied zwischen beiden Rechtsmaterien wurde bereits während der Entstehung des UWG von 1896 und bei der Überarbeitung des UWG 1909 deutlich herausgearbeitet. Es lässt sich daher nicht sagen, dass die Problematik der Auswirkungen unlauteren Verhaltens auf daraufhin geschlossene Verträge erst mit der Aufnahme der Verbraucherschutzdiskussion im Allgemeinen und dem Verbraucherschutz als Schutzzweck im UWG im Besonderen aufgeworfen wurde. Das Problem war von Beginn an existent und es wurde auch von Anfang an gesehen, nur blieb es zunächst auf Grund der verengten Perspektive zunächst ausgeblendet. Es wurde mehr als ein halbes Jahrhundert nach Inkrafttreten des ersten UWG gewissermaßen wiederentdeckt. I. Deliktische Ausrichtung des UWG Das Verhältnis von Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht konnte deshalb trotz der Erkenntnis eines möglichen Ineinandergreifens beider Rechtsgebiete keine Rolle spielen. Der Blick des Wettbewerbsrechts war zunächst ausschließlich auf den Schutz des Konkurrenten gerichtet und befand sich damit in enger Verwandtschaft zum allgemeinen Deliktsrecht. 42 Das UWG von 1896 verfolgte noch das Ziel, die nach Ansicht der Gesetzesverfasser schlimmsten Wettbewerbsverstöße detailliert und durch genau umrissene Tatbestände zu erfassen. Dabei handelte es sich um "per se"-Verbote von Geschäftspraktiken, die für besonders schädlich gehalten wurden. 43 Der Konsument als Marktbeteiligter und damit auch dessen Vertrag mit dem Anbieter stand ursprünglich ganz außerhalb des wettbewerbsrechtlichen Schutzes und blieb dem allgemeinen Delikts- und Vertragsrecht überlassen. Ganz im Sinne eines auf Konkurrentenschutz ausgerichteten Schutzes durch das Wettbewerbsrecht wurde der zugleich bewirkte Schutz des Konsumenten gleichsam als bloßer Rechtsreflex begriffen: Ausfertigung am 18.8.1896; in Kraft getreten am 1.1.1900. Callmann, Der unlautere Wettbewerb, S. 48: Das UWG sei zwar rechtssystematisch nicht unter dem Begriff der unerlaubten Handlungen i.S.d. BGB zu erfassen, doch handele es sich um rechtsähnliche Tatbestände, die den gleichen Schutzgegenstand betreffen. 43 Reichold, AcP 193 (1993), S. 204, 221 ff. 41

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B. Die Abgrenzung von Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht

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"Der Schutz des konsumierenden Publikums gegen Uebervortheilungen ist nicht der unmittelbare Zweck eines gegen den unlauteren Wettbewerb gerichteten Gesetzes, wenngleich Maßregeln, die in den gegenseitigen Beziehungen der Gewerbetreibenden Treu und Glauben zu befestigen bestimmt sind, mittelbar auch dem Interesse ihrer Abnehmer entgegenkommen werden. ,,44

Der einzelne Vertrag des Konsumenten blieb damit ebenso wie eine individuelle Verletzung seiner Rechte durch unlautere Geschäftspraktiken außen vor. Diese Problematik sollte ausschließlich dem Bürgerlichen Gesetzbuch vorbehalten bleiben: "Eine Klage im Sinne des § 1 steht nur dem Mitbewerber, nicht aber dem durch die trügerischen Vorspiegelungen geschädigten Käufer zu. Die Ansprüche des letzteren zu regeln, liegt nicht im Rahmen des Entwurfs. Maßgebend hierfür bleiben bis zur Verabschiedung des bürgerlichen Gesetzbuchs die civilrechtlichen Bestimmungen der Landesgesetzgebungen. ,,45

Mit dem in den §§ 823 ff. BGB verkörperten Schutzsystem ließen sich die wettbewerbsschädlichen Verhaltensweisen allerdings nur unvollständig erfassen. 46 § 826 BGB ermöglichte zwar eine erste umfassende Kontrolle wirtschaftlicher Betätigung, weil die Norm mit den guten Sitten eine autonome Tatbestandsbildung zuließ und daher geschmeidiger auf neuartige und unvorhersehbare Praktiken im Wettbewerb reagieren konnte als dies mit den eng gefassten Vorschriften des UWG von 1896 der Fall war. Gleichwohl blieb die Schlagkraft des § 826 BGB gering, weil die subjektiven Anforderungen mit dem Erfordernis des Vorsatzes sehr hoch gesteckt waren. Dies führte zu einer baldigen Novellierung des Gesetzes, mit der die systematische Zuordnung des UWG zum Deliktsrecht allerdings noch unterstrichen wurde, was insbesondere an der engen tatbestandlichen Anlehnung des § 1 UWG an § 826 BGB deutlich wird: "Die GeneralklauseI solle das ganze Gesetz beherrschen. Es handele sich darum, dem im § 826 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ausgesprochenen Grundsatze eine besondere Richtung auf dem Gebiet des unlauteren Wettbewerbs zu geben. Freilich müsse § 826 auf fahrlässige Schadenszufügungen ausgedehnt werden.,,47

44 Begründung zum dritten Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 3.12.1895, in: Stenographische Berichte des Reichstages, IV. Session 1895/97, IX. Legislaturperiode, I. Anlagenband, Nr. 35, S. 101. 45 Begründung, a. a. 0., S. 104. 46 Reichold, AcP 193 (1993), S. 204, 217 ff. 47 Bericht der 35. Kommission zur Vorberathung des Entwurfs eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, I. Session 1907/09, XII. Legislaturperiode, Band 255, Nr. 1390, S. 8433, 8434. Zuvor war die Einfügung einer GeneralklauseI dagegen noch skeptisch beurteilt worden, vgl. die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, in: Stenographische Berichte über die Verhand-

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11. Teil: Vertrag und Wettbewerb

Die deliktsrechtliche Ausrichtung des UWG wird des Weiteren deutlich an der im Gesetz getroffenen Regelung der Klageberechtigung. Klageberechtigt sollten Gewerbetreibende sein, die Waren oder Leistungen gleicher oder verwandter Art herstellten bzw. in geschäftlichen Verkehr brachten,48 also in erster Linie diejenigen, die nach damaliger Sichtweise als Mitbewerber vom Wettbewerbsverstoß unmittelbar betroffen waren. Dass neben dem geschützten Konkurrenten auch gewerbliche Verbände klageberechtigt waren, erklärt sich aus dem verfolgten Schutzkonzept des UWG. 49 Die wettbewerbsrechtliche Ordnung sollte ursprünglich nicht mit hoheitlichen Mitteln durchgesetzt werden, wenngleich spätere Nebengesetze einen unverkennbar gewerbepolizeilichen Charakter tragen. 50 Das Aufrechterhalten des lauteren Wettbewerbs wurde in die Hände der Beteiligten gelegt. 51 Schließlich spiegelt sich die deliktische Ausrichtung des UWG auch in der früher geführten Diskussion um das Schutzobjekt des Wettbewerbsrechts wieder. In Anlehnung an das allgemeine Deliktsrecht wurde nach dem spezifisch durch das UWG geschützte Rechtsgut gesucht. 52 In Betracht gezogen wurden dabei das Persönlichkeitsrecht des Gewerbetreibenden,53 der Schutz des Untemehmens 54 und das Recht auf wirtschaftliche Betätigung. 55 Der Streit hat an Bedeutung verloren56 und kann mittlerweile wohl als überwunden bezeichnet werden. 57 lungen des Reichstages, I. Session 1907/09, XII. Legislaturperiode, Band 252, Nr. 1109, S. 9 f. 48 So die Formulierung, die sich unverändert in den einzelnen Entwürfen zum UWG und in § 1 UWG 1896 wiederfanden; vgl. die Synopse bei Lobe, Band III, S. 434 ff. 49 Ahrens, WRP 1980, S. 130 ff.; Beater, ZHR 159 (1995), S. 217, 219 ff. 50 Zu nennen sind insbesondere die ZugabeVO und das Rabattgesetz, mit denen zu Beginn der dreißiger Jahre auf die schwere Wirtschaftskrise in Deutschland reagiert wurde; vgl. dazu die Erläuterungen zur Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze der Wirtschaft vom 9.3.1932, Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger Nr. 61 vom 21.3.1932, S. 1 ff. sowie die Begründung zum Gesetz über Preisnachlässe vom 25.11.1933, Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger Nr. 284 vom 5.12.1933, S. 4 f. Auch die PreisAngVO hat trotz ihrer verbraucherschützenden Tendenz gewerbepolizeilichen Charakter, wie sich insbesondere aus § 10 PreisAngVO ergibt, wonach Verstöße als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. 5l Zur Deutung des Verbandsklagerechts als "actio pro institutione" Reichold, AcP 193 (1993), S. 204, 223 m. W.N. 52 Vgl. Baumbach, Wettbewerbsrecht, Kap. 5, S. 67 ff. 53 Kohler, Der unlautere Wettbewerb, S. 17 ff.; Lobe, Band I, S. 145 ff. 54 Callmann, Der unlautere Wettbewerb, S. 26 ff. 55 Finger, Einleitung, Rz. 5. 56 So bereits E. Ulmer, GRUR 1937, S. 769, 772: "Ich konnte und ich kann der Fragestellung in dieser Form eine wesentliche Bedeutung nicht zugestehen."

B. Die Abgrenzung von Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht

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11. Der regelungsbedürftige Interessenkonflikt

Neben der rechtssystematischen Verortung des Wettbewerbsrechts im Deliktsrecht ergibt sich ein weiterer wesentlicher Aspekt zur Unterscheidung und Abgrenzung von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht aus der Verschiedenheit der zu regelnden Interessenkonflikte. UWG und Vertragsrecht regeln ganz verschiedenartige Interessenkonflikte und müssen deshalb notwendigerweise an die rechtliche Bewertung ganz unterschiedliche Maßstäbe anlegen und jeweils spezifischen Prinzipien folgen. Beide Rechtsgebiete können deshalb in ihren Bewertungen gar nicht deckungsgleich sein. Dass nicht jede Unlauterkeit sozusagen spiegelbildlich eine individual vertragliche Reaktion nach sich zieht, ist deswegen nicht Ausdruck einer Schutzlücke, sondern beweist zunächst einmal nur, dass beide Rechtsgebiete eigenen Grundsätzen folgen. 58 Damit ist aber weder gesagt, dass es nicht möglich und sinnvoll wäre, beide Rechtsgebiete einander anzupassen und in ihrer Bewertung aufeinander abzustimmen, noch dass es einer solchen Abstimmung gerade nicht bedürfte. 1. Die gegensätzlichen Interessen im Vertragsverhältnis

Finden sich zwei Vertragsparteien zusammen, dann sind sie sich über den Austausch ihrer Leistungen einig und doch verfolgen sie gemeinsam gerade entgegengesetzte Ziele: im einfachsten Falle ist der Käufer am Erhalt der Ware, der Verkäufer hingegen am Kaufpreis interessiert und beide wollen insoweit wieder übereinstimmend - jeweils ein möglichst vorteilhaftes Geschäft eingehen. Der Vertrag bildet die rechtliche Basis dieser Tauschoperation und das Vertragsrecht ist auf die Regelung dieses Austauschverhältnisses ausgerichtet. Von Bydlinski sind vier Prinzipien herausgearbeitet worden, die den Regelungen über verpflichtende Rechtsgeschäfte zu Grunde liegen: 59 Die Privatautonornie, im Speziellen die Vertragsfreiheit als rechtliche Ennächtigung zur willentlichen Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch die unmittelbar Beteiligten, die Verkehrssicherheit als Schutz des Vertrauens in den erklärten Willen eines anderen, der Gedanke der inhaltlichen Äquivalenz oder Vertragsgerechtigkeit im Sinne einer noch einigennaßen ausgewogenen Verteilung der wirtschaftlichen Werte und sonstigen Vertragspositionen und schließlich die ethische Kraft der Vertragstreue als Bindung an das gegebene Wort. 57 Burmann, WRP 1967, S. 240, 246. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, § 1 Rz. 20 f. bezeichnet den Streit als unfruchtbar und Sackgasse. 58 Körner, GRUR 1996, S. 618, 620. 59 Bydlinski, Privatautonomie, S. 122 ff. 4 Alexander

II. Teil: Vertrag und Wettbewerb

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Diese Prinzipien stehen nicht gleichstufig und unveränderlich nebeneinander, sondern sind gradueller Abstufung zugänglich. Sie liefern keine Antworten auf Einzelfragen,60 sondern entfalten ihre Kraft erst im Zusammenspiel im Sinne eines beweglichen Systems. 61 2. Die parallele Ausrichtung der Interessen im Wettbewerb

Demgegenüber ist der Regelungsgegenstand im Wettbewerbsrecht ein grundsätzlich anderer und notwendigerweise ist das Wettbewerbsrecht von anderen prägenden Leitgedanken durchzogen. Schon 1923 wurde dies durch von Wiese im Hinblick auf das Wesen von Konkurrenz bestechend genau herausgearbeitet. Es sei notwendig, ,,[ ... ] nur dort von Konkurrenz zu reden, wo gleiche Ziele erstrebt werden. Es geht nicht an, den Begriff so zu dehnen, daß, wie es geschehen ist, der Interessengegensatz zwischen Anbietern und Nachfragern als Konkurrenz bezeichnet wird. [... ] Danach läßt sich die Konkurrenz als das soziale Verhältnis zwischen das gleiche Ziel anstrebenden Kollektiva bezeichnen, in dem die gegnerischen Einflüsse zusammengefaßt werden, die aus der Gleichheit des Strebens (der Einzelwesen usw.) hervorgehen.,,62 "Die Art der Gegnerschaft durch Konkurrenz ist nicht absolut; Konkurrenz ist ihrem eigentlichen Wesen nach zunächst keineswegs Konflikt, Kampf schlechtweg. Sie hat nur die Tendenz, Konflikt zu werden. Zunächst bewirkt der Umstand, daß neben uns andere, deren Interessen nicht unsere Interessen sind, dasselbe erstreben, nicht unbedingt Feindseligkeit; die Rückwirkung auf unser Handeln oder Unterlassen kann sehr verschiedenartig, vielleicht nur anspornend sein. Konkurrenz kann eine rein sachliche Beziehung des Nebeneinander sein, die nur insofern gegnerischer Natur ist, als unmittelbar ein Zuwachs an eigenem Vorteil als Nachteil des Partners aufgefaßt wird und umgekehrt. Dabei können sich aber mittelbar und letztlich sogar gegenseitige Interessenförderungen aus Konkurrenz ergeben. Zum Konflikt wird die Konkurrenz dann, wenn sich die nebeneinander tätigen Wettbewerber gegeneinander kehren und in Feindseligkeit die direkte Schädigung des Partners erstreben.,,63

Diese Gleichrichtung der widerstreitenden Interessen unterscheidet das Wettbewerbsrecht fundamental von dem Vertragsrecht. Im Wettbewerb wird ein mikroökonomisches Spannungsverhältnis aufgebaut, das darauf abzielt, Medicus, BGB AT, Rz. 479. Bydlinski, Privatautonomie, S. 124 f. 62 von Wiese, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 5. Bd., S. 825, 826. Hervorhebung im Original. 63 von Wiese, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 5. Bd., S. 825, 827. Hervorhebung im Original. Vgl. auch Lehmann, Mitarbeiter-FS E. Ulmer, S. 321, 328; Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, S. 13 f. 60

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B. Die Abgrenzung von Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht

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den Abnehmer zur Wahrnehmung seiner Schiedsrichterrolle zu veranlassen. Dieses Spannungsverhältnis erlischt, wenn der Abnehmer seine Entscheidung gefällt hat. 64 Während im Vertragsverhältnis die Parteien gemeinsam entgegengesetzte Interessen verfolgen, sind die Interessen der Wettbewerber parallel ausgerichtet und stehen in Bezug auf einen einer anderen Wirtschafts stufe angehörenden Dritten. 65 Das Verhältnis von Konkurrenten in diesem Parallel prozess hat distrahierende, das Spannungsverhältnis der Marktpartner im individualvertraglichen Austauschverhältnis kontrahierende Tendenz. 66 Diese Deutung basiert im Kern auf der ursprünglichen konkurrentenschützenden Ausrichtung des Wettbewerbsrechts und liefert ein unverzerrtes Erklärungsmodell für den Wirkungsbereich des Horizontalwettbewerbs. 67 Es ist freilich auch möglich, dass Händler sowohl als Nachfrager gegenüber Anbietern der vorgeordneten Marktstufe, als auch als Anbieter gegenüber Nachfragern einer nachgeordneten Marktstufe auftreten, sodass es auch zwischen den verschiedenen Marktstufen zum Wettbewerb kommt. 68 Das klassische Beispiel hierfür bildet der Vertrieb von Waren durch den Hersteller über den Fach- und Einzelhandel als auch im Wege des Direktvertriebs. An dem grundsätzlichen Interessenkonflikt, der das Wettbewerbsrecht charakterisiert, ändert sich dadurch allerdings nichts. Es muss auch im Wettbewerb zwischen den Marktstufen unterschieden werden zwischen den auf Geschäftsabschlüsse gerichteten Interessen der miteinander konkurrierenden Beteiligten und dem Austauschprozess zwischen ihnen, durch den es zur Güterverschiebung kommt. Wird nun zwischen den Angehörigen verschiedener (möglicherweise auch miteinander konkurrierender) Marktstufen ein Austauschverhältnis begründet, dann liegt in diesem Verhältnis zwischen ihnen kein Wettbewerb und damit auch kein dem UWG unterliegender Interessenkonflikt vor. 69 Auch das Anerkennen weiterer Schutzzwecke im Wettbewerbsrecht spricht nicht grundlegend gegen die oben vorgenommene Deutung. Dass etwa die Belange der Verbraucher ebenfalls durch das Wettbewerbsrecht geschützt werden, besagt zunächst nur, dass es zu Überlagerungen zwischen 64 Fikentscher, WuW 1960, S. 680, 683 f.; ders., WuW 1961, S. 788, 795 f.; BaumbachlHefermehl, Allg. Rz. 10; Meyer-Cording, WuW 1962, S. 461, 466; GroßKomm-Schünemann, Einl. UWG Rz. D 250. 65 Fikentscher, WuW 1960, S. 680, 685. 66 Baumbachl Hefermehl, Allg. Rz. 10. 67 Fricke, GRUR 1976, S. 680, 683. 68 Fikentscher, WuW 1960, S. 680, 682 ff.; ders., WuW 1961, S. 788, 795 f.; Fricke, GRUR 1976, S. 680, 683; Sölter, Nachfragemacht und Wettbewerbsordnung, S. 54 ff.; ders. WRP 1977, S. 445, 450. 69 Meier, WRP 1978, S. 514, 516. 4*

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II. Teil: Vertrag und Wettbewerb

Wettbewerbsrecht, allgemeinem Vertragsrecht und besonderen Verbraucherschutzgesetzen kommen kann, und dass bestehende Wertungen beachtet und übernommen werden müssen, um zu einer sinnvollen Abstimmung der Rechtsgebiete zu gelangen. Geschützt werden durch das Wettbewerbsrecht aber nicht sämtliche Verbraucherinteressen, sondern wiederum nur diejenigen, die durch spezifisch wettbewerbliehe Betätigung der Marktgegenseite beeinträchtigt werden. 7o Bei der Übernahme wettbewerbsrechtlicher Wertungen auf angrenzende Rechtsgebiete ist deshalb Vorsicht geboten. Es kann nämlich sein, dass die Beurteilung einer Geschäftspraktik anhand der unterschiedlichen Schutzzwecke des UWG zu identischen Ergebnissen auf Grund ganz unterschiedlicher Überlegungen gelangt. 7l Umgekehrt können die Schutzbedürfnisse der Marktteilnehmer auch zu divergierenden Ergebnissen führen,72 obgleich ein und dieselbe Handlung, gewissermaßen durch unterschiedlichen Brillen, betrachtet wird. Dass beispielsweise das Nachahmen fremder Leistungen unlauter ist, erklärt sich aus der Perspektive des zu schützenden Konkurrenten vor allem mit dem Schutz seiner Investitionen und der Möglichkeit, die Entwicklungskosten auf dem Markt wieder zu erwirtschaften. Dagegen kann ein Schutzbedürfnis aus Verbrauchersicht bestehen, weil die Gestaltung und Aufmachung eines nachgeahmten Produktes den Eindruck des Originals erweckt, sodass der Erwerber dadurch über die Herkunft der Ware getäuscht wird. Man darf deshalb aus der Unlauterkeit einer Nachahmung nicht auf die Notwendigkeit eines individualrechtlichen Schutzes zwischen den Vertragspartnern schließen. IH. Der Aspekt der Breitenwirksamkeit Das Wettbewerbsrecht ist im Gegensatz zum Vertragsrecht konzeptionell auf Breitenwirksamkeit ausgerichtet. Dies zeigt sich am deutlichsten an dem durch § 13 Abs. 2 UWG verwirklichten Sanktionskonzept des Selbstschutzes des Marktes und der Marktteilnehmer durch die Beteiligten. Nicht nur der einzelne durch eine Unlauterkeit geschädigte Wettbewerber soll einen Wettbewerbs verstoß geltend machen, sondern auch Gewerbeverbände und Verbraucherschutzvereine können gegen unlautere Geschäftspraktiken vorgehen. Damit wird ein über den Einzelfall hinausgehender Schutz verwirklicht. Auf diesen Gesichtspunkt, der für die Abgrenzung von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht eine ganz entscheidende Rolle spielt, ist von Bydlinski hingewiesen worden. 73 70 71

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Ahrens, WRP 1972, S. 57, 60; Samwer, GRUR 1969, S. 326, 328. Schricker, GRUR Int. 1970, S. 32, 39. Hefermehl, FS Kastner, S. 183, 197.

B. Die Abgrenzung von Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht

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Die Tatbestände des Wettbewerbsrechts betreffen unternehmensexterne Handlungen, die den wirtschaftlichen Erfolg anderer Unternehmen in ihrer Betätigung auf dem Markt beeinflussen können?4 Die Rechtswidrigkeit solcher Verhaltensweisen ergibt sich aus den Verhaltensanforderungen des Wettbewerbsrecht, die nach Sinn und Zweck spezifisch auf die unternehmerische Aktivität im Wettbewerb ausgerichtet sind. Dass hierfür nicht die allgemeinen Regelungen genügen, erklärt sich daraus, dass die unternehmerische Tätigkeit die Anbahnung und Abwicklung vieler ähnlicher Geschäfte beinhaltet. Diese Vielzahl realer und potenzieller Geschäftsabschlüsse führt dazu, dass durch ein und dieselbe Handlung größere Nachteile entstehen können als im Einzelfall. 75 Die Rechtsprechung hat sich ähnlicher Überlegungen bedient und diese bei der Beurteilung von Geschäftspraktiken, die als vereinzeltes Phänomen zunächst unbedenklich waren und sich erst bei massenhafter Anwendung zu einer Gefahr für den Wettbewerb und die Marktteilnehmer entwickeln konnten, herangezogen. Allerdings ging es dabei nicht um die Abgrenzung des Wettbewerbsrechts zum Vertragsrecht, sondern um die Begründung der Unlauterkeit. 76 Der "Multiplikatoreffekt" unternehmerischen Handeins begründet die Tendenz zu zusätzlichen Verhaltensrestriktionen. Was im Einzelfall hinzunehmen sein mag, kann bei massenhaftem Einsatz zu Schädigungen der Konkurrenten, des Wettbewerbs als Institution und der Abnehmer führen. 77 Bei Geschäften zwischen Privatleuten besteht deshalb tendenziell ein größerer Handlungsspielraum als dies bei der Betätigung am Markt der Fall wäre. Wie eng dieser Aspekt mit der oben bereits erwähnten Unterschied73 Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 596 ff. Ferner auch Sack, BB 1987, S. 1048, 1051 und Reich, JuS 1978, S. 451, 454, beide aber jeweils nur im Hinblick auf die Unlauterkeit einer unterbliebenen oder unzureichenden Widerrufsbelehrung beim Abzahlungskauf, ohne den tragenden Grundgedanken herauszuarbeiten. In Andeutungen bereits Callmann, Der unlautere Wettbewerb, S. 54 sowie Kohler, Der unlautere Wettbewerb, S. 25. 74 Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 608 ff. 75 Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 609. 76 Ursprünglich spielte dieser Aspekt nur im Zusammenhang mit einer drohenden Marktverstopfung durch das Verschenken von Originalware eine Rolle: RG, Urt. vom 19.10.1937, GRUR 1938, S. 207, 210 (Persil); RG, Urt. vom 27.3.1936, GRUR 1936, S. 810, 812 (Diamantine); BGH, Urt. vom 22.2.1957, Bd. 23, S. 365, 372 (Suwa); BGH, Urt. vom 26.3.1965, Bd. 43, S. 279, 282 (Kleenex); BGH, Urt. vom 18.12.1968, Bd. 51, S. 236, 242 (Stuttgarter Wochenblatt I); BGH, Urt. vom 22.1.1969, GRUR 1969, S. 295, 196 (Goldener Oktober); BGH, Urt. vom 26.3.1971, GRUR 1971, S. 477 (Stuttgarter Wochenblatt II). Später wurde der Gedanke auch auf andere Geschäftspraktiken ausgedehnt: BGH, Urt. vom 22.12.1961, GRUR 1962, S. 415, 417 (Glockenpackung); BGH, Urt. vom 1.2.1967, GRUR 1967, S. 430 (Grabsteinaufträge I); BGH, Urt. vom 14.5.1992, GRUR 1992, S. 622 (Verdeckte Laienwerbung). 77 Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 609 f.

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11. Teil: Vertrag und Wettbewerb

lichkeit der zu regelnden Materien zusammenhängt, mögen exemplarisch der Vertragsschluss unter Zwang und die Beurteilung von missverständlichen Äußerungen belegen. Vertragsrechtlich ist das Bestehen einer Zwangslage, gleichgültig wie diese zustande gekommen ist, für sich genommen kein Grund, an der Gültigkeit eines daraufhin geschlossenen Rechtsgeschäftes zu zweifeln. 78 Die Rechtsordnung muss auch und gerade die Befriedigung dringendster Bedürfnisse ermöglichen, in denen sich der Betroffene einer erheblichen Drucksituation ausgesetzt sieht; man denke hier nur an einen Patienten, der, damit sich sein Gesundheitszustand nicht verschlimmert, einen Arzt ruft. 79 Derartige Verträge werden von der Rechtsordnung anerkannt, sie sind wirksam und durchsetzbar. Das Vertragsrecht lässt nur aus besonders schwerwiegenden Gründen - insbesondere in den Fällen der §§ 123, 138 BGB - ein Durchbrechen der vertraglichen Bindung zu. Das für die Wirksamkeit eines Vertrages gerade noch akzeptable Maß an Zwang im einzelnen Vertragsverhältnis wäre jedoch im Wettbewerb nicht mehr tolerabel. 80 Wenn der einzelne Privatmann beim Verkauf etwa seines Kraftfahrzeugs ungewöhnlich aggressiv vorgeht und seinen Vertragspartner unter Druck setzt, dann kann die Rechtsordnung dies hinnehmen, sofern nicht die äußersten Grenzen überschritten wurden, weil es bei dem Einzelfall sein Bewenden hat. Dagegen muss das gleiche Verhalten als Verkaufstaktik im Wettbewerb eher und intensiver bekämpft werden, weil durch die Verbreitung dieser Geschäftspraktik am Markt gegenüber einer Vielzahl von potenziellen Vertragspartnern viel größere Gefahren drohen. Eine ähnliche Betrachtungsweise ergibt sich hinsichtlich missverständlicher Äußerungen im Rechtsverkehr. Im Vertragsrecht ist die übereinstimmende Falschbezeichnung ohne Bedeutung, wenn und weil beide Parteien das Gleiche wollen, falsa demonstratio non nocet. Von Rechts wegen besteht kein Grund, eine unrichtige Bezeichnung, die von beiden Seiten richtig verstanden wird, nicht zu respektieren, da es schutzwürdige Interessen außerhalb der Vertragsbeziehung stehender Dritter nicht gibt. Bei Abweichungen des Gewollten und des Erklärten muss der Interessenausgleich ebenfalls nur im Individualverhältnis der Parteien erfolgen. Dann kommt es weder allein auf den Willen des Erklärenden an, noch umgekehrt darauf, was der Erklärungsempfänger tatsächlich verstanden hat. Das Vertragsrecht findet einen Ausgleich zwischen beiden Positionen, der darin besteht, dass jeder auf den anderen eingeht und ihn zu verstehen sucht. 81 Das Wettbe78 79

80

81

Bydlinski, Privatautonomie, S. 169 ff. Bydlinski, Privatautonornie, S. 170. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 609 f. Pawlowski, FS Großfe1d, S. 829, 832 ff.

B. Die Abgrenzung von Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht

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werbsrecht reicht hingegen über das Individualverhältnis hinaus. Eine unrichtige Bezeichnung im Wettbewerb ist auch dann zu verbieten, wenn ein Teil der angesprochenen Verkehrskreise die Äußerungen richtig versteht. Solange nämlich Marktbeteiligte von der unrichtigen Bezeichnung betroffen sein können, sodass sie ihre Entscheidung möglicherweise auf falscher Tatsachengrundlage treffen, bedarf es des Schutzes durch die Rechtsordnung. IV. Tatbestandliehe Folgerungen Die soeben aufgeführten Kriterien für die Abgrenzung von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht finden sich bei der Ausfüllung der lauterkeitsrechtlichen Einzeltatbestände wieder. 1. Handeln im geschäftlichen Verkehr

Eine erste Eingrenzung erfolgt über das Tatbestandsmerkmal des geschäftlichen Verkehrs. Das Merkmal dient in erster Linie der Ausgrenzung privater, rein hoheitlicher und betriebsinterner Tätigkeiten aus dem Anwendungsbereich des UWG und seiner Nebengesetze. 82 Zum geschäftlichen Verkehr gehört jede Tätigkeit, die irgend wie der Förderung eines beliebigen Geschäftszwecks dient. 83 Ein Rechtssubjekt betätigt sich geschäftlich, wenn es ein Geschäft, bzw. moderner ausgedrückt ein Unternehmen, betreibt. 84 Dabei ist geschäftlicher Verkehr nicht gleichzusetzen mit rechtsgeschäftlichem Verkehr, vielmehr handelt es sich dabei um zwei sich überschneidende jedoch nicht völlig deckungsgleiche Kreise. Der Inhaber eines Geschäfts kann sich etwa rechtsgeschäftlich betätigen, ohne im geschäftlichen Verkehr zu handeln, wenn er Verträge zu rein privaten Zwecken abschließt. Er kann aber auch geschäftlich handeln, ohne sich rechtsgeschäftlich zu betätigen, wenn er beispielsweise eine Reklametafel aufbaut. Die im Zusammenhang mit dem Betreiben eines Geschäfts abgeschlossenen Rechtsgeschäfte gehören zum geschäftlichen Verkehr und zwar sowohl hinsichtlich der Anbahnung als auch ihrer Durchsetzung und Erfüllung. 85 Nach der Rechtsprechung ist zu vermuten, dass der Inhaber eines Geschäfts sich im Zweifel geschäftlich betätigt. 86 82 BGH, Urt. vom 25.9.1970, GRUR 1971, S. 71, S. 119, 120 (Branchenverzeichnis); BGH, Urt. vom 3.5.1974, GRUR 1974, S. 666, 667 f. (Reparaturversicherung). 83 Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, § 4, 2 (S. 16 f.); Baumbach/Hejermehl, Einl. UWG Rz. 208 ff.; Köhler/Piper, Ein. UWG Rz. 194 ff. 84 Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 598 f. 85 BGH, Urt. vom 7.5.1986, GRUR 1986, S. 816, 819 (Widerrufsbelehrung bei Teilzahlungskauf).

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H. Teil: Vertrag und Wettbewerb

2. Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs

Von weit größerer Bedeutung ist das Tatbestandsmerkmal des Handeins zu Zwecken des Wettbewerbs. Wie bereits oben herausgearbeitet wurde, stellen das UWG und seine Nebengesetze Verhaltensmaßregeln für die unternehmerische Betätigung im Wettbewerb dar. Es erstreckt sich auf sämtliche Handlungen mit marktbeeinflussender Wirkung. Das entscheidende Kriterium, um wettbewerblich irrelevante Verhaltensweisen aus dem Anwendungsbereich des UWG herauszufiltern, ist das Tatbestandsmerkmal des Handeins zu Zwecken des Wettbewerbs. Nach ständiger Rechtsprechung und h.M. liegt ein Handeln zu Wettbewerbszwecken vor, wenn ein Verhalten geeignet ist, den Absatz oder den Bezug einer Ware oder Leistung einer Person zum Nachteil einer anderen Person zu fördern, wobei zwischen dem benachteiligten Unternehmen und dem Wettbewerber, der einen Vorteil erlangt, ein konkretes Wettbewerbsverhältnis bestehen muss. 87 Daneben wird zumeist auch ein subjektives Element, die Wettbewerbsabsicht, für erforderlich gehalten,88 die bei Bestehen eines objektiven Wettbewerbsverhältnisses allerdings vermutet wird. 89 An dieser Begriffsbestimmung wurde Kritik geäußert, weil sie durch die Forderung nach einem Wettbewerbsverhältnis zu sehr in dem Gedanken des Konkurrentenschutzes verhaftet ist und den notwendigen Blick auf das Marktgeschehen als Ganzes sowie die übrigen Marktbeteiligten vernachlässigt. Zunehmend wird deshalb als wesentlicher Aspekt nicht mehr das zwischen Konkurrenten bestehende Wettbewerbsverhältnis gesehen, sondern das Handeln zu Wettbewerbszwecken wird als Markthandeln verstanden. 9o Dies entspricht auch der oben vertretenen Deutung des Wettbewerbsrechts BGH, Urt. vom 22.4.1993, GRUR 1993, S. 761, 762 (Maklerprivatangebot). Std. Rspr.: BGH, Urt. vom 26.2.1960, GRUR 1960, S. 384, 386 (Mampe Halb und Halb); BGH, Urt. vom 13.12.1963, GRUR 1964, S. 389, 390 (Fußbekleidung); BGH, Urt. vom 20.4.1966, GRUR 1966, S. 509, 512 (Assekuranz); BGH, Urt. vom 26.4.1967, GRUR 1968, S. 95, 97 (Büchereinachlass); BGH, Urt. vom 20.3.1981, GRUR 1981, S. 658, 659 (Preisvergleich). Speziell zum Wettbewerbsverhältnis: BGH, Urt. vom 7.12.1989, GRUR 1990, S. 375, 376 (Steuersparmodell); BGH, Urt. vom 20.2.1997, GRUR 1997, S. 907 (Emil-Grünbär-Klub). 88 BGH, Urt. vom 22.2.1990, GRUR 1990, S. 611, 613 (Werbung im Programm); BGH, Urt. vom 26.10.1951, Bd. 3, S. 270, 277 (Constanze I). 89 Baumbach/Hefermehl, Ein!. UWG Rz. 235; Köhler/Piper, Einf. UWG Rz. 222, 225,233. 90 Ahrens, WRP 1972, S. 57, 58 ff.; Baumbach/Hefermehl, Ein!. UWG Rz. 247; GroßKomm-Schünemann, Ein!. UWG Rz. D 235 ff. Ähnlich Köhler/ Piper, Einf. UWG Rz. 220. Für einen gänzlichen Verzicht auf das Wettbewerbsverhältnis und das Merkmal des Handeins zu Wettbewerbszwecken Lindacher, BB 1975, S. 1311, 1314. 86

87

B. Die Abgrenzung von Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht

57

als sonderdeliktischen Rechts unternehmerischer Betätigung auf dem Markt, oder prägnanter formuliert als Marktverhaltensrecht. Einem solchen Verständnis ist entgegengehalten worden, dass das Merkmal des Handeins zu Wettbewerbszwecken dadurch obsolet werde, weil jede geschäftliche Betätigung zugleich ein Handeln zu Wettbewerbszwecken sei. 91 Speziell im Hinblick auf die Abgrenzung wettbewerblicher Betätigung zum Austauschverhältnis zeigt sich aber, dass beide Merkmale keineswegs deckungsgleich sind, und dass das Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs einen durchaus eigenständigen Inhalt aufweist. Wer sich im geschäftlichen Verkehr betätigt, handelt keineswegs zwingend auch mit Marktrelevanz. Handeln im geschäftlichen Verkehr ist als solches wettbewerbsneutral. 92 Erst bei Hinzutreten eines objektiven Wettbewerbs- und Marktbezuges wird aus dem geschäftlichen Handeln ein Handeln zu Zwekken des Wettbewerbs. 93 Für die rechtsgeschäftliche Betätigung bedeutet dies, dass es gewissermaßen einen kritischen Punkt zwischen geschäftlichem Verkehr ohne Marktrelevanz und einem lauterkeitsrechtlicher Kontrolle unterliegendem Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs geben muss. a) Der Vertragsschluss als entscheidende Zäsur im Marktgeschehen

Unabhängig davon, welchem rechtlichen Ausgangspunkt man zur Bestimmung des Wettbewerbshandelns folgt, wird vorausgesetzt, dass das zu beurteilende Verhalten in einer Phase hervortritt, in welcher der Abnehmer durch seine Entscheidung die noch bestehende Wettbewerbssituation durch eine Entscheidung beenden kann. Mithin ist eine Situation erforderlich, die von einem den Wettbewerb charakterisierenden Spannungsmoment gekennzeichnet ist. Hat der Abnehmer seine Entscheidung getroffen, erlischt dieses Spannungsverhältnis. 94 Der mit dem Entschluss des Abnehmers eintretende Einschnitt bildet die signifikante Zäsur im Gesamtgeschehen auf dem Markt und begründet den Übergang vom Wettbewerbsrecht zum Vertragsrecht. 95 Wird der Unternehmer nach dem Vertrags schluss tätig, liegt keine objektive Wettbewerbshandlung vor, weil mit dem Vertrag das Ziel der wettbewerblichen Tätigkeit erreicht worden ist. 96 Da das mikroökono91 Bauer, S. 23 ff. m. w.N., der an dem Erfordernis des Wettbewerbsverhältnisses und mithin am Konkurrentenbezug durch zumindest potenziellen Wettbewerb festhalten will. 92 Piper, GRUR 1996, S. 147, 152. 93 Piper, GRUR 1996, S. 147, 153. 94 Bauer, S. 36; Sack, BB 1987, S. 1048, 1050; GroßKomm-Schünemann, Ein!. UWG Rz. D 250. Mit Einschränkungen auch Büchler, S. 88. 95 Ochs, WRP 1977, S. 373, 375.

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H. Teil: Vertrag und Wettbewerb

mische Spannungspotenzial mit der Entscheidung des Abnehmers aufgezehrt ist, unterliegen Verhaltensweisen nach Vertragsschluss grundsätzlich nicht mehr der wettbewerbsrechtlichen Kontrolle. Sie haben keine Auswirkungen auf das Marktgeschehen und die Marktbeteiligten, sondern betreffen ausschließlich das Binnenverhältnis der kontrahierenden Parteien. 97 Hat sich der Konsument einmal entschieden, seine Bedürfnisse gerade mit diesem Geschäft zu decken, dann ist er dem Wettbewerb im Hinblick auf gerade diese zu treffende Entscheidung entzogen. Es ist erwogen worden, für das Vorliegen des Wettbewerbshandelns auf die rechtliche Wirksamkeit des zustande gekommenen Vertrages abzustellen. Danach soll ein Handeln zu Wettbewerbszwecken auch dann noch anzunehmen sein, wenn ein Vertrag zwischen den Parteien geschlossen wurde und dieser entweder unwirksam ist oder aber auf sonstige Weise wieder aufgelöst werden· kann. 98 Daran ist sicher richtig, dass durch die Ausübung etwa eines Widerrufs der Kunde wieder als Nachfrager auf dem Markt zur Verfügung steht und er mithin wieder eine Entscheidung zugunsten eines Anbieters treffen kann. Der Wettbewerb kann also insoweit wieder aufleben. Solange jedoch der einzelne Kunde von dem Auflösungsrecht noch keinen Gebrauch gemacht hat, also seine Willenserklärung nicht widerrufen hat oder die Anfechtung erklärt, bleibt es bei der oben beschriebenen Situation, d. h. der Wettbewerb ist erloschen. Dies gilt selbst dann, wenn ein Vertrag überhaupt nicht wirksam zustande gekommen ist, weil der Vertrag beispielsweise gegen die guten Sitten verstößt. An der entscheidenden ökonomischen Situation, der Verengung der Geschäftsbeziehungen durch die Entscheidung des Abnehmers, ändert sich durch das rechtliche Schicksal des Vertrages nichts. Namentlich wenn es um die Durchsetzung von Zahlungsansprüchen aus dem Vertrag geht, führt die genannte Ansicht denn auch zu unpraktikablen Ergebnissen. Solange nämlich eine Vertragsauflösung durch den Abnehmer möglich wäre, bestünde für den Unternehmer stets die Gefahr, sich mit einer Zahlungsklage gegen seinen Vertragspartner zugleich auch einem Wettbewerbsverstoß auszusetzen. 99 Die gemäß § 13 Abs. 2 UWG Klageberechtigten könnten damit die Erfüllung einer einzelnen Vertragsbeziehung auf wettbewerbsrechtlicher Ebene blockieren. Die Zäsur durch den Vertragsschluss tritt freilich nur im Verhältnis zwischen den Vertragspartnern ein. Das Verhalten außerhalb der Vertragsbeziehung befindlicher Dritter bleibt trotz bestehenden Vertrages an den Maßstä96 Bauer, S. 36; Büchler, S. 88; Ochs, WRP 1977, S. 373, 375. Differenzierend Köhler/ Piper, Einf. UWG Rz. 220. 97 Abels, GRUR 1983, S. 452; Mees, FS Brandner, S. 473, 474; Schüler, WRP 1990, S. 406, 407. 98 Büchler, S. 88 f. 99 Bauer, S. 34 f.; Sack, BB 1987, S. 1048, 1050.

B. Die Abgrenzung von Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht

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ben des UWG zu messen und kann gerade deswegen unlauter sein, weil bereits ein Vertrag existiert. lOo Dazu gehört insbesondere das Drängen in fremde Vertragsbeziehungen, also etwa der Fall, dass ein Konkurrent den vertraglich gebundenen Abnehmer auf ein Widerrufsrecht aufmerksam macht, damit dieser den Widerruf ausübt und zu ihm abwandert. Derartige Praktiken werfen ganz eigene Fragen auf, die im Rahmen dieser Untersuchung nicht vertieft werden können. Ebenfalls nicht gehindert wird die Annahme eines Handeins zu Wettbewerbszwecken, wenn zwischen der Wettbewerbshandlung und dem Vertrag kein ontologischer Zusammenhang besteht. Reagiert etwa der vertraglich gebundene Unternehmer auf den Abwerbeversuch seines Konkurrenten, indem er diesen bei seinem Kunden anschwärzt, dann erfüllt diese Handlung den Tatbestand des § 14 Abs. 1 UWG, obgleich sich die Beziehung zwischen dem Kunden und dem Unternehmer vertraglich verfestigt hat. Es macht keinen rechtlich erheblichen Unterschied, ob ein Geschäftsmann über seinen Konkurrenten schädigende Tatsachen vor oder nach einem etwaigen Vertragsschluss mit einem Kunden behauptet. Es liegt in beiden Fällen der notwendige Bezug zum Marktgeschehen und zu anderen Marktbeteiligten vor.

b) Keine Kompensation fehlender objektiver Marktrelevanz

Zum Schwur gekommen ist die tatbestandliche Abgrenzung von Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht namentlich in drei Konstellationen der Rechtsprechung. Es ging dabei um die Wettbewerbswidrigkeit des Zuwenig-Ausschanks von Bier durch einen Gastwirt,101 das Durchsetzen von Forderungen aus Branchenbuchverträgen 102 sowie die unrichtige oder unterlassene Belehrung über ein bestehendes Widerrufsrecht. 103 Im Folgenden soll es, unabhängig von den noch im Detail zu erörternden Einzelheiten, zunächst ausschließlich um die rechtliche Prämisse gehen, nämlich die Unterscheidung von wettbewerblicher Betätigung und den Handlungen bei Begründung und Abwicklung des Vertragsverhältnisses im Rahmen der unternehmerischen Betätigung am Markt. Auch die Rechtsprechung verneint ein Eingreifen des Wettbewerbsrechts, wenn zwischen den Marktbeteiligten eine vertragliche Verbindung zustande gekommen ist und der Unternehmer mit dem Vertrag eine Rechtsposition erlangt hat. Das Verlangen nach der Erfüllung vertraglicher Pflichten diene 100

Piper, GRUR 1990, S. 643, 644 ff.; Semler, GRUR 1983, S. 625 ff. jeweils

m.w.N. 101 102 103

IV. Teil, B. I. 2. (S. 178 ff.). V. Teil, A. (S. 245 ff.). IV. Teil, D. 11. 1. (S. 227 ff.).

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11. Teil: Vertrag und Wettbewerb

der Wahrung und Durchsetzung der im Wettbewerb erlangten Rechtsposition und damit der Geltendmachung bereits bestehender individueller Rechte aus einem konkreten Rechtsverhältnis, "jedoch nicht der - durch den voraufgegangenen Abschluß des Vertrages bereits verwirklichten - Förderung des eigenen Wettbewerbs zu Lasten von Mitbewerbern."I04 Dass der Unternehmer mit dem Geltendmachen von Vertragsrechten einen bereits erreichten Wettbewerbsvorteil ausnutze und mit dem Durchsetzen von Forderungen die notwendigen Mittel erstrebe, um derzeitigen und künftigen Wettbewerb zu bestreiten, genüge für die Annahme eines Handelns zu Wettbewerbszwecken nicht. Es handele sich bei derartigen Verhaltensweisen ausschließlich um gegen den Vertragspartner gerichtete Handlungen, ohne Außenwirkung auf das Marktgeschehen und sonstige Marktbeteiligte. 105 Dieser begrüßenswert klare Ausgangspunkt wird durch die weitere Begründung allerdings wieder relativiert. Die Rechtsprechung erweckt nämlich den Eindruck, dass ein objektiv fehlender Bezug des Handeins nach Vertragseingehung zum Wettbewerb durch überwiegende subjektive Elemente wieder ausgeglichen werden kann. Hinsichtlich des Handelns zu Wettbewerbszwecken soll nach Ansicht des BGH anders zu entscheiden sein, wenn es dem Unternehmer darum gegangen wäre, die Kunden planmäßig und zielgerichtet zu täuschen. 106 Diese Begründung kann indessen nicht überzeugen. Der bloße Wille, den Wettbewerb zu beeinflussen, genügt zur Annahme von Wettbewerbshandeln nicht. Es muss anhand objektiver Umstände entschieden werden, ob eine objektive Wettbewerbshandlung vorliegt lO7 und ob mithin das fragliche Verhalten eine über die individuelle Vertragsbeziehung hinausgehende Wirkung auf den Markt und die Marktbeteiligten entfaltet. Auch der Hinweis, die Anspruchsdurchsetzung bilde einen Teil des planmäßig auf Irreführung gerichteten Gesamtverhaltens, dessen Einzelakte als Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs zu qualifizieren sein können, verfängt nicht. Die rechtliche Bewertung ist nicht an die Einheitlichkeit eines Lebensvorgangs verbunden. Es kann notwendig sein, ein scheinbar einheitliches Gesamtgeschehen nach einzelnen Phasen zu unterscheiden und unterschiedlichen rechtlichen Wertungen zu unterwerfen. 108 Für den Fall des Vertragsschlusses kommt hinzu, dass damit nicht nur eine [04 BGH, Urt. vom 7.5.1986, GRUR 1986, S. 816, 818 (Widerrufsbelehrung bei Teilzahlungskauf). 105 BGH (Widerrufsbelehrung bei Teilzahlungskauf), S. 819. [06 BGH (Widerrufsbelehrung bei Teilzahlungskauf), S. 819; BGH, Urt. vom 11.5.1983, GRUR 1983, S. 587, 588 (Letzte Auftragsbestätigung); BGH, Urt. vom 21.4.1983, GRUR 1983, S. 451, 452 (Ausschank unter Eichstrich I). 107 Bauer, S. 36. 108 Bauer, S. 36.

B. Die Abgrenzung von Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht

61

rechtliche Zäsur eintritt, sondern auch der ökonomische Zusammenhang der geschäftlichen Betätigung wechselt. Geht es vor Vertragsschluss um die Akquisition von Kunden, verengt sich mit dem Vertragsschluss die ursprüngliche Streubreite unternehmerischen Handeins auf die konkrete Vertragsbeziehung mit dem Abnehmer. Die Marketingstrategie des Unternehmers muss dann von dem Gewinnen von Kunden auf ein Behalten der bereits gewonnenen Kunden ausgerichtet werden. Hierfür bedarf es einer möglichst individuellen Betreuung des Einzelnen, sodass dadurch regelmäßig der wettbewerbstypische "Multiplikatoreffekt" entfällt. Die Beschränkung wettbewerbsrechtlichen Schutzes auf vorvertragliche Verhaltensweisen führt nicht zu bedenklichen Schutzlücken. In den meisten Fällen liegt nämlich der lauterkeitsrechtlich relevante Ansatzpunkt einer nach Vertragsschluss stattfindenden Handlungsweise bereits im Vorfeld des Vertragsschlusses und lässt sich dadurch lauterkeitsrechtlich sicher erfassen. Dieser Gedanke mag auch den Kriterien der Rechtsprechung zu Grunde liegen, sodass sie zu weithin überzeugenden Ergebnissen gelangt. Denn wenn das Unternehmenskonzept im Sinne der Rechtsprechung planmäßig und zielgerichtet auf eine Übervorteilung der Kunden ausgerichtet ist, kann dies nur bedeuten, dass es sich bei dem fraglichen Verhalten des Geschäftsmanns nicht um zufällige Ereignisse anlässlich der Abwicklung eines einzelnen Vertrages handelt, sondern dass die unternehmerische Betätigung von Anfang an entsprechend ausgelegt war. Wenn beispielsweise ein Gastwirt, wie dies in der zweiten Ausschank unter Eichstrich-Entscheidung der Fall gewesen ist, von vornherein nicht gewillt ist, die Verträge mit seinen Gästen ordnungsgemäß zu erfüllen, dann richtet sich der Vorwurf der Wettbewerbswidrigkeit gerade nicht erst auf die einzelne Schlechterfüllung, sondern auf die bereits vor dem Zustandekommen der Verträge verübte Täuschung über die eigene Erfüllungsbereitschaft. 109

[09

Bauer, S. 39.

1II. Teil

Die Freistellung des Abnehmers von vertraglichen Verpflichtungen Eine Lösung vom Vertrag bzw. - allgemeiner formuliert - eine Freistellung von den begründeten vertraglichen Verpflichtungen wird häufig, aber beileibe nicht immer im Interesse des Abnehmers liegen, wenn dieser von einem Wettbewerbsverstoß betroffen ist. Typische wettbewerbswidrige Verhaltensweisen, die ein solches Interesse begründen, sind unternehmerische Praktiken die verhindern, dass der Abnehmer seine Schiedsrichterfunktion am Markt angemessen und ungestört ausüben kann, z. B. Geschäftspraktiken, die auf Überraschung und Überrumpelung setzen, sowie physische und psychische Kaufzwänge. Erfasst man diese Praktiken hinsichtlich des spezifisch geschützten Verbraucherinteresses, so geht es jeweils um die Beeinträchtigung des Entscheidungsprozesses der Abnehmerseite. Das geschützte Interesse des Verbrauchers besteht in der unbeeinflussten Willensbildung und Willensäußerung. Während das Wettbewerbsrecht die Beeinträchtigung als solche bekämpft, können die verschiedenen individualvertraglichen Rechtsbehelfe zu einer Korrektur der getroffenen Entscheidung im Einzelfall führen und damit nachträglich korrigierend eingreifen. Eine solche Korrektur liegt dabei keineswegs nur im Interesse des einzelnen, von einer Unlauterkeit betroffenen Abnehmers. Vielmehr haben auch die Konkurrenten ein gewichtiges wirtschaftliches Eigeninteresse daran, dass ein unlauter beeinflusster Kunde die Chance bekommt, seine einmal getroffene Entscheidung wieder rückgängig zu machen. Denn damit wird die wettbewerbliche Ausgangssituation wieder hergestellt und die verschmähte Konkurrenz bekommt dadurch die Möglichkeit, doch noch zum Zuge zu kommen. Es liegt die Vermutung nahe, dass dieser Aspekt - ohne dass dies jemals offengelegt wurde - die Diskussion über die individualrechtlichen Folgen unlauterer unternehmerischer Betätigung entscheidend beherrscht hat und deshalb maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass die Lösung vom Vertrag bislang das am meisten beachtete Verbraucherinteresse ist. Das Wettbewerbsrecht ist auf Grund seiner historischen Herkunft noch immer maßgeblich geprägt von der Orientierung an Konkurrenteninteressen. Es ist daher nur verständlich, wenn auch auf der Rechtsfolgenseite die Interessen der Konkurrenten die Maßstäbe setzen. Hier decken sich nämlich

A. Das Rücktrittsrecht des getäuschten Abnehmers, § 13 a UWO

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Verbraucher- und Unternehmerinteresse und es ist ein Leichtes, den immer bedeutender werdenden Gedanken des Verbraucherschutzes als Begründung vorzuschieben. Eine Freistellung vom Vertrag mag auch dann im Interesse des Verbrauchers liegen, wenn er einer Täuschung erlegen ist. Hierbei ist nicht der Entscheidungsprozess, sondern diesem vorausgehend die Entscheidungsgrundlage des Verbrauchers betroffen. Allerdings kann in Täuschungs-Fällen das Abnehmerinteresse auch gerade entgegengesetzt ausgerichtet sein: Der getäuschte und dadurch enttäuschte Verbraucher mag sich häufig nicht sogleich aus der vertraglichen Bindung befreien wollen, sondern er möchte im Rahmen der Erfüllung des Vertrages gerade das bekommen, was ihm zuvor versprochen wurde. Hier nun verlaufen Verbraucher- und Unternehmerinteresse konträr zueinander. Die Konkurrenten des unlauter handelnden Unternehmers sind natürlich nicht daran interessiert, dass der auf wettbewerbswidrige Weise gefangene Kunde nunmehr von seinem Vertragspartner die Erfüllung der geweckten Erwartung soll verlangen können, denn dadurch bleibt der Kunde ja dem Wettbewerb der übrigen Unternehmer entzogen. Die Freistellung von den vertraglichen Verpflichtungen kann auf verschiedenen Wegen erreicht werden; Wettbewerbsrecht, bürgerliches Vertragsrecht und verbraucherschützendes Sonderrecht stellen dabei verschiedene Instrumentarien von ganz unterschiedlicher dogmatischer Ausgestaltung zur Verfügung. Diese reichen von der Nichtigkeit unlauter initiierter Verträge über Anfechtungs-, Rücktritts- und Widerrufsrechte bis hin zu Billigkeitslösungen, die in Rechtsprechung und Literatur entwickelt worden sind.

A. Das Rücktrittsrecht des getäuschten Abnehmers, § 13a UWG Mit dem Gesetz zur Änderung wirtschafts- und verbraucher-, arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften vom 25.7.1986 1 wurde § 13 a UWG in das UWG eingefügt. Der Abnehmer soll danach von einem Vertrag zurücktreten können, wenn er durch eine für den Vertrag wesentliche Werbeangabe im Sinne von § 4 UWG, also durch strafbare Werbung, zum Eingehen einer vertraglichen Bindung bestimmt worden ist. § 13 a UWG ist de lege lata die einzige Vorschrift, die speziell auf die Problematik unlauter initiierter Verträge des Abnehmers zugeschnitten ist. Die Norm verknüpft Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht auf direkte Weise. Während tatbestandlich das Vorhandensein eines qualifizierten Wettbewerbs verstoßes vorausgesetzt wird, gewährt § 13 a UWG dem Abnehmer mit dem Rücktrittsrecht einen individualvertraglichen Rechtsbehelf. 1

BOBl. I, S. 1196; in Kraft getreten am 1.1.1987.

64

III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

I. Regelungskonzeption § 13 a UWG verfolgt mehrere Ziele. Zum Einen soll dem von einer irreführenden Werbung betroffenen Abnehmer ermöglicht werden, nochmals den Vertrag zu überdenken und nunmehr zu entscheiden, ob er die vertragliche Bindung trotz der Täuschung aufrecht erhalten möchte. Mit einer unwahren Werbeangabe ist die Entscheidungsfindung des Abnehmers beeinträchtigt worden, weil er seine Schiedsrichterfunktion nicht auf der zutreffenden Tatsachengrundlage ausüben konnte. Das wettbewerbsrechtliche Rücktrittsrecht bietet dem Abnehmer also eine zweite Chance zur Überlegung und zur Korrektur seiner ursprünglichen Entscheidung. Des Weiteren beruht § 13 a UWG auf dem spezialpräventiven Gedanken, den die Rechtsprechung in ähnlicher Form zur Rechtfertigung des wettbewerbsrechtlichen Fruchtziehungsverbotes in Form einer Untersagung vertraglicher Erfüllungsansprüche herangezogen hat: Unlauterer Wettbewerb soll sich für den anderen Vertragsteil nicht lohnen. Weil der Unternehmer damit rechnen muss, dass sich der Abnehmer im Falle der unwahren Werbung vom Vertrag löst, der durch unlauteres Verhalten zustande gebracht wurde, ist er in eigenem Interesse gehalten, sich im Geschäftsverkehr nur wettbewerbskonform zu verhalten. 2 Last but not least dient § 13 a UWG auch den Interessen der Konkurrenten. Tritt der Abnehmer vom unlauter angebahnten Vertrag zurück, dann steht er dem Wettbewerb als Nachfrager wieder zur Verfügung. Damit kommt er wieder als ein potenzieller Vertragspartner für die Konkurrenz in Betracht. Die Chancen für die Mitbewerber stehen dabei günstiger als noch zuvor. Der Abnehmer wird ja tunlichst einer erneuten geschäftlichen Begegnung mit seinem ersten Vertragspartner aus dem Wege gehen; als unzufriedener weil enttäuschter Kunde ist er dem unlauter Handelnden nunmehr verloren. Vor diesem Hintergrund erweist sich die bisweilen geäußerte Kritik, § 13 a UWG sei ein Fremdkörper im System des Wettbewerbsrechts und gehöre systematisch in das Vertragsrecht, 3 als keineswegs berechtigt. Im Gegenteil ist die systematische Stellung des § 13 a UWG unter dem Gesichtspunkt des auch bezweckten Konkurrentenschutzes folgerichtig und konsequent.

11. Rechtsnatur Das Meinungsspektrum über die Rechtsnatur des Rücktrittsrechts reicht von einer rein wettbewerbsrechtlichen Sanktion der Abnehmerseite auf wettbewerbliche Unlauterkeit4 über eine Vervollkommnung der §§ 119 ff. BGB 5 als anfechtungsähnliches Recht6 bzw. zur Annäherung des § 13 a 2 3

Krieger, BB 1978, S. 625, 627 ff.; ders. DAR 1979, S. 257, 260. Schaffemak, S. 6 f., 46; Strubenhoff, S. 16 f.

A. Das Rücktrittsrecht des getäuschten Abnehmers, § 13 a UWG

65

UWG an die bekannten Widerrufsrechte aus den Spezialgesetzen HWiG und VerbrKrG 7 bis hin zu einem Spezialfall der Haftung für vorvertragliche Pflichtverletzungen aus c. i. c. 8 Keinem dieser Rechtsbehelfe kann § 13 a UWG allerdings zweifelsfrei zugeordnet werden; die Vorschrift enthält ein missverständlich als Rücktrittsrecht bezeichnetes Vertragslösungsrecht sui generis.

III. Die Relevanz des Rücktrittsrechts Während für die Norm selbst und ihre Entstehung ein überaus lebhaftes literarisches Interesse zu verzeichnen ist,9 hat § 13 a UWG in der Praxis bislang kaum wahrnehmbare Spuren hinterlassen. Schon während der Diskussion um eventuelle Individualrechtsbehelfe des Abnehmers sind an der Bedeutung eines Rücktrittsrechts Zweifel geäußert worden; 10 zu Recht, wie man im Nachhinein sagen muss. Die Vorschrift ist nicht über den Status eines Mauerblümchendaseins hinausgekommen und es steht auch nicht zu erwarten, dass sich an diesem Zustand in absehbarer Zeit etwas ändern wird. Das hat zu der ernüchternden Erkenntnis geführt, dass sich das Rücktrittsrecht jedenfalls aus Sicht des Verbraucherschutzes praktisch als ein "Schlag ins Wasser" erwiesen habe. 11 Die Verbraucherschaft, deren Rechtslage mit § 13 a UWG merklich verbessert werden sollte, macht von dem Rücktrittsrecht offenbar keinen Gebrauch. In jüngerer Zeit ist deshalb zunehmend die Forderung nach einer Novellierung der Norm erhoben 4 Dürrschmidt, S. 10; Staudinger-Köhler, § 13a UWG Rz. 2; Schünemann, Wettbewerbsrecht S. 246. 5 Schaffemak, S. 154 ff. 6 Drexl, Selbstbestimmung, S. 455. 7 MünchKomm-Kramer, § 123 BGB Rz. 30; Lehmann, GRUR 1987, 199,211. 8 St. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 377. 9 Ahrens, WRP 1978, S. 677 ff.; Alt, NJW 1987, S. 21 ff.; Borck, WRP 1978, S. 333 ff.; Brandner, FS R.Fischer, S. 19, 29 f.; Dominicus, Schutz des Verbrauchers vor irreführender Werbung, Diss. 1990; Dürrschmidt, Werbung und Verbrauchergarantien, Diss. 1997; Hefennehl, Weitnauer FG, S. 347 ff.; Köhler, JZ 1989, S. 262 ff.; Kraft, ZRP 1979, S. 161 ff.; Krieger/Ti/mann, GRUR 1979, S. 14 ff.; Krieger, DAR 1979, S. 257 ff.; Lehmann, GRUR 1987, S. 199 ff.; Reich, ZRP 1978, S. 100 ff.; Sack, BB 1987, Beil. 2; ders. BB 1986, S. 2205, 2213 ff.; Schaefer, ZIP 1987, S. 554 ff.; Schaffemak, Das wettbewerb1iche Vertrags!ösungsrecht nach § 13a UWG, Diss. 1991; Schricker, GRUR 1979, S. 1 ff.; Tonner, NJW 1987, S. 1917 ff.; Ulrich, WRP 1978, S. 339 ff.; Weyhenmeyer, WRP 1979, S. 419 ff. 10 von Falckenstein, WRP 1978, S. 502, 511. Demgegenüber prognostizierte Krieger, BB 1978, S. 625, 629 eine größere praktische Bedeutung des Rücktrittsrechts gegenüber dem ebenfalls diskutierten Schadensersatzanspruch des Abnehmers. II Henning-Bodewig, FG Beier, S. 517, 532 f. 5 Alexander

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

worden; es mangelt auch nicht an Vorschlägen für eine Neufassung der Vorschrift. 12 1. Geringe Schlagkraft der Norm am Beispiel der ergangenen Rechtsprechung

Es gibt bislang nur sehr wenig Rechtsprechung zu § 13 a UWG. 13 Anhand des vorhandenen Materials lassen sich kaum verallgemeinerungsfähige Erkenntnisse gewinnen, gleichwohl sind die ergangenen Entscheidungen aus unterschiedlichen Gründen bemerkenswert. Vor allem ist auffällig, dass keines der Urteile einen Anhaltspunkt für die häufig beklagte Schutzlücke 14 im Bereich des Individualschutzes der Abnehmer gibt. Die Entscheidungen hätten - wie sogleich im Einzelnen nachzuweisen sein wird ohne weiteres auch mit den herkömmlichen Rechtsbehelfen des BGB interessengerecht gelöst werden können. a) OLG Nümberg: "Alannanlage" In der ersten Entscheidung zu § 13 a UWG hatten vom Kläger zur Verfügung gestellte Werbeprospekte über eine Alannanlage den Hinweis enthalten, die Anlage sei "VDE-geprüft". Es stellte sich später heraus, dass nicht die gesamte Anlage, sondern nur Einzelteile der Alarmanlage entsprechend geprüft waren und noch dazu nicht hinsichtlich der für Alannanlagen geltenden VDE 0833/8.82, sondern lediglich auf ihre elektrische Sicherheit nach VDE 080412.80. Darüber hinaus enthielt der Werbeprospekt noch andere irreführende Angaben über sonstige technische Eigenschaften. Es lag durch die Verwendung von Werbeprospekten ein typischer Fall von öffentlicher Werbung i.S. v. § 4 Abs. 1 UWG vor. Das OLG zog § Ba UWG heran, sicherte sich allerdings durch bürgerlich-rechtliche Hilfserwägungen ab. Es vertrat die Ansicht, die irreführende Angabe "VDE-geprüft" sei sowohl ein Fehler nach § 459 Abs. 1 BGB als auch eine Zusicherung i. S. v. § 459 Abs. 2 BGB, sodass der Beklagte Ansprüche nach §§ 459 Abs. 1, 462, 465, 467 BGB hatte und sogar Schadensersatz wegen Nichterfüllung hätte verlangen können. 15 Es ist zweifelhaft, ob die Angabe "VDE-geprüft" wirklich als Zusicherung verstanden werden kann, da an eine solche hohe Anforderungen zu stellen sind. 16 Jedoch ist die fehlende Prüfung 12 Berens, S. 324 ff.; Bemreuther, WRP 1998, S. 584, 585 ff.; Dürrschmidt, S. 247 f.; LehmannlDürrschmidt, GRUR 1997, S. 549, 559; Sander, S. 170 ff; Schaffemak, S. 166 ff. 13 OLG Nürnberg, Urt. vom 3.10.1989, GRUR 1990, S. 141 (Alannanlage); OLG Düsseldorf, Urt. vom 19.1.1990, NJW-RR 1990, S. 875 (Top-Existenz); OLG Zweibrücken, Urt. vom 2.7.1996, NJW-RR 1997, S. 175 f. (Absorbierende Wasserschutzkissen). Ferner OLG Düsseldorf, Urt. vom 2.4.1992, OLG-Rp 1992, S. 316 [nur Leitsatz veröffentlicht]. 14 Vgl. etwa Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 103 ff. m. W.N. 15 OLG Nürnberg (Alannanlage), S. 141.

A. Das Rücktrittsrecht des getäuschten Abnehmers, § 13 a UWG

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nach VDE 0833/8.82 als Abweichung der Ist-Beschaffenheit der Alarmanlage von der vertraglich geschuldeten Soll-Beschaffenheit und damit jedenfalls als Fehler nach § 459 Abs. 1 BGB anzusehen, weil technische Regeln, die allgemein anerkannt sind und in der Praxis beachtet werden, die übliche Beschaffenheit der Ware festlegen. 17

b) OLG Düsseldorf: "Top-Existenz" Das Urteil des OLG Düsseldorf betraf einen Fall des Existenzgründungsschwindels. Dort hatte die Klägerin, Inhaberin einer Werbeagentur, in überschwänglicher Art eine "Top-Existenz" in Aussicht gestellt. Die dahinter verborgene Geschäftsidee bestand darin, dass der Beklagte Verträge mit Sportvereinen abschließen sollte, in denen sich diese verpflichteten, die vom Beklagten gestellten Werbeplakate in der üblichen Weise auszuhängen. Die Plakate sollten eine Anzahl von Werbefeldern enthalten, die als Einzelfläche Geschäftsleuten entgeltlich überlassen werden. Die Aufgabe des Beklagten bestand darin, Kunden zu akquirieren und die Plakate auf eigene Kosten zu drucken. Ihm sollten dafür die Werbeeinnahmen als Gewinn zufließen. Der Beklagte hatte einen entsprechenden Vertrag unterschrieben und sollte nun 7.500,- DM für Unterlagen zum Betrieb des Werbegeschäfts an die Klägerin zahlen. Das Gericht wies das Zahlungsbegehren der Klägerin mit der Begründung ab, der Kläger sei nach § 13 a Abs. I Satz 1 UWG vom Vertrag zurückgetreten. Auch das OLG Düsseldorf greift zu Hilfserwägungen, lässt es aber dahingestellt, ob der Vertrag gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) verstößt oder aber durch Anfechtung vernichtet wurde, da in dem Schreiben des Beklagten jedenfalls die Ausübung des Rücktrittsrechts nach § 13 a Abs. 1 Satz 1, 4 UWG liege. Ein solches Vorgehen ist nicht unbedenklich, weil § 13 a UWG tatbestandiich voraussetzt, dass der Vertrag wirksam zustande gekommen ist; fehlt es schon daran, bleibt für einen Rücktritt kein Raum mehr. Das OLG hätte vorrangig prüfen müssen, ob ein gemäß § 138 BGB sittenwidriges Rechtsgeschäft vorliegt. Auch eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung lag nicht fern, weil die Klägerin sowohl über den Umfang der auszuübenden Tätigkeit als auch die Verdienstmöglichkeiten für den Beklagten getäuscht hatte, was sie sogar teilweise eingeräumt hatte. Das Rekurrieren auf das Rücktrittsrecht aus § 13 a Abs. 1 Satz 1 UWG dürfte vor allem einer erleichterten Beweisführung zugunsten des Abnehmers gedient haben. Eine arglistige Täuschung in den mündlich geführten Vertragsverhandlungen zwischen den Parteien ist schwerer nachzuweisen als die Unwahrheit einer veröffentlichten Werbeanzeige, die dem Gericht "schwarz auf weiß" vorliegt. Zudem hielt das OLG die Unwahrheit der Werbeanzeige selbst gegenüber einem individuellen vorvertraglichen Gespräch für durchschlagend. Es sei "wirklichkeitsfremd anzunehmen, daß der Ehemann der Kl. 16 BGH, Urt. vom 25.9.1968, NJW 1968, S. 2238, 2240; BGH, Urt. vom 4.10.1972, Bd. 59, S. 303, 308; BGH, Urt. vom 11.11.1974, WM 1974, S. 1204, 1205; BGH, Urt. vom 7.10.1987, WM 1987, S. 1460, 1462; Soergel-Huber, § 459 Rz. 181 und 333; Köhler, BB 1985, Beil. 4, S. 10, 12 ff. Für Zusicherung Henseler, BB 1969, S. 24, 25; Marburger, JuS 1976, S. 638, 640; RGRK-Metzger, § 459 BGB Rz. 21; Schack, AcP 185 (1985), S. 333, 349. 17 Köhler, BB 1985, Beil. 4, S. 10, 12; Marburger, JuS 1976, S. 638, 640.

5*

III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

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bei den Verhandlungen mit dem Bekl. versucht haben könnte, die durch die Anzeige geweckte Erwartungshaltung durch eine wahrheitsgemäße Darstellung der Schwierigkeiten des Geschäfts zu zerstören.,,18

c) OLG Zweibrücken: "Absorbierende Wasserschutzkissen " Der jüngste veröffentlichte Fall zu § 13a UWG, der dem OLG Zweibrücken zur Entscheidung vorlag, betrifft wiederum eine arglistige Täuschung gemäß § 123 Abs. 1, 1. Alt BGB. Die Klägerin warb in Schreiben an Gewerbetreibende für ihre absorbierenden Wasserschutzkissen und ermunterte die Empfänger der Schreiben, den Vertrieb der besagten Kissen zu übernehmen. Dabei behauptete die Klägerin, die Gewerbetreibenden bei den örtlich zuständigen Versicherungsgesellschaften als autorisierte Servicestelle bekannt zu machen. Außerdem war den Werbeprospekten zu entnehmen, dass die angebotenen Wasserschutzkissen zur Grundausstattung von Feuerwehr und Betriebsschutz gehören. In Wirklichkeit bestand jedoch weder eine institutionalisierte Zusammenarbeit der Klägerin mit Versicherungen, noch gehörten die angebotenen Wasserschutzkissen zur Grundausrüstung von Feuerwehr und Betriebsschutz. Zudem ergab sich aus den Schreiben nicht, dass die Gewerbetreibenden nicht bloß den Vertrieb der Kissen übernehmen sollten, sondern diese auf eigene Rechnung zunächst selbst ankaufen mussten und dann weiter zu verkaufen hatten. Letzteres wurde den interessierten Gewerbetreibenden erst im individuellen Gespräch offenbart. Das OLG Zweibrücken ging zutreffend von strafbarer Werbung im Sinne von § 4 UWG aus und billigte dem irregeführten Beklagten das Rücktrittsrecht nach § 13 a Abs. 1 Satz 1 UWG ZU. 19 Wiederum dürften es vor allem Gründe der erleichterten Beweisführung gewesen sein, die zur Anwendung des § 13a Abs. 1 Satz 1 UWG und nicht des § 123 Abs. 1 BGB geführt haben. Denn für einen Rücktritt nach § 13 a Abs. 1 Satz 1 UWG musste die Beklagte lediglich die Unwahrheit der Behauptung in dem Schreiben darlegen, dass eine institutionalisierte Zusammenarbeit der Klägerin mit Versicherungen bestehe und dass die Wasserschutzkissen von Feuerwehren und Betriebsschutz eingesetzt würden. Demgegenüber hätte es für eine mögliche Anfechtung nach § 123 Abs. 1, 1. Alt. BGB eines Beweises der Arglist bedurft.

2. Gründe für das Versagen der Norm

Das Versagen des wettbewerbsrechtlichen Rücktrittsrecht in § 13 a UWG dürfte, neben Mängeln im Detail, vor allem darauf zurückzuführen sein, dass bei Schaffung der Norm der notwendige Blick auf die unterschiedlichen Interessenlagen unterblieben ist. Gerade in den Fällen einer Täuschung ist der Abnehmer häufig an einer Lösung vom Vertrag nicht interessiert. Es fehlt an einer flexiblen Reaktion auf die verschiedenen Erscheinungsformen irreführender Werbung; die bloße Möglichkeit zum Rücktritt 18 19

OLG Düsseldorf (Top-Existenz), S. 875. OLG Zweibrücken (Absorbierende Wasserschutzkissen), S. 175.

A. Das Rücktrittsrecht des getäuschten Abnehmers, § 13 a UWG

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erweist sich als zu starr. In dem oben genannten Alarmanlagen-Fall wäre etwa durchaus denkbar gewesen, dass der Käufer an dem Vertrag festhält und lediglich den Minderwert der nicht VDE-geprüften Anlage geltend macht, wenn die Alarmanlage im Übrigen voll funktionsfähig gewesen wäre. Des Weiteren ist die Norm auf Grund ihres Kompromisscharakters tatbestandlich sehr kompliziert gefasst, was die Rechtsanwendung erschwert und auch die Gerichte veranlasst haben dürfte, sich in den wenigen Entscheidungen zu § 13 a UWG durch bürgerlich-rechtliche Hilfserwägungen abzusichern. IV. Die Voraussetzungen im Einzelnen Der Abnehmer kann gemäß § 13 a Abs. 1 Satz 1 UWG den Rücktritt vom Vertrag erklären, wenn er durch eine unwahre und für den Vertragsschluss wesentliche Werbeangabe seines Vertragspartners oder eines Dritten zum Abschluss des konkreten Vertrages bestimmt worden ist. 1. Anwendungsbereich

a) Persönlich

Mit dem Begriff des Abnehmers knüpft das Gesetz an die Marktposition an. Abnehmer in diesem Sinne ist, wer auf dem Markt als Nachfrager auftritt. Obgleich die Norm immer wieder im Zusammenhang mit dem Verbraucherschutz genannt wird 20 und auch die Diskussion um die Einführung eines Rücktrittsrechts hauptsächlich unter dem Aspekt des Verbraucherschutzes geführt wurde, erfasst § 13 a UWG tatbestandsmäßig gerade nicht nur den Verbraucher als privaten Nachfrager, sondern auch gewerbliche Abnehmer als Endglied in der Absatzkette. Das ergibt sich aus § 27 Abs. 1, 2. HS UWG und aus den Materialien zur Entstehung des § 13 a UWG. Die ersten Regierungsentwürfe enthielten sowohl ein Schadensersatzanspruch des Abnehmers als auch ein Rücktrittsrecht und definierten in dem damals für § 13 a UWG vorgesehenen Schadensersatzanspruch in Abs. 2 den Begriff des Abnehmers, der auch für das Rücktrittsrecht des geplanten § 13 b UWG gelten sollte. § 13 a Abs. 2 UWG des Regierungsentwurfes von 1978 lautete:

20 Selbst in der Begründung zum Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und FDP vom 29. Januar 1986 zu § 13a UWG heißt es, dass der Schutz des Verbrauchers gestärkt werden solle, BT-Drucksache 10/4741, S. 18.

III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

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"Bei Zuwiderhandlungen nach Absatz 1 steht ein Ersatzanspruch auch dem gewerblichen Abnehmer oder dem letzten Verbraucher (Abnehmer) von Waren, gewerblichen Leistungen oder Rechten zu, sofern er durch die Zuwiderhandlungen zur Abnahme bestimmt worden ist.,,21

§ Ba Abs. 2 UWG des Regierungsentwurfes aus dem Jahr 1982 hatte den Wortlaut: "Bei Zuwiderhandlungen nach Absatz 1 steht ein Ersatzanspruch auch dem Abnehmer (gewerblichen Abnehmer oder letzten Verbraucher) von Waren, gewerblichen Leistungen oder Rechten zu, sofern er durch die Zuwiderhandlung zur Abnahme bestimmt worden ist. ,,22

Obgleich eine Legaldefinition in den späteren § 13 a UWG nicht aufgenommen wurde und auch ein Schadensersatzanspruch des Abnehmers keinen Eingang in das UWG fand, ging der Gesetzgeber nach wie vor davon aus, dass sowohl privaten als auch gewerblichen Abnehmern das Rücktrittsrecht zustehen sollte. 23 Im Schrifttum herrscht über den Begriff des Abnehmers in § 13 a UWG weitgehend Konsens und die Rechtsprechung wendet § 13 a UWG sowohl auf den privaten Endabnehmer24 als auch auf Gewerbetreibende 25 und Existenzgründer26 an. b) Sachlich § 13 a UWG ist auf alle Austauschverträge über bewegliche und unbewegliche Sachen, sowie auf Verträge über Rechte und Leistungen anzuwenden?? Obgleich es sich aus der Norm nicht unmittelbar ergibt, muss der Vertragspartner des Abnehmers den Vertrag im Rahmen seiner geschäftlichen bzw. gewerblichen Betätigung geschlossen haben. Zwar verzichtet § 4 UWG, auf den § Ba Abs. 1 Satz 1 UWG Bezug nimmt, sowohl auf das Merkmal des Handeins im geschäftlichen Verkehr als auch auf das Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs. Gleichwohl ist erforderlich, dass über geschäftliche Verhältnisse irregeführt wird. 28 § 13 a UWG ist eine wettbewerbsrechtliche Vorschrift und als solche auf rein private Angelegenheiten nicht anzuwenden. Das bedeutet, dass die Werbeangabe jedenfalls irgend21 22 23 24 25 26

BT-Drucksache 812145, S. 5. BT-Drucksache 9/1707, S. 5. BT-Drucksache 10/4741, S. 18. OLG Nürnberg, (Alarmanlage), S. 141. OLG Zweibrücken, (Absorbierende Wasserschutzkissen), S. 175. OLG Düsseldorf, (Top Existenz), S. 875 27 BaumbachlHefennehl, § 13a UWG Rz. 2. 28 BGH, Beschl. vom 29.3.1990, NJW 1990, S. 2395, 2396; BayObLG, Urt. vom 9.11.1990, wistra 1991, S. 119; Endriß, wistra 1989, S. 90, 92; ders. wistra, 1990, S. 335, 338.

A. Das Rücktrittsrecht des getäuschten Abnehmers, § 13 a UWG

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einen Bezug zum Geschäftsbetrieb oder zur geschäftlichen Tätigkeit des Vertragspartners aufweisen muss. Verträge zwischen Privatleuten unterliegen nicht § 13 a UWG. Wenn also ein Privatmann in einer Lokal-Zeitung sein Auto zum Verkauf anbietet und über das Vorhandensein einer Eigenschaft täuscht, kann der Vertrags partner trotz öffentlicher Annonce nicht nach § 13 a UWG vom Kaufvertrag zurücktreten. Zwischen Privaten kann § 13 a UWG jedoch ausnahmsweise Anwendung finden, wenn eine ursprünglich geschäftlich veranlasste Täuschung in nachfolgenden Rechtsgeschäften fortwirkt. Dies ist der Fall, wenn eine unwahre Behauptung, z. B. ein Werbeprospekt, beim Weiterverkauf auch unter Privatleuten verwendet wird?9 Auch in diesen nachfolgenden Geschäften kann sich nämlich die Gefährlichkeit der unwahren Werbung realisieren. Solange die Fehlinformation in Umlauf ist und zur Motivation eines potenziellen Vertragspartners verwendet werden kann, muss der Verkehr auch vor ihren nachteiligen Wirkungen geschützt werden. Beschränkt wird dieses weiterwirkende Rücktrittsrecht durch § 13 a Abs. 1 Satz 2 UWG. 2. Öffentliche Werbeangaben § 13 a Abs. 1 Satz 1 UWG inkorporiert die Merkmale des objektiven Tatbestandes von § 4 UWG?O Werbeangaben im Sinne der Norm können sämtliche Informationen sein, die zum Zwecke der Kundengewinnung abgegeben werden. In welche Form sie gekleidet sind, ist unerheblich. 3l Rücktrittsauslösend wirken diese Angaben jedoch nur, wenn sie in der Öffentlichkeit bekannt gegeben wurden oder sich an einen größeren Kreis von Personen wenden. Sachliche Unterschiede ergeben sich aus dieser tatbestandlichen Differenzierung nicht. Die Werbeangabe muss jedenfalls einen zahlenmäßig nicht mehr überschaubaren Personenkreis ansprechen, was regelmäßig der Fall ist, wenn Aussagen durch Massenkommunikationsmittel verbreitet werden. Unstreitig unterliegen Angaben im individuellen Verkaufsgespräch nicht § 4 UWG 32 und berechtigen damit auch nicht zum Rücktritt. GroßKomm-Köhler, § 13 a UWG Rz. 6. BT-Drucksache 10/4741, s. 19; Alt, NJW 1987, S. 21, 27; BaumbachlHefermehl, § 13 a UWG Rz. 3; Staudinger-Köhler, § 13 a UWG Rz. 11; ders., JZ 1989, S. 262, 263; Lehmann, GRUR 1987, S. 199, 212; Schaefer, ZIP 1987, S. 554, 556; Schaffemak, S. 23. Abweichend Sack, BB 1987, Beil. 2, S. 5 f., wonach nur das Merkmal der unwahren und zur Irreführung geeigneten Werbeangabe im Sinne von § 4 UWG zu verstehen sein soll, während es auf die übrigen Tatbestandsmerkmale nicht ankommen soll. Unklar Palandt-Putza, 50. Aufl., § 13 a UWG Rz. 5. 31 Groß Komm-Köhler, § 13a UWG Rz. 7. 32 Zu den Gründen Otta, GRUR 1982, S. 274, 279. 29

30

III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

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Dies dürfte ein weiterer Grund für die geringe Bedeutung des Rücktrittsrechts sein, weil mit dem Eintritt in das individuelle Verkaufsgespräch der Anwendungsbereich des § 13 a UWG verlassen wird. Täuschungen in dieser Phase der Vertragsanbahnung sind allein nach den allgemeinen Regeln zu beurteilen, obgleich das Vertrauen des Kunden in Angaben im Verkaufsgespräch sogar stärker ausgeprägt sein mag als in öffentliche Aussagen, die sich an jedermann richten. Bedient sich aber der Verkäufer im individuellen Verkaufsgespräch öffentlich zugänglichen Werbematerials, dann ist § 13 a UWG anwendbar?3 Nur folgt das Rücktrittsrecht in diesem Falle nicht aus der Irreführung im Verkaufsgespräch, sondern aus der - mehr oder weniger zufälligen - Verwendung von Werbeunterlagen anlässlich des Vertragsschlusses. 3. Täuschendes Element

Die Werbeangaben müssen unwahr und zur Irreführung geeignet sein. Der Gesetzgeber verzichtete damit bewusst34 auf den in der Diskussion um die Einführung des Vertragslösungsrechts vorgeschlagenen Bezug zur irreführenden Werbung nach § 3 UWG35 oder gar jeglicher Unlauterkeit gemäß § 1 UWG?6 Hauptgrund für diese Einschränkung des Tatbestandes ist der Kompromisscharakter der Norm. Einerseits sollte die Wirtschaft mit dem Rücktrittsrecht nicht über Gebühr belastet werden,37 anderseits sollten die Rechte des Abnehmers doch spürbar verstärkt werden. 38 Das Anknüpfen den wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutz hat zur Folge, dass subtile Arten der Willensbeeinflussung, die nicht auf einer Fehlinformation beruhen - z. B. Erscheinungsform des psychologischen Kaufzwanges oder die Ausnutzung der Unerfahrenheit und Willensschwäche von Kunden - grundsätzlich kein Recht zum Rücktritt begründen; auch hier ist der Abnehmer also auf die allgemeinen vertragsrechtlichen Rechtsbehelfe verwiesen, obgleich das Bedürfnis nach einer Lösung vom Vertrag sogar ausgeprägter sein kann als im Falle einer Täuschung.

St. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 369 Fn. 920 und S. 376 Fn. BT-Drucksache 9/1707 S. 23. Ferner Krieger, BB 1978, S. 625, dem damals diskutierten Schadensersatzanspruch des Abnehmers. 35 So der Referentenentwurf aus dem Jahr 1977, abgedruckt in S. 31 ff; nochmals und mit den Gründen S. 277 ff. 36 Stellungnahme des Bundesrates, vgl. WRP 1978, S. 648, 650. Schricker, GRUR 1979, S. 1,5. 3? BT-Drucksache 10/4741, S. 19. 38 BT-Drucksache 10/4741, S. 18. 33

34

963. 627 a.E. zu WRP 1978, Zustimmend

A. Das Rücktrittsrecht des getäuschten Abnehmers, § 13 a UWG

73

a) Unwahrheit Angaben sind unwahr, wenn sie der Durchschnittsauffassung des angesprochenen Publikums widersprechen. 39 Während nach h. M. für die Irreführung bereits eine verhältnismäßig geringe Anzahl von irregeführten Personen ausreicht, soll sich die Unwahrheit aus dem breiteren Konsens des Publikums über den unrichtigen Charakter einer Werbeangabe ergeben. 4o Auch diejenigen Autoren, die eine Irreführung nach der Durchschnittsauffassung des angesprochenen Verkehrs kreise bestimmen, gelangen zu einem identischen Ergebnis. Denn danach werden sowohl die Unwahrheit als auch die Irreführung einer Werbeangabe nach gleichen Maßstäben bestimmt. Folgerichtig müssen dann auch Verstöße gegen § 3 UWG zum Rücktritt nach § 13 a UWG berechtigen. 41 Demgegenüber wird vereinzelt nicht allein auf das faktische Fehlverständnis des Publikums abgestellt, sondern die Unwahrheit soll auf normativer Basis ermittelt werden. Dabei soll unter anderem zu berücksichtigen sein, ob das Publikum mit der Täuschung hätte rechnen können. 42 Auf diesem Wege würde sogar die Werbung für Selbstverständlichkeiten in den Anwendungsbereich der Norm einbezogen. 43 Wenn ein Bäcker beispielsweise für ein Brot wirbt, das keine Konservierungsstoffe enthält, dann soll diese Werbung schon dann unwahr sein, wenn für alle Brote dieser Sorte ein gesetzliches Verbot der Beigabe von Konservierungsstoffen besteht und das beworbene Brot deswegen gar keinen Vorzug gegenüber den Konkurrenzprodukten aufweist. 44 Doch geht diese Interpretation des Tatbestandsmerkmales allzu weit. Der positive Hinweis auf nicht enthaltene Konservierungsstoffe enthält nicht zugleich auch die negative Information, dass alle anderen auf dem Markt befindlichen Konkurrenzprodukte diese Eigenschaft nicht aufweisen. Denn verallgemeinerte man einen solchen Schluss, würde dies bedeuten, dass letztlich nur noch mit einmaligen Eigenschaften zulässigerweise geworben werden dürfte. Diese Ansicht läuft deshalb Gefahr, dass sie Werbeangaben nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft, sondern dass die Unwahrheit in eine Werbeaussage regelrecht hineininterpretiert wird. Es ist sehr nützlich, BaumbachlHejermehl, § Ba UWG Rz. 4. BaumbachlHejermehl, § 4 UWG Rz. 8; Klug, GRUR 1975, S. 217, 219. 41 Schünemann, Wettbewerbsrecht, S. 137 f. und 247. Ähnlich Drexl, Selbstbestimmung, S. 456. Gegen eine tatbestandliche Gleichstellung von § 3 und § 4 39

40

UWG, jedoch für eine Interpretation unwahrer Angaben als irreführende GRUR 1982, S. 274, 280 f. 42 Dominicus, S. 53 ff, 74 ff. Zustimmend Sander, S. 74 f. 43 Dominicus, S. 65 f., 75. 44 Dominicus, S. 68.

OUo,

74

III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

wenn der Verbraucher über Eigenschaften eines Produktes umfassend informiert wird und zwar auch dann, wenn die Eigenschaften des beworbenen Gegenstandes nicht einmalig sondern selbstverständlich sind. 45 Eine andere Beurteilung ist nur angebracht, wenn in der Werbung die Einmaligkeit unzutreffend behauptet wird. Unwahr im Sinne des § 4 UWG wäre also nur die Behauptung des Bäckers "Nur unser Brot enthält keine Konservierungsstoffe". Evident gegen eine normative Bestimmung der Unwahrheit spricht, dass es sich bei § 4 UWG um eine Strafnorm handelt. Das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG, § I StGB erfordert, dass jeder vorhersehen kann, welches Verhalten mit welcher Strafe bedroht ist, um sich daran zu orientieren. Allein der Gesetzgeber, nicht aber die vollziehende oder rechtsprechende Gewalt, hat über die Strafbarkeit eines Verhaltens zu entscheiden. 46 Damit wird einerseits der Gefahr richterlicher Willkür entgegen gewirkt, andererseits kann eine Strafnorm nur bei hinreichender Bestimmtheit das Verhalten wirksam steuern. Es ist zwar unvermeidlich, dass ein gewisses Maß an Unbestimmtheit besteht, weil alle vom Gesetzgeber verwendeten Worte mehrere Interpretationen zulassen, sodass in Grenzfällen zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten noch tatbestandsmäßig ist oder nicht. Doch muss im Regelfall das Risiko einer Bestrafung für den Normadressaten erkennbar sein. Das Bestimmen der Unwahrheit einer Werbeangabe im Rahmen einer Gesamtschau und mit Hilfe einer umfassenden Interessenabwägung verletzt das Bestimmtheitsgebot. Es ist schon zweifelhaft, ob eine unwahre öffentliche Behauptung soviel Sozialschädlichkeit aufweist, dass es der Anwendung des Strafrechts als ultima ratio überhaupt bedarf.47 Jedenfalls ist es mit dem Bestimmtheitsgebot nicht zu vereinbaren, das Eingreifen eines Straftatbestandes von widerstreitenden Interessenabwägungen abhängig zu machen, deren Ergebnis sich erst im Einzelfall ergibt und deshalb eine Vorhersehbarkeit strafrechtlich normgemäßen Verhaltens gar nicht zulässt. 48

45 Dies bestreitet freilich Dominicus, S. 75: Ein Aufklärungsinteresse der Konsumenten bestehe nur, wenn sich die Konkurrenten nicht an das gesetzliche Verbot des Beimischens von Konservierungsstoffen halten würden. Das kann aber schon deswegen nicht richtig sein, weil anderenfalls die Werbung mit der Wahrheit verboten würde. Dazu EuGH, Urt. vom 18.3.1993, GRUR Int. 1993, S. 763, 764 Tz 16 (Yves Rocher) mit zust. Anm. Lehmann, betreffend den früheren § 6e UWG. 46 BVerfG, Beschl. vom 17.l.l978, Bd. 47, S. 109, 120; BVerfG, Beschl. vom 22.10.1980, Bd. 55, S. 144, 152; BVerfG, Beschl. vom 23.10.1985, Bd. 71, S. 108, 114; BVerfG, Urt. vom 11.11.1986, Bd. 73, S. 206, 234 ff.; BVerfG, Beschl. vom 6.5.1987, Bd. 75, S. 329, 342. 47 Klug, GRUR 1975, S. 217, 221, 229. 48 Eingehend Klug, GRUR 1975, S. 217, 221 ff.

A. Das Rücktrittsrecht des getäuschten Abnehmers, § 13a UWG

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b) Eignung zur Irreführung Die rücktrittsrelevanten Werbeangaben müssen des Weiteren zur Irreführung geeignet sein. Auf den ersten Blick erscheint diese Tatbestandsvoraussetzung wenig sinnvoll, da eine unwahre Angabe typischerweise auch irreführt. Ein unzutreffende Behauptung, die keine Fehlvorstellungen hervorrufen kann, ist kaum vorstellbar. Selbst eine erkannt unrichtige Werbeangabe ist regelmäßig zur Irreführung geeignet. Nach h.M. folgt die Eignung zur Irreführung bei unwahren Werbeangaben aus den wesentlich geringen Anforderungen an die Irreführungsquote - sie liegt zwischen 5 bis 20 Prozent der angesprochenen Verkehrskreise49 -, sodass eine unwahre Angabe in jedem Falle auch irreführend sein muss. 50 Nach anderer Ansicht sind Irreführung und Unwahrheit ohnehin gleichzusetzen. 51 Der wesentliche Gehalt des Tatbestandsmerkmals wird durch diesen Streit aber verschleiert. Es kommt nicht auf die Irreführung und die zu deren Bestimmung erforderlichen Quoten an, sondern auf die bloße Eignung zur Irreführung, im Sinne einer Möglichkeit des Verursachens einer falschen Vorstellung. Das Merkmal dient der Abgrenzung zu den Anfechtungstatbeständen des BGB. Während für die §§ 119 ff. BGB eine konkrete Fehlvorstellung einer Vertragspartei bzw. ein Ausschluss ihrer Entschließungsfreiheit vorliegen muss, genügt für den Rücktritt nach § 13 a UWG die abstrakte Möglichkeit einer Beeinträchtigung der freien Willensentschließung. Geeignet zur Irreführung bedeutet demnach, dass die unwahre Angabe bei typisierender Betrachtung einen Abnehmer aus dem angesprochenen Verkehrskreis in seiner Entscheidung beeinflussen konnte. § 13 a UWG gibt also ein Recht auf Vertragslösung bereits dann, wenn die bloße Gefahr einer Beeinflussung der Entschließungsfreiheit besteht. Ob sich die Irreführungseignung in einer konkreten Fehlvorstellung realisiert hat, ist irrelevant; es genügt, dass sie sich hätte realisieren können. 52 c) Die Einbeziehung täuschenden Verhaltens Dritter

Das tatbestandlieh ohnehin schon eng gefasste Rücktrittsrecht erwiese sich als wirkungslos, wenn es allein den Bereich unlauterer Werbung erfassen würde, der ursächlich von der Vertragsgegenseite ausgeht. In der ökonomischen Wirklichkeit ist die sogenannte vorverkaufende Werbung oder Sprungwerbung weit verbreitet. Dabei wirbt nicht mehr der Händler, der Zu den Einzelheiten Baumbachl Hejennehl, § 13 a UWG Rz. 27 ff. BaumbachlHejennehl, § 4 UWG Rz. 8. 51 Schünemann, Wettbewerbsrecht, S. 247. 52 Ahrens, WRP 1978, S. 677, 680; BaumbachlHejennehl, § 13 a UWG Rz. 8 f.; Staudinger-Köhler, § 13 a UWG Rz. 38; Schaejer, ZIP 1987, S. 554, 559. 49

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

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letztlich die Vertragsbeziehung mit dem Abnehmer eingeht, sondern ein außerhalb der Vertragsbeziehung stehender Dritter, typischerweise der Hersteller. Er bestimmt die Absatzstrategie für seine Produkte und integriert die Händler in sein Marketingkonzept. Um ohne eine Zurechnungsnorm wirksam vom Vertrag zUlÜcktreten zu können, müsste der Abnehmer also zunächst in Erfahrung bringen, von wem die unwahre Werbung ursächlich herlÜhrt. Regelmäßig wird sich dies für einen Außenstehenden aber gar nicht erforschen lassen, da hierfür die Kenntnis von Betriebsinterna, Vertriebsstrukturen und Marketingkonzepten erforderlich ist. § 13 a Abs. 1 Satz 2 UWG enthält deshalb zwei Möglichkeiten, Drittwerbung53 in den Kreis der zum Rücktritt berechtigenden Verhaltensweisen aufzunehmen und beglÜndet damit erstmalig eine weitreichende Einstandspflicht des Vertragspartners für unwahre Werbeangaben im Rechtsverkehr. Die Regelung beruht auf der Kombination eines bürgerlich-rechtlich erprobten subjektiven und eines neuartigen objektiven Zurechungsprinzips nach Verantwortungsbereichen. aa) Zurechnung nach subjektiven Kriterien § 13 a Abs. 1 Satz 2, 1. und 2. Alt. UWG lehnt sich eng an den Wortlaut des § 123 Abs. 2 Satz 2 BGB an. Im Falle einer arglistigen Täuschung durch einen Dritten kann wirksam angefochten werden, wenn der Anfechtungsgegner die Täuschung kannte oder kennen musste. Eine entsprechende Regelung stellt § 13 a Abs. 1 Satz 2 UWG auf. Der Abnehmer kann danach zUlÜcktreten, wenn sein Vertragspartner die Werbeangabe des Dritten, deren Unwahrheit und ihre Eignung zur Irreführung kannte oder hätte kennen müssen. Die Zurechung des unlauteren Fremdverhaltens beruht dabei auf dem Gedanken, dass der Händler das mit der werblichen Fehlinformation verbundene Rücktrittsrisiko beherrschen konnte und durch eigenes Verhalten, z. B. durch aufklärende Hinweise, hätte ausschließen können. 54 Eine ausschließlich auf dem Verschulden basierende Haftung des Händlers bringt für den lÜcktrittswilligen Abnehmer jedoch beachtliche Schwierigkeiten mit sich. Der Abnehmer ist für die Kenntnis des Händlers bzw. dessen fahrlässige Unkenntnis von der Unwahrheit der Werbeaussage beweispflichtig. 55 53 Köhler, JZ 1989, S. 262, 266 unterscheidet zwischen echter und unechter Drittwerbung. Nur die echte Drittwerbung werde von § 13 a Abs. 1 Satz 2 UWG erfasst, die unechte Drittwerbung dagegen von § 13 a Abs. 1 Satz 1 UWG.

Schaefer, ZIP 1987, S. 554, 560. BaumbachlHefermehl, § 13 a UWG Rz. 16; Köhler, JZ 1989, S. 262, 266. A.A. Lehmann, GRUR 1987, S. 199, 213, der für eine generelle Beweislastumkehr 54 55

nach den Grundsätzen der Sphärentheorie zugunsten des rücktrittswilligen Abnehmers plädiert.

A. Das Rücktrittsrecht des getäuschten Abnehmers, § 13 a UWG

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Dieser Beweis wird häufig nur schwer zu führen sein und bildet ebenso wie bei § 123 BGB eine bedeutsame Hürde für das prozessuale Geltendmachen des Rücktrittsrechts. 56 Des Weiteren ist bislang weitgehend ungeklärt, welche Sorgfalt der Händler in Bezug auf unwahre Drittwerbung zu beobachten hat. In der Literatur begnügt man sich bislang mit vagen Andeutungen und dem Hinweis auf den Einzelfall. 57 bb) Zurechnung nach objektiven Kriterien Dass der Abnehmer auf Grund dessen an der Ausübung des Rücktrittsrechts gehindert sein kann, war dem Gesetzgeber schon früh bewusst und er entschied sich, ein weiteres Zurechungsprinzip in § 13 a Abs. 1 Satz 2 UWG aufzunehmen, um das Rücktrittsrecht "von möglichst eindeutigen, objektiv feststellbaren Voraussetzungen abhängig zu machen".58 Neben dem Ausgleich der Schwächen einer reinen Verschuldenshaftung 59 strebte der Gesetzgeber einen angemessenen Risikoausgleich zwischen dem Abnehmer, dem anderen Vertragsteil und dem werbenden Dritten bei Verwendung von Reklame an. 60 Voraussetzung dafür ist gemäß § 13 a Abs. 1 Satz 2, 3. Alt. UWG, dass die Werbung von einem Dritten ausgeht und der Rücktrittsgegner sich die Werbeangabe durch eigene Maßnahmen zu eigen gemacht hat. In den Materialien finden sich wiederholt beispielhafte Beschreibungen, wann ein Zueigenmachen anzunehmen sein soll, z. B. bei der Verwendung von Plakaten, Verkaufs ständern, Schaufensterwerbung und Inseraten. 61 Im Schrifttum hat man sich um weitere Klarstellungen bemüht, die im Ergebnis allerdings kaum Unterschiede erkennen lassen. Ein Zueigenmachen soll etwa vorliegen, wenn Werbeangaben des Dritten dem Abnehmer unabhängig von der Art der Übermittlung zugänglich gemacht werden;62 ähnliches meint die Formulierung, der Vertragspartner müsse sich aktiv an die Drittwerbung anhängen oder besonders auf diese anspielen. 63 Zum Teil Hefermehl, FS Weitnauer, S. 347,361. Baumbach/Hefermehl, § l3a UWG Rz. 16; Sr. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 377. Mit zahlreichen Beispielen Köhler, 1Z 1989, S. 626, 266. 58 BT-Drucksache 812145, S. 22. Kritisch zu diesem gesetzgeberischen Anliegen Kraft, ZRP 1979, S. 161, 164; Weyhenmeyer, WRP 1979, S. 419, 420 ff. 59 Krieger, BB 1978, S. 625, 629. 60 BT-Drucksache 10/4741, S. 18 f. 61 BT-Drucksache 812145, S. 22; BT-Drucksache 10/4741, S. 19. In der Literatur werden diese Beispiele häufig ohne nähere Auseinandersetzung zur Umschreibung des Merkmals "Zueigenmachen" übernommen, vgl. Baumbach/ Hefermehl, § l3 a UWG Rz. 17; Lehmann, GRUR 1987, S. 199, 2l3. 62 Schaffemak, S. 83. 63 Schaefer, ZIP 1987, S. 554, 56l. 56 57

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

wird auch das bloße Dulden als ein Zueigenmachen angesehen und ein Rücktrittsrecht auch in den Fällen angenommen, in denen etwa der Vertragspartner das Aufhängen von Werbeplakaten durch Herstellerpersonal nicht verhindert. 64 Aufschlussreicher sind die wechselnden Formulierungen in den unterschiedlichen Entwürfen des Rücktrittsrechts. 65 Der Referentenentwurf von 1977 enthielt hinsichtlich der Drittwerbung in § 13 b Abs. 1 UWG-E folgende Regelung: "Wer durch eine irreführende Werbeangabe (§ 3) zum Abschluss des Vertrages bestimmt worden ist, kann, sofern der andere Vertragsteil an der unerlaubten Werbung beteiligt war, von dem Vertrag zurücktreten ...66

Der Regierungsentwurf von 1978 enthielt eine abgewandelte Fassung in

§ 13 b Abs. 1 Satz 2 UWG:

"Geht die Werbung mit der Angabe von einem Dritten aus, so steht dem Abnehmer das Rücktrittsrecht nur dann zu, wenn der andere Vertragsteil die Unwahrheit der Angabe kannte oder kennen musste oder an der Werbung mit dieser Angabe durch eigene Maßnahmen beteiligt war...67

Der Bundesrat schlug in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf von 1982 vor, § 13 b Abs. 1 Satz 2 UWG wie folgt zu formulieren: "Geht die Werbeangabe von einem Dritten aus, so steht dem Abnehmer das Rücktrittsrecht nur dann zu, wenn der andere Vertragsteil die Unwahrheit der Angabe kannte oder kennen musste oder sich die Werbung durch eigene Maßnahmen zunutze gemacht hat ...68

Das Zueigenmachen, wie es schließlich Eingang in § 13 a Abs. 1 Satz 2 UWG gefunden hat, bildet dem Wortlaut nach einen Mittelweg zwischen den genannten Vorschlägen. Es ist einerseits nicht erforderlich, dass der Rücktrittsgegner aktiv an der Drittwerbung mitgewirkt hat. Andererseits genügt es auch nicht, dass er bloß an fremder Werbung ohne eigenes Zutun partizipiert und in Form eines Vertragsschlusses von ihr wirtschaftlich profitiert. Entscheidend ist, dass der Rücktrittsgegner die Werbung in das vorvertragliehe Geschehen derart einbezogen hat, dass sie seiner Geschäftssphäre zugehörig erscheint.

Köhler, JZ 1989, S. 262, 266 mit weiteren Beispielen. Zweifelnd aber Medicus, Gutachten, S. 532: Die rechtlichen Unterschiede der einzelnen Formulierungen seien nicht deutlich. 66 WRP 1978, S. 31 ff.; nochmals und mit Begründung, S. 277 ff. 67 BT-Drucksache 8/2145, S. 5. 68 BT-Drucksache 9/1707, S. 38. 64 65

A. Das Rücktrittsrecht des getäuschten Abnehmers, § 13 a UWG

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cc) Der Grundgedanke der Risikoverteilung bei unrichtiger Werbung Im Kern handelt es sich bei der Risikoverteilung für unwahre Werbeangaben um den Gedanken einer Gefährdungshaftung für den Einsatz von Werbung. 69 Erman formulierte diesen Gedanken im Zusammenhang mit vorvertraglichen Verhaltenspflichten noch bevor an einen wettbewerbsrechtlichen oder vertragsrechtlichen Individualschutz des Abnehmers vor Werbeaussagen überhaupt zu denken war: Wer sich den Nutzen der Reklame sichert, soll auch die damit verbundenen Gefahren tragen. 70 Der dahinter stehende Rechtsgedanke offenbart gewisse Parallelen zur Haftung für gefährliche Produkte. 7 ! Wie ein Hersteller nach den deliktischen Haftungsregeln der §§ 823 ff. BGB und dem ProdHaftG für die Sicherheit seiner in den Verkehr gebrachten Produkte einzustehen hat, so muss derjenige, der Werbung einsetzt und von ihrer verkaufsfördernder Wirkung profitiert, auch für die von ihr ausgehenden Gefahren einstehen. Wirbt der Verkäufer mit unrichtigen Angaben, dann muss er als Verursacher für die Gefahr einer Fehlinformation einstehen. Geht die Werbung aber von Dritten aus und profitiert der Verkäufer davon, dann muss das Risiko in der Absatzkette angemessen verteilt werden. § 13 a UWG enthält hierfür einen überzeugenden Regelungsmechanismus. Das gesetzliche Grundmodell für die durch § 13 a Abs. 1 Satz 2 UWG vorgenommene Risikoverteilung bildet § 122 BGB. 72 Danach muss der Anfechtende dem Anfechtungsgegner den Schaden ersetzen, der diesem durch das Vertrauen auf die Wirksamkeit einer abgegebenen Willenserklärung entstanden ist. § 122 BGB enthält damit eine abgeschwächte Form der Vertragsbindung. 73 Der Irrende soll zwar an der vertraglichen Bindung nicht festhalten müssen, gleichwohl muss er aber für das in Anspruch genommene Vertrauen seines Vertragspartners einstehen. Das Gesetz weist also das Risiko, eine fehlerbehaftete Erklärung abzugeben, grundsätzlich dem Anfechtenden zu, weil er es typischerweise beherrschen kann. Das der Willenserklärung entgegengebrachte Vertrauen ist jedoch nicht schutzwürdig, wenn der Anfechtungsgegner den Grund kannte, der den Anfechtenden zur Vertragslösung berechtigt hat oder wenn die Fehlerhaftigkeit auf exogenen 69 KöhlerlPiper, § Ba UWG Rz. 16. Lehmann, GRUR 1987, S. 199,213 spricht despektierlich von einer Art "Sippenhaft" zwischen Werbendem und konkretem Vertragspartner . 70 Erman, AcP 1934 (139), S. 273, 320. 71 Hefermehl, FS Weitnauer, S. 347, 358. Ähnlich für Eingriffe in deliktisch geschützte Rechtsgüter durch Werbung Simon, eR 1986, S. 3,9. 72 St. Larenz, Unerwünschter Vertrag, S. 375 f. 73 Larenz, BGB AT, 7. Aufl., § 20 III (S. 386).

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

Gründen beruht, die der Sphäre des anderen Vertragsteils zugehörig sind, wie im Falle der arglistigen Täuschung und widerrechtlicher Drohung. § 13 a Abs. 1 Satz 2, 3. Alt. UWG nimmt eine ähnliche Risikoverteilung für den Einsatz von Werbung vor. Geregelt wird die abstrakte Beherrschbarkeit der mit dem Einsatz von Werbung verbunden Gefahr der Verursachung von Fehlentscheidungen?4 Es geht dabei allerdings weniger um den Schutz der Werbung entgegengebrachten Vertrauens, sondern um die mit Werbung verbundenen Gefahren einer Fehlinformation und Fehlmotivation des Adressaten. Hierbei handelt es sich um typische exogene Vorgänge, da sich der "Fehler" in der Willensbildung des einen Vertragsteils als Abbildung der fehlerhaften Werbung darstellt. Grundsätzlich hat das Risiko fehlmotivierter Vertragsschlüsse der Werbende zu tragen. Das ergibt sich aus § 13 a Abs. 1 Satz 1 UWG. Verwirklicht sich das Risiko einer Fehlinformation in einem Vertragsverhältnis, dem der Werbende nicht angehört, ermöglicht § 13 a Abs. 3 Satz 2 UWG einen angemessen Ausgleich. Das Rücktrittsrecht wird gegenüber dem Vertragspartner ausgeübt, doch kann der Vertragspartner seinerseits den Werbenden in Anspruch nehmen. 4. Vertragswesentlichkeit und Kausalität

§ 13 a UWG fordert weiter, dass die Werbeangabe für den Personenkreis, an den sie sich richtet, für den Abschluss von Verträgen wesentlich ist. Diese Umschreibung lehnt sich an das Merkmal der Verkehrswesentlichkeit in § 119 Abs. 2 BGB an und soll bloß individuelle Erwerbsmotive einzelner Abnehmer, die von dem durchschnittlichen Publikum nicht geteilt werden, aus dem Kreis der zum Rücktritt berechtigenden Werbeangaben ausschließen?5 Das Merkmal bildet das notwendige Korrelat zur Tatbestandsvoraussetzung der Irreführungseignung. Weil es dort nicht auf eine tatsächliche Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit des Abnehmers ankommt, besteht die Gefahr, dass der Rücktrittswillige durch eine individuelle Bestimmung seiner vertragswesentlichen Momente den Anwendungsbereich des Rücktrittsrecht weitgehend eigenständig definiert. Mit der Vertragswesentlichkeit werden verkehrsuntypische Fehldeutungen des Einzelnen aus dem Anwendungsbereich des § 13 a UWG herausgefiltert?6

Schließlich muss der Abnehmer durch die Werbeangabe zur Abnahme bestimmt worden sein. Abnahme ist dabei untechnisch zu verstehen und meint den Vertragsschluss. 77 Die Werbeangabe hat den Abnehmer zur Ver74 75 76

St. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 375 Fn. 959 a. E. Köhler/Piper, § 13 a UWG Rz. 4; Schaffernak, S. 38 f. Schaefer, ZIP 1987, S. 554, 559.

A. Das Rücktrittsrecht des getäuschten Abnehmers, § Ba UWG

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tragseingehung bestimmt, wenn sie selbst zumindest mitursächlich für den konkreten Vertragsschluss geworden ist. Ursächlichkeit liegt vor, wenn der Abnehmer ohne die Kenntnis der Werbeangabe den Vertrag nicht, nicht mit diesem Inhalt oder nicht zu dieser Zeit geschlossen hätte?8 An der Kausalität fehlt es, wenn der Abnehmer die Werbung gar nicht kannte oder die Angabe für seine Kaufentscheidung keine Bedeutung hatte. Die mangelnde Kausalität hat freilich nur theoretische Bedeutung. Dass eine Werbung, die sich im Wege der Massenkommunikation an jedermann richtet, gerade dem rücktrittswilligen Abnehmer unbekannt geblieben ist oder für dessen Kaufentscheidung irrelevant war, dürfte sich kaum jemals beweisen lassen. Die h.M. verneint Ursächlichkeit auch dann, wenn der Abnehmer die Unrichtigkeit der Werbeangabe durchschaut hat und deswegen selbst nicht durch die Werbeangabe getäuscht wurde. 79 Sie fordert also eine Ursächlichkeit zwischen der Täuschung und dem Vertragsschluss, nicht bloß zwischen der Werbeangabe und dem Vertrag. 80 Dahinter steht offenbar der Gedanke, dass sich ein Abnehmer widersprüchlich verhält, wenn er eine Ware in Kenntnis der unrichtigen Werbung erwirbt und im Anschluss den Vertrag gerade unter Hinweis auf die Unrichtigkeit durch den Rücktritt wieder zu Fall bringt. Richtigerweise fehlt es im Falle der erkannten Unrichtigkeit aber nicht am Kausalzusammenhang, sondern der Rücktritt ist aus Wertungsgründen ausgeschlossen. Im Vertragsrecht ist anerkannt, dass eine durch die Pflichtverletzung der anderen Partei begründete Rechtsposition geschwächt wird oder ganz entfällt, wenn die Vertragspartei das auslösende Moment gekannt hat; dieser Rechtsgedanke liegt etwa den §§ 460 Satz 1, 539 Satz 1 und 640 Abs. 2 BGB zu Grunde. Es ist sachgerecht, diese Wertung auf § 13 a UWG zu übertragen und dem Abnehmer das Rücktrittsrecht zu versagen, wenn er die Unwahrheit der Werbeangabe erkannt hat. 8! Er ist nicht mehr schutz bedürftig, weil er die Fehlerhaftigkeit der Fremdinforma77 BaumbachlHefermehl, § 13 a UWG Rz. 7; Köhler, JZ 1989, S. 262, 266; Lehmann, GRUR 1987, S. 199, 213; Schaefer, ZIP 1987, S. 554, 559. A.A. Sack, BB 1987, Beil. 2, S. 6 f., der den Begriff der Abnahme technisch verstehen will und die dadurch auftretenden Lücken durch Analogie schließt. St. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 371 Fn. 935 rügt diese Ansicht zu Recht als übertrieben dogmatisch und Scheinprobleme aufwerfend. 78 BaumbachlHefermehl, § Ba UWG Rz. 8. 79 BaumbachlHefermehl, § 13a UWG Rz. 9; Köhler, JZ 1989, S. 262, 266; Saiger, S. 77; Schaffemak, S. 44. A.A. Alt, NJW 1982, S. 21, 27. 80 In der Stellungnahme der Vereinigung für Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, GRUR 1986, S. 439, 447 wurde eine Klarstellung dahingehend gefordert, dass der Abnehmer "getäuscht und hierdurch zur Abnahme bestimmt worden" sein muss. 81 I. E. auch Borck, WRP 1978, S. 333, 337: Es sei nicht einzusehen, dass jemand sich von seiner Willenserklärung soll loslösen können, nur weil möglicherweise andere eine Werbung, die er selbst richtig verstanden hat, missverstanden haben.

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

ti on durchschaut hat. Entschließt er sich gleichwohl zum Vertrag, dann geschieht das nunmehr auf eigenes Risiko und dieses kann er nicht mehr auf den Unternehmer abwälzen. V. Die Rechtsfolgen Liegen die genannten Tatbestandsvoraussetzungen vor, dann ist der Abnehmer berechtigt, sich durch die Ausübung des Rücktritts vom Vertrag zu lösen. Der Vertrag wird dann in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt. 1. Rücktritt

Als einseitiges Gestaltungsrecht muss der Rücktritt gegenüber dem anderen Vertragsteil erklärt werden. Die Erklärung gegenüber dem Vertragspartner muss unverzüglich erfolgen, nachdem der Abnehmer von den Umständen erfahren hat, die ihn zum Rücktritt berechtigen. Bei Dauerschuldverhältnissen tritt an die Stelle des Rücktrittsrechtes das Recht zur Kündigung. 82 Der Rücktritt ist innerhalb einer "geradezu skandalös kurzen sechsmonatigen Ausschlussfrist,,83 geltend zu machen. Die Frist beginnt im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages. Der Gegenauffassung, die analog § 477 BGB die Ausschlussfrist erst mit der Übergabe beginnen lassen möchte,84 ist zuzugeben, dass der kurz bemessene zeitliche Rahmen zu unbilligen Härten führen kann. So ist es etwa beim Kauf von Kraftfahrzeugen durchaus nicht selten, dass zwischen dem Vertragsabschluss und der Lieferung mehr als sechs Monate verstreichen. Stellt sich erst dann heraus, dass die Werbeprospekte unrichtig waren, versagt § 13 a UWG. Eine offene Gesetzeskorrektur ist angesichts des klaren Wortlauts 85 abzulehnen, was jedoch nichts an der Kritikwürdigkeit der Regelung ändert.

Köhler, JZ 1987, S. 262, 267. St. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 379. Ähnliche Einschätzung bei PalandtPutzo, 50. Aufl., § 13a UWG Rz. 18: gesetzgeberische Fehlleistung. 84 Medicus, JuS 1988, S. 1, 7 Fn. 50; Sack, BB 1987, Beil. 2, S. 10; Saiger, 82 83

S.82. 85 Überdies blieb die Präklusionsfrist von sechs Monaten in den einzelnen Entwürfen unangetastet, vgl. § 13b Abs. 2 Satz 2 UWG-E vom 28.9.1978, BT-Drucksache 812145, S. 5 und § 13b Abs. 2 Satz 2 UWG-E vom 1.6.1982, BT-Drucksache 911707, S. 5.

A Das Rücktrittsrecht des getäuschten Abnehmers, § 13 a UWG

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2. Besonderheiten bei der Rückabwicklung

Als Rechtsfolge sieht § 13 a Abs. 3 Satz 1 UWG eine Rückabwicklung der bereits ausgetauschten Leistungen vor. Gemäß § 13 a Abs. 3 Satz 1 UWG ist dabei nach der Art des Vertragsgegenstandes zu unterscheiden. Für Verträge über bewegliche Sachen wird auf § 361 a Abs. 2 BGB verwiesen. Die Verweisung gilt jedoch nicht für den gesamten Abs. 2, sondern nur für einzelne Teile daraus, was zu einer recht unübersichtlichen Haftungssituation führt. 86 Für unbewegliche Sachen sowie für Verträge über Leistungen und Rechte bleibt es bei den allgemeinen Vorschriften über die Rückabwicklung nach den §§ 346 ff. BGB. 87

VI. Konkurrenzen 1. Unwirksamkeitsgründe

Gründe, aus denen die Nichtigkeit der vertraglichen Vereinbarung folgt, sind vorrangig zu prüfen und stehen in keinem Konkurrenzverhältnis zu § Ba UWG. 88 Die Ausübung eines Rücktrittsrechts setzt voraus, dass zwischen den Parteien noch ein wirksamer Kaufvertrag besteht. Ist das Rechtsgeschäft schon aus anderen Gründen nichtig, z. B. wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot oder wegen der Nichtbeachtung bestimmter Formvorschriften, bleibt für einen Rücktritt gemäß § 13 a UWG kein Raum. 2. Vertragslösungsrechte

Im Falle einer unwahren Werbung wird § 13 a UWG nicht selten von anderen Normen flankiert, die dem getäuschten Vertragsteil ebenfalls eine Lösung vom Rechtsgeschäft ermöglichen. § 123 Abs. 1, 1. Alt. BGB in Betracht, wenn die unwahre Werbeangabe zugleich eine arglistige Täuschung enthält und § 119 Abs. 2 BGB greift ein, wenn die Unwahrheit eine verkehrswesentliche Eigenschaft betrifft. Darüber hinaus können die verbraucherschützenden Widerrufsrechte einschlägig sein, insbesondere § 1 Abs. 1 HWiG. § 13 a UWG steht gleichberechtigt neben den Anfechtungs-, Rücktritts- und Widerrufsrechten, sodass dem Abnehmer ein Wahlrecht zusteht. 89 Sind die Voraussetzungen des § 13 a UWG und anderer Vertragslösungsrechte erfüllt, kann der Verbraucher sich für den günstigsten RechtsbeDazu KöhlerlPiper, § 13a UWG Rz. 13. KöhleriPiper, § 13a UWG Rz. 14. 88 Köhler, JZ 1989, S. 262, 267. 89 Grigoleit, S. 241; Sack, BB 1987, Bei!. 2, S. 25 ff. AA GroßKomm-Schünemann, Ein!. UWG Rz. E 90. 86 87

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

helf entscheiden. Dafür mag dann eine Rolle spielen, welche Tatbestandsvoraussetzungen im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung leichter zu beweisen sind, welche Fristen beachtet werden müssen und welche Konsequenzen hinsichtlich der Haftung sich aus der Ausübung des Gestaltungsrechts ergeben. Ein Recht zur Auflösung des Vertrages kann sich des Weiteren aus den Vorschriften des Gewährleistungsrechts ergeben, wenn der Käufer die Wandlung begehrt. 9o Verschweigt der Verkäufer wissentlich einen Mangel und preist gebrauchte Waren öffentlich als "erste Wahl" an,91 dann liegt sowohl ein Sachmangel i. S. v. § 459 Abs. 1 Satz 1 BGB vor als auch ein zum Rücktritt nach § 13a UWG berechtigender Tatbestand, wenn die Ware in Wirklichkeit von minderer Qualität ist. Auch hier ist von einem Wahlrecht des getäuschten Käufers auszugehen. 3. Schadensersatzansprüche

Die ausdrückliche Regelung in § 13 a Abs. 3 Satz 2 UWG schließt das Geltendmachen eines weiteren Schadens nicht aus. Auf den ersten Blick legt diese Formulierung den Schluss nahe, dass auch der eingegangene Vertrag als solcher vom Gesetzgeber als Schaden eingeordnet wird und der Rücktritt deshalb als Naturalrestitution i. S. d. § 249 Satz 1 BGB angesehen wird. 92 Betrachtet man jedoch die Entstehungsgeschichte der Norm, ist die Einordnung des § 13 a UWG als Schadensersatzanspruch nicht zu halten. In den Entwürfen wird deutlich zwischen einem Schadensersatzanspruch des Abnehmers und dem Rücktrittsrecht unterschieden;93 letztlich hat nur das Rücktrittsrecht Eingang in das UWG gefunden. Hätte der Gesetzgeber den eingegangenen Vertrag stets als Schaden angesehen, dann wäre die eigenständige Regelung des Rücktrittsrechts überflüssig gewesen. Denn die Naturalrestitution in Form einer Freistellung vom Vertrag hätte das Rücktrittsrecht einbezogen, sodass es im Grunde überflüssig gewesen wäre. 94 Auch in anderer Hinsicht erweist sich die Formulierung als unglücklich und missverständlich. Nach den derzeitigen Vorschriften des Vertragsrechts ist Schadensersatz wegen Nichterfüllung ausgeschlossen, wenn ein Vertragspartner den Rücktritt erklärt hat. 95 Rücktritt und Schadensersatz stehen 90 A.A. Schaffemak, S. 169, der ein ZusanJffientreffen von § 13a UWG und den Vorschriften des Gewährleistungsrechts für ausgeschlossen hält. 91 Vgl. etwa OLG Karlsruhe, Urt. vom 24.11.1967, WRP 1968, S. 36 ff.; LG München, Urt. vom 17.4.1961, WRP 1962, S. 172 ff. 92 Grigoleit, S. 241. 93 §§ 13a, b UWG-E von 1978, BT-Drucksache 8/2145, S. 5; §§ 13a, b UWG-E von 1982, BT-Drucksache 9/1707, S. 5. 94 Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 151.

B. Bürgerliches Vertragsrecht

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alternativ nebeneinander. Das gilt entsprechend auch für den Rücktritt nach § 13 a UWG. 96 Schadensersatz wegen Nichterfüllung kann nach erklärtem Rücktritt deshalb nicht verlangt werden. Nach derzeitiger Rechtslage bleiben von § 13 a UWG unberührt nur solche Schadensersatzansprüche, die nicht auf den Ersatz des Erfüllungsinteresses gerichtet sind. Dazu gehören insbesondere Verzugsschäden, Mangelfolgeschäden, Ansprüche aus positiver Forderungsverletzung und deliktische Ansprüche. 97 Nicht ausgeschlossen ist auch die Freistellung vom Vertrag nach den Grundsätzen der vorvertraglichen Verschuldenshaftung,98 da die c. i. c. durch die vermögensschützende Ausrichtung99 einen anderen Schutzzweck als § 13 a UWG erfüllt und deswegen nicht verdrängt wird. Die auf Vertragslösung gerichtete c.i.c.-Haftung ist wegen ihrer Verwandtschaft zu den §§ 119,123 BGB entsprechend den Anfechtungsrechten zu behandeln. Der Abnehmer hat also die Wahl, sich für die c.i.c. oder § 13a UWG zu entscheiden.

B. Bürgerliches Vertragsrecht Zu den fundamentalen Prinzipien des bürgerlichen Vertragsrechts gehört der Grundsatz, dass geschlossene Verträge einzuhalten sind, pacta sunt servanda. 1oo Die nachträgliche Lösung von der privatautonom begründeten Verpflichtung stellt eine Ausnahme dar, die in jedem Fall besonderer und gewichtiger Gründe bedarf. Ein allgemeines Reurecht, das einer Vertragspartei auch nach dem Vertragsschluss generell ein Abrücken von der eingegangenen Verpflichtung ermöglicht, ist weder anerkannt noch als zukünftige Leitidee anerkennenswert. 101 I. Nichtigkeit von unlauter angebahnten Verträgen

Als denkbar schwerste Reaktion des bürgerlichen Vertragsrechts auf einen Wettbewerbsverstoß kann dem unlauter angebahnten Vertrag die rechtliche Anerkennung völlig versagt werden. Keine Rechtsordnung kann 95 Fikentscher, Schuldrecht, § 44 III e (Rz. 350); Soergel-Hadding, Vor § 346 BGB Rz. 4; Palandt-Heinrichs, Einf. v § 346 BGB Rz. 2. 96 BaumbachlHefennehl, § Ba UWG Rz. 27; Köhler, JZ 1989, S. 262, 269; Sack, BB 1986, S. 2205, 2215; Schaffemak, S. 170. 97 Fikentscher, Schuldrecht, § 48 IV (Rz. 426). 98 Medicus, JuS 1988, S. 1,7. A.A. Sack, BB 1987, Beil. 2, S. 26 f. 99 Siehe unten III. 2. a) (S. 136 ff.). !OO Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 122 ff. IO! Basedow, AcP 200 (2000), S. 445, 453; Canaris, AcP 200 (2000), S. 273, 344 f.; Pützhoven, EWS 1999, S. 447, 450; Roth, JZ 1999, S. 529, 534 gegen die Idee eines kompetitiven Vertragsrechts von Micklitz, ZEuP 1998, S. 253, 265.

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

darauf verzichten, eine vertragliche Vereinbarung für ungültig zu erklären, wenn diese gegen die geltenden Gesetze verstößt oder einem gewissen Mindeststandard - den guten Sitten - widerspricht. Ist der geschlossene Vertrag unwirksam, entstehen keine Verpflichtungen und die bereits erbrachten Leistungen müssen nach den §§ 812 ff. BGB zurückgewährt werden. Nichtigkeit kann aber nur in Betracht kommen, wenn die Vorschriften des UWG einschließlich seiner Nebengesetze entweder als gesetzliches Verbot anzusehen sind oder wenn der geschlossene Vertrag sittenwidrig ist. 1. Einzelfälle aus der Rechtsprechung

Die oberinstanzliche Rechtsprechung hat die Unwirksamkeit von Folgeverträgen wegen des Verstoßes gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften bislang grundsätzlich vemeint. 102 Lediglich in den unteren Instanzen finden sich vereinzelt Entscheidungen, in denen Nichtigkeit eines Vertrages angenommen wird, der unter dem Einfluss unlauterer Wettbewerbsmethoden geschlossen wurde. Das Landgericht Mainz berief sich auf die §§ 134, 138 BGB, um die Nichtigkeit eines unlauter angebahnten Vertrages zu begründen. 103 Die Entscheidung betraf eine Kombination aus irreführender und gefühlsbetonter Werbung. Die Vertreter einer Papiergroßhandlung hatten sich als kranke Emigranten ausgegeben und täuschten des Weiteren über Empfehlungen von Banken und Geschäftsleuten über die vertriebenen Papierwaren. Das Landgericht hielt die Verkaufsverhandlungen insgesamt für unlauter und den zustande gekommenen Vertrag unter Hinweis auf §§ 134, 138 BGB, § 1 UWG für nichtig. Im Gegensatz zum recht ausführlich begründeten Verstoß gegen § 1 UWG fehlt zur Nichtigkeit des Vertrages jede nähere Erläuterung. Das Landgericht begnügte sich mit der knappen Feststellung, dass das fragliche Verhalten, wenn es mit Absicht praktiziert werde, in höchstem Maße verwerflich sei und daher nicht den Schutz der Rechtsordnung verdiene. 104 Zwei weitere landgerichtliche Entscheidungen aus dem Jahr 1963 105 betrafen die Fälle einer übertrieben dargestellten Verdienstmöglichkeit bei der Werbung für eine Nebentätigkeit. Ob es sich um einen Wettbewerbsverstoß handelte, wurde von den 102 BGH, Urt. vom 14.5.1952, BB 1952, S. 702; BGH, Urt. vom 7.10.1993, Bd. 123, S. 330, 333 (Folgeverträge); BGH, Urt. vom 11.11.1993, GRUR 1994, S. 527, 529 (Werbeagent); BGH, Urt. vom 26.1.1995, GRUR 1995, S. 358, 359 (Folgeverträge II); BGH, Urt. vom 26.11.1997, WRP 1998, S. 383, 384 (Wirtschaftsregister); BGH, Urt. vom 14.5.1998, WRP 1998, S. 854, 855 (Co-Verlagsvereinbarung); OLG Frankfurt a.M., Urt. vom 20.6.1978, GRUR 1978, S. 720, 721 (Folgeverträge); OLG Hamburg, Urt. vom 25.3.1993, NJW-RR 1993, S. 1456; OLG Harnm, Urt. vom 18.5.1994, NZV 1994, S. 398; OLG Nümberg, Urt. vorn 16.12.1975, MDR 1976, S. 488. 103 LG Mainz, Urt. vom 30.6.1967, BB 1967, S. 1180 f. 104 LG Mainz, S. 1181 a.E.

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Gerichten nicht geprüft. Das LG Wuppertal beschränkte sich auf den Hinweis, dass eine Werbetätigkeit des beschriebenen Inhalts nicht mit den guten Sitten vereinbar sei. Das LG Berlin stellte in seiner Entscheidung auf die Verletzung von Aufklärungspflichten ab. Viel Beachtung fand ein Urteil des Amtsgerichtes Trier zur Sittenwidrigkeit eines unlauter angebahnten Vertrages. Es hatte über einen Vertrag zu entscheiden, der anlässlich einer Werbeverkaufsfahrt abgeschlossen wurde. Das Amtsgericht Trier erklärte den Kaufvertrag für nichtig und berief sich zur Begründung auf §§ 1 UWG, 138 Abs. 1 BGB. Es argumentierte, aus Gründen der Einheit der Rechtsordnung sei es erforderlich, das Tatbestandsmerkmal Sittenwidrigkeit "inhaltlich gleichsinnig" zu interpretieren. Es gehe nicht an, dieselbe Handlung bei Anwendung von § 1 UWG als sittenwidrig, bei Anwendung von § 138 Abs. 1 BGB dagegen als nicht sittenwidrig zu betrachten. 106 Nicht § 138 Abs. 1 BGB sondern § 138 Abs. 2 BGB zog das LG Trier in dem Berufungsurteil zur vorgenannten Entscheidung heran. 107 Das Landgericht verwarf die Ansicht des Amtsgerichtes, wonach der Begriff der guten Sitten in § 138 Abs. 1 BGB und § 1 UWG gleichsinnig zu verstehen sei. Dennoch hielt es an dem gefundenen Ergebnis fest. Zur Begründung verwies das Landgericht auf ein Sachverständigengutachten, das eine erhebliche Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem tatsächlichen Wert der auf der Werbefahrt verkauften Produkte - konkret ging es um einen Aufschlag von über 300% und 155% -, auswies. Damit war der Weg frei für § 138 Abs. 2 BGB. Die danach notwendige Ausbeutung einer nachteiligen Ausgangslage des Vertragspartners sah das Landgericht in der Kenntnis der Klägerin von der geschäftlichen Unerfahrenheit der Beklagten. Diese lebe in einer kleinen Ortschaft und verfüge deshalb über keine besondere Geschäftskenntnisse auf dem Gebiet der erworbenen Produkte, sodass sie keine Preisund Qualitätsvergleiche hätte vornehmen können. Zudem war ein Rücktrittsrecht vertraglich ausgeschlossen und ein gesetzliches Widerrufsrecht nach § 1 Abs. 1 HWiG existierte zur Zeit des Vertragsschlusses noch nicht. Das LG Frankfurt O. hielt einen Vertrag wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. I BGB für unwirksam, dem eine wettbewerbswidrige Telefonwerbung vorausgegangen war. 108 Zwar hielt das LG grundsätzlich an der Wirksamkeit von unlauter zustande gekommenen Verträgen fest, gleichwohl sah es das konkrete Rechtsgeschäft als sittenwidrig an. Diese Beurteilung ergab sich nach Ansicht des Gerichts aus den Umständen des konkreten Vertragsschlusses. Der Anrufer habe bewusst den mit einem Telefonanruf verbundenen Überraschungseffekt zur Überrumpelung des Angerufenen ausgenutzt und durch den Einsatz der wettbewerbsrechtlich missbilligten Telefonwerbung eine günstige Rechtsposition erworben. 109 Ebenfalls eine Werbeverkaufsveranstaltung beschäftigte das AG Frankenberg. 110 Im Rahmen einer Werbeverkaufsveranstaltung wurde den Teilnehmern Bettware zum Preis von 3.500,-DM zum Kauf angeboten. Diese Bettwaren sollten, so die 105 LG Wuppertal, Urt. vom 7.11.1963, MDR 1964, S. 756 und LG Berlin, Urt. vom 17.5.1963, MDR 1963, S. 1009. 106 AG Trier, Urt. vom 22.7.1971, NJW 1972, S. 160, 161. 107 LG Trier, Urt. vom 9.10.1973, NJW 1974, S. 151, 152. 108 LG Frankfurt/O. Urt. vom 5.12.1996, NJW-RR 1997, S. 1332 ff. 109 LG Frankfurt/O., S. 1333.

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

Anpreisung der Verkäufer, gut gegen Rheuma und Gicht wirken. Sie werde deswegen auch in Krankenhäusern verwendet. Die Verkaufsaktion verstieß gegen § 11 Nr. 8 HWG. Obgleich die Entscheidung damit eher einen Randbereich des Wettbewerbsrechts betrifft, besitzt sie jedoch insofern einen Aussagewert, als § 11 Nr. 8 HWG eine ähnliche Schutzrichtung wie § 3 UWG aufweist. Ebenso wie § 3 UWG schützt § 11 Nr. 8 HWG neben den Interessen der Allgemeinheit auch den einzelnen Käufer, der bei Heilmitteln besonders anflillig für Versprechungen ist. Das AG Frankfurt bejahte einen Verstoß gegen die guten Sitten nach § 138 BGB im Falle eines kombinierten Haustür- und Abzahlungsgeschäftes. 111 Im Fall hatte sich ein Vertreter für Schreibmaschinen gezielt an geschäftlich unerfahrene, einfache Menschen gewandt und mit ihnen Verträge über den Kauf einer Schreibmaschine auf Raten sowie einen Vertretervertrag abgeschlossen. Ob das Verhalten auch als wettbewerbswidrig zu beurteilen sei, ließ das Gericht ausdrücklich offen. 112

2. Wettbewerbsvorschriften als Verbotsgesetze gemäß § 134 BGB

Weder die Vorschriften des UWG noch die seiner Nebengesetze enthalten Regelungen zur Frage der Gültigkeit von Verträgen, die unlauter angebahnt wurden. Es muss daher gefragt werden, ob wettbewerbsrechtliche Vorschriften ein gesetzliches Verbot enthalten und ob aus dem Verbot zivilrechtliehe Konsequenzen abzuleiten sind. Für das UWG und die wettbewerbsrechtlichen Nebengesetze lässt sich insoweit ein erhebliches Meinungsspektrum konstatieren. Dies macht es notwendig, nach den grundlegenden Kriterien zu suchen, anband derer der Verbotscharakter wettbewerbsrechtlicher Normen bestimmt werden kann.

a) Das UWG selbst Überwiegend hält das Schrifttum Verträge, die unlauter angebahnt wurden im Grundsatz für wirksam; besondere Umstände des Einzelfalles könnten aber ausnahmsweise eine Nichtigkeit des Folgevertrages gebieten. l13 Eine Antwort auf die sich aufdrängende Frage, wann solche beson-

110 AG Frankenberg, Urt. vom 25.11.1986, VuR 1987, S. 224 ff. (Lama-Alpaka); bestätigt durch LG Marburg, Urt. vom 18.3.1987. 111 AG Frankfurt/M., Urt. vom 19.10.1962, MDR 1963, S. 591 f. 112 AG Frankfurt/M., S. 592. 113 Baumbach/Hefennehl, § 1 UWG Rz. 913; Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, § 14, 10 e (S. 203); Gilles, Direktmarketing, Rz. 191 ff.; PalandtHeinrichs, § 134 BGB Rz. 24; Körner, GRUR 1968, S. 348, 350 f.; ders. GRUR 1996, S. 618, 619; Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 153; ders. NJW 1981, S. 1233, 1236; HeidKomm-Meckel, E 3 Rz. 64; Meier, WRP 1978, S. 514, 517; Niebling, DAR 2000, S. 97, 104; Ochs, WRP 1977, S. 373, 373; Reich, ZRP

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deren Umstände vorliegen, bleiben die meisten Autoren allerdings schuldig oder sie verweisen pauschal auf die Rechtsprechung. Zum Teil wird angenommen, dass solche Rechtsgeschäfte unwirksam sind, bei denen die begangene Unlauterkeit in einem Rechtsbruch besteht und die verletzte Norm ein Verbotsgesetz ist. 114 Diese Ansicht verlagert das Grundproblem jedoch nur um eine Stufe. Wenn gegen eine Vorschrift mit Verbotsgesetzcharakter verstoßen wird, dann kann schon aus diesem Verstoß die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts folgen. Auf die wettbewerbsrechtliche Beurteilung kommt es gar nicht mehr an. Nach anderer Ansicht soll die Nichtigkeit auf die sogenannten notwendigen Folgeverträge beschränkt sein, also auf solche Verträge, die notwendigerweise eine wettbewerbswidrige Handlung zur Voraussetzung haben, I 15 beispielsweise die Boykottabrede zwischen dem Boykottierer und dem Adressaten der Boykottaufforderung. Verpflichte sich der Adressat vertraglich, dem Boykott nachzukommen, so verstoße eine solche Vereinbarung gegen § 1 UWG und sei nichtig. Hingegen sollen einfache Folgeverträge, d.h. Verträge zwischen dem wettbewerbswidrig Handelnden und einem Dritten, die durch die unlautere Verhaltensweise veranlasst wurden, für sich gesehen neutral und deshalb wirksam sein. 116 Mit dieser Unterscheidung ist freilich nicht viel gewonnen, da es, ganz abgesehen von den Unsicherheiten bei der Zuordnung einzelner Verträge, an Kriterien fehlt, aus denen sich die Unwirksamkeit der einen und die Wirksamkeit der anderen Verträge ableiten lässt. Unter Bezug auf das bereits oben erwähnte Urteil des LG Mainz wird ein Verstoß gegen § 134 BGB angenommen, wenn die unlautere Handlung aus Gründen des Verbraucherschutzes für sittenwidrig erklärt werde. I 17 Offen bleibt aber auch dafür eine überzeugende Begründung. Warum der Gedanke des Verbraucherschutzes für eine Nichtigkeit sprechen soll, liegt nicht ohne weiteres auf der Hand. Weil der Verbraucher des besonderen Schutzes bedarf, muss die Rechtsordnung möglichst flexible Regelungen zur Verfügung stellen, um seinen Interessen gerecht zu werden. Das schließt die starre Rechtsfolge der Nichtigkeit in § 134 BGB eher aus. Gerade die Unflexibilität der Nichtigkeitsvorschriften waren ein Grund für die Entwicklung eines Konzeptes personalistisch ausgerichteter Nichtig1974, S. 187, 192; Reichelsdorfer, WRP 1998, S. 142, 144; Sack, WRP 1974, S. 445, 446 ff.; Traub, GRUR 1980, S. 673, 675, 677. 114 MünchKomrn-Mayer-Maly, § 134 BGB Rz. 57. 115 Körner, GRUR 1968, S. 348, 351. 116 Körner, GRUR 1968, S. 348, 351. 117 Reich, JZ 1975, S. 550, 553; ders., ZRP 1974, S. 187, 192; ReichlTonneri Wegener, Verbraucher und Recht, S. 249.

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keit. 118 Im Zusammenhang mit unlauter angebahnten Verträgen sei das Prinzip der Wirksamkeit von Folgeverträgen faktisch durchbrochen. 119 Um die Inkonsequenz eines zivilrechtlich wirksamen aber nicht durchsetzbaren Vertrages zu vermeiden, wird eine am Schutzzweck der Verbotsnorm ausgerichtetes Unwirksamkeitskonzept vorgeschlagen. Danach soll der durch die Verbotsnorm geschützte Vertragsteil das Recht haben, über die Wirksamkeit der eingegangenen Vertragsbeziehung einseitig entscheiden zu dürfen. 120 Der geschützte Vertragsteil kann durch einen Verzicht auf die Geltendmachung der Nichtigkeit die Wirksamkeit des Rechtsgeschäftes herbeiführen. Der Geschützte erhält demzufolge ein Wahlrecht. Entscheidet er sich für die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäftes, dann treten die allgemeinen Rechtsfolgen ein, insbesondere gelten die §§ 812 ff. BGB zur Rückabwicklung. 121 Andererseits kann der Geschützte - und darin besteht der Unterschied zur h. M. - aber das Vertragsverhältnis auch weitergelten lassen, als wäre gegen das Verbotsgesetz nie verstoßen worden. 122 Der geschützte Vertragsteil muss, will er die Weitergeltung des verbotswidrig zustande gekommenen Rechtsgeschäftes, den Verzicht auf die Nichtigkeit erklären. Das Verzichtsrecht ist eine unwiderrufliche und empfangsbedürftige Willenserklärung,123 zu deren Abgabe der nicht geschützte Vertragsteil den anderen Teil auffordern kann und die innerhalb der Frist abzugeben ist, in der vertragliche Leistungsansprüche bestehen könnten. l24 Um in den Genuss dieser einseitig dispositiven Nichtigkeit zu gelangen, ist erforderlich, dass die Verbotsnorm in ihrem Schutzkonzept personalistisch ausgerichtet ist und ein Vertragspartner zu dem geschützten Personenkreis gehört. § 1 UWG wird den personalistisch ausgerichteten Verbotsnormen zugerechnet,125 sodass ein Vertrag, der unter Verstoß gegen die Generalklausei des Wettbewerbsrechts zustande gekommen ist, dem Abnehmer eine zweite Entscheidungsmöglichkeit einräumt, in der er über die Wirksamkeit des Vertrages durch einen Verzicht auf die Nichtigkeit entscheidet.

118 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 382 ff. Ähnlich U. Hübner, FS H. Hübner, S. 487, 495 ff. 119 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 397. 120 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 401 ff. 121 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 432. 122 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 433. 123 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 439 ff. 124 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 443 f. 125 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 388 ff., 398 ff.; U. Hübner, FS H. Hübner, S. 487, 500.

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b) Wettbewerbsrechtliche Nebengesetze

aa) Preisangabenverordnung Die PreisAngVO ist Teil des fonnellen Preisrechts Der h.M. zufolge gehört die PreisAngVO zu den sogenannten wertneutralen Vorschriften mit bloßem ordnungsrechtlichen Charakter,126 deren Verletzung nicht zwingend eine Unlauterkeit begründet. Einen Anspruch nach UWG gewähren sie nur, wenn sich der Unternehmer "bewusst und planmäßig" über die Vorschriften hinwegsetzt, die unrichtige Preisangabe zugleich irreführt oder der Unternehmer durch sie einen Vorsprung im Wettbewerb erlangt. 127 Die PreisAngVO enthält kein gesetzliches Verbot, da sie sich nicht gegen vertragliche Vereinbarungen richtet, die auf unzureichend gekennzeichneten Angeboten oder Produktpräsentationen beruhen. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Preisangabe zieht deshalb nicht die Unwirksamkeit eines Vertrags nach sich. 128 bb) Rabattgesetz und Zugabeverordnung Sowohl das Rabattgesetz als auch die ZugabeVO wenden sich gegen die Vornahme des einen wirtschaftlichen Vorteil zuwendenden Rechtsgeschäftes. Anders als das UWG erfassen die Verbotstatbestände ausdrücklich das "Gewähren" von Preisnachlässen und Zugaben. 129 Die Verbote richten sich dabei nicht nur gegen den tatsächlichen Vollzugsakt sondern bereits gegen das Verpflichtungsgeschäft. 130 Anders als bei den übrigen Nonnen des Wettbewerbsrechts war deshalb für den Bereich des Zugabe- und Rabattrechts schon kurz nach dem Inkrafttreten der Gesetze die Frage aufgeworfen worden, wie sich das Verbot auf Verträge entsprechenden Inhalts auswirkt. Die h.M. geht auch bei Verstoß gegen diese wettbewerbsrechtlichen Nebenvorschriften von der Wirksamkeit des Rechtsgeschäftes im Ganzen 126 Baumbach/Hejennehl, § 3 UWG, Anhang V, PreisAngVO Rz. 17. Gegen diese Zuordnung der PreisAngVO und allgemein gegen die Unterscheidung zwischen wertneutralen und wertbezogenen Normen Mees, GRUR 1996, S. 644 ff. 127 BGH, Urt. vom 17.10.1980, GRUR 1981, S. 140, 142 (Aughafengebühr); BGH, Urt. vom 14.11.1980, GRUR 1981, S. 289 (Kilopreise); BGH, Urt. vom 18.5.1973, GRUR 1973, S. 655, 657 (Möbelauszeichnung). 128 BGH, Urt. vom 20.2.1974, GRUR 1974, S. 416, 417 (Tagespreis) mit Anm. Schwanhäusser; OLG Celle, Urt. vom 27.1.1978, NJW 1978, S. 1268; OLG Frankfurt, Urt. vom 27.6.1978, WM 1978, S. 1218; Gimbel/Boest, § 8 PreisAngVO Anm. 8; Staudinger-Sack, § 134 BGB Rz. 268; Larenz/WolJ, BGB AT, § 40 Rz. 25. A.A. Canaris, Gesetzliches Verbot, S. 39. 129 Vgl. § 1 Abs. 1 RabattG und § 1 Abs. 1 Satz 1 ZugabeVO. 130 KG vom 21.6.1990, GRUR 1991, S. 72, 73 (Pkw-Rabatt).

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aus.!3! Die Gegenmeinung nimmt Nichtigkeit gemäß § 134 BGB ein, wobei differenziert wird zwischen Teilnichtigkeit 132 und der Unwirksamkeit des gesamten von einem Zugabe- oder Rabattverstoß infizierten Rechtsgeschäfts. 133 c) Die entscheidenden Kriterien Verbotsgesetze können sich entweder gegen den Inhalt eines Rechtsgeschäftes oder deren Folge wenden; sie können aber auch bestimmte Personen als Vertragsbeteiligte femhalten wollen oder die Umstände des Vertrags schlusses gewissen Regeln unterwerfen. 134 Ob die Nichtigkeit als richtige, also dem Schutzzweck des Verbotsgesetzes entsprechende zivilrechtliche Reaktion auf einen Verstoß in Betracht kommt, ergibt sich durch Auslegung. Dabei ist zu beachten, dass der Verstoß gegen Verbotsnormen auf der Rechtsfolgenseite differenzierte und jeweils spezifisch auf den Schutzzweck der Verbotsnorm ausgerichtete Reaktionen erforderlich machen kann. 135 Auch ist danach zu unterscheiden, welcher Personenkreis durch die verletzte Verbotsnorm geschützt wird. 136 Für die Beurteilung des Verbotscharakters wettbewerbsrechtlicher Vorschriften folgt daraus, dass zu berücksichtigen ist, ob das wettbewerbsrechtliche Verbot überhaupt dem Schutz des Verbrauchers dient und ob sich die Unwirksamkeit zugleich gegen das lauterkeitsrechtlich missbilligte Moment einer unlauteren Geschäftspraktik wendet. Des Weiteren sind gesetzgeberische Entscheidungen zu beachten und schließlich müssen die wirtschaftlichen Auswirkungen Beachtung finden. aa) Der Aspekt des Verbraucherschutzes Nicht alle Normen des UWG decken zugleich sämtliche Schutzrichtungen, die das Wettbewerbsrecht im Allgemeinen aufweist, ab. 137 Unlauter 131 Baumbach, Zugabewesen, S. 31; Fuld, MuW 1932, S. 373; Gloy, Handbuch des Wettbewerbsrechts, § 52 Rz. 122; BaumbachlHeJermehl, § 2 ZugabeVO Rz. 6 und § 12 RabattG Rz. 5; LaJrenz, GRUR 1979, S. 89; MichellWeber/Gries, § 1 RabattG Rz. 55; Ordemann, WRP 1964, S. 231; Seydel, § 1 ZugabeVO Rz. 22; von Gamm, Wettbewerbsrecht, Kap. 60 Rz. 80. Zur Lösung des BGH, Urt. vom. 11.11.1993, GRUR 1994, S. 527 ff. (Werbeagent), der einem Anspruch auf Rabattgewährung die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung entgegensetzen will unten IV. 1. a) (S. 146 f.). 132 Reimer/Krieger, § 2 ZugabeVO Rz. 32 und § 1 RabattG Rz. 14. 133 lunckerstorff, MuW 1932, S. 439,440; Tetzner, § 1 RabattG Rz. 14. 134 Canaris, Gesetzliches Verbot, S. 20 ff.; LarenzIWolf, BGB AT, § 40 Rz. 6. 135 Beater, AcP 197 (1997), S. 505, 510; Canaris, Gesetzliches Verbot, S. 31. 136 Kötz, Europäisches Vertragsrecht, § 9 IV (S. 251). 137 Dieselhorst, WRP 1995, S. 1,4 ff.

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angebahnte Verträge können nur unwirksam sein, wenn die verletzte Verbotsnorm gerade auch den Schutz des Abnehmers bezweckt. Daran fehlt es bei spezifisch konkurrentenschützenden Vorschriften, wie den §§ 14, 15 sowie den §§ 17 ff. UWG. Sie betreffen nur Handlungen, die einen Konkurrentenbezug aufweisen und verbieten derartige Praktiken, weil sie den Konkurrenten schädigen. Schließt beispielsweise ein Abnehmer, weil er an verleumderische Äußerungen eines Unternehmers glaubt, einen Vertrag deswegen mit einem anderen Mitbewerber oder mit dem Verleumder selbst, dann wirkt sich die Wettbewerbswidrigkeit der Verleumdung nicht auf diesen Vertrag aus. Gleiches gilt, wenn ein Unternehmer das Betriebsgeheimnis seines Konkurrenten unbefugt verwertet. Verschafft sich ein Wettbewerber die geheim gehaltene Zusammensetzung des Limonadengetränks eines Mitbewerbers und wirbt nunmehr, seine Limonade schmecke genauso wie die der Konkurrenz, sei aber viel billiger, dann tangiert dieses Verhalten zwar ganz erheblich die Interessen des um sein Geheimnis "beraubten" Konkurrenten, es beeinträchtigt aber keine Abnehmerinteressen, wenn die Äußerung sachlich zutrifft. Verträge, die im Zusammenhang mit solchen unlauteren Praktiken zwischen Unternehmer und Abnehmer zustande kommen, sind deshalb generell wirksam. bb) Der Sanktionsaspekt Das UWG und seine Nebengesetze statuieren Verhaltensregeln für die untemehmerische Betätigung auf dem Markt, die auch dann Geltung beanspruchen, wenn es nicht zu Vertragsverhandlungen kommt. Die Beurteilung einer wettbewerblichen Betätigung hängt nur in den seltensten Fällen überhaupt von einem Vertragsschluss ab. 138 Irreführende Werbung beispielsweise ist auch dann verboten, wenn der vertrags schließende Konsument nicht irregeführt wird oder die Konsumenten sich zwar irren, aber keinen Vertrag abschließen. Ebenso genügt es, dass auf die Teilnehmer einer Kaffeefahrt psychologischer Kaufzwang ausgeübt wird, gleichgültig ob sich die Betroffenen in dieser Drucksituation zu einem Vertragsabschluss hinreißen lassen. Die Aberkennung der Rechtswirksamkeit eines geschlossenen Vertrages ist nur sinnvoll und geboten, wenn der Vertrag bzw. eine vertragliche Abrede der Parteien das spezifisch gefährliche und wettbewerbsschädliche Element der Unlauterkeit enthält. 139 Dies trifft für Vertriebsmethoden zu, die auf progressiver Basis funktionieren und gemäß § 6c UWG stratbewehrt sind. 140 Progressive VertriebssysLehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 151. BGH, Urt. vom 25.1.1990, Bd. 110, S. 156, 174 f. (HBV-Farnilien- und Wohnungsrechtsschutz). 140 Einige Beispiele aus der Rspr.: BGH, Beschl. vom 22.10.1997, NJW 1998, S. 390, 391; BGH, Urt. vom 22.10.1997, wistra 1998, S. 67, 68; BGH, Urt. vom 3.12.1954, Bd. 15, S. 356 ff. (Progressive Kundenwerbung); OLG Rostock, Urt. 138

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terne erreichen den Vertrieb einer Ware oder Leistung durch den gezielten Einsatz von wirtschaftlichen Vorteilen, mit denen die Werbetätigkeit der Kunden gewissermaßen erkauft wird. Progressiv ist ein solches Vertriebssystem, wenn den vom ersten Kunden geworbenen neuen Kunden für ihre Werbetätigkeit wiederum Vorteile versprochen werden, sodass sich die Werbetätigkeit stufenförmig ausbreitet. Besonders gefährlich sind dabei die sogenannten Pyramidensysteme, 141 die mit enormen Verdienstmöglichkeiten locken. Dabei kommt es zu Vertragsschlüssen zwischen den Werbern und Geworbenen, gegebenenfalls auch unter Einschaltung des Veranstalters. Der wirtschaftliche Vorteil soll durch die inflationäre Anwerbung von neuen Mitgliedern in das Systems entstehen, die den Teilnehmern auf jeweils höherer Stufe der Pyramide zufließen. 142 Besonders betroffen sind von derartigen Systemen, die regelmäßig einen mathematisch gar nicht erreichbaren Gewinn versprechen, geschäftlich unerfahrene und leichtgläubige Personen, die auf eine Verbesserung ihrer meist ohnehin bescheidenen finanziellen Verhältnisse hoffen. Vertragliche Vereinbarungen des Veranstalters mit Kunden und der Kunden untereinander, mit denen diese das System fortführen und am Leben halten, sind gemäß §§ 134, 138 Abs. 1 BGB nichtig. 143 Hier liegt ein Fall vor, in dem sich eine wettbewerbsrechtliche Vorschrift direkt gegen ein vom Abnehmer geschlossenes Rechtsgeschäft wendet. Denn mit dem rechtsgeschäftlichen Eintritt in das System wird genau diejenige Handlung verwirklicht, die vom Gesetz missbilligt wird und gegen die das Verbot gerichtet ist. Zur wirksamen Sanktionierung derartiger Praktiken ist die Aberkennung der Rechtwirksamkeit solcher vertraglichen Vereinbarungen erforderlich, da eine wirksame Sanktionierung allein durch die dem UWG eigenen Sanktionsmöglichkeiten nicht gewährleistet werden kann. Eine - hier nicht weiter zu vertiefende - Randproblematik ergibt sich allerdings aus dem bedenklich weit geratenen Wortlaut des § 6c UWG. Danach ist es möglich, dass auch harmlose und im Prinzip unverdächtige Geschäftspraktiken, wie beispielsweise das Anwerben von neuen Mitgliedern für Buchclubs, von dem rigorosen Verbot erfasst werden, wenn sie vom 31.3.1998, JR 1998, S. 389 ff. mit zust. Anm. Otta; LG Offenburg, Urt. vom 7.8.1997, WRP 1998, S. 85 ff. 141 Zu den einzelnen Erscheinungsform progressiver Kundenwerbung vgl. GroßKomm-Otta, § 6c UWG Rz. 2 ff. 142 Ein anschauliches Beispiel eines solchen Pyramidensystems, das unter der Bezeichnung Verein zur Selbstbauhilfe e. V. aktiv wurde, liefert die Entscheidung des AG Böblingen, Urt. vom 2.9.1987, wistra 1988, S. 242 f. 143 BGH, Urt. vom 22.4.1997, WRP 1997, S. 783 ff. (Schneeballprinzip); BGH, Urt. vom 22.5.1978 WM 1978, S. 875, 877 (Golden Products); OLG München, Urt. vom 12.9.1985, wistra 1986, S. 34, 35 f.; Baumbach/Hejennehl, § 6c UWG Rz. 14; Michalski, EWiR 1989, S. 329, 330; Kisseler, WRP 1997, S. 625, 629; Köhler/ Piper, § 6c UWG Rz. 25; Willingmann, VuR 1997, S. 299, 301 f.

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sich nur progressiv ausdehnen. 144 Hier muss auf wettbewerbsrechtlicher Ebene über eine mögliche Einschränkung nachgedacht werden. Vertragsrechtlich steht die weite Fassung des Tatbestandes der oben vertreten Ansicht der Einordnung von § 6c UWG als Verbotsgesetz zugunsten des einzelnen Verbrauchers nicht entgegen, weil die Unwirksamkeit eines Vertrages niemals formal, sondern stets im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Verbots begründet werden muss. Das macht jeweils eine genaue Prüfung erforderlich, ob die fragliche Vertriebsmethode im konkreten Einzelfall tatsächlich eine Gefährdung der eingebundenen Werber mit sich bringt. Dann, aber auch nur dann, ist es gerechtfertigt, einem Vertrag die rechtliche Anerkennung zu versagen. cc) Gesetzgeberische Wertungen Für die Überlegung, ob eine wettbewerbsrechtliche Vorschrift als Verbotsgesetz i. S. v. § 134 BGB in Frage kommt, ist weiter von Bedeutung, ob der Gesetzgeber direkt oder indirekt Regelungen getroffen hat, die darauf schließen lassen, ob entsprechende Verträge als unwirksam angesehen werden sollen. Derzeit enthält § 13 a UWG eine solche Wertung. Mit der Aufnahme des § 13 a UWG hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er von der Wirksamkeit der vom Abnehmer eingegangenen Verträge ausgeht. 145 Das Einräumen eines Rücktrittsrechts macht nämlich nur Sinn, wenn eine wirksame vertragliche Bindung existiert, die durch das Ausüben des Gestaltungsrechts einseitig wieder beseitigt werden kann. Dem bürgerlichen Recht ist zwar nach h. M. auch die Möglichkeit nicht fremd, einen ohnehin unwirksamen Vertrag nochmals anfechten zu können. 146 Das hat allerdings beweisrechtliche Gründe, weil der Nachweis eines Irrtums der anfechtenden Partei eher gelingen mag als der Beweis des Vorliegens eines Nichtigkeitsgrundes, 147 oder ist aus Gründen der Rechtssicherheit geboten, wenn einer Partei daran gelegen ist, den vom nichtigen Rechtsgeschäft ausgehenden Rechtsschein zu beseitigen. Diese Möglichkeiten betreffen indessen besonders gelagerte Einzelfälle und erklären sich jeweils aus einer besonderen Interessenlage. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber diese recht seltenen Spezialfälle einer Doppelwirkung beim Zusammentreffen von Unwirksamkeit und Rücktrittsrecht bei irreführenden und unwahren Angaben zum Regelfall erheben wollte. 144 Dazu insbesondere GroßKomm-Otto. § 6c UWG Rz. 13; ders., GRUR 1982, S. 274, 282 f. 145 Traub. GRUR 1980, S. 673, 675. 146 Medicus. BGB AT, Rz. 728 ff. m. w.N. 147 BGH, Urt. vom 21.6.1955, JZ 1955, S. 500.

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dd) Folgen-Erwägungen Schließlich ist das Augenmerk auch auf die rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen zu lenken, die mit der Nichtigkeit von unlauter angebahnten Verträgen einhergehen würden. Unlauteres Verhalten ist nur in seltenen Fällen offensichtlich; zu den Ausnahmenf,i.llen mögen progressive Vertriebssysteme gehören und doch sind selbst diese bei geschickter Tarnung mitunter nur schwer auszumachen. Das bedeutet, der Abnehmer müsste praktisch stets damit rechnen, dass ein von ihm abgeschlossener Vertrag wegen eines vorhergegangenen Wettbewerbsverstoßes möglicherweise keine Rechtswirkungen entfaltet, obgleich er trotz der Unlauterkeit mit dem Vertrag doch zufrieden sein mag. 148 Hat sich der Anbieter einer neuen oder zumindest wettbewerbsrechtlich noch nicht beurteilten Marketingstrategie bedient, so schwebt über jedem abgeschlossenen Geschäft das Damoklesschwert drohender Nichtigkeit. Dies führt zu einer erheblichen Verunsicherung des Rechtsverkehrs. 149 Diese Bedenken vermag auch der Ansatz einer personalistisch-orientierten Nichtigkeit nicht auszuräumen. 150 Dagegen spricht zunächst die mangelnde Praktikabilität, denn der Konsument geht regelmäßig davon aus, dass ein Vertragsschluss Rechtswirkungen erzeugt, sodass er nur dann eine weitere Erklärung abgeben muss, wenn er den Eintritt dieser Rechtswirkungen verhindern will, z. B. durch Widerruf oder Anfechtung. Hier jedoch wäre es genau umgekehrt. Der Konsument müsste nochmals erklären, dass er wirklich am Vertrag festhalten will. 151 Ebenfalls bedenklich sind die Folgen für den unlauter handelnden Unternehmer. Er muss nämlich solange mit dem Zustandekommen des ursprünglich unwirksamen Vertrages rechnen, wie vertragliche Ansprüche bei Wirksamkeit des Rechtsgeschäftes bestehen könnten,152 d.h. im Normalfall zwei Jahre. Die einzige Chance, Klarheit über die eigene Verpflichtung zu bekommen, wäre die Aufforderung an den Partner zur Erklärung über den Verzicht. 153 Bei den anonymisierten Massengeschäften des täglichen Lebens läuft diese Möglichkeit aber weitgehend leer, weil sich die Vertragsparteien gar nicht kennen. Da ein Widerruf der abgegebenen Willenserklärung vor Erklärung des Verzichts bzw. vor Ablauf der Frist ausgeschlossen sein SOll,154 bleibt dem UnternehWedemeyer, WRP 1972, S. 117, 118. Traub, GRUR 1980, S. 673, 675; Z4. W, Diskussionspapier zur Werberechtspolitik, S. 67 ff. 150 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 401 ff. 151 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 432 ff. 152 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 441 ff. 153 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 444. 154 Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, S. 429. 148

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mer letztlich nichts anderes als abzuwarten. Ein solches Zuwarten ist insbesondere bei Waren oder Dienstleistungen des alltäglichen Bedarfs und Produkten mit schnellen Modellwechseln am Markt völlig unzumutbar und wirtschaftlich unvernünftig. ee) Schlussfolgerungen Orientiert man sich an den soeben dargestellten Kriterien, so ergibt sich, dass Verträge des Abnehmers, die unlauter angebahnt wurden, grundsätzlich wirksam sind. Besondere Umstände, die zu einer Unwirksamkeit führen können, folgen allein aus vertragsrechtlichen Überlegungen. Die einzige Ausnahme bildet § 6c UWG, der mit der progressiven Kundenwerbung eine Geschäftspraktik verbietet, die gerade den Verbraucher schützen will und nur dadurch zu einer wirksamen und effektiven Sanktionierung gelangt, dass den zwischen Werbern bzw. Veranstaltern und Neukunden geschlossenen Verträgen die Wirksamkeit aberkannt wird. Dass unlauter angebahnte Verträge wirksam sind, ist kein Manko des Individualrechtsschutzes. Vielmehr stehen dem Abnehmer dadurch flexiblere Rechtsbehelfe zur Verfügung. d) Einfluss des Verbotsgesetzes auf die Rückabwicklung

Bei dieser Feststellung darf es freilich nicht sein Bewenden haben. Wenn dem Rechtsgeschäft die Wirksamkeit versagt wird, besteht zugleich kein Rechtsgrund für eventuell bereits erbrachte Leistungen zwischen den Vertragsparteien. Der Zweck des Verbots entscheidet nun nicht nur darüber, ob eine Vorschrift Verbotsgesetz ist und ob der Vertrag infolgedessen unwirksam ist. Aus dem Sinn und Zweck der Verbotsnorm ergibt sich auch, ob eine bereits an die andere Partei erbrachte Leistung bei dieser verbleibt, oder ob der Leistende sie zurückfordern kann. Beträge, die zur Erfüllung eines unwirksamen Rechtsgeschäftes geleistet werden, können nach den §§ 812 ff. BGB zurückgefordert werden. Jedoch sperrt § 817 Abs. 2 BGB die Rückforderung, wenn sowohl dem Leistenden als auch dem Empfanger oder sogar nur dem Leistenden ein Gesetzes- oder Sittenverstoß vorzuwerfen ist. 155 Für den Fall der Leistung auf einen Vertrag in einem Pyramidensystem gemäß § 6c UWG folgt aus dem Schutzzweck der Norm, dass die unlauter erworbene Position eines im System aufgestiegenen Werbers nicht dadurch 155 Fikentscher, Schuldrecht, § 99 I 6 (Rz. 1113); LarenziCanaris, Schuldrecht U/2, § 68 III 3 (S. 162 ff.); Pa1andt-Thomas, § 817 BGB Rz. 13 ff.; ErmanH. P. Westennann, § 817 BGB Rz. 10 ff. 7 Alexander

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zementiert werden darf, dass die Rückforderung des zuvor Leistenden an § 817 Satz 2 BGB scheitert. 156 Da § 6c UWG gerade den schutzbedürftigen Verbrauchern vor den betrügerischen Praktiken bewahren will, muss Sorge dafür getragen sein, dass sie ihren Einsatz im Wege der Rückabwicklung wieder von ihren Werbern erlangen können und zwar selbst dann, wenn sie ihrerseits bereits im System verstrickt sind. 3. Sittenwidrigkeit und Wucher, § 138 BGB

Sowohl § 1 UWG als auch § 138 BGB und § 826 BGB verwenden den unbestimmten Rechtsbegriff der guten Sitten. Es ließe sich deshalb daran denken, im Interesse der Einheit der Rechtsordnung den Rechtsbegriff nach gleichen Maßstäben auszulegen,157 sodass ein Verstoß gegen die guten Sitten gemäß § 1 UWG zugleich auch als ein Verstoß gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 BGB anzusehen wäre. Einer solchen fonnalen Gleichstellung der guten Sitten ist allerdings entschieden zu widersprechen. Die Rechtsordnung soll frei von Widersprüchen, logisch und folgerichtig sein. 158 Sie darf nicht unterlaufen, was sie an anderer Stelle vorschreibt und damit die ihr eigenen Werte und Prinzipien aushöhlen. 159 Daraus folgt indessen nicht, dass ein so unbestimmter Rechtsbegriff wie derjenige der guten Sitten in der gesamten Rechtsordnung eine einheitliche Bedeutung aufweisen müsste. Selbst in einer Kodifikation wie dem BGB kommt es vor, dass ein Rechtsbegriff unterschiedliche Bedeutungen aufweist, ohne dass dadurch die Einheit der Rechtsordnung tangiert und gefährdet würde, selbst wenn es sich dabei um eine Legaldefinition handelt. 160 Als Generalklausein bedürfen die § 1 UWG und § 138 BGB einer Ausfüllung. Es hilft jedoch wenig, wenn versucht wird, in der insbesondere von der Rechtsprechung verwendeten Fonnulierung von den guten Sitten als Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden l61 und den guten Sitten 156 BGH, Urt. vom 22.5.1997, WRP 1997, S. 783, 784 (Schneeballprinzip). Zust. Kisseler, WRP 1997, S. 625, 629. 157 AG Trier, Urt. vom 22.7.1971, NJW 1972, S. 160, 161; Staudinger-Sack, § 138 BGB Rz. 69 ff.; ders., WRP 1985, S. 1, 4; ders., WRP 1974, S. 445, 448. Sack nimmt zwar Einheitlichkeit der guten Sitten an, verneint aber die Identität der Regelungsbereiche von § 1 UWG und § 138 BGB. Nahestehend, ohne jedoch explizit Identität anzunehmen, Meyer-Cording, JZ 1964, S. 273, 277 f., der zur Ermittlung der guten Sitten in § 1 UWG ein sozialethisches Werturteil fordert. 158 Rüthers, Rechtstheorie, Rz. 143 ff.; 270 ff.; 744 ff.; Sodan, JZ 1999, S. 864, 866 ff. 159 Beater, AcP 197 (1997), S. 505, 507; Lindacher, AcP 173 (1973), S. 124, 125; Sodan, JZ 1999, S. 864, 866. 160 So hat der Begriff der Sache in § 119 Abs. 2 BGB eine andere Bedeutung als in § 90 BGB, vgl. Medicus, BGB AT, Rz. 771.

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als Anstandsgefühl der Durchschnittsgewerbetreibenden eine begriffliche Übereinstimmung abzuleiten. 162 Abgesehen von der inhaltlichen Vagheit und grenzenlosen Unbestimmtheit der Definition 163 übersehen solche Deutungen, dass sich der Inhalt der guten Sitten nicht von der ihnen zugedachten Funktion trennen lässt. Die guten Sitten sind, dort wo das Gesetz auf sie Bezug nimmt, normen spezifisch zu bestimmen; um sie konkretisieren zu können, müssen die Funktionen der Rechtsnormen offengelegt werden, die Bezug auf die guten Sitten nehmen. l64 Um den guten Sitten eine handhabbare Gestalt zu geben, bedarf es deshalb normativer Betrachtungen und diese können wiederum nur unter Herausarbeitung und Berücksichtigung ihres funktionalen Zusammenhangs vorgenommen werden. § 138 BGB stellt eine äußere Grenze der Privatautonomie dar, um ihrem Missbrauch entgegenzuwirken. 165 Die Selbstachtung des Rechts erfordert, dass Geschäften die Anerkennung versagt wird, die unvereinbar mit den Mindestanforderungen der herrschenden Sozialmoral sind, und dass die Vornahme solcher Geschäfte generalpräventiv unterbunden wird. 166

Ziel von § 1 UWG ist die Herstellung wettbewerbskonformer Zustände. Die guten Sitten im lauterkeitsrechtlichen Sinne sollen den durch Rechtsordnung und Wirtschaftssystem geprägten Vorstellungen von einem freien und fairen Wettbewerb Geltung verschaffen. 167 Sie stellen ebenfalls Mindeststandards für Verhaltensweisen auf, allerdings von qualitativ anderer Art als in § 138 Abs. 1 BGB. 168 § 1 UWG und § 138 BGB verwenden zwar das begrifflich gleiche Tatbestandsmerkmal der guten Sitten, aber dieses Merkmal muss in den Normen mit unterschiedlichem Inhalt ausgefüllt werden,169 sodass es keinen einheitlichen Verletzungstatbestand gibt: Ein Verstoß gegen § 138 BGB enthält deshalb nicht zugleich einen Wettbewerbsverstoß und umgekehrt folgt aus der Verletzung von § 1 UWG nicht automatisch eine Unwirksamkeit des 161 RG, Urt. vom 11.4.1901, Bd. 48, S. 114, 124; RG, Urt. vom 15.10.1912, Bd. 80, S. 219, 221; BGH, Urt. vom 9.7.1953, Bd. 10, S. 228, 232; BGH, Urt. vom 6.7.1976, NJW 1976, S. 1883, 1884. 162 So aber Sack, WRP 1974, S. 445, 448. 163 Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, § 5, 1 b (S. 38). 164 Mayer-Maly, JuS 1984, S. 596, 599 f. 165 LarenzIWolf, BGB AT, § 41 Rz. 5; Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 159; Lindacher, AcP 173 (1973), S. 124, 125. 166 LarenzIWolf, BGB AT, § 41 Rz. 1; Lindacher, AcP 173 (1973), S. 124, 125. 167 Emmerich, FS Gernhuber, S. 857, 859. 168 Gilles, Direktmarketing, Rz. 205 ff.; Baumbach/Hefermehl, Einl. UWG Rz. 69 f.; Lehmann, NJW 1987, S. 1233, 1237; Köhler/Piper, Einf. UWG, Rz. 262. 169 Mayer-Maly, AcP 194 (1994), S. 105, 116; ders., JuS 1986, S. 596, 598 ff.; Traub, GRUR 1980, S. 673, 677; Wedemeyer, WRP 1972, S. 117, 118. 7'

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Vertrages. Davon unberührt bleibt freilich die Möglichkeit, dass sich beide Tatbestände im Einzelfall überschneiden. 11. Anfechtbarkeit der Willenserklärung des Abnehmers Dass Rechtsgeschäfte unwirksam sind, kommt nach dem oben Gesagten also für unlauter initiierte Verträge verhältnismäßig selten vor. Viel häufiger stellt eine Vertragspartei nach eingegangener vertraglicher Bindung fest, dass ihr die Umsetzung des Gewollten durch die abgegebene Erklärung nicht fehlerfrei gelungen ist, oder dass sie sich bei Abgabe der Erklärung von Annahmen und Erwartungen hat leiten lassen, die sich später als unzutreffend erweisen. Auch kann es vorkommen, dass sie die eigene Erklärung unter dem Eindruck einer Zwangslage abgegeben hat. Derartige Fehler bei der Willensbildung und Willensentäußerung geben der betroffenen Partei ein Recht zur Vernichtung der abgegebenen Erklärung durch Anfechtung. Die Anfechtungsgründe lassen sich im Wesentlichen nach zwei Grundgedanken unterscheiden. § 119 Abs. 1 BGB betrifft die Entäußerung des "fertig" gebildeten Willens, während die §§ 119 Abs. 2 und 123 BGB demgegenüber die Phase des Willensbildungsprozesses erfassen. 1. Irrtümer bei der Willensentäußerung

a) Erklärungsirrtum, § 119 Abs. 1, 2. Alt. BGB Bei einem Erklärungsirrtum missglückt dem Erklärenden die Umsetzung seines Willens nach außen. Es besteht dann eine Diskrepanz zwischen dem Gewollten und dem Erklärten. Typische Anwendungsfälle sind das Versprechen, Vertippen, Verschreiben oder Vergreifen. Als Beispiel für durch unlautere Geschäftspraktiken verursachte Erklärungsirrtümer wird das versehentliche Vergreifen im Supermarktregal bei ähnlich aufgemachten Produkten genannt. 170 Dabei muss freilich genau geprüft werden, ob es sich tatsächlich um eine fehlerhafte Erklärung handelt oder ob nicht vielmehr ein Irrtum über die Beschaffenheit vorliegt. Würden etwa neben LEGO-Spielzeug Klemmbausteine ähnlicher Art, die zum LEGO-Stecksystem passen)7) in einem Verkaufsregal dicht beieinander liegend angeboten, ist nicht auszuschließen, dass der Kunde versehentlich statt der gewollten LEGO-Steine das Konkurrenzprodukt einpackt. Hier liegt kein Erklärungsirrtum des Käufers vor, weil es im Zeitpunkt der Realisierung der Fehlvorstellung noch an einer Willenserklärung mangelt. Dem bloßem Herausnehmen einer Ware aus dem Lehmann, NJW 1981, S. 1233, 1236. BGH, Urt. vom 6.11.1963, Bd. 41, S. 55 ff. (Klemmbausteine I); BGH, Urt. vom 7.5.1992, GRUR 1992, S. 619 ff. (Klemmbausteine 11). 170

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Regal kommt regelmäßig keine rechts geschäftliche Bedeutung zu, weil der Irrende durch ein Zurückstellen des Produkts seine Auswahl sofort wieder rückgängig machen kann. l72 Erst an der Kasse wird eine Willenserklärung abgegeben. Dann aber handelt es sich wiederum nicht um einen Erklärungsirrtum. Unterbreitet der Käufer sein Vertragsangebot über die entnommenen Klemmbausteine und bemerkt er nach dem Bezahlen, dass es sich nicht um die gewollten original LEGO-Bausteine handelt, irrt sich der Käufer über eine Eigenschaft des Geschäftsgegenstandes, im Beispiel die Zugehörigkeit zum Originalsystem von LEGO bzw. dessen Identität als LEGO-Baustein. Es lässt sich aber nicht behaupten, dass die Umsetzung des Willens nach außen missglückt ist. Der Kunde hat durchaus erklärt, was er erklären wollte, er hat es aber hinsichtlich eines anderen Gegenstandes erklärt. Im Übrigen lässt sich auch an dem Bedürfnis für eine Anfechtbarkeit zweifeln, weil die Interessen der Verbraucher nicht berührt werden. Wenn nämlich die angebotenen Klemmbausteine zum LEGO-Stecksystem passen und der Konsument über die Eigenschaften des Produkts nicht durch sonstige Umstände irregeführt wird, ergibt sich die Wettbewerbswidrigkeit des Anbietens gleichartiger Bausteine - wenn überhaupt - nur aus Gründen des Konkurrentenschutzes.

Keinem Erklärungsirrtum unterliegt, wer durch Appelle an das Unterbewusstsein, durch die sogenannte subliminale oder unterschwellige Werbung, zum Vertragsschluss verleitet wird. 173 Dabei kann hier dahingestellt bleiben, ob subliminale Werbung überhaupt Wirkungen zeigt und im Marketing Anwendung findet oder ob es sich in Wahrheit nur um eine modeme Fabel handelt. 174 Sicher zu weit geht jedenfalls die Befürchtung, subliminale Werbung könne auf den Umworbenen einen hypnoseartigen Einfluss ausüben, sodass er eine Erklärung abgibt, die er eigentlich gar nicht abgeben wollte. Man mag die Wirkungen von Werbung im Allgemeinen noch so hoch veranschlagen, sie verwandelt den Werbeadressaten gewiss nicht in eine willenlose Marionette der Werbeindustrie, die rechtsverbindliche Erklärungen abgibt. 175 b) Fehlendes Erklärungsbewusstsein, § 119 Abs. 1, 2. Alt. BGB analog

Nach überwiegender Auffassung findet § 119 Abs. 1, 2. Alt. BGB entsprechende Anwendung, wenn dem Erklärenden das Erklärungsbewusstsein fehlt. 176 Das Erklärungsbewusstein ist der Wille des Erklärenden, sich überMedicus, BGB AT, Rz. 363 und 763. Berühmtes Lehrbuchbeispiel: Einblendung einer Werbebotschaft im Kino für Sekundenbruchteile. 174 Eingehend dazu Kloss, Werbung, S. 60 f.; Kroeber-Riel/Weinberg, Konsumentenverhalten, S. 271 ff.; MayerlIllmann, Markt- und Werbepsychologie, S. 443 ff. 175 I. E. auch Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 120; Scherer, Verbraucherwerbung, S. 210. 176 BGH, Urt. vom 7.6.1984, NJW 1984, S. 2279, 2280 f. mit abI. Anm. Canaris; Brehmer, JuS 1986, S. 440, 443 ff.; Palandt-Heinrichs, Einf. v § 116 BGB 172

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haupt rechtserheblich betätigen zu wollen. Im Gegensatz zum Geschäftswillen betrifft das Erklärungsbewusstsein nur eine abstrakte Rechtsfolge, nicht einen ganz konkreten rechtlichen Erfolg. Die Behandlung einer Erklärung als voll wirksame Willenserklärung, obgleich sie ohne Erklärungsbewusstsein abgegeben wurde, ist zum Schutz des Erklärungsgegners gerechtfertigt. Wenn dieser bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt nicht erkennen konnte, dass die abgegebene Erklärung nicht als eine solche gemeint war, muss er sich auf die Rechtsverbindlichkeit der Äußerung seines Gegenübers verlassen können. Sachgerecht ist es deshalb, dem Erklärenden die Möglichkeit zur Anfechtung einzuräumen, da diesem hierdurch eine nachträgliche Willensbildung und damit eine autonome Entscheidung darüber ermöglicht wird, ob er das ungewollt entstandene Rechtsgeschäft gegen sich gelten lassen will. 177 Fälle durch unlautere Geschäftspraktiken verursachten fehlenden Erklärungsbewusstseins sind nicht sehr zahlreich. In Betracht kommen vor allem Geschäftspraktiken, bei denen einem Verbraucher suggeriert wird, er gehe (noch) keinen rechtsverbindlichen Vertrag ein. Ein Vertreter für Aussteuerwaren erklärt in einem Gespräch mit einer Hausfrau, diese könne sich eine gewisse Anzahl von "Anteilen" für Aussteuerwaren (Bettwäsche, Porzellan, Gläser, Bestecke, Möbel usw.) reservieren lassen, weil für die reservierten Anteile eine "Preisgarantie" für die Zukunft bestehe, die bei Verzicht auf einige Anteile verfalle. 178 Der Kundin wird nun hierbei vorgegaukelt, sie erhalte lediglich eine Option für einen künftigen Vertragsschluss - wenn die Kinder volljährig sind und die Aussteuer benötigen - und sie müsse sich jetzt noch nicht vertraglich binden, könne sich aber einen Preisvorteil im Hinblick auf künftige Preissteigerungen sichern. Gestützt wird diese Vorstellung durch gezielt in das Verkaufsgespräch eingestreute Wendungen wie "Teilverzicht" oder "Keine Ware vorab", die zwar rechtlich ohne Belang sind, aber den Kunden in falscher Sicherheit wiegen. Ebenfalls in diesen Zusammenhang sind die "Drücker"-Methoden im Zeitschriftenvertrieb zu nennen. Weigert sich der Kunde gegenüber einem Vertreter an der Haustür, ein Zeitschriftenabonnement einzugehen, gibt der Vertreter scheinbar nach und bittet den Kunden, lediglich den Besuch durch eine Unterschrift zu bestätigen. Rz. 17; MünchKomm-Kramer, § 119 BGB Rz. 79 ff.; Erman-H. Palm, Vor § 116 BGB Rz. 3; LarenzIWolf, BGB AT, § 24 Rz. 8; § 28 Rz. 9 f.; § 35 Rz. 16. Für direkte Anwendung des § 119 Abs. 1, 2. Alt BGB Bydlinski, JZ 1975, S. 1, 5, weil er die Erklärung mit fehlendem Erklärungsbewusstsein als einen Fall des Erklärungsirrtums ansieht. I. E. auch Soergel-Hefermehl, Vor § 116 BGB Rz. 13. 177 Flume, BGB AT II, § 23, 1 (S. 450); Medicus, BGB AT, Rz. 607. 178 Beispiel eines solchen Verkaufsgesprächs bei Bender, in: Bender, Rechtstatsachen, S. 101, 116 ff.; vgl. dazu auch BGH, Urt. vom 10.3.1982, NJW 1982, S. 1455 ff und BGH, Urt. vom 10.3.1982, NJW 1982, S. 1457 f. Ferner aus der Rspr. zu Aussteuerverkäufen BGH, Urt. vom 2.2.1977, GRUR 1977, S. 498 ff. (Aussteuer-Sortimente) und OLG Stuttgart, Urt. vom 12.9.1975, WRP 1976, S. 498 ff.

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In Wahrheit unterschreibt der Kunde hier unter Umständen häufig doch ein Vertragsformular. Zwar steht dem Verbraucher dann ein Widerrufsrecht nach § I HWiG zur Seite, doch fehlt es typischerweise an der Belehrung, sodass gerade der rechtsunkundige Verbraucher von seinem Recht gar nichts erfährt. Um die Anscheinswirkung seiner Unterschrift zu beseitigen, kann der getäuschte Abnehmer hier analog § 119 Abs. I, 2. Alt. BGB anfechten. Dagegen bilden rechnungsähnlich aufgemachte Vertragsofferten für die Eintragung in ein Branchenverzeichnis einen eigenständigen Problemkreis, der an anderer Stelle eingehend zu untersuchen iSt. 179 Dort fehlt es nicht am Erklärungsbewusstsein, wenn der Empfänger eines als Rechnung getarnten Vertragsangebotes den Rechnungsbetrag an den Absender des Schreibens überweist. Denn er will ja durchaus eine rechtlich relevante Handlung vornehmen, er irrt sich aber über deren Bedeutungsgehalt. c) Der Inhaltsirrtum, § 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB

Ein Inhaltsirrtum betrifft im Gegensatz zum Erklärungsirrtum nicht die abgegebene Erklärungshülle, sondern die mit dieser Erklärung verknüpfte Bedeutung, also ihren Inhalt. Der erklärte Inhalt weicht bei normativer Auslegung, §§ 133, 157 BGB, von dem Sinngehalt ab, den der Erklärende eigentlich mit seiner Erklärung zum Ausdruck bringen wollte. Werden irreführende Bezeichnungen für den Vertragsgegenstand verwendet, dann kommt der Vertrag typischerweise zustande, wenn die Parteien die gewählten Erklärungszeichen übereinstimmend richtig verstehen. Eine eventuelle Falschbezeichnung schadet nicht, falsa demonstratio non nocet. 180 Hat sich der Kunde aber unter der Bezeichnung oder Beschreibung etwas anderes vorgestellt, dann irrt er sich regelmäßig über die Beschaffenheit der Ware, nicht aber über den Sinngehalt seiner Erklärung. Damit ist der Anwendungsbereich von § 119 Abs. 2 BGB eröffnet. Häufig wird auch eine Abweichung der gesollten Beschaffenheit von der Ist-Beschaffenheit vorliegen, sodass angesichts des Fehlers das Gewährleistungsrecht zum Zuge kommt. Bezeichnet eine deutsche Kelterei ihr Produkt irreführend als "Scotch Whisky .. 181 und erklärt ein Abnehmer daraufhin in Kenntnis der Herkunft, er wolle diesen Scotch, dann kommt ein Vertrag über das Getränk deutscher Herkunft zustande, falsa demonstratio non nocet. Hat der Konsument dagegen die Vorstellung, bei dem erworbenen Getränk handele es sich tatsächlich um einen aus Schottland importierten Whisky, so unterliegt er einem Irrtum über die Beschaffenheit des Vertragsgegenstandes und er kann gemäß § 119 Abs. 2 BGB anfechten. Da in Deutschland V. Teil, A. (S. 245 ff.). RG, Urt. vom 8.6.1920, Bd. 99, S. 147, 148 (Haakjöringsköd). 181 Vgl. dazu RG, Urt. vom 2.2.1934, Bd. 143, S. 175 ff. (Ambassador Whisky); RG, Urt. vom 5.5.1936, Bd. 151, S. 213 ff. (Deutscher Whisky); BGH, Urt. vom 3.7.1968, GRUR 1969, S. 277 ff. (Whisky); OLG Hamburg, Urt. vom 18.3.1965, GRUR 1967, S. 40, 42 (Cassis Whisky). 179 180

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hergestellter "Whisky" nach dem subjektiven Fehlerbegriff als mangelhafter schottischer Whisky anzusehen ist, stehen dem Käufer zugleich auch Gewährleistungsrechte zu. Ein Inhaltsirrtum liegt nur dann vor, wenn die Parteien mit der verwendeten Bezeichnung unterschiedliche Bedeutungen verbinden, die z. B. auf regional abweichendem Sprachgebrauch oder Branchenüblichkeit beruhen. So wird nur schottischer Whisky auch als "Whisky" bezeichnet; bei anderer Herkunft spricht man von "Whiskey". Verbindet nun der Käufer mit der Bezeichnung "Whiskey" - zu Unrecht - ausschließlich schottischen Whisky, verlangt sodann "Whiskey" und erhält er einen Whiskey nicht-schottischer Herkunft, so kann er anfechten, weil er sich über den Sinn des Erklärungszeichens "Whiskey" geirrt hat. 182 Eine Verbindung zwischen irreführender Werbung und Inhaltsirrtum müsste also dergestalt erfolgen, dass der Beworbene über die Bedeutung eines von ihm verwendeten Erklärungszeichens getäuscht wird. Wie das Beispiel zeigt, sind solche Fälle zwar ohne weiteres konstruierbar; sie dürften praktisch aber eher selten vorkommen.

2. Der Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften, § 119 Abs. 2 BGB

Unter den Anfechtungsrechten kommt § 119 Abs. 2 BGB die zentrale Bedeutung im Hinblick auf unlautere Geschäftspraktiken ZU. 183 Danach ist zur Anfechtung berechtigt, wer sich über die verkehrswesentlichen Eigenschaften einer Person oder Sache geirrt hat. Im Unterschied zur Anfechtung gemäß § 119 Abs. 1 BGB ist die abgegebene Erklärung als solche nicht fehlerbehaftet. Sie besagt genau das, was der Erklärende zu dem Zeitpunkt auch zum Ausdruck bringen wollte. Der maßgebliche Fehler liegt im Vorfeld der Willensentäußerung, nämlich bereits im Stadium der Willensbildung. 184 Das Anwendungsspektrum der Norm erfasst damit vor allem wettbewerbswidrige Handlungen mit irreführendem Charakter. Die Anwendung des § 119 Abs. 2 BGB wird erschwert, weil über die rechtliche Einordnung des Anfechtungsrechts und damit verbunden auch über die einzelnen Tatbestandsmerkmale und daraus resultierenden Abgrenzungsfragen viel Streit besteht.

a) Eigenschaften Schwierigkeiten bereitet schon die Frage, wann eine Eigenschaft vorliegt. Der Rechtsprechung zufolge sind Eigenschaften einer Person oder Sache nicht nur die natürlichen, der Person oder Sache innewohnenden Merkmale, sondern auch tatsächliche und rechtliche Verhältnisse, die in ihren BezieFlume, BGB AT 11, § 23,4 (S. 463) mit Weinbrand-Cognac-Beispiel. Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 125; Trinkner, BB 1975, S. 1493 f. 184 Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 126. 182

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hungen zu anderen Personen oder Sachen wurzeln und wegen ihrer Beschaffenheit und vorausgesetzten Dauer nach den Anschauungen des Verkehrs einen Einfluss auf die Brauchbarkeit oder die Wertschätzung auszuüben pflegen. Allerdings sollen im Interesse der Rechtssicherheit nur solche Verhältnisse als Eigenschaften angesehen werden, die den Gegenstand selbstständig und unmittelbar kennzeichnen, während Umstände, die sich lediglich mittelbar auf die Bewertung eines Gegenstandes auswirken, unberücksichtigt bleiben. ls5 Als Eigenschaften anerkannt wurden von der Rechtsprechung etwa das Alter einer Sache,186 die Leistungsfähigkeit einer technischen Einrichtung, die Echtheit bei Kunstwerken 187 und das Herstellungsdatum. Dagegen wurde das Vorliegen einer Eigenschaft beispielsweise für eine im Verkaufskatalog besonders herausgestellte Verwendungsmöglichkeit eines Ultraschallgerätes vemeint. 188 Die in § 3 UWG explizit genannten geschäftlichen Verhältnisse Beschaffenheit, Ursprung, Herstellungsart und Bezugsquelle sowie Besitz von Auszeichnungen sind unproblematisch Eigenschaften im Sinne der Rechtsprechung. Demgegenüber sind Preis und auch die Preisbemessung keine Eigenschaften. 189

b) Verkehrswesentlichkeit

Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass nicht jeder Irrtum über jede Eigenschaft zur Anfechtung berechtigt. Das Tatbestandsmerkmal der Verkehrswesentlichkeit soll gewährleisten, dass nicht jede unbedeutende Fehlvorstellung einen Anlass zur Anfechtung gibt. Dies würde zu einer erheblichen Verunsicherung des Rechtsverkehrs und zu einer Belastung der allgemeinen geschäftlichen Betätigung führen. 190 Letztlich würde damit das Vertrauen in den einmal begründeten Vertrag zerstört. l9l Anfechten kann der Abnehmer deshalb nur, wenn die Eigenschaft, über die er sich geirrt hat, als verkehrswesentlich einzustufen ist. Welche Eigenschaften dabei als verkehrswesentlich gelten, kann in Abhängigkeit vom eingenommenen dogmatischen Ansatzpunkt unterschiedlich zu beurteilen sein. Insbesondere nach Flume ist ein Irrtum nur dann beachtlich, wenn auf die Eigenschaft zumindest stillschweigend Bezug genommen wurde und 185 BGH, Urt. vom 14.12.1960, Bd. 34, S. 32, 41; BGH, Urt. vom 18.12.1954, Bd. 16, S. 54, 57. 186 BGH, Urt. vom 26.10.1978, NJW 1979, S. 160, 161; BGH, Urt. vom 9.10.1980, NJW 1981, S. 224, 225 f. 187 BGH, Urt. vom 8.6.1988, NJW 1988, S. 2597, 2599. 188 BGH, Urt. vom 18.12.1954, Bd. 16, S. 54, 57. 189 Larenz/Wolf, BGB AT, § 36 Rz. 51; Erman-H. Palm, § 119 BGB Rz. 47. Zum Preisirrtum siehe 11. 3. a) (S. 109); zur Kontrolle von Preisklauseln siehe IV. Teil C. III. (S. 218 ff.). 190 Adams, AcP 186 (1986), S. 453, 460 f. 191 Larenz/Wolf, BGB AT, § 36 Rz. 56.

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diese Bestandteil der abgegebenen Willenserklärung geworden iSt. I92 Verkehrswesentlich in diesem Sinne muss dann als vertragswesentlich verstanden werden. 193 Demgegenüber hält die h. M. § 119 Abs. 2 BGB für eine Ausnahme vom Grundsatz der Unbeachtlichkeit eines Motivirrtums. 194 Die Verkehrswesentlichkeit einer Eigenschaft bestimmt sich danach objektiv, aber unter Berücksichtigung des typischen wirtschaftliches Zwecks des jeweiligen Geschäfts. 195 Die praktischen Unterschiede zwischen den Ansichten sind freilich geringer als dies auf den ersten Blick erscheinen mag, deshalb kommt es vorrangig auf das Offenlegen der hinter den Definitionen stehenden Wertungen an. 196 Nicht schützens wert ist der Geschäftspartner jedenfalls, wenn das Vorhandensein einer bestimmten Eigenschaft Eingang in den Vertrag gefunden hat. 197 Dann hat er für die Beschaffenheit der Sache einzustehen. Weicht der tatsächliche Zustand vom gesollten Zustand ab, kann die andere Vertragspartei anfechten. Allerdings werden vorvertragliche Informationen nur selten tatsächlich Inhalt einer abgegebenen Erklärung. Vielmehr beschränkt sich eine irreführende Wirkung auf die Phase der Willens bildung, weil die Informationen dort als Motiv und Beweggrund in die Entscheidungsfindung des Abnehmers einfließen. Deshalb wird man mit der h. M. Eigenschaften auch dann als verkehrswesentlich ansehen müssen, wenn deren Vorhandensein nicht ausdrücklich Gegenstand einer abgegebenen Erklärung geworden ist. Verkehrswesentlich ist danach, was im Rechtsverkehr bei ähnlichen Geschäften als wesentlich für den Abschluss derartiger Geschäfte angesehen wird. Diese häufig wiederkehrenden Erwartungen werden dem Vertragspartner regelmäßig nicht verborgen bleiben, weil sie bei einer Vielzahl von Geschäften als Beweggrund eine Rolle spielen. Voraussetzung für die Bestimmung der Verkehrswesentlichkeit ist daher eine gewisse Verkehrsübung. Doch auch mit der h.M. lassen sich vorvertragliche Informationen nur un192 Flume, BGB AT 11, § 24, 2 (S. 474 ff.). Ihm folgend Medicus, BGB AT Rz. 770; ders., Bürgerliches Recht, Rz. 140. 193 Medicus, BGB AT, Rz. 770. 194 Larenz/Wolj, BGB AT, § 36 Rz. 48; Erman-H. Palm, § 119 BGB Rz. 51. Anders Soergel-Hefermehl, § 119 BGB Rz. 35 f. und Schmidt-Rimpler, FS H. Hubmann, S. 213, 220 ff., wonach der Eigenschaftsirrtum als Fall des Erklärungsirrtum anzusehen ist. 195 Palandt-Heinrichs, § 119 BGB Rz. 25; Larenz/Wolj, BGB AT, § 36 Rz. 57; Lenel, AcP 123 (1925), S. 161, 166 ff.; Erman-H. Palm, § 119 BGB Rz. 43. 196 Treffend Lenel, AcP 123 (1925), S. 161, 166: "Praktisch spielen denn auch diese Definitionsversuche eine sehr geringe Rolle; die Gerichte lassen eine Anfechtung dann zu, wenn ihr Billigkeitsgefühl für deren Zulassung spricht." 197 Flume, BGB AT H, 24, 2 b (S. 477 f.); Medicus, BGB AT, Rz. 770; ders., Bürgerliches Recht, Rz. 140.

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zureichend als Anfechtungsgrund erfassen. Die objektive Bestimmung der Verkehrswesentlichkeit versagt nämlich, wenn ein Produkt neue Eigenschaften aufweist und diese in der Werbung herausgestellt werden. Es fehlt dann an der Verkehrsübung und damit an typischen Erwartungen der Verbraucherkreise; diese sollen auf Grund der Werbung erst entstehen und bestenfalls zu einer Verbreitung des beworbenen Produkts führen. c) Die Bedeutung von Werbung zur Bestimmung der Verkehrswesentlichkeit

Um die Irreführung durch Werbung mit bestimmten Merkmalen einer Sache über § 119 Abs. 2 BGB erfassen zu können, muss die Verkehrswesentlichkeit auf vorvertrag1iche oder vertraglich abgegebene Informationen ausgedehnt werden, die Eigenschaften des Vertrags gegenstandes betreffen und die der Verkehr entweder kraft bereits bestehender Übung für wesentlich hält oder durch Beeinflussung für wesentlich halten SOll.198 Ausgangspunkt hierfür ist die Funktion des Tatbestandsmerkmals "Verkehrswesentlichkeit", das als Regulativ dem Schutze des Anfechtungsgegners dient. 199 Für Eigenschaften, die im Allgemeinen keinen Kaufanreiz geben, soll die Sicherheit und Leichtigkeit des Rechtsverkehrs Vorrang vor der Fehlerfreiheit der abgegebenen Willenserklärung erhalten. Ein solcher Schutz ist notwendig, um den allgemeinen Rechts- und Wirtschaftsverkehr nicht durch eine Vielzahl unvorhersehbarer Anfechtungsmöglichkeiten zu erschweren und das individuelle Vertrauen der Gegenseite auf das Zustandekommen eines wirksamen Vertrages zu schützen, indem es die irrende Partei hindert, sich wegen unbedeutender Kleinigkeiten von der abgegebenen Willenserklärung nachträglich lösen zu können. Jede Partei ist grundsätzlich Hüter ihrer eigenen Interessen. Das Risiko einer Enttäuschung kann sie nicht auf ihr Gegenüber abwälzen, das gilt insbesondere für enttäuschte Erwartungen beim Vertragsschluss. Betrifft der Fehler dagegen ein Merkmal, das regelmäßig vom Verkehr als besonders erwerbsmotivierend eingeschätzt wird, muss das Vertrauen in den Bestand der abgegeben Erklärung hinter die Fehlerfreiheit zurücktreten. Das bedeutet jedoch nicht die völlige Preisgabe jeden Schutzes für den Erklärungsgegner, denn der Anfechtende kann sich von seiner fehlerhaft gebildeten Erklärung nur um den Preis des Ersatzes des Vertrauensschadens lossagen. Bei Werbung verschiebt sich diese Ausgangslage. Werbung betont gerade diejenigen Eigenschaften eines Produktes, die eine besonders motivierende 198 199

Schlussas, S. 66 ff. Schlussas, S. 67.

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

Wirkung entfalten sollen und daher als verkehrswesentlich im Sinne von § 119 Abs. 2 BGB angesehen werden müssen. Selbst wenn die Werbung nur scheinbar nebensächliche Merkmale herausstellt, muss dies nicht zur Verneinung der Verkehrswesentlichkeit führen. Durch die Werbung wird versucht, unwesentliche Merkmale aufzuwerten, um bei dem angesprochenen Adressatenkreis eine Anerkennung der Eigenschaft zu erreichen. Das Publikum wird dem Kaufanreiz einer Werbung folgen, wenn es die beworbenen Eigenschaften seinerseits für wesentlich hält. 200 Daraus wurde geschlussfolgert, es werde deshalb nur für verkehrswesentliche Eigenschaften geworben, da nur diese das Publikum zur Kaufentscheidung bestimmen könnten?OI Zutreffend ist aber das Gegenteil: weil bestimmte Eigenschaften dem Publikum durch Werbung vermittelt werden, nimmt dieses die angesprochenen Informationen auf und legt sie bei der eigenen Erwerbsentscheidung zu Grunde. Werbung prägt die Verkehrsanschauung, denn sie zielt darauf ab, dem Adressatenkreis entweder bereits vorhandene potenziell motivierende Umstände bewusst zu machen oder ganz neue Motive zu wecken. Der Werbetreibende kann sich deshalb nicht darauf berufen, von der Erwerbsmotivation seines Gegenübers nichts gewusst zu haben, wenn er selbst diese vorvertraglichen Informationen als mögliche Motive präsentiert hat. Verkehrswesentlich im so verstandenen Sinne ist damit nicht nur, was der Verkehr in dauernder Übung für wesentlich hält, sondern auch was ihm für zukünftige Entscheidungen als wesentlich dargeboten wird. Es wäre auch unerklärlich, warum ein Unternehmer, der mit einer neuen und noch nicht verkehrsbekannten Eigenschaft seiner Ware wirbt, sich darauf soll berufen können, die Eigenschaft habe sich im Verkehr noch nicht als wesentlich durchgesetzt und sei auch nicht Vertragsbestandteil geworden und daher komme eine Anfechtung nicht in Betracht. Er muss sich an seinen Werbeaussagen über Eigenschaften einer Sache generell festhalten lassen, mit denen er die Motivation zum Erwerb geweckt hat. Die Frage, welche Anforderungen an die Werbeangaben zu stellen ist, damit ihr ein rechtlich relevanter Informationsgehalt beigemessen werden kann, bestimmt sich entsprechend den gewährleistungsrechtlichen Vorgaben. 202 Freilich darf diese Einbeziehung der Werbung zur Bestimmung der tatbestandlich geforderten Verkehrswesentlichkeit in § 119 Abs. 2 BGB nicht als eine Art Veranlasserhaftung für irreführende Werbung missverstanden werden. Die Anfechtbarkeit beruht nämlich nicht darauf, dass die geschäftlich tätige Vertragspartei oder ein Dritter irreführend geworben hat, sondern sie liegt darin begründet, dass überhaupt geworben wurde. Der Erklärende 200

201 202

Schlussas, S. 68 f. Schlussas, S. 69. Eingehend unten IV. Teil B. 11. 2. c) bb) (S. 194).

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muss eine unzutreffende Vorstellung von einem bestimmten Merkmal gehabt haben und dieses Merkmal muss als verkehrs wesentlich präsentiert worden sein. Ob es sich dabei um eine gezielt falsche oder nur zufallig irreführende Information handelte oder ob die Information richtig war und nur von einem einzelnen Abnehmer falsch verstanden wurde, kann dahingestellt bleiben. Von daher bedarf es auch keiner Zurechnungsnorm für Fremdverhalten, wie dies § 13a Abs. 1 Satz 2 UWG und § 123 Abs.2 Satz 1 BGB vorsehen. Dort nämlich geht es um die Zurechnung eines Fehlers, der in einer fremden Sphäre veranlasst worden ist und nunmehr in das Vertragsverhältnis hinüberwirkt. Für § 119 Abs. 2 BGB hingegen genügt, dass in der Person des Erklärenden ein Fehler im Beweggrund aufgetreten ist, unabhängig davon, ob der Vertragspartner oder ein Dritter oder keiner der Beteiligten diesen Fehler verursacht hat. 3. Besondere Irrtümer

Im Folgenden ist auf einige spezielle Irrtumsformen einzugehen, deren dogmatische Zuordnung zu den gesetzlich geregelten Irrtumskategorien im Einzelnen unklar ist, die aber im Zusammenhang mit wettbewerbswidrigen Geschäftspraktiken Bedeutung erlangen können. a) Preisirrtum

Der Preis ist Ausdruck einer Bewertung am Markt und als solcher erst das Ergebnis marktfunktionaler Prozesse. Das bedeutet, dass der Preis keine feststehende Größe ist, sondern sich ständig neu und nach dem wirtschaftlichen Gesetz von Angebot und Nachfrage bildet. 203 Darin eingeschlossen ist das Risiko einer Fehlbewertung und damit auch das Risiko eines zu hohen Preises. Dieses Risiko trägt jeder der Marktbeteiligten. Es kann nicht im Wege eines Reurechts für zu hohe Preise abgewälzt werden. Demgegenüber ist vorgeschlagen worden, eine Anfechtung bei einem Preis- oder Wertirrtum zuzulassen, wenn hinsichtlich des Sachwertes ein Informationsvorsprung der anderen Vertragsseite bestehe und dieser Informationsvorsprung auf einer offensichtlich sozialschädlichen, die Allokation der Güter nicht verbessernden Informationsbeschaffung beruht. 204 Der maßgebliche Grund für eine mögliche Vertragslösung nach dem vorgenannten Ansatz liegt indessen nicht in der Fehlvorstellung einer Vertragspartei, sondern in dem Pflichtverstoß der Gegenseite. Es geht dabei nämlich um die Frage, ob und inwieweit die Parteien einander zur Offenbarung wertbestimmungsrele203

Larenz, BGB AT, 7. Aufl., § 19 II (S. 336 f.); Ennan-H. Palm, § 119 BGB

RZ.47. 204

Adams, AcP 168 (1968), S. 453,472 f.

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111. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

vanter Infonnationen verpflichtet sind. Dieser Fragenkreis gehört sachlich in den Zusammenhang einer Freistellung vom Vertrag auf Grundlage des Rechtsinstituts der culpa in contrahendo und ist demzufolge auch dort näher zu behandeln. Eine eigenständige Irrtumskategorie verbirgt sich dahinter nicht. Grundsätzlich ist es Sache jeder Vertragspartei, die Marktlage zu beobachten und daraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen. Irrtümer über den Preis, die Preiskalkulation und die allgemeine Preisentwicklung berechtigen nicht zur Anfechtung. Auch Infonnationspflichten bestehen, abgesehen von den Vorschriften der PreisAngVO, über Preise und preisrelevante Umstände nur in begrenztem Maße. 205 Schon das Reichsgericht betonte, dass beim Kauf die Aufklärungspflicht nicht zu weit ausgedehnt werden dürfe. Käufer und Verkäufer könnten wegen der widerstreitenden Interessen nach den Anschauungen des Verkehrs voneinander regelmäßig nicht eine Aufklärung über die für die Preisbildung in Betracht kommenden allgemeinen Verhältnisse des Marktes und insbesondere darüber erwarten, ob nach der Marktlage ein Steigen oder Fallen der Preise eintreten wird. Sie müssen sich in dieser Beziehung gegebenenfalls bei unbeteiligten Personen unterrichten. 206 Täuscht ein Unternehmer über den Preis, fehlt es häufig auch an dem Bedürfnis nach einer Anfechtung. Es mag ein Computerhändler in der Umstellungsphase von DM auf Euro mit einem "Computersystem, komplett zum Knüllerpreis von 999,-" werben, ohne die Währung anzugeben. Einigen sich die Parteien daraufhin - wie vom Händler beabsichtigt - auf Euro, kommt ein wirksamer Vertrag zustande. Meint aber der Kunde DM, während sein Vertragspartner von Euro ausgeht, liegt ein Dissens vor, weil der Preis und insbesondere auch die Währung zu den wesentlichen Vertragsbestandteilen gehört. Einer Anfechtung seitens des Abnehmers bedarf es in beiden Fällen nicht.

b) Irrtum über die fremde Kalkulation

Der Konsument kann sich nicht nur über den Preis als solchen irren, sondern auch über die Preiskalkulation. Zwar bleibt die Preisgestaltung regelmäßig ein Betriebsinternum, doch können zumindest einige Aspekte für die Entscheidung des Konsumenten durchaus Bedeutung erlangen. Gemäß § 6 a UWG ist es beispielsweise Herstellern und Großhändlern verboten, mit ihrer Eigenschaft als Hersteller bzw. Großhändler zu werben, weil der Kunde durch die Einsparung der Handelsspanne eine besonders günstige Einkaufsgelegenheit erwartet und sich deswegen über die Preisgestaltung im Allgemeinen und hinsichtlich eines bestimmten Produkts im Besonderen irren kann?07 Ein Privatabneh205 206

Breidenbach, Informationspflichten, S. 68. RG, Urt. vom 7.7.1925, Bd. 111, S. 233, 234 f.

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mer mag deshalb glauben, er kaufe zu denselben Preisen wie gewerbliche Abnehmer, während die Ware in Wirklichkeit zu unterschiedlichen Preisen abgegeben wird. Weiterhin kann sich der Kunde auch darüber irren, ob der Unternehmer Waren unter Einstandspreis verkauft208 oder wie sich ein Kopplungsangebot zusammensetzt?09 Schließlich ist denkbar, dass ein Unternehmer über die Höhe eines Preisnachlasses oder einer Preissenkung irreführt. 2lO

Im Unterschied zum "normalen" Kalkulationsirrtum irrt sich in den beispielhaft genannten Konstellationen nicht die Partei, die den Preis vorschlägt. Einem Irrtum erliegt vielmehr die andere Partei hinsichtlich der ihr fremden Kalkulation. Weil aber die Zusammensetzung des Preises dem Abnehmer im Regelfall nicht offengelegt wird, fehlt es an einer rechtlich relevanten Fehlvorstellung auf Seiten des Kunden. Wäre eine Anfechtung zulässig, würde dies praktisch auf eine Offen barungspflicht des kalkulierenden Vertragsteils hinauslaufen. Das aber ist weder betriebswirtschaftlich noch juristisch sinnvoll. Berechtigt schon ein Irrtum über die eigene Kalkulation nur in sehr engen Grenzen zu einer Korrektur bzw. Anpassung des Vertrages oder gar zur Anfechtung,211 so reicht der Irrtum der anderen Vertragspartei über eine ihr fremde Kalkulation keinesfalls aus, um ein Anfechtungsrecht zu begründen. Selbst wenn sich die Gegenpartei bei der eigenen Preisgestaltung nachweislich irren würde, ließe sich auch daraus kein Anfechtungsrecht des Kunden herleiten, da nach den Wertungen der §§ 119 ff. BGB allein der von einem Willensmangel Betroffene darüber entscheiden soll, ob er das Rechtsgeschäft gelten lassen will. 212 Glaubt deshalb der bei einem Großhändler einkaufende Konsument fälschlich, er kaufe zu den gleichen Preisen wie ein gewerbsmäßiger Einkäufer, dann berechtigt ihn diese Fehlvorstellung nicht zur Anfechtung seines Geschäfts. Dass sein Vertragspartner Verträge über gleiche Gegenstände mit anderen Personen zu anderen Konditionen vornimmt, ist Ausdruck der Vertragsfreiheit und deshalb grundsätzlich nicht zu beanstanden?13 Die fremde Kalkulation ist für den Kunden ein bloßes Motiv und 207 Bericht des Abgeordneten Reischl, BT-Drucksache V/4035 (= GRUR 1969, S. 338 ff.); Baumbach/Hejennehl, § 6a UWG Rz. 1; GroßKomm-Piper, § 6a UWG Rz. 2 ff. 208 § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB; vgl. dazu Bechtold, § 20 GWB Rz. 62 ff. sowie Emmerich, Kartellrecht, § 18, 12 b bb (S. 200 ff.). 209 Schünemann, Wettbewerbsrecht, S. 75 ff. 210 Zum inzwischen aufgehobenen § 6e UWG, der selbst eine zutreffende Preisgegenüberstellung unter bestimmten Umständen untersagte, Schünemann, Wettbewerbsrecht, S. 161 ff. 211 BGH, Urt. vom 7.7.1998, JZ 1999, S. 365 ff.; lohn, JuS 1983, S. 176 ff.; Kindl, WM 1999, S. 2198 ff.; Singer, JZ 1999, S. 342 ff.jeweils m.w.N. 212 Lobinger, AcP 195 (1995), S. 275, 280 f.

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

nicht Bestandteil seiner abgegebenen Erklärung. § 6a UWG ist auch keine zivilrechtliche Wertung zu entnehmen, dass beim Erwerb von Waren im Großhandel die fremde Kalkulationsgrundlage ein ausnahmsweise beachtliches und damit zur Anfechtung berechtigendes Motiv sein soll. Entsprechendes gilt für die oben genannten weiteren Beispielsfälle der Zusammensetzung eines Kopplungsangebots, des Irrtums über Preisänderungen und des Verkaufs unter Einstandspreis. Bei letzterem kommt hinzu, dass es sich um ein Verbot handelt, das ruinösen Preiswettbewerb verhindern soll und nicht dem Verbraucherschutz dient?14 c) Rechtsirrtum

Irren kann sich eine Vertragspartei auch über die Rechtsfolgen der von ihr abgegebenen Erklärung, man spricht insoweit vom Rechts(folgen)irrtum. 215 Diese sehr umstrittene Irrtumsform kann im Zusammenhang mit Wettbewerbsverstößen auftreten, wenn sich der Kunde über die rechtlichen Konsequenzen seiner Erklärung irrt. Im Einzelnen ist zu differenzieren. Ist sich der Erklärende schon der Rechtsfolgen auslösenden Wirkung seiner Erklärung nicht bewusst, dann fehlt es ihm am Erklärungsbewusstsein und er kann nach § 119 Abs. 1, 2. Alt. BGB analog anfechten. Für einen Rechtsirrtum muss sich der Erklärende zumindest darüber im Klaren sein, mit seiner Erklärung bestimmte Rechtsfolgen herbeiführen zu wollen. Einigkeit besteht nun darüber, dass ein Käufer selbstverständlich nicht anfechten kann, wenn er sich über seine Verpflichtung zur Entrichtung des Kaufpreises geirrt hat. Ebenso wenig kann umgekehrt der Verkäufer anfechten, weil er annimmt, nicht für Sachmängel einstehen zu müssen?16 Eine Anfechtung ist auch abzulehnen, wenn sich der Käufer über die Notwendigkeit von Zusatzverträgen irrt, die er abschließen muss, um in den Genuss einer Ware oder Leistung zu kommen. Der zusätzlich notwendige Vertrag

213 Ganz selbstverständlich ist diese Überlegung freilich nicht. Zur Begründung des Rabattverbotes wurde etwa angeführt, dass Preisnachlässe zu einer unterschiedlichen Behandlung der Kunden führen und damit eine unerwünschte Abweichung vom "Grundsatz gleicher Preisstellung" seien; Begründung zum Gesetz über Preisnachlässe, Deutscher Reichs- und Preußischer Staatsanzeiger Nr. 284 vom 5.12.1933, S. 4. 214 Baumbach/Hejermehl, § 1 UWG Rz. 873 f. Kritisch Emmerich, Kartellrecht, § 18, 12 b bb (5. 201 ff.). 215 Larenz/Wolj, BGB AT, § 36 Rz 81 ff.; Medicus, BGB AT, Rz. 750 ff.; Mayer-Maly, AcP 170 (1970), S. 133, 165 ff. 216 Flume, BGB AT 11, § 23, 4 d (S. 465 ff.); Mayer-Maly, AcP 170 (1970), S. 133, 170 f.; Medicus, BGB AT, Rz. 751; Larenz, BGB AT, 7. Aufl., § 2011 a (S. 376); Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 122.

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ist nämlich keine Rechtsfolge des Hauptvertrages, sondern ein zwar verkoppeltes aber vertragsrechtlich eigenständiges Geschäft. Wird beispielsweise mit der preisgünstigen oder gar kostenlosen Abgabe eines Mobilfunkgerätes geworben, dann muss der Konsument, will er das Handy zu den angebotenen Preis erwerben, üblicherweise einen Netzkartenvertrag abschließen, der monatliche Kosten nach sich zieht?17 Er kann den Kaufvertrag über das Mobilfunkgerät nicht etwa mit der Begründung anfechten, er habe sich über die Notwendigkeit eines Netzkartenvertrages geirrt. Wirksamer Individualschutz kann in derartigen Konstellationen besser durch Informationsgebote erreicht werden.

Relevante Rechtsirrtümer können aber auftreten, wenn der Konsument vertraglich zu unerwarteten Nebenleistungen verpflichtet wurde. Der Besteller eines Buches bei einem Buchversand mag sich etwa darüber wundem, dass er nunmehr als Mitglied eines Buchclubs zur regelmäßigen Abnahme von Ladenhütern verpflichtet iSt. 218 Hier kann der Kunde anfechten, wenn es nicht vorrangige Schutzmöglichkeiten gibt. Sofern solche Nebenverpflichtungen, wie häufig, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen versteckt sind, unterliegen sie zudem der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle, die einer Anfechtung vorgeht. 219 Das praktisch bedeutsamste Beispiel für einen Rechtsirrtum im Zusammenhang mit unlauterer Vertragsanbahnung bieten die Branchenbuch-Fälle, in denen täuschend aufgemachte Vertragsofferten für die Eintragung in Gewerbeverzeichnisse verschickt werden. Da sich damit ein ganzer Fragenkomplex verbindet, wird diese Konstellation an späterer Stelle gesondert untersucht. 220 4. Die Schadensersatzpflicht des Anfechtenden, § 122 BGB

Die Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz für enttäuschtes Vertrauen kann den Abnehmer von einer Anfechtung abhalten,221 obgleich im Einzelfall und bei wirtschaftlicher Betrachtung der Schadensersatz weniger nachteilig sein mag als das Festhalten am irrtümlich zustande gekommenen Vertrag. Zu ersetzen ist das negative Interesse. Der Geschäftspartner ist danach so zu stellen, als wäre die irrtumsbehaftete Willenserklärung niemals abgegeben worden. 217 BOH, Urt. vom 8.10.1998, ORUR 1999, S. 261 ff. (Handy-Endpreis); BOH, Urt. vom 8.10.1998, ORUR 1999, S. 264 ff. (Handy für O,OODM). 218 Z.B. OLO Stuttgart, Urt. vom 5.6.1978, ORUR 1978, S. 722 ff. (Radio-Digital-Uhr). 219 Medicus, BOB AT, Rz. 754. Eingehend Liebs, AcP 174 (1974), S. 26 ff.; Locher, BB 1981, S. 818 ff.; Loewenheim, AcP 180 (1980), S. 433 ff.; differenzierend Lass, JZ 1997, S. 67 ff. 220 V. Teil, A. (S. 245 ff.). 221 Trinkner, BB 1975, S. 1493.

8 Alexander

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

§ 122 BGB schützt in abgeschwächter Form das Vertrauen des Anfechtungsgegners in den Bestand des Vertrages. 222 Wird der Vertrag durch eine zulässige Anfechtung einer Partei ex tunc vernichtet, dann kann die andere Vertragspartei zumindest den Schaden ersetzt verlangen, der ihr im Vertrauen auf den Bestand des Rechtsgeschäftes entstanden ist. Hierbei gilt es jedoch eingehend zu prüfen, ob das Vertrauen des Anfechtungsgegners auch schutzwürdig ist, wenn die Anfechtbarkeit auf eine vorangegangene unlautere Handlung zurückzuführen ist.

Liegt ein Fall der schuldhaften Verursachung eines Irrtum vor, entfällt die Verpflichtung zum Schadensersatz nach § 122 Abs. 2 BGB. Die Norm geht von der typischen Risikoverteilung bei Irrtümern aus, in der sich der zur Vertragslösung berechtigende Fehler in einer fremden Geschäftssphäre ereignet. Bei irreführender Werbung, die ein Anfechtungsrecht begründet, wird im Regelfall zumindest von einem Kennenmüssen der Anfechtbarkeit auszugehen sein. Wer seinen Vertragspartner vorvertraglich irreführt, muss damit rechnen, dass sich diese Irreführung in einem Irrtum beim Vertragspartner verwirklicht. Sobald also ein Gewerbetreibender selbst tätig wird und irreführende Angaben macht, läuft er Gefahr, seinen Anspruch aus § 122 Abs. 1 BGB zu verlieren. 223 Das Irrtumsrisiko verbleibt damit in der Geschäftsphäre, die den Fehler zu beherrschen vermochte. Die Schutzwürdigkeit der anderen Partei kann auch entfallen, wenn sie den zur Anfechtung berechtigenden Fehler schuldlos verursacht. Das Reichsgericht verwies den Anfechtungsgegner seinerzeit auf die exeptio doli generalis. 224 Die Einrede der missbräuchlichen Ausnutzung formalen Rechts stehe einem Schadensersatzanspruch entgegen, wenn der zur Anfechtung berechtigende Irrtum vom Erklärungsgegner hervorgerufen wurde. Der Anfechtungsgegner hat danach für die Verursachung des Irrtums aufzukommen, indem er den Anspruch aus § 122 BGB nicht geltend macht. Zur Begründung berief sich das Reichsgericht auf einen Umkehrschluss. Wenn zur Schadensersatzverpflichtung nach § 122 Abs. 1 BGB der schuldlose Irrtum genüge, müsse die Ersatzpflicht auch ohne jedes Verschulden wieder entfallen können. Diese Lösung versagt freilich, wenn beide Vertragsparteien den Irrtum zu verantworten haben. Um auch diese Konstellationen erfassen zu können, wird heute § 254 BGB herangezogen?25 Der dagegen vorgebrachte Einwand, der Er222 223

Singer, JZ 1989, S. 1030, 1031 f. Wronka, UFITA, 1977, S. 221, 230.

224 RG, Vrt. vom 30.6.1904, Bd. 58, S. 356 f.; RG, Vrt. vom 25.2.1913, Bd. 81, S. 395, 399. 225 BGH, Vrt. vom 14.3.1969, NJW 1969, S. 1380; Soergel-Hefermehl, § 122 BGB Rz. 6; Palandt-Heinrichs, § 122 BGB Rz. 5; Erman-H. Palrn, § 122 BGB Rz. 8. A. A. Medicus, BGB AT, Rz. 786; ders., Bürgerliches Recht, Rz. 145.

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klärungsempfänger sei für die fremde Erklärung regelmäßig nicht verantwortlich und daher an deren Risiken nicht verschuldensunabhängig zu beteiligen,226 greift für die hier in Rede stehenden Fälle unlauteren Verhaltens nicht. Typischerweise ereignet sich der anfechtungsrelevante Irrtum allein in der Geschäftssphäre des Irrenden. Von diesem Normalfall weichen die hier behandelten Konstellationen unlauteren vorvertraglichen Verhaltens des Geschäftspartners jedoch ab, weil das unlautere Verhalten des Anfechtungsgegners zunächst in die fremde Geschäftssphäre hinübergewirkt hat und sich dort in Form eines Irrtums verwirklicht. Gründet sich der fremde Irrtum auf dieses vorvertragliche Fehlverhalten, kehrt der in der gegnerischen Geschäftssphäre angelegte Fehler über die irrtumsbehaftete Erklärung wieder zum Verursacher zurück. In dieser atypischen Situation kann ein schützenswertes Vertrauen nicht entstehen, sodass der Anfechtungsgegner trotz Schuldlosigkeit das Risiko der Fehlinformation tragen muss und mithin ein Schadensersatz nicht in Betracht kommt. 5. Täuschung und Drohung, § 123 BGB

Ebenso wie § 119 Abs. 2 BGB erfasst das Anfechtungsrecht nach § 123 BGB Fehler im Willensbildungsprozess, das heißt in einem der Entäußerung vorgelagerten Stadium. Die Willenserklärung ist anfechtbar, weil der Vertragspartner durch sein Verhalten den Fehler herbeigeführt hat und sein Vertrauen in den Bestand der Willenserklärung deshalb nicht schützenswert ist. Das zeigt sich auch daran, dass die Anfechtungsfrist im Vergleich zu den übrigen Anfechtungsgründen mit einem Jahr wesentlich großzügiger bemessen ist, und dass den Anfechtenden keine Verpflichtung zum Ersatze des Vertrauensschadens trifft. § 123 BGB ermöglicht einer Vertragspartei die Anfechtung der abgegebenen Willenserklärung, wenn die Willenserklärung entweder auf vorsätzlich falscher Tatsachengrundlage getroffen wurde oder auf den Erklärenden durch Drohung eingewirkt worden ist. Damit spiegelt § 123 Abs. 1 BGB zwei wettbewerbsrechtlich geschützte Verbraucherinteressen wider, den Schutz der Entscheidungsgrundlage und den Schutz des Entscheidungsprozesses. Der Vorschrift ist die Wertung zu entnehmen, dass selbst erhebliche Einwirkungen auf die Willensentschließung an der Wirksamkeit einer abgegebenen Willenserklärung nichts ändern, und dass eine Loslösung von der Willenserklärung nur in Betracht kommt, wenn die Einwirkung auf den Erklärenden einen gewissen Schweregrad überschritten hat. 227

226 227 S*

Medicus, BGB AT, Rz. 786. Ahrens, WRP 1978, S. 677, 683.

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

Man kann sogar noch weiter gehen und § 123 BGB als Sperre für jegliche Formen der Abstandnahme vom Vertrag verstehen, die unterhalb der in der Norm enthaltenen Erheblichkeitsschwelle liegen und nicht durch andere gesetzliche Wertungen zugelassen werden. 22B Es widerspräche der gesetzgeberischen Grundentscheidung, wenn man auf anderen Wegen und unter erleichterten Voraussetzungen dasselbe Ergebnis wie mit § 123 BGB erreichen könnte. a) Vorsätzliche Irreführung § 123 Abs. 1, 1. Alt. BGB umfasst den gesamten Bereich der vorsätzlich irreführenden Werbung. Wird der Verbraucher über die Eigenschaften einer Person oder einer Ware handfest belogen, kann er seine Willenserklärung durch Anfechtung beseitigen. Unproblematisch ist dabei der Fall, dass ein Händler irreführend wirbt. Geht die Werbung dagegen nicht vom Vertragspartner des Verbrauchers sondern von einem Dritten aus, insbesondere dem Hersteller einer Ware, richtet sich die Zurechnung der Täuschung nach den Grundsätzen des § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB. Die Werbung durch den Hersteller macht diesen noch nicht zum Beteiligten des Geschäfts und damit zum Nicht-Dritten nach § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB. Eine Anfechtung ist daher nur möglich, wenn der Händler als Vertragspartner des Verbrauchers die Unrichtigkeit der Werbung kannte oder kennen musste. Davon wird im Regelfall auszugehen sein. Händler werden üblicherweise in das Herstellermarketing einbezogen, ihnen wird Werbematerial zur Verfügung gestellt und sie verfügen auch über hinreichend Sachkunde, um die Richtigkeit der Informationen einschätzen zu können. Hinzu kommt, dass es sich bei der Drittwerbung nicht um neutrale Informationen eines Außenstehenden handelt, sondern die Werbung dient der gezie1ten Absatzförderung durch den Händler. Dass diesem eine Werbeaktion des ihn beliefernden Herstellers unbekannt bleibt, ist im heutigen Wirtschaftsleben kaum vorstellbar.

Die Beschränkung des § 123 Abs. 1 BGB auf bloß vorsätzlich täuschendes Verhalten hat dazu geführt, dass der Versuch unternommen wurde, auch für fahrlässige Fehlinformationen bei oder vor Vertragsschluss eine Haftung zu entwickeln. In enger Verwandtschaft zu dem Rechtsinstitut der culpa in contrahendo ist deshalb vorgeschlagen worden, das im BGB verankerte und auch § 123 BGB zugrundeliegende Vorsatzdogma229 zu überwinden und § 123 BGB im Wege einer gesetzesderogierenden Korrektur auch für die Fahrlässigkeitshaftung zu öffnen?30 Die Zulässigkeit einer solchen offenen 228 Lieb, FS Rechtswiss. Fakultät, Univers. Köln, S. 251, 263; Medicus, JuS 1965, S. 209, 212. 229 Grigoleit, S. 16 ff. 230 Grigoleit, S. 40 ff., 137 ff.

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Gesetzeskorrektur ergebe sich aus einem Funktionswandel der Rechtsordnung und der neueren Rechtsentwicklung. 231 Die Haftung für auch fahrlässiges vorvertragliches Verhalten sei in Rechtsprechung und Lehre ganz überwiegend anerkannt und habe auch durch den Gesetzgeber in § 11 Nr. 7 AGBG Anerkennung gefunden?32 Zudem habe sich der Bedarf an vorvertraglicher Information seit Inkrafttreten des BGB massiv verändert und verstärkt. 233 Dem ist insoweit zuzustimmen, als § 123 BGB tatbestandlich eng, sicherlich zu eng, gefasst ist und im Wege einer vorsichtigen Analogie 234 auf vergleichbare Konstellationen mit ähnlich schwerwiegenden Eingriffen auf die andere Vertrags partei geöffnet werden muss. Dem engagierten Verstoß im Hinblick auf eine Einbeziehung der Fahrlässigkeit ist allerdings entgegenzuhalten, dass die Norm dadurch gewissermaßen zu einer generalklauselartigen vorvertraglichen Haftung umfunktioniert würde,235 womit dann auch die Unterscheidung zwischen Anfechtung und Schadensersatz entfiele. Damit werden die Grenzen des Wortlauts weit überschritten und die Gesetzessystematik letztlich ausgehöhlt. 236 Da die Rechtsprechung ihrerseits ausdrücklich klargestellt hat, dass an der Trennung von Anfechtung und Schadensersatz festgehalten werden soll,237 wäre eine Rechtsfortbildung kraft Richterrechts ausgeschlossen. Auch das Schweigen des Gesetzgebers zu mancher weitgehenden Fortentwicklung, verbunden mit der Statuierung vielfaltiger Informationspflichten, lässt sich nicht als bewusstes Unterlassen oder gar wohlwollendes Dulden eines umfassenden Haftungstatbestandes deuten, da die Aktivitäten des Gesetzgebers auf dem Gebiet des Privatrechts eher punktueller Natur sind und deswegen nicht überbewertet werden können. 238 Im Gegenteil lassen die gesetzgeberischen Aktivitäten zu § 13 a UWG eher den Schluss zu, dass die Zweispurigkeit von Schadensersatz und Vertragsauflösung nicht in Frage gestellt werden sollte. Eine Derogation des Vorsatzerfordernisses in § 123 Abs. 1 BGB ist daher abzulehnen.

Grigoleit, S. 47 ff. Grigoleit, S. 50 ff. 233 Grigoleit, S. 52 ff. 234 So ausdrücklich J. Schmidt, FS Lukes, S. 793, 804. 235 Grigoleit, S. 137: Die tatbestandlichen Regelungsbereiche von § 123 BGB und der Informationshaftung aus culpa in contrahendo erfassen objektiv den gleichen Geschehenskomplex - nämlich die vorvertragliche Irreführung - und unterscheiden sich insoweit lediglich in den subjektiven Anforderungen. 236 Lieb, FS Medicus, S. 337, 349 f. 237 BGH, Urt. vom 26.9.1997, NJW 1998, S. 302 ff.; BGH, Urt. vom 19.12.1997, NJW 1998, S. 898, 899 f. 238 Lieb, FS Medicus, S. 337, 349. 231

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

b) Widerrechtliche Drohung

Es droht, wer jemandem ein Übel in Aussicht stellt, auf dessen Eintritt er Einfluss zu haben vorgibt. 239 Der Bedrohte gerät dadurch in eine Zwangslage, aus der er sich nur durch befreien kann oder zu befreien können glaubt, dass der Bedrohte die von ihm abverlangte Handlung bzw. Unterlassung vornimmt. Drohungen im Wettbewerb gegen Verbraucher sind selten. 240 Kein wirtschaftlich vernünftig denkender Unternehmer wird seine Kundschaft durch das Inaussichtstellen eines Übels zum Abschluss eines Vertrages bewegen wollen, weil derart rigide Praktiken - wenn überhaupt allenfalls einmaligen Erfolg versprechen. Ein unter erheblichen Entscheidungsdruck gesetzter Verbraucher wird eine zweite Begegnung mit dem Drohenden künftig tunliehst zu vermeiden suchen. Als Beispiele für Drohungen lassen sich rüde Verkaufsmethoden bei Werbefahrten denken,z41 weil der Kunde dort selbst massiven Einwirkungen durch die räumliche Abgeschiedenheit der Verkaufsorte nicht ohne weiteres entkommen kann. So mag der Verkäufer den Teilnehmern in einem abgelegenen Gasthof eröffnen, dass die Weiterfahrt zu dem eigentlichen Ziel der Reise erst erfolgt, wenn eine bestimmte Anzahl von Verträgen abgeschlossen sei. Entschließen sich Teilnehmer daraufhin, einen Vertrag einzugehen, können sie anfechten. Anders jedoch, wenn zwar ein Übel in Aussicht gestellt wird, der Kunde aber nicht zum Abschluss eines Vertrages sondern lediglich zum Besuch der Veranstaltung genötigt wird. So mag der Verkäufer den Teilnehmern erklären, dass die Teilnahme an der Verkaufsveranstaltung freigestellt sei, und dass sie alternativ auch einen Waldspaziergang unternehmen können. Nach Beendigung der Veranstaltung werde jedoch sofort losgefahren und auf Nachzügler keine Rücksicht genommen. Der Teilnehmer hat dann die Wahl, im Wald vergessen zu werden oder an der Verkaufsveranstaltung teilzunehmen. c) Drohungsähnliche Zwangslagen

Neben dem speziellen Fall der Drohung ist § 123 Abs. 1, 2. Alt. BGB entsprechend anzuwenden, wenn der Verbraucher in eine der Drohungssituation vergleichbare Zwangslage versetzt wird. 242 Die Anfechtbarkeit der Willenserklärung beruht nämlich nicht auf einer spezifischen Eigenart der Drohung, sondern darauf, dass der Erklärende sich in einer Zwangssituation 239 Soergel-Hefermehl, § 123 BGB Rz. 40; Palandt-Heinrichs, § 123 BGB Rz. 15; Erman-H. Palm, § 123 BGB Rz. 55 ff. 240 Gilles, Direktmarketing, Rz. 218. 241 Anschaulich die Schilderung einer solchen Veranstaltung durch Treuer, in: Bender, Rechtstatsachen, S. 65 ff., dessen Beschreibung durchaus repräsentativ sein dürfte. 242 Vorsichtig in diese Richtung weisend Wronka, UFITA 1977, S. 221, 228: Die Möglichkeiten, die § 123 BGB zur Abstandnahme vom Vertrag biete, seien noch nicht ausreichend ausgelotet.

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entscheiden muss, in der er nach Lage der Dinge keine andere Wahl zu haben glaubt als die gewünschte Willenserklärung abzugeben. Die ausdrückliche Regelung für die Drohung betrifft einen besonders wichtigen und typischen, aber eben keineswegs einzigen Anwendungsfall für eine solche Zwangslage. Nicht jeder psychologische oder moralische Kaufzwang begründet allerdings gleich eine Zwangslage i. S. d. § 123 Abs. 1 BGB. Erforderlich ist vielmehr, dass der Verbraucher sich der Situation nicht mehr durch bloßes Ausweichen oder Herausgehen aus dem Geschäft entziehen kann und erhebliche eigene Nachteile ideeller oder materieller Art befürchten muss. Dies kann vorkommen, wenn der Verbraucher durch gezielte Werbeattacken massiv unter Druck gesetzt wird, etwa indem er durch Werbebriefe und zahlreiche Telefonanrufe zunächst zum Besuch einer Verkaufsveranstaltung genötigt wird, bei der man ihn anschließend in einem abgelegenen Ferienkomplex stundenlang festhält und wiederholt zum Konsum alkoholischer Getränke einlädt. 243

Die Zwangslage muss allerdings von dem anderen Vertragsteil ursächlich begründet worden sein, da § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB eine der Täuschung entsprechende Zurechnung für Drohungen Dritter nicht kennt. Auch das bloße Ausnutzen einer bestehenden Notsituation genügt nicht. Deshalb ist § 123 Abs. 1 BGB nicht anzuwenden, wenn der Verbraucher noch am Unfallort einen Werkstattvertrag zur Reparatur seines beschädigten Fahrzeugs abschließt oder dem Eigentümer eines brennenden Hauses eine Reparaturversicherung aufgeschwatzt wird. 6. Anfechtbarkeit bei Fremdveranlassung

In der Literatur hat es Versuche einer Neuorientierung hinsichtlich der Anfechtungsrechte gegeben. So ist vorgeschlagen worden, der Verantwortlichkeit für einen fremden Willensmangel die entscheidende Bedeutung zukommen zu lassen. Nach § 119 Abs. 2 BGB könne der Erklärende anfechten, wenn der Irrtum von der anderen Seite veranlasst wurde oder der anderen Seite offenbar hätte auffallen müssen?44 Auf dieser Grundlage soll eine Anfechtung und damit eine Lösung vom Vertrag in allen Fällen von rechtswidrig fremdinduzierten Irrtümern zulässig sein. 245 Als den das Anfechtungsrecht tragenden Grundgedanken wird der Ausschluss der Willensfreiheit des Erklärenden angesehen. Eine Anfechtung sei - so der ungeschriebene Grundgedanke der §§ 119 ff. BGB - stets möglich, wenn eine 243 So die Schilderung über Verkaufspraktiken bei der Veräußerung von Teilzeitwohnrechten in Spanien, EuGH, Urt. vom 22.4.1999, EuZW 1999, S. 377, 378 (Travel Vac SLlManuel Jose Ante1m Sanchis). 244 MünchKomm-Kramer, § 119 BGB Rz. 97 ff., 101. 245 Sack, WRP 1974, S. 445, 450 f.

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

Willenserklärung nicht vom freien Willen des Erklärenden getragen ist. 246 Eine Bindung an die abgegebene Erklärung trete nur ein, wenn dieser Wille fehlerfrei zustande gekommen sei, d.h. insbesondere ohne jegliche äußere Beeinflussung gebildet wurde. Zwischen der erheblichen Einflussnahme durch arglistige Täuschung bzw. widerrechtlicher Drohung und Fehlvorstellungen nach §§ 119, 120 BGB soll die bestehende Lücke von Irrtümern, die in der Person des Vertragspartners durch Fremdeinwirkung verursacht werden, aber nicht die in § 123 Abs. 1 BGB vorausgesetzte Schwere aufweisen, vollständig durch eine Rechtsanalogie erfassen. Von dieser Überlegung ausgehend soll eine Anfechtung bei Wettbewerbsverstößen zulässig sein, wenn durch die Unlauterkeit von Wettbewerbshandlungen, z. B. psychischen Kaufzwang, lästige und gefühlsbetonte Werbung, nicht-arglistige Täuschung, Überrumpelung usw., die freie Willensbildung der Vertragspartner beim Vertragsschluss widerrechtlich beeinflusst wurde. Geht die Unlauterkeit von einem Dritten aus, dann soll § 123 Abs. 2 BGB Anwendung finden. Dem Vertrags partner stünde das Anfechtungsrecht demnach zu, wenn der Vertragspartner selbst die Unlauterkeit verübt hat oder aber von dem Wettbewerbsverstoß eines Dritten Kenntnis hatte?47 Der Übernahme der Veranlassung als maßgebliches Kriterium für die Anfechtbarkeit von Willenserklärungen ist mit dem Gesetzeswortlaut nicht zu vereinbaren und deshalb abzulehnen. 248 Die mit dem Merkmal der Verkehrswesentlichkeit vorgegebene Ausfüllungsbedürftigkeit darf den Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsauftrags nicht überschreiten und eröffnet keinesfalls die Kompetenz zur freien Rechtsschöpfung. 249 Der methodische Ansatz einer Rechtsanalogie zu den Anfechtungsvorschriften muss zudem an dem Fehlen der behaupteten Regelungslücke für die fremdinduzierten Fehlvorstellungen des Abnehmers scheitern. 25o Eine Regelungslücke liegt nur vor, wenn das Gesetz eine planwidrige Unvollständigkeit aufweist. 251 Das aber würde voraussetzen, dass den Anfechtungsgründen der §§ 119 ff. BGB ein Regelungskonzept zu entnehmen ist, das auf einer Differenzierung zwischen selbst- und fremdverursachten Fehlvorstellungen des Abnehmers beruht. Mögen rechtspolitische Gründe und auch der Blick in andere Rechtsordnungen 252 eine derartige Regelung durchaus erwägenswert und Sack, WRP 1974, S. 445, 450. Sack, WRP 1974, S. 445, 451. 248 Flume, JZ 1985, S. 470, 474; Larenz, BGB AT, 7. Aufl., § 20 II b (S. 382); St. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 286 f.; Medicus, BGB AT, Rz. 770. 249 Grigoleit, S. 150. 250 Eine Regelungslücke verneint i. E. auch Grigoleit, S. 152, allerdings aus der von ihm eingenommenen Perspektive einer möglichen Derogation des Vorsatzdogmas in § 123 BGB. 251 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 191 ff. 252 MünchKomm-Kramer, § 119 BGB Rz. 97. 246

247

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sinnvoll erscheinen lassen,253 der lex lata ist eine solche Unterscheidung fremd. 254 Dass sich die Kategorisierung in fremd- und selbstinduzierte Irrtümer im Übrigen nicht konsequent durchführen lässt, zeigt sich deutlich bei der Frage der Anfechtungsfristen. 255 Die Frist aus § 121 BGB soll nur für selbstinduzierte Irrtümer gelten, während fremdinduzierte Irrtümer wegen ihrer Verwandtschaft zu § 123 BGB stets der Frist des § 124 BGB zu unterworfen sein sollen. Das hätte dann aber zur Konsequenz, dass die Anfechtungsfrist je nach Irrtum ganz unterschiedlich ausfällt,256 was zu einer erheblichen Verunsicherung des Rechtsverkehrs führt.

III. Freistellung vom Vertrag als Naturalrestitution Gemäß § 249 Satz 1 BGB kann der Abnehmer bei Bestehen eines Schadensersatzanspruchs die Auflösung der vertraglichen Bindung verlangen. Wird durch eine Handlung ein Schaden und damit ein Anspruch auf Schadensersatz ausgelöst, dann muss der Schädiger den Zustand herstellen, der bestehen würde, wenn der zum Schadensersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Das entspricht dem schadensrechtlichen Grundsatz der Naturalrestitution aus § 249 Satz I BGß. Dabei ist anerkannt, dass auch die Freistellung von einer eingegangenen vertraglichen Bindung eingefordert werden kann, wenn der Vertrag als solcher bzw. die daraus resultierenden Verpflichtungen als ersatzfähiger Schaden anzuerkennen sind. Im Hinblick auf Wettbewerbsverstöße gegen Verbraucherinteressen sowie unlauter initiierte Verträge sind im Schrifttum schadensersatzrechtliche Lösungen favorisiert worden. 257 Es wurde sogar gefordert, dass Kernpunkt eines zu novellierenden Sanktionssystems im UWG ein Schadensersatzanspruch des einzelnen Abnehmers sein müsse. 258 Als mögliche Ansatzpunkte für die Verknüpfung der im vorvertraglichen Stadium stattfindenden unlauteren Handlung und der Freistellung im Wege 253 Singer, JZ 1999, S. 342, 345. Kritisch zum rechtsvergleichenden Vorgehen Kramers St. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 287 ff., der von einer Art "Rosinentheorie" spricht (Fn. 433). 254 Ahrens, WRP 1978, S. 677, 683 f.; KÖfz, Europäisches Vertragsrecht, § 10 A III (S. 284 ff.). 255 Sack, WRP 1974, S. 445, 451. 256 So in der Tat der Vorschlag von Sack, WRP 1974, S. 445, 451 Fn. 70. 257 Insbesondere von Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 295 ff. und St. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 387 ff.; Sack, WRP 1974, S. 445, 454 ff. 258 Bastian, in: Schricker/Henning-Bodewig, S. 199, 206 f., 211 ff.; Lehmann, BB 1981, S. 1717, 1723.

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des Schadensersatzes kommen nur das Deliktsrecht und das Verschulden bei Vertragsverhandlungen, culpa in contrahendo, in Betracht. 1. Deliktische Haftung

Zunehmende Bedeutung hat der deliktsrechtliche Schutz vor Werbung gegenüber dem Verbraucher erlangt und zwar insbesondere deswegen, weil es an einem individuellen Abwehranspruch des Verbrauchers gegen eine ihn betreffende Geschäftspraktik im UWG fehlt.

a) Die explizit genannten Rechtsgüter Nur in den seltensten Fällen werden die in § 823 Abs. 1 BGB erwähnten Rechtsgüter durch eine unlautere Verhaltensweise verletzt. Die in der Literatur genannten Beispielsfälle,259 Freiheitsberaubung durch Vertreter, die Passanten auf der Straße festhalten, Körperverletzung durch unerwünschte Telefonanrufe, Hausfriedenbruch durch Vertreter und dergleichen dürften in der Praxis keine nennenswerte Rolle spielen, da es sich hierbei um besonders krasse Formen des geschäftlichen Agierens entweder aus den frühen Jahren des Wettbewerbs handelt oder weil deren Vorkommen wirtschaftlichen Ausnahmesituation geschuldet ist; sie betreffen keineswegs die Mehrheit der relevanten wettbewerbswidrigen Praktiken. Selbst wenn derart rigide Verhaltensweisen doch einmal als Wettbewerbsmittel auftauchen sollten, verbinden sich damit keine bedeutsamen rechtlichen Probleme, da für massive Angriffe hinreichend Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen. Der eigentlich interessierende Fragenkreis liegt jenseits solcher Extreme und betrifft eher "schleichende" Beeinträchtigungen. Wird ein Briefkasten dermaßen mit Werbematerial verstopft, dass keine Briefe mehr eingeworfen werden können, liegt ein Eingriff in das Eigentum vor. 260 Vereinzelte Werbeblätter reichen freilich nicht, um schon eine Verletzung des Eigentums zu begründen. Ähnlich wie beim verstopften Briefkasten dürfte für das sogenannte e-Mail-spamming zu entscheiden sein. Dabei wird durch das Versenden elektronischer Werbepost der Empfang sonstiger Mitteilungen unmöglich gemacht und damit die Nutzbarkeit eines vernetzten Computers unter Umständen erheblich eingeschränkt. Andere Rechte als das Eigentum werden dagegen durch unlautere Werbung in der Regel nicht beeinträchtigt. Insbesondere ist der Begriff der Freiheit nicht im Sinne einer umfassenden Handlungsfreiheit zu verstehen sondern als körperliche Fortbewegungsfreiheit. 261 259

Borck, WRP 1978, S. 333, 335; Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung,

260

OLG Nümberg, Beschl. vom 25.1.1972, AfP 1972, S. 233, 234.

S.265.

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b) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als geschütztes Rechtsgut

Besondere Bedeutung zur Bekämpfung unerwünschter Werbung hat als sonstiges Recht das allgemeine Persönlichkeitsrecht erlangt. 262 Ursprünglich diente es lediglich dem Schutz einer Person, die ungefragt als Werbemedium eingesetzt wurde. Später wurde der Schutz auch auf den Werbeadressaten erstreckt. 263 Als praktisch wichtige Konstellation hat sich die in der Rechtsprechung immer wiederkehrende Briefkastenwerbung erwiesen. Jemand versieht seinen Briefkasten mit einem Aufkleber "Werbung unerwünscht" oder dergleichen und dennoch gelangen anonyme Werbeschriften in den Briefkasten. Solange nicht die Funktion des Briefkastens völlig aufgehoben wird, greift der Eigentumsschutz nicht ein. Gleichwohl hat die Rechtsprechung dem Adressaten deliktischen Schutz zugebilligt, weil sie den Einwurf von Werbeschriften als Missachtung seines Persönlichkeitsrechts ansah. 264 Durch den Aufkleber habe der Inhaber deutlich dargetan, dass er einen Empfang solcher Mitteilungen nicht wünsche. Diese Rechtsprechung dürfte auch auf neue, nunmehr dem Femabsatzgesetz und der RL 1997/7 lEG unterliegende, Kommunikationstechniken zu übertragen sein. 265 Danach bedürfen etwa die Werbung unter Einsatz von sogenannten Voice-Mail-Systemen, d.h. Anrufe durch Automaten, und die 261 Deutsch, FS HauB, S. 43, 51 ff.; LarenziCanaris, Schuldrecht 11/2, § 76 11 2 (S. 385); St. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 380 ff.; Soergel-Zeuner, § 823 BGB RZ.27. 262 BGH, Urt. vom 25.5.1954, Bd. 13, S. 334 ff (Leserbriefe); BGH, Urt. vom 26.11.1954, Bd. 15, S. 249 ff. (Cosima Wagner); BGH, Urt. vom 8.5.1956, Bd. 20, S. 345 ff. (Paul Dahlke); BGH, Urt. vom 18.3.1959, Bd. 30, S. 7 ff. (Caterina Valente); BGH, Urt. vom 19.9.1961, Bd. 35, S. 363 ff. (Ginseng Wurzel); BGH, Urt. vom 24.10.1961, Bd. 36, S. 77 ff. (Waffenhändler); BGH, Urt. vom 5.3.1963, Bd. 39, S. 124 ff. (Fernsehansagerin). Bestätigt wurde die BGH-Rspr. durch BVerfG, Besch!. vom 14.2.1973, NJW 1973, 1221 ff. (Soraya). 263 Grundlegend BGH, Urt. vom 16.2.1973, GRUR 1973, S. 552 ff. (Briefwerbung) mit Anm. Bauer. Dazu Alt, WRP 1985, S. 319 ff. 264 BGH, Urt. vom 20.12.1988, Bd. 106, S. 229, 233 f. (Handzettel-Wurfsendung); KG, Urt. vom 4.5.1990, NJW 1990, S. 2824 f.; OLG Karlsruhe, Urt. vom 30.7.1991, NJW 1991, S. 2910, 2911; OLG Karlsruhe, Urt. vom 12.4.1989, NJWRR 1990, S. 244; LG Berlin, Urt. vom 6.6.1990, NJW 1990, S. 2824; LG Hagen, Besch!. vom 10.10.1990, NJW 1991, S. 2911; LG Kassel, Urt. vom 6.2.1991, NJW 1991, S. 2912,2913. Anders OLG Stuttgart, Urt. vom 6.2.1991, NJW 1991, S. 2912; VGH Mannheim, Urt. vom 24.4.1990, NJW 1990, S. 2145. Kritisch Weise, GRUR 1989, S. 653, 657: Der Schutz des Umworbenen über das Eigentums- und Besitzrecht sei in vollen Umfange ausreichend. 265 Zu elektronischen Briefkästen bei BTX-Systemen bereits Habermeier, in: Martinek/Sernler, Handbuch des Vertriebsrechts, § 33 Rz. 20. Zu den Einzelheiten der RL 1997/7/EG Engel, S. 39 ff.; Marx, WRP 2000, S. 1227, 1235 ff.

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Werbung per Telefax der ausdrücklichen vorherigen Zustimmung des Verbrauchers, Art. 10 Abs. 1 RL 1997/7/EG. Sonstige individuelle Kontaktaufnahmen mittels Fernkommunikationstechniken dürfen nur vorgenommen werden, wenn der Verbraucher eine Verwendung zuvor nicht offenkundig abgelehnt hat, Art. 10 Abs. 2 RL 1997/7/EG. Setzt sich der Unternehmer über diese Vorgaben hinweg, liegt nicht nur eine Unlauterkeit gemäß § 1 UWG vor, sondern zugleich kann der Verbraucher die Missachtung als Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach § 823 Abs. 1 BGB ahnden. 266 Der Rückgriff auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Konsumenten zum Schutz vor unlauteren Werbeformen hat im Schrifttum Beifall gefunden. 267 Am weitesten ging der Vorschlag, ein Persönlichkeitsrecht in wirtschaftlichen Angelegenheiten anzuerkennen?68 Ein solches Verbraucherpersönlichkeitsrecht würde das Korrelat zu dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Unternehmers bilden und einen deliktisch eigenständigen Schutz von Marktteilnehmern ermöglichen, die nicht unternehmerisch tätig sind. Es soll dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht untergeordnet sein und ein Recht zur Teilnahme am Wettbewerb als Nachfrager und Verbraucher in Ausübung der Konsumentensouveränität vermitteln. 269 Andere Stimmen wenden sich zwar gegen ein besonderes Persönlichkeitsrecht in wirtschaftlichen Angelegenheiten, sehen aber einen möglichen Schutz vor beeinträchtigenden Werbemaßnahmen im allgemeinen Persönlichkeitsrecht, weil dieses auch wirtschaftliche Belange mit einschließe. Gegenstand des Persönlichkeitsrechts ist das Recht jedes Menschen, sein Leben selbstbestimmt zu leben, d. h. seinen Willen frei zu bilden und zu betätigen. Im Bereich des Wirtschaftslebens gehört zu dem geschützten Rechtskreis die Entscheidung einer Person, sich selbst wirtschaftlich zu betätigen oder als Nachfrager Ziel werblicher Beeinflussung zu werden. Das Persönlichkeitsrecht ist gewahrt, wenn der angesprochene Konsument sich frei entscheiden kann, ob er die Werbung überhaupt wahrnimmt, wie er ihr begegnen möchte und wie er auf sie reagiert. 27o Das Heranziehen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zum Schutz vor unlauteren Geschäftsmethoden ist im Ansatz zustimmenswert und praktikabel, wenn man zugleich die rechtlichen Grenzen beachtet und insbesondere kein neben dem eigentliMarx, WRP 2000, S. 1227, 1237. Freund, S. 136 ff.; ders., BB 1986, S. 409, 413 ff.; Scherer, Verbraucherwerbung, S. 251 ff. jeweils m. w. N. 268 Lehmann, FS Hubmann, S. 255 ff. Dazu kritisch Ehlers, WRP 1983, S. 187, 188; Forkel, FS Neumayer, S. 229, 232 ff. 269 Lehmann, FS Hubmann, S. 255, 266 ff. 270 Henning-Bodewig, BB 1983, S. 605, 610; Loewenheim, GRUR 1975, S. 99, 107 ff.; Scherer, Verbraucherwerbung, S. 62 ff., 267 ff. 266 267

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ehen Wettbewerbsrecht bestehendes Sonder-Individualwerberecht wachsen lässt. Das Ausfüllen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit spezifisch wettbewerbsrechtlichem Inhalt birgt die Gefahr in sich, das Rahmenrecht in seiner Reichweite zu überdehnen. Ein extensiver Schutz vor Werbung auf Basis des allgemeinen Deliktsrechts kann dazu führen, dass dem Verbraucher nicht nur die Nachteile sondern auch der immense Nutzen von Werbung genommen werden. Werbung mag, das ist keineswegs zu bestreiten, nicht selten aufdringlich und belästigend wirken, sie ist anderseits die wohl wichtigste Infonnationsquelle des Verbrauchers. Ein übersteigerter Schutz des Verbrauchers vor Werbung läuft Gefahr, wichtige Infonnationsquellen schlichtweg abzuschneiden und wegen der werbefeindlichen Tendenz letztlich den Wettbewerb einzuengen?7! Der Übergang einer als sozialadäquat hinzunehmenden Berührung mit Werbung, einer zwar ärgerlichen aber deliktsrechtlich noch irrelevanten Belästigung und schließlich einem handfesten deliktischen Eingriff ist situativ zu bestimmen und hängt von ganz verschiedenen Faktoren ab. 272 Es lässt sich deshalb weder sagen, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht stets eine Art wettbewerbsrechtlicher Ersatzklagebefugnis bei der Beeinträchtigung von individuellen Verbraucherinteressen begründet, noch ist umgekehrt ein Eingreifen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zum Schutze vor bestimmten Werbepraktiken ganz zu verneinen. Es bedarf einer genauen Überprüfung und Abwägung im Einzelfall, bei der sowohl das unternehmerische Interesse an werblicher Betätigung zu berücksichtigen ist als auch die Frage, um welche Fonn des werblichen Ansprechens es geht, ob der Verbraucher einer Aktion mühelos ausweichen kann und in welcher persönlichen Situation und Verfassung der Verbraucher von einer Maßnahme betroffen wird. 273 Selbst Befürworter einer umfassenden Anwendung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts plädieren dafür, Verhaltensweisen als nicht tatbestandsmäßig zu erfassen, "wenn die Beeinträchtigung derart geringfügig ist, daß nicht der geringste Zweifel an der Zulässigkeit der Werbemaßnahme besteht.,,274 In der Rechtsprechung finden sich Beispiele, denen Anhaltspunkte für die notwendige Schwere von Persönlichkeitsverletzungen durch bestimmte Geschäftspraktiken zu entnehmen sind. Der BGH sah das allgemeine Persönlichkeitsrecht in der Porno-Schriften-Entscheidung durch das Auslegen von pornographischen Schriften in einer Buchhandlung noch nicht als verletzt an, da der Kunde wegschauen und ohne weiteres das Geschäft verlassen kann. 275 Auch das Zusenden von InformaHefennehl, FS Kastner, S. 183, 188 ff., 197 ff. Baumbach/Hefennehl, Allg. Rz. 143, 158. 273 Zu unterschiedlichen Konstellationen unlauterer Geschäftspraktiken und ihrer persönlichkeitsrechtlichen Relevanz Ehlers, WRP 1983, S. 187, 188 ff. Beispiel für die abzuwägenden Aspekte im Falle des Direktmarketings bei Simon, eR 1986, S. 3, 12 f. Gegen eine Abwägung der Interessen von Olenhusen, FuR 1973, S. 417, 423. 274 Freund, BB 1986, S. 409,413. 271

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tionsmaterial zu Erotikartikeln hielt der BGH in der Erotik in der Ehe-Entscheidung für zulässig, weil es für einen Kaufmann nicht fernliegend sei, wenn für eines der von ihm vertriebenen Produkte Interesse gezeigt wird, dem hierfür angeforderten Prospekt auch Werbematerial für weitere von ihm zu beziehende Artikel beizufügen, sodass nicht von der Kundgabe einer Missachtung der Persönlichkeit ausgegangen werden kann. z76 Eine Beleidigung und damit eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts bejahte aber das AG Düsseldorf bei Zusendung eines individuell ausgerichteten Werbeschreibens, das dem Adressaten eine herabsetzende Äußerung über seine eigene berufliche Leistungsfähigkeit in den Mund legte. z77 Der Kläger hatte einen Werbebrief zugeschickt bekommen, der von außen deutlich sichtbar mit Bezug auf den Empfänger den Text enthielt: "Eigentlich bin ich ja ganz gut in meinem Job, aber irgendwie habe ich doch nicht alles im Griff!" Nach Ansicht des Gerichts handelte es sich um "einen drastischen, durch nichts zu rechtfertigenden Eingriff in die Privatsphäre".z78 c) Die Reichweite deliktischen Schutzes

Die zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Werbeadressaten ergangenen Entscheidungen der Gerichte schützen den Betroffenen lediglich vor der Werbung selbst. Die Rechtsprechung hatte sich bislang noch nicht mit der davon zu unterscheidenden Frage auseinander zu setzen, ob der unlauter angebahnte Vertrag ebenfalls einen Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht enthält und ob der durch die Werbung angelockte Konsument deswegen die Aufhebung des Vertrages verlangen kann. Nicht weiter hilft der Verweis darauf, dass § 253 BGB einer Freistellung des Vertrages nicht entgegenstehe, weil die Norm lediglich den Schadensersatz in Geld betreffe und deshalb auch ein immaterieller Schaden in Form einer vertraglichen Verpflichtung als Schaden anzuerkennen sei. 279 Das ist sicher zutreffend, doch wird die Frage des Schadens erst relevant, wenn zuvor ein geschütztes Rechtsgut verletzt worden ist. Dass aber das allgemeine Persönlichkeitsrecht als deliktisches Rahmenrecht auch vor unlauter angebahnten Verträgen schützen will, bleibt erst noch zu beweisen. Sicher ist, dass die allgemeine Handlungsfreiheit nicht durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt wird, da anderenfalls das deliktsrechtliche System differenzierenden Rechtsgüterschutzes mit drei kleinen Generalklauseln gesprengt würde?SO Deliktischen Schutz genießt allenfalls die BGH, Urt. vom 13.4.1975, GRUR 1975, S. 502 (Porno-Schriften). BGH, Urt. vom 29.5.1970, GRVR 1970, S. 557 (Erotik in der Ehe). 277 AG Düsseldorf, Vrt. vom 27.5.1997, NJW-RR 1998, S. 1481,1482. 278 AG Düsseldorf, S. 1482. 279 Freund, BB 1986, S. 409, 413. Für den entsprechenden Problemkreis bei der c. i. c.-Haftung Fleischer, AcP 200 (2000), S. 91, 111 f. 275

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Freiheit, überhaupt am rechts geschäftlichen Verkehr teilnehmen zu können?81 Dahingehende Beeinträchtigungen sind im Bereich unlauteren Verhaltens im wirtschaftlichen Verkehr nahezu unvorstellbar, weil wirtschaftlicher Erfolg im Wettbewerb nur über den Abschluss von Verträgen zu erreichen ist. Der Abnehmer wird daher tunlichst nicht vom rechts geschäftlichen Verkehr ferngehalten, sondern im Gegenteil geradezu animiert, sich - vielleicht über das vernünftige Maß hinaus - geschäftlich zu betätigen. Wenn nicht die allgemeine Handlungsfreiheit, so können doch Teilbereiche dieser umfassenden Freiheitssphäre deliktischem Schutz unterliegen. Es wurde erwogen, zumindest die rechts geschäftliche Entscheidungsfreiheit über das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu schützen?82 Wettbewerbsverstöße wie psychologischer Kaufzwang, gefühlsbetonte Werbung, übermäßiges Anlocken und andere Geschäftspraktiken, mit denen auf die Konsumentensouveränität abgezielt werde,283 sollen danach als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen werden, weil jedem Wirtschaftssubjekt die Möglichkeit offen stehen muss, seine ökonomischen Entscheidungen ohne manipulative Einwirkungen Dritter treffen zu können. Die Rechtswidrigkeit einer solchen Beeinflussung soll sich aus der Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen ergeben, wobei dem Schutz der Entscheidungsfreiheit Vorrang vor dem Gewinnstreben und jeder Beeinflussung durch Wirtschaftswerbung zukommen müsse. 284 Damit werden die Grenzen des allgemeinen Persönlichkeitsrecht deutlich überschritten. 285 Ein deliktischer Schutz der Entscheidungsfreiheit als Bestandteil der Vertragsfreiheit würde das im BGB vorgegebene System des Nebeneinanders von Vertragsrecht und Deliktsrecht überwinden und zu einer Einebnung des differenzierten Regelungssystems führen. Die Vertragsfreiheit des Einzelnen verleiht einen Handlungsspielraum innerhalb der vom Vertragsrecht vorgegebenen Grenzen. Es handelt sich um eine institutionelle Freiheit, d.h. sie ist ohne das Vertragsrecht als sinngebendem Institut nicht vorstellbar. Natürliche Verhaltensweisen, wie Sprechen, Schreiben, Schweigen, bestimmte Gesten usw. werden durch die Vertragsfreiheit institutionalisiert, indem ihnen eine soziale und rechtliche Bedeutung verliehen 280 Kötz, Deliktsrecht, Rz. 56; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 I 3 (S. 354); St. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 381. 281 Deutsch, FS HauB, S. 43, 54 ff.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 80 II 6 b (S. 513). 282 Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 267 ff., 270 ff.; Vollmer, JA 1979, S. 84, 86 ff. 283 Weitere Kasuistik bei Freund, BB 1986, S. 409 ff. 284 Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 273. 285 St. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 383.

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

wird. 286 Die Institution legt die Regeln fest, innerhalb derer die Transformation von natürlichem Verhalten in sozial bedeutsames Verhalten erfolgt. Aus der gesprochenen Erklärung wird z. B. unter bestimmten Voraussetzungen eine Willenserklärung, mit der sich eine Rechtsfolge verbindet. Gleichzeitig regelt die Institution auch, wie sie auf als schädlich empfundenes Verhalten reagiert, indem sie z. B. die Anfechtung einer Willenserklärung bei vorausgegangener Drohung ermöglicht. Raum für einen deliktsrechtlichen Schutz bleibt nur dort, wo die Institution nachweisbar lückenhaft ist oder die von ihr aufgestellten Regeln nicht aus eigener Kraft aufrechtzuerhalten vermag?87 Reichweite und Grenzen der Freiheit, sich rechtsgeschäftlich verpflichten zu können, werden allein durch das Vertragsrecht bestimmt. Gleichzeitig regelt das Vertragsrecht auch diejenigen Interessenkonflikte, die sich aus der Ausübung der Vertragsfreiheit und der damit möglicherweise einhergehenden Beschränkung der Freiheit eines anderen ergeben. Das so entstandene Regelungsgefüge ist als Ganzes vom Deliktsrecht zu respektieren. Daraus folgt, dass die Konflikte der Vertragsparteien nicht der deliktischen Beurteilung unterliegen. Köhler spricht in diesem Zusammenhang anschaulich von einer Sperrwirkung des Vertragsrechts. 288 Ob der angestrebte soziale Sinn rechtsgeschäftlicher Gestaltung erreicht wird oder fehlschlägt, entscheidet sich nicht anhand deliktischer Verhaltensregeln. Diese besagen nichts über die Sinnhaftigkeit und das Erlaubtsein rechtsgeschäftlicher Betätigung. Das Deliktsrecht kann deshalb allenfalls den Zugang zur Institution schützen, also die Freiheit, sich überhaupt rechtsgeschäftlich zu betätigen. Handlungen in Ausübung der Vertragsfreiheit unterliegen jedoch nicht der Steuerung durch deliktsrechtliche Verhaltensnormen. 289 Für einen Schutz der Vertragsfreiheit wurde angeführt, dass sich das Deliktsrecht auf dem Weg in ein offenes und bewegliches Schutz system befinde und durch die Anerkennung von Rahmenrechten Raum für die Ergänzung besteht. 290 Daran ist richtig, dass die Anerkennung von Rahmenrechten Raum für neue Entwicklungen gibt und den deliktischen Schutz sinnvoll erweitern und ergänzen kann. Das Ausfüllen der Rahmenrechte findet jedoch seine Grenzen im System des Deliktsrechts und in dem Zusammenspiel mit anderen Rechtsgebieten. Wie soeben gezeigt, lässt sich ein allgemeiner Schutz der Vertragsfreiheit mit dem deliktischen Schutzkonzept nicht vereinbaren. Würde die Vertragsfreiheit als Schutzgut anerkannt, 286 287 288

J. Schmidt, FS Lukes, S. 793, 798. J. Schmidt, FS Lukes, S. 793, 803. Groß Komm-Köhler, § 13 a UWG Rz. 90; Staudinger-Köhler, § 13 a UWG

RZ.93. 289 290

J. Schmidt, FS Lukes, S. 793, 799. Vollmer, JA 1979, S. 84, 88.

B. Bürgerliches Vertragsrecht

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entstünde zudem in der Konsequenz ein ausfüllungsbedürftiges allgemeines Vertragslösungsrecht, mit welchem das System der §§ 119 ff. BGB weitgehend ausgehöhlt werden könnte?91 Als Ergebnis bleibt daher festzuhalten, dass die Beeinträchtigung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit nicht Gegenstand des allgemeinen deliktischen Schutzes ist.

d) Die Dispositionsfreiheit als Gegenstand besonderer Schutzgesetze Die soeben aufgeführten Einwände können natürlich nur Geltung insoweit beanspruchen, als nicht besondere Schutzgesetze292 abweichend vom herausgearbeiteten Grundgedanken ausnahmsweise doch die Dispositionsfreiheit des Einzelnen schützen, sodass ein Schadensersatzanspruch auf § 823 Abs. 2 BGB gestützt werden kann. Als ein solches Schutzgesetz kommt etwa § 240 StGB in Betracht,293 denn § 240 StGB schützt sowohl die Handlungsfreiheit als auch die Willensbildungsfreiheit. 294 Sofern eine tatbestandsmäßige Drohung vorliegt, erfüllt dies typischerweise auch den Anfechtungstatbestand von § 123 Abs. 1 BGB, sodass einem eigenständigen deliktischen Vertragslösungsrecht wohl nur dann Bedeutung zukommt, wenn die Jahresfrist aus § 124 Abs. 1 BGB abgelaufen ist, da der deliktische Vertragslösungsanspruch erst nach drei Jahren verjährt. Das in § 240 StGB enthaltene Tatbestandsmerkmal Gewalt bietet hingegen für die gelenkte oder beeinflusste Entscheidungsfindung des Abnehmers keine Handhabe, da das BVerfG der zunehmenden "Vergeistigung" des Gewaltbegriffs eine deutliche Absage erteilt hat. 295 Rein psychische Einwirkungen sind keine Gewalt i. S. d. § 240 StGB,296 sodass derartige un291 J. Schmidt, FS Lukes, S. 793, 804. Vg!. auch Mertens, AcP 178 (1978), S. 227, 237 f.; Weise, ORUR 1989, S. 653, 656. 292 Zu den Kriterien des Schutzgesetzes Canaris, FS Larenz, S. 28, 45 ff. und Spickhoff, Oesetzesverstoß und Haftung, S. 97 ff., 157 ff. 293 Freund, S. 123 ff.; ders., BB 1986, S. 409, 412; Hefermehl, FS Weitnauer, S. 347, 352. 294 Schönke/Schröder-Eser, § 240 StOB Rz. 1; TröndlelFischer, § 240 StOB Rz.26. 295 BVerfO, Besch!. vom 10.1.1995, Bd. 92, S. 1 ff. in Abänderung der früheren Rspr., BVerfO, Besch!. vom 14.7.1987, Bd. 76, S. 211, 216; BVerfO, Urt. vom 11.11.1986, Bd. 73, S. 206, 236 ff. Zur Entwicklung des Oewaltbegriffs Schönkel Schröder-Eser, Vorbem §§ 234 ff. StOB Rz. 6 ff.; TröndlelFischer, § 240 StOB Rz.lO. 296 Tröndlel Fischer, § 240 StOB Rz. 26.

9 Alexander

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

lautere Geschäftspraktiken, wie etwa bestimmte Erscheinungsformen des psychologischen Kaufzwangs, nicht unter das Tatbestandsmerkmal der Gewalt subsumiert werden dürfen. e) Deliktischer Vermägensschutz

Steht somit fest, dass ein deliktischer Schutz der vertraglichen Entscheidungsfreiheit bis auf wenige Ausnahmen nicht besteht, ist damit freilich nicht zugleich gesagt, dass die §§ 823 ff. BGB in Fällen unlauterer Handlungen gar keine Bedeutung für den zustande gekommenen Vertrag haben können. Wenn zwar die Dispositionsfreiheit nicht als geschütztes Gut und ihre Einschränkung nicht als Schaden anzuerkennen sind, kann sich ein Freistellungsanspruch unter Umständen aus der Beeinträchtigung des Vermögens des Abnehmers ergeben. aa) § 823 Abs. 1 BGB § 823 Abs. 1 BGB bietet insoweit keinen Schutz, weil das Vermögen als solches, d.h. außerhalb der in der Vorschrift ausdrücklich genannten und als sonstige Rechte anerkannten Rechtsgüter,297 anerkanntermaßen nicht geschützt wird. 298

bb) § 823 Abs. 2 BGB § 823 Abs. 2 BGB greift ein, wenn ein Schutzgesetz verletzt worden ist und erlangt deshalb insbesondere Bedeutung, wenn die verletzte Vorschrift auch den Vermögens schutz intendiert. 299 (1) § 263 StGB

Bei Wettbewerbsverstößen liegt vor allem die Anwendung des Betrugstatbestandes nahe,300 da § 263 StGB gerade dem Schutze des Vermögens Fikentscher, Schuldrecht, § 103 I (Rz. 1204). RG, Vrt. vom 27.2.1904, Bd. 58, S. 24, 28; LarenziCanaris, Schuldrecht 11/2, § 75 I 3 b (S. 356); Kötz, Deliktsrecht, Rz. 75; Erman-G. Schiemann, § 823 BGB Rz. 36; Soergel-Zeuner, § 823 BGB Rz. 42. Für den Schutz von Vermögensinteressen in einem zwischen § 823 und § 826 BGB liegenden Haftungsbereich plädiert Mertens, AcP 178 (1978), S. 227, 251 ff. 299 Canaris, FS Larenz, S. 27, 58 ff.; Kötz, De1iktsrecht, Rz. 172. 300 Gilles, Direktmarketing, Rz. 156 f.; Hefermehl, FS Weitnauer, S. 347, 352; Lehmann, NJW 1987, S. 1233, 1239; Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S.152. 297

298

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dient. 30 1 § 263 StGB setzt vorsätzliches Handeln voraus,302 sodass dadurch vor allem schwerwiegende Eingriffe und Schädigungen der Konsumenten erfasst werden. Zu Überschneidungen kann es vor allem mit § 123 Abs. 1, 1. Alt. BGB kommen, da dort ebenfalls eine vorsätzliche Täuschung erforderlich ist. Ein Schaden i. S. v. § 263 StGB liegt nicht nur vor, wenn die dem Getäuschten versprochene Leistung objektiv weniger wert ist als die von ihm zu erbringende Gegenleistung. Vielmehr kann es für den Getäuschten schon einen Schaden darstellen, dass er überhaupt mit einer Verpflichtung zur Gegenleistung belastet ist. Ein Vermögensschaden ist weiterhin anzunehmen, wenn der Verletzte die angebotene Leistung nicht oder nicht in vollem Umfang zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer zumutbarer Weise verwenden kann, wenn der Erwerber durch die eingegangene Verpflichtung zu vermögensschädigenden Maßnahmen genötigt wird oder infolge der Verpflichtung nicht mehr über Mittel verfügen kann, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Verbindlichkeiten oder sonst für eine seinen persönlichen Verhältnissen angemessene Wirtschafts- und Lebensführung unerlässlich sind,303 sogenannter persönlicher Schadenseinschlag. Es genügt jedoch nicht, dass der Getäuschte eine Vermögensverfügung getroffen hat, die er in Kenntnis der wahren Sachlage nicht getroffen hätte. Anderenfalls würde der Betrug den ihm innewohnenden Charakter einer gegen das Vermögen gerichteten Straftat verlieren. 304 (2) Die Vorschriften des Wettbewerbsrechts Für die beiden GeneralklauseIn des §§ 1, 3 UWG ist deren Schutzcharakter differenziert zu betrachten. Mit Blick auf die Entstehungsgeschichte des § 13 a UWG und dem diskutierten, aber letztlich doch nicht in das Gesetz aufgenommenen Schadensersatzanspruch des Abnehmers ist die Schutzgesetzqualität zugunsten des Abnehmers zu verneinen. 305 Der vom UWG aus301 BGH(St), Besch!. vom 18.6.1961, Bd. 16, S. 220, 221; BGH(St), Urt. vom 22.10.1986, Bd. 34, S. 199,203. Endriß, wistra 1989, S. 90, 91 f. 302 Zu den Voraussetzungen im Einzelnen Tröndlel Fischer, § 263 StGB Rz. 40 ff. 303 BGH(St), Besch!. vom 16.8.1961, Bd. 16, S. 321, 325 ff. (Melkmaschine); BGH(St), Besch!. vom 16.7.1970, 23, S. 300, 303; Schönke/Schörder-Cramer, § 263 StGB Rz. 106 ff.; TröndlelFischer, § 263 StGB Rz. 35a) Gegen eine Übernahme des strafrechtlichen Vermögensbegriffs in das Zivilrecht Stall, FS Deutsch, S. 361, 363 Fn. 5. 304 Endriß, wistra 1989, S. 335, 337. 305 Grundlegend BGH, Urt. vom 14.5.1974, NJW 1974, S. 1503 (Prüfzeichen); LG Frankfurt a.M., Urt. vom 11.10.1963, NJW 1964, S. 501 f.; Canaris, FS Larenz, S. 27, 69; BaumbachlHefermehl, Ein!. UWG Rz. 342; Henning-Bodewig, FG Beier, S. 521, 531; KöhlerlPiper, Einf. UWG Rz. 42; Loydl, S. 84; Menke, VuR 9*

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

gehende Individualschutz erstreckt sich danach allein auf den Mitbewerber; die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften weisen individuellen Schutzgesetzcharakter deshalb nur zu dessen Gunsten auf?06 Zwar ist allgemein anerkannt, dass auch der Verbraucher durch die Vorschriften des UWG geschützt wird, doch erfasst der wettbewerbsrechtliche Verbraucherschutz lediglich die Kollektivinteressen. Der Gesetzgeber hat im Zuge der Reformarbeiten einen individuellen Schadensersatzanspruch des Verbrauchers ausdrücklich abgelehnt und den einzelnen Verbraucher allein auf das Rücktrittsrecht verwiesen. 307 Zudem sprechen auch prozessuale Bedenken gegen die Erweiterung des Kreises der Schutznormen in § 823 Abs. 2 BGB. Die konkrete Ausgestaltung einer deliktischen Haftung für unrichtige Werbemaßnahmen und dergleichen bliebe ähnlich der Produzentenhaftung den Gerichten überlassen. Das könnte dazu führen, dass diese Weiterentwicklung des Bürgerlichen Rechts von den im Wettbewerbsrecht regelmäßig unerfahrenen allgemeinen Zivilkammern vorgenommen würde,308 was die Gefahr in sich birgt, das sich gewissermaßen ein Sonder-Wettbewerbsrecht herausbildet, das allein auf das Schutzbedürfnis des einzelnen Verbrauchers abstellt und damit wichtige Bezüge zu den anderen Marktbeteiligten nicht in die Überlegungen einbezieht. Müssen demzufolge die wettbewerbsrechtlichen Generalklausein als Schutzgesetze zugunsten des einzelnen Nachfragers außer Betracht bleiben, ist damit noch nicht abschließend gesagt, dass es überhaupt keine wettbewerbsrechtlichen Normen mit individualschützender Tendenz zugunsten des 1994, S. 223, 228; Scherer, Verbraucherwerbung, S. 246 ff., 250.; dies., WRP 1992, S. 607, 610 ff.; Spickhojf, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 150 f.; Trinkner, BB 1975, S. 1493, 1495; Wronka, UFlTA 1977, S. 221, 231 f. A.A. Dominicus, S. 150 ff.; Fikentscher, Schuldrecht, § 104 11 2 (Rz. 1268); Freund, BB 1986, S. 409, 412; Fricke, GRUR 1976, S. 680, 682 ff.; Lindacher, BB 1975, S. 1311, 1312; Sack, BB 1974, S. 1369 ff.; ders., NJW 1975, S. 1303, 1305 f.; Schricker, GRUR 1975, S. 111, 112 ff.; Traub, GRUR 1980, S. 673, 676. Mit Einschränkungen auch Herrmann, GRUR 1982, S. 395,402 f. Regelungsvorschlag für einen Verweis auf § 823 Abs. 2 BGB de lege ferenda bei Schricker, ZRP 1975, S. 189, 195. 306 Die Schutzgesetzqualität des UWG zugunsten des durch einen Wettbewerbsverstoß beeinträchtigten Konkurrenten ist allgemein anerkannt, BaumbachlHefermehl, Einl. UWG Rz. 342; Schricker, GRUR 1975, S. 111, 114 ff. jeweils m. W.N. 307 Vgl. noch § Ba Abs. 2 UWG-E 1983, BT-Drucksache 10/80; § Ba Abs. 2 UWG-E 1982, BT-Drucksache 911707 sowie § 13a Abs.2 UWG-E 1978, BTDrucksache 8/2145. Der Entwurf von 1986, BT-Drucksache 10/4741 enthielt demgegenüber nurmehr ein Rücktrittsrecht des Abnehmers. Der Rechtsausschuss votierte mehrheitlich gegen einen Schadensersatzanspruch, weil das Rücktrittsrecht praktikabler sei und es zugleich ausreiche, um die Interessen der Verbraucher zu berücksichtigen, BT-Drucksache 10/5771, S. 22. 308 Lehmann, BB 1981, S. 1717, 1721 f.

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Verbrauchers gibt. Die einzelnen Aspekte, die zur Bestimmung des Schutzcharakters und Schutzumfangs wettbewerbsrechtlicher Vorschriften zugunsten des Verbrauchers Beachtung finden müssen,309 entsprechen im Wesentlichen den oben zu § 134 BGB herausgearbeiteten Kriterien?lO Hier wie dort ist § 6c UWG Schutznormcharakter zuzusprechen, da diese Norm gerade auf den Schutz des Verbrauchers vor Schädigungen durch die Einbindung in progressive Vertriebssysteme zugeschnitten ist?11 Das Interesse des Verbrauchers richtet sich im Falle einer unlauteren Einbindung in ein progressives Vertriebssystem vorrangig darauf, das eingezahlte Geld von den Werbern oder dem Veranstalter zurück zu bekommen bzw. Schadensersatz in Höhe des eingezahlten Betrages zu erhalten. cc) § 826 BGB Es ist vorgeschlagen worden, die Sittenwidrigkeit in § 826 BGB und § 1 UWG (und § 138 BGB) einheitlich zu interpretieren, weil die Rechtsmoral eine Einheit der sittlich-rechtlichen Wertungen gebiete,312 sodass ein vorsätzlicher Verstoß gegen die guten Sitten in § 1 UWG stets auch einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 826 BGB auslöst. § 826 BGB verfolgt ein ähnliches Anliegen wie § 138 BGB und deshalb gelten die bereits dort vorgebrachten Bedenken gegen eine gleichsinnige Interpretation des Begriffes der guten Sitten in § 1 UWG und § 826 BGB entsprechend. Ebenso wie mit § 138 BGB wird mit Hilfe des § 826 BGB ein rechtsethisches Minimum geschaffen. 313 Doch bestehen selbst zwischen § 138 BGB und § 826 BGB wesentliche Unterschiede. Dies gilt sowohl für die durch einen Sittenverstoß ausgelösten Rechtsfolgen als auch hinsichtlich der Bewertungsgegenstände und Normzwecke?14 Während § 138 BGB Schutz der Sittenordnung im Interesse der Allgemeinheit dient, ist § 826 BGB stärker individualschützend ausgerichtet, sodass nur Schäden ersetzt werden, wenn der Schaden gerade dem Schutzbereich der verletzten Sittennorm zugehört. 315

309 Eingehend Canaris, FS Larenz, S. 27, 45 ff.; Scherer, WRP 1992, S. 607, 608 ff. 310 Oben I. 2. c) (S. 92 ff.). 311 Willingmnnn, VuR 1997, S. 299, 308. 312 Sack, WRP 1985, S. 1,4; ders., NJW 1975, S. 1303, 1304; ders., WRP 1974, S. 445, 458; Wronka, UFITA 1977, S. 221, 232. 3I3 Larenz/Canaris, Schuldrecht 11/2, § 78 11 1 b, c (S. 451); Soergel-Hönn, § 826 BGB Rz. 8; Erman-G. Schiemnnn, § 826 Rz. 3. 314 Eingehend Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 68 ff. 315 Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 70.

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

Demgegenüber begründet § 1 UWG einen Verhaltenskodex wettbewerblicher Betätigung. Natürlich ist nicht ausgeschlossen, dass unlauteres Verhalten zugleich auch eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung der Konsumenten darstellt. Insofern stimmt dann auch das Bild zweier überschneidender Kreise. 316 Doch selbst wenn im Einzelfall sowohl eine unlautere Handlung als auch eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung vorliegen, werden häufig andere Rechtsbehelfe einschlägig sein, etwa die §§ 138, 123 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB, sodass daneben ein eigenständiger Anwendungsbereich für § 826 BGB kaum verbleibt. 2. Vorvertragliehe Verschuldenshaftung

Will sich der Abnehmer im Wege der vorvertraglichen Verschuldenshaftung von einem Vertrag lösen, den er abgeschlossen hat, weil er durch unlauteres Verhalten seines Vertragspartners oder eines Dritten dazu verleitet wurde, setzt ein entsprechender Freistellungsanspruch voraus, dass im Rahmen einer besonderen vorvertraglichen Rechtsbeziehung eine Vertragspartei eine ihr gegenüber der anderen Partei bestehende Pflicht schuldhaft verletzt hat und die daraus resultierende vertragliche Bindung als ersatzfähiger Schaden anzuerkennen ist. Nicht zu Unrecht wird insoweit von einem "juristischen Schutzinstinkt" gesprochen, wonach im Verhältnis zwischen dem schuldhaft handelnden Vertrags partner und seinem schuldlos irregeführten Kontrahenten letzterer allein schutzbedürftig erscheinen müsse?17 Im Schrifttum hat das Rechtsinstitut der culpa in contrahendo für die Problematik unlauter angebahnter Verträge viele Anhänger gefunden,318 während sich speziell zur Überschneidung von c. i. c.-Haftung und unlauteren Geschäftspraktiken kaum Rechtsprechung findet. 319 Haftungsgrund soll nach Lehmann die Richtigkeit von Werbebehauptungen sein, auf die sich der Abnehmer verlasse und die für seine Entscheidungsfindung von wesentlicher Bedeutung sind. 32o Der Inhalt der AufkläSack, WRP 1974, S. 445, 458. Fleischer, AcP 200 (2000), S. 91, 101. 318 Gilles, Direktmarketing, Rz. 255 ff.; Fleischer, AcP 200 (2000), S. 91, 108 ff., 112 f.; Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 295 ff.; ders., NJW 1987, S. 1233, 1239 ff.; St. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 387 ff.; Sack, WRP 1974, S. 445 ff.; Schumacher, S. 69 ff. Mit Einschränkungen auch Menke, VuR 316 317

1994, S. 223, 234. Vgl. auch den Vorschlag eines verschuldensabhängigen Vertragslösungsrechts bei Medicus, Gutachten, S. 538 ff., 543. 319 LG Landau, Urt. vom 9.10.1973, MDR 1974, S. 41 f. bejahte Vertragsauflösung auf c. i. c.-Basis im Falle eines Haustürgeschäftes; LG Düsseldorf, Urt. vom 13.9.1996, hielt c.i.c. im Falle eines Verstoßes gegen § 6c UWG zwar für einschlägig, verneinte aber eine Haftung des Veranstalters mangels Verschuldens. 320 Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 295 ff.

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rungspflichten soll sich nach der Wichtigkeit der Information für eine ökonomisch sinnvolle Entscheidung des Abnehmers und der Erkennbarkeit der Information für seinen Vertrags partner bestimmen. Allgemein lasse sich zu den Aufklärungspflichten im Rahmen der Haftung aus c. i. c. als Quintessenz feststellen, dass der Verkäufer den Käufer ohne besondere Aufforderung über alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse und Umstände aufzuklären habe, die dem Käufer weder hinreichend bekannt noch erkennbar sind, deren Kenntnis jedoch für dessen ökonomische Entscheidung von so wesentlicher Bedeutung sei, dass ihre Offenbarung und Mitteilung seitens des Verkäufers nach den im Geschäftsverkehr herrschenden Anschauungen nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB erwartet werden könne; insbesondere sei der Verkäufer verpflichtet, den Käufer redlicherweise über solche Umstände aufzuklären, die zur Vereitelung des Vertragszwecks geeignet sind und daher für die wirtschaftliche Entscheidung des Käufers, einen Vertrag abzuschließen, von wesentlicher Bedeutung sein können?21 Im Unterschied zum Wettbewerbsrecht sei nicht entscheidend, dass eine bestimmte Quote der Werbeadressaten die Werbung missverstanden hätte, sondern der einzelne Abnehmer müsse dartun, irregeführt worden zu sein. Ein Kennenmüssen der Sorgfaltspflichtverletzung liege vor, wenn ein vernünftiger und durchschnittlicher Adressat der Werbung durch die Angabe irregeführt werden konnte. 322 Ähnliche Ansätze finden sich bereits bei Sack und Schumacher, die ebenfalls vorvertragliche Aufklärungspflichten als Grundlage für eine Vertragsauflösung bei nicht arglistiger Irreführung eines Vertragspartners anerkennen wollen?23 Eine Aufklärungspflicht entsteht nach Schumacher unter folgenden Voraussetzungen: 324 Der Anbieter einer entgeltlichen Leistung (Verkäufer, Warenhersteller, Reiseveranstalter usw.) ist aufklärungspflichtig, soweit er die aufklärungsrelevanten Informationen typischerweise selbst hat oder haben müsste. Der Vertragspartner muss aufklärungsbedürftig sein, was insbesondere bei dem Typus des ungewandten und geschäftlich unerfahrenen Rechtsgenossen der Fall sein wird. Schließlich muss ein Aufklärungsbedürfnis erkennbar sein, das jedoch bereits dann anzunehmen sei, wenn der Vertragspartner typischerweise schutzbedürftig sei. Eine so begründete Aufklärungspflicht umfasst sämtliche Informationen, die ein wirtschaftlich vernünftig Handelnder für seine Entscheidung über die Zustimmung oder Ablehnung eines Geschäfts braucht. 325 Allerdings sollen nur ge-

321 322 323 324 325

Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 357. Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 352. Sack, WRP 1974, S. 445, 454 ff.; Schumacher, S. 69 ff. Schumacher, S. 102 ff. Schumacher, S. 109.

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

steigerte Aufklärungspflichten zur Aufhebbarkeit des Vertrages führen können. Sack erblickt in dem Vertrauensprinzip den wesentlichen Grund einer Haftung aus c. i. c. Dahinter stehe der allgemeine Gedanke, dass jeder soziale Kontakt ein gesetzliches Schuldverhältnis schaffe, wenn die Kontaktaufnahme vom geschäftlichen Interesse getragen werde. Daraus zieht er die Schlussfolgerung, jeder soziale Kontakt auf der Ebene des Geschäftsverkehrs könne das die Haftung aus culpa in contrahendo auslösende gesetzliche Schuldverhältnis begründen und zwar nicht nur nachdem bereits das Stadium einer vorvertraglichen Beziehung entstanden sei, sondern schon mit Kontaktierung des künftigen Vertragspartners zum Zwecke der Aufnahme von vorvertraglichen Beziehungen. Ausdrücklich ausnehmen will er dagegen solche Werbemethoden, die überhaupt erst den Kontakt vom Wettbewerber zum potenziellen Kunden vermitteln, weil sie den Rahmen des Vertrauensprinzips zu weit ausdehnen würden. 326 Die Haftung aus vorvertraglichem Verschulden setzt des Weiteren eine Kausalbeziehung zwischen der unlauteren Handlung und dem Vertrags schluss voraus. Daran fehle es, wenn der Abnehmer sich bewusst einer unlauteren Werbemethode aussetze. Die Beweislast will Sack als Ursächlichkeitsvermutung dem unlauter Handelnden auferlegen. 327 Eine Freistellung vom Vertrag als Schadensersatzanspruch will Sack jedoch nur zulassen, soweit nicht bereits die Anfechtung nach §§ 119, 123 BGB oder die von ihm ebenfalls favorisierte Ausweitung des Anfechtungsrechts zu einer interessengerechten Lösung führen. a) Schutz der Entscheidungsfreiheit oder des Vermögens? Den Ausgangspunkt für die Überlegungen zu einem Auflösungsrecht aus c. i. c. bildet die Frage nach der Reichweite des Schutzes. Weitgehende Einigkeit besteht in Rechtsprechung und Literatur darüber, dass eine Haftung aus vorvertraglichem Verschulden jedenfalls dort in Betracht kommt, wo mit dem Vertragsschluss ein Vermögensinteresse betroffen ist. Insbesondere bei fahrlässigen Schädigungen des Vertragspartners, die nicht über § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB zu erfassen sind, gelangt man dann zu einem Freistellungsanspruch des getäuschten Abnehmers. Zum Schwur kommt es aber, wenn zwischen den ausgetauschten Leistungen zwar objektiv Äquivalenz besteht, der Vertrag einer Partei jedoch unerwünscht ist. Da es nach der Differenzhypothese an einem messbaren Vermögensschaden, ja überhaupt an einer Vermögensverletzung fehlt, dürfte 326

327

Sack, WRP 1974, S. 445, 454. Sack, WRP 1974, S. 445, 455.

B. Bürgerliches Vertragsrecht

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die c. i. c.-Haftung in derartigen Konstellationen nicht zum Zuge kommen, wenn sich deren Schutzbereich auf das Vermögensinteresse beschränkt. Ähnlich dem oben bereits im deliktsrechtlichem Zusammenhang aufgeworfenem Problem wird deshalb auch im Rahmen der c. i. c.-Haftung darüber gestritten, ob die Entscheidungsfreiheit als solche, d.h. unabhängig von einer eventuell mit dem Vertrag einhergehenden Vermögens verletzung, als geschütztes Rechtsgut in Betracht kommt. Von den Gegnern eines Schutzes der Dispositionsfreiheit wird ins Feld geführt, dass das Problem der Vertragsaufhebung bei Verletzung vorvertraglicher Pflichten abschließend geregelt wird,328 sodass an einer Zweispurigkeit des Schutzes der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit einerseits und der Vermögenssphäre andererseits festzuhalten sei?29 Die aus der vorkonsensualen Vertrauensbeziehung erwachsenden Pflichten haben nur den Zweck, den Vertragspartner vor nicht erfüllbaren Erwartungen zu bewahren. 330 Der Schaden besteht danach nicht in dem Vertragsschluss selbst, sondern in der Enttäuschung der mit dem Vertrag verbundenen und vom anderen Teil schuldhaft begründeten Erwartungen. Deshalb dürfe als Rechtsfolge nicht die Beseitigung der Vertrags beziehung daran geknüpft werden, sondern es könne lediglich der Ausgleich der mit dem Abschluss des Vertrages verbundenen Nachteile verlangt werden. Ein solcher Ausgleich kann etwa dadurch geschehen, dass dem enttäuschten Vertragspartner ein Recht auf "Minderung" der Gegenleistung durch Anpassung des Vertrages eingeräumt werde. Überdies berge die extensive Anwendung der c. i. c. die Gefahr einer unkontrollierten Vertragslösung nach Billigkeitsgesichtspunkten in sich?31 Die Gegenansicht will demgegenüber grundsätzlich auch die Entscheidungsfreiheit dem Schutz durch c. i. c. unterstellen?32 Aus schadensrechtlichen Gründen und insbesondere aus den §§ 249, 253 BGB folge nicht, dass nur Vermögensschäden ersatzfähig sind und mithin die Beeinträchtigung der 328 MünchKomm-Emmerich, Vor § 275 BGB Rz. 194 f.; Gottwald, JuS 1982, S. 877, 881; Horn, JuS 1995, S. 377, 380; lohn, JuS 1983, S. 176, 178; Lieb, FS Rechtswiss. Fakultät, Univers. Köln, S. 251, 258 ff.; ders., FS Medicus, S. 337, 338 ff.; Loydl, S. 121; Schubert, AcP 168 (1968), S. 470, 504 ff.; Stall, FS Riesenfeld, S. 281, 283. 329 Lieb, FS Medicus, S. 337, 343; ders., FS Rechtswiss. Fakultät, Univers. Köln, S. 251, 259. 330 Stall, FS Riesenfeld, S. 275, 281 f. 331 Liebs, AcP 174 (1974), S. 26, 36. 332 Fleischer, AcP 200 (2000), S. 91, 112 f.; St. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, s. 69 ff., 388 ff.; ders. ZIP 2000, S. 1053 ff.; ders. NJW 1997, S. 2578, 2579 f. Im Ansatz bereits Erman AcP 139 (1934), S. 273, 331 f.: Das Wesen der c.i.c.-Haftung bestehe darin, den Vertragspartner nicht mit Dispositionen zu belasten, wenn der Vertrag nicht gültig zustande kommen könne oder nicht erfüllt werden kann.

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111. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

Entschließungsfreiheit kein anerkennenswerter Schaden sei. Der Ausschluss des Ersatzes für immaterielle Schäden werde in § 253 BGB nur im Hinblick auf den Geldersatz beschränkt. 333 Das bedeutet, dass auch die bloße Belastung mit einer Verbindlichkeit schon einen Schaden darstellen kann, selbst wenn die Leistungen einander wertmäßig entsprechen,334 was aber als ausgleichungsfähiger Vorteil anzusehen sein kann. Die objektive Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung führt aber nicht zwingend zur Verneinung des Schadens, da die Leistung für die Zwecke des Vertragspartners gerade nicht oder nur eingeschränkt brauchbar ist und deswegen subjektiv keine Gleichwertigkeit vorliegt. 335 Insoweit könne man von einem Vertragsabschluss-Schaden sprechen. 336 Die Leistungserwartung lasse sich zudem von der Willensentschließung nicht trennen: Wer mit dem Abschluss eines Vertrages unerfüllbare Erwartungen verbindet, geht bei seinem Vertragsschluss von unrichtigen Voraussetzungen aus und unterliegt damit einer Einschränkung seiner Entscheidungsfreiheit. 337 Die Reichweite des Schutzes soll in Anlehnung an die Bipolarität des § 123 BGB bestimmt werden,338 d.h. die in der Vorschrift angelegte Unterscheidung zwischen dem Schutz der Entscheidungsgrundlage und dem Schutz vor sonstigen Zwängen soll auf niedrigerem bzw. anderem Zurechnungsniveau übernommen werden. Einen Mittelweg zwischen den beiden Positionen hat die höchstrichterliche Rechtsprechung beschritten. 339 Den rechtlichen Ausgangspunkt sieht auch der Bundesgerichtshof in einer deutlichen Trennung der allgemeinen Vertragslösungsrechte und einer Freistellung im Wege des Schadensersatzes. Eine Vertragsauflösung über die Grundsätze der c. i. c. kann danach nur bei Vorliegen eines Vermögens schadens in Betracht kommen. Die Anfechtung schütze die freie Selbstbestimmung auf rechtsgeschäftlichem Gebiet gegen unerlaubte Mittel der Willensbeeinflussung, ohne dass es auf das Vorliegen eines Vermögensschadens ankomme. Um die Unterschiede zwischen der Anfechtung und den Schadensersatzansprüchen nicht zu verwischen, ist es 333 St. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 73; Medicus, Bürgerliches Recht, Rz.150. 334 Hefermehl, FS Weitnauer, S. 347, 350 f.; Schumacher, S. 118. 335 St. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 73. 336 Brandner, FS R. Fischer, S. 19,24. 337 St. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 69 ff., 72 ff. 338 St. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 391. 339 BGH, Urt. vom 26.9.1997, NJW 1998, S. 302 ff.; BGH, Urt. vom 19.12.1997, NJW 1998, S. 898, 899 ff. Nahestehend Canaris, AcP 200 (2000), S. 273, 314, wonach für eine c. i. c.-Haftung nicht allein die Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit genüge, sondern hinzukommen müsse eine inhaltliche Unangemessenheit des Vertrages, die allerdings auch anderer als nur vermögensmäßiger Art sein könne.

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notwendig, dass bei der Haftung nach den Grundsätzen der c. i. c. auf der Tatbestandsebene ein Schaden festzustellen ist. 34o Ein Nebeneinander von Anfechtungsrechten und dem Anspruch auf Vertragsaufhebung kann demnach nur dort vorliegen, wo die Bindung an den Vertrag zugleich auch einen Vennögensschaden darstellt. Eine Relativierung des Erfordernisses eines Vennögensschadens nimmt der BGH allerdings im Hinblick auf die Schadensberechnung vor, was im Ergebnis zu einer Annäherung an die Ansicht führt, die für einen Schutz der Dispositionsfreiheit plädiert. Bei der Feststellung eines Vennögensschaden belässt es das Gericht nicht bei der Differenzhypothese, sondern es hält das Einfließen von nonnativen Gesichtspunkten für möglich. Sei der Kaufgegenstand den Kaufpreis wert, kann der Vennögensschaden auch darin liegen, dass der von dem schuldhaften Pflichtverstoß Betroffene in seinen Vennögensdispositionen beeinträchtigt werde. Denn der Schadensbegriff ist im Ansatz subjektbezogen und deshalb kann der Schaden nicht ohne Rücksicht auf die Situation der Vertragspartei bestimmt werden. Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht, den er sonst nicht abgeschlossen hätte, so kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vennögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht brauchbar iSt. 341 Gerade diese Subjektivierung des Schadensbegriffes hat der Rechtsprechung allerdings den Vorwurf eingebracht, sie verlasse letztlich doch ihre dogmatische Ausgangsposition und habe im Kern die Trennung zwischen Selbstbestimmungs- und Vennögensschutz aufgegeben. 342 Für die Richtigkeit einer Trennung zwischen Schadensersatz und Vertragsauflösung sprechen die Wertungen des Gesetzgebers während der Entstehungsphase des § 13 a UWG. Ursprünglich waren in den Entwürfen sowohl ein individueller Schadensersatzanspruch (§ 13a UWG-E) als auch ein Rücktrittsrecht (§ 13 b UWG-E) vorgesehen. Wäre nach Ansicht des Gesetzgebers bereits der unlauter initiierte Vertrag generell als Schaden anzuerkennen, dann hätte es eines eigenständigen Rücktrittsrechts nicht bedurft, weil das Rücktrittsrecht vom Schadensersatz in Fonn der Naturalrestitution völlig aufgesogen worden wäre und damit überflüssig gewesen wäre. 343 Sinn eines vom Schadensersatzanspruch verschiedenen Rücktrittsrecht sollte es sein, die Frage nach der Vertragsbindung als Schaden gerade BGH, Urt. vom 26.9.1997, S. 302 f. Noch weitergehend Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 282 f., wonach die unerwünschte Umwandlung von Geldvermögen in Sachvermögen auch ohne einen allein dadurch begründeten Wertverlust als Vermögensschaden anzuerkennen sei. 342 Fleischer, AcP 200 (2000), S. 91, 113; St. Lorenz, ZIP 1998, S. 1053, 1055. 343 Krieger, DAR 1979, S. 257, 262. 340

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

zu umgehen. 344 Dass der Gesetzgeber von der Einführung eines Schadensersatzanspruches des einzelnen Abnehmers bei Wettbewerbsverstößen abgesehen hat, lässt sich als wichtiges Indiz dafür werten, dass eine über das Schadensersatzrecht laufende Freistellungslösung letzthin gerade ausgeschlossen werden sollte. Durch das Erfordernis des Vermögensschadens lässt sich auch die erhebliche Abweichung der Verjährungsfristen erklären, die noch gravierender ausfallt als im Verhältnis zu den oben angesprochenen deliktischen Vertragslösungsrechten. Denn es stehen sich die Regelverjährung von dreißig Jahren und, im Falle der Arglist und Drohung, vom einem Jahr gegenüber. 345 Der Schutz der Dispositionsfreiheit durch die §§ 119 ff. BGB erfordert prinzipiell eine schnellere Befriedung der Rechtslage als dies im Falle einer Vermögensschädigung erforderlich ist, da ein Schaden häufig erst nach geraumer Zeit zu Tage treten kann, während ein Angriff auf die Willensfreiheit durch Täuschung und Drohung typischerweise einfach festzustellen ist und deshalb kein schutzwürdiges Interesse des Getäuschten daran besteht, für einen längeren als den vom Gesetzgeber vorgesehenen Zeitraum die Abstandnahme vom Vertrag verlangen zu können. 346 Dass gleichwohl ein rechtspolitisches Bedürfnis nach einer angemessenen Harmonisierung der unterschiedlichen Fristen besteht, soll indessen nicht bestritten werden. b) Reichweite und Grenzen der Haftung für vorvertragliches Verschulden

Der bestehende Streit um das Schutzgut und die Beeinträchtigung der Dispositionsfreiheit darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die mögliche Verknüpfung von Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht im Wege der vorvertraglichen Verschuldenshaftung vor weiteren schwerwiegenden Problemen steht. Die c. i. c.-Haftung taugt deshalb keineswegs als ein Universalrechtsbehelf zur Auflösung unlauter initiierter Verträge. Neben dem Erfordernis eines Vermögensschadens greift die c. i. c. vor allem nur im Falle schuldhafter Pflichtverletzungen. Des Weiteren bedarf es einer spezifischen Erfassung der vorvertraglichen Pflichten, deren Verletzung einen Schadensersatzanspruch auslösen kann und schließlich muss sich zwischen den Beteiligten eine gewisse Vertrauensbeziehung entwickelt haben, die das Fundament einer möglichen Haftung bildet. Krieger, DAR 1979, S. 257, 262. Medicus, JuS 1965, S. 209, 212 f.; ders., JuS 1988, S. 1, 3 f. Nach Ansicht von St. Lorenz, ZIP 1998, S. 1053, 1056 f. rechtfertigen sich die unterschiedlichen Fristen aus Kausalitätsgründen; die Anforderungen an die Freistellung vom Vertrag als Schadensersatz seien strenger als im Rahmen der Arglistanfechtung. 346 Schubert, AcP 168 (1968), S. 470, 506. 344

345

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aa) Das Verschuldenserfordernis Die gewichtigste Begrenzung findet sich in dem Verschuldenserfordernis, denn haftungsauslösend für die c. i. c. sind nur schuldhafte Pflichtverletzungen?47 Unlauterkeiten, bei denen der handelnde Unternehmer keinem Verschuldensvorwurf unterliegt, können zwar im Wege der Unterlassungsklage bekämpft werden, sie ziehen aber weder wettbewerbsrechtliche noch bürgerlich-rechtliche Verpflichtungen zum Schadensersatz nach sich und können auch im Wege der c. i. c.-Haftung nicht zu einer Freistellung vom Vertrag berechtigen. Mit Blick auf das notwendige Verschulden folgt nun eine zweite wichtige Einschränkung. Die vorvertraglichen Aufklärungspflichten vermögen nur eine Haftung zwischen den beteiligten Vertragsparteien auszulösen, weil und soweit in dem BinnenverhäItnis der Parteien Pflichten verletzt wurden. Die praktisch bedeutsamen Erscheinungsformen der irreführenden Werbung Dritter, also insbesondere die Herstellerwerbung, werden über vorvertragliehe Schutzpflichten nur in wenigen Fällen erfasst. Um die Freistellung vom Vertrag als Schadensersatz verlangen zu können, muss dem Vertragspartner das Verschulden eines Dritten gemäß § 278 BGB zurechenbar sein,348 was aber gerade bei der Werbung durch Dritte auf erhebliche Schwierigkeiten stÖßt. 349 Das eigene Verschulden des Dritten ist dem Vertragspartner, von dem die Aufhebung der vertraglichen Bindung verlangt wird, nur zurechenbar, wenn dieser als Erfüllungsgehilfe auftritt, also mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wurde. 35o Das aber ist etwa für den Hersteller oder Lieferanten bei einem Kaufvertrag regelmäßig nicht der Fall?51 Sofern Ausnahmen zugelassen werden, betrafen diese spezielle vertragliche Pflichten,352 die aus dem Vertragsverhältnis der Parteien abzuleiten waren. Wer347

Palandt-Heinrichs, § 276 BGB Rz. 70; Soergel-Wiedemann, Vor § 275 BGB

348

Palandt-Heinrichs, § 278 BGB Rz. 2; Soergel-Wiedemann, Vor § 175 BGB

Rz. 176.

Rz. 177 ff.

Medicus, JuS 1988, S. 1, 7. Errnan-R. BaUes, § 278 BGB Rz. 14 ff.; Palandt-Heinrichs, § 278 BGB Rz. 7; Soergel-M. Wolf, § 278 BGB Rz. 22 ff. 349

350

351 RG, Urt. vom 4.1.1921, Bd. 101, S. 157, 158; BGH, Urt. vom 25.9.1968, NJW 1968, S. 2238. Einschränkend Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 805 f. für den Fall, dass der Verkäufer selbst Hersteller ist oder als solcher auftritt; dann müsse er sich das Verschulden seiner Hilfspersonen zurechnen lassen. A. A. Lehmann, NJW 1981, S. 1233, 1240 f., wonach der Hersteller berufsmäßig im eigenen ökonomischen Interesse das Zustandekommen von bestimmten Kaufverträgen fördert und dabei als Fachmann aus der Sphäre der Produktion von dem Werbeadressaten ein besonderes Vertrauen hinsichtlich seiner Produktangaben beanspruche. Ähnlich E. Schmidt, FS Heinrichs, S. 511, 520; Vollmer, BB 1979, S. 759, 763.

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

bung verfolgt letztlich zwar immer das Ziel, den Absatz von Ware oder Leistung anzukurbeln, doch wirbt der Hersteller primär in eigenem Interesse. Er wird mit der Werbung für die von ihm hergestellten Waren keineswegs - was eine Stellung als Erfüllungsgehilfe erfordern würde - im Pflichtenkreis des Schuldners tätig. Probleme werfen auch solche Konstellationen auf, in denen dem Abnehmer ein Mitverschulden zur Last zu legen ist, etwa weil er eine Irreführung hätte erkennen können. Der Regelungsmechanismus des § 254 BGB passt in solchen Fällen nicht, weil der Umfang des Schadensersatzes - die Freistellung vom Vertrag - schwerlich nach den unterschiedlichen Verursachungsbeiträgen abstufbar ist. 353 Es bliebe dann allenfalls der Ausgleich in Geld; doch bringt eine c. i. c.-Haftung auf Geld wiederum erhebliche Unklarheiten mit sich. 354 bb) Der maßgebliche Inhalt der Schutzpflichten Weitere Einschränkungen einer möglichen c. i. c.-Haftung ergeben sich aus dem Inhalt der im Vorfeld des Vertragsschlusses zu beobachtenden Schutzpflichten. Keinesfalls dürfen nämlich die lauterkeitsrechtlichen Verhaltensgebote im Wettbewerb mit den vorvertraglichen Schutz- und Aufklärungspflichten im anzubahnenden Individualverhältnis gleichgesetzt werden. Für letztere folgt dies schon daraus, dass das Wettbewerbsrecht nur wenige Aufklärungs- und Informationspflichten kennt, die c. i. c.-Haftung häufig aber gerade deswegen bejaht wird, weil eine Vertrags partei die Aufklärung der anderen Vertragspartei unterlassen hat, obgleich nach den konkreten Umständen ein Bedürfnis nach näherer Information bestand. Es ist eine Selbstverständlichkeit funktionierenden Wettbewerbs, dass die Marktbeteiligten über das Offenlegen von Informationen selbst entscheiden können und es ist auch nicht die Aufgabe des Wettbewerbsrechts, für eine ausreichende Kundeninformation zu sorgen. 355 Zu Recht hält die Rechtsprechung den "Geheimwettbewerb" sowohl kartellrechtlich wie auch lauterkeitsrechtlich für besonders schützenswert. 356 Die Konkurrenten müssen 352 Nach BGH, Urt. vom 16.6.1971, WM 1971, S. 1121, 1122 ist der Hersteller Erfüllungsgehilfe des Verkäufers nur hinsichtlich der Lieferung, wenn dieser auf Weisung des Verkäufers direkt an den Käufer liefert. 353 Grigoleit, S. 256 ff.; Krieger, DAR 1979, S. 257, 262. 354 Dazu BGH, Urt. vom 24.6.1998, NJW 1998, S. 2900 ff.; Canaris, AcP 200 (2000), S. 273, 315 ff.; St. Larenz, NJW 1999, S. 1001 ff. 355 Tilmann, GRUR 1976, S. 544, 555. 356 BGH vom 29.1.1975, Bd. 63, S. 389 (Aluminium-Halbzeug); BGH vom 18.4.1985, GRUR 1985, S. 983, 985 (Kraftfahrzeug-Rabatt). Zu den ökonomischen Gründen Adams, AcP 168 (1968), S. 453, 468 ff.; Feudner, BB 1989, S. 788, 789 ff.

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einander mit neuen Leistungen, Konditionen und Preisen überraschen können und es muss ihnen deshalb unbenommen bleiben, über ein Offenlegen von Informationen über ihre geschäftliche Betätigung, die Produkte, den Preis und über die Kunden selbst zu bestimmen. Abgesehen von besonderen Etikettierungspflichten im Heilmittelrecht, Lebensmittelrecht und vergleichbaren Rechtsgebieten, die sich aus übergeordneten Interessen und insbesondere dem Gesundheitsschutz erklären, kennt das Wettbewerbsrecht Informationspflichten vor allem bei Preisangaben. 357 Darüber hinaus hat die Rechtsprechung in bestimmten Konstellationen die unterbliebene Aufklärung als Täuschen durch Unterlassen angesehen?58 Vorvertragliche Verhaltenspflichten sind demgegenüber individueller ausgerichtet als wettbewerbsrechtliche Handlungspflichten; sie sind einzelfallbezogen und erfordern eine Berücksichtigung der Umstände des Vertragsschlusses. 359 Es macht beispielsweise vertragsrechtlich einen Unterschied, ob jemand Ware im anonymen Einkaufsmarkt oder bei einem ausgewiesenen Fachhändler kauft, während das Wettbewerbsrecht abgestufte Verhaltenspflichten kaum kennt. 36o Der Käufer mag weiterhin ein bestimmtes Maß an Kenntnissen mitbringen; ferner ist zu beachten, ob der Verkäufer von speziellen Einsatzmöglichkeiten der Ware beim Käufer weiß oder nicht und ob es sich um ein langjährig erprobtes Produkt oder eine Neuentwicklung handelt. 361 Doch selbst wenn sich die vorvertragliche Situation im Hinblick auf eine Vertragsanbahnung konkretisiert hat, geht damit keine unbegrenzte Offenbarungspflicht der Vertragspartner einher. Kein Händler ist verpflichtet, sämtliche ihm bekannte Informationen dem Abnehmer mitzuteilen. Eine umfassende Offenbarung ist weder juristisch noch ökonomisch sinnvoll?62 Vielmehr ist es zuvörderst Sache des Kunden, sich selbst zu informieren und dann gegenüber seinem Vertragspartner zu verdeutlichen, an welchen zusätzlichen Informationen er ein besonderes Interesse hat. 363 Allenfalls hinVgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 PreisAngVO für das Anbieten. BGH, Urt. vom 6.10.1999, GRUR 2000, S. 616 (Auslaufmodelle III); BGH, Urt. vom 3.12.1999, NJW 1999, S. 2193 (Auslaufmodelle 11); BGH, Urt. vom 3.12.1998, NJW 1999, S. 2190 (Auslaufmodelle I); OLG Stuttgart, Urt. vom 17.11.2000, WRP 2001, S. 169 ff. Loewenheim, GRUR 1980, S. 14 ff. Vgl. aber BGH, Urt. vom 19.8.1999, GRUR 1999, S. 1122 (EG-Neuwagen 11); BGH, Urt. vom 15.7.1999, GRUR 1999, S. 1125 (EG-Neuwagen I) zur Aufklärungspflicht bei verkürzten Garantiefristen und geringerer Serienausstattung importierter Fahrzeuge. 359 Zweifelhaft deshalb Liebs, AcP 174 (1974), S. 26, 50, wonach es für die culpa in contrahendo meist keiner genauen Analyse des Einzelfalls bedürfe. 360 Allenfalls für Großhändler gelten nach § 6 a UWG Besonderheiten, doch ist diese Regelung in ihrem Sinngehalt höchst angreifbar, vgl. nur Emmerich, FS Gemhuber, S. 857, 872 ff. m.w.N., und deswegen keinesfalls als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens zu verstehen. 361 Schünemann, BB 1987, S. 2243, 2244 ff. 362 Adams, AcP 168 (1968), S. 453,468 ff.; Hartwieg, JuS 1973, S. 733, 739 f. 357

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

sichtlich bestimmter unverzichtbarer Basisinformationen zum Leistungsgegenstand wird man von einer Informationsobliegenheit des Verkäufers ausgehen können. 364 Zu Überschneidungen zwischen wettbewerbsrechtlichen und vertragsrechtlichen Verhaltenspflichten wird es deshalb vor allem in Bezug auf die Richtigkeit gegebener Informationen kommen. 365 Wenn sich ein Unternehmer dafür entscheidet, Informationen zu geben, dann dürfen diese nicht irreführend und wahrheits widrig sein. Das gilt sowohl im Rahmen der allgemeinen wettbewerblichen Betätigung am Markt als auch im vorvertraglichen Vertrauensverhältnis zwischen den potenziellen Vertragsparteien, sodass jedenfalls in diesen Konstellationen die Verletzung der wettbewerbsrechtlichen Verhaltenspflicht ein wichtiges Indiz für das Vorliegen einer individualvertraglichen Pflichtverletzung enthalten kann. Freilich gibt es auch hier wiederum Einschränkungen. Hat nämlich der Abnehmer die Irreführung durchschaut und die Information trotz der Eignung zur Irreführung richtig verstanden, ändert das nichts am Vorliegen eines Wettbewerbsverstoßes, jedoch kann der Abnehmer dies nicht als Haftungsgrund für eine Freistellung vom Vertrag geltend machen. Wer sich einer erkannten Irreführung zum Trotz gleichwohl auf einen Vertrag einlässt, ist nicht mehr schutzwürdig. 366 Häufig passt die Lösung vom Vertrag als Rechtsfolge auch nicht mit dem Inhalt der Aufklärungspflichten zusammen. Eine Lösung vom Vertrag kommt nur dann als "richtige" Rechtsfolge in Betracht, wenn die Aufklärungspflicht gerade das Zustandekommen des Vertrages verhindern wollte. Bei den weitaus meisten Pflichten handelt es sich um Kooperationspflichten, die bestimmte Erwartungen der anderen Partei schützen. Sie sollen aber nicht erreichen, dass die Vertragsverhandlungen und der Vertragsschluss ganz unterbleiben. 367 cc) Die besondere Nähebeziehung der Vertragsparteien Noch nicht hinreichend geklärt ist schließlich, welchen Grad der vorvertragliche Kontakt zwischen dem Unternehmer und einem Abnehmer aufweisen muss, damit eine Haftung aus vorvertraglichem Verschulden einzugrei363

len.

Feudner, BB 1989, S. 788, 791; Hartwieg, JuS 1973, S. 733 ff. mit Beispie-

364 Schünemann, BB 1997, S. 2061, 2064: Ein Fachverkäufer hat spontan, d.h. ohne spezielle Nachfrage des Kunden, alle diejenigen warentypischen, für den Gebrauchsnutzen erheblichen Eigenschaften zu offenbaren, die einem vernünftigen Verbraucher schlechthin bekannt sein müssen. 365 Soerge1-Wiedemann, Vor § 175 BGB Rz. 153. 366 Zur entsprechenden Problematik bei § 13 a UWG, oben A. IV. 4. (S. 80). 367 Dauner-Lieb, S. 79; Stoll, FS Deutsch, S. 361, 365.

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fen vennag. Die c. i. c. setzt ein gewisses Näheverhältnis zwischen den zukünftigen Partnern des Rechtsgeschäftes, mit anderen Worten eine Situation der Vertragsanbahnung, voraus. Die vorvertragliche Beziehung, gleichgültig von welchem dogmatischen Fundament aus sie erklärt wird, erfordert also einen gewissen Intensitätsgrad des geschäftlichen Kontakts zwischen den künftigen Vertragsparteien. 368 Will man die Grenzen der vorvertraglichen Verschuldenshaftung nicht im Sinne einer haftungsauslösenden Erklärung an die Öffentlichkeit einreißen, so ist es unerlässlich, einen "kritischen Punkt" festzuhalten, in dem der potenzielle Vertragspartner aus der anonymen Masse des angesprochenen Publikums heraustritt und in eine Situation der Vertragsanbahnung eintritt. 369 Der durch die Werbung angesprochene Adressat, dem gegenüber eine Pflichtverletzung stattfindet, muss zumindest individualisierbar sein, weil anderenfalls die ihm gegenüber bestehenden Pflichten nicht hinreichend bestimmbar wären. Allein der bestehende oder durch Werbung begründete soziale Kontakt vennag eine Situation der Vertragsanbahnung nicht zu begründen,37o weil das bloße In-Erscheinung-Treten des Werbenden durch Plakate, Anzeigen, Kino-, Fernseh- oder Radiospots und dergleichen zunächst einmal nur die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme durch das angesprochene Publikum darstellt. Dennoch hat häufig bereits in diesem Moment eine unlautere Handlung stattgefunden?7! Selbst wenn man es genügen lässt, dass nur eine Seite Vorstellungen über einen zu schließenden Vertrag öffentlich bekannt gibt,372 bedarf es auch hier der Bestimmbarkeit des Vertragspartners. Daran fehlt es in den Werbe-Fällen jedenfalls dann, wenn gerade nicht der Vertragspartner sondern ein außerhalb der künftigen Vertragsbeziehung stehender Dritter wirbt. Alles in allem bleibt festzuhalten, dass der Haftung aus vorvertraglichem Verschulden zwar eine wichtige Position im Konglomerat der Vertragslösungsrechte zukommt. Die ihr häufig zugeschriebene überragende Bedeutung vennag sie aber wegen der vielen im Einzelnen noch ungeklärten Fragen nicht zu entwickeln.

Erman-R. Battes, § 276 BGB Rz. 110; Schulze, JuS 1983, S. 81, 87. Soergel-Wiedemann, Vor § 275 BGB Rz 125: Man darf sich nicht am Grenzfall eines anonymen Marktes orientieren, sondern muss von dem persönlichen Kontakt ausgehen, der Verhandlungs- und Vertragspartner über längere Zeit und mit vielfältigen Schädigungsmöglichkeiten zusammenführt. 370 Palandt-Heinrichs, § 276 BGB Rz. 66; Wronka, UFITA 1977, S. 221,231, 371 Berens, S. 256 f. 372 Fikentscher, Schuldrecht, § 20 I 2 (Rz. 69). 368

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

IV. Billigkeitslösungen Einzugehen ist nunmehr auf Billigkeitslösungen, die in Einzelfällen Anwendung fanden, weil das bestehende Instrumentarium von Individualrechtsbehelfen als unzureichend empfunden wurde. 1. Treu und Glauben, § 242 BGB

Es überrascht kaum, dass das Rechtsprinzip von Treu und Glauben im vorliegenden Zusammenhang Bedeutung erlangt hat. Als Generalklausei ermöglicht § 242 BGB eine an die Lebensverhältnisse angepasste Verwirklichung und Fortbildung des Rechts sowohl im Allgemeinen und als auch im Hinblick auf den Einzelfall. a) Die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung In der Werbeagent-Entscheidung zu § 1 Abs. 1 RabattG hat der BGH dem Geltendmachen einer unlauter begründeten Forderung die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung entgegengehalten?73 Im Fall hatte die klagende Werbeagentur dem beklagten Werbetreibenden Kosten für geschaltete Anzeigen in Rechnung gestellt. Dem Zahlungsbegehren der Klägerin in voller Höhe hielt die Beklagte eine Vereinbarung entgegen, in welcher ihr eine besondere Vergünstigung eingeräumt wurde, mit der sie neben anderen noch ausstehenden Forderungen aufrechnete. Das Gericht hielt die der Beklagten eingeräumte Vergünstigung für einen Preisnachlass i. S. d. Rabattgesetzes. Da die Vereinbarung dem Rabattverbot unterlag und Ausnahmen der §§ 2 ff. RabattG nicht eingriffen, war die vertragliche Vereinbarung eines Sonderpreises rabattwidrig, aber nicht nichtig?74 Gleichwohl wurde es der Beklagten versagt, auf Einhaltung der wirksamen Vereinbarung in voller Höhe zu bestehen. Nach Ansicht des Gerichts sei dem Verlangen auf Einhaltung der rabattrechtswidrigen Vertragsvereinbarung mit dem Einwand aus § 242 BGB zu begegnen, wenn das Verhalten des letzten Verbrauchers nicht auf die notwendige Teilnahme am Rabattverstoß 375 beschränkt sei. Ein Anspruch auf Einräumen des versprochenen Rabatts könne keinen Bestand haben, wenn der letzte Verbraucher wisse, dass er mit seinem Verhalten die andere Vertragspartei zu einem gesetzes widrigen Gewähren veranlasse. 376 Weil hier die Beklagte auf die Klägerin in entsprechender Weise eingewirkt habe, könne sie nunmehr nicht darauf bestehen, dass ihr ein unlauterer Rabatt zustehe. Der Einwand missbräuchlichen Verhaltens erfasse jedoch nur den rabattrechtswidrigen Teil der Vereinbarung, sodass der gemäß § 2 RabattG zulässige Nachlass in Höhe von 3 Prozent anzurechnen sei?77 373 BGH, Urt. vom 11.11.1993, GRUR 1994, S. 527 (Werbeagent). 374 BGH (Werbeagent), S. 529. 375 Zur Teilnahme des anderen Vertragsteils am Rabattverstoß BGH, Urt. vom 1.6.1989, GRUR 1989, S. 773 (Mitarbeitervertretung); OLG München, Urt.vom 25.8.1964, GRUR 1965, S. 197, 198 (Einkaufsmöglichkeiten). 376 BGH (Werbeagent), S. 529.

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Die Besonderheit der Werbeagent-Entscheidung besteht darin, dass ausnahmsweise ein Anspruch auf Rabattgewährung überprüft werden musste, während typischerweise bei Rabattverstößen die Frage nach der Höhe der zu erbringenden Gegenleistung im Vordergrund steht. Gerade diese Besonderheit des Falles führt jedoch eindringlich die zweifelhaften wirtschaftlichen Konsequenzen vor Augen, die aus der Anwendung der Einrede folgen. Räumt der Verkäufer dem Käufer in einem Vertrag bei einem Normalpreis von 1.000,-DM einen rabattrechtswidrigen Barzahlungsnachlass in Höhe von 10 Prozent ein, dann wäre der Käufer vertraglich zur Zahlung von 900,-DM verpflichtet. Hätte der Käufer seinerseits eine fallige und durchsetzbare Forderung gegen den Verkäufer in Höhe von 500,-DM, bliebe ihm der Käufer nach erklärter Aufrechnung zur Zahlung von 400,DM verpflichtet. Nach Ansicht des BGH kann der Käufer jedoch nicht die Gewährung des Rabatts in voller Höhe verlangen. Das bedeutet, der Käufer hätte nur einen erlaubten Barzahlungsrabatt in Höhe von 3 Prozent veranschlagen können und bliebe also zur Zahlung von 1.000,-DM abzüglich der 3 Prozent erlaubten Nachlasses, also 970,-DM verpflichtet. Gelänge die Aufrechnung, dann erhielte der Verkäufer demzufolge 470,-DM. Es tritt also die erstaunliche Situation ein, dass dem Rabattgeber der Rabattverstoß im Ergebnis wirtschaftlich zugute kommt. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass nach Ansicht des BGH nurmehr die Rechtslage eintritt, die bestanden hätte, wenn sich die Parteien rabattrechtskonform verhalten hätten. Eine solche Betrachtung übersieht nämlich, dass der Verkäufer, der mit Hilfe des § 242 BGB mehr fordern kann als ihm vertraglich zustünde, sich seinerseits widersprüchlich verhält, wenn er vom Käufer eine über den vereinbarten Preisnachlass hinausreichende Zahlung verlangt. Soweit ersichtlich, hat die Rechtsprechung den Weg über die § 242 BGB entnommene Einrede nicht weiter verfolgt. Sollte der Gesetzgeber mit der geplanten Abschaffung des Rabattgesetzes Ernst machen, entfiele auch der wettbewerbsrechtliche Ansatzpunkt, sodass es bei der Einmaligkeit des Weges über § 242 BGB sein Bewenden haben dürfte. b) Wegfall der Geschäftsgrundlage

Für Fälle nicht arglistig fremdverursachter Motivirrtümer ist angedacht worden, aus dem Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage die Möglichkeit zur Abstandnahme vom Vertrag abzuleiten. 378 Zur Geschäftsgrundlage gehört, was mindestens eine Partei beim Vertragsschluss vorausgesetzt hat, was für diese Partei so wichtig war, dass sie 377 378

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BGH (Werbeagent), S. 529. Henrich, AcP 162 (1962), S. 88, 95 ff.

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

den Vertrag nicht oder anders abgeschlossen hätte, wenn sie die Richtigkeit ihrer Voraussetzung als fraglich erkannt hätte und auf dessen Berücksichtigung die andere Partei sich redlicherweise hätte einlassen müssen. 379 Ähnlich definiert die Rechtsprechung. Danach wird die Geschäftsgrundlage eines Vertrag gebildet durch die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, aber bei Vertragsschluss zutage getretenen gemeinschaftlichen Vorstellungen beider Vertragsparteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, auf denen der Geschäftswille der Parteien sich aufbaut. 380 Eine Lösung vom Vertrag soll möglich sein, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind. Beide Vertragspartner müssen sich im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses im Irrtum über bestimmte Tatumstände befinden. Die Parteien müssen durch diesen Irrtum veranlasst worden sein, den Vertrag überhaupt oder in seiner vorliegenden Form abzuschließen und der Irrtum muss schließlich von einem Partner gutgläubig oder fahrlässig hervorgerufen worden sein?81 Die Tatsache, dass der Irrtum vom anderen Vertragsteil verursacht worden sei, könne einerseits als Indiz dafür angesehen werden, dass der Irrtum für den Willensentschluss bestimmend gewesen sei. 382 Wer nun einen Irrtum seines Vertragspartners selbst verursacht hat, dürfe diesen nicht gegen seinen Willen am Vertrag festhalten, weil ein solches Festhalten regelmäßig nicht zumutbar sei. 383 Als Rechtsfolge soll dem Getäuschten neben der Möglichkeit zur Lösung vom Vertrag nötigenfalls auch die Eimede des widersprüchlichen Verhaltens, venire contra factum proprium, zustehen. Dies führt dann zu einer Art Durchführungsverbot des Vertrages, weil der Täuschende nicht mehr auf Erfüllung der eingegangenen Verbindlichkeit bestehen könne. Für die Lösung der hier vorliegenden Fälle unlauteren Verhaltens scheidet der Wegfall der Geschäftsgrundlage regelmäßig aus. Typischerweise unterliegt der Täuschende nämlich selbst keineswegs einem Irrtum, sondern er 379 Palandt-Heinrichs, § 242 BGB Rz. 113; Henrich, AcP 162 (1962), S. 88, 95; Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 165 a; Errnan-O. Wemer § 242 BGB Rz. 168. Ähnlich Soergel-Teichmann, § 242 BGB Rz. 221. Für die Unterscheidung von objektiver und subjektiver Geschäftsgrundlage: Larenz, BGB AT, 7. Aufl., § 20 III (S. 391 ff.) anders jetzt aber LarenzIWolf, BGB AT, § 38 Rz. 24. Kritisch zur gesamten Lehre von der Geschäftsgrundlage Flume, BGB AT 11, § 26. 380 BGH, Urt. vom 13.11.1975, NJW 1976, S. 565, 566. In diesem Sinne auch LarenzIWolf, BGB AT, § 38 Rz. 11 ff. und Jauernig-Vollkommer, § 242 BGB Rz. 65. 381 Henrich, AcP 162 (1962), S. 88, 95 ff. 382 Henrich, AcP 162 (1962), S. 88, 96. 383 Henrich, AcP 162 (1962), S. 88, 97.

B. Bürgerliches Vertragsrecht

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verursacht eine Fehlvorstellung auf Seiten des Vertragspartners. Dann aber fehlt es an der vorausgesetzten doppelten Veranlassung der Fehlvorstellung zum Vertragsschluss: nur der Getäuschte trifft auf Grund der Täuschung eine Entscheidung, der Täuschende dagegen weist einen fehlerfrei gebildeten Willen auf?84 Die Geschäftsgrundlage greift deshalb allenfalls für Werbeangaben außenstehender Dritter, z. B. des Herstellers, die sich sowohl an den Händler als auch an den Letztabnehmer wenden und beide irreführt. Solche Fälle dürften freilich eine seltene Ausnahme bilden. Auch aus dem in § 242 BGB verankerten Rechtsgrundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens ergibt sich nichts anderes?85 Ein Verkäufer, der irreführend wirbt oder eine vorvertragliche Aufklärungspflicht verletzt, setzt sich nicht in Widerspruch zu seinem Verhalten, wenn er auf Erfüllung des geschlossenen Vertrages besteht. Dann müsste er zuvor zumindest konkludent erklärt haben, dies nicht zu tun, wenn der Vertragsschluss auf einer Täuschung beruht. 386 Eine solche Erklärung hat aber nur fiktiven Charakter. Denn wer wirbt, erklärt über seine Bereitschaft, am zukünftigen Vertrag festzuhalten, zunächst gar nichts. Ebenso wenig ist es widersprüchlich, wenn der Täuschende überhaupt einen Vertrag eingeht, obgleich er von der Täuschung und ihrer entscheidungsauslösenden Wirkung weiß. Es gibt keine Pflicht, einen Vertrag bei eigenem vorvertraglichen Fehlverhalten nicht einzugehen, wie ein Blick auf § 123 BGB beweist. 2. Das "Sandhaufentheorem" Das Landgericht Oldenburg hatte im Jahre 1969 einer unbegüterten Frau, die von einer geringen Rente sich und zwei Kinder unterhalten musste, einen Rücktrittsanspruch aus § 242 BGB für einen von ihr nach einem Vertreterbesuch abgeschlossenen Schreibmaschinenfernkurs nebst des damit verbundenen Kaufvertrages über eine Schreibmaschine zugebilligt, nachdem der Vertreter den Eindruck erweckt hatte, mit dem Kurs ließen sich die Schulschwächen der Kinder ausgleichen, von denen er angeblich bei einem Besuch des Lehrers erfahren habe?87 Das Gericht erachtete das Vorgehen des Vertreters als unlauter und gewährte der überrumpelten Frau das Recht, den eingegangenen Vertrag wieder rückgängig zu machen. Nach heutiger Gesetzeslage würde sich das vom Landgericht aus Treu und Glauben 384 Lehmann. Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 166 Fn. 88; Schumacher, S.57. 385 A.A. Henrich. AcP 162 (1962), S. 88,97: Wer in seinem Partner eine irrige Vorstellung hervorruft und ihn dadurch zum Abschluss eines Vertrages veranlasst, handle widersprüchlich, wenn er ihn auf Erfüllung des Vertrages in Anspruch nehme oder sich seiner Lossagung vom Vertrag widersetze. 386 Schumacher. S. 60. 387 LG Oldenburg, Urt. vom 8.1.1969, MDR 1969, S. 392. Der Entscheidung zustimmend Mittelstein. MDR 1970, S. 18; Schuffenhauer. MDR 1970, S. 17 f.

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

konstruierte Rücktrittsrecht unproblematisch aus § 1 Abs. I HWiG bzw. § 7 Abs. I VerbrKrG ergeben.

Mag das Landgericht mit seiner Lösung der Zeit weit voraus gewesen sein, so hat das zweifellos verbraucherschutzfreundliche Urteil zu Recht Kritik erfahren. 388 Den in der Begründung erwähnten Grundsatz, dass geschlossene Verträge zu erfüllen seien, schob das Gericht mit der überaus zweifelhaften Erwägung beiseite, dieses Prinzip müsse durchbrochen werden, wo eine Abwägung im Einzelfall dies erfordere. Es berief sich auf rechtspolitische Erwägungen zu dem neu zu schaffenden Reurecht im Abzahlungs gesetz und auf angebliche Wertvorstellungen der Allgemeinheit, die bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes in das geltende Recht einbezogen werden müssten. Das Gericht simplifizierte den Vorgang an der Haustür auf den Gegensatz einfache Leute - wortgewandte Vertreter und unterstellte, dass erfahrungsgemäß einfache Leute dem Redeschwall solcher Vertreter nicht gewachsen seien und ihren Willen nicht oder nur undeutlich zum Ausdruck bringen könnten. 389 Zudem würden sie durch die ihnen aufgeschwatzten Verträge oft in einem ihr Einkommen übersteigendes Ausmaß beeinträchtigt. Zutreffend wurde dem Landgericht Oldenburg entgegengehalten, dass auch die Verträge des Abzahlungsrechtes dem Grundsatz pacta sunt servanda unterliegen und daher eine Abstandnahme nicht allein aus Gründen der Interessenabwägung erfolgen kann. Bedenklich ist überdies, dass das Gericht hauptsächlich in ideologisierenden Schlagworten argumentiert hat und sich mit der Verrechtlichung rechtspolitischer Erwägungen an die Stelle des Gesetzgebers gesetzt und eine bis dahin noch nicht existente Rechtsfolge antizipiert hat. 390 Eines dogmatischen Fundaments entbehrt das herangezogene Rücktrittsrecht völlig. Es ist aber verwunderlich, dass sowohl § 138 Abs. 1 BGB als auch die §§ 119 ff. BGB unerwähnt geblieben sind, da der Sachverhalt deutliche Anhaltspunkte für eine mögliche Anwendung liefert, denen das Gericht zunächst hätte nachgehen müssen. 391 Die Entscheidung lässt sich daher auch nicht unter Berücksichtigung von Gerechtigkeitserwägungen und der Schädlichkeit mangelhaften Rechtsschutzes für übertölpelte Verbraucher aufrecht erhalten. 392 Deshalb ist festzuhalten, dass der durchaus verbraucherfreundlichen Entscheidung allenfalls rechtspolitische Signalwirkung zukommt und als Hilferuf an den Gesetzgeber zu werten ist. Einen ausbaufähigen Ansatz für die Lösung der hier behandelten 388 Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 166; Loebell, MDR 1969, S. 726 ff.; Sack, WRP 1974, S. 445, 453. 389 Loebell, MDR 1969, S. 726, 727; Schuffenhauer, MDR 1970, S. 17. 390 Loebell, MDR 1969, S. 726, 727. 391 Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 167. 392 Entgegen Mittelstein, MDR 1970, S. 18.

B. Bürgerliches Vertragsrecht

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Problemfälle bietet das Urteil nicht. 393 § 242 BGB muss als Rechtsgrundlage für eine Freistellung vom Vertrag ganz ausgeblendet werden, da es an speziellen Vorschriften nicht mangelt. Sind deren Voraussetzungen nicht erfüllt, muss sich auch der schutzbedürftige Verbraucher an einem Vertrag festhalten lassen. Den Ansatz einer Erklärung für die genannte Entscheidung und weitere durch unlautere Geschäftspraktiken zustande gekommenen Verträge bietet das sogenannte "Sandhaufentheorem,,?94 Danach kann auf eine allgemeine ungeschriebene Grundnorm des BGB zurückzugreifen sein, die in den einzelnen Anfechtungsgründen und den §§ 134, 138 BGB spezifischen, doch keineswegs abschließenden Ausdruck gefunden habe: "Austauschverträge sind (und bleiben) wirksam, wenn (und weil) jeder Vertragspartner seinen subjektiven Vorteil vom Austausch der Leistungen (idealtypischer Weise) haben kann. Diese Voraussetzung der Wirksamkeit gilt als nicht vorhanden, wenn eine Vertragspartei bei der Abgabe ihrer Willenserklärung in ihrer Entscheidung nicht frei gewesen ist.,,395 Sind nicht die einzelnen Voraussetzungen der Anfechtungsnormen oder des Wuchers erfüllt, dann kann der Abnehmer gleichwohl zur Lösung vom Vertrag berechtigt sein, wenn das Gesamtverhalten der anderen Partei ein nicht mehr hinnehmbares Ausmaß erreicht habe. Bildlich gesprochen handelt es sich bei den jeweils missbilligten einzelnen Verhaltensweisen um Sandkörner, die nicht einzeln, wohl aber in der Summe eine hinreichende Eingriffsmöglichkeit begründen. 396 Die Rechtsfolge soll sich aus dem überwiegenden Element ergeben. Treffen beispielsweise nicht arglistige Täuschung, psychologischer Kaufzwang und deutlich überhöhte, aber noch nicht wucherische Preise zusammen, soll der Käufer anfechten können, wenn die List bestimmend gewirkt hat. Dagegen soll Nichtigkeit anzunehmen sein, wenn das Missverhältnis zwischen Kaufpreis und Warenwert dominiert. Ebenso ist im Fall unlauterer aleatorischer Werbung zu entscheiden, bei der die Bestellung aus einem Katalog mit der angeblichen Gewinnchance verkoppelt ist. Hier kann der gesamte Vorgang, d.h. der Verkauf einer Ware zu überhöhtem, aber noch nicht wucherischem Preis und die scheinbare Verkoppelung von Bestellung und Gewinn einer einheitlichen rechtlichen Beurteilung unterworfen werden, was im Ergebnis zu einem Verstoß gegen die guten Sitten und damit zur Nichtigkeit nach 393 Sack, WRP 1974, S. 445, 453 hält trotz Kritik an der Entscheidung des LG Oldenburg § 242 BGB im Prinzip für anwendbar, lässt aber offen, auf welche Konstellationen dies zutreffen soll. 394 Treuer, in: Bender, Rechtstatsachen, S. 65 ff. und ders., ebenda, S. 79 ff. 395 Treuer, S. 75 a.E. unter Hinweis auf die Überlegungen zum "Sandhaufentheorem" in der Gesetzgebungslehre von Bender, GS Rödig, S. 34 ff. 396 Treuer, S. 76. Ähnlich für § 138 BGB Staudinger-Sack. § 138 BGB Rz. 59, 217, der von einer Summenwirkung der im Einzelfall erfüllten Kriterien ausgeht.

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

§ 138 Abs. 1 BGB führt. 397 Das OLG Stuttgart hat sich in einer Entscheidung zur Nichtigkeit eines Verbraucherkreditvertrages dieses Theorems bedient. Es argumentierte, die fehlende verwerfliche Gesinnung von § 138 Abs. 2 BGB werde durch ein übermäßiges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung kompensiert. 398

So wünschenswert eine umfassende Hilfestellung für den überrumpelten und durch bedenkliche Methoden "gefangenen" Verbraucher auch sein mag, läuft das "Sandhaufentheorem" doch auf eine flächendeckende offene Gesetzeskorrektur hinaus und ist deshalb abzulehnen?99 Schon die Voraussetzungen für eine Rechtsanalogie der Anfechtungsregeln liegen nicht vor, sodass jede noch weiter reichende Lösung methodisch wie systematisch nicht mehr begründbar ist. Das "Sandhaufentheorem" gibt vor, gesetzgeberische Wertungen zu beachten, obgleich es sich im Ergebnis gerade über sie hinwegsetzt, weil es die Anwendbarkeit der Tatbestände einzelfallbezogen neu definiert. Der vage Rechtsgedanke, der eher einer rechtspolitischen Wunschvorstellung entspricht, erhielte hiernach Normcharakter. Statt einer Subsumtion werden im Einzelfall aus den jeweils naheliegenden, aber eben doch nicht einschlägigen Normen die Rosinen zusammengesucht, um daraus eine als gerecht empfundene Rechtsfolge abzuleiten. Praktisch müsste es in dem Zusammenspiel verschiedener gesetzlicher Wertungen einen kritischen Punkt geben, der zum "Überlaufen des Fasses" und damit zur Anwendung einer bestimmten Norm führt. 4oO Damit besteht die Gefahr richterlicher Willkürentscheidungen ohne gesetzliche Grundlage und darüber hinaus droht eine Durchbrechung des Grundsatzes der Gewaltenteilung.

c.

Spezialgesetzliche Widerrufsrechte

Neben den klassischen Anfechtungsrechten des BGB erlangen in neuerer Zeit spezielle Widerrufsrechte des Verbrauchers Bedeutung, die größtenteils auf europäische Initiative zur Verbesserung des Verbraucherschutzes hin entstanden sind. 401 Der Grund für die spezialgesetzlichen Regelungen liegt Treuer, S. 84. OLG Stuttgart, Urt. vom 24.4.1979 , NJW 1979, 2409, 2412 f. Zustimmend Staudinger-Sack, § 138 BGB Rz. 217. 399 OLG Hamburg, Urt. vom 29.8.1984, WM 1984, S. 1423; Medicus, BGB AT, Rz. 711; Erman-H. Palm, § 138 BGB Rz. 18. 400 Die Gefahr solcher Grenzpunkte oder Stufen sieht auch Bender, GS Rödig, S. 34, 37. 401 Vgl. etwa die RL 199717/EG vom 20.5.1997 (Femabsatz-Richtlinie); RL 1994/47/EG (Time-Sharing-Richtlinie); RL 19871102/EWG vom 22.12.1986 (Verbraucherkredit-RichtIinie). 397

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in der Erkenntnis, dass der private Nachfrager durch den unternehmerischen Einsatz moderner Vermarktungssysteme die wirtschaftliche und rechtliche Tragweite von Geschäften häufig nicht mehr hinreichend einschätzen und analysieren kann und die Mechanismen des Marktes insoweit keinen hinreichenden Ausgleich bieten. Der Verbraucher gilt aber nicht als ein intellektuell "unterbelichtetes" Wesen, das von seinem Konsumbedürfnis übermannt wird, sondern er wird als ein eigenverantwortlich handelnder Marktteilnehmer angesehen, der vor den besonderen Situationen und Wirkungen bestimmter Marktabläufe geschützt werden muss. 402 Besonders bedeutsam sind das Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften,403 das Widerrufsrecht bei Verbraucherkrediten,404 das Widerrufsrecht bei Timesharing-Verträgen405 sowie seit neuestern das Widerrufsrecht bei Geschäftabschlüssen im Fernabsatz. 406 Rechtstechnisch hat das Gesetz über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro vom 27.6.2000407 zu der Neuerung geführt, dass § 361 a, b BGB nunmehr die Widerrufsmodalitäten (Ausübung, Rückabwicklung) regelt und die Spezi al gesetze lediglich den widerrufsauslösenden Tatbestand enthalten. 408 In dogmatischer Hinsicht enthält § 361 a BGB die Änderung, dass nunmehr der Vertrag von Anfang an schwebend wirksam ist und erst die Ausübung des Widerrufsrechts zur Unwirksamkeit führt. 409 Allen Widerrufsrechten ist gemein, dass der Verbraucher innerhalb einer "cooling-off period" eine zweite Chance zur Überlegung erhält. Hat er sich zu einem Vertrag entschlossen, kann er innerhalb einer bestimmten Frist 402 Bülow, FS Söllner, S. 189, 190; LarenzIWolf, BOB AT, Rz. 27. Eingehend von Rippel, Verbraucherschutz, § 1 I (S. 3 ff.). Demgegenüber meint Kemper, S. 63, dass es dem durchschnittlichen Verbraucher an der Fähigkeit fehle, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu gewichten, sich auf den Märkten zurecht zu finden und die für seine Entscheidung notwendigen Informationen zu beschaffen und zu verarbeiten. Richtigerweise handelt es sich jedoch nicht um mangelnde individuelle Fähigkeiten des Verbrauchers, sondern um Funktionsdefizite der Marktsteuerung, also um Erscheinungsformen des Marktversagens; dazu 11. Teil A. 11. 2. b) (S. 42 f.). 403 § 1 Abs. 1 RWiO. 404 § 7 Abs. 1 VerbrKrG. 405 § 5 Abs. 1 TzWrG. 406 § 3 Abs. 1 FernAbsO. Zu weiteren besonders gelagerten Widerrufsrechten Berens, S. 205 ff. 407 BOB!. I Nr. 28 vom 29.6.2000, S. 897. 408 Dazu Bülow, ZIP 1999, S. 1293, 1294 ff. 409 BT-Drucksache 14/2658, S. 47; Fuchs, ZIP 2000, S. 1273, 1281; St. Lorenz, JuS 2000, S.833, 835. Vor Einführung des § 361 a BOB bereits in diesem Sinne Hadding, FS Brandner, S. 207, 210 ff. Anders insbesondere BOR, Urt. vom 16.10.1995, NJW 1996, S. 57, 58: Widerruf als rechtshindernde Einwendung bei zuvor schwebender Unwirksamkeit.

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

seine Entscheidung nochmals überdenken und sie ohne Angabe von Gründen durch das Ausüben des Widerrufs wieder rückgängig machen. Damit erhält er die Möglichkeit zur Rückkehr auf den Markt, wo er sich nunmehr erneut entscheiden kann. In dieser Möglichkeit zum Rückgängigmachen einer Entscheidung liegt keine Abkehr vom Grundsatz pacta sunt servanda, sondern vielmehr eine durchaus sinnvolle Stärkung der Privatautonomie. 410 I. Ausgangsüberlegungen Die Widerrufsrechte verfolgen im Einzelnen unterschiedliche Schutzzwecke, die sich mit wettbewerbsrechtlichen Wertungen überschneiden können, aber keineswegs deckungsgleich sind. Wenn beispielsweise § 1 HWiG drei typische Situationen der Vertragsanbahnung gleich behandelt, in denen der Kunde der Gefahr einer Überrumpelung ausgesetzt ist, dann begründet diese gesetzgeberische Entscheidung keine bindende Wirkung für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung derartiger Situationen. Eine andere Frage ist es aber, ob die Gleichbehandlung im HWiG ein gewisses Präjudiz schafft, das zum Nachdenken über die Folgerichtigkeit oder eine mögliche Inkonsequenz der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung Anlass gibt. 411 Wettbewerbsrecht und verbraucherschützende Sondergesetze unterscheiden sich in ihrem Sanktionsmechanismus. Widerrufsrechte schützen nur im Einzelfall und setzen zudem voraus, dass ein Vertrag bereits abgeschlossen wurde. Ihre Wirkung ist individuell-reaktiver Art. 412 Demgegenüber zielt das Wettbewerbsrecht auf präventiven und breitenwirksamen Schutz, weil es bedenkliche Geschäftspraktiken als solche zu bekämpfen vermag und gerade nicht voraussetzt, dass es schon zu einem Vertrag gekommen ist. Auf Grund dieser unterschiedlichen Ausrichtung führt das Bestehen eines Widerrufsrechts nicht zu einer Verneinung lauterkeitsrechtlichen Schutzes. 413 Das Widerrufsrecht vermag zwar die beeinflusste Entscheidung des Abnehmers im Nachhinein zu korrigieren, die belästigende Wirkung eines Vertreterbesuchs oder einer Verkaufs veranstaltung entfällt durch das Bestehen eines Widerrufsrechts jedoch nicht. Wenn ein Vertreter den Verbraucher erheblich und vielleicht sogar körperlich bedrängt, dann besteht ein wettbewerbsrechtliches Schutzbedürfnis auch dann, wenn sich der Vertreter im Übrigen gesetzeskonform verhält.

Canaris, AcP 200 (2000), S. 273, 344. Burckhardt, WRP 1996, S. 659, 662; Gilles, WRP 1986, S. 445, 452 ff. 412 Gilles, WRP 1986, S. 445, 454; Staudinger-O. Werner, Vorbem zum HWiG, Rz.41. 413 Gilles, WRP 1986, S. 445, 453. A.A. Schünemann, Wettbewerbsrecht, S. 58. 410

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Im Folgenden wird im Hinblick auf wettbewerbsrechtliche Überschneidungen unterschieden zwischen Geschäftsabschlüssen in unerwarteten Situationen, Geschäften mit einem gesteigerten Fehlinformationsrisiko und Geschäften, die für den Verbraucher besonders weitreichende Belastungen mit sich bringen können. 414 Es handelt sich nicht um zwingende Kategorien; vielmehr ergibt sich die Unterscheidung im Hinblick auf die primär verfolgten Schutzziele der Verbraucherschutzgesetze, die sich wiederum vielfältig überschneiden können. 11. Geschäftsabschlüsse in unerwarteten Situationen Das HWiG enthält Regelungen für Situationen der Vertragsanbahnung, in denen die Initiative für den Vertragsabschluss nicht vom Kunden, sondern von der anderen Partei ausgeht. Häufig ist der Kunde bei diesen Formen des Direktmarketings der Gefahr einer Beeinträchtigung seiner Entschließungsfreiheit durch Übereilung, irreführende mündliche Angaben und durch zudringliches Verhalten von Vertretern ausgesetzt. 415 Zentrale Vorschrift zum Schutz des Kunden ist das in § 1 HWiG i. V. m. § 361 a BGB enthaltene Widerrufsrecht des Verbrauchers. 1. Ähnlichkeit der Schutzzwecke in HWiG und UWG

Das Widerrufsrecht in § 1 HWiG beruht auf Schutzerwägungen, die in ähnlicher Form auch beim Schutz des Entscheidungsprozesses des Verbrauchers durch das Wettbewerbsrecht eine wichtige Rolle spielen. Bei Haustürgeschäften besteht die Gefahr, dass der Verbraucher unerwartet in eine Situation der Vertragsanbahnung gerät und überrumpelt wird, ohne seine Entscheidung in Ruhe treffen zu können. 416 Der Schutzzweck des HWiG steht deshalb dem wettbewerbsrechtlichen Verbraucherschutz sehr nahe. Ein Abnehmer kann seine Schiedsrichterrolle am Markt nur dann funktionsgerecht wahrnehmen, wenn für ihn die Gelegenheit bestand, das auf dem Markt vorhandene Angebot wahrnehmen und bewerten zu können. Bei Geschäften 414 In Anlehnung an LarenzIWolf, BGB AT, § 39 Rz. 9 ff. Dort werden als Gründe für ein Widerrufsrecht unterschieden (1.) die ungeeignete Verhandlungssituation, (2.) die schwierige Beurteilung des Vertragsgegenstandes und (3.) das Herstellen des Verhandlungsgleichgewichts zwischen den Parteien. 415 Fischer/Machunsky, Einf. HWiG, Rz. 10 ff.; Errnan-l. Saenger, Vorbem HWiG, Rz. 18; MünchKomm-Ulmer, § 1 HWiG Rz. 18a. 416 Bennemann, JR 1986, S. 358, 359; Gilles, Direktmarketing, Rz. 52 ff.; Michalski, Jura 1996, S. 169. Besonders markig Völp, WRP 1973, S. 63: Geschäfte an der Haustür schlagen allen Regeln vernünftigen Käuferverhaltens ins Gesicht, sie begründen typische Fehlentscheidungen und seien aus marktwirtschaftlicher Sicht ein beklagenswerter Missstand.

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an der Haustür und in vergleichbaren Situationen ist ihm die wichtige Vergleichsmöglichkeit hinsichtlich Qualität und Preis von vornherein abgeschnitten. 417 Das Widerrufsrecht bietet hier einen Ausgleich, weil der Verbraucher innerhalb der Widerrufsfrist herausfinden kann, ob sein Geschäft vorteilhaft war oder nicht. Ist letzteres der Fall oder will der Verbraucher aus anderen Gründen keine vertragliche Verpflichtung eingehen, kann er ohne Begründung widerrufen. a) Situationsbezogener Verbraucherschutz § 1 Abs. 1 Satz 1 HWiG enthält eine enumerative Aufzählung derjenigen Situationen, in denen eine Benachteiligung des Verbrauchers auftreten kann. Die Situationen sind typisierend geregelt. Es kann also dahinstehen, ob der Verbraucher im Einzelfall wirklich überrascht war oder ob er sich geschäftsgewandt verhalten hat; seine Schutzbedürftigkeit wird unwiderleglich vermutet. 418 Der Verbraucher kann deshalb auch nicht einseitig auf sein Widerrufsrecht verzichten. 419 Ausnahmen vom Eingreifen des Widerrufsrechts enthält § 1 Abs. 2 HWiG. Danach ist der Verbraucher nicht schutzbedürftig, wenn er die Vertragsanbahnungssituation selbst veranlasst hat und es mithin am Überraschungseffekt fehlt (Nr. 1), wenn es um ein geringwertiges Geschäft geht (Nr. 2) oder wenn dem Verbraucher die Sachkunde eines unabhängigen Dritten zur Verfügung steht (Nr. 3).

Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung wird z. T. als Wertungsgrundlage zur Auslegung der Ausschlussgründe herangezogen. So soll es an einer das Widerrufsrecht ausschließenden Bestellung i. S. v. § lAbs. 2 Nr. I HWiG fehlen, wenn die Bestellung durch einen unlauteren Telefonanruf des Unternehmers provoziert wurde. 42o Wegen der Ähnlichkeit der Situation von unerbetenem Vertreterbesuch und der Überraschung durch einen unerbetenen Telefonanruf, durch den ein Vertreterbesuch angekündigt werde, sei es evident, dass wettbewerbswidrige Telefonanrufe keine Bestellung nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 HWiG sein können. 421 Dem ist insoweit zuzustimmen, als dass das Wettbewerbsrecht eine äußere Grenze für die Zulässigkeit von telefonischen Werbernaßnahmen bildet. Sind diese aus Gründen des Verbraucherschutzes zu verbieten, dann bedarf es der Harmonisierung zwischen Lauterkeitsrecht und HWiG. Dem Verbraucher darf nicht aus einer unerMichalski, Jura 1996, S. 169. Canaris, AcP 200 (2000), S. 273, 348; Probst, JR 1992, S. 133, 135; Staudinger-O. Wemer, Vorbem zum HWiG Rz. 8. 419 Bülow, ZIP 1998, S. 945 ff. 420 OLG Karlsruhe, Urt. vom 8.11.1989, WRP 1990, S. 430, 431; Gilles, NJW 1986, S. 1131, 1142; Löwe, BB 1986, S. 821, 827; Rahn, VuR 1988, S. 229, 232. 421 Rahn, VuR 1988, S. 229, 232. 417 418

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laubten Geschäftspraktik ein rechtlicher Nachteil dadurch erwachsen, dass er seines Widerrufsrechtes verlustig geht, weil der lauterkeitsrechtlich missbilligte Anruf als Bestellung gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 HWiG angesehen wird. Umgekehrt steht es dem Unternehmer jedoch prinzipiell offen, auf wettbewerbskonforme Weise an den Verbraucher heranzutreten. 422 Dann bleibt allerdings genau zu prüfen, ob sonstige Umstände dafür sprechen, einer Kontaktaufnahme zwischen Unternehmer und Verbraucher den Charakter einer Bestellung abzusprechen. Dafür kann von Bedeutung sein, ob das vorn Kunden erklärte Einverständnis ausdrücklich und vor allem inhaltlich eindeutig darauf gerichtet ist, Verhandlungen über einen konkreten Vertragsgegenstand zu führen. b) Die unterschiedliche Bewertung der Vertragsanbahnungssituationen in HWiG und UWG

Die im HWiG geregelten Situationen der Vertragsanbahnung werden im Wettbewerbsrecht unterschiedlich beurteilt. Die als klassisch zu bezeichnende Situation des Haustürgeschäfts ist der unangemeldete Vertreterbesuch, § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWiG. Solche Besuche werden seit jeher als wettbewerbskonform angesehen. 423 Dabei ist freilich zu bedenken, dass ein Telefonanruf im Vergleich zu einern Vertreterbesuch regelmäßig weniger belästigt und gleichwohl nach ständiger Rechtsprechung für unlauter gehalten wird. 424 Auf Grund der Überraschungswirkung und des persönlichen Kontaktes ist die Zwangssituation für den Verbraucher bei einern Vertreterbesuch stärker als bei einern unerbetenen Telefonanruf25 und es fällt sicher leichter, den Telefonhörer aufzulegen, als einen aufdringlichen Vertreter an der Haustür loszuwerden.

Fischer/Machunsky, § 1 HWiG Rz. 240. BGH, Urt. vom 16.12.1993, GRUR 1994, S. 380, 381 (Lexikothek); BGH, Urt. vom 12.3.1971, GRUR 1971, S. 317 (Grabsteinaufträge 11); BGH, Urt. vom 1.2.1967, GRUR 1967, S. 430, 431 (Grabsteinaufträge I); BGH, Urt. vom 11.11.1958, GRUR 1959, S. 277 (Künstlerpostkarten) mit Anm. Bußmann. Kritisch KöhleriPiper, § 1 UWG Rz. 119 ff. m. W.N. 424 BGH, Urt. vom 8.12.1994, GRUR 1995, S. 220 (Telefonwerbung V); BGH (Lexikothek), S. 381; BGH, Urt. vom 24.1.1991, GRUR 1991, S. 764 (Telefonwerbung IV); BGH, Urt. vom 8.11.1989, GRUR 1990, S. 280, 281 (Telefonwerbung III); BGH, Urt. vom 8.6.1989, GRUR 1989, S. 753 (Telefonwerbung 11); BGH, Urt. vom 19.6.1970, GRUR 1970, S. 523 (Telefonwerbung I) mit Anm. Droste. Kritisch etwa Habermeier, in: Martinek/Semler, Handbuch des Vertriebsrechts, § 33 Rz. 5: prohibitiv hohe Schranken für Telefonwerbung. 425 BaumbachlHefermehl, § 1 UWG Rz. 75b; Schünemann, Wettbewerbsrecht, S.58. 422

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

Freizeitveranstaltungen im Sinne des § I Abs. I Satz I Nr. 2 HWiG sind in erster Linie Werbefahrten, d. h. ein- oder mehrtätige Ausflüge, bei denen den Teilnehmern Waren verkauft werden. Solche Fahrten sind wettbewerbsrechtlich unbedenklich, wenn zuvor unmissverständlich auf ihren Charakter als Verkaufsveranstaltung hingewiesen wurde. 426 Allerdings können sonstige Umstände ihrer Durchführung zu einer wettbewerbsrechtlichen Missbilligung führen, insbesondere wenn die Teilnehmer durch massive Einwirkung zu Vertragsabschlüssen gedrängt werden. Schließlich ist im Wettbewerbsrecht anerkannt, dass eine plötzliche und unerwartete Konfrontation des Verbrauchers in geschäftlichen Angelegenheiten wettbewerbswidrig sein kann. Der Verbraucher wird dadurch in die Zwangslage gebracht, sich mit einem Angebot befassen zu müssen. Unter Umständen mag ein Verbraucher sich auch genötigt fühlen einen Vertrag nur deswegen abzuschließen, weil er einen allzu aufdringlichen Werber loswerden will. Werden Einzelpersonen auf öffentlichen Straßen oder Plätzen (v gl. § 1 Abs. 1 Satz I Nr. 3 HWiG) gezielt zu Werbezwecken angesprochen, um sie an Ort und Stelle zum Vertrags schluss oder zum Besuch eines Ladengeschäfts zu bewegen, verstößt dies gegen § 1 UWG. 427 Gleiches gilt für das Ausnutzen von Zwangs situationen des Verbrauchers, insbesondere das Werben am Unfallort. 428 Hier wird der Verbraucher zwar häufig ein Bedürfnis nach einem bestimmten Vertrag haben, z. B. nach Abschlepp- und Reparaturdiensten, wegen der bestehenden Notlage ist er aber besonders empfänglich für überteuerte und aus sonstigen Gründen unvorteilhafte Angebote, auf die er sich unter normalen Umständen nicht eingelassen hätte. 2. Keine Ausdehnung des Widerrufsrechts aus § 1 Abs. 1 HWiG auf wettbewerbswidrig initiierte Verträge

Da UWG und HWiG in der Bewertung nicht konform gehen, ist eine Verknüpfung beider Rechtsgebiete durch eine Ausdehnung des Widerrufsrechts auf sonstige, möglicherweise ähnliche Situationen der Vertragsanbahnung nicht zulässig. Dass es sich bei allen in § I HWiG genannten Vertriebsformen um Erscheinungsformen des Direktmarketing handelt,429 lässt nicht den Schluss zu, dass weitere im Gesetz nicht genannte, aber in ihrer 426 BGH, Urt. vom 7.7.1988, GRUR 1988, S. 829, 830 (Verkaufsfahrten II); BGH, Urt. vom 8.10.1987, GRUR 1988, S. 130, 131 f. (Verkaufsreisen); BGH, Urt. vom 10.10.1985, GRUR 1986, S. 318, 319 f. (Verkaufsfahrten I). 427 BGH, Urt. vom 4.12.1964, GRUR 1965, S. 315 (Werbewagen); BGH, Urt. vom 8.4.1960, GRUR 1960, S. 431 (Kfz-Nummernschilder). 428 BGH, Urt. vom 22.11.1974, GRUR 1975, S. 264, 266 (Werbung am Unfallort I und II). 429 Gilles, NJW 1986, S. 1131, 1132 ff.

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Wirkung ähnliche Strategien des Direktmarketings durch das HWiG erfasst werden können,43o wie dies namentlich für den Vertragsschluss am Telefon und das Teleshopping diskutiert wurde,431 die nunmehr mit dem FemAbsG eine eigenständige Regelung erfahren haben. Auch § 5 Abs. I HWiG, der die Anwendbarkeit des Gesetzes für den Fall bestimmt, dass die Vorschriften des HWiG durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden sollen, ermächtigt nicht zur extensiven Ausdehnung des Anwendungsbereichs. 432 Anderweitige Gestaltungen in diesem Sinne sind Situationen, die in ihrer Ausgestaltung vergleichbare Elemente mit den in § 1 Abs. I HWiG genannten Fallgruppen und in denen der Schutzzweck des HWiG tangiert wird. 433 Maßstab für die Anwendung des Umgehungsverbots oder eine vorsichtige Analogie kann allein das HWiG sein.434 Doch sind einer Analogie auf Grund des engen und sehr präzise gefassten Wortlauts Grenzen gesetzt. Nach Ansicht des BGH genügt es zur Anwendung des HWiG nicht, dass der Käufer, dem Verkäufer erkennbar, im Einzelfall geschäftsunerfahren iSt. 435 Die Voraussetzungen des HWiG müssen stets vorliegen. Von ihnen darf im Einzelfall nicht aus Billigkeitsgründen abgewichen werden, da anderenfalls die Rechtssicherheit und die Rechtsklarheit preisgegeben würde.

111. Geschäfte mit gesteigertem Fehlinformalionsrisiko Immer häufiger werden Verträge geschlossen, bei denen sich die Vertragsparteien nicht begegnen und bei denen der Vertragsgegenstand von einer Partei lediglich mehr oder weniger konkret beschrieben wird. Massenhafte Verbreitung fand diese Form der Vermarktung erstmals mit dem Aufleben des Katalog-Versandhandels. Durch neue Technologien hat der Femabsatz weiter an Bedeutung gewonnen. Zu nennen sind hierbei insbesondere das Teleshopping und der Vertrieb über das Intemet. 436 Hinzu kommt AA Giltes, NJW 1986, S. 1131, 1144. Berens, S. 202 ff.; Fischer/Machunsky, § 1 HWiG Rz. 81; Eckert, DB 1994, S. 717 ff.; Ulrich, WRP 1996, S. 1011 ff. 432 Nach Fischer/Machunsky, § 5 HWiG Rz. 17 greift § 5 Abs. 1 HWiG, wenn die an Sinn und Zweck orientierte Auslegung am Wortlaut einer Norm scheitert und eine analoge Anwendung des Gesetzes nicht möglich ist. Soweit ersichtlich, ist ein solcher Fall aber bislang noch nicht vorgekommen. 433 Gramlich/Zerres, ZIP 1998, S. 1299, l305. 434 Zum methodischen Spannungsverhältnis zwischen Analogie und Umgehungsverbot Gramlich/Zerres, ZIP 1998, S. 1299, 1300 ff. und Staudinger-O. Wemer, § 5 HWiG Rz. 8. 435 BGH, Urt. vom 4.5.1994, NJW 1994, S. 2759, 2760: Die auf typisierte Fälle zugeschnittene Regelung lasse keinen Raum zur Berücksichtigung einer im Einzelfall bestehenden besonderen Schutzbedürftigkeit. 436 Zum rechtlichen, tatsächlichen und technischen Ablauf von Geschäften im Internet Borges, ZIP 1999, S. l30, l31 f. 430

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die Bedeutung von Fernabsatzgeschäften für die Entwicklung des europäischen Binnenmarktes. Fernabsatzgeschäfte sind weniger als andere Formen des Waren- und Dienstleistungsvertriebs an Grenzen gebunden. Durch die neuen Technologien hat der Verbraucher einen immer besseren Überblick über das Angebot in den Staaten der Gemeinschaft. Der Verbraucher muss nicht erst die Mühe einer Reise auf sich nehmen, um das Angebot eines regional anderen Marktes zu sichten. Ihm stehen zahlreiche neue Möglichkeiten offen, Bestellungen zu tätigen. 437 Die Konkurrenz intensiviert sich, was dem Verbraucher in Form niedriger Preise und einer größeren Angebotsbreite wieder zu Gute kommt. 438 Für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes ist es sinnvoll und notwendig, dass der Verbraucher sich auch an Unternehmen außerhalb seines Landes wenden kann. 439 Aus diesen Gründen sind Vorgaben für einen gemeinschaftsrechtlichen Konsumentenschutz geschaffen worden. Die Richtlinie ist mit dem Gesetz über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro in das deutsche Recht umgesetzt worden. 44o Im vorliegenden Zusammenhang ist insbesondere das Widerrufsrecht in § 3 FernAbsG von Interesse. Ähnlich wie § 1 HWiG knüpft § 3 FernAbsG an eine spezifische Situation der Vertragsanbahnung an und zwar den Vertragsschluss unter Einsatz von Fernkommunikationstechniken. Darunter sind technische Hilfsmittel im weitesten Sinne zu verstehen, die eine Kontaktaufnahme zwischen den Parteien ermöglichen, ohne dass sie gleichzeitig körperlich anwesend sein müssen, § 1 Abs. 2 FernAbsG. Als Beispiele für Fernkommunikationstechniken nennt § 1 Abs. 2 FernAbsG sowohl klassische Fernvertriebsmethoden wie Briefe, Kataloge und Telefonanrufe als auch neue Techniken, wie z. B. e-Mails. 441 Die Aufzählung ist keineswegs abschließend, weil gerade die Kommunikationstechnik von einer steten Entwicklung gekennzeichnet ist und deswegen jeder enumerative Katalog in kürzester Zeit überholt wäre. Nicht jeder Vertragsschluss am Telefon unterliegt jedoch dem FernAbsG. Erforderlich ist vielmehr, dass der Vertragschluss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystems erfolgt, so die negative Formulierung des § 1 Abs. 1, 2. HS FernAbsG. Überdies entErw. 4 RL 199717/EG. Borges, ZIP 1999, s. 565; Martinek, NJW 1998, S. 207. 439 Erw. 3 RL 199717/EG. 440 Aus dem Schrifttum zur Umsetzung: Artz/Bülow, NJW 2000, S. 2049 ff.; Fuchs, ZIP 2000, S. 1273 ff.; GaertnerlGierschmann, DB 2000, S. 1601 ff. Kamanabrou, WM 2000, S. 1417 ff.; Marx, WRP 2000, S. 1227 ff.; Riehm, Jura 2000, S. 505 ff.; Schmidt-Räntsch, VuR 2000, S. 427 ff.: Tonner, BB 2000, S. 1413 ff. Umfassend zur Richtlinie und deren Umsetzung Pützhoven, Europäischer Verbraucherschutz im Fernabsatz, Diss. 2001. 441 Vgl. die Kommunikationstechniken in Anhang I der RL 199717/EG. 437

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hält § lAbs. 3 FernAbsG einen umfangreichen und in den Einzelheiten zweifelhaften Ausnahmekatalog für Verträge, die nicht den Regeln des FernAbsG unterliegen. Das Fernabsatzgeschäft bildet situativ das Gegenteil eines Geschäftes an der Haustür. 442 Der Verbraucher steht beim Haustürgeschäft durch den Besuch des Vertreters unter Druck, auf ihn wird eingewirkt, er kann sich nicht in Ruhe entscheiden und ihm steht insbesondere der Preis- und Angebotsvergleich auf dem Markt nicht offen. Demgegenüber lässt sich eine entspanntere Kaufsituation als beim Fernabsatz regelmäßig kaum vorstellen: Der Verbraucher sieht ein Produkt im Fernsehen, er bekommt Kataloge zugeschickt und er kann die Angebote daheim in Ruhe vergleichen. 443 Verfügt er sogar über einen Internetzugang, dann stehen ihm dadurch weltweit praktisch unbegrenzte Auswahl- und Vergleichsmöglichkeiten offen. Dieser virtuelle Marktplatz führt zu einer nie da gewesenen Markttransparenz. 444 Der Schutzzweck des Widerrufsrecht im Fernabsatzrecht muss sich daher aus ganz anderen Erwägungen als beim HWiG ergeben. Die spezifische Gefahr, die sich mit dem Fernabsatzgesetz verbindet, ist denn auch nicht die Überrumplung, sondern die Anfälligkeit für die (Un)Richtigkeit vermittelter Informationen. 445 Der Einsatz von Fernkommunikationstechniken birgt ein erhöhtes Risiko irreführender Informationen in sich. Das FernAbsG dient dem Ausgleich von möglichen Informationsdefiziten, wegen der "Unsichtbarkeit des Vertragspartners und des Produkts".446 Denn der Verbraucher hat bei Geschäften im Fernabsatz keine Möglichkeit, die vertragliche geschuldete Leistung und den Vertrags partner in Augenschein zu nehmen. Er muss sich deshalb auf die ihm dargebotenen Informationen verlassen können. 447 Erschwerend kommt hinzu, dass Informationen, die dem Verbraucher fernmündlich oder elektronisch vermittelt werden, typischerweise nicht dauerhaft fixiert zur Verfügung stehen. 448 Diese Flüchtig-

BT-Drucksache 14/2658, S. 34 f.; Bülow/Artz, NJW 2000, S. 2049, 2054. Demgegenüber soll nach Willingmann, VuR 1998, S. 395, 399, ein der Überrumpelung nahestehender Entscheidungsdruck auf den Kunden angeblich auch beim Distanzgeschäft bestehen, z. B. durch den Hinweis auf "ab sofort" freigeschaltete Telefonleitungen. Ähnlich Staudinger-O. Wemer, § 1 HWiG Rz. 76 für das Teleshopping. 444 Borges, ZIP 1999, S. 565; Marx, WRP 2000, S. 1227, 1228. 445 Bodewig, DZWir 1997, S. 447, 450; Borges, ZIP 1999, S. 130; Willingmann, VuR 1998, S. 395, 398. 446 Fuchs, ZIP 2000, S. 1273, 1276; Martinek, NJW 1998, S. 207; Marx, WRP 2000, S. 1227, 1228 f. 447 Erw. 14 zur Art. 6 RL 1997/7/EG. 448 Bodewig, DZWir 1997, S. 447, 448; Bülow/Artz, NJW 2000, S. 2049, 2054; Fuchs, ZIP 2000, S. 1273, 1274. 442 443

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

keit von Infonnationen stellt den Verbraucher im prozessualen Streitfalle vor ernste Beweisprobleme. Dem Ausgleich dieser typischen Gefahren eines Distanzgeschäftes dient das Widerrufsrecht in Verbindung mit umfangreichen Infonnationspflichten. Die Frist zur Ausübung des Widerrufs rechts beginnt bei der Lieferung von Waren nicht vor dem Tag ihres Eingangs beim Empfänger (§ 3 Abs. 1 Satz 2 FernAbsG). Dadurch bietet sich dem Kunden die Gelegenheit, den Leistungsgegenstand zu prüfen und insbesondere festzustellen, ob die Ware den eigenen Erwartungen entspricht. In dem Widerrufsrecht ist allerdings keine Sanktion für unrichtige vorvertragliche Werbeaussagen zu sehen, weil der Verbraucher auch bei Lieferung einer tadellosen Ware, die also der Beschreibung des Unternehmers voll und ganz entspricht, seine Willenserklärung widerrufen kann. Der vertragsrechtliche Schutz des FernAbsG betrifft die Entscheidungsgrundlage und steht selbstständig neben dem wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutz. Ebenso wie das Widerrufsrecht nach § 1 Abs. 1 HWiG ist das Bestehen eines Widerrufsrechts nach § 3 Abs. 1 FernAbsG von der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung einer Vertriebsmethode grundsätzlich unabhängig. Eine Übernahme des Widerrufs auf wettbewerbsrechtlich problematische Konstellationen ist daher ausgeschlossen. IV. Geschäfte mit weitreichenden Verpflichtungen

Widerrufsrechte sind auch vorgesehen in § 7 Abs. 1 VerbrKrG und § 5 Abs. 1 TzWrG. Verbraucherkreditgeschäfte und Verträge über TeilzeitWohnrechte bringen für den Verbraucher erhebliche wirtschaftliche Belastungen und sonstige Gefahren mit sich, deren Tragweite er bei Vertragsschluss häufig nicht richtig einschätzen kann. Flankiert werden die Widerrufsrechte durch umfangreiche Infonnationskataloge. Anders als HWiG und FernAbsG beruhen die Widerrufsrechte aus § 7 Abs. 1 VerbrKrG und § 5 Abs. 1 TzWrG nicht auf einem situativen Schutzkonzept, sondern sie knüpfen an den Gegenstand des Vertrages an. Schutzintention des VerbrKrG ist es, den Verbraucher über die mit einer Kreditaufnahme verbundenen Risiken zu infonnieren und vor der Gefahr einer Überschuldung zu bewahren. 449 Finanzschwache Verbraucher erhalten durch die Möglichkeit zur Kreditaufnahme und zum Kauf auf Raten die Chance, auch solche Waren zu konsumieren, deren Erwerb eigentlich ihre wirtschaftlichen Leistungsgrenze überschreiten würde. Sie können eine ge449 Staudinger-Kessal-Wulf, Ein\. zum VerbrKrG Rz. 6 ff.; Erman-Rebmann, Ein\. VerbrKrG, Rz. 2. Vgl. dazu auch Bender, in Bender, Rechtstatsachen, S. 11 ff. und GottwaldlBender, ebenda, S. 17 ff.

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kaufte Sache sofort nutzen, müssen sie aber erst später bezahlen, was zu einer Verharmlosung der wirtschaftlichen Belastung führt. 45o Durch die Kreditaufnahme geraten sie leicht in eine wirtschaftliche Abhängigkeit. 45 ! Im Ergebnis zahlen die Verbraucher zudem durch den Kredit und den anfallenden Zins sogar mehr und sind damit im Vergleich zu finanziell besser gestellten Konsumenten einer höheren Belastung ausgesetzt. 452 Die Eignung gerade eines Widerrufsrechts zum Schutze des Kreditnehmers ist allerdings mit guten Gründen angezweifelt worden. Die wirtschaftliche Belastung durch einen Kredit dürfte für den Verbraucher nur selten innerhalb der kurz bemessenen Widerrufsfrist spürbar werden und die Frist reicht regelmäßig auch nicht, um sich auf dem Markt nach einem Kredit zu günstigeren Konditionen umzusehen. 453 Ein wirksamer Schutzmechanismus entsteht deshalb erst im Zusammenspiel mit den in § 4 VerbrKrG festgehaltenen besonderen Informationspflichten, die dem Verbraucher Gelegenheit geben, das Risiko des Vertrages vorausschauend abzuschätzen. 454 Time-Sharing-Verträge455 bergen vielfältige wirtschaftliche und rechtliche Risiken in sich. 456 So werden Verträge umständlich oder gar unverständlich formuliert und häufig wird die Anwendung fremden Rechts vereinbart. Nicht selten ist unklar, in welchem Umfang der Erwerber überhaupt Rechte erlangt und welche Pflichten sich aus dem Vertrag ergeben. Da es sich häufig um Anlagen in Feriengebieten handelt, kann der Verbraucher überdies den Zustand der erworbenen Immobilie ebenso wenig nachprüfen wie die Qualität von Verwaltung und Service. 457 Er kann daher keinen Vergleich mit anderen Time-Sharing-Objekten vornehmen oder den Nutzen das Teilzeit-Wohnrechts mit dem einer regelmäßigen Pauschalreise abwägen, bei deren Buchung der Reisende durch die §§ 651 a ff. BGB umfassend geschützt ist. 458 Weitere wirtschaftliche Risiken bestehen hinsichtlich der Seriosität und Bonität des Time-Sharing-Betreibers. Das Widerrufsrecht wird in § 7 TzWrG ergänzt durch umfangreiche Informationspflichten und durch ein Anzahlungsverbot, da der Interessent von der Ausübung seines Wider450 Canaris, AcP 200 (2000), S. 273, 348 f.; von Hippe!, Verbraucherschutz, §§ 8, 9 (S. 192 ff., 214 ff.). 451 Kemper, S. 51 ff.; Errnan-Rebmann, Einl. VerbrKrG, Rz. l. 452 Zu diesem "the poor pay more"-Effekt, Beater, Verbraucherschutz im Wettbewerbsrecht, S. 116 ff. 453 Kemper, S. 255, 509; Medicus, Gutachten, S. 524; St. Lorenz, Unerwünschter Vertrag, S. 184 f., 19l. 454 Canaris, AcP 200 (2000), S. 273, 351. 455 Zur Funktionsweise des Time-Sharing Büttner, VuR 1997, S. 411 ff.; Mäsch, DNotZ 1997, S. 180, 182 ff.; Reinkenhof, Jura 1998, S. 561, 562 ff. 456 Eingehend Eckert, ZIR 1997, S. 2. 457 Reinkenhof, Jura 1998, S. 561, 562. 458 Eckert, ZIR 1997, S. 2, 3; Mäsch, DNotZ 1997, S. 180, 18l.

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III. Teil: Freistellung von vertraglichen Verpflichtungen

rufsrechts abgeschreckt werden könnte, wenn er zuvor einen erheblichen Geldbetrag angezahlt hat und nun fürchtet, das Geld im Falle des Widerrufs nicht wieder zu bekommen. 459 Die Schutzintentionen von VerbrI