Krisenzeiten sind Blütezeiten des Insolvenzrechts. Für die Insolvenzordnung des Jahres 1999 ist die gegenwärtige Finanz-
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German Pages 704 [705] Year 2011
Table of contents :
Cover
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
A. Das neue Insolvenzrecht im elften Jahr seines Bestehens
B. Das Ziel der Untersuchung
C. Der Gang der Untersuchung
Kapitel 1 Funktion und Rechtsnatur des Insolvenzplansaus betriebswirtschaftlicher und rechtshistorischer Sicht
A. Der Insolvenzplan aus betriebswirtschaftlicher Perspektive
I. Die Basisziele und der (betriebswirtschaftliche) Krisenbegriff
II. Der Sanierungsprozess
1. Sanierungsfähigkeit und Sanierungswürdigkeit
2. Die Unternehmensanalyse
3. Die Planung operativer Maβnahmen
a) Leistungswirtschaftliche Maβnahmen
b) Finanzwirtschaftliche Maβnahmen
(1) Die Zuführung von Fremdkapital
(2) Mezzanine-Kapital
(3) Die Zuführung von Eigenkapital
(4) Die Unterstützung der Sanierungsfinanzierung durch Verzichtsbeiträge der Gläubiger
(a) debt-equity-swap.
(b) Besserungsvereinbarungen.
c) Die Wahl der Sanierungsart
(1) Die Reorganisation
(2) Die übertragende Sanierung
(3) Auswahlkriterien
4. Die Entscheidungsträger
5. Das Planungsergebnis
III. Die rechtlich verbindliche Fixierung der Sanierung
1. Die außergerichtliche Reorganisation – der Sanierungsvergleich
a) Vorteile
b) Nachteile
(1) Die Motivationslage von Gläubigern in Schlüsselpositionen
(2) Der Zeitfaktor
c) Fazit
2. Die außergerichtliche Unternehmensveräuβerung
3. Der Insolvenzplan als Sanierungsinstrument im Insolvenzverfahren
a) Die Vorteile des Insolvenzplanverfahrens
b) Die Nachteile des Insolvenzplanverfahrens
c) Die Alternative: Veräuβerung des Unternehmens gemäβ § 160 InsO
4. Fazit – Die Relevanz eines Insolvenzplans in der Krise
IV. Ergebnis: Die betriebswirtschaftlich geprägte Funktion des Insolvenzplans
B. Die Vorgängerregelungen – Zwangsvergleich und Vergleich
I. Ursprünge eines Zwangsvergleichs im Römischen Recht und seine Verbreitung
II. Kodifizierung in der Konkurs- und in der Vergleichsordnung
III. Die Rechtsnatur des Zwangsvergleichs der Konkursordnung
1. Die Urteilstheorie
2. Die Vertragstheorie
a) Die Stimmabgabe jedes Gläubigers als Annahmeerklärung
b) Die Annahme des Vergleichsvorschlags durch die Gläubigerschaft
c) Die gerichtliche Bestätigung als Genehmigungserfordernis
d) Die prozessuale Komponente des Zwangsvergleichs
3. Ein Rechtsinstitut eigener Art
IV. Die Diskussion um die Rechtsnatur des konkursabwendenden Vergleichs der Vergleichsordnung
1. Vergleich (und Zwangsvergleich) als Normenvertrag
2. Vergleich (und Zwangsvergleich) als Vertrag
V. Die richterliche Vertragshilfe
C. Die Reform des Insolvenzrechts
I. Die Krise des Insolvenzrechts in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
II. Krisenursachen
1. Sicherungsrechte
2. Zunahme der Massegläubiger
3. Unzulänglichkeiten im Gesellschafts-, Wirtschaftsstraf und Anfechtungsrecht
4. Verspätete Konkursanträge
5. Das Fiskusvorrecht
6. Unzureichend ausgebildete Konkursverwalter
7. Besondere Ursachen für die Abkehr vom Akkord?
III. Die Reaktion des Gesetzgebers
1. Kein Eingriff in das zivilrechtliche System der Kreditsicherheiten
a) Die fehlende zeitliche Korrelation
b) Die beschränkte Zuständigkeit des Insolvenzrechts
2. Die Sicherungsrechte in der Insolvenz
3. Begrenzung der Masseverbindlichkeiten und Beseitigung von Vorrechten
4. Erleichterungen im Anfechtungsrecht
5. Sicherung einer frühzeitigen Insolvenzantragstellung
6. Verbesserung der Insolvenzverwaltervergütung?
7. Sicherung der Kostendeckung im Eröffnungsverfahren
IV. Die Rückkehr eines wirkungsvollen Insolvenzrechts
1. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Regelfall
2. Die explosionsartige Zunahme der Verbraucherinsolvenzverfahren
3. Die nur zögerliche Akzeptanz des Insolvenzplans
V. Die U. S.-amerikanischen Wurzeln des Insolvenzplans
1. Das Verfahren nach Chapter 11 des Bankruptcy Code
a) Die Entwicklung des Reorganisationsverfahrens und seiner Prinzipien
(1) Die Bankruptcy Acts von 1800, 1841 und 1867
(2) Equity Receivership
(3) Der Bankruptcy Act von 1898 und die Fortentwicklungder Equity Receivership
(4) Die Kodifi zierung der Reorganisationsverfahren in den 1930iger Jahren
b) Die Reorganisation nach Chapter 11 des Bankruptcy Code von 1978
c) Die Rechtsnatur des Reorganisationsplans des Chapter 11
(1) Die Vertragstheorie: »The confi rmed plan is a contract.«
(2) Die prozessuale Vertragstheorie: »The plan resembles a consent decree.«
(3) Die Urteilstheorie: »The confi rmed plan is a judgement.«
(4) Analyse
2. Die Rezeption ins Insolvenzplanverfahren
VI. Rückschlüsse auf die Rechtsnatur des Insolvenzplans aus dem Reformverfahren
D. Zusammenfassung
Kapitel 2 Ein Insolvenzplan ist keine Rechtsnorm
A. Die Wesensmerkmale von Rechtsnormen
I. Heteronomität
II. Generalität
B. Der Insolvenzplan ist kein Normenvertrag
C. Ergebnis
Kapitel 3 Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
A. Die Planvorlage – invitatio ad offerendum
I. Die Planvorlage durch den Insolvenzverwalter
1. Die Vorlage eines Gläubigerplans durch den Insolvenzverwalter
2. Die Vorlage eines Verwalterplans durch den Insolvenzverwalter
II. Die Planvorlage durch den Schuldner
III. Ergebnis
B. Vertragsschluss durch Zustimmung zu einer Vorlage
C. Die Abstimmung der Gläubiger
I. Die Stimmabgabe als interne Willensbildung
II. Qualifikation der beschließenden Personenmehrheit
1. Die Gläubiger als Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts
a) Die Freiwilligkeit des Zusammenschlusses
b) Das Gesamthandsvermögen
2. Die Gläubiger als Bruchteilsgemeinschaft
a) Die Gläubigergruppe nach §§ 222, 243 InsO
b) Die Gläubigergesamtheit
(1) Das Verwertungsrecht als gemeinschaftliches Recht
(2) Bruchteilsgemeinschaft an einer Rechtsgesamtheit
(a) Bruchteilsgemeinschaft und Spezialitätsgrundsatz
(b) Bruchteilsgemeinschaft als Gemeinschaft identischer Beteiligter
(c) Die Gläubigergemeinschaft als einheitliche Bruchteilsgemeinschaft
(3) Bruchteilsgemeinschaft und Rechtsfähigkeit
(a) Die Rechtsfähigkeit der Insolvenzmasse
(b) Die Rechtsfähigkeit der Bruchteilsgemeinschaft der Gläubiger
3. Die Gläubiger als Interessengemeinschaft
a) Die Gläubigergemeinschaft
b) Exkurs: Die Gläubiger vor der Verfahrenseröffnung
c) Die Gläubigergruppen des § 222 InsO
4. Ergebnis
III. Entscheidung innerhalb des Wirkungsbereichs der Personengruppe
1. Der Beschluss der Gläubigergemeinschaft über den Insolvenzplan
a) Der Wirkungskreis der Bruchteilsgemeinschaft
b) Die Entscheidung über den Insolvenzplan
2. Der Beschluss der Gläubigergruppe über den Insolvenzplan
a) Der Wirkungskreis der Interessengemeinschaft Gläubigergruppe
b) Der Beschluss der Gläubigergruppe über den Insolvenzplan
3. Ergebnis
IV. Legitimation der Mehrheitsmacht in der Gläubigergruppe
1. Mehrheitsbeschlüsse bei Gesellschaften – Unterwerfungsvertrag
2. Mehrheitsbeschlüsse bei Gemeinschaften – Notwendigkeit
a) Die Mehrheitsmacht als Ausgleich
b) Die Richtigkeitsgewähr von Mehrheitsentscheidungen
c) Die Mehrheitsmacht in der Gläubigergruppe nach § 244 InsO
d) Verfassungsrechtliche Aspekte der Mehrheitsmacht
V. Zwischenergebnis
VI. Die Ausführung des Beschlusses – die Willenserklärungen der Gläubiger
1. Keine Willenserklärung der einzelnen Gläubigergruppe
2. Die Willenserklärungen der zustimmenden Gläubiger
3. Die Zustimmungserklärungen der überstimmten Minderheit
4. Die Zustimmungserklärungen der nicht abstimmenden Insolvenzgläubiger
5. Der Zugang der Erklärungen
VII. Ergebnis
VIII. Ausblick: Die Abstimmung der Gesellschafter über den Insolvenzplan
D. Die Zustimmung des Schuldners
I. Die Notwendigkeit der Zustimmung des Schuldners
II. Das Schweigen des Schuldners als Zustimmung (§ 247 Abs. 1 InsO)
1. Beredtes Schweigen
2. Schweigen mit Erklärungswirkung
a) Gesetzlich fingierte Willenserklärungen
b) Schweigen als Vertragserklärung kraft Handelsbrauchsoder Treu und Glauben
3. Die Fiktion der Zustimmung des Schuldners in § 247 Abs. 1 InsO
III. Ergebnis
E. Zustimmungsfiktionen auf Gläubiger- und Schuldnerseite
I. Das Obstruktionsverbot des § 245 InsO
II. Die Zustimmungsfiktion nachrangiger Insolvenzgläubiger in § 246 InsO
III. Die Zustimmungsfiktion beim Schuldner in § 247 Abs. 2 InsO
IV. Keine Legitimation der Fiktionen durch das Mehrheitsprinzip
1. bezüglich nachrangiger Insolvenzgläubiger und dem Schuldner
2. bezüglich der sonstigen ablehnenden Gläubigergruppen (§ 245 InsO)
V. Zustimmungsfiktionen als gesetzlicher Kontrahierungszwang
1. Kontrahierungszwang und Vertragsfreiheit
a) Der allgemeine Kontrahierungszwang
b) Der gesetzliche Kontrahierungszwang
2. Die §§ 245 bis 247 InsO als Fälle eines gesetzlichen Kontrahierungszwangs
3. Gesetzlicher Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag
a) Der Anspruch auf Zustimmung als Regelfolge eines Kontrahierungszwangs
b) Diktierter Vertrag im weiteren Sinn
c) Diktierter Vertrag im engeren Sinn
d) Der Insolvenzplan ist kein diktierter Vertrag im engeren Sinn
4. Die Obstruktionsverbote im Lichte der Grundrechte
a) Keine Rechtfertigung durch das Majoritätsprinzip
b) Rechtfertigung durch das Verbot des Rechtsmissbrauchs
c) Rückschlüsse für die Anwendung der §§ 245 bis 247 InsO
d) Die Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG
VI. Ergebnis
F. Zusammenfassung – Der Vertragsschluss über den Insolvenzplan
I. Die Willenserklärungen der Gläubiger
II. Die Willenserklärung des Schuldners
III. Die Verpflichtungserklärungen engagierter Dritter nach § 230 Abs. 3 InsO
IV. Der Vertragsschluss
V. Fazit
Kapitel 4 Der Insolvenzplan als Verfahrensobjekt
A. Die Funktion der gerichtlichen Bestätigung des Plans
B. Der Insolvenzplan ist kein Urteil oder Verfahrensakt
I. Die Rechtskraftwirkung gerichtlicher Entscheidungen
II. Urteile mit Gestaltungswirkung im materiellen Recht
III. Die Gestaltungsmacht des Richters in den Ausgleichsverfahren der Kriegszeit
IV. Die Gestaltungsmacht des Insolvenzrichters hinsichtlich des Insolvenzplans
1. Keine inhaltliche Gestaltungsmacht des Insolvenzrichters
a) Die Versagungsbefugnis in den §§ 249 bis 251 InsO
(1) Der Individualschutz in § 251 InsO
(2) § 250 InsO – Prüfung und Durchsetzung von Zustimmungspflichten
(3) Die Beachtung von Planbedingungen nach § 249 InsO
b) Materielle Gestaltungsbefugnisse des Gerichts aus § 231 InsO?
c) Materielle Gestaltungsbefugnisse des Gerichts bei konkurrierenden Plänen?
(1) Die fehlende ausdrückliche gesetzliche Regelung
(2) Die mögliche Annahme mehrerer Pläne im Abstimmungstermin
(3) Keine Auswahlentscheidung durch das Insolvenzgericht
(4) Die Respektierung des Abstimmungsergebnisses durch eine verfahrensrechtliche Lösung
(5) Ergebnis
d) Zusammenfassung
2. Keine gebundene Gestaltungsmacht des Insolvenzrichters (»Verfahrenstheorie«)
a) Der Bestätigungsbeschluss – richterliche Gestaltung oder Erkenntnis?
b) Die Fiktionswirkung des § 894 ZPO
3. Ergebnis
C. Die Natur des richterlichen Handelns bei der Planbestätigung
I. Die herrschende Ansicht: Das Insolvenzverfahren als Zwangsvollstreckungsverfahren
1. Der Verweis auf die ZPO in § 4 InsO
2. Der Zweck des Insolvenzverfahrens
3. Schlussfolgerung
II. Die Gegenansicht: Das Insolvenzverfahren als Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit
1. Die formelle Zuordnung zur freiwilligen bzw. streitigen Gerichtsbarkeit
2. Die materielle Zuordnung des Insolvenzverfahrens
a) Der Begriff der »Rechtsfürsorge«
(1) Kontradiktorische vs. verwaltende Gerichtsbarkeit
(2) Die Haltung des Gesetzgebers
(3) Das Insolvenzverfahren – (auch) ein materielles Liquidationsverfahren
(4) Das Insolvenzplanverfahren
b) Regelungsstreitigkeiten als FG-Verfahren
(1) Das Insolvenzverfahren ist keine Regelungsstreitigkeit
(2) Das Insolvenzplanverfahren ist keine Regelungsstreitigkeit
(a) Kein Handlungsermessen des Richters
(b) Vertragshilfe und Regelungsstreitigkeit
3. Ergebnis
III. Die Insolvenzordnung – eine eigenständige Verfahrensordnung
IV. Schlussfolgerungen für die Natur der Bestätigungsentscheidung
1. Die Beschränkung des Prüfungsgegenstandes auf das Planverfahren
2. Die Bestätigung ist keine Vertragsgenehmigung
3. Die Bestätigung als integrierter Rechtsschutz
D. Der Insolvenzplan und das Prozessrecht
I. Prozesshandlung und Prozessvertrag
1. Der enge Prozesshandlungsbegriff
2. Der weite oder auch funktionelle Prozesshandlungsbegriff
3. Die Vorzugswürdigkeit des funktionellen Prozesshandlungsbegriffs
a) Der Zirkelschluss der engen Begriffsdefinition
b) Die richtige Einordnung von Prozessverträgen
4. Handlungen mit Doppelwirkung
II. Prozesshandlungen im Insolvenzplanverfahren
1. Unerheblichkeit des Forums der Erklärung für deren Einordnung
2. Unerheblichkeit der Verfahrensregelungen über das Zustandekommen des Plans
3. Die Notwendigkeit der individuellen Feststellung einer prozessualen Hauptwirkung
III. Der Insolvenzplan ist kein Prozessvertrag
1. Der Prozessvergleich als Vergleichsmaßstab
a) Der Insolvenzplan ist kein Vollstreckungstitel
b) Der Insolvenzplan beendet nicht das Insolvenzverfahren
2. Verfahrensgestaltende Wirkungen im Einzelfall? – Der »verfahrensleitende Plan«
3. Zwischenergebnis
IV. Die Abstimmungserklärungen als Doppeltatbestand?
1. Das Einbringen von Tatsachen als Prozesshandlung im Zivilprozess
2. Die Besonderheit des Untersuchungsgrundsatzes im Insolvenzverfahren
3. Die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes bei der Bestätigungsentscheidung
V. Folgerungen für Problemfälle in der Planentstehung
1. Die Planrücknahme durch den Initiator
2. Die Unwirksamkeit einer Stimmrechtsvollmacht und ihre Folgen
VI. Ergebnis
E. Mängel bei der Planentstehung und ihre Heilung
I. Die Wirkung der materiellen Rechtskraft
II. Die Voraussetzungen der materiellen Rechtskraft
1. Die formelle Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses
2. Der rechtskraftfähige Inhalt des Bestätigungsbeschlusses
III. Umfang und Grenzen der materiellen Rechtskraft
1. Der Gegenstand der materiellen Rechtskraft
a) Der Inhalt der Bestätigungsentscheidung
b) Der Subsumtionsschluss der Bestätigungsentscheidung
2. Die Wirkungserweiterung durch die Präklusion von Tatsachen
3. Die Grenzen der materiellen Rechtskraft
a) Die Verpflichtung von Plangaranten ist nicht Teil des Insolvenzplans
b) Keine Erstreckung der Rechtskraft auf Plangaranten
4. Keine erneute Entscheidung über die Stimmrechte der Gläubiger
a) Die Stimmrechtsfestsetzung nach §§ 237, 238, 77 InsO
b) Die Stimmrechtsvollmacht ist keine Vorfrage der Stimmrechtsfestsetzung
IV. Ergebnis
F. Zusammenfassung: Der Insolvenzplan – ein Vertrag bürgerlichen Rechts
I. Der Insolvenzplan ist ein Vertrag mit vorverlagertem Rechtsschutzverfahren
II. Der Insolvenzplan ist ein diktierter Vertrag im weiteren Sinn
III. Der Insolvenzplan ist kein Prozessvertrag
IV. Der Insolvenzplan ist ein Vergleich gemäß § 779 BGB
1. Die Beseitigung der Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis
2. Das gegenseitige Nachgeben
3. Der Gleichlauf mit dem außergerichtlichen Sanierungs- oder Liquidationsvergleich
4. Die historische Kontinuität der Einordnung
5. Ergebnis
Kapitel 5 Optimierung des deutschen Reorganisationsrechts in der Insolvenz
A. Das Planverfahren als effizientester Verfahrensweg
I. Zur Effi zienz eines Insolvenzverfahrens
II. Die Aufgabe der Reorganisation in der Insolvenz
1. Zerschlagungs- und Fortführungswert
2. Die Gewinnung des Fortführungswertes
a) Die übertragende Sanierung
b) Die Reorganisation
c) Der Unterschied zur Funktion einer Reorganisation außerhalb einer Insolvenz
III. Zur Notwendigkeit einer Reorganisation in der Insolvenz
1. Liquidation statt Reorganisation
a) Die Liquidation als natürlicher Weg zum Fortführungswert
b) Die Abschaffung der Reorganisationsoption zugunsten von Auktionsmodellen?
(1) Die grundsätzliche Kritik von Douglas G. Baird und Thomas H. Jackson
(2) Die obligatorische Auktion nach Douglas G. Baird
(3) Der »restricted auction mechanism« nach Berkovitch, Israel und Zender
(4) Das parallele Auktionsverfahren nach Alexander Dilger
2. Der debt-equity-swap als Instrument der Insolvenzbewältigung (Optionsmodelle)
a) Der »slice-of-common-stock sale« nach Mark J. Roe
b) Das Bebchuk-Modell
c) Weiterentwicklungen der Modelle von Roe und Bebchuk
(1) Ben Branch
(2) Philippe Aghion, Oliver Hart und John Moore
(3) Hart, La Porta Drago, Lopez-de-Silanes und Moore
(4) »non-cash auctions« nach David Hahn
(5) Barry A. Adler und Ian Ayres (»dilution mechanism«)
(6) »Chameleon-Equity« nach Barry E. Adler
d) Der automatische debt-equity-swap als alleiniger Insolvenzmechanismus
3. Die Rechtfertigung einer Reorganisationsoption in der Insolvenz
a) Zweifel an den Effizienzvorteilen der Alternativmodelle
(1) Das Fehlen perfekter Märkte und Marktteilnehmer
(2) Der Kostenvergleich
(a) Auktions- bzw. Veräußerungskosten
(b) Kosten einer Forderungsumwandlung bei Optionsmodellen
(c) Die speziellen Defizite des Chapter 11 des U. S. Bankruptcy Code
(3) Die Unentbehrlichkeit gerichtlicher Entscheidungen
b) Die Unfähigkeit der Optionsmodelle zur Bewältigung jeder Unternehmensinsolvenz
(1) Der beschränkte Wirkungsbereich der Modelle
(2) Die kaum mögliche Erweiterbarkeit dieses Wirkungsbereiches
(3) Der freiwillige Forderungstausch als Krisenbewältigungsinstrument
c) Die Defizite der Auktionsmodelle
(1) Die verbreitete Nutzung von Veräußerungen in der Insolvenzpraxis
(2) Die Unzulänglichkeit von Auktionsverfahren in Einzelfällen
d) Fazit – Der Sinn von Handlungsoptionen in der Insolvenz
(1) Die Notwendigkeit einer Reorganisation in der Insolvenz
(2) Die Nützlichkeit einer Reorganisation in der Insolvenz
IV. Die Ausübung der Reorganisationsoption –Alternativen zum Planverfahren?
1. Modelle mit Einzelentscheidungsbefugnis
a) »Selective Stay Model« nach Baird und Picker
b) »waiver contracts« nach Schwarcz
c) »SIR«-Verfahren nach Jungmann
d) Der »better positioned agent« nach Rotem
2. Das administrative Insolvenzverfahren
a) Die Entscheidung durch eine Sanierungsbehörde
b) Die Entscheidung durch das Insolvenzgericht
3. Der Schuldner als Entscheidungsträger
4. Die richtige Entscheidung durch den richtigen Entscheidungsträger
a) Der Charakter der zu treffenden Entscheidung
(1) Keine Vermutung zugunsten einer Verwertungsoption
(2) Prognoseentscheidung unter Ungewissheit
b) Zur Richtigkeitsgewähr bei prognosebasierten Entscheidungen
(1) Expertenwissen
(2) Condorcet’s Jury Theorem
(3) Die Weisheit der Vielen
(a) Der Effekt
(b) Die Voraussetzungen
(4) Die Richtigkeitsgewähr von Verträgen
c) Der optimale Entscheidungsmechanismus in der Insolvenz
(1) Die Nutzung der Richtigkeitsgewähr des Konsensprinzips
(2) Die Beseitigung der Schwächen des Konsensprinzips durch einen »abgesicherten Vertragsschluss«
(a) Keine diktatorische Lösung des Kooperationsproblems
(b) Die Nutzbarmachung von Gruppeneffekten auf Kooperationsprobleme
(c) Der Kontrahierungszwang als Disziplinierungsmittel
(3) Der Anwendungsbereich der Vertragslösung
(4) Der Effizienzvorteil einer eingeschränkten Vertragslösung
(a) Kein Reorganisationskonzept – keine Verhandlungen
(b) Die Inhaltsoffenheit der eingeschränkten Vertragslösung
(c) Das »ACCORD scheme« nach Hausch/Ramachandran
5. Ergebnis
B. Der richtige Zeitpunkt für die Entscheidung über eine Reorganisationsoption
I. Der Zeitpunkt der Forderungsentstehung
1. »contract theory approach«
2. »menu approach«
3. Kritik
a) Die Schwächen des »contract theory approach«
b) Die Nachteile des »menu approach«
II. Der Zeitpunkt der Krise des Unternehmens
1. Die Informationsgrundlage
2. Zustimmungspflichten im Vorfeld der Insolvenz
a) Zustimmungspflichten auf vertraglicher Grundlage
b) Zustimmungspflichten auf gesetzlicher Grundlage
(1) Die Treuepflicht eines Gesellschafters
(2) Die Umsetzungspflicht in der Rechts- oder Bruchteilsgemeinschaft
(3) Die Interessengemeinschaft
c) Das Problem der Durchsetzung von Zustimmungspflichten
(1) Der vorläufige Rechtsschutz
(2) Die Durchsetzung von Kooperationspflichten in der Krise nach Horst Eidenmüller
(3) Die Durchsetzung durch Schiedsgerichte
d) Zwischenergebnis
3. Die »suspension clause solution« nach Claire Finkelstein
4. Ergebnis
III. Der Zeitraum des Insolvenzverfahrens
IV. Die wenig überzeugende Schlussfolgerung des deutschen Gesetzgebers
C. Die Vorverlagerung der Entscheidungsfindung mittels einer bloßen Bestätigungsinsolvenz
I. Die Grundidee
II. Definition der zu verwendenden Begriffe
1. Die vorbereitete Insolvenz oder prepackaged bankruptcy als Gattungsbegriff
2. Der noch unverhandelte Insolvenzplan als erste Untergruppe
3. Der vorverhandelte Insolvenzplan als zweite Untergruppe
4. Der bereits beschlossene Insolvenzplan als dritte Untergruppe
III. Das Regelungsmodell im U. S. Bankruptcy Code
1. Die gesetzliche Regelung in 11 U. S. C. § 1126 (b)
2. Das Verfahren einer pre-voted bankruptcy
3. Die Effekte und Grenzen dieser Verfahrensgestaltung
a) Die Überwindung von Blockadehaltungen
b) Die Planbarkeit des Verfahrensergebnisses
c) Reduzierung der Dauer und der Kosten des gerichtlichen Insolvenzverfahrens
d) Reduzierung der indirekten Insolvenzkosten
e) Unterstützung der außergerichtlichen Einigungsbemühungen
f) Strukturierung der außergerichtlichen Verhandlungen
g) Verbesserung der Verfahrensergebnisse
4. Ergebnis
IV. Die Implementierung im deutschen Recht
1. Die Bindung der Gläubiger an den außergerichtlich angenommenen Insolvenzplan
a) Die Ausgangslage im geltenden Insolvenzrecht
(1) Die Zulässigkeit der prepackaged bankruptcy im Insolvenzplanverfahren
(2) Das Planverfahren als Mechanismus zur Durchsetzung nur mehrheitlich getragener Insolvenzpläne
(3) Die Möglichkeit der Eigenverwaltung
b) Die Funktionsweise der amerikanischen pre-voted bankruptcy
c) Die außergerichtliche Stimmabgabe als antizipierte Zustimmung/Ablehnung
d) Der notwendige Umfang gesetzgeberischen Tätigwerdens
2. Die Bindung der Gesellschafter an einen außergerichtlichen Insolvenzplan
a) Die Ausgangslage im geltenden Insolvenzrecht
b) Die Legitimation und Funktionsweise der pre-voted bankruptcy
c) Die Abstimmung der Gesellschafter als Willensbildungsprozess
(1) Ausgangspunkt: Die Autonomie der Willensbildung in der Gesellschaft
(a) Der Schutz der Gesellschafterrechte aus Art. 14 GG
(b) Der Schutz der Gesellschafterrechte aus Art. 9 Abs. 1 GG
(c) Art. 25 Abs. 1 der Kapitalrichtlinie
(2) Die Einbindung der Willensbildung der Gesellschafter über den Insolvenzplan
(a) Die Abstimmung der Gesellschafter über den Insolvenzplan
(b) Kein generelles Obstruktionsverbot
(c) Ein Obstruktionsverbot bezüglich der Gewinnverwendung
d) Der notwendige Umfang gesetzgeberischen Tätigwerdens
V. Die notwendige Beschränkung der Rechtsmittel
1. Der Grundsatz der sofortigen Vollziehbarkeit eines Chapter 11-Plans
2. Die fehlende aufschiebende Wirkung einer sofortigen Beschwerde
3. Notwendigkeit einer entsprechende Neuregelung in den §§ 253, 254 Abs. 1 InsO
VI. Die Einordnung der Bestätigungsinsolvenz in die aktuelle Reformdiskussion
1. Der Vergleich mit dem Company Voluntary Arrangement des englischen Insolvency Act 1986
2. Zur Notwendigkeit eines besonderen vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens
3. Zu einem Sanierungsvergleichsgesetz nach Hölzle und einem neuen § 270b InsO
VII. Ergebnis
D. Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Sachregister
JUS PRIVAT UM Beiträge zum Privatrecht Band 157
Stephan Madaus
Der Insolvenzplan Von seiner dogmatischen Deutung als Vertrag und seiner Fortentwicklung in eine Bestätigungsinsolvenz
Mohr Siebeck
Stephan Madaus, geboren 1974; Studium der Rechtswissenschaft in Rostock; 2000 Promotion; 2008/2009 Visiting Scholar an der Stanford Law School, Stanford, Ca. (U.S.A.); 2010 Habilitation; 2010/2011 Vertretung des Lehrstuhls Prof. Dr. Eidenmüller an der LudwigMaximilians-Universtität München.
Gedruckt mit Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung. e-ISBN PDF 978-3-16-151234-6 ISBN 978-3-16-150728-1 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Garamond-Antiqua gesetzt und auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Ich möchte mich an dieser Stelle zunächst und vor allem bei denjenigen bedanken, die an der Entstehung dieses Buches maßgeblichen Anteil hatten. Mein besonderer Dank richtet sich zunächst an meinen akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Ralph Weber, für die wertvollen Anregungen, aber auch große Freiheit, die er mir bei der Wahl des Themas gelassen hat. Seine jahrelange fachliche und persönliche Förderung wie auch die daraus entstandene fruchtbare Zusammenarbeit hat mir in vielerlei Hinsicht geholfen. Mein Dank richtet sich in besonderem Maße auch an Frau Prof. Dr. Anja Hucke, und dies nicht nur für die Übernahme des Zweitgutachtens, sondern auch für die so herzliche Aufnahme im Kreise ihrer Mitarbeiter sowie für den Freiraum, die Arbeit zu vollenden. Schließlich gilt mein besonderer Dank Herrn Prof. Dr. Christoph Paulus für die Übernahme des Drittgutachtens und die damit verbundenen wertvollen Anregungen. Der Fritz-Thyssen-Stiftung für Wissenschaftsförderung danke ich zum einen für die Unterstützung meines Forschungsaufenthaltes an der Stanford University in Stanford, Ca. (U.S.A). Zum anderen hat sie die Drucklegung dieser Schrift ermöglicht. Auch dafür sei an dieser Stelle ausdrücklich gedankt. Ganz persönlich möchte ich mich bei meiner Lebensgefährtin Anke Hildebrandt bedanken, deren Verständnis und emotionale Unterstützung mich während der Entstehung dieser Arbeit begleitet und getragen hat. Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Universität Rostock im Wintersemester 2010/2011 als Habilitationsschrift angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten für die Drucklegung noch bis November 2010 berücksichtigt werden. Rostock, im November 2010
Stephan Madaus
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXV Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
A. Das neue Insolvenzrecht im elften Jahr seines Bestehens. . . . . . . . B. Das Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Der Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 3 4
Kapitel 1: Funktion und Rechtsnatur des Insolvenzplans aus betriebswirtschaftlicher und rechtshistorischer Sicht . . . . . . . . . . . .
7
A. B. C. D.
Der Insolvenzplan aus betriebswirtschaftlicher Perspektive . Die Vorgängerregelungen – Zwangsvergleich und Vergleich . Die Reform des Insolvenzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
7 56 83 163
Kapitel 2: Ein Insolvenzplan ist keine Rechtsnorm . . . . . . . . . . . . .
165
A. Die Wesensmerkmale von Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Insolvenzplan ist kein Normenvertrag . . . . . . . . . . . . . . . C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
166 169 171
Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts . . . . . . .
173
A. B. C. D. E. F.
174 183 184 246 254 292
Die Planvorlage – invitatio ad offerendum . . . . . . . . . . . . . . Vertragsschluss durch Zustimmung zu einer Vorlage. . . . . . . . Die Abstimmung der Gläubiger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Zustimmung des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zustimmungsfiktionen auf Gläubiger- und Schuldnerseite . . . . Zusammenfassung – Der Vertragsschluss über den Insolvenzplan
. . . .
. . . . . .
. . . . . .
VIII
Inhaltsübersicht
Kapitel 4: Der Insolvenzplan als Verfahrensobjekt . . . . . . . . . . . . .
299
A. B. C. D. E. F.
. . . . .
300 301 339 367 407
. . . .
424
Kapitel 5: Optimierung des deutschen Reorganisationsrechts in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
433
Die Funktion der gerichtlichen Bestätigung des Plans . . . . . Der Insolvenzplan ist kein Urteil oder Verfahrensakt . . . . . Die Natur des richterlichen Handelns bei der Planbestätigung Der Insolvenzplan und das Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . Mängel bei der Planentstehung und ihre Heilung . . . . . . . . Zusammenfassung: Der Insolvenzplan – ein Vertrag bürgerlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
. . . . .
. . . . .
A. Das Planverfahren als effizientester Verfahrensweg . . . . . . . . . B. Der richtige Zeitpunkt für die Entscheidung über eine Reorganisationsoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Vorverlagerung der Entscheidungsfindung mittels einer bloßen Bestätigungsinsolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.
435
.
529
. .
559 630
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
633
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
667
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXV
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
A. Das neue Insolvenzrecht im elften Jahr seines Bestehens . . . . . . . .
1
B. Das Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
C. Der Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
Kapitel 1: Funktion und Rechtsnatur des Insolvenzplans aus betriebswirtschaftlicher und rechtshistorischer Sicht . . . . . . . . .
7
A. Der Insolvenzplan aus betriebswirtschaftlicher Perspektive . . . . . .
7
I. Die Basisziele und der (betriebswirtschaftliche) Krisenbegriff
7
II. Der Sanierungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sanierungsfähigkeit und Sanierungswürdigkeit 2. Die Unternehmensanalyse. . . . . . . . . . . . . 3. Die Planung operativer Maßnahmen . . . . . . . a) Leistungswirtschaftliche Maßnahmen . . . . b) Finanzwirtschaftliche Maßnahmen. . . . . . (1) Die Zuführung von Fremdkapital. . . . . . . (2) Mezzanine-Kapital . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Zuführung von Eigenkapital . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
. . . . . . . . .
(4) Die Unterstützung der Sanierungsfinanzierung durch Verzichtsbeiträge der Gläubiger. . . . . . . . . . . . . . . (a) debt-equity-swap . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Besserungsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . .
c) Die Wahl der Sanierungsart . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Reorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 13 15 16 16 17 17 18 22 24 24 27 28 28
X
Inhaltsverzeichnis
(2) Die übertragende Sanierung . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Auswahlkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Die Entscheidungsträger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das Planungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die rechtlich verbindliche Fixierung der Sanierung . 1. Die außergerichtliche Reorganisation – der Sanierungsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nachteile. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28 32 34 36
. . . . . .
37
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
37 37 39
(1) Die Motivationslage von Gläubigern in Schlüsselpositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Zeitfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
41 43 44 44
. . . . . . . . .
46 47 48
. . . . . .
52 54
IV. Ergebnis: Die betriebswirtschaftlich geprägte Funktion des Insolvenzplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
B. Die Vorgängerregelungen – Zwangsvergleich und Vergleich . . . . . .
56
I. Ursprünge eines Zwangsvergleichs im Römischen Recht und seine Verbreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die außergerichtliche Unternehmensveräußerung . . . 3. Der Insolvenzplan als Sanierungsinstrument im Insolvenzverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Vorteile des Insolvenzplanverfahrens . . . . . . b) Die Nachteile des Insolvenzplanverfahrens . . . . . c) Die Alternative: Veräußerung des Unternehmens gemäß § 160 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit – Die Relevanz eines Insolvenzplans in der Krise
II. Kodifizierung in der Konkurs- und in der Vergleichsordnung III. Die Rechtsnatur des Zwangsvergleichs der Konkursordnung 1. Die Urteilstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vertragstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Stimmabgabe jedes Gläubigers als Annahmeerklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Annahme des Vergleichsvorschlags durch die Gläubigerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die gerichtliche Bestätigung als Genehmigungserfordernis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die prozessuale Komponente des Zwangsvergleichs . . 3. Ein Rechtsinstitut eigener Art . . . . . . . . . . . . . . . .
60 . . .
63 63 65
.
66
.
67
. . .
69 70 72
IV. Die Diskussion um die Rechtsnatur des konkursabwendenden Vergleichs der Vergleichsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
XI
Inhaltsverzeichnis
1. Vergleich (und Zwangsvergleich) als Normenvertrag. . . . . 2. Vergleich (und Zwangsvergleich) als Vertrag . . . . . . . . .
74 76
V. Die richterliche Vertragshilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
C. Die Reform des Insolvenzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
I. Die Krise des Insolvenzrechts in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
II. Krisenursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sicherungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zunahme der Massegläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unzulänglichkeiten im Gesellschafts-, Wirtschaftsstrafund Anfechtungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verspätete Konkursanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das Fiskusvorrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Unzureichend ausgebildete Konkursverwalter . . . . . . 7. Besondere Ursachen für die Abkehr vom Akkord?. . . .
. . . . . .
88 89 91
. . . . .
. . . . .
93 93 94 94 95
III. Die Reaktion des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kein Eingriff in das zivilrechtliche System der Kreditsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die fehlende zeitliche Korrelation . . . . . . . . . . . . b) Die beschränkte Zuständigkeit des Insolvenzrechts . . 2. Die Sicherungsrechte in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . 3. Begrenzung der Masseverbindlichkeiten und Beseitigung von Vorrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Erleichterungen im Anfechtungsrecht . . . . . . . . . . . . 5. Sicherung einer frühzeitigen Insolvenzantragstellung . . . 6. Verbesserung der Insolvenzverwaltervergütung?. . . . . . 7. Sicherung der Kostendeckung im Eröffnungsverfahren . .
.
98
. . . .
98 98 100 103
. . . . .
105 106 106 106 107
. . . . . . . .
107 108
. . . . . . . .
108 109
IV. Die Rückkehr eines wirkungsvollen Insolvenzrechts . . 1. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Regelfall. 2. Die explosionsartige Zunahme der Verbraucherinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die nur zögerliche Akzeptanz des Insolvenzplans . .
V. Die U. S.-amerikanischen Wurzeln des Insolvenzplans . . . 1. Das Verfahren nach Chapter 11 des Bankruptcy Code . a) Die Entwicklung des Reorganisationsverfahrens und seiner Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Bankruptcy Acts von 1800, 1841 und 1867 . . . . . (2) Equity Receivership. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
112 112
. . . . . .
113 114 118
(3) Der Bankruptcy Act von 1898 und die Fortentwicklung der Equity Receivership. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
126
XII
Inhaltsverzeichnis
(4) Die Kodifizierung der Reorganisationsverfahren in den 1930iger Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
b) Die Reorganisation nach Chapter 11 des Bankruptcy Code von 1978. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Rechtsnatur des Reorganisationsplans des Chapter 11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Vertragstheorie: »The confirmed plan is a contract.« . . (2) Die prozessuale Vertragstheorie: »The plan resembles a consent decree.« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Urteilstheorie: »The confirmed plan is a judgement.« . (4) Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
129 134 142 143
2. Die Rezeption ins Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . .
153 155 159 159
VI. Rückschlüsse auf die Rechtsnatur des Insolvenzplans aus dem Reformverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
162
D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
163
Kapitel 2: Ein Insolvenzplan ist keine Rechtsnorm . . . . . . . . . .
165
A. Die Wesensmerkmale von Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . .
166
I. Heteronomität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
166
II. Generalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
167
B. Der Insolvenzplan ist kein Normenvertrag . . . . . . . . . . . . . . .
169
C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
171
Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts . . .
173
A. Die Planvorlage – invitatio ad offerendum . . . . . . . . . . . . . . .
174
I. Die Planvorlage durch den Insolvenzverwalter. . . . . . . . . . 1. Die Vorlage eines Gläubigerplans durch den Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vorlage eines Verwalterplans durch den Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
175
II. Die Planvorlage durch den Schuldner . . . . . . . . . . . . . . .
179
III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
182
B. Vertragsschluss durch Zustimmung zu einer Vorlage . . . . . . . . . .
183
C. Die Abstimmung der Gläubiger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
184
175 176
XIII
Inhaltsverzeichnis
I. Die Stimmabgabe als interne Willensbildung . . . . . . . . . . II. Qualifikation der beschließenden Personenmehrheit . 1. Die Gläubiger als Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Freiwilligkeit des Zusammenschlusses . . . b) Das Gesamthandsvermögen . . . . . . . . . . . . 2. Die Gläubiger als Bruchteilsgemeinschaft . . . . . . a) Die Gläubigergruppe nach §§ 222, 243 InsO. . . b) Die Gläubigergesamtheit. . . . . . . . . . . . . .
184
. . . . .
187
. . . . . .
. . . . . . . . .
188 188 190 191 191 192 192 194 196
.
200
. . .
201 201 202
. . . . . .
203 205 205 206 210 213
. . . . .
214
. . . . . . . . . . . . . . .
215 215 216
. . . . .
218
. . . . .
218
. . . . . . . . . .
218 219
IV. Legitimation der Mehrheitsmacht in der Gläubigergruppe . . . 1. Mehrheitsbeschlüsse bei Gesellschaften – Unterwerfungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mehrheitsbeschlüsse bei Gemeinschaften – Notwendigkeit
220
. . . . . . (1) Das Verwertungsrecht als gemeinschaftliches Recht . (2) Bruchteilsgemeinschaft an einer Rechtsgesamtheit . .
. . . . . . . . (a) Bruchteilsgemeinschaft und Spezialitätsgrundsatz .
. . . . . . . . .
(b) Bruchteilsgemeinschaft als Gemeinschaft identischer Beteiligter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Die Gläubigergemeinschaft als einheitliche Bruchteilsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Bruchteilsgemeinschaft und Rechtsfähigkeit . . . . . . . (a) Die Rechtsfähigkeit der Insolvenzmasse . . . . . . . (b) Die Rechtsfähigkeit der Bruchteilsgemeinschaft der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Die Gläubiger als Interessengemeinschaft . . . . . . . . . a) Die Gläubigergemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . b) Exkurs: Die Gläubiger vor der Verfahrenseröffnung . c) Die Gläubigergruppen des § 222 InsO . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entscheidung innerhalb des Wirkungsbereichs der Personengruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Beschluss der Gläubigergemeinschaft über den Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Wirkungskreis der Bruchteilsgemeinschaft. b) Die Entscheidung über den Insolvenzplan . . . . 2. Der Beschluss der Gläubigergruppe über den Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Wirkungskreis der Interessengemeinschaft Gläubigergruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Beschluss der Gläubigergruppe über den Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
221 223
XIV
Inhaltsverzeichnis
a) Die Mehrheitsmacht als Ausgleich . . . . . . . . . . . . b) Die Richtigkeitsgewähr von Mehrheitsentscheidungen. c) Die Mehrheitsmacht in der Gläubigergruppe nach § 244 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verfassungsrechtliche Aspekte der Mehrheitsmacht . .
. .
223 226
. .
229 229
V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
233
VI. Die Ausführung des Beschlusses – die Willenserklärungen der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Willenserklärung der einzelnen Gläubigergruppe. 2. Die Willenserklärungen der zustimmenden Gläubiger. . 3. Die Zustimmungserklärungen der überstimmten Minderheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Zustimmungserklärungen der nicht abstimmenden Insolvenzgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Zugang der Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
234 234 234
. .
236
. . . .
240 241
VII. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
242
VIII. Ausblick: Die Abstimmung der Gesellschafter über den Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
245
D. Die Zustimmung des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
246
I. Die Notwendigkeit der Zustimmung des Schuldners . . . . . .
246
II. Das Schweigen des Schuldners als Zustimmung (§ 247 Abs. 1 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beredtes Schweigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schweigen mit Erklärungswirkung. . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzlich fingierte Willenserklärungen . . . . . . . . . b) Schweigen als Vertragserklärung kraft Handelsbrauchs oder Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Fiktion der Zustimmung des Schuldners in § 247 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
247 248 249 249
.
250
.
252
III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
253
E. Zustimmungsfiktionen auf Gläubiger- und Schuldnerseite. . . . . . .
254
I. Das Obstruktionsverbot des § 245 InsO . . . . . . . . . . . . .
255
II. Die Zustimmungsfiktion nachrangiger Insolvenzgläubiger in § 246 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
256
III. Die Zustimmungsfiktion beim Schuldner in § 247 Abs. 2 InsO
256
IV. Keine Legitimation der Fiktionen durch das Mehrheitsprinzip 1. bezüglich nachrangiger Insolvenzgläubiger und dem Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
257 257
Inhaltsverzeichnis
2. bezüglich der sonstigen ablehnenden Gläubigergruppen (§ 245 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zustimmungsfiktionen als gesetzlicher Kontrahierungszwang 1. Kontrahierungszwang und Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . a) Der allgemeine Kontrahierungszwang . . . . . . . . . . . b) Der gesetzliche Kontrahierungszwang . . . . . . . . . . . 2. Die §§ 245 bis 247 InsO als Fälle eines gesetzlichen Kontrahierungszwangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzlicher Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag a) Der Anspruch auf Zustimmung als Regelfolge eines Kontrahierungszwangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Diktierter Vertrag im weiteren Sinn . . . . . . . . . . . . c) Diktierter Vertrag im engeren Sinn . . . . . . . . . . . . . d) Der Insolvenzplan ist kein diktierter Vertrag im engeren Sinn. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Obstruktionsverbote im Lichte der Grundrechte . . . . a) Keine Rechtfertigung durch das Majoritätsprinzip . . . . b) Rechtfertigung durch das Verbot des Rechtsmissbrauchs c) Rückschlüsse für die Anwendung der §§ 245 bis 247 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XV 257 261 262 264 266 268 270 270 272 273 276 279 280 280 283 291
VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
292
F. Zusammenfassung – Der Vertragsschluss über den Insolvenzplan . . .
292
I. Die Willenserklärungen der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . .
292
II. Die Willenserklärung des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . .
294
III. Die Verpflichtungserklärungen engagierter Dritter nach § 230 Abs. 3 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
295
IV. Der Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
295
V. Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
296
Kapitel 4: Der Insolvenzplan als Verfahrensobjekt . . . . . . . . . .
299
A. Die Funktion der gerichtlichen Bestätigung des Plans . . . . . . . . .
300
B. Der Insolvenzplan ist kein Urteil oder Verfahrensakt . . . . . . . . .
301
I. Die Rechtskraftwirkung gerichtlicher Entscheidungen . . . . .
302
II. Urteile mit Gestaltungswirkung im materiellen Recht . . . . .
305
XVI
Inhaltsverzeichnis
III. Die Gestaltungsmacht des Richters in den Ausgleichsverfahren der Kriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
309
IV. Die Gestaltungsmacht des Insolvenzrichters hinsichtlich des Insolvenzplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine inhaltliche Gestaltungsmacht des Insolvenzrichters a) Die Versagungsbefugnis in den §§ 249 bis 251 InsO . . (1) Der Individualschutz in § 251 InsO . . . . . . . . . . . .
. . . .
310 311 311 311
(2) § 250 InsO – Prüfung und Durchsetzung von Zustimmungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Beachtung von Planbedingungen nach § 249 InsO . . .
313 315
b) Materielle Gestaltungsbefugnisse des Gerichts aus § 231 InsO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Materielle Gestaltungsbefugnisse des Gerichts bei konkurrierenden Plänen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die fehlende ausdrückliche gesetzliche Regelung . . . . . . (2) Die mögliche Annahme mehrerer Pläne im Abstimmungstermin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Keine Auswahlentscheidung durch das Insolvenzgericht . (4) Die Respektierung des Abstimmungsergebnisses durch eine verfahrensrechtliche Lösung . . . . . . . . . . . . . (5) Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
317 319 320
. .
321 322
. . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine gebundene Gestaltungsmacht des Insolvenzrichters (»Verfahrenstheorie«) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Bestätigungsbeschluss – richterliche Gestaltung oder Erkenntnis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Fiktionswirkung des § 894 ZPO . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
325 326 327
C. Die Natur des richterlichen Handelns bei der Planbestätigung . . . .
339
I. Die herrschende Ansicht: Das Insolvenzverfahren als Zwangsvollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . 1. Der Verweis auf die ZPO in § 4 InsO . . . . . . . . 2. Der Zweck des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . 3. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Die Gegenansicht: Das Insolvenzverfahren als Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die formelle Zuordnung zur freiwilligen bzw. streitigen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die materielle Zuordnung des Insolvenzverfahrens . . . . a) Der Begriff der »Rechtsfürsorge«. . . . . . . . . . . . . (1) Kontradiktorische vs. verwaltende Gerichtsbarkeit. . . . (2) Die Haltung des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . .
327 329 331 337
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340 340 342 346
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347 348 349 349 350
XVII
Inhaltsverzeichnis
(3) Das Insolvenzverfahren – (auch) ein materielles Liquidationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Das Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
351 355 355 357 358 358 359 360
III. Die Insolvenzordnung – eine eigenständige Verfahrensordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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b) Regelungsstreitigkeiten als FG-Verfahren . . . . . . . . . (1) Das Insolvenzverfahren ist keine Regelungsstreitigkeit . . . (2) Das Insolvenzplanverfahren ist keine Regelungsstreitigkeit (a) Kein Handlungsermessen des Richters . . . . . . . . . (b) Vertragshilfe und Regelungsstreitigkeit . . . . . . . .
IV. Schlussfolgerungen für die Natur der Bestätigungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Beschränkung des Prüfungsgegenstandes auf das Planverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Bestätigung ist keine Vertragsgenehmigung . . . 3. Die Bestätigung als integrierter Rechtsschutz. . . . .
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362
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D. Der Insolvenzplan und das Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Prozesshandlung und Prozessvertrag . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der enge Prozesshandlungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der weite oder auch funktionelle Prozesshandlungsbegriff 3. Die Vorzugswürdigkeit des funktionellen Prozesshandlungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Zirkelschluss der engen Begriffsdefinition . . . . . . b) Die richtige Einordnung von Prozessverträgen . . . . . . 4. Handlungen mit Doppelwirkung. . . . . . . . . . . . . . . .
368 368 369
II. Prozesshandlungen im Insolvenzplanverfahren . . . . . . . 1. Unerheblichkeit des Forums der Erklärung für deren Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unerheblichkeit der Verfahrensregelungen über das Zustandekommen des Plans . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Notwendigkeit der individuellen Feststellung einer prozessualen Hauptwirkung . . . . . . . . . . . . . . . .
370 370 370 375
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III. Der Insolvenzplan ist kein Prozessvertrag . . . . . . . . . . . . 1. Der Prozessvergleich als Vergleichsmaßstab . . . . . . . . . a) Der Insolvenzplan ist kein Vollstreckungstitel . . . . . . b) Der Insolvenzplan beendet nicht das Insolvenzverfahren 2. Verfahrensgestaltende Wirkungen im Einzelfall? – Der »verfahrensleitende Plan« . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
379 379 383 387 390 394
XVIII
Inhaltsverzeichnis
IV. Die Abstimmungserklärungen als Doppeltatbestand? . 1. Das Einbringen von Tatsachen als Prozesshandlung im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Besonderheit des Untersuchungsgrundsatzes im Insolvenzverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes bei der Bestätigungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . .
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396
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399
V. Folgerungen für Problemfälle in der Planentstehung . . . . . . 1. Die Planrücknahme durch den Initiator . . . . . . . . . . . . 2. Die Unwirksamkeit einer Stimmrechtsvollmacht und ihre Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
402 402 405
VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
406
E. Mängel bei der Planentstehung und ihre Heilung . . . . . . . . . . . .
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I. Die Wirkung der materiellen Rechtskraft. . . . . . . . . . . . .
408
II. Die Voraussetzungen der materiellen Rechtskraft . . . . . . . . 1. Die formelle Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses . . . . 2. Der rechtskraftfähige Inhalt des Bestätigungsbeschlusses . .
409 409 410
III. Umfang und Grenzen der materiellen Rechtskraft . . . . . . 1. Der Gegenstand der materiellen Rechtskraft . . . . . . . . a) Der Inhalt der Bestätigungsentscheidung . . . . . . . . b) Der Subsumtionsschluss der Bestätigungsentscheidung 2. Die Wirkungserweiterung durch die Präklusion von Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Grenzen der materiellen Rechtskraft . . . . . . . . . . a) Die Verpflichtung von Plangaranten ist nicht Teil des Insolvenzplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Erstreckung der Rechtskraft auf Plangaranten. . 4. Keine erneute Entscheidung über die Stimmrechte der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Stimmrechtsfestsetzung nach §§ 237, 238, 77 InsO. b) Die Stimmrechtsvollmacht ist keine Vorfrage der Stimmrechtsfestsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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412 412 413 415
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IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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F. Zusammenfassung: Der Insolvenzplan – ein Vertrag bürgerlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
424
I. Der Insolvenzplan ist ein Vertrag mit vorverlagertem Rechtsschutzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
424
II. Der Insolvenzplan ist ein diktierter Vertrag im weiteren Sinn
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XIX
Inhaltsverzeichnis
III. Der Insolvenzplan ist kein Prozessvertrag . . . . . . . . . . . .
426
IV. Der Insolvenzplan ist ein Vergleich gemäß § 779 BGB . . . . . 1. Die Beseitigung der Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis 2. Das gegenseitige Nachgeben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Gleichlauf mit dem außergerichtlichen Sanierungsoder Liquidationsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die historische Kontinuität der Einordnung . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
427 427 428 430 430 432
Kapitel 5: Optimierung des deutschen Reorganisationsrechts in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
433
A. Das Planverfahren als effizientester Verfahrensweg . . . . . . . . . .
435
I. Zur Effizienz eines Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . II. Die Aufgabe der Reorganisation in der Insolvenz . . . . . . 1. Zerschlagungs- und Fortführungswert . . . . . . . . . . 2. Die Gewinnung des Fortführungswertes . . . . . . . . . a) Die übertragende Sanierung . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Reorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Unterschied zur Funktion einer Reorganisation außerhalb einer Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . .
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442
III. Zur Notwendigkeit einer Reorganisation in der Insolvenz . . . 1. Liquidation statt Reorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Liquidation als natürlicher Weg zum Fortführungswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Abschaffung der Reorganisationsoption zugunsten von Auktionsmodellen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
443 444
(1) Die grundsätzliche Kritik von Douglas G. Baird und Thomas H. Jackson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die obligatorische Auktion nach Douglas G. Baird. . . (3) Der »restricted auction mechanism« nach Berkovitch, Israel und Zender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Das parallele Auktionsverfahren nach Alexander Dilger
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444 445
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2. Der debt-equity-swap als Instrument der Insolvenzbewältigung (Optionsmodelle) . . . . . . . . . . . a) Der »slice-of-common-stock sale« nach Mark J. Roe. . . b) Das Bebchuk-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weiterentwicklungen der Modelle von Roe und Bebchuk (1) Ben Branch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Philippe Aghion, Oliver Hart und John Moore . . . . . . . (3) Hart, La Porta Drago, Lopez-de-Silanes und Moore . . . .
454 455 458 462 463 464 466
XX
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(4) »non-cash auctions« nach David Hahn . . . . . . . . . . . (5) Barry A. Adler und Ian Ayres (»dilution mechanism«) . . . (6) »Chameleon-Equity« nach Barry E. Adler . . . . . . . . .
d) Der automatische debt-equity-swap als alleiniger Insolvenzmechanismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Rechtfertigung einer Reorganisationsoption in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zweifel an den Effizienzvorteilen der Alternativmodelle (1) Das Fehlen perfekter Märkte und Marktteilnehmer . . . . (2) Der Kostenvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Auktions- bzw. Veräußerungskosten . . . . . . . . . . (b) Kosten einer Forderungsumwandlung bei Optionsmodellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Die speziellen Defizite des Chapter 11 des U. S. Bankruptcy Code . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Unentbehrlichkeit gerichtlicher Entscheidungen . . . .
b) Die Unfähigkeit der Optionsmodelle zur Bewältigung jeder Unternehmensinsolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der beschränkte Wirkungsbereich der Modelle . . . . . . (2) Die kaum mögliche Erweiterbarkeit dieses Wirkungsbereiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Der freiwillige Forderungstausch als Krisenbewältigungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Die Defizite der Auktionsmodelle . . . . . . . . . . . . . (1) Die verbreitete Nutzung von Veräußerungen in der Insolvenzpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Unzulänglichkeit von Auktionsverfahren in Einzelfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Fazit – Der Sinn von Handlungsoptionen in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Notwendigkeit einer Reorganisation in der Insolvenz (2) Die Nützlichkeit einer Reorganisation in der Insolvenz . .
IV. Die Ausübung der Reorganisationsoption – Alternativen zum Planverfahren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Modelle mit Einzelentscheidungsbefugnis. . . . . . . . a) »Selective Stay Model« nach Baird und Picker. . . . b) »waiver contracts« nach Schwarcz . . . . . . . . . . c) »SIR«-Verfahren nach Jungmann . . . . . . . . . . . d) Der »better positioned agent« nach Rotem. . . . . . 2. Das administrative Insolvenzverfahren . . . . . . . . . a) Die Entscheidung durch eine Sanierungsbehörde . . b) Die Entscheidung durch das Insolvenzgericht. . . . 3. Der Schuldner als Entscheidungsträger . . . . . . . . .
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467 468 470 472 473 474 474 476 476 477 478 479 480 481 481 482 483 483 486 488 488 488 489 490 490 492 493 496 498 498 500 501
XXI
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4. Die richtige Entscheidung durch den richtigen Entscheidungsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Charakter der zu treffenden Entscheidung . . . . . (1) Keine Vermutung zugunsten einer Verwertungsoption. . (2) Prognoseentscheidung unter Ungewissheit . . . . . . . . b) Zur Richtigkeitsgewähr bei prognosebasierten Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Expertenwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Condorcet’s Jury Theorem . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Weisheit der Vielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Der Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Die Richtigkeitsgewähr von Verträgen . . . . . . . . . . c) Der optimale Entscheidungsmechanismus in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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512 512
(1) Die Nutzung der Richtigkeitsgewähr des Konsensprinzips (2) Die Beseitigung der Schwächen des Konsensprinzips durch einen »abgesicherten Vertragsschluss« . . . . . . . . . . . (a) Keine diktatorische Lösung des Kooperationsproblems (b) Die Nutzbarmachung von Gruppeneffekten auf Kooperationsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Der Kontrahierungszwang als Disziplinierungsmittel (3) Der Anwendungsbereich der Vertragslösung . . . . . . . . (4) Der Effizienzvorteil einer eingeschränkten Vertragslösung (a) Kein Reorganisationskonzept – keine Verhandlungen (b) Die Inhaltsoffenheit der eingeschränkten Vertragslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Das »ACCORD scheme« nach Hausch/Ramachandran . . . . . . . . . . . . . . . .
514 515 515 518 522 524 524 524
5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Der richtige Zeitpunkt für die Entscheidung über eine Reorganisationsoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Der Zeitpunkt der Forderungsentstehung . . . . . . . 1. »contract theory approach« . . . . . . . . . . . . . . 2. »menu approach« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Schwächen des »contract theory approach«. b) Die Nachteile des »menu approach« . . . . . . .
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530 530 533 534 535 536
II. Der Zeitpunkt der Krise des Unternehmens . . . . . . . . 1. Die Informationsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zustimmungspflichten im Vorfeld der Insolvenz . . . . a) Zustimmungspflichten auf vertraglicher Grundlage b) Zustimmungspflichten auf gesetzlicher Grundlage .
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537 538 538 539 539
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(1) Die Treuepflicht eines Gesellschafters . . . . . . . . . . . (2) Die Umsetzungspflicht in der Rechts- oder Bruchteilsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Interessengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Das Problem der Durchsetzung von Zustimmungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der vorläufige Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Durchsetzung von Kooperationspfl ichten in der Krise nach Horst Eidenmüller . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Durchsetzung durch Schiedsgerichte . . . . . . . . . .
540 542 542 543 544
d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die »suspension clause solution« nach Claire Finkelstein . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
548 551 553 553 555
III. Der Zeitraum des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . .
556
IV. Die wenig überzeugende Schlussfolgerung des deutschen Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Die Vorverlagerung der Entscheidungsfi ndung mittels einer bloßen Bestätigungsinsolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Die Grundidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
559
II. Definition der zu verwendenden Begriffe. . . . . . . . . . . . 1. Die vorbereitete Insolvenz oder prepackaged bankruptcy als Gattungsbegriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der noch unverhandelte Insolvenzplan als erste Untergruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der vorverhandelte Insolvenzplan als zweite Untergruppe 4. Der bereits beschlossene Insolvenzplan als dritte Untergruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Das Regelungsmodell im U. S. Bankruptcy Code . . . . . . . . 1. Die gesetzliche Regelung in 11 U. S. C. § 1126 (b) . . . . . . . 2. Das Verfahren einer pre-voted bankruptcy . . . . . . . . . . 3. Die Effekte und Grenzen dieser Verfahrensgestaltung . . . . a) Die Überwindung von Blockadehaltungen . . . . . . . . b) Die Planbarkeit des Verfahrensergebnisses . . . . . . . . c) Reduzierung der Dauer und der Kosten des gerichtlichen Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Reduzierung der indirekten Insolvenzkosten . . . . . . . e) Unterstützung der außergerichtlichen Einigungsbemühungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Strukturierung der außergerichtlichen Verhandlungen. . g) Verbesserung der Verfahrensergebnisse . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Die Implementierung im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . 1. Die Bindung der Gläubiger an den außergerichtlich angenommenen Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Ausgangslage im geltenden Insolvenzrecht . . . . . . (1) Die Zulässigkeit der prepackaged bankruptcy im Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Das Planverfahren als Mechanismus zur Durchsetzung nur mehrheitlich getragener Insolvenzpläne . . . . . . . . (3) Die Möglichkeit der Eigenverwaltung . . . . . . . . . . .
b) Die Funktionsweise der amerikanischen pre-voted bankruptcy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die außergerichtliche Stimmabgabe als antizipierte Zustimmung/Ablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der notwendige Umfang gesetzgeberischen Tätigwerdens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Bindung der Gesellschafter an einen außergerichtlichen Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Ausgangslage im geltenden Insolvenzrecht . . . . . . b) Die Legitimation und Funktionsweise der pre-voted bankruptcy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Abstimmung der Gesellschafter als Willensbildungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ausgangspunkt: Die Autonomie der Willensbildung in der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Der Schutz der Gesellschafterrechte aus Art. 14 GG . . (b) Der Schutz der Gesellschafterrechte aus Art. 9 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Art. 25 Abs. 1 der Kapitalrichtlinie . . . . . . . . . . . (2) Die Einbindung der Willensbildung der Gesellschafter über den Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die Abstimmung der Gesellschafter über den Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Kein generelles Obstruktionsverbot . . . . . . . . . . (c) Ein Obstruktionsverbot bezüglich der Gewinnverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Der notwendige Umfang gesetzgeberischen Tätigwerdens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die notwendige Beschränkung der Rechtsmittel . . . . . . 1. Der Grundsatz der sofortigen Vollziehbarkeit eines Chapter 11-Plans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die fehlende aufschiebende Wirkung einer sofortigen Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Notwendigkeit einer entsprechende Neuregelung in den §§ 253, 254 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
578 578 578 578 579 580 584 586 588 590 590 594 595 595 595 596 603 605 605 608 611 614
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XXIV
Inhaltsverzeichnis
VI. Die Einordnung der Bestätigungsinsolvenz in die aktuelle Reformdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Vergleich mit dem Company Voluntary Arrangement des englischen Insolvency Act 1986 . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Notwendigkeit eines besonderen vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zu einem Sanierungsvergleichsgesetz nach Hölzle und einem neuen § 270b InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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620
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VII. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
628
D. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
630
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
633
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
667
Abkürzungsverzeichnis A.2d Abs. AG AktG Alt. Am. Bankr. L. J. Am. Bankr. Inst. L. Rev. Amer Polit Sci Rev Am Jur 2d Andrews Bankr. Litig. Rep. Anm. Ann. Surv. Am. L. AO Art.
Atlantic Reporter Absatz Amtsgericht; teilweise auch »Die Aktiengesellschaft« Aktiengesetz Alternative American Bankruptcy Law Journal American Bankruptcy Institute Law Review American Political Science Review American Jurisprudence, Second Edition Andrews Bankruptcy Litigation Reporter Anmerkung Annual Survey of American Law Abgabenordnung Artikel
BAG Bankr Bankr. Dev. J. BayObLG BB BetrVG BFH BGB BGBl. BGH BGHZ B. R. BRAO BStBl. BT-Drucks. BVerfG BVerfGE BVerwG bzgl.
Bundesarbeitsgericht Bankruptcy Court Bankruptcy Developments Journal Bayerisches Oberstes Landgericht Betriebs-Berater Betriebsverfassungsgesetz Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bankruptcy Reporter Bundesrechtsanwaltsordnung Bundessteuerblatt Drucksache des Deutschen Bundestages Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht bezüglich
Cap. U. L. Rev. Cir. C. J. S. Colum. L. Rev.
Capital University Law Review Circuit (Court of Appeal for the . . . Circuit) Corpus Juris Secundum Columbia Law Review
XXVI
Abkürzungsverzeichnis
Cornell L. Rev.
Cornell Law Review
ders. dies. D. DB Diss. DJ DR DRZ DStR DVBl. DZWIR
derselbe dieselben District Der Betrieb Dissertation Deutsche Justiz, Rechtspflege und Rechtspolitik Deutsches Recht Deutsche Rechtszeitschrift Deutsches Steuerrecht Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht
E. D. EGGVG EGZPO Eur. Econ. Rev. Eur J Polit Econ
Eastern District Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung European Economic Review European Journal of Political Economy
f./ff. F.2d F.3d FamFG
folgende Federal Reporter, Second Edition Federal Reporter, Third Edition Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Federal Reporter (First Edition) Federal Appendix Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Financial Management Fußnote Festschrift Federal Supplement
Fed. Fed. Appx. FGG Fin. Mgmt. Fn. FS F. Supp. GenG Ga. L. Rev. Geo. L. J. GesO GG ggf. GKG GmbHG GmbHR Gruchot
Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Georgia Law Review Georgetown Law Journal Gesamtvollstreckungsordnung Grundgesetz gegebenenfalls Gerichtskostengesetz Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Gruchots Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts
Abkürzungsverzeichnis
Grünhut
XXVII
GVG GWB GWR
Grünhuts Zeitschrift für das private und öffentliche Recht der Gegenwart Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht
Harv. L. Rev. HGB Hrsg.
Harvard Law Review Handelsgesetzbuch Herausgeber
Ill. L. Rev. InsO Int’l Rev. Fin. Analysis Int’l Rev. Econ & Fin. Int’l Rev. L. & Econ InVo Iowa L. Rev. i. V. m.
University of Illinois Law Review Insolvenzordnung International Review of Financial Analysis International Review of Economics and Finance International Review of Law and Economics Insolvenz & Vollstreckung Iowa Law Review in Verbindung mit
JbfNPolÖk J. App. Corp. Fin. J. Corp. Fin. J. Empirical L. Stud. J. Fin. Econ. J. Fin. Intermediation JherJb
Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie Journal of Applied Corporate Finance Journal of Corporate Finance Journal of Empirical Legal Studies Journal of Financial Economics Journal of Financial Intermediation Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des Bürgerlichen Rechts Journal of Law & Economics Journal of Law, Economics & Organization Journal of Legal Studies Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung
J. L. & Econ. J. L. Econ. & Org. J. Legal Studies JuS JW JZ KAVO KO KritVjSchr KTS KuT LEXIS LG LM LZ
Verordnung über das Kriegsausgleichsverfahren Konkursordnung Kritische Vierteljahreszeitschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen Konkurs- und Treuhandwesen Lexis Database Landgericht Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs Leipziger Zeitschrift für Handels-, Konkurs- und Versicherungsrecht
XXVIII
Abkürzungsverzeichnis
Mich. L. Rev. MünchHdb ArbR m. w. N.
Michigan Law Review Münchener Handbuch des Arbeitsrechts mit weiteren Nachweisen
N. D. Nev. L. J. NJW NJW-RR
Northern District Nevada Law Journal Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungsreport Notre Dame Law Review Nummer New York University Law Review Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung
Notre Dame L. Rev. Nr. N. Y. U. L. Rev. NZG NZI
OGHZ Ohio St. L. J. OLG
Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die britische Zone in Zivilsachen Ohio State Law Journal Oberlandesgericht
Pa. J. Bus. & Emp. L.
University of Pennsylvania Journal for Business & Employment Law
Recht RG RGBl. RGZ RIW Rn. RPflG
Das Recht Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft Randnummer Rechtspflegergesetz
S. S. C. L. Rev. S. D. SGB III Soc Choice Welfare Sp. Stan. J. L. Bus. & Fin. Stan. L. Rev.
Seite South Carolina Law Review Southern District Drittes Buch des Sozialgesetzbuchs Social Choice and Welfare Spalte Stanford Journal of Law, Business & Finance Stanford Law Review
Tex. L. Rev.
Texas Law Review
u. a. U. Chi. L. Rev. U. Ill. L. Rev. U. Pitt. L. Rev.
und andere University of Chicago Law Review University of Illinios Law Review University of Pittsburgh Law Review
Abkürzungsverzeichnis
U. S. U. S. App. LEXIS U. S. C. U. S. Dist. LEXIS
Va. L. Rev. vgl. VglO VHV Va. L. Rev. Vand. L. Rev. VVG WarnRspr
XXIX
United States (auch: offizielle Fallsammlung des US Supreme Courts) Entscheidung eines U. S. Court of Appeal, veröffentlicht in der LEXIS Datenbank United States Code Entscheidung eines U. S. District Court, veröffentlicht in der LEXIS Datenbank Virginia Law Review vergleiche Vergleichsordnung Verordnung über die Vertragshilfe des Richters aus Anlass des Krieges Virginia Law Review Vanderbilt Law Review Gesetz über den Versicherungsvertrag
Wash. & Lee L. Rev. Wash. U. L. Q. WiB Wis. L. Rev. WM WpHG WpÜG
Warneyer, Rechtsprechung des Reichsgerichts in Zivilsachen Washington & Lee Law Review Washington University Law Quarterly Wirtschaftsrechtliche Beratung Wisconsin Law Review Wertpapiermitteilungen Gesetz über den Wertpapierhandel Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz
Yale L. J.
Yale Law Journal
ZBB ZfA ZfB ZGR ZHR
Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Betriebswirtschaft Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Gesetz über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess
ZInsO ZIP ZPO ZRP ZVG ZVglRWiss ZZP
Einleitung »Bankruptcy Law cannot work miracles, and more harm than good comes from seeking that which cannot be had.« Douglas G. Baird, 20011 »Bankruptcy is a backup.« Frank H. Easterbrook, 1990 2
A. Das neue Insolvenzrecht im elften Jahr seines Bestehens Krisenzeiten sind Blütezeiten des Insolvenzrechts. In den Jahren einer Rezession wird die Insolvenz zu einem Massenphänomen und die Blicke richten sich auf jenes Rechtsgebiet, bestimmt doch das Insolvenzrecht, was nun mit den insolventen Unternehmen und allen an ihnen Beteiligten geschehen soll. Schicksale, die in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität nur einige Wenige betreffen, werden gesellschaftlich und damit auch politisch relevant. Es geht um die Konjunktur, die Volkswirtschaft, um Arbeitsplätze und den Wohlstand ganzer Gesellschaftsschichten. Es kann insofern wenig überraschen, dass gerade Rezessionsperioden der Entwicklung des Insolvenzrechts wichtige Impulse geben. So entstanden etwa – wie wir noch sehen werden – wesentliche Neuerungen im U. S.-amerikanischen Insolvenz- und Sanierungsrecht in den Krisenzeiten des 19. Jahrhunderts und auch die Initialzündung zur großen deutschen Insolvenzreform am Ende des 20. Jahrhunderts erfolgte im Angesicht der Rezession der 1970iger Jahre und eines den daraus entstehenden Anforderungen nicht mehr gewachsenen Insolvenzrechts. Es ist somit nur folgerichtig, wenn auch in der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise genau untersucht wird, wie sich die neuen Regelungen der deutschen Insolvenzordnung in ihrer ersten echten Feuertaufe bewähren. Eine erste Einschätzung gerade der mit der großen Insolvenzreform eingeführten Neuerungen fällt dabei eher ernüchternd aus. Das erste Kernziel der Reform – die Schaffung einer wirkungsvollen Verbraucherinsolvenz mit Restschuldbefreiung – wurde nach der Beseitigung der Kostenhürde zwar erreicht; die Zahl der Verbraucherinsolvenzverfahren stieg nach 2001 explosionsartig 1 2
The Elements of Bankruptcy, S. 222. 27 J. Fin. Econ. 411, 416 (1990).
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Einleitung
und überschwemmte die Schuldnerberatungsstellen wie auch die Insolvenzgerichte. Die dabei erzielten Quoten sind jedoch vernachlässigbar gering. Im Regelfall streben mittellose Personen das Verfahren an, um nach Ablauf der Wohlverhaltensphase eine Restschuldbefreiung zu erlangen, ohne dabei in der Lage zu sein, in wesentlichem Umfang Tilgungsleistungen zu erbringen. Die zwingende Vorschaltung eines kosten- und arbeitsintensiven Insolvenzverfahrens vor das Verfahren über die Restschuldbefreiung steht insofern nicht zu Unrecht in der Kritik und führte zum Entwurf eines Gesetzes über die Entschuldung mittelloser Personen, der in diesem Bereich wichtige Veränderungen vorsieht, bislang aber im Gesetzgebungsverfahren keine Mehrheiten finden konnte. Es dauerte also keine zehn Jahre bis zum Entwurf einer Reform der Reform. Das zweite Herzstück der großen Insolvenzreform war das Insolvenzplanverfahren. Dieses sollte als effektive Alternative zum Regelinsolvenzverfahren, insbesondere im Zusammenspiel mit den weiteren Neuerungen des Eröffnungsgrundes der drohenden Zahlungsunfähigkeit und der Möglichkeit einer Eigenverwaltung des Schuldners, auch als Sanierungsverfahren genutzt werden. Anders als beim Verbraucherinsolvenzverfahren blieb hier der Erfolg bislang weitgehend aus. Die Zahl der über einen Insolvenzplan abgewickelten Insolvenzen ist – wie wir noch sehen werden – weiterhin vernachlässigbar gering. So verwundert es kaum, dass es bereits wieder eine Reihe von Vorschlägen zur Reform der Reform gibt, die von der Schaffung eines Sanierungsverfahrens vor der Insolvenz3 bis zur Optimierung des geltenden Planverfahrens4 reichen. Dass diese Entwicklung durchaus berechtigt ist, hat vor allem die politische Debatte darüber offenbart, ob man für eine Rettung von Opel oder Arcandor überhaupt die Option einer Sanierung in der Insolvenz bzw. eine »Planinsolvenz« ins Spiel bringen darf. Weite Teile der politischen Klasse vertrauen offensichtlich selbst nicht dem von ihnen einstmals geschaffenen Sanierungsinstrument des Insolvenzplans.5 Hieran konnte auch das – allenfalls im Ergebnis erfolgreiche – Insolvenzplanverfahren der Karstadt Warenhaus GmbH im Jahr 2010 nichts ändern.
3
Dazu im Detail im Fünften Kapitel unter C. VI. 2. Hierzu findet sich inzwischen sogar ein Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Justiz für ein »Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen«, der allerdings bislang nicht offiziell veröffentlicht wurde. Ein Abdruck findet sich etwa als Beilage 1 zu Heft 28 der ZIP 2010 oder in ZInsO 2010, 1440 ff. In diesem ist insbesondere vorgesehen, die Gesellschafter in das Planverfahren zu integrieren, die Rechtsbehelfe zu beschränken und die Eigenverwaltung zu stärken. Inwieweit sich diese Vorstellungen durchsetzen werden, bleibt abzuwarten. 5 Sehr zutreffend Smid, DZWIR 2009, 397, 399: »Der Fall Opel [ist] die Bankrotterklärung einer Politik, die an ihre eigenen Verlautbarungen ebenso wenig glaubt wie sie Vertrauen in die Gesetze hegt, die sie produziert.« 4
B. Das Ziel der Untersuchung
3
B. Das Ziel der Untersuchung Der erste Schritt in Richtung eines neuen, noch effektiveren Planverfahrens in der Insolvenz besteht in der Erkenntnis, dass es nicht die sanierungsfeindliche Mentalität der Beteiligten ist, die einer weiterreichende Akzeptanz des Planverfahrens im Wege steht. Die Gründe für die Ablehnung des Planverfahrens in der Praxis sind nicht nur psychologischer Natur. Sie basieren auf realen Umständen, die erkannt und nach Möglichkeit beseitigt werden müssen. Zu diesen Umständen mag man die erhebliche Mehrarbeit zählen, die ein Planverfahren dem Insolvenzgericht wie auch dem Insolvenzverwalter bereiten kann. 6 Auch ist sicher bei weitem nicht jedes insolvente Unternehmen dazu geeignet, über einen aufwendigen Insolvenzplan saniert, übertragen oder besonders liquidiert zu werden. Die entscheidende Unzulänglichkeit des Insolvenzplanverfahrens im deutschen Insolvenzrecht liegt allerdings nicht in diesen Begleitumständen, sondern in der Unvorhersehbarkeit des Verfahrensausgangs für alle Beteiligten. Die Entscheidung über die Insolvenzabwicklung im Wege einer Liquidation – sei es als Zerschlagung oder Veräußerung des Unternehmens im Ganzen – oder im Wege eines Insolvenzplans fällt erst im eröffneten Insolvenzverfahren durch eine Abstimmung der vom Plan betroffenen Gläubiger (§ 243 InsO). Das Management eines Unternehmens, das nach amerikanischen Vorbild rechtzeitig über den Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit ein Planverfahren als Sanierungsverfahren einleiten will, hat heute weder die Garantie, über die Eigenverwaltung weiter das Schicksal des Unternehmens und der mit ihm verbundenen Arbeitsplätze in der Hand zu behalten, noch eine hinreichend sichere Aussicht, dass das Sanierungskonzept im Planverfahren erfolgreich sein wird. Nicht einmal die Fortführung des Geschäftsbetrieb bis zur Planbestätigung wird garantiert, kann doch die Gläubigerversammlung über den Insolvenzverwalter jederzeit die Verwertung des Unternehmens einleiten (§ 233 Satz 2 InsO). Dem deutschen Insolvenzrecht fehlt immer noch ein für die Betroffenen planbares Sanierungsverfahren, das die Bezeichnung einer »Planinsolvenz« verdient. Es ist insofern wenig verwunderlich, dass der Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit in der Praxis keine Rolle spielt, Insolvenzverfahren bis zur hoffnungslosen Illiquidität des Unternehmens vermieden und Sanierungsversuche primär außergerichtlich unternommen werden. Das Ziel dieser Untersuchung besteht darin, dieses Defizit zu beseitigen. Hierzu wird am Ende eine Verfahrensvariante des Insolvenzplanverfahrens entwickelt werden, die hier als »Bestätigungsinsolvenz« bezeichnet wird. Danach wird es dem Schuldner nicht nur erlaubt sein, schon außergerichtlich einen Insolvenzplan aufzustellen und diesen mit den Gläubigern zu verhandeln. Ihm 6
So etwa Hingerl, ZInsO 2009, 759, 760.
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Einleitung
steht es nun auch frei, die Gläubiger bereits außergerichtlich und verbindlich über den Plan abstimmen zu lassen. Kann also ein außergerichtliches Sanierungskonzept, dass als Insolvenzplan formuliert wurde, im Ergebnis der Verhandlungen mit den Gläubigern deren einstimmige Unterstützung nicht erreichen, so mag eine (stets vorzugswürdige) außergerichtliche Sanierung scheitern. Werden dabei aber immerhin die für eine gerichtliche Bestätigung nach § 248 InsO notwendigen Mehrheiten erreicht, so kann der Schuldner das Sanierungskonzept gerichtlich durchsetzen. Das Insolvenzgericht wird also zu dem Ort, an dem Sanierungsverhandlungen erfolgreich zum Abschluss gebracht werden, wenn sich die Beteiligten freiwillig nicht einigen. Das Insolvenzverfahren wird zu einem »backup«. Hierzu muss der Schuldner beim Insolvenzgericht nur noch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragen und dabei neben dem Insolvenzplan auch die Zustimmungserklärungen der Gläubiger vorlegen. Das Insolvenzverfahren über den bereits angenommenen Insolvenzplan reduziert sich in der Folge auf die Bestätigungsentscheidung des Insolvenzgerichts. Es wird beschleunigt und in seinem Ausgang weitgehend vorhersehbar. Zugleich können die Eingriffe des Insolvenzverfahrens in die Rechtsstellung des Schuldners bei einem solchen Verfahren auf ein Minimum reduziert werden, wozu insbesondere das Rechtsinstitut der Eigenverwaltung aktiviert werden soll. Schließlich erscheint es möglich, auch die Gesellschafter des Schuldners in die Entscheidungsfindung einzubeziehen und auf diese Weise ein Sanierungskonzept über einen nicht nur vorbereiteten, sondern bereits angenommenen Insolvenzplan umfassend durchzusetzen. Die immer stärker vernehmbaren Rufe der Insolvenzpraxis nach einem schnellen Genehmigungsverfahren für Insolvenzpläne sowie dessen Regelungsbefugnis für gesellschaftsvertragliche Fragen 7 sollen mit dieser »Bestätigungsinsolvenz« erhört werden.
C. Der Gang der Untersuchung Jeder Reform des Insolvenzplanverfahrens muss das Verständnis seiner dogmatischen Struktur vorangehen. Es ist kaum vorstellbar, ein Rechtsinstitut zu gestalten bzw. umzugestalten, dessen rechtliche Grundstruktur im Dunkeln bleibt. Der erste und ganz grundlegende Gegenstand dieser Arbeit ist daher die Erfassung der Rechtsnatur des im Planverfahren entstehenden Insolvenzplans. Hierzu wird der Insolvenzplan zunächst in seiner betriebswirtschaftlichen Funktion und seinem rechtsgeschichtlichen Ursprung beleuchtet (Kapitel 1). Kern der Arbeit ist die Erkenntnis, dass der Insolvenzplan weder als Rechtsnorm (Kapitel 2) noch als Urteil oder Prozessvertrag (Kapitel 4), sondern 7 Zuletzt etwa in der Befragung von 107 Insolvenzverwaltern: Bitter/Röder, ZInsO 2009, 1283, 1290.
C. Der Gang der Untersuchung
5
schlicht als Vertrag bürgerlichen Rechts zu qualifizieren ist (Kapitel 3). Hiervon ausgehend wird dann aufgezeigt, dass die Ausgestaltung des Reorganisationsrechts als Verhandlungslösung grundsätzlich effektiv ist, sich in Deutschland aber noch verbessern lässt, indem man es den Beteiligten erlaubt, einen Insolvenzplan gänzlich außerhalb des gerichtlichen Verfahrens zu verhandeln und zur Abstimmung zu bringen, um ihn dann als »pre-voted plan« dem Insolvenzgericht nur noch zur Bestätigung vorzulegen (Kapitel 5).
Kapitel 1
Funktion und Rechtsnatur des Insolvenzplans aus betriebswirtschaftlicher und rechtshistorischer Sicht A. Der Insolvenzplan aus betriebswirtschaftlicher Perspektive Der Insolvenzplan ist ein Instrument des Unternehmensmanagements in der Krise der Unternehmung. Sein Anwendungsbereich ist auf Unternehmensinsolvenzen beschränkt; Verbraucherinsolvenzen und Kleinverfahren steht das Mittel des Insolvenzplanes nicht zur Verfügung (§ 312 Abs. 3 InsO). Eine einvernehmliche Bewältigung der Insolvenzsituation geschieht dort durch einen Schuldenbereinigungsplan (§§ 305 ff. InsO).
I. Die Basisziele und der (betriebswirtschaftliche) Krisenbegriff Um die Funktion des Insolvenzplanes zu verstehen, muss man seine betriebswirtschaftliche Bedeutung beleuchten. Hierzu ist ein Blick auf die Grundzüge des Unternehmensmanagements, insbesondere des Krisenmanagements notwendig. Ein Unternehmen wird nicht seiner selbst willen, sondern zur Erreichung gewisser Unternehmensziele errichtet und betrieben. Unternehmen treten dazu im Wirtschaftsverkehr in verschiedensten Rechtsformen, Größen und Marktbereichen auf. Die Variationen reichen von dem kleinen Einzelkaufmann in seinem Kiosk an der Ecke bis zum international tätigen Automobil-Konzern. Trotz dieser Vielfalt lässt sich die wirtschaftliche Tätigkeit aller Unternehmen auf die Erreichung von drei Basiszielen vereinfachen, ohne deren Erreichung jeder Art einer Unternehmung in seiner Existenz bedroht ist. Diese Basisziele unserer Wirtschaftsordnung sind – die Aufrechterhaltung einer jederzeitigen Zahlungsfähigkeit (Liquiditätsprinzip), – die Erreichung eines Mindestgewinns, jedenfalls aber der Kostendeckung sowie – die Schaffung und Aufrechterhaltung ausreichender Erfolgspotenziale.1
1
Vgl. Birker, in: Birker/Pepels, Krisenbewusstes Management, S. 13.
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Kapitel 1: Betriebswirtschaftliche und rechtshistorische Sicht
Die Erreichung dieser grundlegenden Ziele erfolgt in jedem Unternehmen auf individuelle Art und Weise. Die Konkretisierung dieser allgemeinen Basisziele für das jeweiligen Unternehmen, also die Festlegung der jeweiligen Unternehmensziele, wie auch die Bestimmung des richtigen Weges zu deren Erreichung, also die Festlegung der Unternehmensstrategie, liegt in der Macht und der Verantwortung der Unternehmensführung sowie in der Hand seiner Eigentümer, welche die dazu notwendigen Betriebsmittel zur Verfügung stellen. Die Führung eines Unternehmens liegt damit im Normalzustand allein in der Hand seines Managements, welches bei Körperschaften durch die Eigentümer eingesetzt und kontrolliert wird bzw. bei Personengesellschaften mit den Eigentümern weitgehend personenidentisch ist. Diese Personen entscheiden völlig eigenständig und unabhängig über die Ausrichtung, die Tätigkeit und die Ziele ihres Unternehmens. Dabei können bereits Unternehmensentscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen getroffen werden, die sich später als Auslöser oder Verstärker einer Unternehmenskrise herausstellen. Eine Unternehmenskrise selbst ist zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht gegeben; sie ist allenfalls potentiell möglich. Die Unternehmenskrise ist ein betriebswirtschaftlicher Begriff, für den eine eindeutige Definition noch immer fehlt. Im Grundsatz wird eine Unternehmenskrise stets angenommen, wenn unternehmensinterne oder -externe Umstände zu ungeplanten und ungewollten Prozessen führen, die von begrenzter Dauer und Beeinflussbarkeit sind und das Erreichen der überlebensrelevanten (dominanten) Unternehmensziele (Basisziele) gefährden, wodurch zugleich die Existenz des Unternehmens in Frage steht.2 Wesensmerkmal einer Krise im betriebswirtschaftlichen Sinn ist also die Existenzbedrohung des Unternehmens3 infolge des Nichterreichens der ersten beiden Basisziele. Sie liegt danach vor, wenn ein Unternehmen in einen erheblichen Liquiditätsengpass gerät (Zahlungsunfähigkeit droht) und/oder wesentliche Verluste erwirtschaftet (die Aufzehrung des Eigenkapitals und damit die Überschuldung droht). Der betriebswirtschaftliche Krisenbegriff setzt damit zeitlich früher an als der juristische Begriff der Insolvenz eines Unternehmens. Eine solche liegt erst bei Eintritt einer Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens vor (§§ 17, 19 InsO). Bei lediglich drohender Zahlungsunfähigkeit kann das Unternehmen freiwillig den Schutz des Insolvenzverfahrens suchen (§ 18 InsO), weshalb zu 2 Vgl. Birker, in: Birker/Pepels, Krisenbewusstes Management, S. 13; Hommel/Knecht/ Wohlenberg, in: Hommel/Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 32 f.; Ähnlich Maus, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 1.2. 3 Böckenförde, Unternehmenssanierung, S. 16; Hahn, Allg. Betriebswirtschaftslehre, S. 601; Hommel/Knecht/Wohlenberg, in: Hommel/Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 32; Picot/Aleth, Unternehmenskrise, Rn. 4; Staehle in: Enzyklopädie der Betriebswirtschaftslehre, Band 1, Teilband 2, Stichwort Krisenmanagement, S. 2452.
A. Der Insolvenzplan aus betriebswirtschaftlicher Perspektive
9
diesem vorgelagerten Zeitpunkt noch keine Insolvenz im eigentlichen Sinn, wohl aber eine bereits Unternehmenskrise vorliegt. 4 Der betriebswirtschaftliche Krisenbegriff entspricht hingegen weitgehend dem juristischen Begriff der »Krise einer Gesellschaft« im ehemaligen § 32a Abs. 1 GmbHG 5 , der eine solche Krise annahm, sobald ein ordentlicher Kaufmann der Gesellschaft Eigenkapital zuführen würde. Dies wiederum sollte der Fall sein, sobald die Gesellschaft kreditunwürdig wird, also kein Fremdkapital mehr bekommen kann. 6 Eine solche Krise beginnt nicht erst mit der Insolvenz, also der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft; die Kreditwürdigkeit wird dem Unternehmen bereits fehlen, wenn es seine Basisziele nicht mehr erreicht und somit der Überschuss fehlt, aus welchem der Kredit zurückgezahlt werden sollte. Die dafür verantwortlichen Umstände sind vielfältig und Gegenstand eines eigenen Forschungsgebietes: der Krisenursachenforschung.7 Qualitativ können zwei große Krisenherde unterschieden werden. Die Krisenursachen können zum einen aus dem Unternehmen selbst stammen (sog. unternehmensinterne oder endogene Ursachen). Hier sind vor allem Managementfehler von Bedeutung. Diese können als Betrugshandlungen sehr drastische Formen annehmen, etwa bei Enron, Worldcom oder Parmalat. Insbesondere bei kleinen Unternehmen und Existenzgründungen beruhen sie dagegen eher auf einer generell unzureichenden betriebswirtschaftlichen Qualifikation der Unternehmensleitung und der damit einhergehenden unterentwickelten Ausbildung von Rechnungswesen und Controlling. Schließlich sind eine Vielzahl von Planungs- und Kalkulationsfehlern denkbar, etwa bei der Bedarfsschätzung und Marktanalyse, aber auch beim Personalbestand, den Lager- oder Beschaffungskosten oder bei Umstrukturierungen und Neuausrichtungen (man denke nur an die Übernahmeversuche von Porsche bei VW oder der Schaeffl er-Gruppe bei Continental) bis hin zur Vernachlässigung von Innovationen. Neben dem Managementbereich kann die Krise aber auch ihre interne Ursache in der fehlerhaften finanziellen Grundausstattung des Unternehmens und damit im Verantwortungsbe4 So auch Hommel/Knecht/Wohlenberg, in: Hommel/Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 33; Picot/Aleth, Unternehmenskrise, Rn. 5, 7. 5 Die Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. 10. 2008 (BGBl. I, 2026) mit Wirkung zum 1. November 2008 aufgehoben. 6 Hierzu BGHZ 105, 168, 175 ff. und 181; Heidinger, in: Michalski, GmbHG, § 32a Rn. 43 ff.; Maus, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 1.6; Pentz, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 32a Rn. 32 ff. 7 Eine systematische Auflistung der branchentypischen Insolvenzgründe findet sich z. B. bei Birker, in: Birker/Pepels, Krisenbewusstes Management, S. 34; vgl. auch Böckenförde, Unternehmenssanierung, S. 31 ff.; Groß, Sanierung durch Fortführungsgesellschaften, S. 27 ff.; Hahn, Allg. Betriebswirtschaftslehre, S. 610 f.; Rinklin, Die vergleichsfähige und die konkursreife Unternehmung, S. 43, 46 ff.; Rödl, in: Hommel/Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 1226 ff. oder Rohde, Auslese durch Insolvenzen, S. 62 ff.
10
Kapitel 1: Betriebswirtschaftliche und rechtshistorische Sicht
reich der Eigentümer haben. Hier ist vor allem eine unzureichende Eigenkapitalausstattung (z. B. durch fehlende Anpassung der Eigenkapitalausstattung in Investitions- und Expansionsphasen oder durch Aufzehrung der Eigenkapitaldecke in Verlustjahren, aber auch infolge sog. leveraged buy-outs8 ) anzusprechen.9 Beruht die Unternehmenskrise hingegen auf äußeren Umständen (sog. unternehmensexterne oder exogene Ursachen), so kommen vor allem die allgemeine konjunkturelle Entwicklung (Rezession), die allgemeine Verfügbarkeit von Fremdkapital am Markt sowie strukturelle Veränderungen der Wettbewerbssituation im Markt (z. B. durch verändertes Kundenverhalten, politische/ rechtliche Umgestaltungen, Preisverfall bei Produkten oder wissenschaftliche Innovationen der Konkurrenten) als Ursachen in Betracht.10 Die Unternehmenskrise resultiert hier aus einer ungenügenden Anpassungsfähigkeit des Unternehmens an die veränderten Umweltbedingungen.11 Häufig tritt eine Unternehmenskrise jedoch nicht allein aufgrund einer singulären internen oder externen Ursache ein.12 Sie beruht oft auf dem ungünstigen Zusammenwirken exogener Entwicklungen mit unternehmensinternen Entscheidungen, z. B. auf einer unzureichenden Marktforschung und darauf beruhend der fehlenden Reaktion auf Marktveränderungen oder auf einem schlechte Finanzmanagement und dem Eintritt einer Rezession. Letzteres führte etwa auch zum spektakulären Zusammenbruch der Lehman Brothers Holdings Inc., die im Sommer 2008 trotz enormen Anlagevermögens in eine Liquiditätskrise geriet und in Anbetracht eines einfrierenden Kreditmarktes und unbekannter Risiken aus Derivatgeschäften in der Bilanz nicht mehr in der Lage war, kurzfristig Fremdkapital zu erlangen.13 Eine Unternehmenskrise läuft in der Regel in Phasen ab. Sie beginnt mit dem Eintritt eines Umstandes, der Ursache einer späteren Krise wird, wie etwa der Veränderung der Marktsituation durch den Auftritt eines neuen Konkurrenten. 8 Bei einem leveraged buy-out (LBO) wird ein Unternehmenskauf durch Fremdkapital finanziert und zur Absicherung der Kreditgeber die Aktiva des Unternehmens benutzt, so dass im Ergebnis das erworbene Unternehmen mit einer hohen Schuldenlast und den damit einhergehenden Zins- und Tilgungsleistungen belastet ist. Dementsprechend erhöht sich das Insolvenzrisiko des Unternehmens – vgl. Eidenmüller, ZIP 2007, 1729, 1730; Morshäuser/ Falkner, NZG 2010, 526. 9 Birker, in: Birker/Pepels, Krisenbewusstes Management, S. 32; Böckenförde, Unternehmenssanierung, S. 31; Köchling, ZInsO 2009, 641, 642. 10 Birker, in: Birker/Pepels, Krisenbewusstes Management, S. 32 f.; Rödl, in: Hommel/ Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 1228. 11 Böckenförde, Unternehmenssanierung, S. 27. 12 Zu Krisenvermeidungsstrategien – vgl. Staehle in: Enzyklopädie der Betriebswirtschaftslehre, Band 1, Teilband 2, Stichwort Krisenmanagement, S. 2457 ff.; Wellensiek/ Schluck-Amend, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 1.73 ff. 13 Eine eindrucksvolle Schilderung der Krisenentwicklung der Lehman Brothers Holdings Inc. findet sich als Titelgeschichte im Spiegel vom 9. März 2009 (Heft 11), S. 40 ff. Zum folgenden Insolvenzverfahren: Madaus, NZI 2008, 715 ff.
A. Der Insolvenzplan aus betriebswirtschaftlicher Perspektive
11
In dieser ersten Phase spricht man von einer sog. »latenten Unternehmenskrise«14 . Hier sind die Auswirkungen dieses Umstandes noch kaum in den unmittelbaren Unternehmensdaten zu erkennen, die Absatzzahlen und Marktanteile haben sich noch nicht wesentlich verschlechtert (sogenannte »Weak-Signals«).15 Es bedarf daher eines sensiblen Frühwarnsystems zur rechtzeitigen Aufdeckung solcher Krisenherde. § 91 Abs. 2 AktG verpflichtet den Vorstand einer Aktiengesellschaft sogar ausdrücklich zu entsprechenden Vorkehrungen.16 Dabei stehen verschiedene Frühwarnsysteme zur Verfügung, die beliebig miteinander kombiniert werden können.17 So sollten etwa eine Bilanzanalyse und eine Cash-Flow-Vorhersage für das Unternehmen mit einer genauen Branchen- oder Marktbeobachtung einhergehen.18 Werden dann Frühwarnsignale erkannt und ernst genommen, so sind die Chancen einer erfolgreichen Krisenbewältigung groß. In dieser Phase hat das Unternehmensmanagement den weitesten Handlungsspielraum. Insbesondere verfügt es noch über hinreichend Liquidität und ein unbeschädigtes Vertrauen bei Kunden, Kreditgebern, Arbeitnehmern und sonstigen Geschäftspartnern. Das Unternehmensmanagement kann die notwendigen Maßnahmen daher weitgehend ohne Beteiligung Dritter aus eigener Kraft einleiten und durchführen.19 Werden Frühwarnsignale hingegen nicht erkannt, so schlagen sich die Krisenursachen bald auch in den Unternehmenszahlen spürbar nieder, etwa durch einen Gewinneinbruch oder gar einen Verlust in der Bilanz. Umsatz- und Renta14 Birker, in: Birker/Pepels, Krisenbewusstes Management, S. 29; Hahn, Allg. Betriebswirtschaftslehre, S. 602; Staehle in: Enzyklopädie der Betriebswirtschaftslehre, Band 1, Teilband 2, Stichwort Krisenmanagement, S. 2453. Böckenförde, Unternehmenssanierung, S. 19 und Rödl, in: Hommel/Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 1230, sprechen auch von einer »Strategiekrise«. 15 Picot/Aleth, Unternehmenskrise, Rn. 173. Ein Beispiel für die Krisenerkennung anhand einer Analyse von Jahresabschluss-basierten Kennzahlen geben Drukarczyk/Kippes, in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 2 Rn. 5 ff. 16 Aus der Pflicht des GmbH-Geschäftsführers in § 49 Abs. 3 GmbHG, bei Verlust des halben Stammkapitals die Gesellschafterversammlung einzuberufen, folgt auch für das Management einer GmbH die Notwendigkeit, Anzeichen einer krisenhaften Entwicklung zu beachten und darzustellen; Veil, ZGR 2006, 374, 377 f.; Westermann, DZWIR 2006, 485, 487; generalisierend Frege, NZI 2006, 545, 546. Die Nutzung von Frühwarnsystemen ist insofern nicht nur für Aktiengesellschaften angezeigt, auxh wenn eine echte Pflicht wie im Aktienrecht hier wohl nicht besteht. 17 Zu Arten von Frühwarnsystemen – vgl. Hahn, Allg. Betriebswirtschaftslehre, S. 604 ff.; Picot/Aleth, Unternehmenskrise, Rn. 159 ff. (operative und strategische Frühwarnsysteme); Zwick/Spencer, in: Hommel/Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 198 ff. 18 Daneben lassen sich auch Frühwarnmodelle nutzbar machen, die – wie Credit-Scoring-, Risk-of-Ruin- oder Ausfallmodelle – eigentlich eher für eine externe Unternehmensanalyse gedacht sind und auf mathematischer Grundlage Insolvenzrisiken bestimmen – vgl. Zwick/ Spencer, in: Hommel/Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 204 ff. 19 Birker, in: Birker/Pepels, Krisenbewusstes Management, S. 29; Hahn, Allg. Betriebswirtschaftslehre, S. 602.
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Kapitel 1: Betriebswirtschaftliche und rechtshistorische Sicht
bilitätsziele werden nun nicht mehr erreicht. Man spricht nun von einer »Ergebniskrise«20 bzw. einer »Erfolgskrise«21 und damit vom Beginn der »akuten Krise«.22 Die Probleme werden offensichtlich und müssen den richtigen Ursachen zugeordnet werden, um als Reaktion nicht nur die Symptome der Krise zu bekämpfen (etwa durch bloße Kostensenkungen), sondern auch deren Ursachen zu begegnen. Gelingt dies zeitnah nicht, so führen die schlechten Unternehmensergebnisse schnell zu einem Liquiditätsengpass: Eigenkapitalreserven werden aufgebraucht und Fremdkapital steht kaum mehr zur Verfügung. Die Phase der »Liquiditätskrise« wird erreicht. 23 Die wesentliche Herausforderung besteht nun in der Krisenbewältigung, also darin, konstruktiv zu handeln und schnell die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die dadurch bezweckte Gesundung des Unternehmens wird »Sanierung« genannt. 24 An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass als Krisenreaktion natürlich nicht allein die Sanierung des Unternehmens in Betracht kommt. Die Eigentümer können sich stets freiwillig für einen Marktaustritt, also die Beendigung des Unternehmens, entscheiden, selbst im Fall einer positiven Fortführungsprognose. 25 Diese Entscheidung ist natürlich insbesondere dann sinnvoll, wenn die Basisziele bei einer Fortführung des Unternehmens grundsätzlich nicht mehr erreicht werden können, also keine oder nur unzureichende Erträge aus dem Unternehmen zu erwarten sind und die Unternehmensfortführung daher nur zu einer weiteren Vernichtung des Eigenkapitals führt. 26 Gerade bei kleinen Unternehmen, für die kaum ein Übernahmemarkt vorhanden ist, kann ein vorausschauender Marktaustritt eine Insolvenz und die mit ihr einhergehenden Sonderkosten vermeiden. Die Gläubiger des Unternehmens sind aus dem vorhandenen, im gesellschaftsrechtlichen Liquidationsverfahren zu verwertenden Unternehmensvermögen zu befriedigen; ein eventueller Überschuss 20 Rödl, in: Hommel/Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 1230. 21 Böckenförde, Unternehmenssanierung, S. 19. 22 Birker, in: Birker/Pepels, Krisenbewusstes Management, S. 29 f.; Hahn, Allg. Betriebswirtschaftslehre, S. 602; Staehle in: Enzyklopädie der Betriebswirtschaftslehre, Band 1, Teilband 2, Stichwort Krisenmanagement, S. 2453. Ähnlich Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 15: »existenzbedrohende Krise«. 23 Böckenförde, Unternehmenssanierung, S. 20; Rödl, in: Hommel/Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 1230. 24 Wellensiek, NZI 2002, 233. Der Ursprung des Begriffs liegt im lateinischen »sanare« – dem Heilen; vgl. Böckenförde, Unternehmenssanierung, S. 7; Hommel/Knecht/Wohlenberg, in: Hommel/Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 34. Neuerdings wird auch vom »Turnaround-Management« gesprochen – vgl. Birker, in: Birker/Pepels, Krisenbewusstes Management, S. 348; Picot/Aleth, Unternehmenskrise, Rn. 3. Der Begriff der Sanierung ist durchaus schillernd und wird nur im Grundsatz einheitlich verstanden – vgl. etwa Hermanns/Buth, DStR 1997, 1178, 1179; zum betriebswirtschaftlichen, steuerlichen und rechtlichen Sanierungsbegriff auch Uhlenbruck, KTS 1981, 513, 533 ff. 25 Rohde, Auslese durch Insolvenzen, S. 29. 26 Birker, in: Birker/Pepels, Krisenbewusstes Management, S. 332 ff.
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ist an die Eigentümer auszukehren. Besteht in Fällen einer freiwilligen Liquidation das Risiko, dass das Unternehmensvermögen aufgrund der nun notwendigen Neubewertung zu Liquidationswerten plötzlich nicht genügt, um alle Forderungen zu erfüllen, so kann es sinnvoll sein, den Marktaustritt durch einen Liquidationsplan mit allen Beteiligten abzusichern, der auch dieses Risiko verteilt. Entsprechendes gilt, wenn es Kaufinteressenten für das zu liquidierende Unternehmen als Ganzes oder dessen Teile gibt; auch dann kann ein Liquidationsplan dazu dienen, deren Engagement zu sichern und den verhandelten Veräußerungserlös zu verteilen.
II. Der Sanierungsprozess Eine Sanierung ist ein schrittweiser Prozess. 27 Erwägt man die Sanierung des Unternehmens, so ist die maßgebliche Frage jedes Krisenmanagements die nach der Sanierungsfähigkeit des Unternehmens, also die nach der Beherrschbarkeit der Krise.28 Kann das Unternehmen seine Basisziele mit adäquaten Maßnahmen perspektivisch wieder erreichen, also seine Zahlungsfähigkeit und sein Eigenkapital sichern bzw. wiederherstellen und eine angemessene Rentabilität erzielen? Entscheidend ist also, dass sich durch die Sanierung die Basisziele des Unternehmens wieder erreichen lassen. Hierzu ist Sanierungskonzept zu erarbeiten, das auf der Grundlage einer fundierten Unternehmensanalyse eine plausible Fortführungs- und Sanierungsfähigkeitsprognose enthält.29 1. Sanierungsfähigkeit und Sanierungswürdigkeit In diesem Zusammenhang wird daneben immer noch die Frage der Sanierungswürdigkeit aufgeworfen, ohne dass wirklich deutlich wird, welchen eigenständigen Inhalt dieser Begriff heute haben soll. Ursprünglich wurde mit ihm die Frage aufgeworfen, ob das Unternehmen – insbesondere der Unternehmer – eine Sanierung verdient. In den Zeiten der Konkurs- und Vergleichsordnung war die Auffassung herrschend, dass die Sanierung des Unternehmens auch von der »persönlichen Vergleichswürdigkeit des Unternehmers« abhänge.30 Diese 27
Ein Ablaufschema findet sich etwa bei Böckenförde, Unternehmenssanierung, S. 52. Wird mit dem Krisenmanagement erst in der Insolvenzreife des Unternehmens begonnen, so ist die Sanierungsfähigkeit des insolventen Unternehmens gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 3 letzter HS. InsO bereits durch den vorläufigen Insolvenzverwalter zu prüfen. Sie ist daher zwingender Bestandteil jedes Fortführungsgutachtens; Schmitt/Möhlmann-Mahlau, NZI 2007, 703, 705. 29 Die Anforderungen an ein solches Sanierungskonzept bestimmen heute die im IDW S 6 des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) festgehaltenen Standards, die vom Fachausschuss Sanierung und Insolvenz des IDW in DB 2010, 1413 ff. erläutert werden. Allgemein zur Fortführungsprognose: Groß/Amen, in: Hommel/Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 335 ff. 30 So z. B. Rinklin, Die vergleichsfähige und die konkursreife Unternehmung, S. 31. 28
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wertende Betrachtung kann jedenfalls mit der Einführung der Insolvenzordnung als überholt angesehen werden, die auf solche Kriterien verzichtet. 31 Die Sanierung eines Unternehmens wird heute insbesondere auch dann nicht mehr von vornherein abgelehnt, wenn die Unternehmensleitung die Krise schuldhaft herbeigeführt hat, denn sie ist keine Wohltat für den Unternehmer, sondern Resultat ökonomischer Vernunft.32 Der Austausch des »Unternehmers«, also der Unternehmensleitung oder auch des Rechtsträgers des Unternehmens, ist heute vielmehr selbstverständlich möglicher und oft auch notwendiger Teil der Sanierung. Der Begriff der Sanierungswürdigkeit sollte in der Sanierungsprüfung daher nicht mehr gebraucht werden. Auch der neue IDW Standart 6 zur Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW S6) verzichtet bewusst auf diesen Begriff.33 Ebenso fehlt er schon in einigen Sanierungshandbüchern; in anderen wird er zumindest mit einem anderen Inhalt verwendet.34 So wird etwa eine Sanierungswürdigkeit dahin gehend definiert, dass der nach der Sanierung zu erwartende Ertragswert des Unternehmens trotz der Berücksichtigung der Sanierungskosten größer ist als der aus der anderweitigen Verwendung der Sanierungsmittel erzielbare Ertrag.35 Eine solche Sanierungswürdigkeitsprüfung beinhaltet anstelle einer persönlichen Prüfung des Unternehmensträgers eine volkswirtschaftliche Betrachtung. Eine solche lässt sich allerdings ohne Brüche in die Prüfung der Sanierungsfähigkeit integrieren, hat sie doch im Kern die Vermittelbarkeit des Sanierungskonzeptes gegenüber allen beteiligten Personengruppen und damit die Realisierbarkeit des Konzeptes zum Inhalt.36 Ein Sanierungsplan, der Maßnahmen vorsieht, zu denen die Betroffenen nicht Willens sind, ist untauglich und daher zu verwerfen. Fehlen Alternativen, so fehlt dem Krisenunternehmen damit auch die Sanierungsfähigkeit. Im Ergebnis sollte daher im Interesse der Klarheit allein auf die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens abgestellt werden.
31 Schuldnerbezogene Ausschlussgründe fehlen in den Regelungen der InsO zum Insolvenzplan (anders noch § 18 Nr. 1 und 2 VglO und § 175 KO). 32 Paulus, ZGR 2005, 309, 311. 33 Siehe dazu die Erläuterung des IDW S6 durch den Fachausschuss Sanierung und Insolvenz des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) in DB 2010, 1413, 1415. 34 Siehe etwa Böckenförde, Unternehmenssanierung, S. 13, der mit dem Begriff allgemein die »wirtschaftliche bzw. finanzielle Notlage« eines Unternehmens bezeichnet. 35 So etwa Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 290 f.; Groß, Sanierung durch Fortführungsgesellschaften, S. 26; Flessner, Sanierung und Reorganisation, S. 262; ähnlich Picot/ Aleth, Unternehmenskrise, Rn. 274 f. 36 Ein so verstandener Begriff der Sanierungswürdigkeit findet sich etwa bei Böckenförde, Unternehmenssanierung, S. 45/63; Hermanns/Buth, DStR 1997, 1178, 1180 oder Körner, Unternehmens-Turnaround durch Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 126.
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2. Die Unternehmensanalyse Um die Frage nach der Sanierungsfähigkeit des in der Krise befindlichen Unternehmens beantworten zu können, muss dasselbe zunächst umfassend analysiert und bewertet werden, was in der Regel durch externe Unternehmensberater erfolgt oder zumindest unterstützt wird.37 Zur Analyse der Sanierungsfähigkeit ist zunächst die Liquiditätslage des Unternehmens entscheidend und für die nähere Zukunft mittels eines Liquiditätsplanes zu ermitteln, der alle künftigen Aus- und Einzahlungen sowie vorhandenes Vermögen auflistet. Im Ergebnis sollte zumindest genügend Liquidität vorhanden sein, um das Unternehmen im Sanierungszeitraum fortzuführen.38 Kommt danach eine Sanierung in Betracht, ist die Unternehmensstrategie zu hinterfragen und gegebenenfalls neu auszurichten. Hierzu erfolgt eine genaue Analyse der Ertragslage des Unternehmens, also seiner Potenziale, Gewinn zu erwirtschaften. Diese erfasst zum einen die Position des Unternehmens mit seinen strategischen Geschäftsfeldern im Markt, insbesondere mittels einer Portfolio-Analyse.39 Zum anderen werden die Arbeitsprozesse im Unternehmen auf Effizienz und Kostensenkungspotenziale untersucht, so dass risiko- oder verlustbehaftete Bereiche erkannt und abgebaut werden können.40 Im Ergebnis deckt die Unternehmensanalyse nicht nur die krisenverursachenden Fehlentwicklungen und Fehlentscheidungen auf; sie hilft zugleich, die neue strategische Ausrichtung des Unternehmens im Markt zu definieren, mit deren Hilfe eine sichere Wettbewerbsposition zurückerlangt werden soll. Auf ihr basiert schon insofern jedes Sanierungskonzept. 41 Darüber hinaus enthält sie auch alle notwendigen Informationen, für eine Darstellung und Bewertung von strategischen Handlungsoptionen des Managements zur Fortführung des Unternehmens (Fortführungsszenarien). Die Unternehmensanalyse ist damit Grundlage für die Ermittlung des Fortführungswertes.42 Ohne sie gibt es keine gesicherte Fortführungsprognose.
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Allgemein zur Sanierungsberatung: Frege, NZI 2006, 545. Böckenförde, Unternehmenssanierung, S. 56, spricht insofern auch von einer ersten »Grobanalyse« im Angesicht der Krise. 39 Hermanns/Buth, DStR 1997, 1178, 1181. 40 Näher zur Analyse der Sanierungsfähigkeit eines Unternehmens aus Sicht des Unternehmensberaters, insbesondere zu dessen Vorgehensweise: Bader/Rockholtz, in: Jahns/ Heim, Handbuch Management, S. 328 ff.; allgemeiner: Depré/Dobler, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 43 Rn. 109 ff.; Groß, Sanierung durch Fortführungsgesellschaften, S. 34 ff.; Picot/Aleth, Unternehmenskrise, Rn. 260 ff.; Risse, KTS 1994, 465, 472 ff.; aus dem älteren Schrifttum: Rinklin, Die vergleichsfähige und die konkursreife Unternehmung, S. 69 ff. 41 Böckenförde, Unternehmenssanierung, S. 84; Hermanns/Buth, DStR 1997, 1178, 1181. 42 Bader/Rockholtz, in: Jahns/Heim, Handbuch Management, S. 335; Picot/Aleth, Unternehmenskrise, Rn. 269. 38
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3. Die Planung operativer Maßnahmen Ergibt die Unternehmensanalyse eine Erfolg versprechende Marktposition des Unternehmens, so sind im nächsten Schritt die zur Erreichung derselben notwendigen operativen Maßnahmen in einem Sanierungskonzept zu entwickeln43 und sodann mit einem zeitlichen Ablauf zu versehen, so dass am Ende ein Sanierungs-/Umsetzungsplan vorliegt, der alle zur Umsetzung des Szenarios notwendigen operativen Maßnahmen inklusive des bis zum Abschluss der Sanierung notwendigen Finanzbedarfs enthält. a) Leistungswirtschaftliche Maßnahmen Aus der verfolgten Sanierungsstrategie ergeben sich zunächst die notwendigen leistungswirtschaftlichen Maßnahmen. Diese können in den verschiedensten Unternehmensbereichen erfolgen.44 In den meisten Fällen wird es dabei um die Konzentration des Unternehmens auf dessen Kernkompetenzen und damit um den Rückzug aus verlustreichen Märkten oder Produktbereichen (»Gesundschrumpfen«) gehen. Hierzu kann ein Outsourcing von Tätigkeiten im Randbereich vorgesehen sowie die Produktpalette verengt werden. Gleichzeitig sind Einkauf, Logistik und Vorratsbestand zu überdenken sowie eine Verbesserung der Produktion, etwa durch Automatisierungen oder integrierte Fertigungskonzepte, anzustreben. Der aus einer so geänderten Unternehmensausrichtung folgende Personalüberhang ist dann durch eine Straffung der Unternehmensstruktur (Personalabbau) zu beseitigen. Die leistungswirtschaftlichen operativen Maßnahmen sind der Kern jedes Sanierungskonzeptes. Sie basieren allein auf betriebswirtschaftlichen Erwägungen. Im Sanierungsplan ist dann ihr zeitlicher Ablauf zu beschreiben. In einigen wenigen Fällen hingegen basiert die Krise allein auf eine Überschuldung der Gesellschaft, während die leistungswirtschaftliche Struktur des Unternehmens optimal ist. Dies kann vor allem infolge kostspieliger Unternehmensübernahmen oder infolge anwachsender Sozialkosten der Fall sein. Ist das Krisenunternehmen etwa infolge eines leveraged buy-out45 mit den Erwerbskosten belastet worden, so sind leistungswirtschaftliche Maßnahmen oft überflüssig. Hier genügen Maßnahmen zur Entschuldung, also finanzwirtschaft43 Vgl. etwa die Maßnahmenkataloge bei Birker, in: Birker/Pepels, Krisenbewusstes Management, S. 344 ff.; Hahn, Allg. Betriebswirtschaftslehre, S. 615 und 619 oder die kurze Checkliste bei Bader/Rockholtz, in: Jahns/Heim, Handbuch Management, S. 336. 44 Einen Überblick geben etwa Hermanns/Buth, DStR 1997, 1178, 1181 ff. 45 Bei einem leveraged buy-out (LBO) wird ein Unternehmenskauf durch Fremdkapital finanziert und zur Absicherung der Kreditgeber die Aktiva des Unternehmens benutzt, so dass im Ergebnis das Unternehmen mit einer hohen Schuldenlast und den damit einhergehenden Zins- und Tilgungsleistungen belastet ist. Auch operativ gesunden Unternehmen können auf diese Weise in eine Überschuldungssituation und folgerichtig in eine akute Krise hineingeraten.
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liche Schritte. Das Sanierungskonzept beschränkt sich dann inhaltlich auf ein Entschuldungskonzept. b) Finanzwirtschaftliche Maßnahmen Der Umbau des Unternehmens in der Krise durch die vorgesehenen leistungswirtschaftlichen Maßnahmen erzeugt einen erheblichen Finanzbedarf. Die Schlüsselfrage jeder Sanierungsprüfung ist daher die nach der Finanzierbarkeit des Sanierungskonzeptes. Die dazu notwendige Finanzierungsrechnung geht zunächst von den Effekten aus, die aus den im Sanierungsplan vorgesehenen leistungswirtschaftlichen Maßnahmen entstehen sollen. Hieraus werden die Daten zur Vermögens- und Liquiditätsentwicklung im Unternehmen abgeleitet. Kann das Unternehmen den berechneten Finanzbedarf aus eigenen Mitteln decken, so kann es sich aus eigener Kraft sanieren. Die Fortführungsprognose fällt folgerichtig positiv aus. Im Regelfall wird es einem Krisenunternehmen jedoch nicht gelingen, den Finanzbedarf im Sanierungszeitraum aus eigenen Mitteln zu decken, so dass finanzwirtschaftliche Maßnahmen notwendig werden. Der Sanierungsplan muss dann darstellen, welche Finanzquellen zur Verfügung stehen und auf welchem Wege diese genutzt werden sollen. Die Möglichkeiten sind vielfältig. 46 (1) Die Zuführung von Fremdkapital In der Wirtschaftswelt des 20. Jahrhunderts wandte sich ein Unternehmen in der Krise zur Deckung seines Finanzbedarfs primär an seine Gläubiger oder auch Dritte in dem Bestreben, neues Fremdkapital aufnehmen zu können. Bis heute stellt der Bankkredit für den deutschen Mittelstand die wesentliche Finanzierungsform dar. Der Anteil kurz- und langfristiger Bankkredite an der Bilanzsumme liegt gerade bei kleinen und mittelständischen Unternehmen zum Teil bei einem Drittel.47 Klassisches Mittel der kurzfristigen Kreditvergabe ist der Kontokorrentkredit. Als längerfristige Darlehensform sind dagegen Bankkredite zu finden, deren Laufzeit bei grundsätzlich vier Jahren liegt. 48 Im Gegenzug für die gewährte Liquidität sind dem Kreditinstitut allerdings nicht nur die vereinbarten Zinsen zu zahlen, sondern in der Regel auch Sicherheiten zu stellen. Zudem finden sich bei langfristigen Krediten immer häufiger »covenants«, also Zwischenziele, deren Nichterreichen je nach dem Inhalt der Covenant-Klausel zu besonderen Einflussnahmemöglichkeiten des Kreditinstituts beim Unternehmen führen kann. 49 Der Bankkredit ist daher grundsätzlich eine teure Form der Unternehmensfinanzierung. Er wird zudem insbesondere für 46
Eine Übersicht findet sich etwa bei Cranshaw, ZInsO 2008, 421, 422 ff. Eilenberger/Haghani, Unternehmensfinanzierung, S. 49. 48 Eilenberger/Haghani, Unternehmensfinanzierung, S. 52. 49 Diese reichen vom Zustimmungsvorbehalt für die Aufnahme weiterer Kredite über Kündigungsrechte bis hin zu Mitspracherechten hinsichtlich der Unternehmensstrategie – 47
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Kapitel 1: Betriebswirtschaftliche und rechtshistorische Sicht
Krisenunternehmen nur schwer zu beschaffen oder nochmals teurer sein, da die Kreditinstitute die mit der Sanierung verbundenen Risiken eines Kreditausfalls nur selten eingehen. Sicherheiten kann ein Krisenunternehmen nur selten stellen, da die werthaltigen Gegenstände in der Regel bereits besichert sind. Zudem sind durch die Vorgaben des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht (Basel II) alle Kreditinstitute gehalten, das Kreditausfallrisiko ihrer Kreditnehmer möglichst realistisch abzubilden und durch die Vorhaltung von Eigenkapital abzusichern. Die Vergabe typischerweise risikoreicher Sanierungskredite wurde so noch weiter erschwert. Schließlich ist infolge der Finanzkrise des Jahres 2008 auch noch ganz generell die Bereitschaft der Banken gesunken, risikobehaftete Kredite zu vergeben.50 Insgesamt scheint daher die klassische Form der Sanierungsfinanzierung über den Bankkredit ihre überragende Bedeutung gerade für den Mittelstand zu verlieren. Kleine Unternehmen können kurzfristige Liquiditätsprobleme insofern anstelle eines Bankkredits auch mit einem Lieferantenkredit lösen, wobei die Kreditgewährung nicht in der Zuführung von Liquidität, sondern in der Stundung der Entgeltforderung für gelieferte Waren liegt. Das Unternehmen erhält so eine Atempause in der Krise, ohne den Lieferanten als Schlüsselgläubiger zu verlieren. Schließlich sei gerade für Klein- und Kleinstunternehmen auch auf die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes als Liquiditätsquelle in einer Insolvenz hingewiesen, die häufig einen Überbrückungskredit überflüssig machen kann.51 Als Alternative zum langfristigen Bankkredit kommt insbesondere für mittlere und große Unternehmen auch die Anleihe als Finanzierungsmittel in Betracht. Dabei handelt es sich wirtschaftlich um eine langfristige Darlehensgewährung, rechtlich hingegen um eine Schuldverschreibung nach den §§ 793 ff. BGB, die üblicherweise als öffentlich gehandeltes Wertpapier den Regelungen des Kapitalmarktrechts unterliegt. Der Vorteil der Anleihe liegt darin, dass das Unternehmen als Emittent die Konditionen festlegt, unter denen eine Rückzahlung erfolgen soll. Das Unternehmen bestimmt also die Laufzeit, die Rückzahlungsmodalitäten (z. B. eine Teilamortisation) und den Zinssatz der Anleihe (fester oder variabler Zinssatz sowie dessen Höhe). Wegen der Kosten der Platzierung einer Anleihe am Kapitalmarkt wird sich dieser Finanzierungsweg allerdings nur für Unternehmen ab einer gewissen Größe lohnen.52 (2) Mezzanine-Kapital Neben Bank- und Lieferantenkrediten sowie klassischen Anleihen sind Finanzierungsmodelle denkbar, die in der wirtschaftlichen Betrachtung eine Zwivgl. Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 39 ff.; Eilenberger/Haghani, Unternehmensfinanzierung, S. 53, 64 ff. 50 Köchling, ZInsO 2009, 641, 643. 51 So der Erfahrungsbericht von Hingerl, ZInsO 2008, 404, 407. 52 Näheres zur Anleihe als Sanierungsinstrument bei Cranshaw, ZInsO 2008, 421, 423 f.
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schenform von Eigen- und Fremdkapital schaffen und daher »Mezzanine-Kapital«53 oder auch »hybride« Finanzierungen genannt werden. Ihnen allen ist gemein, dass sie sowohl Attribute von Eigenkapital – wie etwa eine unmittelbare Beteiligung am Unternehmensergebnis, einen Nachrang gegenüber einfachen Unternehmensgläubigern oder Mitspracherechte im Unternehmen – als auch solche von Fremdkapital aufweisen, wozu insbesondere ein Zinssatz, eine Laufzeitbeschränkung oder Rückzahlungsansprüche gehören. Der Fantasie des Finanzmarktes sind dabei kaum Grenzen gesetzt, wobei in Deutschland die Entdeckung dieser Finanzinstrumente durch die Unternehmen – im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten – gerade erst beginnt. Insbesondere im Mittelstand erfreut sich diese »neue« Finanzierungsform sprunghaft steigender Beliebtheit.54 Ihre große Relevanz für die Sanierungsfinanzierung folgt aus dem Umstand, dass Mezzanine-Kapitalgeber grundsätzlich im Nachrang zu anderen Kreditgebern stehen. Es hebt so die Kreditwürdigkeit gerade solcher Krisenunternehmen, denen eine Kapitalbeschaffung am Kreditmarkt zu Sanierungszwecken sonst verschlossen bleibt.55 Zudem verbessert Mezzanine-Kapital, wenn es Eigenkapital angenähert wird, die bilanzielle Eigenkapitalausstattung des Unternehmens und kann dann eine bilanzielle Überschuldung und die daraus drohenden Insolvenz nach § 19 InsO beseitigen.56 Als Unterarten lassen sich Finanzprodukte mit einer Fremdkapitalausrichtung von hybriden Produkten und solchen mit einer Eigenkapitalausrichtung unterscheiden. Die Fremdkapitalausrichtung dominiert etwa beim Nachrangdarlehen sowie dem partiarischen Darlehen. Bei Nachrangdarlehen (auch junior debt oder subordinated debt) handelt es sich um Darlehen, die mit einer Nachrangabrede oder einer Rangrücktrittsvereinbarung versehen sind und daher ein erhöhtes Ausfallrisiko ausweisen.57 Ihr Vorteil liegt vor allem darin, dass es den Kreditspielraum des Unternehmens unangetastet lässt. Der Darlehensgeber wird üblicherweise durch einen entsprechend höheren Zinssatz sowie durch »covenants«, also Berichts- und Verhaltenspflichten, abgesichert. Auch »equity-kicker« (etwa Besserungsscheine oder Bezugsrechte auf Eigenkapital) sind 53 Der Begriff stammt aus der Architektur und bedeutet dort Zwischengeschoss – vgl. Eilenberger/Haghani, Unternehmensfinanzierung, S. 85; Nautsch, in: Häger/ElkemannReusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rn. 5. 54 Zahlen finden sich etwa bei Eilenberger/Haghani, Unternehmensfinanzierung, S. 83 f. oder Lühn, Genussrechte, S. 9. 55 Eilenberger/Haghani, Unternehmensfinanzierung, S. 104 f.; Nautsch, in: Häger/Elkemann-Reusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rn. 90; Wellensiek/Flitsch, FS Lüer, 2008, 497. 56 Zempel, Genussrechte, S. 111, 130 ff.; auch Klusmeier, ZInsO 2010, 1873, 1874 (bezüglich des Genussrechts). 57 Der konkreten Ausgestaltung der Nachrangklausel bzw. der »Tiefe« des Rangrücktritts sind dabei kaum Grenzen gesetzt, so dass der Mezzanine-Kreditgeber sein Risiko bewusst steuern kann – vgl. dazu Wellensiek/Flitsch, FS Lüer, 2008, 497, 499 ff.
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möglich.58 Wird die Vergütung für den Darlehensgeber gänzlich ertragsabhängig gestaltet wird, so dass er unmittelbar am unternehmerischen Risiko teilnimmt, so spricht man von einem partiarische Darlehen. Eine diesem ähnliche Rechtsstellung des Kapitalgebers lässt sich auch durch eine (typische) stille Beteiligung erreichen (§§ 230 ff. HGB). Auch hier wird die Vergütung für die Kapitalnutzung an das Unternehmensergebnis gekoppelt, ohne dem Investor gesellschaftsrechtliche Mitspracherechte zu geben. 59 Zur Gruppe der hybriden Produkte sind diejenigen Gestaltungsformen zu zählen, die ihren Charakter während der Laufzeit von Fremd- in Eigenkapital verändern können. Dies sind vor allem Wandel- und Optionsanleihen, also Schuldverschreibungen des Unternehmens, die in ihren Konditionen (als Kicker) unter gewissen Umständen eine Umwandlung des eingesetzten Kapitals in Unternehmensanteile zulassen (Wandelanleihe) 60 bzw. eine zusätzliche Bezugsoption (Optionsschein) auf Anteile am Unternehmen neben der Anleihe gewähren (Optionsanleihe). 61 Sie sind in § 221 AktG erwähnt und haben für das Unternehmen den Vorteil, mit einer niedrigeren Kapitalverzinsung aufgelegt werden zu können. Der Investor kann im Gegenzug am Ende der Laufzeit zwischen der Rückzahlung des Kapitals und der Investition in Eigenkapital wählen. Eine Eigenkapitalausrichtung besitzen demgegenüber insbesondere die Genussrechte, 62 die gesetzlich bislang bewusst nicht geregelt oder definiert sind. 63 Genussrechte gewähren dem Inhaber auf schuldrechtlicher Basis 64 Beteiligungsrechte am Unternehmensergebnis, sei es durch eine zwar gewinnunabhängige, dann aber feste oder eine stets prozentual am Gewinn orientierte Verzinsung; auch Mischformen sind möglich. Die konkrete Ausgestaltung erfolgt in den 58 Eilenberger/Haghani, Unternehmensfinanzierung, S. 99 f.; Nautsch, in: Häger/Elkemann-Reusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rn. 10 ff. Ähnliche Effekte lassen sich auch mit einer nachrangigen Anleihe erreichen. 59 Eilenberger/Haghani, Unternehmensfinanzierung, S. 91 f.; Nautsch, in: Häger/Elkemann-Reusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rn. 15 ff. Eine genaue Darstellung bieten Hellich/Grossmann sowie Häger/Müller und Häger/Nottmeier, in: Häger/ElkemannReusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rn. 71 ff. 60 Eilenberger/Haghani, Unternehmensfinanzierung, S. 95 f.; Hellich, in: Häger/Elkemann-Reusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rn. 883 ff. 61 Eilenberger/Haghani, Unternehmensfinanzierung, S. 96; Hellich, in: Häger/ElkemannReusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rn. 887; Nautsch, in: Häger/ElkemannReusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rn. 22. 62 Grundlegend zum Genussrecht: Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, 1998, insbesondere zu deren geschichtlicher Entwicklung (S. 32 ff.) und Rechtsnatur (S. 101 ff.). 63 Dross, Genussrechte, S. 35 f.; Lühn, Genussrechte, S. 38; Nautsch, in: Häger/ElkemannReusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rn. 30; von Alvensleben, in: Häger/Elkemann-Reusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rn. 606. 64 So die ganz herrschende Ansicht – vgl. Dross, Genussrechte, S. 37 f.; Lühn, Genussrechte, S. 39; Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, S. 101 ff. m. w. N.
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Genussrechtsbedingungen. 65 Die Inhaber von Genussrechten sind ihrer Rechtsstellung nach Gläubiger des Unternehmens; ihre Investition ist also zunächst Fremdkapital. In den Genussrechtsbedingungen wird die Position der Rechtsinhaber jedoch weitgehend an die eines Gesellschafters angenähert – etwa durch die Einräumung von Informationsrechten, vor allem aber durch die Vereinbarung eines Nachrangs gegenüber anderen Kreditgebern, einer Vergütung nur bei Gewinnerzielung und einer langen Laufzeit –, so dass es dem Unternehmen in der Handelsbilanz möglich wird, das Genussrechtskapital als Sonderposten des Eigenkapitals anzusetzen. 66 Das Genussrecht hat dann für das Unternehmen nicht nur den Vorteil, die Eigenkapitalquote und damit die Haftungsmasse sowie die Kreditwürdigkeit zu erhöhen, ohne die vorhandenen Unternehmensanteile zu verwässern und Einflussnahmerechte zu gewähren. Diesen Vorteil muss es zudem nur im Fall der Gewinnerwirtschaftung vergüten und kann selbst dann diese Vergütung steuerrechtlich als Betriebsausgabe geltend machen. 67 Darüber hinaus kommen als Entgelt für den Erwerb von Genussrechten sowohl Geld- und Sachleistungen als auch Dienstleistungen in Betracht, da die Regeln der Kapitalaufbringung nicht gelten. Schließlich können die Genussrechte in Genussscheinen verbrieft werden, um deren Verkehrsfähigkeit zu erhöhen. 68 Die Vorteile der Genussrechte hat inzwischen auch der Finanzmarkt wiederentdeckt, an dem wieder vermehrt Genussscheine als Wertpapiere gehandelt werden. Ihr Marktanteil lag 2006 bei ca. 30 Prozent, was sie zum am häufigsten verwendeten Instrument der Mezzanine-Finanzierung macht. 69 Neuerdings wird durch die Bündelung der Genussrechte verschiedener mittelständischer Unternehmen in Pools zudem eine Risikodiversifizierung erreicht, die Genussscheine nicht nur für Finanzinvestoren interessant macht, sondern zugleich auch dem Mittelstand die Emission von Genussrechten am Unternehmen standardisiert und damit vereinfacht.70 Genussrechte werden damit zu einer ernst zu nehmenden Finanzierungsquelle des Mittelstandes. Daneben bleibt die atypische stille Gesellschaft zu erwähnen, die es ebenfalls vermag, dem Unternehmen funktionales Eigenkapital zu verschaffen. Der Investor wird dazu nicht nur stiller Gesellschafter des Unternehmens (§§ 230 ff. HGB) mit der ent65 Eine empirische Untersuchung der Ausgestaltung von Genussrechten bietet Lühn, Genussrechte, S. 14 ff. 66 Genauer zu den dazu zu erfüllenden Voraussetzungen: Lühn, Genussrechte, S. 24 ff.; Nautsch, in: Häger/Elkemann-Reusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rn. 31, 45 ff.; auch Klusmeier, ZInsO 2010, 1873; siehe auch den Bundesfinanzhof in BStBl. II 2008, 855. 67 Man spricht auch vom »magischen Fünfeck« des Genussrechtskapitals – vgl. von Alvensleben, in: Häger/Elkemann-Reusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rn. 614. 68 Zu den Verbriefungsformen als Inhaber-, Namens- und Orderpapier siehe etwa Dross, Genussrechte, S. 69 ff. 69 Eilenberger/Haghani, Unternehmensfinanzierung, S. 101. Weitere Statistiken finden sich bei Lühn, Genussrechte, S. 10 ff. 70 Näher zur den so entstandenen »Preferred Pooled Shares« (PREPS) bei: Nautsch, in: Häger/Elkemann-Reusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rn. 35 ff.
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sprechenden Gewinn- und Verlustbeteiligung; er erhält zusätzlich auf vertraglicher Ebene weitgehend die Rechte eines Gesellschafters, insbesondere Mitsprache- und Kontrollrechte bis hin zur Geschäftsführungsbefugnis. Diese Rechte bergen beachtliche Risiken für die Eigentümer des Unternehmens, kann sich doch – insbesondere bei der Beteiligung von Private-Equity-Fonds – das Unternehmensziel des Investors maßgeblich von dem der Eigentümer unterscheiden.71 (3) Die Zuführung von Eigenkapital Die beste Form der Sanierungsfinanzierung ist natürlich die der Gewinnung neuen Eigenkapitals. Finden sich in der Krise Investoren, die bereit sind, der Gesellschaft als neue Eigentümer Kapital zur Verfügung zu stellen, so ist dieser Weg eindeutig zu bevorzugen. Das neue Eigenkapital erhöht die Haftungsmasse für die Gläubiger und damit die Kreditwürdigkeit. Die Gewinnung neuer Gesellschafter setzt zudem ein deutliches Zeichen der Überlebensfähigkeit des Unternehmens und vermag es damit, die Schlüsselgläubiger und Vertragspartner wie auch die Aktienmärkte zu beruhigen. Die Einbindung der Investoren kann dabei einerseits im Wege einer übertragenden Sanierung durch ihre Beteiligung als Gründer an der Auffang- bzw. Betriebsübernahmegesellschaft erfolgen. Die Einzelheiten dieses Sanierungsweges sollen im folgenden Abschnitt erläutert werden. Soll die Sanierung des Unternehmens hingegen im Wege der Reorganisation beim bisherigen Rechtsträger erfolgen, so hilft ein Verkauf vorhandener Gesellschaftsanteile an den Investor dem Unternehmen nicht, da der daraus folgende Erlös dem alten Anteilseigner, nicht aber der Gesellschaft zufließt. Bei Personengesellschaften sollte der Investor daher als neuer Gesellschafter eingebunden werden. Bei Kapitalgesellschaften kann das Eigenkapital der Gesellschaft am besten im Wege der effektiven Kapitalerhöhung, also der Schaffung und Ausgabe neuer Gesellschaftsanteile gegen die Leistung von Kapitalmitteln, zugeführt werden (§§ 182 ff. AktG; §§ 55 ff. GmbHG). Dabei gilt es jedoch sicherzustellen, dass die bislang eingetretenen Verluste auf die Inhaber der alten Anteile beschränkt werden. Eine bloße Kapitalerhöhung würde allen Anteilseignern zugute kommen und daher die Anteile der Altgesellschafter zulasten derer der Neuzeichner aufwerten. Im ersten Schritt ist daher eine nominelle Kapitalherabsetzung durchzuführen, bei der das Grundkapital an das tatsächliche Vermögen der Gesellschaft angepasst 71 Gerade Private-Equity-Fonds streben in der Regel nur eine mittelfristige Beteiligung am Zielunternehmen an und sind daher an einer kurzfristigen Werterhöhung und einer entsprechend aggressiven Geschäftspolitik interessiert. Dies kann den Interessen der Eigentümer an einer langfristig ausgerichteten Unternehmensentwicklung diametral entgegenstehen und sollte bei der Hereinnahme von diesen Fonds als Kapitalgeber beachtet werden. Auf diese Risiken ebenfalls hinweisend: Eilenberger/Haghani, Unternehmensfinanzierung, S. 94 ff.; auch Paulus, DZWIR 2008, 6, 7.
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wird. Die in der Krise eingetretenen Verluste werden auf die Anteileigner verteilt, deren Anteilswerte entsprechend des Wertverlustes nun auch nominell sinken (vgl. § 222 Abs. 4 AktG).72 Diese Kapitalherabsetzung zu Sanierungszwecken kann als vereinfachte Kapitalherabsetzung nach § 229 AktG bzw. § 58a GmbHG erfolgen. Sie kann im Ergebnis sogar zu einer Kapitalherabsetzung auf Null führen und damit weit unter den Mindestnennbetrag des § 7 AktG abrutschen, wenn denn der Gesellschaft im Zusammenhang mit der Kapitalherabsetzung sofort wieder Kapital im Wege einer effektiven Kapitalerhöhung zugeführt wird.73 Man spricht dann auch von einem Kapitalschnitt. Genau ein solcher geschieht im Rahmen der Sanierungsfinanzierung, da zugleich die effektive Kapitalerhöhung durchgeführt wird und die neuen Anteile durch die Investoren gezeichnet werden.74 Die Neugesellschafter erhalten damit unbelastete Anteile mit einem Stimmgewicht gegenüber den Altgesellschaftern, das die wirtschaftlichen Verhältnisse widerspiegelt. Alle diese Maßnahmen setzen einen entsprechenden satzungsändernden Beschluss der Gesellschafter, also deren Sanierungsbereitschaft, voraus. Wird der Beschluss über die Kapitalherabsetzung dabei mit dem über den Jahresabschluss des Vorjahres verbunden, so kann der Kapitalschnitt gemäß der §§ 234, 235 AktG sogar rückwirkend die Bilanz einer Aktiengesellschaft und damit deren Kreditwürdigkeit verbessern. Ein gutes Beispiel für eine erfolgreiche Sanierungsfinanzierung mittels eines Kapitalschnitts bietet der Insolvenzfall der Senator Entertainment AG, die im Jahre 2004 aus der Insolvenz heraus mittels eines Insolvenzplans saniert wurde, wobei die maßgebliche Finanzierung durch einen Kapitalschnitt erfolgte, bei dem das Kapital zunächst auf 10 Prozent herabgesetzt wurde und dann um 10,364 Mio. Euro erhöht wurde, wobei entsprechend ihres Bezugsrechts aus § 186 AktG sowohl Altaktionäre75 als auch ein neuer Investor die jungen Aktien erwarben.76
72 Dies ist der Haupteffekt der nominellen Kapitalherabsetzung. Ein weiterer positiver Effekt ist die Verringerung der Ausschüttungssperre, die mit der Verringerung des Grundkapitals einhergeht (vgl. § 233 Abs. 1 AktG). Die darauf beruhende Aussicht auf zeitnahe Dividenden kann wiederum die Attraktivität der Gesellschaft bei potenziellen Investoren steigern; Reger, in: Hommel/Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 811. 73 BGHZ 142, 167, 168 f.; 119, 305, 319 f.; Reger, in: Hommel/Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 814; Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 29 III 5, S. 907. 74 Näher dazu etwa Krull, Bedingter Insolvenzplan und Kapitalschnitt, S. 33 ff. oder Pleister/Kindler, ZIP 2010, 503, 505 ff. 75 Zu den Anforderungen an einen Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 bis 5 AktG siehe etwa Reger, in: Hommel/Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 822 oder Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 29 III 2 d), S. 901 ff. m. w. N. 76 Siehe den Bericht über die Sanierung von Fritze, DZWIR 2007, 89, 92.
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(4) Die Unterstützung der Sanierungsfinanzierung durch Verzichtsbeiträge der Gläubiger In der Krisensituation kann es einem Unternehmen trotz der Vielfalt der denkbaren Finanzierungsinstrumente oft nicht gelingen, Investoren zu finden, die ohne zusätzliche Sicherheiten bereit sind, dem Unternehmen die benötigte frische Liquidität zur Verfügung zu stellen. In diesen Fällen bietet sich als erster Schritt zur Sanierung des Unternehmens dessen Entschuldung durch weitgehende Forderungsverzichte seiner Gläubiger an. Eine solche Entlastung der Bilanz erzeugt selbst zwar keine neue Liquidität und sichert daher für sich allein im Regelfall nicht die Sanierung des Unternehmens. Sie befreit allerdings erheblich von Zins- und Tilgungslasten, verbessert so vor allem die Kreditwürdigkeit des Unternehmens und kann insofern der entscheidende Schritt hin zu neuer Liquidität sein.77 Zugleich sendet sie Zeichen der Sanierungsfähigkeit an mögliche Investoren sowie Lieferanten, Kreditgeber und andere Schlüsselgläubiger und ist daher ein wichtiger Sanierungsbeitrag.78 (a) debt-equity-swap. Als debt-equity-swap bezeichnet man den Umtausch (swap) von Gläubigerforderungen (debt) in Eigenkapital (equity) am zu sanierenden Unternehmen. Der Gläubiger erwirbt also direkt Anteilsrechte am Unternehmen, die er durch die Einbringung seiner unbesicherten Forderungen »bezahlt«. Dies geschieht bei Kapitalgesellschaften im Regelfall im Rahmen einer Kapitalerhöhung.79 Alternativ kann der Umtausch auch durch die Abtretung von Anteilen an der Gesellschaft gegen den Erlass von Forderungen erfolgen. 80 Die Gläubiger geben damit ihre Forderungsrechte zugunsten von Mitsprache- und Kontrollrechten im zu sanierenden Unternehmen auf und können sich so nicht nur eine unmittelbare Beteiligung am Sanierungserfolg, sondern vor allem einen bestimmenden Einfluss auf den weiteren Gang der Sanierung sowie der Geschäftsentwicklung sichern. Beide Umstände machen den debt-equity-swap gerade für Finanzinvestoren interessant, die – wie Hedge- oder Private-Equity-Fonds – Risikokapital gerade dazu einsetzen wollen, um zu einem günstigen Preis in Unternehmen einzustei77 Paulus, DZWIR 2008, 6, 7; Redeker, BB 2007, 673, 674; Westpfahl/Janjuah, ZIP 2008, Beilage zu Heft 3, 1, 14. 78 Hass/Schreiber/Tschauner, in: Hommel/Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 843; Paulus, DZWIR 2008, 6, 8. 79 Hass/Schreiber/Tschauner, in: Hommel/Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 843; Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 403 ff.; Paape, DZWIR 2009, 9; Redeker, BB 2007, 673, 674; Reuter/Buschmann, ZIP 2008, 1003, 1009; Westpfahl/ Janjuah, ZIP 2008, Beilage zu Heft 3, 1, 13. Siehe etwa das Beispiel der Senator Entertainment AG bei Fritze, DZWIR 2007, 89, 92. Eine Aufzählung der in Deutschland bekannt gewordenen Fälle sowie eine Übersicht über die dort zum Zuge gekommenen Transaktionsstrukturen bieten Carli/Rieder/Mückl, ZIP 2010, 1737 ff. 80 Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 401 ff.; Reuter/Buschmann, ZIP 2008, 1003, 1009; Redeker, BB 2007, 673, 679; Westpfahl/Janjuah, ZIP 2008, Beilage zu Heft 3, 1, 13 f.
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gen, deren Wert kurz- bis mittelfristig zu steigern und dann die Anteile am Unternehmen gewinnbringend wieder zu veräußern. Bei einer solchen Investmentstrategie lohnt der umfassende Aufkauf von Gläubigerforderungen gegen das avisierte Zielunternehmen. 81 Diese Forderungen sind in der Regel vergleichsweise günstig zu erwerben, da die betreffenden Gläubiger oft glücklich darüber sind, für notleidende und vielleicht sogar bereits wertberichtigte Außenstände einen schnellen und durchaus lukrativen Erlös zu erlangen. Insbesondere viele Banken bereinigen über die Veräußerung sogenannter non-performing loans82 so ihre Bilanzen. 83 Schlüssel der Strategie ist dann, die so erworbenen Forderungen in Anteilsrechte am Zielunternehmen umzuwandeln – also ein debt-equity-swap. Kann der Finanzinvestor auf diesem Weg die Kontrolle über das Zielunternehmen erlangen, so wird er dessen Sanierung vorantreiben und die aus der Sanierung folgende Wertsteigerung der Anteile kurz- bis mittelfristig durch deren Verkauf realisieren. Auch als »Heuschrecken« diskreditierte Investoren können auf diesem Wege eine Unternehmenssanierung nicht nur finanzieren, sondern teilweise auch organisieren. 84 In den Sanierungsverhandlungen taucht damit oft überraschend ein neuer Verhandlungspartner auf, was die Verhandlungen jedoch in der Regel aufgrund der Gleichrichtung der Interessen eher erleichtert. 85 Problematisch für die Nutzung eines debt-equity-swap als Entschuldungsinstrument sind allerdings die mit dem Anteilserwerb verbundenen Haftungsrisiken aus dem deutschen Kapitalgesellschaftsrecht. So besteht zum einen das Risiko einer Differenzhaftung nach § 46 AktG, § 9 GmbHG, da der Anteilserwerb nicht gegen eine Bareinlage, sondern eben gegen den Erlass einer Forderung erfolgt, was als Sacheinlage angesehen wird. 86 Die eingebrachte Forderung 81 Die Wirksamkeit dieses Forderungskaufs begegnet keinen rechtlichen Bedenken – vgl. Reuter/Buschmann, ZIP 2008, 1003, 1004 ff. 82 Siehe etwa Paape, DZWIR 2009, 9. 83 Diese Praxis ist so üblich, dass Paulus, DZWIR 2008, 6, 7, zu Beginn des Jahres 2008 95 Prozent aller Problemkredite, also non-performing loans, in der Hand von Hedge-Fonds sah. Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese Praxis durch die Finanzkrise einen Wandel erfahren wird. 84 Zu den Besonderheiten dieser Sanierungsform mittels Forderungskauf und debt-equity-swap: Hass/Schreiber/Tschauner, in: Hommel/Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 841 ff.; Himmelsbach/Achsnick, NZI 2006, 561; Paape, DZWIR 2009, 9; Paulus, DZWIR 2008, 6. 85 So im Ergebnis auch Reuter/Buschmann, ZIP 2008, 1003, 1009 ff. (für die hier relevanten Krediterwerber mit einer Eigenkapitalstrategie). Siehe auch das Beispiel der Senator Entertainment AG bei Fritze, DZWIR 2007, 89, 92, wo ebenfalls eine Investmentbank als Krediterwerber im Wege des debt-equity-swap im Rahmen der Kapitalerhöhung Hauptaktionär wurde. Gleiches geschah bei der Plansanierung der Ihr Platz GmbH & Co. KG – siehe Carli/Rieder/Mückl, ZIP 2010, 1737, 1739. 86 Wird hingegen eine Kapitalerhöhung mittels Bareinlage beschlossen und die Barzahlungspflicht des Investors dann gegen die einzubringende Forderung aufgerechnet, so wird diese »Bareinlage« nach der gängigen Rechtsprechung als »verdeckte Sacheinlage« behandelt
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ist dabei nicht mit ihrem Nominalwert, sondern mit ihrem wirtschaftlichen Wert anzusetzen, welche bei Forderungen gegen einen Schuldner in finanziellen Schwierigkeiten nur schwer zu bestimmen ist. Für jede Überbewertung haftet der Gläubiger bzw. Investor unabhängig vom Erfolg der Sanierung, wobei die Haftung gerade im Fall des Scheiterns zum Tragen kommen wird. Die Wertermittlung muss daher durch einen Wirtschaftsprüfer erfolgen. 87 Neben der Differenzhaftung droht dem Gläubiger bzw. Investor unter Umständen auch eine Haftung aus den Rechtsprechungsgrundsätzen über die Rückgewähr eigenkapitalersetzender Darlehen, wenn er als Darlehensgeber (ggf. aus abgetretenem Recht) in der Krise Gesellschaftsanteile erwirbt. 88 Inwieweit das Sanierungsprivileg, das zum 1. November 2008 in § 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG gestrichen und in § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO mit verändertem Wortlaut wieder aufgenommen wurde, den sanierungswilligen Neugesellschafter weiterhin von einer Haftung freistellt, bleibt abzuwarten. 89 Die schon unter der alten Rechtslage vorhandenen Risiken bleiben jedenfalls. Es wäre zu empfehlen, diese Haftungsrisiken für Sanierungsbemühungen generell und eindeutig zu beseitigen und Deutschland auf diese Weise von ausländischen Investitionsinteressen in Krisenunternehmen profitieren zu lassen. Zugleich sollte klargestellt werden, dass der debt-equity-swap zu Sanierungszwecken bei börsennotierten Aktiengesellschaften nicht den Regelungen des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG) unterliegt und daher nicht an einem kosten- und zeitaufwendigen Befreiungsverfahren nach § 37 Abs. 1 WpÜG i. V. m. § 9 der Verordnung zum WpÜG scheitert.90 und ebenfalls auf ihre Werthaltigkeit untersucht – vgl. BGHZ 132, 141; Paulus, DZWIR 2008, 6, 9; Man sollte daher den debt-equity-swap stets als Sachkapitalerhöhung abwickeln – so schon Groß, Sanierung durch Fortführungsgesellschaften, S. 592. 87 Für die Aktiengesellschaft folgt dies aus § 183 Abs. 3 AktG. Ein Restrisiko bleibt wegen der verschuldensunabhängigen Natur der Haftung dennoch; ebenso Redeker, BB 2007, 673, 676. Siehe zum ganzen auch Hass/Schreiber/Tschauner, in: Hommel/Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 846 f.; Paape, DZWIR 2009, 9, 10; Paulus, DZWIR 2008, 6, 9. 88 Vgl. zuletzt BGHZ 165, 106. Eine Untersuchung der Anwendbarkeit dieser Rechtsprechungsgrundsätze auf Fälle eines debt-equity-swaps zu Sanierungszwecken findet sich etwa bei Paape, DZWIR 2009, 9, 11 ff.; siehe auch Paulus, DZWIR 2008, 6, 9. 89 Optimistisch: Paape, DZWIR 2009, 9, 13; Reuter/Buschmann, ZIP 2008, 1003, 1010.; skeptischer: Pleister/Kindler, ZIP 2010, 503, 511. Für das alte Recht hatte der BGH erst 2005 entschieden, dass das Sanierungsprivileg des § 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG bei seinem Eingreifen, also einem Anteilserwerb in der Krise zum Zwecke der Sanierung, jegliche Haftung auch ausschließt, wenn die Sanierung scheitert, solange auf der Grundlage eines fundierten Sanierungskonzeptes gehandelt wurde – vgl. BGHZ 165, 106. Ein so verstandene Sanierungsprivileg erscheint effektiv – so auch Himmelsbach/Achsnick, NZI 2006, 561, 564; Redeker, BB 2007, 673, 677; kritischer Paulus, DZWIR 2008, 6, 10. 90 Der debt-equity-swap unterliegt derzeit wegen § 35 Abs. 2 WpÜG der Pfl icht zu Unterbreitung eines öffentlichen Pflichtangebotes an alle Aktionäre, wenn der Investor mehr als 30 Prozent der Anteile am Zielunternehmen erwerben will. Die Befreiung von dieser Pfl icht erfolgt in einem Verfahren bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, was in der
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Zur Umgehung dieser Risiken erscheint es vorteilhaft, die Forderungen nicht in Anteile an der Zielgesellschaft, sondern in Wandelgenussrechte, also Mezzanine-Kapital, umzuwandeln. Der Investor wird damit nicht zum Gesellschafter des Zielunternehmens. Er bleibt dessen (nachrangiger) Gläubiger und umgeht auf diese Weise die damit verbundenen Haftungsrisiken. Diese Genussrechte sehen dabei eine gewinnabhängige Verzinsung des Kapitals, eine lange Laufzeit, die Teilnahme an Verlusten sowie die Option vor, echtes Eigenkapital zusätzlich zu erwerben. Ihr Nachteil liegt allerdings zum einen darin, dass bei einer Aktiengesellschaft wegen § 193 Abs. 3 AktG nur maximal die Hälfte des Grundkapitals als Wandelgenussrecht emittiert werden darf. Zudem können dem Gläubiger zwar auch in einem Genussrecht Mitsprache- und Kontrollrechte ähnlich einem Gesellschafter eingeräumt werden. Nähert sich dessen Rechtsposition dadurch allerdings zu sehr der eines Gesellschafters, so droht wiederum die Anwendung des Haftungsrechts.91 Die Umwandlung von Forderungen in Genussrechte ist daher insbesondere für Investoren uninteressant, die gerade die Kontrolle über das Krisenunternehmen anstreben. Für einfache Gläubiger hat sie jedoch einen großen Reiz und wird daher gerade zur Sanierung mittelständischer Unternehmen durchaus genutzt.92 (b) Besserungsvereinbarungen. Ein vergleichbares Ergebnis lässt sich durch einen Forderungserlass der Gläubiger erreichen, wenn dieser mit einer Besserungsvereinbarung verbunden wird. Hier verzichtet der Gläubiger auf seine – infolge der Insolvenz wirtschaftlich kaum noch werthaltige – Forderung im Interesse der Unternehmenssanierung. Im Gegenzug erhält er für den Fall des Gelingens der Sanierung einen Anspruch gegen die dann wieder liquide Gesellschaft oder aber deren Gesellschafter aus der Besserungsvereinbarung. Die Ausgestaltung dieser Vereinbarung, die auch Besserungsabrede oder Besserungsklausel genannt wird, obliegt den Parteien. Diese können beim Erreichen gewisser wirtschaftlicher Kennzahlen durch das Unternehmen etwa die ursprünglichen Forderungen in bestimmtem Umfang wieder aufleben lassen oder aber neue Ansprüche des Gläubigers im Besserungsvertrag festlegen. Diese Ansprüche können dabei gegen die sanierte Gesellschaft, aber auch gegen die von der Sanierung profitierenden Gesellschafter gerichtet werden, wobei insbesondere Ansprüche auf deren Gesellschaftsanteile üblich sind.93 Krise eines Unternehmens zu zeit- und kostenintensiv sein kann, um den Investor zu halten. Näher dazu Redeker, BB 2007, 673, 678 f. 91 Siehe zum Ganzen: Hass/Schreiber/Tschauner, in: Hommel/Knecht/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, S. 857. 92 Eine Auflistung von Beispielen findet sich bei: Nautsch, in: Häger/Elkemann-Reusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rn. 93. 93 Genauer dazu etwa Cranshaw, ZInsO 2008, 421, 428, insbesondere zu entsprechenden Treuhandmodellen. Umfassend: Herlinghaus, Forderungsverzichte und Besserungsvereinbarungen, S. 83 ff.
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c) Die Wahl der Sanierungsart Teil jedes Sanierungskonzeptes ist schließlich auch die Wahl der zu verfolgenden Sanierungsart. Hier kommen zwei grundsätzlich verschiedene Wege in Betracht: die Reorganisation und die übertragende Sanierung. (1) Die Reorganisation Bei der Reorganisation94 des Unternehmens soll die Krise dadurch überwunden werden, dass die zur Sanierung notwendigen operativen Maßnahmen ohne einen Wechsel des Rechtsträgers erfolgen. Die finanz- und leistungswirtschaftlichen Schritte werden dazu in der vorhandenen Gesellschaft umgesetzt, das Unternehmen so reorganisiert und dann fortgeführt. Die Reorganisation verändert folglich nicht zwangsläufig die Rechtsbeziehungen des Unternehmens zu seinen Gesellschaftern oder Gläubigern. Diese Strukturen werden nur verändert, wenn das Sanierungskonzept dies verlangt. Dabei hat der Sanierer jedoch einen weiten Spielraum. So sind selbstverständlich auch im Rahmen einer Reorganisation Forderungsverzichte, ein debt-equity-swap und andere Maßnahmen üblich, durch welche die alte Gesellschafter- und Gläubigerstruktur des Unternehmens grundlegend verändert wird. Die Reorganisation erhält aber stets den Rechtsträger als solchen, rettet also auch die unternehmenstragende Gesellschaft und kann insofern als das echte Sanierungsverfahren angesehen werden. (2) Die übertragende Sanierung Die übertragende Sanierung ist hingegen in ihrer Verfahrensstruktur ein Liquidationsverfahren. Die Verwendung des Begriffs der Sanierung erscheint insofern recht irreführend und euphemistisch.95 Kernbestandteile einer übertragenden Sanierung ist eine Veräußerung des gesamten Unternehmens oder aber der wesentlichen und funktionierenden Teile desselben als Einheit. Diese Veräußerung ist nichts anderes als ein Liquidationsverkauf, der sich von einer Zerschlagung des Unternehmens nur dadurch unterscheidet, dass die Vermögenswerte nicht einzeln versteigert, sondern als rechtliche Einheit veräußert werden und auf diese Weise der Fortführungswert des Unternehmens erzielt werden kann, welcher grundsätzlich höher sein sollte als dessen Zerschlagungswert. Nach der Abwicklung dieser Unternehmensveräußerung von der Krisengesellschaft an einen Erwerber bleibt die Gesellschaft ohne funktionsfähiges Unternehmen zurück. Ihr Schicksal ist die Liquidation in einem Regelinsolvenzverfahren mit der anschließenden Löschung. Eine Rettung dieser Gesellschaft, 94 Der Begriff der Reorganisation hat sich hierfür inzwischen durchgesetzt – vgl. Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 15; Hahn, Allg. Betriebswirtschaftslehre, S. 614; Kilger, ZIP 1982, 779, 781; Uhlenbruck, KTS 1981, 513, 537; Wellensiek, NZI 2002, 233. 95 Der Begriff stammt von Karsten Schmidt, ZIP 1980, 328, 336.
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also deren Sanierung, ist im Regelfall nicht das Ziel einer übertragenden Sanierung und der Begriff insofern zumindest fragwürdig. Vom Schicksal des unternehmenstragenden Rechtsträgers grundverschieden ist hingegen das Schicksal des Unternehmens selbst. Wird diese Sach- und Rechtsgesamtheit im Wege des asset-deal von seinem bisherigen Rechtsträger getrennt und auf einen neuen Rechtsträger übertragen werden,96 so kann das Unternehmen weitgehend seine Schulden abstreifen, wenn diese beim Rechtsträger verbleiben. Dieser Entschuldungseffekt ist der Hauptzweck der Unternehmensübertragung,97 ein erster wichtiger Schritt in Richtung einer Unternehmenssanierung und führte zur Benennung des Mechanismus als übertragende Sanierung. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es essentiell, dass die Forderungen der Unternehmensgläubiger nicht im Wege der Rechtsnachfolge auf den Unternehmenserwerber übergehen. Um diese – vom Gesetzgeber explizit gewollte – Rechtsfolge zu ermöglichen, wurde § 419 BGB, die Rechtsnachfolge durch Vermögensübernahme, aufgehoben. Die Mithaftung des Erwerbers über § 25 HGB (Firmenfortführung) kann dadurch ausgeschlossen werden, dass eine Fortführung der bisherigen Firma unterbleibt, nur selbstständig nicht lebensfähige Unternehmensteile veräußert werden oder aber ein Ausschluss nach § 25 Abs. 2 HGB vereinbart und bekannt gemacht wird. Erfolgt der Unternehmenserwerb aus einem Insolvenzverfahren vom Insolvenzverwalter, so soll § 25 HGB ohnehin von vornherein keine Anwendung finden.98 Allein der Übergang der Arbeitsverhältnisse nach § 613a BGB99 und – bei einer Übertragung außerhalb der Insolvenz – der Steuerschulden nach § 75 Abs. 1 AO lässt sich wohl nicht verhindern.100 Es bleibt hervorzuheben, dass durch die übertragende Sanierung ein fortführungsfähiges Unternehmen auf einen neuen Rechtsträger übertragen wird, um dort unbelastet umstrukturiert und fortgeführt zu werden. Die Unternehmensveräußerung ist dabei nur ein erster Schritt in Richtung der Sanierung des Un96 Zum grundsätzlichen Ablauf eines solchen Unternehmensverkaufes siehe etwa: Schmerbach/Staufenbiel, ZInsO 2009, 458, 461 ff. 97 Vgl. Hagebusch/Oberle, NZI 2006, 618, 619; Schmerbach/Staufenbiel, ZInsO 2009, 458; Zipperer, NZI 2008, 206, 207. 98 Vgl. BGHZ 104, 151, 153; BAG NJW 2007, 942; Müller-Feldhammer, ZIP 2003, 2186 (Fn. 4 und 5); Schmerbach/Staufenbiel, ZInsO 2009, 458, 463; Vallender, GmbHR 2004, 642, 645; Wellensiek, NZI 2002, 233, 235. 99 Kritisch: Fassbach, Die cram down power des amerikanischen Konkursgerichts, S. 187. Immerhin haftet der Erwerber bei einer übertragenden Sanierung im eröffneten Insolvenzverfahren nach der Rechtsprechung des BAG nicht für Ansprüche der übernommenen Arbeitnehmer aus der Zeit vor der Verfahrenseröffnung – vgl. BAG NZI 2003, 222, 225 ff. 100 Müller-Feldhammer, ZIP 2003, 2186 (Fn. 4 und 5); Wellensiek, NZI 2002, 233, 235. § 75 Abs. 2 AO privilegiert nur den Erwerber, der ein Unternehmen aus der Insolvenzmasse heraus erwirbt, indem ihn keine Haftung trifft. Immerhin unterliegt ein Unternehmenskauf gemäß § 1 Abs. 1a UStG als nicht steuerbarer Geschäftsvorfall nicht der Umsatzsteuer; Schmerbach/Staufenbiel, ZInsO 2009, 458, 464.
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ternehmens, da sie lediglich dessen Entschuldung leistet und zudem in der Lage ist, unproduktive Unternehmensteile abzuspalten und zurückzulassen. Die Finanzausstattung des neuen Rechtsträgers wie auch die strategische Neuausrichtung des Unternehmens inklusive der dazu notwendigen leistungswirtschaftlichen Maßnahmen erfolgt dagegen erst nach der Übertragung durch den Erwerber.101 Eine übertragende Sanierung kann auf zwei Wegen erreicht werden. Zum einen können der Betrieb oder zumindest werthaltige Betriebsteile des Krisenunternehmens an einen neuen Investor (regelmäßig ein Konkurrenzunternehmen) 102 in der Form eines asset-deal veräußert und übertragen werden, wonach der Investor den Betrieb zu eigenen Zwecken als »Betriebsübernahmegesellschaft«103 fortführt. Erwirbt der Investor hingegen das krisenbehaftete Unternehmen samt seines Rechtsträgers, also im Wege des share-deal, so erwirbt er nicht nur die Unternehmensaktiva, sondern auch die Unternehmensschulden. Einem solchen (natürlich zulässigen) Unternehmenskauf fehlt das Wesensmerkmal einer übertragenden Sanierung – das Abstreifen der Passiva.104 Er fällt daher nicht in diese Sanierungskategorie, kann aber durch das Hinzutreten der Leistungs- und Finanzkraft des Übernehmers trotzdem zu einer Überwindung der Krise und damit zu einer Sanierung des gekauften Unternehmens führen. Man bezeichnet die durch die eine solche Übernahme entstehende Gesellschaft auch als »Sanierungsgesellschaft«.105 Der zweite Weg ist besonders in Fällen relevant, in denen sich nicht sofort ein Kaufinteressent finden lässt. Dann kann der Betrieb oder werthaltige Betriebsteile zunächst auch an eine erst in der Krise zu gründende Auffanggesellschaft übertragen werden.106 Gründer dieser Gesellschaft sind mangels anderer Interessenten häufig die Eigentümer des Krisenunternehmens,107 immer häufiger auch dessen Gläubiger. Diese Auffanggesellschaft wird in der Regel eine Über101
Köchling, ZInsO 2007, 690, 691. Köchling, ZInsO 2009, 641, 642, unterscheidet zwischen strategischen Investoren (solchen mit Berührungspunkten zum Unternehmen) und Finanzinvestoren (Erwerbern mit reinen Renditeinteressen). 103 Begriffsprägend: Groß, Sanierung durch Fortführungsgesellschaften, S. 133, 399 ff.; ebenso: Böckenförde, Unternehmenssanierung, S. 189; Falk/Schäfer, ZIP 2004, 1337, 1338; Hahn, Allg. Betriebswirtschaftslehre, S. 624; Picot/Aleth, Unternehmenskrise, Rn. 521; Uhlenbruck, in: Knops/Bamberger/Maier-Reimer, Sanierungsfinanzierung, § 5 Rn. 35; Wellensiek, NZI 2002, 233, 234; Zipperer, NZI 2008, 206, 207. 104 Schmerbach/Staufenbiel, ZInsO 2009, 458, 459. 105 Begriffsprägend: Groß, Sanierung durch Fortführungsgesellschaften, S. 133, 255 ff.; ebenso: Böckenförde, Unternehmenssanierung, S. 187; Picot/Aleth, Unternehmenskrise, Rn. 519; Uhlenbruck, in: Knops/Bamberger/Maier-Reimer, Sanierungsfinanzierung, § 5 Rn. 35. 106 Ausführlich Groß, Sanierung durch Fortführungsgesellschaften, S. 133, 440 ff. 107 Zu den Haftungsrisiken der Übertragung an eine Auffanggesellschaft, die von den Gesellschaftern des Krisenunternehmens gegründet wurde: Falk/Schäfer, ZIP 2004, 1337. Zu den Fragen einer Insolvenz der Auffanggesellschaft: Zipperer, NZI 2008, 206, 208. 102
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gangslösung sein, die das Betriebsvermögen nur treuhänderisch oder als Pächter im eigenen Namen verwaltet und fortführt bis über eine Weiterveräußerung an Dritte oder ein Sanierungskonzept entschieden wurde (»Auffanggesellschaft mit Zweifachoption«).108 Die durch die Betriebsfortführung erzielten Vorteile werden dabei (im Treuhand- oder Pachtvertrag) der Insolvenzmasse des alten Rechtsträgers zugewiesen. Ein Kaufpreis fließt bei dieser Form der übertragenden Sanierung erst an den veräußernden Rechtsträger, wenn das Unternehmen an einen Investor weiterveräußert wurde, wobei nun neben einem assetdeal auch ein Verkauf der Auffanggesellschaft mittels eines Erwerbs ihrer Anteile durch den Investor möglich ist. Alternativ kann die Auffanggesellschaft das Betriebsvermögen aufgrund eines vorhandenen Sanierungskonzeptes aber auch endgültig behalten, den Betrieb mit den darin vorgesehenen, neuen Investitionen weiterführen und damit zur Betriebsübernahmegesellschaft werden.109 Ein Kaufpreis ist hier erst im Zeitpunkt der endgültigen Unternehmensübernahme fällig. Beide Erscheinungsformen der Nutzung einer Auffanggesellschaft sind systematisch der übertragenden Sanierung zuzuordnen, da bei beiden der werthaltige Betrieb vom alten Rechtsträger getrennt, ohne Tilgungslasten fortgeführt und am Ende über den Rechtsträgerwechsel entschuldet wird. Hiervon ist der Fall zu unterscheiden, in dem die Auffanggesellschaft nach dem Sanierungskonzept am Ende wieder mit dem alten Rechtsträger verschmolzen werden soll, um auf diese Weise dessen Sanierung zu erreichen. Hier findet kein dauerhafter Wechsel des Rechtsträgers inklusive einer daraus folgenden Entschuldung statt, so dass nicht von einer übertragenden Sanierung gesprochen werden kann. Die Gründung einer Auffanggesellschaft dient dann der Sanierung des alten Rechtsträgers im Wege einer »Sanierungsfusion«110 und muss folglich der Sanierungsart der Reorganisation zugerechnet werden. Die Konsequenzen einer übertragenden Sanierung sind weitreichend. Der alte Rechtsträger verliert durch sie mit dem Unternehmen sein sanierungsfähiges Vermögen und kann damit der Liquidation nicht mehr entgehen. Seinen Gläubigern geht die Sach- und Rechtsgesamtheit des Unternehmens als Haftungsmasse verloren; ihnen verbleibt allein der Zugriff auf den Veräußerungserlös (bzw. die Pachtzahlungen), also auf den Veräußerungswert des Unternehmens.111 Zudem profitieren die Gläubiger nur dann von den Gewinnen einer er108 Groß, Sanierung durch Fortführungsgesellschaften, S. 134. Einzelheiten zu den Treuhand- oder Pachtlösungen bei Groß, Sanierung durch Fortführungsgesellschaften, S. 449 ff., 463 ff. Siehe auch Zipperer, NZI 2008, 206, 208. 109 Groß, Sanierung durch Fortführungsgesellschaften, S. 134; Picot/Aleth, Unternehmenskrise, Rn. 524; Uhlenbruck, in: Knops/Bamberger/Maier-Reimer, Sanierungsfinanzierung, § 5 Rn. 35. 110 Vgl. Groß, Sanierung durch Fortführungsgesellschaften, S. 134 f., 335 ff. 111 Da die Gläubiger bei Unternehmensveräußerungen außerhalb eines Insolvenzverfahrens – anders als im Insolvenzverfahren (vgl. §§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 162, 163 InsO sowie die Bestimmungen zum Insolvenzplan) – der Übertragung nicht zustimmen müssen, regt sich gegen
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folgreichen Sanierung des Unternehmens, wenn das Sanierungskonzept ihnen Anteile oder Genussrechte an der Auffanggesellschaft anbietet und sie dieses Angebot gegen die Aufgabe ihrer Forderungen oder die Leistung neuer Beiträge annehmen. Ansonsten erhalten sie zumindest zügig eine quotale Befriedigung aus dem Veräußerungserlös im Rahmen des Liquidationsverfahrens über den alten Rechtsträger. (3) Auswahlkriterien Stehen im Einzelfall beide Sanierungswege zur Auswahl, kommt also etwa sowohl eine Reorganisation des Unternehmens als auch dessen Verkauf an einen Interessenten als Handlungsoptionen in Betracht, so ist von den individuellen Umständen abhängig, welcher Weg vorzugswürdig erscheint. Einen generellen Vorrang einer der beiden Sanierungsarten gibt es nicht.112 Zu viele individuell verschiedene Faktoren spielen bei der Entscheidung eine Rolle. Gerade das Gelingen einer Reorganisation, und damit der Erfolg dieser Handlungsalternative, lässt sich nur schwer bewerten. Ob sie tatsächlich zu einer Optimierung des Unternehmenswertes führen wird und damit aus Sicht aller Beteiligten erstrebenswert ist, lässt sich im Entscheidungszeitpunkt nicht mit Sicherheit feststellen, da ungewisse Ereignisse in der Zukunft eine maßgebliche Rolle für die Unternehmensentwicklung und das Gelingen einer Reorganisation spielen. Das Risiko einer Fehlprognose und einer scheiternden Sanierung trifft dabei zwar auch die Eigentümer; sie verlieren ihr Unternehmen. Leidtragende sind aber vor allem die Altgläubiger und Investoren des Unternehmens, die ihre Haftungsmasse einbüßen. Der Gedanke der Risikominimierung spricht daher gerade aus Gläubigersicht für eine übertragende Sanierung, da mit dem gebotenen Veräußerungserlös die Verteilungsmasse feststeht und jegliche Unwägbarkeiten vermieden werden. Sie wird daher aus Gläubigersicht häufig die bevorzugte Sanierungsart sein.113 Aktuelle empirische Ergebnisse bestätigen diese Annahme.114 diese Art der Sanierung immer noch grundsätzliche Kritik: insbesondere Schmidt, ZIP 1980, 328, 337 sowie zuletzt in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 2.133; auch Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 15. Zur Problematik des Gläubigerschutzes bei übertragenden Sanierungen siehe auch Falk/Schäfer, ZIP 2004, 1337 und Müller-Feldhammer, ZIP 2003, 2186; Zipperer, NZI 2008, 206, 207. 112 Dem Krisenmanagement sollten im Idealfall beide Arten als Option zur Verfügung stehen – hierzu genauer Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 32 ff., 46. 113 Wellensiek, NZI 2002, 233, 238; ebenso Bitter, ZGR 2010, 147, 155 ff.; Morshäuser/ Falkner, NZG 2010, 526, 529. 114 So ergab eine Umfrage unter Insolvenzverwaltern aus dem Jahr 2007, dass die von ihnen betreuten Unternehmensinsolvenzen nur zu max. 10 Prozent eine Reorganisation mittels Insolvenzplans verhandelt wurde, während in 31–56 Prozent der Fälle eine übertragende Sanierung erfolgte und nur in den übrigen Fällen das Unternehmen liquidiert wurde. Die Sanierungsquote stieg dabei signifikant mit der Größe des Unternehmens; vgl. Bitter, ZGR 2010, 147, 155. Auch nach Undritz, ZGR 2010, 201, 205, erfolgen derzeit »weit über 90% der erfolgreichen Restrukturierungen« in der Insolvenz im Wege einer übertragenden Sanierung.
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Dem unternehmerischen Risiko der Reorganisation sind allerdings auch deren Vorteile gegenüberzustellen. Diese folgen vor allem aus der Kontinuität des Rechtsträgers im Gegensatz zur übertragenden Sanierung. Rechtspositionen, die allein mit dem Unternehmensträger verbunden und nicht frei übertragbar sind,115 können allein bei einer Reorganisation nutzbar gemacht werden. Dies gilt vor allem für an den Rechtsträger gekoppelte öffentlich-rechtliche Genehmigungen116 sowie für Berechtigungen aus schuldrechtlichen Verträgen wie z. B. langfristigen Miet- oder Konzessionsverträgen.117 Hinzu kommen steuerrechtliche Erwägungen. Die in der Krise erlittenen Verluste können im Wege des Verlustabzugs nach § 10d EStG nur dann mit künftigen Gewinnen118 verrechnet werden, wenn die Körperschaft, die den Verlustvortrag steuerlich geltend macht, identisch ist mit der Körperschaft, die den Verlust erwirtschaftet hatte. Der wirtschaftlich bedeutende Wert eines Verlustabzugs wird daher nur im Fall einer Reorganisation erhalten. Im Fall einer übertragenden Sanierung bleibt er beim alten Rechtsträger und wird durch die Liquidation desselben vernichtet.119 Das Steuerrecht ist insofern allerdings ständigen Gesetzesänderungen unterworfen, weshalb eine Wiedereinführung der steuerlichen Privilegierung jedes Sanierungsgewinns nicht auszuschließen ist.120 Schließlich ist der Unter115 Eine umfassende Bestandsaufnahme solcher Rechtspositionen bieten Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157 ff.; auch Bitter, ZGR 2010, 147, 158 ff. 116 Beispielsweise die Genehmigung nach dem Güterkraftverkehrsgesetz (§ 3 Abs. 2 GüKG). Anlagenbezogene Genehmigungen (z. B. nach § 4 BImSchG) gehen hingegen mit der Anlage auf den Erwerber über. 117 Berechtigungen aus Dauerschuldverhältnissen können nur mit Zustimmung des Vertragspartners an einen Dritten übertragen werden (Vertragsübernahme). Diese Zustimmung wird der Vertragspartner nicht ohne finanzielle Zugeständnisse erteilen – vgl. Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157, 1158; Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 45 oder auch den Erfahrungsbericht von Schreiber/Herbst, ZInsO 2008, 435, 436, nach dem eine übertragende Sanierung einer Brauerei mangels der Übertragbarkeit aller Bierlieferungsverträge auf eine Erwerbergesellschaft ausschied und daher ein Insolvenzplan erarbeitet und erfolgreich verhandelt wurde. 118 Dies gilt insbesondere für den Sanierungsgewinn, also die Erhöhung des Betriebsvermögens aufgrund von Forderungserlassen der Unternehmensgläubiger zum Zwecke der Sanierung. Dieser ist seit der Streichung des § 3 Nr. 66 EStG durch das Gesetz zur Fortführung der Unternehmenssteuerreform vom 29. 10. 1997 (BGBl. I 1997, 2590) nicht mehr steuerfrei – dazu Maus, NZI 2000, 449. 119 Vgl. § 8c Abs. 1 KStG; §§ 4 Abs. 2 S. 2, 12 Abs. 3 UmwStG 2006. 120 Zur wechselvollen Geschichte der steuerlichen Behandlung von Sanierungsgewinnen siehe etwa Khan/Adam, ZInsO 2008, 899, 900. Die durchaus sachgerechte Steuerfreiheit eines Sanierungsgewinns (ehemals § 3 Nr. 66 EStG) wurde 1998 durch die Schaffung der Verlustvortragsmöglichkeit in § 10d Abs. 2 EStG ersetzt, welche über § 8 Abs. 4 KStG zunächst auch bei übertragenden Sanierungen bestand. Das Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 (BGBl. I 2007, 1912) strich dann nicht nur § 8 Abs. 4 KStG; es führte auch eine Mindestbesteuerung durch eine Begrenzung der Verlustabzugsmöglichkeiten in § 12d EStG ein. Schon 2009 wurde dann § 12d EStG wieder gestrichen und mit dem neuen § 8c Abs. 1a KStG eine Übertragung des Verlustvortrags bei übertragenden Sanierungen wieder erlaubt. Letztere Regelung beanstandete nun im Jahr 2010 die EU-Kommission als unzulässige Beihilfe (KOM
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nehmenswert infolge einer erfolgreichen Reorganisation höher als der Kaufpreis für das Unternehmen bei einer Veräußerung in einer Krisensituation. Das Unternehmen erwirtschaftet im Verkaufszeitpunkt Verluste. Die Verhandlungsposition des Verkäufers ist dadurch äußerst schlecht. Der Zeitdruck verhindert eine sorgfältige Sondierung des Marktes, eine sorgfältige DueDiligence-Prüfung möglicher Kaufinteressenten und die Entfachung eines Bieterwettbewerbs um das Unternehmen. Schon das senkt den Preis und die Unsicherheit hinsichtlich der Überlebensfähigkeit des Krisenunternehmens führt zu weiteren Risikoabschlägen. Im Ergebnis liegen die bei einer übertragenden Sanierung erzielten Kaufpreise näher beim Liquidationswert des Unternehmens als bei seinem Fortführungswert, teilweise sogar darunter.121 4. Die Entscheidungsträger Wird die Unternehmenskrise rechtzeitig entdeckt und setzt das Krisenmanagement frühzeitig ein, so bestimmen das Management122 und die Eigentümer des Krisenunternehmens den Sanierungsplan, also die strategische Neuausrichtung des Unternehmens wie auch den dazu notwendigen Sanierungsweg. Sie werden dabei im eigenen Interesse zunächst versuchen, eine Reorganisation ihres Unternehmens zum Erfolg zu bringen, da hierbei die grundsätzlichen Managementstrukturen und Eigentumsverhältnisse im Unternehmen erhalten bleiben.123 Die Reorganisation kann unter Umständen sogar aus eigener Kraft ge2010, 970), woraufhin ihre Anwendung ausgesetzt wurde (BMF-Schreiben vom 30. 04. 2010, abgedruckt etwa in DB 2010, 1038; dazu Mückl, GWR 2010, 262). Sanierungsgewinne sind daher derzeit häufig zu versteuern. Insofern bleibt der ministeriale Erlass vom 27. März 2003 (abgedruckt in ZInsO 2003, 363; dazu Khan/Adam, ZInsO 2008, 899, 900 ff.) maßgeblich, der die Finanzverwaltungen anweist, aus Billigkeitsgründen nach dem Ausschöpfen aller Verlustabzugsmöglichkeiten verbleibende Sanierungsgewinne auf Antrag abweichend festzusetzen, zu stunden oder zu erlassen. Dass dieser Sanierungserlass wiederum rechtmäßig ist, wurde zuletzt vom FG München, DStR 2008, 1687, bezweifelt. Insgesamt ist damit in den letzten Jahren eine Rechtslage entstanden, die potenziellen Investoren jede sanierungsfördernde Planungssicherheit nimmt – ebenso Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 658; Khan/Adam, ZInsO 2008, 899, 903 ff.; Pleister/Kindler, ZIP 2010, 503, 512; Westpfahl/Janjuah, ZIP 2008, Beilage zu Heft 3, 1, 19 ff. Es ist daher bedauerlich, dass auch der ministeriale Erlass vom 22. 12. 2009 (abgedruckt in NZI 2010, 91) nicht auf die Bedenken des FG München eingeht und stattdessen für die steuerliche Behandlung von Sanierungsgewinnen aus Insolvenzplanverfahren lediglich auf den Erlass von 2003 verweist. Zudem bleibt die Gewerbesteuererhebung problematisch – dazu Carli/Rieder/Mückl, ZIP 2010, 1737, 1741 f. (»show stopper«). 121 Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 38 f.; Zipperer, NZI 2008, 206, 209. 122 So hat schon der Geschäftsführer einer GmbH mit dem Eintritt der Krise eine Sanierung der Gesellschaft zu prüfen und ein Sanierungskonzept vorzubereiten, das er dann den Gesellschaftern vorschlägt – vgl. Veil, ZGR 2006, 374, 379 f.; Westermann, DZWIR 2006, 485, 487. 123 Körner, Unternehmens-Turnaround durch Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 165 f. Interessant sind dabei die Äußerungen der Gesellschafter des Schuldnerunternehmens im Modellverfahren bei: Graf-Schlicker/Maus/Uhlenbruck, Die Unternehmensinsolvenz nach der InsO, Fall 2 Rn. 155. Natürlich kann auch eine Reorganisation zu einem Austausch des
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leistet werden.124 Insbesondere bei einem vorausschauenden, krisenbewussten Management, das eine schnelle Reaktion durch eingeübte Planspiele und eine ausreichende Finanzierung durch eine belastbare Eigenkapitaldecke und Krisenrücklagen ermöglicht, sind die Erfolgschancen der Reorganisation sehr gut. Der Regelfall der Unternehmenskrise sieht leider anders aus. Krisensituationen werden zu spät erkannt oder es wird zu spät reagiert. Zudem ist die Eigenkapitalquote deutscher Unternehmen häufig zu gering, um akute Krisensituationen aus eigener Kraft zu bewältigen, also jedwede Sanierungskonzepte eigenständig zu finanzieren.125 Der Erfolg einer Reorganisation, insbesondere die Behebung dringender finanzieller Engpässe, liegt dann nicht mehr in der Hand des Unternehmens, sondern hängt von der Bereitschaft Dritter zur finanziellen Beteiligung an der Sanierung ab.126 Zentrale Bedeutung haben hier zunächst die Gläubiger des Unternehmens, insbesondere die Banken, die dem Unternehmen finanziellen Spielraum im Wege der Stundung von Forderungen oder gar des (teilweisen) Verzichts auf dieselben geben können. Nicht weniger bedeutend ist die Rolle der Eigentümer des Unternehmens wie auch die Erreichbarkeit neuer Investoren, die frische finanzielle Mittel in Form von Eigenkapital oder Fremdkapital zur Verfügung stellen müssen. Nicht selten sind Gläubiger dabei zugleich als Investoren gefragt, insbesondere im Hinblick auf die Gewährung weiterer Bank- oder Lieferantenkredite.127 Die Entscheidung über die Durchführung einer Sanierung liegt in dieser Situation nicht mehr beim Management des Unternehmens, sondern bei seinen Kapitalgebern.128 Diese sind nun die wirtschaftlichen Eigentümer des Unternehmens.129 (unfähigen) Managements und/oder zu einer Änderung in den Gesellschafterstrukturen führen. Ebenso kann die alternative übertragende Sanierung eine Beteiligung der Alteigentümer am neuen Rechtsträger vorsehen. Es handelt sich lediglich um eine Aussage über den Regelfall. Die Auswertung empirischer Daten aus Reorganisationsverfahren in den U. S. A. bestätigen, dass bei kleinen Unternehmen eher selten ein Managementwechsel mit der Reorganisation einhergeht, während dies bei großen Unternehmen eher der Regelfall ist (Terhart, Chapter 11, S. 92 f.). 124 Man spricht dann auch von einer »internen Sanierung« – vgl. Picot/Aleth, Unternehmenskrise, Rn. 287; Schmidt, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 2.6; Uhlenbruck, in: Knops/Bamberger/Maier-Reimer, Sanierungsfinanzierung, § 5 Rn. 2. 125 Die durchschnittliche Eigenkapitalquote deutscher Unternehmen liegt unter 20 Prozent – vgl. Uhlenbruck, KTS 1981, 513, 544. Besonders betroffen sind Unternehmen, die als GmbH betrieben werden, was auch an der geringen gesetzlich vorgeschriebenen Eigenkapitalausstattung (25.000 Euro, § 5 Abs. 1 GmbHG) festgemacht werden kann – Birker, in: Birker/Pepels, Krisenbewusstes Management, S. 31. 126 Man spricht hier auch von einer »externen Sanierung« – vgl. Picot/Aleth, Unternehmenskrise, Rn. 482; Uhlenbruck, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 2.209; ders., in: Knops/Bamberger/Maier-Reimer, Sanierungsfinanzierung, § 5 Rn. 2. 127 Birker, in: Birker/Pepels, Krisenbewusstes Management, S. 343. 128 Hahn, Allg. Betriebswirtschaftslehre, S. 613. 129 Westpfahl/Janjuah, ZIP 2008, Beilage zu Heft 3, 1, 14.
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Auch der Erfolg einer übertragenden Sanierung hängt von der Investitionsbereitschaft der Kapitalgeber ab. Die Veräußerung des Unternehmens kann zwar – jedenfalls außerhalb eines Insolvenzverfahrens (vgl. § 160 InsO) – auch ohne die Zustimmung der Unternehmensgläubiger durchgeführt werden. Dazu muss aber ein Kaufinteressent gefunden werden, der einen angemessenen Kaufpreis für das Krisenunternehmen zahlen und auch in der Folge die Sanierung des Unternehmens tragen will. Gelingt dies nicht, so kann zwar eine Auffanggesellschaft gegründet werden, um das Unternehmen zu übernehmen. Auch dieser Erwerber muss dann allerdings mit Kapital ausgestattet werden, wofür Gründer gefunden werden müssen, die frisches Kapital investieren wollen. Auch jede übertragende Sanierung steht und fällt daher mit der Investitionsbereitschaft der Kapitalgeber; auch bei ihr ist die Handlungsfreiheit des Managements entsprechend begrenzt. Diese besondere Macht der Fremdkapitalgeber eines Unternehmens in Krisensituationen macht Eidenmüller deutlich, wenn er feststellt: »Die Entscheidung über die Erhaltung oder Schließung eines Unternehmens ist eine vermögensrechtliche Entscheidung, die bei einem gesunden Unternehmen von seinen Eigenkapitalgebern und bei einem insolventen Unternehmen von seinen Fremdkapitalgebern (Gläubigern) zu treffen ist.«130 5. Das Planungsergebnis Der Sanierungsprozess kann in seinem Verlauf an mehreren Stellen zu einem Ende gelangen. Zunächst kann schon die Unternehmensanalyse ergeben, dass dem Unternehmen die Sanierungsfähigkeit fehlt, da die Ursachen der Krise mit den voraussichtlich erreichbaren Mitteln nicht zu beheben sind. Eine Sanierung ist dann unmöglich. Ergibt die Unternehmensanalyse hingegen ein stimmiges Sanierungskonzept, so kann die Sanierung im nächsten Schritt daran scheitern, dass es dem Unternehmen nicht gelingt, die notwendigen Kapitalgeber vom Erfolg des Sanierungskonzeptes zu überzeugen und so zu einer finanziellen Beteiligung zu bewegen. Können hingegen die vom Plan vorausgesetzten Kapitalgeber gewonnen werden und erscheint im Ergebnis der leistungs- und finanzwirtschaftlichen Planung damit ein Sanierungsergebnis überwiegend wahrscheinlich, dass dem Krisenunternehmen innerhalb eines absehbaren Zeitraums (von maximal drei Jahren) ein mindestens ausgeglichenes Jahresergebnis ermöglicht, so kann man eine tatsächliche Sanierungsfähigkeit des Unternehmens annehmen und von einer positiven Fortführungsprognose sprechen.131
130 131
Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 27. So etwa Hermanns/Buth, DStR 1997, 1178, 1183.
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III. Die rechtlich verbindliche Fixierung der Sanierung Findet ein Sanierungsplan die Unterstützung der Kapitalgeber, so kann es nur umgesetzt werden, wenn die darin festgelegten Maßnahmen auch rechtlich verbindlich festgeschrieben und umgesetzt werden. Dann entsteht die zur Krisenbewältigung notwendige Rechts- und Planungssicherheit. Hierzu muss der Sanierungsplan zunächst für alle Beteiligten verbindlich werden. Um dies zu erreichen, sind zwei grundsätzlich verschiedene Situationen zu unterscheiden: die Sanierung außerhalb und die innerhalb eines Insolvenzverfahrens. In der Krise eines Unternehmens stehen den Entscheidungsträgern wegen des neuen Insolvenzgrundes der drohenden Zahlungsunfähigkeit in § 18 InsO in der Regel beide Wege offen. Es ist daher zu hinterfragen, welche Option die größeren Vorund die geringeren Nachteile für eine erfolgreiche Sanierung hat. 1. Die außergerichtliche Reorganisation – der Sanierungsvergleich Außerhalb eines Insolvenzverfahrens kann ein Sanierungsplan nach dem geltenden Recht nur auf eine Art alle Beteiligten binden: Er muss zum Inhalt eines Vertrages zwischen ihnen gemacht werden. Die Bindung des Schuldners sowie der Gläubiger und Investoren an den Sanierungsplan folgt dann unstreitig aus der Bindungswirkung des Vertrages. Dieser ist in der Regel als Vergleich im Sinn des § 779 BGB einzuordnen, werden doch mit ihm die Unsicherheiten hinsichtlich der Verwirklichung der Ansprüche der Gläubiger mittels allseitigen Nachgebens beseitigt.132 Man kann insofern zu Recht auch von einem Sanierungsvergleich sprechen.133 Das Zustandekommen dieses Sanierungsvertrages unterliegt den allgemeinen gesetzlichen Regelungen über den Abschluss von Verträgen. Notwendig ist also die Zustimmung jedes einzelnen Beteiligten zum Sanierungsplan, folgt doch aus der vertraglichen Grundstruktur, dass eine Bindungswirkung nur für diejenigen eintritt, die den Vertrag geschlossen haben.134 Eine gerichtliche Beteiligung am Vertragsschluss ist nicht notwendig. Man kann insofern zutreffend auch von einer freien oder außergerichtlichen Sanierung sprechen. a) Vorteile Der Vorteil dieses Sanierungsweges liegt primär in der Vermeidung des öffentlichkeitswirksamen Schlagwortes der Insolvenz. Die Signalwirkung eines Insolvenzantrags erzeugt oft Reflexhandlungen der Beteiligten, die zu einem Wertverlust des Unternehmens führen (indirekte Insolvenzkosten). So tritt ein Imageverlust in der Öffentlichkeit ein; der Markt-/Börsenwert des Unterneh132 133 134
333.
BGHZ 116, 319, 330; aus der Literatur: Picot/Aleth, Unternehmenskrise, Rn. 509. Vgl. BGHZ 116, 319. Unstreitig – vgl. BGHZ 116, 319, 321; BGH WM 1961, 403, 404; Schmidt, ZIP 1980, 328,
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mens fällt drastisch. Kunden werden verunsichert und wenden sich anderen Anbietern zu. Qualifizierte Arbeitnehmer und Führungskräfte suchen einen »sicheren« Arbeitgeber und wandern ab. Warnstreiks aus Angst vor Arbeitsplatzverlusten führen zu Produktionsausfällen. Banken kündigen Kreditlinien und Lieferanten verlangen Barzahlung bei Lieferung.135 All dem kann ein Sanierungsvergleich entgegenwirken, wenn es gelingt, die Sanierungsverhandlungen weitgehend aus der Öffentlichkeit herauszuhalten und auf die zur Sanierung notwendigen Schlüsselgläubiger zu beschränken. Die Verunsicherung der Öffentlichkeit bleibt dann aus und Reflexhandlungen der Beteiligten werden vermieden. Werden die Verhandlungen dennoch öffentlich oder sind sie aufgrund der Vielzahl der Beteiligten oder börsenrechtlicher Mitteilungspflichten nicht geheim zu halten, so lassen sich die negativen Effekte begrenzen, da das Unternehmen mit dem Sanierungskonzept zugleich Handlungsbereitschaft und Zuversicht hinsichtlich der Bewältigung der offenbarten Krise ausstrahlt. Schließlich entstehen selbst in den Fällen einer schlechten Öffentlichkeitsarbeit des Krisenunternehmens keinesfalls die direkten Kosten eines alternativen Insolvenzverfahrens. Die Gerichtskosten werden ebenso gespart wie die Vergütung für einen Insolvenzverwalter (direkte Insolvenzkosten).136 Allerdings sollte nicht verschwiegen werden, dass Kosten für externe Berater und Gutachter in der Regel auch bei außergerichtlichen Sanierungsbemühungen entstehen und daher das Ausmaß des Kostenvorteils hinsichtlich der direkten Kosten nicht überschätzt werden sollte.137 Der entscheidende Kostenvorteil eines außergerichtlichen Vergleichs beruht daher auf der Vermeidung indirekter Kosten. Ein weiterer Vorteil dieses Sanierungsweges liegt in seiner Flexibilität.138 Verfahrensregelungen sind nicht vorhanden; der Verfahrensablauf kann also sehr individuell gestaltet werden. Dies beginnt bei der freien Auswahl des Sanierungsmanagements, z. B. der Bestellung eines erfahrenen externen Sanierungsmanagers oder einer renommierten Unternehmensberatungsgesellschaft zur Unterstützung des Unternehmensmanagements in dieser schwierigen und besonderen Situation. Es sind zudem keine gesetzlichen Stellungnahme- oder Ladungsfristen einzuhalten, wodurch die Sanierung schneller eingeleitet und umgesetzt werden kann. Daneben existiert auch kein strenges Gleichbehandlungsgebot für alle Gläubiger,139 so das sich nicht nur das Verfahren, sondern auch der 135 Zu den indirekten Insolvenzkosten: Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 74 ff.; 331 ff.; Uhlenbruck, in: Knops/Bamberger/Maier-Reimer, Sanierungsfinanzierung, § 5 Rn. 12. Siehe auch den Erfahrungsbericht von Wellensiek, ZGR 1999, 234, 239 zum VulkanKonkurs. 136 Näher zu den direkten Insolvenzkosten: Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 74 f. 137 So auch Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 264. 138 Uhlenbruck, in: Knops/Bamberger/Maier-Reimer, Sanierungsfinanzierung, § 5 Rn. 13. 139 Unzulässig ist allein die heimliche Bevorzugung einzelner Gläubiger. Eine offene Ungleichbehandlung in einem Sanierungsvergleich wird hingegen verbindlich, wenn alle Beteiligten zustimmen. Zum Verbot heimlicher Sondervorteile (auch modifi zierter Gleichbehand-
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Inhalt des Sanierungskonzeptes durch ein Höchstmaß an Privatautonomie auszeichnet.140 Dies wird schließlich auch darin deutlich, dass ein Sanierungsvergleich nicht nur den Schuldner und dessen Gläubiger sowie neue Investoren einbinden kann. Er vermag es zudem, flexibel auf gesellschaftsrechtliche Aspekte des Sanierungsplans zu reagieren. So sollte er insbesondere die Mehrheitsgesellschafter mittels Zustimmung zum Sanierungsplan binden, wenn dieser etwa einen Kapitalschnitt vorsieht. Der Sanierungsvergleich ermöglicht somit insgesamt eine flexible und umfassende Fixierung der geplanten Sanierung. b) Nachteile Diese Vorteile der außergerichtlichen Sanierung haben jedoch eine entscheidende Kehrseite. Um eine realistische Umsetzungschance zu haben, müssen dem Sanierungsplan alle maßgeblichen Beteiligten zustimmen. Selbst wenn das Unternehmen allein durch die angestrebte Sanierung erhalten werden kann, steht es dabei jedem Gläubiger frei, den angebotenen Sanierungsvergleich ohne Angabe von Gründen oder einer besonderen Rechtfertigung abzulehnen und seine Forderungen gegen das Unternehmen zwangsweise durchzusetzen. Dies gilt selbst dann, wenn die ganz überwiegende Mehrheit aller Gläubiger dem Plan zugestimmt hat. Weder die Sachdienlichkeit eines Sanierungskonzeptes noch dessen Annahme durch die Gläubigermehrheit genügt nach immer noch herrschender Ansicht, um auch die ablehnende Gläubigerminderheit, die sog. Akkordstörer, zur Zustimmung zu zwingen oder die Bindungswirkung eines Sanierungsvergleiches auf sie zu erstrecken.141 Ein schuldrechtlicher Vertrag wie der Sanierungsvergleich kann eben nur diejenigen binden, die sich ihm freiwillig anschließen. Eine unmittelbare Bindung der Gläubigerminderheit an den Vergleich gegen deren Willen142 ist rechtlich nicht herleitbar. Zugleich lässt sich auch eine Zustimmungspflicht der Minderheitsgläubiger zu einem plausiblen Sanierungskonzept143 nicht überzeugend begründen. Es fehlt schlicht jede lungsgrundsatz genannt) etwa Picot/Aleth, Unternehmenskrise, Rn. 512; Uhlenbruck, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 3. Auflage 2003, Rn. 439, 452. 140 Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 337 ff.; Habscheid, GS Bruns (1980), 253, 255; Uhlenbruck, in: Knops/Bamberger/Maier-Reimer, Sanierungsfinanzierung, § 5 Rn. 13. So sind etwa unterschiedliche Vergleichsquoten für verschiedene Gläubiger möglich (BGH WM 1985, 1151, 1152). 141 BGHZ 116, 319, 322; Bamberger, in: Knops/Bamberger/Maier-Reimer, Sanierungsfinanzierung, § 16 Rn. 36 (jedenfalls im Grundsatz); Jauernig, ZIP 1980, 318 ff.; Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 277;Uhlenbruck, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 2.2. 142 Dafür etwa Habscheid, GS Bruns (1980), 253, 262. 143 Hierfür zuletzt Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 608 ff. und in ZHR 160 (1996), 343, 367 ff., der schon vor Insolvenzeröffnung eine »gesellschaftsähnliche Sonderverbindung« zwischen den Beteiligten begründen will, welche Kooperationspflichten bis hin zur Zustimmungspflicht erzeugt.
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rechtliche Grundlage für eine Mehrheitsmacht.144 Etwas anderes gilt hingegen für die Gesellschafter des Krisenunternehmens. Diese trifft aus dem Gesellschaftsvertrag eine Treuepflicht hinsichtlich der Erreichung des satzungsgemäßen Unternehmenszweckes, weshalb die Rechtsprechung Minderheitsgesellschafter mit Sperrminorität zur Zustimmung zu einem plausiblen Sanierungsplan verpflichtet. Solange also die Liquidation des Unternehmens nicht mehrheitlich beschlossen wurde, sei es die Pflicht jedes Minderheitsgesellschafters, sinnvolle und mehrheitlich angestrebte Sanierungen nicht aus eigennützigen Gründen zu verhindern.145 Mehrheitsgesellschafter können demgegenüber jederzeit und ohne Vorliegen sachlicher Rechtfertigungsgründe die Auflösung der Gesellschaft beschließen und sind folglich nicht verpflichtet, einer Sanierung zuzustimmen.146 Es besteht daher nur eine Kooperationspflicht bei einer mehrheitlich gewollten Sanierung, nicht jedoch eine Handlungspflicht hinsichtlich der Entscheidung für das Ob einer Sanierung. Die Gesellschafter können sich also mehrheitlich auch gegen eine Sanierung entscheiden und daher Sanierungsbeiträge verweigern. Diese Rechtslage birgt erhebliches Störpotenzial für außergerichtliche Sanierungsverhandlungen. Dieses Potenzial mag unbedeutend sein, wenn nur Kleingläubiger ihre Beteiligung am Sanierungskonzept verweigern; ihre Forderungen können und müssen dann voll bedient werden. Verweigern aber gerade einzelne Schlüsselgläubiger oder finanzstarke Mehrheitsgesellschafter ihre Mitwirkung an der Sanierung, so wird das Unternehmen nicht im vorgesehenen und für eine Sanierung notwendigen Rahmen von Schulden entlastet und mit Liquidität versorgt. Zugleich droht jederzeit die zwangsweise Geltendmachung offener Forderungen.147 In solchen Fällen scheitert die außergerichtliche Sanierung dann schnell an der Blockadehaltung einzelner, aber bedeutender Gläubiger. 144 Die Gläubiger des Schuldners bilden vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens weder eine Gesellschaft noch eine Rechtsgemeinschaft oder eine Interessengemeinschaft. Näher dazu im 3. Kapitel C. II. 3. 145 BGHZ 129, 136, 151 f. (sog. Girmes-Entscheidung des BGH). Hieraus folgt dann zwar keine generelle Pfl icht zur zwangsweisen Leistung von Sanierungsbeiträgen; deren Verweigerung kann allerdings über eine entsprechende Satzungsbestimmung zum Ausschluss der Minderheitsgesellschafter aus der Gesellschaft führen – so BGH NJW 2010, 65, 66 f. (für den Fall einer Publikumsgesellschaft). 146 BGHZ 76, 352, 353; 103, 184, 191 f.; 129, 136, 151; Krull, Bedingter Insolvenzplan und Kapitalschnitt, S. 69 f. Westermann, DZWIR 2006, 485, 489 ff.; dagegen: Redeker, BB 2007, 673, 675; ähnlich Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 5 IV 5 a), S. 134, wenn beide in der Krise als ultima ratio eine generelle Zustimmungspflicht jedes Gesellschafters zu einer sinnvollen Sanierung annehmen. 147 Ein Leistungsverweigerungsrecht des Schuldnerunternehmens gegen eine Inanspruchnahme durch den Akkordstörer kann nicht allein darauf beruhen, dass dieser ein Sanierungskonzept ablehnt. Insbesondere handelt er nicht allein deswegen schon treuwidrig im Sinne des § 242 BGB – so aber Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 608 ff., 731 und in ZHR 160 (1996), 343, 367 f. Eine Zustimmungspflicht des Gläubigers zu einem Sanierungsvergleich lässt sich genauso wenig herleiten wie eine Zustimmungspfl icht zu einer Moratorium in der
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(1) Die Motivationslage von Gläubigern in Schlüsselpositionen Ein solches Blockadeverhalten ist leider gerade bei den Gläubigern wahrscheinlich und gefährlich, deren Forderungen voll oder jedenfalls überwiegend durch betriebsnotwendiges Vermögen gesichert sind. Für diese gesicherten Gläubiger besteht kein Anreiz für einen Forderungsverzicht, ja nicht einmal für eine Fortführung des Unternehmens. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass diese Gläubiger angesichts der durch das Sanierungskonzept offensichtlich gewordenen Unternehmenskrise beginnen, ihre Sicherheiten zu verwerten, also etwa das Firmengrundstück zu versteigern oder Sicherungseigentum heraus zu verlangen, wodurch dem Unternehmen die Grundlage für eine Fortführung entzogen und eine Sanierung unmöglich gemacht wird. Dieser Gefahr kann nur durch einen Verwertungsstopp begegnet werden, der Teil jedes Sanierungskonzeptes ist und welcher daher wiederum nur verbindlich wird, wenn der betreffende Gläubiger selbigem zustimmt.148 Gerade aber das Zustandekommen einer solchen freiwilligen Vereinbarung mit den gesicherten Gläubigern ist in der Krise mehr als fraglich.149 Vielleicht noch gravierender ist die Ablehnung des Sanierungskonzeptes durch Gläubigerbanken. Deren Blockade führt nicht nur zum Ausbleiben einer Schuldenentlastung. Durch die Fälligstellung von ausgegebenen Krediten und die Verweigerung eines Kreditrahmens für den in der Krise stets vorhandenen kurzfristigen Liquiditätsbedarf des Unternehmens kann einer Sanierung schnell jegliche Erfolgsaussicht genommen werden. Um diese Gefahr zu beseitigen, will etwa Canaris aus dem Grundsatz von Treu und Glauben eine Pflicht der Gläubigerbanken zur Aufrechterhaltung einer bestehenden Kreditlinie und sogar zur Vergabe von Krediten zur Deckung des kurzfristigen Liquiditätsbedarfes, nicht jedoch zur Vergabe langfristiger Sanierungskredite begründen, wenn hinreichende Sicherheiten vorhanden sind.150 Für eine so weitreichende Verpflichtung der Banken, fremdnützig zu handeln, bietet allein der Gedanke des Vertrauensschutzes jedoch keine hinreichende Grundlage. Keiner Bank kann einer Beteiligung an einer Sanierung ihres Geschäftspartners, ja sogar eine erweiterte Kreditgewährung nur aus dem Grund aufgezwungen werden, dass bereits Geschäftsbeziehungen bestanden. Die Gläubigerbanken handeln nicht rechtsmissbräuchlich, sondern in ihrem wohl verstandenen eigenen InterKrise – ebenso BGHZ 116, 319, 328 ff. und die herrschende Lehre (vgl. etwa Picot/Aleth, Unternehmenskrise, Rn. 510; Uhlenbruck, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 2.2, 2.214). 148 Vgl. BGHZ 116, 319, 322; Uhlenbruck, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 2.214. 149 Zum ganzen auch Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 354 ff. 150 Canaris, ZHR 143 (1979), 113, 133; ihm folgend Bamberger, in: Knops/Bamberger/ Maier-Reimer, Sanierungsfinanzierung, § 16 Rn. 74 ff., 89; Kämpfer, Die Stellung von Sanierungskrediten im Insolvenzrecht, S. 12 ff.; sogar noch weitergehend Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 760 ff.
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esse wie auch dem ihrer Einleger (vgl. § 18 KWG), wenn sie angesichts einer Liquiditätskrise des Darlehensschuldners ihre Darlehen fällig stellen sowie keine weiteren Darlehensverträge abschließen, ihr Ausfallrisiko also beschränken und Haftungsrisiken vermeiden.151 Es ist Sache des Krisenunternehmens, nicht der Rechtsordnung, die Gläubigerbanken für die Mitwirkung an der freien Sanierung zu gewinnen. Diese ohnehin sehr sensible Verhandlungsposition des Krisenunternehmens wird zudem dadurch erschwert, dass selbst einer sanierungsinteressierten Gläubigerbank Haftungsrisiken drohen, wenn sie sich tatsächlich für die Finanzierung der außergerichtlichen Sanierung entscheidet, diese Sanierung dann aber nicht gelingt. Dieses Risiko ist allerdings abhängig davon, auf welche Art und Weise eine Gläubigerbank an einer außergerichtlichen Sanierung teilnehmen will. Entschließt sie sich, lediglich still zu halten, also die dem Unternehmen gewährte Kreditlinie aufrechterhalten, so verzichtet sie damit (zumindest vorübergehend) nur auf die Ausübung ihres Kündigungsrechtes aus §§ 490 Abs. 1 bzw. 314 BGB in Verbindung mit Nr. 19 AGB Banken bzw. Nr. 26 AGB Sparkassen und stabilisiert so die Liquiditätslage des Krisenunternehmens.152 Nimmt sie über ein solches Stillhalten hinaus keinen aktiven Einfluss auf die Geschäftsführung des Unternehmens, so droht der Gläubigerbank kein Haftungsrisiko.153 Anderseits soll und wird die Gläubigerbank zum Zwecke der Überwindung der Krise häufig neue Kredite, sog. Sanierungskredite, vergeben, indem sie etwa vorhandene Kreditlinien aufstockt oder neue Darlehensverträge mit dem Krisenunternehmen abschließt.154 Bei einem solchen Engagement droht der Bank der Vorwurf sittenwidrigen Verhaltens und damit die Unwirksamkeit der Kreditverträge und hierzu bestellter Sicherheiten gemäß § 138 Abs. 1 BGB sowie eine Schadensersatzhaftung gegenüber den anderen Gläubigern des Unternehmens aus § 826 BGB wegen Insolvenzverschleppung, wenn die Vergabe der Sanierungskredite als eigennützig erscheint. Dies wiederum wird von der Rechtsprechung bereits angenommen, wenn zum Zeitpunkt der Kreditvergabe ernsthafte Zweifel am Gelingen eines Sanierungsversuches bestanden und daher damit zu 151 So zu Recht die wohl herrschende Ansicht – vgl. BGH NJW 2001, 2632, 2633; Berger, in: MünchKomm, BGB, Vor § 488 Rn. 95–97; Hopt, ZHR 143 (1979), 139, 168 ff.; Picot/Aleth, Unternehmenskrise, Rn. 505; Wittig, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 2.232. 152 Näher Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rn. 5.18 ff.; auch Bamberger, in: Knops/Bamberger/Maier-Reimer, Sanierungsfi nanzierung, § 16 Rn. 91. Zu einem solchen Verhalten kann sich das Kreditinstitut auch vertraglich verpflichten (sog. Stillhalteabkommen oder Moratorium). Eine solche Verpflichtung ist häufiger Bestandteil eines Sanierungsplans – auch dazu Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rn. 5.47 ff. 153 Drukarczyk/Kippes, in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 3 Rn. 46–48; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rn. 5.45 f.; Picot/Aleth, Unternehmenskrise, Rn. 503; Wallner/Neuenhahn, NZI 2006, 553. 154 Drukarczyk/Kippes, in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 3 Rn. 49; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rn. 5.105.
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rechnen war, dass der Sanierungskredit den Zusammenbruch des Unternehmens nur verzögern, nicht aber auf Dauer verhindern kann und die Vergabe des Sanierungskredits sowie die dafür bestellten Sicherheiten daher nur dazu dienen konnte und sollte, der Bank während des Sanierungsversuches gegenüber anderen Gläubigern Sondervorteile zu verschaffen, insbesondere sich wegen alter Kredite zu befriedigen.155 Eine Haftung der Bank ist danach nur dann ausgeschlossen, wenn mit dem Sanierungskredit ein glaubwürdiges, schlüssiges Sanierungskonzept finanziert wird.156 Ein überzeugender Sanierungsplan ist daher nicht nur notwendig, um die Gläubigerbank zur Teilnahme an einem Sanierungsversuch zu bewegen. Er kann gleichzeitig auch eine Schadenersatzhaftung ausschließen. Das Haftungsrisiko bleibt trotzdem, drohen jeder Gläubigerbank doch zumindest Schadenersatzprozesse anderer Gläubiger, wenn die außergerichtliche Sanierung nicht gelingt, und dieses Prozessrisiko hemmt tatsächlich nun einmal die Mitwirkungsbereitschaft dieser entscheidenden Gläubigergruppe. (2) Der Zeitfaktor Die Bemühungen um eine außergerichtliche Sanierung des Unternehmens haben schließlich keinen unmittelbaren Einfluss auf die gesetzlichen Regelungen zur Insolvenz, insbesondere auf die Insolvenzantragsfristen.157 Hat sich die Unternehmenskrise verschärft und das Unternehmen Insolvenzreife erreicht, so bleibt für die Vereinbarung eines Sanierungsvergleichs, der die Insolvenzreife dauerhaft beseitigen kann, nur ein Zeitraum von maximal drei Wochen. Kann die Zustimmung der entscheidenden Gläubiger in dieser Zeit nicht gewonnen werden und wird der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auch nicht anderweitig beseitigt, so muss das Unternehmensmanagement ein Insolvenzverfahren einleiten. Der Fristablauf wird wegen der Sanierungsbemühungen nicht gehemmt.158 Gleichzeitig droht in diesem Zeitraum 155 Grundlegend RGZ 136, 247, 253 und BGHZ 10, 228 ff.; zuletzt BGHZ 75, 96, 114; 90, 381, 399; BGH ZIP 1986, 14, 16 und NJW 2001, 2632, 2633. Eine umfassende Darstellung der Rechtsprechungsentwicklung findet sich bei Drukarczyk/Kippes, in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 3 Rn. 49 ff.; Gawaz, Bankenhaftung für Sanierungskredite, S. 37 ff.; Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 93 ff. 156 BGHZ 10, 228, 234; Bamberger, in: Knops/Bamberger/Maier-Reimer, Sanierungsfinanzierung, § 16 Rn. 67; Drukarczyk/Kippes, in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 3 Rn. 49; Gawaz, Bankenhaftung für Sanierungskredite, S. 215 ff.; Kämpfer, Die Stellung von Sanierungskrediten im Insolvenzrecht, S. 22; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rn. 5.124; Picot/Aleth, Unternehmenskrise, Rn. 507; Wallner/Neuenhahn, NZI 2006, 553, 556 ff.; Wittig, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 2.240. 157 Wird eine Gesellschaft ohne persönlich haftenden Gesellschafter zahlungsunfähig oder tritt eine Überschuldung ein, so haben die geschäftsführenden Organe gemäß § 15a Abs. 1 InsO ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber nach Ablauf von drei Wochen einen Insolvenzantrag zu stellen. 158 Aussichtsreiche Sanierungsbemühungen berechtigen die Gesellschaftsorgane lediglich,
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stets auch der Insolvenzantrag eines akkordstörenden Gläubigers. Die Vorteile einer außergerichtlichen Sanierung, insbesondere der einer Vermeidung der Insolvenzkosten, können daher nur in einem relativen kurzen Zeitraum tatsächlich nutzbar gemacht werden. Dieser Zeitraum wird umso größer, je früher das Unternehmensmanagement auf Krisenanzeichen reagiert und Verhandlungen aufnimmt. c) Fazit Im Ergebnis bleibt ein zwiespältiges Bild. Die außergerichtliche Sanierung bietet einige entscheidende Vorteile hinsichtlich der Kostensenkung und der Flexibilität, bedarf aber der freiwilligen und nicht risikolosen Mitwirkung aller maßgeblichen Gläubiger und kann schon insofern oft nicht verwirklicht werden. Die schwierigen Verhandlungen finden zudem in einem engen zeitlichen Rahmen statt. Dennoch sollte aufgrund seiner (Kosten-)Vorteile grundsätzlich versucht werden, das Sanierungskonzept zunächst auf diesem Wege umzusetzen.159 Gelingt dies mangels Zustimmung entscheidender Beteiligter nicht, so kann das Sanierungskonzept immer noch zum Gegenstand des dann unausweichlichen Insolvenzverfahrens gemacht werden. 2. Die außergerichtliche Unternehmensveräußerung Soll die freie Sanierung durch eine übertragende Sanierung erfolgen, so bedarf es hierzu keiner Mitwirkung der Gläubiger. Schwierige Verhandlungen sind mit dieser Personengruppe also nicht zu befürchten. Entscheidend ist allein die Gewinnung eines einzigen Kaufinteressenten mit der Bereitschaft zur Zahlung eines angemessenen Kaufpreises oder aber die Gründung und Ausstattung einer Auffanggesellschaft. Die rechtliche Fixierung erfolgt dann allein durch den entsprechenden Unternehmenskaufvertrag zwischen dem Rechtsträger des Krisenunternehmens und dem Erwerber. Das Problem dieser Sanierungsalternative liegt zunächst im Auffinden von Kaufinteressenten und der Verhandlung eines angemessenen Kaufpreises. Die Verhandlungsposition des Managements ist nun nicht nur durch die Krisenlage des Unternehmens schwierig, wirkt sich doch schon der sich dadurch gegebene Zeitdruck unmittelbar preismindernd aus. Hinzu kommt, dass die Erreichung eines angemessenen Kaufpreises am Markt einen Bieterwettbewerb voraussetzt, den es bei Krisenunternehmen nur selten geben wird. Hier ist es schon schwiedie Drei-Wochen-Frist auszureizen – BGHZ 75, 96, 111; Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 266; Schmidt, ZIP 1980, 328, 331. 159 Studien in den U. S. A. zeigen, dass große Krisenunternehmen (solche mit langfristigen Verbindlichkeiten in mehrstelliger Millionenhöhe) in bis zu 70 Prozent der Fälle eine außergerichtliche Lösung probierten, bevor sie ein gerichtliches Verfahren einleiteten. Bei kleinen Unternehmen hingegen finden sich kaum außergerichtliche Einigungsversuche (Terhart, Chapter 11, S. 60 ff.).
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rig genug, in der kurzen Zeit des Bestehens aller Handlungsoptionen überhaupt auch nur einen Bieter zu finden.160 Dieser wird wiederum nicht die Zeit haben, sich umfassend über das Unternehmen zu informieren und daher Risikoabschläge in sein Angebot einberechnen.161 Soll zudem die Unternehmenskrise nicht publik werden, da indirekte Kosten drohen, so verschlechtert das daraus resultierende Informationsdefizit des Marktes weiter die Chancen auf einen Bieterwettbewerb und einen angemessenen Preis. Häufig liegt der zu erzielende Kaufpreis daher leider nahe am Zerschlagungswert des Unternehmens.162 Daneben wird nicht nur die Preisbildung, sondern die Rechtssicherheit der Unternehmensveräußerung an sich auch noch durch das Insolvenzanfechtungsrecht bedroht, drohen doch gerade dem Unternehmenskäufer nicht unerhebliche Anfechtungsrisiken in der nachfolgenden Insolvenz des alten Rechtsträgers.163 In dessen Insolvenz kann Insolvenzverwalter den in der freien Sanierung erfolgten Unternehmenskauf unter den Voraussetzungen der §§ 129 ff. InsO anfechten und damit die Sanierung zu Fall bringen, wenn der Kaufpreis nicht dem Marktwert entspricht. Insbesondere eine Vorsatzanfechtung droht, wenn der Käufer die dann zumindest mittelbar gläubigerbenachteiligende Wirkung des Unternehmenskaufes kannte und aufgrund der Krisenlage von der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Verkäufers weiß (§ 133 Abs. 1 S. 2 InsO). War das Krisenunternehmen zum Zeitpunkt des Unternehmensverkaufs bereits zahlungsunfähig und wusste der Käufer dies, z. B. aufgrund des Sanierungskonzeptes oder einer umfassenden Due-Diligence-Prüfung, so droht zudem eine Anfechtung der Unternehmensübertragung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn der Insolvenzantrag innerhalb von drei Monaten nach Abschluss der Übertragung erfolgte. Ist die Übertragung des Unternehmens zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht abgeschlossen und auch der Kaufpreis noch nicht vollständig gezahlt, so droht dem Käufer zudem Ablehnung der Erfüllung des Kaufvertrags durch den Insolvenzverwalter nach § 103 InsO. Die übertragende Sanierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens ist daher – neben allen begründeten Zweifeln an einer funktionierenden Preisbildung – für die Beteiligten mit erheblichen rechtlichen Risiken verbunden,164 die von einem solchen Sanierungsplan abschrecken können. Nicht zu vernachlässigen sind schließlich auch die Probleme der Finanzierung des Kaufpreises, insbesondere in Zeiten eines restriktiven Kreditmarktes,165 160
Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 284. Köchling, ZInsO 2007, 690, 694. 162 Zipperer, NZI 2008, 206, 209. 163 Schmidt, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 2.134; Uhlenbruck, in: Knops/Bamberger/Maier-Reimer, Sanierungsfinanzierung, § 5 Rn. 36; Vallender, GmbHR 2004, 543, 546 f. 164 Näher zum ganzen Wessels, ZIP 2004, 1237. Zu den strafrechtlichen Risiken: Niesert/ Hohler, NZI 2010, 127. 165 Köchling, ZInsO 2009, 641, 645. 161
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sowie die Kosten für den Erwerb und die Übertragung der Unternehmensgegenstände auf den Erwerber (insbesondere Notar- und Grundbuchkosten, aber auch die Kosten der Unternehmensprüfung, Angebotserstellung und Kaufpreisfinanzierung) sowie die Schwierigkeiten, die aus der Auswechslung des Unternehmensträgers entstehen. Insbesondere die Bindung öffentlich-rechtlicher Konzessionen, Lizenzen und Erlaubnisse an den alten Unternehmensträger kann ein entscheidender Hinderungsgrund für eine übertragende Sanierung sein.166 Die Attraktivität dieser Sanierungsoption sollte insofern nicht überschätzt werden. 3. Der Insolvenzplan als Sanierungsinstrument im Insolvenzverfahren Von der außergerichtlichen oder auch freien Sanierung sind die Möglichkeiten zu unterscheiden, die das Insolvenzrecht zur Sanierung eines insolventen Unternehmens bietet. Hierzu kann in einem eröffneten Insolvenzverfahren sowohl eine Sanierung mittels Insolvenzplans (§§ 217 ff. InsO) als auch eine übertragende Sanierung mittels der Veräußerung des Unternehmens (§§ 160 ff. InsO) genutzt werden. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem Ziel der Durchsetzung eines Insolvenzplans sollte dabei vom Management des Krisenunternehmens beantragt werden. Die formale Hürde des notwendigen Eröffnungsgrundes ist dazu schnell genommen, insbesondere wenn es nicht gelungen ist, das favorisierte Sanierungskonzept außergerichtlich umzusetzen, so dass auch die Krisenursachen noch nicht wirksam behoben wurden. Werden folglich die Basisziele des Unternehmens weiterhin verfehlt, so erreicht jede Unternehmenskrise irgendwann ein Stadium, in dem das Unternehmen insolvenzreif ist. So führt die fehlende Liquidität (Nichterreichen des ersten Basisziels) zu einer Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens im Sinn des § 17 InsO; die erwirtschafteten Verluste (Nichterreichen des zweiten Basisziels) zehren die Eigenkapitaldecke auf und verursachen eine Überschuldung nach § 19 InsO. Allerdings muss das Unternehmensmanagement einer solchen Entwicklung nicht tatenlos zusehen, um in den Genuss der Vorteile eines Insolvenzverfahrens zu kommen. Es kann bereits vor Eintritt der Insolvenzreife, also vor der endgültigen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung, einen Insolvenzantrag nach § 18 InsO wegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit stellen, welche sich aus der Sanierungsbedürftigkeit des Unternehmens ergibt.
166 Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157; Fritze, DZWIR 2007, 89; Gerster, ZInsO 2008, 437, 440; Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 302; Westpfahl/Janjuah, ZIP 2008, Beilage zu Heft 3, 1, 13; auch Bales, NZI 2008, 216, 219; Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 542.
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a) Die Vorteile des Insolvenzplanverfahrens Die Vorteile des Planverfahrens liegen zunächst in den Vorteilen eines Insolvenzverfahrens, vor allem im Schutz des betriebsnotwendigen Vermögens.167 Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Gläubiger des Unternehmens gemäß §§ 87, 89 InsO daran gehindert, in das Schuldnervermögen zu vollstrecken (»automatic stay«). Dies gilt auch für die gesicherten Gläubiger, da die Verwertung der Sicherungsrechte nach §§ 165 ff. InsO allein dem Insolvenzverwalter zusteht.168 Diese Wirkungen kann das Insolvenzgericht zudem weitgehend bereits unmittelbar nach Stellung des Insolvenzantrags anordnen (§ 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO). Das Unternehmen sichert sich so die Nutzung seiner besicherten Betriebsmittel und Vermögensgegenstände.169 Gleichzeitig ist der (zunächst vorläufige) Insolvenzverwalter grundsätzlich verpflichtet, das Unternehmen zumindest bis zum Berichtstermin fortzuführen.170 Ein weiterer wichtiger Vorteil des Insolvenzverfahrens sind Erleichterungen beim Personalabbau im Unternehmen. Die Umsetzung von leistungswirtschaftlichen Maßnahmen des Sanierungsplans, die eine Betriebsänderung zum Gegenstand haben und zu einem Personalabbau führen, können gemäß §§ 125 bis 128 InsO nur eingeschränkt durch Kündigungsschutzklagen der betroffenen Arbeitnehmer blockiert werden. Zudem verringert § 113 InsO die Kündigungsfrist auf drei Monate. Zugleich verschafft die Inanspruchnahme von Insolvenzgeld Liquidität für diesen Zeitraum. Zu den allgemeinen Vorteilen eines Insolvenzverfahrens gesellen sich dann die Vorteile eines Insolvenzplanverfahrens nach den §§ 217 ff. InsO. Dieses besondere Verfahren erleichtert das Zustandekommen eines rechtlichen Korsetts für die Sanierung in Form des Insolvenzplanes.171 Legt das Unternehmen dazu (möglichst bereits zeitgleich mit dem Eröffnungsantrag) seinen Sanierungsplan in Form eines Insolvenzplans vor, wozu es als Schuldner nach § 218 Abs. 1 InsO berechtigt ist, so hat es im Verfahren die Möglichkeit, die bislang ablehnend agierenden Akkordstörer auch gegen deren Willen an den Insolvenzplan und damit an das Sanierungskonzept zu binden, wenn in allen im Insolvenzplan zu 167
Paulus, ZGR 2005, 309, 319. Haben Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in Grundstücke bereits begonnen, so kann der Insolvenzverwalter deren einstweilige Einstellung nach § 30d Abs. 1 ZVG verlangen. Ist ein Insolvenzplan eingereicht und nicht vom Gericht nach § 231 InsO zurückgewiesen worden, so kann die einstweilige Einstellung nach § 30d Abs. 2 ZVG auch vom Schuldner beantragt werden. 169 So auch Birker, in: Birker/Pepels, Krisenbewusstes Management, S. 337. 170 Der Betrieb ist gemäß § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO im Eröffnungsverfahren fortzuführen, soweit nicht eine Betriebsstilllegung notwendig ist, um eine erhebliche Vermögensminderung zu vermeiden. Nach der Verfahrenseröffnung entscheidet die Gläubigerversammlung nach § 157 S. 1 InsO erst im Berichtstermin über eine Stilllegung. Vorher darf der Insolvenzverwalter das Unternehmen gemäß § 158 InsO nur mit Zustimmung des Gläubigerausschusses stilllegen. 171 Paulus, ZGR 2005, 309, 316. 168
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bildenden Gläubigergruppen die nach § 244 InsO erforderlichen Mehrheiten erreicht werden, ja sogar dann, wenn die Mehrheit in einzelnen Gruppen zwar verfehlt wurde, diese Ablehnung aber dem Obstruktionsverbot der §§ 245, 246 InsO widerspricht. Zugleich werden durch die umfangreichen Dokumentationspflichten im darstellenden Teil des Plans sowie den Plananlagen Informationsdefizite und -asymmetrien unter den Gläubigern beseitigt, was eine neue Vertrauensbasis schaffen und damit auch ablehnende Grundhaltungen überwinden kann.172 Die Aufnahme eines Kreditrahmens (§§ 264, 265 InsO) ermöglicht es zudem, zögernde Kreditinstitute zu einer Sanierungsfinanzierung zu bewegen, können ihre Sanierungskredite auf diesem Wege doch für den Fall des Scheitern der Sanierung mit einem Vorrang im nachfolgenden Insolvenzverfahren ausgestattet werden. Das Insolvenzplanverfahren wirkt damit den entscheidenden Nachteilen der außergerichtlichen Sanierung entgegen. Akkordstörer können auch gegen ihren Willen an das Sanierungskonzept gebunden werden und gesicherte Gläubiger sind an der eigenhändigen Verwertung ihrer Sicherheiten gehindert. Gläubigerbanken trifft kein Haftungsrisiko wegen Insolvenzverschleppung, während zugleich Sanierungskredite einen Vorrang erhalten können. Die Motivation dieser Gläubiger zur Kooperation wird so erhöht. Das Insolvenzplanverfahren kann damit nicht nur die Chance auf eine erfolgreiche Sanierung wahren. Es steigert auch die Motivation aller Gläubiger zur Beteiligung im Insolvenzverfahren und zur Mitwirkung an einer Sanierung. Schließlich bleibt bei einer Reorganisation mittels Insolvenzplans der Rechtsträger des Unternehmens erhalten, wodurch alle unübertragbar diesen geknüpften Vermögenswerte (Lizenzen, Verlustvorträge) verwertet werden können.173 Diese Vorteile haben allerdings ihren Preis. b) Die Nachteile des Insolvenzplanverfahrens Der offensichtlichste Nachteil einer Sanierung in der Insolvenz liegt gerade in der Notwendigkeit eines Insolvenzverfahrens. Dieses ist ein gerichtliches Verfahren, dessen Eröffnung öffentlich bekannt zu machen ist (§ 30 Abs. 1 InsO). Es erzeugt daher in jedem Fall die bereits beschriebenen und durch eine freie Sanierung vermiedenen direkten und indirekten Insolvenzkosten.174 Die Höhe dieser Kosten lässt sich nur schwer bestimmen. Amerikanische Studien zu Reorganisationsfällen nach Chapter 11 des U. S. Bankruptcy Codes, dem Vorbild für die deutschen Regelungen, beziffern die direkten Insolvenzkosten mit durchschnittlich 3–4 Prozent des Marktwertes des Schuldnerunternehmens ein Jahr vor Antragstellung bei großen Unternehmen und bis zu 30 Prozent bei 172
Zutreffend Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 268. Hierin sieht etwa Körner, Unternehmens-Turnaround durch Eigenverwaltung in der Insolvenz, S. 95 ff., einen entscheidenden Vorteil der planmäßigen Sanierung. 174 Hierzu Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 74 ff. 173
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kleinen Unternehmen.175 Die indirekten Kosten (insbes. Marktwertverluste) werden auf ca. 10 Prozent geschätzt.176 Die Kosten in Deutschland dürften ähnlich hoch sein.177 Hinzu kommt ein Zeitproblem. Ein Insolvenzplan kommt selbst bei erfolgreichen Verhandlungen mit allen Beteiligten nicht wie ein (idealer) außergerichtlicher Vergleich quasi über Nacht zustande, sondern erst nach Ablauf eines gerichtlichen Verfahrens. Wegen der gesetzlich vorgegebenen Termins- und Rechtsmittelfristen178 bedarf es unter Umständen eines Zeitraums von mehreren Monaten bis die Wirkungen des Insolvenzplanes eintreten.179 Dieser Zeitraum muss finanziert werden, d. h. die laufenden Kosten der Unternehmensfortführung wie auch des Insolvenzverfahrens müssen trotz angespannter Liquiditätslage und vor der Durchführung der geplanten leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen gedeckt werden. Das gelingt bei weitem nicht jedem Krisenunternehmen. Schließlich steht auch eine psychologische Hürde oft einem Planverfahren entgegen. Mit dem Antrag auf die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens verliert das bisherige Management des Unternehmens seine Kontrolle über das Unternehmen. Im Insolvenzverfahren entscheiden allein die 175 Vgl. die Zusammenstellungen bei Branch, 11 Int’l Rev. Fin. Analysis 39, 54 (2002); Terhart, Chapter 11, S. 155 f. oder White, in: Polinsky/Shavell, Handbook of Law and Economics, S. 1041; ähnlich Ferris/Lawless, 61 U. Pitt. L. Rev. 629, 650/662 (1999–2000), welche direkten Kosten von durchschnittlich 3,5 Prozent des Unternehmensvermögens bei Verfahrensbeginn ermittelten. Neuere Daten über die tatsächlich anfallenden Gebühren fi nden sich bei LoPucki/Doherty, 82 Am. Bankr. L. J. 141, 143 ff. (2008), leider ohne die Angabe von Prozentsätzen. Eine 2004 veröffentlichte Studie legt jedoch nahe, dass die direkten Kosten nicht nur bei zunehmender Größe des insolventen Unternehmens prozentual sinken, LoPucki/Doherty, 1 J. Empirical L. Stud. 111, 126 (2004). Vor allem lässt sich ein generelles Absinken der heutigen Kosten im Vergleich zu denen in den 1980iger Jahren nachweisen, was auf die im Laufe der steigende Vertrautheit aller Beteiligten mit dem Chapter 11-Verfahren zurückgeführt wird, LoPucki/Doherty, 1 J. Empirical L. Stud. 111, 140 f. (2004). 176 Branch, 11 Int’l Rev. Fin. Analysis 39, 54 (2002); Terhart, Chapter 11, S. 157. White, in: Polinsky/Shavell, Handbook of Law and Economics, S. 1041, hält die indirekten Kosten aufgrund eines generelleren Blickwinkels für höher (in Spitzen bis zum Zwanzigfachen der direkten Kosten). 177 Terhart, Chapter 11, S. 360. Die Belastung mit direkten und indirekten Kosten wird allerdings für erfolgreich reorganisierte Unternehmen dadurch aufgewogen, dass sich bereits im Chapter 11-Verfahren eine erhebliche Steigerung der Unternehmensperformance feststellen lässt – so Kalay/Singhal/Tashijan, 84 J. Fin. Econ. 772, 782 (2007). Ob ein Insolvenzplan auch diesen Effekt in Deutschland reproduzieren kann, bleibt abzuwarten. 178 Eröffnungsverfahren; dann mindestens eine Woche bis zu drei Monate bis zum Prüfungs- und Berichtstermin, §§ 29, 154 InsO; Festlegung eines Erörterungs- und Abstimmungstermins, §§ 235, 236 InsO; gerichtliche Verfahren bei Anträgen nach §§ 245, 247, 251 InsO; Rechtsmittelfrist und ggf. Instanzenweg bis zur Bestandskraft der Bestätigung des Plans (§ 253 InsO). 179 Im amerikanischen Vorbildverfahren liegt die durchschnittliche Verfahrensdauer bei ein bis zwei Jahren – siehe etwa Ferris/Lawless, 61 U. Pitt. L. Rev. 629, 638 ff. (1999–2000) oder Kalay/Singhal/Tashijan, 84 J. Fin. Econ. 772, 778 (2007) – und nimmt bei großen Schuldnerunternehmen tendenziell zu (vgl. Terhart, Chapter 11, S. 153 f.).
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Gläubiger über die Fortführung oder Liquidation des Unternehmens (§ 157 InsO). Die Insolvenzordnung respektiert und normiert damit die tatsächlich bestehende Abhängigkeit der Existenz eines insolventen Unternehmens vom Willen seiner Gläubiger. Darüber hinaus geht auch die Kontrolle über den täglichen Geschäftsbetrieb im Regelfall in die Hände des Insolvenzverwalters über.180 Das alte Management wird zu dessen Assistenten. Gerade dieser Machtverlust wird häufig eine schnelle Insolvenzantragstellung verhindern. Neben diesen eher verfahrensrechtlich bedingten Nachteilen einer Sanierung in der Insolvenz ist in den ersten Jahren der Nutzung des Planverfahrens als Sanierungsinstrument auch ein bedeutender struktureller Mangel offensichtlich geworden: der begrenzte Wirkungsbereich des Insolvenzplans. Ein Insolvenzplan darf gemäß § 217 InsO allein die Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger und der Insolvenzgläubiger, die Verwertung der Insolvenzmasse und deren Verteilung an die Beteiligten sowie die Haftung des Schuldners nach der Beendigung des Verfahrens gesondert regeln. Alleiniger Regelungsgegenstand des Insolvenzplans ist damit entsprechend der Grundausrichtung des Insolvenzverfahrens die Befriedigung der Gläubigerforderungen oder deren Erlass. Der Plan richtet sich insofern konsequent auch nur an den Schuldner und dessen Gläubiger. Dritte werden von ihm nur erfasst, wenn sie Leistungen gegenüber den Gläubigern übernehmen und so zu deren Befriedigung beitragen (§ 230 Abs. 3 InsO). Der Insolvenzplan ermöglicht somit zwar eine Entschuldungsvereinbarung wie auch eine Verwertungsvereinbarung und steht damit ganz in der Tradition deutscher Akkorde wie dem Zwangsvergleich nach der Konkursordnung oder dem Vergleich nach der Vergleichsordnung. Die Sanierung eines Unternehmens verlangt jedoch nach mehr, insbesondere auch nach der verbindlichen Regelung der Sanierungsbeiträge und Sanierungsopfer der Gesellschafter des Schuldnerunternehmens. Eine solche Regelung ist dem Insolvenzplan jedoch ausdrücklich verwehrt; er darf eine Neuordnung der Gesellschafterstruktur oder gesellschaftsrechtliche Maßnahmen wie etwa einen Kapitalschnitt nur im darstellenden Teil voraussetzen und zur Bedingung für eine Planbestätigung machen (§ 249 InsO). Die eigene Regelung gesellschaftsrechtlicher Sanierungsmaßnahmen bleibt damit seinem Regelungsbereich ebenso entzogen wie dem seiner Vorgänger (Zwangsvergleich und Vergleich). Diese Unzulänglichkeit hat der Gesetzgeber gewollt. Der erste Bericht der Kommission für Insolvenzrecht sah im Planverfahren noch ein umfassendes Reorganisationsverfahren, das ausdrücklich auch die Umstrukturierung der Gesellschafterstruktur in der Schuldnergesellschaft ermöglichen sollte und dazu weitgehende Zwangseingriffe in Gesellschafterstellungen erlaubte. Insbe180 § 80 Abs. 1 InsO, soweit nicht ausnahmsweise die Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO angeordnet wurde. Eine solche Anordnung kommt insbesondere in Betracht, wenn das Schuldnerunternehmen nach § 18 InsO freiwillig den Schutz des Insolvenzverfahrens sucht, um seine Sanierung zu erreichen.
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sondere sah der Entwurf vor, die nach dem Plan notwendigen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen zwar durch die Gesellschafter beschließen zu lassen, dann aber in Fällen, in denen unter ihnen die gesellschaftsrechtlich erforderlichen Mehrheiten nicht zustande kommen, den Gesellschafterbeschluss durch einen Gerichtsbeschluss zu ersetzen, wenn eine Sanierung dies erforderte.181 Schon der Diskussionsentwurf verzichtete dann auf diese Vorschläge der Kommission, ermöglichte aber immerhin noch Planregelungen über die persönliche Haftung der Unternehmensgesellschafter.182 Die Haltung zu Eingriffen in Gesellschafterstellungen war insofern zumindest noch ambivalent.183 Erst der Rechtsausschuss unterband dann ausdrücklich jegliche Eingriffe des Plans in die Rechtsstellung der am Schuldner beteiligten Personen: »Die Rechtsstellung der am Schuldner, der keine natürliche Person ist, beteiligten Personen« sollte »außerhalb des Insolvenzverfahrens bleiben«.184 Als Grund für diese inhaltliche Beschränkung des Insolvenzverfahrens wird lediglich die »Vereinfachung des Verfahrens« angeführt.185 Leider hat der Gesetzgeber so den Weg verpasst, den etwa das amerikanische Reorganisationsrecht in Chapter 11 vorgibt, wo die Gesellschafter als eigene Gruppen und damit als Verfahrensbeteiligte mit über den Plan abstimmen.186 Stattdessen wurde der Regelungsbereich des Insolvenzplans beschnitten und seine Funktionsfähigkeit vermindert. Eine umfassende, marktkonforme Reorganisation des Schuldnerunternehmens auf der Grundlage eines Insolvenzplans, wie sie der Gesetzgeber anfangs eigentlich zum Ziel hatte, wurde unmöglich. Ein Insolvenzplan ermöglicht folglich im klaren Gegensatz zu seinem amerikanischen Vorbild, dem Reorganisationsplan nach Chapter 11 des U. S. Bankruptcy Code, keine verbindliche Fixierung aller notwendigen Sanierungsmaßnahmen. Er bleibt damit nur ein – wenn auch wesentlicher – Teil der Sanierungslösung. Selbst ein kostenträchtig erreichter Insolvenzplan schafft daher keine Planungssicherheit hinsichtlich der für die gesellschaftsrechtliche Umsetzung des Sanierungsplans notwendigen (qualifizierten!) Mehrheiten in den Be181 Ausführlicher zur diesbezüglichen Gesetzgebungsgeschichte sowie den verfassungsrechtlichen Bedenken: Krull, Bedingter Insolvenzplan und Kapitalschnitt, S. 76 ff.; Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 315 ff.; Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1519 ff.; Westpfahl/Janjuah, ZIP 2008, Beilage zu Heft 3, 1, 14 f. 182 Vgl. den inhaltsgleichen § 253 Abs. 1 RegEInsO. 183 Vgl. auch BT-Drucks. 12/2443, S. 79: »Die Abwicklung oder planmäßige Umgestaltung [. . .] der Eigentümerbeiträge ist ebenfalls unter dem Gesichtspunkt notwendig, dass Vermögensverschiebungen im Verhältnis von Gläubigern zum Schuldner und zu den an ihm beteiligten Personen vermieden werden.« 184 BT-Drucks. 12/7302, S. 184 (Begründung zu § 293 oder auch zu § 298). 185 BT-Drucks. 12/7302, S. 181 (Begründung zu § 253 Abs. 1). 186 Sassenrath, ZIP 2003, 1517, 1528 f., schlägt zutreffend eine Neuregelung de lege ferenda vor, die sich stark am amerikanischen Vorbild orientiert. Noch weiter geht Ehlers, ZInsO 2009, 320, 324 f., wenn er eine zwangsweise Einbindung der Gesellschafter in das Planverfahren ohne zwingendes Mitbestimmungsrecht vorschlägt. Dies dürfte jedoch zu weit gehen.
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schlussgremien des Schuldnerunternehmens, also der Haupt- oder Gesellschafterversammlung. Der vorhandene Hebel einer Planbedingung übt lediglich psychologischen Druck auf die Gesellschafter aus.187 Diese Halbherzigkeit ist ein immer deutlicher zu Tage tretender Mangel des Planverfahrens.188 Auf Möglichkeiten, diesen Mangel zu beseitigen, soll am Ende des Fünften Kapitels näher eingegangen werden.189 c) Die Alternative: Veräußerung des Unternehmens gemäß § 160 InsO Sieht das Sanierungskonzept als Sanierungsweg keine Reorganisation, sondern die Übertragung des Schuldnerunternehmens, also eine übertragende Sanierung, vor, so muss zu dessen Umsetzung auch in der Insolvenz kein Insolvenzplan zustande kommen, obwohl auch ein solcher als Übertragungsplan eine übertragende Sanierung zum Gegenstand haben kann. Die Veräußerung des Unternehmens kann vielmehr auch aus dem Insolvenzverfahren heraus durch den Insolvenzverwalter erfolgen, wozu nach § 160 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 InsO nur die Zustimmung des Gläubigerausschusses oder, wenn ein solcher nicht bestellt wurde oder der Erwerber nach § 162 InsO dem Schuldnerunternehmen besonders nahe steht, der Gläubigerversammlung notwendig ist. Beide Gremien entscheiden durch Mehrheitsbeschluss (§§ 72, 76 Abs. 2 InsO). Bei Beschlussunfähigkeit mangels Teilnahmeinteresses kann die Zustimmung gemäß § 160 Abs. 1 Satz 3 InsO sogar als erteilt fingiert werden. Ein zeitaufwendiges Insolvenzplanverfahren kann auf diese Weise ebenso umgangen werden190 wie das Risiko der Insolvenzanfechtung, ist der Erwerb des Unternehmens aus der Insolvenz heraus doch nicht anfechtbar.
187 Dieser Druck kann im Einzelfall durchaus genügen – vgl. etwa den Erfahrungsbericht von Schreiber/Herbst, ZInsO 2008, 435, 437. Hinreichende Planungssicherheit entsteht so allerdings nicht, worauf gerade Sanierungsvorhaben sensibel reagieren. 188 Ebenso: Eidenmüller, ZIP 2007, 1729, 1736; Gerster, ZInsO 2008, 437, 441; Krull, Bedingter Insolvenzplan und Kapitalschnitt, S. 89; Sassenrath, ZIP 2003, 1517; Westpfahl/Janjuah, ZIP 2008, Beilage zu Heft 3, 1, 14 ff.; Uhlenbruck, NZI 2008, 201, 202. So führt diese künstliche Trennung zu so absurd erscheinenden Fragen wie der, ob die Kosten gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen, wie etwa die einer Hauptversammlung, aus der Insolvenzmasse zu berichtigen sind, verwaltet doch nun der Insolvenzverwalter und nicht mehr das satzungsmäßige Organ das Gesellschaftsvermögen – vgl. dazu Uhlenbruck, NZI 2007, 313. Auch Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 362 ff., hält die gefundene gesetzliche Lösung für »inkonsequent« (S. 362), im Hinblick auf vorhandene gesellschaftsrechtliche Kooperationspflichten sowie verfassungs- und europarechtliche Bedenken am Ende aber für »gut vertretbar« (S. 366). 189 Siehe im Fünften Kapitel unter C. IV. 2. c). 190 Ehlers, ZInsO 2009, 320, 321. Findet sich also eine Forderungsmehrheit der Gläubiger als Befürworter einer übertragenden Sanierung, so gibt es keinen Bedarf für einen Insolvenzplan. Die Gläubigerversammlung kann beschließen. Einen Minderheitenschutz wie im Planverfahren gibt es dann auch nicht – vgl. Terhart, Chapter 11, S. 355 ff.
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Konnte die Unternehmensveräußerung mithin nicht schon außergerichtlich, also vor der Verfahrenseröffnung,191 erreicht werden, so bieten die §§ 160 ff. InsO eine angemessen schnelle192 und effektive Regelung zur Unternehmensveräußerung aus dem Insolvenzverfahren heraus. Dies gilt umso mehr, wenn wegen der laufenden Kosten der Unternehmensfortführung die Veräußerung zeitnah erfolgen muss und das Zustandekommen eines Insolvenzplanes nicht abgewartet werden kann.193 Die Praxis des Insolvenzverfahrens wird daher auch von dieser Form der »Sanierung« von Unternehmen beherrscht.194 Eine über die reine Unternehmensveräußerung hinausgehende Regelungswirkung hat ein solches Vorgehen allerdings nicht. Die Liquidation des veräußernden Unternehmensträgers, d. h. insbesondere die Verwertung und Verteilung des Veräußerungserlöses, erfolgt weiter nach den allgemeinen Regeln (§§ 156 ff. InsO). Gestaltungsmöglichkeiten bietet diesbezüglich allein ein Insolvenzplan.195 Schließlich werden auch bei einer Übertragung nach § 160 InsO wie bei einer Sanierung über einen Insolvenzplan weder die direkten noch die indirekten Insolvenzkosten vermieden, was sich gerade bei der übertragenden Sanierung negativ auswirkt, denn durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verliert das nun eben nicht mehr werbende, sondern aufgelöste Unternehmen unmittelbar an Wert. Dies wirkt sich direkt negativ auf den Kaufpreis aus.196 Der Aspekt einer vielleicht geringen, aber schnellen Quote aus einem Insolvenzverfahren ist für einige Gläubiger dennoch so wichtig, dass gelegentlich sogar Druck auf den Insolvenzverwalter in Richtung einer schnellen Unternehmensveräußerung zu jedem Preis ausgeübt wird.197
191 Die Veräußerung des Unternehmens während des Eröffnungsverfahrens, also nach der Stellung des Insolvenzantrags und vor der Eröffnung des Verfahrens ist gesetzlich explizit nicht gewünscht – vgl. BGBl. I 2007, 509; siehe auch Schmerbach/Staufenbiel, ZInsO 2009, 458, 460. 192 Die notwendige Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung verhindert Veräußerungen in den ersten Tagen des Verfahrens, wie sie in den amerikanischen Verfahren zu beobachten sind (sog. »first day orders«). Diese Einschränkung ist allerdings notwendige Folge der Gläubigerautonomie und daher gerechtfertigt (unzutreffend daher die Kritik bei Bales, NZI 2008, 216, 218). 193 Spieker, Unternehmensveräußerung in der Insolvenz, S. 38. 194 So ergab eine Umfrage unter Insolvenzverwaltern aus dem Jahr 2007, dass die von ihnen betreuten Unternehmensinsolvenzen nur zu max. 10 Prozent eine Reorganisation mittels Insolvenzplans verhandelt wurde, während in 31–56 Prozent der Fälle eine übertragende Sanierung erfolgte; in den übrigen Fällen wurde das Unternehmen liquidiert; siehe Bitter, ZGR 2010, 147, 155. Auch nach Undritz, ZGR 2010, 201, 205, erfolgen derzeit »weit über 90% der erfolgreichen Restrukturierungen« in der Insolvenz im Wege einer übertragenden Sanierung. 195 BT-Drucks. 12/2443, S. 95; vgl. auch Vallender, GmbHR 2004, 642, 646. 196 Wellensiek, NZI 2002, 233, 237. 197 Zipperer, NZI 2008, 206, 209.
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4. Fazit – Die Relevanz eines Insolvenzplans in der Krise Die Vorteile des Insolvenzverfahrens für die Sanierungsumsetzung sind insgesamt teuer erkauft. Sie scheinen die Funktion zu haben, die letzte Chance eines Krisenunternehmens auf Rettung zu nutzen. Die Regelungen der Insolvenzordnung, insbesondere die zum Insolvenzplan, können daher nicht die außergerichtliche Sanierung als Sanierungsweg verdrängen.198 Vielmehr stehen jedem Unternehmen in seiner Krise beide Wege offen, wenn es seine Probleme aus eigener Kraft nicht mehr lösen kann. In einer solchen Situation bietet es sich als grundsätzliche Vorgehensweise an, zunächst den Sanierungsplan außergerichtlich zu verhandeln. Hierzu bleibt selbst dann Zeit, wenn das Unternehmen bereits insolvent ist. Die gesetzliche Antragspflicht (§ 15a InsO) gewährt dem Management eine Frist von drei Wochen zur pflichtgemäßen Stellung eines Insolvenzantrags und spätestens dieser enge Zeitraum sollte stets genutzt werden, um eine außergerichtliche Sanierung zu versuchen.199 Der dann pflichtgemäß notwendige Insolvenzantrag sollte zudem nicht die Verhandlungen beenden, kann der Antrag doch gemäß § 13 Abs. 2 InsO noch bis zur Verfahrenseröffnung zurückgenommen werden, auch wenn in diesem Fall die negativen Wirkungen des Insolvenzverfahrens nicht umgangen, aber zumindest verringert werden. 200 Sollte die außergerichtliche Sanierung dennoch scheitern, so ist das eingeleitete Insolvenzverfahren ohnehin unvermeidlich. Das Sanierungskonzept ist dann – soweit es nicht allein und ausschließlich eine Übertragung des Unternehmens vorsieht – zum Insolvenzplan umzugestalten und kann als solcher zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden. 201 Die aufgebrachten Kosten für Sanierungsgutachter oder Unternehmensberater im Rahmen der Sanierungsbemühungen sind dann nicht vergebens. 202 198
BT-Drucks. 12/2443, S. 94. Die Suspendierung der Pflicht zum Insolvenzantrag in § 15a InsO für maximal drei Wochen bezweckt allein die Auslotung von Sanierungschancen zur Abwendung des staatlichen Insolvenzverfahrens (Poertzgen, ZInsO 2008, 944, 945) und sollte daher genutzt werden, auch wenn dieser Zeitraum heute als zu kurz erscheint (Eidenmüller, ZIP 2007, 1729, 1732). 200 Direkte und indirekte Insolvenzkosten entstehen nicht in voller Höhe. Die Gerichtskosten betragen nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 GKG i. V. m. Nr. 2310 nur ein halbe Gebühr; Kosten für einen vorläufigen Insolvenzverwalter entstehen nur, wenn ein solcher bereits eingesetzt wurde. Indirekte Kosten (Imageverlust, Verunsicherung der Lieferanten und Kunden usw., Börsen-/Wertverlust des Unternehmens) werden durch die schnelle Verfahrensbeendigung allenfalls begrenzt. 201 Man spricht dann auch von einem »prepackaged plan« oder einer »prepackaged bankruptcy« – vgl. etwa Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 437 ff.; Herzig, Insolvenzplanverfahren, S. 152 ff. oder Paulus, ZGR 2005, 309, 322. Näher dazu im Fünften Kapitel unter C. II. 202 Schon Braun, NZI 1999, 473, 474, sah in einer »steckengebliebenen« leistungswirtschaftlichen Sanierung »einen der denkbaren Hauptanwendungsfälle von Insolvenzplanverfahren«. 199
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Realistisch betrachtet wird für das Insolvenzplanverfahren wohl nur ein Kreis von Schuldnerunternehmen in Betracht kommen, deren wirtschaftliche Lage zu schlecht ist, um mit den Schlüsselgläubigern eine außergerichtliche Einigung zu erreichen, die aber gleichzeitig auch nicht zwingende Liquidationskandidaten sind, sondern Fortführungschancen bieten und zudem nicht einfach veräußert werden sollen oder können. 203 In Deutschland rücken damit vor allem Freiberufler sowie Zielgesellschaften nach einem leveraged buy-out 204 in den Fokus der Anwendung von Insolvenzplanverfahren, erwirtschaften diese Unternehmen doch operativ oft einen Gewinn, der dann aber von einer erdrückenden Schuldenlast aufgezehrt wird. Diese Last kann eine Reorganisation durch ein Planverfahren nehmen. Zugleich folgte aus dieser wirtschaftlichen Faktenlage aber auch die Erkenntnis, dass das Wunder einer massenhaften Insolvenzbewältigung vom Insolvenzplanverfahren nicht zu erwarten ist. 205 Die typischerweise eher schlechte wirtschaftliche Situation von Plankandidaten begrenzt eben auch die quantitativen Chancen des Insolvenzplanverfahrens als Rechtsinstitut.206 Wenn man sich dieser Erkenntnis verschließt und die Tore für ein Planverfahren – etwa durch andere Mehrheitserfordernisse oder Obstruktionsverbote – weiter öffnet, so mag es im ersten Schritt mehr Insolvenzbewältigungen durch einen Insolvenzplan geben. Der wirtschaftliche Erfolg eines solchen Verfahrens – eine Unternehmensgesundung – wird dann allerdings wegen der schlechten Ausgangslage der Plankandidaten seltener sein. Ein Blick auf das sanierungsfreundliche U. S.-amerikanische Insolvenzrecht mag dies verdeutlichen. Empirischen Untersuchungen des dortige Reorganisationsverfahrens in Chapter 11 des Bankruptcy Code ergaben, dass nur in etwa der Hälfte aller Fälle wieder ein prosperierendes Unternehmen geschaffen wurde, die Reorganisation mittels Plan also wirtschaftlich gelang.207 In den anderen Fällen wurde Vermögen vernichtet.
203 Diese »Mittellage« der typischen Unternehmensverfassung eines Kandidaten für die gerichtliche Reorganisation bestätigt sich in verschiedenen empirischen Studien zum amerikanischen Reorganisationsverfahren – vgl. Terhart, Chapter 11, S. 64 ff. Die Unternehmensgröße spielte dabei keine entscheidende Rolle für die Qualifikation von Plankandidaten. In den Studien finden sich Schuldnerunternehmen aller Größen, auch wenn die kleinen und mittelständischen Unternehmen zahlenmäßig die weitaus größere Gruppe darstellen und mindestens zwei Drittel der Fälle ausmachen; Terhart, Chapter 11, S. 66 ff. 204 Siehe Morshäuser/Falkner, NZG 2010, 526, 527/529 f. 205 Gerster, ZInsO 2008, 437, 440. Jaffé, ZGR 2010, 248, 252, macht zutreffend geltend, dass grundsätzlich die ganz überwiegende Mehrzahl der Unternehmensinsolvenzen keine Sanierungskandidaten betreffen, sondern eines Marktaustrittsverfahrens bedürfen. 206 Ebenso Kemper, Chapter 11, S. 205. 207 Kalay/Singhal/Tashijan, 84 J. Fin. Econ. 772, 777 (2007); siehe auch die Zusammenstellung verschiedener älterer Studien bei Terhart, Chapter 11, S. 149.
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IV. Ergebnis: Die betriebswirtschaftlich geprägte Funktion des Insolvenzplans Versetzt man sich als Jurist in die Lage des Managements eines Unternehmens, so stellt sich der Insolvenzplan als Fortsetzung der Sanierungsbemühungen mit gerichtlicher Hilfe dar. Kann ein Sanierungsvergleich nicht freiwillig mit allen notwendigen Beteiligten geschlossen werden, so kann deren Zustimmung vielleicht im Rahmen des Insolvenzverfahrens erreicht werden, zur Not kann sie dort sogar entbehrlich sein. Inhaltlich unterscheidet sich das Sanierungskonzept in beiden Fällen jedenfalls nicht. 208 In seiner betriebswirtschaftlichen Funktion entspricht der Insolvenzplan einem außergerichtlichen Sanierungsvergleich. Ob allein die Besonderheiten seines Zustandekommens dennoch eine andere Qualifikation seiner Rechtsnatur rechtfertigen können, soll im weiteren Verlauf der Arbeit näher untersucht werden.
B. Die Vorgängerregelungen – Zwangsvergleich und Vergleich Der Insolvenzplan ist keine Neuschöpfung des Reformgesetzgebers von 1994, sondern das Ergebnis einer langen Rechtsentwicklung, die seinen heutigen Charakter prägt. Jedes Wirtschaftssystem, das einen Handel auf Kredit erlaubt, muss die Frage beantworten, was geschehen soll, wenn der Schuldner einen ihm eingeräumten Kredit nicht begleicht. Die Antwort der altorientalischen Rechtsordnungen wie auch der dritten Tafel des römischen Zwölftafel-Gesetzes lag in der Personalexekution, also darin, dass der Schuldner selbst oder dessen Familienangehörigen verkauft oder verpfändet wurden. 209 Dieser Zugriff auf den Schuldner bzw. auf dessen Arbeitskraft ging allerdings nicht selten mit weitreichenden Restschuldbefreiungsregelungen einher. In § 117 des Codex Hamurabi findet sich etwa die Anordnung, dass nach drei Jahren der Schuldknechtschaft der Schuldner oder dessen Angehörige freizulassen sind, auch wenn das Ergebnis ihrer Arbeit die Schulden noch nicht abgetragen hat. Der Rest der Schuld war zu erlassen. 210 Ebenso war nach dem Alten Testament 211 jeder Jude verpflichtet, seinen jüdischen Schuldnern nach sieben Jahren ihre Schuld zu erlassen. Der Gedanke einer Restschuldbefreiung lässt sich insofern in den ältesten Vollstreckungstexten wiederfinden und bildete einen wichtigen sozialen Ausgleich zur strengen Schuldhaftung. Die Personalexekution selbst erwies sich hingegen nicht als optimal. Eine solche persönliche Haftung ließ sich bei eini208 Risse, KTS 1994, 465, 489: »Der Insolvenzplan entspricht also von Zweck, Erstellung und Inhalt her der Sanierungskonzeption bzw. Anpassungskonzeption«. 209 Uhlenbruck, DZWIR 2007, 1 f. 210 Nach Uhlenbruck, DZWIR 2007, 1. 211 Deuteronomium, 15:1–3 oder auch Exodus, 21:2.
B. Die Vorgängerregelungen – Zwangsvergleich und Vergleich
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gen Schulden, wie etwa den reinen Erbfallverbindlichkeiten, nicht begründen. 212 Zudem gab es in der sich weiter entwickelnden Wirtschaftsgesellschaft mit ihren immer komplexer werdenden Handelsstrukturen bald oft nicht mehr nur einen, sondern mehrere Gläubiger und die Personalexekution machte nun nur noch wenig Sinn. Stattdessen rückte nun die bestmögliche Befriedigung aller Gläubiger aus dem verbliebenen Schuldnervermögen in das Zentrum des Interesses; die Realexekution hielt Einzug in das Vollstreckungsrecht. Folgerichtig waren es nun häufig die Gläubiger, die wie beim heutigen Insolvenzplan nicht nur über die Verwertung des Schuldnervermögens, sondern auch über die Befreiung des Schuldners von Restschulden zu befinden hatten.
I. Ursprünge eines Zwangsvergleichs im Römischen Recht und seine Verbreitung Bereits das römische Recht kannte Institute, die in ihrer Wirkungsweise als Zwangsvergleich anzusehen sind und damit dem heutigen Insolvenzplan den Weg bereiteten. So konnte nach einem Reskript des Mark Aurel ein Erbe vor Antritt einer überschuldeten Erbschaft mit den Gläubigern vereinbaren, nur eine bestimmte Quote zu zahlen. Stimmten dieser Erlassvereinbarung alle Gläubiger zu, so war sie wirksam. Stimmte hingegen lediglich die Mehrheit der Gläubiger zu, so sollte der Prätor durch Dekret die Minderheit an den Willen der Mehrheit binden und den Erlass auch auf sie erstrecken.213 Es war kein Zufall, dass gerade die Frage der Erbenhaftung ein modernes Rechtsinstitut wie den Zwangsvergleich entstehen ließ. Der Gedanke der Personalexekution stieß hier an seine Grenzen, so dass neue Wege beschritten werden mussten, die außerhalb des damals geltenden Vollstreckungsrechts lagen. 214 Der Rückgriff auf das Vertragsrecht lag da nahe. Da aber in einer Personengruppe wie den Gläubigern eines Schuldners mit unterschiedlichsten Motiven eine Einstimmigkeit nur schwer zu erreichen sein kann, sah schon diese Regelung einen Mechanismus vor, den Mehrheitswillen zum maßgeblichen Entschluss für alle Beteiligten zu machen, wenn den ein Hoheitsträger diese Zwangswirkung gegenüber der Minderheit legitimiert. Das Grundmodell eines Zwangsvergleichs war geschaffen. Justinian eröffnete später jedem Schuldner bei Eintritt einer Vermögensunzulänglichkeit die Möglichkeit, mit seinen Gläubigern eine Vereinbarung über eine Schuldenstundung von maximal fünf Jahren zu schließen, um die »cessio
212 Siehe für das römische Recht etwa Kroppenberg, Die Insolvenz im klassischen römischen Recht, S. 338 f. 213 Digesten 2.14 Fragment 7 §§ 17 und 19 (Ulpian); dann genauer zur Bestimmung der Mehrheit: Digesten 2.14 Fragmente 8 (Papinian), 9 (Paulus) und 10 (Ulpian). 214 Kroppenberg, Die Insolvenz im klassischen römischen Recht, S. 344.
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Kapitel 1: Betriebswirtschaftliche und rechtshistorische Sicht
bonorum«215 mit ihrer Infamiefolge216 zu vermeiden. An diese Stundungsvereinbarungen waren nach dem bewährten Grundmodell wiederum alle Gläubiger gebunden, solange nur eine Gläubigermehrheit ihr zustimmte.217 Im römische Recht waren die aufgezeigten Institute Teile der Lehre »de pactis« (Digesten 2.14), also der Vertragslehre.218 Das römische Privatrecht kannte folglich die Möglichkeiten eines »pactum«, also eines »zivilistischen Vertrages«219 des insolventen Schuldners mit seinen Gläubigern über die Verwertung seines Vermögens, an den auch eine ablehnende Gläubigerminderheit zwangsweise gebunden war. Der römisch-rechtliche Ursprung eines Insolvenzplans basierte damit eindeutig auf dem Vertragsrecht. Nach dem Untergang des Römischen Reiches fanden derartige Rechtsinstitute unter der Bezeichnung als Akkord, Konkordat oder Zwangsvergleich weite Verbreitung in den europäischen Rechtsordnungen des Mittelalters und der Neuzeit. Entsprechende Regelungen fanden sich etwa in Italien, Spanien oder Holland. 220 Von besonderer Bedeutung für die deutsche Rechtsentwicklung war dabei vor allem das französische Recht, das erstmals in der Ordonnance von 1673 und dann vor allem im Code de commerce von 1807 sowie in dessen durch das Fallimentsgesetz von 1838 geänderten Fassung dem Zwangsvergleich die Gestalt gegeben hat, die entsprechende Regelungen heute noch prägt: seine Annahme durch die Gläubigermehrheit (Kopf- und Summenmehrheit, Art. 519
215 Die »cessio bonorum« war die vom Schuldner eingeleitete, römisch-rechtliche Form der Insolvenz. War der Schuldner nicht in der Lage, seine Gläubiger vollständig zu befriedigen, so konnte er sein Vermögen freiwillig an seine Gläubiger abtreten. Hierdurch erlangte der Schuldner zwar keine Restschuldbefreiung, wohl aber einen Schutz vor der Personalexekution (Codex 7,71 canon 1) und den Zugriff auf den Neuerwerb. Das abgetretene Vermögen wurde von einem durch die Gläubiger gewählten Curator verwaltet und mit Ermächtigung des Prätors als Ganzes inklusive aller Lasten verkauft. Aus dem Erlös erhielt jeder Gläubiger eine Quote – vgl. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 61, S. 405 ff.; Kurlbaum, in: von Wilmowski, KO, Einleitung, S. 1. Der »cessio bonorum« stand die »missio in bona« gegenüber, die von jedem Gläubiger beim Prätor beantragt werden konnte und zur Beschlagnahme und Veräußerung des Schuldnervermögens führte – vgl. Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, § 57, S. 388 ff. Eine Einzelvollstreckung fand demgegenüber nur in Ausnahmefällen statt. 216 Die Infamie war die persönliche Folge einer Realexekution. Sie schloss den Schuldner aus dem Wirtschaftsleben aus, da ihm die Kreditwürdigkeit abgesprochen wurde und bedeutete für den römischen Bürger den »zivilen Todes« – vgl. Kroppenberg, Die Insolvenz im klassischen römischen Recht, S. 345; Uhlenbruck, DZWIR 2007, 1, 2. Dieser aus der Insolvenzeröffnung folgende persönliche Makel prägte fortan die Betrachtung einer Insolvenz als zu vermeidendes Übel und persönliches Versagen bis in heutige Tage. 217 Codex 7,71 canon 8; kritisch Kohler, Konkursrecht, S. 446. 218 Darauf hinweisend Ciuntu, Zwangsvergleich, S. 28; Wach, Zwangsvergleich, S. 72. 219 So ausdrücklich und zu Recht Kohler, Konkursrecht, S. 445; ähnlich Löhr, ZZP 16 (1891), 335, 365 (Fn. 102), 368, 370 (Fn. 112). 220 Ausführlich hierzu Kohler, Konkursrecht, S. 446 ff.
B. Die Vorgängerregelungen – Zwangsvergleich und Vergleich
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des Code; Art. 507 FallimentsG) sowie die Prüfung und Bestätigung des Vergleichs durch ein Gericht (Art. 525 des Code; Art. 513 des FallimentsG).221 In Deutschland selbst konnte sich die zwangsweise Bindung der Minorität an das Votum der Gläubigermehrheit aufgrund der großen Rechtszersplitterung zunächst nicht uneingeschränkt durchsetzen. Zwar folgte das gemeine Recht der römisch-rechtlichen Tradition und ließ den Zwangsvergleich und die Zwangsstundung zu.222 Die vorherrschende Rechtswissenschaft der Neuzeit wie auch einzelne, ihr folgende Partikularrechte sprachen sich hingegen entschieden gegen eine Bindung der ablehnenden Minderheit aus und verlangten stattdessen die Zustimmung aller Gläubiger.223 Derartige Kodifizierungen blieben jedoch in der Minderzahl. Andere Partikulargesetzgebungen sahen stattdessen vor, dass ein Akkordversuch jedem Konkursverfahren vorausgehen musste und ließen zum Zustandekommen des Akkordes das Mehrheitsvotum der Gläubiger genügen. 224 Die Mehrzahl der Partikularrechte folgte allerdings den Regelungen des gemeinen Rechts oder französischen Vorbildern. 225 Die spätere reichseinheitliche deutsche Konkursgesetzgebung wurde entscheidend durch die Preußische Konkursordnung vom 8. Mai 1855 geprägt. Diese orientierte sich an den Vorbildern aus dem französischen sowie gemeinen Recht und forderte für das Zustandekommen eines Zwangsvergleichs die Kopf- und Summenmehrheit der Gläubiger sowie die Prüfung und Bestätigung des Gerichtes, dass der Vergleich dem Interesse der Gläubiger entspricht. 226
221
Kohler, Konkursrecht, S. 450; Löhr, ZZP 16 (1891), 335, 372 f.; Wach, Zwangsvergleich,
S. 9. 222 Löhr, ZZP 16 (1891), 335, 371; Kurlbaum, in: von Wilmowski, KO, vor § 173 Anm. 1; Wach, Zwangsvergleich, S. 9. 223 So die Oldenburgische Hypotheken- und Konkursordnung von 1814; die Nassauische Konkursordnung von 1859 oder die Badische Prozessordnung von 1864 (für Nichtkaufleute). Nur die Zustimmung aller anwesenden Gläubiger verlangten hingegen die Bayrische Prozessordnung von 1869, die Hannoversche Prozessordnung von 1850, die Lübische Konkursordnung von 1862 oder die Verordnungen für Mecklenburg-Schwerin von 1834 und für Mecklenburg-Strelitz von 1836 – vgl. Hahn, Materialien, IV, S. 349; Seuffert, Konkursprozeßrecht, S. 404; Wach, Zwangsvergleich, S. 9 (Fn. 2); zur Bayrischen Prozessordnung genauer Fuchs, Concursprozeß, S. 30 ff. 224 So die Hamburger »Neue Fallitenordnung« von 1753; ebenso das Bremer Debitverfahren nach der Verordnung für Debit- und Nachlasssachen von 1843 hinsichtlich der Subsidiarität des Konkursverfahrens; allerdings bewirkte hier der nur mehrheitlich angenommene Akkord lediglich ein Moratorium, also eine Stundung – zum ganzen Fuchs, Concursprozeß, S. 14 ff. 225 Das französische Recht galt vor allen in den Rheinprovinzen (Rheinpreußen, Rheinhessen, Elsass-Lothringen) – vgl. Fuchs, Concursprozeß, S. 19 ff. Genauer zur Entwicklung des Zwangsvergleichs in einzelnen Partikularrechten insbesondere Fuchs, Concursprozeß, S. 12 ff. (mit detailreichen Ausführungen zu allen bedeutenden Partikularrechten) sowie Kohler, Konkursrecht, S. 34 ff. (zum frühen lübischen Recht), S. 37 f. (zum Nürnberger und Hamburger Stadtrecht). 226 Vgl. Kurlbaum, in: von Wilmowski, KO, vor § 173 Anm. 1.
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Anders als im gegenwärtigen Insolvenzrecht war die praktische Bedeutung der Akkordverfahren im 19. Jahrhundert enorm. Der Handel dieser Zeit wurde noch von persönlichen Beziehungen zwischen den Kaufleuten und kaufmännischen Ehrbegriffen bestimmt, weshalb häufig das Interesse an einer einvernehmlichen, die Geschäftsbeziehung erhaltenden Bewältigung einer Insolvenz vorherrschte. So wurden beim Stadtgericht in Berlin in den Jahren 1855 bis 1873 von den 2427 Konkursen 968, also ca. 40 Prozent, durch Akkord erledigt; beim Stadtgericht in Breslau waren es im gleichen Zeitraum ca. 30 Prozent. In Frankreich wurden zwischen 1817 und 1826 sogar 59 Prozent der Konkursverfahren durch Konkordat beendet. 227
II. Kodifizierung in der Konkurs- und in der Vergleichsordnung Schon nach der Entstehung des Norddeutschen Bundes, spätestens aber nach der Reichsgründung im Jahre 1871 entstand das deutliche Bedürfnis, und diesem folgend der Auftrag an die gesetzgebenden Körperschaften, einheitliche Gesetze für das Deutsche Reich zu schaffen. Bereits in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurden daraufhin die vier Reichsjustizgesetze erarbeitet: die Zivilprozessordnung, die Strafprozessordnung, das Gerichtsverfassungsgesetz und eben auch die Konkursordnung. Die Konkursordnung für das Deutsche Reich basierte auf der preußischen Konkursordnung, wurde doch bereits 1870 der preußische Justizminister mit der Ausarbeitung einer Konkursordnung für den norddeutschen Bund beauftragt, woraus der im Jahre 1873 vorgelegte »Entwurf einer deutschen Gemeinschuldordnung« resultierte. Dieser Entwurf diente der auf Beschluss des Bundesrates vom 21. Dezember 1873 einzusetzenden Kommission für die deutsche Konkursordnung als Beratungsgrundlage und sie behielt die preußischen Grundprinzipien des Entwurfs im Wesentlichen bei. Auch die später eingesetzte Reichstagskommission hielt an diesen Grundsätzen fest. 228 Die so verabschiedete Konkursordnung für das Deutsche Reich wurde am 10. Februar 1877 veröffentlicht und trat am 1. Oktober 1879 in Kraft. Sie wurde als das gelungenste der vier Justizgesetze erachtet. 229 In der Konkursordnung war ein Zwangsvergleich zu finden, wie ihn schon das französische und preußische Recht kannte. Für sein Zustandekommen bedurfte es der Annahme eines Vergleichsvorschlages durch die einfache Kopfmehrheit der anwesenden sowie die dreiviertel Summenmehrheit der stimmberechtigten Gläubiger (§ 169; nach der Novelle des Gesetzes vom 17. Mai 1898 dann § 182) sowie einer Bestätigung des Vergleichs durch das Konkursgericht 227 Diese Daten lagen den Beratungen der Konkursordnung von 1877 zugrunde – Hahn, Materialien, IV, S. 348 (Fn. 1). 228 Vgl. Kurlbaum, in: von Wilmowski, KO, Einleitung, S. 4 f. 229 Kohler, Konkursrecht, S. 64.
B. Die Vorgängerregelungen – Zwangsvergleich und Vergleich
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(§ 170; später § 184). 230 Die Konkursordnung verzichtete hingegen bewusst auf die Regelung eines konkursabwendenden Vergleichs, also auf ein Verfahren, das dem Schuldner die Möglichkeit gibt, auch gegen den Willen einer Gläubigerminderheit einen Vergleich mit allen Gläubigern zustande kommen zu lassen, der von vornherein einen Konkurs und damit auch ein makelbehaftetes Konkursverfahren verhindert.231 Man hielt die Regelungen des Zwangsvergleiches und die fortbestehende Möglichkeit außergerichtlicher Vergleiche für ausreichend und sah keinen Bedarf für ein zweites, vorgeschaltetes gerichtliches Verfahren.232 Auf Dauer konnte sich der Gesetzgeber allerdings dem praktischen Bedürfnis für ein außergerichtliches Vergleichsverfahren nicht verschließen 233 und so führte er schrittweise ein solches ein. Das erste gerichtliche Verfahren zur Konkursabwendung wurde im Jahre 1914 zur Abmilderung allein kriegsbedingter Konkurse in den 13 Paragraphen der Verordnung über die Geschäftsaufsicht 234 geschaffen. Es enthielt noch allein ein Moratorium für den Schuldner für die Dauer des Krieges und sah kein gerichtliches Verfahren für das Zustandekommen eines von der Restschuld befreienden Vergleiches vor. Diese insofern unvollständige Regelung wurde bereits 1916 überarbeitet und dabei erheblich konkretisiert.235 Die daraus entstandene Verordnung behielt die Geschäftsaufsicht bei, enthält aber zudem in den §§ 33 bis 65 detaillierte Regelungen zum Zustandekommen und notwendigen Inhalt eines »Zwangsvergleichs zur Abwendung
230 Im Folgenden wird, soweit nicht ausdrücklich anders angegeben, die Konkursordnung nur noch in der novellierten Fassung von 1898 zitiert. 231 Der vorangegangene »Entwurf einer deutschen Gemeinschuldordnung« enthielt in seinem vierten Buch (§§ 233 bis 256) noch ein »Vergleichsverfahren zur Abwendung des Gemeinschuldverfahrens«, das einen Vergleich jedoch nur bei Einstimmigkeit der Gläubiger zustande kommen ließ. Diese Bestimmungen wurden bereits bei der Beratung dieses Entwurfs gestrichen und trotz nochmaligen Antrags während der Beratungen über die Konkursordnung nicht mehr in diese aufgenommen (Hahn, Materialien, IV, S. 617 f.). Auch bei den Beratungen über die Novellierung der Konkursordnung 1897/98 entschied man sich bewusst gegen die Schaffung eines konkursabwendenden Vergleichs – vgl. dazu die Denkschrift des Reichsjustizamtes, Drucksache des Deutschen Reichstages, 11. Legislaturperiode, II. Session, 1906, Aktenstück Nr. 596, S. 5590 f. 232 So noch im Jahre 1906 das Reichsjustizamt in seiner diesbezüglichen Denkschrift (Drucksache des Deutschen Reichstages, 11. Legislaturperiode, II. Session, 1906, Aktenstück Nr. 596, S. 5592 ff.). Diese Auffassung wurde von Anfang an kritisiert – vgl. Jaeger, LZ 1907, 132 ff.; Kohler, Konkursrecht, S. 64 und derS. später in ZZP 30 (1902), 553, 556; Schourp, Zwangsvergleich, S. 5, 9 f. (der zugleich einen Gesetzesentwurf für eine Deutsche Vergleichsordnung entwickelt). 233 Der Handel forderte ihn genauso vehement wie die Anwaltschaft – vgl. die Verhandlungen des XVII. Deutschen Anwaltstages 1905, JW 1905, 569, 629 ff., die Erhebungen der Handelskammern Deutschlands und die Beschlüsse des Deutschen Handelstages von 1905 – beide nachzulesen bei Philippsohn, JW 1905, 473 ff. 234 RGBl. 1914, 363. 235 RGBl. 1916, 1363.
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Kapitel 1: Betriebswirtschaftliche und rechtshistorische Sicht
des Konkurses« (§ 33), welcher die Geschäftsaufsicht beendet. 236 Im Krisenjahr 1924 wurde dann in zwei weiteren Verordnungen 237 die Verordnung von 1916 auch auf Fälle erweitert, in denen die Konkursreife infolge der aus dem Krieg erwachsenen wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten war. Von da aus war es nur noch ein kleiner Schritt zur Verabschiedung eines allgemeinen Vergleichsverfahrens zur Abwendung des Konkurses. Dieses wurde 1927 in der ersten Vergleichsordnung geschaffen. 238 Sie beendete die missbrauchsanfällige Möglichkeit einer konkursabwendenden Geschäftsaufsicht, die allein aufgrund eines Antrags des Schuldners und ohne Anstreben eines Vergleichs möglich war, indem sie in § 15 Abs. 1 vorschrieb, dass der Antrag des Schuldners auf Eröffnung des Vergleichsverfahrens zwingend einen Vergleichsvorschlag enthalten muss. Um missbräuchliche Vergleichsverfahren endgültig zu verhindern, 239 musste der Schuldner zudem bereits mit dem Antrag die schriftliche Erklärung der Mehrheit der Gläubiger vorlegen, mit einem Vergleichsverfahren einverstanden zu sein. Die Gläubiger hatten es daher in der Hand, sinnlose, aber auch sinnvolle Vergleichsversuche von vornherein zu vereiteln. Während der daher notwendigen Vorverhandlungen hatte der Schuldner kaum einen Schutz vor Vollstreckungshandlungen der Gläubiger. 240 Andererseits gewährte auch ein Vergleichsantrag ohne Zustimmung der Gläubigermehrheit für die Zeit des Eröffnungsverfahrens Schutz vor einer Konkurseröffnung (§ 31). Das Vorverfahren verhinderte so keinen Missbrauch zur Erlangung eines kurzfristigen Moratoriums, erschwerte gleichzeitig aber erheblich die Erfolgschancen eines erwünschten, präventiven Vergleichs. Bereits im Jahre 1935 wurden diese unzweckmäßigen Regelungen im Rahmen einer umfassenden Novellierung der Vergleichsordnung geändert. Nach der danach bis 1999 im Wesentlichen unverändert gebliebenen Neufassung der Vergleichsordnung konnte der konkursreife Schuldner zur Abwendung eines Konkursverfahrens seinen Vergleichsvorschlag beim Vergleichsgericht einreichen und damit ein Vergleichsverfahren einleiten, ohne dass dies die Zustimmung der Gläubiger voraussetzte. Zur Annahme seines Vergleichsvorschlages 236 Man orientierte sich dabei weitgehend am Zwangsvergleich der Konkursordnung, insbesondere hinsichtlich der erforderlichen Gläubigermehrheiten (§ 37), der Bestätigung durch das Konkursgericht (§§ 53–55) und der allgemeinen Wirkung des Vergleichs (§ 60). Der Zwangsvergleich war inhaltlich auf Stundung oder Erlass beschränkt (§ 35) und bedurfte nur der einfachen Summenmehrheit, wenn er lediglich eine Stundungsvereinbarung von maximal einem Jahr beinhaltete (§ 38). 237 RGBl. I 1924, 51 und 641. 238 RGBl. I 1927, 139. 239 Gerade die Beseitigung der Missbrauchskultur unter Geltung der Geschäftsaufsichtsverordnung war Ziel der Schaffung der Vergleichsordnung von 1927 – vgl. Bericht des Rechtsausschusses, in: Verhandlungen des Deutschen Reichstags, III. Wahlperiode, 1924/27, Drucksache Nr. 3430, S. 2 f., 8. 240 § 33 VglO 1927 gewährte lediglich bei Verfahrenseröffnung eine Einstellung dann noch anhängiger Vollstreckungsmaßnahmen. Eine Sperrfrist schufen erst die §§ 28, 87 VglO 1935.
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war dann wie in der Verordnung von 1916, der Vergleichsordnung von 1927 und wie beim Zwangsvergleich der Konkursordnung die einfache Kopfmehrheit der anwesenden und eine dreiviertel Summenmehrheit der stimmberechtigten Gläubiger (§ 74 VglO) sowie die Bestätigung des Vergleichs durch das Gericht (§ 78 VglO) erforderlich.
III. Die Rechtsnatur des Zwangsvergleichs der Konkursordnung Bis zur Schaffung einer einheitlichen Konkursordnung für das gesamte Deutsche Reich gab es keine Diskussion über die Rechtsnatur eines Zwangsvergleichs. Dieses Rechtsinstitut wurde vom jeweiligen Gesetzgeber entweder in Gänze abgelehnt und folglich im jeweiligen Partikularrecht nicht vorgesehen oder es wurde wie selbstverständlich als Vertrag anerkannt und normiert. 241 Der Reichsgesetzgeber hatte sich bei der Schaffung der Deutschen Konkursordnung für die Normierung eines Zwangsvergleichs in der Tradition des römisch gemeinen, französischen und preußischen Rechts entschieden, wobei er von der Vertragsnatur eines solchen Akkordes ausging. 242 Erst unmittelbar nach dem Inkrafttreten des Gesetzes im Jahre 1879 begann die unerwartete Diskussion darüber, ob der normierte Zwangsvergleich tatsächlich ein Vertrag sein könne. 1. Die Urteilstheorie Es war August Sigmund Schultze, der 1880 in zwei Publikationen darzulegen versuchte, dass der Zwangsvergleich der Konkursordnung »nicht, wie die heute allerdings allein bestehende Auffassung annimmt, ein durch Majoritätsbeschluß zu Stande kommender Vergleich, sondern ein auf wesentlich freier Kognition beruhendes richterliches Urteil ist«.243 Der Vergleichsvorschlag wie auch die diesbezüglichen Beschlüsse der Gläubiger im Abstimmungstermin hinsichtlich der Annahme desselben seien keine Dispositionen, also vertraglich bindenden Erklärungen, sondern lediglich »ein der freien Beurtheilung des Richters unterstelltes Informationsmaterial.«244 Vor dem Urteil sei rechtlich nichts Bindendes, insbesondere kein Vertrag vorhanden. Der Konkurs verbinde die Gläubiger zudem nicht materiell-rechtlich, sondern allein prozessual im Wege der notwendigen Streitgenossenschaft (§ 59 ZPO) hinsichtlich der Ausübung ihrer Konkursforderungen, weshalb das Gericht über den Konkursanspruch allen Gläubigern gegenüber nur einheitlich entscheiden könne. Die gerichtliche Entscheidung allein sei daher der Grund für die Bindung der widersprechenden 241 242 243 244
Hierzu ausführlich Schultze, Konkursrecht, S. 116 f. Hahn, Materialien, IV, S. 353. Schultze, ZHR 25 (1880), 339, 342 und entsprechend in: Konkursrecht, S. 120. Schultze, ZHR 25 (1880), 339, 345 und entsprechend in: Konkursrecht, S. 121, 128.
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Gläubiger; erst durch sie entstehe der Zwangsvergleich. Ein Vertrag werde hingegen zu keiner Zeit geschlossen.245 Der bestechende Vorteil dieser Theorie lag darin, dass sie die Bindungswirkung des Mehrheitsvotums nicht mit vertragsrechtlichen Mitteln erklären musste. Widersprechende und nicht teilnehmende Gläubiger wurden nicht gegen ihren Willen an einen Vertrag gebunden, sondern von der Rechtskraftwirkung eines richterlichen Urteils erfasst. Hierzu bedurfte es keiner besonderen rechtlichen Gemeinschaft oder Verbindung unter den Gläubigern. Die zentralen Probleme einer Einordnung des Zwangsvergleichs als zivilrechtlicher Vertrag waren damit überwunden. Mängel bei der Abstimmung, wie z. B. die Unwirksamkeit des Vergleichsvorschlags wegen Geschäftsunfähigkeit oder unwirksamer Stellvertretung des Schuldners, oder aber das tatsächliche Fehlen einer Mehrheit wegen unzutreffender Auszählung bzw. Stimmrechtsbestimmung, waren danach selbstverständlich nur im Rechtsmittelwege angreifbar. Nach Eintritt der Rechtskraft des gerichtlich beschlossenen Zwangsvergleichs waren diese Mängel geheilt. Diese rechtliche Deutung des Zwangsvergleichs fand wegen ihrer konzeptionellen Einfachheit und der klaren Rechtsfolgen bezüglich der Mangelheilung zwar einige Anhänger246 , konnte sich aber letztendlich nicht durchsetzen. Dies lag vor allem darin begründet, dass die Konkursordnung nicht nur in ihren Motiven, sondern auch in ihrem Wortlaut und ihrer Regelungssystematik davon ausging, dass die Handlungen des Gemeinschuldners (Vergleichsvorschlag) wie auch der Gläubiger (»Annahme des Vergleichs« durch Mehrheitsvotum, § 182 KO) mehr bedeuten mussten, als nur unverbindliches Informationsmaterial für den Konkursrichter zu sein. Zwischen dem Gemeinschuldner und den (nicht bevorrechtigten) Gläubigern kann nach § 173 KO vielmehr ausdrücklich »ein Zwangsvergleich geschlossen werden« und nur dieser »angenommene Zwangsvergleich« (§ 184 Abs. 1 KO) bedarf dann einer »Bestätigung« durch das Konkursgericht. Der Zwangsvergleich bestand nach der gesetzlichen Konzepti245
Schultze, Konkursrecht, S. 121, 129. Cohn, Zwangsvergleich, S. 43; Eccius, Gruchot 30 (1886), 457, 463 und in Gruchot 46 (1902), 726, 727; Pasquay, ZHR 66 (1910), 34, 79 ff.; Wackenthaler, Zwangsvergleich, S. 11, 99; von Wilmowski, KO (5. Auflage, 1896), vor § 160 Anm. 2; grundsätzlich auch von Völderndorff, Konkursordnung II, S. 527. Nur mit der klaren Rechtsfolge, nicht aber mit der dogmatischen Herleitung der Urteilstheorie sympathisiert Vierhaus, ZZP 14 (1890), 281, 283. Cohn, Zwangsvergleich, S. 41 ff., modifiziert die Urteilstheorie Schultzes jedoch dahingehend, dass kein Urteil über den Konkursanspruch, sondern eines über die einzelnen Konkursforderungen der Gläubiger ergeht (S. 41), der Vergleichsvorschlag und die Abstimmungserklärungen notwendige Prozesshandlungen und nicht bloßes Informationsmaterial sind (S. 50 ff.) sowie die nicht zustimmenden Gläubiger nicht als notwendige Streitgenossen, sondern als säumig analog §§ 330 ff. ZPO (nicht erschienen oder nicht verhandelnd) anzusehen sind und daher vom Urteil des Konkursgerichtes gebunden werden (S. 57 f.) – gerade den Rückgriff auf die Säumnisfolgen, also das Kontumazialprinzip, lehnte Schultze noch ausdrücklich ab, vgl. Schultze, Konkursrecht, S. 117. 246
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on also bereits vor der richterlichen Entscheidung als Vertrag und bedurfte lediglich einer gerichtlichen Bestätigung. Und diese Bestätigung stand dann gerade nicht im freien Ermessen des Konkursrichters, sondern durfte nur dann verworfen werden, wenn einer der Gründe aus den §§ 186–188 KO vorlagen. Die dort geregelten Verwerfungsgründe sicherten allein die Überprüfung des ordnungsgemäßen Zustandekommens des Zwangsvergleichs und den Benachteiligungsschutz für die Gläubiger. Die Konkursordnung gewährte dem Konkursgericht weder ein Gestaltungsrecht hinsichtlich des Vergleichsinhalts noch ein freies Ermessen hinsichtlich der Bestätigung eines geschlossenen Vergleichs. Der Richter durfte lediglich überprüfen, nicht jedoch gestalten. Seine bestätigende Entscheidung war damit zwar (letzte) Wirksamkeitsvoraussetzung für den Zwangsvergleich, nicht aber die Grundlage der Bindung des Gemeinschuldners und der Gläubiger. Schließlich erledigte der Bestätigungsbeschluss auch noch nicht einheitlich den Konkursanspruch aller Gläubiger, worauf Schultze deren notwendige Streitgenossenschaft stützte. Derartiges geschieht erst im anschließenden Aufhebungsbeschluss. Die gesetzliche Normierung des Zwangsvergleichs in den §§ 173 ff. KO widersprach also den Annahmen der Urteilstheorie. 247 2. Die Vertragstheorie Die Publikationen Schultzes provozierten nun eine lebhafte wissenschaftliche Diskussion über die Rechtsnatur des Zwangsvergleichs. Die weit überwiegende Zahl der Autoren stützte sich dabei auf den Gesetzeswortlaut sowie die Motive des Gesetzgebers und versuchte davon ausgehend, gegen die Urteilstheorie die Vertragsnatur des Zwangsvergleichs zu begründen. 248 Ihnen folgte einhellig die
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Dies konstatierte auch von Völderndorff, Konkursordnung II, S. 528. Von Aufseß, Konkursrecht, S. 140; Ciuntu, Zwangsvergleich, S. 49; Deybeck, Grünhut 17 (1890), 356, 360; Endemann, Konkursverfahren, S. 585; Fitting, Reichs-Konkursrecht, S. 419 f.; Gerland, KritVjSchr 46 (1905), 29, 39; Heckel, Zwangsvergleich, S. 143; Heimann, Zwangsvergleich, S. 29; Hellmann, Konkursrecht, S. 645; Hentsch, Zwangsvergleich, S. 33 f., 54; Jaeger, Konkursrecht, S. 190; Kießling, Zwangsvergleich, S. 12; Kohler, Konkursrecht, S. 452; Krusch, Das Wesen des Vergleichs, S. 75, 80; Kurlbaum, in: von Wilmowski, Reichskonkursordnung (6. Auflage, 1906), vor § 173 Anm. 2; Löhr, ZZP 16 (1891), 335, 387 f.; Petersen/Kleinfeller, KO, Vorbemerkungen zu §§ 173–201 Anm. 4; Petimesas, Zwangsvergleich, S. 49 f.; Purper, Zwangsvergleich, S. 17; Richter, ZHR 76 (1915), 112, 125; Rintelen, Konkursrecht, S. 302; von Sarwey/Boßert, KO, S. 439; Schlote, Zwangsvergleich, S. 15 f.; Schopper, Zwangsvergleich, S. 34; Seuffert, Konkursprozeßrecht, S. 408 f.; Voß, ZZP 33 (1904), 417, 422; Wach, Zwangsvergleich, S. 77; Warneyer, KO, Anm. zu § 173; Willenbücher, KO, § 160 Anm. 4; Wolff, KO, § 173 Anm. 2. Aus neuerer Zeit: Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 24.2; Eickmann, Konkurs- und Vergleichsrecht, S. 100 f.; ders., in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 66 Rn. 2; Gottwald, FS Giger, 1989, 195, 203; Häsemeyer, FS Gaul, 1997, 175, 176; Jauernig, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, S. 251; Mohrbutter,in: Mohrbutter, Insolvenzverwaltung, Rn. XII.4; Stefan, Zwangsvergleich, S. 59 ff.; Weber, in: Jaeger, KO, § 173 Rn. 1. 248
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Rechtsprechung. 249 Konstruktiv bedurfte es hierzu zweier zivilrechtlicher Willenserklärungen, eines Angebots und dessen Annahme. Während der Vergleichsvorschlag des Schuldners einhellig als Vertragsangebot eingeordnet wurde, 250 gab es hinsichtlich der Bestimmung der Annahmeerklärung der Gläubiger unterschiedliche Ideen. a) Die Stimmabgabe jedes Gläubigers als Annahmeerklärung Einige Autoren sahen in der Stimmabgabe jedes einzelnen stimmberechtigten Gläubigers eine individuelle Annahmeerklärung im vertragsrechtlichen Sinne. Jeder Gläubiger erkläre seine Zustimmung zum Vertragsangebot des Gemeinschuldners für sich unter der conditio juris, dass insgesamt eine zustimmende Mehrheit zustande kommt. Tritt dieses Abstimmungsergebnis ein, so kommt mit jedem einzelnen zustimmenden Gläubiger unmittelbar ein individueller (Zwangsvergleichs-)Vertrag zustande, der inhaltlich mit denen der anderen Gläubiger identisch ist. 251 Problematisch war auf dieser Basis allerdings die Konstruktion einer vertraglichen Einigung mit den Gläubigern, die in der Abstimmung den Vergleichsvorschlag ablehnten oder überhaupt nicht am Verfahren teilnahmen. Von diesen Gläubigern lag keine Zustimmungserklärung vor. Hier findet sich verbreitet nur der Rückgriff auf die gesetzlich nun einmal angeordnete Erstreckung der Vergleichswirkung auf alle Gläubiger. 252 Dies erscheint als Erklärung jedoch sehr unbefriedigend, wird doch die Bindung der Minderheit weder auf deren Vertragswillen noch auf ein gerichtliches Urteil zurückgeführt, sondern unmittelbar und allein auf die gesetzliche Regelung als solche zurückgegriffen. Damit wird jeder Versuch einer dogmatischen Einordnung eben dieser Regelung in die Zivil- und Prozessrechtsdogmatik aufgegeben. Eine derartige Kapitulation der
249 RG LZ 1911, 555, 556; WarnRsp 1911 Nr. 353; RGZ 77, 403, 404; 92, 181, 187; 119, 391, 395; 125, 408, 410; 127, 372, 375; 152, 65, 67; RG JW 1936, 191, 192; BGH KTS 1961, 152, 153; WM 1992, 619, 621. 250 Der Vergleichsvorschlag wird spätestens mit seiner Einbringung im Abstimmungstermin als Willenserklärung wirksam – vgl. Richter, ZHR 76 (1915), 112, 122; Weber, in: Jaeger, KO, § 173 Rn. 21. 251 Heckel, Zwangsvergleich, S. 143 f.; Heimann, Zwangsvergleich, S. 35; Kohler, Konkursrecht, S. 452 und ZZP 30 (1902), 553, 555; Löhr, ZZP 16 (1891), 335, 391; Petersen/Kleinfeller, KO, Vorbemerkungen zu §§ 173–201 Anm. 6. 252 So Petersen/Kleinfeller, KO, Vorbemerkungen zu §§ 173–201 Anm. 6. Ebenso Löhr, ZZP 16 (1891), 335, 386 f. und 412, wenn er den Abschluss von Einzelverträgen allein mit den Zustimmenden annimmt, während die Ablehnenden und Abwesenden ausschließlich auf gesetzlicher Grundlage an den Vergleichinhalt gebunden werden; ihm folgt Heckel, Zwangsvergleich, S. 143. Heimann, Zwangsvergleich, S. 38, konstruiert die Zustimmungserklärungen der Minderheit im Wege der Ausübung einer gesetzlicher Vertretungsmacht durch die Mehrheit. Jeder zustimmende Gläubiger gäbe neben der eigenen auch noch eine Willenserklärung im Namen der Minderheit ab (ebenso Hellmann, Konkursrecht, S. 645) – hiergegen ausführlich und überzeugend Kießling, Zwangsvergleich, S. 23 ff.
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Rechtswissenschaft ist jedoch erst dann unumgänglich, wenn sich keine tragfähige Konstruktion finden lässt und derartiges schien schon damals möglich. b) Die Annahme des Vergleichsvorschlags durch die Gläubigerschaft Überwiegend wurde zur dogmatischen Erklärung der Mehrheitsmacht vorgeschlagen, als Vertragspartner des Gemeinschuldners nicht jeden einzelnen Gläubiger, sondern die Gläubigerschaft als Ganzes anzusehen.253 Diese Vorstellung hatte auch der Gesetzgeber, sollte der Zwangsvergleich doch ein »Gesammtheitsvertrag«254 sein, bei dem nicht der einzelne Gläubiger, sondern alle Gläubiger zusammen dem Gemeinschuldner als Partei gegenüberstehen.255 Um die Bindung der gesamten Gläubigerschaft auch bei nur mehrheitlicher Zustimmung zu erreichen, gab es zwei Grundideen. Zum einen erstreckte man die Bindung eines mehrheitlich gewollten Vertrages kraft gesetzlicher Anordnung auf alle stimmberechtigten Gläubiger und damit auf die gesamte Gläubigerschaft.256 Dieser Lösungsweg stellt allerdings wiederum nur die gesetzlich angeordnete Wirkung eines Zwangsvergleichs dar, ohne diese Bindungswirkung dogmatisch erklären oder einordnen zu können und hilft daher kaum weiter. Interessanter ist demgegenüber die Idee einer wahrhaft rechtlich organisierten Gläubigerschaft. Hier erfolgt die Annahme des Schuldnervorschlags durch eine organisierte Gemeinschaft der stimmberechtigten Gläubiger. 257 Diese Gemeinschaft bilde im Abstimmungstermin durch die Abstimmung nur ihren (in253 Ciuntu, Zwangsvergleich, S. 36 ff.; Deybeck, Grünhut 17 (1890), 356, 360; Endemann, Konkursverfahren, S. 585; Fitting, Reichs-Konkursrecht, S. 423; Gerland, KritVjSchr 46 (1905), 29, 40; Jaeger, Konkursrecht, S. 190; Kießling, Zwangsvergleich, S. 13; Krusch, Das Wesen des Vergleichs, S. 88; Kurlbaum, in: von Wilmowski, Reichskonkursordnung (6. Auflage, 1906), vor § 173 Anm. 2; Purper, Zwangsvergleich, S. 17; Richter, ZHR 76 (1915), 112, 124; Schlote, Zwangsvergleich, S. 16; Seuffert, Konkursprozeßrecht, S. 408 f.; Voß, ZZP 33 (1904), 417, 422; Wach, Zwangsvergleich, S. 78; Weber, in: Jaeger, KO, § 173 Rn. 12; Wolff, KO, § 173 Anm. 2. 254 Hahn, Materialien, IV, S. 350. 255 Hahn, Materialien, IV, S. 378 – unter Nr. 2. 256 Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 24.2; Deybeck, Grünhut 17 (1890), 356, 360; Jauernig, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, S. 251; Mohrbutter,in: Mohrbutter, Insolvenzverwaltung, Rn. XII.4; Stefan, Zwangsvergleich, S. 54, 61; Weber, in: Jaeger, KO, § 173 Rn. 11 f. Endemann, Konkursverfahren, S. 585, fi ngiert bei einem Zustimmungswillen der Mehrheit »kraft gesetzlicher Vorschrift« den Zustimmungswillen der Minderheit. Ähnlich konstruiert Krusch, Das Wesen des Vergleichs, S. 101 und 144: Bei Zustimmung der Mehrheit fingiert das Gesetz einen Gesamtwillen aller Gläubiger und damit gleichzeitig den Abschluss des Vertrages durch alle. Gerland, KritVjSchr 46 (1905), 29, 39 f., hält die Minderheit im Angesicht der Mehrheit für ex lege verpflichtet, den Vergleichsvorschlag anzunehmen; die Abwesenden würden hingegen gesetzlich durch die Anwesenden vertreten, wenn dann die Gläubigerschaft als Gesamtheit den Vertrag schließt – gegen die Annahme einer Stellvertretung ausführlich und überzeugend Kießling, Zwangsvergleich, S. 23 ff. 257 Ciuntu, Zwangsvergleich, S. 36 ff.; Fitting, Reichs-Konkursrecht, S. 423; Jaeger, Konkursrecht, S. 190; Kießling, Zwangsvergleich, S. 4 ff.;Kurlbaum, in: von Wilmowski, Reichskonkursordnung (6. Auflage, 1906), vor § 173 Anm. 2; Purper, Zwangsvergleich, S. 17; Richter, ZHR 76 (1915), 112, 124; Schlote, Zwangsvergleich, S. 16; Seuffert, Konkursprozeßrecht,
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ternen) Willen hinsichtlich des Vergleichsvorschlags des Gemeinschuldners und zu einer solchen Willensbildung seien auch im allgemeinen Zivilrecht Mehrheitsbeschlüsse üblich und ausreichend. Ergibt sich dabei eine hinreichende Mehrheit für die Annahme des Vorschlags und damit ein entsprechender Wille aller Gläubiger, so gäbe die Gläubigerschaft mit der Feststellung dieses Abstimmungsergebnisses im Termin gleichzeitig eine Annahmeerklärung im vertragsrechtlichen Sinne ab, welche dann notwendigerweise die gesamte Gemeinschaft, also auch die ablehnenden und nicht anwesenden Gläubiger, binde. Diese Konstruktion entsprach den Vorstellungen des Gesetzgebers, der in den Motiven von einer »rechtlichen Gemeinschaft« der Konkursgläubiger sprach, in welcher Mehrheitsbeschlüsse ihre Geltung finden.258 Problematisch an dieser Konstruktion war zunächst die rechtliche Einordnung der »Gemeinschaft der Gläubiger«. Einige sahen in ihr wie der Gesetzgeber eine echte Rechtsgemeinschaft mit einem gemeinschaftlichen Vermögensrecht an der Konkursmasse. 259 Andere wollten ein solches gemeinschaftliches Recht hingegen nicht finden, erkannten aber sehr wohl das gemeinsame Interesse aller Gläubiger an einer bestmöglichen Verwertung des Schuldnervermögens und nahmen daher immerhin eine gesellschaftsähnliche Interessengemeinschaft der Gläubiger an.260 Unabhängig davon, welche Einordnung bevorzugt wurde, entstand sodann das Problem, dass zum Inhalt jedes Zwangsvergleichs Kürzungen der Konkursforderungen der Gläubiger gehörten. Die Abstimmung über den Zwangsvergleich beinhaltete also nicht nur eine Entscheidung über den Konkursbeschlag als gemeinschaftliches Recht, sondern auch eine Entscheidung über die Aufgabe von privaten Gläubigerrechten an der Masse261 und S. 408; Voß, ZZP 33 (1904), 417, 422 f.; Wach, Zwangsvergleich, S. 78; Wolff, KO, § 173 Anm. 2. 258 Hahn, Materialien, IV, S. 350. 259 Von Canstein, Grünhut 9, 461, 465 ff.; Ciuntu, Zwangsvergleich, S. 37; Seuffert, Konkursprozeßrecht, S. 408 f.; ähnlich Voß, ZZP 33 (1904), 417, 422 f. (»prozeßrechtlich organisierte Gläubigerschaft« als »rechtliche Einheit«) und Wach, Zwangsvergleich, S. 78 f. (»durch das Gesetz organisierte Personengemeinschaft« »nach Art der Genossenschaft«); ihm folgt Schlote, Zwangsvergleich, S. 16. Das Vorliegen einer »rechtlichen Gemeinschaft« prägte wie bereits erwähnt auch die Vorstellung des Gesetzgebers – vgl. Hahn, Materialien, IV, S. 350. 260 Fitting, Reichs-Konkursrecht, S. 420; Jaeger, Konkursrecht, S. 190; Kießling, Zwangsvergleich, S. 4 ff., 9; Kurlbaum, in: von Wilmowski, Reichskonkursordnung (6. Auflage, 1906), vor § 173 Anm. 2; Richter, ZHR 76 (1915), 112, 124; von Sarwey/Boßert, KO, S. 440. 261 Unzutreffend sind insofern die Vorstellungen des Gesetzgebers in den Motiven. Zur Erklärung der trotz Zwangsvergleichs im ursprünglichen Umfang fortdauernden Haftung von Bürgen und Mitschuldnern wird dort ausgeführt, dass ein Akkord unmittelbar überhaupt keinen Vergleich über die einzelne Gläubigerforderung enthielte. Jedem Gläubiger liege nur die Frage vor, ob er bei Fortsetzung des Konkurses eine Verteilung der Masse oder bei Aufhebung desselben die angebotene Quote vorziehe (Hahn, Materialien, IV, S. 375). Dies geht an der Sache vorbei. Sicherlich war ein Zwangsvergleich kein Erlassvertrag nach dem Zivilrecht, beseitigte er doch die betroffenen Gläubigerforderungen nicht restlos, sondern lies sie als unvollkommene Verbindlichkeit, d. h. als Naturalobligation, bestehen (allgemeine Ansicht – vgl. RGZ 78, 71, 77; 153, 338, 342). Damit wirkt er aber immer noch unmittelbar auf die
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derartige Entscheidungen sind bei der Rechtsgemeinschaft des bürgerlichen Rechts grundsätzlich nicht möglich. 262 Zur Überwindung dieser Hürde wurde dann auf die Besonderheit der (Interessen-)Gemeinschaft der Konkursgläubiger hingewiesen, die ja gerade dadurch gekennzeichnet sei, dass eine Mangelsituation vorliegt, dass also die Konkursmasse gerade nicht ausreicht, um alle konkurrierenden Gläubigerrechte zu befriedigen. Die Gläubigerschaft habe im Fall der Abstimmung über einen Zwangsvergleich allein die Aufgabe, in Ausübung ihrer Selbstverwaltung über die gerechte Verteilung der vorhandenen, unzureichenden Masse zu entscheiden. Eine solche Entscheidung könne zweckmäßigerweise nur durch Mehrheitsbeschluss erfolgen. Die Erweiterung der Majoritätsrechte erkläre sich daher aus dem Wesen der Gläubigergesellschaft im Konkurs. 263 Hinzu kommt, dass die Akkorddividende für jeden Gläubiger besser oder zumindest ebenso hoch wie die Konkursdividende ist, weshalb wirtschaftlich betrachtet überhaupt kein Vermögensverlust durch den Zwangsvergleich eintrete. 264 c) Die gerichtliche Bestätigung als Genehmigungserfordernis Nachdem die herrschende Vertragstheorie einen Vertragsschluss konstruiert hatte, musste sie sich der gerichtlichen Bestätigung zuwenden. Diese war stets – auch bei einstimmig gewollten Zwangsvergleichen – notwendig und erst mit ihr traten die Wirkungen des Zwangsvergleichs ein. Dennoch wurde eine solche gerichtliche Kontrolle von der Vertragstheorie nicht als Besonderheit des Zwangsvergleichs angesehen. Derartiges finde sich auch bei anderen, unzweifelhaft zivilrechtlichen Rechtsgeschäften wie beispielsweise den Verträgen des Vormundes, die nach den §§ 1821, 1822 BGB der Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht bedürfen. 265
einzelne Konkursforderung des jeweiligen Gläubigers ein, nimmt er ihr doch die Durchsetzbarkeit. 262 Schultze wies bereits im Jahre 1880 auf diese beiden Probleme in der gesetzgeberischen Konstruktion hin (Konkursrecht, S. 120). Ihm nähert sich Fitting, Reichs-Konkursrecht, S. 420 und 424, wenn er nicht im Mehrheitsbeschluss der Gläubiger, sondern in der gerichtlichen Bestätigung als staatlichem Machtspruch die Legitimation für den Eingriff in die Konkursforderungen sieht und die Wirkungen des Zwangsvergleiches damit nicht allein auf einen Vertrag stützt. 263 Richter, ZHR 76 (1915), 112, 125; Seuffert, Konkursprozeßrecht, S. 409; Wach, Zwangsvergleich, S. 79; Kießling, Zwangsvergleich, S. 21 f., entnahm diese Verfügungsbefugnis § 182 KO. 264 Schopper, Zwangsvergleich, S. 38. 265 Ciuntu, Zwangsvergleich, S. 39 f.; Fitting, Reichs-Konkursrecht, S. 423; Heimann, Zwangsvergleich, S. 33; Jaeger, Konkursrecht, S. 190 f.; Kießling, Zwangsvergleich, S. 40 ff.; Purper, Zwangsvergleich, S. 17; Richter, ZHR 76 (1915), 112, 129; Schlote, Zwangsvergleich, S. 14; Stefan, Zwangsvergleich, S. 55; Weber, in: Jaeger, KO, § 173 Rn. 10; Wolff, KO, § 173 Anm. 2.
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d) Die prozessuale Komponente des Zwangsvergleichs War der Zwangsvergleich also schlicht ein bürgerlich-rechtlicher Vertrag, ein Vergleich im Sinne des § 779 BGB? 266 Es gab einige Besonderheiten des Zwangsvergleichs, die daran zweifeln ließen: sein Zustandekommen im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens, die Heilungswirkung des formell rechtskräftigen Bestätigungsbeschlusses und die Eigenschaft des rechtskräftig bestätigten Zwangsvergleichs als Konkursbeendigungsgrund. Diese Aspekte führten dazu, dass der Zwangsvergleich von einigen Autoren nicht nur als zivilrechtlicher, sondern auch als prozessrechtlicher Vertrag, also als ein Vertrag mit Doppelnatur eingeordnet wurde. 267 Das Zustandekommen dieses Vertrages richte sich nach den speziellen verfahrensrechtlichen Regeln der Konkursordnung und sei daher nicht nach den §§ 145 ff. BGB, also nach materiellem Zivilrecht, sondern allein nach den Grundsätzen über die Wirksamkeit von Prozesshandlungen (z. B. §§ 50, 51, 56, 79 ff. ZPO) zu beurteilen. 268 Diesbezügliche Mängel seien daher auch grundsätzlich nach Eintritt der Rechtskraft der Bestätigung geheilt. 269 Der so einmal wirksam zustande gekommene Zwangsvergleich sei dann aber (unstreitig) als ein bürgerlich-rechtlicher Vertrag zu behandeln. Auslegungsfragen
266 Für die Einordnung als Vergleich gemäß § 779 BGB: Heckel, Zwangsvergleich, S. 149 f.; Heimann, Zwangsvergleich, S. 31 f.; Jaeger, Konkursrecht, S. 190; Kießling, Zwangsvergleich, S. 54 f.; Krusch, Das Wesen des Vergleichs, S. 80; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 173 Rn. 4a; Purper, Zwangsvergleich, S. 18; Schlote, Zwangsvergleich, S. 20; Seuffert, Konkursprozeßrecht, S. 409; Stefan, Zwangsvergleich, S. 57; Weber, in: Jaeger, KO, § 173 Rn. 16; Wolff, KO, § 173 Anm. 2; dagegen: Fitting, Reichs-Konkursrecht, S. 425; Grabner, ZZP 48 (1920), 198, 204; Petersen/ Kleinfeller, KO, Vorbemerkungen zu §§ 173–201 Anm. 4. 267 Eickmann, in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 66 Rn. 2; Jaeger, Konkursrecht, S. 191; Mohrbutter,in: Mohrbutter, Insolvenzverwaltung, Rn. XII.4; Petersen/Kleinfeller, KO, Vorbemerkungen zu §§ 173–201 Anm. 4; Purper, Zwangsvergleich, S. 17; Richter, ZHR 76 (1915), 112, 134 und 141 f.; Schlote, Zwangsvergleich, S. 18 f.; offen gelassen: Heckel, Zwangsvergleich, S. 151 f.; Stefan, Zwangsvergleich, S. 61; Weber, in: Jaeger, KO, § 173 Rn. 13; dagegen: Ciuntu, Zwangsvergleich, S. 31, 40; Heimann, Zwangsvergleich, S. 30 f. (rein zivilrechtlicher Vertrag); differenzierend Kießling, Zwangsvergleich, S. 38, 56: die Zwangsvergleichserklärungen sind Prozesshandlungen und zugleich Willenserklärungen und haben daher eine Doppelnatur; der Zwangsvergleich als Vertrag sei hingegen nur ein materiellrechtlicher, da er – anders als der Prozessvergleich – selbst das Verfahren nicht beende und folglich keine prozessualen Wirkungen habe. 268 Eickmann, Konkurs- und Vergleichsrecht, S. 101; ders., in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 66 Rn. 2; Jaeger, Konkursrecht, S. 191; Mohrbutter,in: Mohrbutter, Insolvenzverwaltung, Rn. XII.4; Weber, in: Jaeger, KO, § 173 Rn. 15; dagegen: Heckel, Zwangsvergleich, S. 153. 269 Richter, ZHR 76 (1915), 112, 149; Schlote, Zwangsvergleich, S. 92; Weber, in: Jaeger, KO, § 173 Rn. 15. Lehnte man die prozessuale Natur des Zwangsvergleichs ab, so fiel eine Begründung für die praktisch notwendige Mängelheilung bei einem rein zivilrechtlichen Zwangsvergleich schwer – siehe nur den Versuch von Löhr, ZZP 16 (1891), 335, 408 ff., der bei Mängeln im Vertragsschluss alle Beteiligten kraft Gesetzes binden will, es sei denn, die Mängel seien grundlegend. Ihm folgt Heckel, Zwangsvergleich, S. 147 f. Überwiegend äußern sich die Vertreter der Vertragstheorie überhaupt nicht zu dieser Frage.
B. Die Vorgängerregelungen – Zwangsvergleich und Vergleich
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seien also nach den §§ 133, 157 BGB zu entscheiden; bei Leistungsstörungen sei das allgemeine Schuldrecht heranzuziehen. 270 Andere Autoren 271 sahen aufgrund der Art und Weise des Zustandekommens des Zwangsvergleichs nach prozessualen Vorschriften keinen Raum mehr für die Einordnung des Vertrages als bürgerlich-rechtlich im Sinne der §§ 145 ff. BGB und betrachteten ihn gänzlich als prozessualen Vertrag. Lediglich sein Inhalt und seine Wirkungen seien zivilistischer Natur. 272 Aus dieser rein prozessualen Natur des Zwangsvergleichs folgt nach Kohler, dass dieser Vertrag auch dann zustande kommt, wenn nur die Mehrheit der Gläubiger ihn wünscht, denn der (Konkurs-)Prozess könne für alle Beteiligten nur einheitlich entschieden werden und bei einer Uneinigkeit der Beteiligten müsse dann die Mehrheit entscheiden.273 Diese rein prozessuale Vertragstheorie näherte sich damit wieder den Ideen der Urteilstheorie an, stützte sie doch die Mehrheitsmacht wieder auf Gesichtspunkte der Streitgenossenschaft. Ihre Ergebnisse ähnelten ansonsten denen der Theorie von der Doppelnatur. Für das Zustandekommen des Prozessvertrags galten nicht die §§ 145 ff. BGB, sondern die Regelungen der Konkursordnung. Diesbezügliche (Verfahrens-)Fehler konnten nur mittels der prozessualen Rechtsbehelfe der Konkursordnung gerügt werden und waren mit der rechtskräftigen Bestätigung des Zwangsvergleichs geheilt. 274 Die Rechtsprechung kam hinsichtlich der prozessualen Wirkungen des Zwangsvergleichs zu mit der Lehre von der Doppelnatur weitgehend identischen Ergebnissen, ohne sich zu dieser Lehre zu äußern. Sie berücksichtigte die Besonderheit des Zustandekommens des Zwangsvergleichs in einem Gerichtsverfahren, indem es in den Erklärungen des Schuldners und der Gläubiger Prozesshandlungen sah, auf welche die Regelungen der §§ 173 ff. KO und der ZPO und nicht aber die des BGB anzuwenden seien.275 Einen rechtskräftig bestätigten Zwangsvergleich könne ein Gläubiger daher nicht nachträglich wegen Mängel im Zustandekommen zu Fall bringen. 276 Die Rechtskraft des Bestäti270 Eickmann, in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 66 Rn. 2; Jaeger, Konkursrecht, S. 191; Mohrbutter,in: Mohrbutter, Insolvenzverwaltung, Rn. XII.4; Stefan, Zwangsvergleich, S. 65; Weber, in: Jaeger, KO, § 173 Rn. 14. 271 Kohler, in: Konkursrecht, S. 457 und ZZP 30 (1902), 553, 555; Krusch, Das Wesen des Vergleichs, S. 124; Petimesas, Zwangsvergleich, S. 49; wohl auch Fitting, Reichs-Konkursrecht, S. 422 f. 272 Kohler, Konkursrecht, S. 458; Krusch, Das Wesen des Vergleichs, S. 80 ff.; Petimesas, Zwangsvergleich, S. 49; ohne Begründung auch Hentsch, Zwangsvergleich, S. 54. 273 Kohler, in: Konkursrecht, S. 457 f. und ZZP 30 (1902), 553, 555 f. 274 So ausführlich: Krusch, Das Wesen des Vergleichs, S. 88 ff. (über das Zustandekommen), 102 ff. und 154 ff. (über die Rechtskraftwirkung der Bestätigung bezüglich Mängeln). 275 RG LZ 1911 Sp. 555, 557; RGZ 125, 408, 410; 127, 372, 375; BGH WM 1992, 619, 621. 276 RGZ 127, 372, 375; 152, 65, 67 – anders hingegen bei Vergleichsbürgen, denen Rechtsmittel gegen die Bestätigung fehlten; diese können mittels Feststellungsklage nachträglich prüfen lassen, »ob ein wirksamer Zwangsvergleich zustandegekommen« ist, RGZ 122, 361, 363 f.; 127, 372, 375 f.
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gungsbeschlusses heilt grundsätzlich solche Mängel, die das Gericht übersehen hat. 277 Im Allgemeinen seien auf den Zwangsvergleich als Vertrag aber die Vertragsgrundsätze des BGB anzuwenden 278 , weshalb insbesondere für seine Auslegung der Vertragswille der Beteiligten nach Maßgabe der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln sei.279 3. Ein Rechtsinstitut eigener Art Es war Friedrich Oetker, ein Rostocker Rechtsgelehrter, der als erster die Wirkungen eines Zwangsvergleichs weder aus einem Vertrag noch aus der gerichtlichen Bestätigung herleitete. Nach ihm beruht die Gebundenheit der Gläubiger an den bestätigten Zwangsvergleich »unmittelbar auf Rechtssatz.«280 Die kraft Gesetzes (§ 178 KO) eintretenden Bindung setze als Tatbestand eine dreigliedrige Rechtsfigur voraus: Vorschlag des Gemeinschuldners, zustimmender Beschluss der Gläubigerversammlung, Bestätigung des Konkursgerichtes. Erst die Verbindung dieser drei gleichwertigen Rechtsakte ließe nach der gesetzlichen Anordnung des § 178 KO die Wirkungen des Zwangsvergleichs eintreten.281 Ist auch nur einer dieser Akte ungültig, so musste nach Oetker der gesamte Zwangsvergleich unwirksam sein; eine Heilung eines unwirksamen Vergleichsvorschlags oder eines unwirksamen Beschlusses der Gläubiger durch die gerichtliche Bestätigung lehnte er konsequent ab. Allerdings beende der auf die rechtskräftige Bestätigung folgende Aufhebungsbeschluss endgültig das Konkursverfahren. Stellt sich danach die Unwirksamkeit des Zwangsvergleichs heraus, so könne – das Vorhandensein eines Konkursgrundes unterstellt – ein neues Konkursverfahren eröffnet werden. 282 Diese Auffassung Oetkers bedeutet nichts anderes als die Behandlung des Zwangsvergleichs als Rechtsinstitut eigener Art, also als gesetzliche Besonderheit, die sich nicht in vorhandene Rechtsinstitute eingliedern lässt. Diese Auffassung wurde später von einigen Autoren geteilt. 283 Eine derartige Einordnung 277 278
RGZ 57, 270, 275; 127, 372, 376. RGZ 77, 403, 404; 127, 372, 375; 152, 65, 67; BGH KTS 1961, 152, 153; WM 1992, 619,
621. 279
RGZ 77, 403, 404 f.; 92, 181, 189; BGHZ 108, 123, 130; BGH WM 1992, 619, 621. Oetker, FS Windscheid, 1888, S. 44; ders., Konkursrechtliche Grundbegriffe I, S. 224. 281 Oetker, FS Windscheid, 1888, S. 44; ders., Konkursrechtliche Grundbegriffe I, S. 223. 282 Oetker, FS Windscheid, 1888, S. 60 ff.; ders., Konkursrechtliche Grundbegriffe I, S. 225; ders., ZHR 66 (1910), 193, 196. 283 Identisch: Kisch, Konkursrecht, S. 74; im Ergebnis (Rechtsinstitut sui generis) auch Grabner, ZZP 48 (1920), 198, 210; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 173 Rn. 1e; Wagner, Insolvenzrecht, S. 283; Walendy, Funktion und Legitimation des Zwangsvergleichs, S. 206; Zimmermann, Konkurs, S. 93. Während bei den letztgenannten Autoren jede Begründung für ihre Einordnung fehlt, will Grabner – anders als Oetker – den Zwangsvergleich aus vier einseitigen Willenserklärungen und der gerichtlichen Bestätigung zusammengesetzt verstehen. Der Vorschlag des Gemeinschuldners wie auch die Zustimmung der Gläubigerschaft enthielten je eine materiellrechtliche Willenserklärung und eine Prozesshandlung, welche beide aber 280
B. Die Vorgängerregelungen – Zwangsvergleich und Vergleich
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des Zwangsvergleichs vermeidet zwar jegliche konstruktive Schwierigkeit bei der Herleitung der Vergleichswirkungen. Sie bietet dadurch aber auch keinen dogmatischen Anhaltspunkt für die Frage, wie Lücken in der gesetzlichen Regelung der §§ 173 ff. KO zu schließen sind. Welche Rechtsnormen oder Grundsätze sollten Anwendung finden in den Bereichen, die die Konkursordnung nicht regelt? Insofern erscheint es eher willkürlich, das Zustandekommen des Zwangsvergleichs allein verfahrensrechtlichen Grundsätzen zu unterwerfen, den Inhalt des Zwangsvergleichs dann aber doch als zivilrechtlichen Vertrag anzusehen.284 Besonders deutlich wird die unsichere dogmatische Basis, die mit der Einordnung als Rechtsinstitut sui generis geschaffen wird, wenn darauf aufbauend die Heilung von Mängeln beim Zustandekommen des Zwangsvergleichs durch die gerichtliche Bestätigung von Oetker 285 abgelehnt wird, Kuhn und Uhlenbruck286 hingegen unter bloßem Hinweis auf dieselbe dogmatische Einordnung eine solche bejahen. Mit einer solchen Dogmatik ist nichts gewonnen. Hinter ihr verbirgt sich keine Konstruktion, die in Zweifelsfragen helfen kann; sie ist schlicht keine Konstruktion, sondern allein eine Beschreibung der gesetzlichen Regelung. 287
IV. Die Diskussion um die Rechtsnatur des konkursabwendenden Vergleichs der Vergleichsordnung Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs war die Diskussion um die Rechtsnatur des Zwangsvergleichs der Konkursordnung weitgehend zum Erliegen gekommen, ohne dass eine allgemein akzeptierte Klärung der Frage erreicht worden war. Die Schaffung des konkursabwendenden Vergleichs in der Verordnung über die Geschäftsaufsicht von 1916 und dann später in der Vergleichsordnung von 1927 sowie ihrer novellierten Fassung von 1935 führte dann dazu, dass in den dreißiger Jahren nochmals die Rechtsnatur des Vergleiches nach der Verin niemals einen Vertrag ergeben würden, da die §§ 145 ff. BGB nicht passten (Grabner, ZZP 48 (1920), 198, 202 ff.). 284 So aber Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 173 Rn. 1e. Oetker will allein auf den Vergleichsvorschlag des Gemeinschuldners über § 65 KO die ZPO anwenden (Konkursrechtliche Grundbegriffe I, S. 224), weitergehend äußert er sich nicht. Bei Kisch, Wagner und Zimmermann fehlt jede Äußerung zur Frage der lückenfüllend anzuwendenden Rechtsnormen. 285 Oetker, FS Windscheid, 1888, S. 60 ff.; ders., Konkursrechtliche Grundbegriffe I, S. 225; ders., ZHR 66 (1910), 193, 196. 286 Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 173 Rn. 1e. 287 So die berechtigte Kritik bei: Heckel, Zwangsvergleich, S. 135; Heimann, Zwangsvergleich, S. 23; Kießling, Zwangsvergleich, S. 58; Richter, ZHR 76 (1915), 112, 119; Schlote, Zwangsvergleich, S. 11; Seuffert, Konkursprozeßrecht, S. 408; Wach, Zwangsvergleich, S. 76. Sehr deutlich wird dies bei Schmidt, in: Böhle-Stamschräder/Kilger/Schmidt, Insolvenzgesetze, § 173 KO Anm. 1, nach dessen Ansicht der Zwangsvergleich eine Kombination aus privatrechtlichem Rechtsgeschäft und richterlichem Bestätigungsakt darstellt, bei dem der privatrechtliche Teil kein Vertrag, sondern ein Beschlussverfahren ist. Auch diese Erläuterung geht über eine Beschreibung der Gesetzeslage nicht hinaus.
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Kapitel 1: Betriebswirtschaftliche und rechtshistorische Sicht
gleichsordnung wie auch die des Zwangsvergleichs der Konkursordnung diskutiert wurden. Einen neuen Ansatz präsentierte dabei jedoch allein Gerhard König in seiner Dissertation aus dem Jahre 1930. Ansonsten wurden die für den Zwangsvergleich entwickelten Konstruktionen schlicht auf den konkursabwendenden Vergleich übertragen. 1. Vergleich (und Zwangsvergleich) als Normenvertrag Gerhard König begnügte sich in seiner Dissertation 288 nicht mit den hergebrachten Theorien und griff auf neue Entwicklungen des Arbeitsrechts der zwanziger Jahre zurück. Dort waren mit dem Tarifvertrag und der Betriebsvereinbarung »Vereinbarungen« entstanden, welche Verhältnisse innerhalb einer sozialen Gruppe verbindlich regeln sollten und daher unabhängig vom Willen des Einzelnen für und gegen alle Personen der Gruppe wirken mussten. Als eine derartige »Gesamtvereinbarung« war nach König auch der Zwangsvergleich des Konkurses und der konkursabwendende Vergleich der VglO anzusehen. 289 Leider war die rechtliche Natur derartiger Gesamtvereinbarungen im Arbeitsrecht umstritten, so dass allein diese Parallele nicht weiterführte. König entschied sich dafür, diese Vereinbarungen nicht als privatrechtliche Verträge einzuordnen, sondern sie wegen der ausgeübten Verbandsgewalt und der »gewissen Allgemeinheit der Regelung« als »gruppenrechtliche Regelungen« aufzufassen, »für die vielleicht der Ausdruck ›sozialrechtlich‹ am besten passt«.290 Diese objektive, durch Gesamtvereinbarung zustande gekommene, sozialrechtliche Regelung bedürfe dann aber wie die vergleichbaren arbeitsrechtlichen Regelungen noch einer »Inkraftsetzung durch einen formellen Akt. Diesen formellen Akt der Inkraftsetzung nimmt der Richter durch die Bestätigung des Zwangsvergleiches vor.«291 Die Wirkungen dieses Staatsaktes blieben dann solange bestehen, bis selbiger durch einen neuerlichen förmlichen Akt wieder aufgehoben wird. Ein solcher Akt sei etwa die Verurteilung des Schuldners wegen betrügerischen Bankrottes (§ 197 KO, § 88 VglO). Eine Anfechtung durch einen einzelnen Gläubiger vermag es nach König hingegen nicht, den Zwangsvergleich als Ganzes aufzuheben (§ 196 KO, § 89 VglO). 292 Vergleich und Zwangsvergleich gehörten nach König danach einer Zwischenstufe zwischen öffentlichem und privatem Recht, dem Sozialrecht, an.293 Neu an der Ansicht Königs war der Gedanke, den Zwangsvergleich selbst als Norm aufzufassen. Seine Parallele zum Tarifvertrag und zu normativ wirkenden Betriebsvereinbarungen geht jedoch in zweierlei Hinsicht fehl. Zunächst ist 288 289 290 291 292 293
König, Zwangsvergleich, S. 67 ff. König, Zwangsvergleich, S. 69. König, Zwangsvergleich, S. 70. König, Zwangsvergleich, S. 71. König, Zwangsvergleich, S. 72 f. König, Zwangsvergleich, S. 74.
B. Die Vorgängerregelungen – Zwangsvergleich und Vergleich
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der Zwangsvergleich wie auch der konkursabwendende Vergleich nicht wesensgleich mit den kollektivarbeitsrechtlichen Rechtsinstituten des Tarifvertrags und der Betriebsvereinbarung. Nur die letzteren sind Normenverträge. Diese sind dadurch charakterisiert, dass in ihnen Normen vereinbart werden, die für andere, bereits bestehende oder noch abzuschließende Verträge maßgeblich sein sollen. 294 Ein Normenvertrag bestimmt also den Inhalt eines anderen Vertrages, genauer: einer unbestimmten Vielzahl anderer Verträge. Besonders anschaulich wird dies bei einem Tarifvertrag, der den Inhalt der Arbeitsverträge aller Tarifgebundenen normiert. Zwangsvergleich und Vergleich haben einen solchen Inhalt nicht. Sie enthalten unmittelbar die Rechte und Pflichten für die an ihnen beteiligten Personen, ohne dass es dazu auch nur eines weiteren Vertragsschlusses bedarf. Hieraus folgt zugleich auch, dass weder der Zwangsvergleich noch der konkursabwendende Vergleich Rechtsnormen setzten. Beide enthalten – anders als etwa ein Tarifvertrag – keine zwingenden Regelungen für eine unbestimmte Vielzahl von Rechtsverhältnissen. 295 Zudem hat sich die auch von König vertretene Auffassung, die im Wege der Gesamtvereinbarung geschlossenen Normenverträge seien weder dem privatem noch dem öffentlichen, sondern allein dem Sozialrecht zuzuordnen, im Arbeitsrecht nicht durchsetzen können. Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen werden – inzwischen wohl unstreitig – als privatrechtliche Normenverträge angesehen, also dem Privatrecht zugeordnet. 296 Ein eigenständiges Sozialrecht im Sinne Königs hat sich in der Dogmatik nicht etablieren können. Die Tendenz scheint im Gegenteil und wohl zu Recht eher dahin zu gehen, die privatrechtlichen Wurzeln des kollektiven Arbeitsrechts und insbesondere auch der Tarifautonomie neu zu entdecken.297
294
Grundlegend Hueck, JherJb 73 (1923), 33, 36 f. Dieser Gedanke an das Vorliegen einer Rechtsnorm wurde für den Insolvenzplan zuletzt von Happe, Die Rechtsnatur des Insolvenzplans, 2004, aufgegriffen und soll daher erst im 2. Kapitel ausführlich widerlegt werden. Hier nur soviel: Zwangsvergleich, konkursabwendender Vergleich und Insolvenzplan wirken weder für eine unbestimmte Vielzahl von Rechtsverhältnissen noch erfassen sie am Vertragsschluss unbeteiligte Dritte oder enthalten zwingende Regelungen für solche Rechtsgeschäfte. Sie erfüllen kein Merkmal einer abstrakt generellen Regelung, also eines Gesetzes im materiellen Sinn. 296 Vgl. Nipperdey, in: Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/1, S. 339 m. w. N. und S. 348 sowie Gaul, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, § 77 BetrVG Rn. 1 m. w. N. Eine Zuordnung zum öffentlichen Recht vertritt wohl niemand mehr. Soweit von einer Doppelnatur des Tarifvertrags die Rede ist, bezeichnet man damit die Aufteilung des Tarifvertrags in einen obligatorischen, also schuldrechtlichen und in einen normativen Teil (Normenvertrag) – vgl. Schaub, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 198 Rn. 16; die Zuordnung zum Vertragsrecht wird dabei nicht in Frage gestellt – vgl. Löwisch/Rieble, in: Richardi/Wlotzke, MünchHdb ArbR III, § 253 Rn. 19. 297 So zuletzt Rieble, ZfA 2000, 5 ff. 295
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Kapitel 1: Betriebswirtschaftliche und rechtshistorische Sicht
2. Vergleich (und Zwangsvergleich) als Vertrag Der Gesetzgeber ging bei der Normierung des konkursabwendenden Vergleiches in der VglO wie schon fünfzig Jahre zuvor beim Zwangsvergleich von der Vertragsnatur des Rechtsinstituts aus und ordnete ihn § 779 BGB unter. 298 Dementsprechend wurde auch der Wortlaut der Normen gestaltet, nach denen »zum Abschluß eines Vergleichs« die Zustimmung der Gläubiger zum »Vergleichsvorschlag« des Schuldners notwendig ist und der »angenommene Vergleich« der Bestätigung des Gerichts bedarf. Der Wortlaut der Normen ist insofern nahezu identisch mit den entsprechenden der Konkursordnung. Eine detaillierte Stellungnahme des Gesetzgebers zum zweifelsohne bekannten Theorienstreit erfolgte leider nicht. Damit drängte sich eine Übertragung der vom Zwangsvergleich her bekannten Konstruktionen auf den konkursabwendenden Vergleich geradezu auf. Eine unterschiedliche Behandlung von Vergleich und Zwangsvergleich wurde – zu Recht – von niemandem erwogen. Sowohl die Voraussetzungen für das Zustandekommen wie auch der Zweck, der Inhalt und die Wirkungen beider Rechtsinstitute waren schlicht identisch und bedurften daher einer einheitlichen Erklärung.299 Die Rechtsprechung300 und der weit überwiegende Teil der Literatur301 folgten weiterhin der Vertragstheorie. Der konkursabwendende Vergleich war danach ein vom Gericht bestätigter Vertrag des Schuldners mit seinen Gläubigern. In ihren Einzelheiten blieb die Vertragskonstruktion weiterhin strittig. Einige Autoren nahmen einen Vertragsschluss des Schuldners nur mit den zustimmenden Gläubigern an, dessen Wirkung auf die ablehnenden und abwesenden Gläubiger durch Gesetz erstreckt werde.302 Andere vertraten die Auffassung, die Gläubigerschaft trete als organisiertes Gebilde auf und schließe als solche nach interner Abstimmung den Vertrag mit dem Schuldner. Die Gläubigerschaft wurde dabei wie beim Zwangsvergleich einmal als Rechtsgemeinschaft im Sinne der 298 Vgl. Begründung zu § 11 der Reichstagsvorlage, in: Verhandlungen des Deutschen Reichstags, III. Wahlperiode, 1924/26, Drucksache Nr. 2340, S. 19. 299 Dies war unstreitig – vgl. Krusch, Das Wesen des Vergleichs, S. 71. 300 RGZ 119, 391, 395; 122, 361, 363; 125, 408, 410; 127, 372, 375 (für Vergleiche aus Geschäftsaufsichtsverfahren); RG KuT 1933, 118, 119; RGZ 152, 65, 67; BGH KTS 1961, 152, 153. 301 Berges, KTS 1955, 49, 52 und KTS 1970, 249, 253; Bley/Mohrbutter, VglO, § 8 Rn. 1 ff.; Cahn, VglO 1927, § 61 Anm. A und § 67 Anm. D a); Eickmann, Konkurs- und Vergleichsrecht, S. 140; Hentsch, Zwangsvergleich, S. 33 f., 54; Kiesow, VglO 1927, Vor § 5 Rn. 2; Krieg, VglO, § 82 Anm. 2; Krusch, Das Wesen des Vergleichs, S. 74 ff.; Nölte, in: Vogels/Nölte, VglO, § 3 Anm. II 2; Süß, ZHR 91 (1928), 446, 456 f.; Warneyer, VglO, § 82 Anm. I. 302 Bley/Mohrbutter, VglO, § 8 Rn. 2 (trotz Annahme einer Interessengemeinschaft); Süß, ZHR 91 (1928), 446, 456; Warneyer, VglO, § 82 Anm. II. Krusch, Das Wesen des Vergleichs, S. 101 und 144, hält die Zustimmenden auf vertraglicher Grundlage, die sonstigen Gläubiger kraft Rechtssatzes für gebunden.
B. Die Vorgängerregelungen – Zwangsvergleich und Vergleich
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§§ 741 ff. BGB angesehen,303 von anderen hingegen als organisierte Interessengemeinschaft aufgefasst.304 Der auf die eine oder andere Weise entstandene Vertrag wurde dann als zivilrechtlicher eingeordnet und § 779 BGB unterstellt.305 Nur wenige sahen in ihm wegen seiner verfahrensrechtlichen Besonderheiten einen prozessualen Vertrag oder zumindest einen Vertrag mit Doppelnatur und erklärten damit die Heilungswirkung der rechtskräftigen Bestätigung bei Mängeln.306 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass nahezu alle Facetten der für den Zwangsvergleich entwickelten Vertragstheorie auch auf den konkursabwendenden Vergleich übertragen wurden. Interessanterweise geschah gleiches mit der Urteilstheorie nicht. Soweit ersichtlich vertrat niemand die von Schultze begründete Lehre im Hinblick auf den Vergleich.307 Selbst die Autoren, die jede Vertragstheorie ablehnten, sahen in den Vergleichswirkungen keine Urteilswirkungen, sondern die Folgen eines Rechtsinstituts eigener Art.308
V. Die richterliche Vertragshilfe Einen klaren Schritt weg von der vertraglichen und hin zur richterlichen Legitimation des Vergleiches vollzog erst der nationalsozialistische Gesetzgeber. Im Gesetz über die Bereinigung alter Schulden vom 17. August 1938309 wurde dem Richter in § 5 Abs. 3 Satz 1 die Befugnis gegeben, die Rechtsbeziehungen der Beteiligten selbst frei zu gestalten. Ziel dieses Gesetzes war die Entschuldung von Personen, die durch die Weltwirtschaftskrise oder ihren Einsatz »für die nationalsozialistische Bewegung« vor dem 1. Januar 1934 »wirtschaftlich zusammengebrochen« sind (§ 1 des Gesetzes). Gelang diesen Personen nun keine gütliche Regelung einer Schuldenbereinigung mit ihren Gläubigern, so wurde 303
Berges, KTS 1970, 249, 253 ff. Cahn, VglO 1927, § 67 Anm. D a); Kiesow, VglO 1927, Vor § 5 Rn. 3; Nölte, in: Vogels/ Nölte, VglO, § 3 Anm. II 2; Zwangsgemeinschaft: Lucas, VglO 1927, § 67 Anm. I. 305 Bley/Mohrbutter, VglO, § 8 Rn. 5; Eickmann, Konkurs- und Vergleichsrecht, S. 140; Kiesow, VglO 1927, Vor § 5 Rn. 2; Krieg, VglO, § 82 Anm. 2; Krusch, Das Wesen des Vergleichs, S. 80; Nölte, in: Vogels/Nölte, VglO, § 3 Anm. II 2; Warneyer, VglO, § 82 Anm. I. 306 Krusch, Das Wesen des Vergleichs, S. 88 ff.; auch Hentsch, Zwangsvergleich, S. 33 f., 54 (»prozessualer Vertrag«); dagegen Bley/Mohrbutter, VglO, § 8 Rn. 6–8 (zwar Prozesshandlungen, aber keine Prozessgeschäft; Heilung beruhe auf Ausschluss des Klageweges für Mängel durch Gesetz). Lucas, VglO 1927, § 67 Anm. I, will die Heilungswirkung nicht aus der prozessualen Natur des Vertrages, sondern aus der Wirkung der gerichtlichen Bestätigung herleiten, die insofern konstitutiver Staatsakt sei; ähnlich Krieg, VglO, § 82 Anm. 2, nach dem der Bestätigungsbeschluss alle Mängel heilt. 307 Dies bemerken auch Berges, KTS 1955, 49, 52 und KTS 1970, 249, 253 sowie König, Zwangsvergleich, S. 61. 308 Schmidt, in: Böhle-Stamschräder/Kilger/Schmidt, Insolvenzgesetze, § 1 VglO Anm. 2: ein privates Rechtsgeschäft, jedoch kein Vertrag, das mangels allseitigem Konsens durch gerichtliche Bestätigung legitimiert wird. 309 RGBl. I 1938, 1033. Eine Darstellung des Regelungswerkes aus heutiger Sicht leistet Anlauf, DZWIR 2007, 146. 304
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Kapitel 1: Betriebswirtschaftliche und rechtshistorische Sicht
ihnen erlaubt, »richterliche Vertragshilfe« zu beantragen (§ 5 Abs. 1). Scheiterte dann auch die Vermittlung einer gütlichen Schuldenbereinigung durch den Richter, so war eben dieser Richter befugt, ein zweckentsprechendes Ergebnis selbst zu gestalten und den Beteiligten verbindlich aufzugeben. Dabei durfte der Richter nach § 5 Abs. 3 Satz 2 insbesondere den Zins regeln, Stundungen gewähren und Teilzahlungen anordnen. Alle Forderungen, die der Schuldner dann innerhalb von 10 Jahren nicht erfüllen würde, waren zu erlassen. Diese ausdrücklich »rechtsgestaltende Entscheidung« des Richters wirkte mit Eintritt der Rechtskraft (§ 8 Abs. 4). Bereits am 3. September 1940 310 wurde eine Neufassung des Gesetzes erlassen, welche einem weiteren Spektrum an Schuldnern die Entschuldungsmöglichkeit eröffnete, indem es in § 3 nun nicht nur Unternehmer, sondern auch Angehörige eines unselbstständigen Berufes in seinen Anwendungsbereich aufnahm. Die Rechtsmacht des Richters, nach einer gescheiterten gütlichen Einigung die Schuldenbereinigung selbst zu gestalten, blieb unverändert (nun in § 7 und § 15). Insgesamt basierte das erste moderne deutsche Restschuldbefreiungsverfahren 311 damit auf dem Gedanken einer richterlichen Schuldenregelung als ultima ratio und wurde sachlich vom Konkursrecht getrennt. Doch auch im Bereich des Konkursrechts wurde der nationalsozialistische Verordnungsgeber aktiv. In der Verordnung über das Kriegsausgleichsverfahren (KAVO) vom 30. November 1939312 wurde für Schuldner, welche durch die Auswirkungen des Krieges zahlungsunfähig oder überschuldet wurden, ein Kriegsausgleichsverfahren geschaffen, das wie das Vergleichsverfahren dem Konkurs vorgelagert war und die Stundung oder den Teilerlass von Forderungen zum Ziel hatte. Zwar unterlag auch dieses Verfahren weitgehend den Normen der Vergleichsordnung (§ 2 Abs. 1 KAVO); dessen Regelungen wurden jedoch in einigen, teilweise wesentlichen Punkten verändert. Inhaltlich musste der Ausgleichsvorschlag des Schuldners nach wie vor die Mindestsätze eines Vergleichs anbieten (§ 3 Abs. 3 KAVO i. V. m. § 7 Abs. 1, 3, 4 VglO); die Höchstfristen einer Stundung aus § 7 Abs. 2 VglO entfielen gemäß § 3 Abs. 1 KAVO jedoch. Die zwingenden Ablehnungsgründe der §§ 17 und 18 VglO wurden nun nach § 4 KAVO in das Ermessen des Richters gestellt. Am bedeutendsten war jedoch die Regelung in § 6 Abs. 1 KAVO. Danach konnte der Richter bei einem Ausgleichsvorschlag, der keinen Forderungserlass, sondern allein eine Stundung vorsieht und dennoch die notwendige Gläubigermehrheit nicht erreicht, 310
RGBl. I 1940, 1209. Auch auf dessen Regelungen geht Anlauf, DZWIR 2007, 146, ein. Etwas ungenau: Anlauf, DZWIR 2007, 146, 149: »Es wurde erstmalig ein Alternativmodell zur unbeschränkten Schuldenhaftung gemäß § 164 KO geschaffen«. Diese Aussage übersieht in ihrer Allgemeinheit die entschuldenden Wirkungen des Zwangsvergleichs sowie des Vergleichs nach der VglO. 312 RGBl. I 1939, 2338. Eine Kommentierung findet sich bei Vogels, Vertragshilfe und Kriegsausgleichsverfahren, Berlin 1940. 311
B. Die Vorgängerregelungen – Zwangsvergleich und Vergleich
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durch Beschluss bestimmen, dass dieser Ausgleich verbindlich wird, »wenn dies nach den Umständen des Falls der Billigkeit entspricht.« Der Richter konnte dabei gemäß § 6 Abs. 2 KAVO hinsichtlich der Stundungsdauer und aller Nebenabreden sogar vom Vergleichsvorschlag des Schuldners abweichen, »soweit dies notwendig ist, um eine gerechte Regelung für alle Beteiligten herbeizuführen.« Nach § 6 Abs. 4 KAVO hatte dieser durch richterlichen Beschluss für verbindlich erklärte Ausgleich »dieselbe Wirkung wie ein Ausgleich, der angenommen und bestätigt ist.« Ein nach diesen Vorschriften durch richterlichen Beschluss zustande kommender Akkord zur Abwendung des Konkurses beruhte nun eindeutig nicht mehr auf einem entsprechenden Willen der Beteiligten. Legitimationsgrundlage dieses Akkordes ist allein die gerichtliche Entscheidung. Der Richter kann hier sowohl über den Inhalt als auch die Annahme des Ausgleiches nach eigenem Ermessen bestimmen.313 Sein Wille ersetzt damit den Vertragswillen der Beteiligten.314 Für die Vertragstheorie bleibt da kein Raum mehr. Die Schaffung einer solch weitreichenden Gestaltungsmacht zugunsten des Richters wurde getragen von der im Nationalsozialismus herrschenden Auffassung, dass die Privatautonomie des Einzelnen dort eine Grenze finden müsse, wo sie mit den Zielen einer übergeordneten Gemeinschaft kollidiere. Die völkische Gesamtordnung, nicht der Wille der Parteien, sei die höchste Norm. Vertragsverhältnisse, die mit dieser Ordnung in Widerspruch stünden, müssten daher notfalls auch gegen den Willen der Parteien umgestaltet werden. 315 Die Legitimationsgrundlage des privatautonom geschlossenen Vertrages wurde also unter dem Eindruck der herrschenden politischen Verhältnisse bewusst verlassen. Diese Feststellung ist deshalb wichtig, weil die so geschaffenen staatlichen Befugnisse zur Schaffung bzw. Veränderung privater Rechtsverhältnisse unter dem insofern oft irreführenden Stichwort der »Vertragshilfe« geregelt wurden.316 Das Ergebnis derartigen staatlichen Gestaltens ist jedoch keinesfalls stets ein Vertrag. Die Bindung der Beteiligten mag weiterhin auf dem zivilrechtlichen Vertrag beruhen, solange durch den staatlichen Eingriff lediglich ein vorhandener Vertrag verändert oder aber ein Kontrahierungszwang durchgesetzt wird.317 Schafft der Staat hingegen aus eigenem Ermessen sowohl den Inhalt des Rechts313
So ausdrücklich Vogels, Vertragshilfe und Kriegsausgleichsverfahren, § 6 KAV Rn. 4. Bosch, Konkurs – Vergleich – Vertragshilfe, S. XXXII. 315 Vgl. etwa Geiger, Richterliche Gestaltung privater Rechtsverhältnisse, S. 87 f.; Schlegelberger, FS Bumke, 1939, 1, 15. 316 Vgl. etwa Artikel 6 der Verordnung zur Regelung der Aufwertungsfälligkeiten vom 21. Dezember 1936 (RGBl. I 1936, 1121). Ein Überblick über die kaum überschaubare Vielfalt von (Not-)Verordnungen, die zwischen den Weltkriegen erlassen wurden und die Befugnisse zur Gestaltung privater Rechtsbeziehungen auf staatliche Stellen wie Behörden oder Gerichte übertrugen, findet sich etwa bei Geiger, Richterliche Gestaltung privater Rechtsverhältnisse, S. 32 ff. oder bei Schlegelberger, FS Bumke, 1939, 1, 7 ff. 317 Näher dazu im Dritten Kapitel unter E. V. 314
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Kapitel 1: Betriebswirtschaftliche und rechtshistorische Sicht
geschäfts als auch die Bindung der Beteiligten, wie dies bei der Schuldenbereinigung oder beim Ausgleich nach der KAVO als ultima ratio möglich war, so bleibt kein Anknüpfungspunkt mehr für die Annahme eines Vertrags als Gestaltungsweg oder Gestaltungsprodukt. Allein der richterliche Beschluss gestaltet dann die Rechtslage zwischen den Beteiligten; allein er ist die Grundlage des Ausgleichs. Hier bleibt allein die Urteilstheorie als Erklärung.318 Nicht ganz so einschneidend gestaltete sich die Vertragshilfe des Richters auf Grundlage der Vertragshilfeverordnung (VHV), die ebenfalls am 30. November 1939 erlassen wurde.319 Danach konnte ein Gewerbetreibender, der infolge der Auswirkungen des Krieges genötigt war, seinen Betrieb stillzulegen, umzustellen oder erheblich einzuschränken und hierdurch in seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt wird, die »Vertragshilfe des Richters« in Anspruch nehmen, um eine planmäßige Abwicklung seiner Verpflichtungen herbeizuführen. Ziel des Verfahrens war allein die Änderung bestehender Rechtsverhältnisse, nicht aber die Schaffung einer Akkordvereinbarung.320 Die dennoch denkbare Konkurrenz dieses Vertragshilfeverfahrens als Schuldenbereinigungsverfahren zu den Vergleichs-, Ausgleichs- und Konkursverfahren wurde dadurch verhindert, dass ein Vertragshilfeverfahren solchen Schuldnern verwehrt wurde, die bereits insolvent, also zahlungsunfähig oder überschuldet waren (§ 1 Abs. 3 VHV). Das Verfahren bezweckte damit nur im weiteren Sinne eine Insolvenzverhütung und keinesfalls eine »richterliche« Sanierung.321 Zudem konnte sich der Antrag des Schuldners auf Vertragshilfe auch nur gegen einen oder einige seiner Gläubiger richten 322 und war damit eher als spezialgesetzliche Ausformung des Instituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im Hinblick auf den Kriegsausbruch zu begreifen.323 Die richterliche Vertragshilfe war dabei wie bei § 6 KAVO ultima ratio. Der Richter griff nur in den Fällen im Wege der Vertragshilfe in die bestehenden Rechtsbeziehungen der Beteiligten ein, in denen eine Einigung des Schuldners mit seinem Gläubiger bzw. seinen Gläubigern weder außergerichtlich (§ 11 VHV) noch in einer obligatorischen Güteverhandlung vor dem Richter (§ 14 VHV) zustande kam. Und selbst in diesem Fall stand dem Richter – anders als nach § 6 KAVO – kein freies Ermessen hinsichtlich einer angemessenen Regelung zu. Vielmehr war er in318
Dazu näher im Vierten Kapitel B. RGBl. I 1939, 2329. Eine Kommentierung findet sich bei Vogels, Vertragshilfe und Kriegsausgleichsverfahren, Berlin 1940. 320 Hierauf weist Joussen, Schlichtung, S. 142, zu Recht hin. 321 Volkmar, DJ 1939, 1813 f. 322 Vogels, Vertragshilfe und Kriegsausgleichsverfahren, § 16 VHV Rn. 7; Volkmar, DJ 1939, 1856. 323 Gerade das Verhältnis zwischen dem Anrufen der Vertragshilfe (§ 24 Abs. 2 VHV) und dem Berufen auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage durch den Schuldner im Zivilprozess war daher auch das kontrovers diskutierte Problem – vgl. Geyer, SJZ 1948, 291 ff.; Weber, SJZ 1948, 287 ff. 319
B. Die Vorgängerregelungen – Zwangsvergleich und Vergleich
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haltlich an den Antrag des Schuldners gebunden.324 Allerdings trat die gerichtliche Entscheidung vollständig an die Stelle einer entsprechenden Parteivereinbarung (§ 16 Abs. 2 VHV). Die Änderung der Verträge zwischen dem Schuldner und seinem Gläubiger oder seinen Gläubigern entsprechend des Schuldnerantrags beruhte nicht auf einer entsprechenden vertragsändernden Vereinbarung, sondern allein auf der gerichtlichen Entscheidung. Die Bindung an den Inhalt des auf diese Weise geänderten Vertrages kann nicht mehr aus privatautonomen Gesichtspunkten im Sinne der Vertragstheorie erklärt werden. Auch hier ist damit die Urteilstheorie, welche die Bindung der Beteiligten zutreffend erfasst. Eine Diskussion dieser Frage fand für beide Vertragshilfeverfahren allerdings – soweit ersichtlich – nicht statt. 325 Der Gedanke der richterlichen Vertragshilfe überlebte zunächst auch in der Nachkriegszeit. Der (zunächst fortgeltenden) Vertragshilfeverordnung von 1939 wurden die bremische Verordnung über eine erweiterte Vertragshilfe der Gerichte vom 13. Juli 1945 sowie das (zunächst zoneneinheitliche) 326 Vertragshilfegesetz der süddeutschen Länder der amerikanischen Besatzungszone von 1946 zur Seite gestellt. Entwürfe zu solchen Gesetzen gab es auch in der britischen und französischen Zone.327 In diesen neuen Regelungen wurde das Vertragshilfeverfahren auf sämtliche Verbindlichkeiten ausgedehnt und auch denjenigen Schuldnern zugänglich gemacht, die bereits zahlungsunfähig oder überschuldet waren. Diese »Gesamtvertragshilfe« wurde damit zu einem »vierten Insolvenzverfahren« neben den Konkurs-, Vergleichs- und Kriegsausgleichsverfahren.328 Mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes stellte sich dann für den bundesdeutschen Gesetzgeber die Frage, ob er die nicht bzw. kaum demokratisch legitimierten Regelungen der Kriegs- und Nachkriegszeit aufheben oder ausbauen sollte. Die Empfehlungen hierzu waren durchaus gegensätzlich.329 Er entschied sich dann im Ganzen gegen die Vertragshilfe und hob mit dem Vertragshilfege-
324 Vogels, Vertragshilfe und Kriegsausgleichsverfahren, § 16 VHV Rn. 3; Volkmar, DJ 1939, 1856, 1857. 325 Vogels, DR 1939, 2090, 2095, stellte lediglich fest, dass der Richter mangels Einigung der Beteiligten durch »rechtsgestaltenden Beschluss« entscheidet. Eine weitere Diskussion über die Einordnung des so entstandenen Akkordes als Vertrag oder Urteil im Sinne des bekannten Theorienstreits erfolgt nicht. 326 Später ergingen entsprechende Landesgesetze in Bayern (vom 25. April 1946), Hessen (vom 24. August 1946) sowie Baden-Württemberg (vom 2. Mai 1946). 327 Zum ganzen etwa Kaulbach, DRZ 1948, 349. 328 So treffend: Bosch, Konkurs – Vergleich – Vertragshilfe, S. XXXV. 329 Während Bosch, Konkurs – Vergleich – Vertragshilfe, S. XXXII f., die richterlichen Gestaltungsbefugnisse der Vertragshilfe als Charakteristikum eines totalitären Staates ablehnte, empfahl etwa Kaulbach, DRZ 1948, 349, 352, einen Ausbau der Vertragshilfe bis hin zur richterlichen Befugnis, auch Forderungskürzungen zugunsten eines erhaltungswürdigen Schuldners beschließen zu können.
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Kapitel 1: Betriebswirtschaftliche und rechtshistorische Sicht
setz vom 26. März 1952330 sämtliche Vertragshilferegelungen der Kriegs- und Nachkriegszeit auf. Gleichzeitig gewährte er in § 1 des Vertragshilfegesetzes den Rechtsbehelf der Vertragshilfe nur noch bei solchen Verbindlichkeiten, die vor der Währungsreform begründet wurden. Das Institut der Vertragshilfe verschwand auf diesem Weg aus dem deutschen Insolvenzrecht. Dieses kehrte zu seiner Zweispurigkeit in der Konkurs- und Vergleichsordnung zurück. Die formale Aufhebung des Vertragshilfegesetzes erfolgte erst durch Art. 9 Nr. 1 des Gesetzes über Fernabsatzverträge vom 27. Juni 2000.331 Was blieb war der Gedanke der Vertragshilfe als Rechtskategorie und der Versuch, den Zwangsvergleich der Konkursordnung als Ergebnis eines »Vertragshilfeverfahrens« darzustellen. So hat Bötticher im Jahr 1973 dafür plädiert, das Zwangsvergleichsverfahren als eine Art der Vertragshilfeverfahren anzusehen.332 Der zwischen den Gläubigern abgeschlossene Vergleichsvertrag bestimmt nach ihm zwar den Inhalt des Zwangsvergleichs; dessen Wirkungen (gegenüber allen, nicht nur gegenüber den nicht beteiligten oder den ablehnenden Gläubigern) treten jedoch erst aufgrund der rechtskräftigen Bestätigung ein. Nicht der Inhalt, wohl aber die Bindungswirkung des Zwangsvergleichs beruhe daher auf dem Bestätigungsakt, der folglich rechtsgestaltende Kraft haben müsse. Hierin liege auch der Grund für die Mangelheilung. Das Zwangsvergleichsverfahren habe daher »Vertragshilfecharakter«333 ; es gehöre »in instrumentaler Sicht« zu den Vertragshilfeverfahren.334 Der Zwangsvergleich wäre danach (wie ein Vertrag nach der VHV) im Ergebnis zwar ein Vertrag, dessen Inhalt privatautonom bestimmt wurde. Dieser käme jedoch nicht durch eine Willenseinigung, sondern durch richterlichen Gestaltungsakt zustande. Bötticher rückt damit bewusst von der Vertragstheorie ab und wendet sich der Urteilstheorie zu. An der Dominanz der Vertragstheorie änderte er nichts. Die bewusste Ablehnung der Vertragshilfe als Mittel zur Insolvenzbewältigung oder -verhütung durch den bundesdeutschen Gesetzgeber der Nachkriegszeit machte vielmehr deutlich, dass dieser solch weitgehende richterliche Gestaltungsbefugnisse im Hinblick auf den Inhalt wie auch das Zustandekommen eines insolvenzrechtlichen Akkordes ablehnte und stattdessen die Privatautonomie wieder stärker betonen wollte. Schon dieser historische Gesichtspunkt spricht dafür, nicht den Richterspruch, sondern die Einigung der Beteiligten, also einen Vertrag, als Legitimation der Bindungswirkung von Vergleich und Zwangsvergleich anzusehen.335 330
BGBl. I 1952, 198. BGBl. I 2000, 897, 908. 332 Bötticher, ZZP 86 (1973), 373, 387 ff. 333 Bötticher, ZZP 86 (1973), 373, 389. 334 Bötticher, ZZP 86 (1973), 373, 388. 335 Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Urteilstheorie sowie der Ansicht Böttichers folgt im Vierten Kapitel unter B. 331
C. Die Reform des Insolvenzrechts
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C. Die Reform des Insolvenzrechts Der Zwangsvergleich der Konkursordnung wie auch der Vergleich nach der Vergleichsordnung wurden ganz überwiegend als Vertrag angesehen. Die Entwicklung blieb bei ihnen jedoch nicht stehen. Vielmehr begann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine intensive Debatte um eine grundlegende Reform des Insolvenzrechts, die zu der am 5. Oktober 1994 verabschiedeten und mit dem 1. Januar 1999 in Kraft getretenen Insolvenzordnung führte. Kernstück dieser Reform war die Ablösung der Institute des Vergleichs und Zwangsvergleichs durch den Insolvenzplan. Ob sich der Gesetzgeber damit zugleich auch vom Vertragscharakter abgewendet hatte, soll im Folgenden untersucht werden. Dazu wird zunächst untersucht, wo die Gründe für die Reformbedürftigkeit von Vergleich und Zwangsvergleich, aber auch der Konkurs- und Vergleichsordnung im Allgemeinen lagen. Findet man diese (auch) in der Vertragsnatur der Akkorde, so dürfte der neue Insolvenzplan wohl kaum als Vertrag angesehen werden können. Danach muss aber auch das ausländische Rechtsinstitut in die Betrachtung einbezogen werden, das als Vorbild des Insolvenzplans diente – der Reorganisationsplan des Chapter 11 des U. S. Bankruptcy Code. Gibt man diesem Reorganisationsplan einen Vertragscharakter, so liegt es nahe, auch dem nahezu identisch zustande kommenden Insolvenzplan eine solche Rechtsnatur jedenfalls nicht von vornherein abzusprechen.
I. Die Krise des Insolvenzrechts in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Die 1877 geschaffene Konkursordnung normierte gerade im Hinblick auf den Zwangsvergleich ein Insolvenzrecht, das auf in der Praxis gut funktionierenden Vorbildern aufbaute. So wurden in Frankreich zwischen 1817 und 1826 unter Geltung des Code de Commerce 59 Prozent der Konkursverfahren durch Konkordat beendet. Die sich am französischen Vorbild orientierende Preußische Konkursordnung von 1855 erreichte ähnliche Statistiken. Beispielsweise wurden beim Stadtgericht in Berlin in den Jahren 1855 bis 1873 von den insgesamt 2.427 Konkursen 968, also ca. 40 Prozent, durch Akkord erledigt; beim Stadtgericht in Breslau waren es im gleichen Zeitraum ca. 30 Prozent. 336 Die praktische Bedeutung des Akkords war enorm. Die Konkursordnung von 1877 übernahm daher für ihren Zwangsvergleich im Wesentlichen die Regelungen des französischen und preußischen Rechts. Folgerichtig erreichten der Zwangsvergleich wie auch das generelle Konkursverfahren zur Jahrhundertwende immer noch beachtliche Fallzahlen. So wurden in den Jahren zwischen 1895 und 336 Diese Daten lagen den Beratungen der Konkursordnung von 1877 zugrunde – Hahn, Materialien, IV, S. 348 (Fn. 1).
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Kapitel 1: Betriebswirtschaftliche und rechtshistorische Sicht
1904 durchschnittlich immer noch ca. 24 Prozent aller Konkurse durch Zwangsvergleich und ca. 67 Prozent durch eine Schlussverteilung beendet.337 Die dabei erreichten Konkursdividenden lagen im Schnitt bei ca. 26 Prozent im Falle eines Zwangsvergleichs und bei ca. 20 Prozent im Falle einer Schlussverteilung. 338 Nur bei ca. 9 Prozent aller Konkurs fand mangels Masse kein Verfahren statt. Das Konkursrecht funktionierte also. Nicht umsonst galt die Konkursordnung in dieser Zeit als das gelungenste der vier Reichsjustizgesetze.339 In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts änderte sich kaum etwas Grundsätzliches an diesem Bild, wenn auch der Anteil der mangels hinreichender Masse abgelehnten Konkursverfahren langsam stieg. Zwischen 1909 und 1913 wurden im Durchschnitt bereits 22,5 Prozent der Konkursanträge mangels Masse abgelehnt. Von den durchgeführten Verfahren endeten 22,3 Prozent durch Zwangsvergleich.340 Die Schaffung eines konkursabwendenden Zwangsvergleichs in der Verordnung über die Geschäftsaufsicht im Jahr 1914 und später in der Vergleichsordnung von 1927 erhöhte nochmals den Anteil der Akkorde im Konkurs. So wurden im Kriegsjahr 1915 6.492 Konkursanträge gestellt, gleichzeitig aber auch 3.865 Geschäftsaufsichten angeordnet. Dadurch relativiert sich auch der Fakt, dass 30 Prozent der Konkursanträge mangels Masse abgelehnt wurden.341 Für viele massereiche Insolvenzen wurde nun nicht mehr ein Konkursantrag, sondern ein Antrag auf Geschäftsaufsicht gestellt. Hinzu kommt, dass von den durchgeführten Konkursverfahren nochmals 20,8 Prozent durch Zwangsvergleich endeten.342 In den zwanziger Jahren änderte sich im Ganzen kaum etwas an diesen Statistiken. So wurden etwa im Jahre 1926 bei insgesamt 23.283 Insolvenzen 7.454 Geschäftsaufsichtsverfahren (32 Prozent) angeordnet. Von den 15.829 Konkursanträgen wurden 24 Prozent mangels Masse abgelehnt. Von den durchgeführten Konkursen endeten wiederum 23,2 Prozent durch Zwangsvergleich. 20,1 Prozent wurden mangels Masse eingestellt.343 Ebenfalls ca. 32 Prozent betrug der Anteil der Vergleichsverfahren, die im Jahre 1930 unter Geltung der Vergleichsordnung von 1927 angeordnet wurden (7.178 Vergleichsverfahren bei 22.664 Insolvenzen). Der Anteil der mangels Masse abgelehnten Konkursanträge betrug 25,7 Prozent.344 17,3 Prozent der Konkursverfahren endeten durch einen Zwangsvergleich; 18,1 Prozent wurden mangels Masse eingestellt.345 Die zwischen 1928 bis 1939 erreichten Deckungsquoten lagen durchschnittlich bei 337 338 339 340 341 342 343 344 345
Daten aus: Heimann, Zwangsvergleich, S. 40. Daten aus: Heimann, Zwangsvergleich, S. 44. Kohler, Konkursrecht, S. 64. Daten aus: Vierteljahreshefte zur Statistik des Deutschen Reiches, 1927, II. 84 f. Daten aus: Vierteljahreshefte zur Statistik des Deutschen Reiches, 1927, II. 84. Daten aus: Vierteljahreshefte zur Statistik des Deutschen Reiches, 1927, II. 85. Daten aus: Vierteljahreshefte zur Statistik des Deutschen Reiches, 1927, II. 84 f. Daten aus: Vierteljahreshefte zur Statistik des Deutschen Reiches, 1931, II. 17. Daten aus: Vierteljahreshefte zur Statistik des Deutschen Reiches, 1931, II. 23.
C. Die Reform des Insolvenzrechts
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52,2 Prozent für die bevorrechtigten, bei 8,5 Prozent für die nicht bevorrechtigten Gläubiger und bei 47,6 Prozent im Falle eines Vergleiches.346 Die für alle Gläubiger erreichten Vergleichsquoten lagen also erheblich über den Konkursdividenden der einfachen Gläubiger. Leider gibt es für die dreißiger Jahre keine Daten mehr zum Anteil des Zwangsvergleichs in den beendeten Konkursverfahren in den amtlichen Statistiken. Der Anteil der Vergleichsverfahren ging in dieser Zeit jedenfalls leicht zurück. So wurden im Jahr 1937 nur noch 421 Vergleichsverfahren bei 4.935 Insolvenzen angeordnet (8,5 Prozent). Der Anteil der mangels Masse abgelehnten Konkursanträge stieg hingegen in den dreißiger Jahren erheblich und lag ab 1933 stets bei ca. 50 Prozent.347 Das Bild eines funktionierenden Insolvenzrechts änderte sich grundlegend in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Während zwischen 1950 und 1959 bei 47.309 Insolvenzen noch in 10.551 Fällen ein Vergleichsverfahren eröffnet (22,3 Prozent) wurde, welches allerdings nur in 7.969 Fällen (16,8 Prozent) keinen Anschlusskonkurs zur Folge hatte, sondern das Verfahren beendete348 , fiel der Anteil der eröffneten Vergleichsverfahren in den sechziger Jahren auf 10,2 Prozent, wobei nur in 8,1 Prozent der Fälle ein Vergleich das Verfahren beendete.349 Drastisch wurde der Bedeutungsschwund der Akkordverfahren dann in den siebziger Jahren. Bei 71.610 Insolvenzen wurde in lediglich 2.416 Fällen (3,4 Prozent) ein Vergleichsverfahren eröffnet, das wiederum nur in 1.874 Fällen (2,6 Prozent) erfolgreich endete.350 In den achtziger Jahren verschlechterte sich die Quote der Akkordverfahren nochmals deutlich. Nur 974 Vergleichsverfahren wurden in dieser Zeit eröffnet, von denen nur 652 erfolgreich waren. Gleichzeitig stieg die Zahl der Insolvenzen auf 155.429. Der Anteil der Vergleichsverfahren betrug nur noch 0,4 Prozent.351 Im Jahr 1998, dem letzten Jahr vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung, sank der Anteil sogar auf nur 0,09 Prozent ab. Von den 33.977 Insolvenzen wurden lediglich 30 durch ein Vergleichsverfahren erledigt.352 Daten zur Häufigkeit von Zwangsvergleichen in diesem Zeitraum gibt es leider kaum.353 Lediglich die rechtstatsächliche Untersuchung von Gessner/Rhode/Strate/Ziegert liefert eine Stichprobe, nach der es im Jahr 1975 in 2.538 untersuchten Konkursfällen 81 Zwangsvergleiche (3,2 Prozent) mit einer durchschnittlichen Quote von 24,1 Prozent gab, die fast alle (96 Prozent) auch erfüllt wurden und dadurch in 30 Prozent der Fälle zum Erhalt des Unter346
Daten aus: Vierteljahreshefte zur Statistik des Deutschen Reiches, 1940, VI. 51. Daten aus: Vierteljahreshefte zur Statistik des Deutschen Reiches, 1940, II. 57. 348 Daten aus: Doehring, KTS 1991, 55, 57. Daten zum Anteil der Zwangsvergleiche an der Erledigung von Konkursverfahren fi nden sich in den Insolvenzstatistiken leider nicht. 349 Daten aus: Doehring, KTS 1991, 55, 57. 350 Daten aus: Doehring, KTS 1991, 55, 57. 351 Daten aus: Doehring, KTS 1991, 55, 57. 352 Daten aus: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1999, S. 138. 353 Diesen Mangel der amtlichen Insolvenzstatistik beklagte bereits Walendy, Funktion und Legitimation des Zwangsvergleichs, S. 113. 347
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Kapitel 1: Betriebswirtschaftliche und rechtshistorische Sicht
nehmens führten.354 Der Anteil der Zwangsvergleiche an der Konkursbeendigung entspricht damit dem der Vergleiche an der Konkursabwendung in den siebziger Jahren. Beide Anteile sind vernachlässigbar gering.355 Die Krise des Insolvenzrechts in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war aber nicht allein eine Krise des Akkordverfahrens; sie erfasste das Konkursverfahren insgesamt. Dieses versagte nicht nur als Instrument zur gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung aus einem unzureichenden Schuldnervermögen, sondern auch als Institut zum geordneten Austritt eines Marktteilnehmers aus der Marktordnung. Beide Funktionen kann der Konkurs nur erfüllen, wenn ein Konkursverfahren eröffnet wird. Dies war zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Regel; in nur ca. 9 Prozent der Insolvenzen fand mangels Masse kein Konkursverfahren statt.356 In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nahm der Anteil der mangels Masse nicht eröffneten Verfahren zwar stetig zu, überwog aber kaum jemals die Zahl der eröffneten Verfahren. 357 Dieses Bild änderte sich gravierend in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. In den fünfziger Jahren wurden von 39.340 beantragten Konkursverfahren lediglich 13.384 (ca. 34 Prozent) mangels Masse nicht eröffnet und auch in den sechziger Jahren waren es nur 12.456 abgelehnte Anträge bei 30.979 Anträgen insgesamt (40,2 Prozent). Diese Daten hatten in etwa Vorkriegsniveau. In den siebziger Jahren überwog dann die Zahl der abgelehnten Anträge von 44.678 erstmals die der eröffneten Verfahren von 25.058, d. h. in 64 Prozent der Fälle wurde trotz Antrags kein Verfahren durchgeführt. In den achtziger Jahren verschärfte sich dieses Bild nochmals: von 154.777 Anträgen auf Eröffnung eines Konkursverfahrens wurden 118.291 mangels Masse abgelehnt (76,4 Prozent).358 Diese Daten besserten sich 354 Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 228. Nur in 10 Prozent aller eröffneten Verfahren wurde ein Zwangsvergleich auch nur in Erwägung gezogen; der Vorschlag dazu kam in 86 Prozent dieser Fälle dabei vom Gemeinschuldner als dem primär am Zustandekommen des Akkords Interessierten (Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 142 f.). 355 Zu Recht weisen Walendy, Funktion und Legitimation des Zwangsvergleichs, S. 5 und auch Mohrbutter, KTS 1985, 257, jedoch darauf hin, dass trotz der Bedeutungslosigkeit der Akkordverfahren für die Masse der Insolvenzen gerade die großen und bedeutenden Insolvenzfälle wie die der Herstatt Bank KGaA, der Bauknecht-Gruppe oder der Pelikan AG durch Vergleichsverfahren bzw. Zwangsvergleiche gelöst wurden. Der Bedeutungsverlust war also kein vollständiger. Hauptsächlicher Anwendungsbereich der verbliebenen Akkordverfahren war in quantitativer Hinsicht jedoch nicht die Aufsehen erregende Großinsolvenz, sondern die des eingetragenen Einzelunternehmers und der kleinen Personengesellschaft, also der wenig komplexe Konkursfall – vgl. Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 142; Walendy, Funktion und Legitimation des Zwangsvergleichs, S. 114, 119. 356 Daten aus: Heimann, Zwangsvergleich, S. 44. 357 Vgl. für die Jahre 1909–1925 die Übersicht in: Vierteljahreshefte zur Statistik des Deutschen Reiches, 1926, IV. 108; für die Jahre 1925–1939 die Übersicht in: Vierteljahreshefte zur Statistik des Deutschen Reiches, 1940, II. 57. 358 Sämtliche Daten aus: Doehring, KTS 1991, 55, 57.
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in den neunziger Jahren nicht mehr. 1998, dem letzten Jahr unter Geltung der Konkurs- und Vergleichsordnung, wurden 24.984 von 33.977 Konkursanträgen (73,5 Prozent) mangels Masse abgelehnt.359 Schon dieses Bild ist erschreckend. Es wird zusätzlich verdunkelt, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass in den genannten Statistiken zudem nicht einmal die Fälle erfasst wurden, in denen zwar das Konkursverfahren eröffnet wurde, es später aber gemäß § 204 KO mangels Masse eingestellt werden musste und so ebenfalls nicht seinen Zweck erfüllen konnte. Die Regelungen der Konkursordnung wie auch die der Vergleichsordnung hatten damit in der großen Mehrzahl der Insolvenzfälle keine Bedeutung. Die dort beschriebenen Verfahren kamen schlicht nicht zur Anwendung. Das Insolvenzrecht versagte.360 Dieses Versagen hatte gravierende Folgen. Findet kein Konkursverfahren über das Vermögen des Schuldners statt, so bleibt den ungesicherten Gläubigern theoretisch (nur) die Möglichkeit der Einzelzwangsvollstreckung. Da hier die Priorität entscheidet, beginnt ein Wettlauf von Prozessen und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen der Gläubiger, an dessen Ende die meisten ungesicherten Gläubiger wegen des unzureichenden Schuldnervermögens leer ausgehen. Den gesicherten Gläubigern bleibt immerhin der Rückgriff auf die Sicherungsgüter. Soweit die Theorie. Leider sah die Praxis in vielen Fällen anders aus. Wurde ein Konkursverfahren mangels Masse abgelehnt, so versuchten nun alle beteiligten Gläubiger, beim Schuldner zu retten, was zu retten ist. Es kam zu einem Zusammenlaufen der Gläubiger beim Schuldner und jeder nahm sich aus dem Schuldnervermögen das, von dem er behauptet, es sei von ihm geliefert oder ihm sicherungsübereignet worden. Wie Kilger es treffend bezeichnete: »Die Selbsthilfe regiert!«361 Hierdurch gingen nicht nur Vermögenswerte beim Schuldner gänzlich verloren (wie etwa Außenstände oder halb fertige Produkte), die bei einer geordneten Verwertung in einem Konkursverfahren eventuell realisierbar gewesen wären. Vor allem wurden auch die Rechte der gesicherten Gläubiger auf ihr Sicherungsgut Makulatur, da niemand diese Rechte beachtete. Das Versagen des Konkursrechts traf daher in der Praxis auch die gesicherten Gläubiger.362 Dies führte nun zu einer allgemeinen Interessenlage, in der die Stellung eines Konkursantrags nach Möglichkeit vermieden wurde. Die gesicherten Gläubiger hatten kein Interesse an der Stellung eines solchen Antrags, denn sie konnten 359
Daten aus: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1999, S. 138. Dementsprechend hielten schon im Jahre 1975 die weitaus meisten Konkursrichter und Rechtspfleger (83 Prozent) die Effektivität der Konkursordnung für gering bis sehr gering – vgl. Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 110. 361 Kilger, KTS 1975, 142, 157; ebenso Hanisch, ZZP 90 (1977), 1, 3; Heilmann, BB 1976, 765, 766; Weber, FS 100 Jahre KO, 1977, 321, 355. 362 Man suchte daher nach Wegen zur wenigstens kurzfristigen Verfahrenseröffnung auch bei massearmen Insolvenzen, wobei vor allem die Möglichkeit eines Kostenvorschusses (§ 107 Abs. 1 Satz 2 KO) propagiert wurde – vgl. Heilmann, BB 1976, 765, 767 ff. 360
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ihr Sicherungsgut außerhalb des Konkursverfahrens besser verwerten.363 Wurde die Insolvenz des Schuldners dabei nicht publik, so droht auch keine Beeinträchtigung der Verwertung durch den eigenmächtigen Zugriff anderer Gläubiger auf das Sicherungsgut. Es sprach also nichts für die Stellung eines Konkursantrags, wenn ein gesicherter Gläubiger von der Insolvenz seines Schuldners erfuhr.364 Gleiches galt dann interessanterweise auch für die ungesicherten Gläubiger. In einem Konkursverfahren hätten sie keinen Zugriff auf das Schuldnervermögen und erhielten selbst bei dessen erfolgreicher Durchführung aus der Schlussverteilung selten mehr als eine Quote von mehr als 5 Prozent.365 Da schien es Erfolg versprechender, den Konkurs zu vermeiden und im Wege der Einzelzwangsvollstreckung oder individueller Verhandlungen mit dem Schuldner die offenen Forderungen geltend zu machen. Konkursanträge von Gläubigern gab es aus diesen Gründen kaum noch.366 Auch die Beteiligung der Gläubiger an den Gläubigerversammlungen war vernachlässigbar gering.367 Ein großes Engagement lohnte sich für die Gläubiger einfach nicht.
II. Krisenursachen Wo lagen nun die Ursachen für das Versagen des ehemaligen Vorzeigegesetzes der Reichsjustizreform? Welche Entwicklungen führten zu diesem beklagenswerten Zustand am Ende des 20. Jahrhunderts? Eine genaue Ursachenanalyse kann an dieser Stelle nicht erfolgen; dies würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Die damals diskutierten Hauptursachen sollen hier nur kurz benannt werden, da sie auch für die Abkehr vom konkursabwendenden Vergleich und Zwangsvergleich sowie für die Schaffung des Insolvenzplans relevant waren. Das Rechtsinstitut des Insolvenzplans lässt sich nur dann in seiner Wirkungsweise vollständig erfassen, wenn man auch die Beweggründe für seine heutige gesetzliche Ausgestaltung kennt. Allerdings ist insgesamt festzuhalten, dass das 363 364
Henckel, Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages, 1976, Band 2, Teil O, S. 18. Darauf weist bereits Walendy, Funktion und Legitimation des Zwangsvergleichs, S. 27,
hin. 365 Vgl. Hanisch, ZZP 90 (1977), 1, 2; Uhlenbruck, FS 100 Jahre KO, 1977, 3, 32; Walendy, Funktion und Legitimation des Zwangsvergleichs, S. 22. In der Umfrage aus dem Jahr 1975 erwarteten 40 Prozent der befragten Gläubiger in einem Konkursverfahren überhaupt keine Ausschüttung einer Quote – vgl. Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 453. 366 Vgl. die Ergebnisse der Stichprobe bei Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 448: unter 211 Konkursanträgen fanden sich nur in 5 Fällen (3 Prozent) ein Gläubigerantrag. 144 Gläubiger lehnten dagegen einen Antrag grundsätzlich ab, da er keine Aussicht auf eine wenigstens teilweise Realisierung der Forderungen biete. 367 In der Umfrage bei Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 449 f., haben nur 14 Prozent der befragten Gläubiger überhaupt einmal an mindestens einer Gläubigerversammlung teilgenommen. Hauptgrund hierfür war ebenfalls das negative Aufwand-Nutzen-Verhältnis.
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Versagen der Akkordverfahren in der damaligen Rechtswirklichkeit nicht den primären Anlass einer Reform des Konkurs- und Vergleichsrechts darstellte. Es war die Masselosigkeit der großen Mehrzahl der beantragten Konkursverfahren und die daraus folgende Nichtanwendung des geltenden Konkurs- und Vergleichsrechts insgesamt, welche den Kern der Krise ausmachte und die Forschung nach ihren Ursachen sowie die Suche nach Auswegen bestimmte. Die Massearmut wurde dabei auf verschiedenste Umstände zurückgeführt, die sämtlichst zu einem Ausbluten der Konkursmasse führten. 1. Sicherungsrechte Als Hauptursache der vielen masselosen Verfahren wurde sowohl von Seiten der Konkursgerichte368 als auch der Literatur369 und der Anwaltschaft 370 die Vielzahl der vertraglich begründeten, publizitätslosen Sicherungsrechte der Geld- und Warenkreditgeber identifiziert. Die negative Bedeutung, die man diesen Sicherungsrechten für die Krise zumaß, war so groß, dass eine Reform dieses Rechtsgebiets im Jahre 1976 Gegenstand des 51. Deutschen Juristentages in Stuttgart war.371 Hintergrund der Diskussion war zum einen die Praxis der Geldkreditgeber, ihre Kredite nahezu durchgängig durch Sicherungsrechte abzusichern, seien dies nun Grundpfandrechte oder aber auch publizitätslose Globalzessionen oder Sicherungsübereignungen. Im Insolvenzfall entstanden so Aus- bzw. Absonderungsrechte zugunsten dieser Gläubiger, die zur Aus- bzw. Absonderung der bedeutendsten Vermögensgegenstände des Schuldners aus der Insolvenzmasse und damit zu einer Aushöhlung derselben führten. Ähnlich stellt sich die Praxis der Warenkreditgeber dar. Auch diese sichern ihre Kaufpreisforderungen in aller Regel durch Eigentumsvorbehaltsvereinbarungen jeglicher Art, aber auch durch Sicherungszessionen oder Verarbeitungsklauseln ab, wodurch ebenfalls in erheblichem Umfang Aus- bzw. Absonderungsrechte für den Insolvenzfall entstanden. Im Ergebnis dieser Praxis wurden nahezu alle Vermögenswerte des Schuldners bereits im Vorfeld der Insolvenz mit Sicherungsrechten belastet und damit dem konkursrechtlichen Verteilungsverfahren als Zugriffsobjekt entzogen. 368 Umfrage aus dem Jahr 1975 bei: Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 111 f. 369 Baur, JZ 1982, 577; Hanisch, ZZP 90 (1977), 1; Kilger, KTS 1975, 142, 148 ff.; MeyerCording, NJW 1979, 2126, 2127; Münzel, MDR 1951, 129, 134; Weber, KTS 1959, 80, 84; ders., FS 100 Jahre KO, 1977, 321, 335. 370 Vgl. die Äußerungen des Insolvenzrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins in: KTS 1975, 59, 60. 371 Vgl. das Gutachten von Drobnig, Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages, 1976, Band 1, Gutachten F, die Referate von Henkel und Kilger sowie die Diskussion bei: Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages, 1976, Band II, Teil O.
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Kritisiert wurde dabei, dass sich viele dieser Sicherungsrechte nicht – wie etwa die Grundpfandrechte – in öffentlichen Registern finden, sondern ohne jegliche Publizität entstehen, weshalb schon die Prüfung und Feststellung des Bestehens und des Umfangs behaupteter Sicherungsrechte im einzelnen Insolvenzfall einen ganz erheblichen Aufwand an Zeit und Kosten verursacht. So verursachte allein das Erstellen des Verzeichnisses über vorhandene Eigentumsvorbehalte im Einzelfall ganz erhebliche Kosten zu Lasten der Masse.372 Da die Verwertung der Sicherheiten zudem durch die Konkursordnung (§§ 4 Abs. 2, 127 KO) regelmäßig dem gesicherten Gläubiger zugewiesen war, musste der Konkursverwalter alle Gegenstände aus der Masse herausgeben, an denen Sicherungsrechte festgestellt und geltend gemacht wurden. Dies führte nicht nur zu Wertverlusten durch das Auseinanderreißen von Sachgesamtheiten. Folge dieser gesetzlichen Regelung war vor allem, dass eine (auch nur vorübergehende) Unternehmensfortführung als werterhaltende Alternative zur sofortigen Liquidation des Unternehmens wegen des Verlustes der wertvollsten (und daher besicherten) Betriebsmittel nicht möglich war.373 Ein weiterer negativer Aspekt der Sicherungsrechte im Konkurs war ein steuerrechtlicher Effekt.374 Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes375 war der aus der Verwertung des jeweiligen Sicherungsgutes entstandene Erlös umsatzsteuerpflichtig und diese Umsatzsteuer als Folge einer Konkursverwalterhandlung als Massekosten gemäß § 58 Nr. 2 KO aus der Konkursmasse zu leisten. Die Verwertung der Sicherungsgüter entzog der Konkursmasse also nicht nur diese Vermögensgegenstände; sie belastete die Masse auch noch zusätzlich mit bevorrechtigten Steuerschulden. Zudem durfte der Konkursverwalter diese Steuerlast dann auch nicht auf den Verwertungserlös, der an den Sicherungsnehmer auszukehren war, anrechnen. Nach Ansicht des BGH376 war vielmehr der gesamte Verwertungserlös ungekürzt an den jeweiligen Gläubiger herauszugeben. Als bedeutende negative Auswirkung der vielen möglichen publizitätslosen Sicherungsrechte wurde schließlich ebenfalls angesehen, dass in vielen Fällen Unternehmen, die jahrelang mit steigenden Verlusten gearbeitet haben und deren Überschuldung so ständig stieg, eine rechtzeitige Eröffnung des Konkursverfahrens allein dadurch vermeiden konnten, dass sie nach außen einen solventen Eindruck erweckten, indem sie ihre fälligen Verbindlichkeiten tilgen 372 Henckel, Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages, 1976, Band 2, Teil O, S. 19; Kilger, KTS 1975, 142, 148 ff.; Landfermann, KTS 1987, 381, 383; allgemein auch Weber, FS 100 Jahre KO, 1977, 321, 351. 373 Drobnig, Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages, 1976, Band 1, Gutachten F, S. 86; Landfermann, KTS 1987, 381, 383. 374 Vgl. Heilmann, BB 1976, 765, 766; Kilger, KTS 1975, 142, 150 f.; Landfermann, KTS 1987, 381, 384. 375 BFH BStBl. II 1972, 809, 810; 1978, 684; 1987, 741. 376 BGH NJW 1962, 46; 1972, 874, 875.
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konnten. Dies war ihnen jedoch nur möglich, da sie auch ohne Bonität Warenkredite auf Eigentumsvorbehalte hin erhielten und Kreditlinien durch Globalzessionen und Sicherungsübereignungen gesichert erschienen. Das wahre Ausmaß der Zahlungsschwierigkeiten des Schuldners konnte so über Jahre verschleiert werden. Kam es dann durch die Fälligstellung auch nur eines Kredites zum unausweichlichen, endgültigen Zusammenbruch des Unternehmens, so blieb tatsächlich kein eigenes Vermögen. Der Konkurs war masselos. Ungesicherte Gläubiger gingen leer aus.377 2. Zunahme der Massegläubiger Als zweite bedeutende Ursache der Masselosigkeit vieler Konkurs wurde die erhebliche Erweiterung derjenigen Forderungen benannt, die über § 59 KO zu Masseverbindlichkeiten, also zu vorweg zu befriedigenden Ansprüchen, erhoben wurden und so das Wenige aufzehrten, was Sicherungsrechte an Konkursmasse übrig ließen.378 Nach der Konzeption des Gesetzgebers der 1870iger Jahre sollten Masseschulden nach § 59 KO nur in bestimmten Ausnahmenfällen entstehen: aus Rechtsgeschäften oder Rechtshandlungen des Konkursverwalters (Nr. 1); aus einem zweiseitigen Vertrag, der vor der Konkurseröffnung geschlossen wurde und dessen Erfüllung der Konkursverwalter verlangt (Nr. 2 Alt. 1) bzw. dessen Fortgeltung die Konkursordnung anordnet (Nr. 2 Alt. 2 KO) sowie bei einer rechtsgrundlosen Bereicherung der Masse (Nr. 3).379 Während der Konkursverwalter es selbst in der Hand hatte, Masseschulden nach § 59 Nr. 1 und Nr. 2 Alt. 1 KO entstehen zu lassen, erwies sich die Regelung in § 59 Nr. 2 Alt. 2 KO, die dem Gesetzgeber die Möglichkeit gab, Gläubigerforderungen zu Masseschulden aufzuwerten, als Einfallstor für die Schaffung einer Vielzahl von Masseschulden. Von Anfang an waren Ansprüche aus Miet-, Pacht- und Dienstverträgen, die erst nach Konkurseröffnung entstanden (§§ 19, 22 KO), Masseschulden. Im Konkurs eines Unternehmens wurden damit automatisch alle Lohnansprüche der Arbeitnehmer im Zeitraum nach der Konkurseröffnung zu Masseverbindlichkeiten, ohne dass der Konkursverwalter dies verhindern konnte. Eine Kündigung der Arbeitsverhältnisse war nur mit gesetzlicher Frist möglich (§ 22 Abs. 1 S. 2 KO) und Konkursausfallgeld erhielten die Arbeitnehmer nur für die letzten drei Monate vor Konkurseröffnung, nicht jedoch für die schwierige Zeit danach. Sie griffen daher nach der ohnehin häufig nur geringen Konkursmasse.380 Doch dabei blieb es nicht. Mit dem Gesetz über das Konkursausfallgeld 377 Vgl. Hanisch, ZZP 90 (1977), 1, 8; Kilger, KTS 1975, 142, 151 f.; derS. in: Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages, 1976, Band 2, Teil O, S. 37 f. 378 Kilger, KTS 1975, 142, 152 ff.; Weber, FS 100 Jahre KO, 1977, 321, 336. 379 Vgl. Hahn, Materialien, IV, S. 231 f. 380 Heilmann, BB 1976, 765; Kilger, KTS 1975, 142, 152.
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von 1974 erhob der Gesetzgeber die Lohnansprüche der Arbeitnehmer aus den letzten sechs Monaten vor Konkurseröffnung (§ 59 Nr. 3a KO), deren Leistungsansprüche aus einer betrieblichen Altersvorsorge (§ 59 Nr. 3d KO) und sämtliche Beitragsansprüche der Träger der Sozialversicherung und der Bundesanstalt für Arbeit (§ 59 Nr. 3e KO) zu Masseschulden.381 Kam zur Lösung der Personalfragen des insolventen Unternehmens ein Sozialplan zustande (§ 112 BetrVG), so waren zwar die Ausgleichsansprüche der Arbeitnehmer aus dem Sozialplan keine Masseschulden. Eine zunächst anders lautende Rechtsprechung des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 1974, nach der Sozialplanansprüche als Masseschulden vorweg zu befriedigen seien,382 wurde später vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichtes aufgehoben.383 § 4 des Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren von 1985 folgte dem und sah in den Sozialplanansprüchen lediglich bevorrechtigte Konkursforderungen gemäß § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO. Etwas anderes galt aber in den Fällen, in denen ein Sozialplan aufgrund unzureichender Einigungsversuche des Unternehmers bzw. des Konkursverwalters nicht zustande kam. Die dann nach § 113 Abs. 3 BetrVG entstehenden Ansprüche der Arbeitnehmer aus einem Nachteilsausgleich wurden vom Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren von 1985 nicht erfasst. Das Bundesarbeitsgericht schloss diese Lücke, indem es diese Ansprüche stets als Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 KO qualifizierte.384 Doch nicht nur im Arbeitsrecht wurden die Masseschulden vermehrt.385 Bedeutsam war auch die Rechtsprechung bei Sukzessivlieferverträgen. Der Konkursverwalter war bei solchen Verträgen häufig gezwungen, die Fortführung des Vertrages zu wählen, da er zur vorläufigen Fortführung des Unternehmens beispielsweise Strom oder Wasser benötigte. Schon das Reichsgericht 386 erhob in diesen Fällen sämtliche Forderungen des Lieferanten, auch solche aus der Zeit vor Konkurseröffnung, zu Masseschulden nach §§ 17 Abs. 1, 59 Nr. 2 Alt. 2 KO; der Bundesgerichtshof387 hielt daran fest. Im Ergebnis dieser Entwicklungen 381
Kritisch Hanisch, ZZP 90 (1977), 1, 17; Weber, FS 100 Jahre KO, 1977, 321, 323. BAG NJW 1975, 182, 184; kritisch dazu Hanisch, ZZP 90 (1977), 1, 15 f.; Kilger, KTS 1975, 142, 153. 383 BAG NJW 1979, 774. Das BAG sah in diesen Ansprüche bevorrechtigte Konkursforderungen nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO. Diese Entscheidung wurde jedoch vom Bundesverfassungsgericht als unzulässige richterliche Rechtsfortbildung aufgehoben (NJW 1984, 475), woraufhin der erste Senat des BAG (NJW 1984, 2486) Sozialplanansprüche als bevorrechtigte Konkursforderungen nach § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO einordnete. Dies rief den Gesetzgeber auf den Plan, der 1985 das Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren erließ, welches bis zum Inkrafttreten der InsO maßgeblich blieb. Nach dessen § 4 waren Sozialplanansprüche als bevorrechtigte Konkursforderungen gemäß § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO anzusehen. 384 BAG NJW 1986, 2454, 2456. 385 Vgl. zu weiteren Beispielen auch Kilger, KTS 1975, 142, 153 f. 386 RGZ 98, 136, 138; 129, 228, 230; 148, 326, 330. 387 BGH KTS 1961, 8, 9. 382
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gab es kaum noch Konkursfälle, in denen für alle Masseschulden ausreichend Vermögen vorhanden war. 3. Unzulänglichkeiten im Gesellschafts-, Wirtschaftsstrafund Anfechtungsrecht Gerade durch die Konkursrichter und die Gläubigerschaft wurden als Gründe für die Massearmut auch im erheblichen Umfang Mängel im Gesellschafts- und Wirtschaftsstrafrecht sowie im Anfechtungsrecht benannt.388 Wirtschaftskriminelle Handlungen wie missbräuchliche Firmengründungen oder eine gläubigerschädigende Geschäftsführung gerade in Krisensituationen würden durch das liberale Gesellschaftsrecht zu wenig erschwert,389 durch das Strafrecht ohne hinreichend abschreckende Wirkung verfolgt und durch das Anfechtungsrecht wegen des schwer kalkulierbaren Prozessrisikos390 kaum jemals wirklich rückgängig gemacht. 4. Verspätete Konkursanträge Die Massearmut folgte zudem häufig daraus, dass der Schuldner den notwendigen Konkursantrag zu spät stellte und sein Vermögen zuvor in letzten Rettungsversuchen verbraucht hatte. Krisenunternehmen verursachen Verluste und ihre bloße Fortführung führt zu einer steten Verringerung der späteren Insolvenzmasse. Eine Sanierung wiederum kann nur dann zu einem turnaround führen, wenn sie frühzeitig einsetzt und umfassend konzipiert ist, also die Ursachen der Krise beseitigt und nicht nur deren finanzwirtschaftliche Folgen durch frisches Geld kaschiert. Fehlt solch ein Konzept, so muss der Schuldner rechtzeitig zu einem Konkursantrag gezwungen werden, was das Konkursrecht nicht hinreichend gewährleistet hatte. Insbesondere die Antragspfl icht des Schuldners war nach einer verbreiteten Ansicht nicht hinreichend streng. Auch fehlte die Möglichkeit einer frühzeitigen, freiwilligen Antragstellung durch den Schuldner bei drohender Zahlungsunfähigkeit.391 388 Umfrage aus dem Jahr 1975 bei: Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 111 f., 458 f. 389 96 Prozent der Konkursrichter und 92 Prozent der Konkursverwalter forderten z. B. eine Heraufsetzung des Mindestkapitals zur Beseitigung der verbreiteten Unterkapitalisierung von Gesellschaften – vgl. Umfrage aus dem Jahr 1975 bei: Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 117, 229; zustimmend Knieper, BB 1977, 622, 624. 390 Die vielen subjektiven Voraussetzungen der Anfechtungstatbestände der Konkursordnung führten dazu, dass die Erfolgsaussichten einer Anfechtung für den Konkursverwalter schwer abschätzbar waren und wegen des Prozessrisikos und dem damit verbundenen Kostenrisiko häufig auf lohnende Anfechtungen verzichtet wurde – vgl. Hanisch, ZZP 90 (1977), 1, 21. 391 Vgl. zum Ganzen die Kritik von Hanisch, ZZP 90 (1977), 1, 27 ff.; Meyer-Cording, NJW 1981, 1242; Uhlenbruck, KTS 1981, 513, 545.
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5. Das Fiskusvorrecht Kritisiert wurden dann auch die Vorrechte einzelner Konkursgläubiger, wie sie sich in § 61 KO fanden. Dies galt insbesondere für das Vorrecht des Staates wegen öffentlicher Abgaben (§ 61 Abs. 1 Nr. 2 KO). Wurden dem Schuldner in der Krise vor der Insolvenz Steuerschulden in erheblichem Umfang gestundet – wie es verbreitete Praxis war – und griff der Staat dann wegen dieser Schulden aufgrund seines Vorrechts nach der nach dem Zugriff der Massegläubiger noch vorhandene Konkursmasse, so wurde diese regelmäßig so weitgehend aufgezehrt, dass für die einfachen Konkursgläubiger keine Quote mehr zu erzielen war. Diese Privilegierung des Staates wirkte in der Praxis katastrophal und wurde daher zu Recht gebrandmarkt.392 6. Unzureichend ausgebildete Konkursverwalter Schließlich wurde als Grund für das Versagen des Konkursrechts auch auf die Qualifikation der Konkursverwalter verwiesen. Nur die wenigsten seien hinreichend qualifiziert für diese anspruchsvolle Tätigkeit.393 Ein Konkursverwalter müsse nicht nur ausreichende Rechtskenntnisse mitbringen, sondern auch als Unternehmer tätig sein, Sanierungschancen erkennen und nutzen, aber auch nicht sanierungsfähige Unternehmen zu Ende führen und abwickeln. Eine Spezialisierung sei unvermeidbar. Die Konkursverwalter verwiesen insofern auf das abschreckende Haftungsrisiko und die vergleichsweise unzureichende Vergütung der Konkursverwalter. Letztere sei so mangelhaft, dass sich hinreichend qualifizierte Personen für diese Tätigkeit oft nicht finden ließen.394 Die Einsetzung unzureichend qualifizierter Konkursverwalter führe dann dazu, dass Konkursmasse verschleudert werde, sei es durch zu schnelles Vorantreiben der Verwertung ohne zureichendes Konzept, sei es durch untaugliche Sanierungsversuche.395 Eine Über-
392 Drobnig, Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages, 1976, Band 1, Gutachten F, S. 90 f. (Aufhebung des Fiskusprivilegs sei »allgemeines Postulat«); Hanisch, ZZP 90 (1977), 1, 19 (»einer der entscheidenden Sündenfälle der Reichskonkursordnung«); Henckel, Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages, 1976, Band 2, Teil O, S. 25; Kilger, Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages, 1976, Band 2, Teil O, S. 41; Schmidt, Gutachten D zum 54. Deutschen Juristentag, S. 53; Weber, FS 100 Jahre KO, 1977, 321, 336 und 357; die Äußerungen des Insolvenzrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins in: KTS 1975, 59, 60 f. sowie die Befragung der Gläubiger in: Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 457. 393 So die verbreitete Kritik der Wirtschaftsunternehmen, Kreditinstitute und Sozialversicherungsträger, aber auch der Gläubigerschaft – vgl. die Umfrage bei Gessner/Rhode/Strate/ Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 231 und 458. 394 Vgl. die Äußerungen des Insolvenzrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins in: KTS 1975, 59, 61 f.; ebenso Hanisch, ZZP 90 (1977), 1, 26 f. 395 Kritisch hierzu insbesondere Meyer-Cording, NJW 1981, 1242.
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tragung der Funktion des Konkursverwalters auf staatliche Behörden wurde trotz dieser Missstände nahezu einhellig abgelehnt.396 7. Besondere Ursachen für die Abkehr vom Akkord? Die Ursachen für die Bedeutungslosigkeit der Akkordverfahren waren die logische Folge der Krisenursachen des gesamten Insolvenzverfahrens, wirkte sich doch insbesondere bei Akkordverfahren die Masselosigkeit gravierend aus.397 Die Chancen der Durchsetzung einer von der Mehrheit der Gläubiger getragenen Vereinbarung über die Verwertung des Schuldnervermögens waren gering, wenn nicht sogar von vornherein gleich null, wenn keine Vermögensmasse für eine neu zu regelnde Verteilung oder gar Sanierung des Schuldnerunternehmens vorhanden war. Der für ein Sanierungskonzept notwendige Finanzplan war dann kaum je zustande zu bringen. Erschwerend wirkten zudem die formalen inhaltlichen Vorgaben der Konkurs- und Vergleichsordnung für einen rechtmäßigen Akkord.398 Die zwingend vorgeschriebene Mindestquote von 35 Prozent für alle Vergleichsgläubiger (§§ 7 Abs. 1, 79 Nr. 1 VglO) konnte kaum jemals angeboten werden.399 Ein Konkurs war die zwingende Folge. Das dortige Konkursverfahren, auch dessen Zwangsvergleichsverfahren, war nun primär auf eine schnelle Verwertung ausgerichtet und musste zwingend mit einem Gelderlös für die Gläubiger enden. Es bot daher den an einer Sanierung des Unternehmens Interessierten selbst bei gegebener Sanierungsfähigkeit des Schuldnerunternehmens nicht genug Zeit, Mittel und Legitimation, ein Sanierungskonzept durchzusetzen, in dem auf eine alsbaldige Barbefriedigung verzichtet wird.400 Daneben fehlte beiden Akkordverfahren das Instrumentarium zur Reorganisation der mangelhaften Unternehmensstruktur. Schließlich war eine Beteiligung der Sicherungs- und Vorrechtsgläubiger am Akkordverfahren nicht vorgeschrieben. Diese nahmen allenfalls freiwillig am Verfahren teil. Ohne deren Mitwirkung fehlte dem Unternehmen jedoch von vornherein jede Sanierungschance, da die jederzeit zulässige Geltendmachung der Sicherungs- und Vorzugsrechte jeden finanziellen Spielraum
396 In Umfrage aus dem Jahr 1975 waren 93 Prozent der Konkursrichter und 98 Prozent der Konkursverwalter dagegen – vgl. Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 119 ff., 230; aus der Literatur: Weber, KTS 1959, 80, 86. 397 So benannten die befragten Insolvenzverwalter im Jahre 1975 die Masselosigkeit der Verfahren als Hauptursache der geringen Zahl an Vergleichsverfahren – vgl. Gessner/Rhode/ Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 227. 398 Siehe auch die Ergebnisse der Befragung der Insolvenzverwalter über die Gründe für die wenigen zustande kommenden Akkorde bei Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 227 und die Aufzählung bei Uhlenbruck, KTS 1981, 513, 515. 399 Vgl. die Äußerungen des Insolvenzrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins in: KTS 1975, 59, 62; Mohrbutter, KTS 1985, 257, 258 f. 400 Flessner, ZIP 1981, 1283, 1286.
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für Sanierungen und Unternehmungsfortführungen nehmen konnte.401 Es gelangen daher insgesamt nur in solchen Fällen Sanierungen im Wege eines Akkordes, in denen die gesicherten Gläubiger einer Vereinbarung über die Beschränkung ihrer Rechte freiwillig zustimmten.402 Zwangswirkungen konnte weder der Vergleich noch der Zwangsvergleich gegenüber diesen Gläubigern ausüben. Schließen entsprachen auch die Prüfungsrechte des Konkursgerichtes hinsichtlich der Angemessenheit eines Akkords (§§ 187, 188 KO, § 79 Nr. 4 VglO) nicht den praktischen Bedürfnissen nach einem flexiblen und zugleich rechtssicheren Sanierungsinstrument. Sie führten zu der paradoxen Situation, dass Konkursgerichte im Interesse der Sanierung oder zumindest einer wertsteigernden alternativen Verwertung eines Schuldnerunternehmens contra legem Vergleiche bestätigten, die sie wegen des Vorliegens eines absoluten Ablehnungsgrundes, in der Regel wegen § 18 VglO, hätten zurückweisen müssen.403 Dies galt beispielsweise im berühmten Fall der Herstatt Bank KGaA, deren Insolvenz ausweislich des nach § 14 VglO erstellten Gutachtens der Kölner Industrie- und Handelskammer durch unredliche und leichtsinnige Termingeschäfte mit Devisen im Umfang von mehr als 100 Milliarden DM, ein Vielfaches des Eigenkapitals der Bank, herbeigeführt worden war. Die Eröffnung des Vergleichsverfahrens wäre nach der Feststellung des Gutachters gemäß § 18 Nr. 1 und 2 VglO abzulehnen gewesen, da der Schuldnerin die Vergleichswürdigkeit fehlte. Dennoch hat das Gericht nicht nur das Vergleichsverfahren eröffnet, sondern auch den darin angenommenen Vergleich bestätigt und ist damit einer Empfehlung der Handelskammer gefolgt. Die nach der Vergleichsordnung zwingenden Ablehnungsgründe wurden im allgemeinen Einvernehmen aller Beteiligten schlicht ignoriert.404 Festzuhalten bleibt damit, dass die Gründe für die geringe Zahl der Akkordverfahren am Ende des 20. Jahrhunderts grundsätzlich ebenfalls in der Masselosigkeit der Mehrzahl aller Insolvenzen lagen und daneben die formalen Vorgaben aus den Regelungen des Vergleichs wie auch des Zwangsvergleichs auch noch den wenigen Akkordversuchen unnötige Schwierigkeiten bereiteten, die nach dem Willen der Beteiligten zustande kommen sollten. Schließlich ermöglichte die in den 1970iger Jahren populär werdende sog. »übertragende Sanierung« einen neuen Weg der Unternehmenssanierung ohne gerichtlichen Akkord, indem nur das Schuldnerunternehmen aus der Insolvenzmasse heraus auf 401 Kilger, ZIP 1982, 779, 780; Landfermann, KTS 1987, 381, 386; Uhlenbruck, KTS 1981, 513, 569. 402 Mohrbutter, KTS 1985, 257, 258. 403 Walendy, Funktion und Legitimation des Zwangsvergleichs, S. 45. 404 Walendy, Funktion und Legitimation des Zwangsvergleichs, S. 45. Die rechtstatsächliche Entwicklung war insofern rasant, forderte Tidow, KTS 1956, 100, 101 f., doch noch in den 1950iger Jahren genau das Gegenteil, nämlich eine weitgehende Erstreckung der formalen Vorgaben und der Ablehnungsgründe der VglO auf den Zwangsvergleich des Konkurses.
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einen neuen Rechtsträger übertragen wurde.405 Die Praxis wandte sich vom geltenden Recht ab. Bedeutsam – gerade im Hinblick auf das Thema dieser Arbeit – ist aber auch, dass die Frage der Rechtsnatur von Vergleich und Zwangsvergleich in der gesamten Diskussion überhaupt keine Rolle spielte. Im Gegenteil, das Verlangen nach einem möglichst flexiblen Instrument zur Konkursbewältigung bzw. Sanierung unterstützte gerade die Annahme einer Vertragsnatur des Akkordes. Der hierin liegende Vorteil eines ja inhaltsoffenen Vertrages wurde auch in der Reformdiskussion explizit erkannt und als erhaltenswert betont.406 Zudem blieben auch in der Krise des Akkordverfahrens private Moratorien, also außergerichtliche Vergleiche, sehr verbreitet. Sie wurden den gerichtlichen Vergleichen im Krisenfall in der Regel vorgezogen.407 So wurde in ca. 20 Prozent aller Krisenfälle die (drohende) Insolvenz außergerichtlich bereinigt und in immerhin ca. 50 Prozent aller Insolvenzen ist vor Verfahrenseinleitung eine außergerichtliche, also privatautonome Bereinigung versucht worden.408 Es blieben daher in der modernen Wirtschaftsordnung am Ende des 20 Jahrhunderts nur die Insolvenzfälle im Anwendungsbereich eines gerichtlichen Akkordverfahrens, in denen eine außergerichtliche Lösung der Krisensituation nicht gelungen ist, der Schuldner aber gleichwohl sanierungsfähig erscheint und die Gläubigermehrheit für eine planmäßige Lösung der Insolvenzsituation offen erscheint. 409 Für diese Fälle musste nun ein geeignetes Akkordverfahren geschaffen werden. Vergleich und Zwangsvergleich genügten nicht mehr. Allerdings durfte man auch von einem idealen Akkordverfahren keine Wunder erwarten, ist doch die Anzahl der Insolvenzfälle, in denen alle drei aufgezeigten Anwendungsvoraussetzungen gegeben sind, eher gering.410 Die statistische Krise der Akkordverfahren war daher trotz der geringen Fallzahlen keine quantitative, sondern eine qualitative.
405 Darauf weist Walendy, Funktion und Legitimation des Zwangsvergleichs, S. 146, zu Recht hin. Näher zum Begriff der »übertragenden Sanierung« oben bei A. II. 2. 406 Kilger, ZIP 1982, 779, 782. 407 Vgl. die Auskünfte der befragten Insolvenzverwalter bei Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 227; ebenso Uhlenbruck, KTS 1981, 513, 516. 408 Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 261; Stürner, ZIP 1982,761, 763. 409 Überzeugend insoweit Terhart, Chapter 11, S. 355 ff. 410 In den U. S. A. liegt die Zahl der Reorganisationsverfahren trotz eines modernen Akkordverfahrens im Schnitt nur bei 2 bis 4 Prozent der Insolvenzfälle, umfasst damit aber immerhin ca. 20.000 Verfahren (Daten für die Jahre 1988 bis 1992 bei Terhart, Chapter 11, S. 59).
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III. Die Reaktion des Gesetzgebers Der Gesetzgeber reagierte auf die Krise des Konkurs- und Vergleichsrechts mit einer Neuregelung und Vereinheitlichung des Insolvenzrechts in der Insolvenzordnung. Die aufgezeigten insolvenzrechtlichen Krisenursachen wurden dabei zumeist beseitigt. 1. Kein Eingriff in das zivilrechtliche System der Kreditsicherheiten Unangetastet blieben hingegen die vertraglich vereinbarten und im Wege der Rechtsfortbildung anerkannten anonymen Sicherungsrechte, obwohl deren Beschränkung zur Sicherung einer hinreichenden Insolvenzmasse stark diskutiert und oft gefordert wurde.411 Der Reformgesetzgeber ließ damit die Hauptursache der Massearmut unberührt und verzichtete bewusst auf Eingriffe in das bürgerlich-rechtliche System der Kreditsicherheiten und sonstigen Sicherungsrechte.412 Dieses Vorgehen kann überraschenderweise durchaus überzeugen. a) Die fehlende zeitliche Korrelation Im Ausgangspunkt ist es sicherlich zutreffend, die Massearmut moderner Insolvenzverfahren auch auf die Sicherungspraxis der Geld- und Warenkreditgeber zurückzuführen. Das Ausmaß der Bedeutungslosigkeit des Konkurs- und Vergleichsrechts, das in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erreicht wurde, lässt sich allein hierdurch jedoch nicht erklären. Es fehlt schlicht an der zeit411 Vgl. von Caemmerer, JZ 1953, 97, 100; Drobnig, Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages, 1976, Band 1, Gutachten F, S. 73, 95; Fischer, NJW 1959, 366, 369; Hanisch, ZZP 90 (1977), 1, 13; Kilger, KTS 1975, 142, 160 ff.; Meyer-Cording, NJW 1979, 2126, 2127 f.; Münzel, MDR 1951, 129, 133; Weber, KTS 1959, 80, 84 (»Lebensfrage des Konkurses als Rechtsinstitut«); ders., FS 100 Jahre KO, 1977, 321, 356. In der Umfrage des Max-Planck-Instituts aus dem Jahr 1975 waren 85 Prozent der Konkursrichter für eine Beschränkung dieser Sicherungsrechte – vgl. Gessner/Rhode/Strate/Ziegert, Praxis der Konkursabwicklung, S. 118 f. Die Reformvorschläge reichten vom generellen oder zumindest teilweisen Verbot dieser Sicherungsrechte über die Schaffung eines Registers bis zur Einführung eines Schriftformerfordernisses – vgl. die Übersicht bei Drobnig, Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages, 1976, Band 1, Gutachten F, S. 59 ff. Der 51. Deutsche Juristentag sprach sich am Ende überwiegend gegen eine weitgehende materiellrechtliche Beschränkung der anonymen Sicherungsrechte aus und empfahl lediglich die Schaffung eines Schriftformerfordernisses (Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages, 1976, Band 2, Teil O, S. 181). Der erste Bericht der Kommission für Insolvenzrecht von 1985 enthielt in seinen Reformvorschlägen neben diesem Schriftformerfordernis noch eine Reihe gravierender Beschränkungen der Rechte gesicherte Gläubiger in der Insolvenz, die bis zur Umwandlung von Vorbehaltseigentum in Sicherungseigentum und der Möglichkeit einer Kürzung der Sicherheiten von 25 oder (bei Reorganisation) 50 Prozent reichten – dazu umfassend etwa Landfermann, KTS 1987, 381, 390 ff. m. w. N. Diese Vorstellungen konnten sich nicht durchsetzen und wurden schon im Diskussionsentwurf von 1988 wieder korrigiert – vgl. Baum, KTS 1989, 553, 557. 412 BT-Drucks.12/2443, S. 80: »Die Reformziele sind indessen, wie die Rechtsvergleichung zeigt, auch ohne Eingriffe in die zivilrechtliche Güterordnung, namentlich die Wertsubstanz der Kreditsicherheiten, erreichbar.«
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lichen Korrelation. Die heute gebrandmarkten anonymen Mobiliarsicherheiten waren schon weit vorher entstanden und anerkannt. So wurde der einfache Eigentumsvorbehalt durch den BGB-Gesetzgeber gegen Ende des 19. Jahrhunderts im damaligen § 455 BGB normiert. Die Praxis des Vorbehalts des Eigentums an der Kaufsache durch den Verkäufer bis zur Zahlung des Kaufpreises war bereits zuvor weit verbreitet. Es verwundert daher nicht, dass der Eigentumsvorbehalt schon in den Motiven der Reichskonkursordnung von 1877 als Aussonderungstatbestand im Konkurs anerkannt wurde. 413 Auch die sicherungshalber erfolgende Übertragung eines Rechts war von Beginn an im früheren § 223 Abs. 2 BGB414 gesetzlich anerkannt. Damit war sowohl die zum Zweck der Sicherung erfolgende Übertragung von Forderungen (Sicherungszession) als auch die des Eigentums selbst (Sicherungsübereignung) gesetzlich legitimiert.415 Insbesondere aufgrund dieser gesetzlichen Verankerung wurde die Zulässigkeit von Sicherungsübereignungen durch die Rechtsprechung auch nie wirklich in Frage gestellt. 416 Allerdings wurde ihnen im Konkurs stets nur die Wirkung eines Absonderungsrechtes zuerkannt,417 obwohl sie nach ihrer rechtlichen Konstruktion zu einer dinglichen Vollrechtsinhaberschaft des Sicherungseigentümers bzw. Sicherungszessionars führten. 418 413 Die Konkursordnung von 1877 ging sogar noch darüber hinaus und gestand auch demjenigen Verkäufer ein Aussonderungsrecht zu, der sich das Eigentum an der Kaufsache nicht vorbehalten hatte, dessen Ware aber im Zeitpunkt der Konkurseröffnung den insolventen Käufer noch nicht erreicht hatte (sog. Rückforderungs- oder Revindikationsrecht). Die Aussonderung (auch Vindikation genannt) aufgrund vorbehaltenem Eigentums war unstreitig – vgl. Hahn, Materialien, IV, S. 168: »Sofern der Verkäufer nicht auf Grund gesetzlichen oder auf Grund vertragsmäßigen Vorbehalts Eigentümer der gelieferten Ware geblieben ist und sie daher aus der Masse vindizieren könnte . . .«. Siehe auch Kohler, Konkursrecht, S. 191. 414 Heute § 216 Abs. 2 Satz 1 BGB. 415 Die Sicherungsübereignung entstand daher entgegen einer weit verbreiteten Ansicht (vgl. Kilger, Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages, 1976, Band 2, Teil O, S. 33) nicht praeter oder gar contra legem, sondern auf dem Boden des BGB, worauf schon Münzel, MDR 1951, 129, 130, hinweist. 416 Sie war schon im gemeinen Recht und im Preußischen Allgemeinen Landrecht bekannt – vgl. zum ganzen RGZ 57, 175, 177; 59, 146, 148; Wiegand, in: Staudinger, BGB, Anh zu §§ 929 ff Rn. 52 ff. 417 RGZ 24, 45, 48 ff.; 91, 12, 15; 118, 209; Wilmowski, KO (5. Auflage, 1896), § 40 Anm. 1 am Ende (für die Sicherungsübereignung) sowie § 57 Anm. 1 am Ende (für die Sicherungszession). 418 In den Motiven der Reichskonkursordnung von 1877 wird die zur Sicherung erfolgende Vollrechtsübertragung nicht erörtert. Man ging davon aus, dass Gegenstände, die nicht dem Gemeinschuldner, sondern Fremden gehören, nicht zur Konkursmasse gehören und auszusondern sind – vgl. Hahn, Materialien, IV, S. 157 oder 160. Besaß hingegen ein Gläubiger nicht das Vollrecht an einer Sache oder einer Forderung, sondern nur ein Pfandrecht an derselben, so erkannten die Motive diesem nur dann ein Absonderungsrecht zu, wenn das Pfandrecht durch den Besitz des Pfandrechtsgläubigers an der belasteten Sache oder an der Urkunde über die belastete Forderung nach außen erkennbar war, da der Gegenstand ansonsten vom Vermögen des Gemeinschuldners nicht zu unterscheiden war – vg. Hahn, Materialien, IV,
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Auf einer gesetzlich legitimen Grundlage standen damit auch die Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts und der Sicherungsübereignung in Weiterveräußerungs- und Verarbeitungsabreden. Allerdings traten diese Schöpfungen der Kautelarjuristen erst in den Zeiten der Wirtschaftskrise am Anfang der dreißiger Jahre merklich in Erscheinung.419 Das Reichsgericht reagierte auf diese Neuerungen ohne grundsätzliche Zulässigkeitsbedenken und beschränkte nur die formularmäßige Vereinbarung eines verlängerten Eigentumsvorbehalts.420 Der Bundesgerichtshof hingegen hat bereits im Jahre 1952 auch diese anerkannt. 421 Die kritisierten Sicherungsinstitute sind damit keineswegs Schöpfungen des späten 20. Jahrhunderts und haben sich auch nicht erst in dieser Zeit im Rechtsverkehr durchgesetzt. Ihre (Fort-)Entwicklung kann bei genauer Betrachtung der zeitlichen Zusammenhänge allenfalls für eine steigende Masselosigkeit von Konkursen in den Krisenzeiten der dreißiger Jahre verantwortlich gemacht werden. Für die erschreckende Entwicklung der siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts, die eigentlich erst zur Bedeutungslosigkeit der Konkursverfahren führte, fehlt hingegen jede zeitliche Korrelation. Die Herausbildung und Verbreitung der benannten anonymen Sicherungsrechte in Vereinbarungen und allgemeinen Geschäftsbedingungen war zu jener Zeit längst abgeschlossen. Hier müssen andere Faktoren eine maßgebliche Rolle gespielt haben.422 b) Die beschränkte Zuständigkeit des Insolvenzrechts Dennoch darf nicht verkannt werden, dass das Bestehen dieser Sicherungsrechte eine wichtige Ursache für die Masselosigkeit vieler Insolvenzen ist. Auf eine Beschränkung ihrer zivilrechtlichen Zulässigkeit wurde dennoch zu Recht verzichtet. Eine merkliche Korrektur der beanstandeten Sicherungspraxis hätte nur erfolgen können, indem bereits die Vereinbarung von Eigentumsvorbehalten, Sicherungsübereignungen, Globalzessionen oder auch Verarbeitungsklauseln gänzlich oder zumindest in Teilbereichen (wie den diversen Erweiterungsformen) als unzulässig angesehen wird. Eine solche Reform hätte jedoch nicht nur unabsehbare Folgen für den Handelsverkehr und die Kreditvergabepraxis S. 191 ff. Die Möglichkeit einer sicherungshalber erfolgenden Übertragung nicht nur des Besitzes, sondern auch des Vollrechts wurde nicht gesehen – so auch RGZ 24, 45, 49. 419 Fischer, NJW 1959, 366. 420 RGZ 142, 139, 142; 149, 96, 102; 155, 26, 31 ff.; RG JW 1939, 563; vgl. zur Rechtsprechungsentwicklung des Reichsgerichts: Flume, NJW 1950, 841, 845 f. Der erweiterte Eigentumsvorbehalt wurde hingegen stets auch in allgemeinen Geschäftsbedingungen anerkannt – RGZ 147, 321, 325; allgemein: RG Recht 1909 Nr. 2376. 421 BGHZ 7, 365, 369; später bekräftigt in BGHZ 26, 185, 189. 422 Ebenso: Uhlenbruck, FS 100 Jahre KO, 1977, 3, 21 und 24. Hanisch, Rechtszuständigkeit der Konkursmasse, S. 27, geht sogar davon aus, dass sich nichts Entscheidendes in den Insolvenzstatistiken ändern würde, wenn die Sicherungsübereignung und der Eigentumsvorbehalt beseitigt würden, da die Masseauszehrung dann durch andere Sicherungsmittel erfolgte, würde das moderne Kreditsystem doch solche benötigen.
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mit sich gebracht,423 sie wäre auch ein ganz erheblicher Einbruch in die Vertragsfreiheit. Ein solcher Eingriff mag aus Sicht des Insolvenzrechts wünschenswert sein. Er würde jedoch maßgebliche Wertungen des Vertragsrechts missachten. Danach trägt das Insolvenzrisiko seines Vertragspartners grundsätzlich jeder einzelne Gläubiger als persönliches Risiko. Es ist allein an ihm, sich seine Geschäftspartner sorgsam auszusuchen, deren Bonität zu prüfen und gegebenenfalls vertragliche Vorkehrungen zu treffen, um sein Insolvenzrisiko zu mindern. Die Möglichkeit, sich individuell durch vertragliche Vereinbarungen gegen Risiken abzusichern und dadurch auch Privilegien vor anderen zu erwerben, ist Teil der Grundkonzeption des BGB.424 Sie führt unter anderem dazu, dass in Mehrpersonenverhältnissen eine Rückabwicklung nichtiger Verträge grundsätzlich nur im jeweiligen Vertragsverhältnis stattfinden soll, da nur dann jeder Beteiligte allein das Entreicherungsrisiko für die Person trägt, die er sich als Vertragspartner ausgesucht hat. Auf diese Weise werden Insolvenzrisiken verteilt. Da jeder Gläubiger das Risiko der Insolvenz seines Vertragspartners selbst trägt, ist auch jeder Gläubiger gehalten, diesbezüglich vorzusorgen. Die Vereinbarung von Sicherungsrechten ist daher durchaus interessengerecht und wirtschaftlich geboten. »Sie ist in einem auf der Vertragsfreiheit basierenden Vermögensrecht systemimmanent.«425 Die Grenze der Zulässigkeit wird daher zu Recht erst dort gezogen, wo die Vertragsfreiheit mangels eines Verhandlungsgleichgewichtes zu Vereinbarungen führt, die einseitig die Interessen des Sicherungsnehmers bevorzugen. Übersicherungen müssen daher ebenso unwirksam sein wie knebelnde Vereinbarungen. In diesen Fällen lässt sich zu Recht vermuten, dass eine derartige Aufgabe von Rechtspositionen durch den Sicherungsge423 Die konkreten Auswirkungen auf das Kreditwesen und damit das Wirtschaftssystem wurden nie ermittelt und lassen sich nur schwer abschätzen. Knieper, BB 1977, 622, 625, weist aber wohl zu Recht darauf hin, dass in einem modernen Wirtschaftssystem der entstehende Kapitalbedarf die Anbindung an die bereits produzierte Wertsumme weit übersteigt und es schlicht notwendig ist, auch Kapital im Vorgriff auf noch nicht produzierte Werte zur Verfügung zu stellen. Ein derartiges Kreditsystem darf nicht auf Sicherheiten beschränkt werden, die zum Zeitpunkt der Kreditvergabe bereits dinglich vorhanden sind. Der Zugriff auf künftige Werte, der gerade durch die kritisierten publizitätslosen Sicherheiten erfolgt, muss möglich sein. Eine Erhöhung des Risikos für Kapitalgeber würde zwangsläufig den Kapitalfluss verteuern und damit unternehmerische Initiative hemmen – ähnlich Stürner, ZZP 94 (1981), 263, 271; warnend auch Drobnig, Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages, 1976, Band 1, Gutachten F, S. 55 f.; Henckel, Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages, 1976, Band 2, Teil O, S. 22; Schmidt, Gutachten D zum 54. Deutschen Juristentag, S. 54; weniger Bedenken dagegen bei Hanisch, ZZP 90 (1977), 1, 12. Insofern durchaus berechtigt war die ablehnende Stellungnahme des Arbeitskreises Insolvenzrecht, bestehend aus Vertretern von Industrieunternehmen, Wirtschaftsverbänden und Kreditversicherern – veröffentlicht von Komo/Seelig/Stech, BB 1982, 1453, hinsichtlich einer Beschränkung der zulässigen Sicherungsmittel. 424 Stürner, ZZP 94 (1981), 263, 270. 425 So zu Recht Wiegand, in: Staudinger, BGB, Anh zu §§ 929 ff. Rn. 46.
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ber nicht auf einer freiwilligen Entscheidung in einer paritätischen Verhandlungsposition erfolgte. Die von den Zivilgerichten entwickelten Grenzen der Zulässigkeit der massemindernden Sicherungsrechte sind daher durchaus überzeugend und schützenswert.426 Insolvenzrechtliche Überlegungen sollten hierauf nicht einwirken. Schließlich wird eine Schicksalsgemeinschaft aller Gläubiger erst durch die Insolvenz begründet.427 Nur in dieser Gemeinschaft kann der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung (»par conditio creditorum«) gelten, da sich erst in diesem Stadium die Risikoverteilung vom einzelnen auf die Gesamtheit der Gläubiger verschiebt und Sondervereinbarungen zugunsten nur eines Gläubigers folgerichtig nun unzulässig sind.428 Vorher vereinbarte Sicherungsrechte werden in ihrem Bestand hingegen nicht mehr bedroht; sie bleiben wirksam. Die Durchsetzung dieser Sicherungsrechte ist dann allerdings wie die Durchsetzung jeder Rechtsposition gegenüber dem insolventen Schuldner das originäre Regelungsgebiet des Insolvenzrechts. Dieses bestimmt allein, welchen Vorrang Sicherungsrechte vor anderen Sicherungsrechten oder einfachen Forderungen genießen. In seinen Regelungsbereich fallen daher insbesondere auch die Fragen, ob publizitätslose Sicherheiten als Aus- oder Absonderungsrecht Berücksichtigung finden sollen bzw. wie und ab wann die Verwertung der Absonderungsrechte erfolgen soll.429 In der Konsequenz dieses beschränkten Wirkungsbereiches des Insolvenzrechts und seiner Wertungen im Gesamtsystem des Zivilrechts war es richtig, die vorgefundene Sicherungspraxis durch die Insolvenzrechtsreform nicht zu verändern.430 Die Masseauszehrung, die infolgedessen weiterhin stattfindet, ist aus rein insolvenzrechtlichem Blickwinkel sicher zu bedauern. Sie ist jedoch Folge der anzuerkennenden und in der modernen Wirtschaft verbreiteten Möglichkeiten, das Schuldnervermögen bereits vorausschauend für den Fall der In426
Wiegand, in: Staudinger, BGB, Anh zu §§ 929 ff. Rn. 48. Dies übersieht, wer (wie Weber, KTS 1959, 80, 84) den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung zur Grundlage der Nichtigkeit der Sicherungsvereinbarungen machen will. Es ist zudem inkonsequent, diese Nichtigkeit nur für Mobiliarsicherheiten zu fordern, nicht hingegen für Grundpfandrechte – so zu Recht Stürner, ZZP 94 (1981), 263, 269. 428 Allein solche Sicherungsabtretungen, nach denen erst in diesem Stadium die Forderungen auf den Zessionar übergehen sollen, sind daher unzulässig – vgl. RGZ 138, 89, 94. 429 Diese Grenze ziehen auch Bauer, DZWIR 2007, 188, 190; Henckel, Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages, 1976, Band 2, Teil O, S. 22; Stürner, ZZP 94 (1981), 263, 271; Walendy, Funktion und Legitimation des Zwangsvergleichs, S. 24. Allerdings sind auch in der Insolvenz die zivilrechtlich begründeten Ansprüche in ihrem Rang zu respektieren, da ansonsten Umverteilungseffekte eintreten, die sachlich nicht zu rechtfertigen sind; Balz, ZIP 1988, 1438, 1439. 430 Im Ergebnis ebenso Balz, ZIP 1988, 1438, 1441; Wiegand, in: Staudinger, BGB, Anh zu §§ 929 ff. Rn. 36 ff. Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes hat in dieser Frage – entgegen einer entsprechenden Äußerung des Insolvenzrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins in: KTS 1975, 59, 61 – keinen Einfluss. Aus ihm lässt sich weder ein Anspruch aller ungesicherten Gläubiger auf Durchführung eines Insolvenzverfahrens noch auf Sicherung einer Mindestquote zu Lasten der gesicherten Gläubiger herleiten. 427
C. Die Reform des Insolvenzrechts
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solvenz weitgehend zu verteilen und diese Verteilung zivilrechtlich festzuschreiben.431 Hohe Verteilungsquoten sind vor diesem Hintergrund in einem Insolvenzverfahren kaum noch zu erwarten. Es muss aber zumindest so viel Masse vorfinden, um seine Durchführung zu finanzieren, da nur so die Koordinierung der Ansprüche der einzelnen Beteiligten und damit ein geordnetes Ausscheiden des insolventen Unternehmens aus dem Markt bzw. die Wahrung seiner Sanierungschancen in einem staatlichen Verfahren gesichert bleibt. Hierin liegt – neben der Gewährung einer Chance auf einen »fresh start«, also einer Restschuldbefreiung – die Hauptaufgabe moderner Insolvenzrechte.432 Umso wichtiger war es, dass mit der Insolvenzrechtsreform die sonstigen Ursachen einer Masselosigkeit nahezu vollständig behoben wurden. 2. Die Sicherungsrechte in der Insolvenz Während der Reformgesetzgeber Eingriffe in das zivilrechtliche System der Sicherungsrechte vermied, beseitigte er weitgehend die Schwächen der bisherigen konkursrechtlichen Behandlung der Mobiliarsicherheiten. Der Ausgangspunkt ihrer insolvenzrechtlichen Wirkung blieb dabei noch identisch: vorbehaltenes Eigentum berechtigt nach wie vor zur Aussonderung in der Insolvenz des Käufers, wenn der Insolvenzverwalter die Erfüllungswahl hinsichtlich des Kaufvertrags ablehnt (vgl. §§ 103, 107 Abs. 2 InsO). Allerdings darf der Insolvenzverwalter gemäß § 107 Abs. 2 Satz 1 InsO mit der Ausübung seines Wahlrechts regelmäßig bis unmittelbar nach dem Berichtstermin warten und bis dahin die Sache im Besitz behalten und weiternutzen. Die vorläufige Fortführung des Unternehmens ist damit jedenfalls bis zum Berichtstermin gesichert. In diesem entscheiden die Gläubiger gemäß § 157 InsO über das Schicksal des Schuldnerunternehmens. Sanierungschancen bleiben gewahrt. Auch der Kreis der Absonderungsberechtigten blieb identisch. Er umfasst gemäß der §§ 50, 51 InsO neben den Pfandrechtsgläubigern insbesondere auch den Sicherungseigentümer und den Sicherungszessionar (§ 51 Nr. 1 InsO). Die Verwertung der Absonderungsrechte wurde dann jedoch in den §§ 166 ff. InsO weitgehend neu geregelt. So ist es den Gläubigern nun verwehrt, die besicherten Gegenstände aus der Insolvenzmasse herauszuverlangen, um diese eigenhändig zu verwerten. § 166 InsO beauftragt vielmehr den Insolvenzverwalter mit der Verwertung der besicherten Ansprüche sowie der in seinem Besitz befindlichen beweglichen Sachen. Hierüber hat dieser die betroffenen absonderungsberechtigten Gläubiger lediglich zu informieren (§§ 167, 168 InsO). Der Insolvenzver431 Hierauf wies bereits Uhlenbruck, FS 100 Jahre KO, 1977, 3, 25, hin. Anders Henckel, Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages, 1976, Band 2, Teil O, S. 8: »Wenn die Masse durch Sicherungsverträge vorweg verteilt ist, verfehlt der Konkurs seinen Zweck.« 432 Balz, ZIP 1988, 1438, 1439. Vgl. zum modernen Aufgabenfeld des Insolvenzrechts auch Flessner, ZIP 1981, 1283, 1287; Knieper, BB 1977, 622, 624 ff.
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Kapitel 1: Betriebswirtschaftliche und rechtshistorische Sicht
walter kann zumindest bis zum Berichtstermin von der Verwertung der Sachen absehen, wenn er sie zur vorläufigen Fortführung des Schuldnerunternehmens benötigt; dies gilt auch danach, wenn die Gläubigerversammlung im Berichtstermin die Fortführung des Unternehmens beschließt. In diesem Fall hat er dem absonderungsberechtigen Gläubiger allerdings gemäß § 169 Satz 1 InsO die laufenden Zinsen ab dem Berichtstermin aus der Masse zu zahlen. Ein durch die Nutzung entstehender Wertverlust ist nach § 172 Abs. 1 InsO nur auszugleichen, wenn dieser die Sicherung des Gläubigers beeinträchtigt. Zudem erlaubt § 172 Abs. 2 InsO sogar die Verarbeitung der belasteten Sache, also insbesondere die Fertigstellung von besicherten Halbprodukten, wenn dadurch das Sicherungsrecht nicht beeinträchtigt wird, sondern sich an der neuen Sache fortsetzt oder eine Ersatzsicherheit gestellt wird. Eine durch die Verarbeitung entstehende Werterhöhung, die sein Sicherungsinteresse übersteigt, muss der Gläubiger nach § 172 Abs. 2 Satz 2 InsO freigeben. Die vorläufige Fortführung des Schuldnerunternehmens wird durch diese Neuregelungen ermöglicht; Sanierungschancen bleiben erhalten. Doch nicht nur die Sanierungschancen werden gesichert. Auch die kritisierten negativen Nebenwirkungen auf die Insolvenzmasse, welche die bisherige Rechtslage bei der Verwertung der Absonderungsrechte mit sich brachten, werden weitgehend beseitigt. Dies gilt zunächst für die Kostenlast. Der Insolvenzverwalter darf nun die durch die Feststellung der Sicherungsrechte und deren Verwertung entstehenden Kosten beim Gläubiger geltend machen und als Kostenbeitrag nach § 170 Abs. 1 Satz 1 InsO vorweg für die Insolvenzmasse aus dem Verwertungserlös entnehmen. Die Feststellungskosten sind dabei mit vier Prozent des Verwertungserlöses anzusetzen (§ 171 Abs. 1 Satz 2 InsO); die Verwertungskosten mit fünf Prozent, soweit nicht die tatsächlichen Verwertungskosten erheblich höher bzw. niedriger sind (§ 171 Abs. 2 Satz 1 InsO). Und auch die Umsatzsteuerbelastung der Masse wurde beseitigt: gemäß § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO ist der als Umsatzsteuer anfallende Betrag ebenfalls vorweg aus dem Verwertungserlös zu entnehmen. Die neuen Verwertungsregelungen verhindern sowohl eine vorzeitige Zerschlagung des Schuldnerunternehmens wie auch eine finanzielle Belastung der Insolvenzmasse infolge der Geltendmachung von Absonderungsrechten und reagieren damit auf die Kritikpunkte an der bisherigen Rechtslage, soweit diese sich auf das Insolvenz- und nicht das Zivilrecht bezogen. Die Verwertung von Sicherheiten an Immobilien wurde demgegenüber nicht verändert, da sie nie die kritisierten Schwächen aufwies. Die §§ 49, 165 InsO verweisen diesbezüglich wie schon § 126 KO auf die Regelungen des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung (vgl. §§ 172 ff. ZVG). Die Unternehmensfortführung wird dort durch die §§ 30d bzw. 153b ZVG gesichert, welche zu diesem Zweck die einstweilige Einstellung des Verfahrens ermöglichen. Die Kosten des dortigen Verfahrens treffen nicht die Masse, sondern sind nach § 109 ZVG vor-
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weg aus dem Versteigerungserlös bzw. bei einer Zwangsverwaltung nach § 155 Abs. 1 ZVG vorweg aus den Nutzungen zu entnehmen. 3. Begrenzung der Masseverbindlichkeiten und Beseitigung von Vorrechten Eine spürbare Entlastung der Insolvenzmasse von Masseverbindlichkeiten ist durch die Insolvenzrechtsreform kaum erfolgt. Die Regelungen, welche Ansprüche zu Masseschulden erhoben, blieben im Wesentlichen unverändert (vgl. §§ 57 ff. KO und §§ 53 ff. InsO). Insbesondere das Fortbestehen von Miet-, Pacht- und Arbeitsverhältnissen und die daraus folgende Belastung der Masse mit fortlaufenden Entgeltansprüchen wurde nicht angetastet (vgl. §§ 108 ff. InsO). Sozialplanansprüche blieben Masseverbindlichkeiten (§ 123 Abs. 2 InsO); lediglich ihre Vollstreckung in die Masse ist untersagt (§ 123 Abs. 3 Satz 2 InsO). Auch Nachteilsausgleichsansprüche aus § 113 Abs. 3 BetrVG, die vom (auch vorläufigen) Insolvenzverwalter begründet wurden, sind weiterhin Masseverbindlichkeiten.433 Erleichterungen erfolgten nur in wenigen, wenn auch wichtigen Detailfragen. So können rückständige Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis aus den letzten sechs Monaten vor der Verfahrenseröffnung nicht mehr als Masseforderungen verfolgt werden; § 59 Abs. 1 Nr. 3 KO wurde ersatzlos gestrichen. Eventuelle Regressansprüche der Bundesagentur für Arbeit gemäß § 187 SGB III wegen gezahltem Insolvenzgeld sind stets nur Insolvenzforderungen. 434 Und schließlich sind bei Sukzessivlieferverträgen, die aufgrund der Wahl des Insolvenzverwalters fortgesetzt werden, gemäß § 105 InsO nur noch diejenigen Entgeltansprüche des Lieferanten Masseverbindlichkeiten, die auf Lieferungen in der Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfallen. Wegen offener Forderungen aus älteren Lieferungen ist der Lieferant trotz der Erfüllungswahl nur Insolvenzgläubiger. Wirklich bedeutend ist demgegenüber der Wegfall der Konkursvorrechte aus § 61 KO. Diese wurden durch die Insolvenzrechtsreform vollständig beseitigt.435 Insbesondere das viel kritisierte Fiskusvorrecht aus § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO ist damit entfallen. Verbindlichkeiten des Schuldners beim Finanzamt oder bei Sozialversicherungsträgern sind damit nun als Insolvenzforderungen geltend zu machen und belasten die Insolvenzmasse nicht mehr. 436 433
Vgl. Hefermehl, in: MünchKomm, InsO, § 55 Rn. 182 ff. Dies gilt gemäß § 55 Abs. 3 InsO selbst in den Fällen, in denen der vorläufige Insolvenzverwalter vor Verfahrenseröffnung die Arbeitnehmer nicht freistellte, sondern deren Arbeitskraft in Anspruch nahm. 435 Die gegen diese Behauptung vorgebrachten »Fiskusprivilegien« in einzelnen Steuergesetzes (vgl. etwa Bauer, DZWIR 2007, 188, 189) geben dem Fiskus lediglich vereinzelte Sonderrechte, etwa bei der Aufrechnung oder dem Zugriff auf Dritte, erreichen aber keineswegs die Vorrangwirkung des alten Fiskusvorrechts nach der Konkursordnung. 436 Die Sozialversicherungsträger genießen zudem auch in der Insolvenzanfechtung keine Sonderstellung. Die hierauf abzielende Neufassung des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV zum 1. 1. 434
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4. Erleichterungen im Anfechtungsrecht Während spürbare gesetzliche Verschärfungen im Gesellschaftsrecht oder im Insolvenzstrafrecht infolge der Insolvenzrechtsreform ausblieben, wurden die Anfechtungsmöglichkeiten zugunsten der Insolvenzmasse erheblich ausgebaut. Insbesondere die Tatbestände der besonderen Insolvenzanfechtung (§§ 130 bis 132 InsO) wurden in zeitlicher wie inhaltlicher Hinsicht deutlich erweitert und weitgehend von subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen befreit. Soweit Anfechtungstatbestände weiterhin subjektive Voraussetzungen enthalten, erleichtern nun gesetzliche Vermutungen deren Nachweis (vgl. §§ 130 Abs. 2 und 3, 133 Abs. 1 Satz 2 InsO). Das Anfechtungsrecht sollte auf diese Weise seine Aufgabe wieder wirksam erfüllen können.437 5. Sicherung einer frühzeitigen Insolvenzantragstellung Auf eine Verschärfung der bestehenden Antragspflichten bei Kapitalgesellschaften wurde genauso verzichtet wie auf deren Einführung für Personengesellschaften oder Einzelunternehmer. Neu geschaffen wurde hingegen der Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit in § 18 InsO. Dieser ermöglicht dem Schuldner einen frühzeitigen Insolvenzantrag in der Unternehmenskrise und dient damit primär der Sicherung bzw. Verbesserung von Sanierungschancen.438 6. Verbesserung der Insolvenzverwaltervergütung? Der vielfachen Kritik an einer unzureichenden Vergütung der Konkursverwalter wurde durch eine Neuregelung derselben in der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung (InsVV) begegnet. Inwieweit aus dieser wirklich eine Erhöhung der Vergütung im Einzelfall entsteht, lässt sich pauschal kaum abschätzen und wird teilweise durchaus skeptisch bewertet.439
2008 erwies sich glücklicherweise als handwerklich so mangelhaft, dass der BGH eine Unanfechtbarkeit der Zahlung von Arbeitnehmeranteilen an die Sozialversicherung ablehnen konnte – BGH NJW 2010, 870. Im Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen aus dem Sommer 2010 ist in Artikel 4 nun sogar die Streichung der Norm vorgesehen. Mithin lässt sich eine »schleichende Wiederkehr der Konkursprivilegien« (so Pape, ZInsO 2009, 1, 5) in den letzten Jahren tatsächlich nicht nachweisen. Abzuwarten bleibt allerdings, ob die in Zeiten knapper Kassen gerade aus dem Bundesministerium der Finanzen erhobene Forderung nach der offenen Wiedereinführung des Fiskusvorrechts gegen den Widerspruch der Wirtschaft und Wissenschaft durchzusetzen ist. 437 So die Begründung des Regierungsentwurfes zur InsO – nachzulesen bei Balz/Landfermann, Insolvenzgesetze, S. 227. 438 BT-Drucks. 12/2443, S. 81, 84. 439 Vgl. nur Nowak, in: MünchKomm, InsO, § 63 Rn. 5.
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7. Sicherung der Kostendeckung im Eröffnungsverfahren Der Reformgesetzgeber reagierte also auf die zunehmende Funktionslosigkeit des Insolvenzrechts durch eine weitgehende Beseitigung der auf dem Gebiet des Insolvenzrechts liegenden Ursachen der Masselosigkeit vieler Insolvenzen. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang auch, dass eine Verfahrenseröffnung nun bereits erfolgt, wenn genügend Insolvenzmasse vorhanden ist, um die Kosten des Insolvenzgerichts und des Insolvenzverwalters aus § 54 InsO zu begleichen. Sonstige Massekosten müssen entgegen der früheren Rechtslage (vgl. §§ 107 Abs. 1, 58 KO) nicht mehr gedeckt sein.440 Gleichzeitig haben die Verfahrenskosten nun Vorrang vor allen anderen Masseschulden (vgl. §§ 207 Abs. 3, 209 InsO), weshalb das Verfahren selbst dann zu eröffnen ist, wenn von vornherein nur ein Vermögen vorhanden ist, das die Verfahrenskosten abdeckt.441 Das so eröffnete Verfahren ist dann erst aufgrund einer Masseunzulänglichkeitsanzeige des Insolvenzverwalters gemäß § 211 InsO einzustellen, wodurch ein Verfahrenszeitraum entsteht, in dem insbesondere Insolvenzanfechtungen ermöglicht werden.442 Schließlich bleibt die Möglichkeit eines Kostenvorschusses (§§ 26 Abs. 1 Satz 2, 207 Abs. 1 Satz 2 InsO), der durch jeden Beteiligten sowie durch Dritte gezahlt werden kann und allein der Kostendeckung dient. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sollte infolge dieser Maßnahmen wieder zum Regelfall werden.443
IV. Die Rückkehr eines wirkungsvollen Insolvenzrechts Die in die Insolvenzordnung gesetzten Hoffnungen haben sich überwiegend erfüllt. Dies gilt insbesondere für die Eröffnungsquote. Das Insolvenzverfahren ist wieder zu dem Ort geworden, an dem sich der Marktaustritt eines Unternehmens vollzieht. Die Entwicklung des modernen Insolvenzrechts ist damit allerdings keinesfalls abgeschlossen. Es hat sich bereits in den ersten Jahren der neuen Insolvenzordnung in vielen Detailfragen (z. B. Insolvenzverwalterauswahl, Rechtsmittelweg, internationales Insolvenzrecht) ein nicht unerheblicher Nachbesserungsbedarf ergeben, der zu einer ganzen Reihe von Änderungsgesetzen führte.444 Festzuhalten bleibt dabei aber, dass die Kernaussagen des neuen Insolvenzrechts bislang unangetastet blieben. 440
BT-Drucks. 12/2443, S. 85. Nach § 60 Abs. 1 KO gingen im Falle einer Masseunzulänglichkeit Masseschulden aus Verwalterhandeln und fortgeführten Verträgen den Verfahrenskosten vor, so dass massearme Konkurse selbst im Fall ihrer Eröffnung schnell wieder eingestellt wurden (§ 204 KO) und gerade keine geordnete Konkursabwicklung erfolgte (vgl. BGHZ 90, 145, 150). 442 BT-Drucks. 12/2443, S. 85. 443 Kilger, ZIP 1982, 779, 785; vorsichtig optimistisch auch Terhart, Chapter 11, S. 341. 444 Einen kurzen Überblick geben etwa Pape, ZInsO 2009, 1, 2 oder Uhlenbruck/Vallender, NZI 2009, 1. 441
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1. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Regelfall Die Reformmaßnahmen waren jedenfalls insofern ein unbestrittener Erfolg, als dass in der überwiegenden Vielzahl der Unternehmensinsolvenzen wieder ein Insolvenzverfahren eröffnet wird und der Marktaustritt bzw. die Sanierung des Unternehmens auf diese Weise in geregelten Bahnen verläuft. Die statistischen Daten der ersten zehn Jahre unter dem neuen Insolvenzrecht zeigen eine Trendwende mit einer stetig wachsenden Eröffnungsquote. Wurden im Jahr 1999 bei 26.462 Unternehmensinsolvenzen noch 16.898 Verfahrensanträge mangels Masse abgelehnt (63,9 Prozent), so sank diese Ablehnungsquote bis zum Jahr 2008 kontinuierlich auf 27,1 Prozent (7.932 Ablehnungen mangels Masse bei 29.291 Anträgen). Ein Ende dieser positiven Entwicklung scheint noch nicht erreicht (vgl. Tab. 1). Insolvenzverfahren: Deutschland, Jahre, Beantragte Verfahren Insolvenzstatistik 25.000 22.500 20.000 17.500
Werte
15.000 12.500 10.000 7.500 5.000 2.500 0 99
00
01
02
03
04
05
06
07
08
Zeit eröffnet, Insolvenzverfahren (Unternehmen), Anzahl mangels Masse abgewiesen, Insolvenzverfahren (Unternehmen), Anzahl
Tab. 1: Zahlen der eröffneten und mangels Masse abgewiesenen Insolvenzverfahren in den Jahren 1999 bis 2008. Quelle: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2009.
2. Die explosionsartige Zunahme der Verbraucherinsolvenzverfahren Zugleich müssen die Insolvenzgerichte eine ungeheure Vielzahl an Verbraucherinsolvenzen bewältigen, die in der Regel allein der Erlangung einer Restschuldbefreiung dienen. Insbesondere mit der Einführung der Stundungsmög-
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lichkeit für die Verfahrenskosten bei Verbraucherinsolvenzen in § 4a InsO durch das Insolvenzrechtsänderungsgesetz vom 26. Oktober 2001 überfluteten Anträge von Verbrauchern geradezu die Insolvenzgerichte. Die Zahl der eröffneten Verbraucherinsolvenzverfahren stieg von ca. 8.000–10.000 in den Jahren 2000 und 2001 auf ca. 120.000 in den Jahren 2006 bis 2008. Die Ablehnungsquote liegt hier seit 2006 unter 4 Prozent. Die mit dieser Verfahrensflut einhergehende Arbeitsbelastung wie auch der Umstand, dass in der Mehrzahl dieser Verfahren nicht einmal die gestundeten Verfahrenskosten in der Wohlverhaltensperiode vom Schuldner geleistet werden, führte bereits zu gesetzgeberischen Überlegungen, die Restschuldbefreiung wieder445 vom Insolvenzrecht zu trennen und in einem eigenständigen Gesetz zu regeln. Der dazu im Jahr 2007 vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Entschuldung mittelloser Personen ist bislang jedoch nicht Gesetz geworden. 446 3. Die nur zögerliche Akzeptanz des Insolvenzplans Im Gegensatz zu den anderen maßgeblichen Reformzielen stellte sich der Erfolg hinsichtlich der Akzeptanz des Insolvenzplans als alternative Form der Insolvenzbewältigung, insbesondere als Mittel zur Sanierung des Schuldnerunternehmens noch in der Insolvenz, nicht so überdeutlich ein. Zwar ging auch diesbezüglich die Reform weit über eine bloße Behebung der oben aufgezeigten,447 eher formellen Kritikpunkte hinaus. Getragen vom Gedanken, dem deutschen Insolvenzrecht endlich ein echtes Sanierungsverfahren zu geben, beließ man es nicht bei kleineren Korrekturen des Zwangsvergleichs- bzw. Vergleichsverfahrens, sondern richtete das Akkordverfahren in der Insolvenzordnung so aus, dass es gerade und endlich auch zu Sanierungszwecken geeignet, ja maßgeschneidert erschien.448 Der Sanierungsplan sollte Einzug in das deutsche Insolvenzrecht halten. Die statistischen Daten weisen dem Insolvenzplan dennoch bislang eine sehr untergeordnete Rolle bei der Insolvenzbewältigung zu. So wurde etwa im Zeitraum von 1999 bis 2007 bei 171.384 eröffneten Insolvenzverfahren nur in 1.505 Fällen (0,88 Prozent) ein Insolvenzplanvorgelegt, der nur in 1.218 Verfahren (0,71 Prozent) die gerichtliche Vorprüfung (§ 231 InsO) überstand und dann stets das Verfahren beendete. Immerhin zeigt sich eine positive Tendenz: die 445 Bereits der nationalsozialistische Gesetzgeber hatte ein Restschuldbefreiungsverfahren, das Gesetz über die Bereinigung alter Schulden vom 17. August 1938, eigenständig normiert. Näheres dazu bereits oben unter B. V. 446 Dem Diskussionsentwurf vom 27. Januar 2007 folgte ein nahezu inhaltsgleicher Regierungsentwurf am 22. August 2008 (BT-Drucks. 16/7416). Nach einer negativen Stellungnahme des Bundesrates und Vorbehalten unter vielen Abgeordneten ist derzeit fraglich, ob und wann das Gesetz zur Abstimmung gelangen wird. 447 Siehe in diesem Abschnitt oben unter II. 7. 448 Vgl. Schmidt, Gutachten D zum 54. Deutschen Juristentag, S. 35.
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absolute Zahl der Planvorlagen steigt kontinuierlich – von 47 im Jahr 1999 (0,25 Prozent aller Verfahren) auf 278 im Jahr 2007 (1,36 Prozent aller Verfahren). 449 Eine wirkliche Bedeutung hat der Insolvenzplan damit bislang allenfalls in Einzelfällen erlangt. Dies mag zum einen daran liegen, dass die gerichtliche Insolvenz nach über einhundert Jahren der Konkursordnung immer noch mit dem Makel des Scheiterns und dem Bild eines Zerschlagungsmechanismus besetzt ist.450 Dieses Bild ist so tief im deutschen Bewusstsein verankert, dass selbst die politischen Eliten die Insolvenz eines Unternehmens nach wie vor als dessen Ende und daher als möglichst zu verhinderndes Übel begreifen. Die – politisch aufgeheizten – Debatten um eine staatliche Rettungsaktion für Opel oder Arcandor im Jahr 2009 haben dies deutlich gezeigt.451 Die mangelnde Bereitschaft der Schuldner zu einer frühzeitigen Insolvenzantragstellung über den Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit kann vor diesem Hintergrund wenig überraschen.452 Erst zögerlich schaffen Begriffe wie der einer »Planinsolvenz« oder auch einer »geordneten Insolvenz« neue Assoziationen und lassen die Optionen, die das Insolvenzrecht nun durch das Planverfahren bietet, auch in der breiten Öffentlichkeit publik werden.453 Allein, diese Metamorphose des Bewusstseins abzuwarten genügt nicht, um dem Planverfahren auch eine statistisch relevante Rolle bei der Insolvenzbewältigung zukommen zu lassen.454 Ein Unternehmen wird sich erst dann hinreichend frühzeitig für den Gang durch ein plangemäßes, also gerichtliches Sanierungsverfahren entscheiden, wenn es in Deutschland endlich tatsächlich eine echte »Planinsolvenz« gibt. Hierzu muss ein Krisenunternehmen (wie auch dessen Arbeitnehmer und Gläubiger) darauf vertrauen können, dass im frühzeitig eingeleiteten Insolvenzverfahren eine Unternehmensfortführung stattfindet und eine planmäßige Sanierung erfolgt. Der entscheidende Nachteil des derzeitigen, einheitlichen Insolvenzrechts 449 Quelle: Berechnungen des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn (Stand Mai 2008). Die Statistiken für Nordrhein-Westfalen aus den Jahren 2002 bis 2008 bestätigen die bundesweiten Daten, weisen sie doch ebenfalls nur in 0,5 Prozent der eröffneten Insolvenzverfahren die Annahme eines Insolvenzplans nach – vgl. Kranzusch, ZInsO 2009, 1513, 1514. 450 Siehe etwa den Erfahrungsbericht von Gerster, ZInsO 2008, 437, 438. 451 Smid, DZWIR 2009, 397, 399, bemerkt diesbezüglich zutreffend: »Der Fall Opel [ist] die Bankrotterklärung einer Politik, die an ihre eigenen Verlautbarungen ebenso wenig glaubt wie sie Vertrauen in die Gesetze hegt, die sie produziert.« 452 Pape, ZInsO 2009, 1, 4. 453 Auch bei den Insolvenzgerichten stoßen Planvorlagen immer noch verbreitet auf Widerstand, da sie mit einem erhöhten Arbeitsaufwand assoziiert werden, Hingerl, ZInsO 2008, 404, 408; auch Gerster, ZInsO 2008, 437, 439. Daneben ist auch bei den Insolvenzverwaltern eine Unternehmensfortführung nicht gerade beliebt, bedeutet diese doch häufig »mehr Arbeit, mehr Haftung, weniger Geld«; Undritz, NZI 2007, 65, 72; drastischer: Schmidt, ZInsO 2006, 791. 454 So aber wohl Pape, ZInsO 2009, 1, 5 f.; Schmudde/Vorwerk, ZInsO 2006, 347, 349. Der Bewusstseinswandel muss neben den Schuldnern und Insolvenzpraktikern auch die Gläubiger erfassen, die bereit sein müssen, auf nur noch formal vorhandene Forderungspositionen weitgehend zu verzichten.
C. Die Reform des Insolvenzrechts
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besteht leider darin, eine solche Garantie nicht geben zu können und das Schicksal des Unternehmens wie auch der Arbeitsplätze in die Hand der nach § 157 InsO entscheidenden Gläubigerversammlung bzw. der nach § 243 InsO entscheidenden Gläubigergruppen zu legen.455 Das Schicksal des Unternehmens entscheidet sich damit stets erst im gerichtlichen Verfahren. Eine zeitliche Vorverlagerung dieser Entscheidung im Interesse der Planungssicherheit ist hier notwendig und möglich. 456 Unabhängig davon wird die Relevanz einer Planlösung in der Insolvenz stets dadurch limitiert, dass ein Planverfahren nur in den Fällen wirtschaftlich vernünftig ist, in denen der Schuldner zumindest sanierungsfähig, also kein bloßer Liquidationskandidat ist, woran es in der Mehrzahl der Insolvenzfälle mangelt.457 Und selbst bei sanierungsfähigen Unternehmen kommt ein Planverfahren nur zum Zuge, wenn die Alternative einer übertragenden Sanierung über die §§ 160 ff. InsO nicht vorzugswürdig ist.458 In der deutschen Insolvenzpraxis dominiert auch aus diesem Grund die übertragende Sanierung die Rettungsbemühungen um insolvente Unternehmen.459 Trotz einer gewissen grundsätzlichen Enttäuschung hat der Insolvenzplan immerhin eine beachtliche Relevanz bei der Rettung einzelner Großunternehmen erlangt. Großinsolvenzen wie die von Herlitz oder der Senator Entertainment AG machen deutlich, dass der Insolvenzplan in der Praxis als Sanierungsinstrument funktionieren kann und zumindest insofern ein Erfolg ist,460 zumal die Deckungsquoten, die für die Insolvenzgläubiger gerade in großen Insolvenzfällen erzielt werden, durchaus beachtlich sind.461 Im Schatten dieser spektakulären Fälle gelingen aber auch immer wieder Plansanierungen von Klein(st)unternehmen. 462 Die im Jahr 2010 im Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vorgesehenen Reformmaßnahmen werden an den aufgezeigten grundlegenden Mängeln im derzeitigen Planverfahren leider wenig ändern. Das Planverfahren bliebe auch danach in seinem Ausgang wenig planbar und hätte weiter nur eine geringe Anzahl an wirtschaftlich tauglichen Plankandidaten. 455
Hierauf weist Anton, ZInsO 2009, 506, 507, zutreffend hin. Siehe hierzu den Vorschlag einer »Bestätigungsinsolvenz« im 5. Kapitel unter C. 457 Gerster, ZInsO 2008, 437, 440. 458 Näher dazu bereits bei A. III. 3. 459 Hagebusch/Oberle, NZI 2006, 618, 620; Uhlenbruck/Vallender, NZI 2009, 1, 5; Westpfahl/Janjuah, ZIP 2008, Beilage zu Heft 3, 1, 2. 460 Schmudde/Vorwerk, ZInsO 2006, 347, 350; Uhlenbruck/Vallender, NZI 2009, 1, 5. Hagebusch/Oberle, NZI 2006, 618, 620, sehen insbesondere bei großen und mittelgroßen Verfahren mit komplexen Finanzstrukturen einen Bedeutungszuwachs der Planverfahren. 461 Die Statistiken für Nordrhein-Westfalen aus den Jahren 2002 bis 2008 weisen für erfolgreiche Insolvenzplanverfahren größerer Unternehmen durchschnittliche Deckungsquoten von über 50 Prozent nach – vgl. Kranzusch, ZInsO 2009, 1513, 1518 f. 462 Siehe etwa den Erfahrungsbericht von Stapper, ZInsO 2009, 2361, 2362. Dieser hält es für realistisch, in 3 Prozent aller Insolvenzverfahren eine Planlösung zu fi nden. 456
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V. Die U. S.-amerikanischen Wurzeln des Insolvenzplans Der Erfolg des Planverfahrens basiert primär darauf, dass der Reformgesetzgeber die Vorgängerregelungen des Vergleichs und des Zwangsvergleichs nicht nur überarbeitete, sondern mit dem Insolvenzplan ein neues Rechtsinstitut kreierte. Er ging dabei in den grundsätzlichen Fragen des Verfahrens- und Abstimmungsablaufs zunächst von Überlegungen aus, die Karsten Schmidt in seinem Gutachten zum 54. Deutschen Juristentag463 formuliert hatte.464 Später löste er sich dann jedoch von der sehr sanierungsbezogenen Sichtweise Schmidts und schuf so mit dem Insolvenzplan nicht allein einen Sanierungsplan, sondern einen umfassenden »Rechtsrahmen für die einvernehmliche Bewältigung der Insolvenz im Wege von Verhandlungen und privatautonomen Austauschprozessen« mit einem »Höchstmaß an Flexibilität«, ein »universelles Instrument der Masseverwertung«.465 Prägendes Vorbild für die Ausgestaltung des neuen Insolvenzplanverfahrens war dabei das U. S.-amerikanische Recht, dessen Regelungen hinsichtlich einer Masseverwertung mittels Planes dem Reformgesetzgeber als »vorbildlich« und »von besonders hoher Reife« erschienen. 466 Der Reorganisationsplan in Chapter 11 des U. S. Bankruptcy Code wurde daher die maßgebliche Quelle für das neue Rechtsinstitut des Insolvenzplans. 1. Das Verfahren nach Chapter 11 des Bankruptcy Code Es sind also die Mechanismen und Strukturen, die das amerikanische Reorganisationsverfahren in Chapter 11 prägen, welche als Vorbild für die Regelungen des deutschen Insolvenzplanverfahrens Eingang in das deutsche Insolvenzrecht gefunden. Begriffe wie das Obstruktionsverbot (cramdown), der »best interest test« und selbst der des Plans an sich sind in Deutschland neu. Zur ihrem besseren Verständnis wird im Folgenden nicht nur ihre historische Entwicklung nachvollzogen, sondern auch ihre gegenwärtige Bedeutung dargestellt. Darauf aufbauend muss natürlich hinterfragt werden, wie im amerikanischen Recht die Rechtsnatur eines Reorganisationsplans betrachtet wird und ob sich aus der Abkehr des deutschen Gesetzgebers von Vergleich und Zwangsvergleich hin zum Plan auch eine Abkehr vom Vertragsdogma folgt.
463
Schmidt, Gutachten D zum 54. Deutschen Juristentag, 1982. Vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 103. 465 BT-Drucks. 12/2443, S. 90. 466 BT-Drucks. 12/2443, S. 106. Dies ist insofern verständlich, als immer wieder große Reorganisationsfälle als Chapter 11-Verfahren erfolgreich abgewickelt werden. Andererseits liegt der Anteil der Reorganisationsverfahren an den Insolvenzverfahren in den U. S. A. nur bei ca. 2 bis 4 Prozent und ist damit ähnlich gering wie in Deutschland (Zahlen für die Jahre 1988 bis 1992 aus Terhart, Chapter 11, S. 59). Dies dürfte nun einmal dem Anteil der sanierungsfähigen Schuldner entsprechen. 464
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a) Die Entwicklung des Reorganisationsverfahrens und seiner Prinzipien Ein eigenes amerikanisches Insolvenzecht entstand bereits unmittelbar nach der Verabschiedung der Verfassung der Vereinigten Staaten, also nach der Schaffung der Grundlagen eines eigenen Rechtssystems. Bereits im Jahr 1800 trat der erste Bankruptcy Act in Kraft. Das darin enthaltene Insolvenzverfahren enthielt natürlich einen Mechanismus der Gesamtvollstreckung. Daneben ermöglichte aber bereits dieses erste amerikanische Insolvenzgesetz dem redlichen Schuldner eine Restschuldbefreiung am Ende des Verfahrens und unterschied sich insofern grundsätzlich vom damaligen deutschen Recht. Der Gedanke, dass ein Insolvenzverfahren nicht nur der geordneten Verwertung des Schuldnervermögens zugunsten der Gläubiger, sondern auch der Entschuldung des redlichen Schuldners dienen sollte, war insofern von Beginn an Teil des amerikanischen Insolvenzrechts. Es verdankte diese Modernität seinem englischen Ursprung. Das englische Insolvenzrecht hatte bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts eine beachtliche Entwicklung vollzogen. In seinen Anfängen stand es wie die kontinentaleuropäischen Insolvenzgesetze eher einer strafrechtlichen Regelung nahe; eine Restschuldbefreiung für den redlichen Schuldner war nicht denkbar. Die erste englische Kodifizierung eines Insolvenzgesetzes findet sich in der Gesetzgebung von Heinrich VIII (1542).467 Sie sah im Bankrott des Schuldners allein den Aspekt einer strafwürdigen Handlung (»acts of bankruptcy«) und war entsprechend schuldnerfeindlich ausgestaltet. So erfasste die hoheitliche Beschlagnahme infolge der Insolvenz nicht nur das Schuldnervermögen, sondern auch die Person des Schuldners selbst. Schon 28 Jahre später (1570) wurde das Gesetz durch Elisabeth I maßgeblich modifiziert. Sie begrenzte zunächst den Anwendungsbereich des Insolvenzrechts auf Kaufleute, sah für diese dann aber vor, dass nicht nur deren vorhandenes, sondern auch jedes künftige Vermögen der Beschlagnahme unterliegt. 468 Eine Restschuldbefreiung wurde nicht einmal erwogen. An dieser grundsätzlich kriminalisierenden Sichtweise hielt auch die nächste grundlegende Überarbeitung des englischen Insolvenzrechts durch Königin Anne im Jahre 1705469 fest, ermöglichte es doch etwa die Verhängung der Todesstrafe bei betrügerischem Bankrott. Es war allerdings gerade dieses Gesetz von 1705, das erstmals für solche Schuldner, die im Konkursverfahren kooperierten, die Möglichkeit der Restschuldbefreiung vorsah.470 Der Gedanke der Restschuldbefreiung für den 467
»An Act against Such Persons as Do Make Bankrupts«, 34 & 35 Henry VIII. Ausführlich zu beiden Regelungen: Remington, Bankruptcy Law, Vol. I, 1915, S. 3 ff.; Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 7–10 (1995). 469 »An act to prevent frauds frequently committed by bankrupts«, 4th Anne. (auch »Statute of Anne« oder »Queen Anne’s Act« genannt). 470 Remington, Bankruptcy Law, Vol. I, 1915, S. 10; Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 10 (1995). Die Restschuldbefreiung wurde jedoch schon bald von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht (wie etwa der Zustimmung der Gläubiger oder aber dem Erreichen einer Min468
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redlichen Schuldner war im englischen Recht verankert. 471 Das erste bundesweite amerikanische Konkursgesetz von 1800 übernahm weitgehend das damals geltende englische Recht und gewährte unter ähnlichen Umständen eine Schuldbefreiung. Anders als in Deutschland war die Entschuldung des Schuldners und die damit verbundene Ermöglichung eines »fresh start« folglich immer Teil der Verfahrensfunktion des U. S.-Insolvenzrechts. Dieser Aspekt wurde für die breite Öffentlichkeit im Laufe der Zeit so prominent, dass die Erlangung einer Restschuldbefreiung in der Bevölkerung verbreitet als der Hauptzweck jeder Insolvenzgesetzgebung angesehen wurde; 472 eine Entwicklung, die sich derzeit in Deutschland beim (neuen) Institut der Verbraucherinsolvenz beobachten lässt. (1) Die Bankruptcy Acts von 1800, 1841 und 1867 Betrachtet man die Insolvenzgesetzgebung in den Vereinigten Staaten des 19. Jahrhunderts, so fällt unmittelbar auf, dass keines der drei in diesem Zeitraum entstandenen, bundesweiten Insolvenzgesetze längere Zeit in Kraft blieb. Der schon erwähnte Bankruptcy Act von 1800 existierte nur bis 1803, 473 der von 1841 wurde 1843 außer Kraft gesetzt474 und auch der Bankruptcy Act von 1867 wurde schon 1878 aufgehoben.475 Jeder dieser Versuche einer Neuregelung entstand in der Folge einer Wirtschaftskrise und dem dann sichtbar werdenden Elend einer Vielzahl von gescheiterten Schuldnern. Nach der Überwindung der Krise und der Entschuldung vieler Kaufleute durch die Insolvenzgesetze kippte die öffentliche Meinung sehr rasch und richtete sich nun gegen die als unzureichend und unpraktisch empfundenen Gesetze. Die Gründe hierfür waren vielgestaltig.476 Spielten um 1803 noch Ängste vor einer zentralistischen Bevormundung durch Bundesgesetze eine entscheidende Rolle, so waren es in den späteren Jahren eher die auch heute bekannten Probleme vieler Insolvenzverfahren: geringe Quoten, vergleichsweise hohe Kosten und Gebühren sowie eine Vieldestquote), vgl. Remington, Bankruptcy Law, Vol. I, 1915, S. 10 f.; Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 11 (1995). 471 Entstanden ist er hier jedoch nicht. Die Idee einer Restschuldbefreiung lässt sich etwa schon im Alten Testament nachweisen. Nach Deuteronomium, 15:1–3 oder auch Exodus, 21:2 war jeder Jude dazu verpflichtet, seinen jüdischen Schuldnern nach sieben Jahren ihre Schuld zu erlassen. 472 Auf diesen verbreiteten Irrtum weist Remington im Jahr 1915 einleitend hin (Bankruptcy Law, Vol. I, S. 1). 473 Der Bankruptcy Act vom 4. April 1800 wurde durch das Gesetz vom 19. Dezember 1803 wieder aufgehoben. 474 Der Bankruptcy Act vom 19. August 1841 wurde durch Kapitel 82 des Gesetzes vom 3. März 1843 aufgehoben. 475 Der Bankruptcy Act vom 2. März 1867 wurde durch das Gesetz vom 7. Juni 1878 aufgehoben. 476 Vgl. etwa Remington, Bankruptcy Law, Vol. I, 1915, S. 12 ff.; Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 15 ff. (1995).
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zahl von Restschuldbefreiungen für eher als unredlich erscheinende Schuldner. Hierzu kam der nicht zu unterschätzende Umstand, dass gerade die Verortung der Insolvenzsachen bei den Bundesgerichten in der Praxis die Reise aller Parteien und Anwälte zu oft weit entfernten Gerichtsorten erforderte, was gerade bei Streitigkeiten unter Nachbarn als schlicht unzumutbare Schikane empfunden wurde.477 Die Reaktion des Gesetzgebers auf den Unmut bestand stets in der Aufhebung des jeweiligen Gesetzes anstelle einer durchaus denkbaren Reform. Jeder spätere Versuch einer Neuregelung enthielt dann allerdings Neuerungen, die für die weitere Rechtsentwicklung bedeutsam waren und im Folgenden kurz dargestellt werden sollen. Der Bankruptcy Act von 1800 übernahm (teilweise wortgleich) das damals geltende englische Recht. Er galt nur für Kaufleute (§ 1) und erlaubte eine gerichtliche Restschuldbefreiung, wenn der Schuldner kooperiert hatte und der commissioner, eine Art Insolvenzverwalter, dies bestätigte bzw. eine Zweidrittelmehrheit der Gläubiger (Kopf- und Summenmehrheit) statt desselben der Befreiung zustimmten (§ 36). Weder das damalige englische Recht noch der Bankruptcy Act von 1800 oder der nachfolgende Act von 1841 beinhalteten ein Akkordverfahren, also die Möglichkeit einer einvernehmlichen alternativen Insolvenzbewältigung im eröffneten gerichtlichen Verfahren.478 Jedes dieser Verfahren sah vielmehr zwingend die Liquidation des vorhandenen Schuldnervermögens vor. Der Act von 1841 schuf dann erstmals das Recht des Schuldners, selbst und freiwillig über sein Vermögen ein Insolvenzverfahren einzuleiten (§ 1 – sog. »voluntary petition«), um in diesem eine Restschuldbefreiung zu erlangen. Zugleich beschränkte sich das Verfahren nicht mehr nur auf Kaufleute; es stand jeder natürlichen Person offen. 479 Die »discharge« setzte wiederum allein die Kooperation des Schuldners voraus, die allerdings nun durch das Gericht selbst festgestellt wurde (§ 4). Einer Bestätigung durch den Verwalter bedurfte es hierzu ebenso wenig wie einer Zustimmung der Gläubiger. Letztere konnten die gerichtliche Restschuldbefreiung allerdings – wenn auch nur vorübergehend – verhindern, indem sie bei Gericht einen »written dissent«, einen Einspruch, einreichten, der durch die Kopf- und Summenmehrheit der Gläubiger unterstützt wurde (§ 4). Der Schuldner konnte in einem solchen Fall einen Prozess vor einer Jury verlangen, der darüber entschied, ob er sich in jeder Hinsicht an die gesetzlichen Bestimmungen gehalten hatte und ihm daher eine Restschuld-
477 Erst der Bankruptcy Act von 1898 sah vor, dass in jedem County ein Bankruptcy Court jedenfalls in Person eines Referee tätig sein soll; Remington, Bankruptcy Law, Vol. I, 1915, S. 15. 478 Hierauf weisen Gilbert/Rosbrook, in: Collier, Law and Practice of Bankruptcy, Vol. I, 1921, S. 311, zutreffend hin. 479 Näher Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 17 (1995).
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befreiung zustand (§ 4 am Ende).480 Das Vorliegen von Obliegenheitsverletzungen entschied damit letztendlich über die Restschuldbefreiung. Nach dem Bankruptcy Act von 1867 konnten erstmals auch corporations, also Körperschaften, ein Insolvenzverfahren eröffnet werden (§ 5013). Das Verfahren stand damit erstmals allen Schuldnern offen. Die Restschuldbefreiung konnte nun auch von einer Gläubigermehrheit nicht mehr aufgeschoben werden. Um dennoch die Gläubigerinteressen zu wahren, setzte sie nun allerdings ein verteilungsfähiges Schuldnervermögen voraus, dass mindestens 50 Prozent der angemeldeten Forderungen deckte (§ 5112). Gelang dies nicht, so erlaubte nur noch die Zustimmung der einfachen Kopf- und Summenmehrheit der Gläubiger überhaupt eine Restschuldbefreiung (§ 5112). Dieser eher schuldnerfeindliche Teil der gesetzlichen Regelung trat allerdings erst ein Jahr nach dem Bankruptcy Act in Kraft, wodurch in der Praxis vielen Schuldnern bei rechtzeitiger Verfahrenseröffnung eine Restschuldbefreiung ohne diese Hürden gelang. 481 Schließlich wurden die strengen Anforderungen schon im Änderungsgesetz von 1874, dem »Act of June 22, 1874« erheblich entschärft (§ 5112 A). Bei Insolvenzverfahren, die vom Schuldner selbst eingeleitet wurden, war danach nur noch ein Schuldnervermögen in Höhe von 30 Prozent der Forderungssumme notwendig. Verfehlte der Schuldner diese Anforderung, so bedurfte die Restschuldbefreiung nur noch der Zustimmung jedes vierten Gläubigers, soweit diese mindestens ein Drittel der Forderungen repräsentierten. Beruhte das Verfahren nicht auf einem Schuldnerantrag, so entfiel die Missbrauchsgefahr und für die Restschuldbefreiung war überhaupt kein verteilungsfähiges Vermögen mehr notwendig. Die Stärkung der Gläubigerrechte, der Hauptzweck vieler Regelungen im Gesetz von 1867, zeigt sich dann auch in einer weiteren Neuerung. Gemäß § 5103 konnten die Gläubiger mit einer Drei-Viertel-Summenmehrheit beschließen, dass das Vermögen des Schuldners nicht durch den gerichtlich bestimmten Verwalter liquidiert wird. Stattdessen konnten sie einen Treuhänder (Trustee) bestimmen, der das Vermögen unter Aufsicht eines Gläubigerausschusses übernahm und nach dessen Anweisungen gemäß dem Beschluss verteilte. Dieser Mehrheitsbeschluss band dann auch die Gläubigerminderheit hinsichtlich der Masseverteilung und durfte daher nur gerichtlich bestätigt und umgesetzt werden, wenn er für alle Gläubiger vorteilhaft war. Die Gläubiger hatten damit erstmals die Macht, jedenfalls die Verteilung des Schuldnervermögens selbst zu bestimmen. Diese blieb aber einziges Ziel des Verfahrens. Das erste amerikanische Akkordverfahren entstand durch die Reform des Bankruptcy Acts von 1867 im Act of June 22, 1874, der das composition agreement in § 5103 A einführte. Danach konnte erstmals der Schuldner einen Ver480 Genauer zur Restschuldbefreiung nach dem Bankruptcy Act 1841 siehe etwa Owen, Law and Practice of Bankruptcy, 1842, S. 216 ff. 481 Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 20 (1995).
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gleichsvorschlag unterbreiten, in welchem er die Begleichung eines Teils seiner Schulden in bar gegen den Erlass seiner Restschulden anbot. Zugleich war er verpflichtet, in dem Vorschlag sein Vermögen und seine Schulden offenzulegen. Wurde dieser Vorschlag in einer Gläubigerversammlung von der einfachen Kopf- und dreiviertel Summenmehrheit der abstimmenden (ungesicherten) 482 Gläubiger angenommen und zudem von zwei Dritteln aller (ungesicherten) Gläubiger, die mindestens die Hälfte der Forderungssumme repräsentierten, schriftlich bestätigt, so wurde er dem Gericht vorgelegt. Dieses musste das composition agreement protokollieren, wenn es annehmen konnte, dass es im Interesse alle Gläubiger lag (»for the best interest of all concerned«); der »best interest test« war geboren. Dieser verlangte, dass keiner der Gläubiger bei einer Barzahlung aufgrund des composition agreement weniger erhält als bei einer Liquidation des Schuldnervermögens.483 Der gerichtlich protokollierte Beschluss band dann auch die Gläubiger, die gegen ihn gestimmt hatten, sowie alle anderen im Schuldnerverzeichnis aufgeführten (ungesicherten) Gläubiger. Die Durchsetzung der composition erfolgte auf der Grundlage eines Antrags durch das Gericht. Erstmals war es damit möglich, das Schuldnervermögen vor der Zerschlagung durch die ungesicherten Gläubiger zu bewahren, indem eine Geldsumme angeboten und akzeptiert wurde. Das Verfahren nach § 5103 A mag insofern als Vorläufer des heutigen Reorganisationsverfahrens angesehen werden.484 Allerdings waren auch seine Defizite nicht zu übersehen. Sein entscheidender Makel lag darin, nur ungesicherte Gläubiger zu binden und nur eine Geldleistung zur Abwendung der Liquidation zu ermöglichen; 485 insbesondere die Umwandlung von Schulden in Anteile am entschuldeten Unternehmen war unzulässig. Eine umfassende Reorganisation des Schuldners unter Beteiligung aller Gläubiger sowie aller Gesellschafter konnte daher im Rahmen einer composition nicht erfolgen.486 Daneben blieb es trotz der composition beim dem Grundsatz, dass mit der Einleitung des Verfahrens das Vermögen des 482 Gesicherte Gläubiger wurden von der composition nicht erfasst. Sie konnten sich allerdings freiwillig in ihren Anwendungsbereich begeben (und von der angebotenen Barzahlung profitieren), wenn sie alle ihre Sicherheiten an der Masse und damit ihren Status aufgaben, § 5103 A (Absatz 1 Satz 4). 483 Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 21 (1995). Einen detaillierten Überblick über die Entwicklung des »best interest test« bis ins aktuelle Recht gibt Hicks, 5 Nev. L. J. 820, 822 ff. (2005). 484 Finletter, Bankruptcy Reorganization, S. 23; Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 21 (1995); auch Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, Vor §§ 217–269 Rn. 16. 485 Die Gerichte versuchten diesen Mangel abzumildern, indem sie anstelle von Bargeld auch die Leistung von Sicherheiten und Wechseln zuließen; vgl. die Nachweise bei Gerdes, Corporate Reorganization, S. 95, Fn. 37. 486 Finletter, Bankruptcy Reorganization, S. 24 f.; Gordon, Bankruptcy Act, S. 202; McCurdy Marsh, 1 Newark L. Rev. 1, 2 f. (1936). Gerdes, Corporate Reorganization, S. 19–21, lehnt es daher (nicht zu Unrecht) ab, irgendeine der vor 1933 geschaffenen gesetzlichen Regelungen als Reorganisationsverfahren anzusehen.
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Schuldners auf einen Verwalter überging. Eine Regelung zur Eigenverwaltung des Schuldners fehlte. Der Schuldner verlor also stets die Kontrolle über sein Unternehmen. Eine große praktische Bedeutung blieb dem Verfahren aber nicht nur infolge dieser Mängel versagt. Der Bankruptcy Act wurde bereits 1878 in Gänze aufgehoben, weshalb das Verfahren der Praxis überhaupt nur ca. vier Jahre zur Verfügung stand. (2) Equity Receivership Das häufige Fehlen einer bundesgesetzlichen Kodifikation stellte sich für die Entwicklung des Reorganisationsrechts als durchaus innovationsfördernd heraus. Gerade in den im 19. Jahrhundert nicht seltenen Zeiträumen ohne einen geltenden »Bankruptcy Act« entstand eine Konstellation, die nach einem wirkungsvollen Reorganisationsmechanismus verlangte. Die Mitte des 19. Jahrhunderts sah eine nahezu explosionsartige territoriale Expansion der Vereinigten Staaten gen Westen. Unverzichtbares Mittel für die Erschließung dieser neuen Staatsgebiete war in der damaligen Zeit die Eisenbahn. Sie bildete das Rückgrat der Expansion, fehlten doch noch wirkungsvolle alternative Transportmittel. Die gesamte Wirtschaftsentwicklung des Landes hing weitgehend von der Entwicklung der Eisenbahngesellschaften ab. Es verwundert daher kaum, dass es gerade die großen Eisenbahngesellschaften waren, deren finanzielle Schwierigkeiten und Insolvenzen die großen Wirtschaftskrisen des späten 19. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten auslösten.487 Leider stellten sich gerade die Eisenbahnunternehmen als alles andere als insolvenzsicher heraus. Ihr Geschäftsmodell war sehr kostenintensiv, störungsanfällig und spekulativ. Ihre enorme Marktmacht führte zudem dazu, dass in der Expansionszeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts Insidergeschäfte und Betrug in den Eisenbahngesellschaften alltäglich waren. Sie waren in der Regel von den Bauunternehmen gegründet worden, die den Streckenbau organisierten, und schlossen folgerichtig höchst unvorteilhafte Verträge mit diesen Firmen über den Streckenausbau und die Streckennutzung. Ihre Preispolitik begünstigte großen Handelspartner zu Lasten der kleinen Farmer. Ihre Buchführung war abenteuerlich und von dem Bemühen getragen, finanzielle Schwierigkeiten längst möglich zu verschleiern.488 Folgerichtig kamen Insolvenzen von Eisenbahngesellschaften in dieser Zeit sehr häufig vor. Fehlte nun ein anwendbares bundesweites Insolvenzgesetz, so richtete sich das Insolvenzverfahren nach dem jeweiligen einzelstaatlichen 487 So resultierte sowohl die Depression nach 1873 als auch die folgende nach 1893 aus dem Zusammenbruch großer Eisenbahngesellschaften – vgl. Lubben, 89 Cornell L. Rev. 1420, 1428 f. (2004). 488 Lubben, 89 Cornell L. Rev. 1420, 1427 (2004). Der Congress schritt mit dem Interstate Commerce Act von 1887 ein und schuf eine Aufsichtsbehörde für Eisenbahngesellschaften, ohne dass dies an den Geschäftspraktiken viel ändern konnte – so Lubben, 89 Cornell L. Rev. 1420, 1430 (2004).
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Bestimmungen, welche die Beschlagnahme und anschließende Verwertung des Schuldnervermögens zugunsten der Gläubiger vorsahen. Eisenbahnunternehmen besaßen nun allerdings kaum Vermögen, das auch außerhalb des Eisenbahnbetriebes sinnvoll einzusetzen war. Die Demontage und Veräußerung von Eisenbahnstrecken und -inventar zugunsten der Gläubiger war insofern wenig rational.489 Eine solche Liquidation der Eisenbahngesellschaft hätte zudem nicht nur deren Vermögen, sondern zugleich die Infrastruktur ganzer Landstriche vernichtet und damit die wirtschaftliche Entwicklung der jungen Nation gefährdet. Sie war insgesamt daher weder ökonomisch noch politisch gewollt. Stattdessen musste trotz der Insolvenzsituation die Fortführung des Unternehmens gesichert werden. Es bedurfte dazu eines funktionstüchtigen Sanierungsund Reorganisationsverfahrens für die Eisenbahnen. Mangels vorhandener gesetzlicher Regelungen wandte man sich – wie im common law üblich – an die Gerichte, genauer an die Bundesgerichte (federal courts),490 welche daraufhin aus schon bekannten Equity-Grundsätzen ein Verfahren entwickelten, das »Equity Receivership« genannt wurde. Dieses Verfahren war in seinen Ursprüngen kein Reorganisationsverfahren; es bezweckte allein der Verhinderung der Zerschlagung eines Vermögensgegenstandes oder einer bestimmten Vermögensmasse des Schuldners im Wege einer Vielzahl von Einzelzwangsvollstreckungen, indem es durch Gerichtsbeschluss das Schuldnervermögen beschlagnahmte, um eine Verwertung im Ganzen sowie eine gleichmäßige Verteilung des Erlöses unter allen Gläubigern sicherzustellen. Die Rechtsprechung der federal courts hatte diese Grundsätze in einer Reihe von Fällen bereits erfolgreich angewandt. Stand etwa für die Erfüllung einer Vielzahl von Forderungen nur ein begrenzter, unzureichender Vorrat zur Verfügung, so konnte jeder einzelne Gläubiger bei Gericht zugunsten aller Gläubiger die Beschlagnahme des Vorrats und dessen gleichmäßige Verteilung verlangen. Mit seiner Klage stoppte der Gläubiger zugleich den Zugriff anderer (auch gesi-
489 Sehr anschauliche Beispiele für die besondere Interessenlage bei Eisenbahngesellschaften finden sich insbesondere bei Glenn, 25 Colum. L. Rev. 434, 441–444 (1925). 490 Natürlich stand den Beteiligten auch der Weg zu den Gerichten der Bundesstaaten (state courts) offen. Ein Beispiel aus dem Jahr 1846 liefert etwa Glenn, 25 Colum. L. Rev. 434, 441 (1925). Die Zuständigkeit der Bundesgerichte war jedoch bereits eröffnet, wenn der antragstellende Gläubiger seinen (Wohn-)Sitz in einem anderen Bundesstaat als der Schuldner hatte – ein Erfordernis, das sich leicht erfüllen ließ und das im Regelfall der Grund für die Anrufung der Bundesgerichte war – vgl. Gerdes, Corporate Reorganization, S. 37. Daneben war die Zuständigkeit der Bundesgerichte eröffnet, wenn das Vermögen des Schuldners in verschiedenen Bundesstaaten lag, vgl. Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 21 (1995). Dabei entstand allerdings die Frage nach dem örtlich zuständigen Bundesgericht. Während bei Eisenbahnen hier eine zentrale Zuständigkeit am Sitz der Gesellschaft angenommen wurde, mussten bei anderen Schuldnern oft parallele Verfahren bei mehreren Bundesgerichten eingeleitet werden – ein Mangel, der erst durch die Kodifizierung eines Reorganisationsverfahrens in den 1930iger Jahren beseitigt wurde, vgl. Gerdes, Corporate Reorganization, S. 40 ff.
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cherter) Gläubiger auf den Vorrat.491 Entsprechendes galt, wenn die Rechte mehrerer Gläubiger an einem Vermögensgegenstand unklar waren. Auch dann konnte auf Antrag eines (titulierten) Gläubigers der Gegenstand beschlagnahmt und bis zur Feststellung der Rechte auf einen Receiver übertragen werden. Reichte das beschlagnahmte Vermögen nicht zur Deckung aller festgestellten Rechte aus, so konnte dem Receiver wiederum aufgegeben werden, die Verwertung des Vermögens sowie die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger aus dem Erlös sicherzustellen.492 Schließlich hatte die Equity-Rechtsprechung einem Nachlassgläubiger oder Vermächtnisnehmer das Recht gewährt, bei einem Nachlass ungewissen Wertes Auskunft und Rechnungslegung sowie gleichmäßige Befriedigung mit allen anderen Gläubigern zu verlangen. 493 Der Beginn jeder Equity Receivership war nach den hergebrachten Grundsätzen also der Antrag eines Gläubigers; ein Schuldnerantrag genügte nicht.494 Der reorganisationswillige Schuldner musste daher stets einen Gläubiger finden, der das Verfahren formal einleitete. Gelang dies, so machte der Schuldner selbstverständlich von seinem Recht, Einwendungen gegen die Verfahrenseinleitung zu erheben, keinen Gebrauch. Das Verfahren war insofern kein kontradiktorisches, sondern ein einvernehmliches. 495 Auf einen solchen Gläubigerantrag hin bestellte der federal court einen receiver, auf den das Vermögen des Schuldnerunternehmens übertragen wurde. 496 Zugleich untersagte es Einzelzwangsvollstreckungen in das Schuldnervermögen. 497 Der receiver führte sodann das Schuldnerunternehmen fort und betrieb gleichzeitig die Verwertung des verwalteten Vermögens, indem er einen Käufer suchte.498 Das gerichtliche Verfahren endete durch die Veräußerung und Übertragung des Schuldnerunternehmens als Ganzes im Wege der Zwangsversteigerung (foreclosure sale), aus dessen Erlös die Gläubiger befriedigt wurden. Der Erwerber erhielt das Unternehmen frei von Altschulden. Die Veräußerung eines fortgeführten Unternehmens als Ganzes sollte die Realisierung eines Kaufpreises ermöglichen, der über dem Zerschlagungswert und näher am Fortführungswert des Unterneh-
491
Vgl. Finletter, Bankruptcy Reorganization, S. 6 ff. (limited-fund principle). Vgl. Gerdes, Corporate Reorganization, S. 8 ff. (judgement creditors’ bill for equitable execution). 493 Vgl. Gerdes, Corporate Reorganization, S. 13 ff. (distribution of decedents’ estate). 494 Dodd, 23 Ill. L. Rev. 105, 107 (1928); Glenn, 25 Colum. L. Rev. 434, 438 (1925). 495 Dazu näher Gerdes, Corporate Reorganization, S. 28. 496 Auch diese »Receivership« war nicht neu. In Fällen, in denen das Gericht eine Vermögensmassen beschlagnahmt hatte, verwaltete es diese nicht selbst, sondern bestellte – soweit notwendig – einen receiver und übertrug ihm das beschlagnahmte Vermögen, vgl. Finletter, Bankruptcy Reorganization, S. 8 f. (conservation receivership). 497 Zu den Rechten gesicherter Gläubiger hinsichtlich einer Anpassung ihrer Sicherheiten im Verfahren siehe etwa Gerdes, Corporate Reorganization, S. 34 ff. 498 Die Befugnisse des receivers waren sehr weitreichend, vgl. dazu Dodd, 23 Ill. L. Rev. 105, 108 ff. (1928). 492
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mens war und erschien daher in der Theorie für alle Beteiligten vorteilhaft. 499 Zugleich wurde die Fortführung des Unternehmens gesichert. In seiner grundsätzlichen Struktur handelte es sich bei der Equity Receivership damit um einen Fall der übertragenden Sanierung innerhalb eines gerichtlichen Verfahrens. Die rechtliche Fixierung eines Sanierungskonzeptes war dabei nicht Teil des Gerichtsverfahrens. Dieses beschränkte sich auf die vorübergehende Verwaltung sowie die lastenfreie Veräußerung des Schuldnerunternehmens als Vermögensmasse. Die Erarbeitung und Vereinbarung eines Plans zur Reorganisation des Unternehmens musste von daher außerhalb des gerichtlichen Verfahrens erfolgen. Konnten sich die Beteiligten auf einen Plan zur Restrukturierung des Schuldnerunternehmens einigen, so war die Entschuldung des Unternehmens infolge der gerichtlichen Versteigerung Teil des Plans. Das Gericht führte in diesen Fällen also ein dem Plan entsprechendes Verfahrensende herbei.500 Im Grundsatz war die Equity Receivership also nur Teil eines außergerichtlichen Reorganisationsverfahrens.501 Diese Offenheit des Receivership-Verfahrens führte in der Praxis schon bald zu scheinbar zweifelhaften Ergebnissen und Verfahrensweisen; Missbrauchsvorwürfe wurden laut.502 Dies lag vor allem im Ausgang der Mehrzahl der Verfahren begründet. Am Ende der Verfahren war es häufig das alte, korrupte Unternehmensmanagement, das auch in den neuen, entschuldeten Unternehmen wieder die Geschäfte führte, während die Mehrzahl der einfachen Gläubiger ihre Forderungen nahezu vollständig eingebüßt hatte. 503 Der einfache Grund für diese – wohl nur in Einzelfällen tatsächlich missbräuchliche504 – Entwicklung lag in der Größe und Finanzstruktur der dama499
Vgl. Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 22 (1995). Glenn, 25 Colum. L. Rev. 434, 436 (1925). 501 Eine sehr ausführliche und anschauliche Darstellung dess Receivership-Verfahrens in deutscher Sprache bietet: Flessner, Sanierung und Reorganisation, S. 40 ff. 502 Vgl. etwa Trieber, 19 Yale L. J. 275 (1910); Rosenberg, 17 Colum. L. Rev. 523, 528 (1917): »summary of evils in the present system«; zusammenfassend: Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 22 (1995). 503 Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 22 (1995). 504 Vgl. etwa den Ablauf des Verfahrens in Louisville Trust Co. v. Louisville, N. A. & C. R. Co., 174 U. S. 674 (1899), über den der Supreme Court im Jahr 1899 zu entscheiden hatte. Das Receivership-Verfahren über eine Eisenbahngesellschaft wurde dort auf Antrag eines einfachen Gläubigers durchgeführt, wobei sich das Schuldnerunternehmen – wie in solchen Verfahren üblich – weder dagegen noch gegen seine spätere Veräußerung wehrte. Allerdings unternahm hier nun auch der antragstellende Gläubiger nichts dagegen, dass nach dem Reorganisationsplan weder er selbst noch alle sonstigen einfachen Gläubiger irgendwelche Zahlungen erhalten sollten, da der vorgesehene geringe Veräußerungserlös vollständig an die vorrangigen (gesicherten) Gläubiger floss. Der Antragsteller handelte folglich ohne erkennbares Eigeninteresse am Verfahren und trat somit offensichtlich als Strohmann des Schuldners auf. Es lag insofern auch für den Supreme Court nahe, dass dem Receivership-Verfahren eine Absprache zwischen dem Antragsgläubiger, den Anteilseignern und den gesicherten Gläubigern über eine Verfahrensdurchführung zu Lasten der ungesicherten Gläubiger zugrunde lag, es also missbraucht wurde – 174 U. S. 674, 687–689. 500
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ligen Eisenbahngiganten. Ihre bloße Größe führte dazu, dass sich ein Käufer für den immer noch beträchtlichen Vermögenswert einer Eisenbahngesellschaft nicht ohne Weiteres finden ließ.505 Die Gläubiger des Unternehmens waren im Regelfall die einzig ernsthaft in Betracht kommenden Kaufinteressenten, da sie den Großteil des Kaufpreises gegen ihre ausstehenden Forderungen aufrechnen konnten. Diese Gläubiger waren nun aber alles andere als eine überschaubare und mit gleichen Rechten ausgestattete Personengruppe. Die Eisenbahngesellschaften finanzierten sich zu Zeiten ihrer größten Expansion nicht mehr über Kapitalerhöhungen, sondern über Unternehmensanleihen.506 Da es keine Investoren gab, die den enormen Kapitalbedarf decken konnten, wurden diese Anleihen breit gestreut und dabei in verschiedenste Rangstufen untergliedert. Beim Zusammenbruch einer Gesellschaft gab es daher keine überschaubare, einheitliche Gläubigerschaft. Die Gläubiger waren im In- und Ausland verteilt, wurden von den verschiedensten Investmentbanken vertreten, hatten unterschiedlichste Rang- und Vorrechte und besaßen zudem teilweise auch noch Sicherungsrechte. Kein einzelner Gläubiger kam vor diesem Hintergrund als Käufer des Unternehmens in Betracht.507 Es bedurfte vielmehr einer Organisation aller Gläubiger, um ein Kaufangebot für das zweifelsohne werthaltige Eisenbahnvermögen zustande zu bringen. Aus diesem Grunde wurden schon unmittelbar nach der Übernahme der Geschäfte durch den receiver vom Management über die Investmentbanken Verhandlungen zwischen den Gläubigern sowie mit den Gesellschaftern 508 des Unternehmens darüber initiiert, mit welchen Mitteln und nach welcher Struktur nach dem foreclosure sale, also der Versteigerung, das Unternehmens fortgeführt und mit neuem Kapital ausgestattet werden soll. Dabei ging es im Kern um die Verteilung der Anteile und Berechtigungen am neuen, reorganisierten Unternehmen sowie um die Verteilung von finanziellen Opfern. Da sich schon aufgrund der bloßen Vielzahl kein einzelner Gläubiger sinnvoll an den Verhandlungen beteiligen konnten, gründeten die Investmentbanken verschiedene Interessengruppen (protective committees) für die verschiedenen Rangklassen von Gläubigern, so dass schon bald jede dieser Personengruppen in den Ver505 Im berühmten Fall des Supreme Court aus dem Jahr 1913, Northern Pacifi c Railway Company v. Boyd, 228 U. S. 482, 507 (1913), lag der erzielte Verkaufspreis bei 61 Mio. Dollar. Wegen dieser Summe kamen als Käufer eigentlich nur die gesicherten Anleihegläubiger des überschuldeten Unternehmens als die gegenwärtigen »wirtschaftlichen Eigentümer« der Unternehmenswerte in Betracht – so treffend der Supreme Court in Louisville Trust Co. v. Louisville, N. A. & C. R. Co., 174 U. S. 674, 683 (1899). Gleichzeitig war den Anteilseignern an einem Erhalt ihres Unternehmens im eigenen Interesse gelegen, da ihnen sonst ein Totalverlust drohte. Sie waren daher die zweite Personengruppe, die Investitionsbereitschaft hatte. 506 Lubben, 89 Cornell L. Rev. 1420, 1433 (2004). 507 Adler/Baird/Jackson, Bankruptcy, S. 668. 508 Die Anteile an den Gesellschaften wurden damals oft nur von wenigen Investmentbanken und Privatinvestoren gehalten. Verhandlungen konnten daher unmittelbar mit diesen Personen erfolgen, Lubben, 89 Cornell L. Rev. 1420, 1435 (2004).
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handlungen durch Vertreter repräsentiert wurde. 509 Diese Form der Selbstorganisation war später Vorbild für die gesetzlichen Regelungen zu Gruppenbildung in den USA und damit auch in Deutschland. Ergebnis der oft jahrelangen Verhandlungen zwischen den Gruppen war im Erfolgsfall ein Reorganisationsplan, der am Ende von den Verhandlungsführern aller Gruppen sowie den Gesellschaftern getragen wurde. Dieser wurde den in den Gruppen repräsentierten Gläubigern zur Zustimmung zugesandt, wobei allerdings keine Abstimmung erfolgte. Die Gläubiger konnten vielmehr entscheiden, am Plan teilzunehmen und dazu ihre Forderungen an das committee zu übertragen oder aber ihn abzulehnen und die Forderungen zu behalten bzw. zurückzufordern.510 Alle entscheidenden Verhandlungen über den Ausgang des Verfahrens fanden so außerhalb des Gerichtssaals und damit auch außerhalb jeder gerichtlichen Kontrolle statt. Das Gericht kontrollierte weder den Informationsfluss in den Verhandlungen noch die Höhe der zu Lasten des Schuldnervermögens entstehenden Gebühren für Berater, Anwälte und Vertreter der committees.511 Im Gegenzug hatte allerdings auch der Reorganisationsplan nur die Macht eines außergerichtlichen Vergleichs. Insbesondere eine Bindung der ihn ablehnenden Gläubiger war nicht möglich; 512 diese behielten ihre ungekürzten Forderungsrechte.513 509 Vgl. Gerdes, Corporate Reorganization, S. 38; Lubben, 89 Cornell L. Rev. 1420, 1443 (2004); Rosenberg, 17 Colum. L. Rev. 523, 524 (1917). 510 Vgl. Lubben, 89 Cornell L. Rev. 1420, 1449 (2004). 511 Dieser Umstand wurde als wichtiger Nachteil des Verfahrens angesehen, vgl. Finletter, Bankruptcy Reorganization, S. 17; Gerdes, Corporate Reorganization, S. 60; Rosenberg, 17 Colum. L. Rev. 523, 527 (1917). 512 Etwas anderes galt aufgrund der Natur des Equity-Verfahrens allerdings für die sich am Verfahren nicht beteiligenden Gläubiger. Da die Gerichte üblicherweise zu Beginn des Verfahrens alle Gläubiger öffentlich aufforderten, ihre Forderungen anzumelden, da sie anderenfalls von der Verteilung ausgeschlossen würden – vgl. etwa Chicago, R. I. & P. Ry. Co. V. Lincoln Horse and Mule Commission Co., 284 Fed. 955, 958 (8th Circ. 1922); Dodd, 23 Ill. L. Rev. 105, 112 f. (1928) –, verwehrte man Gläubigern, die sich einer Geltendmachung ihrer Forderungen im Equity-Verfahren trotz der Aufforderung enthielten, eine spätere Durchsetzung derselben vor jedem Equity-Gericht. Der Plan konnte auf diesem prozessualen Wege zumindest vor Beeinträchtigungen durch die nicht am Verfahren teilnehmenden Gläubiger geschützt werden, indem deren Forderungen nach Abschluss des Verfahrens faktisch die Durchsetzbarkeit genommen wurde. Dieser Effekt beruhte technisch aber nicht auf einer Wirkung des Plans, sondern allein auf der ausschließlichen Zuständigkeit des Equity-Gerichts für alle Prozesse hinsichtlich des beschlagnahmten Verfahrens, also auf einem prozessrechtlichem Umstand; genauer dazu Dodd, 23 Ill. L. Rev. 105 (1928). Diese hierzu notwendige ausschließliche Zuständigkeit der Equity-Gerichte wurde vom Supreme Court in Wabash R. R. v. Adelbert College, 208 U. S. 38, 54 ff. (1908) akzeptiert. 513 Dies wurde als erhebliches Defizit des Verfahrens empfunden, vgl. Gerdes, Corporate Reorganization, S. 55; Walker, 6 Cornell L. Rev. 154, 156 (1921). Dennoch wurde die Idee, eine ablehnende Minderheit durch gerichtlichen Beschluss an den Plan zu binden, nur selten vorgetragen – so etwa von Rosenberg, 22 Colum. L. Rev. 14, 20 ff. (1922); sehr vorsichtig auch Walker, 6 Cornell L. Rev. 154, 164 f. (1921); ablehnend etwa Swaine, 22 Colum. L. Rev. 121 ff. (1922).
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Erst nach der Annahme des Plans durch alle Gruppen wurde auf Antrag der Beteiligten wieder ein Gerichtstermin anberaumt: der Versteigerungstermin (foreclosure sale). Dort erschienen naturgemäß nur noch die von den committees entsandten Vertreter, die nun als reorganizaton committee514 in Ausführung des Plans als Käufer auftraten, das im Plan vereinbarte Gebot abgaben und mangels Bieterwettbewerbs den Zuschlag erhielten. Andere interessierte Bieter, die über das Millionenkapital zur Ersteigerung einer Eisenbahngesellschaft verfügten, konnte es kaum geben.515 Das reorganization committee übertrug das Unternehmen dann wie im Plan vorgesehen auf eine neu gegründete Auffanggesellschaft, die ihrerseits nach Maßgabe des Reorganisationsplans Aktien und Anleihen an die zustimmenden Gläubiger und Anteilseigner des alten Unternehmens ausgab.516 Der aus der Versteigerung resultierende Geldbetrag517 wurde dazu verwandt, die ablehnenden Gläubiger zu befriedigen. Diese waren aufgrund ihrer Ablehnung zwar nicht an den Plan gebunden, konnten aber infolge der gerichtlichen Versteigerung ihre Forderungen auch nicht gegenüber der neuen Gesellschaft geltend machen. 518 Ihnen blieb nur die Befriedigung aus dem Veräußerungserlös, wobei die dabei zustande kommenden Quoten für einfache Gläubiger sehr gering ausfielen. Dies lag vor allem darin begründet, dass zunächst den gesicherten Gläubigern, die gegen den Plan votiert hatten, der Erlös an den Gegenständen zustand, auf die sich ihre Sicherungsrechte erstreckten.519 Dieser Umstand erforderte das Aufbringen einer entsprechenden Summe in bar durch die Käufer des Unternehmens, was den gesicherten Gläubigern schon in der Verhandlungsphase eine große Verhandlungsmacht gab. Zugleich führte dieser Umstand dazu, dass oft nur ein verschwindend geringer Anteil des Barerlöses aus der Versteigerung zur Verteilung unter den ungesicherten 514 Vgl. Gerdes, Corporate Reorganization, S. 38 f.; Lubben, 89 Cornell L. Rev. 1420, 1444 (2004). 515 Gerdes, Corporate Reorganization, S. 49; Rosenberg, 17 Colum. L. Rev. 523, 525 (1917); Warren/Bussel, Bankruptcy, S. 588. 516 Vgl. Gerdes, Corporate Reorganization, S. 39 f. Aufgrund ihrer starken Verhandlungsposition gelang es den alten Eigentümern häufig, ihre angestammte Position zu behalten, Lubben, 89 Cornell L. Rev. 1420, 1435 und 1445 (2004). 517 Dieser Betrag entsprach bei weitem nicht dem abgegebenen Gebot. Der ganz überwiegende Teil des Kaufpreises wurde nicht in bar, sondern im Wege des Aufgebens von Forderungen geleistet, vgl. Gerdes, Corporate Reorganization, S. 49; Rosenberg, 17 Colum. L. Rev. 523, 525 f. (1917). 518 Die Veräußerung erfolgte aufgrund eines entsprechenden Beschlusses des Gerichts stets lastenfrei. Den dissertierenden Gläubiger war es danach nicht mehr möglich, ihre ja im Grunde unangetasteten Forderungen gegen das reorganisierte Unternehmen durchzusetzen; entsprechende Versuche scheiterten, vgl. als Beispiel den Versuch in Phipps v. Chicago, R. I. & P. R. Co., 284 f. 945, 953 (8th Circ. 1922). 519 Die Gerichte hatten vor der Versteigerung grundsätzlich kein Recht zum Eingriff in bestehende Sicherungsrechte. Selbst das öffentliche Interesse am Betrieb von Eisenbahnen führte nur in wenigen Ausnahmefällen zu gerichtlichen Maßnahmen zulasten einzelner gesicherter Gläubiger, vgl. Gerdes, Corporate Reorganization, S. 47 f.
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Gläubigern übrig blieb. In vielen Fällen gingen sie leer aus, während das Eisenbahnunternehmen zumindest teilweise entschuldet wurde und mit einer vergleichbaren Kapital- und Eigentümerstruktur wieder am Markt operierte.520 Die denkbaren Missbräuche des Verfahrens verlangten nach einer stärkeren gerichtlichen Kontrolle. Die grundsätzliche Struktur der Equity Receivership schloss nun aber eine gerichtliche Inhaltskontrolle des Reorganisationsplans aus.521 Dem verfahrensleitenden Gericht oblag allein die Verwaltung und Veräußerung des Unternehmens. Die ablehnenden Gläubiger waren also nicht einmal durch einen »best interest test« geschützt, wie ihn zwischen 1874 und 1878 das Composition-Verfahren bot. Im Grundsatz galt der in der Versteigerung »am Markt« erzielte Kaupreis als gerecht und als dem entsprechend, was den Gläubigern auch in einem Liquidationsverfahren zugestanden hätte. Im Laufe der Zeit wurde die Unzufriedenheit der überstimmten Gläubigerminderheit jedoch so unüberhörbar, dass die Gerichte begannen, in Erweiterung der hergebrachten Verfahrensgrundsätze Kontrollfunktionen zu übernehmen.522 Um evidenten Missbräuchen des Verfahrens entgegenzuwirken und einen gewissen Schutz für die ablehnenden und ungesicherten Gläubiger zu installieren, entwickelten die federal courts insbesondere die Praxis, für jeden foreclosure sale einen angemessenen Mindestpreis für den Verkauf (upset price) festzusetzen.523 Auf diese Weise sollte den ungesicherten Minderheitsgläubigern wenigstens eine Mindestquote gesichert werden. Bemerkenswert im Hinblick auf aktuelle Diskussionen um eine Überlegenheit markt- oder auktionsbasierter Insolvenzsysteme ist neben diesem offensichtlichen Marktversagen auch, dass das Verfahren die Überlebensfähigkeit des Eisenbahnunternehmens keineswegs dauerhaft sicherte und damit auch in seinem Ergebnis wenig effektiv war. Die fehlenden Anreize, in einer Equity Receivership das Unternehmen auch operativ zu reorganisieren, führten dazu, dass in der Folge viele der aus der Equity Receivership hervorgegangenen Eisenbahngesellschaften wieder in finanzielle Nöte gerieten.524 Ihre Schuldenlast 520 Insbesondere diese Verfahrensergebnisse ließen Missbrauchsvorwürfe laut werden, vgl. etwa Trieber, 19 Yale L. J. 275, 276 (1910), und wurden als erhebliche Defizite des Verfahrens angesehen, vgl. Finletter, Bankruptcy Reorganization, S. 17 f. 521 Dies erschien als Hauptmangel des Verfahrens, vgl. Gerdes, Corporate Reorganization, S. 49. 522 Einen bemerkenswerten Fall richterlicher »Inhaltskontrolle« schildert etwa Rosenberg, 20 Colum. L. Rev. 733 ff. (1920). In re Aetna Explosives Co., 252 Fed. 456 (2nd Cir. 1918), übernahm der Richter nicht nur die Inhaltskontrolle; er entwarf und vermittelte aktiv einen Plan und verstand es, die Zustimmung aller Gläubiger zu diesem zu erreichen; Rosenberg, 20 Colum. L. Rev. 733, 738 (1920). 523 Ausführlich dazu: Spring, 32 Harv. L. Rev. 489 ff. (1919). Dies geschah in der Regel auf Antrag der dem Plan nicht zustimmenden Gläubiger hin. Die Schwierigkeit bestand für das Gericht darin, die Höhe des Mindestgebots zu bestimmen, Gerdes, Corporate Reorganization, S. 49 f.; auch Flessner, Sanierung und Reorganisation, S. 59 f. 524 Die Wahrscheinlichkeit einer nochmaligen Insolvenz erhöhte sich sogar bei Unterneh-
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blieb auch nach dem Verfahren hoch und gab ihnen damit in der nächsten Krise wenig Spielraum.525 (3) Der Bankruptcy Act von 1898 und die Fortentwicklung der Equity Receivership Im Jahre 1898 trat mit dem Bankruptcy Act 1898 wieder ein bundesweit geltendes Insolvenzgesetz in Kraft, 526 das die Gläubigerrechte stärkte und in § 12 eine »Composition« enthielt, die weitgehend inhaltsgleich mit den Vorschriften des composition agreement des Jahres 1874 war. Zur Annahme des Vergleichsvorschlages genügte nun allerdings bereits die einfache Kopf- und Summenmehrheit der Gläubiger, § 12 b. Die gerichtliche Bestätigung setzte neben der Redlichkeit des Schuldners wiederum voraus, dass die Vereinbarung den »best interest test« bestand, § 12 d (1). Leider blieben auch die Defizite des composition agreement im Hinblick auf eine bezweckte Reorganisation des Schuldnerunternehmens bestehen, insbesondere die Barzahlungspflicht sowie das Nichterfassen gesicherter Gläubiger und Gesellschafter.527 Die Insolvenzpraxis machte daher von diesem Verfahren in der Folge ebenso wenig Gebrauch wie zuvor vom compostion agreement. Es fand im Wesentlichen nur bei Unternehmen mit kleinen Vermögensmassen und ohne gesicherte Gläubiger einen (überschaubaren) Anwendungsbereich.528 Zudem ermöglichte erst eine Änderung des Bankruptcy Act im Jahr 1910 es auch Gesellschaften, selbst ein Verfahren zum eigenen Schutz einzuleiten.529 De facto fehlte dem Bankruptcy Act damit weiterhin ein umfassendes Reorganisationsinstrument.530 Die Praxis ignorierte daher weitgehend die gesetzliche Regelung und nutzte weiterhin die inhaltsoffeneren Möglichkeiten des Receivership-Verfahrens. 531 Dieses wurde inzwischen auch über Eisenbahnunternehmen hinaus auf andere große Industrie- und Handelsgesellschaften angewendet.532 Es kann insoweit nicht überraschen, dass nicht der Gesetzgeber, sondern eine Entscheidung des US Supreme Courts aus dem Jahre 1913 zur Equity Receivership, das amerikanische Reorganisationsverfahren entscheidend weiterentwickelte, indem es erstmals eine gerichtliche Inhaltskontrolle des Reorganisatimen, die eine Equity Receivership durchlaufen hatten, im Vergleich zu denen ohne eine solche Vorgeschichte, Lubben, 89 Cornell L. Rev. 1420, 1466 (2004). 525 Die Schuldenlast lag trotz des Verfahrens weiter bei im Schnitt 71 Prozent des erwirtschafteten Einkommens, vgl. Lubben, 89 Cornell L. Rev. 1420, 1462 (2004). 526 Zu dessen Entstehung siehe Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 23 f. (1995). 527 Rosenberg, 22 Colum. L. Rev. 14 (1922). 528 Rosenberg, 17 Colum. L. Rev. 523, 529 (1917) 529 Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 27 (1995). 530 Gerdes, Corporate Reorganization, S. 19–21., Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 27 (1995). 531 Gerdes, Corporate Reorganization, S. 23 f. 532 Dodd, 23 Ill. L. Rev. 105, 107 (1928); Finletter, Bankruptcy Reorganization, S. 2; Flessner, Sanierung und Reorganisation, S. 64 ff.
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onsplans verlangte. In der Entscheidung Northern Pacific Railway Company v. Boyd533 stärkte das Gericht entscheidend den Schutz der Minderheitsgläubiger, die nicht nur gegen den ausgehandelten Reorganisationsplan gestimmt hatten, sondern sich in der Folge auch gegen einen daraufhin erfolgten Verkauf des Schuldnerunternehmens zur Wehr setzten, indem es die »absolute priority rule« schuf. Nach diesem Rechtsprechungsgrundsatz darf kein Gesellschafter einer insolventen Gesellschaft nach dem Reorganisationsplan einen wirtschaftlichen Wert wie etwa einen Anteil an dem reorganisierten Unternehmen erhalten, bevor nicht alle Gläubiger voll befriedigt wurden, da ansonsten die Rangfolge zwischen diesen Personengruppen verletzt würde, 534 steht doch den Gesellschaftern nach allgemeinen Grundsätzen erst dann eine Ausschüttung aus dem liquidierenden Unternehmen zu, wenn und nachdem alle Gläubiger befriedigt wurden. Dieser Vorrang wiederum ist Teil des von der Eigentumsgarantie der Verfassung geschützten Forderungswertes,535 weshalb der Reorganisationsplan keinen Gläubiger gegen seinen Willen zu einem Verzicht auf seine Rangstellung zwingen kann. Die uneingeschränkte Anwendung dieser Regel erzeugt allerdings ein beachtliches Dilemma für eine erfolgreiche Reorganisation. Diese kann in der Praxis oft nur gelingen, wenn auch die alten Gesellschafter zu einem Reorganisationsbeitrag gewonnen werden können. Um sie zu einem solchen Beitrag zu gewinnen, wird ihnen im Gegenzug eine Beteiligung am reorganisierten Unternehmen zugesichert werden müssen, ohne dass zugleich auch alle (vorrangigen) Gläubiger voll bedient werden können. Der Supreme Court erkannte diesen Konflikt und hielt Planbestimmungen für ausreichend, die jedem dissentierenden Gläubiger zumindest der wirtschaftliche Wert seiner Forderung anbieten, bevor überhaupt ein Gesellschafter einen Wert erhält. Der Plan musste zur Einhaltung der absolute priority rule folglich sicherstellen, dass die ihn ablehnenden Gläubiger des Unternehmens entweder voll befriedigt werden, indem sie eine entsprechende Leistung erhalten, oder aber ihnen im Plan zumindest ein faires Angebot an Aktien oder Anleihen am reorganisierten Unternehmen im Austausch gegen ihre Forderungen gemacht, ihnen also ein entsprechendes Optionsrecht eingeräumt wird.536 Fehlte ein solches Angebot im Plan, so war der Plan selbst wie auch der auf ihm basierende Verkauf des Unternehmens (nur) im Verhältnis zu den ablehnend votierenden Gläubigern unwirksam, wes533 228 U. S. 482 (1913). Das Urteil erging erst 15 Jahre nach der Beendigung der streitgegenständlichen Reorganisation! 534 »Any device . . ., whereby stockholders were preferred before the creditor, was invalid.« 228 U. S. 482, 502 (1913). 535 »It was a right of property out of which the creditors were entitled to be paid before the stockholders could retain it for any purpose whatever.« 228 U. S. 482, 508 (1913). 536 »This conclusion does not . . . make it necessary to pay an unsecured creditor in cash. . . . His interest can be preserved by the issuance, on equitable terms, of income bonds or preferred stock.« 228 U. S. 482, 508 (1913).
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halb diese ihre Forderungen nicht verloren, sondern zu deren Durchsetzung auch auf das Vermögen des reorganisierten Unternehmens zugreifen konnten. 537 Die Forderungen der Minderheitsgläubiger blieben infolge dieser Rechtsprechung also werthaltig und gefährdeten so erheblich den Erfolg der im Plan skizzierten Reorganisation. Nicht nur die Rechte, sondern auch die Verhandlungsmacht aller Gläubiger in den Planverhandlungen wurde damit erheblich gestärkt; ohne ihre Zustimmung wurde jeder Plan sehr teuer. Im Ergebnis hatte der Supreme Court mit der Entscheidung endlich eine gerichtliche Kontrolle des Inhalts des Reorganisationsplans eingeführt. Infolge dieser neuen Rechtsprechung entstand erhebliche Unsicherheit in der Rechtspraxis über die Bestandskraft von schon bestehenden wie auch zukünftigen Plänen, was dazu führte, dass Reorganisatoren in Receivership-Verfahren begannen, nicht nur ihr Kaufgebot, sondern auch den Plan selbst bei Gericht zur Bestätigung vorzulegen, um Rechtssicherheit zu erlangen.538 Die gerichtliche Bestätigung des Reorganisationsplans selbst hielt damit Einzug in die Equity Receivership. Festzuhalten bleibt dabei eine wichtige Erkenntnis: Der Zweck der gerichtlichen Bestätigung des Plans lag allein in der Ausschaltung späterer Prozesse von Seiten dissentierender Gläubiger, also in der Erlangung von Rechtssicherheit. Hierauf wird später zurückzukommen sein. Die Entwicklung der Equity Receivership war damit abgeschlossen. Sie hatte eine Ausprägung gefunden, welche trotz ihrer Defizite die Reorganisation von Unternehmen in einem gerichtlichen Verfahren ermöglichte und von welcher in der Praxis verbreitet Gebrauch gemacht wurde. Die Equity Receivership war damit das erste Reorganisationsverfahren überhaupt, mit dessen Hilfe weit über ein halbes Jahrhundert lang in beträchtlicher Zahl bedeutende Unternehmen saniert wurden. Es erscheint daher berechtigt, in diesem Verfahren und nicht in der composition agreement des Bankruptcy Act 1874 die Wiege des gerichtlichen Reorganisationsverfahrens zu sehen, zumal es dieses Verfahren wie auch die in seiner Entwicklung entstandenen Grundsätze und weniger die ungenutzten Regelungen des Bankruptcy Act waren, die zum Vorbild und Anknüpfungspunkt der nachfolgenden Kodifikation eines Reorganisationsverfahrens wurden.539 Daneben bleibt festzuhalten, dass die Equity Receivership zwar ein Gerichts-, aber kein Insolvenzverfahren war. Die Entschuldung wurde viel537 »As between the parties and the public generally, the sale was valid. As against the creditors, it was a merge form. Though the Northern Pacific Railroad was devested of the legal title, the old stockholders were still the owners of the same railroad, encumbered by the same debtS. The circumlocution did not better their title against Boyd as a nonassenting creditor. They had changed the name, but not the relation.« 228 U. S. 482, 506–507 (1913). 538 Vgl. Gerdes, Corporate Reorganization, S. 52 f.; McCurdy Marsh, 1 Newark L. Rev. 1, 4 (1936); Rosenberg, 22 Colum. L. Rev. 14, 24 (1922) oder auch die Beispiele bei Swaine, 22 Colum. L. Rev. 121, 123 ff. (1922). 539 Vgl. Warren/Bussel, Bankruptcy, S. 586, der in diesem Verfahren den Entwicklungsbeginn des Reorganisationsrechts sieht; ebenso Herbert, Understanding Bankruptcy, S. 303.
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mehr im Kern mittels einer gerichtlichen Versteigerung des Schuldnerunternehmens erreicht, die zu einem lastenfreien Erwerb beim Käufer führte. Das Verfahren ähnelte insofern einer übertragenden Sanierung, ging aber durch die zwangsläufige Erarbeitung eines Reorganisationsplans in seinem Wesen über einen bloßen Verkaufsprozess hinaus. Es verdeutlicht, dass eine Entschuldung wie auch eine damit verbundene Reorganisation nicht zwingend auf Insolvenzrecht beruhen muss. Beides kann theoretisch auch auf anderen Wegen erreicht werden. (4) Die Kodifizierung der Reorganisationsverfahren in den 1930iger Jahren Infolge der Weltwirtschaftskrise von 1929 explodierte die Zahl der Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Im gleichen Maße stieg das Interesse an einem funktionierenden Reorganisationsverfahren für Unternehmen aller Art, verband sich damit doch die Hoffnung auf den Erhalt von Arbeitsplätzen. Im Jahr 1933 begann daher der Kongress, die existierenden Regelungen zur composition im Bankruptcy Act 1898 zu ergänzen. Im Gesetz vom 3. März 1933 fügte er dem Bankruptcy Act ein neues Chapter VIII an, das insbesondere die §§ 74 bis 77 aufnahm. § 74 ermöglichte natürlichen Personen ein »Composition«-Verfahren, bei dem sie die Verwaltungs- und Verfügungsmacht über ihr Vermögen behalten konnten; die Bestellung eines Receivers hatte hier nur noch Aufsichtsfunktion, § 74 (b). Zur Annahme der composition bedurfte es allein der einfachen Kopf- und Summenmehrheit der Gläubiger, § 74 (e). Sie band nach ihrer Bestätigung durch das Gericht auch die ablehnenden und nicht am Verfahren teilnehmenden sowie sogar die gesicherten Gläubiger, § 74 (i). In § 75 wurde ein ähnliches »Composition«-Verfahren für Farmer geschaffen. § 77 schließlich kodifizierte weitgehend die Rechtsprechungsgrundsätze der Equity Receivership für die Reorganisation von Eisenbahnunternehmen und eliminierte dabei zugleich dessen oft beklagte Missstände.540 Auf einen foreclosure sale als Mittel zur Entschuldung wurde endgültig verzichtet. Es oblag nun allein dem »plan of reorganization«, die Gläubiger und Gesellschafter in Gruppen (classes) aufzuteilen und gruppenweise Änderungen an ihren Rechten vorzuschlagen, § 77 (b). Dabei wurden alle Arten von Gläubigern erfasst, § 77 (b) am Ende. Auch die Bestellung eines receivers war nun nicht mehr zwingend. Es stand im Ermessen des Gerichts, das Unternehmen auf einen neutralen Trustee zu übertragen, der in diesem Fall die Geschäfte fortzuführen hatte, § 77 (c) (1). Anderenfalls war endlich auch die Eigenverwaltung des Schuldners im Verfahren möglich.541 Der Plan konnte vom Schuldner, aber auch vom trustee oder im Auftrag einer Gläubigergruppe vorgelegt werden, § 77 (d). Zur Annahme des Plans war die Zustimmung einer Zwei-Drittel-Summenmehrheit in all je540 541
Gerdes, Corporate Reorganization, S. 64; Finletter, Bankruptcy Reorganization, S. 18. Gordon, Bankruptcy Act, S. 166; McCurdy Marsh, 1 Newark L. Rev. 1, 7 (1936).
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nen Gläubiger- und Gesellschaftergruppen notwendig, die vom Plan beeinträchtigt wurden, § 77 (e) Satz 1. Wurde diese Mehrheit in einer Gruppe verfehlt, so ermöglichte § 77 (e) Satz 2 erstmals, den Plan dennoch zu bestätigen. Dazu mussten allerdings die Rechte der Gläubiger dieser Gruppe in voller Höhe gesichert werden, so dass sie wirtschaftlich nicht vom Plan beeinträchtigt wurden. Hierzu war notwendig, dass der Plan diese Rechte nach Maßgabe der § 77 (g) (5) und (6) angemessen sicherte (adequate protection), § 77 (e) Satz 2.542 Jeder angenommene Plan bedurfte schließlich der Bestätigung durch den Bankruptcy Court, das dazu auch eine Inhaltskontrolle vornehmen musste, da der Plan gerecht (equitable) sein musste und einzelne Gläubigern oder Gesellschaftern nicht diskriminieren durfte, § 77 (g) (1). Ein solcher Plan band dann gemäß § 77 (h) (1) bis (3) die Schuldnergesellschaft und alle Gesellschafter einer insolventen Schuldnergesellschaft (bei solventen Gesellschaften nur die Gesellschafter, die vom Plan nicht betroffen wurden, sowie die in den Gruppen, die dem Plan zustimmten). Zudem band er gemäß § 77 (h) (7) alle gesicherten Gläubiger in den Gruppen, die dem Plan zustimmten, gemäß § 77 (h) (4) alle Gläubiger, deren Forderungen in bar erfüllt werden sowie gemäß § 77 (h) (5) und (6) alle vorrangigen und ungesicherten Gläubiger, wenn jeweils eine Zwei-Drittel-Summenmehrheit unter ihnen dem Plan zugestimmt hatte. Die Bindungswirkung des Plans war folglich noch nicht kongruent mit dem Abstimmungsergebnis in den Gruppen. Insgesamt enthielt § 77 erstmals ein kodifiziertes Reorganisationsverfahren, das in seinem Anwendungsbereich leider auf Eisenbahngesellschaften beschränkt war, die über die Grenzen eines Bundesstaates hinaus tätig waren.543 Schon mit dem Änderungsgesetz vom 7. Juni 1934 wurden die im Vorjahr geschaffenen Bestimmungen modifiziert und erweitert. Insbesondere wurde in diesem Gesetzgebungsakt § 77B geschaffen, der endlich allen Gesellschaften eine Reorganization auf der Grundlage des Bankruptcy Acts ermöglichte. Der Inhalt der Bestimmungen in § 77B war weitgehend identisch mit denen in § 77 für Eisenbahngesellschaften; man orientierte sich weitgehend an den EquityReceivership-Verfahren. Präzisiert wurden aber insbesondere die Bestimmun542 Diese Sicherung konnte auf verschiedenen Wegen erfolgen: Der Plan konnte die Veräußerung des Unternehmens oder von besicherten Vermögensgegenständen vorsehen, wenn er zugleich ein Fortbestehen der Rechte der gesicherten Gläubiger festschrieb oder aber einen angemessenen Preis enthielt und den betroffenen Gläubigern Sicherheiten am Erlös einräumte. Der Plan konnte die Rechte auch durch Barzahlungen in Höhe des wirtschaftlichen Wertes der Rechte ablösen. Siehe zum Ganzen neben der gesetzlichen Bestimmungen in § 77 (g) (5) und (6) auch die Erläuterungen bei Gordon, Bankruptcy Act, S. 178. Einer ablehnenden Gruppe von Gesellschaftern musste der Plan folgerichtig insbesondere dann nichts zuwenden, wenn die Gesellschaft insolvent war, § 77 (e) Satz 3 (a). In einem solchen Fall waren ihre Anteile wirtschaftlich wertlos. 543 Hieraus erklärt sich der enorme Einfluss der Interstate Commerce Commission auf das Verfahren.
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gen zur Inhaltskontrolle des Gerichtes zum Schutz der Gläubiger. Der Plan musste nun »fair and equitable«, nicht diskriminierend sowie »feasible« (durchführbar) sein, um bestätigt zu werden, § 77B (f) (1). Diese Schlagworte prägen seither das amerikanische (und inzwischen auch das deutsche) Reorganisationsrecht. Der Plan band nach seiner Bestätigung endlich ausdrücklich alle Gläubiger und Gesellschafter, unabhängig davon, ob sie oder ihre Gruppe den Plan angenommen oder abgelehnt hatten, § 77B (g).544 Die umfassende Bindungswirkung war entstanden. Infolge dieser Gesetzgebung545 übernahm das gesetzliche Reorganisationsverfahren endlich auch in der Praxis die Reorganisation von Unternehmen. Die Equity Receivership wurde bedeutungslos.546 Die Regelungen in § 77 wurden dann schon mit dem Gesetz vom 27. August 1935 grundlegend überarbeitet und präzisiert. Dabei wurde die Bindungswirkung des angenommenen und bestätigten Plans endlich auch in diesem Verfahren für Eisenbahngesellschaften auf alle Beteiligten erstreckt, unabhängig von ihrer Zustimmung oder Ablehnung, § 77 (f) Satz 1. Die jungen Kodifikationen in § 77 wie auch in § 77B stellten sich leider schon sehr schnell als lückenhaft, ungenau, zu schuldnerfreundlich und missbrauchsanfällig heraus, so dass laufend Korrekturen im Detail vorgenommen wurden. Die Kritik, die insbesondere von Seiten der Securities and Exchange Commission (SEC) vorgetragen wurde,547 mündete im Jahre 1938 in die Verabschiedung eines umfassenden Gesetzes zur Neuregelung der Reorganisation in Insolvenzverfahren: dem Chandler Act. 548 Dieser ließ lediglich die Regelungen zur composition für Farmer in § 75 sowie zur Reorganisation von Eisenbahnunternehmen in § 77 als Chapter VIII bestehen. Die sonstigen Vorschriften des Bankruptcy Acts zur composition in den §§ 12 und 74 wurden ebenso gestrichen wie § 77B. Stattdessen ordnete der Chandler Act in den neuen Vorschriften der §§ 101 ff. die Reorganisation von Unternehmen gänzlich neu. Hierzu schuf er
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Gerdes, Corporate Reorganization, S. 80. Für Details zur Gesetzgebungsgeschichte der Jahre 1933/34 siehe etwa Dvoret, 27 Geo. L. J. 194, 203 (1938). 546 Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 28 (1995). Der Abschied von der Equity Receivership wurde allerdings schon im Jahr 1928 eingeleitet, als der Supreme Court bezweifelte, dass allein der Antrag eines einfachen Gläubigers im Einvernehmen mit dem Schuldner genüge, um in einem Equity-Verfahren einen Receiver zu bestellen; Harkin v. Brundage, 276 U. S. 36, 52 (1928). Die Grundsätze der Receivership-Verfahren standen damit plötzlich in Frage und die Praxis verlangte nach einem rechtlich unangreifbaren Verfahren – vgl. McCurdy Marsh, 1 Newark L. Rev. 1, 3 (1936). 547 Die SEC legte einen fünfbändigen Bericht vor, der die Rolle der protective committees wie auch der reorganization committees überaus kritisch beleuchtete. 548 Gesetz vom 22. Juni 1938. Zur Gesetzesgeschichte siehe etwa Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 29 (1995) oder auch Dvoret, 27 Geo. L. J. 194 ff. (1938) oder Gerdes, 52 Harv. L. Rev. 1 ff. 545
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gleich drei Verfahren: Chapter X 549 enthielt ein Verfahren zur Reorganisation von Gesellschaften, Chapter XI eine Verfahren zur Entschuldung durch »Arrangements« und Chapter XII ein Verfahren zur Anpassung von Hypothekenschulden bei natürlichen Personen. Als Reorganisationsverfahren für Unternehmen spielten in der Folge die Verfahren in Chapter X und XI eine entscheidende Rolle, weshalb sich die Darstellung auf diese beschränken soll. Das Verfahren nach Chapter X stand nur Körperschaften (corporations), nicht aber natürlichen Personen und Personengesellschaften als Schuldner offen, §§ 106 (5), 126. Die Einsetzung eines (unabhängigen) trustee war bei großen Unternehmen zwingend, während sie bei kleinen Unternehmen im Ermessen des Gerichts lag, § 156. Wurde ein trustee eingesetzt, so hatte er insbesondere das Vermögen des Schuldners zu übernehmen und das Unternehmen fortzuführen, §§ 186 ff. Das Gericht bestimmte den Verfahrensablauf durch das Setzen von Fristen, vgl. etwa § 169, was primär der Verfahrensbeschleunigung dienen sollte. Die Abstimmung über den Plan erfolgte erst, wenn der Planentwurf der SEC vorgelegt worden war und zudem das Gericht ihn als billig und gerecht (fair and equitable) sowie wirtschaftlich durchführbar (feasible) gebilligt hatte, § 174. Abgestimmt wurde in Gruppen, wobei zur Annahme des Planes die Zustimmung einer Zwei-Drittel-Summenmehrheit der angemeldeten Forderungen in jeder Gläubigergruppe sowie die Zustimmung der einfachen Anteilsmehrheit in jeder Gesellschaftergruppe notwendig war, § 179. Die Zustimmung von Gruppen, die nicht vom Plan beeinträchtigt wurden, war nicht notwendig, § 179. Hatte eine Gruppe den Plan abgelehnt, so war dies unschädlich, wenn die Rechte ihrer Mitglieder im Plan durch Barzahlung oder auf andere Weise hinreichend geschützt wurden, §§ 179, 216.550 Abschließend hatte das Gericht den Plan zu bestätigen, § 221. Dieser band dann alle Beteiligten, auch die ablehnenden Gläubiger und die Gesellschafter des Schuldnerunternehmens, § 224 (1). Zeitgleich mit dem Reorganisationsverfahren für Körperschaften in Chapter X schuf der Chandler Act ein neues Chapter XI, das ein vereinfachtes Reorganisationsverfahren enthielt und als Alternative zu Chapter X angelegt war, indem es ein kostengünstigeres Verfahren bot, das für kleine und mittlere Gesellschaften ohne gesicherte Gläubiger gedacht war.551 Ziel des Verfahrens war das Zustandekommen einer Vereinbarung unter allen Beteiligten über die Entschuldung des Schuldners (arrangement), § 306 (1). Jeder Schuldner konnte gemäß 549 Die Kapitel des Bankruptcy Act von 1898 werden mit römischen Ziffern numeriert, während die des Bankruptcy Code von 1978 arabische Ziffern tragen. 550 Die Anforderungen an die Sicherung der Rechte der ablehnenden Gläubiger oder Gesellschafter waren dabei weitgehend identisch mit denen in der Vorgängerregelung, vgl. § 216 (7) und (8) mit § 77 (g) (5) und (6) oder § 77B (4) und (5). 551 Finletter, Bankruptcy Reorganization, S. 35; Forman, Bankruptcy & Arrangements Proceedings, S. 4.
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§ 321 ein solches Verfahren einleiten, weshalb es nach seinem Wortlaut allen Gesellschaften, auch Körperschaften, offen stand. Der vom Gesetzgeber intendierte, eher beschränkte Anwendungsbereich fand sich im Gesetzeswortlaut nicht wieder. Im Verfahren wurde ein receiver nur auf Antrag eines Beteiligten und auch in solchen Fällen nur bestellt, wenn das Gericht dies für notwendig erachtete, § 332. Im Regelfall blieb daher der Schuldner in der Eigenverwaltung. Das Gericht konnte die Gläubiger in Gruppen einteilen (§ 351) und überwachte das gesamte Verfahren. In einem arrangement durften keine Eingriffe in die Rechte gesicherter Gläubiger oder die Anteilsrechte der Gesellschafter erfolgen; es konnte folglich nur die Rechte der ungesicherten Gläubiger modifizieren, §§ 356, 357. Dieses Verfahren zielte daher auf Insolvenzsituationen ab, die kostengünstig durch Moratorien der ungesicherten Gläubiger behoben werden konnten und hatte daher weitreichende Ähnlichkeit mit dem deutschen Vergleichsverfahren.552 Wurde das arrangement von allen Gläubigern angenommen, so wurde es unmittelbar durch das Gericht bestätigt, § 361. Gelang dies nicht, so war eine Bestätigung zunächst davon abhängig, dass wenigstens eine einfache Kopf- und Summenmehrheit aller Gläubiger oder aber im Fall von Gläubigergruppen eine solche Mehrheit in jeder Gruppe dem arrangement zugestimmt hatte, § 362 (1). Daneben musste es auch den Best-Interest-Test bestehen sowie »fair and equitable and feasible« sein, § 366 (2) und (3).553 Die klassischen Gläubigerschutzmechanismen der Vorgängerregelungen finden sich also auch hier. Das daraufhin bestätigte arrangement band alle, insbesondere auch alle ablehnenden oder nicht am Verfahren beteiligten, ungesicherten Gläubiger, § 367 (1).554 Abgesehen von Änderungen im Detail waren es diese im Jahr 1938 geschaffenen Regelungen in Chapter X und Chapter XI, die vierzig Jahre lang die Reorganisationspraxis in den Vereinigten Staaten bestimmten.555 Erst der Bankruptcy Reform Act im Jahr 1978 schaffte den Bankruptcy Act von 1898 insgesamt ab und setzte den noch heute geltenden Bankruptcy Code an dessen Stelle. Das Wirtschaftsleben hatte sich in diesen vierzig Jahren erheblich verändert und verlangte nach neuen Reorganisationswegen. Die Reorganisationspraxis 552 Folgerichtig wird es in der deutschen Literatur auch als »Vergleichsverfahren« bezeichnet – vgl. Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, Vor §§ 217–269 Rn. 24; Riesenfeld, KTS 1983, 85, 87. 553 Die Worte »fair and equitable« wurden 1952 gestrichen, um die Hürden für eine Bestätigung abzubauen; vgl. Krause, Arrangements, S. 12 f. 554 Allgemein zu arrangements nach Chapter XI: Sydney Krause, Arrangements under Chapter 11 of the Bankruptcy Act, 1955 (zuletzt in der 3. Ausgabe gemeinsam mit George J. Hirsch, Bankruptcy, 1968 herausgegeben, dort zu finden ab S. 77). 555 Nachweise der Änderungen im Zeitraum bis 1978 finden sich etwa bei Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 30–32 (1995). Hervorzuheben bleibt die in diesen Zeitraum fallende Entstehung und Inkraftsetzung der »Federal Rules of Bankruptcy Procedure«, welche mangels entsprechender Regelungen im Bankruptcy Act die in Insolvenzfällen anzuwendenden Verfahrensbestimmungen enthalten.
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nutzte in der Zwischenzeit die alten Regelungen nach ihren Bedürfnissen. In der Praxis führte dies zu einem Bedeutungsverlust des Chapter X-Verfahrens und der nahezu standardmäßigen Anwendung des Chapter XI-Verfahrens für Reorganisationen. Das dortige Verfahren war einfach, beließ den Schuldner im Regelfall in der Eigenverwaltung, vermied eine Beteiligung der SEC und hatte daher entscheidende Vorteile für das reorganisationswillige Management eines Schuldnerunternehmens. Zudem gaben die Normen des Bankruptcy Acts nicht zwingend vor, ob ein Schuldner ein Verfahren nach Chapter X oder Chapter XI einleiten musste, auch wenn der Gesetzgeber mit Chapter X das Regelverfahren für die Reorganisation von Unternehmen schaffen wollte, deren Anteile öffentlich gehandelt wurden. In der Praxis wichen auch die große Aktiengesellschaften diesem Verfahren aus und versuchten eine Reorganisation im Rahmen eines Verfahrens nach Chapter XI.556 Die Zulassung eines solchen Chapter XI-Verfahrens lag dann im Ermessen des jeweiligen Insolvenzgerichts, was zu einer Vielzahl von Streitigkeiten und Prozessen führte.557 Dennoch blieben Versuche der SEC, den Anwendungsbereich der Verfahren eindeutig gesetzlich zu regeln, erfolglos. Der Kongress reagierte auf diese Missstände erst im Jahr 1970 mit der Einsetzung einer Reformkommission, welche 1974 in einem zweiteiligen Bericht zum einen die Praxis analysierte und zugleich eine Neuregelung des gesamten Insolvenzrechts vorschlug.558 Insbesondere aufgrund dieser Vorschläge entschied sich der Gesetzgeber später dafür, ein für alle Unternehmen einheitliches Reorganisationsverfahren zu schaffen. Die Reform von 1978 vereinigte daher die zwei Verfahren aus Chapter X und Chapter XI des Bankruptcy Act in einem neuen, einheitlichen Chapter 11 des Bankruptcy Code. 559 b) Die Reorganisation nach Chapter 11 des Bankruptcy Code von 1978 Das dem deutschen Reformgesetzgeber als Vorbild dienende Reorganisationsverfahren wurde in den Vereinigten Staaten im Jahr 1978 durch den Bankruptcy 556
Vgl. Warren/Bussel, Bankruptcy, S. 591: »Chapter X was virtually a dead letter«. Epstein/Nickles/White, Bankruptcy, § 10–1, S. 733. Die Streitigkeiten beruhten nicht selten auf einer Einmischung der SEC in Verfahren nach Chapter XI, die offensichtlich Unternehmen betrafen, die nach der gesetzgeberischen Intention unter Chapter X, und damit unter Einbeziehung der SEC, reorganisiert werden sollten. Schon im Jahr 1940 gab der Supreme Court den Insolvenzgerichten auf, in solchen Fällen ein Verfahren nach Chapter XI zu verwerfen und es den Schuldnern zu überlassen, ein Verfahren nach Chapter X einzuleiten, Securities and Exchange Commission v. United States Realty & Improvement Co., 310 U. S. 434 (1940). Zugleich bestätigte er das prozessuale Recht der SEC, eine Verfahrensbeendigung zu beantragen. 558 »Report of the Commission on the Bankruptcy Laws of the United States«. Die National Conference of Bankruptcy Judges legte einen konkurrierenden Gesetzesentwurf vor. Aus der nachfolgenden mehrjährigen Debatte entstand dann der Bankruptcy Code von 1978 – vgl. zum ganzen Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 33 ff. (1995) m. w. N. 559 Dieser Bankruptcy Code bildet Teil 11 des United States Code und wird daher im Folgenden wie jetzt üblich zitiert (11 U. S. C. §§ . . .). 557
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Reform Act in Kraft gesetzt. 560 Das nun einheitliche Reorganisationsverfahren nach Chapter 11 des Bankruptcy Code erfasst alle Unternehmen unabhängig von ihrer Organisationsform, soweit sie nicht besonderen insolvenzrechtlichen Regelungen unterliegen.561 Diese Einheitlichkeit stellte sich jedoch bald als Nachteil für insolvente Kleinunternehmen heraus, die nun ebenfalls das komplexe Chapter 11-Verfahren durchlaufen mussten und nicht mehr auf ein vereinfachtes Verfahren zurückgreifen konnten. Folgerichtig wurden schon in den Jahren 1994 und 2005 Ausnahmeklauseln in das Gesetz eingefügt, die Verfahrenserleichterungen für kleine Unternehmen vorsahen. 562 Dabei wurde nun endlich auch der Begriff des Kleinunternehmens (small business debtor) in 11 U. S. C. § 101 (51D) gesetzlich definiert. De facto wurde damit erreicht, was die SEC schon für den alten Bankruptcy Act wollte: ein komplexes Reorganisationsverfahren für alle Unternehmen und ein vereinfachtes Verfahren für einen gesetzlich definierten Kreis von kleinen Unternehmen. Die proklamierte Einheitlichkeit des Reorganisationsverfahrens weicht insofern bereits wieder einer gewissen Mehrgleisigkeit.563 Der wesentliche Ablauf des Chapter 11-Verfahrens ist für alle Schuldner identisch. Es wird im Regelfall aufgrund eines Antrags des Schuldners an den Bankruptcy Court gemäß 11 U. S. C. § 301 (voluntary case) eröffnet.564 Das tatsächliche Vorliegen einer Insolvenz ist dabei nicht Teil der Eröffnungsvoraussetzungen; ein Insolvenzgrund muss also weder nachgewiesen noch vorgetragen werden.565 Will einer der Gläubiger das Verfahren in Gang setzen (involun560 Zur Entstehung des Bankruptcy Code 1978 siehe etwa: Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 32–34, 37–43 (1995). Die Verfassungsmäßigkeit des neuen Insolvenzrechts wurde nur noch in einem Punkt angezweifelt: der Zuweisung aller Entscheidungen an einen Richter, der nicht durch Art. III der U. S. C. Verfassung legitimiert war, obwohl er alle Befugnisse eines regulären Richters ausübte (damals 28 U. S. C. § 1471 (c)). Der Supreme Court teilte die Zweifel und hielt die Regelung für verfassungswidrig, Northern Pipeline Constr. Co. v. Marathon Pipeline Co., 458 U. S. 50 (1982). Der Kongress ordnete daraufhin im Jahr 1984 die Bankruptcy Courts formal den Federal District Courts zu, in denen sie nun eine Unterabteilung bilden, vgl. 28 U. S. C. §§ 151, 157, 1334 (zur Erläuterung siehe etwa Epstein./Markell/Nickles/Perris, Bankruptcy, S. 628 ff.). 561 Nicht nur Körperschaften (corporations), sondern auch Personengesellschaften (partnerships) und natürliche Personen fallen daher in seinen Anwendungsbereich, vgl. 11 U. S. C. § 109. Ausgenommen sind etwa Banken, Sparkassen oder Versicherungsgesellschaften, für die Sonderregelungen bestehen (siehe etwa 12 U. S. C. § 1811 ff.). 562 Vgl. etwa die Regelungen in 11 U. S. C. §§ 1102 (a) (3), 1116, 1121 (e), 1125 (f), 1129 (e). 563 Diese Einheitlichkeit war von vornherein eher ein plakativ verstandener Gegensatz zu den verschiedenen Reorganisationsverfahren im alten Bankruptcy Act. So sind etwa die Sonderbestimmungen für die Reorganisation von Eisenbahnunternehmen in den §§ 1161 ff. stets Teil des Bankruptcy Code gewesen. 564 Mehr als 99 Prozent der jährlichen Verfahrensanträge sind Schuldneranträge – Bull, ZIP 1980, 843, 845; von Stein/Thanner, DB 1981, 2213. 565 Es muss lediglich klar sein, dass der Schuldner überhaupt Verbindlichkeiten hat, was im Regelfall offensichtlich ist – vgl. Cowans, Bankruptcy Law and Practice, § 3.6 (Vol. 1, S. 232).
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tary case), so ist ihm dies als Einzelperson nur möglich, wenn die Gesamtzahl aller Gläubiger des Schuldners geringer als zwölf ist und er Forderungen gegen den Schuldner von mehr als $ 13.475 innehat, 11 U. S. C. § 303 (b) (2). Hat der Schuldner mehr als zwölf Gläubiger, so wird das Verfahren gemäß 11 U. S. C. § 303 (b) (1) nur eröffnet, wenn mindestens drei Gläubiger mit ungesicherten Forderungen von mindestens $ 13.475 zusammen den Antrag stellen. Insgesamt gelten für die Eröffnung eines Chapter 11-Verfahrens die allgemeinen Vorschriften des Chapter 3. Dessen Bestimmungen sowie die Regelungen in den Chapter 1 und 5 des Code finden in allen Insolvenzverfahren Anwendung.566 Daneben muss sich der Eröffnungsantrag inhaltlich auf ein Reorganisationsverfahren nach Chapter 11 beziehen. Dieses ist ein eigenständiges Insolvenzverfahren und insofern vom Liquidationsverfahren nach Chapter 7 sowie von den anderen speziellen Insolvenzverfahren, etwa für Verbraucher in Chapter 13, von vornherein zu trennen. Die Auswahl der jeweiligen Verfahrensart erfolgt durch den Antragsteller im Antrag.567 Im eröffneten Verfahren hat der Schuldner unter anderem eine Liste seiner Gläubiger vorzulegen, 11 U. S. C. § 521 (a) (1) (A).568 Dabei sind etwaige Sicherungsrechte (11 U. S. C. § 506) sowie Vorrechte (11 U. S. C. § 507) zu beachten und darzustellen. Trotz der Verfahrenseröffnung behält der Schuldner im Regelfall die Eigenverwaltung über die Insolvenzmasse und damit die Kontrolle über sein Unternehmen (debtor in possession, 11 U. S. C. § 1107). 569 Der United States Trustee, der für das Gericht die administrativen Aufgaben des Insolvenz-
566 Dabei ist zu beachten, dass der Bankruptcy Code (abgesehen von Chapter 12) nur Chapter mit ungeraden Zahlen als Nummerierung enthält. 567 Das Reorganisationsverfahren kann später gemäß 11 U. S. C. § 1112 jederzeit auf Antrag eines Beteiligten in ein Liquidationsverfahren nach Chapter 7 umgewandelt werden. 568 Die Gläubiger müssen ihre Forderungen daher nur dann im Verfahren anmelden, wenn sie nicht auf der Liste des Schuldners erscheinen, Rules 3002, 3003 der Federal Rules of Bankruptcy Procedure. Die Zulassung der so angemeldeten Forderungen erfolgt dann nach den allgemeinen Regeln der §§ 501 ff. des Bankruptcy Code. Zur Definition einer Forderung (claim) siehe 11 U. S. C. § 101 (5). 569 Nur in Fällen, in denen die Eigenverwaltung durch den Schuldner bzw. dessen Management wegen betrügerischen, inkompetenten oder unehrlichem Verhaltens nicht tunlich erscheint, und ein Gläubiger oder der United States Trustee dies beantragt, wird ein trustee, also ein Verwalter, vom Gericht bestellt, 11 U. S. C. § 1104 (a). Dies geschieht nach empirischen Untersuchungen äußerst selten – vgl. die Auswertung bei Terhart, Chapter 11, S. 89: 12 Prozent der Fälle bei großen Schuldnern); unzutreffend insofern Hohloch, ZGR 1982, 145, 157, wenn er das Regel-Ausnahme-Verhältnis umkehrt. Die Vorschrift hat allerdings den positiven Effekt, zu einem freiwilligen Managementwechsel zu führen, wenn ein Missmanagement des alten Managements nicht auszuschließen ist und ein Antrag nach § 1104 droht. Ist ein solches Fehlverhalten nicht offensichtlich, kann das Gericht dennoch auf Antrag einen »examiner«, also einen Gutachter, einsetzen, der das Schuldnerunternehmen untersucht und begutachtet, 11 U. S. C. §§ 1104 (c), 1106 (b). Zum Aufgabenfeld eines trustee siehe 11 U. S. C. § 1106; aus der deutschen Literatur: Kemper, Chapter 11, S. 65 ff.
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verfahrens wahrnimmt,570 beruft gemäß 11 U. S. C. § 1102 einen Ausschuss der ungesicherten Gläubiger und fakultativ auch einen weiteren Ausschuss der gesicherten Gläubiger, die creditors’ and equity security holders’ committees, in welchen gemäß 11 U. S. C. § 1102 (b) für jede Gläubigergruppe jeweils die sieben Gläubiger mit den höchsten Forderungssummen für alle Gläubiger auftreten sollen. Tatsächlich finden sich nur selten Ausschüsse mit so vielen Gläubigervertretern, da dies im Hinblick auf die ihnen zustehenden Entschädigungen sehr kostspielig wäre.571 Eine umfassende Gläubigerversammlung gibt es daneben theoretisch zwar gemäß 11 U. S. C. § 341 (a) auch; sie hat für das Reorganisationsverfahren jedoch keine praktische Bedeutung.572 Vielmehr obliegt den Ausschüssen gemäß U. S. C. § 1104 (c) die Beratung und Überwachung des Schuldners sowie die Mitwirkung an der Planerstellung. Mit der formalen Eröffnung des Verfahrens durch das Insolvenzgericht (order of relief) tritt insbesondere der Vollstreckungsschutz für das Schuldnerunternehmen in Kraft, 11 U. S. C. § 362 (automatic stay). Diesem wird dadurch eine Atempause verschafft. Zugleich bleibt es gemäß 11 U. S. C. § 363 grundsätzlich berechtigt, besicherte Gegenstände weiter im Geschäftsbetrieb zu nutzen sowie seinen Warenbestand oder seine Produkte zu veräußern.573 Zur Finanzierung der Unternehmensfortführung während des Verfahrens ermöglicht 11 U. S. C. § 364 nicht nur die Aufnahme neuer Kredite zu Lasten der Masse, sondern im Notfall auch deren vorrangige Besicherung vor allen anderen Gläubigern.574 Die Verfahrensbestimmungen bieten insofern eine Reihe von Hilfsmittel, um die Fortführung des Schuldnerunternehmens trotz der Krise zu ermöglichen. Nach der Eröffnung des Verfahrens hat der Schuldner in Eigenverwaltung gemäß 11 U. S. C. § 1121 (a)–(c) für 120 Tage das exklusive Recht, einen Reorga570 Vgl. etwa 11 U. S. C. § 307. Näher zu dessen Aufgaben etwa Jander/Sohn, RIW 1981, 744, 746. 571 In Verfahren über Kleinunternehmen darf die Bestellung der Ausschüssen daher sogar ganz unterbleiben, 11 U. S. C. § 1102 (a) (3). Näher zu den Ausschüssen: Bull, ZIP 1980, 843, 847; Riesenfeld, KTS 1983, 85, 91 f.; von Stein/Thanner, DB 1981, 2213, 2215. Gerade in großen Reorganisationen sind die Ausschüsse aggressiv am Verfahren beteiligt, wobei sich die Gläubiger nahezu ausschließlich durch Repräsentanten, insbesondere Anwälte, vertreten lassen – vgl. die Auswertung statistischer Daten bei Terhart, Chapter 11, S. 91. In kleinen Verfahren fehlten sie hingegen schon vor der Einführung von 11 U. S. C. § 1102 (a) (3) häufig – zu den Gründen: Johnston, 65 Am. Bankr. L. J. 213, 269–271 (1991). 572 Kemper, Chapter 11, S. 83. 573 Die Reichweite des Vollstreckungsverbotes wie auch der Nutzungs- und Veräußerungsbefugnisse sowie die Ausnahmen von beiden sind in den §§ 362 und 363 ausführlich geregelt. Dennoch ist in den Einzelheiten vieles streitig – siehe dazu etwa Norton, Bankruptcy Law and Practice, § 43:3 ff. sowie § 44:1 ff.; Scarberry/Klee/Newton/Nickles, Business Reorganization, S. 88 ff. sowie S. 174 ff.; Johnston, 65 Am. Bankr. L. J. 213, 258 ff. (1991). 574 Näheres zur Finanzierung des Unternehmens im Verfahren (dip financing) findet sich etwa bei 9B Am Jur 2d, Bankruptcy, §§ 1711 ff.; Norton, Bankruptcy Law and Practice, § 45:1 ff.; Scarberry/Klee/Newton/Nickles, Business Reorganization, S. 189 ff.
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nisationsplan einzureichen.575 Nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist oder aber, wenn der eingereichte Plan innerhalb von 180 Tagen nicht angenommen wurde, ist jeder Beteiligte berechtigt, einen eigenen Plan einzureichen, 11 U. S. C. § 1121 (c). Eine Konkurrenz von Plänen ist daher möglich und gewollt. Liegen mehrere Pläne vor, so werden alle zur Abstimmung zugelassen; die Gläubiger entscheiden dann, welchen Plan sie bevorzugen.576 In jedem Reorganisationsplan sind gemäß 11 U. S. C. § 1123 (a) (1) zunächst die Forderungen der Gläubiger sowie die Anteilsrechte der Gesellschafter in Gruppen einzuteilen, wobei gemäß 11 U. S. C. § 1122 nur im Wesentlichen gleichartige (substantially similar) Forderungen und Rechte in einer Gruppe zusammengefasst werden dürfen.577 Diese Einteilung ist essentiell, da gemäß 11 U. S. C. § 1123 (a) (4) nur innerhalb einer Gruppe eine Gleichbehandlungspflicht besteht und auch die Abstimmung über den Plan in diesen Gruppen erfolgen wird. Im Plan ist zudem gemäß 11 U. S. C. § 1123 im Detail aufzuzeigen, welche Maßnahmen zur Reorganisation des Unternehmens ergriffen werden sollen und wie durch diese Sanierungsmaßnahmen in die Gläubiger- und Anteilsrechte eingegriffen werden wird. Neben dem Planentwurf ist beim Gericht ein disclosure statement einzureichen, welches alle zur Entscheidung über den Plan und zur Bewertung der Sanierungschancen notwendigen Informationen über das Schuldnerunternehmen sowie dessen Fortführungschancen enthalten muss, 11 U. S. C. § 1125 (a).578 Ge575 Diese Frist kann durch das Gericht auf Antrag verlängert werden, was häufig geschieht. Nicht selten müssen die Beteiligten daher bis zu ein Jahr auf einen Planvorschlag des Schuldners warten – vgl. Funke, FS Helmrich, 1994, 627, 632; empirische Studien ermittelten eine durchschnittliche Dauer bis zum Planvorschlag von 127 bis zu 193 Tagen – Auswertung bei Terhart, Chapter 11, S. 129 f. Gerade die Verlängerungsmöglichkeiten wurden im Jahr 2005 durch den Bankruptcy Abuse Prevention and Consumer Protection Act beschnitten, vgl. 11 U. S. C. § 1121 (d) (2): die Exklusivitätsphase kann nun auf max. 18 Monate nach Verfahrenseröffnung ausgedehnt werden. 576 Werden mehrere Pläne mehrheitlich angenommen, so darf gemäß 11 U. S. C. § 1129 (c) das Gericht nach eigenem Ermessen entscheiden, welchen der Pläne es bestätigt. Wegen der Entscheidungsmaßstäbe siehe etwa In re Greate Bay Hotel & Casino, Inc., 251 B. R. 213, 245 ff. (Bankr. N. J. 2000). 577 Maßstab für die »Ähnlichkeit« von Forderungen ist dabei der jeweilige rechtliche Inhalt der Forderung. Dies hat zur Folge, dass jeder gesicherte Gläubiger im Regelfall in eine eigenständige Gruppe gesetzt wird, da die jeweiligen Sicherungsrechte verschieden sind. Auch die Gesellschafter des Schuldnerunternehmens bilden (mindestens) eine eigene Gruppe. Hinsichtlich der ungesicherten Gläubiger ist dagegen eine Vielzahl von Gruppen denkbar. 11 U. S. C. § 1122 (b) hält insbesondere eine eigene Gruppe von Kleingläubigern für zulässig. Näheres zur Gruppenbildung etwa bei 9C Am Jur 2d, Bankruptcy, §§ 2840 ff.; Kennel/Link/ Muskus/Oakes/Williams, Corpus Juris Secundum, § 1144 ff.; Norton, Bankruptcy Law and Practice, § 109:1; Ordin/McDonald, in: Ordin on Contesting Confirmation, § 3.01 ff.; aus der deutschen Literatur: Kemper, Chapter 11, S. 156 ff.; Riesenfeld, KTS 1983, 85, 93–95; Terhart, Chapter 11, S. 132. Strategisch orientiert sich die Gruppenbildung am zu erwartenden Abstimmungsverhalten der Gläubiger, benötigt man doch gemäß 11 U. S. C. § 1129 (a) (10) zumindest die tatsächliche Zustimmung wenigstens einer vom Plan beeinträchtigten Gruppe für die Planbestätigung. 578 Das Gericht hört dann von Amts wegen den Schuldner, die Security and Exchange
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nehmigt das Gericht das disclosure statement als ordnungsgemäß, so wird es an alle Beteiligten versandt.579 Erst aufgrund dieser Informationsgrundlage darf dann die Abstimmung der Gläubiger über den Plan erfolgen, da erst dann eine substantiierte Bewertung des Plans durch die Gläubiger möglich ist, 11 U. S. C. § 1125 (b).580 Diese Abstimmung erfolgt nachfolgend nicht in einem Termin bei Gericht, sondern schriftlich durch vom jeweiligen Gläubiger bzw. Anteilseigner unterschriebene Abstimmungserklärungen.581 Zur Annahme des Planes müssen in jeder Gruppe von Gläubigern gemäß 11 U. S. C. § 1126 (c) so viele Gläubiger dem Plan zustimmen, dass diese mindestens zwei Drittel der Forderungssumme sowie mindestens die Hälfte der Anzahl aller Forderungen der abstimmenden Gläubiger der Gruppe repräsentieren. Die Forderungen der nicht abstimmenden Gläubiger bleiben also unberücksichtigt. In einer Gruppe von Gesellschaftern bedarf es gemäß 11 U. S. C. § 1126 (d) hingegen allein der zweidrittel Summenmehrheit. Gruppen von Gläubigern, in deren Rechte der Plan nicht eingreift, stimmen nicht über denselben ab; ihre Zustimmung zum Plan wird gemäß 11 U. S. C. § 1126 (f) fingiert. Gruppen von Gläubigern oder Anteilseignern, die nach dem Plan nichts erhalten sollen, stimmen ebenfalls nicht über ihn ab, da 11 U. S. C. § 1126 (g) die Ablehnung dieser Gruppen unterstellt. Nach seiner Annahme bedarf der Reorganisationsplan gemäß 11 U. S. C. §§ 1128, 1129 der Bestätigung (confirmation) durch das Gericht. Bis zu dem hierzu anzusetzenden Termin kann jeder Beteiligte einen Einspruch (objection) gegen die Bestätigung erheben.582 Das Gericht prüft allerdings unabhängig von solchen Einwendungen stets die gesetzlichen Bestätigungsvoraussetzungen in 11 U. S. C. § 1129 (a) (1)–(15), also etwa ob vor der Abstimmung alle notwendigen Informationen offen gelegt wurden, ggf. notwendige behördliche Genehmigungen vorliegen usw. Zudem muss der Plan nach Ansicht des Gerichts durchführbar sein, also realistische Durchführungschancen haben und damit eine baldige Liquidation oder nochmalige Reorganisation des SchuldnerunterCommission sowie den Verwalter (trustee) und das Gläubigerkomitee an, soweit diese bestellt wurden, siehe Rule 3017 (a) der Federal Rules of Bankruptcy Procedure. Die Gläubiger und Anteilseigner erhalten zu diesem Zeitpunkt nur dann ein Exemplar, wenn sie schriftlich eine Kopie des Planes oder des disclosure statements anfordern. Diese Regelung berücksichtigt die in der Praxis nur geringe aktive Beteiligung der einzelnen Gläubiger am Verfahren und entlastet daher die Gerichte. Näher dazu auch Terhart, Chapter 11, S. 133. 579 Rule 3017 (b) der Federal Rules of Bankruptcy Procedure. 580 Das disclosure statement wird daher nicht zu Unrecht als Schlüssel für die Richtigkeitsgewähr der Gläubigerentscheidung und damit für die Legitimation des Abstimmungsergebnisses angesehen – vgl. etwa Norton, Bankruptcy Law and Practice, § 110:1; Ordin/McDonald, in: Ordin on Contesting Confirmation, § 2.01, S. 2–3 oder auch Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, vor § 217 Rn. 48. 581 Rule 3018 (c) der Federal Rules of Bankruptcy Procedure. 582 11 U. S. C. § 1128 (b). Alle Einsprüche sind innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist schriftlich einzureichen, Rule 3020 (b) der Federal Rules of Bankruptcy Procedure.
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nehmens unwahrscheinlich machen, 11 U. S. C. § 1129 (a) (11).583 Schließlich prüft das Gericht auch, ob alle vom Plan betroffenen Gruppen diesem zustimmen (consensual confirmation), 11 U. S. C. § 1129 (a) (8). Haben zwar alle Gruppen, nicht aber alle Gläubiger dem Plan zugestimmt, so ist gemäß 11 U. S. C. § 1129 (a) (7) (A) (ii) eine Bestätigung nur möglich, wenn der Plan für jeden ablehnenden Gläubiger einer von ihm betroffenen Gruppe wenigstens den Wert vorsehen, den dieser im Falle der Liquidation des Schuldners nach Chapter 7 erhalten hätte (best interest test).584 Gewissen bevorrechtigten Gläubigern 585 ist nach 11 U. S. C. § 1129 (a) (9) sogar der Wert ihrer Forderungen in bar anzubieten, soweit sie nicht einer anderen Regelung im Plan ausdrücklich zugestimmt haben. Fehlt hingegen nicht nur die Zustimmung einzelner Gläubiger, sondern die mindestens einer vom Plan beeinträchtigten Gruppe von Gläubigern oder Anteilseignern, so darf das Gericht den Plan auf Antrag des Vorlegenden nur bestätigen, wenn dieser auch die zusätzlichen Anforderungen des 11 U. S. C. § 1129 (b) erfüllt (cramdown rule). Dazu darf der Plan die ablehnende Gruppe nicht unangemessen benachteiligen (discriminate unfairly) und muss zudem ihr gegenüber als billig und gerecht (fair and equitable) erscheinen.586 Eine unangemessene Benachteiligung wurde im Gesetz nicht näher definiert. Sie ist nach allgemeiner Ansicht gegeben, wenn der Plan die ablehnenden Gruppen gegenüber einer vergleichbaren Gruppe ohne Grund schlechter behandelt.587 Der Plan ist gemäß 11 U. S. C. § 1129 (b) (2) (A) billig und gerecht, wenn er die absolute priority rule beachtet. Hierbei ist nach dem Gesetzeswortlaut zwischen den verschiedenen Beteiligten zu unterscheiden. Einer ablehnenden Gruppe gesicherter Gläubiger muss der Plan anbieten, ihre Sicherheiten zu behalten oder gleichwertige neue Sicherungen zu erhalten und zugleich Ratenzahlungen zusa583 Das Gericht prüft dabei durchaus eingehend das dem Plan zugrunde liegende Geschäftsmodell – vgl. etwa In re Greate Bay Hotel & Casino, Inc., 251 B. R. 213, 226 ff. (Bankr. N. J. 2000); allgemein zur feasibility siehe 9D Am Jur 2d, Bankruptcy, §§ 2944 ff.; Norton, Bankruptcy Law and Practice, § 112:28. 584 Diese Schutzbestimmung läuft hinsichtlich der einfachen Gläubiger in der Praxis oft leer, da diese Gruppen im Liquidationsfall nur äußerst geringe Quoten bzw. überhaupt nichts erwarten können; Johnston, 65 Am. Bankr. L. J. 213, 280 (1991). 585 Dies sind im Wesentlichen Unterhaltsgläubiger, der Verwalter (soweit einer bestellt wurde) wegen seiner Vergütung, Arbeitnehmer wegen des Lohnes der letzten 180 Tage vor dem Verfahren, Farmer und Kautionsgläubiger sowie der Fiskus – vgl. 11 U. S. C. § 1129 (a) (9), § 507 (a) (1) – (8). 586 Allgemein zur cramdown rule: 9D Am Jur 2d, Bankruptcy, §§ 2962 ff.; Johnston, 65 Am. Bankr. L. J. 213, 281 ff. (1991); Kennel/Link/Muskus/Oakes/Williams, Corpus Juris Secundum, § 1147 ff.; Norton, Bankruptcy Law and Practice, § 113:1 ff.; Ordin/McDonald, in: Ordin on Contesting Confirmation, § 12-§ 18; aus der deutschen Literatur: Kemper, Chapter 11, S. 173 ff.; Riesenfeld, KTS 1983, 85, 98 f. 587 Vgl. etwa In re Greate Bay Hotel & Casino, Inc., 251 B. R. 213, 229 ff. (Bankr. N. J. 2000) m. w. N. zur Rechtsprechungspraxis; siehe auch 9D Am Jur 2d, Bankruptcy, §§ 2963; Norton, Bankruptcy Law and Practice, § 113:2.50.
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gen, die insgesamt die Höhe des Wertes der gesicherten Forderung (plus Zinsen) erreichen, 11 U. S. C. § 1129 (b) (2) (A). Bei einer ablehnenden Gruppe ungesicherter Forderungsgläubiger muss der Plan diesen entweder Zuwendungen in Höhe ihres vollen Forderungswertes anbieten oder aber er darf zumindest keinen nachrangigen Gläubigern oder Gesellschaftern 588 irgendeinen Vermögenswert zuwenden, 11 U. S. C. § 1129 (b) (2) (B). Bei einer ablehnenden Gruppe von Anteilseignern muss der Plan nach dem Wortlaut des Gesetzes ebenfalls entweder Zuwendungen in Höhe ihres vollen Anteilswertes anbieten oder aber er darf zumindest keinen nachrangigen Gläubigern oder Gesellschaftern irgendeinen Vermögenswert zuwenden, 11 U. S. C. § 1129 (b) (2) (C). Da es allerdings keine nachrangigen Beteiligten hinter einer Gruppe einfacher Gesellschafter (common stock) geben kann, hat die Praxis die Regel dahingehend interpretiert, dass der Plan keiner vorrangigen Gruppe mehr als 100 Prozent ihrer Rechte zuwenden darf.589 Die Bestätigungsvoraussetzungen des § 1129 beinhalten damit nahezu alle historischen Elemente des Gläubigerschutzes: der best interest test des composition agreement von 1874, die absolute priority rule des Supreme Courts aus dem Jahr 1913, die Notwendigkeit eines billig und gerechten sowie durchführbaren Plans des Chandler Acts von 1938. Das geltende amerikanische Insolvenzrecht verbindet diese gläubigerschützenden Elemente seiner Vorgänger mit dem ebenfalls schon seit 1933 bekannten Mittel des Obstruktionsverbots (cramdown rule) und ermöglicht damit die Durchsetzung von Reorganisationsplänen auch in solchen Fällen, in denen eine Gruppe den Plan ohne sachlichen Grund ablehnt. Dieser Ausgleich von Gläubigerschutz und Gläubigerzwang scheint sich in der Praxis – jedenfalls bei der Reorganisation von großen Unternehmen – zu bewähren.590
588 Problematisch ist, ob diese Vorschrift verletzt wird, wenn die Gesellschafter nach dem Plan zwar einen Wert erhalten sollen, dafür im Gegenzug aber dem Schuldnerunternehmen neues Vermögen zur Verfügung stellen (sog. »new value exception«). Der Supreme Court befürwortete eine derartigen Regelung in den 1930iger Jahren, Case v. Los Angeles Lumber Co., 308 U. S. 106, 121 f. (1939). Unter der Geltung des Bankruptcy Codes hat der Supreme Court sie zwar ebenfalls ausdrücklich für denkbar gehalten, ihre Anwendung dann aber in den beiden ihm vorliegenden Einzelfällen jeweils verworfen – vgl. Norwest Bank Washington v. Ahlers, 485 U. S. 197 (1988) sowie Bank of America Nat’l Trust & Sav. Ass’n v. 203 LaSalle St. Partnership, 526 U. S. 434 (1996). 589 Vgl. Norton, Bankruptcy Law and Practice, § 113:25. Diese Interpretation der absolute priority rule gilt auch zugunsten der ablehnenden Gruppen ungesicherter Gläubiger – siehe etwa In re Mcorp Financial Inc., 137 B. R. 219, 235 (Bankr. S. D. Tex. 1992); In re Exide Technologies, 303 B. R. 48, 61 (Bankr. Del. 2003). 590 Empirische Studien ergaben gerade bei großen Reorganisationsfällen eine Bestätigungsquote von bis zu 96 Prozent. Dabei kam es nur in ca. 58 Prozent der Fälle zu einer Planannahme durch alle Gruppen. In den restlichen Fällen kam die cramdown rule zur Anwendung und blieb bis auf wenige Einzelfälle ohne Widerspruch der betroffenen Gläubiger. In kleinen Fällen liegt dagegen die Bestätigungsquote nur bei 17 bis 24 Prozent. Viele der Plan-
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Hat das Gericht den Reorganisationsplan bestätigt, so wird der entsprechende Beschluss an alle Beteiligten versandt.591 Die Bestätigung bindet gemäß 11 U. S. C. § 1141 (a) den Schuldner sowie alle Gläubiger und Anteilseigner unabhängig von ihrer Stimmangabe an den Plan. Belastungen an den Massegegenständen werden auf die im Plan vorgesehenen Rechte reduziert, 11 U. S. C. § 1141 (c); der Schuldner wird gemäß 11 U. S. C. § 1141 (d) i. V. m. §§ 523, 524 entschuldet.592 Im übrigen ist das Gericht nach 11 U. S. C. § 1142 (b) befugt, alle zur Planerfüllung notwendige Handlungen anzuweisen. Hat das Gericht schließlich alle aus seiner Sicht erforderlichen Entscheidungen und Anordnungen getroffen, so beendet es das Verfahren auch formal durch einen entsprechenden Aufhebungsbeschluss (final decree).593 Es war das soeben in seinen Grundzügen dargestellte Reorganisationsverfahren, das der deutsche Reformgesetzgeber in den 1980iger und Anfang der 1990iger Jahre als Vorbild für ein Sanierungsverfahren vor Augen hatte. Dieses blieb seither jedenfalls im Mechanismus des Zustandekommens eines Plans unverändert. Die Regelungen zur Gruppenbildung und zur Abstimmung wie auch die Bestätigungsvoraussetzungen sind immer noch identisch. Selbst die Reform des Jahres 2005594 ließ diese Regelungsbereiche weitgehend unberührt, erweiterte aber – wie bereits eingangs erläutert – die Sonderbestimmungen für Verfahren über Kleinunternehmen. Diese Entwicklung ging am deutschen Gesetzgeber bislang vorbei. c) Die Rechtsnatur des Reorganisationsplans des Chapter 11 Die Rechtsnatur des im soeben beschriebenen Verfahren zustande gekommenen Reorganisationsplans wird in den Vereinigten Staaten allenfalls am Rande diskutiert. Großes wissenschaftliches Interesse hat diese Frage nicht auf sich ziehen können. Interessanterweise kann man dennoch bei genauer Betrachtung vorschläge scheitern im Verfahren. Eine Auswertung der Studien fi ndet sich bei Terhart, Chapter 11, S. 141 f. 591 Rule 3020 (c) (2) der Federal Rules of Bankruptcy Procedure. 592 Näher zur discharge: Ordin/McDonald, in: Ordin on Contesting Confirmation, § 22.01; aus der deutschen Literatur siehe etwa Kemper, Chapter 11, S. 183 ff. Der Aderlass der Gläubiger ist enorm und liegt bei den ungesicherten Gläubigern laut empirischer Studien bei ca. 70 Prozent, während die gesicherten Gläubiger nur allenfalls 20 Prozent ihrer Forderungen einbüßen; häufig bleiben letztere sogar unangetastet – Auswertung bei Terhart, Chapter 11, S. 145. 593 Rule 3022 der Federal Rules of Bankruptcy Procedure. 594 Im Jahr 2005 erfolgte die bislang umfangreichste Reform des Bankruptcy Codes durch den Bankruptcy Abuse Prevention and Consumer Protection Act, der am 17. Oktober 2005 in Kraft trat. Neben weitreichenden Veränderungen für Verbraucherinsolvenzverfahren enthielt dieses Gesetz auch bedeutende Detailänderungen für das Chapter 11 – allgemein zum Reformgesetz: Hafner, DAJV Newsletter 2006, 13 ff.; zu seiner durchaus interessanten Entstehungsgeschichte: Jensen, 79 Am. Bankr. L. J. 485 (2005). So wurde etwa der dem Schuldner zur Planvorlage gewährte Exklusivzeitraum (11 U. S. C. § 1121) verkürzt, indem die Verlängerungsmöglichkeiten beschnitten wurden. Auch die Verwaltereinsetzung wurde erleichtert.
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der verschiedenen Entscheidungen und wenigen Literaturquellen, die sich zu diesem Thema finden lassen, feststellen, dass es zu dieser Frage durchaus keine allgemein vertretene Ansicht gibt. Stattdessen lassen sich – ähnlich wie in Deutschland – auch bezüglich des Chapter-11-Plans eine reine Vertragstheorie und eine prozessuale Vertragstheorie einer Urteilstheorie gegenüberstellen. (1) Die Vertragstheorie: »The confirmed plan is a contract.« Die Vertragstheorie ist die ganz herrschend vertretene Ansicht. Der ganz überwiegende Teil der bankruptcy courts595 bzw. der district courts596 wie auch der 595 In re St. Louis Freight Lines, Inc., 45 B. R. 546, 551 (Bankr. E. D. Mich. 1984): »Case law has established the binding contractual nature of the plan.« In re Richard C. Ernst and R. C. E. Corporation, 45 B. R. 700, 702 (Bankr. D. Minn. 1985): »The plan is essentially a new and binding contract, sanctioned by the Court, between a debtor and his preconfirmation creditors.« In re Page, 118 B. R. 456, 460 (Bankr. N. D. Tex. 1990): »In essence, the plan becomes a binding contract between the debtor and the creditors and controls their rights and obligations.« In re Cook, 126 B. R. 575, 583 (Bankr. D. SD 1991): »A plan is a contract consisting of a novation of the previous agreements between the parties.« In re Modern Steel Treating Co., 130 B. R. 60, 65 (Bankr. N. D. Ill. 1991): »Further, a confirmed plan is a contract.« In re Pettibone Corporation, 134 B. R. 349, 351 (Bankr. N. D. Ill. 1991): »A plan of reorganization is a contract which binds a debtor and its creditors.« In re Erie Hilton Joint Venture, 137 B. R. 165, 171 (Bankr. W. D. Pa. 1992): »The Committee and the Defendants agree that the Confirmed Plan is a contract and the rules of contract govern its interpretation.« In re Harstad, 155 B. R. 500, 510 (Bankr. D. Minn. 1993): »After all, a chapter 11 plan is a contract between the debtor and its creditors.« In re Schreiber, 163 B. R. 327, 333 (Bankr. N. D. Ill. 1994): »A confirmed plan is a contract, and the parties to a plan are bound by its terms.« In re Potts, 188 B. R. 575, 582 (Bankr. N. D. Ind. 1995): »The [. . .] plan became a contract between the Potts and their creditors.« In re Vandy, Inc., 189 B. R. 342, 347 (Bankr. E. D. Pa. 1995): »In essence, upon confirmation, the confirmed plan becomes a binding contract between the debtor and the creditors.« In re Wrenn Insurance Agency of Missoury, Inc., 178 B. R. 792, 796 (Bankr. W. D. Mo. 1995): »[A] confirmed plan is a contract.« In re Maruko, Inc., 200 B. R. 876, 881 (Bankr. S. D. Ca. 1996): »A chapter 11 plan is a contract between the debtor and its creditors in which general rules of contract interpretation apply.« In re Bennett Funding Group, Inc., 220 B. R. 743, 758 (Bankr. N. D. NY 1997): »By virtue of the [. . .] Confirmation Order, the [. . .] Plan became a binding contract between HSI and, inter alios, BMDC, and must be interpreted in accordance with general contract law.« In re Campesinos Unidos, Inc., 219 B. R. 886, 888 (Bankr. S. D. Ca. 1998): »In place of the old obligations is the reorganized debtor’s new contract with its creditors. That contract is the plan, and generally provides within its four corners, like many contracts, the creditors’ rights and procedures for enforcing its terms.« In re Offshore Diving & Salvaging, Inc., 226 B. R. 185, 188 (Bankr. E. D. La. 1998): »A chapter 11 plan is a contract, and any ambiguities must be interpreted using contract principles.« In re Xofox Industries, Ltd., 241 B. R. 541, 543 (Bankr. E. D. Mich. 1999): »Section 1141(a) of the Code provides that the plan becomes a legally binding agreement.« In re Edison Brothers, Inc., 243 B. R. 231, 237 (Bankr. D. Del. 2000): »[. . .] the First Edison Plan, which is essentially a contract between the parties.« In re Miller, 253 B. R. 455, 458 (Bankr. N. D. Ca. 2000): »It is well established that a chapter 11 plan is a contract between the debtor and its creditors [. . .].« In re Eagle-Picher Industries, Inc., 278 B. R. 437, 451 (Bankr. S. D. Ohio 2002): »It is well established that a confirmed Chapter 11 plan is essentially a new contract.« In re Commercial Loan Corp., 363 B. R. 559, 570–571 (Bankr. N. D. Ill. 2007): »But a confirmed plan is a contract or at least ›contractlike‹.« In re Winn-Dixie Stores, Inc., 381 B. R. 804, 807 (Bankr. M. D. Fla. 2008): »A creditor’s treatment under a confirmed plan of reorganization creates a con-
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courts of appeal597 in den Vereinigten Staaten geht davon aus, dass ein bestätigter Reorganisationsplan nach Chapter 11 ein Vertrag ist. Er binde die Planbetroffenen als Vertragsparteien und ersetze hinsichtlich der gebundenen Gläubiger deren bisherige Forderungen. Seine Auslegung wird folgerichtig dem Vertragsrecht, also den Grundsätzen der Vertragsauslegung, unterworfen. 598 Die Literatur schließt sich dieser Ansicht, soweit die Frage überhaupt aufgeworfen wird, häufig an.599 Ebenfalls der Vertragstheorie zuzuordnen sind zudem die 596
tractual relationship between the debtor and the creditor.« Dasselbe gilt übrigens für Pläne in Privatinsolvenzen nach Chapter 13 – vgl. In re Turek, 346 B. R. 350, 354 (Bankr. M. D. Pa. 2006) m. w. N. 596 In re Dahlgren International, Inc., 147 B. R. 393, 398–399 (N. D. Tex. 1992): » An agreed provision in a plan of reorganization functions as a binding contract between parties. [. . .] That the Plan was later confirmed by court order changes not the validity of the contract.« In re Friedberg, 192 B. R. 338, 341 (S. D. NY 1996): »The Plan is essentially a contract between the parties to the Plan.« In re Sugarhouse Realty, Inc., 192 B. R. 355, 362 (E. D. Pa. 1996): »Confirmed bankruptcy plans of reorganization are binding contracts that must be interpreted in accordance with applicable contract law.« In re Settlement Facility Dow Corning Trust, 2008 U. S. Dist. LEXIS 25306, 7 (E. D. Mich. 2008): »In interpreting a confirmed plan, courts use contract principles, since the plan is effectively a new contract between the debtor and its creditors«. 597 In re Sergi, 233 B. R. 586, 589 (1st Cir. 1999): »The 1992 confirmed plan of reorganization is a binding contract between the Debtor and Everett [. . .].« In re Scott, 172 F.3d 959, 962 (7th Cir. 1999): »Upon approval of the plan by the creditors, it would become a binding contract between the debtors and the creditors.« In re Troutman Enterprises, Inc., 253 B. R. 8, 11 (6th Cir. 2000): »The plan is essentially a new and binding contract between the Reorganized Debtor and the Petitioning Creditors.« Ernst & Young LLP v. Baker O’Neal Holdings, Inc., 304 F.3d 753, 755 (7th Cir. 2002): »A confi rmed plan of reorganization is in effect a contract between the parties and the terms of the plan describe their rights and obligations.« In re Dow Corning Corporation, 456 F.3d 668, 676 (6th Cir. 2006): »In interpreting a confirmed plan, courts use contract principles, since the plan is effectively a new contract between the debtor and its creditors«. 598 Vgl. etwa In re Erie Hilton Joint Venture, 137 B. R. 165, 171 (Bankr. W. D. Pa. 1992); Salmon v. Laser Plot, 189 B. R. 559, 561(D. MasS. 1995); In re Texas General Petroleum Corp., 52 F.3d 1330, 1335 (5th Cir. 1995); In re Sugarhouse Realty, Inc., 192 B. R. 355, 362 (E. D. Pa. 1996); In re Maruko, Inc., 200 B. R. 876, 881 (Bankr. S. D. Ca. 1996); In re Bennett Funding Group, Inc., 220 B. R. 743, 758 (Bankr. N. D. NY 1997); In re Offshore Diving & Salvaging, Inc., 226 B. R. 185, 188 (Bankr. E. D. La. 1998); In re Sergi, 233 B. R. 586, 589 (1st Cir. 1999); In re Miller, 253 B. R. 455, 458 (Bankr. N. D. Ca. 2000); In re Eagle-Picher Industries, Inc., 278 B. R. 437, 451 (Bankr. S. D. Ohio 2002); In re Dow Corning Corporation, 456 F.3d 668, 676 (6th Cir. 2006); In re Commercial Loan Corp., 363 B. R. 559, 571 (Bankr. N. D. Ill. 2007). Dies ist insofern von Bedeutung, als die Entstehung des Plans und seine Wirkungen im Bankruptcy Code geregelt und daher Bundesrecht sind, während das Vertragsrecht aus dem Recht des jeweiligen Bundesstaats zu entnehmen ist. 599 Ellenberg/Van Horn/Savory, in: Cowans, Bankruptcy Law and Practice, Vol. 5, § 20.18, S. 207: »The plan of reorganization is, in a sense, the deal between the parties in interest offered by the proponent. It is a contract, even if the court makes an order confirming it.« Kennel/Link/Muskus/Oakes/Williams, Corpus Juris Secundum, § 1160: »A Chapter 11 reorganization plan also functions as a contract in its own right, so that obligations created by the plan potentially constrain the parties’ ability to pursue certain remedies, such as submission of claims to arbitration. A Chapter 11 plan thus should be construed as a contract.« Hillman/
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Gerichte, die den Plan zwar nicht als Vertrag bezeichnen wollen, ihn aber analog desselben behandeln. 600 Eine Begründung für diese Einordnung findet sich interessanterweise höchst selten; im Regelfall bleibt es bei der bloßen Feststellung dieser Grundsätze. Insbesondere das Problem der Vereinbarkeit einer nur mehrheitlichen Zustimmung zum Plan mit den Vertragsprinzipien wird in diesem Rahmen nicht diskutiert. Folgerichtig bleibt auch die Bedeutung der gerichtlichen Bestätigung für den Plan in den Stellungnahmen weitgehend unklar. Dieses Argumentationsdefizit beruht m. E. auf zwei Tatsachen: der unwiderlegbaren Natur des Plans als Resulat von Verhandlungen zwischen allen Beteiligten sowie der historischen Entwicklung des Rechtsinstitut des Reorganisationsplans. Die erstgenannte Tatsache ist schnell erläutert. Der Bankruptcy Code überlässt es dem Schuldner, in Verhandlungen mit seinen gesicherten und ungesicherten Gläubigern, seinen Gesellschaftern und anderen interessierten Personen ein Reorganisationskonzept zu entwickeln und zu vermitteln, dass von allen, zumindest aber von einer Mehrheit in den jeweiligen Interessengruppen getragen wird. Das Verfahren nach Chapter 11 ist darauf ausgerichtet, Verhandlungen zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern bzw. Gesellschaftern zu erleichtern, indem es den notwendigen multilateralen Verhandlungen eine rechtlichen Rahmen zur Verfügung stellt und das Gelingen einer Einigung zwischen den Beteiligten mit verschiedenen Mitteln (Schaffung einer Informationssymmetrie; Überwinden unvernünftiger Obstruktion) fördert. Das Gericht hat dabei lediglich sicherzustellen, dass die Informationsgrundlage, die der Schuldner seinen Verhandlungspartnern liefert, alle notwendigen und zutreffenden Informationen enthält (disclosure statement, 11 U. S. C. § 1125). Im ÜbCrouch, Bankruptcy Deskbook, Vol. 1, § 11:4:1, S. 11–63: »If the plan is accepted by the creditors and interest holders and confirmed by the court, [. . .] it becomes a binding contract on the debtor, its creditors and the equity security holders.« Kupetz, 1 No. 9 Andrews Bankr. Litig. Rep. 7 (2004): »The plan is, in effect, a court-sanctioned contract among the reorganized debtor, its creditors and other parties to the plan.« Warren/Bussel, Bankruptcy, S. 586: »A successful reorganization is usually the product of a deal that is struck between creditors and the debtor.« Ebenso aus der deutschen Literatur: Kemper, Chapter 11, S. 151. 600 In re Doty, 129 B. R. 571, 591 (Bankr. N. D. Ind. 1991): »The Court concludes, that the Order confirming the Debtor’s Amended Plan pursuant to 11 U. S. C. § 1129 (a) is more analogous to a contract between the Debtor and FCS, or a consent decree between the Debtors and FCS [. . .].« In re UNR Industries, Inc., 173 B. R. 149, 156 (N. D. Ill. 1994): » First, a plan of reorganization [. . .] possess many of the characteristics of an agreed order or consent decree as opposed to a contested order. Second, a plan of reorganization bears close analogy to a private contract between the debtor and its creditors.« UNR Industries v. Paterson Factory Workers, 176 B. R. 472, 474 (N. D. Ill. 1994): »A plan of reorganization is analogous to contract or consent decree, and such state law contract principles should be used to construe its terms.« D&K Properties Crystal Lake v. Mutual Life InS. Co., 112 F.3d 257, 262 (7th Cir. 1997): »bankruptcy plans are analogous to contracts«; In re Kmart Corporation, 310, 107, 125 (N. D. Ill. 2004): »Reorganization plans have been analogized to contracts for purposes of applying the principles of contract construction and interpretation«.
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rigen verlaufen die Verhandlungen gänzlich außerhalb des Gerichtssaals und gleichen damit üblichen Vertragsverhandlungen. Kommt dann ein Reorganisationsplan zustande, so wird er folgerichtig weder als das Ergebnis eines Gerichtsverfahrens noch einer echten (gerichtlichen) Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten, 601 sondern als Ergebnis der Kooperation aller Beteiligten, als erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen in Form einer diese fixierenden Vereinbarung angesehen. 602 Die Einordnung dieser Verhandlungslösung entsprechend ihrer Funktion als Vertrag liegt dann nahe. Die Erläuterung des historischen Hintergrundes der amerikanischen Vertragstheorie bedarf demgegenüber eines Rückgriffs auf die bereits dargestellte Entwicklung des Rechtsinstituts des Reorganisationsplans. Die erste gesetzliche Regelung, die dem Schuldner ermöglichte, in einer Insolvenz sein Unternehmen zu behalten und die Insolvenzsituation durch eine Vereinbarung mit seinen Gläubigern zu bereinigen, war das composition agreement, das durch den Act of June 22, 1874 in § 5103A des Bankruptcy Act von 1867 eingefügt wurde. Dieses »agreement« bedurfte zu seinem Zustandekommen – anders als die Bezeichnung als »Vereinbarung« nahe legen könnte – keineswegs der allseitigen Zustimmung. Schon das mit hinreichender Gläubigermehrheit angenommene und vom Gericht bestätigte agreement band alle ungesicherten Gläubiger des Schuldners, auch die ablehnende Gläubigerminderheit. Gesicherte Gläubiger wie auch die Gesellschafter des Schuldnerunternehmens wurden von ihr hingegen nicht erfasst. Die Rechtsnatur dieses composition agreements von 1874 wurde – soweit ersichtlich – in seiner Zeit nicht diskutiert. Man ging offensichtlich von der Vertragsnatur solcher Vereinbarungen aus. Dies lag insbesondere wohl darin begründet, dass das Rechtsinstitut einer composition bereits aus dem common law bekannt war und dort unstreitig als Vertrag eingeordnet und vertragsrechtlichen Erfordernissen unterworfen wurde. 603 Vor diesem Hin601 Am klarsten findet sich dieser Gedanken bei Johnston, 65 Am. Bankr. L. J. 213, 215–216 (1991): »At the philosophical and practical heart of chapter 11 is the emphasis on bargaining that takes place between a debtor and its creditors. Chapter 11 encourages the parties involved in a troubled debt restructuring to reach a consensual solution to the debtor’s financial problems through negotiations among themselves rather than through court order or statutory fiat. . . . the role of the bankruptcy judge in a chapter 11 case can be reduced to that of a virtual bystander when a debtor and its creditors mutually agree on the terms of a business reorganization plan. Chapter 11 is thus premised on the assumption that successful reorganizations are neither primarily the product of the judicial process nor basically adversarial in nature, but instead reflect the persuasive power of private ordering achieved by the disputing parties themselves«. 602 Die Einordnung des Plans als Verhandlungslösung wie auch der Regelungen des Chapter 11 als Verhandlungsstimulus ist allgemein anerkannt – vgl. etwa Epstein/Nickles/White, Bankruptcy, § 10–2, S. 734; Herbert, Understanding Bankruptcy, S. 322; Johnston, 65 Am. Bankr. L. J. 213, 215 (1991); Treister/Trost/Forman/Klee/Levin, Fundamentals of Bankruptcy Law, § 9.04(a), S. 398. 603 Zur Bereinigung einer Unternehmenskrise konnte der Schuldner mit seinen Gläubigern natürlich auch eine außergerichtliche Vereinbarung schließen. Diese wurde dann als »Com-
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tergrund machte schon die Bezeichung des neuen Rechtsinstituts als »composition agreement« deutlich, dass ein Vertrag vorliegen muss, der nun atypischerweise allerdings nicht nur die ihm zustimmenden Beteiligten, sondern alle ungesicherten Gläubiger band. Die Problematik der Bindungsmacht hinsichtlich der ablehnenden (ungesicherten) Gläubiger sowie der damit verbundene unfreiwillige Verlust von Forderungen wurde dabei nicht als dogmatisches Problem der Einordnung des Rechtsinstituts, sondern allein als verfassungsrechtliches Problem wahrgenommen. Der Eigentumsschutz des 5. Zusatzartikels der Verfassung der Vereinigten Staaten604 erfasst in seinem Schutzbereich auch die Forderungsrechte von Gläubigern, weshalb die Kürzung derselben in einem composition agreement unmittelbar als zwar verfassungsrechtlich relevanter, aber dennoch zulässiger Eingriff angesehen wurde. Die dazu ergehende Entscheidung des Supreme Court aus dem Jahr 1883 bezog sich zwar nicht auf das composition agreement des Bankruptcy Act von 1867 in der Fassung von 1874; diese Regelung war schon nicht mehr in Kraft. In Canada Southern Railway Co. v. Gebhard 605 hielt der Supreme Court vielmehr die gesetzlichen Regelungen in England und Kanada, nach denen ein mehrheitlich angenommener Akkord auch die Minderheit band, nicht nur für nützlich; er befürwortete zugleich ausdrücklich die Schaffung solcher Regelungen in den Vereinigten Staaten, solange die Mehrheitsmacht auf einer gesetzlichen Grundlage beruht und den Interessen des Gemeinwohls dient. In einer späteren Entscheidung606 zu den dann vorhandenen Regelungen im Bankruptcy Act von 1898 stützte der Supreme Court seine Auffassung auf zwei weitere Erwägungen. Zum einen seien Eingriffe in private Forderungsrechte im Rahmen von Insolvenzverfahren verfassungsrechtlich durch Art. I section 8 clause 4 der Verfassung legitimiert, der ausdrücklich erlaubt, ein bundeseinheitliches und effektives Insolvenzrecht zu schaffen. 607 Ein Akkord wie etwa eine composition wurde schon zuvor als ein insolvenzrechtliches Rechtsinstitut im Sinne der Bestimmung aufgefasst. 608 Zum anderen verbietet der 5. Zusatzartikel nicht generell den Entzug von Eigentumsrechten, sondern verlangt dafür ein geregeltes rechtliches Verfahren (»due process of law«) und ein position at Common Law« eingeordnet und unstreitig als Vertrag angesehen und behandelt – vgl. etwa die ausführliche Darstellung bei Glenn, Liquidation, 1935, § 89 ff., S. 147 ff. (mit detaillierten Nachweisen). 604 Amendment 5: »No person shall be [. . .] deprived of life, liberty, or property, without due process of law; nor shall private property be taken for public use, without just compensation«. 605 109 U. S. 527, 535 (1883). 606 Continental Illinois Nat’l Bank & Trust Co. v. Chicago, Rock Island & Pacifi c RY. Co., 294 U. S. 648, 673 ff. (1935). 607 Art. I § 8 cl. 4: »The Congress shall have Power [. . .] To establish [. . .] uniform Laws on the subject of Bankruptcies throughout the United States«. 608 Canada Southern Railway Co. v. Gebhard, 109 U. S. 527, 535 (1883).
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solches Verfahren findet sich eben im Composition-Verfahren. Auch zwangsweise Eingriffe in die Gläubigerrechte im Rahmen eines Insolvenzverfahrens waren danach verfassungsrechtlich legitimiert. 609 Heute werden diesbezüglich keine Bedenken mehr erhoben. 610 Die in § 12 des Bankruptcy Acts von 1898 wieder eingeführte composition nutzte diese verfassungsrechtlichen Spielräume und band wie ihre Vorgängerin alle ungesicherten Gläubiger. Unabhängig von der verfassungsrechtlichen Diskussion611 beantwortete der Supreme Court die Frage nach der Rechtsnatur der composition ausdrücklich in den 1920iger Jahren. In Myers v. International Trust Co. stellte der Supreme Court erstmals ausdrücklich fest, dass die composition in § 12 ihrer Rechtsnatur nach ein Vertrag ist. 612 Zur Begründung führte er die Freiwilligkeit in der Beteiligung als maßgebliches Kriterium an; sowohl das Anbieten einer composition durch den Schuldner, deren Inhalt und schließlich auch deren Annahme durch die Gläubiger basierten auf deren freiwilliger Teilnahme. Trotz der Notwendigkeit einer gerichtlichen Bestätigung resultiere jede Änderung in den Rechten des Schuldners und der Gläubiger allein auf dem Inhalt der composition und damit auf dem Ergebnis eines Verhandlungsprozesses. 613 Die Entwicklung dieses Dogmas ist durchaus interessant. Noch im Jahr 1915 ließ der Supreme Court in einer Stellungnahme zur Natur der composition eine Einordnung derselben als Vertrag vermissen, betonte aber bereits den Aspekt der Freiwilligkeit und der Verhandlungslösung. 614 Erst im Jahr 1924 609 Vgl. etwa Canada Southern Railway Co. v. Gebhard, 109 U. S. 527, 536 (1883); Continental Illinois Nat’l Bank & Trust Co. v. Chicago, Rock Island & Pacifi c RY. Co., 294 U. S. 648, 672 (1935) – jeweils für compositions; Finletter, Bankruptcy Reorganization, S. 30; Gilbert/Rosbrook, in: Collier, Law and Practice of Bankruptcy, Vol. I, 1921, S. 313; McCurdy Marsh, 1 Newark L. Rev. 1, 9 ff. (1936); Rosenberg, 17 Colum. L. Rev. 523, 535 f. (1917). 610 Vgl etwa Lipson, 83 Notre Dame L. Rev. 605, 663 (bzgl. des Eigentumsschutzes) und 669 (bzgl. due process) (2007–2008). 611 In Hanover National Bank v. Moyses, 186 U. S. 181 (1902) hatte der Supreme Court allgemein die Verfassungsmäßigkeit des Bankruptcy Acts von 1898 geprüft und bejaht. Bedenken wegen der Regelung in § 12 gab es dabei nicht. 612 Myers v. International Trust Co., 273 U. S. 380, 383 (1927) zur Frage der Reichweite einer Composition: »This question must be answered in the light of the principle stated by the Supreme Judicial Court, that a composition partakes of the nature of a contract«. 613 Myers v. International Trust Co., 273 U. S. 380, 383 (1927): It is settled that a composition »originates in a voluntary offer by the bankrupt, and results, in the main, from voluntary acceptance by his creditors; that the respective rights of the bankrupt and the creditors are fi xed by the terms of the offer; and that upon the confirmation of the composition they get what they »bargained for,« and no more«. 614 Cumberland Glass Manufacturing Co. v. De Witt & Co., 237 U. S. 447, 453 (1915), wobei er wörtlich die Auffassung von Judge Lowell übernimmt, die dieser In re Lane, 125 Fed 772, 773 (Mass. 1902) geäußert hatte: »The case of composition is in some respects exceptional. It is a proceeding voluntary on both sides, by which the debtor of his own motion offers to pay his creditors a certain percentage of their claims in exchange for a release from his liabilities. The amount offered may be less or more than would be realized through distribution in bankruptcy by the trustee. The creditors may accept this offer or they may refuse it. For the purposes of the composition all the creditors are treated as a class, and the will of the
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bezeichnete er die composition dann erstmals explizit als Vereinbarung des Schuldners mit seinen Gläubigern, wobei er diese Auffassung unter Bezugnahme auf die vorangegangene Entscheidung wiederum mit dem Aspekt der Freiwilligkeit ihrer Entstehung begründete. 615 Bereits in seiner nächsten Entscheidung im Jahr 1927 sprach der Supreme Court dann unter Bezug auf die beiden vorgenannten Entscheidungen von einem gefestigten Dogma, einem Prinzip, nach dem die composition an der Natur eines Vertrages partizipiere. 616 Die Vertragsnatur einer composition wurde damit fester Bestandteil des Insolvenzrechts der Vereinigten Staaten und die Instanzgerichte übernahmen dementsprechend diese Ansicht, soweit sie mit der Frage konfrontiert wurden. 617 Die Einordnung der composition als Vertrag stand dabei im Einklang mit der Einordnung des Reorganisationsplans der Equity Receivership. Dieser Plan richtete sich zwar an alle Beteiligten, also gesicherte wie ungesicherte Gläubiger sowie die Schuldnergesellschaft selbst und deren Gesellschafter; Bindungswirkung hatte er allerdings nur für die Personen aus diesem Adressatenkreis, die dem Plan ausdrücklich zugestimmt hatten. Insoweit wirkte der Plan unzweifelhaft wie ein Vertrag. Die vom Verfahren ebenfalls ausgehende Ausschlusswirkung für Gläubiger, die ihre Forderungen trotz öffentlicher Aufforderung nicht ins Verfahren eingeführt hatten, beruhte demgegenüber nicht auf dem Reorganisationsplan; dieser musste derartige Klauseln nicht enthalten. Grundlage dieser Zwangswirkung war allein das Verfahrensrecht. Der Ausschluss war promajority is enforced upon the minority, provided the decision of the majority is approved by the court. Except for this coercion of the minority, the intervention of the court of bankruptcy would hardly be necessary«. 615 Nassau Smelting & Refi ning Works, Ltd. v. Brightwood Bronze Foundry Co., 265 U. S. 269, 271 (1924): »Composition is a settlement by the bankrupt with his creditors. [. . .] It originates in a voluntary offer by the bankrupt; and results, in the main, from voluntary acceptance by his creditors. It cannot be confirmed unless there has been such acceptance by the requisite majority«. 616 Myers v. International Trust Co., 273 U. S. 380, 383 (1927): »This question must be answered in the light of the principle stated by the Supreme Judicial Court, that a composition partakes of the nature of a contract«. 617 In re Balco Builders, Inc., 22 F.2d 845, 846 (E. D. N.Y 1927); In re Vulcan & Reiter Co.Inc., 80 f. Supp. 286, 288 (S. D. N. Y. 1948): »A composition under § 12 of the Bankruptcy Act of 1898 was in effect a contract between the debtor and his creditors by which he obtained a settlement of their claims against him by paying an agreed sum into court for distribution to such creditors by order of the court.« Identisch: In re Goldberg, 97 f. Supp. 75, 76 (S. D. N. Y. 1951). Ähnliche Ansichten gab es auch schon zuvor – vgl. etwa Cobb v. First National Bank of Livonia, 263 Fed. 1000, 1001–1002 (N. D. Ga. 1920): »The composition, however, is not alone a contract between the bankrupt and his unsecured creditors, but also, on its confi rmation, a judgment of the court having definite legal results.« Ebenso Gilbert/Rosbrook, in: Collier, Law and Practice of Bankruptcy, Vol. I, 1921, S. 314. Siehe auch Black, Bankruptcy, 1926, § 1080, S. 1361: »A composition in bankruptcy is an arrangement by which the bankrupt’s assets are collected and distributed by direct dealing between the bankrupt and the creditors without the intervention of a trustee. [. . .] A composition is at once a settlement and a discharge, and is in the nature of an accord and satisfaction«.
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zessrechtlicher Natur und wirkte im Wege eines Klagbarkeitsausschlusses ähnlich des Rechtskrafteinwandes. Die Vertragsnatur des Plans wurde davon folglich nicht berührt. Es bleibt damit festzuhalten, dass zum Ende der 1920iger Jahre sowohl die gerichtliche Reorganisation mittels eines Plans in der Equity Receivership als auch die insolvenzrechtliche Schuldenbereinigung mittels einer composition in ihrem Kern auf einem Vertrag zwischen allen Beteiligten beruhten. Die Vertragsnatur der composition wie auch des Reorganisationsplans war damals geltendes Recht. Die einsetzende Weltwirtschaftskrise erzeugte mit ihren weitreichenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen dann einen wahren Sturm an Gesetzgebung im Bereich der Akkordverfahren. Die im Gesetz vom 3. März 1933 in den Bankruptcy Act in § 74 eingeführte composition für natürliche Personen band bei Zustandekommen einer einfachen Kopf- und Summenmehrheit der Gläubiger sowie der gerichtlichen Bestätigung sowohl die ablehnenden als auch die nicht am Verfahren teilnehmenden und nun sogar die gesicherten Gläubiger, § 74 (i). Sie wurde wie ihre Vorgängerin als Vertrag angesehen. 618 Der durch dasselbe Gesetz in den Bankruptcy Act in § 77 eingeführte Reorganisationsplan für Eisenbahngesellschaften hatte zunächst zwar nicht diese umfassende Bindungswirkung; er band nur die gesicherten Gläubiger in den zustimmenden Gläubigergruppen (dann aber auch diejenigen, die in der Gruppe überstimmt worden waren) sowie alle vorrangigen und ungesicherten Gläubiger, wenn jeweils eine Zwei-Drittel-Summenmehrheit unter ihnen dem Plan zugestimmt hatte, § 77 (h). Diese beschränkte Bindungswirkung blieb jedoch nicht lange bestehen. Schon mit dem Gesetz vom 27. August 1935 wurde die Bindungswirkung des mehrheitlich angenommenen und bestätigten Plans auf alle Beteiligten erstreckt, unabhängig von ihrer Zustimmung oder Ablehnung, § 77 (f) Satz 1. Der Supreme Court hielt die Bestimmungen für verfassungsgemäß und sah in ihnen dabei keinen Unterschied zu den hergebrachten Regelungen der composition. 619 Das Dogma der vertraglichen Natur blieb insoweit bestehen. Mit dem Änderungsgesetz vom 7. Juni 1934 wurde dann § 77B in den Bankruptcy Act aufgenommen, der allen Gesellschaften eine Reorganisation mittels eines Reorganisationsplans erlaubte. Dieser Plan band nach seiner Bestätigung ausdrücklich alle Gläubiger und Gesellschafter, unabhängig davon, ob sie oder ihre Gruppe den Plan angenommen oder abgelehnt hatten, § 77B (g). Auch für das Verfahren in § 77B wurde angenommen, dass es einer composition »äh618 Vgl. Gordon, Bankruptcy Act, S. 137: »A composition is, in substance, an arrangement with the creditors«. 619 Continental Illinois Nat’l Bank & Trust Co. v. Chicago, Rock Island & Pacifi c RY. Co., 294 U. S. 648, 672 (1935): »As outlined by that section, a plan of reorganization, when confirmed, cannot be distinguished in principle from the composition with creditors authorized by the act of 1867, as amended by the act of 1874«.
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nelt«620 oder denselben Prinzipien wie eine composition unterliegt, 621 so dass die dogmatischen Aussagen zur composition im Wesentlichen übertragen wurden. Diese Ansichten bestätigte dann auch der Supreme Court, als er sich im Jahr 1935 in einem obiter dictum unter anderem zur Frage der Rechtsnatur der composition in § 74 sowie der Reorganisationspläne in den §§ 77 und 77B äußerte. Dabei sah er in diesen Normen weiterhin eine Anwendung des »Prinzips der composition«, das nun auch auf gesicherte Gläubiger erweitert wurde. 622 Die composition definierte er dabei im Anschluss an seine bisherige Rechtsprechung als Vertrag des Schuldners mit seinen Gläubigern. 623 Die Bindungswirkung dieser Vereinbarung hinsichtlich dissentierender Gläubiger stützte er nun aber erstmals auf die gerichtliche Befugnis, in einem Insolvenzverfahren die Rechte der Gläubiger neu zu ordnen. 624 Primärer Gegenstand der Diskussion war dabei allerdings weniger die Vertragsnatur des Plans als die Verfassungsmäßigkeit dieser Normen. 625 Dennoch schien infolge dieses unklaren obiter dictum nun etwas Unsicherheit über die Rechtsnatur dieser Institute zu entstehen. So ließ etwa der United States Court of Appeal for the Tenth Circuit im Jahre 1941 die »interessante« Frage nach der Rechtsnatur einer composition ausdrücklich offen. 626 Es war dann bereits der Chandler Act von 1938, der das Reorganisationsrecht nahezu gänzlich neu regelte. Lediglich die Reorganisation von Eisenbahnunternehmen in § 77 blieb in Chapter VIII erhalten. Die gerade einmal wenige Jahre alten Vorschriften des Bankruptcy Acts zur composition in den §§ 12 und 74 wurden dagegen ebenso gestrichen wie das Reorganisationsverfahren in § 77B. Stattdessen wurde in Chapter X ein neues Reorganisationsverfahren geschaffen. Der darin zustande kommende Reorganisationsplan band alle Beteiligten, 620
Gerdes, Corporate Reorganization, S. 94: »the new procedure resembles a compositi-
on«. 621 In re Central Funding Corp., 75 F.2d 256, 260 (2nd Cir. 1935): »The provisions [. . .] do no more than apply the principles of composition«. 622 Louisville Joint Stock Land Bank v. Radford, 295 U. S. 555, 586 (1935). 623 Louisville Joint Stock Land Bank v. Radford, 295 U. S. 555, 585 (1935): »So far as concerns the debtor, the composition is an agreement with the creditors in lieu of a distribution of the property in bankruptcy-an agreement which ›originates in a voluntary offer by the bankrupt, and results, in the main, from voluntary acceptance by his creditors«. 624 Louisville Joint Stock Land Bank v. Radford, 295 U. S. 555, 585 (1935): » So far as concerns dissenting creditors, the composition is a method of adjusting among creditors rights in property in which all are interested. In ordering the adjustment, the bankruptcy court exercises a power similar to that long exercised by courts of law«. 625 So war auch in Louisville Joint Stock Land Bank v. Radford, 295 U. S. 555 (1935) die Verfassungsmäßigkeit einer Regelung in § 75 über die Rechte von insolventen Farmern gegenüber Grundpfandgläubigern eigentlicher Gegenstand des Verfahrens (sie wurde verneint). Vgl. zu den verfassungsrechtlichen Fragen etwa Gerdes, Corporate Reorganization, S. 85 ff. (mit umfangreichen Nachweisen insbesondere in Fn. 2) oder auch bei McCurdy Marsh, 1 Newark L. Rev. 1, 9 ff. (1936). 626 Hanssen v. Wingren, 121 F.2d 1011, 1012 (10th Cir. 1941).
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auch die ihn ablehnenden Gläubiger und alle Gesellschafter des Schuldnerunternehmens, § 224 (1). Äußerungen zu seiner Rechtsnatur finden sich (soweit ersichtlich) nicht mehr. 627 Der Chandler Act schuf in Chapter XI zugleich ein Verfahren zur Entschuldung mittels eines »arrangements«. In diesem durften keine Eingriffe in die Rechte gesicherter Gläubiger oder die Anteilsrechte der Gesellschafter erfolgen, §§ 356, 357. Stimmten alle ungesicherten Gläubiger des Schuldners dem von ihm vorgeschlagenen arrangement zu, so wurde es unmittelbar durch das Gericht bestätigt, § 361. Es band dann alle Beteiligten und war unzweifelhaft ein Vertrag zwischen ihnen. Hatte hingegen nur eine einfache Kopf- und Summenmehrheit aller Gläubiger oder aber im Fall von Gläubigergruppen eine solche Mehrheit in jeder Gruppe dem arrangement zugestimmt, § 362 (1), so war die Bestätigung desselben davon abhängig, dass es »in the best interest« aller Gläubiger sowie »fair and equitable and feasible« war, § 366 (2) und (3). Das danach bestätigte arrangement band wiederum alle Beteiligten, insbesondere auch alle ablehnenden oder nicht am Verfahren beteiligten ungesicherten Gläubiger, § 367 (1). Auch ein solches arrangement wurde als Vertrag eingeordnet. 628 Die zum heutigen Reorganisationsplan ganz herrschend vertretene Vertragstheorie steht damit in der weit zurückreichenden Tradition amerikanischer Gerichte, Akkordvereinbarungen wie auch Reorganisationspläne als Vertrag anzusehen. Sie kann sich zugleich auf die letzte Äußerung des Supreme Court stützen, die unmittelbar die Rechtsnatur eines insolvenzrechtlichen Akkords betraf. Man kann insofern wohl immer noch von einer so gefestigten Rechtstradition sprechen, dass die überwiegende Vielzahl der mit der Frage nach der Rechtsnatur eines Plans befassten Gerichte auf eine Begründung dieser althergebrachten Ansicht schlicht verzichten.
627 Eine allgemeine Äußerung zur Natur von Reorganisationsplänen nach dem Chandler Act findet sich immerhin in American United Life InS. Co. v. Haines City, Fla., 117 F.2d 574, 576 (5th Cir. 1941), allerdings bezogen auf einen Plan nach Chapter IX, der nur Städten und Gemeinden offen stand: »But a composition is in its essence a contract, proposed by the debtor and agreed to by those of the creditors who give consent, and they in the requisite majority bind all. The interlocutory decree confi rms it and establishes it as regular and lawful. A composition after confirmation ought to be respected as a contract, and not disturbed in its substance for light cause, or so as to give one party an advantage over the other; and especially so after partial execution«. 628 Forman, Bankruptcy & Arrangements Proceedings, S. 162: »An arrangement is a proceeding pursuant to which an embarrassed debtor, by agreement with his creditors and subject to court approval, remains in business [. . .]« [Hervorhebung durch Verfasser]. Die Besonderheit der gerichtlichen Bestätigung erzeugte eine besondere Rechtssicherheit, da der Plan in Rechtskraft erwuchs und so weitgehend unangreifbar wurde, Bizzell v. Hemingway, 548 F.2d 505, 507 (4th Cir. 1977).
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(2) Die prozessuale Vertragstheorie: »The plan resembles a consent decree.« Eine ebenfalls nicht selten vertretene Ansicht will die gerichtliche Beteiligung stärker gewichten als es in der reinen Vertragstheorie geschieht und sieht im bestätigten Plan ein »consent decree«. 629 Das consent decree, auch als consent order oder consent judgement bezeichnet, ist ein Rechtsinstitut des U. S.-Prozessrechts und bezeichnet eine gerichtliche Entscheidung, die aufgrund einer zur Streitbeilegung geschlossenen Vereinbarung der Prozessparteien ergeht, diese zum Inhalt hat und damit zugleich den Prozess beendet. Es entspricht damit in Zweck und Wirkung weitgehend einem Prozessvergleich deutschen Rechts. 630 Eine gesetzliche Regelung dieses Instituts findet sich weder im Federal Code of Civil Procedure (28 U. S. C.) noch in den Federal Rules of Civil Procedure, die gemeinsam das Prozessrecht der Bundesgerichte bestimmen. Allerdings 629 In re Stratford of Texas Inc., 635 F.2d 365, 368 (5th Cir. 1981): »[. . .] the arrangement represents a kind of a consent decree which has many attributes of a contract and should be construed basically as a contract.« In re Hillis Motors, Inc. v. Hawaii Automobile Dealers’ Association, 997 F.2d 581, 588 (9th Cir. 1993): »A reorganization plan resembles a consent decree and therefore, should be construed basically as a contract.« In re Affordable Housing Development Corporation, 175 B. R. 324, 329 (9th Cir. 1994): »Like a consent decree, a chapter 11 plan has elements of both a judgment and a contract. Because of a plan’s likeness to a consent decree, a chapter 11 plan should generally be interpreted as if it were a contract.« In re Penberthy, 211 B. R. 391, 395 (Bankr. W. D. Wash. 1997): »A Chapter 11 reorganization plan »resembles a consent decree and therefore should be construed basically as a contract.« In re Bartleson, 253 B. R. 75, 78–79 (9th Cir. 2000): »Like a consent decree, a chapter 11 plan has elements of both a judgment and a contract. Because of a plan’s likeness to a consent decree, a chapter 11 plan should generally be interpreted as if it were a contract.« In re Harvey, 213 F.3d 318, 321 (7th Cir. 2000): »[. . .] a confirmed plan acts more or less like a court-approved contract or consent decree that binds both the debtor and all the creditors.« In re Biofi lm, Inc., 2002 U. S. App. LEXIS 2994, 2 (9th Cir. 2002): »A reorganization plan resembles a consent decree and therefore, should be construed basically as a contract, with state law controlling its interpretation.« In re Linsenmeyer, 92 Fed. Appx. 101, 102–103 (6th Cir. 2003): As it resembles a consent decree, »the Plan is to be construed as a contract.« In re Captain Blythers, Inc., 311 B. R. 530, 536 (9th 2004): »A chapter 11 plan resembles a consent decree and should be construed as a contract«. Die Literatur schließt sich dem teilweise an: 9C Am Jur 2d, Bankruptcy, § 2799: »It resembles a consent decree and should be construed basically as a contract. It bears a close analogy to a private contract between the debtor and its creditors and binds the parties.« Drake/ Strickland, Chapter 11 Reorganizations, § 12:1: »Upon court approval, the plan bears practical resemblance to a consent decree, and it’s terms bind each party in a fashion similar to a private contract between the debtor and its creditors. General state law principles of contract, therefore, will generally be applied to interpret and construe the terms of a confi rmed reorganization plan.« Ordin/McDonald, in: Ordin on Contesting Confirmation, § 22.02[E][2]a, S. 22–41: »[. . .] a reorganization plan resembles a consent decree, and therefore should be construed primarily as a contract«. 630 Böhm, Am. Zivilprozessrecht, Rn. 517: »Ein »consent decree« ist eine Vereinbarung der Parteien über die Streitbeilegung, welche die Vertragsparteien im Rahmen eines Zivilprozesses schließen, um den Rechtsstreit zu beenden und die der gerichtlichen Bestätigung bedarf, um vollstreckbar zu sein«.
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enthalten verschiedene bundesstaatliche Prozessordnungen Regelungen über Urteile, die aufgrund einer Vereinbarung der Parteien zur Prozessbeendigung ergehen. Als Beispiel sei hier § 664.6 des California Code of Civil Procedure genannt, wonach das Gericht ein Urteil mit dem Inhalt erlässt, der sich aus einer Vereinbarung der Parteien zur Streitbeilegung ergibt. 631 Daneben haben consent decrees eine lange Tradition im case law. Der Supreme Court charakterisierte das consent decree im Jahr 1975 als Mischform (dual character). Da sein Inhalt aus Verhandlungen der Parteien entsteht, habe ein consent decree viele Eigenschaften eines Vertrages und sei grundsätzlich als Vertrag zu verstehen und zu behandeln. 632 Allerdings dürfe dabei nicht übersehen werden, dass consent decrees auch Eigenschaften gerichtlicher Verfügungen haben und unter dem Eindruck eines anhängigen Verfahrens geschlossen werden. Diese prozessuale Natur hindere es, sie in jeder Hinsicht als Vertrag zu behandeln. 633 Grundsätzlich seien sie aber als Vertrag zu betrachten, also etwa wie Verträge auszulegen634 und insbesondere wie Verträge durchzusetzen. 635 Gerade die grundsätzliche Konstruktion und Durchsetzung übernommener Pflichten, also kurz die Bindung der Parteien an ein consent decree, hat danach vertragliche Wurzeln. Noch deutlicher äußerte sich der Superior Court of Pennsylvania im Jahr 2002 zur Natur eines consent decree. Nach dortigem case law sei ein consent decree trotz der Gerichtsbeteiligung stets ein Vertrag zwischen den Parteien mit denselben Bindungswirkungen wie ein Vertrag. 636
631 Cal CCP § 664.6: »If parties to pending litigation stipulate, in a writing signed by the parties outside the presence of the court or orally before the court, for settlement of the case, or part thereof, the court, upon motion, may enter judgment pursuant to the terms of the settlement. If requested by the parties, the court may retain jurisdiction over the parties to enforce the settlement until performance in full of the terms of the settlement«. 632 United States v. ITT Continental Baking Company, 420 U. S. 223, 236 (1975): »[. . .] since consent decrees [. . .] have many of the attributes of ordinary contracts they should be construed basically as contracts ». Dieser Linie folgten die Instanzgerichte – vgl. etwa United States v. Kellum, 523 F.2d 1284, 1287 (5th Cir. 1975); Eaton v. Courtaulds of North America, Inc., 578 F.2d 87, 90 (5th Cir. 1978) sowie die Literatur – vgl. 27A Am Jur 2d, Equity, § 218; 46 Am Jur 2d, Judgments, § 183 sowie § 186. 633 United States v. ITT Continental Baking Company, 420 U. S. 223, 236, Fn. 10 (1975): »Because of this dual character, consent decrees are treated as contracts for some purposes but not for others«. 634 Eaton v. Courtaulds of North America, Inc., 578 F.2d 87, 90 (5th Cir. 1978). 635 United States v. ITT Continental Baking Company, 420 U. S. 223, 238 (1975): »Since a consent decree or order is to be construed for enforcement purposes basically as a contract, reliance upon certain aids to construction is proper, as with any other contract«. 636 Osial v. Cook, 803 A.2d 209, 213 (Pa. 2002): »In Pennsylvania, a consent decree in an equity action is not considered a legal determination by the courts but is an agreement between the partieS. The rule is that, where the parties enter into a decree in equity by consent, it is binding upon the parties until they choose to amend it. Essentially it is a contract with the same binding effect as a final decree rendered after a full hearing on the merits«.
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Unterwirft man den Reorganisationsplan diesen Grundsätzen, so ist er weitgehend ebenfalls als Vertrag zu begreifen und als Vertrag zu behandeln. 637 Einzelne Gerichte 638 wollen demgegenüber das Vertragsrecht auf den Plan nur analog und lückenfüllend zu den bundesrechtlichen Bestimmungen anwenden. Da allerdings ein bundesrechtliches Vertragsrecht nicht existiert, führt auch diese Ansicht lediglich zu einer etwas stärkeren Betonung der insolvenzrechtlichen (also bundesrechtlichen) Grundsätze bei der rechtlichen Behandlung von Insolvenzplänen. (3) Die Urteilstheorie: »The confirmed plan is a judgement.« Die Gegenposition zu den ganz herrschend vertretenen Vertragstheorien nimmt in den Vereinigten Staaten (wie in Deutschland) eine Urteilstheorie ein. Soweit ersichtlich ist diese Ansicht allerdings nur in einer einzigen Entscheidung des Bankruptcy Court for the Southern District of Florida tatsächlich ausdrücklich vertreten und begründet worden. 639 Nur in dieser Entscheidung findet sich eine ausdrückliche Stellungnahme zur Vertragstheorie, die in ihrer reinen Form wie auch in ihrer prozessualen Form vom Gericht jedenfalls dann abgelehnt wird, wenn ein Plan gegen den Willen einzelner Gläubigerklassen angenommen werde, da man dann nicht von irgendeiner Form von Einverständnis sprechen könne. 640 Stattdessen betont das Gericht für solche Fälle die Bedeutung der gericht637 So auch die weit überwiegende Ansicht unter den Vertretern dieser Theorie: In re Stratford of Texas Inc., 635 F.2d 365, 368 (5th Cir. 1981); In re Hillis Motors, Inc. v. Hawaii Automobile Dealers’ Association, 997 F.2d 581, 588 (9th Cir. 1993); In re Affordable Housing Development Corporation, 175 B. R. 324, 329 (9th Cir. 1994); In re Penberthy, 211 B. R. 391, 395 (Bankr. W. D. Wash. 1997); In re Bartleson, 253 B. R. 75, 78–79 (9th Cir. 2000); In re Biofilm, Inc., 2002 U. S. App. LEXIS 2994, 2 (9th Cir. 2002); In re Linsenmeyer, 92 Fed. Appx. 101, 102–103 (6th Cir. 2003); In re Captain Blythers, Inc., 311 B. R. 530, 536 (9th 2004). Aus der Literatur: Ordin/McDonald, in: Ordin on Contesting Confirmation, § 22.02[E][2]a, S. 22– 41; Drake/Strickland, Chapter 11 Reorganizations, § 12:1. 638 In re Harvey, 213 F.3d 318, 321–322 (7th Cir. 2000): »It seems more likely to us that something analogous to the four-corners principle that applies to federal consent decrees ought to govern interpretation of plans confi rmed by the bankruptcy court.« Ziel der Analogie ist die Anwendung von Bundesrecht anstelle des Vertragsrechts des jeweiligen Bundesstaats. Ebenso In re Heartland Steel, Inc., 389 F.3d 741, 745 (7th Cir. 2004): »In short, a plan is not simply a private contract subject only to rules of contract interpretation (though indeed it may be contract-like for some purposes). It is an agreement whose every provision has been approved and therefore activated by court order. We decline, therefore, to rely solely on Indiana contract law to resolve the dispute in this case«. 639 In re Hillard Development Corporation, 238 B. R. 857 (Bankr. S. D. Fla. 1999). 640 In re Hillard Development Corporation, 238 B. R. 857, 872, Fn. 23 (Bankr. S. D. Fla. 1999): »This court notes that although a confirmed plan may, in some circumstances, resemble a consent judgment, this is not universally true. For example, when the court confi rms a plan over the non-acceptance of a class of creditors, the plan could hardly be characterized as a consent judgment, at least not with respect to that class of creditors. See 11 U. S. C. § 1129(b) (cram down). More generally, the court suspects that many, if not most, creditors (even those voting to accept a plan of reorganization) would prefer to avoid bankruptcy proceedings altogether. The reference to »consent judgment« in the cases may be a useful analytical aid, but
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lichen Bestätigungsentscheidung, die anerkanntermaßen ein Urteil mit Rechtskraftwirkung sei. 641 Folglich müsse auch die Bindung des bestätigten Plans nicht auf einem Vertrag, sondern auf der gerichtlichen Bestätigungsentscheidung beruhen. Kein Vertrag, sondern ein Urteil werde durchgesetzt, wenn Forderungen aus dem Plan geltend gemacht werden. Diese Rechte seien daher wie der Bankruptcy Code bundesrechtlichen Ursprungs, weshalb das Vertragsrecht der Bundesstaaten nicht zur Auslegung des Planes heranzuziehen sei. 642 Ziel dieser Rechtsprechung ist damit wiederum die Nichtanwendung einzelstaatlichen Vertragsrechts auf den bundesrechtlich entstandenen Plan. Neben dieser einen Entscheidung finden sich eine ganze Reihe weiterer Urteile, die sich zwar nicht zum Streit um die Rechtsnatur positionieren, aber dennoch die Urteilsqualität der Bestätigungsentscheidung und deren Rechtskraftwirkung betonen, da dies für die jeweilige Fallentscheidung von Bedeutung war. Eine Zuordnung dieser Entscheidungen zur Urteilstheorie darf dabei allerdings jedenfalls solange nicht erfolgen, wie sich die Aussage in den Entscheidungsgründen darauf beschränkt, die Bestätigungsentscheidung als Urteil aufzufassen und ihr Rechtskraftwirkung (res judicata effect) zuzugestehen. 643 Dieser Aspekt der Bestätigungsentscheidung ist keinswegs streitig, sondern allgemein anerkannt und wird auch von den Anhängern der Vertragstheorie nicht geleugnet, 644 beruht doch auf ihm die Mangelheilung, also der Grundsatz, dass should not be accorded too much significance. The bottom line is that a federal judgment is imposed upon all parties in interest when a plan is confirmed«. 641 In re Hillard Development Corporation, 238 B. R. 857, 871–872 (Bankr. S. D. Fla. 1999). Die Rechtskraftwirkung der Bestätigungsentscheidung und der mit ihr einhergehende Ausschluss von Einwendungen gegen die Wirksamkeit des Planes aufgrund etwaiger Mängel im Planverfahren ist – in den Vereinigten Staaten wie in Deutschland – unstreitig (sogenannter »res judicata effect«). Ob dieser Effekt allerdings materiell-rechtliche Wirkungen entfalten kann und insbesondere die Grundlage einer Bindung der Beteiligten an den Plan rechtfertigt, erscheint mehr als fraglich. Siehe dazu (hinsichtlich des deutschen Rechts) die Ausführungen im Vierten Kapitel unter B. I. 642 In re Hillard Development Corporation, 238 B. R. 857, 871–872 (Bankr. S. D. Fla. 1999): »Although many courts construe the terms of a plan in accordance with State contract interpretation principles, reorganization plans, by virtue of the orders confirming them, are regarded as judgments of the federal courts. [. . .] Accordingly, [. . .] this court characterizes Simonetti’s claim for determination of its rights under the First Plan as enforcement of a bankruptcy court judgment, and therefore essentially federal in origin [. . .]«. 643 So etwa: Bizzell v. Hemingway, 548 F.2d 505, 507 (4th Cir. 1977): »[The] confirmation of an arrangement is tantamount to a judgment [. . .].«Republic Supply Co. v. Shoaf, 815 F.2d 1046, 1051–1054 (5th Cir. 1987), wo allerdings auch lediglich die Rechtskraftwirkung der Bestätigungsentscheidung ausführlich untersucht und bejaht wird. Ebenso In re Chattanooga Wholesale Antiques, Inc., 930 F.2d 458, 463 (6th Cir. 1991): »Confirmation of a plan of reorganization by the bankruptcy court has the effect of a judgment by the district court and res judicata principles bar relitigation of any issues raised or that could have been raised in the confirmation proceedings.« Sure-Snap Corp. v. State Street Bank & Trust Co., 948 F.2d 869, 877 (2nd Cir. 1991). 644 Vgl. etwa In re St. Louis Freight Lines, Inc., 45 B. R. 546, 551 (Bankr. E. D. Mich. 1984): »It is equally well-established that an order confirming a plan is an appealable order which has
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Mängel im Entstehungsprozess des Plans nach dessen rechtskräftiger Bestätigung nicht mehr geltend gemacht werden können. Allerdings ist mit dieser Aussage eben auch nur die Rechtsnatur der Bestätigungsentscheidung selbst charakterisiert, nicht aber die Natur des bestätigten Plans, also des Gegenstands der Entscheidung. Beide Fragen müssen sauber getrennt werden. Beachtet man diesen Unterschied, so finden sich im Ergebnis nur wenige Entscheidungen, die den Plan selbst als Urteil bezeichnen oder aber die Bindungswirkung des Plans an die Bestätigungsentscheidung knüpfen und daher jedenfalls im Ergebnis der Urteilstheorie zugerechnet werden könnten, auch wenn sich die Gerichte jeweils nicht zum Streit positioniert haben. 645 Zu beachten ist des Weiteren, dass sich die amerikanische Urteilstheorie zu ihrer Begründung auf zwei Besonderheiten stützen kann, die es in Deutschland so nicht gibt. Zum einen hat der Richter am Bankruptcy Court eine viel weiter reichende Macht als ein deutscher Insolvenzrichter. Er kann etwa nach 11 U. S. C § 105(a) generell alle zur Bewältigung des Insolvenzfalls notwendigen Anordnungen treffen. Hierbei hat er einen weiten Entscheidungsspielraum. Er darf unter Umständen für einzelne Gläubiger das Vollstreckungsverbot aufheben, 11 U. S. C. § 362(d), oder neuen Kreditgebern vorrangige Sicherheiten an der Masse zugestehen, 11 U. S. C. § 364(d). Zugleich ist es der Richter, nicht die Gläubigervertretung, der im Insolvenzverfahren bis zur Annahme eines Planes über jede außergewöhnliche Verwendung von Gegenständen aus der Insolvenzmasse entscheidet. Gemäß 11 U. S. C. § 363 (b) darf der Richter selbst über die Einsprüche von Gläubigern hinweg eine Veräußerung, Vermietung oder Nutzung von Gegenständen aus der Masse genehmigen, wenn nur der sich selbst a res judicata effect on all issues that could have been raised regarding the claim.« In re Dahlgren International, Inc., 147 B. R. 393, 397 (N. D. Tex. 1992); In re Troutman Enterprises, Inc., 253 B. R. 8, 11 (6th Cir. 2000); In re Winn-Dixie Stores, Inc., 381 B. R. 804, 807 (Bankr. M. D. Fla. 2008). Aus der Literatur: Kennel/Link/Muskus/Oakes/Williams, Corpus Juris Secundum, § 1160. 645 So etwa: In re Heritage Hotel Partnership I, 160 B. R. 374, 377 (9th Cir. 1993): »Confirmation of a plan of reorganization constitutes a final judgment in bankruptcy proceedings. [. . .] Like final judgments, confirmed plans of reorganization are binding on all parties, and issues that could have been raised pertaining to such plans are barred by res judicata.« Diese Entscheidung wird durch dasselbe Gericht im Jahr 1998 zweimal bestätigt, wobei es sich bei ersten Mal ausdrücklich nicht zum Streit um die Rechtsnatur äußern will – In re Consolidated Water Utilities, Inc., 217 B. R. 588, 590 (9th Cir. 1998) – und beim zweiten Mal den Streit wiederum schlicht ignoriert und lediglich seine Grundsätze feststellt – In re Robert L. Helms Construction and Development Co., Inc., 139 F.3d 702, 704 (9th Cir. 1998): »A confirmed reorganization plan operates as a final judgment with res judicata effect.« Ähnlich In re Laing, 31 F.3d 1050, 1051 (10th Cir. 1994): »Laing’s earlier confirmed Chapter 11 plan binds him as a final judgment on the merits.« In re Electric Reliability Council of Texas, Inc. v. Schmidt, 2007 U. S. Dist. LEXIS 49678, 11 (Bankr. S. D. Tex. 2007): »Under Bankruptcy law, it is wellsettled that a confirmed Chapter 11 reorganization plan has a binding effect on both debtors and creditors, and the plan functions as a judgment with respect to the parties bound by its terms.« Ähnliches findet sich bei: Collier on Bankruptcy, P 1141.02; Crames/Edelman/Kress, The Fundamentals of Bankruptcy and Corporate Reorganization, S. 257.
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verwaltende Schuldner dies vorschlägt und die Maßnahme wirtschaftlich vernünftig erscheint. Schließlich ist der Bankruptcy Judge gemäß 28 U. S. C. § 1334 (a) und (b) nicht nur für Streitigkeiten um Rechte im Insolvenzverfahren, sondern auch für Rechtsstreitigkeiten zuständig, die mit dem Insolvenzverfahren lediglich zusammenhängen, da sie die Insolvenzmasse betreffen. 646 Der Bankruptcy Court kann insofern auch über Zivilklagen, etwa auf Herausgabe von Gegenständen aus der Masse, entscheiden. Insgesamt betrachtet ist die Rolle des Insolvenzgerichts in den Vereinigten Staaten weit weniger auf die Rolle der Aufsichtsinstanz beschränkt. Stattdessen kommt dem Bankruptcy Court eine viel aktivere und gestaltendere Rolle, insbesondere in Planverfahren, zu. Insofern erscheint es nicht verwunderlich, wenn auch beim Zustandekommen eines Insolvenzplans dem Richter im Gegensatz zu den Gläubigern die maßgebliche Gestaltungsmacht zugesprochen wird. Diesbezüglich ist die Rechtslage in den Vereinigten Staaten allerdings kaum mit der in Deutschland vergleichbar. 647 Die zweite hinsichtlich der amerikanischen Urteilstheorie beachtenswerte Besonderheit besteht darin, dass das Insolvenzrecht in den Vereinigten Staaten Bundesrecht ist, während sich das Vertragsrecht aus dem Recht der Bundesstaaten ergibt. Der Plan ist nun eindeutig ein Produkt des Bundesrechts und es scheint insofern nur konsequent, auch seine rechtliche Behandlung allein dem Bundesrecht und nicht dem jeweiligen örtlichen Recht eines Bundesstaates zu unterwerfen. Allein auf diese Weise scheint eine bundesweit einheitliche Behandlung aller Insolvenzpläne gesichert. Da nun aber ein bundesrechtliches Vertragsrecht nicht existiert, bleibt offensichtlich nur der Rückgriff auf bundesrechtliche Prozessrechtsordnungen zur Auslegung und Durchsetzung des Plans als Ausweg. Der Plan wird dazu von der Urteilstheorie wie ein Urteil interpretiert und durchgesetzt; er sei ein Urteil. Auch insofern unterscheidet sich der rechtliche Hintergrund offensichtlich von der Rechtslage in Deutschland. Unabhängig davon erscheint diese Argumentation aber auch an sich wenig überzeugend und allein ergebnisorientiert. Selbst wenn der Wunsch nach einer bundeseinheitlichen Behandlung des Plans durchaus nachvollziehbar ist, so können doch allein dieser Wunsch sowie das Fehlen eines bundesweit einheitlichen Vertragsrechts nicht als Argument dafür dienen, den Plan nicht als Vertrag einzuordnen. Die Frage, ob der Plan ein Vertrag oder ein Urteil ist, kann nicht davon abhängen, ob für jede der Alternativen eine bundesweite Regelung existiert. Die Rechtsnatur des Plans ergibt sich allein aus seinem Zustandekommen und seinen Wirkungen, also aus seiner Normierung im Bankruptcy Code. 648 Die lü646 Vgl. die Entscheidung des Supreme Court zur Reichweite der Zuständigkeit des Insolvenzrichters in Celotex Corp. v. Edwards, 514 U. S. 300 (1995). 647 Näher zur Richtermacht im deutschen Insolvenzrecht im Vierten Kapitel unter B. IV. 648 Es ist insofern eine Selbstverständlichkeit, dass die Bindungswirkung des Plans gegenüber allen Beteiligten auf der gesetzlichen Regelung in 11 U. S. C. § 1141(a) beruht – so zuletzt In re Electric Reliability Council of Texas, Inc. v. Schmidt, 2007 U. S. Dist. LEXIS 49678, 11
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ckenfüllende Anwendung von Vertrags- oder Prozessrecht muss an die Frage nach der Rechtsnatur anknüpfen, darf sie aber nicht bestimmen. (4) Analyse Die Untersuchung der Rechtsnatur eines Reorganisationsplans nach Chapter 11 des Bankruptcy Code offenbart ein vertrautes Bild. Der schon im deutschen Recht zur Konkurs- und Vergleichsordnung aufgezeigte Meinungsstreit spiegelt sich nahezu identisch auch in den Vereinigten Staaten wider. Insgesamt dominiert die Vertragstheorie, die sich insbesondere auf eine lange Rechtstradition und die letzten ausdrücklichen Äußerungen des Supreme Court zur Rechtsnatur stützen kann. Der vom deutschen Gesetzgeber zum Vorbild genommene Reorganisationsplan in Chapter 11 ist danach ein Vertrag. 2. Die Rezeption ins Insolvenzplanverfahren Dieser Befund zur Rechtsnatur des amerikanischen Reorganisationsplans lässt sich nun aber nicht ohne weiteres auf den deutschen Insolvenzplan übertragen. Der deutsche Reformgesetzgeber nutzte zwar das Verfahren nach Chapter 11 als wesentliche Quelle, wich allerdings auch in vielen Punkten von seinem amerikanischen Vorbild ab, so dass sich schon aus diesem Grund die Frage nach der Rechtsnatur des Insolvenzplanes nicht einfach rechtsvergleichend beantwortet lässt. Insbesondere wurde das deutsche Reorganisationsverfahren, das Insolvenzplanverfahren, kein selbstständiges zweites Verfahren neben einem Liquidationsverfahren, sondern es wurde in ein einheitliches Insolvenzverfahren integriert, welches auf diese Weise völlig inhaltsoffen (und in gewisser Weise unberechenbar) im Hinblick auf die zum Zuge kommende Art der Insolvenzbewältigung wurde. Eine Eigenverwaltung des Schuldners wurde entgegen dem amerikanischen Vorbild ebenfalls nicht zum Regelfall; sie kann nur auf Antrag und unter strengen Voraussetzungen zugelassen werden. Gleichzeitig erhielt in der Insolvenzordnung nicht nur der Schuldner das Recht zum ersten Planvorschlag, das auch noch durch einen langen Exklusivitätszeitraum geschützt wird, sondern auch die Gläubigerversammlung kann über den Insolvenzverwalter jederzeit einen eigenen Planvorschlag initiieren. Parallel dazu gibt es enge zeitliche Vorgaben zum Verfahrensablauf. Darüber hinaus werden die direkten Verfahrenskosten stärker begrenzt als in den Vereinigten Staaten, bekommen doch die Verfahrensberater ihre (Anwalts-)Kosten nicht aus der Insolvenzmasse erstattet. Diese sind vielmehr gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 2 InsO nur nachrangige (Bankr. S. D. Tex. 2007): »Thus, by statute, the terms of the Plan are binding on ERCOT [. . .] Therefore, whatever power ERCOT had under its protocols could not be used to avoid an obligation imposed by the Plan and made binding upon it by federal statute.« Diese Feststellung beantwortet aber eben nicht die Frage nach der Natur des Plans, die eben lediglich durch diese gesetzlichen Regelungen vorgegeben wird.
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Insolvenzforderungen. 649 Die wesentlichen Kritikpunkte an der amerikanischen Regelung in Chapter 11, die sich insbesondere gegen dessen Schuldnerfreundlichkeit richteten, wurden damit berücksichtigt. 650 In dem für die Frage nach der Rechtsnatur entscheidenden Punkt jedoch, also in der Frage, nach welchem Procedere ein Planvorschlag zu einem Insolvenzplan werden soll, übernahm der deutsche Gesetzgeber, wie von Karsten Schmidt651 und anderen652 empfohlen wurde, die Mechanismen der amerikanischen Regelung. Sowohl die Abstimmung in Gläubigergruppen653 als auch die Einführung eines Obstruktionsverbotes654 , also die zentralen Fragen des erleichterten Zustandekommens der gewünschten und vernünftigen Sanierungslösung in der Insolvenzsituation, finden sich nahezu identisch im deutschen und amerikanischen Recht. Auch die Wirkungen des bestätigten Planes sind weitestgehend identisch. 655 Die inhaltliche Offenheit des Insolvenzplanes ermöglicht es zudem zugleich, den Plan – wie im Verfahren nach Chapter 11 – nicht nur zu Sanierungszwecken zu verwenden, sondern jede gewünschte Lösung der Insolvenzsituation im Wege des Planverfahrens zu vereinbaren, so dass wie in den Vereinigten Staaten nicht nur Sanierungspläne, sondern auch Liquidationspläne und Übertragungspläne denkbar und zulässig sind. 656 649
Bork, ZZP 109 (1996), 473, 481; Funke, FS Helmrich, 1994, 627, 636. Zu den Schwächen der amerikanischen Regelung vgl. etwa Rhodes, 67 Am. Bankr. L. J. 287 (1993); aus deutscher Sicht: Bork, ZZP 109 (1996), 473, 481 ff.; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, vor § 217 Rn. 50; Fassbach, Die cram down power des amerikanischen Konkursgerichts, S. 175 ff.; Funke, FS Helmrich, 1994, 627, 633; Kemper, Chapter 11, S. 194 ff.; Terhart, Chapter 11, S. 327. 651 Schmidt, Gutachten D zum 54. Deutschen Juristentag, S. 34, 86, 89. 652 Hervorzuheben ist insbesondere der rechtsvergleichende Beitrag von Hohloch, ZGR 1982, 145, 182 ff. 653 § 222 InsO entspricht weitgehend 11 U. S. C. § 1122; ebenso Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, vor § 217 Rn. 63; Funke, FS Helmrich, 1994, 627, 634; Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, Vor §§ 217–269 Rn. 35. Der darstellende Teil des Insolvenzplanes erfüllt dabei die Informationsaufgaben des »disclosure statements«; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, vor § 217 Rn. 55. 654 § 245 InsO enthält insofern die Kerngedanken der amerikanischen »cram-down rule« aus 11 U. S. C. § 1129 (b) – ebenso: Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, vor § 217 Rn. 22, Fn. 24; Funke, FS Helmrich, 1994, 627, 634; Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, Vor §§ 217–269 Rn. 44; Terhart, Chapter 11, S. 354. Nach beiden Regelungen darf die Ablehnung einer Gläubigergruppe als Zustimmung betrachtet werden, wenn die dortigen Gläubiger nicht schlechter gestellt werden als im Fall einer Liquidation (§ 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO; 11 U. S. C. § 1129 (b) i. V. m. (a) (7) (A) (ii) »best interest test«), sie angemessen am wirtschaftlichen Wert beteiligt werden (§ 245 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 InsO; 11 U. S. C. § 1129 (b) (2) »absolute priority rule«) und die Mehrheit der abstimmenden Gruppe den Plan angenommen hat (§ 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO; nach 11 U. S. C. § 1129 (b) i. V. m. (a) (10) reicht dagegen die Zustimmung nur einer einzigen anderen Gruppe aus). 655 Vgl. § 254 InsO und 11 U. S. C. § 1141 – dies gilt sowohl für seine umfassende Bindungsals auch für seine Verfügungswirkungen. 656 Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, Vor §§ 217–269 Rn. 41. Chapter 11 lässt nach ganz herrschender Ansicht (zum Streit siehe Kemper, Chapter 11, S. 161 m. w. N.) auch Liquidations650
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Die damit eigentlich naheliegende Annahme, dass auch die Rechtsnatur des neu geschaffenen Insolvenzplans aus dem amerikanischen Recht mit übernommen wurde, wird dennoch in der deutschen Rechtswissenschaft nicht vertreten. Das Gegenteil ist der Fall. In der Reformdiskussion war man der Diskussion um die Rechtsnatur solcher Akkorde leid und scheute eine klare Positionierung. So vollzog etwa Karsten Schmidt schon in seinem Gutachten zum 54. Deutschen Juristentag eine sehr deutlich Abkehr von den Denkgebäuden einer Vertrags- oder Urteilstheorie hinsichtlich des Insolvenzplanes. Dieser »doktrinär anmutende Streit« um Wesen und Rechtsnatur von Vergleich und Zwangsvergleich sei in Wahrheit nichts anderes als ein »Spiegelbild« seiner »mehrschichtigen Legitimation«. Keine der vier grundsätzlichen Legitimationsgrundlagen für die Gestaltung von Rechtsverhältnissen (Vertrags-, Mehrheitsprinzip; gesetzliche Ermächtigung, Verfahren) könne diese Rechtsinstitute zur Gänze erklären. Die Reorganisation bedürfe nun aber noch dringender als schon der Vergleich und der Zwangsvergleich einer solchen mehrfachen Legitimation. 657 Nach Karsten Schmidt ist damit weder allein der Vertrag noch allein ein Urteil Legitimations- und Geltungsgrund des Insolvenzplans; dieser wird damit zum Rechtsinstitut eigener Art. Der Gesetzgeber ließ in den Gesetzesbegründungen eine Stellungnahme hinsichtlich der Rechtsnatur des neuen Insolvenzplans gänzlich vermissen, was angesichts des bekannten Theorienstreits bedauerlich ist. Stattdessen betonte er in den allgemeinen Erwägungen zum Insolvenzplan sehr plakativ: »Der Plan ist kein Vergleich. Vergleich und Zwangsvergleich sind in ihrer Grundstruktur Verträge des Schuldners mit seinen Gläubigern zur Abwendung oder Beendigung des Konkurses. Sie sind in erster Linie auf die Sanierung des Schuldners angelegt. Damit werden im geltenden Recht drei Regelungsthemen miteinander vermischt: die Mitspracherechte des Schuldners, die Entscheidungsfreiheit der Gläubiger über die Art (Sanierung oder Liquidation) und Form (Gesamtexekution oder Vergleich) der Masseverwertung sowie die Restschuldbefreiung des Schuldners.«658 Diese Aussagen ließen sich sehr leicht wie folgt (miss-)deuten: Der Plan ist kein Vergleich und daher auch kein Vertrag. Diese Interpretation der Motive dürfte jedoch zu kurz greifen und blendet den Kontext aus, in den der Gesetzgeber diese Äußerungen setzte. Er war bemüht, das negative Image der funktionslosen alten Akkordverfahren (Zwangsvergleich und Vergleich) hinter sich zu lassen, und musste daher den Eindruck verstärken, der Wirtschaftspraxis etwas Neues, Unbelastetes zur Verfügung zu stellen, um Insolvenzsituationen wieder in höherer Zahl einvernehmlich und schnell mittels und Übertragungspläne zu – siehe 11 U. S. C. § 1129 (a) (11) ». . . unless such liquidation or reorganization is proposed in the plan.« Siehe dazu auch Riesenfeld, KTS 1983, 85, 90 mit Fallbeispielen in Fn. 48. 657 Schmidt, Gutachten D zum 54. Deutschen Juristentag, S. 77. 658 BT-Drucks. 12/2443, S. 91.
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Akkord zu lösen. Er bemühte sich daher bewusst um eine neue Terminologie (»Insolvenzplan«) und um einen offenen Bruch mit den untauglichen Instrumenten der Vergangenheit (»Der Insolvenzplan ist kein Vergleich.«). Gleichzeitig betonte er, dass die Mitwirkungsrechte allen Beteiligten einheitlich zugemessen werden, der Plan nicht nur der Sanierung diene, sondern für alle Verwertungsarten offen steht und eine Restschuldbefreiung kein zwingendes Element sei. 659 Eine Beantwortung der Frage nach der Rechtsnatur des Plans war durch die zitierte Äußerung hingegen offensichtlich nicht beabsichtigt, sieht doch auch der Reformgesetzgeber im gleichen Atemzug in einem Insolvenzplan »mithin die privatautonome, den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Übereinkunft der mitspracheberechtigten Beteiligten über die Verwertung des haftenden Schuldnervermögens unter voller Garantie des Wertes der Beteiligtenrechte.«660 Prägend bleibt somit auch für den Reformgesetzgeber, dass der Insolvenzplan seine Grundlage in einer privatautonomen Übereinkunft der Beteiligten findet. 661 Eine Abkehr vom Vertragsgedanken lässt sich dann kaum noch annehmen.
VI. Rückschlüsse auf die Rechtsnatur des Insolvenzplans aus dem Reformverfahren Betrachtet man das neue Rechtsinstitut des Insolvenzplanes im historischen Kontext, so wird deutlich, dass sich an den Eckpfeilern der Diskussion um die Rechtsnatur nichts geändert hat. Wie seine historischen Vorgänger kommt auch der Insolvenzplan durch den Vorschlag eines Verfahrensbeteiligten, die Abstimmung der Gläubiger über diesen und schließlich die Bestätigung durch das Insolvenzgericht zustande und hat dann Wirkung für alle Beteiligten, auch die ablehnenden oder nicht teilnehmenden Gläubiger. Eine dogmatische Erklärung dieser universellen Bindungswirkung bleibt weiterhin offen; Aussagen des Reformgesetzgebers hierzu finden sich nicht. Dieser propagiert zwar eine Abkehr vom Vergleich, sieht im Insolvenzplan zugleich aber eine »privatautonome Übereinkunft« der Beteiligten und kann daher zur Frage nach der Rechtsnatur des Insolvenzplans nichts Entscheidendes beitragen. Zudem lässt gerade die bewusste Übernahme der Abstimmungs-, Bestätigungs- und Wirkungsmechanismen des Reorganisationsplans aus Chapter 11 des U. S. Bankruptcy Code es als nahe liegend erscheinen, den Insolvenzplan wie sein Vorbild als Vertrag zu begreifen. 662 659
BT-Drucks. 12/2443, S. 91. BT-Drucks. 12/2443, S. 91 [Hervorhebungen durch den Verfasser]. 661 Gerade die Betonung der Privatautonomie in der Entscheidungsfindung ist allgemein anerkannt – vgl. etwa Bork, ZZP 109 (1996), 473, 475. 662 Dagegen Dinstühler, InVo 1998, 333, 344; Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, § 217 Rn. 4. 660
D. Zusammenfassung
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Unabhängig davon also, in welche Richtung man zurückschaut: die Vorgängerregelungen des Insolvenzplans vom römischen bis zum deutschen Recht wie sein amerikanisches Vorbild wurden bzw. werden als Vertrag angesehen. Alle Quellen der modernen deutschen Rechtsschöpfung »Insolvenzplan« weisen diese Rechtsnatur auf. Dennoch ist dieser Umstand nur ein Indiz. Der Reformgesetzgeber musste diesen Traditionen nicht folgen und hatte die Macht, seinen Insolvenzplan auf andere dogmatische Fundamente zu stellen. Für einen derartigen Willen ergibt sich aus dem gesamten deutschen Reformprozess allerdings kein entscheidender Hinweis. Diese Frage wurde vielmehr nicht wirklich neu erörtert. Eine grundlegende Untersuchung bleibt damit mehr als lohnenswert.
D. Zusammenfassung 1. Die Funktion des Insolvenzplans ist betriebswirtschaftlich geprägt und kommt in einer Unternehmenskrise zum Zuge. Als Reaktion auf diese Krise kann ein Sanierungskonzept entstehen, dass eine Reorganisation oder aber eine übertragende Sanierung des Unternehmens vorsieht. Man kann sich alternativ auch zur Beendigung des Unternehmens sowie dessen Zerschlagung entschließen. Ein Insolvenzplan kann inhaltlich jedes dieser Szenarien enthalten und dient dazu, die in den jeweiligen Konzepten enthaltenen Maßnahmen zu koordinieren und die damit einhergehenden Beiträge aller Beteiligten festzuschreiben. Seine eigentliche Relevanz entfaltet der Insolvenzplan dabei in den Fällen einer Sanierung. Dort regelt der Insolvenzplan wie ein außergerichtlicher Sanierungsvergleich die Sanierungsbeiträge aller Beteiligten, aber auch deren Anteilsrechte am Sanierungserfolg. Der Vorteil des Insolvenzplans liegt dabei allein in der Zwangsbindung der Minderheitsgläubiger an einen mehrheitlich gewollten Plan und der auf diese Weise möglichen Überwindung von Blockadehaltungen einzelner Beteiligter. Er ist insofern das Produkt der Fortführung von außergerichtlichen Sanierungsverhandlungen und damit ein Vergleich, der trotz der Blockadehaltung einzelner Beteiligter zustande kommt. In Funktion, Inhalt und Ergebnis unterscheidet er sich nicht von einem außergerichtlichen Vergleich (einem Vertrag); allein sein Zustandekommen ist erleichtert. 2. Die rechtsgeschichtliche Untersuchung der Vorgängerregelungen des Insolvenzplans ergab, dass Akkorde oder Zwangsvergleiche seit ihrer Entstehung im klassischen römischen Recht bis zu den Arbeiten von August Sigmund Schultze im Jahr 1880 zur damaligen Konkursordnung einhellig als Verträge angesehen und behandelt wurden. Erst ab diesem Zeitpunkt setzte in Deutschland eine wissenschaftliche Diskussion ein, in welcher weiterhin ganz überwiegend die Vertragsnatur des Zwangsvergleichs der Konkursordnung von 1879 wie auch des Vergleichs der Vergleichsordnungen von 1927 und 1935 vertreten wurde. Leider griff der Reformgesetzgeber diese Diskussion nicht auf. Der Insol-
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Kapitel 1: Betriebswirtschaftliche und rechtshistorische Sicht
venzplan wurde vielmehr in bewusster Abkehr von doktrinären Fragen entwickelt. Die dabei erfolgende Rezeption des amerikanischen Modells eines Reorganisationsplans anstelle der funktionslosen Rechtsinstitute des Zwangsvergleichs und Vergleichs kann schließlich ebenfalls nicht als Bruch mit der Vertragstheorie gewertet werden, wird doch auch dieser Plan in seiner Herkunftsrechtsordnung ganz überwiegend als Vertrag eingeordnet. Selbst eine Abkehr vom Vergleich hin zum Plan nach amerikanischem Vorbild ist daher keine Abkehr vom Vertragsgedanken. Es liegt vielmehr nahe, dass auch der Insolvenzplan weiter ein Vertrag ist. Dies nachzuweisen, ist die Aufgabe der folgenden Kapitel.
Kapitel 2
Ein Insolvenzplan ist keine Rechtsnorm Für eine rechtliche Qualifikation des Insolvenzplans bietet sich nicht allein der Vertrag als Rechtsnatur an. Vielmehr kommt alternativ auch eine Einordnung als Rechtsnorm in Betracht. Der Gedanke, einen Akkord als Rechtsnorm zu begreifen, ist nicht neu. Bereits Gerhard König1 versuchte in seiner Monographie aus dem Jahre 1930, den Vergleich der Vergleichsordnung von 1927 wie auch den Zwangsvergleich der Konkursordnung als objektive, durch Gesamtvereinbarung zustande gekommene, sozialrechtliche Regelung aufzufassen, die durch einen formellen Akt in Kraft gesetzt wird. 2 Er maß einem Akkord damit ausdrücklich nicht die Eigenschaften eines privatrechtlichen Vertrages zu, sondern begriff ihn als Rechtsnorm. Noch deutlicher vertritt diese Auffassung in jüngster Zeit Eike Happe3 . Er will den Insolvenzplan ausdrücklich als Rechtsnorm begreifen4 und Zweifelsfragen dementsprechend unter Rückgriff auf die Regelungen des Gesetzgebungsverfahrens im Grundgesetz beantworten.5 Die Qualifikation des Insolvenzplanes als Rechtsnorm kann jedoch nur dann überzeugen, wenn dieser auch die Wesensmerkmale von Rechtsnormen aufweist. In einem solchen Fall wäre es im zweiten Schritt konsequent, die gesetzlichen Regelungen zum Insolvenzplan in den §§ 217 ff. InsO wie Happe als zulässige Delegation von Normsetzungsbefugnissen auf Private aufzufassen. 6 Ist der Insolvenzplan eine Rechtsnorm, so erlaubt der Gesetzgeber den Beteiligten im Insolvenzverfahren, eine solche in Eigenregie zu schaffen. Allerdings darf man den zweiten Schritt nicht vor dem ersten machen. Die Untersuchung der Zulässigkeit einer Delegation von Normsetzungsbefugnissen im Insolvenzrecht kann überhaupt nur dann Sinn machen, wenn der Insolvenzplan die Merkmale einer Rechtsnorm hat. Dies verkennt Happe, wenn er diese eigentliche Kernfrage eher beiläufig erwähnt.7 1 Gerhard König, Der Zwangsvergleich im Konkurse und der Vergleich zur Abwendung des Konkurses, Marburg 1930. 2 König, Zwangsvergleich, S. 69 ff. 3 Eike Happe, Die Rechtsnatur des Insolvenzplans, Hannover 2004. 4 Happe, Die Rechtsnatur des Insolvenzplans, S. 170 f. 5 Happe, Die Rechtsnatur des Insolvenzplans, S. 219 ff. 6 Dazu ausführlich Happe, Die Rechtsnatur des Insolvenzplans, S. 171 ff. Die Normsetzungsbefugnis Privater aufgrund gesetzlicher Ermächtigung ist im Grundsatz anerkannt – vgl. Merten, in: Staudinger, EGBGB, Art. 2 Rn. 8; Kirchhof, Private Rechtssetzung, passim. 7 Happe, Die Rechtsnatur des Insolvenzplans, S. 214–217.
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Kapitel 2: Ein Insolvenzplan ist keine Rechtsnorm
A. Die Wesensmerkmale von Rechtsnormen Der Versuch, den Insolvenzplan an einer Definition des Begriffs der Rechtsnorm zu messen, stößt nun allerdings auf eine erhebliche Schwierigkeit. Eine allgemein anerkannte Definition dessen, was man als Rechtsnorm ansehen darf, lässt sich nicht ohne weiteres finden. Selbst im Grundsatz ist hier nach wie vor vieles umstritten. 8 Bei genauer Betrachtung des wissenschaftlichen Diskurses lassen sich aber zumindest zwei zentrale Merkmale finden, die sich nach nahezu allgemeiner Ansicht bei jeder Rechtsnorm finden müssen: ihre Heteronomität sowie ihre Generalität.9
I. Heteronomität Rechtsnormen zeichnen sich zunächst dadurch aus, dass der in ihnen enthaltene Verhaltensbefehl nicht einverständlich zwischen dem Normgeber und dem Normadressaten vereinbart, sondern dem Normadressaten einseitig und ohne Rücksicht auf dessen Willen auferlegt wird.10 Rechtsnormen führen daher zu einer Fremdbestimmtheit des Handelns der späteren Normadressaten. Sie müssen sich einem Rechtsbefehl beugen, den sie nicht selbst formuliert haben. Gerade in dieser Heteronomität liegt auch ein entscheidender Gegensatz der Rechtsnorm zu einem Vertrag. Letzterer setzt stets einen einvernehmlichen Abschluss, also die Zustimmung aller Beteiligten, voraus.11 Dementsprechend sind vor allem auch solche Rechtsinstitute als heteronom anzusehen, die zwar sowohl im Einvernehmen aller Betroffenen als auch gegen den Willen einzelner ergehen können. Allein die mögliche Fremdbestimmung einzelner Adressaten der jeweiligen Regelung erzeugt eine potenzielle Heteronomität, die für eine Rechtsnorm charakteristisch ist.12 Der Insolvenzplan wirkt vor diesem Hintergrund – wie seine Vorgänger – heteronom. Zwar ist prinzipiell auch ein einvernehmlich, also unter allseitiger Zu8 Merten, in: Staudinger, EGBGB, Art. 2 Rn. 5; derS. Jura 1981, 169, 170 (Fn. 9); vgl. auch Zöllner, Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 25 ff.; zuletzt Kirchhof, Private Rechtssetzung, S. 25. So wird teilweise allen Regelungen mit Sollensinhalt (auch individuellen Befehlen oder Verträgen) Normqualtität zugesprochen – siehe etwa Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 49, 87 f.; Kelsen, FS Nipperdey, 1965, 57, 67 und 69; eine Norm ist dann allerdings keine eigene rechtliche Kategorie mehr. 9 Happe, Die Rechtsnatur des Insolvenzplans, S. 216 f.; Joussen, Schlichtung, S. 303; Kirchhof, Private Rechtssetzung, S. 95; Merten, in: Staudinger, EGBGB, Art. 2 Rn. 12 f.; MeyerCording, Rechtsnormen, S. 25; für den Regelfall auch Zöllner, Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 28 f. 10 Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 87; Kirchhof, Private Rechtssetzung, S. 84; Merten, in: Staudinger, EGBGB, Art. 2 Rn. 12. 11 Bucher, Normsetzungsbefugnis, S. 88; Kirchhof, Private Rechtssetzung, S. 85 f.; Merten, in: Staudinger, EGBGB, Art. 2 Rn. 89. 12 Kirchhof, Private Rechtssetzung, S. 87.
A. Die Wesensmerkmale von Rechtsnormen
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stimmung, zustande kommender Insolvenzplan denkbar und vielleicht sogar gewünscht. Die gesetzlichen Regelungen erlauben aber bewusst auch eine Annahme des Insolvenzplans gegen eine ablehnende Minderheit von Gläubigern (§ 244 InsO) sowie gegen einen obstruierenden Schuldner (§ 247 InsO). Eine potenzielle Heteronomität ist dem Insolvenzplan insofern wie jeder anderen Regelung eigen, die aus einem Beschluss nach dem Mehrheitsprinzip entsteht.13 Und es ist gerade diese Heteronomität, diese Fremdbestimmtheit einer Minderheit, die es seit jeher schwierig macht, einen Akkord als regelmäßigen Vertrag anzusehen. In dieser Eigenschaft des Akkordes liegt der Kern aller Qualifikationsprobleme. Ist der Insolvenzplan daher nun als Rechtsnorm anzusehen? Dies ist nur angebracht, wenn auch das zweite allgemeine Wesensmerkmal einer Norm erfüllt ist: die Generalität.
II. Generalität Das zentrale Charakteristikum einer Rechtsnorm ist ihre Generalität, also ihre Breitenwirkung.14 Jede Rechtsnorm zielt auf eine Vielzahl von Normadressaten. Ob eine Norm im Laufe ihrer Geltung tatsächlich auf eine Vielzahl von Personen Anwendung findet, ist dabei nicht von Bedeutung; man denke etwa an den Straftatbestand des Völkermordes. Entscheidend ist, dass die betreffende Regelung nach ihrer Formulierung und ihrem Inhalt potenziell auf eine Vielzahl von Personen einwirken kann (potenzielle Generalität).15 Jedoch, allein mit der Vielzahl der potenziell betroffenen Personen ist das Charakteristikum der Generalität noch unvollständig beschrieben. Auch (mehrseitige) Verträge können eine Vielzahl von Personen binden. Die bloße Anzahl der betroffenen Personen ist daher nicht entscheidend für die Qualifikation einer Regelung. Maßgeblich für die Annahme einer Rechtsnorm ist vielmehr, dass im Zeitpunkt der Normentstehung die Adressaten noch unbestimmt sind, da eine Norm menschliches Verhalten in der Zukunft unabhängig davon lenken will, wann, von wem und wie oft ihr Tatbestand erfüllt wird.16 Generalität bedeutet daher die mögliche Breitenwirkung auf einen bei Erlass noch nicht abschließend festliegenden Adressatenkreis.17 Richtet sich hingegen eine Regelung an eine schon abgeschlossene, unveränderliche Gruppe von Personen, so liegt keine Rechtsnorm vor. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Regelung an eine historische, in der Vergangenheit gebildete und nicht mehr in ihrer Zusammenset13
Vgl. zur Heteronomität und dem Mehrheitsprinzip Kirchhof, Private Rechtssetzung,
S. 90. 14 Kirchhof, Private Rechtssetzung, S. 64; Merten, Jura 1981, 169, 170; Meyer-Cording, Rechtsnormen, S. 25; Wolf, JZ 1973, 229 (Fn. 1). 15 Kirchhof, Private Rechtssetzung, S. 65. 16 Kirchhof, Private Rechtssetzung, S. 67; Meyer-Cording, Rechtsnormen, S. 25. 17 Kirchhof, Private Rechtssetzung, S. 67; Merten, in: Staudinger, EGBGB, Art. 2 Rn. 13; ders., Jura 1981, 169, 170.
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Kapitel 2: Ein Insolvenzplan ist keine Rechtsnorm
zung veränderliche Gruppe richtet.18 Die Normeigenschaft beginnt damit erst dann, wenn sich der Adressatenkreis erst aus späteren Ereignissen ergibt, also zum Zeitpunkt des Normerlasses noch nicht feststeht. Wendet man diese Grundsätze auf den Insolvenzplan an, so fällt zunächst auf, dass er eine Vielzahl von Personen bindet: die Insolvenzgläubiger, die absonderungsberechtigten Gläubiger, den Schuldner, sich verpflichtende Dritte (Plangaranten). Allerdings steht der Kreis dieser Beteiligten bereits in dem Zeitpunkt unveränderbar fest, in welchem der Insolvenzplan beschlossen wird und gemäß § 254 InsO in Kraft tritt. Die Insolvenzgläubiger sind die Personen, die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Vermögensanspruch gegen den Schuldner hatten. Ihr Kreis kann also im Verfahren nicht mehr größer werden und wird sich auch nach Erlass des Insolvenzplans nicht mehr verändern. Dasselbe gilt für die absonderungsberechtigten Gläubiger. Diese Personen finden sich vielmehr individualisiert und in Gruppen klassifiziert im Insolvenzplan wieder. Auch der Schuldner und die dritten Personen, die von den Wirkungen des Insolvenzplans aufgrund ihrer Teilnahme betroffen sind (vgl. § 230 Abs. 3 InsO), stehen nicht nur bereits im Zeitpunkt des Eintritts der Planwirkung fest, sondern sind darüber hinaus ebenfalls im Insolvenzplan individualisiert. Von einer Unbestimmbarkeit des betroffenen Personenkreises lässt sich insofern nicht sprechen. Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass der Insolvenzplan gemäß § 254 Abs. 1 Satz 3 InsO auch für solche Insolvenzgläubiger wirkt, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben. Versäumt einer der Insolvenzgläubiger die Anmeldung seiner Forderungen oder verzichtet er auf diese Weise bewusst auf eine Teilnahme am Insolvenzverfahren, so wird er dennoch von den Planwirkungen erfasst. Seine Forderungen werden gekürzt; im übrigen stehen ihm die für alle Insolvenzgläubiger vorgesehenen Leistungen zu.19 Allerdings wird er nun nicht individualisiert im gestaltenden Teil des Insolvenzplans aufgeführt und auch an der Stimmabgabe nicht beteiligt (vgl. §§ 237 Abs. 1 Satz 1, 77 Abs. 1 InsO). Zudem kann er mangels Tabelleneintrag nicht aus dem Plan vollstrecken (vgl. § 257 InsO). Nur in den Fällen, in denen der Insolvenzplan im darstellenden Teil zur Bestimmung der Schuldenmasse ein aus der Finanzbuchhaltung des Schuldners stammendes Verzeichnis aller Gläubiger enthält, finden sich auch nicht anmeldende Insolvenzgläubiger im Plan individualisiert. Doch selbst wenn eine solche Individualisierung nicht teilnehmender Insolvenzgläubiger nicht nur fehlt, sondern diese – wie es insbesondere bei deliktischen Gläu18
Kirchhof, Private Rechtssetzung, S. 67 f. Durch das dadurch denkbare nachträgliche »Auftauchen« von unbekannten Insolvenzgläubigern mit Ansprüchen aus dem Plan, für die keine Rücklagen vorhanden sind, kann die Planverwirklichung erheblich gefährdet werden. Dieser Gefahr kann wohl nur mittels Präklusionsklauseln begegnet werden – vgl. dazu etwa Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, § 221 Rn. 50 ff.; Otte/Wiester, NZI 2005, 70. 19
B. Der Insolvenzplan ist kein Normenvertrag
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bigern etwa aus Produkthaftungsansprüchen vorkommen wird – dem Schuldner sogar unbekannt sind, ist dieser Personenkreis nicht unbestimmbar im Zeitpunkt des Planerlasses und damit im Sinne einer Generalität zukunftsoffen. Vielmehr steht der Kreis aller Insolvenzgläubiger stets bereits im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung unveränderlich fest. Maßgeblich hierfür ist allein die Regelung in § 38 InsO, also das Bestehen eines vermögensrechtlichen Anspruchs, nicht hingegen ein Tabelleneintrag. Der Personenkreis der Insolvenzgläubiger, und damit der Adressatenkreis des Insolvenzplans, ist somit bei Planerlass zumindest bestimmbar. Auch die Wirkungserstreckung des § 254 Abs. 1 Satz 3 InsO verleiht dem Insolvenzplan damit keine generelle Wirkung. Er ist keine Rechtsnorm.20
B. Der Insolvenzplan ist kein Normenvertrag Der Insolvenzplan hat also eine potenziell heteronome, nicht aber eine generelle Wirkung und kann daher nicht als Rechtsnorm eingeordnet werden. Seine individuelle Wirkung legt es nahe, ihn als Vertrag anzusehen; allerdings stört dann – jedenfalls auf den ersten Blick – seine potenzielle Heteronomität. 21 In diesem Spannungsfeld scheint sich – wie bereits von Gerhard König22 für den Zwangsvergleich und den konkursabwendenden Vergleich angeregt – eine Mischform als Kategorie und Lösung anzubieten: der Normenvertrag23 . Der Normenvertrag ist eine Schöpfung des Arbeitsrechts. 24 Dort sind es Tarifverträge (sowie Betriebsvereinbarungen), die sich – ähnlich den insolvenzrechtlichen Akkordvereinbarungen – einer einfachen Einordnung in bekannte rechtliche Kategorien entziehen. Der Ausgangspunkt der dogmatischen Qualifikation dieser arbeitsrechtlichen Vereinbarungen ist dabei unstreitig der Vertrag. Tarifverträge werden in den Formen der §§ 145 ff. BGB von den Tarifvertragsparteien geschlossen. Sie begründen dabei aber nicht nur schuldrechtliche Pflichten für sich als Vertragsparteien, sondern wirken zudem unmittelbar auf die von ihrem Anwendungsbereich erfassten Einzelarbeitsverträge ein. So lässt 20 Dies hat inzwischen auch der BGH festgestellt, der einem Insolvenzplan wegen der unveränderlichen Zusammensetzung der Gläubigergemeinschaft nach dessen Annahme »eine normative Wirkung« abspricht Seine Auslegung könne daher nicht – wie etwa bei Rechtsnormen oder Allgemeinen Geschäftsbedingungen – allein nach dem objektiven Erklärungsbefund erfolgen, BGH NJW-RR 2006, 491, 493. 21 Allerdings sind auch dem Zivilrecht heteronome Wirkungen nicht fremd – vgl. etwa Adomeit, FS Kelsen, 1971, 9 ff. 22 König, Zwangsvergleich, S. 68 ff. 23 Der Begriff geht auf Hueck, JherJb 73 (1923), 33, 36 zurück. 24 Normverträge finden sich heute aber auch in anderen Rechtsgebieten, insbesondere im Sozialversicherungsrecht (dazu etwa Castendiek, Der sozialversicherungsrechtliche Normsetzungsvertrag, 2000, passim; Joussen, Schlichtung, S. 291).
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Kapitel 2: Ein Insolvenzplan ist keine Rechtsnorm
sich etwa die für die Laufzeit des Tarifvertrags vereinbarte Friedenspflicht zwanglos durch die schuldrechtliche Bindung der Tarifvertragsparteien, also Gewerkschaft und Arbeitgeberverband, erklären. Vereinbarte Lohnsteigerungen oder Einmalzahlungen hingegen betreffen nicht die Tarifvertragsparteien selbst, sondern die Individualarbeitsverhältnisse der einzelnen Arbeitgeber mit ihren Arbeitnehmern. In Bezug auf diese Personen wirkt der Tarifvertrag heteronom und, da er auch auf Arbeitsverhältnisse einwirkt, die erst nach seinem Abschluss eingegangen werden, sogar generell. Tarifverträge, und in ähnlicher Form auch Betriebsvereinbarungen, haben daher nach heute ganz überwiegender Ansicht auch normative Wirkungen.25 Sie werden dann als Gesamtvereinbarungen oder eben als Normenverträge bezeichnet. 26 Das Charakteristische an einem Normenvertrag ist demnach, dass er nicht nur Regelungen für die vertragsschließenden Parteien enthält, sondern auch Anordnungen für eine Vielzahl anderer Einzelverträge beinhaltet, welche auf die betroffenen Einzelverträge unmittelbar und zwingend einwirken. 27 Normenverträge wirken abstrakt-generell. Eine derartig weit reichende Wirkung hat ein Insolvenzplan nicht. Eine normative Wirkung fehlt ihm zunächst schon deshalb, weil er ja – wie bereits erläutert wurde – gerade nicht für eine unbestimmte Vielzahl von Personen Bindungen entfaltet. Anders als ein Normenvertrag (wie etwa ein Tarifvertrag) besitzt der Insolvenzplan also keine generelle Wirkung. Es gibt keine Einwirkung auf eine Vielzahl schuldrechtlicher Einzelverträge. Alle vom Insolvenzplan Betroffenen sind – anders als bei Normenverträgen – bereits am Verfahren zum Zustandekommen des Insolvenzplans selbst beteiligt. Ein Insolvenzplan bindet nur diese Beteiligten, also die Insolvenzgläubiger (unabhängig von der tatsächlichen Wahrnehmung ihrer Beteiligungsrechte mittels Forderungsanmeldung und Stimmabgabe), den Schuldner und teilnehmende Dritte. Er hat daher keine normative Fernwirkung für an seiner Entstehung unbeteiligte Einzelverträge. Bei genauer Betrachtung hat der Insolvenzplan daher mit einem Normenvertrag allein die (potenzielle) Heteronomie, ansonsten aber nichts gemein. 28 Auch das Institut des Normenvertrages kann daher nicht die Rechtsnatur des Insolvenzplanes erklären. 25 Kirchhof, Private Rechtssetzung, S. 92; Merten, in: Staudinger, EGBGB, Art. 2 Rn. 80, 86; grundlegend: Hueck, JherJb 73 (1923), 33, 36 f.; zum Streitstand im Arbeitsrecht vgl. etwa Nipperdey, in: Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/1, S. 339 ff. m. w. N.; Löwisch/Rieble, in: Richardi/Wlotzke, MünchHdb ArbR III, § 253 Rn. 19, 25–27; Richardi, ZfA 2003, 655, 658; Schaub, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 198 Rn. 10, 14 m. w. N.; zuletzt Rieble, ZfA 2000, 5 ff. m. w. N. (als Vertreter der Gegenansicht – Vertragstheorie). 26 Vgl. etwa Hueck, JherJb 73 (1923), 33, 37; König, Zwangsvergleich, S. 69; Kramer, in: MünchKomm, BGB, Vor § 145 Rn. 33; Nipperdey, in: Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/1, S. 345; Richardi, ZfA 2003, 655, 658. 27 So auch die gängige Definition des Normenvertrags etwa bei Joussen, Schlichtung, S. 291; Kramer, in: MünchKomm, BGB, Vor § 145 Rn. 33; Wolf, in: Soergel, BGB, Vor § 145 Rn. 112. 28 Allein diese Heteronomie genügt – wie bereits ausgeführt – nicht, um eine Regelung als
C. Ergebnis
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C. Ergebnis Der Insolvenzplan ist keine Rechtsnorm; seine gesetzlichen Regelungen können daher auch nicht als Normsetzungsbefugnis für Private angesehen werden. Der Insolvenzplan hat zwar eine potenziell heteronome Wirkung, indem er auch Personen binden kann, die ihn ablehnen oder sich einem Verfahren verweigern. Ihm fehlt jedoch jede generelle Wirkung. Er richtet sich nicht an einen zum Zeitpunkt seines Erlasses noch unbestimmten Personenkreis, sondern erfasst einen Personenkreis, der spätestens zu diesem Zeitpunkt feststeht und unveränderbar bleibt. Er ist daher weder Rechtsnorm noch Normenvertrag. Seine heteronomen Bindungswirkungen sind auf andere Weise zu erklären. Der Blick muss sich daher der Einordnung als Vertrag zuwenden.
Rechtsnorm oder Normvereinbarung anzunehmen; vgl. Kirchhof, Private Rechtssetzung, S. 92, 95.
Kapitel 3
Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts Die rechtliche Einordnung eines Akkordverfahrens als Vertrag war lange Zeit die einhellige Auffassung in der Rechtswissenschaft, was auf dessen römischrechtlichen Wurzeln im Vertragsrecht zurückzuführen ist.1 Sie blieb aber auch in der Moderne vorherrschend, obwohl nun in vielen Rechtsordnungen diesbezüglich ein dogmatischer Disput auszumachen war. So wurde etwa im deutschen Recht ein Vergleich wie auch ein Zwangsvergleich ebenso weiter als Vertrag angesehen 2 wie im U. S.-amerikanischen Recht eine composition oder ein reorganization plan.3 Der Grund für diese Tendenz zum Vertragsgedanken dürfte deutlich werden, wenn man sich den Idealfall vor Augen führt, in dem alle Beteiligten – also sowohl der Schuldner als auch alle Gläubiger und sonstigen Beteiligten – dem vorgeschlagenen Akkord zustimmen. In diesem Fall dürfte kaum zu bezweifeln sein, dass zwischen den Beteiligten eine Vereinbarung zustande gekommen ist, die alle Beteiligten aufgrund ihres erklärten rechtsgeschäftlichen Willens bindet und damit als Vertrag zu qualifizieren ist. Die Probleme für die rechtliche Einordnung eines Akkordes wie des Insolvenzplans rühren daher, dass er auch in Fällen zustande kommen kann, in denen nicht alle Beteiligten ihm zugestimmt haben. Nahezu jede historische oder auch ausländische gesetzliche Regelung eines Akkordes lässt eine Bindung auch der nicht Zustimmenden zu, wenn deren Rechte gewahrt werden, was wiederum regelmäßig durch ein Gericht überprüft werden muss. Eine solche gerichtliche Kontrolle hätte keinen Sinn, wenn der Akkord stets auf dem Bindungswillen aller Beteiligten, also auf Einstimmigkeit, beruhen würde. Sein Inhalt wäre ohne weiteres legitimiert. Das gerichtliche Bestätigungsverfahren ist vielmehr die Kehrseite der erlaubten Bindung von solchen Personen, die sich dem Akkord gerade nicht freiwillig unterwerfen. Es dient allein deren Schutz, ist jedoch – wie noch aufzuzeigen sein wird4 – dennoch nicht der Grund für deren Bindung; dieser liegt allein im Akkord selbst. Allerdings wecken diese Mechanismen Zweifel an der Vertragsqualität des Akkordes, kommt es doch zur Bindung von Personen ohne oder sogar gegen deren Willen, also zu heteronomen Wir1 2 3 4
Siehe dazu die Ausführungen im Ersten Kapitel B. I. Siehe dazu die Ausführungen im Ersten Kapitel B. III. und IV. Hierzu bereits im Ersten Kapitel C. V. 1. c). Siehe im Vierten Kapitel B.
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
kungen.5 Ob nun aber mit einem solchen Abgehen vom Einstimmigkeitserfordernis gleichzeitig auch das Vertragsrecht verlassen wird oder ob sich diese Besonderheiten wider den ersten Anschein doch vertragsrechtlich erklären lassen, wird Gegenstand der Ausführungen in diesem Kapitel sein. Auszugehen ist dabei von einer Selbstverständlichkeit, die auch für einen Insolvenzplan als Vertrag gilt: Der Abschluss eines Vertrages setzt von allen an ihn gebundenen Personen hierauf gerichtete Willenserklärungen (Vertragserklärungen) voraus.
A. Die Planvorlage – invitatio ad offerendum Die erste Erklärung, die auf das Zustandekommen eines Insolvenzplans gerichtet ist, ist die Vorlage des Planes nach § 218 InsO; sie ist damit auch die erste Willensäußerung, die als Willenserklärung im Sinne eines Antrags nach § 145 BGB gedeutet werden könnte. Fern liegt dieser Gedanke eigentlich nicht, ging man doch auf Grundlage der herrschenden Vertragstheorie hinsichtlich der Vorgängerregelungen des Vergleichs nach der VglO und des Zwangsvergleichs nach der KO davon aus, dass bereits der Vergleichsvorschlag des Schuldners ein annahmefähiger Antrag im Sinne des § 145 BGB sei. 6 Der Schuldner war nach § 8 VglO bzw. § 173 KO allerdings allein vorlageberechtigt, während eine Planinitiative nach § 218 Abs. 1 InsO nun sowohl vom Schuldner als auch vom Insolvenzverwalter 7 ausgehen kann. Zum Insolvenzplan wird dennoch weiter die Ansicht vertreten, dass in der Planvorlage ein Vertragsangebot liege. 8 Andere demgegenüber gehen davon aus, dass die entscheidenden Willenserklärungen erst im Abstimmungstermin abgegeben werden, in welchem die Gläubigergrup-
5 Plastisch insofern Smid/Rattunde, Insolvenzplan, Rn. 6.5: »Es handelt sich beim Insolvenzplan gleichsam um einen Vertrag mit partiellem Abschlusszwang«. 6 Siehe etwa Bley/Mohrbutter, VglO, § 8 Rn. 7; Jaeger, Konkursrecht, S. 190; Kohler, Konkursrecht S. 453; Weber, in: Jaeger, KO, § 173 Rn. 21. Genauer zur Vertragstheorie schon im Ersten Kapitel B. III. 2. und B. IV. 7 Nach § 284 Abs. 1 Satz 1 InsO kann im Falle einer Eigenverwaltung des Schuldners die Gläubigerversammlung den Auftrag zur Ausarbeitung eines Insolvenzplanes gemäß § 157 S. 2 InsO nicht nur an den Schuldner, sondern auch an den Sachwalter erteilen. Dieser übernimmt in der Eigenverwaltung des Schuldners zum Teil die Stellung eines Insolvenzverwalters, weshalb er in diesem Fall auch wie ein Insolvenzverwalter nach § 218 InsO berechtigt ist, den ausgearbeiteten Plan vorzulegen – vgl. etwa Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 474;Warrikoff, KTS 1997, 527, 532. Besonderheiten für das Insolvenzplanverfahren ergeben sich daraus nicht. Die Verfahrensposition des Insolvenzverwalters wird durch den Sachwalter übernommen. 8 Häsemeyer, FS Gaul, 1997, 175, 179; ders., Insolvenzrecht, Rn. 28.42a, 28.70; Hess/Weis, WM 1998, 2349, 2350; Windel, Jura 1999, 1, 7 (Fn. 102); widersprüchlich: Otte, in: Kübler/ Prütting/Bork, InsO, § 217 Rn. 67 f. (bejahend), dann aber § 218 Rn. 44 (verneinend).
A. Die Planvorlage – invitatio ad offerendum
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pen und der Schuldner dem Plan zustimmen müssen (§§ 244, 247 InsO). Die Planvorlage sei lediglich eine »invitatio ad offerendum« an diese Beteiligten.9 Dieses Meinungsbild überrascht kaum, hat sich doch am Inhalt der Planvorlage im Vergleich zu den Vorgängerregelungen im Grunde nichts verändert. Vorzulegen ist stets ein Insolvenzplan, der alle notwendigen Bestandteile (»essentialia negotii«) beinhaltet und daher ohne Änderungen im Abstimmungstermin durch bloße Zustimmung verabschiedet werden kann. Die Planvorlage könnte daher durchaus als Vertragsangebot gemäß § 145 BGB angesehen werden. Hiergegen sind jedoch im Hinblick auf die Neufassung des Planverfahrens in der Insolvenzordnung erhebliche Bedenken anzuführen.
I. Die Planvorlage durch den Insolvenzverwalter Probleme mit der hergebrachten Willenserklärungskonstruktion entstehen bereits, wenn nicht der Schuldner, sondern der Insolvenzverwalter den Plan in das Verfahren einbringt. Bei der Planvorlage durch den Insolvenzverwalter sind dabei zwei grundsätzliche Fallkonstellationen zu unterscheiden: die Vorlage eines Gläubigerplans und die eines Verwalterplans. 1. Die Vorlage eines Gläubigerplans durch den Insolvenzverwalter Die Gläubigerversammlung kann den Insolvenzverwalter gemäß § 157 Satz 2 InsO beauftragen, einen Insolvenzplan zu erarbeiten und ihm zugleich das Ziel des Planes vorgeben. Aus dieser allgemeinen Befugnis zur Aufstellung eines Verwalterplans wird nun ganz überwiegend10 das weitergehende Recht der Gläubigerversammlung hergeleitet, dem Gläubiger nicht nur allgemeine Ziele eines zu erarbeitenden Planes vorzuschreiben; es soll vielmehr auch zulässig sein, ihn durch Beschluss der Gläubigerversammlung zur Vorlage eines bereits vorhandenen, durch einzelne Gläubiger oder einen beauftragten Dritten erarbeiteten Insolvenzplan zu zwingen. In diesem Fall könnte man den vorgelegten Plan als einen Plan der in der Gläubigerversammlung organisierten Gläubiger ansehen. Qualifiziert man nun bei einem vom Schuldner vorgelegten Plan bereits die Planvorlage als die vertragsrechtlich relevante Willenserklärung des 9 So ausdrücklich Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, § 217 Rn. 27 f.; Gaul, FS Huber, 2006, 1187, 1202; in diesem Sinne auch: Hess, in: Hess, InsR, § 217 InsO Rn. 15; Schiessler, Insolvenzplan, S. 20. 10 Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 218 Rn. 4; Braun, in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 67 Rn. 15; ders., in: Nerlich/Römermann, InsO, § 218 Rn. 45; Dinstühler, InVO 1998, 333, 339; Herzig, Insolvenzplanverfahren, S. 128 f.; Hess, in: Hess, InsR, § 218 InsO Rn. 44; Hess/Obermüller, Insolvenzplan, Rn. 49; Keller, Insolvenzrecht, Rn. 1708; Kersting, Gläubiger im Insolvenzplanverfahren, S. 95; Lüke, FS Uhlenbruck, 2000, 519, 534; Maus, in: Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. 2000, S. 931 ff. Rn. 32; Otte, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 218 Rn. 35; Paulus, DZWIR 1999, 53, 58; Smid, WM 1996, 1249, 1253; Warrikoff, KTS 1997, 527, 530; ablehnend: Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, § 218 Rn. 17.
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
Schuldners, so müsste man konsequenterweise in die Vorlage dieses Gläubigerplans auch die Willenserklärung der Gläubiger im Sinne eines verbindlichen Angebots gemäß § 145 BGB hinein interpretieren. Dies widerspräche jedoch unübersehbar der Gesetzeskonzeption, die in den §§ 243 ff. InsO stets und zwingend erst im Abstimmungstermin nach der Zustimmung der Gläubiger fragt. Die Gläubiger stimmen dabei in den gebildeten Gläubigergruppen über den Plan ab und nur dieses Abstimmungsergebnis entscheidet über ihre Annahme des Planes. Diese gesetzgeberische Konstruktion lässt es insofern nicht zu, bereits in der Planvorlage eine verbindliche Willenserklärung der Gläubiger, übermittelt durch den Insolvenzverwalter, zu sehen. Eine solche Erklärung der Gläubiger findet sich erst im Abstimmungstermin. Die Vorlage ist daher noch keine materiellrechtliche Willenserklärung, sondern lediglich eine verfahrenseinleitende Prozesshandlung.11 2. Die Vorlage eines Verwalterplans durch den Insolvenzverwalter Im Regelfall legt der Insolvenzverwalter natürlich keinen Plan der Gläubigerversammlung vor, sondern wird ohne deren Auftrag aus Eigeninitiative tätig12 oder aber er handelt lediglich aufgrund eines allgemein gefassten Auftrags der Gläubigerversammlung nach §§ 157 Satz 2, 218 Abs. 2 InsO. Dann kann in seiner Planvorlage schon im Ansatz keine Willenserklärung der Gläubiger erkannt werden, da gerade kein Plan der Gläubiger im Raum steht.13 Die Gläubiger wirken bei einer solchen Planaufstellung durch den Insolvenzverwalter gemäß § 218 11
Ebenso Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, § 217 Rn. 27; Schiessler, Insolvenzplan,
S. 20. 12 Ob der Insolvenzverwalter dies darf, ob er also ein eigenständiges und von der Gläubigerversammlung unabhängiges Planinitiativrecht hat, ist umstritten, wird aber überwiegend befürwortet: Binz, Konkurrierende Insolvenzpläne, S. 39 ff.; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 218 Rn. 3; Braun, in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 67 Rn. 1; ders., in: Nerlich/Römermann, InsO, § 218 Rn. 25 ff., 28, 40; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 474; Delhaes, NZI 1999, 47, 51; Dinstühler, InVO 1998, 333, 338; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 28.11; Herzig, Insolvenzplanverfahren, S. 116 ff., 125; Hess, in: Hess, InsR, § 218 InsO Rn. 4; Hess/Obermüller, Insolvenzplan, Rn. 16–16e; Hess/Weis, WM 1998, 2349, 2351; Keller, Insolvenzrecht, Rn. 1708; Lüke, FS Uhlenbruck, 2000, 519, 525; Maus, in: Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. 2000, S. 931 ff. Rn. 32; Riggert WM 1998, 1521, 1522 (Fn. 12); Thies, in: Hamburger Kommentar, § 218 Rn. 3; Warrikoff, KTS 1997, 527, 530; Zempel, Genussrechte, S. 84; ablehnend: Evers/Möhlmann, ZInsO 1999, 21, 22; Kersting, Gläubiger im Insolvenzplanverfahren, S. 86 ff., 91; Schiessler, Insolvenzplan, S. 87 f., 98; vermittelnd (und überzeugend): Eidenmüller, JbfNPolÖk 15 (1996), 164, 175 und ausführlicher in MünchKomm, InsO, § 218 Rn. 25–30; Hänel, Gläubigerautonomie, S. 121 ff., 127, wonach das eigene Initiativrecht erlischt, wenn an den Insolvenzverwalter ein diesbezüglicher Auftrag der Gläubigerversammlung ergeht (dem folgend Flessner, in: Heidelberger Kommentar, InsO, § 218 Rn. 10; Jaffé, in: Frankfurter Kommentar, InsO, § 218 Rn. 38 f.; Paulus, DZWIR 1999, 53, 58 und wohl auch Otte, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 218 Rn. 11). 13 Anders offensichtlich Riggert, WM 1998, 1521, 1522, der bei Verwalterplänen generell von Plänen »der Gläubigerversammlung« spricht, da diese inhaltliche Vorgaben machen darf. Dies ist zu ungenau; vielmehr ist zu differenzieren, ob die Gläubigerversammlung einen kon-
A. Die Planvorlage – invitatio ad offerendum
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Abs. 3 InsO nur beratend neben anderen Beteiligten und nur mittels des Gläubigerausschusses mit, wenn denn ein solcher überhaupt gebildet wurde. Sie haben also lediglich ein mittelbares Mitspracherecht, welches im Hinblick auf die notwendige Organisation von Gläubigermehrheiten zur Annahme des Planes allerdings notwendig und sinnvoll ist. Die beratend im Gläubigerausschuss mitwirkenden Gläubiger haben aber gerade kein Weisungsrecht gegenüber dem Insolvenzverwalter im Hinblick auf den Inhalt des von ihm zu entwickelnden Insolvenzplanes; hierzu bedürfte es eines erneuten Beschlusses der Gläubigerversammlung im Sinne der Vorgabe eines konkreten Gläubigerplanes. Ein Weisungsrecht will auch § 218 Abs. 3 InsO nicht verleihen, was durch die Betonung der »beratenden« Mitwirkung mehr als deutlich wird.14 Die Gläubiger stimmen daher im späteren Abstimmungstermin über einen ihnen fremden Plan ab, der zwar in ihrem Auftrag erarbeitet, aber als eigener Verwalterplan in das Verfahren eingebracht wird. Seine Vorlage ist daher kein Vertragsangebot der Gläubiger. Diese Planvorlage ist aber auch kein Vertragsangebot des Insolvenzverwalters.15 Hiergegen spricht die daraus sonst zwingend folgende verbindliche Einbeziehung des Insolvenzverwalters in den Insolvenzplan als Vertragspartei. Gäbe der Insolvenzverwalter mit der Vorlage eines eigenen Planentwurfs ein Vertragsangebot ab, so wäre nur er allein an dieses Angebot gebunden. Seine Willenserklärung kann keiner anderen Partei gemäß § 164 BGB zugerechnet werden, da er weder im Namen der Gläubiger noch in dem des Schuldners handelt, sondern eigene Aufgaben und Befugnisse wahrnimmt.16 Zudem geben sowohl die Gläubiger als auch der Schuldner im Verfahren eigene Erklärungen ab und bedürfen diesbezüglich keiner Vertretung. Der Insolvenzverwalter handelt somit bei der Planvorlage im eigenen Namen kraft seines Amtes und gäbe eine kreten Plan vorgibt oder nur allgemeine Vorgaben macht und ggf. über einen Gläubigerausschuss beratend mitwirkt. 14 Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 474; Kersting, Gläubiger im Insolvenzplanverfahren, S. 98; auch Warrikoff, KTS 1997, 527, 531: ». . . die Verantwortung bleibt . . . allein beim Insolvenzverwalter«. 15 So aber Häsemeyer, FS Gaul, 1997, 175, 179 f.; ders., Insolvenzrecht, Rn. 28.43, 28.70, der einen Vertrag zwischen den Gläubigern und dem Insolvenzverwalter annimmt, falls dieser den Plan vorlegt und der Schuldner nicht tatsächlich zustimmt; ihm weitgehend folgend: Windel, Jura 1999, 1, 7 (insbesondere in Fn. 105), der im Insolvenzplan grundsätzlich einen dreiseitigen Vertrag zwischen den Gläubigern, dem Schuldner und dem Insolvenzverwalter (bei fehlender Zustimmung des Schuldners einen zweiseitigen Vertrag zwischen Gläubigern und Verwalter) sieht und die Einbeziehung des Insolvenzverwalters fordert, um ihn von seinen allgemeinen Verwertungspflichten (§ 159 InsO) zu entlasten. Zu diesem Zweck ist jedoch keine vertragliche Bindung des Insolvenzverwalters an den Plan notwendig. Die gewünschte Entlastung geschieht vielmehr allein durch die entsprechende Entscheidung des Insolvenzgerichtes nach § 233 InsO. 16 Nach der ganz herrschenden Amtstheorie ist der Insolvenzverwalter ein unabhängiger Amtstreuhänder, der zwar im eigenen Namen, aber nur mit Wirkung für und gegen die Masse handelt – vgl. etwa Ott/Vuia, in: MünchKomm, InsO, § 80 Rn. 20 ff.
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
eigene Willenserklärung ab. Eine hieran anknüpfende Bindung des Insolvenzverwalters an die Planvorlage wie auch an den Planinhalt als späterer Vertragspartner widerspricht der gesetzgeberischen Konzeption des Planverfahrens. Dies folgt vor allem aus § 259 Abs. 1 Satz 1 InsO, nach dem das Amt des Insolvenzverwalters im Regelfall bereits mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens, also gleichzeitig mit dem Inkrafttreten und lange vor der Erfüllung des Planes, erlischt. Den Verwalter treffen in seiner Eigenschaft als Amtsperson folglich keine materiellen Wirkungen des Plans. Er wird inhaltlich nicht an ihn gebunden. Weder seine Vergütung noch seine Haftung ist Gegenstand einer plangemäßen Insolvenzbewältigung. Sein Amt endet grundsätzlich in dem Moment, in welchem der Insolvenzplan Wirkung entfaltet. Hieran ändert sich auch nichts, wenn ausnahmsweise eine Überwachung der Planerfüllung im Insolvenzplan vorgesehen wird. Zwar bleibt dann das Amt des Insolvenzverwalters zunächst auch in der Phase der Plandurchführung erhalten; ihm obliegt dann allerdings allein die Überwachung der Planerfüllung nach Maßgabe der §§ 261 ff. InsO. Der Insolvenzverwalter bleibt unabhängiger Amtsträger und ist klar von den Personen zu unterscheiden, die aufgrund des Planinhalts zu bestimmten Leistungen verpflichtet und daher materiell gebunden sind. Eine eigen vertragliche Bindung an den Plan würde der Funktion als Überwachungsorgan diametral widersprechen, verlangt diese doch gerade nach Unabhängigkeit.17 Schließlich wurde auch von der für den Vergleich nach der VglO oder Zwangsvergleichs nach der KO herrschenden Vertragstheorie zu keinem Zeitpunkt erwogen, dass der Konkursverwalter Vertragspartner des geschlossenen Vergleichsvertrags sei, und daran wollte wohl auch die Insolvenzordnung erkennbar nichts ändern. Die gesamte Verfahrenseinbindung des Insolvenzverwalters nach der Insolvenzordnung spricht gegen die Annahme eines Vertragsangebots durch ihn. Daneben ist hier auch auf einen allgemeinen Einwand hinzuweisen, der gegen die Einordnung der Planvorlage als Angebot im Sinne des § 145 BGB spricht: die Änderungsmöglichkeit des § 240 InsO. Danach ist es jedem Vorlegenden erlaubt, den eingebrachten Insolvenzplan noch im Erörterungs- und Abstimmungstermin zu ändern und eine so modifizierte Fassung zur Abstimmung zu bringen. Damit wird klar, dass der vorgelegte Insolvenzplan stets nur ein Entwurf, also eine Diskussionsgrundlage sein soll. Er soll das Planverfahren in Gang bringen und Gegenstand der Verhandlungen mit allen Beteiligten wer17 Dies erkennt auch Häsemeyer, FS Gaul, 1997, 175, 182; ders., Insolvenzrecht, Rn. 28.43, 28.70, wenn er eine Bindung des Insolvenzverwalters an von ihm vorgelegte und vom Schuldner tatsächlich abgelehnte, aber nach § 247 InsO erlaubte Pläne nur zulassen will, falls deren Inhalt nicht über die Amtsbefugnisse des Insolvenzverwalters hinausgeht; anderenfalls dürfe das Insolvenzgericht den Plan nicht bestätigen. Derartige Pläne wird es aber kaum geben. Richtigerweise ist nicht der Planinhalt zu beschränken, sondern eine vertragliche Bindung des Insolvenzverwalters zu verneinen.
A. Die Planvorlage – invitatio ad offerendum
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den, wenn er es denn nicht bereits zuvor war. Die Planvorlage, besser Planinitiative, lädt zum (Weiter-)Verhandeln ein. Von ihr gehen noch keine Bindungswirkungen aus. In der Planvorlage durch den Insolvenzverwalter liegt somit weder eine materiellrechtliche Willenserklärung des Insolvenzverwalters noch eine der Gläubiger im Sinne eines Vertragsangebots nach § 145 BGB. Die Planinitiative ist bloße »invitatio ad offerendum«. Verfahrensrechtlich hat sie hingegen Bedeutung, da sie nach § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO das Insolvenzplanverfahren beim Insolvenzgericht einleitet. Die Planvorlage ist daher zwar keine Willenserklärung, wohl aber eine Prozess- oder Verfahrenshandlung.18
II. Die Planvorlage durch den Schuldner In den Vorgängerregelungen der Vergleichs- und Konkursordnung war es allein der Schuldner, der einen Vergleich bzw. Zwangsvergleich einbringen durfte (§ 8 VglO, § 173 KO). Einer weiteren Erklärung des Schuldners hinsichtlich seines Vergleichs bedurfte es zu dessen Annahme dann nicht. Zwangsläufig musste daher schon der Vergleichsvorschlag als Willenserklärung des Schuldners im Sinne eines Vertragsangebots (§ 145 BGB) angesehen werden, um den späteren Vergleich bzw. Zwangsvergleich als Vertrag zu konstruieren. Beim Insolvenzplan ist das Verfahren diesbezüglich nun entscheidend verändert worden. Zum einen kann nicht mehr allein der Schuldner, sondern auch der Insolvenzverwalter einen Insolvenzplan einreichen; zum anderen – und in diesem Zusammenhang viel entscheidender – ist nun auch eine Erklärung des Schuldners zu jedem vorgelegten Plan im Abstimmungstermin Voraussetzung für dessen Bestätigung durch das Insolvenzgericht (§§ 247, 248 InsO). Insofern liegt es nahe, nicht nur bei den Gläubigern, sondern auch beim Schuldner eine verbindliche Erklärung hinsichtlich des vorgelegten Plans erst im Abstimmungstermin anzunehmen, zumal auch er bis dahin seinen Plan beliebig ändern kann (§ 240 InsO). Eine Planvorlage durch den Schuldner wäre folglich wiederum mangels Rechtsbindungswillens keine Willenserklärung gemäß § 145 BGB, sondern »invitatio ad offerendum«.19 Diese Annahme ist allerdings nur dann zutreffend, wenn die Insolvenzordnung tatsächlich trotz einer eigenen Planvorlage durch den Schuldner im Abstimmungstermin nochmals zwingend dessen Zustimmung verlangt. Eine derartige Auslegung der §§ 243–247 InsO ist nicht unumstritten. Teilweise wird ausgeführt, eine Zustimmung des Schuldners sei nach dem Gesetz nicht generell, sondern nur dann notwendig, wenn er durch den Plan im Vergleich zum 18 Ebenso: Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, § 218 Rn. 9; Gaul, FS Huber, 2006, 1187, 1202; Schiessler, Insolvenzplan, S. 20; Zempel, Genussrechte, S. 83. 19 So Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, § 217 Rn. 28; Gaul, FS Huber, 2006, 1187, 1202; Schiessler, Insolvenzplan, S. 20.
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
Regelverfahren nach §§ 148 ff. InsO besonders belastet werden soll. 20 Zur Begründung werden Äußerungen des Gesetzgebers in der Begründung des Regierungsentwurfes zitiert, wonach der Schuldner zwar mitwirkungsberechtigter Beteiligter, seine Zustimmung zu einem Plan jedoch »im Regelfall entbehrlich« ist. 21 Eine ähnliche Äußerung findet sich auch in der Begründung des § 247 InsO (§ 293 RegE) im Regierungsentwurf, wonach die Vorschrift gewährleiste, dass der Schuldner einen Plan verhindern kann, der seine Rechte unangemessen beeinträchtigt. 22 Trotz ihrer historischen Argumente kann diese Ansicht nicht überzeugen, übersieht sie doch die wesentlichen Wertungen des Gesetzgebers. So macht bereits der bloße Wortlaut des § 248 Abs. 1 InsO deutlich, dass für die Annahme eines wirksamen Insolvenzplans stets auch die Zustimmung des Schuldners notwendig ist, wenn dort zu lesen ist: »Nach der Annahme des Insolvenzplanes durch die Gläubiger (§§ 244 bis 246) und der Zustimmung des Schuldners bedarf der Plan der Bestätigung durch das Insolvenzgericht.«23 Beide Seiten müssen folglich dem Plan im Abstimmungstermin zustimmen. Zudem ergibt sich auch aus anderen Normen die in jedem Fall, also unabhängig von der Person des Planinitiators, erforderliche Zustimmung des Schuldners zum Plan. So ist er stets zum Abstimmungstermin gesondert zu laden (§ 235 Abs. 3 Satz 1 InsO), also stets bei der Abstimmung der Gläubiger über den Plan anwesend. Ist der Schuldner dennoch ausnahmsweise im Abstimmungstermin nicht anwesend oder äußert er sich trotz seiner Anwesenheit nicht zum Plan, so fi ngiert § 247 Abs. 1 InsO ausdrücklich sein Schweigen als Zustimmung zum Plan. Das Gesetz geht also auch in diesem Fall davon aus, dass eine Erklärung des Schuldners notwendig ist, welche gegebenenfalls fingiert werden kann. Äußert er sich ablehnend, so kann unter den besonderen Voraussetzungen des § 247 Abs. 2 InsO seine Willenserklärung sogar als Zustimmung gewertet werden. Eine Zustimmung des Schuldners ist somit notwendiges Ergebnis jedes erfolgreichen Abstimmungstermins. 24 20 Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 466: »Eine Zustimmung des Schuldners ist lediglich dann vonnöten, wenn diesem durch den Plan Pfl ichten auferlegt werden sollen, die über die gesetzlichen Pflichten nach der Insolvenzordnung hinausgehen.« Ebenso Braun, in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 66 Rn. 17 und in: Nerlich/Römermann, InsO, vor § 217 Rn. 77. Noch weitergehend Keller, Insolvenzrecht, Rn. 1763: »Eine Zustimmung des Schuldners zum Insolvenzplan ist grundsätzlich nicht erforderlich«. 21 BT-Drucks. 12/2443, S. 91. 22 BT-Drucks. 12/2443, S. 210. 23 Hervorhebung durch den Verfasser. 24 Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, § 217 Rn. 24; Dinstühler, InVo 1998, 333, 340; Gaul, FS Huber, 2006, 1187, 1202; Hess/Weis, WM 1998, 2349, 2350; Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, § 247 Rn. 1; Schiessler, Insolvenzplan, S. 21; Sinz, in: MünchKomm, InsO, § 247 Rn. 2; Smid/Rattunde, Insolvenzplan, Rn. 14.1 (wobei nach Smid/Ratunde eine Verweigerung der notwendigen Zustimmung zum selbst initiierten Plan treuwidrig und daher unbeachtlich sein soll – Rn. 14.14 ff.).
A. Die Planvorlage – invitatio ad offerendum
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Will man hingegen gerade aus den Regelungen des § 247 InsO auf eine Entbehrlichkeit der Zustimmung des Schuldners schließen, so verkennt man das Wesen der in § 247 InsO geschaffenen Fiktionen. Indem § 247 Abs. 1 InsO die Zustimmung des Schuldners im Falle des Fehlens einer Erklärung fingiert (»Die Zustimmung des Schuldners zum Plan gilt als erteilt . . .«) und indem § 247 Abs. 2 InsO dies unter gewissen Umständen auch bei Ablehnung des Planes durch den Schuldner ermöglicht, wird ein Grundsatz deutlich. Das Gesetz geht in seinem Wortlaut und in seiner Regelungstechnik davon aus, dass der Schuldner in der Abstimmung dem Plan eigentlich zustimmen muss. Das gewollte Ergebnis am Ende des Abstimmungstermins ist die Zustimmung des Schuldners, sei es als tatsächlich erklärte Äußerung, sei es im Wege der Fiktion nach § 247 InsO. Nur dann eröffnet § 248 Abs. 1 InsO nach seinem klaren Wortlaut den Weg zur Bestätigung des Planes.25 Dieses Regelungskonzept wäre widersinnig, wenn eine Willensäußerung des Schuldners – wie es die zitierte Äußerung in der Begründung zum Regierungsentwurf ausdrückt – »im Regelfall entbehrlich« ist; das Schaffen einer Fiktion für gerade diesen Regelfall wäre überflüssig. Die Äußerungen sind daher in ihren Kontext einzuordnen. Sie dienten im Gesetzgebungsverfahren dazu, Ängste abzubauen, die sich aus einer scheinbaren Blockademacht des Schuldners ergeben könnten, wenn er nun jedem Plan zustimmen muss. Der Gesetzgeber wollte deutlich machen, dass trotz des in § 248 Abs. 1 InsO verankerten Zustimmungserfordernisses kein wirtschaftlich vernünftiger Plan an einem obstruierenden Schuldner scheitern wird, da seine Mitwirkungsverweigerung dann über § 247 InsO genauso überwunden werden kann wie seine Ablehnung. Verhandlungstaktisch betrachtet ist der Standpunkt der Gegenansicht insofern durchaus zutreffend; der Schuldner kann einen ihn im Vergleich zum Regelinsolvenzverfahren nicht schlechter stellenden und damit § 247 25 Dies übersieht Häsemeyer, FS Gaul, 1997, 175, 179; ders., Insolvenzrecht, Rn. 28.70, wenn er die Zustimmung im Fall einer Planvorlage durch den Schuldner für überflüssig hält (im Ergebnis ebenso Hess, in: Hess, InsO, § 247 Rn. 7). Die gesamte Konstruktion Häsemeyers ist getragen von dem Versuch, den Insolvenzplan als Vertrag zu begreifen und hierzu passt ihm die weitreichende Zustimmungsfiktion des § 247 Abs. 2 InsO nicht, da sie es ermöglicht, gegen den geäußerten Ablehnungswillen des Schuldners eine Zustimmung zu fingieren (vgl. FS Gaul, 1997, 175, 180). Teilte man seine Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Obstruktionsregelungen mit dem Vertragscharakter des Insolvenzplans (dazu später mehr), so wäre die dogmatische Konstruktion zu überdenken; eine Auslegung gegen den Wortlaut und den Willen des Gesetzgebers rechtfertigen sie nicht. Hält man hingegen im Fall einer Planvorlage durch den Schuldner dessen Widerspruch gegen den eigenen Plan im Abstimmungstermin für unzulässig (so etwa: Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 247 Rn. 2; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 247 Rn. 5; Flessner, in: Heidelberger Kommentar, InsO, § 247 Rn. 4; Hess/ Weis, WM 1998, 2349, 2360; Sinz, in: MünchKomm, InsO, § 247 Rn. 25; Smid/Rattunde, Insolvenzplan, Rn. 14.16; dies., in: Smid, InsO, § 247 Rn. 11; Thies, in: Hamburger Kommentar, § 247 Rn. 4), so bleibt die Zustimmung des Schuldners dennoch notwendiges Ergebnis des Abstimmungstermins; lediglich sein Widerspruch wird unbeachtlich und in eine Zustimmung nach § 247 Abs. 1 InsO umgedeutet. Diese Auffassung ist daher klar von der Häsemeyers zu unterscheiden.
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
Abs. 2 InsO unterfallenden Plan nicht blockieren. Dogmatisch und regelungstechnisch entfällt in diesen Fällen jedoch nicht das Zustimmungserfordernis an sich, es wird vielmehr durch eine Fiktion erfüllt. Klar ist damit zugleich auch, dass die entscheidende Schuldnererklärung stets erst im Abstimmungstermin erfolgt, nicht jedoch schon mit einer eigenen Planvorlage. Die Insolvenzordnung gestaltet damit im Gegensatz zu ihren Vorgängern die Planvorlage als reine Verfahrenshandlung, 26 welche das Insolvenzplanverfahren einleitet, und verlagert zugleich die entscheidenden materiell-rechtlichen Willenserklärungen der Beteiligten zum Insolvenzplan in einen gesonderten Abstimmungstermin. 27 Diese gesetzgeberische Entscheidung mag man kritisieren. 28 Sie ist jedoch zu respektieren.
III. Ergebnis Die Vorlage eines Insolvenzplans gemäß § 218 InsO enthält noch keine verbindlichen materiellrechtlichen Erklärungen über den Insolvenzplan. Sie ist in jedem Fall nur »invitatio ad offerendum«, also eine Planinitiative. Weder der Schuldner noch die Gläubiger sind bereits durch die Vorlage eines von ihnen erarbeiteten Insolvenzplans an diesen gebunden. Die für einen Vertragsschluss maßgeblichen Willenserklärungen dieser Beteiligten werden erst im Abstimmungstermin abgegeben, indem die Gläubiger über den Plan abstimmen und der Schuldner ihm zustimmt. Für die Annahme einer Willenserklärung des Insolvenzverwalters bietet allein die Vorlage eines von ihm erarbeiteten Insolvenzplans keine Grundlage. Die gesetzliche Ausgestaltung seiner Amtsstellung widerspricht der Annahme seiner materiellen Einbeziehung in den Plan. Die Planvorlage ist damit stets bloße Verfahrenshandlung.
26 Die Eigenschaft der Planvorlage als Verfahrenshandlung ist unstreitig – vgl. Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, vor § 217 Rn. 90; Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, § 218 Rn. 9; Gaul, FS Huber, 2006, 1187, 1202; Kersting, Gläubiger im Insolvenzplanverfahren, S. 84; Smid, Grundzüge des Insolvenzrechts, § 25 Rn. 1; Schiessler, Insolvenzplan, S. 20, 86; Zempel, Genussrechte, S. 83. 27 Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, § 217 Rn. 27 f.; Gaul, FS Huber, 2006, 1187, 1202. 28 Häsemeyer, FS Gaul, 1997, 175, 179: Das generelle Zustimmungserfordernis des § 247 ist »gesetzestechnisch total missglückt«. Zu dieser Aussage kann man nur gelangen, wenn man – wie Häsemeyer – bereits in der Planvorlage eine Willenserklärung erkennen will. Dann bedarf es natürlich einer nochmaligen Zustimmung des Schuldners zu eigenen Planvorschlag natürlich nicht. Der erkannte Konflikt mit der Gesetzeslage ist jedoch nicht zu Lasten des Gesetzes, sondern zu Lasten der nicht zum Regelungssystem passenden dogmatischen Konstruktion zu lösen: Das generelle Zustimmungserfordernis ist gesetzestechnisch geglückt, da es die erste und einzige Willenserklärung des Schuldner zu einem von ihm oder dem Insolvenzverwalter vorgelegten Plan enthält.
B. Vertragsschluss durch Zustimmung zu einer Vorlage
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B. Vertragsschluss durch Zustimmung zu einer Vorlage Der maßgebliche Ort und Zeitpunkt für vertragliche Willenserklärungen ist der Abstimmungstermin. Wendet man sich diesem zu, so fällt sofort ins Auge, dass die Beteiligten in diesem Termin keine korrespondierenden, also aufeinander bezogenen Erklärungen abgeben. Gegenstand der Abstimmung ist der vorgelegte Insolvenzplan. Die Gläubiger stimmen gemäß § 243 InsO in ihren Gruppen über diese Planvorlage ab. Der Schuldner erklärt nach § 247 InsO seine Zustimmung oder seinen Widerspruch zur Vorlage. Das Insolvenzplanverfahren verlangt somit die Zustimmung aller Beteiligten zum vorgelegten Plan; alle sollen erklären, dass sie den Plan wollen. Sie geben damit im Idealfall inhaltlich gleichlautende Erklärungen ab (»Ich stimme dem Plan zu.«), wodurch diesen der Bezug aufeinander fehlt, so dass keine korrespondierenden Erklärungen zu finden sind. Eine Angebotserklärung lässt sich nicht von einer Annahmeerklärung unterscheiden. Wegen dieses Gleichlauts der Willenserklärungen kommt ein Insolvenzplan im Falle seiner Annahme nicht auf die klassische, in den §§ 145 ff. BGB vorausgesetzte Weise – durch Angebot und Annahme – zustande. Ein solch klassischer Vertragsschluss lässt sich nicht finden. Dieser Umstand ändert jedoch nach allgemeiner Ansicht nichts am Ergebnis des Erklärungsprozesses: es entsteht ein Vertrag zwischen allen Beteiligten. Ein solcher privatrechtlicher Vertrag kann nach allgemeiner Ansicht nicht nur im Wege der §§ 145 ff. BGB durch Angebot und Annahme geschlossen werden, auch wenn dies der die Praxis ganz dominierende Regelfall ist und daher auch die Regelungen der §§ 145 ff. BGB hierauf basieren. Der zur Vertragsentstehung notwendige Konsens aller Beteiligten lässt sich nicht nur durch korrespondierende Erklärungen, sondern eben gerade auch im Wege der Zustimmung aller Beteiligten zu einer Vertragsvorlage herstellen. Die Abweichung vom Regelfall der §§ 145 ff. BGB ist dabei nicht materieller, sondern rein technischer Natur und beschränkt sich auf den Vertragsschlussmechanismus, indem keine korrespondierenden, sondern gleichlautende Erklärungen abgegeben werden. 29 Das Ergebnis ist jedenfalls ein Vertrag bürgerlichen Rechts. Ein solcher Vertragsschlussmechanismus verzichtet allerdings lediglich auf den Bezug der Erklärungen aufeinander. Diese werden nun in Richtung der Vorlage abgegeben. Weiterhin notwendig bleibt aber der Zugang der gleichlautenden Erklärungen beim Vertragspartner. Auch in den Sonderfällen der Zustimmung zu einer Vertragsvorlage sind empfangsbedürftige Willenserklärungen zum Vertragsschluss notwendig, die dem anderen Teil zugehen müssen,
29 Unstreitig – vgl. etwa Bork, in: Staudinger, BGB (2003), Vorbem. zu §§ 145–156 Rn. 38; Flume, Rechtsgeschäft, S. 619; Leenen, AcP 188 (1988), 381, 395; Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 394; Merle, FS Wenzel, 2005, 251, 253.
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
selbst wenn sie primär in Richtung eines Moderators oder Verwalters abgegeben werden. Insoweit bleibt es bei den allgemeinen Regelungen des Vertragsrechts, insbesondere denen in § 130 und § 151 BGB.30 Festzuhalten bleibt aber, dass die §§ 145 ff. BGB den Vertragsschluss mittels Zustimmung aller Beteiligten zu einer Vorlage ihrem Wortlaut nach nicht erfassen. Ihre unmittelbare Anwendung auf diese Fälle muss daher ausscheiden. Da eine gesetzliche Regelung dieses Vertragsschlussmechanismus zugleich fehlt, wird eine analoge Anwendung dieser Normen befürwortet.31 Die §§ 145 ff. BGB können daher auch auf die Annahme eines Insolvenzplans entsprechend angewandt werden, soweit die gesetzliche Regelung der §§ 235 ff. InsO Fragen offen lässt.
C. Die Abstimmung der Gläubiger Die Gläubiger müssen – wie alle Beteiligten – dem vorgelegten Insolvenzplan zustimmen, damit dieser als Vertrag entstehen kann. Die hierzu maßgeblichen Erklärungen werden im Abstimmungstermin abgegeben.
I. Die Stimmabgabe als interne Willensbildung Die Gläubiger erklären im Abstimmungstermin ihren Willen hinsichtlich der Annahme oder Ablehnung des vorgelegten Planes im Wege einer Stimmabgabe. Insofern liegt der Gedanke nahe, bereits diese Stimmabgabe als eine an den Schuldner und die anderen Beteiligten gerichtete vertragliche Willenserklärung anzusehen, so dass jeder einzelne Gläubiger im Abstimmungstermin mittels seiner Stimme eine eigene vertragliche Willenserklärung abgibt. Seine Stimmabgabe dient dann allein seiner Bindung an den Plan, nicht jedoch einer Abstimmung unter den Gläubigern. Zum Zwangsvergleich wurde diese Ansicht durchaus vertreten.32 Ein solches, rein vertragsrechtliches Modell funktioniert indessen nur dann problemlos, wenn tatsächlich alle Gläubiger dem Plan zustimmen; dann basiert die materielle Bindung aller an den Insolvenzplan auf der Willenserklärung jedes einzelnen. Verweigern hingegen einzelne Gläubiger dem Plan ihre Zustimmung oder nehmen sie an der Abstimmung überhaupt nicht teil, so fehlt nach diesem Konzept für diese Gläubiger eine zustimmende 30
Näher hierzu etwa Merle, FS Wenzel, 2005, 251, 257. Leenen, AcP 188 (1988), 381, 404, sieht hingegen diese Art des Vertragsschlusses in den §§ 154, 155 BGB normiert und will daher die §§ 145–153 BGB nicht anwenden. Dagegen zutreffend Bork, in: Staudinger, BGB (2003), Vorbem. zu §§ 145–156 Rn. 38; Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 394; Merle, FS Wenzel, 2005, 251, 257, da die alleinige Anwendung der §§ 154, 155 BGB zu viele Fragen offen ließe. 32 Siehe dazu ausführlich die Darstellungen im Ersten Kapitel B. III. 2. a). 31
C. Die Abstimmung der Gläubiger
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Willenserklärung zum Plan und sie könnten auf der Grundlage dieses Modells jedenfalls nicht auf einer vertraglichen Grundlage an den Insolvenzplan gebunden werden. Ihre Bindung ließe sich allein aus einer gesetzlich angeordneten Wirkungserstreckung erklären.33 Das Gebiet des Vertragsrechts wäre verlassen.34 Ein solches Erklärungsmodell erscheint unnötig, wenn man das in den §§ 235–246 InsO geschaffene Abstimmungsverfahren nicht allein als Verfahren zur Ansammlung positiver vertraglicher Willenserklärungen unter den Gläubigern betrachtet, sondern als das, was es funktional tatsächlich ist: ein Verfahren zur Willensbildung der Gläubiger über den vorgelegten Insolvenzplan. Die Gläubiger haben erst- und einmalig im Abstimmungstermin die Gelegenheit, sich verbindlich zum konkret vorgelegten Plan zu äußern; hier entscheidet sich also, ob ein Plan die Billigung der betroffenen Gläubiger findet. Der einzelne Gläubiger trifft hier nicht nur für sich selbst eine Entscheidung; er befindet über den Plan als Ganzes und damit insbesondere auch über Regelungen, die ihn nicht persönlich betreffen, wohl aber die Gläubiger in ihrer Gesamtheit. Ein Gesamtkonzept, regelmäßig ein Sanierungskonzept, steht zur Wahl, in dem der einzelne Gläubiger nur ein Beteiligter unter vielen ist. Diese Rolle als Teil dieser Gesamtheit ist es denn auch, die das Abstimmungsverfahren selbst prägt. Ginge es nur um die Abgabe einer vertraglichen Willenserklärung im Sinne des § 145 BGB, so wäre zudem die Stimme jedes Gläubigers gleich zu bewerten; jedes Ja oder Nein hätte dieselbe Bedeutung. In den §§ 237 ff. InsO findet sich hingegen eine andere Ausgestaltung. Sowohl das Stimmrecht an sich als auch das Stimmgewicht jedes beteiligten Gläubigers ist dort nicht gleich gestaltet, sondern von der jeweiligen Beteiligung des Gläubigers an der Gläubigergesamtheit abhängig. Es ist in der Abstimmung relevant, ob ein Gläubiger zur Gruppe der absonderungsberechtigten Gläubiger (§ 238 InsO), der nachrangigen (§ 246 InsO) oder der einfachen Insolvenzgläubiger (§ 237 InsO) gehört; es ist von Interesse für sein Stimmgewicht, ob er Klein- oder Großgläubiger des Schuldners ist (§ 244 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Jede Stimme wird bewertet und ins Verhältnis gesetzt. Der einzelne Gläubiger steht bei der Abstimmung folglich nicht allein dem Plan gegenüber, sondern als Teil einer Gruppe, einer Gesamtheit. Diese Gesamtheit soll ihren Willen zum Plan finden und erklären.
33 Dies wurde folgerichtig auch für den Zwangsvergleich vertreten – vgl. im Ersten Kapitel B. III. 2. a). 34 Das Modell scheitert allerdings nicht daran, dass es die zustimmenden Gläubiger an einen nicht angenommenen Plan binden müsste. Ein solcher Vertrag der Gläubigerminderheit mit dem Schuldner hätte keinen Sinn, da ein Insolvenzplan nicht zustande gekommen ist. Diese Folge ließe sich hingegen umgehen, indem man die in einer positiven Stimmabgabe zu sehenden Angebote der Gläubiger stets als auflösend von der Annahme der Insolvenzplans bedingt begreift Auch dies wurde bereits für den Zwangsvergleich erkannt – vgl. im Ersten Kapitel B. III. 2. a).
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
Eine solche Willensbildung in Personenmehrheiten geschieht nun nicht wie bei einer natürlichen Person durch einen simplen Entschluss; einen natürlichen einheitlichen Willen im Sinne eines »Gesamtwillens« gibt es nicht. Der Wille einer Personenmehrheit muss vielmehr ermittelt werden, indem in einem Verfahren die Einzelstellungnahmen der Mitglieder zu einer Frage als Stimmabgaben gesammelt und bewertet werden. Rechtstechnisches Mittel dieser Willensermittlung ist das Beschlussverfahren, an dessen Ende der Wille der Personenmehrheit in Form eines Beschlusses festgestellt wird.35 Während die Willensbildung bei einer einzelnen natürlichen Person also ein rein interner Vorgang ist, geschieht die Willensbildung bei einer Vielzahl von Personen durch eine Abstimmung, deren Ergebnis als Beschluss festgehalten wird. Beispiele hierfür finden sich sowohl auf dem Gebiet des Vereins- oder Gesellschaftsrechts (vgl. §§ 28, 32, 33, 709 BGB) als auch in den allgemeinen Regelungen der Gemeinschaft (§§ 744 ff. BGB). Diese Beschlüsse selbst sind dabei mangels unmittelbarer Außenwirkung keine Verträge; sie sollen lediglich intern in der Gruppe die Interessen der verschiedenen Einzelpersonen zu einem einheitlichen, durch Abstimmung ermittelten Willen zusammenfassen. Erst der so ermittelte interne Willen der Gruppe ist dann in einem selbständigen Folgeschritt nach außen hin umzusetzen. Dies geschieht dann beispielsweise dadurch, dass das jeweils berechtigte Organ der Gruppe die notwendige Willenserklärung zum Abschluss des von der Gruppe gewollten Vertrages abgibt.36 Das Abstimmungsverfahren in den §§ 235 ff. InsO dient folglich nicht nur der Abgabe vertraglicher Willenserklärungen durch die einzelnen Gläubiger, es bezweckt primär die interne Willensbildung in den einzelnen Gläubigergruppen nach §§ 243, 244 InsO, und damit mittelbar in der gesamten Gläubigergemeinschaft, und ist folglich als Beschlussverfahren zu verstehen.37 Diese Sichtweise deckt sich mit dem Konzept des Gesetzgebers, der in dem Mehrheitsbeschluss der Gläubiger über den Plan einen Behelf zur Erleichterung der Entscheidungsfindung einer unkoordinierten Vielzahl Beteiligter sah.38
35
Baltzer, Beschluss, S. 35 ff., 41. Baltzer, Beschluss, S. 128 f., 175 ff. 37 Ebenso: Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 468; Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, vor § 217 Rn. 80 f.; Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, § 217 Rn. 19; Otte, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 217 Rn. 73. Bereits zu den Vorgängerregelungen des Zwangsvergleichs und des Vergleichs wurde verbreitet in der Abstimmung der Gläubiger ein Beschluss der Gläubiger als Gemeinschaft erkannt – dazu näher im Ersten Kapitel B. III. 2 b). 38 BT-Drucks. 12/2443, S. 79: »Im Insolvenzverfahren ist das Mehrheitsprinzip nicht ein Element politischer oder verbandsrechtlicher Demokratie, sondern ein technischer Behelf zur Erleichterung der Entscheidungsfindung einer unkoordinierten Vielzahl Beteiligter.« 36
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II. Qualifikation der beschließenden Personenmehrheit Das Insolvenzplanverfahren schafft für die Willensbildung der Gläubiger in den §§ 243, 244 InsO zwei verschiedene Ebenen. Zur Annahme des Planes durch die Gläubiger als Ganzes bedarf es nach § 244 Abs. 1 InsO der Zustimmung aller im Plan gebildeter Gläubigergruppen, also einer einstimmigen Entscheidung der abstimmenden Gläubigergruppen zugunsten des Insolvenzplans. Zum Zustandekommen einer positiven Entscheidung innerhalb einer Gläubigergruppe bedarf es gemäß § 244 Abs. 1 InsO nur der (Kopf- und Summen)Mehrheit der abstimmenden Gläubiger in der Gruppe, also einer Mehrheitsentscheidung. Die Willensbildung der Gläubigerschaft vollzieht sich damit zwar in nur einer tatsächlichen Abstimmung, aber rechtlich dennoch auf zwei Ebenen: in der jeweiligen Gläubigergruppe durch Mehrheitsquorum und in der Gläubigergesamtheit durch Einstimmigkeit aller Gruppen. Es entsteht damit die Frage, auf welcher dieser Ebenen der entscheidende Wille gebildet wird. Wo findet der interne Willensbildungsprozess statt und wo beginnt die Ausführung des Willens durch Abgabe der maßgeblichen vertraglichen Erklärung nach außen? Mit anderen Worten: Gibt jede Gläubigergruppe aufgrund ihrer Willensbildung ihre eigene Willenserklärung ab oder gibt es am Ende nur eine einzige Willenserklärung der gesamten Gläubigergemeinschaft? Maßgeblich für die Beantwortung dieser Frage ist, auf welcher Ebene ein wirksamer und damit bindender Beschluss der jeweiligen Personenmehrheit über die Annahme oder Ablehnung des Insolvenzplans vorliegt, der die interne Willensbildung abschließt. Zu dieser Annahme müssen zwei Voraussetzungen zusammenkommen. Zum einen bedarf es der Entscheidung eines Kollektivorgans über den Beschlussgegenstand, d. h. die abstimmenden Personen müssen einer rechtlich organisierten Gruppe angehören, welcher rechtlich die Befugnis zusteht, den maßgeblichen Willen zu bilden.39 Es ist daher zunächst zu untersuchen, welche der beiden Personengruppen – die Gläubigergesamtheit oder die Gläubigergruppe – nach der Konzeption der Insolvenzordnung als rechtlich selbstständige Einheit mit eigener Binnenorganisation und damit als über den Insolvenzplan willensbildende Gruppe angesehen werden können. Erfüllt zumindest eine der beiden Personengruppen diese Anforderungen, so muss als zweites geprüft werden, ob auch der Beschlussgegenstand »Insolvenzplan« innerhalb des Wirkungsbereichs liegt, den das Recht der jeweiligen Personenmehrheit zuweist. Keine Personenmehrheit kann rechtlich verbindlich über Gegenstände entscheiden, die ihr nach der Art ihrer rechtlichen Anerkennung entzogen sind.40 Aus diesen logischen Grenzen der Gruppenmacht ergibt sich 39
Baltzer, Beschluss, S. 29. Baltzer, Beschluss, S. 42 ff. So kann z. B. eine ländliche Produktionsgenossenschaft nicht verbindlich über eine kommunale Angelegenheit in der Gemeinde »beschließen« – Beispiel nach Baltzer, Beschluss, S. 43. 40
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zwangsläufig der Gang der Untersuchung. Zunächst ist also zu fragen, welche der beiden Entscheidungsebenen (Gläubigergesamtheit – Gläubigergruppe) eine innere Organisation aufweist, die es ermöglicht, sie als selbstständige Einheit mit eigener Willensbildung rechtlich anzuerkennen. Das Recht bietet dazu nur wenige Kategorien an, die jeweils einen anderen Organisationsgrad verlangen. Von diesen kommen die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§ 705 BGB), die Bruchteilsgemeinschaft (§ 741 BGB) und die Interessengemeinschaft als für die hier untersuchten Personengruppen einschlägige Organisationsformen in Betracht. 1. Die Gläubiger als Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts Können die Gläubiger entweder in ihrer Gesamtheit oder aber in den einzelnen Gläubigergruppen als Gesellschaft bürgerlichen Rechts gemäß § 705 BGB eingeordnet werden, so ist auch klar, welche der beiden Personengruppen einen selbstständigen, einheitlichen Willen bildet. Die Annahme einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts setzt allerdings voraus, dass sich ihre Mitglieder zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks freiwillig zusammengeschlossen und dazu (regelmäßig) Gesamthandsvermögen gebildet haben.41 a) Die Freiwilligkeit des Zusammenschlusses Problematisch ist in diesem Zusammenhang bereits die Freiwilligkeit des Zusammenschlusses. Zwar verfolgen alle Gläubiger des insolventen Schuldners den Zweck einer möglichst effektiven Befriedigung aus dem Schuldnervermögen. Sie haben sich zur Verfolgung dieses gemeinsamen Zweckes jedoch nicht mittels eines Rechtsgeschäftes zusammengeschlossen, sondern erhalten ihre Verfahrensposition im Abstimmungstermin allein aufgrund und abhängig von ihrer Gläubigerstellung gegenüber dem Schuldner. Ein freiwilliger Zusammenschluss, wie ihn eine Einordnung als BGB-Gesellschaft erfordert, ist damit sehr zweifelhaft.42 Für die Gläubiger einer einzelnen Gläubigergruppe nach §§ 222, 243 InsO kommt zu diesen grundsätzlichen Bedenken erschwerend hinzu, dass sie sich der jeweiligen Gläubigergruppe, innerhalb derer ihre Stimmabgabe berücksichtigt wird, zu keinem Zeitpunkt freiwillig angeschlossen haben. Die Gläubigergruppen werden vielmehr allein durch den Plangestalter gemäß § 222 InsO gebildet, dem hierzu erhebliche Gestaltungsräume offen stehen. Ein eigenständiger und freiwilliger Zusammenschluss der jeweiligen Gläubiger zu einer Gruppe findet daher nie statt. Die einzelne Gläubigergruppe kann somit auch nicht als Gesellschaft bürgerlichen Rechts angesehen werden. 41
Statt vieler Ulmer, in: MünchKomm, BGB, Vor § 705 Rn. 124. Berges, KTS 1957, 49, 50: Bei den »rein zufällig zusammentreffenden Gläubigern eines Konkurses« fehlt für die Annahme eines Gesellschaftsverhältnisses die Zweckvereinbarung. 42
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Etwas schwieriger gestaltet sich die Beurteilung der anderen Personenmehrheit: der Gläubigergesamtheit. Die Gesamtheit aller Gläubiger entsteht im ersten Schritt gemäß § 38 InsO automatisch dadurch, dass ein gewisser Personenkreis im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Vermögensanspruch gegen den Schuldner hat. Eine freiwillige Beteiligung ist hier nicht gegeben. Im zweiten Schritt gestehen die §§ 237 Abs. 2, 238 InsO dann nur solchen Gläubigern aus dieser Gesamtheit überhaupt ein Stimmrecht über den Plan zu, die aufgrund des Insolvenzplans Eingriffe in ihre Ansprüche hinnehmen sollen. Auch dieser kleinere Kreis wird damit nicht durch freiwillige Teilnahme bestimmt. Aus der so verkleinerten Gruppe der Gläubiger sind dann in einem letzten Schritt gemäß §§ 237 Abs. 1 Satz 1, 77 Abs. 1 InsO wiederum nur die Gläubiger stimmberechtigt, die ihre Forderungen zur Tabelle angemeldet haben.43 Jeder letztlich abstimmungsberechtigte und damit tatsächlich abstimmende Gläubiger hat daher mit seiner Forderungsanmeldung im Vorfeld zumindest eine Erklärung dahin gehend abgegeben, sich am Insolvenzverfahren beteiligen zu wollen. Seine Teilnahme an der Gruppe der Abstimmenden ist insofern eine freiwillige. Man könnte folglich auf die Idee kommen, in der Gesamtheit der abstimmungsberechtigten Gläubiger eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu erkennen. Allerdings ist diese Gruppe nicht identisch mit der Gesamtheit der an einen zustande gekommenen Plan gebundenen Gläubiger. Der Insolvenzplan bindet gemäß § 254 Abs. 1 Satz 1 und 3 InsO alle beteiligten Gläubiger, insbesondere auch solche, die keine Forderungen angemeldet haben. Die Vorschriften zum Stimmrecht sind daher strikt von denen zu unterscheiden, die die Bindungswirkung des Plans beschreiben. Eine vertragsrechtliche Erklärung dieser weiten Bindungswirkung muss dann aber auch diese nicht abstimmungsberechtigten Gläubiger mit einbeziehen. Die Gesamtheit der Gläubiger, welche die eine Seite der Vertragsschließenden bilden soll, umfasst damit einen weiteren Personenkreis als nur den der abstimmenden Gläubiger. Es werden sowohl sämtliche Insolvenzgläubiger nach § 38 InsO als auch alle absonderungsberechtigten Gläubiger erfasst. Diese Gläubigergesamtheit entsteht nun unter keinen Umständen durch einen freiwilligen Zusammenschluss oder eine Teilnahmeerklärung, sondern unabhängig vom Willen der Beteiligten aufgrund gesetzlicher Anordnung und kann daher nicht als Gesellschaft bürgerlichen Rechts angesehen werden. Die §§ 237, 238 InsO enthalten folglich allein eine Stimmrechtsregelung für diesen (größeren) Personenkreis, indem sie den Kreis der stimmberechtigten Gläubiger beschränken. Eine solche Regelung ist zum Zwecke der Binnenorganisation einer großen, vielköpfigen und daher schwer zu organi43 Wurden die angemeldeten Forderungen im Prüfungstermin vom Insolvenzverwalter oder stimmberechtigten Gläubigern bestritten, so verleihen sie gemäß §§ 237 Abs. 1 Satz 1, 77 Abs. 2 InsO nur dann ein Stimmrecht, wenn hierüber eine Stimmrechtseinigung mit dem Insolvenzverwalter und den stimmberechtigten Gläubigern zustande kam.
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sierenden Personengruppe nicht ungewöhnlich und findet sich beispielsweise auch bei der Aktiengesellschaft. § 123 Abs. 2 AktG macht wie die §§ 237 Abs. 1, 77 Abs. 1 InsO das Stimmrecht eines Aktionärs von seinem Beteiligungswillen, also einer Anmeldung zur Hauptversammlung, abhängig. Eine neue, rechtlich relevante Personengesamtheit entsteht dadurch ebenfalls nicht. b) Das Gesamthandsvermögen Lässt sich schon ein freiwilliger Zusammenschluss der Gläubiger zur Gläubigergemeinschaft im Sinne eines Gesellschaftsvertrages nach § 705 BGB nicht begründen, so wird die Skepsis gegenüber der Annahme einer BGB-Gesellschaft unter den Gläubigern noch verstärkt, wenn man nach einem gesamthänderisch gebundenen Sondervermögen der Gläubiger sucht. Ein solches wird nicht durch die Summe der Forderungen gebildet, die jeder Gläubiger gegen den Schuldner innehat und wegen derer er am Verfahren beteiligt ist, da die jeweilige Forderung zu keinem Zeitpunkt vom jeweiligen Gläubiger in ein Sondervermögen im Sinne einer Beitragsleistung nach §§ 705, 706 BGB eingebracht wird. Seine Forderung bleibt ihm zugeordnet, wird durch einen Tabelleneintrag sogar tituliert und kann, soweit nicht ein Insolvenzplan anderes bestimmt oder ein Restschuldbefreiungsverfahren sich anschließt, nach Aufhebung des Verfahrens weiter von ihm verfolgt werden (§ 201 Abs. 1 InsO). Seine Forderung bleibt also in seinem privaten Vermögen. Als Gesellschaftsvermögen einer Gläubigergesellschaft kommt dann auch nicht die Insolvenzmasse als solche in Betracht. Zwar ist diese ein Sondervermögen, da das Vermögen der Insolvenzmasse mit Verfahrenseröffnung vom sonstigen Vermögen des Schuldners getrennt wird. 44 Dieses Sondervermögen wird jedoch nicht der Gläubigergemeinschaft als Rechtsträger zugeordnet, sondern bleibt in der Rechtsträgerschaft des Schuldners. § 80 InsO nimmt ihm allein die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, nicht jedoch die Rechtsträgerschaft.45 Und selbst diejenigen, die in der Insolvenzmasse ein selbst (teil-)rechtsfähiges Sondervermögen sehen, ordnen dieses nicht der Gläubigergemeinschaft als Gesellschaftsvermögen zu, sondern sehen dieses Sondervermögen selbst als Rechtssubjekt an, verwaltet durch den Insolvenzverwalter.46 Der Gläubigergemeinschaft fehlt daher in jeder Konstellation bzw. Konstruktion ein ihr als 44 Unstreitig – vgl. Jickeli/Stieper, in: Staudinger, BGB (2004), Vorbem zu §§ 90–103 Rn. 26; Marly, in: Soergel, BGB, Vor § 90 Rn. 12. 45 Dies ist inzwischen die ganz herrschende Ansicht – vgl. RGZ 105, 313, 314 f.; BGHZ 49, 11, 13; BVerwG NJW 1962, 979, 980; App, in: Frankfurter Kommentar, InsO, § 80 Rn. 5; Eickmann, in: Heidelberger Kommentar, InsO, § 80 Rn. 3; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 9.04; Henckel, in: Jaeger, InsO, § 35 Rn. 3; Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 35 Rn. 1; Lwowski/Peters, in: MünchKomm, InsO, § 35 Rn. 22; Ott, in: MünchKomm, InsO § 80 Rn. 11. 46 Sog. »Organtheorie«: Bötticher, ZZP 77 (1964), 55, 62 ff.; Erdmann, KTS 1967, 87; zuletzt Hanisch, Rechtszuständigkeit, S. 277 ff.; ähnlich bereits Hellwig, Anspruch und Klagerecht, S. 220 ff., 228.
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Rechtsträger zugeordnetes Sondervermögen im Sinne eines gesamthänderisch gebundenen Gesellschaftsvermögens. Die Annahme einer Gläubigergesellschaft im Sinne der §§ 705 ff. BGB scheidet auch von daher aus. 2. Die Gläubiger als Bruchteilsgemeinschaft Die Gläubiger im Insolvenzverfahren könnten allerdings ein gemeinschaftliches Verwertungsrecht an der Insolvenzmasse haben und daher eventuell als Bruchteilsgemeinschaft nach § 741 BGB anzusehen sein. Hierbei ist zunächst festzustellen, dass die Einordnung irgendeiner Personengruppe als Bruchteilsgemeinschaft gemäß § 741 BGB keine Freiwilligkeit einer Beteiligung an ihr voraussetzt.47 Sie ist vom Typus her eine Zwangs- oder Zufallsgemeinschaft.48 Auch eines Sondervermögens bedarf es nicht, ist doch die Bruchteilsgemeinschaft nicht fähig, selbst Träger von Rechten (wie eines Vermögens) und Pflichten, also ein eigenes Rechtssubjekt, zu sein. 49 Voraussetzung für die Annahme einer Bruchteilsgemeinschaft ist nach § 741 BGB lediglich, dass einer Personengruppe ein Recht gemeinschaftlich zu ideellen Bruchteilen zusteht. Der Entstehungsgrund dieser Gemeinschaft an einem Recht ist dabei ebenfalls unerheblich.50 Die Gläubiger in einem Insolvenzverfahren könnten vor diesem Hintergrund durchaus eine oder mehrere Bruchteilsgemeinschaften bilden. a) Die Gläubigergruppe nach §§ 222, 243 InsO Betrachtet man die im Insolvenzplan gebildeten Gläubigergruppen im Lichte dieser Definition, so fehlt es bereits an einem tauglichen Objekt für eine Bruchteilsgemeinschaft unter diesen Gläubigern. Es ist weder ein Recht noch ein sonstiger Gegenstand ersichtlich, den die Gläubiger einer jeweiligen Gruppe, wie etwa der Gruppe der Arbeitnehmer (§ 222 Abs. 3 InsO) oder der ungesicherten Lieferanten, untereinander aufteilen. Etwas anderes mag nur in den seltenen Einzelfällen in Betracht kommen, in denen in einer Gruppe ausschließlich Gläubiger mit Absonderungsrechten an einem bestimmten Gegenstand zusammengefasst werden, da sich diese Gruppe dann Rechte an einem Gegenstand teilt. Üblich ist eine solche Gruppenbildung jedoch nicht. Gesicherte Gläubiger werden typischerweise vielmehr in jeweils einzelne Gruppen sortiert, da sich 47
Unstreitig – vgl. Ulmer, in: MünchKomm, BGB, Vor § 705 Rn. 15, 124 f. Schmidt, in: MünchKomm, BGB, § 741 Rn. 25; Schnorr, Gemeinschaft nach Bruchteilen, S. 42 ff.; Timm/Schöne, in: Bamberger/Roth, BGB, § 705 Rn. 35 – sog. »communio incidens«. 49 Ganz herrschende Ansicht – vgl. Brach, Bruchteilsgemeinschaft, S. 69; Langhein, in: Staudinger, BGB (2008), § 741 Rn. 245; Schmidt, in: MünchKomm, BGB, § 741 Rn. 3: »Die Gemeinschaft ist kein organisierter Verband«; ebenso von Ditfurth, in: Prütting/Wegen/ Weinreich, BGB, § 741 Rn. 4; anders allein Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, S. 139, 143. Näher dazu später unter b) (3) (b). 50 Allgemeine Ansicht – vgl. wiederum Schmidt, in: MünchKomm, BGB, § 741 Rn. 28. 48
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ihr Rechte stark voneinander unterscheiden. Zudem genügt dieser eine Sonderfall keinesfalls für die generelle Annahme einer Bruchteilsgemeinschaft in Gläubigergruppen nach § 222 InsO. b) Die Gläubigergesamtheit Interessanter wird die Untersuchung, wenn man sich der Gruppe aller Gläubiger als mögliche rechtliche Gemeinschaft zuwendet. Diese bildet ebenfalls eine Personenmehrheit und erfüllt damit das erste Merkmal einer Gemeinschaft. Bei ihr kommt dann aber auch ein gemeinschaftliches Recht in Betracht: das Verwertungsrecht an der Insolvenzmasse. (1) Das Verwertungsrecht als gemeinschaftliches Recht Als Gegenstand einer Bruchteilsgemeinschaft gerät sofort die Insolvenzmasse, also das nach Maßgabe der §§ 35 ff. InsO dem Insolvenzverfahren unterliegende Schuldnervermögen, ins Blickfeld. Diese dient nach § 1 Satz 1 InsO allen (absonderungsberechtigten wie einfachen) Gläubigern 51 als Befriedigungsobjekt; nach ihrem vollstreckungsrechtlichen Zweck steht die Insolvenzmasse als Vermögensmasse also allen Gläubigern zu. Allerdings müssten zur Annahme einer Bruchteilsgemeinschaft aller Insolvenzgläubiger nun auch alle Gläubiger ein einheitliches Recht an der Insolvenzmasse zu ideellen Bruchteilen haben. Ein solches gemeinschaftliches Recht ist nun keinesfalls das Eigentumsrecht an den Sachen bzw. das Forderungsrecht an den Rechten in der Insolvenzmasse. Diese Rechtsposition wird dem Schuldner durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht genommen und folglich auch nicht auf die Gläubiger übertragen. Nach § 80 InsO verliert er lediglich die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über seine, in die Masse fallenden Vermögenswerte.52 Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht den Gläubigern allerdings nach § 1 Satz 1 InsO die Insolvenzmasse als Haftungsobjekt zur Verfügung; der Insolvenzbeschlag bewirkt also zumindest eine haftungsrechtliche Zuweisung der Insolvenzmasse an die Gläubiger. Die Rechtsnatur dieser Zuweisung ist nach wie vor nicht geklärt. Eine anfängliche Auffassung, die aus ihr ein gemeinschaftliches Konkurspfandrecht der Gläubiger ähnlich dem Pfändungspfand51 Allein die Aussonderungsberechtigten fallen heraus, da sie gemäß § 47 InsO nicht am Insolvenzverfahren teilnehmen. 52 Unstreitig ist jedenfalls, dass nicht die Gläubiger Rechtsträger der Insolvenzmasse werden. Die heute herrschende Ansicht belässt die Rechtsträgerschaft beim Schuldner: RGZ 105, 313, 314 f.; BGHZ 49, 11, 13; App, in: Frankfurter Kommentar, InsO, § 80 Rn. 5; Eickmann, in: Heidelberger Kommentar, InsO, § 80 Rn. 3; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 9.04; Henckel, in: Jaeger, InsO, § 35 Rn. 3; Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 35 Rn. 1; Lwowski/Peters, in: MünchKomm, InsO, § 35 Rn. 22; Ott, in: MünchKomm, InsO § 80 Rn. 11. Die Organtheorie hingegen sieht in der Masse selbst ihren Rechtsträger: Bötticher, ZZP 77 (1964), 55, 62 ff.; Erdmann, KTS 1967, 87; Hanisch, Rechtszuständigkeit, S. 277 ff.; ähnlich bereits Hellwig, Anspruch und Klagerecht, S. 220 ff., 228.
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recht konstruierte,53 konnte sich nicht durchsetzen.54 Weitere Einordnungsversuche hat es nicht gegeben; stattdessen wird heute für die Insolvenzordnung jede nähere Einordnung gescheut. Die Zuweisung der Insolvenzmasse an die Gläubiger als Befriedigungsobjekt wird weitgehend lediglich als »pfandähnliche Rechte der Gesamtheit der Gläubiger«55 , als »Beschlagsrecht« der Gläubiger mit »ausschließlicher Wirkung gegenüber Dritten«56 , als »dingliches, pfandrechtsähnliches Beschlagsrecht«57 oder schlicht als »dingliche Rechtsposition« angesehen, »die jeden Zugriff Dritter auf die Masse grundsätzlich ausschließt«58 . Eine genaue dogmatische Einordnung dieser Begrifflichkeiten kann hier unterbleiben. Aus dem gegenwärtigen Meinungsbild wird hinreichend deutlich, dass die haftungsrechtliche Zuweisung in § 1 Satz 1 InsO eine gemeinsame, jedenfalls dinglich wirkende Rechtsposition aller Gläubiger über die Insolvenzmasse im Sinne eines gemeinsamen Befriedigungsrechts schafft. 59 Anders als vor der Verfahrenseröffnung ist das pfändbare Schuldnereinkommen nun dem Zugriff des Schuldners entzogen. Dieses Vermögen ist kein freies Wirtschaftsgut mehr, sondern zweckgebundenes Sondervermögen, dessen Verwertung durch den Insolvenzverwalter allein im Interesse und zugunsten der Gläubiger erfolgt. Allein an sie ist der Erlös (nach Abzug der Kosten) auszukehren. Ihre rechtliche Situation entspricht damit weitgehend derjenigen eines vollstreckenden Gläubigers in der Einzelzwangsvollstreckung, der ein Pfändungspfandrecht an Gegenständen im Schuldnervermögen innehat. Die Verwertung dieser Gegenstände erfolgt allein zum Zwecke seiner Befriedigung und nur an ihn ist der Verwertungserlös (nach Abzug der Kosten) auszukehren. Dieser Verwertungs- und Erlösherausgabeanspruch ist in der Insolvenz lediglich kollektiviert und das sowohl hinsichtlich des Subjekts als auch hinsichtlich des Objekts: Er steht nicht nur einem, sondern allen Gläubigern gemeinschaftlich zu und besteht nicht nur an einzelnen Gegenständen, sondern am Sondervermögen der Insolvenzmasse im Ganzen. Nicht zu Unrecht wird daher das Verwertungsrecht der Gläubiger als pfandrechtsähnlich bezeichnet. In ihm findet sich das gemeinschaftliche Recht der Gläubiger an der Insolvenzmasse. 60 53 So etwa Kohler, Konkursrecht, 1891, S. 99 ff. (»Beschlagsrecht«); ihm folgend: Hellmann, Konkursrecht, 1907, S. 622 ff.; Seuffert, Konkursprozeßrecht, 1899, S. 151 ff. 54 Hierzu Henckel, FS Weber, 1975, 237, 238; ablehnend auch Berges, KTS 1960, 1, 6. 55 Holzer, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 35 Rn. 10; Lwowski/Peters, in: MünchKomm, InsO, § 35 Rn. 22. 56 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 9.05. 57 Henckel, FS Weber, 1975, 237, 251 f.; ders. in: Jaeger, InsO, § 35 Rn. 4 f. (leider weniger deutlich). 58 Haarmeyer, Hoheitliche Beschlagnahme und Insolvenzbeschlag, S. 55 (Rn. 113). 59 Linke, KTS 1966, 192, 214. Anders noch für die KO: Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 3 Rn. 1; Schmidt, in: Böhle-Stammschräder/Kilger/Schmidt, Insolvenzgesetze, § 3 KO Anm. 10: »Durch die Konkurseröffnung entsteht kein gemeinsames Recht aller Konkursgläubiger am Massevermögen.« 60 Ebenso schon Berges, KTS 1957, 49, 52; ders., KTS 1960, 1, 9.
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(2) Bruchteilsgemeinschaft an einer Rechtsgesamtheit Nun steht den Gläubigern dieses gemeinschaftliche (Befriedigungs-)Recht nicht an einer einzelnen Sache, sondern an der Insolvenzmasse als einer Rechtsgesamtheit zu. Damit wird die Frage aufgeworfen, ob eine einheitliche Bruchteilsgemeinschaft nicht nur bei einem gemeinschaftlichen Recht an einem einzelnen Gegenstand möglich ist, sondern auch bei einem gemeinschaftlichen Recht an mehreren Gegenständen wie einer Rechtsgesamtheit. Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst von der gesetzlichen Regelung auszugehen. § 741 BGB verlangt lediglich, dass mehreren Personen »ein Recht« gemeinschaftlich zusteht. Wie dieses Recht oder der Gegenstand dieses Rechtes beschaffen sein muss, wird nicht näher ausgeführt. Dementsprechend wenig Klarheit oder gar Einigkeit besteht über die dogmatische Grundstruktur einer Bruchteilsgemeinschaft im Allgemeinen. Folgerichtig ist bereits im Grundsatz unklar, ob eine Bruchteilsgemeinschaft angenommen werden darf, wenn das gemeinsame »Recht« einer Personengruppe eben nicht nur an einem einzelnen Gegenstand besteht (wie im Lehrbuchbeispiel des Miteigentums), sondern gleich mehrere Sachen einer Personengruppe rechtlich zustehen. Gibt es also etwa, wenn mehreren Personen das Eigentum an mehreren Grundstücken oder einer Sachgesamtheit (z. B. einem Warenlager) zusteht, nur eine einheitliche Bruchteilsgemeinschaft dieser Personen oder ebenso viele Bruchteilsgemeinschaften wie Grundstücke bzw. Waren im Lager? Die überwiegende Ansicht 61 lässt eine (einheitliche) Bruchteilsgemeinschaft nicht nur an einem einzelnen Gegenstand, sondern auch an einer Mehrzahl von Gegenständen entstehen. So hat der BGH bei einer Vielzahl von Grundstücken eines Rittergutes unter den Eigentümern dieser Grundstücke keine Vielzahl von Bruchteilsgemeinschaften entsprechend der Anzahl der Grundstücke, sondern aufgrund des einheitlichen Entstehungsgrundes nur eine einheitliche Gemeinschaft für die Sachgesamtheit angenommen und folgerichtig die Verwaltungsregelungen der §§ 744 f. BGB auf diese bezogen. 62 Eine konsequente Fortführung dieser Rechtsprechung von Sach- auf Rechtsgesamtheiten wird seither verschiedentlich befürwortet, 63 wes61 BGHZ 140, 63, 67; Gehrlein, in: Bamberger/Roth, BGB, § 741 Rn. 8; Flume, Personengesellschaft, S. 112 f.; Langhein, in: Staudinger, BGB (2008), § 741 Rn. 157 f.; Schulze-Osterloh, WuB IV A. § 743 BGB 1.99, 343, 344; von Ditfurth, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, § 741 Rn. 5; Weber/Tamm, EWiR § 745 BGB 1/99, 153, 154. 62 BGHZ 140, 63, 67 (sog. Rittergutentscheidung) mit zustimmender Anmerkung von Schulze-Osterloh, WuB IV A. § 743 BGB 1.99, 343, 344 und Weber/Tamm, EWiR § 745 BGB 1/99, 153, 154. 63 Gehrlein, in: Bamberger/Roth, BGB, § 741 Rn. 8; Langhein, in: Staudinger, BGB (2008), § 741 Rn. 160 – Eine Bruchteilsgemeinschaft an einem Unternehmen scheitert nach Langhein nicht daran, dass eine Rechtsgesamtheit ihr Gegenstand ist, sondern allein am numerus clausus der unternehmenstragenden Gesellschaftsformen. Hierauf basiert auch die ablehnende Haltung Karsten Schmidts, in: MünchKomm, BGB, § 741 Rn. 24, zur Bruchteilsgemeinschaft an Unternehmen. Flume, Personengesellschaft, S. 112 f., hielt eine Bruchteilsgemeinschaft an Sondervermögen schon 1977 für selbstverständlich.
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halb in konsequenter Fortführung dieses Gedankens auch eine Bruchteilsgemeinschaft an der Insolvenzmasse möglich erscheint. Die Gegenansicht 64 verweist hingegen auf den Geltungsanspruch des sachenrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes und will daher eine Bruchteilsgemeinschaft nur an einem einzelnen Gegenstand anerkennen, nicht jedoch an Sach- oder Rechtsgesamtheiten. Dort entstünden so viele Gemeinschaften wie Gegenstände vorhanden seien. Eine vermittelnde Ansicht 65 geht aufgrund des Spezialitätsgrundsatzes zunächst von einer Vielzahl von (dinglichen) Bruchteilsgemeinschaften entsprechend der Vielzahl von Gegenständen aus, die dann aber von einer einheitlichen Bruchteilsgemeinschaft zum Zwecke der einheitlichen Verwaltung überwölbt werden. Bei Sach- und Rechtsgesamtheiten gebe es danach zwei Grundarten von Bruchteilsgemeinschaften. Wortlaut und Inhalt der gesetzlichen Regelungen zur Bruchteilsgemeinschaft in den §§ 741 ff. BGB geben ein widersprüchliches Bild ab. Einerseits spricht § 741 BGB davon, dass »ein Recht« mehreren gemeinschaftlich zustehen müsse; andererseits können nach § 752 Satz 1 BGB auch »mehrere Gegenstände gemeinschaftlich« sein. Alle Ansichten können sich daher auf jeweils eine gesetzliche Regelung berufen. Dieser scheinbare Widerspruch im Gesetzeswortlaut lässt sich wohl nur auflösen, wenn man zwischen dem gemeinschaftlichen Recht des § 741 BGB und dem Gegenstand dieses Rechtes, wie ihn § 752 BGB erwähnt, unterscheidet. Gemeinschaftlich zustehen kann der Personenmehrheit immer nur ein Recht, also nie eine Sache, und immer nur ein einzelnes Recht, also nie mehrere. 66 Sind mehrere Personen Eigentümer einer Sache, so steht ihnen demnach nicht diese Sache als solche, sondern das Eigentum (als Recht) an dieser gemeinschaftlich zu. Noch deutlicher wird dieser Grundsatz, wenn nicht das Eigentumsrecht, sondern ein anderes Recht mehreren zusteht. Haben etwa mehrere Personen ein Pfandrecht oder einen Nießbrauch an einer Sache, so ist 64 Saenger, Gemeinschaft und Rechtsteilung, S. 8; Schnorr, Gemeinschaft nach Bruchteilen, S. 60; wohl auch Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 1341; Hilbrandt, AcP 202 (2002), 631, 632; Kümpel, WM 1980, 422, 424 (jeweils ohne Begründung). Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, S. 143–145 und Schulze-Osterloh, Prinzipien der gesamthänderischen Bindung, S. 131 f., 209 f. nähern sich dieser Ansicht aufgrund ihrer Gesamthandslehren, indem sie Rechtsgemeinschaften an mehreren Rechten oder Gegenständen nicht als Bruchteilsgemeinschaft, sondern als Gesamthandsgemeinschaft qualifizieren. Jedenfalls Schulze-Osterloh (S. 215 f.) greift dann aber für seine Gesamthand subsidiär auf die §§ 742 ff. BGB zurück, wobei er deren Anwendung auf die Sachgesamtheit, nicht auf die einzelnen Sachen bezieht, ohne den Spezialitätsgrundsatz zu problematisieren. 65 Schmidt, in: MünchKomm, BGB, § 741 Rn. 6, 33: Die Bruchteilsgemeinschaft entsteht einheitlich an der Sachgesamtheit hinsichtlich ihrer schuldrechtlichen Wirkungen, hinsichtlich der dinglichen Rechtszuständigkeit hingegen an jedem Gegenstand einzeln; ebenso Brach, Bruchteilsgemeinschaft, S. 50 ff. (dingliche Bruchteilsgemeinschaften und eine schuldrechtliche Abrechnungsgemeinschaft). Der BGH hatte diese Konstruktion ausdrücklich abgelehnt – BGHZ 140, 63, 67. 66 Unstreitig – siehe etwa Langhein, in: Staudinger, BGB (2008), § 741 Rn. 4; Schmidt, in: MünchKomm, BGB, § 741 Rn. 10.
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es ebenfalls dieses jeweilige Recht und nicht die Sache selbst, was ihnen gemeinschaftlich zusteht und auf was sich die Regelungen der §§ 741 ff. BGB beziehen. Das gemeinschaftliche Recht ist also stets ein (einzelnes) Recht. Der Gegenstand hingegen, auf welches sich dieses Recht bezieht, kann nicht nur ein Recht, sondern auch eine Sache sein. Als Gegenstand eines gemeinschaftlichen Eigentums- oder Pfandrechts etwa kommt natürlich auch (und als Regelfall) eine Sache in Betracht. Und nicht nur das: wie § 752 Satz 1 BGB klarstellt, kann sich ein (einzelnes) gemeinschaftliches Recht einer Personengruppe nicht nur auf einen, sondern auch auf mehrere Gegenstände beziehen, ohne dass sofort mehrere Bruchteilsgemeinschaften vorliegen. Es scheint daher auch – wie vom BGH entschieden67 – eine Bruchteilsgemeinschaft an einer Mehrzahl von Grundstücken geben zu können, solange alle Grundstücke nur denselben Personen, also einer einzigen Personengruppe, als Inhabern desselben Rechts zustehen. (a) Bruchteilsgemeinschaft und Spezialitätsgrundsatz. So überzeugend diese Lösung erscheinen mag, sie scheint doch in Konflikt mit dem sachenrechtlichen Spezialitätsgrundsatz zu geraten. Nach diesem können dingliche Rechte stets nur an einem einzelnen, bestimmten Gegenstand bestehen, nicht jedoch gemeinschaftlich an Sachgesamtheiten. Hieraus folgt, dass schuldrechtliche Geschäfte sich zwar ohne weiteres auf eine Gruppe oder auch eine ganze Gattung von Sachen beziehen können; die sachenrechtlichen Verfügungen treten jedoch stets individuell an jeder einzelnen Sache der Gruppe nach den individuellen Geschehnissen ein. Es kann also beispielsweise zwar ein Unternehmen (eine Rechtsgesamtheit) als solches durch einen Kaufvertrag veräußert werden; die dingliche Übertragung des Unternehmens muss hingegen durch die gesonderte Übertragung jedes einzelnen Unternehmensgegenstandes in seiner jeweils notwendigen Form, also durch eine Vielzahl von Rechtsgeschäften, erfolgen: bewegliche Sachen nach §§ 929 ff. BGB; Grundstücke nach §§ 873, 925 BGB; Forderungen und Rechte nach §§ 398, 413 BGB. Die dingliche Rechtslage ist also – anders als die schuldrechtliche – für jeden Gegenstand gesondert zu betrachten und gesondert zu verändern. 68 Dies gilt nicht nur für Rechts-, sondern auch für Sachgesamtheiten. 69 Ist also beispielsweise eine Person Eigentümer eines Warenlagers, so muss sie dessen Inhalt aufgrund des Spezialitätsgrundsatzes Gegenstand für Gegenstand übereignen. Zur Vereinfachung der Abwicklung einer solchen Massenübereignung sind zwar für Sachgesamtheiten inzwischen Sammelbezeichnungen als zulässig anerkannt worden, solange sie die betrof-
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BGHZ 140, 63, 67. Unstreitig – näher zum Spezialitätsgrundsatz etwa Weber, Sachenrecht I, § 4 Rn. 8. 69 RGZ 70, 226, 228; Fritsche, in: Bamberger/Roth, BGB, § 90 Rn. 21; Holch, in: MünchKomm, BGB, § 90 Rn. 42 ff.; Jickeli/Stieper, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 90–103 Rn. 23. 68
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fenen Gegenstände hinreichend bestimmt beschreiben. 70 Dies ändert jedoch an der streng individuellen Wirkung der durch die Sammelbezeichnung lediglich gebündelten Verfügungsgeschäfte nichts und kann daher auch kaum als Ausnahme vom Spezialitätsgrundsatz verstanden werden. Der Eigentümer kann also etwa den gesamten Inhalt des Warenlagers veräußern und auch unter dieser (Sammel-)Bezeichnung übereignen; die Wirksamkeit der Übereignung jedes einzelnen Gegenstandes ist dennoch stets gesondert zu beurteilen, weshalb etwa Gegenstände im Eigentum Dritter nicht ohne weiteres mit allen anderen Gegenständen des Lagers auf den Erwerber übergehen, sondern individuell den besonderen Anforderungen der §§ 932 ff. BGB unterliegen. Der Spezialitätsgrundsatz wird also auch durch die Zulassung von Sammelbezeichnungen nicht aufgeweicht, sondern verlangt seine uneingeschränkte Beachtung. Dieser Geltungsanspruch ist nun jedenfalls für die besondere Situation des Insolvenzverfahrens bestritten worden. Henckel71 sieht in dieser Verfahrenslage kein schutzwürdiges Interesse mehr an einer Einhaltung der sachenrechtlichen Prinzipien von Spezialität und Publizität. Beide Prinzipien dienten allein der Rechtsklarheit zugunsten derjenigen, die Kredit gewähren wollen und deshalb auf eine klare und übersichtliche Haftungslage Wert legten, sowie derjenigen, die Rechte vom Schuldner erwerben und daher wissen müssten, ob der erworbene Gegenstand belastet ist. Beide Interessen entfielen in der Insolvenzsituation, da niemand mehr freiwillig Kredit gewährt und niemand mehr aus der Masse belastete Gegenstände erwerben kann. Die Prinzipien seien daher auf die Publizität der Verfahrenseröffnung als solche sowie die hinreichende Fixierung des massebildenden Vermögens zu beschränken, weshalb ein Pfandrecht auch einheitlich an der gesamten Insolvenzmasse entstehen könne. Dieser Weg zur Begründung eines einheitlichen Verwertungsrechtes der Gläubiger kann jedoch nicht überzeugen. Eine teleologische Reduktion der sachenrechtlichen Grundprinzipien ist auch im Insolvenzverfahren nicht zu rechtfertigen. Das Interesse an einer klaren und übersichtlichen Haftungslage erlischt durch die Insolvenzsituation keinesfalls. So ist es im Hinblick auf Aussonderungs- und Absonderungsrechte gerade auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch von Bedeutung, welche Rechte an den einzelnen Massegegenständen fortbestehen bzw. auf welche Massegegenstände sich Verwertungshandlungen des Insolvenzverwalters bezogen haben. Die klare Bestimmung und Zuordnung einzelner Gegenstände zu Handlungen des Verwalters bleibt daher notwendig. Und auch das Kreditgeschäft verliert in der Insolvenzsituation nicht jegliches Interesse. Eine Sanierung des Schuldners wie auch seine geordnete Liquidation kann es erfordern, Massekredite aufzunehmen. Hierfür ist dann wie außerhalb der 70 BGH NJW 1992, 1161; Holch, in: MünchKomm, BGB, § 90 Rn. 44; Marly, in: Soergel, BGB, Vor § 90 Rn. 8. 71 Henckel, in: Jaeger, InsO, § 35 Rn. 4.
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Insolvenz von Interesse, ob ein Massegegenstand frei von Belastungen ist und damit als Verwertungsobjekt taugt. Die sachenrechtlichen Grundsätze sind daher auch in der Insolvenzsituation uneingeschränkt anzuwenden. Was bedeuten diese Grundsätze aber nun für die Bruchteilsgemeinschaft? Ist nicht nur eine Person Inhaber eines dinglichen Rechtes wie etwa des Eigentums an den Gegenständen eines Warenlagers, sondern mehrere Personen, so teilen sie sich das Recht gemeinschaftlich im Sinne der §§ 741 ff. BGB. Es gibt nicht mehr nur einen (Allein-)Eigentümer, sondern eine Eigentümergemeinschaft. Das dingliche (Eigentums-)Recht verliert dadurch nicht seine Qualität, sondern bleibt ein dingliches, aber gemeinschaftliches Recht mehrerer. So verstanden ist die Aussage zutreffend, dass das Teilrecht der Bruchteilsgemeinschaft wesensgleiches Minus zum Vollrecht sei. 72 Auch das Teilrecht des einzelnen Mitglieds der Gemeinschaft ist etwa als Miteigentumsanteil ein dingliches Recht, wenn das geteilte Vollrecht (etwa das Eigentum) ein dingliches ist. 73 Für jeden Gegenstand ist dann aber hinsichtlich der dinglichen Rechte an ihm nach dem Spezialitätsgrundsatz gesondert zu prüfen, wer sie inne hat, wer also etwa sein Eigentümer ist. Sind dies mehrere Personen, so ergibt sich für jeden Gegenstand gesondert die Frage, welche Eigentümergemeinschaft das Eigentumsrecht innehat. Die Gemeinschaft bündelt also die einzelnen Teilhaber eines Rechtes.74 Damit scheint auf der Hand zu liegen, dass eine Bruchteilsgemeinschaft als Bündelung der (oft dinglichen) Teilrechte nur an einem einzelnen Gegenstand vorliegen kann. Diese Sichtweise der oben als zweites dargestellten Ansicht greift jedoch zu kurz. Sie verkennt den Geltungsanspruch des Spezialitätsgrundsatzes. Dieser fordert lediglich, dass die Inhaber dinglicher Rechte eindeutig bestimmt sind. Er verlangt nach Klarheit über die dingliche Zuordnung von Sachen. Steht ein dingliches Recht mehreren zu, so muss diese Personengruppe klar bestimmt sein. Keine Bedeutung hat der Spezialitätsgrundsatz hingegen für alle Fragen der internen Organisation dieser Personengruppe. Dieser Regelungsbereich ist dem Spezialitätsgrundsatz nicht unterworfen. Vielmehr ist es im Regelfall das Gesellschaftsrecht, welche diese Fragen der Binnenorganisation von Personengruppen regelt. In den Fällen, in denen eine Personengruppe hingegen nicht als Gesellschaft organisiert ist, kommt (subsidiär) das Recht der Bruchteilsgemeinschaft zur Anwendung.
72 Vgl. etwa Gehrlein, in: Bamberger/Roth, BGB, § 741 Rn. 1; Langhein, in: Staudinger, BGB (2008), § 741 Rn. 255; Schmidt, in: MünchKomm, BGB, § 741 Rn. 2; von Ditfurth, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, § 741 Rn. 1. 73 Hennecke, Das Sondervermögen der Gesamthand, S. 56 f. 74 Hennecke, Das Sondervermögen der Gesamthand, S. 57. Zu der sich aus dieser Feststellung ergebenden Frage, ob diese Bündelung der Beteiligten die Merkmale einer Gesamthand erfüllt (so etwa Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, S. 144), gleich näher unter 4. b).
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Die Fragen der (dinglichen) Zuordnung von Rechten sind also klar von Fragen der Binnenorganisation von Personengruppen, das Sachenrecht klar vom Recht der Gesellschaften und der Gemeinschaft zu trennen. Der Spezialitätsgrundsatz verlangt seine Beachtung allein im ersten Fragenkreis, nicht jedoch im zweiten und hat daher insbesondere keine Bedeutung für die Verwaltung dinglicher Rechte durch die Personengruppe ihrer Inhaber. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Zweck einer Bruchteilsgemeinschaft, 75 liegt dieser Zweck doch gerade nicht in der bloßen Beschränkung der Befugnisse des einzelnen dinglichen Teilrechtsinhabers bei mehreren Inhabern eines dinglichen Vollrechts. Dass der einzelne Teilhaber mit dem (ideell) geteilten Recht nicht nach eigenem Belieben umgehen kann, ist eine Beschränkung, die sich nicht (erst) aus den §§ 741 ff. BGB, sondern (bereits) schlicht aus der bloßen Tatsache einer Mehrzahl von Berechtigten an ein und demselben Recht ergibt.76 Die Beschränkung eines eigentlich umfassenden dinglichen Rechts durch andere Mitinhaber ist ein Faktum, keine Folge einer rechtlichen Regelung wie der in den §§ 741 ff. BGB. Es ist gerade das Faktum der Mehrzahl an Berechtigten, das automatisch nach einer Koordination ihrer Befugnisse hinsichtlich des gemeinsamen Rechts verlangt. Da nun kein Teilhaber allein über das gemeinsame Recht entscheiden und zugleich kein Teilhaber bei Entscheidungen übergangen werden darf, ist eine Verwaltung des Rechtes zwischen den Beteiligten genauso zu regeln wie eine Nutzung des Rechtes oder eine Beendigung der Gemeinschaft. Nichts anderes als diese Regelungen bieten die §§ 741 ff. BGB. Ihr Regelungsinhalt beschränkt sich auf die (schuldrechtlich wirkende) Binnenkoordination in der Gemeinschaft.77 Es bleibt allen Beteiligten unbenommen, andere Vereinbarungen zu treffen, die dann ebenfalls nur schuldrechtlich wirken, oder aber anstelle der Gemeinschaft eine Gesellschaft zu gründen. Entscheidend bleibt die Erkenntnis, dass das Wirkungsfeld des Gemeinschaftsrechts eben nicht die Zuordnung (auch dinglicher) Rechte zu einer bestimmten Person oder Personengruppe ist; dies obliegt dem Sachenrecht und dort gilt der Spezialitätsgrundsatz. Das Gemeinschaftsrecht ist wie das Gesellschaftsrecht davon abstrahiert und regelt allein die Binnenstruktur von Personenmehrheiten.78 Diese Abstraktion wird sich auch noch an einem weiteren Beispiel deutlich. Während eine Einzelperson intern und für sich entscheidet, was sie mit ihrem Vermögen machen will, muss diese Entscheidung bei Personenmehrheiten in koordinierter und organisierter Form erfolgen. Und genau wie die Willensbil75
So aber Schnorr, Gemeinschaft nach Bruchteilen, S. 38 ff., 92. Hennecke, Das Sondervermögen der Gesamthand, S. 60. 77 Langhein, in: Staudinger, BGB (2008), § 741 Rn. 157: »Die §§ 742 ff. BGB regeln im Wesentlichen die schuldrechtlichen Rechte und Pflichten der Parteien«; ebenso bereits Paschke, AcP 187 (1987), 60, 74; Schubert, JR 1975, 363, 364. 78 Langhein, in: Staudinger, BGB (2008), Vorbem zu §§ 741 ff. Rn. 23: »Wie das Verbandsrecht befassen sich die §§ 741 ff. auch mit der Aufrechterhaltung der inneren Ordnung der Rechtsgemeinschaft«. 76
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dung bei Einzelpersonen keinen sachenrechtlichen Prinzipien unterliegt, betrifft der Spezialitätsgrundsatz auch nicht die Willensbildung in einer Bruchteilsgemeinschaft. Diese kann daher natürlich auch Verwaltungsentscheidungen für eine Vielzahl von Gegenständen treffen.79 (b) Bruchteilsgemeinschaft als Gemeinschaft identischer Beteiligter. Es ist also nicht der Spezialitätsgrundsatz, der den Anwendungsbereich der Bruchteilsgemeinschaft bei gemeinschaftlichen dinglichen Rechten beschränkt. Eine Bruchteilsgemeinschaft kann – wie in § 952 BGB vorausgesetzt – auch mehrere Gegenstände umfassen und verwalten. Als Regelungskonzept für die Binnenorganisation einer Personengruppe setzt sie jedoch eines strikt voraus: die Identität der beteiligten Personen. Wie eine Gesellschaft hat auch eine Bruchteilsgemeinschaft einen fest bestimmten Personenkreis. Daher kann auch eine einzige Bruchteilsgemeinschaft bei mehreren Gegenständen nur dann bestehen, wenn denselben Personen an ihnen ein Recht zu ideellen Bruchteilen zusteht. Da eine Bruchteilsgemeinschaft nicht auf einem freiwilligen Zusammenschluss mehrerer Personen beruht, sondern regelmäßig aufgrund eines gesetzlichen Tatbestandes entsteht und sich daher als Zwangsgemeinschaft darstellt, wird es häufig nur ein Recht an einem Gegenstand sein, dass sich mehrere Personen teilen müssen. Als Beispiel sei hier das Miteigentum an einer Sache wie etwa einem Kornhaufen genannt, der durch die untrennbare Vermengung des Korns mehrerer Bauern (§ 948 BGB) entstanden ist. Das Entstehen einer Zwangsgemeinschaft an einer Vielzahl von Gegenständen ist dagegen eher selten, weshalb eine solche auch nicht im Zentrum der gesetzlichen Regelung steht, sondern nur peripher in § 952 BGB auftaucht. Umfasst im Einzelfall aber das gemeinschaftliche Recht einer Personengruppe nicht nur einen Gegenstand sondern mehrere, so umfasst auch die Bruchteilsgemeinschaft dieser Personen nicht nur einen Gegenstand sondern alle. Es entsteht – wie es auch der BGH in seiner RittergutEntscheidung formuliert hat – eine einheitliche Bruchteilsgemeinschaft. 80 Der Spezialitätsgrundsatz verhindert dies nicht; insofern hat der BGH Recht. Allerdings ist der maßgebliche Grund für die Annahme und Begrenzung einer einheitlichen Gemeinschaft nicht deren einheitlicher Entstehungsgrund. 81 Dieser wird zwar häufig faktisch vorliegen, wenn ein und derselben Personengruppe ein Recht gleich an mehreren Gegenständen zusteht; notwendig ist er hingegen nicht. Hinter dem einheitlichen Entstehungsgrund verbirgt sich jedoch das wirklich entscheidende Merkmal zur Definition und Begrenzung der einheitlichen Bruchteilsgemeinschaft: die Identität der beteiligten Personen.
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Zutreffend daher BGHZ 140, 63, 67. BGHZ 140, 63, 67. So aber der BGH in BGHZ 140, 63, 67.
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(c) Die Gläubigergemeinschaft als einheitliche Bruchteilsgemeinschaft. Überträgt man diese Erkenntnisse auf die Gläubigergemeinschaft des Insolvenzverfahrens, so ist die Personenidentität hier gegeben. Der Kreis der berechtigten Gläubiger ist stets derselbe. Zudem steht der Annahme einer einheitlichen Bruchteilsgemeinschaft aller Gläubiger an der Insolvenzmasse auch nicht entgegen, dass es sich bei der Insolvenzmasse um ein Sondervermögen, bestehend aus einer Vielzahl von Rechten und Sachen, und damit um eine Rechtsgesamtheit handelt. Der Spezialitätsgrundsatz hindert die Annahme einer einheitlichen Zuordnung der Rechtsgesamtheit nicht. Das einheitliche Recht, dass im Verfahren allen Gläubigern zu ideellen Bruchteilen an der Insolvenzmasse zusteht, ist dabei nicht das Eigentumsrecht an den Gegenständen der Insolvenzmasse bzw. das Forderungsrecht an den Rechten in der Insolvenzmasse. Diese Rechtsposition wird dem Schuldner durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht genommen und folglich auch nicht auf die Gläubiger übertragen (vgl. § 80 InsO). 82 Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht den Gläubigern allerdings nach § 1 Satz 1 InsO die Insolvenzmasse als Haftungsobjekt zur Verfügung. Der Insolvenzbeschlag bewirkt also zumindest eine haftungsrechtliche Zuweisung der Insolvenzmasse an die Gläubiger, woraus ganz überwiegend und zu Recht ein gemeinschaftliches, dingliches (Verwertungs-)Recht der Gläubiger an der Insolvenzmasse hergeleitet wird. 83 Damit ist auch die letzte Voraussetzung zur Annahme einer einheitlichen Bruchteilsgemeinschaft aller Gläubiger – das gemeinschaftliche Recht – gegeben. Diesem gemeinschaftlichen Recht liegt sogar ein einheitlicher Entstehungsgrund – wie ihn (zu Unrecht) der BGH fordert84 – zugrunde. Die Gläubigergemeinschaft ist eine einheitliche Bruchteilsgemeinschaft am Beschlagsrecht an der Insolvenzmasse im Sinne des § 741 BGB. 85 (3) Bruchteilsgemeinschaft und Rechtsfähigkeit Begreift man die Gesamtheit der nicht aussonderungsberechtigten Gläubiger im Insolvenzverfahren als Bruchteilsgemeinschaft, so bleibt als Schlusspunkt die Frage nach deren Rechtsfähigkeit, also nach der Fähigkeit, selbst Träger von Rechten und Pflichten zu sein. 86 Diese Frage stellt sich bei der Gläubigergemeinschaft gleich in zweierlei Richtungen. Zum einen wird eine Rechtsfähig82 Es ist jedenfalls unstreitig, dass die Gläubiger nicht Rechtsträger der Insolvenzmasse werden – vgl. dazu bereits oben Fn. 52. 83 Nachweise bereits oben Fn. 53 ff. 84 BGHZ 140, 63, 67. 85 Zu diesem Ergebnis kommt auch der BGH in BGHZ 116, 319, 323; ebenso: Berges, KTS 1957, 49, 52 ff.; ders., KTS 1960, 1, 9; ders., KTS 1970, 249, 255; Gaul, FS Huber, 2006, 1187, 1209; Linke, KTS 1966, 192, 214; Oelrichs, Gläubigermitwirkung, S. 17, 19. Schon der Gesetzgeber der Konkursordnung von 1877 ging von einer »rechtlichen Gemeinschaft« der Gläubiger aus – vgl. Hahn, Materialien, IV, S. 47. 86 Diese Definition des Begriffs »Rechtsfähigkeit« dürfte im Ergebnis inzwischen unstrei-
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keit der Insolvenzmasse, also des Gegenstandes des gemeinschaftlichen Rechts, erwogen; zum anderen kommt eine Rechtsfähigkeit der Bruchteilsgemeinschaft selbst in Betracht. Während sich die Rechtsfähigkeit des Menschen bereits aus dem Naturrecht und der Menschenwürde ergibt und insofern einer Kodifizierung in § 1 BGB nicht bedurft hätte 87, ist die Qualifikation einer Vermögensmasse oder einer Personengruppe als rechtsfähig eine offene Frage rechtlicher Wertungen. Die Einordnung als rechtsfähig oder zumindest teilrechtsfähig kann sich daher zum einen unmittelbar aus einer entsprechenden (ausdrücklichen) gesetzlichen Anordnung ergeben; sie kann aber auch Folge einer wertenden Betrachtung der vorhandenen gesetzlichen Ausgestaltung einer Vermögensmasse oder Personengruppe sein und damit durch Rechtsprechung und Wissenschaft erfolgen. 88 (a) Die Rechtsfähigkeit der Insolvenzmasse. Unter Geltung der Konkursordnung gab es einen beachtlichen Teil der Lehre, der in der Konkursmasse mehr als nur ein Sondervermögen des Schuldners sah, das durch den Konkursverwalter bloß verwaltet wird. Er gestand diesem Sondervermögen die Qualität eines Rechtssubjektes zu, das selbstständiger und vom Schuldner getrennter Träger des eigenen Vermögens ist und vom Verwalter als Organ vertreten wird (»Organtheorie«). 89 Die damit einhergehende Trennung der Konkursmasse von der Rechtsträgerschaft des Schuldners war bereits nach dem Recht der Konkursordnung problematisch, hatte doch der Gesetzgeber ausdrücklich nur die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis dem Konkursverwalter übertragen, nicht jedoch diese Vermögensmasse als solche. Die Theorie konnte zudem das Nachforderungsrecht der Gläubiger nach Beendigung des Verfahrens in § 164 KO nur schwer erklären. Richten sich die Gläubigerforderungen gegen die Konkursmasse als eigenständiges Rechtssubjekt, so fällt dieses Rechtssubjekt (und damit der Schuldner der Forderungen) mit der vollständigen Liquidation der Konkursmasse weg. Konsequenterweise müsste dies zu einer Restschuldbefreiung des Gemeinschuldners führen; eine Rechtsfolge, die weder der Gesetzgeber noch die Vertreter der Organtheorie als zutreffend erachteten. Schließlich erscheint es generell sonderbar, ein Rechtssubjekt zu schaffen, dessen ausschließlicher Zweck die Selbstliquidation ist.90
tig sein – vgl. etwa Larenz/Wolf, BGB AT, § 5 Rn. 2; Lehmann, AcP 207 (2007), 225, 226 f.; Schmitt, in: MünchKomm, BGB, § 1 Rn. 6 m. w. N. 87 Larenz/Wolf, BGB AT, § 5 Rn. 5. 88 Allgemeine Ansicht – vgl. BGH NJW 2005, 2061, 2064. Reuter, AcP 207 (2007), 673, 674, verlangt sogar stets eine solche wertende Betrachtung. 89 Bötticher, ZZP 77 (1964), 55, 62 ff.; Erdmann, KTS 1967, 87; Hanisch, Rechtszuständigkeit, S. 277 ff.; ähnlich bereits Hellwig, Anspruch und Klagerecht, S. 220 ff., 228. 90 Zur Kritik an der Organtheorie siehe etwa Henckel, in: Jaeger, KO, § 6 Rn. 167 m. w. N. Den grundlegenden Ansatz auch der Organtheorie, einem Vermögen Rechtsfähig-
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Durchsetzen konnte sich die Organtheorie mithin nicht; seit Geltung der Insolvenzordnung scheint sie nun aufgegeben91 und das zu Recht. So hielt der Gesetzgeber trotz Kenntnis der Organtheorie auch in der Insolvenzrechtsreform daran fest, nur die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter zu übertragen. Eine Anerkennung der Organtheorie und der Rechtsfähigkeit der Insolvenzmasse mittels entsprechender gesetzlicher Regelung erfolgte nicht. Im Gegenteil, auch das Nachforderungsrecht der Gläubiger ließ der Reformgesetzgeber bestehen (§ 201 InsO). Zugleich schaffte er ein eigenes Restschuldbefreiungsverfahren. Die Einführung der Eigenverwaltung des Schuldners in den §§ 270 ff. InsO vereinigte in Sonderfällen sogar die Rechtsträgerschaft des Schuldners wieder mit der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis. Schließlich hat auch die Insolvenzmasse eine andere gesetzliche Ausgestaltung erfahren als die Konkursmasse. Die neu geschaffene Einbeziehung des Neuerwerbs, also die Anordnung in § 35 letzter Halbsatz InsO, dass jeder Vermögenswert, den der Schuldner nach Verfahrenseröffnung erwirbt, in die Insolvenzmasse fällt, macht endgültig deutlich, dass es auch nach Eröffnung der Insolvenzverfahrens der Schuldner ist, dem die Insolvenzmasse rechtlich zugeordnet bleibt. Seine Handlungen können die Masse zwar nicht mindern; hierzu fehlt ihm die Verfügungsbefugnis. Sie können die Masse aber weiterhin mehren, indem er sein (pfändbares) Vermögen mehrt. Eine Trennung dieser Zuordnung durch die Anerkennung der Insolvenzmasse als eigenständiges Rechtssubjekt würde der vorhandenen gesetzlichen Konstruktion schlicht widersprechen und kann daher kaum überzeugen. Die Organtheorie ist insoweit zu Recht überholt. Die Insolvenzmasse ist kein Rechtssubjekt. (b) Die Rechtsfähigkeit der Bruchteilsgemeinschaft der Gläubiger. Fehlt der Insolvenzmasse demnach die rechtliche Selbstständigkeit, so bleibt als letztes zu erörtern, ob nicht vielleicht die Bruchteilsgemeinschaft der Gläubiger als eigenständiges Rechtssubjekt anzuerkennen ist. Dass die (Teil-)Rechtsfähigkeit92 einer Bruchteilsgemeinschaft nicht von vornherein auszuschließen ist, zeigt die in jüngerer Zeit erfolgte Anerkennung der Wohnungseigentümergekeit zu verleihen, kritisiert Lehmann, AcP 207 (2007), 225, 250, setze doch jedes Vermögen seinerseits einen Träger voraus. 91 Die von Karsten Schmidt entwickelte »neue Organtheorie« (vgl. etwa Schmidt, NJW 1987, 1905 oder zuletzt in NJW 1995, 911) ist keine Fortführung der Organtheorie, da sie den Schuldner als Rechtsträger der Masse anerkennt und den Verwalter bei insolventen Gesellschaften lediglich als Fremdliquidator und damit Vertretungsorgan bzw. bei natürlichen Schuldnern als dessen gesetzlicher Vertreter einordnet. Eine eigenständige Rechtsfähigkeit der Masse wird nicht mehr vertreten. Die Theorie sollte daher besser als »neue Vertretertheorie« bezeichnet werden. 92 Der Begriff der Teilrechtsfähigkeit wird von Lehmann, AcP 207 (2007), 225, 235 ff., zu Recht als irreführend abgelehnt, sind doch auch solche Personengruppen rechtsfähig, dann aber durch gesetzliche Bestimmungen in ihrer Handlungsfähigkeit (nicht aber ihrer Rechtsfähigkeit) beschränkt.
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meinschaft (einer Bruchteilsgemeinschaft) als (teil-)rechtsfähiges Rechtssubjekt.93 Die Mitglieder einer Bruchteilsgemeinschaft nach § 741 BGB bilden zwar keinen gesellschaftsrechtlichen Verband; die Gemeinschaft besitzt aber eine innere Organisation, welche ein Auftreten als eigene Person im Rechtsverkehr denkbar erscheinen lässt und daher die Annahme der Rechtsfähigkeit der Gruppe überhaupt erwägenswert macht.94 Die rechtliche Ausgestaltung der Bruchteilsgemeinschaft der Insolvenzgläubiger ist nun jedoch von der der Wohnungseigentümer grundsätzlich verschieden. Ein Auftreten als Gemeinschaft nach außen ist nicht bezweckt. Zwar gibt es mit der Gläubigerversammlung, einem fakultativen Gläubigerausschuss sowie dem Insolvenzverwalter auf den ersten Blick denkbare Organe eines Rechtssubjekts Gläubigergemeinschaft. Die Gemeinschaft wird jedoch – anders als bei der Wohnungseigentümergemeinschaft – aufgrund ihrer rechtlichen Ausgestaltung in der Insolvenzordnung allein innerhalb des Insolvenzverfahrens und gegenüber anderen Verfahrensteilnehmern tätig. Sie wählt durch die Gläubigerversammlung den Insolvenzverwalter (§ 57 InsO), beschließt über die Einsetzung eines Gläubigerausschusses und dessen Mitglieder (§ 68 InsO), entscheidet über die Liquidation oder Sanierung des Schuldners (§ 157 InsO), bedeutsame Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters, insbesondere über eine Unternehmensveräußerung (§§ 160 ff. InsO) sowie über die Entlastung des Insolvenzverwalters im Schlusstermin (§ 197 InsO). Nach außen tritt die Gläubigerschaft als solche dabei nicht auf. Insbesondere die Unternehmensveräußerung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 InsO erfolgt durch den Insolvenzverwalter. Der Wirkungskreis der Gläubigergemeinschaft ist ganz auf das Insolvenzverfahren beschränkt; sie dient allein der Binnenorganisation. Tritt die Gläubigergemeinschaft aber nicht als eigene Gruppe im Rechtsverkehr auf, so fehlt jede Grundlage für die Annahme einer Rechtsfähigkeit dieser Gruppe. Hinzu kommt, dass die Gläubigergemeinschaft – wiederum anders als die Wohnungseigentümergemeinschaft – auch keine werbende, also auf unbestimmte Dauer angelegte Gemeinschaft ist. Sie dient allein der Durchsetzung des gemeinschaftlichen Befriedigungsrechts und ist daher schon vom Zweck her – ähnlich einer Erbengemeinschaft – auf Auseinandersetzung gerichtet.95 Im Ergebnis bleibt daher allein die Annahme, dass die Bruchteilsgemeinschaft der Insolvenzgläubiger selbst nicht rechtsfähig ist. Sie bleibt eine Gemeinschaft der beteiligten Gläubiger.96 93 Siehe die Neufassung des § 10 Abs. 6 im Jahre 2007 im Anschluss an BGHZ 163, 154, 159 = BGH NJW 2005, 2061 ff. 94 Vgl. etwa die für die Zuerkennung der Rechtsfähigkeit erarbeiteten Voraussetzungen bei Reuter, AcP 207 (2007), 673, 680 ff.: Fähigkeit zur Verfolgung von Eigeninteressen aufgrund hinreichender Organisation und selbstständiges Auftreten im Rechtsverkehr. 95 Der BGH NJW 2006, 3715, verneinte aus diesem Grund auch die Annahme einer Rechtsfähigkeit der Erbengemeinschaft; kritisch insoweit Reuter, AcP 207 (2007), 673, 677. 96 Ebenso für die Konkursgläubiger: Linke, KTS 1967, 192, 217; Voß, AcP 97 (1905), 396,
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3. Die Gläubiger als Interessengemeinschaft Während man also in der Gesamtheit aller Insolvenzgläubiger im Insolvenzverfahren eine Rechtsgemeinschaft erkennen kann, ließ sich für die Gläubiger, die in den einzelnen Gruppen eines Insolvenzplans nach § 222 InsO zusammengefasst werden, bisher keine rechtlich anerkannte Struktur finden. Sie bilden weder eine Gesellschaft noch eine Rechtsgemeinschaft. In Betracht kommt dann die Interessengemeinschaft als Organisationsstruktur, die im Schrifttum allerdings eher für die Gesamtheit aller Gläubiger favorisiert wird. a) Die Gläubigergemeinschaft Die Gemeinschaft der Gläubiger eines insolventen Schuldners ist nach den bisherigen Erkenntnissen mehr als nur eine »lockere Organisation«97 ohne rechtliche Struktur; sie ist auch mehr als eine »bloß prozessuale Verfahrensgemeinschaft«98 und mehr als eine schlichte Interessengemeinschaft.99 Die Gläubiger sind gerade nicht allein durch das Insolvenzverfahren prozessrechtlich verbunden, sondern teilen sich ideell auch ein materielles Verwertungsrecht. Die Gläubigergemeinschaft muss daher nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als echte Bruchteilsgemeinschaft angesehen werden. Sie ist infolge dessen zugleich aus dem Kreis der schlichten Interessengemeinschaften herauszunehmen. Die Gläubiger verbindet mehr als das gleichgerichtete Interesse an einer Befriedigung aus dem unzureichenden Schuldnervermögen; sie teilen sich ein gemeinschaftliches Verwertungsrecht. Auch der Begriff der »gesellschaftsähnlichen 423; anders noch von Canstein, Grünhut 9 (1882), 461, 465 ff., 471 (»Personengesamtheit mit Sondervermögen« und daher Rechtssubjekt). Ganz überwiegend wird die Rechtsfähigkeit von Bruchteilsgemeinschaften ohnehin allgemein verneint: Brach, Bruchteilsgemeinschaft, S. 69; Hennecke, Das Sondervermögen der Gesamthand, S. 71; Langhein, in: Staudinger, BGB (2008), § 741 Rn. 245; Schmidt, in: MünchKomm, BGB, § 741 Rn. 3; von Ditfurth, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, § 741 Rn. 4; bejahend hingegen: Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, S. 139, 143. 97 So Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 28.68; ähnlich Neumann, Gläubigerautonomie, S. 55, der die Gläubigerschaft weder als »Kollektiv« noch als »Interessengemeinschaft« versteht, da ein gemeinsames Interesse fehle; eine genaue Einordnung des »Zwangszusammenschlusses« der Gläubiger unterbleibt dann leider; ebenso ungenau Hänel, Gläubigerautonomie, S. 63 (»Zwangskollektiv«). 98 Grundlegend Voß, AcP 97 (1905), 396, 408 und 417; ebenso: Lent, in: Jaeger, KO, 6. Auflage, Vorbem zu §§ 61–70, S. 829; Schmidt, in: Böhle-Stammschräder/Kilger/Schmidt, Insolvenzgesetze, § 3 KO Anm. 10. 99 So die ganz herrschende Ansicht für die KO: Hueck, Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S. 138; Jauernig, ZIP 1980, 318, 323; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 3 Rn. 2; Walendy, Funktion und Legitimation des Zwangsvergleichs, S. 224, 241; Würdinger, Interessengemeinschaft, S. 65 f.; Wüst, Interessengemeinschaft, S. 45; ders., FS Wilburg, 1965, 257, 270; auch das BVerwG NJW 1962, 979, 980 (das in den Gläubigern zur Recht keine »Bruchteilseigentümer« an der Masse sieht, die Bruchteilsgemeinschaft am Verwertungsrecht dabei leider aber übersieht und stattdessen eine Interessengemeinschaft annimmt). Baum, KTS 1989, 553, 578, kommt der Interessengemeinschaft nahe, wenn er in der Insolvenz eine Verlustgemeinschaft der Gläubiger analog der großen Havarei des § 700 HGB annimmt.
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Verbindung«100 geht daher am Charakter der Bindung unter den Gläubigern vorbei, entsteht unter ihnen doch weder ein Gesellschaftsvermögen noch ein freiwillig sich findender Verband der Gläubiger, sondern eine (Zwangs-)Gemeinschaft im Sinne des § 741 BGB. Festzuhalten bleibt dennoch, dass die ganz herrschende Ansicht inklusive derjenigen, die ein gemeinsames Verwertungsrecht der Gläubiger an der Insolvenzmasse und damit eine echte Bruchteilsgemeinschaft unter ihnen verneinen, in den Gläubigern im Insolvenzverfahren zumindest eine organisierte (Verfahrens- oder Interessen-)Gemeinschaft oder gesellschaftsähnliche Organisation sehen und hieraus die Rechte der Gläubigergesamtheit im Insolvenzverfahren erklären. Die Feststellung, dass die Gläubiger in ihrer Gesamtheit als organisationsrechtliche Einheit im Verfahren auftreten, steht damit auf einer sehr breiten und weitgehend anerkannten Grundlage. Lediglich die richtige Einordnung dieser Erkenntnis ist bislang nicht gelungen – die »organisationsrechtliche Einheit« der Gläubiger ist eine Rechtsgemeinschaft. b) Exkurs: Die Gläubiger vor der Verfahrenseröffnung Nur kurz erwähnt sei an dieser Stelle die hier ansetzende Diskussion über die Möglichkeit einer Interessengemeinschaft unter den Gläubigern eines überschuldeten Schuldners vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. In seiner Entscheidung zu Mitwirkungspflichten von Gläubigern bei außergerichtlichen Sanierungsbemühungen ging der BGH davon aus, dass die Gläubiger eines Schuldners erst im Insolvenzverfahren eine »Rechtsgemeinschaft« bilden.101 Dies ist zutreffend, entstehen doch erst durch die Verfahrenseröffnung die Insolvenzmasse als echtes Sondervermögen des Schuldners sowie das darauf bezogene gemeinschaftliche Verwertungsrecht der Gläubiger (vgl. §§ 1 Satz 1, 80 InsO). Erst in diesem Moment liegen das allen Gläubigern gemeinschaftliche Recht und der Gegenstand dieses Rechts vor, so dass erst in diesem Moment eine Rechtsgemeinschaft im Sinne des § 741 BGB gebildet wird. In der vorangehenden Krise des Schuldners existiert demgegenüber allein das einheitliche Vermögen des Schuldners, welches nicht ausschließlich allen Gläubigern als Haftungsmasse zugewiesen ist, sondern durchaus Gegenstand weiterer Rechtsgeschäfte des Schuldners mit neuen Personen sein kann. Verwertungsrechte an Vermögensgegenständen des Schuldners haben zugleich nur die Gläubiger, die erfolgreich die Zwangsvollstreckung in das Schuldnervermögen betreiben oder anderweitig dinglich gesichert sind. Ein gemeinsames Verwertungsrecht aller
100 Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, § 217 Rn. 9, 19; ders., Unternehmenssanierung, S. 854; ähnlich Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 468 (»gesellschaftsähnliche Zwangs- und Schicksalsgemeinschaft«), wenn sie die Abstimmung der Gläubiger gesellschaftsrechtlichen Regelungen unterwerfen wollen. 101 BGHZ 116, 319, 323.
C. Die Abstimmung der Gläubiger
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Gläubiger existiert nicht. Die Annahme einer Rechtsgemeinschaft der Gläubiger kommt daher nicht in Betracht.102 Offen bleibt damit die Annahme einer schlichten Interessengemeinschaft unter den Gläubigern. In einer solchen Gemeinschaft sollen Personen mit gleichartigen Interessen zum Zwecke ihrer Gleichbehandlung im Zugriff auf ein knappes Gut zusammengefasst werden.103 Eine Interessengemeinschaft verlangt also noch weniger Organisation als eine Bruchteilsgemeinschaft. Sie wird allein durch die Interessenparallelität ihrer Mitglieder und die Notwendigkeit einer auf Gleichbehandlung ausgerichteten Binnenorganisation aufgrund einer Mangelsituation definiert. Eine solche Mangelsituation liegt zweifelsohne bereits in der Krise vor. Reicht das Schuldnervermögen nicht mehr aus, um alle vorhandenen Gläubiger zu befriedigen, so kann kein Gläubiger mehr eine volle Befriedigung seiner Forderung sicher erwarten. Viele werden aufgrund der Überschuldung wohl sogar leer ausgehen. Bemüht sich der Schuldner in dieser Krisensituation um eine außergerichtliche Sanierung, so treten ihm seine Gläubiger – wie gesehen – noch nicht als Rechtsgemeinschaft gegenüber. Wegen des begrenzten Umgangs des Schuldnervermögens und der daraus drohenden Gefahr des Ausfalls einiger Gläubiger sehen einzelne Autoren die Gläubiger in diesem Stadium als Teil einer Gefahren- oder Interessengemeinschaft, was sie zur Koordinierung einer bestmöglichen Haftungsverwirklichung, insbesondere aber zur Mitwirkung an einer mehrheitlich befürworteten Sanierung verpflichten soll.104 Überzeugen kann dies nicht.105 Für die Annahme einer solchen Gemeinschaft fehlt es an einem hinreichend engen Kontakt zwischen den Gläubigern vor Insolvenzeröffnung, der eine solche Sonderbeziehung zwischen ihnen begründen könnte, und der daraus entstehenden Interessenparallelität. Sie teilen sich kein Sondervermögen und kein Verwertungsrecht; ihr Haftungsobjekt (Schuldnervermögen) ist lediglich faktisch begrenzt. Dieses Faktum ist die einzige beson102
Ebenso schon Berges, KTS 1960, 1, 8. Würdinger, Interessengemeinschaft, S. 16, 69; Wüst, Interessengemeinschaft, S. 45 f.; auch Hueck, Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S. 142–144 (insbes. Fn. 47). 104 Behmer, Sanierungsvergleich, S. 31, 37 f., 103; Habscheid, GS Bruns (1980), 253, 262; Wüst, Interessengemeinschaft, S. 45; ders., FS Wilburg, 1965, 257, 270 f.; ders., FS Wiese, 1998, 649, 654 f. Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 597 ff., sieht zwar eine Interessengemeinschaft zwischen den Gläubigern, leitet ihre Kooperationspflichten dann aber nicht aus einer Analogie zu den §§ 742 ff. BGB, sondern aus einer gesellschaftsähnlichen Sonderbeziehung her (S. 607 f., 614 sowie zuletzt erneut in ZIP 2007, 1729, 1732; ZZP 121 (2008), 273, 290 und ZIP 2010, 649, 659); ebenso Künne, AVerglO, S. 52 f. Auch Hänel, Gläubigerautonomie, S. 64, sieht zwar bereits eine »Risikogemeinschaft« der Gläubiger in der Krise, leitet aus ihr dann aber keinerlei rechtliche Folgen her. 105 Ebenso die wohl herrschende Ansicht: BGHZ 116, 319, 325; Ebenroth/Grashoff, BB 1992, 865, 870; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 27.04; Jauernig, ZIP 1980, 318, 323; Lent, in: Jaeger, KO, 6. Auflage, Vorbem zu §§ 61–70, S. 829; Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 272; Oelrichs, Gläubigermitwirkung, S. 14 f.; Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 191 ff. 103
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dere Komponente in der Krise. Das nun wahrscheinlicher bis gewiss werdende Ausfallrisiko kann jedoch nicht schon deshalb sozialisiert werden. Die Gläubiger stehen doch bis zur Verfahrenseröffnung in einem echten Konkurrenzverhältnis und sind gerade nicht zu Rücksichtnahmen untereinander bei der Verfolgung ihrer Ansprüche und insbesondere nicht zur Hinnahme von Forderungsstundungen oder -abschlägen zugunsten anderer verpflichtet. Eigensinniges Verhalten ist in unserer Wirtschaftsordnung gerade nicht unzulässig, selbst wenn es zum Nachteil anderer Gläubiger gereicht.106 Vielmehr ist jeder Gläubiger gehalten, sein Ausfallrisiko präventiv bei Aufnahme der Geschäftsbeziehung einzuschätzen und Sicherungsmaßnahmen oder Risikoabschläge einzukalkulieren. Eine in der Krise des Schuldners automatisch eintretende Vergemeinschaftung aller Gläubiger kann insofern kaum begründet werden. Es gibt kein gemeinschaftliches Interesse; eine Interessenparallelität, wie sie die Interessengemeinschaft voraussetzt, fehlt. Servatius hat diese materielle Argumentation zuletzt methodologisch ergänzt, indem er auf das Schuldverschreibungsgesetz hinwies. In diesem Gesetz hatte der Gesetzgeber im Jahr 1899 nur die Schuldverschreibungsbesitzer rechtlich organisiert und einer Versammlung dieser Gläubiger erlaubt, durch qualifizierte Mehrheitsbeschlüsse Verzichts- oder Stundungsleistungen zum Zwecke der Sanierung des gemeinsamen Schuldners für alle Schuldverschreibungsgläubiger zu beschließen. Die Novellierung dieses Gesetzes im Jahr 2009 brachte diesbezüglich keine Änderungen. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber explizit nur Schuldverschreibungsgläubiger in der Krise des Schuldners zu einer rechtlich relevanten Personengruppe zusammenfasst und den kollektiven Willen dieser Gruppe anerkennt, folgert Servatius zutreffend, dass es eine derartige Gruppe aller Gläubiger – etwa in Form einer Interessengemeinschaft – ohne diese gesetzliche Anordnung nicht gibt, wäre das Gesetz doch ansonsten überflüssig.107 Das auf Schuldverschreibungsgläubiger beschränkte gesetzgeberische Handeln beinhaltet im Umkehrschluss eine Absage an die Idee, die Gläubiger würden ohnehin schon in der Krise des Schuldners eine rechtlich relevante, mit Willensbildungskompetenzen ausgestattete Interessengemeinschaft bilden. Bitter versucht vor diesem Hintergrund, allein aus der faktischen Einwirkungsmöglichkeit derjenigen Gläubiger, die eine außergerichtliche Sanierung blockieren, auf die Rechtsgüter derjenigen, die diese befürworten, eine Duldungspflicht im Sinne des Aufopferungsgedankens herzuleiten.108 Die geringe oder gar fehlende vertragliche Bindung hindere das Entstehen einer Pflichtenbindung nicht, wenn die Intensität der Einwirkungsmacht auf fremde Rechts106 Die einzige Grenze zieht hier § 826 BGB, der jedoch nicht eingreift, solange ein Gläubiger seine Ansprüche mit erlaubten Mitteln verfolgt – vgl. Jauernig, ZIP 1980, 318, 322 m. w. N. 107 Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, S. 257 f. 108 Bitter, ZGR 2010, 147, 172 ff.
C. Die Abstimmung der Gläubiger
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güter sehr hoch ist. Dies sei in der Krisensituation zunächst unter den Gesellschaftern der Fall: »Im Interesse der Gemeinschaft der Sanierungsbeteiligten muss der einzelne Gesellschafter sein Eigeninteresse zurückstellen, da eine Blockade der Sanierung auch die Vermögenssphäre der Mitgesellschafter erheblich tangiert.«109 Dieser Gedanke müsse dann aber auch für die Gläubiger gelten: »Wird einer von mehreren Gläubigern verpflichtet, einem Sanierungskonzept beizutreten und den mehrheitlich erreichten Akkord nicht zu stören, dann wird von ihm allein verlangt, seine Rechtsposition – die Inhaberschaft an der Forderung zum Nominalbetrag – gegen angemessenen Ausgleich aufzugeben.«110 Diese Argumentation kann – was Bitter explizit voraussetzt111 – nur Erfolg haben, wenn man die klassische Trennung zwischen Delikt und Vertrag aufgibt und stattdessen fließende Übergänge zwischen beiden Kategorien akzeptiert. Das geltende Zivilrecht enthält aber noch eine klare Trennlinie zwischen einer gesellschaftsvertraglichen Pflichtenbindung, die auch in Publikumsgesellschaften vorhanden ist, und der rein deliktischen Beziehung zwischen Personen. Für letztere bestimmt allein das Gesetz die Pflichtenlage. Das von Bitter angeführte nachbarschaftliche Gemeinchaftsverhältnis112 ist insofern keine Ausnahme, haben dessen Pflichten doch in § 906 BGB eine gesetzliche Grundlage. Eine grundlegende Umgestaltung dieser zivilrechtlichen Dogmatik zum Zwecke der Einbindung von Akkordstörern in der Krise eines Unternehmens scheint ohne ein Tätigwerden des Gesetzgebers, also allein im Wege der Rechtsfortbildung, insofern kaum möglich und dieses Tätigwerden ist – wie Servatius zutreffend bemerkt hat – anlässlich des neuen Schuldverschreibungsgesetzes in Kenntnis der Problemlage unterblieben. Eine Pflichtenbindung kann es für die Gläubiger vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mithin nicht geben. Es steht den Gläubigern allerdings frei, sich zur außergerichtlichen Sanierung des Schuldners freiwillig zu organisieren und zu einem Verband zusammenzuschließen. Diesem Verband, der als Gesellschaft nach § 705 BGB einzuordnen ist, gehören dann aber nur die freiwillig teilnehmenden Gläubiger an. Pflichten gegenüber kooperationsunwilligen Gläubigern kann er nicht begründen.113 109
Bitter, ZGR 2010, 147, 178. Bitter, ZGR 2010, 147, 180 f. 111 Bitter, ZGR 2010, 147, 182. 112 Bitter, ZGR 2010, 147, 182 f. 113 Dieser Grundsatz scheint unstreitig – vgl. etwa BGHZ 116, 319, 324; RG JW 1938, 178; OLG Celle NJW 1965, 399; KG ZIP 1980, 963, 964; Ebenroth/Grashoff, BB 1992, 865, 869; Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 273 f.; Mühl, NJW 1956, 401, 403. Unklar ist allein, ob bereits aus der bloßen Zustimmung zum Vergleich – so etwa RG JW 1938, 178; OLG Celle NJW 1965, 399; KG ZIP 1980, 963, 964; Künne, AVerglO, S. 52 f.; Mühl, NJW 1956, 401, 403 – oder erst konstitutiven Akten wie der Bildung eines Gläubigerausschusses auf den Gläubigerwillen zur Teilnahme an einer Gläubigergesellschaft geschlossen werden darf – so (wohl zu Recht) etwa Ebenroth/Grashoff, BB 1992, 865, 869; Kohler-Gehrig, Außergerichtlicher Vergleich, S. 50. Behmer, Sanierungsvergleich, S. 42 ff., lehnt gänzlich das Entstehen einer Gläubigergesellschaft ab, wenn es hierzu keine ausdrücklichen Erklärungen gibt. 110
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
c) Die Gläubigergruppen des § 222 InsO Die nach § 222 InsO vom Planinitiator gebildeten Gläubigergruppen sind nach den bisherigen Erkenntnissen weder Gesellschaften bürgerlichen Rechts noch Rechtsgemeinschaften. Ihre rechtliche Situation unterscheidet sich dennoch grundlegend von der gerade erläuterten Rechtsstellung eines Gläubigers außerhalb des Insolvenzverfahrens. Die Gläubiger in den Plangruppen sind vom Insolvenzverfahren bereits betroffen und folglich daran gehindert, ihre Forderungsrechte gegen den Schuldner frei durchzusetzen. Das Konkurrenzverhältnis ist damit einem Rechtsverhältnis gewichen, in dem sie (als Teil einer Rechtsgemeinschaft) Rücksichtnahmepflichten unterliegen. Werden sie in dieser Situation nun zwangsweise in Gruppen unterteilt, in denen sie auf Gläubiger mit gleicher Rechtsstellung (§ 222 Abs. 1 InsO) oder sogar auf Gläubiger mit gleicher Rechtsstellung und gleichartigen wirtschaftlichen Interessen (§ 222 Abs. 2 InsO) treffen, so hebt das die Bindungen des allgemeinen Insolvenzverfahrens nicht auf. Diese bleiben auch in einem Insolvenzplanverfahren der §§ 217 ff. InsO erhalten. Ein Insolvenzplan will dann aber abweichend vom Regelinsolvenzverfahren eine besondere Form der Insolvenzbewältigung erreichen und führt somit in der Regel dazu, dass die Gläubiger unter Geltung eines Insolvenzplans anders behandelt und am Schuldnervermögen beteiligt werden als im Regelinsolvenzverfahren. Diese besondere Behandlung ist – wiederum anders als in der Regelinsolvenz – nicht für jeden Gläubiger gleich, sondern wird je nach Konzept des Planverfassers unterschiedlich ausfallen. Die Behandlung der einzelnen Gläubiger ist daher im Plan möglichst weitgehend zu konkretisieren, ohne zugleich die Planaufstellung unnötig zu verkomplizieren. Zu diesem Zweck können die Gläubiger in verschiedene Gläubigergruppen unterteilt werden, in denen sich dann jeweils Gläubiger finden, die aufgrund ihrer gleichen Rechtsstellung auch nach dem Plan gleich behandelt werden sollen. Gesicherte, also absonderungsberechtigte Gläubiger finden sich daher in anderen Gruppen als einfache oder nachrangige Insolvenzgläubiger (§ 222 Abs. 1 InsO). Doch damit nicht genug; auch innerhalb einer Gruppe Gläubiger mit gleicher Rechtsstellung kann es eine Vielzahl verschiedener Interessen geben, die eine unterschiedliche Behandlung dieser Gläubiger erfordern.114 Bei absonderungsberechtigten Gläubigern können sich solche finden, deren Forderung zwar vom Fortführungswert, nicht aber vom Zerschlagungswert des Sicherungsgutes gedeckt ist, und die daher eher als andere Gläubiger ihrer Gruppe auf eine Sanierung des Schuldners drängen und zu Zugeständnissen bereit sein werden. In der Gruppe der Insolvenzgläubiger werden Gläubiger mit Bagatellforderungen häufig befriedigt werden können, wodurch zugleich das Verfahren vereinfacht wird, während von Lieferanten und Banken nicht nur Stundungen und Forderungserlasse, sondern auch 114
Dies erkannte gerade auch der Gesetzgeber – BT-Drucks. 12/2443, S. 199.
C. Die Abstimmung der Gläubiger
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neue Warenlieferungen und Kreditlinien erwartet werden. Arbeitnehmer sollen auf Lohn verzichten, absonderungsberechtigte Gläubiger auf die Verwertung ihrer Sicherungsrechte. Auf diese vielfältige und teilweise unübersichtliche Interessenlage muss der Insolvenzplan – anders als das Regelinsolvenzverfahren – mit differenzierten Regelungen reagieren, da er auf die Mitwirkung der Gläubiger zu seiner Annahme angewiesen ist. Die gesetzliche Regelung in § 222 InsO erkennt dieses Bedürfnis und ermöglicht folgerichtig, die Gläubiger in verschiedene, ausdifferenzierte Gruppen zu unterteilen; je nach Rechtsstellung (absonderungsberechtigter, einfacher oder nachrangiger Insolvenzgläubiger, § 222 Abs. 1 Satz 2 InsO) und zudem je nach wirtschaftlicher Interessenlage (Bagatellgläubiger, Lieferanten, Banken, Arbeitnehmer usw., § 222 Abs. 2 und 3 InsO).115 Das Ergebnis der Umsetzung der gesetzlichen Regelung aus § 222 InsO im jeweiligen Plan sind Gläubigergruppen, in denen sich Gläubiger mit gleicher Rechtsstellung und regelmäßig gleicher wirtschaftlicher Interessenlage finden. Gerade diese Gruppen sind dann nach den §§ 243, 244 InsO zur Abstimmung über den Plan berufen und damit als Entscheidungsträger rechtlich anerkannt. Die darin liegende Übertragung der Entscheidungsmacht von der Gläubigergemeinschaft auf die gebildeten Gruppen ist keine Laune des Gesetzgebers, sondern ergibt sich nahezu zwingend aus dem Umstand, dass die Gläubiger von einem Insolvenzplan nicht wie im Regelinsolvenzverfahren einheitlich und nur entsprechend der Rangstellung behandelt werden können, mit der sie in die Insolvenz einstiegen. Ein Insolvenzplan wird in der beabsichtigten Umsetzung eines Sanierungskonzeptes nicht alle gesicherte Gläubiger mittels Verwertung ihrer Sicherheit oder alle einfachen Insolvenzgläubiger durch eine einheitliche Quote gleichmäßig behandeln können. Der Grundsatz der »par conditio creditorum« kann in seiner Allgemeinheit nicht gelten. Folglich kann auch die Abstimmung über den Insolvenzplan nicht durch eine gemeinsame Entscheidung aller Gläubiger in einer Gläubigerversammlung erfolgen, bei der sich das Stimmgewicht allein an der Rechtsstellung orientiert, mit welcher der Gläubiger im Insolvenzverfahren beteiligt ist. In diesem Fall hätten die Großgläubiger die Planannahme in ihrer Hand und könnten den anderen Gläubigern Opfer aufzwingen, die nicht von einer optimalen Insolvenzbewältigung im Interesse aller Beteiligten gerechtfertigt sind. Bei der Abstimmung über den Plan muss viel115 Die sich daraus ergebenden weiten Gestaltungsspielräume für einen Plangestalter mag man im Hinblick auf Missbrauchsgefahren als zu weitreichend und wenig kontrolliert kritisieren (Smid, InVo 1997, 169); im Interesse einer – im Gegensatz zu den Vorgängerregelungen – möglichst inhaltsoffenen und damit an den Einzelfall ideal anpassbaren Plangestaltung wird man diese Freiräume in der Gruppenbildung aber – im Einklang mit der gesetzlichen Regelung – erst dort begrenzen dürfen, wo die Einteilung der Gläubiger ohne sachlichen Grund (§ 222 Abs. 2 Satz 2 InsO) oder intransparent erfolgt (§ 222 Abs. 2 Satz 3 InsO) – so auch Hess/Weis, InVo 1998, 64, 65; Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, § 222 Rn. 9; Herzig, Insolvenzplanverfahren, S. 247 ff.
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
mehr jedem gleichartig vom Plan betroffenen Gläubiger ein prinzipiell gleiches Stimmgewicht zustehen. Dies wird erreicht, indem die Mehrheitsmacht auf Gruppen verteilt wird, in denen sich Gläubiger mit gleicher Rechtsstellung finden, die im Fall der Gruppenbildung nach § 222 Abs. 2 InsO sogar dieselben wirtschaftlichen Interessen verfolgen. Findet sich dann in einer Gruppe eine Mehrheit der gleichartig vom Plan betroffenen Gläubiger bereit, die für sie vorgesehenen gleichen Opfer zu tragen, so legitimiert diese Entscheidung auch die Bindung der vom Plan gleichartig betroffenen Minderheit. Die gesetzliche Regelung zur Gruppenbildung ist also nicht allein auf eine Erleichterung der Durchsetzung von Insolvenzplänen angelegt; sie folgt als notwendige Konsequenz vielmehr den Besonderheiten einer planmäßigen Insolvenzbewältigung.116 Doch welcher Form der Personenmehrheit ist die Gläubigergruppe der §§ 222, 243, 244 InsO nun zuzuordnen? Die Gläubiger einer einzelnen Gruppe teilen sich kein gemeinschaftliches Recht; sie bilden folglich keine Rechtsgemeinschaft im Sinne der §§ 741 ff. BGB. Andererseits verfolgen sie nicht nur allgemein dasselbe Interesse an einer bestmöglichen Haftungsverwirklichung, das alle Insolvenzgläubiger eint. Sie verbindet vielmehr die gleiche Rechtsstellung gegenüber dem Schuldner, sie haben also dieselben rechtlichen Interessen. Erfolgt dann unter ihnen eine weitere Ausdifferenzierung nach § 222 Abs. 2 InsO, so verfolgen die Gläubiger einer Gruppe nicht nur dieselben rechtlichen, sondern zugleich dieselben wirtschaftlichen Interessen. Hauptzweck der Gruppenbildung ist schlicht die Schaffung von Gläubigergruppen mit einem Höchstmaß an Interessenparallelität bei den darin zu findenden Gläubigern.117 Aus diesem Interessengleichlauf folgt zugleich, dass alle Gläubiger einer Gruppe ihre Gleichbehandlung durch den Plan verlangen können (§ 226 InsO). Betrachtet man diesen rechtlichen Befund, also die Zusammenfassung von Gläubigern mit gleichartigen Interessen zum Zwecke der Gleichbehandlung im Zugriff auf ein knappes Gut, so sind alle Merkmale erfüllt, die verbreitet die Annahme einer (schlichten) Interessengemeinschaft rechtfertigen.118 Die Gläubigergruppe ist eine Interessengemeinschaft. Diese Feststellung dient dabei allein der dogmatischen Einordnung der Gläubigergruppe in das zivilrechtliche System der Personen116 Braun, in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 68 Rn. 48; Flessner, Sanierung und Reorganisation, S. 275; Grub, FS Uhlenbruck, 2000, 501, 505; Herzig, Insolvenzplanverfahren, S. 219, 225 f.; Kersting, Gläubiger im Insolvenzplanverfahren, S. 64; Meyer-Haberhauer, Insolvenzplan, S. 178; Schiessler, Insolvenzplan, S. 119. Die Inhomogenität der vom Plan betroffenen Gläubiger unterscheidet ihn auch entscheidend von seinen Vorgängerregelungen (Vergleich und Zwangsvergleich), die allein die Vergleichsgläubiger bzw. die einfachen Konkursgläubiger banden und daher einer Abstimmung in Gruppen nicht bedurften. 117 Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, § 222 Rn. 4; Herzig, Insolvenzplanverfahren, S. 218. 118 Würdinger, Interessengemeinschaft, S. 16, 69; Wüst, Interessengemeinschaft, S. 45 f.; auch Hueck, Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S. 142–144 (insbes. Fn. 47).
C. Die Abstimmung der Gläubiger
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mehrheiten; rechtliche Schlussfolgerungen lassen sich daran kaum knüpfen. Die §§ 217 ff. InsO enthalten umfangreiche und eigenständige Regelungen zur Entscheidungsmacht und Zuständigkeit der Interessengemeinschaft »Gläubigergruppe«, weshalb es keines Rückgriffs auf die §§ 741 ff. BGB unter Berufung auf eine Interessengemeinschaft bedarf, um die Rechte und Pflichten der Mitglieder dem Gemeinschaft zu bestimmen bzw. zu begrenzen.119 Dennoch bleibt als Erkenntnis festzuhalten, dass sich die nach §§ 243, 244 InsO abstimmende Gläubigergruppe als Interessengemeinschaft und damit als rechtlich anerkannte Personengruppe erfassen lässt, welche somit ebenfalls einer eigenen, internen Willensbildung fähig ist. 4. Ergebnis Aus den vorangegangenen Untersuchungen ergaben sich gleich zwei für eine interne Willensbildung mittels Abstimmung relevante Personengruppen: die Gläubigergemeinschaft und die Gläubigergruppen. Sämtliche nicht aussonderungsberechtigten Gläubiger des Schuldners bilden im Insolvenzverfahren keine Gesellschaft oder gesellschaftsähnliche Gemeinschaft, sondern eine Rechtsgemeinschaft im Sinne des § 741 BGB. Ihnen steht gemäß § 1 Satz 1 InsO die Insolvenzmasse als Befriedigungsobjekt zu. Sie teilen sich daher ein Verwertungsrecht gemeinschaftlich. Für eine danach mögliche Anwendung der §§ 742 ff. BGB fehlt es angesichts der detaillierten Regelungen in der Insolvenzordnung allerdings weitgehend an der in § 741 BGB ausdrücklich vorausgesetzten gesetzlichen Regelungslücke. Lediglich in den Fällen, in denen sich aus der Insolvenzordnung keine eigene Regelung ergibt, ist ein Rückgriff auf die §§ 742 ff. BGB denkbar. Wird im Regelinsolvenzverfahren ein Insolvenzplan eingebracht, so werden die Gläubiger in diesem Plan in Gruppen unterteilt, die Gläubiger mit gleicher Rechtsstellung und gleichartigen wirtschaftlichen Interessen zusammenfassen. Die Gemeinschaft der Gläubiger unterteilt sich im Insolvenzplanverfahren damit in die verschiedenen (schlichten) Interessengemeinschaften der Gläubigergruppen. Die damit verbundenen Rechtsfolgen ergeben sich aus den §§ 222 ff. InsO und liegen insbesondere im nur gruppenbezogenen Gleichbehandlungsgebot (§ 226 InsO). Im Ergebnis sind damit sowohl die Gläubiger in ihrer Gesamtheit als auch die Gläubiger in den jeweiligen Gläubigergruppen Teil einer Personenmehrheit, die 119 Es ist die Idee der Einschränkung persönlicher Rechte allein auf der Grundlage gleichgerichteter Interessen, die den Widerstand gegen die Anerkennung einer Interessengemeinschaft als rechtliche Kategorie hervorruft – vgl. Langhein, in: Staudinger, BGB (2008), § 741 Rn. 174; abgeschwächt auch Schmidt, in: MünchKomm, BGB, § 741 Rn. 71. Bei einer gesetzlich geregelten Interessengemeinschaft wie der »Gläubigergruppe« gibt es für solche Bedenken keinen Grund. Die Kategorie der schlichten Interessengemeinschaft als solche hingegen erscheint heute allgemein bekannt.
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
rechtlich anerkannt ist und an die sich rechtliche Befugnisse und Aufgaben knüpfen. Die für die Willensbildung der Gläubiger zum Insolvenzplan maßgebliche Personengruppe wird sich erst aus der Betrachtung der zweiten Voraussetzung eines wirksamen willensbildenden Beschlusses ergeben: Die Entscheidung über den Insolvenzplan muss innerhalb des zweckbestimmten Wirkungsbereichs der Gruppe liegen.
III. Entscheidung innerhalb des Wirkungsbereichs der Personengruppe Anders als bei natürlichen Personen, die sich gegenständlich unbeschränkt zu jedem Handeln entschließen können, entscheidet bei Personenmehrheiten die Rechtsordnung nicht nur, ob sie einzelne Gruppen überhaupt als handlungsfähig oder gar rechtsfähig anerkennt, sondern auch, für welche Zwecke und damit für welchen Bereich dies gelten soll. So kann ein eingetragener Verein nur ideelle Zwecke verfolgen (§ 21 BGB), eine BGB-Gesellschaft darf kein Handelsgewerbe betreiben (vgl. § 105 HGB), eine Partnerschaftsgesellschaft darf nur zur Ausübung freier Berufe betrieben werden (§ 1 PartGG). Überschreiten die Gruppenmitglieder diesen gesetzlich anerkannten, durch den Zweck definierten Wirkungskreis, so hat ihr Handeln für die jeweilige Personengruppe keine Relevanz.120 Daneben kann der Zweck einer Personengruppe aber durch ihre Mitglieder in einem Gesellschaftsvertrag oder einer Satzung beschränkt werden. Überschreitet ein Beschluss der Gruppe diese Grenze, so hat dies wiederum zur Folge, dass der Beschluss keine Wirkungen nach innen erzeugt; er bindet überstimmte Mitglieder nicht.121 Für die Frage nach den Bindungswirkungen eines Beschlusses für überstimmte Gruppenmitglieder bleibt festzuhalten, dass diese nur entstehen können, wenn sich der Beschluss im Rahmen des gesetzlich anerkannten oder durch die Satzung bestimmten Wirkungskreis der Personengruppe hält. Die Gruppe kann daher nur in dem Bereich rechtlich relevant tätig werden, in dem sie ihrem Zweck nach anerkannt ist; nur innerhalb ihres rechtlich anerkannten, zweckbestimmten Wirkungsbereiches besitzt eine Personenmehrheit Wirkungsfähig120 Entschließen sich also etwa die Mitglieder eines Vereins oder einer BGB-Gesellschaft, statt ideeller Zwecke nun ein Handelsgewerbe zu betreiben, so widerspricht dies dem anerkannten Zweck ihrer Gesellschaftsform und führt zum Verlust der Rechtsfähigkeit – beim Verein durch Entziehung nach § 43 Abs. 2 BGB, bei der BGB-Gesellschaft durch deren Behandlung als Handelsgesellschaft (§ 105 HGB – unstreitig – vgl. Ulmer, in: MünchKomm, BGB, § 705 Rn. 3). 121 Bei der Frage der Außenbindung ist hingegen zu differenzieren: Eine Umsetzung dieses (unwirksamen) Beschlusses nach außen, z. B. durch einen Vertragsschluss mit Dritten, kann im Interesse des Verkehrsschutzes durchaus Bindungswirkungen erzeugen (vgl. etwa §§ 82 AktG, 37 Abs. 2 GmbHG, 127 Abs. 2 HGB, anders aber § 26 Abs. 2 Satz 2 BGB), wobei aber zumindest die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht zu berücksichtigen sind. Das deutsche Privatrecht ist insofern bei genauer Betrachtung doch nicht so weit von der angloamerikanischen »Ultra-Vires-Doktrin« entfernt.
C. Die Abstimmung der Gläubiger
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keit.122 Ein Beschluss einer Personengruppe, der über den ihr eigenen Wirkungskreis hinausgeht, kann keine bindenden Wirkungen (etwa für überstimmte Mitglieder der Gruppe) erzeugen; er bleibt ohne rechtliche Bedeutung und ist damit nicht mehr als ein tatsächliches Ereignis.123 Ein Beschluss ist somit nur dann zur Willensbildung in einer Personengruppe befähigt, wenn er sich »sachlich im Rahmen des normativ bestimmten Wirkungsbereichs der Personenmehrheit hält.«124 1. Der Beschluss der Gläubigergemeinschaft über den Insolvenzplan Wenden wir uns vor diesem Hintergrund der ersten Personenmehrheit zu, die als Entscheidungsträger in Betracht kommt: der Gläubigergemeinschaft. Diese ist nach den bisherigen Erkenntnissen als Rechtsgemeinschaft gemäß § 741 BGB einzuordnen, so dass nun zu untersuchen ist, ob ein Beschluss über einen Insolvenzplan innerhalb des rechtlichen anerkannten Wirkungsbereiches einer Rechtsgemeinschaft bleibt. a) Der Wirkungskreis der Bruchteilsgemeinschaft Die rechtlichen Regelungen zur Rechtsgemeinschaft finden sich in den §§ 741 ff. BGB, die zur Willensbildung speziell in den §§ 744–748 BGB. Das Wesen dieser Gemeinschaft wird dadurch bestimmt, dass den Teilhabern ein Recht gemeinschaftlich nach Bruchteilen zusteht. Dementsprechend ist auch die Willensbildung in den §§ 744 ff. BGB gegenständlich auf Fragen begrenzt, welche den Umgang mit dem gemeinschaftlichen Recht betreffen: dessen Verwaltung und Benutzung (§§ 744, 745 BGB), Verfügungen über den Gegenstand des Rechts (§ 747 Satz 2 BGB) sowie die Kosten und Lasten, welche durch den gemeinschaftlichen Gegenstand verursacht werden (§ 748 BGB). Der Wirkungskreis der Rechtsgemeinschaft beschränkt sich damit auf das gemeinschaftliche Recht und die Folgen seiner Nutzung und Verwaltung. Zu Eingriffen in das Privatvermögen der Teilhaber ist die Rechtsgemeinschaft nur in diesem Rahmen befugt.125 Insbesondere aber finanzielle Opfer, die weder das gemeinschaftliche Recht am Gegenstand noch dessen Lasten und Kosten betreffen, können den Teilhabern durch die Gemeinschaft nicht auferlegt werden. Sie liegen außerhalb des rechtlich anerkannten Wirkungskreises der Rechtsgemeinschaft.
122 Baltzer, Beschluss, S. 45 ff.; Basty, Gläubigerinteressen, S. 57; Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, S. 82 f. 123 Baltzer, Beschluss, S. 47. 124 Baltzer, Beschluss, S. 48. 125 Zur Zulässigkeit von Mehrheitsentscheidungen bei Kostenfragen – siehe etwa Langhein, in: Staudinger, BGB (2008), § 745 Rn. 8–10.
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
b) Die Entscheidung über den Insolvenzplan Überträgt man den Wirkungskreis einer Bruchteilsgemeinschaft auf die Rechtsgemeinschaft der Insolvenzgläubiger, so ergibt sich eine faszinierende Erkenntnis. Wie in der Insolvenzordnung vorgesehen, deckt dieser Wirkungskreis Entscheidungen im Regelinsolvenzverfahren ab, während er im Insolvenzplanverfahren verlassen wird. Der Wirkungskreis der Rechtsgemeinschaft wird durch ihr gemeinschaftliches Recht bestimmt und dieses findet sich bei der Gläubigergemeinschaft in dem gemeinschaftlichen Verwertungsrecht an der Insolvenzmasse aus § 1 InsO. Der Wirkungskreis der Gläubigergemeinschaft beschränkt sich folglich auf Entscheidungen über dieses Verwertungsrecht und dessen Gegenstand – die Insolvenzmasse, über deren Verwaltung und Nutzung, deren Kosten und Lasten. Dieser Wirkungskreis deckt sich mit den Befugnissen, welche der Gläubigerversammlung als Willensbildungsorgan der Gläubigergemeinschaft im Regelinsolvenzverfahren zustehen; sie entscheidet allein über Fragen bezüglich des gemeinschaftlichen Verwertungsrechts. Die Gläubigergemeinschaft beschließt (durch Mehrheitsbeschluss, § 76 Abs. 2 InsO) etwa über Fragen der weiteren Art der Nutzung des gemeinschaftlichen Gegenstandes »Insolvenzmasse« (§ 157 InsO: Fortführung oder Stilllegung des Schuldnerunternehmens) und setzt zur Verwaltung des Gegenstandes einen Verwalter, den Insolvenzverwalter, ein (§ 57 InsO). Stimmt die Gläubigerschaft mehrheitlich für eine Veräußerung des Schuldnerunternehmens oder aber wesentlicher Teile desselben, so geht diese Befugnis zwar nicht über den gegenstandsbezogenen Wirkungskreis der Gemeinschaft voraus, wohl aber über die Bereiche, die nach den §§ 745 Abs. 3, 747 Satz 2 BGB einer Mehrheitsmacht unterliegen. Diese Besonderheit lässt sich damit erklären, dass die Gemeinschaft der Insolvenzgläubiger stets eine Gemeinschaft im Auflösungsstadium ist. Die Befugnis zur Veräußerung und Verwertung des gemeinschaftlichen Gegenstandes unabhängig vom Einstimmigkeitserfordernis des § 747 Satz 2 BGB ergibt sich daher aus § 753 BGB, der einen Verkauf des Gemeinschaftsgegenstandes ohne Einwilligung aller zulässt, wenn eine Teilung unter den Teilhabern in Natur nicht möglich ist.126 Entscheidend ist aber, dass der »Anteil« des einzelnen Teilhabers an der Gemeinschaft auch im Regelinsolvenzverfahren unangetastet bleibt. Dieses »Anteilsrecht« des einzelnen Gläubigers am gemeinschaftlichen Verwertungsrecht hinsichtlich der Insolvenzmasse folgt aus seinem persönlichen Forderungsrecht gegen den Schuldner und dieses Recht kann ihm – wie es auch § 745 Abs. 3 Satz 2 BGB festschreibt – nicht durch die Gläubigermehrheit genommen werden.
126 § 753 BGB soll gerade eine Veräußerung des Gemeinschaftsgegenstandes ohne die nach § 747 Satz 2 BGB eigentlich notwendige Einwilligung aller Teilhaber ermöglichen – vgl. RGZ 108, 289, 290; Schmidt, in: MünchKomm, BGB, § 753 Rn. 3.
C. Die Abstimmung der Gläubiger
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Zudem kann er über dieses Recht trotz des Insolvenzverfahrens – insofern in Übereinstimmung mit § 747 Satz 1 BGB – frei verfügen (§§ 4 InsO, 265 ZPO). Auch ansonsten bleibt die persönliche Rechtssphäre des einzelnen Gläubigers im Regelinsolvenzverfahren unangetastet. Seine ursprüngliche Forderung gegen den Schuldner verliert er – außer durch vollständige Erfüllung – nicht; sie wird vielmehr sogar tituliert. Mit der restlosen Verwertung der Insolvenzmasse verschwindet zwar der Gegenstand des gemeinschaftlichen Verwertungsrechts, folglich erlischt auch das Verwertungsrecht an dieser Rechtsgesamtheit und damit endet auch die Gemeinschaft der Gläubiger an diesem Recht. Das persönliche Forderungsrecht bleibt hiervon allerdings unberührt; es wird über das Nachforderungsrecht des § 201 InsO erhalten. Der Gläubiger erleidet somit im Regelinsolvenzverfahren keine Einbußen in seinen persönlichen Rechten; sein Privatvermögen bleibt unberührt. Ein Forderungsverlust würde ihm allenfalls in einem anschließenden Restschuldbefreiungsverfahren abverlangt, worüber allerdings keine Gläubigergemeinschaft, sondern das Insolvenzgericht entscheidet. Die Entscheidungsbefugnisse der Gläubigerversammlung des Regelinsolvenzverfahrens bleiben insgesamt in dem Wirkungskreis, den bereits die Rechtsgemeinschaft in den §§ 744 ff. BGB zieht und der vom gemeinschaftlichen Verwertungsrecht bestimmt wird. Ein anderes Bild ergibt sich hingegen für das Insolvenzplanverfahren. Der Insolvenzplan betrifft inhaltlich nicht nur Fragen der Verwertung der Insolvenzmasse und deren Verteilung auf die Gläubiger; er geht weit darüber hinaus. In einem Insolvenzplan finden sich häufig neben Regelungen zur (zumeist nur anteilsmäßigen) Befriedigung von Gläubigern auch vielfältige persönliche Opfer, die einzelne Gläubiger zur Erreichung des Planziels übernehmen sollen. So wird etwa von nahezu allen Gläubigern ein weitgehender Verzicht auf ihre Forderungsrechte erwartet; Arbeitnehmer etwa sollen auf Gehalt verzichten, gesicherte Gläubiger auf ihre Sicherheiten; Lieferanten und Banken auf den Großteil ihrer Ansprüche. Alle diese Opfer gehen weit über das hinaus, was das Verwertungsrecht des § 1 InsO und seine Geltendmachung umfasst; sie betreffen das Privatvermögen der Gläubiger. Jeder Insolvenzplan dient bereits unmittelbar der Restschuldbefreiung für den Schuldner, d. h. jeder Gläubiger verliert mit der Annahme eines Planes sofort die Forderungen, die im Plan nicht zur Befriedigung vorgesehen sind (§ 227 InsO). Der Insolvenzplan verlässt damit den Bereich der Fragen, die aus der gemeinschaftlichen Verwaltung, Nutzung und Auseinandersetzung des Verwertungsrechtes aus § 1 InsO entstehen. Er enthält gerade nicht nur Regelungen zur bestmöglichen Verwertung der Insolvenzmasse in Ausübung des Verwertungsrechtes, sondern beeinträchtigt unmittelbar die persönlichen Ansprüche der Gläubiger. Der Insolvenzplan erfasst damit das Privatvermögen der Gläubiger und liegt als Entscheidungsgegenstand außerhalb des Wirkungskreises einer Rechtsgemeinschaft der Insolvenzgläubiger, der
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auf ihr Verwertungsrecht beschränkt ist.127 Dementsprechend ist es auch nicht die Gläubigerversammlung des § 76 InsO als Organ der Gläubigergemeinschaft, die über den Insolvenzplan abzustimmen hat. 2. Der Beschluss der Gläubigergruppe über den Insolvenzplan Scheidet die Gläubigergemeinschaft damit als Entscheidungsträger über die Annahme eines Insolvenzplans aus, so muss sich der Blick auf die andere anerkannte Personengruppe richten: die Gläubigergruppe der §§ 222, 243, 244 InsO. a) Der Wirkungskreis der Interessengemeinschaft Gläubigergruppe Die Gläubigergruppe entsteht in einem Insolvenzplanverfahren durch die Zusammenfassung von Gläubigern mit gleicher Rechtsstellung und ggf. gleichartigen wirtschaftlichen Interessen durch den Planinitiator (§ 222 InsO). Die erfassten Gläubiger bilden aufgrund ihrer gleichartigen rechtlichen, im Fall der Bildung von Wahlgruppen nach § 222 Abs. 2 InsO sogar gleichartigen wirtschaftlichen Interessen an der Insolvenzbewältigung – wie bereits erläutert128 – eine Interessengemeinschaft. Die Interessengemeinschaft ist als rechtlicher Typus gesetzlich nicht geregelt, so dass sich hier – anders als bei der Rechtsgemeinschaft – der Wirkungskreis nicht bereits aus typisierenden gesetzlichen Bestimmungen ableiten lässt. Stattdessen ist die konkrete Interessenverbindung zu betrachten, aus deren Zweck sich dann der Wirkungskreis der Interessengemeinschaft ergibt, denn es ist der rechtlich anerkannte Zweck einer Personenmehrheit, der ihren Wirkungskreis definiert.129 b) Der Beschluss der Gläubigergruppe über den Insolvenzplan Die Gläubiger werden in der Interessengemeinschaft der Gläubigergruppe zusammengefasst, da sie aufgrund gleicher Rechtspositionen und Interessen in gleicher Weise vom Planinhalt betroffen werden. Die Zusammenfassung zu ei127 Dieser Umstand wurde bereits in der Diskussion um die Rechtsnatur des Zwangsvergleichs der Konkursordnung erkannt – vgl. Voß, ZZP 33 (1904), 417, 421: Die Vertragstheorie »lässt unerklärt, wie die unter den Gläubigern bestehende Gemeinschaft . . . dazu kommt, über wohlerworbene Privatrechte der einzelnen Gläubiger zu verfügen.« In ihm lag daher auch einer der Haupteinwände der Urteilstheorie gegen den Vertragscharakter des Zwangsvergleichs – so etwa deren Begründer August Sigismund Schultze, Konkursrecht, S. 120 oder auch Cohn, Zwangsvergleich, S. 21. Die Vertreter der Vertragstheorie verwiesen zur Verteidigung leider entweder nur auf den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers (etwa Kießling, Zwangsvergleich, S. 21 f.; Schopper, Zwangsvergleich, S. 37 f.), auf den staatlichen Machtspruch des Konkursgerichts (Fitting, Reichs-Konkursrecht, S. 420, 424) oder aber auf die Besonderheiten der Gemeinschaft der Konkursgläubiger (etwa Richter, ZHR 76 (1915), 112, 124 f.) im Vergleich zur typischen Rechtsgemeinschaft des § 741 BGB. Überzeugen konnte dies nicht, da der Systembruch im Zivilrecht blieb. 128 Siehe oben C. II. 3. b). 129 Baltzer, Beschluss, S. 45.
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ner Gruppe berücksichtigt damit sowohl die gleiche Rechtsstellung der Gläubiger gegenüber dem Schuldner (§ 222 Abs. 1 InsO) als auch deren gleichartige Interessen im Insolvenzverfahren (§ 222 Abs. 2 InsO) sowie schließlich ihre gleiche Berücksichtigung im Insolvenzplan (§ 226 InsO). Gerade die so erreichte weitgehende Interessenhomogenität in einer Gruppe lässt erwarten, dass sich die Gläubiger einer Gruppe aufgrund derselben Erwägungen für oder gegen den Insolvenzplan entscheiden und erhöht damit die Richtigkeitsgewähr einer Mehrheitsmeinung erheblich. In diesem Entscheidungsprozess ist zu jedem Zeitpunkt nicht nur das Verwertungsrecht der Gläubiger an der Insolvenzmasse, sondern gerade auch die persönliche Rechtsstellung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner Gegenstand des Planinhalts, der Erörterungen des Plans sowie der Abstimmung über ihn. Jeder Gläubiger wird gerade wegen und daher auch mit seiner persönlichen Rechtsstellung Teil der Interessengemeinschaft und Eingriffe in diese Rechtsstellung sind der ausdrückliche Gegenstand des Insolvenzplans und damit auch der Willensbildung der Gläubiger bei der Entscheidung über die Annahme des Plans. Die Willensbildung über Veränderungen in der persönlichen Rechtsstellung mittels Abstimmung, also mittels eines Beschlussverfahrens, ist damit der ausdrückliche, in den §§ 222, 243, 244 InsO vorausgesetzte Zweck einer Gläubigergruppe. Diesen Zweck füllt sie aus, so dass sie bei der Entscheidung über den Insolvenzplan innerhalb ihres Wirkungskreises tätig wird. 3. Ergebnis Die Entscheidung über den Insolvenzplan liegt außerhalb des Wirkungskreises, den der Gesetzgeber der Gläubigergemeinschaft als Bruchteilsgemeinschaft zugewiesen hat. Sie geht gegenständlich weit über einen Beschluss über das gemeinschaftliche Verwertungsrecht hinaus und ergreift die persönlichen Forderungsrechte der Gläubiger, also deren Privatvermögen. Zu Eingriffen in diesen Bereich ist die Rechtsgemeinschaft der Gläubiger nicht legitimiert. Hierfür hat der Gesetzgeber vielmehr ein eigenständiges Abstimmungsverfahren in den §§ 217 ff. InsO geschaffen, das die Willensbildung der betroffenen Gläubiger gerade im Hinblick darauf verfahrensrechtlich regelt, dass sie nicht nur über Verwertungsmodalitäten, sondern gerade auch über persönliche (Eigentums-) Rechte entscheiden. Hierzu werden die Gläubiger gemäß § 222 InsO in Gruppen mit gleicher Rechtsstellung und wahlweise zudem mit gleichen wirtschaftlichen Interessen erfasst. Diese Interessengemeinschaften entscheiden dann durch Mehrheitsentscheid (§§ 243, 244 InsO) darüber, ob die Gruppe eine Plan annimmt oder ablehnt. Der entscheidende Willensbildungskörper der Gläubiger für eine Entscheidung über den vorgelegten Insolvenzplan ist nach der gesetzgeberischen Intention (§ 243 InsO) und im Einklang mit den allgemeinen Anforderungen an wirksame Beschlüsse nicht die Gläubigergemeinschaft, son-
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dern die Gläubigergruppe als Interessengemeinschaft gleichartig vom Plan betroffener Gläubiger. Sie bildet im Abstimmungstermin einen einheitlichen Willen hinsichtlich des Plans mittels Stimmabgabe der einzelnen Gläubiger, wobei gemäß § 244 InsO zur Bildung eines positiven Willens die Zustimmung der Kopf- und Summenmehrheit der Gläubiger in einer Gruppe ausreicht. Der so auch mittels Mehrheitsentscheid zustande kommende Beschluss der Gruppe bindet dann auch die ablehnenden Gläubiger einer Gruppe an den Willen der Mehrheit.
IV. Legitimation der Mehrheitsmacht in der Gläubigergruppe Die Gläubiger können gemäß § 244 Abs. 1 InsO also auch an einen Insolvenzplan gebunden werden, den sie selbst in der Abstimmung abgelehnt haben, solange nur die Kopf- und Summenmehrheit der Gläubiger in der Gruppe dem Plan zugestimmt hat. Die sich daraus ergebende heterogene Wirkung des Beschlusses der Gruppe über den Insolvenzplan kollidiert mit dem Grundsatz der Privatautonomie, insbesondere dem der Vertragsfreiheit, der das Zivilrecht beherrscht. Es stellt sich damit die grundsätzliche Frage nach der Legitimation eines solchen Eingriffs in zivilrechtliche Grundprinzipien. Im Privatrecht fehlt es an einem Subordinationsverhältnis der Beteiligten. Was berechtigt also die Mehrheit in einer Personengruppe dazu, mittels eines Beschlussverfahrens ihren Willen auch für die Minderheit verbindlich zu machen und diese damit einer Fremdbestimmung zu unterwerfen? Gegenstand der Legitimationsfrage ist das Beschlussverfahren. Die Willensbildung innerhalb einer Personengruppe geschieht im Zivilrecht durch Beschlussfassung und zwar unabhängig davon, ob die Gruppe als juristische Person, Gesellschaft, Rechtsgemeinschaft oder Interessengemeinschaft organisiert ist. Dieses Mittel der Willensbildung steht in den Fällen ohne jegliche Bedenken im Einklang mit dem Grundsatz der Privatautonomie, in denen zur Willensbildung einstimmige Beschlüsse der Gruppe notwendig sind. Kommt dann ein Beschluss zustande, ist Fremdbestimmung ausgeschlossen. Das Erfordernis der Einstimmigkeit macht es allerdings gerade bei vielköpfigen und heterogenen Personengruppen schwer, zu einer verbindlichen Entscheidung zu gelangen, da schon die Ablehnung eines einzelnen Mitglieds zum Scheitern der Willensbildung führt und die Gruppe dann als Ganzes handlungsunfähig wird. Diese Gefahr der Handlungsunfähigkeit potenziert sich in den Gruppen, die nicht auf einem freiwilligen Zusammenschluss ihrer Mitglieder beruhen und zugleich eine Vielzahl von Mitgliedern mit einer kaum überschaubaren Vielfalt von Rechtspositionen und Interessen vereinen. Mit einer konsensualen Willensbildung ist in solchen Gruppen nur im Ausnahmefall zu rechnen. Die Notwendigkeit einer funktionierenden Willensbildung zur Sicherstellung der Handlungsfähigkeit aller Personengruppen führt dazu, dass in vielen Fällen Mehrheitsbe-
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schlüsse zugelassen werden. Dies führt zwangsläufig zu heteronomen Wirkungen hinsichtlich der überstimmten Minderheit und damit zu der Frage, wie diese Wirkungen zivilrechtlich legitimiert sind. 1. Mehrheitsbeschlüsse bei Gesellschaften – Unterwerfungsvertrag Bei juristischen Personen des Privatrechts wie auch bei Personengesellschaften sind Mehrheitsentscheidungen der Mitglieder bzw. Gesellschafter zur internen Willensbildung nicht nur zulässig, sondern üblich.130 Die Mehrheitsmacht und die daraus folgenden heteronomen Wirkungen für die überstimmte Minderheit kollidieren in diesem Bereich allerdings nicht mit dem Grundsatz der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit der Minderheit; im Gegenteil, sie finden in der privatautonomen Entscheidung jedes Mitglieds sogar ihre Legitimationsgrundlage. Hierfür wird dogmatisch auf den jeweiligen Gründungs- oder Beitrittsvertrag zurückgegriffen. Die Mitgliedschaft in diesen Personengruppen basiert auf Freiwilligkeit. Jedes Mitglied einer juristischen Person des Privatrechts wie auch einer Personengesellschaft erwirbt seine Mitgliedschaft durch die freiwillige Teilnahme an der Gesellschaftsgründung bzw. durch späteren Beitritt zur Gesellschaft. Folgt die Geltung des Mehrheitsprinzips für die jeweilige Gesellschaftsform dann aus einer gesetzlichen Anordnung (so etwa beim Verein, § 32 BGB), so unterwirft sich das Mitglied im Gründungs- oder Beitrittsvertrag freiwillig dieser gesetzlich bestimmten Mehrheitsherrschaft.131 Ergibt sich die Mehrheitsherrschaft hingegen nicht aus dem Gesetz, sondern erst aus dem Gesellschaftsvertrag (so insbesondere bei Personengesellschaften), so unterwirft sich jedes Mitglied mit der Anerkennung der Mehrheitsklausel in seinem Gründungs- oder Beitrittsvertrag einer Entscheidungsbefugnis der Mehrheit über bestimmte Regelungsgegenstände. Ob man die Mehrheitsklauseln in Gesellschaftsverträgen im Einzelnen als antizipierte Zustimmung zur späteren mehrheitlichen Beschlussfassung, als Unterwerfung unter die Gestaltungsbefugnis der Mehrheit oder aber als Konsens über ein Entscheidungsverfahren begreift,132 kann hier dahinstehen.133 Jedenfalls basiert die Mehrheitsmacht auf einer pri130 Vgl. etwa §§ 32, 33 BGB (Verein), § 709 Abs. 2 BGB (Gesellschaft bürgerlichen Rechts), § 119 Abs. 2 HGB (Offene Handelsgesellschaft, über § 161 Abs. 2 HGB gilt diese Regelung auch für die Kommanditgesellschaft), § 133 AktG (Aktiengesellschaft), § 47 GmbHG (GmbH). 131 Der Gedanke der privatautonomen Unterwerfung des Mitglieds unter die Satzungsgewalt des Vereins ist heute wohl allgemein anerkannt – vgl. etwa Hadding, in: Soergel, BGB, Vor § 21 Rn. 50; Schwarz/Schöpfl in, in: Bamberger/Roth, BGB, § 21 Rn. 40, 55; Weick, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 21 ff. Rn. 38 und selbst Steffen, in: RGRK, BGB, Vor § 21 Rn. 32, der ansonsten nicht dem ganz herrschenden Verständnis (modifizierte Vertragstheorie oder auch modifizierte Normentheorie) folgt. 132 Zu diesen Fragen näher: Leenen, FS Larenz, 1983, 371, 375 ff. oder Michalski, WiB 1997, 1, 2. 133 Die Mehrheitsklausel muss den Regelungsgegenstand der künftigen Mehrheitsherr-
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vatautonomen Entscheidung aller Gesellschafter. Diese Entscheidung legitimiert daher sogar Klauseln, welche die Mehrheitsmacht hinreichend konkret in den Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte ausdehnen.134 Die Mehrheitsmacht in Gesellschaften leitet sich also von einer privatautonomen Entscheidung der vom Beschluss betroffenen und im Einzelfall überstimmten Mitglieder und wird daher durch eine privatautonome Willenserklärung legitimiert. Ungeachtet dessen verlangt eine beachtliche Zahl von Stimmen in der Literatur neben dieser (formalen) Legitimationsgrundlage für viele Fallgruppen einen zusätzlichen (materiellen) Minderheitenschutz in Form einer gerichtlichen Inhaltskontrolle von Mehrheitsbeschlüssen.135 Die Rechtspreschaft jedenfalls hinreichend bestimmt bezeichnen – sog. »Bestimmtheitsgrundsatz« – vgl. BGHZ 8, 35, 41; 170, 283, 286 f. (Otto); Habermeier, in: Staudinger, BGB, § 709 Rn. 50; Michalski, WiB 1997, 1, 3 ff.; Timm/Schöne, in: Bamberger/Roth, BGB, § 709 Rn. 33; Ulmer/ Schäfer, in: MünchKomm, BGB, § 709 Rn. 84 ff. Dieses Bestimmtheitserfordernis ist notwendig zur Bestimmung der Reichweite der erklärten Ermächtigung und hat in dieser Funktion (entgegen Ulmer/Schäfer, in: MünchKomm, BGB, § 709 Rn. 87 f.) durchaus seine aktuelle Berechtigung – so zutreffend BGHZ 170, 283, 286 f.; Michalski, WiB 1997, 1, 8; Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 16 II 2 d (S. 456) und § 16 III 3 b dd (S. 474); Timm/Schöne, in: Bamberger/ Roth, BGB, § 709 Rn. 36. Als Auslegungsregel für den Parteiwillen ist daher auch die aus dem Bestimmtheitsgrundsatz entwickelte »Steigerungstrias« zu verstehen und weiter anzuwenden – vgl. dazu etwa BGHZ 8, 35, 41; 48, 251, 253; Immenga, ZGR 1974, 385, 418; Martens, DB 1973, 413, 416; Michalski, WiB 1997, 1, 8. Der Bestimmtheitsgrundsatz ermöglicht auf formalem Wege eine Begrenzung der Mehrheitsmacht und in diesem Sinne auch einen Minderheitenschutz auf einer ersten Prüfungsstufe. Eine inhaltliche Kontrolle der Mehrheitsbeschlüsse, also einen materiellen Minderheitenschutz, kann er jedoch nicht leisten – insoweit zutreffend Ulmer/Schäfer, in: MünchKomm, BGB, § 709 Rn. 88. Diese erfolgt in einer zweiten Prüfungsstufe nach anderen gesellschaftsrechtlichen Prinzipien wie etwa der Treuepfl icht – so nun ausdrücklich die ständige Rechtsprechung des BGH in BGHZ 170, 283, 287 f.; 179, 13, 21; NJW 2010, 65, 66 f.; grundsätzlich zustimmend Schmidt, ZIP 2009, 737, 738 und 741. Die Nichtanwendung des Bestimmtheitsgrundsatzes bei atypischen Personengesellschaften wie etwa Publikumsgesellschaften in den 1970iger Jahren bedeutet daher auch keine Aufgabe jeglichen Minderheitenschutzes, sondern die Konzentration auf einen materiellen Minderheitenschutz auf der zweiten Prüfungsstufe anhand gesellschaftsrechtlicher Prinzipien (Treuepflicht, Gleichbehandlungsgrundsatz) – siehe BGHZ 71, 53, 57 f.; 85, 350, 356 und 358; 132, 263, 268; BGH NJW 1995, 194 f.; NJW 2010, 65, 66 f.; näher zu dieser Entwicklung: Michalski, WiB 1997, 1, 3 ff.; Schiessl, DB 1986, 735; zuletzt auch Bohlken/Sprenger, DB 2010, 263, 266. 134 BGHZ 179, 13, 24. Näheres zur neuen, sog. »Kernbereichslehre« etwa bei BGH NJW 1995, 194; Habermeier, in: Staudinger, BGB, § 709 Rn. 51; Michalski, WiB 1997, 1, 8 f.; Timm/ Schöne, in: Bamberger/Roth, BGB, § 709 Rn. 35, 38; Ulmer/Schäfer, in: MünchKomm, BGB, § 709 Rn. 91 ff.; ablehnend noch Immenga, ZGR 1974, 385, 425. Auch diese Lehre konkretisiert lediglich die Anforderungen an die Bestimmtheit von Mehrheitsklauseln – so zutreffend etwa Schmidt, ZIP 2009, 737, 740. 135 Für Personengesellschaften etwa: Habermeier, in: Staudinger, BGB, § 709 Rn. 53; Michalski, WiB 1997, 1, 5, 8; Ulmer/Schäfer, in: MünchKomm, BGB, § 709 Rn. 100 f.; auch BGH NJW 1995, 194, 195 (jeweils im Zuge der Kernbereichslehre); dagegen aber etwa Schiessl, DB 1986, 735, 736 f. Für den Verein: Schwarz/Schöpfl in, in: Bamberger/Roth, BGB, § 21 Rn. 57, § 25 Rn. 28; Weick, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 21 ff. Rn. 41; dagegen aber Reuter, in: MünchKomm, BGB, Vor § 21 Rn. 94, der bei Vorliegen einer Austrittsmöglichkeit als hinreichendem Mittel zum Selbstschutz auf eine Inhaltskontrolle verzichten will. Bei Kapi-
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chung hat hierauf reagiert und inzwischen auch bei Personengesellschaften damit begonnen, Mehrheitsklauseln generell zweistufig auf ihre formelle sowie ihre materielle Legitimität zu prüfen.136 Überträgt man diese Erkenntnisse auf die hier zu untersuchenden Befugnisse der Gläubigergruppe, so scheidet eine darauf gestützte Legitimation der Mehrheitsmacht aus, da eine privatautonome Unterwerfungsentscheidung der Gläubiger in einer Gruppe nicht existiert.137 Die Gläubiger werden nie freiwillig, sondern allein aufgrund ihrer Rechtsstellung, in der sie vom Plan betroffen werden, und der daraufhin erfolgenden Erfassung in einer Gläubigergruppe durch den Planinitiator Mitglied der jeweiligen Gläubigergruppe. Die Interessengemeinschaft der abstimmenden Gläubiger einer Gruppe ist eben eine Zwangsgemeinschaft. 2. Mehrheitsbeschlüsse bei Gemeinschaften – Notwendigkeit Eine Zwangsgemeinschaft wie etwa die Interessengemeinschaft einer Gläubigergruppe kommt nicht durch den freiwilligen Beitritt ihrer Mitglieder, sondern durch die Wahrnehmung gesetzlicher Befugnisse wie etwa die in § 222 InsO oder das Eingreifen eines gesetzlichen Tatbestandes wie etwa § 947 Abs. 1 BGB und damit unfreiwillig zustande. Einen erklärten Unterwerfungswillen der Mitglieder kann es folglich nicht geben; die Mehrheitsherrschaft lässt sich daher nicht wie bei Verbänden auf eine privatautonome Unterwerfung der jeweils überstimmten Teilhaber stützen. Bei der Interessengemeinschaft ist daher wie bei allen Zwangsgemeinschaften nach einer anderen Legitimation der Mehrheitsbefugnisse zu suchen. a) Die Mehrheitsmacht als Ausgleich Finden sich mehrere Personen zwangsweise zu einer Gemeinschaft verbunden, wie dies in einer Rechtsgemeinschaft gemäß § 741 BGB, aber auch in einer Gläubigergruppe gemäß § 222 InsO geschieht, so kann über Angelegenheiten der Gemeinschaft nur entschieden werden, wenn die Gemeinschaft einen einheitlichen Willen bilden kann. Nur dieser gemeinschaftliche Wille legitimiert Handlungen im Bezug auf den Gemeinschaftsgegenstand und ein Willensbildungsmechanismus ist daher zwingende Voraussetzung für die Handlungsfätalgesellschaften hat der Gesetzgeber für satzungsändernde Beschlüsse größere Mehrheiten vorgesehen und so einen weiteren formalen Minderheitenschutz geschaffen, der durch Klagerechte für den einzelnen Aktionär flankiert wird. Dennoch erfolgt auch in diesem Bereich eine Inhaltskontrolle der Beschlüsse auf der Grundlage der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht der Mehrheitsgesellschafter und des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Näheres dazu etwa bei: Bischoff, BB 1987, 1055, 1057 ff. 136 BGHZ 170, 283, 287 f.; 179, 13, 21; zustimmend Schmidt, ZIP 2009, 737, 738 f. 137 Dies ist auch die zutreffende Grundannahme von Basty, Gläubigerinteressen, S. 55; ebenso Gaul, FS Huber, 2006, 1187, 1209.
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higkeit der Gemeinschaft. Sieht man im Willen der Gemeinschaft den kollektivierten Willen ihrer Teilhaber, so verlangt die Willensbildung nach dem Einstimmigkeitsprinzip. Allein dieses Prinzip garantiert die Gleichwertigkeit und die Gleichbehandlung aller Mitglieder der Gemeinschaft und verwirklicht zugleich deren Privatautonomie.138 Folgerichtig geht etwa auch die gesetzliche Regelung der Rechtsgemeinschaft in § 744 Abs. 1 BGB zunächst davon aus, das alle Teilhaber einer Verwaltungsmaßnahme über den gemeinschaftlichen Gegenstand zustimmen müssen. Diese Regelung ist nun aber bei Zwangsgemeinschaften wenig praktikabel. Ihre Mitglieder haben sich nicht gegenseitig ausgewählt und sich nicht freiwillig zu einem bestimmten Zweck verbunden. Bei Zwangsgemeinschaften wie der Rechtsgemeinschaft und gerade auch der Gläubigergruppe eines Insolvenzplans werden Personen zusammengeführt, die sich nicht zusammenschließen wollten, keinen gemeinsamen Zweck verfolgten und folglich wenig Gemeinsinn mit in die Gemeinschaft bringen. Gerade in diesem Personenkreis besteht dann die Gefahr, dass die zur Willensbildung über wichtige Angelegenheiten notwendige Einigkeit der Teilhaber nicht erreicht werden kann und damit keine Entscheidung getroffen wird. Je größer der Kreis der Teilhaber im Einzelfall ist, desto größer wird auch die Gefahr, dass ein Teilhaber einer vorgeschlagenen Lösung – aus welchen Motiven auch immer – widerspricht. Diese Gefahr potenziert sich noch, wenn der Gegenstand der Beschlussfassung nicht klar und eindeutig, sondern kompliziert und vielschichtig wie ein Sanierungskonzept oder ein Geschäftsmodell ist. Hier sind selbst bei kleineren und befreundeten Gruppen Meinungsverschiedenheiten fast unvermeidlich139 und in der Willensbildung und Lösungsdiskussion ja auch erwünscht. In der Abstimmung hat dann jedoch jeder einzelne Widerspruch unter dem Einstimmigkeitsprinzip zur Folge, dass eine Blockade eintritt. Die Entscheidungsmacht der Personengruppe wird gelähmt; alle Mitglieder sind der Blockademacht (und damit der Verhandlungsmacht) eines einzelnen Teilhabers ausgeliefert. Mit der Entscheidungsfähigkeit entfällt zugleich jede berechenbare Handlungsfähigkeit der Zwangsgemeinschaft und damit wird unmittelbar deren Wert als Rechtsinstitut in Frage gestellt. Hierauf muss die Rechtsordnung korrigierend reagieren, indem sie das Prinzip der Einstimmigkeit nicht uneingeschränkt durchführt und das Mehrheitsprinzip zulässt.140 Letzteres ist also ein »rechtstechnischer Ausgleich« im
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Baltzer, Beschluss, S. 214. Meyer-Haberhauer hat nachgewiesen, dass unter den Gläubigern, die zur Abstimmung über einen Insolvenzplan berufen sind, »in der Realität nur in den seltensten Fällen Einigkeit« über einen bestimmten Plan auftreten wird (Insolvenzplan, S. 154) und die Mehrheitsregel daher als Entscheidungsmechanismus notwendig war (S. 189). 140 So schon die Motive, II, S. 875. Viele Verwaltungsentscheidungen in der Rechtsgemeinschaft unterliegen daher der Mehrheitsmacht – vgl. § 745 BGB. 139
C. Die Abstimmung der Gläubiger
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Konflikt zwischen dem Einstimmigkeitsgrundsatz und der Aktionsfähigkeit der Personengruppe.141 Die Wahl gerade des Majoritätsprinzips als Ausgleich ergibt sich zunächst aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Die Beschränkung der Rechte einzelner Teilhaber einer Gruppe wird so gering wie möglich gehalten, wenn nur eine Minderheit gegen ihren tatsächlichen Willen an Beschlüssen der Gruppe festgehalten wird. Der Mehrheitsbeschluss ist damit das mildeste Mittel im Vergleich zu ebenfalls denkbaren Entscheidungsverfahren, in denen man den Willen einzelner oder auch nur eines bestimmten Teilhabers als maßgeblich ansehen könnte.142 Das Majoritätsprinzip ist zugleich auch historisch aus dem Einstimmigkeitsgrundsatz gewachsen und kann als dessen Fortentwicklung verstanden werden. Anders als das griechische oder römische Recht ging gerade das germanische Recht für die Willensbildung bei Versammlungen von der notwendigen Zustimmung aller Beteiligten aus; Meinungsverschiedenheiten sollten durch Beratungen beseitigt werden. Gelang dies nicht, so führte das auch bei den Germanen nicht zu einer Handlungsunfähigkeit der Versammlung. Vielmehr gab die überwiegende Mehrheit der Anwesenden ihre Meinung in der Abstimmung durch so lautes Rufen oder Waffenklirren kund, dass Gegenstimmen »überstimmt« wurden und der Beschluss als einstimmig zustande kam.143 Im Mittelalter entwickelte sich daraus bereits die rechtliche Pflicht der Minderheit in einer Versammlung, sich dem Willen der Mehrheit unterzuordnen und dem Beschlussvorschlag zuzustimmen (»minor pars sequatur maiorem«).144 Das Einstimmigkeitserfordernis verlor seinen materiellen Gehalt. Die tatsächliche Anerkennung der Mehrheitsmacht im Angesicht ihrer praktischen Notwendigkeit findet sich dann schließlich nicht nur in den höheren klassischen, sondern auch in allen modernen Rechtsordnungen.145
141 Zutreffend Baltzer, Beschluss, S. 215; Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 6.6; Bohn, Gesellschaftsbeschluss, S. 39; Dagtoglou, Kollegialorgane, S. 120 f.; Frei, Nichtige Beschlüsse, S. 51; in diesem Sinn auch Gaul, FS Huber, 2006, 1187, 1210; Gerloff, Funktionen und Aufgaben des Insolvenzgerichts, S. 157 f.; Hänel, Gläubigerautonomie, S. 146. 142 Die Notwendigkeit einer handlungsfähigen Personengruppe im Rechtsverkehr sowie die Verhältnismäßigkeit des Mehrheitsprinzips für die Sicherstellung dieser Handlungsfähigkeit rechtfertigen daher den gesetzlichen Mehrheitszwang gegenüber der überstimmten Minderheit (so legitimiert etwa auch Baums, ZBB 2009, 1, 5 f., die Mehrheitsmacht von Gläubigern einer Schuldverschreibung nach dem Schuldverschreibungsgesetz). Der Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Minderheit aus Art. 2 Abs. 1 GG ist durch die gesetzliche Anordnung zu diesem Zweck gerechtfertigt; die Rechtfertigungshürden liegen bei Eingriffen in die Privatautonomie aus Art. 2 Abs. 1 GG allerdings auch nicht sonderlich hoch – vgl. etwa di Fabio, in: Maunz/Düring, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 104. 143 Baltzer, Beschluss, S. 189. 144 Baltzer, Beschluss, S. 192 f.; Dagtoglou, Kollegialorgane, S. 117 f. 145 Dagtoglou, Kollegialorgane, S. 119.
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
Schließlich gewährleistet das Majoritätsprinzip durch die notwendige Zustimmung einer Vielzahl von Personen in einem Beschlussverfahren, dass sich keine unerwünschten und gemeinwohlschädlichen Einzelinteressen durchsetzen. Der Einzelne ist mit seinen Interessen nur eine Stimme unter vielen. Je höher das notwendige Quorum, desto geringer ist die Gefahr einer einseitigen Entscheidung zugunsten Einzelner.146 Das Mehrheitsprinzip wirkt jedoch nicht nur defensiv gegen die Durchsetzung von Einzelinteressen zulasten des Gemeininteresses; es verbürgt auch, dass eine Entscheidung getroffen wird, die mit großer Wahrscheinlichkeit im Interesse aller und damit »die Richtige« ist. Denn die von vielen Teilhabern unterstützte Entscheidung wird in der Regel auch die richtige Entscheidung im Interesse aller sein (»pars maior, pars sanior«). Ausgeschlossen ist eine falsche Entscheidung damit zwar dennoch nicht; auch die Erkenntnis der Minderheit kann sich als die »richtige« herausstellen. In der Gesamtbetrachtung bietet ein Mehrheitsbeschluss aber bereits prinzipiell ein hohes Maß an Richtigkeitsgewähr für den Inhalt der getroffenen Entscheidung.147 b) Die Richtigkeitsgewähr von Mehrheitsentscheidungen Gerade in dieser Richtigkeitsgewähr liegt der entscheidende Legitimationsgrund für die Bindung aller Mitglieder einer Personengruppe an einen Mehrheitsbeschluss. Diese Feststellung mutet zunächst eigenartig an, wird eine solche Richtigkeitsvermutung doch klassischerweise nur einstimmigen Rechtsgeschäften, insbesondere dem Vertrag, beigelegt. Der hinter diesem Grundsatz stehende Gedanke ist einleuchtend: Wollen alle Beteiligten einmütig einen Vertrag mit einem bestimmten Inhalt, so rechtfertigt allein ihr freier Wille ihre Bindung an den Vertrag. Der Vertragsschluss ist ein Akt der Selbstbestimmung der beteiligten Personen und die Anerkennung seines Inhalts durch die Rechtsordnung beruht auf dem Wert und der Respektierung dieser Selbstbestimmung. Diese legitimiert (formell) die Bindungswirkung eines Vertrages. Doch damit nicht genug: Zugleich folgt aus der selbstbestimmten Zustimmung aller Beteiligten zu einem Vertrag, dass alle den Inhalt der Vereinbarung als richtigen Ausgleich ihrer – regelmäßig gegenläufigen – Interessen ansehen (»volenti non fit iniuria« – dem Zustimmenden geschieht kein Unrecht). Nicht nur die Vertragsbindung, sondern auch der Vertragsinhalt ist daher als Akt der Selbstbestimmung von der Rechtsordnung zu akzeptieren; eine allgemeine Inhaltskontrolle von Verträgen findet folglich nicht statt (Privatautonomie). Ein Vertrag hat danach – wie jeder Konsens – eine inhaltliche Richtigkeitswahrscheinlichkeit im Sinne einer subjektiven Richtigkeitsgewähr und ist damit auch materiell legitimiert.148 146
Baltzer, Beschluss, S. 216 f. Darauf zu Recht hinweisend: Baltzer, Beschluss, S. 213 f.; Dagtoglou, Kollegialorgane, S. 122; Hänel, Gläubigerautonomie, S. 146. 148 Diese Grundsätze scheinen inzwischen unstreitig – so auch Bonin, Tarifbindung, S. 71; 147
C. Die Abstimmung der Gläubiger
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Entscheidende Voraussetzung für diese legitimierende Richtigkeitsgewähr des Konsenses ist jedoch eine freie Willensbildung der Beteiligten. Nur eine freie, informierte und wohl überlegte Entscheidung des Einzelnen bedarf keiner Überprüfung durch die Rechtsordnung, sondern fordert ihre Anerkennung als selbstbestimmt, und trägt zugleich ihre Richtigkeitsgewähr in sich. Allein die Zustimmung einer umfassend informierten und frei von Zwängen oder Zeitnot handelnden Person lässt vermuten, dass der gefundene Inhalt des Konsenses auch der für sie »richtige« Interessenausgleich ist. War die Willensbildung hingegen gestört, versagt also der freie Wettbewerb der Verhandlungslösungen um einen Interessenausgleich (etwa aufgrund einer Zwangslage, eines Machtgefälles, fehlender Informationen oder Überlegungsfristen), so liegt in der Zustimmung der betroffenen Person kein anerkennungspflichtiger Akt der Selbstbestimmung. Damit entbehrt der fehlerhaft gefundene Interessenausgleich einer subjektiven Richtigkeitsgewähr.149 In dieser Situation darf die Rechtsordnung dem Konsens die vorbehaltlose Anerkennung verweigern und seinen Inhalt einer Gerechtigkeitskontrolle unterziehen, um auf diesem Wege die zur Legitimation einer Bindung aller Beteiligten notwendige objektive Richtigkeitsgewähr für den gefundenen Interessenausgleich sicherzustellen. Diese Gerechtigkeitskontrolle geschieht im deutschen Zivilrecht inzwischen mit durchaus vielfältigen Mitteln150 (gerade im modernen Verbraucherschutzrecht finden sich etwa Informationspflichten, Widerrufsrechte oder Schriftformerfordernisse), klassischerweise aber vor allem im Wege einer (richterlichen) Inhaltskontrolle im Sinne einer Benachteiligungskontrolle (vgl. nur die §§ 138, 242, 307 BGB).151 Entscheidend für unsere Untersuchung ist nun die Erkenntnis, dass in den Fällen eines Legitimationsdefizits bei konsensualen Entscheidungen wegen des Mangels in der Selbstbestimmung eine legitimierende Richtigkeitsgewähr durch richterliche Inhaltskontrolle geschaffen wird. Versagt also die Richtigkeitsvermutung, die sich aus der freien Selbstbestimmung der Parteien ergibt, so kann der gefundene Interessenausgleich gleichwohl rechtliche Anerkennung finden, wenn er einer richterlichen Inhaltskontrolle standhält. Diese Inhaltskontrolle hat dabei nicht zum Ziel, kreativ den bestmöglichen Interessenausgleich für die Rittner, AcP 188 (1988), 101, 121 ff. Näheres zu Privatautonomie und den in den Einzelheiten sehr verschiedenen Ausprägungen der Vertragslehre etwa bei Bonin, Tarifbindung, S. 60 ff.; Bydlinski, Privatautonomie, S. 52 ff., insbes. 68 f.; Flume, Rechtsgeschäft, S. 1 ff., insbes. 6 ff.; Heinrich, Formale Freiheit, S. 171 ff., insbes. 191; Limbach, JuS 1985, 10 ff.; Singer, Selbstbestimmung, S. 6 ff., insbes. 39 f.; grundlegend: Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130 ff. 149 Auch dies scheint unstreitig – vgl. etwa Bydlinski, Privatautonomie, S. 106 f.; Flume, Rechtsgeschäft, S. 10 f.; Singer, Selbstbestimmung, S. 12 ff., 43 f. 150 Hönn etwa spricht insoweit auch von einer »multidimensional strukturierten« Kompensation gestörter Vertragsparität – JuS 1990, 953, 956. Ein geschlossenes, einheitliches Konzept fehlt – so auch Heinrich, Formale Freiheit, S. 223. 151 Bydlinski, Privatautonomie, S. 107; Heinrich, Formale Freiheit, S. 296 ff.
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
benachteiligte Partei zu finden; sie untersucht allein, ob diese Partei durch den gefundenen Konsens unangemessen (vgl. §§ 242, 307 BGB) oder gar sittenwidrig (§ 138 BGB) benachteiligt wird. Der Richter hat also grundsätzlich nur eine Verwerfungskompetenz, nicht jedoch eine eigene Gestaltungsbefugnis. Mehrheitsentscheidungen basieren nun (außer in den oben erläuterten und im Gesellschaftsrecht häufigen Fällen einer Unterwerfungserklärung) schon definitionsgemäß nie auf einem Konsens aller Beteiligten. Sie beinhalten damit auch nicht die aus dem Konsens folgende Richtigkeitsvermutung für den beschlossenen Interessenausgleich. Die Ausgangslage ist dennoch vergleichbar mit der eines Vertrages mit gestörter Vertragsparität. Dazu müssen zunächst alle Beteiligten den Gegenstand der Entscheidung gekannt und über alle für die Entscheidung notwendigen Informationen sowie eine hinreichende Überlegungsfrist verfügt haben. Stimmt auf dieser Basis die Mehrzahl der Beteiligten einer Lösung zu, so folgt allein schon aus dem Willen dieser Mehrzahl der Personen die Vermutung, dass die von vielen gewollte Lösung auch die »richtige« Lösung für alle ist (»pars maior, pars sanior«).152 Dies gilt umso mehr, wenn die Abstimmenden von der vorgeschlagenen Lösung alle in gleicher Weise betroffen werden, in der Gruppe also eine hohe Interessenhomogenität herrscht. Gerade dann lässt sich vermuten, dass die von vielen gewollten Opfer auch den wenigen Ablehnenden in Anbetracht der erwarteten Vorteile vernünftigerweise zuzumuten sind, ohne dass diese unangemessen benachteiligt werden. Die Situation der überstimmten Minderheit ist dann vergleichbar mit der einer Vertragspartei, die aufgrund einer gestörten, nicht frei selbstbestimmten Willensbildung in einen Vertrag »gezwungen« wurde. In beiden Fällen ergibt sich die Anerkennung der Rechtsordnung nicht allein aus der Tatsache des vorhandenen Vertrages oder Beschlusses mit der in ihnen wohnenden (hier aber nur unvollständigen) Richtigkeitsgewähr. Die Richtigkeit des gefundenen Interessenausgleichs ist vielmehr in beiden Fällen objektiv festzustellen. Dies geschieht dann bei Mehrheitsentscheidungen wie bei Verträgen mit gestörter Vertragsparität durch eine richterliche Inhaltskontrolle im Sinne einer Benachteiligungskontrolle. Sie wird bei Mehrheitsbeschlüssen als Minderheitenschutz bezeichnet. Diese richterliche Inhaltskontrolle ist übrigens weder bei Verträgen noch bei Mehrheitsbeschlüssen zwingend und konstitutiv für den Vertrag. Es liegt vielmehr wie im Vertragsrecht in der Dispositionsbefugnis der betroffenen Person, richterliche Hilfe anzurufen. Lässt sie sich im Angesicht des Mehrheitswillens hingegen von der gefundenen Lösung überzeugen, so findet keine Inhaltskontrolle gegen ihren Willen statt. Auch hier setzen sich die Dispositionsmaxime und damit die Privatautonomie der Parteien durch. Mehrheitsentscheidungen (Beschlüsse) erreichen damit eine den Verträgen vergleichbare Legitimation, wenn sie auf einer freien, informierten und wohl 152
Baltzer, Beschluss, S. 213.
C. Die Abstimmung der Gläubiger
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überlegten Entscheidung der Beteiligten beruhen und zugleich für die Minderheit das Recht zur richterlichen Benachteiligungskontrolle besteht. Sie bieten dann eine Richtigkeitsgewähr für den beschlossenen Inhalt. c) Die Mehrheitsmacht in der Gläubigergruppe nach § 244 InsO Das Abstimmungsverfahren der §§ 243 ff. InsO erfüllt alle aufgezeigten Voraussetzungen zum Auffinden einer »richtigen« Entscheidung durch Mehrheitsbeschluss. Die Anforderungen zum darstellenden und gestaltenden Teil des vorgelegten Insolvenzplans (§§ 219, 220 InsO) stellen die umfassende Information jedes Gläubigers über die Auswirkungen des Plans sicher. Allein durch die Stellungnahmefristen des § 232 Abs. 3 InsO ist zugleich eine hinreichende Überlegungszeit für jeden interessierten Gläubiger gewährleistet. Die Annahme des Plans verlangt dann eine doppelte Mehrheit (Kopf- und Summenmehrheit, § 244 Abs. 1 InsO) und damit ein qualifiziertes Quorum im Sinne des Gedankens der »pars maior, pars sanior«. Zudem finden sich in einer Gruppe nur Gläubiger mit gleicher Rechtsstellung oder gar gleichartiger wirtschaftlicher Interessenlage (§ 222 InsO), so dass sich die Vermutung noch verstärkt, dass die Lösung, welche für die Mehrheit gleichartig Betroffener die »Richtige« ist, auch für die Minderheit nicht falsch sein kann. Gerade die Gruppenbildung erhöht somit die Legitimationskraft des Mehrheitswillens. Dennoch wird auch der einzelne Minderheitsgläubiger geschützt. § 251 InsO gibt jedem überstimmten Gläubiger das Recht, den angenommenen Insolvenzplan im Wege des richterlichen Minderheitenschutzes zu vereiteln, wenn auch nur er allein durch den Plan schlechter gestellt wird als ohne einen Plan (§ 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Jeder Minderheitsgläubiger hat danach das Recht auf eine gerichtliche Inhaltskontrolle hinsichtlich einer angemessenen Berücksichtigung seiner Interessen. Besondere Opfer muss er gegen seinen Willen nicht hinnehmen. Zudem prüft das Insolvenzgericht von Amts wegen nicht nur die Einhaltung aller Verfahrensbestimmungen und damit der Verfahrensrechte der Beteiligten (§ 250 Nr. 1 InsO), sondern auch die Interessengerechtigkeit des Plans im Hinblick auf die Nichtverfolgung unerwünschter Eigeninteressen (§ 250 Nr. 2 InsO). Ein angenommener Plan hat damit eine Richtigkeitsgewähr, die wegen der obligatorischen richterlichen Bestätigung über die einer rein konsensualen Annahme sogar hinausgeht. Das Mehrheitsprinzip der §§ 243, 244 InsO ist als hinreichend legitimiert anzusehen, alle Beteiligten an den beschlossenen Interessenausgleich zu binden. d) Verfassungsrechtliche Aspekte der Mehrheitsmacht Diese Legitimation greift auch gegenüber verfassungsrechtlichen Bedenken durch. Während die zustimmende Mehrheit freiwillig eine Bindung eingeht und infolge des angenommenen Insolvenzplans auf Forderungsrechte oder zumindest auf deren sofortige Geltendmachung eben freiwillig verzichtet, treffen
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
die Planwirkungen die überstimmte Minderheit gegen deren Willen. Hierin liegt nicht nur ein Eingriff in die – über Art. 2 Abs. 1 GG – geschützte Privatautonomie der Minderheit, sondern im Hinblick auf den Planinhalt vor allem und vorrangig153 ein Eingriff in von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumspositionen, sind doch anerkanntermaßen auch bestehende Forderungsrechte grundrechtlich geschützte Vermögenspositionen.154 Ein solcher Eingriff bedarf dann der Rechtfertigung. Diese Rechtfertigung ergibt sich für das Insolvenzplanverfahren nicht ohne weiteres aus dem Gebot der Rücksichtnahme in Zwangsgemeinschaften, also aus einer besonderen Sozialbindung der betroffenen Eigentumspositionen. Zwar hielt der Bundesgerichtshof im Hinblick auf diese Sozialbindung die auf einem Mehrheitsbeschluss beruhende Verpflichtung des Teilhabers an einer Rechtsgemeinschaft, sein Einverständnis zu einer Verfügung über das gemeinschaftliche Grundstück (Widmung einer Straße) zu erteilen, für verfassungsgemäß. Das Eigentumsrecht am Grundstück stand dem überstimmten Teilhaber nicht allein zu, weshalb er zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Miteigentümer verpflichtet sei. Gerade diese Rücksichtnahmepflicht in einer Rechtsgemeinschaft sei Ausdruck der Sozialbindung des Eigentums und die Mehrheitsmacht in der Rechtsgemeinschaft daher eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.155 Diese Argumentation lässt sich aber nicht einfach auf das Insolvenzplanverfahren übertragen. Zwar besteht auch hier eine Rechtsgemeinschaft zwischen den Gläubigern. Diese beschränkt sich aber auf das Verwertungsrecht am Schuldnervermögen als gemeinschaftliches Recht. Der Insolvenzplan greift nun aber nicht nur in dieses gemeinschaftliche Verwertungsrecht, sondern darüber hinaus in die privaten Forderungsrechte der Gläubiger ein. Er geht daher in seiner Wirkung über das hinaus, was durch die Rechtsgemeinschaft zum gemeinschaftlichen Gut wurde und aus diesem Grunde der Sozialbindung unterliegt. Allerdings ist es nun gerade der gleichmäßige Eingriff des Insolvenzplans in ihre private Rechtsstellung, weswegen die Gläubiger in einem Insolvenzplanverfahren verschiedenen Gläubigergruppen zugeordnet werden (§ 222 Abs. 1 InsO). Die Gläubiger finden sich also gerade mit ihren privaten Forderungsrechten gegenüber dem Schuldner in einer Zwangsgemeinschaft wieder und werden auf diese Weise mit ihren Forderungsrechten sozialisiert. Eine derartige gesetzlich ermöglichte Sozialisierung von Eigentumspositionen bedarf nun ih153 Der Eingriff in die in Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie tritt im Wege der Subsidiarität hinter einen – aus dem Inhalt der Bindung folgenden – Eingriff in Eigentumsrechte aus Art. 14 Abs. 1 GG zurück; allgemeine Ansicht – vgl. BVerfGE 26, 215, 222; Bäuerle, Vertragsfreiheit, S. 383; di Fabio, in: Maunz/Düring, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 103. 154 BVerfGE 83, 201, 209; 89, 1, 6; 92, 262, 271; Carl, Teilnahmerechte im Konkurs, S. 147; di Fabio, in: Maunz/Düring, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 103. 155 BGHZ 101, 24, 27.
C. Die Abstimmung der Gläubiger
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rerseits bereits im Hinblick auf die Eigentumsgewährleistung des Art. 14 GG einer Rechtfertigung und erscheint nur dann legitim, wenn sie den Eigentümern Vorteile bringt und zugleich wichtige öffentliche Aufgaben erfüllt werden.156 Beide Voraussetzungen erfüllt die Einteilung in Gläubigergruppen. Wie bereits erläutert157, werden die Gläubiger von einem Insolvenzplan nicht wie im Regelinsolvenzverfahren einheitlich und entsprechend der Rechtsstellung betroffen, mit der sie in die Insolvenz einstiegen. Folglich kann auch die Abstimmung über den Insolvenzplan nicht durch eine gemeinsame Entscheidung aller Gläubiger in einer Gläubigerversammlung erfolgen, bei der sich das Stimmgewicht allein an der Rechtsstellung orientiert, mit welcher der Gläubiger im Insolvenzverfahren beteiligt ist. In diesem Fall hätten die Großgläubiger die Planannahme in ihrer Hand und könnten den anderen Gläubigern Opfer aufzwingen, die nicht von einer optimalen Insolvenzbewältigung im Interesse aller Beteiligten gerechtfertigt sind. Bei der Abstimmung über den Plan muss vielmehr jedem gleichartig vom Plan betroffenen Gläubiger ein prinzipiell gleiches Stimmgewicht zustehen. Dies wird erreicht, indem die Mehrheitsmacht auf Gruppen verteilt wird, in denen sich Gläubiger mit gleicher Rechtsstellung finden, die im Fall der Gruppenbildung nach § 222 Abs. 2 InsO sogar dieselben wirtschaftlichen Interessen verfolgen. Findet sich dann in einer Gruppe eine Mehrheit der gleichartig betroffenen Gläubiger bereit, die planmäßig für sie vorgesehenen gleichen Opfer zu tragen, so legitimiert diese Entscheidung auch die Bindung der vom Plan gleichartig betroffenen Minderheit. Die gesetzliche Regelung zur Gruppenbildung verhindert also eine Vormachtstellung der Großgläubiger und erleichtert damit das Auffinden der für alle optimalen Verwertungsregelung. Die Zwangskollektivierung in Gläubigergruppen ist daher für den vernünftigen Gläubiger vorteilhaft. Zugleich wird eine einseitige, Individualinteressen bevorzugende Verwertungsregelung verhindert und damit auch dem Ordnungsgedanken des Insolvenzverfahrens als dessen öffentlicher Aufgabe Rechnung getragen. Schließlich stellt § 222 Abs. 2 Satz 2 InsO sicher, dass die Gruppenbildung nach sachgerechten Kriterien erfolgen muss. Werden durch den Plan verschiedene Gruppen ungleich stark betroffen, was im Umkehrschluss zu § 226 InsO zulässig und sogar gewollt ist, so beruht diese Ungleichbehandlung auf sachgerechten Unterschieden zwischen den Gläubigern und hält damit einer Kontrolle am Maßstab des Art. 3 GG stand. Insgesamt
156 Hierzu insbesondere Leisner, DVBl. 1976, 125, 131; siehe auch die Contergan-Entscheidung (BVerfGE 42, 263), in der das BVerfG ebenfalls eine Zusammenfassung der privaten Ausgleichsansprüche aller Geschädigten in einen Fonds im Hinblick auf die »Schicksalsgemeinschaft der Geschädigten« und auf die Vorteile in der Realisierung der Ansprüche durch gemeinsames Auftreten rechtfertigt: »es sollte das recht verstandene Eigeninteresse der Betroffenen verwirklicht werden« – BVerfGE 42, 263, 299. 157 Siehe oben C. II. 3. b).
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
erscheint daher die Zwangskollektivierung der Gläubiger in Gläubigergruppen durch das Insolvenzplanverfahren als verfassungsrechtlich unbedenklich.158 Entschließt sich nun innerhalb einer Gläubigergruppe die Mehrheit zur Annahme des Planes und kommt dieser dann zustande, so beinhaltet er regelmäßig Kürzungen der Forderungsrechte aller Gläubiger. Der darin liegende Eingriff in die Eigentumsrechte der überstimmten Minderheit kann vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit dem »Feldmühle-Urteil« gerechtfertigt sein. Dieses hielt den Entzug von Minderheitsaktien in einer übertragenden Umwandlung durch einen Mehrheitsbeschluss für verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn es für den Eingriff in die Rechtsposition der Minderheitsaktionäre gewichtige Gründe des Gemeinwohls gibt, den Minderheitsaktionären wirksame Rechtsbehelfe gegen einen Missbrauch wirtschaftlicher Macht zur Verfügung stehen und sie für den Verlust ihrer Rechtsposition wirtschaftlich voll entschädigt werden.159 Diese grundsätzlichen Rechtfertigungsvoraussetzungen erfüllt das Insolvenzplanverfahren. Es dient einer optimalen Haftungsverwirklichung im Interesse aller Beteiligten. Zugleich verhindert es die Vernichtung wirtschaftlicher Werte durch einen Zerschlagungsmechanismus und liegt damit auch im Interesse der Volkswirtschaft. Es verfolgt folglich keine Individualinteressen, sondern gewichtige Interessen des Gemeinwohls. Der daneben notwendige Missbrauchsschutz erfolgt im Insolvenzplanverfahren gemäß § 250 InsO sogar von Amts wegen, da das Insolvenzgericht jeden mehrheitlich angenommenen Insolvenzplan bestätigen und damit dessen ordnungsgemäßes und lauteres Zustandekommen prüfen muss. Schließlich wird jedem überstimmten Gläubiger über den gerichtlichen Minderheitenschutz nach § 251 InsO jedenfalls die Insolvenzquote garantiert. Er wird damit für eventuelle Rechtsverluste durch den Plan wirtschaftlich voll entschädigt, indem ihm im Vergleich zum Regelinsolvenzverfahren bei wirtschaftlicher Betrachtung keine Einbuße entsteht. Der wirtschaftliche Wert einer Forderung bemisst sich nicht nach dem Nominalwert der Forderung, sondern nach dem wirtschaftlichen Wert der Forderung, und wird bei einem insolventen Schuldner damit nur noch durch die zu erwartende Quote im Regelinsolvenzverfahren bestimmt.160 Zwar bleibt die Forderung auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens gemäß § 201 Abs. 1 InsO formal bestehen, soweit sie nicht durch Leistungen im Insolvenzverfahren befriedigt wurde. Dieses Nachforderungsrecht geht bei Unternehmensinsolvenzen – und nur diese sind für einen Insol158
Grundsätzliche Bedenken werden – soweit ersichtlich – auch nicht erhoben. BVerfGE 14, 263, 282 f.; bestätigt in den Entscheidungen zum aktienrechtlichen Squeeze-Out: BVerfGE 100, 289, 302 f.; BVerfG NJW 2001, 279, 280; NJW 2007, 3268, 3269 f.; ZIP 2007, 2121, 2122; ZIP 2010, 571, 574. 160 BVerfGE 100, 289, 305. (in diese Richtung aber Basty, Gläubigerinteressen, S. 59; Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, § 222 Rn. 35 und wohl auch Smid, InVo 1997, 169, 177; dagegen zutreffend Hess/Weis, InVo 1998, 64, 65). 159
C. Die Abstimmung der Gläubiger
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venzplan offen (vgl. § 312 Abs. 2 InsO) – jedoch regelmäßig ins Leere, da der Unternehmensträger entweder infolge des Insolvenzverfahrens erlischt, da er eine juristische Person oder Personengesellschaft ist, oder aber sich ein Restschuldbefreiungsverfahren über eine vermögenslose natürliche Person anschließt, welches in absehbarer Zeit ebenfalls zum Erlöschen der Forderung führt. Das Nachforderungsrecht ist somit »ohne wirtschaftlichen Wert«.161 Die Gläubiger haben damit – wie § 252 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu Recht regelt – nur einen Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe der zu erwartenden Quote. Sie haben insbesondere keinen Anspruch auf eine optimale Haftungsverwirklichung durch einen für sie optimalen Insolvenzplan,162 da ein solcher Plan stets von der Mitwirkung und auch der Mitfinanzierung durch andere Gläubiger abhängt, auf welche kein Mitgläubiger einen rechtlichen Anspruch hat. Eine nicht sachgerechte Gruppenbildung ist daher auch allein in Hinblick auf Art. 3 GG bedenklich, nicht aber wegen Art. 14 GG, da § 251 InsO den wirtschaftlichen Wert der Insolvenzforderungen stets garantiert. Die Mehrheitsmacht des Insolvenzplanverfahrens ist folglich auch verfassungsrechtlich unbedenklich.163
V. Zwischenergebnis Es ist damit zunächst festzuhalten, dass die einzelnen Gläubiger einem Insolvenzplan nicht einzeln gegenübertreten; vielmehr werden alle betroffenen Gläubiger Gläubigergruppen zugeordnet, in denen sie mit Gläubigern zusammengefasst werden, die zumindest durch den Plan auf gleiche Weise in ihren Rechten betroffen sind (§ 222 Abs. 1 InsO). Es darf aber auch darüber hinaus danach differenziert werden, ob die gleich betroffenen Gläubiger auch gleichartige wirtschaftliche Interessen verfolgen (§ 222 Abs. 2 Satz 1 InsO). Innerhalb jeder so entstandenen Gruppe findet dann die Willensbildung der Gläubiger über den Plan statt. Dies geschieht nach der Erörterung des Planinhalts (§ 235 InsO) durch Abstimmung über den Plan in den einzelnen Gruppen (§ 243 InsO), wobei grundsätzlich jede einzelne Gruppe den Plan durch Mehrheitsbeschluss annehmen muss (§ 244 InsO). Die Feststellung des Abstimmungsergebnisses enthält damit zugleich die Feststellung des Willens der Gläubigergruppen hinsichtlich des vorgelegten Insolvenzplanes. Das Abstimmungsergebnis jeder Gruppe ist daher vom Insolvenzgericht sofort im Abstimmungstermin festzu161
In diesem Sinne auch BVerfGE 92, 262, 272. In diese Richtung aber Basty, Gläubigerinteressen, S. 59; Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, § 222 Rn. 35 und wohl auch Smid, InVo 1997, 169, 177; dagegen zutreffend Hess/Weis, InVo 1998, 64, 65. 163 Ebenso Lepa, Insolvenzordnung und Verfassungsrecht, S. 252 ff. Insbesondere besteht keine Notwendigkeit für eine ausufernde richterliche Kontrolle der Gruppenbildung vor dem Abstimmungstermin nach § 231 InsO (so aber Smid, InVo 1997, 169, 176 f.), da eine Missbrauchskontrolle aus Effektivitätsgründen auf angenommene Pläne beschränkt werden sollte und ohnehin über die §§ 250, 251 InsO stattfi ndet (zutreffend Hess/Weis, InVo 1998, 64, 65). 162
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stellen, ins Protokoll aufzunehmen und bekannt zu geben.164 Damit steht am Ende der Abstimmung der Wille jeder einzelnen Gruppe fest; jede hat über den Plan einen Beschluss gefasst, der alle Gruppenmitglieder bindet, gerade auch die überstimmten.
VI. Die Ausführung des Beschlusses – die Willenserklärungen der Gläubiger Dieser Beschluss beinhaltet nun aber nur die interne Seite der Willensbildung; er ist nicht mehr als die »bloße Fixierung« oder Manifestation des Willens der Personengruppe als Grundlage für deren Handlungen nach außen.165 Die Ausführung des Beschlusses, also die eigentliche Willenserklärung im rechtlich erheblichen Sinn, gehört nicht zur Willensbildung und obliegt daher auch in der Regel nicht dem Willensbildungsorgan, sondern dem Vertretungsorgan einer Personengruppe. Der Beschluss bedarf also noch seiner Ausführung. Ist etwa der Abschluss eines Vertrages mit einem oder mehreren außen stehenden Personen beschlossen worden, so ist nach der Beschlussfassung nun dieser Vertrag mittels der Abgabe der entsprechenden Willenserklärungen durch das Vertretungsorgan noch abzuschließen.166 Wollen folglich die Gläubiger einander sowie den Schuldner an den gewollten Insolvenzplan binden, so bedarf es noch der entsprechenden Willenserklärungen als Vertragserklärungen. 1. Keine Willenserklärung der einzelnen Gläubigergruppe Diese Willenserklärungen können nun aber nicht von der Gläubigergruppe selbst stammen. Die einzelne Gläubigergruppe ist eine schlichte Interessengemeinschaft und damit – wie eine Rechtsgemeinschaft nach § 741 BGB – selbst nicht rechtsfähig. Sie kann damit im Rechtsverkehr keine Willenserklärungen im eigenen Namen und mit bindender Wirkung für sich selbst und alle ihre Mitglieder abgeben. Die auf Ausführung des Beschlusses gerichteten Willenserklärungen müssen daher – ebenfalls in Anlehnung an die Rechtslage bei er Rechtsgemeinschaft – von den Mitgliedern der Gruppe selbst stammen oder aber ihnen zumindest im Wege der Stellvertretung zugerechnet werden können. 2. Die Willenserklärungen der zustimmenden Gläubiger Steht also fest, dass die nach außen gerichteten Willenserklärungen nicht von der Gläubigergruppe als solcher kommen können, so liegt es nahe, sie wieder164 Flessner, in: Heidelberger Kommentar, InsO, § 244 Rn. 10; Hintzen, in: MünchKomm, InsO, § 243 Rn. 5. 165 Baltzer, Beschluss, S. 128 f.; 175; Frei, Nichtige Beschlüsse, S. 62 f. 166 Unstreitig – vgl. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 15 I 4 (S. 439 f.).
C. Die Abstimmung der Gläubiger
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um in den Abstimmungserklärungen der Gläubiger zu suchen. Mit seiner Stimmabgabe gibt der zustimmende Gläubiger kund, dass er den zur Abstimmung gestellten Plan für sich gelten lassen will, falls dieser (mehrheitlich) angenommen und bestätigt wird. Eine nochmalige Erklärung der zustimmenden Gläubiger nach der Abstimmung und im Angesicht einer mehrheitlichen Annahme des Planes bzw. nach dessen Bestätigung gibt es nicht. Vielmehr wird der zustimmende Gläubiger im Falle der Annahme und Bestätigung des Planes an seinem einmal geäußerten Willen festgehalten. Diese Regelung im Insolvenzplanverfahren ist ungewöhnlich, muss doch grundsätzlich streng zwischen der Stimmabgabe als der Willenserklärung, die allein auf die interne Willensbildung und das Zustandekommen eines entsprechenden Beschlusses gerichtet ist167, und der Abgabe einer nach außen gerichteten Willenserklärung zum Zwecke des Vertragsschlusses unterschieden werden.168 Beide Erklärungen haben trotz desselben Gegenstandes (hier z. B. einen bestimmten Insolvenzplan) einen verschiedenen Inhalt, da sie sich an verschiedene Adressatenkreise richten: Die Stimmabgabe richtet sich an die anderen Gruppenmitglieder und soll allein die interne Willensbildung beeinflussen169 ; die Abgabe eines Vertragsangebot in Ausführung des Beschlusses richtet sich hingegen gerade nicht an die anderen Gruppenmitglieder, sondern an den Vertragspartner, also einen Dritten.170 Beide Erklärungen sind im Normalfall sauber zu trennen. Beschließt also etwa eine Rechtsgemeinschaft an einem Grundstück, dieses zu verpachten, so ist die Zustimmungserklärung eines Teilhabers im Abstimmungstermin der Gemeinschaftsversammlung nur seine Stimmabgabe, während seine Unterschrift unter den Pachtvertrag mit dem Pächter erst die vertraglich relevante Willenserklärung enthält. Eine derartig saubere Trennung enthält das Insolvenzplanverfahren nicht – aus Effektivitätsgründen. Dem Gesetzgeber kam es gerade darauf an, alle Fragen um die Annahme eines vorgeschlagenen Insolvenzplans in nur einem Abstimmungstermin zu erledigen.171 Dieser beginnt mit der Erörterung des Planvorschlags und der Stimmrechte (§ 235 Abs. 1 InsO) und endet nach der gesetzgeberischen Wunschvorstellung mit der Verkündung der Planbestätigung (§ 252 Abs. 1 Satz 1 InsO). Folgerichtig hat der Gesetzgeber alle beteiligten Personen zu diesem einen Termin hinzugezogen. Anders als in üblichen Versamm167 Die Stimmabgabe wird zutreffend als Willenserklärung im technischen Sinne verstanden – vgl. RGZ 118, 67, 69; Baltzer, Beschluss, S. 142; Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 15 I 2 b (S. 437) m. w. N. 168 Baltzer, Beschluss, S. 128 f.; Frei, Nichtige Beschlüsse, S. 56, 63; Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 15 I 4 (S. 439). 169 Baltzer, Beschluss, S. 144; Frei, Nichtige Beschlüsse, S. 62. 170 Baltzer, Beschluss, S. 128; Frei, Nichtige Beschlüsse, S. 63. 171 Siehe insbesondere die Straffung des Verfahrens durch den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages, welche gerade die Zusammenfassung des Annahmeverfahrens in möglichst nur einem Termin zum Ziel hatte, BT-Drucks 12/7302, S. 183.
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
lungen von Personengruppen zur Beschlussfassung sind daher nicht nur die stimmberechtigten Gruppenmitglieder (die Gläubiger), sondern auch der Schuldner zum Abstimmungstermin zu laden (§ 235 Abs. 3 InsO bzw. § 241 Abs. 2 Satz 1 InsO). Der Gesetzgeber konzentriert auf diese Weise alles auf den Abstimmungstermin; in einem Termin soll der Plan stehen oder fallen. Vor diesem Hintergrund wäre es nun reiner Formalismus, die Gläubiger zunächst abstimmen zu lassen, um die erste Willenserklärung in Form der Stimmabgabe von ihnen einzuholen, um sie dann bei einem positiven Abstimmungsergebnis nochmals darum zu bitten, ihre Erklärung – nun in Richtung des Schuldners und aller Gläubiger – zu wiederholen, zumal sie aufgrund des Beschlusses ohnehin an ihren intern erklärten Zustimmungswillen gebunden sind. Die Erklärung jedes Gläubigers im Abstimmungstermin, er sei für den vorgelegten Insolvenzplan, enthält daher ausnahmsweise gleich zwei Willenserklärungen: die an die anderen Gläubiger in seiner Gruppe gerichtete Stimmabgabe zur Beeinflussung der Willensbildung in der Gruppe und die an den Schuldner und alle Gläubiger gerichtete Willenserklärung, bei Annahme des Planes an ihn gebunden sein zu wollen.172 Allein die letztere Erklärung ist dabei diejenige, die den einzelnen Gläubiger an den Plan bindet; sie ist seine Vertragserklärung. Grundsätzliche Bedenken oder Einwände gegen eine derartige Konzentration von Beschlussfassung und Beschlussausführung sind nicht ersichtlich. So hält es insbesondere auch Karsten Schmidt für möglich, in der Mitteilung des Beschlussergebnisses zugleich auch die konkludente Ausführung des Beschlusses zu sehen, wenn alle dazu notwendigen Beteiligten anwesend sind.173 Genau eine solche Situation findet sich im Abstimmungstermin des Planverfahrens. 3. Die Zustimmungserklärungen der überstimmten Minderheit Eine Willenserklärung mit zustimmendem Inhalt fehlt nun aber bei den Gläubigern gänzlich, die gegen den Plan votiert haben. Diese sind andererseits durch den wirksamen Beschluss ihrer Gläubigergruppe einem gemeinsamen Willen unterworfen, der sie zur Mitwirkung an der Beschlussausführung verpflichtet. Allein diese Mitwirkungspflicht ergibt nun aber noch keine Willenserklärung. In Betracht käme, die Willenserklärungen der zustimmenden Gläubiger zugleich auch im Wege einer Stellvertretung den ablehnenden Gläubigern zuzurechnen174 oder aber die ablehnenden Gläubiger auf Mitwirkung, d. h. auf Abga172 Ebenso Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, § 217 Rn. 20, wenn er die zustimmende Stimmabgabe jedes Gläubigers nicht nur als »Element verbandsinterner Willensbildung«, sondern zugleich als vertragsrechtliche Willenserklärung im Verhältnis zum Schuldner ansieht; ähnlich Gaul, FS Huber, 2006, 1187, 1213. 173 Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 15 I 4 (S. 440). 174 Diese Konstruktion wurde z. B. für den Zwangsvergleich diskutiert – vgl. im Ersten Kapitel B. III. 2. b).
C. Die Abstimmung der Gläubiger
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be der zur Ausführung des Beschlusses notwendigen Willenserklärung gegenüber Dritten, zu verklagen und die pflichtige Willenserklärung dann über § 894 ZPO zu fingieren. Beide Wege werden diskutiert, wenn es um die Ausführung von Beschlüssen einer Rechtsgemeinschaft geht – der gesetzlich geregelten Grundform einer Zwangsgemeinschaft. Bei der Rechtsgemeinschaft ist nach wie vor streitig, ob allein ein wirksamer Mehrheitsbeschluss die Mehrheit der Mitglieder legitimiert, den Beschluss auch kraft dieser Mehrheit zu vollziehen. Kann also beispielsweise der gemeinschaftliche Gegenstand verpachtet werden, wenn die Mehrheit dies beschließt, oder bedarf es zum wirksamen Abschluss des Pachtvertrags mit Bindungswirkung für alle Mitglieder der Gemeinschaft auch einer entsprechenden Willenserklärung aller? Eine Ansicht175 entnimmt der Mehrheitsmacht zugleich auch die Legitimation zum Vollzug des Beschlusses durch die Mitgliedermehrheit ohne Beteiligung der Minderheit und dies sowohl für Verpflichtungs- als auch für Verfügungsgeschäfte mit Dritten, solange diese über den gemeinschaftlichen Gegenstand nicht hinausgehen, also nicht das Privatvermögen der Teilhaber betreffen. Die durch den Beschluss geschaffene interne Bindung legitimiert danach auch die gegen den Willen der Minderheit geschaffene (vertragliche) Bindung gegenüber Dritten. Die Unterschrift nur der zustimmend votierenden Teilhaber auf dem Pachtvertrag würde danach genügen, um einen Pachtvertrag über den gemeinschaftlichen Gegenstand zu schließen, der alle Teilhaber bindet. Die Gegenmeinung176 sieht die Mehrheit trotz des Beschlusses nicht zum eigenmächtigen Vollzug legitimiert und verlangt stets die (gegebenenfalls auf dem Klageweg zu erreichende) Mitwirkung der überstimmten Minderheit, so dass im Ergebnis jedenfalls nach außen die Zustimmung aller Teilhaber zum Vertrag vorliegt und der Grundsatz der Privatautonomie damit jedenfalls formal gewahrt wird. Allerdings wird auch die im Klageweg erzwungene Zustimmungserklärung der überstimmten Teilhaber nicht tatsächlich von diesen abgegeben, sondern bei einem stattgebenden Urteil gemäß § 894 ZPO ersetzt. Auch hier beruht die Bindung der Minderheit gegenüber Dritten aus dem Vertrag somit nicht auf deren freien Willen, sondern auf der Bindung durch den Beschluss. Die Unterschriften der den Vertrag ablehnenden Teilhaber können also weiterhin auf dem Pachtvertrag fehlen, solange wegen § 894 ZPO ihre Zustimmungspflicht in einem Urteil rechtskräftig festgestellt wurde. 175 Aderhold, in: Erman, BGB, § 745 Rn. 5; Gehrlein, in: Bamberger/Roth, BGB, § 745 Rn. 8 Fn. 52; Schmidt, in: MünchKomm, BGB, § 745 Rn. 31; Sprau, in: Palandt, BGB, § 745 Rn. 4. 176 Die Mehrheit soll nach dieser Ansicht allenfalls in Eil- und Notfällen ohne die Minderheit handeln dürfen: Flume, Personengesellschaft, S. 117 f.; von Gamm, in: RGRK, BGB, §§ 745, 746 Rn. 10; Jülicher, AcP 175 (1975), 143, 147 ff.; früher auch der II. Zivilsenat des BGH in BGHZ 49, 183, 192 f. Gegen jede Mehrheitsmacht: Langhein, in: Staudinger, BGB (2008), § 745 Rn. 40–45.
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
Die wohl herrschende Ansicht177 wiederum differenziert: Verpflichtungsgeschäfte könne die Mehrheit auch ohne die Minderheit abschließen; insoweit verleihe der Mehrheitsbeschluss Vertretungsmacht für die Minderheit. Verfügungen hingegen seien wegen § 747 Satz 2 BGB nur möglich, wenn die Minderheit zustimme, was gegebenenfalls gerichtlich über § 894 ZPO erreicht werden müsse. Im Beispiel würde diese Ansicht damit der erstgenannten folgen und den Pachtvertrag auch ohne die Unterschriften der ablehnenden Teilhaber und ohne Urteil als verbindlich für alle ansehen. Wie auch immer man in dieser Frage entscheiden will; in jedem Fall wird der überstimmte Minderheitsteilhaber nicht aufgrund seiner selbstbestimmten, also materiell privatautonomen Entscheidung an das Ergebnis des Vollzugs des Beschlusses gebunden. Auch in den Fällen, in denen seine Zustimmung gerichtlich über § 894 ZPO erzwungen wird, hat er zwar technisch im Wege der Fiktion eine Willenserklärung abgegeben, tatsächlich jedoch gibt es keinen Zustimmungswillen. Sein Wille wird durch das gerichtliche Urteil ersetzt und dieses basiert allein auf der Rechtmäßigkeit des Mehrheitsvotums.178 Die Ansichten unterscheiden sich daher weniger in der (Nicht-)Respektierung des Selbstbestimmungsrechts der überstimmten Teilhaber als allein in der Frage einer generellen Notwendigkeit gerichtlichen Zwangs und der damit verbundenen zwingenden gerichtlichen Überprüfung des Mehrheitsbeschlusses. Der Unterschied liegt somit bei genauer Betrachtung allein im Niveau des Minderheitenschutzes und allein die Frage nach hinreichendem Minderheitenschutz beherrscht daher auch die Diskussion.179 Für die vorliegende Untersuchung kann auf eine Entscheidung des Meinungsstreits verzichtet werden. Festzuhalten bleibt zum einen die Erkenntnis, dass auch nach der strengsten Ansicht ein Mehrheitsbeschluss im Zusammenspiel mit einer allein auf der Grundlage der Rechtmäßigkeit (nicht der Billigkeit oder Zweckmäßigkeit) desselben ergehenden gerichtlichen Entscheidung die ablehnende Minderheit auch gegen ihren tatsächlichen Willen bindet. Wichtig und ebenfalls besonders zu betonen ist zum zweiten, dass unstreitig trotz dieses Eingriffs in die Privatautonomie der Minderheit das nach außen zustande kommende Ergebnis des Beschlussvollzugs immer ein Vertrag bürgerlichen Rechts ist, solange nur der Abschluss eines solchen Vertrags Gegenstand der Willens177 BGHZ 56, 47, 50; 140, 63, 68; von Ditfurth, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, § 745 Rn. 4; Hadding, in: Soergel, BGB, § 745 Rn. 2, 9. 178 Es ist allein der Mehrheitsbeschluss, der alle Teilhaber zur Mitwirkung an seiner Ausführung verpflichtet, und nur diese Verpflichtung wird gerichtlich durchgesetzt (unstreitig) – vgl. etwa BGHZ 140, 63, 68; von Gamm, in: RGRK, BGB, §§ 745, 746 Rn. 10; Gehrlein, in: Bamberger/Roth, BGB, § 745 Rn. 7; Jülicher, AcP 175 (1975), 143, 155; Langhein, in: Staudinger, BGB (2008), § 745 Rn. 27, 40, 44; Schmidt, in: MünchKomm, BGB, § 745 Rn. 30. 179 Vgl. etwa BGHZ 49, 183, 192 f.; 56, 47, 51; von Gamm, in: RGRK, BGB, §§ 745, 746 Rn. 10; Jülicher, AcP 175 (1975), 143, 147 ff.; Langhein, in: Staudinger, BGB (2008), § 745 Rn. 40.
C. Die Abstimmung der Gläubiger
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bildung in der Rechtsgemeinschaft war. Schon ein gesetzlich legitimierter Mehrheitsbeschluss und die Ersetzung der Zustimmungserklärungen der Minderheit zur Beschlussausführung über § 894 ZPO genügen danach, um einem Vertrag auch heteronome Wirkungen zu geben. Überträgt man diese Erkenntnisse auf das Insolvenzplanverfahren, so wird deutlich, dass der Gesetzgeber zur Legitimation der Mehrheitsmacht hier den sicheren Weg gewählt hat und eine obligatorische richterliche Kontrolle vorschreibt. Der Insolvenzplan beinhaltet nicht allein Verpflichtungen für die Beteiligten; er gestaltet bereits unmittelbar die Rechtslage und verändert die Zuordnung von Gegenständen und hat damit Verfügungswirkungen (§ 254 Abs. 1 Satz 2 InsO). Die Befugnis der Mehrheit zur Vertretung der Minderheit bei der Abgabe der zustimmenden Willenserklärungen ohne eine Rechtmäßigkeitskontrolle durch ein Gericht ist damit zumindest problematisch, wenngleich sie nicht ausgeschlossen erscheint.180 Indem aber das Insolvenzgericht obligatorisch die Rechtmäßigkeit des Beschlusses überprüft (§§ 248 Abs. 1, 250 InsO), wird allen geäußerten Bedenken Rechnung getragen. Wie bei einem Beschluss einer Rechtsgemeinschaft kontrolliert ein Richter das ordnungsgemäße Zustandekommen des Beschlusses und die Einhaltung der dazu ergangenen gesetzlichen Vorgaben. Der Insolvenzrichter stellt grundsätzlich noch im Abstimmungstermin (§ 252 Abs. 1 Satz 1 InsO) die Rechtmäßigkeit des Abstimmungsverfahrens und des Abstimmungsergebnisses fest (§ 250 Nr. 1 und 2 InsO), prüft also die Rechtmäßigkeit des Beschlusses. Sein Bestätigungsbeschluss, der noch im Abstimmungstermin verkündet wird (§ 252 Abs. 1 Satz 1 InsO), wirkt exakt wie ein Urteil nach § 894 ZPO. Die Verfahrensregelungen in der Insolvenzordnung sind folglich weitgehend identisch mit denen einer Klage auf Zustimmung nach § 894 ZPO. In beiden Fällen wird die Zustimmung einer ablehnenden Minderheit allein auf der Grundlage eines rechtmäßigen Mehrheitsbeschlusses nach richterlicher Prüfung und gegen den tatsächlichen Willen des einzelnen Minderheitsvertreters gesetzlich fingiert. Lediglich die Verfahrensdauer wird im Insolvenzplanverfahren – aus den genannten Effektivitätsgründen – ganz erheblich verkürzt und auf ein und denselben Termin konzentriert. Das rechtliche Ergebnis bleibt dennoch identisch: Im Insolvenzplanver180 So hat der BGH (NJW 2010, 65, 67) in seiner »Sanieren oder Ausscheiden«-Entscheidung angenommen, dass aus der gesellschafterlichen Treuepfl icht eine Zustimmungspfl icht der Minderheitsgesellschafter zu einer Satzungsänderung folgt, die ihren Ausschluss im Fall einer Verweigerung von Sanierungsbeiträgen vorsieht. Im Rahmen seiner Beschlusskontrolle fingierte der BGH dann unmittelbar die aus dieser Zustimmungspflicht heraus geschuldeten Zustimmungen, sodass er von einem einstimmig gefassten Beschluss ausging. Westermann (NZG 2010, 321, 323) erkannte zutreffend den »Gedanken einer kraft Treuepfl icht fingierten Zustimmung«. Holler (ZIP 2010, 1678, 1682 f.) hat den BGH exakt deswegen kritisiert. Die Notlage der Unternehmenskrise gebietet eben eine schnelle Beschlussumsetzung, sodass Zustimmungspflichten unmittelbar zur Fiktion von Zustimmungserklärungen führen. Derselbe Gedanke muss erst recht die Beschlussfassung in der Insolvenz beherrschen.
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
fahren wird wie im Verfahren nach § 894 ZPO die Willenserklärung zum beschlossenen Rechtsgeschäft nach richterlicher Kontrolle fingiert. 4. Die Zustimmungserklärungen der nicht abstimmenden Insolvenzgläubiger Es bleibt noch ein letzter Gläubigerkreis zu betrachten: die nicht stimmberechtigten Gläubiger. Das sind nach §§ 237 Abs. 1 Satz 1, 77 Abs. 1 Satz 1 InsO insbesondere die Gläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben. Diese Gläubiger werden, soweit ihre Rechte denn vom Plan überhaupt beeinträchtigt werden sollen, gemäß § 254 Abs. 1 Satz 3 InsO von den Bindungswirkungen des Plans erfasst. Folgerichtig sind nicht nur die stimmberechtigten, sondern alle Gläubiger des Schuldners, in deren Rechtsstellung durch den Insolvenzplan eingegriffen werden soll, im darstellenden (§ 220 InsO) und gestaltenden (§ 221 InsO) Teil des Plans zu benennen sowie gemäß § 222 InsO in Gruppen aufzuteilen. Dabei spielt die Frage, ob die den Gruppen zugeordneten Gläubiger auch tatsächlich ihre Forderung im Verfahren geltend machen, indem sie diese anmelden, keine Rolle. Diese Regelung ist konsequent und notwendig. Im Regelfall wird ein umfassender Insolvenzplan nicht kurzfristig im Verfahren entstehen, sondern schon vor der Verfahrenseröffnung oder aber vor dem Prüfungstermin vorbereitet und aufgestellt werden, so dass es den Plangestaltern schlicht unmöglich wäre, bei der Gruppengestaltung auf die Anmeldungen im Verfahren Rücksicht zu nehmen. Die Anmeldung von Forderungen und deren Prüfung ist vielmehr gemäß § 237 Abs. 1 InsO allein für die Frage nach dem Stimmrecht von Bedeutung. Meldet also ein Gläubiger seine Forderung nicht an oder wird diese bestritten, so steht ihm zwar kein Stimmrecht über den Plan zu; er bleibt aber Teil der Gläubigergruppe und wird damit als deren Teil auch vom Mehrheitsbeschluss der Gruppe als Ergebnis der gruppeninternen Willensbildung gebunden. Diese Bindung nicht stimmberechtigter Mitglieder einer Personengruppe an den Gruppenwillen ist im Übrigen keine Besonderheit des Insolvenzplans, werden doch etwa auch im Aktienrecht nicht stimmberechtigte Aktionäre (vgl. § 123 Abs. 2 AktG) von den Beschlüssen der Hauptversammlung gebunden und auch im Regelinsolvenzverfahren binden Beschlüsse der Gläubigerversammlung die nicht stimmberechtigten Gläubiger (vgl. § 77 InsO). Aus der Mitgliedschaft der nicht stimmberechtigten Gläubiger in den einzelnen Gläubigergruppen und der daraus folgenden Bindung derselben an den Gruppenwillen ergibt sich dann wie bei Gläubigern, die den Plan abgelehnt hatten, die Pflicht, dem Gruppenwillen Folge zu leisten und den mehrheitlich angenommenen Plan zu akzeptieren. Diese Pflicht zur Abgabe einer zustimmenden Willenserklärung gegenüber den anderen Beteiligten wird nun wiederum in konsequenter Durchführung des Prinzips der Konzentration des Verfahrens auf einen Termin unmittelbar durch das Gericht festgestellt und
C. Die Abstimmung der Gläubiger
241
mittels der Fiktion in § 254 Abs. 1 Satz 3 InsO vollstreckt. Mit dem rechtskräftigen bestätigenden Beschluss des Insolvenzgerichtes gilt daher nicht nur die Zustimmung der ablehnenden Gläubiger, sondern auch die der nicht abstimmenden Gläubiger zum Insolvenzplan entsprechend des Rechtsgedankens des § 894 ZPO als erteilt. Sie werden damit – wie es § 254 Abs. 1 Satz 3 InsO anordnet – von den Wirkungen des Plans erfasst. 5. Der Zugang der Erklärungen Jede vertragliche Willenserklärung muss nach § 130 Abs. 1 BGB dem anderen Teil zugehen, um Wirkungen zu entfalten. Dies gilt auch für infolge einer gerichtlichen Entscheidung gemäß § 894 ZPO fingierte Willenserklärungen.181 Der danach für alle im Abstimmungstermin zu findenden Willenserklärungen notwendige Zugang wird nun ebenfalls durch die bereits mehrfach erwähnte Konzentration des Annahmeverfahrens auf einen Termin vereinfacht, da nach der gesetzlichen Konzeption in diesem Termin die meisten Beteiligten sowie das Insolvenzgericht persönlich anwesend sind. Die echten wie fingierten Willenserklärungen der Beteiligten werden daher in der Regel unter Anwesenden abgegeben und gehen folglich unmittelbar zu.182 Ist hingegen ein Gläubiger oder aber der Schuldner ausnahmsweise im Abstimmungstermin nicht anwesend, so gehen die Willenserklärungen der anderen Beteiligten über die jeweiligen Terminsvertreter als Empfangsboten zu (§ 164 Abs. 3 BGB).183 Fehlt im Termin auch ein solcher Vertreter, was insbesondere bei einer schriftlichen Abstimmung nach § 242 InsO auch für die abstimmenden Gläubiger der Normalfall sein wird, so fehlt eine gesetzliche Sicherstellung des Zugangs der rechtlich relevanten Vertragserklärungen. Allerdings lässt sich dem Fernbleiben vom Abstimmungstermin ein konkludenter Verzicht auf den Zugang der Willenserklärungen der Anwesenden gemäß § 151 BGB entnehmen.184 Bleibt der Schuldner oder aber ein Gläubiger, der Forderungen angemeldet hat, dem Abstimmungstermin trotz seiner expliziten Ladung nach § 235 Abs. 2 InsO fern, so sieht er bewusst von einer Teilnahme an der Abstimmung ab. Er verzichtet damit nicht nur auf seine Stimmrechte, sondern auf alle Ver181
Unstreitig – vgl. etwa RGZ 160, 321, 324; Lackmann, in: Musielak, ZPO, § 894 Rn. 12. Dieser allgemeine Grundsatz über den Zugang von Willenserklärungen unter Anwesenden gilt auch bei Vertragsschlüssen im Wege der Zustimmung zu einer Vertragsvorlage – zutreffend Merle, FS Wenzel, 2005, 251, 258 (für den vergleichbaren Fall einer Vereinbarung unter Wohnungseigentümern). 183 Siehe Merle, FS Wenzel, 2005, 251, 258. 184 Gerade bei einer Vielzahl von Beteiligten wird im Interesse der Vereinfachung und Beschleunigung des Zustimmungsverfahrens häufig ein Rückgriff auf § 151 BGB in Betracht kommen – so zutreffend Merle, FS Wenzel, 2005, 251, 261 (wiederum für eine Vereinbarung unter Wohnungseigentümern). Auf Fälle des Vertragsschlusses durch Zustimmung aller Beteiligten zu einem vorformulierten Text kann § 151 BGB dann aber nur analog angewandt werden – siehe oben B. 182
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
fahrensrechte im Abstimmungstermin und daher auch auf den Zugang der Erklärungen der anderen Beteiligten über den Plan. Entsprechendes gilt für die Gläubiger, die ihre Forderungen überhaupt nicht angemeldet haben und daher auch nicht gemäß § 235 Abs. 2 InsO zum Abstimmungstermin geladen wurden. Meldet ein Gläubiger trotz der entsprechenden ausdrücklichen Aufforderung durch das Insolvenzgericht (§ 28 Abs. 1 InsO) seine Forderungen gegen den Schuldner nicht an, so verzichtet er nicht nur bewusst auf eine Teilnahme am Regelinsolvenzverfahren, sondern auch auf seine Teilnahme an einem Insolvenzplanverfahren. Dieser Verzichtswille erfasst dann nicht nur seine allgemeinen Verfahrensrechte (wie z. B. seine Stimmrechte nach §§ 77 Abs. 1 oder 237 InsO), sondern muss erst recht auch für seine Kenntnisnahmemöglichkeiten von einzelnen Verfahrenshandlungen gelten. Aus dem Verzicht auf die Teilnahme am Verfahren im Ganzen folgt erst recht auch der Verzicht auf den Zugang einzelner Verfahrenshandlungen und damit ein Verzicht auf den Zugang der Willenserklärungen aus dem Abstimmungstermin nach § 151 BGB.185 Schließlich wird man auch bei einer schriftlichen Stimmabgabe nach § 242 InsO von einem Verzicht auf den Zugang der anderen Vertragserklärungen im Sinne des § 151 BGB ausgehen dürfen, da trotz der Zusendung von Stimmzetteln stets auch eine Ladung zum gesonderten Abstimmungstermin erfolgt (§ 241 Abs. 2 InsO). Entscheidet sich der Gläubiger dann für eine schriftliche Stimmabgabe anstelle eines persönlichen Erscheinens, so verzichtet er konkludent für den Fall der Annahme des Plans auf einen besonderen Zugang der Annahmeerklärungen. Alle Willenserklärungen, die im Abstimmungstermin abgegeben oder fingiert werden, werden damit – ganz im Sinne des Konzentrationsgrundsatzes – bereits im Abstimmungstermin im Sinne des § 130 Abs. 1 BGB wirksam.
VII. Ergebnis Das Abstimmungsverfahren der §§ 243 ff. InsO lässt sich also ohne weiteres dahin gehend deuten, dass die Gläubiger einem Insolvenzplan als Vertrag zustimmen. Lediglich die im Interesse einer Straffung des Entscheidungsprozesses
185 Ein solcher Verzichtswille wird sich lediglich bei den Insolvenzgläubigern nicht annehmen lassen, die ihre Forderungen nur deshalb nicht angemeldet haben, da sie von deren Existenz noch keine Kenntnis hatten, was insbesondere bei deliktischen Gläubigern – etwa aus Produkthaftungsansprüchen – vorkommen wird. Wer aber nichts von seiner Forderung weiß, kann auch nicht auf deren Geltendmachung verzichten. Hier ist es mithin nicht der Verzicht aus § 151 Satz 1 1. Alt. BGB, sondern die Verkehrssitte aus § 151 Satz 1 2. Alt. BGB, die den Vertrag »Insolvenzplan« mit diesen Gläubigern ohne Zugang der Erklärungen der anderen Vertragspartner zustande kommen lässt, da ein Zugang dieser Erklärungen bei den im Abstimmungstermin zwar bestimmbaren, aber eben individuell noch nicht bestimmten deliktischen Gläubigern nicht zu erwarten ist.
C. Die Abstimmung der Gläubiger
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erfolgende Konzentration des Verfahrens auf einen Termin verwischt oberflächlich die bekannten zivilrechtlichen Strukturen. Die tatsächliche Erklärung jedes Gläubigers im Abstimmungstermin, er sei für den vorgelegten Insolvenzplan, beinhaltet aufgrund der Konzentration aller maßgeblichen Erklärungen in einen Abstimmungstermin ausnahmsweise zwei Willenserklärungen. Zum einen gibt der Gläubiger auf diese Weise seine Stimme innerhalb der Abstimmung in der Gläubigergruppe ab. Diese Willenserklärung bezweckt allein die Beeinflussung der Willensbildung in der Gruppe und richtet sich nur an die anderen Gläubiger in der Gruppe. Kommt der Beschluss zustande, so bindet er alle Gläubiger der Gruppe und verpflichtet alle zur Annahme des beschlossenen Plans. Daneben enthält die eine tatsächliche Äußerung des zustimmenden Gläubigers aber auch die Erklärung an den Schuldner sowie alle übrigen Beteiligten, bei Annahme des Planes an ihn gebunden sein zu wollen. Allein diese zweite Erklärung ist dabei diejenige, die den einzelnen Gläubiger an den Plan bindet; sie ist seine in Richtung der Planvorlage abgegebene Vertragserklärung. Lehnt ein Gläubiger hingegen den Plan ab und wird er dann in seiner Gruppe überstimmt, so gibt er nur eine Willenserklärung ab – die ablehnende Stimmabgabe im Rahmen der Willensbildung in der Gruppe, welche sich allein an die anderen dortigen Gläubiger richtet. Eine tatsächliche Zustimmungserklärung findet sich nicht. Allerdings ist der überstimmte Gläubiger nun aufgrund des Mehrheitsbeschlusses zur Mitwirkung an der Beschlussausführung und damit zur Abgabe einer Annahmeerklärung verpflichtet. Diese Annahmepflicht wird aufgrund der Konzentration des gesamten Abstimmungsprozesses auf einen Termin dann nicht in einem gesonderten Prozessverfahren, sondern unmittelbar durch den Insolvenzrichter gerichtlich festgestellt und mittels Fiktion vollstreckt. Die Zustimmungserklärung des ablehnenden, aber überstimmten Gläubigers zum Plan findet sich damit im Insolvenzplanverfahren wie in einem Verfahren nach § 894 ZPO: in einer fingierten zustimmenden Willenserklärung zu einem Vertrag. In beiden Fällen wird eine Willenserklärung nach gerichtlicher Prüfung durch Fiktion geschaffen, deren Abgabe dem Betroffenen ohnehin aus einem materiellrechtlichen Grund obliegt. Die Funktion des Richters ist dabei dieselbe wie in jedem Erkenntnisverfahren; er prüft das Bestehen einer materiellrechtlichen (Zustimmungs-)Pflicht und stellt diese fest.186 Die Bindung der Gläubiger an den Insolvenzplan beruht nicht auf dieser richterlichen Tätigkeit, sondern auf materiellrechtlichen Willenserklärungen, die jeder Gläubiger selbst abgibt oder aber zu deren Abgabe er verpflichtet war, weshalb sie fingiert werden. Der Insolvenzplan kann nach der hier gefundenen Konstruktion somit zwar als Vertrag, nicht jedoch als ein Vertrag nur zwischen den Gläubigern einer 186
Näher dazu im Vierten Kapitel B. IV. 2.
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
Gruppe angesehen werden. Es existieren keine auf einen Vertragsschluss gerichteten Willenserklärungen, die sich allein auf diesen Kreis beschränken. Die innerhalb der Gläubigergruppen abgegebenen Willenserklärungen sind auf einen internen Beschluss gerichtet, welcher gerade kein Vertrag im Sinne der §§ 145 ff. BGB ist.187 Zwar kann man die einzelne Stimmabgabe als Willenserklärung ansehen. Diese zielt aber allein auf das Zustandekommen eines Beschlusses ab und hat keine Außenwirkung; ihre Funktion ist auf den internen Willensbildungsprozess beschränkt. Der mit der Abstimmung zustande gekommene Beschluss bindet die abstimmenden Gläubiger intern und verpflichtet sie zu seiner Umsetzung. Er hat jedoch allein keine Außenwirkung und daher auch keine unmittelbare Legitimationswirkung für einen Zugriff auf das Schuldnervermögen. Der Beschluss in einer Gläubigergruppe ist kein Vertrag. Folglich ist es unzutreffend, wenn der Insolvenzplan heute im Anschluss an Braun als »gesellschaftsähnlicher Verwertungsvertrag der Gläubiger«188 oder »mehrseitiger Verwertungsvertrag der Gläubiger über das Schuldnervermögen«189 eingeordnet wird. Ein solcher aus der Beschlussfassung folgender Vertrag nur zwischen den Gläubigern existiert schlicht nicht. In die richtige Richtung weist allein die dieser Ansicht zugrundeliegende Grundannahme, nach der die Gläubigergesamtheit »eine auf Auseinandersetzung gerichtete, nicht durch Rechtsgeschäft begründete, gesellschaftsähnliche Zwangs- und Schicksalsgemeinschaft«190 bilde; tatsächlich besteht unter allen Insolvenzgläubigern sogar eine Rechtsgemeinschaft. Allerdings wird dann übersehen, dass diese Gemeinschaft keine Befugnis zur verbindlichen Entscheidung über die privaten Forderungsrechte jedes Gläubigers hat. Keine Gemeinschaft kann mit Mehrheitsmacht über den gemeinschaftlichen Gegenstand hinaus in die privaten Rechte seiner Teilhaber eingreifen. Folgerichtig entscheidet nach der Insolvenzordnung auch nicht die Gläubigergemeinschaft in ihrer Gläubigerversammlung über den Plan, sondern es sind die Gläubigergruppen, welchen die maßgebliche Entscheidung zusteht. Dieser wichtige Punkt wird von Braun leider übersehen. Es gibt keinen Beschluss aller 187 Nach allgemeiner Ansicht ist jedenfalls ein Beschluss, der auch durch eine Mehrheit zustande kommen kann, kein Vertrag, sondern ein Rechtsgeschäft eigener Art, gerichtet auf die kollektive und rechtsverbindliche Willensbildung – vgl. Baltzer, Beschluss, S. 177; Bork, in: Staudinger, BGB, Vorbem zu §§ 145–156 Rn. 6; Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 15 I 2 a (S. 436); Wolf, in: Soergel, BGB, Vor § 145 Rn. 7; nur für die dem Einstimmigkeitserfordernis unterliegenden Beschlüsse wird die Vertragsnatur in Betracht gezogen – Kramer, in: MünchKomm, BGB, Vor § 145 Rn. 25. 188 Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 467; zustimmend Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur Insolvenzordnung, Kapitel 9, Rn. 4. 189 Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, vor § 217 Rn. 80, 82; ders., in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 66 Rn. 19; Braun/Frank, in: Braun, InsO, vor § 217 Rn. 1; Hess/Obermüller, Insolvenzplan, Rn. 5a; Pape, in: Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, § 38 Rn. 13. 190 Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 468; Braun, in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 66 Rn. 19.
C. Die Abstimmung der Gläubiger
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Gläubiger über den Insolvenzplan, sondern lediglich Beschlüsse in den einzelnen Gläubigergruppen. Diese sind keine »Verwertungsverträge«, sondern Ergebnisse einer internen Willensbildung. Der aus ihrer Umsetzung hervorgehende Vertrag Insolvenzplan bindet dann nicht nur die Gläubiger, sondern auch den Schuldner und sich freiwillig anschließende Dritte. Er muss daher – wie wir sehen werden – mehr sein, als nur ein Vertrag zwischen den Gläubigern. Für die Vertragskonstruktion bleibt festzuhalten, dass die vertraglichen Willenserklärungen der Gläubiger im Abstimmungstermin zu finden sind; sei es durch eine tatsächliche Erklärung, sei es durch eine Fiktion entsprechend des Rechtsgedankens des § 894 ZPO.
VIII. Ausblick: Die Abstimmung der Gesellschafter über den Insolvenzplan Im Sommer 2010 wurde im Bundesministerium der Justiz ein Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen erarbeitet, in welchen insbesondere vorgeschlagen wird, die Bildung einer Gesellschaftergruppe zuzulassen, um dem Insolvenzplan auch den Eingriff in Gesellschafterrechte zu ermöglichen. Würden diese Vorschläge umgesetzt, so fänden sich im gemeinsamen Abstimmungstermin neben den Willenerklärungen der Gläubiger auch die Willenserklärungen der Gesellschafter. Diese Gruppe ist als Gesellschaft miteinander verbunden und aus dieser Verbundenheit heraus legitimiert sich dann auch die Entscheidungsmacht einer Abstimmungsmehrheit in der Gruppe.191 Dass diese Mehrheitsmacht auch dazu berechtigt, Mitgliedschafts- und Anteilsrechte der überstimmten Minderheit einzuschränken oder gar zu entziehen, ist durch die Feldmühle-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts192 ausdrücklich entschieden worden. Die dabei aufgestellten Voraussetzungen (legitimer Zweck, volle wirtschaftliche Entschädigung, wirksamer Rechtsbehelf) wären für die Gesellschaftergruppe in einem künftigen Insolvenzplanverfahren ebenso erfüllt wie für die Gläubigergruppen im derzeitigen. Hinsichtlich der Annahme der Vertragsnatur des Insolvenzplans stellt die avisierte Einbeziehung der Gesellschafter in den Abstimmungsprozess über den Insolvenzplan mithin kein Problem dar. Diese Personen geben im Abstimmungstermin – ebenso wie die Gläubiger – nicht nur ihr Stimmen hinsichtlich der Beschlussfassung ab. Kommt dort in ihrer Gruppe eine Mehrheit für den Plan zustande, so erklären die Mehrheitsgesellschafter zugleich auch ihre Zustimmung zum Plan. Für die Minderheitsgesellschafter wird die pflichtwidrige 191
Wegen der Einzelheiten siehe oben C. IV. 1. BVerfGE 14, 263, 282 f.; bestätigt in den Entscheidungen zum aktienrechtlichen Squeeze-Out: BVerfGE 100, 289, 302 f.; BVerfG NJW 2001, 279, 280; NJW 2007, 3268, 3269 f.; ZIP 2007, 2121, 2122; ZIP 2010, 571, 574. 192
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
Ablehnung im konzentrierten Gerichtsverfahren unmittelbar im Wege der Fiktion (§ 894 ZPO) durch eine Zustimmungserklärung ersetzt. Auch für den Zugang dieser Erklärungen finden sich keine Besonderheiten gegenüber den Gläubigern.
D. Die Zustimmung des Schuldners Ein Insolvenzplan bindet nicht nur die Gläubiger, sondern auch den Schuldner. Will man diese Bindung vertragsrechtlich deuten, so muss daher auch der Schuldner dem Insolvenzplan zustimmen.
I. Die Notwendigkeit der Zustimmung des Schuldners Nach den Regelungen und der Systematik der Insolvenzordnung ist in jedem Insolvenzplanverfahren auch die zustimmende Willenserklärung des Schuldners zum Plan notwendig. Dies gilt selbst bei der Annahme des von ihm initiierten und unverändert von den Gläubigern angenommenen Plans. Dies macht bereits der Wortlaut des § 248 Abs. 1 InsO deutlich, der für die Annahme eines wirksamen Insolvenzplans stets und unabhängig von der Person des Planinitiators auch die Zustimmung des Schuldners verlangt: »Nach der Annahme des Insolvenzplanes durch die Gläubiger (§§ 244 bis 246) und der Zustimmung des Schuldners bedarf der Plan der Bestätigung durch das Insolvenzgerichts.«193 Seine Zustimmung ist damit stets notwendiges Ergebnis des Abstimmungstermins.194 Zugleich ordnet § 235 Abs. 3 Satz 1 InsO an, den Schuldner stets zum Abstimmungstermin gesondert zu laden, und stellt damit sicher, dass er bei der Abstimmung der Gläubiger über den Plan anwesend ist, ihm deren Erklärungen also zugehen, sowie dass er seine eigene Erklärung abgeben kann. Stimmt der Schuldner im Termin dem vorgelegten Insolvenzplan zu, so gibt auch er eine vertragsrechtliche Willenserklärung ab, an die er gebunden ist. Diese geht den anwesenden oder vertretenen Gläubigern unmittelbar zu; gegenüber abwesenden Beteiligten ist der Zugang (wie gesehen) nach § 151 BGB entbehrlich. Die
193
Hervorhebung durch den Verfasser. Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, § 217 Rn. 24; Dinstühler, InVo 1998, 333, 340; Gaul, FS Huber, 2006, 1187, 1202; Hess/Weis, WM 1998, 2349, 2350; Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, § 247 Rn. 1; Schiessler, Insolvenzplan, S. 21; Sinz, in: MünchKomm, InsO, § 247 Rn. 2; Smid/Rattunde, Insolvenzplan, Rn. 14.1; anderer Ansicht: Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 466; Braun, in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 66 Rn. 17 und in: Nerlich/Römermann, InsO, vor § 217 Rn. 77; Keller, Insolvenzrecht, Rn. 1763; für eine Entbehrlichkeit nur in Fällen der Abstimmung über einen Schuldnerplan: Häsemeyer, FS Gaul, 1997, 175, 179; ders., Insolvenzrecht, Rn. 28.70; Hess, in: Hess, InsO, § 247 Rn. 7. Zur ausführlichen Widerlegung der Gegenansichten siehe oben in diesem Kapitel unter A. II. 194
D. Die Zustimmung des Schuldners
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entscheidenden Willenserklärungen werden damit sowohl von den Gläubigern als auch vom Schuldner im Abstimmungstermin abgegeben.195 Dieses Konzept gilt auch in den Fällen, in denen der Schuldner selbst den Insolvenzplan vorgelegt hat. Die Einreichung eines Plans ist nur eine unverbindliche »invitatio ad offerendum« (Aufforderung zum Angebot) und bewirkt daher ebenso wenig eine Selbstbindung des Schuldners wie die Versäumung der Änderungsmöglichkeiten in § 240 InsO.196 Der Schuldner bleibt vielmehr in seiner Entscheidung bis zur Abgabe seiner Willenserklärung im Abstimmungstermin frei. Wie bei jeder Person, die im Rechtsverkehr eine »invitatio ad offerendum« abgibt, indem sie etwa Waren ins Schaufenster stellt und mit einem Preis versieht, kann in diese unverbindliche Erklärung keine Bindungswirkung und erst Recht keine Willenserklärung hineingedeutet werden, wenn später der andere Teil aufgrund der Aufforderung zum Angebot genau das gewollte Vertragsangebot abgibt. Es bedarf dann stets einer Annahmeerklärung und über deren Abgabe kann der Betreffende immer noch frei entscheiden.197 Die Aufforderung zum Angebot oder »invitatio ad offerendum« ist gerade und wesensmäßig unverbindlich. Daher kann auch die Planinitiative weder selbst bereits die maßgebliche Willenserklärung des Schuldners sein noch schützenswerte Erwartungen bei den anderen Beteiligten erzeugen. Derartige Wirkungen dachte der Gesetzgeber dem Initiativrecht (zu Recht) nicht zu. Die Planinitiative ist und bleibt bloße Verfahrenshandlung; der Schuldner bleibt in seiner Entscheidung frei.198
II. Das Schweigen des Schuldners als Zustimmung (§ 247 Abs. 1 InsO) Gibt der Schuldner im Abstimmungstermin nun keine Erklärung ab, da er entweder nicht erschienen ist oder aber er sich zum Plan nicht äußert, so findet sich im Abstimmungstermin weder eine zustimmende Willenserklärung des Schuldners noch dessen Widerspruch. Der Schuldner schweigt. § 247 Abs. 1 InsO wer195 Ebenso Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, § 217 Rn. 20; Gaul, FS Huber, 2006, 1187, 1202; im Ergebnis auch (obwohl ohne genaue Begründung) Schiessler, Insolvenzplan, S. 20. Ausführliche Ausführungen zu diesen Fragen erfolgten bereits unter C. 196 Von diesen allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen entfernt sich die wohl überwiegende Ansicht in der insolvenzrechtlichen Literatur: Andres, in: Andres/Leithaus, InsO, § 247 Rn. 2; Flessner, in: Heidelberger Kommentar, InsO, § 247 Rn. 4; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 28.42a; Hess/Obermüller, Insolvenzplan, Rn. 307; Hess/Weis, WM 1998, 2349, 2360; auch Smid/Rattunde, Insolvenzplan, Rn. 14.16; dies., in: Smid, InsO, § 247 Rn. 11 (Widerspruch gegen den eigenen Plan als »venire contra factum proprium«); ihnen folgend: Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 247 Rn. 5; Sinz, in: MünchKomm, InsO, § 247 Rn. 25. 197 Gerade die Unverbindlichkeit unterscheidet die »invitatio ad offerendum« definitionsgemäß vom Vertragsangebot – statt vieler: Bork, in: Staudinger, BGB (2003), § 145 Rn. 3; Kramer, in: MünchKomm, BGB, § 145 Rn. 10 (zum Grenzfall des »freibleibenden Angebots«: BGH NJW 1984, 1885 m. w. N.). 198 Näher zur rechtlichen Qualität der Planinitiative bereits unter A.
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
tet nun dieses Schweigen als Zustimmungserklärung, indem er anordnet, dass ohne Widerspruch des Schuldners im Abstimmungstermin dessen Zustimmung als erteilt gilt. Dem Schweigen des Schuldners wird damit ein Erklärungswert beigemessen. Dies widerspricht im ersten Anschein zivilrechtlichen Grundsätzen, die bloßem Schweigen grundsätzlich keinen Erklärungswert beimessen und es daher für rechtlich irrelevant halten. Wer nichts macht, erklärt auch nichts. Doch auch dieser Grundsatz gilt nicht ohne Ausnahmen. Hierbei sind zwei Grundkonstellationen zu unterscheiden.199 1. Beredtes Schweigen Zum einen kann in bestimmten Situationen auch bloßes Nichtstun ein objektives Erklärungszeichen sein und nach den §§ 133, 157 BGB als (echte) Willenserklärung verstanden werden. Solch »beredtes Schweigen«, also Schweigen als Erklärungszeichen, findet sich etwa, wenn die Beteiligten zuvor das Schweigen als Zustimmungszeichen vereinbart haben, indem sie etwa eine Widerspruchspflicht statuierten. 200 Das bloße Schweigen auf eine Vertragsofferte hat dann entsprechend einer solchen Vereinbarung den Charakter einer Erklärung und ist damit echte Willenserklärung. Ähnlich liegt der Fall, wenn eine Person in einer Abstimmung über einen Beschlussgegenstand auf die Fragen nach Gegenstimmen sowie Enthaltungen schweigt. Dann kann dem Verhalten des Schweigenden nach der Subtraktionsmethode eine Willenserklärung mit dem Inhalt entnommen werden, dass er dem Beschlussgegenstand zustimme. 201 In Situationen dieser Art hat ausnahmsweise auch das bloße Nichtstun als bewusstes Unterlassen einer Erklärung dieselbe Aussagekraft, d.h dieselbe Konkludenz, wie ein schlüssiges Verhalten des Erklärenden. Wie bei jeder konkludenten Erklärung lässt sich auch hier auf einen bestimmten Willen schließen, so dass eine echte Willenserklärung vorliegt. 202 Man kann insofern auch von einer »stillschweigenden Willenserklärung« sprechen. 199 Die folgende Einteilung in stillschweigende Willenserklärungen und Schweigen mit Erklärungswirkung folgt den Gedanken von Flume, Rechtsgeschäft, S. 66; ähnlich Canaris, FS Wilburg, 1975, 77 ff.; Ellenberger, in: Palandt, BGB, Einf v § 116 Rn. 6–8; Palm, in: Erman, BGB, Vor § 116 Rn. 9 f.; Welter, in: MünchKomm, HGB, § 362 Rn. 2 f.; Wendtland, in: Bamberger/Roth, BGB, § 133 Rn. 10 f.), hat sich aber noch nicht allgemein durchgesetzt. 200 Vgl. etwa BGH NJW 1975, 40; Canaris, FS Wilburg, 1975, 77, 78; Flume, Rechtsgeschäft, S. 64; Hefermehl, in: Soergel, BGB, Vor § 116 Rn. 33; Ellenberger, in: Palandt, BGB, Einf v § 116 Rn. 7; Kramer, in: MünchKomm, BGB, Vor § 116 Rn. 24; ; Palm, in: Erman, BGB, Vor § 116 Rn. 9; Roth, in: Koller/Roth/Morck, HGB, § 362 Rn. 3; Singer, in: Staudinger, BGB (2004), Vorbem zu §§ 116–144 Rn. 61. 201 BGHZ 152, 63, 68; Canaris, FS Wilburg, 1975, 77, 78; Ellenberger, in: Palandt, BGB, Einf v § 116 Rn. 7; Singer, in: Staudinger, BGB (2004), Vorbem zu §§ 116–144 Rn. 61. 202 So auch die ganz h. M. – vgl. etwa BGHZ 152, 63, 68; Canaris, FS Wilburg, 1975, 77; Flume, Rechtsgeschäft, S. 66; Ellenberger, in: Palandt, BGB, Einf v § 116 Rn. 7; Kramer, in: MünchKomm, BGB, Vor § 116 Rn. 24; Palm, in: Erman, BGB, Vor § 116 Rn. 9; Roth, in: Koller/Roth/Morck, HGB, § 362 Rn. 3; Singer, in: Staudinger, BGB (2004), Vorbem zu §§ 116–
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2. Schweigen mit Erklärungswirkung Während bei stillschweigenden Willenserklärungen – wie bei allen Willenserklärungen – stets ein tatsächlicher Wille des Schweigenden aus seinem Verhalten hervortritt und daher auch tatbestandlich eine Willenserklärung gegeben ist 203 , finden sich in der Rechtsordnung darüber hinaus Fälle eines Schweigens mit Erklärungswirkungen, in denen es auf einen Willen des Schweigenden nicht ankommt. Seinem Nichtstun wird ohne Rücksicht auf ein Wollen Erklärungswert beigemessen. a) Gesetzlich fingierte Willenserklärungen So hat der Gesetzgeber in verschiedenen gesetzlichen Regelungen dem Schweigen einer Person den Erklärungswert einer Zustimmung zu einem Vertragsangebot zugewiesen und damit eine Willenserklärung unabhängig vom tatsächlichen Willen des Betroffenen fingiert. Klassische Beispiele für solche gesetzlich fingierten Vertragserklärungen sind etwa die § 516 Abs. 2 Satz 2 BGB204 , § 362 Abs. 1 Satz 1 HGB205 oder § 5 Abs. 1 des Versicherungsvertragsgesetzes206 . In diesen Fällen wird kaum mehr bestritten, dass hier durch den Gesetzgeber vertragliche Willenserklärungen fingiert werden. 207 Eine echte tatbestandliche Willenserklärung kann hier wegen der Irrelevanz des Willens des Schweigenden nicht vorliegen, so dass auch die Vorschriften über Willenserklärungen (§§ 116 ff. BGB) keine direkte Anwendung finden. Allerdings ist das Ergebnis der gesetzlichen Fiktion eine Willenserklärung, weshalb es richtig erscheint, diese Nor144 Rn. 60; Wendtland, in: Bamberger/Roth, BGB, § 133 Rn. 10; dagegen noch: Bickel, NJW 1972, 607, 608; Fabricius, JuS 1966, 50, 58; allgemein zweifelnd auch Hanau, AcP 165 (1965), 220, 242. 203 Zur (streitigen) Notwendigkeit des Erklärungsbewusstseins bei stillschweigenden Erklärungen – siehe etwa BGHZ 152, 63, 70 m. w. N. 204 Danach gilt eine Schenkung, die ohne den Willen des Beschenkten erfolgte, als angenommen, wenn der Beschenkte sie nicht innerhalb einer vom Zuwendenden gesetzten Annahmefrist ablehnt. 205 Lehnt ein Kaufmann, der gewerbsmäßig fremde Geschäfte besorgt, einen entsprechenden Antrag von einer Person, mit der er in Geschäftsverbindung steht, nicht unverzüglich ab, so gilt sein Schweigen ausdrücklich als Annahme. 206 Danach gilt der abweichende Inhalt eines Versicherungsscheins als genehmigt, wenn ihm der Versicherungsnehmer (trotz entsprechender Belehrung) nicht innerhalb eines Monats in Textform widerspricht. 207 Vgl. Hefermehl, in: Soergel, BGB, Vor § 116 Rn. 34a; Ellenberger, in: Palandt, BGB, Einf v § 116 Rn. 9; Horn, in: Heymann, HGB, § 362 Rn. 1 (bzgl. § 362 HGB); Kramer, in: MünchKomm, BGB, § 151 Rn. 8; Palm, in: Erman, BGB, Vor § 116 Rn. 10; Roth, in: Koller/ Roth/Morck, HGB, § 362 Rn. 4 (bzgl. § 362 HGB); Schwintowski, Berliner Kommentar, VVG, § 5 Rn. 1 (bzgl. § 5 VVG); Singer, in: Staudinger, BGB (2004), Vorbem zu §§ 116–144 Rn. 63, 65; Welter, in: MünchKomm, HGB, § 362 Rn. 2; Wendtland, in: Bamberger/Roth, BGB, § 133 Rn. 12; dagegen noch: Bickel, NJW 1972, 607, 608; Fabricius, JuS 1966, 50, 58. Canaris, FS Wilburg, 1975, 77, 90, wertet in diesen Fällen das Schweigen als »Zustimmung kraft typisierter Verkehrssitte« und findet den Grund für die vertragliche Bindung in einer Rechtsscheinhaftung (so bzgl. § 362 HGB auch in: Staub, HGB, § 362 Rn. 1).
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men insoweit analog anzuwenden, als dies nicht dem Regelungszweck der gesetzlichen Fiktion widerspricht. 208 b) Schweigen als Vertragserklärung kraft Handelsbrauchs oder Treu und Glauben Die Rechtsprechung fand darüber hinaus in Handelsbräuchen oder im Hinblick auf die Grundsätze von Treu und Glauben Fälle, in denen dem Nichtstun einer Person ein Erklärungswert unabhängig davon beigemessen werden darf, ob dieser tatsächlich mit seinem Schweigen einen Willen verwirklichen wollte. Auch in diesen Fällen entsteht ein Vertrag nicht aufgrund eines nach außen tretenden Vertragswillens des Schweigenden; sein Schweigen hat hier gerade keine Konkludenz.209 Es ist allein ein Handelsbrauch oder der Grundsatz von Treu und Glauben, aus denen im Interesse des Schutzes des Geschäftsverkehrs dem Schweigen des Angebotsempfängers der Erklärungswert einer Zustimmung zum Vertragsschluss beigemessen wird. Als klassisches Beispiel für solch einen Handelsbrauch seien die Grundsätze des Schweigens auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben genannt. Es ist eben nicht der Wille des Schweigenden, sondern die berechtigte Erwartung des Rechtsverkehrs an die Abgabe einer (ablehnenden) Erklärung des Schweigenden, die geschützt wird und zugleich die vertragliche Bindung des Schweigenden legitimiert. Grundlage einer so weitreichenden Erklärungspflicht kann anstelle eines Handelsbrauchs in besonderen Einzelfällen auch der in § 242 BGB verankerte Grundsatz aus Treu und Glauben sein, wenn in der Gesamtbetrachtung aller Umstände der Antragende redlicherweise davon ausgehen durfte, dass der Antragsgegner seine ablehnende Haltung durch einen Widerspruch äußern wird (»Qui tacet consentire videtur, ubi loqui potuit ac debuit.«). 210 Sanktion der 208 Fabricius, JuS 1966, 50, 54; Hanau, AcP 165 (1965), 220, 249; Hefermehl, in: Soergel, BGB, Vor § 116 Rn. 67; Horn, in: Heymann, HGB, § 362 Rn. 12; Singer, in: Staudinger, BGB (2004), Vorbem zu §§ 116–144 Rn. 65 ff.; inzwischen auch Ellenberger, in: Palandt, BGB, Einf v § 116 Rn. 12. 209 Dieser Unterschied zu stillschweigenden Willenserklärungen ist entscheidend – vgl. BGHZ 11, 1, 5; 152, 63, 71; Canaris, FS Wilburg, 1975, 77, 82; Flume, Rechtsgeschäft, S. 66 f.; Hanau, AcP 165 (1965), 220, 243. Einige scheinen diesen Unterschied allerdings nur für gesetzliche Zustimmungsfiktionen anzuerkennen, während die Erklärungswirkung aus Handelsbräuchen oder der Treu und Glauben als Schweigen mit Konkludenz angesehen wird – so etwa: Hefermehl, in: Soergel, BGB, Vor § 116 Rn. 34a f.; Kramer, in: MünchKomm, BGB, § 151 Rn. 6 ff.; Singer, in: Staudinger, BGB (2004), Vorbem zu §§ 116–144 Rn. 72, 78. Dabei wird übersehen, dass es in all diesen Fällen für die Annahme einer Willenserklärung nicht auf den Willen des Schweigenden ankommt, sondern allein auf das Fehlen eines rechtzeitigen Widerspruchs (aus welchen Gründen auch immer) – insoweit zutreffend der Hinweis von Hanau, AcP 165 (1965), 220, 246 f. Hat sich hingegen im Einzelfall der Erklärungspflichtige durch schlüssiges Verhalten zustimmend geäußert, so liegt kein Fall des Schweigens, sondern eine echte Willenserklärung vor und es bedarf keines Rückgriffs auf die Fiktionstatbestände, Handelsbräuche oder den Grundsatz von Treu und Glauben. 210 Ganz herrschende Meinung – vgl. RGZ 115, 266, 268; 145, 87, 94; BGHZ 1, 353, 355; 11,
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Verletzung der Erklärungspflicht ist auch hier nicht nur ein Schadenersatzanspruch, sondern eine vertragliche Bindung des Schweigenden. Es ist wieder allein der Schutz des Rechtsverkehrs, nicht der Wille des Schweigenden, auf dem die Erklärungswirkung des Schweigens basiert. Eine echte tatbestandliche Willenserklärung kann wegen der Irrelevanz des Willens des Schweigenden nicht vorliegen, weshalb die Vorschriften über Willenserklärungen (§§ 116 ff. BGB) in all diesen Fällen keine Anwendung finden. Auch die Annahme einer fingierten Willenserklärung fällt auf den ersten Blick schwer, fehlt doch hier ein gesetzlicher Fiktionstatbestand. Allein die Verletzung einer Erklärungspflicht kann als Rechtsfolge (wenn überhaupt) wohl allenfalls eine Erfüllungshaftung enthalten; eine Willenerklärung kann eine Schadenersatzpflicht aufgrund einer Pflichtverletzung kaum fingieren.211 Dennoch sollen die §§ 116 ff. BGB analog angewandt werden, wenn und soweit dies nicht dem Zweck des Handelsbrauchs oder der Redlichkeit widerspricht. 212 Ist man sich also darüber einig, dass im Ergebnis in all diesen Fällen nicht bloß eine Erfüllungshaftung des Schweigenden, sondern ein (gegebenenfalls auch gegenseitiger) Vertrag entsteht, und nimmt man ebenfalls an, dass dem Schweigenden weitgehend die Rechte aus den §§ 116 ff. BGB zustehen sollen, so erscheint es nur konsequent, auch in Fällen des Schweigens mit Erklärungswert aufgrund eines Handelsbrauchs oder des Grundsatzes von Treu und Glauben einen Gleichlauf mit den gesetzlichen Tatbeständen des Schweigens mit Zustimmungswert herzustellen und folgerichtig in beiden Fallgruppen von fingierten Willenserklärungen auszugehen. Die Fiktion basiert dann nur nicht auf einer Norm, sondern auf einem Handelsbrauch bzw. dem Grundsätze von Treu und Glauben. Gleichzeitig wird der Schwerpunk der Betrachtung in die richtige 1, 5; 61, 282, 285; BGH NJW 1975, 1358, 1359; 1995, 1281; NJW-RR 1986, 456, 457; Armbrüster, in: Erman, BGB, § 147 Rn. 3; Ellenberger, in: Palandt, BGB, Einf v § 116 Rn. 10; Kramer, in: MünchKomm, BGB, § 151 Rn. 6; Singer, in: Staudinger, BGB (2004), Vorbem zu §§ 116– 144 Rn. 77; dagegen: Bickel, NJW 1972, 607, 608. 211 Die Literatur spricht sich daher weitgehend gegen eine Einordnung dieser Fallgruppen ins Willenserklärungsrecht aus: Bickel, NJW 1972, 607 (Schweigen als Tatbestand einer Rechtsnorm oder von Gewohnheitsrecht); Canaris, FS Wilburg, 1975, 77, 90 (Rechtsscheinhaftung kraft typisierter Verkehrssitte); Fabricius, JuS 1966, 50, 58 (Haftung aus Pflichtverletzung); Hanau, AcP 165 (1965), 220, 244 (Vertragspflichten aus Pflichtverletzung); Hefermehl, in: Soergel, BGB, Vor § 116 Rn. 35 (Rechtsscheinshaftung bei Erklärungspflichten aus Treu und Glauben); Singer, in: Staudinger, BGB (2004), Vorbem zu §§ 116–144 Rn. 78 (Rechtsscheinshaftung). Demgegenüber ging das Reichsgericht in solchen Fällen vom Vorliegen »stillschweigender Willenserklärungen« aus – vgl. etwa RGZ 145, 87, 94. Der BGH hat zuletzt eine grundsätzliche Stellungnahme zu dieser Frage offen vermieden (BGHZ 152, 63, 71), in seiner Grundsatzentscheidung zum Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben (BGHZ 11, 1, 5) aber explizit ausgeführt, dass hier der Wille des Schweigenden irrelevant und seine zustimmende Willenserklärung Fiktion sei. 212 Hanau, AcP 165 (1965), 220, 249; Ellenberger, in: Palandt, BGB, Einf v § 116 Rn. 12; Singer, in: Staudinger, BGB (2004), Vorbem zu §§ 116–144 Rn. 79 ff. Die anderen Autoren äußern sich zu diesen Fragen nicht.
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
Richtung verschoben: weg von der Verletzung einer Erklärungspflicht, hin zur Entstehung eines Vertrages im Interesse des Verkehrsschutzes. 213 Intensivere Ausführungen zu diesem Komplex sollen an dieser Stelle unterbleiben. Entscheidend für unsere Untersuchung ist die Feststellung, dass nahezu unstreitig auch in allen Fällen eines Schweigens mit Erklärungswert im Ergebnis eine echte vertragliche Bindung des Schweigenden entsteht. Genauer: auch ohne den tatsächlichen Willen des Schweigenden wird ein privatrechtlicher Vertrag geschlossen. 3. Die Fiktion der Zustimmung des Schuldners in § 247 Abs. 1 InsO Die Regelung des § 247 Abs. 1 InsO ist kein Fall des beredten Schweigens; sie enthält eine Erklärungsfiktion und findet sich in der Tradition der gesetzlichen Tatbestände des Schweigens mit Erklärungswert wieder. Nach § 247 Abs. 1 InsO gilt die Zustimmung des Schuldners als erteilt, wenn er dem Plan nicht spätestens im Abstimmungstermin schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle widerspricht. Der Schuldner schweigt also und lässt die Widerspruchsfrist verstreichen. Dennoch wird diesem Schweigen nach der gesetzlichen Regelung ein Erklärungswert zugewiesen: Es gilt als Zustimmung zum vorgelegten Plan. Dabei spielen die Umstände des Einzelfalls ausdrücklich keine Rolle. Es ist für die Anwendung des § 247 Abs. 1 InsO unerheblich, ob der Plan vom Schuldner initiiert wurde und daher mit seiner Zustimmung zu rechnen war oder ob der Schuldner zuvor Zustimmung oder Ablehnung signalisiert hatte. Sein tatsächlicher Wille hinsichtlich des Plans interessiert nicht; entsprechende Umstände bleiben – selbst wenn sie im Einzelfall vorhanden und erkennbar sind – außer Betracht. Allein der fehlende Widerspruch ist es, aus dem in § 247 Abs. 1 InsO der Erklärungswert einer Zustimmungserklärung entsteht. Schon die fehlende Relevanz jedes tatsächlichen Willens schließt somit das Vorliegen einer stillschweigenden (echten) Willenserklärung des Schuldners aus. Und auch der Zweck des § 247 Abs. 1 InsO weist in Richtung einer fingierten Willenserklärung, ist er doch identisch mit dem vieler anderer klassischer Fälle einer gesetzlichen Erklärungsfiktion. Hintergrund für derartige gesetzliche Regelungen ist in der Regel das Bedürfnis nach Gewissheit, also nach Rechtsicherheit. Die Beteiligten gehen aufgrund der besonderen Umstände der jeweiligen Fälle ausnahmsweise davon aus, dass die gewollten Verträge trotz des Schweigens einer Vertragspartei zustande gekommen sind. Häufig liegt diese Erwartung darin begründet, dass der Vertrag auch für den Schweigenden von Vorteil ist. So wird der nach § 516 Abs. 2 BGB Beschenkte regelmäßig die Zu213 Über dieses Ziel hinaus schießt Kramer, in: MünchKomm, BGB, § 151 Rn. 6, wenn er in all diesen Fällen keine Fiktion, sogar echte konkludente Willenserklärungen annimmt (auch Hefermehl, in: Soergel, BGB, Vor § 116 Rn. 34 f. hält dies für möglich). Hierzu fehlt gerade die Konkludenz des Schweigens, also die Relevanz des Willens des Schweigenden.
D. Die Zustimmung des Schuldners
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wendung behalten wollen; der Kaufmann nach § 362 HGB wird im Zweifel die angetragene Geschäftsbesorgung als Teil seines Gewerbeumsatzes übernehmen wollen und auch der Versicherungsnehmer wird grundsätzlich die beantragte Versicherung trotz der Abweichungen nach § 5 Abs. 1 VVG wollen. Die aufgrund der fehlenden Äußerung der Betroffenen nun aber entstehende Unsicherheit dahingehend, ob auch tatsächlich der jeweilige Vertrag zustande gekommen ist, beseitigt der Gesetzgeber im Interesse des Rechtsverkehrs durch eine Widerspruchspflicht und der daraus folgenden Fiktion einer Zustimmung nach Fristablauf. 214 Diese Grundidee ist auch der Regelungszweck des § 247 Abs. 1 InsO. Auch diese Norm fingiert die Zustimmung des Schuldners nach Ablauf eines Widerspruchszeitraums allein im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit.215 Im Zweifel wird der Schuldner einen Insolvenzplan wollen, der ihn vor der Zerschlagung seines Unternehmens und der Vernichtung seines Vermögens im Regelinsolvenzverfahren bewahren kann. Weicht der Plan hingegen zum Nachteil des Schuldners von den Regelungen des Regelinsolvenzverfahrens ab, so wird man nach Treu und Glauben erwarten dürfen, dass sich der Schuldner in einem gerichtlichen Verfahren, dass sich allein mit dem Zustandekommen dieses Plans befasst und in dem der Schuldner im Abstimmungstermin zwingend geladen und gehört wird, ablehnend äußert. Die gesetzliche Regelung normiert daher eine Pflicht, die sich wohl auch aus den Umständen des Insolvenzplanverfahrens ergeben hätte und schafft damit die notwendige Rechtssicherheit über die Annahme des Plans. 216
III. Ergebnis Neben den Gläubigern muss auch der Schuldner dem vorgelegten Insolvenzplan im Abstimmungstermin zustimmen. Auch der Schuldner gibt seine ver214 Ebenso Hanau, AcP 165 (1965), 220, 242; ; Roth, in: Koller/Roth/Morck, HGB, § 362 Rn. 2; Singer, in: Staudinger, BGB (2004), Vorbem zu §§ 116–144 Rn. 63. Das besondere Verkehrsschutzbedürfnis setzt sich in diesen Fällen durch; Canaris, in: Staub, HGB, § 362 Rn. 4; Horn, in: Heymann, HGB, § 362 Rn. 1; Welter, in: MünchKomm, HGB, § 362 Rn. 13 (jeweils bzgl. § 362 HGB); Schwintowski, Berliner Kommentar, VVG, § 5 Rn. 1 (bzgl. § 5 VVG). 215 BT-Drucks. 12/2443, S. 210; Jaffé, in: Frankfurter Kommentar, InsO, § 247 Rn. 3; Smid/Rattunde, Insolvenzplan, Rn. 14.1. 216 Dieselben Erwägungen rechtfertigen die im Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen aus dem Sommer 2010 in einem neuen § 246a InsO vorgesehene Regelung, nach der die Zustimmung der Gesellschaftergruppe zum Insolvenzplan als erteilt gilt, wenn sich kein Mitglied der Gruppe an der Abstimmung beteiligt. Auch hier fehlt jeder Anhaltspunkt für einen tatsächlichen Zustimmungswillen der Gesellschafter und damit für eine stillschweigende (echte) Willenserklärung durch Schweigen. Stattdessen wird dem Schweigen mittels einer gesetzlichen Fiktion ein Erklärungswert gegeben, um Rechtssicherheit für die vielen anderen Beteiligten herzustellen. Zugleich kann auch von den Gesellschaftern erwartet werden, dass sie sich beteiligen und wehren, wenn der Insolvenzplan ihnen Rechte nehmen will, die sie im Regelinsolvenzverfahren behalten hätten.
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
tragliche Willenserklärung also erst in diesem Termin ab. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn der Schuldner den Plan selbst vorgelegt hat; seine Planvorlage bindet ihn nicht hinsichtlich seiner Zustimmungsentscheidung. Will der Schuldner dem Plan zustimmen, so kann er seine Zustimmung ausdrücklich äußern und damit die nach § 248 Abs. 1 InsO notwendige Zustimmungserklärung abgeben. Er kann aber auch im Abstimmungstermin schweigen oder diesem sogar fernbleiben. Auch dieses Schweigen erhält über § 247 Abs. 1 InsO den Erklärungswert einer Zustimmung. Allerdings wird in diesen Fällen die vertragliche Willenserklärung des Schuldners nur fingiert, so dass die §§ 116 ff. BGB allenfalls analog anwendbar sind. Widerspricht der Schuldner hingegen dem Plan im Abstimmungstermin, so findet sich zunächst keine zustimmende Willenserklärung. Sein Widerspruch kann dann allenfalls über das Obstruktionsverbot des § 247 Abs. 2 InsO überwunden werden, der im Folgenden näher betrachtet wird.
E. Zustimmungsfiktionen auf Gläubiger- und Schuldnerseite Die Vertragsnatur des Insolvenzplans ist offensichtlich, wenn alle Beteiligten einem vorgelegten Planentwurf zustimmen. Sie ist im Ergebnis der bisherigen Untersuchungen aber auch anzunehmen, wenn der Schuldner und alle Gläubigergruppen einem vorgelegten Plan zustimmen, obwohl in den Gläubigergruppen nur eine Mehrheit der Gläubiger den Plan tatsächlich wollte. Das Mehrheitsvotum verpflichtet dann die ablehnenden Gläubiger zur Zustimmung und diese Pflicht wird in konsequenter Konzentration des Verfahrens auf einen Termin unmittelbar durchgesetzt. Zudem wird Zustimmung des Schuldners nach § 247 Abs. 1 InsO fingiert, wenn dieser zum Plan schweigt. Die Möglichkeiten der neuen Insolvenzordnung zum Zustandekommen eines Insolvenzplans sind damit allerdings noch nicht erschöpft. Sie ermöglicht dessen Zustandekommen darüber hinaus, wenn die Zustimmung einer oder gar mehrerer Gläubigergruppen zum vorgelegten Plan fehlt (§§ 245, 246 InsO) oder aber der Schuldner seine Zustimmung ausdrücklich verweigert (§ 247 Abs. 2 InsO). Die bisher aufgezeigten vertragsrechtlichen Erklärungsmuster versagen in diesen Fällen: das zuvor herangezogene Mehrheitsprinzip kann eine Bindung einer ablehnenden Gläubigermehrheit in der nicht zustimmenden Gruppe an den Plan nicht erklären. Und auch die Bindung des Schuldners an den Plan scheint kaum auf einer Willenserklärung von ihm beruhen zu können, wenn er den Plan ausdrücklich ablehnt. Es bleibt daher zu untersuchen, ob und wie sich diese Vorschriften in ein Vertragskonzept integrieren lassen.
E. Zustimmungsfiktionen auf Gläubiger- und Schuldnerseite
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I. Das Obstruktionsverbot des § 245 InsO Nach § 245 Abs. 1 InsO gilt die Zustimmung einer Gläubigergruppe, die den Plan mehrheitlich abgelehnt hat, dennoch als erteilt, wenn drei Voraussetzungen kumulativ gegeben sind. Zunächst dürfen die Gläubiger der ablehnenden Gruppe durch den Plan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne den Plan stünden (Nr. 1). Dann muss die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan mit den erforderlichen Mehrheiten tatsächlich zugestimmt haben (Nr. 3). Und schließlich müssen die Gläubiger jeder ablehnenden Gruppe angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der auf der Grundlage des Plans den Beteiligten zufließen soll (Nr. 2). Diese angemessene Beteiligung der Gläubiger ist nach § 245 Abs. 2 InsO wiederum unter drei kumulativen Voraussetzungen anzunehmen: Kein anderer Gläubiger darf nach dem Plan wirtschaftliche Werte erhalten, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen (Nr. 1); weder ein den Gläubigern der ablehnenden Gruppe nachrangiger Gläubiger noch der Schuldner oder eine an ihm beteiligte Person darf überhaupt einen wirtschaftlichen Wert erhalten (Nr. 2) und kein Gläubiger, der ohne den Plan gleichrangig mit den Gläubigern der ablehnenden Gruppe zu befriedigen wäre, darf besser gestellt werden als diese Gläubiger (Nr. 3). Eine angemessene Beteiligung ist somit nur anzunehmen, wenn die aus dem amerikanischen Recht bekannte »absolute priority rule«217 beachtet wird. Und auch der im amerikanischen Recht fest verankerte »best interest test«218 findet sich in § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO wieder, wenn jedem ablehnenden Gläubiger zumindest der Liquidationswert garantiert wird. Die deutsche Regelung des Obstruktionsverbotes folgt damit weitgehend ihrem amerikanischen Vorbild. 219 Lediglich in der dritten Voraussetzung – der notwendigen tatsächlichen Zustimmung einer Mehrheit von Gläubigergruppen in § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO – weicht die deutsche Regelung erheblich vom U. S. Bankruptcy Code ab, der in 11 U. S. C. § 1129 (a) (10) nur die Zustimmung einer einzigen Gläubigergruppe zur Anwendung der »cram-down rule« voraussetzt.
217 Siehe 11 U. S. C. § 1129 (b) (2) – kein Anteilseigner einer insolventen Schuldnergesellschaft und kein nachrangiger Gläubiger darf einen wirtschaftlichen Wert erhalten, bevor nicht jeder vorrangige Gläubiger vollständig befriedigt wurde. 218 Dort in 11 U. S. C. § 1129 (a) (7) (A) (ii). 219 Diese Ähnlichkeit wird noch deutlicher, wenn die Vorschläge des Diskussionsentwurfs für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen aus dem Sommer 2010 umgesetzt werden und das Obstruktionsverbot auch die Gesellschaftergruppe betreffen wird. Die dazu vorgeschlagene Neuregelung als § 245 Abs. 3 InsO entspricht exakt der geltenden Auslegung der entsprechenden Vorschrift in 11 U. S. C. § 1129 (b) (2) (C).
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
II. Die Zustimmungsfiktion nachrangiger Insolvenzgläubiger in § 246 InsO Für Gruppen nachrangiger Insolvenzgläubiger wird – soweit diese im Planentwurf überhaupt gebildet wurden 220 – die Zustimmung zum Plan in § 246 InsO noch weitergehend vermutet. Im Hinblick darauf, dass diese Gläubiger mit ihren Forderungen im Regelinsolvenzverfahren ohnehin leer ausgehen würden, wird auf einen »best interest test« verzichtet und die »absolute priority rule« unmittelbar angewandt. Werden also nicht einmal die Forderungen der (ihnen vorrangigen) Insolvenzgläubiger nach dem Plan voll erfüllt, so wird die Zustimmung nachrangiger Insolvenzgläubiger zu einem Erlass ihrer – wirtschaftlich ja wertlosen – Zins- und Kostenforderungen nach § 246 Nr. 1 InsO fingiert. Die Zustimmung nachrangiger Gläubiger im Sinne der Nr. 4 und 5 des § 39 InsO (Gläubiger einer unentgeltlichen Leistung bzw. eines kapitalersetzenden Darlehens) wird nach § 246 Nr. 2 InsO unwiderlegbar vermutet, wenn diese nicht nachrangig, sondern gleichrangig mit den Insolvenzgläubigern im Plan berücksichtigt und damit im Vergleich zum Regelinsolvenzverfahren bessergestellt werden. Schließlich wird nach § 246 Nr. 3 InsO die Zustimmung einer Gruppe nachrangiger Gläubiger angenommen, in der sich kein Gläubiger an der Abstimmung beteiligt hatte; Schweigen wird hier wie in den Fällen des § 247 Abs. 1 InsO mit Erklärungswert versehen.
III. Die Zustimmungsfiktion beim Schuldner in § 247 Abs. 2 InsO Nach § 247 Abs. 1 InsO gilt die Zustimmung des Schuldners zum Insolvenzplan als erteilt, wenn er dem Plan nicht spätestens im Abstimmungstermin widerspricht, wobei der Widerspruch schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichtes erfolgen muss. Diese Regelung verleiht – wie bereits erläutert wurde – dem Schweigen des Schuldners den Erklärungswert einer Zustimmungserklärung und fingiert damit dessen Zustimmung zum Plan entsprechend den Grundsätzen über das Schweigen im Rechtsverkehr. 221 Widerspricht der Schuldner dem Plan hingegen fristgemäß, so ist selbst ein solcher Widerspruch gemäß § 247 Abs. 2 InsO unbeachtlich, wenn der Schuldner zum einen 220 Nach § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO sind Gruppen entsprechend der Rangklassen der nachrangigen Gläubiger nur dann obligatorisch, wenn diese Forderungen nicht nach § 225 InsO als erlassen gelten, der Plan also ausnahmsweise ihre zumindest teilweise Aufrechterhaltung und Befriedigung vorsieht. Ein solcher Plan müsste dann aber entweder alle Insolvenzgläubiger voll befriedigen oder aber die tatsächliche Zustimmung aller Gruppen der Insolvenzgläubiger finden, da eine Zustimmungsfiktion nach § 245 InsO wegen des Verstoßes gegen die »absolute priority rule« nicht in Betracht käme. In Praxis wird sich daher ein solcher Plan höchst selten finden, so dass auch der Anwendungsbereich des § 246 InsO gegen Null tendiert. 221 Näheres dazu bereits im vorangegangenen Abschnitt unter D. II.
E. Zustimmungsfiktionen auf Gläubiger- und Schuldnerseite
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durch den Plan voraussichtlich nicht schlechter steht, als er ohne ihn stünde (Nr. 1), und zum zweiten kein Gläubiger einen wirtschaftlichen Wert erhält, der den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigt (Nr. 2). Bei einem danach unbeachtlichen Widerspruch wird wie bei einem fehlenden Widerspruch die Zustimmung des Schuldners zum Plan fingiert.
IV. Keine Legitimation der Fiktionen durch das Mehrheitsprinzip Die Suche nach Erklärungsmustern für diese gesetzlichen Regelungen führt zunächst zurück zum Mehrheitsprinzip, konnte dieses doch die heterogenen Bindungswirkungen der überstimmten Gläubiger in einer Abstimmungsgruppe erklären. 1. bezüglich nachrangiger Insolvenzgläubiger und dem Schuldner Das Mehrheitsprinzip ist zur Legitimation der Zustimmungsfiktionen in den §§ 246 und 247 Abs. 2 InsO von vornherein untauglich. Es fehlt in den dortigen Fällen jede Willensbildung mittels eines Beschlusses. Weder die nachrangigen Gläubiger noch der Schuldner haben in den Fällen der §§ 246, 247 InsO über den Plan tatsächlich abgestimmt. Eine Willensbildung in diesen Gläubigergruppen wie auch beim Schuldner ist irrelevant für die angeordnete Fiktion. Diese basiert nie auf einer dortigen Mehrheitsentscheidung, sondern allein auf dem tatbestandlichen Eingreifen der §§ 246 und 247 Abs. 2 InsO. Hier ist nach anderen Legitimationsgrundlagen zu suchen. 2. bezüglich der sonstigen ablehnenden Gläubigergruppen (§ 245 InsO) Weniger eindeutig ist die Relevanz des Majoritätsprinzips für das Obstruktionsverbot des § 245 InsO. Dieses verlangt in Abs. 1 Nr. 3 immerhin noch die tatsächliche Zustimmung der Mehrheit der abstimmenden Gläubigergruppen, weshalb sich hier ein näherer Blick auf die Legitimation der Zustimmungsfiktion mittels des Majoritätsprinzips lohnt. Hängt neben den materiellen Garantien in § 245 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO die Bindung der Gläubiger in einer ablehnenden Gruppe auch entscheidend davon ab, dass die Mehrheit der anderen Gläubigergruppen diesen Plan wollen (§ 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO), so liegt der Schluss nahe, dass es damit der Mehrheitswille aller Gläubiger ist, auf dem die Bindung einer kleinen Zahl von Gläubigern beruht, die sich zwar in einer Gläubigergruppe, nicht aber in der Gesamtbetrachtung aller Insolvenzgläubiger durchsetzen konnten. Will man dementsprechend die Legitimation des Obstruktionsverbots tatsächlich auf den Willen der Mehrheit aller Gläubiger aufbauen, wie dies teilweise explizit getan wird, 222 so hat man allerdings Probleme 222
Baur/Stürner, Insolvenzrecht, Rn. 6.5 ff., 6.8; Flessner, in: Heidelberger Kommentar,
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
mit dem Wortlaut der Regelung des § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Dieser verlangt allein die tatsächliche Zustimmung der Mehrheit der Gläubigergruppen, nicht die aller Gläubiger. Bei einer geschickten und nach den Maßstäben des § 222 InsO zulässigen Gruppenbildung ist es daher möglich, dass eine Mehrheit aller Gruppen zwar durch jeweilige Mehrheitsbeschlüsse dem Plan zustimmt – wie es der Wortlaut des § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO voraussetzt – und dennoch in der Gesamtbetrachtung aller Gläubiger die Zahl der Zustimmenden nur eine Minderheit ausmacht. Zur Korrektur dieser scheinbaren Unzulänglichkeit der gesetzlichen Regelung verlangen einige Autoren eine restriktive Auslegung des § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO, um in derartigen Fällen ein Zustandekommen des Plans mittels der Zustimmungsfiktion zu verhindern.223 Richtig betrachtet liegt das Problem jedoch nicht im Wortlaut der gesetzlichen Regelung, sondern im Majoritätsprinzip als Legitimationsgrundlage des Obstruktionsverbots. Wie bereits an früherer Stelle dargelegt wurde, 224 ist allein die Gläubigergruppe hinsichtlich des Plans und der mit ihm verbundenen Eingriffe in die privaten Rechte der Gläubiger abstimmungsbefugt. Sie – nicht die Gläubigerschaft als Ganzes – ist die Personengruppe, in deren Wirkungskreis bindende Entscheidungen über diese Eingriffe und damit über den Plan fallen. Die Gläubigergesamtheit kann zwar über das gemeinschaftliche Verwertungsrecht an der Insolvenzmasse entscheiden, nicht jedoch über Eingriffe in private Rechte der einzelnen Insolvenzgläubiger. Dementsprechend kann es auch nicht die Mehrheit aller Insolvenzgläubiger sein, die nun plötzlich die Fiktion der Zustimmung einer Gläubigergruppe im Wege des Obstruktionsverbotes legitimiert. Die Gesamtheit der Gläubiger entscheidet nicht über einen vorgelegten Plan. Ihr Wille legitimiert weder den Plan als solchen noch die Bindung einer mehrheitlich ablehnend votierenden Gruppe. Aus wichtigen und zutreffenden Erwägungen hat der Gesetzgeber die Entscheidung über den Plan an Gläubigergruppen übertragen, in denen sich gleichartig betroffene Personen wiederfinden. Lehnt eine solche Gruppe den Plan mehrheitlich ab, so kann er für die Gläubiger in dieser Gruppe grundsätzlich keine Bindungswirkung erzeugen. Die Beschlusslage in der Gruppe bestimmt vielmehr das genaue Gegenteil und bindet damit auch die den Plan befürwortende Minderheit in der Gruppe. Die Beschlusslage in den anderen Gruppen kann hieran genauso wenig ändern wie der Umstand, dass in der Gesamtbetrachtung aller Gläubiger im InsO, § 245 Rn. 3; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 28.38; Otte, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 245 Rn. 55; auch Schiessler, Insolvenzplan, S. 170; Smid, FS Pawlowski, 1996, 387, 425; Smid/Rattunde, Insolvenzplan, Rn. 13.113; Stürner, in: Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch, 1991, 41, 47. 223 Grundlegend: Smid, FS Pawlowski, 1996, 387, 425; ebenso: Häsemeyer, FS Gaul, 1997, 175, 178; Lepa, Insolvenzordnung und Verfassungsrecht, S. 264; Otte, in: Kübler/Prütting/ Bork, InsO, § 245 Rn. 37, 55; Smid/Rattunde, Insolvenzplan, Rn. 13.112. 224 Siehe oben in diesem Kapitel den Abschnitt C. III.
E. Zustimmungsfiktionen auf Gläubiger- und Schuldnerseite
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Abstimmungstermin vielleicht sogar eine Mehrheit für den Plan votiert hat. Der Beschluss in der ablehnenden Gruppe bleibt davon unberührt. Dass sich der Wille der ablehnenden Gruppe im Anwendungsbereich des Obstruktionsverbotes nicht durchsetzen kann, basiert – gerade in Anbetracht des amerikanischen Vorbilds und der Entstehungsgeschichte des § 245 InsO – nicht auf einem anderen und vorrangigen Willen der Mehrheit aller Gläubiger, sondern auf der wirtschaftlichen Unvernunft der gewollten Planablehnung. 225 Das Obstruktionsverbot will seinem ursprünglichen Gedanken nach die ablehnenden Gläubiger nicht deshalb binden, weil es die Mehrheit so will, sondern vielmehr allein, weil es wirtschaftlich unvernünftig für jeden ablehnenden Gläubiger und daher auch im Interesse aller Beteiligten von Nachteil ist, den vorgelegten Plan abzulehnen und damit scheitern zu lassen. Es ist der Gedanke des Missbrauchs von Stimmmacht und es sind daher die Umstände in Nr. 1 und 2 des § 245 InsO, die den maßgeblichen Grund dafür liefern, dass man die Beschlusslage in einer ablehnenden Gläubigergruppe ignoriert. Die Frage danach, ob zumindest einige Gruppen den vorgelegten Plan tatsächlich wollten, dient vor diesem Hintergrund allein dazu, die Abstimmung nicht zur Farce zu machen. Eine tatsächliche Mehrheit aller Gläubiger für den Plan ist hingegen nicht notwendig. So verlangt etwa auch das amerikanische Reorganisationsverfahren in 11 U. S. C. § 1129 (a) (10) zur Anwendung der »cram-down rule« allein die Zustimmung einer einzigen Gläubigergruppe und auch der Regierungsentwurf der Insolvenzordnung sah in Anlehnung an dieses Vorbild in § 290 Abs. 1 Nr. 3 für die Anwendbarkeit des Obstruktionsverbotes allein die Zustimmung einer anderen Gruppe vor. Erst der Rechtsausschuss verkannte die Funktion des Zustimmungserfordernisses in Nr. 3 und sah in der »Zustimmung von nur einer von vielen Gruppen . . . eine zu schwache Grundlage für einen Plan.«226 Der dahintersteckende Hinweis auf das Majoritätsprinzip 225 BT-Drucks. 12/2443, S. 208: »Wenn eine Abstimmungsgruppe die Zustimmung zum Plan verweigert, so kann in dieser Verweigerung ein Missbrauch liegen.« BT-Drucks. 12/7302, S. 184: »Auch nach der vom Ausschluss beschlossenen Reduzierung der Gruppenbildung . . . ist ein Obstruktionsverbot erforderlich, um zu verhindern, dass ein wirtschaftlich sinnvoller Plan, der die Gläubigerinteressen wahrt, am Widerstand einer einzigen Gläubigergruppe scheitert.« Auch weite Teile der Literatur stützen das Obstruktionsverbot allein auf den Missbrauchsgedanken: Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 245 Rn. 1, 17 (Fn. 33); Braun, in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 68 Rn. 50; ders., in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rn. 2, 33; Drukarczyk, in: MünchKomm, InsO, § 245 Rn. 2; Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, § 217 Rn. 21; Exner/Beck, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 43 Rn. 82; Grub, FS Uhlenbruck, 2000, 501, 508; Herzig, Insolvenzplanverfahren, S. 281; Hess, in: Hess, InsR, § 245 InsO Rn. 7; Jaffé, in: Frankfurter Kommentar, InsO, § 245 Rn. 7; Jungmann, Grundpfandgläubiger und Unternehmensinsolvenz, Rn. 291 f.; Kersting, Gläubiger im Insolvenzplanverfahren, S. 167 f., 189; Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rn. 1 f.; Thies, in: Hamburger Kommentar, § 245 Rn. 1. 226 BT-Drucks. 12/7302, S. 184: zu Recht kritisch hierzu Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 245 Rn. 17 (Fn. 33); Braun, in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 68 Rn. 57; ders., in: Nerlich/Römermann, InsO, vor § 217 Rn. 127 und § 245 Rn. 33; Braun/Uhlenbruck, Unter-
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
geht dennoch fehl. Nach der gesamten Konzeption der Gruppenbildung und der Gruppenmacht ist es nicht der Mehrheitswille aller Gläubiger oder der Mehrheit der Gruppen, sondern der – auch vom Rechtsausschuss betonte227 – Missbrauchsgedanke, der das Obstruktionsverbot in § 245 InsO wie das in den §§ 246 und 247 Abs. 2 InsO hinreichend trägt und der die Bindung ablehnender Gläubiger in ablehnenden Gruppen ebenso legitimiert wie eines ablehnenden Schuldners oder nachrangiger Gläubiger. 228 § 245 InsO ist daher auch dann anzuwenden, wenn in der Gesamtschau zwar die Mehrheit der Gruppen, nicht aber die Mehrheit aller Gläubiger dem Plan zugestimmt haben. 229 Grundlage der Bindung der ablehnenden Gläubiger in der negativ abstimmenden Gruppe ist genauso wenig das Mehrheitsprinzip wie dieses eine Bindung des ablehnenden Schuldners oder der nachrangigen Gläubiger rechtfertigen kann. Die Mehrheitsmacht bleibt auf die einzelne Gruppe beschränkt. Nur dort liegt ihr Wirkungskreis. Die Funktion der Regelung in § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO liegt also nicht in der Legitimation der Bindungswirkung. Sie besteht stattdessen in der Gewichtung des Obstruktionsgedankens gegenüber dem Abstimmungsprinzip. Dies hat folgenden Hintergrund: Die Insolvenzordnung bietet zwei Wege, sich verweigernde Gläubiger an den Plan zu binden: die Mehrheitsentscheidung in einer Gruppe sowie das Obstruktionsverbot. Jedes dieser Institute könnte für sich allein ausreichen, um einen Insolvenzplan gegenüber allen Gläubigern zustande kommen zu lassen. Unmittelbar einsichtig scheint dies für das Abstimmungsprinzip: Der Gesetzgeber könnte auf ein Obstruktionsverbot verzichten, wie er es bei den Vorgängerregelungen getan hatte, und den Insolvenzplan allein von einer Mehrheitsentscheidung in allen Gruppen abhängig machen. Aber auch der umgekehrte Weg erscheint theoretisch denkbar. 230 Der Gesetzgeber könnte auf eine Auszählung der Stimmen und deren Gewichtung gänzlich verzichten und alle ablehnend votierenden Gläubiger an einen Insolvenzplan binden, wenn dieser die ablehnenden Gläubiger wirtschaftlich nicht schlechter stellt als ein Regelinsolvenzverfahren und sie entsprechend ihres Rangs angemessen am Planerfolg beteiligt. Im Extremfall könnte auf diese Weise sogar ein Plan gegen die nehmensinsolvenz, S. 611. Keller, Insolvenzrecht, Rn. 1743, nennt die Regelung sogar »sachlich falsch«. 227 BT-Drucks. 12/7302, S. 184. 228 So zutreffend Braun, in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 68 Rn. 57; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 611; Keller, Insolvenzrecht, Rn. 1743. 229 Ebenso Herzig, Insolvenzplanverfahren, S. 283; Hess, in: Hess, InsR, § 245 InsO Rn. 9; Kersting, Gläubiger im Insolvenzplanverfahren, S. 189; Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rn. 3. 230 Verfassungsrechtlich scheint nichts gegen eine Ausweitung des Obstruktionsverbots zu Lasten des Mehrheitsprinzips zu sprechen, solange zugunsten der Sanierung des Schuldnerunternehmens die wirtschaftlichen Werte der vom Zwang Betroffenen durch den Plan gesichert werden – näher dazu später in diesem Abschnitt unter V. 4.
E. Zustimmungsfiktionen auf Gläubiger- und Schuldnerseite
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Stimmen aller Gläubiger zustande kommen oder auf eine Abstimmung verzichtet werden, vorausgesetzt natürlich, dieser Plan würde durch das Engagement neuer Investoren hinreichend Mittel zur Verfügung stellen, um eine Schlechterstellung aller Gläubiger auszuschließen (was in der Praxis kaum je vorkommen dürfte). Schließlich wäre auch jeder Mittelweg zwischen den Extrempositionen denkbar. So könnte etwa das Obstruktionsverbot zu Lasten des Mehrheitsprinzips dahin gehend aufgewertet werden, dass zur Anwendung der Obstruktionsregelungen nicht die Mehrheit der Gruppen, sondern nur eine einzige Gruppe dem Plan zustimmen muss. Eine derartige Regelung enthielt – wie bereits erwähnt – noch der Regierungsentwurf zum Obstruktionsverbot, und auch das amerikanische Vorbild verlangt in 11 U. S. C. § 1129 (a) (10) nur die Zustimmung einer Gruppe zum Reorganisationsplan. Eine solche Regelung ist also durchaus realistisch. Der Rechtsausschuss entschied sich demgegenüber für eine stärkere Betonung des Abstimmungsprinzips und stärkte damit den Gläubigereinfluss auf die Planannahme. Auf ein weitreichend anwendbares Obstruktionsverbot im Interesse der Durchsetzung einer objektiv optimalen Haftungsverwirklichung für alle Gläubiger wurde verzichtet. Der Rechtsausschuss verschob also nur die Gewichtung der Bedeutung beider Rechtsinstitute bei der Planentstehung zurück zugunsten der Abstimmungsmacht der Gruppen. In diesem Sinne sind auch die Äußerungen in der Begründung dieser Gesetzesänderung zu verstehen. Keinesfalls wollte der Rechtsausschuss hingegen das Mehrheitsprinzip zur Legitimationsgrundlage für das Obstruktionsverbot machen; diese bleibt allein der Missbrauchsgedanke.
V. Zustimmungsfiktionen als gesetzlicher Kontrahierungszwang Wie lässt sich nun aber die Bindung der den Plan ablehnenden Beteiligten über das Obstruktionsverbot erklären? In den Fällen des § 245 InsO wird den Gläubigern einer Gruppe, die sich mehrheitlich gegen den Plan ausgesprochen hat, dieser Plan aufgezwungen.231 Das Mehrheitsprinzip kann diese Zwangsbindung – wie gesehen – nicht rechtfertigen. Nach § 247 Abs. 2 InsO wird auch dem Schuldner ein Plan aufgedrängt, den er offensichtlich nicht will; auch er wird zum Vertragsschluss gezwungen. Im Anwendungsbereich des § 246 InsO liegen immerhin keine negativen Willensäußerungen der nachrangigen Gläubiger zum vorgelegten Insolvenzplan vor. Dennoch werden auch in diesen Fällen die Betroffenen an einen Insolvenzplan gebunden, dem sie tatsächlich nie zugestimmt haben. In keinem Fall eines angewandten Obstruktionsverbots wird die Zustimmung zum Plan tatsächlich erklärt. Sie wird vielmehr – wie für die ableh231 Entsprechendes wird für die Gesellschafter der Gesellschaftergruppe gelten, wenn die Vorschläge des Diskussionsentwurfs für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen aus dem Sommer 2010 umgesetzt werden und das Obstruktionsverbot auch die Gesellschaftergruppe erfassen wird.
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
nenden bzw. nicht teilnehmenden Gläubiger in den mehrheitlich zustimmenden Gruppen – durch das Insolvenzgericht in Vollziehung einer Zustimmungspflicht fingiert. Diese Pflicht zur Zustimmung kann hier allerdings nicht auf einem Mehrheitsbeschluss beruhen. Dieser Beschluss hat für die Gläubigergruppen im Anwendungsbereich des § 245 InsO ja das genaue Gegenteil zum Inhalt, da diese Gruppen den Plan mehrheitlich ablehnten. Für die nachrangigen Gläubiger im Bereich des § 246 InsO gilt entsprechendes, soweit sie überhaupt abgestimmt haben. 232 Der Schuldner schließlich ist nicht einmal Teil einer Personengruppe und daher auch nicht Teil eines Willensbildungsprozesses durch Beschluss. Die Zustimmungspflicht beruht in den Fällen der §§ 245 bis 247 InsO allein auf der Notwendigkeit des Ausschaltens von Obstruktionsmustern und damit auf dem Gedanken des Rechtsmissbrauchs und des Schikaneverbots. Kein Beteiligter soll das Zustandekommen eines Plans obstruieren können, wenn dieser dessen legitime Interessen wahrt.233 Ein wirtschaftlich im Interesse aller Beteiligten vernünftiger Plan soll gerade anders als in außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen nicht an dem Verweigerungsverhalten einzelner Beteiligter scheitern. Diese Personen werden daher durch die Regelungen der §§ 245 bis 247 InsO zwangsweise an den Plan gebunden, indem ihre Zustimmung als erteilt fingiert wird. Diese Regelungen haben eine enorme Ausstrahlungswirkung. Obstruierende Beteiligte wissen, dass sie einem wirtschaftlich vernünftigen Plan zustimmen müssen. Das Obstruktionsverbot der §§ 245 bis 247 InsO ist ein nicht zu unterschätzendes Verhandlungsinstrument gegenüber ablehnenden Beteiligten.234 Sollten sie dennoch im Abstimmungstermin ihre Zustimmung verweigern, so fingiert das Gesetz diese Zustimmungserklärung. Der so entstehende Zustimmungszwang legt den Gedanken nahe, in den §§ 245 bis 247 InsO einen gesetzlichen Kontrahierungszwang zu erblicken. 1. Kontrahierungszwang und Vertragsfreiheit Ein Kontrahierungszwang ist die aufgrund einer Norm der Rechtsordnung einem Rechtssubjekt ohne seine Willensbindung im Interesse eines Begünstig232 Gruppen nachrangiger Insolvenzgläubiger werden nach § 222 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO nur in den seltenen Fällen obligatorisch gebildet, in denen sie einen wirtschaftlichen Wert erhalten sollen. Dann steht ihnen nach dem Gesetzestext allerdings ein Stimmrecht zu, da § 237 Abs. 1 Satz 1 InsO ausdrücklich nicht auf § 77 Abs. 1 Satz 2 InsO verweist, der ein Stimmrecht nachrangiger Gläubiger in der Gläubigerversammlung ausschließt – Braun, in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 68 Rn. 41; Hess, in: Hess, InsR, § 237 InsO Rn. 7; Jaffé, in: Frankfurter Kommentar, InsO, § 237 Rn. 8; anders Flessner, in: Heidelberger Kommentar, InsO, § 237 Rn. 12 unter Hinweis auf die Gesetzgebungsmotive. 233 BT-Drucks. 12/2443, S. 94 (für Gläubigergruppen); S. 210 (für den Schuldner). 234 Gerade diese verhaltenssteuernde Funktion betonen etwa auch Otte, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 245 Rn. 63 und Schiessler, Insolvenzplan, S. 171.
E. Zustimmungsfiktionen auf Gläubiger- und Schuldnerseite
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ten auferlegte Verpflichtung, mit diesem einen Vertrag bestimmten oder von unparteiischer Seite zu bestimmenden Inhalt zu schließen.235 Ein solcher Kontrahierungszwang, also ein aufgezwungener Vertragsschluss, berührt die Vertragsfreiheit in ihrem Kern. Zum einen verliert der einem solchen Zwang Unterliegende seine negative Abschlussfreiheit, da er zu einem Vertrag mit dem Begünstigten gezwungen wird. Zum anderen gibt ein Kontrahierungszwang nicht nur das Ob des Vertragsschlusses, sondern auch den Vertragsinhalt detailliert vor oder aber überträgt diese Vorgabe einem Dritten, so dass sich auch der Vertragsinhalt nicht mehr aus der Gestaltungsfreiheit des Betroffenen ergibt. Dieser wird Partner eines Vertrages, dessen Gegenüber und dessen Inhalt er nicht selbst bestimmen durfte. Der tatsächliche Wille des Verpflichteten wird irrelevant. 236 Insofern kann es auf den ersten Blick durchaus zweifelhaft erscheinen, ob ein solcher »Vertrag« tatsächlich noch auf den Prinzipien des bürgerlichen Vertragsrechts beruht, wie es sich in den §§ 145 ff. BG findet. Diese Zweifel verblassen hingegen schnell, wenn man sich die Grundlagen der Vertragsordnung und des Vertragsbegriffs genauer vergegenwärtigt, was leider gerade in der Diskussion um die Rechtsnatur von Zwangsvergleich, Vergleich oder Insolvenzplan nicht geschieht. Zwar basiert das Vertragsrecht auf Willenserklärungen und damit im Idealfall auf einem selbstbestimmten Willen der Vertragspartner. Die Freiheit von Zwang ist dabei aber gerade keine Voraussetzung für das Zustandekommen eines wirksamen Vertrages. § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB regelt vielmehr das ausdrückliche Gegenteil, indem er Willenserklärungen, die unter Zwang abgegeben wurden, für wirksam erachtet und nur dann der Anfechtbarkeit unterwirft, wenn dieser Zwang widerrechtlich erfolgte. Das Vorhandensein von Zwang beim Vertragsschluss schließt also grundsätzlich das Zustandekommen eines Vertrages nicht aus und selbst rechtswidriger Zwang kann die Grundlage eines Vertrages privatrechtlicher Natur sein, wenn der Betroffene auf eine Anfechtung verzichtet oder sie versäumt. 237 235 Diese von Nipperdey (Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 7) entwickelte Definition hat sich heute weitgehend durchgesetzt – vgl. etwa Bork, in: Staudinger, BGB (2003), Vorbem. zu §§ 145–156 Rn. 15; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 110; im Wesentlichen auch Joussen, Schlichtung, S. 264 f.; Reichert, Abschlusszwang, S. 26. 236 Hatte sich eine der Parteien hingegen (z. B. mittels Vorvertrags) freiwillig zum Abschluss des späteren Vertrages verpflichtet, so basiert die entstandene Abschlusspflicht auf ihrem Willen und damit auf ihrem Selbstbestimmungsrecht, selbst wenn diese Partei ihren Willen in der Zwischenzeit ändert und daher nun den Abschluss des Vertrags verweigert. Es handelt sich in solchen Fällen daher auch nicht um eine Zwangswirkung aus einem Kontrahierungszwang, da bei letzterem die Abschlusspflicht gerade nicht auf einem Willen der betroffenen Partei beruht – so die inzwischen wohl allgemeine Ansicht im Anschluss an: Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 15 (Kontrahierungszwang ist »willensfremder Zwang«) – vgl. etwa Reichert, Abschlusszwang, S. 26; anders noch Molitor, JherJb 73 (1923), 1, 16 f.; ungenau daher Eckert, in: Bamberger/Roth, BGB, § 145 Rn. 19, wenn er von einem »vertraglichen Kontrahierungszwang« aufgrund eines Vorvertrages spricht. 237 Hierauf zu Recht hinweisend: Armbrüster, in: Erman, BGB, Vor § 145 Rn. 26; Bork, in: Staudinger, BGB (2003), Vorbem. zu §§ 145–156 Rn. 14; Reichert, Abschlusszwang, S. 22.
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
Ein rechtmäßiger (gesetzlicher) Kontrahierungszwang kann daher umso weniger dazu führen, dem daraufhin geschlossenen Vertrag die Eigenschaft eines privatrechtlichen Vertrags zu nehmen. Es ist vielmehr inzwischen anerkannt, dass ein aufgrund eines Kontrahierungszwangs geschlossener Vertrag ein privatrechtlicher Vertrag des BGB ist. 238 Es gibt damit Verträge, die jedenfalls für einen Vertragspartner ohne dessen privatautonome Entscheidung zustande kommen. Eine derartig aufgezwungene vertragliche Bindung hat grundrechtliche Relevanz, ist doch – wie bereits an anderer Stelle erläutert wurde 239 – die Privatautonomie Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG. Zugleich und vorrangig ist der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG berührt, wenn die vertragliche Bindung Vermögenswerte des Betroffenen zum Gegenstand hat. Die privatautonome Selbstbestimmung des Individuums ist unter der Geltung des Grundgesetzes verfassungsrechtlich geschützt. Allerdings ist dieser Schutz kein schrankenloser. Die Anforderungen an einen rechtmäßigen Eingriff in die Privatautonomie sind sogar eher niedrig. Ein Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG kann durch jedes verhältnismäßige Gesetz zu legitimen Zwecken erfolgen und auch das durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Eigentum unterliegt den verhältnismäßigen Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 GG. 240 Die Privatautonomie unterliegt auf dieser Grundlage zwei grundsätzlichen Angriffen, die Busche 241 sehr zutreffend herausgearbeitet hat. a) Der allgemeine Kontrahierungszwang Zum einen kann die Privatautonomie in Gestalt der Vertragsfreiheit eines Individuums mit der eines anderen kollidieren. Ist eine Person also auf ein bestimmtes Gut oder eine bestimmte Leistung angewiesen, die sie in zumutbarer Weise nur von einer anderen Person erhalten kann, so kollidiert im Weigerungsfall die negative Vertragsfreiheit der nichtleistenden mit der positiven Vertragsfreiheit der nachfragenden Person. Diese Kollision ist im Wege praktischer Konkordanz zu lösen, wobei sich vor dem Hintergrund eines funktionierenden Marktes 238 BGH MDR 1952, 155; Armbrüster, in: Erman, BGB, Vor § 145 Rn. 31; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 240, 583; Bydlinski, JZ 1980, 378; Flume, Rechtsgeschäft, S. 612; Hedemann, FS Nipperdey, 1955, 251, 259; Larenz, Schuldrecht I, § 4 I a, S. 49; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 85; Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 135; Reichert, Abschlusszwang, S. 22; Wolf, in: Soergel, BGB, Vor § 145 Rn. 50; anders noch Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 141, 143. Lediglich Kilian, AcP 180 (1980), 47, 81, will Leistungsbeziehungen aus Kontrahierungszwängen »wie quasi-Verträge« behandeln, sie gleichzeitig aber nach vertragsrechtlichen Grundsätzen abwickeln. 239 Siehe in diesem Kapitel unter C. IV. 2. d). Speziell zur grundrechtlichen Problematik des Kontrahierungszwangs: Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 599 f. 240 Vgl. Armbrüster, in: Erman, BGB, Vor § 145 Rn. 26; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 599 f.; di Fabio, in: Maunz/Düring, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 104; Flume, Rechtsgeschäft, S. 19 f.; Starck, in: Mangoldt/Klein, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 147. 241 Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 102 ff., 124 ff., 575 ff.
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stets die negative Abschlussfreiheit durchsetzen wird, da es dem Nachfragenden grundsätzlich zumutbar ist, am Markt nach anderen Vertragspartnern zu suchen, die sich freiwillig (wenn auch vielleicht zu einem höheren Preis) zur gewünschten Leistung verpflichten. Lediglich in den seltenen Fällen, in denen der Vertragssuchende auf die vertragliche Leistung angewiesen ist und ihm zugleich eine zumutbare Ausweichmöglichkeit fehlt (Stichwort Monopol) 242 , wird sich das Vertragsinteresse des Nachfragenden durchsetzen und der verweigernde Teil zum Vertragsschluss gezwungen.243 Der so entstehende Kontrahierungszwang findet seine Legitimation nun nicht in speziellen gesetzlichen Regelungen, sondern in diesen allgemeinen Erwägungen und wird daher zutreffend auch »allgemeiner Kontrahierungszwang« genannt. Seine konkrete Rechtsgrundlage wie auch seine konkreten Voraussetzungen sind dabei nach wie vor umstritten, 244 wobei auf eine nähere Betrachtung hier verzichtet werden kann, 242 Auch die Ablehnung eines Vertragsschlusses aus unlauteren Motiven (Stichwort Diskriminierung) führt erst dann über verfassungsrechtliche Erwägungen der praktischen Konkordanz zu einem Überwiegen der Interessen des Vertragssuchenden und damit zu einem Kontrahierungszwang, wenn eine Ausweichmöglichkeit fehlt (vgl. etwa auch die Regelung in § 20 GWB). Als bloße Sanktion einer Diskriminierung sind mildere und effektivere Wege denkbar wie etwa die Pflicht zum Ersatz immateriellen Schadens. Dies sollte insbesondere in der Diskussion um einen allgemeinen Kontrahierungszwang bei Verletzung des Diskriminierungsverbots im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz nicht übersehen werden – (nur insoweit) zutreffend Armbrüster, NJW 2007, 1494, 1496 (m. w. N. zur Diskussion). Hieran scheitert auch ein Kontrahierungszwang der privaten Banken hinsichtlich der Eröffnung von Girokonten, solange die öffentlich-rechtlich organisierten Sparkassen die Kunden annehmen müssen und daher eine Ausweichmöglichkeit besteht – zutreffend Bachmann, ZBB 2006, 257, 262 und 268 (m. w. N. zum Streitstand). 243 Insoweit überzeugend Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 125 f., 237 ff.; auch Larenz, Schuldrecht I, § 4 I a, S. 47. Die Vertragsfreiheit wird in diesen Fällen nicht gänzlich aufgehoben, sondern ein Kollisionsproblem wird gelöst. Missverständlich ist es dennoch, wenn Busche meint, der Kontrahierungszwang diene in diesen Ausnahmefällen der »Funktionssicherung des Instituts Vertragsfreiheit« und gründe daher selbst allein auf dem Selbstbestimmungsprinzip (S. 126). Hierdurch betont er zu einseitig das Interesse des Vertragssuchenden, dessen Vertragsfreiheit sicherlich zumindest unangetastet bleibt oder gar erweitert wird (Larenz, Schuldrecht I, § 4 I a, S. 42). Er unterschlägt aber den Eingriffscharakter des Kontrahierungszwangs für den von ihm Betroffenen. Der im Ergebnis entstehende Vertrag trifft den Betroffenen stets heteronom und negiert dessen negative Vertragsfreiheit zugunsten der positiven des Begünstigten (Bydlinski, AcP 180 [1980], 1, 4; Hönn, JuS 1990, 953, 961; Larenz, Schuldrecht I, § 4 I a, S. 42; Singer, Selbstbestimmung, S. 84 f.). Das Selbstbestimmungsprinzip und die »Vertragsfreiheit als Institut« können diese Heteronomie nicht legitimieren. Der Kontrahierungszwang dient vielmehr der Lösung eines Interessenkonflikts in einer Situation, in welcher das Rechtsinstitut Vertragsfreiheit ausnahmsweise gerade nicht funktioniert, da es nicht autonom in der Lage ist, den richtigen Vertrag zustande kommen zu lassen. Er ist daher zugleich aber auch notwendiger Teil einer privatautonomen Privatrechtsordnung. 244 Als Rechtsgrundlagen werden insbesondere diskutiert: ein im Wege der Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) zu erfüllender Schadensersatzanspruch (etwa aus § 826 BGB oder §§ 26 Abs. 2, 35 Abs. 1 GWB [alter Fassung] – vgl. etwa RGZ 132, 273, 276; 133, 388, 392; BGHZ 21, 1, 7 f.; 36, 91, 100; 41, 271, 280; 49, 90, 98; 63, 282, 285; 107, 273, 279; BGH NJW 1990, 761, 762 f.; WM 1994, 1670, 1671; Flume, Rechtsgeschäft, S. 612; Medicus/Lorenz,
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hat doch der hier in den §§ 245 ff. InsO vermutete Kontrahierungszwang eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage und gehört damit zur zweiten Gruppe der Einschränkungen der Privatautonomie: denen auf spezialgesetzlicher Grundlage (»gesetzlicher Kontrahierungszwang«). b) Der gesetzliche Kontrahierungszwang Wie sich schon aus den verfassungsrechtlichen Grundsätzen ergibt, steht es dem Gesetzgeber frei, zur Erreichung legitimer Ziele Voraussetzungen zu normieren, unter denen ein bestimmter Vertrag von einer bestimmten Partei geschlossen werden muss. Das Verfassungsrecht lässt dem Gesetzgeber hierbei einen weiten Gestaltungsspielraum, indem es lediglich eine verhältnismäßige Regelung verlangt. 245 Diesen Spielraum hat der Gesetzgeber in vielen Fällen genutzt. 246 Leider lässt die dabei gewählte Ausdrucksform bei vielen Regelungen keineswegs den eindeutigen Schluss auf einen angeordneten Kontrahierungszwang zu. Nur selten wird ausdrücklich eine Pflicht zum Abschluss eines bestimmten Vertrags normiert. In den weitaus meisten Fällen wird hingegen direkt die Pflicht zu einer bestimmten Leistung in den Gesetzestext geschrieben.247 Diese Formulierungsunterschiede dürften jedoch weithin zufällig sein Schuldrecht I, Rn. 85; Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 54; Wolf, in: Soergel, BGB, Vor § 145 Rn. 53); ein quasinegatorischer Unterlassungsanspruch (Armbrüster, in: Erman, BGB, Vor § 145 Rn. 29; Bork, in: Staudinger, BGB [2003], Vorbem. zu §§ 145–156 Rn. 20, 27; Eckert, in: Bamberger/Roth, BGB, § 145 Rn. 16; Kilian, AcP 180 [1980], 47, 82); ein quasinegatorischer Beseitigungsanspruch (Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 230 ff.); ein »vorbeugender Handlungsanspruch« (Bydlinski, AcP 180 [1980], 1, 13; Heinrich, Formale Freiheit, S. 231 f.; Kramer, in: MünchKomm, BGB, Vor § 145 Rn. 13; wohl auch Larenz, Schuldrecht I, § 4 I a, S. 45 f.). Für Unternehmen der öffentlichen Hand im Bereich der Daseinsvorsorge wird darüber hinaus ein genereller Kontrahierungszwang aufgrund einer Gesamtanalogie zu den gesetzlichen Fällen eines Kontrahierungszwangs erwogen – so Larenz, Schuldrecht I, § 4 I a, S. 48; ihm folgend Kramer, in: MünchKomm, BGB, Vor § 145 Rn. 14. Reichert (Abschlusszwang, S. 52) hält schließlich auch eine Konkurrenz all dieser Rechtsgrundlagen für möglich. Im Wettbewerbsrecht hat der Gesetzgeber inzwischen einen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch neben den Schadenersatzanspruch gestellt (§ 33 Abs. 1 Satz 1 GWB), so dass der Streit um die richtige Rechtsgrundlage auch hier fortgesetzt werden kann. Unabhängig von der befürworteten Rechtsgrundlage unterscheiden sich zudem die jeweils für einen allgemeinen Kontrahierungszwang als notwendig erachteten Voraussetzungen gerade im Hinblick auf die in der Diskussion befindlichen unbestimmten Rechtsbegriffe wie dem des »Monopols« oder der »Diskriminierung« erheblich – dazu etwa: Bydlinski, AcP 180 (1980), 1, 30 ff.; Kilian, AcP 180 (1980), 47, 56 ff. 245 Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 600; di Fabio, in: Maunz/Düring, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 104. 246 Eine umfassende Aufzählung der Beispiele eines gesetzlichen Kontrahierungszwangs soll hier nicht erfolgen. Insofern wird auf die Darstellungen bei Bork, in: Staudinger, BGB (2003), Vorbem. zu §§ 145–156 Rn. 17; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 4, 299 und Kilian, AcP 180 (1980), 47, 53 f., verwiesen. Daneben findet sich bei Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 36 ff., eine Vielzahl an Beispielen aus den 1920iger Jahren. 247 Eine Übersicht über die Formulierungen im Einzelfall findet sich etwa bei Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 583.
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und daher nicht zwingend für das Vorliegen einer unmittelbaren gesetzlichen Leistungspflicht sprechen. Sie hindern folglich nicht die Annahme eines Kontrahierungszwangs. Wie schon Franz Bydlinski 248 treffend feststellte, ist in all diesen Fällen eine zweckorientierte Auslegung der Normen notwendig, die nicht am Wortlaut stehen bleiben darf. Bedarf es zur Erreichung des Gesetzgebungsziels nicht nur einer einzelnen Leistungspflicht, sondern eines Rechtsverhältnisses, in welches die Pflicht eingebettet ist und durch welches sie konkretisiert und abgesichert wird, so spricht dies für das Vorliegen eines Kontrahierungszwangs, welcher das entsprechende vertragliche Schuldverhältnis entstehen lässt. Im Regelfall ist einfach mehr als nur eine isolierte Leistungspflicht notwendig, um die Gesetzesziele zu erreichen. 249 Zugleich liegt es näher, die Leistungspflicht mittels Kontrahierungszwangs in ein vertragliches Schuldverhältnis einzubetten als ein gesetzliches Schuldverhältnis entstehen zu lassen, da auf diese Weise die Gleichbehandlung mit den Fällen gewahrt bleibt, in denen der gesetzliche Zwang nicht zum Zuge kommt, da die betroffenen Parteien freiwillig im gesetzlichen Sinne handeln und Verträge schließen. Im Regelfall dient der gesetzliche Kontrahierungszwang allein der Absicherung eines Vertragsschlusses, den redliche Parteien auch freiwillig anstreben würden und dessen Verweigerung sich daher als Missbrauch oder Diskriminierung darstellt. 250 Allein ein mittels gesetzlichen Zwangs erwirkter Vertragsschluss und nicht ein gesetzliches Schuldverhältnis erreicht in diesen Fällen dasselbe rechtliche Ergebnis wie das vom Gesetzgeber erstrebte, freiwillige Verhalten der Betroffenen. Wesentlich für die Annahme eines Kontrahierungszwanges als Ergebnis der Auslegung einer in Betracht kommenden gesetzlichen Regelung ist somit nicht allein der Wortlaut der Norm, sondern primär der vom Gesetzgeber gewollte Vertragsschluss des Betroffenen mit einer konkreten begünstigten Person und mit konkret bestimmtem Inhalt.
248 Bydlinski, AcP 180 (1980), 1, 24 f.; auch Larenz (Schuldrecht I, § 4 I a, S. 49) spricht von einer »abgekürzten Ausdrucksweise« des Gesetzgebers. 249 Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 583; Bydlinski, AcP 180 (1980), 1, 17 ff.; Hedemann, FS Nipperdey, 1955, 251, 259; Larenz, Schuldrecht I, § 4 I a, S. 49; Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 89. Dies übersieht Molitor, JherJb 73 (1923), 1, 31, wenn er es als »Mangel der Gesetzgebung« bezeichnet, würde diese einen Umweg beschreiten und zunächst zu einem überflüssigen Vertragsschluss zwingen statt direkt die begehrte Leistungsverpflichtung auszusprechen. 250 Bydlinski, AcP 180 (1980), 1, 20 f.; Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 35 f. Nur in Ausnahmefällen wird hingegen ein Kontrahierungszwang normiert, der zu Verträgen zwingt, die am Markt normalerweise nicht geschlossen werden und daher zu atypischen Güterbewegungen führt. Diese (nach Nipperdey) zweite Gruppe gesetzlicher Kontrahierungszwänge war vermehrt in den Nachkriegsperioden zu finden und dort Grundlage der Zwangswirtschaft (vgl. Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 35, 67 ff.).
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2. Die §§ 245 bis 247 InsO als Fälle eines gesetzlichen Kontrahierungszwangs Betrachtet man vor diesem Hintergrund die gesetzlichen Regelungen in den §§ 245 bis 247 InsO, so fällt ein Umstand sofort auf: In all diesen Normen wird die Zustimmung der Betroffenen zum vorgelegten Insolvenzplan unter bestimmten Voraussetzungen fingiert. So gilt unter den Voraussetzungen des § 245 Abs. 1 InsO »die Zustimmung einer Abstimmungsgruppe als erteilt«; unter den Voraussetzungen der § 246 Nr. 1 bis 3 InsO »gilt die Zustimmung der Gruppen« bzw. »Gruppe« nachrangiger Gläubiger »als erteilt« und unter denen des § 247 Abs. 2 schließlich gilt die »Zustimmung des Schuldners zum Plan« trotz seines ausdrücklichen Widerspruchs als »erteilt«. Anders als in der Mehrzahl der sonstigen Fälle eines gesetzlichen Kontrahierungszwangs enthalten diese Regelungen ihrem klaren Wortlaut nach die Fiktion einer Willenserklärung und keine unmittelbare Pflicht des Betroffenen zur Erbringung einer bestimmten Leistung an den Begünstigten. Sie überspringen den »Zwischenschritt« des Vertragsschlusses nicht und normieren ausdrücklich die Fiktion der Abgabe einer Zustimmungserklärung zum vorgelegten Insolvenzplan. Allerdings enthalten nun auch die §§ 245 bis 247 InsO keine ausdrückliche Normierung einer Abschlusspflicht; eine »Pflicht zur Zustimmung« im Sinne eines klassischen Kontrahierungszwangs wird in ihnen jedenfalls nicht ausdrücklich geschaffen. Der Normtext spricht nirgends von einem Anspruch der Beteiligten auf die Zustimmung der obstruierenden Gläubiger bzw. auf die des Schuldners zum Plan. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Regelungen ihrem Zweck nach dennoch allein dem Zustandekommen eines Insolvenzplans und eben nicht der Begründung gesetzlicher Leistungspflichten dienen. Rechtsgrund aller aus einem erfolgreichen Insolvenzplanverfahren folgenden Leistungspflichten der Beteiligten ist nach § 254 Abs. 1 InsO allein der (angenommene und bestätigte) Insolvenzplan, nicht jedoch eine gesetzliche Bestimmung oder Anordnung. Alle Beteiligten – auch die widersprechenden (vgl. § 254 Abs. 1 Satz 3 InsO) – werden vom Insolvenzplan verpflichtet. Dieser, nicht aber etwa die §§ 245 ff. InsO, ist Grundlage jeder Leistungspflicht. Die Obstruktionsverbote binden lediglich sich verweigernde Gläubiger oder Schuldner an den Plan, indem sie deren Zustimmung zum Plan fingieren. Damit stellen sie wie jeder gesetzliche Kontrahierungszwang eine heteronome Bindung der Betroffenen an eine von den anderen Beteiligten selbstbestimmt gewollte, von diesen inhaltlich fixierte und damit privatautonome Vereinbarung251 her. Ein fehlender oder entgegenstehender Wille der Betroffenen wird dabei übergangen. Eine am Wortlaut und dem Zweck der Normen orientierte Auslegung der §§ 245 bis 247 InsO kann daher nur zur Annahme eines Kontrahierungszwangs führen. 251 Der Insolvenzplan ist daher stets, d. h. auch unter Geltung der Obstruktionsverbote, eine »privatautonome« Übereinkunft der Beteiligten – BT-Drucks. 12/2443, S. 91.
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Kategorisiert man die gesetzlichen Kontrahierungszwänge mit Nipperdey 252 in zwei Gruppen, so gehört der Kontrahierungszwang der §§ 245 bis 247 InsO zur ersten Gruppe, also zur Gruppe der Regelungen, bei denen der Kontrahierungszwang allein der Absicherung von Vertragsschlüssen und damit von Güterbewegungen dient, die im Normalfall von wirtschaftlich denkenden Beteiligten ohnehin getätigt werden würden, da sie wirtschaftlich sinnvoll sind. Der gesetzliche Kontrahierungszwang ist hier nur eine Art »Sicherheitsventil«253 , das zwar jeden dieser Vertragsschlüsse begleitet, aber nur in den wenigen Ausnahmefällen tatsächlich zum Zuge kommt, in denen der wirtschaftlich vernünftige Vertragsschluss ungerechtfertigt verweigert wird. Die zweite Fallgruppe bilden demgegenüber die Fälle, in denen die gesetzlich gewollte Leistung bzw. Güterbewegung ohne einen Kontrahierungszwang, also allein durch den Markt, nicht zustande kommt, da sie wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Hier kommt der Kontrahierungszwang stets zur Anwendung und dient der Erzwingung von Verträgen im sozialen Interesse. Hierher gehören etwa die klassischen Fälle der Zwangsbewirtschaftung, wie sie in den Kriegs- und Nachkriegszeiten des 20. Jahrhunderts in Deutschland etwa im Bereich der Wohnungswirtschaft 254 verbreitet waren. Der Grund für den Kontrahierungszwang in den §§ 245 bis 247 InsO ist nun offensichtlich nicht die Umleitung wirtschaftlicher Güter entgegen dem Marktverhalten, sondern allein die Überwindung von Widerstand gegen einen wirtschaftlich vernünftigen und damit eigentlich marktkonformen Plan. Die Obstruktionsverbote sollen daher auch nur in den Ausnahmefällen greifen, in denen eine marktkonforme Insolvenzabwicklung durch einen Plan durch einzelne Beteiligte ohne vernünftigen Grund verhindert wird. Ihre Grundlage ist allein der Missbrauchsgedanke. 255 Im Regelfall soll ein wirtschaftlich vernünftiger Plan ohne diesen Zwang durch die Zustimmung aller Beteiligten zustande kommen und daher der marktkonformen Insolvenzabwicklung dienen. 256 Der Kontrahierungszwang der §§ 245 ff. InsO gehört somit zur ersten Gruppe gesetzlicher Kontrahierungszwänge.
252 Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 35; ähnlich auch Larenz, Schuldrecht I, § 4 I, S. 43 ff.: der Kontrahierungszwang mit Korrektivfunktion gegenüber dem als Mittel der Wirtschaftslenkung. 253 Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 35. 254 Beispiele bei Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 73 f. oder auch Larenz, Schuldrecht I, § 4 I b, S. 50. 255 BT-Drucks. 12/2443, S. 208: »Wenn eine Abstimmungsgruppe die Zustimmung zum Plan verweigert, so kann in dieser Verweigerung ein Missbrauch liegen.« 256 Der Gesetzgeber sah im Insolvenzplan das Mittel zur »einvernehmlichen Bewältigung der Insolvenz im Wege von Verhandlungen und privatautonomen Austauschprozessen« (BTDrucks. 12/2443, S. 90). Die Obstruktionsverbote sollen dabei gerade der Förderung »marktkonformer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse« dienen (BT-Drucks. 12/2443, S. 79). Diese Grundentscheidung des Gesetzgebers zugunsten einer marktkonformen Insolvenzbewältigung und gegen Zwangseingriffe im sozialen Interesse ist zu respektieren und bei
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3. Gesetzlicher Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag Die in den §§ 245 bis 247 InsO enthaltenen Zustimmungsfiktionen führen zu einer heteronomen Bindung der betroffenen Beteiligten an den Insolvenzplan und können daher als Normen gesetzlichen Kontrahierungszwangs verstanden werden. Allerdings verpflichten sie die Betroffenen nicht allein zur Zustimmung und überlassen dann die Durchsetzung dieser Pflicht den Beteiligten. Stattdessen fingieren die §§ 245 bis 247 InsO sofort die pflichtige Zustimmungserklärung zum Plan und werten sie als abgegeben. Dieses »Selbstvollstrecken« eines Kontrahierungszwanges ist untypisch und rückt die Regelungen zum Obstruktionsverbot in die Nähe eines Rechtsinstituts, das seit der Schrift Nipperdeys als »diktierter Vertrag« bezeichnet wird 257 und dessen Rechtsnatur als privatrechtlicher Vertrag keineswegs unstreitig ist. a) Der Anspruch auf Zustimmung als Regelfolge eines Kontrahierungszwangs Das Vorliegen eines gesetzlichen wie eines allgemeinen Kontrahierungszwangs führt nicht dazu, dass die vertraglichen Willenserklärungen, die zu einem Vertragsschluss führen, entbehrlich sind. Der vom Gesetzgeber gewünschte Vertrag kommt vielmehr nach den allgemeinen Regeln der Rechtsgeschäftslehre zustande, weshalb weiterhin sowohl ein Angebot mit bestimmtem Vertragsinhalt als auch eine Annahmeerklärung abgegeben werden müssen. Die Besonderheit besteht allein darin, dass eine der Vertragsparteien zur Abgabe ihrer Willenserklärung gesetzlich verpflichtet ist. Aufgrund eines Kontrahierungszwangs entsteht daher schon vor dem Vertragsschluss ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen den zukünftigen Vertragsparteien, aus welchem der Begünstigte einen Anspruch gegen den Pflichtigen auf Abgabe der zum Vertragsschluss notwendigen Willenserklärung hat.258 Diese Erklärung wird regelmäßig eine Annahmeerklärung, bezogen auf ein konkretes Vertragsangebot, sein. Nur ausnahmsweise wird man vom Kontrahierungspflichtigen verlangen können, dass er selbst das Vertragsangebot erarbeitet und unterbreitet; dies ist in den meisten Fällen eines Kontrahierungszwangs Sache des Begünstigten. 259 Zur Erfüllung seiner Erklärungspflicht kann der Pflichtige nun die Willenserklärung freiwillig abgegeben; der Vertrag entsteht dann ohne weitere Besonderheiten. Erklärt sich der Pflichtige hingegen trotz des Zwangs nicht, so kann allein in diesem Schweigen auf ein Angebot des Begünstigten keine Annahmeerklärung gesehen werden. Wer nichts erklärt, der erklärt auch unter Geltung eines Kontrahierungszwangs eben gerade keine Zustimmung zu einem Vertrag. der Auslegung der insolvenzrechtlichen Vorschriften zu beachten – vgl. Braun, in: Nerlich/ Römermann, InsO, vor § 217 Rn. 114. 257 Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 1920. 258 Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 100. 259 Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 102; auch Bork, in: Staudinger, BGB (2003), Vorbem. zu §§ 145–156 Rn. 29.
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Zwar verhält der Pflichtige sich insofern pflichtwidrig, aber auch ein gesetzlicher Kontrahierungszwang verpflichtet im Zweifel eben zur Abgabe einer Willenserklärung, nicht bloß zur Duldung eines Vertragsschlusses, so dass der Gesetzgeber eben mehr als bloßes Schweigen vom Pflichtigen verlangt. 260 Allerdings ist in Fällen eines Kontrahierungszwangs in Anwendung des § 151 BGB eine Verkehrssitte anzunehmen, nach der die begehrte und pflichtige Annahmeerklärung nicht dem Antragenden zugehen muss.261 Aber selbst dann genügt nicht das Schweigen, also das Nichtstun des Pflichtigen, zur Vertragsperfektion; vielmehr ist auch zur Anwendung des § 151 BGB ein objektiv erkennbares Verhalten des Pflichtigen notwendig, das auf seinen Annahmewillen schließen lässt.262 § 151 BGB macht den Zugang einer Annahmeerklärung beim Vertragspartner, nicht jedoch auf einen objektiv erkennbaren Annahmewillen des Pflichtigen entbehrlich. Fehlt ein derartiges konkludentes Verhalten oder verweigert der Pflichtige gar ausdrücklich und entgegen des Kontrahierungszwangs seine vertragsschließende Willenserklärung, so muss der Begünstigte seinen Anspruch auf Abgabe dieser Erklärung gerichtlich geltend machen, da ein Vertrag ohne diese Willenserklärung nicht entstehen kann. 263 Mit dem Erstreiten eines rechtskräftigen Urteils gilt die begehrte Vertragserklärung dann nach § 894 Abs. 1 ZPO »als abgegeben«. 264 An der Rechtsnatur des dann infolge 260 Die allgemeinen Grundsätze des Schweigens als Zustimmungserklärung (näher dazu bereits in diesem Kapitel unter D. II.) gelten also auch hier, so dass das Fehlen einer Erklärung nur dann ein Erklärungszeichen ist, wenn im Einzelfall wenigstens ein entsprechendes konkludentes Verhalten des Pflichtigen festgestellt werden kann, oder aber eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung dem Schweigens des Pflichtigen einen Erklärungswert verleiht – ebenso die wohl herrschende Meinung: Armbrüster, in: Erman, BGB, Vor § 145 Rn. 31 (obwohl er zunächst etwas missverständlich allgemein vom bloßen Schweigen als Zustimmungserklärung spricht, dies aber dann konkretisiert); Bork, in: Staudinger, BGB (2003), Vorbem. zu §§ 145–156 Rn. 30; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 245 f., 587; Bydlinski, JZ 1980, 378, 379; Eckert, in: Bamberger/Roth, BGB, § 145 Rn. 13; Wolf, in: Soergel, BGB, Vor § 145 Rn. 51. Anders noch OGHZ 2, 352, 356 f.; Nipperdey, in: Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil 2, § 162 IV 2 (S. 1000, Fn. 39); auch in einigen Kommentierungen zum Schweigen als Willenserklärung wird kurz und undifferenziert das Schweigen eines Kontrahierungspflichtigen als Fallgruppe eines Schweigens mit Erklärungswert aufgezählt – vgl. etwa Eckert, in: Bamberger/Roth, BGB, § 146 Rn. 13; Kramer, in: MünchKomm, BGB, § 151 Rn. 5. 261 Allgemeine Ansicht (wobei teilweise statt einer Verkehrssitte auch ein Verzicht des Begünstigten auf den Zugang angenommen wird) – vgl. etwa OGHZ 1, 253, 256; Armbrüster, in: Erman, BGB, Vor § 145 Rn. 31; Bork, in: Staudinger, BGB (2003), Vorbem. zu §§ 145–156 Rn. 30; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 246; Bydlinski, JZ 1980, 378, 379; Wolf, in: Soergel, BGB, Vor § 145 Rn. 51. 262 So ganz herrschende Ansicht zu § 151 BGB – vgl. BGHZ 74, 352, 356; 111, 97, 101; BGH NJW 2000, 276, 277; Kramer, in: MünchKomm, BGB, § 151 Rn. 50 m. w. N. 263 Zutreffend bereits Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 88: Die Willenserklärung des Pflichtigen kann zwar ersetzt werden, sie bleibt dennoch zum Zustandekommen des Vertrages unentbehrlich. 264 Die Fiktion des § 894 ZPO ist der regelmäßige Weg zur Durchsetzung eines Anspruchs aus einem Kontrahierungszwang – vgl. Bork, in: Staudinger, BGB (2003), Vorbem. zu §§ 145–
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eines Urteils zwischen den Parteien entstehenden (Zwangs-)Vertrags als privatrechtlicher Vertrag ändert dieser Weg der Durchsetzung des Kontrahierungszwangs nichts. 265 b) Diktierter Vertrag im weiteren Sinn Die Folge eines jeden Kontrahierungszwangs kann also darin bestehen, dass dem Pflichtigen ein Vertrag gegen dessen (teils ausdrücklich erklärten) Willen hoheitlich aufgezwungen wird. Das gerichtliche Urteil führt über die Fiktion des § 894 Abs. 1 ZPO dazu, dass dieser Person ein Vertrag diktiert wird, den sie nicht will. Jeder Kontrahierungszwang erzeugt daher im weitesten Sinne »diktierte Verträge«, ohne dass an deren privatrechtlicher Natur Zweifel bestünden. Entscheidend ist allein, dass stets am Prinzip der rechtsgeschäftlichen Einigung als wesentlichem Kern eines Vertrages festgehalten wird, selbst wenn die dazu notwendigen Willenserklärungen teilweise erzwungen werden. 266 Man sollte insofern daher genauer von »diktierten Verträgen im weiteren Sinn« sprechen. Ein solcher Vertrag kann nun auch vorliegen, wenn der gesetzliche Tatbestand des Kontrahierungszwangs zur Durchsetzung der Pflicht zur Abgabe der Willenserklärung nicht auf den Rechtsweg und damit auf § 894 ZPO verweist, sondern eigene Wege der Rechtsdurchsetzung schafft. Sieht der Gesetzgeber etwa zur Durchsetzung des Kontrahierungszwangs das Anrufen einer besonderen Behörde oder eines besonderen Richters vor, so vereinfacht er dadurch schlicht das Zustandekommen des gewollten Vertrages. Weigert sich in einem solchen Fall der Kontrahierungspflichtige, die notwendige Willenserklärung abzugeben, so ist der Begünstigte nicht auf den Weg durch die Instanzen des ordentlichen Rechtswegs angewiesen. Er kann vielmehr unmittelbar die zuständige hoheitliche Stelle anrufen, welche das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen prüft und im positiven Fall den Vertragsschluss durch einen eigenen Hoheitsakt anordnet. Eine tatsächliche Willenserklärung des Pflichtigen wird damit wiederum überflüssig. Um es mit Nipperdey zu sagen: »Die Parallele zu der Bestimmung des § 894 ZPO liegt auf der Hand.«267 In beiden Fällen 156 Rn. 33; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 586 f.; Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 117 f.; Wolf, in: Soergel, BGB, Vor § 145 Rn. 51. 265 Die Anwendung des § 894 Abs. 1 ZPO lässt Verträge so entstehen als wären sie von beiden Parteien freiwillig geschlossen worden; die Verträge behalten ihre Rechtsnatur – vgl. etwa BGH MDR 1962, 795; NJW 1975, 443, 444 (Darlehensvertrag); NJW 1984, 479, 480 (Kaufvertrag); NJW 1986, 2820 (Kaufvertrag). Besonders deutlich wird dies in BGH NJW 1986, 2822, 2823. In dieser Entscheidung argumentiert der BGH ganz selbstverständlich, dass die Verurteilung zur Abgabe eines Vertragsangebotes gemäß § 894 Abs. 1 S. 1 ZPO i. V. m. § 147 BGB zu einer alsbaldigen Annahme durch den Kläger zwinge, um einen Vertrag entstehen zu lassen. Die Fiktion des § 894 ZPO hindert also nicht die Anwendung der §§ 145 ff. BGB auf das Zustandekommen des betreffenden Vertrages – unstreitig, vgl. etwa Esser, Rechtsfiktionen, S. 40. 266 Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 135. 267 Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 123.
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wird die pflichtwidrig verweigerte Vertragserklärung gegen den Willen des Pflichtigen durch staatlichen Hoheitsakt (gerichtliche Entscheidung oder Verwaltungsakt) ersetzt und damit fingiert, wodurch ein Vertrag zwischen den Beteiligten entsteht. Entscheidend ist, dass auch in diesen Fällen auf die für jeden Vertrag notwendige Einigung nicht verzichtet wird. Lediglich der Rechtsdurchsetzungsmechanismus hat sich geändert. Will die Rechtsordnung mittels Kontrahierungszwangs zu einer vertraglichen Einigung verpflichten, so muss sie eben auch Mittel zur Verfügung stellen, um diese Verpflichtung durchzusetzen. Dieses Mittel besteht im Regelfall in der Fiktion des § 894 ZPO. Der Gesetzgeber kann aber auch andere Mittel und Instanzen schaffen. Auch der auf diese (unübliche) Weise »diktierte Vertrag im weiteren Sinn« ist bei reflektierter Betrachtung somit nichts anderes als ein »Mittel zur Verwirklichung und Gestaltung der Verpflichtung aus dem Kontrahierungszwang.«268 c) Diktierter Vertrag im engeren Sinn Der Gesetzgeber ist jedoch nicht einmal darauf beschränkt, den von ihm zur Konkretisierung eines Rechtsverhältnisses gewollten Vertrag im Wege eines Kontrahierungszwangs zu diktieren. Er kann ebenso auf jede Willenseinigung der Parteien verzichten und ihnen unmittelbar einen Vertrag bestimmten Inhalts als bindend aufzwingen. Die Ausführung solcher gesetzlicher Tatbestände wird dann ebenfalls Behörden oder Gerichten übertragen, weshalb im Einzelfall das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien ebenfalls durch einen Verwaltungsakt oder eine gerichtliche Entscheidung, also hoheitlich, begründet wird. Auch in solchen Fallgestaltungen noch von einem »Kontrahierungszwang« der Beteiligten zu sprechen, erscheint nun allerdings unpassend, wird doch gerade auf den Akt des Kontrahierens, also des Vertragsschließens, verzichtet. 269 Lediglich das Ergebnis des gesetzlichen Zwangs soll auch hier ein Vertrag sein. Passender scheint daher in solchen Fällen die Bezeichnung als »Vertragszwang« anstelle des Begriffs »Kontrahierungszwang«. Beispiele für derartige gesetzliche Tatbestände finden sich vor allem in den Kriegswirtschaftsgesetzen und -verordnungen sowie in den Zwangswirtschaftsgesetzen der Nachkriegszeit. Für das Insolvenzrecht ist vor allem auf das Rechtsinstitut der richterlichen Vertragshilfe hinzuweisen. Auf der Grundlage des § 6 Abs. 2 der Verordnung über das Kriegsausgleichsverfahren (KAVO) von 1939 wie auch des § 16 Abs. 2 der Vertragshilfeverordnung von 1939 konnte der 268 Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 129, ders., in: Enneccerus/ Nipperdey, Allgemeiner Teil 2, § 162 IV 2 (S. 1000, Fn. 40). 269 Ebenso Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 116; Joussen, Schlichtung, S. 269; Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 129; ähnlich Larenz, Schuldrecht I, § 4 I b, S. 50, wenn er den diktierten Vertrag oder auch »Zwangsvertrag« ausdrücklich »neben den Kontrahierungszwang« stellt.
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Richter aus eigenem Ermessen einen Vergleich bzw. eine Vertragsänderung zwischen den Parteien anordnen.270 Dabei wurde auf die Willenserklärungen der Parteien gänzlich verzichtet und der Vergleichs- bzw. Änderungsvertrag inklusive seines Inhalts hoheitlich festgelegt. Es ist diese Art eines hoheitlichen Vertragsdiktats, welche in der Literatur regelmäßig mit dem Begriff des »diktierten Vertrags« bezeichnet wird. 271 Diese Begriffsprägung ist allerdings insoweit missverständlich, als auch ein Vertrag, der über einen klassischen Kontrahierungszwang zustande kommt, dem betroffenen Vertragspartner (ggf. sogar durch gerichtliches Urteil) diktiert wird. Man sollte daher genauer vom »diktierten Vertrag im engeren Sinn« sprechen. Da es bei diktierten Verträgen im engeren Sinn stets an einem Vertragsschluss durch Willensübereinstimmung mangelt, scheint auf der Hand zu liegen, dass bei diesen Zwangsverträgen nicht mehr von Verträgen im Sinne des Privatrechts gesprochen werden kann. 272 Eine solche Betrachtung greift jedoch in einem entscheidenden Punkt zu kurz. Ein hoheitliches Vertragsdiktat hat nämlich zumindest denselben Zweck wie die Durchsetzung eines klassischen Kontrahierungszwangs. Der diktierte Vertrag im engeren Sinn ist bei nüchterner Betrachtung nur ein effektiver Weg des Gesetzgebers, eine Vertragsbindung zwischen den Beteiligten anzuordnen und durchzusetzen. Auch im Fall der Durchsetzung eines Kontrahierungszwangs im Wege des richterlichen Urteils und damit der Fiktion des § 894 Abs. 1 ZPO kommt im Ergebnis ein Vertrag mit dem Pflichtigen gegen dessen Willen zustande, indem dessen Willenserklärung fingiert wird (»diktierter Vertrag im weiteren Sinn«). Dennoch wird nicht mehr bestritten, dass das Ergebnis dieses Verfahrens ein zivilrechtlicher Vertrag ist, der nach den Regeln der §§ 145 ff. BGB zustande kommt. Sieht der Gesetzgeber zur Durchsetzung einer Vertragsbindung nun hingegen nicht den Anspruchsund Klageweg des klassischen Kontrahierungszwangs, sondern den Weg über den diktierten Vertrag im engeren Sinn, also einen »Vertragszwang«, vor, so vereinfacht er dadurch wiederum und ganz erheblich das Zustandekommen des von ihm gewollten Vertrages. Der diesbezügliche privatautonome Wille der Be270
Näher dazu bereits im Ersten Kapitel B. V. Vgl. etwa Armbrüster, in: Erman, BGB, Vor § 145 Rn. 30; Bork, in: Staudinger, BGB (2003), Vorbem. zu §§ 145–156 Rn. 35; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 116; Joussen, Schlichtung, S. 269; Kramer, in: MünchKomm, BGB, Vor § 145 Rn. 12; Larenz, Schuldrecht I, § 4 I b, S. 50; Wolf, in: Soergel, BGB, Vor § 145 Rn. 56. Auch der BGH folgte dieser Begriffsbildung in BGH MDR 1952, 155. Demgegenüber verstand Nipperdey den von ihm geprägten Begriff des diktierten Vertrages weiter und bezog ihn – zutreffend – auch auf alle Fälle eines verwirklichten Kontrahierungszwangs (Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 129; ders., in: Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil 2, § 162 IV 2 (S. 1000, Fn. 40). 272 In diesem Sinn: Wolf, in: Soergel, BGB, Vor § 145 Rn. 56: der »Wesenskern des Vertragsrechts« ist überschritten; Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 129: der Vertragsbegriff wird »vergewaltigt«; wohl auch Molitor, JherJb 73 (1923), 1, 7 f. und Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 140 f. 271
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teiligten ist nun allerdings irrelevant. Stattdessen ordnet die zuständige hoheitliche Stelle bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen den Vertrag selbst durch einen eigenen Hoheitsakt an. Das Vertragsrecht wird hierbei unzweifelhaft insoweit verlassen, als das gesetzliche Diktat unmittelbar ein Rechtsverhältnis »Vertrag« gebietet, ohne zugleich zur Willenseinigung zu verpflichten oder auch nur eine der Willenserklärungen zu fingieren. Verzichtet das Diktat aber auf die Willenseinigung der Parteien, so kann man nicht mehr von einem Vertrag im Sinne der §§ 145 ff. BGB sprechen. Es ist – wie schon Nipperdey zutreffend herausgearbeitet hat – ein entscheidender Unterschied, ob das Gesetz anordnet, sich vertraglich zu einigen und zur Durchsetzung dieser Pfl icht Mittel und Wege bietet, oder ob es unmittelbar fingiert, dass ab sofort zwischen zwei Personen ein Vertrag bestehe. 273 Letzteres lässt keinen Raum für Willenserklärungen oder eine Einigung und ist daher dem Vertragsrecht der §§ 145 ff. BGB fremd.274 Allerdings – und das übersehen diejenigen, die diktierte Verträge im engeren Sinn dem Privatrecht entziehen wollen 275 – begründet der Hoheitsakt als Rechtsfolge ein Rechtsverhältnis, das seinen Wirkungen nach gerade doch ein Vertrag sein soll und daher jedenfalls hinsichtlich seiner Wirkungen den allgemeinen Regelungen des Privatrechts unterworfen wird. Der diktierte Vertrag im engeren Sinn ist insofern zwar nicht in seiner Entstehung, wohl aber in seinen Wirkungen dem Privatrecht zuzuordnen und in diesem Bereich auch dem Schuldrecht unterworfen. 276 Hier ist er ein Vertrag. Der zur Durchsetzung des Kontrahierungszwanges diktierte Vertrag im weiteren Sinn ist demgegenüber sowohl hinsichtlich seiner Entstehung als auch hinsichtlich seiner Wir-
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Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 129. Armbrüster, in: Erman, BGB, Vor § 145 Rn. 30. 275 Wolf, in: Soergel, BGB; Vor § 145 Rn. 56: Beim diktierten Vertrag »sollte das öffentliche Recht auch die Inhaltsgestaltung übernehmen und sie der Kontrolle hoheitlicher Tätigkeit unterstellen.« Zunächst auch Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, S. 129: »Die Rechtsordnung würde . . . den Vertragsbegriff vergewaltigen«. Später hat er diese Ansicht hingegen offensichtlich revidiert – Nipperdey, in: Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil 2, § 162 IV 2 (S. 1000, Fn. 40): » auch dann entsteht ein privatrechtliches Rechtsverhältnis durch Hoheitsakt«. 276 So die heute ganz herrschende Ansicht: BGH MDR 1952, 155; Armbrüster, in: Erman, BGB, Vor § 145 Rn. 31; Bork, in: Staudinger, BGB (2003), Vorbem. zu §§ 145–156 Rn. 35; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 116; Hedemann, FS Nipperdey, 1955, 251, 252; Joussen, Schlichtung, S. 269; Kramer, in: MünchKomm, BGB, Vor § 145 Rn. 12; Nipperdey, in: Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil 2, § 162 IV 2 (S. 1000, Fn. 40). Auch Flume, Rechtsgeschäft, S. 613 (obwohl er es ablehnt, von einer »vertraglichen Regelung« zu sprechen); ebenso Bötticher, Die Wandlung als Gestaltungsakt, S. 33: Zwangsverträge »sind keine Verträge (auch keine diktierten), sondern das Gegenteil eines Vertrages«; allerdings erzeuge der Staatsakt die gleichen Rechtsfolgen wie der Vertrag; ähnlich Nietsch, § 894 ZPO, S. 38: »Die diktierten Verträge sind niemals Verträge und sollten infolgedessen auch nicht als solche bezeichnet werden«; sie begründen aber auch nach ihm ein »privates Rechts- und Schuldverhältnis«, S. 40. 274
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kungen einzuordnen wie alle Verträge, die über die Fiktion des § 894 ZPO zustande kommen: als privatrechtlicher Vertrag im Sinne der §§ 145 ff. BGB. d) Der Insolvenzplan ist kein diktierter Vertrag im engeren Sinn Die Einordnung eines Insolvenzplans, der unter Zuhilfenahme der §§ 245 bis 247 InsO zustande gekommen ist, muss zunächst von der Feststellung ausgehen, dass der Gesetzgeber ausdrücklich Zustimmungen fingiert, also am Konzept des Abschlusses einer Vereinbarung festhält. Sowohl der Wortlaut der Normen, der als Rechtsfolge stets Zustimmungserklärungen anordnet, als auch der Wille des Gesetzgebers277 lassen keine Zweifel daran entstehen, dass der Abschluss einer privatautonomen Vereinbarung Ziel all dieser Regelungen ist. Dieser Hintergrund führte bereits dazu, den Fiktionsvorschriften einen Kontrahierungszwang zu entnehmen. 278 Zugleich wird allein durch diese Faktenlage aber auch deutlich, dass der Gesetzgeber in den §§ 245 bis 147 InsO Willensbildungsprozesse beeinflussen und nur nötigenfalls marktkonforme Lösungen gegen missbräuchlich handelnde Beteiligte durchsetzen wollte. Der Insolvenzplan wird auch im Anwendungsbereich der Obstruktionsverbote den Beteiligten nicht als bloße Rechtsfolgenanordnung hoheitlich aufgezwungen. Im Gegenteil; der Gesetzgeber ist ausdrücklich bemüht, den regelgerechten Abschluss einer Vereinbarung zwischen den Beteiligten zu erreichen, indem diese dem Plan zustimmen. Und selbst in den Fällen, in denen dies nicht gelingt, die Ablehnung der Beteiligten aber rechtsmissbräuchlich erscheint, ordnet der Gesetzgeber als Reaktion nicht unmittelbar eine gesetzliche Bindung dieser Verweigerer an den von den übrigen Beteiligten getragenen Plan an. Die Ob struktionsverbote folgen stattdessen den Bahnen des rechtsgeschäftlichen Einigungsmechanismus und lassen für die obstruierenden Beteiligten Zustimmungserklärungen nach richterlicher Prüfung als Fiktion entstehen, so dass im Ergebnis der Abschluss einer Vereinbarung angenommen werden muss, der auf der Zustimmung aller Beteiligten beruht. Die §§ 245 bis 247 InsO verlassen also gerade nicht die üblichen Vertragsschlussmechanismen, sondern wollen ausdrücklich einen solchen Vertragsschluss erreichen. Damit können die Fiktionswirkungen dieser Normen endgültig nicht als Vertragsdiktat im Sinne eines diktierten Vertrags im engeren Sinne angesehen werden. Der Insolvenzplan ist vielmehr auch für die von den Fiktionen betroffenen Beteiligten nur ein diktierter Vertrag im weiteren Sinn, der auf einem Kontrahierungszwang beruht 277 In der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 12/2443, S. 90) wird der Insolvenzplan als Mittel zur »einvernehmlichen Bewältigung der Insolvenz im Wege von Verhandlungen und privatautonomen Austauschprozessen« aufgefasst. Die Obstruktionsverbote sollen in diesem Zusammenhang gerade der Förderung »marktkonformer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse« dienen (BT-Drucks. 12/2443, S. 79), also Verhandlungspositionen gegen obstruierende Beteiligte aufbauen und gegebenenfalls durchsetzen. 278 Siehe in diesem Abschnitt unter 2.
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und damit zugleich unstreitig privatrechtlicher Natur ist. Insoweit ist es treffend, wenn Smid feststellt, der Insolvenzplan sei ein Vertrag mit partiellem Abschlusszwang. 279 Hieraus muss er dann aber auch die richtigen Konsequenzen ziehen: Die zivilrechtlichen Vorschriften über das Zustandekommen des Vertrages (§§ 145 ff. BGB) sind genauso einschlägig wie die über seine Abwicklung (§§ 241 ff. BGB). Ungewöhnlich – und daher kurz zu erläutern – ist allein die Ausgestaltung der Fiktionswirkungen in den §§ 245 bis 247 InsO. Die Insolvenzordnung verzichtet auf den klassischen Weg der Durchsetzung der Kontrahierungspflicht gegen die betroffenen Gläubiger bzw. den Schuldner, der darin besteht, die Zustimmungspflicht vor den ordentlichen Gerichten klagweise geltend zu machen und im Erfolgsfall die pflichtige Zustimmung über § 894 Abs. 1 ZPO zu fingieren. Stattdessen werden die Zustimmungspflichten automatisch durch das Insolvenzgericht geprüft, im Erfolgsfall im Bestätigungsbeschluss festgestellt (§ 248 Abs. 1 InsO) und noch im Abstimmungstermin verkündet (§ 252 Abs. 1 Satz 1 InsO). Dieser Beschluss bindet dann mit Eintritt der Rechtskraft auch die obstruierenden Beteiligten kraft gesetzlicher Anordnung in § 254 Abs. 1 Satz 1 InsO. Er wirkt damit exakt wie ein Urteil nach § 894 ZPO. Die Prüfung und Durchsetzung des Kontrahierungszwangs erfolgt damit in einem einzigen Schritt. Trotz dieser Verkürzung des klassischen Durchsetzungsweges eines Kontrahierungszwangs bleibt im Ergebnis des Bestätigungsprozesses stets die Notwendigkeit der Feststellung einer Zustimmung aller Beteiligten zum Plan. Alle Gläubiger müssen den Plan nach den §§ 244 bis 246 InsO angenommen und der Schuldner muss ihm nach § 247 InsO zugestimmt haben – so der ausdrückliche Wortlaut des § 248 Abs. 1 InsO. Im Hinblick auf die aufgezeigten Durchsetzungsalternativen ist der Insolvenzplan damit als diktierter Vertrag im weiteren Sinn einzuordnen, da für sein Zustandekommen an einer Willenseinigung der Beteiligten als Grundvoraussetzung festgehalten wird, dann aber ein effektiverer Weg als der des ordentlichen Rechtswegs zur Durchsetzung der Zustimmungspflicht gesetzlich geschaffen wird. Der schon in den Untersuchungen zum Mehrheitsbeschluss und dessen Folgen erkannte Grundsatz der Konzentration aller maßgeblichen Erklärungen und Entscheidungen über das Zustandekommen des Insolvenzplans auf einen Abstimmungstermin findet also auch in diesem Regelungsbereich seinen Niederschlag. Es ist schlicht effektiver, die Zustimmungspflichten obstruierender Beteiligten aus den §§ 245 bis 247 InsO durch das Gericht prüfen zu lassen, das ohnehin mit der Materie befasst ist und den Abstimmungstermin leitet: das Insolvenzgericht. Der für die Anwendung des § 894 ZPO erforderliche Weg durch die ordentliche Gerichte wäre daneben 279 Smid/Rattunde, in: Smid, InsO, § 217 Rn. 7; dies., in: Insolvenzplan, Rn. 6.5. Unzutreffend ist es hingegen, wenn dieses zutreffende Ergebnis durch die beiden Autoren im letztgenannten Werk sofort wieder relativiert wird, indem sie den gerichtlichen Einfluss überbewerten (Rn. 6.6–6.8).
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
eine unnötige und in der Insolvenzsituation vermögensvernichtende, weil zeitraubende Alternative. Im Ergebnis lässt sich ein Gleichlauf des Durchsetzungsmechanismus für Zustimmungspflichten aus den §§ 245 bis 247 InsO mit dem bei Zustimmungspflichten überstimmter Gläubiger in den Gläubigergruppen feststellen. Letztere sind – wie bereits ausführlich begründet wurde 280 – aufgrund des Mehrheitsbeschlusses in der Gruppe ebenfalls verpflichtet, dem Insolvenzplan zuzustimmen. Jeden ablehnenden Beteiligten kann also eine Pflicht zur Zustimmung zum Plan treffen, sei es aus einem entsprechenden Mehrheitsbeschluss in seiner Gruppe, sei es aus einer gesetzlichen Regelung in den §§ 245 bis 247 InsO. Unabhängig von der Grundlage der Zustimmungspflicht sind die Grundsätze ihrer Durchsetzung identisch. In beiden Fällen wird auf eine klagweise Durchsetzung im ordentlichen Rechtsweg und eine darauf basierende Fiktion gemäß § 894 ZPO im Erfolgsfall verzichtet, da dies vor dem Hintergrund der Zielsetzung einer effektiven Bereinigung der Insolvenzsituation zu lange dauern und damit Sanierungschancen vernichten würde. Schnelle Entscheidungen und sichere Handlungsgrundlagen sind zum Werterhalt insolventer Unternehmen notwendig, weshalb auch alle relevanten Fragen über die Annahme und das Zustandekommen eines Insolvenzplans grundsätzlich in einem einzigen Termin, dem Abstimmungstermin, beantwortet werden sollen. Die Prüfung der Zustimmungspflichten wird vom Gesetzgeber daher auf den Hoheitsträger übertragen, der ohnehin mit dem Insolvenzplanverfahren befasst ist und den Abstimmungstermin leitet: das Insolvenzgericht. Dieses prüft unmittelbar und von Amts wegen, ob der Plan im Abstimmungstermin die notwendigen Gläubigermehrheiten erhalten und der Schuldner zugestimmt hat (§ 250 Nr. 1 InsO). Werden diese Erklärungen in der Abstimmung nicht abgegeben, so hat das Gericht sofort die sich aus den Mehrheitsbeschlüssen in den Gruppen wie auch aus den Regelungen zu Obstruktionsverboten ergebenen Zustimmungspflichten zu prüfen und festzustellen. Mit der Rechtskraft dieses Beschlusses wird dann im Wege der Fiktion erreicht, dass die pflichtigen Beteiligten ihre Zustimmung zum Plan erklärt haben. Bei genauer Betrachtung ist ein Insolvenzplan damit auch in den Fällen, in denen er mithilfe von Zustimmungsfiktionen entsteht, kein diktierter Vertrag im engeren Sinn, also kein Vertragsdiktat, sondern ein privatrechtlicher Vertrag, der für einzelne Vertragspartner auf der Grundlage einer Zustimmungspflicht, also eines Kontrahierungszwangs, zustande kam. Es sind die Bemühungen des Gesetzgebers um eine beschleunigte und damit effektive Durchsetzung dieser Zustimmungspflichten, welche diese klare Erkenntnis erschweren. Ungewöhnlich sind solche Bemühungen dabei keinesfalls. Selbst für den Regelfall der Durchsetzung eines Kontrahierungszwangs im ordentlichen Rechtsweg 280
Siehe in diesem Kapitel unter C. VI.
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über § 894 ZPO wird nicht darauf bestanden, dass der Begünstigte zunächst nur die Zustimmungspflicht gerichtlich durchsetzt und am Ende des Instanzenzuges nur den begehrten Vertrag erhält, um dann gegebenenfalls erneut einen Lauf durch die Instanzen des ordentlichen Rechtswegs zu beginnen, um vertragliche Leistungspflichten gegen einen immer noch renitenten Vertragspartner durchzusetzen. Diese – eigentlich gebotene – Reihenfolge der Rechtsdurchsetzung ist für den Begünstigten aus einem Kontrahierungszwang wenig effektiv, wenn nicht gar schikanös, weshalb inzwischen im Grundsatz unstreitig ist, dass der Begünstigte sofort auch auf die Leistung aus dem begehrten Vertrag klagen darf. 281 Die Durchsetzung eines Kontrahierungszwangs ist also schon grundsätzlich für Effektivitätserwägungen – gerade im Hinblick auf die Verfahrensdauer – offen. Das Insolvenzplanverfahren hat diese Offenheit genutzt. 4. Die Obstruktionsverbote im Lichte der Grundrechte Die Zwangswirkungen der §§ 245 bis 247 InsO hinsichtlich obstruierender Gläubiger oder Schuldner haben immer wieder auch verfassungsrechtliche Bedenken entstehen lassen. Diese stützen sich darauf, dass den Betroffenen eine Verwertungsentscheidung aufgezwungen wird, die sie privatautonom nicht wollten und die für die Gläubiger zugleich dazu führt, dass ihnen zumindest Teile ihrer privaten Forderungsrechte gegen den Schuldner verlorengehen. Die Wirkungen für die von einem Obstruktionsverbot betroffenen Gläubiger bzw. Schuldner sind damit identisch mit den Wirkungen eines Mehrheitsbeschlusses für die in einer Gruppe überstimmten Minderheitsgläubiger. Alle müssen gegen ihren erklärten Willen einem Insolvenzplan zustimmen, der zu Eingriffen in ihre Forderungsrechte bzw. in ihr Vermögen führt. Es ist daher – wie schon bei den überstimmten Minderheitsgläubigern – der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 sowie des Art. 2 Abs. 1 GG berührt. 282 281 Bork, in: Staudinger, BGB (2003), Vorbem. zu §§ 145–156 Rn. 33; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 264 f., 595; Eckert, in: Bamberger/Roth, BGB, § 145 Rn. 13; Wolf, in: Soergel, BGB, Vor § 145 Rn. 51; vgl. aus der Rechtsprechung etwa BGH NJW-RR 1991, 408. Ähnlich Heinrich, Formale Freiheit, S. 238 und Larenz, Schuldrecht I, § 4 I a, S. 49, wenn sie nur eine Klage auf die gewollte Leistung zulassen wollen, durch die aber inzident über § 894 ZPO auch der Vertrag durch richterliches Urteil entstehen soll, ohne dass es dazu eines gesonderten Antrags bedürfe. Nach Bydlinski, AcP 180 (1980), 1, 25, begründet ein Kontrahierungszwang hingegen sowohl einen Anspruch auf die Vertragserklärung des Pflichtigen als auch einen auf die begehrte Leistung selbst, so dass beide Ansprüche gleichzeitig gerichtlich geltend gemacht werden können. Nach der Entstehung des Vertrages soll dann aber der gesetzliche Leistungsanspruch »durch Zweckerreichung« erlöschen (S. 26). Diese Konstruktion erscheint unnötig kompliziert, lässt sich doch die gewollte Beschleunigung der Anspruchsdurchsetzung einfacher im Wege einer Klageverbindung eines gegenwärtigen mit einem künftigen Anspruch erreichen (vgl. Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 264 f.). 282 Lepa, Insolvenzordnung und Verfassungsrecht, S. 257; genauer zum Schutzbereich der Grundrechte im Hinblick auf die Privatautonomie siehe oben unter C. IV. 2. d).
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
a) Keine Rechtfertigung durch das Majoritätsprinzip Die im Kontrahierungszwang der Obstruktionsverbote liegende Sozialisierung der Eigentumspositionen der Betroffenen wie auch die damit erfolgende Einschränkung der Privatautonomie rechtfertigen sich nun allerdings nicht aus dem Gedanken einer legitimen Mehrheitsmacht, die im öffentlichen Interesse sowie zum Vorteil aller Betroffenen Entscheidungen trifft. Diese Legitimationsgrundlage gilt allein für die Bindungswirkung positiver Mehrheitsentscheidungen in den Gruppen 283 , nicht jedoch für die Obstruktionsverbote, die – trotz des missverständlichen und oft missverstandenen Regelungsgehalts des § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO – eben nicht der Durchsetzung des Mehrheitswillens aller Gläubiger dienen. Regelungsgrund und -ziel der Obstruktionsverbote ist vielmehr allein die Überwindung rechtsmissbräuchlicher Verweigerungshaltungen beim Schuldner bzw. in Gläubigergruppen. 284 Es ist der Gedanke des Überwindens der wirtschaftlich nicht begründbaren Verweigerungshaltung einzelner Beteiligter im gemeinsamen Interesse aller Beteiligten, nicht jedoch ein sich in einem Mehrheitsvotum wiederfindender Wille aller Beteiligten, auf dem alle diese Regelungen basieren. Dieser Zweck ist daher auch im Rahmen der verfassungsrechtlichen Betrachtung zu respektieren. Die Regelungen zum Obstruktionsverbot finden keine Rechtfertigung in einem Mehrheitswillen. b) Rechtfertigung durch das Verbot des Rechtsmissbrauchs Insbesondere die auf die Irrelevanz eines Mehrheitswillens gestützten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 245 InsO285 lassen sich aber entkräften, wenn man für alle Obstruktionsverbotsnormen einheitlich die Verhinderung eines Rechtsmissbrauchs als hinreichend legitimen Zweck zur Einschränkung privatautonomer Befugnisse wie auch zur Sozialbindung von Eigentum anerkennt.286 Niemandem ist es erlaubt, seine Rechte missbräuchlich zu Lasten anderer auszuüben. Dieser Gedanke findet sich allgemein im Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB).287 Er gilt umso mehr in der besonderen Situation der Insolvenz des gemeinsamen Schuldners. Zur Bereinigung dieser Konfliktsituation sind Eingriffe in die private Rechtsstellung der Gläubiger, aber 283
Näher dazu oben unter C. IV. 2. d). Dazu bereits ausführlich oben unter E. IV. 285 Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 28.38; Lepa, Insolvenzordnung und Verfassungsrecht, S. 261 ff.; Schiessler, Insolvenzplan, S. 169. 286 So etwa Hess, in: Hess, InsR, § 245 InsO Rn. 7; Jaffé, in: Frankfurter Kommentar, InsO, § 245 Rn. 7; Lepa, Insolvenzordnung und Verfassungsrecht, S. 258. Als Sanktion eines Missbrauchs bildet das Obstruktionsverbot eine verfahrensrechtliche Grenze der Privatautonomie. 287 Das Obstruktionsverbot als Ausprägung des Rechtsmissbrauchsverbots ist daher entgegen Smid/Rattunde, Insolvenzplan, Rn. 13.6; dies., in: Smid, InsO, § 245 Rn. 10, nicht »ohne Vorbild im bisherigen Recht« – wie hier auch Jaffé, in: Frankfurter Kommentar, InsO, § 245 Rn. 14. 284
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auch in das Vermögen und die Dispositionsbefugnisse des Schuldners unerlässlich. Gerade zur Sicherstellung einer Gleichbehandlung bei den nun vorzunehmenden Eingriffen in ihre private Rechtsstellung werden die Gläubiger in einem Insolvenzplanverfahren verschiedenen Gläubigergruppen zugeordnet (§ 222 Abs. 1 InsO). Die Gläubiger finden sich damit gerade auch mit ihren privaten Forderungsrechten gegenüber dem Schuldner in einer Zwangsgemeinschaft (Interessengemeinschaft) wieder und werden auf diese Weise insbesondere auch mit ihren Forderungsrechten und den diesbezüglichen privatautonomen Gestaltungsbefugnissen sozialisiert. Daneben kann wegen der Mangelsituation einer Insolvenz auch der Schuldner nicht mehr ungebunden über sein Vermögen entscheiden und diesbezüglich die freie privatautonome Gestaltungsmacht beanspruchen; sein pfändbares Vermögen steht aufgrund der Forderungsgebundenheit wirtschaftlich bereits seinen Gläubigern zu. Der Schuldner wie auch die Gläubiger müssen folglich in der Insolvenzsituation Einschränkungen in ihrer Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der jeweils vom Insolvenzverfahren erfassten Vermögenswerte hinnehmen. Die unbeschränkte Privatautonomie jedes einzelnen Beteiligten endet bei den vernünftigen gemeinsamen Interessen aller Beteiligten, die in der Sondersituation der Insolvenz Vorrang beanspruchen können. Die Zwangsbindung einzelner Personen an einen Insolvenzplan kann aber auch im Wege eines Obstruktionsverbotes nur gerechtfertigt sein, wenn sie verhältnismäßig ist, also auch die berechtigten Interessen des Betroffenen angemessen berücksichtigt werden. Hinsichtlich des Schuldners sieht das Bundesverfassungsgericht diese Voraussetzung bereits als erfüllt an, wenn dessen schützenswerte Belange durch Rechtsschutzmöglichkeiten im Vollstreckungsverfahren Beachtung finden und sein Vermögen nicht verschleudert wird. 288 Im Übrigen lässt sich – insbesondere hinsichtlich der betroffenen Gläubiger (und der ggf. im künftigen Recht betroffenen Gesellschafter) 289 – die »Feldmühle«-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts heranziehen, 290 die eine Zwangsbindung ablehnender Gesellschafter an einen in private Rechte eingreifenden Gesellschaftsbeschluss nur zuließ, wenn es hierfür wichtige Gründe des Gemeinwohls gab, die Einbußen der Betroffenen wirtschaftlich voll ausgeglichen wurden und ihnen wirksame Rechtsbehelfe zur Überprüfung der Zwangsbindung zustanden. 291 All diese Voraussetzungen werden durch die Obstruktionsverbotsvorschriften erfüllt. Sie dienen der Verwirkli288
BVerfGE 46, 325, 335; vgl. auch BVerfGE 51, 405, 408. Die Vorschläge des Diskussionsentwurfs für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen aus dem Sommer 2010 sehen vor, das Obstruktionsverbot auch auf die neu zu bildende Gesellschaftergruppe anzuwenden. 290 So auch Lepa, Insolvenzordnung und Verfassungsrecht, S. 259. 291 Vgl. BVerfGE 14, 263, 282 f.; bestätigt in den Entscheidungen zum aktienrechtlichen Squeeze-Out: BVerfGE 100, 289, 302 f.; BVerfG NJW 2001, 279, 280; NJW 2007, 3268, 3269 f.; ZIP 2007, 2121, 2122; ZIP 2010, 571, 574. 289
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
chung einer optimalen Haftungsverwirklichung im Interesse aller Beteiligten mittels eines Insolvenzplans, indem sie die auf bloßer unvernünftiger Obstruktion beruhende Vernichtung wirtschaftlicher Werte durch den Zerschlagungsmechanismus des Regelinsolvenzverfahrens verhindern. Die §§ 245 ff. InsO liegen daher nicht nur im Gläubigerinteresse, sondern auch im volkswirtschaftlichen Gesamtinteresse, weshalb sich durchaus gewichtige überindividuelle Interessen finden, welche die entsprechenden Regelungen legitimieren.292 Als zweites sind auch wirksame Rechtsbehelfe zur Überprüfung angeordneter Zwangswirkungen in der Insolvenzordnung verankert. Die von den §§ 245 bis 247 InsO betroffenen Beteiligten können sich durch gerichtliche Rechtsbehelfe gleich in zwei Richtungen wehren. Einerseits können sie die Bestätigungsentscheidung des Insolvenzgerichts mit der Begründung anfechten, die Voraussetzungen der §§ 245 ff. InsO seien nicht gegeben. Hierzu steht ihnen gemäß § 253 InsO der Instanzenweg offen. Darüber hinaus können vom Zwang betroffene Gläubiger nach § 251 InsO Minderheitenschutz beantragen, wenn ihnen durch den Plan eine persönliche Schlechterstellung gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren droht. Ein effektiver Rechtsschutz ist damit gegeben. Schließlich wird die zwangsweise Bindung den Betroffenen auch wirtschaftlich voll ausgeglichen, indem die Werte garantiert werden, die ihnen im Regelinsolvenzverfahren ohne Plan zustehen würden. Der betroffene Insolvenzgläubiger erhält nach § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO mindestens den Betrag der Insolvenzquote und nach § 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO mindestens den Befriedigungsrang des Regelinsolvenzverfahrens. Für von § 246 InsO betroffene Gläubiger gilt dasselbe – sie erhalten wie im Regelinsolvenzverfahren erst nach den Insolvenzgläubigern etwas aus der Masse, also im Regelfall nichts. Und auch der Schuldner wird nach § 247 Abs. 2 InsO nur zur Zustimmung verpflichtet, wenn er durch den Plan nicht schlechter steht als im Regelinsolvenzverfahren (Nr. 1) 293 und ihm keine zusätzlichen Opfer auferlegt werden (Nr. 2). Eine Verschleuderung seines Vermögens durch den Plan ist dadurch ausgeschlossen. Jeder obstruierende Beteiligte wird also über die Obstruktionsverbote nur an einen Plan gebunden, der ihn wirtschaftlich zumindest so bedenkt wie ein Regelinsolvenzverfahren und seine Rangstellung wahrt. Dem nicht zustimmenden Schuldner verbleibt zumindest die Rechtsstellung, die er auch am Ende eines Regelinsolvenzverfahrens erwarten durfte. Jeder Gläubiger erhält jedenfalls den Wert garantiert, den er auch im Liquidationsverfahren gegen einen insolventen Schuldner hätte durchsetzen können. Jedem Gläubiger wird damit zwar nicht 292
Ebenso Lepa, Insolvenzordnung und Verfassungsrecht, S. 258. Anders als bei den Gläubigern erfolgt beim Schuldner im Rahmen des § 247 Abs. 2 Nr. 1 InsO keine wirtschaftlicher Vergleich der erzielten Erlöse, sondern eine Untersuchung seiner Rechtsstellung. Diese darf durch den Plan nicht schlechter werden als ohne, indem etwa die Restschuldbefreiung erschwert wird oder in das insolvenzfreie Vermögen eingegriffen werden soll – vgl. hierzu etwa Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 247 Rn. 2. 293
E. Zustimmungsfiktionen auf Gläubiger- und Schuldnerseite
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der Nominalwert seiner Forderung gesichert; allerdings bemisst auch das Bundesverfassungsgericht den auszugleichenden wirtschaftlichen Wert einer zwangsweise entzogenen Forderung nicht nach deren Nominalwert, sondern allein nach ihrem (tatsächlichen) wirtschaftlichen Wert, 294 weshalb Insolvenzgläubiger für eventuelle Forderungsverluste durch den Plan bereits dann als wirtschaftlich voll entschädigt anzusehen sind, wenn ihnen im Vergleich zum Regelinsolvenzverfahren keine Einbuße entsteht. Das garantieren die §§ 245, 246 InsO. Die Wirkungen der Obstruktionsverbotsbestimmungen stellen sich damit insgesamt als angemessener Ausgleich für die erlittene Zwangsbindung dar und sind als verhältnismäßig und verfassungskonform anzusehen. c) Rückschlüsse für die Anwendung der §§ 245 bis 247 InsO Diese verfassungsrechtlichen Grundsätze wirken sich nun auch auf die Rechtsanwendung aus. Die in ihnen angelegte Garantie der Insolvenzquote für vom Zwang betroffene Gläubiger bzw. der Mindestrechte für den sich verweigernden Schuldner ist in der Gerichtspraxis zwingend zu beachten, lässt sich aber keineswegs einfach und sicher feststellen. Die wirtschaftlichen Ergebnisse eines Insolvenzplans stehen bei dessen Annahme nun einmal nicht fest, sondern beruhen in weiten Teilen auf einer Prognose der Zukunft mit allen damit verbundenen Unsicherheiten. Diese Unsicherheit liegt in der Natur der Sache; eine Vergleichsrechnung mit absoluter Sicherheit ist nicht möglich. Die Verfassungsmäßigkeit der Regelung steht dennoch nicht in Frage, soweit der Insolvenzrichter im Einzelfall die verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgarantie im Blick behält, wenn er über die Anwendung von Obstruktionsverboten entscheidet. Die Regelungen der §§ 245 Abs. 1 Nr. 1 und 247 Abs. 2 Nr. 1 InsO, in denen die »voraussichtlich« durch den Insolvenzplan eintretende wirtschaftliche und rechtliche Lage der Gläubiger einer Gruppe bzw. des Schuldners festzustellen 294 BVerfGE 100, 289, 305. Dieser wirtschaftliche Forderungswert wird bei einem insolventen Schuldner durch die zu erwartende Quote im Regelinsolvenzverfahren bestimmt. Zwar bleibt die Forderung auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens gemäß § 201 Abs. 1 InsO formal bestehen, soweit sie nicht durch Leistungen im Insolvenzverfahren befriedigt wurde. Dieses Nachforderungsrecht geht bei Unternehmensinsolvenzen – und nur diese sind für einen Insolvenzplan offen (vgl. § 312 Abs. 2 InsO) – jedoch regelmäßig ins Leere, da der Unternehmensträger entweder infolge des Insolvenzverfahrens erlischt, da er eine juristische Person oder Personengesellschaft ist, oder aber sich ein Restschuldbefreiungsverfahren über eine vermögenslose natürliche Person anschließt, welches in absehbarer Zeit ebenfalls zum Erlöschen der Forderung führt; in diesem Sinne auch BVerfGE 92, 262, 272: Das Nachforderungsrecht ist »ohne wirtschaftlichen Wert«. Die Gläubiger haben damit – wie § 252 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu Recht regelt – nur einen Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe der zu erwartenden Quote. Sie haben insbesondere keinen Anspruch auf eine optimale Haftungsverwirklichung durch einen für sie optimalen Insolvenzplan (in diese Richtung aber Basty, Gläubigerinteressen, S. 59; Eidenmüller, in: MünchKomm, InsO, § 222 Rn. 35 und wohl auch Smid, InVo 1997, 169, 177; dagegen zutreffend Hess/Weis, InVo 1998, 64, 65), da ein solcher Plan stets von der Mitwirkung und auch der Mitfinanzierung durch andere Gläubiger abhängt, auf welche kein Mitgläubiger einen rechtlichen Anspruch hat.
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ist, aber auch die vergleichbar formulierte Regelung des § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO, die im Rahmen des Minderheitenschutzes nach der voraussichtlichen Rechtsstellung des unfreiwillig gebundenen Gläubigers fragt, sind im Lichte der verfassungsrechtlichen Vorgaben anzuwenden. Diese Normen haben eine vollwertige wirtschaftliche Entschädigung des Gläubigers in Höhe seiner Insolvenzquote bzw. einen Mindeststandard der Rechte des Schuldners sicherzustellen. Dies führt für die Gerichtspraxis zu konkreten Forderungen. Kein Insolvenzrichter darf sich auf im Plan ausgewiesene Zahlen und Erwartungen blind verlassen, wenn diese erkennbar nicht hinreichend begründet sind. Es liegt vielmehr in der Darlegungs- und Beweislast des Planinitiators, durch hinreichend konkrete, begründete und damit nachvollziehbare (also schlüssige) Vergleichsrechnungen auf sicherer methodischer Basis dem Insolvenzgericht eine Tatsachenlage vorzutragen, die dem jeweiligen Richter eine Subsumtion unter diese Normen ermöglicht. 295 Erscheinen die Zahlen wenig realistisch bzw. der Plan als tatsächlich nicht durchführbar296 oder gelingt es aus anderen Gründen nicht, das Insolvenzgericht von der Garantie der Mindestrechte zu überzeugen, so muss dies im Hinblick auf die auch verfassungsrechtlich geschützten Positionen der Beteiligten zur Nichtanwendung der Obstruktionsverbote und damit gegebenenfalls zum Scheitern des Insolvenzplans führen, da es in diesen Fällen nicht als rechtsmissbräuchlich erscheint, wenn diese dem Plan die Zustimmung verweigern. Das Insolvenzgericht ist in solchen Situationen zwar gehalten, auf eine Vervollständigung des Vortrags des Planinitiators hinzuwirken. Es ist aber trotz des Amtsermittlungsgrundsatzes des § 5 Abs. 1 InsO nicht verpflichtet, von Amts wegen selbst im Wege eines beauftragten Sachverständigen eine Vergleichsrechnung zu erstellen oder eine vorgelegte Vergleichsrechnung zu prüfen, da es stets auch bei schwierigen Sachverhalten, seien sie auch be295 Ebenso: Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 245 Rn. 4, 18; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 621 f.; Evers/Möhlmann, ZInsO 1999, 21, 25; Flessner, in: Heidelberger Kommentar, InsO, § 245 Rn. 12, 15; Herzig, Insolvenzplanverfahren, S. 286; Hess, in: Hess, InsR, § 245 InsO Rn. 14; Hess/Obermüller, Insolvenzplan, Rn. 286; Keller, Insolvenzrecht, Rn. 1746. Eine solche Vergleichsrechnung wird zwar in § 229 InsO nicht ausdrücklich vorgeschrieben, spielt aber für die Anwendung der §§ 245, 247, 251 InsO eine entscheidende Rolle und muss daher in Insolvenzplänen enthalten sein, die nicht von allen Beteiligten getragen werden. Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 245 Rn. 18, sprechen insofern zu Recht von einem »Kunstfehler«, wenn eine Vergleichsrechnung in einer Planvorlage fehlt. 296 Wie im amerikanischen Vorbild des 11 U. S. C. § 1129 (a) (11) muss der Plan daher auch nach dem deutschen Recht »feasible« (durchführbar) sein; nicht nur um die (niedrigere) Hürde des § 231 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu überspringen, sondern auch um gegen den Willen widersprechender Beteiligter nach den §§ 245, 247 Abs. 2, 251 InsO durchgesetzt werden zu können – ebenso Braun, in: Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 68 Rn. 69, 88; ders., in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rn. 13 ff.; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 245 Rn. 4; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 615 (trotz anderer plakativer Einleitung);Grub, FS Uhlenbruck, 2000, 501, 510; Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 297; Otte, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 245 Rn. 11; nur bei konkreten Zweifeln auch Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rn. 12.
E. Zustimmungsfiktionen auf Gläubiger- und Schuldnerseite
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triebswirtschaftlicher Natur, allein im Ermessen des Gerichts liegt, einen gesetzlichen Tatbestand als zu seiner Überzeugung gegeben bzw. eben nicht gegeben anzusehen. 297 Es gibt für keinen Richter die Pflicht zur Einholung von fremder Sachkunde, obwohl ihm natürlich – ganz im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 InsO – unbenommen bleibt, freiwillig ein Sachverständigengutachten einzuholen. Ein solches Vorgehen würde allerdings häufig den Zeitrahmen sprengen, der zur Annahme und Durchführung eines Erfolg versprechenden Planes im Angesicht fortlaufender Unternehmenskosten zur Verfügung steht und schon von daher oft keinen Sinn machen. 298 Zur Behebung der Prognoseunsicherheiten einer Vergleichsrechnung empfiehlt sich zudem – soweit dies im Einzelfall finanzierbar ist – die Aufnahme salvatorischen Klauseln 299 in den Insolvenzplan. Eine solche Klausel kann dabei zwei unterschiedliche Ziele haben. Zum einen kann eine Planbestimmung Zusatzleistungen für alle Gläubiger in einer ablehnend votierenden Gruppe für den Fall vorsehen, dass diese Gläubiger ohne diese Zusatzleistungen schlechter stehen als ohne Plan. Mittels einer derartigen Klausel würden die Anwendung des Obstruktionsverbotes und damit die Annahme des Planes durch die Gläubiger gesichert. Die davon zu unterscheidende zweite Stoßrichtung einer salvatorischen Klausel ist die Ausschaltung des Minderheitenschutzes in § 251 InsO. Während das Schlechterstellungsverbot des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO ausdrücklich gruppenbezogen ist (die gesamte Gruppe, nicht nur die widersprechenden Gläubiger, dürfen nicht schlechter stehen als ohne Plan) und daher auch eine gruppenbezogene Wertgarantie durch eine salvatorische Klausel erfordert,300 ist die Schlechterstellung im Rahmen des Minderheitenschutzes nach § 251 Abs. 1 297 LG Traunstein NZI 1999, 461, 463; Binz, Konkurrierende Insolvenzpläne, S. 157; Braun, NZI 1999, 473, 475; ders., in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rn. 36; Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 621 f.; Exner/Beck, in: Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 43 Rn. 83; Flessner, in: Heidelberger Kommentar, InsO, § 245 Rn. 15; Hess, in: Hess, InsR, § 245 InsO Rn. 18; Jaffé, in: Frankfurter Kommentar, InsO, § 245 Rn. 93; Otte, in: Kübler/ Prütting/Bork, InsO, § 245 Rn. 35. Gerade die nachträgliche Einführung des Wortes »voraussichtlich« durch den Gesetzgeber sollte diese Freiheit des Gerichtes endgültig und ausdrücklich klarstellen – BT-Drucks. 14/120, S. 14. Im Grundsatz gilt für das Insolvenzgericht aber auch im Rahmen eines Planverfahrens der Amtsermittlungsgrundsatz des § 5 InsO (anders Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz, S. 624; Herzig, Insolvenzplanverfahren, S. 285 f.; Otte, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 245 Rn. 66; in Ansätzen auch Smid, InVo 2000, 1, 5 f.; Smid/Rattunde, in: Smid, InsO, § 245 Rn. 34 ff.); eine Sonderbehandlung der Obstruktionsverbote ist weder notwendig noch gerechtfertigt oder vom Gesetz gedeckt (Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 698; Grub, FS Uhlenbruck, 2000, 501, 506). Die Insolvenzordnung bürdet vielmehr nur dem Gläubiger, der Minderheitenschutz nach § 251 InsO begehrt, die Glaubhaftmachung seiner Schlechterstellung auf (§ 251 Abs. 2 InsO). 298 Hierauf zu Recht hinweisend: Binz, Konkurrierende Insolvenzpläne, S. 155; Oelrichs, Gläubigermitwirkung, S. 85. 299 Begriffsprägend: Eidenmüller, JbfNPolÖk 15 (1996), 164, 183. 300 Die Klausel muss also für alle Gläubiger ablehnender Gruppen Leistungen vorsehen, unabhängig von deren Stimmabgabe.
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
Nr. 2 InsO nur für den einzelnen Gläubiger festzustellen, also gerade nicht gruppenbezogen.301 Folgerichtig genügt in den Fällen, in denen die Zustimmung aller Gruppen sicher ist, eine salvatorische Klausel, die allein denjenigen Gläubigern, die ihre individuelle Schlechterstellung durch den Plan im Wege eines Antrags nach § 251 InsO geltend machen, Zusatzleistungen verspricht. Auf die Zweckmäßigkeit eben dieser »klassischen« salvatorischer Klauseln zur Abwendung einer Schlechterstellung nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO wies schon der Gesetzgeber in den 1990iger Jahren hin.302 Sie sind heute auch in der Literatur weitgehend als empfehlenswert anerkannt.303 Es kann daher kaum verwundern, dass im Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen aus dem Jahr 2010 ein neuer § 251 Abs. 3 InsO vorgesehen ist, nach dem eine von entsprechenden Rückstellungen begleitete klassische salvatorische Klausel generell eine Schlechterstellung im Sinne des § 251 InsO ausschließt. Für das Insolvenzgericht beinhalten beide Arten von salvatorischen Klauseln eine erhebliche Entlastung bei der Planbestätigung. Zwar bedarf es ggf. weiterhin einer Prüfung der Voraussetzungen des Obstruktionsverbots; eine aufwendige Prüfung der Vergleichsrechnungen kann nun allerdings unterbleiben. Stattdessen muss sich das Augenmerk des Gerichtes auf die finanzielle Durchführbarkeit des Plans trotz der versprochenen Zusatzleistungen und der dafür einzustellenden Rücklagen richten.304 Aus der verfassungsrechtlich erforderlichen Garantie des wirtschaftlichen Forderungswertes für obstruierende Gläubiger ergeben sich des Weiteren auch Anforderungen an den Inhalt des Insolvenzplans. Sieht dieser etwa die Umwandlung von Insolvenzforderungen in Beteiligungen am sanierten Schuldnerunternehmen (debt-equity-swap) vor, so lässt sich diese Umwandlung gegenüber ablehnenden Gläubigern nicht zwangsweise über § 245 InsO durchsetzen. 301 Auf diesen wichtigen Unterschied weisen etwa Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rn. 17, und Jungmann, Grundpfandgläubiger und Unternehmensinsolvenz, Rn. 316 sowie KTS 2006, 135, 144, ausdrücklich hin. Salvatorische Klauseln in diesem Bereich könnten daher individuelle Leistungen nur für ablehnende Gläubiger vorsehen; eine gruppenbezogene Wertgarantie dürfte aber auch hier die Schlechterstellung ausschließen. 302 BT-Drucks. 12/2443, S. 212. 303 Insbesondere Eidenmüller, JbfNPolÖk 15 (1996), 164, 183; ders. später in: NJW 1999, 1837, 1838; ebenso: Braun, in: Nerlich/Römermann, InsO, § 245 Rn. 17; Braun/Frank, in: Braun, InsO, § 245 Rn. 19; Drukarczyk, in: MünchKomm, InsO, § 245 Rn. 53; Hess, in: Hess, InsR, § 251 InsO Rn. 10 f.; Jaffé, in: Frankfurter Kommentar, InsO, § 245 Rn. 31; Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rn. 19; Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 301; Sinz, in: MünchKomm, InsO, § 251 Rn. 27 f.; anderer Ansicht aber: Flessner, in: Heidelberger Kommentar, InsO, § 251 Rn. 12; Grub, FS Uhlenbruck, 2000, 501, 512; Smid, ZInsO 1998, 347, 349 f.; Smid/Rattunde, in: Smid, InsO, § 251 Rn. 10; Wutzke, ZInsO 1999, 1, 4 (Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des § 226 InsO), wobei diese Argumentation bei den gruppenbezogenen Wertgarantien, die § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO verlangt, nicht greift. 304 Ebenso Eidenmüller, NJW 1999, 1837, 1838; Hess, in: Hess, InsR, § 251 InsO Rn. 12; Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, § 251 Rn. 20; Maus, in: Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. 2000, S. 931 ff. Rn. 108; anderer Ansicht aber Jaffé, in: Frankfurter Kommentar, InsO, § 245 Rn. 31.
E. Zustimmungsfiktionen auf Gläubiger- und Schuldnerseite
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Zum einen liegt ein solcher Tausch nur selten im Interesse der Insolvenzgläubiger. In der aktuellen Sanierungspraxis sind nur die wenigsten von ihnen tatsächlich an Anteilen an der sanierten Schuldnergesellschaft interessiert.305 Interesse an einer Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital hat allein der Schuldner, kann er auf diesem Weg doch eine schnelle Entschuldung erreichen. Dient ein debt-equity-swap aber schon im Grundsatz nicht den Gläubigerinteressen, so kann er die Forderungen ablehnender Gläubiger nicht gegen deren Willen erfassen, hat eine solche Zwangsbeteiligung am Schuldnerunternehmen mit ihren kaum zu überschauenden Risiken 306 doch nichts mehr mit der den Gläubigern zustehenden wirtschaftlichen Entschädigung in bar gemein. Sie verfehlt daher die aufgezeigten verfassungsrechtlichen Kompensationsanforderungen.307 Folgerichtig sieht auch die Insolvenzordnung von 1999 in § 230 Abs. 2 InsO ein ausdrückliches Zustimmungserfordernis für alle von einer solchen Planbestimmung betroffenen Gläubiger vor. Eine Änderung dieser Regelung, wie sie sich im Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen aus dem Jahr 2010 in dem vorgeschlagenen neuen § 230 Abs. 2 Satz 2 InsO findet,308 stößt demgegenüber an verfassungsrechtliche Grenzen und muss unterbleiben. Zulässig erscheint allenfalls eine Regelung, die den Gläubigern die Wahl zwischen einer Barabfindung und einer Forderungsumwandlung lässt (Option) 309 sowie ein Wahlrecht zwischen der Forderungsumwandlung und Genussrechten mit entsprechend gesicherter finanzieller Ausstattung.310 Bei obstruierenden Gläubigern mit Absonderungsrechten ist schließlich darauf zu achten, dass ihnen gerade im Falle einer (trotz des Kostenbeitrags nach § 171 InsO) vollwertigen Sicherheit im Regelinsolvenzverfahren kein Ausfall 305
So zuletzt Wallner, ZInsO 2010, 1419, 1422. Neben den Risiken einer persönlichen Gesellschafterhaftung, insbesondere bei einem Forderungstausch in Anteile an Personengesellschaften, sind auch Risiken aus Gesichtspunkten der Differenzhaftung zu beachten – siehe dazu im Ersten Kapitel unter A. II. 3. b). (4). (a). Gläubigerbanken können zudem nur schwer weiter als Kreditgeber auftreten, wenn sie zugleich wegen ihrer Altforderungen Anteilseigner sein sollen. Schließlich ist bei allen Anteilsrechten an Sanierungsgesellschaften eine schnelle Umsetzung der im Verfahren zugeteilten Anteile in Bargeld zum Zwecke der endgültigen Barbefriedigung nicht gesichert, da keinesfalls stets genügend Käufer bereit stehen werden, die sofort den avisierten Wert oder gar mehr zahlen wollen. 307 Im Ergebnis ebenso Eidenmüller, NJW 1999, 1837, 1839; Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 399; ders., in: KTS 2002, 209, 233; Uhlenbruck, KTS 1981, 513, 563. Zur hinzutretenden verfassungsrechtlichen Problematik des Eingriffs eines debt-equity-swap in die Rechte der Altgesellschafter siehe im Fünften Kapitel unter C. IV. 2. c). 308 Danach soll die Zustimmung eines Gläubigers, der keine persönliche Haftung übernehmen soll, zum Forderungstausch als erteilt gelten, wenn er trotz Erläuterung der Maßnahme und Belehrung über die Zustimmungsfiktion dem Tausch nicht binnen zweier Wochen widerspricht. 309 Dazu Müller, Der Verband in der Insolvenz, S. 399 ff.; ders., in: KTS 2002, 209, 234 ff. 310 Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 552. 306
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Kapitel 3: Der Insolvenzplan als Vertrag bürgerlichen Rechts
droht. Ihr Interesse an einem Insolvenzplan ist folglich gering und ihr Störpotenzial enorm. Der Nominalwert ihrer Forderung entspricht ausnahmsweise dem wirtschaftlichen Wert und ist daher im Fall einer Obstruktion nach § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu garantieren.311 Hinsichtlich der Zahlungsmodalitäten besteht dann aber ein gewisser Gestaltungsspielraum. Maßgeblicher Vergleichsmaßstab ist ja gerade nicht die Rechtsposition des gesicherten Gläubigers in der Einzelzwangsvollstreckung, sondern die im Regelinsolvenzverfahren. Hat also etwa ein Kreditinstitut seine vollwertig gesicherten Kreditforderungen fällig gestellt und verlangt es statt der Zustimmung zum Plan die Auskehr des Erlöses aus einer Verwertung seiner Sicherheiten, so muss der Plan eine volle Befriedigung dieser Forderungen vorsehen, wenn die Zustimmung dieses Gläubigers notwendig ist und über § 245 InsO ersetzt werden soll. Eine sofortige Befriedigung ist hingegen nicht notwendig. Zulässig sind vielmehr Bestimmungen im Insolvenzplan, die eine zeitliche Streckung der Rückzahlung vorsehen, solange dem Gläubiger diese Verzögerung durch eine angemessene Verzinsung ausgeglichen wird. Denn eine solche Verzögerung muss ein gesicherter Gläubiger auch im Regelinsolvenzverfahren hinnehmen, wenn das Sicherungsgut vom Schuldnerunternehmen zur Fortführung benötigt wird.312 Zugleich wird ihm hierfür ein Zinsanspruch (§ 165 InsO i. V. m. § 30e Abs. 1 ZVG bzw. § 169 InsO) und bei Abnutzung des Sicherungsgutes ein Wertersatzanspruch (§ 165 InsO i. V. m. § 30e Abs. 2 ZVG bzw. § 172 InsO) gewährt. Entsprechende Regelungen in einem Insolvenzplan garantieren daher ausreichend den Rechtsstandard des Regelinsolvenzverfahrens für gesicherte Gläubiger und genügen dann den Anforderungen des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO.313 Die Garantie der Insolvenzquote eines Regelinsolvenzverfahrens als wirtschaftlichem Wert der grundrechtlich geschützten Gläubigerforderung bedeutet schließlich auch, dass der Plan im Hinblick auf eine Anwendung des § 245 InsO keinen Vermögenswert der Insolvenzmasse dem Zugriff der Gläubiger vorenthalten und entschädigungslos auf nachrangige Gläubiger oder den Schuldner verlagern darf. Hierdurch ginge dem Befriedigungsinteresse der Gläubiger ein Gegenstand verloren, der im Regelinsolvenzverfahren zu ihren 311 Eidenmüller, FS Drukarczyk, 2003, 187, 198; Jungmann, Grundpfandgläubiger und Unternehmensinsolvenz, Rn. 300 f. 312 Die Pflicht des Insolvenzverwalters zur sofortigen Verwertung von Sicherungsgut nach dem Berichtstermin aus § 159 InsO tritt dann hinter die Pfl icht zur Unternehmensfortführung zurück – für Grundstücke: § 165 InsO i. V. m. § 30d Abs. 1 Nr. 2 ZVG; für bewegliche Sachen und Forderungen: §§ 169, 172 InsO. 313 Zutreffend daher die Entscheidung des LG Traunstein NZI 1999, 461, 462; zustimmend: Braun, NZI 1999, 473, 476; Hess, in: Hess, InsR, § 245 InsO Rn. 17; Jaffé, in: Frankfurter Kommentar, InsO, § 245 Rn. 37 ff.; Keller, Insolvenzrecht, Rn. 1758; Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, § 245 Rn. 21; kritisch: Smid, InVo 2000, 1, 7. Einer teleologischen Reduktion des § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wie sie Jungmann, Grundpfandgläubiger und Unternehmensinsolvenz, Rn. 302 vorschlägt, bedarf es zur Begründung dieses Ergebnisses folglich nicht.
E. Zustimmungsfiktionen auf Gläubiger- und Schuldnerseite
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Gunsten zu verwerten gewesen wäre. Die diesen Gedanken enthaltende »absolute priority rule« des amerikanischen Rechts und ihre deutsche Fassung in § 245 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 2 InsO hat insofern auch verfassungsrechtliche Grundlagen und ist daher streng zu befolgen.314 Problematisch ist vor diesem Hintergrund vor allem eine im Plan vorgesehene Fortführung des Schuldnerunternehmens nach Aufhebung des Verfahrens durch den Schuldner selbst oder dessen Gesellschafter. Erhält entsprechend eines solchen Plans der Schuldner oder einige seiner Gesellschafter das Unternehmen am Ende des Verfahrens zurück, so könnte diesen Personen insofern ein Vermögenswert zukommen, ohne dass zuvor alle (ihnen gegenüber vorrangigen) Gläubiger befriedigt wurden. Die Durchsetzung eines solchen Plans gegen den Willen einer Gläubigergruppe wäre unmöglich. Die Vorrangregel greift in diesen Fällen aber nur, wenn das zurückgelangende Unternehmen noch einen wirtschaftlichen Wert hat. Kern des Streits ist daher vor allem die Frage nach dem Wert des fortgeführten Unternehmens. Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Anforderung an § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO muss der Ausgangspunkt der Wertbestimmung stets in der Frage liegen, ob den Gläubigern infolge des Plans im Vergleich zur Liquidation im Regelinsolvenzverfahren ein wirtschaftlicher Wert verloren geht. Relevant ist danach also allein ein Wert des Unternehmens, den die Gläubiger im Regelinsolvenzverfahren hätten realisieren können.315 Dies ist grundsätzlich der Liquidationswert, kann aber im Fall eines Kaufinteressenten nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 InsO auch der Fortführungswert sein. Gibt es solche Interessenten und soll nach dem Plan dennoch der Schuldner das Unternehmen fortführen, so entgeht den Gläubigern der Marktwert des Unternehmens und der Schuldner erhält folglich nach dem Plan mit dem Unternehmen einen positiven wirtschaftlichen Wert, so dass eine Anwendung des § 245 InsO gegenüber obstruierenden Gläubigern an § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO scheitert. Da dem Gläubiger aber nicht das Unternehmen selbst, sondern nur dessen wirtschaftlicher Wert garantiert werden muss, lässt sich dieses Hindernis überwinden, wenn der Plan für den abfließenden (Unternehmens-)Wert eine Ausgleichzahlung des Schuldners an die Masse vorsieht.316
314 Will man die Vorrangregel insofern auch auf eine Gruppe ablehnender absonderungsberechtigter Gläubiger anwenden, wofür auch gute historische und teleologische Gründe sprechen, so führt dies dazu, dass ihnen der Plan zumindest den vollen wirtschaftlichen Wert ihrer Sicherheiten garantieren muss, wenn er zugleich einfachen oder nachrangigen Insolvenzgläubigern bzw. Gesellschaftern des Schuldners etwas zuwendet – vgl. Eidenmüller, FS Drukarczyk, 2003, 187, 198 f. 315 Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 701. 316 Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 705; Wittig, ZInsO 1999, 373, 376. Auch der Gesetzgeber sah dies so – vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 209; sogenannte »new value exception« – zum amerikanischen Vorbild dieser Regel siehe im Ersten Kapitel unter C. V. 1. b).
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Findet sich hingegen weder bei Fremdinvestoren noch im Kreis der Gläubiger ein ernsthafter Kaufinteressent, so hat das insolvente Unternehmen offensichtlich keinen positiven Marktwert.317 Dieser Schluss ist allerdings widerlegbar, kann das Ausbleiben eines Käufers doch auch an einer unzureichenden Marktsituation liegen. Die Prüfung darf daher nicht bei der Feststellung fehlender Interessenten stehen bleiben.318 Nur wenn in einem solchen Fall auch die Unternehmensbilanz im Zeitpunkt der Planbestätigung kein positives Kapital ausweist, wird dem Schuldner mit dem Unternehmen kein wirtschaftlicher Wert zugewandt und die Anwendung des § 245 InsO zur Bindung obstruierender Gläubiger ist möglich.319 Insgesamt scheitert also eine Anwendung des Obstruktionsverbots an § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO, wenn für das Unternehmen Kaufangebote abgegeben wurden, im Übrigen wenn das Unternehmen im Zeitpunkt der Planbestätigung (bilanziell) einen positiven wirtschaftlichen Wert besitzt, es sei denn, der aus dem Kaufangebot oder der Bilanz ersichtliche Wert des Unternehmens wird durch entsprechende, im Plan vorgesehene Ausgleichszahlungen des fortführenden Schuldners bzw. der fortführenden Gesellschafter zugunsten der Gläubiger erstattet. Werden alle diese Vorgaben in der Praxis beachtet, so schlagen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der §§ 245 Abs. 1 Nr. 1, 247 Abs. 2 Nr. 1 InsO aufgrund von Prognoseunsicherheiten nicht durch.320 Insbesondere besteht kein Anlass, die Anwendung des Obstruktionsverbots des § 245 Abs. 1 InsO auf Fälle »offenkundiger Besserstellung« der Betroffenen durch den Plan zu beschränken.321
317 Auch der Gesetzgeber stellt maßgeblich auf das Vorhandensein von Kaufinteressenten für die Auslegung des § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO bei Unternehmensfortführungen durch den Schuldner oder dessen Gesellschafter a